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Full text of "Geschichte und System der römischen Staatsverfassung"

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GESCHICHTE  UND  SYSTEM 


DER 


RÖMISCHEN  STAATSVERFASSUNG 


VON 


Dr.  ernst  HERZOO, 

OUD.  PBOFK8SOB  DBR  PHTLOLOOtR  AH   DBR  UtnYXRBITÄT  TCBIKOKN. 


ZWEITER  BAND. 

DIE  KATSERZEIT  VON  DER  DIKTATUR  CÄSARS 
BIS  ZUM  REGIERUNGSANTRITT  DIOCLETIANS. 

EBBTE  ABTEILUNG. 

GESCHICHTLICHE  ÜBERSICHT. 


LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1887. 

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HARVARD  U.NiVERSÜY, 
Classieal  Department. 


WUND    «:^    'n     1914 


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Einleitung. 


Das  wichtigste  Problem  einer  Darstellung  der  Verfassung 
des  römischen  Kaiserreichs  besteht  in  der  Definition  der  Anfönge, 
und  die  Schwierigkeiten  dieses  Problems  liegen  nicht  sowohl 
in  der  Überlieferung  als  in  den  geschichtlichen  Thatsachen.  Bei 
der  Neugestaltung  des  Gemeinwesens^  die  der  Diktator  Cäsar 
unternahm,  ist  das  letzte  Wort  nicht  gesprochen  worden ,  die- 
jenige Form  aber,  welche  Augustus  der  Republik  gab  und  welche 
Bestand  hatte,  war  ein  so  künstlicher  Kömpromifs,  dafs  der  Ur- 
heber selbst  seine  ganze  Lebenszeit  hindurch  daran  zu  arbeiten 
hatte  und  Wort  wie  Sache  überhaupt  nicht  einfach  formuliert 
werden  konnte.  Und  diese  Unbestimmtheit  hat  sich  auf  die 
Nachfolger  des  Augustus  fortgepflanzt,  so  lange  sie  sich  zu  seinem 
System  bekannten,  in  welchem,  wie  dem  Augustus  selbst,  so  jedem 
einzelnen  ein  so  weiter  Spielraum  yerfassungsmäfsigen  Handelns 
gegeben  war,  dafs  jede  neue  Persönlichkeit  den  Charakter  der 
Regierung  neu  bestimmte.  Wir  haben  es  nun  nicht  mehr  mit 
einer  Entwicklung  zu  thun,  die  durch  eine  Reihe  von  Akten  der 
Gesetzgebung  hindurchgeht  und  daran  ihre  Epochen  hat,  sondern 
die  konstitutiven  Momente  sind  sämtlich  schon  unter  Augustus 
gegeben;  nur  die  thatsächliche  Mannigfaltigkeit  in  der  Hand- 
habung der  augusteischen  Verfassung  macht  die  politische  Ge- 
schichte dieser  Zeit  aus  und  teilt  sie  in  eine  Geschichte  der  ein- 
zelnen Regierungen,  denen  man  Schritt  für  Schritt  nachgehen 
mufs.  Doch  stehen  neben  diesen  kleinsten  Zeitabschnitten  auch 
wieder  gröfsere,  die  bedingt  sind  durch  die  allgemeinen  Verän- 
derungen, die  jedes  Gemeinwesen  im  Fortschritt  der  Zeit  in  seinem 
änfseren  Bestand,  in  den  gesellschaftlichen  Zuständen  seiner  Be- 
völkerung^ in  den  die  Menschen  bewegenden  Anschauungen  und 
Interessen  durchmacht,  Wandlungen,  die  sich  immer  nur  in  grö- 
fseren  Zeiträumen  vollziehen,  wenn  auch  zum  Teil  unter  Anstöüsen 
von  einzelnen  Personen  und  einzelnen  Thatsachen.     Den  h 


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—     IV     — 

sich  ergebenden  Aufgaben  einer  möglichst  genauen  Bestimmung 
der  konstitutionellen  Grundlagen,  der  Charakterisierung  der  grö- 
fseren  Perioden  und  der  Verfolgung  der  einzelnen  Regierungen  nach 
allen  Momenten,  die  sie  für  die  Entfaltung  des  im  augusteischen 
System  Liegenden  beibringen,  sucht  die  nachfolgende  geschichtliche 
Darstellung,  die  auch  hier  wieder  der  systematischen  vorangehen 
soll,  möglichst  gerecht  zu  werden.  Denn  von  dem  allgemeinen  Plane 
dieses  Werks,  Geschichte  und  System  der  Verfassung  neben  ein- 
ander zu  geben  und  die  Geschichte  in  möglichst  kleinen  Perioden 
zu  verfolgen,  dem  Plane,  wie  er  in  der  Einleitung  zum  ersten 
Band  S. XLV  vorgezeichnet  ist,  kann  der  Verfasser  nicht  abgehen; 
es  ist  nicht  nur  seine  Überzeugung,  sondern  er  weifs  sich  damit 
im  Einverständnis  auch  mit  andern,  dafs  ein  Ineinanderarbeiten 
der  beiden  Seiten  jede  beeinträchtigt,  eine  systematische  Darstel- 
lung allein  aber  ohne  die  historische  Auffassung  desselben  Ver- 
fassers vieles  unverständlich  läfst.  Um  die  Konstruktion  eines 
Bauwerks  klar  zu  machen,  sind  nicht  nur  Grund-  und  Aufrifs, 
sondern  auch  die  Durchschnitte  nötig.  Der  Nachteil,  dafs  manches 
zweimal  zu  sagen  ist,  läfst  sich  auf  ein  geringes  Mafs  zurück- 
bringen, wogegen  der  Vorteil,  was  jederzeit  nebeneinander  ist, 
aber  jederzeit  auch  wieder  in  andern  Verhältnissen,  eben  in  diesem 
Wechsel  der  Verhältnisse  kennen  zu  lernen,  weit  überwiegt. 
Noch  ungenügender  als  das  System  allein  aber  wäre  eine  blofse 
Geschichte  der  Verfassung:  sie  wäre  nur  Stückwerk,  da  es  nicht 
möglich  ist,  den  inneren  Zusammenhang  der  Institute,  das  Detail 
ihres  Inhalts  und  ihrer  Formen,  das  gleichbleibende  im  Wechsel 
in  ihr  zu  geben  und  zur  Anschauung  zu  bringen  und  60  wichtigen 
Fragen  wie  den  Funktionen  des  Senats,  der  Gliederung  des 
Beamtentums,  woran  zugleich  die  Verwaltung  hängt,  oder  den 
rechtlichen  Verhältnissen  der  Bevölkerungsklassen  gebührend 
nachzugehen. 

Um  die  Fortsetzung  des  Werks  nicht  zu  weit  hinauszu- 
schieben, wird  der  geschichtliche  Teil  hiemit  besonders  veröflFent- 
licht;  der  systematische,  der  eben  mit  Bezug  auf  das  Voran- 
gehende kürzer  gefafst  werden  kann,  soll  in  thunlichster  Bälde 
folgen.  Auch  diesem  Band  aber  soll,  da  in  der  Einleitung  zum 
ersten  Band  nur  die  Litteratur  über  die  früheren  Perioden  berück- 
sichtigt war,  eine  kurze  Übersicht  über  die  litterarischen  Voraus- 
setzungen vorangehen,  welche  der  heutige  Bearbeiter  der  römischen 
Eaiserzeit  hat. 

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—     V     — 

Das  Interesse  für  die  römische  Kaisergeschichte  war  in  der 
Zeit  der  Renaissance  und  bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  wohl 
starker  als  für  jede  andere  Periode  der  alten  Geschichte:  Gelehrte 
und  Gebildete,  Kirchenschriftsteller,  Juristen,  Staatsmänner,  Mili- 
tärs waren  dabei  beteiligt,  fanden  ihr  Ergötzen  an  dem  biogra- 
phisch erzählten  und  anekdotenreichen  StoflF,  und  in  einer  Periode, 
in  der  grofse  Monarchieen  die  Geschichte  beherrschten,  fehlte  es 
auch  nicht  an  Motiven  zu  Parallelen  mit  der*  eigenen  Zeit.  Man 
las  die  Historia  Augusta  in  den  Quellen,  doch  mehr  in  jener  bio- 
graphischen Form,  bei  Sueton  und  seinen  Nachfolgern,  als  bei 
Tacitus,  und  für  den  Gelehrten  war  durch  die  Kommentare  eines 
Casaubonus  und  Salmasius  gesorgt.  Die  erste  ausführlich  nach- 
erzählende und  zugleich  in  vollem  Sinn  wissenschaftliche  Ge- 
schichte der  Kaiserzeit  kam  erst  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
aus  der  Hand  des  Schülers  und  Freunds  der  Jansenisten  Le 
NaindeTillemont.^)  Die  Absicht  des  gelehrten  Geistlichen,  der 
die  Kirchengeschichte  zu  seinem  Lebensberuf  gemacht  und  diese 
auch  zuvor  schon  bearbeitet  hatte,  ging  darauf,  im  Dienste  der 
Geschichte  der  Heiligen  und  der  Kirche  die  profane  Welt,  unter 
welcher  das  Christentum  entstand  und  sich  ausbildete,  kennen 
zu  lehren^  und  seine  ganze  Darstellung  ist  von  diesem  Stand- 
punkt durchzogen.  Aber  durch  die  beengenden  Schranken,  welche 
dieser  Gesichtspunkt  zog,  dringt  doch  überall  durch,  dafs  er,  der 
schon  als  Knabe  die  Annalen  des  Baronius  studierte  und  mit 
kritischen  Fragen,  die  ihm  bei  dieser  Lektüre  kamen,  seine  Lehrer 
in  die  Enge  trieb,  ein  geborener  Historiker  war.  Die  Eigen- 
schaften^ in  denen  sich  dies  ausprägt,  der  unermüdliche  Fleifs  im 
Sammeln  alles  ihm  zu  Gebot  stehenden  Materials  aus  den  Schrift- 
stellern, profanen  und  kirchlichen,  aus  Münzen  und  Inschriften, 
gewissenhafteste  Erwägung  aller  Momente  und  innerhalb  der 
Grenzen  seines  kirchlichen  Staudpunkts  unbestechliche  Wahrheits- 
liebe, die  ihn  bei  seiner  Kirchengeschichte  lieber  auf  die  Heraus- 
gabe hatte  verzichten  lassen  als  dafs  er  sich  zu  Änderungen 
verstand,  die  er  nicht  gerechtfertigt  hielt,  haben  sein  Werk  zu 
der  soliden  Grundlage  der  Forschung  gemacht,  deren  Wert  auch 
heute  noch  nicht  vergangen  ist.     Näher  beruht  dieser  Wert  in 

1)  Histoire  des  empereura  et  des  autres  princes,  qiU  ont  regne  durant 
les  six  Premiers  siecles  de  Viglise  (fünf  Bände).  Paris  1693.  Wo  er  hier 
citiert  wird,  geschieht  es  nach  der  Venediger  Ausgabe  von  1732. 

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—     VI     — 

einer  Art  der  Darstellung^  die  allerdings  den  pragmatischen  Zu- 
sammenhang zerreiTst^  aber  für  die  methodische  Untersuchung 
um  so  nützlicher  ist^  in  der  annalistischen  Anlage  mit  der  An- 
gabe der  Quellen  und  den  Noten  und  Exkursen.  Tillemont  ver- 
dankt man  die  erste  genauere  Chronologie  der  Eaiserzeit,  und 
auch  der  Sammlung  des  Stoffs  ist  jene  Anlage  zu  gute  gekommen, 
sofern  viele  Einzelheiten,  die  wegen  schwieriger  Einfügung  in 
irgend  eine  Pragmatik  leicht  bei  Seite  gelassen  werden,  hier  ihre 
Stelle  in  objektiver  Weise  fanden.  Seine  Aufstellungen  sind  frei- 
lich seitdem  durch  viele  Hände  gegangen,  durch  neue  Zeugnisse 
kontrolliert  und  vielfach  auch  berichtigt  worden,  aber  sie  werden 
doch  jedem  Spezialforscher  ein  wertvoller  Ausgangspunkt  bleiben, 
innerhalb  der  Zeit,  mit  der  dieses  Buch  es  zu  thun  hat,  zumeist 
für  das  zweite  und  dritte  Jahrhundert.  Auch  für  die  Verfassungs- 
geschichte im  engem  Sinn  ist  Tillemont  vorzugsweise  wegen  der 
Einordnung  des  Thatsächlichen  von  Bedeutung;  der  genaueren 
Definition  der  politischen  Institute  ist  schon  dadurch  Eintri^ 
gethan,  dafs  Tillemont  zwar  mit  Augustus  den  Ausgangspunkt 
nimmt,  diesen  aber  nur  summarisch  behandelt,  sich  dabei  ent- 
schuldigend, dafs  er  vom  Standpunkt  der  Kirchengeschichte  aus 
überhaupt  so  weit  zurückgehe. 

Mit  ganz  entgegengesetztem  Gesichtspunkt  und  Verfahren 
tritt  beinahe  ein  Jahrhundert  später  der  Engländer  Gibbon^) 
mit  seinem  grofsen  Werk  in  die  Geschichte  der  Forschung  ein. 
Hinsichtlich  des  gelehrten  Stoffs  fufst  er  bei  aller  eigenen  Quellen- 
forschung auf  Tillemont,  „dessen  unnachahmliche  Genauigkeit 
beinahe  den  Charakter  der  Genialität  annimmt/'  Auch  er  kommt, 
wenn  auch  aus  andern  Gründen  als  sein  Vorgänger  nur  zu  einer 
summarischen  Würdigung  der  zwei  ersten  Jahrhunderte:  war  es 
ja  doch  der  Niedergang  und  Verfall  des  Reichs,  den  er  schreiben 
wollte,  während  bis  auf  M.  Aurel  für  niemand  mehr  als  für  ihn 
das  römische  Reich  seinen  Höhepunkt  hatte.  Indessen  hat  er 
wenigstens  das  System  des  Augustus  eingehender  charakterisiert 
und   eine  Analyse  der  zuständlichen  Verhältnisse  des  Reichs  im 

1)  History  of  the  decUne  and  faU  of  the  Boman  empire.  Von  der  ersten 
Ausgabe  in  Quart  erschien  Band  1  1776,  Bd.  2  und  3  1781,  Bd.  4—6  1788. 
Der  erste  Band,  der  mit  den  beiden  Kapiteln  (15  und  16)  über  das  Cbristen- 
tom  Bchlols  und  in  der  Geschichte  bis  zum  J.  824  ging,  ist  in  späteren 
Ausgaben  mehrfach  verändert  worden.  £r  war  der,  welcher  am  meisten 
gelesen  und  discutiert  wurde. 

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—     VII     — 

ersten  und  zweiten  Jahrhundert  gegeben.  Sein  Urteil  ist  dabei, 
obgleich  er  auch  hier  nicht  die  Quellenzeugnisse  genauer  ver- 
gleichty  doch  tiefer  gehend  als  die  gangbare  Formel;  dafs  Augustus 
die  absolute  Monarchie  unter  republikanischen  Formen  eingeführt 
habe,  aber  dafs  er  sein  Ziel  in  den  späteren  Jahrhunderten  hat, 
macht  sich  darin  geltend,  dafs  die  Voraussetzungen,  welche 
Augustus  hatte,  und  damit  die  Bedeutung  der  republikanischen 
Motive,  die  er  bestehen  läfst,  doch  nicht  zu  ihrem  Rechte  kommen. 
Was  aber  seine  Stellung  in  der  Geschichtschreibung  betrifft,  ist 
die  rückhaltlos  aufgeklärte  auf  dem  Standpunkt  des  modernen 
Bewufistseins  stehende  Darstellung,  mit  welcher  er,  den  gelehrten 
Apparat  nur  in  wenigen  Noten  kundgebend  sonst  aber  den  stoff- 
lichen Charakter  überhaupt  abstreifend,  die  Periode,  die  er  schil- 
dert, in  die  Interessen  der  gebildeten  Welt  einführt  mit  einem 
Werk,  das  in  Form  und  Haltung  überall  den  Stempel  des  reifen 
and  überlegenen  Geistes  trägt  Unter  der  Buhe  des  einfach  vor- 
oehmen  Tons  ist  doch  die  Begeisterung  nicht  zu  verkennen,  welche 
der  grofse  weltgeschichtliche  Stoff  auf  den  Verfasser  macht, 
jenes  tiefe  Gefühl,  das  nach  eigenem  Zeugnis  den  sonst  kühl 
denkenden  Mann  beim  ersten  Anblick  der  ewigen  Stadt  erfalste 
und  ihm,  als  er  auf  der  Höhe  des  Kapitols  auf  die  Trümmer  des 
alten  Roms  hinsah,  den  ersten  Gedanken  eingab,  den  Niedergang 
der  hier  versunkenen  Gröfse  zu  schildern.  Schon  vor  Niebuhr 
endlich  hat  er  in  einem  Teil  der  alten  Geschichte  ein  durch 
eigene  wenn  auch  mehr  beobachtende  als  aktiv  eingreifende  Teil- 
nahme am  politischen  Leben  geschärftes  Urteil  geltend  gemacht^) 
und  ist  in  der  Einführung  der  wirtschaftlichen  Fragen  wie  in 
der  Freiheit  der  Kritik  seiner  Zeit  vorangegangen. 

Jahrzehnte  lang  ist  Gibbons  Werk  einzig  in  seiner  Art  ge- 
blieben, obgleich  die  kurze  Behandlung  der  früheren  Eaiserge- 
schichte  zur  Ausfüllung  der  hier  vorliegenden  Lücke  hätte  auf- 
fordern sollen.  Allein  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  geschah 
es,  dafs  das  Interesse  für  die  Eaiserzeit  hiüter  dem  an  der  Re- 
pubhk  zurücktrat,  und  Niebuhr  findet  noch  in  der  Zeit,  da  er 
seine  Vorträge  an  der  Universität  Bonn  hielt  (nach  1823),  dafs 
die    Geschichte    der    römischen    Kaiser    zu    sehr    vernachlässigt 


1)  Er  sagt  selbst  in  seinen  Memoiren:  Eight  sessions  (hat  I  sat  in 
parliament  teere  a  school  of  civil  prudence^  the  first  and  most  essential  virtite 
of  an  historian. 


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—     VIII      — 

seiJ)  Zuerst  waren  es  wohl  die  Tendenzen  der  Revolutionszeit  ge- 
wesen; welche  die  Anschauungen  des  grofsen  Publikums  bestimm- 
ten^), später  aber  hat  Niebuhrs  eigene  Thätigkeit  für  die  ältere 
Zeit  eingewirkt,  das  Interesse  dieser  vor  allem  zuzuwenden.  Aber 
indessen  wurde  in  den  Hilfswissenschaften  der  Numismatik  und 
Epigraphik  um  so  bedeutender  und  für  zukünftige  Historiker 
fruchtbarer  gearbeitet.  Die  Münzen  der  römischen  Kaiser  hatten 
von  jeher  die  Liebhaberei  weiter  Kreise  gebildet  und  auch  viel- 
fach die  Behandlung  durch  Fachgelehrte  gefunden.  Nun  aber 
hatte  die  antike  Numismatik  das  Glück,  in  dem  Jesuiten  Josef 
Eckhel  einen  Bearbeiter  zu  finden,  der  sie  eben  als  geschichtliche 
Disziplin  neu  schuf.  Was  Eckhel  in  den  Bänden  VI— VHI  seiner 
Doctrina  numorum  veterum^)  geleistet  hat  sowohl  in  den  Erklä- 
rungen zu  den  einzelnen  Kaisem  und  einzelnen  Jahren  als  in 
den  allgemeinen  Ausführungen  des  achten  Buchs,  hat  monumen- 
tale Bedeutung  und  bildet  bis  zum  heutigen  Tag  eine  Schule 
nicht  blofs  für  die  Chronologie  und  Bedeutung  der  aus  den 
Münzen  zu  entnehmenden  Thatsachen,  sondern  auch  für  die  staats- 
rechtliche Benutzung  der  Münzen.  Ahnliches  gilt  in  der  Epi- 
graphik von  GaetanoMarini's  Urkunden  der  Arvalbrüder*)  und 
der  reichen  Fülle  der  Abhandlungen  von  Bartolomeo  Bor- 
ghesi^),  die  jetzt  in  seinen  oeuvres  zusammengestellt  sind.  Hat 
sich  Marini  neben  seiner  Bedeutung  für  die  methodische  Behand- 
lung der  Inschriften  auf  geschichtlichem  Gebiet  besonders  um  die 
Konsularfasten  und  die  Personalkenntnis  der  Kaiserzeit  verdient 
gemacht,  so  ist  bei  Borghesi  die  Anknüpfung  der  epigraphischen 
Zeugnisse  an  die  litterarischen  besonders  von  Wert,  und  in  der 

1)  Römische  Geschichte  vom  ersten  punischen  Krieg  bis  zum  Tode 
Coüstantiüs  nach  Niebahrs  Vortrugen  bearbeitet  von  Leonh.  Schmitz,  aus 
dem  Engl,  übersetzt  von  Gast.  Zeük.    Jena  1845.    2.  Bd.     S.  232. 

2)  Vgl.  die  Aufserongen  von  Mirabeau  über  Gibbons  tahleau  si  odieuse- 
ment  faux  de  la  fiUcite  du  monde,  darüber,  dafs  ein  solches  Werk,  gewidmet 
der  Bewunderung  eines  Eeichs  von  mehr  als  200  Millionen  Menschen,  in  dem 
niemand  sich  frei  nennen  durfte,  in  englischer  Sprache  geschrieben  sein 
konnte.    Bei  Sainte-Beuve  causeries  du  lundi,    8  p.  460. 

3)  Das  Werk  (in  8  Bänden)  erschien  Wien  1792—8. 

4)  Marini,  gli  atti  e  monumenti  de*  fratelU  Arvali.  I.  II.  Borna  1795. 

5)  Bart.  Borghesi,  oeuvres  compUtes  pübliees  par  Us  ordres  de  VEm- 
pereur  Napoleon  III.  9  vol.  Paris  1862—79.  Der  erste  und  zweite  Band 
ist  numismatisch,  die  übrigen  epigraphisch.  Die  bei  der  Herausgabe  be- 
teiligten Gelehrten  L.  Renier,  Mommsen,  Henzen,  G.  B.  Bossi  haben  die 
einzelnen  Abhandlungen  fortlaufend  kommentiert. 

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—     IX      — 

Erklärung  einzelner  Inschriften,  namentlich  der  Ehren-  und  Grab- 
sehriften  hervorragender  Männer,  ist  er  von  einziger  Genauigkeit. 
Unverkennbar  fühlt  er  sich  in  dieser  Welt  der  römischen  Ari- 
stokratie völlig  zu  Hause:  diese  Männer  des  alten  Senats  sind 
ihm  wie  die  eigenen  Vorfahren  und  es  gewinnt  den  Anschein, 
als  ob  es  ihm  mehr  noch  als  um  die  Geschichte  des  Reichs  um 
die  Genealogie  jener  Adelsgeschlechter  zu  thun  wäre;  sonst  ist 
es  insbesondere  die  Geschichte  und  Verwaltung  der  Provinzen 
und  das  Heerwesen,  wofür  aus  seinen  Arbeiten  über  so  viele 
ciirstis  hononimj  über  die  Inschriften  von  Priesterkollegien  und 
von  Truppenkörpern  Gewinn  zu  ziehen  ist,  woneben  sich  das  Be- 
streben Marinis,  die  Eonsularfasten  möglichst  zu  vervollständigen, 
auch  bei  Borghesi  fortsetzt.  Auch  bei  ihm  hat  freilich  die  Be- 
schäftigung mit  dem  inschriftlichen  Material  noch  den  Charakter 
eines  Privilegiums  einiger  Auserwählten,  die  unter  den  Monumental- 
scbätzen  des  Altertums  leben  und  aus  sonst  verborgenen  Quellen 
zu  schöpfen  wissen:  es  war  den  mit  ihm  verkehrenden  deutschen 
und  französischen  Gelehrten  vorbehalten,  seine  Forschungen  auch 
weiteren  Kreisen  zu  vermitteln,  und  die  deutsche  Thätigkeit  vor- 
zugsweise war  es,  die  was  bei  den  griechischen  Inschriften  schon 
durch  Böckh  geschehen  war,  nun  in  noch  viel  grofsartigerer 
Weise  den  lateinischen  zuteil  werden  liefs,  indem  sie  durch  eine 
allgemeine  methodisch  musterhafte  Sammlung  wie  durch  kom- 
pendiarische Zusammenstellungen  aus  denselben  ein  Werkzeug 
der  allgemeinen  philologisch  -  historischen  Forschung  machte, 
jedermann  zugänglich  und  für  alle  Seiten  des  antiken  Lebens 
verwertbar.  ^) 

1)  Über  die  Geschichte  der  lateinischen  Epigraphik,  die  verschiedenen 
Sammlungen  von  Inschriften,  speciell  das  Berliner  Corpus  inscriptionum 
latinarum  vgl.  Hübner,  röm.  Epigraphik  in  Iwan  Müllers  Handbuch  der 
klass.  Altertumswissensch.  1,  475—548.  —  Von  kompendiarischen  Samm- 
luDgen  sind  zu  nennen:  Orelli-Henzen,  inscriptiones  Born,  antiquitatis 
I — III.  1828.1856.  Wilmdnns,  exempla  imcriptionum  latinamm.  2  Bände. 
Berlin  1873.  Als  besonders  wertvoll  ist  ferner  zu  nennen  die  nach  den 
neuen  Ausgrabungen  beim  Lokal  der  Arvalbrüder  veranstaltete  neue  Aus- 
gabe der  Urkunden  derselben  von  Henzen,  acta  fratrum  ArvaUum^  Berlin 
1874.  —  In  der  Numismatik  der  Eaiserzeit  ist  jetzt  das  Material  am  voll- 
ständigsten bei  Cohen,  description  historique  des  medaüles  imperiales.  6  vol. 
2.  ^t.  Paris.  Rollin  et  Feuardent  1880—1886.  Sonst  gehört  zum  numis- 
matischen Apparat  der  Kaiserzeit  aufser  Mommsens  römischem  Münzwesen 
v.  Sallet,  Die  Daten  der  alexandrioischen  Eaisermünzen.  Berlin.  Weid- 
mann 1870.  ^  y 

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—     X     — 

Es  ist  nicht  zu  yerkennen,  dafs  die  Stoffzufuhr,  welche  aus 
den  monumentalen  Quellen  kam,  dazu  beitrug  auch  das  Interesse 
für  die  Eaisergeschichte  neu  zu  beleben ,  und  dies  war  in  der 
That  notwendig.  Bei  aller  Klage  darüber,  dafs  dieser  Teil  der 
Geschichte  vernachlässigt  werde,  weifs  Niebuhr  doch  nur  die 
Gesichtspunkte  der  Praxis  geltend  zu  machen,  den  Theologen  und 
Juristen  zu  mahnen,  dafs  er  mit  ihr  vertrauter  sein  müsse.  Sonst 
ist  ,,die  ganze  Geschichte  des  Kaiserreichs  nur  merkwürdig  als 
ein  Teil  der  Weltgeschichte,  als  Volks-  oder  Staatsgeschichte  ist 
sie  im  höchsten  Grade  traurig  und  entmutigend"  (Vorträge  2, 
232),  und  so  will  er  denn  seinen  Zuhörern  nur  kurze  Übersichten 
und  Umrisse  geben,  hauptsächlich  Charakteristiken  der  Kaiser 
und  litteraturgeschichtliche  Bemerkungen,  die  immer  lesenswert 
sind.  Diese  Ungunst  der  Zeit  hatte  in  Deutschland  auch  Hock 
zu  erfahren,  als  er  es  unternahm,  die  Geschichte  vom  Verfall  der 
Republik  bis  zur  Vollendung  der  Monarchie  unter  Constantin 
(Braunschweig  1841)  zu  schreiben:  die  Teilnahme  des  Publikums 
reichte  nicht  zur  Vollendung  des  tüchtigen  Buchs;  es  wurde  nur 
bis  zum  Tode  Neros  fortgeführt.  Mehr  Glück  hatte  in  England 
Charles  Merivale  mit  seiner  „Geschichte  der  Römer  unter  dem 
Kaiserreich".^)  Auch  er  hatte  im  Sinn,  bis  zur  Zeit  Constantins 
vorzudringen,  von  einer  bestimmten  Tendenz  aus.  Er  wollte  eine 
Ergänzung  Gibbons  sein  zunächst  in  dem  Sinn,  dafs  er  die  von 
jenem  nur  kurz  behandelten  zwei  ersten  Jahrhunderte  in  voller 
Ausführlichkeit  erzählte,  sodann  darin,  dafs  er  den  viel  ange- 
fochtenen Kapiteln  15  und  16  Gibbons  über  das  Christentum,  die  frei- 
lich vom  Standpunkt  des  vorigen  Jahrhunderts  und  den  besonderen 
persönlichen  Erfahrungen  des  Schriftstellers  aus  begriffen  sein  wollen, 
ein  von  anderem  Standpunkt  aus  geschriebenes  Bild  des  ältesten 
Christentums  und  seiner  Bedeutung  gegenüberzustellen  wünschte. 
Letzteres  kam  nicht  zur  Ausführung;  der  erstere  Plan  aber  wurde 
mit  der  Erzählung  der  Kaisergeschichte  bis  zum  Tode  M.  Aureis 
ausgeführt.  Das  Werk  hat  in  der  Heimat  des  Verfassers  viel 
Beifall  gefunden,  und  es  bietet  dem  Gebildeten  eine  lesenswerte, 
in  edlem  Ton  gehaltene  stofflich  reiche  Erzählung.   An  die  geistige 


1)  Erste  Ausgabe  der  Eistory  of  ihe  Bomans  unäer  ike  empire,  VII.  vol. 
geht  von  1860  an;  deutsche  Übersetzung  Leipzig,  Dyk.  1866.  —  Von  eng- 
lischer Litteratur  ist  noch  zu  nennen  Henry  Clinton,  fastt  Bomani  from 
the  death  of  Äugustua  to  the  death  of  lustin.  II,  Oxford  1846,  die  voll- 
ständigste quellenmäfsige  Chronologie  der  röm.  Eaiserzeit. 

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—     XJ     — 

Höhe  Gibbons  reicht  es  nicht  In  seiner  Würdigung  der  Ver- 
fassung ist  Merivale  bemüht;  die  Bedeutung  des  Senats  und  des 
ßechtslebens  ins  Licht  treten  zu  lassen  gegenüber  den  Vorstel- 
lungen Ton  einem  von  Augustus  an  gleichmäfsig  durchgehenden 
nur  verschleierten  Despotismus;  namentlich  aber^  und  dies  ist 
die  bekannteste  Seite  seines  WerkS;  vertritt  er  die  Richtung  der 
Bettungen ;  indem  er  die  schlimmsten  Namen  des  ersten  Jahr- 
hunderts bemüht  ist  durch  eingehende  Würdigung  ihrer  Hand- 
lungen von  dem  Fluch  zu  befreien^  der  auf  ihnen  lastet,  und  vor 
allem  den  einseitigen  Einflufs  des  Tacitus  auf  das  Urteil  zu  zer- 
stören. Wie  überall;  wo  dies  mit  einer  gewissen  Tendenz  ge- 
schieht, läuft  auch  hier  Übertreibung  mit  unter  neben  annehm- 
baren Ausführungen.^)  Was  vom  wissenschaftlichen  Standpunkt 
aus  zu  vermissen  ist,  liegt  in  dem  Mangel  an  präziserer  Behand- 
lung der  staatsrechtlichen  Fragen,  die  mehr  in  breiten  allgemeinen 
Reflexionen  besprochen  als  nach  quellenmäfsiger  methodischer 
Untersuchung  dargelegt  werden,  womit  auch  die  unzureichende 
Benutzung  der  monumentalen  Quellen  zusammenhängt. 

Eben  die  volle  Geltendmachung  der  beiden  letztgenannten 
Momente  hat  zu  einer  wesentlichen  Förderung  des  Verständnisses 
der  Grundfragen  geführt,  welche  die  Geschichte  der  Eaiserzeit 
bewegen.  Die  Aufgabe  einer  genaueren  Definition  der  Kaiser- 
gewalt nach  Titel  und  Inhalt,  die  Beschreibung  dessen,  was  an 
konstitutionellen  Elementen  bei  den  Neuerungen  erhalten  ist, 
welche  Augustus  eingeführt  hat,  die  genauere  Berücksichtigung 
und  Analyse  der  formellen  Akte  gegenüber  blofs  allgemeiner 
politischer  Erwägung  war  zunächst  Aufgabe  der  Rechtsgeschichte; 
allein  diese  kam  bei  keinem  ihrer  Vertreter  zu  einer  Definition, 
welche  die  verschiedenen  einander  widerstrebenden  Momente,  das 
Imperium  der  Kaiser  und  ihr  Gebunden  sein  durch  die  republi- 
kanische Verfassung  zu  einer  befriedigenden  Zusammenfassung 
und  zum  Verständnis  gebracht  und  über  eine  Statistik  der  ver- 
schiedenen Befugnisse  hinausgeführt  hätte.    Erst  Mommsen^)  hat 


1)  Da  hiervon  bei  den  einzelnen  Kaisern,  zunächst  bei  Tiberios,  die 
Bede  sein  wird,  so  möge  hier  die  blofse  Erwähnung  dieser  Eichtung  ge- 
nfigen. 

2)  Es  gehören  hieher  neben  Rom.  Staatsrecht  II.  2  (der  Principat) 
das  Werk  Bes  gestae  divi  Augusti,  Ex  monumeniis  Äncyrano  et  Äpolloniensi 
iiemm  ediäit  Th.  Mommsen,  Äccedunt  tabulae  undecim.  Berlin,  Weidmann 
1883.     Die  erste  Ausgabe  war  auf  Grund  einer  französischen  Aufnahsae  des 

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—      XII      — 

auch  auf  diesem  Gebiete  eine  neue  Grundlage  geschafifen,  teils  von 
exegetischer  teils  von  systematischer  Behandlimg  aus.  Aus  dem 
eigenen  Zeugnis  des  Augustus  hebt  er  die  Stelle  hervor,  worin 
dieser  erklärt,  dass  er  in  den  Jahren  28  und  27  v.  Chr.  die 
Republik  wiederhergestellt  und  von  da  an  keine  andere  Gewalt 
angenommen  habe  als  eine  solche,  wie  sie  auch  andere  Magistrate 
neben  ihm  gehabt  (lies  gestae  div.  Äug.  p.  144  flF.);  er  weist  ferner- 
hin nach,  wie  mit  dieser  authentischen  Aufserung  auch  die 
sichersten  Zeugnisse  der  Schriftsteller  übereinstimmen,  dafs  also 
die  offizielle  Bedeutung  der  politischen  Neueinrichtung  nur  die 
einer  Vervollständigung  der  Magistratur  in  der  Republik  sein 
sollte.  Dem  steht  gegenüber  und  wird  damit  hinfallig  die  Auf- 
fassung, dafs  die  Gewalt  des  Imperators  Augustus  eine  neue 
aufserordentliche  gewesen  sei,  ein  imperium  in  absolutem  Sinn, 
eine  Auffassung,  die  Monimsen  auch  systematisch  nicht  gelten 
läfst,  da  das  römische  Gemeinwesen  ein  imperium  schlechthin 
nicht  kenne,  sondern  dies  immer  entweder  das  des  Konsuls  oder 
eines  andern  dazu  befähigten  Magistrats  sei  (Staatsr.  2,  815). 
Bei  Augustus  sei  es  als  imperium  proconsulare  definiert,  was  dann 

Monuments  (von  G.  Perrot)  1865  erschienen,  die  zweite  auf  Grund  der 
von  der  Berliner  Akademie  veranstalteten  Expedition  von  Humann  und 
Domaszewski.  Der  Mommsen'sche  Kommentar  begleitet  die  einzelnen 
Kapitel.  Über  die  ursprüngliche  Bedeutung  dieses  Monuments  in  seiner 
Originalaufstellung  beim  Grabmal  des  Augustus  und  seine  Klassifikation  hat 
sich  eine  kleine  Litteratur  gebildet.  Mommsen,  Hermes  18, 186  nennt  es  einfach 
den  Rechenschaftsbericht  des  Augustus,  Hirschfeld  (Verwaltungsgesch.  1,  3. 
Wiener  Stud.  7,  170—174)  sein  politisches  Testament,  Bormann  (Marburger 
Bektoratsprogr.  1884),  Nissen  (ital.  Landeskunde  1,  38  A  1;  81  A.  1;  vgl. 
dazu  Rhein.  Mus.  41  (1886),  481—499),  Joh.  Schmidt  (Philolog.  44,  442  ff. 
46,  893  ö.  46,  70  ff.)  eine  Grabschriffc,  Wölfflin  (Sitzungsber.  der  Münchner 
Akad.,  philol.  bist.  Kl.  1886)  in  Analogie  der  tabulae  accepH  et  cxpensi  ein 
Rechnungsbuch  „die  Bilanz  des  Begründers  der  Monarchie" ,  v.  Wilamowitz 
(Hermes  21,  623—7)  in  Analogie  mit  den  nQa^sig^HQaiiXiovs  als  Kommentar 
zur  albanischen  Tafel  mit  der  Apotheose  der  Herakles  eine  Begründung  der 
erwarteten  Apotheose.  Es  ist  natürlich,  dafs  man  Anknüpfungen  sucht;  aber 
einer  Klassifikation  bedarf  es  überhaupt  nicht.  Die  beste  Anknüpfung  liegt 
in  dem  sonstigen  Verfahren  des  Augustus.  Seit  er  die  Rekonstruktion  des 
Gemeinwesens  in  versöhnendem  Sinn  in  die  Hand  genommen,  war  er 
bemüht,  durch  Reden  vor  Senat  und  Volk  die  Römer  von  der  Redlichkeit 
seiner  Intentionen  und  dem  Verdienstlichen  und  Richtigen  in  seinem  Werk 
zu  überzeugen.  Dies  will  er  nun,  ernstlich  bemüht  um  seinen  Nachruhm 
wie  um  das  Gelingen  seiner  Lebensarbeit,  auch  noch  vom  Grabe  aus  thun 
in  monumentaler  Weise. 

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—     XIII     — 

weiterhin  an  den  Zeugnissen  auch  für  die  späteren  Imperatoren 
verfolgt  wird.  Es  gewinnt  femer  in  Konsequenz  hiervon  der 
konstitutionelle  Charakter  der  kaiserlichen  Gewalt  eine  ernst- 
haftere Bedeutung  und  entsteht  zugleich  die  Aufgabe,  diese 
Stellung  in  ihren  Funktionen  durch  alle  Verhältnisse  hindurch, 
mit  denen  sie  zu  thun  hat,  zu  verfolgen.  Dies  ist  die  Aufgabe 
des  systematischen  Staatsrechts,  das  zugleich  auch  die  andern 
Seiten  der  obersten  Gewalt  beschreibt  und  analysiert.  Denn 
das  prokonsularische  Imperium  giebt  zwar  an  sich  schon  die 
Stellung  eines  Princeps  im  Staate,  d.  h.  nicht  des  princeps  senattis, 
sondern  eines  Princeps  in  absolutem  Sinn,  bedarf  aber  einer 
Ergänzung  nach  der  nichtmilitärischen  Seite:  diese  hat  Augustus 
zaerst  im  Konsulat  gesucht,  später  in  der  tribunicischen  Gewalt; 
denn  diese  als  die  höchste  mit  dem  Principat  notwendig  ver- 
knöpfte bürgerliche  Magistratur  ist  namentlich  in  formaler  Be- 
ziehung der  rechte  und  volle  Ausdruck  der  Herrschergewalt 
geworden  und  geblieben  (Staatsr.  2,  837).  Letzteres  steht  in 
Zusammenhang  mit  der  Lehre  vom  Volkstribunat,  wie  sie  Momm- 
sen  schon  für  die  republikanische  Zeit  vorgetragen,  wovon  be- 
reits Bd.  I  (Einl.  S.  XL  und  bei  der  Behandlung  des  Voljjs- 
tribunats)  die  Rede  war.  In  Verbindung  damit  steht  weiter, 
dafs  Mommsen  die  sog.  lex  de  impetio  Vespasiani  als  den  Akt 
fafet,  durch  welchen  in  den  comitia  tribuniciae  potestatis  diese  Gewalt 
erworben  worden  sei.  —  Ich  glaube,  dafs  man  den  exegetischen 
Nachweis  von  der  ausgesprochenen  Intention  des  Augustus  selbst, 
das  Principat  als  eine  Magistratur  in  die  Republik  einzuführen, 
und  damit  den  Ausschlufs  einer  über  dem  Gemeinwesen  stehen- 
den despotischen  Gewalt  anerkennen  mufs,  und  dafs  es  im  all- 
gemeinen richtig  ist,  dafs  letztere  Vorstellung  von  den  Schrift- 
stellern des  dritten  Jahrhunderts,  schon  nach  Dio,  nach  späteren 
Eindrücken  unrichtig  dem  originellen  System  Augusts  auf- 
gedrängt wurde.^)     Es  ist  die  auf  dieser  Grundlage  aufgebaute 

1)  Ganz  anders  urteilt  freilich  Madvig:  „Das  römische  Kaisertum  ent- 
wickelte sich  ans  einem  rein  thatsächlichen  Zustand,  auf  der  anerkannten 
Notwendigkeit  beruhend  zu  einer  allmählich  durch  die  Gewohnheit  gnt- 
geheiJsenen  absoluten  Monarchie  und  vererbte  sich  als  solche  sehr  lange 
Zeit,  jeder  einigermafsen  konsequenten  konstitationellen  Theorie  fremd,  sodafs 
in  hetreff  der  älteren  Zeit  die  Versuche  begrifflicher  Bestimmung  und  Be- 
grenzung der  Gerechtsame  sich  in  hohle  und  widersprechende  Spitzfindig- 
keiten auflösen/'  Verf.  und  Verw.  1,  681.  Damit  ist  doch  das  Verfahren 
des  Angnstus  und  das  römische  Wesen  überhaupt  sehr  verkannt 

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—     XIV     — 

Beschreibung  des  Prineipats  als  einer  Magistratur  nach  allen 
ihren  Rechten  und  Funktionen  wie  schon  der  Aufgabe  nach  die 
erste  epochemachende  Erfassung  eines  notwendigen  Problems  -so 
in  ihrer  Durchführung  überall  hin  lichtgebend  und  neue  Ge- 
sichtspunkte auffallend.  Von  gewissen  Punkten  dieser  Auffassung 
aber  ist  in  der  folgenden  Darstellung  abgewichen.  Ich  halte 
weder  die  Bedeutung  ^  welche  Mommsen  der  tribunicischen  Ge- 
walt der  Kaiser  giebt,  für  richtig,  noch  die  Deutung  der  sog. 
lex  de  imperio,  ebenso  auch  nicht  die  Ableitung  des  Titels  prin- 
ceps  und  die  Lehre,  dafs  die  Erhebung  zum  Imperator  durch 
die  Soldaten  gleichberechtigt  gewesen  sei  der  durch  den  Senat. 
Letzteres  ist  ein  Ergebnis,  das  erst  im  Verlauf  des  dritten  Jahr- 
hunderts sich  geltend  macht,  und  ich  habe  in  der  Geschichte 
des  Kaisers  Maximinus  (S.  502  f.)  die  Epoche  dafür  nachzuweisen 
gesucht.  Überhaupt  suche  ich  die  Losung  für  die  der  syste- 
matisch-theoretischen Betrachtung  sich  ergebenden  und  aus  der 
systematischen  Konsequenz  nicht  zu  erledigenden  Schwierig- 
keiten auf  geschichtlichem  Wege  zu  erzielen,  wozu  eben  notig 
ist,  die  Geschichte  in  möglichst  kleinen  Perioden  zu  durchlaufen. 
Dafs  z.  B.  bei  aller  fundamentalen  Bedeutung  der  Art,  wie  Au- 
gustus  das  Principat  eröffnete  und  die  formalen  Akte,  durch  welches 
die  Rechte  desselben  erteilt  wurden,  feststellte,  doch  diese  Gewalt 
ihrem  Inhalt  und  ihrer  Benennung  nach  bald  auch  eine  Richtung 
auf  mehr  einheitliche  Stellung  und  autokratischen  Charakter  er- 
hielt, leuchtet  ein  und  zeigt  sich  auch  in  der  Überlieferung.  —  Die 
Ergänzung  der  Darstellung  des  Prineipats  durch  die  Stellung 
des  Senats  steht  in  Mommsens  Staatsrecht  noch  aus;  es  wird 
sich  mit  ihr  erst  genauer  darstellen,  wie  der  Begriff  der  Dyarchie 
zu  fassen  ist,  „d.  h.  der  zwischen  dem  Senat  einer-  und  dem 
Princeps  als  dem  Vertrauensmann  der  Gemeinde  andrerseits  ein 
für  allemal  geteilten  Herrschaft",  womit  Mommsen  das  Ver- 
hältnis dieser  zwei  Faktoren  bezeichnet  (Staatsr.  2,  725). 

Eine  weitere  wesentliche  Förderung  hat  die  Geschichte 
dieses  Zeitraums  durch  Mommsens  Beschreibung  der  römischen 
Provinzen  von  Cäsar  bis  Diocletian  erhalten,  die  als  fünfter 
Band  seiner  römischen  Geschichte  erschienen  ist  (zuerst  1885). 
Es  ist  in  dieses  aufs  vollste  ausgeführte  Bild  des  römischen 
Reichs  all  der  Gewinn  eingelegt,  welchen  die  Zusammenstellung 
der  inschriftlichen  Quellen  nach  den  Provinzen  im  Corpus  in- 
scriptionum  Utterarum  gebracht  hat,  und  hiedurch  mehr  noch  als 

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—     XV     — 

durch  die  Abwägung  der  konstitutionellen  Verhältnisse  dem  ur- 
teil fiber  diese  Periode  ein  Mafsstab  gegeben.  Gibbon  (Kap.  3 
gegen  Schlufs)  hat  den  Ausspruch  gethan:  y,wenn  jemand  die 
Periode  der  Weltgeschichte  zu  bezeichnen  hätte,  in  welcher  der 
Zustand  des  Menschengeschlechts  der  glücklichste  und  gedeih- 
lichste gewesen,  so  würde  er  ohne  Zögern  diejenige  nennen, 
welche  Tom  Tode  Domitians  zu  dem  Begierungsantritt  des  Com- 
modus  verfloHs'';  er  hat  aber  dafür  die  nähere  Begründung  durch 
die  Thatsachen  dem  Leser  nicht  gegeben.  Nun  könnte  er  auf  dieses 
Werk  Mommsens  verweisen,  und  Mommsen  selbst  kommt  S.  5 
auf  ein  nahezu  ähnliches  Besultat.  Dafs  eine  absolute  Fassung 
eines  solchen  Urteils  ihre  Beschränkung  herausfordert,  ist  natür- 
lich und  bei  den  Vertretern  desselben  selbst  auch  zu  finden;  aber 
die  grofse  Bedeutung  dieser  Periode  für  die  Kultur  der  Menschheit, 
die  Fülle  von  Leben,  die  noch  in  ihr  pulsiert,  kann  uns  nicht 
deutlicher  sich  vergegenwärtigen  als  durch  die  Möglichkeit  jener 
Fassung  bei  so  kompetenten  Beurteilern. 

Die  seit  dem  Erscheinen  des  Mommsen'schen  Staatsrechts 
erschienenen  Bearbeitungen  der  Kaisergeschichte  stehen  hinsicht- 
lich der  Verfassung  mehr  oder  weniger  in  Beziehung  zu  der 
Mommsen'schen  Darstellung.  Unter  diesen  ist  besonders  herv^or- 
zuheben  Herm.  Schillers  Geschichte  der  römischen  Kaiserzeit 
TonCäsars  Tod  bis  zu  Theodosius  dem  Grofsen.  1883—1887.  Die 
reiche  Fülle  von  StoflP,  die  Vielseitigkeit  in  der  Berücksichtigung 
aller  Seiten  des  antiken  Lebens,  die  Zusammenstellung  der 
Quellenzeugnisse  wie  der  neueren  Litteratur  machen  diese  Schrift 
za  einem  wertvollen  Geschichtswerk;  in  mancher  Hinsicht  habe 
ich  filr  weitere  Ausführung  auf  dasselbe  verwiesen  und  bekenne 
gerne,  dafs  ich,  demselben  Stoff  nachgehend,  viele  Erleichterung 
des  Suchens  demselben  zu  danken  habe.  In  der  Verfassungsge- 
schichte schliefst  sich  Schiller  an  das  Mommsen'sche  System  an.^) 
—  Eine  sehr  vollständige,  ebenfalls  höchst  vielseitige  und  beleh- 
rende Darstellung  der  Kaiserzeit  verdankt  man  dem  französischen 
Staatsmann  und  Gelehrten  Victor  Duruj^);  man  darf  ihm  mit 


1)  Auch  die  Berichte  Schillers  für  röm.  Geschichte  und  Chronologie 
in  fioTsiaDs  Jahresber.  über  die  Fortechritte  der  klass.  AltertumswisBenscb. 
Ton  1883  an  sind  hier  zu  erwähnen.  Ich  verweise  auf  sie  hinsichtlich  der 
Monographieen,  die  in  diesem  Buche  nicht  erwähnt  sind. 

2)  Higtaire  des  Bomains  depuis  les  temps  lea  plus  recuUs  jusqu*  d 
ViwtHttum  des  barhares.    1879—1885.    Hieher  gehören  die  Bände  3—6.    In 

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—      XVI      — 


Recht    eine    gröfsere   Bedeutung    beilegen    als    dem   Werk    des 
Engländers   Marivale.     Dafs    die    Darstellung   dieser  Periode    in 
L.  V.  Ranke's  Weltgeschichte*)  sowohl  mit  ihrer  Charakteristik 
der  einzelnen  Regierungen  wie  mit  der  Einstellung  der   ganzen 
Zeit  in  den  gröfseren  Rahmen  der  weltgeschichtlichen  Betrach- 
tungen ihre  eigentümliche  Stellung  einnimmt^  bedarf  kaum   be- 
sonderer Erwähnung,  und  das  Interesse  dafür  wird  noch  gehoben 
dadurch,  dafs  die  Ranke'sche  Auffassung  nach  Mommsens  Werk 
erschienen  ist  und  mehrfach  Beziehung  auf  dasselbe  nimmt.  — 
Endlich   ist   auch    auf  juristischer  Seite  die  neueste  Darstellung 
der  römischen  Rechtsgeschichte  von   Karlowa^   zu   erwähnen, 
die  sich  ausführlich  mit  den  Verfassungsfragen  beschäftigt.    Kar- 
Iowa   bestreitet   den  Mommsen'schen   Begriff  von   imperiutn    als 
imp.  proconstilare,   geht   wieder   auf  die   Fassung   desselben    als 
eines  allgemeinen  neuen  Gewaltbegriflfs  zurück,  woneben  die  pro- 
konsularische Gewalt  nur  die  Aufsicht  über  die  Senatsprovinzen 
bedeuten   solle.     Die  tribunicische  Gewalt  hat  für  ihn  nicht  die 
Bedeutung   wie   für   Mommsen,    die    offizielle   Bezeichnung    des 
Trägers  der  Gewalt  ist  nicht  in  ihr,  sondern  in  dem  Wort  Prin- 
ceps  gelegen,   das   die  erste  amtliche  Stellung  im  Gemeinwesen 
bezeichnet.    Das   rechtliche   Fundament   dieser  Stellung   ist    die 
lex  de  imperio,  von  der  wir  einen  Rest  aus  der  Verleihung  an 
Vespasian  haben;  in  dem  verlorenen  Teile  derselben  waren  auch 
die  feldherrlichen  Rechte  enthalten  (1,  492  flf.).    Bei  diesen  Defini- 
tionen, mit  denen   ich   nur   hinsichtlich   einiger   negativen   Aus- 
führungen übereinstimme,  ist  in  der  Hauptsache,  der  Definition 
des  Imperiums,  übersehen,  dafs  die  Starke  der  Mommsen'schen 
Auffassung  in  ihrer  Berufung  auf  die   am   meisten  authentischen 
Zeugnisse  liegt,  über  die  man  nicht  hinweggehen  darf.   In  diesem 
Punkte   handelt   es   sich   nicht   um  eine   mehr  oder  weniger  zu- 
treffende  systematische   Konstruktion,   sondern    um  die  richtige 
Würdigung  der  Zeugnisse. 


Beigabe  büdlicber  Darstellungen  ist  das  Werk  dem  Geschmack  der  Zeit 
nicht  blofs  nachgekommen,  sondern  hat  ihn  noch  überholt.  Ins  Deutsche 
wurde  es  übersetzt  von  6.  Hertzberg  (Leipzig  1885),  dessen  eigenes  Werk 
Bd.  I.  Einl.  XLI.  A.  3  erwähnt  ist. 

1)  Es  gehören  hieher  II.  2.  308  ff.  (Cäsar).    II.  2.  308  ff.  (Angnstus). 
III.   1. 

2)  0.  Earlowa,  römische  Bechtsgeschichte.    I.  Staatsrecht  nnd  Bechts- 
qaellen.    Leipzig  1885. 


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—     XVII     — 

Der  Reichtum  von  Belehrung,  der  sich  aus  den  inschrift- 
lichen Quellen  als  Ergänzung  der  litterarischen  ergiebt^  ist 
neuerdings  auch  für  die  Kenntnis  der  Verwaltung  verwertet 
worden  und  zwar  nicht  blofs,  wie  in  dem  Handbuch  von  Joach. 
Marquardt^)  fQr  eine  sachliche  Detailausföhrung  der  einzelnen 
Verwaltungszweige,  sondern  namentlich  auch  för  die  Organisation 
des  kaiserlichen  Verwaltungsdienstes  sowohl  in  technischer  Be- 
ziehung als  nach  der  Seite,  nach  welcher  er  die  konstitutionelle 
Stellung  der  kaiserlichen  Regierung  veranschaulicht  Dieses  Ge- 
biet verfolgt  und  auf  demselben  eine  geschichtliche  Entwicklung 
nachgewiesen  zu  haben  ist  das  Verdienst  von  Otto  Hirsch- 
feld. ^  Durch  seine  Arbeit  hat  diese  grofse  und  stoflFlich  durch 
das  ganze  Gebiet  der  Inschriften  hindurch  zu  verfolgende  Auf- 
gabe ihre  Richtung  erhalten. 

Für  die  Geschichte  der  Republik  hat  die  quellengeschicht- 
liche Untersuchung  unserer  Überlieferung  eine  Rolle  von  höchst 
prinzipieller  Bedeutung  gespielt.  Dies  ist  in  demselben  Mafse 
för  die  Geschichte  der  Kaiserzeit  nicht  mehr  der  Fall.  Die 
Untersuchung  bewegt  sich  hier  in  der  Aufgabe,  wie  sie  für 
jede  geschichtliche  Periode  besteht,  die  verschiedenen  Quellen 
auf  ihre  Authentie  zu  prüfen,  die  abgeleiteten  auf  ihre  Originale 
zurückzuführen,  die  einzelnen  Schriftsteller  nach  ihrer  Stellung 
zur  Sache  zu  prüfen.  Für  keinen  Teil  unserer  Periode  fehlt  es 
in  dieser  Beziehung  an  Untersuchungen,  und  auch  in  der  nach- 
folgenden Geschichte  der  Verfassung  ist  bei  den  einzelnen  Teilen 
stets  Rücksicht  auf  diese  Fragen  genommen.  Eine  wesentliche 
Rolle  spielt  dabei  die  Bedeutung  von  Tacitus  und  Dio  Cassius. 
Es  ist  am  gegebenen  Ort  die  Stellung  dieser  Manner  zu  ihrer  Auf- 
gabe und  zu  ihrer  Zeit,  für  welche  sie  nicht  blofs  als  Bericht- 
erstatter, sondern  auch  als  Typen  in  Betracht  kommen,  eingehend 
gezeichnet,  dabei  hinsichtlich  des  Dio  Cassius  auf  die  von  ihm 
dem  Mäcenas  in  den  Mund  gelegte  Rede  gebührend  Bezug  ge- 
nommen. Ein  Aufgabe  der  Quellenuntersuchung,  die  wohl  an- 
gefangen aber  nicht  vollendet  ist,  steht  noch  aus  in  der  Frage 
über  die  Authentie  der  in  die  Biographieen  der  historia  Augusta 
eingelegten   Reden.     Dafs   hier   viel   Fälschung   mit    unterläuft, 

1)  Von  den  hierher  gehörigen  Bänden  I  und  II  ist  1  von  Marqnardt 
selbst,  II  Ton  Dessau  und  Domazsewski  in  zweiter  Aofiage  bearbeitet. 

2)  Untersuchungen  auf  dem  Gebiet  der  rOm.  Verwaltungsgeschichte. 
L     Berlin,  W^eidmann  1876. 

Heraog,  d.  röm.  SUativcrf.  H.  1.  ot^itized  byGoOglC 


—     XVIII     — 

dürfte  aufser  Zweifel  sein^  andererseits  sind  sie  aber  jedenfalls 
in  antiquarischer  Beziehung  nicht  ohne  Wert,  nur  auch  hier 
wegen  der  Vermischung  von  Bezeichnungen  aus  der  Zeit  der 
Biographen  mit  den  Verhältnissen  der  Zeit,  die  sie  bebandeln, 
mit  Vorsicht  zu  gebrauchen. 

Die  kulturgeschichtlichen  Zustände  dieser  Zeit,  die  sich  mit 
den  politischen  ja  so  vielfach  berühren,  haben  durch  Ludwig 
Friedländer  eine  Bearbeitung  gefimden,  die  mit  ihren 
Schilderungen  wie  mit  ihrem  statistischen  Material  für  die  Ver- 
hältnisse der  leitenden  Kreise,  des  Hofs  und  der  Aristokratie,  für 
die  Gliederung  der  Stände  und  die  geistigen  Motive  der  Zeit 
von  hohem  Interesse  ist.^)  Die  Förderung,  welche  die  Geschichte 
der  Zeit,  der  Martials  Dichtung  angehört,  aus  dem  Kommentar 
desselben  Gelehrten  zu  diesem  Dichter  gewinnt,  konnte  diesem 
Bande  nicht  mehr  zu  gute  kommen. 

Die  Begrenzung  der  Zeit,  innerhalb  deren  die  Verfassung 
der  Kaiserzeit  hier  dargestellt  wird,  ist  hinsichtlich  des  Anfangs 
schon  in  der  Einleitung  zum  ersten  Bande  (S.  XLV  f.)  begründet 
worden.  Dafs  der  Schlufs  mit  dem  Regierungsantritt  Diocletians 
gemacht  wird,  liegt  in  dem  Begriffe  von  Verfassung,  der  hier 
verstanden  ist  als  gebunden  an  ein  Gemeinwesen,  in  welchem  die 
oberste  Gewalt  nicht  blofs  durch  die  Anerkennung  eines  Rechts- 
zustandes im  allgemeinen  und  vorzugsweise  privatrechtlicher  Natur, 
sondern  durch  politische  Institute  in  irgend  einem  Grade  be- 
schränkt isi  Dafs  diese  Institute  im  römischen  Staate  am  Schlufs 
des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  sich  ausgelebt  hatten,  ist  das 
Resultat  der  geschichtlichen  Ausführung. 

1)  DarstelluDgen  aus  der  SittengeBcbichte  Roms  in  der  Zeit  von 
August  bis  zum  Ausgang  der  Antonine.    Leipzig,  Hirzel.    5.  Aufl.    1881. 

Tübingen,  im  August  1887. 

E.  Herzog. 


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Inhaltsübersicht. 

Drittes  Buoh. 
Von  CSsar  bis  zum  BegiernngBantritt  Diocletlans. 

I.  Die  Qesohiohte. 

Erster  Abschnüt,     Die  Begründung  der  Imperatorenherrschaft.     S.  1—233. 

§  72.  Die  Diktatur  Cäsars.  S.  1—45.  Bedeutung  der  Alleinherrschaft 
Cäears  3. 1.  Definition  der  Gewalt  Cäaars  4.  Yorg&nge  in  der  Zeit  vom 
Ende  des  J.  48  bis  Mitte  des  J.  46.  7.  Die  neuen  Gewaltübertragungen 
vom  J.  46.  9.  Politik  der  Versöhnung  11.  Art  und  Gang  der  Reformen 
Cäsars  12.  Ealenderreform  13.  Statistische  Aufiiahme  an  Stelle  des 
alten  Census  18.  Ausbreitung  des  Bürgerrechts  und  der  Latinität  in 
den  Provinzen.  Eolonieen  1§.  Das  Munizipalgesetz  für  Italien  18.  Ver- 
hältnis zum  römischen  Volk  19.  Bürgerrechtsverleihungen  ftn  einzelne 
und  Verhältnis  zu  den  Nationalitäten  21.  Finanzverwaltung,  öffent- 
liche Arbeiten  22.  Münzwesen.  Rechtspflege  25.  öffentliche  Biblio- 
theken 27.  Gesamtauffassung  der  Reformen  Cäsars.  Einheit  des  Reichs 
27.  Konstitutionelle  Bewilligungen  an  Cäsar  29.  Die  Magistratur  Cäsars 
33.  Der  Senat  unter  Cäsar.  Vermehrung  des  Patriziats  37.  Stimmung 
des  Senats.  Die  republikanische  Gruppe.  Cicero.  L.  Cassius  39.  Das 
Volkstribunat  41.  Stand  der  Dinge  im  März  des  J.  44  v.  Chr.  Grund 
der  Katastrophe  42. 

§  78.  Von  Cäsars  Tod  bis  zur  Aufrichtung  des  Triumvirats. 
8.  45—88.  Übersicht  45.  Die  Übergangstage  46.  Die  Senatssitzung 
vom  17.  März.  48.  Die  Parteigegensätze  51.  Die  Stellung  des  M.  Antonius 
52.  Die  Stellung  der  Cäsarmörder  56.  M.  Lepidus  58.  S.  Pompejus 
58.  Octavian  59.  Der  Senat  60.  Der  Kampf  der  Intriguen  62.  Die 
Vorbereitungen  zum  Krieg  65.  Der  mutinensische  Krieg  69.  Octavians 
Konsalat  und  Vereinigung  mit  Antonius  und  Lepidus  81.  Kritik  der 
letzten  Zeit  der  Bepublik  85. 

§  74.  Von  der  Gründung  des  Triumvirats  bis  zur  Schlacht  bei 
Aktium.  Übersicht  88.  Rechtliche  Definition  des  Triumvirats.  Inhalt 
und  umfang  der  Gewalt  88.  Kollegialität  90.  Die  Bestimmung  der 
Termine  93.  Münzrecht  96.  Allgemeine  Gesichtspunkte  96.  Der  Kampf 
gegen  Brutus  und  Cassius  und  der  Vertrag  von  Philippi  98.  Der  peru- 
sinische  Eüieg  und  der  Vertrag  von  Brundisium  100.  Die  Umgebung 
der  Machthaber  104.    S.  Pompejus  und  der  Vertrag  von  Misenum  108. 

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—       XX       — 

Der  Krieg  mit  S.  Pompejus,  der  Vertrag  von  Tarent  und  die  Beseitigung 
des  Lepidus  112.  Antonius  als  Herr  des  Ostens  115.  Octavians  Regierung 
im  Westen  116.  Agrippa  als  Ädil  121.  Die  Begünstigung  der  Litteratur 
121.  Die  Frauen  in  der  Politik  122.  Der  Bruch  zwischen  Octavian 
und  Antonius  123. 
§  75.  Das  Principat  des  Augustus.  S.  126—233.  Die  J.  29  u.  28 
V.  Ch.  126.  Der  Name  Imperator  127.  Reinigung  des  Senats  129.  Ver- 
mehrung des  Patriziats  130.  Definierung  der  Gewalt  Octavians  im  J.  29. 
130.  Princepa  senatus  und  princeps  in  absolutem  Sinn  133.  Malkregeln 
des  J.  28.  185.  Die  Neuordnung  des  J.  27.  135.  Prokonsnlarische  Gewalt 
Teilung  der  Provinzen  137.  Der  Name  Augustus  140.  Die  Modifikationen 
vom  J.  23.  141.  Neue  Definier ung  der  prokonsularischen  Gewalt  145. 
Chronologische  Bedeutung  des  J.  23.  146.  Die  Beschlüsse  vom  J.  19 
und  die  Wahl  zum  Oberpontifex  im  J.  12.  148.  Besondere  Erteilung 
des  jus  edicendi.  Die  constitutio  principis  151.  Übersicht  über  die  fernere 
Lebenszeit  Augusts  155.  Die  Vorbereitung  der  Nachfolge  158.  Die 
Konsequenzen  für  die  republikanischen  Institute  164.  Die  Komitien  165. 
Senat  und  Magistratur  167.  Beamte  des  Princeps  171.  Der  Eindruck 
auf  die  republikanisch  Gesinnten  172.  Kabinetspolitik  175.  Ausbildung 
eines  Hofs  und  persönliche  Stellung  des  Kaisers  zu  den  Bürgern  177. 
Einflufs  auf  die  Standesunterschiede  178.  Verwaltung  Italiens  und  der 
Stadt  Rom.  Augusteische  Kolonieen  179.  Kei^e  Bezirksbildung  zwischen 
italischer  Stadt  und  dem  Staat  183.  Pflege  italischen  Nationalgefühls  184. 
Die  Stadt  Rom  184.  CWra  urbis  186.  Neubauten  189.  Die  Provinzen 
190.  Organisation  der  einzelnen  Provinzen  194.  Kolonieen  und  Aus- 
breitung des  Bürgerrechts  in  den  Provinzen  198.  Heerwesen  und  Flotte 
199.  War,  was  Augustus  schuf,  eine  Militärmonarchie?  211.  Das 
Finanzwesen  212.  Das  Münzrecht  218.  Der  äuTsere  Bestand  des  Reichs 
219.  Obersicht  über  die  Funktionen  der  augusteischen  Verfassung  von 
Tiberius  bis  Diocletiau  231. 

Zweiter  AbschniU,  Das  Principat  als  Tyrannis,  Von  Tiberius  bis  DomUian 
14-96  n.  Ch.     S.  233-331. 

§  76.  Der  Übergang  von  Regierung  zu  Regierung.  S.  233—242. 
Von  Augustus  zu  Tiberius  233.  Von  Tiberius  bis  Nero  236.  Von  Qalba 
bis  Domitian  239. 

§  77.  Die  julisch-claudischen  Kaiser.  S.  242  —  285.  Tiberius'  Ver- 
fassungsänderungen. Abgehen  von  den  Volkswahlen  und  der  Volksgesetz- 
gebung 242.  Einflufs  auf  die  Zusammensetzung  des  Senats.  Die  Stadt- 
präfektur  244.  Verschiedene  Auffassungen  des  Charakters  von  Tiberius 
246.  Die  Bedeutung  der  Kaisergarde  248.  Die  besseren  Seiten  von 
Tibers  Regierung  249.  Die  Wendung  zum  Schlimmeren  252.  Die 
Majestäts-  und  Repetundenprocesse  255.  Parteigegensätze  in  den  Senats- 
kreisen 257.  Der  Beirat  des  Tiberius  259.  Kaiser  Gaius  260.  Claudius 
264.  Nero  270.  Nero  unter  dem  Einflufs  des  Tigellinus  und  der  Frei- 
gelassenen 278.    Das  Jahr  der  vier  Kaiser  68—69.  280. 

§  78.  Die  Flavier.  S.  285—808.  Übersicht  285.  Vespasian.  Zustand 
bei  Übernahme  der  B«gierung  286.    Modifikationen  in  der  Konstruktion 

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—      XXI      — 

des  Principats  287.  Titns  als  Mitregent  289.  Änfserer  Friede.  Nen- 
Ordnung  des  Reichs  293.  Die  Censur  von  73—74.  293.  Günstige  Resul- 
tate der  Verwaltang  296.  Soziale  Erneaerung  der  oberen  Stände  297. 
Titos  298.  Domitian  301. 
§  79.  Der  änfsere  Bestand  des  Reichs  von  Tiberius  bis  Domitian. 
S.  308—331.  Italien  808.  Die  Provinzen.  Britannien.  Die  germanische 
mid  die  Donaagrenze  312.  Der  Osten  316.  Afrika  318.  Anfhebang  der 
kleinen  Dynastieen  320.  Senats-  und  Kaiserprovinzen  324.  Eultur- 
wirknngen  der  Verwaltung  326.    Städtewesen  in  den  Provinzen  327. 

Dritter  Abschnitt,  Die  verfassungsmäfsige  Kaiser  folge  van  Nerva  bis  Com- 
modus,     S.  332—444. 

Allgemeine  Charakteristik  S.  332—334. 

§80.  Nerva  und  TrAJan.  S.  334—356.  Nerva  334.  Bedrohung  des 
Nerva  und  Adoption  des  Trajan  338.  Trajan.  Die  Zeiten  seines  Aufent- 
halts in  Rom  340.  Thätigkeit  in  der  innem  Verwaltung  341.  Geistiges 
Leben  unter  Trajan.  Tacitus  und  Plinius  350.  Nationalrömischer  Charakter 
352.    Die  Christenfrage  353.   Trajans  Ende  und  die  Adoption  Hadrians  355. 

§81.  Hadrian,  Antoninus  Pius  und  Marc  Aurel.  S.  356  —  407. 
Charakter  dieser  Periode  356.  Hadrians  Persönlichkeit  und  Regierungs- 
antritt 357.  Chronologie  des  Aufenthalts  in  Rom  und  der  Reisen  358. 
Senat  und  Ritterstand.  Heranziehung  des  letzteren  zu  der  Verwaltung 
362.  Die  wesentlichen  Resultate  von  Hadrians  Verwaltung  366.  Finanz- 
wesen 366.  Ädvocatus  fisci  368.  Rechtswesen.  Edictum  perpetuum. 
Das  kaiserliche  Konsilium  369.  Die  constUares  in  Italien  370.  Pro- 
vinzen und  Heerwesen  371.  Geschichtliches  Bild  Hadrians.  Bedeutung 
für  die  geistige  Richtung  der  Zeit  372.  Ordnung  der  Nachfolge  876. 
Antoninus  Pius  und  Marc  Aurel.  Übersicht  über  die  Zeiten  der  An- 
wesenheit in  Rom  und  der  Abwesenheit  379.  Allgemeine  Charakteristik 
beider  Regierungen  385.  Das  Glück  dieser  Zeit  386.  Detail  der  beiden 
Regierungen  389.  Unterschiede  im  Charakter  der  zwei  Herrscher  394. 
Das  Heer  397.  Avidius  Cassius  als  Prätendent  398.  Schwinden  des 
Nationalgefühls.  Soziale  und  religiöse  Verhältnisse  399.  Die  Christen- 
gemeinden 401.  Die  konstitutionellen  Resultate  403.  Die  Kollegialität 
im  Imperium  405. 

§  82.  Commodus,  Helvius  Pertinaz,  Didius  Julianus.  S.  407— 422. 
Commodus  407.    Pertinaz  415.    Didius  Julianus  419. 

§  83.  Der  äufsere  Bestand  des  Reichs  von  Nerva  bis  Commodus, 
S.  422—447.  Unter  Nerva  und  Trajan  422.  Die  Dakerkriege  und  die 
Provinz  Dakien  424.  Syrien,  Arabien  und  Palästina  427.  Der  Parther- 
krieg und  die  neuen  Provinzen  der  Ostgrenze  428.  Unter  Hadrian  431. 
Die  Friedenspolitik  des  Antoninus  437.  Die  Kriege  unter  M.  Aurel. 
Der  Partherkrieg  438.  Kleinere  Kriege  438.  Der  Markomannenkrieg  440. 
Kolonat  443.    Barbaren  im  römischen  Kriegsdienst  444.    Commodus  444. 

Vierier  Abschnitt.    Die  Ausgänge  des  Principats.     Von   Septimius  Severus 

bis  zum  Begierungsantritt  Diocktio/ns.    S.  445—602. 
Obersicht  über  die  Periode  445—447. 
§84.    Von  L.  Septimius  Severus  zu  Severus  Alexander.   S.  44T--?50].     , 

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—      XXII      — 

Persönlichkeit  des  Severus  und  Übersicht  über  seine  Regierung  447. 
Die  neue  Eaisergarde  449.  Die  Kriege  mit  Niger  und  Albinus  450. 
Begründung  einer  Dynastie  453.  Die  konstitutionelle  Auffassung  des 
Imperiums.  Verhältnis  zum  Senat  455.  Die  Gardepräfektur  und  ihre 
Inhaber.  Plautianus.  Papinian  457.  Das  Heer  459.  Finanzverwaltung 
463.  Provinzialverwaltung  467.  Erteilung  des  iw  lidUcum  469.  Caracalla 
und  Geta  471.  Caracalla  als  alleiniger  Imperator  474.  Die  Verall- 
gemeinerung des  römischen  Bürgerrechts  476.  Macrinus  und  Diadume- 
nianuB  478.  Elagabalus  483.  Severus  Alexander  487.  Die  Stellung  des 
Geschichtschreibers  Dio  zur  Regierung  Alezanders  493.  Die  Regierung 
Alexanders  ein  aufgeklärter  Absolutismus  496. 

85.  Von  Maximinus  bis  Valerianus.  Das  Heerkaisertum  im 
Kampfe  mit  dem  Senat.  S.  501—526.  Maximinus  und  sein  Sohn 
Maximus  501.  Die  beiden  Gordiane  505.  Die  Sonatskaiser  Pupienus 
und  Balbinus  508.  Gordian  III.  512.  Philippus  515.  Deciua  520.  Gallus 
und  Amilianus  522.  Valerianus  und  Gallienus  bis  zum  Orientfeldzug  des 
ersteren  624. 

86.  Der  äufsere  Bestand  des  Reichs  von  Septimius  Severus 
bis  Valerian.  —  Die  Christenfrage  526—551.  Unter  Septimius 
Severus  526.  Caracalla  und  Macrinus  528.  Elagabal  und  Severus  Alexander 
531.  Von  Maximinus  bis  zu  Valerianus  533.  Die  Christen  in  ihrem 
Verhältnis  zum  Reich  537. 

87.  Die  Zeit  der  Verwirrung.  —  Gallienus  im  Kampf  mit  den 
provinzialen  Gegenkaisern  und  die  Einfälle  der  Barbaren 
ins  Reich  551 — 572.  Die  Ereignisse  bis  zur  Gefangenschaft  des  Vale- 
rianus i.  J.  260.  551.  Übersicht  über  die  Zeit  des  Gallienus  664.  Die 
Zentralregierung  557.  Die  Provinzen  und  die  Prätendenten  560.  Die 
gallischen  Imperatoren.  Postumus.  Victorinus.  Tetricus  560.  Die  Donau- 
provinzen. Valens.  Regalianus.  Aureolus  663.  Der  Osten.  Die  Macriani. 
Odänathus  565.     Gallienus  beseitigt  570. 

88.  Von  Claudius  bisDiocletian.  Letztes  Schwanken  zwischen 
Heer-  und  Senatskaisertum.  Das  Ausleben  der  augusteischen 
Verfassung  572— 602.  Claudius  672.  Aurelianua  676.  Tacitus.  Florianus 
585.  Probus  689.  Carus,  Carinus  und  Numerianus  694.  —  Das  Aus- 
leben der  römischen  respublica  697. 


Nachtrag. 

Zu  S.  244  A.  1.  Elimar  Klebs  schreibt  im  Rhein.  Museum  1887  S.  165 
bis  178  die  Errichtung  der  kaiserlichen  Stadtpräfektnr  noch  dem  Augustus 
zu,  setzt  aber  die  Ernennung  Pisos  erst  unter  Tiberius  ins  J.  16/17  und 
nimmt  in  der  Zahl  XX  bei  Tac.  6,  11  einen  Irrtum  in  der  Zahlangabe  an. 
Ich  möchte  dieser  Ausführung  gegenüber  meine  Auffassung  nicht  aufgeben. 

Zu  S.  377  A.2.  Die  Erklärung  von  Casaubonus,  dafs  es  sich  vit.  Hadr. 
c.  26  um  ein  commendare  diis  handle,  empfiehlt  sich  bei  näherer  Betrach- 
tung wegen  der  Art  des  Omens  und  des  aperire  captU  doch  als  die  richtigere. 


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I. 

Die  Geschichte. 

Erster  Abschnitt. 
Die  Begründung  der  Imperatorenherrschaft. 

§  72.     Die  DiktatTir  OäaarB.^) 

1.    Von  dem  Augenblick   an,  in  welchem  nach  dem  Tode  Bedeutung  dar 
des  rompejus  die  Regierung  der  romischen  Weit  von  benat  und      casart. 
Volk  zu  Rom  in  Cäsars  Hände  gelegt  war,  hat  dieser  sie  zwar 

1)  Unsere  litterarischen  Quellen  umfangreicherer  oder  zusammenhängen- 
der Art  sind  für  diese  Zeit  Cicero  in  seinen  Briefen  und  den  Eeden  für 
Marcellus,  Ligarius  und  Dejotarus,  Livius  in  Auszügen,  Vellejus,  Sueton, 
Appian,  Plutarch,  Dio  Cassius.  Cicero  bietet  viel  weniger,  als  man  erwartet:  er 
begleitet,  was  vorgeht,  mit  Glossen  und  giebt  so  manches  Detail,  aber  er 
folgt  der  Politik  Cäsars  nicht  von  staatsmännischen  Gesichtspunkten  aus, 
sondern  zeigt  nur  Sinn  für  die  Beziehungen  auf  seine  persönliche  Lage.  Die 
Rede  befcrefTend  die  Begnadigung  des  M.  Marcellus  halte  ich  nicht  nur  für 
echt,  sondern  ich  glaube,  dafs  gerade  sie  für  die  Zeit,  in  welcher  sie  ge- 
balten, beziehungsweise  ausgearbeitet  worden,  besonders  charakteristisch 
ist.  Einer  geschichtlichen  Darstellung  mufs  Dio  zu  Grunde  liegen,  weil  wir 
in  ihm  zumeist  den  Livius  haben  und  damit  auch  die  annalistische  Anlage. 
Livius  selbst  hat  neben  den  Historien  des  Cäsarianers  Asinius  Pollio,  die  auch 
Plutarcb,  Sueton  und  Appian  benützt  haben  und  die  jeder  benützen  mufste, 
der  über  diese  Zeit  schrieb,  jedenfalls  auch  andere  zeitgenössische  Quellen 
gehabt  und  gewifs  seinem  mehr  unparteiischen  Standpfinkte  nicht  blofs 
hinsichtlich  der  Persönlichkeit  des  Pompejus  (Tac.  Ann.  4,  34),  sondern  schon 
in  der  Benützung  der  Berichterstattung,  deren  Vertreter  er  zum  Teil  persön- 
lich kannte,  Ausdruck  gegeben.  Dem  ist  es  zuzuschreiben,  dafs  unsre  Über- 
lieferung nicht  einseitig  lautet.  Vellejus  giebt  über  diesen  Zeitabschnitt  nur 
vier  Kapitel  (2,  64—67).  Plutarch,  der  neben  Asinius  auch  den  Livius  benützt 
hat  (Cäs.  47),  hat  in  den  hierher  gehörigen  Biographieen  von  Cicero,  Cäsar, 
ßratns  und  Antonius  wie  immer  mehr  das  menschlich  Interessante,  als  das 
staatlich  Wichtige  im  Auge,  Sueton  aber  falst,  was  Cäsar  ad  ordinandum 
reip.  staium  gethan,  ohne  jegliche  Rücksicht  auf  die  Chronologie  sachlich 
zasammen   c.  40—44,  womit  c.  76  die    nimii  honores  zusammenzunehmen 

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—    2     — 

ununterbrochen  bis  zu  seinem  Ende  unter  der  Form  der  Diktatur 
als  Alleinherrscher  ge fuhrt  und  dieser  Form  zuletzt  einen  lebens- 
länglichen Charakter  geben   lassen,  aber  die  Folge  der  Gewalt- 


pind.    Appian  ferner,   ob  er  direkt  oder  indirekt  dem  Asinius  folgt,  bat  in 
ihm  jedenfalls  eine  gute  Grundlage;  aber,  abgesehen  Yon  der  Frage,  wie  weit 
Asinius  selbst  völlig  unterrichtet  war,  kommt  bei  Appian  in  Betracht,  dafs 
er  zwar  im  allgemeinen  nach  der  Zeitfolge  erzählt,  aber  auch  zum  Schaden 
der  Chronologie  und  nach  eigenem  Urteil  gruppiert,  so  besonders  die  Ver- 
fassungsvorgänge (vgl.  2,  108),  denen  er  übrigens  ziemlich  wenig  Beachtung 
schenkt.   —   Die   monumentalen  Quellen,   Inschriften  und  Münzen  werden 
schon  mit  Cäsar  bedeutsamer.     Die   letzteren   sind  nicht  blofs  historiscb, 
sondern  auch  sowohl  wegen  der  Titulatur  als  wegen  des  Münzsystems,  das 
in  ihnen  yertreten  ist,  staatsrechtlich  wichtig;  unter  den  Inschriften  sind 
die  bezüglichen  Teile  der  Konsular-  und  der  Triumphalfasten,  die  Tafel  von 
Heraklea  und  das  Gesetz  für  die  colonia  Genetiva  Julia  (ürso  in  Spanien)  die 
wichtigsten.  Über  die  zuletzt  genannte  Urkunde  s.  unt.  S.  16  A.  4.  Die  im  Museum 
von  Neapel  befindliche  bei  Heraklea  in  ünteritalien  gefundene  Bronzetafel,  ver- 
öffentlicht in  Corp.  inscr  lat.  1  n.  206.  Brnns,  fontes  p.  95,  ist  hinsichtlich  ihrer 
Bedeutung  kontroyers.     Sie  enthält  Bestandteile  von  dreierlei  Art:  1.  Vor- 
schriften  über  die   Anmeldungen   zu   unentgeltlichem   Getreideempfang  in 
Rom  Z.  1  —  19.    2.  Polizeivorschriften  für  die  Stadt  Rom  Z.  20—82.    8.  Muni- 
zipalgesetzliche  Bestimmungen,  bei  welchen  einmal,  hinsichtlich  des  Census, 
italische  Gemeinden   besonders   genannt  sind  (Z.  142),   sonst  aber  Bürger- 
gemeinden  überhaupt  berücksichtigt  werden.     Savigny  (verm.  Schriften  3, 
327 ff.)  hat  zuerst  eine  lex  satura  darin  gesehen,   zugleich  aber  entdeckt, 
dafs  die  Munizipalvorschriften  der  lex  municipalis  angehörten,  auf  welche 
sich  der  Digeetentitel  50,  1  bezieht  und  die  eine  lex  Julia  municipalis  war, 
wie  sie  in  einer  Inschrift  von  Patavium  (bei  Wilmanns,  ex.  inscr.  n.  2180) 
genannt  wird.    Dafs   dasselbe  Gesetz  bei  Cic.  ad  fam.  6,  18,  2   citiert  ist, 
war  schon  früher  erkannt.     Die  Ansicht  von  der  lex  satura  hat  Savigny 
a.  a.  0.  S.  829  A.  1  selbst  aufgegeben,  im  übiigen  handelt  es  sich  immer 
noch  darum,  ob,  was  hier  beisammen  steht,  ein  einziges  Gesetz  war  oder 
eine  Zusammenstellung  von  Teilen  verschiedener  Gesetze.    Beide  Ansichten 
sind  vertreten,  danebea  aber  auch  eine  vermittelnde.    Die  Einheit  im  voll- 
sten Sinn,  wonach  wir  hier  ein  von  Cäsar  erlassenes  Munizipalgesetz  hätten, 
ist  angenommen  ton  Mommsen,  Stadtr.  von  Salpensa  und  Malaca  in  Abb.  der 
Sachs.  G^sellsch.  II  409.  A.  45.  corp.  inscr.  lat.  a.  a.  0.;  dieses  Gesetz  hätte 
sich  gleichmäfsig  auf  die  Stadt  Rom,  die  italischen  und  Provinzialbürger- 
gemeinden  bezogen  und  wäre  ein  sprechendes  Zeugnis  dafür,  wie  Cäsar  die 
Einheit  des  Reichs  und  die  Rolle  der  Stadt  Rom,  die  jetzt  nur  noch  prima 
inier  pares  sein  sollte,  auffEÜJste.    Eine  Zusammenstellung  von  Auszügen  aus 
cäsarischen  Gesetzen  sehen  in  der  tab.  Her.  Nipperdey,  die  leg.  annales  S.  14  ff. 
und  Lange,  r.  Altert.  3\  439,  und  zwar  will  ersterer  dieselbe  einem  Privat- 
mann  zuschreiben,   während   letzterer   sich    hierüber  nicht  äufsert.     Ver- 
mittelnd  spricht   sich   aus  Pnchta,  Institutionen   1^  394  ff.,   welchem  sich 
Savigny  a.  a.  0.  nachträglich  anschlielst.     Er  hält  das  auf  der  Tafel  von 


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—     3    — 

Übertragungen,  welche  neben  dieser  einen  Form  herging,  und 
was  von  Nebenumstanden  dieselbe  begleitete,  läfst  keinen  Zweifel 
darüber,  dafs  zur  Zeit  der  Ermordung  des  Diktators  seine  Herr- 
schaft noch  keine  seinem  Sinne  nach  endgültige  Gestalt  gewonnen 
hatte;  sein  Adoptivsohn  und  Nachfolger  aber  ging,  als  er  der 
Cäsarengewalt  ihre  bleibende  Formulierung  gab,  seine  eigenen 
vorsichtigeren  Wege,  auf  welchen  er  nicht  nur  in  der  Gestaltung 
der  Form,  sondern  auch  in  der  Sache  hinter  dem  Plane  seines 


Heraklea  Stehende  für  ^in  Gesetz  und  zwar  seinem  ganzen  Inhalt  nach  für 
eine  lex  municipalis,  aber  in  dasselbe  ^i^üren  Teile  anderer  Gesetze,  auf 
welche  znr  Nachachtnng  verwiesen  wurde,  anfgenommen  worden.  Meiner 
Ansicht  nach  sind  inhaltlich  drei  verschiedene  Gesetze  hier  vorliegend,  ein 
ßnichstück  der  lex  Julia  frumentaria,  die  mit  dem  recensus  populi  v.  J.  46 
verbunden  war  (s.  u.),  ein  Bruchstück  von  einem  Gesetz  nicht  sowohl  über 
Polizeianordnungen  als  über  die  Magistratur  fürdieStrafsenpolizei(n.  S.24  A.2), 
endlich  ein  Teil  des  Munizipalgesetzes,  nach  dem  sich  Cicero  i.  J.  46  bei 
Baibus  erkundigt,  während  es  in  Vorbereitung  war  (u.  S.  19  A.  1).  Denn  wenn 
(dieses  Gesetz  lex  mtmicipälis  hiefs,  so  kann  es  sich  nicht  auf  die  Stadt  ^ 

Rom  bezogen  haben,  die  selbst  tmter  Cäsar  nicht  den  italischen  Land-  und 
den  Provinzialgemeinden  an  die  Seite  gestellt  werden  konnte;  jedenfalls 
würde  dann  Cicero  in  ganz  anderer  Weise  gerade  hiervon  reden,  und  hätte 
nicht  so,  wie  er  es  thut,  die,  welchen  nach  diesem  Gesetz  in  municipiis  de- 
curiones  esse  liceret,  denen,  qui  in  sencUum  Bomae  legerentwr  gegenüber- 
gestellt Dagegen  ist  denkbar,  dafs  die  Bürgergemeinden  in  Italien  und 
die  weiiigen,  welche  in  den  Provinzen  sich  befanden,  unter  einem  Gesichts- 
ponkt  befasst  wurden  mit  spezieller  Berücksichtigung  dessen,  was  für  die 
italischen  allein  galt.  Dafs  die  Vorschriften  über  die  Anmeldung  zum  Ge- 
treideempfang in  Rom  auch  für  die  Bürger  einer  Landstadt  Interesse  haben 
konnten,  dass  man  sich  femer  die  Strafsenpolizeiordnong  Roms  auch  in 
Heraklea  zum  Muster  nahm,  ist  begreiflich;  aber  wie  es  kam,  dafs  man 
diese  Bruchstücke  in  der  vorliegenden  Weise  mit  der  lex  Julia  municipcdis 
verband,  ist  nicht  leicht  za  sagen.  Die  Puchtasche  Auffassung  könnte  etwa 
damit,  dafs  in  letztere  Bestandteile  von  andern  Gesetzen  zur  Nachachtung  auf- 
genommen worden  wären  um  mit  ihr  zugleich  zur  Geltung  za  kommen^  be- 
greiflich machen,  warum  man  in  Heraklea  nicht  einfach  die  lex  JtUia 
municipalis,  wie  es  doch  geschehen  mufste,  öffentlich  aufistellte;  aber  anderer- 
seits ist  die  Art  der  Zusammenfügung  schwer  zurechtzulegen.  Mit  Nipperdey 
die  Arbeit  eines  Privatmanns  in  dieser  Zusammenstellung  zu  sehen  vermag  ich 
noch  weniger.  Der  fragmentarische  Zustand  versagt  eben  genauere  Einsicht.  — 
Bei  den  Schriftstellern  werden  die  leges  Juliae  nur  gelegentlich  und  zufällig 
erwähnt  und  wie  bei  den  coloniae  Juliae,  so  hängt  es  auch  bei  den  leges 
Juliae,  welche  citiert  werden,  von  Neben  Zeugnissen  ab,  ob  sie  von  Julius 
Cäsar  bei  Lebzeiten,  oder  auf  seinen  Namen  nach  seinem  Tode  oder  endlich 
Ton  Angustus  gegeben  wurden.  —  Verzeichnisse  der  leges  Juliae  bei  Baiter 
im  Onomast.  Tüll.  III.  p.  187  ff.    Rein  in  Paulys  Realenc.  4,  976—979. 

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—     4     — 

VorgäDgers  sehr  wesentlich  zurückblieb.  Es  hat  also  von  diesen 
Gesichtspunkten  aus  die  Diktatur  Cäsars  nur  den  Charakter  einer 
Episode.  Allein  eben  jener  Nachfolger  hat  den  Mafsstab  für 
daS;  was  er  durchführen  zu  können  glaubte,  in  dem  gefunden, 
was  seinem  Vater  neben  dem  Namen  der  Diktatur  von  Senat 
und  Volk  bewilligt  worden  war,  und  Cäsar  selbst  hat  mit  der 
thatsächlichen  Gewalt,  die  in  seinen  Händen  lag,  für  die  wesent- 
lichsten Teile  einer  neuen  Eeichsordnung  die  Wege  gewiesen. 
Darum  bietet  die  Regierung  Cäsars  für  die  Geschichte  der  romi- 
schen Kaiserzeit  nicht  blofs  das  Interesse  des  ersten,  originellen 
und  genialen,  aber  vorübergehenden  Versuchs  einer  Neugründung, 
sondern  auch  eine  Summe  von  Ideen,  die  zu  Resultaten  wurden. 
Definition  der  2.  Die  Diktatur,  welche  Cäsar  zu  Anfanir  seines  Aufenthalts 

Gewalt  Cäsare.  '  .  ,     ?       -r* 

in  Alexandrien  übernahm,  hatte  ihre  zeitliche  Beschränkung  in 
der  nächsten  Aufgabe,  die  noch  drohenden  Kriege  zu  führen;  von 
einem  Auftrag,  mit  dieser  Gewalt  zugleich  auch  die  Verfassung 
neu  zu  gestalten,  wie  es  die  veränderte  Lage  verlangte,  wissen 
•  wenigstens  unsere  Quellen  nichts;^)  aber  ebensowenig  war  der 
Diktator,  wenn  er  die  ihm  zustehende  Initiative  in  der  Gesetz- 
gebung zur  Herbeiführung  einer  Verfassungsänderung  benützen 


1)  Fasti  Capit.  z.  varron.  J.  706:  C.  Julius  C,  f.  C.  n.  Caesar  II 
dfict  .  .  .  ,  J  M.  Antonius  M.  f.  M,  n.  tnafg  .  eq J  .Mommsen  Gr- 
enzt za  dict.  und  mag.  eq.  als  Zweckbestimmung  reip.  constituendae  caussa. 
Zampt  a.  a.  0.  S.  242  ergänzt  für  die  Diktaturen  der  verschiedenen  Jahre 
je  eine  besondere  Zweckbestimmung.  Letzteres  ist  völlig  unannehmbar. 
Gegen  die  Mommsensche  Ergänzung  spricht,  dafs  in  keiner  litterarischen 
Quelle  die  Diktatur  so  benannt  wird  und  dafs  in  den  überlieferten  Titeln 
urkundlichen  Charakters  nur  dictator  schlechthin  vorkommt,  während 
z.  B.  die  spätem  Triumvim  sich  III  viri  reip.  const.  nennen;  es  scheint 
deshalb  richtiger,  die  Diktatur  rei  gerundae  caussa  anzunehmen,  die  aber 
freilich  in  dem  betreffenden  Gesetz  näher  definiert  werden  mufete,  schon 
weil  die  republikanische  Zeitgrenze  wegfiel.  Aus  dieser  Definition  mag 
stammen,  was  Dio  42,  20  sagt:  IloXiiiaiv  %ul  slgi^vrig  xv^tov  nffotpdaei  %tav 
iv  'Aq>Qiii^  avvictocfiivaiv  nQog  navtag  avd'Qcinovg  dnidsi^ocv  ccvtov  ndv  ft^rj- 
Slv  iirjte  tm  di^iia»  iirjte  rj  ßovl^  nsgi  avtmv  %oiv(06rjtai.  Dals  daneben 
derselbe  Dio,  wie  die  übrigen  oben  A.  1  genannten  litterarischen  Quellen, 
die  Diktatur  unrichtig  auffaist,  wenn  er  sagt:  SinTatmg  ovx  ig  s%firivov  dlX* 
ig  iviavTOv  oloy  Isxd'rjvai  slaßsvy  sofern  diese  zweite  Diktatur  von  Herbst 
48  bis  Ende  des  Jahres  46  reichte,  d.  h.  bis  zum  Antritt  der  zehnjährigen 
Diktatur,  zeigt  Mommsen  c.  i.  1.  1  p.  451.  Der  Irrtum  rührt  wohl  von 
Livius  her.  Die,  welche  ihn  ausgezogen  haben,  geben  fdr  diese  Annahme 
allerdings  keine  Handhabe,  da  sie  nur  angeben:  dictator  creatus  est  (epit. 
112.  OroB.  6,  16,  8). 

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-     5     - 

wollte,  durch  den  Mangel  solcher  ausdrücklichen  Zweckbe- 
stimmung gehindert,  während  die  Unbestimmtheit  jener  zeit- 
lichen Begrenzung  ihm  für  eine  darauf  gehende  Absicht  freie 
Hand  liefs.  Dafs  die  gesetzmäfsige  Magistratur  neben  der  Dik- 
tatur weiter  fungieren  und  nicht  minder  Senat  und  Volk  fort- 
bestehen sollten,  verstand  sich  von  selbst;  es  fragte  sich  nur,  in 
welcher  Weise.  Senat  und  Magistratur  konnte  Sulla,  der  das 
aristokratische  Regiment  wiederherstellte,  nur  indirekt  und  vor- 
übergehend beherrschen  wollen,  Cäsar  dagegen,  der  über  die 
Mitwirkung  dieser  Faktoren  bei  der  Regierung  anders  dachte, 
Dahm  eine  direkte  Unterordnung  von  Anfang  an*  in  Aussicht 
dadurch,  dafs  er  sich  in  den  Besitz  aller  magistratischen  Initiative 
setzte;  in  diesem  Sinne  ist  es  zu  verstehen,  wenn  er  sich  nicht 
blofs  die  Bekleidung  des  Konsulats  für  seine  Person  auf  die 
nächsten  fünf  Jahre  sicherte,  sondern  auch  —  wohl  zunächst  so 
lange  als  er  die  ihm  bewilligte  Diktatur  bekleidete  —  ein  Vor- 
schlagsrecht für  sämtliche  Magistrats  wählen,  hinsichtlich  der 
Provinzialbeamten  aber  direkte  Vergebung  sämtlicher  Posten  ohne 
Verlosung  gewähren  liefs.*)  Der  Gehorsam  der  Magistrate  wäh- 
rend ihrer  Funktion  aber  war  ihm  schon  durch  das  jeder  Diktatur 
zustehende  maius  Imperium  gesichert,  insbesondere  war  damit  auch 
Alles  in  seiner  Hand  konzentriert,  was  von  der  Magistratur  mit 
dem  Senat  und  den  allgemeinen  Komitien  zu  verhandeln  war. 
Dafs  er  über  Krieg  und  Frieden  nicht  zu  verhandeln  habe,  son- 
dern frei  und  allein  bestimmen  dürfe,  wurde  ihm  ausdrücklich 
zugestanden,  und  von  der  Verfügung  über  die  Einkünfte  des 
Staats,  die  dem  Diktator  verfassungsmäfsig  nicht  zustand  (IS. 
722)  dürfen  wir  dasselbe  annehmen.  In  besonderer  Weise  aber 
war  mit  dem  Volkstribunat  zu  verfahren.  Sulla  hatte  dasselbe 
so  beschränkt,  dafs  es  ihm  kein  Hindernis  bereiten  konnte,  Cäsar 
konnte  diesen  Weg  nicht  einschlagen.  Er  hatte  vor  dem  Jahre  49 
sich  desselben  in  der  ausgiebigsten  Weise  für  seine  Zwecke  be- 
dient, hatte  den  Ausbruch  des  Konflikts  damit  begründet,  dafs 
er  diese  geheiligte  Institution  zu  schützen  habe,  er  durfte  also 
jetzt  dieselbe  nicht  antasten.  Und  doch  konnte  sie  ihm,  da  er 
der  Wahlen  nicht  absolut  sicher  war,  Schwierigkeiten  machen. 
So  kam  er  auf  den  Ausweg,  sich  selbst  -—  und  zwar  sofort  auf 
Lebenszeit  —  tribunicische  Gewalt  neben  den  Jahreskollegien  der 

1)  Die  42,  20. 

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—     6     — 

Tribunen  geben  zu  lassen  ^)  und  sich  so  den  Einfiufs  auf  die 
plebejischen  Wahlen  und  die  Interzession  gegen  widerspenstige 
Tribunen  zu  verschaffen  und  sich  gegen  das  Tribunat  mit  dessen 
eigenen  Waffen  zu  schützen.  Dafs  man  diesem  Auskunftsmittel 
den  Schein  gegeben  hätte,  Cäsar  wolle  damit  die  Interessen, 
welche  das  Tribunat  vertrete,  selbst  mit  in  die  Hand  nehmen, 
wird  nicht  hervorgehoben.  Dagegen  war  die  tribunicische  ün- 
verletzlichkeit  ein  Recht  dieser  Gewalt,  das  gewifs  sofort  mit  in 
Betracht  kam.  —  Bewilligt  wurde  das  Alles  durch  Gesetz- 
gebungsakte.*) Wie  bei  der  aufserordeutlichen  Natur  des  Be- 
willigten die  gewöhnliche  Ernennung  zum  Diktator  nicht  genügt 
hätte,  so  konnten  auch  die  betreffenden  Gesetze  nicht  einfach  auf 
die  Diktatur  und  die  tribunicische  Gewalt  lauten,  sondern  es 
mufsten  die  damit  gegebenen  Befugnisse  für  den  gegebenen  Fall 
interpretiert  und  besonders  festgestellt  werden.  Hinsichtlich  der 
Diktatur  scheint  nichts  darüber  ausgesprochen  worden  zu  sein, 
dafs  sie  auch  auf  serhalb  Italiens  angetreten  werden  konnte  — 
dafs  Cäsar  sie  so  antrat,  wird  ausdrücklich  als  Usurpation  bezeich- 
net') — ,  hinsichtlich  der  tribunicischen  Gewalt  aber  mufste, 
wenn  sie  für  die  nächste  und  voraussichtlich  häufige  Abwesenheit 
Cäsars  von  Rom  wirksam  sein  sollte,  dieser  von  persönlicher 
Anwesenheit  in  Rom  zu  ihrer  Ausübung  dispensiert  und  zur 
Geltendmachung  durch  Edikt  bevollmächtigt  werden. 


1)  Dio  a.  a.  0.:  vriv  i^ovö^av  tmv  Srifi.aQX(ov  dicc  ߣov  <og  slnsiv  x^os- 
sd'Bto'  avynad'sisß&al  te  yag  inl  xmv  avt(ov  ßdd'Qcov  ital  sg  raXXa  avvf^e- 
tdisod'ai  GcpCaiv^  o  (iriSevl  e^rjv,  svqsto'  o,t  x  dq%aiqhi5ia.i  näaai  nXiiv  tmv 
xov  nXri^'ovg  in  avxm  iysvovxo.  So,  wie  hier  gefafst,  ist  die  tribaDicische 
Gewalt  nur  eine  Schotzmafsregel,  und  so  kaun  Tacitus  aun.  3,  56  mit  einem 
gewissen  Recht  sagen:  id  sutnmi  fastigii  vocdbulum  (d.  h.  den  l'itel  der 
tribunicischen  Gewalt)  Au^gwtus  repperit.  Cäsar  machte  auch  in  seiner 
Titulatur  keinen  Gebrauch  davon. 

2)  Aus  den  bei  Dio  gebrauchten  Ausdrücken  i'^ri<p(aavxo^  inixQs^txv 
avxmy  sXaßev,  fCQoai&sxo  u.  dergl.  ist  nichts  zu  entnehmen,  den  formellen 
Hergang  giebt  weder  er  noch  die  andern  irgendwo  genau;  auch  wenn  er 
42,  20  sagt:  snixQsrffav  avxm,  tva  xal  ev  vofLca  di]  rti't  avxo  noiBtv  So^y,  so 
ist  mit  letzterem  Ausdruck  nichts  über  die  Form  gesagt.  Aber  es  ergiebt 
sich  ans  dem  sonstigen  Verfahren  Cäsars,  dafs  er,  wo  er  mit  den  ver- 
ßissungsmäfsigeii  Erfordernissen  dnrchkam,  —  und  dazu  gehörte  hier  der 
Qesetzgebungsweg  —  ihnen  gerecht  wurde.  Wenn  es  heifst:  didator  creatw 
est,  so  schliei^t  das  natürlich  nicht  ein  Gesetz  über  seine  Diktatur  aus. 

3)  Dio  42,  21:  6   Kctioaq  xrjv  SmxaxoQÜxv  naQccxQ^f'CC  nainsQ  b^<d  triq 
'ixaXiag  oiv  vKeaxrj, 


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-     7     — 

3.  Für  die  nächste  Zeit  konnte  von  einer  Verwendung  Vorgänge  in  der 
der  so  vereinigten  Gewalten  zu  einer  Änderung  der  Staat8ver-d.j.48  bis  Mitte 
fassung  nicht  die  Rede  sein;  sie  diente  nur,  um  die  Herrschaft 
über  die  noch  immer  kritische  Lage  zu  gewähren.  Nirgends  war 
noch  Beruhigung  eingetreten:  in  Ägypten  stand  Cäsar  selbst  im 
Kampf,  in  Asien  und  Illyrien  seine  Untergebenen,  in  Spanien 
fanden  infolge  der  Fehler  des  cäsarianischen  Statthalters  die  Pom- 
pejaner  wieder  Boden  und  begannen  den  Söhnen  des  Pompejus 
ein  Heer  zu  schaffen,  in  Afrika  sammelten  sich  unter  Scipio, 
Cato  u.  A.  die  Reste  der  republikanischen  Armee,  in  Rom  aber, 
wo  der  von  Cäsar  zum  magister  equitum  bestellte  M.  Antonius 
der  Stellvertreter  des  Diktators  war,  konnte  jede  von  aufsen 
kommende  ungtnstige  Nachricht  gefährlich  werden.  Da  Cäsar 
zur  Bestellung  der  Magistrate  durch  die  Wahlen  selbst  in  Rom 
sein  wollte,  die  Rückkehr  vor  Anfang  des  neuen  Amtsjahres  aber 
nicht  möglich  war,  so  trat  man  in  dieses  ohne  ordentliche  Be- 
amte ein,  nur  die  plebejischen  Magistrate  waren  gewählt  worden. 
So  war  die  Verantwortung  des  Antonius  doppelt  grofs,  und  er 
war  ihr  offenbar  nicht  völlig  gewachsen.  Sein  rücksichtsloses 
und  gewaltthätiges  Vorgehen  verletzte  die,  welche  zu  gewinnen 
waren,  und  war  doch  nicht  geeignet,  unbotmäfsigen  Tribunen, 
die  selbst  jetzt  in  dem  im  Allgemeinen  cäsarianischen  Kollegium 
nicht  fehlten  und  in  ähnlicher  Weise  Not  machten,  wie  das  Jahr 
zuvor  der  Prätor  Cälius  Rufus,  zu  imponieren.  Nicht  einmal  die 
Truppen,  welche  den  Sieg  von  Pharsalus  mit  erfochten  hatten 
und  nun  gewärtig,  nach  Afrika  geführt  zu  werden,  in  Cam- 
panien  standen,  wuIste  man  in  Gehorsam  zu  erhalten.  So  war  es 
hohe  Zeit,  dafs  der  Diktator  selbst  in  Rom  erschien  und  die 
Hoffnung  auf  eine  geordnete  Regierung  aufrichtete.  Im  Sommer 
des  Jahres  47  (*«  September  des  alten  Kalenders)  traf  er  ein 
und  blieb  bis  in  den  Herbst  (Anfang  Dezember  des  alten  Kalen- 
ders). Von  Neuordnungen  konstitutioneller  Natur  war  in  dieser 
Zeit  und  unter  solchen  Umständen  wiederum  nicht  die  Rede;  es 
war  genug,  wenn  er  die  Verhältnisse  des  Augenblicks  befestigte. 
Jene  Tribunen  wurden  zur  Ruhe  verwiesen,  indem  man  zugleich, 
um  ihren  Agitationen  den  Grund  zu  entziehen,  Erleichterungen 
der    materiellen   Lage    gewährte;^)    den    meuterischen   Soldaten 


1)  Dio  42,  60  f.    Suet.  88,  42.   (Abweieang  des  VerlangeDs  nach  allge- 
meinem Schuldenerlafs,  dagegen  Nachlalk  der  Mietzinse  für  ein  Jahr  in  Rom 

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gegenüber  half  die  Macht  von  Cäsars  Persönlichkeit.  Nun  er- 
folgte auch  die  Einsetzung  der  ordentlichen  Jahresbeamten  zu- 
nächst für  den  Rest  des  Jahres,  wobei  zugleich  die  Eriegsgefährten, 
die  mit  ihm  gekommen,  belohnt  werden  konnten.  Für  das  fol- 
gende Jahr  wurden  statt,  wie  bisher,  acht,  nun  zehn  Prätoren 
bestellt,  auch  die  Priesterkollegien  ergänzt  und  zugleich  bei  den 
drei  vornehmsten  die  Zahl  der  Stellen  um  eine,  bei  dem  vierten 
um  drei  vermehrt.  Das  Eingreifen  in  die  Organisation  des  Kults 
war  für  ihn  schon  durch  die  seit  dem  Jahre  63  ihm  zustehende 
Würde  des  Oberpontifex  gegeben;  nun  behielt  er  sich  auch  noch 
vor,  selbst  Mitglied  aller  dieser  Kollegien  zu  werden.  ^  Weitere 
Gelegenheit,  Dienste  zu  belohnen,  bot  die  Besetzung  der  Statt- 
halterposten und  die  Ergänzung  des  Senats,  der  infolge  der 
Kriegsverluste  und  weil  die  noch  unter  den  Waflfen  stehenden 
oder  noch  nicht  begnadigten  Pompejaner  ihre  Mitgliedschaft  ver- 
loren, Lücken  genug  aufwies.  Dafs  den  Besiegten  keine  sulla- 
nische  Schreckensherrschaft  drohe,  hatte  man  bisher  schon  sehen 
können:  obgleich  dem  Cäsar  durch  besonderen  Beschlufs  freie 
Hand  im  Verfahren  gegen  die  Pompejaner  gegeben  war  und 
angesichts  noch  vorhandener  feindlicher  Heere  Schonung  gefährlich 
scheinen  konnte,  war  doch  die  Milde  vorherrschend,  und  bereits 
ging  der  Diktator,  wie  er  bei  seiner  Ankunft  in  Italien  das  Entgegen- 
kommen Ciceros  freundlich  angenommen  hatte,  so  weit,  dafs  er 
dem  Pompejaner  M.  Brutus  das  wichtige  cisalpinische  Gallien 
anvertraute;*)  doch  konnte  er  hier  allerdings  daraufrechnen,  dafs 


bis  zu  2000,  im  übrigen  Italien  bis  zu  500  Sest.,  also  Benachteiligung  einer 
Kategorie  des  Besitzes,  Anfrechthaltung  des  Schuldengesetzes  von  49 
[IS.  668  J,  Beschränkung  der  Anhäufung  beweglichen  Vermögens.)  Ob  die 
lex  dietatoris  Caesaris,  qua  de  modo  credendi  et  possidendi  intra  ItaUam 
cavetur  in  dieses  Jahr  gehört,  läfst  sich  nicht  sagen.  Die  Grundlage  einer 
neuen  epochemachenden  Konkursordnung,  durch  welche  die  Haftbarkeit  des 
Schuldners  mit  der  persönlichen  Freiheit  ersetzt  worden  sei  durch  die 
Hingabe  seiner  Habe,  entnimmt  den  Bestimmungen  Cäsars  Mommsen, 
r.  G.  3,  636  f. 

1)  Dio  42,  60:  TOig  re  novtüpi^i  nal  toig  oloaviotaig^  iv  %al  avxoq  ^, 
toii  T£  nBvt^%aidB%a  TuxXavfisvoig  sva  hxdatoig  n^ogsveifie,  naixsQ  avtog 
ßovXrid'Bls  ndaag  tag  tsgmovvag  Xaßetv  mansQ  sipricpioxo.  c.  51:  xivl  ig  rovg 
intä  av  %txXovftsvovg  (die  VII  mri  epulones)  tgstg  szsQovg  ngoganodsi^ag. 
—  Das  Oberpontificat  erscheint  in  die  Titulatur  aufgenommen  bei  Joseph, 
antiq.  Jud.  14,  10,  2:  rdiog 'lovhog  Kaiaag,  avTOngdtatQ  %al  aQXUQSvg,  dix- 
tdzaiQ  t6  dsvzsQov. 

2)  Um  die  Rede  pro  Marcello  mit  ihrem  Ruhme  Cäsars  nicht  zu  er- 

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die  Anhänglichkeit  der  Bewohner  an  ihn  keine  feindliche  Haltung 
eines  Statthalters  aufkommen  Hesse. 

Im  letzten  Monat  des  Amtsjahrs,  nach  Abhaltung  der  Wahlen 
für  das  J.  46,  in  dem  er  selbst  mit  M.  Amilius  Lepidus  Konsul  zum 
dritten  Mal  sein  sollte,  ging  Cäsar  uach  Afrika  hinüber  und  wurde 
daselbst  bis  über  die  Mitte  des  Jahres  46  durch  den  Krieg  gegen 
die  Republikaner  unter  Scipio  und  Cato  und  gegen  deren  Ver- 
bündeten,  den  Numidierkönig  Juba,  in  Anspruch  genommen. 
Während  seiner  Abwesenheit  war  Rom  diesmal  dem  Mitkousul 
und  Reiterobersten  Lepidus^)  anvertraut  und,  sei  es  weil  dieser 
seine  Stellung  besser  zu  behaupten  verstand  als  Antonius  oder 
weil  die  Anwesenheit  Cäsars  einen  nachhaltigen  Eindruck  hinter- 
lassen hatte,  es  scheint  während  des  afrikanischen  Kriegs  in  Italien 
vollständig  ruhig  geblieben  zu  sein.  Am  6.  April  alten  Kalenders 
wurde  in  Afrika  die  entscheidende  Schlacht  zwischen  der  Allein- 
herrschaft und  der  Republik  geschlagen;  denn  während  bei  Pharsalus 
die  Person  des  Pompejus  das  republikanische  Interesse  überwogen 
hatte,  war  hier  dieses  allein  vertreten,  wenn  auch  bereits  nach 
Allem,  was  vorhergegangen,  nicht  mehr  in  einer  dem  Cäsar  eben- 
bürtigen Weise.  Der  Sieg,  den  letzterer  bei  Thapsus  erfocht, 
war  so  vollständig,  dafs  er  nur  noch  Trümmer  der  feindlichen 
Partei  hinterliefs,  die  wieder  auf  den  Namen  des  Pompejus  zurück- 
kamen und  sich  um  die  Söhne  desselben  sammelten. 

4.  Am  28.  Juli  a.  K.  kam  Cäsar  nach  Rom  zurück.  Schon  Die  nouen  go- 
vor  seiner  Ankunft  war  die  Frage  entschieden,  ob  die  Aufgabe  gonv.  j.  46. 
der  ihm  i.  J.  48  übertragenen  Diktatur  nun  zu  Ende  sei,  indem 
ihm  —  natürlich  mit  seinem  Einverständnis  —  sofort  nach  dem 
Siege  aufs  neue  die  Diktatur  übertragen  wurde  und  zwar,  wenn 
er  sie  vorher  mit  Beziehung  auf  die  vorliegenden  Kriegsauf  gaben 
in  Anknüpfung  an  die  alte  Kriegsdiktatur  gehabt  hatte,  so  jetzt 
zwar  ohne  andere  offizielle  Zweckangabe,  aber  den  begleitenden 
Umständen  nach  eben  als  Form  der  Alleinregierung  auf  10  Jahre 
mit  Zählung  der  einzelnen  Jahre  im  Titel  und  mit  jährlichem  Wechsel 


wähnen,  vgl.  Cic.  ad  fam.  6,  6,  10  (i.  J.  46):  nunquam  nisi  honorificentissime 
Pompeium  appdltU;  nos  quemadmodwn  est  complexus!  Cassium  tibi  legavit, 
Brutwn  GaUia^  praefeeü,  Sulpicitim  Graecicte,  MarceUum,  cui  maxime  succen- 
sebai,  cum  summa  UHus  dignitate  resHtuit. 

1)  Nach  Pasti  Capit.  z.  varr.  J.  709  (gegenüber  von  Dio  43,  1.  Entrop. 
6,  23  vgl.  Mommsen  c.  i.  1.  1  p.  453)  wurde  Lepidus  mag.  eq.  mit  diesem 
Jahre. 

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der  R^iterobersten.^)  Naheliegend  war  es,  dem  Cäsar  neben 
dem  Sitz  im  Senat  auf  kuruliscliem  Stubl  bei  den  Konsuln  als 
Recht  zu  bewilligen,  dafs  er  stets  zuerst  gefragt  werde*),  während 
darüber  früher  der  Vorsitzende  bestimmte  (1,  886  A.  4).  Aufser- 
(lem,  da  vorauszusehen  war,  dafs  in  der  nächsten  Zeit  in  irgend 
einer  Weise  die  früher  censorischen  Geschäfte  vorgenommen 
werden  müTsteu,  in  den  bisherigen  Vollmachten  aber  nichts 
darüber  enthalten  war,  ebenso  wenig  aber  es  in  seiner  Absieht 
lag,  die  alte  Censur  wieder  ins  Leben  zu  rufen,  so  liefs  er  sich 
die  Befugnisse  derselben  unter  dem  Titel  der  praefedura  morum 
übertragen®);  es  war  damit  eine  ursprünglich  nebensächliche, 
später  besonders  auffallend  gewordene  Seite  jenes  Amts  für  die 
Titulatur  gewählt,  vielleicht  weil  der  weniger  bestimmte  Titel 
für  die  Handhabung  freieren  Spielraum  gewährte.  Indem  er  sich 
diese  Funktion  auf  drei  Jahre  geben  liefs,  hatte  er  wohl  die 
Absicht,  auch  für  ausgedehntere  Reformen,  die  unter  dem  Ge- 
sichtspunkt censorischer  Verwaltungsgeschäfte  sich  ergeben 
konnten,  sich  die  nötige  Zeit  zu  verschaflFen;  was  er  aber  wirk- 
lich auf  diesem  Gebiete  ausführte,  konnte  meist  auch  unter 
andern  Titeln  geschehen  und  war  nicht  sehr  erheblich;  ins- 
besondere wurde  kein  eigentlicher  Census  gehalten,  während  die 
grofse  Reform,  die  Cäsar  in  den  statistischen  Au&ahmen  ein- 
leitete^  teils  auf  Gesetzgebung,  teils  auf  Anordnungen  beruhte, 
welche  mit  ihrer  Tragweite  für  das  Reich -nur  von  der  Diktatur 
selbst  ausgehen  konnten  und  in  dem  Moment,  in  welchem  Cäsar 
die  praefedura  fnortim  sich  geben  liefs,  wohl  noch  gar  nicht  ge- 
plant waren. 

Aber  allerdings  begann  nun  nach  den  letzten  Erfolgen  die 
Zeit  der  Entwürfe  für  Reformen  im  Staat  und  für  die  Befestigung 


1)  Vgl.  folg.  Anm.  Diese  neue  Phase  seiner  Diktatur  begann  aber  erst 
mit  dem  1.  Januar  46.  Er  hiefs  also  dictator  II  von  Herbst  48  bis  Dezem- 
ber 46;  dictator  III  vom  1.  Januar  46  an;  dictator  IV  mit  1.  Januar  44; 
vgl.  Fasti  Gap.  zu  d.  J.  und  Mommsen  c.  i.  1.  1  p.  453  f.  Über  die  Ablösung 
des  dictator  IV  durch  den  dictator  perpetuus  s.  unten. 

2)  Dio  48,  14:  snl  aQxtTiov  düpgov  iistcc  rmv  dsl  vnaxmv  iv  tm  av^s- 
difCco  %(t^CiHv  %al  yvmykfiv  clbI  nqmxov  opKotpalvBC^cti, 

3)  Dio  43,  14:  x&v  xk  xqontov  xmv  hndaxov  Bicicxdxriif  {ovtat  yuQ  n<os 
mvoiiaadri  mcitBQ  ov%  d^ücg  avxov  xi}s  xov  xtiirjxov  nQogffriCBmg  otfmjg)  sg 
tgia  ccvzov  hrj  xol  dinxdxof^a  kg  Öena  IqpeS^ff  itXorco.  Sueton  Caes.  76: 
recepit  praefecturatn  morum.  Cic.  ad  fam.  9,  16,  5  (i.  J.  46):  quam  diu  ?Uc 
mt  nosier  hie  praefectus  moribus. 

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der  Alleinherrschaft.  Cäsar  hatte  jetzt  das  Oefähl  des  definitiv 
errungenen  Sieges:  er  gab  ihm  zunächst  Ausdruck  in  den  glänzen- 
den Triumphen^  in  der  Belohnung  seiner  Soldaten  und  in  den 
Schenkungen  an  das  Volk,  deren  Liberalität  ein  Gegenstück  bot 
zu  den  Ehren^  die  man  ihm  entgegenbrachte  und  hinsichtlich 
deren  er  nur  zu  sehr  die  Initiative  seinen  Anhängern  und,  wie 
schon  in  unsem  Quellen  gesagt  wird,  seinen  geheimen  Gegnern 
überliefs.  Italien  war  jetzt  gesichert,  die  Provinzen,  Illyrien  in- 
begriflfen,  mit  den  erforderlichen  Truppen  versehen  um  die  Auk- 
torität  der  neuen  Regierung  aufrecht  zu  halten,  selbst  in  Spanien 
hoffte  Cäsar  den  dort  sich  sammelnden  Rest  der  Pomppjaner  ver- 
nichten zu  können,  ohne  selbst  gegen  sie  zu  Felde  zu  ziehen.^) 
So  kann  man  von  des  Diktators  eigener  Anschauung  aus  die 
Zeit  von  der  Mitte  des  Jahrs  46  an  als  diejenige  betrachten,  in 
welcher  seine  Herrschaft  den  Charakter  einer  ordentlichen  Regie- 
rung des  Reichs  haben  sollte.') 

5.  Als  Grundlage  hiefür  betrachtete  Cäsar  die  Wiederkehr  pöntik  der 
des  Vertrauens.  Eine  Reihe  von  einzelnen  Akten  wie  Mafsregeln 
allgemeinerer  Natur  zeigten,  dafs  er  nicht  die  Wege  Sullas  gehen 
wolle.  Nach  jedem  seiner  grofsen  Siege,  zuletzt  noch  nach  dem 
bei  Munda,  fürchtete  man,  nun  die  Proskriptionslisten  aushängen 
zu  sehen,  und  stets  folgten  Begnadigungen;^)  wo  in  bestimmten 
Fällen  Cäsar  sie  nicht  glaubte  gewähren  zu  können,  begnügte  er 
sich  mit  Verbannung  und  Konfiskation  des  Vermögens,  die  letz- 
tere auf  die  Schuldigen  selbst  beschränkend  und  die  Angehörigen 
schonend;  ebenso  sollte,  wo  Unfähigkeit  zur  Bekleidung  von 
Ämtern  ausgesprochen  wurde,  dieselbe  nicht  auf  die  Söhne  aus- 
gedehnt werden,*)  die  Begnadigten  aber  wurden  in  immer  gröfserer 
Zahl  von  dem  Sieger  in  politische  oder  militärische  Stelliingen 
eingesetzt.     Selbst  die  Mifsvergnügten,  wie  Cicero,  mausten  zu- 


1)  Dio  48,  88:  %äv  xovxtp  sfidifd-ave  (ihv  navta  %a^'  %%aaxov  &v  o 
Hofinrliog  iv  r^  'ißrufia  inoCst^  ov  fisvtoi  %al  9v9vi%r\tov  avxov  Blvat  voilC- 
tatv  vOTegov  ds   xal  tot  azQazsvfiaxa  ^nsfi>if}sv  mg  xal  dt    stSQmv  dianoXs- 

2)  So  läfst  ihn  auch  gerade  jetzt  Dio  48,  16—18  zu  Senat  und  Volk 
reden. 

3)  Zusammenfassend  Appian  2,  107:  xarexaXft  xal  tovg  tpsvyovTag  6 
KtcutaQ  nlr^v  st  rtg  snl  dvri'Keoxoig  itpvys  nal  totg  ix^'ffoig  diriXldoaBxo,  xal 
tnp  irsxoXcfMjxdTOHf  oi  nollovg  ngofiysv  ad'Qomg  slg  evqolovg  ccQXccg  rj  sg 
t^rav  7i  ^tQataxedcaif  Tiysfioviag, 

4)  Suet  Gas.  41:  admisit  ad  honores  et  proscriptorum  liberos, 

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geben,  dafs  man  mcht  milder  und  versöhnlicher  sein  könne.  Den 
Anhängern  wurde  darum  nichts  entzogen,  vielen  liefs  er  nur  zu 
freien  Spielraum,  und  M.  Antonius  durfte  sich  erlauben,  der  von 
Cäsar  gewollten  Bestellung  seines  persönlichen  Gegners  Dolabella 
zum  Konsul  mit  den  Mitteln  seiner  amtlichen  Stellung  oflFen  ent- 
gegenzutreten. ^) 
Art  und  Gaug  6.  Dcr  Weg,  auf  dem  Cäsar  seine  Reformen  einführte,  war 

cäsars  teils  der  der  Gesetzgebung  mit  einer  Reihe  von  Einzelgesetzen, 
teils  der  des  Edikts')  und  der  Ausnützung  der  ihm  erteilten 
besonderen  Vollmachten,  teils  lagen  sie  in  der  Art  der  Bestellung 
zu  Amtern.  Die  Aufstellung  eines  einheitlichen  umfassenden 
Programms  lag  ihm  ferne;  einheitlich  war  sein  Werk  in  dem 
Begriff  und  Beruf  des  Herrschens.  Damit  war  für  ihn  gegeben, 
dafs  jede  staatliche  Aufgabe,  die  sich  bot,  ergriffen  und  durch- 
geführt werde,  die  Gebiete  aber,  auf  welchen  diese  Aufgaben 
erwuchsen,  waren  durch  die  bisherige  Verfassung,  die  nur  auf 
ihn  zuzurichten  war,  und  die  Zustände,  welche  die  Republik  ge- 
schaffen oder  der  Bürgerkrieg  hervorgerufen,  von  selbst  gegeben, 
und  die  einzelnen  Aufgaben  brachte  Tag  um  Tag,  ihre  Zahl  war 
so  unbegrenzt  wie  die  der  Bedürfnisse  des  römischen  Weltreichs. 
Wie  bisher  in  der  Politik  und  im  Felde  die  glänzendste  Seite 
seines  Genies  die  Beherrschung  des  Augenblicks,  die  Macht  über 
die  kritischen  Momente  gewesen  war,  so  war  es  auch  jetzt  nicht 
der  reiflich  erwogene  und  methodisch  ins  Werk  gesetzte  Plan, 
der  den  Staat  umformte,  es  sind  nicht  einmal  gröfsere  Zusammen- 
hänge sicher  nachweisbar,  sondern  die  allseitige  Bethätigung  des 
Herrschergefühls,  des  Herrscherwillens  und  der  Herrscherkraft 
Darum  ist  auch  die  Frage  der  Zeitfolge  seiner  Anordnungen  von 
untergeordneter  Wichtigkeit:  teils  ergab  sie  sich  von  selbst 
durch  die  regelmäfsige  Beziehung  zu  den  bisherigen  Faktoren  des 
Staatslebens,  teils  hing  sie  ab  von  den  Erfordernissen  und  Wahr- 
nehmungen des  Moments.  In  der  ruhigen  Führung  seiner  Regie- 
rung aber  wurde  er  gegen  seine  Erwartung  unterbrochen  durch 
den  spanischen  Feldzug  gegen  die  Söhne  des  Pompejus.  Nicht 
blofs  wurde  er  genötigt,  die  Führung  des  Kriegs  selbst  in  die 

1)  Gic.  Philipp.  2,  79  ff.    Cicero  freilich  stellt  es  so  dar,  als  ob  Anto- 
niae  im  Einverständnis  mit  Cäsar  gehandelt  hätte. 

2)  Die  Bedeutung  seines  Edikts  hing  zunächst  an  der  Diktatur,  aufser- 
dem   aber  heifst  es  Dio  44,  6:  tä  nQaxdyiis6fisva  avxm  «avxa  xv^ia  l^eif 

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Hand  zu  nehmen,  sondern  er  wurde  auch  viel  länger  hingehalten 
als  er  gemeint  hatte.  Mit  einer  selbst  bei  ihm  noch  angestaunten 
ßaschheit  war  er  gegen  Ende  des  J.  46  nach  Spanien  gegangen, 
überzeugt,  wie  eben  diese  Raschheit  verrät,  dafs  es  ihm  gelingen 
werde,  mit  einigen  Schlägen  die  Feinde  niederzuwerfen;  statt 
dessen  fand  er  einen  Kampf,  so  ge^rlich,  wie  kaum  einer  der 
vorhergehenden  gewesen,  wurde  bis  Ende  Juli  45  in  Spanien 
festgehalten  und  sah  erst  im  Oktober  Rom  wieder.  So  teilt  sich 
denn  die  Zeit,  die  ihm  überhaupt  für  organisatorische  Thätigkeit 
gegeben  war,  in  die  vier  Monate  seines  Aufenthalts  in  Rom  im 
J.  46^)  und  die  Zeit  von  September  45  bis  März  44.  Die  Mehr- 
zahl der  wenigen  ausdrücklich  als  leges  Jüliae  bezeichneten  Ge- 
setze gehört  der  ersten  Periode  an;  allein  es  ist  zufällig,  dafs 
gerade  diese  Gesetze  citiert  werden,  in  beiden  Zeitabschnitten 
mnfs  eine  reichliche  Zahl  von  weiteren  Gesetzen,  sei  es  von  Cäsar 
selbst,  sei  es  auf  seine  Initiative  von  andern  eingebracht  worden 
sein,  und  wie  schon  bemerkt,  sind  wichtige  Mafsregeln  auch  auf 
anderem  Wege  eingeführt  worden. 

