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Full text of "Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und Schicksale"

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THE KARL HOLL 
LIBRARY OF CHURCH HISTORY 


DUKE UNIVERSITY LIBRARY 


N. C. 


DURHAM 


Date _ 


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Lebens, 


Dr. Carl Friedrich Bahrdts 
G e ſchich te 


ſeines 


ſeiner Meinungen 


und Schickſale. 


Von ihm ſelbſt geſchrieben. 


Vierter und letzter Theil. 


Berlin, 1791. 


bei Friedrich Vieweg, dem älteren. 


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D.. C. F. Bahrdts 
Lebens -Beſchreibung 
von ihm ſelbſt. 


Vierter Theil. 


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Erſtes Kapitel. 


Entrinnung. Ankunft in Halle. 


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be | 

N war betaͤubt. Ohne alle beftimte Vor⸗ 
ſtellung von dem, was mir wiederfuhr, faßte ich 
blos den kalten Gedanken der Noihwendigkeit: 
„es iſt einmal nicht anders!“ Ohne alle Er— 
ſchrokkenheit und Angſt ging ich ans Fenſter 
und rufte meiner Frau: „Liebes Kind, ſteige 
„doch mit den Kindern aus und kom herauf, wir 
„wollen ein wenig fruͤhſtuͤrken.“ — Mein Weib 
kam, ſahe die Wache, fing an zu zittern und zu 
beben und trat ſchon halb todt ins Zimmer. 
„Herr Jeſus, was iſt das? Gott! Iſt unſerer 
„Leiden noch kein Ende?“ — Die Kinder fir 
gen an zu weinen, und ich mußte eine halbe 
Stunde das Jammern und Wehklagen mit an⸗ 


hören. 204488 


Meine ruhige Mine, die freilich zum Theil 
erzwungen war, und die Verſicherungen, daß ja 
kein Verbrechen die Urſache des Arreſtes ſeyn 
koͤnne, machte endlich den Klageliedern ein Enz 
de. Das Geheul verwandelte ſich in ſtumme 
Traurigkeit. Wir ſaſſen ohngefaͤhr eine halbe 
Stunde beiſammen, ohne zu ſprechen. Endlich 
wards in meiner Seele wieder helle. Der erſte 
Schlag des Ungluͤks hatte mich ein wenig bes 
taͤubt. Jezt trat die ruhige Ueberlegung wieder 
ein und mit ihr die volle Heiterkeit meines 
Geiſtes. ! 


Laßts gut ſeyn, Kinder, ich will hier wohl 
noch Rath ſchaffen. Einige dunkle Ideen zu 
Entwuͤrfen ſtiegen in mir auf. Ich rufte den 
Inſpektor. Sagen Sie mir, lieber alter Freund, 
was das hier iſt? Ich bin mir keines Verbre⸗ 
chens bewuſt. Ich bin koͤniglich preußiſcher Un⸗ 
terthan und reiſe nach Berlin. Wie darf ers 
er wagen, mich aufzuhalten? 


Ich bedaure es freilich, lieber Herr Super⸗ 
intendent, war die Antwort, daß Ihnen in mei⸗ 


— 


nem Haufe die Ungelegenheit wiederfahren muß. 
Ich halte die ganze Sache für eine Chikane. 
Es iſt ein Menſch unten, der hier Ihren Arreſt 
verlangt hat, und ſich zugleich mit hat arretiren 
laſſen. Ich weis ſelbſt nicht, was ich dazu ſa⸗ 
gen ſoll. 


Aber wer iſt denn der Menſch, fragte ich 
weiter, welcher mich hat arretiren laſſen? Wo 
iſt er her? Wie ſieht er aus? — Ich kan 
nicht aus ihm klug werden, entgegnete der In⸗ 
ſpektor. Es iſt ein Kerl mit einem kupfrigten 
Geſichte, der wie ein Spizbube ausſieht. Ich 
habe ihn gefragt, ob er nicht mit Ihnen ſpre⸗ 
chen wolle. Aber er will nicht herauf. Er 
ſagte, Sie kaͤnnten ihn gar wohl. Es wuͤrden 
bald andere Herren kommen, die mit Ihnen ſpre⸗ 
chen wuͤrden. 


Jezt glaubte ich den Mann zu errathen. 
Es iſt mein geweſener Saufaus von Hausmeiſter, 
den die oͤkonomiſche Geſelſchaft ſo lange prote⸗ 
girt und endlich Schande halber verabſchiedet 
hat. Ich konte nicht anders urtheilen, als daß 

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5 
dieſe werte Geſelſchaft felbfe mit im Spiele fen 
Nur wußte ich mir keine Urſache zu erdenken, 8 


warum dieſe Leute mich feſthalten wolten, da 


ſie an mir nichts zu fordern hatten, und ſie auch 
ſelbſt wuſten, daß ich in der Pfalz nicht bleiben 
und, wenn ich bliebe, ihnen nichts helfen konte. 


Ich konte mich daher des Gedankens nicht 
erwaͤhren, daß meine Gefangennehmung von der 
katholiſchen Parthei veranſtaltet ſey, und datz 
der verabſchiedete Haus meiſter ſich zum Verraͤ⸗ 
ther hatte brauchen laſſen. Und dies war fur 
mich der aͤngſtlichſte Gedanke, weil ich kein recht⸗ 
liches Verfahten heffen durfte, ſoͤndern Gewalt⸗ 
thaͤtigkeit und heimliche Tirannei beſorgen mußte. 


Mie fiel jezt ein, daß in Oppenheim ein 
Prediger ſtund, der mein Schuͤler von Gleſſen 
her, und ein warmer Freund von mir war. Ich 
bat den Inſpektor, dieſem meinen Aufenthalt be⸗ 
kant zu machen, und ihn bitten zu laſſen, daß 
er mich beſuchen moͤchte. Der edle Mann kam 
nicht nur, ſondern ſchikte auch gleich nach einem 
benachbarten Pfacrer, welcher mit mir in glei⸗ 
chem Verhaͤltniſſe ſtund, und ließ ihn einladen. 


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O was iſt Freundſchaft für ein Gut, in 
felgen Zeitpunkten des Lebens! Mein ganzes 
Herz wald erqulkt und erleſchtert, da ich dieſe 
beiden Freunde bei mir ſahe !“ Es war mir, als 
wenn ich nun einen Schirm gegen alle Ungluͤks⸗ 
ſchlaͤge gefunden haͤtte. Ich ward ſo aufgeraͤumt, 
daß mir die Mahlzeit ſo gut ſchmekte, als wenn 


ich fie mitten in meinem Walen none 
haͤtte. 8 


Der erſte Entſchluß, der genommen wurde, 
war dieſer: die beiden Freunde wolten des 
Abends, ſobald es finſter wuͤrde, ſelbſt eine Leiter 
bringen, auf welcher ich aus dem Fenſter hinab⸗ 
ſteigen und flüchten ſolte. Das Fenſter ging 
auf die freye Landſtraſſe und nirgends war Wa— 
che, als vor meiner Thuͤr. Meine Frau und 
Kinder, dachten wir, wird niemand feſt halten, 
wenn einmal der Vogel aus dem Bauer ſeyn 
wird. 


15 1 | 

Eine halbe Stunde ergoͤzten wir uns herz— 

lich an dieſem Einfalle: aber endlich kamen ver⸗ 

ſchiedene Einwuͤrfe zur Sprache, welche ihn ber 
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* 
9. DE “is 8259 — 


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denklich zu machen ſchienen. — Ei, ſieng einer 
der Prediger an, es iſt ja hier zu Lande alles 
mit Gelde zu zwingen: wenn nichts gehen will, 
fo muͤſſen wir dieſen Weg einſchlagen. — Ich 
ſagte ihm, daß ich allenfals hundert Gulden an⸗ 
zuwenden haͤtte. — O wenn dies iſt, verſezte er, 
ſo wollen wir geſchwinde Arbeit machen. — Er 
ging zu dem Inſpektor, und kam nach wenig 
Augenblikken mit ihm herauf, um uns zu ſagen, 
daß alles richtig ſey. Der Inſpektor ſelbſt ver: 
ſicherte mich, daß er ſogleich an den Geheimden⸗ 
rath. . . . nach A... ſchreiben und die 
hundert Thaler anbieten wolle. Das geſchah. 
Wir ſchikten eine Stafette fort, und der Inſpek⸗ 
tor betheuerte daß die hohe Obrigkeit ein Auge 
zumachen, und ihm Erlaubniß ertheilen wuͤrde, 
mich loszulaſſen. 


Nachdem die Stafette abgegangen war, ſez⸗ 
ten wir uns vergnuͤgt zu einer Phomberpactie, 
und der Tag fahe feinen erften Stunden fo aͤhn⸗ a 
lich wie das Licht der Finſterniß. 


Ein klein wenig fing mir das Herz an wie⸗ 
der zu klopfen, da der Inſpektor erſchien, uns 


die Ruͤkkunft der Stafette zu melden. Doch die 


Nachrichten lauteten gut. Wenn ſie mir hundert 
Gulden einhaͤndigen, ſo habe ich Ordre, Sie 
durchzulaſſen. — Er wolte aber die Ruͤkantwort 
des Geheimdenraths nicht vorzeigen. Genug, ich 
gab ihm jezt die hundert Gulden und mein 
Freund eilte nach Oppenheim zu feinem Schwa— 
ger, dem Poſtmeiſter mit dem ausdruͤklichen Aufs 
trage des Inſpektors, daß er um das Beſte Ge⸗ 
ſpann Pferde bitten ſolte, was er im Stalle 


haͤtte. 


Dieſer Auftrag machte mir Unruhe. Ich 
glaubte urtheilen zu muͤßen, daß der Mann kei— 
ne eigentlich Ordre zur Loslaſſung habe, ſondern 
nur einen Wink, das Geld zu nehmen, und mei— 
ne Flucht zu beguͤnſtigen. Und die ſchuf zwie⸗ 
fache Beaͤngſtigung. Einmal, weil ich dann doch, 
auf der erſten Station wenigſtens, nicht ſicher 
war, wieder aufgefangen zu werden, und dann, 
weil ich ein aͤußerſt armſeliges Fuhrwerk hatte, 
naͤmlich — noch immer meinen Marſchlinzer 
Phaeton, nue mit breiter Spur verſehen: folge 


lich ein ſehr altes, verbrauchtes Waͤgelchen, wel⸗ 


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ches auf dem ungeheuren 'gepflafterten Damme 


nach Oppenheim, zumal mit vier raſchen Pfer⸗ 
den beſpannt, und mit ſechs Perſonen und einem 
Koffer belaſtet, menſchlichem Anſehen nach jet? 
brechen und liegen bleiben muſte, ſobald es 
Flucht heiſſen und in vollem Jagen davon ge⸗ 
gangen werden ſolte. Meine bange Ahndung 
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Dieb Inſpektor hieß die Wache hinunter 


gehen in die Gaſtſtube und gab vor, ich ſey un⸗ 


paß und wolle mich ſchlafen legen: ſie ſolten 
ein paar Butellen Wein zum beſten haben.“ Die 
Bauern giengen. Es erfchierren vier Fuchsheng⸗ 
fie, welche hinten eingelaſſen wurden. Meine 
Schaͤſe wurde angeſpannt und der Koffer aufge⸗ 
bunden. Meine Feau und Kinder fuͤhrte der 
Juſpektor in den Wagen und mich wieß er nach 
einer Schlippe, wo ich durchſchluͤpfen und eini⸗ 
ge hundert Schritte voraus gehen folte, ung 
Mir graute vor der ganzen Operation. 
Ich ſchlich mich durch und eilte mit ſtarken 


Schritten die Straſſe hinab und auf Oppenheim 


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zu. Und sehe da, ich war voch nicht Fünfyig 
Schritte voraus, ſo kamen ſchon die Bauern 


hinter mir drein gelaufen und ſchrien, halt! Da 


ich das hoͤrte, ergab ich mich in eine zweite Ges 
fangenſchaft, weil ich auf meine Fuͤße mich nicht 
verlaſſen konte, und durchaus es nicht wagen 
mochte, in der Stadt eingeholt zu werden. Zu⸗ 
dem war mir auch, wenn ich entrann, daß Shi 
fal meiner Kinder ungewiß. Ich ging alſo mit 
der Wache zuruk. 


Als ich ins Haus kam, ging ich dem In⸗ 
ſpektor zu Leibe. „Herr, Sie haben mir hun⸗ 
„dert Gulden abgenommen, alſo ſchaffen Sie 
, mich fort, oder ich halte mich an Sie.“ — 
Der Mann wurde wirblicht. Es wochte ihm 
nicht recht ſeyn, daß ich mich hatte kriegen laſ⸗ 
ſen. Und ich merkte hinterher, daß ich getroſt 
hätte fortlaufen koͤnnen, und daß die Bauern 
nur zum Schein mir nachgelaufen waren, um 
ſagen zu koͤnnen, ſie haͤtten mich verfolgt, aber 
nicht einzuhelen vermocht. Er hieß die Wache 
in die Stube gehen und führte, mich keklich an 
den Wagen zum Einficigen, 


* 


12 — — 


Aber in dieſem Augenblik ſprang mein 
Hausmeiſter heraus, welcher mit der Schnaps⸗ 


pulle indeſſen amuſirt worden war, und etwas 


vom kermen gehoͤrt oder von Flucht geahndet 
haben mochte. „Im Namen Sr. Kurfuͤrſtl. 
„Durcht. ſchrie der Kerl, proteftire ich gegen die 
„Ahfarth.“ — Der Inſpektor ſchlich ſich zuruͤk. 
Mein Volk im Wagen bebte und heulte. Der 
Peſtillion, der ſchon auf den Pferden ſaß, wuß⸗ 


te nicht, was er thun ſolte. Ueber hundert 


Menſchen hatten ſich vor dem Wirthshauſe ver— 
ſamlet. Ich faßte Muth, zog mein großes Cou- 
teau, trieb den Kerl auf die Seite und ſprang 
zum Poſtillion und ſchrie mit verſtellter Wuth 
auf ihn los: „Schwager fahr den Augenblik 


„los: Du bekoͤmmſt einen halden Karolin Trink— 


„geld: und zauderſt du noch, ſo ſtoß ich dirs 
„Meſſer in den Leib.“ Und ſo fort ſezt ich ihm 


das Mordgewehr in die Seite. Das half. Der 
Schwager hieb ſeine Hengſte an. Der Haus⸗ 


meiſter ſchrie wie unfinnig und drohte dem Por 
ſtillion mit Feſtung und Zuchthaus. Ich ſprang 
in den Wagen und hieb gegen den Hausmeiſter, 


13 


daß er mir von Halfe bleiben mußte. Alles war 
ein Moment. N 


Jezt gings im Fluge zum Wirthshauſe hins 
aus und den Oppenheimer Damm hinunter. 
Mein Weib lag wie todt. Meine Kinder ſchrien 
durcheinander. Unſere Juliane weinte. Und ich 
zitterte und bebte — wie ich in meinem Leben 
noch nicht gebebt hatte. — Das waren ſchrek⸗ 
liche, grauſe Augenblikke! — Der Wagen ſprung 
alle Augenblik halbe Ellen hoch in die Hoͤh, und 
bei jedem Sprunge uͤberlief mich ein Todesſchau⸗ 
er. Jezt liegen wir, dachte ich. Jezt ſtuͤrzt der 
Wagen zuſammen. Der ſchrekliche Fall, das 
Arm und Beinbrechen der armen Kinder, das 
Umringt- werden vom Poͤbel, das Einholen, das 
Zuruͤkſchleppen in ein vieleicht haͤrteres Gefaͤng— 
niß — das alles ſchwebte mir mit einemmale 
vor Augen und preßte mir Angſtſchweiß aus. — 
Gott erbarme dich! ſeufzte ich in einem hin, und 
fuͤhlte nur immer, obs unter mir noch hielt. 


Indem ſtuͤrzte der Wagen in die fliegende 
Bruͤkke hinein, und der vom Prediger ſchon be⸗ 


ſtellte und gut bezahlte Faͤhrmann ſtieß ab. In 
dieſem Augenblikke kehrte mein entflohener Saft 
zuruͤk und ich athmete freier. — „Kinder, nun 
„ſeyd ſtille, alle Noth iſt voruͤber!“ — Die 
Kinder gaben ſich gleich. Aber die Mutter blieb 
harmvoll. Sie hatte beſtaͤndig mit Ahndungen 
zu thun. Und jezt wolte ſie ſichs gar nicht mehr 
ausreden laſſen, daß uns noch ein Ungluͤk be⸗ 
vorſtuͤnde. 


Ich — war ganz wieder in meiner Ruhe. 
Und waͤre mein elender Wagen nicht Grund zur 
Beſorgniß geweſen, ich hätte fingen koͤnnen. 
Nur dies ließ eine kleine Bangigkeit in mir zu⸗ 
ruf, daß wir noch liegen bleiben, und blos das 
durch noch eingeholt werden koͤnten. 


Indeſſen verlor ich doch bei dieſer Vangig⸗ 
keit das Vergnuͤgen nicht ganz, welches mir ein 
ſchnelles Fuhrwerk gewaͤhrt. Kein Koͤnig kan 
raſcher fahren, wie ich jezt zwei Stationen hin⸗ 
durch fuhr. Das leichte Fuhrwerk, die vier 
friſchen Hengſte und der halbe Karolin thaten 
Wunder. So praͤchtig bin ich in meinem Leben 


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nicht gereifet, Der ſchaͤrfſte Trab und kurzer 


Galopp wechſelten. 


In Grosgerau gab ich dem Poſtillion den 
halben Karolin, und bat ihn, ſeinen Nachfolger 
zu verſichern, daß auch er daſſelbe Trinkgeld ha⸗ 
ben ſolte, wenn er eben ſo fahren wuͤrde. Denn 
mein Wunſch war blos, nur erſt in Darmſtadt 
zu ſeyn, wo meine perſoͤnliche Bekantſchaft mit 
dem Erbprinzen und meine uͤbrigen Verbindun⸗ 
gen mich zuverſichtlich hoffen ließen, daß keine 
weitere Arretirung geſtattet werden würde, tea 
nigſtens keine der Art, dadurch ich in katholi⸗ 
ſche Haͤnde geriethe. — Ich fagte auch dem Poſt⸗ 
meiſter, den ich ſchon vorher ſehr gut kante, daß 
ich zu dem Erbprinzen reiſete und vermochte ihn 
dadurch, Fi er ſelbſt für die ſchleunigſte Expedi⸗ 
rung ſorgte , und mir vier feiner beiten Pferde gab. 


Und nun gings eben ſo, wie auf Daͤdalus 
Fittigen, nach Darmſtadt zu. Nur war auf 
dieſer zweiten Station die Gefahr etwas groͤſſer. 
Denn es ging durch lauter Waldung, und der 
Poſtillion nahm noch obendrein Schleifwege, ſo 
daß wir alle Augenblik fuͤrchten mußten, in der 


Dunkelheit der Nacht, mit der Are an einem 


Baume haͤngen zu bleiben und den Wagen in 


Stuͤkken zu zerreiſſen. Aber es ging alles gluͤk⸗ 
lich ab. Wir kamen in der Nacht nach Darm⸗ 
ſtadt, und hatten die vier ſtarken Meilen in we⸗ 
niger als drei Stunden zuruͤkgelegt. 


So herrlich hatte ich lange nicht geſchlafen. 
Nach achtehalb Stunden erwachte ich erſt mies 
der, nachdem meine Frau ſchon ſeit zwei Stun⸗ 
den am Fenſter geftanden und ihren Grillen 
nachgehangen hatte. Wir blieben den Vormit⸗ 
tag ſtille liegen. Ich handelte vom Poſtmeiſter 
eine Berline, dafuͤr ich ihm meine lateiniſche 
Schaͤſe und zehn Luisdors gab, und welche ich 
hernach in Halle wieder fuͤr ſechzehn Luisdors 
verkaufte. Nun hatten wir in einem ſchoͤnen 
Glaswagen volle Bequemlichkeit und Schuz fuͤr 
die Kinder gegen die Kälte der Nächte, 58 

Wir reiſeten über Offenbach durch das 
Suldsifche, wo ich einen andern Namen mir 
gab, um nicht die katholiſche Parthei auf mich 
aufmerkſam zu machen. Es ging Tag und 

Nacht, 


Nacht, und ich gab auf jeder Station einen 


Thaler trinkgeld, bis ich erſt wieder auf protes 


ſtantiſchem Grund und Boden war. In Gotha 
raſteten wir bei den Anverwandten meiner Frau, 


ſo wie in Erfurth, im Lentinſchen Haufe, wel⸗ 


ches uns mit Guͤte uͤberhaͤufte. 


In der Nacht um eilf Uhr kamen wir vor 
das Grimmiſche Thor zu Leipzig, und mußten 
da leider durch die in einem ofnen Orte etwas 
ſeltſame Verſchlieſſung der Thore über andert— 
halb Stunden lauern und betteln. Es koſtete 
mich einen Speciesthaler, daß die Schlüffel ger 
holt wurden. — Meine Mutter empfieng mich 


mit Thraͤnen. 


Sie ſahe jezt den Liebling ihres Herzens 
als Bettler, ohne Amt, ohne Ausſicht. — Das 
Jammern der Menſchen, zumal wenn ich die 
Urſache davon bin, iſt die groͤßte Folter fuͤr 
mein Herz. — Ich riß mich los. Wir blieben 
nur einen Tag und — kamen den 28ſten Mai 
1279 in Halle an. 


Iv. B. W 


18 —— - 


Zweites Kapitel. 


Erſte Ausſichten auf Preußiſchem Boden, 


Wi geſagt, in einem Koffer brachte ich alle 
meine und der Meinigen Habſeligkeiten mit nach 
Halle. Wir hatten jedes etwa dreimal weiß anz 
zuziehen, meine Frau zwei Kleider, ich eins, was 
auf meinem Leibe war. Das war unſer Reich⸗ 
thum. Meine gute Laune aber, die ich aus den 
Truͤmmern meiner Gluͤkſeligkeit gerettet hatte, 
und meine Kraft und Luſt zu arbeiten, war mir 
Schazzes genug, ſo daß ich wirklich wohlhaben⸗ 
der war, als ich ſchien. 


Wir ſtiegen im Kronprinz ab. In weni⸗ 
ger als einer Stunde war es bis in die verbor⸗ 
genſten Winkel der Halle gedrungen: „Der D. 
„Bahrdt iſt angekommen!“ Und allen, die es 
hoͤrten, lief es kalt uͤber den Leib und machten 
1 1 1. Es war warhaftig, als wenn die Peſt 
eingetreten waͤre: ſo graͤßlich waren die Ideen, 

die ſich der große Haufe von mir machte und 


— 


19 


— die mancher Herr im ſchwarzen Rokke durch 
ein gottſeliges Achſelzukken unterhielt. 


Herr Teller hatte mich dem Herrn Eber⸗ 
hard empfohlen, (ſo wenigſtens hatte mir Herr 
Teller geſchrieben, daß ich mich in allen Stuͤkken 
an Herrn Eberhard halten und mich ſeiner Lei— 
tung bedienen ſolte) und dieſer war erſucht 
worden, mir ein Quartier auszumachen. Es 


war alſo mein erſtes, zu Herrn Eberhard zu ge— 
hen, und mein Quartier in Augenſchein zu neh—⸗ 


men. Er empfing mich mit der ihm eignen Leb— 


haftigkeit, welche ich mit der eines Franzoſen 


vergleichen wuͤrde, der bereits in die Jahre der 
Reife und des Ernſtes gekommen iſt. Sein Ge— 
ſpraͤche und fein Air waren munter, und hatten 
eine milde Farbe von Jovialitaͤt, mit einigen feis 


nen (gar nicht krallen) Zügen von Profefforis 
ſcher Wuͤrde. Auf die wenigen Worte, mit wel 


chen ihm das Harmvolle meiner Lage anwinkte, 

erwiederte er ein fluͤchtiges und ſorgloſes: „ja 

„ja — nun, es wird ſich mit der Zeit wohl 

„geben.“ Zum freundſchaftlichen Einklange in 

den Ton meiner Klagen war er gar nicht ge⸗ 
B 2 | 


20 2 — 


ſtimt. Seine Handlungsweiſe wie ſein Ton ver⸗ 


ſcheuchten augenbliklich alle fernere Ausbruͤche 
meines Kummers von meinen Lippen. Man 


hoͤrt auf zu klagen, wenn man kein Herz findet, 
das die Toͤne zuruͤkgiebt. | 


Er führte mich in der Steinſtraſſe in ein 


Haus, und — was er fuͤr mich beſprochen hatte, 
war eine einfache Studentenſtube mit einer Kam⸗ 
mer. Da ich vorſtelte, daß ich ſo mich nicht 
behelfen koͤnte, hieß es, es ſey allenfals, eine 
Treppe hoͤher, noch eine ſolche Stube zu haben: 
aber nichts von Kuͤche u. d. m. Es befremdete 
mich. Denn es hatte ganz das Anſehen, als 
wenn man mich wie einen Bettler aufnehmen 
und auch ſo laſſen wolte. Es ſchien, als ſolte 
ich als duͤrftiger Privatmann mich mit meinen 
Kindern in ein Stuͤbchen preſſen, aus dem Gaſt⸗ 
hauſe ſpeiſen und — verputten, bis — man 
mich rufen wuͤrde, daß ich wieder laut werden 
ſolte. | | 


Dieſe armſelige Beſtimmung beftätigten mie 


hernach mehrere Umſtaͤnde, und unter andern 


ee 
— 


9 21 
der, daß, wenn ich von gewiſſen Schriften ſprach 
(auch gegen andere Herren in Halle und Berlin) 
welche meiner freimuͤthigen Denkungsart ges 
maͤß waren, man mir immer ſolche Antworten 
gab, welche anzeigten, daß man mich lieber uns 
ſichtbar und unhoͤrbar als thaͤtig und bemerkbar 
wuͤnſchte. 


Ich verbat mir das Logis und ging auf 
den Kronprinz zuruͤk, um durch einen Lehnlakai 
mich ſelbſt um eins zu bewerben. Zufaͤlligerwei⸗ 
fe wußte der Menſch, daß in dem großen Weis 
manniſchen Hauſe zwei ſchoͤne Stuben mit 
Kammern vakant waren. Ich ging, ſie zu be⸗ 
ſehen. Herr Weimann hatte die ganze Etage 
an das Inſtitut vermiethet, welches damals Herr 
Prof. Schuͤz und Herr D. Semler veranſtaltet 
hatten und das, wo ich nicht irre, wieder in 
Stekken gerathen war. Er glaubte, da ihm die 
Miethe bis Michael bezahlt werden mußte, daß 


es H. Semlern angenehm ſeyn wuͤrde, wenn er 


einen Theil der leer ſtehenden Etage vermiethete, 

und ihm dadurch Koſten erſparte. Wir wurden 

auf 60 Thaler einig und ich bezog noch an dem⸗ 
B 3 


. — 


25 — 


ſelben Tage die neue Wohnung, zu weſcher den 
ſehr gefaͤllige und freundſchaftliche Wirth, mir i 
eine kleine Kuͤche einraͤumte, — und mich mit 
den noͤth'gen Meubeln und Kae fo gar ae; | 
gen verſorgte. | ‚sen 


Es war mein Gluͤk, daß ich fo geeilt hatten 
Denn gleich am andern Moegen kam Herr Sem— 
ler und bezeigte ſeinen Unwillen. Und waͤr ich 
nun nicht im Beſitz geweſen, Here Weimann 
wuͤrde nicht Erlaubniß erhalten haben, mir das 
Quartier zu geben und ich — hätte vielleicht 
Muͤhe gehabt, in irgend einem Hauſe aufgenom⸗ 
men zu werden: — ſo groß war der Geſtank 

meiner Kezzerhaftigkeit! 5 „ 
f 3:99 
Ich a re allademſeben Aag, wo Herr 4 
Weimann das ſcheele Geſicht erhalten hatte, bei | 
Herrn Semler meine Viſite ab und er bekannte 
mir offenherzig, daß er herzlich erſchrokken ſey, 
da er von meiner Ankunft gehoͤrt habe. Mein⸗ 
Ruf ſey zu ſchlim, als daß ich mich hier wuͤrde 
halten können, und ſeine eigne Ehre erfodere es- 


daß er gegen mich ſchreibe. Ich ſuchte ihn zu 


ven 


beruhigen, aber er blieb dabei, daß ich den als 
bernſten Streich von der Welt begangen hätte, 
daß ich nach Halle gezogen ware. Uebrigens 
war er guͤtig und im hoͤchſten Grade theuneh⸗ 
mend an meinen Schikſalen, fo daß ich, bei 
aller feiner Unzufriedenheit mit mir, den Grund 
des guten Herzens nicht verkennen konte. 


Bald ging ich auch zu Herrn Noͤſſelt, Frey⸗ 
lingshauſen und Knapp. Die erſten nahmen 
mich beide, wie natuͤrlich, kalt und ceremonidͤs 
auf. Im Noͤſſeltſchen Hauſe ſchien mir eine Tod: 
tenſtille zu herrſchen: Es war mir nicht anders, als 
wenn alle Dielen und Waͤnde voll Heimlichkeiten 
ſtekten. Alles ging leiſe, alles ſprach leiſe, und der 
Herr Doktor Noͤſſelt ſelbſt ſprach, als wenn ich bei 
ihm in der Beichte waͤre. Er liebt die Stille und 
— Verborgenheit. Freylingshauſen war etwas 
natürlicher, und ſchien nicht verhindern zu wol⸗ 
len, daß man den toleranten Mann, der das 
Verdienſt auch im Unterdruͤkten ſchaͤzt, durch 
ſchimmern ſahe. Von ihm wurde hernach das 
Bon Mot bekant: „Dieſen Bahrdt werden die 
„Herren wohl unbalbirt laſſen muͤſſen!“ 

B 4 


24 r n 


Am herzlichſten war der edle Knapp. Die⸗ 
ſer nahm keine Staatsviſite an, ſondern ſezte mir 
Kaffee und Tabak vor und ſprach ſo, daß ich 
Muth hatte, den ganzen Nachmittag bei ihm zu 
bleiben. Unſere Geſpraͤche waren — freund⸗ 
ſchaftlich und eben darum nicht zum Aus plaudern 
beſtimt. Wolte Gott, der Mann waͤre nicht Kol⸗ 
lege von — ſolchen Kollegen geweſen. In ſeinem 
Umgange und in ſeiner Freundſchaft haͤtte ich 
mich ſelig gefuͤhlt. Er ſelbſt waͤre gern wieder 
zu mir gekommen und haͤtte Umgang mit mir 
geflogen: ich weis es gewiß, aber — die Kolle⸗ 
gen — hatten einmal beſchloſſen, dem abgeſezten 
Superintendenten keine Gegenviſtte zu machen: 
alſo wars Zwang der Klugheit, ſeine Kollegen 
nicht zu beſchaͤmen und — allein tolerant zu 
handeln. 

Herr Semler war oft, ſehr oft im Weimann⸗ 
ſchen Hauſe und ſelbſt auf dem Saale, wo mei⸗ 
ne Zimmer waren. Aber er konte es nicht uͤbers 
Herz bringen, den armen D. Bahrdt, der ihm 
jezt zu klein worden war, mit einer Momentlans: 


* 


” „ g 25 


gen Viſite zu ihn. — Kein Theologe An in 
u. den e erwiedert! !! 


ger Eberhard — war der einzige Mann, 
. mich beſuchte und mir Zutritt verſtattete. 
Schade, daß mein Herz keinen Ankergrund zur 
Freundſchaft fand. An Zuneigung fehlte mirs 
nicht. Und ich wuͤnſchte mir es wirklich, einen 
Mann von ſo viel Geiſt, als meinen Freund lie— 
ben zu koͤnnen: zumal, da ich hörte, daß er Übers 
all gut und ruͤhmlich von mir ſprach und gegen 
manche Kabale mich verfocht. Aber er hielt ſich 
beftändig fo, daß ich den Gönner nur — aͤuſer⸗ 
lich ehren konte. Er kam zwar faſt alle Tage, 
aber nur auf zwei bis drei Minuten, und ge— 
woͤhnlich ſo preß vor der Mittagsmahlzeit, daß 
kein Aufenthalt moͤglich war. Und ein leichtes, 
mit franzoͤſiſchem Bon-Ton vorgebrachtes: Bon 
„jour mein lieber Herr Doktor, wie gehts Ih⸗ 
„nen?“ konte mein Herz, das nach Freundſchaft 
ſich ſehnte, nicht befriedigen. 


Es war ein trauriges Leben fuͤr mich. Al⸗ 
le Welt floh mich. Alles ſcheute ſich vor mir. 
| 8 5 


26 — 5 N 


Selbſt mein Wirth, der ein herzlicher und bieden; 
rer Mann war, und an dem ichs merken konte, ö 
daß er mich lieb gewonnen hatte und Zutrauen 

zu mir empfand, ſchien doch nicht Muth zu ha⸗ 

ben, ſich viel mit mir abzugeben. Im Hauſe 
genoß ich alle moͤgliche EN ua: Ge⸗ 
faͤlligkeiten. mt es 


Wenn ich auf der Gaſſe ging, wichen mir 
die Leute aus. Man ſahe ſich um, wenn ich 
vorbei war. Man zeigte mit Fingern. Man 
lief ans Fenſter und ſahe mir nach. Kinder ſag⸗ 
ten laut, aber mit einer Art von aͤngſtlichem Tone, 
wie wenn ſie ein gefaͤhrliches Thier erblikten, 
„Du! das iſt der D. Bahrdt!“ Ein Geiſtlichen 
kam mir in den Weg, bog aus, hielt den Hut 
an der Seite fuͤrs Geſicht, die ich zu paſſiren 
hatte, und ſchob ſo haſtig vor mir vorbei, als 
wenn der Gott ſey bei uns ihn den Odem ver⸗ 
ſezt haͤtte. 


So einſam und von Menſchen verlaſſen leb⸗ 
te ich beinahe den ganzen Sommer. Mein Bal⸗ 
bier war, auſſer Eberharden, der einzige Sterb⸗ 
liche, den ich zu ſprechen bekam. Ich blieb in 


—— 


4 1 


* 


je 
4 
9 


der erſten Zeit immer zu Haufe, um auf der Straſ⸗ 
fe kein Aufſehen zu machen. Endlich erkundigte ich 
mich, ob es keinen Garten gebe, den ich beſuchen 
koͤnte. Ich fand den Fleiſcherſchen vor dem Stein⸗ 
thore 0 wo ich eine einſame Laube mir wählte, 


und woͤchentlich einigemal mit meinen Kindern hin⸗ 


ſchlich, um wenigſtens die übrige Natur zu geniefs 
ſen, da die menſchliche mir den Genuß verſagte. 


Ich hatte in Oppenheim hundert und funf— 
zehn Gulden Koſten gehabt, und meine Reiſe, 
mit vier Pferden Extrapoſt, hatte mich ſchweres 
Geld gefoftet, fo daß ich etwa noch hundert Guls 
den mit nach Halle brachte. Und auch dieſes 
Geld, das ohngefaͤhr 11 Louisd’ors betrug, hatte 
keine lange Dauer. Denn ich mußte ja — 
gleich, eine Menge von Beduͤrfniſſen fuͤr mich 
und die Meinigen anſchaffen, welche dieſe kleine 
Summe in der Geſchwindigkeit aufzehrten. 


Was fuͤr traurige Ausſichten! — Auf ein 
Ant durfte ich nach dem Tone des Herren Eberz 


hards und meiner Berliner Korreſpondenten jjezt 


gar nicht Rechnung machen. Alles, was ich hof⸗ 
fen durfte, war eine Samlung, von Berliner 


1 


Freunden veranſtaltet, zu welcher mir Herr Tel 
ler in Heidesheim ſchon Hofnung gemacht hätte, 
welche dreihundert Thaler ohngefaͤhr betragen 
und ein paar Jahre dauern ſolte. Von Kollegiis 
konte ich nichts erwarten, weil ich keine theolo⸗ 
giſchen Kollegia leſen durfte und mit Vorleſun⸗ 
gen über lateiniſche Autoren, Alterthuͤmer u. d. 
nirgends viel zu verdienen iſt. Schriftſtellereier⸗ 
werb kante ich noch gar nicht und hatte auch 

bis jezt noch nicht diejenige Bekantſchaft mit 

Buchhaͤndlern, welche mir zu Speculationen haͤt⸗ 
te Gelegenheit geben koͤnnen. 


Und doch — wer hätt? es denken ſollen? 

— fand ich hernach bald den leztern Weg zum 
Verdienſt ſo, daß ich in ſechs Jahren nicht nur 
ſchuldenfrey ward, ſondern auch eine ganze Eta⸗ 
ge meubliren, und mich im Beſiz einer volftäns 
digen Equipirung, in Abſicht auf Waͤſche, Klei⸗ 
dung, und aller Arten der Geraͤthſchaften, erblik⸗ 
ken und — im ſiebenten Jahre mich ankaufen 
konte. Aber freilich fand ich auf dieſem Wege 
auch zugleich — das Ende meiner Rrafte und 
meiner Geſundheit. 


3 Im 
ae 7 
3 7 


Drittes Kapitel. 


Leiden der Armuth, 


— —— — 


N be 

Jo empfieng, wo ich nicht irre, durch Heren 
Eberhard funfzig Thaler von Berliner Freuns 
den, mit dem Bedeuten, daß ich nach und nach 
ein mehreres erhalten wuͤrde. Es wurde ſchon 
jezt nichts feſtgeſezt, worauf ich ſichere Rechnung 
machen konte. Mein dringendſtes Beduͤrfniß 
waren Betten. Denn ich mußte fuͤr jedes Bets 
te jährlich ſechs Thaler bezahlen, welches mir 
zu ſchwer fiel. Ich ritt daher nach Leipzig und 
kaufte mir Pferdehaar zu Madrazen und Wolle zu 
Kuverts. Die Kuverts durchnaͤhten meine Kinder, 
und die Madrazen verfertigte ich ſelbſt. In wenig 
Wochen konte ich die gemietheten Betten abgeben 
und war Beſizzer von ſechs eignen Schlafſtellen. 
Aber mein Geld wurde bald wieder alle. 


Regelmaͤſſige Zahlungen des Verheiſſenen 
hatte ich nicht. Wenn ich in Noth war, klagte 
ichs Herrn Eberhard. Da bekam ich einmal 1, 


3⁰ 5 —— f 


2, 6, Louisd'or. Es ſchmerzte mich, daß ich im 
mer erſt klagen und bitten und mirs zuzeddeln 
laſſen mußte. Es ſchien, als ob Herr Eberhard 
Auftrag haͤtte, fleißig nachzuſehn, wie ich ausſe⸗ 
he, wie meine Haus haltung ſtehe, und die Gra⸗ 
de meiner Armuth zu meſſen. Er ſolte mirs nur 
nach den ͤuſerſten Beduͤrfniſſen zutheilen. Ich 
ſolte nur das Kuͤchenleben behalten. Man be⸗ 
ſorgte, ich moͤchte zu muthig werden, wenn man 
mich zu fett werden ließe. — So mußte ich al⸗ 
ſo bei der aͤußerſten Nothdurft mein ar ach 
schleppen, e 

In dieſer Epoche ſchrieb mir Baſedow, daß 
er nach Halle kommen werde und bei mir zu 
wohnen und zu ſpeiſen wuͤnſche. Ich kante ſei⸗ 
nen Reichthum, folglich ſeine Kraft, mir beizuſte⸗ 
hen: und ſo ganz hatte ich ihm, wie Trapp zu 
ſagen pflegte, noch nicht in den Magen geſehen. 
Daher freute ich mich uͤber den Antrag um ſo 
mehr, da ich mir einen Freund und Geſelſchaf⸗ 
ter wuͤnſchte, der mir die Marter der quaͤlen⸗ 
den Einſamkeit abnahm. Ich machte ihm in 
meiner Etage eine ſchoͤne Wohnung aus und er⸗ 


r 37 


bot mich, wenn er ſich mit einer Schuͤſſel be⸗ 
a gnuͤgen koͤnte, ihn an meinem Tiſche zu bekoͤ⸗ 
ſtigen. 


Ehe dies zu Stande kam, wurde ich krank 
und mein Hauswirth empfahl mir feinen Arzt, 
den D. Graͤbner. Ich fand einen gutmuͤthigen 
und freundſchaftlichen Mann an ihm. Er ur⸗ 
theilte, daß Erfchlaffung der Nerven der Grund 
des Uebels ſey, und empfahl mir mehrere vei— 
besbewegung und Genuß der freien Luft. Und 
da ich ihm meine vorige Diät beſchreiben muß⸗ 
te, ſo hielt er es für unumgänglich nothwendig, 
daß ich mäßigen Genuß des Weins fortſezte, an 
welchem ich ſeit fo vielen Jahren gewöhnt war. 
Meine Armuth verſtattete es nicht, in Halle mit 
zwölf Groſchen eine elende Butelle Franzwein zu 
bezahlen. Aber er drang darauf. Ich behalf 
mich die ganze Woche mit einer Bntelle, Man 
— fand Wein bei mir, und — wunderte ſich, 
daß ich ſolchen Aufwand machte, da ich doch 
von Wohlthaten lebte. — Ich will mich weiter 
nicht auslaſſen. Roch nagt mirs am Herzen, 

wenn ich an die Zeit zuruͤrdenke! — — 


* 32 ——— 


Oft, wenn die zuruͤkgepreßte Thraͤne dem 
Harmvollen Herzen Luft machen wolte, biß ich 
erbittert die Zaͤhne zuſammen und fuͤhlte Keime 
des Menſchenhaſſes. Gott lob, daß ſie nie auf⸗ 
brachen! — Ich kante meine Kraft und beſchloß, 
ſobald als moͤglich von den Bettlerfeſſeln mich 
loszumachen. — Es gelang mir. Ich arbeitete 
mit Rieſenkraft. — Rie, dachte ich bei mir 
ſelbſt, nie ſoll ein Sterblicher von mir wieder 
angewinſelt werden. Ich will lieber Brodrinden 
nagen und Waſſer trinken als den Wein geniefs 
fen, den mit ſolcher Wermuth verbitterte Gutthas 
ten mir gaben. Ach — haͤtte ichs im Jahr 
1779 geglaubt, daß ich im Jahr 1789 wieder 
betteln und — wieder aͤhnliche Erfahrungen ma⸗ 
chen wuͤrde? — — Doch den Vorhang her⸗ 
unter! 8 


Ehe ich ſo weit kam, daß ich unabhängig 
und von meinem eignen Fleiße leben konte, muß⸗ 
te ich vorher noch eine Art von wolthaͤtiger Tor⸗ 
tur oder vielmehr, von torturartiger Wolthaͤtig⸗ 
keit ausſtehen, welche Baſedow mir erzeigte. 


Er 


RE N A . 

5 
Zu - N 
* * 7 
! 


— U | 33 


Er erſchien mir — ganz mit der Mine des 
Patrons. In ſeiner erſten Anrede lag der Ges 
danke: lieber Bahrdt ich kan ſie gluͤklich ma⸗ 


chen, ich werde es auch vieleicht — wenn ich ihr 


Herz, ihre Handlungsweiſe, ihre Duldkraft nach 
meinem Wunſche finde. Das war der erſte Grad: 
die Daumenſchraube. — Denn man denke ſich 
meine armſelige Lage, ſo wird man begreifen, 
daß ich Geduld mir nehmen mußte, auf den Pa⸗ 
tron zu horchen und wenigſtens zu erwarten, 
ob meine Duldkraft vermoͤgend war, die Laſten 
zu ertragen, mit welchen ich meinen Unterhalt fuͤr 
mich und meine Kinder erkaufen ſolte. Denn 
daß es Laſt war, die Baſedow mir auflegen wol⸗ 
te, wußte ich ſchon aus dem Totalbegriffe des 
Worts Baſedow. Und nun nehme man dazu, 
daß ich dies ſo alle Tage mir vorſagen und den 
ganzen geſchlagnen Tag mir vorſagen laſſen muß— 
te, daß er viel — viel Vermoͤgenheit habe, mir 
beſſere Tage zu verſchaffen, wenn ich nur ıc, 


Auf dem zweiten Grade muſte ich die Pros 
ben aushalten, die er mit mir zu machen ſchien, 


ob ich auch der Mann ſey, auf den er Holz 


IV. B. € 


34 — 


hakken koͤnne. — Eine davon war, daß er ver⸗ 
langte, ich folte mie gefallen laͤſſen, ihm zu zus 
hoͤren, auch wenn er halbe Tage lang in einem 
Striche mir etwas vorſagte oder vorlaß, und 
kommentirte, auch wenns das fadeſte Zeug war, 
und ſolte dabei auch nicht gaͤhnen, ihn nicht un⸗ 
terbrechen, alle andere Geſchaͤfte dabei ſtehen 
laſſen, und ſogar Begierde und Luſt zeigen und 
allenfalls, wenns ihm gemuͤthlich war, das Eſſen 
daruͤber kalt werden laſſen. Eine andere war, 
ich folte eine völlige Superioritaͤt feines Geiſtes 
anerkennen, und es glauben und wuͤnſchen, wenn 
er mir ſagte: „lieber Bahrdt, wenn Sie der 
„Mann ſind, der redlich das Gute wil, ſo wil 
„ich meinen Geiſt ganz in Sie hinein gieſſen, denn 
„ich habe Ideen, die noch kein Menſch gehabt 
„hat c.“ Und dergleichen Unverſchaͤmtheiten ö 
ſolte ich nicht nur geduldig anhoͤren und fuͤr 8 
wahr halten, ſondern auch mit andaͤchtiger Mi⸗ 

ne mich freuen, daß Gott ſolch ein Pfingſtfeſt - 
mir beſcheren wolte. Eine dritte war, ich ſolte 

ſeine Launen dulden, ſolte mit ſeinen liebreichen 

und freundlichen mich erquikken, und dann da⸗ 


* DR 35 


fuͤr auch, bei feiner heftigen und groben, wie 
ein Kind gegen den Vater mich verhalten. 


Nachdem er mich vier bis ſechs Wochen 
mit dieſer Prüfung gequaͤlt und mir immer 
noch nicht beſtimt geſagt hatte, was das fuͤr 
ein Plan ſcy, den er mit mir auszufuͤhren ge— 
daͤchte, und durch den er mich — vieleicht — 
reich machen wuͤrde, verſuchte er endlich noch 
die Leiterſpannung. — Schon durch das be— 
fiändige Hören und paſſive Denken der Baſe⸗ 
dowſchen Ideen abgeſtumpft und halb verduzt, 
nahm er mich eines Abends nach Tiſche in mein 
Studierzimmer, hieß mich auf das Kanape ſez⸗ 
zen, ging eine Viertelſtunde mit feinem Dämpfer 
auf und ab, wie wenn er fuͤr Gott den Herrn 
einen neuen Plan der Weltregierung ausdenken 
wolte, und ſezte ſich endlich mit einer Mine vol 
Andacht zu meiner Rechten (we Linken verirrte 
er ſich gewiß nie) und hub an, mir eine Rede 
zu halten, welche von neun Uhr bis nach ein 
Uhr dauerte. In dieſer Rede ſprach er in ei 
nem geheimnisvollen Tone von erſtaunenden Din⸗ 
gen, die in feinem Kopfe verſchloſſen lägen, und 

Ca 


36 ä — 


welche von einem Manne, wie ich, mit meinem 3 
Geiſte, mit meiner Kraft, (Zukker!) ausgeführt, 


— vielleicht — und, wenn er wolte und die 
Hauptfederkraft verliehe, — gewiß — 10000 
Thaler eintragen muͤßten: aber es wuͤrde frei⸗ 
lich — freilich — freilich von meiner Seite 
viel — viel erfordert. Ich muͤßte mich ganz — 
ganz — ganz ihm anvertrauen, ganz nach ſeiner 
Idee arbeiten, ganz ihn in mich hinein gieſſen 
laſſen. Ich müßte ferner mit reinem Herzen und 
mit voller Reſignation auf Ehre und Vortheil 
arbeiten, und ganz — ganz — ganz, und allein 
vom Eifer fuͤr das Beſte der Menſchheit ent⸗ 
brannt ſeyn. Ich muͤſte das Gute, was wir 
ſtifteten, als die Sache Gottes anſehen. Ich 
muͤſte, von Herzen und ungeheuchelt bereit ſeyn, 
mir Laſt und ſogar Elend gefallen zu laſſen. Ich 
muͤßte gefaßt ſeyn, troknes Brod zu eſſen, und 
doch nicht muthlos zu werden. Ein ſolcher 
Mann, lieber Bahrdt, muͤſſen Sie ſeyn, Merken 
Sie wohl, was ich Ihnen ſage. Ich wil nicht, 
daß Sie hinterher mich anklagen, daß ich Ihnen 
nicht reinen Wein eingeſchenkt haͤtte. Ganz ein 
ſolcher Mann muͤſſen Sie ſeyn. — Sind Sie 


das, dann — dann Bahrdt wollen wir Berge 
verſezzen — dann wollen wir Dinge ausfuͤhren, 
die die Menſchen nie für möglich gehalten bat— 
ten. Aber ich bitte Sie, ich beſchwoͤre Sie, 
pruͤfen Sie ſich. Finden Sie ſich nicht ſtark 
genug, eine ſauere Bahn, ich ſags Ihnen vorher, 
mit mir anzutreten, ſo entſagen Sie lieber allen 
Vortheilen, die ich Ihnen in der Ferne gezeigt 
habe ꝛc. — — 


Dieſe Dinge ſchwazte mir der Mann, mit 
tauſendfachen Wiederholungen, Wendungen, und 
Variationen des Ausdruks, der Stimme, und 
der Pantomime fuͤnftehalb Stunden lang vor, 
und ich armer Tropf ſaß, wie eine Genoveva 
vor ihrem Heiligen und horchte und ſchwizte, 
und — brauchte die hoͤchſte Anſpannung meiner 
Duldkraft, es auszuhalten. 


Ich hielts aus: aber nur zum Schein. 
Schon in der zweiten Stunde war der Gedanke 
in meiner Seele in feiner vollen Gluth: der 
Menſch hat tiranniſche Abſichten. Er wil mit 
der Maske der Andacht dich 100000 Thaler in 

C 3 


33 nn 


der Ferne fchen laſſen, die du nie haben ſolſt, 
und durch dieſen Fernblik dich bewegen, dich auf 
einige Jahre zu feinem Sklaven machen zu laſſen, 
deſſen bischen Seelenkraft er zu gewiſſen Schrift⸗ 
ſteller projekten verbrauchen wil, um in der 
Welt felbft noch Aufſehn zu machen und Ehre 
und Reichthum zu erjagen, 


Ich ließ ihn reden, bis es eins geſchlagen 
hatte. Da konte ich mich des Schlafs nicht 
mehr erwaͤhren und bat ihn, abzubrechen. Und 
er — gab mir nicht undeutlich zu verſtehen, 
daß ihm dieſe Unterbrechung eine gewiſſe Unent⸗ 
ſchloſſenheit anzudeuten ſcheine: — denn er haͤt⸗ 
te bis fruͤh um vier Uhr fortgeredet. 


Ich beſchloß von Stund an, auf Baſedows 
Huͤlfe ſchlechterdings nicht mehr zu rechnen und 
ſchaͤmte mich vor mir ſelbſt, daß ich ein Thor 
geweſen war, ſo viel Wochen lang den Tirannen 
zu dulden und mich von ihm quälen zu laſſen, 
Ich ward nun weit freier und natürlicher in 
meinem Betragen. Ich ſprach mit, wenn er 
ſprach: unterbrach feine Reden und Vorleſun⸗ 


— 39 
gen (mit denen er damals auch Herrn Eberhard 
häufig quälte, indem er ihn feine Urkunde ges 
gen D. Semler mit anzuhoͤren zwang) und han⸗ 
delte uͤberhaupt als ein Mann, der ſich fuͤhlte, 
von Baſedows Gleichen zu ſeyn. | 


Baſedow ließ ſich, als ſchlauer Mann, es 
gar nicht merken, daß er meine Veraͤnderung 
empfand. Er blieb einige Wochen in ſeiner ge— 
woͤhnlichen Handlungsweiſe, kam aber hernach 
ganz ploͤzlich und gab allerlei Urſachen vor, wa— 
rum er Halle verlaſſen und ſich wieder nach 
Deſſau begeben muͤſſe. In der That geſchah's 
darum, weil ich ihn nicht mehr ſchmekte. — 
Ich, mein Weib und meine Kinder ſegneten den 
Augenblik, in welchem er abzog. 


Ehe Baſedow kam, ſchrieb ich meine Apo⸗ 
logie der Vernunft im Bezug auf die chriſtli⸗ 
che Verſoͤhnungslehre, dem Herrn D. Seiler 
gewidmet. In dieſer Schrift legte ich die Sei⸗ f 
lerſche Theorie zum Grunde und zeigte, philoſo⸗ 

84 


40 — 


phiſch und eregetifh, das Unſtatthafte aller den 
Beweiſe, durch welche die Theologen und inſon⸗ 


derheit H. Seiler dieſe ſchon in Gieſſen von mir 
fuͤr den ſchaͤdlichſten Irthum erkante Lehre zu 
unterſtuͤzzen pflegte. Dabei entwikkelte ich alle 
Widerlegungsgruͤnde der Vernunft und zeigte 
zugleich, mit was für unzaͤhlbaren Schnizzern 
gegen Logik und Gemeinſinn H. Seiler dieſe 
Vernunfteinwendungen zu loͤſen verſucht habe. 
Und endlich zeigte ich, durch Induktion, daß die 
H. Schrift in keiner einzigen Stelle die Verſoͤh⸗ 
nungslehre vortrage, ſondern daß uͤberal die mo⸗ 
raliſche Aus beſſerung der Menſchheit als Zwek 
des Lebens und Todes Jeſu angezeigt werde. 


Ich ſchikte mein Manuſcript nach Berlin 
und glaubte Ehre damit einzulegen: denn es war, 
als die erſte Frucht eines noch ungeuͤbten 
Schriftſtellers, gewiß gut gerathen. Und ich 
wuͤrde jezt ſelbſt, nur in der Form, ſehr wenig 
in der Materie zu verbeſſern finden. Aber man 
ſchikte mir es zuruͤk mit dem Bedeuten, daß 
ich mich mit ſo etwas gar nicht herauswagen 
muͤſſe. Bert 


— 


— 41 


Das ſchlug mich faſt nieder. Ich wußte 
nicht, warum man mich ſo veraͤchtlich behandel— 
te. Und beinahe haͤtte ich angefangen, zu zwei⸗ 
feln, daß die Laufbahn des Schriftſtellers dieje⸗ 
nige ſey, auf welcher ich Ehre und Brod finden 
wuͤrde. Ich legte mein Manufeript auf die Seis 
te und wurde erſt im folgenden Jahre ſo beherzt, 
es durch den Druk bekannt zu machen: wo mich 
denn auch der Beifall der Kenner für jene Demuͤ 
thigungen entſchaͤdigte und meinen Muth befeſtigte. 


