THE KARL HOLL
LIBRARY OF CHURCH HISTORY
DUKE UNIVERSITY LIBRARY
N. C.
DURHAM
Date _
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Lebens,
Dr. Carl Friedrich Bahrdts
G e ſchich te
ſeines
ſeiner Meinungen
und Schickſale.
Von ihm ſelbſt geſchrieben.
Vierter und letzter Theil.
Berlin, 1791.
bei Friedrich Vieweg, dem älteren.
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D.. C. F. Bahrdts
Lebens -Beſchreibung
von ihm ſelbſt.
Vierter Theil.
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Erſtes Kapitel.
Entrinnung. Ankunft in Halle.
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N war betaͤubt. Ohne alle beftimte Vor⸗
ſtellung von dem, was mir wiederfuhr, faßte ich
blos den kalten Gedanken der Noihwendigkeit:
„es iſt einmal nicht anders!“ Ohne alle Er—
ſchrokkenheit und Angſt ging ich ans Fenſter
und rufte meiner Frau: „Liebes Kind, ſteige
„doch mit den Kindern aus und kom herauf, wir
„wollen ein wenig fruͤhſtuͤrken.“ — Mein Weib
kam, ſahe die Wache, fing an zu zittern und zu
beben und trat ſchon halb todt ins Zimmer.
„Herr Jeſus, was iſt das? Gott! Iſt unſerer
„Leiden noch kein Ende?“ — Die Kinder fir
gen an zu weinen, und ich mußte eine halbe
Stunde das Jammern und Wehklagen mit an⸗
hören. 204488
Meine ruhige Mine, die freilich zum Theil
erzwungen war, und die Verſicherungen, daß ja
kein Verbrechen die Urſache des Arreſtes ſeyn
koͤnne, machte endlich den Klageliedern ein Enz
de. Das Geheul verwandelte ſich in ſtumme
Traurigkeit. Wir ſaſſen ohngefaͤhr eine halbe
Stunde beiſammen, ohne zu ſprechen. Endlich
wards in meiner Seele wieder helle. Der erſte
Schlag des Ungluͤks hatte mich ein wenig bes
taͤubt. Jezt trat die ruhige Ueberlegung wieder
ein und mit ihr die volle Heiterkeit meines
Geiſtes. !
Laßts gut ſeyn, Kinder, ich will hier wohl
noch Rath ſchaffen. Einige dunkle Ideen zu
Entwuͤrfen ſtiegen in mir auf. Ich rufte den
Inſpektor. Sagen Sie mir, lieber alter Freund,
was das hier iſt? Ich bin mir keines Verbre⸗
chens bewuſt. Ich bin koͤniglich preußiſcher Un⸗
terthan und reiſe nach Berlin. Wie darf ers
er wagen, mich aufzuhalten?
Ich bedaure es freilich, lieber Herr Super⸗
intendent, war die Antwort, daß Ihnen in mei⸗
—
nem Haufe die Ungelegenheit wiederfahren muß.
Ich halte die ganze Sache für eine Chikane.
Es iſt ein Menſch unten, der hier Ihren Arreſt
verlangt hat, und ſich zugleich mit hat arretiren
laſſen. Ich weis ſelbſt nicht, was ich dazu ſa⸗
gen ſoll.
Aber wer iſt denn der Menſch, fragte ich
weiter, welcher mich hat arretiren laſſen? Wo
iſt er her? Wie ſieht er aus? — Ich kan
nicht aus ihm klug werden, entgegnete der In⸗
ſpektor. Es iſt ein Kerl mit einem kupfrigten
Geſichte, der wie ein Spizbube ausſieht. Ich
habe ihn gefragt, ob er nicht mit Ihnen ſpre⸗
chen wolle. Aber er will nicht herauf. Er
ſagte, Sie kaͤnnten ihn gar wohl. Es wuͤrden
bald andere Herren kommen, die mit Ihnen ſpre⸗
chen wuͤrden.
Jezt glaubte ich den Mann zu errathen.
Es iſt mein geweſener Saufaus von Hausmeiſter,
den die oͤkonomiſche Geſelſchaft ſo lange prote⸗
girt und endlich Schande halber verabſchiedet
hat. Ich konte nicht anders urtheilen, als daß
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dieſe werte Geſelſchaft felbfe mit im Spiele fen
Nur wußte ich mir keine Urſache zu erdenken, 8
warum dieſe Leute mich feſthalten wolten, da
ſie an mir nichts zu fordern hatten, und ſie auch
ſelbſt wuſten, daß ich in der Pfalz nicht bleiben
und, wenn ich bliebe, ihnen nichts helfen konte.
Ich konte mich daher des Gedankens nicht
erwaͤhren, daß meine Gefangennehmung von der
katholiſchen Parthei veranſtaltet ſey, und datz
der verabſchiedete Haus meiſter ſich zum Verraͤ⸗
ther hatte brauchen laſſen. Und dies war fur
mich der aͤngſtlichſte Gedanke, weil ich kein recht⸗
liches Verfahten heffen durfte, ſoͤndern Gewalt⸗
thaͤtigkeit und heimliche Tirannei beſorgen mußte.
Mie fiel jezt ein, daß in Oppenheim ein
Prediger ſtund, der mein Schuͤler von Gleſſen
her, und ein warmer Freund von mir war. Ich
bat den Inſpektor, dieſem meinen Aufenthalt be⸗
kant zu machen, und ihn bitten zu laſſen, daß
er mich beſuchen moͤchte. Der edle Mann kam
nicht nur, ſondern ſchikte auch gleich nach einem
benachbarten Pfacrer, welcher mit mir in glei⸗
chem Verhaͤltniſſe ſtund, und ließ ihn einladen.
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O was iſt Freundſchaft für ein Gut, in
felgen Zeitpunkten des Lebens! Mein ganzes
Herz wald erqulkt und erleſchtert, da ich dieſe
beiden Freunde bei mir ſahe !“ Es war mir, als
wenn ich nun einen Schirm gegen alle Ungluͤks⸗
ſchlaͤge gefunden haͤtte. Ich ward ſo aufgeraͤumt,
daß mir die Mahlzeit ſo gut ſchmekte, als wenn
ich fie mitten in meinem Walen none
haͤtte. 8
Der erſte Entſchluß, der genommen wurde,
war dieſer: die beiden Freunde wolten des
Abends, ſobald es finſter wuͤrde, ſelbſt eine Leiter
bringen, auf welcher ich aus dem Fenſter hinab⸗
ſteigen und flüchten ſolte. Das Fenſter ging
auf die freye Landſtraſſe und nirgends war Wa—
che, als vor meiner Thuͤr. Meine Frau und
Kinder, dachten wir, wird niemand feſt halten,
wenn einmal der Vogel aus dem Bauer ſeyn
wird.
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Eine halbe Stunde ergoͤzten wir uns herz—
lich an dieſem Einfalle: aber endlich kamen ver⸗
ſchiedene Einwuͤrfe zur Sprache, welche ihn ber
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9. DE “is 8259 —
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denklich zu machen ſchienen. — Ei, ſieng einer
der Prediger an, es iſt ja hier zu Lande alles
mit Gelde zu zwingen: wenn nichts gehen will,
fo muͤſſen wir dieſen Weg einſchlagen. — Ich
ſagte ihm, daß ich allenfals hundert Gulden an⸗
zuwenden haͤtte. — O wenn dies iſt, verſezte er,
ſo wollen wir geſchwinde Arbeit machen. — Er
ging zu dem Inſpektor, und kam nach wenig
Augenblikken mit ihm herauf, um uns zu ſagen,
daß alles richtig ſey. Der Inſpektor ſelbſt ver:
ſicherte mich, daß er ſogleich an den Geheimden⸗
rath. . . . nach A... ſchreiben und die
hundert Thaler anbieten wolle. Das geſchah.
Wir ſchikten eine Stafette fort, und der Inſpek⸗
tor betheuerte daß die hohe Obrigkeit ein Auge
zumachen, und ihm Erlaubniß ertheilen wuͤrde,
mich loszulaſſen.
Nachdem die Stafette abgegangen war, ſez⸗
ten wir uns vergnuͤgt zu einer Phomberpactie,
und der Tag fahe feinen erften Stunden fo aͤhn⸗ a
lich wie das Licht der Finſterniß.
Ein klein wenig fing mir das Herz an wie⸗
der zu klopfen, da der Inſpektor erſchien, uns
die Ruͤkkunft der Stafette zu melden. Doch die
Nachrichten lauteten gut. Wenn ſie mir hundert
Gulden einhaͤndigen, ſo habe ich Ordre, Sie
durchzulaſſen. — Er wolte aber die Ruͤkantwort
des Geheimdenraths nicht vorzeigen. Genug, ich
gab ihm jezt die hundert Gulden und mein
Freund eilte nach Oppenheim zu feinem Schwa—
ger, dem Poſtmeiſter mit dem ausdruͤklichen Aufs
trage des Inſpektors, daß er um das Beſte Ge⸗
ſpann Pferde bitten ſolte, was er im Stalle
haͤtte.
Dieſer Auftrag machte mir Unruhe. Ich
glaubte urtheilen zu muͤßen, daß der Mann kei—
ne eigentlich Ordre zur Loslaſſung habe, ſondern
nur einen Wink, das Geld zu nehmen, und mei—
ne Flucht zu beguͤnſtigen. Und die ſchuf zwie⸗
fache Beaͤngſtigung. Einmal, weil ich dann doch,
auf der erſten Station wenigſtens, nicht ſicher
war, wieder aufgefangen zu werden, und dann,
weil ich ein aͤußerſt armſeliges Fuhrwerk hatte,
naͤmlich — noch immer meinen Marſchlinzer
Phaeton, nue mit breiter Spur verſehen: folge
lich ein ſehr altes, verbrauchtes Waͤgelchen, wel⸗
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ches auf dem ungeheuren 'gepflafterten Damme
nach Oppenheim, zumal mit vier raſchen Pfer⸗
den beſpannt, und mit ſechs Perſonen und einem
Koffer belaſtet, menſchlichem Anſehen nach jet?
brechen und liegen bleiben muſte, ſobald es
Flucht heiſſen und in vollem Jagen davon ge⸗
gangen werden ſolte. Meine bange Ahndung
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Dieb Inſpektor hieß die Wache hinunter
gehen in die Gaſtſtube und gab vor, ich ſey un⸗
paß und wolle mich ſchlafen legen: ſie ſolten
ein paar Butellen Wein zum beſten haben.“ Die
Bauern giengen. Es erfchierren vier Fuchsheng⸗
fie, welche hinten eingelaſſen wurden. Meine
Schaͤſe wurde angeſpannt und der Koffer aufge⸗
bunden. Meine Feau und Kinder fuͤhrte der
Juſpektor in den Wagen und mich wieß er nach
einer Schlippe, wo ich durchſchluͤpfen und eini⸗
ge hundert Schritte voraus gehen folte, ung
Mir graute vor der ganzen Operation.
Ich ſchlich mich durch und eilte mit ſtarken
Schritten die Straſſe hinab und auf Oppenheim
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zu. Und sehe da, ich war voch nicht Fünfyig
Schritte voraus, ſo kamen ſchon die Bauern
hinter mir drein gelaufen und ſchrien, halt! Da
ich das hoͤrte, ergab ich mich in eine zweite Ges
fangenſchaft, weil ich auf meine Fuͤße mich nicht
verlaſſen konte, und durchaus es nicht wagen
mochte, in der Stadt eingeholt zu werden. Zu⸗
dem war mir auch, wenn ich entrann, daß Shi
fal meiner Kinder ungewiß. Ich ging alſo mit
der Wache zuruk.
Als ich ins Haus kam, ging ich dem In⸗
ſpektor zu Leibe. „Herr, Sie haben mir hun⸗
„dert Gulden abgenommen, alſo ſchaffen Sie
, mich fort, oder ich halte mich an Sie.“ —
Der Mann wurde wirblicht. Es wochte ihm
nicht recht ſeyn, daß ich mich hatte kriegen laſ⸗
ſen. Und ich merkte hinterher, daß ich getroſt
hätte fortlaufen koͤnnen, und daß die Bauern
nur zum Schein mir nachgelaufen waren, um
ſagen zu koͤnnen, ſie haͤtten mich verfolgt, aber
nicht einzuhelen vermocht. Er hieß die Wache
in die Stube gehen und führte, mich keklich an
den Wagen zum Einficigen,
*
12 — —
Aber in dieſem Augenblik ſprang mein
Hausmeiſter heraus, welcher mit der Schnaps⸗
pulle indeſſen amuſirt worden war, und etwas
vom kermen gehoͤrt oder von Flucht geahndet
haben mochte. „Im Namen Sr. Kurfuͤrſtl.
„Durcht. ſchrie der Kerl, proteftire ich gegen die
„Ahfarth.“ — Der Inſpektor ſchlich ſich zuruͤk.
Mein Volk im Wagen bebte und heulte. Der
Peſtillion, der ſchon auf den Pferden ſaß, wuß⸗
te nicht, was er thun ſolte. Ueber hundert
Menſchen hatten ſich vor dem Wirthshauſe ver—
ſamlet. Ich faßte Muth, zog mein großes Cou-
teau, trieb den Kerl auf die Seite und ſprang
zum Poſtillion und ſchrie mit verſtellter Wuth
auf ihn los: „Schwager fahr den Augenblik
„los: Du bekoͤmmſt einen halden Karolin Trink—
„geld: und zauderſt du noch, ſo ſtoß ich dirs
„Meſſer in den Leib.“ Und ſo fort ſezt ich ihm
das Mordgewehr in die Seite. Das half. Der
Schwager hieb ſeine Hengſte an. Der Haus⸗
meiſter ſchrie wie unfinnig und drohte dem Por
ſtillion mit Feſtung und Zuchthaus. Ich ſprang
in den Wagen und hieb gegen den Hausmeiſter,
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daß er mir von Halfe bleiben mußte. Alles war
ein Moment. N
Jezt gings im Fluge zum Wirthshauſe hins
aus und den Oppenheimer Damm hinunter.
Mein Weib lag wie todt. Meine Kinder ſchrien
durcheinander. Unſere Juliane weinte. Und ich
zitterte und bebte — wie ich in meinem Leben
noch nicht gebebt hatte. — Das waren ſchrek⸗
liche, grauſe Augenblikke! — Der Wagen ſprung
alle Augenblik halbe Ellen hoch in die Hoͤh, und
bei jedem Sprunge uͤberlief mich ein Todesſchau⸗
er. Jezt liegen wir, dachte ich. Jezt ſtuͤrzt der
Wagen zuſammen. Der ſchrekliche Fall, das
Arm und Beinbrechen der armen Kinder, das
Umringt- werden vom Poͤbel, das Einholen, das
Zuruͤkſchleppen in ein vieleicht haͤrteres Gefaͤng—
niß — das alles ſchwebte mir mit einemmale
vor Augen und preßte mir Angſtſchweiß aus. —
Gott erbarme dich! ſeufzte ich in einem hin, und
fuͤhlte nur immer, obs unter mir noch hielt.
Indem ſtuͤrzte der Wagen in die fliegende
Bruͤkke hinein, und der vom Prediger ſchon be⸗
ſtellte und gut bezahlte Faͤhrmann ſtieß ab. In
dieſem Augenblikke kehrte mein entflohener Saft
zuruͤk und ich athmete freier. — „Kinder, nun
„ſeyd ſtille, alle Noth iſt voruͤber!“ — Die
Kinder gaben ſich gleich. Aber die Mutter blieb
harmvoll. Sie hatte beſtaͤndig mit Ahndungen
zu thun. Und jezt wolte ſie ſichs gar nicht mehr
ausreden laſſen, daß uns noch ein Ungluͤk be⸗
vorſtuͤnde.
Ich — war ganz wieder in meiner Ruhe.
Und waͤre mein elender Wagen nicht Grund zur
Beſorgniß geweſen, ich hätte fingen koͤnnen.
Nur dies ließ eine kleine Bangigkeit in mir zu⸗
ruf, daß wir noch liegen bleiben, und blos das
durch noch eingeholt werden koͤnten.
Indeſſen verlor ich doch bei dieſer Vangig⸗
keit das Vergnuͤgen nicht ganz, welches mir ein
ſchnelles Fuhrwerk gewaͤhrt. Kein Koͤnig kan
raſcher fahren, wie ich jezt zwei Stationen hin⸗
durch fuhr. Das leichte Fuhrwerk, die vier
friſchen Hengſte und der halbe Karolin thaten
Wunder. So praͤchtig bin ich in meinem Leben
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nicht gereifet, Der ſchaͤrfſte Trab und kurzer
Galopp wechſelten.
In Grosgerau gab ich dem Poſtillion den
halben Karolin, und bat ihn, ſeinen Nachfolger
zu verſichern, daß auch er daſſelbe Trinkgeld ha⸗
ben ſolte, wenn er eben ſo fahren wuͤrde. Denn
mein Wunſch war blos, nur erſt in Darmſtadt
zu ſeyn, wo meine perſoͤnliche Bekantſchaft mit
dem Erbprinzen und meine uͤbrigen Verbindun⸗
gen mich zuverſichtlich hoffen ließen, daß keine
weitere Arretirung geſtattet werden würde, tea
nigſtens keine der Art, dadurch ich in katholi⸗
ſche Haͤnde geriethe. — Ich fagte auch dem Poſt⸗
meiſter, den ich ſchon vorher ſehr gut kante, daß
ich zu dem Erbprinzen reiſete und vermochte ihn
dadurch, Fi er ſelbſt für die ſchleunigſte Expedi⸗
rung ſorgte , und mir vier feiner beiten Pferde gab.
Und nun gings eben ſo, wie auf Daͤdalus
Fittigen, nach Darmſtadt zu. Nur war auf
dieſer zweiten Station die Gefahr etwas groͤſſer.
Denn es ging durch lauter Waldung, und der
Poſtillion nahm noch obendrein Schleifwege, ſo
daß wir alle Augenblik fuͤrchten mußten, in der
Dunkelheit der Nacht, mit der Are an einem
Baume haͤngen zu bleiben und den Wagen in
Stuͤkken zu zerreiſſen. Aber es ging alles gluͤk⸗
lich ab. Wir kamen in der Nacht nach Darm⸗
ſtadt, und hatten die vier ſtarken Meilen in we⸗
niger als drei Stunden zuruͤkgelegt.
So herrlich hatte ich lange nicht geſchlafen.
Nach achtehalb Stunden erwachte ich erſt mies
der, nachdem meine Frau ſchon ſeit zwei Stun⸗
den am Fenſter geftanden und ihren Grillen
nachgehangen hatte. Wir blieben den Vormit⸗
tag ſtille liegen. Ich handelte vom Poſtmeiſter
eine Berline, dafuͤr ich ihm meine lateiniſche
Schaͤſe und zehn Luisdors gab, und welche ich
hernach in Halle wieder fuͤr ſechzehn Luisdors
verkaufte. Nun hatten wir in einem ſchoͤnen
Glaswagen volle Bequemlichkeit und Schuz fuͤr
die Kinder gegen die Kälte der Nächte, 58
Wir reiſeten über Offenbach durch das
Suldsifche, wo ich einen andern Namen mir
gab, um nicht die katholiſche Parthei auf mich
aufmerkſam zu machen. Es ging Tag und
Nacht,
Nacht, und ich gab auf jeder Station einen
Thaler trinkgeld, bis ich erſt wieder auf protes
ſtantiſchem Grund und Boden war. In Gotha
raſteten wir bei den Anverwandten meiner Frau,
ſo wie in Erfurth, im Lentinſchen Haufe, wel⸗
ches uns mit Guͤte uͤberhaͤufte.
In der Nacht um eilf Uhr kamen wir vor
das Grimmiſche Thor zu Leipzig, und mußten
da leider durch die in einem ofnen Orte etwas
ſeltſame Verſchlieſſung der Thore über andert—
halb Stunden lauern und betteln. Es koſtete
mich einen Speciesthaler, daß die Schlüffel ger
holt wurden. — Meine Mutter empfieng mich
mit Thraͤnen.
Sie ſahe jezt den Liebling ihres Herzens
als Bettler, ohne Amt, ohne Ausſicht. — Das
Jammern der Menſchen, zumal wenn ich die
Urſache davon bin, iſt die groͤßte Folter fuͤr
mein Herz. — Ich riß mich los. Wir blieben
nur einen Tag und — kamen den 28ſten Mai
1279 in Halle an.
Iv. B. W
18 —— -
Zweites Kapitel.
Erſte Ausſichten auf Preußiſchem Boden,
Wi geſagt, in einem Koffer brachte ich alle
meine und der Meinigen Habſeligkeiten mit nach
Halle. Wir hatten jedes etwa dreimal weiß anz
zuziehen, meine Frau zwei Kleider, ich eins, was
auf meinem Leibe war. Das war unſer Reich⸗
thum. Meine gute Laune aber, die ich aus den
Truͤmmern meiner Gluͤkſeligkeit gerettet hatte,
und meine Kraft und Luſt zu arbeiten, war mir
Schazzes genug, ſo daß ich wirklich wohlhaben⸗
der war, als ich ſchien.
Wir ſtiegen im Kronprinz ab. In weni⸗
ger als einer Stunde war es bis in die verbor⸗
genſten Winkel der Halle gedrungen: „Der D.
„Bahrdt iſt angekommen!“ Und allen, die es
hoͤrten, lief es kalt uͤber den Leib und machten
1 1 1. Es war warhaftig, als wenn die Peſt
eingetreten waͤre: ſo graͤßlich waren die Ideen,
die ſich der große Haufe von mir machte und
—
19
— die mancher Herr im ſchwarzen Rokke durch
ein gottſeliges Achſelzukken unterhielt.
Herr Teller hatte mich dem Herrn Eber⸗
hard empfohlen, (ſo wenigſtens hatte mir Herr
Teller geſchrieben, daß ich mich in allen Stuͤkken
an Herrn Eberhard halten und mich ſeiner Lei—
tung bedienen ſolte) und dieſer war erſucht
worden, mir ein Quartier auszumachen. Es
war alſo mein erſtes, zu Herrn Eberhard zu ge—
hen, und mein Quartier in Augenſchein zu neh—⸗
men. Er empfing mich mit der ihm eignen Leb—
haftigkeit, welche ich mit der eines Franzoſen
vergleichen wuͤrde, der bereits in die Jahre der
Reife und des Ernſtes gekommen iſt. Sein Ge—
ſpraͤche und fein Air waren munter, und hatten
eine milde Farbe von Jovialitaͤt, mit einigen feis
nen (gar nicht krallen) Zügen von Profefforis
ſcher Wuͤrde. Auf die wenigen Worte, mit wel
chen ihm das Harmvolle meiner Lage anwinkte,
erwiederte er ein fluͤchtiges und ſorgloſes: „ja
„ja — nun, es wird ſich mit der Zeit wohl
„geben.“ Zum freundſchaftlichen Einklange in
den Ton meiner Klagen war er gar nicht ge⸗
B 2 |
20 2 —
ſtimt. Seine Handlungsweiſe wie ſein Ton ver⸗
ſcheuchten augenbliklich alle fernere Ausbruͤche
meines Kummers von meinen Lippen. Man
hoͤrt auf zu klagen, wenn man kein Herz findet,
das die Toͤne zuruͤkgiebt. |
Er führte mich in der Steinſtraſſe in ein
Haus, und — was er fuͤr mich beſprochen hatte,
war eine einfache Studentenſtube mit einer Kam⸗
mer. Da ich vorſtelte, daß ich ſo mich nicht
behelfen koͤnte, hieß es, es ſey allenfals, eine
Treppe hoͤher, noch eine ſolche Stube zu haben:
aber nichts von Kuͤche u. d. m. Es befremdete
mich. Denn es hatte ganz das Anſehen, als
wenn man mich wie einen Bettler aufnehmen
und auch ſo laſſen wolte. Es ſchien, als ſolte
ich als duͤrftiger Privatmann mich mit meinen
Kindern in ein Stuͤbchen preſſen, aus dem Gaſt⸗
hauſe ſpeiſen und — verputten, bis — man
mich rufen wuͤrde, daß ich wieder laut werden
ſolte. | |
Dieſe armſelige Beſtimmung beftätigten mie
hernach mehrere Umſtaͤnde, und unter andern
ee
—
9 21
der, daß, wenn ich von gewiſſen Schriften ſprach
(auch gegen andere Herren in Halle und Berlin)
welche meiner freimuͤthigen Denkungsart ges
maͤß waren, man mir immer ſolche Antworten
gab, welche anzeigten, daß man mich lieber uns
ſichtbar und unhoͤrbar als thaͤtig und bemerkbar
wuͤnſchte.
Ich verbat mir das Logis und ging auf
den Kronprinz zuruͤk, um durch einen Lehnlakai
mich ſelbſt um eins zu bewerben. Zufaͤlligerwei⸗
fe wußte der Menſch, daß in dem großen Weis
manniſchen Hauſe zwei ſchoͤne Stuben mit
Kammern vakant waren. Ich ging, ſie zu be⸗
ſehen. Herr Weimann hatte die ganze Etage
an das Inſtitut vermiethet, welches damals Herr
Prof. Schuͤz und Herr D. Semler veranſtaltet
hatten und das, wo ich nicht irre, wieder in
Stekken gerathen war. Er glaubte, da ihm die
Miethe bis Michael bezahlt werden mußte, daß
es H. Semlern angenehm ſeyn wuͤrde, wenn er
einen Theil der leer ſtehenden Etage vermiethete,
und ihm dadurch Koſten erſparte. Wir wurden
auf 60 Thaler einig und ich bezog noch an dem⸗
B 3
. —
25 —
ſelben Tage die neue Wohnung, zu weſcher den
ſehr gefaͤllige und freundſchaftliche Wirth, mir i
eine kleine Kuͤche einraͤumte, — und mich mit
den noͤth'gen Meubeln und Kae fo gar ae; |
gen verſorgte. | ‚sen
Es war mein Gluͤk, daß ich fo geeilt hatten
Denn gleich am andern Moegen kam Herr Sem—
ler und bezeigte ſeinen Unwillen. Und waͤr ich
nun nicht im Beſitz geweſen, Here Weimann
wuͤrde nicht Erlaubniß erhalten haben, mir das
Quartier zu geben und ich — hätte vielleicht
Muͤhe gehabt, in irgend einem Hauſe aufgenom⸗
men zu werden: — ſo groß war der Geſtank
meiner Kezzerhaftigkeit! 5 „
f 3:99
Ich a re allademſeben Aag, wo Herr 4
Weimann das ſcheele Geſicht erhalten hatte, bei |
Herrn Semler meine Viſite ab und er bekannte
mir offenherzig, daß er herzlich erſchrokken ſey,
da er von meiner Ankunft gehoͤrt habe. Mein⸗
Ruf ſey zu ſchlim, als daß ich mich hier wuͤrde
halten können, und ſeine eigne Ehre erfodere es-
daß er gegen mich ſchreibe. Ich ſuchte ihn zu
ven
beruhigen, aber er blieb dabei, daß ich den als
bernſten Streich von der Welt begangen hätte,
daß ich nach Halle gezogen ware. Uebrigens
war er guͤtig und im hoͤchſten Grade theuneh⸗
mend an meinen Schikſalen, fo daß ich, bei
aller feiner Unzufriedenheit mit mir, den Grund
des guten Herzens nicht verkennen konte.
Bald ging ich auch zu Herrn Noͤſſelt, Frey⸗
lingshauſen und Knapp. Die erſten nahmen
mich beide, wie natuͤrlich, kalt und ceremonidͤs
auf. Im Noͤſſeltſchen Hauſe ſchien mir eine Tod:
tenſtille zu herrſchen: Es war mir nicht anders, als
wenn alle Dielen und Waͤnde voll Heimlichkeiten
ſtekten. Alles ging leiſe, alles ſprach leiſe, und der
Herr Doktor Noͤſſelt ſelbſt ſprach, als wenn ich bei
ihm in der Beichte waͤre. Er liebt die Stille und
— Verborgenheit. Freylingshauſen war etwas
natürlicher, und ſchien nicht verhindern zu wol⸗
len, daß man den toleranten Mann, der das
Verdienſt auch im Unterdruͤkten ſchaͤzt, durch
ſchimmern ſahe. Von ihm wurde hernach das
Bon Mot bekant: „Dieſen Bahrdt werden die
„Herren wohl unbalbirt laſſen muͤſſen!“
B 4
24 r n
Am herzlichſten war der edle Knapp. Die⸗
ſer nahm keine Staatsviſite an, ſondern ſezte mir
Kaffee und Tabak vor und ſprach ſo, daß ich
Muth hatte, den ganzen Nachmittag bei ihm zu
bleiben. Unſere Geſpraͤche waren — freund⸗
ſchaftlich und eben darum nicht zum Aus plaudern
beſtimt. Wolte Gott, der Mann waͤre nicht Kol⸗
lege von — ſolchen Kollegen geweſen. In ſeinem
Umgange und in ſeiner Freundſchaft haͤtte ich
mich ſelig gefuͤhlt. Er ſelbſt waͤre gern wieder
zu mir gekommen und haͤtte Umgang mit mir
geflogen: ich weis es gewiß, aber — die Kolle⸗
gen — hatten einmal beſchloſſen, dem abgeſezten
Superintendenten keine Gegenviſtte zu machen:
alſo wars Zwang der Klugheit, ſeine Kollegen
nicht zu beſchaͤmen und — allein tolerant zu
handeln.
Herr Semler war oft, ſehr oft im Weimann⸗
ſchen Hauſe und ſelbſt auf dem Saale, wo mei⸗
ne Zimmer waren. Aber er konte es nicht uͤbers
Herz bringen, den armen D. Bahrdt, der ihm
jezt zu klein worden war, mit einer Momentlans:
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gen Viſite zu ihn. — Kein Theologe An in
u. den e erwiedert! !!
ger Eberhard — war der einzige Mann,
. mich beſuchte und mir Zutritt verſtattete.
Schade, daß mein Herz keinen Ankergrund zur
Freundſchaft fand. An Zuneigung fehlte mirs
nicht. Und ich wuͤnſchte mir es wirklich, einen
Mann von ſo viel Geiſt, als meinen Freund lie—
ben zu koͤnnen: zumal, da ich hörte, daß er Übers
all gut und ruͤhmlich von mir ſprach und gegen
manche Kabale mich verfocht. Aber er hielt ſich
beftändig fo, daß ich den Gönner nur — aͤuſer⸗
lich ehren konte. Er kam zwar faſt alle Tage,
aber nur auf zwei bis drei Minuten, und ge—
woͤhnlich ſo preß vor der Mittagsmahlzeit, daß
kein Aufenthalt moͤglich war. Und ein leichtes,
mit franzoͤſiſchem Bon-Ton vorgebrachtes: Bon
„jour mein lieber Herr Doktor, wie gehts Ih⸗
„nen?“ konte mein Herz, das nach Freundſchaft
ſich ſehnte, nicht befriedigen.
Es war ein trauriges Leben fuͤr mich. Al⸗
le Welt floh mich. Alles ſcheute ſich vor mir.
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26 — 5 N
Selbſt mein Wirth, der ein herzlicher und bieden;
rer Mann war, und an dem ichs merken konte, ö
daß er mich lieb gewonnen hatte und Zutrauen
zu mir empfand, ſchien doch nicht Muth zu ha⸗
ben, ſich viel mit mir abzugeben. Im Hauſe
genoß ich alle moͤgliche EN ua: Ge⸗
faͤlligkeiten. mt es
Wenn ich auf der Gaſſe ging, wichen mir
die Leute aus. Man ſahe ſich um, wenn ich
vorbei war. Man zeigte mit Fingern. Man
lief ans Fenſter und ſahe mir nach. Kinder ſag⸗
ten laut, aber mit einer Art von aͤngſtlichem Tone,
wie wenn ſie ein gefaͤhrliches Thier erblikten,
„Du! das iſt der D. Bahrdt!“ Ein Geiſtlichen
kam mir in den Weg, bog aus, hielt den Hut
an der Seite fuͤrs Geſicht, die ich zu paſſiren
hatte, und ſchob ſo haſtig vor mir vorbei, als
wenn der Gott ſey bei uns ihn den Odem ver⸗
ſezt haͤtte.
So einſam und von Menſchen verlaſſen leb⸗
te ich beinahe den ganzen Sommer. Mein Bal⸗
bier war, auſſer Eberharden, der einzige Sterb⸗
liche, den ich zu ſprechen bekam. Ich blieb in
——
4 1
*
je
4
9
der erſten Zeit immer zu Haufe, um auf der Straſ⸗
fe kein Aufſehen zu machen. Endlich erkundigte ich
mich, ob es keinen Garten gebe, den ich beſuchen
koͤnte. Ich fand den Fleiſcherſchen vor dem Stein⸗
thore 0 wo ich eine einſame Laube mir wählte,
und woͤchentlich einigemal mit meinen Kindern hin⸗
ſchlich, um wenigſtens die übrige Natur zu geniefs
ſen, da die menſchliche mir den Genuß verſagte.
Ich hatte in Oppenheim hundert und funf—
zehn Gulden Koſten gehabt, und meine Reiſe,
mit vier Pferden Extrapoſt, hatte mich ſchweres
Geld gefoftet, fo daß ich etwa noch hundert Guls
den mit nach Halle brachte. Und auch dieſes
Geld, das ohngefaͤhr 11 Louisd’ors betrug, hatte
keine lange Dauer. Denn ich mußte ja —
gleich, eine Menge von Beduͤrfniſſen fuͤr mich
und die Meinigen anſchaffen, welche dieſe kleine
Summe in der Geſchwindigkeit aufzehrten.
Was fuͤr traurige Ausſichten! — Auf ein
Ant durfte ich nach dem Tone des Herren Eberz
hards und meiner Berliner Korreſpondenten jjezt
gar nicht Rechnung machen. Alles, was ich hof⸗
fen durfte, war eine Samlung, von Berliner
1
Freunden veranſtaltet, zu welcher mir Herr Tel
ler in Heidesheim ſchon Hofnung gemacht hätte,
welche dreihundert Thaler ohngefaͤhr betragen
und ein paar Jahre dauern ſolte. Von Kollegiis
konte ich nichts erwarten, weil ich keine theolo⸗
giſchen Kollegia leſen durfte und mit Vorleſun⸗
gen über lateiniſche Autoren, Alterthuͤmer u. d.
nirgends viel zu verdienen iſt. Schriftſtellereier⸗
werb kante ich noch gar nicht und hatte auch
bis jezt noch nicht diejenige Bekantſchaft mit
Buchhaͤndlern, welche mir zu Speculationen haͤt⸗
te Gelegenheit geben koͤnnen.
Und doch — wer hätt? es denken ſollen?
— fand ich hernach bald den leztern Weg zum
Verdienſt ſo, daß ich in ſechs Jahren nicht nur
ſchuldenfrey ward, ſondern auch eine ganze Eta⸗
ge meubliren, und mich im Beſiz einer volftäns
digen Equipirung, in Abſicht auf Waͤſche, Klei⸗
dung, und aller Arten der Geraͤthſchaften, erblik⸗
ken und — im ſiebenten Jahre mich ankaufen
konte. Aber freilich fand ich auf dieſem Wege
auch zugleich — das Ende meiner Rrafte und
meiner Geſundheit.
3 Im
ae 7
3 7
Drittes Kapitel.
Leiden der Armuth,
— —— —
N be
Jo empfieng, wo ich nicht irre, durch Heren
Eberhard funfzig Thaler von Berliner Freuns
den, mit dem Bedeuten, daß ich nach und nach
ein mehreres erhalten wuͤrde. Es wurde ſchon
jezt nichts feſtgeſezt, worauf ich ſichere Rechnung
machen konte. Mein dringendſtes Beduͤrfniß
waren Betten. Denn ich mußte fuͤr jedes Bets
te jährlich ſechs Thaler bezahlen, welches mir
zu ſchwer fiel. Ich ritt daher nach Leipzig und
kaufte mir Pferdehaar zu Madrazen und Wolle zu
Kuverts. Die Kuverts durchnaͤhten meine Kinder,
und die Madrazen verfertigte ich ſelbſt. In wenig
Wochen konte ich die gemietheten Betten abgeben
und war Beſizzer von ſechs eignen Schlafſtellen.
Aber mein Geld wurde bald wieder alle.
Regelmaͤſſige Zahlungen des Verheiſſenen
hatte ich nicht. Wenn ich in Noth war, klagte
ichs Herrn Eberhard. Da bekam ich einmal 1,
3⁰ 5 —— f
2, 6, Louisd'or. Es ſchmerzte mich, daß ich im
mer erſt klagen und bitten und mirs zuzeddeln
laſſen mußte. Es ſchien, als ob Herr Eberhard
Auftrag haͤtte, fleißig nachzuſehn, wie ich ausſe⸗
he, wie meine Haus haltung ſtehe, und die Gra⸗
de meiner Armuth zu meſſen. Er ſolte mirs nur
nach den ͤuſerſten Beduͤrfniſſen zutheilen. Ich
ſolte nur das Kuͤchenleben behalten. Man be⸗
ſorgte, ich moͤchte zu muthig werden, wenn man
mich zu fett werden ließe. — So mußte ich al⸗
ſo bei der aͤußerſten Nothdurft mein ar ach
schleppen, e
In dieſer Epoche ſchrieb mir Baſedow, daß
er nach Halle kommen werde und bei mir zu
wohnen und zu ſpeiſen wuͤnſche. Ich kante ſei⸗
nen Reichthum, folglich ſeine Kraft, mir beizuſte⸗
hen: und ſo ganz hatte ich ihm, wie Trapp zu
ſagen pflegte, noch nicht in den Magen geſehen.
Daher freute ich mich uͤber den Antrag um ſo
mehr, da ich mir einen Freund und Geſelſchaf⸗
ter wuͤnſchte, der mir die Marter der quaͤlen⸗
den Einſamkeit abnahm. Ich machte ihm in
meiner Etage eine ſchoͤne Wohnung aus und er⸗
r 37
bot mich, wenn er ſich mit einer Schuͤſſel be⸗
a gnuͤgen koͤnte, ihn an meinem Tiſche zu bekoͤ⸗
ſtigen.
Ehe dies zu Stande kam, wurde ich krank
und mein Hauswirth empfahl mir feinen Arzt,
den D. Graͤbner. Ich fand einen gutmuͤthigen
und freundſchaftlichen Mann an ihm. Er ur⸗
theilte, daß Erfchlaffung der Nerven der Grund
des Uebels ſey, und empfahl mir mehrere vei—
besbewegung und Genuß der freien Luft. Und
da ich ihm meine vorige Diät beſchreiben muß⸗
te, ſo hielt er es für unumgänglich nothwendig,
daß ich mäßigen Genuß des Weins fortſezte, an
welchem ich ſeit fo vielen Jahren gewöhnt war.
Meine Armuth verſtattete es nicht, in Halle mit
zwölf Groſchen eine elende Butelle Franzwein zu
bezahlen. Aber er drang darauf. Ich behalf
mich die ganze Woche mit einer Bntelle, Man
— fand Wein bei mir, und — wunderte ſich,
daß ich ſolchen Aufwand machte, da ich doch
von Wohlthaten lebte. — Ich will mich weiter
nicht auslaſſen. Roch nagt mirs am Herzen,
wenn ich an die Zeit zuruͤrdenke! — —
* 32 ———
Oft, wenn die zuruͤkgepreßte Thraͤne dem
Harmvollen Herzen Luft machen wolte, biß ich
erbittert die Zaͤhne zuſammen und fuͤhlte Keime
des Menſchenhaſſes. Gott lob, daß ſie nie auf⸗
brachen! — Ich kante meine Kraft und beſchloß,
ſobald als moͤglich von den Bettlerfeſſeln mich
loszumachen. — Es gelang mir. Ich arbeitete
mit Rieſenkraft. — Rie, dachte ich bei mir
ſelbſt, nie ſoll ein Sterblicher von mir wieder
angewinſelt werden. Ich will lieber Brodrinden
nagen und Waſſer trinken als den Wein geniefs
fen, den mit ſolcher Wermuth verbitterte Gutthas
ten mir gaben. Ach — haͤtte ichs im Jahr
1779 geglaubt, daß ich im Jahr 1789 wieder
betteln und — wieder aͤhnliche Erfahrungen ma⸗
chen wuͤrde? — — Doch den Vorhang her⸗
unter! 8
Ehe ich ſo weit kam, daß ich unabhängig
und von meinem eignen Fleiße leben konte, muß⸗
te ich vorher noch eine Art von wolthaͤtiger Tor⸗
tur oder vielmehr, von torturartiger Wolthaͤtig⸗
keit ausſtehen, welche Baſedow mir erzeigte.
Er
RE N A .
5
Zu - N
* * 7
!
— U | 33
Er erſchien mir — ganz mit der Mine des
Patrons. In ſeiner erſten Anrede lag der Ges
danke: lieber Bahrdt ich kan ſie gluͤklich ma⸗
chen, ich werde es auch vieleicht — wenn ich ihr
Herz, ihre Handlungsweiſe, ihre Duldkraft nach
meinem Wunſche finde. Das war der erſte Grad:
die Daumenſchraube. — Denn man denke ſich
meine armſelige Lage, ſo wird man begreifen,
daß ich Geduld mir nehmen mußte, auf den Pa⸗
tron zu horchen und wenigſtens zu erwarten,
ob meine Duldkraft vermoͤgend war, die Laſten
zu ertragen, mit welchen ich meinen Unterhalt fuͤr
mich und meine Kinder erkaufen ſolte. Denn
daß es Laſt war, die Baſedow mir auflegen wol⸗
te, wußte ich ſchon aus dem Totalbegriffe des
Worts Baſedow. Und nun nehme man dazu,
daß ich dies ſo alle Tage mir vorſagen und den
ganzen geſchlagnen Tag mir vorſagen laſſen muß—
te, daß er viel — viel Vermoͤgenheit habe, mir
beſſere Tage zu verſchaffen, wenn ich nur ıc,
Auf dem zweiten Grade muſte ich die Pros
ben aushalten, die er mit mir zu machen ſchien,
ob ich auch der Mann ſey, auf den er Holz
IV. B. €
34 —
hakken koͤnne. — Eine davon war, daß er ver⸗
langte, ich folte mie gefallen laͤſſen, ihm zu zus
hoͤren, auch wenn er halbe Tage lang in einem
Striche mir etwas vorſagte oder vorlaß, und
kommentirte, auch wenns das fadeſte Zeug war,
und ſolte dabei auch nicht gaͤhnen, ihn nicht un⸗
terbrechen, alle andere Geſchaͤfte dabei ſtehen
laſſen, und ſogar Begierde und Luſt zeigen und
allenfalls, wenns ihm gemuͤthlich war, das Eſſen
daruͤber kalt werden laſſen. Eine andere war,
ich folte eine völlige Superioritaͤt feines Geiſtes
anerkennen, und es glauben und wuͤnſchen, wenn
er mir ſagte: „lieber Bahrdt, wenn Sie der
„Mann ſind, der redlich das Gute wil, ſo wil
„ich meinen Geiſt ganz in Sie hinein gieſſen, denn
„ich habe Ideen, die noch kein Menſch gehabt
„hat c.“ Und dergleichen Unverſchaͤmtheiten ö
ſolte ich nicht nur geduldig anhoͤren und fuͤr 8
wahr halten, ſondern auch mit andaͤchtiger Mi⸗
ne mich freuen, daß Gott ſolch ein Pfingſtfeſt -
mir beſcheren wolte. Eine dritte war, ich ſolte
ſeine Launen dulden, ſolte mit ſeinen liebreichen
und freundlichen mich erquikken, und dann da⸗
* DR 35
fuͤr auch, bei feiner heftigen und groben, wie
ein Kind gegen den Vater mich verhalten.
Nachdem er mich vier bis ſechs Wochen
mit dieſer Prüfung gequaͤlt und mir immer
noch nicht beſtimt geſagt hatte, was das fuͤr
ein Plan ſcy, den er mit mir auszufuͤhren ge—
daͤchte, und durch den er mich — vieleicht —
reich machen wuͤrde, verſuchte er endlich noch
die Leiterſpannung. — Schon durch das be—
fiändige Hören und paſſive Denken der Baſe⸗
dowſchen Ideen abgeſtumpft und halb verduzt,
nahm er mich eines Abends nach Tiſche in mein
Studierzimmer, hieß mich auf das Kanape ſez⸗
zen, ging eine Viertelſtunde mit feinem Dämpfer
auf und ab, wie wenn er fuͤr Gott den Herrn
einen neuen Plan der Weltregierung ausdenken
wolte, und ſezte ſich endlich mit einer Mine vol
Andacht zu meiner Rechten (we Linken verirrte
er ſich gewiß nie) und hub an, mir eine Rede
zu halten, welche von neun Uhr bis nach ein
Uhr dauerte. In dieſer Rede ſprach er in ei
nem geheimnisvollen Tone von erſtaunenden Din⸗
gen, die in feinem Kopfe verſchloſſen lägen, und
Ca
36 ä —
welche von einem Manne, wie ich, mit meinem 3
Geiſte, mit meiner Kraft, (Zukker!) ausgeführt,
— vielleicht — und, wenn er wolte und die
Hauptfederkraft verliehe, — gewiß — 10000
Thaler eintragen muͤßten: aber es wuͤrde frei⸗
lich — freilich — freilich von meiner Seite
viel — viel erfordert. Ich muͤßte mich ganz —
ganz — ganz ihm anvertrauen, ganz nach ſeiner
Idee arbeiten, ganz ihn in mich hinein gieſſen
laſſen. Ich müßte ferner mit reinem Herzen und
mit voller Reſignation auf Ehre und Vortheil
arbeiten, und ganz — ganz — ganz, und allein
vom Eifer fuͤr das Beſte der Menſchheit ent⸗
brannt ſeyn. Ich muͤſte das Gute, was wir
ſtifteten, als die Sache Gottes anſehen. Ich
muͤſte, von Herzen und ungeheuchelt bereit ſeyn,
mir Laſt und ſogar Elend gefallen zu laſſen. Ich
muͤßte gefaßt ſeyn, troknes Brod zu eſſen, und
doch nicht muthlos zu werden. Ein ſolcher
Mann, lieber Bahrdt, muͤſſen Sie ſeyn, Merken
Sie wohl, was ich Ihnen ſage. Ich wil nicht,
daß Sie hinterher mich anklagen, daß ich Ihnen
nicht reinen Wein eingeſchenkt haͤtte. Ganz ein
ſolcher Mann muͤſſen Sie ſeyn. — Sind Sie
das, dann — dann Bahrdt wollen wir Berge
verſezzen — dann wollen wir Dinge ausfuͤhren,
die die Menſchen nie für möglich gehalten bat—
ten. Aber ich bitte Sie, ich beſchwoͤre Sie,
pruͤfen Sie ſich. Finden Sie ſich nicht ſtark
genug, eine ſauere Bahn, ich ſags Ihnen vorher,
mit mir anzutreten, ſo entſagen Sie lieber allen
Vortheilen, die ich Ihnen in der Ferne gezeigt
habe ꝛc. — —
Dieſe Dinge ſchwazte mir der Mann, mit
tauſendfachen Wiederholungen, Wendungen, und
Variationen des Ausdruks, der Stimme, und
der Pantomime fuͤnftehalb Stunden lang vor,
und ich armer Tropf ſaß, wie eine Genoveva
vor ihrem Heiligen und horchte und ſchwizte,
und — brauchte die hoͤchſte Anſpannung meiner
Duldkraft, es auszuhalten.
Ich hielts aus: aber nur zum Schein.
Schon in der zweiten Stunde war der Gedanke
in meiner Seele in feiner vollen Gluth: der
Menſch hat tiranniſche Abſichten. Er wil mit
der Maske der Andacht dich 100000 Thaler in
C 3
33 nn
der Ferne fchen laſſen, die du nie haben ſolſt,
und durch dieſen Fernblik dich bewegen, dich auf
einige Jahre zu feinem Sklaven machen zu laſſen,
deſſen bischen Seelenkraft er zu gewiſſen Schrift⸗
ſteller projekten verbrauchen wil, um in der
Welt felbft noch Aufſehn zu machen und Ehre
und Reichthum zu erjagen,
Ich ließ ihn reden, bis es eins geſchlagen
hatte. Da konte ich mich des Schlafs nicht
mehr erwaͤhren und bat ihn, abzubrechen. Und
er — gab mir nicht undeutlich zu verſtehen,
daß ihm dieſe Unterbrechung eine gewiſſe Unent⸗
ſchloſſenheit anzudeuten ſcheine: — denn er haͤt⸗
te bis fruͤh um vier Uhr fortgeredet.
Ich beſchloß von Stund an, auf Baſedows
Huͤlfe ſchlechterdings nicht mehr zu rechnen und
ſchaͤmte mich vor mir ſelbſt, daß ich ein Thor
geweſen war, ſo viel Wochen lang den Tirannen
zu dulden und mich von ihm quälen zu laſſen,
Ich ward nun weit freier und natürlicher in
meinem Betragen. Ich ſprach mit, wenn er
ſprach: unterbrach feine Reden und Vorleſun⸗
— 39
gen (mit denen er damals auch Herrn Eberhard
häufig quälte, indem er ihn feine Urkunde ges
gen D. Semler mit anzuhoͤren zwang) und han⸗
delte uͤberhaupt als ein Mann, der ſich fuͤhlte,
von Baſedows Gleichen zu ſeyn. |
Baſedow ließ ſich, als ſchlauer Mann, es
gar nicht merken, daß er meine Veraͤnderung
empfand. Er blieb einige Wochen in ſeiner ge—
woͤhnlichen Handlungsweiſe, kam aber hernach
ganz ploͤzlich und gab allerlei Urſachen vor, wa—
rum er Halle verlaſſen und ſich wieder nach
Deſſau begeben muͤſſe. In der That geſchah's
darum, weil ich ihn nicht mehr ſchmekte. —
Ich, mein Weib und meine Kinder ſegneten den
Augenblik, in welchem er abzog.
Ehe Baſedow kam, ſchrieb ich meine Apo⸗
logie der Vernunft im Bezug auf die chriſtli⸗
che Verſoͤhnungslehre, dem Herrn D. Seiler
gewidmet. In dieſer Schrift legte ich die Sei⸗ f
lerſche Theorie zum Grunde und zeigte, philoſo⸗
84
40 —
phiſch und eregetifh, das Unſtatthafte aller den
Beweiſe, durch welche die Theologen und inſon⸗
derheit H. Seiler dieſe ſchon in Gieſſen von mir
fuͤr den ſchaͤdlichſten Irthum erkante Lehre zu
unterſtuͤzzen pflegte. Dabei entwikkelte ich alle
Widerlegungsgruͤnde der Vernunft und zeigte
zugleich, mit was für unzaͤhlbaren Schnizzern
gegen Logik und Gemeinſinn H. Seiler dieſe
Vernunfteinwendungen zu loͤſen verſucht habe.
Und endlich zeigte ich, durch Induktion, daß die
H. Schrift in keiner einzigen Stelle die Verſoͤh⸗
nungslehre vortrage, ſondern daß uͤberal die mo⸗
raliſche Aus beſſerung der Menſchheit als Zwek
des Lebens und Todes Jeſu angezeigt werde.
Ich ſchikte mein Manuſcript nach Berlin
und glaubte Ehre damit einzulegen: denn es war,
als die erſte Frucht eines noch ungeuͤbten
Schriftſtellers, gewiß gut gerathen. Und ich
wuͤrde jezt ſelbſt, nur in der Form, ſehr wenig
in der Materie zu verbeſſern finden. Aber man
ſchikte mir es zuruͤk mit dem Bedeuten, daß
ich mich mit ſo etwas gar nicht herauswagen
muͤſſe. Bert
—
— 41
Das ſchlug mich faſt nieder. Ich wußte
nicht, warum man mich ſo veraͤchtlich behandel—
te. Und beinahe haͤtte ich angefangen, zu zwei⸗
feln, daß die Laufbahn des Schriftſtellers dieje⸗
nige ſey, auf welcher ich Ehre und Brod finden
wuͤrde. Ich legte mein Manufeript auf die Seis
te und wurde erſt im folgenden Jahre ſo beherzt,
es durch den Druk bekannt zu machen: wo mich
denn auch der Beifall der Kenner für jene Demuͤ
thigungen entſchaͤdigte und meinen Muth befeſtigte.