7.  Für  den  universellen  und  hohen  Sinn,  mit  welchem  Cäsarx^ienderroform 
die  bestehenden  römischen  Einrichtungen  übersah,  zeugt  nicht 

zum  wenigsten,  dafs  er  die  erste  Zeit,  in  welcher  er  freiere  Hand 
hatte,  benützte,  um  den  Kalender  zu  reformieren.  Den  Mangel 
des  bisherigen  Verfahrens  der  Pontifices  kannte  er  als  Vorstand 
ihres  Kollegiums  aus  erster  Hand,  die  Verpflichtungen,  die  er 
seiner  Zeit  mit  der  Übernahme  dieser  in  rein  politischer  Ab- 
sicht von  ihm  gesuchten  Stellung  übernommen,  löste  er  jetzt 
in  weltgeschichtlichem  Sinne  ein,  und  schon  das  J.  46  bereitete 
die  neue  Ordnung  so  weit  vor,  dafs  mit  dem  1.  Januar  45  der 
reformierte  Kalender  beginnen  konnte  und  von  da  an  Kalender- 
und  Amtsjahr  zusammenfielen.*) 

8.  Unmittelbar  nach  der  Feier  der  Triumphe  vom  J.  46  und8ta*i«««c^'«A.uf 

*■  nnbinon  an  StoHi' 

nach  den  Spenden  an  das  römische  Volk,  welche  dieselbe  beglei-d"«»!*^»^'®"''"'' 

1)  Das  J.  708  d.  St.  als  das  Übergangsjahr  von  dem  alten  znm  neuen 
Kalender  nahm  die  zwei  Schaltmonate  zwischen  November  und  Dezember 
in  feich  auf;  a.  d.  F.  Kai.  Interkalares  priores  ist  Cäsar  noch  in  Rom  (Cic. 
ad  fam.  6,  14,  2),  vor  dem  folgenden  1.  Januar  ist  er  in  Spanien,  vgl. 
bell.  Hisp.  c.  2:  Caesar  dietator  III  designatus  IV  —  in  Hispaniam  c?um 
Ptnisset,  wo  Nipperdey  unrichtig  vor  designatus  einsetzt  consul.  Die  Stelle 
iat  eben  ein  Zeugnis  für  die  Zählung  der  Diktaturen. 

2)  Vgl.  über  Cäaars  Kalenderreform:  Mommsen,  röm.  Chronol.  74-  79, 
276-304.    Matzat,  röm.  Chronol.  1,  74—78. 

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teten,  liefs  Cäsar  in  Rom  eine  Bevolkerungsaufdalime  von  Haus 
zu  Haus  vornehmen,  um  einen  Mafsstab  für  die  Erteilung  des 
Rechts  auf  unentgeltliche  Empfangnahme  monatlicher  Getreide- 
spenden zu  gewinnen.  Infolge  dieser  Zählung  wurde  das  Recht 
solchen  Empfangs,  zu  dem  sich  zuletzt  320000  herangedrängt 
hatten,  auf  die  feste  Zahl  von  150000  beschränkt  und  für  ein 
geordnetes  Anmeldesystem  sowie  regelmäfsigen  Ersatz  der  Ab 
gehenden  gesorgt.^)  Es  wurde  damit  ein  unvermeidlich  gewor- 
denes Institut  wenigstens  finanziell  erträglich  gemacht,  dem 
Mifsbrauch  durch  Nichtbedürftige  gesteuert,  der  Zuzug  der  besitz- 
losen Menge  nach  Rom  beschränkt  und  zugleich  ein  Kontrollamt 
für  die  romische  Volksmenge  gescha£Pen.  Zu  einem  förmlichen 
Census  nach  der  alten  noch  zu  Recht  bestehenden  Art  benützte 
dagegen  Cäsar  sein  Amt  als  praefedus  morum  nicht;  dafs  er  die 
Möglichkeit,  die  Censur  unter  dem  alten  Namen  fungieren  zu 
lassen,  aufrecht  erhielt,  zeigt  sein  Munizipalgesetz,  ebenso  ist 
aber  daraus  auch  zu  ersehen,  dafs  er  den  Census  nicht  mit  der 
alten  Zentralisation,  nach  welcher  alle  Bürger  nach  Rom  vor- 
geladen wurden,  sondern  in  der  Hauptstadt  und  den  einzelnen 
Landstädten  besonders  halten  lassen  und  nur  die  Ergebnisse  in 
Rom  sammeln  wollte.*)   Die  Geschichte  der  letzten  Census  versuche 


1)  Liv.  epit.  116:  Eecensum  egü  quo  censa  sunt  civium  capita  quinqua- 
ginta  milia.  Dio  43,  21.  Suet.  Caes.  41:  recensum  populi  nee  more  nee  loco 
solito,  sed  vieatim  per  dominos  insularum  egit  atque  ex  viginti  treeentis^ 
mülihus  aceipientium  frumenium  e  publieo  ad  eentum  quinqwiginta  retraxit, 

'ac  ne  qui  novi  coetus  recensionis  caussa  moveri  quandoque  possent,  instituity 
quotannis  in  demortuorum  locum  ex  iis,  qui  reeensi  non  essent,  subsortitio  a 
praetore  fieret,  Dafs  diejenigen  Quellen,  welche,  wie  Appian  2,  102,  in 
dieser  für  einen  bestimmten  Zweck  vorgenommenen  Teilaufnahme  einen 
ordentlichen  Census  sehen,  durch  Augusts  Angabe  (monum.  Ancyr.  p.  lat. 
12,  2—5),  der  von  ihm  im  J.  29  gehaltene  Census  sei  der  erste  nach  dem 
von  70/69  (ob.  1,  634)  gewesen,  widerlegt  werde,  ist  allgemein  anerkannt. 
—  Man  kann  diesen  recensus  an  das  Amt  des  praef,  morum  anknüpfen,  aber 
notwendig  ist  es  nicht.  —  Bestimmungen  über  die  Anmeldung  zum  Ge- 
treideempfang giebt  die  tab.  Heracl.  (corp.  inscr.  lat.  1  n.  206)  Z.  1  ff. 

2)  Tab.  HeracL  Z.  143 f.:  Quei  in  eis  munieipieis  —  maximum  ma- 
g(istratum)  hdbebit  tum  eum  censor  aliusve  quis  magiistratus)  Romas  populi 
eensum  aget,  in  diebus  LX  proxumeis^  quibus  seiet  Romae  eensum  populi 
<^9iy  —  eensum  agito  etc.  Aus  Dio  43,  25  {}n^i9ri  rs  dcivrj  oXtyavd-goivüt 
9ta  to  Toov  ccnoXtoXoxcav  nX^d'OSy  ag  ^x  ts  rmv  anoyqottpmv  (xal  yuq  iuB^väg 
tä  zs  uXXa  mansQ  rif  rtfujr^g  inoiriaev)  xal  ^x  xrjg  S^stog  avzqg  ^If'yZ*^^» 
^p  — )  schliefst  Lange  3,  440,  Cüsar  habe  einen  allgemeinen  Census  begonnen; 
allein  nicht  nur  weist  der  Ausdruck  Dios  auf  Teilaufnahmen  hin,  wie  jener 


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-     15     - 

mufste  dies  als  notwendig  erscheinen  lassen,  es  mindert  dies  aber 
nichts  an  dem  Verdienste  Cäsars,  sofort  während  der  ersten 
Ruhezeit  die  Grundlagen  dazu  gelegt  zu  haben,  auf  denen  sich 
eine  Statistik  zunächst  Italiens  aufbauen  konnte.  Dafs  er  aufser- 
dem  den  grofsen  Plan  einer  Vermessung  des  ganzen  Reichs 
hatte,  mit  der  weitere  statistische  Aufiiahmen  verbunden  gedacht 
werden  können,  wird  in  Quellen  späterer  Zeit  angegeben  und  der 
Anfang  der  Ausfährung  ins  J.  44  gesetzt.^)  Obgleich  nach  der 
Beruhigung  der  Provinzen  und  in  Verbindung  mit  den  die  Grund- 
lage der  Vermessung  bildenden  Strafsenanlagen  unter  Augustus 
eine  solche  Arbeit  leichter  begreiflich  ist,  so  ist  es  doch  nicht 
undenkbar,  dafs  der  Geist,  der  die  Ealenderreform  durchführte, 
auch  den  Plan  zu  einer  solchen  Arbeit  fafste  und  geeignete 
Kräfte  dafür  suchte. 

9.  Mit  dem  republikanischen  Census  war  stets  eine  Gliederung  Ausbreittmg  de« 
der    Bürtrerffemeinde   nach   Vermögens-   und   Bürirerrechtsstufen  and    der    i.a- 
verbunden   gewesen;    selbst   m    denjenigen    Zeiten,    m    welchen    Provinzen. 
Bürgerrechtserteilung    von    grofserem    Belange    nicht     vorkam 
und    keine   neue  Tribus   mehr   gemacht  wurde,   hatte  doch  die 
blofse  Übersicht  über  den  vorhandenen  Bestand  zu  Mafsregeln 
geführt,  welche  die  Rechtsstufe  ganzer  Klassen  betrafen,  und  die 
Censuren,  welche  auf  die  Gesetze  über  die  Aufnahme  der  Italiker 
ins  Bürgerrecht  gefolgt  waren,  hatten  mit  wichtigen  Fragen  über 
die  Anwendung  dieser  Gesetze  und  die  Einteilung  der  Neubürger 
zu    thun  gehabt.     So   hätte   auch  jetzt  schon  von  den  früheren 
Gesichtspunkten  aus  keine  Censur  gehalten  werden  können,  ohne 
dafs   vorher   die  Frage   einer  Vermehrung    der   Bürgergemeinde 
zur  Sprache    gekommen  wäre,  ja,  schon  der  Vorgang  der  Er- 

reccnsus  der  Getreideempfänger,  sondero  ea  könnte  nach  Cäears  Dispoeitionen 
für  den  Partherkrieg  gar  keine  Zeit  für  die  Vornahme  einer  Censur  heraus- 
gefunden werden. 

1)  Aethicus  cosmogr. :  Jülitis  Gciesa^^  bisaextüts  raUonis  inventar  divtnis 
humanisque  rebus  stngidariter  instructus  cum  consulatus  sui  fasces  erigeret, 
ex  8.  c.  censuit  omnem  orbem  tarn  Romani  nominis  admetiri  per  prüden- 
tissimos  viros  et  omni  phtlo8ophi<ie  munere  decoratos;  ergo  a  Julio  Gaesare 
et  M.  Antonio  coss.  orbis  terrarum  metiri  coepit.  Vgl.  Bitschi,  die  Ver- 
messung des  röm.  Reichs  in  Rhein.  Mus.  1,  481 — 623;  den  Text  der  angef. 
St.  S.  486.  —  Die  Richtigkeit  dieser  Notiz  yon  der  Reichsvermessung, 
speziell  die  Anknüpfung  an  Cäsar  bestreitet  mit  Berufung  darauf,  dafs 
weder  Strabo  noch  Plinius  noch  irgend  andere  Zeugen  des  Altertums, 
sondern  erst  Quellen  aus  dem  6.  oder  6.  Jahrh.  davon  wissen,  MüUenhofi' 
in  Hermes  9,  188  f. 


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~     16     — 

teilang  des  Bürgerrechts  an  die  Transpadaner  i.  J.  49  inufste 
dazu  fuhren.  Allein  Cäsar  fafste  die  einschlägigen  Probleme 
nun  nicht  mehr  blofs  von  dem  alten  Standpunkt  der  auf  Italien 
beschränkten  Bürgerschaft  auf,  sondern  von  dem  Standpunkt  des 
Reichs.  Von  hier  aus  mufste  vor  Allem  die  schroffe  Trennung 
zwischen  Italien  und  den  Provinzen  aufgegeben,  das  Bürgerrecht 
auch  in  die  Jetzteren  getragen  und  damit  selbst  bei  mäfsiger 
Anwendung  dieses  Prinzips  die  ganze  Stellung  der  Provinzen 
verbessert  werden.  Die  Verbreitung  des  Bürgerrechts  nun  ge- 
schah teils  durch  Ansiedlung  der  Veteranen,  teils  durch  Ab- 
führung der  städtischen  Bevölkerung,  ohne  dafs  wir  genau  an- 
geben könnten,  wie  diese  Elemente  verteilt  wurden.  Die  wichtigsten 
Bürgerkolonien  aufser  Narbo,  der  alten  Kolonie  (1  S.  477 
A.  2),  welche  nur  Verstärkung  brauchte,  waren  Bäterrä,  (Beziers), 
Arelate  (Arles),  Arausio  (Orange)  und  Forum  Julii  (Frejus)  im 
narbonensischen  Gallien,  Noviodunum  (Nyon)  bei  den  Helvetiern, 
Urso  oder  Julia  Genetiva  (Osuna)  im  südwestlichen  Spanien, 
aufserdem,  was  die  Quellen  besonders  hervorheben  und  was 
offenbar  tiefen  Eindruck  machte,  Karthago  und  Korinth,  end- 
lich als  östlichste  Sinope  am  schwarzen  Meer.^)  Land  zu  der- 
artiger Kolonisation  hatte  man  durch  die  Eroberung  von  Massalia, 
die  Unterwerfung  der  Helvetier,  die  spanischen  Siege  zur  Ver- 
fügung, und  in  jenen  beiden  alten  Kulturstätten  war  nur  das 
von  C.  Gracchus  schon  Gewollte  zu  vervollständigen  oder  zu  er- 
neuem.     Daneben    wurde    die    Vorstufe    des   Bürgerrechts,    die 

1)  Über  die  Kolonien  im  narbonensischen  Qallien  vgl.  meine  Gallia 
Narbon.  p.  81  ff.;  hinsichtlich  des  cäsarischen  Ursprungs  von  Noviodunum 
ist  der  Schlufs  aus  dem  Namen  colonia  Julia  (Mommsen,  inscript.  confoedc- 
rationis  Helvet.  p.  18)  auf  den  Diktator  nicht  sicher,  aber  in  Verbindung  mit 
allgemeinen  Ei-wägungen,  wahrscheinlich.  Das  spanische  Urso  oder  die  colonia 
Genetiva  j  deren  Stadtrecht  im  J.  1870/71  gefunden  wurde  (vgl.  ephem. 
epigr.  2,  105  ff.;  3,  87  ff.),  heifst  ebenfalls  Julia  und  zugleich  wird  sie  c.  106 
bezeichnet  als  iussu  C.  Caesaris  dict{atoris)  deducta;  die  Ausfuhrung  fällt 
allerdings  erst  nach  Cäsars  Tode,  denn  es  heifst  c.  104 :  gut  iussu  C.  Caesaris 
dict{atoris)  impieratoris)  et  lege  Antonia  senat{iM)que  c{onsuUo)  pl{ebi)qu€ 
8c(ito)  ager  datus  atsignatus  erit.  Die  Norm  für  die  Art  der  Acker  Verteilung 
war  dabei  wohl  die  l.  Julia  agraria  aus  Cäsars  erstem  Konsulat  (1,  551), 
vgl.  c.  97:  cui  colonis  agrorum  dandorutn  atsignandorum  ius  ex  lege  Julia 
est  und  eph.  epigr.  2,  120.  Über  Korinth  und  Karthago  Dio  43,  60.  Strabo 
8  p.  381.  17  p.  833.  Plut.  Cäs.  67;  über  Sinope  Strabo  12  p.  646.  Plin.  2,  6. 
corp.  inscr.  lat.  3  n.  239:  c{olonia)  J{ülia)  F{elix);  derselbe  Titel  auf 
Münzen  Eckhel  doctr.  num.  2  p.  380. 


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-     17     — 

Latinitat  in  noch  bedeutenderem  Mafse  in  die  Italien  nächst  ge- 
legenen Provinzen  Sicilien  und  das  narbonensische  Gallien  ge- 
tragen,  so  dafs  letzteres  jetzt  dieselbe  Rolle  spielte,  wie  vorher 
das  transpadanische  (1,571)^),  und  in  Spanien  wurde  die  bisher 
selbständige  einheimische  Gemeinde  Gades  zu  einem  Municipium 
romischer  Bürger  gemacht,*)  So  bestand  nun  von  den  Pyrenäen 
über  Südgallien ;  nach  Italien  und  Sicilien  hin  ein  geschlossenes 
lateinisches  Eulturgebiet  gleichartiger  Stadteverfassung,  eine  feste 
Grundlage  für  die  einer  nahen  Zukunft  vorbehaltene  Latinisierung 
Spaniens  und  des  neugewonnenen  Gallien.')  Sueton  berichtet, 
es  seien  durch  jene  Kolonisationen  80000  Bürger  in  die  über- 
seeischen Lander  geführt  worden ,  so  dafs  Veranlassung  war, 
durch  Beschränkung  der  Freizügigkeit  und  die  Bestimmung,  dafs 
die  grofsen  Viehzüchter  mindestens  ein  Drittel  freier  Arbeiter 
beschäftigen  müfsten,  für  genügende  Bevölkerung  Italiens  und 
gegen  den  Ersatz  der  Abgezogenen  durch  Sklaven  Vorsorge  zu 
trefiFen.*)  Übrigens  wurden  auch  in  Italien  selbst  viele  Veteranen  mit 
Assignationen  bedacht,  nur  liefs  sie  Cäsar  hier  nicht  in  der  Form 
von  geschlossenen  Kolonien  sich  ansiedeln,  um  nicht  Landkonfis- 
kationen vorzunehmen,  sondern  er  bedachte  sie  mit  Assignationen 
aus  vorhandenem  oder  ohne  Beschädigung  Dritter  zu  erlangen- 
dem Staatsgut.*)     Teils   diese  Art   der  Verteilung,  teils  die  Er- 


1)  Cic.  ad  Att.  14,  12,  1:  Multa  SictUis  Caesar,  neque  me  invito,  etsi 
LaÜnitas  erat  non  ferenda;  so  hätte  sich  Cicero  nicht  ausgedrfickt ,  wenn 
nicht  die  Latinitat  mindestens  einer  gröfseren  Anzahl  von  Gemeinden  znmal 
erteilt  worden  wäre;  über  die  latinischen  Kolonien  im  narbonens.  Gallien 
Mommsen  r.  G.  8,  658  f.,  meine  GaUia  Narbon.  p.  83  £P. 

2)  Dio  41,  24  2.  J.  49 :  xoCg  FadeiQBvai  noXitfücv  anccaiv  iSoanev^  rjv  xal 
6  S^iios  atpiaiv  vate^ov  insnvQtoasv.  Plin.  nat.  hist.  4,  119:  oppidum  civium 
Born,  gu*  appdlafUur  Äugustani  urhe  Julia  Gaditana,  Oolum.  8,  16:  in 
nostro  Gadium  municipio. 

8)  Vgl.  Ranke,  Weltgesch.  2,  2  S.  318:  „Cäsar  kann  als  der  vor- 
nehmste Begründer  der  romanischen  Welt  betrachtet  werden.  Auf  dem 
Gmnde,  den  er  legte,  hat  sie  sich  erhoben  nnd  die  Jahrhunderte  über- 
dauert." 

^4)  Suet.  Caes.  42:  oetoginta  civium  müibus  in  transmarinas  colonias  distn- 
hutia,  ut  exhauBtae  quoque  urbis  frequentia  suppeteret,  samcit,  ne  quis  civis 
maior  annis  viginti  minorve  quadraginta,  qui  sacramenio  non  teneretur,  plus 
triennto  continuo  Itälia  abesset,  neu  qui  senatoris  füius  nisi  contubernalis 
aut  comes  magistratus  peregre  proficisceretur,  neve  ii  gut  pecuanam  facerent, 
minus  tertia  parte  piiberum  inter  pastores  haherent. 

6)  Ebendas.  c.  38 :  Veteranis  legionibus  —  adsignavit  et  agros,  sed  non 

Herzog,  d.  röm.  Staatirerf.  H.,   1.  t^gi^i^^^  byGoOglC 


—     18     — 

eignisse  der  unmittelbar  folgenden  Zeit  waren  schuld,  dafs  die 
Wirkungen  dieser  italischen  Ansiedlungen  sich  wenig  bemerkbar 
machten;  in  den  Provinzen  aber  haben  die  Schöpfungen  Gäsard 
sich  bald  aufs  schönste  in  ihrem  Zusammenhang  geltend  ge> 
macht.  Durch  die  allgemeine  Ausdehnung  des  Bürgerrechts  bis 
zu  den  Alpen  wurde  die  Grenze  zwischen  Italien  und  dem  cisal- 
pinischen  Gallien  haltlos,  und  nur  militärische  Gründe  konnten 
Veranlassung  geben,  in  letzterem  Gebiet  einen  besonderen 
Eommandoposten  aufrecht  zu  erhalten;  so  blieb  dort  f&r  jetzt 
der  Provinzialcharakter,  aber  da  Illyricum,  welches  eben  noch 
unter  der  Statthalterschaft  Cäsars  selbst  damit  verbunden  ge- 
wesen war,  jetzt  abgelöst  wurde  ^),  war  die  zukünftige  Verbindung 
des  Polandes  mit  Italien  noch  näher  gelegt. 
Dm  siwnixipai-  10.    Für  Italien   selbst   aber   wurde   nun   aus   der   völligen 

Italien.  Rechtsgleichheit  der  Einwohner  auch  die  Eonsequenz  gezogen, 
dafs  die  noch  vorhandenen  Ungleichheiten  in  der  Verfassung  der 
einzelnen  Gemeinden  durch  ein  einheitliches  Gemeindegesetz,  das 
zwar  nicht  blofs  für  die  Bürgergemeinden  Italiens,  sondern  auch 
für  die  der  Provinzen  berechnet  war,  aber  doch  für  Italien  in 
erster  Linie  und  für  alle  italischen  Landstädte  galt,  in  allen  wesent- 
lichen Dingen  aufgehoben  wurden  und  nur  in  der  Titulatur  der 
Gemeinden  als  Munizipien,  Kolonien,  Präfekturen  und  der  Gemeinde- 
beamten als  Quattuorvim,  Duumvim  u.  a.,  Unterschiede  blieben, 
welche  zugleich  einen  Rangunterschied  bezeichneten.  Durch  dieses 
julische  Munizipalgesetz  ^)  wurde  den  Gemeinden  die  Wahl  ihrer 
\  Lokalobrigkeiten  und   eine  ziemlich  weitgehende  Kompetenz  der 

Gemeindeversammlung  gewährleistet,  den  Magistraten  aber,  für 
deren  Wahl  aus  den  besseren  Bevölkerungsklassen  gesorgt  war, 
ebenfalls  eine  nicht  unbedeutende  Jurisdiktion  und  Verwaltuugs- 
kompetenz  gelassen;  auch  stand  ihnen,  wie  den  republikanischen 
Censoren  in  Rom,  die  Aufstellung  der  Liste  des  Gemeinderats  nach 
den  in  diesem  Gesetz  gegebenen  Normen  zu.  Der  Gemeinderat 
selbst  {ordo  decurionum)  blieb  ein  wichtiges  Glied  der  städtischen 


contf'nuos,  ne  quis  posseasarum  expeUeretw.  Dio  42,  54:  %mQav  i%  xs  t^$ 
drjfioa^S  '»^ccl  Ix  tijg  iavvov  drj  naai  otpiaiv  ^vBifiev^  aXXavg  äXXjj  %al  naw 
noQqto  an    uXXriXayif  dnaqxriaag, 

1)  In  dieser  Zeit  war  Vatinius  Statthalter  von   Illyrikam.     Cic.  Phi- 
lipp. 10,  11. 

2)  tab.    Heracl.    Z.    88  if.    8.   ob.    S.   2    A.     DaCi    dieses    Gesetz   auf 
Italien  beschränkt  war,  steht  in  dem  erhaltenen  Teil  nicht. 


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—     19     -     . 

Verwaltung.  Wir  sehen^  dafs  dieses  Gesetz  zu  Anfang  des  J.  45 
während  Cäsars  Aufenthalt  in  Spanien  in  Vorbereitung  war.*) 
Die  Erfahrungen^  die  man  mit  den  Wirkungen  des  transpadanischen 
Gemeindegesetzes  v.  J.  49  machte,  konnten  hier  verwertet  werden, 
anfserdem  hatte  man  Veranlassung,  zur  Herstellung  der  Gesetze, 
die  man  den  neugeschaffenen  Kolonien  von  Bürgern  und  von 
Latinem  mitgeben  mufste,  sich  mit  den  Fragen  der  Gemeinde- 
verfassung zu  beschäftigen.  In  dem  Munizipal gesetz  ist,  wie 
schon  bemerkt,  für  die  Gemeinden  Italiens  speziell  Rücksicht 
genommen  auf  die  regelmäfsige  Wiederkehr  des  Census  und  seine 
Vornahme  den  Ortsmagistraten  auferlegt. 

11.   unter  den  neuen  Verhältnissen  konnte  die  Einteiluntr  verh&itnii  «um 

j        — j  röm.  VoDc. 

der  Bürgerbevolkerung  nach  den  alten  Vermögensklassen  keinen 
Wert  mehr  haben,  für  keinen  der  Zwecke,  für  welche  sie  ge- 
schaffen war,  hatte  sie  jetzt  noch  Nutzen,  und  es  ist  wohl  anzu- 
nehmen, dafs  Cäsar,  wenn  er  dazu  gekommen  wäre,  einen  Census 
vorzunehmen,  auch  in  dieser  Beziehung  reformiert  hätte.*)  Vor- 
läufig waren  für  die  Wahlkomitien  der  Centurien  die  Klassen 
formell  noch  notwendig,  allein  da  schon  längst  kein  Census  mehr 
zu  stände  gekommen  war,  konnten  sie  nur  zum  Schein  angewandt 
werden;  es  handelte  sich  ja  aber  bei  jenen  Komitien  überhaupt 
nur  um  Aufrechthaltung  eines  Scheines,  und  bei  allen  Volks- 
versammlungen um  einen  Zusammenlauf  von  Bevölkerungsteilen, 
den  man  jederzeit  in  der  für  die  augenblicklichen  Bedürfnisse 
gewünschten  Zusammensetzung  haben  konnte,  ohne  über  die 
hauptstädtische  Bevölkerung  hinauszugehen.    Somit  repräsentierte 


1)  Cicero  schreibt  im  J.  45  (ad  fam.  6,  18,  1):  Statim  quaeaivi  e 
Balbo  per  codicillos,  quid  esset  in  lege;  gemeint  ist  das  Mnnizipalgesetz. 
liange  8,  440  schliefst  aus  dem  Ausdruck  lege,  dafs  das  Gesetz  damals 
schon  perfekt  gewesen  sein  müsse,  da  es  nicht  rogatione  heifse,  es 
sei  also  schon  im  J.  46  gegeben  worden.  Allein  über  den  hihalt  eines 
fertigen  Gesetzes  hatte  Cicero  nicht  nötig,  sich  nengierig  an  einen  Ver- 
trauten und  Bevollmächtigten  Ctlsars  zu  wenden,  vielmehr  that  er  dies,  weil 
es  sich  eben  noch  um  einen  Entwurf  handelte;  so  gut  man  aber  sagen  kann: 
^  promüigatur,  kann  man  auch  einen  Entwurf  lex  nennen.  Dieser  wurde 
gefertigt  während  Cäsars  Abwesenheit,  nach  seiner  Zurückkunft  von  ihm 
selbst  eingebracht. 

2)  Man  könnte  vermuten,  dafs  die  Nichtverwertnng  der  iribtmi  cierarii 
bei  den  Geschworenengerichten  damit  zusammenhing,  dafs  diese  Klasse  von 
Bürgern,  die  bei  dem  alten  Census  beschäftigt  gewesen  war,  überhaupt 
wegfallen  sollte. 

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-     20     - 

di'ese  das  Volk  in  politischem  Sinn,  und  von  diesem  Gesichts- 
punkt aus  freilich  war  es  ganz  unmöglich,  ihr  irgend  einen 
wirklichen  Einfluls  innerhalb  der  verfassungsmäfsig  bestehenden 
Rechte  zu  lassen.  Dagegen  war  es  um  so  notwendiger,  sie  in 
den  freieren  und  schwerer  zugänglichen  Aufserungen  ihrer  Zu- 
oder  Abneigung,  die  bei  den  Kontionen,  bei  Festlichkeiten  oder 
bei  dem  öffentlichen  Erscheinen  Cäsars  sich  kundgaben,  zu  dis- 
ziplinieren; denn  Cäsar  übersah  keineswegs  das  Moment,  welches 
Popularität  in  Rom  für  ihn  hatte.  Zunächst  konnte  er  freilich 
nach  Allem,  was  er  für  die  hauptstädtische  Menge  gethan,  trotz 
der  Verminderung  der  Getreidespenden  auf  Sympathien  rechnen, 
allein  diese  Stimmung  war  doch  nicht  sicher  festzuhalten,  und 
es  bedurfte  jedenfalls  verschiedener  Vorsichtsmafsregeln,  um 
Überraschungen  fem  zu  halten.  Das  erste  Mittel  nun  war  zu 
finden  in  der  Disziplinierung  der  Beamten,  welche  das  Recht  za 
Kontionen  hatten,  der  Magistrate  wie  der  Volkstribunen,  und 
dazu  hatte  der  Inhaber  der  Diktatur  und  der  tribunicischen  Gewalt 
die  Macht  in  der  Hand.  AuJGserdem  aber  war  es  nützlich,  jenen 
Mifsbrauch  des  Assoziationswesens,  der  sich  von  den  Wahlen 
her  auf  sonstige  Gelegenheit  zu  politischer  Agitation  übertragen 
hatte,  zu  beseitigen  und  von  den  sog.  Kollegien  nur  einige  auf 
bestimmte  unpolitische  und  leicht  zu  überwachende  Zwecke  ge- 
richtete zu  belassen.  Es  geschah  dies  durch  die  im  J.  46  ein- 
gebrachte lex  de  collegiis.  *)  Nach  dem  früher  (1,  554)  Bemerkten 
wurde  durch  diese  polizeiliche  Kontrolle  des  Vereins wesens  nur 
ein  Grundsatz  aufrecht  erhalten,  welcher  in  Rom  von  Anfang  an 
gegolten  hatte  und  nur  durch  ein  Gesetz  des  Tribuns  P.  Clodius 
(1,  1058  f.)  vorübergehend  bei  Seite  gesetzt  worden  war.  Dann  aber 
wurde  natürlich  von  den  Anhängern  in  positiver  Weise  Stimmung 
gemacht,  vor  Allem,  freilich  gerade  hier  mit  zweifelhaftem  Erfolge, 
für  eine  formliche  Proklamierung  des  Diktators  zum  Regenten. 
Neben  dem  hauptstädtischen  Pöbel  stand  nun  aber  auch  noch 
der  ganze  grofse  Mittelstand  in  den  italischen  Landstädten,  von 
dessen  Sympathien  die  Anhänglichkeit  Italiens  abhing.  Man 
darf  auch  glauben,  dafe  die  Vermeidung  der  Eigentumsentziehungen, 
die  versöhnliche  Behandlung  der  in  vielen  Landstädten  vertretenen 


1)  Säet.  Caes.  42:  cuncta  coUegia  praeter  antiquüus  consHtwta  distraxit 
Dafs  unter  den  AuBnahmen  davon  auch  die  Jadengemeinde  sich  befand, 
sagt  Josephus  antiq.  14,  17. 


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~     21     — 

Pompejaner  und  die  Projekte  Cäsars  für  groüse  Arbeiten  in  Italien 
aach  aofserhalb  Roms  (s.  unten)  auf  jene  Anhänglichkeit  be- 
rechnet waren.  Die  Vorschrift  femer,  welche  mehrjährigen 
Kriegsdienst  zur  Vorbedingung  der  Bewerbung  um  ein  Gemeinde- 
amt machte  ^),  mufste  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  des  Kriegs- 
dienstes Männer,  die  dem  Kriegsherrn  ergeben  waren,  in  diese 
Stellungen  bringen,  und  aufserdem  konnten  schon  jetzt  die  überall 
verteilten  Veteranen  als  eine  Garantie  für  die  Treue  ihrer  Um- 
gebung gelten.  —  Der  Absicht,  die  unteren  Klassen  der  stadt- 
romischen  Bevölkerung  durch  das  Vereinsgesetz  polizeilich  schärfer 
zu  überwachen,  kann  man  als  eine  Mafsregel  der  Sittenpolizei, 
welche  gegen  die  oberen  Stände  gerichtet  war,  das  Aufwands- 
gesetz  vom  J.  46  zur  Seite  stellen.^)  Die  Erfahrungen  mit  den 
bisherigen  Gesetzen  dieser  Art  lieüsen  nicht  viel  Erfolg  von 
diesem  neuen  erwarten;  indessen  ist  speziell  bezeugt,  dafs  es 
Cäsar  ernst  damit  war,  wohl  deshalb,  weil  das  Übel,  das  er 
damit  bekämpfen  wollte,  so  grofs  erschien,  dafs  jede  auch  nur 
äufserliche  und  scheinbare  Mafshaltung  der  öffentlichen  Meinung 
gegenüber  Wert  hatte. 

12.*  Es  versteht  sich,  dals  neben  der  Vermehrung  der  Bürger-  Bürgerrechts 
Schaft  durch  Begabung  ganzer  Städte  mit  der  Civität  noch  zahl- ^einzei^^d  ° 
reiche  Einzelaufnahmen  stattfanden,  sei  es  an  verdiente  Soldaten  den  NaUonau 
aus  den  Provinzen   oder  an  sonstige  Provinzialen,  die  Anspruch 
an   Cäsars  Dankbarkeit   hatten,   und  es  war  dies  ein  Zuwachs, 
der    mindestens    nicht  schlimmer   war,    als   der   aus   den    Frei- 
lassungen fliefsende.    Der  Natur  der  Sache  nach  werden  es  vor- 
zugsweise Occidentalen,  Gallier  und  Spanier,  gewesen  sein,  welche 
auf  diese  Weise  herangezogen  wurden'),  und  dies  wie  die  Art 
der  Städtegründungen  läfst  schon  jetzt  erkennen,  dafs  von  den 
zwei  grolsen  Gmppen  von  Provinzialen,  der  hellenischen  im  Osten 
und  der  barbarischen  im  Westen  und   Norden  die  letztere  zur 
allmählichen  Assimilierung  bestimmt  war,  während  die  ostliche 
mit  ihrer  eigentümlichen  Kultur  Ihre  Sonderstellung  behielt.     Es 

1)  tab.  Heracl.  Z.  90  f.  100  f. 

2)  Säet.  Caes.  43:  LecHcarum  usutn  —  ctdemH^  legem  praecipue  sump- 
Utariam  exereuit^  disposUta  circa  maceUum  cuatodibw  etc.  Der  erste  Satz 
zeigt,  dafs  Cäsar  nicht  etwa  ältere  Gesetze  wahrte,  sondern  ein  neaes  auf- 
stellte.   Dio  43,  25. 

3)  Cic.  ad  farn.  9,  16,  2:  cum  cm  videam  primttm  obliUis  Lotio  tum, 
cum  in  urbem  nostram  est  infusa  peregrinitas ,  nunc  vero  etiam  braccatis  et 
trfmsaipmis  nationibus  etc. 

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~     22     - 

ist  anzunehmen^  dafs  gerade  für  die  dem  Osten  bestimmten 
Kolonien  die  Auswahl  in  Rom  unter  den  Freigelassenen,  d.  h. 
grofsenteils  Leuten  hellenistischer  Nationalität  stattfand.  ^)  Afrika 
dagegen  war  geteilter  Natur:  die  phönikische  und  libysche  Be- 
völkerung war  aus  ihren  nationalen  Verhältnissen  schwer  heraus- 
zubringen,  dagegen  waren  durch  den  lebhaften  Verkehr  mit 
Italien  fremde  Elemente  genug  vorhanden,  um  allmählich 
eine  Anzahl  lateinischer  Städte  über  die  Provinz  auszubreiten. 
Dem  Austausch  der  Kulturverhältnisse  aber  im  ganzen  Reich 
zwischen  Osten  und  Westen,  d.  h.  der  Nutzbarmachung  griechischer 
Bildung  und  Kunstfertigkeit  für  das  Abendland*)  waren  durch 
den  nunmehr  schärfer  gefafsten  Begriff  der  Reichseinheit  die 
Wege  viel  mehr  als  bisher  geebnet,  auch  ohne  die  abenteuer- 
lichen Pläne,  die  mau  an  das  Verhältnis  Cäsars  zu  Kieopatra 
knüpfte. 
Finanz-  13.    Nach  dcr  systematischen  Vernichtung  des  Wohlstands, 

öffontiioiie  wclchc  die  letzte  Zeit  der  republikanischen  Verwaltung  in  Italien 
und  den  Provinzen  verschuldet  hatte,  und  nach  den  Schäden  des 
Bürgerkrieges  galt  es,  nicht  blofs  mittelbar  und  vereinzelt  durch 
Erteilung  von  Privilegien  für  bessere  Zeiten  zu  sorgen,*  sondern 
auch  direkte  darauf  zielende  Verwaltungsmafsregeln  zu  treffen, 
soweit  es  das  Interesse  der  Reichsfinanzen  erlaubte.  Wie  Cäsar 
letzteres  im  Auge  hatte,  zeigt  die  Notiz,  dafs  nach  seinem  Tode 
700  Mill.  Sest  im  Staatsschatz  sich  fanden ^)^  und  er  scheute 
sich  zu  diesem  Zweck  selbst  nicht,  die  der  Hauptstadt  wie  ganz 
Italien  empfindlichen  Einfuhrzölle  auf  fremde  Waaren,  die  im 
J.  60  abgeschafft  worden  waren,  wieder  einzuführen^);  aber  er 


1)  Von  Eorinth  eagt  Strabo  8  p.  381:  7/  KÖQiitd'os  dvelrupdri  ndliv 
vnb  KccCaticQOS  xov  d'tov  —  inoi%ovs  nifHAffavtos  tov  dnsXsvd'€Qi%ov  yivovg 
nXcüttovg^  von  Karthago  17  p.  833:  ivslrifpd^  ndXiv  vno  Ka^naQog  tov  ^sav 
nifiipccvzog  ino£%ovg  ^Pmfiaioov  zovg  nQOcciifOVfifvovg  nal  xmv  ox(fati<oxmv 
tivag.  Die  Kolonie  Urso  heifst  bei  Tlinius  u.  h.  3,  12  Gen[€ttvä]  urbanorum^ 
ist  also  ebenfalls  aus  der  hauptstadtischen  Bevölkerung  besetzt  worden; 
aus  dieser  konnte  man  die  Nationalität  entsprechend  auswählen. 

2)  Dahin  gehört  auch  Sneton  Cäs.  42:  omnis  medicinam  Bomac  pro- 
fessos  et  Uheralium  artium  doctores,  quo  libetUius  et  ipsi  urbem  incolerent  et 
ceteri  adpeterent^  civitcUe  donavit. 

3)  Cic.  Philipp.  5,  11:  sestertium  septiens  mülicns. 

4)  Suet.  Caes.  48:  peregrinarum  mercium  portoria  tnstituit;  über  die 
Aufhebung  i.  J.  60,  welche  sehr  populär  gewesen  war,  (6  fihv  voftog  6 
nataXvüug  avxd  naoi'V  aQsaxog  iyivszo)  Dio  37,  51. 


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-     23     — 

nahm  sich  auch  der  Provinz  Asien  an,  welche  C.  Gracchus  durch 
Einfiihrung  des  Zehuten  au  Stelle  der  durch  die  Gemeindehehörden 
aufzubringenden  festen  Steuern  den  Publikanen  in  die  Hände 
geliefert  (ob.  1,  468),  und  führte  neben  einem  Steuererlafs  wieder 
die  ohne  jene  Vermittelung  zu  erhebende  Grundsteuer,  das  Stipen- 
dium ein^);  ebenso  war  es  nicht  im  Interesse  der  Ausbeutung, 
der  Provinz  Sicilien  die  Latinitat  zu  geben;  denn  mit  dieser 
wurde  dieselbe  stipendiär  statt  zehntpflichtig,  und  in  ähnlicher 
Weise  gewann  auch  das  narbonensische  Gallien.  Eine  grofse 
und  lohnende  Aufgabe  lag  vor  in  den  neueroberten  gallischen 
Provinzen;  die  Angaben  von  der  Bedeutung  der  gallischen  Beute 
lassen  erkennen,  dafs  das  Kriegsrecht  stark  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde ^),  aber  was  wir  später  von  ihnen  wissen,  läfst 
schliefsen,  dafs  sie  bleibend  finanziell  nicht  überlastet  wurden.*) 
Zeigen  ferner  verschiedene  Fälle  von  Steuernachlässen,  dafs  Cäsar 
im  einzelnen  zu  helfen  bemüht  war,  wo  es  anging,  so  wurden 
andererseits  auch  heilsame  Beispiele  von  Strenge  gegen  Beamte 
statuiert,  die  sich  Erpressungen  hatten  zu  schulden  kommen 
lassen. '^)  DaJ^  Cäsar  eine  neue  Ordnung  für  die  Führung  des 
Staatshaushalts  im  Sinne  hatte,  wird  nicht  berichtet;  zunächst 
handelte  es  sich  für  ihn  darum,  das  Finanzwesen  überhaupt  in 
der  eigenen  Hand  zu  behalten.  Zu  diesem  Zweck  liefs  er  sich, 
als  an  die  Stelle  des  aus  der  Kriegsvollmacht  sich  ergebenden 
Rechts  eine  bleibende  Ordnung  auch  für  Friedenszeiten  begründet 
werden  sollte,  im  J.  46  das  Recht  bewilligen,  die  Finanzen  so 
selbständig    wie   das   Kriegswesen   zu   verwalten^),    womit   ver- 

1)  Dio  42,  6:  xä  aXXa  rä  ifte^vg  (d.  h.  iv  tg  'Aefy)  —  ditoHSi  — 
fvsffyszap  navxag  oaa  hsdixeto,  rovg  yovv  telmvag  TCiKQoratd  atpiai  xqm- 
nivovg  dTcaXXd^ag  ig  (pOQOv  ovvxiXsuxv  to  ovfißaivov  in  tmv  tsloiv  nazs- 
uxriüoro;  vgl.  App.  6,  4.  —  Dies  war  schon  im  J.  48  geschehen. 

2)  Siiet.  Cäs.  64:  In  GaXlia  fana  tempJaque  deum  donis  referta  expilamt^ 
urbes  diruit  saepius  ob  praedam  quam  ob  delictum;  unde  factum,  ut  auro 
abundaret  iemisque  milibus  nummum  in  libras  promercaJe  per  Italiam  pro- 
vindasque  divenderet.  Dio  43 :  xal  avrovg  (die  Gallier)  6  KataccQ  xctl  tpgovQaig 
*al  di,%amcBOi  xqrrnMxoiv  XB  ign^disai.  %al  tpoQtov  ini.xd^eat  xovg  (ihv  ixa- 
rnlvacs  xovg  d\  ^fiiqoHJtv. 

3)  Entrop.  6,  17:  öaUiae  tribuH  nomine  annuum  imperavit  sestertium 
quadringenties.  Bei  Saeton  Cäs.  25  ist  die  Zahl  ausgefallen;  indessen  liegt 
der  Mafssiab  weniger  in  ihr  als  in  den  Znständen  der  Folgezeit. 

4)  Snet.  Gas.  43:  Eepetundarum  convictoa  etiam  ordine  senatorio  movit. 

5)  Dio  43,  45:  axQuxuotag  xs  (iovov  i%^tv  %al  xd  dtifioaia  ;|r^jffiOTa 
oiivov   diometv    ixsXfvaaVj   mexB    (tridevl    dlXtp    firjÖBxiqci^  avxmv,    oxat  firitll 

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-     24     - 

buuden  war^  dafs  er  auch  die  Organe  dafQr  nach  seinem  Be- 
lieben bestellen  durfte.  Indessen  wurde  dies  vielleicht  von  denen^ 
die  ihm  solche  Gewalt  übertrugen^  wie  von  ihm  selbst  nur  als 
ein  provisorisches  Übergangsstadium  angesehen.  Jedenfalls  waren, 
als  Cäsar  starb,  die  Grundlagen  für  einen  geregelten  Staats- 
haushalt mittelst  jener  diskretionären  Vollmacht  bereits  gelegt. 
Jene  italischen  Zolle,  die  sonstigen  indirekten  Steuern  und  das 
provinziale  Stipendium  gaben  die  Hauptposten  für  ein  ordent- 
liches Einnahmebudget;  eine  neue  Heeresorganisation,  wie  sie 
auf  Grund  des  einheitlichen  und  dauernden  Kriegsbefehls  erwartet 
werden  konnte,  war  geeignet,  einen  Kriegsetat  zu  bieten,  und 
wenn  einerseits  die  Erhöhung  des  Solds,  welche  Cäsar  gewährt^ 
eine  stärkere  Belastung  veranlafste,  so  stand  dem  durch  die 
Beschränkung  der  Getreidespenden  eine  erkleckliche  Ersparnis 
gegenüber.  Der  durch  aufserordentliche  Einnahmen  gefüllte 
Schatz  aber  gewährte  die  Mittel  zu  den  gewaltigen  Entwürfen 
öflFentlicher  Arbeiten,  die  dem  Cäsar  zugeschrieben  werden.^)  Unter 
diesen  waren  die  wesentlichsten  für  Born  selbst  die  Ableitung 
des  Tibers  um  den  Vatikan,  so  dafs  dieser  mit  dem  Janiculum 
auf  die  linke  Seite  zu  liegen  kommen  und  das  eigentliche  Stadt- 
gebiet sehr  wesentlich  vergröfsert  werden  sollte,  grofse  Neuan- 
lagen in  Nutz-  und  Prachtbauten  innerhalb  der  Stadt,  zumal  aaf 
dem  Forum,  woneben  die  Fürsorge  für  die  äufsere  Ordnung  der 
Stadt  bis  zur  Strafsenreinigung  herab  nicht  unterlassen  wurde*), 
für  Stadt  und  latinische  Landschaft  die  Weiterführung  des  ab- 
geleiteten Flusses  nach  Terracina  und  damit  verbundene  Ent- 
wässerung der  pomptinischen  Sümpfe,  für  Italien  StraTsenanlagen 
und  die  Ableitung  des  Fucinersees,  für  das  Reich  überhaupt  die 

insilvos  intxQiipHsv  i^sivcci  X9^<^^<<^-  Sueton.  Caes.  76 :  monetae  publicisque 
vectigdlibus  pectiliares  servos  praeposuit  Von  Höhergestellteo  war  haupt- 
Bächlich  P.  ComeliuB  Balbus  sein  finanzieller  Geschäftsmann;  vgl.  Cic.  ad 
Att.  18,  62:  (Caesar)  tertiis  SaU^mälibus  apud  Philippum  ad  horam  VII, 
nee  quemquam  admisit;  rationes  opinor  cum  Bälbo, 

1)  Suet.  Cäs.  44.    Dio  44,  6. 

2)  Hierauf  bezieht  sich  der  Teil  der  tab.  Heracl.  von  Z.  20  bis  Z.  8S, 
nach  der  oben  S.  2  A.  vertretenen  Auffassung  nicht  mit  dem  julischen 
Munizipalgesetz  zusammengehörig,  sondern  Teil  eines  besonderen  Gesetzes, 
das  sich  auf  die  mit  diesen  Dingen  beschäftigten  Beamten  oder  auf  die  Sache 
selbst  beziehen  konnte.  Über  die  Frage,  ob  die  in  diesem  Gesetzesabschnitt 
genannten  IUI  viri  und  II  viri  vÜ8  pwrgandia  cäsarischen  Ursprungs 
seien  oder  nicht,  vgl  1,  864  f. 


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-     25     - 

Darchstechang  des  korinthischen  Isthmus.  Es  ist  nichts  unter 
diesen  Entwürfen,  das  nicht  entweder  später  ausgeführt  oder  bei 
neuen  Epochen  der  Geschichte  bis  in  unsere  Zeit  herab  von  kraftigen 
Geistern  geplant  worden  wäre.  Dafs  Cäsar  sie  alle  auf  ein- 
mal erfafste,  zeugt  von  der  gewaltigen  Kraft  seiner  Initiative^ 
die  den  schreienden  Schäden,  welche  die  damaligen  Zustände 
zeigten^  gewachsen  sein  wollte. 

14.  An  die  finanziellen  Erfolge  Cäsars  knüpfte  sich  auch  eiue  Mou^weBeD. 
wichtige  Neuerung  im  Münzwesen.    Bis  dahin  hatte  die  romische 
Münze  in  Rom  nur  Silber  und  Kupfer  geprägt  und  nur  aufser- 

halb  Roms  war  von  siegreichen  Feldherrn  Prägung  von  Gold- 
münzen angeordnet  worden.  Cäsar  liefs  nun  das  von  Gallien 
mitgebrachte  Gold'  in  Rom  ausprägen,  und  die  daraus  hervor- 
gehende Goldmünze  war  so  reichlich^  dafs  sie  geeignet  war^  die 
Goldwährung  vorzubereiten.  Von  diesem  Vorgang  an  führte 
man  das  Ausgeben  von  Goldmünzen  fort^  bis  endlich  der  formelle 
Übergang  zur  Goldwährung  stattfand.^) 

15.  Unter  den  Aufgaben,  welche  Cicero  für  Cäsar  in  An-  Rechtspflege 
Spruch  nimmt,  nennt  er  an  erster  Stelle  die  Wiederaufrichtung 

des  Gerichtswesens.*)  Dies  war  noch  in  viel  höherem  Sinn  richtig 
als  Cicero  es  meinte.  Denn  die  romischen  Gerichte  waren  und 
zwar  nicht  erst  durch  den  Bürgerkrieg,  sondern  durch  ihre  fort- 
währende Verbindung  mit  der  Politik  in  schwersten  Verfall 
geraten. 

Im  Kriminalrecht  nun  liefs  Cäsar  die  suUanische  Organi- 
sation der  Geschworenengerichte  im  Allgemeinen  bestehen^  und 
konservativer,  als  man  erwarten  sollte,  gab  er  dieselben  zwar 
nicht  in  die  Hände  der  Senatoren,  aber  er  entfernte  die  Vertreter 
des  dritten  Stands,  die  tribuni  aerarii  (1,  533),  welche  schon 
Pompejus  im  J.  55  nur  unter  der  Bedingung  eines  hohen  Census 
belassen  hatte  (1,  557  A.  2),  gänzlich,  liefe  also  nur  die  Ritter 
neben  den  Senatoren  sitzen.^)    Es  ist  jedoch,  wie  schon  bemerkt 


1)  Mommsen,  röm.  Münswesen  S.  739  f.  750  f.  Derselbe  vermutet 
8.  208  nach  andern  Vorgängen,  dafs  die  cftsarischen  Goldmünzen  in  erster 
Linie  fflr  das  Triomphalgeschenk  im  J.  46  geprägt  worden. 

2)  pro  Marc.  23 :  omnia  sunt  excitanda  tibi^  0.  Caesar,  wnt,  quae  iacere 
sentis,  beUi  ipsius  itnpetu,  quod  necesse  fuit,  prastrata  atque  perctUsa:  con- 
stäuenda  iudicia,  revocanda  fides,  comprimendae  Itbidines  etc. 

8)  Suet  Caes.  41:  iudida  ad  duo  genera  iudicum  redegü,  eguestris 
ordims  ac  senatorü;   tribunos  aerarios,   quod  erat  tertium^  sustulü^  Diq 

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-^     26     --  I 

(S.  19  A.  2),  fraglich,  ob  dies  uicht  darin  seinen  Grund  hat,  dafs  j 
die  Arartribunen  jetzt  bedeutungslos  waren  und  eine  anderweitige 
Vertretung  des  gewöhnlichen  Bürgerstandes  nicht  leicht  zu  haben 
war.  Dein  Anscheine  nach  war  dies  immer  noch  eine  politische 
Besetzung  des  Geschworenenamts  und  demnach  zu  furchten,  dafs 
die  Rivalität  der  beiden  Stände  im  Rechtsprechen  sich  fortwäh- 
rend geltend  mache,  allein  die  Verhältnisse  lagen  jetzt  doch 
anders  als  unter  der  Republik:  es  war  nun  eher  zu  erwarten, 
dafs  die  gleichmäfsig  unter  die  Regierung  des  Diktators  gebeugten 
und  in  ihrer  politischen  Selbständigkeit  herabgesetzten  Stände 
den  Beruf  des  Rechtsprechens  sachlicher  auffassen  würden  als 
bisher.  Freilich  dieses  diktatorische  Regiment  griff  nun  aber 
seinerseits  mit  seiner  politischen  Macht  in  die  Übung  der  Justiz 
ein.  Sei  es  in  Berufung  auf  die  allgemeine  Kompetenz  der  Dik- 
tatur oder  auf  die  Spezialbestimmung,  dafs  Cäsar  mit  den  Pom- 
pejanern  nach  Gutdünken  verfahren  dürfe,  zog  der  Diktator  An- 
klagen, die  sonst  vor  die  Geschworenengerichte  zu  verweisen 
waren,  vor  sein  Gericht  und  fällte  selbst  das  Urteil.  Es  ist  nicht 
sicher  zu  erkennen,  ob  darin  ein  Ausnahmerecht  oder  ein  bleiben- 
der Anspruch  geltend  gemacht  werden  sollte,  vorerst  konnte 
man  angesichts  der  Proskriptionenfurcht  dieses  Verfahren  leichter 
hinnehmen.')  —  In  das  materielle  Kriminalrecht  kam  als  Reform 
herein,  dafs  für  die  Quästionen  über  Majestätsverbrechen  und 
über  Gewaltthat  neue  Gesetze  gegeben  wurden,  jenes  in  politi- 
schem Sinn,  dieses  jedenfalls  auch  in  dem  ohne  Zweifel  sehr 
notwendig  gewordenen  Interesse,  der  Unsicherheit  in  der  Haupt- 
stadt, einer  unvermeidlichen  Folge  der  Bürgerkriege,  zu  steuern.*) 


43,  25  (z.  J.  46)  mit  dem  Motiv:  onmg  z6  xccd'aQmxaxov  oxt  itaXiGxa  ael 

1)  Ein  hervorragender  Fall  dieser  Art  ist  der  des  Q.  Ligarius,  den 
Cicero  verteidigte.  Dafs  Cäsar  als  Diktator  zu  Gericht  safs,  liegt  in  pro 
Lig.  8,  12:  Ät  isttul  ne  apud  eum  qmdem  dictaiorem  (SuUam)y  qui  etc.  — 
quisquam  egit  isto  modo.  Allein  zugleich  kann  man  daraus,  sowie  aus 
§.  30  (die  fe,  Caesar,  de  facto  iudicem  esse;  —  taceo,  ne  Jiaec  quidem  coüigo, 
q%Me  fortasse  valerent  apud  iudicem,  —  ad  iudicem  sie  agi  solet,  sed  ego 
apud  porentetn  loquof)  Anspielungen  darauf  finden,  dafs  er  es  zu  den  der 
cäsarischen  Diktatur  beigegebenen  Ausnahmebestimmungen  gerechnet  wissen 
will.  —  Vgl.  übrigens  Suet.  Caes.  43:  Jus  laboriosissime  ac  severissime  dixit, 
andererseits  freilich  Dio  43 ,  47:  ev9vvofi.ivovg  Ifd  dmQoig  rivag  yial  l{c- 
Xeyxofiivovg  ys  dnfXvasv,  coats  xal  altCav  9(OQo9o%lag  ixsiv. 

2)  Antonius  beantragte,   dafs  wer  de  vi  oder  de  maiestate  verurteilt 

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~     27     ~ 

Ebenso  zweckmäfsig  war  es,  daTs  zugleich  die  bisherige  milde 
Praxis,  welche  SelbstverbanDung  vor  erfolgtem  Spruch  mit  Bei- 
behaltung des  Vermögens  gestattete,  aufgehoben  und  mit  der  Strafe 
der  Verbannung  gänzliche  oder  teilweise  Konfiskation  des  Ver- 
mögens verbunden  wurde.  ^)  —  Hinsichtlich  des  Civilrechts  wer- 
den durchgeführte  Reformen  nicht  erwähnt,  wohl  aber  ist 
bezeugt,  dafs  Cäsar  die  grofse  Idee  hatte,  eine  Revision  desselben 
zum  Behuf  einer,  fQr  die  Rechtsprechung  bequemen  Auswahl,  Zu- 
sammenstellung und  Redaktion  des  Materials  zu  veranstalten.^) 
Dafs  hiefür  schon  vorbereitende  Schritte  gethan  worden  wären,  wird 
nicht  gesagt,  aber  die  blofse  Idee  genügt,  um  zu  zeigen,  dafs 
Cäsar  die  staatlichen  Aufgaben  weit  über  die  politischen  Interessen 
hinaus  erfafste.  Dieselbe  grofse  Auffassung  sehen  wir  endlich  ömntucho 
daraus,  dafs  Cäsar  die  Einrichtung  öffentlicher  Bibliotheken  in 
gröfstem  Mai^stabe  für  griechische  und  römische  Litteratur  plante, 
und  es  gereicht  dem  Diktator  wie  dem  M.  Varro  zur  Ehre,  dafs 
jener  für  die  Ausführung  auf  letzteren  rechnen  konnte.^) 

16.   Was  im  Vorstehenden  aufgezählt  ist,  giebt  einfach  in    Gesaraiauf- 
sachlicher  Ordnung  wieder,  was  die  Quellen  uns  geben.     Wenn  formen  c&saif. 

°  '  ®  Binlioit  des 

man  darauf  verzichten  mufs,  diese  Mafsregeln  als  wohlberechnete      Kcici.s. 


Bei,  sollte  provocieren  dürfen.  Darin  liege  u.  A.,  sagt  Cic.  Philipp.  1,  23, 
dals  obrogaiur  legibus  Caesaris,  guae  tubeni  ei,  qui  de  vi,  item  gui  maiestatis 
damnatus  sit,  agua  et  igni  i/nterdici;  quibus  cum  provocatio  datur,  nonne 
acta  Caesaris  rescinduntur?  Vorher  §.  32  war  dies  so  ansgedrfickt,  dafs  duae 
maxime  saltUares  leges  quaestionesgue  tolluntur;  quam  atUem  ad  pestem  furor 
tribunicius  impeUi  non  poterit  his  duabus  quaestionibus  de  vi  et  de  maiestate 
subJoHs?  Beide  hatten  also  einen  politischen  Charakter,  aber  die  guaestio 
de  vi  war  zugleich  auch  nicht  politisch.  Es  läfst  sich  ans  Cicero,  dem 
einzigen  Zengen,  nicht  mit  Sicherheit  entnehmen,  ob  zwei  ganz  nene 
Qoätitioneordnangen  von  Cäsar  gegeben  wurden^  oder  nnr  Modificationen 
des  comelischen  Majestäte-  (1,  621)  ond  des  plantischen  Gewaltgesetzes. 
Zumpt,  der  (Kriminalr.  der  röm.  Rep.  2,  2,  475  ff.)  der  letzteren  Ansicht  ibt, 
laTst  Cäsar  nnr  nber  die  Strafen  nene  Bestimmungen  geben,  ist  aber  in  der 
Kombination  von  Ciceros  Angaben  mit  Sneton  (s.  folg.  Anm.)  willkürlich. 

1)  Suet.  Cäs.  42:  I\>enas  faeinorum  auxit;  et  cum  locupletes  eo  facilius 
scdere  se  obligarent,  quod  integiis  patrimomis  exulabant,  parricidas,  ut  Cicero 
acribit,  banis  omnibus,  religuas  dimidia  parte  multavit. 

2)  Snet.  C&s.  44:  {destindbat)  ius  civüe  ad  certum  modum  redigere  atgue 
ex  immensa  diffusague  legum  c(^ia  optima  quaeque  et  necessaria  in  pauctssi- 
«KW  conferre  libros. 

8)  Ebendas.:  {destitunbat)  bibliothecas  graecas  latinasque  guas  maximas 
possä  publica/r e,  data  M,  Varroni  cwa  comparandarum  atque  digerendßrunu 

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~     28    — 

Glieder  eines  einheitlich  erfaüsten  Planes  anzuerkennen ,  so  wäre 
es  noch  viel  unrichtiger  ^  in  ihnen  eine  abenteuerliche  Häufung 
von  Entwürfen  zu  sehen,  die  in  überstürzender  Eile  hingeworfen 
worden;  es  ist  vielmehr  überall  nur  die  Bethätigung  einer  ge- 
waltigen Kraft,  die,  nachdem  sie,  zuerst  in  dem  Getriebe  der 
politischen  Intrigue  gebunden,  einen  grofsen  Schauplatz  für  ihre 
Entfaltung  gewonnen,  ihrer  selbst  sicher  vor  keiner  Aufgabe 
mehr  zurückschreckt,  mit  kühnem  Stofs  Alles,  was  sie  bisher 
noch  gehemmt,  über  den  Haufen  wirft  und  nun  in  freigewordener 
Bahn  den  die  Verhältnisse  Überschauenden  und  durchdringenden 
Geist  schaffensfreudig  walten  lä&t.  So  wurde  sein  Wirken  stoff- 
lich so  umfassend  als  die  menschliche  Kraft  reichte;  aber  auch 
in  anderer  Beziehung  war  es  universal.  Weit  seiner  Zeit  voraus- 
eilend war  Cäsar  bereits  bestrebt,  das  romische  Reich  so  rasch 
wie  möglich  einer  inneren  Einheit  zuzuführen,  rascher  als  seine 
Nachfolger,  auch  wenn  sie  auf  demselben  Wege  gingen,  möglich 
glaubten  und  fanden.  Er  hatte  dabei  wohl  in  erster  Linie  das 
Interesse  seiner  Herrschaft  und  die  Machtentfaltung  des  Reichs 
nach  aufsen,  für  welche  er  alle  Kräfte  zusammenfassen  wollte,  im 
Auge,  aber  seine  Bürgerrechts-  und  Latinitätsverleihungen^)  zeigen, 
dafs  er  auch  die  Interessen  der  einzelnen  Teile  damit  verband.  — 
Jedoch  selbst  unbefangenen  Zeitgenossen  mufste  es  schwer  werden, 
in  der  Unruhe,  welche  die  grofse  und  entscheidende  Frage  der  Herr- 
schaft mit  sich  brachte,  diese  Fülle  von  Thatkraft  in  allem  dem, 
was  sie  für  die  Zukunft  vorbereitete,  zu  verfolgen  und  zu  würdigen; 
wie  wenig  war  vollends  eine  solche  Würdigung  zu  erwarten  in- 
mitten des  Übelwollens  der  persönlich  Mifsvergnügten,  der  ge- 
heimen, aber  schon  durch  blofse  Passivität  gefahrlichen  Opposition 
der  politischen  Gegner  und  der  blinden,  planlos  übertreibenden 
oder  politisch  unerfahrenen  oder  wenig  einsichtigen  Ergebenheit 
der  Anhänger.  Man  fühlte  wohl  die  alle  überragende  Grofse,  aber 
man  wollte  ihr  nicht  freie  Bewunderung  zollen;  man  sah  nur, 
wie  mit  der  Bethätigung  der  Herrscherkraft  das  HerrschergefÖhl 
zunahm  und  das  Herrscherziel  immer  deutlicher  hervortrat.  Was 
in  dieser  Beziehung  geschah,  führte  die  Katastrophe  herbei;  die 

1)  In  dieser  Beziehang  ist  freüich  vieles  auf  C&sars  Namen  nach  seinem 
Tode  geschehen,  vgl.  Gic.  Philipp.  1,  24:  civitas  data  non  9olwm  singuUs^ 
sed  ncUümibtiS  et  provinciis  universis  a  morttto;  allein  er  hat  diese  Liberalitöi 
eröffnet  und  sofort  selbst  schon,  wie  oben  gezeigt,  in  grofsem  Umfiuig  be- 
thätigt. 

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—    29    — 

Kehrseite  der  grofsen  Verwaltungsthaten  bilden   die  Schwierig- 
keiten der  Umgestaltung  der  Verfassung. 

17.  Neben  der  Diktatur  ging  scheinbar  die  überkommene  Konstitationeiio 
Maschine  der  konstitutionellen  Einrichtungen  nach  wie  vor  ihren  an  cum. 
Gang,  es  war  nur  zur  Ergänzung  die  aufserordentliche  Gewalt 
m  Anspruch  genommen.  An  den  Befugnissen  der  Bürger- 
gemeinde  wurde  zwar  das  Wahlrecht  durch  das  dem  Diktator 
bewilligte  Vorschlagsrecht,  die  Gesetzgebungskompetenz  durch  die 
Erweiterung  der  den  persönlichen  Verfügungen  Cäsars  zukom- 
menden Kraft  und  Bedeutung  (ob.  S.  12  A.  2)  gekürzt,  allein 
jene  Beschränkung  des  Wahlrechts,  der  eine  Vermehrung  der  der 
Wahl  unterstellten  Ämter  zur  Seite  stand,  fühlte  niemand  als 
eine  Verminderung  der  Volksrechte,  sondern  man  empfand  es 
nur  als  eine  Veränderung  in  den  Bedingungen  der  Bewerbung, 
mid  an  Gesetzen,  welche  den  Komitien  vorgelegt  wurden,  fehlte 
es  auch  jetzt  nicht;  ^)  Cäsar  hatte  kein  politisches  Interesse,  den 
Weg  der  Eomitien  zu  meiden,  und  seine  Gesetzesvorschläge  er- 
setzten reichlich,  was  die  sonst  berechtigten  Rogatoren  etwa  vor 
das  Volk  gebracht  hätten.  An  den  ursprünglichen  und  geschicht- 
lich erworbenen  Rechten  des  Tribunenkollegiums  wurde  nichts 
geändert  und  dem  äufseren  Anschein  nach  auch  an  den  persön- 
lichen Rechten  und  Befugnissen  des  Senats  und  der  Magistrate  nur 
Tereinzeltes  gemindert,  zumal  wenn  man  in  Rechnung  nahm,  dafs 
auch  unter  der  Republik  die  höchste  ordentliche  Magistratur 
durch  ein  maifis  imperium  in  eine  untergeordnete  Stellung  kommen 
konnte.  Und  doch  war  durch  die  aufserordentlichen  Befugnisse, 
welche  dem  Cäsar  neben  diesen  Faktoren  der  Verfassung  ver- 
liehen worden,  und  durch  die  Art,  wie  er  sie  handhabte,  die  bis- 
herige Verfassung  vollständig  über  den  Haufen  geworfen.  Um 
dies  zu  erkennen,  sind  zuerst  die  Steigerungen,  die  ihm  seit  dem 
J.  46  zukamen,  zu  betrachten. 

Noch  vor  Cäsars  Rückkehr  aus  Spanien  wurde  wohl  aus 
Veranlassung  von  der  in  üblicher  Weise  an  den  Senat  gebrachten 
Meldung,  dafs  auf  den  errungenen  Sieg  das  Heer  den  Cäsar  zum 
Imperator  ausgerufen  habe  (1,  769  f.),  vom  Senate  dies  nicht 
blofe  wie  üblich  angenommen  und  anerkannt,  sondern  dem  sieg- 
reichen Feldherm  für  den  neuen  Erfolg,  für  den  er  zugleich  als 
Liberator  bezeichnet  wurde,  jener  Siegestitel ^,  der  nach  sonstiger 

1)  Dio  43,  50:  tavtd  xs  inoiei  nccl  vofMvg  tleitpSQS  u.  s.  w. 

2)  Dio  48,  44  (nach  Erwähnung  des  Titels  iXev^SQmrrig):  x6  ze  toi 

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-     30     - 

Regel  nur  bis  zum  Tage  des  Triumphs  geführt  wurde,  bleibend 
und  sogar  als  erblich  wie  eine  Art  Namen  zuerkannt,  und  von 
jetzt  an  nennt  sich  Cäsar,  gewöhnlich  unmittelbar  nach  seinem 
Personennamen  ^Imperator* .^)  Eine  Gewalt  war,  wie  Dio  sagt, 
damit  nicht  verliehen,  und  Alles,  was  von  späterer  Auffassuüg 
des  Titels  in  diesen  Akt  vom  J.  45  etwa  hineingetragen  werden 
möchte,  ist  fernzuhalten.  Was  an  Gewaltverhältnis  in  dem  Namen 
liegen  könnte,  war  in  der  Diktatur  enthalten,  die  damals  aller- 
dings noch  zehnjährig  war,  aber  bald  darauf  lebenslänglich  ge- 
macht wurde.  Wohl  aber  wurde  nach  Dio  um  dieselbe  Zeit  dem 
Cäsar  das  Konsulat  auf  zehn  Jahre  angeboten,  ferner  das  in  der 
Diktatur  von  Hause  aus  gegebene  malus  Imperium  dahin  inter- 
pretiert und  ausgedehnt,  dafs  ihm  die  Bestellung  der  Magistrate, 
selbst  die  der  plebejischen  und  die  ausschliefsliche  Verfügung 
über  das  Heer  und  über  die  öflFentlichen  Gelder  zustehen 
solle.*)     Der  Beschlufs   über  das   Heer  und  die  Finanzen  legiti- 


avroxQaro^o;  ovoficc  ov  natu  to  ccqxoclov  itt  iiovov  acnsQ  aXXoi  ts  %al  ^xfi- 
vog  nollduLg  i%  xa>v  noXifioav  inBuXri^aaVy  ovd*  mg  ot  ziva  avtotsXri  T^ys- 
ILOvCav  ^  xal  aXXrjv  rti/a  i^ovaiav  Xaßovzsg  mvofia^ovzo,  aXXä  xad-dna^  tovto 
dri  TO  xal  vvv  toig  to  x^ccrog  dsl  ^xov6i  di'dofisvov  ixB^vco  tots  ngtotat  ts 
xal  TCQmrov  SansQ  xi  ¥,vqiov  nQoai&eaav^  %ccl  vooavtrj  ys  vnsQßoX^  %oXa%siag 
iXQT^aavto,  coats  xal  tovg  TcaiSocg  zovg  zs  iyyovovg  avzov  ovzm  KctXsia&ai 
tpritpiaaod'at  fiiqzs  zi%vov  zi  avzov  ix^'^''^^^  ^^^  yigovzog  tj^tj  ovzog. 

1)  Vgl.  die  Münzen  Cohen,  Us  monnates  de  Vetnpire  Born.  1  p.  6—14. 
Auf  diesen  steht  der  Titel  impei'ator,  wo  er  sich  findet,  nach  Caesar  und 
steht  auf  den  der  cäsarischen  Zeit  angehörigen  Münzen  nie  mit  einem 
andei-n  Titel  zusammen;  nur  auf  einer  von  Trajan  restituierten  Gäsarmünse 
(Coh.  1  p.  14  n.  53)  heifst  es:  C.  Julius  Caes.  imp,  cos.  III.  Auf  andern 
urkundlichen  Zeugnissen  pflegt  imper,,  wo  es  mit  dem  Diktator-  und  andern 
Titeln  zusammen  sich  findet  (vgl.  Joseph,  antiq.  14,  10,  2.  7.),  vor  diesen  zu 
stehen  mit  Ausnahme  der  lex  coloniac  Jul.  GeneL,  in  welcher  (eph.  p.  112 
c.  CIIII)  steht:  imsu  C.  Caesaris  dict.  imp.  Aus  diesem  Sach Verhältnis  ergiebt 
sich  einmal,  wie  Mommsen,  Staat8r.,2,  743  A.  3  bemerklich  macht,  dafs  Sueton. 
Caes.  76  irrtümlich  von  praenomen  imperatoris  spricht.  Aufserdem  aber  führt 
Mommsen  a.  a.  0.  S.  748  f.  auch  die  allgemeinere  Angabe  Dios,  dafs  imperator 
ihm  als  Eigenname  (caansg  zi  %vqiov)  gegeben  worden,  auf  die  Fiktion  des 
Octavian  zurück,  der  für  sein  Erbrecht  es  so  in  Anspruch  genommen,  wah- 
rend Cäsar  einen  Titel  darin  gesehen.  Letzteres  mufs  man  allerdings  dariu 
sehen,  wenn  man  Wert  darauf  legt,  dafs  in  jenem  Koloniegeset«  imper. 
nach  dici.  steht;  die  erbliche  Verleihung  dagegen  würde,  wenn  sie  wirklich 
dem  ersten  Cäsar  verliehen  worden,  imper.  zu  einem  Namen  inachen,  da 
die  Römer  Vererbung  von  Würden  und  Rangstufen  nicht  kannten. 

2)  Dio  43,  46  vgl.  ob.  S.  23  A.  6. 


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-     31     - 

mierte  für  die  Zukunft  nur,  was  Cäsar  bis  jetzt  schon  aus  den 
froheren  Beschlüssen  abgeleitet;  das  zehnjährige  Konsulat  nahm 
er  nicht  an,  dagegen  alle  übrigen  Gewaltübertragungen. ^)  Unter 
dem  J.  44  wird  ihm  neben  verschiedenen  Ehrendekreten  ver- 
liehen das  Recht  der  Verrückung  der  altherkömmlichen  Stadt- 
grenze des  Pomeriums  als  Symbol  der  durch  ihn  gewonnenen 
Mehrung  des  Reichs  nach  dem  Vorgange  des  Serv.  Tullius  und 
Sulla,  der  Titel  eines  Vaters  des  Vaterlandes,  die  Ehre,  dafs  auf 
den  vom  Senat  geprägten  Münzen  an  der  Stelle,  wo  das  Bild 
der  Göttin  Roma  stehen  sollte,  d.  h.  auf  der  Vorderseite,  sein 
Bild  gesetzt  werde,  die  lebenslängliche  Censorbefugnis,  der  Ge- 
nuJj8  der  sacrosancten  Stellung  der  Tribunen,  endlich  die  lebens- 
ISugliche  Diktatur.^     Die  Censur  nun  scheint  er  auch  jetzt  unter 


1)  Appian  b.  c.  2,  107:  %ag  äXXag  tifuig  XotQlg  t^g  SsHastovg  vnaxtCag 
xifoöifuvog,  —  Wenn  es  in  der  lex  coloniae  Oenet,  heifst  (eph.  epigr.  2 
S.  113  c.  124):  qui  tum  magistraius  —  iusm  C.  Caesaris  dict((Uori8) 
eo(n)8(ülis)  prove  eo{n)8{ule)  habehü,  so  seig^  dies,  dafs  der  Entwurf  des 
Geietzes  ans  der  Zeit  der  noch  nicht  lebenslänglichen  Diktatur  stammt, 
für  deren  Ablauf  Cäsar  vorläufig  die  indifferente  Perspektive  des  Konsulats 
oder  Prokonsulats  setzt. 

2)  Liv.  116:  cum  plurimi  maximtgue  honores  a  senatu  deereti  esseni^ 
wit«r  quo$,  ut  parens  paU-iae  appellaretur  et  sacroscmctus  ac  dictator  in 
Perpetuum  esset.  Sueton  Cäs.  76,  wo  auch  die  sonstigen  honores  kurz  zu- 
sammengestellt werden.  Dio  48,  50:  ro  nmfii^Qtov  inl  nXelov  ins^rjyayBv, 
Vgl.  44,  49  (in  der  Rede  des  Antonius):  6  xo  nafn^Qi.ov  avTrjg  {nav^riaag. 
Gell.  18,  14,  4 :  cum  Äventinus  extra  pomerium  sit,  neque  id  Servius  TülUus 
rex  neque  Sulla,  qui  proferendi  pomerii  tittHum  quaesivit,  neque  postea  dinus 
'JuUus,  cum  pomerium  proferrety  intra  effatos  urbi  fines  incluserint  Ob  Cicero 
ad  Att  13,  20,  1  (de  urbe  augenda  quid  sit  promülgatum  non  intellext) 
ebenfalls  hierauf  oder  auf  Pläne  einer  Stadterweiterung  gehe,  ist  fraglich, 
dagegen  ffir  die  Thataache  der  Erweiterung  des  Pomeriums  durch  Cäsar  von 
Gewicht,  dals  Gellius  sich  auf  Mcssala,  Consul  53  v.  Chr.  und  Augur,  beruft. 
Wenn  Seneca  de  brev.  vit  13,  8  sagt:  Sidlam  ultimum  Bomanarum  protulisse 
jxmerium,  so  scheint  mii-  der  Beisatz:  quod  numquam  provinddli  sed  ItcUico 
figro  adquisito  proferre  moris  apud  antiquos  fuit.  darauf  hinzuweisen,  dafs 
die  hier  vertretene  Ansicht  die  Erweiterungen  des  Pomeriums  durch  Cäsar 
und  August,  weil  sie  sich  auf  Zuwachs  von  Provinzialboden  bezogen,  nach 
dem  alten  ius  pomerii  nicht  auerkennt.  Dem  Tacitus  aber,  der  12,  23  als 
Vorgänger  des  Claudius  wohl  Sulla  und  August,  aber  nicht  Cäsar  nennt, 
üt  der  letztere  eben  entgangen.  Für  Augustns  liegt  die  Frage  wieder  be- 
sonders; weiteres  unten  bei  der  äufseren  Beichsgeschichte  und  im  System 
bei  dem  ius  pomerii.  Die  interessante  Erörterung  von  Detlefsen  im  Hermes 
21,  407  ff.,  dafs  zum  Vorrücken  des  Pomeriums  Verbindung  von  Erweiterung 
tler  Grenzen  Italiens  (fines  populi  If.)  und  des  Provinzialiands  gehört  habe, 


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-    32    — 

dem  Titel  der  praefedura  morum  angenommen  zu  haben*),  die 
Bewilligung  aber,  welche  an  die  ihm  schon  zustehende  tribuni- 
cische  Gewalt  angeknüpft  wurde,  kann  nach  den  mit  Dio  gerade 
für  diese  Zeit  zusammentreffenden  sonstigen  Zeugnissen^  nur 
darin  gefunden  werden,  dafs  für  ihn  der  Titel  dieser  Gewalt  aufs 
neue  eine  Interpretation  erhielt,  welche  die  Unverletzlichkeit  und 
Heiligkeit  seiner  Person  in  einer  absoluten  Weise  ohne  diejenige 
Beschränkung,  welche  für  die  Tribunen  galt,  aussprach,  indem, 
wer  dieselbe  durch  Wort  oder  That  antasten  würde,  verfehmt 
wurde;  es  war  dies  also  nur  eine  Erhöhung  der  personlichen 
Würde  und  Geltung,  nicht  ein  Gewaltzuwachs,  während  die  cen- 
sorische  Gewalt,  wie  sie  ihm  zugeteilt  wurde,  ihm  für  alle  Re- 
formen auf  diesem  Gebiet  freie  Hand  gab,  aber  zugleich  auch 
die  konstitutionellen  Eautelen,  welche  in  der  Abtrennung  des 
Amts  von  der  obersten  Magistratur,  in  der  Kollegialität  und  der 
Zeitgrenze  gelegen  waren,  mit  einem  Male  preisgab  und  den 
Senator,  Ritter  und  Bürger  in  allem,  was  die  Censur  mit  sich 
brachte,  ganz  von  ihm  allein  abhängig  machte.  Die  lebensläng- 
liche Diktatur  nahm  Cäsar  an,  nachdem  er  die  mit  dem  I.Januar  44 
als    vierte   gerechnete   bisherige    formlich    niedergelegt    hatte.*) 


hat  mich  nicht  überzeugt.  —  Dio  44,  4:  ig  rä  vofUciucta  ivsxccQaittv  avvov. 
Die  YorhaDdenen  Münzen  Cäsars  zeigen,  daJb  es  sich  hier  handelt  nm  die- 
jenige Prägung,  welche  nach  altem  Recht  der  Senat  durch  die  Müni- 
beamten  vornehmen  liefs,  also  nm  die  herkömmliche  Silbermünze  des 
römischen  Staats,  vgl.  Mommsen,  röm.  Münzw.  S.  789  f.;  mit  der  Setzung  des 
Bilds  auf  die  Eopfiseite  der  Münze  aber  ist  Cäsar  als  Staatsoberhaupt  erklärt. 
—  Dio  44,  5:  xal  avrov  filv  tiiiritriv  lud  fkovav  xal  dia  ßlov  slvai  liprm>icairco. 

1)  Suet.  Cäs.  76 :  perpetuam  dictaturam  praefecturamqite  morMtn. 

2)  Dio  44,  5:  ta  te  toig  driftdQx^t'i  ^sdofiiva  xa^sova^a»,  o^rog,  äv  xtg 
rj  i^ym  tj  xal  X6y<p  avrov  vßQtaijj  tegos  t€  i  xal  iv  rm  ayfi  Mx^tcu. 
Appian  2,  106:  dveggi^dTi  dh  —  xal  ro  6mfta  tsQog  xal  aüvlog  shai;  auch 
in  der  epit.  des  Liv.  (s.  yorherg.  Anm.)  ist  nur  das  sacrosanctum  esse  her- 
vorgehoben. 

3)  Fastenfragment  für  die  Jahre  46  und  44  gef.  1872,  veröff.  von 
Henzen  in  cph.  epigr.  2 ,  286 :  fC.  JtUius  C.  f.  C.  n.  Caesajr  IUI,  ab- 
d{icavü\  Ober  den  Antritt  der  lebenslänglichen  Diktatur  zwischen  dem 
26.  Januar  und  16.  Februar  s.  Eckhel  doctr.  n.  p.  16  und  Henzen  a.  a.  O. 
S.  286.  Wenn  das  Aktenstück  bei  Joseph,  antiq.  14,  10,  7  datiert  ist  dcx- 
raroD^  ro  xizuQxov,  vnaxog  dh  x6  nifinxov^  dmxdxcaQ  dno9tSeiyfiivog  (desig- 
natm)  dia  ßiovy  so  erhellt  daraus,  dafs  die  Annahme  der  lebenslänglichen 
Diktatur  in  dem  betreffenden  Gesetz  auf  einen  gewissen  Termin  fixiert  war, 
an  welchem  die  vierte  Diktatur  durch  die  lebenslängliche,  zu  welcher  er 
inzwischen  designiert  hiefs,  abgelöst  werden  sollte. 


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—     33     - 

Was  sie  brachte,  war  die  Sicherstell ung  des  jetzigen  Zustandes 
bis  zu  Cäsars  Tode,  aber  für  die  Verwendung  der  Gewalt  und 
fär  deren  Inhalt  brachte  dieser  Beschlufs  nichts  Neues;  was  sie 
nicht  enthielt,  mufste  weiter  treiben.  Die  Führung  des  lebens- 
länglichen Amts  war  jedenfalls  so  gedacht,  dafs  die  Reiterobersten 
jährlich  wechseln  sollten.*) 

18.  Diesen  Gewalten  also  gegenüber  standen  die  Jahres- nie  M»gi»traiar 
raagistrate  und  der  Senat.  Die  Magistratur  gestaltete  Cäsar,  als 
er  den  spanischen  Feldzug  vor  sich  hatte,  zunächst  rücksichtslos. 
Das  Konsulat  für  45  übernahm  er  für  sich  allein,  ohne  Kollegen, 
aniserdem  liefs  er  nur  die  plebejischen  Magistrate  wählen,  da- 
gegen weder  Prätoren,  noch  kurulische  Ädilen  und  Quästoren,  er 
vertraute  vielmehr  die  Regierung  und  Verwaltung  in  Rom  dem 
Reiterobersten  Lepidus  und  einer  entsprechenden  Anzahl  Präfekten 
an,  also  Männern,  die  von  ihm  ernannt  waren.*)  Ob  solches 
Vorgehen  dabei  auch  schon  für  die  Zukunft  in  Aussicht  ge- 
nommen war,  läfst  sich  nicht  ersehen;  doch  wiederholte  er  es 
nicht  im  J.  44,  wo  Veranlassung  dazu  da  war,  und  so  mag  es 
sein,  dafs  jenes  Verfahren  nur  aus  der  damaligen  Lage  hervor- 
gegangen war;  indes  war  damit  doch  ein  Vorgang  geschaffen, 
der  sich  erneuern  konnte  und  die  Magistratur  herabsetzte.  Nach 
seiner  Rückkehr  dankte  er  ab  und  liefs  für  den  Rest  des  Jahres 
die  gewohnlichen  Beamten  wählen,  mit  Erhöhung  der  Zahl  der 
Prätoren  von  10  (ob.  S.  8)  auf  14,  der  Quästoren  von  20  auf 
40. *)  Die  hieraus  sich  ergebende  kurze  Amtszeit  hing  zusammen 
mit  der  bestehenden  Ordnung  des  festen  Amtsjahrs,  und  auch  in 
den  nächsten  Jahren  war  es  nicht  Cäsars  Schuld,  dafs  die  Konsulate 
▼erkürzt  waren  und  wie  Dio  bemerkt,  vom  J.  45  an  Konsuln 
mit  jähriger  Amtszeit  Ausnahmen  wurden,*)  aber  indem  es  nun 

1)  Vgl.  die  Fasten  z.  J.  710  varr.  (corp.  inscr.  lat.  1  p.  440):  Cn.  Domitius 
M.  f.  M,  n.  CalvinfuB  mag.  eq,]  in  inseguentem  annfum  deaignatusj  erat, 
•W«  iniit.  Appian  8,  9:  'Oktccovios  —  tnnaQxog  «vtov  KaCcuqoq  ysyivrjro 
'^0$  Iv  ^T0(,  i^  ov  xrivde  xi^v  uftr^v  o  Katcaq  ig  tovg  fpiXovg  nfift(piQmv 
itriciov  i6^  Zt8  inoiBtto  ilvai, 

t)  Dio  43,  28.  Sueton  Cäs.  76:  tertium  et  quartum  consulatus  tituJo 
'«w«  gessit,  contentm  dictaturae  potesiate  decretae  cum  constdatibus  simüf, 
^que  utroque  anno  binos  consules  substiiuit  sibi  in  iemos  navissimos  menses, 
^^  vt  medio  tempore  comitia  nMa  habuerit  praeter  tribunorum  et  ardüium 
pldm  praefedosque  pro  praetoribus  constituerit,  qui  absente  se  res  urbanas  ad- 
^inistrarent, 

8)  Dio  43,  47.     Suet.  Cäs.  41.  76. 

4)  43,  46:  ^x  tou  xifovov  infivov  ovHtti  ot  avtol  9ia  navtog  rotJ  hovg 
H.r.og,  d.  rom.  8t.»t.,erf.  H.  1.  ^.|.,.^^^  byGoOglC 


-     34     - 

vorkam,  dafs  infolge  des  Todesfalls  des  einen  der  nachgewäUten 
Konsuln  am  letzten  Tag  des  Jahrs  noch  eine  zweite  Nachwahl 
stattfand  *)  und  dem  so  bestellten  Magistrate  von  wenigen  Standen 
dieselben  Rechte  erwuchsen  wie  den  andern  Eonsularen^  dafs 
er  femer  zehn  Prätoriern  die  Auszeichnungen  von  Eonsularen 
gab,  ohne  dafs  sie  das  Konsulat  bekleidet,*)  so  war  hiedurch  die 
wirkliche  Führung  des  bisher  höchsten  ordentlichen  Amts  in 
ihrer  Würde  beeinträchtigt  und  die  Magistratur  als  solche  er- 
niedrigt, und  dasselbe  war  darin  gegeben,  dafs  er  in  den  Senat 
Neuaufgenommene  oder  auch  schon  darin  Befindliche  in  höhere 
Rangstufen  mit  allen  ihren  Rechten  einstellte,  als  ihnen  gebühr- 
ten. *)  Bei  der  Vermehrung  der  Zahl  in  den  einzelnen  Ämtern 
bildete  zwar  neben  der  Sorge  fBr  die  Verwaltung  wiederum  die 


nXriv  oUymv  navv  ys  vitatevacev.  Für  das  J.  44  wollte  zwar  Cäsar  bei  seiner 
Abreise  abdanken  nnd  den  Dolabeila  fflr  sich  eintreten  lassen,  aber  Anto- 
nius war  fSr  das  ganze  Jahr  in  Aussicht  genommen,  ebenso  die  im  März  44 
für  43  gewählten  Hirtias  und  Pansa. 

1)  Dio  43,  46  u.  a  St.  Es  ist  die  von  Cicero  ad  fam.  7,  30  verspottete 
Nachwahl  des  C.  Caninius  Rebilus  am  31.  Dezember  45. 

2)  Sueton  Cäs.  76:  eadem  licentia  spreto  pairio  more  magistraUus  in 
pluris  annos  ordinavit,  decem  praetorüs  viris  consttlaria  ornamenta  iribuit. 

3)  Dio  43,  47:  noXlovg  xal  ig  tovg  evnaxQldag  tovg  te  vnatsvnotag 
nocl  [aXXriv  Nipperdey]  a^X^v  tt,vct  a^^avtag  iyxcctiXB^sv,  Dies  ist  nach  dem 
spätem  Sprachgebrauch  von  der  in  vorherg.  Anm.  erwähnten  Erteilung  der 
ornamenta  verschieden,  indem  es  nicht  blofs  Gewährung  von  den  Ehren- 
rechten einer  Bangatufe  im  Senat  bezeichnet,  sondern  Einstellung  in  die 
betreffende  Rangstufe  mit  allen  Rechten  derselben  (vgl.  Nipperdey,  leg.  ann. 
S.  78  f.),  und  beide  Arten  von  aufserordentlicher  Förderung  sind  von  Augustus 
ab  als  förmliche' Institute  ausgebildet  worden,  wovon  später  zu  reden  ist. 
Bei  Cäsar  kommt  dies  Verfahren  zunächst  nur  als  ein  Auskunfts mittel  vor, 
um  möglichst  vielen  eine  Gunst  zu  gewähren  {noXXoCg  ya^  drj  noXXcc  vne- 
axrj^ivog  ov%  il%BV  onmg  atp&g  aXXmg  dfis^ipBrai  %al  dicc  tovto  tavx  inoistr^ 
Dio  a.  a.  0.);  vereinzelte  Fälle,  in  welchen  aus  der  Republik  von  Senats- 
ehren  oder  Senatsstellung  (Dio  36,  40.  Plnt.  Cato  min.  39)  die  Rede  ist, 
die  nicht  auf  wirklichem  Anrecht  beruhten,  konnten  Anknüpfung  bieten.  Wil- 
lems, le  s^nat  1,  629  will  wieder  Suetons  und  Dios  Angaben  auf  denselben 
Akt  beziehen.  Allein  Sueton  sagt  sehr  bestimmt:  decem  praetoriis  viris, 
während  Dio  auch  noch  von  andern  Stufen  spricht.  Wahrscheinlich  hat 
Cäsar  damit  angefangen,  dafs  er  zehn  Prätoren  die  höhere  Rangstufe  gab 
und  dann  bei  einer  späteren  lectio  auch  in  niedrigere  Stufen  solche  ein- 
treten liefs,  die  noch  nicht  dahin  gehörten;  es  mögen  also  mehr  zwei  ver- 
schiedene Fälle  als  zwei  verschiedene  Sachen  gewesen  sein.  —  Weil  dieses 
Verfahren  wichtiger  war  fclr  die  Magistratur  als  für  den  Senat,  ist  es  hier 
erwähnt. 

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1 


-     35     - 

Gelegenheit  zu  Belohnungeu  ein  Motiv,  aber  das  erstere  war 
gewiJjs  ein  ernstliches  und  voll  berechtigtes  Interesse;  insbeson- 
dere war  die  Vermehrung  der  Präturen,  deren  Zahl  für  44 
sogar  noch  bis  zu  16  stiege  auch  durch  die  vermehrte  Zahl 
der  Provinzen  notwendig  geworden,  die  der  Quästoren  durch  den- 
selben Umstand  sowie  durch  die  Vermehrung  des  Senats.^)  In 
ähnlicher  Weise  stand  die  im  J.  44  hinzukommende  Vermehrung 
der  Ädilen  um  die  zwei  plebejischen  Stellen  der  sogenannten 
aediles  Ceriales  in  Verbindung  mit  der  Fürsorge,  die  Cäsar  der 
Wohlfahrtspolizei  in  Rom  zuwandte  und  die  HinzufQguug  eines 
vierten  Münzbeamten  mit  der  Reform  des  Münzwesens.*)  Aber 
mit  dem  Allem  vollzog  sich  zugleich  ein  Herabsteigen  aller  dieser 
Amter  von  politischen  zu  blofsen  Verwaltungsposten,  und  was 
die  Verwaltung  gewann,  verlor  die  alte  Würde  der  Magistratur. 
Am  unmittelbarsten  machte  sich  dies  geltend  in  der  Provinzial- 
verwaltung.  Vor  Allem  wurde  hier  das  Prinzip  kurzer  Dauer 
der  Statthalterschaften  aus  leicht  begreiflichem  politischem  Inter- 
esse nicht  nur  beibehalten,  sondern  noch  strenger  geregelt:  im 
J.  46  ordnete  Cäsar  durch  ein  Gesetz  an,  dafs  die  prätorischen 
Posten  ein-,  die  konsularischen  zweijährig  sein  sollten.*)  Aufser- 
dem  aber  wählte  er  die  Personen  selbst  aus^)  und  erhielt  sie  als 
seine  Legaten  seiner  Disziplin  untergeben,  so  dafs  der  magistra- 
tische Charakter  hier  überhaupt  aufgegeben  war.    Aber  auch  bei 


1)  Die  48,  61,  woselbst  auch  die  Vermehrung  der  übrigen  Amter. 

2)  Vgl.  die  IV  viri  monetcHts  statt  der  bisherigen  III  viri  zuerst  auf 
Münzen  des  J.  45  Cohen  1,  12  n.  26.  Eckhel  doct.  num.  V.  62.  VI.  8.  Dies 
in  Kombination  mit  Sueton  Cäs.  41 :  minorum  etiam  magistratuum  numerum 
ampliavit;  vgl.  Mommsen,  röm.  Münzen  S.  870. 

8)  Die  43,  25,  wobei  das  Motiv  von  Cäsars  eigener  langer  Statthalter- 
schaft in  Grallien  hergeleitet  wird.  In  republikanischem  Sinne  preist  dieses 
Gesetz  Cic.  Phil.  1,  19. 

4)  Schon  im  J.  46  tag  i^y^iiovlag  %aq  iv  xm  vnri%6(p  totg  filv  vndtoig 
dtmol  dri^'sv  iitXi^Qmcav^  totg  dh  9ti  ffT^an^yotg  rov  Kcthaqa  axXTj^oDTl  9ovvai 
ifrifpiattvto'  ig  rs  yocQ  rovg  vndtovg  xal  ig  tovg  axQatriyovg  avd'tg  ncega  ta 
9f9oyitiva  otpCsiv  inavfiXd'ov  (Dio  42,  20).  Die  letztere  Bestimmung  besagt, 
^  damit  die  l.  Pampeia  vom  J.  52  (1,  569)  angehoben  worden  sei.  Die 
Beschränkung  des  Rechts  Cäsars  auf  die  prätorischen  Provinzen  war  un- 
wesentlich, da  es  einmal  darauf  ankam,  wie  es  Cäsar  selbst  mit  Übernahme 
des  Konsulats  halten  wollte,  sodann  aber  die  untergeordnete  Stellung,  in 
welche  das  hfichste  republikanische  Amt  nun  gekommen,  diese  Ausnahme 
vollends  bei  nur  zwei  Posten  unbedenklich  machte.  43,  47  heifst  ea  (zum 
J-  46)  allgemein:  ig  t«  i^vrj  d%X7jQa>tl  i^enifKpdTiöav, 

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~     36     - 

den  städtischen  Magistraten  wurde  das  Moment  von  Unabhängig- 
keit, welches  in  der  Bestellung  durch  das  Volk  lag,  so  gut  wie 
aufgehoben.  Im  J.  45,  sagt  Dio,  sei  dem  Cäsar  das  Recht  erteilt 
worden,  sämtliche  Magistrate  und  selbst  die  Yolkstribunen  zu 
ernennen;  in  welcher  Ausdehnung  von  Vollmacht  und  Zeit  dies 
gemeint  war,  läfst  sich  aus  der  kurzen  Notiz  nicht  ersehen,  ist 
auch  gleichgültig,  da  Cäsar  eine  so  allgemeine  Befugnis  nicht 
annahm,  sondern  durch  ein  Gesetz,  das  der  Tribun  L.  Antonius 
Ende  des  J.  45  einbrachte,  mit  Beibehaltung  des  Scheins  der 
Volkswahl  seinerseits  das  Mafs  seines  Rechts  feststellte.")  Das 
Volk  sollte  alle  Magistrate  wählen  und  zwar  die  Konsuln,  sowie 
die  Hälfte  der  andern  Beamten  blofs  unter  Cäsars  formlos  ge- 
übtem Einflufs;  die  andere  Hälfte  dagegen  wurde  gesetzlich 
solchen  Kandidaten  vorbehalten,  welche  er  dem  Volke  empfohlen, 
eine  eigentümliche  Verkleidung  der  einfachen  Ernennung,  welche 
er  in  möglichst  populärer  Form  anwandte,*)  wobei  auch  der 
materielle  Gewinn  der  Wähler  selbst  bei  diesen  Scheinwahlen 
den  Kandidaten  nicht  erspart  geblieben  sein  mag.')  Übrigens 
wurden  in  Voraussicht  der  Abreise  Cäsars  für  den  von  ihm  ge- 
planten Partherkrieg  für  43  die  Designationen  aller  Beamten,  für 
42  wenigstens  die  der  Konsuln  und  Tribunen  vorgenommen,*)  ein 
Verfahren,  das  zwar,  wie  bemerkt,  gegenüber  der  Vorsicht,  welche 
während  des  letzten  spanischen  Kriegs  geübt  worden,  eine  Kon- 


1)  Dio  43,  45  (im  J.  46):  tag  aQxag  ckvtcö  xal  rag  tov  nXi^^vg  ivi- 
d-saavy  was  in  dieser  Allgemeiaheit  nicht  genaa  sein  kann.  Cic.  Philipp.  7, 16: 
(L.  Antonius)  est  paironus  quinque  et  triginta  tribuum,  quarum  sua  lege^ 
qtM  cum  C,  Caesare  tnagistratus  partitus  est^  suffiragium  sustulitt  patronus 
centuriarum  equitum  Bomanorum^  quas  item  sine  suffragio  esse  voluit  Suet 
Cäs.  41:  Comitia  am,  popitlo  partitus  est,  ut  exceptis  consulatus  competitori- 
bus  de  cetero  numero  candidatarum  pro  parte  dimidia  quos  poptUus  veUä 
pronimtiarentur^  pro  parte  altera  quos  ipse  edidisset. 

2)  Sueton  a.  a.  0. :  et  edehat  per  lihellos  circum  irtbum  missos  scriptura 
brevi:  Caesar  dictator  iUi  tribui,  Commendo  vobis  ülum  et  üliwi,  ut  vestro 
suffragio  suam  dignitatem  teneant. 

3)  Dafs  ambitus  vorkam,  zeigen  die  Ambitusprozesse ,  and  dafs  Cäsar 
solche  anstrengen  liefs  und  selbst  darüber  richtete  (Dio  43,  47.  Cic.  ad  Att. 
13,  49,  1),  beweist  nicht,  dafs  er  dies  abgeschafft  wissen,  sondern  nur,  dafs 
er  auf  diese  Waffe  gegen  unbequeme  Bewerber  nicht  verzichten  wollte. 

4)  Dio  48,  51.  Cic.  ad  Att.  14,  6,  2:  Etiamne  consuUs  et  tribunos  pl 
(tuemur)  in  biennium  quos  ille  voluit?  Dadurch  wird  Appian  2,  128  wider- 
legt, der  von  Designationen  auf  fünf  Jahre  voraus  spricht.  —  Vgl.  über 
Cäsars  Verfahren  Stobbe,  die  candidati  Caesaris  in  Philol.  27  S.  91—98. 


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-     37     — 

Zession  an  die  frühere  Verfassung  war,  aber  doch,  weil  es  schon 
mehr  eine  definitive  Ordnung  voraussehen  liels,  einschneidender 
wirkte.  Über  die  bevorstehende  absolute  Unterordnung  der  Ma- 
gistratur unter  einen  Herrn  des  Staats  konnte  kein  Zweifel  mehr 
bestehen. 

19.  So  war  der  Rest  alter  Herrlichkeit,  welchen  das  Senats- Der  senat  uutcr 
regiment  der  späteren  Republik  der  Magistratur  noch  gewahrt  rung  des  ratri 
hatte,  geopfert;  allein  auch  jetzt  noch  hatte  das  einzelne  Amt 
in  seinen  Befugnissen  seinen  wenn  auch  untergeordneten  Teil  an 
einer  mächtigen  Exekutive,  Weit  fühlbarer,  durch  den  Kontrast 
mit  der  früheren  Stellung  auffallender,  zugleich  aber  auch  in 
dieser  Bedeutung  von  Anfang  an  ganz  und  voll  beabsichtigt  war 
die  Absetzung  des  Senats  von  seiner  bisherigen  Uegierungshoheit 
(1,  546).  Durch  die  Heerfolge,  welche  ein  grofser  Teil  des  Senats 
dem  Pompejus  geleistet  hatte,  und  durch  die  Verluste,  welche 
der  Krieg  mit  sich  gebracht,  war  der  Senat  so  zusammen- 
geschmolzen, dafs  die  Behörde,  welche  Cäsar  im  J.  47  bei  seiner 
Rückkehr  aus  Asien  zu  sich  berufen  konnte,  nach  Zahl  und  Per- 
sönlichkeiten nur  den  dürftigsten  Anblick  bieten  mochte,  zumal 
da  viele  der  bedeutenderen  Anhänger  im  Felde  standen.  Die 
Begnadigungen  führten  eine  Anzahl  Pompejaner  zurück,^)  und 
anfserdem  setzte  schon  jetzt  der  Diktator  einige  seiner  Offiziere 
in  den  Senat  ein  von  diktatorischer  Vollmacht  aus  und  mit  will- 
kürlicher Bemessung  der  Qualität.^  Nach  dem  Feldzug  in  Afrika 
im  Sommer  46  fand,  wiederum  nicht  durch  censorische  Befugnis, 
sondern  mit  Herrschergewalt,  eine  neue  Vermehrung  statt,  wobei 
abermals  weder  die  herkömmlichen  Anforderungen  des  bürger- 
lichen Standes  noch  selbst  die  der  Nationalität  beachtet  und  die 
Vorschrift  des  ^(jpümum  quemque'  in  einer  für  Optimatenan- 
schauung    unfaCslichen    V^eifie    interpretiert    wurde  ;^)    als    dann 

1)  Vgl.  die  Rede  Cioeros  pro  Maroello. 

2)  Dio  42,  51:  rovg  tnniag  xov  tslovg  tovg  rc  siiarovtciQxovs  xal  tovg 
v%ofu£ovag  (dvriQtrjitazo)  aXXovg  xb  tiai  xal  rm  xal  ig  to  awidgiov  xtvag  an 
avxmv  avxl  xav  anolcal6x(ov  Haxali^ai;  43,  27:  ixi  xs  ig  xrjv  ßovXrjv  ai^ig 
otnc  a^ümg  xivag  avxTig  iyi€ccxeleis.  Suet.  Cäe.  76:  Civitate  omatoSy  et  quos- 
dam  e  semibarbaris  GaUorum^  rccepit  in  curiam, 

8)  Dio  48,  20:  xovg  ig  x6  awidqiov  atpiov  vn  avzov  %axaXft%^BVxag 
irti^acav.  Vgl.  über  diesen  Spott  Sueton  Cäs.  80.  Macrob.  SaturD.2,  3,  11. 
Oic.  ad  fam.  6,  18,  1:  negue  enim  er<U  fersndum^  cum,  qui  hodie  haruspici' 
»MM»  facerent,  in  sefiaiutn  Boniae  Ugerentur,  eos,  qui  aUguando  pracconium 
ftciuent^  in  niunicipiis  äecuriones  esse  non  Heere, 

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-     38     — 

vollends  im  J.  45  nach  der  Niederwerfung  der  Pompejussöhne  in 
Spanien  eine  Neubildung  des  Senats  durch  den  Diktator  mit  Er- 
höhung der  Zahl  bis  auf  900  stattfand  und  bis  zum  Soldaten 
und  Freigelasseneu  berabgegaugen  wurde/)  da  war  es  klar,  dafs 
dieser  Senat  nicht  mehr  ein  Teilhaber  an  der  Regierung,  sondern 
nur  eine  Abfindung  mit  der  Vergangenheit  war^  und  dafs  die 
Beugung  der  Exekutive  unter  die  Senatsherrschaft,  welche  das 
Werk  der  Republik  gewesen,  jetzt  in  das  vollständigste  Gegenteil 
verkehrt  werden  sollte.*)  . 

In  Verbindung  mit  der  Neubildung  des  Senats  wird  bei  den 
Schriftstellern  erwähnt,  dafs  Cäsar  im  J.  45  den  Patriziat  ver- 
mehrt habe.^)  Nach  einer  Zwischenzeit  von  beinahe  einem  halben 
Jahrtausend  sollte  also  wieder  an  die  Tradition  der  Konigszeit 
angeknüpft  werden  nicht  blofs  damit,  dafs  überhaupt  die  Zahl 
der  Patriziergeschlechter  gemehrt  wurde,  sondern  auch  damit^  dafs 
das  Staatsoberhaupt  die  Aufnahme  vorzunehmen  hatte.  Ob  da- 
neben eine  der  cooptatio  entsprechende  formelle  Mitwirkung  der 
noch  vorhandenen  Patrizier  (1,  116  f)  für  erforderlich  erachtet 
wurde,  wird  nicht  berichtet,  auch  nicht  ob  dabei  die  Ver- 
einigung des  Oberpontifikats  mit  dem  Imperium  in  der 
Person  Cäsars  in  Betracht  kam;  wir  wissen  nur,  dafs  es  eine 
lex  Cassia  war,  welche  dem  Diktator  das  Recht  zusprach^);  aber 
auch  die  volle  Bedeutung  dieses  Wegs  der  Gesetzgebung  ist  nicht 
zu  erhärten,  weil  wir  nicht  wissen,  ob  der  Abschlufs  des  Patri- 


1)  Dio  48,  47:  nafmXrj^eig  inl  tr^v  ysQovaüxv  nr^d^v  SianQ^vcov  fitjr 
af  Ti«  atQatimvris  firi%  ef  r«?  anslBv^eqav  natq  ^v  igiyQUfpsv,  äats  nal  iwtc- 
noaCovq  x6  nsfpdXatrOV  avroiv  ysvia^ai. 

2)  Wie  jetzt  SenatsbeschlÜBse  gemacht  wurden,  darüber  vgl.  Cic.  ad 
fam.  9, 16, 3  f. :  tunc  —  aedebamtis  inptippi  et  clavum  tene^amus:  mmc  autem  vix 
est  in  sefiüna  loctts.  An  minus  müUa  senatus  consuUa  futura  putas^  si  ego 
sim  Neapoli?  Bomae  cum  swm  et  urgeo  forum,  senatus  consulta  scribuntur 
apud  amatorem  tuum^  familiärem  metim.  Et  quidem  cum  in  mentem  venit^ 
ponor  ad  scribendum  et  ante  audio,  s.  c.  in  Ärmeniam  et  Syriam  esse  perla- 
tum,  quod  in  meam  setUentiam  factum  esse  dicatur,  quam  omtUno  mentümem 
ullam  de  ea  re  esse  factam  etc, 

8)  Dio  48,  47  (ob.  S.  84  A.  8).  Suei  Gä«.  41:  Senatum  supplevii, 
patricios  adlegit 

4)  Tacit.  annal.  11,  25:  Isdem  diebus  in  numerum  pairiciarum  ascivit 
Caesar  vetustissimum  quemgue  e  senatu  cnU  quibus  dari  parentes  fuerant, 
poMcis  iam  reliquis  famtliarum  quas  Romulus  wuUorum  aut  L.  Brutus  mino- 
rum  gentium  appellavercmt  (1,  86  A.  8),  exhaustis  etiam,  quas  dictator  Caesar 
lege  Cassia  et  princeps  Äugustus  lege  Saenia  sublegere, 

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—     39     — 

ziats  zu  Anfang  der  Republik  auf  förmlichem  Verbot  oder  auf 
nur  thatsächlichem  wenn  auch  verabredetem  Grunde  und  daran 
sich  schlieijsender  Tradition  beruhte.  Der  Zweck  der  Mafsregel 
konnte  in  dem  Bedürfois  gefunden  werden,  mehr  Kandidaten  für 
die  patrizischen  Priestertümer  oder  für  den  Patrizierausschufs  im 
Senat  zu  bekommen;  indes  waren  dies  in  jenem  Augenblick  zu 
untergeordnete  Zwecke,  als  dafs  Cäsar  daran  denken  mochte,  und 
wenn  er  damit  seine  Anhänger  belohnen  wollte/)  so  sollte  doch 
wohl  eine  gröfsere  Bedeutung  der  Sache  innewohnen,*)  Möglich, 
dafs  gerade  hierin  der  Kern  dieser  Wiederaufiiahme  der  Patrizier- 
emennung  lag,  nämlich  über  dem  gewohnlichen  Senatorenstand 
einen  dem  Herrscher,  der  auch  Patrizier  war,  am  nächsten  stehen- 
den Rang  zu  schaffen,  der  nur  von  ihm  abhängig  wäre.  Es 
war  dies  nicht  dasselbe,  wie  wenn  unter  den  Königen  Plebejer 
oder  Fremde  in  das  römische  Vollbürgerrecht  aufgenommen  wurden, 
aber  es  war  doch  analog,  sofern  die  Betreffenden  mit  ihren  Fa- 
milien zu  derjenigen  Stufe  erhoben  wurden,  die  immer  noch  die 
höchste  im  Bürgerrecht  war.  Das  republikanische  Patriziat  aller- 
dings, das  nur  auf  Geburt  beruhte,  wurde  jetzt  dadurch  herab- 
gedrückt, dafs  durch  die  Gunst  des  Diktators  Gleichberechtigte 
ihm  an  die  Seite  kommen  sollten.  Wiederum  aber  diente  es  zur 
Herabdrückung  des  Senats,  wenn  die  Senator  würde  nun  nicht 
mehr  die  höchste  unter  den  auf  politischem  Wege  zu  gewinnen- 
den Würden  war,  sondern  noch  ein  besonderer  Adel  gewonnen 
werden  konnte.  Zu  den  Akten  aber,  welche  zur  lectio  senatus 
gehörten,  konnte  man  die  Schaffung  von  Patriziern  insofern 
rechnen,  als  sie  wohl  sich  äufserlich  daran  anschlofs  und  der 
Besitz  der  Senatorenwfirde  die  Voraussetzung  bildete.^) 

20.   Indessen    selbst   dieser  Senat   war   nicht   völlig   servil.  Stimmung  des 

».  ^  Senats.    Die  re- 

Neben  all  den  Beschlüssen,  welche  die  Übertreibung  der  Ehren  pubiikanische 

Gruppe.   Cicero. 

bis  zur  Vergötterung  bezeichnen,  geht  durch  Alles  eine  Zurück-    l.  cassiua. 
haltung  hinsichtlich  der  letzten  von  Cäsar  erwarteten  Konzession. 
Ob  der  Vorschlag  der  lebenslänglichen  Diktatur  im  Scholse  des 
Senats  gemacht  oder  von  Cäsar  hineingetragen  wurde,  niemand 
konnte  sich  darüber  täuschen,  deSs  dies  nicht  der  Schlufsstein 


1)  So  motiviert  es  Dio. 

2)  Die  geringe  BedeutuDg,  welche  die  Vermehrung  des  Patriziats  weiter- 
hin in  der  Eaiserzeit  hatte,  ist  nicht  mafsgcbend  für  die  Intentidüen  Cäsars. 

3)  Man  kann  auch  io  Betracht  ziehen,  dals  Claudius  die  Aufnahme  ins 
Patriziat  als  Censor  vornahm  (Tacitus  a.  a.  0.). 

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—     40     — 

war,  mit  welchem  Cäsar  das  Gebäude  kroDen  wollte,  dafs  er 
aber  wünschte,  es  möchte  ihm  das,  was  er  wollte,  entgegen- 
gebracht werden.  Aber  es  fand  sich  in  diesem  Senat  niemand, 
der  offen  das  letzte  Wort  aussprechen  und  die  Majorität  dafür 
aufrufen  wollte,  trotzdem  die  Majorität  unzweifelhaft  im  Allge- 
meinen an  Cäsar  gebunden  war.  Es  war  die  Scheu  vor  dem 
Rest  des  früheren  Senats,  in  welchem  zugleich  die  politische  und 
geschäftliche  Intelligenz  vertreten  war,  und  es  war  der  Name 
der  ehrwürdigen  Körperschaft,  was  es  nicht  zur  Selbstvemichtung 
kommen  liefs.  In  dieser  Gruppe  von  republikanischen  Senatoren 
war  Cicero  wohl  der  angesehenste,  er  ist  derjenige,  von  dem  wir 
am  meisten  hören,  aber  er  hatte  keinen  Einflufs  auf  den  Gang 
der  Dinge.*)  Er  war  zu  sehr  mit  sich  selbst  beschäftigt,  ob  er 
reden  oder  schweigen  solle,  und  wenn  er  in  seinen  Briefen  von 
Politik  spricht,  so  geschieht  es  in  dem  einförmigen  Tone  einer 
passiven  Wehmut.  Eine  Führung  gab  es  aber  in  dieser  Gruppe 
überhaupt  nicht,  und  es  war  bei  der  Haltung,  die  sie  einnahm, 
keine  Möglichkeit  für  eine  solche;  denn  das  einzige,  was  wir  von 
aktivem  Auftreten  wissen,  besteht  in  dem  Eintreten  für  Begnadi- 
gungen; alles  übrige  war  Arger,  den  zum  Halbgott  erhoben  zu 
sehen,  der  ihnen  gleichgestanden,*)  imd  demonstrative  Zurück- 
haltung. Aber  diese  steigerte  sich  in  ihrer  Bedeutung,  je  ent- 
schiedener der  Diktator  ein  Vorgehen  zu  gunsten  seiner  Wünsche 
begehrte,  und  nun  allerdings  gelangte  sie  auch  zu  wirklicher 
Negation.  Die  wiederholte  und  lange  Abwesenheit  Cäsars  von 
Rom  trieb  die  feindseligen  Gedanken  der  thatenlos  zurückbleiben- 
den Mifsvergnügten  hervor,  man  mufste  zumal  während  des 
spanischen  Feldzuges  vom  J.  45  mit  dem  Gedanken  vertraut 
werden,  dafs  der  Diktator  verschwinden  könnte,  und  wenn  er  nun 
auch  siegreich  zurückkehrte,  so  war  er  doch  mehr  als  einmal 
dem  Zufall  des  Augenblicks  preisgegeben  gewesen.  Und  solche 
Augenblicke  konnte  man  schaffen.  —  Der  Mann,  in  dem  alle  Stufen 
dieses  Gedankengangs  bis  zur  offenen  That  vor  uns  liegen,  ist 
C.  Cassius  Longinus,  der  tüchtige  junge  Führer  des  römischen 


1)  Vgl.  zu  dem  Nachfolgenden  dio  ciceronischen  Verteidigungsreden 
aas  dieser  Zeit,  seine  Briefe  uud  was  Platarch  im  Leben  des  Cäsar,  Brutus 
und  Antonius  über  Cassius  sagt. 

2)  Nicht  ohne  Absicht  erinnert  Cicero  den  C&sar  an  die  frfihere  Gleich- 
btellung  pro  Lig.  30:  Causas,  Caesar^  egi  muttas  quidefn  tecum,  dum  te  in 
foro  tenuit  ratio  Jumorum  tuorum. 

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—     41      - 

Heeres  nach  der  Katastrophe  des  Crassus,  Pompejaner  im  J.  49, 
von  Cäsar  sofort^  a]s  er  sich  ergab,  begnadigt.  Stolz  auf  seine 
ersten  Verdienste,  konnte  er  es  schwer  verwinden,  dafs  er  sieh 
in  einem  Augenblicke  dem  Sieger  unterworfen  hatte,  in  dem  es 
eher  zu  erwarten  gewesen,  dafs  der  Sieger  ihm  in  die  Hände 
fiele,  und  Cäsar  entrifs  ihn  solchen  Gefühlen  nicht  durch  rasche 
Beförderung.  So  befestigte  sich  in  dem  ehrgeizigen  Manne  die 
feindselige  Gesiunung,  und  wenn  er  auch  zugab,  dafs,  wenn  die 
Wahl  zwischen  einem  Pompejussohn  und  Cäsar  stehe,  der  letztere 
vorzuziehen  sei,  so  mufste  der  Gedanke  kommen,  dafs  denn  doch 
noch  ein  Drittes  moglict)  wäre.  Nach  längerem  Fernbleiben  von 
Rom  kehrte  er,  als  Cäsar  von  Spanien  zurück  war,  ebenfalls 
dorthin  zurück,  wurde  zum  Peregrinenprätor  designiert  und  ihm 
für  später  die  Provinz  Syrien,  der  Schauplatz  seiner  früheren 
Verdienste,  bestinimt,  aber  Brutus  allerdings  als  städtischer  Präior 
vorgezogen,  und  während  Brutus  dem  Diktator  näher  stand, 
hatte  dieser  einen  instinktiven  Widerwillen  gegen  Cassius.  Es 
kamen  die  mafslosen  Anträge  zu  Cäsars  Ehren,  Cassius  stimmte 
ihnen  nicht  zu  *),  und  damit  war  eine  Stellung  gegeben,  an  die 
sich  anschliefsen  und  zu  der  herangezogen  werden  konnte,  wer 
aus  politischen  und  personlichen  Gründen  feindUch  gesinnt  war, 
und  in  demselben  Verhältnis,  in  welchem  Cäsar  seinem  Ziele  unge- 
duldiger zudrängte,  kam  die  blofse  Negation  dazu,  zur  Aktion 
überzugehen. 

21.  Die  Opposition  ermangelte  auch  nicht  ganz  eines  legalen  Das  voika 
Organs.  Das  Volkstribunat  war  wie  die  Magistratur  unter  dem 
Einfluls  Cäsars  besetzt,  und  neben  d.  h.  über  ihr  stand  die  mit 
der  Diktatur  vereinigte  tribunicische  Gewalt.  Und  dennoch 
fanden  sich  Tribunen,  welche  sich  nicht  beugen  wollten*),  son- 
dern, als  die  Proklamierung  der  bleibenden  Alleinherrschaft  vor- 
bereitet wurde,  ihre  Gewalt  geltend  machten,  um  die  Republik 
zu  schützen.  Sie  konnten  nun  freilich  nicht  vor  Senat  und  Volk  mit 
Anträgen  oder  Intercessionen  auftreten,  denn  sie  waren  vereinzelt; 
aber  das  jedem  Tribun  zustehende  Einschreiten  gegen  Bürger, 
welche  die  Gemeinde  schädigten  oder  die  Verfassung  verletzten, 


1)  Dio  44,  8:  «Xijir  y«^  tov  Kacaiov  nat  xhißmv  «Uow,  o2  mqi^orixoi, 
liä  tovta  iyhovTO,  ov  fkivroi  xal  inct^ov  Ti,  ii  ovnBQ  xal  tcc  itdXicxa  rj 
iMsineta  «vtcw  dufparq,  xoCg  ys  aXXois  ofi^viiaSov  lyvoacdTj. 

2)  Vgl.  Sneton  Cfts.  78  die  Geschichte  von  dem  Tribunen  Pontina  Aquila, 
der  rieh  vor  Cäsar  nicht  erhob.  ^  . 

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~     42     - 

konnte,  selbst  wenn  Intercession  folgte,  Wirkung  thun,  ebenso  das 
Auftreten  in  Kontionen  und  durch  Edikt,  und  beides  wurde  gegen 
diejenigen,  welche  dem  römischen  Volk  durch  Zurufe  und  an- 
deutende Handlungen  einen  König  geben  wollten,  von  zwei 
Tribunen  C.  Epidius  Marullus  und  L.  Cäsetius  Flavus,  sonst  ganz 
unbekannten  Männern,  angewandt.  Bei  der  Wiederholung  dieses 
tribunicischen  Verfahrens  schritt  der  Diktator  ein,  nicht  mit  der 
Intercession  seiner  tribunicischen  Gewalt,  sondern  mit  einem 
illegalen  Verfahren,  indem  er  aus  dem  Schofse  des  Tribunen- 
kollegiums heraus  eine  Anklage  im  Senat  gegen  sie  erheben  liefs, 
infolge  deren  sie  ihres  Amtes  entsetzif  und  aus  dem  Senat  ge- 
stofsen  wurden.  Niemand  nahm  sich  direkt  der  so  Bestraften 
an^);  aber  der  Vorgang  trug  dazu  bei,  dalis  die  Demonstrationen 
für  das  Königtum  keinen  Wiederhall  fanden*);  die  Menge  stand 
hier  auf  derselben  Seite  wie  jene  Tribunen, 
stand  der  Dinge  22.  Dics  War  dcr  Stand  der  Dinge  zu  Anfang  des  Monate 
Gr^dd"e7Kftta-März  im  Jahre  44,  zu  derselben  Zeit,  da  Cäsar  mit  dem  Plane 
stror  c.  gjneg  Partherkriegs  vor  einer  Unternehmung  stand,  die  ihn  wieder 
auf  unbestimmte  Zeit,  jedenfalls  langer  als  bei  den  letzten  Feld- 
ztigen,  Yon  Bom  fernhalten  sollte.  Die  Lage  schien  geklärt  zu 
sein  durch  die  eben  erfolgte  Ernennung  zum  lebenslänglichen 
Diktator,  aber  die  fortgehende  Agitation  für  das  Köm'gtum,  die 
Unbestimmtheit  der  Entwürfe,  welche  mit  dem  Partherkrieg  ver- 
bunden sein  mochten,  das  in  römischem  Interesse  gefürchtete 
Verhältnis  zu  Kleopatra,  dies  Alles  waren  Umstände,  welche 
unter  der  Menge  Unruhe  hervorriefen,  Cäsar  zu  einem  Entschlüsse 
drängten,  aber  auch  den  Gegnern  die  Veranlassung  boten,  ihm 
oder  denen,  welche  in  seinem  Namen  eine  Lösung  herbeiführen 
wollten,  zuvorzukommen.  Für  Cäsar  aber  lagen  die  Dinge 
folgendermafsen : 

Nachdem  er  zum  Diktator  auf  Lebenszeit  ernannt  war,  gab 
es  zwar  kaum  noch  Herrscherbefugnisse,  die  ihm  nicht  entweder 


1)  Dio  44,  10:  (Nachdem  Cäsar  im  Senat  sie  zur  Verantwortung  ge- 
zogen und  eine  Verurteilnng  erreicht)  ov%  aninteivs  (ihv  cevrovg  Maizov  im^^ 
xovtov  TLvüv  xiitTiadvtoav  atplai^  nqoanaXkd^ai  d\  i%  r^g  drjiia^xücg  9i 
'EXoviov  Klwov  avvdffxovTog  avtmv  anriXsiipev  i%  zov  isvvb9qIov.  Saeton 
Gas.  79.  grämte  increpitos  potestate  privavü.  Andere  fttgen  noch  weitere 
Strenge  hinzu.  —  Die  Reaktion  dagegen  bestand  in  Abgabe  von  Stimmen 
für  die  Gestraften  bei  den  folgenden  Eomitien.    Dio  44,  11.    Sueton  C^.  80. 

2)  Dio  44,  11.    Appian  2,  109  u.  A. 

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—    43     - 

ausdrücklich  zugestanden  oder  aus  der  allgemeinen  Stellung  ab- 
zuleiten gewesen  wären,  aber  diese  Gewalt  hatte,  wie  schon  der 
Name  gab,  den  Charakter  des  Aufserordentlichen,  neben  welchem 
die  Republik  fortwährend  als  die  ordentliche  zu  Recht  bestehende 
Verfassung  galt.  Für  den  Fall  des  Todes  von  Cäsar  trat  sie 
entweder  unmittelbar  wieder  ein  oder  es  mufste  neue  Bestimmung 
getroffen  werden.  Damit  war  nicht  blofs  alles  bis  jetzt  Erreichte, 
waren  die  grofsen  Anfänge  einer  Neuordnung  der  ganzen  romischen 
Welt  in  Frage  gestellt,  sondern  es  wirkte  die  Unsicherheit  der 
Zukunft  auch  auf  die  Gegenwart  zurück.  Cäsar  hatte  freilich 
im  Sept.  45  ein  Testament  gemacht,  es  war  dies  aber  ein  rein 
privater  Akt  gewesen,  der  infolge  der  veränderten  Verhältnisse 
an  die  Stelle  früherer  Bestimmungen  trat,  und  ebenso  leicht 
wieder  durch  andere  ersetzt  werden  konnte;  die  später  bekannt 
gewordenen  Bestimmungen  zeigen  auch,  dafs  damit  nur  diejenigen 
Personen  bezeichnet  waren,  welche  ihm  damals  am  nächsten 
standen^),  und  auch  die  darin  enthaltene  Adoption  war  nicht 
blofs  nicht  bei  Lebzeiten  offen  ausgesprochen,  sondern  auch  da- 
durch in  ihrer  Bedeutung  geschwächt,  dafs  Cäsar  daneben  die 
Eventualität  eines  natürlichen  Leibeserben  für  sich  ins  Auge 
fafste.*)  Eine  Bestimmung  für  die  Zukunft,  welche  für  Cäsars 
Werk  befestigend  wirken  und  einer  Herrschernatur,  wie  die  seinige 
war,  genügen  sollte,*"  mufste  öffentlich  rechtlichen  Charakter 
haben,  an  Stelle  der  Diktatur  eine  definitive  Ordnung  als  ordent- 
liche legitime  Regierungsform  setzen  und  die  Nachfolge  gesetz- 
lieh feststellen.  Es  soll  freilich  dem  Cäsar  der  Imperatortitel 
erblich  erteilt  worden  sein,  allein  damit  war  jenen  Anforderungen 
nicht  entsprochen;  es  war  dies  zwar  ein  öffentlicher  Akt,  aber 
es  wsr  keine  Regierungsform  damit  gegeben,  und  gerade  mit 
der  Erblichkeit  nicht  einmal  ein  Titel,  sondern  nur  ein  Name. 
Die  Zeitgenossen  nun  glaubten,  dafs  der,  welcher  sein  Bild  den 
Statuen  der  sieben  Könige  zufügen  liefs,  ebenfalls  König  werden 
und  heifsen  wolle,  von  diesem  Glauben  aus  gingen  diejenigen 
seiner  Anhänger,  welche  seine  Winke  verstehen  wollten,  mit 
Proben  auf  die  öffentliche  Stimmung  vor,  und  diesen  Glauben 
benützten,  als  man  sah,  dafs  der  Königstitel  nicht  populär  sei. 


1)  Suet.  Gas.  88. 

2)  a.  a.  0.!  plerosque  percussorum  in  ttäaribus  fUi,   si  gut  sibi  na9- 
cerdur,  nominavU. 

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^     44    — 

die  Gegner,  um  eine  Handhabe  zum  Kampf  gegen  Cäsar  zu 
haben.  Indes  so  bedeutsam  demnach  der  Eönigstitel  jedenfalls 
war,  das  entscheidende  Moment  lag  in  ihm  nicht,  und  auf 
ihn  allein  wird  Cäsar  nicht  seine  zukünftige  Stellung  gesetzt 
haben.  Unter  welchem  Namen  es  sein  mochte,  nur  darüber 
können  wir  nicht  im  Zweifel  sein,  dafs  er  die  Sache  wollte, 
d.  h.  die  Alleinherrschaft  als  ordentliche  bleibende  Regierungs- 
form, also  Vernichtung  der  Senatsregierung  und  dauernde  Ver- 
einigung der  in  der  Republik  geteilten  und  zeitlich  verkürzten 
Exekutive  in   einer  Hand. 