Die erſte Schrift, welche ich nun bearbeite: 

te und dem Publikum uͤbergab, veranlaßte Baſe— 
dow. Dieſer hatte ein langes und breites uͤber 
Verbrauchung der Bibel mit mir geſprochen. 
Er hatte den ſehr richtigen Gedanken, daß die 
ganze Bibel fuͤr ſehr wenig Menſchen leßbar 
und geniesbar ſey. Er wuͤnſchte einen Auszug, 
und rieth mir, denſelben zu verſuchen. So ent— 
ſtand die kleine Bibel, welche Oſtern 1780 bei 
Mpylius in Berlin herauskam. 


Dieſer ſonderbare Titel, der mit der Groͤ⸗ 
ſe des Buchs ſo ſehr kontraſtirt, kam daher. 
Meine anfaͤngliche Idee war, nur einen kurzen 

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Auszug aus dem Altem Teſtamente zu machen, 
der für Kinder und Volk brauchbar ſeyn en 
Und für dieſe Idee waͤhlte ich den Titel: d 
kleine Bibel. Allein da ich in die Arbeit — 
ein gerieth und beim Leſen der Bibel von ſo vielen 
ſchoͤnen Geſaͤngen der morgenlaͤndiſchen Dichter 
begeiſtert wurde und — zugleich entdekte, daß 
dieſe Geſaͤnge faft alle auf die Geſchichte Bezie⸗ 
hung hatten und folglich, durch die Geſchichte, 
ihr volles Licht erhalten konten; da vermochte ich 
nicht, dem Gedanken zu widerſtehen, die ſchoͤnſten 
und gemeinverſtaͤndlichſten Stuͤkke der Propheten 
gleich mit in die Geſchichte des A. Teſtaments 
einzuweben und jedes an die Stelle zu ſezzen, 
wo es ſein hiſtoriſches Licht bekam. Bei dieſer 
Gelegenheit nun gerieth ich immermehr in den 
Geſchmack am Ueberſetzen der ſchoͤnen Geſaͤnge, 
daß ich alles mitnahm, was gemeinnuͤzzig war. | 
Und da nicht alles in die juͤdiſche Geſchichte paß⸗ 
te, ſo ſonderte ich das Uebrige unter eigne Ru⸗ 
briken. So entftand das große Buch von 60 
Bogen gr. 9. mit dem kleinen Titel. Man haͤt⸗ 
te freilich zulezt den Titel noch abändern. follenz 
aber das wurde vergeſſen. 


„——— 43 


07 &n diefem Buche ſtekt viel Fleiß. Und Herr 
Eberhares Uetheil, der mir gewiß damals nicht 
ſchmeichelte, bärgt mir dafür, daß es eine mei 
ner beſten Arbeiten iſt. Ich halte es fuͤr das 
Deite, was man mit Kindern ſtatt der lutheri⸗ 
ſchen Bibel leſen kan, wenn man dieſe, wie es 
wohl unftreitig ift, zu ſchwer für fie findet. Scha⸗ 
de, daß es fo theuer iſt. 


——ů — — 


Baſedow brachte mir im Sommer ein Pa⸗ 
ket mit zwanzig Thalern und geſtund mir, daß 
es ihm von Herrn v. Rochow für mich zuge 
ſandt ſey. Durch Herr D. Beſeke in Mitau 
und Herrn D. Stark erhielt ich von Kurlaͤndi⸗ 
ſchen Menſchenfreunden (meiſt Maurern) zwei⸗ 
mal funfzig Dukaten. Die Berliner Geſchenke, 
die durch Herrn Eberhard mir zufloſſen, betrus 
gen im erſten und folgenden Jahre zuſammen, 
wo ich nicht irre, nahe an 400 Thlr. Sobald 
ich aber mich nur einigermaſſen aus der tiefſten 
Armuth herausgeriſſen und mit Waͤſche, Klei⸗ 
dung und vornehmlich Hausgeraͤthſchaften vers 
ſorgt hatte, verbat ich ſelbſt die Fortſezzung die⸗ 


ſer Geſchenke. Meine kleine Bibel trug 60 Luis⸗ 


dors ein, und die Apologie go Thaler. Kurz, ich 
hatte in den erſten beiden Jahren mit allem, was 
ich verdiente, ohngefaͤhr 1200 Thaler, davon ich 
wenigſtens 400 auf neue Hausgeräthſchaften ver⸗ 
wendete, um nicht immer mit geborgten Mobis 
lien mich behelfen zu muͤßen. Folglich habe ich 
aufs Jahr nicht mehr als 400 Thlr zu meinem 
und der Meinigen Unterhalt gehabt, mit denen 
ich in Halle, nicht anders als kuͤmmerlich leben 
konte. Zudem habe ich in dieſer Zeit von Dies 
ſem Gelde dreimal armen Studenten geholfen, 
die mich angiengen: einem mit drei, und zweien 
mit einem Luisdor, welche ich ihnen, durch die 
Schilderung ihrer Noth bewegt, ſchenkte. — 


Bei allen Laſten und Sorgen verlor meine gluͤk⸗ 


liche Laune ſich nie. 


ann 


——— 45 N 
Viertes Kapitel. 


ꝓfälzer Neuigkeiten. 


SR | 
Ar: erhielt lange Zeit keine Nachrichten aus 


der Pfalz und feloft meine beſten Freunde ſchie⸗ 
nen mich vergeſſen zu haben. Aber ſie fanden 
ſich alle wieder. Einer nach dem andern, wie 
wenn er ſich nur erſt vom Schrerken uͤber mei⸗ 
nen Sturz erholt hätte, ſchrieb mir in den zaͤrt— 
lichſten Ausdruͤkken und bat um Nachricht von 
meiner jezzigen Lage. 


Mein groͤßtes Anliegen war, zu erfahren, 
wie es in dem verlaßnen Heidesheim ausfähe, 
wie es um meine zuruͤkgebliebenen Habſeligkeiten 
ſtehe, und was ich davon zu hoffen haͤtte. Aber 
leider waren alle ſchon von Heidesheim weg und 
konten mir wenig Troſt ertheilen. 


Herr Rühl hatte, wie man mir ſchrieb, 
gleich nach meiner Abreiſe eingeſehn, daß er der 
Fortſezzung des Inſtituts nicht gewachſen ſey. 


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Folglich hatte er die Lehrer, die nicht ſelbſt ſchon 
zu ihrer Abreiſe Anſtalt gemacht hatten, verab⸗ 
ſchiedet, und die Zoͤglinge wurden theils abgeho⸗ 
let, theils durch Vorſorge der oͤkonomiſchen Ger 
ſelſchaft nach Hauſe geſchikt. Und ſo war nun 
das Seidesheimiſche, wie das Marſchlinzer 
Philanthropin, begraben. 


Ueber meinen in Dienheim ausgeſtandenen 
Arreſt ſchried mir ein Freund einen Brief, den 
ich hier woͤrtlich einruͤkken wil: 

Erſt jezt, lieber Freund, hat ſich mein Unwille 
gelegt, den ich uͤber Ihre ſo unbeſonnene 
Flucht, empfunden habe. Ich habe die er⸗ 
ſte Woche nach Ihrer Abreiſe voͤllig geraſet. 
Meine Liebe zu Ihnen erfuͤllte mich mit 
Wuth. Ich konte nicht an Ihe Schikſal 
denken, ohne mit den Fuͤſſen zu ſtampfen 
und mich an die Stirn zu ſchlagen. Und 
noch draͤngt ſich jedesmal, wenn ſich das 
Andenken dieſer Scene in mir erneuert, we⸗ 
nigſtens ein ſchmerzhafter Seufzer aus mei⸗ 
ner Bruſt herauf. Gott! daß Sie mir und 


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unfeen . . nicht folgten, daß Sie Ibren 
älteften und treuſten Freunden nicht glaub⸗ 
ten, die aus fo unwiderſprechlichen Gründen 
es Ihnen bewieſen, daß Ruͤhl in allem Ber 
tracht Schurke war. — Welche Schande, 
welchen Verluſt, welche Angſt haͤtten Sie 
ſich und Ihrem armen hypochondriſchen Wei⸗ 
be ſparen koͤnnen, wenn Sie dem Vöoͤſewicht 


nicht getraut haͤtten, ſondern, nach unſerm 


Roth, oͤffentlich abgereifet wären. — Den 


ganzen Spektakel hat der elende Bube ganz 


allein angerichtet. Er hat Ihnen die heilig⸗ 
fie Verſchwiegenheit empfohlen, um Sie des 
ſto ſicherer zu machen. Gleich den folgen⸗ 
den Tag, da er bei Ihnen in Heidesheim 
geweſen war, wußte es ſchon Herr. 
in Duͤrkheim, daß Ihnen Ruͤhl 4% Gul⸗ 
den verſprochen und zur Flucht gerathen 
hatte. Er alſo hat es ſelbſt bekant gemacht, 
daß fie heimlich davon gehen wuͤrden. Er 
hat es dem Stadtſchreiber ſo gar ſtekken 


und ihn dabei warnen laſſen, daß er auf 


ſeiner Hut ſeyn moͤchte, damit ſie nicht ver⸗ 
heimlichte Gelder des Inſtituts mit fort 


c 


48 


ſchaften. und begreifen Sie nun wohl, daß 


der Stadtſchreiber Sie nicht ohne Urſach 
zur Rede ſezte, da er Ihre Frau mit den 
Kindern aus dem Schloſſe fahren ſah? er 


wußte Ihr ganzes Vorhaben und hat 


Abends, da fie mit La Roche abfuhren, 


laut im Schloſſe geſagt, „da reißt er hin! 
Adieu, Doktor Bahrdt.“ Was Ruͤhl ei⸗ 
gentlich für Abſicht bei dieſer niedertraͤchti⸗ 
gen Kabale gehabt hat, weis ich Ihnen 
nicht zu ſagen. Vieleicht, die katholiſche 
Parthei gegen Sie zu alarmiren, daß mans 
für einen Ungehorſam gegen den Kaiferlis . 
chen Befehl zum Wideruf anſehen und Sie 
unter dieſem Vorwande auffangen ſolte: 
vieleicht daß die oͤkonomiſche Geſelſchaft Sie 
einholen und mit Schimpf und Schande zu⸗ 
ruͤkfuͤhren ſolte, damit hernach ihre Kre⸗ 
ditores ſie feſtmachen und pluͤndern koͤnten? 
Das leztere iſt mir das wahrſcheinlichſte: 
denn der Sie hat arretiren laſſen, war Ihr 
verabſchiedeter Hausmeiſter. Und man ſagt 
fuͤr gewiß, daß Koch und Specht, eine 
Stunde nach Ihrer Flucht von Dienheim, 

ö da⸗ 


daſelbſt eingetroffen wären und ſchreklich ger 


wettert hätten, daß der Inſpek or Sie fort 


gelaſſen hätte. Sie wolten ihn in Manheim 
bei der Regierung verklagen. Die Herren 
ſagen jezt oͤffentlich, Sie muͤſten über 1000 
Gulden mitgenommen haben, die Sie von 
engliſchen und hollaͤndiſchen Eltern als Vor— 
ſchuͤſſe empfangen und ihnen verſchwiegen 
hätten. — Sehen Sie, das haben Sie Ih⸗ 
rem ſeltſamen Einfalle zu verdanken, den 
erſten Schuft in Europa fuͤr einen gros— 
muͤthigen Mann zu halten, der, aus Ges 
fuͤhl Ihres Werths, redlich gegen Sie han— 
deln wuͤrde. Gott bewahre Sie vor aͤhn— 
lichen dummen Streichen und mich vor al— 
lem Andenken an dieſe Begebenheiten. kLaſ— 
ſen Sie mich bald, wo moͤglich, angenehme 
Nachrichten von Ihnen leſen, damit ich wie⸗ 
der mit frohem Herzen mich nennen kann ꝛc. 


= 


Vieles von dem Inhalt dieſes Briefes bes 


ſtaͤtigten bald andere Freunde und wenn ſie nicht 

alle in der Nachricht einſtimten, daß die oͤkono⸗ 

miſche Geſelſchaft fo unfreundlich an mir gehan— 
IV. B. D 


30 r 


delt hatte; fo waren fie doch darin alle zw 
ſammentreſſend, daß fie der Verrätherei des Hofe, 
Ruͤhl meine Arretirung zuſchrieben, durch welche 
er ſeine Rache noch zu guter lezt an mir haͤtte 
kuͤhlen wollen. 


Die ſcheusliche Denkungsart dieſes Men⸗ 
ſchen offenbarte ſich auch nachher mehr als zu 
deutlich. Denn ihm allein muß ich es zuſchrei— 
ben, daß alle meine Habſeligkeiten mit dem gan— 
zen Javentarium des Inſtituts in die Rabuſe 
gegangen ſind. Es iſt unglaublich, was ich er⸗ 
zaͤhlen werde. 


Federman wird mir Recht geben, wenn 
ich behaupte, daß es die Schuldigkeit der fuͤrſtl. 
Leiningiſchen Regierung war, ſogleich nach mei⸗ 
ner Abreiſe (zumal da Ruͤhl und der Fuͤrſt es 
wußten, daß ich floh und meine Flucht ſelbſt 
durch ihren Rath veranlaßt war) alle meine Ef⸗ 
fekten in Duͤrkheim und alles, was in Heides⸗ 
heim zum Inſtitut gehört hatte, erſt zu verſio⸗ 
geln, dann, mit Zuziehung der oͤkonomiſchen Ges 
ſelſchaft, ein volſtaͤndiges und gerichtlich beglau⸗ 


1 
— 5x 
bigtes Inventarium zu entwerfen, eine gewiſe 
ſenhafte Taxation daruͤber anzufertigen, fo fort 
alle Kreditoren vorzuladen, und ſie mit ihrer 
Liquidation zu vernehmen: mir ſelbſt aber zulezt 
alles, Inventarium, Tape und Liquidationen der 
Kreditoren zuzuſchikken und mich daruͤber zu hoͤ⸗ 
ren: und fodann die liquiden Schuldner von 
denen gerichtlich ſubhaſtirten Gütern zu befries 
digen, und mir den Ueberſchuß zu zuſtellen. 


Von dem allen iſt meines Wiſſens nichts ge⸗ 
ſchehen. Ich ſchrieb ſelbſt, ich erinnere michs 
nicht mehr genau, ob an den Fuͤrſten oder an die 
Regierung, — es gilt gleich — und bat um 
Information, wie es mit meinen zuruͤkgelaſſenen 
Gütern ftehe, Aber niemand wuͤrdigte mich einer 
Antwort. 


Ich ſchrieb an die oͤkonomiſche Geſelſchaft, 
aber ich erhielt auch da, ſtatt befriedigender 
Nachrichten, die bitterſten Klagen, daß die Krediz 
toren ihnen zu Leibe giengen, und man von Seiz 
ten der Regierung ſie auf keine Weiſe von mei— 
nen zuruͤkgelaſſenen Gütern befriedigen wolle. 

D 2 


— 


Sie baten, daß ich einen ſchriftlichen Aufſaz ein⸗ 


ſchikken möchte, in welchem ich erklaͤrte, daß die 
oͤkonomiſche Geſelſchaft ein Recht an meinen Guͤ⸗ 
tern habe, und daß man dieſelben in den Stand 


ſezzen möchte, von dem Ertrag derſelben meine 


Glaͤubiger zu befriedigen. Ich ſtelte dieſe Erklaͤ— 
rung von mir und — die Leute lamentirten in 
einem hin, daß die Regierung ihnen nichts ver⸗ 
abfolgen laſſe, und daß ſie von den Glaͤubigern 
geaͤngſtet wuͤrden. 


Ich wandte mich endlich an des Staatsmi⸗ 
niſters v. Herzberg Excellenz und bat um ein 
Vorſchreiben an die Leiningiſche Regierung, wels 
ches mein Geſuch, daß ſie von meinen hinterlaſ— 


ſenen Guͤtern mir Rechenſchaft ablegen moͤchte, 


unterſtuͤzzen ſolte. Des Koͤnigs Majeſtaͤt bewil⸗ 
ligte mein Bitten. Es ward von Berlin an den 
Fuͤrſten geſchrieben. Die Regierung antwortete: 
„ich hätte ja fo. viele tauſend Gulden Schulden 
„ hinterlaſſen, zu deren Tilgung meine hinterlaſſe⸗ 
„nen Guͤter nicht einmal hinreichten: was ich 
„denn alſo haben wolte?“ — Man ließ mir 
dieſe Antwort von Berlin aus zugehen und gab 


mir zu verſtehen, daß ich beffer gethan, wenn ich 
geſchwiegen haͤtte. — Ich ſchwieg alſo nun. Und 
ich habe ſeitdem keinen Schritt weiter gethan, ſon⸗ 
dern das Meinige im Stiche gelaſſen. 


Aber jezt darf ich doch wenigſtens getroſt aufs 
treten und fragen: ob dieſe Antwort der Regierung 
wohl hinlaͤnglich war? Folgt daraus, daß ich mein 
Vermoͤgen uͤberſteigende Schulden hatte (ich will es 
als wahr annehmen, ohngeachtet ich vom Gegen— 
theil überzeugt bin), daß ich keine Rechenſchaft fo— 
dern durfte? Blieb es nicht immer Pflicht der 
Regierung, mir die Glaͤubiger, die ſich gemeldet 
hatten, anzuzeigen, und mich zu vernehmen, ob 
ich ihre Foderungen auch fuͤr richtig erkenne? Kon— 
ten ſich nicht Leute mit falſchen Foderungen einge— 
ſchlichen haben? War es nicht billig, daß ich die 
einzelnen Poſten mit der Totalſumme erfuhr? Kon⸗ 
te ich nicht verlangen, daß man mir ein gerichtlich 
aufgenommenes Inventarium meiner Güter in Heis 
desheim und Duͤrkheim zuſchikte, damit ich ſehen 
konte, ob auch alles ehrlich zugegangen waͤre? Und 
geſezt, die Leiningiſche Regierung haͤtte mit meinen 
Guͤtern ganz willkuͤhelich verfahren, fie verkaufen 

D 3 


und die Schuldner bezahlen wollen, war es nicht, 
dennoch ihre Pflicht, mir hinterher wenigſtens Ro⸗ 
tiz zu geben und zu melden; ſo viel iſt aus Euren 
Suͤtern bei der Verſteigerung herausgekommen und 
ſo viel haben wir an Eure Glaͤubiger bezahlt? Wo 
iſt in der Welt ein Land, in welchem von der Obrig⸗ 
keit nicht dieſe Rechenſchaft gefodert werden darf? 


Und ich ſage es oͤffentlich, mir iſt nie dieſe 
Rechenſchaft abgelegt worden. Ich weis bis dieſen 
Augenblick nicht, was man von meinen Guͤtern ge⸗ 
funden hat, wer ſie zu ſich genommen hat? ob ſie | 
verkauft worden find? was dafür gelsſet worden 
iſt? wo das dafür geloͤßte Geld hingekommen iſt? 


Es iſt moͤglich, daß der gute Fuͤrſt jezt dieſes 
lieſet und in ſeinem Herzen den elenden Ruͤhl ver⸗ 
wuͤnſcht, der mich ſo geplündert hat. Aber was 
wuͤrde mirs nun helfen, wenn die Sache unter⸗ 
ſucht und eine Art von Rechenſchaft abgelegt wer⸗ 
den ſollte? Meine Buͤcher, Briefe und Rechnun⸗ 
gen find zusuͤkgeblieben. Woraus ſoll ich mich jezt, 
da eine Zeit von beinahe zwoͤlf Jahren in dem Ge⸗ 
daͤchtniſſe das meiſte vertilgt hat, orientiren? Was 


ſoll ich jezt für Veweiſe gegen geſchehene Ungerech⸗ 
tigkeiten fuͤhren? 


Ich beſizze noch einen Brief, in welchem mir 
ein rechtſchafner Freund aus Duͤrkheim ſchrieb: 
A man hat Ihre Polyglotte, Ihren Seſychius von 
„Alberti, und andere Ihrer koſibarſten Bücher in 
„der Ruͤhliſchen Bibliothek gefehen. „ Alſo Here 
Ruͤhl hat ſelbſt ſich verſorgt? Was hat denn der 
Mann mit meinen uͤbrigen Guͤtern gemacht? Denn 
warlich ihn allein muß ich anklagen. Denn die 
rechtſchafnen Maͤnner der damaligen Regierung 
find zuverlaͤſſig frei von allen Vorwuͤrfen des Be— 
trugs und der Ungerechtigkeit. Sie hatten keine 
Gewalt in Dingen, wo Ruͤhl wirkte. Er kom⸗ 
mandirte. Er allein und ein gewiſſer Sekretaͤr, 
deſſen Namen ich vergeſſen habe (ſein fades Geſicht 
und ſeine tief liegenden Augen kuͤndigten laut den 
abgenuzten Wolluͤſtling und tuͤkkiſchen Achſeltraͤ— 
ger — alle Duͤrkheimer Leſer werden ſich ſeiner er— 
innern) waren die Werkzeuge meiner Verarmung. 


—_ 
* 


Fuͤnftes Kapitel. 


Hinderniſſe meiner Verſorgung in den preuſſiſchen Staaten. 


= Gen erzaͤhlte ich noch weit mehr und umſtaͤnd⸗ 
licher, ſagt Herr D. Semler in der Vorrede zum er⸗ 
ſten Bande feiner Lebensgeſchichte S. 3. um menigs 
ſtens manchen die Larve abzureiſſen, an der ſich 
manche Zeitgenoſſen noch ſehr irren: aber noch 


] * 


aͤngſtlicher wird mir, wenn ich daran denken muß. 


daß durch ſolche gewiß auffallende Erzaͤhlungen 
wohl gar hier und da ein Mann oder ein Zoͤgling — 


ich ſezze hinzu — gebeugt oder beſchaͤdigt werden 


koͤnte, der durch anderweitige Verdienſte Anſpruch 
auf Schonung hat.“ — Das iſt gewiß der Fall 


jedes rechtſchafnen Mannes, wenn er ſein eigner 


Biograph werden will. — Auch ich werde nur 
erzählen, was theils unvermeidlich theils weltkun⸗ 
dig iſt, und manches noch, was mir in den preufz 
ſiſchen Staaten wunderbares und zum Theil un⸗ 
glaubliches begegnet iſt, mit Aufopferung der weit 
beſſern Geſtalt, unter welcher ich dadurch erſcheinen 
koͤnte, bis auf die Zeit verſparen, wo ich und die 


nicht mehr ſeyn werden, ang; die Nachwelt 
richtet. 


Der wuͤrdigſte Staatsminiſter v. Fedliz war 
gewiß eifrig und ernſtlich darauf bedacht, mich in 
den koͤniglichen Staaten auf eine anſtaͤndige Art zu 
verſorgen und meine Talente dem Lande nuzbar zu 
machen. Er ſchrieb mir gleich nach meiner Anfunft 
in Halle in dem ruͤhrenden Tone des unverſtellten 
Menſchenfreundes: 


„Seyn Sie uns wilkommen, mein lieber Herr 
„D. B. in den preuſſiſchen Staaten. Genieſ— 
„ſen Sie nun nach ſo viel uͤberſtandnen Lei— 
„den und Gefahren der Ruhe. Sie koͤnnen 
„ verſichert ſeyn, daß ich ꝛe. 


Was fuͤr einen beſtimten Plan der Miniſter 
mit mir gehabt hat, weiß ich nicht. Ich habe ihn 
darüber nie befragt und habe eben fo wenig ſelbſt 
damals Vorſchlaͤge gethan oder um etwos mich bes 
worben. Und es ift ganz falſch, wenn Herr Sem⸗ 
ler in der angeführten Vorrede S. 6. ſagt, daß ich 
um eine Profeſſur angehalten hätte, Denn gerade 

D 5 


eine Profeſur hielt ich ſelbſt fuͤr das inproktka⸗ * 


belſte. Und ich kan mich öffentlich auf Sr. Excel⸗ 
lenz Zeugniß berufen, daß ich weder dieſes noch ein 
ander Amt beſtimt mir aus gebeten habe. 


Aber das weiß ich gewiß, daß der Miniſter 
mich im Schulfache anſtellen wollte und daß er 
mich auch ganz ohnfehlbar auf das beſte verſorgt 
haben wuͤrde, wenn nicht Herr Semler ſelbſt ſich 
dagegen aufgelehnet und den Miniſter beſorgt ges 
macht hätte, daß er mit der Fakultat ſich zulezt ges 
rade an den Koͤnig wenden, und ihm Verdruͤßlich⸗ 
keiten zuziehen moͤchte. Nur langer und heftiger 
Widerſtand hat den Miniſter endlich ermuͤdet und 
ihn bewogen, alle ſeine guten Abſichten aufzugeben 
und mich, in einem muͤhſeligen Privälleben, von 
Sorgen und uͤbermaͤſſigen Arbeiten verzehren zu 


laſſen, 


Herr Semler, den ich darum nicht um einen 
Grad weniger verehre, — weil ich immer gewohnt 
bin, die einzelne fehlerhafte Handlung von dem gan⸗ 
zen Charakter abzuſondern und nie eines mit dem 
andern zu verurtheilen, — Herr Semler war nach 


— 39 
meiner ueber enges die 3 dieſer Zer⸗ 
fiörung meiner Ausſichten, fo ernſtlich er auch S. 10. 
gegen den Vorwurf proteſtirt, daß er allein die 
Schuld habe und mein Verfolger geweſen ſey. 
Denn ob es gleich bekant iſt, daß die theologiſche 
Fakultaͤt in Halle gegen meine Anſtellung ſich ſezte 
und dem Miniſter die heftigſten Vorſtellungen ein⸗ 
reichte, fo weltkundig iſt es doch auch, daß auf 
der einen Seite der gutmuͤthige Freylingshauſen 
blos nachgebender Theil war und der vortrefliche 
Knapp die Schritte der Fakultat misfaͤllig anſah, 


und daß auf der andern Seite, wenn auch die Fa— 


fultät unanimiter gegen mich votirt gehabt hätte, 
dennoch die Autorität und der haſtige Eifer des 
Herrn Semlers bei Hofe den Ausſchlag gab. Waͤ⸗ 
re Herr Semler fuͤr mich geweſen; ſo haͤtten die 


andern alle ſich heiſer ſchreien moͤgen, und kein 


Menſch würde gethan haben, als wenn er fie hörte, 


Weislich laßt auch H. Semler den erſten Ber 
richt, der gegen mich gemacht wurde, nicht mit 
abdrukken, weil dieſer zu ſehr mit Dingen anges 
füllt war, welche die guten Männer von bloßem 
Hoͤren-Sagen hatten und nicht beweiſen konten. 


60 w. 7 . N 7 
und man kan aus dem zweiten, den er S. ır. f. 1 
hat abdruffen laſſen, nur noch einige Spuren von s 
der Heftigkeit des erſtern abnehmem und ſich aus 
ihnen die ungluͤk liche Wirkung deſſelben begteific 
machen. 


Wenn man den Schattenſtrichen des zweiten 
Berichts nachgeht; ſo findet man, daß die Fakul⸗ 
tät um folgender Urſachen willen vom Miniſter vers 
langt hat, mir in Halle keine Profeſſur zu geben 
und ſelbſt als bloßen Docenten mich nicht au 
dulden. 


I. „Unſer Beruf bringt es mit ſich, heißt es 
„S. 12., nicht nur die Verbreitung unmittelbar ir⸗ 
„religioͤſer Grundſaͤtze zu verhuͤten, ſondern auch 
„über die Lehren zu halten, welche in der heil. 
„Schrift und nach ihr in der Augsſpurgiſchen 
„Konfeſſion begriffen ſind.,, 85 


Wer ſieht es dieſer Stelle nicht gleich an, daß 
ſie mit Erroͤthung hingeſchrieben werden mußte, 
um aus Gründen mich verdrängen zu koͤnnen! 


rt een 61 


a) Jederman weis es ja, daß folche alte Uni⸗ 
verſitaͤtsſtatuten, wie dieſe, auf die man ſich hier 
bezogen hat, nie der Maasſtab eines verftändigen _ 
Richters find und ſeyn koͤnnen. Und wie viele Pro: 
ceſſe koͤnte man gegen die Fakultaͤt und die ganze 
Akademie beginnen, wenn man alle dieſe alten Sta— 
tuten nach der Strenge nehmen, und jezzige Hand— 
lungen der Profeſſoren und Verfahrungsarten der 
Akademie darnach richten wolte. 


b) Ein Semler aber, als der erſte Mitſtifter 
der Aufklaͤrung in Deutſchland und als ein ſo ei— 
friger Verfechter der algemeinen Denkfreiheit haͤtte 
am wenigſten den erleuchteten Zedliz die Schnurre 
ins Geſicht ſagen ſollen, daß er berufen ſey — Sr: 
thuͤmer zu verhuͤten und uͤber die Lehren der — 
augsſpurgiſchen Konfeſſion zu halten. Denn es 
war doch gar zu merklich, daß das verhuͤten und 
daruͤber halten nichts anders war und ſeyn konte, 
als ein aͤuſſerliches zum Schein gethanes Proteſti⸗ 
ren gegen Irthuͤmer und deren Verbreitung. Er 
unterſcheidet ja ſelbſt die oͤffentliche Lehre der Lu⸗ 
theraner von der innern moraliſchen Religion und 
giebt leztere (welche doch natuͤrlich Irthuͤmer d. h. 


62 — | 
abweichende Vorſtellungen von der öffentlichen Nee 
ligion enthalten muß) jedem frei. Folglich bekuͤm⸗ 


mert er fi nie (und kan es auch nicht) um die in 


nern Vorſtellungen der Menſchen, ſondern blos um 
den oͤffentlichen Vortrag. Und er weis ſo nach 
ſelbſt, daß (fuͤr einen Mann wie er iſt, welcher ſei⸗ 
ne innere Religion auch fuͤr ſich hat und Irthuͤ⸗ 
mer in dem angezeigten Sinne hegt), Irthuͤmer 
verhüten und auf die Lehren der A. K. halten nichts 
anders ſey, als — bei allem eignen Feſthalten an 
gewiſſen Irthuͤmern und eignem Verwerfen gewiſ— 
fer Lehren der A. K. — dennoch aͤuſſerlich dage⸗ 
gen proteſtiren, daß nicht in dem oͤffentlichen Vor⸗ 
trage Irthuͤmer verbreitet und den Lehren der A. 
K. zuwider gehandelt werde. Iſt das nun nicht 
bloſſe Täuſchung der Unkundigen? 


e) Hiezu komt, daß das Statut durch die 
Praxis des Königs und des koͤniglichen Oberkura⸗ 
lorii längft ſchon ſtillſchweigend abgeſchaft war. 
Denn wenn der König die volkommenſte Denk- und 
Schreibfreiheit eingefuͤhrt und ſelbſt Profeſſoren 
und Prediger in die Aemter geſezt hatte, welche 
Irthuͤmer d. h. Abweichungen von den bisherigen 


& 


= 


Öffentlichen Lehren der A. K. nicht nur hegten, ſon⸗ 
dern auch vortrugen; ſo hat er ja offenbar den ver⸗ 
meinten Beruf der Fakultat aufgehoben, Irthuͤmer 
dieſer Art zu verhuͤten und über die Lehren der A. 
K. zu halten. 


d) Inſonderheit aber möchte man hier fragen, 
warum denn die Fakultaͤt und Herr Semler inſon⸗ 
derheit erſt jezt ſich ihres Berufs erinnert habe, da 
der ungluͤkliche Bahrdt kam und ſein Brod ſuchte? 
Iſt denn vor dem D. Bahrdt kein Irthum in Hal⸗ 
le gelehrt, keine Lehre der A. K. in Schriften ange⸗ 
griffen worden? Hat die Fakultat vorher kein Buch 
cenfirt, daß der A. K. zuwider war? 


e) Zudem iſt es ja an ſich ein albernes Geſez. 
Denn was heißt denn wohl jenes verhuͤten und dies 
ſes darauf halten? Sollen denn etwa wirklich die 
Theologen in Halle keinen Irthum zur Stadt odere 
zum Lande herein laſſen? Sollen Sie alle Schrif— 
ten unterdruͤcken, welche Saͤzze gegen die Lehren 
der A. K. enthalten? Sollen Sie ſchreien, verfols 
gen, Scheiterhaufen anzuͤnden? Nein. Nun was 
denn? Sie ſollen in ihren eignen Vortraͤgen dis 


64 — 


Irthuͤmer fein gründlich widerlegen, und die Leh⸗ 
ren der A. K. ſo ſcharf und einleuchtend beweiſen, 
daß die Menſchen alle, durch moraliſche Kraft, ge⸗ 
noͤthiget werden, von Itthuͤmern frei zu bleiben 
und der A. K. konform zu glauben! Wozu denn 
daruͤber ein Geſez? Das verſteht ſich ja von ſelbſt. 
Das iſt ja eben ſo viel als befehlen, die Schneider 
ſollen daruͤber halten, daß die Menſchen durch 
Kleider warm gehalten werden und ſich nicht erkaͤl⸗ 
ten, und damit doch nichts anders meinen als: die 
Schneider ſollen die Kleider gut und tuͤchtig nehen, 
daß der Wind nicht durchpfeiffen kan! : 


t) Und darf ich wohl hier erſt erinnern, daß 
dies Geſez ſelbſt durch Semleriſche Praxis laͤngſt; 
abgeſchaft war? Habe ich noͤthig zu beweiſen, daß 
Herr Semler ſelbſt in ſeinem Leben Irthuͤmer d. h. 
Abweichungen von der oͤffentlichen Religion vorge⸗ 
tragen hat? 


g) Ich will nur den Hauptpunkt noch beruͤh⸗ 
ren. Der ganze vorgebliche Beruf der Fakultaͤt 
rechtfertigt gar nicht ihr Verfahren gegen mich. 
Denn es iſt klar, daß, wenn ſie auch den Beruf 


hat⸗ 


a 4 * 65 


hatten, uͤber die Lehren der A. K. zu halten, ſie 
darum gar nicht das Recht hatten, mich zu verdräns 
gen und von der Univerſitaͤt zu vertreiben. Denn 
in der von Herr Semlern angezogenen Stelle der 
Statuten heißt es ja ausdruͤklich, ut cauſa ad Se- 
reniſſimum referatur, quo ipfe — quid — opus 
fit, ftatuat. Warum begnuͤgte man ſich nicht mit 
einer blos ruhigen Anzeige meiner Irthuͤmer an 
den Landesherrn und uͤberließ es dem, mit mir zu 
machen, was er noͤthig fand? Und iſt es nicht an 
ſich ganz augenſcheinlich, daß jenes verhuͤten und 
darauf halten nichts, als eine Wirkſamkeit durch 
moraliſche Kräfte d. h. durch Belehrungen und 
Gruͤnde anzeigt: keinesweges aber ein Schreien, 
Proteſtiren, und Widerſezzen gegen das Oberku— 
ratorium und gegen den Kurator in ſich ſchließt ? 


II. „Wenn wir demnach an Ew. Hochfr. Exe. 
„uns neuerlich wendeten, um vorzubauen, daß D. 
„Bahrdt auf unſrer Univerſitaͤt am wenigſten als 
„Docent zugelaſſen werden möchte: fo handelten 
„ wir als rechtſchaffene Maͤnner, denen ihre Pflicht, 
„Gewiſſen und Eid theuer iſt. Wir kanten uͤber 
„ dieſes auch mehrere in feinen Schriften und Hana 

i Iv. B. E ö 


# 


66 N — N a 


„ dlungen gegebene notoriſche Merkmale des Leicht⸗ 
„ſinnes, daß wir alſo ſeinen hiefigen Aufenthalt, 
„und erhaltene Erlaubniß, öffentlich lehren zu duͤr? 
„fen, für das Beſte der Univerfität nicht gleichguͤl⸗ g 
„tig halten konten; indem, wenn ihm gleich theo⸗ 
„logiſche Vorleſungen zu halten, nicht verſtattet 
„worden, er doch Gelegenheit genug bekommen 
„mußte, nach ſeiner bekanten Wirkſamkeit, den 
„uns anvertrauten Studioſis ſeine Meinungen und 
„gehaͤſſigen Begriffe von offentlichen Lehren der 
„evangeliſchen Kirche, durch Vortrag oder Um⸗ 
„gang beizubringen. Wir finden daher auch noch 
„keine Urſache, uns unſrer pflichtmaͤſſigen und bes 
„ſcheidenen Vorſtellung zu ſchaͤmen, und verdienen 
„daher um ſo weniger die Vorwuͤrfe eines teufli⸗ 
„ſchen Verfolgungsgeiſtes, oder folder im fins 
„ſtern ausgedachten, und zum Theil ausgefuͤhrten 
„Projekte, wodurch dem D. Bahrdt Freiheit, Le⸗ 
„ben und Verdienſt entzogen werden ſolte, oder 
„einer Misgunſt, die ihm alle Mittel entziehen 
„wolle, die Jugend in gemeinnuͤzzigen Dingen zu 
„unterrichten., 8 

Es iſt wirklich zu bedauren, daß ein ſo vor⸗ 
treflicher Mann, wie Herr Semler iſt, ſich ſelbſt 


8 267 


Huber menſchlichen Schwachheiten theilhaftig ma⸗ 


chen mußte, wie in dieſer Vorſtellung zuſammen⸗ 
gehaͤuft ſind. N 


a) Wird nicht jeder zuerſt fragen, warum 
denn die Herren vorbauen wolten, daß ich nicht 
Docent wuͤrde, da ſie doch wußten, daß ich nur 
Logik, Metaphyſik und Humaniora zu dociren die 
Erlaubniß haben ſolte? Was ging denn mein Taci— 
tus und Juvenal und meine Logik der A. Konfeſſion 
und dem Beruf der Fakultiſten an, uͤber ihre Leh— 
ren zu halten? - * 


b) Muß man nicht ferner fragen, wie denn 
mein notoriſcher Leichtſin ſogar meinen Aufenthalt 
in Halle für das Beſte der Univerfität bedenklich 
machen konte? Hat man denn noob keinen leich tſin— 
nigen Mann in Halle unter den Profeſſoren gedul⸗ 
det? Es wuͤrde unverſtaͤndig oder vielmehr ganz eis 
gentlich niedertraͤchtig ſeyn, wenn ich hier Beiſpiele 
dagegen anfuͤhren und Profeſſoren nahmhaft ma— 
chen wolte, welche im Spiel, im Trunk, im Schul⸗ 
denmachen, im Kareſſiren — — ſich den Vorwurf 
des Leichtſinns zugezogen haben, ohne daß das Be⸗ 

E 2 


ſte der Univerfitaͤt dabei gelitten hat. Ich begnüͤge 
mich, das Publikum auf die Magerkeit der Gruͤn⸗ 


de, aus welchen man mich von Halle zu verdraͤn⸗ 


gen ſuchte, blos aufmerkſam gemacht zu haben. 


e) Und darum ſezze ich eine dritte Frage hin⸗ 
zu: was denn wohl die Herrn Fakultiſten für eine 
Beruhigung ihres ſo zarten Gewiſſens gefunden 
haben wuͤrden, wenn der Miniſter ihr Geſchrei er⸗ 
hört und mich von Halle nach Frankfurt oder Koͤ⸗ 
nigsberg oder Berlin verwieſen haͤtte? Waͤr ich 
denn dadurch verhindert geweſen, meine Meinun⸗ 


gen durch Vortrag und Umgang (und Schriften 
ſezze man hinzu) Jungen und Alten beizubringen? 


Oder war es Ihnen nur um die heiligere Heerde 
der evangeliſchen Chriſten in Halle zu thun? Moch⸗ 
te ich immerhin der Verfuͤhrer anderer preuſſiſchen 
Unterth enen werden, wenn nur das von Irthuͤ⸗ 
mern unbeflefte Halle nicht durch mich verunreini⸗ 
get wurde? — Was ſoll man nun von den reinen 
Bewegungsgruͤnden denken (S. 11.) aus welchen dies 
fer Bericht an das Oberkuratorium gefloſſen ſeyn 
ſoll! 


-. 


BE 


Sechstes Kapitel. 


0 Fortſezzung. 


Martwürdig iſt es, daß Herr Semler in dem ob⸗ 

gedachten Bericht (S. 14.) ſogar dies ſich nicht zu 
geſtehen ſcheute, daß er ſich in die traurige Noth⸗ 

wendigkeit verſezt ſehen wuͤrde (wenn ich Profeſ— 

ſor werden ſolte) die Studioſos von Beſuchung 
meiner gefaͤhrlichen Lehrſtunden (über Logik, Tas 
eitus ꝛc.) abmahnen zu muͤſſen. 


Doch ich uͤbergehe dieſe und noch viel andere 
Merkwuͤrdigkeiten in dem ganzen Benehmen des 
übrigens fo ſanften und menſchenfreundlichen Sem— 
lers, um mit meinen Yefern bei zween Hauptpunk— 
ten noch zu verweilen und ſie der Beurtheilung der 
Zeitgenoſſen und der Nachwelt vorzulegen. 


Der erſte betrift die Semleriſche Antwort auf 
mein Glaubensbekentniß, durch welche das ganze 
deutſche Publikum, ich moͤchte ſagen, erſchuͤttert 
und meine Faͤhigkeit zu einem auch nur halb geiſt⸗ 
lichen Lehramte recht abſichtlich zerſtoͤrt wurde. 

E 3 


70 ——— 


Wahr iſt es, daß mein Glaubensbekentniß ſehr 
fuͤglich hätte aus der Welt bleiben konnen. Und 


ich gebe gern alles zu, was Herr Semler S. 350. 


aus einer Berliner Schrift aus ſchreibt, um mich 
als einen Thoren aufzuſtellen. Denn ich habe wirk⸗ 
lich gefehlt, und kan dieſen uͤbereilten Schritt mit 
nichts entſchuldigen, als mit der Schwachheit meis 
nes Geiſtes, welche meine zuſammentreffende Un⸗ 
gluͤksſchlaͤge erzeugt hatten und — mit der Schnel⸗ 
ligkeit des Druks, welchen meine Berliner Freun⸗ 
de beſorgten, denen ich die Bekantmachung ſo gut 
wie die Unterdruͤkkung dieſes Aufſazzes uͤberlaſſen 
hatte, | 


Aber wenn ich gefehlt hatte, war darum Herr 
Semler berufen, mir es oͤffentlich vorzuhalten? 
Und wos ſolte die Antwort auf mein Glaubensbe⸗ 
kentniß? Wer hatte ihn denn gefragt? Was konte 
ihn bewegen, gegen einen ſchon ſo verfolgten und 
ungluͤklick en Mann noch ſelbſt zu Feide zu ziehen 
und ganz Deutſchland zu alarmiren, als ob er das 
"größte Verbrechen begangen haͤtte? 


re lee 
jr * 


War etwa das Glaubensbekentniß ſelbſt ſo 
gottlos und iereligiös, daß fein Gewiſſen ihn dräng- 


te? Man ſehe es nur nach. Es enthielt nichts, 


als die freimuͤthige Erklaͤrung, daß ich mir die 
Dreieinigkeit und die Gottheit Ehriſti insonderheit, 
nach Athanaſii Sinne nicht vorſtellen koͤnne: daß 
ich nicht von der Anſelmiſchen Satisfaktionstheo⸗ 
rie uͤberzeugt ſey: daß ich nicht glauben koͤnne, daß 
der Menſch von Natur ein Feind Gottes ſey und 
mit der Neigung zu allem Boͤſen geboren werde u. 
ſ. w. Im ganzen Aufſazze rede ich ganz beſcheiden 
von meinem Glauben und ſage nicht einmal gerade 
hin, daß ich die Dreieinigkeit, die Verſoͤhnung 
durch Chriſtum u. d. verwerfe, ſondern aͤuſſere blos 
dies, daß ich mir ſie ſo und ſo nicht vorſtellen koͤn⸗ 
ne. Waren denn das ſo entſezliche Irthuͤmer, da> 
zu H. Semler gar nicht ſchweigen konte? Betraf 
es nicht vielmehr gerade die Lehrſaͤzze, in denen H. 
Semler ſelbſt heterodox iſt, wie die ganze Welt 
weis und ihm Baſedow in der Urkunde aus ſeinen 
Schriften bewieſen hat? Iſt es nicht bekant, daß 
Herr Semler die Athanaſianiſche Dreieinigkeitsleh⸗ 
re verwirft und uͤber alle Dogmen der Kirche beſ⸗ 
ſere Vorſtellungsarten hat und ſeinen akademiſchen 
E 4 


— 


‚Zuhörern befant macht oder wenigſtens Winke das Bl 
zu aus der Hiftorie giebt, als der große Haufe der 


Orthodoxen ſie hat und annimt? 


Und man ſehe nur ſelbſt die Art der Widerle⸗ 


gung. Er widerſpricht keinem einzigen Sazze mei⸗ 
nes Glaubensbekentniſſes direkte und nent ihn Ir⸗ 


thum. Er ſtreitet faſt allein gegen mein Recht, 
dieſe Saͤzze ſo frei und gegen die oͤffentliche Reli⸗ 
gion vorzutragen und laut zu bekennen. War das 


der Muͤhe werth? War es noͤthig, war es recht, 


uͤber ein Bekentniß ein Geſchrei zu machen, uͤber 


deſſen weſentlichen Inhalt er mit mir ſelbſt theore- 


tiſch, obgleich nicht hiſtoriſch, einig war? 


Ferner: mußte Herr Semler nicht bedenken, 
daß gerade er am wenigſten gegen mich auftreten 
durfte, da er mein Freund war, da er mich deſ⸗ 


ſen in Briefen verſichert hatte, da die Welt wuß⸗ 


te, daß er viel auf mich hielt, daß er meine Schrif⸗ 
ten in öffentlichen Koͤllegiis feinen Zuhörern em⸗ 


pfahl? War es nicht natürlich, wenn jederman 


eine ganz eigene und ſonderbare Wendung ſeines 
Eharakters argwohnte? Konte es ohne ſchaͤdliches 


Pr 
u TE 898 


Auffehen bleiben 1 wenn ein Freund gegen ſeinen 


Freund zu Felde zog und ihn oͤffentlich uͤber Dinge 


zu beſchaͤmen ſuchte, die er im Herzen ſelbſt hegte? 


Gewiß wird Hr. Semler jezt es noch mehr eins 
ſehen, was er ſchon ehemals S. 35 t. zu erkennen 


gab, daß er gefehlt habe, und daß mein Beneh⸗ 
men gegen ihn, weiches ich in der kuͤrzern Erklaͤ⸗ 


rung uͤber Herrn D. Semlers Antwort auf das 
Bahrdtiſche Glaubensbekentniß. Berlin, 1780. 
8. gezeigt habe, weitmehr der Geiſt der Sanft⸗ 
muth athmete, als ſein damaliges Betragen, wel— 
ches in allem Betracht auf meine Unterdruͤkkung 
wirken mußte. 


Schwerlich wenigſtens kan er oder ſeine Leſer 
die Entſchuldigungen gründlich finden, mit wel⸗ 
chen er S. 35 1. feine Antwort rechtfertiget, daß er 


als ein alter Profeſſor (das Alter thut worlich 


nichts zur Sache) zu Veraͤnderungen der oͤffentli- 


chen Religionslehre, ohne Nachtheil feiner ſelbſt 


und der koͤnigl. Univerſttaͤt ohnmoͤglich hätte ſchwei⸗ 

gen koͤnnen. Denn wer wird ihm zugeben, daß 

mein Glaubensbekentniß, als die Deklaration eis 
E 5 


W 


nes unbedeutenden Privatmanns, fuͤr eine Veraͤn⸗ * 
derung der Öffentlichen kehre anzuſehen war? Wer 
wird ſich uͤberreden laſſen, daß H. Semler Nach⸗ 
theil zu fuͤrchten hatte, wenn er zu dieſem Befents 
niſe ſchwieg, dergleichen ja jeder Menſch auszuſtel⸗ 
len ein buͤrgerliches und natürliches Recht hat? 
Und was verlor die Univerſitaͤt, wenn er ſchwieg 
und mein Glaubensbekentniß in Vergeſſenheit ge⸗ 
rathen ließ? 5 


Wem wolte es ferner Herr Semler glaubhaft 
machen, daß mein Glaubens bebentniß fo viel pro⸗ 
teſtantiſche Stände in die tiefſte Befruͤbniß verſezt 
habe, und daß Halle darum 2 beurtheilt 
werden mußte? War ich denn der Maasſtab, nach 
welchem das Publikum die ganze Univerfi tät meſſen 
mußte? 

Und welch ein faſt unverzeihlicher Winkelzug 
iſt es, wenn H. Semler auf eben dieſer Seite ſagt, 
daß mein Bekentniß an kaiſerliche Majeftät im Na⸗ 
men der Proteſtanten gerichtet geweſen ſey? Ha⸗ 
be ich auch wohl mit einer Silbe dieſe Frechheit 
geäuſſert, daß ich mein Bekentniß im Namen der 
Proteſtanten ablegte? A 


— 0 75 


Dioch ich eile zu einem zweiten Punkte, wel⸗ 


cher für mein Herz der allerempfindlichſte iſt, und 
von welchem jeder rechtſchafne Mann überhaupt 
und jeder Verehrer der großen Verdienſte des gu— 
ten Semlers wuͤnſchen muß, daß er nie in dieſer 
Geſchichte zum Vorſchein gekommen waͤre: ich mei⸗ 
ne — die Ausfalle des Herrn Semlers auf meinen 
moraliſchen Charakter. 


Man mag dieſe Sache anſehen, wie man will, 
und von mir ſelbſt die allernachtheiligſten Urtheile 


hegen; fo wird man eingeſtehen muͤſſen, daß Ges 


lehrte, wenn ſie mit einander in Streitigkeiten ge— 
rathen und noch mehr — daß Theologen, wenn ſie 
ſich die Mine der Vertheidiger der Religion geben, 
ſich und ihrer vermeintlich guten Sache ohne Aus- 
nahme ſchaden, wenn ſie mit den Lehrmeinungen 
ihres Gegners zugleich ihren perſoͤnlichen Charak— 
ter antaſten und denſelben anzuſchwaͤrzen ſuchen. 


Warlich es iſt betruͤbt, wenn ein ſo großer und 
vortreflicher Mann, wie Semler, ſich hier den 
Goͤzzen und andern Kezzermachern gleich ſtellt und 
die Lehre des Gegners durch Verdaͤchtigmachung 


feines Charakters herabzuwuͤrdigen und dos Publi⸗ a 


kum von ihm abwendig zu machen ſucht und noch 
mehr — wenn er dies an ſeinem Freunde und . 
an einem Uungläklichen thut. N 


Man kent mich. Ich bin ein Menſch, der 
Fehler hat. Ich habe vielfältig in meinem Leben 
leichtſinnig und unuͤberlegt gehandelt. Ich habe 
in diefer Geſchichte ſelbſt meine Fehler und meine 
Sitten angeklagt. Aber was geht denn das weine 
Lehrſäzze an? Können denn dieſe nicht wahr ſeyn, 
wenn ich nicht ſelbſt ein fehlerloſer Menſch bin? 
Müſſen meine muͤndlichen und ſchriftlichen Vortraͤ⸗ 
ge darum aufhoͤren, nuzbar und lobenswerth zu 


ſeyn, wenn meine Handlungen zuweilen thoͤrigt 
und tadelhaft waren? 


Heben denn menſchliche Thorheiten wahre Ver⸗ 
dienſte auf? Und hat nicht ein Mann von Talent 
und Verdienſten, eben um feiner Talente und Ver⸗ 
dienſte willen, Anſpruch auf Schonung und Nach⸗ 
ſicht? Ohne Bedenken wuͤrde ich allenfals einen 
durchaus ſchlechten Menſchen, wenn er ſeine Feh⸗ 
ler durch keine Verdienſte um die Welt verguͤtet, 


— | — — f 77 


. als einen ſchlechten Men ſchen öffentlich an den Pran⸗ 
ger ſtellen. Aber einen Mann von Werth, der der 


Welt nuͤzlich iſt und es taͤglich mehr zu werden ich 


beeifert, ſolte man durchaus ſchonen. Und mir 
wenigſtens wuͤrde es Thraͤnen koſten, wenn ich z. 
B. von einem Semler Thorheiten und Fehltritte 
erzählen hörte und ſehen müßte, daß ein Mann 
von ſolchem Werth unter fo intoleranten Menſchen 
lebte. Das Verdienſt iſt zu ſelten und zu wichtig 
für die Welt, als daß man es der elenden Neigung 
aufopfern ſolte, menſchliche Thorheiten auszuſpaͤ⸗ 
hen und ſich uͤber ſie luſtig zu machen. Und nur 
die allerunedelſten Seelen koͤnnen ſich freuen, wenn 
ſie den Ruf eines wuͤrdigen Mannes durch Anekdo⸗ 
ten aus der Geſchichte ſeiner Schwachheiten vers 
dunkeln koͤnnen. 


Aber ich moͤchte doch den guten Semler fra⸗ 
gen, was er denn von dem fo anftöfligen Leben 
(S. 16. der Vorrede) wiſſe, was ihn gegen mich 
zu agiren bewogen haben ſoll? War er denn je 
Zeuge davon, oder hat ers blos vom Hören: Sas 
gen? Und wenn er Zeugen hatte, warum machte 
er ſie nicht namhaft? Oder warens vieleicht keine 


* 


guten und tauglichen Zeugen? Waren es blos mei⸗ 
ne Feinde, die in namenloſen Pasquillen mich ge⸗ 
ſchaͤndet oder in vertrauten Briefen mich verleum⸗ 
det hatten? 8 5 | 


Worin haben denn von jeher meine Gott⸗ 
loſigkeiten beſtanden? Habe ich je die Unſchuld ver⸗ 
führt? Habe ich irgend einen Menſchen an Gut 
oder Ehre wiſſentlich beſchaͤdigt? Habe ich mein 
Leben im Muͤſſiggange zugebracht, und als ein un⸗ 
nuͤzzer Menſch mein Brod gegeſſen? Habe ich bes 
trogen und gewuchert? Habe ich den Spieler ge⸗ 
macht und die Beutel gefegt? Habe ich einen Freund 
verrathen, oder einen Menſchen mit Wiſſen un⸗ 
gluͤklich gemacht? — (Haͤtt' ich Freunde verrathen 
moͤgen; ſo ſaͤß ich vieleicht nie im Gefaͤngniß!) — 
Laſſet einen rechtſchafnen Mann, der mich perſoͤn⸗ 
ſich gekant hat, namentlich auftreten und zeugen. 
Fraget alle, die mich handeln ſahen — fraget mein 
eignes Weib, das ſo ſehr uͤber mich klagt, ob ich 
nicht von jeher der fleiſſigſte und arbeitſamſte Mann 
war, ob ich je dem Muͤſſiggange, dem Spiele, dem 
Trunke, dem unordentlichen Leben ergeben geweſen 


bin, ob ich nicht vielmehr, bei unablaͤßlichen und 


Fo ae 


haft gehandelt haben folte? 


gemeinnuͤzzigen Arbeiten und bei der redlichſten Er⸗ 


ziehung meiner Kinder, das maͤſſigſte, und ich 


moͤchte ſagen, freudenleerſte Leben von der Welt 
gefuͤhrt habe? Fraget meine Kinder ſelbſt. Die 
ſind — die ſollen meine Zeugen ſeyn. 