Die erſte Schrift, welche ich nun bearbeite:
te und dem Publikum uͤbergab, veranlaßte Baſe—
dow. Dieſer hatte ein langes und breites uͤber
Verbrauchung der Bibel mit mir geſprochen.
Er hatte den ſehr richtigen Gedanken, daß die
ganze Bibel fuͤr ſehr wenig Menſchen leßbar
und geniesbar ſey. Er wuͤnſchte einen Auszug,
und rieth mir, denſelben zu verſuchen. So ent—
ſtand die kleine Bibel, welche Oſtern 1780 bei
Mpylius in Berlin herauskam.
Dieſer ſonderbare Titel, der mit der Groͤ⸗
ſe des Buchs ſo ſehr kontraſtirt, kam daher.
Meine anfaͤngliche Idee war, nur einen kurzen
C 5
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Auszug aus dem Altem Teſtamente zu machen,
der für Kinder und Volk brauchbar ſeyn en
Und für dieſe Idee waͤhlte ich den Titel: d
kleine Bibel. Allein da ich in die Arbeit —
ein gerieth und beim Leſen der Bibel von ſo vielen
ſchoͤnen Geſaͤngen der morgenlaͤndiſchen Dichter
begeiſtert wurde und — zugleich entdekte, daß
dieſe Geſaͤnge faft alle auf die Geſchichte Bezie⸗
hung hatten und folglich, durch die Geſchichte,
ihr volles Licht erhalten konten; da vermochte ich
nicht, dem Gedanken zu widerſtehen, die ſchoͤnſten
und gemeinverſtaͤndlichſten Stuͤkke der Propheten
gleich mit in die Geſchichte des A. Teſtaments
einzuweben und jedes an die Stelle zu ſezzen,
wo es ſein hiſtoriſches Licht bekam. Bei dieſer
Gelegenheit nun gerieth ich immermehr in den
Geſchmack am Ueberſetzen der ſchoͤnen Geſaͤnge,
daß ich alles mitnahm, was gemeinnuͤzzig war. |
Und da nicht alles in die juͤdiſche Geſchichte paß⸗
te, ſo ſonderte ich das Uebrige unter eigne Ru⸗
briken. So entftand das große Buch von 60
Bogen gr. 9. mit dem kleinen Titel. Man haͤt⸗
te freilich zulezt den Titel noch abändern. follenz
aber das wurde vergeſſen.
„——— 43
07 &n diefem Buche ſtekt viel Fleiß. Und Herr
Eberhares Uetheil, der mir gewiß damals nicht
ſchmeichelte, bärgt mir dafür, daß es eine mei
ner beſten Arbeiten iſt. Ich halte es fuͤr das
Deite, was man mit Kindern ſtatt der lutheri⸗
ſchen Bibel leſen kan, wenn man dieſe, wie es
wohl unftreitig ift, zu ſchwer für fie findet. Scha⸗
de, daß es fo theuer iſt.
——ů — —
Baſedow brachte mir im Sommer ein Pa⸗
ket mit zwanzig Thalern und geſtund mir, daß
es ihm von Herrn v. Rochow für mich zuge
ſandt ſey. Durch Herr D. Beſeke in Mitau
und Herrn D. Stark erhielt ich von Kurlaͤndi⸗
ſchen Menſchenfreunden (meiſt Maurern) zwei⸗
mal funfzig Dukaten. Die Berliner Geſchenke,
die durch Herrn Eberhard mir zufloſſen, betrus
gen im erſten und folgenden Jahre zuſammen,
wo ich nicht irre, nahe an 400 Thlr. Sobald
ich aber mich nur einigermaſſen aus der tiefſten
Armuth herausgeriſſen und mit Waͤſche, Klei⸗
dung und vornehmlich Hausgeraͤthſchaften vers
ſorgt hatte, verbat ich ſelbſt die Fortſezzung die⸗
ſer Geſchenke. Meine kleine Bibel trug 60 Luis⸗
dors ein, und die Apologie go Thaler. Kurz, ich
hatte in den erſten beiden Jahren mit allem, was
ich verdiente, ohngefaͤhr 1200 Thaler, davon ich
wenigſtens 400 auf neue Hausgeräthſchaften ver⸗
wendete, um nicht immer mit geborgten Mobis
lien mich behelfen zu muͤßen. Folglich habe ich
aufs Jahr nicht mehr als 400 Thlr zu meinem
und der Meinigen Unterhalt gehabt, mit denen
ich in Halle, nicht anders als kuͤmmerlich leben
konte. Zudem habe ich in dieſer Zeit von Dies
ſem Gelde dreimal armen Studenten geholfen,
die mich angiengen: einem mit drei, und zweien
mit einem Luisdor, welche ich ihnen, durch die
Schilderung ihrer Noth bewegt, ſchenkte. —
Bei allen Laſten und Sorgen verlor meine gluͤk⸗
liche Laune ſich nie.
ann
——— 45 N
Viertes Kapitel.
ꝓfälzer Neuigkeiten.
SR |
Ar: erhielt lange Zeit keine Nachrichten aus
der Pfalz und feloft meine beſten Freunde ſchie⸗
nen mich vergeſſen zu haben. Aber ſie fanden
ſich alle wieder. Einer nach dem andern, wie
wenn er ſich nur erſt vom Schrerken uͤber mei⸗
nen Sturz erholt hätte, ſchrieb mir in den zaͤrt—
lichſten Ausdruͤkken und bat um Nachricht von
meiner jezzigen Lage.
Mein groͤßtes Anliegen war, zu erfahren,
wie es in dem verlaßnen Heidesheim ausfähe,
wie es um meine zuruͤkgebliebenen Habſeligkeiten
ſtehe, und was ich davon zu hoffen haͤtte. Aber
leider waren alle ſchon von Heidesheim weg und
konten mir wenig Troſt ertheilen.
Herr Rühl hatte, wie man mir ſchrieb,
gleich nach meiner Abreiſe eingeſehn, daß er der
Fortſezzung des Inſtituts nicht gewachſen ſey.
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7
Folglich hatte er die Lehrer, die nicht ſelbſt ſchon
zu ihrer Abreiſe Anſtalt gemacht hatten, verab⸗
ſchiedet, und die Zoͤglinge wurden theils abgeho⸗
let, theils durch Vorſorge der oͤkonomiſchen Ger
ſelſchaft nach Hauſe geſchikt. Und ſo war nun
das Seidesheimiſche, wie das Marſchlinzer
Philanthropin, begraben.
Ueber meinen in Dienheim ausgeſtandenen
Arreſt ſchried mir ein Freund einen Brief, den
ich hier woͤrtlich einruͤkken wil:
Erſt jezt, lieber Freund, hat ſich mein Unwille
gelegt, den ich uͤber Ihre ſo unbeſonnene
Flucht, empfunden habe. Ich habe die er⸗
ſte Woche nach Ihrer Abreiſe voͤllig geraſet.
Meine Liebe zu Ihnen erfuͤllte mich mit
Wuth. Ich konte nicht an Ihe Schikſal
denken, ohne mit den Fuͤſſen zu ſtampfen
und mich an die Stirn zu ſchlagen. Und
noch draͤngt ſich jedesmal, wenn ſich das
Andenken dieſer Scene in mir erneuert, we⸗
nigſtens ein ſchmerzhafter Seufzer aus mei⸗
ner Bruſt herauf. Gott! daß Sie mir und
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unfeen . . nicht folgten, daß Sie Ibren
älteften und treuſten Freunden nicht glaub⸗
ten, die aus fo unwiderſprechlichen Gründen
es Ihnen bewieſen, daß Ruͤhl in allem Ber
tracht Schurke war. — Welche Schande,
welchen Verluſt, welche Angſt haͤtten Sie
ſich und Ihrem armen hypochondriſchen Wei⸗
be ſparen koͤnnen, wenn Sie dem Vöoͤſewicht
nicht getraut haͤtten, ſondern, nach unſerm
Roth, oͤffentlich abgereifet wären. — Den
ganzen Spektakel hat der elende Bube ganz
allein angerichtet. Er hat Ihnen die heilig⸗
fie Verſchwiegenheit empfohlen, um Sie des
ſto ſicherer zu machen. Gleich den folgen⸗
den Tag, da er bei Ihnen in Heidesheim
geweſen war, wußte es ſchon Herr.
in Duͤrkheim, daß Ihnen Ruͤhl 4% Gul⸗
den verſprochen und zur Flucht gerathen
hatte. Er alſo hat es ſelbſt bekant gemacht,
daß fie heimlich davon gehen wuͤrden. Er
hat es dem Stadtſchreiber ſo gar ſtekken
und ihn dabei warnen laſſen, daß er auf
ſeiner Hut ſeyn moͤchte, damit ſie nicht ver⸗
heimlichte Gelder des Inſtituts mit fort
c
48
ſchaften. und begreifen Sie nun wohl, daß
der Stadtſchreiber Sie nicht ohne Urſach
zur Rede ſezte, da er Ihre Frau mit den
Kindern aus dem Schloſſe fahren ſah? er
wußte Ihr ganzes Vorhaben und hat
Abends, da fie mit La Roche abfuhren,
laut im Schloſſe geſagt, „da reißt er hin!
Adieu, Doktor Bahrdt.“ Was Ruͤhl ei⸗
gentlich für Abſicht bei dieſer niedertraͤchti⸗
gen Kabale gehabt hat, weis ich Ihnen
nicht zu ſagen. Vieleicht, die katholiſche
Parthei gegen Sie zu alarmiren, daß mans
für einen Ungehorſam gegen den Kaiferlis .
chen Befehl zum Wideruf anſehen und Sie
unter dieſem Vorwande auffangen ſolte:
vieleicht daß die oͤkonomiſche Geſelſchaft Sie
einholen und mit Schimpf und Schande zu⸗
ruͤkfuͤhren ſolte, damit hernach ihre Kre⸗
ditores ſie feſtmachen und pluͤndern koͤnten?
Das leztere iſt mir das wahrſcheinlichſte:
denn der Sie hat arretiren laſſen, war Ihr
verabſchiedeter Hausmeiſter. Und man ſagt
fuͤr gewiß, daß Koch und Specht, eine
Stunde nach Ihrer Flucht von Dienheim,
ö da⸗
daſelbſt eingetroffen wären und ſchreklich ger
wettert hätten, daß der Inſpek or Sie fort
gelaſſen hätte. Sie wolten ihn in Manheim
bei der Regierung verklagen. Die Herren
ſagen jezt oͤffentlich, Sie muͤſten über 1000
Gulden mitgenommen haben, die Sie von
engliſchen und hollaͤndiſchen Eltern als Vor—
ſchuͤſſe empfangen und ihnen verſchwiegen
hätten. — Sehen Sie, das haben Sie Ih⸗
rem ſeltſamen Einfalle zu verdanken, den
erſten Schuft in Europa fuͤr einen gros—
muͤthigen Mann zu halten, der, aus Ges
fuͤhl Ihres Werths, redlich gegen Sie han—
deln wuͤrde. Gott bewahre Sie vor aͤhn—
lichen dummen Streichen und mich vor al—
lem Andenken an dieſe Begebenheiten. kLaſ—
ſen Sie mich bald, wo moͤglich, angenehme
Nachrichten von Ihnen leſen, damit ich wie⸗
der mit frohem Herzen mich nennen kann ꝛc.
=
Vieles von dem Inhalt dieſes Briefes bes
ſtaͤtigten bald andere Freunde und wenn ſie nicht
alle in der Nachricht einſtimten, daß die oͤkono⸗
miſche Geſelſchaft fo unfreundlich an mir gehan—
IV. B. D
30 r
delt hatte; fo waren fie doch darin alle zw
ſammentreſſend, daß fie der Verrätherei des Hofe,
Ruͤhl meine Arretirung zuſchrieben, durch welche
er ſeine Rache noch zu guter lezt an mir haͤtte
kuͤhlen wollen.
Die ſcheusliche Denkungsart dieſes Men⸗
ſchen offenbarte ſich auch nachher mehr als zu
deutlich. Denn ihm allein muß ich es zuſchrei—
ben, daß alle meine Habſeligkeiten mit dem gan—
zen Javentarium des Inſtituts in die Rabuſe
gegangen ſind. Es iſt unglaublich, was ich er⸗
zaͤhlen werde.
Federman wird mir Recht geben, wenn
ich behaupte, daß es die Schuldigkeit der fuͤrſtl.
Leiningiſchen Regierung war, ſogleich nach mei⸗
ner Abreiſe (zumal da Ruͤhl und der Fuͤrſt es
wußten, daß ich floh und meine Flucht ſelbſt
durch ihren Rath veranlaßt war) alle meine Ef⸗
fekten in Duͤrkheim und alles, was in Heides⸗
heim zum Inſtitut gehört hatte, erſt zu verſio⸗
geln, dann, mit Zuziehung der oͤkonomiſchen Ges
ſelſchaft, ein volſtaͤndiges und gerichtlich beglau⸗
1
— 5x
bigtes Inventarium zu entwerfen, eine gewiſe
ſenhafte Taxation daruͤber anzufertigen, fo fort
alle Kreditoren vorzuladen, und ſie mit ihrer
Liquidation zu vernehmen: mir ſelbſt aber zulezt
alles, Inventarium, Tape und Liquidationen der
Kreditoren zuzuſchikken und mich daruͤber zu hoͤ⸗
ren: und fodann die liquiden Schuldner von
denen gerichtlich ſubhaſtirten Gütern zu befries
digen, und mir den Ueberſchuß zu zuſtellen.
Von dem allen iſt meines Wiſſens nichts ge⸗
ſchehen. Ich ſchrieb ſelbſt, ich erinnere michs
nicht mehr genau, ob an den Fuͤrſten oder an die
Regierung, — es gilt gleich — und bat um
Information, wie es mit meinen zuruͤkgelaſſenen
Gütern ftehe, Aber niemand wuͤrdigte mich einer
Antwort.
Ich ſchrieb an die oͤkonomiſche Geſelſchaft,
aber ich erhielt auch da, ſtatt befriedigender
Nachrichten, die bitterſten Klagen, daß die Krediz
toren ihnen zu Leibe giengen, und man von Seiz
ten der Regierung ſie auf keine Weiſe von mei—
nen zuruͤkgelaſſenen Gütern befriedigen wolle.
D 2
—
Sie baten, daß ich einen ſchriftlichen Aufſaz ein⸗
ſchikken möchte, in welchem ich erklaͤrte, daß die
oͤkonomiſche Geſelſchaft ein Recht an meinen Guͤ⸗
tern habe, und daß man dieſelben in den Stand
ſezzen möchte, von dem Ertrag derſelben meine
Glaͤubiger zu befriedigen. Ich ſtelte dieſe Erklaͤ—
rung von mir und — die Leute lamentirten in
einem hin, daß die Regierung ihnen nichts ver⸗
abfolgen laſſe, und daß ſie von den Glaͤubigern
geaͤngſtet wuͤrden.
Ich wandte mich endlich an des Staatsmi⸗
niſters v. Herzberg Excellenz und bat um ein
Vorſchreiben an die Leiningiſche Regierung, wels
ches mein Geſuch, daß ſie von meinen hinterlaſ—
ſenen Guͤtern mir Rechenſchaft ablegen moͤchte,
unterſtuͤzzen ſolte. Des Koͤnigs Majeſtaͤt bewil⸗
ligte mein Bitten. Es ward von Berlin an den
Fuͤrſten geſchrieben. Die Regierung antwortete:
„ich hätte ja fo. viele tauſend Gulden Schulden
„ hinterlaſſen, zu deren Tilgung meine hinterlaſſe⸗
„nen Guͤter nicht einmal hinreichten: was ich
„denn alſo haben wolte?“ — Man ließ mir
dieſe Antwort von Berlin aus zugehen und gab
mir zu verſtehen, daß ich beffer gethan, wenn ich
geſchwiegen haͤtte. — Ich ſchwieg alſo nun. Und
ich habe ſeitdem keinen Schritt weiter gethan, ſon⸗
dern das Meinige im Stiche gelaſſen.
Aber jezt darf ich doch wenigſtens getroſt aufs
treten und fragen: ob dieſe Antwort der Regierung
wohl hinlaͤnglich war? Folgt daraus, daß ich mein
Vermoͤgen uͤberſteigende Schulden hatte (ich will es
als wahr annehmen, ohngeachtet ich vom Gegen—
theil überzeugt bin), daß ich keine Rechenſchaft fo—
dern durfte? Blieb es nicht immer Pflicht der
Regierung, mir die Glaͤubiger, die ſich gemeldet
hatten, anzuzeigen, und mich zu vernehmen, ob
ich ihre Foderungen auch fuͤr richtig erkenne? Kon—
ten ſich nicht Leute mit falſchen Foderungen einge—
ſchlichen haben? War es nicht billig, daß ich die
einzelnen Poſten mit der Totalſumme erfuhr? Kon⸗
te ich nicht verlangen, daß man mir ein gerichtlich
aufgenommenes Inventarium meiner Güter in Heis
desheim und Duͤrkheim zuſchikte, damit ich ſehen
konte, ob auch alles ehrlich zugegangen waͤre? Und
geſezt, die Leiningiſche Regierung haͤtte mit meinen
Guͤtern ganz willkuͤhelich verfahren, fie verkaufen
D 3
und die Schuldner bezahlen wollen, war es nicht,
dennoch ihre Pflicht, mir hinterher wenigſtens Ro⸗
tiz zu geben und zu melden; ſo viel iſt aus Euren
Suͤtern bei der Verſteigerung herausgekommen und
ſo viel haben wir an Eure Glaͤubiger bezahlt? Wo
iſt in der Welt ein Land, in welchem von der Obrig⸗
keit nicht dieſe Rechenſchaft gefodert werden darf?
Und ich ſage es oͤffentlich, mir iſt nie dieſe
Rechenſchaft abgelegt worden. Ich weis bis dieſen
Augenblick nicht, was man von meinen Guͤtern ge⸗
funden hat, wer ſie zu ſich genommen hat? ob ſie |
verkauft worden find? was dafür gelsſet worden
iſt? wo das dafür geloͤßte Geld hingekommen iſt?
Es iſt moͤglich, daß der gute Fuͤrſt jezt dieſes
lieſet und in ſeinem Herzen den elenden Ruͤhl ver⸗
wuͤnſcht, der mich ſo geplündert hat. Aber was
wuͤrde mirs nun helfen, wenn die Sache unter⸗
ſucht und eine Art von Rechenſchaft abgelegt wer⸗
den ſollte? Meine Buͤcher, Briefe und Rechnun⸗
gen find zusuͤkgeblieben. Woraus ſoll ich mich jezt,
da eine Zeit von beinahe zwoͤlf Jahren in dem Ge⸗
daͤchtniſſe das meiſte vertilgt hat, orientiren? Was
ſoll ich jezt für Veweiſe gegen geſchehene Ungerech⸗
tigkeiten fuͤhren?
Ich beſizze noch einen Brief, in welchem mir
ein rechtſchafner Freund aus Duͤrkheim ſchrieb:
A man hat Ihre Polyglotte, Ihren Seſychius von
„Alberti, und andere Ihrer koſibarſten Bücher in
„der Ruͤhliſchen Bibliothek gefehen. „ Alſo Here
Ruͤhl hat ſelbſt ſich verſorgt? Was hat denn der
Mann mit meinen uͤbrigen Guͤtern gemacht? Denn
warlich ihn allein muß ich anklagen. Denn die
rechtſchafnen Maͤnner der damaligen Regierung
find zuverlaͤſſig frei von allen Vorwuͤrfen des Be—
trugs und der Ungerechtigkeit. Sie hatten keine
Gewalt in Dingen, wo Ruͤhl wirkte. Er kom⸗
mandirte. Er allein und ein gewiſſer Sekretaͤr,
deſſen Namen ich vergeſſen habe (ſein fades Geſicht
und ſeine tief liegenden Augen kuͤndigten laut den
abgenuzten Wolluͤſtling und tuͤkkiſchen Achſeltraͤ—
ger — alle Duͤrkheimer Leſer werden ſich ſeiner er—
innern) waren die Werkzeuge meiner Verarmung.
—_
*
Fuͤnftes Kapitel.
Hinderniſſe meiner Verſorgung in den preuſſiſchen Staaten.
= Gen erzaͤhlte ich noch weit mehr und umſtaͤnd⸗
licher, ſagt Herr D. Semler in der Vorrede zum er⸗
ſten Bande feiner Lebensgeſchichte S. 3. um menigs
ſtens manchen die Larve abzureiſſen, an der ſich
manche Zeitgenoſſen noch ſehr irren: aber noch
] *
aͤngſtlicher wird mir, wenn ich daran denken muß.
daß durch ſolche gewiß auffallende Erzaͤhlungen
wohl gar hier und da ein Mann oder ein Zoͤgling —
ich ſezze hinzu — gebeugt oder beſchaͤdigt werden
koͤnte, der durch anderweitige Verdienſte Anſpruch
auf Schonung hat.“ — Das iſt gewiß der Fall
jedes rechtſchafnen Mannes, wenn er ſein eigner
Biograph werden will. — Auch ich werde nur
erzählen, was theils unvermeidlich theils weltkun⸗
dig iſt, und manches noch, was mir in den preufz
ſiſchen Staaten wunderbares und zum Theil un⸗
glaubliches begegnet iſt, mit Aufopferung der weit
beſſern Geſtalt, unter welcher ich dadurch erſcheinen
koͤnte, bis auf die Zeit verſparen, wo ich und die
nicht mehr ſeyn werden, ang; die Nachwelt
richtet.
Der wuͤrdigſte Staatsminiſter v. Fedliz war
gewiß eifrig und ernſtlich darauf bedacht, mich in
den koͤniglichen Staaten auf eine anſtaͤndige Art zu
verſorgen und meine Talente dem Lande nuzbar zu
machen. Er ſchrieb mir gleich nach meiner Anfunft
in Halle in dem ruͤhrenden Tone des unverſtellten
Menſchenfreundes:
„Seyn Sie uns wilkommen, mein lieber Herr
„D. B. in den preuſſiſchen Staaten. Genieſ—
„ſen Sie nun nach ſo viel uͤberſtandnen Lei—
„den und Gefahren der Ruhe. Sie koͤnnen
„ verſichert ſeyn, daß ich ꝛe.
Was fuͤr einen beſtimten Plan der Miniſter
mit mir gehabt hat, weiß ich nicht. Ich habe ihn
darüber nie befragt und habe eben fo wenig ſelbſt
damals Vorſchlaͤge gethan oder um etwos mich bes
worben. Und es ift ganz falſch, wenn Herr Sem⸗
ler in der angeführten Vorrede S. 6. ſagt, daß ich
um eine Profeſſur angehalten hätte, Denn gerade
D 5
eine Profeſur hielt ich ſelbſt fuͤr das inproktka⸗ *
belſte. Und ich kan mich öffentlich auf Sr. Excel⸗
lenz Zeugniß berufen, daß ich weder dieſes noch ein
ander Amt beſtimt mir aus gebeten habe.
Aber das weiß ich gewiß, daß der Miniſter
mich im Schulfache anſtellen wollte und daß er
mich auch ganz ohnfehlbar auf das beſte verſorgt
haben wuͤrde, wenn nicht Herr Semler ſelbſt ſich
dagegen aufgelehnet und den Miniſter beſorgt ges
macht hätte, daß er mit der Fakultat ſich zulezt ges
rade an den Koͤnig wenden, und ihm Verdruͤßlich⸗
keiten zuziehen moͤchte. Nur langer und heftiger
Widerſtand hat den Miniſter endlich ermuͤdet und
ihn bewogen, alle ſeine guten Abſichten aufzugeben
und mich, in einem muͤhſeligen Privälleben, von
Sorgen und uͤbermaͤſſigen Arbeiten verzehren zu
laſſen,
Herr Semler, den ich darum nicht um einen
Grad weniger verehre, — weil ich immer gewohnt
bin, die einzelne fehlerhafte Handlung von dem gan⸗
zen Charakter abzuſondern und nie eines mit dem
andern zu verurtheilen, — Herr Semler war nach
— 39
meiner ueber enges die 3 dieſer Zer⸗
fiörung meiner Ausſichten, fo ernſtlich er auch S. 10.
gegen den Vorwurf proteſtirt, daß er allein die
Schuld habe und mein Verfolger geweſen ſey.
Denn ob es gleich bekant iſt, daß die theologiſche
Fakultaͤt in Halle gegen meine Anſtellung ſich ſezte
und dem Miniſter die heftigſten Vorſtellungen ein⸗
reichte, fo weltkundig iſt es doch auch, daß auf
der einen Seite der gutmuͤthige Freylingshauſen
blos nachgebender Theil war und der vortrefliche
Knapp die Schritte der Fakultat misfaͤllig anſah,
und daß auf der andern Seite, wenn auch die Fa—
fultät unanimiter gegen mich votirt gehabt hätte,
dennoch die Autorität und der haſtige Eifer des
Herrn Semlers bei Hofe den Ausſchlag gab. Waͤ⸗
re Herr Semler fuͤr mich geweſen; ſo haͤtten die
andern alle ſich heiſer ſchreien moͤgen, und kein
Menſch würde gethan haben, als wenn er fie hörte,
Weislich laßt auch H. Semler den erſten Ber
richt, der gegen mich gemacht wurde, nicht mit
abdrukken, weil dieſer zu ſehr mit Dingen anges
füllt war, welche die guten Männer von bloßem
Hoͤren-Sagen hatten und nicht beweiſen konten.
60 w. 7 . N 7
und man kan aus dem zweiten, den er S. ır. f. 1
hat abdruffen laſſen, nur noch einige Spuren von s
der Heftigkeit des erſtern abnehmem und ſich aus
ihnen die ungluͤk liche Wirkung deſſelben begteific
machen.
Wenn man den Schattenſtrichen des zweiten
Berichts nachgeht; ſo findet man, daß die Fakul⸗
tät um folgender Urſachen willen vom Miniſter vers
langt hat, mir in Halle keine Profeſſur zu geben
und ſelbſt als bloßen Docenten mich nicht au
dulden.
I. „Unſer Beruf bringt es mit ſich, heißt es
„S. 12., nicht nur die Verbreitung unmittelbar ir⸗
„religioͤſer Grundſaͤtze zu verhuͤten, ſondern auch
„über die Lehren zu halten, welche in der heil.
„Schrift und nach ihr in der Augsſpurgiſchen
„Konfeſſion begriffen ſind.,, 85
Wer ſieht es dieſer Stelle nicht gleich an, daß
ſie mit Erroͤthung hingeſchrieben werden mußte,
um aus Gründen mich verdrängen zu koͤnnen!
rt een 61
a) Jederman weis es ja, daß folche alte Uni⸗
verſitaͤtsſtatuten, wie dieſe, auf die man ſich hier
bezogen hat, nie der Maasſtab eines verftändigen _
Richters find und ſeyn koͤnnen. Und wie viele Pro:
ceſſe koͤnte man gegen die Fakultaͤt und die ganze
Akademie beginnen, wenn man alle dieſe alten Sta—
tuten nach der Strenge nehmen, und jezzige Hand—
lungen der Profeſſoren und Verfahrungsarten der
Akademie darnach richten wolte.
b) Ein Semler aber, als der erſte Mitſtifter
der Aufklaͤrung in Deutſchland und als ein ſo ei—
friger Verfechter der algemeinen Denkfreiheit haͤtte
am wenigſten den erleuchteten Zedliz die Schnurre
ins Geſicht ſagen ſollen, daß er berufen ſey — Sr:
thuͤmer zu verhuͤten und uͤber die Lehren der —
augsſpurgiſchen Konfeſſion zu halten. Denn es
war doch gar zu merklich, daß das verhuͤten und
daruͤber halten nichts anders war und ſeyn konte,
als ein aͤuſſerliches zum Schein gethanes Proteſti⸗
ren gegen Irthuͤmer und deren Verbreitung. Er
unterſcheidet ja ſelbſt die oͤffentliche Lehre der Lu⸗
theraner von der innern moraliſchen Religion und
giebt leztere (welche doch natuͤrlich Irthuͤmer d. h.
62 — |
abweichende Vorſtellungen von der öffentlichen Nee
ligion enthalten muß) jedem frei. Folglich bekuͤm⸗
mert er fi nie (und kan es auch nicht) um die in
nern Vorſtellungen der Menſchen, ſondern blos um
den oͤffentlichen Vortrag. Und er weis ſo nach
ſelbſt, daß (fuͤr einen Mann wie er iſt, welcher ſei⸗
ne innere Religion auch fuͤr ſich hat und Irthuͤ⸗
mer in dem angezeigten Sinne hegt), Irthuͤmer
verhüten und auf die Lehren der A. K. halten nichts
anders ſey, als — bei allem eignen Feſthalten an
gewiſſen Irthuͤmern und eignem Verwerfen gewiſ—
fer Lehren der A. K. — dennoch aͤuſſerlich dage⸗
gen proteſtiren, daß nicht in dem oͤffentlichen Vor⸗
trage Irthuͤmer verbreitet und den Lehren der A.
K. zuwider gehandelt werde. Iſt das nun nicht
bloſſe Täuſchung der Unkundigen?
e) Hiezu komt, daß das Statut durch die
Praxis des Königs und des koͤniglichen Oberkura⸗
lorii längft ſchon ſtillſchweigend abgeſchaft war.
Denn wenn der König die volkommenſte Denk- und
Schreibfreiheit eingefuͤhrt und ſelbſt Profeſſoren
und Prediger in die Aemter geſezt hatte, welche
Irthuͤmer d. h. Abweichungen von den bisherigen
&
=
Öffentlichen Lehren der A. K. nicht nur hegten, ſon⸗
dern auch vortrugen; ſo hat er ja offenbar den ver⸗
meinten Beruf der Fakultat aufgehoben, Irthuͤmer
dieſer Art zu verhuͤten und über die Lehren der A.
K. zu halten.
d) Inſonderheit aber möchte man hier fragen,
warum denn die Fakultaͤt und Herr Semler inſon⸗
derheit erſt jezt ſich ihres Berufs erinnert habe, da
der ungluͤkliche Bahrdt kam und ſein Brod ſuchte?
Iſt denn vor dem D. Bahrdt kein Irthum in Hal⸗
le gelehrt, keine Lehre der A. K. in Schriften ange⸗
griffen worden? Hat die Fakultat vorher kein Buch
cenfirt, daß der A. K. zuwider war?
e) Zudem iſt es ja an ſich ein albernes Geſez.
Denn was heißt denn wohl jenes verhuͤten und dies
ſes darauf halten? Sollen denn etwa wirklich die
Theologen in Halle keinen Irthum zur Stadt odere
zum Lande herein laſſen? Sollen Sie alle Schrif—
ten unterdruͤcken, welche Saͤzze gegen die Lehren
der A. K. enthalten? Sollen Sie ſchreien, verfols
gen, Scheiterhaufen anzuͤnden? Nein. Nun was
denn? Sie ſollen in ihren eignen Vortraͤgen dis
64 —
Irthuͤmer fein gründlich widerlegen, und die Leh⸗
ren der A. K. ſo ſcharf und einleuchtend beweiſen,
daß die Menſchen alle, durch moraliſche Kraft, ge⸗
noͤthiget werden, von Itthuͤmern frei zu bleiben
und der A. K. konform zu glauben! Wozu denn
daruͤber ein Geſez? Das verſteht ſich ja von ſelbſt.
Das iſt ja eben ſo viel als befehlen, die Schneider
ſollen daruͤber halten, daß die Menſchen durch
Kleider warm gehalten werden und ſich nicht erkaͤl⸗
ten, und damit doch nichts anders meinen als: die
Schneider ſollen die Kleider gut und tuͤchtig nehen,
daß der Wind nicht durchpfeiffen kan! :
t) Und darf ich wohl hier erſt erinnern, daß
dies Geſez ſelbſt durch Semleriſche Praxis laͤngſt;
abgeſchaft war? Habe ich noͤthig zu beweiſen, daß
Herr Semler ſelbſt in ſeinem Leben Irthuͤmer d. h.
Abweichungen von der oͤffentlichen Religion vorge⸗
tragen hat?
g) Ich will nur den Hauptpunkt noch beruͤh⸗
ren. Der ganze vorgebliche Beruf der Fakultaͤt
rechtfertigt gar nicht ihr Verfahren gegen mich.
Denn es iſt klar, daß, wenn ſie auch den Beruf
hat⸗
a 4 * 65
hatten, uͤber die Lehren der A. K. zu halten, ſie
darum gar nicht das Recht hatten, mich zu verdräns
gen und von der Univerſitaͤt zu vertreiben. Denn
in der von Herr Semlern angezogenen Stelle der
Statuten heißt es ja ausdruͤklich, ut cauſa ad Se-
reniſſimum referatur, quo ipfe — quid — opus
fit, ftatuat. Warum begnuͤgte man ſich nicht mit
einer blos ruhigen Anzeige meiner Irthuͤmer an
den Landesherrn und uͤberließ es dem, mit mir zu
machen, was er noͤthig fand? Und iſt es nicht an
ſich ganz augenſcheinlich, daß jenes verhuͤten und
darauf halten nichts, als eine Wirkſamkeit durch
moraliſche Kräfte d. h. durch Belehrungen und
Gruͤnde anzeigt: keinesweges aber ein Schreien,
Proteſtiren, und Widerſezzen gegen das Oberku—
ratorium und gegen den Kurator in ſich ſchließt ?
II. „Wenn wir demnach an Ew. Hochfr. Exe.
„uns neuerlich wendeten, um vorzubauen, daß D.
„Bahrdt auf unſrer Univerſitaͤt am wenigſten als
„Docent zugelaſſen werden möchte: fo handelten
„ wir als rechtſchaffene Maͤnner, denen ihre Pflicht,
„Gewiſſen und Eid theuer iſt. Wir kanten uͤber
„ dieſes auch mehrere in feinen Schriften und Hana
i Iv. B. E ö
#
66 N — N a
„ dlungen gegebene notoriſche Merkmale des Leicht⸗
„ſinnes, daß wir alſo ſeinen hiefigen Aufenthalt,
„und erhaltene Erlaubniß, öffentlich lehren zu duͤr?
„fen, für das Beſte der Univerfität nicht gleichguͤl⸗ g
„tig halten konten; indem, wenn ihm gleich theo⸗
„logiſche Vorleſungen zu halten, nicht verſtattet
„worden, er doch Gelegenheit genug bekommen
„mußte, nach ſeiner bekanten Wirkſamkeit, den
„uns anvertrauten Studioſis ſeine Meinungen und
„gehaͤſſigen Begriffe von offentlichen Lehren der
„evangeliſchen Kirche, durch Vortrag oder Um⸗
„gang beizubringen. Wir finden daher auch noch
„keine Urſache, uns unſrer pflichtmaͤſſigen und bes
„ſcheidenen Vorſtellung zu ſchaͤmen, und verdienen
„daher um ſo weniger die Vorwuͤrfe eines teufli⸗
„ſchen Verfolgungsgeiſtes, oder folder im fins
„ſtern ausgedachten, und zum Theil ausgefuͤhrten
„Projekte, wodurch dem D. Bahrdt Freiheit, Le⸗
„ben und Verdienſt entzogen werden ſolte, oder
„einer Misgunſt, die ihm alle Mittel entziehen
„wolle, die Jugend in gemeinnuͤzzigen Dingen zu
„unterrichten., 8
Es iſt wirklich zu bedauren, daß ein ſo vor⸗
treflicher Mann, wie Herr Semler iſt, ſich ſelbſt
8 267
Huber menſchlichen Schwachheiten theilhaftig ma⸗
chen mußte, wie in dieſer Vorſtellung zuſammen⸗
gehaͤuft ſind. N
a) Wird nicht jeder zuerſt fragen, warum
denn die Herren vorbauen wolten, daß ich nicht
Docent wuͤrde, da ſie doch wußten, daß ich nur
Logik, Metaphyſik und Humaniora zu dociren die
Erlaubniß haben ſolte? Was ging denn mein Taci—
tus und Juvenal und meine Logik der A. Konfeſſion
und dem Beruf der Fakultiſten an, uͤber ihre Leh—
ren zu halten? - *
b) Muß man nicht ferner fragen, wie denn
mein notoriſcher Leichtſin ſogar meinen Aufenthalt
in Halle für das Beſte der Univerfität bedenklich
machen konte? Hat man denn noob keinen leich tſin—
nigen Mann in Halle unter den Profeſſoren gedul⸗
det? Es wuͤrde unverſtaͤndig oder vielmehr ganz eis
gentlich niedertraͤchtig ſeyn, wenn ich hier Beiſpiele
dagegen anfuͤhren und Profeſſoren nahmhaft ma—
chen wolte, welche im Spiel, im Trunk, im Schul⸗
denmachen, im Kareſſiren — — ſich den Vorwurf
des Leichtſinns zugezogen haben, ohne daß das Be⸗
E 2
ſte der Univerfitaͤt dabei gelitten hat. Ich begnüͤge
mich, das Publikum auf die Magerkeit der Gruͤn⸗
de, aus welchen man mich von Halle zu verdraͤn⸗
gen ſuchte, blos aufmerkſam gemacht zu haben.
e) Und darum ſezze ich eine dritte Frage hin⸗
zu: was denn wohl die Herrn Fakultiſten für eine
Beruhigung ihres ſo zarten Gewiſſens gefunden
haben wuͤrden, wenn der Miniſter ihr Geſchrei er⸗
hört und mich von Halle nach Frankfurt oder Koͤ⸗
nigsberg oder Berlin verwieſen haͤtte? Waͤr ich
denn dadurch verhindert geweſen, meine Meinun⸗
gen durch Vortrag und Umgang (und Schriften
ſezze man hinzu) Jungen und Alten beizubringen?
Oder war es Ihnen nur um die heiligere Heerde
der evangeliſchen Chriſten in Halle zu thun? Moch⸗
te ich immerhin der Verfuͤhrer anderer preuſſiſchen
Unterth enen werden, wenn nur das von Irthuͤ⸗
mern unbeflefte Halle nicht durch mich verunreini⸗
get wurde? — Was ſoll man nun von den reinen
Bewegungsgruͤnden denken (S. 11.) aus welchen dies
fer Bericht an das Oberkuratorium gefloſſen ſeyn
ſoll!
-.
BE
Sechstes Kapitel.
0 Fortſezzung.
Martwürdig iſt es, daß Herr Semler in dem ob⸗
gedachten Bericht (S. 14.) ſogar dies ſich nicht zu
geſtehen ſcheute, daß er ſich in die traurige Noth⸗
wendigkeit verſezt ſehen wuͤrde (wenn ich Profeſ—
ſor werden ſolte) die Studioſos von Beſuchung
meiner gefaͤhrlichen Lehrſtunden (über Logik, Tas
eitus ꝛc.) abmahnen zu muͤſſen.
Doch ich uͤbergehe dieſe und noch viel andere
Merkwuͤrdigkeiten in dem ganzen Benehmen des
übrigens fo ſanften und menſchenfreundlichen Sem—
lers, um mit meinen Yefern bei zween Hauptpunk—
ten noch zu verweilen und ſie der Beurtheilung der
Zeitgenoſſen und der Nachwelt vorzulegen.
Der erſte betrift die Semleriſche Antwort auf
mein Glaubensbekentniß, durch welche das ganze
deutſche Publikum, ich moͤchte ſagen, erſchuͤttert
und meine Faͤhigkeit zu einem auch nur halb geiſt⸗
lichen Lehramte recht abſichtlich zerſtoͤrt wurde.
E 3
70 ———
Wahr iſt es, daß mein Glaubensbekentniß ſehr
fuͤglich hätte aus der Welt bleiben konnen. Und
ich gebe gern alles zu, was Herr Semler S. 350.
aus einer Berliner Schrift aus ſchreibt, um mich
als einen Thoren aufzuſtellen. Denn ich habe wirk⸗
lich gefehlt, und kan dieſen uͤbereilten Schritt mit
nichts entſchuldigen, als mit der Schwachheit meis
nes Geiſtes, welche meine zuſammentreffende Un⸗
gluͤksſchlaͤge erzeugt hatten und — mit der Schnel⸗
ligkeit des Druks, welchen meine Berliner Freun⸗
de beſorgten, denen ich die Bekantmachung ſo gut
wie die Unterdruͤkkung dieſes Aufſazzes uͤberlaſſen
hatte, |
Aber wenn ich gefehlt hatte, war darum Herr
Semler berufen, mir es oͤffentlich vorzuhalten?
Und wos ſolte die Antwort auf mein Glaubensbe⸗
kentniß? Wer hatte ihn denn gefragt? Was konte
ihn bewegen, gegen einen ſchon ſo verfolgten und
ungluͤklick en Mann noch ſelbſt zu Feide zu ziehen
und ganz Deutſchland zu alarmiren, als ob er das
"größte Verbrechen begangen haͤtte?
re lee
jr *
War etwa das Glaubensbekentniß ſelbſt ſo
gottlos und iereligiös, daß fein Gewiſſen ihn dräng-
te? Man ſehe es nur nach. Es enthielt nichts,
als die freimuͤthige Erklaͤrung, daß ich mir die
Dreieinigkeit und die Gottheit Ehriſti insonderheit,
nach Athanaſii Sinne nicht vorſtellen koͤnne: daß
ich nicht von der Anſelmiſchen Satisfaktionstheo⸗
rie uͤberzeugt ſey: daß ich nicht glauben koͤnne, daß
der Menſch von Natur ein Feind Gottes ſey und
mit der Neigung zu allem Boͤſen geboren werde u.
ſ. w. Im ganzen Aufſazze rede ich ganz beſcheiden
von meinem Glauben und ſage nicht einmal gerade
hin, daß ich die Dreieinigkeit, die Verſoͤhnung
durch Chriſtum u. d. verwerfe, ſondern aͤuſſere blos
dies, daß ich mir ſie ſo und ſo nicht vorſtellen koͤn⸗
ne. Waren denn das ſo entſezliche Irthuͤmer, da>
zu H. Semler gar nicht ſchweigen konte? Betraf
es nicht vielmehr gerade die Lehrſaͤzze, in denen H.
Semler ſelbſt heterodox iſt, wie die ganze Welt
weis und ihm Baſedow in der Urkunde aus ſeinen
Schriften bewieſen hat? Iſt es nicht bekant, daß
Herr Semler die Athanaſianiſche Dreieinigkeitsleh⸗
re verwirft und uͤber alle Dogmen der Kirche beſ⸗
ſere Vorſtellungsarten hat und ſeinen akademiſchen
E 4
—
‚Zuhörern befant macht oder wenigſtens Winke das Bl
zu aus der Hiftorie giebt, als der große Haufe der
Orthodoxen ſie hat und annimt?
Und man ſehe nur ſelbſt die Art der Widerle⸗
gung. Er widerſpricht keinem einzigen Sazze mei⸗
nes Glaubensbekentniſſes direkte und nent ihn Ir⸗
thum. Er ſtreitet faſt allein gegen mein Recht,
dieſe Saͤzze ſo frei und gegen die oͤffentliche Reli⸗
gion vorzutragen und laut zu bekennen. War das
der Muͤhe werth? War es noͤthig, war es recht,
uͤber ein Bekentniß ein Geſchrei zu machen, uͤber
deſſen weſentlichen Inhalt er mit mir ſelbſt theore-
tiſch, obgleich nicht hiſtoriſch, einig war?
Ferner: mußte Herr Semler nicht bedenken,
daß gerade er am wenigſten gegen mich auftreten
durfte, da er mein Freund war, da er mich deſ⸗
ſen in Briefen verſichert hatte, da die Welt wuß⸗
te, daß er viel auf mich hielt, daß er meine Schrif⸗
ten in öffentlichen Koͤllegiis feinen Zuhörern em⸗
pfahl? War es nicht natürlich, wenn jederman
eine ganz eigene und ſonderbare Wendung ſeines
Eharakters argwohnte? Konte es ohne ſchaͤdliches
Pr
u TE 898
Auffehen bleiben 1 wenn ein Freund gegen ſeinen
Freund zu Felde zog und ihn oͤffentlich uͤber Dinge
zu beſchaͤmen ſuchte, die er im Herzen ſelbſt hegte?
Gewiß wird Hr. Semler jezt es noch mehr eins
ſehen, was er ſchon ehemals S. 35 t. zu erkennen
gab, daß er gefehlt habe, und daß mein Beneh⸗
men gegen ihn, weiches ich in der kuͤrzern Erklaͤ⸗
rung uͤber Herrn D. Semlers Antwort auf das
Bahrdtiſche Glaubensbekentniß. Berlin, 1780.
8. gezeigt habe, weitmehr der Geiſt der Sanft⸗
muth athmete, als ſein damaliges Betragen, wel—
ches in allem Betracht auf meine Unterdruͤkkung
wirken mußte.
Schwerlich wenigſtens kan er oder ſeine Leſer
die Entſchuldigungen gründlich finden, mit wel⸗
chen er S. 35 1. feine Antwort rechtfertiget, daß er
als ein alter Profeſſor (das Alter thut worlich
nichts zur Sache) zu Veraͤnderungen der oͤffentli-
chen Religionslehre, ohne Nachtheil feiner ſelbſt
und der koͤnigl. Univerſttaͤt ohnmoͤglich hätte ſchwei⸗
gen koͤnnen. Denn wer wird ihm zugeben, daß
mein Glaubensbekentniß, als die Deklaration eis
E 5
W
nes unbedeutenden Privatmanns, fuͤr eine Veraͤn⸗ *
derung der Öffentlichen kehre anzuſehen war? Wer
wird ſich uͤberreden laſſen, daß H. Semler Nach⸗
theil zu fuͤrchten hatte, wenn er zu dieſem Befents
niſe ſchwieg, dergleichen ja jeder Menſch auszuſtel⸗
len ein buͤrgerliches und natürliches Recht hat?
Und was verlor die Univerſitaͤt, wenn er ſchwieg
und mein Glaubensbekentniß in Vergeſſenheit ge⸗
rathen ließ? 5
Wem wolte es ferner Herr Semler glaubhaft
machen, daß mein Glaubens bebentniß fo viel pro⸗
teſtantiſche Stände in die tiefſte Befruͤbniß verſezt
habe, und daß Halle darum 2 beurtheilt
werden mußte? War ich denn der Maasſtab, nach
welchem das Publikum die ganze Univerfi tät meſſen
mußte?
Und welch ein faſt unverzeihlicher Winkelzug
iſt es, wenn H. Semler auf eben dieſer Seite ſagt,
daß mein Bekentniß an kaiſerliche Majeftät im Na⸗
men der Proteſtanten gerichtet geweſen ſey? Ha⸗
be ich auch wohl mit einer Silbe dieſe Frechheit
geäuſſert, daß ich mein Bekentniß im Namen der
Proteſtanten ablegte? A
— 0 75
Dioch ich eile zu einem zweiten Punkte, wel⸗
cher für mein Herz der allerempfindlichſte iſt, und
von welchem jeder rechtſchafne Mann überhaupt
und jeder Verehrer der großen Verdienſte des gu—
ten Semlers wuͤnſchen muß, daß er nie in dieſer
Geſchichte zum Vorſchein gekommen waͤre: ich mei⸗
ne — die Ausfalle des Herrn Semlers auf meinen
moraliſchen Charakter.
Man mag dieſe Sache anſehen, wie man will,
und von mir ſelbſt die allernachtheiligſten Urtheile
hegen; fo wird man eingeſtehen muͤſſen, daß Ges
lehrte, wenn ſie mit einander in Streitigkeiten ge—
rathen und noch mehr — daß Theologen, wenn ſie
ſich die Mine der Vertheidiger der Religion geben,
ſich und ihrer vermeintlich guten Sache ohne Aus-
nahme ſchaden, wenn ſie mit den Lehrmeinungen
ihres Gegners zugleich ihren perſoͤnlichen Charak—
ter antaſten und denſelben anzuſchwaͤrzen ſuchen.
Warlich es iſt betruͤbt, wenn ein ſo großer und
vortreflicher Mann, wie Semler, ſich hier den
Goͤzzen und andern Kezzermachern gleich ſtellt und
die Lehre des Gegners durch Verdaͤchtigmachung
feines Charakters herabzuwuͤrdigen und dos Publi⸗ a
kum von ihm abwendig zu machen ſucht und noch
mehr — wenn er dies an ſeinem Freunde und .
an einem Uungläklichen thut. N
Man kent mich. Ich bin ein Menſch, der
Fehler hat. Ich habe vielfältig in meinem Leben
leichtſinnig und unuͤberlegt gehandelt. Ich habe
in diefer Geſchichte ſelbſt meine Fehler und meine
Sitten angeklagt. Aber was geht denn das weine
Lehrſäzze an? Können denn dieſe nicht wahr ſeyn,
wenn ich nicht ſelbſt ein fehlerloſer Menſch bin?
Müſſen meine muͤndlichen und ſchriftlichen Vortraͤ⸗
ge darum aufhoͤren, nuzbar und lobenswerth zu
ſeyn, wenn meine Handlungen zuweilen thoͤrigt
und tadelhaft waren?
Heben denn menſchliche Thorheiten wahre Ver⸗
dienſte auf? Und hat nicht ein Mann von Talent
und Verdienſten, eben um feiner Talente und Ver⸗
dienſte willen, Anſpruch auf Schonung und Nach⸗
ſicht? Ohne Bedenken wuͤrde ich allenfals einen
durchaus ſchlechten Menſchen, wenn er ſeine Feh⸗
ler durch keine Verdienſte um die Welt verguͤtet,
— | — — f 77
. als einen ſchlechten Men ſchen öffentlich an den Pran⸗
ger ſtellen. Aber einen Mann von Werth, der der
Welt nuͤzlich iſt und es taͤglich mehr zu werden ich
beeifert, ſolte man durchaus ſchonen. Und mir
wenigſtens wuͤrde es Thraͤnen koſten, wenn ich z.
B. von einem Semler Thorheiten und Fehltritte
erzählen hörte und ſehen müßte, daß ein Mann
von ſolchem Werth unter fo intoleranten Menſchen
lebte. Das Verdienſt iſt zu ſelten und zu wichtig
für die Welt, als daß man es der elenden Neigung
aufopfern ſolte, menſchliche Thorheiten auszuſpaͤ⸗
hen und ſich uͤber ſie luſtig zu machen. Und nur
die allerunedelſten Seelen koͤnnen ſich freuen, wenn
ſie den Ruf eines wuͤrdigen Mannes durch Anekdo⸗
ten aus der Geſchichte ſeiner Schwachheiten vers
dunkeln koͤnnen.
Aber ich moͤchte doch den guten Semler fra⸗
gen, was er denn von dem fo anftöfligen Leben
(S. 16. der Vorrede) wiſſe, was ihn gegen mich
zu agiren bewogen haben ſoll? War er denn je
Zeuge davon, oder hat ers blos vom Hören: Sas
gen? Und wenn er Zeugen hatte, warum machte
er ſie nicht namhaft? Oder warens vieleicht keine
*
guten und tauglichen Zeugen? Waren es blos mei⸗
ne Feinde, die in namenloſen Pasquillen mich ge⸗
ſchaͤndet oder in vertrauten Briefen mich verleum⸗
det hatten? 8 5 |
Worin haben denn von jeher meine Gott⸗
loſigkeiten beſtanden? Habe ich je die Unſchuld ver⸗
führt? Habe ich irgend einen Menſchen an Gut
oder Ehre wiſſentlich beſchaͤdigt? Habe ich mein
Leben im Muͤſſiggange zugebracht, und als ein un⸗
nuͤzzer Menſch mein Brod gegeſſen? Habe ich bes
trogen und gewuchert? Habe ich den Spieler ge⸗
macht und die Beutel gefegt? Habe ich einen Freund
verrathen, oder einen Menſchen mit Wiſſen un⸗
gluͤklich gemacht? — (Haͤtt' ich Freunde verrathen
moͤgen; ſo ſaͤß ich vieleicht nie im Gefaͤngniß!) —
Laſſet einen rechtſchafnen Mann, der mich perſoͤn⸗
ſich gekant hat, namentlich auftreten und zeugen.