Die  so  gefafste  Gewalt  erblich  zu  machen,  war  durch  die 
Logik  der  Sache  gegeben,  aber  die  nähere  Bestimmung  darüber 
mufste  ihm  vorbehalten  bleiben.  Bei  dem  völlig  Neuen,  das  in 
einer  solchen  Monarchie  lag,  wäre  es  wohl  erfolgreicher  gewesen, 
wenn  Cäsar  mit  eigener  Initiative  und  oflFen  verlaugt  hätte,  was 
er  wollte,  gesetzliche  Feststellung  oder  Usurpation  motivierend 
mit  dem  Interesse  der  Zusammenfassung  des  Reichs  unter  einer 
festen  Regierung.  Aber  solch  entscheidendes  Wort  kam  nicht: 
sei  es,  dafs  er  nicht  davon  ablassen  wollte,  für  die  künftige 
Herrschaft  die  populäre  Grundlage  des  Anerbietens  von  Volk 
und  Senat  zu  erhalten,  oder  weil  er  einen  gewissen  Moment 
zu  überraschender  Erklärung  sich  ausgedacht  hatte,  er  ver- 
schob, bis  es  zu  spät  war.  In  derselben  Zeit,  in  welcher 
die  Gefahr  eine  bestimmte  Gestalt  gewann,  wuchs  bei  ihm 
in  wahrhaft  tragischer  Weise  das  Vertrauen  in  sein  Werk 
oder  bemächtigte  sich  seiner  eine  vollkommene  Sorglosigkeit 
um  seine  Person,  ein  Gefühl  der  Erhebung  über  alle  Schwierig- 
keiten, dem  jede  Vorsicht  als  Schwäche  galt.  Als  ob  bereits 
ein  Zustand  allgemeiner  Versöhnung  eingetreten  wäre'  wies 
er  jede  Warnung,  jede  angebotene  Schutzmafsregel  zurück 
und  verlor  das  scharfe  Urteil  über  die  Personen,  die  ihn  um- 
gaben. Demselben  Vertrauen  in  die  Lage  entsprang  der  Plan, 
Rom  wieder  zu  verlassen  und,  was  die  Republik  zu  thun  nicht 
imstande  gewesen  war,  zu  vollführen,  die  letzte  grofse  Nieder- 
lage, die  dem  Reich  zugefügt  worden,  zu  rächen,  der  Bedrohung 
der  Ostgrenze  ein  Ende  zu  machen  und  so  auf  die  Bürgerkriege 
hin  eine  neue  That  auswärtiger  Kriegserfolge  an  seinen  Namen 
zu  knüpfen,  gleichwertig  der  Eroberung  Galliens.  Seine  Gegner 
wollten  den  Alleinherrscher  auch  um  solchen  Preis  nicht,  und 
wenn   sie  ihn  nicht  wollten,  so  durften  sie  nicht  zugeben ;  dafs 

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-     45     - 

die  Person  Gasars  ihnen  entgehe  und  sein  Name  neuen  Glanz 
gewinne.  Dafs  aber  die  Aufrichtung  der  offenen  Monarchie  auch 
selbst  bei  der  Bevölkerung  der  Hauptstadt  keinen  Anklang  fand, 
erklärt  sich  nicht  allein  aus  der  Abneigung  gegen  den  Namen 
Königtum^  sondern  aus  Gründen  allgemeinster  Art.  Es  wieder- 
holte sich  die  Erscheinung  vom  J.  49,  als  der  Senat  sich  für 
die  Republik  oder  für  Cäsar  entscheiden  mufste  (1,  549).  Es 
war  undenkbar,  dafs  das  romische  Volk  nach  all  dem,  was  die 
Republik  als  im  Namen  von  Senat  und  Volk  vollbracht  aufwies, 
leichten  Herzens  die  bisherige  Verfassung  selbst  einem  Cäsar 
opfern  sollte,  und  wenn  auch  die  Stimmung  des  Volks  zu  über- 
winden gewesen  wäre,  so  war  es  nicht  ebenso  mit  der  Opposition 
derer,  die  aus  ihrer  Stellung  einen  Rechtsanspruch  auf  die  Mit- 
regierung und  die  Pflicht  der  Verteidigung  der  Verfassung  ab- 
leiteten. Es  ist  wahr,  dafs,  wenn  man  alle  gegen  Cäsars  Leben 
Verschworenen  nach  ihren  Motiven  prüft,  kaum  einer  ganz  im 
Dienste  dessen  stand,  was  man  Freiheit  nannte^),  und  doch  ist 
Cäsar  am  15.  März  des  Jahres  44  in  der  Senatssitzung,  in 
welcher  er  die  höchste  Stufe  der  Macht  erwartet  haben  soll, 
nicht  blofs  einer  Summe  von  Einzelinteressen  zum  Opfer  ge- 
fallen, sondern  dem  Kampf  derselben  Gegensätze,  die  unter  der 
nachfolgenden  Imperatorenherrschaft  noch  über  ein  Jahrhundert 
lang  selbst  unter  der  vorsichtigsten  Führung  der  Alleinherrschaft 
in  der  römischen  Aristokratie  sich  fortzogen. 

§  73.   Von  Cäsars  Tod  bis  zur  Anfriohtimg  des  Triumvirats.^) 

1.    Die  Periode  vom  15.  März  des  Jahres  44  bis  zum  Tode    übersieht, 
des  M.  Antonius  im  August  30,  welche  den  Übergang  von  der 
Alleinherrschaft  des  Julius  Cäsar  zu   der  seines    Adoptivsohnes 


[^     1)  Vgl.    die    Zusammenstellnng    der    Verschworenen    bei    Druraann, 
5,  697—721. 

2)  Unter  den  Qaellen  für  diesen  Abschnitt  tritt  Appian  durch  das 
Detail,  das  er  giebt,  sehr  in  den  Vordergrund;  doch  müssen  er  und  Dio 
mit  ihrer  Erzählung  nicht  blofs  chronologisch  kontrolliert  werden,  sondern 
es  ist  bei  Appian  noch  ersichtlich,  dafs  der  Quellenschriftsteller,  dem  er 
folgt,  eine  dem  Cicero  feindliche  Tendenz  hat;  derselbe  kann  insbesondere 
nnmittelbar  nach  dem  Tode  Cäsars  nicht  in  Rom  gewesen  sein,  da  er  gerade 
für  diese  Zeit  mehrfach  ungenau  ist,  sogar  in  der  Datierung  der  so  wichtigen 
ersten  Senatssitzung.  Dies  würde  auf  Asinius  Pollio  passen,  der  damals 
bereits  in  Spanien  war.     Die  Eontrolle  für  die  Folge  der  Ereignisse  bildet 

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-     46     — 

bildet,  zerfallt  durch  die  Aufrichtung  des  Triumvirats  von  Antonios, 
Lepidus  und  Octavianus  am  27.  November  des  J.  43  in  zwei  sehr 
ungleiche  Teile.  Der  erste  Teil  ist  dadurch  bezeichnet,  dafs  in 
ihm  die  legitime  Verfassung  wieder  die  der  Republik  ist,  also 
Senat  und  Konsuln  die  Regierung  in  der  alten  Weise  ftthrcD, 
im  zweiten  ist  die  Regierungsform  schon  im  Titel  als  die  eines 
Ausnahmezustands  bezeichnet,  aus  der  eine  neue  Verfassung 
hervorgehen  sollte;  zu  dieser  führen  dann  aber  nicht  konstitutionelle 
Akte,  sondern  der  Bürgerkrieg,  wie  auch  schon  das  Triumvirat 
selbst  aus  einem  solchen  hervorgegangen  war.  Unter  den  wechel- 
voUen  Ereignissen,  in  welchen  Übergangszustande  verlaufen,  hat 
eine  Verfassungsgeschichte  vor  Allem  den  Gang  der  Regierung 
im  Auge  zu  behalten,  zu  sehen,  auf  welchen  Wegen  die  öffent- 
liche Gewalt  von  den  einen  zu  den  andern  überging  und  in 
welcher  Weise  sie  ausgeübt  wurde,  und  dies  soll  zunächst  fQr 
jenen  ersten  Teil  dargelegt  werden. 
Dio  Übergangs-         2.   Die  Vcrsch  worcucn ,  welche  am   15.   März  d.  J.  44  den 

tage. 

Diktator  Cäsar  ermordeten,  hatten  keine  Vorkehrungen  für  die 
Übernahme  der  Regierung  getroffen;  es  war  wie  wenn  sie  an- 
genommen hätten,  dafs  nach  Entfernung  des  Inhabers  der  aufser- 
ordentlichen  Gewalt  die  ordentlichen  Organe  des  republikanischen 
Regiments,  die  ja  in  der  That  auch  unter  der  Diktatur  vorband^ 


überall  Cicero  in  den  Philippiken  und  Briefen,  zumal  in  den  letzteren. 
Die  Philippiken  enthalten  öfter  summarische  Rekapitulationen  dessen,  was 
Antonius  gethan,  so  gleich  die  erste  am  Anfang;  man  darf  aber  aus  der 
Ordnung,  in  welcher  Cicero  das  Geschehene  aufzählt  und  aus  dem,  was  er 
nicht  nennt,  nicht  zu  viel  schliefsen  wollen.  Gegenüber  diesen  Hauptquellen 
kommen  die  summarischen  Historiker  wenig  in  Betracht.  Auch  Plntarch 
bietet  in  den  Biographieen  des  Cicero,  Brutus  und  Antonius  gerade  für  die 
politische  Geschichte  wenig  Ausbeute.  Kritik  von  Appian,  die  übrigens 
nicht  überall  zutreffend  ist,  bei  C.  Peter  in  Philol.  8  (1853),  426— 43S. 
Die  Briefe  Ciceros  an  Brutus  sind  zuweilen  zur  Vergleichung  citiert,  doch 
nicht  als  Quellen  benützt;  sie  bieten  erhebliche  Anstöfse,  namentlich  bei 
chronologischen  Einzelheiten,  sind  übrigens  für  den  hier  in  Frage  kommen- 
den Gang  der  politischen  Geschichte  überhaupt  nicht  von  gröfserem  Werte. 
—  Von  Quellenuntersuchungen  för  diese  Zeit  vgl.  u.  A.  G.  Thouret,  de 
Cicerone,  Äsinio  PoUione,  C.  Oppio  rer.  Caes.  scriptonbus  in  Leipzig.  Stud, 
1,  303  ff.  0.  Schmidt,  die  letzten  Eilmpfe  der  röm.  Rep.  in  Fleckeisens 
Jahrb.  f.  Phil.  13.  Suppl.  S.  655  ff.  Schmidt  will  besonders  auf  Nicolans 
Damascenus  als  zuverlässige  Quelle  für  diese  Zeit  aufmerksam  machen; 
doch  läfst  sich  aus  diesem  höchstens  Korrektur  Appians,  nicht  aber  ein 
neuer  Gesichtspunkt  gewinnen. 

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~     47     - 

waren,  ohne  weiteres  in  dem  von  ihnen  gewünschten  Sinne 
funktionieren  würden,  obgleich  der  oberste  ordentliche  Magistrat, 
dessen  Schonung  Brutus  gegenüber  von  Gassius  durchgesetzt, 
der  entschiedenste  Cäsarianer  war.  Die  Folge  dieses  Mangels 
an  Vorsicht  war,  dafs  im  Momente  des  ersten  Schreckens  eine 
ßegiening  überhaupt  fehlte.  Die  Verschworenen,  unsicher  über 
die  Aufiiahme,  welche  ihre  That  bei  Senat  und  Volk  gefunden 
und  ohne  andern  Schutz  als  die  Gladiatoren  des  D.  Brutus, 
welche  dieser  schon  für  das  Attentat  bereit  gestellt  hatte,  die 
casarianisch  gesinnten  Magistrate  unsicher,  wie  weit  das  Attentat 
gehen,  was  es  ihnen  bringen  würde,  so  war  jeder  Teil  nur  auf 
seine  eigene  Sicherheit  bedacht,  die  Mörder  durch  Flucht  auf 
das  Eapitol,  Antonius  durch  Schutzmafsregeln  in  seiner  Wohnung, 
und  da  die  Begierungsfunktionen  den  Magistraten  zustanden, 
welche  auf  beiden  Seiten  verteilt  waren,  so  stand  inmitten  der 
beiderseitigen  Scheu  die  Exekutive  still,  der  Senat  aber  war 
durch  das  Attentat  gesprengt.  Der  erste,  der  handelnd  auftrat, 
war  der  bisherige  Reiteroberst  M.  Lepidus,  dessen  Stellung  als 
Stellvertreters  von  Cäsar  zwar  mit  des  letzteren  Tode  erlosch,  der  aber 
eben  für  die  ihm  dieses  Jahr  zugewiesene  Statthalterschaft  des 
narbonensischen  Galliens  und  diesseitigen  Spaniens  bei  Rom  ein 
Heer  bildete.  Er  führte  in  der  Nacht  vom  15.  zum  16.  seine 
Truppen  von  der  Tiberinsel,  auf  der  sie  standen,  in  die  Stadt, 
verhinderte  damit,  dafs  sich  die  Verschworenen  zu  Hen-en  der 
Lage  machen  konnten  und  gab  denen,  welche  sich  als  von  ihnen 
bedroht  dachten,  einen  festen  Halt.  Indem  nunmehr  der  Konsul 
M.  Antonius  wieder  hervortrat,  sich  mit  Lepidus  verständigte 
und  gestützt  auf  die  ihm  dadurch  gegebene  Sicherheit  die  Regierung 
übernahm,  war  eine  Exekutive  legitimen  Charakters  vorhanden. 
Eben  damit  fiel  der  Gedanke,  Brutus  und  Gassius  als  Prätoren 
die  Leitung  des  Staats  übernehmen  zu  lassen^),  andrerseits  aber  war 
Antom'us,  weil  nicht  er,  sondern  Lepidus  für  den  Augenblick 
derjenige  war,  dem  die  Truppen  gehorchten,  auf  Rücksichten  an- 
gewiesen  wie   gegen  Lepidus,   so   auch  gegen  die  Cäsarmörder, 

1)  Cicero,  der  zu  den  Verschworenen  anf  das  Eapitol  gegangen  war, 
^11  dies  vorgeschlagen  haben,  ad  Att.  14,  10,  1:  mefninistitie  me  damare 
*öo  ipso  primo  CapitoUno  die  sencOum  in  Capitolium  a  praetoribus  vocari? 
Es  wäre  mit  dieser  Nichtbeachtung  des  Konsuls  der  Kampf  eröflhet  ge- 
wesen. Die  Aufforderung,  mit  Antonius  zu  verhandeln,  lehnte  Cicero  ab 
Plulipp.  2,  89.  _^ 

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auf  letztere  auch,  weil  die  Stimmung  des  Volks  fortwährend 
unsicher  war.  Der  folgende  Tag  vervollständigte,  wenn  auch  auf 
ungesetzlichem  Wege,  das  Konsulat,  indem  P.  Cornelius  Dolabella, 
den  Cäsar  die  Absicht  gehabt  hatte  sich  nachwählen  zu  lassen, 
wenn  er  zum  Partherkriege  auszöge,  nunmehr  an  des  gefstorbenen 
Cäsars  Stelle  sich  selbst  das  Konsulat  nahm  und  trotz  des 
Mangels  der  Volkswahl  und  der  gesetzlichen  Vorbedingungen  *) 
des  Alters  und  der  Vorämter  von  beiden  Parteien  zugelassen 
wurde,  von  den  Cäsarmördern,  weil  er  ihnen  die  Hand  bot,  von 
Antonius,  weil  Widerstand  Verwirrung  bringen  konnte  und  wohl 
auch,  weil  er  seinen  Mann  kannte.  Sobald  das  Konsulat  auf 
dem  Platze  war,  konnte  auch  der  Senat  in  Thätigkeit  gesetzt 
werden,  d.  h.  man  konnte  ihn  nicht  nur  berufen  —  dazu  wären  auch 
Volkstribunen  beföhigt  gewesen  — ,  sondern  seinen  Beschlüssen 
stand  auch  ein  ausführendes  Organ  zur  Verfügung.  In  derselben 
Nacht  aber,  in  welcher  Lepidus  die  Truppen  einführte,  hatte 
Antonius  sich  des  im  Tempel  der  Ops  befindlichen  Staatsschatzes 
bemächtigt,  mit  Hilfe  von  Calpurnia,  Cäsars  Frau,  dessen  Hinter- 
lassenschaft an  sich  genommen  und  damit  wichtige  Mittel  für  zu- 
künftige Aktion  in  seine  Hand  gebracht.  Den  Versuchen  der  Ver- 
schworenen, das  Volk  zu  gewinnen,  trat  er  mit  seinem  Kontionsrecht 
gegenüber,  ihren  Antrag,  mit  ihm  zu  verhandeln,  verwies  er  an  den 
Senat,  der  auf  den  17.  März  in  den  Tempel  der  Tellus  berufen 
wurde. ^)  Damit  war  die  Auktorität  dieser  Behörde,  wie  sie  ihr 
nach  der  früheren  Verfassung  zukam,  aufgerichtet;  es  kam  nun 
darauf  an,  welche  Haltung,  der  Senat  zeigen  wollte. 
Dio  senaU'  3.    Der  Senat  bestand  zur  Zeit  der  Ermordung  Cäsars  aus 

^n^MäM."  Mitgliedern,  die  im  Konflikt  mit  Pompejus  in  Rom  geblieben 
waren  und  somit  sich  dem  Cäsar  wenigstens  nicht  entzogen 
hatten,  aus  solchen,  die  Cäsar  zu  Senatoren  gemacht,  und  aus 
begnadigten  Pompejanern.  Dafs  der  letzteren  Stimmung  den 
Mördern   günstig   war,  iliefs  sich  erwarten,  aber  nach   all  dem 


1)  Der  Rechtsgnind  der  Annahme  des  Konsulats  bestand  anfser  in 
einer  Vorherbestim mung  durch  Ctlaar  einfach  darin,  dafs  er  ti^v  vxcctov 
iad'qra  ri(i,q>iiaaTo  %al  ra  ötjfisicc  xrjg  ccqxrjg  nsQiBOTi^aaTO,  Appian  2,  122. 
Er  war  erst  25  Jahre  alt  (2,  129)  und  nicht  Prätor  gewesen  (Dio  42,  33). 
Weshalb  er  bei  seiner  ganzen  Vergangenheit  von  Cäsar  so  ungemein  bevor- 
zugt worden  war,  ist  nicht  ersichtlich. 

2)  Philipp.  2,  89 :  post  diem  tertium  veni  in  aedem  Tellwris.  Irrtumlich 
giebt  App.  2,  126  den  16.  März  an. 

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Beden  und  Spotten  über  Cäsars  willkührliche  Senatsergänzung 
mulste  man  sich  darauf  gefafst  machen,  dafs  die  Mehrzahl  der 
900  Mitglieder  mindestens  den  Mördern  nicht  günstig  gesinnt 
war,  zTimal  da  bald  auch  Antonius  einen  Senatorenschub  Yor- 
gaiommen  hatte.  ^)  Wenn  nun  trotzdem  in  der  nächsten  Zeit  der 
Senat  als  solcher,  d.  h.  die  Mehrheit  desselben  als  republikanisch 
gesinnt  bezeichnet,  wenn  in  dieser  Richtung  auf  ihn  gerechnet 
wird,  so  bedarf  dies  der  Erklärung.  Sie  ist  indes  nicht  schwer 
zu  finden.  Es  kommt  einmal  in  Betracht,  dafs  die  regierungs- 
fähigen und  Auktorität  übenden  Mitglieder,  die  Eonsulare,  Yon 
der  Bepublik  übernommen  waren  und  jetzt  nach  dem  nur  fünf- 
jährigen Interyall  sofort  für  den  Senat  die  alte  Stellung  rekla- 
mierten. Sodann  waren  auch  die  Mitglieder  von  Cäsars  Gnaden 
wohl  dem  Diktator  verbunden,  nicht  aber  dem  Antonius  oder 
irgend  einem  andern  aus  Cäsars  Partei;  Cäsars  Sache  war  aber 
bis  zu  seinem  Tode  so  sehr  an  seine  Persönlichkeit  gebunden 
gewesen,  dafs  nach  seinem  Verschwinden  nur  ein  Mann  gleicher 
Art  die  Getreuen  um  sich  sammeln  konnte,  und  ein  solcher 
konnte  nicht  entfernt  Yorhanden  sein,  eben  weil  Cäsar  voran- 
gegangen. Auch  diese  Gruppe  also  konnte  leicht  dazu  gebracht 
werden,  die  Bolle  der  regierenden  Behörde  für  den  Senat  auf- 
zunehmen und  selbst  die  Pflicht,  den  Mord  zu  rächen,  hintanzu- 
setzen, und  schliefslich  mag  unter  der  unkontrollierten  Menge 
der  von  Cäsar  Aufgenommenen  die  Zahl  derer  nicht  klein  ge- 
wesen sein,  die  bei  der  zweifelhaften  Stimmung  des  Volks  ent- 
weder auf  die  Ausübung  ihres  Rechts  verzichteten  oder  nicht 
wagten,  sich  zum  Andenken  des  Diktators  zu  bekennen  oder  die 
flieh  von  den  Namen,  die  an  der  Spitze  der  Behörde  standen, 
imponieren  liefsen. 

Dem  Senat  lag  am  17.  März  ob,  die  Lage  zu  definieren^), 
vor  allem  zu  bestimmen,  wie  die  That  der  Verschworenen  anzu- 
sehen sei,  ob  als  berechtigter  Tyrannenmord  oder  als  Verbrechen. 
Die  Republikaner  waren  bestrebt,  die  Stimmung  des  Senats  8Xt 
eine  Erklärung  in  dem  ersteren  Sinn  zum  Ausdruck  zu  bringen 
und   schienen   bereits  Erfolg   zu  haben,   als  Antonius  mit  dem 

1)  App.  8,  5:  elg  t6  ßovlfvri^^ioy  nolXovg  TtaxiXsyiv.  Es  geschah  auf 
Qmiid  der  angeblichen  acta  Caesaris, 

8)  Es  war  der  Sachlage  am  angemessensten,  dals  der  Konsul  infiniUe 
ie  repubUca  referierte  nnd  fragte  (1,  918  A.  8).  Für  den  Yerlanf  der 
Sitsong  selbst  ist  Appian  8,  127  ff.  belehrender  als  Dio  44,  28  ff. 

Heraog,  d.  röm.  SU^tiverf.  H.  1.  D^itized  by  CjOOQ IC 


-     50     ~ 

Hinweis  aaf  die  Konsequenzen  fOr  die  einzelnen  Versammelten 
selbst,  wie  für  den  ganzen  Staat  eine  Wendung  hervorbrachte. 
War  Cäsar  ein  Tyrann,  so  waren  seine  Anordnungen  jeglicher 
Art  nichtig;  wessen  Stellung  irgend  Yon  Cäsar  herrührte,  wer 
irgend  eine  Gnade  von  ihm  erhalten  hatte,  war  dessen  yerlustig, 
was  fiberall  im  Reiche  in  ^en  letzten  fünf  Jahren  von  dem 
Diktator  angeordnet  war,  war  gefährdet.  Dies  wirkte  und  nicht 
zum  mindesten  auf  Dolabella,  und  die  Wirkung  tles  Arguments 
wurde  verstärkt  durch  geschickte  Benützung  der  drauXsen  harren- 
den Menge,  mit  welcher  Antonius  und  Lepidns  verkehrt  hattai, 
während  in  der  Sitzung  Dolabella  sich  seiner  Konsulswürde  zu 
wehren  hatte.  Cäsars  Anordnungen  sollten  also  gültig  bleiben, 
und  waren  dann  nicht  die  eines  Tyrannen.  Dann  waren  aber 
seine  Morder  nicht  im  Recht,  ihre  That  ein  Verbrechen,  und  nur 
Schonung  und  Begnadigung  war  es,  wenn  man  sie  nicht  znr 
Rechenschaft  zog.  Euer  nun  griff  Cicero  in  die  Verhandlung  ein, 
indem  er  in  Erinnerung  an  die  Amnestie ,  welche  in  Athen  im 
J.  403  nach  dem  Sturz  der  Dreifsig  den  Frieden  zwischen  den 
Parteien  hergestellt,  in  ähnlicher  Weise  eine  Amnestie  und  Ver- 
söhnung mit  den  Mördern  befürwortete.  Der  Vergleich  pafete 
wenig,  aber  er  brach  dem  demütigenden  Vorschlag  einer  Be- 
gnadigung die  Spitze  ab.  ^)  Materiell  freilich  war  den  gepriesenen 
„Helden"^  auch  damit  der  Ruhm  genommen,  sie  waren  nur  zu- 
gelassen, ihre  That  konnte  so  die  Wirkung  nicht  haben,  welche 
sie  wollten,  und  nur  das  Zusammenwirken  verschiedener  Um- 
stände brachte  es  mit  sich,  dafs  nun,  nachdem  der  Alleinherrscher 


1)  Cic.  Philipp.  1,  1  :  tn  quo  templo  (sc.  Tdlwris)  quantwn  in  me 
fuit,  ieci  fundametUa  pacis  Aiheniensiumque  renovavi  vetus  exemplum:  Grae- 
cum etiam  verhum  usurpavi,  quo  tum  in  sedandis  discordiis  usa  erat  civitas 
tUa  atque  omnem  memoriam  discordiarum  oblivione  sempüema  ddendam 
censui,  Dio  Wkt  den  Cicero  diesen  Gedanken  in  aller  Breite  aasfiihren 
und  die  entscheidende  Meinang  abgeben,  während  Appian  seiner  gar  nicht 
gedenkt.  An  Ciceros  Anteil  bei  dem  Eesultat  kann  nach  seiner  eigenen 
Angabe  kein  Zweifel  sein;  der  Vorschlag  einer  Amnestie  kann  aber  nicht 
spontan  gewesen  sein,  da  auch  er  für  die  Verschworenen  ungünstig  w»r 
und  sie  ah  Schuldige  daretellte,  nicht  als  Befreier;  er  war  aber  immer  noch 
besser  als  was  nach  App.  2,  134  Antonius  vorschlug  xovg  aitagtovxag  ivai' 
vfiv  (ilv  ovdevl  xQOVco^  nsgiöcaisiv  dl  i^  iXiov  ftovov.  Den  Beschluls  selbst 
formuliert  App.  c.  136  so:  (povov  iilv  ovk  slvai  ^Caag  inl  x£  KuCca^i^  hvqui 
dl  ilvai  xa  ^i'JtQoyfiiva  avxa  navxa  xal  iyiKoafiivce,  inei  x^  nolti  evfupiQBi. 

2)  Cic.  ad  Ati  14,  6,  1:  Antonii  coUoquium  cum  heroibus  nosiris. 
11,  1:  noatri  iUiy  non  heroes,  sed  di. 

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durch  sie  beseitigt  war^  die  Republik  als  die  wieder  geltende 
Regierungsform  allgemein  anerkannt  war.  So  wurde  denn  be- 
schlossen ^  es  solle  keine  Untersuchung  über  die  Ermordung 
Cäsars  angestellt  werden ,  andrerseits  aber  alles,  was  Cäsar  ge- 
than  und  beschlossen  habe  zu  thun,  anerkannt  sein,  weil  es  dem 
Staat  so  fromme;  mit  letzterer  Motivierung  wollten  die  Republi- 
kaner ihren  Standpunkt  wahren.  Antonius,  der  leitende  Konsul 
in  dieser  Republik,  konnte  mit  dem  Beschlüsse  zufrieden  sein. 
Auf  denselben  hin  erfolgte  noch  an  demselben  Tage  die  Ver- 
söhnung mit  den  Mördern,  besiegelt  durch  persönliche  Höflich- 
keitsakte zwischen  den  Führern  der  beiden  Parteien.  Diejenigen 
unter  den  Verschworenen,  welche  Ämter  bekleideten  oder  solche 
von  Cäsar  zugesagt  erhalten  hatten,  behielten  ihr  Recht,  speziell 
Brutus  und  Cassius  ihre  Prätorstellung. 

4.  Indessen  der  Friede  war  nur  äufserlich  hergestellt.  Nie-  Di«  Panei- 
mand  konnte  sich  darüber  täuschen,  dafs  zwischen  den  Tyrannen-  ^**°' 
mordern  und  Antonius  ein  dauerndes  Einvernehmen  nicht  mög- 
lich sei,  and  so  wurde  denn  yom  ersten  Augenblick  an  Yon  allen 
handelnden  und  nicht  blofs  redenden  Politikern  die  Lage  als  ein 
Waffenstillstand  aufgefalst,  während  dessen  ein  jeder  Teil  sich 
nach  Bundesgenossen  und  Aktionsmitteln  umsah.  Am  thätigsten 
war  Antonius.  Sein  Auftreten  beim  Leichenbegängnis  Cäsars 
und  seine  agitatorische  Verwertung  des  Testaments  von  Cäsar 
mit  den  Wohlthaten,  die  es  für  das  Volk  enthielt,  war  in  Wahr- 
heit eine  Kriegserklärung,  sein  Verhalten  gegenüber  den  alten 
Soldaten  Cäsars,  denen,  die  bereits  in  Kolonien  angesiedelt  waren 
und  den  noch  unter  den  Fahnen  yereinigten  aber  der  Ansiedlung 
harrenden,  bedeutete  die  Sammlung  eines  Kriegsheeres.  Die 
Verschworenen,  im  richtigen  Verständnis  der  Lage,  verlief sen 
Rom,  um  persönlich  sicher  zu  sein,  und  auch  die  vorsichtigeren 
Senatoren  zogen  es  vor,  den  Gang  der  Dinge  auJserhalb  Roms 
von  ihren  Gütern  aus  zu  beobachten.  Unter  diesen  Verhältnissen 
ist  es  für  das  Verständnis  der  nun  folgenden  Vorgänge  nötig, 
die  handelnden  Kräfte  und  Personen  einzeln  und  in  Gruppen  nach 
ihren  Absichten  und  Hilfsmitteln  zu  schildern. 

In  den  Zeiten  der  früheren  Republik  hatte  sich  Widerstreit 
unter  den  öffentlichen  Gewalten  geäufsert  in  der  Form  von  Kon- 
flikten zwischen  der  Auktorität  des  Senats  und  dem  Selbstgefühl 
einzelner  Konsuln,  zwischen  Regierung  und  Volkstribunat,  zwischen 
den  ordentlichen  Gewalten  und  aufserordentlichen  zeitweilig  jein-      . 

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gesetzten,  und  wenn  diese  Konflikte  nicht  innerhalb  der  Wirkringa- 
sphäre  des  Senats  zur  Erledigung  kommen  konnten,  so  hatte  die 
Bürgerschaft  die  entscheidende  Stimme  gehabt;  eine  sehr  wesent- 
liche Bolle  war    aber   immer   dabei    einerseits   auktoritatsYollen 
Mitgliedern  des  Senats,  andererseits  dem  Volkstribunat  zugefall^ 
Jetzt  waren  mehrere  dieser  Faktoren  in  ihrer  Bedeutung  dadurch 
geschwächt  oder  unwirksam  gemacht,  dafs,  nachdem  einmal  die 
Diktatur  als  bewaffnete   Macht  aufgerichtet   gewesen  war,   ein- 
fache konstitutionelle  Mittel  nicht  mehr  wirkten   und  niemand 
mehr    mit  Erfolg   auftreten  konnte,    der   nicht   eine   bewaiShete 
Macht  zur  Verfügung  hatte.     An  die  Stelle  der  Bürgergemeinde 
waren  die  Legionen  getreten,  und  neben  ihnen  fiel  die  büi^erliche 
Bevölkerung  der  Hauptstadt  nur  noch  insofern  ins  Grewicht,  als 
sie   zu   gewaltthätigen   Akten    hingerissen    werden    konnte;   die 
verfassungsmäfsigen  Volksversammlungen  waren  nur  ein  Mittel 
derer,  welche  die  Initiative  der  Berufung  hatten,     unter  diesen 
aber    traten    die    Volkstribunen,    eben    weil    sie   keine    Exeku- 
tive hatten,    vollständig  zurück,    trotzdem    dafs    durch   die  Auf- 
hebung  der  tribunicischen  Gewalt  Cftsars    ihre   Stellung  wieder 
frei  geworden  war:  die  Tribunen  selbst  waren  jetzt  nur  noch  ein 
Werkzeug  in  der  Hand  der  gegeneinander  arbeitenden  Intriguen. 
Die   höchste  Verfügung   über  die  Streitkräfte  des  Staats   stand 
beim  Senat,  aber  sie  ging  durch  die  Magistratur  hindurch  und 
wenn   diese    den  Gehorsam   verweigerte   und   das  Volkstribunat 
nebst  der  Volksversammlung  nicht  mehr  mit  Erfolg  aufgerufen 
werden  konnte,  so  gab  es  kein  anderes  Mittel  für  Aufreehthaltung 
der  Auktorität  des  Senats,  als  wieder  mit  aufserordentlichen  Ge- 
walten eine  bewaffnete  Macht  gegen  die  andre  aufeubieten,  oder, 
wenn  schon  mehrere  vorhanden  waren,  die  bereits  über  Waffen 
verfügten,   die  eine    Seite  in   die   Botmäüsigkeit   des  Senats    zu 
bringen.    Auf  diese  Mittel  war  der  Senat  jetzt  angewiesen,   nur 
war  die  Voraussetzung  für  ihre  Wirksamkeit,  dafs  er  in  seiner 
Mehrheit  eine  feste  Politik  vertrat. 
Die  Stauung  des         &•  Der  Kousul  M.  Autouius  war  vorher  nur  als  unbedingt 
"'  ergebenes  Werkzeug  des  Diktators  bekannt  gewesen;  wo  er  in 
der  Politik  selbständig  zu  handeln  gehabt,   hatte  er  sich  nicht 
bewährt   (ob.   S.   7.).     Nunmehr   ganz   auf  sich   selbst   gestellt, 
zeigte  er  vom  ersten  Tage  an  ein  bedeutendes  Talent  der  politi- 
schen Intrigue,   das   gepaart   mit  vollständiger   sittlicher  BAick- 
sichtslosigkeit  Erfolge  im  Kleinen  verbürgte.   Für  einen  bleibenden 

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—    53    - 

und  durchschlagenden  Erfolg  fehlte  ihm  die  Konsequenz  der 
Ziele  und  imponierendes  Ansehen  bei  den  andern  Cäsarianem. 
Anfangs  mochte  es  ihm  förderlich  sein,  dafs  in  ihm  niemand, 
weder  Freund  noch  Feind,  einen  Mann  sah,  der  die  Stellung 
Cäsars  aufnehmen  konnte,  bald  aber  schadete  ihm  dies,  vollends 
nach  dem  Auftreten  des  Cäsarerben,  und  wenn  auch  eine  Reihe 
Ton  Jahren  hindurch  seine  sonstigen  Eigenschaften  genOgteu,  um 
ihn  neben  dem  jungen  Cäsar  zu  halten,  so  fiel  doch  für  die 
letzte  Entscheidung  der  Mangel  einer  imponierenden  Persönlich- 
keit Yoll  ins  Gewicht.  Für  den  Augenblick  jedoch  war  seine 
SteUung  die  günstigste,  zumal  nachdem  die  Cäsarmörder  die  Stadt 
Terlassen  hatten,  und  er  wufste  sie  reichlich  auszubeuten.  Ganz 
abgesehen  Yon  den  Vorteilen,  welche  die  Führung  des  Konsulats 
ordentlicher  Weise  gab,  hatte  er  die  yon  Cäsar  hinterlassenen 
Geldmittel  zur  Verfügung,  und  nachdem  er  mittelst  derselben 
auch  die  Opposition  seines  Kollegen  Dolabella  zum  Schweigen 
gebracht,  hatte  er  in  seiner  Amtsstellung  die  volle  Auktorität. 
Am  fruchtbarsten  aber  war  in  seiner  Hand  der  Beschlufs  über 
die  Anerkennung  der  Verfügungen  Cäsars.  Es  scheint,  dafs  schon 
die  erste  Formulierung  dieses  Beschlusses  in  einer  Weise  gemacht 
wurde,  die  nicht  blofs  auf  die  schon  ins  Leben  getretenen  oder 
formell  fertigen  Verfügungen  Cäsars,  sondern  auch  auf  schrift- 
liche Entwürfe  gedeutet  werden  konnte,*)  und  es  begreift  sich, 
da&  man  solche  Formulierung  zuliefs,  weil  z.  B.  wichtige  Gesetzes- 
entwürfe, wie  der  über  Ausführung  von  Kolonieen,  nur  halb  fertig 
waren,  Entwürfe,  die  man  nicht  aufzuheben  oder  der  Verzögerung 
preiszugeben  wagte.  Nun  hatte  sich  aber  Antonius  auch  in  den 
Besitz  des  schriftlichen  Nachlasses  von  Cäsar  gesetzt,  und  so  be- 
gann, indem  mit  Hilfe  des  Schreibers  von  Cäsar,  eines  gewissen 

1)  Wenn  die  Formel  des  S.  G.  bei  Appian  (S.  50  A.  1)  authentisch  ist,  so 
Wtete  sie  allgemein  genug;  hinsichtlich  des  iyvcaofiivcc  aber  kommt  es  auf 
<lie  lateinische  Fassung  an.  Der  allgemeine  Ausdruck  ada  Caesarü,  der 
^  den  Schriftstellern  gebraucht  wird,  mufs  auch  umschrieben  gewesen 
sein.  Zan&cbst  wird  man  dabei  vorzugsweise  an  die  veröffentlichten  Ediktal- 
^erordnungen  und  an  die  Gesetze,  die  seinen  Namen  trugen,  gedacht  haben, 
während  Senatuskonsulte,  auch  wenn  sie  auf  seine  Veranlassung  gefafst 
^Aien,  eine  selbständigere  Bedeutung  hatten.  Das  S.  G.  über  die  Juden, 
^  am  9.  Februar  gegeben,  aber  bei  Cäsars  Tod  noch  nicht  formell  perfekt 
geworden  war  und  deshalb  am  11.  April  zur  Bestätigung  nochmals  Tor- 
kommt  (Joseph,  antiq.  Jnd.  14,  10,  10),  braucht  mit  dieser  Frage  nicht  zu- 
^^iQiQeDzuhängen. 


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FaberiuS;  die  Menge  der  Entwürfe  ins  unbestimmte  erweitert  wurde, 
ein  Wacher  mit  dem  schöpferischen  Geiste  des  toten  Gäsar^  der 
die  Senatoren^  welche  dem  Beschlüsse  über  die  acta  Caesaris  am 
17.  März  zugestimmt,  in  Bestürzung  und  Schrecken  versetzte. ^) 
Dabei  benutzte^  wie  es  scheint,  Antonius  jenen  allgemeinen  Senate- 
beschlufs,  um  wirkliche  oder  angebliche  Gesetzesentwürfe  CäsM8 
als  mit  der  Genehmigung  des  Senats  versehen  dem  Volke  vorzu- 
legen,  auch  setzte  er  sich  wohl  über  die  Fristen  und  Auspizial- 
erfordernisse  hinweg;  die  Dekrete  und  Edikte  vollends,  welche 
des  Wegs  der  Gesetzgebung  nicht  bedurften,  waren  überhaupt 
nicht  kontrollierbar.  Auf  demselben  Wege  hatte  er  auch  jene 
Ergänzung  des  Senats  vorgenommen.^)  Er  war  aber  klug  genug 
mit  solchen  Dingen  zu  beginnen,  welche  an  sich  berechtigt  oder 
jedenfalls  nicht  leicht  zu  hemmen  waren,  wie  Eolonialgesetze, 
die  ihm  aber  dann  wiederum  Gelegenheit  zu  willkürlicher  Aus- 
führung gaben.')  Er  half  femer  selbst  dazu,  dafs  der  allgemeine 
Beschlufs  über  die  acta  Caesaris  mit  Beziehung  auf  Erteilung 
von  Steuerfreiheiten  und  Bewilligung  persönlicher  Vorteile  dahin 
beschränkt  werde,  dafs  neues  dieser  Art,  was  am  15.  März  noch 
nicht  erlassen  gewesen,  nicht  verfügt  werden,  auch  Verbannte 
nicht  zurückberufen  werden  sollten.*)  Ja  er  ging  so  weit,  dafs 
er,  um  das  Mifstrauen  des  Senats  zu  beschwichtigen,  ein  Gesetz 
einbrachte,  das  die  Diktatur  abschafite  und  in  der  Art  eines 
Sakratgesetzes  den  Zuwiderhandelnden  verfehmte.^)  Daneben  aber 
kümmerte  er  sich  nicht  einmal  um  jenen  beschränkenden  Senats- 
beschlufs,  benützte,  was  derselbe  nicht  ausgenommen,  aufs  aus- 
giebigste  und  sicherte   durch   ein  Gesetz,    das   er  eigenmächtig 

1)  Appian  8^  6.  Dio  44,  63.  Plnt.  Anton.  18.  Sueton  Aug.  36.  - 
Giceros  Kritik  dieses  Verfahrens  Philipp.  1,  16  ff.  und  an  verschiedeneo 
andern  Stellen. 

2)  ob^  S.  49  A.  1 ;  daher  die  senatares  orcini  Sueton  und  Plut.  a.  a.  0. 

3)  Dafs  er  solche  Gesetze  auch  imnu  C.  Caesaris  als  Uges  ÄfUamae 
einbringen  konnte,  zeigt  das  Gesetz  der  Kolonie  Urso  ob.  S.  16  A.  1^  vgl. 
Lange,  de  leg,  Äntonüs  a  Cicerone  Phil  5,  40  ccmmemoratis  l^  II.  Leipiig 
1872.  Nach  Lange  hat  die  Vorgänge  hinsichtlich  der  acta  Caesaris  zu  est* 
wirren  gesucht  0.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  687  ff.  (ob.  S.  46  A.  2). 

4)  Cic.  Philipp.  1,  8. 

6)  Ebendas.;  femer  App.  3,  26.  Dio  44,  61:  voftov  iie^%av  ftrjSiva 
ccid-ig  dtHtdxoQa  ysvicd'ai,  dgag  ts  noiriadftsvot  xal  d-dvatov  nQostnovttg  «v 
xi  xig  iüTiyi^afixat  xovxo  av  9^  vnoax^y  xal  nqoaixi  xal  xQrifuaxa  avxoig  am- 
itQvg  ini%7iQv^avxfg.  Um  mehr  Glauben  zu  finden,  wurde  hier  die  längst 
verschollene  Form  der  leges  sacratae  wieder  auferweckt. 


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einbrachte  und  natürlich  seinen  Zwecken  gemäfs  formulierte^  sein 
Verfahren  vor  Anfechtung.^)  Das  Gesetz  über  die  Diktatur  aber 
hatte  in  Wirklichkeit  wenig  Wert  neben  den  verschiedenen  an- 
dern Formen  von  Alleinherrschaft^  die  möglich  waren,  ja  es  be- 
raubte den  Senat  eines  Mittels,  das  ifti  Sinne  der  alten  Verfassung 
zur  Verteidigung  der  Republik  gebraucht  werden  konnte.  Natür- 
lich aber  muüste  Antonius  unter  den  gegebenen  Umständen  auch 
die  Möglichkeit  gewinnen ,  auf  eine  bewaffnete  Macht  sich  zu 
stützen.  Die  Soldaten  des  Lepidus  waren  für  dessen  Provinzial- 
kommando  bestimmt  und  konnten  ihm  nur  durch  den  Senat  zu- 
gewiesen werden  y  jede  etwaige  sonstige  Aushebung  in  Italien 
erforderte  ebenfalls  einen  Senatsbeschlufs,  er  mufste  also  auf 
besonderen  Wegen  zu  bewaffnetem  Rückhalt  gelangen.  Veran- 
lassung hiezu  gaben  ihm  Unruhen,  die  ein  angeblicher  Enkel 
des  Marins  zu  Ehren  des  Andenkens  von  Cäsar  erregte;  nach- 
dem Antonius  eingeschritten  und  bis  zur  Hinrichtung  des  Un- 
ruhestifters gegangen  war,  gab  er  sich  als  gefährdet  durch  die 
Anhänger  desselben  aus  und  verschaffte  sich  mit  Zulassung  des 
Senats  eine  Leibwache  aus  Centurionen  und  bewährten  Soldaten 
Cäsars,  die  er  bis  auf  6000  Mann  gesteigert  haben  soll.  Aber 
noch  ergiebiger  war  für  ihn  die  Ausführung  der  Koloniegesetze  ^), 

1)  Cic.  Philipp.  6,  10:  Quibus  de  caasia  eas  Uges,  quas  M.  Antonius 
tulisse  dicüur,  omnes  censeo  per  vim  et  contra  auspicia  Iotas  iisque  legibus 
poptü%*m  non  teneri;  si  quam  legem  de  actis  Caesaris  confirmandis  deve  dicta- 
iura  in  perpeiumti  tollenda  deve  coloniis  in  agros  deducendis  tulisse  M,  An- 
Umus  dicitwr,  easdem  leges  de  integrOy  ut  poptUum  teneant,  salvis  atispiciis 
ferri  placet.  Vgl.  L.  Lange  a.  a.  0.  und  r.  Altert  3*,  488  ff.  499.  Hinsichtlich 
der  acta  Caesaris  sind  bis  hieher  zu  unterscheiden  das  s.  c.  vom  17.  März, 
das  bald  darauf  von  Sulpicius  veranlafste  beschränkende  s.  c,  wohl  veran- 
lafst  durch  den  Anfang  des  Mifsbrauchs,  das  hier  erwähnte  Gesetz  de  actis 
Caesaris  confirmandis,  dessen  Formulierung  Antonius  wohl  der  Senats- 
konkoUe  entzogen  hat.  Vielleicht  hat  Antonius  dieses  Gesetz  zugleich  mit 
den  beiden  andern  hier  erwähnten  eingebracht,  das  70n  Cicero  erwähnte 
formwidrige  Verfahren  dabei  eingeschlagen,  um  es  rasch  unter  Dach  zu 
bringen,  und  es  wegen  des  dem  Senat  willkommenen  Gesetzes  über  die 
Diktatur  in  Verbindung  mit  diesem  ohne  weitere  Anfechtung  dnrchgebracht. 

2)  Die  l.  de  coloniis  in  agros  deducendis  (s.  Torherg.  Anm.)  wird  nicht 
als  ein  seinem  Inhalt  nach  neues,  sondern  als  Ausführungsgesetz  ftir  Cäsars 
Anordnungen  anzusehen  sein;  so  lief  es  leichter  mit  und  konnte  doch  von 
Antonius  für  seine  Zwecke  in  eigentümlicher  Weise  verwertet  werden.  Dafs 
diese  l  de  col,  deduc.  nicht  mit  der  zwei  Monate  nachher  von  dem  Tribnn  , 
L.  Antonius  dnrchgebrachten  zu  verwechseln  sei,  ist  zweifellos ;  vgl.  Lange 

&  a  0.  IL  p.  11. 

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wegen  deren  er  nach  Gampanien  ging,  nm  das  früher  schon  den 
Veterwien  bewilligte  durch  neue  Wohlthaten  noch  wertvoller  m 
machen  und  zugleich  für  sich   auszubeuten.     Ohne  Zweifel  war 
seine   Absicht,    die    von   Cäsar   zerstreut   Angesiedelten   in  Zu- 
sammenhänge  von  Ansiedlungen  zu  bringen  und   sich   so   eine 
Armee  in  der  Nähe  Roms  zu  schaffen,  die  als  aus  entlassenen 
Soldaten  bestehend  in  doppelter  Weise,  fOr  die  VolksTersamm- 
lungen    wie  zur  Ergreifung  der  WaiPen,  jederzeit  zu  haben  war. 
Was  Antonius  in  der  zweiten  Hälfte  des  April  in  dieser  Richtung 
in  Latium  und  Gampanien  that,  beunruhigte  zwar  die  Senatoren, 
zumal   die,   welche   in   den   betreffenden   Gegenden    Grundbesitz 
hatten,  allein  da  während  dieser   Zeit   Dolabella   in   Rom  die- 
jenigen, die  bei  einem  Altar  Cäsars  Unruhen  veranlafsten,  mit 
derselben  Rücksichtslosigkeit,  wie  Antonius  den  falschen  Marios, 
behandelte,  so  beruhigte  man  sich  wieder.   —   Durch  all  diese 
Mittel  hatte  Antonius  in  den  ersten  sechs  Wochen  nach  Gäsars 
Tode  sich  in  Rom  eine  Stellung  verschafft,  die  ihm,  bei  Wahrung 
des   konstitutionellen   Scheins,   Senat   und   Volk   gegenüber  die 
Führung  sicherte  und  selbst  gelegentliche  Verletzung  der  Ver- 
fassung gestattete.     Aber  —  und  das  war  die  Schwäche  seiner 
Stellung  —  es   galt   dies   eben   nur   für  Rom   und  Italien,  im 
ganzen  übrigen  Reich  konnten  ihm  von  Seiten  der  Statthalter 
Schwierigkeiten  bereitet  werden,  vollends,  da  die  Anerkennung  der 
Verfügungen  Cäsars  auch  diejenigen  Zuteilungen  von  Provinzen 
sicherte,  welche  den  Verschworenen  gemacht  worden  waren. 
Diesteuungder         6*  Nachdcm  die  Verschworenen  durch  unzureichende  Vorbe- 
ciisarmörder.  j^^j^mig  y^^es  Unternehmens  um  Sie  Vorteile  des   Moments  der 
Überraschung  gekommen  waren,   nachdem  sie   dann   durch  die 
Senatssitzung  vom  17.  März  nur-  unter  dem  Schutze  einer  Am- 
nestie in  die  durch  sie  wiederhergestellte  Republik  hatten  frei 
einziehen  dürfen,  waren  sie,  ihre  Führer  voran,  durch  die  Vor- 
gänge bei  der  Leichenfeier  Gäsars  aus  der  Stadt  gedrängt  worden, 
und  Brutus,  der  als  städtischer  Prätor  noch  mehr  an  Rom  ge- 
bunden war  als  der  Peregrinenprätor  Gassius,  mufste  sich,  um 
den  Schein  der  Gesetzmäfsigkeit  zu  wahren,  durch  Antonius  Ur- 
laub dazu  vom  Senat  erbitten.^)     Durch  dieses  Fernbleiben  von 


1)  Cic.  Philipp.  2,  81:  cur  M,  Brutm  referente  te  legibus  est  solutus,  » 
ab  urhe  plus  quam  decetn  dies  afuisset  Es  ist  nicht  gesagt,  wann  dies  ge- 
schah; von  der  späteren  Zuteilung  der  Provinzen  wird  es  aber  weiterhin 
getrennt.   Ich  vermute,  dafs  es  schon  im  April  geschah;  es  mufste  ja  doch 

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der  Hauptstadt  war  der  Zusammenhang  unter  ihnen  selbst  er- 
schwerty  eine  richtige  Parteif&hrung  unmöglich  gemacht,  die  Füh- 
lung mit  dem  Senat  offiziell  verloren  und  nur  indirekt  ermöglicht. 
Trotzdem  waren  sie  nicht  ganz  beseitigt  und  gerade  da,  wo  die 
Stellung  des  Antonius  schwach  war,  lag  ihre  Starke.  Cäsar  hatte 
einem  Teil  von  ihnen  fQr  das  laufende  Jahr,  andern,  wie  dem 
Brutus  und  Cassius,  ffir  das  folgende  wichtige  Provinzen  zugeteilt^ 
nämlich  für  44  dem  D.  Brutus  das  cisalpinische  Qallien,  dem 
Trebonius  Asien,  dem  Tillius  Cümber  Bithynien,  für  43  dem 
Brutus  Makedonien,  dem  Cassius  Syrien.  Für  den  Augenblick 
war  die  wichtigste  Position  das  cisalpinische  Gallien,  weil  dort 
die  Rom  nächste  Truppenmacht  in  legitimer  Weise  aufgestellt 
werden  konnte  und  die  Zugänge  zu  Italien  von  Gallien  wie  vom 
Osten  aus  in  der  Hand  dieses  Statthalters  lagen;  aber  auch 
Asien  und  Bithynien  waren  wertvoll  genug.  Gelang  es,  diese 
Provinzen  in  den  An&ng  des  nächsten  Jahrs  hinüber  zu  halten, 
80  konnte  unter  Brutus'  und  Cassius'  Führung  von  Syrien  bis 
nach  Makedonien  hin  ein  Zusammenhang  von  anticäsarischen 
Statthaltern  hergestellt  werden,  der  eine  wirkliche  und  bedeutende 
Macht  darstellte,  Trebonius  und  Tillius  waren  sofort  auf  ihre 
Posten  abgegangen,  schon  ihrer  persönlichen  Sicherheit  wegen, 
D.  Brutus  nach  einigem  Zögern  ebenfalls  und  so  waren  Stütz- 
punkte gewonnen.  Aber  das  unentschiedene  Verhalten  der  beiden 
Führer  liefs  es  für  jetzt  noch  zu  keiner  einheitlichen  Ausnützung 
derselben  konunen;  sie  mufsten  sich  sogar  jene  Provinzen  aus 
den  Händen  spielen  sehen  und  durften,  von  Antonius  überwacht, 
keinen  stärkeren  Anhang  um  sich  dulden.^)  Im  übrigen  war  in 
der  Führung  der  Verschworenenpartei  nun  die  Wendung  einge- 
treten, dafs  dem  Brutus  in  der  ö£PentIichen  Meinung  und  dadurch, 
selbst  wenn  er  keinen  Anspruch  darauf  erhob,  bei  etwaiger 
Aktion  die  erste  Rolle  zufiel:  er  sollte  nach  der  blutigen  That 
xnm  Volke  sprechen  und  mit  den  Veteranen  verhandeln;  mit  ihm 
vorzugsweise  verkehrte  Cicero,  wenn  er  zu  dieser  Partei  sich  ins 
Benehmen  setzen  wollte.   Der  Grund  für  dieses  Hervortreten  des 


ancli  fOr  die  Stellvertretong  in  der  städtdachen  Prätor,  die  dann  G.  Antonius 
übernahm,  gesorgt  werden. 

1)  Ober  die  Provinzen  s.  unten;  über  die  Stellung  in  Italien  ihren  Brief 
an  Antonius  bei  Cic.  ad  fam.  11,  2,  1:  cum  ipsi  in  tua  potestate  fuerimus 
Utoque  adducH  coMüio  ditniserinms  ex  tnunidpita  nostros  necessarios,  neque 
9okm  edicto  sed  Utteris  id  fecerimm  etc.  ^  . 

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Brutus  lag  in  dem  gröfseren  Vertrauen^  das  seine  Persönlichkeit 
einflofste  und  darin ,  dafs  sein  Name  und  sein  Charakter  eine 
Idee  zu  repräsentieren  schienen,  eine  Idee,  in  die  er  in  der  That, 
nachdem  sie  ihm  aufgedrungen  war,  selbst  einging.  Für  den  Er- 
folg der  Partei  war  es  kein  Vorteil,  dafs  es  nie  zu  einer  ent- 
schiedenen Leitung  durch  einen  thatkräftigen  Mann  kam,  sondern 
im  Wesentlichen  geteilte  Führung  blieb,  nur  mit  einem  gewissen 
Übergewicht  gerade  eines  Mannes,  der,  mehr  eine  nachdenkliche, 
ja  grübelnde  Natur,  weder  im  Feld  noch  in  der  Politik  als  Mann 
der  That  auftreten  konnte.  Und  doch  war  es  sofort  notig  zu 
Entschlüssen  zu  kommen,  um  auch  nur  die  Hilfsmittel  zu  be- 
halten, die  man  in  der  Hand  hatte. 

M  Lepidai.  7.  Während  nämlich  Brutus  und  Cassius  sich  in  der  Nähe 

Yon  Rom  Umtrieben,  ohne  zu  einem  Eingreifen  irgend  einer  Art 
zu  gelangen,  waren  andere  Persönlichkeiten  in  die  Linie  der 
aktiven  Politik  eingerückt.  Von  untergeordneter  Bedeutung,  aber 
doch  nicht  unwichtig,  wie  die  Zukunft  zeigte,  war  M.  Lepidus, 
derselbe,  der  bereits  am  Tage  des  Mords  durch  rechtzeitiges 
Eintreten  mit  den  ihm  zu  Gebote  stehenden  Truppen  yermittelt 
hatte,  dafs  das  verfahrene  Staatswesen  wieder  in  eine  gewisse 
Richtung  kam.  Das  Feld,  das  er  damals  besetzt,  für  sich  zu 
behaupten,  vermochte  er  nicht;  weder  hatte  er  dazu  die  Stellung, 
noch  neben  Antonius  die  Geschicklichkeit;  sobald  der  letztere 
sich  gefafst  hatte,  brachte  er  den  Lepidus  in  die  zweite  Linie. 
In  dieser  aber  suchte  er  ihn  sich  zu  sichern,  indem  er  ihm  seine 
Tochter  verlobte  und  ihm  das  durch  Cäsars  Tod  erledigte  Ober- 
pontifikat  verscha£fte;  so  glaubte  er  darauf  rechnen  zu  können, 
dafs  Lepidus,  als  derselbe  nun  auf  seine  spanische  Statthalter- 
schaft abging,  ihm  zur  Verfügung  stehen  werde.  Zunächst  aber 
führte  er,  ohne  die  Tragweite  dessen,  was  er  that>  zu  übersehen, 
mittelst  des  Lepidus  einen  andern  Prätendenten  auf  Machtstellung 
ein,  indem  er  jenem  vom  Senat  den  Auftrag  geben  liefs,  mit  dem 

t,  pompejüB.  noch  übrig  gebliebenen  Sohn  des  grofsen  Pompejus,  Sextus,  der 
sich  seit  der  Niederlage  seiner  Brüder  mit  Resten  des  pompeja- 
nischen  Heers  und  heimatlosen  Leuten  im  jenseitigen  Spanien 
umtrieb  und  den  Statthaltern  Cäsars  zu  schaffen  machte,  einen 
Vergleich  zu  schliessen;  wohl  half  dies  den  Senat  über  die  Ab- 
sichten des  Antonius  täuschen  und  machte  den  Pompejus  un- 
mittelbar unschädlich,  aber  es  gab  diesem  auch  Zeit  und 
Mittel,  sich,  bis  die  Waffen  wieder  aufgenommen  würden,  eine 

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Stellmig  zu  verschaffen.  —  Indes  war  nun  aber  in  Rom  selbst  Oouriftn. 
eine  neue  Persönlichkeit  Ton  unmittelbarster  Bedeutung  erschienen, 
die  Yon  yomherein  zum  Prätendententum  bestimmt  war.  Unter 
den  Verwandten  Cäsars  konnte  nach  den  Verhältnissen  des  Alters, 
des  Verwandtschaftsgrads  und  der  sonstigen  Verwendbarkeit  keiner 
mehr  in  Betracht  kommen  als  C.  Octavius,  sein  Grofsneffe,  der 
Sohn  seiner  Nichte  Atia,  derselbe,  den  er  in  dem  im  Herbst  45 
gemachten  Testament  adoptiert  hatte.  Indem  die  Schwester 
Cäsars,  Julia,  den  Ariciner  M.  Atius  Baibus  heiratete  und  dann 
die  Tochter  aus  dieser  Ehe  sich  mit  einem  C.  Octayius  verband, 
war  Cäsar  mit  einer  Familie  verwandt  geworden,  die  eben  erst 
durch  diesen  Octavius  in  die  Aristokratie  hereinkam,  aber  durch 
ihre  Wohlhabenheit  fähig  war,  sich  in  ihr  zu  behaupten  und 
anerkannt  zu-  werden,  und  nachdem  Octavius  gestorben  war,  hatte 
die  Witwe  einen  der  angesehensten  Männer,  L.  Marcius  Philippus, 
Konsul  im  J.  56,  geheiratet.  Den  Sohn  des  Octavius  nun  hatte 
sich  Cäsar  zum  Erben  ersehen,  ihn  in  dieser  Absicht  in  den 
Patriziat  erhoben,  in  den  spanischen  Feldzug  nachkommen  heifsen, 
darauf  testamentarisch  adoptiert,  weiterhin  beabsichtigt,  von 
Apollonia  aus,  wo  fOr  seine  wissenschaftliche  und  militärische 
Ausbildung  gesorgt  wurde,  ihn  in  den  parthischen  Krieg  mitzu- 
nehmen, endlich  ihm  im  Wechsel  seiner  magistri  equibum  eine 
Stelle  bestimmt«  Auf  die  Nachricht  von  dem  Tode  Cäsars  ent- 
schlofs  sich  der  junge  C.  Octavius,  nachdem  er  von  seiner  Ad- 
option gehört,  nach  Rom  zu  gehen  und  daselbst  die  ihm  durch 
das  Testament  Cäsars  erwachsenen  Ansprüche  geltend  zu  machen. 
Geboren  am  23.  September  63  war  er  noch  nicht  19  Jahre  alt» 
als  die  Forderung  an  ihn  kam,  einen  Preis  höchster  Art,  den 
das  Geschick  ihm  in  Aussicht  gestellt  hatte,  aus  einer  Welt  voll 
Gefahren  sich  herauszuholen  und  was  an  diesem  Preis  noch 
nicht  vollendet  war,  zugleich  zur  Vollendung  zu  bringen.  Aber 
die  Lage  war  durch  die  Geteiltheit  der  ihm  im  Wege  Stehenden 
eine  solche,  dafs  gerade  seine  Natur,  die  wie  wenige  für  die 
Künste  der  Diplomatie  angelegt  war,  hier  den  Boden  fand,  auf 
dem  sie  mit  Erfolg  auftreten  konnte.  Früh  verstandesreif,  wie 
solche  Naturen  vor  andern  zu  sein  pflegen,  nahm  er  die  ihm 
Yorgezeichnete  Aufgabe  an,  im  wesentlichen,  so  weit  geistige 
Hilfsmittel   in  Betracht   kamen,   auf  sich  selbst  gestellt.^)     Zu 

1)  Die   Düchsten  Verwandten   rieten  ihm,   die  Erbschaft   abzulehnen. 
App.  3,  10.    Nicol.  Damasceniu  ^Co^  Kuicaqog  18.  r^  j 

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Anfang  April  fuhr  er  Yon  ApoIIonia  an  die  Ostküste  Italiens 
hinüber,  landete  vorsichtig  nicht  in  Brundisium,  dem  gewöhn- 
lichen Hafenort;  sondern  an  einer  Nebenstation,  und  reiste  dann 
langsam  Rom  zu,  in  der  Nähe  dieser  Stadt  von  dem  Gute  seines 
Stiefvaters  Philippus  ans,  wo  er  länger  verweilte,  sich  nach  der 
Stimmung  von  Hoch  und  Niedrig  erkundigend.  Anfang  Mai 
sodann  liefs  er  sich  in  Rom  durch  einen  Tribunen  in  einer 
Kontion  dem  Volke  vorstellen.  Viele  der  Freunde  Cäsars  hatten 
ihn  sofort  bei  seiner  Ankunft  in  Italien  begrüfst,  die  Menge  sah 
zunächst  noch  mit  mehr  Neugier  als  Sorge  auf  ihn,  Antonios 
und  die  andern  für  sich  selbst  arbeitenden  Gäsarianer  waren 
bereit,  ihn  bei  Seite  zu  schieben,  die  Republikaner  geteilt  zwischen 
MiCstrauen  und  der  Hofihung,  ihn  für  ihre  Zwecke  gebrauchen 
zu  können;  alle  die  aber,  welche  glaubten,  den  jungen  Mann 
täuschen  zu  können,  gingen  selbst  schwerer  Täuschung  entgegen. 
Der  Senat.  8.  lumittcu  all  dicscr  Strebungen   stand  der  Senat  mit  der 

Aufgabe,  die  Regierung  des  Staats  zu  führen  mittelst  des  von 
einem  andern  System  hinterlassenen  Apparats  der  Magistratur 
und  mit  all  der  Hinterlassenschaft  des  Diktators,  die  man  hatte 
übernehmen  müssen.  Die  intellektuelle  Leitung  dieser  Körper- 
schaft stand  —  so  wollte  es  die  Organisation  derselben  —  bei 
den  Konsularen,  die  mit  ihrer  motivierten  Meinungsabgabe  die 
Beratungen  bestimmten.  Der  angesehenste  Konsular  war  Gicero, 
und  an  gutem  Willen,  alles  das  geltend  zu  machen,  was  ihm 
nach  seiner  Vergangenheit  an  Würde  und  Auktorität  vor  Senat 
und  Volk  zukam,  ja  geradezu  die  Lenkung  des  Staatsschiffes  zu 
übernehmen,  fehlte  es  ihm  nicht;  noch  stand  ihm  auch  die  alte 
Kraft  der  Beredtsamkeit,  ja  noch  die  alte  Frische  der  Invektive 
zu  Gebot,  die,  wenn  sie  einmal  in  den  Wortkampf  eingetreten 
war,  sich  von  der  Macht  der  Phrase  rücksichtslos  forttragen  liefs. 
Aber  es  waren  auch  noch  alle  die  alten  Schwächen  vorhanden, 
die  Übermacht  der  Fähigkeit  zum  Wort  über  die  Fähigkeit  zur 
That,  das  dem  Augenblick  folgende  Urteil,  das  den  Personen 
gegenüber  nicht  nur  in  dem  gröfsten  Wechsel  sich  ergeht^ 
sondern  sich  auch  für  den  Zweck  des  Moments  bis  zur  Unwürdig- 
keit  herabgiebt^)  und  schliefslich  vor  keiner  Täuschung  sicher 


1)  Das  sprechendste  Beispiel  hiefQr  ist  seine  Stellung  zuDolabella,  dem 
früheren  Schwiegersohn;  brachte  er  es  doch  nach  allen  von  ihm  selbst 
persönlichst  gemachten  Erfahrungen,  in  denen  er  noch  mitten  drin  stand, 
über  sich,   ihn,   den  nichtswürdigsten  Menschen  in  seinem  erschlicbeDen 

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ist  Und  weil  es  nicht  einmal  eines  scharfen  Blicks  bedurfte,  um 
dies  zu  sehen,  fehlte  auch  das  Vertrauen  der  andern.  Die  Ver- 
schworenen hatten  sich  gehütet,  ihn  bei  ihrem  Plane  „zu  dem 
herrlichen  Mahle"  beizuziehen*),  nach  vollzogener  That  hatte  er 
sich  ihnen  angeschlossen,  aber  als  die  Umstände  anders  wurden, 
richtete  er  seinen  Verkehr  mit  ihnen  äuJGserst  diplomatisch  ein 
und  nötigte  sie  ohne  ihn  zu  rechnen;  im  Senat  horten  selbst  die, 
welche  im  allgemeinen  auf  seiner  Seite*  standen,  nur  halb  auf  ihn. 
Als  er  es  sich  herausnahm,  Ton  der  blofsen  Stellung  eines  ange- 
sehenen Konsulars  auktoritatsYoUe  Briefe  an  die  Statthalter  zu 
schreiben,  wurden  diese  zwar  gelesen  und  beantwortet,  aber  die 
Empfönger  handelten,  wie  es  ihnen  ihr  eigenes  Urteil  oder  der 
eigene  Nutzen  vorschrieb;  den  Octavius,  den  „trefiflichen  Knaben"*), 
wollte  er  ausnützen  und  wegwerfen,  und  der  2()jährige  Jüngling 
gab  den  64jährigen  Konsular  in  die  Hände  des  Mörders.  Die 
Konsulare,  welche  neben  Cicero  noch  vorhanden,  waren  entweder 
von  Cäsar  zu  ihrer  Würde  befördert  oder  es  war  das  Interesse  för 
die  Bepublik,  das  zugleich  das  ihrer  Senatorenwürde  war,  doch 
mit  anderem  gemischt:  so  bei  Piso,  dem  Schwiegervater  Cäsars, 
bei  L.  Philippus,  dem  Stiefvater  des  Octavian,  bei  C.  Marcellus, 
dem  Konsul  von  50,  dem  Gemahl  der  Octavia,  also  Schwager 
Octavians,  mit  Rücksichten  der  Verwandtschaft.')  Andere,  wie 
die  designierten  Konsuln  Hirtius  und  Pansa,  hatten  zwar  kein 
Interesse  für  die  Macht  des  Antonius,  aber  auch  nicht  gegen  die 
Erinnerungen  an  Cäsar  mit  deren  Konsequenzen.  Aufserdem 
fehlte  es  nicht  an  solchen,  die,  wie  der  Jurist  Ser.  Sulpicius,  stets 
vermittelnd  auftreten  wollten«  Die  Masse  der  Senatoren  war 
denn  auch  in  ihrer  Stimmung  nicht  entschieden;  sie  stand  zwar 
ebenfalls  dem  Antonius  nicht  von  vornherein  zur  Verfügung, 
aber  ebensowenig  war  sie  für  die  Zukunft  der  Republik  gesichert; 

KoDsnlat  zu  loben  und  sich  fClr  Zwecke  des  Augenblicks  zu  seinem  Legaten 
machen  zu  lassen,  was  ihn  dann  freilich  nicht  hinderte,  als  Dolabella  in 
Syrien  auf  der  andern  Seite  stand,  für  seine  Ächtung  zu  stimmen. 

1)  Ad  fam.  10,  28,  1  (an  Trebonius):  quam  vellem  ad  iüas  ptUcherrimas 
eptdas  me  Idibu8  Martiis  invÜMses!  reliquiarum  nihil  häberemus,  12,  4,  1 
(an  Cassins):  vellem  Idibus  Martiis  me  ad  cenam  invitasses:  reliquiarum 
mhü  fumet. 

2)  Fuer  egregius,  z.  B.  ad  fiftm.  10,  28,  8;  12,  25,  4  in  öffentlicher  Bede. 
Philipp.  3,  8:  C,  Caesar  adoleseens,  paene  poUus  puer. 

3)  Cic.  ad  Att.  16,  14,  2:  nee  me  PMUppus  aut  Marceüus  movet,  dlia 
mim  eorum  ratio  est    15,  18,  3:  cautum  MarceUumI  ^  j 

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und  es  gilt  dies  auch  für  die  der  alten  Aristokratie  Angehörigen, 
deren  Zahl  unter  den  900  nicht  zu  schätzen  ist;  ob  die  Ehre, 
mit  zu  den  Regierenden  zu  gehören  oder  die  Hoffiiung  auf  per- 
sönliche Vorteile  beim  Anschlufs  an  einen  Machthaber  über- 
wiegen sollte,  war  bei  jedem  einzelnen  eine  Frage;  eine  über- 
mächtige Militärgewalt  hatte  jedenfalls  hier  leichtes  Spiel.  Übel 
genug  aber  war  es  für  die  zukünftige  Festigkeit  des  Senats  zu 
deuten,  dafs  selbst  die,  welche  die  Führung  beanspruchten,  und 
zwar  Cicero  yoran,  nicht  auf  dem  Posten  blieben,  sondern  so- 
bald die  Lage  bedenklicher  aussah,  sich  auf  ihre  Villen  begaben 
oder  gar  an  Flucht  dachten. 
Por  Kampf  der  9.  Im  Mai  warcn  alle  Stellungen,  um  die  es  sich  handelte,  zu 

übersehen,  der  Kampf  der  verschiedenen  Interessen  mufste,  zu- 
nächst als  Kampf  der  Intrigue,  beginnen.  Das  nächste  Interesse 
erweckte  der  junge  Octayius;  er  war  die  neueste  und  durch  seine 
Jugend  wie  sein  Verhältnis  zu  Cäsar  die  Teilnahme  des  Volks 
am  meisten  fesselnde  Erscheinung.  Vorerst  trat  er  nur  auf  mit 
seinen  Erbansprüchen:  er  meldete  die  Übernahme  der  Erbschaft; 
mit  allen  ihren  Lasten  an,  erklärte  die  Annahme  der  Adoption 
beim  Stadtprätor  ^)  und  wollte  sie  auch  durch  ein  Kuriatgesetz 
gültig  erklären  lassen.^  Doch  hiezu  verlegte  ihm  Antonius 
den  Weg,  jedoch  ohne  wesentlichen  Erfolg,  da  die  Adoption  selbst 
und  die  aus  dem  Testament  folgenden  Rechte  rechtlich  nicht 
bestritten  werden  konnten,  sondern  höchstens  gewisse  neben- 
sächliche Konsequenzen  des  Übertritts  in  das  julische  Greschlecht. 
Ebenso  verweigerte  Antonius  die  Herausgabe  des  casarischen 
Barvermögens  und  machte  ihm  Schwierigkeiten,  als  er  nun  die 
ihm  zugefallenen  liegenden  Güter  verkaufen  wollte,  um  den  Erlös 
nebst  seinem  eigenen  Vermögen  zur  Bezahlung  der  Vermächtnisse 
Cäsars  an  die  Bürger  zu  verwenden.  Auch  bei  persönlicher  Zu- 
sammenkunft hatte  er  nur  schroffe  Ablehnung.  Somit  war  der 
Zwiespalt  zwischen  beiden  erklärt.  Indessen  hiels  nun  Octavius 
von  jetzt  an  C.  Julius  Cäsar  Octavianus,  und  hatte  alles  das 
voraus,   was   der  Name  Cäsars    enthielt^)     Es  war  nun  natür- 


1)  App.  8,  14. 

2)  Dio  46,  6.  Darüber,  dafs  die  testamentarische  Adoption  der  unter 
Lebenden  gleich  stand  and  nur  das  kontrovers  war,  ob  ohne  die  Bestätigung 
des  Enriatgesetzes  einzebie  Rechte  nicht  ausgeübt  werden  konnten,  vgL 
Dramann,  1,  837  A.  5.    Mommsen  im  Hermes  8,  64. 

3)  Cicero  im  April  ad  AU    14,  12,  2:  Octavius,  quem-^quidem.  8m  dte- 

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—    63     - 

lieh  genüg,  dafs  diejenigen,  welche  die  Politik  des  Senats  leiteten, 
wenn  sie  dem  Antonius  nicht  vertrauten,  den  einen  Prätendenten, 
wenn  er  sich  korrekt  hielt,  gegen  den  andern  zu  verwenden 
sachten,  allein  so  korrekt  sich  der  Erbe  einem  Cicero  und  andern 
gegenüber  aussprach,  Vertrauen  konnte  doch  nur  schwer  auf- 
kommen, und  zunächst  war  derselbe  noch  keine  Macht  Immer- 
hin suchte  man  die  Verbindung  mit  ihm  zu  erhalten.  Dies 
hinderte  nun  aber,  sich  mit  den  Cäsarmördem  offen  zu  verbinden, 
um  alles,  was  diese  an  Macht  zusammenbringen  konnten,  als 
zuverlässigstes  Hilfsmittel  der  republikanischen  Sache  dem  Senat 
ZOT  Verfügung  zu  stellen;  denn  der  Cäsarerbe  nahm  die  Rache 
an  Cäsars  Mördern  als  Teil  seiner  Erbverpflichtung  auf.  Die 
Eonsequenz  von  all  dem  war,  daXs  der  Senat  weder  in  Italien 
noch  in  den  Provinzen  ein  Heer  hatte,  auf  welches  er  sich  ver- 
lassen konnte. 

Indessen  zunächst  war  eine  Veranlassung,  dies  zu  er- 
weisen, nicht  vorhanden,  die  Prätendenten  hatten  genug  zu 
thnn,  um  ihre  Stellung  zu  befestigen  und  die  Politik,  welche 
die  Pülirer  des  Senats  auf  ihren  Villen  machten,  führte  nicht 
zmn  Handeln.  Die  weitertreibende  Aktion  knüpfte  sich  vielmehr 
an  die  Bemühungen  des  Antonius,  eine  Provinz  zu  erhalten. 
Wie  schon  bemerkt^  hatte  er  sein  Augenmerk  zuerst  auf  Make- 
donien gerichtet  und  um  dies  zu  erreichen,  verschaffte  er  zuvor 
dem  Dolabella  mit  Umgehung  des  Senats  durch  einen  Volks- 
beschlufc  Syrien,  worauf  dann  ihm  Makedonien  bewilligt  wurde. 
Weiterhin  kam  er  mit  Dolabella  überein,  dafs  von  den  Truppen, 
die  in  Makedonien  von  Cäsar  für  den  parthischen  Krieg  ge- 
sammelt waren  und  noch  dort  standen,  vier  Legionen  dem  Statt- 
halter derselben  bleiben  sollten.     Indessen  bald  sah  er  ein,  dafs 


Mran  saMabant,  Phüippus  non;  üaque  ne  no8  quidem.  Im  weiteren  Ver- 
lauf des  Jahres  nennt  er  ihn  Cäsar;  der  vermittelnde  Akt  kann  nur  der 
Akt  vor  dem  Stadtprätor  gewesen  sein.  Sueton  Aug.  7:  posteaGai  Caesairis 
^  deinde  ÄugwU  cognomm  asstmpsü,  altertm  testamento  maioris  avun- 
ciÄ  TL  s.  w.  Die  46,  6.  Unrichtig  ist  die  Angabe  Dio  46,  47,  er  habe  sich 
▼or  der  l,  curiata  zwar  Oaeaar  genannt,  aber  nicht  mit  Recht  Gaeaw 
OtUmanm  nennt  ihn  %.  B.  Cicero  ad  fam.  12,  26,  4.  Im  gewöhnlichen 
Leben  wollte  er  naifirlich  Cäsar,  nicht  Octavianns  genannt  werden,  während 
^  historische  Zwecke  znr  Unterscheidung  von  dem  älteren  Cäsar  letzterer 
Name  der  bequemere  ist.  Dio  allerdings  sagt,  nachdem  er  46,  47  den 
Namen  0.  Jtdius  Caesar  Odavianus  angegeben  und  erklärt  hat:  lyiio  dh  ov% 
Owtaovutvov  aUa  Kalca^u  avtov  ovofidca, 

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—     64     - 

Makedonien  zu  entlegen  sei  and  richtete  nun  sein  Äugenmerk 
auf  das  von  D.  Brutus  bereits  übernommene  cisalpinische  GallieiL 
Auch  dieses  liefs  er  durchs  Volk  mit  Umgehung  des  Senats  dem 
D.  Brutus  abnehmen  und  auf  sich  übertragen;  zugleich  ordnete 
ein  tribunicisches  Gesetz  an^  dafs  die  gewesenen  Eonsuhi  ihre 
Provinzen,  statt,  wie  es  Cäsar  geordnet,  auf  zwei,  nun  auf  sechs 
Jahre,  die  Pratoren,  statt  auf  eines,  auf  zwei  Jahre  haben  sollten; 
endlich  wurde  ihm  gestattet,  die  Legionen  von  Makedonien  nach 
der  neuen  ihm  übertragenen  Provinz  herüberzuziehen.  Sehr  be- 
quem war  es  ihm  dabei  gewesen,  dafs  Brutus  und  Cassius  sieh 
von  Rom  entfernt  hatten;  damit  diese  Abwesenheit  von  ihren 
Posten  dauernd  und  zugleich  legitimiert  sei,  hatten  sie  sich  ge- 
fallen lassen  müssen,  sich  eine  Mission  für  Getreideaufkauf  geben 
zu  lassen;  für  das  nächste  Jahr  sollten  sie  darm  Kreta  und  Eyrene 
statt  Makedoniens  und  Syriens  erhalten.^)  In  der  Zeit,  in  welcher 
dies  geschah,  stand  die  Macht  des  Konsuls  auf  ihrer  Höhe.  Den 
einen  seiner  Brüder  in  der  städtischen  Prätur,  den  andern  als 
Tribun  zur  Seite,  hatte  er  die  Verwaltung  und  Gesetzgebung 
in  der  Hand,  und  die  Veteranen  seiner  Leibwache  bürgten  fSr 
seine  Sicherheit;   hatte   er   doch   auch    ihnen  zu  lieb  ein  neues 


1)  Die  80  wichtige  Frage  der  Provinzialzoteilnng  ist  bei  den  Schriftr 
Btellem  nicht  übereinstimmend  behandelt ,  nnd  es  begreift  sich  dies,  da 
gerade  hier  durch  Intrigaenspiel  nnd  Gewaltmafsregebi  besonders  onkbur 
wurde,  was  galt  Fest  steht,  daCei  am  5.  Juni  fär  sie  1)  die  KommissioD 
des  Getreideaufkaufs,  für  Brutus  in  Asien^  für  Cassius  in  Sicilien,  2)  die 
Provinzen  Kreta  (Brutus)  und  Kjrene  (Cassius)  beschlossen  wurden.  Cic. 
ad  Att.  15,  6,  2.  9,  1:  ut  Brutus  in  Asia,  Cassius  in  Sicilia  frumentim 
emendum  et  cid  urhem  mittendum  cttrarent.  —  Äit  atUem,  eodem  tempore  deere- 
tum  iri,  ut  et  iis  et  reliquis  pravinciae  decemantur.  Über  Kreta  und  Ejrene 
App.  3,  8,  12.  Cic.  Phil.  2,  98.  Die  Getreidekommission  sollte  sie  fSr  das 
lau&nde  Jahr  von  Rom  fem  halten,  Kreta  und  Kyrene  galten  f&r  das 
nächste.  Letztere  Zuteilung  setzt  voraus,  daSa  Makedonien  und  Syrien,  die 
dem  Brutus  und  Cassius  von  Cäsar  zugeteilten  Provinzen,  ihnen  bereits 
entzogen  waren.  Appian  a.  a.  0.  lälst  dies  auch  vorhergehen  nnd  zwar 
schon,  ehe  Octavian  nach  Born  kam.  Es  mufs  dies  in  einem  Zeilpunkt 
geschehen  sein,  in  dem  die  Cäsarmörder  machtlos  waren,  und  dies  weist 
allerdings  darauf  hin,  dab  es  bald  nach  ihrer  Flucht  aus  £om  geschah  und 
auch  in  Abwesenheit  ihrer  Freunde;  denn  der  Senat  begnügte  sich  mit  dem 
Vorhehalt  künftiger  Entschädigung.  Der  Umtausch  von  Makedonien  und 
Gallien  muls  langem  Zeit  vor  dem  24.  Juni  geschehen  sein,  denn  an  diesem 
Tage  waren  bereits  zwei  Legionen  nach  Italien  herübergeschafft;  Cic.  ad  Att. 
16,  13,  2,  vgl.  App.  3,  27. 

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-     65     — 

Ackerverteilungsgesetz  durch  seinen  Bruder  einbringen  lassen.*) 
Von  ihnen  liefs  er  den  Senat  umstellen,  die  Volksversammlung 
beherrschen,  und  auf  sie  gestützt  wirtschaftete  er  neben  dem, 
dafs  er  wichtige  Ordnungen  Cäsars  umstiefs,  mit  den  angeblichen 
aäa  Caesaris  in  aller  Willkür.  Wohl  hatte  der  Senat  beschlossen, 
dals  Tom  1.  Juni  ab  über  das,  was  als  <icta  Caesaris  gelten 
sollte,  die  Konsuln  mit  einem  Konsilium  von  Senatoren  bestimmen 
sollten,  und  es  war  dies  durch  Volksbeschlufs  bestätigt  worden, 
allein  Antonius,  seines  Kollegen  Dolabella  sicher,  wurde  dadurch 
Dicht  gehindert.  Nur  auf  den  Erben  C'asars  mufste  er  Rücksicht 
nehmen,  dazu  zwangen  ihn  eben  jene  Veteranen.^  Unter  ihrem 
Einflufs  kam  wiederholt  eine  Versöhnung  zwischen  beiden  zu- 
stande; sie  wollten  dem  Antonius  als  dem  Freunde  des  verewigten 
Cäsar  nicht  untreu  werden,  aber  der,  welcher  von  diesem  als 
Sohn  angenommen  war  und  nun  seinen  Namen  trug,  war  ihnen 
rechtUch  jenem  mindestens  gleichstehend  und  persönlich  sym- 
pathischer, und  er  hatte  gezeigt,  dafs  er  zu  belohnen  wufste. 
ÄuDserdem  war  es  vielen  von  ihnen  ernstlich  um  Rache  für 
Cäsars  Ermordung  zu  thun,  sie  hatten  fQr  das  Intriguenspiel, 
mit  dem  man  die  Mörder  bald  wegstiefs  bald  anerkannte,  wenig 
Sinn  und  verlangten  klare  Verhältnisse,  Einigung  der  Freunde 
Cäsars  gegen  seine  Feinde.  Allein,  sobald  Antonius  nicht  mehr 
blofs  mit  diesen  Veteranen  zu  rechnen  hatte,  sondern  sich  auf 
andre  Kräfte  verlassen  zu  köxmen  glaubte,  liefs  er  die  eine  Zeit 
lang  genommenen  Rücksichten  fahren  und  nahm,  obgleich  oder 
weil  er  nun  sich  überzeugt  hatte,  dafs  der  Erbe  eine  Macht  zu 
werden  anfing,  den  Kampf  auf.  Dies  geschah,  nachdem  er  die 
Trappen  von  Makedonien  nach  Brundisium  beordert  hatte. 

10.  Indessen  war  es  nun  auch  im  Verhältnis  des  Antonius  %ie  vor- 
zum  Senat  zu  einem  Bruch  gekommen.  -Sein  willkürliches  Ver-  Krieg. 
fahren  hatte  den  L.  Piso  veranlafst,  am  1.  August  im  Senat 
gegen  ihn  aufzutreten.  Diese  RedC;  obgleich  ohne  unmittelbaren 
Erfolg,  hatte  doch  grofses  Aufsehen  gemacht,  und  war  insbesondre, 
wie  es  scheint^  geeignet,  den  Cäsarmördem  Hoffiiung  zu  geben, 
dafs  sie  nun  nach  Rom  zurückkehren  könnten,  während  Antonius 
allerdings  sie  nicht  zulassen  wollte.')     Sie  erliefs'en  die  dringende 

1)  VgL  auXeer  deo  Ersählungen  den  Brief  von  Brutus  und  Cassius  au 
Anioniiu  bei  Cic.  ad  fiam.  11,  2. 

S)  Dies  legt  besonders  ansfOhrlich  dar  Appian  8,  89fiP. 

3)  Vgl.  ihren  Brief  an  Antonius  vom  4.  August  bei  Cic.  ad  fam.  11,  3. 

Her.og,  d.  röm.  StaaUverf.  U.  1.  O^iti.ed  byGoOglC 


-     66    - 

Aufforderung  an  ihre  Freunde  im  Senat,  ihre  Sitze  in  dieser 
Behörde  einzunehmen  und  zu  ihren  Gunsten  zu  wirken.*)  Auch 
Cicero^  der  bis  zum  Amtsantritt  der  nächsten  Konsuln  hatte 
warten  wollen^  mochte  sich  nuu  nicht  länger  seiner  Pflicht  ent- 
ziehen und  begab  sich,  ungern  genug,  auf  den  Weg  nach  Rom. 
Gleichzeitig  hatte  aber  auch  der  junge  Cäsar  sich  an  ihn  ge- 
wendet und  wiederholte  seine  Bitte  um  Beratung  für  sein  Vor- 
gehen gegen  Antonius  und  um  die  Vertretung  seiner  Interessen 
im  Senat.  Cicero  konnte  sich  keine  Illusionen  darüber  machen, 
dafs  er  in  Rom  in  Konflikt  mit  Antonius  kommen  muTste,  und 
es  war  angezeigt,  hieför  einen  Rückhalt  an  dessen  Gegnern  zu 
haben,  aber  diese  Gegner  waren  verschiedener  Art  und  es  war 
ihm  unbequem,  sich  mit  dem  einen  oder  andern  für  die  Zukunft 
zu  kompromittieren.  Indessen  langte  er  am  31.  August  in  Rom 
an,  eben  recht,  um  von  Antonius  auf  den  1.  Sept.  in  den  Senat 
geladen  zu  werden.  Er  entzog  sich  der  Ladung,  obgleich  er 
vom  Konsul  dafür  bedroht  wurde,  erschien  aber  am  2.  Sept., 
und  nun  begann  der  Kampf  seiner  Reden  gegen  Antonius,  der 
immer  heftiger  werdend  ihn  nicht  mehr  zurücktreten  liefs,  um 
ihn  schliefslich  zum  Untergang  zu  führen.^)  Die  erste  Rede 
führte  zu  einem  unmittelbaren  Resultate  nicht;  ihr  Hauptgegen- 
stand war,  sich  zu  rechtfertigen  und  die  Anklage  gegen  das 
ganze  bisherige  Verfahren  des  Antonius  oflfen  zu  erheben,  vor 
Allem  gegen  das  Verfahren  mit  den  angeblichen  (xcta  Caesaris, 
während  er  doch  daneben  wirkliche  Ordnungen  Cäsars,  wie  die 
über  die  Provinzen,  über  die  Zusammensetzung  der  Gerichtshofe, 
über  die  Verschärfung  der  Strafjustiz  in  teils  fertigen,  teils  eben 
erst  promulgierten  Gesetzen  umstofse.  Dafür,  dafs  die  Cäsar- 
mörder zurückkehren  sollten,  geschah  nichts.  Auch  der  einige 
Wochen  darauf  folgende  rhetorische  Waffengang  konnte  nur  den 
Zweck  haben,    Stimmung  unter  den  Senatoren  zu  machen,    die 

1)  Ad  Att.,  16,  7,  1. 

2)  Zur  Charakteristik  dieser  Eeden  ist  bemerkenswert,  dais  die  beiden 
Gegner  in  diesem  Kampf  sich  nie  persönlich  gegenüberstanden.  Am  2.  Sept. 
war  Antonius  nicht  zugegen;  eine  Erwiderung  gab  er  erst  am  19.  Sept., 
nachdem  er  die  Zwischenzeit  aufserhalb  Roms  zugebracht;  an  diesem  Tage 
war  wiederum  Cicero  nicht  anwesend,  und  die  Antwort,  die  er  in  der 
2.  Philippika  gab,  war  nur  eine  schriftliche.  Als  Cicero  am  20.  Dec.  wieder 
in  der  Kurie  erschien,  um  den  Kampf  aufs  neue  aufzunehmen,  stand  An- 
tonius bereits  im  Feld,  und  so  sind  auch  alle  folgenden  Beden  gegen  den 
abwesenden  Gegner  gehalten  worden. 

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-     67     - 

wirkliche  Aktion  hatte  bereits  auf  einem  andern  Felde  begonnen. 
Die  Truppen  von  Makedonien  waren  im  September  vollends  in 
Brundisium  angekommen,  und  Aiitonius  ging  dorthin  ab,  um  sie 
zu  übernehmen.  Nun  glaubte  Octavian  den  Augenblick  ge- 
kommen, in  dem  auch  er  rüsten  müsse,  warb  seinerseits  unter 
den  Veteranen  in  Campanien  und  suchte  die  makedonischen 
Legionen  dem  Antonius  abwendig  zu  machen.  Das  erstere  ge- 
lang in  erheblichem  Mafse,  das  letztere  führte  schon  in  Brun- 
disium wenigstens  zu  ernstlichen  Schwierigkeiten  für  Antonius, 
und  nachdem  derselbe  dann  einen  Teil  der  Truppen  an  der  Ost- 
küste hin  nordwärts  geschickt,  einen  andern  in  die  Nähe  von 
Rom  verlegt  hatte,  wurde  dieser  letztere  meuterisch  und  zwei » 
Legionen  gingen  zu  Octavian  über.  So  hatte  nun  dieser  ein 
Heer,  aber  er  hatte  es  als  Privatmann  ohne  jede  Berechtigung.*) 
Er  selbst  wufste  wohl,  was  das  fQr  ihn  bedeute,  und  drängte, 
dafs  Cicero  im  Senat  ein  Imperium  für  ihn  durchsetze,  aber 
Cicero  beeilte  sich  nicht.  Am  9.  Dec  kam  er  endlich  nach  Rom, 
das  ohne  Konsuln  war,  da  Antonius  im  Feld  stand  und  Dola- 
bella,  über  den  auch  Cicero  sich  keiner  Täuschung  mehr  hin- 
geben konnte*),  fortging,  um  die  Provinz  Syrien  sich  zu  sichern.') 
In  einer  von  den  neuen  Tribunen  berufenen  Sitzung  trat  er  am 
20.  Dec.  für  die  Erteilung  eines  Kommandos  an  Octavian  auf, 
wobei  er  es  vollkommen  billigte,  dafs  dieser  gegen  den  Konsul 
ohne  Auftrag  ein  Heer  geworben,  Meutereien  unter  den  Legionen 
hervorgerufen  und  gegen  ihn  nun  im  Feld  stand.  Doch  sollte 
jetzt  seine  Stellung  an  der  Spitze  von  Truppen  legitimiert,  D. 
Brutus  in  Gallien  bestätigt  und  die  Veränderungen  in  der  Pro- 
vinzenverteilung, welche  Antonius  veranlafst,  für  ungültig  erklärt 
werden.^)  Der  volle  Sinn  der  Anträge  des  Cicero  war,  dem 
Antonius  direkt  den  Krieg  zu  erklären,  allein  der  Senat  trat  ihm 
nicht  ganz  bei;  er  liefs  dem  D.  Brutus  Gallien,  ging  auch  hin- 


1)  Monum.  Ancyr.  tab.  lat.  1,  1:  Amu)8  undeoiginH  natus  exercitum 
prwmto  conaüio  et  privata  in^pensa  comparam,  per  quem  remp.  dommatione 
faetioma  oppressam  in  Itbertatem  vindicavi,    Oic.  Phil.  8,  3. 

2)  Ad  Att  16,  15,  1. 

8)  Dio  46,  16.    47,  29.    App.  8,  24. 

4)  Cic.  Philipp.  8,  87—89.  —  Die  Tribanen  hatt<;ii  zunächst  referiert, 
uU  senatm  KcU,  JanuariM  tuto  ?Mberi  senteniiaegue  de  summa  rep,  libere 
diei  paseint,  womit  eine  Erörterung  der  allgemeinen  Lage  ?on  selbst  ge- 
geben war. 

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^     68     - 

sichtlich  der  andern  Provinzen  auf  die  Ordnung  vor  den  letzten 
Änderungen  des  Antonius  zurück,  aber  er  verschob  die  Erteilung 
eines  Imperiums  an  Octavian  und  die  Belohnung  der  gegen 
Antonius  im  Feld  stehenden  Führer  und  Soldaten  auf  das  neue 
Konsulat  und  er  erklärte  nicht  direkt  dem  Antonius  den  Krieg. ^) 
Cicero  konnte  dem  Volk  gegenüber*),  als  er  diesem  die  Senats- 
beschlüsse mitteilte,  wohl  so  sprechen,  als  ob  der  Krieg  damit 
erklärt,  Antonius  als  Feind  bezeichnet  wäre,  der  Senat  hatte  die 
Sache  doch  nur  so  gefafst,  dafs  die  Möglichkeit  zu  Unterhand- 
lungen noch  oflfen  bleibe. 

Für  Brutus  und  Cassius,  welche  dem  Octavian  ebenso  mifs- 
•  trauisch  gegenüberstanden  wie  dem  Antonius,  war  diese  Wendung 
der  Dinge  am  wenigsten  befriedigend.  Sie  hatten  bereits  im 
September,  nachdem  ihre  Aussicht,  in  Rom  auftreten  zu  können, 
vereitelt  war,  darauf  verzichtet,  zu  warten,  bis  ihnen  der  Senat 
helfe,  hatten  die  ihnen  zuletzt  überwiesene  Funktion  abgeworfen 
und  sich  nach  den  Provinzen  auf  den  Weg  gemacht,  die  ihnen 
früher  Cäsar  bestimmt  hatte,  Brutus  nach  Makedonien,  Cassius 
nach  Syrien.*)  Es  war  dies  durchaus  willkürlich;  denn  über 
diese  Provinzen  war  seit  Cäsars  Tod  wiederholt  anders  verfügt 
worden,  über  Makedonien,  nachdem  M.  Antonius  sich  Gallien 
hatte  bewilligen  lassen,  D.  Brutus  aber  auf  den  Tausch  mit 
Makedonien  nicht  eingegangen  war,  zuletzt  noch  zu  Gunsten 
des  Prätors  C.  Antonius;  und  auch  der  Beschlufe  vom  20.  Dez., 
der  die  durch  Antonius  getroffenen  Bestimmungen  in  dieser 
Beziehung  aufhob,  liefe  die  Frage  über  die  Neubesetzung  offen, 
indem  in  denjenigen  Provinzen,  über  welche  noch  nicht  nameni- 


1)  Ad  fam.  12,  22,  S:  a.  d,  XIIL  KcU.  Januar.  senat/M  mihi  est  ad- 
sensus  cum  de  caeteris  rebus  magnis  et  necessarüs  tum  de  provineüs  ab  Us 
qui  obtinererU  retinendis  neque  cuiquam  tradendis  nisi  qui  ex  s.  c.  succesaisset, 
ebenso  12, 26, 2.  Damit  war  der  Volksbeschlols  über  Gallien  nicht  anerkannt. 
Philipp.  4,  4:  {C,  Caesaris)  de  laudtbus  et  Jionortbus  —  mihi  senatus  ctd- 
sensus  decremt,  ut  primo  quoque  tempore  referretur;  damit  war  der 
Beschlufs  darüber  auf  1.  Jan.  verschoben.  6,  4:  decrevistis,  ut  et  depraemiis 
militum  et  de  honoribus  imperatorum  primo  quoque  tempore  referretur.  4,  1 : 
est  hostis  a  senaiu  nondum  verbo  appellatus,  sed  re  iam  iudic€Uu8 
Antonius. 

2)  Philipp.  4,  1  ff.  (s.  vorh.  Anm.) 

8)  Plut.  Brut.  28  f.,  Cic.  Philipp.  10,  8:  etmdem  (Brutum)  vidi  postea 
Veliae  (vgl.  ad  Att.  16,  7),  cedentem  ItaUa.  —  Cassii  classis  paucis  post 
diebus  consequebaiur* 


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-    69     - 

lieh  entschieden  —  und  zu  diesen  gehörten  Makedonien  und 
Syrien  nicht  —  die  bisherigen  Statthalter  gelassen  wurden J) 
Der  Senat  sah  auch  hierüber  hinweg,  verzichtete  also  auch  ihnen 
gegenüber  wie  bisher  gegenüber  dem  Octavian  auf  Geltend- 
machung dessen y  was  seine  Regierungsauktorität  dagegen  einzu- 
wenden hatte,  und  liefs  vorläufig  die  Dinge  gehen,  wie  sie  gingen, 
sich  dabei  vorbehaltend,  diese  Usurpatoren  von  Provinzen,  wenn 
sie  es  zu  einer  Macht  gebracht  hätten,  zu  gebrauchen.  Allein 
das  Bedenkliche,  das  in  diesem  Gehenlassen  lag,  mufsten  gerade 
die  Cäsarmörder  wohl  empfinden.  Nach  den  bisherigen  Vor- 
gängen war  die  Möglichkeit  eines  Übergewichts  des  jungen 
Cäsar  wohl  denkbar;  dann  war  der  Senat,  wenn  er  dem  Cicero 
folgte,  an  ihn  gebunden  und  ihnen  der  Kampf  unter  ungünstigen 
Bedingungen  sicher;  ebenso  leicht  möglich  war  eine  Verbindung 
der  Rächer  Cäsars  gegen  seine  Mörder,  und  dann  war  es  für 
diese  noch  schlimmer.  Für  den  Senat  aber  lag  im  gegenwärtigen 
Augenblick  die  Sache  so,  dafs  die  einzige  Stütze,  welche  sich  aus- 
drücklich zu  seiner  Verfügung  gestellt  hatte,  der  in  seiner  Pro- 
vinz eingeschlossene  D.  Brutus  war.  In  dieser  Provinz  lag  denn 
unn  auch  die  nächste  Entscheidung. 

11.  Als  D.  Brutus  das  Kommando  im  Polande  übernommen  ner  mutiueu- 
hatte,  war  denkbar,  dafs  ein  rasches  Vorgehen  gegen  Rom  die 
Lage  zu  Gunsten  der  Verschworenen  hätte  ändern  und  eine 
Bestauration  in  sullanischem  Sinn  ermöglichen  können.  Allein 
hiezu  war  Brutus  der  Mann  nicht.  Hatte  er  doch  anfangs  die 
günstige  Position,  die  ihm  seine  Provinz  gewährte,  gar  nicht  er- 
kannt und  daran  gedacht,  auf  sie  zu  verzichten;  wie  er  dann 
ein  Heer  unter  seinem  Befehl  hatte,  liefs  er  die  Dinge  in  Rom 
gehen  wie  sie  wollten,  und  wufste  nichts  besseres  zu  thun,  als 
in  einem  Raubzug  gegen  Alpenvölker  sich  den  Titel  Imperator 
und  seinen  Soldaten  Beute  zu  holen.  Antonius  war  es,  der  ihn 
in  die  Aktion  für  die  Republik  hereinzog,  indem  er  ihm  durch 
Volksschlufs  seine  Provinz  nahm.  Brutus  weigerte  sich  auch 
des  angebotenen  Tausches  und  erklärte  dem  Senat  gegenüber  auf 
seinem  Posten  bleiben  und  damit  zugleich  die  Sache  der  Republik 
verfechten  zu  wollen.  Inzwischen  hatte  Antonius  seine  make- 
donischen Truppen  gegen  ihn  mobil  gemacht,  darüber  war 
Octavian  aufgetreten  und  hatte  die  zu  ihm  haltenden  Heeresteile 


1)  Ad  fatn.  12,  22,  3  (ob.  S.  68  A.  1). 

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—     70     - 

nach  Etrurien  bestellt^  und  der  Senat  stand  nun  vor  der  Ent- 
scheidung zwischen  dem  Konsul;  der  die  ihm  durch  einen  Yolb- 
schlufs  zugesprochene  Provinz  besetzen  wollte;  und  den  Gegnern 
desselben,   dem  diesem  Volksschlufs  widerstrebenden  D.  Brutus 
und  dem  ohne  jegliche  Auktorität  handelnden  Cäsarerben.    Der 
Bürgerkrieg    konnte    verhindert    werden,    wenn    der   Senat  der 
Auktorität   des  Konsuls   beitrat   und   dann  seine  Gegner,   einer 
wesentlichen  Stütze  beraubt,  sich  zum  Nachgeben  bereit  erklärten; 
auch  durfte  man  den  Kampf  nicht  leicht  nehmen,  da  die  Statt- 
halter des  jenseitigen  Galliens  und  Spaniens  dem  Antonius  geneigt 
waren;  aber  wenn  nun  Antonius  Herr  der  Lage  und  auf  sechs 
Jahre  Statthalter  an  der  Grenze  Italiens  war,  was  stand  dann 
zu  erwarten?     Der  Senat  versuchte  noch  einen  Mittelweg.    Die- 
jeDJgen,  welche  die  am  10.  Dez.  ins  Amt  gekommenen  Tribunen 
'zn  der  Berufung  des  Senats  auf  den  20.  Dez.  und  zu  dem  An- 
trag veranlafst  hatten,  es  solle  Fürsorge  getroffen  werden,  dafs 
der  Senat  am  1.  Januar  unter  dem  Vorsitz  der  neuen  Konsuln 
in  Sicherheit   beraten   könne,   wollten   damit   offenbar  den  An- 
tütiius  schrecken,  aber  indem  sie  keine  Weisungen  gaben,  wie 
jene  Fürsorge  getroffen  werden  solle,  weder  den  D.  Brutus  noch 
deu  Octavian   dabei   nannten,   so   konnte  ein  solches  Vorgehen 
auf  Antonius   keinen  Eindruck   machen,   und  Cicero   hatte  von 
seinem  Standpunkt  aus  Recht  gehabt,  wenn  er  verlangte,  dafs 
jene  beiden  anerkannt  würden;  er  hatte  aber,  wie  bereits  bemerkt^ 
seine  Anträge  nicht  sofort  ganz  durch  gebracht.     Die  Majorität^ 
vorsichtiger   als  Cicero,  wollte   sich,  so   lange   der   Senat  nicht 
Konsuln  zu  seiner  Verfügung  hätte,  nicht  dem  Octavian  in  die 
llände  geben,  der  allein  zwischen  Rom  und  Antonius  stand,  und 
hoffte  trotz  allem,  dafs  die  neuen  Konsuln  die  Sache  zu  besserer 
Wendung   bringen   würden;   die  kurze   Zwischenzeit  völlig  irre- 
gulärer Verhältnisse  wollte   man   auf   sich   nehmen.     In   dieser 
Zwischenzeit  rückte  Antonius  in  die  Provinz  ein,  D.  Brutus  wich 
zurück  und  warf  sich  schliefslich  in  die  wohl  befestigte  und  ver- 
sehene, auch  günstig  gelegene  Kolonie  Mutina,  um  sich  dort  zu 
halten,  bis  Antonius  von  der  andern  Seite  gefafst  würde.     So 
war  man  denn  thatsächlich  im  Bürgerkrieg,  als  das  sehnlich  er- 
wartete neue  Jahr  anbrach.     Als  die  neuen  Konsuln  am  1.  Jan. 
den  Senat   beriefen   und  über  die  Lage  des  Staats  berichteten, 
trfit  sofort  noch  deutlicher  als  am  20.  Dez.  hervor,  dafs  Ciceros 
Drängen  gegen  Antonius  nicht  im  Sinne  der  Majorität  des  Senats 


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-     71     - 

war,  und  daXs  auch  die  Konsuln  die  Stimmung  der  Mehrzahl 
teilten.  Die  durch  die  Beschlüsse  vom  20.  Dez.  angezeigte 
Richtung  der  Debatte  auf  Belohnung  der  gegen  Antonius  im 
Felde  Stehenden  wurde  zwar  im  allgemeinen  eingehalten ,  aber 
entsprechend  dem  für  diese  Sitzung  notwendig  gegebenen  Referat 
über  die  Lage  des  Staats  überhaupt  war  der  Gesichtspunkt  er- 
weitert Die  Wortführer  des  Antonius  waren  der  Eonsular 
Q.  Fufius  CalenuS;  der  des  referierenden  Konsuls  Schwiegervater 
war,  L.  Piso^)  und  der  Tribun  Salvius.  Es  war  schon  unan- 
genehm; dafs  der  Konsul  nicht  den  Cicero,  sondern  den  Calenus 
zuerst  fragte;  als  dieser  den  Vorschlag  einer  Gesandtschaft  an 
Antonius  machte,  war  dem,  was  Cicero  wollte,  einer  Kriegs- 
erklärung an  denselben  mit  allen  ihren  Konsequenzen,  zum  voraus 
die  Spitze  abgebrochen.  Innerhalb  der  viertägigen  Verhandlungen, 
deren  lange  Dauer  zum  Teil  durch  den  Tribun  Salvius  veraulafst 
war,  wurde  zuerst  in  einer  Abstimmung  vom  3.  Jan«  dem  Cicero 
das  Zugeständnis  gemacht,  dafs  man  den  einen  Teil  seiner  An- 
träge vom  1.  Jan.  erledigte  und  den  Gegnern  des  Antonius  be- 
deutende Bewilligungen  machte,  am  4.  Jan.  aber  ging,  nachdem 
Salvius  die  Abstimmung  über  die  Hauptfrage  bis  zu  diesem 
Tage  hioausgezogen,  nicht  die  Kriegserklärung,  sondern  die  Ab- 
sendung der  Gesandtschaft  durch  mit  der  Weisung,  dieselbe  solle 
den  Antonius  von  Fortsetzung  der  Feindseligkeiten  abbringen'); 
nur  war  die  Klausel  zugegeben,  dafs,  wenn  er  sich  nicht  füge, 
der  Krieg  erklärt  werden  solle.')  Jene  Beschlüsse  aber  für  die 
bereits  im  Feld  Stehenden  boten  dem  D.  Brutus  den  Ausdruck 
der  Anerkennung,  den  Soldaten  des  Octavian,  insbesondere  den 

1)  Piso,  der  Schwiegervater  des  verst.  Cäsar,  hatte  sich  am  1.  Aug. 
gegen  den  Mifsbranch  des  Antonius  mit  den  acta  und  commentarii  Caesarts 
erklärt,  auch  jetzt  war  er  nicht  für  Antonius  (Cic.  Phil.  12,  14:  excessurum 
9e  ex  ItaJia  dixit  Piso,  si  remp,  oppreasisset  ÄntaniiM)^  er  wollte  nur  nicht 
die   Kriegserklärung  und  sprach  in  diesem  Sinn  für  ihn  und  gegen  Cicero. 

2)  Die  fünfte  Philippika,  am  1.  Jan.  gehalten,  welche  seine  Anträge 
enthielt,  gehört  dieser  Debatte  an;  über  die  Dauer  der  Debatte  App.  3,  60 f. 
Die  46^  29;  an  letzterer  Stelle  die  Beschlüsse.  Letztere  teilte  er  wie  nach 
der  Sitzung  vom  20.  Dez.  in  der  4.  Philipp.,  so  jetzt  in  der  6.  noch  am 
4.  Jan.  dem  Volk  in  einer  durch  den  Tribun  P.  Appulejus  berufenen 
Kontio  mit,  sie  für  seine  Zwecke  interpretierend.  Die  Angabe  bei  Appian 
8,  61,  dals  Cicero  die  Instruktion  der  Gesandten  formulieren  sollte,  un- 
walirscheinlich  an  sich,  wird  durch  Cicero  selbst  nicht  bestätigt. 

3)  Philipp.  6,  9:  est  ita  decretum,  ut,  si  iUe  auctoriiati  senatus  nan 
pamüset,  ad  aaga  iretur, 

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—     72     - 

von  Autouius  abgefallenen  Legionen  die  Zusicherung  beträchtr 
licher  Belohnungen^),  dem  Octavian,  und  dies  war  für  die  Zu- 
kunft das  wichtigste,  eine  legitime  Stellung.  Bei  letzterer  Kon- 
zession ging  man  sogar  über  den  Antragsteller  Cicero  in  etwas 
hinaus.  Dieser  hatte  in  Anwendung  von  Vorgängen  unter  Cäsar 
beantragt,  dafs  Octavian  in  den  Senat  aufgenommen  und  damit 
für  die  Amterlaufbahn  über  die  unterste  Stufe  der  Magistratur, 
die  Quästur,  hinausgehoben,  also  fernerhin  berechtigt  sein  solle, 
sich  um  die  Magistrate  zu  bewerben,  wie  wenn  er  im  vorher- 
gehenden Jahre  Quästor  gewesen  wäre;  im  Senat  aber  solle  er 
sein  Stimmrecht  unter  den  Prätoriern  ausüben  dürfen.  Der 
letztere  Teil  des  Antrags  nun  wurde  noch  dahin  gesteigert,  dafs 
man  ihn  mit  der  Stufe  der  Eonsulare  stimmen  liefs.^)     Sodann 


1)  Über  D.  Brutus  Philipp.  6,  6;  über  das  Heer  des  Octavian  7,  10: 
vacationes,  pecunias^  agros,  Dio  46,  29:  tois  ctQaxKotaig  %al  ins^voig  (deo 
von  ihm  geworbenen)  xal  tois  xov  'Jvtciviov  iyxatalinovci  tb  ft^i^t'  aXXov 
xiva  noXefiov  noXsfirjacti.  xal  x^Q^'*^  svd"üs  Sod^vai  i^ritpiaavto, 

2)  Cicero  beantragt  nach  onsrer  Überlieferung  Philipp.  5,  46:  C.  Ccte- 
sarem,  C.  filium,  pantifkem^  pro  praetore,  senatorem  esse  sentenHamqiie  loco 
praetorio  dicere:  eiusque  rationemy  quemcunqw  magistratum  petet,  ita  haberi 
ut  haberi  per  leges  liceret^  8%  anno  superiore  quaestor  fuisset.  Vorher  45: 
demfM  igitwr  imperium  Gaesari:  —  sit  pro  praetore  eo  ittre  quo  qui  optima. 
Den  Besohl ufs  giebt  das  monum.  Ancjr.  tab.  lat.  1,  8  f.:  [senajtus  decretis 
honorificis  in  ordinem  suum  m[e  adUgit  C.  Pansa  A.  Uirtijo  consu- 
libufs,  cjonfsiilajrem  locum  fsimtU  dans  sententiae  ferendae  et  imjperium  mihi 
dedit;  respuhlica  n[e  quid  detrimenH  caperet,  mej  pro  praetore  simtU  cum 
consulibus  profvidere  iussitj.  An  diese  authentischen  Erklärungen  müssen 
vir  uns  halten,  nach  ihnen  sind  die  anderen  Zeugnisse  zn  beurteilen;  daDs 
August  in  der  Angabe  von  dem  locus  consuiaris  übertrieben  habe,  ist  nicht 
anzunehmen,  wie  es  aber  dazu  kam,  dafs  man  hierin  über  den  Antrag  des 
Cicero  hinausging,  wissen  wir  nicht.  Bei  Cic.  ad  Brut.  1,  16,  7  heilst  es: 
decrevi  imperium  — ;  statuam  Philippus  decrevit,  celeritaUm  petitUmis  primo 
Serv'us,  post  maiorem  etiam  Servilius;  nihil  tum  nimium  videbiitur.  Indessen 
bezog  sich  jene  Steigerung  im  Beschlufs  nicht  auf  die  celeritas  petüionis^ 
sondern  nur  auf  die  Bangstufe  der  Abstimmung.  Die  celeritas  petitionis 
drücken  App.  3,  61.  88,  Dio  46,  29  richtig  dahin  aus,  dafs  er  dabei  10  Jahre 
gegenüber  dem  gesetzlich  vorgeschriebenen  Alter  für  Prätur  und  Eonsalat 
gewinnen  sollte.  Die  Beschlüsse  über  die  Senatsehren  und  über  das  imperium 
waren  gesondert.  —  Über  die  Bedeutung  dieser  Beschlüsse  haben  in  ver- 
schiedenem Sinne  gehandelt  Nipperdey,  die  leges  annäles  der  röm.  Rep. 
(Abb.  der  phil.-bist.  El.  der  sächs.  Gesellsch.,  Bd.  V)  S.  69  ff.  Mommsen, 
Staatsr.  1,  442  f.  Ees  gestete  divi  Aug,  p.  3*.  Lange  3,  611.  Mommsen 
zeigt,  dafs  es  nicht  richtig  ist,  mit  Nipperdey  und  Lange  Philipp.  6,  46  zu 
schreiben  loco  quaestorio  st.  l.  praetorio. 


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-     73     - 

aber  sollte  er  an  der  Spitze  der  yoq  ihm  gesammelten  Truppen 
ein  reguläres  Kommando  mit  der  Stellung  eines  Propi^tors  haben. 
So  war  dem  Octayian  viel  bewilligt  an  wirklicher  Gewalt,  wie 
an  Ehre;  in  letzterer  Hinsicht  ging  man  noch  so  weit,  ihm  in 
Analogie  der  höchsten  bisherigen  Machthaber  ein  Reiterstandbild 
za  dekretieren^);  zur  Beschränkung  sollte  es  dienen,  dafs  minde- 
stens der  eine  Konsul  sofort  ausrücke,  indem  damit  jenes  pro- 
pratorische  Kommando  uiunittelbar  zu  einem  untergeordneten 
wurde.') 

Nachdem  durch  diese  Beschlüsse  eine  neue  Grundlage  ge- 
scha£Fen  war,  liefs  sich  die  Lage  übersehen.  Sie  hatte  sich  mit 
diesem  Jahresanfang  für  die  Bepublik  anscheinend  wesentlich 
gebessert  Die  Magistratur  in  Rom,  in  den  Händen  der  ordent- 
lichen Beamten,  war  in  sich  einig  für  den  yerfassungsmäisigen 
Zustand,  die  Konsuln,  gemäfsigte  Cäsarianer,  aber  weder  dem 
jungen  Cäsar,  noch  dem  Antonius  verpflichtet,  waren  gewillt,  im 
Einvernehmen  mit  dem  Senat  und  unter  dessen  Auktorität  zu 
handeln,  und  hatten  für  Politik  und  Kriegführung  die  zu  ihrem  Amte 
nötige  Befähigung.  Im  Senat,  geteilt  wie  er  war,  war  doch  eine 
Majorität  mindestens  für  die  Au&echthaltung  der  Republik,  das 
Volk  in  Rom  war  ähnlich  gestimmt,  und  diese  Stimmung  band 
auch  diejenigen  Elemente  des  Volkstribunats,  welche  von  Antonius 
gewonnen  waren.  Von  solchen  hauptstädtischen  Verhältnissen 
aus  hatte  man  zur  unmittelbaren  Verfügung,  was  die  Konsuln 
mit  dem  ihnen  gewordenen  Auftrag  an  Truppen  und  sonstigen 
Hilfsmitteln  aufbringen  konnten,  das  Heer  des  Octavian  und  dem 
Anschein  nach  wenigstens  die  Italien  zunächstliegenden  Provinzial- 
kommandos.  Die  Verhältnisse  im  Osten  harrten  noch  der  Rege- 
lung; augenblicklich  waren  Brutus  und  Cassius  dort  nicht  legiti- 
miert und  was  ihnen  entgegenstand,  C.  Antonius  in  lUyrien  und 
Dolabella  in  Syrien,  zwar  mit  einer  Vollmacht  versehen,  aoer 
der  bestehenden  Regierung  feindlich;  indessen  die  östlichen  Ver- 
haltnisse konnte  man  vorläufig  sich  selbst  überlassen  und  alle 
unmittelbare  Fürsorge  auf  das  cisalpinische  Gallien  konzentrieren. 
Nachdem  Hirtius  den  Oberbefehl  übernommen,  war  hier  das 
Operationsgebiet  gegeben  durch  die  Linie  der  ämilischen  Strafse 
von   Ariminum    bis   jenseits   von   Mutina.  .  Antonius,    der    den 

1)  VeU.  2,  61. 

2)  Philipp.  7,  11:  decrevistis,  ut  consuies  aiter  anibove  ad  beUum  pro- 
ficiaeercntur.  ^  . 

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D.  Brutus  in  letzterer  Festung  eingeschlossen  hielt  und  in  der 
Richtung  gegen  Ariminum  die  Strafse  bis  Bononia  beherrschte^ 
hatte  vor  dieser  Stadt  sich  gegenüber  zuerst  das  Heer  des  HirtinS; 
hinter  diesem  das  des  Octavian.  Zunächst  hatte  die  Gesandtschaft^ 
mit  der  Sulpicius^  Piso  und  Philippus  betraut  waren,  in  dem 
Lager  des  Octavian,  Antonius  und  Brutus  ihre  Aufträge  zu  be- 
stellen und  mit  Antonius  zu  verhandeln;  unterwegs  starb  Sal- 
picius;  die  zwei  andern  voUf&hrten  ihren  Auftrag,  brachten  aber 
von  Antonius  Ende  Januar  nicht  Unterwerfung  unter  den  Befehl 
des  Senats  mit,  sondern  Gegenvorschläge,  welche  geeignet  sein 
sollten,  den  Freunden  des  Antonius  Gelegenheit  zu  Fortführung 
der  Verhandlungen  zu  schaffen,  und  sie  hätten  wohl  diesen 
Erfolg  gehabt  ^),  wenn  nicht  andere  Umstände  dazwischen  gekommen 
wären.  Die  Verhältnisse  im  Osten  und  in  Afrika  hatten  sich 
inzwischen  so  gestaltet,  dafs  die  extremen  Gegner  des  Antonius, 
deren  Wortführer  Cicero  war*),  dort  nun  einen  Rückhalt  hoffen 
konnten,  und  bei  allen  Wendungen,  welche  in  der  nächsten  Zeit 
das  Vorgehen  des  Senats  in  Rom  bezeichnen,  waren  diese  Neben- 
umstände mitbestimmend.  Eben  im  Januar  hatte  Brutus  von 
der  von  ihm  usurpierten  Provinz  Makedonien  aus  bedeutende  Er- 
folge gehabt,  eine  beträchtliche  Macht  gewonnen  und  den  C.  An- 
tonius in  ApoUonia  eingeschlossen.  Dies  muDste  in  Rom  bekannt 
sein,  noch  ehe  Brutus  selbst  Nachricht  gab,  und  bewirkte  ohne 
Zweifel,  dafs  der  Senat  die  von  Antonius  angebotenen  weiteren 
Verhandlungen  ablehnte  und  den  Kriegszustand  eintreten  liefs, 
jedoch  auch  jetzt  nicht  so,  wie  Cicero  wollte,  indem  man  ihm, 
wie  einem  Feinde  den  Krieg  erklärte,  sondern  indem  man  sein 
Auftreten  als  Unruhestiftung  (tumulius)  behandelte'),  wohl  in  der 
Absicht,  damit  rascher  zu  einem  friedlichen  Ziel  zu  gelangen/) 


1)  Vgl.  was  Cicero  in  der  8.  Philippika  über  die  Ansichten  der  Koo- 
sulare  sagt. 

2)  In  der  7.  Philippika,  die  während  der  Abwesenheit  der  Gesandten 
im  8enat  gehalten  wurde,  suchte  Cicero  zum  voraus  friedlichen  Gegen- 
vorschlägen entgegenzuarbeiten. 

3)  Die  8.  Philippika,  im  Senat  am  Tage  nach  dem  BeschluCB  gehalten, 
giebt  hierüber  an  §  1:  victa  est  propter  verbi  cisperUatem  tc  {Pamä)  audare 
nostra  sententia;  vicit  L,  Caesaris,  qui  verbi  atrocikUe  dempta  oraHone  fuü 
quam  sententia  lenior.  2:  BeUi  nomen  ponendum  in  sententia  tum  putabant: 
tunmUum  appeUare  mcUebant. 

4)  Eigentlich  war  tumtAUuSf  wie  Cicero  mit  Recht  hervorhebt,  stärker 
ab  bellum  (3 :  gravius  tumuitum  esse  quam  beUum),  weil  d^  Wort  herkOmm- 

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-     75     - 

Für  den  Augenblick  aber  war  damit  gegeben  sofortiges  Auf- 
nehmen der  Feindseligkeiten  auf  dem  Kriegsschauplatz  und  Fort- 
setzung der  Rüstungen  in  Italien,  deren  Ergebnis  dann  der  Konsul 
Pansa  ins  Feld  führen  sollte.  Unmittelbar  darauf  kam  offizielle 
Notiz  des  M.  Brutus  über  das,  was  er  in  Makedonien  erreicht, 
und  nur  diesem  thatsächlich  Erreichten  kann  man  es  zuschreiben, 
wenn  Pansa  bei  Vorlage  dieser  Meldung  im  Senat  das  Verlangen 
des  Brutus,  nun  als  Oberbefehlshaber  auf  dem  ganzen  dortigen 
Kriegsschauplätze  anerkannt  zu  werden,  befürwortend  vorlegte 
und  zur  Annahme  brachte.^)  Es  mochte  dies  durch  die  that- 
sachlichen  Umsi&nde  geboten  sein  oder  nicht,  jedenfalls  zeigte 
es,  dafs,  was  Konsuln  und  Senat  an  Macht  zur  Verfügung  hatten, 
nicht  ausreichte,  um  die  Auktoritat  der  Regierung  als  die  herr- 
sehende  zu  erweisen:  sonst  wäre  man  nicht  genötigt  gewesen, 
die  Usurpatoren,  hier  den  Octavian,  dort  den  M.  Brutus  anzu- 
erkennen. Dieselbe  Strömung,  welche  zu  dem  letzterwähnten 
Beschlufs  geführt,  gestattete  nun  auch,  an  einigen  Verfügungen 
des  verstorbenen  Cäsar  und  des  Antonius  zu  rütteln  und  dem 
Verfahren  des  letzteren  hinsichtlich  der  Hinterlassenschaft  Cäsars 
zu  Leibe  zu  gehen ^,  ohne  dafs  jedoch  dies  eine  andere  als 
symptomatische  Bedeutung  gehabt  hätte.  —  Mit  all  dem  war 
indessen  für  die  Kriegsoperationen  in  Oberitalien  der  Februar  und 
der  halbe  März  so  gut  wie  verloren  gegangen;  denn  das  Vor- 
rücken der  konsularischen  Truppen  bis  Bononia  war  nicht  von 
wesentlicher  Bedeutung,  half  insbesondere  den  in  Mutina  einge- 
schlossenen nicht. 

Kein  Wunder,  wenn  darüber  in  Rom  die  Freunde  des  An- 

lich  bei  besoDderer  Gefahr  für  Rom  gebraucht  und  demgemäTa  die  MaXs- 
regehi  der  Abwehr  getroffen  worden.  Wenn  hier  tumuUus  das  für  Antonius 
mildere  sein  sollte,  so  verband  man,  wie  es  scheint,  damit  den  Sinn,  dafs 
es  in  die  Hände  der  Konsuln  gelegt  sein  sollte,  mit  Beseitigung  der  Gefahr 
den  Kampf  beendigt  sein  zu  lassen;  nach  der  Schlacht  von  Mutina  nämlich 
▼erlangten  nun  die  Anhänger  des  Antonius,  ut  vestitua  tnutetur,  d.  h.  die 
saga  abgelegt,  der  Kriegszustand  als  aufgehoben  betrachtet  werde.  Phi- 
lipp. 14,  2. 

1)  Den  Antrag  Pansas  unterstützte  Cicero  mit  der  10.  Philippika,  nach- 
dem vorher  Calenns  dagegen  gesprochen.  Der  Antrag  lautete  (§  26):  tUi  — 
Brutus  pro  cansuie  protnnciam  Mttcedoniam,  Ulyriam  cunctamque  Chraeciam 
iuMüWy  defendat,  custoduxt  incolumemque  canservet  eique  exercitm,  quem  ipse 
constüuü  comparavit,  praesü  etc.  Hortensius  sollte  Statthalter  von  Make- 
donien bleiben. 

2)  Vgl  darüber  die  13.  Philippika.  ^  , 

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—     76     - 

touius  wieder  mit  Yermittlungsvorschlägen  kamen^  bei  denen  sie 
jetzt  —  man  sieht  nicht  klar,  weshalb  —  einen  Augenblick  so- 
gar den  Cicero  dazu  brachten,  dafs  er  bereit  war^  Mitglied  einer 
Gesandtschaft  an  Antonius  zu  werden^);  mit  seiner  schlielslichen 
Weigerung  wurde  die  Gesandtschaft  selbst  aufgegeben.  Inzwischen 
war  nun  aber  gegen  die  Mitte  des  März  auch  die  Nachricht  ge- 
kommen,  dafs  Dolabella,    der  in  Syrien   dem  Gassius   zuvorge- 
kommen war,  den  Statthalter  von  Asien,  den  Cäsarmorder  Trebonius, 
gpausam  getötet  habe.   Selbst  die  Freunde  des  Antonius  konnten 
in   der   Verurteilung   dieser   That   nicht   zurückbleiben,   and  es 
kostete  den  Galenus  wenig,  den  Yerdammungsantrag  gegen  Dola- 
bella  zu  stellen:   die  Hauptfrage  aber  war,  wer  nun  den  Kampf 
gegen  Dolabella  aufiiehmen  und  damit  die  Auktoritat  des  Staats 
in  ganz  Vorderasien  vertreten  sollte.    Cicero  wollte  dies  in  der- 
selben Weise  dem  Gassius  verschaffen,  wie  man  es  dem  Brutus 
für  Makedonien,  Illyrien  und  Griechenland  übertragen^),  und  dann 
freilich  war  der  ganze  Osten  den  Cäsarmordem  formlich  in  die 
Hände  gegeben;  dann  war  aber  auch  die  jetzige  Regierung  von 
ihnen  abhängig,  wenn  sie,  was  Cicero  als  selbstverständlich  an- 
sah, den  Krieg  gegen  Antonius  aufrecht  erhalten  wollte.     Kein 
Wunder,  wenn  der  Konsul  Pansa  hier  entschieden  Widerstand 
leistete  und  dafür  sorgte,  dafs  der  Vorschlag  Ciceros  im  Senat 
nicht  zur  Abstimmung  kam,   der  Krieg  in  Syrien  vielmehr  den 
Konsuln  selbst  vorbehalten  blieb  und  Ciceros  Versuch,  in  einer 
Kontio  Stimmung  für  seinen  Vorschlag  zu  machen,  fehlschlug. 
Cicero  tröstete  sich  und  den  Gassius  damit,  dafs  thatsächlich  der 
letztere  in  Asien  alles  sich  nehmen  könne,  was  er  ihm  durch  den 
Senat  zu  verschaffen  versucht  hatte'),  aber  es  war  für  den  Erfolg 
doch  nicht  gleichgültig,  ob  Gassius  ein  legitimer  Heerführer  war 
oder   nicht,   und   vom   Eingreifen   im  Westen    wurde   er   damit 
vollends  abgehalten. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  März  ging  nun  auch  der  Konsul 
Pansa  auf  den  Kriegsschauplatz  ab  und  übergab  die  Stellver- 
tretung  in   Rom    dem    städtischen   Prätor   M.    Cornutus,   einem 


1)  Der  Senat  bescblofs  darüber  am  19.  März.  Drnmann  1,  278  deutet 
die  Zustimmung  Ciceros  in  einem  für  diesen  durchaus  ungÜDstigen  Sinne. 
Cicero  selbst  erklärt  in  der  12.  Philippika,  in  der  er  das  Fallenlassen  der 
Gesandtschaft  empfiehlt,  er  sei  getäoscht  worden. 