Herr Semler fagt in der Lebensbeſchr. S. r. 
„daß die Sorgfalt, mit welcher fein Vater ihn er⸗ 
„zogen, ſein beſtaͤndiger Fleiß im Studiren und 
„Excerpiren und ſein geſeztes feſtes Urtheil ihm 


„ hernach Beweiſes genug geweſen ſey, daß fein 


„Vater ſeine Tage nicht in jugendlichen Ausſchwei⸗ 
„fungen verloren oder unrichtig vertheilt hatte., 


Wie komt es doch, daß er aus meinem Fleiſſe und 


aus den anhaltenden Anſtrengungen meines Geiſtes, 
davon meine Amtsarbeiten und die Menge meiner 
Schriften zeugen, und vornemlich meine noch jezt 
im funfzigſten Jahre bluͤhende Geiſteskraft nicht 
eben fo menſchenfreundlich folgerte, daß ich ohn⸗ 
möglich (wie meine Feinde wollen) ein ausſchwei— 
fendes Leben geführt haben koͤnne, wenn ich auch 
in einzeln Zeitpunkten noch ſo uͤbereilt oder fehler⸗ 


2 


80 | I 
O'derꝛ ſollen ſchlechterdings einzelne Thorhei⸗ 
ten den ganzen Charakter des Mannes entſcheiden N 
und verurtheilen? O dann moͤchte ich ihn ſelbſt fra⸗ 
gen, wie es ihm gefallen wuͤrde, wenn man ihn 
um jeder einzelnen Thor heit willen einen Thoren nen⸗ 
nen wolte? Und, bei Gott, wenn Thorheit mit Thor⸗ | 
heit ausgeglichen werden fol; fo will ich noch weit 
lieber einmal einen Nauſch gehabt oder gegen eine 
buͤrgerliche Konvention gehandelt haben, als mir | 
die Beflekkung der Geſchichte meiner Geiſtesthaͤtig⸗ 
keiten durch eine Ausgleitung zur Goldmacherei, 
oder die Verdraͤngung eines ungluͤklichen und da⸗ 
bei nuzbaren Mannes nachſagen laſſen. 


Uebrigens verzeihe ich Herr Semlern den be⸗ 
ſtimten Vorwurf der Verſoffenheit (S. 7. in der 
Vorrede), um ſo viel williger, da gerade gegen die⸗ 
ſen Vorwurf alle Zeugen meines Lebens ſind und 
geweſen ſind. Ich trinke Wein, wie Herr Sem⸗ 
ler, und werde auch in Geſelſchaften, durch den 
Wein, gewoͤhnlich vergnuͤgter und munterer als ich 
im Anfange war, wie Herr Semler: aber ich 
habe nie vom Trinken Profeſſion gemacht. Und 
wer mich mehr als eine Butelle Wein (die ich ja 

alle 


4 — © 


alle Tage fuͤr mich allein trinke) bei einer Mahlzeit 
hat trinken und dabei beſoffen geſehen hat, der tre⸗ 
te auf und zeuge fuͤr meinen lieben Semler, damit 
ichs ihm abbitten kan. — Mein Herz bleibt bis 
dahin von allem fortdauernden Widerwillen gegen 
den verehrungswerthen Mann ſo entfernt, als es ge⸗ 
zen den armſeligen Schriftſteller geblieben iſt, aus 
deſſen Urne er jenen Vorwurf mit chriſtlicher Glaub⸗ 
willigkeit entlehnt hat. — Ich habe viele Zeugen) 
die es wiſſen, daß Herr Moſchel ſelbſt den von ihm 
verleumdeten D. Bahrdt fo gut gefant hat, daß 
er in feinem Ungluͤk, wo Lebensgefahr ihn bedroh⸗ 
te, zu ihm floh, ſein Leben ſelbſt ihm anvertraute 
und — daß er mehrere Tage lang, von ihm, dem 
D. Bahrdt, kurz nach der Ausgabe der ihm bekant 
gewordnen Urne, mit eigner Gefahr vieler Ver— 
druͤßlichkeiten, als Fluͤchtiger geheget, als Hungri⸗ 
ger beföftiget, als Kranker verpflegt, als halb ver: 
wirrter und Geaͤngſteter getroͤſtet und mit Unkoſten 
und Muͤhe gerettet worden iſt. 


Iv. B. 7 


Siebentes Kapitel. 


Applauſus. Bekantſchaften. Haus kreuz. 


- 


HD. Miniſter fahe ſich von den Theologen fo bes 
ſtuͤrmt und mit fortdauernden Unruhen ſo bedroht, 
daß er feine anfängliche Wärme erkalten und alle 
ſeine Projekte, mich zu verſorgen, fahren laſſen muß⸗ 
te. Er begnuͤgte ſich, mich in Halle zu behaupten 
und mir das Recht zu ertheilen, als Privatdocent 
Philoſophie und Humaniora zu leſen. a 


Das erſte, was ich jezt unternahm, waren 
Vorleſungen über die Rhetorik. Denn an die 
theoretiſche Philoſophie wolte ich mich nicht wa⸗ 
gen, weil Herr Eberhard in dieſer Wiſſenſchaft 
bisher das Monopol gehabt hatte, und ich es folg⸗ 
lich der Klugheit gemäß fand, einen Mann, deſ⸗ 
ſen Freundſchaft ich wuͤnſchte und deſſen Verdien⸗ 
ſte ich ehrte, durch Theilung des Applauſus nicht 
misvergnuͤgt zu machen. 


Ich las meine Rhetorik, welche ganz beſon⸗ 
ders auf Bildung kuͤnftiger Prediger abzwekte, in 


[A 
2 


un 


7 K I 
anf ag as 83 


dem Hoͤrſole des damaligen M. Mangelsdorf. Der 
Zulauf der Studenten war ſo groß daß nicht nur 
das Auditorium ſelbſt gepfropft voll war, ſondern 
daß auch auf dem Hofe (es war Parterr) alles voll 
war und die Studenten eine alte Waſchrolle, die 
unter der Einfahrt ſtand, herbei ſchlepten, die Fen— 
ſter oͤfneten und ſo an den Fenſtern bis oben hin— 
auf ſtunden und mir zuhoͤrten. 


Meine Abſicht war, mit der Theorie die Pra⸗ 
xis zu verbinden und die jungen Leute in Invent on, 
Diſpoſition und Elokution zu uͤben. Da ich fuͤr 
dieſen Zwek einen geſchloßnen Numerus noͤthig 
hatte, damit die Herren in der Reihe ihre Aufſaͤzze 
mir bringen und ich dieſelben korrigiren konte; ſo 
war es mir nicht moͤglich, einen ſolchen Zulauf zu 
ertragen. Ich bat daher gleich en der zweiten; 
Stunde, nachdem ich den Zwek meiner Vorleſun⸗ 
gen bekant gemacht hatte, daß die, welche das 
Kollegium forthoͤren wolten, ſich aufſchreiben und 
alle uͤbrigen, die blos aus Neugierde hoſpitirt haͤt⸗ 
ten, nun wegbleiben möchten. 


Alles Bitten und Vorſtellen war vergeblich. 
Der Zulauf ward immer größer, fo daß der Haus⸗ 
| * 


84 0 — 


wirih fi ſich auch beklagte, daß die Fenſter und die 
Waſchrolle ihm ruinirt wuͤrden. Ich hielt alſo i in 
der fünften Stunde inlgende Ae i „Es iſt mir 
dauernden Eifer Vereinen, 5 zu 3 und iQ 
würde in jeder andern Lage mich gluͤklich ſchazzen, 
von einem ſo glaͤnzenden Auditorio mich umgeben 
zu ſehen. Allein meine age Umſtaͤnde, die 
Ihnen allen bekant ſind, machen mir es zur bitter⸗ 
ſten Rothwendigkeit, die größere Ruzbarkeit dem 
Broderwerb aufzuopfern. Ich muß mit meinen 
Kindern allein von meinem Fleiſſe leben. Ich kan 
olſo, fo gern ich wolte, dies Kollegium nicht pu⸗ 
blice leſen. Ich muß nothwendig es entweder 


wieder aufgeben, oder eine feſte Zaͤhl haben, wel⸗ 


che ſich in dieſen Hörfaf einſchraͤnkt, und mich or⸗ 
dentlich bezahlt. Ich traue Ihren guten Herzen 
zu, daß Sie dieſe Foderung eben ſo billig finden 
als beguͤnſtigen werden. Und fo erwarte ich es von 
Ihrer edlen Denkungsart, daß nunmehr alle Ho⸗ 
ſpiten wegbleiben und meinen beftändigen Zuhoͤrern 
den Raum laſſen werden. Ich will Ihnen, zum 
Beweiſe, wie ſchmeichelhaft mir Ihr Beifall iſt, 
dieſes kleine Opfer vergüten und Ihnen dafuͤr, daß 


— 


— 


ſie die Belehrung weies Hörfates aufheben uͤber 
die Theorie der Deblamation wöchentlich auf der 
Wage eine Stunde e e Boclefungeh 
halten ꝛc. % πν ν 
imma el MIBIR «BAM 

Dieſe Anrede that vortrefliche Wirkung. Ein 
erfolgtes Händeklatſchen bkieugte mir den Beifall 
der Vet ſamlung. Die Hoſpiten blieben weg. Es 
firfere ſich eine Zahl von 60 bis 70 Studenten. 
Aber leider — nahm ich doch fuͤr das ganze Kolle⸗ 
gium, das mir an drittehalbhüͤndert Thaler ein⸗ 
tragen mußte, (die Perſon zu vier we 5 
net) kaum 80 Thaler ein. ö 


en 


a hielt Wort und las auf der Wage meine 
Theorie der Deklamation. Und nun kam die ganz 
ze Univerſität. In der erſten Stunde waren uͤber 
900 Studenten verſamſet.— Meine Feinde hat: 

ten von meinem Beifalle gehoͤrt und die Eiferſucht 
befluͤgelte fie, ihn zu ſtoͤhren. Der Herr Prorek⸗ 
tor fand noͤthig, ſaͤmtliche Haͤſcher an die Wage 
zu poſtiren, unter dem Vorwande, allen Unord⸗ 
nungen vorzubevgen. Es gab aber Leute, welche 
behaupten wolten, es ſey gerade darum geſchehen, 

53 


TEN 


86 — ; 9 


die Studenten daruͤber unwillig zu machen, und a 


man habe gewuͤnſcht, daß kaͤrmen entſtehen und 
man dadurch Gelegenheit bekommen mochte, nach 
Berlin zu berichten, daß meine Vorleſungen Tu⸗ 
multe erzeugten. Aber es ging, gegen alle menſch⸗ 
liche Erwartung, ſo ſtille zu, als man es bei einer 
ſolchen Verſamlung noch nie erlebt zu haben verſi⸗ 
cherte. Der Herr Profeſſor Woltaͤr und andere, 
die ſich in unkenbarer Kleidung mit eingeſchlichen 


hatten, waren Zeugen davon. Ich hielt meine 


Vorleſung bei der feierlichſten Stille dieſer Men⸗ 
ſchenmenge. Und da ich am Ende der Stunde die 
Vorſicht gebrauchte, den Herren Studenten vorzu⸗ 
ſtellen, daß meine Feinde auf jede Gelegenheit 
lauerten, mich in Berlin verhaßt zu machen, und 
ſie aus dieſem Grunde auf das dringendſte bat, 
daß ſie ja allen Schein eines Geraͤuſches, mir zu 
Liebe, vermeiden möchten, weil ſonſt alles, was fie 
thaͤten, auf meine Rechnung geſchoben werden 


wuͤrde; ſo ward die ganze Verſamlung von dem 


einſtimmigſten Vorſazze belebt, und dies große 
Studentenheer gieng, mit unerhoͤrter Geduld, vor 
den Haͤſchern ſo ſtill vorbei, daß auch kein Laut zu 
vernehmen war. | 


— 


Indeſſen kam doch Herr Eberhard des folgen— 
den Tages zu mir und rieth mir, die gewählte 
Abendſtunde, wo doch alzuleicht eine Unordnung 
vorgehen koͤnte, wenn der erſtaunende Zulauf blits 
be, zu veraͤndern. Ich ſchlug alſo am ſchwarzen 
Brete an, daß ich meine Vorleſungen des Sonn 15 
bends fruͤh um 11 Uhr fortſezzen würde. Das ge 
ſchah und ich behielt bis zu Ende deſſelben über 500 
Zuhörer beiſammen. 


Uebrigens war und blieb mein Leben einſam 
und von Menſchenumgang leer. Der erſte Menfih, 
der ſich über das Vorurtheil hinweg ſezte und mit 
dem verſchrienen Kezzer öffentliche Freundſchaft zu 
halten beſchloß, war Herr Profeſſor Trapp, ein 
Mann, deſſen biederer und unbeſtechlich redlichet 
Charakter, deſſen herrliche Laune, deſſen heller 
Geiſt und ausgebreitete Kentniſſe mir eine ewige 
Sehnſucht nach ihm einföffen und das Andenken 
ſeines Abſchieds von Halle mir immer kummervoll 
machen werden. | | 


Er ließ michs wiſſen, daß er mir gut ſey, und 
ich eilte mit meiner Frau und Kindern, ihm den 


54 


erſten Beſuch zu machen. Meine ganze damals 
noch feurige Laune lebte bei dieſem Beſuche wieder 
auf, und begeiſterte den Hauswirth meines Trapps, 
den Heren Stifte amtmann Buͤttner dergeſtalt, daß 
er ſeine Hand zum neuen Freundſchaftsbunde bot 
und mir erlaubte, von Stund an ſein Haus als 
bag Meinige anzuſehn. 

ie Wer die Freuden des geſelligen Lebens zu 
ſchmekken vesfteht, und ſich beſinnt, daß ich ſo lan⸗ 
ge Zrit ſie hatte entbehren muͤſſen, der wird ſehr 
leicht begreifen, daß dies fuͤr mich eine Epoche der 
Wiedergeburt war. Meine ganze Seele heiterte 
ſich auf. Ich bekam neue Schnellkraft. Ich fuͤhl⸗ 
te mich wieder und lernte meines Daſeyns froh 
werden. Eben ſo mein liebes Weib! 

Es vergieng von jezt an faſt kein Tag, wo ich 
nicht, nach volbrachtem Tagewerk zu meinen Büttz 
ner und Trapp ſchlich und bei einem Butterbrod 
mit ihnen ein paar Stunden herzlich vergnuͤgt war. 
Kam ich zuweilen allein; ſo ging Herr Buͤttner 
heimlich fort und holte mein Weib nach, die ſich 
in dieſer Geſelſchaft mit mir gleich ſelitz fuͤhlte. 


Aber die Freude dauerte nur wenig Wochen. 
Wenn beide Freunde als ehrliche Maͤnner handeln 
wollen; ſo muͤſſen ſie es vor jedem Richterſtuhle 
mir bezeugen, daß, ohn alle meine Veranlaſſung, 
endlich mein gutes Weib anſieng, ihre alte Krank- 
heit merklich zu machen. Fand ſie meinen Ton, 
den ich gegen die Familie beobachtete, zu herzlich 
und traulich, oder waren es, was mir wahrſchein⸗ 
licher iſt, Ohrenblaͤſereien und Verleumdungen die⸗ 
ſer Familie: genug, ſie fing an, nach ihrer Art uͤber 
Weiber und Maͤdchen zu deklamiren, welche frem— 
de Männer an ſich zoͤgen, und trieb ihr Moraliſi⸗ 
ren uͤber Sittſamkeit und Tugend ſo weit, daß 
meine Freunde zuruͤkhaltender wurden und ſich nicht 
mehr getrauten, in ihrer Gegenwart, den natuͤr⸗ 
lichen Gang ihrer frohen Laune zu behaupten. Und 
daraus erfolgte ganz natuͤrlich, daß man gegen 
meine Frau kaͤlter wurde und fie nicht mehr vers 
mißte und nachholte, wenn ich allein kam. 


Die Folgen waren unvermeidlich. Meine 
gute Frau ſah und empfand die Veraͤnderung. Sie 
merkte, daß man ſich nicht mehr nach ihr ſehnte. 
Und ſie wurde eben dadurch in ihrem Verdacht, 
F 5 


9 r 


daß ich bei den weiblichen Mitgliedern dieſer Fa⸗ 
milien beliebter ſey, als fie es wuͤnſchte, ſo wie in 
jenen vermuthlichen Verleumdungen immermehr 
beſtaͤrkt. Und fo mußte von nun an jede Stunde, 
welche ich in dieſem Zirkel verlebte, für fie eine 
Stunde ftillen Harms und bald auch — lauter 
Klagen werden. 


Buͤltners und Trapps waren ihr nun der Dorn 
im Auge und ſie vergoß Thraͤnen, wenn ſie mich 
ausgehen ſahe. Ich bemuͤhte mich, ſie zu beruhi⸗ 
gen. Ich ſtellte ihr vor, daß ſie ſelbſt an ihrer 
Loge ſchuld ſey, und dieſe Freunde durch ihre uͤber⸗ 
triebene Delikateſſe und Moraliſiren von ſich ver: 
ſcheucht habe — daß ich, bei meiner ungluͤklichen 
Loge, welche mich zu unaufhoͤrlichen und muͤhſeli⸗ 
gen Arbeiten noͤthigte, dieſe Erholungsſtunden nicht 
entbehren foͤnte ac. Aber alles war umſonſt. Sie 
machte mir Vorwuͤrfe. Sie klagte bei geringen 
Leuten uͤber meine Ausartung. Sie erhizte mich 
zuweilen durch zudringliche Reden bis zur Aerger⸗ 
lichkeit. — Daraus entſtand ein neues Uebel. 


Meine Kinder ſahen den fleiſſigen Vater, der 


fuͤr ſie unter der Laſt der Arbeit faſt erlag und fuͤhl⸗ 


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ten, wie ungerecht es war, daß die Mutter mich 
ſo oft quaͤlte und fingen dadurch an. die Mutter in 
eben dem Grade weniger zu lieben, in welchem ihr 
Herz an dem Vater hieng. Die aͤlteſte, deren Bers 
ſtand fruͤhzeitig reifte, unterftand fich fo gar, was 
ich ihr oft liebreich und mit Gruͤnden verwieſen has 
be, der Mutter Vorwürfe zu machen und in kindi⸗ 
ſcher Einfalt, (ſie war damals etwa ſieben Jahr 
alt) meine Partie zu nehmen. Dies legte gegenſei⸗ 
tige Keime der Abneigung in das Herz der Mutter. 
Und ſo erlebte ich nach und nach das größte Leiden, 
was einem Vater begegnen kan, daß meine Frau 
immer hypochondriſcher wurde, daß meine Kinder, 
theils um meinetwillen, theils weil ſie den ganzen 
lieben Tag von der verſtimten Laune der Mutter 
gequält und durch ewiges Klagen oder Keifen mie: 
muͤthig wurden, ſie immer weniger liebten und 
(troz aller meiner Bemühungen, entgegen zu arbei⸗ 
ten) immer kalter und ſtoͤrriger gegen fie wurden 
und — daß die Mutter ſelbſt die aͤlteſte Tochter ine 
ſonderheit anfieng zu druͤkken und ihr ihre Abnei⸗ 
gung fuͤhlen zu laſſen. Die mittelſte ward dafuͤr 
ihr Liebling, weil ſie, ohngeachtet ihr Herz in Va⸗ 
terliebe nie erkaltete, ſich doch eher, als die andern, 


„arri 9¹ 
: 


von ihr brauchen ließ, etwas für ſie zu beſorgen, 


was ich nicht wiſſen durfte, oder zu erforſchen, was 
ſie gerne wiſſen N ö 20 547 
5 g „0 ra, 

Das Hauskreuz mühe e nun mit jedem Jahte 
mehr uͤberhand, und es gedieh endlich dahin, was 
aller Orten der Erfolg geweſen war, daß auch in 
Halle überall es bekant wurde, wie ſehr meine Frau 
mit mir unzufrieden ſey, und daß meine Feinde um 
ſo mehr Gelegenheit fanden, ihre Angriffe auf 
meinen Charakter, durch Berufungen auf die Kla⸗ 
gen meiner Gattin, zu beglaubigen. NETT u 

Einſtweilen wagte es mein Beichtvater, der 
Paſtor Senf, mir einen Vorhalt zu thun und es 
tadelhaft zu finden, daß ich mit dem. .... Hauſe 
mich ſo genau verbunden haͤtte, indem meine theo⸗ 


logiſche Reputation darunter litte, weil von. 


nicht gut geſprochen wuͤrde. Das Reſultat meinen 
Antwort war dieſes: | J a: 


„Ich danke Ihnen, mein Freund, für Ihre 
„wolgemeinte Erinnerungen. Sie haben recht, 


„wenn Sie behaupten, daß des Mannes Reputation a 


„oft von feiner Geſelſchaft abhängt. Aber ich kan 
„dennoch meinen Freund dieſer Ruͤkſicht nicht auf⸗ 
„opfern. Ich muß erſtlich erwägen, daß fie die er⸗ 
y ſten Menſchen in Halle waren, welche in meiner 
„traurigſten Lage, wo alles vor mir floh, mich 
„aufnahmen, und mein elendes Leben durch frohe 
„Stunden verſuͤßten. Ich muß Ihnen dabei fer: 
„ner ſagen, daß ich ſie beide für rechtſchaffene Maͤn⸗ 
„ner halte, was auch die halliſche Mediſanſe von 
„ihnen ſagen mag. Ich habe den , von 
„welchem man, wie Sie ſagen, nachtheilig ſpricht, 
„ehr ſorgfaͤltig beobachtet und bin durch folgende 
„Stuͤkke von ſeinem moraliſchen Werthe uͤberzeugt 
„worden. Er iſt erſtlich ein arbeitſamer Mann. 
„Er lebt in feinem Haufe fo regelmäßig als ich ſelbſt 


„lebe. Es herrſcht Ordnung, Sparſamkeit und 


„Reinlichkeit. Er iſt ein vortreflicher Erzieher ſei⸗ 
„ner Kinder. Er unterrichtet fie ſelbſt täglich meh: 
„rere Stunden. Er iſt maͤſſig und nuͤchtern. Er 
„lebt mit feiner Gattin in dem ſchoͤnſten Verneh⸗ 
„men. — Ein ſolcher Mann kan kein ſchlechter 
„Menſch ſeyn, was auch die Welt fuͤr Anekdoten 
„von ihm aufzuweiſen haben mag, welche entwe⸗ 
„der in feine frühere Geſchichte gehören oder, wie 


94 W Ri 
„gewoͤhnlich, Thatſachen enthalten, von welchen 
„man, wenn man den wahren Zuſammenhang der 
„Umſtaͤnde wüßte, ganz anders urtheifen wuͤrde, als 
„das Publikum urtheilt, welches nichts als die 
„Oberflache der menſchlichen Handlungen zu ſehen 
„oder vielmehr nur zu hören bekomt. Ich kan 
„mich alſo unmöglich entſchließen, Freunde aufzus 
„geben, die ſich meiner Freundſchaft noch nie uns 
„werth gemacht haben und die mir ſo viel Gutes 
„erzeigen. Ich ſezze mich vielmehr in ihren Fall, 
„und uͤberlege, wie mir es gefallen wuͤrde, wenn 
„ein Menſch, den ich liebe, um des Publikums wil⸗ 
„len, weil daſſelbe mich verſchreit und verkezzert, 
„aufgeben und meine Freundſchaft ſeinem Wun⸗ 
„ſche, vor der Welt verdachtlos zu erſcheinen, auf⸗ 
„opfern wolte. So ſehr mich das ſchmerzen wuͤr⸗ 
„de und fo gern ich es ſehen müßte, wenn mein 
„Freund, dem Geſchwaͤzze der Leute zum Troz 
„ſtandhaft bliebe und mich feines Umgangs wuͤr⸗ 
„digte, fo unmoͤglich muß es gegenſeitig meinem 
„Herzen werden, dem Narrendinge von Publi⸗ 
„kumsgeſchwaͤz eine Freundſchaft preis zu geben, 
„welche bereits ſo feſt und innig geworden iſt. , 


Deer Herr Paſtor zog ſich zuruͤk. — Ob mein 
liebes Weib ihn zu dieſer vergeblichen Bemuͤhung 
verleitet hatte, laß ich unentſchieden. Wolte Gott, 
es waͤre dies der einzige Beichtvater geweſen, dem 
ſie dieſes Unliegen offenbaret hätte! 


Achtes Kapitel. 


Scheiftſtellerei, und akademiſche Vorleſungen. 


— 


1 las, auſſer meiner Rhetorik, noch ein be 
braͤiſches Grammatikale über mein eignes Lehrbuch, 
und merkte bald, daß ich in beiden Vorleſungen 
das Monopol hatte. Dies bewog mich, bei die— 
ſen beiden Vorleſungen zu bleiben und mir daher 
auch fuͤr die erſtere ein eignes Lehrbuch zu veran⸗ 
ſtalten. Meine in Gießen herausgegebene Homi— 
letik war mir zu unvolkommen. Die Theorie der 
Deklamation fehlte ganz, ſo wie ich uͤberhaupt 
wohl der erſte bin, der eine Theorie dieſer Kunſt ge: 
wagt hat. Die Lehre von der Erfindung war nicht 
befriedigend. Ueberdem wuͤnſchte ich auch, neben 


\ 
S 


E „ rr 


96 


der Form, meinen Schuͤlern die Materie wo nicht 


mitzutheilen, doch die Ueberſicht derſelben ihnen zu 
erleichtern und fie auf die Achten Gegenſtaͤnde der 
Kanzelberedſamkeit aufmerkſam zu machen, damit 
ſie von Hamburger Dogmatik und Amſterdammer 
Polemik abgefuͤhret wuͤrden und das predigen lern⸗ 


zen, wobei eigentlich nur die Kunſt des Nedners 


anwendbar iſt. 


So entſtand mein Verſuch über die Bered⸗ 
ſamkeit, welcher auſſer einer (noch alzuflach) ſki⸗ 
zirten geiſtlichen Rhetorik ein konzentrirtes Syſtem 
der moraliſchen Religion enthielt. Ich ließ ihn auf 
eigne Koſten drukken. Eine neue Auflage hat her⸗ 
nach die Deſſauer Verlagskaſſe zur Welt gebracht. 


Ich hofte, mit meinen zwei Kollegiis etwas zu 
verdienen: aber das eine wurde mir ganz zerſtoͤrt, 
und das andere in Abſicht der Zahlungen verkuͤm⸗ 


mert. Von wem? das will ich fernerhin ganz 


auf der Seite liegen laſſen. 


Man — hatte geſehen, daß meine hebraͤiſche 


Grammatik beliebt und fleißig beſucht worden war. 


War 


A 


* 


A * 


War es nun, daß man es dem lieben Gott veruͤ⸗ 
belte, daß er mich noch immer nicht hatte verhun⸗ 
gern laſſen, oder fuͤrchtete man auch dieſe Vorle⸗ 
ſungen fuͤr die Ehre der Univerfität oder die reine 
Lehre der Augsſpurgiſchen Konfeſſion bedenklich: 
f genug, man rieth einem M. Güthe, ſich die— 
ſes Faches anzunehmen und hebr. grammatikaliſche 
Vorleſungen anzufangen, die vorher weder er, noch 
ein anderer gehalten hatte. Wo ich nicht irre, ſo 
las er ſie das erſtemal gar umſonſt. Kurz, der 
Applauſus mußte natuͤrlich, durch mancherlei Re⸗ 
kommendationen, welche die neuen Ankoͤmlinge an 
M. Guͤthe erhielten, ſich theilen, und ſo war auch 
dieſer Biſſen Brod mir vereitelt. 


Die Rhetorik und Deklamation behielt ich. 
Denn es war kein Theolog im Stande, zu deklami— 
ren und eine Predigt zu halten. Und ohne daß 
man ſelbſt Muſter iſt, laͤßt ſich ſo ein Kollegium 
nicht leſen. Auch war, wenn ja einer ſich als Mu⸗ 
ſter zeigen wolte, wie hernach Herr Triemeier that, 
der Unterſchied ſo auffallend, daß der Student den 
vermeinten Deklamator vom wahren alzuleicht ab⸗ 
ſondern und ſonach durch keine Rekommendation 

IV. B. G 


m 


98 RT 


abwendig gemacht werden konte. Aber man wußte 
mir auf einer andern Seite zu ſck ſchaden, daß. mein 
Monopol mir doch nicht viel eintragen durfte. 


Ich hatte, nachdem meine Rhetorik zweimal 
war abfolvirt worden, ſchon nahe an 300 Thaler 
Reſtantenſchulden. Dieſe Reſtanten übergab ich, 
nach damaliger Gewohnheit, dem Prorektor. Er 
ließ meine Liſte liegen. Ich erinnerte ihn, und 
ſollicitirte, daß die Studenten, die mir ſchuldig 
waren, citirt werden moͤchten. Man verſprachs 
und thats nicht. Ich erinnerte wieder: da hieß es 
endlich, meine Reſtanten koͤnten nicht citirt wer⸗ 
den, bevor ich nicht zu jedem Namen das Rogis 
ſezte. N 


Ich durfte nicht fragen: Herr, warum haben 
ſie denn das nicht gleich geſagt? Warum haben 
Sie mich ein Vierteljahr laufen und bitten laſſen? 
Warum haben Sie mir verſprochen, die Schuldner 
vorzuladen und ſagen mir jezt erſt, daß meine Liſte 
mangelhaft ſey? Eben fo wenig durfte ich fragen: 
warum denn der Herr Prorektor dem armen D. 
Bahrdt allein zumuthe, daß er die Anzeige der 
Wohnungen ſeiner Schuldner beifuͤge, da man 


99 


doch von keinem andern Docenten das bisher gefo⸗ 
dert hatte, und da natürlich die Pedelle alle Woh⸗ 
nungen der Studenten von ſeldſt wiſſen ſolten? Ich 
mußte dem Rechte des Staͤrkern weichen und ſchwei⸗ 
gen. Alſo machte ich mich an die Brieftraͤger und 
ſamlete mit Mühe und Koſten das Verzeichniß der 
Quartiere aller meiner Schuldner. Ich uͤbergabs, 
hofte nun auf Huͤlfe zur Zahlung und — erhielt 
nichts. 


Meine Reſtanten blieben bis ins folgende Pros 
rektorat. Ich bat den neuen Prorektor, mit Ein⸗ 
reichung neuer Liſten, um Verhelfung zu meinem 
Gelde. Er verſprachs und thats nicht. Ich ſolli⸗ 
citirte. Endlich hieß es, mein Zeddel waͤre unter 
dem vorigen Prorektorat (es war das Riedsfyſche) 
verloren gegangen: ich muͤßte die Namen und 
GAuartiere von neuem aufſchreiben und einreichen. 
Man denke ſich dieſe Arbeit Ich mußte mich ihr 
unterziehen und — doch erhielt ich auch unter die— 
ſem Prorektorat von allen meinen Geldern nicht 
mehr als 27 Thaler. Viele Studenten waren in 
deſſen ſchon von Halle abgegangen. Viele leugne⸗ 
ten die Schuld. Viele wurden gar nicht eitirt. 


G 2 


— 


do — 


Ich wandte mich nun an den Kurator und er⸗ 


zahlte ihm, wie man mich quäfte und ſchlug her⸗ 
nach, da ich Gelegenheit hatte, Sr. Excellenz in 
Berlin ſelbſt zu ſprechen, vor, daß man die Vor⸗ 
ausbezahlung einführen moͤchte. Der Miniſter 
fand meine Gruͤnde wahr und gab den Befehl. 


Aber auch damit gewann ich nichts. Viele Profeſ⸗ | 


Foren hielten die neue Einrichtung ihrem Vortheile 
nicht gemaͤß. Es fehlte an Exekution und — doch 
die Sache gehoͤrt nun weiter nicht zu meiner Ge⸗ 
ſchichte. Die Leſer ſehen nun ſchon zur Genuͤge, 
was ſie in Abſicht auf mein Schikſal ſehen ſolten. | 


Einer von meinen redlichſten Freunden unter 
den Profeſſoren (ein Mann von dem vortreflichſten 
Herzen, der nie an Kabalen Theil nahm) rieth mir, 
um meines großen Applauſus willen, mehrere Kol⸗ 
legia zu leſen und mich in das Gebiet der Philoſo⸗ 
phie hinüber zu wagen. Er benahm mir alle mei⸗ 
ne Bedenklich keiten und auch die wegen Herrn Eber⸗ 
hards. Ich folgte ihm, und fing an, über Logik 
und Metaphyſik Vorleſungen zu halten. 


Ich fiel auf Erneſti's Initia, weil ich glaubte, 
den guten Zwek beiläufig erreichen zu koͤnnen, daß 


— 


— — 101 


meine Zuhoͤrer, neben der theoretiſchen Philoſophie, 


zugleich den aͤchten roͤmiſchen Ausdruk mitlernen 
möchten. Und dieſer Zwek ſchien mir um deſto noͤ⸗ 
thiger, da es ohnehin unſern meiſten Studenten an 
Latinitaͤt fehlt. Daher entſchloß ich mich, dieſes 
freilich hoͤchſt magere philoſophiſche Lehrbuch ums. 


zuarbeiten, und beſonders die fehlenden Materien 


zu erſezzen, übrigens aber den aͤcht roͤmiſchen Aus⸗ 
druk des Autors moͤglichſt beizubehalten. So ent⸗ 
ſtunden zwei kleine Lehrbuͤcher: Inſtitutiones logi- 
cae und Inſtitutiones metaphyſicae, welche ich auf 
eigne Koſten edirte. 


Ich bekam zu dieſen Vorleſungen eine große 
Menge Zuhoͤrer, aber meine Unfaͤhigkeit, denen, 
die um Erlaſſung des Honorars baten, es abzu⸗ 
ſchlagen und die Schwierigkeiten, die ich fand, von 
den zahlbaren Auditoren das Geld einzutreiben, 
verurfachte beſtaͤndig, daß ich durch keinen anſehn⸗ 
lichen TEEN inne wurde. f 


Von Berlin Eng erhielt ich viele Zuredungen 
zu ing meiner humaniſtiſchen Kentniſſe. Ich 
befolgte auch dieſen Rath und ſchlug Vorleſungen 
G 3 


über den Tacitus an. Und da ich meinen Zuhd⸗ 


rern den Geiſt des Schriftſtellers nicht ſichtbar ma⸗ 
chen zu koͤnnen glaubte, wenn ich blos paraphra⸗ 


ſirte und erklärte, und nicht zugleich eine eigentfie! 


che Ueber ſezzung mittheilte; fo fing ich an, mich im 
Ueberſezzen zu üben und beſtrebte mich, meinen 
Schriftſteller, im deutſchen Gewande, moͤglichſt 
treffend darzuſtellen. Das war die Veranlaſſung 
zu meinem deutſchen Tacitus. Ich gab erſt ein 
Probeſtuͤk heraus, und da das Beifall fand, ließ 
ich den ganzen Tacitus folgen. | 


Nie hab ich eine Arbeit mit fo viel Enthuſias⸗ 
mus gethan wie dieſe. Ich wuͤnſchte mir, ein paar 
Decennien hindurch in dieſem Fache weilen zu koͤn⸗ 
nen. Ich beſchloß mit dem Verleger, alle roͤmi⸗ 
ſchen und griechiſchen Klaſſiker in ſolchen Ueberſez⸗ 
zungen herauszugeben. Aber mein Vergnügen 
wurde mit verbittert. Die Serrmanniſche Buch⸗ 
handlung in Frankfurt mochte zu eben der Zeit 
den Einfall gehabt haben, dergleichen Ueberſezzun⸗ 


gen zu liefern. Ihre Avertiſſements kamen wenig | 


Wochen nach den Meinigen in Halle an und — er⸗ 
ſchrekten meinen lieben Gebauer fo ſehr, (zumal 


[a nee 103 


da ſie zugleich mir und ihm den Krieg ankündigten) 
a er den . verlor, mee 


Meine gust war nicht Be So ſehr 
auch un Bergſtraͤſſer und Konſorten meinen Ta⸗ 
eitus ſchulmeiſterten, jo gabs doch Maͤnner genug, 
welche meinen Tacnus bei allen (in lauter Kleinig⸗ 

keiten enthaltenen) Fehlern, in Abſicht auf Rich⸗ 
tigkeit und wahre Darſtellung des Geiſtes des 
Originals für die zur Zeit befte Arbeit erkanten. 
Ich ließ mir daher einfallen, da ich im folgenden 
Winter uͤber den Juvenal las, dieſen Dichter zu 
uͤberſezzen und auf eigne Koſten herauszugeben. 
Die Arbeit gerieth, aber der Druk war ſo ſcheus— 
lich und fehlerhaft ausgefallen, daß die Leſer auf 
allen Seiten Sinn und Verſtand vermiſſen mußten. 


Um dieſe Zeit war es, da der Mag. Reich in 
Deſſau, ein Mann von vielem Genie und redlichem 
und feſtem Charakter, aber auch dabei ein unbieg⸗ 
ſamer Starrkopf, das beruͤhmte Projekt zu einer 
Gelehrten ⸗ Buchhandlung entwarf. Er kam zu 
allererſt nach Halle und theilte mir und Herrn Ttapp⸗ 
ſein Vorhaben mit. Wir machten ihm allerlei Ein⸗ 

G 4 


10 — 0 20 2 5 


wuͤrfe: aber er erklärte ſie fuͤr Zeichen der Muth⸗ 
loſigkeit und Mangel des Patriotismus. Trapp 
blieb bei ſeinem Unglauben. Ich aber, durch Ehr⸗ 
geiz und Ausſichten zu Gewinn bewegbarer, ließ 
mich von ihm einnehmen. Der Gedanke, daß es 


Seelengroͤße ſey, die Bahn mit eigner Gefahr zu 


brechen und die Republik der deutſchen Gelehrten 
vom Joche der Verlegerſchaft zu befreien, ſchmei⸗ 
chelte mir. Und die Hofnung, mit der Zeit, drei⸗ 
fachen Lohn meines Fleißes zu erndten, verblendete 
mich, daß ich die Moͤglichkeiten eines Bankeruts 
nicht ſah und ihre ſo nahe liegenden Gruͤnde nicht 
empfand. Ich verſprach Herr Reichen alle — 
meine Schriften. ö 


Die Sache begann. Ich brachte meine Lo⸗ 
gik, meine Methaphyſik, meinen Verſuch uͤber 
die Beredſamkeit, und hernach auch meine Ge⸗ 
dichte und meine Briefe uͤber die Bibel nebſt dem N 
Juvenal zu Markte und — ward betrogen. Fü 
meinen Juvenal konte ich 100 Thaler Luisd'or ha⸗ 
ben, welche ein Verliner Buchhaͤndler mir geboten 
hatte. Dafür wendete ich noch 120 Thaler auf 
Papier und Druk und nahm ohngefaͤhr 50 Thaler 


ein. Und ſo ging mirs mit allen meinen Schriften. 

Ich ſtekte Geld hinein, machte Schulden, und — 
am Ende, da die gelehrte Buchhandlung zu Grabe 
getragen wurde, hatte ich fuͤr meinen Patriotis⸗ 
mus nichts, als daß ich 13 bis 14 Ballen Mafus 
latur zuruͤkgeſchikt bekam, nachdem ich alles in als 
lem, noch keine 200 Thaler von der gelehrten Buch⸗ 
handlung bezogen hatte. Ich darf meinen Verluſt 
ganz keklich 400 Thaler anſchlagen, das lucrum 
eefläns ungerechnet. f 


Einen kleinen vorläufigen Erſaz dieſes Ver⸗ 
luſts gab mir »der wuͤrdigſte Staatsminiſter von 
Muͤnchhauſen. Dieſer brachte feinen Sohn von 
Goͤttingen nach Halle, und ließ mich des Abends 
ſpaͤt zu ſich auf den Kronprinz einladen. „Ich 
„war willens, fagte er, meinen Sohn nach Gene— 
„be zu bringen, da aber ſchlimme Witterung ein⸗ 
„gefallen iſt; ſo habe mich entſchloſſen, ihn vor der 
„Hand hier zu laſſen. Sein Lieblingsſtudium ſind 
„die Alten. Wolten Sie ſich wohl entſchlieſſen, 
„ ihn in dieſem Fache ein halbes Jahr zu unterhal⸗ 
„ten und feine Kentniſſe zu bereichern? „ Dieſer 
Antrag war mir um ſo ſchmeichelhafter, da ich der 

G 5 


106 —— 


einzige Docent in Halle war, den der Miniſtesn 
ſprach und dem er ſeinen Sohn in die Lehre gab. 
Ich nahm feinen Befehl mit Ehrerbietigkeit an und 
erhielt den andern Morgen in aller Fruͤhe, wo der 
Miniſter wieder nach Berlin abreißte, 20 vuisd or 
mit einem überaus gnaͤdigen Handſchreiben, in wels 
chem er mich bat, ſeinen Sohn mit Wohnung, 
Tiſch u. ſ. w. zu verſorgen und mich feinem Unter⸗ 
richte zu widmen. — Der große Mann mußte 
alſo wohl jene theologiſchen Berichte nicht geleſen 


oder — nicht geglaubt haben. — Roch vor Ab⸗ a 


fluß des halben Jahres ſchikte er mir von Berlin 
noch 20 Lulsd'or und dankte mir für meine Bemuͤ⸗ 
hungen. Das war wirklich uͤbergroße und unver⸗ 
diente Belohnung. Denn ich war nie ein ſo vol⸗ 
fomner Humaniſt, daß ich hätte im Stande ſeyn 
koͤnnen, dem jungen Herrn von Muͤnchhauſen wel⸗ 
cher ſchon ſelbſt die ausgebreitetſten Kentniſſe mit⸗ 
brachte, Kentn ſſe mitzutheiten, welche mit dieſer 
Verguͤtung ſich hätten ausgleichen laſſen. 


Weit mehr wirkſamen Fleiß, Mühe und zum 
Theil auch Sorgen konte ich an den Sohn des 
Herrn Geheimden Raths von Lamprecht wenden, 


te 


P 1 07 


welchen mir diefer wuͤrdigſte Mann am Ende des 
Jahres 1779 anvertraute und dem ich ols Freund 
und eiter feines akademiſchen Lebens mich gewid⸗ 
met habe, bis er ſich, zum koͤniglichen Kriegstath 
und Profeſſor der Finanzwiſſenſchaften in Halle, 
empor geſchwungen hatte. RL | 


Neuntes Kapitel, 


Vollendete Aufklaͤrung und neue ſchriftſtelleriſche Laufbahn. 


—— 2 Ü-wbrvd;:—— — — 


D. ich nach Halle kam, war von alter Dogma⸗ 
tik in meiner Seele nichts mehr uͤbrig, als — noch 
eine dunkle Vorſtellung von der Soͤttlichkeit der 
heil. Schrift. Die poſitiven Lehrſaͤzze des Sys 
ſtems hatte meine Vernunft ſaͤmtlich aus mir vers 
trieben, wie einen unreinen Geiſt. Daran allein 
hieng ich noch, daß — beſonders die Lehre Jeſu 
von einer uͤberngtuͤrlichen Offenbarung abſtam⸗ 
men muͤſſe. 


Zwar dachte ich mir dabei nichts beſtimtes 
von Erſcheinungen, Geſichten und dergleichen Din⸗ 


108 — — 


gen. Aber es war mir doch, als wenn ich das 


Chriſtenthum nicht aus einer natuͤrlichen Quelle 


herleiten und einer gewoͤhnlichen Konkurrenz den 


Vorſehung es zuſchreiben koͤnte. Ich ließ die Art 
und Weiſe gleichſam unentſchieden. Die Sache 
ſelbſt aber, daß ſich Gott fuͤr das Chriſtenthum, 


und deſſen Bekantmachung und Einfuͤhrung auf N 
‚eine ungewöhnliche und gewiſſermaſſ en unmittelba⸗ 


re Art verwendet haben muͤſſe, ſchien mir noch un⸗ 
leugbar zu ſeyn. 


Man wundere fh darüber nicht. Es ſcheint | 


freilich ſonderbar, wie ein Mann, der alle Geheim⸗ 
niſſe ſchon verworfen und in ſeiner theoretiſchen 


Religion nichts uͤbrig behalten hatte, als die ver⸗ 


nunftmäßigen Lehrſaͤzze von Gott, Vorſehung und, 
Unſterblichkeit der Seele, noch an einer unmittel⸗ 
baren Offenbarung haften konte. Aber wenn man 
erwaͤgt, daß ich in meiner Jugend ſo ſehr Schwaͤr⸗ 
mer geweſen war, daß alſo die alzutiefen Eindruͤk⸗ 


ke des fruͤhern Glaubens, nur ſehr langſam und 


nach und nach von der Wirkſamkeit der Vernunft 
vertilgt werden konten, und — daß ich inſonderheit 
in der Hiſtorie der Religion noch ganz zuruͤk war 


2 s 


nn 209 


und vornemlich uͤber bibliſche Geſchichte noch gar 
nicht philoſophiſch nachgedacht hatte; ſo wird man 
dieſen merkwuͤrdigen Glaubensreſt Pe noch fo 


ziemlich begreiflich finden. 


Selbſt der anfaͤngliche genaue Umgang mit 
Baſedowen hatte dieſen Reſt unterhalten. Denn es 
iſt bekant, daß dieſer Mann, bei ſeinem ewigen 
Streben nach Originalität, auf den Einfall gera⸗ 


then war, ſich von der orthodoxen und heterodoren 
Parthei dadurch in gleicher Entfernung zu halten, 


daß er die poſitiven Wahrheiten der chriſtlichen Dog⸗ 
matiken ſaͤmtlich verwarf, und die bloße natürliche 
Religion gelten ließ: dagegen aber auch, den Hete⸗ 
todoren zum Troz behauptete, daß die natürliche 
Religion ohne Offenbarung keine Gewißheit habe, 
und daß man folglich einen unmittelbar goͤttlichen 
Urſprung des Chriſtenthums annehmen muͤſſe, wenn 


uͤberhaupt der Glaube an Religion beſtehen ſolle. 


So ſuchte er, zwiſchen den Palaͤologen und Weo⸗ 
logen durch, ſeine eigne Bahn zu wandeln, indem 
er jenen ihre Dogmatik und dieſen ihre Vernunft 
laͤhmte und den neumodiſchen Glauben an eine geof⸗ 
fenbarte natuͤrliche Religion einzuführen ſuchte. 


1 ro \ re ů — 


Da ich alſo täglich Baſedowen fiber ſeine ee 
genen Einfaͤlle peroriren hoͤrte; ſo derurſachte es 
mein alter Glaube ganz naturlich, daß mir fein Eins 
fall behagte, theils weil er meinen Glauben an Of⸗ > 
fenbacung durch Scheingruͤnde beguͤnſtigte, theils 
weil er mich reizte, auf ſolche Art ein Stuͤrmer 
der Dogmatik mit Reputation zu ſeyn. Denn 
der Gedanke war neu und zugleich bei dem Vereh⸗ 
rer der Offenbarung einſchmeichelnd. Und wenn 
ſich einmal das Herz für eine Theorie intereſſirt; fo 
wird der Verſtand nur alzuleicht gehindert, ſie mit 
Unbefangenheit zu pruͤfen. Daher fiel mir es da⸗ 
mals nicht ein, daß ja die natuͤrliche Religion erſt 
Gewißheit haben muß, ehe ein Glaube an Offenba⸗ 
rung möglich iſt — daß ich ja erſt vom Daſeyn ei⸗ 
nes Gottes feſt uͤberzeugt ſeyn muß, ehe ich mich 
von der Exiſtenz einer Offenbarung dieſes Gottes 
uͤberzeugen kan u. ſ. w. Dieſe und alle andere Ber 
trachtungen ſtiegen in meiner Seele gar nicht auf, 
weil die Empfindung des Wohlgefallens an der Ba 
ſedowſchen Grille alles Mistrauen verbannte und 
den Geiſt der Pruͤfung einſchlaͤferte. 


In dieſem lezten Schlafe meines geiſtigen des 
bens hat Hr. Semler zuerſt nich gewekt und Eber⸗ 
hard vollends munter gemacht. 


PR Ich las jezt erſt (ich bekenne meine Schande) 
Semlers Schriften uͤber den Kanon und — ward 
erſchuͤttert. Darauf bekam ich ſeine Widerlegung 
des Ungenanten in die Haͤnde, (in welcher er die 
Evangelien ſo aͤuſſerſt zweifelhaft macht, und von 
ihrer Entſtehung und Verfälſchung fo viel bedenkli⸗ 
ches ſagt, — die Auferſtehungsgeſchichte ſo unkoͤr⸗ 
perlich macht und — das Pfingſtfeſt ſo naturlich er⸗ 
klaͤrt) und das gab mir den lezten Stoß, daß ich 
wie aus einem tiefen Schlafe erwachte und mich an⸗ 
fieng zu beſinnen, wo ich war. 


Dieſes Erwachen beſtand indeſſen in weiter 
nichts, als in einem Wanken meines Glaubens. 
Ich fühlte das Erdbeben, aber mein Glaubens 
haͤuschen ſtuͤrzte noch nicht. Denn ich erfante doch 
nur die Unzuverlaͤſſigkeit der heiligen Bucher ſelbſt: 
aber der goͤttliche Urſprung ihres Inhalts ließ ſich 
noch immer, bei jenen hiſtoriſchen Bedenklichkeiten 
behaupten. Und in meinem Kopfe ſtuͤzte ſich der: 


1 


N 


112 FE 


ſelbe vornemlich auf den Gedanken, daß Chriſtus 


doch unmöglich ein fo volkomnes echrgebdube Ber 
erfunden haben Fönnte, s 


Dieſe lezte Stuͤzze zerbrach Eberhard. Ich 
gerieth mehrmal mit dieſem großen Philoſophen 


(wenn ich ihn beſuchte) in ſpekulative Geſpraͤche 


und unter andern kam einmal die Rede auf den 
Vater Sokrates, von welchem Hr. Eberhard mit 
einem ſo auſſerordentlichen Enthuſiasmus ſprach, 
daß mirs eine Art von Ehrgeiz ward, mich gegen 
die alzugroßen Lobſpruͤche dieſes Mannes aufzuleh⸗ 
nen. Bei dieſer Gelegenheit behauptete ich, daß 
denn doch des Sokrates moraliſche Weisheit mit 
dem Lehrgebäude des Chriſtenthums nicht zu vers 
gleichen ſey. Und Hr. Eberhard uͤberfuͤhrte mich, 
daß Chriſtus keinen weſentlichen Lehrſaz vorgetra⸗ 
gen habe, den Sokrates nicht ebenfals gelehrt 
haͤtte. | | 


Ich gab ihm in Diſputiren gar nicht nach — 
und man muß auch das der Billigkeit gemaͤß nicht 
verlangen. Aber da ich nach Hauſe kam, fuͤhlte 
ich die Buͤndigkeit ſeiner Behauptungen und ſahe 

mich 


— 
113 


mich beſiegt. Und nun ſchwand meine Hauptbe⸗ 
denklichkeit, die mich bisher vom Unglauben zuruͤk⸗ 
gehalten hatte: daß nämlich Chriſtus Dinge gelehrt 
haͤtte, die er, ohne Offenbarung, nicht wiſſen kon⸗ 
te. Ich ſahe die klare Moͤglichkeit, daß Chriſtus 
fein herrliches Lehrgebaͤude aus den Schriften der 
griechiſchen Weiſen, (die ihm die Vorſehung durch 
den Umgang mit griechiſchen Juden in die Haͤnde 
gebracht haben konte) erlernt und zuſammen geſezt 
haben konte. 


* 


Jezt gerieth meine Seele in ihre lezte Fermen⸗ 
tation. Die Eindruͤkke der Erziehung empoͤrten 
ſich noch — aber kraftlos. Die Vernunft kaͤmpfte 
mit Macht empor. Sie beſtuͤrmte mich mit Sem⸗ 
lers Thatſachen und Eberhards Moͤglichkeiten. 
Nun fehlte es nur noch an einer Empfindung (man 
ſehe den Schluß des 21ſten Kapitels im III. B. nach) 
welche dem Verſtande auf die Beine helfen mußte, 
daß er mit dem lezten Buͤndel des Wahnglaubens 
davon laufen und ihn ins Meer der Vergeſſenheit 
werfen konte. 