Fraget alle, die mich handeln ſahen — fraget mein
eignes Weib, das ſo ſehr uͤber mich klagt, ob ich
nicht von jeher der fleiſſigſte und arbeitſamſte Mann
war, ob ich je dem Muͤſſiggange, dem Spiele, dem
Trunke, dem unordentlichen Leben ergeben geweſen
bin, ob ich nicht vielmehr, bei unablaͤßlichen und
Fo ae
haft gehandelt haben folte?
gemeinnuͤzzigen Arbeiten und bei der redlichſten Er⸗
ziehung meiner Kinder, das maͤſſigſte, und ich
moͤchte ſagen, freudenleerſte Leben von der Welt
gefuͤhrt habe? Fraget meine Kinder ſelbſt. Die
ſind — die ſollen meine Zeugen ſeyn.
Herr Semler fagt in der Lebensbeſchr. S. r.
„daß die Sorgfalt, mit welcher fein Vater ihn er⸗
„zogen, ſein beſtaͤndiger Fleiß im Studiren und
„Excerpiren und ſein geſeztes feſtes Urtheil ihm
„ hernach Beweiſes genug geweſen ſey, daß fein
„Vater ſeine Tage nicht in jugendlichen Ausſchwei⸗
„fungen verloren oder unrichtig vertheilt hatte.,
Wie komt es doch, daß er aus meinem Fleiſſe und
aus den anhaltenden Anſtrengungen meines Geiſtes,
davon meine Amtsarbeiten und die Menge meiner
Schriften zeugen, und vornemlich meine noch jezt
im funfzigſten Jahre bluͤhende Geiſteskraft nicht
eben fo menſchenfreundlich folgerte, daß ich ohn⸗
möglich (wie meine Feinde wollen) ein ausſchwei—
fendes Leben geführt haben koͤnne, wenn ich auch
in einzeln Zeitpunkten noch ſo uͤbereilt oder fehler⸗
2
80 | I
O'derꝛ ſollen ſchlechterdings einzelne Thorhei⸗
ten den ganzen Charakter des Mannes entſcheiden N
und verurtheilen? O dann moͤchte ich ihn ſelbſt fra⸗
gen, wie es ihm gefallen wuͤrde, wenn man ihn
um jeder einzelnen Thor heit willen einen Thoren nen⸗
nen wolte? Und, bei Gott, wenn Thorheit mit Thor⸗ |
heit ausgeglichen werden fol; fo will ich noch weit
lieber einmal einen Nauſch gehabt oder gegen eine
buͤrgerliche Konvention gehandelt haben, als mir |
die Beflekkung der Geſchichte meiner Geiſtesthaͤtig⸗
keiten durch eine Ausgleitung zur Goldmacherei,
oder die Verdraͤngung eines ungluͤklichen und da⸗
bei nuzbaren Mannes nachſagen laſſen.
Uebrigens verzeihe ich Herr Semlern den be⸗
ſtimten Vorwurf der Verſoffenheit (S. 7. in der
Vorrede), um ſo viel williger, da gerade gegen die⸗
ſen Vorwurf alle Zeugen meines Lebens ſind und
geweſen ſind. Ich trinke Wein, wie Herr Sem⸗
ler, und werde auch in Geſelſchaften, durch den
Wein, gewoͤhnlich vergnuͤgter und munterer als ich
im Anfange war, wie Herr Semler: aber ich
habe nie vom Trinken Profeſſion gemacht. Und
wer mich mehr als eine Butelle Wein (die ich ja
alle
4 — ©
alle Tage fuͤr mich allein trinke) bei einer Mahlzeit
hat trinken und dabei beſoffen geſehen hat, der tre⸗
te auf und zeuge fuͤr meinen lieben Semler, damit
ichs ihm abbitten kan. — Mein Herz bleibt bis
dahin von allem fortdauernden Widerwillen gegen
den verehrungswerthen Mann ſo entfernt, als es ge⸗
zen den armſeligen Schriftſteller geblieben iſt, aus
deſſen Urne er jenen Vorwurf mit chriſtlicher Glaub⸗
willigkeit entlehnt hat. — Ich habe viele Zeugen)
die es wiſſen, daß Herr Moſchel ſelbſt den von ihm
verleumdeten D. Bahrdt fo gut gefant hat, daß
er in feinem Ungluͤk, wo Lebensgefahr ihn bedroh⸗
te, zu ihm floh, ſein Leben ſelbſt ihm anvertraute
und — daß er mehrere Tage lang, von ihm, dem
D. Bahrdt, kurz nach der Ausgabe der ihm bekant
gewordnen Urne, mit eigner Gefahr vieler Ver—
druͤßlichkeiten, als Fluͤchtiger geheget, als Hungri⸗
ger beföftiget, als Kranker verpflegt, als halb ver:
wirrter und Geaͤngſteter getroͤſtet und mit Unkoſten
und Muͤhe gerettet worden iſt.
Iv. B. 7
Siebentes Kapitel.
Applauſus. Bekantſchaften. Haus kreuz.
-
HD. Miniſter fahe ſich von den Theologen fo bes
ſtuͤrmt und mit fortdauernden Unruhen ſo bedroht,
daß er feine anfängliche Wärme erkalten und alle
ſeine Projekte, mich zu verſorgen, fahren laſſen muß⸗
te. Er begnuͤgte ſich, mich in Halle zu behaupten
und mir das Recht zu ertheilen, als Privatdocent
Philoſophie und Humaniora zu leſen. a
Das erſte, was ich jezt unternahm, waren
Vorleſungen über die Rhetorik. Denn an die
theoretiſche Philoſophie wolte ich mich nicht wa⸗
gen, weil Herr Eberhard in dieſer Wiſſenſchaft
bisher das Monopol gehabt hatte, und ich es folg⸗
lich der Klugheit gemäß fand, einen Mann, deſ⸗
ſen Freundſchaft ich wuͤnſchte und deſſen Verdien⸗
ſte ich ehrte, durch Theilung des Applauſus nicht
misvergnuͤgt zu machen.
Ich las meine Rhetorik, welche ganz beſon⸗
ders auf Bildung kuͤnftiger Prediger abzwekte, in
[A
2
un
7 K I
anf ag as 83
dem Hoͤrſole des damaligen M. Mangelsdorf. Der
Zulauf der Studenten war ſo groß daß nicht nur
das Auditorium ſelbſt gepfropft voll war, ſondern
daß auch auf dem Hofe (es war Parterr) alles voll
war und die Studenten eine alte Waſchrolle, die
unter der Einfahrt ſtand, herbei ſchlepten, die Fen—
ſter oͤfneten und ſo an den Fenſtern bis oben hin—
auf ſtunden und mir zuhoͤrten.
Meine Abſicht war, mit der Theorie die Pra⸗
xis zu verbinden und die jungen Leute in Invent on,
Diſpoſition und Elokution zu uͤben. Da ich fuͤr
dieſen Zwek einen geſchloßnen Numerus noͤthig
hatte, damit die Herren in der Reihe ihre Aufſaͤzze
mir bringen und ich dieſelben korrigiren konte; ſo
war es mir nicht moͤglich, einen ſolchen Zulauf zu
ertragen. Ich bat daher gleich en der zweiten;
Stunde, nachdem ich den Zwek meiner Vorleſun⸗
gen bekant gemacht hatte, daß die, welche das
Kollegium forthoͤren wolten, ſich aufſchreiben und
alle uͤbrigen, die blos aus Neugierde hoſpitirt haͤt⸗
ten, nun wegbleiben möchten.
Alles Bitten und Vorſtellen war vergeblich.
Der Zulauf ward immer größer, fo daß der Haus⸗
| *
84 0 —
wirih fi ſich auch beklagte, daß die Fenſter und die
Waſchrolle ihm ruinirt wuͤrden. Ich hielt alſo i in
der fünften Stunde inlgende Ae i „Es iſt mir
dauernden Eifer Vereinen, 5 zu 3 und iQ
würde in jeder andern Lage mich gluͤklich ſchazzen,
von einem ſo glaͤnzenden Auditorio mich umgeben
zu ſehen. Allein meine age Umſtaͤnde, die
Ihnen allen bekant ſind, machen mir es zur bitter⸗
ſten Rothwendigkeit, die größere Ruzbarkeit dem
Broderwerb aufzuopfern. Ich muß mit meinen
Kindern allein von meinem Fleiſſe leben. Ich kan
olſo, fo gern ich wolte, dies Kollegium nicht pu⸗
blice leſen. Ich muß nothwendig es entweder
wieder aufgeben, oder eine feſte Zaͤhl haben, wel⸗
che ſich in dieſen Hörfaf einſchraͤnkt, und mich or⸗
dentlich bezahlt. Ich traue Ihren guten Herzen
zu, daß Sie dieſe Foderung eben ſo billig finden
als beguͤnſtigen werden. Und fo erwarte ich es von
Ihrer edlen Denkungsart, daß nunmehr alle Ho⸗
ſpiten wegbleiben und meinen beftändigen Zuhoͤrern
den Raum laſſen werden. Ich will Ihnen, zum
Beweiſe, wie ſchmeichelhaft mir Ihr Beifall iſt,
dieſes kleine Opfer vergüten und Ihnen dafuͤr, daß
—
—
ſie die Belehrung weies Hörfates aufheben uͤber
die Theorie der Deblamation wöchentlich auf der
Wage eine Stunde e e Boclefungeh
halten ꝛc. % πν ν
imma el MIBIR «BAM
Dieſe Anrede that vortrefliche Wirkung. Ein
erfolgtes Händeklatſchen bkieugte mir den Beifall
der Vet ſamlung. Die Hoſpiten blieben weg. Es
firfere ſich eine Zahl von 60 bis 70 Studenten.
Aber leider — nahm ich doch fuͤr das ganze Kolle⸗
gium, das mir an drittehalbhüͤndert Thaler ein⸗
tragen mußte, (die Perſon zu vier we 5
net) kaum 80 Thaler ein. ö
en
a hielt Wort und las auf der Wage meine
Theorie der Deklamation. Und nun kam die ganz
ze Univerſität. In der erſten Stunde waren uͤber
900 Studenten verſamſet.— Meine Feinde hat:
ten von meinem Beifalle gehoͤrt und die Eiferſucht
befluͤgelte fie, ihn zu ſtoͤhren. Der Herr Prorek⸗
tor fand noͤthig, ſaͤmtliche Haͤſcher an die Wage
zu poſtiren, unter dem Vorwande, allen Unord⸗
nungen vorzubevgen. Es gab aber Leute, welche
behaupten wolten, es ſey gerade darum geſchehen,
53
TEN
86 — ; 9
die Studenten daruͤber unwillig zu machen, und a
man habe gewuͤnſcht, daß kaͤrmen entſtehen und
man dadurch Gelegenheit bekommen mochte, nach
Berlin zu berichten, daß meine Vorleſungen Tu⸗
multe erzeugten. Aber es ging, gegen alle menſch⸗
liche Erwartung, ſo ſtille zu, als man es bei einer
ſolchen Verſamlung noch nie erlebt zu haben verſi⸗
cherte. Der Herr Profeſſor Woltaͤr und andere,
die ſich in unkenbarer Kleidung mit eingeſchlichen
hatten, waren Zeugen davon. Ich hielt meine
Vorleſung bei der feierlichſten Stille dieſer Men⸗
ſchenmenge. Und da ich am Ende der Stunde die
Vorſicht gebrauchte, den Herren Studenten vorzu⸗
ſtellen, daß meine Feinde auf jede Gelegenheit
lauerten, mich in Berlin verhaßt zu machen, und
ſie aus dieſem Grunde auf das dringendſte bat,
daß ſie ja allen Schein eines Geraͤuſches, mir zu
Liebe, vermeiden möchten, weil ſonſt alles, was fie
thaͤten, auf meine Rechnung geſchoben werden
wuͤrde; ſo ward die ganze Verſamlung von dem
einſtimmigſten Vorſazze belebt, und dies große
Studentenheer gieng, mit unerhoͤrter Geduld, vor
den Haͤſchern ſo ſtill vorbei, daß auch kein Laut zu
vernehmen war. |
—
Indeſſen kam doch Herr Eberhard des folgen—
den Tages zu mir und rieth mir, die gewählte
Abendſtunde, wo doch alzuleicht eine Unordnung
vorgehen koͤnte, wenn der erſtaunende Zulauf blits
be, zu veraͤndern. Ich ſchlug alſo am ſchwarzen
Brete an, daß ich meine Vorleſungen des Sonn 15
bends fruͤh um 11 Uhr fortſezzen würde. Das ge
ſchah und ich behielt bis zu Ende deſſelben über 500
Zuhörer beiſammen.
Uebrigens war und blieb mein Leben einſam
und von Menſchenumgang leer. Der erſte Menfih,
der ſich über das Vorurtheil hinweg ſezte und mit
dem verſchrienen Kezzer öffentliche Freundſchaft zu
halten beſchloß, war Herr Profeſſor Trapp, ein
Mann, deſſen biederer und unbeſtechlich redlichet
Charakter, deſſen herrliche Laune, deſſen heller
Geiſt und ausgebreitete Kentniſſe mir eine ewige
Sehnſucht nach ihm einföffen und das Andenken
ſeines Abſchieds von Halle mir immer kummervoll
machen werden. | |
Er ließ michs wiſſen, daß er mir gut ſey, und
ich eilte mit meiner Frau und Kindern, ihm den
54
erſten Beſuch zu machen. Meine ganze damals
noch feurige Laune lebte bei dieſem Beſuche wieder
auf, und begeiſterte den Hauswirth meines Trapps,
den Heren Stifte amtmann Buͤttner dergeſtalt, daß
er ſeine Hand zum neuen Freundſchaftsbunde bot
und mir erlaubte, von Stund an ſein Haus als
bag Meinige anzuſehn.
ie Wer die Freuden des geſelligen Lebens zu
ſchmekken vesfteht, und ſich beſinnt, daß ich ſo lan⸗
ge Zrit ſie hatte entbehren muͤſſen, der wird ſehr
leicht begreifen, daß dies fuͤr mich eine Epoche der
Wiedergeburt war. Meine ganze Seele heiterte
ſich auf. Ich bekam neue Schnellkraft. Ich fuͤhl⸗
te mich wieder und lernte meines Daſeyns froh
werden. Eben ſo mein liebes Weib!
Es vergieng von jezt an faſt kein Tag, wo ich
nicht, nach volbrachtem Tagewerk zu meinen Büttz
ner und Trapp ſchlich und bei einem Butterbrod
mit ihnen ein paar Stunden herzlich vergnuͤgt war.
Kam ich zuweilen allein; ſo ging Herr Buͤttner
heimlich fort und holte mein Weib nach, die ſich
in dieſer Geſelſchaft mit mir gleich ſelitz fuͤhlte.
Aber die Freude dauerte nur wenig Wochen.
Wenn beide Freunde als ehrliche Maͤnner handeln
wollen; ſo muͤſſen ſie es vor jedem Richterſtuhle
mir bezeugen, daß, ohn alle meine Veranlaſſung,
endlich mein gutes Weib anſieng, ihre alte Krank-
heit merklich zu machen. Fand ſie meinen Ton,
den ich gegen die Familie beobachtete, zu herzlich
und traulich, oder waren es, was mir wahrſchein⸗
licher iſt, Ohrenblaͤſereien und Verleumdungen die⸗
ſer Familie: genug, ſie fing an, nach ihrer Art uͤber
Weiber und Maͤdchen zu deklamiren, welche frem—
de Männer an ſich zoͤgen, und trieb ihr Moraliſi⸗
ren uͤber Sittſamkeit und Tugend ſo weit, daß
meine Freunde zuruͤkhaltender wurden und ſich nicht
mehr getrauten, in ihrer Gegenwart, den natuͤr⸗
lichen Gang ihrer frohen Laune zu behaupten. Und
daraus erfolgte ganz natuͤrlich, daß man gegen
meine Frau kaͤlter wurde und fie nicht mehr vers
mißte und nachholte, wenn ich allein kam.
Die Folgen waren unvermeidlich. Meine
gute Frau ſah und empfand die Veraͤnderung. Sie
merkte, daß man ſich nicht mehr nach ihr ſehnte.
Und ſie wurde eben dadurch in ihrem Verdacht,
F 5
9 r
daß ich bei den weiblichen Mitgliedern dieſer Fa⸗
milien beliebter ſey, als fie es wuͤnſchte, ſo wie in
jenen vermuthlichen Verleumdungen immermehr
beſtaͤrkt. Und fo mußte von nun an jede Stunde,
welche ich in dieſem Zirkel verlebte, für fie eine
Stunde ftillen Harms und bald auch — lauter
Klagen werden.
Buͤltners und Trapps waren ihr nun der Dorn
im Auge und ſie vergoß Thraͤnen, wenn ſie mich
ausgehen ſahe. Ich bemuͤhte mich, ſie zu beruhi⸗
gen. Ich ſtellte ihr vor, daß ſie ſelbſt an ihrer
Loge ſchuld ſey, und dieſe Freunde durch ihre uͤber⸗
triebene Delikateſſe und Moraliſiren von ſich ver:
ſcheucht habe — daß ich, bei meiner ungluͤklichen
Loge, welche mich zu unaufhoͤrlichen und muͤhſeli⸗
gen Arbeiten noͤthigte, dieſe Erholungsſtunden nicht
entbehren foͤnte ac. Aber alles war umſonſt. Sie
machte mir Vorwuͤrfe. Sie klagte bei geringen
Leuten uͤber meine Ausartung. Sie erhizte mich
zuweilen durch zudringliche Reden bis zur Aerger⸗
lichkeit. — Daraus entſtand ein neues Uebel.
Meine Kinder ſahen den fleiſſigen Vater, der
fuͤr ſie unter der Laſt der Arbeit faſt erlag und fuͤhl⸗
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ten, wie ungerecht es war, daß die Mutter mich
ſo oft quaͤlte und fingen dadurch an. die Mutter in
eben dem Grade weniger zu lieben, in welchem ihr
Herz an dem Vater hieng. Die aͤlteſte, deren Bers
ſtand fruͤhzeitig reifte, unterftand fich fo gar, was
ich ihr oft liebreich und mit Gruͤnden verwieſen has
be, der Mutter Vorwürfe zu machen und in kindi⸗
ſcher Einfalt, (ſie war damals etwa ſieben Jahr
alt) meine Partie zu nehmen. Dies legte gegenſei⸗
tige Keime der Abneigung in das Herz der Mutter.
Und ſo erlebte ich nach und nach das größte Leiden,
was einem Vater begegnen kan, daß meine Frau
immer hypochondriſcher wurde, daß meine Kinder,
theils um meinetwillen, theils weil ſie den ganzen
lieben Tag von der verſtimten Laune der Mutter
gequält und durch ewiges Klagen oder Keifen mie:
muͤthig wurden, ſie immer weniger liebten und
(troz aller meiner Bemühungen, entgegen zu arbei⸗
ten) immer kalter und ſtoͤrriger gegen fie wurden
und — daß die Mutter ſelbſt die aͤlteſte Tochter ine
ſonderheit anfieng zu druͤkken und ihr ihre Abnei⸗
gung fuͤhlen zu laſſen. Die mittelſte ward dafuͤr
ihr Liebling, weil ſie, ohngeachtet ihr Herz in Va⸗
terliebe nie erkaltete, ſich doch eher, als die andern,
„arri 9¹
:
von ihr brauchen ließ, etwas für ſie zu beſorgen,
was ich nicht wiſſen durfte, oder zu erforſchen, was
ſie gerne wiſſen N ö 20 547
5 g „0 ra,
Das Hauskreuz mühe e nun mit jedem Jahte
mehr uͤberhand, und es gedieh endlich dahin, was
aller Orten der Erfolg geweſen war, daß auch in
Halle überall es bekant wurde, wie ſehr meine Frau
mit mir unzufrieden ſey, und daß meine Feinde um
ſo mehr Gelegenheit fanden, ihre Angriffe auf
meinen Charakter, durch Berufungen auf die Kla⸗
gen meiner Gattin, zu beglaubigen. NETT u
Einſtweilen wagte es mein Beichtvater, der
Paſtor Senf, mir einen Vorhalt zu thun und es
tadelhaft zu finden, daß ich mit dem. .... Hauſe
mich ſo genau verbunden haͤtte, indem meine theo⸗
logiſche Reputation darunter litte, weil von.
nicht gut geſprochen wuͤrde. Das Reſultat meinen
Antwort war dieſes: | J a:
„Ich danke Ihnen, mein Freund, für Ihre
„wolgemeinte Erinnerungen. Sie haben recht,
„wenn Sie behaupten, daß des Mannes Reputation a
„oft von feiner Geſelſchaft abhängt. Aber ich kan
„dennoch meinen Freund dieſer Ruͤkſicht nicht auf⸗
„opfern. Ich muß erſtlich erwägen, daß fie die er⸗
y ſten Menſchen in Halle waren, welche in meiner
„traurigſten Lage, wo alles vor mir floh, mich
„aufnahmen, und mein elendes Leben durch frohe
„Stunden verſuͤßten. Ich muß Ihnen dabei fer:
„ner ſagen, daß ich ſie beide für rechtſchaffene Maͤn⸗
„ner halte, was auch die halliſche Mediſanſe von
„ihnen ſagen mag. Ich habe den , von
„welchem man, wie Sie ſagen, nachtheilig ſpricht,
„ehr ſorgfaͤltig beobachtet und bin durch folgende
„Stuͤkke von ſeinem moraliſchen Werthe uͤberzeugt
„worden. Er iſt erſtlich ein arbeitſamer Mann.
„Er lebt in feinem Haufe fo regelmäßig als ich ſelbſt
„lebe. Es herrſcht Ordnung, Sparſamkeit und
„Reinlichkeit. Er iſt ein vortreflicher Erzieher ſei⸗
„ner Kinder. Er unterrichtet fie ſelbſt täglich meh:
„rere Stunden. Er iſt maͤſſig und nuͤchtern. Er
„lebt mit feiner Gattin in dem ſchoͤnſten Verneh⸗
„men. — Ein ſolcher Mann kan kein ſchlechter
„Menſch ſeyn, was auch die Welt fuͤr Anekdoten
„von ihm aufzuweiſen haben mag, welche entwe⸗
„der in feine frühere Geſchichte gehören oder, wie
94 W Ri
„gewoͤhnlich, Thatſachen enthalten, von welchen
„man, wenn man den wahren Zuſammenhang der
„Umſtaͤnde wüßte, ganz anders urtheifen wuͤrde, als
„das Publikum urtheilt, welches nichts als die
„Oberflache der menſchlichen Handlungen zu ſehen
„oder vielmehr nur zu hören bekomt. Ich kan
„mich alſo unmöglich entſchließen, Freunde aufzus
„geben, die ſich meiner Freundſchaft noch nie uns
„werth gemacht haben und die mir ſo viel Gutes
„erzeigen. Ich ſezze mich vielmehr in ihren Fall,
„und uͤberlege, wie mir es gefallen wuͤrde, wenn
„ein Menſch, den ich liebe, um des Publikums wil⸗
„len, weil daſſelbe mich verſchreit und verkezzert,
„aufgeben und meine Freundſchaft ſeinem Wun⸗
„ſche, vor der Welt verdachtlos zu erſcheinen, auf⸗
„opfern wolte. So ſehr mich das ſchmerzen wuͤr⸗
„de und fo gern ich es ſehen müßte, wenn mein
„Freund, dem Geſchwaͤzze der Leute zum Troz
„ſtandhaft bliebe und mich feines Umgangs wuͤr⸗
„digte, fo unmoͤglich muß es gegenſeitig meinem
„Herzen werden, dem Narrendinge von Publi⸗
„kumsgeſchwaͤz eine Freundſchaft preis zu geben,
„welche bereits ſo feſt und innig geworden iſt. ,
Deer Herr Paſtor zog ſich zuruͤk. — Ob mein
liebes Weib ihn zu dieſer vergeblichen Bemuͤhung
verleitet hatte, laß ich unentſchieden. Wolte Gott,
es waͤre dies der einzige Beichtvater geweſen, dem
ſie dieſes Unliegen offenbaret hätte!
Achtes Kapitel.
Scheiftſtellerei, und akademiſche Vorleſungen.
—
1 las, auſſer meiner Rhetorik, noch ein be
braͤiſches Grammatikale über mein eignes Lehrbuch,
und merkte bald, daß ich in beiden Vorleſungen
das Monopol hatte. Dies bewog mich, bei die—
ſen beiden Vorleſungen zu bleiben und mir daher
auch fuͤr die erſtere ein eignes Lehrbuch zu veran⸗
ſtalten. Meine in Gießen herausgegebene Homi—
letik war mir zu unvolkommen. Die Theorie der
Deklamation fehlte ganz, ſo wie ich uͤberhaupt
wohl der erſte bin, der eine Theorie dieſer Kunſt ge:
wagt hat. Die Lehre von der Erfindung war nicht
befriedigend. Ueberdem wuͤnſchte ich auch, neben
\
S
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96
der Form, meinen Schuͤlern die Materie wo nicht
mitzutheilen, doch die Ueberſicht derſelben ihnen zu
erleichtern und fie auf die Achten Gegenſtaͤnde der
Kanzelberedſamkeit aufmerkſam zu machen, damit
ſie von Hamburger Dogmatik und Amſterdammer
Polemik abgefuͤhret wuͤrden und das predigen lern⸗
zen, wobei eigentlich nur die Kunſt des Nedners
anwendbar iſt.
So entſtand mein Verſuch über die Bered⸗
ſamkeit, welcher auſſer einer (noch alzuflach) ſki⸗
zirten geiſtlichen Rhetorik ein konzentrirtes Syſtem
der moraliſchen Religion enthielt. Ich ließ ihn auf
eigne Koſten drukken. Eine neue Auflage hat her⸗
nach die Deſſauer Verlagskaſſe zur Welt gebracht.
Ich hofte, mit meinen zwei Kollegiis etwas zu
verdienen: aber das eine wurde mir ganz zerſtoͤrt,
und das andere in Abſicht der Zahlungen verkuͤm⸗
mert. Von wem? das will ich fernerhin ganz
auf der Seite liegen laſſen.
Man — hatte geſehen, daß meine hebraͤiſche
Grammatik beliebt und fleißig beſucht worden war.
War
A
*
A *
War es nun, daß man es dem lieben Gott veruͤ⸗
belte, daß er mich noch immer nicht hatte verhun⸗
gern laſſen, oder fuͤrchtete man auch dieſe Vorle⸗
ſungen fuͤr die Ehre der Univerfität oder die reine
Lehre der Augsſpurgiſchen Konfeſſion bedenklich:
f genug, man rieth einem M. Güthe, ſich die—
ſes Faches anzunehmen und hebr. grammatikaliſche
Vorleſungen anzufangen, die vorher weder er, noch
ein anderer gehalten hatte. Wo ich nicht irre, ſo
las er ſie das erſtemal gar umſonſt. Kurz, der
Applauſus mußte natuͤrlich, durch mancherlei Re⸗
kommendationen, welche die neuen Ankoͤmlinge an
M. Guͤthe erhielten, ſich theilen, und ſo war auch
dieſer Biſſen Brod mir vereitelt.
Die Rhetorik und Deklamation behielt ich.
Denn es war kein Theolog im Stande, zu deklami—
ren und eine Predigt zu halten. Und ohne daß
man ſelbſt Muſter iſt, laͤßt ſich ſo ein Kollegium
nicht leſen. Auch war, wenn ja einer ſich als Mu⸗
ſter zeigen wolte, wie hernach Herr Triemeier that,
der Unterſchied ſo auffallend, daß der Student den
vermeinten Deklamator vom wahren alzuleicht ab⸗
ſondern und ſonach durch keine Rekommendation
IV. B. G
m
98 RT
abwendig gemacht werden konte. Aber man wußte
mir auf einer andern Seite zu ſck ſchaden, daß. mein
Monopol mir doch nicht viel eintragen durfte.
Ich hatte, nachdem meine Rhetorik zweimal
war abfolvirt worden, ſchon nahe an 300 Thaler
Reſtantenſchulden. Dieſe Reſtanten übergab ich,
nach damaliger Gewohnheit, dem Prorektor. Er
ließ meine Liſte liegen. Ich erinnerte ihn, und
ſollicitirte, daß die Studenten, die mir ſchuldig
waren, citirt werden moͤchten. Man verſprachs
und thats nicht. Ich erinnerte wieder: da hieß es
endlich, meine Reſtanten koͤnten nicht citirt wer⸗
den, bevor ich nicht zu jedem Namen das Rogis
ſezte. N
Ich durfte nicht fragen: Herr, warum haben
ſie denn das nicht gleich geſagt? Warum haben
Sie mich ein Vierteljahr laufen und bitten laſſen?
Warum haben Sie mir verſprochen, die Schuldner
vorzuladen und ſagen mir jezt erſt, daß meine Liſte
mangelhaft ſey? Eben fo wenig durfte ich fragen:
warum denn der Herr Prorektor dem armen D.
Bahrdt allein zumuthe, daß er die Anzeige der
Wohnungen ſeiner Schuldner beifuͤge, da man
99
doch von keinem andern Docenten das bisher gefo⸗
dert hatte, und da natürlich die Pedelle alle Woh⸗
nungen der Studenten von ſeldſt wiſſen ſolten? Ich
mußte dem Rechte des Staͤrkern weichen und ſchwei⸗
gen. Alſo machte ich mich an die Brieftraͤger und
ſamlete mit Mühe und Koſten das Verzeichniß der
Quartiere aller meiner Schuldner. Ich uͤbergabs,
hofte nun auf Huͤlfe zur Zahlung und — erhielt
nichts.
Meine Reſtanten blieben bis ins folgende Pros
rektorat. Ich bat den neuen Prorektor, mit Ein⸗
reichung neuer Liſten, um Verhelfung zu meinem
Gelde. Er verſprachs und thats nicht. Ich ſolli⸗
citirte. Endlich hieß es, mein Zeddel waͤre unter
dem vorigen Prorektorat (es war das Riedsfyſche)
verloren gegangen: ich muͤßte die Namen und
GAuartiere von neuem aufſchreiben und einreichen.
Man denke ſich dieſe Arbeit Ich mußte mich ihr
unterziehen und — doch erhielt ich auch unter die—
ſem Prorektorat von allen meinen Geldern nicht
mehr als 27 Thaler. Viele Studenten waren in
deſſen ſchon von Halle abgegangen. Viele leugne⸗
ten die Schuld. Viele wurden gar nicht eitirt.
G 2
—
do —
Ich wandte mich nun an den Kurator und er⸗
zahlte ihm, wie man mich quäfte und ſchlug her⸗
nach, da ich Gelegenheit hatte, Sr. Excellenz in
Berlin ſelbſt zu ſprechen, vor, daß man die Vor⸗
ausbezahlung einführen moͤchte. Der Miniſter
fand meine Gruͤnde wahr und gab den Befehl.
Aber auch damit gewann ich nichts. Viele Profeſ⸗ |
Foren hielten die neue Einrichtung ihrem Vortheile
nicht gemaͤß. Es fehlte an Exekution und — doch
die Sache gehoͤrt nun weiter nicht zu meiner Ge⸗
ſchichte. Die Leſer ſehen nun ſchon zur Genuͤge,
was ſie in Abſicht auf mein Schikſal ſehen ſolten. |
Einer von meinen redlichſten Freunden unter
den Profeſſoren (ein Mann von dem vortreflichſten
Herzen, der nie an Kabalen Theil nahm) rieth mir,
um meines großen Applauſus willen, mehrere Kol⸗
legia zu leſen und mich in das Gebiet der Philoſo⸗
phie hinüber zu wagen. Er benahm mir alle mei⸗
ne Bedenklich keiten und auch die wegen Herrn Eber⸗
hards. Ich folgte ihm, und fing an, über Logik
und Metaphyſik Vorleſungen zu halten.
Ich fiel auf Erneſti's Initia, weil ich glaubte,
den guten Zwek beiläufig erreichen zu koͤnnen, daß
—
— — 101
meine Zuhoͤrer, neben der theoretiſchen Philoſophie,
zugleich den aͤchten roͤmiſchen Ausdruk mitlernen
möchten. Und dieſer Zwek ſchien mir um deſto noͤ⸗
thiger, da es ohnehin unſern meiſten Studenten an
Latinitaͤt fehlt. Daher entſchloß ich mich, dieſes
freilich hoͤchſt magere philoſophiſche Lehrbuch ums.
zuarbeiten, und beſonders die fehlenden Materien
zu erſezzen, übrigens aber den aͤcht roͤmiſchen Aus⸗
druk des Autors moͤglichſt beizubehalten. So ent⸗
ſtunden zwei kleine Lehrbuͤcher: Inſtitutiones logi-
cae und Inſtitutiones metaphyſicae, welche ich auf
eigne Koſten edirte.
Ich bekam zu dieſen Vorleſungen eine große
Menge Zuhoͤrer, aber meine Unfaͤhigkeit, denen,
die um Erlaſſung des Honorars baten, es abzu⸗
ſchlagen und die Schwierigkeiten, die ich fand, von
den zahlbaren Auditoren das Geld einzutreiben,
verurfachte beſtaͤndig, daß ich durch keinen anſehn⸗
lichen TEEN inne wurde. f
Von Berlin Eng erhielt ich viele Zuredungen
zu ing meiner humaniſtiſchen Kentniſſe. Ich
befolgte auch dieſen Rath und ſchlug Vorleſungen
G 3
über den Tacitus an. Und da ich meinen Zuhd⸗
rern den Geiſt des Schriftſtellers nicht ſichtbar ma⸗
chen zu koͤnnen glaubte, wenn ich blos paraphra⸗
ſirte und erklärte, und nicht zugleich eine eigentfie!
che Ueber ſezzung mittheilte; fo fing ich an, mich im
Ueberſezzen zu üben und beſtrebte mich, meinen
Schriftſteller, im deutſchen Gewande, moͤglichſt
treffend darzuſtellen. Das war die Veranlaſſung
zu meinem deutſchen Tacitus. Ich gab erſt ein
Probeſtuͤk heraus, und da das Beifall fand, ließ
ich den ganzen Tacitus folgen. |
Nie hab ich eine Arbeit mit fo viel Enthuſias⸗
mus gethan wie dieſe. Ich wuͤnſchte mir, ein paar
Decennien hindurch in dieſem Fache weilen zu koͤn⸗
nen. Ich beſchloß mit dem Verleger, alle roͤmi⸗
ſchen und griechiſchen Klaſſiker in ſolchen Ueberſez⸗
zungen herauszugeben. Aber mein Vergnügen
wurde mit verbittert. Die Serrmanniſche Buch⸗
handlung in Frankfurt mochte zu eben der Zeit
den Einfall gehabt haben, dergleichen Ueberſezzun⸗
gen zu liefern. Ihre Avertiſſements kamen wenig |
Wochen nach den Meinigen in Halle an und — er⸗
ſchrekten meinen lieben Gebauer fo ſehr, (zumal
[a nee 103
da ſie zugleich mir und ihm den Krieg ankündigten)
a er den . verlor, mee
Meine gust war nicht Be So ſehr
auch un Bergſtraͤſſer und Konſorten meinen Ta⸗
eitus ſchulmeiſterten, jo gabs doch Maͤnner genug,
welche meinen Tacnus bei allen (in lauter Kleinig⸗
keiten enthaltenen) Fehlern, in Abſicht auf Rich⸗
tigkeit und wahre Darſtellung des Geiſtes des
Originals für die zur Zeit befte Arbeit erkanten.
Ich ließ mir daher einfallen, da ich im folgenden
Winter uͤber den Juvenal las, dieſen Dichter zu
uͤberſezzen und auf eigne Koſten herauszugeben.
Die Arbeit gerieth, aber der Druk war ſo ſcheus—
lich und fehlerhaft ausgefallen, daß die Leſer auf
allen Seiten Sinn und Verſtand vermiſſen mußten.
Um dieſe Zeit war es, da der Mag. Reich in
Deſſau, ein Mann von vielem Genie und redlichem
und feſtem Charakter, aber auch dabei ein unbieg⸗
ſamer Starrkopf, das beruͤhmte Projekt zu einer
Gelehrten ⸗ Buchhandlung entwarf. Er kam zu
allererſt nach Halle und theilte mir und Herrn Ttapp⸗
ſein Vorhaben mit. Wir machten ihm allerlei Ein⸗
G 4
10 — 0 20 2 5
wuͤrfe: aber er erklärte ſie fuͤr Zeichen der Muth⸗
loſigkeit und Mangel des Patriotismus. Trapp
blieb bei ſeinem Unglauben. Ich aber, durch Ehr⸗
geiz und Ausſichten zu Gewinn bewegbarer, ließ
mich von ihm einnehmen. Der Gedanke, daß es
Seelengroͤße ſey, die Bahn mit eigner Gefahr zu
brechen und die Republik der deutſchen Gelehrten
vom Joche der Verlegerſchaft zu befreien, ſchmei⸗
chelte mir. Und die Hofnung, mit der Zeit, drei⸗
fachen Lohn meines Fleißes zu erndten, verblendete
mich, daß ich die Moͤglichkeiten eines Bankeruts
nicht ſah und ihre ſo nahe liegenden Gruͤnde nicht
empfand. Ich verſprach Herr Reichen alle —
meine Schriften. ö
Die Sache begann. Ich brachte meine Lo⸗
gik, meine Methaphyſik, meinen Verſuch uͤber
die Beredſamkeit, und hernach auch meine Ge⸗
dichte und meine Briefe uͤber die Bibel nebſt dem N
Juvenal zu Markte und — ward betrogen. Fü
meinen Juvenal konte ich 100 Thaler Luisd'or ha⸗
ben, welche ein Verliner Buchhaͤndler mir geboten
hatte. Dafür wendete ich noch 120 Thaler auf
Papier und Druk und nahm ohngefaͤhr 50 Thaler
ein. Und ſo ging mirs mit allen meinen Schriften.
Ich ſtekte Geld hinein, machte Schulden, und —
am Ende, da die gelehrte Buchhandlung zu Grabe
getragen wurde, hatte ich fuͤr meinen Patriotis⸗
mus nichts, als daß ich 13 bis 14 Ballen Mafus
latur zuruͤkgeſchikt bekam, nachdem ich alles in als
lem, noch keine 200 Thaler von der gelehrten Buch⸗
handlung bezogen hatte. Ich darf meinen Verluſt
ganz keklich 400 Thaler anſchlagen, das lucrum
eefläns ungerechnet. f
Einen kleinen vorläufigen Erſaz dieſes Ver⸗
luſts gab mir »der wuͤrdigſte Staatsminiſter von
Muͤnchhauſen. Dieſer brachte feinen Sohn von
Goͤttingen nach Halle, und ließ mich des Abends
ſpaͤt zu ſich auf den Kronprinz einladen. „Ich
„war willens, fagte er, meinen Sohn nach Gene—
„be zu bringen, da aber ſchlimme Witterung ein⸗
„gefallen iſt; ſo habe mich entſchloſſen, ihn vor der
„Hand hier zu laſſen. Sein Lieblingsſtudium ſind
„die Alten. Wolten Sie ſich wohl entſchlieſſen,
„ ihn in dieſem Fache ein halbes Jahr zu unterhal⸗
„ten und feine Kentniſſe zu bereichern? „ Dieſer
Antrag war mir um ſo ſchmeichelhafter, da ich der
G 5
106 ——
einzige Docent in Halle war, den der Miniſtesn
ſprach und dem er ſeinen Sohn in die Lehre gab.
Ich nahm feinen Befehl mit Ehrerbietigkeit an und
erhielt den andern Morgen in aller Fruͤhe, wo der
Miniſter wieder nach Berlin abreißte, 20 vuisd or
mit einem überaus gnaͤdigen Handſchreiben, in wels
chem er mich bat, ſeinen Sohn mit Wohnung,
Tiſch u. ſ. w. zu verſorgen und mich feinem Unter⸗
richte zu widmen. — Der große Mann mußte
alſo wohl jene theologiſchen Berichte nicht geleſen
oder — nicht geglaubt haben. — Roch vor Ab⸗ a
fluß des halben Jahres ſchikte er mir von Berlin
noch 20 Lulsd'or und dankte mir für meine Bemuͤ⸗
hungen. Das war wirklich uͤbergroße und unver⸗
diente Belohnung. Denn ich war nie ein ſo vol⸗
fomner Humaniſt, daß ich hätte im Stande ſeyn
koͤnnen, dem jungen Herrn von Muͤnchhauſen wel⸗
cher ſchon ſelbſt die ausgebreitetſten Kentniſſe mit⸗
brachte, Kentn ſſe mitzutheiten, welche mit dieſer
Verguͤtung ſich hätten ausgleichen laſſen.
Weit mehr wirkſamen Fleiß, Mühe und zum
Theil auch Sorgen konte ich an den Sohn des
Herrn Geheimden Raths von Lamprecht wenden,
te
P 1 07
welchen mir diefer wuͤrdigſte Mann am Ende des
Jahres 1779 anvertraute und dem ich ols Freund
und eiter feines akademiſchen Lebens mich gewid⸗
met habe, bis er ſich, zum koͤniglichen Kriegstath
und Profeſſor der Finanzwiſſenſchaften in Halle,
empor geſchwungen hatte. RL |
Neuntes Kapitel,
Vollendete Aufklaͤrung und neue ſchriftſtelleriſche Laufbahn.
—— 2 Ü-wbrvd;:—— — —
D. ich nach Halle kam, war von alter Dogma⸗
tik in meiner Seele nichts mehr uͤbrig, als — noch
eine dunkle Vorſtellung von der Soͤttlichkeit der
heil. Schrift. Die poſitiven Lehrſaͤzze des Sys
ſtems hatte meine Vernunft ſaͤmtlich aus mir vers
trieben, wie einen unreinen Geiſt. Daran allein
hieng ich noch, daß — beſonders die Lehre Jeſu
von einer uͤberngtuͤrlichen Offenbarung abſtam⸗
men muͤſſe.
Zwar dachte ich mir dabei nichts beſtimtes
von Erſcheinungen, Geſichten und dergleichen Din⸗
108 — —
gen. Aber es war mir doch, als wenn ich das
Chriſtenthum nicht aus einer natuͤrlichen Quelle
herleiten und einer gewoͤhnlichen Konkurrenz den
Vorſehung es zuſchreiben koͤnte. Ich ließ die Art
und Weiſe gleichſam unentſchieden. Die Sache
ſelbſt aber, daß ſich Gott fuͤr das Chriſtenthum,
und deſſen Bekantmachung und Einfuͤhrung auf N
‚eine ungewöhnliche und gewiſſermaſſ en unmittelba⸗
re Art verwendet haben muͤſſe, ſchien mir noch un⸗
leugbar zu ſeyn.
Man wundere fh darüber nicht. Es ſcheint |
freilich ſonderbar, wie ein Mann, der alle Geheim⸗
niſſe ſchon verworfen und in ſeiner theoretiſchen
Religion nichts uͤbrig behalten hatte, als die ver⸗
nunftmäßigen Lehrſaͤzze von Gott, Vorſehung und,
Unſterblichkeit der Seele, noch an einer unmittel⸗
baren Offenbarung haften konte. Aber wenn man
erwaͤgt, daß ich in meiner Jugend ſo ſehr Schwaͤr⸗
mer geweſen war, daß alſo die alzutiefen Eindruͤk⸗
ke des fruͤhern Glaubens, nur ſehr langſam und
nach und nach von der Wirkſamkeit der Vernunft
vertilgt werden konten, und — daß ich inſonderheit
in der Hiſtorie der Religion noch ganz zuruͤk war
2 s
nn 209
und vornemlich uͤber bibliſche Geſchichte noch gar
nicht philoſophiſch nachgedacht hatte; ſo wird man
dieſen merkwuͤrdigen Glaubensreſt Pe noch fo
ziemlich begreiflich finden.
Selbſt der anfaͤngliche genaue Umgang mit
Baſedowen hatte dieſen Reſt unterhalten. Denn es
iſt bekant, daß dieſer Mann, bei ſeinem ewigen
Streben nach Originalität, auf den Einfall gera⸗
then war, ſich von der orthodoxen und heterodoren
Parthei dadurch in gleicher Entfernung zu halten,
daß er die poſitiven Wahrheiten der chriſtlichen Dog⸗
matiken ſaͤmtlich verwarf, und die bloße natürliche
Religion gelten ließ: dagegen aber auch, den Hete⸗
todoren zum Troz behauptete, daß die natürliche
Religion ohne Offenbarung keine Gewißheit habe,
und daß man folglich einen unmittelbar goͤttlichen
Urſprung des Chriſtenthums annehmen muͤſſe, wenn
uͤberhaupt der Glaube an Religion beſtehen ſolle.
So ſuchte er, zwiſchen den Palaͤologen und Weo⸗
logen durch, ſeine eigne Bahn zu wandeln, indem
er jenen ihre Dogmatik und dieſen ihre Vernunft
laͤhmte und den neumodiſchen Glauben an eine geof⸗
fenbarte natuͤrliche Religion einzuführen ſuchte.
1 ro \ re ů —
Da ich alſo täglich Baſedowen fiber ſeine ee
genen Einfaͤlle peroriren hoͤrte; ſo derurſachte es
mein alter Glaube ganz naturlich, daß mir fein Eins
fall behagte, theils weil er meinen Glauben an Of⸗ >
fenbacung durch Scheingruͤnde beguͤnſtigte, theils
weil er mich reizte, auf ſolche Art ein Stuͤrmer
der Dogmatik mit Reputation zu ſeyn. Denn
der Gedanke war neu und zugleich bei dem Vereh⸗
rer der Offenbarung einſchmeichelnd. Und wenn
ſich einmal das Herz für eine Theorie intereſſirt; fo
wird der Verſtand nur alzuleicht gehindert, ſie mit
Unbefangenheit zu pruͤfen. Daher fiel mir es da⸗
mals nicht ein, daß ja die natuͤrliche Religion erſt
Gewißheit haben muß, ehe ein Glaube an Offenba⸗
rung möglich iſt — daß ich ja erſt vom Daſeyn ei⸗
nes Gottes feſt uͤberzeugt ſeyn muß, ehe ich mich
von der Exiſtenz einer Offenbarung dieſes Gottes
uͤberzeugen kan u. ſ. w. Dieſe und alle andere Ber
trachtungen ſtiegen in meiner Seele gar nicht auf,
weil die Empfindung des Wohlgefallens an der Ba
ſedowſchen Grille alles Mistrauen verbannte und
den Geiſt der Pruͤfung einſchlaͤferte.
In dieſem lezten Schlafe meines geiſtigen des
bens hat Hr. Semler zuerſt nich gewekt und Eber⸗
hard vollends munter gemacht.
PR Ich las jezt erſt (ich bekenne meine Schande)
Semlers Schriften uͤber den Kanon und — ward
erſchuͤttert. Darauf bekam ich ſeine Widerlegung
des Ungenanten in die Haͤnde, (in welcher er die
Evangelien ſo aͤuſſerſt zweifelhaft macht, und von
ihrer Entſtehung und Verfälſchung fo viel bedenkli⸗
ches ſagt, — die Auferſtehungsgeſchichte ſo unkoͤr⸗
perlich macht und — das Pfingſtfeſt ſo naturlich er⸗
klaͤrt) und das gab mir den lezten Stoß, daß ich
wie aus einem tiefen Schlafe erwachte und mich an⸗
fieng zu beſinnen, wo ich war.
Dieſes Erwachen beſtand indeſſen in weiter
nichts, als in einem Wanken meines Glaubens.
Ich fühlte das Erdbeben, aber mein Glaubens
haͤuschen ſtuͤrzte noch nicht. Denn ich erfante doch
nur die Unzuverlaͤſſigkeit der heiligen Bucher ſelbſt:
aber der goͤttliche Urſprung ihres Inhalts ließ ſich
noch immer, bei jenen hiſtoriſchen Bedenklichkeiten
behaupten. Und in meinem Kopfe ſtuͤzte ſich der:
1
N
112 FE
ſelbe vornemlich auf den Gedanken, daß Chriſtus
doch unmöglich ein fo volkomnes echrgebdube Ber
erfunden haben Fönnte, s
Dieſe lezte Stuͤzze zerbrach Eberhard. Ich
gerieth mehrmal mit dieſem großen Philoſophen
(wenn ich ihn beſuchte) in ſpekulative Geſpraͤche
und unter andern kam einmal die Rede auf den
Vater Sokrates, von welchem Hr. Eberhard mit
einem ſo auſſerordentlichen Enthuſiasmus ſprach,
daß mirs eine Art von Ehrgeiz ward, mich gegen
die alzugroßen Lobſpruͤche dieſes Mannes aufzuleh⸗
nen. Bei dieſer Gelegenheit behauptete ich, daß
denn doch des Sokrates moraliſche Weisheit mit
dem Lehrgebäude des Chriſtenthums nicht zu vers
gleichen ſey. Und Hr. Eberhard uͤberfuͤhrte mich,
daß Chriſtus keinen weſentlichen Lehrſaz vorgetra⸗
gen habe, den Sokrates nicht ebenfals gelehrt
haͤtte. | |
Ich gab ihm in Diſputiren gar nicht nach —
und man muß auch das der Billigkeit gemaͤß nicht
verlangen. Aber da ich nach Hauſe kam, fuͤhlte
ich die Buͤndigkeit ſeiner Behauptungen und ſahe
mich
—
113
mich beſiegt. Und nun ſchwand meine Hauptbe⸗
denklichkeit, die mich bisher vom Unglauben zuruͤk⸗
gehalten hatte: daß nämlich Chriſtus Dinge gelehrt
haͤtte, die er, ohne Offenbarung, nicht wiſſen kon⸗
te. Ich ſahe die klare Moͤglichkeit, daß Chriſtus
fein herrliches Lehrgebaͤude aus den Schriften der
griechiſchen Weiſen, (die ihm die Vorſehung durch
den Umgang mit griechiſchen Juden in die Haͤnde
gebracht haben konte) erlernt und zuſammen geſezt
haben konte.
*
Jezt gerieth meine Seele in ihre lezte Fermen⸗
tation. Die Eindruͤkke der Erziehung empoͤrten
ſich noch — aber kraftlos. Die Vernunft kaͤmpfte
mit Macht empor. Sie beſtuͤrmte mich mit Sem⸗
lers Thatſachen und Eberhards Moͤglichkeiten.
Nun fehlte es nur noch an einer Empfindung (man
ſehe den Schluß des 21ſten Kapitels im III. B. nach)
welche dem Verſtande auf die Beine helfen mußte,
daß er mit dem lezten Buͤndel des Wahnglaubens
davon laufen und ihn ins Meer der Vergeſſenheit
werfen konte.
Die Empfindung kam. Ich weis nicht mehr,
bei welcher Gelegenheit ich gegen Trapp etwas aus
IV. B. 9
dem Grunde behauptete, weil es der goͤttlichen Of⸗
fenbarung entgegen zu ſeyn ſchiene. Genug, Trapp,
gegen den ich jezt von ohngefaͤhr die erſte Neuſſe⸗
rung von Offenbarung thun mochte, von welcher
er in meinem hellen Kopfe keine Spur mehr zu fin⸗
den erwartet hatte, ſchlag hier eine fo herzliche La⸗
che auf, und fragte in ſo biederm und gutmuͤthigem
Tone: „Ei, ei, der vernunftvolle Vahrdtius glaubt
„an Offenbarung? — O Büttner! Hören Sie
„doch (dieſer war im Geſpraͤch mit andern) der
„Bahrdtius iſt noch ein Glaͤubiger !,
Jezt ſchlug die Sterbegioffe meines Glau⸗
bens. — Ich ſchaͤmte mich, ohne mirs merken
zu laſſen. Ich ſtellte mich, als ob ich nur zum
Scherz den Einwand gemacht haͤtte. Ich nahm
die Empfindung der Scham mit nach Hauſe. 98
Und nun wars auf einmal in meiner Seele helle. g
Run drängten fi) auf einmal alle hiſtoriſchen und,
philoſophiſchen Gruͤnde in mir zuſammen; und ich
fand es ſelbſt unbegreiflich, wie ich das Veaönſeg
ſte Lehrgebaͤude hatte einſehen und eine foiche Er⸗
kentnißquelle dabei annehmen koͤnnꝶeen. nn
*
> Akt
u —
Ein ganz eignes Gefühl war mit dieſer lezten
Entfeſſelung verbunden, das ich gar nicht zu be⸗
ſchreiben vermag. dan denke ſich einen Men
ſchen, dem lang getragene Ketten endlich abgenom⸗
men werden. Man denke ſich einen Arbeiter, der
ein ſchweres und wichtiges Stuͤk erarbeitet und vol⸗
lendet hat und nun beſchaut. Man denke ſich ei⸗
nen Mann in adlicher Bedienung, der noch kein
Edelmann war, der eben darum von ſeinen Kolle⸗
gen bisher veraͤchtlich angeſehen wurde, und der
nun auf einmal in den Adelſtand erhoben wird!