2)  Dies  der  Zweck  der  11.  Philippika. 

3)  Vgl.  über  dies  alles  ad  £un.  12,  7. 

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-     77     - 

Manne,  der  nur  fSr  die  formelle  Repräsentation  geeignet  war, 
so  dafs  die  materielle  Leitung  des  Senats  nun  ganz  bei  den  Eon- 
solaren  war.  Die  nächste  Entscheidung  lag  freilich  jetzt  auf  dem 
italischen  Kriegsschauplatze,  aber  die  Verwicklungen,  welche  die 
Provinzen  boten,  kamen  vor  den  Senat  in  Rom  und  dieser  allein 
konnte  die  Hilfsmittel,  welche  aus  den  verschiedenen  Teilen  des 
Reichs  zu  ziehen  waren,  verwerten.  Für  den  Augenblick  erfolg- 
los, aber  eine  Warnung  für  die  Zukunft  waren  die  Versöhnungs- 
versnche  der  Statthalter  Lepidus  und  Plancus^);  sie  bildeten  für 
den  ersteren  bereits  den  Anfang  zum  Übergang  und  zeigten  hin- 
sichtlich des  zweiten,  dals,  obgleich  derselbe  sonst  sich  eifrig  zum 
Senat  bekannte,  wenigstens  die  ciceronische  Seite  des  Senats  nicht 
auf  ihn  zählen  konnte.  Dagegen  stellten  sich  den  Republikanern 
zur  Verfügung  der  Statthalter  der  alten  Provinz  Afrika  Q.  Corni- 
ficius^  nnd  von  Massilia  aus,  wo  er  sich  eben  mit  seiner  Flotte 
aufhielt,  S.  Pompejus.') 

Nach  einem  vergeblichen  Versuche  des  Antonius,  die  ihm 
gegenüberstehenden  Cäsarianer  zu  sich  herüberzuziehen,  wurde 
der  Kampf  vor  Mutina  ernsthaft  aufgenommen;  er  endigte  nach 
vorübergehendem  Erfolg  des  Antonius  in  der  zweiten  Hälfte  des 
April  infolge  der  Schlachten  von  Forum  Gallorum  und  Mutina 
mit  dem  Sieg  der  Konsuln.^)  Aber  der  einzige  Erfolg  war  die 
Befreiung  Mutinas,  die  beiden  Konsuln  wurden  das  Opfer  des 
Kampfs,  der  eine  in  der  Schlacht,  der  andere  infolge  seiner  Ver- 
wundung, Antonius  entkam,  ohne  dafs  ihn  D.  Brutus  und  Octa- 
vian  verfolgten,   unterwegs   neue  Kräfte  an  sich   ziehend,  nach 

1)  Ad  fam.  10,  6,  1  (an  Plancas,  datiert  vom  20.  Man,  dem  Tage  der 
betr.  SenatsBitKong):  qu€ie  recitatae  litterae  su/nt  in  senatu^  nequaquam  con- 
8enHre  cum  Fumii  araUane  videfOur,  —  de  pace  litUrae  vel  Lepidi  vd  tuae 
etc.  Cicero  spricht  darüber  in  der  13.  Philippika,  in  eben  jener  Sitzung. 
Ober  das  Datum  Drum.  1,  282. 

2)  Ad  fam.  12,  26;  nach  diesem  Briefe  wnrde  die  Stellungnahme  des 
Q.  Comificius  im  Senat  am  19.  März  anerkannt.  Com.  hatte  als  Nachbar 
den  cäsarianischen  Statthalter  der  neuen  afrikanischen  Provinz  Nomidien 
T.  Seitias  nnd  in  seiner  eigenen  Provinz  seines  Postens  sich  zo  wehren 
gehabt.    Dio  48,  21. 

3)  Wenigstens  versicherte  dies  Cicero  im  Senat.    Philipp.  13,  13. 

4)  Die  Daten  der  Schlachten  sind  nicht  genaa  überliefert.  Die  Aktion 
begann  am  16.  April  (Bericht  des  Galba  ad  fam.  10,  30,  1)  nnd  war  minde- 
stens 2  Tage  vor  dem  29.  zn  Ende.  (Vgl.  den  Brief  des  D.  Brutns  vom 
29.  Mai  ad  fiam.  11,  9.)  Die  Erz&hlnng  von  den  K&mpfen  geben  App.  3,  66  ff. 
Dio  46,  37  ff.  n  } 

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-     78     - 

Gallien,   wo   Lepidus   stand,   mit   dem   er  bereits  Verbindangen 
angeknüpft  hatte. 

Für  den  Fall  des  Yerschwindens  beider  Konsuln  hatte  die 
alte  Verfassung  vor  Allem  das  Interregnum  vorgesehen,  um  eine 
Neuwahl  zu  veranstalten,  und  je  nachdem  die  Verhältnisse  lagen, 
konnte  man  dann  vermittelst  der  Konsuln  auch  noch  zu  einer 
Diktatur  gelangen,  um  über  den  getrennten  Kriegsschauplätzen 
Einheit  des  Kommandos  zu  haben  und  die  Auktorität  der  Regie- 
rung möglichst  kräftig  zu  vertreten;  allein  von  einem  Interregnum 
schreckten  wohl  die  Erfahrungen  der  Jahre  53  und  52  (1,  558) 
ab,  und  die  Diktatur  war  eben  feierlichst  abgeschafft  wordea 
Aber  man  wollte  auch  nicht  auf  andere  Weise  sofort  zu  neuen 
Konsuln  kommen,  schob  die  Wahlen  hinaus,  und  so  stand  das 
republikanische  Regiment  in  Rom  wieder  einmal  Heerführern 
gefährlichster  Art  gegenüber  ohne  ein  magistratisches  Oberhaupt 
von  Auktorität,  mit  einem  unselbständigen  Stellvertreter  eines 
solchen,  ohne  ii^end  namhafte  eigene  Truppen,  angewiesen  auf 
die  Unterstützung  entlegener  Provinzialheere,  die  in  diesen  Pro- 
vinzen selbst  mit  Gegnern  zu  kämpfen  hatten,  die  Oberleitung 
aber  wollte  die  rednerische  Rührigkeit  eines  Konsulars  über- 
nehmen. Eine  solche  Schwäche  der  Stellung  der  Senatsregierung 
lud  die  Heerführer  aus  Cäsars  Schule  geradezu  ein,  sich  gegen 
sie  zu  verschwören.^)  —  Cicero  freilich  und  die,  welche  im  Senat 
sich  zu  ihm  hielten,  dachten  zunächst  gar  nicht  an  das  Bedenk- 
liche der  Lage^);  wohl  machte  Cicero  denen  gegenüber,  welche 
schon  nach  dem  ersten  Siege  der  Konsuln  in  Oberitalien  im 
Interesse  des  Antonius  den  Kampf  als  beendigt  ansehen  wollten, 
geltend,  dafe  Antonius  vernichtet  sein  müsse,  ehe  man  das  Kriegs- 
kleid ablegen  dürfe  ^);  allein,  da  er  die  Lage  nicht  übersah,  ver- 
griffer sich  vollständig  in  den  Mitteln,  welche  zu  diesem  Ziele  führen 
sollten.  Nach  dem  Entsatz  von  Mutina  wurde  Octavian  durch  demon- 
strative Zurücksetzung  beleidigt  und  D.  Brutus,  der  bis  jetzt  für 


1)  Dies  sah  auch  D.  Brutos  wohl  ein.    Ad  £Eim.  11,  10. 

8)  Ad  fam.  11,  14:  victoria  fmntiaia  in  müUa  saecula  videbamus  remp. 
libercUam;  auch  die  seitdem  bis  zu  dem  betr.  Brief  eingetretene  Einsicht  in 
den  mangelhaften  Erfolg  dämpfte  nur  etwas  die  Zuversicht. 

8)  Vgl.  die  14.  Philippika.  Es  wurde  nun  auch  Antonios  förmlich  als 
Feind  erklärt.  Liv.  epii  119:  hostis  a  senatu  cum  onmibtu,  qui  intra  prae- 
sidia  eiuB  essent^  iudicatm  est.  Nach  ad  Bmt.  1,  5,  1  w&re  dies  am  26.  April 
geschehen. 

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-     79     - 

die  republikanische  Sache  so  gut  wie  nichts  geleistet^  ihm  voran- 
gesetzt,  um  nun  sich  erst  recht  unfähig  zu  zeigen.^)  In  Rom 
wurde  eine  Zehnmännerkommission  zur  Revision  des  Verfahrens 
von  Antonius  mit  den  acta  Caesaris  eingesetzt  und  eine  zweite^ 
welche  die  Ackerverteilung  mit  Beziehung  auf  die  siegreichen 
Truppen  in  die  Hand  nehmen  sollte.  Diese  letztere  hatte  nicht 
blofs  darin  eine  Spitze  gegen  Octavian');  dafs  er  nicht  in  diese 
Kommission  gewählt  wurde^  sondern  man  sprach  auch  von  Hint- 
ansetzung seiner  Veteranen  gegenüber  den  bei  den  Kämpfen  be- 
teiligt gewesenen  neuausgehobenen  Truppen.  Andrerseits  gab 
man  nun  dem  Cassius  den  Oberbefehl  in  den  asiatischen  Pro- 
vinzen und  dem  S.  Pompejus  ein  legitimes  Flottenkommando'), 
näherte  sich  also  allem,  was  antic&sarianisch  war,  ohne  zu  be- 
denken, dafs  dem  gegenüber  nun  auch  die  ganze  alte  cäsarianische 
Partei  sich  zusammenfinden  konnte. 

Unter  diesen  Umständen  vollzog  sich  am  29.  Mai  die  Ver- 
einigung von  Antonius  und  Lepidus.  Diese  erhielt  zwar  scheinbar 
ein  Gegengewicht  dadurch,  dafs  auch  Plancus  und  D.  Brutus,  die 
für  das  nächste  Jahr  designierten  Konsuln,  in  derselben  narbo- 
nensischen  Provinz  sich  vereinigten*),  allein  diesen  beiden  fehlte 
jede  Initiative.  Nun  dachte  Cicero  an  Brutus  und  Cassius  und 
rief  die  afrikanischen  Truppen  des  Comificius  herbei^),  indes  jene 
kamen  nicht^  und  die  afrikanischen  Legionen  hatten  unter  Cäsar 
gedient.  Den  Lepidus  nunmehr  wie  den  Antonius  als  Feind  zu 
betrachten,  wagte  man  übrigens  auch  in  Rom  noch  nicht  —  er 
selbst  hatte  gemeldet,  er  sei  in  einer  Zwangslage  gewesen.  Erst 
am  30.  Juni,  als  man  sich  über  den  Sinn  jener  Vereinigung  nicht 
mehr  täuschen  konnte,  erklärte  man  ihn  als  Feind  des  Staats^, 
sah  sich  aber  eben  deshalb  genötigt,  den  Octavian,  den  man 
hatte  bei  Seite  schieben  wollen,  wieder  beizuziehen  mit  dem 
Auftrag,  die  in  Gallien  stehenden  Feinde  gemeinsam  mit  D.  Brutus 

1)  App.  3,  74  f.,  wo  Octavian  aufser  durch  die  Thatsachen  anch  noch 
durch  den  sterbenden  Pansa  Aber  das  Verhalten  des  Senats  gegen  ihn  be- 
lehrt wird.    Die  46,  40. 

2)  Vgl.  hierüber  besonders  ad  fom.  11,  20  f. 

3)  Die  46, 40,  wo  jedoch  nngenan  das  dem  M.  Bmtns  schon  früher  er- 
teilte Kommando  sngleich  erwähnt  wird. 

4)  Vgl.  über  beide  Daten  den  Bericht  des  Plauens  ad  fam.  10,  83. 
6)  Ad  fam.  11,  14,  26. 

6)  Ad  üan,  10,  35  (entschuldigender  Bericht  des  Lepidus);  12,  10,  1 
(Bcflchlufe  der  Ächtung).  ^  t 

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-     80     - 

zu  bekriegeo.')  Indes  hatte  aber  Octavian  ein  anderes  Ziel  Tor 
sich,  das  Konsulat  Als  man  nach  der  Sehlacht  bei  Mutina 
zwei  seiner  Legionen  dem  D.  Brutus  zugewiesen  hatte,  hatten 
sich  diese  geweigert,  von  ihm  wegzugehen,  und  seitdem  war 
Octavian  noch  weiter  der  Stimmung  seiner  Truppen  gewifs  ge- 
worden. Nachdem  er  nunmehr  durch  den  neuen  Kriegsauftrag 
auch  zu  genögender  Starke  gelangt  war,  liefs  er  im  Juli  durch 
eine  Deputation  seines  Heeres  fär  sich  das  Konsulat  verlangen. 
Als  der  Senat  die  empörerische  Forderung  zurückwies,  marschierte 
Octavian  gegen  Rom.  Nun  zeigte  sich,  wie  wehrlos  der  Senat 
war.  Dem  stadtischen  Prätor,  als  Kommandierenden  des  Senats, 
stand  eine  einzige  Legion  von  den  Rüstungen  f&r  den  mutinen- 
sischen  Krieg  her  zu  Gebot,  mit  ihr  konnte  er  die  zwei  ans 
Afrika  gekommenen  verbinden  und  so  versuchen^  die  Stadt  zu 
verteidigen,  aber  auch  diese  Truppen  gingen  zu  Octavian  fiba 
und  die  Hoffnung,  dafs  diesem  seine  eigenen  Soldaten  abtrünnig 
gemacht  werden  konnten,  erwies  sich  als  trügerisch.  Man  molste 
nachgeben,  die  Konsnlarwahlen  anordnen,  und  so  wurde  am 
19.  August  Octavian  KonsuP)  mit  einem  von  ihm  bestimmte 
Kollegen  Q.  Pedius.  Unter  den  Senatoren,  welche  im  Lager  des 
Octavian  erschienen  waren,  be&nd  sich  auch  Cicero;  war  es  der 
Stachel  der  Demütigung  oder  unüberwindliche  Neigung  zu  HIo* 
sionen  —  er  war  es,  der  nochmals  in  der  Nacht  darauf  durch 
ein  blofses  Gerücht  sich  verleiten  liels,  auf  Abfall  der  Truppen 
Octavians  zu  rechnen,  um  sofort' wieder  enttauscht  zu  werden.^ 
Die  Wahl  der  neuen  Konsuln  wurde,  da  ein  Interregnum  sdion 
deshalb  nicht  zulässig  erfunden  wurde,  weil  möglichst  rasche 
Herstellung  der  vollendeten  Thatsache  notig  war,  durch  zwei  vom 
städtischen  Prätor  bestellte  Wahlkommissäre  konsularischer  Ge- 
walt zustande  gebracht.^) 

1)  App.  3,  86.  Vgl.  auch  ad  fsan.  10,  84.  —  Von  hier  an  ist  man,  da 
die  ciceronische  Quelle  aufhört,  auf  die  Historiker  angewiesen. 

2)  Monum.  Ancyr.  tab.  lat  1, 7:  Popuius  eodem  atino  me  comuiem,  cm 
lco8,  uterque  hello  eeci]  disset,  —  creamt, 

3)  App.  3,  98,  93 1:  4  ^ovXri  9vnt6g  ig  to  ßovUvtiiifiov  fnwi^op  j&sc- 
i^mvog  i%l  xaig  &VQ€ng  ccixovg  S^iunfpJpov. 

4)  Dio  46,  46:  vnaxog  nffog  xov  ÖiqfMV  dnsdsix^^  dvo  tivmp  awtl  wfo- 
Tfloy  n(f6g  tag  aif%aii^zolug  atqt^ivxmv^  iml  a^vvaxov  ijp  fLsaoßuatXia  di 
oUyov  ovxmg  iit  avxitg  %axä  xa  nax^fw  ysvia&aij  noXXSv  avdQoh  xth  tirff 
BvnaxfflSag  aQiäg  i%6vxm9  axodriiiovTt<ov,  Es  scheint  denmach  immerhin  in 
ErwäguDg  gekommen  ku   sein,   die  koustiintionelle  Form  des  Interregnums 

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-     81    — 

l:s.  So  war  denn  nnn  der  Erbe  Cäsars  an  der  höchsten  ootaTiana  Kon. 
magistratischen  Stelle  im  Reich.  Es  war  allerdings  nur  die  einigong  mit 
ordentliche  republikanische  Magistratur,  also  kollegialisch  und  Lepidut. 
zeitlich  beschränkt,  aber  da  der  Kollege  unbedingt  von  ihm  ab- 
hängig war,  so  fiel  diese  Beschränkung  thatsächlich  weg;  die 
zeitliche  dagegen  kam  yoU  in  Rechnung  und  war  um  so  wich- 
tiger, weil  es  sich  ja  nur  um  ein  Nachkonsulat  von  wenigen 
Monaten  handelte.  Da  es  undenkbar  war,  dafs  Octavian  sich 
damit  begnögte,  so  lag  hierin  der  unmittelbare  Antrieb,  so  bald 
wie  möglich  fär  eine  länger  befristete  Gewalt  zu  sorgen.  An 
rechtzeitiger,  dabei  aber  nicht  übereilter,  sondern  sicherer  und 
zielbewuijster  Fürsorge  hieftlr  liefs  es  Octavian  auch  nicht  fehlen. 
Das  erste,  worauf  er  bedacht  war,  war  die  Erfüllung  der  Erb- 
schafbsbedingungen  mit  ihren  Rechten  und  Lasten.  Nachdem,  um 
allen  Anfechtungen  zu  begegnen,  und  der  Adoption  einen  publi- 
eistischen  Charakter  zu  geben,  dieselbe  nunmehr  auch  durch  die 
Formalität  der  Euriengenehmigung  bestätigt  war,  wurden  die 
materiellen  vom  Testament  auferlegten  Lasten  an  Legaten  und 
Schenkungen,  soweit  sie  noch  nicht  ausgefolgt  waren,  vollends 
erledigt  und  dann  der  moralischen  Anforderung  der  Bestrafung 
der  Morder  genug  gethan.  Durch  ein  von  dem  Kollegen  Pedius 
eingebrachtes  Gesetz  wurde  ein  Spezialgerichtshof  für  diesen  Fall 
errichtet,  die  direkten  und  indirekten  Teilnehmer  in  Anklage» 
stand  versetzt  und  vorgeladen  und,  da  niemand  erschienen,  in 
Abwesenheit  verurteilt,  demgemäljs  in  die  Acht  erklärt  und  ihres 
Vermögens  verlustig  gesprochen.^)  Nunmehr  war  alles  hinfallig, 
was  dem  Brutus  und  Gassius  vom  Senat  verliehen  worden  war, 
and  dem  letzteren  sollte  gleichzeitig,  indem  Dolabella  restituiert 
wurde,  ein  Gegner  gegenübergestellt  sein,  der  von  rechtswegen 
ihn  zu  bekämpfen  und  die  Ächtung  zu  vollziehen  hätte,  —  letzteres 
ohne  Bedeutung,  da  Dolabella  von  Gassius  bedrängt,  zur  Zeit  da 

anzuwenden.  —  Städtischer  Prätor  war,  nachdem  ComntuB  sich  selbst  ent- 
leibt hatte,  Q.  Gallins.    App.  8,  93.  95. 

1)  Monnm.  Ancyr.  1, 10:  Qui  parentem  meum  interfecenmt^  eos  in  exüium 
exptdi  iudieiia  legiUmis  tdtits  eorvm  facinus.  Ober  die  Qaästio  der  lex  Pedia 
Tgl.  Appian  3,  96.  Dio  46,  48.  Vell.  2,  69:  lege  Pedia,  quam  consul  Pedius 
eoüega  Caesaris  iulerat,  onmibus,  qui  Caesarem  pairem  interfecerant ,  aqua 
igmque  damnaUa  interdictum  erat,  quo  tempore  Capito^  ptOrum  mem^  vir 
ordims  senatorii,  subseripsit  in  C.  Cassium.  Ober  Motive  nnd  das  Verfahren 
bei  diesem  letzten  republikanischen  Eriminalgeeeta  vgL  Zumpt,  Eriminabr. 
der  röm.  Eep.  2,  2,  489  ff. 

Herzog,  d.  röm.  Sftrrerf.  H.  1.  ^6.^.^^^  by  GoOglC 


-     82     — 

der  Beschlufs  in  Born  erfolgte,  sieh  selbst  getötet  hatte.  Damit 
waren  aber  bei  Beginn  des  neuen  Konsulats  die  bedeutendsten 
Heerführer  im  Osten  und  Westen  zu  gleicher  Zeit  geachtet  und 
Octavian  zum  Krieg  gegen  beide  bevollmächtigt,  alle  diejenigen 
ferner,  welche,  wie  Cicero,  bisher  gestützt  auf  die  offizielle  Stellung 
des  Brutus  und  Cassius,  mit  diesen  in  Verbindung  geblieben 
waren,  vor  die  Alternative  gestellt,  jede  Verbindung  abzubrechen 
oder  ihr  Schicksal  zu  teilen.  Unter  den  im  Felde  stehenden  bis- 
herigen Beauftragten  des  Senats  sodann  war  nun  auch  D.  Brutos 
geächtet  und  damit  die  Lage  in  Gallien  aufs  neue  in  Frs^e  ge- 
stellt. Indessen  zwischen  zwei  über  beträchtliche  Hilfsmittel  ve^ 
fügende  Feinde  gestellt  zu  bleiben,  hatte  Octavian  nicht  im  Sinn, 
und  die  Lösung  der  Situation  war  schon  seit  der  Schlacht  bei 
Mutina  vorbereitet.  Selbstverständlich  konnte  sie  nur  in  einer 
Verbindung  mit  Antonius  bestehen,  die  von  dem  Augenblick  in 
Aussicht  genommen  war,  da  er  nach  jener  Schlacht  den  gefange- 
nen Truppen  des  Antonius  die  Kückkehr  zu  diesem  frei  stellte.^) 
Seitdem  hatte  der  letztere  seine  Stellung  wesentlich  verstärkt, 
sich  mit  Lepidus  vereinigt,  den  Statthalter  des  jenseitigen  Spaniens, 
Asinius  PoUio,  der  vom  Senat  früher  mit  seinem  Heere  nach 
Italien  berufen  worden  war,  zum  Anschlufs  gewonnen,  nicht 
minder  den  Plauens,  der  den  geächteten  D.  Brutus  abstiefs  und 
damit  der  ^Bache  des  Antonius  preisgab.  Es  fehlte  nur  noch 
Octavian,  um  die  ganze  cäsarische  Partei  vereinigt  zu  haben. 
Der  Kreis  wurde  auch  sofort  geschlossen.  Nachdem  Octavian, 
anscheinend  gegen  Antonius,  ausgezogen  war,  brachte  Pedius  den 
Antrag  auf  Zurücknahme  der  Achtserklänmg  gegen  Antonius  und 
Lepidus  ein,  Octavian,  darüber  während  des  Marsches  befragt, 
stimmte  zu.  Noch  blieb  die  persönliche  Annäherung  der  Führer 
übrig,  mit  der  die  Festsetzimg  der  gegenseitigen  Bedingungen 
wenigstens  für  die  nächste  Zeit  verbunden  sein  mufste.  Wie 
schon  unmittelbar  nach  Cäsars  Tode  Lepidus  im  richtigen  Augen- 
blick eingegriffen,  so  war  er  auch  jetzt  der  geeignete  Vermittler.*) 
Der  Schauplatz  der  letzten  Kämpfe,  eine  Flufsinsel  bei  Bononia, 


1)  App.  8,  80. 

2)  Appian  (4,  2  ff.)  und  Dio  (46,  54  ff.)  geben  aosführliche  Erzäblong 
nach  guter  Quelle,  der  erstere  insbesondere  mit  wertvollem  DetaiL  Soeton 
Ang.  27.  Vell.  2,  65,  die  Epitomatoren  des  Livins,  auch  Plntarch  Cic.  46. 
Antoo.  19  geben  knrz  die  Konstituierung  des  Triumvirats  und  haben  sonst 
nur  Interesse  für  die  Proskriptionen. 

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—    83     - 

war  der  Ort  der  Zusammenkunft  Die  Besprechung  mufste  sich 
naturgemäls  beziehen  auf  die  Formulierung  der  neu  aufzurichtenden 
Gewalt,  auf  die  Ausgleichung  der  Ansprüche  an  die  Ausübung 
derselben,  auf  die  Sicherung  gegen  die  Gegner  sowie  die  Belohnung 
der  Heere  und  der  hervorragenden  einzelnen  Anhänger.  Die  Ge- 
walt muiste  notwendigerweise  eine  aufserordentliche  und  höchste 
sein,  zugleich  aber,  um  den  nicht  eingestandenen  aber  selbst- 
Terstandlichen  Sonderinteressen  Spielraum  zu  lassen,  eine  zeitlich 
begrenzte  und  provisorische.  Das  letzte  Moment  fand  nach  früheren 
Vorgängen  seinen  Ausdruck  in  der  Zweckbestimmung  einer  Neu- 
gestaltung des  Gemeinwesens;  für  die  Zeitbegrenzung  wurden  fünf 
Jahre  in  Aussicht  genommen;  der  Vermittler  Lepidus  sollte  mit 
den  zwei  andern  gleichberechtigt  in  die  neue  Regierung  eintreten, 
alle  drei  teilten  unter  sich  das  Provinzialgebiet,  die  Heeresmacht 
and  damit  zugleich  auch  die  nächsten  Aufgaben  der  Kriegführung. 
Die  bisherigen  Faktoren  der  Verfassung  blieben  in  ihren  Funk- 
tionen, nur  durch  die  aufserordentliche  Gewalt  beschränkt^),  für 
die  Magistraturen  wurde  die  Verteilung  unter  die  Anhänger  eben- 
falls für  fünf  Jahre  verabredet,  die  Besetzung  der  nächsten  Kon- 
sulate teils  für  die  Oberhäupter  selbst,  teils  für  die  obersten  ihrer 
Anhänger  in  Anspruch  genommen.  Den  Gegnern  war  rücksichts- 
lose Vernichtung  bestimmt,  den  friedlichen  wie  den  in  Waffen 
stehenden,  und  für  eine  Anzahl  der  hervorragendsten,  darunter 
Cicero,  unmittelbar,  noch  vor  dem  Einzug  in  Rom,  angeordnet.') 
Die  Belohnung  der  Heere  sollte  auf  Kosten  Italiens  vor  sich 
gehen,  die  römische  Bürgerschaft,  mit  der  man  zu  rechnen  hatte, 
war  jetzt  im  Lager,  das  Heer  vor  allem,  dessen  Kern  die  cäsa- 
rischen Veteranen  waren,  repräsentierte  die  Einheit  der  neuen 
Gewalt  und  deren  Kontinuität  mit  der  von  Cäsar  eingeleiteten 
Ordnung  des  Staats,  diesem  Heer  mufste  die  friedliche  Bevölke- 
rung Italiens  weichen,  und  achtzehn  Städte  wurden  dazu  bestimmt, 
ihr  Land  für  die  Belohnung  der  Soldaten  nach  beendigtem  Kriege 
abzutreten.  Nach  diesen  Verabredungen  erfolgte  im  November 
der  Marsch  nach  der  Hauptstadt,  in  welche,  da  selbst  der  Be- 
vollmächtigte des  Octavian,  Pedius,  von  dem  Verabredeten  nicht 


1)  Über  die  Art  dieser  BeschilUikaDg  8.  unten. 

2)  Über  die  Zahl,  ob.  12  oder  17,  ist  Appian,  der  c.  6  dies  Detail  giebt, 
nicht  sicher.  Da  diese  Exekutionen  vor  das  titische  Gesetz  fallen,  auf 
^^nind  dessen  die  Proskriptionstafeln  angestellt  wurden,  so  sind  sie  nackte 
Qewaltthaten. 

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—    84    - 

in  Eenntnis  gesetzt  worden,  die  drohende  Gefahr  mit  dem  ganzen 
Gewicht  des  Überraschenden  eingefallen  war.  Der  Einzug  selbst 
erfolgte  mit  voller  Entfaltung  der  Macht  jedes  einzelnen  drei 
Tage  nacheinander.  Da  Pedius  unter  den  Versuchen,  die  Bevölke- 
rung zu  beruhigen,  wie  gesagt  wird,  infolge  eigener  Aufregung 
gestorben  war,  so  wurde  ein  Tribun  P.  Titius  damit  beauftragt, 
den  Inhalt  des  Abkommens  von  Bononia  in  Form  eines  Gesetzes 
bei  den  Tributkomitien  einzubringen,  und  es  geschah  dies  ohne 
Beobachtung  der  vorbereitenden  Formen  am  27.  November.  Der 
Titel  der  neuen  Gewalthaber  war  Illviri  reipublicae  consiituendae, 
so  dafs  also  die  so  vereinigten  den  Namen  Triumvim  nicht  wie 
einst  Pompejus,  Cäsar  und  Crassus  blofs  thatsächlich  (1,  545  A  \\ 
sondern  von  Gesetzes  wegen  hatten.  Die  Zeitfrist  von  ftnf 
Jahren  wurde  der  Frist  des  Amtswechsels  entsprechend  gerichtet, 
als  ob  der  Übergang  in  die  ordentliche  Magistratur  vorbehalten 
wäre,  und  demgemäÜB  bestimmt  vom  27.  Nov.  43  bis  31.  Dez.  38.*) 
Das  Konsulat  wurde  sofort  noch  für  den  Rest  des  Jahres  neu  be- 
setzt. Wie  einst  in  dem  Verhältnis  zwischen  Pompejus  und  Cäsar, 
so  sollte  auch  jetzt  eine  Verlobung,  die  des  Octavian  mit  der  Stief- 
tochter des  Antonius,  die  Eintracht  verbürgen.^)  Die  Proskriptionen, 
die  noch  in  der  Nacht  nach  jenem  Volksbeschlufs  bekannt  gemacht 
wurden^,  kamen  unverzüglich  zur  Ausführung;  sie  räumten  unter 

1)  Monum.  Ancjr.  1,  8:  {populus)  me  trif4mvirutn  reipublicae  con- 
8tituend[ae  creavif].  Titel  auf  Münzen:  III  vir  r.  p,  c,  Cohen  1,  p.  32—60, 
ebenso  in  den  fasti  Colot.  zum  J.  711,  corp.  inscr.  lat.  1  p.  466  und  in 
den  Triumphalfasten  ebendas.  p.  461.  Appian  4,  7:  di(taQ%og  TlowtXios 
TCxioq  ivo[io^ixsi.  Ttaivrjv  ccQxriv  inl  nataatdcsi  xmv  naqovxmv  ig  nevtasxh 
bIvui  xqi&v  avSgmv  —  taov  iaxvovcav  vndtotg  —  ovxs  duamiitarog  ig  dou- 
liacCav  ovxB  %vQ^ag  ig  xiiv  %smoxov£av  rifiigag  nQOxsQ'süjrig,  all'  avxUa 
invQOvxo  6  vofiog;  in  der  Überschrift  des  Edikts  c.  8  nennen  sie  sich  ol 
XSiQOxovrj^svxsg  agnoaccL  nal  dioff&maai  xä  %oivd»  Dio  46,  65:  »ou^  tovg 
xQStg  ngog  xs  dioUriaiv  %al  nQog  maxdaxaütv  xüxv  nffccyfidxmv  intpielfjxdg  xi 
xtvag  %al  diOQ&axdg  %ai  xovxo  ov%  ig  del  Sr^&sv  dlX  ig  ixr^  nivxe  a£Qsdijv€u^ 
(oaxs  xd  XB  äXla  vdvxa,  -kccv  firiähv  vtcIq  avxmv  (iiqxs  xm  dqfitf)  fn^xs  xj 
povX'^  'KOivoiaooaij  dioiTieCv  xocl  xdg  uqx^S  "t^dg  xs  dlXag  xifjMg  olg  av  id'BXt]aai6i 
dtdovai;  47,  2:  xofl  naQaxQTifitt  xd  Öo^avxä  atpust  dut  xmv  ärjiiaQXfov  ivofM- 
^ixjiauv.  Die  zeitliche  Befristung  fast.  Colot.  z.  J.  711  d.  St.:  ex  a,  d,  V. 
KcU.  Dec,  ad  pr.  K.  Jan,  8ext{a8), 

2)  Dio  46,  56.  Plut.  Ant.  20.  Dals  diese  Ehe  nicht  zum  Vollzag  kam, 
sagt  Sueton  Aug.  62. 

3)  Das  Proskriptionsedikt  giebt  Appian  4,  8.  Derselbe  giebt  c.  5  als 
beiläufige  Gesamtzahl  der  proskribierten  Senatoren  300  (so  auch  Plut  Ant.  20), 

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^-     85    - 

den  Republikanern  so  auf,  dafs  aufserhalb  der  Heere  der  Cäsar- 
morder  und  des  S.  Pompejus  von  einer  republikanischen  Partei 
nicht  mehr  die  Rede  sein  konnte.  Zum  Zeichen  dafdr  aber,  dafs 
die  Erinnerung  an  den  verewigten  Cäsar  die  Verbindung  der  drei 
zusammenhalte,  wurde  durch  verschiedene  Beschlüsse  dessen  An- 
denken gefeiert,  seine  göttliche  Würde  anerkannt  und  die  Er- 
richtung eines  Tempels  für  ihn  beschlossen.^) 

13.  Die  Periode  von  Cäsars  Tode  bis  zur  Aufrichtung  des  Kritik  der 
Triumvirats  ist  die  letzte,  in  welcher  die  republikanische  Yer-  Republik. 
fassung  wirklich  in  Geltung  war,  und  zwar  so  vollständig  wie 
möglich,  da  sie  ja  sogar  auf  die  Ausnahmegewalt  der  Diktatur 
verzichtete.  Dafs  diese  Periode  so  kurz  ausfiel,  war  durch  die 
Umstände  nicht  notwendig  gegeben.  Es  waren  wohl  durch  das, 
was  Cäsar  an  Einrichtungen  und  Anhängern  hinterliefs,  viele 
Schwierigkeiten  gegeben;  allein  wenn  diejenigen,  die  ihn  beseitigt 
hatten,  entschlossen  die  Regierung  in  die  Hand  nahmen,  so  war 
eine  Periode  der  Restauration  von  einiger  Dauer  so  lange  nicht 
undenkbar,  als  nicht  ein  überlegener  populärer  Mann  auftrat  Ein 
solcher  war  aber  zunächst  nicht  in  Sicht,  und  bei  dem  persön- 
lichen Ansehen,  welches  Brutus  genofs,  sowie  mit  einer  Macht, 
wie  er  und  Cassius  sie  später  aufzubringen  wufsten,  war  ein  Sieg 
der  republikanischen  Sache  über  die  Prätendenten  aus  Cäsars 
Hinterlassenschaft,  auch  wenn  man  von  Zufällen,  wie  sie  sich  aus 
der  persönlichen  Teilnahme  derselben  an  den  Kämpfen  ergeben 
konnten,  absieht,  wohl  möglich.  Ohne  Zweifel  wären  über  die  Zeit 
des  Kampfes  Ausnahmegewalten  nötig  gewesen,  allein  da  bei  der 
Persönlichkeit  und  ganzen  Stellung  der  Führer  als  Resultat  eines 
Siegs  die  Wiederkehr  der  Republik  nicht  zweifelhaft  war  —  wenn 


der  Bitter  2000  an.  Wodd  Livius  ep.  120  nur  180  Senatoren  nennt,  so 
waren  dies  wohl  die  auf  der  ersten  gröfseren  Liste  stehenden.  Val.  Max. 
9,  6,  4  zeigt  an  einem  konkreten  Beispiel,  wie  willkürlich  verfahren  wurde. 
Dafs  nicht  blols  auf  die  politische  Stellung,  sondern  auch  anf  die  Einträg- 
lichkeit der  Konfiskation  gesehen  wurde,  wird  überall  hervorgehoben,  ebenso 
dafs  nach  Art  und  Umfang  diese  Proskription  schlimmer  war  als  die  snlla- 
niscbe.  In  der  Entschuldigung  Octavians  geht  am  weitesten  Vell.  2,  66 
mit  seioem  r^pugnante  Caesare  sed  fmstra  (ndveraus  ditos.  Am  richtigsten 
charakterisiert  wohl  seine  anfängliche  Opposition  und  spätere  Eonsequenz 
in  der  Durchföhrung  Sueton  c.  27.  Appian  4,  16  sagt,  dafs  es  eine  ganze 
Litteratur  über  die  Proskriptionen  gab  {noXXä  d'  htly  xal  noXlol  *Pa>fiaüov 
iv  TCoUalg  ß^Xoi^  avxa  ewiyQccfpav  i(p'  iavtmp). 
1)  Dio  47,  18. 


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~     86     - 

auch  der  Republik  mit  allen  Schäden  des  früheren  aristokrati- 
schen Regiments  — ,  so  wären  derartige  Inkonsequenzen  der  re- 
publikanischen Idee  nicht  nachteilig  gewesen.^)  Die  Fehler  der 
Republikaner  sind  es,  welche  der  wiederhergestellten  Verfassung 
ein  so  jähes  Ende  bereiteten.  Nicht  blofs  versäumten  die  Cäsar- 
mörder den  Moment,  sich  der  Gewalt  zu  bemächtigen,  ni^ht  blofs 
überliefsen  die  Anhänger  der  Republik  im  Senat  Monate  lang  die 
Exekutive  dem  Gegner  derselben,  sondern  auch,  nachdem  dieser 
Gegner  zu  offener  Feindseligkeit  gebracht  war,  versäumte  man 
ihm  gegenüber  die  volle  Einigung  dessen,  was  Interesse  an  Er- 
haltung der  alten  Verfassung  hatte,  glaubte  insbesondere  in  Rom, 
mit  den  neuen  Konsuln  und  vom  Senat  aus  eine  Regierung  durch- 
führen zu  können,  die  über  den  Extremen  stand,  und  wagte  nicht, 
sich  offen  zu  denjenigen  zu  bekennen,  die  allein  die  Verteidiger 
der  alten  Verfassung  sein  konnten.  Nichts  war  in  dieser  Be- 
ziehung verderblicher,  als  die  Führung  Ciceros,  der  sehr  reellen 
und  entschlossenen  Feinden  gegenüber  fortwährend  mit  Illusionen 
sich  waffnete.  Vielleicht  in  der  Meinung,  dafs  die  republikanische 
Sache  mehr  Anhänger  gewänne,  wenn  man  sie  nicht  einfach  mit 
der  der  Cäsarmörder  identifiziere,  jedenfalls  mit  eiqer  gewissen 
Scheu  vor  ihnen  und  in  dem  Bestreben,  von  seiner  Stellung  als 
Senatsredner  aus  die  Leitung  der  Dinge  in  der  Hand  zu  behalten, 
verhinderte  er,  als  es  Zeit  war  anders  zu  verfahren,  die  Herbei- 
ziehung jener  und  rief  erst  nach  ihnen,  als  es  zu  spät  war.  Aber 
nicht  blofs  durch  diese  Unterlassung,  sondern  auch  durch  das, 
was  er  zur  Ausführung  brachte,  hat  er  zum  Untergange  der  Re- 


1)  Eine  solche  Inkonsequenz  war  es,  wenn  Brutas  auf  die  im  Bereich 
seines  Kommandos  geprägten  Münzen  seinen  Kopf  setzen  liefs  (Cohen  1  p.  26  f., 
Mommsen,  röm.  MOnzw.  1  S.  740)  und  eine  materiell  viel  wichtigere,  wenn 
Cicero  Philipp.  11,  28  sagt:  Qua  lege,  quo  iure  {C.  Cassius  in  Syriam  pro- 
fectus  est)?  Eo  quod  Juppiter  ipse  sanxit,  ut  omnia,  quae  reip.  saluUxria 
essent,  legitima  et  iusta  haberentur.  Est  enim  lex  nihil  aliud  nisi  recta  ei  a 
numine  deorum  tracta  ratiOy  imperans  honesta  prohibens  contraria;  huic  igitur 
legi  paruit  Cassius,  cum  est  in  Syriam  pro  fectus,  alienam  provinciam^  si 
homines  legibus  scriptis  uterentur,  his  vero  oppressis  suam  lege  nahtrae. 
Cicero  citiert  hier  sich  selbst  aus  de  leg.  1,  6:  lex  est  ratio  summa  insOa 
in  natura  quae  iubet  ea  quae  facienda  sunt  prohibetque  contraria,  wozu  hin- 
sichtlich der  Anwendung  zu  vergleichen  ebendas.  2,  11  —14.  Als  Cicero  im 
J.  52  bei  Abfassung  der  Schrift  de  legibus  zuerst  diese  Theorie  entwickelte, 
handelte  es  sich  um  eine  Ausnahmestellung  für  Pompejus.  Damals  der- 
artige Gedanken  auszusprechen,  war  für  die  Republik  jedenfalls  gefährlicher 
als  gegenüber  einem  Brutuä  oder  Cassius. 

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-     87     — 

publik  beigetragen.  Die  rhetorische  Energie  seiner  Philippiken 
hat  in  den  Augen  yieler  gerade  dieser  Periode  seines  Lebens 
einen  besonderen  Glanz  verliehen,  die  Verwerflichkeit  seiner 
Gegner  hat  diesen  Eindruck  verstärkt,  und  sein  Ende,  tragisch 
an  sich  selbst  wie  dadurch,  dafs  es  mit  dem  Ende  der  Republik 
zusammenfallt,  nimmt  vollends  das  Urteil  gefangen.  Und  doch 
kann  man  über  diese  Periode  seines  Lebens  nicht  anders  urteilen, 
als  über  seine  frühere  politische  Thätigkeit.  Es  ist  nicht  nötig, 
hiefür  den  für  ihn  unglücklichen  Umstand  auszubeuten,  dafs  die 
Erhaltung  seiner  Korrespondenz  die  Schwankungen  der  Entschlüsse 
uod  Urteile,  denen  auch  kräftigere  Naturen  unterworfen  sind, 
besonders  deutlich  vor  Augen  stellt,  auch  nicht  den  Kontrast 
hervorzuheben,  so  stark  er  ist,  zwischen  den  Huldigungen,  die  er, 
wenn  auch  ungern,  dem  Cäsar  dargebracht  und  der  Verherr- 
lichung seiner  Mörder^)  —  die  Reaktion  gegen  die  lange  und 
schwer  empfundene  Demütigung  mag  das  erklären  — ,  die  blofsen 
Konsequenzen  seines  öffentlichen  Handelns  genügen,  um  seine 
Bewunderer  zu  widerlegen.  Nachdem  er  in  der  Zeit,  in  welcher 
es  galt,  persönlich  im  Senat  den  Absichten  des  Antonius  ent- 
gegenzutreten, von  Rom  fern  geblieben  war,  kam  er  zurück,  als 
er  glaubte,  den  einen  Prätendenten  gegen  den  andern  gebrauchen, 
sich  durch  den  einen  gegen  den  andern  schützen  zu  können,  und 
führte  neben  den  Konsuln  den  Cäsarerben  ein.  Er  hat  mit  seinen 
Reden  es  wohl  dahin  gebracht,  dafs  die  neuen  Konsuln  und  der 
Senat  zum  Kampf  für  die  Republik  sich  entschlossen,  aber  erst 
nachdem  der  Republik  gefährlichster  Feind  durch  ihn  zu  Macht 
gekommen  war.  Als  nach  dem  mutinensischen  Kriege  Octavian 
versagte,  verstummte  Cicero:  von  dem  Konsulatsantritt  des  jungen 
Cäsar  bis  zum  7.  Dezember,  dem  Tage  der  Ermordung  Ciceros*), 
war  dieser  vollständig  aus  dem  öffentlichen  Leben  verschwunden, 
er  hatte  nicht  den  Entschlufs  finden  können,  die  republikanische 
Sache  an  der  einzigen  Stelle,  an  der  sie  noch  zu  verteidigen  war^), 
im  Lager  des  Brutus,  fortzuführen.     Lidessen  für  die  geschieh t- 


1)  Ein  Mahner  in  dieser  Beziehung  war,  sich  selbst  verteidigend, 
C.  Maüns,  ygl.  seinen  Brief  ad  fam.  11,  28. 

2)  Hinsichtlich  der  näheren  Umstände  vgl.  die  Kritik  der  Berichte  bei 
Dnnnann  6,  377.     Datum  des  Todes  VII.  id.  Dec.  bei  Tacit.  dial.  17. 

3)  Ad  Att.  14,  18,  2:  Bestat,  ut  in  castra  SexU  aut,  si  forte^  Bruti  nos 
conferamus;  res  odiosa  et  dliena  nostris  aetatibus  est  incerto  belli  exitu.  — 
Erst  die  Proskription  drängte  ihn  auf  diesen  Weg. 


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-     88    — 

liehe  Stellung  Ciceros  war  sein  Ende  in  gewissem  Sinne  ein  natür- 
licher Tod.  Im  iKriegslager  war  non  einmal  jetzt  sein  Platz  so 
wenig  wie  zur  Zeit  des  Kampfs  zwischen  Cäsar  und  Pompejus;  ihn 
sich  in  einem  Senat  unter  den  Triumvim  zu  denken  wäre  peinlicL 

§  74.    Von  der  Gründung  des  Triumvirats  bis  eut  Schlaoht 

bei  Aktiom« 

Übersicht.  1.  Die  Gcschichte  des  Triumvirats  verläuft  in  einer  Reihen- 

folge von  Verwicklungen  zwischen  den  Machthabem,  die,  nachdem 
sie  zu  wiederholten  Malen  eine  friedliche  Losung  gefunden,  weiter- 
hin zuerst  die  Zahl  der  Prätendenten  vermindern  und  sodann,  als 
nur  noch  zwei  sich  gegenüberstehen,  in  den  entscheidenden  Kampf 
zwischen  diesen  ausmünden.  Die  Epochen  dieses  Zeitabschnitts 
sind  durch  die  verschiedenen  Abmachungen  gegeben,  welche  die 
Verwicklungen  lösen  und  zum  Teil  mehr  privater  Natur  sind,  zum 
Teil  in  formlichen  Staatsakten  niedergelegt  werden.  Es  sind  dies 
die  Verabredungen  von  Philippi  im  J.  42,  Brundisium  im  J.  40, 
Misenum  im  J.  39,  Tarent  im  J.  37.  Die  Beseitigung  des  Lepidus 
im  J.  36  hatte  keine  neue  Vereinbarung  zur  Folge,  der  fernere 
Verlauf  bewegt  sich  durchaus  in  der  thatsächlichen  Ausbildung 
lind  Ausbeutung  der  Machtverhältnisse. 
Rechtliche  De-  2.  In  dcH  Abmachungen  von  Bononia  hat  ohne  Zweifel  die 

finitiou  des 

TriumriratB.  crenaucre  rcchtlichc  Bestimmung  der  Gewalt  der  Triumvirn  weniß 

Inhalt  und  Um- ^    ,..,.,  ,  i  * »  i  i        ,    .    ,  -,         i  .     . 

fang  der  Gewalt.  Schwierigkeiten  verursacht.  Man  konnte  leicht  darüber  einig 
werden,  dafs  die  neue  Gewalt  dieselbe  Machtvollkommenheit  haben 
solle,  wie  sie  kurz  vorher  Cäsar  mittelst  der  Diktatur  geübt 
Bei  ihm  hatte  freilich  wie  bei  Sulla  der  Name  der  Diktatur  die 
Definition  erleichtert,  allein  der  Ersatz  hiefür  war,  da  man  die 
republikanische  Verfassung  nicht  wiederkehren  lassen  wollte, 
wiederum  nach  dem  Beispiel  Sullas  durch  die  Zweckbestimmung 
reipublicae  constikiendae  leicht  gefunden,  ohne  dafs  man  über  die 
Art  dieser  Konstituierung  sofort  sich  hätte  erklären  müssen. 
Dafs  die  übernommene  Gewalt  im  allgemeinen  die  Exekutive  sei, 
konnte  durch  den  von  einem  Gewährsmann  angegebenen  Zusatz 
consula/ri  imperio  zum  Ausdruck  kommen;  doch  ist  dies  jedenfalls 
in  der  offiziellen  Formulierung  nicht  überliefert^),  in  dem  Ein- 
führungsgesetz wird  dagegen  ausdrücklich  angegeben  gewesen 
sein,  was  in  dem  Namen  der  Diktatur  von  selbst  lag,  dafs  die 


1)  App.  4,  7;  ob.  S.  84  A.  1. 

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-     89    — 

neue  Gewalt  allen  andern  übergeordnet  sein  sollte.  DaCs  man 
aber  die  Magistraturen  noch  mehr  als  unter  Cäsar  in  ihrer  bis- 
herigen Verwaltungskompetenz  lassen  wollte^  erhellt  daraus^ 
dals  sofort  im  J.  42  eine  Censur  stattfand,  die  freilich  nicht  zum 
Ziele  kam.^)  Es  war  dies  auch  das  einfachste,  so  lange  das 
Regiment  der  Drei  mit  dem  gemeinsamen  Zentrum  in  der  Haupt- 
stadt gedacht  wurde;  denn  in  der  kollegialischen  Besetzung  der 
ordentlichen  Magistraturen  konnte  man  die  Interessen  aller  drei 
berücksichtigen ,  während  bei  besonderen  Mandaten  es  sich  um 
einzelne  Persönlichkeiten  handeln  muTste  und  danu  Zwiespalt  hin- 
sichtlich der  Wahl  der  einzelnen  unausbleiblich  war.  Anders 
wurde  dies  aber,  sobald  Octavian  mit  der  Verwaltung  der  west- 
lichen Hälfte  des  Reichs  auch  die  Regierung  in  Rom  in  seine 
Hand  genommen  hatte;  von  da  an  war  es  eben  einer  seiner  Vor- 
teile, daCs  er  nun  seine  personlichen  Organe  in  aufserordentlichen 
Stellungen  neben  der  gemeinsam  yereinbarten  Magistratur  ein- 
fiihren  konnte.  Für  das  Verhältnis  des  Triumvirats  zu  Senat 
und  Volk  mochte  genügen,  dafs  man  diese  Faktoren  liefs,  da- 
neben aber  ausdrücklich  bestimmte,  dafs  die  Triumvirn  nicht  an 
ihre  Befragung  gebunden  seien  und  speziell  die  Ämter  nach  ihrem 
Gutdünken  besetzen  dürften.*)  Hinsichtlich  der  Gesetzgebung 
liegt  die  Anwendung  dieser  Bestimmung  darin  vor  Augen,  dafs 
dieselbe  beinahe  vollständig  ruht.^)  Ebenso  wird  es  aber  auch 
mit  den  Wahlen  gewesen  sein:  wenn  auch  Ausdrücke  gebraucht 
werden,  welche  sonst  für  die  Bestellung  der  Beamten  durch  Wahl 
stehen*),   so  ist  doch  nirgends  deutlich  von  Wahlen  die  Rede, 


1)  Die  Censoren  sind  verzeichnet  in  den  fast.  Colot.  zum  J.  712:  [C 
Ajntonius,  P.  Sulpicius  censipres).  Lu8tr{um)  n(on)  fiecerunt).  Corp.  insor. 
lat.  1  p.  466,  woza  p.  568:  P.  StUpiciua,  ö.  Antonius  een{8ore8).  Dieser 
C.  AntoDius  war  der  Oheim  des  Triamvirs,  vgl.  Mommsen  zu  1,  568.  Die 
Historiker  wissen  von  diesen  Censoren  nichts  zu  berichten. 

2)  Dio  46,  55;  ob.  S.  84  A.  1. 

3)  Gemeinsame  Gesetze  der  Trinmvim  selbst  giebt  es  nicht.  Die  gött- 
lichen Ehren,  welche  gleich  zu  Anfang  der  Triumviratsherrschaft  für  Cäsar 
beschlossen  wurden,  bringt  Lange  8,  545  mit  der  Corp.  inscr.  lat.  1  n.  626 
erwähnten  Inschrift  zusammen:  IHvo  Jidio  iussu  popuU  Bomani  sUUutum 
est  lege  Eufrena,  Im  J.  40  wurde  die  tribunicische  l.  FcUcidia  (Dio  48,  83)  ^ 
über  die  Beschi-änkung  der  Legate  auf  drei  Viertel  des  Nachlasses  gegeben 
(GaL  2,  227:  ne  plus  testatori  legare  liceat  quam  dodrantem;  falcidische 
Qnart),  in  Zusammenhang  mit  der  Erhebung  der  Testamentsteuer. 

4)  Z.  B.  Dio  48,  35:  Im  J.  39  nach  dem  Vertrag  von  Misenum,  vnu- 

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—     90     — 

und  das  ganze  Verfahren  bei  Besetzung  der  Magistraturen,  wobei 
die  damit  betrauten  oft  an  demselben  Tage  wieder  das  Amt 
niederlegten  um  andern  Platz  zu  machen^),  macht  wahrscheinlich, 
dafs  man  von  Veranstaltung  von  Wahlen  absah;  man  glaubte 
eben,  mit  der  Stütze  der  Legionen  auf  eine  abstimmende  Bürger- 
schaft keine  Rücksicht  nehmen  zu  müssen.  Natürlich  mulste 
dann  aber  auch  das  Volkstribunat  zwar  nicht  aufgehoben,  aber 
doch  mundtot  gemacht  werden.  Cäsar  hatte  dies  teils  durch  die 
eigene  tribunicische  Gewalt,  teils  durch  den  Einflufs  auf  die  Wahlen 
erzielen  wollen,  es  aber  doch  nicht  ganz  erreicht  Die  Triumvirn 
halfen  sich  dadurch,  dafs  sie  auch  die  Tribunen  selbst  bestelltea 
und  konnten  es  im  übrigen  dem  Druck  ihrer  Gewalt  überlassen, 
dafs  die  so  bestellten  ihr  Amt  nicht  gegen  sie  gebrauchten. 
Koiiogiautttt.  Am  schwierigsten  war  die  Regelung  der  Kollegialität     Die 

Drei  sollten  von  vom  herein  völlig  gleich  sein;  dies  findet  seinen 
Ausdruck  darin,  dafs  wo  sie  mit  einander  auftreten,  der  Vortritt 
nach  den  gewöhnlichen  Regeln,  in  diesem  Falle  nach  dem  Alter 
in  der  Konsularwürde  bestimmt  wird;  die  Namensfolge  war  also 
Lepidus,  Antonius  und  Cäsar.*)  Doch  war  dies  lediglich  eine 
formelle  Regel,  die  auf  die  Art  der  Funktion  höchstens  den 
Einflufs  hatte,  dafs  Lepidus  auch  zuerst  —  im  J.  42  —  das 
Konsulat  wieder  übernahm;  eine  gemeinsame  Wirkung  in  dem 
Sinne,  dafs  ein  Turnus  und  dabei  ein  Vortritt  in  der  Leitung 
hätte  stattfinden  können,  war  nicht  in  Aussicht  genommen;  es 
handelte  sich  vielmehr  lediglich  um  gemeinsames  einheitliches 
oder  gleichzeitiges,  aber  räumlich  getrenntes  Wirken.  Dabei 
mulflten  sich  die  Triumvirn  zum  voraus  darüber  klar  sein,  dafs 
die  Kollegialität  in  dem  in  der  Magistratur  geltenden  Sinne  der 


rovg  ov  dvo  itri<riovg^  mansQ  st^ittxo^  dlXä  nXeiovg  %6tB  n^oixov  ev9^g  iv 
xctig  agxaiQtaiaig  stXovto. 

1)  Dio  a.  a.  0.:  rot«  hiccvaiog  itlv  ov9sig  T^gidi^j,  ngbg  Öh  dtj  xa  tov 
Xgovov  fiLegri  alXoi,  ital  aXXoi  dneds^xd^iaocv.  48,  53 :  ov  yag  onmg  o?  xs  Zna- 
xoi  xal  ot  axgaxTiyol  aXXa  xal  ol  xafiioci  in  aXXi^Xoig  dvxmad^lßxavxo  %al 
xovx*  inl  XQOVov  iyivsxo^  atxiov  9h  oxi  napxsg  o^x  o^<og  tv  oikoi  inl  nXttov 
ag^maiv  a>g  tva  iv  xoig  äg^aatv  dgi^'fimvxcci  xcrl  an  avxov  %al  xag  r^MCff 
xal  xäg  Svvdfieig  xdg  i^m  Xocfipavcaatv  i<fnov9a^ov.  Ovhovv  ov^  ig  ^rjxov 
ixi.  xivBg  XQOVOV  jjgovvxo  dXX'  mor'  iniß^vai  xs  xov  ovofiaxog  v^g  dgx^g  xal 
dno0xijvat  oxav  xotg  x6  ngdxog  ^%ot;<T(  d6^y  xal  noXXoi  yc  ini  xrjg  cevxfjg  r^iti' 
gag  Sxdzsgov  inga^av. 

2)  Vgl.  die  Ordnung  in  der  Folge  der  Namen  in  den  Fasten  und  dem 
Edikt  bei  App.  4,  8. 

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—     91     - 

Interzession  (1,  598)  för  sie  nicht  möglich  sei;  diese  negative 
Seite  mufste  also  ausdrücklich  ausgeschlossen  werden.  Um  nun 
aber  ein  positives  Zusammenwirken  zu  ermöglichen,  wurden  vor 
Allem  die  Provinzen  räumlich  geteilt,  jedem  in  seinem  Teile  die 
freie  Verfügung  über  die  Verwaltungs-  und  MiliiÄrposten  und 
über  die  Verwaltung  selbst  zugesprochen.  Ferner  wurden  der 
jeweiligen  Verabredung,  die  aber  auf  mehrere  Jahre  zum  voraus 
geschah,  überwiesen  die  Bestellung  der  Magistraturen^),  die  Be-. 
Schaffung  von  Mitteln  für  die  gemeinsamen  Interessen,  insbeson- 
dere die  Aushebung  und  Steuererhebung  in  Italien,  femer  die 
Ansiedlung  der  Veteranen,  die  Zuteilung  von  Kriegsaufgaben, 
die  nicht  unmittelbar  mit  der  Verteidigung  der  Provinzen  zu- 
sammenhingen, sondern  wie  die  gegen  die  Cäsarmörder  und 
S.  Pompejus  einen  allgemeinen  Charakter  hatten,  die  Zahl  der 
jedem  zukommenden  Legionen^),  endlich,  wie  die  Proskriptionen 
von  43  und  die  Verhandlungen  von  39  über  die  Restituierung 
der  zu  S.  Pompejus  geflüchteten  Proskribierten  zeigen *),  auch 
Verurteilungen  und  Begnadigungen  in  grofsem  Stile.  Prinzipiell 
ergab  sich  aus  diesem  allgemeinen  Verfahren,  dafs  auch  einzelne 
Zwischenfalle  der  angegebenen  Art,  also  nötig  gewordene  Ände- 
rungen in  der  Besetzung  der  Magistratur,  einzelne  Verurteilungen 
und  Begnadigungen  u.  dgl.  der  Verabredung  anheimfielen,  aber 
man  überliefs  die  Anwendung  dieser  Konsequenz  ohne  Zweifel 
der   Zukunft.*)     Die   Verwaltung   Roms   und   Italiens   war   dem 


1)  S.  d.  Yorherg.  Stellen.  Z.  B.  im  J.  42  waren  Konsuln  neben  Lepi- 
das  der  Vertrauensmann  des  Antonios  Munatios  Plancos,  41  der  Bruder  des 
Antonius  und  Servilius  (Oci),  40  Domitius  Calvinns  (Oci)  und  Asinius 
Pollio  (Ant.)  n.  s.  f. 

2)  Letzteres  spielt  bei  allen  Verträgen  eine  wesentliche  Rolle. 

3)  App.  5,  72.     Dio  48,  26. 

4)  Instruktiv  fflr  die  Erledigung  eines  einzelnen  Falls  ist  die  Begna- 
digung des  durch  seine  Frau  Turia  verborgen  gehaltenen  C.  Lucretius  Ve- 
spillo  (Val.  Max.  6,  7,  2),  wie  sie  in  dessen  Leichenrede  auf  Turia  (corp. 
inscr.  lat.  VI.  1  p.  832 fF.  n.  1527)  dargestellt  ist  frgm.  d.  Z.  11  ff.:  {reddito 
tarn  non  irvutüt]  cive  patriae  beneficio  apsentis  Caesaris  Äugustij  [quom  per  te] 
de  restUtttione  mea  M.  Lepidua  conlega  praesens  interp[ellaretur  et  ad  eins]  pedes 
prostrata  humi  non  modo  non  adlevata^  sed  tra[cta  et  servilem  in']  modum 
raps(tta  Uvortbtts  corpoHs  firmissimo  [animo  cum  admone]  res  edicti  Caesaris 
cum  gratülaiione  restitutionis  mt^ae  auditisqtte  verbis  ett]am  contumeliosis  et 
crudelibus,  exceptis  volneribus  pa[lam  ea  perferres'],  ut  auctor  meorum  pericu- 
lorum  notesceret.  Quoi  noc[uit  mox  ea  res].  Quid  hoc  virttäe  effwacius? 
praebere  Caesari  clementia[e  locum  et  cum  cu]stodia  Spiritus  mei  notare  im- 

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-     92    — 

Prinzip  nach  gemeinsam,  aber  da  die  Machthaber  jedenfalls  Dicht 
in  Aassicht  nahmen ,  zusammen  ihren  Sitz  in  Rom  zu  nehmen 
und  thatsächlich  nur  ausnahmsweise  auch  nur  zwei  von  ihnen  in 
Rom  anwesend  waren,  so  lag  diese  Gemeinsamkeit  vorherrschend 
darin,  dafs  jeder  durch  spezielle  Anhänger  in  der  Magistratar 
vertreten  war  und  Zwiespalt  zwischen  diesen  Organen  unter  sidi 
oder  Zwiespalt  zwischen  einem  derselben  und  einem  Triumfini 
wieder  der  Vereinbarung  der  letzteren  vorbehalten  blieb.  Alles 
aber,  was  von  gemeinsamen  Angelegenheiten  unter  der  Verant- 
wortung eines  der  drei  vor  sich  ging,  ohne  dafs  Vereinbarung 
gesucht  oder  erzielt  worden  wäre,  fiel  lediglich  der  thatsächlichen 
Politik  anheim,  d.  h.  dem  Geschehenlassen  aus  Zweckmäfsigkeiis- 
gründen,  der  Entschädigung  durch  Repressalien,  schliefslich  der 
Aufhebung  des  Einverständnisses,  d.  h.  der  Kriegserklärung.^) 
Für  die  in  der  Zweckbestimmung  enthaltene  Aufgabe  der  Neu- 
gestaltung der  Verfassung  war  eine  nähere  Bestimmung  fon 
vornherein  völlig  überflüssig;  denn  weder  bei  Gründung  des 
Triumvirats  noch  in  den  verschiedenen  weiteren  Phasen  desselben 
dachte  jemand  daran,  dieser  Aufgabe  durch  eine  friedliche  Gesetz- 
gebungsarbeit  nachzukommen.  —  Im  Allgemeinen  also  war  die 
Kollegialität  in  keiner  Weise  in  technischem  Sinne  geordnet^  son- 
dern nur  in  der  Art  einer  Koalition,  welche  dadurch,  dafs  sie 
das  Zusammenwirken  der  Koalierten  durch  ein  Gesetz  sanktioniert^ 
dem  politischen  Belieben  eine  Rechtsform  giebi  In  welcher  präcisen 
Formulierung  aber  dies  in  dem  titischen  Gesetz  ausgesprochen 
war,  wissen  wir  nicht.  Diesem  Charakter  und  überhaupt  dem 
Mangel  des  republikanischen  Begriffs  der  Kollegialität  entspricht 
es  auch,  dafs,  nachdem  Lepidus  beseitigt  war,  nicht  daran  ge- 

portunam  cruddiUxtem  [egregia  ttut]  patientia,  Octavian  hatte  also  w&hrend 
einer  Abwesenheit  von  Rom  den  Vespillo  durch  ein  Bchrifblicheß  Edikt  be- 
gnadigt, der  in  Born  anwesende  Lepidas  (wohl  w&hrend  seines  Konsulats 
im  J.  42)  wollte  trotzdem  die  Proskription  zum  Vollzug  bringen;  Taria  aber 
machte  mit  Erfolg  das  Edikt  Octavians  geltend.  Das  Wesentliche  ist  aber 
für  uns  hier  nicht  blofs  der  Erfolg,  sondern  der  Umstand,  dafs  das  Edikt 
eines  der  Drei  genügte;  denn  Octavian,  indem  er  seinem  Edikt  ein  Grato- 
lationsschreiben  beifügte,  erachtete  die  Sache  durch  sein  Edikt  allein  für 
erledigt  Wollte  Lepidus  dies  nicht  gelten  lassen,  so  kam  er  in  Konflikt 
mit  Octavian,  und  es  war  lediglich  eine  Frage  der  Politik,  ob  dieser  sieb 
die  Nichtachtang  seines  Edikts  gefallen  liefe  oder  nicht. 

1)  Vgl.  das  Verhalten  des  Antonius  gegen  Octavian  gelegentlich  der 
Beseitignng  des  Lepidns  und  ihrer  Eonsequenzen.  Er  sah  ruhig  zu,  brachte 
aber  die  Beschwerde  vor,  als  es  zum  Konflikt  konmien  sollte.    Dio  60, 1. 

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—    93     - 

dacht  wird,  einen  andern  als  dritten  beizuziehen  und  die  Gewalt 
der  zwei  andern  dieselbe  bleibt.^) 

Zu  den  gesetzlichen  Grundbestimmungen  gehorte  auch  die  DieBesümmTing 
zeitliche  Begrenzung.  Dafs  eine  solche  in  dem  titischen  Gesetz 
ausgesprochen  war,  ist  auTser  Zweifel  (ob.  S.  84  A.  1);  dagegen 
ist  kontrovers,  wie  es  mit  der  prinzipiellen  Bedeutung  des  Ter- 
mins sich  verhält  und  wie  mit  der  Verlängerung,  welche  geschicht- 
lich vorliegt.  Die  Einsicht  in  die  letztere  Frage  ist  die  Voraus- 
setzung für  die  erstere.  Die  alten  Quellen  sprechen  von  zwei 
Quinquennien,  und  Octavian  selbst  sagt,  dafs  er  das  Triumvirat 
10  Jahre  hindurch  ununterbrochen  geföhrt  habe.*)  Daraus  würde 
sich  als  Schlußtermin  der  31.  Dezember  des  J.  33  ergeben. 
Damit  stimmt,  dafs  in  den  kapitolinischen  Fasten  mit  dem 
1.  Januar  37,  also  unmittelbar  mit  dem  Ablauf  der  ersten  Früh- 
jahrsfrist, die  Übernahme  des  Triumvirats  zum  zweiten  Male  ver- 
zeichnet ist^),  und  mit  der  Einzeichnung  in  den  Fasten  ist  der 
Begriff  verbunden,  dafs  die  betrefFende  Gewalt  legitim  ist.  Nun 
ist  aber  einmal  ein  Gesetz  über  die  Erneuerung  vor  dem  J.  37 
nicht  berichtet,  sondern  aus  späterer  Zeit*),  und  sodann  ist  — 
abgesehen  von  der  Frage,  mit  welcher  Gewalt  Octavian  nach  dem 


1)  Ebenso  hätte  wohl,  nachdem  AntonioB  im  J.  32  seiner  Gewalt  ver- 
lostig  erklärt  worden  war,  Octavian  dieselbe  noch  bis  zam  vorausbestimmten 
Termin  behalten  können;  er  zog  aber,  wie  nnten  zu  zeigen,  einen  andern 
Gewaltstitel  vor. 

2)  App.  6,  95:  hi^av  iavroig  mg^iov  nevtasriar,  Monum.  Ancyr.  tab. 
gr.  4, 1:  XQimv  uvS^mv  iysvoiiriv  druMciatv  nQayfidtmv  ewi%iciv  ixBCiv  di%a, 

3)  Corp.  inscr.  lat.  1  p.  440.  Dals  die  Münze  ans  dem  J.  88  (archäol. 
Zeit.  1878  S.  76,  Sallet,  num.  Zeitschr.  4,  140)  mit  der  Legende  der  Bück- 
seite: M.  Agrippa  cos.  desig.  auf  ihrer  Vorderseite  nicht  die  Iteration  des 
TrioniTirats  enthält,  darüber  vgl.  Mommsen  zu  Borghesi  oeuvres  11.  262  nnd 
Staatar.  2,  687  A.  6. 

4)  Im  J.  39  wird  zwar  für  S.  Pompejns  eine  bestimmte  Frist  ange- 
geben (Dio  48,  36:  inl  nivts  irrj,  wogegen  App.  6,  72:  agxsiv  —  offov 
a(fxouv  xmv  itiqatv  'Avtmviog  rs  nal  Kaiaaq^  nnt.  S.  95  A.  3)^  nicht 
aber  den  Triumvim.  Dagegen  lauten  hinsichtlich  dieser  die  Berichte  in 
widerspruchsvoller  Weise.  App.  6,  96  sagt  zum  J.  37  (Vertrag  von  Tarent): 
Iml  0  xQovog  avtoig  iXriys  r^g  UQxrig  ^  totg  vgialv  i'ifnjtptato  dvdgdaiv,  itiqtxv 
iovroig  mgi^av  KBvxasxlav^  ovSlv  ixt  xov  di^fiov  Ss'^^'hxsg;  derselbe  Appian 
aber  sagt  bell.  Illyr.  zum  J.  83:  (b  Kaiffag)  aqx^'"  ^**  '^^''  '^«»v  xqt.&v  d(f- 
Xriv  dvo  yccQ  ilBinsv  ixrj  tJ  dsvxiQoi  nsvxaexi^  xrjgde  xrjg  dqx^g^  ^v  inl 
Tj  jtqoxigq^  ütpiütv  avxotg  iiprupürccvxo  xal  6  ^^fio^  ini%eyivQ(o%et;  Dio  end- 
lich 48,  54  sagt,  wie  App.  in  der  ersten  Stelle,  zum  Vertrag  von  37:  Sccvxotg 
xiiv  riyffioviar  ig  aXXa  ixri  nivxs^   insl  xd  ngöxega  ifcXtjXv^e»,  inixi^ipav,    . 

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-     94    — 

aktischen  Krieg  die  Regierung  führte  —  sicher,  dafs  Antonios 
und  Octavian  zu  Anfang  des  J.  32,  also  nach  Ablauf  des  zweiten 
Quinquenniums,  noch  dieselbe  Stellung  hatten,  wie  in  den  vorher- 
gehenden Jahren.^)  Dafs  nun  die  Weiterführung  der  Stellung 
nach  dem  ersten  Quinquennium  durch  eine  Bestimmung  des  titi- 
schen  Gesetzes  den  Triumvim  anheimgestellt  worden  wäre*),  ist 
unwahrscheinlich;  denn  welchen  Sinn  hätte  dann  der  in  demselben 
Gesetz  ausgesprochene  Termin  gehabt?  Ebenso  wenig  ist  an- 
zunehmen, dals  es  in  dem  Wesen  der  aufserordenÜichen  Gewalt 
gelegen  hätte,  sich  selbst  ein  Ziel  zu  setzen ^);  denn  nicht  nur 
sind  die  in  früheren  Zeiten  verliehenen  geschichtlich  kontrollier- 
baren aufserordentlichen  Gewalten,  die  von  Sulla  und  Cäsar,  zeit- 
licher Beschränkung  unterlegen  gewesen,  sondern  es  bestände 
auch  wiederum  ein  innerer  Widerspruch  zwischen  der  Angabe 
eines  Endtermins  im  Gesetz  und  der  Gestattung  willkürlicher 
Verlängerung  durch  die  Gewalthaber.  Es  ist  also  nicht  anders 
möglich,  obgleich  die  Überlieferung  darüber  schweigt,  als  da& 
die  Verlängerung  auf  einem  neuen  gesetzgeberischen  Akte  be- 
ruhte, der  aus  einer  der  verschiedenen  Vereinbarungen  zwischen 
den  Machthabern  hervorging,  und  zwar  mufs  diese  dem  1.  Jan.  37 
vorangegangen  sein.    In  der  That  ist  es  nun  aber  auch  aus  andern 

1)  Dio  50,  4  (nach  Anfang  des  J.  32):  t^v  vnaxsucv  (roy  'AvtavMv)^ 
ig  fjv  nQOSxsiQOtovTixo  (für  31)  xal  rriv  aXlriv  i^ovaiav  naaav  dq>eOiccvto. 
Octavian  behielt  dagegen  in  diesem  Augenblicke  noch  diese  aus  dem  Trium- 
virat stammende  i^ovcia, 

2)  Wie  man  die  Angabe  bei  Appian  5,  95,  dafs  sie  des  Volks  nicht 
mehr  bedurft  hätten  (ob.  S.  93  A.  4),  deuten  könnte. 

3)  Mommsen,  röm.  Staatsr.  2,  697:  „Bei  dem  Triumvirat  des  J.  711 
sind  von  dem  theoretischen  Satz,  dals  bei  konstituierenden  Gewalten  die 
Zeitgrenze  ohne  rechtsverbindliche  Kraft  sei,  die  schlagendsten  und  wichtige 
sten  Anwendungen  gemacht  worden/*  Folgen  dann  die  thatsächlichen  Yer* 
hältnisse,  wonach  gesetzmäfsig  die  Gewalt  am  31.  Dezember  33  erloschen 
wäre,  aber  ohne  besondere  Ermächtigung  noch  länger  beibehalten  wurde; 
darauf  S.  699:  „unleugbar  ist  nicht  nur  von  Antonius,  sondern  auch  von 
Cäsar  die  dem  Triumvirat  gesteckte  Endfrist  in  dem  Sinne  behandelt  worden, 
dalJB  mit  dem  Eintritt  derselben  wohl  für  die  Träger  die  Verpflichtnug  ent- 
stand, ihr  Amt  abzugeben,  aber  das  Amt  selbst  nicht  mit  detn  Eintritt  der 
Frist,  sondern  erst  durch  die  Abgabe  von  Rechts  wegen  zu  Ende  ging/^ 
Nach  uDsrer  Auffassung  ist  die  Endfrist  erst  31.  Dezember  32,  und  jener 
theoretische  Satz,  den  Mommsen  auch  durch  die  Beispiele  des  Decemvirats 
und  das  Verhalten  des  Censors  Ap.  Claudius  im  J.  311  v.  Ch.  stützen  will, 
weder  für  diese  Beispiele  zutreffend  noch  prinzipiell  haltbar  (vgL  ob.  1, 
680  A.  4). 

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—    95     - 

Gründen  nicht  unwahrscheinlich,  daCs  der  Vertrag  von  Misennm 
im  J.  39  es  war,  bei  welchem  die  Weiterführung  beschlossen 
wurde.  Nicht  nur  brachte  das  Abkommen  mit  S.  Pompejus  ein 
wesentliches  neues  Moment  herein,  sondern  es  wurden  damals 
auch  die  Magistraturen  neugeordnet.  Und  das  letztere  Moment 
giebt  nun  auch  AufschlulB  über  den  damals  verabredeten  Termin. 
Wir  ersehen  aus  den  Angaben  über  das  Konsulat^  daXs  dieses  bis 
zum  J.  31  in  der  Weise  yorausbesetzt  wurde,  dafs  am  1.  Jan. 
dieses  Jahres  Antonius  und  Octavian  dasselbe  übernehmen  sollten, 
während  im  J.  32  Cn.  Domitius  und  C.  Sosius,  die  in  der  That 
am  1.  Jan.  32  antraten,  Konsuln  sein  sollten.  Diese  Festsetzung 
hatte,  wie  auch  ausdrücklich  bemerkt  wird,  den  Sinn,  dafs  nach 
Beendigung  der  Triumviratszeit  die  zwei  leitenden  Machthaber 
unter  der  Form  des  Konsulats  fortfahren  würden  die  Regierung 
zu  fuhren.^)  Es  wurde  also  in  Misenum  die  zweite  Periode  des 
Triumvirats  geordnet  auf  die  Zeit  vom  1.  Januar  37  bis  zum 
31.  Dezember  32,  also  auf  sechs,  nicht  auf  fünf  Jahre.  Octavian 
aber  nimmt,  was  er  Yom  J.  32  an  bis  zum  Schlufs  des  aktischen 
Kriegs  gethan,  auf  Rechnung  des  ihm  übertragenen  Kriegs- 
kommandos und  zählt  so  für  die  Zeit  des  wirklich  geführten 
Triumvirats  nicht  elf,  sondern  zehn  Jahre.  In  die  Angaben 
unserer  sonstigen  Quellen  aber  ist  teils  hiedurch  teils  durch  die 
angenaue  Kenntnis  der  Verabredungen  von  Misenum  Verwirrung 
gekommen.^)  Diese  Verabredungen  müssen  aber,  schon  wegen 
des  Neuen,  das  sich  mit  der  Einbeziehung  des  S.  Pompejus  ergab, 
auch  die  Form  der  Gesetzgebung  durchgemacht  haben.*)   Im  J.  37 

1)  App.  6,  73  (nach  den  Angaben  fÖr  die  Jahre  34—32):  üx  av^t^ 
*Art(ovi6y  te  xal  Kaiaaqa  tqIxov  di}  tote  fiiHovrag  vnatBvasiv  xal  ilTciio- 
luvovg  TÖt«  xal  dnodmösiv  x^  6ri^  xr^  xoUxeücv, 

2)  Es  genügte  hiefClr,  daÜB  in  der  Hanptqaelle,  welcher  Dio  und  Appian 
folgten,  der  Vertrag  von  Misenum  in  der  angegebenen  Beziehung  ungenau 
dargestellt  war;  dann  war  man  fclr  das  übrige  auf  Kombinationen  ange- 
wiesen. In  eigentümlicher  Weise  ungenau  ist  Tacitus  ann.  1,  2,  Octavian 
habe  erst  tfOerfedo  Antonio  den  Triumviratstitel  aufgegeben. 

8)  Wenn  Octavian  sich  auf  Münzen  und  Inschriften  III  vir  r.  p,  c. 
üerum  nennt,  Antonius  dagegen  die  Iteration  unterläfst  (vgl.  Mommsen, 
Str.  3,  697  f.),  so  liegt  darin  wohl,  dafs  Antonius  nicht  für  nötig  erachtete, 
den  in  der  Iterationsziffer  liegenden  Akt  einer  neuen  gesetzlichen  Über- 
tragung zum  Ausdruck  zu  bringen,  nicht  aber,  dafs  ein  solcher  nicht  statt- 
gefunden habe  und  von  Octavian  nur  fingiert  worden  sei.  Vielmehr  ist  hier 
des  letzteren  ausdrückliche  Angabe  der  Iteration  maisgebend  für  die  Er- 
kenntnis des  Thatsächlichen.    Hinsichtlich  des  S.  Pompejus  ist  bemerkens- 

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-     96     - 

beim  Vertrag  von  Tarent  mag  das  Abkommen  über  den  Termin 
aufs  neue  besprochen  und  die  im  J.  39  beschlossene  Frist  aus- 
drücklich festgehalten  worden  sein;  diese  nahm  sich  von  hier 
aus  dann  allerdings  aus  wie  ein  weiteres  Quinquennium^  bedurfte 
auch  nicht  einer  nochmaligen^  Bestätigung.^) 
Manxrecht.  Das  Münzrccht  liefsen  die  TriumYim  dem  Senat  nicht  nur 

so,  wie  er  es  vorher  gehabt^  sondern  derselbe  durfte  durch  seine 
Münzbeamten  auch  Goldmünzen  ausprägen  lassen.  Dabei  nahmen 
sie  aber  allerdings  für  sich  in  Anspruch,  dafs  auch  ihr  Bild  und 
Name,  wie  dies  bei  Cäsar  der  Fall  gewesen  (ob.  S.  31),  auf  den 
Senatsmünzen  stehe.  Nicht  minder  natürlich  liefsen  sie  auf  die- 
jenigen Münzen,  welche  sie  nach  dem  Recht  des  ihnen  zustehen- 
den Provinzialkommandos  selbständig  prägen  liefsen,  ihre  Bilder 
setzen,  ein  Verfahren,  das  ja  übrigens  selbst  die  Gäsarmörder 
sich  gestattet  hatten.^ 
Allgemeine  Go-  3.  Die  im  Vorstehenden  erörterten  Punkte  machen  den  recht- 
lich iixierbaren  Gharakter  der  Gewalt  der  Triumvim  aus,  wie  er 
die  ganze  Zeit  ihrer  Ausübung  hindurch  gefafst  wurde,  wobei 
freilich  das  Recht  eben  nur  in  der  Formulierung  bestand,  wah- 
rend der  Gehalt  der  eines  Willkürregiments  war,  welches  nur  in 

wert»  dafs  zwar  Appian  6,  72  sagt,  man  habe  ihm  seine  Provinzen  in  Mi- 
sennm  bewilligt,  iqt'  ocav  tmv  ixiqmv  &q%oiBv  'AvtmvUg  ts  %al  Kaüc^ 
dagegen  Dio  60,  4  angiebt,  er  habe  von  dem  Vertrag  ab  sollen  aQxnw  Id 
nivtB  itrj.  Letzteres  ist  das  richtigere ;  denn  es  stimmt  damit,  dafe  für  das 
Jahr  nach  Ablauf  dieser  fünf  Jahre,  d.  h.  für  83  ihm  das  Konsulat  bestimmt 
war,  in  ähnlicher  Weise,  wie  sie  fär  sich  nach  Ablauf  der  Zeit  ihres  Trium- 
virats sich  das  Konsulat  vorbehielten.  Den  S.  Pompejus  ganz  sich  gleich- 
stellen wollten  sie  sicher  nicht. 

1)  Daher  denn  die  Angabe  bei  App.  6,  96  (8. 98  A.  4).  Obige  Darstellung 
weicht  ab  wie  in  den  angegebenen  Beziehungen  von  Mommsen,  Str.  2,  697  f^ 
80  auch  Yon  Borghesi,  der  oeuvr.  2,  261  ff.  von  unrichtig  gedeutetem  Mfinx- 
Zeugnis  aus  eine  Iteration  schon  für  das  J.  88  annimmt,  femer  yon  Zumpt, 
commeni  epigr.  1,  16  ff.,  der  ein  zweites  Quinquennium  im  Vertrag  tod 
Misenum  und  eine  Verlängerung  des  letzteren  im  Vertrag  von  Tarent  auf- 
stellt, endlich  von  Lange  8,  666—672,  der  in  Misenum  eine  Verlängerung  Aber 
88  hinaus  nur  geplant  und  erst  nach  dem  Vertrag  von  Tarent  festgemacht 
und  legalisiert  werden  läfst. 

2)  Über  die  Prilgung  des  Senats,  die  sich  durch  die  Namen  der  hanpt- 
siAdtischen  Münzmeister  kennzeichnet,  vgl.  Mommsen,  r.  Mfiuzw.  S.  7411; 
über  die  Münzen  des  Brutus  und  Cassius  ob.  S.  86  A.  1.  Die  Prftgung 
vermöge  des  Feldhermrechts  ist,  wie  die  des  Senats  durch  die  Münzmeister, 
durch  die  Namen  der  vom  Feldherm  Bevollmächtigten  beieichnet.  Die 
Beispiele  für  dies  alles  bei  Cohen,  m^.  imp.  1,  24  ff. 

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--     97     -- 

der 'Rivalität  der  Machthaber  eine  Schranke  fand.^)  Daneben 
existierte  aber  die  Republik  immerhin  noch  insoweit,  als  sie 
nominell  nach  dem  Ablauf  der  zeitlich  fixierten  Gewalt  wieder 
eintreten  sollte  und  als  in  dem  Kampf  der  Rivalen  jeder  sich 
der  Ankündigung  einer  Wiederherstellung  derselben  als  eines  Kampf- 
mittels bedienen  konnte.^  Die  wandelbaren  und  von  der  je- 
weiligen Konstellation  abhängigen  Seiten  betrafen  die  Verteilung 
der  Provinzen  und  Heere,  die  Personalfragen  der  Magistraturen 
und  Nebenpunkte  momentaner*  Bedeutung;  ihre  Erledigung,  sowie 
die  Behauptung  der  neuen  Gewalt  gegen  die  Cäsarmörder,  gegen 
innere  Unruhen,  gegen  S.  Pompejus,  die  Art,  wie  die  einzelnen 
Machthaber  in  ihrem  Gebiete  verfuhren,  macht  die  Geschichte  des 
Triumvirats  aus. 

Das  Bild  des  römischen  Reichs,  mit  welchem  diese  Geschichte 
anhebt,  ist  ein  ungemein  düsteres^  kein  Teil  des  Gebiets  und 
keine  Schichte  der  Bevölkerung  blieb  unberührt  von  dem  Elend 
dieser  Zeit  Von  dem  Augenblick  an,  in  welchem  die  Schergen 
der  Triumvim  sich  auf  die  Opfer  der  Proskription  stürzten,  zum 
Hohn  der  tribunicischen  Unverletzlichkeit  den  Anfang  machend 
mit  dem  Volkstribunen  Salvius'),  bis  zu  den  Exekutionen,  welche 
auf  die  Schlacht  bei  Philippi  folgten,  war  die  römische  Aristo- 
kratie und  was  mit  ihr  zusammenhing  unter  einer  Schreckens- 
herrechafl^  welche,  obgleich  der  Ursache  nach  ganz  verschieden, 
doch  in  ihren  Wirkungen  verglichen  werden  kann  mit  den 
Schrecken  der  französischen  Revolution';  die  Versorgung  der  Vete- 
ranen mit  Land  und  Geld  hob  in  ganz  Italien  die  Sicherheit  des 
Besitzes  auf^);  denn  die  Expropriationen,  die  man  sich  m^st 
ohne  Entschädigung  gefallen  lassen  mufste,  verbreiteten  sich  mA- 
kürlidi  über  die  ganze  Halbinsel  und  nur  persönliche  Gunst^  die 
ebe  Gemeinde  oder  einzelne  bei  den  Triumvim  fanden,  konnte 
vor  Beraubung  schützen.    Die  zur  Geldversorgung  der  Veteranen 


1)  Die  47,  16:  cvvel6vti  flnstv  nal  taHa  navta  onmq  nox\  %al  iS6ii€i 
<nnoig  ixQaaöov'  tav  fihv  yäg  iniiiXi^asoiv  xmv  ifCKp^ovmv  %al  dia  xovto 
T^ataXv^iiacäv  ovn  aininon\coLvto  ^  xä  dh  dij  nqdyfiaxa  ngog  xb  x6  ßovljifia 
xal  UQog  x6  iv^iir}fia  x6  iavxav  di^yov^  maxe  x(fV66v  xrjv  xoü  Kalaaqo% 

2)  Wie  im  J.  41  L.  Antonins,  im  J.  86  Octa^ian,  im  J.  32  M.  Antonius 
(>.  unt.). 

8)  Vgl.  die  draetiBche  Schilderung  bei  Appian  4,  17. 
4)  Dio  47,   14;  48,  6.    App.  6,  12  f.  und  die  bekannten,  den  Vergil 
(EcL  1,  1)  und  Horaz  (epist.  2,  2,  50)  betreffenden  Vorgänge. 

Hersog,  d.  rftm.  SUaUverf.  IL  1.  73igitized  by  VjOOQIC 


-     98     - 

nötigen  Summen  wurden  in  den  Provinzen  erhoben,  und  'diese 
hatten  aufserdem  noch  die  Eriegskosten  zu  bestreiten^  und  zwar 
die  östlichen  Provinzen  zuerst  mit  zehnjährigem  Steuerbetrag  für 
die  Gäsarmörder  und  darauf  mit  neunjährigem  für  ihre  Besieger. ^) 
Dazu  kam  Jahre  lange  Bedrängung  Italiens  durch  S.  Pompejos, 
den  Herrn  des  Meeres  und  der  Küste,  der  nicht  blofs  diese  un- 
sicher machte,  sondern  auch  mit  Abschneidung  der  Getreide- 
zufuhr der  Hauptstadt  das  tägliche  Brot  gefährdete.  Der  grofste 
Teil  des  Reichs  glich  Jahre  hindurch  einem  Kriegslager,  Syrien 
war  fortwährend  in  Kriegszustand  zuerst  in  Zusammenhang  mit 
den  Bürgerkriegen,  dann  im  Kampf  mit  den  Parthem,  die  in 
einem  versprengten  Pompejaner,  dem  jüngeren  Labienus,  einen 
Führer  gegen  die  Römer  gefunden,  Italien  selbst,  während  des 
perusinischen  Kriegs  auch  im  Innern  Kriegsschauplatz,  bildete 
während  dieser  ganzen  Zeit  den  Boden  für  die  Aushebungen.  Die 
Bevölkerung  der  Hauptstadt  wurde  durch  die  bewaffnete  Macht 
niedergehalten,  aber  zu  wiederholten  Malen  war  sie  in  erregter 
Stimmung,  und  es  kam  zu  offenem  Kampf.  Politisch  spielte  sie 
sonst  freilich  keine  Rolle,  an  ihre  Stelle  waren  die  Legionen 
getreten,  deren  gemeinsame  Interessen  das  Triumvirat  wesentlich 
mit  geschaffen  hatten  und  die  fortwährend  für  die  Aufrecht- 
erhaltung der  Einigkeit  den  Ausschlag  gaben.  Aber  in  der  zweiten 
Periode  bessern  sich,  wenigstens  überall  wo  Octavian  Herr  war,  die 
Zustände  merklich.  Die  positiven  Ziele,  welche  er  verfolgt,  ver- 
langen eine  Politik  der  Schonung,  die  Reste  der  geächteten 
früheren  Aristokratie,  denen  S.  Pompejus  eine  Zuflucht  gewährt 
hatte,  kehren  schon  nach  dem  Vertrag  von  Misenum  zurück,  die 
Verhältnisse  Italiens  konsolidieren  sich  allmählich  und  zwischen 
Antonius  und  Octavian  hat  sich  die  Lage  so  gestaltet,  dafs  der 
schliefsliche  Kampf  auf  wenige  Teile  des  Reichs  sich  beschrankt 
und  rasch  zu  Ende  geführt  wird. 
Der  Kampf  4.  Seiucu  äufscren  Bestand  hatte  das  Triumvirat  zuerst  gegen- 

nnd^?as8hC"undüber  dcu  zur  Zeit  seiner  Gründung   den  Osten    beherrschenden 
^^'^^  PhiiiiI?i.^'*''Cäsarmördem  zu  bewähren.^)     Die  Führung  des  Kriegs  war  in 


1)  App.  4,  74:  (Cassius)  inircctxs  —  %al  tofg  aXXoig  ^^büi  trjg  'Acücg 
anaai  tpogovg  izAp  dina  avfi^psQSiv.  6,  5  (Antonius  sagt):  a  idott  totg  Vf^' 
Tc^otc  ix'&'QoCg  iv  hsci  Svo,  ravta  laßsCv  dgniosi  —  all'  ivl  Ir«*.  C.  6: 
tiXog  naQa%aXovvtsg  itvxov  hvia  ixmv  tpoqovg  icsvefnsCv  hsci  Svo, 

2)  Die  Quellen  für  die  fortlaufende  Geschichte  des  Triumvirats  sind 
dieselben  wie  bisher  Velleius,  Appian,  Dio,  Plutarch  und  die  Epitomatoren; 

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-     99     - 

Bononia  dem  Antonius  und  Octavian  zugewiesen  worden,  während 
Lepidus  als  Konsul  in  Rom  blieb.  ^)  Dafs  es  ein  Kampf  auf  Tod 
und  Leben  war,  darüber  war  man  auf  keiner  Seite  im  Zweifel, 
die  Verurteilungen  durch  das  Gerfcht  des  pedischen  Gesetzes  und 
die  Proskriptionen  beantwortete  Brutus  durch  die  Einrichtung  des 
in  seinen  Händen  befindlichen  C.  Antonius,  und  in  strengster 
Aufbietung  aller  Kräfte,  von  Mannschaft  und  Geld  blieben  die 
republikanischen  Führer  hinter  ihren  Gegnern  nicht  zurück.  Der 
Sieg  war  nach  der  beiderseitigen  Macht  nicht  zum  voraus  sicher, 
aber  an  Raschheit  des  Handelns,  einsichtiger  Leitung  der  Ope- 
rationen und  Energie  des  Vorgehens  war  Antonius  auch  dem 
Cassius  überlegen,  und  zwischen  jenem  und  Octavian  bestand  ein 
richtigeres  Zusammenwirken  als  zwischen  Brutus  und  Cassius; 
endlich  war  in  den  Heeren  der  Triumvim  die  italische  Bürger- 
schaft mehr  vertreten  als  in  dem  der  Republikaner.  So  hing 
denn  das  Unterliegen  der  republikanischen  Sache  nicht  blofs  au 
dem  zuföUigen  Ausgang  der  zwei  Schlachttage  bei  Philippi,  son- 
dern wesentlich  mit  an  denselben  Fehlem,  welche  das  Vorgehen 
der  Republikaner  seit  der  Ermordung  Cäsars  bezeichnet  hatten: 
es  geht  im  Gegensatz  gegen  die  Illusionen  Ciceros  durch  ihr 
ganzes  Auftreten  neben  all  dem  kriegerischen  Treiben  eine  Stim- 
mung der  Resignation  her,  die  keinen  Erfolg  mehr  hoffen  mag 
und  dann  auch  nach  dem  ersten  gröfseren  Milserfolg  das  eigene 
Leben  und  die  Sache,  für  die  man  die  Welt  in  Bewegung  gesetzt 
hat,  wegwirft.  Der  Ausgang  des  Kampfs  in  Makedonien  drückte 
nur  das  Siegel  auf  das,  was  schon  mit  Gründung  des  Triumvirats 
entschieden  war  und  bildet  so  diesem  gegenüber  keinen  hervor- 
ragenden Wendepunkt  mehr.  Wiederum  wurde  mit  gröfster 
Strenge  unter  den  Gegnern  aufgeräumt,  aber  es  gelang  immerhin 
nicht  wenigen,  sich  direkt  oder  auf  Umwegen  zu  S.  Pompejus 
zu  flüchten.'  Unter  den  Siegern  selbst  aber  mufste  die  Teilung 
des  Gewinns  zu  neuer  Vereinbarung  führen,  bei  der  nun  auch 
die  ostlichen  Provinzen  in  Betracht  zu  ziehen  waren.    Nach  dem 


sie  geben  ein  genügend  vollständiges  Bild  nnd  sind,  abgesehen  von  der 
Chronologie  des  Triumvirats,  im  Wesentlichen  übereinstimmend  und,  zumal 
Appian,  auch  im  Detail  zuverlässig,  so  dafs  nur  vereinzelt  Kontroversen 
entstehen  oder  Kombination  nötig  ist.  Auch  die  Motive  liegen  bei  Appian 
^d  Dio  zuweilen  einfacher  und  natürlicher  vor  als  in  manchen  neueren 
Darstellungen. 

1)  Appian  4,  2.     Dio  46,  65. 

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--     100    — 

Vertrag  von  Bononia  war  im  Anschlufs  an  die  unmittelbar  vorher 
eingenommenen  Positionen  dem  Antonius  das  neugewonnene  und 
das  cisalpinische  Gallien^  deni  Lepidus  das  narbonensische  und 
ganz  Spanien,  dem  Octavian  Afrika,  Sicilien,  Sardinien  mit  den 
übrigen  Inseln  dieses  Teils  des  Mittelmeers  zugewiesen  worden. 
Für  die  neue  Vereinbarung  war  die  Grundlage  dadurch  geändert, 
dafs  Lepidus  bei  den  beiden  andern  in  den  Verdacht  einer  Ver- 
bindung mit  S.  Pompejus  gekommen  war;  nicht  blofs  wurde  er 
deshalb  von  der  Mitwirkung  beim  Vertragsschluls  ausgeschlossen, 
sondern  auch  in  passiver  Weise  nur  für  den  Fall  seiner  Recht- 
fertigung berücksichtigt  und  auch  dann  in  untergeordneter  Weise; 
andrerseits  blieb  insofern  die  Basis  dieselbe,  als  über  den  Osten 
noch  nicht  als  über  einen  Besitz  verfügt  wurde,  sondern  wie 
Ober  eine  noch  zu  lösende  Aufgabe  der  Kriegführung,  womit 
freilich  das  weitere  gegeben  war:  es  fiel  dies  dem  Antonius  zn, 
während  Octavian  die  Ansiedlung  der  Veteranen  in  Italien  aus- 
fuhren sollte.  Demgemäfs  wurde  der  feste  Besitzstand  an  Pro- 
vinzgebieten wieder  allen  Beteiligten  im  Westen  angewiesen  in 
der  Weise,  dafs  von  den  Provinzen  des  Lepidus  das  narbonen- 
sische  Gallien  dem  Antonius,  Spanien  dem  Octavian  gehören, 
dagegen  das  cisalpinische  Gallien  als  Provinz  aufgehoben  und  mit 
Italien  verbunden  werden  sollte;  von  Afrika  sollte  Octavian  nur 
die  neunumidische  Provinz  behalten  und  dem  Antonius  das  alte 
Afrika  abtreten.  So  wurde  in  der  Hoffnung,  dafs  man  sich  des 
Lepidus  entledigen  könnte,  auf  diesen  zunächst  gar  keine  Rück- 
sicht genommen,  im  übrigen  es  dem  Octavian  anheimgegeben, 
mit  ihm  sich  auseinanderzusetzen,  wie  diesem  auch  die  Bekäm- 
pfung des  S.  Pompejus  zufiel.^)  Über  alle  diese  Punkte  wurde 
ein  schriftlicher  Vertrag  zwischen  den  Zweien  aufgesetzt*);  doch 
war  es  eben  nur  ein  Vertrag  zwischen  ihnen,  dem  keine  Sanktio- 
nierung durch  einen  Staatsakt  folgte. 
Der  penisinischo  5.  Die  Aufgabc  Octaviaus  war  in  jeder  Beziehung  die 
Vortrag  von' schwierigere,  sie  war  aber  zugleich,  wenn  sie  gelang,  die  dank- 
barere,, weil  sie  ihren  Schauplatz  in  Rom  und  Italien,  überhaupt 
im  Westen  hatte.  Als  aber  Octavian  zu  Anfang  41  nach  Rom 
kam,  fand  er  alle  die  Schwierigkeiten,  die  er  voraussehen  konnte, 

1)  App.  6,  3.     Dio  48,  1  f. 

2)  Dio  48 1  2:  tavd"'  ovt<o  xara  fi^vag  cvvd'iiisvoi  %al  yQci'tpavtsg  wil 
ncetacTiiirivafievoi  xa  re  ygafifuitna  dXXriXoig  avxidocaVy  tv  av  ti  xu^aßtt^^ 
i^  avtciv  ^Isyxd^. 

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-     101       - 

dadurch;  dafs  andere  die  durch  die  Lacndan Weisungen^);  die  Geld- 
beschaffung und  durch  S.  Pompejus  herbeigeführte  Not  gegen 
ihn  ausbeuteten^  zu  einer  grofsen  Gefahr  zusammengeh'auft.  Fulvia^ 
in  ihrer  Stellung  als  Gemahlin  des  Antonius,  Schwiegermutter 
Octavians  imd  Schwägerin  des  eben  ins  Amt  getretenen  Konsuls 
L.  Antonius,  wollte  mit  letzterem  die  Gewalt  führen,  und  L.  An- 
tonius selbst  spielte,  um  diese  Absichten  zu  fordern,  ihm  gegen- 
über die  Rolle  eines  liberalen  der  Wiederherstellung  der  Republik 
zugeneigten  Politikers.  Unter  diesen  Umständen  fand  es  Octavian 
für  gut,  den  Lepidus  nicht  schuldig  zu  finden,  und  dieser  kam 
solcher  Auffassung  durch  Fügsamkeit  entgegen.  Jetzt,  wie  später, 
mulsten  Erwägungen  mancherlei  Art  den  Lepidus  in  seiner  Teil- 
nahme am  Triumvirat  schützen:  so  lange  noch  ein  vierter  da 
war,  der  sich  lästig  genug  machte,  war  die  Möglichkeit  vor- 
handen, dafs,  was  man  dem  Lepidus  vorgeworfen,  wirklich  ge- 
schah, d.  h.  dafs  der  dritte  sich  mit  seinen  Mitteln  an  Geld  und 
Truppen  dem  vierten  anschlofs;  aufserdem  aber  war  selbst  für 
das  Spiel  um  die  Macht  unter  den  zweien  die  Teilnahme  eines 
dritten,  so  lange  man  Friede  unter  sich  halten  wollte,  eine 
Förderung  dieses  Friedens  —  für  den  Fall  des  Kriegs  eine  Hilfe, 
mit  der  inzwischen  jeder  rechnen  konnte;  im  gegenwärtigen 
Augenblick  speziell  konnte  Octavian,  wenn  er  gegen  Lepidus 
entgegenkommend  verfahr,  einigen  Beistand  erhoffen.  So  trat 
er  ihm,  nachdem  er  sich  mit  ihm  auseinandergesetzt,  Afrika  ab; 
dafs  er  auf  diese  Provinz  beschränkt  blieb*)  und  in  die  gemein- 
samen Angelegenheiten  nicht  störend  eingriff,  dafür  sorgte  schon 
die  Natur  des  Mannes.  —  Der  Zwist  mit  Fulvia  aber,  von  deren 
Tochter  sich  Octavian  wieder  geschieden,  und  mit  L.  Antonius 
führte  im  Sommer  41  zum  sog.  perusinischen  Krieg,  indem 
L,  Antonius,  der  mit  den  Hilfsmitteln  Galliens  und  den  Truppen 

1)  Über  die  noch  nachweisbar  bei  diesen  Landanweisungen  beteiligten 
Städte  vgl.  Mommsen  in  Hermes  18,  169—172.  Dafs  nicht  blofs  die  ur- 
sprünglich dazu  bestimmten  18  oder  nach  Begnadigung  von  zweien  16  Städte, 
bondem  so  ziemlich  ganz  Italien  darunter  litt,  sagt  App.  5,  22. 

2)  Das  völlige  Zurücktreten  in  der  allgemeinen  Regierung  zeigen  auch 
die  Münzen;  vgl.  Mommsen  in  Sallet,  Zeitschr.  für  Numism.  2,  67:  ,J)ie 
Denare  der  Münzmeister  L.  Livineius  Regulus  und  L.  Mussidius  Longus 
des  Jahres  711  —  weisen  aliein  Münzen  mit  dem  Kopf  des  Lepidus  auf, 
welche  für  den  Anfang  des  Triumvirats  vortrefflich  passen,  wogegen,  nach- 
dem Lepidus'  wirkliche  Stellung  offenkundig  geworden  war,  niemals  weiter 
mit  seinem  Bildnis  geprägt  worden  i>t.*' 

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-     102     - 

der  Statthalter  seines  Bruders  den  Kampf  aufnehmen  wollte,  auf 
dem  Wege   nach  dem  Norden   nach   Perusia  gedrängt  und  da- 
selbst belagert  wurde.     L.  Antonius  mufste  sich  trotz  der  ihm 
geleisteten  Beihilfe  jener  Generale  seines  Bruders  zu  Anfang  40 
ergeben  und  wurde  durch  kluge  Schonung  unschädlich  gemacht 
Welch   losen   Charakter   aber   die   Verbindung   der   Machthaber 
hatte,  zeigte  sich  hier  in  schlagendem  Licht.     Der  Triumvir  An- 
tonius  sah  ruhig  zu,    wie   sein  Bruder  und  seine  Generale  mit 
seinem  Genossen  in  der  Regierung  Krieg  fährten,  nach  keiner 
Seite  einschreitend   und  schliefslich   auch  die  Entscheidung  über 
den    Bruder    dem   Octavian    überlassend.^)      Es    war   damit   die 
Praxis  eingeleitet,  dafs  jeder  in  seinem  Machtgebiet  herrsche  und 
es  lediglich  Sache  des  augenblicklichen  Interesses  war,  ob  der 
Genosse  sich  um  die  Vorgänge  nicht  etwa  blofs  im  Gebiet  des 
andern,    sondern    auch    in    dem    der    gemeinsamen    Interessen 
kümmerte.     Indessen  das  Interesse  des  M.  Antonius  selbst  ver- 
langte, auch  abgesehen  von  der  Aufforderung,  die  ihm  unmittel- 
bar nach  dem  Ausgang  des  Kriegs  in  Italien  durch  die  zu  ihm 
flüchtende  Fulvia  zukam,   nunmehr    doch   ein  Eingreifen  in  die 
italischen  Verhältnisse.     Er   hatte  nach  dem  Verschwinden  der 
Cäsarmörder    in    Asien    gegenüber    der    Bevölkerung    und    den 
Vasallenfürsten  leichtes  Spiel  gehabt,  es  handelte  sich  hier  nur 
noch  um  einen  Beute-  und  Rachezug,  wie  denn  auch,  was  in  den 
Verhältnissen  damals  etwa  neu  geordnet  wurde,  diesen  Charakter 
trägt,  nur  in  Syrien  drohte  ein  ernster  Krieg  mit  den  Parthern. 
Jener  Durchzug  durch  Asien  war  es  nun  aber,  der  ihn  in  Tarsus 
im  J.  41  in  die  verhängnisvolle  Verbindung  mit  Kleopatra  brachte. 
Sofort   machte   sich   dies   in   dem  Auftreten  gegen  die  Parther 
geltend.     Ihnen    gegenüber  galt  es,   entweder  nach  genügender 
Vorbereitung  die   Offensive    zu   ergreifen   oder   mit  vorsichtiger 
Politik  den  Ausbruch  des  Kriegs  abzuwenden*,  statt  dessen  vmrden 
von  Antonius  durch  leichtsinnige  Plünderung  der  reichen  Handels- 
stadt Palmyra  die  Parther  nach  Syrien  hereingezogen*),  und  dann 
der  Krieg  weder  von  ihm  selbst  geleitet,  vielmehr,  während  er  in 
Ägypten  blieb,  einer  untergeordneten  Persönlichkeit  überlassen, 
noch  war  daför  gesorgt,  dafs  im  Osten  selbst  genügende  Streit- 

1)  Dafs  er  über  das  Vorgehn  der  Fulvia  und  seines  Bruders  später 
seine  Mifsbilligmig  aussprach,  sagt  Appian  5,  52. 

2)  Appian  6,  9.     Palmyra   tritt  hier   zuerst   in   den   geschichtlichen 
Horizont. 

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.     -     103     - 

kräfte   für  einen  so  bedeutenden  Kampf  zur  Verfügung  standen. 
So  war  denn  eben^  als  Fulvia  die  Folgen  des  Konflikts  in  Italien 
ihm  nach  Griechenland  herüberbrachte ^   Antonius   darauf  ange- 
wiesen, im  Westen  Verstärkung  zu  suchen  und  sich  mit  den  da^ 
selbst    eingetretenen   Verhältnissen    persönlich    zu    beschäftigen. 
Dabei  konnte  er  aber,  was  vorgegangen  war,  nicht  einfach  igno- 
rieren und  ebensowenig  bei  Octävian  voraussetzen,  dafs  er  ihm 
in  Italien  keine  Schwierigkeiten  mache;  hatte  sich  doch  so  eben 
damit,  dafs  letzterer  die  bisher  unter  einem  General  des  Antonius, 
Calenus,  stehenden  Truppen  nach  dessen  Tode  an  sich  gezogen, 
ein   neuer  Streitpunkt  ergeben.     Er   nahm   also  einen  Konflikt 
mit  Octävian  in  Aussicht,  und  da  Lepidus,  der  eben  im  J.  40 
nach  Afrika  gegangen  war,   ihm  wohl  eine  schwache  Stütze  zu 
sein  schien,  so  kam  er  darauf,  mit  S.  Pompejus  Verbindung  an- 
zuknüpfen: er  hoffte  so,  da  inzwischen  der  frühere  Kommandant 
der  Flotte  der  Cäsarmörder,  Domitius  Aheuobarbus,  mit  seinen 
Schiffen   zu   ihm   übergegangen   war,    von   der   nun  gesicherten 
Beherrschung  des  Meeres  aus  die  Fehde  mit  Octävian  aufnehmen 
zu  können.     Der  Kampf  begann  in  der  That  bei  Brundisium, 
als  Antonius  im   Frühjahr  40   mit   der   Flotte   unter  Domitius 
vor  diesen  Hafen  kam  und  den  Zugang  versperrt  fand.    Allein, 
obgleich  auch  Pompejus  durch  Besetzung  von  Küstenorten  mit 
in  den  Kampf  eintrat,  kam  es  doch  bald  einerseits  durch  diplo- 
matische Geschicklichkeit,  andrerseits  durch  das  energische  Drängen 
der  beiderseitigen  Legionen  zur  Wiederherstellung  der  alten  Ver- 
bindung,  wobei  die  Lage  nicht  wenig  erleichtert  wurde   durch 
den  Tod  der  Fulvia.     Die  diplomatischen  Unterhandlungen  gingen 
aus  von  dem  Lager  des  Octävian,  und  nachdem  ein  zur  Wieder- 
herstellung   freundlicher    Beziehungen    geeigneter    Unterhändler, 
Coccejus  Nerva,  aus  der  Umgebung  Octavians,   aber  als   beider 
Triumvirn  Freund  bezeichnet,  die  ersten  Schritte  eingeleitet  und 
eine  durch  Frauen  vermittelte  Korrespondenz  weitere  Grundlagen 
gelegt  hatte,  kam  es  in  Brundisium  im  Verlauf  des  Sommers  40 
durch  Kommissäre,   neben   C.   Nerva   von   Seiten   des    Octävian 
Mäcenas,  von  Seiten  des  Antonius  Asinius  Pollio,  zu  Verhand- 
lungen, die  unterstützt  durch  die  Haltung  der  Heere,  vor  allem 
aber  unter    dem   Drang   der   Verhältnisse   zu  einem   günstigen 
ßesultat  führten^):  denn,  wenn  gleich  Antonius  hoffen  konnte. 


1)  App.  6,  60  ff.  in  auBführlicher,  Dio  48,  28  in  kurzer  Darstellung. 

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-     104     -     • 

mit   Pompejus   dem  Octavian    überlegen    zu   sein,   ein    Yollstän- 
diger  Sieg   war   doch   keineswegs    sicher^  bei   längerem  Aufge- 
haltensein mit  den  westlichen  Verhältnissen  aber  auch  das,  was  er 
im  Osten   sich  bereiten    wollte,   gefährdet;   Octavian   seinerseits 
konnte   bei   vorläufiger   Fortsetzung  der   bisherigen  Verbindung 
für  die  Zukunft  nur  gewinnen.     Wiederum  wurde  Lepidus  zum 
Mitverhandeln  nicht  beigezogen ,  dagegen  in  dem,  was  er  hatte, 
belassen   und   während   er  es  bisher  durch   Octavians  einseitige 
Bewilligung  besessen,  wurde  es  nun  von  beiden  Grenossen  an- 
erkannt.    Den  S.  Pompejus  in  irgend  einer  Weise   beizuziehen, 
wenigstens  zu  einem  friedlichen  Verhältnis  mit  ihm  zu  kommen, 
war  das  Bestreben  des  Antonius,  der  ja  eben  vorher  ihn  an  seine 
Seite  gezogen;  jedoch  Octavian  verweigerte  hier  jede  Konzession. 
Unter  den  zwei  leitenden  Genossen  selbst  aber  wurde  nun  zuerst 
deutlich  Ost  und  West  geschieden,  indem  was  westlich  von  der 
Linie  liege,  die  durch  die  illyrische  Stadt  Skodra  (Skutari)  ging, 
dem    Octavian,    was    östlich,    dem    Antonius    unterstehen    sollte. 
Jener    hatte   zu   sehen,    wie    er   mit  S.  Pompejus  fertig  würde, 
dieser  sollte  den  Partherkrieg  führen,  und  um  bei  letzterem  den 
schlimmen  Charakter  der  Defensive,  den  die  letzten   Vorgänge 
ihm    aufgedrückt,   nicht   zum  Ausdruck   zu    bringen,   wurde   als 
Zweck    die   Rache   fiir  die   Niederlage   des   Crassus   angegeben. 
Auch  jetzt  noch  sollte  die  Zentralregierung,  wie  bisher,  gemein- 
sam  gedacht    sein,   und    gerade   unmittelbar  nachher  wurde  sie 
persönlich  so  in  Rom   ausgeübt,   es   sollte  Italien   gemeinsames 
Aushebungsgebiet  bleiben   —   dies  hatte  ja  wesentlich  mit  den 
Antonius   hergeführt;   aber   dennoch    war   diese  Teilung    in   Ost 
und  West  epochemachend,  schnitt  zum  ersten  Male,   seitdem  die 
römische  Republik  ihre  Herrschaft  über  das  jonische  Meer  hin- 
übergetragen, bei  Abgrenzung  von  Machtgebieteu  zwischen  den 
zwei  Kulturgebieten  durch  und  bereitete  jedenfalls  für   die  vor- ' 
liegenden   Verhältnisse    in    demselben    Augenblick,    in    dem    sie 
Frieden   stiften   sollte,  die   Lösung   der  Koalition   vor.    —    Der 
Friede  wurde  besiegelt  durch  die  Vermählung  des  Antonius  mit 
der  eben  verwitweten  Octavia,  Octavians  Schwester,  eine  Bürg- 
schaft, welche,   wie  bei  ähnlichen  früheren  Gelegenheiten,  von 
den  Heeren  vor  allem  als  besonders  kräftig  begrüfst  wurde. 
Die  Umgebung  6.    Dic   ueucu   DispositioDcn    veranlafsten    nun    vor    allem 

a  «r.^^^j^   ^^^^  Verfügungen   über   die   Kommandostellen,   zum  Teil 
auch  über  die  Magistraturen,  und  überhaupt  treten  nun,  da  es 

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—     105     - 

sich  nicht  hlofs  um  militärische  Posten,  sondern  auch  um  poli- 
tische Funktionen  im  Rahmen  der  neugeschaffenen  Herrscher- 
gewalt handelte,  zum  ersten  Male  die  Persönlichkeiten,  welche 
den  Stab  der  Herrscher  bilden,  deutlicher  hervor.  Des  Diktators 
Cäsar  überlegener  Geist  hatte  aus  4,en  Legatenstellungen  heraus, 
die  den  aufserordentlichen  Gewalten  beigegeben  wurden,  auch 
auf  dem  politischen  Gebiet  seine  Umgebung  zu  persönlicher 
Abhängigkeit  gebracht;  aber  die  an  die  Selbständigkeit  der  alten 
Magistratur  gewöhnten  hatten  dies  nicht  ertragen,  und  mit 
Cäsars  Tode  kam  ohnedies  die  alte  Selbständigkeit  des  politischen 
Amts  wieder  zu  ihrem  Recht.  Mit  der  neuen  Herrscherstellung 
trat  wieder  naturgemäfs  die  Unterordnung  aller  andern  Stellungen 
unter  Regierende  ein,  die  städtische  Magistratur  hatte  ja  nur  die 
Bedeutung  einer  Belohnung  für  die  im  Felde  und  in  der  Um- 
gebung des  Herrn'  geleisteten  Dienste,  und  die  persönliche 
Stellung  der  diese  Dienste  leistenden  war  durchaus  die  der 
militärisch  Untergebenen.  Die  Proskriptionen  und  der  Bürger- 
krieg hatten  unter  denen  ^  die  solchen  Anforderungen  nicht  ent- 
sprechen wollten,  aufgeräumt,  und  wer  von  unabhängigen  noch 
übrig  war,  hatte  nur  noch  bei  S.  Pompejus  eine  Zuflucht,  freilich 
nur,  um  dort  einen  persönlich  geringeren  Herrn  und  die  Kon- 
kurrenz von  gewesenen  Sklaven  «u  finden.  Bei  dem  eigentüm- 
lichen Charakter  des  Triumvirats  mufsten  die,  welche  ihm  dienst- 
bar sein  wollten,  sich  an  die  Person  des  einen  oder  anderen 
anschliefsen^),  und  es  ist  von  Interesse  zu  bemerken,  wie  diese 
Scheidung  sich  vollzog.  Lepidus  war  so  vollständig  bei  Seite 
geschoben  und  persönlich  so  wenig  imponierend,  dafs  er  nur  auf 
Angehörige,  Subalterne  und  unter  den  höheren  Offizieren  auf 
solche  rechnen  konnte,  die  eben  nur  bei  ihm  ankamen  und 
aus  seinem  Reichtum  Nutzen  zogen.  ^)  Von  den  Zweien  aber, 
welche  die  Herrschaft  wirklich  führten,  hatte  offenbar  Antonius 
bis  jetzt  das  gröfsere  Zutrauen:  in  seinem  Stabe  waren  die  an- 
gesehensten der  alten  Cäsarianer,  ein  Asinius  Pollio,  Munatius 
Plancus,   P.   Ventidius,   ihm    schlofs  sich  der  geächtete  und   an 


1)  Vgl.  App.  6,  68:  6  Kaioag  tmv  'Avtanvlov  q>Ü.(ov  xal  (rr^aTcov  ooovg 
vvcMttfvs  9UnBii/«Bv  inl  ngotpaasasv  aXXovg  dlXaxov. 

2)  Octavian  hatte  ihm  aufserdem  unzuverlässige  Legionen  und  Offiziere 

nach  Afrika  mitgegeben.     App.  a.  a.  0.:  xal  AtniSov  ig  zriv  iip7i(piafiivi]v 

uvT<ß  Aißvriv  {^nsfunsv)  äyovtcc  zmv  *Avxtov(ov  xbX^v  tä  vnontoxata  ^'r\r\n\o 

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—     106     — 

der  Spitze  einer  Flotte  nicht  ungefährliche  Republikaner  Domitius 
Ahenobarbus  an,  ebenso  Ti.  Nero,  der  Gemahl  der  Livia^),  ja 
einer  der  tüchtigsten  Offiziere  des  Octavian,  mit  Agrippa  sein 
Genosse  von  Apoll  onia  her,  Q.  Salvidienus  Rufus,  hatte  eben  ge- 
legentlich des  letzten  Zwiespsdts  sich  zu  Antonius  hinüberschlagen 
wollen.  Es  war  offenbar,  dafs  Offiziere  wie  Soldaten  in  Antonius 
von  Cäsar  her,  dann  vollends  seit  den  Kämpfen  bei  Philippi  den 
besseren  Kriegsmann  sahen,  und  er  hatte  auch  bei  der  Teilung 
der  Provinzen  bis  jetzt  diejenigen  gehabt,  aus  denen  am  meisten 
Gewinn  und  Genufs  zu  holen  war,  Gallien  und  den  Ost^n,  während 
Octavian  sich  mit  den  Schwierigkeiten  der  noch  wenig  lohnen- 
den italischen  Aufgabe  hatte  herumschlagen  müssen;  auch  mochte 
es  den  älteren  schwer  fallen,  von  dem  jungen  Mann,  selbst  wenn 
er  den  Namen  Cäsars  führte,  Befehle  anzunehmen.  Aber  der 
junge  Cäsar  hatte  den  grofsen  Vorteil,  in  ^wei  neuen  Männern 
die  weitaus  tüchtigsten  Genossen  zu  haben^  den  von  frühester 
Jugend  an  vertrauten  M.  Vipsanius  Agrippa  und  den  eben  bei 
den  letzten  Verhandlungen  neben  Coccejus  die  erste  diplomatische 
Rolle  spielenden  0.  Mäcenas.^)  Agrippa  hatte  zum  ersten  Male 
im  perusinischen  Krieg  seine  militärische  Begabung  gezeigt,  war 
eben  im  J.  40  Prätor,  hatte  die  Verteidigung  Unteritaliens  gegen 
S.  Pompejus  geleitet,  und  schon  jetzt  konnte  man  sehen,  dafs  er 
vollständig  geeignet  war  zu  ersetzen,  was  dem  Octavian  an  mili- 
tärischer Fähigkeit  abging;  namentlich  aber  hatte  bei  ihm  wie 
bei  Mäcenas  dieser  die  überaus  wertvolle  Sicherheit  absoluter  Zu- 
verlässigkeit.^) Wann  und  wie  der  letztere,  der  aus  munizipaler 
Nobilität  stammend,  keine  Gelegenheit  gesucht  oder  gehabt  hatte, 


1)  Dio  48,  16. 

2)  Frandsen,  M.  Agrippa.  Altona  1836.  C.  Cilnina  Mäcenas,  1843, 
in  Disposition  und  Darstellung  umsind  lieh  and  altfränkisch,  aber  von 
tüchtiger  Stoff kenntnis  aus  und  mit  entschiedenem  Urteil.  Dafs  der  genaue 
Name  des  Mannes  C.  Maecenas  sei  und  Maecenas  etruskisches  Nomen, 
nicht  Cognomen,  weist  nach  Bormann,  ind.  lect.  aest.  Marb.  1883.  Derselbe 
vermutet,  dafs  das  Nomen  Cilnius,  das  ihm  an  einigen  Stellen  gegeben 
wird,  von  mütterlicher  Seite  hereingekommen  sei. 

3)  Wie  weit  dieses  Vertrauen  Octavians  ging,  zeigen  Plinius  nai. 
bist.  37,  10.  Dio  Öl,  3:  xoaavtriv  ys  inl  navxa  %al  t©  *Ayqinna  %al  xm 
MaiMTivcf.  i^ovaütv  ^dmusv^  maxe  atpäg  xal  xäg  iiticxoXagy  ag  xfj  xs  ßovt^ 
xal  xoCg  aXXoig  SygafpB  nqoav€iyvyvio6%Biv  %a%  xovxov  %al  fi^xayifdfpBW  o9a 
ißovXovxo'  xal  dia  xovxo  xal  datixvXvov  iXctßov  nag'  avxov,  tv'  imafpfftPf^ 
f^sa^ai  avras  ix<ociv. 

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—     107     - 

auf  dem  Wege  der  gewöhnlichen  Magistratur  zu  den  Staats- 
geschäften zugelassen  zu  werden,  dazu  kam^  in  nähere  Verbindung 
mit  Octavian  zu  treten^  wissen  wir  nicht;  wie  finden  ihn  sogleich 
bei  seinem  ersten  geschichtlichen  Auftreten  in  einer  diplomatischen 
Vertrauensmission  erster  Bedeutung.  In  jener  Zeit  des  Jahres  40, 
da  Verbindungen  zwischen  Antonius  und  S.  Pompejus  im  Werk 
waren,  sollte  dem  gegenüber  Pompejus  för  Octavian  gewonnen 
oder  wenigstens  unschädlich  gemacht  werden  durch  eine  Werbung 
für  letzteren  um  die  Hand  der  Scribonia,  einer  Schwester  von 
Pompejus'  Gemahlin.  Die  Aufgabe,  dies  zustande  zu  bringen, 
fiel  dem  Mäcenas  zu,  und  es  kam  auch  zu  der  Vermählung;  die 
politischen  Zwecke,  die  man  dabei  gehabt,  wurden  allerdings 
nicht  erreicht,  doch  dies  hing  von  Verhältnissen  ab,  die  kein 
Unterhändler  beseitigen  konnte.  Jetzt  nun,  bei  den  durch  Coccejus 
angeknüpften  Verhandlungen  in  Brundisium  war  Mäcenas  wieder 
der  bevollmächtigte  Kommissär  gewesen,  und  diesmal  mit  vollem 
Erfolg.  Diese  zwei  Männer  an  der  Seite  konnte  Octavian  es 
ruhig  mit  ansehen,  dafs  sein  Rivale  eine  höher  im  Rang  stehende 
Umgebung  hatte.  Eine  allgemeinere  Betrachtung  aber  wird  nicht 
verkennen,  dafs  der  Kontrast  zwischen  dem  beiderseitigen  Ver- 
halten eine  viel  tiefere  Bedeutung  als  die  des  augenblicklichen 
Vorteils  hatte:  Antonius  hatte  Männer  um  sich,  die  ihm  gesell- 
schaftlich nach  bisherigen  Anschauungen  gleichberechtigt  waren, 
deren  Stellung  sich  immer  noch  den  verfassungsmäfsigen  Be- 
dingungen der  Magistratur  anschlofs  und  die  nie  ganz  als  persön- 
lich Untergebene  behandelt  werden  konnten,  weil  sie  von  früher  her 
noch  den  Charakter  eines  Kriegsrats  oder  in  der  Politik  eines 
Konsiliums  des  obersten  Magistrats  hatten.  Bei  Agrippa  war 
der  Anschlufs  an  die  Magistratur  vorhanden,  aber  es  fehlte  die 
gesellschaftliche  Stellung,  Mäcenas  war  durchaus  persönlich  Unter- 
gebener, der  bevollmächtigte  Minister  eines  absoluten  Herrn. 
Damit  nahm  auch  die  Führung  der  Politik  einen  andern  Charakter 
an:  der  traditionellen  und  verfassungsmäfsigen  Politik  und  Diplo- 
matie, welche  von  den  Beratungen  des  Senats  ihren  Ausgang  zu 
nehmen  und  in  dem,  was  der  persönlichen  Handhabung  durch 
die  Beauftragten  zufällt,  ihre  Richtung  in  den  hergebrachten 
und  bewährten  Grundsätzen  zu  suchen  hat,  bleibt  jetzt  nur  noch 
das  untergeordnete  Gebiet  des  täglich  Anfallenden:  für  die  höheren 
Aufgaben  der  Staatsleitung  ist  die  geheime  Kabinetspolitik  er- 

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-     108     - 

s.  PompojuB  und  7.  Nach  dem  Abschlufs  des  Vertrags  begaben  sich  die  beiden 
Miscuuin.  Herrscher  nach  Rom^  um  von  dort  aus  das  Verabredete  in  Voll- 
zug zu  setzen^  und  es  ist  dies  der  einzige  Zeitabschnitt,  in  welchem 
sie  eine  einheitliche  Regierung  wenigstens  äufserlich  darstellen. 
Antonius  hatte  in  der  Wahl  des  Kommandanten  P.  Ventidias, 
den  er  an  seiner  Stelle  nach  Syrien  sandte^),  glückliche  Hand 
und  konnte  so  ohne  Gefahr  für  seine  dortigen  Interessen  zurück- 
bleiben, und  die  Vermählung  mit  Octavia,  sowie  die  Klugheit 
des  Octavian  und  seiner  Ratgeber  trug  dazu  bei,  das  Ein- 
vernehmen aufrecht  zu  erhalten.  In  Rom  selbst  aber  waren  die 
Verhältnisse  für  das  Triumvirat  ungünstig.  Alle  die  Übel,  welche 
Italien  bedrückten,  wurden  aufs  äufserste  gesteigert  durch  den 
Krieg  mit  Pompejus.  Es  war  nun  das  vierte  Jahr,  dafs  dieser 
mit  seiner  Flotte  Herr  des  westlichen  Meeres  war.  Als  man  ihn, 
während  er  noch  kraft  der  ihm  vom  Senat  kaum  erst  verliehenen 
legitimen  Gewalt  (ob.  S.  79)  mit  einer  Flotte  in  Massilien  war, 
im  J.  43  dem  pedischen  Gesetz  zufolge  geächtet,  hatte  man  ihn 
damit  auf  das  Meer  getrieben;  da  er  aber  für  seine  Seemacht 
einen  festen  Puukt  haben  mufste,  so  hatte  er  die  Inseln  in  der 
Nähe  von  Italien  zu  besetzen  gesucht  und  es  war  ihm  gelungen, 
den  günstigsten  Platz  für  eine  Beherrschung  der  See,  Sicilien^ 
zu  gewinnen,  und  von  da  aus  dann  zeitweilig  auch  in  Sardinien 
und  Korsika  sich  festzusetzen.  In  einer  Zeit,  in  welcher  Pro- 
skriptionen, Bürgerkrieg  und  gewaltsame  Expropriationen  zahl- 
lose Existenzen  aus  ihrer  Bahn  warfen  und  in  verzweifelte  Lage 
brachten,  war  es  ihm  leicht  genug  gewesen,  Zuzug  zu  ge- 
winnen und  da  er  auch  entlaufene  Sklaven  aufnahm,  so  hatte  er 
Meiischenmaterial  aller  Art  zur  Verfügung,  das  nur  die  Wahl 
hatte  für  ihn  zu  kämpfen  oder  in  die  Hände  unerbittlicher 
Feinde  zu  fallen.  Den  Unterhalt  für  diese  Streitmacht  lieferte 
neben  den  Hilfsmitteln  der  Inseln  die  Plünderung  der  Küsten- 
plätze Italiens    und  der   Seeraub.*)     Bei  der  Persönlichkeit   des 


1)  Appian  5,  65:  xal  svd'vg  ig  ta  ins^yovxa  tovg  tpilovg  i%ttxt(fog 
avtmv  nsQLin€(tnev,  OvsvxlSiov  ^ihv  sig  xriv  'Aaiav  *Avx(oviog\  unrichtig  lafet 
Plutarch  Anton,  c.  33  den  Ventidias  erst  nach  dem  Vertrag  von  Misenum 
abgeben;  vgl.  Bürcklein,  Quellen  und  Chronologie  der  römisch-parthischen 
Feldzüge  in  den  Jahren  713—718  d.  St.    Berlin  1879.     S.  61  f. 