Die Empfindung kam. Ich weis nicht mehr, 
bei welcher Gelegenheit ich gegen Trapp etwas aus 
IV. B. 9 


dem Grunde behauptete, weil es der goͤttlichen Of⸗ 
fenbarung entgegen zu ſeyn ſchiene. Genug, Trapp, 
gegen den ich jezt von ohngefaͤhr die erſte Neuſſe⸗ 
rung von Offenbarung thun mochte, von welcher 
er in meinem hellen Kopfe keine Spur mehr zu fin⸗ 
den erwartet hatte, ſchlag hier eine fo herzliche La⸗ 
che auf, und fragte in ſo biederm und gutmuͤthigem 
Tone: „Ei, ei, der vernunftvolle Vahrdtius glaubt 
„an Offenbarung? — O Büttner! Hören Sie 
„doch (dieſer war im Geſpraͤch mit andern) der 
„Bahrdtius iſt noch ein Glaͤubiger !, 


Jezt ſchlug die Sterbegioffe meines Glau⸗ 
bens. — Ich ſchaͤmte mich, ohne mirs merken 
zu laſſen. Ich ſtellte mich, als ob ich nur zum 
Scherz den Einwand gemacht haͤtte. Ich nahm 
die Empfindung der Scham mit nach Hauſe. 98 
Und nun wars auf einmal in meiner Seele helle. g 
Run drängten fi) auf einmal alle hiſtoriſchen und, 
philoſophiſchen Gruͤnde in mir zuſammen; und ich 
fand es ſelbſt unbegreiflich, wie ich das Veaönſeg 
ſte Lehrgebaͤude hatte einſehen und eine foiche Er⸗ 
kentnißquelle dabei annehmen koͤnnꝶeen. nn 


* 


> Akt 
u — 


Ein ganz eignes Gefühl war mit dieſer lezten 
Entfeſſelung verbunden, das ich gar nicht zu be⸗ 
ſchreiben vermag. dan denke ſich einen Men 
ſchen, dem lang getragene Ketten endlich abgenom⸗ 
men werden. Man denke ſich einen Arbeiter, der 
ein ſchweres und wichtiges Stuͤk erarbeitet und vol⸗ 
lendet hat und nun beſchaut. Man denke ſich ei⸗ 
nen Mann in adlicher Bedienung, der noch kein 
Edelmann war, der eben darum von ſeinen Kolle⸗ 
gen bisher veraͤchtlich angeſehen wurde, und der 
nun auf einmal in den Adelſtand erhoben wird! 
Eine ſolche Miſchung von Freude, Ruhe und Stolz 
war es, die jezt mich durchgluͤhte und — fire mei⸗ 
ne Blikke eine ganz neue Laufbahn eroͤfnete, von 
der ich freudig gewiß bin, daß ſie die Vorſehung 
durch meine vorher gegangenen Schikſale erzielt 
hatte, und daß ich gerade nur auf dieſem Wege 
und durch dieſe e * 5 er rg 


Die Mynliuſſiſche Buchhandlung in Berlin ent⸗ 
ſchloß ſich, um dieſe Zeit eine dritte Ausgabe meiner 
Uebetſezzung des R. Teſtaments zu veranſtalten, 
welche unter dem Titel det neueſten Offenbarungen 

H 2 


Zu * 
416 — — 


Gottes bereits ſo viel Aufſehn erregt, und meiner 
Verbannung aus dem Reiche zum Vorwande ge⸗ 
dient hatte. Ich arbeitete das Werk von neuem 


aus, und verſahe es mit den noͤthigſten Erlaͤute⸗ 


rungen fuͤr Ungelehrte. Es wurde dabei der ſchik⸗ 
lichere Titel gewählt: das neue Teſtament, oder 
die neueſten Belehrungen Goꝛtes durch Jeſum 
und feine Apoſtel? mit Anmerkungen für Uns 
gelehrte. | 


Die obengedachte lezte Entfeſſelung meines 
Geiſtes hatte mich veranlaßt, die Zeit meines Au⸗ 


fenthalts in Halle als eine ganz neue Epoche mei⸗ 
nes Geiſtes zu betrachten. Ich ſahe die vorherge⸗ 


gangenen Jahre als die Zeit des Wachsthums, 
dieſe aber als die Zeit der Reife an. Ich urtheilte, 
daß bei dem vielen Guten und Brauchbaren, was 
meine ehemaligen Schriften enthielten, dennoch ei⸗ 
ne Menge ſchiefer Gedanken mit untergelaufen ſeyn 
mußten, welche mein Glaube an einen uͤbernatuͤr⸗ 
lichen Urſprung des Chriſtenthums erzeugt“ hatte. 
Und ich betrachtete ſo nach, meine neuen Schriften, 
welche nach meinem hoͤchſt undolkomnen Glau⸗ 


1 


bensbekentniſſe gefolgt waren, und noch folgen fol 


ten, als die reifern Fruͤchte meines Geiſtes, welche, 
durch keine Zumiſchung von Wahnglauben, den 
Gaumen an reine Vernunftkoſt gewoͤhnter Leſer 
mehr beleidigen konten. amd 
Dies war die Urſache, warum ich in der Vor⸗ 
rede zu der gedachten dritten Ausgabe meiner Ue⸗ 
berſezzung des N. Teſtaments alle meine vorigen 
Schriften bis auf mein Glaubensbekentniß (dies 
mit eingeſchloſſen) verwarf, und vor dem Publiko 
feierlich erklaͤrte, daß ich nur die auf jenes Glau⸗ 
bensbekentniß erfolgten und erfolgenden Schriften 
fuͤr meine aͤchten Schriften erkente, welche meine 
wahren und gereiftern Ueberzeugungen darſtelten. i 


Dieſe Vorrede hatte man kaum geleſen, fe 
gings auch ſchon wie ein Lauffeuer von Koffetiſch 
zu Koffetiſch: Bahrdt hat alles wiederrufen! — 
Selbſt Gelehrte ſchuͤttelten die Koͤpfe und hielten 
im Ernſt dieſe Vorrede fir einen Wiederruf. — 
Man ſolte meinen, es müßte kein Menſch das Buch 
ſelbſt geleſen haben. Denn da wuͤrde mans doch 
gleich in den Anmerkungen und beſonders im an⸗ 
gehaͤngten Woͤrter buche gefunden haben, daß ich 

N Y 3 


118 — . — 5 Bine \ 


jezt ein viel ärgerer Ketzer war, als jemals. Aber 
ſo iſt unſer liebes Publikum! Wenn ein einziger 
Maulaffe den Ton angiebt; ſo fährt jedes Auge 
ſchlaff uͤber den Gegenſtand hin, glaubt eben das zu 
ſehn und ſprichts dem Maulaffen nach. Und ſo 
werden oft Privaturtheile zu Uetheiten des Publi⸗ 
kums, deren ſich die OPEN Schiloduͤrger ſchaͤ⸗ 
men würden, 


Aiber meine vollendete Aufklärung hatte noch 
eine wichtigere Folge, als dieſen vermeinten Wieder⸗ 
ruf. Ich ließ von Stund an Sprachſtudium mit 
Römern und Griechen und die ganze fürs Verhun⸗ 
gern eingerichtete Ueberſezzungsfabrik liegen und 
wandte mich auf die Bahn des philofopbifch = mo= 
raliſchen Schriftſtellers, auf welcher ich bisher 
gewandelt habe und bis an mein Ende allem Anſe⸗ 
hen nach wandeln werde. 


Denn es dürfte ſchwerlich ein Fuͤrſt oder ein 
Miniſter ſich nun noch uͤber wein Talent erbarmen 
und mich fuͤr die Verdeutſchung der Meiſterwerke 
Latiums und Griechenlands bepenſioniren. Und 
ohne dieſe Unterſtuͤzzung werde ich gewiß nie zu ei⸗ 


— — 119 
ner Arbeit zuruͤkkehren, (ſo biel Reize fie auch Für 
mich hat) bei welcher unſer jezziges Publikum den 
beſten Schriftſteller verhungern laͤßt: ſintemal es 
einmal von dem Mauloffentone angefteft iſt, welcher 


es zur Futterung der Recenſenten, der Schreiber der 


Romane, der Monats ſchriften u. ſ. w. vereiniget hat. 


—äͤ— — M2ũD —————— k ̃᷑ —— 


— 


Zehntes Kapitel. 
eue Laufbahn. Briefe uͤber die Bibel. 


— tyra 


e mir immer unwiderſtehlicher Trieb, mei⸗ 
ne Wahrheit, wie mein Brod, mitzutheilen und ſie 
durch Mittheilung mir ſelbſt ſchmakhafter und ge⸗ 
nießbarer zu machen. Meine ganze Seele war al— 
ſo jezt im Aufſtreben nach Bekantmachung meines 
neuen Lichts uͤber Bibel und Offenbarung, ſo we⸗ 
nig auch daſſelbe in mir ſelbſt zur Volkommenheit 
gediehen war. 


Ich ſahe die Offenbarung jezt als eine gewoͤhn⸗ 
liche und natürliche Veranſtaltung der göttlichen 
24 


298 V. 
L 7 


126 j — 
Vorſehung an. Ich betrachtete Moſen, Jeſum 
wie den Konfuz, den Sokrates, den Luther, den 
Semler und — mich ſelbſt, als Werkzeuge der 
Vorſicht, durch welche ſie auf die Menſchheit Gu⸗ 
tes wirkt — nach ihrem Wohlgefallen. Ich war 
uͤberzeugt, daß alle dieſe und aͤhnliche Maͤnner le⸗ 
diglich aus der Quelle der Vernunft geſchoͤpft hat⸗ 
ten. Und nur die aͤuſſerlichen Umſtaͤnde, unter 
welchen ſie gelebt und gehandelt hatten und durch 
welche ſie auf ihre Vernunftkentniſſe und deren Aus⸗ 
breitungsart waren geleitet worden, ſahe ich als 
die Mittel an, deren ſich die Vorſehung bedient 
hatte, ihnen dieſe Kentniſſe beizubringen und ſie zu 
dieſen Handlungsweiſen gleichſam zu noͤthigen. 


Das waren die algemeinen Ideen, die ich jezt 
anfieng in den Verdauungswerkzeugen meiner Seele 
zu verarbeiten. Ich wußte ſelbſt anfangs nicht, 
was daraus werden ſolte und wuͤrde. Ic hatte 
blos unbeſtimten Vorſaz, meinen Mitgenoſſen dieſe 
Ideen mitzutheilen, und ihnen meine Vorſtellungs⸗ 
arten als Wahrheit annehmlich zu machen. 


Die Vorſicht leitet alles! — Auch hier traten 
zufaͤllige Umſtaͤnde ein, welche meine algemeinen 


* 


121 
Ideen in beftimtere verwandeln mußten. Der 


= Menſch wird gefuͤhrt, wohin ihn Gott haben will! 
Das iſt mein Glaube! 


Es fiel mir ein, — wer mag ſagen, daß ein 
aufſteigender Gedanke ſein Werk ſey, welches er 
frei volbrachte? — es fiel mir ein, ein Wochen⸗ 
blatt uͤber die Bibel zu ſchreiben. Vieleicht war 
durch ein Ohngefaͤhr der Gedanke an Moſche's 
Bibelfreund in mir aufgeregt worden, der mich 
antrieb, etwas beſſeres dieſer Art zu leiſten. Ich 
hatte noch keinen plan. Mein erſter Gedanke war 
blos dieſer: das Neue Teſtament in der Reihe durch 
zu leſen und mich zu bemuͤhen, mit Huͤlfe der Exe⸗ 
geſe und der Logik etwas vernuͤnftiges bei jeder 
Stelle zu denken und meine Leſer denken zu lehren. 


So ſezte ich mich an meine Briefe uͤber die 
Bibel. Der Briefton ſchien mir der bequemſte. 
Ich dachte und raͤſonnirte über die erſten Kapitel 
Matthaͤi, mit der Vorausſezzung, daß alles Wun⸗ 
derbare und Uebernatuͤrliche blos Kolorir der Er⸗ 
zaͤhlung ſey, welches von den Reſten des juͤdiſchen 
Aberglaubens der Erzaͤhlenden herkomme. Ich 


95 


122 — 


philoſophirte daruͤber nach meiner Art, d. h. ich 


bemuͤhete mich, mögliche Erklaͤrungsarten zu fin⸗ 
den, bei denen die Geſchichte an ſich ſelbſt Wahr⸗ 
heit behalten konte und das Wunderbare fi ch weg⸗ 


ſchaffen lieſſe. 


Von ohngefaͤhr bekam ich Herrn Gedikens f 


Schrift zu ſehen, in welcher er mit den eignen Wor⸗ 
ten der Romer und Griechen ihre Philoſophie auf⸗ 
geſtellt hatte. Mich deucht, er hatte mirs ſelbſt 
zum Geſchenk uͤberſandt. Da fand ich die Stelle, 
von der Geburt des Plato, wie ſeinem Vater ein 
Daͤmon erſcheint, der ihn auf die Geburt des Kin⸗ 
des aufmerkſam macht: wie die Eitern, nach der 
Geburt, auf dem Berge Hymettus opfern und in 
dem Munde des Kindes die Bienen einen Honigſtok 
anlegen: wie endlich die Tradition hinzuſezt, das 
ſey geſchehen, auf daß erfuͤllet würde, was Ho⸗ 
mer ſang: aus ſeinem Munde floß die Rede liehen 
cher, denn Honig u. ſ. w. 


Durch dieſen Zufall gerieth ich auf weitere 
Spuren des Wunderbaren, welche die Liebe zum 
Wunderbaren, in der alten Geſchichte erzeugt hat⸗ 


— 


. 


123 


te, und ich gieng mit dieſem Geſichtspunkte ſogleich 
an meinen Matthaͤus, um meinen Leſern zu zeigen, 
wie moͤglich es ſey, daß auch von Chriſto, aus 
Enthusiasmus für dieſen erhabenſten Lehrer der 
Menſchheit, dergleichen Umſtände feiner Ankunft 
und ſeines uͤbermenſchlichen Urſprungs erdichtet 
worden waͤren. 

Und jezt erſt, da ich ſchon die erſten Bogen 
geſchrieben hatte, fixirte ſich in mir der beſtimte 
Zwek, die Wundergeſchichte des N. Teſtaments 
zu bearbeiten und ſie dem Vernunftliebenden Leſer 
begreiflich zu machen. 


Dieſem Zwekke ſubordinirte ich einen weit wich⸗ 
tigern, als den lezten Zwek aller meiner kuͤnftigen 
Schriften, mit denen ich im Publikum zu erſcheinen 
gedachte. Nämlich ich hofte nun, durch Vertrei⸗ 
bung des Wunderbaren, welches dem redlichen 
Vernunftfreunde bisher ſo anſtoͤßig war, das Chri— 
ſtenthum, ſelbſt unter den Philoſophen wieder zu 
Ehren zu bringen und ſeinem erhabnen Stifter eine 
Menge zuruͤrkehrender Verehrer zu erzeugen. 


Hatten nun jugendliche Eindruͤkke Antheil dar⸗ 
an, oder war es ganz freie d. h. aus eignem Nach 
denken entſtandene Ueberzeugung, genug, Jeſus 
Chriſtus war und blieb in meinen Augen der groͤßte 
und Verehrungswuͤrdigſte der Sterblichen. Wenn 
ich ihn in meiner orthodoxen Epoche als Gott an⸗ 
gebetet hatte; ſo verehrte ich ihn jezt weit inniger 
und herzlicher, als den Wohlthaͤter der Menſchheit 
und als das MNuſter der Weisheit und der zen 
Er ward der Held meines Lebens! 


Mit e Verdruß hatte ich geleſen, 
wie ihn der Verfaſſer der Fragmente zum elenden 
Politiker herabgewuͤrdigt und ihm den armſeligen 
Zwek angedichtet hatte, ſich eine juͤdiſche Krone zu 
erringen. Mit wahrem Mitleid und wirklichem 
Kummer hatte ich die Eindruͤkke bemerkt, die dieſe 
Leſſingſchen Produkte unter dem Haufen der frei⸗ 
denkenden Menſchen hervorgebracht hatte. 


Ich brannte vor Begierde, den Mann, der 
in meinen Augen das Ideal von geſunder Denkungs⸗ 
art und Herzensguͤte war, in einem dortheilhaften 
Lichte aufzustellen und ihn von zwei kontraſtirenden 


— 125 
Schandflekken zu befreien: von der Geſtalt des 
ernſthaften Beguͤnſtigers des Wunderbaren und 


Uebernatuͤrlichen und — von dem Vorwurfe des 
politiſirenden Sektenſtifters. | 


Mein Chriſtus folte nicht mehr als Gott und 
Wunderthaͤter die Vernunft empoͤren: aber er ſolte 
auch eben ſo wenig, als ehrſuͤchtiger Heuchler, die 
Herzen der Tugendfreunde von ſich verſcheuchen. 
Ich beſchloß, ihn und ſeine Geſchichte, zwiſchen 
beiden Klippen ſeiner Ehre, hindurch zu fuͤhren 
und ihn als einen Mann darzuſtellen, welcher als 
das wohlthaͤtigſte Werkzeug der Providenz, ſich 
allein für die Aufilärung und Beſeligung der 
Menſchheit aufgeopfert hatte und — ihn dadurch 
zum Gegenſtand der Liebe und Verehrung allen 
edeldenkenden Menſchen zu machen. 


Mit dieſen Gedanken und Vorſaͤzzen ſchrieb ich 

mein Wochenblatt, ohne ein weiteres Huͤlfsmittel 
zu kennen, als Analogie der Geſchichte, Exegeſe 
und Philoſophie d. h. Unterſuchung der Moͤglichkei⸗ 
ten und eigentlichen Urſachen der Dinge. 


7 1 Br x TE > 
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5 i 1 } 


126 en N a 

Eine beſtimte Hypotheſe für die gabe E | 
ſchichte des thatrollen debens Jeſu hatte ich noch 9 
nicht. Auch dieſe mußte der Zufall mir bringen. 


Ich bekam Starkens Buch über die Myſterlen 
der Alten in die Haͤnde. Und ſiehe, das gab mei⸗ 
nem Gedankenſtrome die Richtung. Dies erwekte 
in mir meinen eignen Geiſt der Maurerei, der in 
England) uͤber mich ausgegoſſen war, und ſezte die 
Idee in volle Glut, daß Ehriſtus den Plan gehabt 
haben muͤſſe, durch Stiftung einer geheimen Ge⸗ 
ſelſchaft, die von Prieſteru und Tempelpfaffen ver⸗ 
draͤngte Wahrheit unter der ee zu 10 
ten und fortzupflanzen. | 1 04 
zur. nislio 
Und nun erſt bekamen meine Briefe uͤber die 
Bibel einen feſten Plan. Je mehr ich darüber las 
und dachte, deſtomehr fand ich Gruͤnde der Möoͤg⸗ 
lichkeit und der Wahrſcheinlichkeit, welche jene Hy⸗ 
potheſe begunſtigten. Und ich bin noch bis dieſen 
Augenblik überzeugt, daß dieſer oder ein ganz aͤhn⸗ 
licher Plan, der a en due Saen 
Jeſu iſt. * 5 27 a Hach agu | 
DEREN Bein CHs Int; 1 


*) S. meine Gefängnißgefhichte, 


— — 127 


Dias Blatt machte in der Welt viel Aufſehn. 


Die Prediger intonirten auf den Kanzeln dagegen. | 


Der Paſtor Juͤnken in Halle warnte feine Gemeine 
laut vor dieſer verfuͤhreriſchen Schrift. Der Pa⸗ 
ſtor Aahlen in Altona, welcher bei der Gelehrten 
Buck handlung drauf ſubſcribirt hatte, ſchrieb an 
den M. Reiche: er ſchikke ihm hiermit die erſten 
Bogen zuruͤk und verbitte ſich die Fortſezzung: 
denn — er wolle ſich nicht noch in alten Tagen in 
feinem Glauben irre machen laſſen. — Herr Reiz 
che hat den Brief mir ſelbſt vorgeleſen. 


Ich hatte die Briefe uͤder die Bibel auf eigne 
Koſten drukken laſſen und war mit dem ſechſten 
Quartale zu Ende, als ich den Schaden zu ſehr 
empfand, den ich bei dem Debit der gelehrten Buch⸗ 
handlung erlitt. Daher beſchloß ich, dieſe Arbeit 
einem Verleger anzutragen. Herr Mylius in Ber— 
lin übernahm fie, verlangte aber ausdruͤklich, daß 
ich dem Werke einen neuen Titel geben ſolte, weil 
er die bloſſe Fortſezzung eines Artikels der gelehr⸗ 
ten Buchhandlung nicht verlegen mochte. | 


Jcezt alſo hieß es: Ausführung des Plans und 
Iweks Jeſu in Briefen für Wahr heitſuchende 


u» 


125 | —— ö N 


Leſer. Und von dieſem Werke, in welchem ich 
meine Philoſophie über die Geſchichte Tofu, die 
ich in den Briefen uͤber die Bibel angefangen hat⸗ 


te, wirklich fortſezte und vollendete, find nach und 


nach 10 Bändchen erſchienen. Sie endigen ſich mit 


der Himmelfahrt Jeſu. Vieleicht laſſe ich noch 


dereinſt zwei Baͤndchen nachfolgen, in welchen ich 
die Spuren der fortgeſezten Wirkſamkeit Jeſu, aus 


der Apoſtelgeſchichte aufſuchen werde. 


Es waren aber dieſe Briefe nicht die einzigen 


ſchriftſtelleriſchen Arbeiten, welchen ich mich wid⸗ 


mete. Ich ſamlete zu gleicher Zeit verſchiedene 


meiner Gedichte, auf deren Titel ich meine (ſchlecht 
getrofne) Silhouette ſezzen ließ mit der Aufſchrift: 


Gedichte dieſes Naturgliſten. Es waren Dinge 
ohne Werth. Dichterei war nie meine Sache. 


Aber man hat mich vielfältig in meinem engen Zir⸗ 


kel fuͤr einen Dichter gehalten: und ich habe für. 
dieſe Ehre das Leiden gehabt, daß mich überall die 


Leute geplagt haben, ihnen Gelegenheitsverſe zu 


machen. Ich wuͤnſchte, daß jeden die Leſung die⸗ 
ſes Geſtaͤndniſſes bewegen moͤchte, mich mit 55 


nern Auffoderungen zu verſchonen. 


Aber 


Aber ein ſehr nuzbares Werk unternahm ich 


auf Zureden des Buchhaͤndler Frommanns in Zuͤl⸗ 
lichau — eines Mannes, welcher mir als Muſter der 
Rechtſchaffenheit und edler und zugleich hoͤchſt auf⸗ 
geflärter Denkungsart unvergeßlich ſeyn wird. Es 
hieß: Magazin für Prediger) oder Samlung neu 
ausgearbeiteter Predigt = Entwürfe) über die 
Sonn⸗ und Feſttaͤglichen Evangelien und Epi⸗ 
ſteln, fo wie über freie Texte und Kaſualfaͤlle. 
Zuͤllichau. 1782. ff. 

Dieſes Buch gab ich nicht unter meinem Na⸗ 
men heraus, weil ich wußte, daß alle orthodoxe 
Prediger ein ſolches Buch wie Gift fliehen wuͤrden, 
ſo bald fie ſaͤhen, daß ich der Verfaſſer ſen. Und 


wirklich iſt mir und dem Verleger dieſe kleine Liſt 


gelungen. Es ſind wenige von meinen Schriften 
(ich nehme die Ueberſezzung des N. T. aus) fo viel 
gekauft, fo beifällig aufgenommen und fo häufig 
benuzt worden, als dieſe. Ich weis es auch von 
meinem ſel. Vater her, daß meine Diſpoſitionen eine 
eigne Leichtigkeit haben, welche macht, daß jeder, 
ohne alle Anſtrengung des Nachdenkens, daruͤber 
extemporiren kan. Die rechtglaͤubigſten Pfarr⸗ 

IV. B. J 


1 
* 


herren und Paſtoren eee, e ge⸗ 
eh und e en. 20 nerd An 

re 2 801 
Die re vier bis fünf Bände 0 faſt ganz 
meine e Arbeit. In der Folge nahm der Verleger 
mehr fremde Stuͤkke auf, die ihm von angeſehenen 
Predigern eingeſchikt worden. An den neueſten 
Baͤnden habe Nan gar keinen ae ra 10 
nommen. 


32% 


Nachdem ich ein paar Jahr über meinen Ver⸗ 
ſuch geleſen hatte, entſchloß ich mich, die Mate⸗ 
rialienſamlung, welche derſelbe enthielt, volſtaͤn⸗ 
diger zu bearbeiten und die Theorie der Redekunſt 
und Deklamation davon abzuſondern, Leztere kam 
in Halle bei Hendeln unter dem Titel heraus: Rhe⸗ 
torik fuͤr geiſtliche Redner. Die Theorie, welche 
der Verſuch enthielt, findet man hier weit reifer 
und ausfuͤhrlicher. Und die Skizze der moralis 
ſchen Religion legte ich hernach in meinem Syſtem 
der moraliſchen Religion zum Grunde, welche ein 
Jahr nachher im Viewegſchen Verlage erſchienen iſt, 

Nia 
4 5 DR > ab 


. 131 
Eilftes Kapitel. 


Neuer Krieg mit der theologiſchen Fakultät, 


* 


Heer D. Semler hatte mich ſo vielfaͤltig beſchul⸗ 
diget, daß ich der Kirche Lehrſaͤzze andichtete, wel⸗ 
che gar nicht zur doctrina publica gehoͤrten: weil 


Er ſie nicht dazu rechnete. Und er hatte mir damit 


das Anfehn gegeden, als ob ich bei meinen Kriegen 


gegen die Theologie oft nur mit einem Schatten 


kaͤmpfte: wie, wenn das rechtglaͤubige Syſtem fo 
gar arg und vernunftwidrig nicht ſey, als ich es 


zu machen fchiens 


Mit der Erwaͤgung dieſer Anſchuldigung 
verband ſich in mir der Gedanke, daß bei den jez⸗ 
zigen Auftritten unter den Theologen, bei welchen 
faſt kein einziger ganz mit dem andern mehr uͤber⸗ 
einſtimte, ſondern jeder ſich fein Maas von Auf— 
klaͤrung feſtſezte, und bald mehr bald weniger von 
der alten Theologie wegwarf, und daß daher jezt 
faſt kein Menſch mehr wiſſe, was eigentlich ortho— 
doxe Theologie und doctrina publica fey und was 


J 2 


u — — — 


132 — — 


hingegen zu den neuern Saͤzzen der ganz oder halb { 


oder Viertels-Aufgeklaͤrten gehöre, q 


Dieſes brachte mich auf den Einfall, einmal 
ein ganz eigentlich orthodoxes Lehrgebaͤude heraus 
zu geben und die Abweichungen der Neuern kuͤrzlich 
zu bemerken: damit die jungen Leute vornehmlich 
aufmerkſam und faͤhig gemacht wuͤrden, altes und 
neues gehoͤrig zu unterſcheiden und beides mit ein⸗ 

ander zu vergleichen. 


Ich waͤhlte dazu meine eigne Dogmatik, wel⸗ 
che ich ehedem aus meines Vaters Heften zuſam⸗ 
men geſezt und mit den Syſtemen der damals be⸗ 
ruͤhmteſten Theologen in Uebereinſtimmung gebracht 
hatte. Es waren die Hefte, uͤber die ich zwei Jahr 
ſelbſt Theologie, mit Polemik vermiſcht, docirt 
hatte. Dieſes Werk lief ich durch, berichtigte den 
Ausdruk, und verſah es, unterm Text, in kurzen 
Noten, mit den Abweichungen der Neologen. Ich 
gabs dem Herrn Gebauer in Verlag. Und dieſer 
ſchikte es dem Herr Doctor Schulz zur Lenſur. 


Dieſer große Kenner orientaliſcher — 8 
matikalien — d. h. Pronominum, Konjugationen, 


1 


— | 133 


Runnationen uf. w. war ſeither ein ſehr toleran⸗ 
ter Cenſor meiner Schriften geweſen und hatte wirk⸗ 
lich mehr als Semler mich geſchont, welcher, bei 
den Briefen uͤber die Bibel, mich oft bis zum un- 
ſinnig werden gequaͤlt und mich gezwungen hatte, 
feine eignen Einſchiebſel in meinen Tert aufzuneh⸗ 
men, um den Druk nicht aufhalten zu laſſen. Er — 
der Herr D. Schulz, hatte ſogar meine Ueberſez— 
zung des N. Teſtaments ohne alle Einwendung cam 
ſirt. Und die freimuͤthigſten Aeuſſerungen uͤber 
Gottheit Chriſti, Wunder, heil. Geiſt u. d. hatten 
ihn nicht erſchüͤttern und zu cenſoriſchen Gewalt: 
thaͤtigkeiten verleiten koͤnnen. Nur bei der einzi⸗ 
gen Stelle im Briefe an den Titus, wo ich uͤber 
das Waſſerbad der Taufe, in einer Note, zu deut⸗ 
lich mich herausgelaſſen hatte, daß ich dies Bad 
fuͤr eine bloße Ceremonie der Aufnahme in die Kir⸗ 
che anſaͤhe, hatte er in einem fehr hoͤflichen Billet 
mich gebeten, die Rote zu mildern. Und ich ſelbſt, 
geruͤhrt durch den Schmerz, den er uͤber die An⸗ 


taſtung der Taufe mehr, als uͤber Herausexegeſi⸗ 


rung der Gottheit Chriſti und Verſoͤhnungslehre 
empfand, hatte beſcheiden ihm nachgegeben und das 
Anſtöſſige des Ausdruks verändert, 

J 3 


Dieſer Herr Schulz bekam jezt mein Syftema 
Theologiae Lutheranae orthodoxum, cum breyi 
notatione diſſenſionum recentiorum in die Hände 
und behandelte daſſelbe, einige Wochen lang, mit 
der eben geruͤhmten cenſoriſchen Toleranz. Er 
ſchrieb auf acht bis zehn Bogen ſein imprimatur 
und geſtattete, daß in den Noten zu dem orthodo⸗ 
ren Terte, Offenbarung, Wunder, Dreieinigkeit 
und alle Geheimniſſe abgelaͤugnet wurden. 


Was war auch anders von einem vernuͤnftigen 
Cenſor zu erwarten? Die kezzeriſchen Noten ent⸗ 
hielten ja nichts, als eine hiſtoriſche Anzeige deſ⸗ 
ſen, was heutzutage von vielen nicht mehr oder 
anders geglaubt wird. Es hieß immer: Hodie 
multi ita ftatuunt &c. Eine ſolche hiſtoriſche Anz 
zeige, ohne alle Empfehlung der Irthuͤmer, (dafuͤr 
freiſich Herr Schulz die in den Noten enthaltenen 
diſſenſiones recentiorum anſahe), konte ja kein 
Cenſor verwehren. — Ja, ſo ſolte man denken. 


Aber die Geſtalt der Dinge veraͤnderte ſich. > 
Man — vernahm in geſelſchaftlichen Geſpraͤchen, 
daß Bahrdt ein ſolches Buch herausgab. Man 


— 135 


ward aufmerkſam. Man wekte das ſchlafende 
Gewiſſen des Cenſors auf. Herr Schulz fand nd: 
thig, nun — die Salultger daruͤber an Naehe 
zu ne 28 7000 f | 
Das 3 blieb auf einmal auſſen, wie 
das Roͤhrwaſſer. Die Seꝛzer lauerten. Herr 
Gebauer mahnte. Jezt hieß es, das Manuſcript 
kurſire bei der Fakultaͤt. Und endlich — war auf 
einmal mein Syſt. orthodoxum nach einmuͤthigem 
(wenns wahr iſt!) Urtheile der halliſchen Theolo⸗ 
gen nicht mehe cenſurpaſſirend geworden. Die Kez⸗ 
zereien der erſten zehn Bogen hatten das imprima- 
tur: den folgenden Bogen aber, welche im Grunde 
dieſelben waren, ſolte es verſagt werden. 


Ich ſchrie. Ich ſezte mein Schriftſtellerrecht 
durch. Das Manuſcript mußte heraus und wurde 
fort gedrukt. Aber ſo ungerochen durfte dem Bahrdt 
ſein Sieg nicht ausgehen. Man mußte billigerweiſe 
es ihn fuͤhlen laſſen, daß er abermals gegen alte 
Profeſſoren ſich aufzulehnen erdreiſtet hatte, und 
ſolte auch der unſchuldige Verleger ſelbſt dabei das 
Opfer werden muͤſſen. Was that die Fakultat? 

34 


In der Salliſchen Gel. Zeitung erſchien eine 
Recenſion meines noch ungedrukten, noch nicht ins 
Publikum gebrachten Syſtema Theol. orthodoxum, 
in welcher man dies Buch als eine elende Kompila⸗ 
tion alter Hefte ankuͤndigte und alle Welt warnte, 
dieſes fehlervolle, RM und ganz unnuͤzze Werk 
zu kaufen. 


Das war ein ſtarkes Stuͤk! — Ein Buch oͤf⸗ 
fentlich recenſiren und beſchimpfen, das noch kein 
Menſch beurtheilen konte, weil es noch nicht gedrukt 
war: — ein Buch bekant machen, deſſen Bekant⸗ 
machung ein ausſchlieſſendes Recht des Autors und 
Verlegers war: — einem unſchuldigen Verleger 
ſein Publikum im voraus abſpenſtig machen und 
ihn um loco Thaler Koften prellen: — und dazu 
die Macht des Cenſoramts misbrauchen, welche 
das Manuſeript in des Cenſors Hände ſpielt: — 
das war wahrhaftig eine ganz neue Erſcheinung. 


Ich war nicht gewohnt, mich von Fakultaͤten 
tiranniſiren zu laſſen, und hatte ſchon in Erfurt an 
den Wittenbergern es gezeigt, daß ich nicht ſchuͤch⸗ 
tern bin und mich intimidiren laſſe. Schnell ergrif 


* 137 
ich mein Schwerdt — meine Feder, und ſchrieb: 
Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗ 


ſurbedruͤkkung / das theologiſche Syſtem betref⸗ 


fend. Sie war nicht ſanft, ich geſtehe es. 


Diͤe Fakultät verklagte mich bei Hofe, erhielt 
aber zur Antwort, daß ſie meine ſchriftſtelleriſche 
Freiheit widerrechtlich gekraͤnkt hatte und ſolche 
unangenehme Ausfaͤlle auf ihre eigne Rechnung ſez⸗ 
zen muͤſſe. Was war zu thun? Die Appellation 
hatte Wunden geſchlagen. Man hatte gehoft, ſich 
das Duell zu erſparen und mich durch Blizze vom 
Berliner Horizont zu entwafnen. Dieſe Hofnung 
war fehlgeſchlagen. Man konte ſich mit Ehren 
nicht mehr zuruͤkziehen. Man grif alſo, obſchon 
ungern, zu gleichen Waffen. Herr Noͤſſelt ſezte 
eine Apologie der Fakultat auf, welche einen im 
hoͤchſten Grade erkuͤnſtelten Ton der Sanftmuth 
hoͤren ließ und nur über die Leiden der gekraͤnkten 
Unſchuld zu ſeufzen ſchien. In der That aber war 
fie voller ſophiſtiſchen Beſtreitungen meines ptaͤten⸗ 
dirten Rechts und, was noch weit ſchlimmer iſt, 
voller Aus falle auf meine Perſon und moraliſchen 
Charakter, durch welche der Verfaſſer recht mei⸗ 


C 


35 


ſterhaft ſich das Mitleid und mir den Abſcheu ds 
n zu erringen geſucht hatte. ang 


Ich konte nicht ſoweigen. Denn ich bete, 
daß alle Leſer durch die Sirenenſtimme der theo⸗ 
logiſchen Heiligkeit bezaubert und von mir abwen⸗ 
dig gemacht waren. Ja, meine Freunde gaben mir 
ſelbſt zu verſtehen, daß ich mich ſchwerlich gegen 
dieſe Schrift ganz vertheidigen und die durch ſie 
gemachten uͤbeln Eindrüffe aufs Publikum tilgen 
wuͤrde. Aber ich tilgte ſie. Ich entfaltete jene So⸗ 
phiſtereien und beantwortete jene Anzapfungen, 
nicht im geheuchelten Tone der Demuth, ſondern 
im wahren Tone des Muths, mit welchem ich 
immer meinen Gegnern entgegen getreten bin. 
Meine abgedrungne Replik auf die Erklärung, 
der theologiſchen Fakultaͤt zu Halle, wurde in 
Berlin cenſirt und — machte einem Streite ein En⸗ 
de, den die Herrn wahrhaftig nicht hätten anfan⸗ 
gen ſollen, wenn ſie nichts als Federkraft gegen 
mich in ihren Händen geſehen hatten. 


Um dieſe Zeit kam in Holland eine Ueberſe⸗ 
zung meines bibliſchen Syſtems der Dogmatik 


heraus, welches ich ehemals in Erfurt bekant ge⸗ 
macht hatte. Dieſe holländifche Ueberſezzung war 
von einer Erſcheinung begleitet, welche mir das 
Zwergfel wolthaͤtig erſchüͤtterte. Der Verfaſſer 
hub in der Vorrede alſo an: „Ihr lieben Hollaͤn⸗ 
„der, ihr werdet euch wundern, daß ich die Schrift 
5 eines Mannes Euch in Eurer Mutterſprache vor⸗ 
„lege, welcher einer der go'tloſeſten Menſchen und 
„ ein Werkzeug der böſen Feindes iſt, deſſen er ſich zur 
„ Zerſtoͤrung der Wahrheit und zur Verfuͤhrung 
„der Glaͤubigen bedient. Aber wundert Euch nur 
„nicht. Wenn der Bahrdt in neuern Zeiten ein 
„verworfner Unglaͤubiger geworden iſt, deſſen 
„Schriften die giftigſten Irthuͤmer verbreiten, fo 
„war er doch in den vorigen Zeiten, in welchen 
„er dies Buch ſchrieb, welches ich hier in hollaͤn⸗ 
„ diſcher Sprache Euch uͤbergebe, ein Mann nach 
„dem Herzen Gottes. Seine Lehre war damals 
„rein und fein Herz unverfaͤlſcht. Und ich kan 
„Euch ſagen, liebe Holländer, daß dieſes bibli⸗ 
„Ihe Syßem der Dogmatik, die wahre Salbung 


„hat und den Achten Geiſt des Chriſtenthums 
„athmet ꝛc.“ 


140 ann 


| Zwolftes Kapitel. oh \ Art ef 
f a tem 
Meine ſatpriſchen Launen. 


tn 


gr 


Wann ich noch jezt ruhig zuruͤckdenke in die vo⸗ 
rigen Zeiten und alle Ausbruͤche meiner in fruͤher 
Jugend mir eigen gewordnen Neigung zur Satyre 
unpartheiiſch prüfe; fo kan ich warhaftig noch jezt 
keinen Grund zu den harten Anklagen finden, die 
ich daruͤber ſchon habe vernehmen muͤſſen. 


Wahr iſts, ich habe mir viel damit geſchadet 
und mir manche Feindſchaften gemacht, die ich 
mir haͤtte erſparen koͤnnen. Und ich geſtehe, daß 
ich jezt gern alles zuruͤknehmen wuͤrde, was ich in 
meiner muthwilligen Laune zuweilen, ohne die 
Folgen vorherzuſehn, niedergeſchrieben habe, wenn 
ich das Geſchehene ungeſchehen machen koͤnte. 
Aber iſt darum wohl der Haß gerecht, den einige 
um dieſer Dinge willen gegen mich hegen? Wo 
iſt der Menſch, der durch eigne freie Thaͤtigkeit 
feinen Neigungen eine Richtang gab, die er her⸗ 
nach ſelbſt misbilligte? Wo iſt der Menſch, dem 


1 we 


bei allen feinen Handlungen alle ihre Folgen ges 
gentwärtig find? Wenn die Menſchen die Folgen 
ihrer Handlungen allezeit, vollſraͤndig und in ihrem 
vollen Lichte ſaͤhen, würde wohl ein einziger Menſch 
ſeyn, der einen Fehltritt begienge? 


Und wem habe ich denn mit meiner Satyre 
geſchadet? Habe ich irgend einen Mann von Werth 
um ſeine Ehre gebracht und, durch Aufhebung ſei⸗ 
nes Vertrauens im Publikum, ſeine Nuzbarkeit 
zerſtoͤrt? Habe ich je einen Juͤngling, der auf der 
Bahn des Ruhms und des Menſchenwerths kuͤhn 
dahin wandelte, mit bitterm Spotte muthlos ges 
macht, und ihn von ſeiner Laufbahn zu verdraͤn⸗ 
gen geſucht? 


Wie mancher Reeenſent hat dieſe Suͤnde auf 
ſeinem Gewiſſen! Wie mancher meiner Pasquil⸗ 
lanten hat mir ſo geſchadet! hat mir Ehre und 
Achtung vieler Zeitgenoſſen entriſſen! hat meine 
Nuzbarkeit fuͤr die Welt gemindert! 


Ich billige warlich nicht alles, was ich gegen 
Andere geſagt und geſchrieben habe. Aber bei 


Gott, ich habe gegen keinen Menſchen unter der 
Sonne je fo haͤmiſch und moͤrderiſch gehandelt, 
wie in der Welt gegen s mich gehandelt worden iſt. 
Es reichen nicht hundert der ſchaͤndlichſten Schmaͤh⸗ 
ſchriften, welche ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren an 
meiner Ehre und an meinem Gluͤke genagt haben 
und denen man es vollkommen anſehen konnte, daß 
ſie die Abſicht hatten, mich nicht blos zu zuͤchti⸗ 
gen und meine Thorheit fuͤhlen zu laſſen, ſondern 
mich gerade zu aller Achtung meiner Mitmenſchen, 
alles Vertrauens des Publikums und aller Unter⸗ 
ſtuͤzzung der Zeitgenoſſen zu berauben. Man wollte 
mich mit Gewalt zu einem Verworfnen, zu einem 
Verbannten, zu einem Brodloſen, zu einem voͤllig 
ungluͤklichen Menſchen machen *g 175 


Gott ſey Dank, mein Gewiſſen iſt von fol- 
chem Vorwurfe rein. Die Gegenſtände meiner 
Satyren waren entweder offenbare Thoren, wel⸗ 
che die Geiſſel verdienten, oder, wenn ſich ja an 
Maͤnner von Rang und Werth meine Feder ver⸗ 
griffen hat; fo wars Rothwehr oder — doch nur 
Angrif auf ihre Fehler ohne ieee ihrer 
Ver dienſte. neh Gu Meg TIERE 


39 


143 


Nie war in meiner Seele Rache oder Haß. 


Das ſagt mir mein Herz. Das ſage ich vor dem 


Angeſichte Gottes. — Bringt mir meinen aͤrgſten 


Feind, bringt mir den Mann, der mich in das 
tiefſte Elend geſtuͤrzt hat, bringt mir ſelbſt die 
Röper die Potte, und aͤhnliche Zerſtoͤrer meiner 
Ruhe und meiner Gluͤkſeligkeit: und ihr werdet 
mich in jedem Augenblikke bereit finden, ihnen Güte 
zu erzeigen. Ich werde nie faͤhig ſeyn, ſie un— 
gluͤklich zu machen, wenn ich es in meiner Gewalt 
hätte. Es wird mir Schmerz machen, wenn ich 
ſie im Ungluͤk ſehe, und ich bins gewiß (Gott iſt 
Zeuge dieſes Bewußtſeyns!) daß ich mit Freuden 
ihnen die Hand reiche und ihnen helfe, wenn ſie 
meine Huͤlfe brauchen und verlangen. 

Jene hundert namenloſe Pasquille (deren 
Verfaſſer ich meiſtens wußte) habe ich nie geleſen, 
theils um mir eine unangenehme Stunde zu erſpa⸗ 
ren, theils um nicht mein Herz mit Erbitterung 
und Rache zu beflekken. Das wiſſen alle meine 
Freunde. Nur dann las ich Schriften der Gegner 
und zog mit ſatyriſcher Feder gegen ſie zu Felde, 
wenn fie mich namentlich angriſten und gleichſam 


7 au 


er 


öffentlich herausfoderten. Und ich werde das fer⸗ 
nerhin beobachten. Namenloſe Schmäher ſollen 
nie geleſen und einer Antwort gewuͤrdigt werden 
Wozu ſoll ich Koth ee der a Jae 
e 20 | enen 


* 
* 


Die een Enkehimgtar meiner a: 
riſchen Produkte war, wenn ein lang anhaltendes 
Dulden tauſendfaͤltiger Verleumdungen und Pas⸗ 
quille mich endlich aufwekte und zu einem allge⸗ 
meinen Heerzuge gegen die ganze parthei mich 
ermunterte. Nie wars Rache gegen den Einzel⸗ 
nen. Nie lag Haß und Erbitterung zum Grun⸗ 
de. „Du haſt nun lang dich nekken und raufen 
„laſſen: du wilſt nun auch einmal rechts und links 
„um dich ſchlagen und die Gegenparthei fuͤhlen 


„laſſen, daß du Kraft haſt.“ Ein ſolcher muth⸗ 


williger Gedanke ſchuf alles, was je aus meiner 
3 eee ine ung an ale 


IN. 1 * WII 


Mein ſo Feeſchdieder Rirchen und ee 


manach wurde in Leipzig empfangen und in Zuͤl⸗ 


lichau geboren. Ich war mit Herrn Zollikofer, 
Plattner, und einigen andern Freunden bei Ba⸗ 
ſedow, 


1 52 
* 
— 

4 Per 
‘I 


„ 145 


ſedow, der damals in Leipzig hauſete, zum Abend⸗ 
eſſen. Der felige Srommann war dabei und ſaß 
an meiner Seite. Wir waren vergnuͤgt. Die 
Rede kam auf die Partheien unter den Theologen. 
Und einer hatte den Einfall, daß es der Muͤhe 
werth ſey, einen Kalender zu machen, wo die ver: 
ſchiedne Witterung in der theologiſchen Atmoſphaͤ⸗ 
re angezeigt wuͤrde. Der fluͤchtige Gedanke war 
noch nicht herausgeſagt, als ich ſchon meinen 
Frommann in die Seite ſtieß und in demſelben 
Moment auch von ihm einen aͤhnlichen Stoß em⸗ 
pfing. Wir ſprachen beide kein Wort. Aber ein 
wechſelſeitiger Blik ſchloß ſchon den Kontrakt a 
Kirchen- und Keze e. 


Nie hat ein Buch mehr Lermen erregt. — 
Und was iſts denn im Grunde? Sinds poͤbelhafte 
Ausfaͤlle und Beſchimpfungen wuͤrdiger Maͤnner? 
Sinds Schaͤndungen ihres Karakters, wie ich fie 
ſo oft erdulden mußte? Was ich von den Schrif⸗ 
ten der aufgeſtellten Kalenderheiligen ſage, iſt frei 
muͤthiger Tadel, wie jeder Recenſent ſich ihn er⸗ 
laubt. Und was ich von BORN beibringe, 

v. B. 0 C K 


.146 — 


iſt ſchwache Seite, iſt Thorheit, iſt Spottwuͤrdig⸗ 
keit: aber nie — Schandflek des Herzens. 

Eben ſo wenig iſt die ſcherzhafte Standrede 
am Sarge des weiland Hochwuͤrdigen und 
Hochgelahrten Herrn Johann Melchior Goͤtze, 
die ich dem verſtorbnen Kanonikus Fiegra, einem 
weiland algemein anerkanten und gebornen Schafs⸗ 
kopf in den Mund legte, etwas mehr als muih⸗ 
willige Laune, welche ſich nicht gegen den einzel 
nen Mann, ſondern gegen die Parthei empört 
hatte. Der ſelige Goͤtze war in ſeiner Art wirklich 
ein gelehrter und durch manche gute Seiten ſeines 
Karakters achtungswuͤrdiger Mann. Und Tauſen⸗ 
de, die meiner geſelſchaftlichen Reden Zeugen ſind, 
werden mir es bezeugen, daß ich oft von Goͤtzen 
ſo geurtheilt und ſelbſt ſeinen haͤmiſch ſcheinenden 

Ausfall auf mich und andere von ihm verkezzerte | 
Gelehrte, feinem: bona fide irrenden Verſtande, 
nie ſeinem Herzen zugeſchrieben, ja, daß ich viel⸗ 
mehr gegen andere, die ſeinen Karakter verurthei⸗ 
len wollten, behauptet habe, daß ich von ihm und 
allen Kezermachern uͤberzeugt waͤre, daß die Leute 
mit gutgemeintem Eifer für Gott und ihre ſubjek⸗ 


tive Wahrheit handelten und wirklich die Abſicht 


haͤtten, recht zu thun. Es war alſo wahrhaftig 


nicht bei jener Standrede meine Abſicht, den Mann 


zu beſchimpfen: (denn ich erzaͤhlte ja ohnehin nur 


ſeine wirklichen Geſinnungen und Handlungen, nur 


daß ich ſie in ein komiſches Licht ſtellte) ſondern, 
um die ganze orthodoxe Parthei einmal zu nekken 
und die Lacher gegen ſie aufzuregen. Und dieſe 
hatte ja dieſen jovialiſchen Schwang mae 
an mir verdienet. 

So war auch meine Schrift, in welcher ich 
den armſeligen Profeſſor in Quedlinburg, (Voigt, 
glaub ich, hieß er) unter dem Namen Xaſimir 
Lauge, Schulmeiſter in Gibeon, mit der Geiſel 
der Satyre heimſuchte, nicht Wirkung eines Haſſes 


gegen dieſen Mann, den ich gar nicht kenne und 


der nie mich beleidiget hat, ſondern ſie war Folge 
des warmen Eifers fuͤr einen unſchuldig Verfolg⸗ 
ten. Ein Freund ſchrieb mir, daß der Paſtor Her⸗ 
mes in Quedlinburg von dem alten Boyſen und 
dem Paſtor (wie hieß doch der Idiot? Er faͤngt 
mit dem R. .. ſich an) verkezzert und gekraͤnkt 
wuͤrde und daß der Voigt die von jenen gedrehten 
K 2 


1 1 


{ ET Ara 
148 


Bolzen verſchießen muͤſſe. Er ſchickte mir zugleich 
eine Rede dieſes ſogenanten Profeſſors, in welcher 
der gute Hermes angezapft war. Und er bat mich, 
meine Feder einmal wieder in das ſatyriſche Din⸗ 
tefaß zu tauchen und die Quedlingurger Ortho⸗ 
dopen zu zuͤchtigen. Das that ich, mit wahrer 
Freude über die Bokſpruͤnge der Parthei , ohne 
alle widrigen Empfindungen gegen die Einzel 
nen. — Der ſpashafte Erfolg war, daß der 
Kantor in Giebichenſtein bei Halle, von loſen 
Leuten mit dieſer meiner Spottſchrift aufgezogen 
wurde, und im Ernſte auf mich böfe werden woll⸗ 
te, daß ich or in Pa e 15 U 


So kan man es wubllch als globe Parthei⸗ 
krieg anſehen, daß ich meine Schrift über das theo⸗ 
logiſche Studium an den Staatsminiſter von Zed⸗ 
liz ſchrieb. Nur war hier gar keine eigentliche 
Satyre, ſondern ernſte Darſtellung des theologi⸗ 
ſchen Unweſens auf Univerſitaͤten. Ich zeigte mit 
einer Freimuͤthigkeit, wie noch niemand ſich erdrei⸗ 
ſtet hatte, daß die Theologieſtudirenden auf Uni⸗ 
verſitaͤten ganz verkehet gefuͤhrt und unterrichtet N 
wuͤrden, daß faſt alles, was ſie lernten und durch 


das Geſpenſildes Konſiſtorialexamens zu lernen gez 
zwungen wuͤrden, ihnen in ihrem ganzen Leben 
nichts helfe, und daß im Gegentheil alles das, 
worin ſie ihres kuͤnftigen Amts halber unter— 
richtet und geuͤbet werden muͤßten, von den Pros 
feſſoren vernachlaͤßiget würde, ja, daß zu manchen 
nothwendigen Stuͤcken des theologiſchen Studiums 
auf den Univerfitäten gar keine Gelegenheit ſei. 


Das hieß denn freilich nichts anders, als das 
ganze theologiſche Neſt zerſtoͤren und die theologi— 
ſchen Fakultaͤten zum Schikſale der Klöfter reif 
machen wollen. Indeſſen war doch das Geſchrei 
einzelner verlorner Schildwachten des chriſtlichen 
Zions alles, was auf dieſe Schrift erfolgte. Sie 
hatte ſo viel Licht und Wahrheit, daß in der 
Hauptſache gar keine Einwendung ſtatt fand, und 
doch that ſie kaum in einigen Nebendingen ihre 
Wirkung. 

ur 


Ich hatte die Nothwendigkeit der Examinir⸗ 
uͤbungen gezeigt. Dieſe fuͤhrte der Miniſter ein. 
Ich hatte vorgeſtellt, daß die Pruͤfungen der Kan⸗ 
didaten in den Konſiſtorien durch Fragen, die aus 

K 3 


dem Stegreif beantwortet werden muͤſten, zwek⸗ 
widrig waren: und es wurde die beſſere Methode 
eingefuͤhrt, nach welcher der Kandidat einige Du⸗ 
zend Fragen, die in verſchiedene Fache feiner Kent? 
niſſe einſchlagen, ſchriftlich vorgelegt werden, mit 

denen man ihn in ein leeres Zimmer einſchließt, 

um ſie ihn hier ſchriftlich, und bei hinlaͤnglicher 
Zeit zum beſinnen, beantworten zu laſſen. Ich 
hatte gezeigt, wie thunlich und nuzbar es ſey, den 
theologiſchen Studenten mit einer gruͤndlichen 
Volksarzeneikunde bekannt zu machen, und ein 
paar Jahr hernach wurde dieſer Rath befolgt und 
in Halle einige Veranſtaltung dazu gemacht. 


Meine Hauptklage, daß die Studenten un⸗ 
nuͤze Dinge lernen muͤßten, und zu ihrer Amtsfuͤh⸗ 
rung ſelbſt gar nicht — weder in der Materie, noch 
Form — gehoͤrig vorbereitet wuͤrden, wirkte nichts. 
Und ſelbſt die obgedachten Nebendinge wurden 
durch Befehle gebeſſert, denen es ſo ſehr an guter 
Ausführung fehlte, daß fie in kurzem wieder ein⸗ 
ſchlummern werden. 


Meine lezte ſatyriſche Schrift war der ſo ver⸗ 
ſchriene amor, oder der Mann aus dem Mon⸗ 


— — ZE 


de, in welcher die mit dem groͤbſten Fanatismus, 
und ich möchte hinzuſezzen, finftern Katholicismus 
verhunzte deutſche Maurerei der bezielte Gegen— 
ſtand war. Aber ich kan mir dieſe Schrift nicht 
allein anmaßen. Die Hälfte wenigſtens iſt frem⸗ 
der Beitrag, zu deſſen Annehmung ich mich bere⸗ 
den ließ. Ich mag mich hieruͤber nicht weiter her⸗ 
auslaſſen. Es bleibt dieſe und noch einige andere 
Arten des Misbrauchs, den gewiſſe Leute von mei— 
ner Wilfaͤhrigkeit gemacht haben, um durch mich 
ihre Pfeile verſchießen zu laſſen, der verborgne 
Theil meiner Lebensgeſchichte, welcher guͤnſtigere 
Zeitläufte erwartet, um hervorzubrauſen und meiz 
nem beklommenen Herzen Luft zu machen. — 


Der augenſcheinliche Beweis, daß der D. 
Baͤhrdt ſchuld an dem Erdbeben zu Kalabrien 
ſei, iſt nicht aus meiner Feder gefloſſen. Dieſe 
Schrift hatte die Abſicht, zu zeigen, daß die Herren, 
welche neuerlich wieder gegen mich berichtet, und 
als eine Miturſache des Verfalles der Univer— 
fität mich angegeben hatten, gerade fo argumen— 
tirt haben mochten, wie man argumentiren muͤß⸗ 
te, wenn man mir jenes Erdbeben ſchuld geben 

K 4 


152 — —-— 


wollte. Sie erhielt den allgemeinſten Beifall, 


und war ein recht angepaßtes Wansaeſce 
für — — 


Dreizehntes Kapitel. 