Eine ſolche Miſchung von Freude, Ruhe und Stolz
war es, die jezt mich durchgluͤhte und — fire mei⸗
ne Blikke eine ganz neue Laufbahn eroͤfnete, von
der ich freudig gewiß bin, daß ſie die Vorſehung
durch meine vorher gegangenen Schikſale erzielt
hatte, und daß ich gerade nur auf dieſem Wege
und durch dieſe e * 5 er rg
Die Mynliuſſiſche Buchhandlung in Berlin ent⸗
ſchloß ſich, um dieſe Zeit eine dritte Ausgabe meiner
Uebetſezzung des R. Teſtaments zu veranſtalten,
welche unter dem Titel det neueſten Offenbarungen
H 2
Zu *
416 — —
Gottes bereits ſo viel Aufſehn erregt, und meiner
Verbannung aus dem Reiche zum Vorwande ge⸗
dient hatte. Ich arbeitete das Werk von neuem
aus, und verſahe es mit den noͤthigſten Erlaͤute⸗
rungen fuͤr Ungelehrte. Es wurde dabei der ſchik⸗
lichere Titel gewählt: das neue Teſtament, oder
die neueſten Belehrungen Goꝛtes durch Jeſum
und feine Apoſtel? mit Anmerkungen für Uns
gelehrte. |
Die obengedachte lezte Entfeſſelung meines
Geiſtes hatte mich veranlaßt, die Zeit meines Au⸗
fenthalts in Halle als eine ganz neue Epoche mei⸗
nes Geiſtes zu betrachten. Ich ſahe die vorherge⸗
gangenen Jahre als die Zeit des Wachsthums,
dieſe aber als die Zeit der Reife an. Ich urtheilte,
daß bei dem vielen Guten und Brauchbaren, was
meine ehemaligen Schriften enthielten, dennoch ei⸗
ne Menge ſchiefer Gedanken mit untergelaufen ſeyn
mußten, welche mein Glaube an einen uͤbernatuͤr⸗
lichen Urſprung des Chriſtenthums erzeugt“ hatte.
Und ich betrachtete ſo nach, meine neuen Schriften,
welche nach meinem hoͤchſt undolkomnen Glau⸗
1
bensbekentniſſe gefolgt waren, und noch folgen fol
ten, als die reifern Fruͤchte meines Geiſtes, welche,
durch keine Zumiſchung von Wahnglauben, den
Gaumen an reine Vernunftkoſt gewoͤhnter Leſer
mehr beleidigen konten. amd
Dies war die Urſache, warum ich in der Vor⸗
rede zu der gedachten dritten Ausgabe meiner Ue⸗
berſezzung des N. Teſtaments alle meine vorigen
Schriften bis auf mein Glaubensbekentniß (dies
mit eingeſchloſſen) verwarf, und vor dem Publiko
feierlich erklaͤrte, daß ich nur die auf jenes Glau⸗
bensbekentniß erfolgten und erfolgenden Schriften
fuͤr meine aͤchten Schriften erkente, welche meine
wahren und gereiftern Ueberzeugungen darſtelten. i
Dieſe Vorrede hatte man kaum geleſen, fe
gings auch ſchon wie ein Lauffeuer von Koffetiſch
zu Koffetiſch: Bahrdt hat alles wiederrufen! —
Selbſt Gelehrte ſchuͤttelten die Koͤpfe und hielten
im Ernſt dieſe Vorrede fir einen Wiederruf. —
Man ſolte meinen, es müßte kein Menſch das Buch
ſelbſt geleſen haben. Denn da wuͤrde mans doch
gleich in den Anmerkungen und beſonders im an⸗
gehaͤngten Woͤrter buche gefunden haben, daß ich
N Y 3
118 — . — 5 Bine \
jezt ein viel ärgerer Ketzer war, als jemals. Aber
ſo iſt unſer liebes Publikum! Wenn ein einziger
Maulaffe den Ton angiebt; ſo fährt jedes Auge
ſchlaff uͤber den Gegenſtand hin, glaubt eben das zu
ſehn und ſprichts dem Maulaffen nach. Und ſo
werden oft Privaturtheile zu Uetheiten des Publi⸗
kums, deren ſich die OPEN Schiloduͤrger ſchaͤ⸗
men würden,
Aiber meine vollendete Aufklärung hatte noch
eine wichtigere Folge, als dieſen vermeinten Wieder⸗
ruf. Ich ließ von Stund an Sprachſtudium mit
Römern und Griechen und die ganze fürs Verhun⸗
gern eingerichtete Ueberſezzungsfabrik liegen und
wandte mich auf die Bahn des philofopbifch = mo=
raliſchen Schriftſtellers, auf welcher ich bisher
gewandelt habe und bis an mein Ende allem Anſe⸗
hen nach wandeln werde.
Denn es dürfte ſchwerlich ein Fuͤrſt oder ein
Miniſter ſich nun noch uͤber wein Talent erbarmen
und mich fuͤr die Verdeutſchung der Meiſterwerke
Latiums und Griechenlands bepenſioniren. Und
ohne dieſe Unterſtuͤzzung werde ich gewiß nie zu ei⸗
— — 119
ner Arbeit zuruͤkkehren, (ſo biel Reize fie auch Für
mich hat) bei welcher unſer jezziges Publikum den
beſten Schriftſteller verhungern laͤßt: ſintemal es
einmal von dem Mauloffentone angefteft iſt, welcher
es zur Futterung der Recenſenten, der Schreiber der
Romane, der Monats ſchriften u. ſ. w. vereiniget hat.
—äͤ— — M2ũD —————— k ̃᷑ ——
—
Zehntes Kapitel.
eue Laufbahn. Briefe uͤber die Bibel.
— tyra
e mir immer unwiderſtehlicher Trieb, mei⸗
ne Wahrheit, wie mein Brod, mitzutheilen und ſie
durch Mittheilung mir ſelbſt ſchmakhafter und ge⸗
nießbarer zu machen. Meine ganze Seele war al—
ſo jezt im Aufſtreben nach Bekantmachung meines
neuen Lichts uͤber Bibel und Offenbarung, ſo we⸗
nig auch daſſelbe in mir ſelbſt zur Volkommenheit
gediehen war.
Ich ſahe die Offenbarung jezt als eine gewoͤhn⸗
liche und natürliche Veranſtaltung der göttlichen
24
298 V.
L 7
126 j —
Vorſehung an. Ich betrachtete Moſen, Jeſum
wie den Konfuz, den Sokrates, den Luther, den
Semler und — mich ſelbſt, als Werkzeuge der
Vorſicht, durch welche ſie auf die Menſchheit Gu⸗
tes wirkt — nach ihrem Wohlgefallen. Ich war
uͤberzeugt, daß alle dieſe und aͤhnliche Maͤnner le⸗
diglich aus der Quelle der Vernunft geſchoͤpft hat⸗
ten. Und nur die aͤuſſerlichen Umſtaͤnde, unter
welchen ſie gelebt und gehandelt hatten und durch
welche ſie auf ihre Vernunftkentniſſe und deren Aus⸗
breitungsart waren geleitet worden, ſahe ich als
die Mittel an, deren ſich die Vorſehung bedient
hatte, ihnen dieſe Kentniſſe beizubringen und ſie zu
dieſen Handlungsweiſen gleichſam zu noͤthigen.
Das waren die algemeinen Ideen, die ich jezt
anfieng in den Verdauungswerkzeugen meiner Seele
zu verarbeiten. Ich wußte ſelbſt anfangs nicht,
was daraus werden ſolte und wuͤrde. Ic hatte
blos unbeſtimten Vorſaz, meinen Mitgenoſſen dieſe
Ideen mitzutheilen, und ihnen meine Vorſtellungs⸗
arten als Wahrheit annehmlich zu machen.
Die Vorſicht leitet alles! — Auch hier traten
zufaͤllige Umſtaͤnde ein, welche meine algemeinen
*
121
Ideen in beftimtere verwandeln mußten. Der
= Menſch wird gefuͤhrt, wohin ihn Gott haben will!
Das iſt mein Glaube!
Es fiel mir ein, — wer mag ſagen, daß ein
aufſteigender Gedanke ſein Werk ſey, welches er
frei volbrachte? — es fiel mir ein, ein Wochen⸗
blatt uͤber die Bibel zu ſchreiben. Vieleicht war
durch ein Ohngefaͤhr der Gedanke an Moſche's
Bibelfreund in mir aufgeregt worden, der mich
antrieb, etwas beſſeres dieſer Art zu leiſten. Ich
hatte noch keinen plan. Mein erſter Gedanke war
blos dieſer: das Neue Teſtament in der Reihe durch
zu leſen und mich zu bemuͤhen, mit Huͤlfe der Exe⸗
geſe und der Logik etwas vernuͤnftiges bei jeder
Stelle zu denken und meine Leſer denken zu lehren.
So ſezte ich mich an meine Briefe uͤber die
Bibel. Der Briefton ſchien mir der bequemſte.
Ich dachte und raͤſonnirte über die erſten Kapitel
Matthaͤi, mit der Vorausſezzung, daß alles Wun⸗
derbare und Uebernatuͤrliche blos Kolorir der Er⸗
zaͤhlung ſey, welches von den Reſten des juͤdiſchen
Aberglaubens der Erzaͤhlenden herkomme. Ich
95
122 —
philoſophirte daruͤber nach meiner Art, d. h. ich
bemuͤhete mich, mögliche Erklaͤrungsarten zu fin⸗
den, bei denen die Geſchichte an ſich ſelbſt Wahr⸗
heit behalten konte und das Wunderbare fi ch weg⸗
ſchaffen lieſſe.
Von ohngefaͤhr bekam ich Herrn Gedikens f
Schrift zu ſehen, in welcher er mit den eignen Wor⸗
ten der Romer und Griechen ihre Philoſophie auf⸗
geſtellt hatte. Mich deucht, er hatte mirs ſelbſt
zum Geſchenk uͤberſandt. Da fand ich die Stelle,
von der Geburt des Plato, wie ſeinem Vater ein
Daͤmon erſcheint, der ihn auf die Geburt des Kin⸗
des aufmerkſam macht: wie die Eitern, nach der
Geburt, auf dem Berge Hymettus opfern und in
dem Munde des Kindes die Bienen einen Honigſtok
anlegen: wie endlich die Tradition hinzuſezt, das
ſey geſchehen, auf daß erfuͤllet würde, was Ho⸗
mer ſang: aus ſeinem Munde floß die Rede liehen
cher, denn Honig u. ſ. w.
Durch dieſen Zufall gerieth ich auf weitere
Spuren des Wunderbaren, welche die Liebe zum
Wunderbaren, in der alten Geſchichte erzeugt hat⸗
—
.
123
te, und ich gieng mit dieſem Geſichtspunkte ſogleich
an meinen Matthaͤus, um meinen Leſern zu zeigen,
wie moͤglich es ſey, daß auch von Chriſto, aus
Enthusiasmus für dieſen erhabenſten Lehrer der
Menſchheit, dergleichen Umſtände feiner Ankunft
und ſeines uͤbermenſchlichen Urſprungs erdichtet
worden waͤren.
Und jezt erſt, da ich ſchon die erſten Bogen
geſchrieben hatte, fixirte ſich in mir der beſtimte
Zwek, die Wundergeſchichte des N. Teſtaments
zu bearbeiten und ſie dem Vernunftliebenden Leſer
begreiflich zu machen.
Dieſem Zwekke ſubordinirte ich einen weit wich⸗
tigern, als den lezten Zwek aller meiner kuͤnftigen
Schriften, mit denen ich im Publikum zu erſcheinen
gedachte. Nämlich ich hofte nun, durch Vertrei⸗
bung des Wunderbaren, welches dem redlichen
Vernunftfreunde bisher ſo anſtoͤßig war, das Chri—
ſtenthum, ſelbſt unter den Philoſophen wieder zu
Ehren zu bringen und ſeinem erhabnen Stifter eine
Menge zuruͤrkehrender Verehrer zu erzeugen.
Hatten nun jugendliche Eindruͤkke Antheil dar⸗
an, oder war es ganz freie d. h. aus eignem Nach
denken entſtandene Ueberzeugung, genug, Jeſus
Chriſtus war und blieb in meinen Augen der groͤßte
und Verehrungswuͤrdigſte der Sterblichen. Wenn
ich ihn in meiner orthodoxen Epoche als Gott an⸗
gebetet hatte; ſo verehrte ich ihn jezt weit inniger
und herzlicher, als den Wohlthaͤter der Menſchheit
und als das MNuſter der Weisheit und der zen
Er ward der Held meines Lebens!
Mit e Verdruß hatte ich geleſen,
wie ihn der Verfaſſer der Fragmente zum elenden
Politiker herabgewuͤrdigt und ihm den armſeligen
Zwek angedichtet hatte, ſich eine juͤdiſche Krone zu
erringen. Mit wahrem Mitleid und wirklichem
Kummer hatte ich die Eindruͤkke bemerkt, die dieſe
Leſſingſchen Produkte unter dem Haufen der frei⸗
denkenden Menſchen hervorgebracht hatte.
Ich brannte vor Begierde, den Mann, der
in meinen Augen das Ideal von geſunder Denkungs⸗
art und Herzensguͤte war, in einem dortheilhaften
Lichte aufzustellen und ihn von zwei kontraſtirenden
— 125
Schandflekken zu befreien: von der Geſtalt des
ernſthaften Beguͤnſtigers des Wunderbaren und
Uebernatuͤrlichen und — von dem Vorwurfe des
politiſirenden Sektenſtifters. |
Mein Chriſtus folte nicht mehr als Gott und
Wunderthaͤter die Vernunft empoͤren: aber er ſolte
auch eben ſo wenig, als ehrſuͤchtiger Heuchler, die
Herzen der Tugendfreunde von ſich verſcheuchen.
Ich beſchloß, ihn und ſeine Geſchichte, zwiſchen
beiden Klippen ſeiner Ehre, hindurch zu fuͤhren
und ihn als einen Mann darzuſtellen, welcher als
das wohlthaͤtigſte Werkzeug der Providenz, ſich
allein für die Aufilärung und Beſeligung der
Menſchheit aufgeopfert hatte und — ihn dadurch
zum Gegenſtand der Liebe und Verehrung allen
edeldenkenden Menſchen zu machen.
Mit dieſen Gedanken und Vorſaͤzzen ſchrieb ich
mein Wochenblatt, ohne ein weiteres Huͤlfsmittel
zu kennen, als Analogie der Geſchichte, Exegeſe
und Philoſophie d. h. Unterſuchung der Moͤglichkei⸗
ten und eigentlichen Urſachen der Dinge.
7 1 Br x TE >
A 3 I 85 0 ee
; 1 % 4 9
5 i 1 }
126 en N a
Eine beſtimte Hypotheſe für die gabe E |
ſchichte des thatrollen debens Jeſu hatte ich noch 9
nicht. Auch dieſe mußte der Zufall mir bringen.
Ich bekam Starkens Buch über die Myſterlen
der Alten in die Haͤnde. Und ſiehe, das gab mei⸗
nem Gedankenſtrome die Richtung. Dies erwekte
in mir meinen eignen Geiſt der Maurerei, der in
England) uͤber mich ausgegoſſen war, und ſezte die
Idee in volle Glut, daß Ehriſtus den Plan gehabt
haben muͤſſe, durch Stiftung einer geheimen Ge⸗
ſelſchaft, die von Prieſteru und Tempelpfaffen ver⸗
draͤngte Wahrheit unter der ee zu 10
ten und fortzupflanzen. | 1 04
zur. nislio
Und nun erſt bekamen meine Briefe uͤber die
Bibel einen feſten Plan. Je mehr ich darüber las
und dachte, deſtomehr fand ich Gruͤnde der Möoͤg⸗
lichkeit und der Wahrſcheinlichkeit, welche jene Hy⸗
potheſe begunſtigten. Und ich bin noch bis dieſen
Augenblik überzeugt, daß dieſer oder ein ganz aͤhn⸗
licher Plan, der a en due Saen
Jeſu iſt. * 5 27 a Hach agu |
DEREN Bein CHs Int; 1
*) S. meine Gefängnißgefhichte,
— — 127
Dias Blatt machte in der Welt viel Aufſehn.
Die Prediger intonirten auf den Kanzeln dagegen. |
Der Paſtor Juͤnken in Halle warnte feine Gemeine
laut vor dieſer verfuͤhreriſchen Schrift. Der Pa⸗
ſtor Aahlen in Altona, welcher bei der Gelehrten
Buck handlung drauf ſubſcribirt hatte, ſchrieb an
den M. Reiche: er ſchikke ihm hiermit die erſten
Bogen zuruͤk und verbitte ſich die Fortſezzung:
denn — er wolle ſich nicht noch in alten Tagen in
feinem Glauben irre machen laſſen. — Herr Reiz
che hat den Brief mir ſelbſt vorgeleſen.
Ich hatte die Briefe uͤder die Bibel auf eigne
Koſten drukken laſſen und war mit dem ſechſten
Quartale zu Ende, als ich den Schaden zu ſehr
empfand, den ich bei dem Debit der gelehrten Buch⸗
handlung erlitt. Daher beſchloß ich, dieſe Arbeit
einem Verleger anzutragen. Herr Mylius in Ber—
lin übernahm fie, verlangte aber ausdruͤklich, daß
ich dem Werke einen neuen Titel geben ſolte, weil
er die bloſſe Fortſezzung eines Artikels der gelehr⸗
ten Buchhandlung nicht verlegen mochte. |
Jcezt alſo hieß es: Ausführung des Plans und
Iweks Jeſu in Briefen für Wahr heitſuchende
u»
125 | —— ö N
Leſer. Und von dieſem Werke, in welchem ich
meine Philoſophie über die Geſchichte Tofu, die
ich in den Briefen uͤber die Bibel angefangen hat⸗
te, wirklich fortſezte und vollendete, find nach und
nach 10 Bändchen erſchienen. Sie endigen ſich mit
der Himmelfahrt Jeſu. Vieleicht laſſe ich noch
dereinſt zwei Baͤndchen nachfolgen, in welchen ich
die Spuren der fortgeſezten Wirkſamkeit Jeſu, aus
der Apoſtelgeſchichte aufſuchen werde.
Es waren aber dieſe Briefe nicht die einzigen
ſchriftſtelleriſchen Arbeiten, welchen ich mich wid⸗
mete. Ich ſamlete zu gleicher Zeit verſchiedene
meiner Gedichte, auf deren Titel ich meine (ſchlecht
getrofne) Silhouette ſezzen ließ mit der Aufſchrift:
Gedichte dieſes Naturgliſten. Es waren Dinge
ohne Werth. Dichterei war nie meine Sache.
Aber man hat mich vielfältig in meinem engen Zir⸗
kel fuͤr einen Dichter gehalten: und ich habe für.
dieſe Ehre das Leiden gehabt, daß mich überall die
Leute geplagt haben, ihnen Gelegenheitsverſe zu
machen. Ich wuͤnſchte, daß jeden die Leſung die⸗
ſes Geſtaͤndniſſes bewegen moͤchte, mich mit 55
nern Auffoderungen zu verſchonen.
Aber
Aber ein ſehr nuzbares Werk unternahm ich
auf Zureden des Buchhaͤndler Frommanns in Zuͤl⸗
lichau — eines Mannes, welcher mir als Muſter der
Rechtſchaffenheit und edler und zugleich hoͤchſt auf⸗
geflärter Denkungsart unvergeßlich ſeyn wird. Es
hieß: Magazin für Prediger) oder Samlung neu
ausgearbeiteter Predigt = Entwürfe) über die
Sonn⸗ und Feſttaͤglichen Evangelien und Epi⸗
ſteln, fo wie über freie Texte und Kaſualfaͤlle.
Zuͤllichau. 1782. ff.
Dieſes Buch gab ich nicht unter meinem Na⸗
men heraus, weil ich wußte, daß alle orthodoxe
Prediger ein ſolches Buch wie Gift fliehen wuͤrden,
ſo bald fie ſaͤhen, daß ich der Verfaſſer ſen. Und
wirklich iſt mir und dem Verleger dieſe kleine Liſt
gelungen. Es ſind wenige von meinen Schriften
(ich nehme die Ueberſezzung des N. T. aus) fo viel
gekauft, fo beifällig aufgenommen und fo häufig
benuzt worden, als dieſe. Ich weis es auch von
meinem ſel. Vater her, daß meine Diſpoſitionen eine
eigne Leichtigkeit haben, welche macht, daß jeder,
ohne alle Anſtrengung des Nachdenkens, daruͤber
extemporiren kan. Die rechtglaͤubigſten Pfarr⸗
IV. B. J
1
*
herren und Paſtoren eee, e ge⸗
eh und e en. 20 nerd An
re 2 801
Die re vier bis fünf Bände 0 faſt ganz
meine e Arbeit. In der Folge nahm der Verleger
mehr fremde Stuͤkke auf, die ihm von angeſehenen
Predigern eingeſchikt worden. An den neueſten
Baͤnden habe Nan gar keinen ae ra 10
nommen.
32%
Nachdem ich ein paar Jahr über meinen Ver⸗
ſuch geleſen hatte, entſchloß ich mich, die Mate⸗
rialienſamlung, welche derſelbe enthielt, volſtaͤn⸗
diger zu bearbeiten und die Theorie der Redekunſt
und Deklamation davon abzuſondern, Leztere kam
in Halle bei Hendeln unter dem Titel heraus: Rhe⸗
torik fuͤr geiſtliche Redner. Die Theorie, welche
der Verſuch enthielt, findet man hier weit reifer
und ausfuͤhrlicher. Und die Skizze der moralis
ſchen Religion legte ich hernach in meinem Syſtem
der moraliſchen Religion zum Grunde, welche ein
Jahr nachher im Viewegſchen Verlage erſchienen iſt,
Nia
4 5 DR > ab
. 131
Eilftes Kapitel.
Neuer Krieg mit der theologiſchen Fakultät,
*
Heer D. Semler hatte mich ſo vielfaͤltig beſchul⸗
diget, daß ich der Kirche Lehrſaͤzze andichtete, wel⸗
che gar nicht zur doctrina publica gehoͤrten: weil
Er ſie nicht dazu rechnete. Und er hatte mir damit
das Anfehn gegeden, als ob ich bei meinen Kriegen
gegen die Theologie oft nur mit einem Schatten
kaͤmpfte: wie, wenn das rechtglaͤubige Syſtem fo
gar arg und vernunftwidrig nicht ſey, als ich es
zu machen fchiens
Mit der Erwaͤgung dieſer Anſchuldigung
verband ſich in mir der Gedanke, daß bei den jez⸗
zigen Auftritten unter den Theologen, bei welchen
faſt kein einziger ganz mit dem andern mehr uͤber⸗
einſtimte, ſondern jeder ſich fein Maas von Auf—
klaͤrung feſtſezte, und bald mehr bald weniger von
der alten Theologie wegwarf, und daß daher jezt
faſt kein Menſch mehr wiſſe, was eigentlich ortho—
doxe Theologie und doctrina publica fey und was
J 2
u — — —
132 — —
hingegen zu den neuern Saͤzzen der ganz oder halb {
oder Viertels-Aufgeklaͤrten gehöre, q
Dieſes brachte mich auf den Einfall, einmal
ein ganz eigentlich orthodoxes Lehrgebaͤude heraus
zu geben und die Abweichungen der Neuern kuͤrzlich
zu bemerken: damit die jungen Leute vornehmlich
aufmerkſam und faͤhig gemacht wuͤrden, altes und
neues gehoͤrig zu unterſcheiden und beides mit ein⸗
ander zu vergleichen.
Ich waͤhlte dazu meine eigne Dogmatik, wel⸗
che ich ehedem aus meines Vaters Heften zuſam⸗
men geſezt und mit den Syſtemen der damals be⸗
ruͤhmteſten Theologen in Uebereinſtimmung gebracht
hatte. Es waren die Hefte, uͤber die ich zwei Jahr
ſelbſt Theologie, mit Polemik vermiſcht, docirt
hatte. Dieſes Werk lief ich durch, berichtigte den
Ausdruk, und verſah es, unterm Text, in kurzen
Noten, mit den Abweichungen der Neologen. Ich
gabs dem Herrn Gebauer in Verlag. Und dieſer
ſchikte es dem Herr Doctor Schulz zur Lenſur.
Dieſer große Kenner orientaliſcher — 8
matikalien — d. h. Pronominum, Konjugationen,
1
— | 133
Runnationen uf. w. war ſeither ein ſehr toleran⸗
ter Cenſor meiner Schriften geweſen und hatte wirk⸗
lich mehr als Semler mich geſchont, welcher, bei
den Briefen uͤber die Bibel, mich oft bis zum un-
ſinnig werden gequaͤlt und mich gezwungen hatte,
feine eignen Einſchiebſel in meinen Tert aufzuneh⸗
men, um den Druk nicht aufhalten zu laſſen. Er —
der Herr D. Schulz, hatte ſogar meine Ueberſez—
zung des N. Teſtaments ohne alle Einwendung cam
ſirt. Und die freimuͤthigſten Aeuſſerungen uͤber
Gottheit Chriſti, Wunder, heil. Geiſt u. d. hatten
ihn nicht erſchüͤttern und zu cenſoriſchen Gewalt:
thaͤtigkeiten verleiten koͤnnen. Nur bei der einzi⸗
gen Stelle im Briefe an den Titus, wo ich uͤber
das Waſſerbad der Taufe, in einer Note, zu deut⸗
lich mich herausgelaſſen hatte, daß ich dies Bad
fuͤr eine bloße Ceremonie der Aufnahme in die Kir⸗
che anſaͤhe, hatte er in einem fehr hoͤflichen Billet
mich gebeten, die Rote zu mildern. Und ich ſelbſt,
geruͤhrt durch den Schmerz, den er uͤber die An⸗
taſtung der Taufe mehr, als uͤber Herausexegeſi⸗
rung der Gottheit Chriſti und Verſoͤhnungslehre
empfand, hatte beſcheiden ihm nachgegeben und das
Anſtöſſige des Ausdruks verändert,
J 3
Dieſer Herr Schulz bekam jezt mein Syftema
Theologiae Lutheranae orthodoxum, cum breyi
notatione diſſenſionum recentiorum in die Hände
und behandelte daſſelbe, einige Wochen lang, mit
der eben geruͤhmten cenſoriſchen Toleranz. Er
ſchrieb auf acht bis zehn Bogen ſein imprimatur
und geſtattete, daß in den Noten zu dem orthodo⸗
ren Terte, Offenbarung, Wunder, Dreieinigkeit
und alle Geheimniſſe abgelaͤugnet wurden.
Was war auch anders von einem vernuͤnftigen
Cenſor zu erwarten? Die kezzeriſchen Noten ent⸗
hielten ja nichts, als eine hiſtoriſche Anzeige deſ⸗
ſen, was heutzutage von vielen nicht mehr oder
anders geglaubt wird. Es hieß immer: Hodie
multi ita ftatuunt &c. Eine ſolche hiſtoriſche Anz
zeige, ohne alle Empfehlung der Irthuͤmer, (dafuͤr
freiſich Herr Schulz die in den Noten enthaltenen
diſſenſiones recentiorum anſahe), konte ja kein
Cenſor verwehren. — Ja, ſo ſolte man denken.
Aber die Geſtalt der Dinge veraͤnderte ſich. >
Man — vernahm in geſelſchaftlichen Geſpraͤchen,
daß Bahrdt ein ſolches Buch herausgab. Man
— 135
ward aufmerkſam. Man wekte das ſchlafende
Gewiſſen des Cenſors auf. Herr Schulz fand nd:
thig, nun — die Salultger daruͤber an Naehe
zu ne 28 7000 f |
Das 3 blieb auf einmal auſſen, wie
das Roͤhrwaſſer. Die Seꝛzer lauerten. Herr
Gebauer mahnte. Jezt hieß es, das Manuſcript
kurſire bei der Fakultaͤt. Und endlich — war auf
einmal mein Syſt. orthodoxum nach einmuͤthigem
(wenns wahr iſt!) Urtheile der halliſchen Theolo⸗
gen nicht mehe cenſurpaſſirend geworden. Die Kez⸗
zereien der erſten zehn Bogen hatten das imprima-
tur: den folgenden Bogen aber, welche im Grunde
dieſelben waren, ſolte es verſagt werden.
Ich ſchrie. Ich ſezte mein Schriftſtellerrecht
durch. Das Manuſcript mußte heraus und wurde
fort gedrukt. Aber ſo ungerochen durfte dem Bahrdt
ſein Sieg nicht ausgehen. Man mußte billigerweiſe
es ihn fuͤhlen laſſen, daß er abermals gegen alte
Profeſſoren ſich aufzulehnen erdreiſtet hatte, und
ſolte auch der unſchuldige Verleger ſelbſt dabei das
Opfer werden muͤſſen. Was that die Fakultat?
34
In der Salliſchen Gel. Zeitung erſchien eine
Recenſion meines noch ungedrukten, noch nicht ins
Publikum gebrachten Syſtema Theol. orthodoxum,
in welcher man dies Buch als eine elende Kompila⸗
tion alter Hefte ankuͤndigte und alle Welt warnte,
dieſes fehlervolle, RM und ganz unnuͤzze Werk
zu kaufen.
Das war ein ſtarkes Stuͤk! — Ein Buch oͤf⸗
fentlich recenſiren und beſchimpfen, das noch kein
Menſch beurtheilen konte, weil es noch nicht gedrukt
war: — ein Buch bekant machen, deſſen Bekant⸗
machung ein ausſchlieſſendes Recht des Autors und
Verlegers war: — einem unſchuldigen Verleger
ſein Publikum im voraus abſpenſtig machen und
ihn um loco Thaler Koften prellen: — und dazu
die Macht des Cenſoramts misbrauchen, welche
das Manuſeript in des Cenſors Hände ſpielt: —
das war wahrhaftig eine ganz neue Erſcheinung.
Ich war nicht gewohnt, mich von Fakultaͤten
tiranniſiren zu laſſen, und hatte ſchon in Erfurt an
den Wittenbergern es gezeigt, daß ich nicht ſchuͤch⸗
tern bin und mich intimidiren laſſe. Schnell ergrif
* 137
ich mein Schwerdt — meine Feder, und ſchrieb:
Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗
ſurbedruͤkkung / das theologiſche Syſtem betref⸗
fend. Sie war nicht ſanft, ich geſtehe es.
Diͤe Fakultät verklagte mich bei Hofe, erhielt
aber zur Antwort, daß ſie meine ſchriftſtelleriſche
Freiheit widerrechtlich gekraͤnkt hatte und ſolche
unangenehme Ausfaͤlle auf ihre eigne Rechnung ſez⸗
zen muͤſſe. Was war zu thun? Die Appellation
hatte Wunden geſchlagen. Man hatte gehoft, ſich
das Duell zu erſparen und mich durch Blizze vom
Berliner Horizont zu entwafnen. Dieſe Hofnung
war fehlgeſchlagen. Man konte ſich mit Ehren
nicht mehr zuruͤkziehen. Man grif alſo, obſchon
ungern, zu gleichen Waffen. Herr Noͤſſelt ſezte
eine Apologie der Fakultat auf, welche einen im
hoͤchſten Grade erkuͤnſtelten Ton der Sanftmuth
hoͤren ließ und nur über die Leiden der gekraͤnkten
Unſchuld zu ſeufzen ſchien. In der That aber war
fie voller ſophiſtiſchen Beſtreitungen meines ptaͤten⸗
dirten Rechts und, was noch weit ſchlimmer iſt,
voller Aus falle auf meine Perſon und moraliſchen
Charakter, durch welche der Verfaſſer recht mei⸗
C
35
ſterhaft ſich das Mitleid und mir den Abſcheu ds
n zu erringen geſucht hatte. ang
Ich konte nicht ſoweigen. Denn ich bete,
daß alle Leſer durch die Sirenenſtimme der theo⸗
logiſchen Heiligkeit bezaubert und von mir abwen⸗
dig gemacht waren. Ja, meine Freunde gaben mir
ſelbſt zu verſtehen, daß ich mich ſchwerlich gegen
dieſe Schrift ganz vertheidigen und die durch ſie
gemachten uͤbeln Eindrüffe aufs Publikum tilgen
wuͤrde. Aber ich tilgte ſie. Ich entfaltete jene So⸗
phiſtereien und beantwortete jene Anzapfungen,
nicht im geheuchelten Tone der Demuth, ſondern
im wahren Tone des Muths, mit welchem ich
immer meinen Gegnern entgegen getreten bin.
Meine abgedrungne Replik auf die Erklärung,
der theologiſchen Fakultaͤt zu Halle, wurde in
Berlin cenſirt und — machte einem Streite ein En⸗
de, den die Herrn wahrhaftig nicht hätten anfan⸗
gen ſollen, wenn ſie nichts als Federkraft gegen
mich in ihren Händen geſehen hatten.
Um dieſe Zeit kam in Holland eine Ueberſe⸗
zung meines bibliſchen Syſtems der Dogmatik
heraus, welches ich ehemals in Erfurt bekant ge⸗
macht hatte. Dieſe holländifche Ueberſezzung war
von einer Erſcheinung begleitet, welche mir das
Zwergfel wolthaͤtig erſchüͤtterte. Der Verfaſſer
hub in der Vorrede alſo an: „Ihr lieben Hollaͤn⸗
„der, ihr werdet euch wundern, daß ich die Schrift
5 eines Mannes Euch in Eurer Mutterſprache vor⸗
„lege, welcher einer der go'tloſeſten Menſchen und
„ ein Werkzeug der böſen Feindes iſt, deſſen er ſich zur
„ Zerſtoͤrung der Wahrheit und zur Verfuͤhrung
„der Glaͤubigen bedient. Aber wundert Euch nur
„nicht. Wenn der Bahrdt in neuern Zeiten ein
„verworfner Unglaͤubiger geworden iſt, deſſen
„Schriften die giftigſten Irthuͤmer verbreiten, fo
„war er doch in den vorigen Zeiten, in welchen
„er dies Buch ſchrieb, welches ich hier in hollaͤn⸗
„ diſcher Sprache Euch uͤbergebe, ein Mann nach
„dem Herzen Gottes. Seine Lehre war damals
„rein und fein Herz unverfaͤlſcht. Und ich kan
„Euch ſagen, liebe Holländer, daß dieſes bibli⸗
„Ihe Syßem der Dogmatik, die wahre Salbung
„hat und den Achten Geiſt des Chriſtenthums
„athmet ꝛc.“
140 ann
| Zwolftes Kapitel. oh \ Art ef
f a tem
Meine ſatpriſchen Launen.
tn
gr
Wann ich noch jezt ruhig zuruͤckdenke in die vo⸗
rigen Zeiten und alle Ausbruͤche meiner in fruͤher
Jugend mir eigen gewordnen Neigung zur Satyre
unpartheiiſch prüfe; fo kan ich warhaftig noch jezt
keinen Grund zu den harten Anklagen finden, die
ich daruͤber ſchon habe vernehmen muͤſſen.
Wahr iſts, ich habe mir viel damit geſchadet
und mir manche Feindſchaften gemacht, die ich
mir haͤtte erſparen koͤnnen. Und ich geſtehe, daß
ich jezt gern alles zuruͤknehmen wuͤrde, was ich in
meiner muthwilligen Laune zuweilen, ohne die
Folgen vorherzuſehn, niedergeſchrieben habe, wenn
ich das Geſchehene ungeſchehen machen koͤnte.
Aber iſt darum wohl der Haß gerecht, den einige
um dieſer Dinge willen gegen mich hegen? Wo
iſt der Menſch, der durch eigne freie Thaͤtigkeit
feinen Neigungen eine Richtang gab, die er her⸗
nach ſelbſt misbilligte? Wo iſt der Menſch, dem
1 we
bei allen feinen Handlungen alle ihre Folgen ges
gentwärtig find? Wenn die Menſchen die Folgen
ihrer Handlungen allezeit, vollſraͤndig und in ihrem
vollen Lichte ſaͤhen, würde wohl ein einziger Menſch
ſeyn, der einen Fehltritt begienge?
Und wem habe ich denn mit meiner Satyre
geſchadet? Habe ich irgend einen Mann von Werth
um ſeine Ehre gebracht und, durch Aufhebung ſei⸗
nes Vertrauens im Publikum, ſeine Nuzbarkeit
zerſtoͤrt? Habe ich je einen Juͤngling, der auf der
Bahn des Ruhms und des Menſchenwerths kuͤhn
dahin wandelte, mit bitterm Spotte muthlos ges
macht, und ihn von ſeiner Laufbahn zu verdraͤn⸗
gen geſucht?
Wie mancher Reeenſent hat dieſe Suͤnde auf
ſeinem Gewiſſen! Wie mancher meiner Pasquil⸗
lanten hat mir ſo geſchadet! hat mir Ehre und
Achtung vieler Zeitgenoſſen entriſſen! hat meine
Nuzbarkeit fuͤr die Welt gemindert!
Ich billige warlich nicht alles, was ich gegen
Andere geſagt und geſchrieben habe. Aber bei
Gott, ich habe gegen keinen Menſchen unter der
Sonne je fo haͤmiſch und moͤrderiſch gehandelt,
wie in der Welt gegen s mich gehandelt worden iſt.
Es reichen nicht hundert der ſchaͤndlichſten Schmaͤh⸗
ſchriften, welche ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren an
meiner Ehre und an meinem Gluͤke genagt haben
und denen man es vollkommen anſehen konnte, daß
ſie die Abſicht hatten, mich nicht blos zu zuͤchti⸗
gen und meine Thorheit fuͤhlen zu laſſen, ſondern
mich gerade zu aller Achtung meiner Mitmenſchen,
alles Vertrauens des Publikums und aller Unter⸗
ſtuͤzzung der Zeitgenoſſen zu berauben. Man wollte
mich mit Gewalt zu einem Verworfnen, zu einem
Verbannten, zu einem Brodloſen, zu einem voͤllig
ungluͤklichen Menſchen machen *g 175
Gott ſey Dank, mein Gewiſſen iſt von fol-
chem Vorwurfe rein. Die Gegenſtände meiner
Satyren waren entweder offenbare Thoren, wel⸗
che die Geiſſel verdienten, oder, wenn ſich ja an
Maͤnner von Rang und Werth meine Feder ver⸗
griffen hat; fo wars Rothwehr oder — doch nur
Angrif auf ihre Fehler ohne ieee ihrer
Ver dienſte. neh Gu Meg TIERE
39
143
Nie war in meiner Seele Rache oder Haß.
Das ſagt mir mein Herz. Das ſage ich vor dem
Angeſichte Gottes. — Bringt mir meinen aͤrgſten
Feind, bringt mir den Mann, der mich in das
tiefſte Elend geſtuͤrzt hat, bringt mir ſelbſt die
Röper die Potte, und aͤhnliche Zerſtoͤrer meiner
Ruhe und meiner Gluͤkſeligkeit: und ihr werdet
mich in jedem Augenblikke bereit finden, ihnen Güte
zu erzeigen. Ich werde nie faͤhig ſeyn, ſie un—
gluͤklich zu machen, wenn ich es in meiner Gewalt
hätte. Es wird mir Schmerz machen, wenn ich
ſie im Ungluͤk ſehe, und ich bins gewiß (Gott iſt
Zeuge dieſes Bewußtſeyns!) daß ich mit Freuden
ihnen die Hand reiche und ihnen helfe, wenn ſie
meine Huͤlfe brauchen und verlangen.
Jene hundert namenloſe Pasquille (deren
Verfaſſer ich meiſtens wußte) habe ich nie geleſen,
theils um mir eine unangenehme Stunde zu erſpa⸗
ren, theils um nicht mein Herz mit Erbitterung
und Rache zu beflekken. Das wiſſen alle meine
Freunde. Nur dann las ich Schriften der Gegner
und zog mit ſatyriſcher Feder gegen ſie zu Felde,
wenn fie mich namentlich angriſten und gleichſam
7 au
er
öffentlich herausfoderten. Und ich werde das fer⸗
nerhin beobachten. Namenloſe Schmäher ſollen
nie geleſen und einer Antwort gewuͤrdigt werden
Wozu ſoll ich Koth ee der a Jae
e 20 | enen
*
*
Die een Enkehimgtar meiner a:
riſchen Produkte war, wenn ein lang anhaltendes
Dulden tauſendfaͤltiger Verleumdungen und Pas⸗
quille mich endlich aufwekte und zu einem allge⸗
meinen Heerzuge gegen die ganze parthei mich
ermunterte. Nie wars Rache gegen den Einzel⸗
nen. Nie lag Haß und Erbitterung zum Grun⸗
de. „Du haſt nun lang dich nekken und raufen
„laſſen: du wilſt nun auch einmal rechts und links
„um dich ſchlagen und die Gegenparthei fuͤhlen
„laſſen, daß du Kraft haſt.“ Ein ſolcher muth⸗
williger Gedanke ſchuf alles, was je aus meiner
3 eee ine ung an ale
IN. 1 * WII
Mein ſo Feeſchdieder Rirchen und ee
manach wurde in Leipzig empfangen und in Zuͤl⸗
lichau geboren. Ich war mit Herrn Zollikofer,
Plattner, und einigen andern Freunden bei Ba⸗
ſedow,
1 52
*
—
4 Per
‘I
„ 145
ſedow, der damals in Leipzig hauſete, zum Abend⸗
eſſen. Der felige Srommann war dabei und ſaß
an meiner Seite. Wir waren vergnuͤgt. Die
Rede kam auf die Partheien unter den Theologen.
Und einer hatte den Einfall, daß es der Muͤhe
werth ſey, einen Kalender zu machen, wo die ver:
ſchiedne Witterung in der theologiſchen Atmoſphaͤ⸗
re angezeigt wuͤrde. Der fluͤchtige Gedanke war
noch nicht herausgeſagt, als ich ſchon meinen
Frommann in die Seite ſtieß und in demſelben
Moment auch von ihm einen aͤhnlichen Stoß em⸗
pfing. Wir ſprachen beide kein Wort. Aber ein
wechſelſeitiger Blik ſchloß ſchon den Kontrakt a
Kirchen- und Keze e.
Nie hat ein Buch mehr Lermen erregt. —
Und was iſts denn im Grunde? Sinds poͤbelhafte
Ausfaͤlle und Beſchimpfungen wuͤrdiger Maͤnner?
Sinds Schaͤndungen ihres Karakters, wie ich fie
ſo oft erdulden mußte? Was ich von den Schrif⸗
ten der aufgeſtellten Kalenderheiligen ſage, iſt frei
muͤthiger Tadel, wie jeder Recenſent ſich ihn er⸗
laubt. Und was ich von BORN beibringe,
v. B. 0 C K
.146 —
iſt ſchwache Seite, iſt Thorheit, iſt Spottwuͤrdig⸗
keit: aber nie — Schandflek des Herzens.
Eben ſo wenig iſt die ſcherzhafte Standrede
am Sarge des weiland Hochwuͤrdigen und
Hochgelahrten Herrn Johann Melchior Goͤtze,
die ich dem verſtorbnen Kanonikus Fiegra, einem
weiland algemein anerkanten und gebornen Schafs⸗
kopf in den Mund legte, etwas mehr als muih⸗
willige Laune, welche ſich nicht gegen den einzel
nen Mann, ſondern gegen die Parthei empört
hatte. Der ſelige Goͤtze war in ſeiner Art wirklich
ein gelehrter und durch manche gute Seiten ſeines
Karakters achtungswuͤrdiger Mann. Und Tauſen⸗
de, die meiner geſelſchaftlichen Reden Zeugen ſind,
werden mir es bezeugen, daß ich oft von Goͤtzen
ſo geurtheilt und ſelbſt ſeinen haͤmiſch ſcheinenden
Ausfall auf mich und andere von ihm verkezzerte |
Gelehrte, feinem: bona fide irrenden Verſtande,
nie ſeinem Herzen zugeſchrieben, ja, daß ich viel⸗
mehr gegen andere, die ſeinen Karakter verurthei⸗
len wollten, behauptet habe, daß ich von ihm und
allen Kezermachern uͤberzeugt waͤre, daß die Leute
mit gutgemeintem Eifer für Gott und ihre ſubjek⸗
tive Wahrheit handelten und wirklich die Abſicht
haͤtten, recht zu thun. Es war alſo wahrhaftig
nicht bei jener Standrede meine Abſicht, den Mann
zu beſchimpfen: (denn ich erzaͤhlte ja ohnehin nur
ſeine wirklichen Geſinnungen und Handlungen, nur
daß ich ſie in ein komiſches Licht ſtellte) ſondern,
um die ganze orthodoxe Parthei einmal zu nekken
und die Lacher gegen ſie aufzuregen. Und dieſe
hatte ja dieſen jovialiſchen Schwang mae
an mir verdienet.
So war auch meine Schrift, in welcher ich
den armſeligen Profeſſor in Quedlinburg, (Voigt,
glaub ich, hieß er) unter dem Namen Xaſimir
Lauge, Schulmeiſter in Gibeon, mit der Geiſel
der Satyre heimſuchte, nicht Wirkung eines Haſſes
gegen dieſen Mann, den ich gar nicht kenne und
der nie mich beleidiget hat, ſondern ſie war Folge
des warmen Eifers fuͤr einen unſchuldig Verfolg⸗
ten. Ein Freund ſchrieb mir, daß der Paſtor Her⸗
mes in Quedlinburg von dem alten Boyſen und
dem Paſtor (wie hieß doch der Idiot? Er faͤngt
mit dem R. .. ſich an) verkezzert und gekraͤnkt
wuͤrde und daß der Voigt die von jenen gedrehten
K 2
1 1
{ ET Ara
148
Bolzen verſchießen muͤſſe. Er ſchickte mir zugleich
eine Rede dieſes ſogenanten Profeſſors, in welcher
der gute Hermes angezapft war. Und er bat mich,
meine Feder einmal wieder in das ſatyriſche Din⸗
tefaß zu tauchen und die Quedlingurger Ortho⸗
dopen zu zuͤchtigen. Das that ich, mit wahrer
Freude über die Bokſpruͤnge der Parthei , ohne
alle widrigen Empfindungen gegen die Einzel
nen. — Der ſpashafte Erfolg war, daß der
Kantor in Giebichenſtein bei Halle, von loſen
Leuten mit dieſer meiner Spottſchrift aufgezogen
wurde, und im Ernſte auf mich böfe werden woll⸗
te, daß ich or in Pa e 15 U
So kan man es wubllch als globe Parthei⸗
krieg anſehen, daß ich meine Schrift über das theo⸗
logiſche Studium an den Staatsminiſter von Zed⸗
liz ſchrieb. Nur war hier gar keine eigentliche
Satyre, ſondern ernſte Darſtellung des theologi⸗
ſchen Unweſens auf Univerſitaͤten. Ich zeigte mit
einer Freimuͤthigkeit, wie noch niemand ſich erdrei⸗
ſtet hatte, daß die Theologieſtudirenden auf Uni⸗
verſitaͤten ganz verkehet gefuͤhrt und unterrichtet N
wuͤrden, daß faſt alles, was ſie lernten und durch
das Geſpenſildes Konſiſtorialexamens zu lernen gez
zwungen wuͤrden, ihnen in ihrem ganzen Leben
nichts helfe, und daß im Gegentheil alles das,
worin ſie ihres kuͤnftigen Amts halber unter—
richtet und geuͤbet werden muͤßten, von den Pros
feſſoren vernachlaͤßiget würde, ja, daß zu manchen
nothwendigen Stuͤcken des theologiſchen Studiums
auf den Univerfitäten gar keine Gelegenheit ſei.
Das hieß denn freilich nichts anders, als das
ganze theologiſche Neſt zerſtoͤren und die theologi—
ſchen Fakultaͤten zum Schikſale der Klöfter reif
machen wollen. Indeſſen war doch das Geſchrei
einzelner verlorner Schildwachten des chriſtlichen
Zions alles, was auf dieſe Schrift erfolgte. Sie
hatte ſo viel Licht und Wahrheit, daß in der
Hauptſache gar keine Einwendung ſtatt fand, und
doch that ſie kaum in einigen Nebendingen ihre
Wirkung.
ur
Ich hatte die Nothwendigkeit der Examinir⸗
uͤbungen gezeigt. Dieſe fuͤhrte der Miniſter ein.
Ich hatte vorgeſtellt, daß die Pruͤfungen der Kan⸗
didaten in den Konſiſtorien durch Fragen, die aus
K 3
dem Stegreif beantwortet werden muͤſten, zwek⸗
widrig waren: und es wurde die beſſere Methode
eingefuͤhrt, nach welcher der Kandidat einige Du⸗
zend Fragen, die in verſchiedene Fache feiner Kent?
niſſe einſchlagen, ſchriftlich vorgelegt werden, mit
denen man ihn in ein leeres Zimmer einſchließt,
um ſie ihn hier ſchriftlich, und bei hinlaͤnglicher
Zeit zum beſinnen, beantworten zu laſſen. Ich
hatte gezeigt, wie thunlich und nuzbar es ſey, den
theologiſchen Studenten mit einer gruͤndlichen
Volksarzeneikunde bekannt zu machen, und ein
paar Jahr hernach wurde dieſer Rath befolgt und
in Halle einige Veranſtaltung dazu gemacht.
Meine Hauptklage, daß die Studenten un⸗
nuͤze Dinge lernen muͤßten, und zu ihrer Amtsfuͤh⸗
rung ſelbſt gar nicht — weder in der Materie, noch
Form — gehoͤrig vorbereitet wuͤrden, wirkte nichts.
Und ſelbſt die obgedachten Nebendinge wurden
durch Befehle gebeſſert, denen es ſo ſehr an guter
Ausführung fehlte, daß fie in kurzem wieder ein⸗
ſchlummern werden.
Meine lezte ſatyriſche Schrift war der ſo ver⸗
ſchriene amor, oder der Mann aus dem Mon⸗
— — ZE
de, in welcher die mit dem groͤbſten Fanatismus,
und ich möchte hinzuſezzen, finftern Katholicismus
verhunzte deutſche Maurerei der bezielte Gegen—
ſtand war. Aber ich kan mir dieſe Schrift nicht
allein anmaßen. Die Hälfte wenigſtens iſt frem⸗
der Beitrag, zu deſſen Annehmung ich mich bere⸗
den ließ. Ich mag mich hieruͤber nicht weiter her⸗
auslaſſen. Es bleibt dieſe und noch einige andere
Arten des Misbrauchs, den gewiſſe Leute von mei—
ner Wilfaͤhrigkeit gemacht haben, um durch mich
ihre Pfeile verſchießen zu laſſen, der verborgne
Theil meiner Lebensgeſchichte, welcher guͤnſtigere
Zeitläufte erwartet, um hervorzubrauſen und meiz
nem beklommenen Herzen Luft zu machen. —
Der augenſcheinliche Beweis, daß der D.
Baͤhrdt ſchuld an dem Erdbeben zu Kalabrien
ſei, iſt nicht aus meiner Feder gefloſſen. Dieſe
Schrift hatte die Abſicht, zu zeigen, daß die Herren,
welche neuerlich wieder gegen mich berichtet, und
als eine Miturſache des Verfalles der Univer—
fität mich angegeben hatten, gerade fo argumen—
tirt haben mochten, wie man argumentiren muͤß⸗
te, wenn man mir jenes Erdbeben ſchuld geben
K 4
152 — —-—
wollte. Sie erhielt den allgemeinſten Beifall,
und war ein recht angepaßtes Wansaeſce
für — —
Dreizehntes Kapitel.