2)  Aagnst  bezeichnet  deshalb  im  Mon.  Anc.  (tab.  lai  5, 1  f.)  diesen  Eaiupf 
als  Seeräuber-  nnd  Sklavenkrieg  und  giebt  hinsichtlich  der  Sklaven  Zahlen. 
(Marepacavi  a  pracdonihus.  Eo  hello  servortim,  qui  fugerant  a  dominis  suisä 

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~     109     - 

Pompejus^)  war  an  ein  Ziel  mit  bleibender  Machtstellung  im  Ernste 
nicht  zu  denken*,  dagegen  war  ein  Anschlufs  an  die  republikanische 
Macht  vollends  nach  Errichtung  des  Triumvirats  nahe  genug  ge- 
lten; aber  Pompejus  hatte  ihn  nicht  gesucht,  weil  es  ihm  eben 
an  allen  höheren  politischen  Gesichtspunkten  fehlte.  Nach  Ver- 
nichtung der  Republikaner  war  anzunehmen^  dafs  er  der  ver- 
einten Macht  der  Triumvim  nicht  gewachsen  sei,  allein  die  Ver- 
hältnisse waren  selbst  jetzt  noch  nicht  dazu  angethan,  ihn  diese 
vereinte  Macht  fühlen  zu  lassen,  und  in  Wirklichkeit  ergab  es 
sich  im  J.  40,  dafs  er  einen  Anziehungspunkt  für  den  einen 
Triumvim  gegen  den  andern  bildete.  Die  Not  aber,  die  er  über 
Italien  mit  seinen  Einfallen,  der  Verhinderung  der  Zufuhr,  der 
Entziehung  der  Sklaven,  endlich  nicht  zum  geringsten  durch  die 
Last  der  Kriegsführung  gegen  ihn  brachte,  hatte  die  Bevölkerung 
ItaUens  und  besonders  Roms  nicht  gegen  ihn  aufgebracht,  sondern 
gegen  seine  Gegner,  in  erster  Linie  gegen  Octavian,  von  dem  man 
wufste,  dafs  er  am  hartnäckigsten  gegen  Pompejus  war.*)  Die 
Stimmung  der  hauptstadtischen  Bevölkerung  führte  während  der 
Anwesenheit  der  beiden  Herrscher  zu  bedrohlichen  Unruhen,  und 
wenn  auch  Antonius  diese  mit  Gewalt  niederschlug,  so  war  doch 
eine  Gefahr  blofsgelßgt,  die  bei  der  damaligen  Lage  von  ganz 
Italien  ernst  zu  nehmen  war,  vollends,  da  es  eben  selbst  jetzt 
nicht  gelang,  dem  Pompejus  auch  nur  die  Küsten  der  Halbinsel 
za  verschliefsen.  So  ergriff  denn  Antonius,  der  schon  früher 
emem  Frieden  mit  Pompejus  nicht  abgeneigt  gewesen,  die  Ini- 
tiative, um  letzteren  zu  einer  Verständigung  mit  jenem  zu  bringen, 
und  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrs  39  kam  es  zu  einer 
personlichen  Zusammenkunft  zwischen  den  drei  Beteiligten.*) 
Das  Verlangen  des  Pompejus,  an  die  Stelle  des  Lepidus  im 
Triumvirat  zu  treten,  wurde  rund  abgeschlagen,  dagegen  gegen 
das   Versprechen    Frieden    zu    halten,    die    in  Italien    besetzten 


arwa  contra  rem  ptUflicam  ceperant^  triginta  fere  millia  capta  dominis  ad 
«•ppKcium  sufnendium  traditi.  Vgl.  Gros.  G,  18,  33:  triginta  milia  servorum 
<i(^'tnini8  restUuit,  sex  müia,  quorum  domini  non  extahant  in  crucem  egit,) 

1)  Vell.  2,  73:  adtdescena  erat  studiis  rudis,  sermone  barbartis,  impetu 
^renuus,  manu  promptus,  cogitcUione  celer,  fide  patri  dissimillimus,  libertorum 
»«onim  libertus  servorumque  servus,  speciosis  invidens,  ut  pareret  humüUmis. 
Seine  Biographie  bei  Drumann  4,  660  ff. 

2)  Bio  48,  31:  (in  der  Stadt)  iiQog  rov  £s^tov  inixUvav.    App.  6,  67  f. 

3)  App.  5,  68—73.     Dio  48,  36.  ^  . 

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-     110     - 

Punkte  zu  räumen^  keine  entlaufenen  Sklaven  mehr  aufzunelimeD, 
den  Verkehr  nicht  mehr  zu  belästigen,  und  selbst  zur  Getreide- 
versorgung  Roms  mitzuhelfen,  ihm  bewilligt,  Herr  der  Inseln  um 
Italien,  vor  allem  von  Sicilien,    Sardinien  und  Korsika  zu  seiB 
oder  vielmehr  zu  bleiben,  und  dazu  noch  den  Peloponnes  zu  er- 
halten und  für  den  Verlust  der  von  Antonius  genommenen  Güter 
seines  Vaters  mit  Geld  entschädigt  zu  werden.     Pompejus  hatte 
sich  bis  jetzt  für  seine  Gewalt  auf  den  Senatsbeschlufs  berufen, 
der  ihn  zum  Präfekten  der  Flotte  und  der  Küste  gemacht  hatte; 
möglich,  dafs  dieser  Titel  auch  jetzt  bleiben  sollte;  denn  er  ßhrt 
fort,  auf  seinen  Münzen  ihn  zu  führen,  und  wir  keimen  keinen 
andern;  doch  wäre  er  wohl  nur  beibehalten  worden,  um  nicht 
einen  andern  schöpfen  zu  müssen.^)     Die  Dauer  seiner  Gewalt 
wurde  auf  fünf  Jahre,  bis  zum  31.  Dez.  34,  bestimmt,  aber  nach 
Ablauf  der  fünf  Jahre,  also  für  das  Jahr  33  ihm  das  Konsulat 
vorbehalten,  auch  sollte  er  Augur  werden.     Da,  wie  wir  oben 
annahmen,   zu    gleicher  Zeit   die  Triumvirn  ihre  Gewalt  in  der 
Weise    neu   festsetzten,  dafs   sie   vom   1.  Jan.  37  an  auf  sechs 
weitere  Jahre  gelten  sollte,  so  blieb  das  Mafs  der  vertragsmäCsig 
dem  Pompejus  zuerkannten  Gewalt  innerhalb  der  Frist  des  Trium- 
virats.    Besonders   wichtig   aber  war   die   Begnadigung   der  zu 
Pompejus  Geflüchteten;  dafs  er  für  die  ihm  zugelaufenen  Sklaven 
die  Freiheit  verlangte  und  durchsetzte,  war  natürlich,  dies  konnte 
ihm  nicht  versagt  werden;  dagegen  war  die  Rückkehr  der  Ge- 
ächteten ihrer  Person  wegen,  wie  hinsichtlich  ihres  Besitzes  eine 
gewichtige  Frage;  es  entsprach  aber  der  Lage   der  Dinge,  dafs 
nicht  nur  die  ohne  Verurteilung  zu  ihm  Gekommenen  in  ihr  volles 
unbewegliches  Besitztum  wieder  eingesetzt  wurden,  sondern  auch 
die  durch  das  Edikt  von  43  Geächteten  wenigstens  in  ein  Vier- 
teil, während  die  Cäsarmörder  von  der  Begnadigung  ausgeschlossen 
blieben.     Die   Restituierten   sollten   für   Magistratur   und   Senat 
berücksichtigt  werden,  womit  zugleich  die  Interessen  des  Pom- 
pejus darin   vertreten   erschienen.     Hier   eben    kam  das  einzige 
positive   Interesse   zum   Ausdruck,   welches   Pompejus   vertreten 


1)  Den  Titel  eines  praefectus  ckissis  konnte  man  ihm  jedenfalls  nur 
in  dem  beschränkten  Sinn  der  von  ihm  geschaffenen  Flotte  zugestehen; 
za  dem  praef,  orae  marüinMC  stimmte  nicht,  dafs  er  alle  Punkte  der 
italischen  Küste  räumen  mufste,  und  die  Verleihung  ex  s.  c.  paTate  nicht  zu 
der  Stellung  des  Senats  unter  dem  Triumvirat,  wenn  darin  nicht  etwa  eine 
Beschränkung  gesehen  werden  wollte. 


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-    111   - 

hatte:  die  Erhaltung  der  bisher  unabhängigen  Reste  der  Aristo- 
kratie für  die  neuen  Zustände,  ein  Vorteil,  dem  nicht  geringer 
Wert  beizulegen  war  und  ein  Zugeständnis,  das  auch  mit  un- 
geheurer Freude  aufgenommen  wurde.  ^)  Für  ihn  selbst  war  es 
lediglich  ein  Schaden;  denn  die  Zurückgekehrten,  welche  den 
Charakter  ihres  bisherigen  Patrons  und  das  Treiben  der  frei- 
gelassenen Griechen,  deren  Seekunde  er  die  Erfolge  seiner  Flotte 
verdankte,  zur  Genüge  kennen  gelernt  hatten,  waren  nunmehr 
unschwer  in  ein  anderes  Lager  herüberzuziehen.  —  Da  Pompejus 
mit  den  ihm  überlassenen  Provinzen  nicht  in  ein  untergeordnetes 
Verhältnis  zu  den  Triumvirn  kam,  sondern  ein  selbständiges 
Kommando  neben  ihnen  haben  sollte,  so  wäre  es  nötig  gewesen, 
den  ihn  betreffenden  Teil  durch  einen  Akt  der  Gesetzgebung  be- 
stätigen zu  lassen,  und  unumgänglich  notwendig  war  dies,  wenn 
die  Triumvirn  zugleich  ihre  eigene  Gewalt  verlängerten.  Es  ist 
uns  aber  hierüber  nichts  berichtet,  sondern  nur,  dafs  die  Urkunde 
des  Vertrags  in  Rom  bei  den  Vestalinnen  niedergelegt  wurde*), 
ein  Akt,  der  natürlich  nicht  eine  Legalisierung  war,  sondern  nur 
eine  Garantieform  für  ein  Privatabkommen.  Dafs  auf  Grund 
des  Vertrags  die  Magistraturen  nun  bis  z.  J.  31  festgesetzt 
wurden^  und  zwar  in  einer  Weise,  dafs  dieselben  ihren  Charakter 
als  Verwaltungsstellen  beinahe  ganz  einbüfsten,  nur  Rangstufe 
und  den  Durchgang  zu  militärischen  Posten  geben  sollten,  wurde 


1)  Vgl.  die  Schilderung  Dio  48,  87. 

2)  App.  6,  73:  ig  tavta  avvißriüav  %al  xavxa  itvvsyQd'tf>avto  nal  iar^ 
f^iwavTo  xal  taig  h(faig  na^d'ivoig  <pvldaasiv  insfitpav  ig  *P(6fi/riv.  Dio  48, 
37:  tavta  filv  ovv  avv^'ifisvoi  %al  avyyQa^dftsvoi  td  ts  ygafifiatstd  tai^g 
tfQiüiig  taig  dsl  leaQ&ivoig  naganatid'evto  xal  (istd  tovto  ^e^idg  te  atpCoiv 
Idocav  xal  itpCXrjaav  aXX^Xovg.  —  Immerhin  ist  zu  beachten,  dals  wenigstens 
f&r  einen  Teil  der  Abmachung  die  Vorlegung  im  Senat  bezeugt  ist.  App. 
5,  131:  nal  avtoCg  (den  zu  Pompejus  geflüchteten  Sklaven)  triv  iXsv&'sgiav 
^xcft  ilofMTijtoff   (eben  bei  Misenum)    %al  rj  ßovXij   xal   at  avy^^xat  ds- 

8)  Dio  48,  86:  dip'  ovnsg  ital  dgxäg  aXlag  xb  in\  nXsüo  hrj  %al  tijv 
tmv  vndtav  ig  6%tm  oXa  ngo%at8atri6avto  tovg  (tsv  dfiSLßofisvoi  tmv 
«wßaga^ivoiv  ctpüri  tovg  dh  vnay6fievoi;  dagegen  App.  6,  73:  initprivav  91 
tili  imovarjg  vndtovg  ig  tstgastlg  'Avtdtviov  fi^v  %al  A^ßmva  ngdtovg 
dvT^%a^latdvtog  bito^iog  Uvtoaviov  ov  dv  ßovXoito.  Aus  der  Liste,  welche 
Appian  hat,  geht  hervor,  dafs  er  für  die  vier  Jahre,  die  er  angiebt,  die 
vier  letzten  des  von  Dio  gemeinten  achtjährigen  Zeitraums  meint,  beide 
also  dasselbe  Ziel,  das  Jahr  31  im  Auge  haben,  Appian  speziell  demnach 
DQr  berücksichtigt,  was  völlig  neu  verabredet  wurde. 

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-     112     - 

schon  oben  bemerkt  —  Auch   dieser  Vertrag  wurde  schliefeUch 
durch  eine  Verlobung  besiegelt,  die  des  M.  Marcellus,  eines  nahen 
Verwandten  der  Triumvirn  mit  der  Tochter  des  Pompejus. 
Der  Krieg  mit  8.  Nachdem  dies  geordnet  war,  glaubte  Antonius  die  Dinge 

Vertrag  von   im  Wcstcn  ihren  Gang  gehen  lassen  zu  können  und  begab  sich 
Heseitigung  dos  zunächst  mit  Octavia  nach  Athen;  auch  Octavian   verliefs  Rom, 
um  Gallien  zu  besuchen,   während   Pompejus   in  Sicilien  Wieb. 
Dafs  aber  der  eben  geschlossene  Frieden  nur  für  den  Augenblick 
eine  Erleichterung  gewähren  konnte  und  sollte,  stand  für  Octavian 
von  Anfang  an  fest.    Er  sah  klar  ein,  dafs  fQr  seine  Herrschaft, 
auch  wenn  er  nur  den  gegenwärtigen  Zustand   der  Teilung  mit 
Antonius  im  Auge  hatte,  Pompejus  nicht  versöhnt,  sondern  be- 
seitigt werden  mufste;  darum  besann  er  sich  nicht,   das  durch 
den  Verrat  des  pompejanischen  Flottenfuhrers  Menas  ihm  ange- 
botene Sardinien  anzunehmen  und  durch   Scheidung   von  seiner 
Gemahlin  Scribonia,  die  eben  im  J.  39  Mutter  der  Julia  geworden, 
das  Verwandtschaftsband  wieder  zu  lösen,  kehrte  auch  von  Gallien 
möglichst  bald  zurück,   diese  Provinz  dem  Agrippa  überlassend; 
ein  Grund  für  solches  Vorgehen  war  ja  aus  dem  Verhalten  des 
Pompejus  in  Erfüllung  seiner  Bedingungen  leicht  zu  entnehmen, 
und  da   auch  Antonius   sich   mit  der  Abtretung  Acbajas   nicht 
beeilte,  so  war  Octavian   von  dieser  Seite  vor  Einreden  sicher. 
Indessen  der   daraus  sich  ergebende  Wiederausbruch  des  Kriegs 
im  J.  38  war  für  letzteren   eine   ungemein   schwierige  Aufgabe; 
alle  Anstrengungen,  die  gemacht  wurden,  um  eine  Flotte  aufs 
Meer  zu  bringen,  die  der  des  Pompejus  gewachsen  wäre  und  ein 
Heer   in  Sicilien   landen  könnte,   waren  vergeblich:   Elementar- 
ereignisse oder  die  Überlegenheit  der  Seekunde  bei  den  Gegnern 
kosteten  ohne  irgend  einen  Erfolg  die  schwersten  Opfer  an  Mann- 
schaft und  Geld^),  die  Bedrängnis  Italiens   steigerte   sich   fort- 
während, und  es  war  nur  ein  Glück,  dafs  Pompejus  seinen  Vor- 
teil  nicht  zu   einer   energischen  Offensive  in  Italien   selbst   ver- 
wandte.    In   dieser  Not   rief  Octavian   im  J.   37,   in   demselben 
Jahr,  mit  welchem  die  zweite  Periode  des  Triumvirats  begann, 
den  Agrippa,   der  in  Gallien  sich  aufs  neue  ausgezeichnet,  nach 
Italien  zurück,  um  ihn  abermals  mit  dem  Krieg  gegen  Pompejus 
zu  betrauen,  zu  gleicher  Zeit  aber  wandte  er  sich  an  Antonius 


1)  Von  dem  Seekrieg  gegen  Pompejus  geben  Appian  6,  81  ff.  und  Dio 
48,  46  ff.  sehr  ausführlichen  und  lebendigen  Bericht 

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-     113    — 

nnd  Lepidus  um  Beistand.  An  jenen  wurde  Mäcenas  geschickt 
und  er  brachte  es  dahin,  dafs  Antonius;  der  seinerseits  wieder 
Aushebungen  in  Italien  machen  wollte,  nach  Italien  herüberfuhr. 
Aber  inzwischen  hatte  Octavian,  wie  es  scheint,  Mifstrauen  gegen 
ihn  gefafst  und  liefs  ihm,  als  er  in  Brundisium  landen  wollte, 
dies  Tersagen.  Die  hiedurch  entstandene  bedenkliche  Situation 
wurde  jedoch  durch  Octavian  und  Mäcenas  wieder  gelöst  und  es 
kam  im  J.  37  zu  einer  neuen  Zusammenkunft  bei  Tarent  und 
einem  neuen  Vertrag.  Octavian  erhielt  die  Zusage  einer  Flotte 
TOü  Antonius,  dieser  Truppen  aus  Italien,  während  dem  Pompejus 
die  ihm  bei  Misenum  bewilligten  Würden  abgesprochen  wurden*); 
hinsichtlich  des  Triumvirats  waren  neue  Verabredungen  nicht 
nötig.*)  Nach  dem  Vertragsschlufs  wandte  sich  Antonius  wieder 
seinem  Herrschaftsgebiet  und  dem  Partherkriege  zu.  Lepidus, 
der  abermals  in  Tarent  nicht  beigezogen  worden  war,  entschlofs 
sich  ebenfalls,  dem  Octavian  zu  Hilfe  zu  kommen,  und  zwar 
persönlich,  allein  keineswegs  in  freundlicher  Absicht.  Ihm  schien 
jetzt  der  Augenblick  gekommen,  sich  für  die  Zurücksetzung,  die 
er  erfahren,  zu  rächen,  und  mit  dem  Gedanken,  für  sich  selbst 
Bun  einzutreten,  kam  er  mit  einem  bedeutenden  Heere.  Im 
Sommer  36  waren  die  Rüstungen  überall  fertig  und  am  1.  Juli 
erfolgte  die  Ausfahrt  der  drei  Flotten,  der  des  Octavian,  der  des 
Antonius  unter  Statilius  Taurus  und  der  des  Lepidus  von  drei 
rerschiedenen  Punkten,  um  an  drei  Stellen  in  Sicilien  einen 
kombinierten  Angriff  zu  machen.  Der  Beginn  war  aber  auch 
hier  durch  Stürme  unglücklich,  und  Octavian  nahm  diesen 
Unfall  so  ernst,  dafs  er  den  Mäcenas  nach  Rom  schickte, 
um  die  Sympathieen  für  Pompejus,  die  daselbst  immer  noch 
bestanden,  nicht  zum  Ausbruch  kommen  zu  lassen^);  im  weiteren 
Verlauf  jedoch  war  es  insbesondere  Agrippa,  der  wesentliche  Erfolge 
errang  und  durch  die  Schlacht  bei  Naulochos  den  Pompejus  de- 


1)  Appian  6,  93  f.  Dio  48,  64;  jener  setzt  den  Vertrag  in  den  Früh- 
ling 37  (c.  93:  aQxoi^ivov  ^  flQoq\  dieser  in  den  Anfang  38  (49,  1:  iv  filv 
m  TflS  xsiiiAvi,  iv  ü5  Aüv-Kiog  xs  FiXliog  xal  Koxttriiog  Nigovag  vndrsvaavt 
Taod'  ovxmg  iyivsxo).  Der  Abschlufß  mufs  aber  jedenfalls  im  Verlauf  des 
Jahrs  37  stattgefunden  haben.  ' 

2)  Ober  die  anderweitigen  Angaben  der  Quellen  hierüber  ob.  S.  93  A.  4. 

3)  App.  6,  99:  mg  9^  inl  avfitpOQ^  fieC^ovg  Mamr^vcLv  {ihv  üg  *Pf6(ir}v 
^lintfinf  dia  tovg  inxorjfiivovg  ixi  nqog  Trjv  fivi^firiv  tov  nofinrjiov  Mäyvov 
«nd  c.  112:  Mainrjvav  d*  av^i,g  ig  'Pcofitiv  ^ns(inB^  woraus  hervorgeht,  dafs 
Mäcenas  naeh  der  ersten  Mission  bald  wieder  zu  Octavian  zuruckkam.^^  . 

Herzog,  d.  röm.  SUateverf.  II.  l.  g^igi^ized  by  VjOOglC 


-     114    — 

finitiv  besiegte,  so  dafs  dieser  sich  nach  Asien  flüchtete,  während 
die  Beste  seines  Heeres  sich  in  Messina  konzentrierten.  Euer 
nun  trat  Lepidus  mit  seinen  Plänen  heraus:  er  veranlafste  die 
Pompejaner^  sich  ihm  zu  ergeben,  nahm  sie  unter  seinen  Befehl, 
spielte  mit  dieser  Macht  den  Herrn  von  Sicilien  und  trat  in 
offener  Feindseligkeit  gegen  Octavian  auf.  Dieser  jedoch  wufste, 
nachdem  er  sich  versichert,  dafs  Lepidus  an  seinen  Truppen 
keinen  Halt  habe,  durch  ein  kühnes  Wagstück  im  Lager  des 
Lepidus  sich  selbst  zum  Herrn  der  Lage  zu  machen,  und  mit 
einem  Schlage  war  Lepidus  beseitigt,  einer  der  glücklichsten 
Momente  in  dem  Leben  des  sonst  mehr  durch  bedächtige  Vor- 
sicht als  durch  die  mit  dem  Augenblick  spielende  Kühnheit  eines 
Julius  Cäsar  bekannten  Mannes,  zwar  gegenüber  einem  Menschen 
durchaus  untergeordneter  Art  und  unter  sonst  günstigen  Um- 
ständen, aber  doch  mit  Gefahr  des  eigenen  Lebens.^)  Der  Erfolg 
war  groüs:  Pompejus  nicht  blols  besiegt  und  aus  der  Nähe  Italiens 
vertrieben,  sondern  auch  in  das  Gebiet  des  Antonius  geflüchtet, 
diesem  eine  Verlegenheit;  Lepidus  durch  Octavian  in  einer  Weise 
beseitigt,  dafs  diesem  allein  die  Verfügung  über  ihn  und  sein 
Gebiet  zustand^  Italien  von  seiner  Not  befreit  und  nunmehr  freie 
Hand  für  die  Regierung  Octavians  im  ganzen  Westen.  Und  dabei 
kehrte  dieser  zurück  nicht  blofs  mit  den  Erfolgen  seines  Unter- 
gebenen, sondern  mit  dem  Ruhm  eigener  Grofsthat,  und  schliefslich 
hatte  er  noch  Gelegenheit  zu  zeigen,  dafs  er  nicht  blofs  mit  den 
Sklavenlegionen  des  Pompejus,  sondern  auch  mit  der  Unboi- 
mäfsigkeit  des  eigenen  Heeres  fertig  werden  konnte.')  Hinsicht- 
lich des  Lepidus  genügte  es,  ihn  in  Italien  zu  internieren;  selbst 
das  Oberpontifikat,  das  er  seit  Cäsars  Tod  hatte,  blieb  ihm.  Des 
Pompejus  abenteuerliche  Versuche,  in  Asien  sich  wieder  geltend 
zu  machen,  nahmen  auf  der  Flucht  zu  den  Parthem  ein  Ende, 

1)  App.  6,  124  f.  Dio  49,  12.  Kai  Ämitem.  (corp.  inscr.  lat.  1  p.  324) 
za  tert,  non,  Sept.  (8.  Sept.)  fer{iote)  et  suppltcationes  aput  omnia  p%iltnn4Mriay 
quod  eo  die  Cae8(ar)  divi  fiüius)  vidi  in  Sieilia  CensorinHp)  et  Catvis^io)  cos. 
Dafs  hier  das  Jahr  37  irrtämlich  statt  des  J.  36  angegeben  ist,  darüber  Tgl. 
Eckhel,  doctr.  namm.  6^  72^  Mommsen  in  corp.  i.  1.  1  p.  401.  Aus  dem 
Datum  dieser  Kalendorangabe  ergänzt  Mommsen  in  einem  nenen  Brachstück 
des  Festverzeichnisses  von  Gumä  Hermes  Bd.  17  S.  632  Z.  2:  [III,  non, 
Septembr.  eo  die  exer]citu8  Lepidi  trculidit  se  Caesari.  Stippli^c^altio]  .  .  . 
Damach  würde  anf  den  3.  Sept  36  nicht,  wie  man  bisher  annahm,  die 
Schlacht  yon  Naulochos,  sondern  die  Unterwerfung  des  Lepidus  fallen. 

2)  App.  6,  128.  181.     Dio  49,  12  f.  vgl.  auch  ob.Ä  108  A,  2. 

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~     115    — 

und  so  standen  nun  die  zwei  in  Tarent  neu  yerbündeten  Rivalen 
allein  sich  gegenüber. 

9.  Von  nun  an  aber  war  es,  wie  wenn  alles  darauf  zuginge,  Antoniui  au 
die  beiden  Prätendenten  in  Kontrast  zu  einander  zu  stellen  zu 
gunsten  des  Octavian.  Antonius  hatte  sich  von  Tarent  nach 
Syrien  begeben,  wobei  er  unterwegs  in  Korkyra  dfb  Octavia,  die 
ihn  begleiten  wollte,  zurückschickte.  In  Syrien  war  die  Lage  der 
Dinge  jetzt  im  Ganzen  günstig.*)  Schon  in  den  Jahren  40 — 38 
war  es  dem  Yentidius  gelungen,  die  Parther,  nachdem  er  ihnen 
erhebliche  Niederlagen  beigebracht,  wieder  aus  Syrien  zu  ent- 
fernen; im  J.  38  war  Antonius  kurze  Zeit  von  Athen  herüber- 
gekommen, um  sich  von  dem  Stande  der  Dinge  zu  überzeugen, 
und  hatte  dabei  die  Erfolge  des  Yentidius  so  bedeutend  gefunden, 
dafs  er  ihn  in  Eifersucht  zurückschickte  und  durch  C.  Sossius 
abloste,  der  dann  hauptsächlich  mit  den  Angelegenheiten  Judäas 
zu  thun  hatte.  Als  der  Triumvir  nun  im  J.  37  wieder  nach 
Syrien  kam,  schienen  ihm  die  Yerhältnisse,  wie  sie  unter  der 
neuen  Regierung  Phraates'  lY.  im  Partherreich  sich  gestalteten, 
einladend,  um  ofiPensiv  gegen  den  gefahrlichen  Nachbar  aufzu- 
treten. Die  Forderung  der  Herausgabe  der  dem  Crassus  ab- 
genommenen Feldzeichen  gab  den  Anlafs  zu  Yerhandlungen,  die, 
wenn  sie  friedlich  ausgingen,  jedenfalls  einen  Ruhmestitel  ge- 
währten, bei  dem  wahrscheinlichen  Mifserfolg  aber  ein  passendes 
Motiv  für  eine  Kriegserklärung  gaben;  umfassende  Eriegsrüstungen 
ni^men  das  Ende  des  Jahrs  37  und  den  Anfang  von  36  in  An- 
spruch. Daneben  hatte  aber  bereits  Kleopatra,  die  in  Syrien  mit 
Antonius  zusammengetro£Pen,  ihre  alte  Gewalt  über  ihn  gewonnen, 
und  von  nun  an  hörte  er  nicht  mehr  auf,  unter  diesem  Banne 
zu  stehen.  Im  Frühjahr  36  wurde  der  Feldzug  gegen  die  Parther 
unternommen,  auf  dem  ihn  indessen  Kleopatra  nicht  begleitete; 
im  Herbst  kehrte  Antonius  wieder  auf  schmählichem  und  gefähr- 
lichem Rückzuge  nach  Armenien  zurück  und,  da  er  hier  nicht  über- 
wintern wollte,  nach  weiteren  durch  die  Jahreszeit  veranlafsten 
Verlusten  nach  Syrien:  er  hatte  vollständigen  Mifserfolg  gehabt. 


1)  Über  den  Partherfeldzug  und  was  damit  zusammenhängt  sind  wir, 
da  Appian  in  den  Bürgerkriegen  mit  dem  Tode  des  S.  Pompejus  aufhört 
and  seine  nccQ^i%i^  verloren  gegangen,  für  die  ausführlichere  Erzählung  auf 
Dio  und  Plataroh  angewiesen.  Von  Neueren  vgl.  Drumann  1,  452  ff.  Schiller 
1,  97—101.  HS— 119.  Die  Kritik  der  Quellen  nnd  deren  Zurückführung 
auf  Q.  Dellius  bei  Bürcklein  in  der  ob.  S.  108  A.  1  angeführten  Abhandla«g. 


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—     116    — 

Die  den  wahren  Sachverhalt  falschenden  Berichte  nach  Rom 
konnten  hier  keine  Täuschung  hervorbringen^),  und  der  Eindruck 
dieses  öffentlichen  Unglücks  steigerte  sich,  da  man  erfuhr,  wie 
es  in  Alexandrien  am  Hofe  der  Eleopatra,  an  den  Antonius 
sofort  nach  seiner  Rückkehr  sich  begeben  hatte,  zuging  und  die 
Haltung  der  Octavia,  die  in  Rom  das  Haus  des  Antonius  weiter- 
führte und  im  J.  35  ihm  sogar  Hilfe  in  den  Orient  zuführen 
wollte,  damit  verglich.  Die  nächsten  Jahre  brachte  Antonius 
mit  den  Verfügungen  über  die  orientalischen  Provinzen  zu,  das 
Jahr  34  mit  dem  Feldzug  gegen  den  König  von  Armenien,  den 
er  für  untreue  Haltung  in  dem  Krieg  von  36  strafen  wollte,  und 
es  gelang  ihm  —  freilich  nicht  auf  rühmliche  Weise  — ,  den 
König  gefangen  nach  Alexandrien  zu  bringen.  Aber  nun  er- 
reichte das  unrömische  Treiben  und  die  Preisgebung  aller  Inter- 
essen des  Reichs  ihren  Gipfel:  der  Triumph  über  Armenien  in 
Alexandrien,  statt  in  Rom,  die  öffentliche  Erklärung  des  Kleopatra- 
sohns  Cäsarion  für  den  legitimen  Erben  des  Julius  Cäsar,  die 
neue  Gestaltung  und  Vergröfserung  des  Königreichs  Ägypten,  die 
Vergebung  römischer  Provinzen  an  beliebige  Vasallen,  die  Ten- 
denz Alexandrien  gegen  Rom  zu  hetzen,  —  kurz  die  ganze 
Schmach  der  Herrschaft  eines  fremden  Weibs  über  deii  obersten 
Magistrat  des  römischen  Reichs,  dies  konnte  nicht  anders  als 
alles  ins  Gegenteil  verkehren,  was  Antonius  je  an  Sympathieen 
im  römischen  Volk  und  in  Italien  gehabt  hatte. ^) 
octaviana  Be-  10.  Inzwischcu  wufstc  Octaviau  die  Zeit  seiner  Herrschaft 

weSfn "  im  Westen  und  den  Vortheil  der  Regierung  in  der  Hauptstadt 
zu  nützen.  Zum  ersten  Male  waren  ihm  nun  Jahre  einer  zu- 
sammenhängenden Regierungsthätigkeit  gegeben,  und  so  tritt 
auch  für  den  Historiker  zum  ersten  Male  das  Bild  des  Regenten  in 
ihm  hervor,  der  wie  wenige  andere  eben  den  Beruf  zum  Regenten 
in  sich  entwickelte.  Dio  berichtet,  Octavian  habe  nach  der  Schlacht 
bei  Philippi,  nachdem  ihm  die  Aufgabe  geworden,  das  Trium- 
virat in  Italien  zu  vertreten,  an  den  Senat  in  Rom  geschrieben, 
man  möge  Mut  fassen,  er  werde  ein  mildes  Regiment  wie  sein 
Vater  führen.*)    Dio  läfst  diese  Zusicherung  aus  der  Furcht  vor 


^  1)  Dio  49,  32. 

2)  Plnt.  Anton.  50:    &  (uiXiata  'Patfiaiovs  iXvnricsv    mg   xa  %aXa  ta^ 
asfiva  xijg  nütqCBog  Alyvnxioig  9ia  KXsonatqav  xagiiofABVog. 

3)  48,  3:  intatSLlf  t^  ysQOvaia  ^agaftv  ts  avrjf  nagaivav  ti.  8.  w. 

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-     117     — 

Unruhen  in  Rom  hervorgehen;  es  ist  aher  wohl  möglich,  dafs  in 
demselben  Manne,  der  eben  noch  schonungsloser  als  Antonius 
gegen  die  Besiegten  gewesen  war^),  zu  gleicher  Zeit  der  psycho- 
logische Moment  eintrat,  der  ihn  erkennen  liefs,  dafe  seine  Zu- 
kunft in  einer  Politik  der  Versöhnung  und  der  Sammlung  alles 
dessen,  was  lebensfähig,  zu  suchen  sei.  Auch  später  noch  ist 
strafendes  Vernichten  und  weise  Schonung  bei  ihm  neben  ein- 
ander Soldaten  wie  Bürgern  gegenüber,  die  letztere  aber  nicht 
Ausflufs  des  Gefühls  und  noch  weniger  einer  genialen  Grofsmut, 
wie  sie  der  erste  Cäsar  geübt,  auch  nicht  blofs  politischer 
Klugheit  und  auf  Furcht  beruhender  Berechnung,  sondern  eines 
gewissen  Instinkts  des  zum  Regenten  Geschaffenen,  der  sein  wohl 
abgemessenes  Ziel  verfolgt  und  diesem  gemäfs  Menschen  und 
Dinge  zerstört  oder  erhält.  Nun  waren  die  ersten  Jahre  des 
Triumvirats  für  andere  Zwecke  als  die  Erhaltung  der  eigenen 
Stellung  gänzlich  unfruichtbar  gewesen,  die  Geschichte  der  auf- 
einander folgenden  Verträge  erklärt  dies  zur  Genüge.  Nachdem 
aber  zuerst  durch  die  in  Brundisium  im  J.  40  gezogene  Linie 
zwischen  Ost  und  West  klarere  Verhältnisse  geschaffen,  dann 
durch  die  Beseitigung  des  S.  Pompejus  freie  Hand  gewonnen 
war,  wurde  die  Sachlage  anders.  In  erster  Linie  galt  es,  für 
Rom  und  Italien  gesicherte  Verhältnisse  zu  schaffen.  Es  war 
aber  das  grofse  Verdienst  Octavians,  jetzt  schon  nicht  blofs  die 
Heilung  der  in  den  letzten  Jahren  dem  Wohlstand  Italiens  ge- 
schlagenen Wunden  sich  zur  Aufgabe  zu  machen,  sondern  seine 
ganze  Politik  in  kriegerischer  und  bürgerlicher  Thätigkeit  in 
erster  Linie  auf  die  Wiederherstellung  Italiens  und  auf  die  Hebung 
der  Hauptstadt  zu  richten,  während  das  konstitutionelle  Problem 
vorläufig  kaum  in  Frage  kam.  Doch  wurde  im  Verhältnis  zu 
Senat  und  Magistratur  der  Zukunft  wenigstens  vorgearbeitet. 
Der  Senat  war,  so  viel  zu  sehen,  in  den  letzten  Jahren  nur  zu 
Steuerauflagen  und  Ehrendekreten  für  die  Herrscher  beigezogen; 
nur  hatte  ihn  Octavian  im  J.  40,  nachdem  er  gelegentlich  des 
Vertrags  von  Brundisium  von  Antonius  erfahren,  dafs  sein  Statt- 
halter Salvidienus  Rufus  mit  Verrat  umgegangen  sei,  Gericht 
über  diesen  üben  lassen.*)    Auch  die  Magistratur  hatte,  wie  schon 

1)  Sneton  August.  18:  nee  suecessum  victoriae  moderatus  est,  sed  capite 
Bruti  Bomam  misso  tU  atatuae  Caesaris  mbiceretur,  in  splendidissimum 
qjuiemque  eaptivum  non  sine  verborum  conttmelia  saeviit  u.  a,  w. 

2)  Dio  48,  38:  %af rjyoQri^  iv  ta  ßovlsvtriQÜi)  vn  avtov  tov  KaCaa^og,       , 

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-     118     - 

früher  bemerkt,  eine  ganz  untergeordnete  Rolle  gespielt  gegenüber 
den  anwesenden  Triumvirn  oder  dem  Stellvertreter  Mäcenas,  der 
während  des  sicilischen  Kriegs  wiederholt  in  Rom  die  Polizei 
übte  (ob.  S.  113  A.  3).  Nach  der  Rückkehr  aus  Sicilien  nun 
erklärte  Octavian,  indem  er  in  Anbequemung  an  die  Verfassung 
den  Senat  aufserhalb  des  Pomeriums  sich  versammeln  liefs,  die 
Bürgerkriege  für  beendigt,  kündigte  Erleichterung  der  Lasten 
Italiens  an  nind  stellte  in  Aussicht,  sich  mit  Antonius  darüber  zn 
bereden,  dafs  sie,  wenn  dieser  vom  Partherkrieg  zurückkäme,  die 
aufserordentliche  Gewalt  niederlegen  wollten.^)  Es  war  dies  Ver- 
sprechen, schon  an  die  Zustimmung  eines  andern  gebunden,  för 
den  Augenblick  nicht  geeignet,  grofse  Hoffnungen  zu  erwecken; 
es  kann  aber  doch  als  Anfang  der  Politik  bemerklich  gemacht 
werden,  welche  die  des  Princeps  Augustus  blieb,  die  oberste  Ge- 
walt nur  mit  dem  Charakter  einer  auüserordentlichen  auf  Zeit 
verliehenen  führen  zu  wollen.  Für  jetzt  beschränkte  er  sich 
darauf,  Senat  und  Magistratur  wieder  mehr  zur  Geltung  kommen 
zu  lassen,  "so  weit  es  sich  eben  mit  den  für  die  Beruhigung 
Italiens  notwendig  erachteten  Ausnahmemafsregeln  vertrug.  Von 
diesen  war  aber  die  erste  wieder  die  Aufstellung  des  Mäcenas 
als  Polizeiminister  für  Rom  und  Italien.*)  Die  Stellung  dieses 
Mannes  kann  weder  für  das  J.  36  noch  jetzt  mit  früheren  Vor- 
gängen, der  republikanischen  Stadtpräfektur  oder  den  Präfekten 
Cäsars  (ob.  S.  33  A.  1),  verglichen  werden;  sie  ist  in  ihrer  Art  einzig 
und  kann  rechtlich  nur  aus  der  Befugnis,  die  sich  der  Triumvir 
zuschrieb,  abgeleitet  werden,  seine  Gewalt  nicht  blofs  in  den 
Provinzen  durch  Legaten,  sondern  auch  in  Rom  durch  einen 
ähnlichen  Stellvertreter  ausüben  zu  lassen.  Auch  mit  der  späteren 
Stadtpräfektur  ist  sie  nicht  identisch^);  denn  diese  ist  zwar  auch 


1)  App.  Ö,  182.    Dio  49,  16. 

2)  Dio  49,  16 :  tu  ts  aXla  rä  iv  t^  noXai^  x^  xb  Xovx^  'Izalia  Vaioi  t<? 
Mai^riva^  dvrj^  tnnsvgj  tial  rots  xal  insita  inl  noXv  di(6%ricsv.  Velleius 
2,  88:  urbis  custodiis  praepositus  Maecenas,  Seneca  epist.  114,  6:  cum  ah- 
sentis  Caesaris  partibus  fungeretur,  Signum  a  discindo  pe^ebatur, 

3)  Wenn  Tacitua  ann.  6,  11  in  der  Geschichte  der  Stadtpräfectar  die 
Notiz  über  Mäcenas  giebt:  ceterum  Augustus  beUis  civüibus  Cünium  Maece- 
naUmy  eguestris  ordiniSy  cunctis  apud  Bomam  cUque  Itdliam  praeposwtf  so 
nnterscheidet  er  doch  ebendaselbst  diese  Stellung  von  der  späteren  mit 
Messalla  eröffiieten  Präfektur,  will  überhaupt  nur  die  Funktionen  vergleichen, 

^t  ohne  die  von  ihm  angeführten  Stellungen   als  solche  zu  identificieren. 

iA^^^...  Dafs  die  unter  Mäcenas  gesammelten  Erfahrungen  für  die  sp&tero  Stadt- 

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r. 


—     119    — 

eine  Yom  Kaiser  abhängige  Polizeigewalt,  aber  eine  gegenüber 
andern  amtlicfaen  Stellangen  abgegrenzte  und  in  sich  bestimmte; 
Mäcenas  dagegen  stand  in  dem  ihm  zugewiesenen  Gebiet  über 
allen  Ämtern  mit  einer  völlig  diskretionären  Gewalt;  es  hing  an 
der  Persönlichkeit  des  Mannes,  dafs  sie  in  seiner  Hand,  obgleich 
er  vor  MaXsregeln  äuiserster  Strenge  nicht  zurückschreckte^),  doch 
nicht  zam  Schrecken  wurde.  An  eine  Verwaltung  durch  die 
ordentliche  Magistratur  allein  war  in  der  That  auch  nur  für  Rom  und 
Italien  gar  nicht  zu  denken;  war  doch  eine  der  ersten  Mafsregeln, 
welche  für  Italien  ergri£Pen  werden  mufste,  die  Aufstellung  eines 
Kommandos  gegen  die  überall  auftauchenden  Räuberbanden.^) 
Zum  Dank  für  die  ihm  angekündigten  Wohlthaten  aber  bewilligte 
der  Senat  dem  Octavian  neben  verschiedenen  andern  Ehren  auch 
tribonicische  Unverletzlichkeit  und  das  Recht,  auf  der  Bank  der 
Tribunen  zu  sitzen,  womit  jedoch  o£Penbar  jedenfalls  nicht  mehr 
gegeben  sein  wollte,  als  was  ausdrücklich  in  der  Formulierung 
gesagt  war.')  —  All  dies  liefs  Antonius  ruhig  geschehen:  er 
reklamierte  nicht  gegen  die  Aufstellung  des  Mäcenas  zu  einer 
Funktion,  deren  Ausübung  für  beide  gleich  wichtig  war,  er  liefs 
zu,  dafs  Octavian  Modifikationen  an  der  verabredeten  Vergebung 

präfektnr  verwertet  wnrden,  er  also  einen  Übergang  in  dieser  Beziehung 
bildete,  mag  man  wohl  sagen. 

1)  App.  5,  112  zum  J.  36:  MaiTirjvav  9'  av^ig  ig  ^Pm^riv  insfiats  9ia 
lovg  vBmteQ^tovxag'  %a£  tivig  na(fa%ivovvtsg  i'HoXdadTiaav.  Im  Allgemeinen 
aber  sagt  Seneca  epist.  114,  7:  maxima  laiM  tili  tribuittir  mansuetiidinia: 
pepercit  glcidio^  sanguine  abstinuit  nee  uilla  alia  re,  quid  posset,  quam  licenUa 
ostendü.  Die  Art  und  Geschicklichkeit  seines  Vorgehens  zeigt  Vell.  2,  88: 
specuiatus  est  per  mmmam  quietem  ac  disstmiUationem  praecipitis  consilia 
iwenis  et  mira  cderitate  nulkique  cum  pertwrhcUione  aut  rerum  aut  ?u>minum 
(^ppresso  Lepido  (während  des  aktischen  Kriegs)  immane  novi  ac  ressurrecturi 
i^  civüis  restinxit  initium:  et  iUe  quidem  male  constUtorum  poenas  exsolvit. 

2)  App.  5,  132.  Wenn  dieser  weiter  sagt,  es  sei  in  diesem  Jahre 
,angeblich'  auch  schon  t6  rij^  atQatiäg  tmv  vv%to<pvXdHmv  ^d'og  ts  %al  slSog^ 
d.  h.  die  Trappe  der  vigües  eingerichtet  worden,  so  ist  dies  andern  sichern 
Nachrichten  gegenüber  irrtümlich  (s.  unt.). 

3)  App.  5,  132:  BtXovto  9i^fucQ%ov  ig  dsl  diTjvBnei  &(fa  d^xy  nQOtQi- 
^ovxtg  trig  %^o%if^ag  dnoGxipfai'  h  9\  iSi^uxo  fihv  xal  xijvd«  u.  s.  w.  Dio 
49,  16:  iipri<p£aavxo  —  to  li^rits  ^Qytp  ^^£  X6y<p  ti  vßQ^ea&ai'  sl  dl  fAi;, 
Tor$  avtoig  top  xoiovxo  xt,  Sgaeavta  ivixBa&ai  olg  nsQ  inl  xm  drjfuXQX^  i'^i- 
TffXTo'  lud  yccQ  inl  xmv  avxäv  ßdd'Qcav  avyxad'iisad'ai  atpiaiv  ilaßEV  xm 
9'^  ovv  KaCactQi,  xavxa  na^  xijg  ßovXijg  ido^.  Oros.  6,  18,  84:  ovans  ur- 
^  ingressus  ut  in  perpetuum  tribwniciae  potestatis  esset  a  senatu  decretum 
^    Weiteres  darüber  s.  unt. 

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-     120    — 

der  Ämter  vornahm  und  begnügte  sich  damit,  dafs  er  in  Mi^i* 
stratur  und  Senat  durch  Männer  aus  seinem  Stabe  vertreten  war.^i 
Da  die  innere  Verwaltung  Italiens  in  festen  und  sicheren 
Händen  lag,  so  konnte  Octavian  sich  in  den  nächsten  Jahren  mit 
dem  Schutz  seiner  Grenzen  befassen.  Dazu  gehörte,  daTs  im 
ganzen  Umkreis  der  nördlichen  Alpengrenze  Einfalle  der  dort 
noch  nicht  unterworfenen  Völkerschaften  zurückgewiesen  oder 
verhindert  würden;  es  gehörte  dazu  aber  auch  im  weiteren  Sinne 
der  Schutz  der  Ostküste  des  adriatischen  Meers.  Indem  die 
Grenze  zwischen  den  zwei  Machtgebieten  durch  die  Linie  von 
fi^kodra  bestimmt  war,  war  diese  Aufgabe  in  ihrem  nächsten  um- 
fange dem  Octavian  zugefallen;  denn  damit  war  ganz  lUyrien 
seinem  Anteile  zugewiesen.  Nach  dem  damaligen  Stande  der 
römischen  Herrschaft  in  diesen  Gegenden  war  damit  nicht  blofs 
das  Küstenland,  sondern  es  waren  auch  weiter  nach  Osten  liegende 
Verbindungen  zu  sichern  und  zu  diesem  Behuf  mindestens  alles, 
was  zwischen  der  Save  und  dem  Meere  lag,  in  friedlichen  Zu- 
stand zu  bringen;  ein  Konflikt  mit  den  weiter  nach  Nordosten 
wohnenden  Völkern  des  Dakerreichs  auf  beiden  Seiten  der  Donau 
konnte  in  Rechnung  kommen,  war  aber  nur  mit  kombinierter 
Aktion  der  beiden  Triumvirn  erfolgreich  aufzunehmen.  Jene 
nächste  Aufgabe  nun  löste  Octavian,  persönlich  den  Befehl  über- 
nehmend und  sich  nur  kurzen  Zwischenaufenthalt  in  Rom  gönnend, 
in  den  Jahren  35  bis  33.^)  Die  Energie,  mit  vrelcher  er  vorging 
imd  die  eigene  Person  einsetzte,  zeigte,  welches  Kraftgefühl  ihm 
der  sichere  Besitz  der  Macht  in  Italien  gab,  und  die  Resultate; 
welche  er  aus  den  kriegerischen  Erfolgen  in  der  Befriedung  dieser 
liegend   und  der  Romanisierung   der  Küste  zog^),  zeugen  dafür, 

1)  Ein  noch  auffallenderes  Zugeständnis  wäre,  wenn  die  von  Die  (49, 43: 
ig  t6  Toav  svnaTQLÖöiv  yivog  i%  tov  nlT}&ovg  ttras  ilnj(pica(i.ivrig  r^ff  ßovXfi9 
h<f^yayBv)  im  J.  33  dem  Octavian  zngescbriebene  Vermehrung  des  Patririat« 
richtig  wäre;  allein  sie  steht  nicht  im  Einklang  mit  Mon.  Ancyr.  2,  1  und 
Tac.  11,  25  und  ist  auch  aus  innem  Gründen  nicht  wahrscheinlich.  Vgl. 
Mommsen,  res  gestae  d.  Aug.  p.  34. 

2)  Dio  49,  34—43.  App.  6,  145  (Schlufs  der  Bürgerkriege).  Ders. 
Illyr.  16 — 28.  Zippel,  die  römische  Herrschaft  in  Uljrien  bis  auf  Augustus. 
S.  225-235. 

3)  Vgl.  die  Inschriften  der  durch  Octavian  hergestellten  Mauern  von 
Tergeste  (Triest)  corp.  inscr.  lat.  V.  n.  525.  526.  Wahrscheinlich  erhielt 
jetzt  Tergeste  die  Plin.  n.  h.  3,  127  ihm  beigelegte  Kolonieeigenachaft. 
Mommsen  c.  i.  1.  V.  p.  53. 


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-     121     - 

dafs  yiel  weitere  Gesichtspankte  als  die  Beschäftigung  unruhiger 
Truppen  ihn  yeranlafsten,  in  dieser  Zeit  der  Rivalität  mit  Anto- 
nius drei  Jahre  an  diese  Aufgabe  zu  wenden.  Nachdem  im  J.  33 
auch  im  Nordwesten  Oberitaliens  durch  den  in  Sicilien  und  Dal- 
matien  bewährten  Messalla  Corvinus,  den  Antonius  nach  Philippi 
begnadigt,  aber  in  seinem  Lager  nicht  hatte  festhalten  können, 
die  Salasser  zurückgewiesen  waren  ^),  war  für  diese  Unterneh- 
mungen ein  Ziel  erreicht.  In  demselben  Jahre  33  liefs  Octavian 
nach  dem  Tode  des  mauretanischen  Königs  Bocchus  dessen  Reich 
Yorläufig  wenigstens  dem  römischen  einverleiben*),  so  dafs  der 
Besitz  der  Römer  in  Afrika  nun  aufs  neue  vermehrt  wurde. 

Der  Eindruck  aber,  den  diese  äufseren  Erfolge  in  Rom  Agripp»»!» 
machten,  wurde  gesteigert  durch  die  Leistungen  der  Adilität  des 
Agrippa.  Das  Amt,  das  diesen  Titel  trug,  hatte  in  der  letzten 
Zeit  wegen  des  mit  ihm  verbundenen  Aufwands  und  ohne  Zweifel 
auch  wegen  der  gänzlich  veränderten  Bedingungen  der  höheren 
Amierlaufbahn  aus  Mangel  an  Bereitwilligkeit  dafür  in  einzelnen 
Jahren  nicht  besetzt  werden  können.  Da  erlangte  es  nun  eine 
ganz  neue  Wichtigkeit,  indem  im  J.  33  Agrippa,  ein  Mann,  der 
schon  im  J.  37  Konsul  gewesen,  unter  dem  Titel  und  Jahresamt 
eines  Adilen  aber  ohne  Kollegen  die  Fürsorge  für  die  öfifentlichen 
Arbeiten  in  der  Stadt  Rom  übernahm  und  mit  Nutzbauten,  wie 
Wasserleitungen,  Kloakensystem,  Strafsen-  und  Hochbauten,  sowie 
mit  Spenden  an  das  Volk  die  Verpflichtungen,  welche  die  republi- 
kanische Aristokratie  sich  einst  auferlegt,  auf  die  neu  erstehende 
Gewalt  übertrug');  denn  jedermann  sah,  dafs  es  trotz  des  Namens 
und  trotz  der  Einfügung  in  die  Jahresfolge  der  Magistratur  nicht 
ein  republikanisches  Amt  und  nicht  ein  selbständiger  Magistratus 
war,  der  so  auftrat,  sondern  dafs  all  dies  durch  das  Eingreifen 
und  mit  den  Mitteln  einer  Obergewalt  zustande  kam. 

Li  dieser  Zeit  haben  sich  ferner  bereits  die  Beziehungen  der  Die  Begttiuu- 
romischen  Litt^ratur  zu  der  Herrschergewalt  gebildet.    Dafs  noch      ^ratw. 
mitten   in   den   Drangsalen   Italiens   die   römische   Dichtung   in 
epochemachender  Weise   auftrat,   war  Folge   ihrer   innern  Ent- 
wicklung: die  griechischen  Muster  waren  am  Schlufs  der  Republik 

1)  Dio  49,  34.  38.    App.  Ulyr.  17. 

2)  Dio  49,  43:  tov  re  Bokxov  tslsvrqaavxog  ovSsvl  xriv  ßccaiXsiav  avtov 
Unxiv,  dXl*  it  xa  xmv  ^Pm^aimv  ^dvrj  avxriv  igiy(fajp8v.  Später  setzte  er 
wieder  einen  Vasallenkönig  ein. 

3)  Dio  49,  43.    Prontin  de  aquaed.  9.  ^^^  t  ,„^ 

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-     122     - 

der  römischen  BilduDg  so  za  eigen  geworden,  dafs  der  Drang, 
sie  in  der  eigenen  Sprache  nachzuahmen  und  in  die.  eigenen 
Lebensverhältnisse  hereinzuarbeiten,  sich  von  selbst  gab;  der 
neuen  Zeit  gehorte  an  der  Anschlufs  an  die  Machthaber,  die  Hul- 
digung für  die  herrschenden  Personen  als  Wohlthäter  oder  Gotter 
des  Dichters  wie  des  Staats,  das  Mäcenatentum,  wie  es  eben  jetzt 
zu  einem  geschichtlichen  Typus  wird.  Dabei  ist  aber  auch  eben 
schon  in  dieser  Periode  die  positivere  Bedeutung  des  Anschlusses 
an  die  reformierenden  Bestrebungen  der  neuen  Herrschaft  zu  be- 
merken, zu  allermeist  in  Vergils  Dichtung,  die  in  dem  Preis  des 
Landbaus  und  in  der  Verklärung  gerade  des  italischen  Land- 
lebens schon  jetzt  leitende  Ideen  augusteischer  Politik  vertritt 
und  auf  die  bessere  Seite  der  Soldatenansiedlungen,  nachdem  der 
Dichter  ihre  gewaltthätigen  Wirkungen  an  sich  erfahren  und 
durch  die  Gunst  der  Herrscher  überwunden,  nun  idealisierend 
eingeht.  Indes  ist  auch  jene  Form  des  Mäcenatentums  nicht  völlig 
neu,  sondern  nur  die  Überleitung  einer  republikanischen  Erschei- 
nung in  die  Monarchie.  Gerade  die  schone  Litteratur  war  auch 
in  der  Republik  stets  durch  Personen  untergeordneter  Stellung 
vertreten  gewesen;  hatte  zum  Schutze  dieser  Stellung  das  Patronat 
der  Mächtigen  gesucht  und  war  in  der  Verwertung  des  wichtigsten 
Zweigs,  der  dramatischen  Litteratur,  völlig  von  den  Magistraten 
abhängig  gewesen;  doch  hatte  der  Charakter  einer  republikani- 
schen Aristokratie  solchem  Verhältnis  immer  noch  eine  freiere 
Form  gewährt  und  war  durch  die  Einrichtungen  des  Freistaats 
im  Kontakt  mit  dem  bürgerlichen  Leben  geblieben.  Jetzt  ord- 
nete sich  die  dichterische  Kunst  direkt  oder  durch  Vermittlung 
der  Regierenden  zweiten  Rangs  den  Zwecken  der  Alleinherrschaft 
unter  und  bildete  einen  Teil  des  werdenden  Hofes.  —  In  den- 
jenigen Zweigen  der  Litteratur  dagegen,  welche  für  den  Romer 
sich  in  dem  Begriff  der  eloquentia  zusammenfassen,  der  Redekunst 
und  Geschichtschreibung,  deren  Vertretung  traditionell  politischen 
Persönlichkeiten  zustand,  führte  diese  Zeit  in  einem  Asinius  PoUio 
und  Valerius  Messalla  bedeutende  Männer  der  Monarchie  zu, 
Männer,  welche  dann  auch,  so  weit  es  eben  eine  solche  Monarchie 
zuläfst,  ihre  Selbständigkeit  nicht  ganz  aufgaben. 
Die  Frauen  in  Noch   ciuc   andere   Erscheinung   dieser   Übergangszeit  darf 

der  Politik.  jjJ^j^Ij  übersehen  werden,  die  Rolle  der  Frauen  in  der  Politik.  Es 
soll  dabei  nicht  gedacht  sein  an  die  Verhältnisse  ganz  singularer 
Natur,  wie  das  des  Cäsar  und  des  Antonius  zu  Kleopatra,  noch 

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-     123    — 

an  die  regelmäfsige  Wiederkehr  der  Verlobungen  politischen 
Charakters  bei  jeder  Phase  der  Koalition  — r  spielte  hier  doch 
die  Frau  eine  durchaus  passive  Bolle,  da  selbst  für  unmündige 
Kinder  solche  Verlobungen  bestimmt  wurden  — :  was  hier  ge- 
meint ist,  ist  vielmehr  der  Anteil,  welcher  den  Frauen  an  der 
Führung  der  Politik  gewährt  wird.  Auch  dies  ist  nicht  völlig 
neu.  Die  Gestaltung  der  romischen  Gesellschaft  hatte  schon  in 
den  letzten  Zeiten  der  Republik  den  Frauen  wie  vermögensrechtlich 
so  auch  persönlich  eine  Geltendmachung  von  Einflufs  ermöglicht; 
und  in  guten  und  schlimmen  Erscheinungen,  in  einer  Cornelia 
wie  in  den  Frauen,  die  in  der  Umgebung  eines  Catilina  waren, 
war  solcher  Einflufs  in  das  öffentliche  Leben  hereingetreten.  In 
den  Bürgerkriegen  seit  Cäsar  finden  wir  aber  das  Eingreifen  der 
Frauen  in  die  Politik  in  allen  Lagern:  im  republikanischen  eine 
Servilia  und  Porcia,  in  dem  der  Triumvirn  und  des  Pompejus  die 
Mutter  des  letzteren,  Mucia,  durch  ihre  irühere  Verbindung  mit 
dem  ersten  Cäsar  zur  Vermittlung  geeignet,  Julia  die  Mutter 
des  Antonius,  Octavia  und  in  ganz  eigentümlicher  Rolle  die 
Fulvia.  Wiederum  aber  wurde  nun  auch  bereits  in  der  beson- 
deren Weise,  wie  es  die  Monarchie  mit  sich  bringt,  dieses  Ele- 
ment auf  einen  Weg  gebracht,  in  welchem  mittelst  der  Frauen 
die  allgemeine  Staats-  und  die  Hauspolitik  in  einander  übergehen, 
indem  Octavian  im  J.  38  die  Li  via  heiratete,  bisher  Gemahlin 
des  Ti.  Claudius  Nero  (ob.  S.  106  A.  1).^)  Noch  war  in  den  ersten 
Jahren  dieser  Ehe  der  Einflufs  dieser  Frau  nicht  offenkundig, 
aber  es  konnte  schon  als  ein  Symptom  zukünftiger  Stellung  gelten, 
dafs  in  dieser  Zeit  der  leichten  Scheidung,  deren  Vorteile  für 
politische  Zwecke  auch  Octavian  schon  verwertet  hatte,  er  der 
kinderlosen  Frau  treu  blieb. 

11.  Indessen  war  die  Zeit  der  Auseinandersetzung  zwischen    per  Bruch 
den  zwei  Prätendenten  gekommen.    Beide  waren  in   den  ersten  ^n^^unS  Snto 
Jahren  nach  dem  Vertrag  von  Tarent  dem  Konflikt  ausgewichen;       °*""* 
Antonius  hatte,  wie  bereits  bemerkt,  gegen  Octavian  bei  keiner 
Erweiterung    seiner    Stellung    Einsprache    erhoben,    und    dieser 
wiederum  hatte  zwar  von  Octavia  verlangt,  dafs  sie  die  von  ihrem 
Gemahl  erfahrene  Kränkung  mit  Scheidung  erwidere,  war  aber, 
als  sie  sich  dessen  weigerte,  nicht  weiter  in  sie  gedrungen;   er 
hatte  die  Lügenberichte  des  Antonius  über  den  parthischen  Feldzug 


1)  Dio  48,  44.  ^  , 

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~     124    — 

angeuommen  und  den  Senat  entsprechende  Ehrenbeschlüsse  fassen 
lassen.  Nachdem  nun  aber  beide  im  J.  33,  der  eine  nach  dem 
Feldzug  in  Armenien,  der  andere  nach  dem  in  lUjrien,  die  Hände 
frei  hatten,  begannen  die  Feindseligkeiten.  Es  scheint,  dafs 
zuerst  Antonius  den  Streit  mit  Worten  und  mit  Zurüstungen  er- 
öffnete^), ohne  jedoch  entsprechend  rasch  zu  handeln.  Nachdem 
zuerst  durch  Korrespondenz  die  beiderseitige  Rechnung  aufgestellt 
war,  wurde  am  1.  Januar  32  mit  dem  Amtsantritt  eines  Kon- 
sulats, dessen  beide  Mitglieder  der  Seite  des  Antonius  angehorten, 
die  Trennung  eingeleitet.^)  Den  im  Senat  erhobenen  Anklagen 
des  Konsuls  Sossius  gegen  seine  Regierung  antwortete  Octayian; 
er  hatte  leichtes  Spiel  damit,  und  die  Konsuln  sahen  sich  ver- 
anlafst,  Rom  zu  verlassen  und  sich  zu  Antonius  zu  begeben; 
ihnen  und  allen,  die  ihnen  folgen  wollten,  liefs  Octayian  hiezu 
volle  Freiheit.*)  Dagegen  erhielt  er  Zuwachs  aus  dem  Lager  des 
Antonius;  schon  vor  Jahren  war  Messalla  von  diesem  zu  ihm 
übergegangeu,  Asinius  Pollio  hatte  sich  wenigstens  von  Antonios 
zurückgezogen,  jetzt  erschienen  Munatius  Plancus  und  dessen 
Neffe  M.  Tilius,  die  nächsten  Vertrauten  des  Antonius,  und  fahrten 
sich  damit  ein,  daüs  sie  den  Inhalt  des  ganz  im  Sinne  der  Kleo- 
patra  abgefafsten  und  bei  den  Yestalinnen  in  Rom  niedergelegten 
Testaments  ihres  bisherigen  Gebieters,  das  sie  selbst  mit  unter- 
zeichnet, verrieten  und  damit  dem  Octavian,  der  es  an  sich  nahm 
und  öffentlich  bekannt  machte,  neue  Gelegenheit  zur  Beschämung 
seines  Gegners  vor  allen,  die  noch  römisches  Gemeingeföhl  hatten, 
gewährten.*)  Antonius  aber  vollzog  die  Trennung  von  seinem 
Genossen  in  der  Gewalt  nun  auch  darin,  dafs  er  die  Scheidung 
von  Octavia  aussprach.  Um  in  Rom  Popularität  zu  gewinnen,  hels 
er   erklären,   dafs   er   die   auf  serordentliche  Gewalt,   die   er  als 


1)  Dio  50,  1:  ah^at  91  tov  fCoXipLov  %al  €%rj^Bts  atSs  avtotg  iyhofto' 
Uvtmvtog  fihv  Kaiaaqt  inBndXsi  a.  8.  w.  Bei  Platarch  Anton.  55  heÜBt  es 
allerdings:  tavta  dh  stg  avy%Xrizov  i^tpiffonv  KoitaaQ  %al  nolXdiug  iv  %ö 
dfffio)  xatrjyoQÖav  naQca^vvs  to  nlrid-og  in  *Avt(oviov '  ^nsfine  dl  xal  'Avtmfiog 
dvceyncclmv  iynivip.  Aber,  wie  dem  auch  sein  mochte,  Antonios  begann 
zuerst  mit  den  Rüstungen,  c.  56.  58:  KcciactQ  dl  ro  xdxog  %al  to  [Uys^ 
xfig  naQaansvfjg  dnovaag  id'OffvßridTi, 

2)  Dio  50,  2:  6  JSoaaiog  nolXd  ^lIv  tov  'Avtaviov  h  avt^  iv^vg  tjj 
vovfirjv^a  intjvsaSy  noXXd  dl  %a\  tov  KaCaaQa  natidqafLsv.  Octavian  war 
damals  von  Rom  abwesend. 

3)  Sueton  Aug.  17. 

4)  Dio  50,  8.    Sueton  a.  a.  0.  r^  j 

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-     125     - 

Triamvir  hatte^  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  niederzulegen 
bereit  sei^  wenn  Octavian  gleichzeitig  sich  dazu  verstünde  ^);  allein 
diese  Erklärung  übte  keine  Wirkung.  Bereits  hatte  Octavian 
beschlielsen  lassen^  daijs  Antonius  der  Triumviratgewalt  entkleidet 
und  auch  des  Konsulats  ^  das  er  im  folgenden  Jahre  mit  ihm 
führen  sollte,  verlustig  gehen  sollte.*)  Dann  wurde  zwar  nicht 
ihm,  aber  der  Eleopatra  der  Krieg  erklärt.  Dafs  Octavian  seiner- 
seits nun  die  Triumviratgewalt  ebenfalls  niederlegte  und  sich 
aufs  neue  in  Verbindung  mit  der  Übertragung  des  Kriegs- 
kommandos eine  aufserordentliche  Gewalt  übertragen  liefs,  sagen 
die  Historiker  nicht,  läfst  sich  aber,  wie  bemerkt  (ob.  S.  95),  aus 
seiner  eigenen  Erklärung  in  Kombination  mit  thatsächlichen  Um- 
ständen entnehmen.  Ein  blofses  Kriegskommando  wird  es  nicht 
gewesen  sein,  weil  daraus  allein  Anordnungen  politischer  Natur, 
die  er  in  der  betreffenden  Zeit  vornahm,  nicht  zu  erklären  wären; 
dagegen  kann  zugleich  mit  dem  Kriegsauftrag  auch  eine  aufser- 
ordentliche Vollmacht  analog  der  bisherigen  ausdrücklich  mit 
übertragen  worden  sein. 

Das  ganze  Jahr  32  kam  dem  Octavian,  der  zunächst  weniger 
vorbereitet  war,  für  seine  Rüstungen  zu  gute*),  während  Antonius, 
auch  jetzt  von  Kleopatra  begleitet,  die  grofse  Macht,  die  er  nach 
Griechenland  herüberführte,  nutzlos  die  Hilfsmittel,  welche  dieses 
Land  bot,  verzehren  liefs,  um  dann  in  der  entscheidenden  Zeit 
Mangel  zu  haben.  Zum  Glück  für  das  Reich  mufste,  nachdem 
Octavian  von  Brundisium  an  die  gegenüberliegende  Küste  hin- 
übergelangt war,  die  Entscheidung  zwischen  den  auf  engem  Raum 
einander  gegenüberstehenden  Streitkräften  rasch  erfolgen,  und  am 
2.  September  31*)  wurde  der  entscheidende  Sieg  bei  Aktium  von 
Octavian  erfochten.  Noch  währte  es  zwar  ein  ganzes  Jahr,  bis 
es  zur  Vernichtung  des  Gegners  in  Ägypten  kam,  und  war,  so 
lange  Antonius  lebte,  für  Octavian  jede  Schwierigkeit  eine  Ge- 
fahr; aber  die  Verkommenheit  des  Antonius  wufste  auch  das  für 
ihn  günstige  nicht  mehr  zu  nützen.  Auf  dem  Zug  über  Klein- 
asien nach  Ägypten,  der  bereits  zu  verschiedenen  Anordnungen 
für  die  östlichen  Provinzen  Anlafs  gab,  mufste  der  Sieger  zu 
Anfang  des  J.  30  wieder  auf  kurze  Zeit  nach  Italien  zurück,  da 

1)  Dio  60,  7. 

2)  Dio  60,  4.    Pkt.  Anton.  60. 

3)  Dio  60,  6—8. 

4)  Dio  61,  1.    Kai.  Amitern.  zu  dem  Datam.  ^  , 

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-     126    — 

die  ünbotmäfsigkeit  der  dorthin  gebrachten  Veteranen  und  die 
schwierige  Stimmung  in  der  Hauptstadt;  der  Mäcenas  samt 
dem  ihm  als  Beistand  gesandten  Agrippa  nicht  ganz  Herr  ge- 
worden war;  sein  persönliches  Eingreifen  wünschenswert  machte. 
Nachdem  es  ihm  gelungen  war,  von  Brundisium  aus  diese 
Schwierigkeiten  zu  überwinden^),  konnte  er  über  Syrien,  wo  die 
Truppen  des  Antonius  zu  ihm  übergingen,  in  Ägypten  eindringen, 
und  aqi  Jahrestag  der  Schlacht  von  Aktium  war  er  nach  dem 
Einzug  in  Alexandrien  und  dem  Selbstmord  des  Antonius  und  der 
Kleopatra^)  alleiniger  Machthaber  im  romischen  Beich.  Nachdem 
er  die  Anordnungen  für  die  erste  Einrichtung  einer  neuen  romi- 
schen Verwaltung  Ägyptens  getro£fen,  ging  er  über  Syrien  nach 
Asien  und  es  gelang  ihm  hier,  unter  kluger  Benützung  der  augen- 
blicklichen Verhältnisse,  in  ein  die  Ruhe  sicherndes  Verhältnis 
zu  dem  Partherreich  zu  gelangen.  Den  Winter  30/29  brachte  er 
in  Eleinasien  zu,  liefs  am  1.  Jan.  29  seine  bis  dahin  getroffenen 
Einrichtungen  vom  Senat  in  Rom  bestätigen  und  schiffte  sich  im 
Frühjahr  zur  Rückkehr  nach  Rom  ein.') 

§  75.     Das  Frinoipat  des  Augustus. 

Die  Jahre  29  1.    Als  der  Erbe  Cäsars  mit  dem  Glanz  seiner  Erfolge  sich 

^       ^*     'Rom  zuwandte,  ging  die  allgemeine  Erwartung  dahin,  dafs  nun- 


1)  Dio  51,  3  f.  Auf  die  Rückkunft  des  Octavian  war  das  Attentat  des 
jüngeren  Lepidus  (ob.  S.  119  A.  1)  geplant 

2)  Besetzung  ?on  Alexandrien  am  1.  August  (Eal.  Antiat.  z.  d.  Tag: 
Äug{u8tii8)  Äl€X(andream)  recepit);  und  damit  wurde  der  vor  den  Einzug  fallende 
Tod  des  Antonius  zusammengenommen,  (Eal.  Amit.  z.  d.  Tag:  feriae  ex  8.  c, 
q{uod)  e(o)  d(ie)  imp.  Caesar  divi  f,  rempublic(am)  iristissimo  periculo  liherat\ 
welcher  Ausdruck  eben  auf  die  Beseitigung  des  Antonius  zu  deuten  ist 
Da  mit  dem  Tode  der  Eleopatra  der  Übergang  Ägyptens  in  das  römische 
Beich  zusammenfällt,  so  sollte  fQr  jenen  bestimmend  sein,  daJs  die  römische 
Ära  Ägyptens  am  SO.  August  des  J.  30  beginnt;  allein  kalendarische  Rück- 
sichten lassen  es  möglich  erscheinen,  dafs  der  Anfang  dieses  Jahres  nach- 
träglich so  fixiert  wurde,  wenn  auch  Eleopatra  nicht  genau  an  diesem  Tage 
gestorben  war.  Vgl.  Ideler,  Handb.  der  Chronol.  1,  154  f.  Mommsen,  röm. 
Chronol.  S.  262  f.  —  Nach  Rom  kam  die  Nachricht  vom  Tode  des  Antonius 
einige  Wochen  später,  da  eben  der  Sohn  Ciceros  Eonsnl  war.    Dio  51,  19. 

3)  Dio  61,  16—21  Auf.  c.  20:  (in  Rom)  tä  xQUxd^ivta  v%  avtov 
navztt  iv  avx'^  xy  tov  'lavovaqCov  vovfirivia  oq-kois  ißsßaicaffccvxo.  Sueton 
läfst  den  Octavian  das  vierte  Eonsulat,  das  vom  J.  30,  in  Asia,  das  fünfte 
in  SamoB  antreten;  nach  Dio  51,  2.  4.  18  war  es  umgekehrt.  Den  Breignissen 
entspricht  die  Angabe  Dies  besser,  auch  war  er  mit  seiner  annalistiBcben 

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—     127    — 

mehr  eine  Alleinherrschaft  werde  aufgerichtet  werden,  die  un- 
mittelbar auf  den  durch  die  Diktatur  Cäsars  gelegten  Grundlagen 
weiter  baue.  In  diesem  Sinne  waren  die  Beschlüsse  gehalten, 
mit  denen  man  den  Sieg  in  Ägypten  und  das  günstige  Abkommen 
mit  den  Parthem  begrüfste,  Beschlüsse,  die  nicht  die  Gewaltfrage 
betrafen  —  denn  diese  lag  durchaus  in  den  Händen  des  Siegers  — , 
sondern  die  personliche  Stellung,  indem  sie  durch  weitere  Aus- 
dehnung des  Rechts  der  tribunicia  potestas  und  durch  Ehrenbezeu- 
gungen religiösen  Charakters  den  Octayian  dem  Mafs  von  Erhöhung 
zufahren  sollten,  welches  dem  Erben  des  zum  Gott  erklärten  ver- 
ewigten Cäsar  gebührte.  *)  In  diesem  Sinne  begrüfste  der  Dichter 
Yergil  in  der  Einleitung  seiner  Georgica  den  vor  dem  Einzug  in  Rom 
in  Unteritalien  verweilenden  Herrn  in  bisher  unerhörter  Schmei- 
chelei als  einen  Gott,  um  den  sich  Erde  und  Himmel  streiten.^) 
Allein  Octavian  selbst  dachte  anders.  Er  kam  allerdings  als 
Imperator  Caesar  mit  der  in  der  Art  eines  Namens  ererbten  Be-  Der  Name 
Zeichnung  (ob.  S.  30  A.  2),  die  er  schon  seit  einigen  Jahren 
wieder  aufgenommen  hatte*),   und   er  führte  von  da  ab  diesen 

Erzählozigsweise   einer  Yerwechslong  weniger   ansgesettt  als   Saeton   mit 
seiner  statistisch-summarischen. 

1)  Ober  die  Ehrendekrete  Dio  51,  19;  ebendas.:  xal  xov  KaCaaqa  xr^v 
T8  liovaiav  xt^p  x&v  SfjfiaQxatv  dia  ß^ov  i%Hv  tmlI  xotq  intßonfLSvois  avxbv 
xal  ivxog  xov  na>fLriifü)v  %cci  l|a>  fiixQig  oydoov  rutiaxadiov  afivvsiv,  o  firidevl 
tuv  SrjiuxQxovvxav  iirji^.  Das  beigefügte  ixnXrjxov  x(  SiyidSsiv  xal  ipijtpop 
uva  ctvxov  iv  %aai  xotg  dvmeiGxriqloii  m^niQ  'A^7]vccg  tp^Qsad'ai  tritt  hier  auf 
ohne  Beziehung  anf  eine  umfieissendere  Ordnung  des  Gerichtswesens  und 
ohne  ersichtlichen  Zusammenhang  mit  den  späteren  Einrichtungen.  August 
selbst  scheint  hieraus  keine  weiteren  Eonsequenzen  gezogen  zu  haben. 
Über  das  Verhältnis  der  verschiedenen  Beschlüsse  betr.  die  tribunicische 
Gewalt  8.  unten;  die  oben  angeführten  Worte  Dies  bis  afivvstv  darf  man 
wohl  als  in  dem  betr.  Gesetz  —  denn  durch  ein  Gesetz  mufs  die  Über- 
tragung gegangen  sein  —  enthalten  annehmen.  Huldigungen  religiöser  Art 
ebendas. :  tov;  xe  CaQiag  xal  xag  tsQtiag  ip  xaig  vniQ  xs  xov  9ii(iov  %al  xrjg 
ßovlijg,  svxaCg  %al  vn^Q  i%eivov  ofioüxtg  BvxBod'ai  xal  iv  xoig  avaaxloig  ovx 
OTi  xoig  notvoig  dXla  xttl  xoig  IdCotg  ndvxag  avxA  cnivdsiv  ineXsvaav,  c.  20: 
InsiSri  %al  xä  ncffl  xmv  Tldq^aiv  y^äfifLccxa  '^Xd'BVf  ig  xs  xovg  vfivovg  avxov 
ii  t0ov  xoig  ^soig  igyQd(pea^ai  —  nQognaxsaxijaavxo. 

2)  In  dieses  Jahr,  speziell  auf  die  von  Sueton  bei  Douat  (ßeifferscheid, 
Suet.  reliq.  p.  61)  erzählte  Vorlesung  in  Atel la  gerichtet,  beziehe  ich  Vergil 
Qeorg.  1,  24—42,  während  die  Verse  498  ff.,  wie  sie  früher  gedichtet  waren, 
auch  femer  stehen  blieben  und  stehen  bleiben  konnten;  ?gl.  insbes.  y.  42: 
votis  iam  nunc  adauesce  vocari  mit  Dio  51,  20  (?orherg.  A.). 

3)  Imperator  Caesar  findet  sich  in  den  fasti  colot.  (c.  i.  1.  1  p.  466) 

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-     128     - 

Namen  in  Anknüpfung  der  neuen  Ordnung  an  seinen  Adoptiv- 
vater; eine  seiner  ersten  Handlungen  war  auch  di  hung 
des  Tempels^);  den  man  im  J.  42  dem  als  Gott  erklärten  Cäsar, 
dem  diviis  Julius ,  wie  er  nun  zu  nennen  war,  zuerkannt  hatte 
(ob.  S.  85  A.  1);  er  kam  zunächst  noch  als  Inhaber  der  vollen  Kriegs- 
gewalt, die  ihm  zustand  bis  zum  Triumph.  Wenn  es  nun  für 
die  weitere  Gestaltung  der  Regierungsstellung  des  Imperators  auf 
die  augenblickliche  Stimmung  der  Bevölkerung  angekommen  wä,re, 
so  konnte  er  von  dieser  alles  erreichen:  mit  voller  Freude  gab 
man  sich  dem  Gedanken  hin,  dafs  nunmehr  die  Periode  der 
Bürgerkriege,  die  schwere  Zeit  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  über- 
wunden^) und  auch  nach  aui^en  der  Friede  überall  so  weit  ge- 
sichert war,  dafs  der  Janustempel  geschlossen  werden  konnte.*) 
Allein  anders  verhielt  es  sich  mit  dem  Senat  und  überhaupt  den 
höheren  Schichten  der  römischen  Gesellschaft,  zumal  den  Ange- 
hörigen der  alten  Familien.  Einer  Majorität  im  Senat  war  er 
wohl  auch  jetzt  selbst  für  die  weitest  gehenden  Anträge  seiner 
Anhänger  sicher;  aber  diese  Majorität  war  aus  Elementen  von 
höchst  zweifelhaftem  Charakter  zusammengesetzt  und  eine  übel- 
wollende Minorität,   die  jetzt  widerwillig   der  Strömung  folgte, 

beim  J.  43;  imp,  Caes.  divi  f.  in  den  feisti  triumph.  Capit.  zum  J.  40  und 
in  den  fast.  cons.  Cap.  zum  J.  37;  aber  diese  Benennung  in  den  Fasten 
gehört  der  Redaktion  derselben  an.  Gleichzeitiges  authentisches  Zeugnis 
geben  die  Agrippamünzen  bei  Cohen  m^d.  cons.,  woneben  auch  die  In- 
schriften der  Mauern  von  Tergeste  c.  i.  1.  V.  n.  625.  626  (ob.  S.  120  A.  3) 
in  Betracht  kommen.  RegelmäTsig  aber  führt  er  diesen  Namen  mit  dem 
Charakter  des  imperator  als  praenomen  unter  Weglassung  des  Vornamens 
C.  vom  J.  29  ab.  Welche  Bedeutung  der  in  der  Etymologie  liegende  Zu- 
sammenhang mit  imperium  haben  sollte,  hing  bei  ihm  ebenso  von  der 
weiteren  Gestaltung  der  Stellung  ab  wie  früher  bei  Cäsar  (vgl.  ob.  S.  30  A.  2). 

1)  Dio  51,  22,  wonach  im  J.  29  die  Einweihung  der  curta  Jtäia  und 
der  aedes  divi  Julii  stattfand. 

2)  Liv.  epit.  133:  imposito  fine  civilibus  hellis  aXtero  et  vicesimo  anno. 
Yell.  2,  89:  finita  vicesimo  anno  bella  civilia  etc.  Tac.  ann.  8,  28:  exin 
continua  per  viginti  annos  discordia. 

3)  MoDum.  Ancyr.  lat.  2,  42  (mit  den  aus  dem  Griechischen  Text  ent- 
nommenen Ergänzungen,  bei  Mommsen  r.  g.  p.  49):  Janum  Quirinum,  quem 
clausum  esse  maiores  nostri  voliienmt,  cum  per  totum  imperium  popuU  Bo- 
mani  terra  marique  esset  parta  victoriis  pax,  cum  priusquam  nascerer^  a 
condita  urbe  bis  omnino  clausum  fuisse  prodatwr  memoriae,  ter  me  principe 
senatus  claudendum  esse  censuit.  Von  Schriftst.  u.  a.  Dio  61,  20,  wo  be- 
merkt ist,  dafs  Octavian  über  diesen  Senatsbeschlufs  besonders  erfreut  ge- 
wesen sei. 


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—    129     - 

hatte  der  Herstellung  einer  festen  Regierung  die  grofsten  Schwierig- 
keiten tA,iv.  Jn  können,  um  so  gröfsere,  wenn  sie  nicht  offen  auf- 
trat. An  eine  Regierung  aber,  welche  den  Senat  beseitigte  oder 
auch  nur  in  der  Weise  herabsetzte,  wie  es  Cäsar  gethan,  war 
selbst  gegenüber  der  Bevölkerung  auf  die  Dauer  nicht  zu  denken. 
So  entschloss  sich  Octavian  in  entschiedenem  Gegensatz  gegen 
Cäsar,  den  Senat  gerade  als  die  Stütze  seiner  Regierung  darzu- 
stellen und  auf  das  Verhältnis  zu  ihm  hin  auch  die  Form  der 
Machtstellung,  die  er  sich  zudachte,  zu  richten.  Die  Natur  dieser 
Machtstellung  aber  sollte  der  Art  sein,  dafs  sie  ihm  und  dem 
Gemeinwesen  dieselben  Dienste  leiste,  wie  die  cäsarische  Diktatur 
ohne  die  Gefahren,  welche  aus  dieser  erwachsen  waren. 

Vor  allem  aber  sollte  im  Interesse  der  persönlichen  Sicher-  Beinigung  des 

Senats. 

heit  des  Imperators  wie  der  Würde  der  Körperschaft  selbst  der 
Senat  als  Behörde  wie  als  Repräsentant  eines  Standes  eine  Art 
Wiedergeburt  erfahren.  In  diesem  Sinne  ging  Octavian,  nachdem 
er  in  den  vom  13.  bis  15.  August  gefeierten  Triumphen  die  volle 
Gröfse  seines  Siegs  entfaltet  hatte,  zuerst  an  die  Reinigung  des 
Senats.  Es  war  diese  Behörde,  deren  Normalzahl  von  Cäsar  her 
noch  900  war,  auf  mehr  als  1000  Mitglieder  angewachsen,  und 
damit  auf  eine  Zahl,  die  für  eine  erspriefsliche  Thätigkeit  viel 
zu  grofs  war.  Da  nun  überdies  eine  reichliche  Menge  gefahr- 
licher und  unwürdiger  Senatoren  darunter  war,  so  wurde  —  und 
zwar  noch  im  J.  29  —  eine  Reduktion  vorgenommen,  bei  welcher 
er  natürlich  auch  die  Erfahrungen  der  letzten  Zeit  verwertete. 
Um  nicht  zu  gewaltsam  vorzugehen,  wurde  zuerst  zu  freiwilligem 
Rücktritt  aufgefordert;  da  aber  die  Zahl  der  sich  dazu  erbieten- 
den nur  etwa  fünfzig  betrug,  wurden  noch  mehr  als  zweimal  so 
viele  zwangsweise  entfernt  und  im  Ganzen  so  gegen  200  be- 
seitigt.^) Freilich  da  zugleich  neue  Mitglieder  aufgenommen 
wurden^),  so  war  die  cäsarische  Normalzahl  noch  nicht  aufge- 
geben; aber  weiter  zu  gehen  war  für  jetzt  bedenklich.  Hatte 
doch  Octavian  nur  mit  ängstlichen  Vorkehrungen  für  seine  Sicher- 
heit diese  Mafsregeln  vorgenommen.  Um  aber  die  Berechtigung 
zu  zeigen,  machte  er  die  Namen  der  zwangsweise  entfernten  be- 
kannt, während  den  andern  die  Standesehren  gelassen  wurden. 
Im  Zusammenhang  mit  der  Vorsicht  gegen  die  im  Senate  noch 


1)  Dio  62,  42.    Sueton  Aug.  35. 

2)  Dio  a.  a.  0.:  stioovg  ti  ttvag  ßovlsvstv  InoCrics.  r^^^^T^ 
[erzog,  d.  röm.  Staatsrerf.  ü.  1.                                                                 9^           ^  O 


-     130     - 

verbleibenden  gefahrlichen  Elemente  wurde  allen  Senatoren  yer- 
boten,  ohne  Erlaubnis  Octavians  in  die  Provinzen  zu  reisen.^) 
Neben  dieser  Läuterung  des  obersten  Standes  ging  eine  direkte 
vermehnmg  Erhöhung  der  obersten  sozialen  Klasse  her,  indem  Oetavian,  nach- 
'  dem  er  schon  am  Schlufs  des  J.  30  durch  ein  Gesetz  des  Kon- 
suls L.  Sänius  und  einen  darauf  folgenden  Senatsbeschlufs  dazu 
bevollmächtigt  worden  war,  nach  dem  Beispiel  Cäsars  (ob.  S.  38) 
einen  Patrizierschub  vornahm*),  bei  ihm  zugleich  ein  Zeichen 
dafür,  dafs  er  die  Einrichtungen,  namentlich  religiöser  Art,  die 
von  Alters  her  an  das  Patriziat  gebunden  waren,  aufrecht  erhalten 
wollte. 
Deünienmg  der  Die  angeführten  noch  ins  J.  29  fallenden  Mafsregeln,  zu 
vian«  im  j.  29.  dcucn  auch  noch  Anordnungen  hinsichtlich  der  Kolonisation 
Karthagos  und  der  auswärtigen  Politik  kommen,  sind  in  ihrem 
Verhältnis  zu  der  Stellung,  welche  Octavian  zur  Zeit  ihrer  Vor- 
nahme in  Anspruch  nahm,  schwierig  zu  beurteilen,  und  es  ist 
überhaupt  nach  dem  Stande  unserer  Überlieferung  die  Definierung 
seiner  damaligen  Gewalt  vielleicht  das  schwierigste  Problem,  das 
seine  Laufbahn  jetzt  noch  bietet.  Der  Grund  liegt  wesentlich 
darin,  dafs  Octavian  selbst  den  Dingen  nicht  den  richtigen  Namen 
geben  will.  Sicher  ist,  dafs  er  bis  zum  J.  27  aufserordentliche 
Gewalt  in  Händen  hatte,  neben  dem,  dafs  er  jedenfalls  das  Kon- 
sulat das  ganze  J.  28  hindurch  bekleidete;  denn  nach  seiner 
eigenen  Angabe  hat  er  erst  am  13.  Januar  27  die  Verfassung 
wiederhergestellt  (s.  unten),  und  selbst  wenn  er  im  J.  29,  ebenso 
wie  in  den  vorhergehenden  und  nachfolgenden  Jahren  ununter- 
brochen Konsul  war,  so  ging  doch  die  Konzentration  aller  Pro- 
vinzen und  Heere  in  seiner  Hand  über  die  verfassungsmäfsigen 
Befugnisse  des  Konsulats  hinaus.  Er  sagt  ferner  von  sich  selbst^ 
er  habe  im  J.  28  in  dem  Konsulat,  das  er  mit  Agrippa  beklei- 
dete, den  Census  gehalten;  ein  Teil  dieses  Census  aber  war  die 
Läuterung  des  Senats,  welche   er  im  J.  29  vornahm^),  also  in 

1)  Die  a.  a.  0.:  n^oganetns  näat  totg  ßovXevovai  ^17  i%9rjiLSiv  i^to  t^S 
*IxaXCag^  r^v  yiri  avxog  xivi  Hslsvaij  ^  xal  ^nixqijpTi, 

2)  Monum.  Anc.  I.  2,  1:  patriciorum  numerum  auxt  constil  quintwn 
iussu  popuU  et  senatus.  Die  a.  a.  0.  Zu  dem  iiASSVfS  populi,  den  Die  nicht 
angiebt,  vgl.  Tac.  ann.  11,  25:  exhaustis  (familiis),  quas  dictator  Caesar  ^9^ 
Cassia  et  princeps  Äugustus  lege  Saenia  sublegere.  Ober  einen  angeblichen 
Vorgang  hierin  ob.  S.  120  A  1. 

3)  Dio  52,  42 ;  (im  J.  29)  xal  fif  ra  xavxa  tifirjxsvaag  avv  xa  'JyQ^itxa 
aXla  xi  xivcc  SicoQd'foae  xal  x^v  povlr^v  i^i^xaasv. 

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-     131    — 

einer  Zeit;  in  welcher  er  jedenfalls  nicht  mit  Agrippa  zusammen 
Konsul  war,  und  nach  einem  Zeugnis  im  letzten  Viertel  des 
Jahrs  nicht  einmal  selbst^),  aber  auch  wenn  Octavian  sein  fünftes 
Konsulat  das  Jahr  durch  beibehielt,  so  wäre  es  doch  unerhört 
gewesen,  einen  Ceusus  unter  zwei  verschiedene  Eonsulpaare  zu 
verteilen,  selbst  wenn  ein  Mitglied  in  beiden  Kollegien  dasselbe 
war;  er  kann  also  nicht  wohl  durchaus  als  Konsul  den  Census 
gebalten  haben.  Ebenso  wenig  aber  ist  zulässig,  dafs  er  die 
eine  Hälfte  des  Census  mit  einer  besonderen,  censorischen  oder 
anderweitigen  aufserordentlichen  Befugnis  abmachte,  die  andere 
als  Konsul.  Dafs  er  nun  die  mit  dem  Triumvirat  gegebene 
Exekutive  und  konstituierende  Gewalt  sogar  nach  dem  Verschwinden 
auch  des  Antonius  ohne  weiteres  bis  zum  J.  27  fortgeführt  hätte, 
kann  nach  dem  oben  (S.  123  ff.)  Ausgeführten  nicht  angenommen 
werden;  jetzt  vollends  hätte  dies  als  eine  Usurpation  erscheinen 
müssen;  aber  die  anderweitigen  Erklärungen,  welche. die  alteu 
Quellen  geben,  sind  ebenso  wenig  befriedigend.  Dio  laust  im 
J.  29  den  Octavian  die  oberste  Vollgewalt  als  in  dem  Titel  Im- 
perator gelegen  erblich  übernehmen  und  auf  dies  hin  den  Census 
mit  Agrippa  führen,  Sueton  dagegen  kraft  lebenslänglicher  Sitten- 
und  Gesetzesgewalt,  die  er  erhalten  hätte,  jenen  Census  vornehmen, 
beide  unter  sich  uneins  und  jeder  mit  seiner  Auffassung  aus- 
drücklichem Zeugnis  des  Octavian  zuwider.^    Unter  diesen  Um- 


1)  Sneton  Aag.  26:  Quinque  medios  consulatus  a  sexto  ad  decimum 
cmnuos  gessit^  .ceteros  atU  novem  atU  sex  aut  quattuor  aut  tribus  mensibxM, 
Meeundum  vero  paucissimis  lioris.  Das  vom  J.  29  wäre  demnach  neun- 
monatlich gewesen.  Dagegen  Dio  51,  21:  (6  Kataag)  xal  tovxo  nciv  xo  hog 
mcxBQ  Tucl  %a  dvo  tä  nQovsQa  vndxBvasv,  Ein  sonstiges  entscheidendes 
Zeognis  giebt  es  nicht. 

2)  52,  41:  iv  x^  ixu  l%BCv(Oy  iv  m  x6  nifinxov  vndxBvas  —  xr^v  xov 
avxoHQaxoQog  inluXrjaiv  inid'sxo'  Xiym  91  ov  xrjv  inl  xatg  vUatg  %axd  x6 
dgxcdov  didoftivriv  xi^iv  —  dlXa  xriv  ixiffccv  xr^v  xb  %Qdxog  9ia0ri(iahovaccv 
naxtif  tm  xs  jsoxqI  avxov  xm  Kaüfagi  nal  xoig  ncctal  xoig  xs  syyovoig  iiffi^- 
<picxo'  %al  fLsxä  xavxa  xifiijxBvcccg  u.  s.  w.  (ob.  S.  180  A.  3).  Dagegen  spricht  die 
RQckgabe  des  Gemeinwesens  an  Senat  und  Volk  in  den  J.  28  und  27  (mon. 
Anc.  8.  unten);  denn  damit  ist  nicht  nur  die  Erblichkeit  hinfällig,  sondern 
aach  die  Bedeutung  des  imperator  als  Herrscher,  da  er  ja  imperator  blieb, 
die  Ton  Dio  damit  verbundene  Gewalt  aber  abgab.  —  Sueton  Aug.  27: 
recepü  et  tnorum  legumque  regimen  aeque  perpetuum,  quo  iure  quamquam  sine 
censurae  honore  censum  tarnen  popuU  ter  egity  primum  ac  tertium  cum  cöllega^ 
medium  scHus.  Dagegen  spricht  die  Erklärung  im  Mon.  Anc.  (s.  unt.),  dals 
ihm  die  cura  morum  Ugumque  angeboten,  aber  von  ihm  nicht  angenommen 

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ständen  bleibt  nur  übrig,  die  eigene  hinsichtlich  der  formellen 
Vorgänge  unbestimmte  Erklärung  Augusts  durch  Kombination 
auszudeuten.  Wenn  er  sagt,  die  Gewalt,  welche  er  im  J.  27 
zurückgegeben,  habe  er  nach  den  Bürgerkriegen,  dem  allgemeinen 
Wunsche  seiner  Mitbürger  entsprechend,  geführt,  so  liegt  darin, 
er  habe  auf  Kundgebungen,  die  ihm  im  J.  29  geworden,  es  auf 
sich  genommen,  die  aufserordentliche  Gewalt,  die  er  aus  dem 
Kriege  mitgebracht,  weiter  zu  fähren.  Der  Umstand,  dafs  er 
keinen  formellen  Akt  nennt,  der  diese  Fortführung  der  Gewalt 
legalisierte,  schliefst  nicht  aus,  dafs  er  einen  solchen  vollziehen 
liefs;  denn  es  ist  immerhin  erklärlich,  dafs  er  lieber  den  Moment 
des  freiwilligen  Entgegenbringens  betonte  als  die  formelle  Über- 
tragung, die  als  erzwungen  erscheinen  konnte*),  und  dafe  auch 
die  übrige  Überlieferung  über  diesen  Akt  nichts  Authentisches 
weifs,  liefse  sich  teils  dadurch  erklären,  dafs  Octayian  selbst  ihn 
nicht  erwähnt,  teils  dadurch,  dafs  er  ohne  besonderes  Aufsehen 
sich  vollzogen.  Der  Wortlaut  der  Angabe  des  Augustus  selbst 
weist  darauf  hin,  dafs  nach  den  Bürgerkriegen,  d.  h.  im  J.  29, 
etwas  Neues  eintrat.*)  Die  Form  solcher  Legalisierung  aberlälst 
sich  so  denken,  dafe  ihm  das  imperium  consulare  definiert  wurde 
nicht  blofs  als  über  alle  Provinzen  und  Heere  sich  erstreckende 
Exekutive,  sondern  auch  als  konstituierende  Gewalt  einschliefslich 

worden  sei,  wobei  noch  in  Betracht  kommt,  dafs  dieses  Angebot  ins  J.  19 
fällt,  Augast  also  nicht  vorher  schon  diese  cwa  als  perpetiM  gehabt  haben 
kann.  Wenn  Tacitus  1,  2  sagt:  postquam  —  inier fecto  Antonio  ne  JuUanis 
quidem  partibus  niai  Caesar  dux  reliquus,  posito  triumviri  nomine  eonsukm 
se  ferens  et  ad  tttendam  plebem  tribunicio  iure  contentum,  so  ist  mit  dieser 
allgemeinen  nnd  als  solcher  richtigen  Charakteristik  für  die  Prä,zision  der 
einzelnen  Zeitmomente  nichts  gegeben. 

1)  Vgl.  Snet.  Aug.  o.  57:  otniUo  seruxtus  consuUa,  quia  possunt  videri 
vel  necessitate  ecßpressa  vel  verecundia. 

2)  Mon.  Ancyr.  lat.  6,  13:  In  consulatu  sexto  et  septimo  (28  und  27) 
b[eUa  ubi  cimT]ia  exstinxeram,  per  consensum  universorum  [poiitus  rerum 
omn]iumf  rempublicam  ex  mea  potestate  in  8enat[u8  populique  Eomani  a]rbürium 
transtuli.  Die  hier  mit  Mommsens  Ergänzungen  bezeichnete  Stelle  lautet 
im  Griechischen:  fistä  ro  tovg  ivtpvXlovg  ößiocct  fis  noXifLovg  [xjctra  täs 
svxocg  rmv  ifioäv  noXs\jL]tmv  ivnQatrig  yevofisvog  navTcav  xmv  nQuyiuitfOV. 
Stellung  der  Satzteile  und  Ausdruck  weisen  darauf  hin,  ivyiQatiig  ysvofifvoi 
auf  einen  bestimmten  Moment  nach  der  Rückkehr  aus  dem  Krieg  zu  deuten, 
und  dafs  der  Ausdruck  nicht  die  thatsächliche  Alleinherrschaft  durch  den 
Sieg,  sondern  eine  politische  G^waltübemahme  bezeichnet,  liegt  in  dem 
per  consensum. 


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—     133    — 

des  Rechts  der  Censur,  des  letzteren  entweder  mit  eigener  Wahl 
des  Gehilfen  oder  so^  dafs  ihm  Agrippa  als  Kollege  dafür  gegeben 
wurde.  Dabei  wäre  aber  anzunehmen,  dafs  er  das  Konsulat,  wie 
Die  berichtet,  das  ganze  Jahr  hindurch  führte.  Dafs  die  disparaten 
Elemente,  welche  die  thatsächliche  Ausübung  seiner  Gewalt  neben 
dem  Konsulat  in  sich  schTofs,  das  Heeres-  und  Provinzialkommando, 
die  konstituierende  und  die  censorjsche  Gewalt  je  besonders  ver- 
liehen imd  definiert  worden,  wäre  denkbar  und  zu  vereinigen  da- 
mit, dafs  er,  wie  Sueton  angiebt,  im  J.  29  das  Konsulat  nur 
9  Monate  führte;  allein  es  würde  dies  in  die  Darstellung  des 
Octavian  selbst  noch  viel  aufifallendere  Lücken  hineintragen.^) 

Indessen,  mit  welcher  Begründung  Octavian  die  Gewalt  nun 
fahrte,  er  betrachtete  sie  in  dieser  Weise  jedenfalls  als  eine 
vorübergehende  und  legte  in  sie  die  Aufgabe,  eine  neue  Ordnung 
auf  anderer  Grundlage  zu  schaffen.  Schon  in  der  konsularischen 
Amtsführung  des  J.  28  wird  hervorgehoben,  wie  er  in  dem 
Wechsel  der  Fasces  demonstrativ  sein  Konsulat  als  verfassungs- 
mäfsig  vor  Augen  führte.^)  Bei  der  Feststellung  der  neuen 
Senatsliste  sodann  liefs  er  sich  als  princeps  senatns  erklären,  zw- prinoep»  »enatus 
nächst  in  keinem  anderen  Sinn  als  in  dem  althergebrachten  des  absoiatem  sinn, 
ersten  Votanten,  selbstverständlich  mit  der  Tragweite,  dafs  er 
damit,   wie    dies    die   alte  Übung    war,   regelmäfsig   als  solcher 


1)  Dafs  man  nicht  etwa  aus  der  Angabe  Dios  die  Definition  der  Be- 
dentoDg  von  imperator  herausnehmen  nnd  sie  im  übrigen  för  richtig  er- 
kiajen  darf  mit  der  Deutung,  dafs  neben  feierlicher  Übernahme  des  Impera> 
tomamens  die  Übertragung  der  censorischen  Gewalt  (tifirjtsvaas)  stattfand, 
ergiebt  sich  daraus,  dals  dann  die  prokonsularische  Gewalt  keinen  Boden  hat. 
Dagegen  könnte  man  zur  Erklärung  von  per  consensttm  universorum  den  Vor- 
gang Tom  J.  12  nach  Suetons  (c.  58)  authentischer  Darstellung  (ipsa  —  posut) 
beiziehen:  Patris  patriae  cognomen  universi  repentino  maximoque 
consensu  detulertmt  ei:  prima  pJebs,  legaHone  Antium  missa,  dein,  quia 
non  redpiebat,  inetmti  JRomae  spectacula  freguens  et  laureata;  mox  in  curia 
senatw  neque  decreto  neque  adclamatione ,  sed  per  Valerium  Messalam.  Is 
mandaniihiM  cundiSy  quod  bonum,  inguit^  fausturngtie  sit  tibi  domuigue  tuae, 
Caesar  Auguste!  senatus  ie  consentiens  cum  populo  B.  consalutat  pcUriae 
patrem.  Darauf  folgt  die  annehmende  Erwiderung  Augusts.  Doch  war 
bieför  das^  um  was  es  sich  im  J.  29  handelte,  zu  inhaltsreich  und  wichtig. 

2)  Vgl.  ob.  S.  182  A.  2:  in  conmlatu  sexto  et  septimo  ■—  remp.  transiiUi. 
Dio  53,  \:  td  TB  aXXa  nccta  t6  vofitiofisvov  dno  zov  ndvv  dq%aiov  ino^rjas 
Tud  rov$  q)a%iXovs  tmv  (dßdcav  tm  'AyQ^nna  Gvvdq%ovxl  ot  %ard  to  inißdXXov 
nttqidm'KsVj  ccvtog  ts  toctg  Iriffaig  ixQrjaato.  Es  wird  dies  dahin  zu  deuten 
sem,  dafs  er  dem  Vorgang  von  Cäsars  Konsulat  vom  J.  59  folgte  (1, 691 A.  2). 

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aufgerufen  werden  sollte,  während  in  der  den  Bürgerkriegen 
vorhergehenden  Zeit  der  Vorsitzende  sich  nicht  streng  an  den 
ersten  Namen  des  Verzeichnisses  gehalten  hatte ,  sondern  mit 
einer  gewissen  Freiheit  verfahren  war,  um  Männer,  die  damit 
als  principes  civitatis  bezeichnet  werden  sollten,  zu  ehren  und  vor 
der  Bürgerschaft  zu  bezeichnen.^)  Wenn  nun  jetzt  wieder  beides 
vereinigt  war,  der  erste  Platz  auf  der  Senatsliste  und  die  erste 
Stimme,  und  zwar,  wie  einst  bei  einem  Fabius  Maximus  im  zwei- 
ten punischen  Krieg,  dann  beim  älteren  Africanus,  bei  M.  Amilius 
Lepidus  (1,  383  f.)  oder  M.  ÄniiUus  Scaurus  (1,  480)  wiederholt 
oder  gar  dauernd ,  so  war  jener  ein  zugleich  anerkannter  prin- 
ceps  civitatis  oder  Romanik  fwminis  (1,  886  A.  4).  Aber  Octavian 
ging  nun  weiter:  er  machte  aus  dem  princeps  senatus  den  bleiben- 
den Titel  princeps^  in  dem  Siune,  dafs  er  damit  durch  eine  Art 
freiwilliger  Huldigung,  die  aber  doch  eine  bestimmte  äufsere 
Form  hatte,  als  die  leitende  Persönlichkeit  nicht  blofs  innerhalb 
des  Senats,  sondern  auch  im  sonstigen  bürgerlichen  Leben  be- 
zeichnet sein  sollte.  Zuerst  liefs  er  sich  wohl  princeps  noster 
im  Senate  nennen,  dann  den  Namen  auch  aufserhalb  des  Senats 
anwenden  und  schliefslich  machte  er  davon  in  offizieller  Weise 
Gebrauch.^)     Damit  war  ein  Titel  für  seine  Stellung  gefunden, 

1)  Wie  es  damit  unter  Cäsars  Diktatur  und  dem  Triumvirat  gehalten 
wurde,  ist  nicht  berichtet;  Cäsar  und  die  Triumvirn  stellten  sich  wohl  eben 
wie  Magistrate  dem  Senat  gegenüber,  und  so  konnte  man  den  Vorzug  der 
ersten  Stimme  unter  den  abstimmenden  Senatoren  in  indifferenter  Weise 
nach  der  Anciennetät  behandeln. 

2)  Dio  63,  1:  tag  dnoyQaq>äg  B^stiXsas  xttl  iv  avtai^s  ngoxifixog  t^s 
ycQOvaiag  ins-Klri^ri  maitsQ  ip  duifißsi  drjfio'KQttxia  ivsvofLiazo.  Dafs  Dio  den 
allgemeinen  Titel  princeps  aus  dem  princeps  senatus  ableitet,  geht  hervor 
aus  67,  8,  wo  er  das  Wort  des  Tiberius  wiedergiebt:  dsanotrig  filv  xmv 
dovlcavj  avTOHQdtmQ  91  tciv  ürgaTicDToäv,  rmv  91  dri  Xotnmv  ngotii^izog  slfH' 
Mommsen,  Staatsr.  2,  750  A.  4.  752  A.  1  sieht  darin  einen  schweren  Irr- 
tum Dies.  Gewifs  konnte  Dio  irren  und  hat  sonst  Späteres  in  die 
augusteischen  Ordnungen  hineingetragen;  dafs  er  aber  hier  recht  hat,  geht 
indirekt  aus  dem  Ancyranum  hervor.  In  diesem  gebraucht  er  wiederholt 
die  Bezeichnung  me  principe  (lat.  2,  45.  6,  6)  in  absolutem  Sinn,  er  erwähnt 
seine  Würde  als  princeps  senattis  (graec.  4,  2:  ngatov  diidfunzog  toxov 
tc%ov  zrig  ovv%XrizQV  axQi  zavvTig  zfjg  rifieqag^  rig  zavza  lyqatpov  ini  hri 
zBGcai^dnovza) ,  aber  nirgends  erwähnt  er  eines  besonderen  Momentes,  von 
dem  die  Bezeichnung  ^princeps*  in  ersterem  Sinn  abzuleiten  v^äre,  und 
doch  müTste  für  diesen  neuen  und  besonderen  Titel  mindestens  der  cofi- 
sensus  universorum  als  Begründung  angenommen  werden;  den  aber  hätte 
August  für  eine  ihm  so  genehme  Bezeichnung  sicher  angeführt.  Hing  dagegen 


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der  konstitutionell  unverfänglich  und  doch  zugleich  ebensowohl 
von  sachlichem  Gewicht  wie  anerkannt  höchst  ehrenvoll  ihn 
dauernd  über  seine  Mitbürger  erhob. 

Was  sonst  vom  J.  28  berichtet  wird,  war  durchaus  dazu  Mararegein  des 
angetban  anzuzeigen,  in  welchem  Sinn  die  Leitung  des  Staats- 
wesens künftig  geführt  werden  sollte.  Hebung  der  Verwaltung, 
bezüglich  der  Finanzen  durch  Neuerung  der  Geschäftsführung 
und  Eingreifen  mit  eigenen  Mitteln,  des  Gerichtswesens  durch 
zweckmäfsigere  Verteilung  der  Jurisdiktion,  der  Religion  durch 
Erneuerung  des  Nationalen  und  Verbot  verwirrender  fremder 
Kulte  —  diese  Grundzüge  der  späteren  augusteischen  Politik 
werden  schon  jetzt  durch  einzelne  Anordnungen  eingeleitet.^) 
Schliefslich  wurde  alles,  was  in  diesem  Jahr  Verfassungswidriges 
geschehen  sei,  durch  eine  Verordnung  aufser  Wirkung  gesetzt.^) 
Eine  so  allgemeine  Erklärung  hatte  freilich  nur  beschränkten 
Wert^  denn  der  BegriflF  dessen,  was  aus  der  jüngsten  Vergangen- 
heit „gesetzwidrig"  gewesen,  war  doch  im  einzelnen  Fall  zu 
prüfen;  allein  das  Edikt  mufste  guten  Eindruck  für  den  Augen- 
blick machen  und  liefs  freie  Hand  für  die  Zukunft.  —  Am 
31.  Dez.  dieses  Jahres  leistete  Octavian  für  sein  Konsulat  den 
Abgangseid  auf  die  Gesetze,  wie  er  unter  der  Republik  üblich 
gewesen  war,  und  trat  am  Tag  darauf  das  siebente  an. 

2.   Am  13.  Jan.  des  J.  27   trat  er  sodann,  um  die  in  demnieNeaordnuug 
letzten  Jahre  eingeleitete  Rückkehr  zur  Verfassung  zu  vollenden. 


der  Titel  mit  dem  princeps  senatus  zusammen,  so  ist  die  absolute  Bedeu- 
tung nioht  unmittelbar  allgemein  geworden,  sondern  allmählich,  indem 
Augustus  zu  erkennen  gab,  daTs  ihm  diese  Bezeichnung  angenehm  sei. 
Das  früheste  Zeugnis,  gleichsam  ein  Fühler  für  den  allgemeinen  Gebrauch, 
ist  yielleicht  Hör.  carm.  1,  2,  50:  hie  ames  dici  pcUer  atque  princeps.  Und  nun 
ist  allerdings  auch  die  Bezeichnung  eine  besondere^  lateinisch  princeps  ab- 
solut, griechisch  Tiysfimv  (mon.  Anc.  gr.  7,  9.  17,  9.  =  1.  2,  46—6,  6).  Ana- 
log ist  dem  princeps  semxtus  mit  dieser  Fähigkeit  der  Erweiterung  des 
Begriffs  der  princeps  iuventtUis  mit  seiner  Doppelbeziehung  auf  die  Stellung 
an  der  Spitze  der  Ritterschaft  und  auf  die  Designation  zur  Nachfolge. 
Vgl.  Ovid.  ars  amat.  1,  194:  nunc  iuvenum  princeps,  deinde  fiUure  senum. 
Übrigens  erhellt,  dafs  das  hier  Erörterte  lediglich  eine  Frage  des  Ursprungs 
ist;  denn  nachdem  einmal  die  allgemeinere  Bedeutung  entstanden  war,  war 
etwas  Neues  gegeben,  das  nun  seinen  besonderen  Weg  ging. 

1)  Dio  68,  2. 

2)  Dio  a.  a.  0.:  insidti  noXla  ntxvv  %ard  xe  rag  ataastg  %dv  toig 
noXiiioig  alXwg  xe  %ccl  iv  rij  xov  'Avxavlov  xov  XB  Aenldov  9vvaQ%C<f  %oiX 
avofUDg  Hai  adUcDg  ixsxdxet^  ndvxa  avxd  di    ivog  nqoyQaftfiaxog  %axiXvasv 


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im  Senat  auf  mit  der  Erklärung,  dafs  er  die  ihm  anvertraute 
Leitung  des  Staats  wieder  zur  Verfügung  von  Senat  und  Volk 
stelle.^)  Es  wird  dieser  Akt  von  Dio  Cassius  dargestellt  als  ein 
verabredetes  Spiel,  das  nur  einen  Anlafs  zu  förmlicher  Über- 
tragung monarchischer  Gewalt  mit  einem  unanfechtbaren  Titel 
geben  sollte.  Sicher  hatte  auch  Octavian  damals  so  wenig  wie 
je  sonst  die  Absicht,  die  Gewalt  niederzulegen,  um  sich  ins 
Privatleben  zurückzuziehen  *) ,  aber  es  lag  doch  ein  ernsthafter 
Sinn  darin,  wenn  er  jenem  Akt  eine  konstitutionelle  Bedeutung 
beimafs.  Es  ist  bei  dem  Charakter  des  Mannes  nicht  unmöglich, 
dafs  er  den  Schein  einer  Niederlegung  aller  besonderen  Gewalt 
wählte^  um  dann  gegenüber  dem  Drängen  seiner  Anhänger  auf 
Wiederannahme  neuer  und  zwar  ausgesprochen  monarchischer 
Gewalt  ein  Programm  vorzulegen,  das  durch  seine  Mäfsigung 
überraschen  konnte;  aber  man  kann  die  Thatsachen  auch  dahin 
deuten,   dafs    er   bei  Niederlegung   der   alten  Gewalt   sofort  in 

OQOv  Tfjv  ^ntrjv  avzov  vncctsCav  nqoad's^g.  Tac.  ann.  3,  28:  sexto  consulatu 
Caesar  Äugustus^  potentiae  securus,  quae  triumviratu  iusserat,  aholevit  dedü- 
que  iura,  quis  pace  et  principe  uteremur. 

1)  Die  Erzählung  bei  Dio  63,  3  ff.  mit  der  Einleitung  c.  2  extr.:  h 
tfiv  YBQovciav  BlcijXd'ev  sßdo^ov  vnarsvav  ohne  Tagesdatum.  Dieses  iat 
zu  entnehmen  aus  fast.  Praenest.  z.  13.  Jan.:  Corona  quemfa  uH  super 
ianiMtn  domus  imp.  CaesarisJ  Ätigusti  ponerfetur  senatus  decrevit,  quod 
rempvhlicamj  p(opulo)  B(omano)  restituit,  und  aus  Ovid.  fast.  1,  689  f.  zo 
dems.  Tag:  redditaque  est  omnis  populo  provincia  nostro  et  tuus  Äugusto 
nomine  dictus  avus.  —  Das  Epochemachende  des  Aktes  v.  J.  27  tritt  bei 
Dio  in-  der  Darstellung  wohl  hervor,  auch  knüpft  er  c.  17  hieran  die  AnCBe- 
rung:  an'  avtov  (sc.  rov  Avyovatov)  xal  a-n^ißriq  fLOvagx^cc  itccriatri  nach 
seiner  Auffassung  des  Vorgangs;  indessen  hat  er  62,  1  auch  zum  J.  29  gesagt: 
Ix  dl  xovxov  fiovccQxetad'ai.  avd'ie  d^Qi^ßcig  jjq^avto  (pt  'Pmfiatoi).  Bei  der 
Art  des  Aufsteigens  des  Octavian  kann  man  verschiedene  Ausgangspunkte 
seiner  persönlichen  Gewaltstellung  nehmen,  je  nachdem  man  die  besonderen 
Akte,  durch  welche  ihm  imperium  und  Magistratstellung  verliehen  wurde, 
auffafst,  und  die  Quellen  zeigen  auch,  dafs  man  bei  persönlichen  Ehren- 
bezeugungen bald  den  bald  jenen  Moment  hervorhob,  (^g^-  Zusammen- 
stellungen darüber  Mommsen  Str.  2,  724  A.  8).  Für  den  Historiker  aber, 
der  nicht  die  persönliche  Stellung  allein,  sondern  die  damit  verbundene 
Begründung  des  bleibenden  Yerfassungszustands  ins  Auge  zu  fassen  hat, 
ist  das  J.  27  die  bedeutendste  Epoche. 

2)  Wie  es  Sueton  deutet  c.  28:  de  reddenda  rep.  bis  cogitavity  primtm 
post  oppressum  statim  Äntonium  —  ac  rt^rsm  taedio  diutumae  väletudim  — ; 
sed  reputans  et  se  privatum  non  sine  periculo  fore  et  iUam  pluriu» 
arbitrio  temer e  committi,  in  retinenda  perseveravit ,  dubium,  eventu  meUore 
an  voluntate. 


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Provlusen. 


-     137     - 

Aussicht  stellte^  er  wäre  bereit,  seine  Dienste  dem  Gemein- 
wesen auch  femer  in  neuer  Weise  zu  widmen*),  und  die  letztere 
Form  war  mehr  geeignet,  der  liberalen  Partei  des  Senats,  der 
gegenüber  allein  jenes  Spiel  Sinn  hatte,  einiges  Vertrauen  für  die 
Zukunft  einzuflöfsen.  Wie  dem  auch  sein  mag,  die  neue  Ord- 
nung selbst  wurde  nun  in  der  That  geschafifen.  Prokonsuia- 
Octavian  drückt,  was  er  abgab,  so  allgemein  wie  möglich  xeiiapg  der 
aus,  indem  er  sagt,  er  habe  das  „Gemeinwesen"  an  die  her- 
kömmlichen Gewalten  zurückgegeben^);  das  sollte  aber  nicht 
heülsen^  dafs  er  alle  Gewaltstellung,  die  er  damals  hatte,  nieder- 
lege; es  handelte  sich  nicht  um  Abgabe  des  Konsulats,  das  er 
eben  neu  angetreten,  selbst  nicht  um  Niederlegung  der  tribuni- 
cischen  Gewalt,  —  denn  diese  sollte  eine  Garantie  der  Volks- 
rechte sein  —  wohl  aber  gab  er  Heer  und  Provinzen  ab,  so 
dafs  mit  dem  Moment  seiner  Erklärung  Senat  und  Volk  das 
Recht  hatten,  die  Legionen  zu  entlassen  und  die  Provinzen  nach 
den  alten  dafür  bestehenden  Gesetzen  zu  vergeben  und  mit 
Truppen  auszustatten;  er  erkannte  femer  für  die  Zukunft  an, 
dafs  Gresetze  und  Senatskonsuite  für  die  Exekutive  bindend 
bleiben,  die  letztere  aber  durch  die  herkömmlichen  Magistrate 
in  der  diesen  verfessungsmäfsig  zukommenden  Weise  geführt 
werden  sollte.  In  demselben  Augenblick  aber  schlug  er,  um  den 
Anforderungen  der  Lage  und  den  durch  die  jetzige  ßeichsmacht 
bedingten  Ansprüchen  an  militärische  Bereitschaft  zu  genügen, 
vor,  diejenigen  Provinzen,  welche  zu  ihrer  Sicherung  eine  Heeres- 
macht bedürften,  also  insbesondere  die  Grenzprovinzen  auszu- 
sondern rmd  ihm  mit  dem  Titel  des  prokonsularischen  Imperiums 
auf  Zeit  zu  überlassen,  während  die  bereits  gesicherten,  ins- 
besondere die  Italien  zunächst  gelegenen,  die  zugleich  die  ein- 
traglichsten waren,  sofort  an  vom  Senat  bestellte  Magistrate  in 
jährlichem  Wechsel  übergingen,  dabei  aber  ohne  Legionen  zu 
verwalten  wären;  auch  für  diese  übrigens  bot  er  sich  an  in  er- 
gänzender  Weise   Oberaufsicht   zu   führen,   wie  ja   auch    schon 


1)  Neben  der  DarstelluDg  von  der  Komödie  einer  förmlichen  Ab- 
dankuDg  bei  Die  58,  8-— 11,  welche  durchaus  rhetorischen  Charakter  hat, 
findet  sich  c.  12  das  einfachere  Motiv:  xrjv  riy^y^ovlav  tovtoo  reo  tgonco  %ai 
nuQa  tijg  ysQOva^ag  tov  X6  9i^iiov  ißspaLciaatOy  povXr)9'elg  9h  9rj  xal  oo( 
*i?fM)t*icos  "ttg  slvtti  do^ai  Trjv  (ilv  €pqovx£6a  ti}v  zb  n^^oaxacCav  xmv  %oivmv 
viaav  mg  xal  imfisls^ag  xivog  ÖBOfisvcov  VTisSi^axo. 

2)  Vgl.  ob.  S.  132  A.  2:  rempublicam  —  transtuU. 

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-     138    — 

früher  von  Senat  und  Volk  ein  über  mehrere  Provinzen  sich  er- 
streckendes neben  und  über  den  gewöhnlichen  Statthaltern  stehen- 
des prokonsularisches  Imperium  bewilligt  worden  war.  Rom 
und  Italien  sollten  unter  der  Verwaltung  der  Konsuln  und  der 
übrigen  Magistrate  bleiben,  wobei  er  allerdings  sich  selbst  eine 
Stelle  im  Konsulat  vorbehielt.  Jenes  prokonsularische  Imperium 
war  freilich  wieder  eine  aufserordentliche  Gewalt,  aber  eine 
solche,  wie  nie  nach  Vorgängen  vor  der  Zeit  Cäsars  als  noch 
innerhalb  der  Verfassung  stehend  betrachtet  werden  konnte.^) 
Jene  Teilung  der  Provinzen  mufste  Konsequenzen  für  die  Finanz- 
verwaltung haben,  aber  diese  waren  entweder  durch  die  Natur 
des  Grundverhältnisses  von  selbst  gegeben  oder  besonderer  Ver- 
einbarung vorbehalten.  Vor  Allem  aber  sollte  diese  Ordnung 
sich  als  republikanisch  geben  durch  die  Zeitgrenze,  indem  Octavian 
die  Provinzialgewalt  nur  auf  zehn  Jahre  annahm,  auch  für  diese 
Frist  Verkürzung  in  Aussicht  stellend.*)  Indessen  war  mit  dem 
letzteren  Versprechen  das  Neue  wiederum  als  provisorisch  hin- 
gestellt und  damit  bei  allem  konstitutionellen  Schein  dieser 
Versicherung  der  Charakter  der  konstituierenden  Gewalt,  von 
dem  jetzt  konsequenter  Weise  nicht  mehr  die  Rede  sein  sollte, 
noch  nicht  ganz  abgelegt,  jedenfalls  eine  künftige  Modifikation 
vorbehalten.  Republikanisch  war  auch  die  Kollegialität,  die  im 
Konsulat  lag,  und  die  scheinbare  Gleichheit  der  tribunicischen 
Gewalt  neben  den  Tribunen  und  der  prokonsularischen  neben 
andern  Prokonsuln.  Aber  der  ungeheure  Unterschied  zwischen 
diesem  Konsul  und  seinem  Kollegen,  zwischen  dem,  der  alles 
tribunicische  Recht  auf  Lebenszeit  in  seiner  Person  konzentrierte 
und  den  jährlich  wechselnden  Mitgliedern  des  zehnatelligen 
Tribunenkollegiums,  zwischen  dem  auf  zehn  Jahre  bestellten 
Verwalter  der  wichtigsten  und  militärisch  besetzten  Provinzen 
und  dem  auf  ein  Jahr  bestellten  Statthalter  einer  firiedlichen 
Provinz,  zwischen  der  früheren  Initiative  gegenüber  von  Senat 
und  Volk   und   der  jetzigen,   konnte  für  die  in  der  alten  Ver- 


1 


1)  Das  Detail  der  Provinzialteilung  bei  Dio  63,  12.  Strabo  17  p.  840. 
Weiteres  darüber  s.  unt. 

2)  Dio  53,  18:  ßovXrid'sls  xal  mg  6  KaioaQ  noQQot  otpüg  dnayaysip  tov 
XI  pMvaq%i%6v  (pQOvsCv  donetv,  ig  dina  itri  triv  aQxiiv  tmv  do^ivxav  ot 
vnsfstrj'y  toaovtm  ts  yaQ  XQOvq}  wxvuatriösiv  avvu  vniöxBto  %al  ni^ocsvBavi" 
evfsato    Blnoav    ort,    Sv   xal    d'ätzov    r)^eQ(od'ij ,    d'ättov    avtotg   xal    i%Biva 

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—     139     - 

fassung  Erwacbsenen  nur  dann  nicht  als  Alleinherrschaft  gedeutet 
werden,  wenn  man  die  Diktatur  Cäsars  und  die  Gewalt  der 
Triamvirn  damit  verglich.  Immerhin  war,  wenn  auch  nicht  das 
Wesen  der  alten  Verfassung,  so  doch  ein  verfassungsmäfsiger 
Zustand  überhaupt  begründet,  der  insbesondere  auch  darin  seinen 
Ausdruck  fand,  dafs  Octavian  in  seinem  provinziellen  Macht- 
gebiet zwar  die  unter  ihm  kommandierenden  Statthalter  wie  bisher 
nur  als  Legaten  behandelte,  sich  aber  für  die  Auswahl  der  Per- 
sonen an  die  republikanischen  Vorbedingungen  hielt,  oder  so  weit 
sich  durch  die  lokalen  Verhältnisse  etwas  anderes  empfahl,  wie 
bei  Ägypten  und  gewissen  kleineren  Gebieten,  neue  feste  Regel 
an  die  Stelle  setzte. 

Einen  einheitlichen  neuen  Titel  hat  auch  diese  Gewaltordnung 
dem  Inhaber  derselben  nicht  gebracht.  Sie  enthielt  das,  was 
den  Charakter  des  Principats  in  dem  Sinne  ausmacht,  dafs  der 
erste  Mann  im  Staate  im  Auftrag  von  Senat  und  Volk  die  oberste 
Aufsicht  über  das  Gemeinwesen  mit  bestimmten  Rechten  haben 
solle,  aber  ein  besonderer  Akt,  der  dies  dem  Octavian  mit  dem 
Namen  des  Principats  übertragen  hätte,  ist  weder  bezeugt  noch 
anzunehmen.  Nach  der  oben  (S.  134  A.  2)  schon  dargelegten  Auf- 
fassung geschah  es  vielmehr  in  erweiterter  Anwendung  des  Titels 
eines  princeps  senahis,  dafs  die  Bezeichnung  princeps  als  die 
eigentlich  für  jene  Stellung  bezeichnende  aufkam  und  von  Octa- 
Tian  selbst  angenommen  wurde. 