Haus und Herzensgefchichte, 


———ſ—— 


Men unermuͤdeter Fleiß konte mein liebes Weib 
nicht auſſer Beſorgniß ſezzen. Ich ſaß von fruͤh 
um fuͤnf Uhr an, und arbeitete ununterbrochen 
bis zu Mittage, wo ich gewoͤhnlich einen auch an⸗ 
derthalb gedrukte Bogen vollendet hatte. Nach 
der Mahlzeit widmete ich gewoͤhnlich einige Stun⸗ 
den der Promenade, welche ich nie ohne meine 
Frau und Kinder vornahm, auſſer wenn ich ritt. 
Nachmittags, von vier oder fuͤnf Uhr an bis 
Abends um ſieben auch wohl acht Uhr, las ich 
meine Kollegia. Und nach der Abendmahlzeit ging 
ich gewoͤhnlich ins buͤttneriſche Haus, wo um einen 
Dreier ein Spiel gemacht und herzlich dabei ge⸗ 
lacht wurde. Um zehn Uhr lag ich in meinem 


— 153 


Bette. Und ging ich nicht aus; ſo war die neunte 
meine Schlafſtunde. So habe ich gelebt, fo lange 
ich in Halle bin. Unaufhoͤrliche Arbeit war mein 
Loos: und gewöhnlich drei bis viermal im Bütt: 
neriſchen Hauſe, faſt meine einzige geſellſchaftliche 
Erholung. Andere Geſelſchaften waren ſelten. Ich 
war ohngefaͤhr mit vier bis fuͤnf Familien bekant, 
die mich zuweilen zu einer Mahlzeit einladen lie= 
fen, welches ich fo erwiederte, daß hoͤchſtens zwoͤlf— 
mal im Jahre in meinem Haufe Gaͤſte waren, wels 
che bei mir weit frugaler bewirthet wurden, als 
vielleicht irgend jemand von meinem Stande ſeine 
Gaͤſte zu bewirthen pflegte. 


Man ſolte meinen, daß ein ſo einfoͤrmiges Le⸗ 
ben bei ſo anhaltenden Kopfarbeiten, eine Gattin 
durchaus nicht beſorgt machen koͤnte. Und doch 
blieb die meinige bekuͤmmert. Ich fand oft, wenn 
ich des Abends nach Hauſe kam, die Spuren der 
Thraͤnen in ihrem Geſicht. Und wenn ich ſie nicht 
fand, fo erzaͤhlten mir meine Kinder, wie die Mut⸗ 
ter ſich beklagte, daß ſie mich ſo wenig genoͤſſe. 


Gott weis es, daß ich zuweilen ſtundenlang in 
meinem Bette gelegen und mich uͤber dieſe Leiden 
K 5 


„ 7 — 0 
r 
1 54 1 


meines Weibes gehaͤrmt habe. Ich ſahe die Un⸗ 
moͤglichkeit, ihnen abzuhelfen. Und doch ſchmerzte 
michs, daß ich ihr Qualen verurſachen mußte, wel⸗ 
che ſie nicht durch freie Vergehungen verſchuldet 
hatte, ſondern die allein, theils in meiner Lage, 
theils in ihrer durch Romanenlektuͤre verſtimten 
a e ihren Grund hatten. 


Wie mein weniger Umgang ſie kraͤnkte, ſo 
ward ſie auch (und dies mit jedem Tage mehr) durch 
jede finſtre oder auch nur gleichguͤltige Mine, die 
ſie an mir erblikte, auf das tiefſte verwundet. Sie 
hatte ein Ideal von Liebe und Genuß, welches, 
theils meines arbeitvollen Lebens halber, theils we⸗ 
gen ihrer eignen Unvermoͤgenheit, nicht zu realiſi⸗ 
ren war. Ich ſolte beſtaͤndig um ſie ſeyn, beſtaͤn⸗ 
dig freundlich und zaͤrtlich ausſehen. Wenn Sie 
denn oft zwanzigmal in einem Vormittage, um der 
unbedeutendſten Dinge willen (wenn fie ein ſchön 
Stuͤck Fleiſch gekauft hatte, das ich beſehen ſolte: 
wenn ſie auf die Kinder kiff, die ich durchpruͤgeln 
ſolte: wenn die Magd ihr naſeweiſe Reden gab, | 
die ich beſtrafen ſolte: wenn fie bei der Methode, | 
eine Soſe zu verfertigen, zweifelhaft war, und ich 


155 
ſagen ſolte, wie ich fie verlange u. f. w.) in meine 
Studierſtube kam und mich in meinen Arbeiten un⸗ 
terbrach, und ich dann, uͤber die ungelegene Zer⸗ 
reiſſung einer etwa angeſponnenen Gedankenreihe 
aͤrgerlich ward und fie anfuhr; ſo ſezte ſich jedes— 
mal der Gedanke von neuem in ihr feſt: dein Mann 
liebt dich nicht mehr: und ſie kam mit naſſen Au⸗ 
gen zu den Kindern zuruͤk, die nun durch ewiges 


Roͤrgeln und Keifen die verſtimte Laune buͤſſen 
mußten. | 


Es war gewoͤhnlich vom Morgen bis zu Abend 
kein Ton der Freude in meinem Hauſe. Jedes 
Verlegen eines Schluͤſſels, jedes Abhandenkommen 
eines Bandes oder ſonſt einer Kleinigkeit, brachte 
ſtundenlanges Schreien und Zanken mit der Magd 
oder den Kindern hervor und allemal fand ſichs hin⸗ 
terher, daß ſie ſelbſt das verlegt oder verloren hat⸗ 
te, über deſſen Verlierung oder gar Entwendung fie 
Kinder oder Geſinde ausgeſcholten hatte. Und fols 
ches laute Gezaͤnk, welches oft, ihrer hellen und 
durchdringenden Stimme halber, die Leute auf der 
Gaſſe ſtehen bleiben machte, wechſelte mit den ſtil⸗ 
len Seufzern und Klagen ab, die ſie uͤber mich aus⸗ 
ſchuͤttete. 


156 —— 


Mein aͤlteſtes Kind nahm ſichs immer mehr 
heraus, ihr zuweilen die Moral zu leſen und ihr 
vorzuſtellen, daß ſie den Vater noch zu Tode aͤrgern 
würde: aber eben das vergrößerte auch immer mehr 
die Abneigung der Mutter gegen dieſes Kind, wel- 
ches oft, mit Thraͤnen, mir klagte, daß es unter 
den Haͤnden dieſer wunderlichen Mutter das elen⸗ 
deſte Leben fuͤhren muͤſſe. Und dies Kind muß mir 
es vor Gott und Menſchen bezeugen, daß ich ihm 
gleichwohl nie gegen die Mutter beigeſtanden, ſon⸗ 
dern ihm allemal vorgeſtelt habe: „daß ein Kind 
„von ſeinen Eltern dergleichen Unannehmlichkeiten 
„dulden muͤſſe: daß es Urſache habe, ſich von der 
„Vorſehung ſolche kleine Leiden gefallen zu laſſen 
„und ſie als eine Uebung anzuſehen, die ihr vieleicht 
„in der Zukunft, wenn ſie ſelbſt in die Welt eintre⸗ 
„ten wuͤrde, ſehr zu ſtatten kommen duͤrfte: daß 
„fie bei aller Schwachheit der Mutter ihr unver⸗ 
„aͤnderliche Liebe, Ehrfurcht und Gehorſam ſchul⸗ 
„dig bleibe u. ſ. w., 


Ich gerieth endlich auf den ungluͤklichen Ein⸗ 
fall, mir auſſer der Stadt einen Garten zu kaufen, 
um daſelbſt durch den mir ſo ſuͤſſen Genuß der ſchoͤ⸗ 


157 


nen Natur das geſelſchaftliche Yeben in etwas ent⸗ 
behrlicher zu machen und — durch das Ende der 
Abendbeſuche bei meinem Trapp und Büttner, mein 
jammerndes Weib zu beruhigen und zu verſuchen, 
ob ſie nun einer frohen Laune empfaͤnglich werden 
wuͤrde. 


Ich hatte die ganze Sache zu uͤbereilt anges 
fangen. Die romantiſch ſchoͤne Lage des Gartens, 
deſſen Haus auf einer Bergekke die herrlichſte Aus— 
ſicht gewaͤhrte, und an welchem unmittelbar ein 
Arm der Saale vorbei floß, der mir die lang ge 
wuͤnſchte Gelegenheit zu einem Badeplazze darbot, 
hatte mich alzuſchnell bezaubert. Der Beſizzer be⸗ 


nuzte meine Hizze (ich kan's ihm nicht verdenken) 


und nahm mir 1700 Thaler fuͤr ein Grundſtuͤk ab, 
dafuͤr er ſelbſt nur 900 Rthlr. bezahlt und das er 
blos mit einigen Obſtanlagen meliorirt, hatte. 


Ich gerieth in Schulden und tauſenderlei Vers 
legenheiten daruͤber, und gewann fuͤr meine Ru⸗ 
he — nichts. Und das hätt ich vorher wiſſen koͤn⸗ 
nen. Kam ich ſeltener jezt in die Stadt und vers 
mied die Gelegenheit zum Verdacht, fo kamen ans 


dere deſto fleiſſiger in meinen Garten. Und wenn \ 
ich auch wirklich ganz Einſiedler geworden waͤre, 
ſo konte ich doch das ein vor allemal nicht hervor⸗ 
bringen, was meinem lieben Weibe die Ruhe zu 
geben vermochte, — eine ſichtbare, unverfenbare 
und feurige Liebe, wie fie ihrem Ideale gemäß. 
war. 


Liebe iſt ſo wenig des Menſchen freie That, 
als der Glaube. Es war alſo gar nicht in meiner 
Gewalt, ihre Erwartung zu befriedigen. Alles, 
was ich that und thun konte, war nicht mehr Liebe, 
ſondern eine aus Raͤſonnement entſtandene und 
durch Diſeretion unterhaltene Guͤte. Ich ſchaͤzte 
ihr gutes Herz: aber ich konte dabei die Eindruͤkke 
nicht hindern, welche ihre ewige Hypochondrie auf 
mich machten. Ja, es ward die Laſt ihrer verſtim⸗ 
ten Laune eben dadurch fuͤr mich deſto groͤßer, fuͤhl⸗ 
barer und unertraͤglicher, je ungeſtuͤmer fie meine 
Liebe zu fodern ſchien, und das Feuer der ihrigen 
mir aufdrang. Und mein beſtaͤndiges Arbeiten, 
vornaͤmlich aber meine jezt merklich abnehmende 
Kraft und Geſundheit vermehrte die Unmoͤglichkeit, 
der zaͤrtliche Gatte zu ſeyn, den fie verlangte. 


f —æ u 
Ein ungluͤklicher Zufall gab mir vollends den 
Reſt. — Meiner Frauen Bruder, (welcher bis⸗ 
her mit dem Grafen v. Werther einen langweili— 
gen Proceß gefuͤhrt hatte, von deſſen gluͤklicher 
Beendigung die 2000 Thaler abhiengen, die meine 
Frau zur Kaution hergegeben hatte), kam von 
Dresden nach Halle, uns zu beſuchen. Dieſer 
Menſch hatte ein ganz eignes Air von Stolz und 
Unverſchaͤmtheit, welches mit ſeiner tiefſten Armuth 
ſo fuͤrchterlich kontraſtirte, daß man ein ganzer 
Philoſoph ſeyn mußte, wenn man ihn dulden wol⸗ 
te. Er lebte eine Zeitlang bei uns und ward Ur⸗ 
ſache, daß ich jeden Tag meine Portion Gift vom 
Aergerniſſe bekam, welches mir fein Betragen vers 
urſachte. Eines Tages kam es zum Ausbruch. 
Er hatte ſchon über der Mahlzeit, wo er mit dem 
unleidlichſten Stolze die vornehmſten Perſonen Kerls 
und Schurken nannte und ſein Schikſal aus dem 
raſenden Grunde unwuͤrdig fand, weil er eines 
Kirchenraths Sohn ſey, alle meine Duldkraft er⸗ 
fhöpft. Nach Tiſche legte ich mich aufs Bette, 
um meine gewohnte acht Minuten lange Mittags- 
ruhe zu halten, und Volland ſezte ſich ins Zimmer 
und flikte ſeine Fußbedekkung. Er begann bei die⸗ 


fer Arbeit die ſchon abgebrochnen unangenehmen 
Geſpraͤche und ward, da ich ihm zu schweigen und 
mich ruhen zu laſſen befahl, ſo inſolent, daß mich 
blizſchnell die tobendſte Hizze uͤbereilte. Ich ſprang 
auf, maulſchellirte den baumſtarken Bengel, daß 
ihm der Kopf ſchwoll und ſezte ihn durch meine 
Wuth ſo in Schrekken, daß er zitterte und alle Ge⸗ 
genwehr vergaß. 


Dieſer ungluͤkliche Augenblik war das Ende 
meiner bisherigen ſo eiſern geſchienenen Geſundheit. 
Ich ward gleich bettlaͤgerich, bekam die gelbe Sucht, 
ward, ſtatt der Brechmittel mit Purgiermitteln be⸗ 
handelt und — behielt von der Zeit an einen kraͤnk⸗ 
lichen Koͤrper. Meine Verdauung wurde von Zeit 
zu Zeit ſchlechter und es fanden ſich Verſtopfungen 
ein, die nach Jahresfriſt ſo uͤberhand nahmen, daß 
ich ohne Kliſtire keine ordentliche deibesoͤfnung mehr 
erlangen konte — ein Ungluͤk, das vom Jahr 1786 
bis 1790 gedauert, und mir vollends allen Lebens 
genuß verkuͤmmert hat. ee 


Ich wurde von jezt an ſelbſt im hoͤchſten Gra⸗ 
de hypochondriſch (obgleich das Uebel nur im Koͤr⸗ 


nme 161 
per lag und mein Geiſt ſeine natuͤrliche Stimmung 
zur Froͤhlichkeit nicht verlor) und vermehrte dadurch, 
ohne mein Verſchulden, die Faͤlle, welche meiner 
Gattin Gelegenheit gaben, aus meinem kalten oder 
verdruͤßlichen Betragen, Mangel der Liebe zu fol 
gern und ſich daruͤber zu aͤngſten und — was ſie 
ganz allein tadelswerth macht — 10 bei Andern 
darüber zu beklagen. 

Hiezu kam ein noch wirkſamerer Umſtand. 
Meine Kraͤnklichkeit und — entſcheidender noch, ges 
wiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheiten meiner Gattin, 
die jezt eintraten — machten mir dasjenige unmoͤg⸗ 
lich, was ſonſt der Eheſtand mit ſich bringt und 
wovon acht Kinder bereits ihren Urſprung genom⸗ 
men hatten, die von meinem Weibe waren gebo— 
ren worden. — Und nun war vollends der Klas 
gen kein Ende mehr. Ueberal ertoͤnte der alte 
Trauergeſang: mein Mann liebt mich nicht mehr. 
Und hätte ich nun noch lieben konnen; fo wuͤrde ich 
gerade nun haben aufhören muͤſſen, da ich fo gea 
peiniget ward. 


N IV, B. 2 


*. 
* 


162 — — 


Eine weit angenehmere Unterhaltung wuͤrde 
es fuͤr meine Leſer ſeyn, wenn ich hier eine Herzens⸗ 


geſchichte einſchalten koͤnte, welche in dieſer Epoche 
ſich ereignete. Eine Dame von hohem Stande, die 
ich nie geſehen hatte, begann mit mir einen ganzen 
Roman voll platoniſcher Liebe. Wie der erſte Funke 


in ihr Herz gekommen ſey, der hernach zur vollen 


Flamme gedieh, weis ich noch bis dieſe Stunde 
nicht. Sie hatte meine Schriften geleſen und durch 
ihren eignen Gemahl (der mein Freund war) Schil⸗ 
derungen meiner Perſon, meines Charakters und 


meiner Launen erhalten. Sie hatte lange ſchon 


Sehnſucht bezeigt, mich kennen zu lernen. Ihr 
eigner Gemahl ſprach mir oft davon vor, wie en⸗ 
thuſiaſtiſch ſeine Gattin fuͤr mich eingenommen ſey. 
Die Entfernung ihres Wohnorts hinderte mich, 
ihren Wuͤnſchen zuvorzukommen. Ich ſchrieb ihr. 
Sie antwortete mir. Der wechſelſeitige Ton ward 
immer traulicher, zärtlicher, feuriger. Im fuͤnf⸗ 
ten bis ſechſten Briefe erſchien ſchon das Du der 
innigſten Liebe. Kurz es begann, ohne daß wir 
beide uns geſehen hatten, das ſtaͤrkſte Band der 
Herzen, welches je platoniſche Liebe geknuͤpft hat. — 
Nach einem halben Jahre ſahen wir uns. — Sie 


2 ne ͤK—— K Ann 


F 
; x D 


3 


— 163 


ſtarb nach einiger Zeit. — Ihr Zuſtand war der 


hoͤchſte Grad der Reizbarkeit des Nerven ſyſtems. 
Ihr Herz war edel und ihr Verſtand volkommen 
aus gebildet. Mit der Zeit bringe ich die Geſchich⸗ 
te in einen Roman. 


— — 


Vierzehntes Kapitel. 9 


Gartenleben, Life, Moriz und Tokayer. 


Je hatte in meinem ſchoͤnen Garten Vergnuͤgen, 
Ruhe und Geſundheit geſucht, und in dem Beſiz 
dieſer Güter zu doppeltem Fleiſſe und doppeltem 
Erwerbe fähig zu werden gehoft: aber ich fand 
mich getaͤuſcht. Meine Geſundheit war durch Wils 
helm Volland bereits zerſtoͤrt und die Hypochondrie 
ſeiner Schweſter (die jezt ſchon Studenten und Faͤhn⸗ 
drichen es klagte, daß ich nicht mehr bei ihr ſchlief) 
verbitterte mir die Freuden, welche meine eigne mir 
uͤbrig ließ. 


Mein Buͤttner ſagte mirs auch jezt faſt jedes⸗ 


mal, wenn ich ihn deſuchte: daß ich der Mann 
ee 


nicht mehr wäre, der ich geweſen war: daß ich 1 


nicht halb mehr ſo genießbar ſey, als ſonſt. In der 1 


That, meine Laune verſiegte, mein Wiz wurde matt, 
mein Feuer erloſch, meine Scherze wurden ſeltner, 
und meine ganze Kraft vertroknete, wie eine Pflan⸗ 
ze, der's an Nahrung gebricht. 

Eine meiner liebſten Freuden waren meine drei 
Kinder, welche mich alle auf das zaͤrtlichſte liebten, 
und die ich mit einer einzigen Stirnfalte regieren 
und ſtill oder fröhlich machen konte, wie ich fie has 
ben wolte. Die aͤlteſte zeichnete ſich durch einen 
ſanften Charakter und Geſchiklichkeit aus. Sie 
lernte alles, leicht und volkommen, was ich gelernt 
haben wolte. Sie ſchien zu allem Talent zu haben. 
Ihr Klavier und ihr Geſang erhob ſich in wenig 
Monaten zu einer gewiſſen Reife. Ihre Nadel lei⸗ 
ſtete alle weibliche Arbeit. Ihre Haͤnde ſchaften 
Speiſe und Bakwerk. Und ſie ſelbſt ſchien dem al⸗ 
len keinen Werth beizulegen. Sie war nicht ſtolz 
und bemuͤht, ſich ſehen zu laſſen. Aber ſie war 
auch eben fo wenig ſchuͤchtern, es zu zeigen, wenn 
mans ſehen wolte. Sie hatte einige Wochen Unter⸗ 
richt im Singen gehabt, und eine Verlegenheit der 


ru 165 


Konzertdirektoren verurſachte, daß Herr Weimann 
ihr eine Rolle anbot. Und ſie, wie wenn vor 300 
Perſonen ſingen, nicht mehr ſey, als vor ihrem 
Vater fingen, fagte ein kaltes Ja und — fang. Sie 
iſt in meinem Leben nicht mit Widerſpenſtigkeit mir 
ungehorſam geweſen. 


Die Mittelſte hatte weniger Staͤtigkeit und Ge 
ſchik: aber deſto mehr Feuer. Jede Nerveſ an ihr 
war Gefuͤhl und Leidenſchaft. Mir war oft bange, 
wie ich dies Feuer baͤndigen ſolte, ohne es zu un⸗ 
terdeüffen. Ihr Herz iſt edel und voll guten 
Willens. 


Die Juͤngſte war beinahe von gleicher Lebhaf⸗ 
tigkeit aber etwas bezaͤhmbarer, als die Mittelſte. 
Ihre Sache war nie Kopfarbeit und Geſchaͤft, bei 
dem ſie ſizzen mußte und ſich wenig bewegen konte. 
Rehen und Steikken war ihre Pein. Aber wenn 
ſie die rauhe Kuͤchenſchuͤrze anlegen, ſich die Arme 
aufſtreifen und die haͤrteſten Hausarbeiten verrich⸗ 
ten durfte, dann fuͤhlte ſie ſich ſelig. Sie konte 
von fruͤh bis auf den Abend bei kehren, waſchen, 
ſcheuern, kochen, Bier abziehen u. d. ſtrapaziert 

L 3 


166 \ — — 
werden, ohne zu ermuͤden, oder die ust zu der/ sie 
lieren. © 


Gern haͤtte ich zu dieſen Töchtern noch einen 
Knaben gehabt. Aber es hat mir nicht gelingen 
wollen. Der Himmel wolte meine Race nicht fort⸗ 
gepflanzt haben: ob darum, weil fie für die Welt 
zu gut oder zu ſchlim war, weis ich ſelbſt nicht. 
Unter den acht Kindern, die mein Weib mir gebar, 
ſind drei Knaͤblein geweſen, aber keins iſt leben ge⸗ 
blieben. Das lezte, was ſie in dieſer Epoche zur 
Welt brachte, war meine ſuͤſſeſte Hofnung, weil 
es ein ſtarkes und geſundes Kind zu ſeyn ſchien: 
aber die Wahl der Amme machte auch dieſe Hof⸗ 
nung mir welken. Es meldeten ſich verſchiedene 
junge und geſunde Perſonen, die meiner lieben Gat⸗ | 
tin aber alle zu reizend waren. Zulezt wurde eine 
alte Vettel gewaͤhlt, bei welcher das Kind mit je⸗ 
dem Tage mehr abnahm, bis endlich der Arzt 8 
holt wurde und zu fpät uns entdekte, daß das es ö 
bei der Amme verhungert ſey. | 


Schwaͤche und zunehmende Kraͤnklichkeit er⸗ 
heiſchten jezt diätetifche Huͤlfsmittel, darunter viel 


—— nn 1 167 


Bewegung in freier Luft das wichtigſte war. Ich 
verſuchte Gartenarbeit, die fo viel Reiz fuͤr mich 
hat: aber ſie bekam mir nicht, weil ich bei der 
kleinſten Bewegung, des Hakkens oder Grabens, 
in den heftigſten Schweis gerieth und gleich darauf 
mich merklich ſchlechter befand: wie denn auch das 

Buͤkken bei der Gartenarbeit mir Kopfweh und 

Schwindel verurſachte. ; 


Der Arzt rieth mir zu einem Reitpferde. Auch 
dies ſtimte mit meiner Neigung. Ich kaufte ein 
Pferd und ward angefuͤhrt. Aber bald erhielt ich 
ein anderes, das meinem Geſchmakke entſprach. 
Ich fand es auf einer Leipziger Meſſe. Es war auf 
dem ganzen Roßplazze verſchrien, daß es ein Wild: 
fang ſey, daß es in vier Minuten um die Stadt, 

herum jage, daß es uͤber alle Schlagbaͤume ſezze 
u. ſ. w. Mich luͤſterte darnach. Denn eine Schlaf⸗ 
muͤzze wolt ich nicht. Ich ließ es herausfuͤhren, 
und beſchloß, mich drauf zu ſezzen. Die Juden 
traten umher und ſiengen an zu predigen, wie ich 
mich in acht nehmen, wie ich die Zuͤgel halten, wie 
ich ſchluͤſſen ſolte. Sie machten mich konfus. Ich 
faßte die Zuͤgel zu lang. So wie man den Gaul 
2 4 


168 — — x 


los ließ, gieng er mit meiner runden Perukke in 
die Luft. Ich erſchrak, fuhr mit der Rechten nach 
dem Sattelknopfe, und zog mit der Linken den Zuͤ⸗ 
gel bis an meine Ohren herauf. Alles Halten war 
umſonſt. Die Liſe (ſo nennte ich das Thier her⸗ 
nach) ging mit mir durch, und rennte zulezt auf ei⸗ 
nen ofnen Stall zu, in welchem rechts und links 
zwanzig Hengſte ſtunden. Zum Gluͤk blieb ſie mit⸗ 
ten im Thorwege ſtehen. Die da ſtehenden Juden 
griffen zu, und riefen einmuͤthig: ach lieber Herr 
Pfarr, ſteige Er herunter: das Pferd iſt wild: Er 
bricht Hals und Bein. Ich blieb ſizzen. Der 
Reitknecht eines Freundes, der mir das Pferd em⸗ 

pfohlen hatte, kam nachgelaufen und ſagte mir, | 
ich möchte nur getroſt ſizzen bleiben und den Zügel: 
noch nach meiner Art halten. Jezt faßte ich von 

neuem Muth, weil ich gemerkt hatte, daß das | 
Thier keine Seitenſpruͤnge that, ſondern die regel⸗ 

maͤſſigſte Karriere machte, bei der es blos aufs 

Feſtſizzen ankam und alle Reuterkuͤnſte entbehrlich 

waren. Man ließ los und die Liſe floh mit mir 

nach dem grimſchen Thore zu. Ich hatte den Zur 
gel mit beiden Haͤnden und ſo kurz gefaßt, daß ich 
ihr alle meine Kraft fühlen laſſen konte. Bald 


I 


wandelte ſich, da ich fie aus Leibeskraͤften anhielt, 
ihre Karriere in einen waͤlzenden Galopp und am 
halliſchen Thore hatte ich ſie ſchon im Schritte. 
Run war ich froh. Ich kam gluͤklich zuruͤk und 
erhielt fie für ſiebentehalb Luisd'ors. Das Thier 
ward mein Vergnuͤgen. Ich ritt ſie, aus wahrer 
Schuͤchternheit, vier Wochen lang im bloſſen Schritt, 
vertrieb ihr dadurch die Furcht und Scheuheit, und 
zog ſie mir ſo nach meiner Hand, daß ich hernach 
mit ihr machen konte, was ich wolte. Sie war 
das froͤmſte Thier, unter dem meine Maͤdchen weg⸗ 
kriechen konten. Und wenn ich drauf ſaß, ſo wars, 
als wenn ſie mit mir in den Himmel ſteigen wolte. 
Man blieb ſtehen, wenn man mich reuten ſah. 


Wenn ich nach Lauchſtaͤdt ritt, welches von Halle 


drei Stunden liegt, ſprang ſie mit mir uͤber den 
hohen Beichlizzer Schlagbaum und endete ſpielend 
den Weg in einer Stunde. Sie ſprang aus dem 
Stande uͤber eine Stange, die man ihr ſieben vier⸗ 
tel hoch uͤber den Erdboden vorſezte. Ein Officier 
beim Aſchersleber Regiment hatte ſie ehedem gerit— 


ten. Als ich daher nach Aſchersleben kam, und 


von Freunden eingeladen wurde, die Uebungen des 
daſigen Regiments in Augenſchein zu nehmen, ging 
L 5 


12 ‚ REN 


fie, auf den Schall der Trompete, mit mir durch 
und ich konte es nicht hindern, daß ſie zwei Attaken 
mitmachte. Der General v. Rohr lachte herzlich 
uͤber dieſen Streich, den ſie mir geſpielt hatte. Er 
fragte mich, ob ſie auch noch ſezte. Und da ichs 
bejahte, ſtach er mit feiner Suite auf die Gräben 
zu, uͤber welche die Reuter zur Uebung ſezzen muß⸗ 
ten, und meine Liſe uͤberſprang fie alle mit ihrem 
lateiniſchen Reuter ſo leicht, als ob ſie noch in der 
volkommenſten Uebung geweſen wäre. Ich brauche 
ſie heutiges Tages noch als Wagenpferd, und ſie 
hat, achtzehn Jahr alt, noch ihre volkomne Ge⸗ 
ſundheit, und erfodert alle Aufmerkſamkeit des 
Kutſchers, wenn fie nicht in ihrem Feuer Exeeſſe 
begehen foll, 


Aber auch das Reuten bekam mir nicht. Ich 
fpürte nicht nur gar keine Veraͤnderung in meinem 
Koͤrper, ſondern ich bemerkte ſogar, daß mein 
Magen ſchwaͤcher ward. Nach dem Reuten wi— 
derſtand mir jede Speiſe. Ich habe die Beobach⸗ 
tung lange fortgeſezt und wenn ich andere Erfah⸗ 
rungen dazu nehme und z. B. die vielen Bereuter 
beherzige, welche ich im Alter hypochondriſch und 


— 171 8 


ohne Verdauungskraft gefunden habe; fo muß ich 
urtheilen, daß das Reuten die heilſame Bewegung 


lange nicht iſt, dafür die Aerzte fie ausgeben wols 
len. Es erſchuͤttert die Eingeweide zu ſehr und 
das Auf⸗ und Abſchlappen des Magens ſcheint mir 
offenbar ihn zu ſchwaͤchen. Ich habe in der Folge 
das Gehen viel zutraͤglicher gefunden und glaube 
jeden Hypochondriakus verſichern zu koͤnnen, daß 
täglich zwei bis drei Stunden gemaͤßigte Bewer 
gung zu Fuß in freier Luft ihm die herrlichſten 
Wirkungen zeigen werde. 


Ich kan dieſe Bemerkung durch meinen Freund 
Moriz beftätigen, welcher zu der Zeit, da ich in 
meinem Garten wohnte, nach Halle kam und fo 
hypochondriſch war, daß er mir den Vorſaz ge— 
ſtand, mit leeren Haͤnden durch die Welt zu Fuße 
zu laufen, um — es ſey durch Hunger, oder Ent⸗ 
kraͤftung — zu ſterben. Ich nahm ihn, ohne ihn 
je gekant zu haben, bruͤderlich auf, weil er mir 
gerade durch feinen traurigen Gemuͤthszuſtand ins 
treſſant wurde, — bot ihm meinen Garten und 
meinen Tiſch an, und beredete ihn, wenns denn 


einmal beſchloſſen wäre, den Tod bei mir zu er⸗ 


172 . —ͤ — 


warten. Er ließ ſich endlich zureden, mein Aner⸗ 


bieten anzunehmen, lebte einige Monate bei mir, 
bekletterte täglich die Giebichenſteiner Felſen, aß 
und trank ohne Verdruß und Sorgen, und ward 
— ſtatt zu ſterben — wie ein neugeborner Menſch. 
Heiter und kraftvol ging er nach Berlin zuruͤk, 


mit der völligen Ruͤkkehe feiner Luft zu Geſchaͤften. 


Ich hatte bei meiner Kraͤnklichkeit wenig Ver⸗ 
dienſt. Um ſo viel wilkomner war mir ein Brief 
aus Ungarn von dem Herrn v. Pronay, einem un⸗ 
gariſchen Magnaten, welcher mich erſuchte, ihm 
meine Gedanken über die haͤhniſche Litteralme⸗ 
thode aufzuſezen, welche Kaiſer Joſeph in allen 
ſeinen Staaten eingefuͤhrt wiſſen wolte. Er wuͤnſch⸗ 
te, dieſe elende Methode in ihrer Bloͤße aufgeſtelt 
und gruͤndlich verworfen zu leſen, um in Verbin⸗ 


dung mit mehrern Landſtaͤnden dem Kaiſer Gegen⸗ 


vorſtellungen zu thun. Ich ſchikte ihm, was er 


wuͤnſchte, und erhielt einen Anker Tokayer, der 


mir weidlich behagte. 


— — 


— —ä̃ů 


Founfzehntes Kapitel. 


Glaube an meine Macht im Geißerreiche 


En feltfamern Antrag zur Verbeſſerung mei⸗ 
ner Gluͤksumſtaͤnde that mir ein ehemaliger Krieges 
held, welcher mich verſicherte, daß mein Huͤgel, 
wo ehemals ein reiches Kloſter geftanden hätte, 
davon der Plaz noch das neue Werk benahmt 
wird, einen unermeßlich großen Schaz in ſich ſchlie⸗ 
ße, der aber von maͤchtigen Geiſtern bewacht wir: 
de. Ich wil den guten Mann X. nennen. 


X. Ich weis, daß Sie in dieſem Fache gros 
ße Geheimniſſe beſizzen, lieber Herr Doctor, und 
da ich ſelbſt einige Kentniſſe davon habe, welche 
durch untruͤgliche Erfahrungen beſtaͤtiget find; fo 
nehme ich mir die Freiheit, Sie von der Moͤglich⸗ 
keit eines großen Gluͤks zu benachrichtigen und Ih⸗ 
nen meine Dienſte dazu anzubieten. 3 

Ich. (mitleidig lächelnd) Ich begreife nicht, 
lieber Freund, wie Sie mich in dem Verdachte 


174 — 


haben koͤnnen, als ob ich Geheimniſſe aus der Gei⸗ 
ſterwelt verwahrte, da es weltkundig iſt, daß ich 
der groͤßte Unglaͤubige bin, und außer Gott gar 
nichts glaube, was ich nicht mit meinen Sinnen 
erreichen oder mit meiner W baten N Er 


x. e lachend) Ei, das 0 Sie 5 
mir nur nicht. Ich weis es mehr als zu gewiß, 
daß Ihnen Gott auch hierin große Gaben ver⸗ 
liehen hat. Sie koͤnnen die Geiſter ſicherlich zwin⸗ 
gen. Sie haben ja den Hoͤllenzwang, den ich in 
der Welt ſchon viele Jahre lang vergeblich ger 
ſucht habe. | 


Ich. Ja, den hab' ich. Aber ich verwahre 
ihn, als ein Denkmahl der Moͤnchiſchen Spiz⸗ 
| doberdl, 


&. (erfreut) O, haben Sie das Buch wirk⸗ 
lich hier? Ach, wenn ichs nur auf einen Augenblik 
ſehen moͤchte! Es iſt ein Schaz, der nicht zu be⸗ 
zahlen iſt. | | 

Ich. Ja, ich habe es hier. Aber was wol: 
len Sie denn ſehen? Ich verſichere Sie aufrich⸗ 
tig, daß es Kinderpoſſen find, mit denen die Moͤn⸗ 


ä W ˙— m 7—˙ e 


—— 175 


che in den alten Zeiten das abergläußifihe Volk 
graf 00 | 


x, Hallen Sie denn im Ernſte es fuͤr un⸗ 
möglich, mit den Geiſtern in Gemeinſchaft zu fom- 
men? Sie wollen vielleicht ſich gegen mich nur 
nicht herauslaſſen! Aber ich verſichere Sie bei 
Gott, daß Sie mit einem Ben Manne zu 
thun haben. 


ITch. Ich betheure es Ihnen, daß es mein 
ganzer Ernſt iſt. Und wenn Sie einiges Vertrauen 
zu meinen Einſichten und zu meiner Ehrlichkeit ha⸗ 
ben, ſo glauben Sie mir, wenn ich Ihnen ſage, 
daß alles Narrenpoſſen find. Alle Geiſterſeherei 
iſt Betrug. Und wer fie behauptet, iſt entweder 
von feiner Phantaſie getaͤuſcht worden, oder er ift 
ein vorſezlicher Betruͤger, der andere zu aͤffen und 
zu misbrauchen trachtet. 


X. Aber ich verſichere Sie doch bei Gott, 
daß ich ſelbſt ſchon Geiſter geſehen habe. Und 
der ... . in Halle, wird Ihnen, wenn Sie Luft 
haben, die Probe machen. Es iſt wahrhaftig wahr, 
Die Sache hat ihre Richtigkeit, | 


176 — 


Ichllacund ich ſage Ihnen, lieber Freund, 


der . . . in Halle iſt entweder ein Narr oder ein 
Spizbube. Laſſen Sie ſich von ihm nicht aͤffen. 


Die ganze Sache iſt widerſingiſch. J 
X. Ja, Sie können aber doch die Möglich 
keit nicht leugnen. i 1055 


Ich. Mit dieſer lieben Moglichkeit behel⸗ 


fen ſich Tauſende und laſſen ſich damit die Beu⸗ 


tel fegen. 


X. Aber was haben Sie Do für Gründe 
die Sache ganz zu verwerfen? 


Ich. Unzaͤhlige. Bedenken Sie % PR 
daß wir in unſerer Sinnenwelt gar keine glaub⸗ 
hafte Spur vom Daſeyn der Geiſter haben. Er⸗ 
waͤgen Sie ferner, daß es ganz unvernuͤnftig iſt, 
Buchſtaben und Karaktern, die man auf Zinn 
oder Jungfernpergament mahlt, eine Kraft beizu⸗ 
legen, die Geiſter zu zwingen. Beherzigen Sie 
ferner, daß es ganz gegen alle geſunde Begriffe von 
Providenz laͤuft, wenn man einem Menſchen die 
Macht zuſchreiben wolte, die maͤchtigſten Geiſter 
zu ſeinem Dienſte zu zwingen und durch ſie die 


Ordnung der Natur zu übergehen. — Ne 
X. (ein⸗ 


x 5 £ Pin 
N 5 
— — 


X. (einfallend) Ich hoͤre wohl, was Sie ſa⸗ 
gen wollen. Aber alle ſolche philoſophiſchen Gruͤn⸗ 
de beweiſen doch nichts gegen die Erfahrung. 


Ich. Das iſt wahr. Aber Sie werden mich 
auch nie bereden, daß es richtige Erfahrungen 
giebt, die dawider ſtreiten. 


X. (hoͤhniſch laͤchelnd) Wollen Sie mir er— 
lauben, Ihnen eine Probe zu machen? 


Ich. Von Herzen gern. Sie ſollen alles 
von mir haben, was Sie verlangen. Zeigen Sie 
mir einen Geiſt und ich verlaſſe meinen Unglauben, 
und werde heute noch ein Exorciſt. Denn Muth 
habe ich, mit dem Beelzebub ſelbſt anzubinden. 


KX. Wollen Sie mir auch Ihren Hoͤllenzwang 
dazu borgen? 

Es half nichts. Der Mann hatte einen Glau- 
ben wie Lavater. Alle meine Gruͤnde waren um— 
ſonſt. Er bat und flehte fo lange, bis ich ihm den 
Hoͤllenzwang holte. Und ich mußte ihm die Er— 
laubniß geben, mit einem gewiſſen andern Manne, 
eines Abends ſich auf meinem Gartenhauſe einzu— 
finden und eine Konjuration vorzunehmen. Denn 

IV. B. M 


er behauptete, daß gerade hier eine Region ſein 
muͤſte, wo die Geiſter ſich haͤufig aufhielten und 
alſo ſehr leicht herbeizurufen waͤren. 


Ich willigte in alles, weil ich mir Hofnung 
machte, die kranke Phantaſie des guten Mannes zu 
heilen und ihn von ſeinem Wahnglauben zuruͤkzu⸗ 
bringen. Der Tag wurde feſtgeſezt. Die Eporciz 
ſten erſchienen. Ich ſchafte meine Hausleute zu 
Bette, blieb ſelbſt in der Wohnſtube, welche in der 
zweiten Etage des Gartenhauſes war, und Über: 
gab den Beſchwoͤrern meinen großen Saal in der 
dritten Etage. | 


Die guten Leute hatten ſich ſorgfaͤltig vorbe⸗ 
reitet. Sie hatten ganz neue Kreiſe von Perga⸗ 
ment, mit dem initio evangelii Johannis und allen 
hebraͤiſchen und griechiſchen Namen Gottes be 
ſchrieben, welche nur in beiden Teſtamenten gefun⸗ 
den werden. Sie hatten ſich mit Ggillis und pen- 
taculis Salomonis verſehen. Sie hatten Bogen⸗ 
lange Gebete und Konjurationen aufgeſzt. 


Um zehn Uhr des Nachts bezogen ſie beide 
meinen Saal, legten ihre Kreiſe, beſprengten alles 


mit Weihwaſſer und raͤucherten, daß das Haus 
vom Dampf erfuͤlt wurde. Ich ſaß in meiner 
Stube und hatte mir Koffe gemacht, um munter 
zu bleiben. Um eilf Uhr hoͤrte ich, daß ſie in den 
Kreis traten und anfiengen zu beten, daß ihnen 
Gott der Almaͤchtige beiſtehen und ihnen, durch 
das Blut des Ueberwinders der Hoͤllen, Kraft verz 
leihen wolle, den liſtigen Nachſtellungen des Sa— 
tans zu entgehen, und ihn durch die Kraft ſeines 
allerheiligſten Namens zu beſiegen und zu zwingen, 
daß er ihren Willen ausrichten muͤſſe. 


Nachdem dieſe Beterei eine Zeitlang gedauert 
hatte, (es war eine duͤnne Dekke und die Stille 
der Nacht erleichterte es noch mehr, daß ich alle 
Worte verſtehen konte — auch ſchrieen die Ber 
ſchwoͤrer ſo vernehmlich, daß der Teufel ſich nicht 
beklagen konte, die Ohren anſtrengen zu muͤſſen) 
ſo begann die Konjuration. Nach Beendigung 
derſelben raſteten die Exorciſten, und ich vernahm 
nicht das allergeringſte. Auf einmal hoͤrte ich die 
zweite Wiederholung, in welcher der Geiſt maͤch— 
tiglich ermahnt wurde, ſogleich zu erſcheinen und 
die hier befindlichen Schäzze getreulich anzuzeigen, 

M 2 


180 En 


* 


und zu eroͤfnen. Auf die zweite folgte die dritte 
und lezte. Und nun hoͤrte ich weiter nichts, als 


daß die Beſchwornen, da es zwoͤlf Uhr war, die 
Stuͤhle ruͤkten, ihre Kreiſe aufhoben, und mit 
dem gewoͤhnlichen Ceremoniel den Zwang be⸗ 


ſchloſſen. Sie legten ſich bald darauf, in ihre | 


Mäntel gehuͤlt, auf die Stühle, und fanden ſich 
mit Tagesanbruch auf meiner Stube ein. 8 
Ich. Nun, wie iſts gegangen, lieben Herren? 
Sie haben dem Teufel dieſe Nacht gewaltig 
zugeſezt. | 
X. (betruͤbt) Ja, leider noch nicht ſtark ges 
nug. Die Geiſter waren nicht herauf zu bringen. 
N. Ich bleibe dabei, fie find hier unten 
geweſen. 
Ich. Mir iſt nichts vorkommen. Haben 
Sie denn gar nichts vernommen? | 


KX. O ja, ſehr viel. Sie ſtiebten von uns 
ten auf Sand und Steine an die Fenſter, daß es 
klirrte. 


N. Ja ja, fie find in der Tiefe geblieben. 


Und die Citation war entweder zu ſchwach, um ſie 


. 


— 


er —— —— — . 


———— 


2 r 


nen 181 


7 


vollends heraufzutreiben oder — es iſt eine hoͤhere 
Macht uns im Wege geweſen. 


Ich. Aber da Sie gar nichts geſehen ha— 
ben, wie koͤnnen Sie noch auf Ihren Glauben 
beharren? Sie haben mir doch verſprochen, mich 
durch eine Erfahrung zu uͤberzeugen. Sie haben 
aus meinem Hoͤllenzwange die allerſtaͤrkſten Kon— 
jurationen herausgeſucht. Warum trifts denn 
nicht zu? Sehen Sie denn nicht, daß alles Poſ— 
ſen iſt? 

X. Ja ja, wenn der Herr Doktor nur ſelbſt 
gewolt hätten: die Probe würde wohl zugetrof⸗ 
fen ſeyn. 

Ich. Wie ſo? wenn ich gewolt haͤtte? Ich 
verſtehe Sie nicht. 

N. (bverdruͤßlich) Wir wollen den H. Doktor 
nicht laͤnger aufhalten. Wer weis, wem die Pro— 
be am beſten bekommen wird? 


Wer haͤtte ſich das ſollen traͤumen laſſen? Die 
beiden Leute glaubten im Ernſt, daß ich eine noch 
kraͤftigere Konjuration unter ihnen gebraucht und 
ihnen die Geiſter abſpenſtig gemacht haͤtte. Und 

M 3 


j 182 1 ——— 


ich hatte nun, ſtatt ſie von ihrem Wahnglauben 


zuruͤkzufuͤhren, fie deſtomehr darin beſtaͤrkt. 
Denn ſie aͤrgerten ſich nun, daß ſie mir den Schaz 
meines Gartens verrathen hätten, und von mir 
als einen maͤchtigern Exorciſten angefuͤhrt, worden 
wären. Sie ließen ſichs nicht mehr ausreden. 
Und da ich hernach meinen Weinberg für 3000 
Thaler kaufte, behauptete der X an verſchiedenen 
Orten ganz oͤffentlich, daß ich einen Schaz in mei⸗ 
nem Garten gefunden haͤtte und — heimlich ein 
ſteinreicher Mann ſey. — Kurz, die Exoreiſten 
hielten fuͤr gewiß, daß ich die Geiſter in mein Zim⸗ 


mer geholt und das Geld ſtatt ihrer in Empfang 


genommen haͤtte. 


Und werden meine Leſer mir es wohl glauben, 
wenn ich ihnen ſage, daß dies nicht das erſte und 
lezte mal war, daß ich fuͤr einen maͤchtigen Ge⸗ 
bieter der Geiſter gehalten wurde? Ich wolte noch 
mehr als zwanzig Perſonen in und auswaͤrts nam⸗ 
haft machen, welche ſichs bis dieſe Stunde nicht 
aus reden laſſen, daß ich ein Teufelsbanner bin. 


Ich war einſt in Schlettau (einem ſächſiſchen 


. 


* 
N, 


4 
\ 


i 
\ 
9 


Dorfe bei Halle) im Wirthshauſe zur Kirchmeß 


und ftand, in meinen eignen Gedanken vertieft, 
an einem Fenſter. Ich bemerkte bald einen klei⸗ 
nen dikken Mann ſeitwaͤrts hinter mir, der in 
einem weg mich betrachtete. Ich wandte mich eini⸗ 
gemal, um ihn unmerklich ins Auge zu faſſen, 
und glaubte eine gewiſſe Sehnſucht in ſeinen Blik— 
ken zu leſen. Ich fuhr fort, zum Fenſter hinaus 
zu ſchen und hoͤrte endlich, daß der Mann ſich 
bewegte und mir näherte, 


Ich. (indem ich mich umdrehte — freund: 
lich) Haben Sie mir etwa was zu ſagen, lieber 
Mann? 


Er. Ja, lieber Herr Doktor. Ich habe 
ſchon lange mirs gewuͤnſcht, Sie einmal zu fpres 
chen: habe mirs aber immer nicht unterſtehen 
wollen. 


Ich. O, Sie konten zu allen Zeiten frei zu 
mir kommen. Ich nehme jederman gern und lieb⸗ 
reich auf. Was iſt denn wohl ihr Anliegen? 


Er. Ja, wir werden an dieſem Orte wohl 
ſchwerlich uns ſprechen koͤnnen. Ich wil jezt nur 
ſo viel ſagen, lieber Herr Doktor, ich weis es, 
daß Sie ein großer Mann ſind und daß Ihnen 

M 4 


0 


184 — 


Gott große und ſeltene Gaben verliehen hat, die 


wenige Menſchen in der Welt beſizzen. Ich habe 
das auch von großen Gelehrten gehoͤrt, die ſonſt 
ihre Feinde ſind, daß Ihnen der liebe Gott — 


Ich. (einfallend) Laſſen Sie dieſe Lobſpruͤche 
weg, lieber Mann, und ſagen mir lieber kurz und 
gut Ihr Anliegen. Sol ich Ihnen einen Rath ges 
ben, oder einen Aufſaz verfertigen, oder — 


Er. Rein, nein. Ich habe etwas weit 
wichtigeres auf meinem Herzen. Ich weis, daß 
Sie ein Herr ſind, der viel großes leiſten kan, 
was menſchliche Kraͤfte nicht vermoͤgen. Ich habe 
ſelbſt ſchon einiges verſucht: aber ich glaube ge— 
wiß, daß ich ohne Sie nichts werde ausrichten 
koͤnnen. 8 


Ich. Lieber Mann, Sie irren ſich ſehr. Ich 
habe und kenne keine andern, als menſchliche 
Kraͤfte. Und wenn Sie etwa mich zu Dingen zu 
gebrauchen hoffen, dazu Magiſche Kräfte, wie 
mans nennt, erfodert werden, ſo bedaure ich Sie. 


Er. Verſtellen Sie ſich gegen mich nicht, fies 
ber Herr Doktor: ich bin ein ehrlicher Mann. 


5 


3 8 = 


Sehen Sie, ich habe in meinem Haufe einen Schaz, 
der ſchon uͤber dreißig Jahre liegt. Es iſt algemein 
bekant daß der .... 30000 baares Geld hatte, 
und da er ſtarb, ſuchte man das ganze Haus durch 
und fand nichts, und jederman ſagte, daß ers ver⸗ 
graben haͤtte. Das Haus beſizze ich jezt, und es 
iſt zuverlaͤßig das Geld noch da. Sie ſollen den 
dritten Theil davon haben, lieber Herr Doktor, 
wenn Sie mir dazu verhelfen. Ich weis, Sie koͤn— 
nen. Ich habe ſchon drei Waſſergeiſter abgetrie— 
ben. Aber es ſizt noch ein maͤchtiger Luftgeiſt auf 
dem Schazze, welcher nicht wanken und weichen 
will. Und ich weis gewiß, Sie zwingen ihn. 


Ich fuhr fort, den Mann zu bedeuten, daß er 
ſich an mir irre und ich konte dennoch mit allen 
Konteftationen und Vorſtellungen nichts bei ihm 
ausrichten: weil er ſichs feſt in den Kopf geſezt 


hatte, daß ich die bei mir geſuchte Kunſt befäße, und 


nur Urſache haben muͤßte, mich vor ihm zu ver⸗ 


bergen. 


Wenn alle dieſe und aͤhnliche Glaubige an 
meine Macht im Ge ſterreiche nicht noch lebten, 
M 5 


55 zum Theil brave und angeſehene Leue waren; x 
fo würde ich kein Bedenken tragen, ihre Namen 
zu nennen, welche ich jezt aus Diskretion verſchwei⸗ 
gen muß. 


Sechszehntes Kapitel. 
Ruͤkkehr in die Stadt. 


Geſchichte der meraliſchen Vorleſungen. 


Jo hatte zwei Winter und einen Sommer in 
meinem Gartenhauſe ausgehalten und mit vielen 
Koſten alle moͤgliche Verſuche gemacht, den Rauch 
los zu werden, welcher bei Heizung der Oefen das 
ganze Haus erfuͤllte und zuweilen mit Gewalt durch 
die Oefen in die Zimmer drang, ſo daß man Thuͤr 
und Fenſter oͤfnen oder erſtikken mußte. Ich habe 
dieſe Noth wenigen geklagt, um einſtige Käufer 


nicht abzuſchrekken: aber ſie war wirklich ſo groß, 


daß wir ſie nicht mehr ertragen mochten. 


Einmal gerieth ich in wirkliche Gefahr, mit 


meiner Frau und meiner älteſten Tochter, welche 


in meiner Kammer mit lag, zu erſtikken. Ich 
brante in meinem Ofen Steinkohlen, die ich, auch 
wenn ſie dampfen, ſehr gut vertrage. Das Feuer 
war um acht Uhr ſchon niedergebrant und wir hats 
ten uns halb zehn Uhr ſchlafen gelegt. Um eilf Uhr 
hoͤre ich meine Frau keichen und ſtoͤhnen, als wenn 
ſie mit dem Tode raͤnge. Ich ermunterte mich, 
konte aber kein Wort aus ihr herausbringen. Ich 
wekte meine Tochter. Dieſe ſtund auf, und wie 
ſie auf ihre Fuͤße trat, taumelte ſie in meine Arme. 
Jezt erſt merkte ich, daß Steinkohlen Dampf in 
der Stube war. Denn ich ſelbſt empfand nichts 
als ein wenig Kopfſchmerzen, und war an den 
Kohlen geruch ſchon fo gewoͤhnt, daß ich nicht drauf 
gefallen ſeyn würde, wenn ich nicht die Wirkung 
an meinem Weibe und Kinde gemerkt haͤtte. Ich 
ſchlepte eiligſt das Maͤdchen hinaus, riß das Fen⸗ 
ſter auf und zog die Mutter aus dem Bette, um 
fie ebenfals aus dem Zimmer zu bringen. Sie erz 
holten ſich beide wieder. Und nun fand ich, daß 
ein Windſtoß die gluͤhenden und noch Schtwefelduf: 
tenden Kohlen dergeſtalt getroffen hatte, daß gluͤ— 
hende Aſche im Zimmer um den Ofen herum lag. 
Waͤr ich eben ſo empfindlich gegen den Kohlendampf 


geweſen, wie mein Weib, und hätte folglich nicht 
fo leicht erwachen und mich beſinnen und Huͤlfe 
ſchaffen koͤnnen; fo wären wir vieleicht alle drei 
ums Leben gekommen. | | 


E77 


Dieſer Vorfall brachte den Entſchluß zur Rei⸗ 
fe, den Garten wieder zu verkaufen, den ich, wos 
fern ich ihn nicht mehr bewohnen und die Miethe 
in der Stadt dabei ſparen konte, nicht zu behaup⸗ 
ten vermochte. 


Ich miethete mich anfangs wieder in der Stadt 
ein, kaufte mir aber hernach ſelbſt ein Haͤuschen 
fuͤr 1000 Thaler, wo ich zu meiner Lieſe noch ein 
Pferd mit einer Halbſchaͤſe anſchafte, und alle Nach⸗ 

mittage aufs Land fuhr, um da zu arbeiten. Mei⸗ 
ne Lebensart blieb wie vorher. Ich arbeitete von 
fuͤnf Uhr des Morgens bis Mittag. Nachmittags 
nahm ich mein Schliftſteller⸗ Werkzeug mit nach 
Schlettau und benuzte blos die Bewegung des Fah⸗ 
rens und die Gelegenheit, in kurzen Pauſen, die 
ich in meine Schreiberei einſchaltete, die freie Land⸗ 
luft zu genieſſen. Zuweilen fand ich auch Geſel⸗ 
ſchaft, der ich, wiewohl ſelten, einen Theil der 


Arbeit aufopferte. Ich habe mehrere hundert 


Zeugen, die mich da bei meiner Arbeit getroffen 
haben: und dennoch ſeufzte die theologiſche Hei⸗ 
ligkeit ſo laut, daß mans in Berlin hoͤren konte: 
Der D. Bahrdt liegt Tag und Nacht auf den 
Doͤrfern! 