Haus und Herzensgefchichte,
———ſ——
Men unermuͤdeter Fleiß konte mein liebes Weib
nicht auſſer Beſorgniß ſezzen. Ich ſaß von fruͤh
um fuͤnf Uhr an, und arbeitete ununterbrochen
bis zu Mittage, wo ich gewoͤhnlich einen auch an⸗
derthalb gedrukte Bogen vollendet hatte. Nach
der Mahlzeit widmete ich gewoͤhnlich einige Stun⸗
den der Promenade, welche ich nie ohne meine
Frau und Kinder vornahm, auſſer wenn ich ritt.
Nachmittags, von vier oder fuͤnf Uhr an bis
Abends um ſieben auch wohl acht Uhr, las ich
meine Kollegia. Und nach der Abendmahlzeit ging
ich gewoͤhnlich ins buͤttneriſche Haus, wo um einen
Dreier ein Spiel gemacht und herzlich dabei ge⸗
lacht wurde. Um zehn Uhr lag ich in meinem
— 153
Bette. Und ging ich nicht aus; ſo war die neunte
meine Schlafſtunde. So habe ich gelebt, fo lange
ich in Halle bin. Unaufhoͤrliche Arbeit war mein
Loos: und gewöhnlich drei bis viermal im Bütt:
neriſchen Hauſe, faſt meine einzige geſellſchaftliche
Erholung. Andere Geſelſchaften waren ſelten. Ich
war ohngefaͤhr mit vier bis fuͤnf Familien bekant,
die mich zuweilen zu einer Mahlzeit einladen lie=
fen, welches ich fo erwiederte, daß hoͤchſtens zwoͤlf—
mal im Jahre in meinem Haufe Gaͤſte waren, wels
che bei mir weit frugaler bewirthet wurden, als
vielleicht irgend jemand von meinem Stande ſeine
Gaͤſte zu bewirthen pflegte.
Man ſolte meinen, daß ein ſo einfoͤrmiges Le⸗
ben bei ſo anhaltenden Kopfarbeiten, eine Gattin
durchaus nicht beſorgt machen koͤnte. Und doch
blieb die meinige bekuͤmmert. Ich fand oft, wenn
ich des Abends nach Hauſe kam, die Spuren der
Thraͤnen in ihrem Geſicht. Und wenn ich ſie nicht
fand, fo erzaͤhlten mir meine Kinder, wie die Mut⸗
ter ſich beklagte, daß ſie mich ſo wenig genoͤſſe.
Gott weis es, daß ich zuweilen ſtundenlang in
meinem Bette gelegen und mich uͤber dieſe Leiden
K 5
„ 7 — 0
r
1 54 1
meines Weibes gehaͤrmt habe. Ich ſahe die Un⸗
moͤglichkeit, ihnen abzuhelfen. Und doch ſchmerzte
michs, daß ich ihr Qualen verurſachen mußte, wel⸗
che ſie nicht durch freie Vergehungen verſchuldet
hatte, ſondern die allein, theils in meiner Lage,
theils in ihrer durch Romanenlektuͤre verſtimten
a e ihren Grund hatten.
Wie mein weniger Umgang ſie kraͤnkte, ſo
ward ſie auch (und dies mit jedem Tage mehr) durch
jede finſtre oder auch nur gleichguͤltige Mine, die
ſie an mir erblikte, auf das tiefſte verwundet. Sie
hatte ein Ideal von Liebe und Genuß, welches,
theils meines arbeitvollen Lebens halber, theils we⸗
gen ihrer eignen Unvermoͤgenheit, nicht zu realiſi⸗
ren war. Ich ſolte beſtaͤndig um ſie ſeyn, beſtaͤn⸗
dig freundlich und zaͤrtlich ausſehen. Wenn Sie
denn oft zwanzigmal in einem Vormittage, um der
unbedeutendſten Dinge willen (wenn fie ein ſchön
Stuͤck Fleiſch gekauft hatte, das ich beſehen ſolte:
wenn ſie auf die Kinder kiff, die ich durchpruͤgeln
ſolte: wenn die Magd ihr naſeweiſe Reden gab, |
die ich beſtrafen ſolte: wenn fie bei der Methode, |
eine Soſe zu verfertigen, zweifelhaft war, und ich
155
ſagen ſolte, wie ich fie verlange u. f. w.) in meine
Studierſtube kam und mich in meinen Arbeiten un⸗
terbrach, und ich dann, uͤber die ungelegene Zer⸗
reiſſung einer etwa angeſponnenen Gedankenreihe
aͤrgerlich ward und fie anfuhr; ſo ſezte ſich jedes—
mal der Gedanke von neuem in ihr feſt: dein Mann
liebt dich nicht mehr: und ſie kam mit naſſen Au⸗
gen zu den Kindern zuruͤk, die nun durch ewiges
Roͤrgeln und Keifen die verſtimte Laune buͤſſen
mußten. |
Es war gewoͤhnlich vom Morgen bis zu Abend
kein Ton der Freude in meinem Hauſe. Jedes
Verlegen eines Schluͤſſels, jedes Abhandenkommen
eines Bandes oder ſonſt einer Kleinigkeit, brachte
ſtundenlanges Schreien und Zanken mit der Magd
oder den Kindern hervor und allemal fand ſichs hin⸗
terher, daß ſie ſelbſt das verlegt oder verloren hat⸗
te, über deſſen Verlierung oder gar Entwendung fie
Kinder oder Geſinde ausgeſcholten hatte. Und fols
ches laute Gezaͤnk, welches oft, ihrer hellen und
durchdringenden Stimme halber, die Leute auf der
Gaſſe ſtehen bleiben machte, wechſelte mit den ſtil⸗
len Seufzern und Klagen ab, die ſie uͤber mich aus⸗
ſchuͤttete.
156 ——
Mein aͤlteſtes Kind nahm ſichs immer mehr
heraus, ihr zuweilen die Moral zu leſen und ihr
vorzuſtellen, daß ſie den Vater noch zu Tode aͤrgern
würde: aber eben das vergrößerte auch immer mehr
die Abneigung der Mutter gegen dieſes Kind, wel-
ches oft, mit Thraͤnen, mir klagte, daß es unter
den Haͤnden dieſer wunderlichen Mutter das elen⸗
deſte Leben fuͤhren muͤſſe. Und dies Kind muß mir
es vor Gott und Menſchen bezeugen, daß ich ihm
gleichwohl nie gegen die Mutter beigeſtanden, ſon⸗
dern ihm allemal vorgeſtelt habe: „daß ein Kind
„von ſeinen Eltern dergleichen Unannehmlichkeiten
„dulden muͤſſe: daß es Urſache habe, ſich von der
„Vorſehung ſolche kleine Leiden gefallen zu laſſen
„und ſie als eine Uebung anzuſehen, die ihr vieleicht
„in der Zukunft, wenn ſie ſelbſt in die Welt eintre⸗
„ten wuͤrde, ſehr zu ſtatten kommen duͤrfte: daß
„fie bei aller Schwachheit der Mutter ihr unver⸗
„aͤnderliche Liebe, Ehrfurcht und Gehorſam ſchul⸗
„dig bleibe u. ſ. w.,
Ich gerieth endlich auf den ungluͤklichen Ein⸗
fall, mir auſſer der Stadt einen Garten zu kaufen,
um daſelbſt durch den mir ſo ſuͤſſen Genuß der ſchoͤ⸗
157
nen Natur das geſelſchaftliche Yeben in etwas ent⸗
behrlicher zu machen und — durch das Ende der
Abendbeſuche bei meinem Trapp und Büttner, mein
jammerndes Weib zu beruhigen und zu verſuchen,
ob ſie nun einer frohen Laune empfaͤnglich werden
wuͤrde.
Ich hatte die ganze Sache zu uͤbereilt anges
fangen. Die romantiſch ſchoͤne Lage des Gartens,
deſſen Haus auf einer Bergekke die herrlichſte Aus—
ſicht gewaͤhrte, und an welchem unmittelbar ein
Arm der Saale vorbei floß, der mir die lang ge
wuͤnſchte Gelegenheit zu einem Badeplazze darbot,
hatte mich alzuſchnell bezaubert. Der Beſizzer be⸗
nuzte meine Hizze (ich kan's ihm nicht verdenken)
und nahm mir 1700 Thaler fuͤr ein Grundſtuͤk ab,
dafuͤr er ſelbſt nur 900 Rthlr. bezahlt und das er
blos mit einigen Obſtanlagen meliorirt, hatte.
Ich gerieth in Schulden und tauſenderlei Vers
legenheiten daruͤber, und gewann fuͤr meine Ru⸗
he — nichts. Und das hätt ich vorher wiſſen koͤn⸗
nen. Kam ich ſeltener jezt in die Stadt und vers
mied die Gelegenheit zum Verdacht, fo kamen ans
dere deſto fleiſſiger in meinen Garten. Und wenn \
ich auch wirklich ganz Einſiedler geworden waͤre,
ſo konte ich doch das ein vor allemal nicht hervor⸗
bringen, was meinem lieben Weibe die Ruhe zu
geben vermochte, — eine ſichtbare, unverfenbare
und feurige Liebe, wie fie ihrem Ideale gemäß.
war.
Liebe iſt ſo wenig des Menſchen freie That,
als der Glaube. Es war alſo gar nicht in meiner
Gewalt, ihre Erwartung zu befriedigen. Alles,
was ich that und thun konte, war nicht mehr Liebe,
ſondern eine aus Raͤſonnement entſtandene und
durch Diſeretion unterhaltene Guͤte. Ich ſchaͤzte
ihr gutes Herz: aber ich konte dabei die Eindruͤkke
nicht hindern, welche ihre ewige Hypochondrie auf
mich machten. Ja, es ward die Laſt ihrer verſtim⸗
ten Laune eben dadurch fuͤr mich deſto groͤßer, fuͤhl⸗
barer und unertraͤglicher, je ungeſtuͤmer fie meine
Liebe zu fodern ſchien, und das Feuer der ihrigen
mir aufdrang. Und mein beſtaͤndiges Arbeiten,
vornaͤmlich aber meine jezt merklich abnehmende
Kraft und Geſundheit vermehrte die Unmoͤglichkeit,
der zaͤrtliche Gatte zu ſeyn, den fie verlangte.
f —æ u
Ein ungluͤklicher Zufall gab mir vollends den
Reſt. — Meiner Frauen Bruder, (welcher bis⸗
her mit dem Grafen v. Werther einen langweili—
gen Proceß gefuͤhrt hatte, von deſſen gluͤklicher
Beendigung die 2000 Thaler abhiengen, die meine
Frau zur Kaution hergegeben hatte), kam von
Dresden nach Halle, uns zu beſuchen. Dieſer
Menſch hatte ein ganz eignes Air von Stolz und
Unverſchaͤmtheit, welches mit ſeiner tiefſten Armuth
ſo fuͤrchterlich kontraſtirte, daß man ein ganzer
Philoſoph ſeyn mußte, wenn man ihn dulden wol⸗
te. Er lebte eine Zeitlang bei uns und ward Ur⸗
ſache, daß ich jeden Tag meine Portion Gift vom
Aergerniſſe bekam, welches mir fein Betragen vers
urſachte. Eines Tages kam es zum Ausbruch.
Er hatte ſchon über der Mahlzeit, wo er mit dem
unleidlichſten Stolze die vornehmſten Perſonen Kerls
und Schurken nannte und ſein Schikſal aus dem
raſenden Grunde unwuͤrdig fand, weil er eines
Kirchenraths Sohn ſey, alle meine Duldkraft er⸗
fhöpft. Nach Tiſche legte ich mich aufs Bette,
um meine gewohnte acht Minuten lange Mittags-
ruhe zu halten, und Volland ſezte ſich ins Zimmer
und flikte ſeine Fußbedekkung. Er begann bei die⸗
fer Arbeit die ſchon abgebrochnen unangenehmen
Geſpraͤche und ward, da ich ihm zu schweigen und
mich ruhen zu laſſen befahl, ſo inſolent, daß mich
blizſchnell die tobendſte Hizze uͤbereilte. Ich ſprang
auf, maulſchellirte den baumſtarken Bengel, daß
ihm der Kopf ſchwoll und ſezte ihn durch meine
Wuth ſo in Schrekken, daß er zitterte und alle Ge⸗
genwehr vergaß.
Dieſer ungluͤkliche Augenblik war das Ende
meiner bisherigen ſo eiſern geſchienenen Geſundheit.
Ich ward gleich bettlaͤgerich, bekam die gelbe Sucht,
ward, ſtatt der Brechmittel mit Purgiermitteln be⸗
handelt und — behielt von der Zeit an einen kraͤnk⸗
lichen Koͤrper. Meine Verdauung wurde von Zeit
zu Zeit ſchlechter und es fanden ſich Verſtopfungen
ein, die nach Jahresfriſt ſo uͤberhand nahmen, daß
ich ohne Kliſtire keine ordentliche deibesoͤfnung mehr
erlangen konte — ein Ungluͤk, das vom Jahr 1786
bis 1790 gedauert, und mir vollends allen Lebens
genuß verkuͤmmert hat. ee
Ich wurde von jezt an ſelbſt im hoͤchſten Gra⸗
de hypochondriſch (obgleich das Uebel nur im Koͤr⸗
nme 161
per lag und mein Geiſt ſeine natuͤrliche Stimmung
zur Froͤhlichkeit nicht verlor) und vermehrte dadurch,
ohne mein Verſchulden, die Faͤlle, welche meiner
Gattin Gelegenheit gaben, aus meinem kalten oder
verdruͤßlichen Betragen, Mangel der Liebe zu fol
gern und ſich daruͤber zu aͤngſten und — was ſie
ganz allein tadelswerth macht — 10 bei Andern
darüber zu beklagen.
Hiezu kam ein noch wirkſamerer Umſtand.
Meine Kraͤnklichkeit und — entſcheidender noch, ges
wiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheiten meiner Gattin,
die jezt eintraten — machten mir dasjenige unmoͤg⸗
lich, was ſonſt der Eheſtand mit ſich bringt und
wovon acht Kinder bereits ihren Urſprung genom⸗
men hatten, die von meinem Weibe waren gebo—
ren worden. — Und nun war vollends der Klas
gen kein Ende mehr. Ueberal ertoͤnte der alte
Trauergeſang: mein Mann liebt mich nicht mehr.
Und hätte ich nun noch lieben konnen; fo wuͤrde ich
gerade nun haben aufhören muͤſſen, da ich fo gea
peiniget ward.
N IV, B. 2
*.
*
162 — —
Eine weit angenehmere Unterhaltung wuͤrde
es fuͤr meine Leſer ſeyn, wenn ich hier eine Herzens⸗
geſchichte einſchalten koͤnte, welche in dieſer Epoche
ſich ereignete. Eine Dame von hohem Stande, die
ich nie geſehen hatte, begann mit mir einen ganzen
Roman voll platoniſcher Liebe. Wie der erſte Funke
in ihr Herz gekommen ſey, der hernach zur vollen
Flamme gedieh, weis ich noch bis dieſe Stunde
nicht. Sie hatte meine Schriften geleſen und durch
ihren eignen Gemahl (der mein Freund war) Schil⸗
derungen meiner Perſon, meines Charakters und
meiner Launen erhalten. Sie hatte lange ſchon
Sehnſucht bezeigt, mich kennen zu lernen. Ihr
eigner Gemahl ſprach mir oft davon vor, wie en⸗
thuſiaſtiſch ſeine Gattin fuͤr mich eingenommen ſey.
Die Entfernung ihres Wohnorts hinderte mich,
ihren Wuͤnſchen zuvorzukommen. Ich ſchrieb ihr.
Sie antwortete mir. Der wechſelſeitige Ton ward
immer traulicher, zärtlicher, feuriger. Im fuͤnf⸗
ten bis ſechſten Briefe erſchien ſchon das Du der
innigſten Liebe. Kurz es begann, ohne daß wir
beide uns geſehen hatten, das ſtaͤrkſte Band der
Herzen, welches je platoniſche Liebe geknuͤpft hat. —
Nach einem halben Jahre ſahen wir uns. — Sie
2 ne ͤK—— K Ann
F
; x D
3
— 163
ſtarb nach einiger Zeit. — Ihr Zuſtand war der
hoͤchſte Grad der Reizbarkeit des Nerven ſyſtems.
Ihr Herz war edel und ihr Verſtand volkommen
aus gebildet. Mit der Zeit bringe ich die Geſchich⸗
te in einen Roman.
— —
Vierzehntes Kapitel. 9
Gartenleben, Life, Moriz und Tokayer.
Je hatte in meinem ſchoͤnen Garten Vergnuͤgen,
Ruhe und Geſundheit geſucht, und in dem Beſiz
dieſer Güter zu doppeltem Fleiſſe und doppeltem
Erwerbe fähig zu werden gehoft: aber ich fand
mich getaͤuſcht. Meine Geſundheit war durch Wils
helm Volland bereits zerſtoͤrt und die Hypochondrie
ſeiner Schweſter (die jezt ſchon Studenten und Faͤhn⸗
drichen es klagte, daß ich nicht mehr bei ihr ſchlief)
verbitterte mir die Freuden, welche meine eigne mir
uͤbrig ließ.
Mein Buͤttner ſagte mirs auch jezt faſt jedes⸗
mal, wenn ich ihn deſuchte: daß ich der Mann
ee
nicht mehr wäre, der ich geweſen war: daß ich 1
nicht halb mehr ſo genießbar ſey, als ſonſt. In der 1
That, meine Laune verſiegte, mein Wiz wurde matt,
mein Feuer erloſch, meine Scherze wurden ſeltner,
und meine ganze Kraft vertroknete, wie eine Pflan⸗
ze, der's an Nahrung gebricht.
Eine meiner liebſten Freuden waren meine drei
Kinder, welche mich alle auf das zaͤrtlichſte liebten,
und die ich mit einer einzigen Stirnfalte regieren
und ſtill oder fröhlich machen konte, wie ich fie has
ben wolte. Die aͤlteſte zeichnete ſich durch einen
ſanften Charakter und Geſchiklichkeit aus. Sie
lernte alles, leicht und volkommen, was ich gelernt
haben wolte. Sie ſchien zu allem Talent zu haben.
Ihr Klavier und ihr Geſang erhob ſich in wenig
Monaten zu einer gewiſſen Reife. Ihre Nadel lei⸗
ſtete alle weibliche Arbeit. Ihre Haͤnde ſchaften
Speiſe und Bakwerk. Und ſie ſelbſt ſchien dem al⸗
len keinen Werth beizulegen. Sie war nicht ſtolz
und bemuͤht, ſich ſehen zu laſſen. Aber ſie war
auch eben fo wenig ſchuͤchtern, es zu zeigen, wenn
mans ſehen wolte. Sie hatte einige Wochen Unter⸗
richt im Singen gehabt, und eine Verlegenheit der
ru 165
Konzertdirektoren verurſachte, daß Herr Weimann
ihr eine Rolle anbot. Und ſie, wie wenn vor 300
Perſonen ſingen, nicht mehr ſey, als vor ihrem
Vater fingen, fagte ein kaltes Ja und — fang. Sie
iſt in meinem Leben nicht mit Widerſpenſtigkeit mir
ungehorſam geweſen.
Die Mittelſte hatte weniger Staͤtigkeit und Ge
ſchik: aber deſto mehr Feuer. Jede Nerveſ an ihr
war Gefuͤhl und Leidenſchaft. Mir war oft bange,
wie ich dies Feuer baͤndigen ſolte, ohne es zu un⸗
terdeüffen. Ihr Herz iſt edel und voll guten
Willens.
Die Juͤngſte war beinahe von gleicher Lebhaf⸗
tigkeit aber etwas bezaͤhmbarer, als die Mittelſte.
Ihre Sache war nie Kopfarbeit und Geſchaͤft, bei
dem ſie ſizzen mußte und ſich wenig bewegen konte.
Rehen und Steikken war ihre Pein. Aber wenn
ſie die rauhe Kuͤchenſchuͤrze anlegen, ſich die Arme
aufſtreifen und die haͤrteſten Hausarbeiten verrich⸗
ten durfte, dann fuͤhlte ſie ſich ſelig. Sie konte
von fruͤh bis auf den Abend bei kehren, waſchen,
ſcheuern, kochen, Bier abziehen u. d. ſtrapaziert
L 3
166 \ — —
werden, ohne zu ermuͤden, oder die ust zu der/ sie
lieren. ©
Gern haͤtte ich zu dieſen Töchtern noch einen
Knaben gehabt. Aber es hat mir nicht gelingen
wollen. Der Himmel wolte meine Race nicht fort⸗
gepflanzt haben: ob darum, weil fie für die Welt
zu gut oder zu ſchlim war, weis ich ſelbſt nicht.
Unter den acht Kindern, die mein Weib mir gebar,
ſind drei Knaͤblein geweſen, aber keins iſt leben ge⸗
blieben. Das lezte, was ſie in dieſer Epoche zur
Welt brachte, war meine ſuͤſſeſte Hofnung, weil
es ein ſtarkes und geſundes Kind zu ſeyn ſchien:
aber die Wahl der Amme machte auch dieſe Hof⸗
nung mir welken. Es meldeten ſich verſchiedene
junge und geſunde Perſonen, die meiner lieben Gat⸗ |
tin aber alle zu reizend waren. Zulezt wurde eine
alte Vettel gewaͤhlt, bei welcher das Kind mit je⸗
dem Tage mehr abnahm, bis endlich der Arzt 8
holt wurde und zu fpät uns entdekte, daß das es ö
bei der Amme verhungert ſey. |
Schwaͤche und zunehmende Kraͤnklichkeit er⸗
heiſchten jezt diätetifche Huͤlfsmittel, darunter viel
—— nn 1 167
Bewegung in freier Luft das wichtigſte war. Ich
verſuchte Gartenarbeit, die fo viel Reiz fuͤr mich
hat: aber ſie bekam mir nicht, weil ich bei der
kleinſten Bewegung, des Hakkens oder Grabens,
in den heftigſten Schweis gerieth und gleich darauf
mich merklich ſchlechter befand: wie denn auch das
Buͤkken bei der Gartenarbeit mir Kopfweh und
Schwindel verurſachte. ;
Der Arzt rieth mir zu einem Reitpferde. Auch
dies ſtimte mit meiner Neigung. Ich kaufte ein
Pferd und ward angefuͤhrt. Aber bald erhielt ich
ein anderes, das meinem Geſchmakke entſprach.
Ich fand es auf einer Leipziger Meſſe. Es war auf
dem ganzen Roßplazze verſchrien, daß es ein Wild:
fang ſey, daß es in vier Minuten um die Stadt,
herum jage, daß es uͤber alle Schlagbaͤume ſezze
u. ſ. w. Mich luͤſterte darnach. Denn eine Schlaf⸗
muͤzze wolt ich nicht. Ich ließ es herausfuͤhren,
und beſchloß, mich drauf zu ſezzen. Die Juden
traten umher und ſiengen an zu predigen, wie ich
mich in acht nehmen, wie ich die Zuͤgel halten, wie
ich ſchluͤſſen ſolte. Sie machten mich konfus. Ich
faßte die Zuͤgel zu lang. So wie man den Gaul
2 4
168 — — x
los ließ, gieng er mit meiner runden Perukke in
die Luft. Ich erſchrak, fuhr mit der Rechten nach
dem Sattelknopfe, und zog mit der Linken den Zuͤ⸗
gel bis an meine Ohren herauf. Alles Halten war
umſonſt. Die Liſe (ſo nennte ich das Thier her⸗
nach) ging mit mir durch, und rennte zulezt auf ei⸗
nen ofnen Stall zu, in welchem rechts und links
zwanzig Hengſte ſtunden. Zum Gluͤk blieb ſie mit⸗
ten im Thorwege ſtehen. Die da ſtehenden Juden
griffen zu, und riefen einmuͤthig: ach lieber Herr
Pfarr, ſteige Er herunter: das Pferd iſt wild: Er
bricht Hals und Bein. Ich blieb ſizzen. Der
Reitknecht eines Freundes, der mir das Pferd em⸗
pfohlen hatte, kam nachgelaufen und ſagte mir, |
ich möchte nur getroſt ſizzen bleiben und den Zügel:
noch nach meiner Art halten. Jezt faßte ich von
neuem Muth, weil ich gemerkt hatte, daß das |
Thier keine Seitenſpruͤnge that, ſondern die regel⸗
maͤſſigſte Karriere machte, bei der es blos aufs
Feſtſizzen ankam und alle Reuterkuͤnſte entbehrlich
waren. Man ließ los und die Liſe floh mit mir
nach dem grimſchen Thore zu. Ich hatte den Zur
gel mit beiden Haͤnden und ſo kurz gefaßt, daß ich
ihr alle meine Kraft fühlen laſſen konte. Bald
I
wandelte ſich, da ich fie aus Leibeskraͤften anhielt,
ihre Karriere in einen waͤlzenden Galopp und am
halliſchen Thore hatte ich ſie ſchon im Schritte.
Run war ich froh. Ich kam gluͤklich zuruͤk und
erhielt fie für ſiebentehalb Luisd'ors. Das Thier
ward mein Vergnuͤgen. Ich ritt ſie, aus wahrer
Schuͤchternheit, vier Wochen lang im bloſſen Schritt,
vertrieb ihr dadurch die Furcht und Scheuheit, und
zog ſie mir ſo nach meiner Hand, daß ich hernach
mit ihr machen konte, was ich wolte. Sie war
das froͤmſte Thier, unter dem meine Maͤdchen weg⸗
kriechen konten. Und wenn ich drauf ſaß, ſo wars,
als wenn ſie mit mir in den Himmel ſteigen wolte.
Man blieb ſtehen, wenn man mich reuten ſah.
Wenn ich nach Lauchſtaͤdt ritt, welches von Halle
drei Stunden liegt, ſprang ſie mit mir uͤber den
hohen Beichlizzer Schlagbaum und endete ſpielend
den Weg in einer Stunde. Sie ſprang aus dem
Stande uͤber eine Stange, die man ihr ſieben vier⸗
tel hoch uͤber den Erdboden vorſezte. Ein Officier
beim Aſchersleber Regiment hatte ſie ehedem gerit—
ten. Als ich daher nach Aſchersleben kam, und
von Freunden eingeladen wurde, die Uebungen des
daſigen Regiments in Augenſchein zu nehmen, ging
L 5
12 ‚ REN
fie, auf den Schall der Trompete, mit mir durch
und ich konte es nicht hindern, daß ſie zwei Attaken
mitmachte. Der General v. Rohr lachte herzlich
uͤber dieſen Streich, den ſie mir geſpielt hatte. Er
fragte mich, ob ſie auch noch ſezte. Und da ichs
bejahte, ſtach er mit feiner Suite auf die Gräben
zu, uͤber welche die Reuter zur Uebung ſezzen muß⸗
ten, und meine Liſe uͤberſprang fie alle mit ihrem
lateiniſchen Reuter ſo leicht, als ob ſie noch in der
volkommenſten Uebung geweſen wäre. Ich brauche
ſie heutiges Tages noch als Wagenpferd, und ſie
hat, achtzehn Jahr alt, noch ihre volkomne Ge⸗
ſundheit, und erfodert alle Aufmerkſamkeit des
Kutſchers, wenn fie nicht in ihrem Feuer Exeeſſe
begehen foll,
Aber auch das Reuten bekam mir nicht. Ich
fpürte nicht nur gar keine Veraͤnderung in meinem
Koͤrper, ſondern ich bemerkte ſogar, daß mein
Magen ſchwaͤcher ward. Nach dem Reuten wi—
derſtand mir jede Speiſe. Ich habe die Beobach⸗
tung lange fortgeſezt und wenn ich andere Erfah⸗
rungen dazu nehme und z. B. die vielen Bereuter
beherzige, welche ich im Alter hypochondriſch und
— 171 8
ohne Verdauungskraft gefunden habe; fo muß ich
urtheilen, daß das Reuten die heilſame Bewegung
lange nicht iſt, dafür die Aerzte fie ausgeben wols
len. Es erſchuͤttert die Eingeweide zu ſehr und
das Auf⸗ und Abſchlappen des Magens ſcheint mir
offenbar ihn zu ſchwaͤchen. Ich habe in der Folge
das Gehen viel zutraͤglicher gefunden und glaube
jeden Hypochondriakus verſichern zu koͤnnen, daß
täglich zwei bis drei Stunden gemaͤßigte Bewer
gung zu Fuß in freier Luft ihm die herrlichſten
Wirkungen zeigen werde.
Ich kan dieſe Bemerkung durch meinen Freund
Moriz beftätigen, welcher zu der Zeit, da ich in
meinem Garten wohnte, nach Halle kam und fo
hypochondriſch war, daß er mir den Vorſaz ge—
ſtand, mit leeren Haͤnden durch die Welt zu Fuße
zu laufen, um — es ſey durch Hunger, oder Ent⸗
kraͤftung — zu ſterben. Ich nahm ihn, ohne ihn
je gekant zu haben, bruͤderlich auf, weil er mir
gerade durch feinen traurigen Gemuͤthszuſtand ins
treſſant wurde, — bot ihm meinen Garten und
meinen Tiſch an, und beredete ihn, wenns denn
einmal beſchloſſen wäre, den Tod bei mir zu er⸗
172 . —ͤ —
warten. Er ließ ſich endlich zureden, mein Aner⸗
bieten anzunehmen, lebte einige Monate bei mir,
bekletterte täglich die Giebichenſteiner Felſen, aß
und trank ohne Verdruß und Sorgen, und ward
— ſtatt zu ſterben — wie ein neugeborner Menſch.
Heiter und kraftvol ging er nach Berlin zuruͤk,
mit der völligen Ruͤkkehe feiner Luft zu Geſchaͤften.
Ich hatte bei meiner Kraͤnklichkeit wenig Ver⸗
dienſt. Um ſo viel wilkomner war mir ein Brief
aus Ungarn von dem Herrn v. Pronay, einem un⸗
gariſchen Magnaten, welcher mich erſuchte, ihm
meine Gedanken über die haͤhniſche Litteralme⸗
thode aufzuſezen, welche Kaiſer Joſeph in allen
ſeinen Staaten eingefuͤhrt wiſſen wolte. Er wuͤnſch⸗
te, dieſe elende Methode in ihrer Bloͤße aufgeſtelt
und gruͤndlich verworfen zu leſen, um in Verbin⸗
dung mit mehrern Landſtaͤnden dem Kaiſer Gegen⸗
vorſtellungen zu thun. Ich ſchikte ihm, was er
wuͤnſchte, und erhielt einen Anker Tokayer, der
mir weidlich behagte.
— —
— —ä̃ů
Founfzehntes Kapitel.
Glaube an meine Macht im Geißerreiche
En feltfamern Antrag zur Verbeſſerung mei⸗
ner Gluͤksumſtaͤnde that mir ein ehemaliger Krieges
held, welcher mich verſicherte, daß mein Huͤgel,
wo ehemals ein reiches Kloſter geftanden hätte,
davon der Plaz noch das neue Werk benahmt
wird, einen unermeßlich großen Schaz in ſich ſchlie⸗
ße, der aber von maͤchtigen Geiſtern bewacht wir:
de. Ich wil den guten Mann X. nennen.
X. Ich weis, daß Sie in dieſem Fache gros
ße Geheimniſſe beſizzen, lieber Herr Doctor, und
da ich ſelbſt einige Kentniſſe davon habe, welche
durch untruͤgliche Erfahrungen beſtaͤtiget find; fo
nehme ich mir die Freiheit, Sie von der Moͤglich⸗
keit eines großen Gluͤks zu benachrichtigen und Ih⸗
nen meine Dienſte dazu anzubieten. 3
Ich. (mitleidig lächelnd) Ich begreife nicht,
lieber Freund, wie Sie mich in dem Verdachte
174 —
haben koͤnnen, als ob ich Geheimniſſe aus der Gei⸗
ſterwelt verwahrte, da es weltkundig iſt, daß ich
der groͤßte Unglaͤubige bin, und außer Gott gar
nichts glaube, was ich nicht mit meinen Sinnen
erreichen oder mit meiner W baten N Er
x. e lachend) Ei, das 0 Sie 5
mir nur nicht. Ich weis es mehr als zu gewiß,
daß Ihnen Gott auch hierin große Gaben ver⸗
liehen hat. Sie koͤnnen die Geiſter ſicherlich zwin⸗
gen. Sie haben ja den Hoͤllenzwang, den ich in
der Welt ſchon viele Jahre lang vergeblich ger
ſucht habe. |
Ich. Ja, den hab' ich. Aber ich verwahre
ihn, als ein Denkmahl der Moͤnchiſchen Spiz⸗
| doberdl,
&. (erfreut) O, haben Sie das Buch wirk⸗
lich hier? Ach, wenn ichs nur auf einen Augenblik
ſehen moͤchte! Es iſt ein Schaz, der nicht zu be⸗
zahlen iſt. | |
Ich. Ja, ich habe es hier. Aber was wol:
len Sie denn ſehen? Ich verſichere Sie aufrich⸗
tig, daß es Kinderpoſſen find, mit denen die Moͤn⸗
ä W ˙— m 7—˙ e
—— 175
che in den alten Zeiten das abergläußifihe Volk
graf 00 |
x, Hallen Sie denn im Ernſte es fuͤr un⸗
möglich, mit den Geiſtern in Gemeinſchaft zu fom-
men? Sie wollen vielleicht ſich gegen mich nur
nicht herauslaſſen! Aber ich verſichere Sie bei
Gott, daß Sie mit einem Ben Manne zu
thun haben.
ITch. Ich betheure es Ihnen, daß es mein
ganzer Ernſt iſt. Und wenn Sie einiges Vertrauen
zu meinen Einſichten und zu meiner Ehrlichkeit ha⸗
ben, ſo glauben Sie mir, wenn ich Ihnen ſage,
daß alles Narrenpoſſen find. Alle Geiſterſeherei
iſt Betrug. Und wer fie behauptet, iſt entweder
von feiner Phantaſie getaͤuſcht worden, oder er ift
ein vorſezlicher Betruͤger, der andere zu aͤffen und
zu misbrauchen trachtet.
X. Aber ich verſichere Sie doch bei Gott,
daß ich ſelbſt ſchon Geiſter geſehen habe. Und
der ... . in Halle, wird Ihnen, wenn Sie Luft
haben, die Probe machen. Es iſt wahrhaftig wahr,
Die Sache hat ihre Richtigkeit, |
176 —
Ichllacund ich ſage Ihnen, lieber Freund,
der . . . in Halle iſt entweder ein Narr oder ein
Spizbube. Laſſen Sie ſich von ihm nicht aͤffen.
Die ganze Sache iſt widerſingiſch. J
X. Ja, Sie können aber doch die Möglich
keit nicht leugnen. i 1055
Ich. Mit dieſer lieben Moglichkeit behel⸗
fen ſich Tauſende und laſſen ſich damit die Beu⸗
tel fegen.
X. Aber was haben Sie Do für Gründe
die Sache ganz zu verwerfen?
Ich. Unzaͤhlige. Bedenken Sie % PR
daß wir in unſerer Sinnenwelt gar keine glaub⸗
hafte Spur vom Daſeyn der Geiſter haben. Er⸗
waͤgen Sie ferner, daß es ganz unvernuͤnftig iſt,
Buchſtaben und Karaktern, die man auf Zinn
oder Jungfernpergament mahlt, eine Kraft beizu⸗
legen, die Geiſter zu zwingen. Beherzigen Sie
ferner, daß es ganz gegen alle geſunde Begriffe von
Providenz laͤuft, wenn man einem Menſchen die
Macht zuſchreiben wolte, die maͤchtigſten Geiſter
zu ſeinem Dienſte zu zwingen und durch ſie die
Ordnung der Natur zu übergehen. — Ne
X. (ein⸗
x 5 £ Pin
N 5
— —
X. (einfallend) Ich hoͤre wohl, was Sie ſa⸗
gen wollen. Aber alle ſolche philoſophiſchen Gruͤn⸗
de beweiſen doch nichts gegen die Erfahrung.
Ich. Das iſt wahr. Aber Sie werden mich
auch nie bereden, daß es richtige Erfahrungen
giebt, die dawider ſtreiten.
X. (hoͤhniſch laͤchelnd) Wollen Sie mir er—
lauben, Ihnen eine Probe zu machen?
Ich. Von Herzen gern. Sie ſollen alles
von mir haben, was Sie verlangen. Zeigen Sie
mir einen Geiſt und ich verlaſſe meinen Unglauben,
und werde heute noch ein Exorciſt. Denn Muth
habe ich, mit dem Beelzebub ſelbſt anzubinden.
KX. Wollen Sie mir auch Ihren Hoͤllenzwang
dazu borgen?
Es half nichts. Der Mann hatte einen Glau-
ben wie Lavater. Alle meine Gruͤnde waren um—
ſonſt. Er bat und flehte fo lange, bis ich ihm den
Hoͤllenzwang holte. Und ich mußte ihm die Er—
laubniß geben, mit einem gewiſſen andern Manne,
eines Abends ſich auf meinem Gartenhauſe einzu—
finden und eine Konjuration vorzunehmen. Denn
IV. B. M
er behauptete, daß gerade hier eine Region ſein
muͤſte, wo die Geiſter ſich haͤufig aufhielten und
alſo ſehr leicht herbeizurufen waͤren.
Ich willigte in alles, weil ich mir Hofnung
machte, die kranke Phantaſie des guten Mannes zu
heilen und ihn von ſeinem Wahnglauben zuruͤkzu⸗
bringen. Der Tag wurde feſtgeſezt. Die Eporciz
ſten erſchienen. Ich ſchafte meine Hausleute zu
Bette, blieb ſelbſt in der Wohnſtube, welche in der
zweiten Etage des Gartenhauſes war, und Über:
gab den Beſchwoͤrern meinen großen Saal in der
dritten Etage. |
Die guten Leute hatten ſich ſorgfaͤltig vorbe⸗
reitet. Sie hatten ganz neue Kreiſe von Perga⸗
ment, mit dem initio evangelii Johannis und allen
hebraͤiſchen und griechiſchen Namen Gottes be
ſchrieben, welche nur in beiden Teſtamenten gefun⸗
den werden. Sie hatten ſich mit Ggillis und pen-
taculis Salomonis verſehen. Sie hatten Bogen⸗
lange Gebete und Konjurationen aufgeſzt.
Um zehn Uhr des Nachts bezogen ſie beide
meinen Saal, legten ihre Kreiſe, beſprengten alles
mit Weihwaſſer und raͤucherten, daß das Haus
vom Dampf erfuͤlt wurde. Ich ſaß in meiner
Stube und hatte mir Koffe gemacht, um munter
zu bleiben. Um eilf Uhr hoͤrte ich, daß ſie in den
Kreis traten und anfiengen zu beten, daß ihnen
Gott der Almaͤchtige beiſtehen und ihnen, durch
das Blut des Ueberwinders der Hoͤllen, Kraft verz
leihen wolle, den liſtigen Nachſtellungen des Sa—
tans zu entgehen, und ihn durch die Kraft ſeines
allerheiligſten Namens zu beſiegen und zu zwingen,
daß er ihren Willen ausrichten muͤſſe.
Nachdem dieſe Beterei eine Zeitlang gedauert
hatte, (es war eine duͤnne Dekke und die Stille
der Nacht erleichterte es noch mehr, daß ich alle
Worte verſtehen konte — auch ſchrieen die Ber
ſchwoͤrer ſo vernehmlich, daß der Teufel ſich nicht
beklagen konte, die Ohren anſtrengen zu muͤſſen)
ſo begann die Konjuration. Nach Beendigung
derſelben raſteten die Exorciſten, und ich vernahm
nicht das allergeringſte. Auf einmal hoͤrte ich die
zweite Wiederholung, in welcher der Geiſt maͤch—
tiglich ermahnt wurde, ſogleich zu erſcheinen und
die hier befindlichen Schäzze getreulich anzuzeigen,
M 2
180 En
*
und zu eroͤfnen. Auf die zweite folgte die dritte
und lezte. Und nun hoͤrte ich weiter nichts, als
daß die Beſchwornen, da es zwoͤlf Uhr war, die
Stuͤhle ruͤkten, ihre Kreiſe aufhoben, und mit
dem gewoͤhnlichen Ceremoniel den Zwang be⸗
ſchloſſen. Sie legten ſich bald darauf, in ihre |
Mäntel gehuͤlt, auf die Stühle, und fanden ſich
mit Tagesanbruch auf meiner Stube ein. 8
Ich. Nun, wie iſts gegangen, lieben Herren?
Sie haben dem Teufel dieſe Nacht gewaltig
zugeſezt. |
X. (betruͤbt) Ja, leider noch nicht ſtark ges
nug. Die Geiſter waren nicht herauf zu bringen.
N. Ich bleibe dabei, fie find hier unten
geweſen.
Ich. Mir iſt nichts vorkommen. Haben
Sie denn gar nichts vernommen? |
KX. O ja, ſehr viel. Sie ſtiebten von uns
ten auf Sand und Steine an die Fenſter, daß es
klirrte.
N. Ja ja, fie find in der Tiefe geblieben.
Und die Citation war entweder zu ſchwach, um ſie
.
—
er —— —— — .
————
2 r
nen 181
7
vollends heraufzutreiben oder — es iſt eine hoͤhere
Macht uns im Wege geweſen.
Ich. Aber da Sie gar nichts geſehen ha—
ben, wie koͤnnen Sie noch auf Ihren Glauben
beharren? Sie haben mir doch verſprochen, mich
durch eine Erfahrung zu uͤberzeugen. Sie haben
aus meinem Hoͤllenzwange die allerſtaͤrkſten Kon—
jurationen herausgeſucht. Warum trifts denn
nicht zu? Sehen Sie denn nicht, daß alles Poſ—
ſen iſt?
X. Ja ja, wenn der Herr Doktor nur ſelbſt
gewolt hätten: die Probe würde wohl zugetrof⸗
fen ſeyn.
Ich. Wie ſo? wenn ich gewolt haͤtte? Ich
verſtehe Sie nicht.
N. (bverdruͤßlich) Wir wollen den H. Doktor
nicht laͤnger aufhalten. Wer weis, wem die Pro—
be am beſten bekommen wird?
Wer haͤtte ſich das ſollen traͤumen laſſen? Die
beiden Leute glaubten im Ernſt, daß ich eine noch
kraͤftigere Konjuration unter ihnen gebraucht und
ihnen die Geiſter abſpenſtig gemacht haͤtte. Und
M 3
j 182 1 ———
ich hatte nun, ſtatt ſie von ihrem Wahnglauben
zuruͤkzufuͤhren, fie deſtomehr darin beſtaͤrkt.
Denn ſie aͤrgerten ſich nun, daß ſie mir den Schaz
meines Gartens verrathen hätten, und von mir
als einen maͤchtigern Exorciſten angefuͤhrt, worden
wären. Sie ließen ſichs nicht mehr ausreden.
Und da ich hernach meinen Weinberg für 3000
Thaler kaufte, behauptete der X an verſchiedenen
Orten ganz oͤffentlich, daß ich einen Schaz in mei⸗
nem Garten gefunden haͤtte und — heimlich ein
ſteinreicher Mann ſey. — Kurz, die Exoreiſten
hielten fuͤr gewiß, daß ich die Geiſter in mein Zim⸗
mer geholt und das Geld ſtatt ihrer in Empfang
genommen haͤtte.
Und werden meine Leſer mir es wohl glauben,
wenn ich ihnen ſage, daß dies nicht das erſte und
lezte mal war, daß ich fuͤr einen maͤchtigen Ge⸗
bieter der Geiſter gehalten wurde? Ich wolte noch
mehr als zwanzig Perſonen in und auswaͤrts nam⸗
haft machen, welche ſichs bis dieſe Stunde nicht
aus reden laſſen, daß ich ein Teufelsbanner bin.
Ich war einſt in Schlettau (einem ſächſiſchen
.
*
N,
4
\
i
\
9
Dorfe bei Halle) im Wirthshauſe zur Kirchmeß
und ftand, in meinen eignen Gedanken vertieft,
an einem Fenſter. Ich bemerkte bald einen klei⸗
nen dikken Mann ſeitwaͤrts hinter mir, der in
einem weg mich betrachtete. Ich wandte mich eini⸗
gemal, um ihn unmerklich ins Auge zu faſſen,
und glaubte eine gewiſſe Sehnſucht in ſeinen Blik—
ken zu leſen. Ich fuhr fort, zum Fenſter hinaus
zu ſchen und hoͤrte endlich, daß der Mann ſich
bewegte und mir näherte,
Ich. (indem ich mich umdrehte — freund:
lich) Haben Sie mir etwa was zu ſagen, lieber
Mann?
Er. Ja, lieber Herr Doktor. Ich habe
ſchon lange mirs gewuͤnſcht, Sie einmal zu fpres
chen: habe mirs aber immer nicht unterſtehen
wollen.
Ich. O, Sie konten zu allen Zeiten frei zu
mir kommen. Ich nehme jederman gern und lieb⸗
reich auf. Was iſt denn wohl ihr Anliegen?
Er. Ja, wir werden an dieſem Orte wohl
ſchwerlich uns ſprechen koͤnnen. Ich wil jezt nur
ſo viel ſagen, lieber Herr Doktor, ich weis es,
daß Sie ein großer Mann ſind und daß Ihnen
M 4
0
184 —
Gott große und ſeltene Gaben verliehen hat, die
wenige Menſchen in der Welt beſizzen. Ich habe
das auch von großen Gelehrten gehoͤrt, die ſonſt
ihre Feinde ſind, daß Ihnen der liebe Gott —
Ich. (einfallend) Laſſen Sie dieſe Lobſpruͤche
weg, lieber Mann, und ſagen mir lieber kurz und
gut Ihr Anliegen. Sol ich Ihnen einen Rath ges
ben, oder einen Aufſaz verfertigen, oder —
Er. Rein, nein. Ich habe etwas weit
wichtigeres auf meinem Herzen. Ich weis, daß
Sie ein Herr ſind, der viel großes leiſten kan,
was menſchliche Kraͤfte nicht vermoͤgen. Ich habe
ſelbſt ſchon einiges verſucht: aber ich glaube ge—
wiß, daß ich ohne Sie nichts werde ausrichten
koͤnnen. 8
Ich. Lieber Mann, Sie irren ſich ſehr. Ich
habe und kenne keine andern, als menſchliche
Kraͤfte. Und wenn Sie etwa mich zu Dingen zu
gebrauchen hoffen, dazu Magiſche Kräfte, wie
mans nennt, erfodert werden, ſo bedaure ich Sie.
Er. Verſtellen Sie ſich gegen mich nicht, fies
ber Herr Doktor: ich bin ein ehrlicher Mann.
5
3 8 =
Sehen Sie, ich habe in meinem Haufe einen Schaz,
der ſchon uͤber dreißig Jahre liegt. Es iſt algemein
bekant daß der .... 30000 baares Geld hatte,
und da er ſtarb, ſuchte man das ganze Haus durch
und fand nichts, und jederman ſagte, daß ers ver⸗
graben haͤtte. Das Haus beſizze ich jezt, und es
iſt zuverlaͤßig das Geld noch da. Sie ſollen den
dritten Theil davon haben, lieber Herr Doktor,
wenn Sie mir dazu verhelfen. Ich weis, Sie koͤn—
nen. Ich habe ſchon drei Waſſergeiſter abgetrie—
ben. Aber es ſizt noch ein maͤchtiger Luftgeiſt auf
dem Schazze, welcher nicht wanken und weichen
will. Und ich weis gewiß, Sie zwingen ihn.
Ich fuhr fort, den Mann zu bedeuten, daß er
ſich an mir irre und ich konte dennoch mit allen
Konteftationen und Vorſtellungen nichts bei ihm
ausrichten: weil er ſichs feſt in den Kopf geſezt
hatte, daß ich die bei mir geſuchte Kunſt befäße, und
nur Urſache haben muͤßte, mich vor ihm zu ver⸗
bergen.
Wenn alle dieſe und aͤhnliche Glaubige an
meine Macht im Ge ſterreiche nicht noch lebten,
M 5
55 zum Theil brave und angeſehene Leue waren; x
fo würde ich kein Bedenken tragen, ihre Namen
zu nennen, welche ich jezt aus Diskretion verſchwei⸗
gen muß.
Sechszehntes Kapitel.
Ruͤkkehr in die Stadt.
Geſchichte der meraliſchen Vorleſungen.
Jo hatte zwei Winter und einen Sommer in
meinem Gartenhauſe ausgehalten und mit vielen
Koſten alle moͤgliche Verſuche gemacht, den Rauch
los zu werden, welcher bei Heizung der Oefen das
ganze Haus erfuͤllte und zuweilen mit Gewalt durch
die Oefen in die Zimmer drang, ſo daß man Thuͤr
und Fenſter oͤfnen oder erſtikken mußte. Ich habe
dieſe Noth wenigen geklagt, um einſtige Käufer
nicht abzuſchrekken: aber ſie war wirklich ſo groß,
daß wir ſie nicht mehr ertragen mochten.
Einmal gerieth ich in wirkliche Gefahr, mit
meiner Frau und meiner älteſten Tochter, welche
in meiner Kammer mit lag, zu erſtikken. Ich
brante in meinem Ofen Steinkohlen, die ich, auch
wenn ſie dampfen, ſehr gut vertrage. Das Feuer
war um acht Uhr ſchon niedergebrant und wir hats
ten uns halb zehn Uhr ſchlafen gelegt. Um eilf Uhr
hoͤre ich meine Frau keichen und ſtoͤhnen, als wenn
ſie mit dem Tode raͤnge. Ich ermunterte mich,
konte aber kein Wort aus ihr herausbringen. Ich
wekte meine Tochter. Dieſe ſtund auf, und wie
ſie auf ihre Fuͤße trat, taumelte ſie in meine Arme.
Jezt erſt merkte ich, daß Steinkohlen Dampf in
der Stube war. Denn ich ſelbſt empfand nichts
als ein wenig Kopfſchmerzen, und war an den
Kohlen geruch ſchon fo gewoͤhnt, daß ich nicht drauf
gefallen ſeyn würde, wenn ich nicht die Wirkung
an meinem Weibe und Kinde gemerkt haͤtte. Ich
ſchlepte eiligſt das Maͤdchen hinaus, riß das Fen⸗
ſter auf und zog die Mutter aus dem Bette, um
fie ebenfals aus dem Zimmer zu bringen. Sie erz
holten ſich beide wieder. Und nun fand ich, daß
ein Windſtoß die gluͤhenden und noch Schtwefelduf:
tenden Kohlen dergeſtalt getroffen hatte, daß gluͤ—
hende Aſche im Zimmer um den Ofen herum lag.
Waͤr ich eben ſo empfindlich gegen den Kohlendampf
geweſen, wie mein Weib, und hätte folglich nicht
fo leicht erwachen und mich beſinnen und Huͤlfe
ſchaffen koͤnnen; fo wären wir vieleicht alle drei
ums Leben gekommen. | |
E77
Dieſer Vorfall brachte den Entſchluß zur Rei⸗
fe, den Garten wieder zu verkaufen, den ich, wos
fern ich ihn nicht mehr bewohnen und die Miethe
in der Stadt dabei ſparen konte, nicht zu behaup⸗
ten vermochte.
Ich miethete mich anfangs wieder in der Stadt
ein, kaufte mir aber hernach ſelbſt ein Haͤuschen
fuͤr 1000 Thaler, wo ich zu meiner Lieſe noch ein
Pferd mit einer Halbſchaͤſe anſchafte, und alle Nach⸗
mittage aufs Land fuhr, um da zu arbeiten. Mei⸗
ne Lebensart blieb wie vorher. Ich arbeitete von
fuͤnf Uhr des Morgens bis Mittag. Nachmittags
nahm ich mein Schliftſteller⸗ Werkzeug mit nach
Schlettau und benuzte blos die Bewegung des Fah⸗
rens und die Gelegenheit, in kurzen Pauſen, die
ich in meine Schreiberei einſchaltete, die freie Land⸗
luft zu genieſſen. Zuweilen fand ich auch Geſel⸗
ſchaft, der ich, wiewohl ſelten, einen Theil der
Arbeit aufopferte. Ich habe mehrere hundert
Zeugen, die mich da bei meiner Arbeit getroffen
haben: und dennoch ſeufzte die theologiſche Hei⸗
ligkeit ſo laut, daß mans in Berlin hoͤren konte:
Der D. Bahrdt liegt Tag und Nacht auf den
Doͤrfern!