Mit  der  dem  Senate  am  13.  Jan.  gemachten  Eröffnung  und 
deren  Konsequenzen  konnten  die  Rätsel,  welche  die  Politik  des 
Siegers  im  Bürgerkrieg  bisher  geboten,  soweit  als  gelöst  erachtet 
werden,  dafs  eine  schroffe  Ausübung  der  Gewalt  von  ihm  nicht 
zu  fürchten  war;  wer  sich  der  Leistungen  Octavians  in  den  letzten 
Jahren  vor  dem  Krieg  mit  Ajitonius  erinnerte,  konnte  sich  der  neuen 
Ordnung  mit  der  Hoflnung  unterwerfen,  dafs  für  die  Wohlfahrt 
des  Reichs  gesorgt  sei.  Darum  mögen  die  Ehren,  mit  welchen 
Senat  und  Volk  jene  Ankündigung  beantworteten,  der  Stimmung 
der  überwiegenden  Mehrheit  entsprochen  haben,  sie  zeigten  aber 
zugleich,  was  man  bisher  noch  von  ihm  gefürchtet  hatte  und 
worüber  man  nim  erst  beruhigt  war;  denn  sie  wurden  ihm  be- 
willigt wegen  Erhaltung  seiner  Mitbürger,  d.  h.  wegen  seiner 
Milde  gegen   die   Besiegten.*)     Aufserdem   war    mit   ihnen   der 

1)  Monum.  Ancyr.  tab.  lat.  6,  16  (zum  Teil  nach  dem  Griech.  ergänzt): 
§«0  pro  merito  meo  senatM  conaülto  Äug,  appdlatus  sutn  et  laureis  poßtcs 

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AaguBtns. 


-     140     - 

Ehrenname  gefunden,  der  auch  den  Nachfolgern  blieb,  zugleich 
aber  durch  die  Art,  wie  er  dem  ersten  Träger  in  der  geschicht- 
lichen Bezeichnung  als  Eigenname  geblieben  ist,  seine  epoche- 
Dor  Namo  machcndc  Bedeutung  festgestellt.  Der  Name  Augustus,  der 
göttlich  Erhabene^),  reihte  den  Urheber  der  neuen  Ordnung  den 
Schutzmächten  an,  denen  Rom  seine  Entstehung  und  seine  Herr- 
lichkeit verdankte;  ins  politische  übersetzt  zeigte  er,  dafs  man 
sich  in  dem  soeben  mit  der  alten  Verfassung  geschlossenen  Eom- 
promifs  über  die  Bedeutung  des  persönlichen  Moments  in  der 
Leitung  des  Reichs  keinen  Illusionen  hingab.  Ein  äoTseres 
Zeichen  f[ir  die  hohe  Stellung  des  Augustus  sollte  es  sein,  dafs 
seine  Wohnung  auf  dem  Palatin  durch  entsprechende  Insignien 
hervorgehoben  und  dem  Charakter  einer  Privatwohnung  ent- 
nommen wurde.  Die  Epochjs  selbst  aber,  welche  so  der  Anfang 
des  Jahres  27  durch  Kundgebung  des  Grundgedankens  der  künf- 
tigen Verfassungsforra  bildete,  bezeichnet  Augustus  am  Schlüsse 
seines  Lebens  selbst  unzweideutig.^)  Es  fehlte  allerdings  noch 
die  genauere  Formulierung  und  die  Durchführung  durch  die 
verschiedenen  Zweige  des  öffentlichen  Dienstes;  jene  erfolgte  bald 
nachher,  diese  war  die  Aufgabe  eines  langen  in  organisatorischer 
Thätigkeit  zugebrachten  Lebens. 

aedium  mearum  vestiti  publice  coronaque  civica  super  ianuam  meam  fixa 
est  clupeusque  aureus  in  curia  Julia  positus,  quem  mihi  senatum  popülumque 
Eomanum  dare  virtutis  clenientiae  iustitiae  pietatis  causa  testatum  est  per 
eim  clupei  inscriptionem.  In  der  Corona  civica,  einem  Eichenkranz^  war  die 
Inschrift  ob  civis  servatos;  vgl.  d.  Münze  bei  Cohen  1*  Aug.  n.  30:  Caesar 
COS.  VII,  civibus  servateis;  daJGg  dies  auf  die  gegen  die  Besiegten  gehende 
Schonung  zu  deuten  sei,  darüber,  sowie  über  alles,  was  das  Detail  dieser 
Ehrenbezeugungen  betrifft  vgl.  Mommsen  res  gestae  p.  149—153. 

1)  Vgl.  vorherg.  Anm.;  femer  u.  A.  Dio  53,  16.  Suet.  Ang.  7:  A%^ 
gusti  nomen  assumpsit  —  MunaH  Planci  sententia,  cum,  quibusdam  censenti- 
bus  Bomuium  appeüari  oportere  quasi  et  ipsum  conditorem  urbis,  praeva- 
luisset,  ut  Augustus  potius  vocaretur  non  tantum  novo  sed  etiam  ampJiore 
cognomine.  Die  Verleihung  dieses  Namens  durch  den  Senat  fand  statt  am 
16.  Jan.  nach  dem  Ealend.  Praenest;  dafs  nach  dieser  Angabe  die  im  Tag 
abweichenden  zu  korrigieren  sind,  darüber  vgl.  Mommsen  corp.  inscr.  L  1. 
p.  384  z.  16.  Jan. 

2)  Mon.  Anc.  tab.  lat.  6,  21—23  (ergänzt  nach  dem  griech.  t,  18, 
6—8):  post  id  tempus  praestiti  omnibus  dignitate,  potestatis  autem  mhHo 
amplius  habui  quam  qui  fuerunt  mihi  quoque  in  magistratu  conlegae.  — 
Von  Neueren  hat  das  Epochemachende  der  Vor^Uige  vom  13.  —  16.  Jan. 
in  einer  Weise,  die  neuen  Grund  legte,  Mommsen  erkannt,  nnd  im  Staats- 
recht 2,  723  ff.  durchgeführt.    Vgl.  auch  dess.  res  gestae  diytAng.p.  1145—149. 

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1 


—     141     - 
3.    Noch  im  Lauf  des  J.  27  verliefs  Angastus,  nachdem  er    Die  Modia- 

kftüonen  vom 

vorher  für  die  Instandsetzung  der  Strafsen  Italiens  Fürsorge  ge-  j.  23. 
troffen  und  die  der  flaminischen  Strafse  selbst  übernommen 
hatte,  Rom  auf  mehrere  Jahre,  um  sich  in  Gallien  und  Spanien 
der  Pro vinzial Verwaltung  zu  widmen^);  es  galt  zu  zeigen,  wie 
er  das  neue  Imperium  zum  Besten  des  Reichs  zu  verwerten  wisse 
und  wie  zugleich  die  Verhältnisse  in  Rom  unter  den  wiederher- 
gestellten gesetzlichen  Bedingungen  ihren  Weg  gehen  konnten. 
Seine  Stellung  als  Imperator  hatte  er  sofort  nach  der  erneuten 
Annahme  des  Kommandos  darin  bethätigt,  dafs  er  die  jedem 
Oberkommando  für  sein  Hauptquartier  (Prätorium)  zustehende 
besondere  Wache,  die  cohors  praetoria,  in  einer  den  Vorgängen 
der  jüngstvergangenen  Zeit  entsprechenden  Weise  organisierte 
und  durch  Gewährung  des  doppelten  Legionarsolds  in  eine  noch 
mehr  als  früher  privilegierte  Stellung  brachte.*)  Nicht  mit  un- 
recht bemerkt  Dio,  dafs  diese  Mafsregel  einen  eigentümlichen 
Kontrast  zu  der  Wiederherstellung  der  Republik  gebildet  habe. 
In  jenen  beiden  Ländern,  die  damals  noch  beide  mit  ihrem 
ganzen  Umfang  zum  Provinzialgebiet  des  Imperators  ge- 
horten, war  seine  persönliche  Anwesenheit  von  höchster  Be- 
deutung, in  Gallien  durch  die  Einführung  eines  Census,  in  Spanien 
neben  den  für  die  laufende  Verwaltung  nötigen  Einrichtungen 
durch  energische  Mafsregeln  für  die  Pazifikation  des  Nordens 
und  Nordwestens,  die  zwar  nicht  vollendet,  aber  gefördert  wurde. 
In  Rom,  wo  indessen  Agrippa,  im  übrigen  damals  Privatmann, 
durch  Vollendung  der  von  ihm  in  Amtsstellung  unternommenen 
Bauten  den  Glanz  der  Hauptstadt  weiter  förderte^),  blieb  es 
ruhig,  bis  August  nach  Anfang  des  J.  24  zurückkehrte.  Einen 
Stellvertreter,  wie  er  ihn  früher  in  Mäcenas  bestellt  hatte,  hatte 
er  jetzt  nicht  wieder  zurückgelassen;  es  wäre  dies  der  eben  her- 
gestellten alten  Ordnung  schroflF  zuwider  gewesen.  Wie  früher, 
that  er  dem  Rechte  des  Senats  dadurch  genüge,  dafs  er  seine 
Mafsnahmen  in  den  Provinzen  demselben  zur  Genehmigung  vor- 
legte, worauf  der  Senat  seinerseits  auf  diese  (icta  sich   eidlich 

1)  Liv.  epist.  134.   Dio  53,  22.    S.  auch  unten  bei  dem  Abschnitt  über 
.  die  Provinzialzustände. 

2)  Dio  53,  12  mit  der  Bemerkung:  ovtmg  mg  dXrjd'mg  ncctad'sad'ai  xr^v 

3)  Durchfdhning  eines  im  Amte  übernommenen  Baues  bis  zur  Ein- 
weihung ist  ein  altes  Eecht;  s.  1,  841  f. 

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-     142     - 

verpflichtete^);  und  da  er  der  hauptstadtischen  Plebs  eine 
Schenkung  machen  wollte,  liefs  er  sich  von  dem  Gesetz  über 
Schenkungen  dispensieren  —  ein  Verfahren,  das  mit  seiner  nach 
allem,  was  in  dieser  Beziehung  vorangegangen,  überflüssigen  Kor- 
rektheit eher  geeignet  war  anzuzeigen,  auf  welchem  Umwege 
der  Princeps  über  das  Gesetz  gestellt  werden  konnte.*) 

Schien  nun  im  Allgemeinen  ein  ruhiger  Fortgang  auf  Grund 
der  neuen  Ordnung  verbürgt,  so  brachte  das  J.  23  aus  Anlafs 
einer  tötlichen  Erkrankung  Augusts  neue  Fragen  und  eine  neoe 
Losung.  Jene  Erkrankung  hatte  dem  eben  geschaffenen  Werk 
mit  einer  ernsten  Probe  gedroht.  In  einem  Moment,  in  welchem 
sich  ihm  die  Todesgefahr  besonders  nahe  gelegt,  hatte  nun 
August  symbolisch  angedeutet,  dafs  nach  seinem  Urteil  für  das 
Gemeinwesen  am  richtigsten  gesorgt  wäre,  wenn  Agrippa  die 
Rolle,  die  er  sich  selbst  vorgezeichnet,  weiter  führte.^)  Er  hatte 
wohl  schon  begonnen,  die  ihm  gemachten  Zugestandnisse  auch 
seinen  Angehörigen  zu  gute  kommen  zu  lassen*);  aber  in  richtiger 
Abstraktion  von  den  verwandtschaftlichen  Verhältnissen,  wie  sie 
damals  mit  der  Jugend  der  in  Frage  kommenden  gegeben 
waren,  hatte  er  so  gezeigt,  dafe  ihm  das  Wohl  des  Ganzen  über 

1)  Dio  53,  28:  iv  ty  vovyLtivia  (J.  24)  oifv.ov9  ij  ßovXri  ßsßaiovea  xai 
TtQoc^siS  avvov  inoiiqaato. 

2)  Dio  53,  28:  ta  di^fico  %ad''  s%az6v  dQaxfiag  dmaBiv  vniaxsto  x6  tt 
y^dfifia  t6  neq!  avrmv  anriyoQSvas  ftrj  nqotSQOV  intsd'rivtti^  %qIv  av  xffi 
insiv^  avvdo^rjj  ndarjg  uvxov  z^g  zoiv  vofuov  avdynTjg  aTrijUafcey,  tv*  moxs^ 
itqrixai  ^oi^  %al  avtovBXiig  ovtmg  xal  avx07iQdt<0Q  %al  savxov  %al  xav  voiusf 
ndvxoc  xs  oaa  ßovXoixo  noioCi]  %al  ndv^'  oaa  fuj  ßovXoito  iiq  n^dtxoi. 
Dafs  68  sieb  hier  formell  nicht  um  eine  allgemeine  Dispensation^  sondern 
nur  um  die  von  der  1.  Cincia  (1,  366)  handle,  bemerkt  richtig  Höckh  1, 
334;  es  steht  dies  ja  auch  im  Widerspruch  damit,  dafs  nach  52,  18  das 
legibus  sdlutum  esse  dem  August  schon  zuvor  zugeschrieben  war.  Der  Vor- 
gang  selbst  aber  ist  ein  bezeichnendes  Beispiel  dafür,  wie  Augustos  in 
seiner  konstitutionellen  Praxis  es  verstand,  Mücken  zu  seigen  und  Kamele 
zu  verschlucken. 

3)  Indem  er  inmitten  eines  Konsiliums  dem  obersten  Magistrate  ein 
Verzeichnis  der  öffentlichen  Mittel,  dem  Agrippa  den  Siegelring  überreichte. 
Dio  63,  30.  Über  die  chronologischen  Schwierigkeiten  dieser  Angabe  s. 
unten  gelegentlich  der  Verschwörung  Murenas. 

4)  Im  J.  24   war   dem   zwanzigjährigen   eben   mit  Julia   vermählten   , 
Neffen  Marcellus  und  dem  18  jährigen  Stiefsohn  Tiberius  durch  Zulassung 
zur  Adilität  und  Quästur  beschleunigter  cursus  honorum  bewilligt  worden. 
Dio  53,  28.    Bei  jener  Vermählung  hatte  Agrippa  als  Augusts  Stellvertretei 
fungiert,    c.  27. 

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-     143     - 

die  Familießinteressen  ging.     Nach  seiner  Genesung  jedoch  hatte 
ihm    der    damalige    Vorgang    Verlegenheiten    geschaffen.      Die 
Liberalen  konnten  finden ,  dafs  der  wenn  auch  in  ganz  unver- 
bindlicher Form   und   nur   symbolisch    gegebene  Rat  nicht  gut 
stimme  zu  der  verkündigten  Herstellung  der  alten  Verfassung; 
Marcellus  fühlte   sich  zurückgesetzt,  und  er  konnte  jetzt  wieder 
für  sein  Mannesalter    die  Konsequenzen  der  Verwandtschaft  in 
Aussicht  nehmen.     Agrippa  aber,   zu  den  höchsten  Hoffnungen 
angeregt,   war  nicht  geneigt,    das  in  bedeutsamer  Stunde  kund 
gewordene   Urteil   des   kompetentesten  Richters  jetzt   als   nicht 
ausgesprochen  anzusehen.     Den  Senatoren  gegenüber  nun  verwies 
August  auf  sein  Testament,  als  mafsgebendes  Zeugnis,  in  dem 
er  einen  Nachfolger  für  seine  Stellung  nicht  genannt  habe;  der 
Rivalität  zwischen  Marcellus  und  Agrippa  aber  suchte  er  dadurch 
auszuweichen,  dafs  er  den  Agrippa  als  Stellvertreter  in  seinem 
Kommando  in  den  Orient  schickte.     Agrippa  nahm  den  Auftrag 
an,  that  aber  durch  sein  Verbleiben  in  Lesbos  und  Übertragung 
der  wirklichen  Funktion    an  Legaten    in    demonstrativer  Weise 
kund,  dafs  er  den  Zweck  der  Mission  verstehe.  ^)   Doch  dies  waren 
Sorgen  der  Zukunft;  aber  sie  mochten  auch  dazu  beitragen,  dafs 
der  unablässig  an  seiner  künstlichen  Schöpfung  arbeitende  Prin- 
ceps    die    eigene    Stellung   in   der   Gegenwart   neuer   Erwägung 
unterzog.     Dabei   kam   er   zu    folgendem   Resultat:    der   Grund- 
gedanke sollte  der  im  J.  27  kundgegebene  bleiben,  das  römische 
Gemeinwesen  wie  unter  der  Republik  zerfallen  in  ein  herrschen- 
des und   ein   unterthäniges,   Rom   und  Italien  mit  einheitlicher 
Borgerbevölkerung  einer-,  die  Provinzen  andrerseits;  er  selbst  für 
die   Provinzen    bleibender   Generalstatthalter    mit   unmittelbarer 
und  militärischer   Verwaltung   in   den   einer  bewaffneten  Macht 
bedürftigen  Provinzen,  mittelbarer  in  den  andern;  für  die  Haupt- 
stadt und  Italien  mafsgebender  Leiter  der  durch  den  Senat  ge- 
führten Regierung  mittelst  einer  der  republikanischen  Überlieferung 


1)  Dio,  der  in  Agrippa  überall  nnr  die  absolute  Selbstlosigkeit  siebt, 
faÜBt  (c.  81)  das  Verbleiben  in  Lesbos  als  ein  ixi  ftäXlov  fistQididv  auf. 
Die  andern  sehen  richtiger  Vell.  2,  98:  (Marcellutn)  successarem  potentiae 
eiu8  arbitrabantur  futurum,  ut  tarnen  id  per  M.  Agrippam  securo  ei  con- 
tingere  non  existimarent.  Sueton  c.  66:  desideravit  —  M.  Agrippae  patien- 
tiam,  cum  —  ex  levi  frigoris  suspitione  et  quod  MarceUua  sibi  anteferretur, 
MytQenas  se  reUctis  omnibus  contülisset.  —  Über  die  Natur  der  Gewalt, 
welche  Agrippa  im  Orient  ausübte,  s.  unten.  r^^^/^T^ 

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-     144    — 

angepafsteD  Stellung  gegenüber  dem  Senat  und  neben  oder  in 
der  Magistratur^  geschützt  und  geehrt  durch  den  lebenslänglichen 
Titel  der  tribunicischen  Gewalt  und  durch  den  eines  Princeps. 
Aber  in  einigen  Punkten  sollte  dieses  System  vom  J.  27  ge- 
ändert werden:  die  Form  des  magistratischen  Einflusses  auf  die 
Regierung,  für  welche  eine  Stelle  im  Konsulat  vorbehalten  war, 
wurde  aufgegeben  und  das  Konsulat  vom  Princeps  frei  gelassen, 
mit  dem  Vorbehalt  nur  gelegentlicher  Bekleidung,  anscheinend 
also  mit  einer  bescheideneren  Rolle,  in  Wirklichkeit  aber,  wenn 
das  Wesen  der  leitenden  Stellung  anderweitig  gewahrt  wurde, 
mit  dem  Erfolg,  dafs  dieselbe  nun  erst  recht  in  ihrer  Einzigkeit 
über  die  Magistratur  zu  stehen  kam.  Ferner  sollte  nunmehr 
die  tribunicische  Gewalt  mehr  in  den  Vordergrund  treten;  sie 
war  dem  Octavian  bereits  im  J.  36  verliehen  und  im  J.  30  in 
ihrer  Anwendung  schon  einmal  erweitert  worden  (ob.  S.  127  A.  1), 
allein  sie  hatte  bisher  wie  beim  ersten  Cäsar  nur  die  Rolle  einer 
Sicherheitsvorrichtung  gehabt.  Jetzt  sollte  alles,  was  sie  ge- 
schichtlich in  repräsentativer  wie  in  handlungsfähiger  Beziehung 
enthielt,  zu  voller  Verwertung  kommen.  In  ersterem,  geschicht- 
lich ältestem  und  reinstem  Sinn  war  ihr  Inhaber  der  Vertreter 
und  Anwalt  des  Volks;  alle  Befugnisse,  welche  in  dieser  Schutz- 
pflicht für  das  Verhältnis  zum  einzelnen  Bürger  wie  zum  ganzen 
Volk  lagen,  konnten  hier  nützlich  angewandt  werden.  Sodann 
waren  die  Volkstribunen  zur  Initiative  in  der  Gesetzgebung,  zum 
Referat  im  Senat  und  zu  einer  strafgerichtlichen  Befugnis  zuge- 
lassen gewesen.  Wenn  nun  dies  auf  Einen  in  besonderer  Weise 
übertragen  war,  gewann  es  neue  Bedeutung,  drängte  die  ent- 
sprechende Befugnis  der  Mitglieder  des  Tribunenkollegiums,  denen 
jener  Inhaber  der  tribunicischen  Gewalt,  ohne  ihr  Kollege  zu 
sein,  doch  mit  dem  Rechte  der  Interzession  gegenüberstand, 
zurück  und  gewährte  Ersatz  für  wichtige  Befugnisse  des  auf- 
gegebenen Konsulats.  Waren  aber  die  Interessen  des  Volks  in 
dieser  Weise  gewahrt,  so  konnte  man  auch  dessen  Mitwirkung 
bei  der  Gesetzgebung,  ohne  sie  prinzipiell  aufzuheben,  doch 
thatsächlich  und  allmählich  einschränken.  Zum  Zeichen  dafür, 
dafs  er  der  tribunicischen  Gewalt  nunmehr  eine  hervorragende 
Rolle  in  seiner  Stellung  zur  inneren  Politik  geben  wolle,  liefs 
er  dieselbe  neu  definieren  und  nahm  sie  so  an,  dafs  er  sie  zwar 
als  lebenslänglich  behielt,  aber  durch  die  Fiktion  jährlicher  Er- 
neuerung  zur  Zählung   der  Jahre  geeignet  machte;   mit  dieser 

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—     145    — 

Bestimmung  wurde  sie  in  die  Titulatur  nicht  blofs  als  ein  inte- 
grierendes, sondern  als  ein  hervorragendes  Glied  aufgenommen. 
Letzterer  Umstand  motivierte  wohl  einen  neuen  gesetzlichen  Akt 
über  diesen  Gewalttitel;  im  übrigen  handelte  es  sich  nicht  um 
eine  rechtliche  Erweiterung,  sondern  nur  um  eine  neue  politische 
Verwendung.*) 

Zugleich  mit  dem  Volkstribunat  läfst  Dio  dem  Augustus 
das  Recht  übertragen,  in  jeder  Sitzung  über  einen  Gegenstand 
einen  Antrag  mit  dem  Anspruch  privilegierter  Behandlung  zu- 
gehen zu  lassen,  wozu  dann  im  folgenden  Jahr  das  weitere  Recht 
kam,  den  Senat  so  oft  er  wolle  zu  berufen,  und  dafs  Augustus 
dasselbe  hatte,  ist  bezeugt  in  dem  Gesetz  über  die  Regierungs- 
gewalt des  Vespasian.^)  Wie  bereits  bemerkt,  war  das  Recht 
der  Senatsberufung  und  des  Referats  auch  im  Volkstribunat  ent- 
halten, aber  von  der  Republik  her  wird  das  Recht  des  Konsuls 
in  dieser  Beziehung  als  das  vornehmere  gegolten  haben;  auch 
zog  August  wohl  vor,  gerade  in  der  Leitung  des  Senats  nicht 
von  der  tribunicischen  Gewalt  auszugehen,  während  er  für  die 
Gesetzgebung  es  populärer  fand,  sie  auf  diesen  Titel  hin  zu  hand- 
haben. 

Ein  anderes  besonderes  Recht  des  August,  das  über  Krieg  Neue  noßnie- 
und  Frieden,  erwähnt  Strabo  in  Verbindung  mit  dem  prokon-  konsularischen 
snlarischen  Imperium.^)     Es  wird  dies  identisch  sein  mit   dem 

1)  Fasti  Capit.  consul.  z.  J.  731  Varr.:  [postquam  consujlatu  se  ah- 
dieavit  tr{ibimiciam  potestatem  accepit],  Mommsen  Str.  2,  772  A.  1  ergänzt: 
tr[ibunicia  potestas  annua  facta  est],  Dio  53,  32:  rj  ysQOva^a  Si^^aqxov  te 
ovxov  ^ta  ßütv  slvai  itpTjqi^aato  xal  x^rj^iat^eiv  avTco  nsgl  ivog  tivog  otov 
«»'  i^iXi^öTj  nad"'  indatriv  ßovXi^v,  tiav  (irj  vnaxsvr],  ^durnsv  xi\v  t8  o^Qxrjv 
zriv  av^vnazov  ioasl  nad-dcna^  ixBiv  mats  ixTJts  iv  xij  taodcp  tij  stam  tov 
*cafi1}^^v  xatatld-eo^at  avxriv  fi'qx'  avd'ig  dvaveovcd^at  xal  iv  xm  vnrjnoo} 
To  %Ut09  tmv  iTutcxocxo^L  aQxovxoav  inixQBtffSV  atp'  ov  dri  xal  inetvog  xal 
Ol  lux*  avtov  avtOHQaxoQsg  iv  vofia)  di}   xivi,  toig  xs  aXXoig  xal  xjj  i^ovcCa 

2)  Dio  68,  82  (a.  vorh.  A.);  1.  de  imp.  Vesp.  3  f.  (corp.  i.  1.  VI.  d.  939. 
Braus,  fontes  iur.  Rom.  p.  128—131):  utique  ei  senatum  habere,  relationem 
f<icere  remitiere,  senatus  consuUa  per  relationem  discessionemque  facere  liceat 
*to,  uU  licuit  divo  Aug.  etc.  So  wie  dieses  Recht  bei  Vespasian  definiert 
ist,  hat  es  bereits  eine  Entwicklung  hinter  sich;  über  seine  Bedeutung, 
speziell  über  das  relationem  facere  s.  im  Syst. 

3)  Strabo  17  p.  840:  insidrj  rj  nccrglg  inixQitpsv  avt«  xriv  ngoaxaciav 
^iC  Tiysfiovücg,  xal  noXifiov  xal  slQiqvrjg  yiatiaxrj  yivQiog  Öioc  ßiov.  1.  de  imp. 
^eap.  1  f.:  foedusve  cum  quibus  volet  facere  liceat  ita  uti  licuit  divo  Aua^etc, 

Heriog,  d.  röm.  SUativerf.  n.  1.  lOigitized  by  VjOOQIC 


—     146     - 

Rechte  der  Bündnisschliefsung^  das  in  der  auf  Yespasian  bezüg- 
lichen Urkunde  ebenfalls  dem  August  zugewiesen  wird.  Es  ist 
wohl  möglich,  dafs  im  J.  23  bei  neuer  Feststellung  und  Defi- 
nierung jener  Generalstatthalterschaft  dieses  Recht  als  ihm  .ztdu- 
Wahrung  der  Interessen  des  Reichs  in  den  Grenzprovinzen  un- 
entbehrlich gegeben  wurde.  ^)  In  der  Titulatur  kam  das  pro- 
konsularische Imperium  nicht  besonders  zum  Ausdruck;  es  schien 
wohl  bereits  in  dem  Namen  Imperator  ausgedrückt,  der  ja  schon 
früher  in  den  Namen  aufgenommen  war. 
chronoiogiacho  Die  Akte,  in  welchen  die  angegebenen  Neuerungen  sich  voU- 
j.  23.  zogen,  schlössen  sich  an  die  Erklärung  an,  welche  August  am 
Schlufs  der  ersten  Hälfte  des  J.  23  abgab,  dafs  er  das  Konsulat 
dieses  Jahres  niederlege  und  für  die  Zukunft  auf  regelmäfsige 
Führung  desselben  verzichte.  Von  dem  auf  diese  Erklärung  hin 
erfolgten  Beschlufs  über  die  tribunicische  Gewalt,  dessen 
Tagesdatum  nicht  direkt  überliefert  ist,  wird  nun  die  Jahres- 
folge seiner  Führung  dieserGewalt  bei  Augustus  datiert.*) 


1)  Die  Spur  einer  solchen  neuen  Definition  finde  ich  in  den  Be- 
stimmungen bei  Dio  von  der  Lebenslänglichkeit  n.  s.  w.  Es  war  dies 
allerdings  anch  die  Eonsequenz  des  Aktes  vom  J.  27 :  allein  jetzt  erst  mag 
es  mit  Titel  und  näheren  Bestimmungen  ausfährlicher  als  bleibende  Gewalt 
definiert  worden  sein.  August  hielt  wohl  die  Fiktion  der  Erteilung  auf 
Decennien  und  Qninquennien  fest,  aber  er  konnte  es  sich  doch  daneben  ge- 
fallen lassen,  dafs  man  ihm  in  dem  Übertragungsakt  die  Gewalt  als  lebens- 
Ifinglich  bestimmte.  Nach  Mommsen,  Str.  2,  769  A.  4  hätte  Dio  mit  dem 
iftael  Tiad-dnai  ix^tv  wohl  sogen  wollen,  dafs  dem  Augustus  innerhalb  der 
jedesmal  laufenden  Frist  das  Imperium  zustehen  solle,  ohne  durch  das 
Überschreiten  des  Pomeriums  Tcrloren  zu  gehen. 

2)  Dio  53,  32:  dnstns  triv  vnaxiCav  ig  'AXßavov  iWciv  —  %al  l§a>  xov 
aatsog  avxo  inoirjasv  tva  fii^  nrnlvt^.  Fast.  fer.  Lat.  in  corp.  inscr.  1.  1 
p.  422  VIII.  z.  J.  781  Varr.i  [lat(inae)  fueriunt)  eid]  Juh,  [tmp.  Caes\q.r  in 
monte  fuit\  \imp.  Ca\e6m  abdicavit.  Als  genaueres  Datum  fQr  die  Annahme 
der  tribunicischen  Gewalt  ist  es  üblich,  den  27.  Juni  anzunehmen;  über  die 
darauf  bezuglichen  Kombinationen  vgl.  Noris  Cenoi  Pis.  p.  261  fif.  Eckhel, 
doctr.  numm.  8,  404.  Das  Hauptargument  dabei  ist  die  schon  Ton  Pan- 
vinius  geltend  gemachte  Adoption  und  Erteilung  der  tribunicischen  Gewalt 
an  Tiberius,  welche  nach  Yell.  2,  103  am  27.,  nach  Eal.  Amitem.  am 
26.  Juni  d.  J.  4  n.  Chr.  stattfand,  indem  man  schliefst,  August  habe  dies 
auf  den  Tag  gelegt,  an  dem  ihm  selbst  die  tribunicische  Gewalt  sich  er- 
neuerte. Mommsen  Str.  2,  773  A.  4  ist  eher  geneigt,  den  1.  Juli  anzu- 
nehmen, indem  Tiberius  zwar  am  26.  od.  27.  Juni  adoptiert  worden  wäre, 
aber  am  1.  Juli   die  tribunicische  Gewalt   angetreten  hätte.    DafSx  kann 

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-     147     - 

Wie  die  Gewalt  selbst^  so  kann  auch,  was  sonst  nach  der  oben 
angeführten  Kombination  an  wesentlichen  Befugnissen  auf  nicht 
militärischem  Gebiet  ihm  bewilligt  wurde,  nur  durch  Volks- 
beschlufs  auf  Grund  eines  Senatuskonsults  nicht,  wie  es  bei  Dio 
erscheint,  durch  blofsen  Senatsbeschlufs  ihm  zu  Teil  geworden 
sein,  was  auch  durch  die  Form  der  Urkunde  des  Vespasian  be- 
stätigt wird.  Wie  es  sich  mit  der  prokonsularischen  Gewalt  in 
dieser  Beziehung  verhielt,  ist  mehr  Sache  der  systematischen 
Kombination  als  des  geschichtlichen  Zeugnisses.^)  Nach  Dio 
wäre  die  Quelle  für  das  Neue  des  Jahres  23  die  Dankbarkeit  des 
Senats  gewesen,  die  noch  dadurch  gesteigert  worden  sei,  dafs 
August  sich  einen  Nachfolger  im  Konsulat  in  L.  Sextius  gegeben 
habe,  einem  Freunde  und  treuen  Verehrer  des  M.  Brutus.  Allein 
es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dafs  alles  was  damals  geschah, 
dem  genau  überlegten  Plane  Augusts  entsprang  und  ausschliefs- 
lich  seine  Gedanken  in  Beschlüsse  von  Senat  und  Volk  umge- 
setzt wurden.  In  der  Inschrift  seines  Mausoleums  erwähnt  er 
dieses  Akts  von  Mitte  des  J.  23  in  keiner  Weise,  ebensowenig 
ist  in  den  Kalendern  der  augusteischen  Zeit  davon  die  Kede,  es 
war  eben  ein,  wenn  auch  einschneidender,  so  doch  in  seiner 
Bedeutung  kaum  den  Eingeweihten  klarer  Anhang  zu  der  Epoche 
des  J.  27  und  nicht  geeignet,  wie  die  übrigen  in  den  genannten 
Quellen  verzeichneten  Ereignisse  als  Zeugnis  für  den  Ruhm  und 
die  Popularität  des  Augustus  zu  dienen.  Darum  hat  Augustus 
sein  prokonsularisches  Imperium  nicht  aufs  neue  v.  J.  23  an 
gerechnet,  sondern  als  Anfangspunkt  für  das  zunächst  in  Aus- 
sicht genommene  Decennium  auch  jetzt  noch  das  Jahr  27  be- 
trachtet. 


auch  das  ZaBammentreffen  mit  dem  geeignetsten  Tag  für  den  Eonsnlats- 
wechsel  sprechen:  bei  Sueton  c.  26  zählt  das  11.  Eonsalat  Augasts  einfach 
als  sechsmonatliches.  Ein  Zengnis  aas  den  nach  Jahren  der  tribanicischen 
Gewalt  gegebenen  Daten,  weiches  dem  1.  Juli  widerspräche,  giebt  es  nicht. 
0.  Hirschfeld,  Wiener  Stud.  1881  S.  97—108  will  den  26.  Juni  rechtfertigen 
durch  Kombination  mi(  der  für  das  J.  28  beabsichtigten,  aber  darch  den 
Tod  des  Marcellas  gestörten  Säcularfeier;  das  Säkularjahr,  das  auf  das 
J.  d.  Si  291,  ein  Pes^ahr,  zurückzurechnen  wäre,  hätte  mit  der  Sommer- 
sonnenwende zu  beginnen  gehabt.  Für  die  nachträgliche  Abhaltung  im 
J.  17  hätte  dann  die  zehnjährige  Dauer  des  Principats  und  die  Geburt  des 
zweiten  Enkels,  L.  Cäsar,  mafsgebend  sein  können. 

1)  Dio  läüst  alle  Bewilligungen  des  Jahrs  23  gleichmäfsig  vom  Senat 
ausgehen;  über  die  prokonsularische  Gewalt  s.  unt.  im  Syst. 

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—     148    — 

Die  BoohiQBae  4.  Mit  dem  J.  23  stand  die  prinzipielle  Seite  der  augustei- 
di^ Wahl  zum  sehen  Regierungsform  fest;  weder  durch  Gründe  eigener  neuer 
im  j.  13.  Reflexion  noch  durch  mehrfaches  Andrängen  Anderer  lieüs  er  sich 
von  jenen  Grundlagen  abbringen.  Als  im  darauffolgenden  Jahr 
Italien  durch  Seuchen  und  Hungersnot  bedrängt  war^  wollte  die 
Bevölkerung  ihn  zur  Übernahme  der  Diktatur  nötigen:  er  lehnte 
mit  gröfster  Entschiedenheit  ab  und  verstand  sich  nur  dazu,  die 
Getreideversorgung  zu  übernehmen,  also  nicht  Macht,  sondern  nur 
Gelegenheit  zu  Wohlthaten  zu  holen/)  Mehrere  Jahre  lang  wurde 
ihm  die  eine  Konsulatstelle  vorbehalten;  er  machte  keinen  Gebrauch 
davon  und  drang  darauf,  dafs  zwei  Konsuln  gewählt  würden.^)  Als 
es  gelegentlich  der  Wahlen  im  J.  19  während  der  Abwesenheit  des 
Augustus'  Unruhen  in  Rom  gab  und  man  diesem  wiederum  eine 
allgemeine  Vollgewalt  unter  dem  Titel  der  cura  legum  et  morum  auf- 
nötigen wollte,  lehnte  er  wieder  jede  über  der  Verfassung  stehende 
Gewalt  ab  und  wies  darauf  hin,  dafs  er  die  Lücken,  die  man  in 
der  Gesetzgebung  ausgefüllt  haben  wollte,  mittelst  der  ihm  über- 
tragenen tribunicischen  Gewalt  ausfüllen  könne;  ebenso  wies  er 
dasselbe  Anerbieten  in  den  Jahren  18  und  11  zurück.')  Diesem 
negativen  Verhalten  entsprach  positiv,  dafs  er  im  J.  22  zur  Ab- 
haltung eines  Census  verfassungsmäfsig  zwei  Censoren  wählen 
liefs*),  in  demselben  Jahr  zwei  der  von  ihm  übernommenen  Pro- 


1)  Dio  64,  1.  Monuin.  Anc.  gr.  3,  2  f.:  Avts^ovaiov  fioi  aQxnv  wl 
dn6vti  xal  naqovxi  didofiivriv  vno  tb  xov  driit4>v  %ccl  xijg  avynX'qtov  Mi^f 
Maq%iXXtp  %al  AsvTiUa  'Aqqowxüo  vnatoig  ov%  ide^ä^iiv  n.  s.  w.;  wo  auch 
die  Übernahme  der  cura  annofuu  angeführt  ist.  Die  übrigen  Zeugnisse  bei 
Mommsen  r.  g.  p.  23 — 27. 

2)  Da  AagustuB  fortfährt:  vnatsCav  ti  (loi  zots  didofiiptjv  %al  hi- 
avoiov  %al  diä  ß^ov  ov%  i$siccfi7}v,  so  vermutet  Mommsen  a.  a.  0.  p.  27t 
es  sei  ihm  im  J.  22  zugleich  auch  die  Führung  des  Eonsalats  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  der  tribunicischen  Gewalt  im  J.  28  angeboten  worden,  uod 
bringt  damit  den  Vorbehalt  der  einen  Eonsulstelle  in  Verbindung;  über 
letzteren  Dio  54,  6.  10. 

8)  Moniun.  Anc.  gr.  3,  llfif.:  In  den  angegebenen  3  Jahren  rfn  u 
avyuXrjTOV  xal  %ov  dr^fUiv  opLoXoyovvtmVy  Zva  intftsjifltrig  tmv  xb  vofuow  mi 
xmv  XQonmv  inl  xy  (iByiaxrj  i^ovaia  fiovog  x« *^o^o*7?^«o  t  ^QX^^  ovds^äcf 
nccQa  xa  ndxQUc  ^d'r^  didofiivriv  avsös^dfiTiV  &  dh  xoxe  di'  ifiov  17  <si5y%lfitoi 
oUovoy^tc^ai  ißovXsxOy  xrjg  6rjfi,aQX*'^^S  i^ovaüig  mv  ixsXsöcc,  Dio  54,  10, 
Sneton  c.  27  lassen  den  Angnst  das  regimen  morum  legumque  mit  all- 
gemeinster Vollmacht  übernehmen;  dafs  dies  nur  von  falscher  AufTassong 
der  angasteischen  Censuren  ausgehe,  weist  Mommsen  r.  g.  p.  28—30  nach. 

4)  Dio  64,  2.    Die   gewählten  Censoren  P.  Amilius  Lepidu3  und  L. 

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-     149    - 

Yinzen,  das  narbonensische  Gallien  und  Cypern  in  die  Senats- 
Verwaltung  übergab*),  und  dafs  er  nach  Ablauf  des  ersten 
Decenniums  das  eigene  Provinzialkommando  zweimal  je  auf 
weitere  fönf,  dann  jedesmal  wieder  auf  zehn  Jahre  sich  neu 
geben  liefs^,  also  die  Idee  der  nur  zeitweiligen  Übertragung  der 
Form  nach  festhielt.  Dazu  kamen  endlich  eine  Menge  von  Einzel- 
zügen, in  denen  er  demonstrativ  sich  als  einen  Senator  und 
Bürger  wie  die  andern  gab  und  mit  seinem  Hause  nur  das 
Muster  einer  romischen  Bürgerfamilie  darstellen  wollte.^) 

Aber  die  Ausbildung  der  Gegenseite  dieses  Verhältnisses 
wurde  darüber  nicht  versäumt,  und  es  kam  dabei  zu  sehr  wesent- 
lichen Ergänzungen  des  Werks  der  Jahre  27  und  23.  Am  Ende 
des  J.  22  begab  sich  der  Imperator  wieder  in  die  Provinzen  und 
zwar  diesmal  in  die  östlichen,  zunächst  in  solche,  die  dem  Senat 
unterstanden,  Sicilien,  Griechenland  und  Asien,  in  denen  er  also 
sein  Oberaufsichtsrecht  zur  Ausübung  brachte.  Wiederum  war 
nun,  wie  nach  dem  J.  «27,  während  seiner  Abwesenheit  die 
republikanische  Seite  der  Verwaltung  sich  selbst  überlassen, 
aber  sie  bewährte  sich  weniger  gut.  Infolge  von  Wahlunruhen, 
mit  denen  die  ordentlichen  Beamten  nicht  fertig  wurden,  mufste 
er  mit  aufserordentlicher  Hilfe  einschreiten  und  er  that  dies,  in- 
dem er  den  Agrippa  aus  Asien  zurückrief  und  als  obersten 
Polizeichef  in  Rom  einsetzte.*)  Unter  allen  Vollmachten,  welche 
für  August  seit  dem  J.  27  v.  Chr.  bezeugt  sind,  findet  sich 
keine,  aus  welcher  man  für  den  damals  das  Konsulat  nicht 
führenden  Princeps  die  Befugnis  ableiten  könnte,  entweder  selbst 
einzuschreiten  oder  einen  andern  mit  einer  in  Rom  zu  führenden 
aulserordentlichen  Gewalt  zu  bestellen.     Es  mufs  also  entweder 


Muoatias  Plancas,  gänzlich  nnföhige  Männner  (Vell.  2,  95)  kamen  nicht 
zum  Lnstram;  es  war  das  letzte  Paar  von  Ceneoren,  die  Privatleute  waren. 
Wenn  Dio  hinzusetzt :  %cil  tote  dh  6  j4vyovaxog  %a£  nsQ  ludvmv  atqB^ivx(ov 
%oUm  xmv  ig  avjovg  dvrjnövtmv  inQu^sv  nnd  dann  eine  Reibe  von  Anord- 
nungen aufzählt,  BO  ist  dies  anch  ohne  Zweifel  unrichtig  gefafst;  dieselben 
betreffen  nur  Dinge,  über  die  ordnnngsmäfsig  der  Senat  zu  bestimmen 
hatte;  Angnst  wird  also  hier  durch  Senatsbeschlüsse  gewirkt  haben. 

1)  Dio  54,  4. 

2)  Dio  53,  16  z.  J.  27,  wobei  dann  auch  die  übrigen  Fristen  zusammen- 
fassend angegeben  werden. 

8)  Z.  B.  Sneton  c.  63.  64. 

i)  Dio  54,   6:    (tbv  *AjQCit9tav)  ig  xrjv  ^Ptflfirjv  —   inl  t^  trjg  noXscag 

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—     150    - 

eine  Bewilligung  hiueingedacht  werden  ^  aus  der  diese  Befugnis 
abzuleiten  wäre,  oder  eine  durch  das  an  Augustus  ergangene 
Ersuchen  motivierte  besondere  Mafsnahme.  Die  Spuren  der 
Überlieferung,  welche  eine  Erweiterung  der  Vollmachten  erst  im 
J.  19  vermuten  lassen,  machen  die  zweite  Annahme  wahrschein- 
lich, wobei  angenommen  werden  kann,  dafs  Augustus  in  dem 
Edikt,  in  welchem  er  den  Agrippa  aufstellte  und  seine  Befug- 
nisse normierte,  sich  auf  das  übereinstimmende  Verlangen  von 
Senat  und  Volk  bezog.  —  Agrippa  blieb  bis  ins  J.  20  in  Eom; 
darauf  wurde  er  als  Stellvertreter  des  Imperators  nach  Gallien 
und  Spanien  geschickt.  Die  damit  sich  selbst  wieder  überlassene 
Senatsregierung  aber  stand  im  J.  19  neuen  und  zwar  so  be- 
deutenden Unruhen  gegenüber,  dafs  der  Senat  beschlols,  den  einen 
Konsul,  dessen  Wahl  zustande  gekommen  war,  0.  Sentius  Satur- 
ninus,  nach  den  entsprechenden  Vorgangen  der  Republik  mr 
Verhängung  des  Belagerungszustands  zu  bevollmächtigen.^)  Allein 
dieser  nahm  die  Vollmacht  nicht  an  .und  August,  dem  solche 
Konsequenz  seiner  Ordnung  denn  doch  nicht  erwünscht  war,  be- 
eilte sich  einzuschreiten:  er  ernannte  einen  zweiten  Konsul  direkt 
und  kehrte  selbst  zurück.^  Jetzt  nun,  nachdem  er  mit  dieser 
Bestellung  des  Konsuls  abermals  veranlafst  gewesen  war,  einen 
Schritt  zu  thun,  zu  dem  ihm  seine  eigene  Ordnung  ein  Recht 
nicht  gab,  scheint  es  gewesen  zu  sein,  dafs  er  sich  eine  Er- 
gänzungsvollmacht geben  liefs,  die  für  die  Zukunft  allen  aofser- 
ordentlichen  Bedürfnissen  abhalf.  Mit  Aufgabe  der  konsularischen 
Gewalt  hatte  Augustus  ein  höchst  bedeutsames  Recht,  das  der 
positiven  Anordnung  für  die  Administration  im  weitesten  Sinn 
oder  des  magistratischen  Edikts,  welches  im  Volkstribanat  nicht 
gegeben  war  (1,  1163)  und,  wenn  man  dessen  Natur  berück- 
sichtigen wollte,  auch  nicht  wohl  in  die  tribunicische  Gewalt 
hinein   interpretiert   werden  konnte,   aufgegeben.     Was  ihm  da- 

1)  So  wird  es  docb  wohl  zu  verstehen  sein,  wenn  Dio  64,  10  sa^: 
ataaig  xe  avd'ig  iv  t^  ^Po^pbjj  avvtjvixdTi  xal  atpayal  cwißriaap^  acte  tovg 
ßovlBvvccg  (pQOVQav  tm  £svtüp  't(>rj(piöccod'cci. 

2)  Dio  a.  a.  0.,  aus  dessen  Erz&hlung  der  wahre  Hergang  entnommen 
werden  kann.  Augustus  selbst  vertuscht  die  Wahrheit,  indem  er  mou.  Abc. 
gr.  6,  16  ff.  nur  von  den  ihm  bei  seiner  Bückkehr  dekretierten  Ebrea 
spricht  und  den  Lucretius,  der  ihm  entgegen  reist,  schon  Eonaul  sein  liTsti 
während  er  ihn  erst  dazu  ernennt  (Dio:  Ix  tmv  TtQsoßsvtmv  uvtmp  Aüv^ff 
xiov  %ai  nsQ  iv  toig  imnrjQvx^siaiv  avuyifutpipta  vnatov  dnid^i^iv).  Vgl- 
Mommsen  r.  g.  p.  47  f. 

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-     151    — 

durch  entging,  hatte  ihm  nicht  verborgen  sein  können;  wenn  er 
also    einen  Ersatz   dafür  auf  dem  Gebiete  der  hauptstädtischen 
und  italischen  Verwaltung  sich  nicht  hatte  geben  lassen,  so  war 
er  offenbar  der  Zuversicht  gewesen,  dafs  es  möglich  wäre,  der 
ordentlichen   Magistratur    f&r    die    laufende   Verwaltung    freiere 
Hand  zu  lassen,  ohne  die  Auktorität  des  Principats  und  die  von 
ihm  beabsichtigte  Politik  zu  gefährden.     Diese  Auffassung  wurde  Besondere  Er- 
nun  nach  den  jüngsten  ErfiJu:xingen  aufgegeben  und  durch  ein  ^iS//Vie* 
besonderes  Gesetz  dem  Augustus  das  Recht  erteilt^  wo  auf  irgend*^*"  ci>^/'^"' 
einem  Gebiete  der  Nutzen   des  gemeinen  Wesens  es  rätlich  er- 
scheinen  lasse,  handelnd  einzutreten,  d.  h.  mittelst  des  Edikts 
im  einzelnen  Falle  zu  bessern  und  zugleich  Anweisung  für  ähn- 
liche Fälle  zu  geben,  wobei  natürlich  die  Kraft  des  Edikts  der 
Stellung  des  Princeps   entsprechend    so    allgemein    wie   möglich 
definiert  wurde.*)     War  diese  Vollmacht,  so  bedeutend  sie  war, 

1)  Da£B  Augnstus  eine  solcbe  Vollmacht  -erhielt,  steht  in  der  1.  de 
imp.  Yesp.  Z.  18—20:  uti  quaecumque  ex  usu  reiptiblicine  tnaiestcUe  divinarum 
humanarum  pidblicarum  privmtarumque  rerutn  esse  censebit  ei  agere  facere 
ftts  potestasque  sü  üa  uti  divo  Aug{ugto)  Tiberioque  JvXio  Caesari  Aug. 
Tiberioque  Claudio  Caescm  Äug,  öermanieo  fuit.  In  den  Quellen  über 
Aogosts  Begiemng  ist  nirgends  davon  die  Bede,  insbesondere  erwähnt  Aug. 
selbst  eine  solche  Verleihung  nicht;  es  ist  also  Sache  der  Hypothese,  einen 
Zeitpunkt  dafür  zu  bestimmen.  Natürlich  liegt  es  an  sich  nahe,  an  das 
J.  23  und  die  Gelegenheit  der  Niederlegung  des  Konsulats  zu  denken  und 
man  würde  in  diesem  Falle  die  Ernennung  Agrippas  zum  Polizeiminister 
in  Rom  eher  unterbringen  können.  Allein  das  ganze  sonstige  Verhalten 
des  Augustus  in  dieser  Zeit  weist  darauf  hin,  dafs  er  ein  solches  ius  edi- 
cendi  sich  früher  nicht  hatte  geben  lassen,  vielmehr  der  ordentlichen 
Magistratur  freieren  Spielraum  liefs^  und  andrerseits  beginnt  erst  vom  J.  19 
ab  die  Reformation  der  Verwaltung  nicht  blofs  durch  Gesetz  und  Senatus- 
kimsulte,  sondern  auch  durch  Edikt  in  energischer  Weise.  —  Der  Bericht 
Dios  54,  10  bringt  hier  wieder  Richtiges  und  Unrichtiges  durcheinander. 
Er  läfst  dem  Augustus  in  diesem  Jahr  übertragen  werden  die  cura  mortim 
und  die  potestas  censoria  auf  ffinf  Jahre,  die  pot  consularia  auf  Lebenszeit 
mit  den  Insignien  derselben  und  ^hrt  dann  fort:  fpritpicdfisvoL  $1  tavza 
SiOQd'ovv  TS  ndvTtt  avtov  xal  vofiod'eTSLV  oca  ßovXoito  rj^tovv  xal  tove  ts 
tofiovg  tovg  yffcctpriöOfbivovg  vn  avtov  Avyovoxov  i%stQ'Bv  ^6ri  TtQoariyoQSVov 
%al  kftiiivsiv  OfpüsLv  ofioaai  ijd'BXov*  6  9h  xa  (t^hv  aHa  mg  %al  dvaynauc 
idi^ato,  xovg  d*  oqiMvg  di!pri%Bv  avtoig.  Hier  widerspricht  die  cura  morum 
ond  die  pot,  cens.  den  ausdrücklichen  Erklärungen  Augusts  (ob.  S.  148 
A  3);  die  potestaa  consülaris  kOnnte  man  als  Substrat  des  ius  edicendi  an- 
nehmen, und  dies  thut  auch  HOck  1,  391  f.;  es  stünde  dem  auch  nicht  not- 
wendig entgegen,  dafs  Augustus  die  späteren  Census  consuiari  cum  imperio 
abgehalten  hat  (vgl.  Mommsen  r.  g.  p.  27),  da  ja,  wenn  diese  Censuren  auf 


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—     152     - 

doch  bescheiden  gegenüber  der  ihm  damals  angebotenen  xmi. 
abgelehnten  cura  morum  et  legum,  indem  sie  nicht  völlige  Ver- 
fügungswillkür  erteilte,  sondern  auch  die  Schranken  der  Kraft 
des  magistratischen  Edikts  an  sich  trug,  so  fehlte  wohl  auch 
die  populäre  Motivierung  nicht,  dafs  auf  diese  Weise  den  Be- 
dürfnissen und  Nöten  des  Staats  da,  wo  die  ordentliche  Magistra- 
tur nicht  ausreiche,  abgeholfen  werden  könne,  und  war  angesichts 
des  wiederholten  Vorkommens  solcher  Nöten  einleuchtend.  In 
diesem  besonders  verliehenen  Rechte  ist  wohl  die  Wurzel  för 
die  consUtutio  principis  zu  suchen  als  einer  besonderen  Bechts- 
quelle,  die  weder  Gesetz  noch  Edikt  einer  ordentlichen  Magistra- 
tur ist.  Aufserdem  wurde  ihm  das  Recht  bewilligt,  die  Aus- 
zeichnungen des  Konsulats,  zwölf  Liktoren  und  Sitz  zvnschen  den 
jeweilig  fungierenden  Konsuln,  lebenslänglich  zu  haben,  auch 
wenn  er  nicht  Konsul  sei.' 

Mit  der  eben  ausgeführten  Erweiterung  war  nun  auch 
die  konstitutionelle  Ausbildung  des  Principats  auf  dem  bürger- 
lich-politischen wie  auf  dem  militärischen  Gebiet  im  wesent- 
lichen fertig.  Was  Augustus  von  nun  an  vornahm,  die 
wichtigsten  und  für  die  bleibende  Regelung  der  Kompetenzen 
bedeutendsten  Vorgänge  werden  nicht  mehr  durch  neue  Ver- 
leihung von  allgemeinen  Rechten  begründet,  sondern  entweder 
als  besonders  erbetene  Vollmacht  bewilligt,  oder  aus  den  schon 
angeführten  allgemeinen  Vollmachten  abgeleitet.  So  liefs  er  sich 
für  die  aufserordentliche  Revision  der  Senatsliste,  welche  er  so- 
fort im  J.  18  vornahm,  so  später  für  die  Censuren  von  8  v.  Ch. 
und  14  n.  Ch.  besondere  Vollmacht,  letztere  mit  der  Definition 
als  konsularischer  erteilen,  wahrend  für  bleibende  Anordnungen 
in  den  Verwaltungszweigen,  für  die  Schaffung  neuer  Ämter,  für 
Koloniegründungen,  die  Stellung  zum  Münzwesen  u.  A.  keinerlei 
Akt  einer  Rechtsverleihung  oder  einer  organisatorischen  Gesetz- 
gebung nachzuweisen  ist.    Insbesondere  wurde  für  die  Verwaltung 

besonderer  Anordnnng  beruhten,  dabei  auf  die  canstUarü  potestaa  verwiesen 
werden  konnte,  wohl  aber  verträgt  es  sich  nicht  damit,  dals  Angnstos  diese 
pot.  cona.  sonst  nicht  erwähnt,  und  dafs  die  Nachfolger,  wie  ans  der  L  de 
imp.  Vesp.  hervorgeht,  das  ius  edicendi  mit  dem  Principat  als  solohem 
verbinden. 

1)  Dafs  dem,  der  diese  Insignien  und  jenes  ius  edicendi  hat,  potestas 
comülaris  zugeschrieben  werden  kann,  ist  zuzugeben;  allein  diesen  Titel 
hat  Augustus  nicht  aufgenommen. 


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—    153     - 

die  prokonsularische  Gewalt  so  sehr  wie  möglich  ausgedeutet, 
and  es  mag  ihrem  Inhaber  dabei  zustatten  gekommen  sein,  dafs 
die  Yorgänge,  welche  dieselbe  seit  Pompejus  und  Cäsar  gegen- 
aber  der  früheren  republikanischen  so  sehr  gesteigert  hatten, 
eine  solche  Ausdeutung  erleichterten;  es  ist  in  dieser  Beziehung 
nicht  einmal  nötig,  an  eine  genauere  Definierung  ihrer  Attribute 
im  J.  27  oder  23  zu  denken,  obwohl  dies  immerhin  möglich  ist; 
in  einem  Punkt,  dem  Recht  der  Landanweisung  und  Kolonie- 
gründung,  haben  offenbar  die  Eonsequenzen  der  prokonsularischen 
Gewalt  sich  nach  Italien  hinein  geltend  gemacht,  sofern  für  das, 
was  Augustus  in  dieser  Beziehung  auf  italischem  Boden  that, 
kein  gesetzgeberischer  Akt  nach  altem  Recht  nachweisbar  ist 
Für  einen  höchst  wichtigen  Punkt,  den  Einfiuüs  auf  die  Wahlen 
za  den  Magistraturen,  scheint  Augustus  sich  weder  das  dem  ersten 
Cäsar  bewilligte  Recht  erneuern,  noch  das,  welches  seine  Nach- 
folger hatten,  schon  erworben,  sondern  neben  dem,  dafs  er  in 
kritischen  Momenten  rücksichtslos  direkt  ernannte,  für  gewöhnlich 
sich  damit  begnügt  zu  haben,  thatsächlich  seine  Kandidaten  in 
dem  Umfange,  in  dem  er  es  jeweilig  wollte,  dem  Volke  zu  em- 
pfehlen.^)   Er  hat  aber  mit  dieser  Art  des  Vorgehens  nicht  nur 


1)  Mafsgebend  fSr  diese  Annahme  ist,  dafs  in  der  1.  de  imp.  Vesp.  bei 
der  entsprechenden  Bestimmung  (Z.  10  ff.)  nicht  anf  Angnstas  zurückgegangen 
ist;  allein  anch  was  über  dessen  Verfahren  berichtet  wird,  stimmt  dasn. 
Er  hatte  das  anter  dem  Triumvirat  aufgehobene  Wahlrecht  überhaupt  erst 
wieder  einznffihren  (Sueton  c.  40:  comüiontm  prütinum  ius  redi*xü.  Dio 
53,  21 :  0  ts  Sriiiog  ig  tag  aQXttiQeciag  %al  to  nlild-og  ai  cwsHysto),  ernannte 
aber  im  J.  19  v.  Ch.  den  Konsul  Lncretins  selbst  und  ebenso  bei  erneuten 
Wahlonruhen  im  J.  7  n.  Ch.  sfimtliche  Beamte  (Dio  66,  84:  t^  fi^v  nqo- 
^f9<p  itii  naißtag  tovg  UQ^tymag  avx6gy  insidi^nsQ  iaxaata[BtOf  aniSsiie); 
gewöhnlich  jedoch  trat  er  persönlich  zur  Empfehlung  der  von  ihm  speziell 
gewünschten  Kandidaten  vor  das  Volk,  ohne  dafs  von  einer  bestimmten 
Zahl  hei  solcher  Empfehlung  die  Bede  ist.  Dio  a.  a.  0.  (z.  J.  8  n.  Gh.): 
f?  TOf  dri(u>v  ovxixi,  nctQ^si,  aXXa  tm  filv  nQOtiQ<p  hsi  —  dnidnis  [s.  vori- 
ges Citat],  tovtm  dh  %al  toig  insita  ygä^i-natd  xiva  i%xi^Blg  avpürtri  tm  ta 
^Irfin  %al  x6  d'q(up  ooovg  hnovSais ;  also  erst  in  den  letzten  Jahren  seiner 
Regierung  empfahl  er  schriftlich,  vorher  hatte  er  eine  Form  gewählt,  die 
der  repnblikanisohen  Art  der  Empfehlung  näher  gestanden,  weniger  formell 
und  populärer  war.  Die  Stelle  Dio  68,  21  ( —  avvBliyeto  [s.  oben]  ov  i^sp- 
T0(  xal  inQaxtito  vi  o  urf  xal  inahtp  rigsantif  tovg  yovv  &(f^ortag  xovg  filv 
ttvto9  Irdsyoiuwog  nQOißulXito^  xovg  Sh  %al  ixl  xm  Si^imo  x£  xs  ofUlo)  %axä 
to  ttQxaiop  noiavftevog  eigsfieXsixo  onag  fiTjT  dpsitixridsioi  firix*  1%  nccQani- 
hvcttog  ^  xal  dsnaöfiov  dnodeiHvvavxai)  kann  demnach  nicht  fttx  eine  feste 
^gel  und  ein  bestimmtes  Recht,  wie  es  später  allerdings  vorhanden  war, 

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-     154     - 

in  den  nun  folgenden  Jahren  die  Reform  der  Staats verwaltuDg 
vollendet^  sondern  mit  seiner  Interpretation  der  Rechtsstellung  des 
Princeps  seinen  Nachfolgern  Rechte  geschaffen,  welche  dann 
bei  diesen  als  Befugnisse  des  Principats  formell  ausgesprochen 
wurden. 

Nur  auf  einem  Gebiet,  dem  sacralen,  war  noch  eine  weitere 
Stufe  der  Rechtsstellung  zu  erreichen  und  damit  zugleich  eine 
neue  konstitutionelle  Rechtssphäre  zu  begründen.  Schon  in  den 
ersten  Stadien  seiner  Laufbahn  war  der  Sohn  Cäsars  Mitglied 
der  grofsen  Priestertümer  geworden;  sicher  ist,  dafs  er  im  J.  16 
den  sämtlichen  vier  grofsen  Kollegien  angehörte,  den  Pontifices, 
Augurn,  Quindecemvim  für  die  Hut  der  sibyllinischen  Büdier 
und  den  mit  der  Ausrichtung  des  epudum  JoviSy  des  grolsen 
Mahles  für  die  kapitolinischen  Götter  beauftragten  Epulonen,  und 
dals  er  schon  im  J.  32  Fetiale  war.^)  Dagegen  hatte  er  die 
Vorstandschaft  des  Pontificalkollegiums  und  damit  die  leitende 
Stelle  im  ganzen  Kult  dem  gestürzten  Triumvir  M.  Lepidus^ 
trotzdem  dafs  dieser  sie  auf  anfechtbare  Weise  übernommen, 
überlassen.  Im  J.  13  starb  Lepidus;  seinem  bisherigen  Verfahren 
entsprechend  gab  nun  Augustus  die  Wiederbesetzung  dem  vorge- 
schriebenen Wahl  verfahren  durch  die  Komitien  der  17  Tribas  anheim 
(1,1134)  und  liefs  dann  die  Wahl  am  6.  März  des  J.  12  zu  einer 
grofsen  Kundgebung  seiner  Popularität  werden.*)     Indem  es  so 


verwertet  werden.  Anch  die  wiederholten  Wahlunruhen  aeigen,  dafs  Augnstos 
hier  noch  mehr  Freiheit  liefs. 

1)  Zum  Pontifex  hatte  ihn  Cäsar  schon  im  J.  48  wählen  lassen;  Nicol. 
Damasc.  yit.  4.  Yell.  2,  59:  quem  C,  Caesar  —  pontificatus  sacerdotio  pumt» 
honorawt.  Zusammenfassend  sagt  er  selbst  mon.  Anc.  t.  gr.  4,  6:  aezu^f^ 
avyovQy  xmv  dsnaxivxe  dvi^mv  tcov  [fgonoiaVj  tmv  ifctä  awSgmv  UgoTfoiär^ 
ddsXqiOß  ccQovaXig^  staiQog  TitioSt  fpritucXig,  Über  die  Belege  eq  den  ein- 
sselnen  Priestertümem  Borghesi,  oeuvr.  1,  847  ff.  Mommsen,  r.  g.  p,  82 -H 
Die  vier  grofsen  Kollegien  sind  zusammen  durch  ihre  Symbole  ausgedrflckt 
auf  der  dem  J.  16/15  angehörigen  Mfinse  des  Münzmeisters  C.  AntiBÜns 
Vetus,  Eckhel  6  p.  105.  Cohen,  m^d.  cons.  Antistia,  pl.  HI  n.  9.  10,  ober 
welche  eben  Borghesi  a.  a.  0.  handelt.   Ober  die  Fetialenwürde  Dio  60,  i. 

2)  Mon.  Anc.  1.  2,  23  ff.  gr.  5,  19:  aQxi^SQmcvprjv^  t^v  6  »ori^p  pw 
ioxri%Biy  ro^  di^ftov  ftoi  %ata<psQOVTog  slg  tov  tov  iöavtog  Tosro*,  ov  %(fog- 
sde^diiriv  ^v  d^xiBi^ottiUiv  —  dfco&avovzog  tov  nüO%axBiXrifp6zog  avr^  h 
noXBixmaig  tagaxccig  dvsiXrjtpa^  slg  xct  ^fia  a^x^^^^ata  i£  oXr^g  xr^g  'ixaXuti 
xoaovxov  nXrid'ovg  avvsXriXvd'6xog,  oöov  ovSslg  ^vnQOcd'sv  t^xoQTiOBv  inl  ^Pdfitii 
ysyovivaii  dazu  das  Jahresdatum;  Jahr  und  Tag  s.  fast  Praen.  z.  6.  Mars; 
den  Tag  Ovid.  fast.  3^  419 f.  —  Dio,  welcher  54,  27  die  Notiz  schon  vm 

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—     155    - 

der  Form  nach  dem  Zufall  überlassen  wurde,  ob  diese  Funktion  dem 
Princeps  zukommen  solle,  war  ihr  scheinbar  eine  unwesentliche 
Rolle  zugewiesen;  sie  blieb  auch  jetzt  gleichsam  aufserhalb  des 
Systems.  Sie  war  aber  darum  keineswegs  gleichgiltig.  Mehr 
als  andere  hat  gerade  der  erste  Princeps  auch  das  Religionswesen 
in  seine  Pläne  mit  hereingezogen,  und  hiefür  konnte  ihm  das 
Oberpontificat  auch  in  diesem  Jahre  noch  wichtig  sein.  Und 
wiederum  gilt,  daüs  für  die  Würde  des  Principats  überhaupt  so- 
fort bei  dem  nächsten  Nachfolger  dieses  Amt  eine  wesentlichere 
Bedeutung  gewinnen  mufste;  denn  nun  erfolgte  die  Neuwahl  für 
den  abgegangenen  im  Zusammenhang  mit  der  Übernahme  der 
andern  Bestandteile  der  Gewalt,  und  damit  war  die  Stellung  selbst 
in  engeren  Zusammenhang  mit  diesen  gezogen.  •—  Den  höchsten 
ihm  gewordenen  Ehren,  die  Augustus  am  Schlufs  der  Inschrift 
seines  Mausoleums  angegeben,  zählt  er  die  Benennung  eines 
^Vaters  des  Vaterlandes'  bei;  er  nahm  sie  an  im  Jahre  seines 
dreizehnten  Konsulats,  am  5.  Februar  des  J.  2  n.  Gh.^),  doch 
war  es  eben  nur  eine  Ehren-,  keine  Gewaltsbezeichnung  und  in 
der  Führung  derselben  als  eines  formlichen  Titels  war  ihm  der 
erste  Cäsar  Yorangegangen  (ob.  S.  31).  Augustus  nahm  diesen 
Titel  wie  den  des  Oberpontificats  unter  die  offiziell  von  ihm  ge- 
führten auf. 

5.  Wenn  die  ersten  zwölf  Jahre  nach  der  durch  die  Beseiti-  übersieht  über 

die  fernere 

gung  des  Antonius  gewonnenen  Alleingewalt  dazu  verwendet  Lebenszeit 
worden  waren,  dieselbe  zu  definieren  und  funktionsfähig  zu  ge- 
stalten, so  ist  Tom  J.  19  an  die  Regierung  des  Augustus  be- 
zeichnet durch  die  energische  Anwendung  derselben  auf  allen 
Gebieten  des  Staatslebens.  Was  durch  Gesetz  und  Verordnung 
emer  Neuerung  zu  bedürfen  schien,  wurde  in  Angriff  genommen, 
nach  der  Neubildung  des  Senats  (ob.  S.  129.  152)  die  vom  Volke 

J.  18  giebt  (vgl.  Mommsen,  r.  g.  46),  bemerkt,  dafs  er  nicht,  wie  er  sollte, 
die  Amtswohnimg  besog  und  deshalb  ein  Teil  seiner  Privatwohnnng  zn  einer 
öffentlichen  erkl&rt  wnrde. 

1)  Mon.  Anc.  L  6,  24:  [aenatus  et  equejster  ordo  poptdusque  Bomanus 
iMwersus  [appeüavü  me  patrem  p^atriae.  Datnm  fut.  Praen.  z,  5.  Febr. 
Oy.  fnat,  2,  127 1  {sancU  paier  patriae^  tibi  pUhs,  tibi  curia  nomm  hoc  dcditj 
hoe  dedimus  nos  tibi  nome^  equea;  res  tarnen  ante  dedit).  Dio  66,  10. 
Die  letzteren  Zeugnisse  wie  auch  Münzen  und  Inschriften  zeigen,  dafs  er 
auch  TOr  dieser  förmlichen  Annahme  öfter  so  genannt  nvnrde.  Ober  den 
formellen  Hergang  dieser  Ehrenerweisnng  im  Senat  Sneton  c.  68  (ob. 
S.  138  A.  1).  n  \ 

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-     156    - 

mit  seiDom  Verlangen  einer  cura  morum  et  legum  geforderte  Geseb- 
gebungy  ferner  die  Reformen  im  Militär-^  Finanz-  und  Gerichts- 
wesen^ in  der  Verwaltung  der  Stadt  Rom  und  Italiens,  in  allen 
Stufen  der  Magistratur;  dazu  die  bestandige  Aufsicht  über  da« 
gesamte  Provinzialgebiet,  die  Einrichtung  der  grofsen  neuen  Pro- 
vinzen und  die  Besserung  allgemeiner  Natur  in  der  Organisation 
der  Provinzialbehörden,  vor  Allem  aber  die  grofsartigen  An- 
strengungen, noch  über  des  ersten  Cäsars  Erfolge  hinaus  eine 
gesicherte  und  hinlänglich  umfangreiche  Reichsgrenze  zu  g^ 
winnen.  Jene  Gesetzgebung  des  Jahrs  18  und  was  sich  daran 
anschlofs,  fafste  Augustus  im  Sinne  einer  Erneuerung  des  herr- 
schenden Volkes  in  sittlicher  und  religiöser  Beziehung,  wobri 
mit  den  Einzelgesetzen  gegen  übertriebenen  Luxus,  Ehebruch  und 
Unzucht,  Ehelosigkeit,  Bestechung  vorzugsweise  die  oberen  Stande 
getroffen  sein  sollten.  ^)  Eine  religiöse  Weihe  aber  sollte  dieses 
Werk  und  zugleich  die  ganze  bisherige  Wirksamkeit  des  Gewalt- 
habers erhalten  im  J.  17.  Indem  hier  Augustus  die  althe^ 
gebrachte,  in  den  vorhergehenden  Jahrhunderten  aber  unterlassene 
Säcularfeier  in  neuer  Anknüpfung  an  den  Kult  des  von  ihm  ein- 
geführten palatinischen  Apollon  und  in  eigenmächtiger  zeitUcher 
Rechnung  nun  im  J.  17  wieder  feiern  liefs,  als  fünfte  Feier  dieser 
Art  seit  Rom  bestand,  wollte  er  den  epochemachenden  Charakter 
seines  Principats,  das  mit  der  in  demselben  Jahr  stattfindenden 


1)  Sueton  34:  Leges  retractavit  et  quasdam  ex  integro  sanxit,  ut  sun^tua- 
riam  et  de  adiilteriis  et  pudiciOa^  de  ambitu,  de  maritandis  ordinibus.  Dio 
54,  16.  Die  /.  Julia  sumptuaria  ist  der  letzte  Gesetzgebungsakt  dieser  Art 
(Gell.  D.  ati  2,  24,  14);  die  l,  Julia  de  aduHteriis  et  de  pudiciHa  und  die 
de  ambitu  werden  noch  citiert  cod.  Jast.  A,  18,  4,  11;  die  l.  Julia  de  mcsri- 
tandis  ordinibus  (citiert  Gai.  1,  178)  wurde  gemildert  durch  die  l,  Julia 
Papia  Poppaea  vom  J.  9  n.  Ch.  (s.  unten).  Die  genannten  vier  Gesetif 
können  auf  Grund  der  angegebenen  Stellen,  speziell  auf  Dios  Zeugnis  hin 
diesem  Jahre  zugewiesen  werden;  sie  sind  sämtlich  mittelst  der  gesetzgebe- 
rischen Kompetenz  der  tribunicischen  Gewalt  in  Tributkomitien  gegeben 
worden  (mon.  Anc.  gr.  3,  19:  cc  tots  Si  i(iov  17  üvp%lfiTog  oixovontiö^oi 
ißovlitOy  zrjg  dfi(iaQx''^^S  i^ovaüxg  £v  etilBaa.  Seneca  de  benef.  6,  32: 
forum  ipsutn  ac  rostra,  ex  quibus  pater  legem  de  adulteriis  tulerat) ;  die  ohne- 
hin unpopul&re  l.  de  mar.  ord,  war  in  ihrem  ersten  Entwurf  so  siareng,  dsTs 
hanc  prae  tumultu  recusanHum  perferre  non  potudt,  nisi  adempta  demum  lern- 
tave  parte  poenarum  et  vacatione  irienni  data  auctisque  praemiis,  (Saei)  Die 
Mitwirkung  des  Senat»,  welche  Horaz  (carm.  saec.  17—20:  diva  —  patrvm 
prosperes  decreta  super  iugandis  feminis  prolisque  novae  feraci  lege  marita) 
herrorhebt,  war  nur  mit  Mühe  gewonnen  worden.     Dio^54,  16. 

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-     157    - 

Adoption  4er  Sohne  Agrippas  nun  in  seinem  Bestand  gesichert 
erschien,  so  feierlich  als  möglich  zum  Ausdruck  bringen.^)  Aber 
diese  Feier  bildete  auch  in  anderer  Beziehung  den  Höhepunkt  in 
Augustus'  Leben.  Wohl  geboren  der  darauf  folgenden  Zeit  die 
greisen  Eroberungen  an  der  Nordgrenze  des  Reichs  an  und  be- 
währte sich  auch  fernerhin  im  Innern  die  Politik  der  Versöhnung, 
wie  er  sie  verstand ,  aber  es  fielen  auch  tiefe  Schatten  in  das 
glänzende  Bild,  das  die  Stellung  des  Princeps  bot.  Der  Tod 
süler  der  Freunde,  die  von  Anfang  an  mit  ihm  aufgestiegen  oder 
sich  ihm  auf  dem  Wege  angeschlossen,  Tor  Allem  der  Tod  des 
Agrippa  und  Macenas,  war  für  ihn  ein  nicht  mehr  ersetzter  Ver- 
last So  wenig  er  diesen  Männern  geistig  untergeordnet  war,  so 
waren  sie  doch  in  Krieg  und  Frieden  ihm,  der  nur  auf  Grund 
allseitiger  Erwägung  und  Beratung  zu  handeln  pflegte,  unentbehr- 
liche Stützen  geworden,  und  auch  Mäcenas,  der  in  den  letzten 
Jahren  von  offizieller  Teilnahme  an  der  Politik  ganz  zurück  ge- 
treten war,  war  doch  der  intime  Ratgeber  geblieben  und  wurde 
schmerzlich  vermifst")  Das  Familienleben  des  Henrschers  wurde, 
nachdem  zuerst  der  Tod  die  ihm  nächststehenden  und  liebsten 
Glieder  weggerissen,  durch  die  Schuld  der  einen  und  die  Intriguen 
der  andern  vergiftet;  dicht  neben  den  grofsen  Kriegserfolgen 
stehen  die  selbst  für  Italien  bedrohlichen  Aufstände  der  unter- 
worfenen Barbaren  und  schwere  Niederlagen,  und  selbst  den 
geistigen  Glanz  dieser  Periode  in  Dichtung  und  prosaischer  Litte- 
rator  sieht  Augustus  ohne  entsprechenden  Ersatz   schwinden.^) 


1)  Sueton  31.  Dio  54,  18:  td  tb  aainovXdi^ia  tä  nipknta  STtstiXecBv. 
Cber  die  Berechnimg  der  saectUa  Censorin  de  die  nat.  17.  Ausführliche 
Beschreibung  der  Säknlarfeier  bei  Zosim.  2,  5.  Den  Nachweis,  dafs  diese 
Feier  ursprünglich  mit  der  Erinnerung  an  die  Gründung  Borns  nichts  zu 
Urnn  hotte,  bei  Mommsen,  r.  Chron.  172  ff.  Ober  die  Rechnung  des  August 
^gl  aach  Bergk,  ind.  rer.  gest.  S.  78.  Hirschfeld  an  dem  ob.  S.  146—7  A  2 
ftng.  0.  Ober  die  religiösen  Motive  Preller- Jordan,  röm.  Mythol.  2,  82  ff. 
Vgl.  auch  die  Kommentare  zu  Horaz'  Carmen  saec, 

2)  Ober  Agrippa  s.  unten.  Mäcenas  konnte,  da  er  senatorische  Stellung 
losschlug,  in  dem  augusteischen  System  eine  offizielle  Rolle  nicht  mehr 
spielen;  dafs  seit  der  Verschwörung  des  Gäpio,  in  welche  sein  Schwager 
Moiena  verwickelt  war,  eine  Spannung  zwischen  ihm  und  August  einge- 
treten, sagt  Sueton  c.  66;  dieselbe  entzog  aber  sicherlich  dem  Princeps 
nicht  den  Rat  des  im  Triumvirat  erprobten  früheren  Ministers.  Vgl.  Seneca 
de  benef.  6,  32:  8aq[>e  exdamavit:  herum  mihi  nihil  (nccidiaset,  si  aut  Agrippa 
«tf  Maeeenas  vixisaet, 

3)  Von  den  grofsen  litterarischen  Namen  der  augusteischen  Zeiten 

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—     158     - 

Aber  für  die  Festigung  des  neuen ,  politischen  Systems  war  ei 
ungemein  förderlich  ^  dass  der  Gründer  desselben  nicht  nur  mit 
denen  sioJi  auseinanderzusetzen  hatte  ^  mit  welchen  oder  denei 
gegenüber  er  die  Gründung  vollzogen,  sondern  auch  in  da 
33  Jahren^  in  denen  er  nach  der  letzten  Epoche  der  konstitutio- 
nellen Festsetzungen  vom  J.  19  noch  das  Staatswesen  weit^ 
leitete^  eine  ganze  zweite  Generation  in  demselben  führen  konnk 
In  stetigem  Reformieren,  nicht  in  grofsen  einheitlichen  Beform- 
akten  ging  in  dieser  Zeit  der  Prozefs  vor  sich,  durch  welchcB 
er  alle  Funktionen  des  Staatslebens  enger  oder  freier  an  das 
Principat  band^),  aber  der  Erfolg  war  um  so  dauerhafter. 
Dio  Vor-  Eine  Frage  aber  war  noch  zu  lösen,  die  in  den  frühereo 

Nachfolge.  Akten  konstitutionellen  Charakters  nicht  berührt  wurde  und  ab- 
sichtlich beseitigt  scheinen  sollte  und  die  doch  eine  ganze  8[£tere 
Zeit  beherrschte,  die  Frage  der  Nachfolge.  Da  keine  einzig« 
Gewalt  dem  Augustus  erblich  übertragen  war  und  er  für  die 
wichtigste  Seite  seiner  Stellung,  das  militärische  und  Provinzi&i- 
kommando,  sogar  die  Form  der  fünf-  oder  zehnjährigen  Über- 
tragung aufrecht  erhielt,  so  war  prinzipiell  für  den  Fall  seine» 
Ablebens  der  Zukunft  nicht  vorgegriffen.  Höchstens  empfehlen 
konnte  der  in  der  Gewalt  befindliche  Princeps  einen  Nachfolger, 
aber  nicht  designieren.  Solche  Empfehlung  hatte  im  J.  23  Augofitos 
in  dem  Moment  schwerster  Erkrankung  geübt,  jedoch  sofort 
nachher  wieder  verdeckt  (ob.  S.  142).  Die  Schwierigkeiten,  die 
ihm  gegenüber  den  in  Frage  kommenden  Prätendenten  Agrippa 
und  Marcellus  daraus  erwachsen  waren,  hatte  noch  im  J.  23  der 
Tod  des  Marcellus  beseitigt,  und  nun  fand  Augustus  ein  Mittel^ 
um  die  Zukunft  in  dynastischem  Sinne  zu  regeln  und  doch  jenes 
Prinzip  zu  wahren,  das  verbot,  eine  förmliche  Nachfolgeordnong 
aufzustellen:  der  Nachfolger  sollte  auf  dem  thatsächlichen  Wege 
empfohlen,  durch  entsprechende  Stellung  zur  Seite  des  Princeps 


k 


Prosa  und  Poesie  ist  Ovid  der  einsöge,  der  ganz  dem  Principat  des  Aa- 
gustns  angehört,  indem  er  anch  mit  seiner  Ausbildung  in  diesem  wonelt, 
und  der  noch  in  das  zweite  Principat  hineinreicht,  aulser  ihm  hat  die 
augusteische  Regierung  keinen  aus  ihr  erwachsenen  Ruhm  an  die  des  Tiber 
hinübergegeben.  Das  Vermächtnis,  das  Horaz  in  seinen  LitteratnrbriefeD 
den  folgenden  Generationen  hinterliefs,  war  wohl  für  die  Schule  det  G^ 
schmacks  fruchtbar,  wurde  aber  von  keiner  originellen  Kraft  Bufgenommen. 
1)  Tac.  ann.  1,  2:  inswrgere  patHatim,  munia  senatus  mciffistraitmm  ^ 
gum  in  se  trahere  ntiHo  adverscmte. 

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-     159     - 

als  der  von  diesem  gewünschte  und  in  die  Regierung  schon  ein- 
gefahrte  bezeichnet  werden.  Die  Wahl  der  Person,  selbstverständ- 
lich prinzipiell  ebenfalls  ganz  frei,  bestimmte  er  nun  entschieden 
nach  Familienverhältnissen,  d.  h.  da  er  einen  leiblichen  Sohn  nicht 
hatl;e,  mittelst  Adoption  und  Verschwägerung.  In  diesem  Sinne 
wurde  sofort  nach  dem  Tode  des  Marcellus  Agrippa  mit  des 
Angustus  Tochter  Julia,  der  Wittwe  des  Marcellus,  vermählt  und 
dadurch  in  die  nächste  Stellung  zum  Princeps  gebracht,  jedoch 
wohl  mit  der  Absicht,  dafs,  wenn  er  Sohne  erhielte,  auf  diese 
jenes  thatsachliche  Anrecht  übertragen  werden  und  er  selbst  nur 
als  eventueller  Vormund  regieren  sollte;  zugleich  erhielt  er,  wie 
es  scheint,  prokonsularische  Gewalt  in  einer  Weise,  die  nicht 
näher  definiert  werden  kann,  die  ihm  aber  jedenfalls  in  der  Pro- 
mzialverwaltung  eine  den  einzelnen  Statthaltern  übergeordnete 
Stellung  gab.^)  Im  J.  18  sodann,  als  Augustus.  sein  eigenes 
prokonsularisches  Imperium  erneuerte,  liefs  er  dem  Agrippa  die 


1)  Über  die  Stellnng  Agrippas  zur  Provinzialverwaltung  hat  neaestena 
gehandelt  Mommsen,  r.  g.  p.  168  ff.,  wo  auch  das  Material  zasamm engestellt 
ist,  TgL  Str.  2,  1094  A.  4.    Nach  Joseph.  Antiq.  ind.  16,  8,  3  ist  Agrippa 
im  J.  18  nach  Born  zurückgekehrt  (istä  tr^v  dioUriciv  xmv  snl  zriq  'Aciag 
dnuxcT^  yeyBVTifiivriv  und  war  nach  16,  10,  2  ausgesandt  tmv  nsQav  'loviov 
dittdo%og  KaiauQi;  in  jene  zehnjährige  Zeit  aber  föUt  zugleich  im  J.  21  die 
Stellyertretnng  Augusts  in  Rom  und  im  J.  20/19  das  Kommaudo  in  Qallien 
nnd  Spanien,  während  August  im  Orient  ist,  worauf  er  dann  wieder  in  den 
Orient  zurückgeht.    Mommsen  vermutet,  dafs  dem  Agrippa  schon  im  J.  27 
zugleich   mit  Augustus   prokonsularische  Gewalt  verliehen  worden  sei,  so 
dalfi  er  in  derselben  minor  cdüega  war,  und  zwar  mit  Beziehung  auf  das 
ganze  Seich;  auch  hält  er  für  möglich,  dafs  die  Stellung  in  Rom  im  J.  19 
ans  dieser  prokonsularischen  Gewalt  abzuleiten  war  (ob.  S.  149  A.  4 ).   Letztere 
Stellung  ist  oben  anders  erklärt  worden;  was  aber  das  Provinzialkommando 
betrifft,,  80  ist  zwar  weder  ein  besonderer  Akt  der  Übertragung  für  Agrippa 
bezeugt,  wie  dies  später  bei  andern  der  Fall  ist,  noch  seine  Gewalt  irgendwo 
als  prokonsularisch  definiert,   aber  sie  läfst  sich  allerdings   kaum  anders 
definieren,  da,  wie  Monunsen  sicher  mit  Recht  betont,  er  das  Recht  eigener 
Legaten  hatte.   Allein  die  Vorgänge  des  Jahrs  28  machen  es  nicht  wahr- 
scheinlich, dafs  Agrippa  schon  seit  27  solch  prokonsularisches  Imperium 
batte,  wohl  aber  ist  es  möglich,  dafs  dem  Augustus  in  der  Definition  seiner 
eigenen  Gewalt  im  J.  27  oder  28  zugleich  das  Recht  erteilt  wurde,  einen 
Stellvertreter  mit  einer  analogen  Gewalt  nach  Bedürfnis  in  einer  durch  ihn 
ZQ  bestimmenden  räumlichen  und  zeitlichen  Begränzung  auszusenden.    Zuerst 
ist  der  förmliche  Titel  des  tmp.  procons,  für  diese  Stellung  bezeugt  für  den 
lon  August  adoptierten  Sohn  des  Agrippa,  Gajus,  der  im  J.  1  v.  Gh.  in  den 
Orient  geschickt  wurde  (Zonaras,  der  hier  für  Dio  in  die  Lücke  tritt,  10,  36: 
^  (iovciav  avxm  xriv  av^vnaxov  —  iSa}%Bv). 

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-     160    - 


tribnnicische  Gewalt  auf  dieselben  fünf  Jahre  verleihen,  für  die  sie 
der  Princeps  hatte.  ^)    Selbstverständlich  mufste  auch  diese  triboni- 
cische  Gewalt  so  definiert  sein^  dafs  nicht  nur  kein  Zwiespalt  mit 
der  des  Princeps  entstehen^   sondern  die  letztere  auch  in  keiner 
Weise  in  ihrer  Thätigkeit  gehemmt  war.    Als  dann  im  J.  17  dem 
Agrippa  ein  zweiter  Sohn  geboren  wurde,  adoptierte  Augustus  seine 
beiden  Enkel  und  setzte  sie  dadurch  ihrem  natürlichen  Vater  im 
Verhältnis  zu  sich  vor^  aber  angesichts  der  sämtlichen  in  Frage 
kommenden  Altersverhältnisse  mit  der  Sicherheit  für  diesen,  keiner 
andern  Rivalität   als    dieser   ihn   nie   beschämenden   weichen  za 
müssen.     Im  J.  13  wird  ihm  die  tribunicische  Gewalt  erneuert^ 
aber    schon   im  darauffolgenden  Jahre  stirbt  er.     Jetzt  tritt  in 
die    personliche    Stellung   des   Agrippa    durch   Vermählung  mit 
dessen  Wittwe  Tiberius,  der  Stiefsohn  Augusts,  ein,  der  bisher 
Schwiegersohn  Agrippas  gewesen;  doch  erhält  er,  der  im  J.  13, 
27  Jahre  alt,  das  Konsulat  bekleidet  hatte,  nicht  die  tribunicische 
Gewalt,    tritt    aber    von   nun   an   mit   seinem  jüngeren  Bruder 
Drusus,  damals  gewesenem  Prätor,  in  Provinzialverwaltung  und 
Kriegführung  in  die  Aufgabe  Agrippas  ein,  jedoch  nur  in  Legaten' 
Stellung.    Die  djmastische  Richtung  war  nun  in  jeder  Beziehung 
klar:   in  den  Aufgaben  wie  in  den  Ehren,   in  eigenem  ernsten 
Thun  wie  in  Repräsentation  wurden  die  zum  Hause  des  Princeps 
Gehörigen  in  die  erste  Linie  gestellt,  in  ihrem  Namen  wurden 
wie  in  dem  des  Princeps  selbst  Schenkungen  gemacht  und  Bauten 
aufgeführt^);  wie  er  das  Principat  der  Regierung  von  dem  Titel 
eines  princeps  senatus  aus  genommen,  so  sollten  die  ihm  nächst 
stehenden  jugendlichen  Prinzen  in  der  Ehrenstellung  von  ptin- 
cipes  iuventutiSf   welche  ihnen  die  Ritter  erteilten,   an  der  Spitze  ' 
dieses  Standes  die  Anwartschaft   auf  den   künftigen  politischen 
Principat  zeigen.')    Und  auch  innerhalb  der  kaiserlichen  Familie 


1)  Dio  64,  12:  reo  'Ayginna  aXXa  xb  li  taov  xri  eavxm  y,al  r^f^  s^ovtistf 
tiiv  driiiadimriv  ig  rov  avtop  x^ovov  idmxsv. 

2)  Dio  64,  26.    66,  6.    8.     Suet.  Aug.  29. 
8)  Mon.  Anc.  lat.  3,  3:  Ex  eo  die^  quo  deducti  sunt  in  fortan,  ut  inttr- 

essent  consHiis  publicis,  decrevit  senatus;  equites  auiem  Bomani  tcmVer» 
principem  iuventiUis  utrumque  eorum  parmis  et  hastis  argenteis  donatum 
appeUaverunt,  daselbst  auch  andere  ihnen  erwiesene  Ehren.  Es  geschah  in 
den  Jahren  6  und  2  v.  Ch.  Tac.  ann.  1,8:  {Augustus)  Gaium  ac  Luäum 
p;  in  familiam  Caesarum  induxerat  necdum  posita  puerüi  praetexta  prindpef 

iuventutis  appeUari,  destinari  consules  specie  recusantis  flagrantissime  cupiverat. 
Inschriftzeagnisse  Mommsen,   r.    g.  p.  63.     Or.-Henzen,  634  ff..    Wilmaimi, 

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-     161     - 

selbst  war  die  Absicht  des  Augustus  klar  gestellt:  die  von  ihm 
abstammende  Linie  sollte  die  nächst  berechtigte  sein,  die  Stief- 
sohne in  zweiter  Linie  stehen,  ein  Zug,  der  angesichts  der  Alters- 
verhältnisse  und  personlichen  Leistungen  den  dynastischen  Cha- 
rakter vielleicht  deutlicher  als  alles  andere  ausprägte.  Aber  von 
hier  aus  ergab  sich  auch  der  Kampf  zwischen  den  beiden  Linien, 
der  fQr  Augustus  selbst  die  schmerzlichsten  Erfahrungen  brachte 
und  noch  über  seinen  Tod  hinaus  fortwirkte.  Im  J.  9  v.  Ch. 
wird  aus  der  claudischen  Linie  mit  dem  Tode  des  Drusus  das- 
jenige Glied  entfernt,  das  allein  populär  und  dem  Augustus  selbst 
sympathisch  war,  obgleich  er  als  Anhänger  der  republikanischen 
Partei  galt  und  als  Sprofsling  eines  der  ältesten  Adelsgeschlechter 
die  Sonderstellung  der  republikanischen  Aristokratie  vertreten 
konnte.*)  Die  Verdienste  der  Sohne  der  Livia  waren  in  den 
Jahren,  in  denen  sie  das  Kommando  in  Germanien  und  an  der 
Donau  geführt,  so  grofs,  dafs  Augustus  dem  Tiber  die  Belohnung 
nicht  versagen  konnte  und  so  gab  er  ihm  6  v.  Gh.,  nachdem  er 
ihm  das  Jahr  zuvor  das  zweite  Konsulat  gewährt,  wie  früher 
dem  Agrippa  die  tribunicische  Gewalt  auf  fünf  Jahre*):  aber 
Tiber  hatte  auf  Adoption  gehofft*);  war  doch  auch  das  Opfer, 
das  er  durch  die  Ehe  mit  Julia  dem  Augustus  gebracht,  für  ihn 
eine  Quelle  der  Unehre  geworden  und  waren  die  ihm  Vorge- 
zogenen Sohne  eines  Mannes,  dessen  Herkunft  tief  unter  der 
eines  Claudius  stand.  Offen  brach  er  nun,  indem  er  sich  noch 
im  J.  6  nach  Rhodus  zurückzog.^)  Hier  ist  der  Moment,  an 
welchem  die  Rolle  des  Historikers  in  die  des  Psychologen  oder 


exempl.  inscr.  652.  888;  in  letzterer  Inschrift,  den  sogen.  Cenotaphia  Pisana 
(■-  Or.-Henz.  641)  heifßt  es  von  dem  zuletzt  gestorbenen  Gajus:  tarn  de- 
signatum  tustissimum  ac  simillimum  parentis  sui  virtutibus  principem.  Münzen 
£ckhel  6,  171.  Cohen,  m^d.  imp.  1  p.  116.  Über  die  Bedentung  des  prin- 
eeps  iuvent.  s.  unten  im  Syst.  Zum  Behuf  der  deductio  in  forum  der  beiden 
übernahm  Angnst  ein  zwölftes  Konsulat  im  J.  6,  ein  dreizehntes  und  letztes 
im  J.  2.     Suet  Aug.  26. 

1)  Suet.  Claud.  1.  Tib.  60  {epistola,  qua  aecutn  de  eogendo  ad  restituen- 
dam  libertaUm  Augusto  agehat,  apokryph,  aber  bezeichnend  für  die  Ansicht, 
die  man  von  Drusus  hatte). 

2)  Dio  66,  9:  ßovXrj^slg  xQonov  rivä  fiaXXov  avtovs  (die  übermütig 
gewordenen  Adoptivsöhne)  confpQOvlaai  ta  TißBQ^a  triv  dr]fi.aQx^^V^  h  nhzB 
ivri  hniu.    Vell.  2,  99. 

8)  Dio  a.  a.  0.:  ot  Si  I<pacav  %aUnrivai  avxov  oxi  ^rj  xcrl  Kaicaq 
aniitix^fj. 

4)  Dio  a.  a.  0.  Suet.  Tib.  10.    Vell.  2,  99.      • 

Herzog,  d.  röm.  SUattTorf.  II.  1.  D|^l,ed  byGoOglC 


-     162    — 

wenn  man  will  Untersuchungsrichters  übergeht.  Auf  die  immer 
entschiedener  auftretende  Einführung  der  Enkel  ^  trotzdem  dafs 
ihr  Leben  einen  starken  Kontrast  zu  der  verdienstvollen  Tüchtig- 
keit des  Tiberius  bildet,  folgt  die  Vernichtung  nicht  bloüs  ihrer, 
sondern  aller  derer  ^  die  den  Ansprüchen  des  letzteren  im  Wege 
stehen  oder  stehen  können;  überall  sind  äufsere  wie  moralische 
Gründe  aufzufinden,  welche  das  Geschehene  natürlich  erscheinen 
lassen,  den  Tod  der  Enkel,  die  Verbannung  der  Julia  und  des 
Agrippa  Postumus,  des  jüngsten  Agrippasohnes  ^),  aber  die  Eon- 
sequenz in  dem  Erfolg  aller  dieser  Momente  sowie  gewisse  Einzeln- 
heiten in  ihrem  Verlauf  lassen  eine  leitende  und  zielbewufste  Hand 
erkennen.  Die  ebenso  bestimmt  überlieferte  als  in  ihrem  thatsäch- 
lichen  Gehalt  unwahrscheinliche  und  unwahre  Beschuldigung, 
Julia  habe  das  Leben  ihres  Vaters  gefährdet^,  eine  Anklage, 
die  schwerlich  auf  August,  der  sie  nicht  glauben  konnte,  vielmehr 
auf  die  öffentliche  Meinung  berechnet  war,  zeigt,  mit  welchen 
Mitteln  man  vorging,  und  wenn  Augustus  nachher  neben  Tiberius 
den  Agrippa  Postumus  adoptierte  und  am  Schlüsse  seines  Lebens 
noch  zeigte,  wie  ungern  er  ihn  verstofsen,  so  sieht  man,  wie  er 
ursprünglich  diesen  Enkel  anders  beurteilte  und  zu  seinem  späteren 
Verfahren  gegen  ihn  ebenso  überrumpelt  wurde  wie  zu  dem 
gegen  Julia.  Wenn  endlich  eine  der  ersten  Handlungen  der 
Regierung  Tibers  die  Ermordung  des  Postumus  war,  so  wirft 
dies  das  sfÄrkste  Licht  auf  das  Vorhergegangene.')  Wie  weit 
Tiberius  selbst  bei  diesem  allem  beteiligt  war,  ist  nicht  zu  er- 
kennen; es  ist  denkbar,  dafs  die  eine  Hand  der  Livia  Alles  allein 
leitete  und  er  nur  den  Nutzen  davon  hatte  und  sich  gefallen  liefs. 
Mit  Ausnahme  des  letzten  Vorgangs,  bei  dem  man  nicht  anders 
als  mit  rascher  Gewalt  zum  Ziele  gelangen  konnte,  war  bei  allem 
die  Benützung  der  Umstände  nur  allzu  leicht  und  an  Werkzeugen, 
durch  welche  man  sie  benützen  konnte,  wird  es  nie  gefehlt 
haben.     Es    war    die    Kehrseite    der    Regierung    mit    geheimen 


1)  Dio  65,  10.  10»  Bekk.    Suet.  Ang.  66. 

2)  Plin.  nat.  bist.  7,  149:  aduUerium  fiiae  et  consüia  parricidae  pa- 
lam  facta, 

8)  Sueton  Aug.  66.  Tiber  16.  21.  22.  Dio  66,  32.  Taoit.  1,  6.  (Ge- 
beimer BeBUcb  Augnsts  bei  dem  yerbannten  Agrippa  und  Absiebt  ihn  zurück- 
zurufen.) Plin.  n.  b.  7,  160:  abdicatio  Postumi  Agrippae  post  adoptionem, 
desiderium  post  relegaii(^Mm,  inde  suspitio  in  Fahium  arcanorumque  pro- 
düionem,  hinc  uxoris  et  Tiberi  cogitaUones,  suprema  eins  ct4f2r.^^^i^ 

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^m 


-     16ä      - 

Mitteln,  die  Augustus  hier  zu  erfahren  bekam.  Die  Unsicherheit 
der  Historiker  über  diese  Vorgänge  zeigt,  wie  wenig  Einsicht 
die  gleichzeitigen  gebildeten  Kreise  in  das  Detail  des  Geschehenen 
hatten,  aber  dafe  die  öffentliche  Meinung,  vor  welcher  der  Cha- 
rakter der  dabei  handelnden  und  leitenden  Personen  kein  ver- 
schlossenes Buch  sein  konnte,  die  Kaiserin  entschieden  verurteilte, 
geht  so  ziemlich  aus  allen  Berichten,  indirekt  selbst  ans  dem  des 
Vellejus,  hervor.^)  Nachdem  in  den  Jahren  2  und  4  n.  Ch.  zu- 
erst der  jüngere  Lucius,  dann  der  ältere  Enkel  Gajus  gestorben 
war,  erreichte  Tiberius  das  Ziel  seines  Strebens.  Er  hatte  im 
Sommer  des  J.  2  n.  Ch.,  kurz  ehe  Lucius  Cäsar  in  Massilia  starb, 
die  Erlaubnis  zur  Rückkehr  aus  dem  freiwillig  übernommenen, 
aber  höchst  unfreiwillig  bis  ins  achte  Jahr  verlängerten  Exil 
erhalten,  und  nun,  nach  dem  Tode  des  Gajus,  wurde  er  am 
27.  Juni  4  n.  Ch.  adoptiert  und  ihm  zugleich  die  tribunicische 
Gewalt,  die  in  Rhodus  abgelaufen  und  nicht  erneuert  worden 
war,  aufs  neue  verliehen.*)  Wie  sehr  aber  auch  jetzt  noch 
Augustus  sich  dagegen  sträubte,  allein  auf  Tiberius  angewiesen 
za  sein,  zeigt  die  gleichzeitige  Adoption  des  Agrippa  Postumus 
und  die  dem  Tiberius  auferlegte  Bedingung,  seines  Bruders  Drusus 
Sohn  Germanicus  zu  adoptieren.^)  Aber  Tiberius  wufste  sich 
unentbehrlich  zu  machen.  Durch  die  Dienste,  die  er  aufs  neue 
leistete  und  denen  ähnliches  weder  ein  anderes  Glied  der  Familie 
nodi  ein  anderer  Heerführer  aufzuweisen  hatte,  blieb  ihm,  welches 
auch  die  persönlichen  Gefühle  des  Augustus  sein  mochten*),  der 
erste  Platz  nach  diesem  unbestritten,  und  im  J.  13  n.  Ch.  wurde 
gelegentlich  der  Erneuerung  der  tribunicischen  Gewalt  ihm  durch 
ein  Konsulatgesetz  nicht  nur  die  Vornahme  des  Census  als 
Kollegen  Augusts  übertragen,  sondern  auch  bestimmt,  dafs  er  zu- 
sammen mit  diesem  die  Provinzen  verwalten  sollte.^)     Hiedurch 

1)  Von  den  Neueren  vgl.  auf  Seite  der  Anklage  gegen  Livia  und  Tiber 
H5ck,  r9m.  Gesch.  2,  34—61,  auf  Seiten  der  Verteidigung  das  Extrem  bei 
Stahr,  Tiberius.    Berlin  1868.    Römische  Kaiserfrauen.    Berlin  1865. 

2)  Vell.  2,  103  (Datum).  Suet.  Aug.  66.  Tertium  nepotem  Agrippam 
simtUque  prioignum  Tiberium  adoptavit  in  foro  lege  cuHata,  Ders.  Tib.  16, 
Dio  56,  13. 

3)  Bezeichnend  dabei  die  Aulserung,  reip.  catAsa  adoptare  se  eum^  zu 
gunsten  des  Tiber  gedeutet  bei  Sueton  Aug.  21.    Vell.  2,  104. 

4)  Verschiedene  urteile  darüber  bei  Sueton  Tiber  21. 

5)  Sueton  Tib.  21:  Uge  per  comüles  lata,  ut  provincias  cum  Äugusto 
^mmuniter  administraret  sitnulque  censum  ageret,  condüo  lustro  in  Illyriat^QqlQ 

11*  ^     / 


-     164     - 

.  war  ihm  ein  Besitzstand  geschaffen,  der,  weil  er  nicht  wie  seine 
bisherige  prokonsularische  Funktion  von  persönlicher  Verleihung, 
sondern  von  Gesetz  ausging,  mit  dem  Tode  Augusts  nicht  erlosch. 
Weitere  Bestimmungen,  welche  direkt  auf  Nachfolge  bezüglich 
gewesen  wären,  erschienen  dem  August  mit  seinem  System  un- 
verträglich; ja  er  soll  in  einer  für  Tiber  nicht  unbedenklichen 
Weise  in  einer  über  seinen  Tod  hinausgehenden  Kundgebung  zu 
wissen  gethan  haben,  dafs  neue  Verleihung  des  Principats  auch 
von  andern  Gesichtspunkten  erfolgen  könnte.^) 
Die  Kongequen-  6.  Mit  dem  Akt  vom  J.  27  sollte  nach  der  Erklärung  August« 
pubiikaniscbon  die  Republik  wiederhergestellt  sein ;  diese  aber  bestand  in  dem 
herkömmlichen    Ineinandergreifen    von    Senat,    Magistratur  und 


Volk,  oder  der  Führung  der  Regierung  durch  Senat  und 
stratur  unter  verfassungsmäfsiger  Beiziehung  der  Volksgemeinde. 
Das  Principat  sollte  nur  eine  weitere  Magistratur  sein,  freilich 
trotz  aller  gegenteiligen  Erklärungen  eine  lebenslängliche  und 
nichtkollegiale,  aber  doch  eine  Magistratur,  gebunden  an  die  Ge- 
setze. Verglichen  nun  mit  dem  Zustand  unter  dem  Triumvirat 
war  jede  Art  von  Verfassungszustand  ein  Fortschritt,  auch  gegen- 
über der  cäsarischen  Zeit  war,  selbst  wenn  man  auf  das  Wesen 
sah  und  durch  die  versöhnenden  Formen  sich  nicht  täuschen 
liefs,  die  Stellung  der  republikanischen  Institute  eine  würdigere; 
allein  Augustus  hatte,  je  mehr  das  Staatswesen  wieder  in  ein 
geordnetes  Geleise  überging,  um  so  mehr  auch  mit  den  weiter 
zurückliegenden  Zeiten  sich  auseinanderzusetzen  und  ihnen  gegen- 
über die  Probe  zu  bestehen. 


profectus  est,    Dio  55,  28 :  zriv  te  nf^oavaoCav  x&v  Koivmv  trjv  9B%ixiv  xo  nifi- 
/  nxov   amoav    dij  o  Avyovazog  iXaßs  xal  xa  TißsQ^co  xrjv  driftttQxtnriv  ai^ 

^S(o%€.    Zugleich  wurde  er  vom  Senat  an  die   Spitze  dea  Ausschusses  ge- 
stellt,  welchen  Augustus  sich    stellvertretend   für   den  Gesamtsenat  erbat 
I^  (s.  unt.).  Dio  a.  a.  0.  Dafe  hier  die  prokonsularische  Gewalt  nicht,  wie  früher 

^,  dem  Agrippa  und  C.  Cäsar  (ob.  S.  169  A.  1)  auf  Grund  einer  Bestimmung 

^r^  der  eigenen  Gewalt  des  Augustus  durch  diesen,  sondern  durch  Gesetz  er- 

^  teilt  wird,  hatte  seinen  Vorgang  darin,  dafs  in  der  letzten  Zeit  der  Republik 

aufserordentliche  Prokonsulate  an  Pompejus  u.  A.  durch  Gesetz  übertragen 
worden  waren. 

1)  Dio  66,  33;  (in  den  hinterlassenen  Ratschlagen)  zd  xb  %oiva  iräffi 
xois  dvva^ivoig  xal  stdivai  %al  nQcixtsiv  inixgensiv  xal  ig  firjdeva  dvagtap 
avtä  Tcagi^vsos  CfpCaiv^  oncog  firixs  xvgavv^Sog  xig  iniSvfti^aij  firjx'  av  nxai- 
cavxog  iyiilvQv  xo  drjfioaiov  GtpaXfj,  S.  darüber  unten  bei  Tiberius  Regienmgs- 
antritt. 

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^ 


-     165    - 

Das  Recht  der  Komitien  wurde  unzweifelhaft  wesentlich  be-  Die  Komitien 
schränkt;    aber   dies   machte    am   wenigsten  Schwierigkeit.     Die 
allein  noch  zu  denselben   mit   einiger  Regelmäfsigkeit  sich  ein- 
findende   hauptstädtische   Menge   fohlte   nach   der   völligen  Auf- 
hebung unter  dem  Triumvirat  die  Minderung  des  Wahlrechts,  die 
in  dem  Vorschlagsrecht  des  Princeps  lag,  höchstens  in  den  geringeren 
Vorteilen,  welche  der  übrigens  auch  jetzt  noch  stattfindende  Ambitus 
unter  den  neueren  Verhältnissen  brachte,  und  dafiir  gab  Augustus 
sogar  noch  Ersatz  auf  eigene  Kosten.*)     Dazu  hatte  gerade  im 
Anfang  seines  Principats  Augustus   die  Wahlen   absichtlich  und 
probeweise  möglichst  frei  gelassen,   und  es  hatte  sich   dabei  in 
greifbarer  Weise  gezeigt,   dafs  solche  Freiheit  nur  zu  Unruhen 
führte  (ob.  S.  148).     Die  Gesetzgebung  war  sowohl  von  der  re- 
publikanischen Magistratur  wie  von  der  tribunicischen  Gewalt  in 
wichtigen  Fragen  zur  Anwendung  gebracht,   und,   wie  die  Ehe- 
gesetzgebung zeigt,  zum  Teil  in  einer  Weise,  welche  der  Oppo- 
sition Raum  liefs  (ob.  S.  156  A.  1);  indessen  war  diese  soziale 
Frage  so  besonderer  Art,  dafs  die  öfi'entliche  Meinung  hier  mehr 
Spielraum   haben   mufste.     Im   übrigen   konnte   von   dem,   was 
früher  die  Gesetzgebung  belebt  hatte,  von  einer  Diskussion  in 
vorbereitenden  Kontionen,  jetzt  nicht  mehr  die  Rede  sein;  diese 
waren  aber  in  den  letzten  Jahrzehnten   der  Republik  durch  den 
Unfug,   der  mit  ihnen  getrieben  worden,  genügend  diskreditiert, 
um   sie   für   agitatorische  Verwendung  verschliefsen  zu   können. 
Hinter  der  Volksmenge  Roms  stand  allerdings  noch  die  Bürger- 
schaft Italiens,  und  wenn  es  galt,  deren  Stimme  zu  Kundgebungen 
der  Anhänglichkeit   zu  benützen,    wie    bei    der  Wahl  des  Ober- 
pontifex  im  J.  12,  sah  man  es  gerne,  wenn  sie  zu  den  Komitien 
in  die  Hauptstadt  strömte  (ob.  S.  154  A.  2)j  es  wird  sogar  be- 
richtet, Augustus  habe  daran  gedacht,  das  aktive  Wahlrecht  für 
die  Magistratur  dadurch  für  die   italischen  Gemeinden  zu  einem 
reellen  zu  machen,  dafs  die  Decurionen  der  Kolonieen  in  ihren 
Gemeinden   abstimmten   und   deren  Stimmen   auf  den   Tag   der 
Komitien  nach  Rom  gesendet  würden');  allein  welche  Tragweite 


1)  Säet.  Aug.  40:  Comitiorum  pristinwn  ins  reduxit  ac  multiplici  poena 
toercUo  ambitu,  Fdbianis  et  Scaptiensibus  tribulibiis  suis  die  comitiorum, 
neqmd  a  ^ptoquam  candidato  desiderarent,  singula  milia  nummum  a  se  dividebat. 

2)  Suet.  Aug.  46:  Itcdiam  —  etiam  iure  ac  dignatione  urbi  quodam 
>wdo  pro  parte  cdigua  adaequavit ,  excogitato  gener e  suffragiorum,  quae  de 
tnagistTotibus  urbicis  decuriones  colonici  in  sua  quisque  colonia  ferrent  et  suh 

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-     166    — 

man  auch  dieser  Idee  eines  indirekten  Wahlrechts  der  italischen 
Gemeinden  neben  dem  direkten  der  hauptstädtischen  Bevölkerung 
zuschreiben  mag,  sie  wurde  nicht  weiter  verwertet  Zunächst  hätte 
es  sich  doch  auch  hier  nur  um  die  Abstimmung  über  eine  ge- 
gebene Kandidatenliste  gehandelt,  und  für  weitere  Konsequenzen 
ist  die  Notiz  zu  kurz  und  zu  vereinzelt.  Möglich,  dafs  Augustus 
eine  Zeit  lang  erwog,  ob  er  nicht  bei  der  grofsen  Popularitatj 
die  er  beim  Volk  in  Rom  wie  in  ganz  Italien  sich  erworben,  die 
Komitien  lebensfähiger  machen  und  eine  Stütze  in  ihnen  ge- 
winnen könnte;  bei  näherer  Erwägung  verzichtete  er  darauf,  und 
niemand  fühlte  sich  dadurch  beschwert.  Eine  andere  Frage  war, 
wie  man  sich  darein  finden  würde,  dafs  die  tribunicische  Gewalt 
nun  ein  Hebel  für  eine  Art  von  Tyrannis  geworden  und  die  alt- 
republikanischen  Volkstribunen  zwar  jährlich  wiedergewählt^  aber 
auch  jeder  politischen  Bedeutung  entkleidet  wurden.  Aber  der 
Gedanke,  die  Idee  der  Volksvertretung  so  auszunützen,  dafs  man 
aus  ihr  in  der  tribunicischen  Gewalt  der  Kaiser  eine  populäre 
Einkleidung  für  die  Leitung  der  inneren  Politik  gegenüber  von 
Senat  und  Volk  gewann,  hatte  Glück:  weder  auf  dem  Markt 
noch  in  der  Kurie  protestierte  man  gegen  diese  Verdrehung  eines 
altgeheiligten  Freiheitsprinzips,  gegen  diese  Konfiskation  des 
wichtigsten  aller  Volksrechte;  der  einzige  Protest  war  der  still- 
schweigende, dafs  die  Kandidaten  für  das  Jahresamt  des  Volks- 
tribunats  fehlten  und  aufserordentlicher  Weise  beschafft  werden 
mufsten.  —  Die  komitialen  Gerichte,  welche  bis  zum  Ende  der 
Bepublik  anerkannt  geblieben  waren,  hörten  nun  auf,  und  das 
ordentliche  Kriminalverfahren  konzentrierte  sich  im  Quästionen- 
prozefs.  Dies  war  der  Natur  der  Sache  entsprechend  und  vom 
Standpunkte  der  Gerichtsorganisation  aus  nur  die  Vollendung 
des  schon  unter  der  Republik  Eingeführten;  es  braucht  also  auch 
diese  Minderung  der  Komitialrechte  nicht  schwer  genommen  za 
werden.  Auch  die  Errungenschaften,  welche  die  persönliche 
Freiheit  der  Bürger  in  der  Republik  durch  die  Provokations- 
gesetzgebung gemacht  hatte,  waren  dadurch  nicht  gefährdet;  sie 


die  comitiorum  ohsignata  Bomam  mitterent.  Ans  dieser  Angabe,  der  einzigen, 
die  wir  darüber  haben,  geht  hervor,  dafs  die  Idee  wirklich  zur  AusfOliraDg 
kam,  aber  auf  die  Eolonieen,  und  wie  es  scheint,  auf  die  von  August  aus- 
geführten, die  am  Anfang  desselben  Kapitels  genannt  werden,  und  auf  die 
Wahlen  beschränkt  wnrde.  Dann  molste  sie  mit  der  Übertragung  des  Wahl- 
rechts auf  den  Senat  durch  Tiberius  von  selbst  fallen. 


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—     167     - 

konnten  in  den  Strafbestimmungen  zum  Ausdruck  kommen.  Allein 
indem  zugleich  das  frühere  aufserordentliche  Gericht  des  Senats 
und  der  Magistrate  nun  in  ganz  anderer  Ausdehnung  in  der 
Kriminalkompetenz  des  Senats  und  des  Princeps  mit  dem  Recht, 
auf  Todesstrafe  zu  erkennen,  neben  die  Quästionen  trat,  war  das 
Resultat  der  Provokationsgesetze  wieder  aufgehoben.  Auf  welche 
Weise  diese  Veränderungen  sich  einführten,  ist  in  der  Geschichts- 
erzählung nicht  überliefert  und  kann  nur  auf  Grund  systema- 
tischer Erwägung  erörtert  werden.  Die  römischen  Bürger  er- 
hoben auch  hiegegen  keinen  Widerspruch;  es  trafen  allerdings 
die  schwersten  Folgen  der  Neuerung  nicht  den  gemeinen  Mann, 
sondern  die  höheren  politisch  ins  Gewicht  fallenden  Stande. 

In  sämtlichen  hier  erörterten  Beziehungen  kam  es  dem 
Augustus  zu  statten,  dafs  teils  die  Natur  der  Sache,  teils  das 
Auftreten  neuer  Interessen  die  hauptstädtische  Bürgerbevölkerung 
von  der  der  italischen  Landstädte  trennte.  Es  wird  weiterhin 
noch  näher  erörtert  werden,  wie  die  letztere  auf  die  Pflege  der 
munizipalen  Interessen  hingewiesen  wurde  und  in  ihr,  materiell 
unterstützt  durch  Zuwendungen  der  Kaiser,  einen  Ersatz  fand  für 
die  frühere  Teilnahme  an  der  allgemeinen  Politik.  Für  die  erstere 
aber,  die  plebs  Romana,  welche  nun  allein  noch  für  den  Besuch 
der  Komitien  in  Betracht  kam,  war  es  schon  durch  Augustus 
vorbereitet,  dafs,  um  es  kurz  zu  sagen,  indem  ihr  Nahrung  und 
Genufs  gesichert  wurde ^),  die  Kundgebungen  der  Popularität  an 
die  Stelle  der  politischen  Mitwirkung,  der  Zuruf  an  die  Stelle  der 
Abstimmung  treten  sollte. 

Von  ganz  anderer  Wichtigkeit  als  die  Stellung  der  Komitien    Senat  und 

^  ®        ,  °  .  MÄgiatratur. 

war  die  des  Senats  und  der  Magistratur:  in  das  Verhältnis  zu 
jenem  insbesondere  war  von  nun  an  der  Schwerpunkt  der  inneren 
Politik  gelegt,  so  weit  es  sich  um  verfassungsmäfsiges  Regiment 
handelte,  die  ordentliche  Magistratur  aber  ist  in  dieser  Beziehung 
in  die  Stellung  des  Senats  eingeschlossen  und  unter  denselben 
Gesichtspunkten  zu  behandeln.  In  der  Darstellung  schon  der 
ursprünglichen  römischen  Verfassung  ist  oben  der  Einrichtung 
des  Interregnums  eine  wesentliche  Bedeutung  zugewiesen  und 
geltend  gemacht  worden,  dafs  der  Behörde,  welche  nach  dem 
völligen  Verschwinden  der  gewöhnlichen  Exekutivgewalt  die  Re- 


1)  Vgl.  die  sammarische  Aufzählang  der  Leistungen  Angnsts  mon.  Anc. 
lat.  3,  7-14.    Suet.  Aug.  41  f. 


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-     168     - 

gierung  bis  zum  Eintreten  einer  neuen  weiter  führte,  auch  für 
die  Zeit,  in  welcher  eine  magistratische  Exekutive  vorhanden  ist, 
mehr  als  blofs  beratende  Stellung  zuzuschreiben  sei.  Auch  in 
der  Kaiserzeit  tritt  die  prinzipielle  Stellung  des  Senats  wie  teil- 
weise beim  Regierungswechsel  überhaupt,  so  vorzüglich  da  hervor, 
wo  nach  dem  Verschwinden  einer  Familienfolge  von  Kaisern  die 
Verleihung  der  Kaiserwürde  voraussetzungslos  erfolgt.  Welchen 
Einflufs  auch  das  thatsächliche  Vorgehen  der  Heere  haben  mag, 
die  Bestellung  einer  neuen  Regierung  steht  dem  Senate  zu.  In 
der  Republik  nun  hat  der  Senat  mit  von  diesem  Recht  aus  eine 
regierende  Stellung  wirklich  geübt,  unter  den  Kaisern  jedoch 
sind  es  nur  jene  vorübergehenden  geschichtlichen  Momente,  in 
denen  sein  Recht  deutlich  hervortrat;  während  des  Bestands  eines 
Principats  und  der  durch  den  Vorgänger  bestimmbaren  Regenten- 
folge war  es  verdunkelt  und  einem  System  fortwährenden  Kom- 
promisses anheimgegeben. 

Wenn  man  die  Idee,  welche  Augustus  in  dieser  Beziehung 
hatte,  jeder  persönlichen  Rücksicht  entkleidet  und  nur  vom  höch- 
sten Staatsinteresse  aus  fafst,  so  war  es  die  eines  von  politischen 
Kämpfen  und  Reibungen  freien  Zusammenwirkens  in  der  Neu- 
gestaltung und  fortwährenden  Regierung  des  Staats,  wobei  aller- 
dings die  leitenden  Impulse  vom  Principat  ausgehen  sollten,  eine 
Idee,  wie  sie  in  der  Zeit  Trajans  oder  M.  Aureis  verwirklicht 
und  in  jener  von  dem  jüngeren  Plinius  in  Worte  gefafst  worden 
ist.  Allein  Augustus  selbst  war  weit  entfernt  davon,  die  Verwirk- 
lichung dieser  Idee  zu  sehen.  Nicht  dafs  in  politisch  wichtigen 
Fragen  sich  ihm  der  Senat  oflFen  versagt  oder  dafs  er  sich  mit 
Ehrenbezeugungen  karg  erwiesen  hätte,  aber  die  halb  offen  oder 
geheim  mifsgünstigen  oder  feindlichen  Stimmungen  waren  in  der 
Erinnerung  an  die  Vergangenheit  und  an  eigene  überkommene 
Stellung  noch  zu  stark,  und  trotz  allem  Bemühen,  die  zweifel- 
haften Elemente  zu  entfernen  und  die  Widerstrebenden  zu  ge- 
winnen, war  er  am  Schlüsse  seines  Lebens  nicht  sicher,  dafs 
sein  politisches  System  das  der  Zukunft  sein  werde.*)     Das  Be- 


1)  Dies  zeigt,  was  Tac.  ann.  1,  13  von  seinen  Änlserangen  über  even- 
taelle  Prätendenten  nach  seinem  Tode  berichtet.  Es  handelt  sich  hier  aller- 
dings nicht  um  das  Principat  selbst,  sondern  um  solche,  die  es  aufiiehmen 
wollten,  aber  mit  solcher  Unsicherheit  über  die  Personen  war  auch  jenes 
selbst  gefährdet. 

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~     169     - 

wufetsein,  solche  feindseligen  Kräfte  sieb  gegenüber  zu  baben,  war 
es,  was  seiner  obnehin  zu  verdecktem  Spiel  geneigten  Natur  das 
eigentümliche  Verfahren  eingab,  mit  dem  er  die  Alleinberrscliaft 
in  verfassungsmäfsige  Formen  kleidete. 

Wäre  die  kaiserliche  Gewalt  unter  Beibehaltung  der  republi- 
kauischen  Magistratur  in  der  Art  der  Diktatur  des  Julius  Cäsar 
definiert  worden,  so  hätte  sich  ihr  Verhältnis  zum  Konsulat  nach 
dem  Prinzip  des  maius  imperium  gestaltet.  Allein  nach  der  Er- 
klärung vom  J.  27  war  die  Republik  als  solche  wiederhergestellt, 
die  Konsuln  waren  damit  wieder  die  Präsidenten  derselben,  und 
für  die  zu  gleicher  Zeit  neu  bestimmte  aufserordentliche  Ober- 
gewalt mulste  ein  neues  Verhältnis  gefunden  werden.  Augustus  hatte 
es  zunächst  darin  gefunden,  dafs  er  sich  die  eine  Stelle  im  Konsulat 
selbst  geben  liefs  und  damit  einen  Teil  dieser  Präsidentschaft 
übernahm,  nur  einen  gröfseren  als  die  neben  ihm  stehenden  Kol- 
legen, sofern  er,  während  diese  halbjährlich  wechselten,  beinahe 
jedes  Jahr  das  Konsulat  ganz  behielt  und  an  jedem  1.  Januar 
neu  antrat.  Zu  gleicher  Zeit  aber  hatte  er  sich,  wie  oben  aus- 
geführt, Ergänzungsgewalten  geben  lassen,  die  in  ein  staatsrecht- 
liches Verhältnis  zur  obersten  republikanischen  Gewalt  zu  bringen 
waren  abgesehen  davon,  ob  er  selbst  Konsul  war  oder  nicht.  Ein 
maius  imperium  war  in  keiner  Weise  möglich,  es  hätte  den  Ge- 
danken der  hergestellten  Republik  sofort  wieder  zerstört.  Kol- 
legialisches  Verhältnis  war  sinnlos;  denn  die  in  diesem  liegende 
negative  Seite  mit  der  Kraft  der  Interzession  lag  in  der  tribuni- 
cischen  Gewalt,  die  der  Inhaber  der  aufserordentlichen  Stellung 
neben  dieser  behalten  sollte,  schon  der  persönlichen  Unverletz- 
lichkeit  wegen,  welche  jene  verlieh.  So  wurde  die  Idee  einer 
positiven  Nebengewalt  aufgestellt,  die  sich  mit  dem  Konsulat  und 
der  sonstigen  republikanischen  Magistratur  nicht  kreuzen,  sondern 
nur  ausfüllen  sollte,  was  jene  nicht  bewältigen  konnte.  Auf  dem 
Gebiet  der  Provinzialgewalt  geschah  diese  Auseinandersetzung 
in  Form  der  räumlichen  Teilung,  sonst  in  der  der  geschäftlichen. 
Wäre  nun  hinsichtlich  der  letzteren  eine  genaue  Grenzbestimmung 
zwischen  der  ordentlichen  Magistratur  und  der  aufserordentlichen 
Stellung  getroffen  worden,  so  wäre  die  letztere  eben  ein  weiteres 
Amt  gewesen,  das  dem  natürlichen  Lauf  der  Dinge  nach  mit  der 
Zeit  in  die  ordentliche  Verwaltung  hineingezogen  worden  wäre: 
der  Generalstatthalter  der  Republik  hätte  einen  abgegrenzten  Platz 
in  der  bürgerlichen  Verwaltung,  d.  h.  der  von  Rom  und  Italien, 

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-     170     - 

sowie  in  der  allgemeinen  Reichsregierung  gehabt.  Allein  wenn 
auch  AugustuSy  der  die  Macht  hatte  ^  sich  die  Schranken  selbst 
zu  setzen,  sie  sich  in  dieser  Weise  gesetzt  hatte,  so  wäre  ein 
solches  Verhältnis  doch  nicht  auf  die  Dauer  haltbar  gewesen-, 
der  damalige  römische  Senat  mit  seinen  Konsuln  hatte  nicht  die 
Kraft  und  Selbständigkeit  von  holländischen  Generalstaaten,  und 
die  Stellung  an  der  Spitze  aller  militärischen  Kräfte  des  römi- 
schen Reichs  war  so  gewaltig,  dafs  hier,  die  Form  mochte  im 
übrigen  sein  wie  sie  wollte,  nur  ein  oberster  Wille  möglich  war. 
Der  Weg  aber,  auf  dem  Augustus  dazu  kam,  diesen  zur  Geltung 
zu  bringen,  liegt  in  seiner  langen  Regierung  klar  vor  Augen: 
nachdem  er  sich  eine  Stellung  zur  Gesetzgebung  und  das  Ver- 
ordnungsrecht für  seine  Ergänzungs-  und  Hilfsmagistratur  in 
ganz  allgemeiner  Weise  hatte  erteilen  lassen,  machte  er  der 
wiederhergestellten  Republik  auf  allen  Gebieten  den  Unfahigkeits- 
prozefs:  während  er  die  Provinzen  ordnete,  erklärten  Konsuln  und 
Senat  zu  wiederholten  Malen  sich  selbst  als  hilf-  und  ratlos;  für 
die  Getreideversorgung,  den  Verkehr  Italiens,  die  Sicherheits-  und 
Wohlfalirtspolizei  in  der  Hauptstadt  waren  die  ordentlichen  Be- 
hörden fortwährend  ungenügend,  und  so  mufste  die  Hilfs-  und 
Nebengewalt  überall  eintreten.^)  Wenn  auf  dem  provinziellen 
Gebiet  die  räumliche  Trennung  in  Verbindung  mit  der  verschie- 
denen Organisation  eine  im  täglichen  Verlauf  der  Funktion  selb- 
ständige Senatsverwaltung  möglich  machte,  so  fiel  dies  am  Sitz  der 
Zentral  Verwaltung  weg:  im  Senat,  in  welchem  derPrinceps  durch 
ordentliches  Amt,  besondere  Vollmacht  und  durch  die  tribuni- 
cische  Gewalt  mafsgebende  Stellung  hatte,  in  den  Gerichten^  in 
der  städtischen  Verwaltung,  in  ganz  Italien,  selbst  in  Munizipal- 
angelegenheiten waren  aller  Augen  zuerst  darauf  gerichtet,  was 
der  Princeps  anordnen  und  für  sich  nehmen  wolle,  und  erst,  nach- 
dem man  darüber  unterrichtet  war,  ging  man  an  diejenigen  Ge- 
schäfte, die  der  autonomen  Thätigkeit  anheimgegeben  waren.  So 
wurde  den  Magistraten  und  dem  Senat  nichts  genommen  und 
doch  nichts  frei  gelassen,  der  Princeps  war  alles  und  die  Republik 


1)  Ohne  Beziehung  anf  seine  Machtstellnng,  sondern  lediglich  den 
sachlichen  Zweck  aufstellend  drückt  er  sich  in  einem  Edikt  bei  Snet.  c.  28 
so  ans:  Ita  mihi  scUvam  ac  sospitem  remp.  sistere  in  sua  sede  liceai^  atque 
dw  rei  fructum  perdpere,  quem  peto,  tU  optimi  Status  audor  dicar  et  mariens 
ut  fercm  mecum  spem,  mensura  in  vestigio  suo  fundamenta  reip.  guae 
iecero. 