Solche Seufzer, von Zeit zu Zeit an die Be— 
hoͤrde abgeſchikt, waren noͤthig, wenn der vers 
haßte und ein vor allemal zum Opfer der Un⸗ 
terdruͤkkungsſucht beſtimte Mann wirklich erliegen 
ſolte. Denn des Miniſters Wunſch, mich zu ver— 
ſorgen, war noch gar nicht in feinem Herzen erſtor— 
ben. Er hatte vielmehr vor kurzem nur erſt Mine 
gemacht, die verfallne und mit bloſſen Studenten- 
predigten bisher verſorgt geweſene Univerſitaͤtskir— 
che wieder in Aufnahme zu bringen und, in meiner 


5 kleinen Per ſon, der Kirche ein Auditorium und den 


Studenten ein brauchbares Muſter der Kanzelbe— 
redſamkeit zu geben. Und es hatte ſehr dringende 
Berichte gekoſtet, dieſe meine neuen Ausſichten zu 
verſinſtern und die Gefahr, mich durch Rednerta— 
lente in Anſehen und Kredit zu erblikken, von dem 
halliſchen Zion abzuwenden. 


5 

Aber ſchon bereitete ich meinen Unterdruͤkkern 
neue Beſorgniſſe. — Ich bekam den Einfall, nach 
der Weile des ſeligen Gellerts, moraliſche Vorles 
ſungen zu halten, weil ſchon viele Familien, adli⸗ 
chen und buͤrgerlichen Standes, mich ermuntert 
hatten, einmal ein Kollegium zu leſen, welches fuͤr 
alle Stände geniesbar ſey. | 


Mein Plan war, wöchentlich eine einzige Stun⸗ 
de dazu zu beſtimmen, und blos die wichtigſten und | 
intereſſanteſten Themata aus dem Umfange der mo— | 
raliſchen Religion auszuheben, um fie mit der ganz | 
zen mir moͤglichen Kraft der innern und aͤuſſern 
Beredſamkeit vorzutragen. | 


Ich hatte damals das große Auditorium, in 
welchem ehedem der große Baumgarten feine Vor⸗ | | 
leſungen gehalten hatte. Es faßte bei 400 Mens 
ſchen. In dieſem Hoͤrſale ließ ich einen Abſchlag 
machen. Zwei Drittel des Raums beſtimte ich ö 
fuͤr Studenten und einen Drittel fuͤr Zuhoͤrer aus 
andern Staͤnden. Der Abſchlag ſonderte beide 
Arten von Zuhoͤrern von einander, und war ſo 
eingerichtet, daß zur Zeit, wenn ſich das Audito⸗ 


+ — — 


191 
rium verſamlete, kein Theil den andern ſehen kon⸗ 
te. Erſt, wenn ich aufs Katheder ging, oͤfnete 
ſich durch große Schieber der obere Theil des Ver⸗ 
ſchlags, ſo daß beide Auditoria einander ſowohl 
als den Redner im Geſicht hatten. 


Mein Vorſaz war, die Stunde des Sontags 


um eilf Uhr zu halten, wenn alle Kitchen geendiget 


waͤren. Ich waͤhlte den Sontag, weil da die 
Familien am erſten Zeit hatten, einer ſolchen Stun— 
de beizuwohnen und auch in Abſicht auf Seelen— 
ſtimmung dazu am aufgelegteſten ſchienen. Es 
war dies weder etwas unſchikliches noch neues. 


Schon in Halle waren des Sontags Vorle⸗ 
ſungen gehalten worden. In Göttingen hatte 
Heine des Sontags Archäologie geleſen. Und ein 
Jahr darauf las unſer Paſtor Senf alle Sontage 
ein Kollegium über die haͤusliche Erziehung. Was 
rum ſolte ich alſo nicht Sontags eine Stunde Mo⸗ 
ral leſen? 


Ich machte mein Vorhaben bekant und er⸗ 
hielt in der Stadt algemeinen Beifal. Viele Afs 


ficiers und Familien verſprachen zu kommen. Eine 
ungeheure Menge Studenten meldete ſich. Ich 
vollendete meine Anſtalten und ſezte endlich dieſe 
moraliſchen Vorleſungen in meinen Lektionszettel. 
Und dieſer ging, mit der Liſte aller akademiſchen 
Vorleſungen, nach Hofe und wurde approbirt. g 


Aber bald nach Oſtern, etwa vier Wochen, 
ehe die Sommervorleſungen ihren Anfang nah⸗ 
men, hoͤrte ich, daß einige bei der Univerſitaͤt 
meine moraliſchen Vorleſungen nicht billigen wol— 
ten und — daß beſonders die Herren Theologen 
allerlei dagegen einzuwenden hatten. Ich eilte zu 
dem damaligen Prorektor, dem Herrn Prof. Schulz, 
und fragte, ob das Gerücht Wahrheit habe? Er 
nahm mich mit der aͤußerſten Hoͤflichkeit auf, zukte 
die Achſeln und geſtand — daß allerdings verſchie⸗ 
dene Einwendungen gemacht wuͤrden, und daß 
man von Seiten der Fakultat mir durchaus nicht 
geſtatten wolte, dieſe Vorleſungen zu halten. 


Ich drang in ihn, die Gruͤnde davon zu ver⸗ 
nehmen, konte aber nichts erfahren. Alſo wandte 


ich mich ſo fort an den Miniſter, berichtete ihm, 
daß 


193 


daß mir der Prorektor den Anſchlag meiner moras 
liſchen Borlefungen am ſchwarzen Bret nicht geſtat⸗ 
ten wolle, und bat um ſeine Protektion. Ich er⸗ 
hielt die ſchleunigſte Huͤlfe. 


Se. Exellenz antworteten mir: „mit heuti⸗ 
„gem Poſttage habe ich an den Herrn Prorektor 
„ ſelbſt geſchrieben und ihm wegen Ihres Anliegens 
„meine Gedanken eroͤfnet. Es werden Ihnen nun 
„weiter keine Schwierigkeiten gemacht werden. 
„Benehmen Sie ſich nur ſelbſt dabei mit der noͤthi⸗ 
„gen Vorſicht, und ſchaden ſich nicht durch alzu⸗ 
„freimuͤthige Aeuſſerungen u. ſ. w., 


Nun freute ich mich meines Sieges. Der Ap⸗ 
probation des Oberkuratorii verſichert, ging ich 
ſogleich zu Herrn Schulz und ſagte Seiner Magni⸗ 
ficenz , daß mir der Miniſter ſchriftliche Erlaubniß 
ertheilt, und mir zugleich gemeldet haͤtte, daß er 
Seiner Prorektoriſchen Herrlichkeit feine Willens⸗ 
meinung eroͤfnet habe. 


Herr Schulz war freundlich und artig: aber — 
dabei in ſeinen Antworten ſo unbeſtimt, daß ich 
IV. B N a 


- f 0 5 KR R 


/ 


te. Er ließ ſich ſogar nicht einmal in ein ausdruͤk⸗ 
liches Geſtaͤndniß ein, daß er den Brief vom Mi⸗ 
niſter erhalten habe. Er wagte es nicht, mir die 
Vorleſungen weiter zu unterſagen: aber er huͤtete 
ſich auch, mir eine kategoriſche Erlaubniß dazu zu 
ertheilen. Und wenn mein Gedaͤchtniß mich nicht 
taͤuſcht; ſo bat er mich blos, die Zeit, naͤmlich die 
Sontagsſtunde, nicht mit oͤffentlich anzuſchlagen. 


Ich nun — ging, trozzend auf meine gerechte 
Sache und auf des Miniſters Handſchreiben, — 
an die Arbeit, und ließ mir weiter nicht traͤumen, 
daß ich an meinem Vorhaben gehindert werden 
wuͤrde, zumal da ich dem Prorektor nachgegeben 
und die Beſtimmung der Zeit aus dem Anſchlage 
weggelaſſen hatte. Vor allen Dingen ſorgte ich 
jezt fuͤr gute Ordnung, und weil ich fuͤrchten mußte, 
daß ein erſtaunender Schwarm von Studenten ein⸗ 
dringen wuͤrde; ſo machte ich bekant, daß kein 


Hoſpite geduldet werden koͤnte, ſondern daß jeder 


von dem Anfange der Vorleſungen das Honorari⸗ 
um bezahlen und ſich ein Entree⸗ Billet bei mir ab⸗ 
holen müffe, ohne welches niemand eingelaſſen wer⸗ 


weder Ja noch Wein aus ihm herausbringen kon⸗ 


1 


1 
— . Ste ui un 2 


a —————9—— 195 


den und einen Plaz finden würde. Das Honora— 
rium betrug, fuͤrs halbe Jahr, zwei Thaler. Und 
ich gab über 200 Billets aus. 


Die Fakultat ließ mich gewaͤhren. Die Unis 
verſitaͤt ſchwieg. Der Prorektor ruͤhrte ſich nicht. — 
Ich verwendete einige dreiſſig Thaler auf die Ver— 
ſchoͤnerung meines Hoͤrſales. Ich ließ den Ver⸗ 
ſchlag anſtreichen. Ich verſahe den fuͤr Familien 
beſtimten Raum mit Stuͤhlen. Kurz, ich handel— 
te oͤffentlich und ſtadtkundig ſo, daß es keinem 
Menſchen, geſchweige dem Prorektor, verborgen 
bleiben konte, was ich vor hatte. Meine Billets 
kurſirten in allen Haͤuſern. — Aber es war ab— 
ſichtliche Stille. Man wolte mich ruhig alle An— 
ſtalten vorkehren laſſen und, erſt im lezten Augen 
blikke, mich ſtoͤren und zum Gelächter machen. 


Nachdem ich dem Prorektor erflärt hatte, daß 

ich den und den Sontag anfangen wuͤrde zu leſen, 
und mir kein Wort dagegen von ihm eingewendet 
worden war — nachdem ich drei Wochen lang oͤf⸗ 
fentliche Anſtalten gemacht und Billets ausgegeben 
hatte — ſchikten Se. Magnificenz — der Theo⸗ 
N 2 | 


196 | — 

loge, Schulz, Direktor des Waiſenhauſes — 
den Pedell, an die Frau D. Junkerin, an dem 
Sonnabende, welcher vor dem Sontage unmittel⸗ 
bar vorher ging, an welchem ich anfangen wolte zu 
leſen, abends um acht Uhr, und ließ ihr befehlen, 
bei zehn Thaler Strafe ſogleich die Thuͤren meines 
Auditorii zu verſchließen, mit Vorlegeſchloͤſſern zu 
verwahren, und mir ſchlechterdings allen Gebrauch 
des Hoͤrſals zu verwehren. 


Um neun Uhr deſſelben Abends, wo ich ruhig 
in meinem Hauſe ſaß und mich auf die morgende 
erſte Vorleſung zubereitete, kam der Herr D. Jun⸗ 
ker, der Sohn der guten Frau, von welcher ich 


das Auditorium gemiethet hatte, erſchrokken und | 


leichenblaß gelaufen, und meldete mir den ſcheusli⸗ 
chen Vorfall. 


Ich war wie verſteinert, da ichs vernahm. 
Iſts moͤglich, dacht' ich, daß man ſo heimtuͤkkiſch 
mit mir verfährt? — Meine Erſtarrung ging in 
tobende Blutwallung uͤber. Ich rannte zum Poſt⸗ 
direktor, der mein Freund war, und bat ihn drin⸗ 
gend, mir bis zehn Uhr Zeit zu laſſen, daß ich noch 


* f , — = 
— — — — — — 


— ——— 197 


einen Brief nach Berlin ſchreiben und abgeben koͤn⸗ 
te. Er verſprachs und hielt Wort. 


Im erſten Aufbrauſen meines Zornes ſezte ich 
mich und ſchrieb an den Miniſter. 


„In dieſen Augenblikten erfahre ich den hoͤchſten 
„Grad der allerniederträͤchtigſten theologiſchen 
„Kabale, die je an einem Menſchen veruͤbt 
„worden iſt ꝛc. 


Mit ſolchen heftigen Ausdruͤkken, war der 
ganze Brief erfuͤlt. Ich erzaͤhlte in dem bitterſten 
Tone den ganzen Vorfall, wie ich den Prorektor 
vor drei Wochen geſprochen, mich auf Sr. Exel⸗ 
lenz Handſchreiben berufen, und kein weiteres “ns 
terdikt erhalten hätte; wie boshaft man mir bei 
meinen Anſtalten zugeſehen und nicht einen Laut 
von ſich gegeben haͤtte, woraus Widerſtand zu 
ahnden geweſen waͤre: wie ſchaͤndlich es ſey, einen 
Mann erſt Koſten aufwenden und die ganze Stadt 
in Erwartung ſezzen zu laſſen, und dann erſt aus 
dem Hinterhalt hervorzubrechen und ihn, mit Ver: 
eitlung aller ſeiner Anſtalten, dem Hohngelächter 
des Publikums preis zu geben. 

N 3 


6 0 


Dieſer freilich zu hizzige Brief, den ich bei 
kaͤlterm Blute nicht geſchrieben haben wuͤrde, ward 
des Sonnabend Abends noch auf die Poſt gegeben. — 
Ich ſchlief die ganze Nacht vor Scham und Aerger⸗ 
niß nicht. Den Sontag fruͤh ſchikte ich meinen 
Fiskal in die vornehmſten Haͤuſer und ließ anſagen, 
daß ich gehindert ſey, heute die moraliſchen Vor⸗ 
leſungen anzufangen. | 


Aber um zehn Uhr ſchon hörte ich neuen Laͤrm. 
Man meldete mir, daß die Studenten ſchaaren⸗ 
weiſe nach meinem Auditorio zoͤgen: daß eine Men⸗ 
ge Herren und Damen auf gleichem Wege waͤren: 
und — daß das Haus, wo ich haͤtte leſen wollen, 
mit Haͤſchern beſezt ſehy. Es war mir unglaublich. 
Ich ſandte meinen Fiskal ſelbſt hin. Und es war 
leider die Wahrheit. 


Die Herren ... hatten beſorgt, ihre Vor⸗ 
legeſchloͤſſer moͤchten allein nicht ſtark genug ſeyn, 
mein Borhaben zu hintertreiben. Sie wußten, daß 
eine Menge Stabs- und andere Officiers meine 
Freunde waren und den Vorleſungen beizuwohnen | 
beſchloſſen hatten. Sie trauten dieſen Kriegshelden 


zu, daß fie mit den Vorlegeſchloͤſſern nicht viel Kom⸗ 
plimente machen, ſondern mich de facto in meinen 
Hoͤrſal einfuͤhren wuͤrden. Sie kanten meinen 
Muth und ihre ungerechte Sache. Sie erwogen, 
daß ſie den Fehler begangen und mir weder ſchrift— 
lich noch muͤndlich ein Interdikt inſinuirt haͤtten, 
und daß ich alſo gar fuͤglich, kraft des Handſchrei⸗ 
bens vom Miniſter, ihre Vorlegeſchloͤſſer ignoriren, 
und mich der Erlaubniß des Oberkuratorii bedienen 
koͤnte. Kurz, es ward ihnen bange, daß die Reihe 
des Ausgelachtwerdens an ſie ſelbſt kommen duͤrfte, 
wenn fie nicht ſtaͤrkere Hinderniſſe mir entgegen ſez⸗ 
ten. Daher hatten ſie ſich entſchloſſen, in aller Fruͤ⸗ 
he das Haus mit Pedellen und Haͤſchern zu beſez— 
zen, um mich und meine Zuhörer, mit Gewalt abs 
treiben zu laſſen. 


Aber ich handelte fo uͤbereilt nicht, wie fie gez 
glaubt hatten. Ich blieb zu Hauſe, und erwartete 
die Vertheidigung meiner Rechte vom Oberkurator. 
Und meine Zuhörer kehrten, da fie die Haͤſcher fa> 
hen, eben ſo ſtill in ihre Wohnungen zuruͤf. | 


Was man in der Stadt und bald nachher in 
Deutſchland von dem Vorfall ſprach, werden mei⸗ 
N 4 


200 — 


ne Leſer wohl errathen koͤnnen. Ich hätte nicht 
Menſch ſeyn muͤſſen, wenn ich ohne alle Leidenſchaft 
dabei geblieben waͤre. Den Dienſtag gieng ein faſt 
eben ſo feuriges Schreiben an den Miniſter, in 
welchem ich den ſpaͤtern Auftritt berichtete, der am 
Sontage ſich ereignet hatte. Und ich erwartete 
nichts gewiſſers, als daß der Miniſter meine er⸗ 
theilte Erlaubniß durchfechten und der Fakultat 
eins auswiſchen wuͤrde. Aber meine Erwartung 
wurde nur zur Haͤlfte erfuͤllt. 


Es dauerte vier Wochen, ehe von Berlin aus 
etwas erfolgte. — Der Miniſter mochte nicht Luft 
haben, es zu einem foͤrmlichen Kriege zwiſchen ihm 
und der Fakultat kommen zu laſſen: weil er nicht 
gewiß war, in welcher Stimmung Friedrich den 
Großen eine Klage der Univerfität gegen den Kura⸗ 
tor finden würde, Er ſcheint daher lange ſich bez 
dacht und nachgeſonnen zu haben, wie er meine 
unartigen Gegner zuͤchtigen wolte, ohne ſich in ei⸗ 
nen direkten Krieg mit ihnen einzulaſſen. Und von 
dieſen Berathſchlagungen ſcheint mir folgender Er⸗ 
folg das Reſultat geweſen zu ſeyn. 


Se. Excellenz ſchikten — meine beiden Pri⸗ 
vatbriefe! — an die Untverjität, mit dem Befehl, 
fi dagegen zu verantworten. — Das war eine 
Eeſcheinung, die ſich kein Menſch zu entraͤthſeln 
vermochte. Viele weiſſagten mir aus dieſem Ge— 
brauche, den der Miniſter von meinen Briefen ge— 
macht hatte, einen traurigen Ausgang. Ich — 
blieb in meiner Ruhe und ließ dem Dinge ſeinen 
Lauf. Mein Blut hatte ſich abgekuͤhlt und die 
ganze Sache war in meinen Augen nur noch Spie⸗ 
gelgefecht. 


Aber was bei der Univerſitaͤt fuͤr große Augen 
gemacht wurden, kan man ſich beſſer vorſtellen als 
beſchreiben. Die runden Peruͤkken eilten in ihre 
Konferenzen und — beſchloſſen meinen Untergang. 
„Das iſt erſchreklich, hieß es. So hat ſich noch 
„kein Menſch unterfangen, gegen alte koͤnigliche Proz 
„feſſoren zu ſchreiben. Da muß ein exemplum 
„fine exemplo ſtatuirt werden. Jezt dürfen wir 
„nicht ſchonen. Jezt muß alles heraus. Wir 
„müuͤſſen ſchlochterdings eine eklatante Satisfaktion 
„haben. Der Bahrdt muß oͤffentlich beſtraft und 
„für ſolche Inſolenzen gezuͤchtiget werden., 

N 5 


202 DH. 


Es kam zum votiren. Der vorgeſchlagene 


Bericht ward von vielen Profeſſoren, welche die 
Unbilligkeit des bisherigen Verfahrens gegen mich 
einſahen, mit Gruͤnden verworfen. Aber durch 
die Mehrheit der Stimmen wurde er durchgeſezt 
und ging nach Hofe. f 3 
Der Bericht oder vielmehr die Anflage ent: 
hielt alles, was gegen mich aufzubringen war. 
Man ſtelte dem Oberkuratorio die Heiligkeit des 
Sontags vor, den ich mit meiner Moral hätte 
profaniren wollen. Man zeigte die gerechte Be— 
ſorgniß, daß Studenten- und Volksauflauf haͤtte 
entſtehen und gefährlicher Tumult aus meinem 
Vorhaben erwachſen koͤnnen, weil viele mich fuͤr 
einen Irlehrer hielten. Man ſchilderte meinen mo⸗ 
raliſchen Karakter auf die gehaͤſſigſte Art und be⸗ 


wies daraus, daß einen ſolchen Mann ſontaͤgliche 


Erbauungsſtunden durchaus nicht kleideten: daß 


zu einem ſolchen Unternehmen ein Mann von weit 


reinern Sitten erfodert würde. Man äußerte 
Furcht, daß ſolche Vorleſungen als Konventikel 
angeſehen werden und andern dazu Gelegenheit 


geben koͤnten. Man deklamirte uͤber die ſchrek⸗ 


lichen Unſittlichkeiten, welche entſtehen koͤnten, wenn 
in einem Auditorio Weiber und Toͤchter mit 
den Studenten zugleich ſich einfinden ſolten. Man 
beſchrieb meine unanſtaͤndigen Werbungen, mit 
denen ich auf Bierbaͤnken und Koffehaͤuſern meine 
Zuhörer zuſammen getrommelt hätte ꝛc. 


Wie viel in dieſem Berichte Wahrheit war, 
mag ich jezt nicht unterſuchen. Ich will blos auf 
zwei Punkte meine Leſer aufmerkſam machen, mel: 
che ſie das uͤbrige deurtheilen lehren werden. Der 
Punkt der Werbungen war ganz falſch: denn ich 
bin noch bis auf den heutigen Tag auf kein halli— 
ſches Koffehaus gekommen, und kan den getroſt 
auffodern, der mich je in Halle in einem ſolchen 
Hauſe geſehen haben will. Ueberhaupt habe ich 
keinen Menſchen geworben. Ich habe blos mein 
Vorhaben, dazu mich andere ermuntert hatten, 
bekant gemacht, und ruhig erwartet, wer kommen 
oder ſchikken, und ſich ein Einlas- Billet ausbitten 
wolte. Auch nicht ein einziger Menſch kan ſagen, 
daß ich ihn ſelbſt darum angeredet habe. Und was 
zweitens die Gefahr des Tumults betrift, ſo iſt es 
befant genug, daß alle Studenten mir wohl wol⸗ 


204 * 


ten und fr mich fo eingenommen waren, daß ge— 
wiß kein einziger Menſch ſich unterſtanden haben 
wuͤrde, aus Abneigung gegen meine Irglaͤubigkeit 
mich zu inſultiren und die Ruhe zu ſtoͤhren. 


Aber die Herren.... begnuͤgten ſich nicht an 
dieſem Bericht. Sie ſuchten noch anderweitige 
Buͤndniſſe auf, um diesmal mit einer unbeſiegba⸗ 
ren Macht gegen mich zu Felde zu ziehen. Man 
wußte es dahin einzuleiten, daß das halliſche Stadt⸗ 
miniſterium zu gleicher Zeit eine ſchriftliche Pros 
teſtation einlegte und bei Hofe ſupplicirte, daß man 
dem Kezzer Bahrdt feine moraliſchen Vorleſungen 
an Sontagen nicht geſtatten moͤchte. Dieſes merk⸗ 
wuͤrdige Schreiben verdiente wortlich abgedrukt zu 
werden. Es enthielt eine Menge Seufzer uͤber 
meine Profanität und ſtellt hauptſächlich dieſen 
Grund gegen mich auf: | 


Daß der Klingelbeutel in den halliſchen Kirchen 
darunter verlieren wuͤrde, indem zu beſorgen 
ſey, daß viele Leute, deren lüfterner Gaum 
ſie in meine Vorleſungen ziehen duͤrfte, nun 
die Fruͤhkirchen verſaͤumen und meinen neu⸗ 
modiſchen Deklamationen nachlaufen wuͤrden. 


* 


Gern Hätte man auch von Seiten der Bürgers 
ſchaft etwas tentirt. Aber ich hatte damals unter 
den Buͤrgern ſo viel Freunde und ſo gar Anhaͤnger 
meiner Grundſfaͤzze, daß ich eher ſelbſt im Stande 
geweſen wäre, ein paar hundert zuſammen zu brin— 
gen, welche ſich für meine Freiheit verwendet has 
ben wuͤrden. Denn meine Schriften hatten mir 
viele Herzen gewonnen. 


Der Vericht ging alſo mit der Vorſtellung des 
Miniſterii nun ab, und man wartete mit Schns 
ſucht auf Antwort. Meine Feinde bei der Univers 
fität hoften ein ganzes Bündel voll Blizze, die mich 
treffen wuͤrden. Und die Theologen ſahen vielleicht 
einer knieenden Abbitte entgegen. Es dauerte aber 
wohl ſechs Wochen, ehe die Stille ane 
wurde. 


Endlich — erſchien ein Reſcript, bei deſſen 
Erblikkung allen der Mund offen ſtehen blieb, als 
wenn die Maulſperre ſie befallen haͤtte: 


Wir — haben auf euren Bericht — beſchloſſen, 
daß, da das Sommerhalbe Jahr meiſt zu 


206 — 5 
Ende iſt, die moraliſchen Vorleſungen des d. 
Bahrdt vor der Hand ausgeſezt bleiben mooͤ sz 
gen: und ſoll derſelbe, da er an ſeinem Theile 
alles gethan hat, was ihm moͤglich war, nicht 
angehalten werden, die bereits empfangenen 
Gelder wieder herauszugeben ꝛc. | 


Dieſes Reſcript wurde mir vom Oberkurato⸗ 
rio kommunicirt, und in einem Schreiben gleiches 
Inhalts befohlen, mich bei der Sache zu beruhi⸗ 
gen und meine Vorleſungen auf eine andere Zeit zu 
verſchieben. Und damit hatte der ganze Proceß, 
von dem man einen ſo eklatanten Ausgang erwar⸗ 
tet hatte, ein tragi⸗komiſches Ende. 


Viele wußten ſich dieſes Verfahren des Mi⸗ 
niſters nicht zu entraͤthſeln. Ich aber glaube feine 
bſicht errathen zu haben. Mich deucht, er ſahe 
die Unmoͤglichkeit, mich fuͤr diesmal zu protegiren, 
und mein Recht durch zuſezzen. Auch fand er es 
vieleicht der Klugheit nicht gemaͤß, den Theologen 
geradehin unrecht zu geben, und ſie fuͤr ihre Unge⸗ 
rechtigkeit zu ſtrafen. Er erwaͤhlte alſo eine indi⸗ 
rekte Beſtrafung. Er noͤthigte fie, in meinen Brie⸗ 


— nan | 2 07 


fen die haͤrteſten Zuͤchtigungen zu leſen und ohne 


alle Satisfaktion zu verſchmerzen. Und mich hofte 


er dadurch zu entſchaͤdigen, daß er mich von der 
Ruͤkgabe der eingenommenen Gelder befreite. Ich 
enthalte mich aller weitern Anmerkungen. — Zed⸗ 
liz war ein weiſer und rechtſchafner Mann, der 


aber nicht immer ſo handeln konte, wie er wolte. 


Man muß keinen Miniſter, fo wie keinen Wiens 
ſchen, nach der Auſſenſeite beurtheilen. Es traten 
oft Umſtaͤnde ein, welche die menſchlichen Han⸗ 
dlungen beſtimmen und die das Publikum niemals 
zu erfahren bekomt. Auch in dieſer Sache waren 
Umftände — die ich verſchweigen muß, welche vieles 
Licht geben würden. — — —. 


Ein merkwuͤrdiges Phaͤnomen war es fuͤr mich, 
daß mich kein Menſch um das empfangene Geld fuͤr 
die nicht gehaltnen moraliſchen Vorleſungen mahnte. 
Indeſſen ließ ichs freiwillig allen den Studenten, 
welche im folgenden halben Jahre bei mir hörten, 
zu gute gehen, und mir abziehen. 

Zu Michael ſchlug ich meine moraliſchen Vor⸗ 
leſungen abermals an, und ſezte dazu zwei Stun— 


den aus: eine des Mittwochs⸗ abends um fünf, und 
die andere, des Sonnabends (weil um fuͤnf Uhr 
das Konzert anging) nachmittags um zwei Uhr. 
Das ganze Publikum wurde eingeladen. Die Uni⸗ 
verfität legte mir keine Hinderniſſe wieder in den 
Weg. Mein Hoͤrſal ward gedraͤngt voll. Ich 
hatte bei 300 Studenten zu ordentlichen Zuhoͤrern, 
und der hintere Verſchlag faßte zuweilen funfzig 
bis ſiebzig Liebhaber, aus allen Staͤnden — Offi⸗ 
cieis, Raͤthe, Profeſſoren und Bürger, mit Weis 
bern und Toͤchtern. 


Jezt zeigte ſichs durch die Erfahrung, daß 
alle Beſorgniſſe wegen Unſittlichkeit und laͤrmender 


Auftritte vergeblich geweſen waren. Nirgends 


in der Welt muß ein ſtilleres und ernſteres Audi⸗ 
torium gefunden worden ſeyn. Es war eine ſo fei⸗ 
erliche Stille, daß man in einem Tempel zu ſeyn 
meinte. Mir ſelbſt war es ruͤhrend, ſolche Zuhoͤ⸗ 
rer vor mir zu haben. Ich ward durch dieſe Tod⸗ 
tenſtille fo begeiſtert, daß oft eine Thraͤne mir ent⸗ 
rann, wenn ich betete. Denn ich begann alle Vor⸗ 
leſungen mit einem Gebet und endete ſie u ges 
woͤhnlich mit Gebet. 

Viele 


De 


r — 


— 209 


Viele — viele junge Leute wurden in ihrem 
Innerſten durch meine Vorträge gerührt, und has 
ben mir es ſelbſt geſtanden, daß ſie durch mich 
moraliſch beſſere Menſchen geworden wären. Aus 
riſten und Aerzte hoͤrten mich, und verſaͤumten 
bis zu Ende des halben Jahres keine Stunde. 


Ueberhaupt kan ich mich des Vorzugs ruͤh— 
men, daß in allen meinen akademiſchen Vorleſun— 
gen eine Beſcheidenheit und Stille geherſcht hat, 
die in keinem andern halliſchen Hoͤrſale noch ge— 
funden worden iſt. Bei einigen Docenten giebts 
zuweilen einmal ein laͤrmendes Scharren, Pochen, 
Ziſchen u. d. Und bei mir iſt, ſo lange ich in 
Halle geleſen habe, noch kein Geraͤuſch gehoͤrt 
worden. Ich konte in meinen Deklamationen das 
aͤußetſte pianiſſimo ausdruͤkken ohne Gefahr, daß 
eine Sylbe verloren ging. Alle, die mich je gehoͤrt 
haben, ſind meine Zeugen! 


Im naͤchſtfolgenden Sommer, ſezte ich dieſe 
Vorleſungen fort, und hatte das Vergnuͤgen, daß 
ſelbſt Fremde aus der Nachbarſchaft, inſonderheit 
aber von Lauchſtaͤdt kamen, und meinen DR 
mit ihrer Gegenwart beehrten. 

IV. B. O 


Und fo habe ich denn wohl endlich in der Welt 
Zeugen genug, die mich vor dem Vorwurfe ver⸗ 
breiteter Irreligion ſchuͤzzen und mir nachſagen 
koͤnten, — wenn fie für mich ſprechen wollten — 
daß meine Vorträge religioͤſe und tugendhafte Ges 
ſinnungen verbreitet haben, und der Moralität im 
hoͤchſten Grade förderlich geweſen find. — Nach 
dem Tode Friedrichs des Großen gab ich alle Vor⸗ 
leſungen freiwillig auf, und entſagte, in einer 
Schrift an den Prorektor, ſelbſt dem foro acade- 
mico!! | 


Siebenzehntes Kapitel. 
Haͤusliche und auſſerhaͤusliche Plagen. 


5 


Men raſtloſer und in der That uͤbermaͤßiger 
Fleiß, welcher mir, ohngeachtet der ſchlechten Zah⸗ 
lungen meiner akademiſchen Zuhoͤrer, doch immer 
1000 Thaler jährlich eintrug, konte mich dennoch 
nicht von Sorgenund Verlegenheiten befreien. Ich 
fing um dieſe Zeit beſonders an, daruͤber ae 
lich zu werden. 


cn or 211 


Meine Lebensart war einfach. Ich aß taͤg⸗ 
lich eine Schuͤſſel, hatte immer nur einen ganz 
fimpeln Rok, und kleidete meine Töchter in Lein⸗ 
wand und Kattun. Ich hatte ſelten Gaͤſte und be⸗ 
wirthete fie allemal äußerſt frugal. Und doch — 
reichten meine 1ooo Thaler nirgends zu. Ich hate 
te immer Schulden, und mußte mit einer gewiſſen 
Aengſtlichkeit mich durch winden, um nur auszu⸗ 
weichen. Es wird das jederman unglaublich ſchei⸗ 
nen, der da weis, was eine ſolche Wirthſchaft 
koſtet, wie die meinige war. Mir — war es raͤth⸗ 


ſelhaft. 


Mein liebes Weib vernahm oft daruͤber mei⸗ 
ne Klagen, aber ſie vermehrte ſie mit den ihrigen. 
Ich war, nach ihrer Meinung, immer zu genau ge— 
gen ſie. Wer ſie in Geſelſchaft ſahe, hat gewiß 
nie Mangel verſpuͤrt. Sie erſchien voͤllig ſtandes⸗ 
maͤßig. Und doch mußt ich mirs zuweilen von ihr 
klaͤglich vorſagen laſſen, daß ſie ſich in Abſicht auf 
Kleidung zu kuͤmmerlich behelfen muͤſte. Ich muß 
te dieſe Vorwuͤrfe dulden und auf meine Klage, 
daß ich manche Woche 7, 8, 9, Thaler ihr zur 
Haushaltung geben mußte, (wovon Zins, Kleider, 

O 2 


212 — — — 


Wein, Holz, Licht, Kaffe, Zuker, Tabak, Plai⸗ 
ſirs ꝛc. nicht mit beſtritten wurden — denn das bes 
ſtritt ich alle ſelbſt, und kaufte alles beſonders, und 
gewoͤhnlich in ſtarken Vorraͤthen ein) und — daß 
doch nur 3 Kinder 1 Magd und 1 Bedienter im 
Haufe waren, — auf dieſe meine Klagen mußte 
ich mit der Antwort fuͤrlieb nehmen, daß ja ihr 
Rechnungsbuch es ausweiſe, wozu das Geld ver⸗ 
wendet worden ſey. Und wenn ich ein Woͤrtchen 
ſprach, daß meine Vorraͤthe zu geſchwind ihre End⸗ 
ſchaft erreichten (ich erinnere mich, daß von einem 
halben Centner Hernhuter Lichter, zu Michael ein⸗ 
gekauft, zu Weihnachten keines mehr uͤbrig war) 
ſo jammerte ſie ſo heftig uͤber mein, aus meiner 
Aeußerung hervorleuchtendes Mistrauen, daß ich 
gern — gern nichts mehr ſagte, ſondern geduldig 
fortſchanzte, und, jemehr mir aufgieng, deſtomehr 
zu erarbeiten trachtete. 


Ich hatte damals den jungen Mann in mei⸗ 
nem Hauſe, deſſen ich ſchon mehrmalen erwaͤhnet 
habe, welcher meine Kinder ſo vortreflich bildete 
und unterrichtete, daß ſie mit entzuͤckendem Ver⸗ 
gnuͤgen, wenn die Schulſtunden kamen, auf ſein 


* 


* 
* 


Zimmer eilten und mit Mismuth es vernahmen, 
wenn die Gloke ſchlug, die ſie wieder von ihm ab⸗ 
rufte. Er war ein Mann von den ſeltenſten Tas 
lenten. Er hatte die Kentniſſe, die gerade fuͤr Kin⸗ 
der waren, ganz in ſeiner Gewalt. Er beſaß die 
Gabe, ſie durch lauter Erzaͤhlung zu verſinlichen. 
Er hatte ein Air von Sanftmuth, Freundlichkeit 
und dabei edlem Stolze, welches jeden, das Kind 
wie den Greis, bezauberte. Wenn er ſprach, 
glaubte man die Weisheit, die Unſchuld und die 
unbeſtechliche Gewiſſenhaftigkeit zu hoͤren. Er blieb 
dabei ſich immer gleich. Nie war hervorſtechende 
Froͤhlichkeit oder Traurigkeit an ihm zu fehen, 
Stille Seelenruhe ſchien in ſeinem Geſichte gezeich⸗ 
net zu ſeyn. Kurz, ich hatte das Gluͤk, den vol⸗ 
kommenſten Erzieher meiner Kinder und — meinen: 
waͤrmſten Freund an ihm zu beſizzen. 

Ich nenne den Ben 5 dcr, um ihn 

rauen 
Fra wenn er jezt irgen dwo fein Glük zu machen 
Hofnung haben ſolte 
daſſelbe zu vereiteln. Aber 

feine Geſchichte will i ich 
fangen habe, von ihm. zu n ich einmal 2 
in das Kapitel von meinen baue weil ſie ie e 
ret — vollenden. ichen eeiden⸗ 


3 


214 — 


Dieſer junge Mann lebte, wo ich nicht irre, 
zwei Jahre in meinem Hauſe und blieb in dieſer gan⸗ 


zen Zeit fuͤr mich, derſelbe — achtungswuͤrdige 
Freund. Er hatte mein unbegraͤnztes Vertrauen. 
Er verwaltete, als Fiskal, alle meine Einnahmen. 


Ihm war es ganz uͤberlaſſen, wie von meinen Zu⸗ 


hoͤrern die ſchuldigen Gelder fuͤr meine Vorleſun⸗ 
gen beigetrieben werden ſolten. Er hatte uͤberdem 


auch meine merkantiliſchen Geſchaͤfte z. B. Praͤnu⸗ 


merationen und Samlungen fuͤr mich und andere 
zu beſorgen. 5 


Im Beſiz dieſes Vertrauens gelang es ihm, 


im lezten halben Jahre ſeines Aufenthalts (wenig⸗ 


ſtens wards eher mir nicht merklich) mit meinem 
Hausmaͤdchen, welches ich aus dem Reiche mitge⸗ 


bracht hatte, eine vertraute Freundſchaft zu er⸗ 
richten. Seine und ihre Tugend, die ſie uns ſeit 


ihrem dreizehnten Jahre erbrobt e 
lich behauptet hatte, ſchien mir dor 


ligen Folgen zu buͤrgen. \ 


AInnt' ichs dem Maͤdchen auch ſelbſt an 
Meg, gab und das ich des halb f 


* * a — ö 383 
meinem D. ie mie — ob fie gleich die ein⸗ 


Und in meinem Herzen 
(welchem ihre Geburt 


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— nun n 215 


zige Magd in meinem Hauſe war) daß ſie Hofnung 
bekam, einſt die Gattin eines wuͤrdigen jungen 
Mannes zu werden, und ihm — daß er eine tu⸗ 
gendhafte und aͤußerſt geſchikte und arbeitſame Pers 
ſon hatte lieben und ſich, wie ich waͤhnte, dadurch 
von allen andern Ausſchweifungen der Jugend 
ſichern lernen. f 


Aber unſere Julie wurde ſeit dieſer Zeit, wie 
meine Frau klagte, etwas ſtoͤrriſcher und auch 
nachlaͤſſiger im Hausweſen. Und es kam dadurch 
ſo weit, daß ſie mit ihr ſich entzweite und (ich laſſe 
unentſchieden, auf welcher Seite mehr Schuld 
war) von ihr trennte. Sie und mit ihr mein 
Freund verlieſſen mit Thraͤnen mein Haus. 


Es war gerade die Leipziger Oſtermeſſe, da 
beide abreiſeten. Ein paar Tage nach ihrem Ab: 
zuge kam ich ſelbſt nach Leipzig, und war kaum 
abgeſtiegen, als mir der Hausknecht meldete, daß 
ein junges Frauenzimmer mich ſprechen wollte. 
Ich ging und fand — unſere Julie, in einem klei⸗ 
nen Kaͤmmerchen, auf dem Bette ſizzend und jam⸗ 
mernd. Sie rang ihre Hände, und Stroͤhme 
von Thraͤnen entſtuͤrzten ihren Augen. Ich halte 

O 4 


216 — ; 


es für Pflicht, die Urſache dieſes harmvollen Zus 
ſtandes unberuͤhrt zu laſſen. Genug, ſie breitete, 
einer Sterbenden ähnlich, ihre Hände nach mir 
aus. „Nur noch einmal, erlauben Sie mir, lie— 
„ber Herr Doktor, Sie zu ſehen. In meinem tief⸗ 
„ſten Jammer fuͤhle ich noch die Regungen der 
„Dankbarkeit, die ich Ihnen ſchuldig bin. Sie 
„haben als Vater, als der redlichſte Vater an 
„mir gehandelt. Nehmen Sie meinen innigſten 
„Dank dafür an, und laſſen mich Ihnen die lezte 
„Probe meiner Erkentlichkeit geben. Ich kan Sie | 
„nicht verlaſſen, ohne Ihnen eiwas zu offenbaren 
„was mir laͤngſt auf dem Herzen gelegen hat, und 
„wozu mein Gewiſſen mich draͤngt, Ihnen jezt 
„noch ſolches zu ſagen. Sie haben im vorigen 
„Herbſte einmal aus ihrer Chatulle ſechs Luisd'ors 
„vermißt, und ſo ſehr daruͤber gejammert. Ihre 
„liebe Frau hat vor meinen Augen das Kaͤſtchen 
„geöfnet, und ſie zu ſich genommen. Sie ſagte 
„mir, fie ſei genoͤthiget, es zu thun, weil Sie fie 
Noth leiden lieſſen. ꝛc., 


Gott iſt mein Zeuge, ich empfand bei dieſer 
Entdekkung weniger Schmerz, als ich jezt empfin⸗ 


x — — 217 


de, da ich ſie fuͤr mein Publikum niederſchreiben 
muß, wenn ich einmal will, daß man ganz in die 
Triebfedern meines Lebens und meiner Handlun— 
gen einſchauen ſoll. | 
Meine Gattin verlor bei mir durch diefe Anz 
klage nichts. Ich dachte bei mir ſelbſt, es ſey 
möglich, daß ich ſeit eiriger Zeit zu karg geweſen 
ſey in Zutheilung deſſen, was zu ihrer ſtandesmaͤſ— 
ſigen Kleidung erfodert wurde. Ich bedachte, daß 
mein Weib doch auch etwas zu mir gebracht haͤtte, 
und daß ſie auch ſchon als Gattin meine Kaſſe als 
die ihrige anſehen koͤnte. Daß ſie das Geld heim⸗ 
lich genommen hatte, war das einzige Fehlerhafte, 
was ich ihr, bei ihrer übrigens fo unverfaͤlſchten 
Liebe zu mir, noch wohl verzeihen konte. Alles 
alſo, was dieſes Geſtaͤndniß der ſterbenden Julie 
bei mir wirkte, war, daß ich aufmerkſamer auf 
meine Wirthſchaft wurde. 


Aber von meinem Freunde vernahm ich nun 
erſt unerwartete Dinge. Ich fand, daß er mir in 
ſeinem Fiſkalat wenigſtens 150 Thaler Kollegien⸗ 
gelder untergeſchlagen hatte. Und von der Boh⸗ 

0 5 


1 


218 „ 


niſchen Handlung vernahm ich, daß er ohne mein 
Wiſſen unter feinem Namen eine ungeheure Anzahl 
Exemplare von den erſten Baͤnden des Kampiſchen 


Reviſionswerkes verichrieben, und die geſammelten 


Pränumerationsgelder mitgenommen hatte. 


Dieſe Erfahrung war mir aͤußerſt ſchmerzhaft. 
Dreimal ſo viel Geld haͤtte ich weit lieber verlieren 


wollen, als es erleben, daß ein ſolcher Mann ei⸗ 
ner ſolchen Handlungsweiſe faͤhig geweſen war. 
Ich verurtheilte ihn nicht. Ich hielt es fuͤr einen 
von den traurigen Faͤllen, wo die beſten Seelen 
durch Verlegenheiten zu einer ſchlechten That her⸗ 
abgewuͤrdiget werden. 


Ich wuſte nicht, wo mein .... und meine Julie 
hingekommen war. Nach einem Jahre ſchrieb 
er mir. Die Schilderungen ſeines Elendes, die 
Bezeugungen feiner Reue wegen an mir beganges 
ner Sünden, die Betheurungen feiner unveraͤnder— 
lichen und innigſten Liebe zu mir ruͤhrten mich bis 
zu Thraͤnen. Er bat mich, ihm zu erlauben, 
einen einzigen Tag bei mir zu ſeyn. Mein Herz 
wallte ihm entgegen. Er kam im Finſtern, fuͤhlte 


ö 


r 219 


ſich ſelig, mich wieder zu ſehen, blieb dieſe Nacht 
And den folgenden Tag bei mir (denn in Halle durf⸗ 
tee er ſich vor ſeinen Schuldnern nicht ſehen laſſen) 
und ging den folgenden Abend im Finftern wieder 
aus der Stadt. Er geſtand mir, daß er ſeither in 
. ſich kuͤmmerlich mit Informiren beholfen, jezt 
aber einige frohe Ausſichten habe. Von der Julie 
wolte er nichts wiſſen. — Nach 14 Tagen ſchrieb 
er mir wieder, ſchikte mir einen kleinen Aufſaz, 
den er wolte drukken laſſen, bat mich um 2 Luis: 
d'ors Vorſchuß und um einige Buͤcher, mit dem 
eidlichen Verſprechen, mir ſie in 14 Tagen wieder 
zu ſchikken. Ich ſchikte ihm, was er verlangte. 
Er hielt nicht Wort. Und ſeitdem habe ich nichts 
von ihm und der Julie gehoͤrt. 


Dieſe beiden Menſchen ſind mir bis jezt noch 
ein Raͤthſel. Ich wuͤrde mich freuen, wenn ir⸗ 
gend jemand mir von ihnen Nachricht geben koͤnte: 
(denn wer das kan, weis auch aus dieſer Geſchich⸗ 
te, wer die Perſonen ſind, die ich nahmenlos ge⸗ 
ſchildert habe.) Roch bin ich geneigt, ihnen Gu— 
tes zu erzeigen, wenn ich ſie im Elend wuͤſte. Und 
beſonders neugierig waͤr ich, den Gang der Schik⸗ 


220 r 


ſale des jungen Mannes zu erfahren und fue 
wabtes Karakter entfaltet zu TORI 


Einen Umſtand muß ich OR ganz kurz N 
ren, aber mit dem Wunſche, daß meine Leſer ihn, 
in der Beurtheilung des ganzen Zuſammenhanges 
mit in Rechnung bringen moͤgen. Meine Frau be⸗ 
ſchuldigte — erſt nach einiger Zeit — die tugend⸗ 
hafte, und von ihr ſelbſt bis zur innigſten Vertrau- 
lichkeit geliebte Julie, daß ſie ihr uͤber 50 Thaler 
werth an Waͤſche und Kleidung entwendet habe. 
Ich wolte und konte — das nicht unterſuchen. 


Verdruß und Sorgen draͤngten ſich von allen 
Seiten auf mich los, und machten mir mein ſo 
freudenleeres und mit ſtater Arbeit erfülltes Leben 
herzlich ſauer. Auch von auſſen ward ich be⸗ 
ſtuͤrmt. | | 


Meine Schriftſtellerei und mein Applauſus 
oͤfneten manches neidiſche Auge und ſtellten ihm die 
Reichthuͤmer, welche in meine Kaffe zuſammenfloſ⸗ 
ſen, ſo ungeheuer vor, daß es billig ſich nach Ge⸗ 
legenheiten umſehen mußte, mich von einer gefaͤhr⸗ 


— 


lichen Volbluͤtigkeit des Beutels zu befreien, und 
von meinem Ueber ftuſſe etwas abzuzapfen. Man — 
wußte, daß ich im Reiche Schulden hinterlaſſen 
hatte. Man — berichtetete alſo die dortigen Kor⸗ 
reſpondenten, daß ich jezt das Geld mit Scheffeln 
meſſe, und — daß meine Glaubiger Narren waͤ— 


ren, wenn ſie mich laͤnger ſchonten. Die Wirkung 


dieſer chriſtlichen Belehrungen blieb nicht auſſen. 


Herr Schellenberg, einer von der ehemaligen 
oͤkonomiſchen Geſelſchaft, der ſchon einigemal bei 
bei mir angeklopft und — nachgefragt hatte, ob 
ich nicht bald im Stande ſey, der oͤkonomiſchen 
Geſelſchaft eine kleine Entſchaͤdigung dafür zu ge: 
ben, daß die Leiningiſche Regierung ſie nicht zur 
Befriedigung meiner Gläubiger, durch Ausliefe⸗ 
rung meiner Verlaſſenſchaft, in den Stand geſezt 
habe? — ſchrieb mir jezt: daß er gewiſſe Nach⸗ 
richt habe, von meiner jezigen Vermoͤgenheit, um an 
die laͤngſt verlangte Entſchaͤdigung zu denken: daß 
es billig ſey, von 3 bis 4000 Thaler jaͤhrlichen 


Einfünften arme Leute, die durch mich in Scha⸗ 


den gekommen wären, endlich einmal zu befriedi—⸗ 
gen: daß er mich zum leztenmale in Guͤte dazu 


auffodern, und, wenn ich länger zoͤgerte, an mei⸗ 


nen König ſchreiben und mich zwingen würde 2c. 


Ich antwortete dem guten Mann, daß er von 


dummen, oder boshaften Leuten hintergangen 


worden ſey, und ſuchte es ihm begreiflich zu ma⸗ 


chen, daß ich bei dem muͤhſeligſten Leben, kaum 
auf 1000 Thaler Fame und dabei — noch Schul⸗ 
den hätte. Aber feine Korreſpondenten hatten ihm 
meine Reichthuͤmer zu gewiß und zu groß gemacht. 
Er ſchrieb wieder, ſchalt mich einen Fintenmacher 
und drohte mit Klage. Es ſchmerzte mich. Ich 
erwiederte den rauhen Ton ſeines Briefes nicht. 
Ich wiederholte die Verſichrungen von meiner Un⸗ 
vermoͤgenheit und bot ihm, zum Beweis derſelben, 
ei ne ſchriftliche und gerichtliche Ceſſion aller meiner 
Einnahme von Kollegiis an (die nach ſeiner Anga⸗ 
be einige tauſend Thaler betragen folten) wenn er 
mir dafuͤr jaͤhrlich 500 Thaler zuſichern wolte. 
Endlich — ſchwieg er und ließ mich zufrieden. 


Aber er trat nur von der Scene ab, um An⸗ 
dern Plaz zu machen, die mich quälen wolten. — 
Eines Tages kam der Buchdruker Doſt (der dies 


—  — = 


nende Bruder bei der halliſchen Loge) zu mir, und 
brachte mir von Deſſau, aus der Drufferei der Ver⸗ 
lagskaſſe, der er ſeither vorgeſtaͤnden hatte, ver— 
ſchiedene Novitaͤten mit, darunter auch ein Pass 
quill auf den Herrn Hofrath Gruner in Jena war. 
Dieſe Broſchuͤre erregte meine Aufmerkſamkeit, 
weil Herr Gruner mein Freund, und feiner Vers 
dienſte wegen mir verehrungswerth war. Doſt 
merkte, daß ich frappirt war. Haben Sie das 
Ding noch nicht geleſen? Nein. Wiſſen Sie auch 
den Urheber nicht? Nein. Je, er iſt ja der Bergs 
rath Muͤller: aber es bleibt unter uns! Sie wiſ— 
ſen, daß er mit in der Loge iſt und — es koͤnte mir 
Schaden thun, wenns verrathen wuͤrde, daß ichs 
Ihnen vertraut habe. Muͤller hat mir das Manu⸗ 
ſeript geſchikt, und an Muͤllern habe ich auch die 
Exemplare von Deſſau ſchikken muͤſſen. Verrathen 
Sie mich ja nicht ꝛc. 


Dieſes Pasquill machte Laͤrmen. Gewiſſe 
Leute, welche die Augen des Herrn Hofrath Gru⸗ 
ners gern von der wahren Quelle, aus der das 
Produktchen gefloſſen war (denn aufrichtig zu ſa⸗ 
gen, war Herrn Müllers alzuſchwache Feder nicht 


223 nnn 


mit im Spiele, ob man gleich ſeine Haͤnde 


dabei gebraucht haben mochte) ablenken wos 


ten, ſchrieben dreiſt nach Jena: Bahrdt iſt 


Verfaſſer des Pasquills. Herr Hofrath Gruner 


hoͤrts, erſtaunt, glaubts — (1) weils Männer und 
keine Knaben uͤberſchrieben hatten, 2) weil von 
mir die Rede ging, daß ich Medicin ſtudierte und, 
weil ich gegen ihn ſelbſt muͤndlich Luft bezeugt hats 
te, zu promoviren 3) weil es nach dem Geiſte der 
Satyre, der ſchon in meinen Schriften fo viel ge⸗ 
ſpukt haben ſollte, ganz glaublich war, daß ich 
mich im Gebiet des Hyppokrats als Ritter tummeln 
wollte) — und konſtituirt mich in einem Briefe. 


Ich antwortete ihm, daß er hintergangen ſey, 
und verſicherte ihn, daß er den Pasquillanten uns 
ter ſeiner eignen Zunft zu ſuchen habe. Er war 
damit nicht zufrieden. Er drohte, mich als den 
Pasquillanten zu behandeln, wenn ich mich nicht 
beſſer rechtfertigen koͤnte, als mit bloſſem Leugnen. 
Kurz, er brachte mich dahin, daß ich ihm, um aus 
einem ſo entehrenden Verdachte zu kommen, den 
Urheber zu entdekken verſprach, wofern er mich 
ſchriftlich und bei feiner Ehre verſichern wolte, daß 

er 


= 


\ 


en 224 


er von meiner Entdekkung keinen ſolchen Gebrauch 
machen wolle, durch welchen ich kompromittirt 
wurde. H. Hofr. Geuner verſprach mirs (ich habe 
ſeinen Brief noch) und nun geſtand ich ihm, was 
ich aus Doſts Munde von der Sache wußte. 


Nun fing Hr. Gruner an, Laͤrmen zu ſchlagen. 
Er uͤbergab eine Klage bei der halliſchen Univerfis 
tat gegen den Bergrath Muͤller. Man fandte ihm 
die Protokolle, nach denen ſich H. Muller heraus⸗ 
gewikkelt, und Doft ſeine an mich gethane Aus- 
ſage abgelaͤugnet, und die Ablaͤugnung beſchwo— 
ren hatte. Dies empoͤrte den hizzigen Mann. 
Sein Verdacht gegen mich erneuerte ſich. Er fing 
an, in Drukſchriften auf mich zu ſchimpfen. Ich 
beklagte mich. Er mußte auch mich vernehmen 


laſſen. Ich ſagte vor der Univerſitaͤt eidlich die 


Wahrheit und erklaͤrte, daß Doſt dies, ſeiner 
Maureriſchen Verbindungen halber, gelaͤugnet ha⸗ 
ben muͤſſe. Herr Hofrath Gruner ſahe jezt ein, 
daß er ſich an mir vergangen hatte. Er nahm das 
mir angethane Unrecht öffentlich zuruͤk. Aber — 
den Verdruß konte er mir nicht wieder abnehmen, 
den ich von dieſer Geſchichte gehabt hatte. 
IV. B. op 


Ein neuer Verdruß! Herr Kampe ſchikte mir 
eine ſehr ehrenvolle Einladung zur Theilnehmung 
an feinem Reviſionswerke und bat mich zugleich, 
das Fach anzuzeigen, in welchem ich arbeiten wol⸗ 
te. Ich uͤbernahm vieles aus der Methodologie 
und vorerſt die Materie, über den Zwek der Er⸗ 
Ziehung. 