Solche Seufzer, von Zeit zu Zeit an die Be—
hoͤrde abgeſchikt, waren noͤthig, wenn der vers
haßte und ein vor allemal zum Opfer der Un⸗
terdruͤkkungsſucht beſtimte Mann wirklich erliegen
ſolte. Denn des Miniſters Wunſch, mich zu ver—
ſorgen, war noch gar nicht in feinem Herzen erſtor—
ben. Er hatte vielmehr vor kurzem nur erſt Mine
gemacht, die verfallne und mit bloſſen Studenten-
predigten bisher verſorgt geweſene Univerſitaͤtskir—
che wieder in Aufnahme zu bringen und, in meiner
5 kleinen Per ſon, der Kirche ein Auditorium und den
Studenten ein brauchbares Muſter der Kanzelbe—
redſamkeit zu geben. Und es hatte ſehr dringende
Berichte gekoſtet, dieſe meine neuen Ausſichten zu
verſinſtern und die Gefahr, mich durch Rednerta—
lente in Anſehen und Kredit zu erblikken, von dem
halliſchen Zion abzuwenden.
5
Aber ſchon bereitete ich meinen Unterdruͤkkern
neue Beſorgniſſe. — Ich bekam den Einfall, nach
der Weile des ſeligen Gellerts, moraliſche Vorles
ſungen zu halten, weil ſchon viele Familien, adli⸗
chen und buͤrgerlichen Standes, mich ermuntert
hatten, einmal ein Kollegium zu leſen, welches fuͤr
alle Stände geniesbar ſey. |
Mein Plan war, wöchentlich eine einzige Stun⸗
de dazu zu beſtimmen, und blos die wichtigſten und |
intereſſanteſten Themata aus dem Umfange der mo— |
raliſchen Religion auszuheben, um fie mit der ganz |
zen mir moͤglichen Kraft der innern und aͤuſſern
Beredſamkeit vorzutragen. |
Ich hatte damals das große Auditorium, in
welchem ehedem der große Baumgarten feine Vor⸗ | |
leſungen gehalten hatte. Es faßte bei 400 Mens
ſchen. In dieſem Hoͤrſale ließ ich einen Abſchlag
machen. Zwei Drittel des Raums beſtimte ich ö
fuͤr Studenten und einen Drittel fuͤr Zuhoͤrer aus
andern Staͤnden. Der Abſchlag ſonderte beide
Arten von Zuhoͤrern von einander, und war ſo
eingerichtet, daß zur Zeit, wenn ſich das Audito⸗
+ — —
191
rium verſamlete, kein Theil den andern ſehen kon⸗
te. Erſt, wenn ich aufs Katheder ging, oͤfnete
ſich durch große Schieber der obere Theil des Ver⸗
ſchlags, ſo daß beide Auditoria einander ſowohl
als den Redner im Geſicht hatten.
Mein Vorſaz war, die Stunde des Sontags
um eilf Uhr zu halten, wenn alle Kitchen geendiget
waͤren. Ich waͤhlte den Sontag, weil da die
Familien am erſten Zeit hatten, einer ſolchen Stun—
de beizuwohnen und auch in Abſicht auf Seelen—
ſtimmung dazu am aufgelegteſten ſchienen. Es
war dies weder etwas unſchikliches noch neues.
Schon in Halle waren des Sontags Vorle⸗
ſungen gehalten worden. In Göttingen hatte
Heine des Sontags Archäologie geleſen. Und ein
Jahr darauf las unſer Paſtor Senf alle Sontage
ein Kollegium über die haͤusliche Erziehung. Was
rum ſolte ich alſo nicht Sontags eine Stunde Mo⸗
ral leſen?
Ich machte mein Vorhaben bekant und er⸗
hielt in der Stadt algemeinen Beifal. Viele Afs
ficiers und Familien verſprachen zu kommen. Eine
ungeheure Menge Studenten meldete ſich. Ich
vollendete meine Anſtalten und ſezte endlich dieſe
moraliſchen Vorleſungen in meinen Lektionszettel.
Und dieſer ging, mit der Liſte aller akademiſchen
Vorleſungen, nach Hofe und wurde approbirt. g
Aber bald nach Oſtern, etwa vier Wochen,
ehe die Sommervorleſungen ihren Anfang nah⸗
men, hoͤrte ich, daß einige bei der Univerſitaͤt
meine moraliſchen Vorleſungen nicht billigen wol—
ten und — daß beſonders die Herren Theologen
allerlei dagegen einzuwenden hatten. Ich eilte zu
dem damaligen Prorektor, dem Herrn Prof. Schulz,
und fragte, ob das Gerücht Wahrheit habe? Er
nahm mich mit der aͤußerſten Hoͤflichkeit auf, zukte
die Achſeln und geſtand — daß allerdings verſchie⸗
dene Einwendungen gemacht wuͤrden, und daß
man von Seiten der Fakultat mir durchaus nicht
geſtatten wolte, dieſe Vorleſungen zu halten.
Ich drang in ihn, die Gruͤnde davon zu ver⸗
nehmen, konte aber nichts erfahren. Alſo wandte
ich mich ſo fort an den Miniſter, berichtete ihm,
daß
193
daß mir der Prorektor den Anſchlag meiner moras
liſchen Borlefungen am ſchwarzen Bret nicht geſtat⸗
ten wolle, und bat um ſeine Protektion. Ich er⸗
hielt die ſchleunigſte Huͤlfe.
Se. Exellenz antworteten mir: „mit heuti⸗
„gem Poſttage habe ich an den Herrn Prorektor
„ ſelbſt geſchrieben und ihm wegen Ihres Anliegens
„meine Gedanken eroͤfnet. Es werden Ihnen nun
„weiter keine Schwierigkeiten gemacht werden.
„Benehmen Sie ſich nur ſelbſt dabei mit der noͤthi⸗
„gen Vorſicht, und ſchaden ſich nicht durch alzu⸗
„freimuͤthige Aeuſſerungen u. ſ. w.,
Nun freute ich mich meines Sieges. Der Ap⸗
probation des Oberkuratorii verſichert, ging ich
ſogleich zu Herrn Schulz und ſagte Seiner Magni⸗
ficenz , daß mir der Miniſter ſchriftliche Erlaubniß
ertheilt, und mir zugleich gemeldet haͤtte, daß er
Seiner Prorektoriſchen Herrlichkeit feine Willens⸗
meinung eroͤfnet habe.
Herr Schulz war freundlich und artig: aber —
dabei in ſeinen Antworten ſo unbeſtimt, daß ich
IV. B N a
- f 0 5 KR R
/
te. Er ließ ſich ſogar nicht einmal in ein ausdruͤk⸗
liches Geſtaͤndniß ein, daß er den Brief vom Mi⸗
niſter erhalten habe. Er wagte es nicht, mir die
Vorleſungen weiter zu unterſagen: aber er huͤtete
ſich auch, mir eine kategoriſche Erlaubniß dazu zu
ertheilen. Und wenn mein Gedaͤchtniß mich nicht
taͤuſcht; ſo bat er mich blos, die Zeit, naͤmlich die
Sontagsſtunde, nicht mit oͤffentlich anzuſchlagen.
Ich nun — ging, trozzend auf meine gerechte
Sache und auf des Miniſters Handſchreiben, —
an die Arbeit, und ließ mir weiter nicht traͤumen,
daß ich an meinem Vorhaben gehindert werden
wuͤrde, zumal da ich dem Prorektor nachgegeben
und die Beſtimmung der Zeit aus dem Anſchlage
weggelaſſen hatte. Vor allen Dingen ſorgte ich
jezt fuͤr gute Ordnung, und weil ich fuͤrchten mußte,
daß ein erſtaunender Schwarm von Studenten ein⸗
dringen wuͤrde; ſo machte ich bekant, daß kein
Hoſpite geduldet werden koͤnte, ſondern daß jeder
von dem Anfange der Vorleſungen das Honorari⸗
um bezahlen und ſich ein Entree⸗ Billet bei mir ab⸗
holen müffe, ohne welches niemand eingelaſſen wer⸗
weder Ja noch Wein aus ihm herausbringen kon⸗
1
1
— . Ste ui un 2
a —————9—— 195
den und einen Plaz finden würde. Das Honora—
rium betrug, fuͤrs halbe Jahr, zwei Thaler. Und
ich gab über 200 Billets aus.
Die Fakultat ließ mich gewaͤhren. Die Unis
verſitaͤt ſchwieg. Der Prorektor ruͤhrte ſich nicht. —
Ich verwendete einige dreiſſig Thaler auf die Ver—
ſchoͤnerung meines Hoͤrſales. Ich ließ den Ver⸗
ſchlag anſtreichen. Ich verſahe den fuͤr Familien
beſtimten Raum mit Stuͤhlen. Kurz, ich handel—
te oͤffentlich und ſtadtkundig ſo, daß es keinem
Menſchen, geſchweige dem Prorektor, verborgen
bleiben konte, was ich vor hatte. Meine Billets
kurſirten in allen Haͤuſern. — Aber es war ab—
ſichtliche Stille. Man wolte mich ruhig alle An—
ſtalten vorkehren laſſen und, erſt im lezten Augen
blikke, mich ſtoͤren und zum Gelächter machen.
Nachdem ich dem Prorektor erflärt hatte, daß
ich den und den Sontag anfangen wuͤrde zu leſen,
und mir kein Wort dagegen von ihm eingewendet
worden war — nachdem ich drei Wochen lang oͤf⸗
fentliche Anſtalten gemacht und Billets ausgegeben
hatte — ſchikten Se. Magnificenz — der Theo⸗
N 2 |
196 | —
loge, Schulz, Direktor des Waiſenhauſes —
den Pedell, an die Frau D. Junkerin, an dem
Sonnabende, welcher vor dem Sontage unmittel⸗
bar vorher ging, an welchem ich anfangen wolte zu
leſen, abends um acht Uhr, und ließ ihr befehlen,
bei zehn Thaler Strafe ſogleich die Thuͤren meines
Auditorii zu verſchließen, mit Vorlegeſchloͤſſern zu
verwahren, und mir ſchlechterdings allen Gebrauch
des Hoͤrſals zu verwehren.
Um neun Uhr deſſelben Abends, wo ich ruhig
in meinem Hauſe ſaß und mich auf die morgende
erſte Vorleſung zubereitete, kam der Herr D. Jun⸗
ker, der Sohn der guten Frau, von welcher ich
das Auditorium gemiethet hatte, erſchrokken und |
leichenblaß gelaufen, und meldete mir den ſcheusli⸗
chen Vorfall.
Ich war wie verſteinert, da ichs vernahm.
Iſts moͤglich, dacht' ich, daß man ſo heimtuͤkkiſch
mit mir verfährt? — Meine Erſtarrung ging in
tobende Blutwallung uͤber. Ich rannte zum Poſt⸗
direktor, der mein Freund war, und bat ihn drin⸗
gend, mir bis zehn Uhr Zeit zu laſſen, daß ich noch
* f , — =
— — — — — —
— ——— 197
einen Brief nach Berlin ſchreiben und abgeben koͤn⸗
te. Er verſprachs und hielt Wort.
Im erſten Aufbrauſen meines Zornes ſezte ich
mich und ſchrieb an den Miniſter.
„In dieſen Augenblikten erfahre ich den hoͤchſten
„Grad der allerniederträͤchtigſten theologiſchen
„Kabale, die je an einem Menſchen veruͤbt
„worden iſt ꝛc.
Mit ſolchen heftigen Ausdruͤkken, war der
ganze Brief erfuͤlt. Ich erzaͤhlte in dem bitterſten
Tone den ganzen Vorfall, wie ich den Prorektor
vor drei Wochen geſprochen, mich auf Sr. Exel⸗
lenz Handſchreiben berufen, und kein weiteres “ns
terdikt erhalten hätte; wie boshaft man mir bei
meinen Anſtalten zugeſehen und nicht einen Laut
von ſich gegeben haͤtte, woraus Widerſtand zu
ahnden geweſen waͤre: wie ſchaͤndlich es ſey, einen
Mann erſt Koſten aufwenden und die ganze Stadt
in Erwartung ſezzen zu laſſen, und dann erſt aus
dem Hinterhalt hervorzubrechen und ihn, mit Ver:
eitlung aller ſeiner Anſtalten, dem Hohngelächter
des Publikums preis zu geben.
N 3
6 0
Dieſer freilich zu hizzige Brief, den ich bei
kaͤlterm Blute nicht geſchrieben haben wuͤrde, ward
des Sonnabend Abends noch auf die Poſt gegeben. —
Ich ſchlief die ganze Nacht vor Scham und Aerger⸗
niß nicht. Den Sontag fruͤh ſchikte ich meinen
Fiskal in die vornehmſten Haͤuſer und ließ anſagen,
daß ich gehindert ſey, heute die moraliſchen Vor⸗
leſungen anzufangen. |
Aber um zehn Uhr ſchon hörte ich neuen Laͤrm.
Man meldete mir, daß die Studenten ſchaaren⸗
weiſe nach meinem Auditorio zoͤgen: daß eine Men⸗
ge Herren und Damen auf gleichem Wege waͤren:
und — daß das Haus, wo ich haͤtte leſen wollen,
mit Haͤſchern beſezt ſehy. Es war mir unglaublich.
Ich ſandte meinen Fiskal ſelbſt hin. Und es war
leider die Wahrheit.
Die Herren ... hatten beſorgt, ihre Vor⸗
legeſchloͤſſer moͤchten allein nicht ſtark genug ſeyn,
mein Borhaben zu hintertreiben. Sie wußten, daß
eine Menge Stabs- und andere Officiers meine
Freunde waren und den Vorleſungen beizuwohnen |
beſchloſſen hatten. Sie trauten dieſen Kriegshelden
zu, daß fie mit den Vorlegeſchloͤſſern nicht viel Kom⸗
plimente machen, ſondern mich de facto in meinen
Hoͤrſal einfuͤhren wuͤrden. Sie kanten meinen
Muth und ihre ungerechte Sache. Sie erwogen,
daß ſie den Fehler begangen und mir weder ſchrift—
lich noch muͤndlich ein Interdikt inſinuirt haͤtten,
und daß ich alſo gar fuͤglich, kraft des Handſchrei⸗
bens vom Miniſter, ihre Vorlegeſchloͤſſer ignoriren,
und mich der Erlaubniß des Oberkuratorii bedienen
koͤnte. Kurz, es ward ihnen bange, daß die Reihe
des Ausgelachtwerdens an ſie ſelbſt kommen duͤrfte,
wenn fie nicht ſtaͤrkere Hinderniſſe mir entgegen ſez⸗
ten. Daher hatten ſie ſich entſchloſſen, in aller Fruͤ⸗
he das Haus mit Pedellen und Haͤſchern zu beſez—
zen, um mich und meine Zuhörer, mit Gewalt abs
treiben zu laſſen.
Aber ich handelte fo uͤbereilt nicht, wie fie gez
glaubt hatten. Ich blieb zu Hauſe, und erwartete
die Vertheidigung meiner Rechte vom Oberkurator.
Und meine Zuhörer kehrten, da fie die Haͤſcher fa>
hen, eben ſo ſtill in ihre Wohnungen zuruͤf. |
Was man in der Stadt und bald nachher in
Deutſchland von dem Vorfall ſprach, werden mei⸗
N 4
200 —
ne Leſer wohl errathen koͤnnen. Ich hätte nicht
Menſch ſeyn muͤſſen, wenn ich ohne alle Leidenſchaft
dabei geblieben waͤre. Den Dienſtag gieng ein faſt
eben ſo feuriges Schreiben an den Miniſter, in
welchem ich den ſpaͤtern Auftritt berichtete, der am
Sontage ſich ereignet hatte. Und ich erwartete
nichts gewiſſers, als daß der Miniſter meine er⸗
theilte Erlaubniß durchfechten und der Fakultat
eins auswiſchen wuͤrde. Aber meine Erwartung
wurde nur zur Haͤlfte erfuͤllt.
Es dauerte vier Wochen, ehe von Berlin aus
etwas erfolgte. — Der Miniſter mochte nicht Luft
haben, es zu einem foͤrmlichen Kriege zwiſchen ihm
und der Fakultat kommen zu laſſen: weil er nicht
gewiß war, in welcher Stimmung Friedrich den
Großen eine Klage der Univerfität gegen den Kura⸗
tor finden würde, Er ſcheint daher lange ſich bez
dacht und nachgeſonnen zu haben, wie er meine
unartigen Gegner zuͤchtigen wolte, ohne ſich in ei⸗
nen direkten Krieg mit ihnen einzulaſſen. Und von
dieſen Berathſchlagungen ſcheint mir folgender Er⸗
folg das Reſultat geweſen zu ſeyn.
Se. Excellenz ſchikten — meine beiden Pri⸗
vatbriefe! — an die Untverjität, mit dem Befehl,
fi dagegen zu verantworten. — Das war eine
Eeſcheinung, die ſich kein Menſch zu entraͤthſeln
vermochte. Viele weiſſagten mir aus dieſem Ge—
brauche, den der Miniſter von meinen Briefen ge—
macht hatte, einen traurigen Ausgang. Ich —
blieb in meiner Ruhe und ließ dem Dinge ſeinen
Lauf. Mein Blut hatte ſich abgekuͤhlt und die
ganze Sache war in meinen Augen nur noch Spie⸗
gelgefecht.
Aber was bei der Univerſitaͤt fuͤr große Augen
gemacht wurden, kan man ſich beſſer vorſtellen als
beſchreiben. Die runden Peruͤkken eilten in ihre
Konferenzen und — beſchloſſen meinen Untergang.
„Das iſt erſchreklich, hieß es. So hat ſich noch
„kein Menſch unterfangen, gegen alte koͤnigliche Proz
„feſſoren zu ſchreiben. Da muß ein exemplum
„fine exemplo ſtatuirt werden. Jezt dürfen wir
„nicht ſchonen. Jezt muß alles heraus. Wir
„müuͤſſen ſchlochterdings eine eklatante Satisfaktion
„haben. Der Bahrdt muß oͤffentlich beſtraft und
„für ſolche Inſolenzen gezuͤchtiget werden.,
N 5
202 DH.
Es kam zum votiren. Der vorgeſchlagene
Bericht ward von vielen Profeſſoren, welche die
Unbilligkeit des bisherigen Verfahrens gegen mich
einſahen, mit Gruͤnden verworfen. Aber durch
die Mehrheit der Stimmen wurde er durchgeſezt
und ging nach Hofe. f 3
Der Bericht oder vielmehr die Anflage ent:
hielt alles, was gegen mich aufzubringen war.
Man ſtelte dem Oberkuratorio die Heiligkeit des
Sontags vor, den ich mit meiner Moral hätte
profaniren wollen. Man zeigte die gerechte Be—
ſorgniß, daß Studenten- und Volksauflauf haͤtte
entſtehen und gefährlicher Tumult aus meinem
Vorhaben erwachſen koͤnnen, weil viele mich fuͤr
einen Irlehrer hielten. Man ſchilderte meinen mo⸗
raliſchen Karakter auf die gehaͤſſigſte Art und be⸗
wies daraus, daß einen ſolchen Mann ſontaͤgliche
Erbauungsſtunden durchaus nicht kleideten: daß
zu einem ſolchen Unternehmen ein Mann von weit
reinern Sitten erfodert würde. Man äußerte
Furcht, daß ſolche Vorleſungen als Konventikel
angeſehen werden und andern dazu Gelegenheit
geben koͤnten. Man deklamirte uͤber die ſchrek⸗
lichen Unſittlichkeiten, welche entſtehen koͤnten, wenn
in einem Auditorio Weiber und Toͤchter mit
den Studenten zugleich ſich einfinden ſolten. Man
beſchrieb meine unanſtaͤndigen Werbungen, mit
denen ich auf Bierbaͤnken und Koffehaͤuſern meine
Zuhörer zuſammen getrommelt hätte ꝛc.
Wie viel in dieſem Berichte Wahrheit war,
mag ich jezt nicht unterſuchen. Ich will blos auf
zwei Punkte meine Leſer aufmerkſam machen, mel:
che ſie das uͤbrige deurtheilen lehren werden. Der
Punkt der Werbungen war ganz falſch: denn ich
bin noch bis auf den heutigen Tag auf kein halli—
ſches Koffehaus gekommen, und kan den getroſt
auffodern, der mich je in Halle in einem ſolchen
Hauſe geſehen haben will. Ueberhaupt habe ich
keinen Menſchen geworben. Ich habe blos mein
Vorhaben, dazu mich andere ermuntert hatten,
bekant gemacht, und ruhig erwartet, wer kommen
oder ſchikken, und ſich ein Einlas- Billet ausbitten
wolte. Auch nicht ein einziger Menſch kan ſagen,
daß ich ihn ſelbſt darum angeredet habe. Und was
zweitens die Gefahr des Tumults betrift, ſo iſt es
befant genug, daß alle Studenten mir wohl wol⸗
204 *
ten und fr mich fo eingenommen waren, daß ge—
wiß kein einziger Menſch ſich unterſtanden haben
wuͤrde, aus Abneigung gegen meine Irglaͤubigkeit
mich zu inſultiren und die Ruhe zu ſtoͤhren.
Aber die Herren.... begnuͤgten ſich nicht an
dieſem Bericht. Sie ſuchten noch anderweitige
Buͤndniſſe auf, um diesmal mit einer unbeſiegba⸗
ren Macht gegen mich zu Felde zu ziehen. Man
wußte es dahin einzuleiten, daß das halliſche Stadt⸗
miniſterium zu gleicher Zeit eine ſchriftliche Pros
teſtation einlegte und bei Hofe ſupplicirte, daß man
dem Kezzer Bahrdt feine moraliſchen Vorleſungen
an Sontagen nicht geſtatten moͤchte. Dieſes merk⸗
wuͤrdige Schreiben verdiente wortlich abgedrukt zu
werden. Es enthielt eine Menge Seufzer uͤber
meine Profanität und ſtellt hauptſächlich dieſen
Grund gegen mich auf: |
Daß der Klingelbeutel in den halliſchen Kirchen
darunter verlieren wuͤrde, indem zu beſorgen
ſey, daß viele Leute, deren lüfterner Gaum
ſie in meine Vorleſungen ziehen duͤrfte, nun
die Fruͤhkirchen verſaͤumen und meinen neu⸗
modiſchen Deklamationen nachlaufen wuͤrden.
*
Gern Hätte man auch von Seiten der Bürgers
ſchaft etwas tentirt. Aber ich hatte damals unter
den Buͤrgern ſo viel Freunde und ſo gar Anhaͤnger
meiner Grundſfaͤzze, daß ich eher ſelbſt im Stande
geweſen wäre, ein paar hundert zuſammen zu brin—
gen, welche ſich für meine Freiheit verwendet has
ben wuͤrden. Denn meine Schriften hatten mir
viele Herzen gewonnen.
Der Vericht ging alſo mit der Vorſtellung des
Miniſterii nun ab, und man wartete mit Schns
ſucht auf Antwort. Meine Feinde bei der Univers
fität hoften ein ganzes Bündel voll Blizze, die mich
treffen wuͤrden. Und die Theologen ſahen vielleicht
einer knieenden Abbitte entgegen. Es dauerte aber
wohl ſechs Wochen, ehe die Stille ane
wurde.
Endlich — erſchien ein Reſcript, bei deſſen
Erblikkung allen der Mund offen ſtehen blieb, als
wenn die Maulſperre ſie befallen haͤtte:
Wir — haben auf euren Bericht — beſchloſſen,
daß, da das Sommerhalbe Jahr meiſt zu
206 — 5
Ende iſt, die moraliſchen Vorleſungen des d.
Bahrdt vor der Hand ausgeſezt bleiben mooͤ sz
gen: und ſoll derſelbe, da er an ſeinem Theile
alles gethan hat, was ihm moͤglich war, nicht
angehalten werden, die bereits empfangenen
Gelder wieder herauszugeben ꝛc. |
Dieſes Reſcript wurde mir vom Oberkurato⸗
rio kommunicirt, und in einem Schreiben gleiches
Inhalts befohlen, mich bei der Sache zu beruhi⸗
gen und meine Vorleſungen auf eine andere Zeit zu
verſchieben. Und damit hatte der ganze Proceß,
von dem man einen ſo eklatanten Ausgang erwar⸗
tet hatte, ein tragi⸗komiſches Ende.
Viele wußten ſich dieſes Verfahren des Mi⸗
niſters nicht zu entraͤthſeln. Ich aber glaube feine
bſicht errathen zu haben. Mich deucht, er ſahe
die Unmoͤglichkeit, mich fuͤr diesmal zu protegiren,
und mein Recht durch zuſezzen. Auch fand er es
vieleicht der Klugheit nicht gemaͤß, den Theologen
geradehin unrecht zu geben, und ſie fuͤr ihre Unge⸗
rechtigkeit zu ſtrafen. Er erwaͤhlte alſo eine indi⸗
rekte Beſtrafung. Er noͤthigte fie, in meinen Brie⸗
— nan | 2 07
fen die haͤrteſten Zuͤchtigungen zu leſen und ohne
alle Satisfaktion zu verſchmerzen. Und mich hofte
er dadurch zu entſchaͤdigen, daß er mich von der
Ruͤkgabe der eingenommenen Gelder befreite. Ich
enthalte mich aller weitern Anmerkungen. — Zed⸗
liz war ein weiſer und rechtſchafner Mann, der
aber nicht immer ſo handeln konte, wie er wolte.
Man muß keinen Miniſter, fo wie keinen Wiens
ſchen, nach der Auſſenſeite beurtheilen. Es traten
oft Umſtaͤnde ein, welche die menſchlichen Han⸗
dlungen beſtimmen und die das Publikum niemals
zu erfahren bekomt. Auch in dieſer Sache waren
Umftände — die ich verſchweigen muß, welche vieles
Licht geben würden. — — —.
Ein merkwuͤrdiges Phaͤnomen war es fuͤr mich,
daß mich kein Menſch um das empfangene Geld fuͤr
die nicht gehaltnen moraliſchen Vorleſungen mahnte.
Indeſſen ließ ichs freiwillig allen den Studenten,
welche im folgenden halben Jahre bei mir hörten,
zu gute gehen, und mir abziehen.
Zu Michael ſchlug ich meine moraliſchen Vor⸗
leſungen abermals an, und ſezte dazu zwei Stun—
den aus: eine des Mittwochs⸗ abends um fünf, und
die andere, des Sonnabends (weil um fuͤnf Uhr
das Konzert anging) nachmittags um zwei Uhr.
Das ganze Publikum wurde eingeladen. Die Uni⸗
verfität legte mir keine Hinderniſſe wieder in den
Weg. Mein Hoͤrſal ward gedraͤngt voll. Ich
hatte bei 300 Studenten zu ordentlichen Zuhoͤrern,
und der hintere Verſchlag faßte zuweilen funfzig
bis ſiebzig Liebhaber, aus allen Staͤnden — Offi⸗
cieis, Raͤthe, Profeſſoren und Bürger, mit Weis
bern und Toͤchtern.
Jezt zeigte ſichs durch die Erfahrung, daß
alle Beſorgniſſe wegen Unſittlichkeit und laͤrmender
Auftritte vergeblich geweſen waren. Nirgends
in der Welt muß ein ſtilleres und ernſteres Audi⸗
torium gefunden worden ſeyn. Es war eine ſo fei⸗
erliche Stille, daß man in einem Tempel zu ſeyn
meinte. Mir ſelbſt war es ruͤhrend, ſolche Zuhoͤ⸗
rer vor mir zu haben. Ich ward durch dieſe Tod⸗
tenſtille fo begeiſtert, daß oft eine Thraͤne mir ent⸗
rann, wenn ich betete. Denn ich begann alle Vor⸗
leſungen mit einem Gebet und endete ſie u ges
woͤhnlich mit Gebet.
Viele
De
r —
— 209
Viele — viele junge Leute wurden in ihrem
Innerſten durch meine Vorträge gerührt, und has
ben mir es ſelbſt geſtanden, daß ſie durch mich
moraliſch beſſere Menſchen geworden wären. Aus
riſten und Aerzte hoͤrten mich, und verſaͤumten
bis zu Ende des halben Jahres keine Stunde.
Ueberhaupt kan ich mich des Vorzugs ruͤh—
men, daß in allen meinen akademiſchen Vorleſun—
gen eine Beſcheidenheit und Stille geherſcht hat,
die in keinem andern halliſchen Hoͤrſale noch ge—
funden worden iſt. Bei einigen Docenten giebts
zuweilen einmal ein laͤrmendes Scharren, Pochen,
Ziſchen u. d. Und bei mir iſt, ſo lange ich in
Halle geleſen habe, noch kein Geraͤuſch gehoͤrt
worden. Ich konte in meinen Deklamationen das
aͤußetſte pianiſſimo ausdruͤkken ohne Gefahr, daß
eine Sylbe verloren ging. Alle, die mich je gehoͤrt
haben, ſind meine Zeugen!
Im naͤchſtfolgenden Sommer, ſezte ich dieſe
Vorleſungen fort, und hatte das Vergnuͤgen, daß
ſelbſt Fremde aus der Nachbarſchaft, inſonderheit
aber von Lauchſtaͤdt kamen, und meinen DR
mit ihrer Gegenwart beehrten.
IV. B. O
Und fo habe ich denn wohl endlich in der Welt
Zeugen genug, die mich vor dem Vorwurfe ver⸗
breiteter Irreligion ſchuͤzzen und mir nachſagen
koͤnten, — wenn fie für mich ſprechen wollten —
daß meine Vorträge religioͤſe und tugendhafte Ges
ſinnungen verbreitet haben, und der Moralität im
hoͤchſten Grade förderlich geweſen find. — Nach
dem Tode Friedrichs des Großen gab ich alle Vor⸗
leſungen freiwillig auf, und entſagte, in einer
Schrift an den Prorektor, ſelbſt dem foro acade-
mico!! |
Siebenzehntes Kapitel.
Haͤusliche und auſſerhaͤusliche Plagen.
5
Men raſtloſer und in der That uͤbermaͤßiger
Fleiß, welcher mir, ohngeachtet der ſchlechten Zah⸗
lungen meiner akademiſchen Zuhoͤrer, doch immer
1000 Thaler jährlich eintrug, konte mich dennoch
nicht von Sorgenund Verlegenheiten befreien. Ich
fing um dieſe Zeit beſonders an, daruͤber ae
lich zu werden.
cn or 211
Meine Lebensart war einfach. Ich aß taͤg⸗
lich eine Schuͤſſel, hatte immer nur einen ganz
fimpeln Rok, und kleidete meine Töchter in Lein⸗
wand und Kattun. Ich hatte ſelten Gaͤſte und be⸗
wirthete fie allemal äußerſt frugal. Und doch —
reichten meine 1ooo Thaler nirgends zu. Ich hate
te immer Schulden, und mußte mit einer gewiſſen
Aengſtlichkeit mich durch winden, um nur auszu⸗
weichen. Es wird das jederman unglaublich ſchei⸗
nen, der da weis, was eine ſolche Wirthſchaft
koſtet, wie die meinige war. Mir — war es raͤth⸗
ſelhaft.
Mein liebes Weib vernahm oft daruͤber mei⸗
ne Klagen, aber ſie vermehrte ſie mit den ihrigen.
Ich war, nach ihrer Meinung, immer zu genau ge—
gen ſie. Wer ſie in Geſelſchaft ſahe, hat gewiß
nie Mangel verſpuͤrt. Sie erſchien voͤllig ſtandes⸗
maͤßig. Und doch mußt ich mirs zuweilen von ihr
klaͤglich vorſagen laſſen, daß ſie ſich in Abſicht auf
Kleidung zu kuͤmmerlich behelfen muͤſte. Ich muß
te dieſe Vorwuͤrfe dulden und auf meine Klage,
daß ich manche Woche 7, 8, 9, Thaler ihr zur
Haushaltung geben mußte, (wovon Zins, Kleider,
O 2
212 — — —
Wein, Holz, Licht, Kaffe, Zuker, Tabak, Plai⸗
ſirs ꝛc. nicht mit beſtritten wurden — denn das bes
ſtritt ich alle ſelbſt, und kaufte alles beſonders, und
gewoͤhnlich in ſtarken Vorraͤthen ein) und — daß
doch nur 3 Kinder 1 Magd und 1 Bedienter im
Haufe waren, — auf dieſe meine Klagen mußte
ich mit der Antwort fuͤrlieb nehmen, daß ja ihr
Rechnungsbuch es ausweiſe, wozu das Geld ver⸗
wendet worden ſey. Und wenn ich ein Woͤrtchen
ſprach, daß meine Vorraͤthe zu geſchwind ihre End⸗
ſchaft erreichten (ich erinnere mich, daß von einem
halben Centner Hernhuter Lichter, zu Michael ein⸗
gekauft, zu Weihnachten keines mehr uͤbrig war)
ſo jammerte ſie ſo heftig uͤber mein, aus meiner
Aeußerung hervorleuchtendes Mistrauen, daß ich
gern — gern nichts mehr ſagte, ſondern geduldig
fortſchanzte, und, jemehr mir aufgieng, deſtomehr
zu erarbeiten trachtete.
Ich hatte damals den jungen Mann in mei⸗
nem Hauſe, deſſen ich ſchon mehrmalen erwaͤhnet
habe, welcher meine Kinder ſo vortreflich bildete
und unterrichtete, daß ſie mit entzuͤckendem Ver⸗
gnuͤgen, wenn die Schulſtunden kamen, auf ſein
*
*
*
Zimmer eilten und mit Mismuth es vernahmen,
wenn die Gloke ſchlug, die ſie wieder von ihm ab⸗
rufte. Er war ein Mann von den ſeltenſten Tas
lenten. Er hatte die Kentniſſe, die gerade fuͤr Kin⸗
der waren, ganz in ſeiner Gewalt. Er beſaß die
Gabe, ſie durch lauter Erzaͤhlung zu verſinlichen.
Er hatte ein Air von Sanftmuth, Freundlichkeit
und dabei edlem Stolze, welches jeden, das Kind
wie den Greis, bezauberte. Wenn er ſprach,
glaubte man die Weisheit, die Unſchuld und die
unbeſtechliche Gewiſſenhaftigkeit zu hoͤren. Er blieb
dabei ſich immer gleich. Nie war hervorſtechende
Froͤhlichkeit oder Traurigkeit an ihm zu fehen,
Stille Seelenruhe ſchien in ſeinem Geſichte gezeich⸗
net zu ſeyn. Kurz, ich hatte das Gluͤk, den vol⸗
kommenſten Erzieher meiner Kinder und — meinen:
waͤrmſten Freund an ihm zu beſizzen.
Ich nenne den Ben 5 dcr, um ihn
rauen
Fra wenn er jezt irgen dwo fein Glük zu machen
Hofnung haben ſolte
daſſelbe zu vereiteln. Aber
feine Geſchichte will i ich
fangen habe, von ihm. zu n ich einmal 2
in das Kapitel von meinen baue weil ſie ie e
ret — vollenden. ichen eeiden⸗
3
214 —
Dieſer junge Mann lebte, wo ich nicht irre,
zwei Jahre in meinem Hauſe und blieb in dieſer gan⸗
zen Zeit fuͤr mich, derſelbe — achtungswuͤrdige
Freund. Er hatte mein unbegraͤnztes Vertrauen.
Er verwaltete, als Fiskal, alle meine Einnahmen.
Ihm war es ganz uͤberlaſſen, wie von meinen Zu⸗
hoͤrern die ſchuldigen Gelder fuͤr meine Vorleſun⸗
gen beigetrieben werden ſolten. Er hatte uͤberdem
auch meine merkantiliſchen Geſchaͤfte z. B. Praͤnu⸗
merationen und Samlungen fuͤr mich und andere
zu beſorgen. 5
Im Beſiz dieſes Vertrauens gelang es ihm,
im lezten halben Jahre ſeines Aufenthalts (wenig⸗
ſtens wards eher mir nicht merklich) mit meinem
Hausmaͤdchen, welches ich aus dem Reiche mitge⸗
bracht hatte, eine vertraute Freundſchaft zu er⸗
richten. Seine und ihre Tugend, die ſie uns ſeit
ihrem dreizehnten Jahre erbrobt e
lich behauptet hatte, ſchien mir dor
ligen Folgen zu buͤrgen. \
AInnt' ichs dem Maͤdchen auch ſelbſt an
Meg, gab und das ich des halb f
* * a — ö 383
meinem D. ie mie — ob fie gleich die ein⸗
Und in meinem Herzen
(welchem ihre Geburt
# v —
ö
K
— —
N
7
4
b
L
ne
— nun n 215
zige Magd in meinem Hauſe war) daß ſie Hofnung
bekam, einſt die Gattin eines wuͤrdigen jungen
Mannes zu werden, und ihm — daß er eine tu⸗
gendhafte und aͤußerſt geſchikte und arbeitſame Pers
ſon hatte lieben und ſich, wie ich waͤhnte, dadurch
von allen andern Ausſchweifungen der Jugend
ſichern lernen. f
Aber unſere Julie wurde ſeit dieſer Zeit, wie
meine Frau klagte, etwas ſtoͤrriſcher und auch
nachlaͤſſiger im Hausweſen. Und es kam dadurch
ſo weit, daß ſie mit ihr ſich entzweite und (ich laſſe
unentſchieden, auf welcher Seite mehr Schuld
war) von ihr trennte. Sie und mit ihr mein
Freund verlieſſen mit Thraͤnen mein Haus.
Es war gerade die Leipziger Oſtermeſſe, da
beide abreiſeten. Ein paar Tage nach ihrem Ab:
zuge kam ich ſelbſt nach Leipzig, und war kaum
abgeſtiegen, als mir der Hausknecht meldete, daß
ein junges Frauenzimmer mich ſprechen wollte.
Ich ging und fand — unſere Julie, in einem klei⸗
nen Kaͤmmerchen, auf dem Bette ſizzend und jam⸗
mernd. Sie rang ihre Hände, und Stroͤhme
von Thraͤnen entſtuͤrzten ihren Augen. Ich halte
O 4
216 — ;
es für Pflicht, die Urſache dieſes harmvollen Zus
ſtandes unberuͤhrt zu laſſen. Genug, ſie breitete,
einer Sterbenden ähnlich, ihre Hände nach mir
aus. „Nur noch einmal, erlauben Sie mir, lie—
„ber Herr Doktor, Sie zu ſehen. In meinem tief⸗
„ſten Jammer fuͤhle ich noch die Regungen der
„Dankbarkeit, die ich Ihnen ſchuldig bin. Sie
„haben als Vater, als der redlichſte Vater an
„mir gehandelt. Nehmen Sie meinen innigſten
„Dank dafür an, und laſſen mich Ihnen die lezte
„Probe meiner Erkentlichkeit geben. Ich kan Sie |
„nicht verlaſſen, ohne Ihnen eiwas zu offenbaren
„was mir laͤngſt auf dem Herzen gelegen hat, und
„wozu mein Gewiſſen mich draͤngt, Ihnen jezt
„noch ſolches zu ſagen. Sie haben im vorigen
„Herbſte einmal aus ihrer Chatulle ſechs Luisd'ors
„vermißt, und ſo ſehr daruͤber gejammert. Ihre
„liebe Frau hat vor meinen Augen das Kaͤſtchen
„geöfnet, und ſie zu ſich genommen. Sie ſagte
„mir, fie ſei genoͤthiget, es zu thun, weil Sie fie
Noth leiden lieſſen. ꝛc.,
Gott iſt mein Zeuge, ich empfand bei dieſer
Entdekkung weniger Schmerz, als ich jezt empfin⸗
x — — 217
de, da ich ſie fuͤr mein Publikum niederſchreiben
muß, wenn ich einmal will, daß man ganz in die
Triebfedern meines Lebens und meiner Handlun—
gen einſchauen ſoll. |
Meine Gattin verlor bei mir durch diefe Anz
klage nichts. Ich dachte bei mir ſelbſt, es ſey
möglich, daß ich ſeit eiriger Zeit zu karg geweſen
ſey in Zutheilung deſſen, was zu ihrer ſtandesmaͤſ—
ſigen Kleidung erfodert wurde. Ich bedachte, daß
mein Weib doch auch etwas zu mir gebracht haͤtte,
und daß ſie auch ſchon als Gattin meine Kaſſe als
die ihrige anſehen koͤnte. Daß ſie das Geld heim⸗
lich genommen hatte, war das einzige Fehlerhafte,
was ich ihr, bei ihrer übrigens fo unverfaͤlſchten
Liebe zu mir, noch wohl verzeihen konte. Alles
alſo, was dieſes Geſtaͤndniß der ſterbenden Julie
bei mir wirkte, war, daß ich aufmerkſamer auf
meine Wirthſchaft wurde.
Aber von meinem Freunde vernahm ich nun
erſt unerwartete Dinge. Ich fand, daß er mir in
ſeinem Fiſkalat wenigſtens 150 Thaler Kollegien⸗
gelder untergeſchlagen hatte. Und von der Boh⸗
0 5
1
218 „
niſchen Handlung vernahm ich, daß er ohne mein
Wiſſen unter feinem Namen eine ungeheure Anzahl
Exemplare von den erſten Baͤnden des Kampiſchen
Reviſionswerkes verichrieben, und die geſammelten
Pränumerationsgelder mitgenommen hatte.
Dieſe Erfahrung war mir aͤußerſt ſchmerzhaft.
Dreimal ſo viel Geld haͤtte ich weit lieber verlieren
wollen, als es erleben, daß ein ſolcher Mann ei⸗
ner ſolchen Handlungsweiſe faͤhig geweſen war.
Ich verurtheilte ihn nicht. Ich hielt es fuͤr einen
von den traurigen Faͤllen, wo die beſten Seelen
durch Verlegenheiten zu einer ſchlechten That her⸗
abgewuͤrdiget werden.
Ich wuſte nicht, wo mein .... und meine Julie
hingekommen war. Nach einem Jahre ſchrieb
er mir. Die Schilderungen ſeines Elendes, die
Bezeugungen feiner Reue wegen an mir beganges
ner Sünden, die Betheurungen feiner unveraͤnder—
lichen und innigſten Liebe zu mir ruͤhrten mich bis
zu Thraͤnen. Er bat mich, ihm zu erlauben,
einen einzigen Tag bei mir zu ſeyn. Mein Herz
wallte ihm entgegen. Er kam im Finſtern, fuͤhlte
ö
r 219
ſich ſelig, mich wieder zu ſehen, blieb dieſe Nacht
And den folgenden Tag bei mir (denn in Halle durf⸗
tee er ſich vor ſeinen Schuldnern nicht ſehen laſſen)
und ging den folgenden Abend im Finftern wieder
aus der Stadt. Er geſtand mir, daß er ſeither in
. ſich kuͤmmerlich mit Informiren beholfen, jezt
aber einige frohe Ausſichten habe. Von der Julie
wolte er nichts wiſſen. — Nach 14 Tagen ſchrieb
er mir wieder, ſchikte mir einen kleinen Aufſaz,
den er wolte drukken laſſen, bat mich um 2 Luis:
d'ors Vorſchuß und um einige Buͤcher, mit dem
eidlichen Verſprechen, mir ſie in 14 Tagen wieder
zu ſchikken. Ich ſchikte ihm, was er verlangte.
Er hielt nicht Wort. Und ſeitdem habe ich nichts
von ihm und der Julie gehoͤrt.
Dieſe beiden Menſchen ſind mir bis jezt noch
ein Raͤthſel. Ich wuͤrde mich freuen, wenn ir⸗
gend jemand mir von ihnen Nachricht geben koͤnte:
(denn wer das kan, weis auch aus dieſer Geſchich⸗
te, wer die Perſonen ſind, die ich nahmenlos ge⸗
ſchildert habe.) Roch bin ich geneigt, ihnen Gu—
tes zu erzeigen, wenn ich ſie im Elend wuͤſte. Und
beſonders neugierig waͤr ich, den Gang der Schik⸗
220 r
ſale des jungen Mannes zu erfahren und fue
wabtes Karakter entfaltet zu TORI
Einen Umſtand muß ich OR ganz kurz N
ren, aber mit dem Wunſche, daß meine Leſer ihn,
in der Beurtheilung des ganzen Zuſammenhanges
mit in Rechnung bringen moͤgen. Meine Frau be⸗
ſchuldigte — erſt nach einiger Zeit — die tugend⸗
hafte, und von ihr ſelbſt bis zur innigſten Vertrau-
lichkeit geliebte Julie, daß ſie ihr uͤber 50 Thaler
werth an Waͤſche und Kleidung entwendet habe.
Ich wolte und konte — das nicht unterſuchen.
Verdruß und Sorgen draͤngten ſich von allen
Seiten auf mich los, und machten mir mein ſo
freudenleeres und mit ſtater Arbeit erfülltes Leben
herzlich ſauer. Auch von auſſen ward ich be⸗
ſtuͤrmt. | |
Meine Schriftſtellerei und mein Applauſus
oͤfneten manches neidiſche Auge und ſtellten ihm die
Reichthuͤmer, welche in meine Kaffe zuſammenfloſ⸗
ſen, ſo ungeheuer vor, daß es billig ſich nach Ge⸗
legenheiten umſehen mußte, mich von einer gefaͤhr⸗
—
lichen Volbluͤtigkeit des Beutels zu befreien, und
von meinem Ueber ftuſſe etwas abzuzapfen. Man —
wußte, daß ich im Reiche Schulden hinterlaſſen
hatte. Man — berichtetete alſo die dortigen Kor⸗
reſpondenten, daß ich jezt das Geld mit Scheffeln
meſſe, und — daß meine Glaubiger Narren waͤ—
ren, wenn ſie mich laͤnger ſchonten. Die Wirkung
dieſer chriſtlichen Belehrungen blieb nicht auſſen.
Herr Schellenberg, einer von der ehemaligen
oͤkonomiſchen Geſelſchaft, der ſchon einigemal bei
bei mir angeklopft und — nachgefragt hatte, ob
ich nicht bald im Stande ſey, der oͤkonomiſchen
Geſelſchaft eine kleine Entſchaͤdigung dafür zu ge:
ben, daß die Leiningiſche Regierung ſie nicht zur
Befriedigung meiner Gläubiger, durch Ausliefe⸗
rung meiner Verlaſſenſchaft, in den Stand geſezt
habe? — ſchrieb mir jezt: daß er gewiſſe Nach⸗
richt habe, von meiner jezigen Vermoͤgenheit, um an
die laͤngſt verlangte Entſchaͤdigung zu denken: daß
es billig ſey, von 3 bis 4000 Thaler jaͤhrlichen
Einfünften arme Leute, die durch mich in Scha⸗
den gekommen wären, endlich einmal zu befriedi—⸗
gen: daß er mich zum leztenmale in Guͤte dazu
auffodern, und, wenn ich länger zoͤgerte, an mei⸗
nen König ſchreiben und mich zwingen würde 2c.
Ich antwortete dem guten Mann, daß er von
dummen, oder boshaften Leuten hintergangen
worden ſey, und ſuchte es ihm begreiflich zu ma⸗
chen, daß ich bei dem muͤhſeligſten Leben, kaum
auf 1000 Thaler Fame und dabei — noch Schul⸗
den hätte. Aber feine Korreſpondenten hatten ihm
meine Reichthuͤmer zu gewiß und zu groß gemacht.
Er ſchrieb wieder, ſchalt mich einen Fintenmacher
und drohte mit Klage. Es ſchmerzte mich. Ich
erwiederte den rauhen Ton ſeines Briefes nicht.
Ich wiederholte die Verſichrungen von meiner Un⸗
vermoͤgenheit und bot ihm, zum Beweis derſelben,
ei ne ſchriftliche und gerichtliche Ceſſion aller meiner
Einnahme von Kollegiis an (die nach ſeiner Anga⸗
be einige tauſend Thaler betragen folten) wenn er
mir dafuͤr jaͤhrlich 500 Thaler zuſichern wolte.
Endlich — ſchwieg er und ließ mich zufrieden.
Aber er trat nur von der Scene ab, um An⸗
dern Plaz zu machen, die mich quälen wolten. —
Eines Tages kam der Buchdruker Doſt (der dies
— — =
nende Bruder bei der halliſchen Loge) zu mir, und
brachte mir von Deſſau, aus der Drufferei der Ver⸗
lagskaſſe, der er ſeither vorgeſtaͤnden hatte, ver—
ſchiedene Novitaͤten mit, darunter auch ein Pass
quill auf den Herrn Hofrath Gruner in Jena war.
Dieſe Broſchuͤre erregte meine Aufmerkſamkeit,
weil Herr Gruner mein Freund, und feiner Vers
dienſte wegen mir verehrungswerth war. Doſt
merkte, daß ich frappirt war. Haben Sie das
Ding noch nicht geleſen? Nein. Wiſſen Sie auch
den Urheber nicht? Nein. Je, er iſt ja der Bergs
rath Muͤller: aber es bleibt unter uns! Sie wiſ—
ſen, daß er mit in der Loge iſt und — es koͤnte mir
Schaden thun, wenns verrathen wuͤrde, daß ichs
Ihnen vertraut habe. Muͤller hat mir das Manu⸗
ſeript geſchikt, und an Muͤllern habe ich auch die
Exemplare von Deſſau ſchikken muͤſſen. Verrathen
Sie mich ja nicht ꝛc.
Dieſes Pasquill machte Laͤrmen. Gewiſſe
Leute, welche die Augen des Herrn Hofrath Gru⸗
ners gern von der wahren Quelle, aus der das
Produktchen gefloſſen war (denn aufrichtig zu ſa⸗
gen, war Herrn Müllers alzuſchwache Feder nicht
223 nnn
mit im Spiele, ob man gleich ſeine Haͤnde
dabei gebraucht haben mochte) ablenken wos
ten, ſchrieben dreiſt nach Jena: Bahrdt iſt
Verfaſſer des Pasquills. Herr Hofrath Gruner
hoͤrts, erſtaunt, glaubts — (1) weils Männer und
keine Knaben uͤberſchrieben hatten, 2) weil von
mir die Rede ging, daß ich Medicin ſtudierte und,
weil ich gegen ihn ſelbſt muͤndlich Luft bezeugt hats
te, zu promoviren 3) weil es nach dem Geiſte der
Satyre, der ſchon in meinen Schriften fo viel ge⸗
ſpukt haben ſollte, ganz glaublich war, daß ich
mich im Gebiet des Hyppokrats als Ritter tummeln
wollte) — und konſtituirt mich in einem Briefe.
Ich antwortete ihm, daß er hintergangen ſey,
und verſicherte ihn, daß er den Pasquillanten uns
ter ſeiner eignen Zunft zu ſuchen habe. Er war
damit nicht zufrieden. Er drohte, mich als den
Pasquillanten zu behandeln, wenn ich mich nicht
beſſer rechtfertigen koͤnte, als mit bloſſem Leugnen.
Kurz, er brachte mich dahin, daß ich ihm, um aus
einem ſo entehrenden Verdachte zu kommen, den
Urheber zu entdekken verſprach, wofern er mich
ſchriftlich und bei feiner Ehre verſichern wolte, daß
er
=
\
en 224
er von meiner Entdekkung keinen ſolchen Gebrauch
machen wolle, durch welchen ich kompromittirt
wurde. H. Hofr. Geuner verſprach mirs (ich habe
ſeinen Brief noch) und nun geſtand ich ihm, was
ich aus Doſts Munde von der Sache wußte.
Nun fing Hr. Gruner an, Laͤrmen zu ſchlagen.
Er uͤbergab eine Klage bei der halliſchen Univerfis
tat gegen den Bergrath Muͤller. Man fandte ihm
die Protokolle, nach denen ſich H. Muller heraus⸗
gewikkelt, und Doft ſeine an mich gethane Aus-
ſage abgelaͤugnet, und die Ablaͤugnung beſchwo—
ren hatte. Dies empoͤrte den hizzigen Mann.