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-     171     - 

war  alles,  aber  jener  bestimmte  in  jedem  Augenblicke,  wer  han- 
deln solle,  und  damit  war  das  ursprüngliche  Verhältnis  in  das 
Gegenteil  verkehrt,  der  Hilfs-  und  Ergänzungsmagistrat,  der  für 
sich  nur  die  erste  Stellung  in  der  öffentlichen  Meinung  bean- 
spruchte ohne  einen  einzigen  klaren  Titel,  war,  während  er 
nur  der  erste  an  Ansehen  sein  wollte,  die  einzige  wirkliche 
Macht,  der  Alleinherrscher,  in  den  Augen  der  Menge  die  Vor- 
sehung, der  Gott.  Die  Lage  der  Dinge  war  allerdings  so,  dafs 
jene  ünfahigkeitserklärung  ganz  offen  durch  die  Beteiligten  selbst 
geschehen  mufste,  ohne  Anwendung  von  Zwang  und  ohne  Über- 
eilung, zumal  da  das  einmal  eingeschlagene  Verfahren  den  Unter- 
nehmungsgeist Anderer  vollends  ganz  lahm  legte.  Erst  in  der 
zweiten  Hälfte  seines  Principats  griff  Augustus  mittelst  desselben 
in  der  städtischen  Verwaltung  entschiedener  in  diesen  Prozefs 
ein  und  bereitete  hinsichtlich  der  wichtigsten  Fragen,  der  mili- 
tärischen Überwachung  Roms  und  der  obersten  hauptstädtischen 
Polizei  vor,  was  Tiberius  dann  zur  Vollendung  brachte.  Was 
speziell  den  Senat  betrifft,  so  konnte  Augustus  mit  gröfster 
Liberalität  die  Senatoren  auffordern,  mit  ihm  zu  wirken  und  ge- 
meinsame Sache  zum  besten  des  Gemeinwesens  zu  machen:^)  es  ^ 
war  doch  immer  nur  er,  der  die  leitenden  Gesichtspunkte  angab; 
es  konnte  die  Kompetenz  des  Senats  vermehrt  werden,  wie  sie 
es  in  verschiedener  Weise  wurde,  aber  der  Senat  war  dabei  nur 
Werkzeug,  und  gerade  in  ^inem  Gebiet,  das  ihm  August  schon 
anfing  zuzuweisen,  war  er  es  in  einer  der  Freiheit  gefährlichsten 
Weise,  auf  dem  der  Eriminaljustiz.  Während  der  Senat  xmd  in 
seinem  Auftrag  die  Konsuln  nur  ganz  ausnahmsweise  ein  Forum 
der  Kriminalgerichtsbarkeit  gebildet  hatten,  nahm  diese  Kompe- 
tenz jetzt  den  Charakter  einer  ordentlichen  an  und  wurde  bald 
genug  ein  Werkzeug  des  Despotismus  zur  Vernichtung  der  Würde 
des  Senats  durch  diesen  selbst. 

Li  allem,  was  der  Princeps  für  das  Gemeinwesen  vollbringen  Beamte  des 
sollte,  war  er  als  selbstthätig  gedacht,  so  lange  die  Verfassung  "^°^' 
des  Kaiserreichs  auf  augusteischer  Grundlage  stand,  war  also 
die  Stellung  der  Kaiser  auf  persönliche  Regierung  berechnet, 
und  wie  Augustus  und  Tiberius  in  ihrer  früheren  Regierungs- 
zeit rastlos  thätig  waren,  so  waren  auch  ihre  Nachfolger  mit 
wenigen   Ausnahmen   wirkliche   Regenten.     Dies   schliefst  nicht 


1)  Vgl  z.  B.  Dio  66,  4.   26.   28. 

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—     172    — 

aus,  dafs  sie  ihrerseits  nicht  blofs  für  ihr  Provinzialgebiet,  son- 
dern auch  für  das  Eingreifen  in  die  sonstige  Verwaltung  einen 
Stab  von  Beamten  brauchten,  und  so  begann  schon  unter  Au- 
gustus  die  Aufstellung  eigener  Funktionäre  des  Principats,  die 
in  Konkurrenz  mit  den  Magistraten  treten,  aber  lediglich  vom 
Princeps  abhängig  sind.  Diese  Doppelverwaltung  mit  Verschiede- 
nem Personal  in  getrennter  Laufbahn  zu  führen  hätte  die  gröfsten 
Schwierigkeiten  gemacht,  wäre  überhaupt  bei  der  Ungleichheit 
der  Stellung  in  gleichartigen  Funktionen  nicht  lange  haltbar 
gewesen.  Aber  Augustus  gestaltete  die  Laufbahn  so,  dafs  die- 
selben Personen  bald  in  seinen,  bald  in  des  Senats  Provinzen 
verwendet,  auch  die  oberen  Beamten  seiner  Seite  nur  aus  dem 
Senat  genommen  wurden  und  für  die  letzteren  also  nicht  nur  ebenso 
feste,  sondern  ganz  dieselben  Bedingungen  der  Laufbahn  bestanden 
wie  für  die  Senatsbeamten,  dafs  es  überhaupt  wie  unter  der 
Republik  nur  einen  allgemeinen  und  festen  cursus  honorum  gab, 
dem  selbst  die  kaiserlichen  Prinzen,  wenn  auch  mit  Begünstigungen, 
sich  unterzogen.  —  Damit  war  auf  die  Personen  Rücksicht  ge- 
,  nommen,  aber  die  republikanischen  Amter,  das  Konsulat,  wie 
die  niedrigeren,  litten  unter  dem  Verhältnis  in  Umfang  und  Be- 
deutung ihres  Geschäftskreises,  ja  sie  verloren  ihre  politische 
Bedeutung  so  gut  wie  vollständig:  nur  die  äufsere  Repräsen- 
tation, die  hohe  Rangstufe,  welche  es  bezeichnete,  die  gelegent- 
liche Kollegialität  mit  dem  Kaiser  und  die  Erinnerungen  der 
Republik  gaben  dem  Konsulat  noch  Glanz. 
Der  Eindruck  Jcucr  Unfähigkeitsprozefs   fiel   dem    wahren  Sachverhältnis 

auf  die  republl-  i  »         r^       /*  i  -i-ij-i 

kaniich  Ge-    entsprechend  aus,  und  war  im  Grofsen  schon  durch  die  letzten 

siuuten.  

Zeiten  der  Republik  gemacht  worden.  Wenn  ihn  Augustus  jetzt 
wiederholte,  so  war  das  Neue  dabei  einmal,  dafs  er  auch  auf 
dem  beschränkteren  Gebiet,  welches  die  Verfassung  von  27  dem 
Senat  liefs,  sich  vollziehen  konnte,  sodann  dafs  der  Princeps 
in  diesem  Vollzug  die  in  die  neuen  Verhältnisse  herübergenomme- 
nen Republikaner  durch  den  Augenschein  überzeugen  und  darauf- 
hin mit  der  neuen  Ordnung  versöhnen  wollte.  Es  gelang  ihm, 
nicht  blofs  die  Majorität  des  Senats  in  Botmäfsigkeit  zu  er- 
halten, sondern  die  angesehensten  'Republikaner,  einen  Cn.  Cal- 
purnius  Piso  und  L.  Sestius  zu  loyaler  Mitwirkung  heranzuziehen: 
diese  beiden  waren  es,  welche  i.  J.  23,  in  demselben  Jahr,  in 
dem  er  die  Form  seiner  Herrschaft  definitiv  machte  und  in 
welchem  eine  von  ihm  als  gefährlich  behandelte  Verschworung 

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-     173    — 

entdeckt  wurde,  das  Konsulat  führten.^)  Aber  vollständig  gelang 
die  Versöhnung  nicht.  Dum  veritati  consulitur,  lihertas  corrumpe- 
latur,   sagt  Tacitus   gegenüber  dem   Eingreifen  des  Tiberius   in 


1)  Über  Piso  Tac.  ann.  2,  48:  insita  ferocia  a  patre  Pisane,  qui  civili 
heüo  resurgentes  in   Äfrica  partes  acerrimo  ministerio  adver sus    Caesar €8 
Mtrif,   rnox  BrtUum   et  Cassium  secutus  concesso  reditu  petitione  honorum 
dbstinttit,  donec  tUtro  ambiretur  delatum  ab  Äugusto  consulaium  accipere; 
über  Sestios  Dio  53,  32:    av^'  iavtov  2riötiov  dvd-tiksto  aei  ts  %6  BQOVtcp 
evcMOvdatorca  %al  iv  ndat  zoCi  noUfi^ig  avüZQatevaavta  aal  iti  %al  tots 
tal  urfiiuovBvorta  avtov  %al  tt%6vag  ixovxa  xal  inalvovg  noiovpisvov.     In 
diesem  Jahr  wird  als  Kollege  des  Augustas  am  1.  Jan.  genannt  A.  Terentins 
Varro  Morena,   nach   dessen  Namen  in   den  kapitolinischen  Fasten  frag- 
mentarisch erhalten  'iBi:  ,,,  est:  in  e{i%u)  l(ocum)  fiflctus)  eijst),  so  dafs  nur 
ergänzt  werden  kann:   [in  magistratu  tnartuus]  est,    Murena,  der  Schwager 
des  Mäcenas,  starb  verurteilt  wegen  Teilnahme  an  der  Verschwörung  des 
Fannins  Cäpio,  die  Dio  54, 3  unter  dem  J.  22  erzählt:  ovvopiODfto^ivai  sh'  dkrj^cig 
itre  xal  i%  dtaßolrjs  iXix^ri  {Movgrivcig)'  Korl  ov  yccQ  vni^eivav  ro  diKaati^Qiov 
^QTifiriv  lusv  dtg  nal  (psv^Oftsvoi  ijXmaaVy  dnsafpdyriaav  di  ov  noXXm  vategov. 
Wenn  nach  den  kapitolinischen  Fasten  Murena  in  magistratu  mortuus  est, 
so  müssen  sich  entweder  in  die  erste  Hälfte  des  Jahrs  23  die  Amtsführung 
des  Murena,   die   Verschwörung   und   ihre    Entdeckung,   darauf  die   Ver- 
urteilung und   der  Tod    des  Murena  zusammengedrängt  haben,    oder  in 
9mgi$tratu  ist  für  das  durch  seinen  Namen  mit  bezeichnete  Jahr  zu  ver- 
stehen, und  dann  kann  die  Verschwörungsgeschichte  noch  im  zweiten  Halb- 
jahr von  23  gespielt  haben.     Ende  Juni  dieses  Jahrs  legte  Augustus  das 
Konsulat  nieder,  um  fernerhin  mit  der  PrincipatsvoUmacht  und  der  tribuni- 
cischen  Gewalt  die  Regierung  zu  führen,  und  Calpurnius  Piso  wurde  sein 
Nachfolger.    Aus  dem  Bericht  Dios   geht  hervor,  dals  August  diese  Ver- 
schwörung, bei  deren  Verfolgung  Tiberius  als  Ankläger  auftrat,    (Sueton. 
Tib.  8),  sehr  ernst  nahm  und  keine  Fürsprache  gelten  liefs,  während  das 
Publikum   von   der   Schuld  jedenÜEdls   des   Murena   nicht   überzeugt   war. 
Welchen  Einflufs  nun  die  Verschwörung  auf  die  Entschlüsse  des  Augustus 
übte,   ob  sie  mit  dazu  beitrug,  dafs  er,   um  den  üblen  Eindruck  zu  ver- 
wischen, die  zwei  Republikaner  für  das  Konsulat  nahm,  oder  ob  er,  weil 
er  Torher  solche  Eonzessionen  gemacht,  nur  um  so  strenger  vorging,  darüber 
zn  urteilen,  müfste  man  genauere  chronologische  Kenntnis  der  Verbältnisse 
baben.    Jedenfalls  aber  sehen  wir,  dafs  unsre  Berichte  über  den  Zusammen- 
hang der  Ereignisse  des  Jahrs  23  sehr  mangelhaft  sind.    Eigentümlich  ist, 
dals  in  dem  Chronographen  vom  J.  354,  der  doch  sonst  mit  den  kapitolin. 
l^asten  stimmt,  femer  in  den  idatian.  Fasten  und  bei  Cassiodor  das  Jahr 
nor  durch  Augustuv  und  Piso  bezeichnet  ist  (Klein,  fast.  cons.  z.  d.  J.),  so 
dafä  Murena  wie  nach  seiner  Verurteilung  ausgemerzt  erscheint.     Anders 
iat  es,  wenn  in  den  Fasten  des  Latinerfests  (c.  i.  lat  1  p.  472)  zur  Zeit 
dieses  Festes  Augustus  und  Piso  zusammen  genannt  werden.     Ober  Murena 
vgl.  Henzen   in   c.   i.   1.  1  p.  450  z.  J.  731.     Pauly,    Realenc.   IV.   1077  f. 
Kiefeling  in  Philol.  Unters.  2,  55  f.  r^^^^T^ 

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-     174    — 

die  Jurisdiktion  der  ordentlichen  Gerichte;  dieselbe  Antwort 
hatten  auf  die  wirklich  wohlthätigen  Neuerungen  Augusts  in 
der  Stille  viele,  die,  was  sie  libertas  nannten,  nicht  ver- 
schmerzen  wollten,  ob  sie  nun  wirklich  republikanische  Über- 
zeugung hatten  oder  nur  ihre  personlichen  Interessen  verletzt 
fühlten^),  und  diese  einzelnen  Unversöhnlichen  liefsen  noch  auf 
lange  Zeit  das  Principat  nicht  zur  Ruhe  kommen.  Bei  aller 
Rücksicht,  welche  Augustus  übte,  kam  er  aus  den  Verschwörungen 
nicht  heraus*),  sei  es,  dafs  die  einen  überhaupt  keinen  Herrn 
über  sich  dulden  wollten  oder  dals  sie  sich  durch  Geburt  und 
persönliche  Tüchtigkeit  zu  derselben  Stellung  berechtigt  fühlten, 
wie  denn  in  den  Gesprächen  seiner  letzten  Tage  Augustus  noch 
eine  Anzahl  von  solchen  nennt,  die  nach  ihm  auf  die  Leitung 
des  Staats  Ansprüche  erheben  könnten  (ob.  S.  168  A.  1).  und 
wie  nun  vollends  nach  seinem  Tode  die  Nachfolger  entweder 
nur  das  Imponierende  geltend  machen  ohne  das  Gewinnende 
oder  die  brutale  Gewalt  ohne  zu  imponieren  oder  zu  gewinnen,  da 
wird  der  Kampf  in  der  That,  wie  ihn  Tacitus  schildert,  zu  einem 
Konflikt  zwischen  Despotismus  und  Charakter,  zwischen  einer 
Monarchie,  die  trotz  aller  rechtlichen  Begründung  als  Usurpation 
erscheint  und  der  von  Augustus  selbst  anerkannten  republi- 
kanischen Idee.     Erst  als  die  alte  Aristokratie  sich  in  eine  neue 


1)  Bezeichnend  für  die  Stimmung  der  Aristokratie  ist,  dsJa  beim 
Leichenbegängnis  des  Agrippa^  den  die  republikanische  Aristokratie  als 
einen  sie  weit  überragenden  Emporkömmling  hafste,  von  den  Spitzen  der 
Aristokratie  keiner  an  der  Feier  sich  beteiligen  wollte.    Dio  54,  29. 

2)  Aufzählung  derselben  bei  Sueton  c.  19  und  Seneca  de  dem.  1,  9; 
vgl.  auch  VelL  2,  91  und  Zon.  10,  85,  wo  dicht  neben  dem  Zeugnis  über 
die  grofse  Popularität  des  August  die  Verschwörung  des  Julius  Antonius 
angeführt  ist  Die  des  Cinna  erwähnt  Vellejus  und  Sueton  nicht,  sondern 
vor  Dio  65,  14—22  nur  Seneca  (de  benef.  4,  80  de  dem.  1^  9),  und  Dio 
hat  den  Seneca  benützt,  nur  dafs  er  sie  erst  gelegentlich  des  Konsulats 
Cinnas  (5  v.  Chr.)  erwähnt  und  weil  dieses  Konsulat  den  höchsten  Grad 
der  Versöhnlichkeit  zeigen  soll,  unmittelbar  vor  dasselbe  setzt,  während  sie 
nach  Seneca  geraume  Zeit  vorher  stattgefunden  hätte.  Deshalb  will 
Weichert  (Imp.  Caes.  Augusti  librorum  rel.  p.  181—136)  sie  als  Erfindung 
des  Seneca  betrachten.  Immerhin  spricht  Seneca  de  beQ^f.  4,  80  davon  wie 
von  einer  allgemein  bekannten  Sache.  —  Dio  hat  im  Jahre  vorher  65,  12  von 
Augustus  gesagt,  dafs  er  xQaotSQog  ts  aal  ouvrjgotSQog  vno  tov  yiQQmg  nQOs 
x6  x6iv  ßovXBVTav  tiaiv  ans%^avBa&ai  yfyovmg  ovdsvl  it'  avtmv  nQog%i^fiv 
Tjd'slev,  und  doch  beginnt  er  c.  14  den  Bericht  Über  Cinna  damit:  insßov- 
Xsvaav  amm  aUoi  ts  x«l  KoQvi^Xiog.  —  Vgl.  zur  Stimmung  der  Senatoren 
auch  die  sparsos  de  Augusto  in  curia  famosos  libeüos  Sue^OO^Ic 


r^-i^^  -*^^3j^r 


-     175     - 

auf  die  Schule  des  neuen  Beichsdienstes  gegründete  yerwandelt 
hatte,  und  aus  ihr  neue  Herrscher  erwuchsen,  die  diesem  Ur- 
sprung entsprechend  auftraten,  verschwand  der  Gegensatz  und 
konnte  das  Principat  leisten,  was  Augustus  gewollt  hatte.  Man 
kann  die  Frage  aufstellen,  ob  es  nicht  richtiger  und  für  raschere 
Herstellung  eines  befriedigenden  Zustands  ersprieJüslicher  gewesen 
wäre,  die  veritas  entschiedener  in  der  Gestaltung  der  Verfassung 
zur  Geltung  zu  bringen,  den  Schein  von  l^)ertas  zu  opfern  und 
nur  den  Teil  derselben,  der  zum  Begriff  einer  Verfassung  unent- 
behrlich war,  zu  lassen;  aber  wo  ein  so  grofsartiges  Werk,  wie 
die  politische  Neuordnung  eines  Weltreichs  in  die  Hand  ^ines 
Mannes  gelegt  ist,  da  entscheidet  neben  dem  letzten  objektiven 
Zweck  auch  der  Mann  selbst  mit  seinem  persönlichen  Charakter; 
Augusts  Charakter  aber  war  nicht  für  die  geraden  Wege. 
Mit  all  dem  hat  sein  wohl  überdachtes  und  berechnetes  Werk 
drei  Jahrhunderte  bestanden,  weil  es  der  obersten  Aufgabe 
des  romischen  Staats,  der  Reichspolitik  gerecht  wurde  und  durch 
deren  Gewicht  die  Machtstellung  des  Principats  sicherte,  woneben 
es  allerdings  mit  seiner  allgemeinen  Vollmacht  des  Princeps 
neben  dem  ebenso  allgemeinen  Regierungsrecht  des  Senats  die 
Funktion  der  Verfassung  von  der  Persönlichkeit  jedes  einzelnen 
Princeps  abhängig  liefs. 

7.  Eine  mit  der  wahren  Republik  der  vergangenen  Zeit  Kabmotspouuk. 
auch  in  ihrer  konservativsten  Form  verbundene  Eigentümlichkeit 
war  die  Öffentlichkeit  des  politischen  Lebens  gewesen.  Ob  die 
einzuhaltende  Politik,  äuTsere  wie  innere,  auf  dem  Markte  oder 
in  der  Kurie  darzulegen,  zu  empfehlen  oder  zu  verteidigen  war, 
es  geschah  stets  vor  grofsem  Kreise  und  mit  derjenigen  Öffent- 
lichkeit, die  notwendig  war,  wenn  die  Bürgerschaft  an  der 
Bichtung  der  Politik  lebendigen  Anteil  nehmen  sollte.  Diese 
Teilnahme  war  nun  zur  blofsen  Dekoration  herabgesunken,  aber 
die  Beratung  im  Senat,  in  einer  Körperschaft  von  mindestens 
600  Mitgliedern,  war  noch  öffentlich  genug,  um  eine  konstitu- 
tionelle Garantie  zu  sein.  Indes,  die  Bestimmung  darüber,  was 
aberhaupt  vor  diese  Behörde  kommen  sollte,  war  jetzt  dem  Prin- 
ceps überlassen,  und  mehrfache  Interessen  brachten  es  mit  sich, 
dafs  die  oberste  Leitung  der  Politik  aufserhalb  des  Senats  lag. 
Die  Verhaltnisse  der  Verantwortlichkeit  waren  für  den  Princeps 
andere  als  für  die  Konsuln  der  Republik,  es  brauchte  also  ein  Rück-  .--*- 

halt  an  SenatsbescHüssen   keineswegs   in   dem   früheren   Mal5e>og.Ie 


-     176     - 

gesucht  zu  werden.  Ferner  konnten  die  Entwürfe  der  grofgen 
Politik  um  der  Sache  willen  nicht  mehr  in  der  früheren  Weise 
^ler  Besprechung  im  Senat  anheimgegeben  werden,  und  zu  den 
allgemeinen  Interessen  kam  nun  das  des  Principats  hinzu,  das 
keine  ernsthafte  Diskussion  ertrug.  So  wird  schon  für  die  Zeit 
tles  Augustus  hervorgehoben,  dafs  die  Politik  zur  Kabinetspolitik 
j^eworden  und  damit  auch  der  Historiker  weit  ungünstiger  als  früher 
gestellt  sei.^)  Die  Art,  wie  sich  diese  monarchische  Form  einfahrte, 
war  je  nach  den  Zwecken  verschieden.  Die  intimsten  arcam 
fniperii^),  die  Lebensinteressen  der  Principatsstellung,  waren 
] persönlichste  Sache  des  Princeps  selbst:  was  Augustus  hierüber 
juit  einem'  Mäcenas  und  Agrippa  oder  andern  Vertrauten  ähnlich 
imher  Stellung  beriet,  war  so  gut  wie  Beratung  mit  sich  selbst 
Schon  offizielle  Form  war  es,  wenn  der  Princeps  für  die  Fragen 
der  allgemeinen  Politik  sich  ein  Konsilium  aus  Männern  offizieller 
Stellung  bildete,  mochte  dasselbe  sonst  so  willkürlich  zusammen- 
gesetzt sein  wie  es  wollte  und  die  Beratung  durchaus  an  den 
Kreis  der  Berufenen  gebunden  sein:  es  war  dies  die  Anwendung 
den  magistratischen  Konsiliums  und  hatte  die  Bedeutung  einer 
ITVrmlichen  und  sorgfältigen  Begründung  für  den  eigenen  Entschlufs 
tl(?r  Berufenden.  Die  offiziellste  Form  war  die  mehr  oder  weniger 
hiiufige  Ersetzung  der  Beratung  im  Plenum  des  Senats  durch 
Bildung  eines  Senatsausschusses,  dessen  Zusammensetzung  teils 
durch  Amtsstellung,  teils  durchs  Los  der  willkürlichen  Auswahl 
entnommen  ihn  zu  einer  wirklichen  Kompetenz  fähig  machte,  sei 
es  in  Vorbereitung  der  Beratung  im  Plenum  oder  in  definitiver 
Beschlufsfassung.  Es  wurde  dies  schon  durch  Augustus  einge- 
führt, gehörte  jedoch  zu  denjenigen  Dingen,  deren  Anwendung 
dem   Belieben   jedes    einzelnen   Princeps    anheimgegeben    war.*) 


P 


1)  Dio  63,  19:  ^  filv  ovv  noXixsia  ovtio  zoxs  (im  J.  27)  ngog  tt  to 
jßiltiov  xal  ngog  x6  öa>T7iQi(o9iaTSQOv  ftstsy.oafLri^.  —  ov  (livtoi,  xal  oftoi&i 
xotg  ngoa^sv  ra  fistä  ravta  ngax^evta  Isz^rivai  dvvocTai,  ngougot  fUf 
yag  Ig  Tfi  xriv  ßovXiiv  %al  ig  xbv  S^fLOv  ndvxa  —  igsq)iQBxo  —  ix  91  ^i 
tov  XQOvov  ixsivov  xa  filv  nlsica  %Qvq)a  käI  ^t*  dnoQQ'qxav  yifwtedai 
^Q^axo  u.  8.  w. 

2)  Tac.  ann.  2,  36.  59  (etwas  anders  bist.  1,  4  =-  ein  Geheimnis,  d« 
die  Schwäche  der  Imperatorenherrschafb  birgt). 

8)  Für  Augustus  Zeit  Dio  63,  21  z.  J.  27  v.  Chr.,  übrigens  in  einer  Am- 
einandersetzung,  die  späteres  mit  heranzieht ;  56,  28  (zum  J.  13  n.  Chr.)  als 
eine  Mafsregel,  die  durch  sein  hohes  Alter,  das  ihn  an  der  Beteiligung  bei 
den  Sitzungen  hinderte,  veranlafst  war;  allgemein  Sue^n  c.  36:  sibi  instüuil 

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—     177     — 

Für  Angastas  selbst  aber  war  bei  seiner  sorgfaltig  wägenden 
und  bei  aller  eigenen  Klugheit  doch  Ton  fremdem  Rat  abhängigen 
Natur  die  Beratung  mit  einem  Konsilium  gewiXs  von  wesentlichster 
Bedeutung:  wenn  irgendwo,  so  fand  hier  die  Auseinandersetzung 
zwischen  den  Republikanern  und  dem  neuen  System  statt  und 
konnten  Vorstellungen  und  sogar  oppositionelle  Tendenzen  Raum 
finden,  die  im  ofiEenen  Senat  nicht  zulässig  waren. 

Die  Ausbildung  des  Prineipats  äulserte  aber  auch  ihren  AusbUdung 
Einflufs  auf  die  geselligen  und  gesellschaftlichen  Verhältnisse  des  petBöniicheu 
obersten  Standes.  Wie  jeder  Senator,  war  auch  der  Princeps  Kaisers  sa  den 
Haupt  eines  Hauses  und  mit  seiner  Würde  hob  sich  die  seines 
Haushalts.  Die  Ordnung  desselben  zeigt,  wie  überall  im  An- 
schluß an  Gebräuche  der  Einrichtungen  eines  Tornehmen  Privat- 
haushaltes,  aber  ebenso  überall  mit  entsprechender  Modifikation 
derselben  eine  Hofhaltung  eingerichtet  wurde,  die,  privater  Natur, 
wie  sie  sein  sollte,  doch  mannigfaltige  Beziehungen  zu  der  öffent- 
lichen Stellung  des  Princeps  hatte.  *)  Dasselbe  gilt  für  den  Ver- 
kehr des  letzteren  mit  den  Senatorenkreisen,  obwohl  hier,  wenn 
irgendwo,  die  Persönlichkeit  in  Frage  kam  und  die  ganze  Stufen- 
leiter der  Formen  von  der  Gleichstellung  im  geselligen  Verkehr 
bis  zu  monarchischer  Abgezogenheit  dem  Spielraum  der  recht- 
lichen Begriffe  entsprach.*)  Die  höchste  Steigerung,  die  möglich 
war,  der  Charakter  der  Göttlichkeit,  aus  mehrfachen  Quellen 
entsprungen,  der  orientalisch  -  hellenistischen  Despotentradition, 
dem  Genien-  und  Larenkult  der  Italiker  und  dem,  was  man  bar- 
barischen Nationen  erst  eingepflanzt  hatte,  war  auf  den  Verkehr 
mit  denen,  die  zugleich  Standesgenossen  und  Mitbürger  waren,  von 
wenig  Einflufs.^)     Dagegen  wufste  Augustus  aus  dem  Zug  der  an 


consüia  sortiri  aemenstria,   cum  quibtu  de  negotiia  ad  frequentem  senatum 
Teferendis  ante  tractaret    Näheres  imt.  im  System  beim  Senat. 

1)  Näheres  über  die  Hofämter,  welche  von  dem  persönlichen  Dienst 
des  Princeps  in  Sekretariats  Funktionen  und  Geldverwaltung  aus  mit  dem 
Staatsdienst  sich  berührten,  s.  im  Syst. 

2)  Was  Sueton  c.  53  berichtet,  zeigt  die  persönliche  Anspruchs- 
losigkeit des  Augustus,  aber  zugleich  auch,  dafs  die  Stellung  allgemein 
80  hoch  geachtet  war,  dafs  sie  Huldigungen  hervorrief  und  beanspruchen 
konnte. 

S)  Die  dichterischen  Verwendungen,  die  bei  sämtlichen  Porten  der 
ängosteischen  Zeit,  wenn  auch  in  verschiedenem  Grade  sich  finden,  sind 
nicht  einflulslos  geblieben,  aber  doch  etwas  ganz  anderes  als  religiöse  Hand- 
limgen  oder  öffentliche  Beschlfisse. 

Heriog,  d,  röm.  SUatsverf.  EL  1.  l?)igitized  by  dOOQ IC 


—     178     — 

das  Dienen  gewohnten  Kreise,  der  kaiserlichen  Stellung  die  Göttlich- 
keit aufzudrängen,  in  mehrfacher  Beziehung  Nutzen  zu  ziehen.  In- 
dem er  sich  für  den  offiziellen  Verkehr  jeden  Akt  von  Adulation 
verbat  und  personlich  die  einfachsten  Formen  einhielt,  erschien 
der  ihm  entgegengebrachten  Huldigung  gegenüber  seine  Be- 
scheidenheit um  so  verdienstlicher.  Daneben  aber  nahm  er  die 
Göttlichkeit  für  seinen  Vater  imd  damit  für  den  Ursprung  seiner 
Stellung  sehr  entschieden  in  Anspruch,  liefs  in  dem  Titel  Äu- 
gustus  an  göttliche  Würde  erinnern,  liefs  sich  in  den  Provinzen, 
wenn  auch  nur  in  Verbindung  mit  dem  Kult  der  Bea  Borna  offen 
als  Gott  verehren,  und  selbst  in  Italien  solche  Verehrung  in 
Formen  gewähren,  welche  der  rein  freiwilligen  und  nicht  kon- 
trollierbaren Huldigung  zugehörten  und  darum  ein  um  so  ent- 
schiedeneres Zeugnis  für  seine  Popularität  ablegten.^) 
Einfluß  auf  die         Dafs  die  ständische  Gliederung,  wie  sie  von  der  Republik 

StandMunter-  , 

schiede.  ererbt  war,  nicht  zu  erschüttern,  sondern  zu  festigen  sei,  ergab 
sich  infolge  der  Stellung  des  Senats  als  oberster  Reichsbehörde 
von  selbst,  nur  mufste  sich  jeder  Rang  in  die  Unterordnung 
unter  den  Princeps  finden.  Die  Regelung  der  Bedingungen  des 
Eintritts  in  den  Senat,  die  Geltung  der  Rangklassen,  die  Heran- 
ziehung der  Familien  zu  dem  Genufs  und  den  Pflichten  der  sena- 
torischen Würde  —  alle  die  Eigentümlichkeiten,  welche  den  Be- 
griff des  Standes  ausmachen,  werden,  soweit  sie  früher  nur  that- 
sächliche  Ehrenvorzüge  waren,  jetzt  fest  geregelt,  und  dies  trägt 
sich  über  auf  den  zweiten  Stand,  während  sich  für  den  dritten 
aus  verschiedenen  Reichs-  wie  Munizipalfunktionen  neue  Gesichts- 
punkte von  Abstufungen  ergeben.  In  diesem  Zuge  der  Ent- 
wicklung werden  gegenüber  der  in  der  Republik  erkämpften 
prinzipiellen  Berechtigung  aller  Bürger  zu  jeder  Laufbahn  jetzt 
die  Stufen,  welche  von  senatorischer,  ritterlicher  oder  bürger- 
licher Stellung  aus  erreicht  werden  können,  immer  bestimmter 
abgegrenzt  und  damit  ein  System  gesellschaftlicher  Hierarchie 
begründet,  wie  es  der  Monarchie,  nicht  aber  den  Rechtsunter- 
schieden eines  republikanischen  Volks  zugehört. 


1)  Die  51,  20.  Sueton  c.  52:  Templa  quamvis.  sciret  etiam  procon- 
aulibus  decemi  solere,  in  nulla  tarnen  provincia  ntsi  communi  8%io  Eomaeque 
nomine  recepit  (nam  in  urbe  quidem  pertinadssime  absHnuit  hoc  honore). 
Zeagnisse  für  die  einzelnen  auf  Augusts  göttliche  Würde  bezüglicken  Kund- 
gebungen bei  Preller-Jordan,  löm.  Myth.  2,  429  f. 

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-     179    — 

8.  In  den  RegieruDgsmaXsregeln  Augasts  spielt  die  Fürsorge  TeTwiatan^ 
für  die  italische  Yerwaltnng  eine  verhältnismäfsig  unbedeutende  städt  Rom. 
Rolle;  aber  es  Hegt  hier  eben  mehr  in  dem  negativen  Verhalten 
als  iD  positiven  Anordnungen.  Wie  energisch  Octavian  die  Grund- 
bedingung för  die  Wohlfahrt  Italiens^  den  Grenzschutz^  schon  in 
den  letzten  Jahren  des  Triumvirats  in  die  Hand  nahm,  ist  oben 
(S.  120f.)  erwähnt.  Nach  der  Schlacht  von  Aktium  waren  es  aber 
aofs  neue  die  inneren  Zustände  Italiens,  welche  in  Verwirrung 
gerieten.  Die  Versorgung  der  Veteranen  sollte  abermals  in  Auginieiiciio 
Italien  vorgenommen  werden,  und  da  zugleich  die  Soldaten  des 
Antonius  und  Lepidus  berücksichtigt  werden  mufsten,  war  wieder 
das  Schlimmste  für  die  italischen  Städte  zu  fürchten.  Indessen 
Octavian  verfuhr  jetzt  anders  als  bei  den  triumviralen  Koloni- 
sationen. Zwar  wurden  auch  jetzt  einzelne  Städte,  die  ihm  feind- 
selig gesinnt  waren,  demgemäfs  wie  eroberte  behandelt  und  ohue 
Entgelt  für  die  Landanweisungen  in  Anspruch  genommen;  im 
Allgemeinen  aber  wurde  Entschädigung  geleistet  in  Geld  oder 
in  Provinzialland;  bei  manchen  entvölkerten  Städten  war  auch 
Gelegenheit  zu  Ansiedlung  neben  den  vorhandenen  Einwohnern 
gegeben.  Augustus  rühmt  von  sich,  dafs  er  damals  in  Italien 
und  später  in  den  Provinzen  grofse  Summen  an  Entschädigung^- 
geldem  gezahlt  habe  und  der  erste  gewesen  sei,  der  überhaupt 
dieses  Zugeständnis  bei  Soldatenansiedlungen  machte.^)  Es  wäre 
in  der  That  eine  Ungerechtigkeit  unklugster  Art  gewesen,  die 
friedhche  Bevölkerung  Italiens,  die  Octavian  in  der  letzten  Zeit 
des  Triumvirats  für  sich  gewonnen,  als  völlig  rechtlos  zu  be- 
handeln und  so  auch  für  die  Zukunft  niemand  in  Italien  zur 
Rohe  kommen  zu  lassen.  Die  achtundzwanzig  Eolonieen  aber^ 
die  nun  den  Augustus  als  ihren  Schöpfer  verehrten,  waren  eben- 
soviele  Garnisonen  von  Hütern  seiner  Machtstellung,  und  nach 
seiner  Angabe  sah  er  sie  am  Schlüsse  seines  Lebens  in  blühendstetii 
Zustand.*) 

1)  Dio  61,  3  f.  Mon.  Anc.  tab.  lat.  1,  16.  3,  22:  Pecimiam  [pro] 
0^  quo8  in  consulatu  meo  quario  (30  v.  Chr.)  et  postea  consulibus  M.  Crassa 
rt  Cn,  Lentuio  Äugure  (14  v.  Chr.)  adsignavi  müitibus,  solvi  mtmicipis,  Em 
«wwina  sesteriium  circiter  sexsiens  milliens  fuit,  quam  pro  Italicis  praeiiis 
numeravi,  et  circiter  bis  müliens  et  sescentiens,  quod  pro  agris  proüincicUUnts 
w^w.  Id  primus  et  sohts  omnium  qui  deduxerunt  colonias  militum  in  liaha 
airf  in  provincis,  ad  memoriam  aetatis  tneae  feci.  Hygin.  de  lim.  (Schrifteu  _ 
der  röm.  Feldm.  1  p.  177).    MommaeD,  r.  g.  p.  63. 


2)  Mon«  Anc.  b,  36 f.:  Italia  XXVIII  colonias,  quae  vivfo  me^-ee 


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Cbogle 


-     180    — 

Als  der  prokonsalarischen  Gewalt  nicht  unterthan  kehrte 
Italien  ans  den  Ausnahmezuständen  des  triumviralen  Begiments 
durch  Augustus  wieder  in  die  alten  republikanischen  Verhältnisse 
zurück.  Der  Verband  mit  der  Hauptstadt  war,  wie  früher  durch 
die  Ausübung  der  Bürgerrechte  bei  den  romischen  Komitien 
hergestellt  und  hinsichtlich  der  Verwaltung  einerseits  durch  das 
allgemeine  Oberaufsichtsrecht  der  Magistratur  und  des  Senats, 
andrerseits  durch  die  den  einzelnen  Gemeinden  verliehenen  weit- 
gehenden Selbstverwaltungsrechte  bestimmt  Letztere  beruhten 
auf  den  Gesetzen,  welche  Julius  Cäsar  in  den  Jahren  49  und  45 
hiefür  gegeben  hatte,  den  leges  Rubria  und  Julia  municipalis 
(ob.  S.  18  f.),  und  gewährten  in  der  nichtpolitischen  Kriminal- 
justiz und  Polizei  weitgehende  Selbständigkeit^),  in  der  Civil» 
gerichtsbarkeit  bis  zur  Grenze  von  15000  Sest,  über  welche 
hinaus  der  Prätor  in  Rom  kompetent  war.^  Finanziell  waren 
die  Gemeinden  als  solche  ganz  unabhängig,  die  einzelnen  romischen 
Bürger  standen  den  Anforderungen  des  Staats  eben  als  einzelne 
gegenüber,  zunächst  dem  römischen  Census,  dann  überhaupt  der 
für  die  Bürger  geltenden  Steuer-  und  Dienstpflicht.  Die  Steuer- 
einforderung auf  dem  Wege  des  alten  Tributums  nun  war  nie 
ausdrücklich  aufgehoben,  das  Recht,  den  Bürger  mit  Auflagen 
zu  belasten,  konnte  der  Staat  durch  Steuergesetze  stets  ausüben, 
und  das  Triumvirat  hatte  mit  der  Vollmacht,  die  es  sich  bei- 
gelegt, dasselbe  wiederholt  rücksichtslos  ausgeübt.  Nachdem 
nun  aber  im  J.  27  Italien  wieder  unter  das  alte  Recht  ge- 
kommen war,  fielen  die  durch  die  Ausnahmezeiten  auferlegten 
Lasten  weg,  die  Staatskasse  begnügte  sich  mit  den  Einkünften 

berrimaej  et  frequentimmae  fiierunt,  mefis  auspieis]  dedudas  hfabetj;  daraas 
Saat.  Ang.  46.  Vgl.  über  diese  Eolonieen  Mommsen  r.  g.  p.  121—123  und 
im  Hermes  18,  186  ff. 

1)  Beschränknng  der  kriminellen  Kompetenz  ist  nm:  aas  der  1.  Julia 
munic.  za  entnehmen,  sofern  dort  nebeneinander  steht  Z.  117 — 120:  q^eive 
iudicio  publico  Romae  condemnatus  erit  und  queive  in  eo  mtMudpio  cohnia 
praefectwra  foro  concüiabtUo,  quoius  erity  iitdicio  publica  condemnatus  est  erü. 
Für  welche  Fälle  das  iudicium  publ,  Bomae  vorbehalten  war,  wissen  wir 
nicht;  dagegen  beschränkt  die  h  Cornelia  de  sicarüs  das  tudtc.  pttibl.  wegen 
Mords  auf  das,  quod  in  urbe  Borna  propiusve  nulle  passtis  factum  sii  (Coli, 
leg.  mos.  et  rom.  1,  3).  Vgl.  Bethmann-HoUweg,  röm.  Civilprozefs  2,  24 
und  die  ausführliche  Erörterxmg  ffir  die  italischen  und  Frovinzialstädte  bei 
Duruy,  bist  des  Romains  V  p.  360  ff. 

2)  L.  Rubria  c.  XXI.  XXII.    Bethmann-Hollw.  a.  a.  0.  p.  23  f. 

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~     181     - 

aus  den  Senatsprovinzen;  der  Freilassungssteuer  und  den  Zöllen 
mit  Verzicht  auf  das  Recht,  ein  Tributum  in  dem  altrepubli- 
kanischen Sinn  zu  erheben^),  und  soweit  jene  Einkünfte  nicht 
reichten,  trat  der  Princeps  mit  seinen  Mitteln  ein.*)  So  blieb 
Italien  mehrere  Jahrzehnte  hindurch  wieder  ohne  andere  Be- 
lastung gegenüber  dem  Staat  als  die  indirekte  durch  die  Zölle. 
Die  munizipalen  Lasten  wurden,  soweit  die  Einkünfte  aus  den 
munizipalen  Domänen  nicht  genügten,  auf  dem  Wege  der  den 
Vermöglichen  aufgelegten  oder  freiwillig  übernommenen  persön- 
lichen Lasten  (munera)  bestritten  und  es  war  dabei  ganz  den 
Munizipalen  anheimgegeben,  durch  zweckmäfsige  Sparsamkeit 
diese  Lasten  erträglich  zu  erhalten.^)  Der  Staat  kümmerte  sich 
freilich  jetzt  nicht  mehr  um  die  im  Interesse  einzelner  Gemeinden 
liegenden  Bauten  und  sonstige  Aufwendungen,  höchstens  die 
Liberalität  des  Princeps  trat  da  und  dort  ein;  indessen  blieb 
eine  wesentliche  Last,  die  Unterhaltung  der  groüsen  Verkehrs- 
stra&en  {ctira  viarum),  nach  wie  vor  der  Centralverwaltung,  nur 
jetzt  anders  geordnet  als  unter  der  Republik.*)  Unter  diesen  Um- 
ständen konnten  die  Gremeinden  Italiens  sich  von  den  Schäden 
der  Bürgerkriege  erholen,  und  die  Segnungen  dieses  Zustands 
wurden  gewifs  lebhaft  genug  empfunden,  um  an  Stelle  der  in 
manchen  Munizipien  ursprünglich  vorhandenen  republikanischen 
Stimmungen  die  Anhänglichkeit  an  die  Person  des  Princeps 
treten  zu  lassen.  Ahnlich  war  es  mit  Geltendmachung  der  Dienst- 
pflicht. Dieselbe  galt  prinzipiell  für  alle  Bürger,  wie  früher, 
und  die  Legionen  sollten  nur  aus  Bürgern  gebildet  werden;  allein 
das   neue  Militärsystem,   die   auf  allen  Seiten  von  Italien  weg- 

1)  Direkte  VerfQguDgen  darüber,  wie  es  mit  dem  tributum  ex  censu 
gehalten  werden  solle,  giebt  es  nicht;  ebensowenig  eine  Spur  davon,  dafs 
man  ein  solches  erhoben  hätte.  Der  Censns  bestand  also  fort,  fand  aber 
keine  Anwendung  für  das  Tributum  Dasselbe  geht  auch  hervor  aus  den 
Worten  des  Claudius  (or.  Claudii  II.  Z.  38—41):  Quod  opus  (d.  h.  ein 
Ceneus,  wie  ihn  Claudius  im  J.  48  n.  Chr.  veranstaltete)  quam  arduum 
sii  nobis  nunc  cum  maximCy  quamvia  nihil  ultra  quam  ut  publice 
notae  sint  facultates  nostrae  exquiratur,  nimia  magno  experimento 
eognoscimua. 

2)  Monum.  Ancyr.  3,  34:  Quater  pecunia  mea  iuvi  aerarium,  ita  ut 
sesterUum  milliens  et  quingentiens  ad  eos  qui  praerant  aerario  detulerim. 
Was  der  Begriff  pecunia  mea  bedeute^  ist  an  andrer  Stelle  zu  erörtern. 

3)  Das  System  der  munera  (vgl.  den  Digestentitel  50,  4  de  muneribm 
d  honoribus)  bedarf  hier  keiner  weiteren  ßelege. 

4)  Weiteres  hierüber  im  System  bei  den  Amtsstellungen; 

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-     182     - 

gerückte    Grenzverteidiguug    und    die    Handhabung    der   neuen 
Heeresordnung  nahm  die  Italiker  sehr  wenig  in  Anspruch  (vgl. 
unten   S.   208)^    so    dafs    sich    auch    in    dieser    Beziehung   das 
Land  von  den  Verlusten  der  Bürgerkriege  erholen  konnte.    Die 
Politik  Augusts   war   offenbar,   der  italischen  Bürgerschaft  für 
die  frühere  Beteiligung  an  der  grofsen  Politik  einen  Ersatz  zu 
gewähren  in   der  Pflege  der  munizipalen  Interessen  und  in  der 
möglichsten  Entlastung  durch  Abwälzung  auf  die  Provinzen.    Für 
die  Besteuerung  hatte  dieses  Prinzip  schon  in  der  letzten  Zeit  der 
Republik  gegolten,  aber  die  Bürgerschaft  hatte  dafür  die  Kriege 
des  Reichs  durchzukämpfen;  jetzt  sollte  beides  möglichst  erspart 
werden  und  die  von  August  selbst  gerühmte  Blüte  der  italischen 
Städte  war  darauf  gegründet.     Aber  die  Kehrseite  dieses  Ver- 
hältnisses lernte  August  selbst  noch  kennen,  so  dafs  er  sich  ge- 
nötigt  sah,    wenigstens   im    Steuerwesen   einen   Ersatz   für  das 
Tributum  zu  schaffen.     Zur  Deckung  der  Ausgaben  für  das  Heer 
fand   er   im  J.  6  n«  Chr.   es  unumgänglich,  eine  Auflage  einzu- 
führen.   Er  forderte  den  Senat  zu  Vorschlägen  darüber  auf,  aber 
niemand  wufste  etwas  Annehmbares  oder  hatte  überhaupt  Lust 
sich  besteuern  zu  lassen.    Der  darauf  von  Augustus  unter  Berufung 
auf  einen  Plan  Cäsars  eingeführten  auf  alle  römischen  Bürger,  aber 
auch  nur  auf  sie,  gelegten  Erbschaftssteuer  von  5  Proz.  (vicesima 
hereditatum)  mufste  man  sich  fügen;  allein  sie  wurde  nicht  nur 
ungern  getragen,  sondern  fand  offene  Anfechtung,  bis  Augustus, 
nachdem  er  aufs  neue  vergebens  zu  besseren  Vorschlägen  auf- 
gefordert,  dadurch,   dalüs   er  Miene  machte,   das  Recht  zur  Er- 
hebung eines  Tributums  geltend  zu  machen  und  hiezu  die  liegen- 
den Güter  einschätzen  zu  lassen,  den  Widerspruch  zum  Schweigen 
brachte.^)  Ebenso,  als  im  J.  9  n.  Chr.  im  Schrecken  über  die  Varus- 
schlacht in  Italien  Aushebungen  für  die  paar  verlorenen  Legionen 
gemacht  werden  sollten,  zeigte  sich  der  kriegerische  Geist  bereits 
so  gesunken,  dafs  die  gröfste  Strenge  und  aufserdem  noch  starke 
Inanspruchnahme  der  Freigelassenen  nötig  war,  um  den  Ersatz 
zusammen  zu  bringen.*)     Jene  Steuer  nun  blieb,  die  militärische 
Leistung    Italiens    aber    sank   bald   zu    einem   Minimum    herab, 
so  dafs  gerade   das  Gegenteil  zu  dem  früheren  Verhältnis  ein- 
trat,   und    die    Dienstpflicht    durch    eine   Geldleistung    abgelöst 
erscheint. 

1)  Dio  55,  25.     56,  28. 

2)  Dio  56,  2S. 

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—     183     - 

Nach  dem  oben  erörterten  munizipalen  Prinzip  gab  es  in  Keine  Bezirk». 
Italien  keine  andere  stehende  und  in  festen  Einrichtungen  aus-  «ohen  italischer 
geprägte  Einteilung  als  die  in  Stadtgemeinden.  Die  alte  Tribus-  stMt.  ^^ 
einteilung  bestand  wohl  noch,  wie  ja  auch  die  Tributkomitien 
noch  beibehalten  wurden^  aber  sie  war  jetzt  nur  noch  der  Rahmen 
für  die  Zugehörigkeit  zur  römischen  Bürgerschaft  und  für  die 
Ausübung  gewisser  Bürgerrechte,  der  Charakter  eines  geographisch 
abgeschlossenen  Bezirks  in  Italien  war  blofs  noch  die  geschicht- 
liche Grundlage,  über  welche  die  neuere  Entwicklung  der  Ver- 
breitung des  Bürgerrechts  unter  Beibehaltung  der  fünfunddreifsig 
Tribus  von  241  v.  Chr.  weit  hinausgegangen  war.  Spuren  von 
Erhaltung  alter  landschaftlicher  Verbände  finden  sich  noch,  aber 
nur  in  religiöser  Beziehung^),  und  in  dieser  Hinsicht  mag  gerade 
Aügastns,  der  die  Pflege  der  einheimischen  althergebrachten 
Kulte  begünstigte,  erhaltend  gewirkt  haben;  doch  war  jede  poli- 
tische oder  administrative  Verwendung  solchen  Zusammenhangs 
schon  von  der  Praxis  der  Republik  her  ausgeschlossen.  Dagegen 
findet  sich  bei  Plinius  auf  Augustus  zurückgeführt  eine  Ein- 
teilung in  11,  mit  Einschlufs  Roms  in  12  Regionen,  von  welcher 
die  litterarischen  Quellen  sonst  nichts  wissen.*)     Da  den  monu- 

1}  Nach  der  Urkunde  von  Hispellum  Hensen  n.  6580  »  Wilmanns, 
ex.  inscr.  n.  2848  worden  jährliche  Feste  mit  scenisohen  Aufführungen  und 
Gladiatorenspielen  instituio  consuetudinia  priscae  in  Volsinii  gemeinsam  für 
Umbrien  und  Tuscien  gefeiert 

2)  Plin.  n.  h.  8,  46:  Fraefari  necessarium  est  audorem  nos  divum 
Äugustum  secubwros  discriptionemque  ah  eo  factam  Bdliae  toHtts  in  regiones  XI, 
^  ordine  eo  qui  litorum  tractu  fiet  urbium  quidem  vicinüates  oratiane  utt- 
9ue  praepropera  servari  non  passe,  üaque  interiore  exin  parte  digestionem 
in  htleras  eiusdem  nos  sectUuros,  cohniarum  tnentione  signata,  qiMS  ille  in 
to  prodidit  numero.  —  Heisterbergk,  Name  und  Begr.  des  ius  Itälicuin. 
Tnbingen  1885,  8.  68  f.  sagt:  „Die  administrative  Einteilung  Italiens  in 
Regionen  durch  Augustus  hat  niemals  existiert.  Mit  Worten,  wie  sie  hier 
PlinioB  gebraucht,  beruft  sich  niemand  auf  eine  schon  seit  einem  Jahr- 
bondert  als  Einrichtung  bestehende  Landeseinteilung,  in  solcher  Weise 
citiert  man  vielmehr  lediglich  einen  Schriftsteller.  Nicht  Italien  hat  Au- 
gustus eingeteilt,  nur  ein  Verzeichnis  der  italischen  Gemeinden  hat  er  in 
Abschnitte  abgeteilt**  Eine  Landeseinteilung  in  administrative  Kreise  mit 
eigener  Verwaltung  war  es  freilich  nicht,  aber  auch  nicht  blofs  ein  Vor- 
gang von  nur  litterarischer  Bedeutung,  die  Einteilung  eines  Geographie- 
liuchs;  eine  solche  hätte  man  schwerlich  weiterhin  ffir  administrative 
Zwecke  benützt,  wie  es  geschehen  ist.  Das  in  der  Mitte  liegende  ist  eine 
Einteilung,  die  sich  an  gegebene  Zusammenhänge  anschliefst  und  für  be- 
Btimmte  administrative  Zwecke  der  Centralverwaltung  verwendbar  ist.  i<^  i 

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~-     184     - 

mentalen  Zeugnissen  nach  diese  geographische  Gruppierung  zn 
Verwaltungszwecken,  insbesondere  zur  Bildung  von  Bezirken  für 
die  Erhebung  der  Erbschaftssteuer  verwendet  wurde ^),  so  wird 
sie  hiefür  wohl  auch  entstanden  sein.  Je  nach  besonderen  Ver- 
hältnissen erscheinen  diese  Regionen  einzeln  oder  in  Verbänden 
von  mehreren^);  einen  Verwaltungsbezirk  für  sich  mit  besonderen 
Beamten  aber  bildet  die  Region  nicht. 

ruape  italischen  Obgleich  das  römische  Bürgerrecht  nicht  mehr  an  Italien 
gebunden  war,  so  sollte  doch  nach  Augusts  Sinn  diese  Halbinsel 
noch  auf  lange  Zeit  der  einzige  geschlossene  Komplex  von 
Bürgerstädten  bleiben  und  als  solcher  den  festen  Kern  in  dem 
Ganzen  der  jetzt  im  Reiche  geeinigten  Nationalitäten  bilden. 
Diesem  Zweck  diente  jene  materielle  Schonung  Italiens,  und  ihm 
zuliebe  wurden  auch  die  ideellen  Momente,  welche  die  Ver- 
gangenheit bot,  hervorgesucht.  Schon  mit  der  Pflege  des  muni- 
zipalen Wesens  an  sich  hatten  die  einzelnen  Gemeinden  gleich- 
sam anzuknüpfen  an  die  Zeit  jenseits  des  Bundesgenossenkriegs, 
bis  zu  welcher  so  viele  einzelne  Städte  ihr  eigenes  Recht  gehabt 
hatten,  —  jetzt  konnte  man  solche  Reminiscenzen  wohl  gestatten. 
Aber  auch  die  Litteratur  in  Dichtung  und  Prosa  und  die  Religion 
mit  ihren  nationalen  Wurzeln  und  lokalen  Anknüpfungspunkten 
sollten  im  Dienste  der  neuen  Ordnung  Italien  preisen,  den  Be- 
strebungen zur  Hebung  des  italischen  Ackerbaus  eine  geschicht- 
liche, poetische  und  religiöse  Grundlage  geben  und  das  Selbst- 
gefühl des  italischen  Römers  heben  ^),  und  gewifs  konnte  in  allen 
diesen  Beziehungen  Augustus,  wenn  er  in  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  in  Italien  reiste  und  was  er  sah,  mit  dem  Zustand 
verglich,  den  er  während  des  Triumvirats  übernommen,  die 
Wiedergeburt  Italiens  zu  den  in  seinem  Sinn  erreichten  Zielen 
rechnen. 

üio  Stadt  Kom.  Die  Sonderstellung  der  Stadt  Rom  innerhalb  des  römischen 

Bürgergebiets  war  schon  unter  der  Republik,  nachdem  ganz 
Italien    Bürgergebiet    geworden,    immer   schärfer   herausgebildet 

1)  Z.  B.  Or.  Henz.  n.  3835  =-  Willm.  ex.  inflcr.  n.  2114:  pro{cwrQior) 
XX.    h€r{editatum)  region{um)  Campan{iae)  Ap\d{iae)  CaiabriJMe). 
•  2)  Einzeln  Apulien  (das  mit  Calabrien  zusammengehört  Plin.  S|  99) 

Wilmanns  n.  1195;  mehrere  zus.  s.  vorh.  A.  u.  Wilmanns  n.  1273  (ümbrien, 
Tuscieu,  Picenum,  Samnium  (?),  Campanien). 

3)  Vgl.  Verg.  Georg.  2,  136  ff.  und  die  italischen,  spezieller  latinischen 
Motive  in  der  Äneia;  siiäter  Plin.  n.  h.  3,  39  f. 

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-^  185    — 

worden:  so  im  politischen  Leben  in  dem  Getriebe  der  Eontionen, 
in  denen   die  hauptstädtische  Bevölkerung  allein  vertreten  war, 
und  der  Komitien,  bei  welchen  sie  wenigstens  den  allein  regel- 
mäfsigen   Bestandteil  bildete;   im    sozialen   und   wirtschaftlichen 
Leben,  einerseits  in  den  Anstalten  für  die  Versorgung  der  Haupt- 
stadt mit  Lebens-  und  GenuTsmitteln  und  in  der  öffentlichen  Bau- 
thätigkeit;  andrerseits  in  der  Ausbildung  des  munizipalen  Wesens. 
In  der  Eaiserzeit  trat  dies  alles  noch  viel  stärker  hervor  durch 
die  Bedeutung,   welche   die  Stimmung   der   Hauptstadt   für   die 
Sicherheit    des   Principats   hatte    und    durch  die   grofsartige  Zu- 
nahme des  Umfangs  derselben,  wie  durch  die  Tendenz  den  Muni- 
zipalgeist  geradezu  zu  fördern.   Dem  entsprechend  kam  Rom  für 
den  Princeps  sehr  wesentlich  in  Betracht  sowohl  für  die  Hilfe- 
th^igkeit  wie  für  die  Machtstellung.    Welche  Rolle  Rom  in  den 
Entwürfen   des  Diktators   Cäsar   gespielt   hatte,   geht   aus  dem 
froher  gesagten  hervor;  die  Art  und  Weise,   wie  Augustus  den 
Bedürfnissen  Roms   imd   seiner  Bedeutung  als  Reichshauptstadt 
Rechnung  trug,  prägte  sich  bereits  in  festen  Einrichtungen  aus, 
wobei  er  übrigens  durch  die  Verhältnisse  darauf  angewiesen  war, 
mehr  die  helfende  und  fürsorgende  Rolle,  als  die  Interessen  der 
Macht  zur  Geltung  zu  bringen.     In  der  italischen  Regionenein- 
teilnng  bildete  Rom  ein  besonderes  Ganze  neben  den  11  andern, 
die  Stadt  selbst  wurde  im  J.  7  v.  Ch.  in  14  Regionen  eingeteilt 
und  jeder  eine  Anzahl  von  Quartieren  (vici)  zugewiesen.     Diese 
Regionen  wurden  dann  unter  die  mit  der  städtischen  Verwaltung 
betrauten  Magistrate  in  der  Art  verlost,   dafs  aus  den  Prätoren, 
Adilen  und  Volkstribunen   14  Vorsteher,  für  jede  Region  einer, 
bestimmt   wurden.      Ob    die   Funktionen    dieser    magistratischen 
Vorsteher  unter  Augustus  bedeutender  waren,   wissen  wir  nicht; 
durch  die  neue  Ordnung   des  Feuerlöschwesens   im  J,  6  n.  Ch. 
trat  hiefür  schon   durch  ihn  eine  kaiserliche  Behörde  ein,    und 
später  mufsten  jene  Regionsvorsteher  durch   die   Stadtpräfektur 
vollends  ziemlich  überflüssig  werden.^) 


1)  Dio  65,  8  (z.  J.  7  v.  Gh.):  ot  atevoutol  iicifksXrjxdiv  xivmv  in  xov 
^^«w,  ovg  xal  otsvtoitaQXOVS  xoAovfiev  xa/  ü(ptat  xal  vj  iö^i^xi  xij  agx^^V 
««i  (aßdovxoig  Svo  iv  avtoig  TOtff  xeop^tg  mv  Sv  UQxaaiv  rjiiSQaig  xial  X9V~ 
^fffc  ido^,  ij  xe  Sovlsia  17  xolg  €cyoQ€cv6fiotg  xmv  ifminQafiivmv  Hvsna  avv- 
^9a  i-mstgaicri,  %aC  xoi  %al  i%eivav  xal  xav  drjfjLaQX^'^  "^^^  ^^  avQaxrjymv 
Wav  xTiv  noXw  dexaxiöCUQa  fiiQTj  vsfirfi'eiaav  xXi^qo)  ngogxaxd'Bvxwv  o  aal 
^  yiyinxai.    Saeton  Aug.  30:    SpcUium  urbis  in  regionis  vicosque  divjsU       , 

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-     186     - 

cura  urMs.  HinsichtHch  der  Fürsorge  für  die  Stadt  kam,  wie  die  eben- 

genannte  Anordnung  vom  J.  7  v.  Ch.  zeigt,  zunächst  die  Kompetenz 
der  alten  Magistratur  in  Betracht;  diese  bedurfte  jedenfalls  für  diese 
Zwecke  einer  Reform,  da  die  Censur,  welche  früher  einen  grofsen 
Teil  der  Bauleitung  gehabt  hatte,  längst  nicht  mehr  regelmäfsig 
eintrat,  das  Konsulat  mit  seiner  kurzen  Dauer  nicht  in  die  Lücke 
treten  konnte  und  überhaupt  eine  Thätigkeit  in  grofsem  Mals- 
stabe, wie  sie  jetzt  nötig,  nicht  mehr  mit  jährlichem  Wechsel 
der  leitenden  Behörde  verträglich  war.  Das  erste  grofse  Gebiet 
städtischer  Thätigkeit,  in  welches  August  mit  Begründung  dauern- 
der neuer  Einrichtungen,  zugleich  solcher,  die  am  Principat  hingen, 
eintrat,  war  das  der  Getreideversorgung  nach  ihrer  doppelten 
Seite,  der  unentgeltlichen  Abgabe  an  die  als  bedürftig  aner- 
kannten Bürger  und  der  Versorgung  des  hauptstädtischen  Marktes^ 
beziehungsweise  der  Übernahme  des  Verkaufs.  Wie  oben  schon 
(S.  148)  bemerkt,  wurde  dem  Augustus  im  J.  22  dieser  Zweig  der 
Verwaltung  vom  Volk  aufgedrungen.  Er  ging  auf  das  Verlangen 
ein  durch  Schöpfung  einer  bleibenden  Administration;  aber  aoch 
ohne  jenes  Drängen  hätte  er,  da  neben  den  Senatsprovinzen 
Afrika,  Sicilien  imd  Sardinien  das  kaiserliche  Ägypten  wesentlich 
in  Frage  kam  und  das  Ärar  allein  die  Kosten  nicht  beschaffen 
konnte,  dieser  Übernahme  sich  nicht  entziehen  können.  Die 
Folge  war  die  Einführung  von  wechselnden  Beamten,  deren 
Stellung,  wenn  sie  auch  anfangs  selbständiger  und  mit  Rück- 
sicht auf  den  Senat  mehr  im  Sinne  einer  Magistratur  ausgedacht 
war,  doch  wegen  der  finanziellen  Seite  bald  in  eine  ausschliefslich 
dem  Kaiser  untergeordnete  übergehen  mufste.*)  Nächstdem  wurden 


i-^ 


instituitque,  ut  illas  annui  magistratus  sortüo  tuerenttir^  hos  magistri  ejüAt 
cuiusque  viciniae  lecti.  Diese  Einteilung  trat  an  die  Stelle  der  vier  alten 
von  ServiuB  Tallius  herrührenden  Quartiere  {tribus). 

1)  Bis  zum  J.  23  v.  Ch.  war  der  Dienst  der  von  C.  Gracchus  her  be- 
stehenden Getreidegaben  vom  Arar  aus  besorgt  worden;  im  J.  23  hatte 
Augustus  zu  dem,  was  das  Ärar  that,  von  sich  aus  eine  Verteilung  gegeben 
(mon.  Anc.  3,  10 :  constU  undecitnum  duodecim  frumentationes  frumento  pri- 
vatim coempto  emensus  8um)\  dann  kam  das  Neujahr  22  (Dio  64,  1);  hier 
nun  sagt  August  mon.  Anc.  gr.  3,  5:  ov  naQfjtrjödfiriv  iv  vg  {i^ytifTtj  toi 
(T^TOv  andvst  xriv  inifiiXstav  Trjg  dyoQCcg,  ^v  ovrcoff  iiranjdfvira,  Sax'  h 
olOfaiq  7i(isQaig  tov  naqovzog  tpoßov  %al  mvdvvov  taCg  ii^aig  dcendvaig  tov 
dfjuov  iXsvd-SQmaai.  Dies  lautet,  wie  wenn  es  sich  nur  um  ein  einmaligei 
und  vorübergehendes  Eingreifen  gehandelt  hätte.  Allein  August  und  Dio 
stellen,  was  das  Volk  jenem  damals  aufdrang,  in  Parallele  mit  der  Diktator 

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-     187    — 

in  ähnlicher  Weise  übernommen  die  Verwaltung  der  Wasser- 
leitungen (cura  aquarum)  und  die  Aufsicht  über  die  öffentlichen 
Gebäude  (cura  operum  publiconm).^)  —  Anderer  Art  wurde 
die  Einrichtung  des  Löschwesens,  wie  sie  Augustus  im  J.  6 
D.  Ch.  gestaltete.  An  Stelle  der  Funktion  der  Magistrate  mit 
dem  ihnen  zugewiesenen  Apparat  von  Sklaven  trat  die  mili- 
tärische Organisation  einer  Wachmannschaft,  der  sieben  cohortes 
vigäum,  je  eine  zu  1000  Mann  fUr  zwei  stadtische  Regionen. 
Natürlich  wurde  auch  das  Kommando  als  ein  militärisches  be- 
stellt und  demgemäfs  ist  der  praefedus  vigilum  ohne  jegliche 
weitere  Rücksicht  kaiserlicher  Beamter,  aus  dem  Ritterstand  ge- 
nommen.*) In  keinem  der  bisher  erwähnten  politischen  Ver- 
waltongszweige  fehlte  die  politische  Machtfrage;  aber  sie  wurde 
überall  schonend  behandelt     Bei  der  cura  annonae  war  sie  von 


tud  mit  dem  Getreideamt  des  Pompejus  im  J.  67,  das  wenigstens  in  der  Ab- 
fleht  derer,  die  es  aufgebracht,  einen  politischen  Charakter  gehabt  hatte 
üod  aaf  fünf  Jahre  normiert  war;  ferner  heftet  sich  an  dieses  Eingreifen 
vom  J.  22  die  Einrichtung  eines  administrativen  Amts  (Dio  a.  a.  0. :  xcrl  og  tovxo 
p-lv  dwayxaüog  iSi^ccto  xccl  ineXevoB  dvo  avdgag  xmp  nqo  nivxB  nov  aal 
Ixmv  iatQttT7iy7i%6toi)v  ngog  xriv  to»  eizov  diavopLrjv  %ax  itog  atgsCc^ai,) 
Gegenüber  der  späteren  Einrichtung  des  Getreidewesens  ist  dies  allerdings 
oor  eine  Erweiterung  des  bisherigen  Systems  der  Senatsverwaltung  und  jede 
weitergehende  Gewalt  wurde  von  Augustus,  der  eben  im  J.  23  den  kon- 
stitutionellen Charakter  seiner  Gewalt  neu  festgestellt,  abgelehnt,  aber  die 
Obeiaofsicht  des  Princeps  über  diesen  so  wichtigen  Zweig  der  Verwaltung 
war  damit  eingeführt.  Ober  die  weitere  Entwicklung  s.  unten  bei  den  be- 
treffenden Ämtern;  über  die  Bedeutung  des  Eingreifens  Augusts,  ob  vorüber- 
gehend oder  bleibend,  einerseits  0.  Hirschfeld,  Unters,  auf  dem  Gebiet  der 
röm.  Verwaltungsgesch.  1,  129  f.,  andrerseits  Mommsen,  r.  g.  25;  über  die 
Gekeideverwaltung  überhaupt  0.  Hirschfeld  im  Philol.  29,  1—96;  daselbst 
auch  die  ältere  Litteratur  und  speziell  Erörterung  der  Frage,  ob  unentgelt- 
liche Abgabe  oder  nur  Verkauf  zu  billigem  Preis. 

1)  Sueton  Aug.  87:  nova  officia  excogitavit:  curam  operum  puhlicorum, 
^ionm,  aquarum,  alvei  Tiberis,  frumenti  populo  dividundi;  praefecturam 
•w*w  etc.;  über  die  cura  dlvei  Tiberis  s.  unten  bei  der  Zeit  des  Tiberius; 
^  die  cura  aquarum  giebt  Frontin  de  aq.  99  f.  das  Datum  (11  v.  Ch.),  die 
Art  der  Anordnung  (senatus  consuUa  facta  sunt  ac  lex  promulgata)  und  den 
Senatabeschluls  über  die  Ausstattung  der  curatores  aquai'um. 

2)  Suet  Aug.  80:  Ädversus  incendia  excubias  nocturnas  vigilesque  com- 
^entus  est.  Dag  Jahr  aus  Dio  56,  26.  Die  Organisation  angegeben  bei 
ülpian  Dig.  1,  15,  1.  Das  J.  6  n.  Ch.  war  ein  Notjahr  durch  Milswachs, 
Feuersnot  und  finanzielle  Bedrängnis  des  Staats,  damals  war  aufserordent- 
liehe  Getreideschenkung  nötig  und  wurde  auch  die  Erbschaftssteuer  ein- 
geführt. 

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-     188    — 

denen,  welche  sie  dem  Augustus  aufdrangen,  in  der  höchsten 
Weise  gestellt,  von  ihm  aber  in  eine  administrative  Funktion 
übergeleitet*)  und  zugleich  wie  bei  den  andern  curae  durch  die 
in  der  Bestellung  der  Ämter  auf  den  Senat  geübten  Rücksicht 
sehr  gemildert  worden,  die  praefectura  vigilum  aber,  der  solche 
Milderung  fehlte,  konkurrierte  mit  magistratischer  Gewalt  unter- 
geordneter Art,  wurde  auch  anfangs  nur  provisorisch  eingeführt-) 
In  vollem  Sinne  dagegen  war  eine  Frage  der  Macht  die  Hand- 
habung der  hauptstädtischen  Polizei.  So  lange  Augustus  selbst 
anwesend  war,  konnte  er  mit  den  ihm  erteilten  Vollmachten 
eintreten,  konnte  durch  den  Senat  die  Magistrate  zu  besonderer 
Fürsorge  veranlassen  und  in  auTerordentlichen,  ernsteren  Fallen, 
in  welchen  es  sich  um  Anwendung  militärischer  Macht  handelte, 
stand  ihm  seine  Leibwache  zu  Gebot;  allein  ein  derartiges  Ein- 
greifen war  mit  seinem  jedesmal  aufserordentlichen  Charakter 
für  die  Art,  wie  August  seine  Stellung  aufgefafst  wissen  wollte, 
bedenklich.  In  Fällen  von  Abwesenheit  des  Princeps  aber  war 
die  Konsequenz  der  Teilung  der  Gewalten  die,  dafs  die  ordent- 
lichen Magistrate  genügen  mufsten.  Dabei  mochte  er  sich  nun 
nicht  mehr  beruhigen  und  wagte  doch  auch  nicht,  einen  von  ihm 
abhängigen  Polizeiminister  aufzustellen.  So  setzte  er  denn  »i 
wiederholten  Malen  in  Analogie  der  alten  vor  Einsetzung  der 
Prätur  bestehenden  Stadtpräfektur  unter  demselben  Titel  eine 
Stellvertretung  für  sich  ein.  Beim  ersten  Mal  war  diese  Gewalt 
selbst  dem,  der  damit  betraut  wurde,  zu  wenig  der  wiederher 
gestellten  Verfassung  entsprechend,  so  dafs  er  nach  wenigen 
Tagen  abdankte,  späterhin  aber  kam  die  Funktion  doch  wieder 
in  Anwendung.') 


1)  Welche  Mifsstände  imd  welche  Verantwortung  die  Framentatiooen 
imd  die  ganze  cu/ra  annonae  mit  sich  brachten,  fühlte  August  wohl  und  in 
jenem  Notjahr  6  n.  Ch.  dachte  er  nach  Suet  42  sogar  an  Ab8cha£fang  der 
Getreidegaben;  neque  tarnen  perseverasse  {se  scribit),  quia  certum  haberet,  poti 
se  per  ambitianem  quandoque  restitui, 

2)  Dio  55,  26.  Zu  bemerken  ist  auch,  dafis  in  dem  index  rer,  go^ 
August  davon  nicht  spricht. 

8)  Tacit  ann.  6,  11 :  antea  profecHa  domo  regibus  ac  mox  magiskaitbuSy 
ne  urbs  sine  imperio  foret,  in  tempus  deligebcUur,  qui  iw  redderet  ac  subiM 
mederetur;  —  Augustus  —  mox  rerum  potUus  ob  magnit%uUnem  populi  6C 
tarda  Ugum  auxilia  sumpsit  e  consularibus,  qui  coerceret  sertfitia  ä  quod 
dvium  audcuna  turbidum,  nisi  vim  metuat,  Primusque  Messaia  Corvimis  eam 
potestatem  et  paucos  intra  dies  finem  accepü,  quasi  nescius  exercendi,    Tkm 

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—     189     - 

Die  fQr  die  Hauptstadt  von  dem  Diktator  Cäsar  in  Aussicht  Neabaaton. 
genommene  Bauthätigkeit  hat  Augustus  in  seiner  mafsvollen  und 
doch  höchst  bedeutsamen  Weise  aufgenommen.  Mit  der  cura 
opemm  publicorum  hat  dies  nichts  zu  thun,  es  bedurfte  dazu 
überhaupt  keiner  besonderen  Stellung:  es  handelte  sich  vielmehr 
hier  nur  um  die  Anregung  und  die  Beschaffung  der  Mittel.  In 
der  Urkunde  von  Ankyra  giebt  Augustus  selbst  eine  Aufzählung 
der  Werke,  die  er  in  seinem  und  in  verstorbener  Familien- 
mitglieder Namen  oder  in  Vollendung  des  von  seinem  Vater 
Begonnenen  geschaffen,  nach  der  Zeitfolge^);  bei  einigen  fügt  er 
bei,  daüs  er  sie  aus  den  Beutegeldem^),  also  aus  den  dem  sieg- 
reichen Feldherm  von  jeher  zu  solcher  Verwendung  zustehenden 
Mitteln  bestritten;  bei  den  andern  kamen  die  verschiedenen,  unter 
seiner  persönlichen  Verwaltung  zusammengefafsten  Geldquellen 
in  Betracht.  Dazu  kam,  was  auf  seine  Anregung  andere,  vor 
Allen  Agrippa,  schufen,  ebenfalls  aus  Privatmitteln  oder  solchen, 
Aber  welche  sie  nach  dem  Herkommen  von  öffentlicher  Stellung 
aus  verfögen  konnten,  Werke,  die  gleichfalls  seiner  Regierung 
wm  Ruhme  gerechnet  wurden.  Die  Verschönerung  von  Kapitol, 
Palatin,  Forum  und  seiner  Umgebung,  die  Hinzufügung  eines 
neuen .  Forums,  die  grofsartigen  Monumente  des  Marsfelds,  die 
neuen  oder  neu  hergestellten  Tempel  überall  in  der  Stadt  umher, 
dieses  ganze  Werk  der  neuen  Stadt  aus  Marmor*)  war  in  der 
Geschichte  der  Hauptstadt  ebenso  nachhaltig  wirksam  und  ebenso 
einschneidend  wie  die  Aufrichtung  des  Principats  in  der  politi- 
schen Verfassung,  und  das  in  Rom  gegebene  Beispiel  wirkte  auch 
auf  die  italischen  Munizipalstädte  und  die  Provinzen.  Die  grofsen 
Bauperioden  der  folgenden  Kaiserzeit,  die  flavischen,  trajanischen, 
liadrianischen    und   antoninischen   Bauten   haben   wohl   für  jden 


TauruB  StatiUus  quamquatn  provecta  aetate  egregie  toleravit  Hinsichtlich 
des  eraten  Falls  hei&t  es  bei  Hieronym.  Chron.  z.  J.  26:  Messala  Corvinus 
prinus  praefectus  urbis  f actus  sexto  die  magistratu  se  abdicavU,  incivilem 
potestatem  esse  contestans,  Statilius  war  praef.  urbi  im  J.  16  v.  Cb. 
Dio  64,  19.  Über  die  Stellvertretung  durch  Agrippa  im  J.  21 ,  die  andern 
Charakter  hat,  s.  ob.  8.  149. 

1)  Mon.  Anc.  lat  4,  1—26. 

2)  Ex  manibüs  a.  a.  0.  Z.  21.  24. 

8)  Suet  Aug.  28:  ürbem  neque  pro  maiestate  imperii  omatam  et  in- 
^näaHonibus  incendüsque  obnoxiam  excoli^t  adeo,  tä  iure  sä  gloriatus,  mar- 
^^ortam  se  relinquere,  quam  latericiam  accepisset.  Vgl.  über  das  augusteische 
^m  u.  A.  Friedl&nder,  Darstellungen  aus  der  Sittengeschichte  Roms.  1*,  laf.         j 

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Anblick,  den  die  späteren  Generationen  hatten,  die  augnsteischoi 
Werke  in  den  Hintergrund  gedrängt,  zumal  da  diese  zum  Tdl 
vom  neronischen  Brand  betroffen  wurden,  aber  die  Geschichte 
hat  das  Epochemachende  dieses  Eingreifens  des  ersten  Augostm 
stets  voll  und  ganz  anerkannt. 
Die  ProTüuen.  9.  Wie  die  Provinzcu  seit  ihrem  Eintritt  in  den  römischen 

Staat  von  wesentlichem  Einflufs  auf  die  innere  Politik  und  Ver- 
fassung und  in  der  Entscheidung  zwischen  Republik  und  Mon- 
archie der  Ausgangspunkt  für  den  Kampf  gewesen  waren,  so 
wurde  in  sie,  wie  wir  gesehen,  bei  der  Neuordnung  vom  J.  2T 
geradezu  das  Schwergewicht  der  Machtverteilung  gelegt  Sie 
waren  es,  fdr  welche  der  Generalstatthalter  nötig  war  und  an 
denen  die  Militärmacht  hing;  sie  nahmen  dementsprechend  die 
persönliche  Thätigkeit  des  Princeps  am  meisten  in  Anspruch;  sie 
sind  es  aber  auch,  welche  das  lohnendste  Gebiet  für  die  Kraß 
des  römischen  Kaisertums  gebildet  haben. 

Die  Gebiete,  welche  im  J.  27  für  die  unmittelbare  Ve^ 
waltung  des  Generalstatthalters  ausgesondert  wurden,  waren 
Spanien  mit  Ausnahme  von  Bätica,  ganz  Gallien,  Syrien  mit 
Cilicien  und  Cypern  und  in  besonderer  Weise  Ägypten.^)  Dies« 
Auswahl  zeigt,  dafs  Augustus  in  der  Befichränkung  auf  das 
militärisch  Notwendige  sehr  weit  ging,  weiter  als  der  fernere 
Verlauf  rechtfertigte.  Nicht  blofs  wurde  der  Senatsverwaltong 
Afrika  —  und  zwar  mit  einem  Militärkommando  —  zugewiesen,' 
sondern  auch  Illyrikum,  dessen  Zustand  sich  Augustus  friedlicher 
dachte,  als  er  war.  Ebenso  mufs  auffallen,  dafs  unter  den  Ver- 
hältnissen der  dortigen  Nordgrenze  Makedonien  als  friedliehe 
Provinz  behandelt  wurde.  Indessen  gilt  für  die  beiden  letzt- 
^^  genannten  Gebiete,  dafs  wenigstens,  wenn  es  sich  um  grofsere 

:|;  Kombinationen  handelte,  die  Einrichtung  eines  umfassenderen  an 

^/  der   prokonsularischen   Gewalt   des   Kaisers    hängenden   Militär- 

g*;  kommandos  eintreten  konnte.     Immerhin  erwies  sich  die  Senats- 

^  Verwaltung  solcher  Grenzprovinzen  auf  die  Dauer  nicht  haltbar. 


1)  Sueton  47:  Provincias  validiores  et  qtuis  annuis  magistraiuum  ur- 
periis  regt  nee  facile  nee  tutum  erat,  tpse  stucqnt,  ceteras  prwmdas  «oHifc 
permisit\  et  tarnen  nonnullas  commutofoit  interdum  aJtque  ex  utroque  gt»fre 
plerasque  saepius  adiit.  Aosföbrlicher  an  der  geschichtlichen  Stelle  s.  J.  ^ 
und  mit  Aufzählung  der  einzelne|  Dio53,  12;  letztere  ebenfalls  bei  Strabo 
p.  840,  wo  das  narbonensische  Gallien  bereits  und  Dlyrien  noch  seDato- 
risch  ist. 

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—     191     — 

Dlyrien  wurde  schon  im  J.  11  kaiserlich,  in  Afriki^  wurden  die 
Hilitarverhältnisse  später  anders  geordnet,  und  Makedonien  konnte 
nur  deshalb  Senatsprovinz  bleiben,  weil  es  durch  die  Fortschritte 
der  romischen  Macht  in  den  Donaulandern  aufhorte  Grenzprovinz 
zu  sein;  andererseits  gab  Augustus  im  J.  22  das  narbonensische 
Gallien  und  C;pem  als  völlig  befriedet  dem  Senat  zurück.^) 
Übrigens  nahm  er,  wie  oben  (S.  149)  schon  bemerkt,  unmittelbar 
nachdem  seine  prokonsularische  Gewalt  definitiv  festgestellt,  im 
J.  22  sein  Oberaufsichtsrecht  über  die  Senatsprovinzen  sehr  ernst- 
lich in  Anspruch,  indem  er  auf  seiner  Reise  in  den  Orient,  in 
Sicilien  beginnend,  die  Verhältnisse  derer,  die  auf  seinem  Wege 
lagen,  neu  regelte.  Die  Rücknahme  der  einen  oder  andern  Pro- 
vinz in  kaiserliche  Verwaltung  blieb  stets  vorbehalten.  Wie  weit 
den  Statthaltern  der  senatorischen  Provinzen  in  der  laufenden 
Verwaltung  freie  Hand  gelassen  wurde,  hing  von  der  Persönlich- 
keit der  einzelnen  Kaiser  ab;  im  Allgemeinen  aber  ist  zu  be- 
merken, dafs  in  der  Eontrolle  weniger  gethan  wurde,  als  für  die 
Provinzen  gut  war,  und  man  es  meist  darauf  ankommen  liefs; 
ob  die  Provinzialen  von  dem  ihnen  zustehenden  Klagerecht  Ge- 
braach  machten.  Eine  Quelle  des  Übels  suchte  Augustus  von 
vornherein  zu  verstopfen,  indem  er  an  Stelle  der  wechselnden 
und  unkontrollierbaren  Bezüge,  welche  die  Statthalter  bisher  ge- 
habt, für  alle  Kategorieen  je  nach  ihrem  Raug  feste  Geldsummen 
aussetzte.*)  Für  das  dem  Senat  unterstehende  Ärar  wie  für  die 
Statthalter  war  es  wichtig,  dafs  die  senatorischen  Provinzen  die 
reicheren  waren,  während  andrerseits  der  ehrenvollere  Titel  Pro- 
konsul  gegenüber  dem  kaiserlichen  Proprätor  niemand  darüber 
tauschen  konnte,  dafs  der  letztere  trotz  der  unmittelbaren  Ab- 
^gigkeit  vom  Kaiser  doch  mit  seiner  militärischen  St-ellung  und 
der  längeren  Dauer  auf  einem  wichtigeren  Posten  stand.  In- 
dessen war  dieser  Unterschied  der  Würde  dadurch  wieder  auf- 
gehoben, daCs  dieselben  Personen  das  eine  Mal  im  Senats-,  das 


1)  Dio  a.  a.  0.  —  Auch  Sardinien  wurde  wegen  der  Bennrabigung 
^orch  R&nberbanden  im  J.  6  n.  Ch.  in  kaiserliche  Verwaltang  übernommen 
ond  «war  unter  einen  Proknrator  gestellt.    Dio  66,  28. 

2)  Sueton  Ang.  86:  Äudor  et  cUtarum  rerum  fuit',  in  quis,  ut  proconsu- 
^^  ad  mulos  et  idbemactUa  quae  publice  locari  solebcmt  certa  pecunia  con- 
^itueräwr.  Dio  68,  16,  der  es  unter  den  Ordnungen  des  J.  27  aufführt; 
^gl.  c  16:  tavta  {tlv  ovxm  xoxb  —  Ststdxd'rj,  Ob  dies  unter  den  Begriff  des 
Gehalts  falle,  darüber  s.  im  System. 

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—     192     - 

andere  Mal .  im  kaiserlichen  Dienst  thätig  und  die  Regeln  der 
Laufbahn  für  heide  Seiten  die  gleichen  waren.  Dagegen  war  es 
natürlich  dem  Kaiser  überlassen,  sich  nach  den  Erfahrungen,  die 
er  machte,  die  geeigneten  Personen  auszusuchen  und  in  seinem 
Dienst  zu  Auszeichnungen  kommen  zu  lassen,  solche  aber,  die  er 
nicht  wollte,  dem  Senatsdienst  zu  überlassen.  Die  Bestellung  der 
Senatsstatthalter  sollte  in  Fortsetzung  der  republikanischen  Über- 
lieferung mit  Vorbehalt  besonderer  Ausnahmefälle  im  gewöhn- 
lichen Gang  dem  Lose  anheimgegeben  bleiben. 

Die  personliche  Thätigkeit  und  personliche  Verantwortung, 
welche  in  der  so  ausgedachten  Generalstaiithalterschaft  lag,  bat 
Augustus  in  vollem  Mafse  auf  sich  genommen.^)  Er  selbst  ging 
noch  im  J.  27  nach  Gallien,  nicht  blofs  um  die  Einteilung,  Or- 
ganisation und  Verwaltung  sämtlicher  gallischen  Provinzen  fest- 
zustellen, sondern  auch  mit  der  Absicht,  zu  sehen,  ob  im  Anschlufs 
an  die  Unternehmungen  Cäsars  Britannien  in  den  Kreis  der 
Berechnung  gezogen  werden  könnte.  Allein  hierauf  sich  einzu- 
lassen wurde  er  verhindert  durch  den  Ausbruch  neuer  Kämpfe 
in  Spanien,  die  seine  Anwesenheit  erforderten  und  neben  den 
gallischen  Fragen  keiner  andern  Sorge  Raum  liefsen.  Li  Gallien 
aber  wurde  damals  das  wichtige  Werk  des  Census  begründet^, 
und  die  beiden  Länder  Gallien  und  Spanien  hielten  den  Augustus 
bis  Anfang  des  J.  24  zurück.  Ende  des  J.  22  ging  er,  während 
nun  Agrippa  sein  Stellvertreter  in  Gallien  war,  über  Sicilien, 
Griechenland,  Asien  nach  Syrien,  und  er  und  Tiberius  waren 
trotz  der  Thätigkeit,  die  Augustus  nach  der  Schlacht  bei  Aktium 
und  wieder  nach  der  Eroberung  Ägyptens  geübt,  mit  Verfügungen 
über  die  Provinzen,  die  kleinen  zwischen  diesen  noch  geduldeten 
Dynasten  und  in  Verhandlungen  mit  den  Grenznachbam  bis  über 
die  Mitte  des  J.  19  in  Anspruch  genommen.')  Während  bei  der 
früheren  Anwesenheit  die  Rücksicht  auf  das  unmittelbar  Vor- 
hergegangene bestimmend  gewesen  war,  war  jetzt  der  Blick 
freier  auf  das  allgemeine  Interesse  des  Reichs  gerichtet.  Weiter- 
hin im  J.  16  führte  ihn  die  Niederlage  des  M.  LoUius  gegen  die 


1)  Sueton  a.  a.  0.:  nee  est,  ut  opinoTy  provincia,  excepta  dumtaxat 
Äfrica  et  Sardinia,  quam  non  adierit 

2)  Dio  53,  22.  Liv.  epit.  134:  censum  Narbone  egü.  Census  a  tribus 
Galliis,  quas  Caesar  pater  vicerat,  actus.  Über  die  Einteilung  Galliens  Strabo 
4,  1  p.  177. 

3)  Dio  64,  6  flF. 

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-     193    — 

Germanen;  sowie  die  gesamte  Lage  Galliens  aufs  neue  in  die 
nordlichen  Provinzen  bis  Mitte  des  J.  13  ^  und  während  dieser 
Zeit  WBi  es,  dafe  in  der  grofsen  Unternehmung  des  Tiberius  und 
Drusus  gegen  Ratien  das  Mittelglied  zwischen  Gallien  und  Ulyri- 
cum  eingefOgt  wurde. ^)  Zu  derselben  Zeit  war  wiederum  Agrippa 
an  der  äufsersten  Nordostgrenze,  beim  kimmerischen  Bosporus 
tbätig.  Nochmals  war  er  in  den  Jahren  10  und  8  in  Gallien, 
während  seine  Adoptivsöhne  Drusus  und  Tiberius  an  der  Rhein- 
und  Donaugrenze  kämpften  und  dazwischen  im  J.  9,  in  welchem 
Drusus  in  Germanien  starb ,  hielt  er  sich  wenigstens  in  Ober- 
italieu;  zu  Ticinum,  auf,  um  den  Ereignissen  an  der  Nordgrenze 
näher  zu  sein.  Von  da  ab  machte  er,  obgleich  Agrippa  tot  war 
und  Tiberius  sich  ihm  entzog,  von  dem  Vorrecht  des  Alters  Ge- 
brauch und  blieb  in  Italien,  zumeist  in  Rom;  allein  auch  von 
hier  aas  war  er  in  der  Leitung  der  Provinzen,  zumal  derer,  in 
welchen  zu  kämpfen  war,  unausgesetzt  thätig'),  selbst  nachdem 
er  in  den  jüngeren  Gliedern  seiner  Familie  wieder  Stellvertretung 
in  den  Provinzen  selbst  gefunden,  und  so  bildet  den  richtigen 
Abschlufs  seines  Lebens,  dafs  er  noch  im  J.  8  n.  Gh.  zur  Zeit, 
da  der  gefährliche  illyrische  Aufstand  vollends  niedergeworfen 
werden  sollte,  in  Ariminum  verweilte  und  endlich  im  J.  14,  nach- 
dem er  eben  den  dritten  von  ihm  veranstalteten  Gensus  mit 
Tiberius  als  Kollegen  beendigt,  diesen,  wie  er  aufs  neue  sich 
nach  niyricum  begab,  wenigstens  bis  Benevent  begleitete. 

Der  Gewinn,  welcher  sich  für  die  Regierung  des  Reichs  aus 
dieser  Thätigkeit  änes  Mannes  ergab,  war  so  einleuchtend,  dafs 
schon  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  eine  einheitliche  Leitung 
des  Reichs  sich  als  unentbehrlich  behaupten  mufste.  Auch  unter 
der  Republik  war  dem  Senat  als  der  leitenden  Behörde  die 
Kenntnis  der  Lokalverhältnisse  zu  gute  gekommen,  da  es  im  Rate 
ja  nie  an  Männern  fehlte,  die  auf  Grund  einer  solchen  ihr  Urteil 
abgeben  konnten.  Aber  die  Schwächen  der  Kollektivregierung 
hatten  dieses  Moment  nicht  zur  vollen  Geltung  kommen  lassen, 
auch  abgesehen  davon,  dafs  zwischen  der  leitenden  Behörde  und 


1)  Dio  54,  19  ff.  Die  weiteren  Zeugnisse,  mehr  zasammenb äugender 
oder  vereinzelter  Art  bei  Fischer,  Zeittafeln  bei  den  betr.  Jahren. 

2)  Aach  während  er  in  dem  einen  Teil  des  Reichs  aofserhalb  Italiens 
th&tig  war,  erliels  er  wichtige  organisatorische  Verfügungen  ober  andere 
ganz  entlegene  Teile,  so  im  J.  25  von  Spanien  ans  über  Dynastengebiete  in 
Eleinasien  nnd  Afrika.    Dio  53,  26.  ^^ 

Heriog,  d.  rönu  StaaUverf.  n.  1.  laitized  by  VjOOQIC 


-     194    — 

dem  Vollzug  die  nie  sicheren  ausftüirenden  Organe  lagen,  welche 
die  Amtslaufbahn  im  jährlichen  Wechsel  darbot  Jetzt  war  die 
beste  und  umfassendste  Kenntnis  in  diner  leitenden  Person  ver- 
einigt; und  was  die  im  Senat  nach  wie  vor  gegebene  Erfahrung 
der  vielen  einzelnen  gewesenen  Provinzialbeamten  bot,  war,  wenn 
auch  weniger  in  der  öffentlichen  Diskussion  im  Senat  als  in  der 
individuellen  Inanspruchnahme  durch  den  obersten  und  allgemeinen 
Prokonsul,  stets  yerfQgbar  zur  Unterstützung  im  Rat  und  zur 
Ausführung  der  leitenden  Gedanken  mit  der  That,  und  wenn 
auch  der  Ruhm  der  Erfolge  nnr  dem  äinen  voll  zu  gute  kam, 
so  sorgte  Augusts  Mäfsigung  doch  dafür,  dafs  auch  den  Werk- 
zeugen noch  ein  Teil  der  republikanischen  Ehren  verblieb.^)  Für 
die  Ordnung  der  Provinzen  selbst  aber  ergab  jene  einheitliche 
Lokalkenntnis  eine  eingehende  Berücksichtigung  der  Verhältnisse 
im  Grofisen  wie  im  Kleinen  und  die  Herstellung  ^ines  Reichs- 
und  Eulturganzen,  wofür  die  Reichsregierung  nun  nicht  mehr 
blofs  wie  unter  der  Republik  nur  den  äufseren  Rahmen  gab, 
sondern  auch  die  fördernden  Kräfte.  Den  Ausgangspunkt  bil- 
dete freilich  diese  ideelle  Seite  nicht,  und  sie  war  für  Augostus 
jedenfalls  viel  weniger  bewufst  vorhanden  als  bei  Cäsar;  aber 
auch  der  durch  die  Thatsachen  allein  gewonnene  Erfolg  isi^  wie 
er  unmittelbar  fühlbar  wurde,  so  auch  von  der  Geschichte  bei 
der  Beurteilung  seiner  Politik  anzuerkennen.  Der  reale  Zweck, 
welcher  neben  der  Sicherheit  der  Herrschaft  überall  im  Vo^de^ 
grund  stand,  war  der  ünanzielle  Ertrag  und  dem  entsprechend 
war  neben  der  militärischen  Besetzung  die  wichtigste,  aber  auch 
die  schwierigste  Aufgabe  die  Regelung  der  Besteuerung,  wobei 
ebensowohl  allgemeine  Grundsätze  wie  die  besonderen  ortlichen 
Verhältnisse  bis  zu  denen  der  einzelnen  Stadtgemeinden  herab 
in  Betracht  kamen  und  für  das  grofsere  oder  geringere  Mafs  Ton 
"^'     OrganiMtion  Autouomie  mitbestimmend  waren.   Von  diesem  Gebiet  wird  unten 

d«r  eiiueln«n  .. 

ProTiluen.  noch  ZU  reden  sein;  hier  möge  es  genügen,  die  allgememe  poli- 

^;  tische  Organisation,  in  welcher  die  leitenden  Gesichtspunkte  ihren 

^r^  Ausdruck  fanden,  in  den  umrissen  zu  zeichnen.     Schon  die  Ab- 

^  stufung  unter  den  zum  Reich  nunmehr  gehörigen  Sondergebieten 


1)  Die  Triumphe  von  gewöhnlicben  ProkonBoln  geben  in  den  Triom- 
phalfasten  noch  fort  bis  zum  J.  19  ▼.  Ch.  (o.  i.  1.  1  p.  461);  dann  folgt  eine 
neue  Ordnung,  welche  dem  Kaiser  ausschlieislich  die  volle  Ehre  des  Triuapbi 
zuweist,  seinen  HeerfQhrem  aber  noch  gewisse  Teile  jener  Ehre  Wst  K&beret 
darüber  unten. 

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'^^-r^?^:W^. 


—     195    — 

war  eine  sehr  mannigfaltige.  Obenan  steht  Ägypten.  Dieses 
Land  war  unter  der  Diadochenherrschaft  in  viel  höherem  Grade 
als  unter  den  früheren  Regierungen  in  die  Mittelmeerverhältnisse 
hereingezogen  worden,  aber  es  hatte  sich  doch  nnr  auf  den 
Interessenkreis  beschränkt,  der  durch  die  Reiche  der  Nachfolger 
Alexanders  gebildet  worden  war;  nachdem  sodann  die  Römer  in 
das  Mittelmeersystem  als  bestimmende  Macht  eingetreten  waren, 
hatte  sich  die  ägyptische  Politik  ihnen  gegenüber  teils  passiv, 
teils  rerbündet  verhalten.  Nunmehr  als  Glied  eines  Reichs,  das 
den  ganzen  Umkreis  des  Mittelmeers  umspannte,  trat  es  mit  der 
Bedeutung  seiner  geographischen  Lage,  seinen  natürlichen  Hilfs- 
mitteln, seiner  Hauptstadt  Alexandrieu,  der  ersten  Handels-  und 
Industriestadt  der  Welt,  in  seiner  ganzen  Wichtigkeit  hervor  und 
wnrde  ihr  entsprechend  von  Augustus  behandelt.  Negativ  wurde 
es  in  jeder  Hinsicht  dem  EinfluTs  des  Senats  entzogen,  positiv 
politisch  und  finanziell  der  möglichst  direkten  Verfügung  des 
Princeps  tmterstellt  Nicht  blofs  war  es  nicht  Senatsprovinz, 
sondern  es  wurde  der  Verwalter  nicht  aus  den  Senatoren,  sondern 
aas  den  Rittern  genommen,  und  dementsprechend  auch  das  Kom- 
mando der  daselbst  stehenden  Legionen  nicht  Männern  von  sena- 
torischem Rang  anvertraut;  ja  ein  Senator  durfte  dieses  Land 
nicht  einmal  ohne  Erlaubnis  des  Kaisers  betreten  und  den 
Ägyptern  selbst  war  die  Möglichkeit^  in  den  Senat  zu  gelangen, 
versagt^)    Die  finanzielle  Belastung  wie  die  sonstige  Verwaltung 


1)  Tac.  hist.  1,  11:  Aegyptum  copiasque  quibua  coerceretwr  iam  inde  a 
äwo  Äugusto  equites  Bomani  obtinent  loco  regum:  üa  visum  expedire,  pro- 
vinciam  aditu  difficilem,  annonae  fecundatn,  superbtitione  ac  lascivia  dücordem 
^  füobilem,  inseiam  legutn,  ignaram  magistratiium ,  dornt  retinere.  Ders. 
*Mi.  2,  69:  Tiberius  —  (Germanicum)  acerrime  increptUt,  quod  contra  in- 
^vta  AugusU  non  sponte  prindpia  Alexandriam  introisset;  nam  Augustus 
w»^  dUa  dominoHonis  cMrcana  vetitis  nisi  permissu  ingredi  sentUoribus  (nut 
^uüibw  Bomanis  inlustribus  seposuit  Aegyptum^  ne  fame  urgeret  Itäliam, 
9^isquis  eam  provinciam  claustraque  terrae  ac  tnaris  quamuta  levi  praesidio 
*^w^M«iii  ingentes  exercitus  insedisset.  Dio  51,  17  (nach  Erwähnung  des 
Verbots  an  die  Senatoren):  ov  (tivtoi  ov^  hsivoig  ßovXeveiv  iv  x^  'P<o(ifi 
^9nw.  58,  13.  76,  5.  —  Vgl.  Suet.  Caes.  85:  {Caesar)  regnum  Aegypti 
(^npairae  permisU,  veritus  provinciam  facere^  ne  quandoque  violentiorem 
J^ookfei»  nacta  novarum  rerum  materia  esset.  —  Über  die  Organisation  des 
^^ontkommandoB,  das  einem  praefectus  castrorum,  also  einem  Manne  aus 
dem  Ktterstande  gegeben  wurde,  vgl.  die  Inschrift  aus  Syene  c.  i.  1.  Xu 
^  6026.   Joseph,  b.   Jud.  6,  4,  8.   Renier,  conseil  de  gaerre  tenü  par  'nt32S 

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»^ 


—     196     ~ 

unterstand  der  willkürlichen  Verfügung  des  Kaisers ,  die  Ein- 
künfte gehörten  ihm  persönlich  in  dem  höchsten  innerhalb  der 
Reichsverwaltung  überhaupt  möglichen  Sinn,  und  die  Landes- 
angehörigen waren  in  besonderer  Weise  und  mit  eigentümlichen 
persönlichen  Beschränkungen  unterthan,  während  andrerseits  die 
kaiserliche  Verwaltung  den  Eigentümlichkeiten  des  Landes  in 
Religion  und  Sitte  mit  besonderer  Vorsicht  entgegenkam.  Ägypten 
zunächst  standen  die  grofsen  Militärkommandos ,  welche  die 
Grenzprovinzen  bildeten,  jedes  für  sich  ein  Ganzes  ausmachend 
und  wieder  mit  andern  zusammen  zu  einer  gröüseren  Verbindung 
vereinbar,  die  für  umfassendere  Unternehmungen  von  dem  Kaiser 
selbst  oder  einem  von  ihm  mit  allgemeinerer  prokonsulariseher 
Gewalt  Abgesandten  geleitet  wurden.  Weiter  einwärts  kamen  die 
gröfseren  alten,  Niedlichen  Provinzen  und  zwischen  hinein,  zum 
Teil  auch  an  den  Grenzen,  kleinere  Distrikte  sei  es  unter  Ver- 
waltern und  Befehlshabern  untergeordneten  Rangs,  sogenannten 
Prokuratoren  oder  auch  Präfekten  aus  dem  Ritterstand  ^),  oder 
unter  Stammßirsten  als  Vasallen.  Gegen  zwanzig  solcher  Vasallen- 
fürsten ^)  liefs  Augustus  im  ganzen  Umkreis  des  Reichs,  zumeist 
im  nordöstlichen  Europa,  in  Asien  und  im  westlichen  Afrika  kq 
leichterer  Anfügung  der  ihnen  unterstehenden  Bevölkerung,  znr 
einfacheren  militärischen  und  finanziellen  Verwertung  und  znr 
Ersparnis   an   administrativem  Personal^),   wobei  überall  durch 

in  M^m.  de  TAcad.  des  inscr.  XXVI.  1  p.  816  f.  Mommsen  arch.  Zeit.  26  (1869) 
p.  124.    Wilmanns  in  ephem.  epigr.  1,  90  f. 

1)  Unter  Augustus  sind  als  prokuratorisoh  zu  nennen  die  Alpes  man- 
timae  und  Rätien;  hinsichtlich  Noricnms  s.  folg.  Anm.  Ffir  die  cotüscbeo 
Alpen  wird  auf  dem  Bogen  von  Sasa  (Orelli-Hensen  n.  626)  der  Sohn  des 
letzten  rex^  M.  JtUius  regis  Donni  fUius  CotHus,  genannt  prctefectus  cdviUh 
tiutn,  quae  suhscriptae  sunt. 

2)  In  den  ersten  Jahren  des  Principats  sind  die  Vasallendistrikte  das 
regnum  CoUii,  Thracien,  der  kimmerische  Bosporus,  Teile  {les  früheren 
pontischen  Reichs  (der  Pontus  Cappadocicus  und  der  Pont.  Galatica»), 
Eappadokien,  CkJatien  (bis  zam  J.  25  v.  Gh.),  Paphlagonien  (bis  wid 
J.  7  V.  Ch.),  in  Cilicien  drei,  in  Syrien  sechs  (Judäa  als  einheitlich  gerechnet), 
Nuraidien  (vom  J.  80  bis  25  v.  Gh.);  im  J.  25  wird  Maoretanien,  das  Tom 
J.  83  an  ohne  einheimischen  Fürsten  gewesen  war,  an  den  bisherigen  K5nig  1 
Juba  Ton  Namidien  gegeben,  dessen  bisheriges  (Gebiet  dann  zur  Profim 
Afrika  kam.  Das  regnum  Noriewn  steht  später  unter  einem  Prokurator;  die 
Bezeichnung  regnum  weist  aber  darauf  hin,  dafs  wie  bei  dem  rsgmm  Ccäü 
die  erste  Stufe  der  Abhängigkeit  auch  die  eines  Vasallenfürsten  war. 

3)  Strabo  p.  671  (gelegentlich  der  cilicischen  Dynastieen):  i^omt  «e^ 

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—    197     — 

Gonstbezeugung  oder  Bedrohung,  durch  Überwachung  von  Pro- 
vinze ans,  von  denen  ihre  Gebiete  eigentlich  nur  besondere  Bezirke 
bildeten,  durch  Bereithaltung  von  Rivalen,  endlich  durch  Erziehung 
der  Kinder  am  Hofe  zu  Rom  für  den  Gehorsam  der  Vasallen 
gesorgt  war.  —  Neben  diesen  verschiedenen  Formen  von  ünter- 
thanigkeit  der  Bezirke  unter  irgend  einer  verwaltenden  Persön- 
lichkeit fand  in  Kleinasicn  auch  eine  föderative  Vereinigung 
Baum,  der  lykische  Städtebund,  dem  August  das  von  der  Republik 
gewahrte  und  zuletzt  wieder  von  Antonius  bestätigte  Mafs  von 
Unabhängigkeit  mit  den  daran  hängenden  Privilegien  liefs.^) 

Innerhalb  der  einzelnen  Provinzen  war  die  Rechtsstellung 
jeder  einzelnen  Gemeinde  zu  regeln,  zu  erwägen,  ob  Kolonisation 
angezeigt  sei,  wer  romisches  Bürgerrecht  oder  Latinität  erhalten 
solle,  wo  Autonomie  und  Steuerfreiheit  zu  gewähren  sei,  und 
neben  den  Verhältnissen  jeder  Provinz  kamen  hier  auch  die  all- 
gemeineren Verschiedenheiten  des  Westens  und  des  Ostens,  alten 
Besitzes  mit  alter  Kultur  und  neuer  nicht  nur  für  das  Reich, 
sondern  auch  für  die  Lebensordnungen  der  griechisch-römischen 
Welt  erst  zu  gewinnender  Gebiete  in  Betracht  In  den  letzteren 
waren  zuvorderst  die  Grundlagen  für  die  Besteuerung,  die  Kataster- 
aafnahmen  zu  beschaffen,  und  der  Entwurf  zuerst,  dann  die  Durch- 
führung des  gallischen  Gensus  war  ein  Werk,  das  einen  grofsen 
Teil  der  Regierungszeit  wie  der  Regierungssorgen  Augusts  in 
Anspruch  nahm.  In  Verbindung  mit  den  hiefür  nötigen  Arbeiten 
der  grofsen  Verwaltung  standen  auch  die  Mafsregeln  für  die 
Verkehrsverhältnisse,  die  Anlage  der  Strafsenzüge  und  was  damit 
zusammenhing,  insbesondere  auch  eine  auf  denselben  laufende 
Reichspost.*)  Die  Pläne,  welche  Cäsar  in  dieser  Richtung  ent- 
worfen (ob.  S.  23—25),  fanden  unter  Augustus,  der  ein  zu  guter 
Verwaltungsmann  war,  um  ihre  Bedeutung  nicht  zu  würdigen. 


(tjutv  To  xoiovxo  ßaailevead'ai  fMcXXov  xovg  tonovg  rj  vfco  toig  ^PmiaaCoi^ 
^c^ur  fXvai  xotg  knl  tag  %^lang  ntunonivoiSj  o't  nrjt  ccsl  naQ£ivai 
iptUop  fiifw  ited"'  onXav, 

1)  Für  Lykien  sind  die  zwei  bekannten  Zeitgrenzen  das  J.  41  v.  Ob., 
in  welchem  Antonius  den  Lykiem  ihre  Freiheit  bestätigte  {Av%iovg  axtUig 
^^tav  atpnlg  %al  Suv^ov  oU^ietv  nagaivciv)  und  das  J.  43  n.  Gh.,  in 
welchem  Claudias  ihnen  diese  Freiheit  nahm.    Dio  60,  17. 

2)  Suei  Aug.  49:  Quo  celerius  ac  8%ib  manttm  adnuntiari  cognoscique 
possä,  quid  in  provincia  quaque  gereretur,  iuvenes  primo  modicis  intervallis 
per  miUtares  via»,  dehinc  vehictUa  disposuü, 

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—     198     - 

ihre  Verwirklichung  durch  Agrippa,  der  in  der  Technik  vaA 
Praxis  des  Kriegs-^  Bau-  und  Ingenieurwesena  gleich  einzig  da- 
steht,  und  dessen  Thätigkeit  speziell  fttr  die  Reichsyerm^sung 
auch  die  Grundlage  fOr  das  geographische  Wissen  der  Eaiserseit 
bildete.  —  Die  einfache  Zusammenstellung  der  so  gegebenen  und 
vollzogenen  Aufgaben  genügt,  um  zu  zeigen,  wie  tiefgreifend  hier 
die  Zusammenfassung  der  Regierung  in  einer  Hand  und  wie 
wichtig  es  für  das  Provinzialgebiet  war,  dafs  der  Eine  ein  halbes 
Jahrhundert  hindurch  diesen  Aufgaben  sich  widmen  konnte. 
Koionicen  and  Eiu  einzelner  besonders  wichtiger  Gesichtspunkt  war,  welche 

Borgerrechts  in  Gmudsätzc  Augustus  hiusichtlich  der  Ausbreitung  des  romischen 
nzen.  Buj.ggjj.^^jjtg  j^  ^^^  Provinzcu  befolgte.  Er  selbst  hebt  herror, 
dafe  er  in  einer  Anzahl  von  Provinzen  Yeteranenkolonieen  an- 
gelegt habe^);  dagegen  giebt  weder  er  selbst  an,  noch  ist  ans 
monumentalen  Zeugnissen  sicher  zu  erweisen,  dafs  er  einheimi- 
schen Provinzialgemeinden  das  römische  Bürgerrecht  erteilt  habe, 
und  hinsichtlich  der  Vergebung  desselben  an  Einzelne  ist  ge- 
nügend bezeugt,  dafs  er  darin  möglichst  sparsam  vorging.^)  Es 
stand  dies  durchaus  im  Einklang  mit  seinem  Bestreben,  Italien 
als  den  herrschenden  Teil  des  Reichs  hinzustellen,  dabei  aber 
auch  das  national-römische  Gefühl  unter  den  Italikem  als  Tragen 
diefer  Herrschaft  zu  starken  und  als  geschichtlich  begründet  im 
Bewufstsein  erhalten.  ^)  Für  die  Kulturarbeit  unter  den  Provinzialen 
schien  daneben  durch  das  Beispiel,  das  von  den  Militarkolonieen 
und  regelmäfsigen  Ansiedlungen  von  entlassenen  Veteranen  aus- 

1)  MoD.  Anc.  ].  5,  36:  Colonias  in  Africa  [Siciliä]  Macedonia  tctrog«^ 
Eispania  Achaia  Äsia  Syria  Gdüia  Narhonensi  [Pmdia]  miUtum  (iediurt. 
(SicilieD  and  Pisidien  sind  aus  dem  griech.  völlig  erhaltenen  Text  ergänxt) 
Welches  diese  Kolonieen  waren,  ist  nur  zum  Teil  sicher  bezeugt,  zum  Teil 
durch  Kombination  aus  monumentalen  Zeugnissen  zu  erscbliefsen.  Ein  Ver- 
zeichnis derselben  bei  Mommsen  res  g.  p.  119.  Derselbe  macht  geltend, 
dafs  Augustus  hier  nur  von  cöl.  militum  rede,  und  will  Kombinationen 
über  Kolonieen  anderer  Art  damit  ausgeschlossen  wissen. 

2)  Suet.  Oct.  40:  Magni  existimans  sincerum  aique  a5  omni  cdOmoM 
peregrini  clc  servüis  sanguinis  incorruptum  servare  populum  et  civitaUm  Bma- 
nam  parcissime  dedit  et  manumiUendi  modum  'terminavit.  Tiberio  pro  diente 
Graeco  petenti  rescripsit,  non  cUiter  se  daturum  quam  si  prciesens  sibi  per 
suasisset  quam  iustas  petendi  causas  haberet,  et  Litn(»e  pro  quodam  tributario 
OcUlo  roganti  civitatem  negavit,  immunitatem  optülü  affirmems  faeünu  ^ 
passurum  fisco  detrahi  aliquid  quam  civitatis  Romanae  vulgari  honorem. 

3)  Sueton  a.  a.  0.  Die  unwillige  Äufserung  über  die  puUatorum  tut^ 
in  der  Kontio:  En  Romanos^  rerum  dominos,  gentemque  togataml 

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-     199    — 

ging,  durch  die  Latinitat  und  auch  durch  das  Wirken  der  Pro- 
Yinzialyerwaltung  genügend  gesorgt 

10.  In  engster  Beziehung  mit  der  Provinzialverwaltung  steht  Heerwesen 
das  Heerwesen,  da  ja  die  Teilung  der  Provinzen  zwischen  E^aiser 
ond  Senat  nach  dem  Gesichtspunkt  der  militärischen  Besatzung 
gemacht  war.  Hiervon  ist  denn  auch  bei  der  rechtlichen  Auf- 
fassung der  Heeresgewalt  des  Kaisers  auszugehen.  Jene  Teilung 
war  geschehen  unter  dem  Verwand,  die  mühsamen  und  gefahr- 
lichen Posten  selbst  zu  übernehmen,  dem  Senat  diejenigen  zu 
überlassen,  welche  nur  Genufs  boten,  aber  mit  der  beabsichtigten 
Wirkung,  dafs  der,  welcher  jene  Posten  übernommen,  dann  auch 
allein  Heeresmacht  habe.  In  welcher  Weise  dies  formuliert 
wurde,  ist  nicht  bekannt;  wie  es  vermutlich  geschah,  mufs  aus 
dem  bekannten  thatsächlichen  Verhältnis  abgeleitet  werden.  Da 
Angostus  sein  oberstes  Provinzialkommando  immer  nur  auf  eine 
gewisse  Anzahl  von  Jahren  übernahm,  so  konnte  die  Bestimmung 
ober  den  daran  hängenden  Heeresbefehl  auch  nur  so  lauten,  dafs, 
so  lange  jene  Greneralstatthalterschafk  bestehe,  die  Verfügung 
fiber  das  Heer  damit  verbunden  sei.  Wenn  ferner  jene  Wirkung 
der  alleinigen  Verfügung  mit  Sicherheit  eintreten  sollte  —  und 
darauf  mufste  Augustus  rechnen  können  — ,  so  mufste  durch 
eine  direkte  Bestimmung  für  dieselbe  Zeit  nicht  blofs  dem 
Generalstatthalter  die  alleinige  freie  Verfügung  über  die  Bildung, 
Starke,  Führung  und  Verteilung  der  Truppen  in  seinen  Pro- 
vinzen zugesprochen,  und  nicht  blofs  den  Statthaltern  des  Senats 
Aufbietung  von  Truppen  verboten,  sondern  auch  dem  Senat 
selbst  das  Recht  entzogen  sein,  in  den  unter  ihm  stehenden 
Provinzen  Truppen  aufzustellen.^)  Dafs  das  Recht,  welches  die 
tribunicische  Gewalt  dem  Princeps  gegenüber  dem  Senat  gab, 
ßr  genügend  erachtet  worden  wäre,  etwaige  selbständige  mili- 
tärische Beschlüsse  des  Senats  zu  hindern,  ist  nicht  wahrschein- 
lich. Militärische  Hilfe  in  Notzeiten  war,  soweit  nicht  gewisse 
überall  geltende  Notwehrmafsregeln  ausreichten,  für  die  Senats- 
provinzen dadurch  gegeben,  dafs  auch  für  sie  dem  Generalstatt- 
balter  ein  Oberaufsichtsrecht  zugestanden  war;  wenn  dieses  nicht 


1)  Nicht  als  AuBfluIs  eines  beetimmten  Gesetzes,  sondern  bei  allge- 
meber  Charakterisierung  der  Rechte  des  In^perators  sagt  Dio  58,  17 :  nccta- 
loyovs  re   MOieio^ai   tuA    xQi]ftata   a^qoCinv   noXiftovg  ts  avai^siad'av  %al 

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—     200     - 

ausreichte,  so  trat  die  kaiserliche  Verwaltung  völlig  ein**)  Fiel 
je  die  Generalstatthalterschaft  weg,  so  erhielt  von  selbst  der 
Senat  dasselbe  Recht  zurück,  das  ihm  von  der  Bepublik  her 
zustand  und  das  er  iu  der  Zeit  nach  Cäsars  Tode  den  Statt- 
haltern und  Heerführern  gegenüber  geübt  hatte.  Ausgeschlossen 
war  nicht,  aber  dem  Ermessen  des  Generalstatthalters  über- 
lassen, ob  er  über  Aushebungen,  Vermehrung  der  Legionen  und 
ähnliche  tiefer  eingreifende  Mafsregeln  sich  mit  dem  Senat  ins 
Benehmen  setzen  wollte^),  und  insoweit  als  für  die  Unterhaltung 
der  Truppen  das  Ärar  beizuziehen  war,  mufste  der  Senat  darüber 
befragt  werden.*)  —  Gegenüber  den  Statthaltern  der  kaiserlichen 
Provinzen  ist  das  oberste  Verfügungsrecht  des  Generalstatthalters 
dadurch  gewahrt,  dafs  diese  seine  Legaten  sind.^)  Die  Bestell ong 
und  Organisation  des  Kommandos  steht  dem  obersten  Befehls- 
haber zu,  aber  es  werden  dafür  wie  für  die  Amterlaufbahu  über- 
haupt feste  Regeln  aufgestellt. 

Augustus  hat  das  romische  Heer  zu  einem  stehenden  ge- 
macht: dies  ist  ein  längst  anerkannter  Zug  in  dem  Bild,  das  die 
Geschichte  von  ihm  aufstellt  Auch  dieses  Moment  bedarf  aber 
seinem  Ausgangspunkt  nach  näherer  rechtlicher  Bestimmung. 
Die  Zeit,  in  welcher  im  römischen  Staat  in  einem  Teil  des  Jahres 
alle  Heere  aufgelöst,  sämtliche  Bürger  nach  Hause  entlassen 
worden,  war  längst  vorbei,  der  Provinzialbesitz  allein  schon  ver- 
langte an  verschiedenen  Punkten  fortwährende  Besetzung.  Allein 
rechtlich  waren  darum  doch  jedes  Jahr  die  Heere  neu  gebildet 
worden,  auch  wenn  dieselben  Leute  mit  Anfang  des  neuen 
Eonsuljahrs  weiter  dienten,  und  für  den  einzelnen  Bürger  wurde 
die  Dienstpflicht  nach  den  alten  Bestimmungen  über  das  dienst- 
pflichtige Alter  geregelt,  während  im  übrigen  seit  Marius  die 
Censusverhältnisse  nicht  mehr  die  Bedeutung  für  den  Kriegs- 
dienst  hatten   wie   früher.     In   den   ersten  fün&ebn  Jahren  des 


1)  Vgl.  ob.  S.  191  A.  1  das  Beipiel  Sardiniens. 

2)  Zu  dem  Verhalten  des  Tiberius  gegen  den  Senat,  bei  welchem  er 
speciem  libertatis  quandam  induxit,  gehört  auch,  dais  er  de  legende  vd  ex- 
auctorando  milite  ac  Ugionum  et  auxiliorum  descriptione  referierte.  Suei  Tib.30. 

3)  Vgl.  die  Verhandlungen  Augusts  mit  dem  Senat,  die  zu  der  Ein- 
richtung des  aerarium  militare  führten.    Dio  55,  24  f. 

4)  Dio  faTst  53,  15  die  für  die  Statthalter  beider  Eategorieen  gelien- 
den  Regeln  dahin  zusammen:  inl  naaiv  oikolmq  ivotkod'sn^dTi ,  firti  tatu- 
loyovQ  aq)äg  noiBia^ai  fL/jZ*  d(fyv(fiov  i^<o  tov  tstayfiivov  iaxf^acuv^  U  |^^ 

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^/C" 


-    201     - 

Principats  nun  begnügte  sich  Angustus  damit,  die  Heere,  welche 
er  in  den  Provinzen  brauchte,  auf  der  alten  Orundlage  auszu- 
heben; nachdem  die  alten  Legionen,  die  nach  der  Besiegung  des 
Antonius  vorhanden  waren,  soweit  er  sie  nicht  beibehalten  wollte, 
aufgelöst,  die  Veteranen  verabschiedet  und  durch  neue  Aus- 
hebungen ersetzt  waren,  konnte  er  die  Leute  einfach  auf  Grund 
des  fortwährenden  Kriegserfordernisses  in  allen  Grenzprovinzen 
bei  den  Fahnen  behalten.  Im  J.  13  v.  Chr.  jedoch  nach  der 
ßQckkehr  ans  dem  neugeordneten  Gallien  und  dem  erfolgreichen 
Älpenfeldzug  seiner  Söhne,  da  zugleich  eine  Erneuerung  seiner 
prokonsularischen  Gewalt  bevorstand,  ordnete  er  die  Dienstpflicht 
in  einer  neuen  Weise,  indem  er  für  die  Ausgehobenen  eine  An- 
zahl Jahre  festsetzte,  für  die  Legionäre  16,  für  seine  Garde  12, 
welche  sie  ununterbrochen  im  Dienst  zu  bleiben  hätten.  Zugleich 
worden  fär  den  Abschlufs  der  Dienstzeit  statt  des  Lands  eine 
Äblohnung  in  Geld  bestimmt.  Die  Dauer  der  Dienstzeit  wurde 
im  J.  5  n.  Chr.  auf  20,  bezw.  16  Jahre  erhöht  Durch  diese 
Bestimmungen  wurde  zugleich  der  Unterschied  zwischen  den 
Truppen  der  Garde  und  den  Legionen  vollends  fest  gemacht^) 
Diese  Festsetzungen  gingen  durch  den  Senat  und  mindestens 
Aber  die  daraus  hervorgehende  Belastung  der  Staatskasse  mufste 
förmlicher  Beschlufs  gefafst  werden.*)  Nach  republikanischem 
Recht  hätte  eine  so  wichtige  Neuerung  in  den  Grundrechten 
und  -pflichten  des  Bürgers,  wie  diese,  die  keineswegs  nur  mili- 
tärischen Charakter  hatte,  den  Weg  der  Gesetzgebung  gehen 
müssen;  Augustus  scheint  sich  mit  dem  Wege  durch  den  Senat 
begnügt  zu  haben.  Die  bezüglichen  Senatsbescblüsse  aber  sind 
die  konstitutionellen  Grundlagen  der  Einrichtung  des  stehenden 


1)  Schon  im  J.  27  toi^  9oQvq>OQi^6ov<ftv  avt6v  9inXdciov  tov  itiad'ov 
tov  ToJi;  aJüLoig  et^atuoxccig  ds9onivov  iprjq>iadiivat  dte^rpa^aTO,  onov  a%(fißij 

XT19  (pifOV^V    ^XV'      ^^^   ^^J    ^^' 

2)  Die  54,  25  (z.  J.  13):  awayceyatv  in  tovrov  ro  ßovXsvTrjQiov  avtog 
^v  ovdlv  ilxfv  vno  ß^yxoVy  to  91  9ii  ßißXiov  zm  ttt^iCa  dvccyvmvai  9ovg 
Tff  TS  %eM(fcey(tiva  ot  %atriQtd'ii7ioato  xol  9iita^e  td  ts  itrj  oaa  ot  nolCtai 
9t(fttxiv60wro  %ai  td  XQrjiiaxa  Zca  navcdfisvoi  xFig  azqaxilag  dvxl  xrig 
Zo^ff  riv  dil  X0X8  ^xovv  IriipoivxOf  oitcag  inl  (rixoCg  ixei^sv  rjdri  xccxaXsyo- 
^»ot  ft7j9lv  tovtmv  ye  ivsaa  vBtoxsqCimciv  x.  r.  X.  Dies  lautet  so,  als  ob 
es  sich  nur  um  eine  Mitteilung,  nicht  am  ein  Referat  zur  Abstimmung 
dtrfiber  gehandelt  hätte;  allein  55,  23  (z.  J.  5  n.  Chr.)  heifst  es:  itpri- 
(piö^Ti  xoig  (i,hv  in  xov  9oQV(poQL%ov  nBvxamaxiXlag  9Qax(JMgy  insiddv  ^%%aC- 

dua  iri2,  xoCg  9\  ixiqoig  xqus%iX{ctgy  imiSdv  Bt%OGi  cxqaxevacavxai  9i9oaS^i,        .    ' 

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-     202     - 

Heers   der  Eaiserzeit^):   alles   übrige,   was  die  Einrichtung  des- 
selben betraf;  ging  von  dem  Oberkommando  allein  aus. 

Diese  Einrichtung  begreift  die  Festsetzung  der  Si&rke  des 
HeerS;  seine  Organisation  und  Einteilung,  die  Verteilung  an 
die  verschiedenen  Provinzen,  das  Kommando  und  das  Dienst- 
reglement. In  allen  diesen  Punkten  hat  Augustus  die  Ordnung 
der  Eaiserzeit  geschaffen,  und  seine  Festsetzungen  werden  aus- 
drücklich als  Grundlage  citiert.  Die  Einteilung  in  Legionen 
blieb  mit  der  von  Marius  und  Cäsar  gegebenen  Zahl  von  6000 
im  Maximum,  nicht  wohl  weniger  als  5000,  jede  zerfallend  in 
10  Gehörten  und  60  Genturien.^  In  der  Legion  sollen  nach 
wie  vor  nur  romische  Bürger  dienen;  die  Zahl  der  Legionen 
wird  nach  Bedürfnis  bestimmt,  jede  Provinz,  welche  einer  be- 
waffneten Macht  bedarf,  erhält  ihr  Kontingent,  das  in  feste  Lager 
gelegt  wird.  Das  Kommando  der  Legion  haben  im  Anschluß 
an  eine  schon  von  Gäsar  eingeführte  Neuerung  nicht  mehr  die 
Kriegstribunen  der  Legion  zusammen  und  im  Wechsel  unter- 
einander^ sondern  es  wird  einheitlich  in  die  Hände  eines  l^tUus 
AngusH  von  senatorischer  Stellung,  gewöhnlich  prätorischem  Bang, 
gelegt^);  die  Kriegstribunen,  vorerst  noch  zum  Teil  wie  unter 
der  Republik  gewählt^),  bald  aber  durchaus  vom  Oberkomman- 
danten ernannt,  sind  jetzt  dem  Legaten  untergeordnete  Stabs- 
offiziere, Führer  der  einzelnen  Gohorten.  Wie  schon  im  republi- 
kanischen Heer,  noch  mehr  aber  in  den  Heeren  der  Bürgerkriege 


1)  Dio  bestimmt  62,  27  in  der  Bede  des  Mäcenas  den  Begriff  des 
stehenden  Heers  so:  tovg  ctgatnotag  a^avdtovg  I«  t£  tmv  nolttmv  %a% 
tav  vnri%6<ov  zmv  ts  avfifidxmv  t^  ft^hv  nXsiovg  t^  d*  iXdtxovg  xad"'  snaatinf 
^d'vog  onmg  Sv  fj  XQsia  x&v  n^ayfidtcDv  dnaiz^  T(fi(psa&ai  KQOcrpm  %al  av- 
zovg  deC  ts  iv  toig  onXoig  slvat  %al  trjv  dcnrjciv  zmv  ytolsfii%mv  9id  navtog 
xoiiiad'ai  dei^  %Bifiddid  te  iv  xoig  ini%ai.Qoxdtoig  xmQioig  %axBü%Bvaifiiivovg 
Tial  xQOVov  xaHXOv  axi^axsvonivovg  maxB  xi  avxoig  %al  n^o  tov  yriomg  x^g 
TiXinlag  ntgisivai.  Dies  wird  dann  weiter  gegenüber  der  früheren  Ein- 
richtung aus  den  Umständen  gerechtfertigt. 