— 


Es war bei der Geſelſchaft, welche fuͤr dies 
wichtige Werk ſich vereiniget hatte, die Einrichtung 
getroffen worden, daß alle Beitraͤge der Mitglieder 
bei allen Mitgliedern in dreifacher Abſchrift cirku⸗ 
liren ſolten, damit der Verfaſſer die von ſo vielen 
und ſo einſichtsvollen Maͤnnern erhaltenen Erinne⸗ 
rungen benuzzen, und ſeine Arbeit vervolkomnen 
koͤnte. Ich ließ alſo meinen Aufſaz über den Zwel 
der Erziehung ſeinen Umlauf antreten. 


Ehe noch dieſer Cirkelgang geendiget war, 
ſchrieb mir ſchon Herr Hampe mit merklichem Ges 
fuͤhle des Schmerzes, daß einige der Geſelſchaft 
mit meinem Beitritt unzufrieden ſchienen. Er gab 
zwar der Sache eine aͤuſſerſt delikate Wendung, war 
aber doch genoͤthiget, mir zu rathen, mich freiwil⸗ 
lig zuruͤk zu ziehen. 


* — 


nn 226 


Da mein Aufſaz von feiner kritiſchen Reife zu: 
ruͤk kam und an Herrn Kampe gelangte, ſchien er 
ſeinen mir gegebnen Rath zu bereuen. Er fand, 
wie er mir ſelbſt geſtund, meine Arbeit ſo gut, daß 
er meine fortgeſezte Theilnehmung am Reviſions⸗ 
werke wuͤnſchen mußte. Er bat mich darum inſtaͤn⸗ 
dig, und ermunterte mich, mit vieler Beredſam⸗ 
keit, mich an die Geſinnungen Einiger nicht zu keh⸗ 
ren ſondern meine paͤdagogiſchen Kentniſſe auf die 
ſem Wege der Welt fernerhin nuzbar zu machen. 


Meine Achtung fuͤr Kampen als Weiſen, und 
meine Liebe zu ihm als Freund, neigte mich maͤch⸗ 
tig zu dem Entſchluſſe, auszuharren: aber — da 
ich die drei mit Kritiken erfüllten Eremplare meines 
Aufſazzes durchlas, ſchwand mein Vorſaz auf ewig 
dahin. Ich erblikte mit Erſtaunen, daß ſich Maͤn⸗ 
ner — Weltweiſe — Paͤdagogen — zu Ausbruͤchen 
ihres Widerwillens herabgelaſſen und mich bald 
mit Bitterkeit getadelt, bald anderer Lobſpruͤche wi⸗ 
derlegt, bald — Ausfaͤlle ſogar auf meinen morali— 
ſchen Charakter gethan hatten. Ich meldete jezt 
Herr Kampen, daß er der Geſelſchaft mein Ab— 
ſchiedskompliment machen moͤchte. — Ich werde 
dieſer Kraͤnkung nie weiter erwaͤhnen. 


Y 2 


Achtzehntes Kapitel. 
Proben tomiſcher Auftritte. nt 
— — — 


Wen es mir mehr um die Amuͤſirung des gro⸗ 
ßen Haufens der Leſerwelt zu thun wäre, als um 
richtige Darſtellung der eigentlichen Geſch ichte mei⸗ 
nes Lebens, — oder wenn ich ſelbſt meiner jovia⸗ 
liſchen Laune und meinem Hange zur Satyre fol: 
gen wolte; fo würde ich eine zahlloſe Menge komi⸗ 
ſcher Auftritte einſchalten, welche ich bei meinen 
unzaͤhlbaren Bekantſchaften in der Welt erlebt han 
be, und welche gewiß die Leſer eben ſo angenehm 
unterhalten als ihre Menſchen⸗ und Charakterkent⸗ 
niß bereichern wuͤrden. Ich will hier nur ein paar 
zur Probe geben, um das Publikum urtheilen zu 
laſſen, ob es der Muͤhe werth ſey, einſt ein paar f 
Bändchen voll ſolcher Anekdoten beſonders heraus⸗ 
zugeben. | 


Ich hatte ehedem in ..... eine ſchoͤne, feu⸗ 
rige, und amuͤſante Dame kennen lernen, welche 
die junge Gattin eines ſehr wuͤrdigen, aber alten 


1 


— ; 228 


Eheherrn war. Sie hatte auf mich, ich auf ſie, 
freundſchaftliche Eindruͤkke gemacht. Viele Jahre 
nachher, da ich in L. . . . zum Beſuch war, mel⸗ 
dete mir ein Freund, daz eine Dame und Herr mich 
feit zwei Stunden ſehnſuch tsvoll geſucht habe und 
mich zu ſprechen verlange. Ich eilte an den Ort, 
wo beide ſich aufhielten und ſahe — bei meinem 
Eintritt ins Zimmer — eine Matrone, voll Spu— 
ren ehemaligen Feuers, mit ausgebreiteten Armen 
auf mich zukommen und mir die Erneurung einer 
alten Bekantſchaft ankuͤndigen. — „Kennen Sie 
mich noch, lieber Bahrdt? “ — Ich ſtuzte. Ich 
wußte warlich nicht, wo ich in den alten Vorraͤ⸗ 
then meiner Phantaſie ihr Bild finden ſolte. Aber 
bei einer Dame, die Attachement fuͤr mich zeigt, 
und waͤre ſie auch fo alt wie Sarah, da fie den 
Iſaak gebahr, bin ich zu galant, als daß ich bei 
ihr eine Rolle ſpielen folte, die ihr Költe verrathen 
koͤnte. Ich nahm, bei ihrem Anblikke und ihrem 
Zuruf, alle meine Beſonnenheit zuſammen und ant— 
wortete mit der vollen Gluth meiner Augen: Ja, 
Madam, mein Herz ſagt mir es, daß ich Sie ken⸗ 
ne und es ſchlaͤgt ſchon vor Freuden uͤber das Wie⸗ 
derſehen einer Perſon, die ich ſonſt ic. — Sie 


P 3 


229 — 


fiel mir in die Rede, und nennte mir den Namen 
ihres ſeligen Mannes. Da war Freude uͤber 
Freude. Wir erinnerten uns in aller Kuͤrze und 
Einfalt der vorigen Zeiten, und ſie praͤſentirte mir 
ihren jezzigen Gemahl den Herrn Geheimdenrath 
. . . welcher ſich meinen Freund nannte. — Ich 
genoß wirklich ein paar recht angenehme Stunden 
in ihrer Geſelſchaft und die wechſelſeitige Wärme 
war ſo groß, daß ich mit Hand und Mund ver⸗ 
ſprechen mußte und — verſprach, ſie in . 
zu beſuchen. 


Ein Jahr drauf machte ich meiner lieben Frau 
das Vergnuͤgen, welches ich ihr alle Jahre ein auch 
zweimal verſchaft habe, — mit mir eine Reiſe zu | 
thun, und diesmal in die Gegend, wo obgedachtes 
Ehepaar lebte. Ich ſchrieb meiner Freundin vor⸗ 
her, daß ich kommen würde, und fragte ausdrüfs 
lich an, ob ihr und ihrem Gemahl dieſe Zeit auch 
eine gelegene ſey? Es erfolgte die erwuͤnſchteſte 
Antwort. Sie erwarteten mich mit Sehnſucht. — 
Man ſezze zu dieſem Umſtande der Anmeldung noch 
dieſen, daß der Herr Gemahl meiner Freundin ein 
Mann von 80000 Thalern war, und daß fie als 


— 2360 


Wittwe ihm ebenfals ein anſehnliches Be 
. hatte. 


Wir kamen in . . .. an, fliegen in einem Gaſt⸗ 
hofe ab, um auch in dem kleinen Umſtande der 
Einquartierung keinen Fehltritt zu begehen, und 
lieſſen unſere Ankunft verkuͤndigen. Ein Bedienter 
kam und verlangte, daß wir mit Sak und Pak bei 
dem H. G. R. .. . einkehren ſolten. Nun war 
meine Phantaſie voller Erwartung. Ich hatte mir 
vorgenommen, den dritten Tag erſt wieder abzu⸗ 
reiſen und einen Tag recht herzlich vergnuͤgt zu 
ſeyn. 


Beim Eintritt ins Haus wurden wir von der 
Dame, meiner alten Freundin, mit vieler Artig⸗ 
keit empfangen und in ein Zimmer gefuͤhrt, wo 
bereits zwei vornehme Damen an einem Tarokti⸗ 
ſche ſaßen. Nach Endigung der Bewilkomnungs⸗ 
komplimente, die meine gute Laune immer recht 
ſchiklich abzukuͤrzen weis, wurde ich als vierter 
Mann zum Taroktiſch eingeladen, und meine Frauen 
zimmer wurden von der Tochter des Hauſes um⸗ 
ringt und auf das freundſchaftlichſte unterhalten. 
P 4 


231 — — 


Ich ſpielte mit Ekel, das Duzzend Marken um ei⸗ 
nen Dreier, hielt mit aller Toleranz dieſe Mortifi⸗ 
kation aus, und freute mich indeß auf die gute und 
fröhliche Abendmahlzeit, die ich bei fo guten Freun⸗ 
den, bei einem ſo reichen und vornehmen Manne, 
nach ſo vielen brünftigen Inviten und nach einer 
expreſſen Anmeldung, erwarten mußte. 


Noch hatte ich den H. Gemahl nicht geſehn. 
Denn der ſaß bis zum Abendeſſen unter Papieren 
begraben. Die Familie gefiel mir. Die ſaͤmtlichen 
Kinder waren wohlgebildet, lebhaft, geſittet und 
von der herrlichſten Stimmung. Der Zeitpunkt 
kam, wo mein von der langen Reife ausgehunger⸗ 
ter Gebieter unter dem Zwergfell befriedigt und 
meine Laune durch ein Glas guten Rheinwein an⸗ | 
gefeuert werden folte, Die fremden Damen waren | 
nach Haufe gegangen. Der alte Herr erſchien. ö 
Wir ſpeißten en familie und waren zwölf bis vier 
zehn Perſonen am Tiſche. 5 | 


re 


Ich war ganz Auge. Die erſte Schuͤſſel trat 
auf. Es war — ein Schuͤſſelchen Rogout, davon 
ich die Hälfte allenfals allein auf mich genommen 


E 232 


haͤtte. Ei nun, dachte ich, es iſt bei großen Ta⸗ 
feln ſo. Viel Schuͤſſeln aber klein und appetitlich! — 
Ich aß mit Begierde mein kleines Portiönden, und 
erſezte mit Brod den ubgang. Ader — kein Wein: 
glas auf dem Tiſche? 


Der Pediente brachte für den alten Herrn ei⸗ 
nen Teller Spinat mit Kalbsaugen. Er ſezte ihn 
vor ſich, wandte ſich nach mir. „Sehen Sie mein 
„beſter Herr Doktor, das iſt meine Diät, Ich 
„eſſe meiſt nur ein bischen Gruͤnes. Kan ich mit 
„aufwarten? „ Ich bedankte mich, und er ver— 
ſchlang die anſehnlichſte Portion, indeß die andern 
an den Ragouticten Knoͤch leins nagten, 


Wir ſprachen lang und verplauderten beim 
Ragout wohl ein halbes Stündeben, und das Thea⸗ 
ter wolte ſich nicht veraͤndern. Endlich begann der 
Herr Geh. Rath: „Mein beſter Herr Doktor, 
„trinken Sie denn des Abends ein Glas Wem? 
„See muͤſſen ſich an meine Diät nicht kehren: Bes 
„fehlen Sie, „ Ich erſchrak. Ich ſtotterte ein 
Gegenkompliment. Die aͤlteſte Tochter, melde 
neben mir ſaß, und von meinem guten Humor ſchon 


P 5 


233 — 2 — 


fuͤr mich eingenommen war, verſtund mein 1 
pliment und ſtand auf: „Ja, ja Papa, ich hole 
für den Herrn Doktor ein Glas Wein.“ Das 
war mir ein Herzenstroſt. Sie brachte — eine 
Pyrmonter Butellje rechten guten Rheinwein. Ich 
trank und kehrte mich nicht an des Herrn Geh. 
Raths Diaͤt. Mein liebes Weib und ihre Schwe⸗ 
ſter und meine Tochter — wurden gar nicht gefragt. 
Ich muſte allein trinken, um deſtomehr Aufſehn 
zu machen, wenn ich viel traͤnke. Doch dafuͤr war 
auch anderweit ſchon geſorgt. 


Das Schuͤſſelchen wurde abgetragen und ich 
ſchaute auf, was nun kommen wuͤrde, und ſiehe 
da — es kam Butter und Kaͤſe und der Schmaus 
war beſchloſſen. Der alte Herr ſchielte nach mei⸗ 
ner Butellje. Und haͤtte das liebe herrliche Maͤd⸗ 
chen zu meiner Linken nicht ein wenig mit mir ſym⸗ 
pathieſirt: ich haͤtte nicht einmal das dritte Glas 
eingeholt. Er raſſelte mit dem Stuhle, ſo bald 
der lezte Biſſen Butterbrod (davon ich eines hal⸗ 
len Pfundes ſchwer zu mir genommen hatte, um 
die Luͤk ken der ausgebliebnen Schuͤſſeln zu erſezzen) 
hirabgeſchlukt war und — machte Aufſtand. 


— y 234 
Meine Toleranz blieb noch unerſchuͤttert. Wir 
klagten zwar einander beim Schlafengehen, da wir 
auf unſerm Zimmer allein waren, unſern allerſeiti⸗ 
gen Hunger und mein armes Weib, das ſo gern ein 
Glaͤschen guten Wein trinkt, ſeufzte über die Diät 
des alten Herrn. Ich aber troͤſtete mich und alle 
mit der Ausſicht auf das morgende Mittagsmahl. 
Die Leutchen haben ſich auf dieſen Abend, ſagte ich, 
nicht eingerichtet, weil ſie es für möglich halten 
mußten, daß wir nicht kämen. Morgen Mittag 
wirds ganz anders ausſehen. Da werden ſie auch 
wohl mehrere Gaͤſte bitten. 


Ich bekam den andern Morgen Viſite von ei⸗ 
nigen Kavaliren, die mich zu einem Mittagsmahl 
invitirten. Ich ſchlug es aus, weil ich es fuͤr un⸗ 
ſchiklich hielt, der einzigen Mittagsmahlzeit, wel⸗ 
che meine Freunde mir bereitet und zu der ſie ver⸗ 
muthlich vornehme Gaͤſte geladen hatten, meine 
Gegenwart zu entziehen. 


Die Zeit kam. Wir traten ins Tafelzimmer 
und fanden — keinen einzigen Gaſt. Der Tiſch 
ſah ſo kahl, wie geſtern Adend. Eine ſeyn ſollende 


Weinſuppe machte den Anfang. Auf ſie folgte ein 
Stuͤlchen Rindfleiſch von höchſtens drittehalb Pfund, 
wo der Herr Sohn Muͤhe hatte, die zwoͤlf bis vier⸗ 
zehn Portionen herauszubringen. Es ward trok⸗ 


ken gegeſſen und Senf dazu gegeben. Erſt nach dem 
Rindfleiſche kam der Wein und ward hoͤchſt lang⸗ 


ſam eingeſchenkt. Mein Magen knorrte. Es er⸗ 
folgte ein gebratnes Nierenſtuͤkchen vom Kalbe von 


etwa drei Pfunden, bei deſſen Zerlegung der Herr 


Sohn ein ſchaͤrferes Meſſer fodern mußte, um die 
Portionen herauszubringen. Die meinige war die 
groͤßte, und hatte, die Knochen abgerechnet, drei 
Loth Fleiſch. Sehr ſchnell folgte Butter und Kaͤſe 


und da das liebe Mädchen mir das vierte Glas | 


einſchenkte, rukte der alte Herr mit dem Stuhle 
und machte Aufſtand. Wir wurden gleich in ein 
anderes Zimmer gefuͤhrt und ich ſahe, da ich im 
Abgehen meinem verlaßnen Glaſe ſeufzend einen 
Abſchiedsblik gab, daß es der alte derr wieder in 
die Butellje fuͤllte. g 


Man wolte nach Tiſche rathſchlagen, womit 


uns die Zeit des Nachmittags vertrieben werden 
ſolte. Aber ich verſicherte heilig (vermoͤge eines 


— — 236 


Vorſazzes, den ich beim Rindfleiſche empfangen 
und beim Nierenſtuͤkke geboren hatte) daß meine 
Abreiſe ſchon feſtgeſezt und der Wagen angeſpannt 
ſey. Ich eilte auch, troz allen ſcheinbaren Einwen—⸗ 
dungen, nach meinem Kutſcher, und befahl ihm, 
ſich in einer Stunde reiſefertig zu machen, weil ich 
nicht Luſt hatte, noch eine Mahlzeit zu faſten. 
Wir fuhren ab, amuͤſirten uns unterweges mit der 

Diaͤt des H. Geh. Raths und freuten uns, da wir 
ins Nachtquartier kamen, bei drei guten Schüffeln 
Eſſen fuͤr unſer baares Geld, uns wieder von der 
ausgeſtandnen Hungersnoth erholen zu koͤnnen. 


Meine zweite Anekdote, die ich dem Leſer zur 

Probe gebe, iſt kuͤrzer. — Da das beruͤhmte 
Buͤchlein, Karrikaturen betitelt, das Licht der 
Welt erblikt hatte, ſagte die ganze Welt, daß ich 
der Verfaſſer ſey — fo wie man ſchon hundert 
Schriften dieſer Art auf meine Rechnung geſchrie— 
ben hat. — Im Sommer, nach Erſcheinung die: 
ſes ſatyriſchen Produkts, trat mich ein junger 
Mann in meinem Gartenhauſe an und brachte mir 
ein Kompliment von Herrn Froſch und Limburg 


N 


aus Leipzig (wenn ich nicht irre, gab er ſich für eis | 


nen Verwandten vom Haufe aus) und erflärte mir 
endlich — nach mancherlei ſchuͤchternen Wendun⸗ 
gen — daß die Herren Froſch und Limburg mir, 
als dem Verfaſſer der Karrikaturen, ein kleines 
Praͤſent zugedacht hätten. Ich wurde frappirt, 
verſicherte ihn, daß ich die Karrikaturen noch nicht 
einmal geleſen, geſchweige geſchrieben haͤtte, und 
fragte neugierig nach der Urſache, welche die Herren 


Froſch und Limburg zu dieſer unverdienten Guͤte 
bewogen habe. Der. junge Mann entdekte mir 


hierauf, daß in den Karrikaturen der Guldentabak 
von Froſch und Limburg in Leipzig, als ein vor⸗ 
zuͤglich ſchoͤner Rauchtabak) empfohlen worden 
ſey, und daß die Handlung, ſeit dieſer oͤffentlichen 
Anpreiſung in einem ſo viel geleſenen Buche, ein 
merklich groͤßern Abſaz davon gehabt haͤtte. Jezt 
bedaurete ichs faſt, daß ich die Verfaſſerſchaft der 
Karrikaturen fo treuherzig abgelaͤugnet und den 
jungen Mann nicht bei ſeinem Glauben gelaſſen 
hatte. Denn wirklich hat mich hier die befoͤrderte 
Aufklaͤrung befchädigt und wenigſtens um ein hal⸗ 


0 


) Der er auch wirklich iſt. 


— 238 


— 


bes Duzzend Pfund guten Knaſter gebracht, den 
mir die Herren Froſch und Limburg geſchikt haben 
wuͤrden, wenn ich ihren Glauben nicht geſtoͤrt ges 
habt hätte. — Doch es ſey darum! Ich habe ja 
in der Melt weit mehrere Vortheile verloren, die 
ich hätte genieſſen koͤnnen, wenn ich des alten Glau⸗ 
bens haͤtte ſchonen wollen. — Aber bei Gott, ich 
will lieber beim Brieftabak meinen Ueberzeugungen 
treu bleiben, als beim beſten Zweithaler Knaſter 
Orthodopie heucheln. 


— 3 “l — 


Neunzehntes Kapitel. 


Sehriftſtellerei. 


f 2 den beiden Jahren 1786 bis zur Oſtermeſſe 
1787 habe ich bis zur Ueberſpannung meiner Kräfte 
gearbeitet. In einem Winter betrug die gedrukte 
Bogenzahl 160, meiſtentheils groß 8. 


Meine Lieblingsarbeit darunter waren die 
Reden Jeſu, welche ich aus den Evangeliſten ſam⸗ 


melte, unter gewiſſe Rubriken brachte, und, nah 
der Reihe der Materien geſtellt, theils woͤrtlicy 
uͤberſezte, theils paraphraſirte und kommentirte, 
und beides, Ueberſezung und umſchreibung, durch ‘a 
den Druf unterſchied. b 
Der Zwek dieſer Arbeit war, wie ich glaube, 
von nicht geringer Erheblichkeit. Ich hatte ſchon 
laͤngſt die Bemerkung gemacht, daß unſere leidi⸗ 
gen Dogmatiken mit ihren articulis fidei ſaͤmtlich 
aus den misgedeuteten Briefen der Apoſtel und 
vornehmlich denen an die Roͤmer und an die He⸗ 
braͤer entſtanden waren, und daß man zu all den 
juͤdiſchen Vorſtellungsarten, welche unſere Syſteme 
enthalten, uͤberall nur Beweisſtellen aus dieſen 
Briefen allegiren konte. Ich hatte dieſe Bemer⸗ 
kung unzaͤhligen meiner jungen Freunde ſowohl, 
als manchen Maͤnnern von gereiften Kentniſſen mit⸗ 
getheilt und gefunden, daß ſie jedem eben ſo wahr 
als auffallend geweſen war. Dies brachte endlich 
den Gedanken in mir hervor, daß es der Mühe, 
werth ſey, einmal das ganze chriſtliche Publikum 
darauf aufmerkſam zu machen, daß alle Beweis⸗ 
ſpruͤche für die ſogenanten pofitiven Wahrheiten 
des 


I —  eEaEnee 240 


des Chriſtenthums (Zurechnung des Falles Adams, 
Erbſuͤnde, Rechtfertigung ohne Werke, übernas 
tuͤrliche Gnade ic.) blos aus den Schriften der 
Apoſtel entlehnt ſind, und daß die Reden Jeſu 
von manchen Artikeln gar nichts, von einigen nur 
ſcheinbare Spuren enthalten. Wenigſtens ſchien 
mir der Schluß algemeine Beheerzigung zu verdie— 
nen: Wenn Jeſus in ſeinen Vortraͤgen nothwendig 
die zur Seligkeit nothwendigen Heilswahrheiten 
gelehrt haben muß; jo folgt, daß diejenigen Lehr— 
ſaͤzze, weiche er nicht gelehrt hat, und welche man 
blos aus apoſtoliſchen Schriften herleiten will (ges 
ſezt auch, daß ſie aus denſelben erweislich waͤren) 
doch gar nicht von großer Wichtigkeit ſind, ſondern 
zu den entbehrlichen Wahrheiten gerechnet werden 
muͤſſen. 8 


Alſo — fuͤr den Geiſt der Pruͤfung ſchrieb ich 
das Buch: Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den 4 
Evangeliſten geſammelt und ſo geſtellt, daß man 
das aͤchte Lehrgebaͤude uͤberſehen und ſich mit 
der eigentlichen Religion Jeſu bekant machen 
kan. Berlin bei Vieweg, 2 Baͤnde 8: — da⸗ 
mit aus dieſer Samlung jeder forſchende Chriſt ſe⸗ 

IV; B. Q 


241 | r 


hen moͤchte, was wirklich Lehre Jeſu iſt und was 
im Gegentheil ſpaͤtere Lehrer der Kirche aus ihren 
eignen Reflexionen und Phantaſien wee 
haben. 


Es iſt eine meiner beſten Schriften, die auch 
der bloße Dilettant, welcher jenen wichtigen Zwek 
der Pruͤfung nicht beabſichtet, als ein Erbauungs⸗ 

buch mit Vergnuͤgen und oft mit Ruͤhrung leſen 
wird. | 


\ 


Fuͤr eben dieſen Geiſt der Pruͤfung bearbeite; 
te ich in dieſer Epoche mein griechifch = deutſches 
Lexikon uͤber das N. Teſtament, welches ich ſo 
einrichtetete, daß auch Ungelehrte es gebrauchen, 
und bei der Leſung der lutheriſchen Ueberſezzung des 
N. Teſtaments ſich daraus Raths erholen, und den 
Sinn derſelben beurtheilen koͤnnen. Ich habe in 
dieſem Woͤrterbuche die aͤchten Bedeutungen der 
Worte des griechiſchen Teſtaments genau und be⸗ 
ſtimt angegeben, und auf das ſchaͤrfſte aus dem 
Sprachgebrauche des N. Teſtaments und den 
gleichzeitigen Schriftſtellern, den LXX, den Joſe⸗ 
phus und Philo bewieſen, auch die Analogie der 


. 2.3.22 52.00 000 242 


guten griechiſchen Schriftſteller, welche noch kein 


Lexikon uͤber das N. Teſtament aufgeſtellt hat, faſt 
volſtaͤndig beigebracht, und mit unzähligen Allegas 


tis e 


Nachdem ich dies noch zu fehlen ſcheinende 
Huͤlfsmittel fuͤr den wahrheitforſchende Leſer des 
N. Teſtaments bearbeitet hatte, age ich mich, 
nun ſelbſt ein Lehrgebaͤude des reinen Chriſten⸗ 
thums aufzuſtellen, welches die Refultate meines 
vieljährigen Pruͤfens und N % Berne enthalten 
ſolte. £ KR 


Der auſſerordentliche Beifall, 45 ben ſich meine 
moraliſchen Vorleſungen erworben hatten, gab mir 
die erſte Veranlaſſung, dieſen Gedanken zu reali⸗ 
ſiren. Ich hofte mit recht, daß das Publikum, 
unter welchem man meine Lehren und Meinungen 
ſo verſchrien hatte, durch ein ſolches Syſtem von 
all den kraſſen Vorſtellungen zuruͤkkommen, und 
mit meiner Wahrheit ſowohl als mit mir kt 

ausgeſöhnt werden wuͤrde. N 


Durch das Studiunt der Reden Jeſu war 
mir Bee Mittelpunkt gleichſam figiet worden, in 
| | e | 


N | N 


Nan 
8 n 


welchen ich mein ganzes Religions ſſyſtem konzen ? 


trirt hatte: ich meine diejenige M ſenſchenliebe, 


welche mich die natürlichen Gef uͤhle meines eignen | 
Herzens ſowohl, als die traurigen Erfahrungen mei⸗ | 
nes Lebens, als das hoͤchſte Beduͤrfniß für die 
menſcbliche Gluͤckſeligkeit, und folglich als den er⸗ 
ſten Grundſaz aller vernünftigen Religion denken 
lehrten. 

So entſtund mein Syſtem der moraliſchen 
Religion zur endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler 
und Denker (Berlin bei Vieweg) welches bereits 
die dritte Auflage erlebt, und einen algemeinen, 


und ich mochte ſagen, widerſpruchfreien Beifall 
erlangt hat. in 


Ich bediente mich bei der Ausgabe dieſes 
Werks einer kleinen Kriegsliſt, welche ſchon vor⸗ 
hergegangene Erfahrungen bewaͤhret hatten. Ich 
ließ einen andern Titel drukken, welcher ein Sy⸗ 
ſtem der reinen Lehre Jeſu und der Apoſtel an⸗ 
kuͤndigte, und meinen Namen nicht enthielt, und 
unter dieſem Titel, von Weihnachten bis Oſtern 
daſſelbe verkaufen, — um das Publikum und in⸗ 


und diese on 5 mie vol⸗ 90 
"rue bös u gleich mit 
karten eſfale aufgenommen, und die Leipziger 
Zeitüng 95 die ſonſt alle meine Schriften geſtriegelt 
hatte; gab den erſten Lobpreiſungston an, dem ix 
bald mehrere Recenſenten folgten. Zu Oſtern erſt 
nahm ich die Maske ab, und ließ das 2 untern 
dem e ae 2 — Pa 18 82 
Dis Buch hat weite Ge tung erfüllt, KR 
Menschen, sin den french” Gegenden, welche die 1 ER 
tauſendzuͤngi ge Fama mit den widrigſten Vorſtel / 
langen von mir erfuͤllt, und mich ihnen als einen 
hellloſen Mann geſchildert hatte, der alle theoreti—⸗ 25 
ſwe fue praktische Religion mit Fuͤßen tritt, ge⸗ 


nz 


riethen in ein angenehmes Erſtaunen, da ſie ver⸗ i S g 
nahmen, daß dieſes Syſtem meinen Glauben und 

. Mete henzen Ahe — I a 
n 75 u 1 94 = * ee 7 


Cite Henze junger kent, a die 5 noch zn 
FE. Ai aufſtellen kan, kamen zu mir, meldeten fid  .. 
6 a meinen 3 und geſtunden mir, daß 


24 5 “x „wat 8 223 0 
2 


11 * N 2. 1 * 8 
RE ET 23 ET 
9 “nd ee, Der A 1 1 8 * 
F 1 23 


— > 
Fe 


245 — 2 —— 


mein Syſtem der moraliſchen Religion ihnen alles 


erſt die Erlaubniß von ihren Eltern und Vormuͤn⸗ 
dern dazu verſchaft habe. Viele brachten mir ſelbſt 
die Briefe mit, in denen der Vater ſchrieb: „mein 
„Sohn, wenn das ſchoͤne Buch, das Du mir ge 
„ſchikt haſt, wirklich von dem D. Bahrdt in Hal⸗ 
„le iſt; ſo kanſt Du in Gottes Namen alle Kollegia 
„bei ihm hören ze. % So wurden junge Leute 
meine Schuͤler und Freunde, denen es vorher bei 
Leib und Leben verboten geweſen war, meinen Hoͤr⸗ 
ſal zu betreten. 


* e 

Eigne Ueberzeugung von der Unfehlbarkeit 
und Guͤte meiner Grundſaͤzze, welche dieſes Sy⸗ 
ſtem enthielt und — Liebe zu dieſen Grundſaͤzzen — 
hieß mich auf Mittel denken, dieſelbe immer mehr 


in der Welt zu verbreiten, und bis in die Huͤtten 


des gemeinſten Volks zu verpflanzen. 


Ich bekam, beim Nachdenken uͤber dieſe Mit⸗ 
tel, den gewiß nuzbaren Einfall, meine moraliſche 
Religion auf alle Staͤnde und Verhaͤltniſſe der 
Menſchen beſonders zu appliciren. Und ſo entſtund 
zuerſt mein Sittenbuch fuͤr das Geſinde, welches 


nen 246 


ich in eben dem Winter noch druffen ließ, in wel⸗ 
chem mein Syſtem der moraliſchen Religion fertig 
wurde. Aber an dieſem Buͤchlein machte ich eine 
der traurigſten Erfahrungen meines Lebens. 


Ich kan es kuͤhn behaupten, ohne eine einzige 
Stimme irgend eines denkenden und ehrlichen 
Mannes fürchten zu dürfen, daß dies Büchlein in 
Abſicht auf Inhalt fo wahr, fo volftändig und nuz⸗ 
bar, und in Abſicht auf Ausdruk ſo faßlich und 
ruͤhrend geſchrieben iſt, daß man gewiß fuͤr dieſe 
ſo zahlreiche und eben darum wichtige Menſchen— 
klaſſe kein beſſeres dagegen ſtellen kan. Und doch 
iſt dieſes ſo nuͤzliche Buͤchlein mit einer Kaͤlte und 
Gleichguͤltigkeit aufgenommen worden, die alle 
menſchliche Erwartung uͤberſteigt. 


Ueberzeugt, daß es von der aͤußerſten Mich: 
tigkeit ſey, wenn jeder Hausvater dies Buͤchlein 
beſaͤße, und jedem Geſinde zu leſen gäbe, und daß 
dadurch eine erſtaunende Summe von guten Ge— 
finnungen unter dieſer wichtigen Menſchenklaſſe (ich 
meine das Geſinde) verbreitet werden wuͤrde, 
ſchrieb ich im Namen des Verlegers (ohne meinen 

2 4 


247 — 


* 


Namen bekant zu machen) faſt an alle Sürften und % 
Magiſtraͤte Deutſchlands, ſchikte ihnen ein Exem⸗ 
plar davon, und bot ihnen den aͤußerſt niedrigſten 
Preis an, wenn fie in großen Quantitäten es vers 
ſchreiben, und unter die arme Klaſſe ihrer Unters 
thanen vertheilen wollten: ſo daß manche mit zehn 
bis zwanzig Thalern eine ganze Stadt mit ihren 
Dorfſchaften Hätten verſorgen konnen. Und — 
auch nicht an einem einzigen Orte fand ſich eine 
Neigung, auf die moraliſche Verbeſſerung des Ge⸗ 
ſindes, ein paar Thaler zu wenden, die oft hun⸗ 
dert und tauſendfach für Gegenſtände des vu 
verſchleudert werden, 


Zu eben der Zeit ſchrieb ich das Buch: Ueber 
preßfreyheit und deren Grenzen zur Beherzi⸗ 
gung fuͤr Regenten, Cenſoren, und Schriftſtel⸗ 
ler: (Zuͤllichau bei Fromman) welches ohnſtreitig 


unter meinen Schriften die meiſten lauten Lobprei⸗ 


ſungen erhalten, aber auch den Verfechtern des 
Glaubenszwanges und moraliſchen Deſpotismus 
das meiſte Aergerniß verurſacht hat. Das koͤnig⸗ 
liche Kammergericht in Berlin hat dieſe Schrift 
fuͤr den richtigſten Masſtab der Beurtheilung 


248 
ſchriftſtelleriſcher Freiheiten erkant und in der be⸗ 


kanten Sentenz (in den Streitigkeiten zwiſchen dem 


D. Stark und den Verfaſſern der Berliner Mo⸗ 
natsſchrift) mit lautem Beifall gekroͤnt. 


Noch gehoͤren in dieſe Epoche die oben bereits 
erwähnten Schriften: uͤber den Fweck der Erzie⸗ 
hung — die Standrede an Goͤtzens Sarge — 
und des Kirchen- und Kezzeralmanachs, zweites 
Guinqnennium — fo wie Famor, oder der Mann 
aus dem Monde, und das Sendſchreiben an den 
Prof. Voigt in Guedlinburg. 


Ein unreifer Einfall waren die neuen Litte⸗ 
raturbriefe, welche mit dem erſten Bande ihre 
Endſchaft erreichten. Ich hatte die gute Abſicht, 
mich mit einer Geſellſchaft denkender Maͤnner zu 
verbinden, und die reifſten Reſultate unſerer Lek⸗ 


tuͤre der Welt vorzulegen. Aber ich fing die Aus⸗ 


gabe früher an, als dieſe Geſelſchaft vollſtaͤndig ges 
wählt war. Kurz, es ward das nicht, was es 
s werden ſollen. 


Aber eine meiner allerweiſeſten und nuzbarſten 
* die ich in dieſer Epoche noch begann, 
2 5 


2409 — | 


und auf meinem Weinberge, im leztem Winter = 


vor meiner Verhaftnehmung vollendete, war meis 
ne analytiſche Erklärung aller Briefe der Apo⸗ 
ſtel. (Berlin bei Mylius.) 


Meine Abſicht bei dieſem Werke war, dem 
Publikum vollends die Reſultate meines vieljähris 
gen Studiums uͤber das neue Teſtament zu liefern. 
Ich hatte bereits alles in Schriften geſagt, was zur 
Erläuterung der Geſchichte der Evangeliften und 
der Reden Jeſu noͤthig war. Ich wolte alſo nun 
auch die apoſtoliſchen Schriften in ihr Licht ſez⸗ 
zen, und dabei zeigen, daß die Apoſtel eben das 
reine und blos vernuͤnftige Lehrgebaͤude vorgetra— 
gen haͤtten, was ich aus den Reden Jeſu bereits 
aufgeſtelt hatte. 


Ein wichtiger Nebenzwek war es, die apoſto⸗ \ 
liſchen Schriften zu gleicher Zeit fo zu bearbeiten, 
daß ſo wohl der gemeine Leſer meinen Kommentar 
daruͤber mit Erbauung leſen und ſich uͤber den wah⸗ 
ren Inhalt der Briefe der Apoſtel belehren, als 
auch der Volslehrer Anleitung finden möchte, je⸗ 
den apoſtoliſchen Text natuͤrlich zu zergliedern und 


3 250 


die darin enthaltenen moraliſchen Wahrheiten licht: 
voll aus einander zu ſezzen. — Ich halte es ſchier 
fuͤr meine beſte und nuzbarſte Arbeit. 


Das Buch uͤber die Aufklaͤrung, welches mit 
Bezug auf die deut ſche Union geſchrieben war, und 
wovon der Hr. Prof. Weber in Buͤzow die lezte 
Abhandlung geſchrieben hat, wird hoffentlich je— 
dem wilkommen ſeyn, welcher einen feſten Begrif 
von dem ſo viel gebrauchten und gemißbrauchten 
Worte Aufklaͤrung ſucht, und auf unbefangene Ur⸗ 
theile uͤber die ganze Materie geleitet zu werden 
wuͤnſcht. — Es gehoͤrt uͤbrigens in die neueſte 
Epoche meines Lebens, von der ich meinen Leſern 
nur noch etwas weniges zu ſagen habe. 


Zwanzigſtes Kapitel. 


Nachtraͤge zu meiner Gefaͤngnißgeſchichte. 


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Jo hatte, in der oben beſchriebnen Epoche mei— 
ner Geſundheit den Reſt gegeben. Meine Verdau⸗ 


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ungswerkzeuge waren im hoͤchſten Grade geſchwächt, Ne J 
fo daß ich Mittags nur wenige Loffel Gemuͤſe ge⸗ 
nieſſen, und Abends hoͤchſtens nur ein kleines But⸗ 
terbrod eſſen, und doch regelmäßig einigemal in 
jeder Woche von den heftigſten Schmerzen in der 
rechten Seite überfallen wurde, welche am Ende 
der Verdauung ſich einſtellten, oft bis in die ſpaͤte 
Nacht anhielten, und gewohnlich mit einem ers 
maitenden Schweiſſe ſich endigten. Dabei fehlten 
mir die gewoͤhnlichen Ausleerungen der Natur. 
Jh habe ſchon einmal ſieben Monate nach einan⸗ 
der die Kämpfiſchen Klyſtire gebraucht, und muſte 
nun ſchon taglich ein Klyſtir nehmen, wenn ic 

| Leibesöfnung haben wollte. 
In dieſem traurigen Zuſtande brachte mich 
der Rath meines Freundes, des ſel. Goldhagen, 
zu dem Entſchluſſe, mein ſchriftſtelleriſches Leben, 

das mich ſchlechterdings in kurzer Zeit aufreiben 
mußte, einzuſchraͤnken, und eine andere Quelle 
des Unterhalts für mich und meine Kinder aufzu⸗ 
ſuchen, weil in den preußl. Staaten meine Talente 
zu nichts brauchbar gefunden wurden. Und fo 
entſtand die Weinbergsgeſchichte, die ich in meiner 


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be, und von welcher ich hier nur noche einige zur 
Volſtaͤndigkeit meiner Lebensgeſchichte erfordellß, 
che Auen nac holen * 


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Im Herbſte des Jahres 1786 mech mein 
liebes Weib eine Dienſtmagd, welche, ſeitdem % Ju⸗ 
lie ſich entfernt hatte, die erſte wer, die mich von 
allen Verbruͤßlichkeiten befreien konte, welche. mir 
ſeither ſo manche meiner Mahlzeiten verbittert hat⸗ 
ten. Die einzige Schuͤſſel, die ich genoß bekam 
ich doch nun ſchmakhaft und kraͤftig, ſtatt daß ich 
ſonſt alle Wochen einigemal mich Hätte ärgern muͤſ⸗ 
fen, wenn meine wenigen Biffen durch Natblägtg⸗ 


keit oder Ungeſchiklichkeit der Magd verderben 


waren. | ng 


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Dieſe Magd n ward kan der Liebling und dle. 


Vertraute meiner Gattin. Sie fuͤhlte es als‘ eigne 


Gluͤfſeligkeit, mich bei meinen Mahlzeiten verhuügt 


und zufrieden zu ſehen. Und ſie freute ſich ‚ende % 


lich einmal eine Perfon gefunden zu haben, welche 
mit dem hoͤchſten Grade von Geſchiklichkeit und Ak⸗ 


kurateſſe, alle übrige Eigenſchaften eines guten Ge⸗ 


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253 . ———— 


ſindes verband, ich meine Fleiß, Arbeitſamkeit, 
Treue, Willigkeit und eine immer fröhliche Laune. — 
Das Maͤdchen hatte auch wirklich eine in ihrer Art 
ſehr volkomne Erziehung gehabt. Die Frau Inſpekt. | 
Stoppelbergin auf dem Waiſenhauſe hatte feit 
dem dreizehnten Jahre ſie wie Kind gehalten, ihr 
alles, was zum Kochen, Bakken, Näterei u. ſ. w. 
gehoͤrt, lehren laſſen, und bei der ſtrengſten Auf⸗ 
ſicht ſie gebildet. 


Indeſſen konte die Guͤte dieſes Geſindes das 
Temperament meines lieben Weibes nicht umſchaf⸗ 
fen. Ihre Gewohnheit uͤber alle Kleinigkeiten zu 
noͤrgeln und bei aller Gelegenheit, wenn etwas im 
Hauſe verlegt oder verloren, oder ihr etwas nicht 
wohlfeil genug eingekauft war, das Geſinde der 
Dieberei zu beſchuldigen, machte auch dieſe Magd 
ſehr bald mismuͤthig, ſo daß ſie ſchon zu Weinach⸗ 
ten meinem lieben Weibe den Dienſt wieder aufſag⸗ 
te. Ich wußte von dem allen nichts und bekuͤm⸗ 
merte mich auch um das weibliche Hausregiment 
nicht. Es war gerade das ſauerſte halbe Jahr mei⸗ 
nes Lebens. S. das vorige Kapitel. 


. 
rn 254 


Meine Kinder erzaͤhlten mir die angeſponnenen 
Verdruͤßlichkeiten. Ich melirte mich nicht drein. — 
Mein liebes Weib uͤberdachte die Groͤße des Vers 
luſts und die Gefahr der Folgen. Sie beſorgte, 
daß ich ihr die Schuld geben moͤchte, wenn einſt 
wieder eine unwiſſende Koͤchin mich durch verhunzte 
Speiſen aͤrgerlich machen ſolte. Sie bat alſo die 
Magd ſelbſt, zu bleiben, und wandte, da dieſe 
auf ihrem Vorſazze beharrte, alle mögliche Bered—⸗ 
ſamkeit, Verſprechungen und zulezt dringende Bit— 
ten an, um ſie wieder anders Sinnes zu machen. 
Endlich, da alles nichts fruchten wolte, wurden die 
Kinder abgeſchikt, und dieſe brachten denn endlich 
es dahin, daß die Magd wieder neues Miethgeld 
nahm und im Dienſte zu bleiben verſprach. Und 
nun kehrte die alte Traulichkeit (die bis zu Klagen 
uͤber mich ausartete) wieder zuruͤk und meine Gat⸗ 
tin und — Chriſtine waren ein Herz und eine Seele. 


Da wir in den Winterabenden, zu Sparung 
des Holzes, in einer Stube beiſammen waren, ſo 
erfuhr ich einſtmalen von ohngefaͤhr, da die weib— 
liche Geſelſchaft auf Haus haltungsgeſchaͤfte zu reden 
kam, daß dieſe Magd vor kurzem erſt bei einer 


255 | RER 


Verwandtin in einer großen Gaſtwirthſchaft gear⸗ 
beitet, und dieſelbe faſt ganz allein verwaltet hatte. 
Sie hatte Kuͤhe gemolken, gebuttert, gefäfet, Wein 
und Bier abgezogen, aufgewartet, kurz alles ge⸗ 
than und geuͤbt, was in einer laͤndlichen Gaſtwirth⸗ 
ſchaft vorfallen kan. Dies machte mich zuerſt auf⸗ 
merkſam auf dieſe Perſon. Ich faßte ſchnell den 
Gedanken auf, daß eine ſolche Wirthſchafterin 
mit ſo volſtaͤndigen Kentniſſen und Fertigkeiten mir 
es moͤglich machen wuͤrde, eine große Wirthſchaft 
zu führen, von welcher ich einen anſtaͤndigen Ges 
winn ziehen und durch denſelben von Nahrungsſor⸗ 
gen und uͤbermaͤſſigen Geiſtesanſtrengungen mich 
wuͤrde befreien koͤnnen. Und dieſe Moͤglichkeit 
leuchtete mir um ſo mehr ein, jemehr ich bei dieſem 
Vorhaben die Zuſtimmung meines lieben Weibes 
erwarten konte, deren Vertrauen die Perſon beſaß, 
mit welcher ich es auszuführen gedachte, 


s Die einzige Bedenklichkelt, daß gewiſſe Leute 
dieſen Weg zum Erwerb verſchreien wurden, ſchrekte 
mich darum nicht mehr, weil ich einmal in einem 
Lande lebte, wo alle andere Ausſichten mir ver⸗ 


ſchloſſen ſchienen und ich folglich gar keinen Grund 
finden 


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— 256 


finden konte, warum ich mich an Narrengeſchrei 
kehren und dem zu Gefallen, mich in der Welt 
aufzehren und meine Kinder in der Qnäteen Ar⸗ 
muth verlaſſen ſolte. 


Der ſelige Goldhagen beſtaͤrkte mich in meis 
nem Vorſazze und — fo kaufte ich im Jul. 1787 
meinen Weinberg, und errichtete ein Etabliffement, 
welches ich noch dieſen Augenblik für vol ommen 
geſchikt halte, mir den Abend meines Lebens anges 
nehm zu machen, ob ich gleich bis jezt daſſelbe als 
eine Quelle tauſendfachen Verdruſſes habe erfahren 
muͤſſen. 


Man denke ſich die unvorherzuſehende Wen— 
dung des Schikſals. Eden dieſe Perſon, auf wel— 
che ſich die ganze Moͤglichkeit gruͤndete, mein 
Etabliſſement (mit Bethuͤlfe eines geſchikten Mans 
nes, der die Aufwartung und Bedienung der Frem— 
den dirigirte) zu behaupten, wurde zufaͤlliger Weiſe 
mir verleidet. Sie war fünf Vierteliahr lang meis 
nem lieben Weibe im hoͤchſten Grade anſtaͤndig ge⸗ 
weſen, und ſie ward jezt auf einmal der Gegenſtand 
ihres Haſſes und ihrer unverſoͤhnlichen Rache. 

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W. 


Ich war mit meiner Gattin uͤber die Fuͤhrung 
der Wirthſchaft einverſtanden. Sie hatte nach 
meinem Willen blos das Fach der Erziehung mei⸗ 
ner Toͤchter und die Beſorgung der Waͤſche uͤber⸗ 
nommen. Sie ſolte mit Kuͤche, Stall, Keller ꝛe. 
gar nichts zu thun haben. Ich wolte mit ihr auf 
einem beſondern Fluͤgel des Hauſes wohnen, und 
auf dem andern ſolte die große Wirthſchaft ſeyn, 
uͤber welche ich allein diſponiren wolte, und die ich 
bereits in ſolche Hände gebracht und fo eingerichtet 
hatte, daß ſie nicht anders als gedeihen konte. 
Mein liebes Weib lebte bei dieſer Einrichtung wie 
eine Koͤnigin. Sie genoß, bei maͤßiger Arbeit 
(wie ſie ihre Schwaͤchlichkeit und ihre Liebe zu ſiz⸗ 
zenden Beſchaͤftigungen des Naͤhens, Filetſtrikkens, 
Stikkerei u. d. es erfoderte) alles, was fie ſich win: 
ſchen konte. Keine Sorge beunruhigte ſie, keine 
Handarbeit belaſtete ſie, kein Verbruß ſtoͤrte ſie. 
Und ich — fühlte mich, bei der ſtaͤten Bewegung, 
welche Aufſicht und Diſpoſition erfoderte, bei der 
geſunden Luft und romantiſchen Gegend, in welcher 
ich athmete, bei der täglichen Unterhaltung des ges 
ſelſchaftlichen Lebens und bei den frohen Ausſichten 
in die sap der Ruhe — im hoͤchſten Grade . 
lich. — Ein Umſtand zerſtoͤrte das alles. 


en 258 


Gewiſſe Leute, welche ehedem, da mein liebes 
Weib Kaſſe, Keller und Vorraͤthe in ihren Händen 
hatte, mancherlei Genuß von ihrem guten Herzen 
bezogen hatten, (die ich hier in vielerlei ſchonender 
Ruͤk ſicht nicht fpecificiren mag) und welche nun auf 
einmal mein liebes Weib auſſer Poſſeß und ſich, 
auſſer Antheil ſahen, fiengen an, ihr alles ins Ohr 
zu raunen, was ihre Phantaſie erhizzen und ihre, 
den Hezzern wohlbekante, ſchwache Seite in Al— 
larm ſezzen mußte. Sie ſtellten ihr vor, wie erz 
niedrigend es fuͤr ſie ſey, die Wirthſchaft nicht in 
ihren Haͤnden zu haben. Sie berechneten ihr die 
Summen, welche die Magd unterſchlagen wuͤrde, 
wenn ſie ferner mit ſolchem Zutrauen behandelt 
wuͤrde. Sie erzaͤhlten ihr Hiſtorien von Liebesge⸗ 
ſchichten, und ſuchten durch dieſe ihr Angſt zu ma⸗ 
chen, daß ſie mich ſelbſt wohl ihr abſpenſtig machen 
dürfte. Kurz fie wiegelten fie auf, die Abſchaffung 
der Wirthſchafterin zu fodern. Und ſo ward meine 
Ruhe zu Grabe getragen. 


Ich — ſahe die Unmoͤglichkeit vor Augen eine 
ſolche Perſon von ſo ſeltner Geſchiklichkeit und Treue 
und die dabei fuͤr drei Mann im Hauſe arbeitete 

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(denn fie war für Vieh, Küche, Reinlichkeit, Bier 


und Weinbehandlung, kurz, fuͤr die ganze große 
Wirthſchaft — in welcher oft Mittags zwanzig 
Gaͤſte mit ſechs Schuͤſſeln gefpeifet, und oo, des 


Nachmittags und Abends, mit Speiſe und Trank 
verſorgt wurden — die einzige Magd im Hauſe) 
er mir ſogleich wieder zu erſezzen: und mein liebes 
Weib — ftürmte gleichwohl mit ſolcher Hizze auf 


mich los, ihren Willen durchzuſezzen, daß — auf 
erhaltene abſchlsgliche Antwort — in wenig Wo» 


x En chen. das LEE weit und breit von ihren Klas 


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5 den erfullt und mit entehrenden ee uͤberla⸗ 


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| 3 Ich etſüchte alles, um ihr Herz, das im 
Grunde mich zu lieben ſchien, ob es gleich zu mei⸗ 
ver Schande und zum Ruin meiner Kinder ſich ver⸗ 


Art hatte, zu beſänftigen. Ich ſtellte ihr die An⸗ 


nebmli chkeit der Lage vor, in welche ich ſie geſezt 
hatte. Ich zeigte ihr die Unmd glichkeit, mein 
Etabliſſement ohne eine ſolche Perſon zu behaupten. 
Io gab ihr zu bedenken, wis ſehr ihr Geſchrei ſie 
felbſt und unjeie, änze Familie‘ entehre. Meine 


Kinder ver relſigten iht ihre Bitten v und Vorſtellungen 
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Es gehoͤrt ein voͤlliges Alphabeth dazu, alle 
Auftritte zu ſchildern, und alle die Verſuche zu ent⸗ 
falten, welche mein liebes Weib ſeit jener ungluͤk⸗ 


lichen Verhezzung begonnen hat, (bald mit bittern | 


Reden ins Angeſicht, bald mit lautem Geſchrei an 
alle Menſchen, deren Ohren ſie habhaft werden 
konte, bald mit Briefen, die ſie funfzig Meilen 
weit verſendete) meine Geduld zu ermuͤden und mich 
durch Schmach und Kraͤnkung unter ihren Willen 
zu beugen. — Die Geſchichte verdient einen eige— 
nen Roman, den ich bereits entworfen habe, in 
welchem alle Scenen, alle Briefe, alle Belege, alle 
Zeugen zum Vorſchein kommen ſollen, um eine 
Geſchichte ganz aufzuhellen, welche, fo unbedeu⸗ 
tend ſie ſcheint, ganz eigne Beiträge zur Menſchen⸗ 
kentniß liefern duͤrfte. 


Ich — werde lebenslang mit Schaudern und 
Entſezzen an dieſe Epoche zuruͤk denken, in welcher 
ich zwei ſo wuͤthende Stuͤrme aushalten und auf 
der einen Seite in einem elenden Kerker von der 
fuͤrchterlichſten Inquiſition mich martern, und auf 
der andern von einer verfuͤhrten Gattin mich fol— 
tern laſſen mußte — und dies in einem Zuſtande 

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261 —ñ— 


der äufferften Schwachheit, wo meine Kräfte durch 
uͤbermaͤßige Arbeit völlig geſchwaͤcht, meine Ges 
ſundheit zerſtoͤrt und mein Geiſt durch Sorgen und 
unbeſchreibliche Aergerniſſe zerruͤttet war. 


Und von dieſen vorher gegangenen Zerruͤttun⸗ 
gen will ich meinen Leſern noch einige Proben vor⸗ 
legen, welche ihnen die Lage meiner Seele erſt ganz 
in ihrem fuͤrchterlichen Lichte zeigen und es ihnen 
voͤllig unbegreiflich machen werden, wie ich, unter 
ſolchen Umſtaͤnden, noch leben bleiben konte. 