Sein Verdacht gegen mich erneuerte ſich. Er fing
an, in Drukſchriften auf mich zu ſchimpfen. Ich
beklagte mich. Er mußte auch mich vernehmen
laſſen. Ich ſagte vor der Univerſitaͤt eidlich die
Wahrheit und erklaͤrte, daß Doſt dies, ſeiner
Maureriſchen Verbindungen halber, gelaͤugnet ha⸗
ben muͤſſe. Herr Hofrath Gruner ſahe jezt ein,
daß er ſich an mir vergangen hatte. Er nahm das
mir angethane Unrecht öffentlich zuruͤk. Aber —
den Verdruß konte er mir nicht wieder abnehmen,
den ich von dieſer Geſchichte gehabt hatte.
IV. B. op
Ein neuer Verdruß! Herr Kampe ſchikte mir
eine ſehr ehrenvolle Einladung zur Theilnehmung
an feinem Reviſionswerke und bat mich zugleich,
das Fach anzuzeigen, in welchem ich arbeiten wol⸗
te. Ich uͤbernahm vieles aus der Methodologie
und vorerſt die Materie, über den Zwek der Er⸗
Ziehung.
—
Es war bei der Geſelſchaft, welche fuͤr dies
wichtige Werk ſich vereiniget hatte, die Einrichtung
getroffen worden, daß alle Beitraͤge der Mitglieder
bei allen Mitgliedern in dreifacher Abſchrift cirku⸗
liren ſolten, damit der Verfaſſer die von ſo vielen
und ſo einſichtsvollen Maͤnnern erhaltenen Erinne⸗
rungen benuzzen, und ſeine Arbeit vervolkomnen
koͤnte. Ich ließ alſo meinen Aufſaz über den Zwel
der Erziehung ſeinen Umlauf antreten.
Ehe noch dieſer Cirkelgang geendiget war,
ſchrieb mir ſchon Herr Hampe mit merklichem Ges
fuͤhle des Schmerzes, daß einige der Geſelſchaft
mit meinem Beitritt unzufrieden ſchienen. Er gab
zwar der Sache eine aͤuſſerſt delikate Wendung, war
aber doch genoͤthiget, mir zu rathen, mich freiwil⸗
lig zuruͤk zu ziehen.
* —
nn 226
Da mein Aufſaz von feiner kritiſchen Reife zu:
ruͤk kam und an Herrn Kampe gelangte, ſchien er
ſeinen mir gegebnen Rath zu bereuen. Er fand,
wie er mir ſelbſt geſtund, meine Arbeit ſo gut, daß
er meine fortgeſezte Theilnehmung am Reviſions⸗
werke wuͤnſchen mußte. Er bat mich darum inſtaͤn⸗
dig, und ermunterte mich, mit vieler Beredſam⸗
keit, mich an die Geſinnungen Einiger nicht zu keh⸗
ren ſondern meine paͤdagogiſchen Kentniſſe auf die
ſem Wege der Welt fernerhin nuzbar zu machen.
Meine Achtung fuͤr Kampen als Weiſen, und
meine Liebe zu ihm als Freund, neigte mich maͤch⸗
tig zu dem Entſchluſſe, auszuharren: aber — da
ich die drei mit Kritiken erfüllten Eremplare meines
Aufſazzes durchlas, ſchwand mein Vorſaz auf ewig
dahin. Ich erblikte mit Erſtaunen, daß ſich Maͤn⸗
ner — Weltweiſe — Paͤdagogen — zu Ausbruͤchen
ihres Widerwillens herabgelaſſen und mich bald
mit Bitterkeit getadelt, bald anderer Lobſpruͤche wi⸗
derlegt, bald — Ausfaͤlle ſogar auf meinen morali—
ſchen Charakter gethan hatten. Ich meldete jezt
Herr Kampen, daß er der Geſelſchaft mein Ab—
ſchiedskompliment machen moͤchte. — Ich werde
dieſer Kraͤnkung nie weiter erwaͤhnen.
Y 2
Achtzehntes Kapitel.
Proben tomiſcher Auftritte. nt
— — —
Wen es mir mehr um die Amuͤſirung des gro⸗
ßen Haufens der Leſerwelt zu thun wäre, als um
richtige Darſtellung der eigentlichen Geſch ichte mei⸗
nes Lebens, — oder wenn ich ſelbſt meiner jovia⸗
liſchen Laune und meinem Hange zur Satyre fol:
gen wolte; fo würde ich eine zahlloſe Menge komi⸗
ſcher Auftritte einſchalten, welche ich bei meinen
unzaͤhlbaren Bekantſchaften in der Welt erlebt han
be, und welche gewiß die Leſer eben ſo angenehm
unterhalten als ihre Menſchen⸗ und Charakterkent⸗
niß bereichern wuͤrden. Ich will hier nur ein paar
zur Probe geben, um das Publikum urtheilen zu
laſſen, ob es der Muͤhe werth ſey, einſt ein paar f
Bändchen voll ſolcher Anekdoten beſonders heraus⸗
zugeben. |
Ich hatte ehedem in ..... eine ſchoͤne, feu⸗
rige, und amuͤſante Dame kennen lernen, welche
die junge Gattin eines ſehr wuͤrdigen, aber alten
1
— ; 228
Eheherrn war. Sie hatte auf mich, ich auf ſie,
freundſchaftliche Eindruͤkke gemacht. Viele Jahre
nachher, da ich in L. . . . zum Beſuch war, mel⸗
dete mir ein Freund, daz eine Dame und Herr mich
feit zwei Stunden ſehnſuch tsvoll geſucht habe und
mich zu ſprechen verlange. Ich eilte an den Ort,
wo beide ſich aufhielten und ſahe — bei meinem
Eintritt ins Zimmer — eine Matrone, voll Spu—
ren ehemaligen Feuers, mit ausgebreiteten Armen
auf mich zukommen und mir die Erneurung einer
alten Bekantſchaft ankuͤndigen. — „Kennen Sie
mich noch, lieber Bahrdt? “ — Ich ſtuzte. Ich
wußte warlich nicht, wo ich in den alten Vorraͤ⸗
then meiner Phantaſie ihr Bild finden ſolte. Aber
bei einer Dame, die Attachement fuͤr mich zeigt,
und waͤre ſie auch fo alt wie Sarah, da fie den
Iſaak gebahr, bin ich zu galant, als daß ich bei
ihr eine Rolle ſpielen folte, die ihr Költe verrathen
koͤnte. Ich nahm, bei ihrem Anblikke und ihrem
Zuruf, alle meine Beſonnenheit zuſammen und ant—
wortete mit der vollen Gluth meiner Augen: Ja,
Madam, mein Herz ſagt mir es, daß ich Sie ken⸗
ne und es ſchlaͤgt ſchon vor Freuden uͤber das Wie⸗
derſehen einer Perſon, die ich ſonſt ic. — Sie
P 3
229 —
fiel mir in die Rede, und nennte mir den Namen
ihres ſeligen Mannes. Da war Freude uͤber
Freude. Wir erinnerten uns in aller Kuͤrze und
Einfalt der vorigen Zeiten, und ſie praͤſentirte mir
ihren jezzigen Gemahl den Herrn Geheimdenrath
. . . welcher ſich meinen Freund nannte. — Ich
genoß wirklich ein paar recht angenehme Stunden
in ihrer Geſelſchaft und die wechſelſeitige Wärme
war ſo groß, daß ich mit Hand und Mund ver⸗
ſprechen mußte und — verſprach, ſie in .
zu beſuchen.
Ein Jahr drauf machte ich meiner lieben Frau
das Vergnuͤgen, welches ich ihr alle Jahre ein auch
zweimal verſchaft habe, — mit mir eine Reiſe zu |
thun, und diesmal in die Gegend, wo obgedachtes
Ehepaar lebte. Ich ſchrieb meiner Freundin vor⸗
her, daß ich kommen würde, und fragte ausdrüfs
lich an, ob ihr und ihrem Gemahl dieſe Zeit auch
eine gelegene ſey? Es erfolgte die erwuͤnſchteſte
Antwort. Sie erwarteten mich mit Sehnſucht. —
Man ſezze zu dieſem Umſtande der Anmeldung noch
dieſen, daß der Herr Gemahl meiner Freundin ein
Mann von 80000 Thalern war, und daß fie als
— 2360
Wittwe ihm ebenfals ein anſehnliches Be
. hatte.
Wir kamen in . . .. an, fliegen in einem Gaſt⸗
hofe ab, um auch in dem kleinen Umſtande der
Einquartierung keinen Fehltritt zu begehen, und
lieſſen unſere Ankunft verkuͤndigen. Ein Bedienter
kam und verlangte, daß wir mit Sak und Pak bei
dem H. G. R. .. . einkehren ſolten. Nun war
meine Phantaſie voller Erwartung. Ich hatte mir
vorgenommen, den dritten Tag erſt wieder abzu⸗
reiſen und einen Tag recht herzlich vergnuͤgt zu
ſeyn.
Beim Eintritt ins Haus wurden wir von der
Dame, meiner alten Freundin, mit vieler Artig⸗
keit empfangen und in ein Zimmer gefuͤhrt, wo
bereits zwei vornehme Damen an einem Tarokti⸗
ſche ſaßen. Nach Endigung der Bewilkomnungs⸗
komplimente, die meine gute Laune immer recht
ſchiklich abzukuͤrzen weis, wurde ich als vierter
Mann zum Taroktiſch eingeladen, und meine Frauen
zimmer wurden von der Tochter des Hauſes um⸗
ringt und auf das freundſchaftlichſte unterhalten.
P 4
231 — —
Ich ſpielte mit Ekel, das Duzzend Marken um ei⸗
nen Dreier, hielt mit aller Toleranz dieſe Mortifi⸗
kation aus, und freute mich indeß auf die gute und
fröhliche Abendmahlzeit, die ich bei fo guten Freun⸗
den, bei einem ſo reichen und vornehmen Manne,
nach ſo vielen brünftigen Inviten und nach einer
expreſſen Anmeldung, erwarten mußte.
Noch hatte ich den H. Gemahl nicht geſehn.
Denn der ſaß bis zum Abendeſſen unter Papieren
begraben. Die Familie gefiel mir. Die ſaͤmtlichen
Kinder waren wohlgebildet, lebhaft, geſittet und
von der herrlichſten Stimmung. Der Zeitpunkt
kam, wo mein von der langen Reife ausgehunger⸗
ter Gebieter unter dem Zwergfell befriedigt und
meine Laune durch ein Glas guten Rheinwein an⸗ |
gefeuert werden folte, Die fremden Damen waren |
nach Haufe gegangen. Der alte Herr erſchien. ö
Wir ſpeißten en familie und waren zwölf bis vier
zehn Perſonen am Tiſche. 5 |
re
Ich war ganz Auge. Die erſte Schuͤſſel trat
auf. Es war — ein Schuͤſſelchen Rogout, davon
ich die Hälfte allenfals allein auf mich genommen
E 232
haͤtte. Ei nun, dachte ich, es iſt bei großen Ta⸗
feln ſo. Viel Schuͤſſeln aber klein und appetitlich! —
Ich aß mit Begierde mein kleines Portiönden, und
erſezte mit Brod den ubgang. Ader — kein Wein:
glas auf dem Tiſche?
Der Pediente brachte für den alten Herrn ei⸗
nen Teller Spinat mit Kalbsaugen. Er ſezte ihn
vor ſich, wandte ſich nach mir. „Sehen Sie mein
„beſter Herr Doktor, das iſt meine Diät, Ich
„eſſe meiſt nur ein bischen Gruͤnes. Kan ich mit
„aufwarten? „ Ich bedankte mich, und er ver—
ſchlang die anſehnlichſte Portion, indeß die andern
an den Ragouticten Knoͤch leins nagten,
Wir ſprachen lang und verplauderten beim
Ragout wohl ein halbes Stündeben, und das Thea⸗
ter wolte ſich nicht veraͤndern. Endlich begann der
Herr Geh. Rath: „Mein beſter Herr Doktor,
„trinken Sie denn des Abends ein Glas Wem?
„See muͤſſen ſich an meine Diät nicht kehren: Bes
„fehlen Sie, „ Ich erſchrak. Ich ſtotterte ein
Gegenkompliment. Die aͤlteſte Tochter, melde
neben mir ſaß, und von meinem guten Humor ſchon
P 5
233 — 2 —
fuͤr mich eingenommen war, verſtund mein 1
pliment und ſtand auf: „Ja, ja Papa, ich hole
für den Herrn Doktor ein Glas Wein.“ Das
war mir ein Herzenstroſt. Sie brachte — eine
Pyrmonter Butellje rechten guten Rheinwein. Ich
trank und kehrte mich nicht an des Herrn Geh.
Raths Diaͤt. Mein liebes Weib und ihre Schwe⸗
ſter und meine Tochter — wurden gar nicht gefragt.
Ich muſte allein trinken, um deſtomehr Aufſehn
zu machen, wenn ich viel traͤnke. Doch dafuͤr war
auch anderweit ſchon geſorgt.
Das Schuͤſſelchen wurde abgetragen und ich
ſchaute auf, was nun kommen wuͤrde, und ſiehe
da — es kam Butter und Kaͤſe und der Schmaus
war beſchloſſen. Der alte Herr ſchielte nach mei⸗
ner Butellje. Und haͤtte das liebe herrliche Maͤd⸗
chen zu meiner Linken nicht ein wenig mit mir ſym⸗
pathieſirt: ich haͤtte nicht einmal das dritte Glas
eingeholt. Er raſſelte mit dem Stuhle, ſo bald
der lezte Biſſen Butterbrod (davon ich eines hal⸗
len Pfundes ſchwer zu mir genommen hatte, um
die Luͤk ken der ausgebliebnen Schuͤſſeln zu erſezzen)
hirabgeſchlukt war und — machte Aufſtand.
— y 234
Meine Toleranz blieb noch unerſchuͤttert. Wir
klagten zwar einander beim Schlafengehen, da wir
auf unſerm Zimmer allein waren, unſern allerſeiti⸗
gen Hunger und mein armes Weib, das ſo gern ein
Glaͤschen guten Wein trinkt, ſeufzte über die Diät
des alten Herrn. Ich aber troͤſtete mich und alle
mit der Ausſicht auf das morgende Mittagsmahl.
Die Leutchen haben ſich auf dieſen Abend, ſagte ich,
nicht eingerichtet, weil ſie es für möglich halten
mußten, daß wir nicht kämen. Morgen Mittag
wirds ganz anders ausſehen. Da werden ſie auch
wohl mehrere Gaͤſte bitten.
Ich bekam den andern Morgen Viſite von ei⸗
nigen Kavaliren, die mich zu einem Mittagsmahl
invitirten. Ich ſchlug es aus, weil ich es fuͤr un⸗
ſchiklich hielt, der einzigen Mittagsmahlzeit, wel⸗
che meine Freunde mir bereitet und zu der ſie ver⸗
muthlich vornehme Gaͤſte geladen hatten, meine
Gegenwart zu entziehen.
Die Zeit kam. Wir traten ins Tafelzimmer
und fanden — keinen einzigen Gaſt. Der Tiſch
ſah ſo kahl, wie geſtern Adend. Eine ſeyn ſollende
Weinſuppe machte den Anfang. Auf ſie folgte ein
Stuͤlchen Rindfleiſch von höchſtens drittehalb Pfund,
wo der Herr Sohn Muͤhe hatte, die zwoͤlf bis vier⸗
zehn Portionen herauszubringen. Es ward trok⸗
ken gegeſſen und Senf dazu gegeben. Erſt nach dem
Rindfleiſche kam der Wein und ward hoͤchſt lang⸗
ſam eingeſchenkt. Mein Magen knorrte. Es er⸗
folgte ein gebratnes Nierenſtuͤkchen vom Kalbe von
etwa drei Pfunden, bei deſſen Zerlegung der Herr
Sohn ein ſchaͤrferes Meſſer fodern mußte, um die
Portionen herauszubringen. Die meinige war die
groͤßte, und hatte, die Knochen abgerechnet, drei
Loth Fleiſch. Sehr ſchnell folgte Butter und Kaͤſe
und da das liebe Mädchen mir das vierte Glas |
einſchenkte, rukte der alte Herr mit dem Stuhle
und machte Aufſtand. Wir wurden gleich in ein
anderes Zimmer gefuͤhrt und ich ſahe, da ich im
Abgehen meinem verlaßnen Glaſe ſeufzend einen
Abſchiedsblik gab, daß es der alte derr wieder in
die Butellje fuͤllte. g
Man wolte nach Tiſche rathſchlagen, womit
uns die Zeit des Nachmittags vertrieben werden
ſolte. Aber ich verſicherte heilig (vermoͤge eines
— — 236
Vorſazzes, den ich beim Rindfleiſche empfangen
und beim Nierenſtuͤkke geboren hatte) daß meine
Abreiſe ſchon feſtgeſezt und der Wagen angeſpannt
ſey. Ich eilte auch, troz allen ſcheinbaren Einwen—⸗
dungen, nach meinem Kutſcher, und befahl ihm,
ſich in einer Stunde reiſefertig zu machen, weil ich
nicht Luſt hatte, noch eine Mahlzeit zu faſten.
Wir fuhren ab, amuͤſirten uns unterweges mit der
Diaͤt des H. Geh. Raths und freuten uns, da wir
ins Nachtquartier kamen, bei drei guten Schüffeln
Eſſen fuͤr unſer baares Geld, uns wieder von der
ausgeſtandnen Hungersnoth erholen zu koͤnnen.
Meine zweite Anekdote, die ich dem Leſer zur
Probe gebe, iſt kuͤrzer. — Da das beruͤhmte
Buͤchlein, Karrikaturen betitelt, das Licht der
Welt erblikt hatte, ſagte die ganze Welt, daß ich
der Verfaſſer ſey — fo wie man ſchon hundert
Schriften dieſer Art auf meine Rechnung geſchrie—
ben hat. — Im Sommer, nach Erſcheinung die:
ſes ſatyriſchen Produkts, trat mich ein junger
Mann in meinem Gartenhauſe an und brachte mir
ein Kompliment von Herrn Froſch und Limburg
N
aus Leipzig (wenn ich nicht irre, gab er ſich für eis |
nen Verwandten vom Haufe aus) und erflärte mir
endlich — nach mancherlei ſchuͤchternen Wendun⸗
gen — daß die Herren Froſch und Limburg mir,
als dem Verfaſſer der Karrikaturen, ein kleines
Praͤſent zugedacht hätten. Ich wurde frappirt,
verſicherte ihn, daß ich die Karrikaturen noch nicht
einmal geleſen, geſchweige geſchrieben haͤtte, und
fragte neugierig nach der Urſache, welche die Herren
Froſch und Limburg zu dieſer unverdienten Guͤte
bewogen habe. Der. junge Mann entdekte mir
hierauf, daß in den Karrikaturen der Guldentabak
von Froſch und Limburg in Leipzig, als ein vor⸗
zuͤglich ſchoͤner Rauchtabak) empfohlen worden
ſey, und daß die Handlung, ſeit dieſer oͤffentlichen
Anpreiſung in einem ſo viel geleſenen Buche, ein
merklich groͤßern Abſaz davon gehabt haͤtte. Jezt
bedaurete ichs faſt, daß ich die Verfaſſerſchaft der
Karrikaturen fo treuherzig abgelaͤugnet und den
jungen Mann nicht bei ſeinem Glauben gelaſſen
hatte. Denn wirklich hat mich hier die befoͤrderte
Aufklaͤrung befchädigt und wenigſtens um ein hal⸗
0
) Der er auch wirklich iſt.
— 238
—
bes Duzzend Pfund guten Knaſter gebracht, den
mir die Herren Froſch und Limburg geſchikt haben
wuͤrden, wenn ich ihren Glauben nicht geſtoͤrt ges
habt hätte. — Doch es ſey darum! Ich habe ja
in der Melt weit mehrere Vortheile verloren, die
ich hätte genieſſen koͤnnen, wenn ich des alten Glau⸗
bens haͤtte ſchonen wollen. — Aber bei Gott, ich
will lieber beim Brieftabak meinen Ueberzeugungen
treu bleiben, als beim beſten Zweithaler Knaſter
Orthodopie heucheln.
— 3 “l —
Neunzehntes Kapitel.
Sehriftſtellerei.
f 2 den beiden Jahren 1786 bis zur Oſtermeſſe
1787 habe ich bis zur Ueberſpannung meiner Kräfte
gearbeitet. In einem Winter betrug die gedrukte
Bogenzahl 160, meiſtentheils groß 8.
Meine Lieblingsarbeit darunter waren die
Reden Jeſu, welche ich aus den Evangeliſten ſam⸗
melte, unter gewiſſe Rubriken brachte, und, nah
der Reihe der Materien geſtellt, theils woͤrtlicy
uͤberſezte, theils paraphraſirte und kommentirte,
und beides, Ueberſezung und umſchreibung, durch ‘a
den Druf unterſchied. b
Der Zwek dieſer Arbeit war, wie ich glaube,
von nicht geringer Erheblichkeit. Ich hatte ſchon
laͤngſt die Bemerkung gemacht, daß unſere leidi⸗
gen Dogmatiken mit ihren articulis fidei ſaͤmtlich
aus den misgedeuteten Briefen der Apoſtel und
vornehmlich denen an die Roͤmer und an die He⸗
braͤer entſtanden waren, und daß man zu all den
juͤdiſchen Vorſtellungsarten, welche unſere Syſteme
enthalten, uͤberall nur Beweisſtellen aus dieſen
Briefen allegiren konte. Ich hatte dieſe Bemer⸗
kung unzaͤhligen meiner jungen Freunde ſowohl,
als manchen Maͤnnern von gereiften Kentniſſen mit⸗
getheilt und gefunden, daß ſie jedem eben ſo wahr
als auffallend geweſen war. Dies brachte endlich
den Gedanken in mir hervor, daß es der Mühe,
werth ſey, einmal das ganze chriſtliche Publikum
darauf aufmerkſam zu machen, daß alle Beweis⸗
ſpruͤche für die ſogenanten pofitiven Wahrheiten
des
I — eEaEnee 240
des Chriſtenthums (Zurechnung des Falles Adams,
Erbſuͤnde, Rechtfertigung ohne Werke, übernas
tuͤrliche Gnade ic.) blos aus den Schriften der
Apoſtel entlehnt ſind, und daß die Reden Jeſu
von manchen Artikeln gar nichts, von einigen nur
ſcheinbare Spuren enthalten. Wenigſtens ſchien
mir der Schluß algemeine Beheerzigung zu verdie—
nen: Wenn Jeſus in ſeinen Vortraͤgen nothwendig
die zur Seligkeit nothwendigen Heilswahrheiten
gelehrt haben muß; jo folgt, daß diejenigen Lehr—
ſaͤzze, weiche er nicht gelehrt hat, und welche man
blos aus apoſtoliſchen Schriften herleiten will (ges
ſezt auch, daß ſie aus denſelben erweislich waͤren)
doch gar nicht von großer Wichtigkeit ſind, ſondern
zu den entbehrlichen Wahrheiten gerechnet werden
muͤſſen. 8
Alſo — fuͤr den Geiſt der Pruͤfung ſchrieb ich
das Buch: Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den 4
Evangeliſten geſammelt und ſo geſtellt, daß man
das aͤchte Lehrgebaͤude uͤberſehen und ſich mit
der eigentlichen Religion Jeſu bekant machen
kan. Berlin bei Vieweg, 2 Baͤnde 8: — da⸗
mit aus dieſer Samlung jeder forſchende Chriſt ſe⸗
IV; B. Q
241 | r
hen moͤchte, was wirklich Lehre Jeſu iſt und was
im Gegentheil ſpaͤtere Lehrer der Kirche aus ihren
eignen Reflexionen und Phantaſien wee
haben.
Es iſt eine meiner beſten Schriften, die auch
der bloße Dilettant, welcher jenen wichtigen Zwek
der Pruͤfung nicht beabſichtet, als ein Erbauungs⸗
buch mit Vergnuͤgen und oft mit Ruͤhrung leſen
wird. |
\
Fuͤr eben dieſen Geiſt der Pruͤfung bearbeite;
te ich in dieſer Epoche mein griechifch = deutſches
Lexikon uͤber das N. Teſtament, welches ich ſo
einrichtetete, daß auch Ungelehrte es gebrauchen,
und bei der Leſung der lutheriſchen Ueberſezzung des
N. Teſtaments ſich daraus Raths erholen, und den
Sinn derſelben beurtheilen koͤnnen. Ich habe in
dieſem Woͤrterbuche die aͤchten Bedeutungen der
Worte des griechiſchen Teſtaments genau und be⸗
ſtimt angegeben, und auf das ſchaͤrfſte aus dem
Sprachgebrauche des N. Teſtaments und den
gleichzeitigen Schriftſtellern, den LXX, den Joſe⸗
phus und Philo bewieſen, auch die Analogie der
. 2.3.22 52.00 000 242
guten griechiſchen Schriftſteller, welche noch kein
Lexikon uͤber das N. Teſtament aufgeſtellt hat, faſt
volſtaͤndig beigebracht, und mit unzähligen Allegas
tis e
Nachdem ich dies noch zu fehlen ſcheinende
Huͤlfsmittel fuͤr den wahrheitforſchende Leſer des
N. Teſtaments bearbeitet hatte, age ich mich,
nun ſelbſt ein Lehrgebaͤude des reinen Chriſten⸗
thums aufzuſtellen, welches die Refultate meines
vieljährigen Pruͤfens und N % Berne enthalten
ſolte. £ KR
Der auſſerordentliche Beifall, 45 ben ſich meine
moraliſchen Vorleſungen erworben hatten, gab mir
die erſte Veranlaſſung, dieſen Gedanken zu reali⸗
ſiren. Ich hofte mit recht, daß das Publikum,
unter welchem man meine Lehren und Meinungen
ſo verſchrien hatte, durch ein ſolches Syſtem von
all den kraſſen Vorſtellungen zuruͤkkommen, und
mit meiner Wahrheit ſowohl als mit mir kt
ausgeſöhnt werden wuͤrde. N
Durch das Studiunt der Reden Jeſu war
mir Bee Mittelpunkt gleichſam figiet worden, in
| | e |
N | N
Nan
8 n
welchen ich mein ganzes Religions ſſyſtem konzen ?
trirt hatte: ich meine diejenige M ſenſchenliebe,
welche mich die natürlichen Gef uͤhle meines eignen |
Herzens ſowohl, als die traurigen Erfahrungen mei⸗ |
nes Lebens, als das hoͤchſte Beduͤrfniß für die
menſcbliche Gluͤckſeligkeit, und folglich als den er⸗
ſten Grundſaz aller vernünftigen Religion denken
lehrten.
So entſtund mein Syſtem der moraliſchen
Religion zur endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler
und Denker (Berlin bei Vieweg) welches bereits
die dritte Auflage erlebt, und einen algemeinen,
und ich mochte ſagen, widerſpruchfreien Beifall
erlangt hat. in
Ich bediente mich bei der Ausgabe dieſes
Werks einer kleinen Kriegsliſt, welche ſchon vor⸗
hergegangene Erfahrungen bewaͤhret hatten. Ich
ließ einen andern Titel drukken, welcher ein Sy⸗
ſtem der reinen Lehre Jeſu und der Apoſtel an⸗
kuͤndigte, und meinen Namen nicht enthielt, und
unter dieſem Titel, von Weihnachten bis Oſtern
daſſelbe verkaufen, — um das Publikum und in⸗
und diese on 5 mie vol⸗ 90
"rue bös u gleich mit
karten eſfale aufgenommen, und die Leipziger
Zeitüng 95 die ſonſt alle meine Schriften geſtriegelt
hatte; gab den erſten Lobpreiſungston an, dem ix
bald mehrere Recenſenten folgten. Zu Oſtern erſt
nahm ich die Maske ab, und ließ das 2 untern
dem e ae 2 — Pa 18 82
Dis Buch hat weite Ge tung erfüllt, KR
Menschen, sin den french” Gegenden, welche die 1 ER
tauſendzuͤngi ge Fama mit den widrigſten Vorſtel /
langen von mir erfuͤllt, und mich ihnen als einen
hellloſen Mann geſchildert hatte, der alle theoreti—⸗ 25
ſwe fue praktische Religion mit Fuͤßen tritt, ge⸗
nz
riethen in ein angenehmes Erſtaunen, da ſie ver⸗ i S g
nahmen, daß dieſes Syſtem meinen Glauben und
. Mete henzen Ahe — I a
n 75 u 1 94 = * ee 7
Cite Henze junger kent, a die 5 noch zn
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245 — 2 ——
mein Syſtem der moraliſchen Religion ihnen alles
erſt die Erlaubniß von ihren Eltern und Vormuͤn⸗
dern dazu verſchaft habe. Viele brachten mir ſelbſt
die Briefe mit, in denen der Vater ſchrieb: „mein
„Sohn, wenn das ſchoͤne Buch, das Du mir ge
„ſchikt haſt, wirklich von dem D. Bahrdt in Hal⸗
„le iſt; ſo kanſt Du in Gottes Namen alle Kollegia
„bei ihm hören ze. % So wurden junge Leute
meine Schuͤler und Freunde, denen es vorher bei
Leib und Leben verboten geweſen war, meinen Hoͤr⸗
ſal zu betreten.
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Eigne Ueberzeugung von der Unfehlbarkeit
und Guͤte meiner Grundſaͤzze, welche dieſes Sy⸗
ſtem enthielt und — Liebe zu dieſen Grundſaͤzzen —
hieß mich auf Mittel denken, dieſelbe immer mehr
in der Welt zu verbreiten, und bis in die Huͤtten
des gemeinſten Volks zu verpflanzen.
Ich bekam, beim Nachdenken uͤber dieſe Mit⸗
tel, den gewiß nuzbaren Einfall, meine moraliſche
Religion auf alle Staͤnde und Verhaͤltniſſe der
Menſchen beſonders zu appliciren. Und ſo entſtund
zuerſt mein Sittenbuch fuͤr das Geſinde, welches
nen 246
ich in eben dem Winter noch druffen ließ, in wel⸗
chem mein Syſtem der moraliſchen Religion fertig
wurde. Aber an dieſem Buͤchlein machte ich eine
der traurigſten Erfahrungen meines Lebens.
Ich kan es kuͤhn behaupten, ohne eine einzige
Stimme irgend eines denkenden und ehrlichen
Mannes fürchten zu dürfen, daß dies Büchlein in
Abſicht auf Inhalt fo wahr, fo volftändig und nuz⸗
bar, und in Abſicht auf Ausdruk ſo faßlich und
ruͤhrend geſchrieben iſt, daß man gewiß fuͤr dieſe
ſo zahlreiche und eben darum wichtige Menſchen—
klaſſe kein beſſeres dagegen ſtellen kan. Und doch
iſt dieſes ſo nuͤzliche Buͤchlein mit einer Kaͤlte und
Gleichguͤltigkeit aufgenommen worden, die alle
menſchliche Erwartung uͤberſteigt.
Ueberzeugt, daß es von der aͤußerſten Mich:
tigkeit ſey, wenn jeder Hausvater dies Buͤchlein
beſaͤße, und jedem Geſinde zu leſen gäbe, und daß
dadurch eine erſtaunende Summe von guten Ge—
finnungen unter dieſer wichtigen Menſchenklaſſe (ich
meine das Geſinde) verbreitet werden wuͤrde,
ſchrieb ich im Namen des Verlegers (ohne meinen
2 4
247 —
*
Namen bekant zu machen) faſt an alle Sürften und %
Magiſtraͤte Deutſchlands, ſchikte ihnen ein Exem⸗
plar davon, und bot ihnen den aͤußerſt niedrigſten
Preis an, wenn fie in großen Quantitäten es vers
ſchreiben, und unter die arme Klaſſe ihrer Unters
thanen vertheilen wollten: ſo daß manche mit zehn
bis zwanzig Thalern eine ganze Stadt mit ihren
Dorfſchaften Hätten verſorgen konnen. Und —
auch nicht an einem einzigen Orte fand ſich eine
Neigung, auf die moraliſche Verbeſſerung des Ge⸗
ſindes, ein paar Thaler zu wenden, die oft hun⸗
dert und tauſendfach für Gegenſtände des vu
verſchleudert werden,
Zu eben der Zeit ſchrieb ich das Buch: Ueber
preßfreyheit und deren Grenzen zur Beherzi⸗
gung fuͤr Regenten, Cenſoren, und Schriftſtel⸗
ler: (Zuͤllichau bei Fromman) welches ohnſtreitig
unter meinen Schriften die meiſten lauten Lobprei⸗
ſungen erhalten, aber auch den Verfechtern des
Glaubenszwanges und moraliſchen Deſpotismus
das meiſte Aergerniß verurſacht hat. Das koͤnig⸗
liche Kammergericht in Berlin hat dieſe Schrift
fuͤr den richtigſten Masſtab der Beurtheilung
248
ſchriftſtelleriſcher Freiheiten erkant und in der be⸗
kanten Sentenz (in den Streitigkeiten zwiſchen dem
D. Stark und den Verfaſſern der Berliner Mo⸗
natsſchrift) mit lautem Beifall gekroͤnt.
Noch gehoͤren in dieſe Epoche die oben bereits
erwähnten Schriften: uͤber den Fweck der Erzie⸗
hung — die Standrede an Goͤtzens Sarge —
und des Kirchen- und Kezzeralmanachs, zweites
Guinqnennium — fo wie Famor, oder der Mann
aus dem Monde, und das Sendſchreiben an den
Prof. Voigt in Guedlinburg.
Ein unreifer Einfall waren die neuen Litte⸗
raturbriefe, welche mit dem erſten Bande ihre
Endſchaft erreichten. Ich hatte die gute Abſicht,
mich mit einer Geſellſchaft denkender Maͤnner zu
verbinden, und die reifſten Reſultate unſerer Lek⸗
tuͤre der Welt vorzulegen. Aber ich fing die Aus⸗
gabe früher an, als dieſe Geſelſchaft vollſtaͤndig ges
wählt war. Kurz, es ward das nicht, was es
s werden ſollen.
Aber eine meiner allerweiſeſten und nuzbarſten
* die ich in dieſer Epoche noch begann,
2 5
2409 — |
und auf meinem Weinberge, im leztem Winter =
vor meiner Verhaftnehmung vollendete, war meis
ne analytiſche Erklärung aller Briefe der Apo⸗
ſtel. (Berlin bei Mylius.)
Meine Abſicht bei dieſem Werke war, dem
Publikum vollends die Reſultate meines vieljähris
gen Studiums uͤber das neue Teſtament zu liefern.
Ich hatte bereits alles in Schriften geſagt, was zur
Erläuterung der Geſchichte der Evangeliften und
der Reden Jeſu noͤthig war. Ich wolte alſo nun
auch die apoſtoliſchen Schriften in ihr Licht ſez⸗
zen, und dabei zeigen, daß die Apoſtel eben das
reine und blos vernuͤnftige Lehrgebaͤude vorgetra—
gen haͤtten, was ich aus den Reden Jeſu bereits
aufgeſtelt hatte.
Ein wichtiger Nebenzwek war es, die apoſto⸗ \
liſchen Schriften zu gleicher Zeit fo zu bearbeiten,
daß ſo wohl der gemeine Leſer meinen Kommentar
daruͤber mit Erbauung leſen und ſich uͤber den wah⸗
ren Inhalt der Briefe der Apoſtel belehren, als
auch der Volslehrer Anleitung finden möchte, je⸗
den apoſtoliſchen Text natuͤrlich zu zergliedern und
3 250
die darin enthaltenen moraliſchen Wahrheiten licht:
voll aus einander zu ſezzen. — Ich halte es ſchier
fuͤr meine beſte und nuzbarſte Arbeit.
Das Buch uͤber die Aufklaͤrung, welches mit
Bezug auf die deut ſche Union geſchrieben war, und
wovon der Hr. Prof. Weber in Buͤzow die lezte
Abhandlung geſchrieben hat, wird hoffentlich je—
dem wilkommen ſeyn, welcher einen feſten Begrif
von dem ſo viel gebrauchten und gemißbrauchten
Worte Aufklaͤrung ſucht, und auf unbefangene Ur⸗
theile uͤber die ganze Materie geleitet zu werden
wuͤnſcht. — Es gehoͤrt uͤbrigens in die neueſte
Epoche meines Lebens, von der ich meinen Leſern
nur noch etwas weniges zu ſagen habe.
Zwanzigſtes Kapitel.
Nachtraͤge zu meiner Gefaͤngnißgeſchichte.
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Jo hatte, in der oben beſchriebnen Epoche mei—
ner Geſundheit den Reſt gegeben. Meine Verdau⸗
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ungswerkzeuge waren im hoͤchſten Grade geſchwächt, Ne J
fo daß ich Mittags nur wenige Loffel Gemuͤſe ge⸗
nieſſen, und Abends hoͤchſtens nur ein kleines But⸗
terbrod eſſen, und doch regelmäßig einigemal in
jeder Woche von den heftigſten Schmerzen in der
rechten Seite überfallen wurde, welche am Ende
der Verdauung ſich einſtellten, oft bis in die ſpaͤte
Nacht anhielten, und gewohnlich mit einem ers
maitenden Schweiſſe ſich endigten. Dabei fehlten
mir die gewoͤhnlichen Ausleerungen der Natur.
Jh habe ſchon einmal ſieben Monate nach einan⸗
der die Kämpfiſchen Klyſtire gebraucht, und muſte
nun ſchon taglich ein Klyſtir nehmen, wenn ic
| Leibesöfnung haben wollte.
In dieſem traurigen Zuſtande brachte mich
der Rath meines Freundes, des ſel. Goldhagen,
zu dem Entſchluſſe, mein ſchriftſtelleriſches Leben,
das mich ſchlechterdings in kurzer Zeit aufreiben
mußte, einzuſchraͤnken, und eine andere Quelle
des Unterhalts für mich und meine Kinder aufzu⸗
ſuchen, weil in den preußl. Staaten meine Talente
zu nichts brauchbar gefunden wurden. Und fo
entſtand die Weinbergsgeſchichte, die ich in meiner
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be, und von welcher ich hier nur noche einige zur
Volſtaͤndigkeit meiner Lebensgeſchichte erfordellß,
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Im Herbſte des Jahres 1786 mech mein
liebes Weib eine Dienſtmagd, welche, ſeitdem % Ju⸗
lie ſich entfernt hatte, die erſte wer, die mich von
allen Verbruͤßlichkeiten befreien konte, welche. mir
ſeither ſo manche meiner Mahlzeiten verbittert hat⸗
ten. Die einzige Schuͤſſel, die ich genoß bekam
ich doch nun ſchmakhaft und kraͤftig, ſtatt daß ich
ſonſt alle Wochen einigemal mich Hätte ärgern muͤſ⸗
fen, wenn meine wenigen Biffen durch Natblägtg⸗
keit oder Ungeſchiklichkeit der Magd verderben
waren. | ng
1 N 2
Dieſe Magd n ward kan der Liebling und dle.
Vertraute meiner Gattin. Sie fuͤhlte es als‘ eigne
Gluͤfſeligkeit, mich bei meinen Mahlzeiten verhuügt
und zufrieden zu ſehen. Und ſie freute ſich ‚ende %
lich einmal eine Perfon gefunden zu haben, welche
mit dem hoͤchſten Grade von Geſchiklichkeit und Ak⸗
kurateſſe, alle übrige Eigenſchaften eines guten Ge⸗
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7 Oefärrgnipgifäpich wiläuftiger be seen 1
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253 . ————
ſindes verband, ich meine Fleiß, Arbeitſamkeit,
Treue, Willigkeit und eine immer fröhliche Laune. —
Das Maͤdchen hatte auch wirklich eine in ihrer Art
ſehr volkomne Erziehung gehabt. Die Frau Inſpekt. |
Stoppelbergin auf dem Waiſenhauſe hatte feit
dem dreizehnten Jahre ſie wie Kind gehalten, ihr
alles, was zum Kochen, Bakken, Näterei u. ſ. w.
gehoͤrt, lehren laſſen, und bei der ſtrengſten Auf⸗
ſicht ſie gebildet.
Indeſſen konte die Guͤte dieſes Geſindes das
Temperament meines lieben Weibes nicht umſchaf⸗
fen. Ihre Gewohnheit uͤber alle Kleinigkeiten zu
noͤrgeln und bei aller Gelegenheit, wenn etwas im
Hauſe verlegt oder verloren, oder ihr etwas nicht
wohlfeil genug eingekauft war, das Geſinde der
Dieberei zu beſchuldigen, machte auch dieſe Magd
ſehr bald mismuͤthig, ſo daß ſie ſchon zu Weinach⸗
ten meinem lieben Weibe den Dienſt wieder aufſag⸗
te. Ich wußte von dem allen nichts und bekuͤm⸗
merte mich auch um das weibliche Hausregiment
nicht. Es war gerade das ſauerſte halbe Jahr mei⸗
nes Lebens. S. das vorige Kapitel.
.
rn 254
Meine Kinder erzaͤhlten mir die angeſponnenen
Verdruͤßlichkeiten. Ich melirte mich nicht drein. —
Mein liebes Weib uͤberdachte die Groͤße des Vers
luſts und die Gefahr der Folgen. Sie beſorgte,
daß ich ihr die Schuld geben moͤchte, wenn einſt
wieder eine unwiſſende Koͤchin mich durch verhunzte
Speiſen aͤrgerlich machen ſolte. Sie bat alſo die
Magd ſelbſt, zu bleiben, und wandte, da dieſe
auf ihrem Vorſazze beharrte, alle mögliche Bered—⸗
ſamkeit, Verſprechungen und zulezt dringende Bit—
ten an, um ſie wieder anders Sinnes zu machen.
Endlich, da alles nichts fruchten wolte, wurden die
Kinder abgeſchikt, und dieſe brachten denn endlich
es dahin, daß die Magd wieder neues Miethgeld
nahm und im Dienſte zu bleiben verſprach. Und
nun kehrte die alte Traulichkeit (die bis zu Klagen
uͤber mich ausartete) wieder zuruͤk und meine Gat⸗
tin und — Chriſtine waren ein Herz und eine Seele.
Da wir in den Winterabenden, zu Sparung
des Holzes, in einer Stube beiſammen waren, ſo
erfuhr ich einſtmalen von ohngefaͤhr, da die weib—
liche Geſelſchaft auf Haus haltungsgeſchaͤfte zu reden
kam, daß dieſe Magd vor kurzem erſt bei einer
255 | RER
Verwandtin in einer großen Gaſtwirthſchaft gear⸗
beitet, und dieſelbe faſt ganz allein verwaltet hatte.
Sie hatte Kuͤhe gemolken, gebuttert, gefäfet, Wein
und Bier abgezogen, aufgewartet, kurz alles ge⸗
than und geuͤbt, was in einer laͤndlichen Gaſtwirth⸗
ſchaft vorfallen kan. Dies machte mich zuerſt auf⸗
merkſam auf dieſe Perſon. Ich faßte ſchnell den
Gedanken auf, daß eine ſolche Wirthſchafterin
mit ſo volſtaͤndigen Kentniſſen und Fertigkeiten mir
es moͤglich machen wuͤrde, eine große Wirthſchaft
zu führen, von welcher ich einen anſtaͤndigen Ges
winn ziehen und durch denſelben von Nahrungsſor⸗
gen und uͤbermaͤſſigen Geiſtesanſtrengungen mich
wuͤrde befreien koͤnnen. Und dieſe Moͤglichkeit
leuchtete mir um ſo mehr ein, jemehr ich bei dieſem
Vorhaben die Zuſtimmung meines lieben Weibes
erwarten konte, deren Vertrauen die Perſon beſaß,
mit welcher ich es auszuführen gedachte,
s Die einzige Bedenklichkelt, daß gewiſſe Leute
dieſen Weg zum Erwerb verſchreien wurden, ſchrekte
mich darum nicht mehr, weil ich einmal in einem
Lande lebte, wo alle andere Ausſichten mir ver⸗
ſchloſſen ſchienen und ich folglich gar keinen Grund
finden
. A Ft *
— 256
finden konte, warum ich mich an Narrengeſchrei
kehren und dem zu Gefallen, mich in der Welt
aufzehren und meine Kinder in der Qnäteen Ar⸗
muth verlaſſen ſolte.
Der ſelige Goldhagen beſtaͤrkte mich in meis
nem Vorſazze und — fo kaufte ich im Jul. 1787
meinen Weinberg, und errichtete ein Etabliffement,
welches ich noch dieſen Augenblik für vol ommen
geſchikt halte, mir den Abend meines Lebens anges
nehm zu machen, ob ich gleich bis jezt daſſelbe als
eine Quelle tauſendfachen Verdruſſes habe erfahren
muͤſſen.
Man denke ſich die unvorherzuſehende Wen—
dung des Schikſals. Eden dieſe Perſon, auf wel—
che ſich die ganze Moͤglichkeit gruͤndete, mein
Etabliſſement (mit Bethuͤlfe eines geſchikten Mans
nes, der die Aufwartung und Bedienung der Frem—
den dirigirte) zu behaupten, wurde zufaͤlliger Weiſe
mir verleidet. Sie war fünf Vierteliahr lang meis
nem lieben Weibe im hoͤchſten Grade anſtaͤndig ge⸗
weſen, und ſie ward jezt auf einmal der Gegenſtand
ihres Haſſes und ihrer unverſoͤhnlichen Rache.
w. B. 18% N 2
W.
Ich war mit meiner Gattin uͤber die Fuͤhrung
der Wirthſchaft einverſtanden. Sie hatte nach
meinem Willen blos das Fach der Erziehung mei⸗
ner Toͤchter und die Beſorgung der Waͤſche uͤber⸗
nommen. Sie ſolte mit Kuͤche, Stall, Keller ꝛe.
gar nichts zu thun haben. Ich wolte mit ihr auf
einem beſondern Fluͤgel des Hauſes wohnen, und
auf dem andern ſolte die große Wirthſchaft ſeyn,
uͤber welche ich allein diſponiren wolte, und die ich
bereits in ſolche Hände gebracht und fo eingerichtet
hatte, daß ſie nicht anders als gedeihen konte.
Mein liebes Weib lebte bei dieſer Einrichtung wie
eine Koͤnigin. Sie genoß, bei maͤßiger Arbeit
(wie ſie ihre Schwaͤchlichkeit und ihre Liebe zu ſiz⸗
zenden Beſchaͤftigungen des Naͤhens, Filetſtrikkens,
Stikkerei u. d. es erfoderte) alles, was fie ſich win:
ſchen konte. Keine Sorge beunruhigte ſie, keine
Handarbeit belaſtete ſie, kein Verbruß ſtoͤrte ſie.
Und ich — fühlte mich, bei der ſtaͤten Bewegung,
welche Aufſicht und Diſpoſition erfoderte, bei der
geſunden Luft und romantiſchen Gegend, in welcher
ich athmete, bei der täglichen Unterhaltung des ges
ſelſchaftlichen Lebens und bei den frohen Ausſichten
in die sap der Ruhe — im hoͤchſten Grade .
lich. — Ein Umſtand zerſtoͤrte das alles.
en 258
Gewiſſe Leute, welche ehedem, da mein liebes
Weib Kaſſe, Keller und Vorraͤthe in ihren Händen
hatte, mancherlei Genuß von ihrem guten Herzen
bezogen hatten, (die ich hier in vielerlei ſchonender
Ruͤk ſicht nicht fpecificiren mag) und welche nun auf
einmal mein liebes Weib auſſer Poſſeß und ſich,
auſſer Antheil ſahen, fiengen an, ihr alles ins Ohr
zu raunen, was ihre Phantaſie erhizzen und ihre,
den Hezzern wohlbekante, ſchwache Seite in Al—
larm ſezzen mußte. Sie ſtellten ihr vor, wie erz
niedrigend es fuͤr ſie ſey, die Wirthſchaft nicht in
ihren Haͤnden zu haben. Sie berechneten ihr die
Summen, welche die Magd unterſchlagen wuͤrde,
wenn ſie ferner mit ſolchem Zutrauen behandelt
wuͤrde. Sie erzaͤhlten ihr Hiſtorien von Liebesge⸗
ſchichten, und ſuchten durch dieſe ihr Angſt zu ma⸗
chen, daß ſie mich ſelbſt wohl ihr abſpenſtig machen
dürfte. Kurz fie wiegelten fie auf, die Abſchaffung
der Wirthſchafterin zu fodern. Und ſo ward meine
Ruhe zu Grabe getragen.
Ich — ſahe die Unmoͤglichkeit vor Augen eine
ſolche Perſon von ſo ſeltner Geſchiklichkeit und Treue
und die dabei fuͤr drei Mann im Hauſe arbeitete
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(denn fie war für Vieh, Küche, Reinlichkeit, Bier
und Weinbehandlung, kurz, fuͤr die ganze große
Wirthſchaft — in welcher oft Mittags zwanzig
Gaͤſte mit ſechs Schuͤſſeln gefpeifet, und oo, des
Nachmittags und Abends, mit Speiſe und Trank
verſorgt wurden — die einzige Magd im Hauſe)
er mir ſogleich wieder zu erſezzen: und mein liebes
Weib — ftürmte gleichwohl mit ſolcher Hizze auf
mich los, ihren Willen durchzuſezzen, daß — auf
erhaltene abſchlsgliche Antwort — in wenig Wo»
x En chen. das LEE weit und breit von ihren Klas
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5 den erfullt und mit entehrenden ee uͤberla⸗
Den war.
— 4
| 3 Ich etſüchte alles, um ihr Herz, das im
Grunde mich zu lieben ſchien, ob es gleich zu mei⸗
ver Schande und zum Ruin meiner Kinder ſich ver⸗
Art hatte, zu beſänftigen. Ich ſtellte ihr die An⸗
nebmli chkeit der Lage vor, in welche ich ſie geſezt
hatte. Ich zeigte ihr die Unmd glichkeit, mein
Etabliſſement ohne eine ſolche Perſon zu behaupten.
Io gab ihr zu bedenken, wis ſehr ihr Geſchrei ſie
felbſt und unjeie, änze Familie‘ entehre. Meine
Kinder ver relſigten iht ihre Bitten v und Vorſtellungen
8 Au den wege 9 war un
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*
N 1 Pr 260 X
Es gehoͤrt ein voͤlliges Alphabeth dazu, alle
Auftritte zu ſchildern, und alle die Verſuche zu ent⸗
falten, welche mein liebes Weib ſeit jener ungluͤk⸗
lichen Verhezzung begonnen hat, (bald mit bittern |
Reden ins Angeſicht, bald mit lautem Geſchrei an
alle Menſchen, deren Ohren ſie habhaft werden
konte, bald mit Briefen, die ſie funfzig Meilen
weit verſendete) meine Geduld zu ermuͤden und mich
durch Schmach und Kraͤnkung unter ihren Willen
zu beugen. — Die Geſchichte verdient einen eige—
nen Roman, den ich bereits entworfen habe, in
welchem alle Scenen, alle Briefe, alle Belege, alle
Zeugen zum Vorſchein kommen ſollen, um eine
Geſchichte ganz aufzuhellen, welche, fo unbedeu⸗
tend ſie ſcheint, ganz eigne Beiträge zur Menſchen⸗
kentniß liefern duͤrfte.
Ich — werde lebenslang mit Schaudern und
Entſezzen an dieſe Epoche zuruͤk denken, in welcher
ich zwei ſo wuͤthende Stuͤrme aushalten und auf
der einen Seite in einem elenden Kerker von der
fuͤrchterlichſten Inquiſition mich martern, und auf
der andern von einer verfuͤhrten Gattin mich fol—
tern laſſen mußte — und dies in einem Zuſtande
R 3
261 —ñ—
der äufferften Schwachheit, wo meine Kräfte durch
uͤbermaͤßige Arbeit völlig geſchwaͤcht, meine Ges
ſundheit zerſtoͤrt und mein Geiſt durch Sorgen und
unbeſchreibliche Aergerniſſe zerruͤttet war.
Und von dieſen vorher gegangenen Zerruͤttun⸗
gen will ich meinen Leſern noch einige Proben vor⸗
legen, welche ihnen die Lage meiner Seele erſt ganz
in ihrem fuͤrchterlichen Lichte zeigen und es ihnen
voͤllig unbegreiflich machen werden, wie ich, unter
ſolchen Umſtaͤnden, noch leben bleiben konte.