Mein Weinberg graͤnzt an die Beſizzungen ei⸗ 
nes ſeiner rechtglaͤubigen Froͤmmigkeit halber ſehr 
bekanten und reichen Herrn, der ſich einen Winzer, 
Namens Puf erkohren hatte, welcher die Geißel 
der Nachbarſchaft war. Seine Grobheit uͤberſtieg 
allen Ausdruk. Seine Fertigkeit im Schabernak⸗ 
ken ſucht ihres Gleichen. Und ſeine Dieberei war 
weltkundig. — Dieſer Menſch wurde meine taͤg⸗ 
liche Plage. Er ergrif alle nur erſinliche Gelegen⸗ 
heit, mich zu ärgern, Bald mishandelte er meine 
Gaͤſte, wenn ſie unverſehens einen ofnen Fußſteig 
detraten, welcher unſere unmerkliche Graͤnze war, 


262 


und den er allein mit mir begehen zu duͤrfen glaub⸗ 
te. Bald verſchlemte er uns mit Spreu und Koth 
die Quelle, aus welcher wir unſer Trinkwaſſer ho— 
len mußten. Bald uͤberfiel er mein Geſinde mit 
Karſten und Knitteln, wenn ſie aus dem Brunnen 
ſchoͤpfen wolten, der auf ſeinem Grund und Bo— 
den zwar lag, aber an den ich mit mehrern Wein— 
bergs beſizzern, vermoͤge alter Receſſe, Antheil hat— 
te. Bald ſchuͤttete er auf leinen Anhoͤhen Ströme 
von Schimpfwoͤrtern und Schmaͤhungen gegen mich 
und die Meinigen aus, wenn wir ihn oder ſeinen 
Jungen auf unſern Stuͤkken ertappt und verjagt 
hatten. 


Nicht genug, mein Pachter ergrif ihn eines 
Morgens um drei Uhr auf ſeinem Krautſtuͤkke, auf 
welchem er vor ſeinen Augen Kraut geſtohlen und 
bereits in den Korb geladen und ſich auf den Ruͤk— 
weg damit gemacht hatte. Der Dieb ſezte ſich zur 
Wehre. Er ſchlug meinen Pachter blutruͤnſtig. 


Wir gingen vors Siebichenfteiner Amt. Er geſtund 


ein, 1) daß er ſonſt ſchon uͤber Dieberei ergriffen 

worden waͤre, 2) daß er von meinem Pachter auf 

dem Stuͤkke ergriffen worden ſey, 3) daß er ihn 
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blutig geſchlagen habe. Ich verlangte von der * 


Obrigkeit, daß er, nach dem Weinbergsrechte, als 
uͤberfuͤhrter Dieb und Räuber der RNachbarſchaft, 


aus dem Weinberge geſtoßen und mie für fo viel 


bereits angethane Mishandlungen Genugthuung 
geſchaft werden moͤchte. Sein Herr bat vor. Es 
dauerte lang, ehe man eine Strafe beſchloß. End⸗ 
lich ward ihm Geldſtrafe, Gefaͤngniß und Pranger 
zuerkant. Puf blieb in ſeiner Ruhe und trieb nun 
ſeine Mishandlungen deſto toller. Ich klagte wie⸗ 
der, verlangte Vollſtrekkung der zuerkanten Strafe. 
Es verzog ſich. Man entſchuldigte ſich, daß ihn 
der Gerichtsdiener, wenn er ihn holen ſolte, nie 
zu Hauſe finde. (Aber der Kerl wußte immer vor⸗ 
her, wenn der Gerichtsdiener kommen wuͤrde, und 
verſtekte ſich). Kurz — J Im vorigen Herbſte, da 
ich meinen halliſchen Kerket verließ, war die Strafe 
noch nicht vollzogen, mir noch keine Ruhe geſchaft 
und — der Dieb ſizt noch in ſeiner Klauſe, un⸗ 
geſtoͤrt. N 


Wer einen Begrif ſich machen kan, was das 
heißt, neben ſolchem Geſindel leben und gegen ſol⸗ 
ches Geſindel keine durchgreifende Maasregeln fins 


den, der wird fi b vorſtellen koͤnnen, welch ein tau⸗ 
ſendfacher Verdruß mir aus 8 einzigen Quelle 
frönen mußte. 


Aber es gab noch eine andere Quelle dieſes 
Giftes, das mich verzehrte, welche ich nur kurz 
berühren will. Ich hatte drei Söhne des Profeſ— 
for Tilings aus Mitau, als meine Zoͤglinge übers 
nommen. Im erſten halben Jahre hatte ich mit 
denn aͤlteſten, der ein vortrefliches Herz zeigte, hoͤchſt 
vergnuͤgt gelebt. Im zweiten halben Jahre aber, 
da noch zwei jüngere und leider für die Univerſitͤts⸗ 
jahre noch ganz unreife Bruͤder dazu kamen, wur⸗ 
den mir meine paͤdagogiſchen Geſchaͤfte zur Folter. 
Es fanden ſich frühzeitig Geſelſchafter, welche die 
jungen Leute uͤberredeten, daß ſie bei mir viel zu 
geniert lebten und fuͤr ihr Geld (davon ich mich be⸗ 
reicherte) bei weitem die Gluͤkſeligkeiten nicht ge⸗ 
noͤſſen, die das aͤchte Burſchenleben mit ſich fuͤhre. 
Und nun fingen dieſe jungen Leute an, ſich Freihei— 
ten heraus zunehmen und Yrätenfionen an mich zu 
machen, welche jeden Tag mit neuen Aergerniſſen 
mir verbitterten. Nachdem ich fuͤnf Vierteljahr 
mich mit ihnen gequaͤlt und tauſend Inſultationen 

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verſchmerzt hatte, zogen ſie endlich, ohne Abſchied 
zu nehmen, von mir ab und — der Vater — der 


von mir fo geliebte — nie von mir beleidigte — 


mich ſonſt ſo enthuſiaſtiſch verehrende Vater — hoͤr⸗ 
te blos die einſeitigen Berichte ſeiner Soͤhne — zer⸗ 
riß das Band der zaͤrtlichſten Freundſchaft — vers 
weigerte mir 150 Thaler ſchuldige Gelder — ſchikte 
mir den beſcheidenſten und freundſchaftlichſten Brief, 
in welchem ich ihn um mein Geld erſuchte, offen, 
auf der Poſt zuruͤk — und hat noch bis jezt nicht — 
auch in meinem Ungluͤkke nicht, wie er hoͤrte, daß 


meine Kinder Noth litten — ſich ſeiner * . 


entledigt. 


Die in meinem Herzen noch in dieſem Augen⸗ 
blikke unzerſtoͤrbare diebe zu dieſem würdigen Mans 
ne heißt mich, dieſe Geſchichte abkuͤrzen. Nur 
dies einzige muß ich, um meiner Ehre willen, dem 
Publikum noch ſagen, (weil es ſo viele gab, die 
auch dieſe Tilingiſche Zoͤglingſchaft fuͤr eine Finanz⸗ 
operation ausſchrien) daß ich dieſen Tilingiſchen 
Kindern folgendes fuͤr drei Thaler woͤchentliche 
Zahlung geliefert und geleiſtet habe: 1) Mittagtiſch 
2) Abendtiſch 3) taglich früh und Nachmittags für 


5 — — \ 266 


jeden eine Portion Koffe 4) alle morgen ein reichli⸗ 
ches Fruͤhſtuͤk von Butterbrod oder Kuchen 5) taͤg⸗ 
lich vier ſteinerne Kruͤge (a 15 Maas) Bier, und 
alſo im Jahr 2190 Maas 6) Vettung 7) Heizung 
8) kicht 9) Aufwartung 10) Reinigung und Aus— 
beſſerung der Waͤſche 11) anfangs halb, nachmals 
ganz freies Billard (auf welchem ſie taͤglich zwan— 
zig bis vierzig Partien abdraſchen) 12) Sontags, 
jedem ein Viertelmaas Wein. 13) Privatſtunden 
uͤber Logik, Methaphyſik und mein Syſtem der 
moraliſchen Religion. 14) Freie Wohnung, be 
ſtehend aus zwei Stuben und zwei Kammern. Und 
nun frage ich, welcher Vater ſeinem Sohne dies 
alles, wöchentlich für drei Thaler, in Halle erzeu— 
gen mag? Und nun frage ich, ob ein Menſch aufs 
treten und ſagen mag, daß dieſes Koftgeld meine 
Koſten und Muͤhe verguͤten, geſchweige mich berei⸗ 
chern konte? 


O ihr lieben Tilinge! Ihr werdet es jezt wohl 
ſelbſt einſehen, wie viel Unrecht ihr mir gethan 
habt, und wie viel unnoͤthige Kraͤnkungen eute 
uͤberſpanten Begriffe von Ehre und Freiheit mir 


verurſacht haben. Vergebet mir, wenn meine uns 


gluͤkliche Lage, zuweilen auch mich einmal verftims 
te und Eure Uebereilungen ernfter mich tadeln hieß, 


als ſie es verdienten, ſo wie ich Euch nun vergebe, 
nachdem ich meine Leiden uͤberſtanden habe! 


7 


Ein und zwanzigſtes Kapitel. 


135 


Noch ein ſchauderhafter Nachtrag. 


ann kan ich es uͤbers Herz bringen, einen Mann 
im Publikum aufzuſtellen, den ich wie meinen Bru⸗ 
der geliebt, und Für deſſen Redlichkeit ich mit mir 
ſelbſt länger gekaͤmpft habe, als für irgend einen 
Menſchen. Es iſt der Degen hard Pott in Leipzig, der 
ſich bisher als Theilhaber an der Waltherſchen Buch⸗ 
handlung bekant gemacht und jezt dieſelbe gekauft 
haben foll. | Be 


Wenn Rachſucht meine Feder leitete, ſo Fünte 
ich ihm durch meine Berichte ſchaden. Aber ich 
will am Ende des halben Sekulums meines Lebens 
mein Herz nicht noch mit einem Laſter befleffen, 


— — | 268 


von welchem daſſelbe noch nie entweiht worden iſt. 
Ich will blos das kuͤrzlich erzählen, was mich ans 


geht und was ihm keine bürgerliche Strafe zuzie- 


hen kan. 


Ich hatte mit dieſem Pott, der mir als 
Kompagnon der Waltherſchen Buchhandlung be— 
kant worden war, einige Briefe gewechſelt uͤber 


Verlagsgeſchaͤfte und deutſche Union, und fein herz- 


licher und freundſchaftlicher Ton hatte mir den 
Wunſch eingeflößt, mit ihm in nähere Bekantſchaft 
zu kommen. Er ſelbſt eilte meinen Wuͤnſchen zuvor. 


Er kam auf meinen Weinberg und blieb uͤber 
Nacht bei mir. Ich wurde von ihm bezaubert. 
Alle ſeine Geſpraͤche athmeten einen gewiſſen Adel 
der Seele. Er redete mit Waͤrme und Abſcheu 
von alle dem, was nur von weitem einer Argliſt 
oder Riedertraͤchtigkeit aͤhnlich ſahe. Er zeigte bei 
den Aeuſſerungen feiner Grundſaͤzze und den Erz 
zaͤhlungen feiner Handlungsweiſe eine Feſtigkeit des 
Charakters, eine unerſchuͤtterliche Geduld und einen 
eiſernen Muth, — gerade alſo die Tugenden, die 
ich wie Gottheiten anbete, weil ich ſie von jeher ſo 


9 


269 2 ͤ „ 


ſchwaͤrmeriſch geliebet und fo ſelten unter der 
Menſchheit gefunden habe. Er gab dabei Spuren 


von ſehr ausgebreiteten Kentniſſen. Er ſchien uͤber 


alle Fächer des Wiſſenswuͤrdigen gedacht und gele⸗ 


ſen zu haben. Er machte ſo gar den Liebhaber der 
ſpekulativeſten Philoſopyhie. Endlich — ſprach er 
von ſeinen Verbindungen mit Menſchen ſo, daß ich 
nicht anders urtheilen konte, als daß er mit ſehr 
rielen der erſten und wichtigſten Maͤnner der Na⸗ 
tion in Konnepion ſtehe. 


Dieſes alles nahm mich ſo fuͤr ihn ein, daß | 


ich anfieng, die reinſte und feftefte Freundſchaft für 
ihn zu empfinden und er — kam mir ſelbſt mit ſol⸗ 
chen Verſicherungen der ſeinigen entgegen, daß am 
zweiten Tage ſeines Aufenthalts ein Bund unter 
uns geſchloſſen wurde, wie ihn David und Jona⸗ 
than nur unter ſich errichtet haben konten. 


Unſer Briefwechſel wurde immer traulicher. 


Seine Beſuche, die er hernach fleißig wiederholte, 


wurden immer neue Gelegenheiten, das Band der 


Herzen feſter zu knuͤpfen. Und am Ende nannte 
er mich in Briefen nicht anders als Vater und ich 
ihn, meinen Sohn. 


—— —ẽ — 


——— 270 


Da ſo eine Zeitlang unſere Verbindung ge— 
dauert hatte, bekam ich einige Urſachen zur Bes 
kuͤmmerniß, die wohl zuweilen einmal die Frage 
in der Tiefe meines Herzens aufſteigen lieſſen: folte 
auch Pott wohl der wahre und herzliche Freund ge: 
gen dich ſeyn, der du gegen ihn biſt, und der er zu 
ſeyn dich verſichert? 


Er war in alle dem, was wir muͤndlich und 
in Briefen mit einander verhandelten, aͤuſſerſt 
nachlaͤſſig und ſaumſelig, und ſchien gar nicht, wie 
ſeine Verſicherungen es mit ſich brachten, zu der 
warmen Thaͤtigkeit zu bringen zu ſeyn, die ich mir 
wuͤnſchte. Ich machte ihm daruͤber zuweilen Vor— 
wuͤrfe. Ich bat ihn, mir offenherzig zu ſagen, 
wenn das und das Geſchaͤft ſeinen Neigungen nicht 
entſpreche, und verſicherte ihn aufrichtig, daß ich 
ſogleich abſtehen und es liegen laſſen wuͤrde, wenn 
er mir nur einen Wink geben wolte, daß er nicht 
gern ſich befaſſe. Aber er betheuerte es heilig, 
daß mein Verdacht ungegruͤndet ſey, daß er dem 
Geſchaͤft mit Leib und Seel zugethan fey, daß nur 
andere dringende Geſchaͤfte ihn ſeither abgehalten 
hätten, die Wärme zu zeigen, die ich von a zu 
erwarten berechtiget waͤre. 


27 L — — 


Mein Glaube an meinen Pott blieb unerſchuͤt 


terlich. Es kamen neue Spuren von Kaͤlte in Ge⸗ 


ſchaͤften. Sie mehrten ſich. Sie wurden auffal⸗ 


lender. — Jezt ſchrieb ich ihm einmal die Worte: 


„lieber Pott, wenn Sie mich taͤuſchen, wenn Ihr 


„Herz einer Falſchheit faͤhig ſeyn ſolte, dann — 


„werde ich gegen das ganze menſchliche Geſchlecht 


„mistrauiſch.,, Auf dieſen Brief folgte eine Ant⸗ 
wort, die mich wieder volkommen beruhigte. | Er 
betheuerte es, daß er mich redlich liebte und daß 
ich nie — nie ihn anders, als meinen treuſten Freund 
finden wuͤrde. | 


Aber mehr als jene Spuren von Kälte und 
kachläſſigker tim Handeln erſchrekten mich gewiſſe 
Pottiſche und Waltherſche Reden und Erzaͤhlun⸗ 
gen über — den Meineid. Und ich bekenne aufs 


richtig, daß ich hier ſelbſt zu leichtſinnig und gegen 
meine eignen Grundſaͤzze, dieſen Zug in dem Cha⸗ 


raktec⸗ onen vermeigten Freundes betrachtet habe. 


Die Liebe taͤuſchte mich und dekte Haͤßlichkeiten zu, 


welche mich von jedem andern Menſchen zuruͤkge⸗ 


ſcheucht haben würden. Ee war mir zu ſehr Enz, 
gel, als daß ich hier den Satan hätte ahnden fola 


len. 


* 


Pr 272 


len. Es ſchien mir ein Flekken in der Sonne zu 
ſeyn, der mich nicht abhalten duͤrfte, in ihren wohl⸗ 
thaͤtigen Strahlen fortzuleben. 


Was Wunder alſo, daß alles, was zulezt 
meine Verwandte und Freunde mir ſagten — daß 
das faſt algemeine und einſtimmige Zeugniß, wel⸗ 
ches mir ſogar auf Kaffehaͤuſern ins Ohr geraunt 
wurde: „Pott ſey ein aͤuſſerſt boͤſer und gefaͤhrli⸗ 
cher Menſch“ mich nun nicht mehr ruͤhrte und von 
meiner Verblendung befreite. Denn ich war zu 
ſehr fuͤr ihn eingenommen, rechnete zu viel auf ſei— 
ne Betheurungen, und ſchrieb der Orthodoxie zu 
großen Antheil an dem boͤſen Leimund gegen den 
freigeiſteriſchen Pott zu, als daß ich mich an ſol— 
che Warnungen haͤtte kehren ſollen. Pott war und 
blieb mein Freund, dem ich Leib und Seele anzu> 
vertrauen bereit war. 


und nun höre mar. s dire P. von 
dieſer meiner ihm bekanten, von ihm genaͤhrten, 
innigſten Freundſchaft und Traulichkeit des Jahres 
1788, im Jahre 1789 fuͤr einen Gebrauch ge⸗ 
macht hat! 
IV. B. S 


273 — 


Er war es, der mir den Röper zu Ende des 


Jahres 1783 empfahl, welcher ſchon im Februar 
1789 gegen mich in Berlin denuneiirte. Roͤper 
kam zwar, wie Pott verſicherte, ohne Potts Ge⸗ 
heis. Aber da ich Potten hernach uͤber Roͤpern 
konſulirte, rieth er mir doch, Roͤpern zu behalten, 
und zwar aus dem Grunde, weil er ein aͤuſſerſt ar⸗ 
mer Menſch und ein treuer Freund ſey, der fuͤr 
. ſogar einen falſchen Eid gethan habe, um 
„.. ſeinen Freund — zu retten. 


Er war es, der um Roͤpers Reiſe nach Berlin 
wußte und ihn mit zwei Dukaten Reiſegeld unter⸗ 
ftüzte, wie er ſelbſt ſich einige Zeit nachher gegen 


den Herrn Profeſſor Jakob in Halle verſchnapt hat. 


Und hiebei beherzige man folgende Rebenumſtaͤnde. 
Da Roͤper auf drei Tage Urlaub von mir genom⸗ 


men hatte, und mir zu lange auſſen blieb, kam ich 


auf die aͤngſtliche Beſorgniß, daß der arme Menſch, 
der ohnehin mit Kleidung ſchlecht verſehn war, un⸗ 
terweges zu Schaden gekommen ſeyn moͤchte: denn 
es war um die Zeit des tiefſten Schnees und haͤrte⸗ 
ſten Froſtes. Ich ritt daher nach Leipzig, und ent⸗ 
dekte Potten meine Bekuͤmmerniß. Pott ſtelte ſich 


2 j 474 


erſchrokken: verſichette, nicht begreifen zu koͤnnen, 
wo Roͤper hin ſeyn koͤnte: beſchikte ſeine Schwe⸗ 
ſtern; ließ ſich vorgeblich bei dem Studenten Schulz 
erkundigen: trieb das Nachſuchungsſpiel einen gan⸗ 
zen Tag: und ließ mich mit der bangen Muthmaſ—⸗ 
fung wieder nach Haufe reiten, daß Roͤper unters 
wegs erfroren, oder ſonſt wäre zu Schaden gefoms 
men oder — heimlich entlaufen ſeyn muͤſſe. Alſo — 
Pott ſtelte ſich, als wuͤßte er Roͤpern nicht, und 
hatte ihm doch zwei Dukaten zur Berliner Reiſe 
gegeben? — Doch die Leſer ſollen folgern. Ich 
will blos erzaͤhlen. 

* 

Ich wurde auf dieſes, mit Potts Gelde nach 
Berlin gereiſeten Roͤpers Denunciation arretirt. 
Mein erſter Gedanke im Kerker war, meinem vers 
meintlich beſten, einſichtsvollſten und unternehmend⸗ 
ſten Freunde in der Welt, mein Ungluͤk wiſſen zu 
machen. Meine Kinder ſchikten meinen Bedienten 
zu Pferde nach Leipzig, meldeten Potten das Un⸗ 
gluͤk ihres Vaters und baten ihn um Rath und 
Unterſtuͤzzung. Der Bediente ſagte bei feiner Zu: 
tuͤkkunft aus: 


S 2 


| „ Pott habe den Brief mit kaltem Geſicht ge⸗ * 


„leſen und ganz ruhig gefragt: erſt ge— 


„ſtern iſt der Doktor arretirt worden? 


„ich habe gedacht, er ſaͤße ſchon acht Tage. 
„Mache er mein Kompliment: ich wuͤrde ſie, 
„ſo bald ich koͤnte, auf dem Wien 
55 ea 57 


Ich ward von dieſem ſchreklichen Empfange 


meines Bedienten erſt nach vielen Wochen benach⸗ 


richtiget und (beilaͤuſig und zur Schande meines 


Kopfes geſagt) doch nicht an Potten ungläubig 


gemacht. Meine Kinder fanden ihn raͤthſelhaft, 


argwohnten aber eben ſo wenig, als ich nachher, 


daß Pott mehr als ein unerklaͤrbar kalter Freund 
ſeyn muͤſſe. Sie wendeten ſich alſo, auf mein Ges 


heiß, in der Zeit der groͤßten Noth, wo durch 


Auſſenbleiben aller meiner gehoften Einkuͤnfte, wah⸗ 
re Hungersnoth begann, und ſie ſchon angefangen 


hatten, ihre beſten Sachen zu verſezzen, um ſich 


und ihren ungluͤklichen Vater im Kerker zu ernaͤh⸗ 
ren, wiederholt an dieſen Mann, auf den ich ſo 
viel Schlöͤſſer gebaut hatte, und flehten ihn mit 
Thraͤnen um Geld. — Man ſezze hier voraus, 


— 


1) daß mir Pott noch Geld ſchuldig war, 2) daß 
Pott auf meine Lebensgeſchichte Praͤnumeranten⸗ 
gelder eingenommen hatte, die, nach vielen ſichern 
Nachrichten, ſehr anſehnlich geweſen ſeyn follen, 
3) daß fein Kompagnon ein Vermoͤgen von 40000 
Thalern und eine eigne Handlung hatte 4) daß Pott 
mein intimſter Freund zu ſeyn verſichert und dieſe 
Verſicherung bis jezt nicht zuruͤkgenommen hatte, 
und denke ſich nun dieſe neue Praͤmiſſe (zu der mei⸗ 
nen Leſern uͤberlaſſenen Konkluſion): 


Pott ſchikte nach vielem Flehen zwanzig Thaler, 
ſchrieb, daß er kein Geld fuͤr uns habe, und 
gab, in der ganzen Zeit meiner Einkerkerung, 
in der meine Kinder in groͤßtem Elende und 
Jammer leben mußten, keinen Heller weiter. 


Pott wurde während meiner Inquiſition in 
Leipzig verhoͤrt und druͤkte unter andern uͤber den 
Kommentar, den er doch ſelbſt geſchrieben hatte, 
ſich ſo aus, daß ein ſtarker Verdacht auf mich fal⸗ 
len mußte. Ich erinnere mich genau, daß die Kom; 
miſſion ſelbſt, im Verhoͤr, ihre Verwunderung ge: 
gen mich aͤuſſerte, daß mein intimſter Freund ſo 
unvorſichtig und mir nachtheilig ausgeſagt habe. 

883 


277 —— 


Pott kam zu Pfingſten auf meinen Weinberg 
mit der Mine des waͤrmſten Freundes, blieb uͤber 
Nacht, zeigte ſich, wie meine Kinder ſagen, in der 
engſten Vertraulichkeit mit meinem lieben Weibe, 
aͤuſſerte den folgenden Tag, daß er aus Liebe zu 
mir und den Meinigen nun mein Leben ſelbſt 
ſchreiben wolle, da ich es nicht ſchreiben koͤnne, und 
verſprach meiner Familie von dem Buche den gan⸗ 
zen Buchhändler: Gewinn. Dieſer großmuͤthige 
Antrag ruͤhrte meine Kinder, und ſie ließen ſich be⸗ 
reden, dieſem Menſchen, ohne mein Wiſſen, alle 
meine Papiere einzuhaͤndigen, (Briefe, Dokumen⸗ 
te, Aufſaͤzze ꝛc.) die ich feit 24 Jahren mir geſam⸗ 
melt hatte, und die ich nicht gern fuͤr 2000 thlr. 
verkauft haben wuͤrde. 


Das ſind die Thatſachen, die ich dem unpar⸗ 
theiiſchen Publikum vorlegen wolte. Ich mag 
nicht Richter ſeyn. Mir ſchauderts zu ſagen, was 
ich denke. Und noch — iſt ſelbſt das, was ich 
denke, und denken muß, mir — ein Raͤthſel. Denn 
alle meine Pſychologie und weitläuftige Menſchen⸗ 
kentniß reicht mir nicht zu, den Grad von Unmenſch⸗ 
lichkeit mir begreiflich zu machen, den ich in dem 


1 


Verfahren dieſes Mannes erblikke, Mein Verſtand 


ſteht mir über der Frage ſtille: wie ein Menſch, ein 
menſchliches Herz zu einer ſo innigen Freundſchaft 
erwaͤrmen konte, mit dem unnatuͤrlichen Vorha⸗ 
ben — nicht den Getäͤuſchten allein — denn da kon— 
te eine perſoͤnliche und in Anſehung ihres Grundes 
noch unbekante Rache die natürliche Triebfeder 
ſeyn — ſondern auch deſſen Weib und unſchuldige 
Kinder ins Verderben zu ſtuͤrzen? 


Um aber meinen Leſern und Richtern auch fuͤr 
den einzigen möglichen Fall das noͤthige Licht zu ger 
ben, daß Pott vieleicht noch zur Zeit unbekante 
Urſachen gehabt haben konte, die innigſte Freund— 
ſchaft aus den Augen zu ſezzen und mein Verder— 
ben zu beſchließen; fo will ich hier einen Brief ab— 
drukken laſſen, den ich noch in meinem halliſchen 
Kerker erhielt. 


Ich hatte Potten, den mein Herz auch damals 
noch nicht ganz verurtheilt hatte, (weil ich erſt nach⸗ 
her, bei mehrerer Freiheit, eine Menge Umſtaͤnde 
erfuhr, die ich hier als bloße Sagen uͤbergehe, und 
die mich dann erſt determinirten, ihn fuͤr treulos 

S 4 


1 “= _ 


zu halten) eine neue Ausgabe meines Syſtems der 
moraliſchen Religion verſprochen und bereits zum 
Drukke abgeliefert. Ich hatte ihn dringend 
gebeten, mir das Honorar den ıften Auguſt zu zah⸗ 
len, um mir und meinen Kindern damit Huͤlfe zu 
ſchaffen. Er hatte die Zahlung bis zur Meſſe ver⸗ 
ſchoben. Ich hatte in der Meſſe mit jedem Poſtta⸗ 
ge ihn gefleht, Wort zu halten. Ich hatte endlich, 
da ſein Verſprechen immer unerfuͤlt blieb und mei⸗ 
ne Noth hoͤher ſtieg, in einem Briefe Zweifel an 
feiner Freundſchaftstreue geäuffert. Und darauf 
bezieht ſich nun dieſer ſein Brief, den ich im Origi⸗ 
nal jedem zeigen kan, wer ihn zu ſehen verlangt; 


Leipzig d. taten Oetob. 1789. 


Ob ich Ihr Freund bin? Lieber beſter Bahrdt, 
hieran koͤnnen Sie zweifeln? Was für Grün: 
de haben Sie dazu? Ich habe Ihnen ja ges 
ſchrieben, vor meiner Abreiſe, daß Sie vor 
der Meſſe kein Geld hahen koͤnten, und jezt iſt 
die Meſſe ja noch nicht vorbei? Dieſe Woche 
erhalten Sie auf jeden Fall welches“). Wenn 


7) Ich erhielt aber, auch in dieſer Woche, niehts. 


F 280 


der erſte Theil von Ihrem Leben da ſeyn wird; 
wenn Sie die Vorrede dazu werden geleſen 
haben, und wenn ich dann das nicht erfuͤllen 
werde, was da gedrukt drinnen ſteht: dann 
lieber Bahrdt, koͤnnen Sie erſt ſagen, Ich bin 
von Pott getaͤuſcht worden ). — Was wird 
| denn aus Ihrer Gefangenſchaft? — Wuche⸗ 
rer fist noch. Gern hätt ich ihn geſprochen, 
| um Richtigkeit mit ihm zu machen, weil ich 
äufferft unzufrieden mit ihm bin. Bald ein 
mehreres. Kann man Sie ſprechen? ſo komm 
ich zu Ihnen, Ihr lieber 


Pott. 


War das nicht immer noch der Ton des redlich⸗ 
ſten Freundes? Hatte er im Fruͤhjahre noch fo gez 
gruͤndete Urſach, mein Verderben zu beſchließen: 
was hatte er denn fuͤr Urſache, mich noch jezt zu 
überreden, daß er der alte Herzensfreund von mic 
ſey? Doch mich duͤnkt, dieſe ſchrekliche Geſchichte 
hat Licht genug für unbefangene Beurtheiler. Ich 
eile, ſie zu beſchließen. 

5 S 5 
) Mein Leben und die Pottiſche Vorrede iſt nnn da. 
Was fagen die Leſer? 


281 6 — 


7 


Ich war in nicht geringer Beſorgniß, ſeitdem 
ich gehoͤrt hatte, daß Pott meine Papiere in ſeinen 
Haͤnden habe. Ich wußte, was er für ein raffi⸗ 
nanter Kopf war, und wie ſchwer es halten wuͤrde, 
ſie wieder heraus zu bekommen. Ich ſchrieb ihm 
gegen das Ende des Sommers (wo ich noch ganz 
glaubte, daß er einen wenigſtens nothduͤrftig ehr⸗ 
lichen Gebrauch davon machen wuͤrde) daß ich, ob⸗ 
ſchon ungern, ihm dieſelben, (und mit ihnen den 
ganzen Gewinn von meiner Lebensgeſchichte, die er 
ſchreiben wolte) für 1000 Thaler uͤberlaſſen wolte. 
Poit dachte, ich muͤßte mich im Kerker ſeiner Diſ⸗ 
kretion üͤberlaſſen und war under ſchaͤmt genug, mir 
500 Thaler zu bieten und auch dieſe Zuſage mit 
ſolchen geſchraubten Ausdrüffen zu thun, (der 
Brief ift in den Händen des Leipziger Magiſtrats), 
daß es immer in ſeiner Freiheit blieh, mich auf Die 
ſen Biſſen troknes Brod ſo lange harxen zu laſſen, 
als es ihm beliebte — vieleicht ſo lange, bis meine 
Leiden mich aufgezehrt, und mein Tod ihn ganz 
diſpenſirt haben wuͤrde. 


Dies empoͤrte endlich mein Herz und zerriß die 
bisherige uͤbertriebne Anhaͤnglichkeit an dem ſeini⸗ 


In un ne rau? 3 2 82 


gen. Ich beſchloß, mein Eigenthum mit Zwang 
ihm zu entreiſſen. Ich bat Se. Exellenz den Koͤnigl. 
Staatsminiſter von Woͤllner um Hülfe und ſchloß 
eine Supplik an des Koͤnigs Majeſtaͤt bei, in wel⸗ 
cher ich allerunterthaͤnigſt nachſuchte, daß Se. Ma⸗ 
jeftät ſich bei dem Dreßdner. Hofe für mich derge— 
ſtalt verwenden möchte, daß der Pott genoͤthiget 
wuͤrde, die mir geraubten Papiere eidlich zu 
extradiren. 


Daß dieſe Supplik hernach zu einer Arreti⸗ 
rung Potts und zu einer Klage wegen Entfuͤhrung 
meiner Tochter gediehen iſt, wiſſen meine Leſer 
aus meiner Gefaͤngnißgeſchichte. — Wie die 
Sache zugegangen iſt, und was ſie fuͤr einen Aus⸗ 
gang gehabt hat, weis ich bis dieſen Augenblik 
nicht. Ich habe auf mein anderweitiges Schreiben 
an des Königs Majeſtaͤt und an den Magiſtrat zu 
Leipzig, in denen ich deklarirte, daß ich nie Potts 
Arretirung verlangt, und nie über Entführung 
meiner Tochter geklagt haͤtte, und — blos um die 
Rüfgabe meines Eigenthums nochmals flehte — 
noch bis jezt keine Antwort erhalten, 


283 W er 


Pott wurde durch feine Arretirung wüͤthend. 
Er ſchrieb nach Halle an den M. Rath, daß ich 
ſchuld an ſeinem Ungluͤk ſey und daß er ſich ſchau⸗ 
dernd an mir raͤchen wuͤrde. Er ließ, durch eben 
denſelben Freund, meiner Frau Reiſegeld anbieten 
und ſie einladen, nach Leipzig zu kommen und ge⸗ 
gen mich vor Gericht zu zeugen. Und mein gutes 
Weib, das ſehr an dieſem Menſchen hing, haͤtte 
ſich bei einem Haare bereden laſſen, wenn nicht ein 
redlicherer Freund von mir, es hintertrieben haͤtte. 


Die nachherige Notiz, die Pott erhielt, daß 
ich an den Magiſtrat eine Erklarung eingeſchikt 
hatte, die mich offenbar von aller Schuld an ſeinem 
Arreſte frei ſprach, beſaͤnftigte ihn nicht. Er ſpie 
Feuer und Flamme und ſchrieb und ſchrie uͤberall 
herum: „er wolle ein Meiſterſtuͤk von Schimpf 
und Schande gegen mich ausgehen laſſen. Und 
das ſolte dann der erſte Theil meiner von ihm ge⸗ 
lieferten (ſogenanten) Lebensgeſchichte ſeyn. 


Jezt alſo frage ich laut und vor aller Welt, ob 
ein ehrliebender Menſch — von einem ſolchen 
Menſchen — Seugniß — gegen mich annehmen 


Wu ann 284 


ob ein ehrliebender Menſch dieſes ſchlecht geſchrie⸗ 
bene Pasquil kaufen und leſen kan? 


— —— 


Zwei und zwanzigſtes Kapitel. 


Beſchlus in Aphorismen. 


Waun in meiner Seele nur ein Keim von Mens 
ſchenhaß läge; fo müßte ich laͤngſt ein Teufel d. h. 
ein Feind und Haſſer der ganzen Menſchheit ſeyn. 
Denn ich glaube nicht, daß es viele Menſchen ge— 
ben wird, die ſo hohe Grade von Treuloſigkeit der 
Freunde und unnatuͤrlicher Schadſucht und Argliſt 
der Feinde erfahren haben. 


Meine Feitgenoſſen mögen über mich richten. 
Die Nachwelt aber wird das Urtel revidiren und 
meinen wahren Gehalt und Werth für die Menſch⸗ 
heit aufs reine bringen. 


——————— —— 


— = an 4, —— 
285 


Jedem ehrlichen Manne, der laut und unter 
ſeinem Namen mich mehr fragen will, als ich in 
dieſer Geſchichte geſagt habe, ſtehe ich zur Rede, 
wo und wann und wie er was fodert. Aber genan⸗ 
tem Buben und namenloſen Pasquillanten werde 
ich nie antworten. — Wer ſich ganz rein weis, 
hebe den erſten Stein auf, und werfe ihn auf mich. 


Wenn nicht himmelſchreiende Ungerechtigkei⸗ 
ten vorgehen und die Pfleger der Gerechtigkeit mir 
mein Eigenthum wieder geben, welches dem Pott 
abgenommen worden ſeyn und auf dem Leipziger 
Rathhauſe in Verwahrung liegen ſoll; fo werde 
ich eine ſehr intereſſante Samlung von Briefen 
nach und nach herausgeben, welche dieſe meine 
Geſchichte noch mehr aufklären wird. 


Zu meiner Lebens geſchichte uͤberhaupt und 
Gefaͤngnißgeſchichte inſonderheit werden noch 
Nachtraͤge kommen, uͤber die man erſtaunen wird. 
Aber alles, ſagt Salomo, hat feine Zeit; 


— 


* 
— 


— — 286 


Dien Menſchenfreunden, welche in der Zeit 
der Noth, mir und meinen Kindern haben Inter: 
ſtuzzungen zufließen laſſen, danke ich hiermit von 
ganzer Seele. Ich ſehe alles als geliehen an. 
Komm ich einſt in beſſere Umſtaͤnde; ſo werde ichs 
den Armen wieder geben, fuͤr die ſie ihre Gaben 


| doch eigentlich beſtimt hatten. 


— 


Ich habe, auf meinen Weinberg 2700 Thas 
ler Hypothek⸗Schulden. Ich habe durch Bau und 
andere Meliorationen, hauptſaͤchlich aber durch 
mein mehr als anderthalbjaͤhriges Gefaͤngniß, noch 
anderweit 1000 Thaler pafliva. Ich danke meinen 
großmuͤthigen Glaͤubigern für ihre bisherige men- 
ſchenfreundliche Nachſicht. 


— ( U—v— 


Ich koͤnte, zur Ehre des vernuͤnftigen Glau⸗ 
bens an Providenz, ſehr vieles von herrlichen und 
uͤbergroßen Folgen ſagen, zu denen fie meine bishe⸗ 
rigen Leiden mit Weisheit und Liebe geleitet hat: 
Aber ich zittre noch zu ſehr vor der Unmenſchlichkeit 
der Menſchen, die nur ſo lange mit ihren Verfol— 
gungen zu raſten ſcheinen als der Gegenſtand ihres 


287 r 


Haſſes im tiefſten Elende liegt und ihnen die Hof⸗ 
nung laͤßt, ihn noch verderben zu ſehn, aber auch 
gleich wieder die Maſchinerien ihrer Wuth in Be⸗ 
wegung ſezzen, wenn der Ungluͤkliche aufzuleben 
ſcheint. Indeſſen kan ich das einzige doch nicht 
verſchweigen, was ich taͤglich mit dem feurigſten 

Danke gegen die Vorſehung, laut und im Stillen | 
preiſen muß, daß ich von dem Tage an, an wels 


chem ich (als halb zerſtoͤrter Koͤrper — ich hatte 


noch in den lezten vierzehn Tagen beim ſchleichenden 
Fieber eine weiſſe Ruhr gehabt) nach Magdeburg 
kam, meine ganze Geſundheit wieder bekommen 
habe. Sieben Jahre der Kliſtirmaſchine beduͤrftig, 
ſehe ich fie jezt, ſeit dem sten Nov. 1789 ungebraucht 
in meinem Gefaͤngniſſe ſtehen. Ich weis nichts 
mehr von Verſtopfungen. Alle meine Seitens 
ſchmerzen haben aufgehoͤrt. Ich eſſe und verdaue 
wie ein Juͤngling. Kurz ich ſcheine, ohne mir es 
mit allem meinen bischen mediciniſchen Kentniſſen 
erklaͤren zu koͤnnen, derſelbe Mann geworden zu 
ſeyn, der ich vor zehn Jahren noch war. — 

| Geſchrieben und vollendet 

d. ıften Mai, 1790. 


Ver⸗ 


— 288 


Verzeichniß meiner ſaͤmtlichen Schriften, in 
welchem verſchiedene nachgetragen ſind, wel— 
che mir bei Abfaſſung der Lebensgeſchichte 
entfallen waren. 


In leipzig. 


» 44 . 
I. D. ufu linguae arabicae ex comparatione cum 
hebraea. Lipf. 1758. 4. 


2. De Concordia providentiae et libertatis. Ibid. 
1762. 4. 

3. Vitam — D. Joan. Friedr. Bahrdtii carmine de- 
ſeripſit Carolus Fr. Bahrdt. 1762. 8. 


4. 5. Der Chriſt in der Einſamkeit verbeſſert und 
mit neuen Abhandlungen vermehrt. 2 Baͤnde. 


6. Predigten von einer Seele, die den Frieden es 
ſu hat. Leipzig. 1764 8. 


7. Samlung von Kanzelreden über wichtige Wahr- 
heiten der Religion. 1764. 8. 


8. Diff. de eo, an fieri poſſit, ut ſublato pontifi- 
cis imperio reconcilientur diſſidentes in religio- 
ne Chriftiani, contra luſtinum ;Febronium. 
Lipf. 1764. 


9. Diff. in Pſalm. II. 

10. Diſſ. in Pfalm. VIII. 

17. Diſſ. in Pfalm, XXXVI. 
IV. B. f 5 


12. Compendium grammatices ebraeae. 1765. 8 


13. Diſſ. de locorum Vet. Teft. in novo accom- 
modatione orthodoxa. Lipſ. 1766. 4. 


14. Programma de inelyto bibliothecae electora- 
lis Dresdenſis codice bibliorum ebraicorum n ma- 
nuſcripto. 4. 

In Erf unt 


33. Commentarius in Malachiam, cum exarline 


critico verborum veterum et lectionum varia- 


rum Houbigantii. 1767. 8. ve 

16.17. Hexaplorum Origenis, quae ſuperſunt aue- 
tiora et emendatiora, cum notis, 1769. II. Tomi. 

18. Diff, inauguralis ſuper Math. Cap. 24. 1768, 4. 
Meine theologiſche Doktor Diſputation. 

19. 20. Verſuch eines bibliſchen Syſtems der Dog⸗ 
matik. Zwei Baͤnde. Erfurt und Gotha 1768. 
8. (2te Auflage, Eiſenach 1758 8. ohne mein 
Vorwiſſen nachgedrukt). 

21. Laute Wuͤnſche des ſtummen Patrioten. 1760. 8. 

22. 23. Briefe uͤber die ſyſtematiſche Theologie zur 
e der Toleranz. Zwei Baͤnde. 1768. 
1772. mer * 

24. Cen der Moral: Theologle, ebend. 1768. 


8. (2te Auflage ohne mein Vorwiſſen beranſtaltet | 


Eiſenach 1780. gr. 8.) 
25. Obfervationes criticae circa lectionem codi- 
eum Mss. hebr. Lipſ. 1769. 8. 


\ 


26. Sieg der Religion über das Verderben der 
Menſchen, eine zu Muͤhlhauſen gehaltene Pre⸗ 
digt. Erfurt 1769. 8. 

27. Aktenmaͤßige Gegenrelation in einem Sendfehreis 
ben an Herrn Prof. Schmidt. Erfurt. 1769. 8. 


45 In Gießen. 


28. Programma, quae vera notio vocabulis vouss; 
Y uαα,νt MVEUML, 80% in N. T. libris ſubjecta fit? 
Gieſſae. 1770: 4. 

29. Vorſchlaͤge zur Aufklaͤrung und Berichtigung 
des Lehrbegeifs unſerer Kirche. Riga. 1770. 8. 

30. Anhang zu dieſen Vorſchlaͤgen. 1773. 8. 

31. Predigten, Frankf. am Mayn. 1772. 8. 

32. Kritiken über die Michaeliſche Bibeluͤberſezzung. 
Frankf. 1773. 8. 

33.34. 35.36. Die neueſten Offenbarungen Gottes 
in Briefen und Erzaͤhlungen. 4 Theile. Riga 
1772 — 75: 8. 

37. Entwurf einer unpartheiiſchen Kirchengeſchichte 
N. T. ein akademiſches Lehrbuch. Frankf. am 

Mayn. 1772. 8. 

38. Homiletik. Ebend. 1772. 8. 

39. 40. 41. 42. Algemeine theologiſche Bibliothek. 
Mietau. 1774. 1773. gr. 8. 4 Bände, 

43. Apparatus criticus ad formandum interpretem 
Vet, Teftamenti. Lipſ. 1773. 8. 


T 2 


291 — 


44. Die Lehre von der Perſon und dem Amte un⸗ 


ſers Erloͤſers in Predigten, rein bibliſch vorgetra⸗ 

gen. Frankf. am Mayn. 1773. 8. 5 
45. Vorreden zu des Herrn v. Gerſienberg in Er⸗ 

furt Verſuch, das Herz eines Religionsveraͤch⸗ 


ters durch Vorſtellung feines eigenen Vortheils 


zu gewinnen, ebend. 1774. 
46. Eden. Frankfurt. 1774. 


47. Schediasma academicum, quo de theologia 
Ante Nicaena quaedam in medium proferuntur. 


Giff. 1774. 8. 


48. Programma de genuina interpretatione loci 
Math. V, 17. contra Zeibichianas commenta- 


tiones. Gifl. 1774 4. 


In Marſchlinz. 

49. Philanthropiniſcher Erziehungsplan, oder vol⸗ 
ſtaͤndige Nachricht von dem erſten wirklichen Phi⸗ 
lanthropin zu Marſchlinz. Frankf. am Mayn. 
1775. 8. 


Duͤrkheim an der Haard. 
50. 51. Die neueſten Offenbarungen Gottes. 2te 


Ausgabe. Frankenthal. 777. Zwei Bände ing. 


52. Erſte Nachricht an das Publikum von Errich⸗ 
tung des Leiningiſchen Erziehungshauſes, oder 


dem wirklichen dritten Philanthropin auf dem 


Hocgräfl. Schloſſe zu Heidesheim im Oberrhei⸗ 
niſ chen Kreis. 1776. 8. 


4 8 
BER Zu DE ˙.A a ne U En u 


* i 
I e 292 


53. Zweite Nachricht. 1777. 8. 

54. Litterariſches Korreſpondenz- und Intelligenz— 

blatt. Heidesheim. 1776. 

55. Paͤdagogiſches Wochenblatt. Heidesheim. 

| 1778. 8. 

56. Glaubensbekentniß, veranlaſſet durch ein kai⸗ 
ſerl. Reichshofraths Konkluſium. (Berlin) 
1779. 8. 


Halle. 


57. Kurze Erklarung über Herrn D. Semlers Ants 
wort auf das Bahrdtiſche Glaubensbekentniß. 
Berlin. 1779. 8. 

58. Die kleine Bibel. Berlin. 1780. gr. 8. 


59. Apologie der Vernunft, durch Gruͤnde der 
Schrift unterſtuͤzt, in Bezug auf die chriſtliche 
Verſoͤhnungslehre. Herrn D. Seiler zugeeignet. 
Bafel. 1780. 8. 2 

60. Verſuch uͤber die Beredſamkeit, nur fuͤr meine 
Zuhoͤrer beſtimt. Halle. 1780. 8. 2te Auflage. 
Deſſau. 1782. 8. 

61. Des Tacitus Annalen ıtes und 2tes Buch; ein 
Probeſtuͤk für Kenner. Ebend. 780. 8. 


62. 63. Tacitus uͤberſezt. Zwei Baͤnde. Ebend. 
1781. 8. 


64. Juvenals Satyren, in einer metriſchen Ueber⸗ 
ſezzung. Deſſau. 1781. 8. 


T 3 


* 


65. Briefe uͤber die Bibel im Volkston, eine Wo⸗ 
chenſchrift. Halle. 1782. 6 Quartale in 8. 


66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.74. 75. Ausführung 


des Plans und Zweks Jeſu in Briefen an Wahr⸗ 


heit ſuchende Leſer. Berlin. 1783 bis 1785. 
10 Baͤndchen. Es iſt die Fortſezzung der Briefe 
uͤber die Bibel. K | 


76. Gedichte dieſes Naturaliſten. Halle. 1786. 


77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. Magazin für Pre⸗ 
diger, oder Samlung neu ausgearbeiteter Pre⸗ 
digt⸗Entwuͤrfe über die Sonn- und Feſttaͤglichen 
Evangelien und Epiſteln, fo wie über freie Texte 
auf Caſualfaͤlle. Zuͤllichau. 1782 bis 88. acht 
Bande. / 


85. Inftitationes 1 1782. 


7 


86, Inftitutiones Metaphyſices. 1782. 


87. 88. Das Reue Teſtament, oder die neueſten 
Belehrungen Gottes durch Jeſum und ſeine Apo⸗ 
ſtel. Mit Anmerkungen fuͤr Ungelehrte. Berlin 
1783. Zwei Bände in 8. Es iſt die zie Aufla⸗ 
ge der neueſten Offenbarungen Gottes. 


* 
10 


89. Rhetorik für geiſtliche Redner. Halle 1785. 8, 


ge. Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗ 


ſur⸗ Bedruͤkkung, das theologiſche Syſtem be⸗ 
treffend. 1785. 8. 


* 


W 


Hr. Abgedrungene Replik auf die Erklarung der 
theologiſchen Fakultat zu Halle. Berlin. 1785. 8. 


92. Ueber das theologiſche Studium auf Unioerſi— 
täten. Ebend. 1785. 8. an des koͤnigl. Etats; 
miniſters v. Zedliz Exellenz. 


93. Syſtema theologiae Lutheranae orthodoxum, 
cum brevi notatione diſſenſionum recentiorum. 
Halae. 1785. 8. 

94. Kirchen und Kezzeralmanach auf das Jahr 1782. 
Hereſiopel. 

95. Griechiſch deutſches Lexikon über das Neue Te— 
ſtament, nebſt einem Regiſter über Luthers deut⸗ 
ſche Bibel, welches auch Ungelehrte in den Stand 
ſezt, das Woͤrterbuch zu gebrauchen, und ih - 
über Dunkelheiten der deutſchen Bibel Raths zu 
erholen. Berlin. 1786. gr. 8. 


96. Standrede am Sarge des weiland hochwuͤrdi⸗ 
gen und hochgelahrten Herrn Johann Melchior 
Goͤzze, gehalten von dem Kanonikus Ziegra. 

Hamburg. 1786. 8. 


97. Neue Litteraturbriefe rſter Band. Berlin. 
1786. 8. 

98. Chriſtliches Sittenbuch fürs Geſinde, worin 
demſelben eine Anleitung gegeben wird, ſich 
durch treue Beobachtung feiner Pflichten gluͤklich 
zu machen, und feinen Stand zu erleichtern, 
nebſt Anzeige eines ahr wirkſamen Mittels für 
Herrſchaften, gutes und getreues Geſinde zu be 

kommen. Ebend. 1786. 8. 5 


T 4 


295 — — . 


99. Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den vier Evange⸗ 
liſten geſammelt, und ſo geſtellet, daß man das 
achte vehrgebaͤude uͤberſehen und mit der eigent⸗ 
lichen Religion Jeſu ſich bekant machen kan. 
Ebend. 1787. 8. Zwei Theile. 


100. Ueber den Zwek der Erziehung. (In der von 
Hrn. Campe veranſtalteten algemeinen Reviſion 
des geſamten Schul = und Erziehungsweſen. 
L Th. 1787.) 


101. An den Prof. Voigt in Quedlinburg. 1787. 
Von Caſimir Lauge. 


102. 103. Syſtem der moraliſchen Religion. Zur 
endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler und Denker. 
Zwei Baͤnde. Berlin. 1787. 8. 


104. Ueber Preßfreiheit und deren Graͤnzen. Zur 
Beherzigung für Regenten, Cenſoren und Schrift⸗ 
ſteller. Zuͤllichau. 1787. 8. 


105. Kirchen- und Kezzeralmanach. Zweites Quin⸗ 
quennium. Gibeon, bei Kaspar Lauge. 1787. 8. 


106. 107. 108, Analytiſche Erklaͤrung aller Briefe 
der Apoſtel Jeſu. 3 Bände. Berlin. 1787 — 89.8. 


109 Zamor, oder der Mann aus dem Monde. 
Kein bloßer Roman. Ebend. 1787. 8. 


110. Ueber Aufflärung. Leipzig. 1788. 


* | — — * 296. 
Im Gefaͤngniſſe. 
111. Sittenbuch fuͤr den Buͤrger. Halle. 1789. 8. 
112. Alvaro und Fimenes. Halle. 1790, 8. 
113. Geſchichte meines Gefaͤngniſſes — nebſt Nach: 


richten von der deutſchen Union und einigen noch 
ungedrukten Urkunden derſelben. Berlin. 1790. 8. 


114. Ala Lama, oder der Koͤnig unter den Schaͤ— 
fern. Auch ein goldner Spiegel. Halle. 1790. 8. 


115. 116. 117. 118. Lebensgeſchichte. Berlin. 1790. 
4 Bände, 


119. Mit dem Ritter von Zimmermann deutſch 
geſprochen. Berlin. 1790. 


eee eee 


120. Katechismus der natuͤrlichen Religion. Halle. 
1790. 8. 


121. Sonnenklare Unzertrennlichkeit der Religion 
und Moral, gegen den Verfaſſer des himmels 
weiten Unterſchiedes derſelben. Halle. 179 r. 8. 

122. Zimmermanns Auferſtehung von den Todten. 
Halle. 1791. 8. 


T 5 


7 


297 „ We - - 


123. Auszug aus Luthers Tiſchreden, mit Anmer⸗ 
kungen. Halle. 1791. 8. 1 

124 125. Ausführung des Plans und Zweks Je⸗ 
fu. Tites und 12tes Baͤndchen. Berlin. 1791. 8. 


| 126. Prüfung der Schrift des Hofraths Roͤnnberg 
uͤber ſymboliſche Buͤcher in Beziehung aufs 
Staatsrecht. Halle. 1791. 8. 


In allen Buchhandlungen ſind zu haben: 


Regengolz, J. W. von, Kleine hiftoeifgpe Schrif⸗ 
ten. ıjtee Band. 8. 


Bahrdt, D. C. F. Syſtem der moraliſchen Religion 
zur endlichen Beruhigung für Zweifler und Den— 
ker. 2 Baͤnde. Dritte verbeſſerte und gaͤnzlich 
umgearbeiteie Auflage. gr. 8. 


Briefe einer Curländerin auf einer Reife durch 
Deutſchland. 2 Theile mit einem Kupfer von 
Chodowiecky. 8. 


Kleiſt, Fr. von, Graf Peter der Daͤne, ein hiſtori⸗ 
50 Gemaͤhlde. 8. mit einem Titelkupfer von 
ips. 


— — Ueber die eigenthuͤmlichen Vollkommenhei⸗ 
ten des preußiſchen Heeres. 8 


— — Hohe Ausſichten der Liebe. 2te verbeſſerte 
Auflage, mit einem Kupfer von Lips. gr. 8. 


Krauſe, E. W. Agende fuͤr Prediger von allen geiſt⸗ 
lichen Kirchenpartheien. gr. 8. 


Magazin fuͤr die Geographie und Statiſtik der Koͤ⸗ 
nigl. preußiſchen Staaten. Herausgegeben von 
Herzberg. ten Bandes ıtıs Stuͤk. gr. 8. 


Monatsſchrift, deutſche, fürs Jahr 1791. ites 
bis 90 Stuͤk. gr. 8. mit Kupfern. 


Pyl, D. J. T. Repertorium für die bse und 


gerichtſi ne eee aten Bandes | 
ates Stüf. gr. 8. | 


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Weddigen, P. F. Statiftifche Ueberficht von Wet 1 
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