Mein Weinberg graͤnzt an die Beſizzungen ei⸗
nes ſeiner rechtglaͤubigen Froͤmmigkeit halber ſehr
bekanten und reichen Herrn, der ſich einen Winzer,
Namens Puf erkohren hatte, welcher die Geißel
der Nachbarſchaft war. Seine Grobheit uͤberſtieg
allen Ausdruk. Seine Fertigkeit im Schabernak⸗
ken ſucht ihres Gleichen. Und ſeine Dieberei war
weltkundig. — Dieſer Menſch wurde meine taͤg⸗
liche Plage. Er ergrif alle nur erſinliche Gelegen⸗
heit, mich zu ärgern, Bald mishandelte er meine
Gaͤſte, wenn ſie unverſehens einen ofnen Fußſteig
detraten, welcher unſere unmerkliche Graͤnze war,
262
und den er allein mit mir begehen zu duͤrfen glaub⸗
te. Bald verſchlemte er uns mit Spreu und Koth
die Quelle, aus welcher wir unſer Trinkwaſſer ho—
len mußten. Bald uͤberfiel er mein Geſinde mit
Karſten und Knitteln, wenn ſie aus dem Brunnen
ſchoͤpfen wolten, der auf ſeinem Grund und Bo—
den zwar lag, aber an den ich mit mehrern Wein—
bergs beſizzern, vermoͤge alter Receſſe, Antheil hat—
te. Bald ſchuͤttete er auf leinen Anhoͤhen Ströme
von Schimpfwoͤrtern und Schmaͤhungen gegen mich
und die Meinigen aus, wenn wir ihn oder ſeinen
Jungen auf unſern Stuͤkken ertappt und verjagt
hatten.
Nicht genug, mein Pachter ergrif ihn eines
Morgens um drei Uhr auf ſeinem Krautſtuͤkke, auf
welchem er vor ſeinen Augen Kraut geſtohlen und
bereits in den Korb geladen und ſich auf den Ruͤk—
weg damit gemacht hatte. Der Dieb ſezte ſich zur
Wehre. Er ſchlug meinen Pachter blutruͤnſtig.
Wir gingen vors Siebichenfteiner Amt. Er geſtund
ein, 1) daß er ſonſt ſchon uͤber Dieberei ergriffen
worden waͤre, 2) daß er von meinem Pachter auf
dem Stuͤkke ergriffen worden ſey, 3) daß er ihn
R 4
blutig geſchlagen habe. Ich verlangte von der *
Obrigkeit, daß er, nach dem Weinbergsrechte, als
uͤberfuͤhrter Dieb und Räuber der RNachbarſchaft,
aus dem Weinberge geſtoßen und mie für fo viel
bereits angethane Mishandlungen Genugthuung
geſchaft werden moͤchte. Sein Herr bat vor. Es
dauerte lang, ehe man eine Strafe beſchloß. End⸗
lich ward ihm Geldſtrafe, Gefaͤngniß und Pranger
zuerkant. Puf blieb in ſeiner Ruhe und trieb nun
ſeine Mishandlungen deſto toller. Ich klagte wie⸗
der, verlangte Vollſtrekkung der zuerkanten Strafe.
Es verzog ſich. Man entſchuldigte ſich, daß ihn
der Gerichtsdiener, wenn er ihn holen ſolte, nie
zu Hauſe finde. (Aber der Kerl wußte immer vor⸗
her, wenn der Gerichtsdiener kommen wuͤrde, und
verſtekte ſich). Kurz — J Im vorigen Herbſte, da
ich meinen halliſchen Kerket verließ, war die Strafe
noch nicht vollzogen, mir noch keine Ruhe geſchaft
und — der Dieb ſizt noch in ſeiner Klauſe, un⸗
geſtoͤrt. N
Wer einen Begrif ſich machen kan, was das
heißt, neben ſolchem Geſindel leben und gegen ſol⸗
ches Geſindel keine durchgreifende Maasregeln fins
den, der wird fi b vorſtellen koͤnnen, welch ein tau⸗
ſendfacher Verdruß mir aus 8 einzigen Quelle
frönen mußte.
Aber es gab noch eine andere Quelle dieſes
Giftes, das mich verzehrte, welche ich nur kurz
berühren will. Ich hatte drei Söhne des Profeſ—
for Tilings aus Mitau, als meine Zoͤglinge übers
nommen. Im erſten halben Jahre hatte ich mit
denn aͤlteſten, der ein vortrefliches Herz zeigte, hoͤchſt
vergnuͤgt gelebt. Im zweiten halben Jahre aber,
da noch zwei jüngere und leider für die Univerſitͤts⸗
jahre noch ganz unreife Bruͤder dazu kamen, wur⸗
den mir meine paͤdagogiſchen Geſchaͤfte zur Folter.
Es fanden ſich frühzeitig Geſelſchafter, welche die
jungen Leute uͤberredeten, daß ſie bei mir viel zu
geniert lebten und fuͤr ihr Geld (davon ich mich be⸗
reicherte) bei weitem die Gluͤkſeligkeiten nicht ge⸗
noͤſſen, die das aͤchte Burſchenleben mit ſich fuͤhre.
Und nun fingen dieſe jungen Leute an, ſich Freihei—
ten heraus zunehmen und Yrätenfionen an mich zu
machen, welche jeden Tag mit neuen Aergerniſſen
mir verbitterten. Nachdem ich fuͤnf Vierteljahr
mich mit ihnen gequaͤlt und tauſend Inſultationen
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265 —³ —ee
verſchmerzt hatte, zogen ſie endlich, ohne Abſchied
zu nehmen, von mir ab und — der Vater — der
von mir fo geliebte — nie von mir beleidigte —
mich ſonſt ſo enthuſiaſtiſch verehrende Vater — hoͤr⸗
te blos die einſeitigen Berichte ſeiner Soͤhne — zer⸗
riß das Band der zaͤrtlichſten Freundſchaft — vers
weigerte mir 150 Thaler ſchuldige Gelder — ſchikte
mir den beſcheidenſten und freundſchaftlichſten Brief,
in welchem ich ihn um mein Geld erſuchte, offen,
auf der Poſt zuruͤk — und hat noch bis jezt nicht —
auch in meinem Ungluͤkke nicht, wie er hoͤrte, daß
meine Kinder Noth litten — ſich ſeiner * .
entledigt.
Die in meinem Herzen noch in dieſem Augen⸗
blikke unzerſtoͤrbare diebe zu dieſem würdigen Mans
ne heißt mich, dieſe Geſchichte abkuͤrzen. Nur
dies einzige muß ich, um meiner Ehre willen, dem
Publikum noch ſagen, (weil es ſo viele gab, die
auch dieſe Tilingiſche Zoͤglingſchaft fuͤr eine Finanz⸗
operation ausſchrien) daß ich dieſen Tilingiſchen
Kindern folgendes fuͤr drei Thaler woͤchentliche
Zahlung geliefert und geleiſtet habe: 1) Mittagtiſch
2) Abendtiſch 3) taglich früh und Nachmittags für
5 — — \ 266
jeden eine Portion Koffe 4) alle morgen ein reichli⸗
ches Fruͤhſtuͤk von Butterbrod oder Kuchen 5) taͤg⸗
lich vier ſteinerne Kruͤge (a 15 Maas) Bier, und
alſo im Jahr 2190 Maas 6) Vettung 7) Heizung
8) kicht 9) Aufwartung 10) Reinigung und Aus—
beſſerung der Waͤſche 11) anfangs halb, nachmals
ganz freies Billard (auf welchem ſie taͤglich zwan—
zig bis vierzig Partien abdraſchen) 12) Sontags,
jedem ein Viertelmaas Wein. 13) Privatſtunden
uͤber Logik, Methaphyſik und mein Syſtem der
moraliſchen Religion. 14) Freie Wohnung, be
ſtehend aus zwei Stuben und zwei Kammern. Und
nun frage ich, welcher Vater ſeinem Sohne dies
alles, wöchentlich für drei Thaler, in Halle erzeu—
gen mag? Und nun frage ich, ob ein Menſch aufs
treten und ſagen mag, daß dieſes Koftgeld meine
Koſten und Muͤhe verguͤten, geſchweige mich berei⸗
chern konte?
O ihr lieben Tilinge! Ihr werdet es jezt wohl
ſelbſt einſehen, wie viel Unrecht ihr mir gethan
habt, und wie viel unnoͤthige Kraͤnkungen eute
uͤberſpanten Begriffe von Ehre und Freiheit mir
verurſacht haben. Vergebet mir, wenn meine uns
gluͤkliche Lage, zuweilen auch mich einmal verftims
te und Eure Uebereilungen ernfter mich tadeln hieß,
als ſie es verdienten, ſo wie ich Euch nun vergebe,
nachdem ich meine Leiden uͤberſtanden habe!
7
Ein und zwanzigſtes Kapitel.
135
Noch ein ſchauderhafter Nachtrag.
ann kan ich es uͤbers Herz bringen, einen Mann
im Publikum aufzuſtellen, den ich wie meinen Bru⸗
der geliebt, und Für deſſen Redlichkeit ich mit mir
ſelbſt länger gekaͤmpft habe, als für irgend einen
Menſchen. Es iſt der Degen hard Pott in Leipzig, der
ſich bisher als Theilhaber an der Waltherſchen Buch⸗
handlung bekant gemacht und jezt dieſelbe gekauft
haben foll. | Be
Wenn Rachſucht meine Feder leitete, ſo Fünte
ich ihm durch meine Berichte ſchaden. Aber ich
will am Ende des halben Sekulums meines Lebens
mein Herz nicht noch mit einem Laſter befleffen,
— — | 268
von welchem daſſelbe noch nie entweiht worden iſt.
Ich will blos das kuͤrzlich erzählen, was mich ans
geht und was ihm keine bürgerliche Strafe zuzie-
hen kan.
Ich hatte mit dieſem Pott, der mir als
Kompagnon der Waltherſchen Buchhandlung be—
kant worden war, einige Briefe gewechſelt uͤber
Verlagsgeſchaͤfte und deutſche Union, und fein herz-
licher und freundſchaftlicher Ton hatte mir den
Wunſch eingeflößt, mit ihm in nähere Bekantſchaft
zu kommen. Er ſelbſt eilte meinen Wuͤnſchen zuvor.
Er kam auf meinen Weinberg und blieb uͤber
Nacht bei mir. Ich wurde von ihm bezaubert.
Alle ſeine Geſpraͤche athmeten einen gewiſſen Adel
der Seele. Er redete mit Waͤrme und Abſcheu
von alle dem, was nur von weitem einer Argliſt
oder Riedertraͤchtigkeit aͤhnlich ſahe. Er zeigte bei
den Aeuſſerungen feiner Grundſaͤzze und den Erz
zaͤhlungen feiner Handlungsweiſe eine Feſtigkeit des
Charakters, eine unerſchuͤtterliche Geduld und einen
eiſernen Muth, — gerade alſo die Tugenden, die
ich wie Gottheiten anbete, weil ich ſie von jeher ſo
9
269 2 ͤ „
ſchwaͤrmeriſch geliebet und fo ſelten unter der
Menſchheit gefunden habe. Er gab dabei Spuren
von ſehr ausgebreiteten Kentniſſen. Er ſchien uͤber
alle Fächer des Wiſſenswuͤrdigen gedacht und gele⸗
ſen zu haben. Er machte ſo gar den Liebhaber der
ſpekulativeſten Philoſopyhie. Endlich — ſprach er
von ſeinen Verbindungen mit Menſchen ſo, daß ich
nicht anders urtheilen konte, als daß er mit ſehr
rielen der erſten und wichtigſten Maͤnner der Na⸗
tion in Konnepion ſtehe.
Dieſes alles nahm mich ſo fuͤr ihn ein, daß |
ich anfieng, die reinſte und feftefte Freundſchaft für
ihn zu empfinden und er — kam mir ſelbſt mit ſol⸗
chen Verſicherungen der ſeinigen entgegen, daß am
zweiten Tage ſeines Aufenthalts ein Bund unter
uns geſchloſſen wurde, wie ihn David und Jona⸗
than nur unter ſich errichtet haben konten.
Unſer Briefwechſel wurde immer traulicher.
Seine Beſuche, die er hernach fleißig wiederholte,
wurden immer neue Gelegenheiten, das Band der
Herzen feſter zu knuͤpfen. Und am Ende nannte
er mich in Briefen nicht anders als Vater und ich
ihn, meinen Sohn.
—— —ẽ —
——— 270
Da ſo eine Zeitlang unſere Verbindung ge—
dauert hatte, bekam ich einige Urſachen zur Bes
kuͤmmerniß, die wohl zuweilen einmal die Frage
in der Tiefe meines Herzens aufſteigen lieſſen: folte
auch Pott wohl der wahre und herzliche Freund ge:
gen dich ſeyn, der du gegen ihn biſt, und der er zu
ſeyn dich verſichert?
Er war in alle dem, was wir muͤndlich und
in Briefen mit einander verhandelten, aͤuſſerſt
nachlaͤſſig und ſaumſelig, und ſchien gar nicht, wie
ſeine Verſicherungen es mit ſich brachten, zu der
warmen Thaͤtigkeit zu bringen zu ſeyn, die ich mir
wuͤnſchte. Ich machte ihm daruͤber zuweilen Vor—
wuͤrfe. Ich bat ihn, mir offenherzig zu ſagen,
wenn das und das Geſchaͤft ſeinen Neigungen nicht
entſpreche, und verſicherte ihn aufrichtig, daß ich
ſogleich abſtehen und es liegen laſſen wuͤrde, wenn
er mir nur einen Wink geben wolte, daß er nicht
gern ſich befaſſe. Aber er betheuerte es heilig,
daß mein Verdacht ungegruͤndet ſey, daß er dem
Geſchaͤft mit Leib und Seel zugethan fey, daß nur
andere dringende Geſchaͤfte ihn ſeither abgehalten
hätten, die Wärme zu zeigen, die ich von a zu
erwarten berechtiget waͤre.
27 L — —
Mein Glaube an meinen Pott blieb unerſchuͤt
terlich. Es kamen neue Spuren von Kaͤlte in Ge⸗
ſchaͤften. Sie mehrten ſich. Sie wurden auffal⸗
lender. — Jezt ſchrieb ich ihm einmal die Worte:
„lieber Pott, wenn Sie mich taͤuſchen, wenn Ihr
„Herz einer Falſchheit faͤhig ſeyn ſolte, dann —
„werde ich gegen das ganze menſchliche Geſchlecht
„mistrauiſch.,, Auf dieſen Brief folgte eine Ant⸗
wort, die mich wieder volkommen beruhigte. | Er
betheuerte es, daß er mich redlich liebte und daß
ich nie — nie ihn anders, als meinen treuſten Freund
finden wuͤrde. |
Aber mehr als jene Spuren von Kälte und
kachläſſigker tim Handeln erſchrekten mich gewiſſe
Pottiſche und Waltherſche Reden und Erzaͤhlun⸗
gen über — den Meineid. Und ich bekenne aufs
richtig, daß ich hier ſelbſt zu leichtſinnig und gegen
meine eignen Grundſaͤzze, dieſen Zug in dem Cha⸗
raktec⸗ onen vermeigten Freundes betrachtet habe.
Die Liebe taͤuſchte mich und dekte Haͤßlichkeiten zu,
welche mich von jedem andern Menſchen zuruͤkge⸗
ſcheucht haben würden. Ee war mir zu ſehr Enz,
gel, als daß ich hier den Satan hätte ahnden fola
len.
*
Pr 272
len. Es ſchien mir ein Flekken in der Sonne zu
ſeyn, der mich nicht abhalten duͤrfte, in ihren wohl⸗
thaͤtigen Strahlen fortzuleben.
Was Wunder alſo, daß alles, was zulezt
meine Verwandte und Freunde mir ſagten — daß
das faſt algemeine und einſtimmige Zeugniß, wel⸗
ches mir ſogar auf Kaffehaͤuſern ins Ohr geraunt
wurde: „Pott ſey ein aͤuſſerſt boͤſer und gefaͤhrli⸗
cher Menſch“ mich nun nicht mehr ruͤhrte und von
meiner Verblendung befreite. Denn ich war zu
ſehr fuͤr ihn eingenommen, rechnete zu viel auf ſei—
ne Betheurungen, und ſchrieb der Orthodoxie zu
großen Antheil an dem boͤſen Leimund gegen den
freigeiſteriſchen Pott zu, als daß ich mich an ſol—
che Warnungen haͤtte kehren ſollen. Pott war und
blieb mein Freund, dem ich Leib und Seele anzu>
vertrauen bereit war.
und nun höre mar. s dire P. von
dieſer meiner ihm bekanten, von ihm genaͤhrten,
innigſten Freundſchaft und Traulichkeit des Jahres
1788, im Jahre 1789 fuͤr einen Gebrauch ge⸗
macht hat!
IV. B. S
273 —
Er war es, der mir den Röper zu Ende des
Jahres 1783 empfahl, welcher ſchon im Februar
1789 gegen mich in Berlin denuneiirte. Roͤper
kam zwar, wie Pott verſicherte, ohne Potts Ge⸗
heis. Aber da ich Potten hernach uͤber Roͤpern
konſulirte, rieth er mir doch, Roͤpern zu behalten,
und zwar aus dem Grunde, weil er ein aͤuſſerſt ar⸗
mer Menſch und ein treuer Freund ſey, der fuͤr
. ſogar einen falſchen Eid gethan habe, um
„.. ſeinen Freund — zu retten.
Er war es, der um Roͤpers Reiſe nach Berlin
wußte und ihn mit zwei Dukaten Reiſegeld unter⸗
ftüzte, wie er ſelbſt ſich einige Zeit nachher gegen
den Herrn Profeſſor Jakob in Halle verſchnapt hat.
Und hiebei beherzige man folgende Rebenumſtaͤnde.
Da Roͤper auf drei Tage Urlaub von mir genom⸗
men hatte, und mir zu lange auſſen blieb, kam ich
auf die aͤngſtliche Beſorgniß, daß der arme Menſch,
der ohnehin mit Kleidung ſchlecht verſehn war, un⸗
terweges zu Schaden gekommen ſeyn moͤchte: denn
es war um die Zeit des tiefſten Schnees und haͤrte⸗
ſten Froſtes. Ich ritt daher nach Leipzig, und ent⸗
dekte Potten meine Bekuͤmmerniß. Pott ſtelte ſich
2 j 474
erſchrokken: verſichette, nicht begreifen zu koͤnnen,
wo Roͤper hin ſeyn koͤnte: beſchikte ſeine Schwe⸗
ſtern; ließ ſich vorgeblich bei dem Studenten Schulz
erkundigen: trieb das Nachſuchungsſpiel einen gan⸗
zen Tag: und ließ mich mit der bangen Muthmaſ—⸗
fung wieder nach Haufe reiten, daß Roͤper unters
wegs erfroren, oder ſonſt wäre zu Schaden gefoms
men oder — heimlich entlaufen ſeyn muͤſſe. Alſo —
Pott ſtelte ſich, als wuͤßte er Roͤpern nicht, und
hatte ihm doch zwei Dukaten zur Berliner Reiſe
gegeben? — Doch die Leſer ſollen folgern. Ich
will blos erzaͤhlen.
*
Ich wurde auf dieſes, mit Potts Gelde nach
Berlin gereiſeten Roͤpers Denunciation arretirt.
Mein erſter Gedanke im Kerker war, meinem vers
meintlich beſten, einſichtsvollſten und unternehmend⸗
ſten Freunde in der Welt, mein Ungluͤk wiſſen zu
machen. Meine Kinder ſchikten meinen Bedienten
zu Pferde nach Leipzig, meldeten Potten das Un⸗
gluͤk ihres Vaters und baten ihn um Rath und
Unterſtuͤzzung. Der Bediente ſagte bei feiner Zu:
tuͤkkunft aus:
S 2
| „ Pott habe den Brief mit kaltem Geſicht ge⸗ *
„leſen und ganz ruhig gefragt: erſt ge—
„ſtern iſt der Doktor arretirt worden?
„ich habe gedacht, er ſaͤße ſchon acht Tage.
„Mache er mein Kompliment: ich wuͤrde ſie,
„ſo bald ich koͤnte, auf dem Wien
55 ea 57
Ich ward von dieſem ſchreklichen Empfange
meines Bedienten erſt nach vielen Wochen benach⸗
richtiget und (beilaͤuſig und zur Schande meines
Kopfes geſagt) doch nicht an Potten ungläubig
gemacht. Meine Kinder fanden ihn raͤthſelhaft,
argwohnten aber eben ſo wenig, als ich nachher,
daß Pott mehr als ein unerklaͤrbar kalter Freund
ſeyn muͤſſe. Sie wendeten ſich alſo, auf mein Ges
heiß, in der Zeit der groͤßten Noth, wo durch
Auſſenbleiben aller meiner gehoften Einkuͤnfte, wah⸗
re Hungersnoth begann, und ſie ſchon angefangen
hatten, ihre beſten Sachen zu verſezzen, um ſich
und ihren ungluͤklichen Vater im Kerker zu ernaͤh⸗
ren, wiederholt an dieſen Mann, auf den ich ſo
viel Schlöͤſſer gebaut hatte, und flehten ihn mit
Thraͤnen um Geld. — Man ſezze hier voraus,
—
1) daß mir Pott noch Geld ſchuldig war, 2) daß
Pott auf meine Lebensgeſchichte Praͤnumeranten⸗
gelder eingenommen hatte, die, nach vielen ſichern
Nachrichten, ſehr anſehnlich geweſen ſeyn follen,
3) daß fein Kompagnon ein Vermoͤgen von 40000
Thalern und eine eigne Handlung hatte 4) daß Pott
mein intimſter Freund zu ſeyn verſichert und dieſe
Verſicherung bis jezt nicht zuruͤkgenommen hatte,
und denke ſich nun dieſe neue Praͤmiſſe (zu der mei⸗
nen Leſern uͤberlaſſenen Konkluſion):
Pott ſchikte nach vielem Flehen zwanzig Thaler,
ſchrieb, daß er kein Geld fuͤr uns habe, und
gab, in der ganzen Zeit meiner Einkerkerung,
in der meine Kinder in groͤßtem Elende und
Jammer leben mußten, keinen Heller weiter.
Pott wurde während meiner Inquiſition in
Leipzig verhoͤrt und druͤkte unter andern uͤber den
Kommentar, den er doch ſelbſt geſchrieben hatte,
ſich ſo aus, daß ein ſtarker Verdacht auf mich fal⸗
len mußte. Ich erinnere mich genau, daß die Kom;
miſſion ſelbſt, im Verhoͤr, ihre Verwunderung ge:
gen mich aͤuſſerte, daß mein intimſter Freund ſo
unvorſichtig und mir nachtheilig ausgeſagt habe.
883
277 ——
Pott kam zu Pfingſten auf meinen Weinberg
mit der Mine des waͤrmſten Freundes, blieb uͤber
Nacht, zeigte ſich, wie meine Kinder ſagen, in der
engſten Vertraulichkeit mit meinem lieben Weibe,
aͤuſſerte den folgenden Tag, daß er aus Liebe zu
mir und den Meinigen nun mein Leben ſelbſt
ſchreiben wolle, da ich es nicht ſchreiben koͤnne, und
verſprach meiner Familie von dem Buche den gan⸗
zen Buchhändler: Gewinn. Dieſer großmuͤthige
Antrag ruͤhrte meine Kinder, und ſie ließen ſich be⸗
reden, dieſem Menſchen, ohne mein Wiſſen, alle
meine Papiere einzuhaͤndigen, (Briefe, Dokumen⸗
te, Aufſaͤzze ꝛc.) die ich feit 24 Jahren mir geſam⸗
melt hatte, und die ich nicht gern fuͤr 2000 thlr.
verkauft haben wuͤrde.
Das ſind die Thatſachen, die ich dem unpar⸗
theiiſchen Publikum vorlegen wolte. Ich mag
nicht Richter ſeyn. Mir ſchauderts zu ſagen, was
ich denke. Und noch — iſt ſelbſt das, was ich
denke, und denken muß, mir — ein Raͤthſel. Denn
alle meine Pſychologie und weitläuftige Menſchen⸗
kentniß reicht mir nicht zu, den Grad von Unmenſch⸗
lichkeit mir begreiflich zu machen, den ich in dem
1
Verfahren dieſes Mannes erblikke, Mein Verſtand
ſteht mir über der Frage ſtille: wie ein Menſch, ein
menſchliches Herz zu einer ſo innigen Freundſchaft
erwaͤrmen konte, mit dem unnatuͤrlichen Vorha⸗
ben — nicht den Getäͤuſchten allein — denn da kon—
te eine perſoͤnliche und in Anſehung ihres Grundes
noch unbekante Rache die natürliche Triebfeder
ſeyn — ſondern auch deſſen Weib und unſchuldige
Kinder ins Verderben zu ſtuͤrzen?
Um aber meinen Leſern und Richtern auch fuͤr
den einzigen möglichen Fall das noͤthige Licht zu ger
ben, daß Pott vieleicht noch zur Zeit unbekante
Urſachen gehabt haben konte, die innigſte Freund—
ſchaft aus den Augen zu ſezzen und mein Verder—
ben zu beſchließen; fo will ich hier einen Brief ab—
drukken laſſen, den ich noch in meinem halliſchen
Kerker erhielt.
Ich hatte Potten, den mein Herz auch damals
noch nicht ganz verurtheilt hatte, (weil ich erſt nach⸗
her, bei mehrerer Freiheit, eine Menge Umſtaͤnde
erfuhr, die ich hier als bloße Sagen uͤbergehe, und
die mich dann erſt determinirten, ihn fuͤr treulos
S 4
1 “= _
zu halten) eine neue Ausgabe meines Syſtems der
moraliſchen Religion verſprochen und bereits zum
Drukke abgeliefert. Ich hatte ihn dringend
gebeten, mir das Honorar den ıften Auguſt zu zah⸗
len, um mir und meinen Kindern damit Huͤlfe zu
ſchaffen. Er hatte die Zahlung bis zur Meſſe ver⸗
ſchoben. Ich hatte in der Meſſe mit jedem Poſtta⸗
ge ihn gefleht, Wort zu halten. Ich hatte endlich,
da ſein Verſprechen immer unerfuͤlt blieb und mei⸗
ne Noth hoͤher ſtieg, in einem Briefe Zweifel an
feiner Freundſchaftstreue geäuffert. Und darauf
bezieht ſich nun dieſer ſein Brief, den ich im Origi⸗
nal jedem zeigen kan, wer ihn zu ſehen verlangt;
Leipzig d. taten Oetob. 1789.
Ob ich Ihr Freund bin? Lieber beſter Bahrdt,
hieran koͤnnen Sie zweifeln? Was für Grün:
de haben Sie dazu? Ich habe Ihnen ja ges
ſchrieben, vor meiner Abreiſe, daß Sie vor
der Meſſe kein Geld hahen koͤnten, und jezt iſt
die Meſſe ja noch nicht vorbei? Dieſe Woche
erhalten Sie auf jeden Fall welches“). Wenn
7) Ich erhielt aber, auch in dieſer Woche, niehts.
F 280
der erſte Theil von Ihrem Leben da ſeyn wird;
wenn Sie die Vorrede dazu werden geleſen
haben, und wenn ich dann das nicht erfuͤllen
werde, was da gedrukt drinnen ſteht: dann
lieber Bahrdt, koͤnnen Sie erſt ſagen, Ich bin
von Pott getaͤuſcht worden ). — Was wird
| denn aus Ihrer Gefangenſchaft? — Wuche⸗
rer fist noch. Gern hätt ich ihn geſprochen,
| um Richtigkeit mit ihm zu machen, weil ich
äufferft unzufrieden mit ihm bin. Bald ein
mehreres. Kann man Sie ſprechen? ſo komm
ich zu Ihnen, Ihr lieber
Pott.
War das nicht immer noch der Ton des redlich⸗
ſten Freundes? Hatte er im Fruͤhjahre noch fo gez
gruͤndete Urſach, mein Verderben zu beſchließen:
was hatte er denn fuͤr Urſache, mich noch jezt zu
überreden, daß er der alte Herzensfreund von mic
ſey? Doch mich duͤnkt, dieſe ſchrekliche Geſchichte
hat Licht genug für unbefangene Beurtheiler. Ich
eile, ſie zu beſchließen.
5 S 5
) Mein Leben und die Pottiſche Vorrede iſt nnn da.
Was fagen die Leſer?
281 6 —
7
Ich war in nicht geringer Beſorgniß, ſeitdem
ich gehoͤrt hatte, daß Pott meine Papiere in ſeinen
Haͤnden habe. Ich wußte, was er für ein raffi⸗
nanter Kopf war, und wie ſchwer es halten wuͤrde,
ſie wieder heraus zu bekommen. Ich ſchrieb ihm
gegen das Ende des Sommers (wo ich noch ganz
glaubte, daß er einen wenigſtens nothduͤrftig ehr⸗
lichen Gebrauch davon machen wuͤrde) daß ich, ob⸗
ſchon ungern, ihm dieſelben, (und mit ihnen den
ganzen Gewinn von meiner Lebensgeſchichte, die er
ſchreiben wolte) für 1000 Thaler uͤberlaſſen wolte.
Poit dachte, ich muͤßte mich im Kerker ſeiner Diſ⸗
kretion üͤberlaſſen und war under ſchaͤmt genug, mir
500 Thaler zu bieten und auch dieſe Zuſage mit
ſolchen geſchraubten Ausdrüffen zu thun, (der
Brief ift in den Händen des Leipziger Magiſtrats),
daß es immer in ſeiner Freiheit blieh, mich auf Die
ſen Biſſen troknes Brod ſo lange harxen zu laſſen,
als es ihm beliebte — vieleicht ſo lange, bis meine
Leiden mich aufgezehrt, und mein Tod ihn ganz
diſpenſirt haben wuͤrde.
Dies empoͤrte endlich mein Herz und zerriß die
bisherige uͤbertriebne Anhaͤnglichkeit an dem ſeini⸗
In un ne rau? 3 2 82
gen. Ich beſchloß, mein Eigenthum mit Zwang
ihm zu entreiſſen. Ich bat Se. Exellenz den Koͤnigl.
Staatsminiſter von Woͤllner um Hülfe und ſchloß
eine Supplik an des Koͤnigs Majeſtaͤt bei, in wel⸗
cher ich allerunterthaͤnigſt nachſuchte, daß Se. Ma⸗
jeftät ſich bei dem Dreßdner. Hofe für mich derge—
ſtalt verwenden möchte, daß der Pott genoͤthiget
wuͤrde, die mir geraubten Papiere eidlich zu
extradiren.
Daß dieſe Supplik hernach zu einer Arreti⸗
rung Potts und zu einer Klage wegen Entfuͤhrung
meiner Tochter gediehen iſt, wiſſen meine Leſer
aus meiner Gefaͤngnißgeſchichte. — Wie die
Sache zugegangen iſt, und was ſie fuͤr einen Aus⸗
gang gehabt hat, weis ich bis dieſen Augenblik
nicht. Ich habe auf mein anderweitiges Schreiben
an des Königs Majeſtaͤt und an den Magiſtrat zu
Leipzig, in denen ich deklarirte, daß ich nie Potts
Arretirung verlangt, und nie über Entführung
meiner Tochter geklagt haͤtte, und — blos um die
Rüfgabe meines Eigenthums nochmals flehte —
noch bis jezt keine Antwort erhalten,
283 W er
Pott wurde durch feine Arretirung wüͤthend.
Er ſchrieb nach Halle an den M. Rath, daß ich
ſchuld an ſeinem Ungluͤk ſey und daß er ſich ſchau⸗
dernd an mir raͤchen wuͤrde. Er ließ, durch eben
denſelben Freund, meiner Frau Reiſegeld anbieten
und ſie einladen, nach Leipzig zu kommen und ge⸗
gen mich vor Gericht zu zeugen. Und mein gutes
Weib, das ſehr an dieſem Menſchen hing, haͤtte
ſich bei einem Haare bereden laſſen, wenn nicht ein
redlicherer Freund von mir, es hintertrieben haͤtte.
Die nachherige Notiz, die Pott erhielt, daß
ich an den Magiſtrat eine Erklarung eingeſchikt
hatte, die mich offenbar von aller Schuld an ſeinem
Arreſte frei ſprach, beſaͤnftigte ihn nicht. Er ſpie
Feuer und Flamme und ſchrieb und ſchrie uͤberall
herum: „er wolle ein Meiſterſtuͤk von Schimpf
und Schande gegen mich ausgehen laſſen. Und
das ſolte dann der erſte Theil meiner von ihm ge⸗
lieferten (ſogenanten) Lebensgeſchichte ſeyn.
Jezt alſo frage ich laut und vor aller Welt, ob
ein ehrliebender Menſch — von einem ſolchen
Menſchen — Seugniß — gegen mich annehmen
Wu ann 284
ob ein ehrliebender Menſch dieſes ſchlecht geſchrie⸗
bene Pasquil kaufen und leſen kan?
— ——
Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
Beſchlus in Aphorismen.
Waun in meiner Seele nur ein Keim von Mens
ſchenhaß läge; fo müßte ich laͤngſt ein Teufel d. h.
ein Feind und Haſſer der ganzen Menſchheit ſeyn.
Denn ich glaube nicht, daß es viele Menſchen ge—
ben wird, die ſo hohe Grade von Treuloſigkeit der
Freunde und unnatuͤrlicher Schadſucht und Argliſt
der Feinde erfahren haben.
Meine Feitgenoſſen mögen über mich richten.
Die Nachwelt aber wird das Urtel revidiren und
meinen wahren Gehalt und Werth für die Menſch⸗
heit aufs reine bringen.
——————— ——
— = an 4, ——
285
Jedem ehrlichen Manne, der laut und unter
ſeinem Namen mich mehr fragen will, als ich in
dieſer Geſchichte geſagt habe, ſtehe ich zur Rede,
wo und wann und wie er was fodert. Aber genan⸗
tem Buben und namenloſen Pasquillanten werde
ich nie antworten. — Wer ſich ganz rein weis,
hebe den erſten Stein auf, und werfe ihn auf mich.
Wenn nicht himmelſchreiende Ungerechtigkei⸗
ten vorgehen und die Pfleger der Gerechtigkeit mir
mein Eigenthum wieder geben, welches dem Pott
abgenommen worden ſeyn und auf dem Leipziger
Rathhauſe in Verwahrung liegen ſoll; fo werde
ich eine ſehr intereſſante Samlung von Briefen
nach und nach herausgeben, welche dieſe meine
Geſchichte noch mehr aufklären wird.
Zu meiner Lebens geſchichte uͤberhaupt und
Gefaͤngnißgeſchichte inſonderheit werden noch
Nachtraͤge kommen, uͤber die man erſtaunen wird.
Aber alles, ſagt Salomo, hat feine Zeit;
—
*
—
— — 286
Dien Menſchenfreunden, welche in der Zeit
der Noth, mir und meinen Kindern haben Inter:
ſtuzzungen zufließen laſſen, danke ich hiermit von
ganzer Seele. Ich ſehe alles als geliehen an.
Komm ich einſt in beſſere Umſtaͤnde; ſo werde ichs
den Armen wieder geben, fuͤr die ſie ihre Gaben
| doch eigentlich beſtimt hatten.
—
Ich habe, auf meinen Weinberg 2700 Thas
ler Hypothek⸗Schulden. Ich habe durch Bau und
andere Meliorationen, hauptſaͤchlich aber durch
mein mehr als anderthalbjaͤhriges Gefaͤngniß, noch
anderweit 1000 Thaler pafliva. Ich danke meinen
großmuͤthigen Glaͤubigern für ihre bisherige men-
ſchenfreundliche Nachſicht.
— ( U—v—
Ich koͤnte, zur Ehre des vernuͤnftigen Glau⸗
bens an Providenz, ſehr vieles von herrlichen und
uͤbergroßen Folgen ſagen, zu denen fie meine bishe⸗
rigen Leiden mit Weisheit und Liebe geleitet hat:
Aber ich zittre noch zu ſehr vor der Unmenſchlichkeit
der Menſchen, die nur ſo lange mit ihren Verfol—
gungen zu raſten ſcheinen als der Gegenſtand ihres
287 r
Haſſes im tiefſten Elende liegt und ihnen die Hof⸗
nung laͤßt, ihn noch verderben zu ſehn, aber auch
gleich wieder die Maſchinerien ihrer Wuth in Be⸗
wegung ſezzen, wenn der Ungluͤkliche aufzuleben
ſcheint. Indeſſen kan ich das einzige doch nicht
verſchweigen, was ich taͤglich mit dem feurigſten
Danke gegen die Vorſehung, laut und im Stillen |
preiſen muß, daß ich von dem Tage an, an wels
chem ich (als halb zerſtoͤrter Koͤrper — ich hatte
noch in den lezten vierzehn Tagen beim ſchleichenden
Fieber eine weiſſe Ruhr gehabt) nach Magdeburg
kam, meine ganze Geſundheit wieder bekommen
habe. Sieben Jahre der Kliſtirmaſchine beduͤrftig,
ſehe ich fie jezt, ſeit dem sten Nov. 1789 ungebraucht
in meinem Gefaͤngniſſe ſtehen. Ich weis nichts
mehr von Verſtopfungen. Alle meine Seitens
ſchmerzen haben aufgehoͤrt. Ich eſſe und verdaue
wie ein Juͤngling. Kurz ich ſcheine, ohne mir es
mit allem meinen bischen mediciniſchen Kentniſſen
erklaͤren zu koͤnnen, derſelbe Mann geworden zu
ſeyn, der ich vor zehn Jahren noch war. —
| Geſchrieben und vollendet
d. ıften Mai, 1790.
Ver⸗
— 288
Verzeichniß meiner ſaͤmtlichen Schriften, in
welchem verſchiedene nachgetragen ſind, wel—
che mir bei Abfaſſung der Lebensgeſchichte
entfallen waren.
In leipzig.
» 44 .
I. D. ufu linguae arabicae ex comparatione cum
hebraea. Lipf. 1758. 4.
2. De Concordia providentiae et libertatis. Ibid.
1762. 4.
3. Vitam — D. Joan. Friedr. Bahrdtii carmine de-
ſeripſit Carolus Fr. Bahrdt. 1762. 8.
4. 5. Der Chriſt in der Einſamkeit verbeſſert und
mit neuen Abhandlungen vermehrt. 2 Baͤnde.
6. Predigten von einer Seele, die den Frieden es
ſu hat. Leipzig. 1764 8.
7. Samlung von Kanzelreden über wichtige Wahr-
heiten der Religion. 1764. 8.
8. Diff. de eo, an fieri poſſit, ut ſublato pontifi-
cis imperio reconcilientur diſſidentes in religio-
ne Chriftiani, contra luſtinum ;Febronium.
Lipf. 1764.
9. Diff. in Pſalm. II.
10. Diſſ. in Pfalm. VIII.
17. Diſſ. in Pfalm, XXXVI.
IV. B. f 5
12. Compendium grammatices ebraeae. 1765. 8
13. Diſſ. de locorum Vet. Teft. in novo accom-
modatione orthodoxa. Lipſ. 1766. 4.
14. Programma de inelyto bibliothecae electora-
lis Dresdenſis codice bibliorum ebraicorum n ma-
nuſcripto. 4.
In Erf unt
33. Commentarius in Malachiam, cum exarline
critico verborum veterum et lectionum varia-
rum Houbigantii. 1767. 8. ve
16.17. Hexaplorum Origenis, quae ſuperſunt aue-
tiora et emendatiora, cum notis, 1769. II. Tomi.
18. Diff, inauguralis ſuper Math. Cap. 24. 1768, 4.
Meine theologiſche Doktor Diſputation.
19. 20. Verſuch eines bibliſchen Syſtems der Dog⸗
matik. Zwei Baͤnde. Erfurt und Gotha 1768.
8. (2te Auflage, Eiſenach 1758 8. ohne mein
Vorwiſſen nachgedrukt).
21. Laute Wuͤnſche des ſtummen Patrioten. 1760. 8.
22. 23. Briefe uͤber die ſyſtematiſche Theologie zur
e der Toleranz. Zwei Baͤnde. 1768.
1772. mer *
24. Cen der Moral: Theologle, ebend. 1768.
8. (2te Auflage ohne mein Vorwiſſen beranſtaltet |
Eiſenach 1780. gr. 8.)
25. Obfervationes criticae circa lectionem codi-
eum Mss. hebr. Lipſ. 1769. 8.
\
26. Sieg der Religion über das Verderben der
Menſchen, eine zu Muͤhlhauſen gehaltene Pre⸗
digt. Erfurt 1769. 8.
27. Aktenmaͤßige Gegenrelation in einem Sendfehreis
ben an Herrn Prof. Schmidt. Erfurt. 1769. 8.
45 In Gießen.
28. Programma, quae vera notio vocabulis vouss;
Y uαα,νt MVEUML, 80% in N. T. libris ſubjecta fit?
Gieſſae. 1770: 4.
29. Vorſchlaͤge zur Aufklaͤrung und Berichtigung
des Lehrbegeifs unſerer Kirche. Riga. 1770. 8.
30. Anhang zu dieſen Vorſchlaͤgen. 1773. 8.
31. Predigten, Frankf. am Mayn. 1772. 8.
32. Kritiken über die Michaeliſche Bibeluͤberſezzung.
Frankf. 1773. 8.
33.34. 35.36. Die neueſten Offenbarungen Gottes
in Briefen und Erzaͤhlungen. 4 Theile. Riga
1772 — 75: 8.
37. Entwurf einer unpartheiiſchen Kirchengeſchichte
N. T. ein akademiſches Lehrbuch. Frankf. am
Mayn. 1772. 8.
38. Homiletik. Ebend. 1772. 8.
39. 40. 41. 42. Algemeine theologiſche Bibliothek.
Mietau. 1774. 1773. gr. 8. 4 Bände,
43. Apparatus criticus ad formandum interpretem
Vet, Teftamenti. Lipſ. 1773. 8.
T 2
291 —
44. Die Lehre von der Perſon und dem Amte un⸗
ſers Erloͤſers in Predigten, rein bibliſch vorgetra⸗
gen. Frankf. am Mayn. 1773. 8. 5
45. Vorreden zu des Herrn v. Gerſienberg in Er⸗
furt Verſuch, das Herz eines Religionsveraͤch⸗
ters durch Vorſtellung feines eigenen Vortheils
zu gewinnen, ebend. 1774.
46. Eden. Frankfurt. 1774.
47. Schediasma academicum, quo de theologia
Ante Nicaena quaedam in medium proferuntur.
Giff. 1774. 8.
48. Programma de genuina interpretatione loci
Math. V, 17. contra Zeibichianas commenta-
tiones. Gifl. 1774 4.
In Marſchlinz.
49. Philanthropiniſcher Erziehungsplan, oder vol⸗
ſtaͤndige Nachricht von dem erſten wirklichen Phi⸗
lanthropin zu Marſchlinz. Frankf. am Mayn.
1775. 8.
Duͤrkheim an der Haard.
50. 51. Die neueſten Offenbarungen Gottes. 2te
Ausgabe. Frankenthal. 777. Zwei Bände ing.
52. Erſte Nachricht an das Publikum von Errich⸗
tung des Leiningiſchen Erziehungshauſes, oder
dem wirklichen dritten Philanthropin auf dem
Hocgräfl. Schloſſe zu Heidesheim im Oberrhei⸗
niſ chen Kreis. 1776. 8.
4 8
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53. Zweite Nachricht. 1777. 8.
54. Litterariſches Korreſpondenz- und Intelligenz—
blatt. Heidesheim. 1776.
55. Paͤdagogiſches Wochenblatt. Heidesheim.
| 1778. 8.
56. Glaubensbekentniß, veranlaſſet durch ein kai⸗
ſerl. Reichshofraths Konkluſium. (Berlin)
1779. 8.
Halle.
57. Kurze Erklarung über Herrn D. Semlers Ants
wort auf das Bahrdtiſche Glaubensbekentniß.
Berlin. 1779. 8.
58. Die kleine Bibel. Berlin. 1780. gr. 8.
59. Apologie der Vernunft, durch Gruͤnde der
Schrift unterſtuͤzt, in Bezug auf die chriſtliche
Verſoͤhnungslehre. Herrn D. Seiler zugeeignet.
Bafel. 1780. 8. 2
60. Verſuch uͤber die Beredſamkeit, nur fuͤr meine
Zuhoͤrer beſtimt. Halle. 1780. 8. 2te Auflage.
Deſſau. 1782. 8.
61. Des Tacitus Annalen ıtes und 2tes Buch; ein
Probeſtuͤk für Kenner. Ebend. 780. 8.
62. 63. Tacitus uͤberſezt. Zwei Baͤnde. Ebend.
1781. 8.
64. Juvenals Satyren, in einer metriſchen Ueber⸗
ſezzung. Deſſau. 1781. 8.
T 3
*
65. Briefe uͤber die Bibel im Volkston, eine Wo⸗
chenſchrift. Halle. 1782. 6 Quartale in 8.
66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.74. 75. Ausführung
des Plans und Zweks Jeſu in Briefen an Wahr⸗
heit ſuchende Leſer. Berlin. 1783 bis 1785.
10 Baͤndchen. Es iſt die Fortſezzung der Briefe
uͤber die Bibel. K |
76. Gedichte dieſes Naturaliſten. Halle. 1786.
77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. Magazin für Pre⸗
diger, oder Samlung neu ausgearbeiteter Pre⸗
digt⸗Entwuͤrfe über die Sonn- und Feſttaͤglichen
Evangelien und Epiſteln, fo wie über freie Texte
auf Caſualfaͤlle. Zuͤllichau. 1782 bis 88. acht
Bande. /
85. Inftitationes 1 1782.
7
86, Inftitutiones Metaphyſices. 1782.
87. 88. Das Reue Teſtament, oder die neueſten
Belehrungen Gottes durch Jeſum und ſeine Apo⸗
ſtel. Mit Anmerkungen fuͤr Ungelehrte. Berlin
1783. Zwei Bände in 8. Es iſt die zie Aufla⸗
ge der neueſten Offenbarungen Gottes.
*
10
89. Rhetorik für geiſtliche Redner. Halle 1785. 8,
ge. Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗
ſur⸗ Bedruͤkkung, das theologiſche Syſtem be⸗
treffend. 1785. 8.
*
W
Hr. Abgedrungene Replik auf die Erklarung der
theologiſchen Fakultat zu Halle. Berlin. 1785. 8.
92. Ueber das theologiſche Studium auf Unioerſi—
täten. Ebend. 1785. 8. an des koͤnigl. Etats;
miniſters v. Zedliz Exellenz.
93. Syſtema theologiae Lutheranae orthodoxum,
cum brevi notatione diſſenſionum recentiorum.
Halae. 1785. 8.
94. Kirchen und Kezzeralmanach auf das Jahr 1782.
Hereſiopel.
95. Griechiſch deutſches Lexikon über das Neue Te—
ſtament, nebſt einem Regiſter über Luthers deut⸗
ſche Bibel, welches auch Ungelehrte in den Stand
ſezt, das Woͤrterbuch zu gebrauchen, und ih -
über Dunkelheiten der deutſchen Bibel Raths zu
erholen. Berlin. 1786. gr. 8.
96. Standrede am Sarge des weiland hochwuͤrdi⸗
gen und hochgelahrten Herrn Johann Melchior
Goͤzze, gehalten von dem Kanonikus Ziegra.
Hamburg. 1786. 8.
97. Neue Litteraturbriefe rſter Band. Berlin.
1786. 8.
98. Chriſtliches Sittenbuch fürs Geſinde, worin
demſelben eine Anleitung gegeben wird, ſich
durch treue Beobachtung feiner Pflichten gluͤklich
zu machen, und feinen Stand zu erleichtern,
nebſt Anzeige eines ahr wirkſamen Mittels für
Herrſchaften, gutes und getreues Geſinde zu be
kommen. Ebend. 1786. 8. 5
T 4
295 — — .
99. Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den vier Evange⸗
liſten geſammelt, und ſo geſtellet, daß man das
achte vehrgebaͤude uͤberſehen und mit der eigent⸗
lichen Religion Jeſu ſich bekant machen kan.
Ebend. 1787. 8. Zwei Theile.
100. Ueber den Zwek der Erziehung. (In der von
Hrn. Campe veranſtalteten algemeinen Reviſion
des geſamten Schul = und Erziehungsweſen.
L Th. 1787.)
101. An den Prof. Voigt in Quedlinburg. 1787.
Von Caſimir Lauge.
102. 103. Syſtem der moraliſchen Religion. Zur
endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler und Denker.
Zwei Baͤnde. Berlin. 1787. 8.
104. Ueber Preßfreiheit und deren Graͤnzen. Zur
Beherzigung für Regenten, Cenſoren und Schrift⸗
ſteller. Zuͤllichau. 1787. 8.
105. Kirchen- und Kezzeralmanach. Zweites Quin⸗
quennium. Gibeon, bei Kaspar Lauge. 1787. 8.
106. 107. 108, Analytiſche Erklaͤrung aller Briefe
der Apoſtel Jeſu. 3 Bände. Berlin. 1787 — 89.8.
109 Zamor, oder der Mann aus dem Monde.
Kein bloßer Roman. Ebend. 1787. 8.
110. Ueber Aufflärung. Leipzig. 1788.
* | — — * 296.
Im Gefaͤngniſſe.
111. Sittenbuch fuͤr den Buͤrger. Halle. 1789. 8.
112. Alvaro und Fimenes. Halle. 1790, 8.
113. Geſchichte meines Gefaͤngniſſes — nebſt Nach:
richten von der deutſchen Union und einigen noch
ungedrukten Urkunden derſelben. Berlin. 1790. 8.
114. Ala Lama, oder der Koͤnig unter den Schaͤ—
fern. Auch ein goldner Spiegel. Halle. 1790. 8.
115. 116. 117. 118. Lebensgeſchichte. Berlin. 1790.
4 Bände,
119. Mit dem Ritter von Zimmermann deutſch
geſprochen. Berlin. 1790.
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120. Katechismus der natuͤrlichen Religion. Halle.
1790. 8.
121. Sonnenklare Unzertrennlichkeit der Religion
und Moral, gegen den Verfaſſer des himmels
weiten Unterſchiedes derſelben. Halle. 179 r. 8.
122. Zimmermanns Auferſtehung von den Todten.
Halle. 1791. 8.
T 5
7
297 „ We - -
123. Auszug aus Luthers Tiſchreden, mit Anmer⸗
kungen. Halle. 1791. 8. 1
124 125. Ausführung des Plans und Zweks Je⸗
fu. Tites und 12tes Baͤndchen. Berlin. 1791. 8.
| 126. Prüfung der Schrift des Hofraths Roͤnnberg
uͤber ſymboliſche Buͤcher in Beziehung aufs
Staatsrecht. Halle. 1791. 8.
In allen Buchhandlungen ſind zu haben:
Regengolz, J. W. von, Kleine hiftoeifgpe Schrif⸗
ten. ıjtee Band. 8.
Bahrdt, D. C. F. Syſtem der moraliſchen Religion
zur endlichen Beruhigung für Zweifler und Den—
ker. 2 Baͤnde. Dritte verbeſſerte und gaͤnzlich
umgearbeiteie Auflage. gr. 8.
Briefe einer Curländerin auf einer Reife durch
Deutſchland. 2 Theile mit einem Kupfer von
Chodowiecky. 8.
Kleiſt, Fr. von, Graf Peter der Daͤne, ein hiſtori⸗
50 Gemaͤhlde. 8. mit einem Titelkupfer von
ips.
— — Ueber die eigenthuͤmlichen Vollkommenhei⸗
ten des preußiſchen Heeres. 8
— — Hohe Ausſichten der Liebe. 2te verbeſſerte
Auflage, mit einem Kupfer von Lips. gr. 8.
Krauſe, E. W. Agende fuͤr Prediger von allen geiſt⸗
lichen Kirchenpartheien. gr. 8.
Magazin fuͤr die Geographie und Statiſtik der Koͤ⸗
nigl. preußiſchen Staaten. Herausgegeben von
Herzberg. ten Bandes ıtıs Stuͤk. gr. 8.
Monatsſchrift, deutſche, fürs Jahr 1791. ites
bis 90 Stuͤk. gr. 8. mit Kupfern.
Pyl, D. J. T. Repertorium für die bse und
gerichtſi ne eee aten Bandes |
ates Stüf. gr. 8. |
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Weddigen, P. F. Statiftifche Ueberficht von Wet 1
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