2)  Das  Nähere  über  die  Zahlenverhältnisse  bei  Marqnardt,  röm.  Staats- 
verw.  2',  455.  Der  der  Zeit  des  August us  nächstliegende  Beleg  für  die 
CO  Centurien  ist  Tac.  ann.  1,  82,  wo  diese  Zahl  Torausgesetst  ist.  Die 
genaue  Fixierung  der  Si&rke  der  augusteischen  Legion  wird  nicht  an- 
gegeben. 

3)  Dio  52,  22  in  der  Bede  des  Mäcenas.  Vgl.  Caes.  b.  g.  1,  52: 
Caesar  singulis  legionibus  singulos  legatos  et  quaestorem  praefecU  u.  a.  St 

4)  Über  die  unter  Augustus  vorkommenden  tribwni  miUHim  a  popüh 
B.  an  and.  St. 

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—    203    ~ 

hat  der  oberste  Befehlshaber  eine  Gardetruppe  ^  cohors  praetoria^ 
jetzt  so  stark^  daCs  sie  in  eine  Anzahl  von  Cohorten,  unter  Au- 
gnstus  neun  zu  je  1000  Mann^  zerföUt  und  ein  besonderes  Korps 
bildet,  daS;  wie  bemerkt,  durch  Beschlüsse  der  Jahre  27  und 
13  T.  Chr.  und  5  n.  Chr.  für  die  neuen  Verhältnisse  mit  be- 
sonderen Dienstverhältnissen  anerkannt  und  unter  das  Kommando 
Ton  zwei  praefecH  aus  dem  Ritterstand  gestellt  isi^)  Eine  Leib- 
wache, wie  sie  Augustus  aus  Spaniern  und  Germanen  gehabt 
hatte,  sollte  dadurch  überflüssig  gemacht  werden.^)  Das  prae- 
toriumy  dessen  unmittelbaren  Dienst  diese  Truppe  zu  versehen 
hat,  ist  das  Hauptquartier  des  Oberfeldherrn;  es  ist  überall,  wo 
dieser  verweilt,  und  kann  jetzt  auch  in  Rom  selbst  sein,  indem 
der  Imperator  seine  militärische  Stellung  auch  innerhalb  der 
Stadtgrenze  beibehält;  doch  liels  Augustus  nur  einen  kleineren 
Teil    in   der  Stadt    Quartier   beziehen.^     Alle    Truppen   haben 


1)  Ober  die  Stellang  der  praefecH  praetorio  8.  an  and.  St.  —  Die 
cchortee  praetaricte  worden  nicht  darch  Mannschaft  ans  den  Legionen  ge- 
bildet, sondern  es  wurde  für  sie  rekrutiert  nnd  zwar  nur  ans  der  nächsten 
N&he  von  Born,  wobei  man  jedoch  stets  mit  Freiwilligen  auskam.  Tac. 
aniL  4,  6:  quamquam  insideret  urbetn  proprius  miUs,  tres  urhanae,  navetn 
praetoriae  cohortes  Eirwria  fertne  ümbriaque  dekctae  atU  vetere  Lotio  et 
toUmiis  antiquiiua  Bomania,  Über  die  Geschichte  der  Oardetruppe  des 
Feldherm  in  der  Republik  (Fest.-Paul.  p.  223),  die  neue  Ansbildung  unter 
dem  TriumTirat,  unter  welchem  bereits  eine  Mehrheit  yon  cohortes  pra/t" 
toriae  bezeugt  ist  (Oros.  6,  19,  8:  octo  legiones  classi  [des  Octayian  bei 
Aetinm]  auperpotüae  absque  cohortibiM  quinque  praetoriis),  und  über  die 
Formation  in  der  Eaiserzeit  Tgl.  Mommsen  im  Hermes  14,  25 — 85.  Die 
von  Tacitus  a.  a.  0.  erwähnten  tres  urhanae  cohortes  j  die  bist.  1,  5  als 
9tiU8  urbofnts  mit  den  Prätorianern  zusammengenommen  werden  und  eben- 
&ll8  jede  1000  Mann  zählten,  treten  unter  Augustus,  unter  dem  es  noch 
keinen  stehenden  praefeclus  tirbi  giebt,  nur  wenig  heryor.  Vgl.  folg. 
Anm.  Eine  vierte  lag  in  Lugudunum.  —  Über  die  cohortes  vigüum,  die 
neben  ihrer  speziellen  Bedeutung  natürlich  auch  fflr  den  Schutz  des  Kaisers 
ond  der  Stadt  in  Betracht  kamen,  s.  ob. 

2)  Sueton  Aug.  49  wo  überhaupt  die  Grundzüge  der  augusteischen 
Heeresordnung  gegeben  werden:  ceterum  numerum  partim  in  urbis  partim 
in  sui  custodiam  adkffit,  dimissa  CcUagurritanorum  manu  quam  usque  ad 
denctum  Antonium,  item  Oermanorum  quam  usque  ad  cladem  Varianam 
inter  armigeros  circa  se  habuerat, 

3)  Dio  53,  17  (ygl.  ob.  S.  199  A.  1):  tov  te  ievmov  %al  tov  noXitixov 
ffcl  xocl  navtaxov  ofAO^ms  aq%Biv  äctB  %ccl  ivxog  rov  nmftriQ^ov  %al  tovg 
txMittg  %ai  tovg  ßovXsvväg  ^avatoihf  Svvaa&ai  Xafißdvovciv»  Die  letztere 
Konsequenz  gehört  nicht  hieher.    Sueton  Aug.  49:  neque  tarnen  umcpiam       . 

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-     204     — 

dem  Kaiser  den  Eid  zu  leisten.^)  Das  Dienstreglement,  die 
disciplina,  wird  durch  constiMiones  Augusti  festgestellt^  Es  ist 
möglich,  daTs  im  Zusammenhang  mit  jener  Regelung  der  Dienst- 
zeit auch  diese  Konstitutionen  zusammengestellt  wurden.  —  Die 
Wichtigkeit  einer  Flotte  hatte  August  im  Kriege  gegen  An- 
tonius zu  sehr  kennen  gelernt,  um  nicht  auch  sie  in  sein  Wehr- 
sjstem  aufzunehmen.  Seine  Organisation  derselben  bestand  darin, 
dafs  er  feste  Flottenstationen  anlegte,  zwei  an  der  italischen 
Küste,  Misenum  und  Ravenna,  und  eine  an  der  gallischen,  Forum 
JuliL  Aber  insofern  blieb  er  in  der  Tradition  der  Republik,  als 
auch  er  diesen  Dienst  durch  die  Aushebung  aus  Freigelassenen 
und  Peregrinen  und  durch  die  Bestellung  des  Kommandos  aus 
Rittern  oder  Freigelassenen  als  einen  untergeordneten  hinstellte.') 
Aus  den  Befugnissen  der  prokonsularischen  Gewalt,  sowie  aus 
den  Rechten,  welche  dem  Princeps  hinsichtlich  des  Abschlusses 
von  Bündnissen  zustehen,  ergiebt  sich,  dafs  die  Verwendung  aller 
Truppengattungen,  welche,  sei  es  aus  den  unterworfenen  Be- 
völkerungen der  Provinzen  oder  aus  verbündeten  Gebieten  bei- 
gezogen werden,  dem  Ermessen  des  Imperators  zusteht. 

Die  Art  nun,  wie  Augustus  die  wichtigste  Seite  der  neuen 
Ordnung,  die  Gesamtstarke  des  Landheers,  festsetzte,  zeigt  die- 
selbe vorsichtige  Mäfsigung,  die  sein  sonstiges  Vorgehen  be- 
zeichnet. Am  Schlufs  der  Bürgerkriege  hatte  er  vor  allem  die 
Reduktion  oder  Auflösung  der  zu  dem  Entscheidungskampf  auf- 
gebotenen Legionenmassen  vorzunehmen.  Wie  viele  Legionen 
er  auflöste,  läfst  sich  nicht  sagen,  da  weder  dieser  negative  Teil 
seines  Vorgehens  noch  die  darauf  folgende  Reorganisation  be- 
richtet,  sondern  nur  das  Resultat  der  letzteren  angegeben  wird. 


plwes  quam  trea  cohortea  in  wrhe  esse  passtts  est  easque  sine  castris;  reUguas 
in  hiberna  et  aestiva  circa  finitima  oppida  dimittere  asstterat. 

1)  Dio  57,  S :  {TtßiffMg)  tovg  iv  x^  'itaXi^  ovtag  totg  OQHOig  zoig  v»6 
tov  Avyovazov  ^ata^ctx^siai  nQonccziXccßsv ,  übrigens  wird  noch  in  der 
Formelf  welche  Vegetius  (2,  5)  kennt,  auch  die  respublica  Eamana  genannt. 

2)  AIb  seine  Quellen  citiert  Vegetius  1,  8.  27  Augusti  et  Traiani 
Hadrianique  constitutiones.  Aus  der  disciplina  Augusti  ist  eine  Stelle  citiert 
Digest.  49,  16,  12. 

3)  Tac.  ann.  4,  6:  Itdliam  utroque  mari  duae  classes,  Misenum  ap%U 
et  Bavennam,  proximumque  Gcdliae  litus  constratae  naves  praesidehant,  quas 
Äctiaca  victoria  captas  Augustus  in  oppidum  Foroitdiense  miserai  valido 
cum  remige.  Snet.  Aug.  49.  —  Hinsichtlich  der  Bestellung  des  Kommandos 
vgl.  die  Liste  bei  Hirschfeld,  Verwaltungsgesch.  1,  123  f. 

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—    205     - 

wie  es  am  Schlufc  seiner  Regierung  vorlag.^)  Die  Zahl  der 
Legionen,  welche  in  diesem  Resultat  erscheint,  ist  25,  nicht  die 
Hälfte  der  Legionen,  die  in  der  Schlacht  bei  Aktium  einander 
gegenübergestanden.^  Dals  das  Heer  des  Antonius  zum  weitaus 
grdfsten  Teil  aufgelost  wurde,  versteht  sich  von  selbst;  aber  von 
einer  Legion  desselben  wissen  wir  sicher'),  dafs  sie  mit  der 
Nammer,  die  sie  unter  Antonius  gehabt,  in  das  neue  Heer 
herfibergenommen  wurde,  und  so  ist  es  wahrscheinlich,  dafs  auch 
unter  den  andern,  welche  Parallelnummern  haben,  solche  zu 
Sachen  sind,  die  frOher  unter  Antonius  gedient  oder  schon  unter 
Lepidus,  dessen  Legionen  ja  August  schon  früher  übernommen 
hatte/)  Zugleich  ist  daraus  zu  ersehen,  dals  letzterer  die  schon 
bestehenden  Legionen  nicht  durcheinander  warf,  sondern,  soweit 
er  sie  nicht  ganz  auflöste,  in  ihrer  überkommenen  Formation 
lie(s,  und  nur  durch  Rekrutierung  ergänzte.  Dafs  nun  vor  der 
Zahl  25  infolge  xler  ersten  Reduktion  eine  wesentlich  geringere 
gelegen  sei  und  jene  erst  infolge  der  Erfahrungen  im  illyrischen 
Krieg  erreicht  worden  wäre,  ist  kaum  anzunehmen,   da  weder 


1)  Dio  55,  28  eom  J.  5  n.  Chr.  (vgl.  ob.  S.  201  A  2)  und  Tac.  ann. 
4,  6  lam  J.  28  n.  Chr. 

2)  ZasammenBtellimg  der  Legionen  Cäsars  und  des  Triumvirats  bei 
Marquardt  röm.  Staatsverw.  2',  444  f.  Die  Zahl  25  für  den  Anfang  der 
Begiemng  Tibers,  was  anch  für  das  Ende  der  Zeit  Augusts  gilt,  giebt 
sicher  Tacitos  a.  a.  0.,  indem  er  zugleich  die  damalige  Verteilung  beschreibt, 
w&hrend  Dio,  der  in  seiner  Aufsfthlung  eben  die  19  noch  zu  seiner  Zeit 
Torhaodenen  Legionen  Augusts  nennt,  yon  einem  Schwanken  der  Angaben 
zwischen  23  und  25  spricht  Tacitns  ist  mafsgebend,  und  das  Schwanken 
anderer  erklärt  sich  aus  der  Berücksichtigung  vorhergehender  geschicht- 
licher umstände.  Die  Geschichte  der  römischen  Legionen  überhaupt  s.  bei 
Grotefend  in  Paulys  Realencyklop.  4,  868  ff.  Borgheai,  oenvr.  IV  p.  182  ff. 
Beide  geben  die  Anfänge  unter  Augast  nicht  in  besonderer  Untersuchung, 
Bondem  berücksichtigen  sie  bei  den  einzelnen  Legionen;  dagegen  behandeln 
speiiell  die  Bildung  der  Legionen  Augusts  Mommsen,  res.  g.  1.  Aufl.  p.  48  f., 
Qod  ihn  bekämpfend  Ch.  Robert  in  comptes  rendos  de  TAcad.  des  inscr.  n. 
8.  1868  p.  94—107,  wogegen  wieder  Mommsen  r.  g.  2.  Aufl.  p.  68 — 76. 

3)  Die  legio  HL  Gdllica  Tgl.  Tac.  bist.  3,  24:  terüanoa  veterum  re- 
centmngue  admonens,  ut  sub  M.  Antonio  Parthos  pepuliasent, 

4)  Die  Vermutung,  daüs  die  Doppelnununem  so  zu  erklären  seien,  bei 
Grotefend  p.  875  (leg-  HI  Cyrenaica),  p.  878.  881  (IV.  und  V.  Macedonica) 
und  Mommsen  r.  g.'  p.  74.  Das  sichere  Zeugnis  bei  der  ^inen  läfst  diese 
Vermutung  nicht  durch  allgemeine  Erwägungen  beseitigen.  Parallelnummem 
giebt  es  in  dem  Heer  Augusts  drei  für  die  Nummer  III,  je  zwei  für  die 
Nummern  IV.  V.  VL  n  \ 

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V 


-     206     — 

die  indirekte  Überlieferung^  auf  die  wir  angewiesen  sind,  daAr 
spricht;  noch  die  innere  Wahrscheinlichkeii^)  Ja  wenn  man 
bedenkt;  dafs  ein  wesentlich  neues  Moment  in  der  Heeresrefonn 
des  Augustus  die  Aufgebote  der  Provinzialen  als  Ergänzung  der 
Legionen  bildete  und  dafs  einige  Zeit  yerflofs,  bis  diese  organi- 
siert wareU;  so  wird  man  eher  vermuten,  dafs  die  Reduktion  des 
Heers  Schritt  hielt  mit  dem  Zuwachs,  den  die  Aushebungen  unter 
den  peregrinen  Bestandteilen  des  Reichs  lieferten.  So  sehr  auch 
die  Finanzlage  eine  Verminderung  des  Heers  empfahl,  so  war^i 
die  Zustände  des  Reichs  doch  nicht  so  gefestigt,  daCs  der  Kern 
auch  der  neuen  Formation,  an  den  sich  jene  (mocüia  anlehnen 
mufsten,  bis  100000  Mann  hätte  vermindert  werden  können. 
Wie  aber  auch  diese  geschichtliche  Frage  gelost  werden  mag, 
charakteristisch  und  fQr  die  Folgezeit  mafsgebend  ist  das  Er- 
gebnis der  Zahl  von  25  Legionen,  die  Augustus  hinterlieJGs.  Hit 
jenen  peregrinen  Truppenkörpern  aber,  den  auxäiay  wurde  eben- 
falls in  den  Typus  eines  stehenden  Heers  und  damit  zu  neoer 
viel  gröf serer  Bedeutung  gebracht,  was  die  spätere  Republik  in 
Truppen  von  Verbündeten  gehabt  Es  wurden  cohortes  und  ciat 
von  1000  und  500  Mann  als  leichtes  Fufsvolk  und  Reiterei  mit 
Berücksichtigung  der  speziellen  Beföhigung  gebildet  und  den 
einzelnen  Legionen  je  in  einer  Stärke  beigefügt^  welche  der  der 

•1)  Mommsen  hat  a.  a.  0.  die  Verrnntong  aufgestellt,  Angust  habe  bei 
der  Gründung  des  Principats,  um  den  gewonnenen  Frieden  möglichst  demoo- 
strativ  hervorzuheben,  die  von  seinem  und  des  Antonius  Heer  vorhandenen 
mehr  als  50  Legionen  auf  18  reduziert,  und  erst  für  die  Erfordemisse  des 
Kriegs  in  Germanien  und  Pannonien  im  J.  6  n.  Chr.  8  weitere  errichtet; 
von  diesen  seien  dann  in  der  Varusschlacht  8  vernichtet  worden,  an  deren 
Stelle  2  neue  kamen,  so  dais  man  auf  diese  Weise  zu  den  25  des  Taeitoa 
gelange.  Ich  glaube,  dafs  Ch.  Robert  mit  Recht  hiegegen  einwendet,  dsli 
die  Zeugnisse  über  Mafsregeln  für  den  pannonischen  Krieg  (Vell.  2,  110—113, 
Dio  55,  31)  nicht  auf  die  Bildung  Ton  neuen  Legionen  gehen,  sondern  nur 
auf  Ergänzungsmafsregeln  für  die  bestehenden  Truppenkörper;  die  Bildung 
von  acht  neuen  Legionen  wäre  in  andern  Ausdrücken  gegeben.  Aulserdeoi 
aber  scheint  mir  übersehen,  dafs  die  geringe  Zahl  der  angusteischen  Legionen 
überhaupt  nur  erklärlich  ist  von  der  Organisation  der  Hilfstruppen  ans,  die 
längere  Zeit  brauchte  und  also  gerade  am  Anfang  eine  so  bedentende 
Herabsetzung  der  Legionenzahl  nicht  erlaubte.  Daher  die  obige  QirsteUiing. 
Das  Schweigen  der  Quellen,  sowohl  des  Augustus  selbst,  als  der  Historiker 
erklärt  sich  am  besten  bei  Annahme  eines  successiven  Ghmgs  der  neuen 
Heeresorganisation,  Auflösung  von  Legionen  nach  Maliagstbe  der  Formation 
der  auxilxa, 

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-     207     — 

Legion  nahe  kam;  aulBerdenl  wurden  solche  Abteilungen  auch 
besonders  verwendet  und  die  prokuratorischen  Provinzen  über- 
haupt nur  mit  solchen  belegt.  Das  Kommando  dieser  Abteilungen 
hatten  romische  Bürger  von  Ritterstellung,  wobei  natürlich  Pro- 
Tiüzialen,  welche  das  Bürgerrecht  gewonnen,  verwendbar  waren. 
Die  Bestimmungen  über  die  Dienstzeit  dieser  Art  von  Truppen, 
—  sie  wurden  auf  25  Jahre  in  Anspruch  genommen^)  —  konnten 
kraft  der  prokonsularischen  Oewalt  erlassen  werden;  auch  hin- 
sichtlich der  Unterhaltung,  welche  aus  den  Provinzialeinkünften 
bestritten  wurde,  war  der  Senat  nicht  zu  befragen. 

Wie  schon  die  Legionen  der  republikanischen  Heere  nach 
der  Reihenfolge  ihrer  Formation  Nummern  gehabt  hatten,  so 
erhielten  solche  auch  die  augusteischen;  allein  dieselben  bekamen 
jetzt  eine  andere  Bedeutung.  Früher  galt  die  Nummer  nur  dem 
jeweiligen  Aufgebot  und  ging  mit  dessen  Entlassung  wieder 
imter,  nur  in  den  Bürgerkriegen  und  unter  dem  Triumvirat  hatte 
die  Zahlung  schon  einen  besonderen  Charakter  angenommen,  als 
jeder  der  Prätendenten  seine  eigenen  Nummern  hatte.  Jetzt 
wurde  die  Nummer  ein  wesentliches  Moment  in  dem  Charakter 
des  stehenden  Heers,  die  Doppelnummern  veranlafsten,  wozu 
auch  schon  von  früher  her  Vorgänge  da  waren ,  Beinamen,  und 
jtie  Legion  war  bestrebt,  sich  solche  in  auszeichnendem  Sinn 
zu  gewinnen.  Auch  die  Kohorten  und  Alen  der  Hilfstruppen 
worden  nummeriert  und  nach  den  Stämmen,  aus  denen  sie  ge- 
Dommmen  waren,  benannt;  doch  waren  die  Nummern  nicht 
durchgehend,  sondern  hielten  sich  innerhalb  des  Stammes  und 
der  Waffengattung.*)  Endlich  war  ein  sehr  wesentliches  Moment 
der  feste  Standort.  Die  einzelnen  Provinzen  erhielten  ihre 
Kontingente,  je  nach  der  Wichtigkeit  von  einer  bis  zu  vier 
l^gionen,  und  diese  wurden  mit  den  dazu  gehörigen  Hilfstruppen 
IQ  stehenden  Lagern  untergebracht,  in  welche  sie  ge wohnlich 
wirückkehrten,  selbst  wenn  sie  unter  besonderen  Verhältnissen 
zeitweilig  in  weit  entlegenen  Gegenden  verwendet  worden  waren. 
Nummer,  Name,  Standort  in  Verbindung  mit  der  langen  Dienst- 


1)  25  Jahre  sind,  wie  die  sog.  Militärdiplome  zeigen  (Corp.  inacr.  lat. 
ni.  p.  S48  fP.)  die  Voranasetzang  ffir  das  den  Yerabaohiedeten  zu  gebende 
Börgerrecht.  Näherea  über  die  Formation  und  den  Dienst  der  auxilia  bei 
IJarqnardt,  Staatsverw.  2,  448  ff. 

2}  YgL  die  Yerzeichniase  bei  Orelli-Henzen,  ind.  p.  123  ff.  Wilmanna 
tt.  inacr.  11  f.  676—696. 

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-     208     - 

zeit  geben  jedem  dieser  Truppenkörper  seine  besondere  geschicht- 
liche Bedeutung;  und  die  Geschichte  der  einzelnen  Legionen, 
welche  für'  die  Kriegs-  und  Proyinzialgeschichte  so  wichtig  ist, 
beginnt  mit  wenigen  Ausnahmen ,  die  weiter  zurückgehen ^  eben 
mit  Augustus.  Alle  diese  geschichtlichen  Momente  liefsen  sidi 
zu  Gunsten  der  einzelnen  Kaiser  wie  der  Kaiserdynastieen  yer- 
werten,  und  eine  Reihe  von  Beinamen  legt  von  dieser  Verwertung 
Zeugnis  ab.  -—  Neben  den  angeführten  Truppen  standen  dann 
noch  die  Kontingente  der  verbündeten  Dynasten,  die,  wie  oben 
bemerkt,  im  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserherrschaft  namentlich 
für  Asien  von  einiger  Bedeutung  waren. 

Gewifs  ist  zuzugeben,  dals  die  so  gebildete  stehende  Kriegs- 
macht für  die  Bedürfnisse  des  romischen  Reichs  in  seinem  nun- 
mehrigen Bestand  und  für  die  Hilfsmittel,  welche  die  in  demselben 
vereinigten  Gebiete  mit  der  Starke  ihrer  Bevölkerungen  boten, 
auffallend  klein  war.  Um  von  den  Zahlen  der  modernen  Staaten 
nicht  zu  reden,  so  hatte  ja  im  J.  225  v.  Chr.  allein  Italien  in 
seinem  damaligen  Umfang  eine  Zahl  von  800  000  Waffenfähigen, 
also  mehr  als  dreimal  so  viel  geboten  (1,  347).  Diese  Be- 
schrankung der  Militärmacht  ist  zunächst  allerdings  eine  Idee 
Augusts  gewesen^),  allein  sie  ist  auch  weiterhin  für  das  Prindpat 
charakteristisch  geblieben,  sie  ist  aber  für  die  spätere  Zeit  noch 
auffallender;  denn  die  späteren  Kaiser  sind  nicht  blofs  mit  der 
Vermehrung  der  Legionen  der  Mehrung  des  Reichs  nur  not- 
dürftig oder  geradezu  ungenügend  nachgefolgt,  sondern  es  fielen 
für  sie  auch  manche  Stützen  weg,  auf  welche  Augustus  noch 
zählen  konnte.  Denn  für  diesen  kamen  folgende  Umstände  in 
Betracht: 

Die  Entblöfsung  Italiens  von  stehenden  Garnisonen  mit 
Ausnahme  der  Garde  und  die  Verlegung  der  Legionen  in  die 
Grenzprovinzen  war  zunächst  ein  politischer  Gedanke,  aber  dieser 
konnte  doch  nur  angenommen  werden,  wenn  er  sich  mit  der 
Sicherheit  des  Reichs  vertrug,  und  dafs  es  Augustus  mit  dieser 


\ 


1)  Mommeen  führt  in  Sybels  bist.  Zeitschr.  88  (1877),  1—16  GiDm 
Militärsyatem  Cäsarg")  aaf  Grund  der  Verteilung  der  Legionen  in  den  Pro- 
vinzen auB,  dals  Augnst  in  diesen  Einrichtungen  nur  das  von  Cäsar  Vor- 
gezeichnete ausgeführt  habe.  Allein  die  Verschiedenheit  der  politischen 
Grundlage  wirkt  auch  hier  nach  und  die  Einrichtung  des  Auziliarheen 
durch  Augustus  l&fot  auch  die  Legionenverteilung  in  einem  anderen  Liebt 
erscheinen. 

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—     209     - 

ernst  nahm^  hatte  er  schoD  als  Triumyirjgezeigi  In  dieser  Beziehung 
nun  konnte  er  sich  immerhin  noch  auf  die  28  von  ihm  besetzten 
Eolonieen  verlassen^  die   als   ebensoviele    dem  Kaiser    ergebene 
Garnisonen  betrachtet  werden  durften,  und  so  war  hiedurch,  sowie 
durch  die  drei  Flottenabteilungen  in  den  umgebenden  Meeren  doch 
auf  eine  bereitstehende  Hilfe  zu  rechnen.     Den  Schutz  der  Nord- 
grenze, der  Yon  Osten  her  gegebenen  Landzugange  und  der  Ost- 
kflste  herzustellen  war  Aufgabe  der  Kämpfe  in  den  Alpen  und 
in  Illyrien.     In    den   Senatsprovinzen   waren    ebenfalls    Bürger- 
kolonieen  als  Posten  aufgestellt,  in  deren  Grundgesetzen  ausdrücklich 
vorgesehen  war,  dafs  die  Bürger  im  Fall  der  Not  sich  in  Truppen- 
korper  unter  der  Führung  ihrer  Gemeindebeamten  zu  verwandeln 
hätten*),    wie   sie  ja   auch  zum   Teil   als   Truppenkörper   unter 
Führung  ihrer  GfGziere  bei  Gründung  der- Kolonie  in  diese  ein- 
gerückt   waren.      Einen   Rückhalt    boten   die   benachbarten   be- 
waffneten Provinzen.     Diese   selbst  können  nun  freilich  dürftig 
besetzt   erscheinen   gegenüber  der  mehrfachen  Aufgabe,  die   sie 
hatten:   sie  sollten  in  erster  Linie  den  Grenzschutz  nach  aufsen 
im  Osten  gegenüber  dem  parthischen  Reich,  im  Westen  gegen- 
über dem  in  seiner  Bedeutung  schwer  zu  übersehenden  grofsen 
Germanien   leisten  und  zwar  von   einem  Boden  aus,   der  selbst 
kaum  erst  erobert  worden  war,  und  wenigstens  am  Rhein  und 
an  der  Donau  in  einer  Weise,  bei  welcher  die  Defensive  zunächst 
noch  in  der  Gewinnung  einer  weiter  vorwärts  liegenden  Grenze  lag; 
sodann  sollten  sie,  wie  gesagt,  den  Rückhalt  für  das  Hinterland 
bilden,  und  schliefslich  die  stärkste  Garantie  für  die  Person  des 
Imperators  und  die  Verfassung,  die  derselbe  vertrat,  bieten.     Es 
scheint  unbegreiflich,  dafs  Augustus  unter  diesen  Verhältnissen 
den  an  der  Grenze  stehenden  Heeren  nicht  starke  Reserven  gab. 
Indessen,   wenn   er   anders   dachte,   so  kam   für  ihn  persönlich 
aufser  der  Überlegenheit  der  römischen  Kriegskunst  in  Betracht, 

1}  YgL  das  Gesetz  der  von  Jnlins  Cäsar  gegründeten  Kolonie  Urso  in 
Spanien  (ob.  S.  16  A  1)  eph.  epigr.  2  p.  112.  CHI:  QiUcunque  in  colania 
Gmdwa  Ilvir  praefeehMve  iu/re  dicwndo  praerit,  [eum]  colonos  incolasgue 
contribtUoa  quocunque  tempore  coloniae  finium  ttiendarum  causa  armatos 
educere  decurianes  censuerinty  quot  maior  pars  gut  tum  aderunt  decreverint, 
id  ei  sine  fraude  sua  facere  liceto,  Eique  Ilviro  aut  quem  Ilvir  armatis  prae- 
fecerit  idem  ius  eademque  animadversio  esto,  uti  tribuno  militum  populi 
Bomani  in  exercitu  populi  B,  est,  itque  ei  sine  fraude  sua  facere  licetOy  ius 
poUaasque  esto^  dum  it^  quot  maior  pars  decurionum  decreoerit  qui  tum 
aderant,  fiat, 

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—     210     - 

dafs  er^  zumal  im  Osten,  durch  Klugheit  der  Politik  zu  ergänzen 
hoflPte,  was  der  aufgestellten  Truppenmacht  an  Starke  abging. 
Sodann  aber  wirkte  gewifs  noch  die  Tradition  der  Republik  nach, 
die  auch  die  grölsten  Kämpfe  in  den  Grenzprovinzen  bestanden 
hatte  ohne  bereitgestellte  Reserveheere,  nur  angewiesen  auf 
eventuell  erst  vorzunehmende  Aushebungen  weiterer  Legionen. 
Auch  jetzt  noch  war  die  Möglichkeit  solcher  Aushebungen  nicht 
blofs  im  Princip  unangetastet,  sofern  rechtlich  jeder  Bürger  im 
Bediirfnisfall  aufgeboten  werden  konnte  und  Büi^errecht  und 
Dienstpflicht  sich  deckten,  sondern  f&r  Augustus  lag  auch  ihre 
Ausführung  gewifs  noch  näher  als  für  seine  Nachfolger.  Den 
Ausschlag  aber  in  den  Erwägungen  des  vorsichtigen  Politikers 
gab  die  finanzielle  Seite,  indem  der  Unterhalt  eines  stärkeren 
Heers  unüberwindliche  Schwierigkeiten  zu  machen  schien.  Auch 
in  dieser  Beziehung  konnte  er  seinen  Nachfolgern  überlassen,  in 
Ausnützung  der  von  ihm  geschaffenen  Verhältnisse  mehr  Mittel 
flüssig  zu  machen.  Indessen  erhielt  schon  seine  Regierung 
wenigstens  eine  ernste  Mahnung,  dafs  diese  Berechnung,  wenn  ein 
Punkt  durchbrochen  war,  leicht  zusammenstürzen  konnte.  Sie 
dauerte  gerade  lange  genug,  um  die  Erfahrung  zu  machen,  dals 
eine  Bevölkerung,  die  auch  nur  in  die  zweite  Greneration  hinein 
des  Kriegsdienstes  entwöhnt  ist,  ebenso  kriegsunlustig  als  un- 
tüchtig wird,  und  der  Schrecken  nach  der  Varusschlacht 
zeigte,  dafs  die  von  ihm  aufgerichteten  Bollwerke  Italien  nicht 
ersetzten,  was  die  frühere  Kraft  der  eigenen  Bevölkerung  an 
Schutz  gewährt  hatte.  Es  kam  hinzu,  dafs  das  Verfahren  bei 
der  Aushebung  der  Abneigung  der  Bürgerbevölkerung  gegen  den 
Waffendienst  in  hohem  Grade  entgegenkam.  Stellte  die  regel- 
mäfsige  Ergänzung  der  Legionen  und  der  wenigen  Kohortöi  der 
hauptstädtischen  Truppen  an  eine  Bürgerbevölkerung,  die  ganz 
Italien  und  bedeutende  Städte  in  den  Provinzen  umfafste,  bei 
zuerst  sechzehn-,  später  zwanzigjähriger  Dienstzeit  die  denkbar 
mäfsigsten  Anforderungen,  so  wurde  noch  dazu  die  Rekrutierung 
in  einer  Weise  vollzogen,  die  das  Bewufstsein  der  Dienstpflicht 
völlig  abhanden  kommen  liefs.  Die  geringe  Zahl  der  jeweilig 
nötigen  Ergänzungen  liefs  es  möglich  erscheinen,  an  die  Stelle 
geordneter  Aushebung  freiwilliges  Anerbieten  treten  zu  lassen, 
und  während  die  an  das  Bürgerrecht  gebundene  Dienstpflicht 
ein  ererbtes  oder  jedenfalls  schon  vor  der  Aushebung  erworbenes 
Bürgerrecht  im  Auge  hatte,  zu  diesem  Zweck  splches  Recht  erst 

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-     211     — 

zn  verleihen.^)  Wenn  man  sich  ferner  dabei  auf  die  Provinzial- 
bevölkerang  mit  latinischem  Recht  beschränkt  hätte*),  so  wäre 
eine  Analogie  dazu  erwachsen,  dafs  unter  der  Republik  den  Bürger- 
legionen die  der  Latiner  zur  Seite  standen;  allein  man  zog  in 
den  Notzeiten  der  Jahre  6  und  9  n.  Chr.  selbst  die  nichtbürger- 
liche hauptstädtische  Menge  heran.  Unternehmenden  Nachfolgern 
war  in  all  dem  ein  Anlafs  zu  durchgreifenden  Änderungen  ge- 
geben; aber  er  wurde  nicht  ergrififen.  Nicht  blofs  wurde  die 
augusteische  Truppenverteilung  und  das  numerisch  schwache 
Heer  beibehalten,  sondern  auch  Italien  von  Rekrutierungen  mit 
Aosnahme  derer  für  die  Garde  ganz  befreit,  trotzdem  dafs  der 
Rückhalt,  den  Augustus  in  seinen  Kolonieen  hatte,  in  den 
folgenden  Generationen  bedeutungslos  wurde.  Die  Geschichte 
des  Reichs  in  den  ersten  zwei  Jahrhunderten  hat  die  Be- 
rechnung des  Gründers  dieses  Systems  richtiger  erscheinen  lassen 
als  zu  vermuten  war,  selbst  den  Provinzen  eine  strengere  Mili- 
tarherrschaft  erspart  ohne  wesentliche  Beeinträchtigung  der  all- 
gemeinen Sicherheit,  und  sogar  weitere  Eroberungen  ermöglicht. 
Daneben  hat  die  Verteilung  und  Verwendung  der  Legionen,  die 
Art  ihrer  Rekrutierung  und  die  Heranziehung  der  Provinzialen 
znm  Ej-iegsdienst  einen  gewaltigen  Hebel  für  die  Romanisierung 
gebildet,  wobei  zugleich  auch*  das  ganz  neue  Moment  eines  sol- 
datischen Berufsstandes  dem  bürgerlichen  Leben  wieder  näher 
gebracht  wurde.  Aber  das  dritte  Jahrhundert  hat  die  Kehrseite 
gezeigt  äufseren  und  inneren  Feinden  gegenüber  und  damit  die 
geschichtliche  Kritik  vollzogen. 

Die   angegebenen  Einrichtungen  geben  das  Urteil  darüber,  war,  was  au- 
ob  die  augusteische  Ordnung  der  Gewalten  eine  Militärmonarchie  «ine  Miutftr.' 

,  1.       -r-r        1         TN.       "»-••11  1         •*«•      ,         monarchie? 

darstellte,  von  selbst  an  die  Hand.  Die  Erhaltung  der  Macht 
und  Stellung  des  einen  Mannes, ^der  unter  mannichfaltigen  ver- 
fitösungsmäfsig  zugerichteten  Formen  die  Regierung  des  Reichs 
Iran  führte,  war  durchaus  auf  die  Ausschliefslichkeit  und  Kraft 
seiner  militärischen  Stellung  gegründet,  aber  das  Prinzip,  den 
Schein  einer  bürgerlichen  Verfassung  so  weit  als  möglich  zu 
wahren,  kluge  Mäfsigung  der  mafsgebenden  Inhaber  dieser  Gewalt, 

1)  Vgl.  Mommsen,  die  EoDskriptionsordnang  der  röm.  KaiserEeit  in 
Hermes  19,  1  ff.,  Auaffihrangen,  welche  sich  stützen  auf  die  epigraphischen 
üntersachmigen  von  Mommsen  und  Bohn  in  ephem.  epigr.  V.  p.  159—268. 
Näheres  im  Syst  beim  Bürgerrecht. 

2)  Vgl  meme  Gallia  Narb.  p.  161. 

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wegen. 


-     212    — 

das  Überwiegen  der  finanziellen  Gesichtspunkte  über  das  Macht- 
geföhl,  der  Geist  der  zum  Reich  gehörigen  Bevölkerungen,  derer, 
welche  selbst  noch  den  Gegensatz  zwischen  ununterbrochenen 
Fehden  und  gesichertem  Frieden  erlebt  und  derer,  welche  in  den 
letzteren  hinein  erwachsen  waren,  endlich  die  vorsichtig  benützte 
Gunst  der  aufseren  Verhältnisse  —  all  das  machte  es  möglich, 
den  Charakter  einer  militärischen  Gewalt  so  verdeckt  zu  halten 
und  dem  Beschauer  im  Mittelpunkt  der  gebildeten  Welt  durch 
weite  und  immer  mehr  sich  erweiternde  Gebiete  hindurch  den 
Anblick  einer  durchaus  friedlichen  und  geordneten  bürgerlichen 
Gesellschaft  zu  bieten,  wie  es  in  der  That  geschehen  ist. 
Das  Finan*.  11.  Wie   die  Proviuzial Verwaltung   und  das  Heerwesen,  so 

hing  auch  die  Ordnung  der  Finanzverwaltung  an  dem  Akt  des 
J.  27;  nur  war  hier  die  Auseinandersetzung  zwischen  dem,  was 
dem  Senat  verblieb  und  dem,  was  dem  Princeps  zukommen  sollte, 
viel  weniger  klar.  Mit  der  Verwaltung  der  ihm  verbleibenden 
Provinzen  übernahm  Augustus  auch  ihre  Einnahmen  und  die 
Bestreitung  ihrer  Bedürfnisse  für  die  Administration  und  für  die 
in  ihr  stehenden  Truppen  in  Frieden  und  Krieg  zunächst  in  jeder 
Provinz  für  sich,  doch  mit  dem  Recht,  Überschufs  in  der  einen 
zur  Deckung  für  Abmangel  in  der  andern  zu  verwenden.  Die 
Quellen  der  Einnahmen  zu  bestimnen  war  seine  Sache,  wie  er 
denn  den  Census  von  Gallien  für  sich  ordnete  und  auch  in  den 
Senatsprovinzen,  sei  es  von  Rom  aus  sei  es  bei  seinem  Auf- 
enthalt in  denselben,  die  Steuerverhältnisse  festgestellt  hatte, 
soweit  eine  Änderung  der  früheren  Ordnung  für  zweckmäfsig 
erachtet  worden  war.  Die  rechtliche  Eonsequenz  davon  war  die, 
dafs  die  Reichsstaatskasse,  das  a>erarium  publicum  populi  Romain^ 
nach  wie  vor  das  Zentralinstitut  war  unter  der  verfassungs- 
mäfsigen  Verwaltung  des  Senats  und  der  Magistratur,  und  dafs 
in  sie  auch  zu  fliefsen  hatte,  was  in  den  dem  Imperator  unter- 
stehenden Gebieten  an  allgemeinem  Überschufs  sich  ergab,  denn 
letzterer  nahm  ja  doch  nur  einen  Teil  der  republikanischen  Ver- 
waltung zur  Förderung  der  Gesamtinteressen  des  Gemeinwesens 
auf  sich.  Umgekehrt  konnte  er,  wenn  er  die  ihm  obliegenden 
Ausgaben  von  der  Einnahme  seines  Gebiets  nicht  zu  bestreiten 
vermochte,  sich  an  das  Ararium  wenden.  Allein  so  einfach  ge- 
staltete sich  in  der  Praxis  die  Sache  nicht;  teils  waren  es  that- 
sächliche,  also  zufällige  Umstände  in  dem  Verhältnis  der  Ein- 
nahmen und  Ausgaben,  welche  die  natürliche  Eonsequenz  ver- 

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-     213     - 

schoben,  teils  das  Eingreifen  der  persönlichen  Stellung  des  Princeps, 
das  auch  ohne  besondere  ihm  gemachte  Einräumungen  die  sachlich 
gegebene  Einrichtung  bestimmte,  teils  endlich  Voraussetzungen 
der  republikanischen  Praxis,  an  welche  das  Übergehen  in  ein 
neues  Verfahren  anknüpfen  konnte.  Das  Ärarium  hatte  als  Ein- 
nahmequelle wohlhabende  Provinzen,  ferner  eine  von  Augustus 
nach  den  Bürgerkriegen  eingeführte  indirekte  Steuer^)  und  Straf- 
gelder*) und  dabei  keinen  Aufwand  für  Heeresmacht;  wenn  aber 
die  ganze  Last  der  hauptstädtischen  Verwaltung  und  dessen,  was 
von  Reichs  wegen  für  Italien  zu  thun  war,  von  ihm  getragen 
werden  sollte,  so  waren  diese  Quellen  ungenügend,  zumal  da  die 
Statthalter  in  den  Provinzen  dieser  Seite  trotz  der  neuen  Ordnung 
der  Bezüge  hier  wie  unter  der  Republik  immer  noch  reichlich  Ge- 
legenheit zur  Mehrung  ihres  Privatvermögens  nahmen.  Die  Steuer- 
freiheit Italiens  fand  also  ein  entsprechendes  Gegengewicht  in  den 
Einnahmen  aus  den  Senatsprovinzen  nicht  Von  den  Provinzen  des 
cäsarischen  Imperiums  war  Ägypten  imstande ,  Überschüsse  zu 
gewähren,  die  übrigen  kaum  oder  nicht,  da  z.  B.  die  HiKsmittel 
Gralliens  erst  noch  ihrer  Entwicklung  bedurften  und  die  Kriege 
an  der  germanischen  Grenze  viele  Kosten  verursachten.  Ein 
klares  Verhältnis  beider  Seiten  hätte  sich  ergeben,  wenn  der 
Imperator  regehnäfsig  Rechnung  geleistet  hätte;  allein  dies  that 
er  nicht.  Für  Ägypten  nahm  er  von  vornherein  völlig  freie 
Verfügung  in  Anspruch,  er  leistete  wohl  von  den  Naturalein- 
künften  dieses  Landes  seinen  Beitrag  zu  der  Getreideversorgung 
der  Hauptstadt,  aber  mehr  unter  dem  Gesichtspunkt  eines  Ge- 
schenks, als  einer  festen  und  rechnungsmäfsigen  Auflage.  Über 
den  Stand  der  übrigen  Provinzen  gab  er  von  Zeit  zu  Zeit  öffent- 
lich Mitteilung*),   aber   nicht  in  der  Form  oder  in  dem  Sinne 


1)  Tac.  ann.  1,  78:  cenksimam  rerum  venalium,  post  beUa  civüia  in- 
sUtutam, 

2)  Die  StaatsdomäDen  ia  Italien  waren  für  die  Veteranenversorgung 
vom  Princeps  vorbehalten.  Vgl.  Frontin  de  contr.  agr.  p.  54,  8  Lachm.: 
pecttmam  quarundam  coloniarum  Vespasicmus  exegit,  quae  non  haherent  sub- 
cisiva  (d.  h.  Teile  der  Staatsdomänen)  amcessa:  non  enim  fieri  potuit,  ut 
ßolum  iüud,  quod  ercU  nemini  culsigncUum,  dlUrius  esse  passet  quam  qui 
potertU  adsignare,  Non  enim  exiguum  pecuniae  fisco  conttUit  venditis  suh- 
sicivis. 

3)  Saeton  Calig.  16:  rationes  itnperii  ab  Augusto  proponi  solitas  sed  a 
Tiberio  inUrmissas  pt^licavit  Dio  59,  9.  Denselben  Charakter  hat  auch 
das  von  Aagnstos  hinterlassene  breviarium  totius  impcrii,  quantum  militum 

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-     214    — 

einer  vorschriftsmäfsigen  kontrollierbaren  Bechnungslegong,  son- 
dern als  freiwillig  gegebenen  Nachweis ,  in  welchem  gleichsam 
in  für  das  Principat  apologetischer  Weise  Auskunft  erteilt  werden 
sollte  über  das,  was  der  Princeps  für  den  Staat  erzielt  habe.  Da 
dieser  zugleich  vermöge  seiner  Stellung  zum  Senat  sein  Augen- 
merk stets  auf  die  hauptstädtische  Verwaltung  und  deren  Bedürf- 
nisse hatte,  so  war  er  immer  in  Kenntnis  darüber,  wie  weit  das 
Ärar  seiner  Hilfe  bedürfe,  und  konnte  diese  eintreten  lassen. 
Allein  auch  diese  Ausgleichung  von  der  einen  Seite  zur  andern 
hatte  nicht  den  Charakter  eines  staatlichen  Geschäfts,  sondern 
wiederum  den  einer  persönlichen  Schenkung.  Dafs  dem  so  war, 
beruht  in  erster  Linie  auf  der  Art,  wie  Augustus  persönlich  dem 
Gemeinwesen  gegenüberstehen  wollte,  als  grofsmütiger  Helfer, 
der  demnach  auch  das  Mafs  seiner  Hilfe  selbst  bemessen  dürfe, 
und  die  Machtyerteilung  zwischen  ihm  und  dem  Senat  war  nicht 
der  Art,  dafs  vom  Senat  aus  auf  ein  richtiges  Rechuungsver- 
fahren  gedrungen  werden  konnte,  wie  es  von  den  Statthaltern 
der  Bepublik  wenigstens  verlangt  worden  war.  Daneben  kam 
aber  noch  in  Betracht,  dafs  alles,  was  dem  Princeps  an  Ein- 
künften öffentlicher  Natur  zur  Verfügung  stand,  für  die  allge- 
meinen Ausgaben  nicht  ausreichte,  und  er  nun  mit  seinem  Privat- 
vermögen in  die  Lücke  trat.  Endlich  aber  gab  es  Leistungen 
von  der  Art,  wie  sie  die  römische  Magistratur  als  Eni^elt  für 
die  Wahl  zum  Amt  von  jeher  dem  Volke  gegenüber  auf  sich 
genommen  hatte,  Spiele,  Bauten,  Ausschmückung  der  Stadt  und 
der  Tempel,  Speisungen  u.  dgl.,  teils  in  Übernahme  öffentlicher 
Pflicht  mit  Deckung  unzureichender  Leistung  des  Staats  aus  eigenem 
Vermögen,  teils  mit  Übernahme  des  ganzen  Aufwands  auf  eigene 
Kosten.  Dafs  ein  Magistrat  von  der  Stellung  des  Augustus 
diesen  Leistungen  in  ganz  besonderem  Mafse  sich  unterziehen 
mufste,  stand  aufser  Frage. 

Nach  der  hier  gezeichneten  Grundlage  gab  es  also  zwei 
öffentliche  Verwaltungen,  das  aerarium  publicum  und  den  Finanz- 
dienst der  kaiserlichen  Provinzialverwaltung,  jenes  besorgt  von 
Magistraten,  dieses  vom  Princeps  selbst  mittelst  seiner  Prokura- 
toren.    Einen  gemeinsamen  Namen  für  die   letztere  Verwaltung 

sttb  signis  ubique  essety  quantum  pecimiae  in  aerario  et  fiscis  et  vectigdliorum 
residtna,  Adiedt  et  libertorum  servorwnque  noinina,  a  quibus  ratio  exigi 
passet.  Saeton  Aug.  101.  Dafs  letzteres  kein  Ersatz  für  die  Verantwort- 
lichkeit des  Princeps  selbst  war,  bedarf  keiner  Aosführung. 

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-     215    — 

gab  es  noch  nicht;  wenigstens  gebraucht  Augustus  in  dem  von 
ihm  hinterlassenen  Aktenstück  einen  solchen  nicht  ^)  Beiden 
Verwaltungen  gegenüber  stand  das  Privatvermogen  des  Princeps, 
sein  Patrimonium]  dem  letzteren  lag  nach  dem  Herkommen  alles 
das  ob,  was  der  Princeps  als  Largition^  als  freiwillige  Schenkung 
betrachtet  wissen  wollte,  soweit  er  dies  nicht  etwa  unter  dem  her- 
kömmlichen Rechte  des  dem  Feldherrn  zustehenden  und  der  Ver- 
rechnung nicht  unterliegenden  Beutegelds  (manübide)  unterbringen 
wollte  (1,  819  A.  3).  Was  nun  die  Behandlung  dieser  Ver- 
mogensgebiete  betrifft,  so  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dafs  in  der 
Verwaltung  selbst  das  Patrimonium  und  der  Provinzialdienst  ge- 
sondert gehalten  waren  und  dafs  auch  der  Dienst  des  ägyptischen 
Einkommens  nicht  mit  dem  Patrimonium  zusammengeworfen 
wurde.  Allein  gegenüber  dem  Gemeinwesen  verfuhr  Augustus 
anders:  ihm  ist^  was  er  diesem  auch  aus  Einkünften  öffentlicher 
Natur  leistet,  pecunia  sua,  und  wenn  er  auch  daneben  Largitionen 
ausdrücklich  als  vom  Patrimonium  aus  geleistet  bezeichnet,  so  ist 
doch  durch  jenen  Ausdruck  der  wahre  Sachverhalt  verdeckt; 
denn  mochte  auch  in  dem,  was  er  pecunia  sua  that,  sein  Privat- 
vermögen mitbeteiligt  sein,  so  war  es  doch  nur  der  kleinere  Teil 
und  deshalb  jener  Ausdruck  ungerechtfertigt.*)     In  diesem  Ver- 


1)  Säet.  Aog.  101  (s.  vor.  A.)  gebraucht  dafilr  fisci;  über  diese  Stelle 
vgl.  Mommsen,  Str.  2,  958  A.  1,  der  sie  als  aus  Augusts  Schriften  eot- 
Dommen  vermutet.  Bei  Sneton  c.  40  ist  der  Ausdruck  fisco  detrahere 
(ob.  S.  198  A  2)  gebraucht  Vgl.  auch  Hirschfeld,  Verwaltungsgesch.  1, 
2  A.  3  und  unten  im  Syst 

2)  In  dem  allein  für  das  Verfahren  Augusts  mafsgebenden  Aktenstück, 
dem  index  rerum  gestarum^  sind  angegeben  als  Leistungen,  die  nach  dem 
J.  27  fallen:  im  J.  23  lat  3,  11  duodecim  frumentationes  fnimenU)  privatim 
comto;  im  J.  22  1.  1,  34  —  gr.  3,  8  die  ct^atio  annonae,  Beseitigung  der 
BongersBOt  tai:g  ifuxtg  dandvai^;  im  J.  14,  wie  schon  im  J.  30,  l.  3,  22: 
peeuniam  pro  agris,  quos  adsignavi  mtlittbus,  solvi  municipiis  und  zwar  für 
die  italischen  agri  im  J.  30  600  Mill.  Sest,  für  die  provinzialen  im  J.  14 
260  Mill.,  in  den  Jahren  7,  6,  4,  3^  2  v.  Ch.  an  praemia  müitiae  für  die 
Veteranen  in  Geld  lat.  3,  28—33  400  Mill.  libenter  impendi;  ferner  in  ver- 
schiedenen Jahren,  wobei  das  erste  Mal  im  J.  28,  quater  pecunia  tnea  iuvi 
aerariumy  ita  vt  sesterHum  milliena  et  quingentiena  (160  Mill.)  ad  eos  gm 
praerant  aerario  detuUrim  (vgl.  Mommsen  r.  g.  p.  66);  femer  an  Bauten 
4,  20  ff.  Capüolium  et  Pompeium  tJieatrum  impensa  grandi  feci  sine  uUa  m- 
aeripUone  nominis  tnei,  andere  Bauten  ohne  Andeutung  über  die  Kosten, 
28  Tempel  im  J.  28  eo;  decreU)  senattis,  Anderes  von  Cäsar  angefangene 
vollendet,  wieder  Anderes  sub  titulo  nominis  fUiorum  meorum  incohavi  ei, 
A  fntms  non  perfeeissem,  perfid  ab  heredibus  iussi,  endlich  4,  21  f.  Bauten 

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—     216    — 

fahren  lag  die  willkürliche  Seite  im  Charakter  des  Principats 
offen  zu  Tage  und  konnte  keinen  politisch  Denkenden  tauschen. 
Allein  teils  weil  das  thatsächliche  Verhältnis  zum  Teil  wirklich, 


ex  manuhüs,  ebenso  dona  für  Tempel.  Femer  1.  8,  40  ff.  »  gr.  9,  21  ff.  im 
J.  86  und  weiterhin  wiederholt  cum  deficerent  vecHgäHa,  tum  centum  miüibm 
hominum  tum  pluribus  inlato  frumetUo  vel  ad  nummarios  ({ributus  ex  agro] 
et  pat[rim<mio]  m[e]o  [opem  tult]  «  asizixag  xal  aQyvQmag  awra^sig  h  t^ 
iftrig  vnäQiBmg  idmna.  Sodann  cangiaria  an  die  plebs  Bamana  in  dem 
Jahre  24  ex  patrimonio,  in  den  Jahren  19  und  5  y.  Ch.  ohne  Angabe  der 
Quelle,  aas  der  es  gegeben  wurde;  ferner  1.  4,  81  ff.  Spiele  aller  Art  kr 
meo  nomine  et  quinquiens  ßiorum  mearum;  bis  meo  nomine  et  tertium  nepcüs 
mei;  meo  nomine  quater,  aiiorum  atUem  magistratuum  vicem  ter  et  videns;  pro 
conlegio  XV  virorum  magister  conlegi,  consul;  meo  nomine  out  fUiorum  meo- 
rum  et  nepotum  sexsiens  et  meiern.  Endlich  zu  dem  aerarium  müUare  im 
J.  6  n.  Ch.  170  Mill.  Sest.  ex  patrimonio  meo  detüli.  —  Dats  hier  bei  den  Fra- 
mentationen  verschiedener  Art,  den  Entschädigungen  fflr  Veteranengfiter,  den 
in  Geld  gezahlten  praemia  müitiae,  bei  dem  iuvare  aerarium  und  zum  Teil 
jedenfalls  bei  den  Congiarien  der  ^eigene  Aufwand'  nicht  die  Inanspruch- 
nahme des  Frivatvermögens  bedeutet,  wird  aufser  Zweifel  sein.  Bei  den 
Bauten  ist  was  ex  decreio  senatus  wiederhergestellt  wurde,  auch  aus  dem 
Arar  geleistet  worden;  andere  Bauten  werden  in  ähnlicher  Weise  behandelt 
worden  sein  wie  unter  der  Republik,  unter  Zufügung  eigener  Ifittel  zu 
denen  des  Arars.  Die  Inanspruchnahme  des  reinen  Frivatvermögens  f3r  die 
Spiele  ist  noch  weniger  kontrollierbar,  wie  ähnlicher  Aufwand  bei  den 
Magistraten;  wenn  Augustus  im  Namen  anderer  Magistrate,  wie  Sneton 
Aug.  43  es  deutet,  pro  äliia  magistrcUibus,  qui  aut  ahessent  awt  non  suffioe- 
rent^  Spiele  gab,  so  gehört  dies  unter  die  Kategorie  der  Unterstützongen, 
die  er  der  senatorischen  Aristokratie,  deren  Mittel  jetzt  nicht  mehr  so  leicht 
wiederherzustellen  waren  wie  unter  der  Republik,  gewährte  und  billiger 
Weise  gewähren  mufste,  nachdem  er  die  höchsten  Ehren  und  Vorteile  dar 
Magistratur  in  sich  konzentriert  hatte.  Zu  voller  Beurteilung  dessen  aber, 
was  er  auf  sein  Patrimonium  nahm,  würde  eine  genauere  Kenntnis  der 
Quellen  gehören,  aus  denen  sich  das  Patrimonium  zusammensetzte  osd 
mehrte,  ob  das  eigentliche  Erbgut  und  die  hinzugekommenen  Erbschaftei^ 
in  deren  Annahme  Augustus  übrigens  diskreter  verfuhr  als  seine  Nachfolger, 
genügte,  um  es  auf  einer  der  Stellung  entsprechenden  Höhe  zu  erhalten. 
Wir  müssen  uns  in  dieser  Beziehung  an  die  allgemeine  Erklärung  im 
Testament  des  Augustus  halten,  wo  er  (Sueton  Aug.  101)  erklärte:  excusaia 
(betr.  seiner  Legate)  rei  famüiaris  mediocritate^  nee  plus  perventurum  ad 
heredes  suos  quam  müies  et  quingenties  (160  Mill,  Sest.)  professuSj  quamm 
viginti  proximis  annis  quaterdecies  milies  (4000  Mill.  Sest)  ex  testameiUis 
amicorum  percepisset^  quod  paene  omne  cum  duobus  patemis  patrimmii 
ceterisque  Jiereditatibus  in  remp.  absumsisset.  Der  Begriff  des  patrimomvm, 
der  mit  der  Fortsetzung  des  Frincipats  eine  eigene  Geschichte  hat,  lA 
beim  ersten  Frinceps  noch  identisch  mit  dem  ererbten  Privatvermögen  und 
dessen  sämtlichem  Zuwachs  während  der  Reg^erungszeit.  —   Nach  dieser 


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zum  Teil  wenigstens  scheinbar  zum  Vorteil  des  Ganzen  ausschlugt 
Tor  Allem  aber,  weil  Widerspruch  nichts  half,  liefs  man  es  sich 
gefallen. 

Indessen  schliefslich  erwiesen  sich  die  Hilfsmittel  des  Ärars 
und  des  kaiserlichen  Provinzialfonds  auf  die  Dauer  unzureichend, 
and  man  mufste  sich  nach  neuen  Hilfsmitteln  umsehen.  Als  das 
dringendste  Bedürfnis  erwies  sich  die  Fürsorge  für  die  Veteranen- 
Tersorguug,  die  grofse  Summen  in  Anspruch  nahm,  trotzdem  dals 
die  Dienstzeit  verlängert  und  dadurch  eine  Verminderung  der 
Ausgaben  erzielt  war.  Augustus  sonderte  nun  diesen  Ausgabe- 
posten der  praemia  milüiae  aus,  fixierte  dieselben  in  Geld  statt 
in  Land  und  gründete  hiefür  einen  besonderen  Fonds.  Für  diesen 
stellte  er,  nachdem  er  aus  eigenen  Mitteln  ihn  mit  170  MilL  Sest 
fundiert  hatte,  an  den  Senat  jenes  Verlangen  einer  neuen  Steuer 
und  setzte,  da  niemand  andere  Auskunft  wufste,  trotz  dem  allge- 
meinen Widerwillen  die  von  Cäsar  schon  ins  Auge  gefafste  und 
jetzt  von  ihm  wieder  aufgenommene  Erbschaftssteuer  von  5  Proe» 
durch  ^)  und  aufserdem  wies  er  dieser  Kasse  jene  Iprocentige  Ver- 
kaufssteuer (ob.  S.  213  A.  1)  zu.*)  Hiedurch  entstand  ein  neuer 
öffentlicher  Eassendienst,  der  des  aerarium  müitare,  den  er  ge- 
mischter Natur  machte,  indem  er  ihn  zwar  unter  seine  Leitung 


Darlegung  kann  es  sicli  für  die  augusteische  Zeit  nur  darum  bandeln,  an 
der  Hand  des  thatsftchlichen  Materials  die  geschichtliche  Grundlage  für  die 
Begriffe  Ärar,  Fiskus,  Privatvermügen  zu  gewinnen;  die  weitere  Ausbildung 
and  die  DanstelluDg  des  völlig  ausgebildeten  Rechts  gehört  teils  der  Folge- 
zeit teils  dem  System  an. 

1)  Dio  55,  25  (ausführlichere  Darstellung).  Mon.  Ancjr.  1.  3,  35:  in 
(urarium  militare^  quod  ex  consilio  meo  canstihUum  est^  ex  quo  praemia 
dwrefdwr  militilms,  qui  vicena  ac  plura  stipendia  emeruissent,  sest.  miliens  et 
^«ptingepUiens  ex  patrimomo  meo  detuli.  Sueton  Aug.  49.  Vgl.  Hirschfeld, 
das  aerarium  militare  in  Fleckeis.  Jahrbb.  97  (1S68)  S.  683  ff.,  wo  nach- 
gewiesen ist,  dafs  das  aer.  mil  weder  die  Funktionen  des  Fiskus  überhaupt 
^atte,  noch  die  Kosten  des  Heeres  bestritt,  sondern  nur  die  Veteranen- 
versorgung.  Aus  der  Darstellung  Dios  ist  zu  entnehmen,  dafs  die  Ein- 
nchtoDg  dnrch  einen  förmlichen  Senatsbeschlufs  erfolgte.  Wenn  es  bei  Dio 
heilst:  zffv  iUoütriv  tÄv  xs  %XriQmv  %a\  zmv  datQsmv  —  natsatrlaaTO  atg  xal 
i9  Toig  tov  Kctiaa^og  vnoiivi^fiaci  ro  riXog  tovto  ysyQaftftivov  svQciv  ig^Kto 
P-y  ya^  %al  nqoxBQOv  not 8  xataXv^hp  dh  fierä  tavta  avd^ig  Toxf  inavi^x9^y 
m  wird  damit  nicht  eine  Berufung  auf  das  Zurechtbestehen  der  acta  Caesaris 
gemeint  sein,  sondern  nur  auf  den  Vorgang  Cäsars  hinsichtlich  der  Idee. 

2)  Vgl.  Tac.  ann.  1,  78:  centesimam  rerum  vcnalium  —  deprecante 
populo  edixit  Tiberius  müitare  aerarium  eo  subsidio  niti. 

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nahm,  aber  die  Verwaltung  durch  magistratische  Stellungen  be- 
sorgen liefs.  Endlich  bei  der  Einführung  der  neuen  Feuerwade 
im  J.  7  n.  Ch.^  zu  einer  Zeit,  in  welcher  die  Heeresbedürfiiisse 
sich  sehr  dringend  geltend  machten,  f&hrte  er  eine  Steuer  auf 
den  Sklavenkauf  ein.^) 

Dies  war  das  System,  welches  Augustus  bei  seinem  Tode 
hinterliefs.  Es  ist  klar,  dafs  das  unbestimmte  Verhältnis  zwischen 
dem  aerarium  und  dem  kaiserlichen  Provinzialfonds,  ferner  die 
unzureichende  Ausstattung  des  aerarium  puiblicum  der  ganzen 
Finanzverwaltung  den  Stempel  des  unfertigen  aufdrückte.  Hier 
war  für  die  rechtliche  und  technische  Ausbildung,  insbesondere 
für  die  erstere,  ein  Feld  eröffnet.  Die  Richtung,  in  welcher  diese 
Ausbildung  sich  vollzog,  war  die,  dafs  man  die  Freiheit,  welclie 
Augustus  in  der  Verwaltung  des  ihm  unterstellten  Gebiets  sieh 
mehr  nur  thatsächlich  genommen,  zu  rechtlicher  Feststellung 
brachte,  das  aerarium  nicht  durch  Zuweisung  neuer  Quellen  sdb- 
ständiger  stellte,  sondern  vielmehr  schwächte  und  die  kaiserliche 
Verwaltung  immer  mehr  übergreifen  liefs.  Die  Arbeit  an  dieser 
Ausbildung  aber  war  eine  unausgesetzte;  sparsame  wie  ver- 
schwenderische Nachfolger  des  ersten  Augustus  suchten  sich 
durch  Beformen  zu  helfen  und  die  rechtlichen  Befugnisse  des 
Fiskus,  wie  weiterhin  die  kaiserliche  Seite  der  öffentlichen  Finani- 
Verwaltung  hiefs,  zu  sichern. 
Das  Muusrecht.  Mit  dem  Fiuauzwescn  hängt  zusammen,  ist  aber  in  htrvor- 
ragender  Weise  ein  Ausdruck  des  Systems  der  politischen  Gewalt  die 
Ordnung  des  Münzrechts.  Nach  rechtlicher  Konsequenz  und  dem 
überlieferten  Recht  sollte  in  dem  System  des  Augustus  dem  Senat 
die  Münzprägung  im  allgemeinen  zustehen,  dem  Generalstatthalter 
nur  das  Recht^  Münzen  in  seinem  Provinzialgebiet  prägen  zu  lassen. 
August  zog  jedoch  im  Verlauf  seiner  Regierung  das  Recht,  Gold- 
unJ  Silbermünzen  prägen  zu  lassen,  an  sich  und  überliefs  dem 
Senat  nur  die  Prägung  der  kupfernen  Scheidemünze.*)     Im  An- 


1)  Dio  55,  81:  9(Qogds6fievog  XQrnidtatv  ngog  xb  tovs  noXißovg  nd  ig 
Tf/V  rmv  wxtotpvXamov  tQoq>riv  to  tiXog  rrjg  n£vtri%o<rnig  inl  rf  tmv  «fdf«t- 
nodiDv  KQaoH  igriyceyBw.  Tac.  ann.  18,  81:  (im  J.  57)  vecUgal  quimtae  et 
vicesimae  vendliufn  mancipiorum  remissum,  Ea  fragt  rieh,  ob  hier  eine 
Steigerung  von  2  Proc.  su  4  Proc.  anzunehmen  oder  mit  Lipsins  und  Momm- 
8cn  Str.  2,  974  A.  2  nsvrtinoütiig  zu  lesen  ist. 

2)  Vgl.  Mommsen,  röm.  Mönzwesen  S.  739  ff.  Als  Resultat  der  Unter- 
suchung über  die  Pr&gnngen  der  vom  Senat  bestellten  Mflnzmeister  spnebt 

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-^     219     - 

schlols  an  den  Vorgang  Cäsars  und  der  auf  diesen  folgenden 
Machthaber  genolB  auch  der  Princeps  die  £hre,  dals  sein  Bild 
aaf  die  Münzen  gesetzt  wurde,  nicht  blofs  auf  die  von  ihm  ge- 
prägten, sondern  auch  auf  die  des  Senats.  —  Die  Zulassung  der 
Prägung  von  Scheidemünzen  provinzialen  und  munizipalen  Cha- 
rakters fand  aus  Zweckmälsigkeitsgründen  statt,  und  Augustus 
bewilligte  sie  in  noch  ziemlich  reichlichem  Mafse.  —  Die  neue 
Ordnung  des  Münzrechts  zog  natürlich  auch  eine  Organisation 
des  betr.  Dienstzweigs  nach  sich,  von  der  wir  übrigens  aus  der 
Zeit  Augusts  wenig  wissen. 

12.  Das  Reich,  dessen  Regierung  mit  der  Übernahme  des  Der  ftocsere 
Principats  dem  Augustus  zufiel,  hatte  seinem  äufseren  Bestand  Beichs. 
nach  weder  überall  sichere  Grenzen,  noch  bot  es  innerhalb  der 
geographisch  angenommenen  Begrenzung  einen  ununterbrochenen 
Zusammenhang  durchaus  romischen  oder  den  Römern  wenigstens 
botmafsigen  Gebiets,  noch  war  es  in  allen  Teilen,  die  ihm  unter- 
worfen waren,  befriedet.  Es  ist  nun  auch  in  dieser  Beziehung 
noch  darzulegen,  welche  Aufgaben  Augustus  hier  traf,  wie  er 
sie  in  Anwendung  der  ihm  verliehenen  Gewalt  löste  und  welche 
Erfolge  er  hinterliefs.^) 

Die  Provinzen  des  Reichs  waren  während  der  Bürgerkriege 
im  Ganzen  auffallend  ruhig  gewesen;  insbesondere  war  das 
mittlere  und  nördliche  Gallien,  für  das  die  Römer  in  jenen  Zeiten 
wenig  Truppen  und  wenig  Fürsorge  übrig  hatten,  ruhig  geblieben, 
obgleich  oder  weil  es  von  Cäsar  sehr  unvollkommen  unterworfen 
war;  in  dem  neuhinzugekommenen  Teil  des  Südens,  in  Aquitanien, 
wurde  zuletzt  noch  im  J.  27  gekämpft.^)  In  Spanien  dagegen, 
in  dem  die  Kämpfe  mit  den  Pompejanern  noch  lange  nachwirken 


Mommsen  S.  743  aus:  „Im  J.  788  (16  v.  Gh.)  oder  kurz  nachher  müSBen 
die  Mdnzmeiater,  d.  h.  der  Senat»  das  Recht  verloren  haben,  in  Qold  und 
Silber  zu  prägen." 

1)  Die  äolBere  Politik  des  Augustus  und  die  Kriegsgeschichte  seiner 
Kegierang  ist  in  den  neueren  Darstellungen  der  Kaisergeschichte  ausführlich 
^handelt,  zuletzt  von  MommseD,  röm.  Gesch.  Bd.  V,  sowohl  in  dem  Ab- 
x^mtt  fiber  die  Nordgrenze  Italiens  (S.  1—66)  als  bei  den  einzelnen  Fro- 
zen. Hier  handelt  es  sich  nur  um  die  Grundzüge.  Augustus  selbst 
spricht  sich  über  seine  auswärtige  Politik  aus  mon.  Anc.  lat.  5,  9—6,  12, 
wozu  der  Kommentar  von  Mommsen.  Eine  summarische  Zusammenstellung 
giebt  auch  Sueton  20—28. 

2)  Hierauf  bezieht  sich  fast  triumph.  zum  J.  727  varr.:  M,  Vaieriua 
^maüa  Carvinus  pro  cos.  ex  GäUia. 

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mufsten,   verharrte   der  auch  früher  nie  genügend  onterworf^uie 
Nordwesten  in  fortwährendem  Widerstand;  in  den  Jahren  27— 24, 
in  denen  August  selbst  in  Spanien  thätig  ist^  wird  ununterbroehefl 
gegen   die   Eantabrer   und  Asturer   gekämpft,   nach   der  Unter- 
werfung Yom  J.  24  bricht  der  Aufstand  im  J.  22  aufis  neue  ans, 
und  erst  in  den  Jahren  20/19   gelingt  es  dem  Agrippa,  duieb 
Verpflanzung  der  noch  von  den  Kämpfen  übrigen  Bergbewohner 
in  die  Ebene  Buhe  zu  schaffen.    Die  Dauer  derselben  sollten  die 
in  jene  Gegenden  gelegten  Legionen  verbürgen,  deren  es  nicht 
weniger  als  drei  waren.  ^)    Bei  der  darauf  folgenden  neuen  Organi- 
sation der  Halbinsel  wurden  drei  Provinzen  gebildet,  indem  die 
jenseitige  Provinz  in  zwei,  Bätica  und  Lusitanien,  geteilt  wurd^ 
von  denen  die  erstere  dem  Senat  verblieb.*)    Um  dieselbe  Zeit, 
da  in  Spanien  zu  kämpfen  war,  brachen  auch  in  demjenigen  Tdl 
der  Westalpen,  der  als  unterworfen  galt  und  dessen  Haltung  fSr 
die  Verbindung  mit  Gallien  sehr  wesentlich  war,  abermals  (oben 
S.  121  A.  1)  die  Salasser  los;  ihre  Besiegung  nahm  die  Jahre  26^5  in 
Anspruch,  an  die  Stelle  des  so  gut  wie  ausgerotteten  Stammes 
trat  die  Kolonie  Augusta  Praetoria  (Aosta).^)    Damit  waren  aber 
die  aufständischen  Bewegungen   in  früher   schon   unterworfenen 
Gebieten  zu  Ende,  alle  übrigen  Kämpfe  standen  mit  dem  Grenz- 
schutz und  der  Unterwerfung  der  bisher  noch  freien  Alpenvolker 
in  Zusammenhang. 

Die  Grenzen  des  Reichs  waren  nach  dem  Tode  des  Diktator» 
Cäsar  infolge  von  dessen  gallischen  Kriegen,  seinen  Plänen  hin- 
sichtlich Britanniens  und  des  gegen  Parthien  beabsichtigten  Feld- 
zugs an  den  wichtigsten  Punkten  nicht  fest  bestimmt,  und  die 
darauf  folgenden  anderthalb  Jahrzehnte  waren  nicht  geeignet 
gewesen,  die  hier  offenen  Fragen  zu  losen,  hatten  vielmehr  dordi 
die  Kriegführung  Octavians  in  Illyrien,  des  Antonius  in  Asien, 
die  Annexion  Ägyptens,  die  Absetzung  des  Herrschers  von 
Mauretanien  neue  Probleme  gebracht  Die  Losung  derselben  war 
die  Aufgabe,  welche  die  auswärtige  Politik  Augusts  während  seines 

1)  Tac.  ann.  4,  6:  Hispaniae  recens  perdomüae  tribus  (tegionibus)  habe- 
ha/ntwr;  über  die  Nummern  und  die  Verteilaog  denelben  vgL  Mommseo 
a.  a.  0.  S.  69  f. 

2)  Strabo  8  p.  166.  App.  Hi8p.  102.  Marquardt,  Staatsverw.  1',  253 
A.  4.  MomniB^n,  res  gestae  d.  Aug.  *  p.  222  (ad  p.  119),  derselbe,  röm. 
Gesch.  5,  58  A.  1. 

3)  Dio  58,  26. 

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—    221    — 

ganzen  Principats  beschäftigte.  Die  Frage,  ob  nach  Britannien 
eine  neue  Expedition  gemacht  werden  sollte,  hatte  schon  den 
TriumTir  im  J.  34  beschäftigt  und  kam,  damals  aufgegeben,  not- 
wendig wieder,  als  Augustus  sich  im  J.  27  nach  Gallien  begab, 
aber  nur^  um  jetzt  wieder  aufgegeben  zu  werden  und  dann  auf- 
gegeben zu  bleiben.^)  In  Afrika  handelte  es  sich  zunächst  um 
die  Verfügung  über  Numidien  und  Mauretanien.  Jenes,  das  der 
Diktator  Cäsar  eingezogen  hatte,  blieb  annektiert  und  mit  der 
alten  Provinz  Afrika  vereinigt;  Mauretanien,  das  im  J.  33  durch 
den  Tod  des  Königs  Bocchus  herrenlos  geworden  war,  wurde  im 
J.  25  an  Juba,  den  in  Rom  erzogenen  Sohn  des  letzten  Königs 
von  Numidien  gegeben,  also  in  der  Form  eines  Vasallenreichs 
gelassen.^  Die  Grenze  beider  Gebiete  gegen  Süden  blieb  damit 
80  bestimmt  oder  unbestimmt,  wie  sie  es  unter  den  froheren 
Herrschern  gewesen  war.  Aus  der  Provinz  Afrika  werden  unter 
den  Jahren  21  und  19  Kämpfe  gemeldet:  sie  hatten  aber  nur 
ein  lokales  Interesse,  indem  es  sich  blofs  um  Sicherung  der 
Grenze  gegen  einige  Nachbarstämme,  insbesondere  die  Gara- 
manten,  handelte.')  Das  Königreich  Ägypten  übernahm  Augustus 
in  der  Ausdehnung,  die  es  unter  den  Ptolemäem  gehabt^  d.  h.  südlich 
bis  Syene,  wo  die  Grenze  gegen  Äthiopien  war;  allein  er  wurde 
durch  die  von  diesem  Nachbarland  aus  um  24  gemachten  Ein- 
falle genötigt,  die  Grenze  zu  überschreiten.  Indessen  wurde  trotz 
des  Erfolgs,  den  der  die  Expedition  leitende  Statthalter  von 
Ägypten,  Petronius,  hatte,  die  Grenze  in  dieser  Richtung  nicht 
Terschoben.  Diese  Mäfsigung  stand  in  Kontrast  mit  dem  offen- 
siven Vorgehen,  das  unter  dem  Vorgänger  des  Petronius,  Älius 


1)  Dio  49,  38.  58,  22.  25.  Angastos  selbst  spricht  von  diesen  Plänen 
nichts,  sondern  erwähnt  (mon.  Ano.  6,  2)  nnr,  was  einige  Genngthuung  ge- 
währte nnd  auch  von  Strabo  (p.  200)  als  Nachwirkung  der  cäsarisohen  Expedi- 
tionen erwähnt  wird,  die  Botschaften  nnd  Geschenke  britannischer  Fürsten. 

2)  Ob.  S.  196  A.  2.  Über  die  mit  andern  Thatsachen  nicht  vereinbaren 
Angaben  Dios  (49, 48.  51, 15),  wonach  Numidien  im  J.  38  Provinz  geworden, 
im  J.  29  aber  dem  König  Juba  übergeben  worden  wäre,  um  25  diesem, 
der  dann  Mauretanien  erhielt,  wieder  genommen  zu  werden,  vgl.  Mommsen, 
r.  G.  5,  628  A. 

3)  Vgl.  die  Trinmphalüisten  zu  den  genannten  Jahren  und  Mommsen, 
r.  g.  d.  A.  p.  170  f.  Die  Kämpfe,  welche  in  den  Jahren  4  und  1  v.  Ch.  in 
Afrika  geführt  wurden  (Vell.  2,  116:  quem  honorem  [sc  ornctmentorum 
^nwii]^udium]  ernte  paucos  annos  Fässienus  et  CJossus  ex  Afirica  meruerunt; 
vgl.  Mommsen,  r.  g.  p.  18.  103),  waren  wohl  derselben  Art. 

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Gallus,  gegen  die  Sabäer  in  Arabien  anbefohlen  worden  war. 
Dieses  bei  Augnstus  höchst  merkwürdige  Vorgehen  —  nra  so 
merkwürdiger,  weil  er  auch  später  wieder  darauf  zurückkam  - 
scheiterte  gänzlich,  und  der  Mifserfolg  mochte  zu  dem  Festhalten 
an  der  überkommenen  Grenze  in  Ägypten  beitragen.^) 

Von  gröfster  Tragweite  war  die  Stellung,  die  man  von 
Augustus  den  Parthem  gegenüber  zu  erwarten  hatte.*)  CSsar 
hatte  beabsichtigt  und  Antonius  versucht,  den  Krieg  über  den 
Euphrat  hinüberzutragen  mit  der  Intention,  bei  günstigem  Erfolg 
es  nicht  bei  der  Euphratgrenze  zu  belassen.  Jener  war  durch 
den  Tod,  Antonius  durch  das  yöllige  Mifsglücken  des  Einfalls  in 
Medien  im  J.  36  von  der  Verfolgung  solcher  Eroberungsplwie 
zurückgehalten  worden.  Augustus  entsagte  denselben  von  vorn- 
herein: die  Euphratgrenze  sollte  festgehalten  bleiben,  Grofsarmenien 
nicht  Provinz  werden^),  und  die  Auseinandersetzung  mit  den  Par- 
thern  reduzierte   sich  auf  Ziele,    die   man  hoffen  konnte,   ohne 


1)  Mon.  Anc.  lat.  6,  18—23:  meo  itMSU  et  ausptcio  ducti  sunt  [duo] 
exercittis  eodem  fere  tempore  in  Aethiopiam  et  in  Arld]biam,  quae  appeX^aiw] 
eudaenum  etc.,  wozu  Mommsen,  r.  g.  p.  106  sqq.,  wogegen  ErQger,  der 
Feldzng  des  Älius  Gallns.  Wismar  1862  xmd  Schiller,  r.  K.  1  p.  198  nach- 
gewiesen wird,  dafs  Petronios  dem  Älius  Gallus  in  der  Präfektor  Ägyptem 
nachgefolgt  ist  und  Alias  im  J.  25/24  den  arabischen  Feldzag  als  Präfekt 
gemacht  hat  (Dio  53,  29:  6  trig  Alyvnxov  agionv).  Die  Zeitbeetimmnng 
untersacht  geaaner  Joh.  Schmidt  im  Philologus  44  (1885)  S.  463  f.  and 
sacht  das  eodem  tempore  des  Aagastas  noch  genauer  durch  die  Darlegung 
zu  rechtfertigen,  dafs  der  in  Ägypten  zurückgebliebene  Petronios  ab  Stell- 
vertreter des  im  J.  26  nach  Arabien  abgegangenen  Alias  einen  EinfEÜl  der 
Athioper  ausgehaltcn  und  die  weiteren  Feldzflge  gegen  diese  als  Nachfolge 
des  Alias  in  der  ägyptischen  Präfektar  gemacht  habe.  Als  Grund  der 
arabischen  Expedition  führt  Mommsen,  r.  G.  5,  607  f.  die  römischen  Handeb- 
interessen  gegenüber  den  konkurrierenden  Sabflem  aus.  —  Auf  AralMo 
wollte  Aagust  zurückkommen  im  J.  1  y.  Gh.  gelegentlich  der  Sendung  des 
C.  Gäsar  in  den  Orient  (Plin.  n.  h.  6,  141)';  aber  der  Tod  des  Prinzen  scbutt 
auch  dies  ab. 

2)  Über  die  partbischen,  armenischen,  modischen  Verwicklungen  dieser 
Zeit  Tgl.  mon.  Anc.  1.  5,  24—81.  40—48.  54—6,  1.  9—12.  Die  kritische 
Behandlung  mit  Zuziehung  der  litterarisohen  und  monmnent^en  Zeugnisse 
bei  Mommsen,  r.  g.  d.  A.  p.  109  ff.,  erzählende  Darstellung  bei  Schiller, 
Gesch.  der  r.  E.  1,  190  ff.    Mommsen,  r.  G.  5,  389  ff. 

3)  Mon.  Anc.  5,  24:  Armeniam  maiorem  interfecto  rege  eius  Artas», 
cum  possem  facere  provinciam,  mcdui  mcUorum  nostrorum  exemph  regnum  id 
Tigrani  regis  Artavasdis  fUio,  nepoti  autem  TigraniB  regis,  per  2V.  Nenmm 
iradere,  qtU  tum  mihi  privignus  erat. 

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-     223     — 

iprofsen  Krieg  in  Parthien  zu  erreichen,  die  Herausgabe  der  dem 
Crassus  abgenommenen  Feldzeichen,  sowie  der  in  den  früheren 
Kämpfen  gemachten  Gefangenen  und  die  Besetzung  des  grofs- 
armenischen  und  womöglich  auch  medischen  Throns  mit  einem 
römischen  statt  mit  einem  parthischen  Vasallen,  also  eine  Ausübung 
Toa  Einflufs  wenigstens  auf  dem  jenseitigen  Ufer  des  oberen  Eu- 
pbrat  Beides  wurde  im  J.  20  bei  der  Anwesenheit  des  Augustus  in 
Syrien  erreicht,  ebenso  sehr  durch  Diplomatie  als  durch  das  be- 
wafihete  Einschreiten  des  jugendlichen  Tiberius  in  Armenien;  aber 
hinsichtlich  dieses  Landes  hatte  die  Yorsichtige  Politik  Augusts, 
weil  sie  in  Parthien  ein  mächtiges  Nachbarreich  bestehen  liefs, 
zor  Folge,  dafs  Armenien  fort  wahrend  der  Zankapfel  zwischen 
den  beiden  Reichen  blieb.  Im  J.  6  v.  Ch.  kam  das  Land  wieder 
auf  mehrere  Jahre  auf  die  parÜiische  Seite,  das  Eingreifen  des 
Adoptivsohns  C.  Cäsar  brachte  im  J.  2  n.  Ch.  wieder  die  römische 
Partei  zur  Herrschaft,  aber  der  damals  geführte  Krieg  kostete 
dem  Kaiser  den  zum  Thronfolger  ausersehenen  Adoptivsohn,  und 
in  Armenien  wurde  doch  wieder  nur  auf  kurze  Zeit  geholfen,  am 
meisten  dadurch,  daCs  die  Parther  durch  Thronstreitigkeiten  yer- 
anlafst  waren,  sich  von  August  für  das  eigene  Reich  einen  König  zu 
erbitten,  der  bisher  in  Rom  gewesen  war.  Durch  die  Herein- 
tiehnng  dieses  Lands  in  den  Bereich  der  römischen  Macht  war 
diese  veranlafst,  sich  auch  die  Noidgrensfe  Yorderasiens  vom 
schwarzen  zum  kaspischen  Meer  durch  Vasallen  zu  sichern, 
worfiber  wohl  ebenfalls  im  J.  20  die  erforderlichen  Abkommen 
getroffen  wurden.^)  Am  schwarzen  Meer  selbst  war  das  bos- 
poranische  Reich  schon  von  Cäsar  her  dem  römischen  ange- 
schlossen. 

War  es  dem  Augustus  im  Orient  gegenüber  einer  bestimmten 
einheitlich  gestalteten  und  repräsentierten  Macht  und  unter  geogra- 
phisch leichter  übersehbaren  Verhältnissen  möglich  gewesen,  der 
eigenen  Politik  feste  Grenzen  zu  ziehen,  so  lagen  die  Verhältnisse 
ganz  anders  im  Nordwesten  gegenüber  von  Völkern,  die  niemals  auf 
einige  Dauer  unter  einer  bestimmten  Herrschaft  standen  und  bei 
denen  alles  von  den  Impulsen  einer  noch  ursprünglichen  und 
ungeregelten  Kraft  abhing.     Man  konnte  wohl  die  Rhein-  und 

1)  Mon.  Anc.  5,  Bl:  nostram  am[icitiam  petierwnt]  per  legatos  Bastarncie 
ScytÄafgii«  et  Sarmatarum  q[ui  8%mt  citra  ßu]men  Tanaim  et  tdtra  reges, 
-AifxMiorymque  rex  et  Hiber[ortm  et  Medorum\.  (Der  griechische  Text  ist 
^oUstftiidig.) 

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-     224    — 

DouaDgrenze  als  Princip  aufstellen  und  sich  vor  ProvokatioDen 
liQten,  um  dieses  Princip  zu  wahren:  wenn  die  Bewegung  yod 
der  andern  Seite  diese  Grenze  nicht  anerkannte,  so  mufste  Gegen- 
bewegung  erfolgen,  und  dann  erwuchsen  leicht  ganz  neue  Ziele. 
Beinahe  drei  Jahrzehnte  lang  nachdem  Cäsar  den  Rhein  aber- 
schritten, hatte  sich  die  Planlosigkeit  und  der  geringe  Zusammen- 
halt der  germanischen  Stamme  fQr  die  Romer  günstig  erwiesen. 
Gallien  blieb  unbehelligt  und  Augustus  konnte  die  provinzielle 
Organisation  dieses  Landes,  den  gallischen  Census  und  die  Art 
der  Besetzung  der  Grenzdistrikte,  grofse  Fragen,  die  ruhige  Zeit 
verlangten  und  bei  der  Belastung,  welche  sie  den  Gralliem 
brachten,  leicht  zu  Ausbrüchen  der  Unzufriedenheit  führen  konnten^ 
wenn  nicht  durchführen,  so  doch  fest  begründen.  Nur  im  J.  37 
war  Agrippa  veranlafst,  über  den  Rhein  zu  gehen,  um  den  mit 
Jen  Römern  befreundeten  Ubiern  zu  helfen,  wobei  es  sich  jedoch 
als  notig  ergab,  dafs  man  dieselben  über  den  Rhein  herüberzog 
und  im  diesseitigen  Gebiet  zwischen  Bonn  und  Köln  ansiedelte 

—  zugleich  ein  deutliches  Zeichen,  dafs  man  damals  an  Erobe- 
rungen auf  dem  linken  Ufer  nicht  dachte.  Dann  wurde  Gallien 
zum  ersten  Male  wieder  von  Germanien  her  beunruhigt  im  J.  19, 
zur  selben  Zeit,  als  Agrippa  das  Kommando  in  Spanien  fahrte 

—  er  konnte  in  Verbindung  damit  auch  in  Gallien  Ruhe  schaffen; 
aber  bald  wurde  die  Bedrohung  ernster.  Zwar  war  die  Nieder- 
lage, welche  die  im  J.  16  in  Gallien  eingefallenen  mittelrheini- 
sehen  Germanenstämme  dem  Lollius  beibrachten,  mehr  schimpf- 
lich —  wegen  des  Verlusts  des  Legionsadlers  —  als  auf  die 
Dauer  fühlbar,  weil  diese  Stamme,  als  die  romische  Gegenwehr 
sich  ernstlicher  gestaltete  und  Augustus  selbst  auf  den  Platx 
kam,  sich  wieder  entfernten  und  Frieden  schlössen;  aber  der 
lange  Aufenthalt,  den  Augustus  damals  in  Gallien  nahm,  sowie 
eine  Reihe  von  andern  Umstanden  in  der  damaligen  Lage  des 
Reichs  führten  nun  dazu,  dafs  er  umfassenderen  Planen,  die 
schliefslich  zur  offensiven  Kriegführung  im  grofsen  Stil  führten^ 
dcb  zuwandte. 

Die  erste  grofse  Unternehmung  aber  betraf  nicht  die  Rhein- 
Frenze,  sondern  die  Alpen.  Gleichzeitig  mit  dem  Einfall  der 
fiberrheinischen  Germanen  hatten  Bedrohungen  Italiens  und 
Störungen  des  durchgehenden  Verkehrs  durch  die  noch  freien 
Alpenvolker  die  Notwendigkeit,  diese  unschädhch  zu  machen,  aufs 
neue  dringend  nahe  gelegt,  und  so  wurde  denn  hier  zuerst  sowohl 

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-     225     — 

mm  Schutz  Italiens  als  zur  Sicherung  des  Verkehrs  mit  dem 
!^orden  und  zur  Rückendeckung  für  Operationen  am  Rhein  das 
criegerisehe  Vorgehen  in  Scene  gesetzt.  Wenige  Jahre  vorher 
iraren  die  orientalischen  Verhältnisse  so  geordnet  worden,  dafs 
ron  dort  keine  Verwicklungen  zu  fürchten  waren,  Augustus  hatte 
m  seinen  Stiefsöhnen  kräftige  Stützen  gewonnen,  eine  genügende 
rruppenstärke  stand  zur  Verfügung,  und  so  wurde  denn  die  Er- 
oberung der  Alpenländer  zwischen  Italien  und  dem  oberen 
Donangebiet  in  Angri£P  genommen.^)  Zum  ersten  Mal  wurde 
hier  die  Kombination  gemeinsamen  Vormarsches  von  Süden  und 
von  Westen  her  angewandt,  indem  Drusus  von  Italien,  Tiberius 
Ton  Gallien  her  gegen  die  Rater  und  Vindeliker  vorging,  und 
der  eine  Feldzug  des  Jahrs  15  genügte,  um  die  Unternehmung 
zu  Ende  zu  führen.  Rätien  und  Vindelicien  wurde  als  Provinz 
dem  Reiche  zugefügt,  in  den  Westalpen  die  Einfügung  der  bisher 
noch  freien  Seealpen,  des  in  freier  Weise  verbündet  gewesenen 
cottischen  Reichs  und  der  die  westliche  Kette  schliefsenden  graji- 
schen  Alpen  vollzogen,  und  da  kurz  zuvor  im  J.  16  von  lllyricum 
her  auch  das  norische  Königreich  in  romische  Botmäfsigkeit  ge- 
bracht war,  so  war  nunmehr  vom  Fufs  der  Seealpen  bis  nach 
Uiyrien  hin  alles  Alpengebiet  römisch,  der  Weg  von  Italien  bis 
Kar  oberen  Donau  frei  und  eine  Verbindung  vom  Rhein  zur 
Donau  ermöglicht.  Diese  Erfolge  gestatteten  nun  auch  am  Rhein 
selbst  energisch  vorzugehen  und  mulsten,  selbst  wenn  nicht  die 
illyrisch-pannonischen  Vorgänge  von  sich  aus  dies  nahegelegt 
hatten,  auf  eine  weitere  Kombination  der  Rhein-  und  der  Donau- 
armeen führen.     Die  Operationen   am  Rhein   wurden,   nachdem 


1)  Mon.  Anc.  5,  10—18.  44—49.  Andere  zeitgeDÖssische  Qaellen  sind 
Strabo  bei  Beschreibung  der  betreffenden  Gegenden  (vgl.  z.  B.  für  den 
räiasch-vindelicischen  Feldsng  p.  292)  nnd  VellejuB,  der  (2,  111)  in  dem 
paonoDitchen  Krieg  im  J.  107  in  die  Aktion  mit  eintritt;  von  späteren  ist 
der  ansfQhrlichste  Die  zu  den  betr.  Jahren.  Die  Fülle  der  historischen  und 
topographischen  Litteratur  der  Neuzeit  anzuführen  ist  nicht  dieses  Orts; 
von  kritischer  Bearbeitung  neuester  Zeit  vgl.  Abraham,  zu  den  german.  und 
ponnon.  Kriegen  des  Augustus  1876.  Zippel,  die  rOm.  Herrschaft  in  Illyrien 
bis  auf  Cäsar  1878.  Mommsen,  r.  g.  d.  A.  p.  108  ff.,  128  ff.  Erzählende 
Darstellung  bei  Dahn,  Urgeschichte  der  german.  und  roman.  Völker  1,  28  ff. 
Schiller,  Gesch.  d.  r.  K.  1,  206  ff.  Mommsen,  r.  G.  6  Kap.  I.  IV.  VJ.  All- 
gemeine Beurteilung  bei  Mommsen,  die  germanische  Politik  des  Augustus  in 
d.  Zeitschr.  'im  neuen  Reich*  1  (1871)  67  ff.  Victor  Duruy,  bist,  des  Ro- 
mains IV  (1882)  p.  96  ff. 

Htriog,  d.  röm.  StMitverf.  IL  1.  18Digitized  by  VjOOQIC 


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Augustus  im  J.   13  Gallien  verlassen  hatte,  in  die  Hände  des 
Drusus  gelegt,  und  es  erfolgten  nun  teils  in  selbständigem  Offen- 
sivplan    teils    in    Erwiderung    auf    die    feindliche    Haltung    der 
Sugambrer    und    ihrer   Verbündeten   in   den   Jahren    12 — 9   die 
Untemehnoung  gegen  das  Land  zwischen  Niederrhein  und  Weser 
Ton  der  Küste  her,  der  Zug  nach  der  Weser  zu  den  Cheruskern 
an  der  Lippe  hin,  der  Feldzug  vom  Mittelrhein  aus  gegen  die 
Chatten,  endlich  im  Jahre  9  die  Überschreitung  der  Weser  und 
der  Vormarsch   zur  Elbe,   der   durch  den  Tod  des  Dnisus  auf 
dem  Rückweg   bezeichnet  ist     Der  Gedanke   an  Unterstützung 
dieser  Operationen  von  Batien  und  Noricum   aus  ist  noch  nicht 
zu  bemerken,  auch  ist  zu  beachten,  dafs  zwar  von  Kastellen  bis 
zur  Elbe  hin  die  Rede  ist*),  aber  nie  die  Legionen  ihr  Winter- 
lager auf  dem  linken  Ufer  angewiesen  erhielten,  sondern  stets 
wieder  über  den  Rhein  zurückgingen.     Die  Rheinlinie  selbst  aber 
wurde,  wenigstens   von    Mainz   an    abwärts   neben   den   groÜBei) 
Winterlagern   mit   Kastellen    besetzt   und  die  Truppenstarke  in 
den  beiden  linksrheinischen  germanisch- keltischen  Distrikten  auf 
acht  Legionen   normiert.   —   Indessen  waren  aber  auch   an  der 
unteren  und  mittleren  Donau  wichtige  Fortschritte  gemacht  und 
durch  allmähliches  Vorrücken  der  Anschlufs  an  die  mit  der  Ein- 
beziehung Noricuras  erreichte  Flufsbesetzung  erzielt  worden. 

Die  Stellung,  welche  Octavian  in  Illyrien  als  Triumvir  er- 
zielt hatte  (ob.  S.  120),  konnte  erst  vervollständigt  werden, 
seitdem  mit  der  Besiegüng  des  Antonius  auch  Makedonien  ihm 
zur  Verfügung  stand.  Noch  vor  der  Feststellung  des  Principais, 
im  J.  29,  ging  denn  auch  der  Statthalter  von  Makedonien,  M. 
Crassus,  dort  vor  und  nahm  den  bisher  unabhängigen  mosischen 
und  thrakischen  Stämmen  zwischen  seiner  Provinz  und  der 
Donau  ihre  Selbständigkeit,  wahrscheinlich  in  der  Weise,  dafs 
wie  schon  vorher  in  Thrakien,  so  nun  auch  in  diesem  Gebiet 
eingeborene  den  Römern  botmäfsige  Fürsten  die  Grenzhut  über- 
nehmen sollten.  Wie  schon  oben  (S.  190  f.)  bemerkt,  wurde  es 
dadurch  möglich,  bei  der  Verteilung  der  Provinzen  im  J.  21 
Makedonien  dem  Senatsteil  zuzuweisen.  Von  Illyrien  ans  wurde 
damals   nicht   über   das  unter  dem  Triumvirat  Erzielte  hinaus- 


1)  Flor.  4,  12  (=»  2,  30  Halm):  (DrusuB)  praeterea  in  tutdam  prodncuu 
praesidia  atque  custodias  ubique  dispoßutt  per  Mosern  flumen,  per  Albin,  p^ 
Vitmrgin;  in  Rheni  quidem  ripa  quinquaginta  atnplius  ccuieUa  direxit. 

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gegangen.  Ein  Vorgehen  wurde  auch  hier  von  aufsen  hervor- 
gerufen um  dieselbe  Zeit  wie  in  den  Alpenläudern  und  am 
Rhein,  sei  es,  dafs  in  der  That  gerade  damals  auch  auf  dieser 
Seite  ein  besonderer  Ansturm  stattfand  oder  dafs  man  Angriffe, 
die  wohl  auch  sonst  vorkamen,  damals  ernster  nahm;  indessen 
spricht  der  Umstand,  dafs  bei  der  Teilung  der  Provinzen  auch 
Illyricum  dem  Senat  überlassen  worden  und  die  ganze  Zeit  her 
ibm  geblieben  war,  dafür,  dafs  bis  zum  J.  16  Ruhe  geherrscht 
hatte.  Die  Abwehr  des  Einfalls  von  aufsen  erfolgte  ohne  Mühe; 
enister  dagegen  wurde  die  Sache,  als  in  der  illyrischen  Provinz 
selbst  ein  Aufstand  ausbrach,  und  hier  war  nun  im  J.  13  Agrippas 
aafserordentliches  Kommando  eingetreten.  Dieses  hatte  so  rasch 
geholfen,  dafs  Agrippa,  der  im  Herbst  erst  von  Syrien  gekommen 
war,  schon  im  Frühjahr  12  wieder  nach  Italien  zurückkehren 
konnte.  In  eben  diesem  Jahr  starb  er  jedoch,  und  als  nun  eine 
Erneuerung  des  Aufstands  folgte,  wurde  nicht  bloDs  di«  Provinz 
kaiserlich,  sondern  auch  ein  neues  Oberkommando  hergestellt 
und  in  die  Hände  des  Tiberius  gelegt,  der  in  den  Jahren 
12—10  V.  Chr.  nicht  blofs  die  Ruhe  diesseits  der  Savegrenze 
herstellte,  sondern  jetzt  auch  über  diese  hinaus  zur  Drau  vor- 
rückte, um  von  hier  aus  Anschlufs  an  die  norische  Grenze  zu 
nehmen,  während  man  sich  för  das  Gebiet  zwischen  Drau  und 
Donau  wohl  mit  indirekter  Abhängigkeit  begnügte,  auch  wohl 
hoffte,  dafs  das  schonungslose  Verfahren,  das  Tiberius  gegen  die 
Besiegten  geübt,  seine  Wirkung  thun  werde.  Bald  darauf  wurde 
das  Grenzverteidigungssystem  an  der  unteren  Donau  infolge  von 
Aufstanden  dadurch  vervollständigt,  dafs  das  Land  zwischen  diesem 
Flufa  und  dem  Balkan  von  der  Drina  ostwärts  bis  zum  schwarzen 
Meer  zur  Provinz  Mösieu  gemacht  wurde,  was  natürlich  auch 
ior  den  oben  angrenzenden  pannonischen  Bezirk  von  Wichtig- 
keit war. 

Kurz  nach  dem  pannonischen  Kommando  wurde  Tiberius 
dazu  berufen,  an  die  Stelle  von  Drusus  in  Germanien  zu  treten, 
zunächst  um  die  von  letzterem  erzielten  Erfolge  zu  befestigen. 
Ohne  Zweifel  hätte  die  Übernahme  dieses  Postens  durch  den 
Mann,  der  soeben  die  Führung  im  Donaugebiet  gehabt,  schon 
jetzt  bedeutendere  Eonsequenzen  nach  sich  gezogen,  wenn  nicht 
eben  damals  im  J.  6  wieder  der  Orient  Schwierigkeiten  gemacht 
und  zugleich  Tiberius  seinem  Stiefvater  den  Dienst  versagt  hätte. 
In  den  Jahren,  die  auf  diese  Wendung  in  den  Regierungskreisen 

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-     228     - 

folgten,  wurden  zwar  die  errungenen  Vorteile  an  Rhein  ond 
Donau  nicht  unmittelbar  beeinträchtigt,  aber  es  bildete  sich  da- 
mals das  Markomanenreich  des  Marbod  in  Böhmen,  gleich  ge- 
fährlich für  die  römische  Stellung  zwischen  Rhein^  und  Elbe, 
wie  für  die  Donauprovinzen  ^),  zugleich  freilich  ein  wirkhches 
Reich,  zu  dem  ein  politisches  Verhältnis  möglich  war.  In  welchem 
Zusammenhang  mit  diesen  Verhältnissen  die  Expedition  des 
Domitius  Ahenobarbus  stand,  die  ihn  sogar  jenseits  der  Elbe 
führte,  ist  nicht  zu  ersehen;  es  scheint,  dafs  ein  zufalliges  Er- 
eignis, das  Herankommen  eines  unsteten  Hermundurenschwarms 
an  die  römische  Grenze,  ihn  veranlafste,  von  Rätien  oder  Norikum 
aus  in  das  Markomanengebiet  überzugreifen,  um  jenen  Schwann 
anzusiedeln,  und  dafs  ein  günstiger  Augenblick  ihm  gestattete^ 
nicht  blofs  unbehelligt  dies  auszuführen,  sondern  sogar  eine  Re- 
kognoszierung über  die  obere  Elbe  vorzunehmen:  eine  gröfsere 
Tragweite  scheint  sein  Unternehmen   nicht  gehabt  zu  hahen.^ 


1)  VeU.  2,  109:  (Maroboduus)  erat  etiam  eo  timendus,  quod  cum  Ger- 
maniam  ad  laevam  et  in  fronte,  Fannoniam  ad  dextram^  o  tergo  sedivm 
stutrum  hoher  et  Noricos,  tamquam  in  omnis  semper  venlurus  ab  ammbrn 
iimebatur.  Nee  securatn  incrementi  sui  patitbaiur  esse  Itäliam,  quippe  eu» 
a  summis  Älpium  iugis,  quae  finem  Italiae  terminant,  initium  eius  finium 
hcmd  müUo  plus  ducenHs  müibus  passuutn  abesset, 

2)  Diese  Expedition  des  L.  Domitius,  eines  dem  Cäsarhanse  nahe  va-- 
wandten  Mannes,  Cons.  im  J.  16  y.  Chr.,  ist  ihrer  Bedeutung  nach  unklar. 
Die  65,  10*  sagt:  *0  Jofi^ttog  ngoxigov  iiiv,  frag  hi  riov  n(f6g''laxQm  %(oqüof 
fiQx^f  ^o^ff  T£  *  Egfiovvdovffovg  in  trjg  oinBÜxg  ovx  old'  onmg  iiccvacxartai 
%ctl  natu  ii^rjciv  Brigag  yijg  nXavmitevovg  vnolaßav  iv  f/J^Bi  x^g  Mti^M- 
ficcvvtdog  naxmmaB  xal  xov  'JXßiav  {tTj^Bvog  of  ivavriovfiBvov  duißag  qnUaf 
ts  totg  iyLBlvd  ßaqßaqoig  avvid'szo  aal  ßmiiov  in  avxov  Tcj5  Avyovcta 
iSQvaccTO,  Tot 6  Sl  nq6g  xb  xov  *Prjvov  iiBtBld'mv  xai  iTUCBaovtag  «W 
XBQOvciicav  natayccyBiv  61'  irsgav  id'Bli^aag  idvexvpiaBv,  Domitius  komman- 
dierte also  in  der  Zeit  der  Zurückgezogenheit  des  Tiberius  zuerst  in  lUynen, 
später  am  Rhein.  Wie  die  Expedition  von  Illyrikum  aus  geographisch  >° 
denken  ist,  ist  lediglich  der  Vermutung  anheimgegeben,  aber  es  konnte  sidi 
da  nur  um  die  Richtung  gegen  die  obere  Elbe  handeln.  Dafs  'diese  Ex- 
pedition nur  eine  Episode  bildete,  nicht  Teil  einer  gröfseren  Eomhination 
war,  geht  aus  Dio  hervor.  Doch  erhellt  aus  Tac.  Ann.  4,  44  {pofi  exer- 
citu  flumen  Älbim  transcendit  longitis  penetrata  Germania  quam  quisqita» 
priorum;  easque  ob  res  insignia  triiMnphi  adeptus  est),  dais  der  glSck- 
liche  Vorstofs  über  die  Elbe  Aufsehen  erregte.  In  seinem  Kommando  am 
Rhein  legte  er  die  pontes  longi  an  (Tac.  ann.  1,  68).  Dafs  der  sonst  nicht 
bedeutende  Mann  jene  Unternehmung  ausführen  konnte,  ist  nur  durch  be- 
sonders günstige  Umstände  erklärlich.  Der  Erfolg  mag  dazu  beigetragen 
haben,  dafs  man  sich  zu  dem  Feldzug  gegen  Marbod  entschloß. 

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—    229     - 

GroCsere  Ziele  kamen  in  diese  Grenzverhältnisse  erst  wieder 
mit  der  Rückkehr  des  Tiberius  nach  Germanien  im  J.  2  n.  Chr. 
Er  ergriff  das  Kommando  wieder  in  einem  Augenblick,  in  dem 
unter  den  Germanen  auf  dem  rechten  Rheinufer  bedenkliche 
Zeichen  einer  beabsichtigten  Erhebung  bemerkt  wurden.  Dies 
war  nun  ihm  gegenüber  nicht  gefährlich,  und  der  Erfolg  seines 
Auftretens  war  der,  dafs  der  Plan^  die  Rheingrenze  zu  verlassen 
and  die  Grenzwehr  an  die  Elbe  zu  verlegen^  immer  deutlicher 
hervortrat;  die  wichtigsten  Schritte  zur  Verwirklichung  dieser 
Idee  varen,  dafs  vom  J.  4  auf  5  zum  ersten  Mal  das  Winterlager 
rechts  vom  Rhein  an  den  Lippequellen  genommen  und  wie  früher 
anter  Drusus  in  die  Weser,  so  nun  von  der  Küste  her  in  die 
Elbe  eingefahren  wurde.  ^)  Aber  wenn  man  diese  Stellung  be- 
haupten wollte,  so  mufste  man  mit  Marbod  auf  die  eine  oder 
andere  Weise  sich  auseinandersetzen.  Es  scheint,  dafs  August 
und  Tiber  eine  Zeit  lang  hofften,  es  könnte  ein  friedliches  Ver- 
hältnis bestehen,  indem  Marbod,  der  den  benachbarten  Volks- 
genossen gegenüber  einer  Stütze  bedurfte,  an  den  Römern  diese 
suchen  könnte,  seinerseits  in  römischem  Interesse  die  böhmische 
Grenze  hütend  in  ähnlicher  Weise,  wie  dies  in  Thrakien  und  an 
der  Nordgrenze  Vorderasiens  durch  Vasallen  geschah.  Allein 
das  Verhalten  des  Germanenfürsten  war  dieser  Hofl&iung  nicht 
g&nstig,  und  so  wurde  gegen  ihn  gerüstet  und  zwar  nunmehr 
von  zwei  Seiten,  vom  Rhein  und  von  der  Donau  her.  Tiberius 
selbst  ging  von  der  Donau  aus,  Sentius  Saturninus  sollte  von 
Khein  und  Main  aus  sich  mit  ihm  vereinigen,  und  bereits  waren 
beide  Heere  auf  dem  Punkte,  die  Vereinigung  zu  vollziehen,  als 
ein  in  Pannonien  und  Dalmatien  ausbrechender  Aufstand  den 
Tiberius  nötigte,  mit  Marbod  rasch  ein  friedliches  Abkommen  zu 
treffen  und  alle  Kraft  zur  Bekämpfung  der  Aufstandischen  zu 
verwenden.  Drei  Jahre  (6 — 8  n.  Chr.)  währte  dieser  Kampf, 
zom  Glück  der  Römer  von  Marbod  unbenutzt  gelassen,  und  es 
schlofs  sich  an  ihn  noch  ein  Feldzug  gegen  die  Daker  jenseits 
der  Donau  an,  weil  diese  im  J.  6  n.  Chr.  in  Mösien  eingefallen 


1)  Vell.  2,  105:  tutela  imperii  (Ti,  Caesarem)  veris  tnitio  reduocit  in 
^cnRamam,  in  ciUtM  mediia  finibus  ad  captU  Lupiae  fUtminis  hibema  di- 
9^ediens  princeps  locaverat  106:  tnira  felicitate  et  cttra  duds  temporumque 
^^Wrantta  classis,  quae  Oceani  circumnavigaverat  mvus,  ab  ina%idiio  atque 
***<»^mto  anU  mari  flumine  Älbi  sübvecta  —  exereitui  Gaesarique  se  iunxitf 
^gl  darüber  auch  mon.  Anc.  lat.  6,  14  f.  r^  i 

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waren.  Im  J.  9  n.  Chn  war  die  uotere  Donaugrenze  wieder 
gesichert  und  es  konnte  nun  aufs  neue  in  Frage  kommen,  ob 
man  die  unterbrochene  Unternehmung  gegen  Marbod  aufnehmen 
wolle.  Allein  nun  folgte  die  Katastrophe  im  Teutoburger  Wald, 
die  den  Tiberius  wieder  nach  Germanien  rief,  und  wenn  auch 
seine  und  vom  J.  12  n.  Chr.  an  des  Germanicus  Thätigkeit  am 
Rhein  bald  weitere  Grefahren  ausschloljs,  so  fand  Augustus  doch 
nicht  mehr  den  Entschlufs,  den  Plan  der  Eibgrenze  wieder  auf- 
zunehmen. Bei  seinem  Tod  war  die  Grenzfrage  allerdin^  in 
ihren  beiden  konkreten  Aufgaben,  hinsichtlich  des  Vorrütkens 
vom  Rhein  zur  Elbe  wie  hinsichtlich  der  Stellung  zu  Marbod, 
noch  offen,  aber  damit,  dafs  sie  nicht  unmittelbar  nach  der  Ab- 
wehr jener  Schläge  aufgenommen  worden,  war  den  Bedenken 
gegen  ihre  Lösung  in  der  früher  beabsichtigten  Ausdehnung  in 
entscheidender  Weise  Raum  gegeben,  zunächst  im  Sinne  des 
Augustus,  damit  aber  auch  im  Sinne  des  Nachfolgers,  der  Yom 
Anfang  seiner  Regierung  an  die  Unterordnung  unter  das  Testa- 
ment des  Augustus  proklamierte.  Obgleich  nun  die  schliefshche 
Entscheidung  erst  unter  die  Regierung  des  Tiberius  fallt,  so  mag 
doch  schon  hier  auf  die  Gründe  der  Entscheidung  eingegangen 
werden.  Als  untergeordnet  darf  wohl  die  Frage  der  Erreichung 
des  Ziels  betrachtet  werden:  es  mochte  schwierig  sein,  eine  fesk 
Elbegrenze  zu  gewinnen  und  den  böhmischen  Kessel  hinter  sich 
zu  bringen,  aber  unmöglich  war  es  zunächst  nicht.  Ob  das  Ziel 
die  Opfer  rechtfertigte,  war  die  Frage.  Dieses  Ziel  aber  konnte 
nicht  in  weiterem  Landgewinn,  sondern  nur  in  besserer,  d.  h. 
kürzerer  und  leichter  zu  verteidigender  Grenze  gesucht  werden. 
Dies  fiel  auch  sehr  wesentlich  ins  Gewicht;  es  stand  dem  jedoch 
gegenüber,  dafs  schon  Galliens  wegen  die  Besetzung  des  Rheins 
damit  nicht  erspart  blieb.  Zu  solchem  Aufwand  aber  war  es  schwer 
den  Mut  zu  finden,  nachdem  eben  die  Rekrutierung  für  den 
pannonischen  und  germanischen  Krieg  nur  mit  der  größten 
Schwierigkeit  hatte  vollzogen  werden  können.*)  Indessen  in  der 
Zeit  der  Erwägung,  die  dem  Augustus  gewährt  war,  mochten 
auch  andere  politische  Gründe  bei  dem  ängstlich  wägenden 
Herrscher  sich  Geltung  verschaffen.  Die  grofsen  Erfolge  seines 
militärischen  Vorgehens  im  Westen,  erreicht  einzig  und  allein 


1)  Vgl.    auch   die  Besprechung   dieser  Grenzfrage   bei  Daruy,  h.  des 
Eom.  IV  p.  290.    Mommaen,  r.  G.  6,  60—64. 

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—     231     - 

durch  sein  und  der  zu  seinem  Hause  gehörigen  Männer  Vor- 
gehen, hatten  die  Idee  irgend  einer  Form  der  Alleinherrschaft 
gerechtfertigt  und  fQr  die  Zukunft  unüberwindlich  festgestellt. 
Dafs  sie  in  der  Form  des  Principats  erhalten  bleiben  solle,  war 
des  Aagustus  Wille,  zugleich,  dafs  diese  Würde  in  seinem  Hause 
bleibe.  Es  war  dies  ein  Vermächtnis,  in  welchem  das  Interesse 
an  dem  politischen  Werk  eines  ganzen  Lebens,  die  Familien- 
politik und  der  Gedanke  an  die  Wohlfahrt  des  Reichs,  der  dem 
in  der  Herrschaft  gesicherten  Augustus  nicht  zu  bestreiten  ist, 
sich  begegneten.  Die  Einrichtung  und  Behauptung  von  Pro- 
vinzen aber,  welche  in  so  grofser  Entfernung  von  Rom  lagen, 
gefährdete  das  Principat:  sie  erforderte  entweder  lange  und  häufige 
Abwesenheit  des  Princeps  von  Rom  oder  Errichtung  von  grofsen 
Kommandos,  für  welche  auf  fähige  und  zugleich  ergebene  Per- 
sönlichkeiten nicht  immer  gerechnet  werden  konnte;  hatte  sich 
doch  selbst  dem  von  zahlreichen  tüchtigen  Kräften  des  eigenen 
Hauses  umgebenen  Augustus  die  Hilfe  versagt,  und  war  doch 
auch  für  Tiberius  das  dringende  Verlangen  des  Germanicus,  die 
Eroberungspolitik  fortzusetzen,  der  stärkste  Grund,  sie  aufzugeben. 
Die  spätere  Geschichte,  das  Vierkaiserjahr  69  n.  Chr.  und  das 
dritte  Jahrhundert,  hat  diese  Erwägungen  gerechtfertigt,  und 
Trajan  hat  sie  zu  den  seinigen  gemacht,  indem  er,  bestrebt  die 
Linie  der  Grenzwehr  abzukürzen,  zwar  vorrückte,  aber  in  sehr 
viel  engeren  Grenzen,  als  sie  der  germanischen  Politik  des  Au- 
gustus unter  Drusus  und  Tiberius  bis  zum  J.  6  n.  Chr.  vorge- 
schwebt hatten. 

Mit  dem  Aufgeben  der  grofsen  Aufgaben  der  auswärtigen 
Politik  fiel  auch  die  Notwendigkeit  hinweg,  die  grofsen,  über 
mehrere  Provinzen  sich  erstreckenden  Kommandos  weiter  beizu- 
behalten, wie  sie  August  für  Agrippa  und  seine  Stiefsöhne  und 
Enkel  geschaffen.  Aber  eben  zum  Verständnis  dieser  wichtigen, 
wenn  auch  nur  vorübergehenden  Einrichtung  und  zur  richtigen 
Würdigung  der  Art,  wie  später  ähnlichen  Aufgaben  gegenüber 
anders  verfahren  wurde,  war  es  notwendig,  die  auswärtigen  Ver- 
haltnisse, denen  sie  ihren  Ursprung  verdankt,  hier  darzulegen. 


Die  Form,  welche  Autrustus  dem  cäsarischen  Imperium  im  üb^aic^t  über 

ii         .  ^  dio  Funktion 

uememwesen    ftesehen,    blieb   durch   drei   Jahrhunderte   in   an-  ^o«*  augu«tei- 

,  o   o  7  sehen  Ver- 

erkannter  Geltung:  immer  wurde  angenommen,  dafs  das  Gemein-   fassung  von 
Wesen  seine  genaueste  Repräsentation  habe  in  Senat,  Magistratur    inowetian. 

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-     232    — 

und  Volk,  dafs  es  gegründet  sei  auf  die  Herrschaft  der  Gesetze 
und  dafs  die  Stellung  des  Prineeps  nur  eine  Hilfsmagistrator 
darstelle^  verfassungsmäfsig  bestimmt  durch  eine  Art  yon  Wahl. 
Aber  die  Art,  wie  diese  Gewalt  des  Einen  sich  bethätigte,  ist 
zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden  gewesen,  indem  die  mancher- 
lei Befugnisse,  die  in  derselben  lagen,  in  mannigfaltiger  Weise 
sich  geltend  machten.  Schon  die  Militargewalt,  die  am  ein- 
fachsten definiert  war,  blieb  sich  in  ihrer  Bethätigung  nicht 
immer  gleich,  aber  noch  viel  mehr  treten  die  andern  Motive 
des  Principats,  die  Bedeutung  der  Person  in  der  Herrschafts- 
stellung, das  Verhältnis  zum  Senat  und  die  Art  der  Fortpflanzung 
der  Gewalt  in  wechselnder  Weise  auf.  Bei  der  grofsen  Bedeutung 
der  Persönlichkeit  nun,  und  da  die  Erblichkeit  weder  prinzipiell 
anerkannt  ist^)  noch  thatsächlich  sich  behauptet,  wäre  zu  erwarten, 
dafs  sich  die  Unterschiede  nicht  nach  grofseren  Perioden  geltend 
machten,  sondern  nur  nach  einzelnen  Herrscherfiguren  ausprilgten; 
es  ist  dem  aber  infolge  des  Zusammenwirkens  verschiedener 
Motive  doch  nicht  so;  vielmehr  lassen  sich  neben  allem  Gewicht 
der  einzelnen  Personen  in  der  Gesamtentwicklung  drei  grofse 
Perioden  herausstellen,  zwar  nicht  in  so  strenger  Geschlossen- 
heit^ dafs  nicht  zwischenhinein  Regierungszeiten  kommen,  die  den 
Typus  einer  andern  Periode  vertreten,  aber  doch  im  allgemeinen 
in  sich  zusammenhängend  und  gegen  andere  Zeiten  sich  ab- 
grenzend. Die  erste  Periode  ist  die,  in  welcher  das  Principat 
die  Züge  der  Tyrannis  trägt,  in  dem  griechischen  Sinne  des 
Worts,  nach  welchem  neben  einer  bestehenden  Verfassung  Allein- 
herrscher übertragene  oder  usurpierte  Gewalt  in  einer  Weise 
fuhren,  dafs  die  Person  des  Herrschers  alles  bestimmt  und  in 
guter  oder  schlimmer  Richtung  wirkend  die  Funktion  der  kon- 
stitutionellen Faktoren  zurückdrängt,  wobei  solches  Unter- 
liegen der  letzteren  um  so  stärker  hervortritt,  je  näher  noch 
die  Erinnerung  an  die  Republik  liegt.  Begriffen  sind  in  ihr 
die  Kaiser  bis  auf  Domitian.  Nur  teilweise  tritt  die  Re- 
gierungsweise des  Vespasian  aus  diesem  Rahmen  heraus  und 
liegt  in  der  Zeit  der  Flavier  eine  Vorbereitung  für  die  folgende 
Periode;  entschieden  ist  die  Tyrannis  vertreten  durch  Domitian 


1)  Vit  Alex.  Ser.  10:  Äugustus  primus  primw  est  huius  auctar  m- 
perii  et  in  eitis  [nomenl  omnes  velut  quadam  adoptione  aut  iure  hereäitario 
succedimus. 


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-     233     - 

und  Titas,  wenn  auch  bei  beiden  in  sehr  verschiedener  Weise. 
Da  in  dieser  Periode  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  wieder- 
holt fSr  die  Nachfolge  entscheidend  sind,  so  zerfallt  dieselbe 
wieder  in  zwei  Gruppen,  die  der  julisch-claudischen  und  die  der 
fiavischen  Kaiser,  beide  getrennt  durch  ein  Jahr  des  Kampfes 
von  Heeresprätendenten.  Die  zweite  Periode  ist  bezeichnet  durch 
das  Yon  Nerva  und  Trajan  begründete  bureaukratisch-konstitu- 
tionelle  Imperium,  aus  dem  erst  Commodus  wieder  heraustritt 
sowohl  mit  seinem  personlichen  Charakter  als  dadurch,  dafs  er 
leiblicher  Sohn  des  Vorgängers  ist.  In  der  dritten  Periode,  der 
der  Militärkaiser,  tritt  dem  Ursprung  der  Regierungen  entsprechend 
die  Militärgewalt  mit  ihren  Ansprüchen  den  konstitutionellen 
Faktoren  meist  rücksichtslos  gegenüber,  und  Regierungen  ver- 
fassungsmäfsiger  Haltung,  wie  die  des  Severus  Alexander,  er- 
scheinen nur  noch  als  Episoden.  Im  Verlauf  dieser  drei  Perioden 
vollzieht  sich  auch  eine  Verschiebung  der  persönlichen  Be- 
dingungen des  Principats:  die  Kaiser  der  ersten  entspringen  der 
republikanischen  Aristokratie  oder  haben  wenigstens  italischen 
Ursprung  aufzuweisen,  in  der  zweiten  wird  lateinisch-provinzielle 
Abkunft  in  das  Imperium  eingeführt,  in  der  dritten  sind  gemischte 
Nationalitätsverhältnisse. 


Zweiter  Abschnitt. 

Das  Principat  als  Tyrannis.    Von  Tiberins  bis  Domitian 
14—96  n.  Chr. 

§  76.    Der  Übergang  von  Regierung  zu  Begiening. 

1.  Aus  der  früheren  Darlegung  der  Einrichtungen  des  Au-  von  Anguii 
gustus  geht  hervor,  dafs  beim  Ableben  des  ersten  Princeps  eine 
rechtlich  zwingende  Bestimmung  über  die  Wiederbesetzung  seiner 
Stellung  nicht  vorhanden  war:  hatte  er  ja  doch  dieselbe  für  sich 
nicht  einmal  auf  Lebensdauer  festsetzen  lassen.  Seine  Nach- 
folger haben  zwar  die  Lebenslänglichkeit  angenommen,  aber  eine 
rechtliche  Ordnung  der  Nachfolge  nicht  geschaffen,  so  dafs  nach 
dem  Ableben  oder  Verschwinden  eines  Princeps  für  die  Organe, 
denen  die  Bestellung  des  ersten  Princeps  zugekommen  war,  recht- 
lich freie  Verfügung  vorlag.  In  Wirklichkeit  war  aber  diese 
Freiheit   wesentlich   beeinträchtigt   durch  thatsächlichjB^  Verhalt- 

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-     234     - 

nisse,  und  es  fällt  daher  der  Geschichte  anheim^  die  Umstände, 
unter  welchen  sich  die  Nachfolge  gestaltete,  zu  erörtern. 

Unmittelbar  nach  dem  Tode  des  Augustus  gab  Tiberius, 
nachdem  er  den  Agrippa  Postumus  beseitigt,  der  Leibwache  die 
Parole,  that  den  Heeren  die  Übernahme  des  Principats  kund, 
und  die  Heere  wie  die  Provinzen  leisteten  ihm  den  Eid.^)  Dies 
war  eine  Usurpation,  ein  occupare  principattimy  denn  das  dem 
Tiberius  zu  Lebzeiten  des  Augustus  yerliehene  imperium  procan- 
sulare  gab  ihm  auch  den  Truppen  und  Provinzen  gegenüber  nicht 
das  Recht  desjenigen  Imperiums,  welches  ein  Ausflufs  des  Prin- 
cipats war,  sondern  nur  ein  Recht  analog  dem,  welches  der 
Legat  in  der  Zwischenzeit  zwischen  dem  Abgang  des  Ober- 
kommandanten und  dem  Antritt  des  Nachfolgers  hatte.  Jener 
Usurpation  kam  aber  nicht  blofs  der  Gehorsam  der  Legionen, 
sondern  auch  die  Furcht  der  Behörden  in  Rom  entgegen:  ohne 
Aufforderung  leisteten  die  Konsuln  und  die  von  Augustus  ein- 
gesetzten Präfekten,  der  Senat,  die  hauptstädtische  Garnison  und 
das  Volk  dem  Tiberius  den  Eid,  auch  ihrerseits  ohne  rechtliche 
Grundlage,  da  noch  kein  formeller  Akt  vorlag,  demzufolge  auf 
die  Person  des  Tiberius  ein  Eid  geleistet  werden  konnte.*)  So 
gesichert,  konnte  Tiberius  mit  gleicher  Zuversicht  den  konstitu- 
tionellen Weg  für  die  rechtliche  Übertragung  einschlagen  wie 
Augustus  im  J.  27  v.  Chr.,  als  er  nach  Niederlegung  der  von  früher 
her  überkommenen  aufserordentlichen  Gewalt  dem  Senat  imd  Volk 
die  Entscheidung  über  die  Zukunft  anheim  gab.  Den  Verhandlungen 
über  die  Übertragung  der  Gewalt  im  Senat  war  die  Verlesung 
des  Testaments  des  Augustus,  in  welchem  er  den  Tiberius  zum 
Erben   von   zwei   Dritteln   seines  Vermögens  einsetzte,   in  einer 


1)  Tac.  ann.  1,  7:  Defuncto  Augusto  Signum  praeioriis  cohorHbu8  ut 
imperalor  dederat,  —  litteras  ad  exercitus  tamquam  adepto  principatu  misü, 
nusquam  cunctabundus,  nisi  cum  in  senatu  loqucretur  c.  33 :  Germanico  ptr 
Germanias  census  Mcipienti  excessisse  Äitgustum  adfertur,  —  SequanaSf 
proximas  et  Belgarum  civitcUes  in  verba  eius  adigit,  Sueton  Tib.  24:  Prin- 
cipcUum  quamvis  ficque  occupare  confestim  neque  agere  dubitassei  et  statione 
müiium  hoc  est  vi  et  specie  domineOianis  assumpta  diu  tarnen  recusavü  im- 
pudentissimo  mimo.  Dio  67,  2:  ig  xe  tu  a%(fat6ncda  %al  ig  tä  i^vri  Tuipta 
mg  avt(yK(fdT(OQ  svd'vg  ano  tfjg  Nmlrig  inictttXsv.  Auch  die  in  Pannonien 
und  Germanien  revoltierenden  Heere  hatten  den  Eid  geleistet;  Tiberius  ist 
ihnen  novus  princeps.    Tac.  ann.  1,  17. 

2)  Tac.  ann.  1,  7.  Erst  nach  der  Beerdigung  des  Augustus  c.  11 
kommen  die  Verhandlungen  im  Senat  über  die  Annahme  de8>  Principats. 

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-    235    — 

früheren  Sitzung  vorangegangen^),  aber  die  Verhandlung  schloss 
sich  nicht  an  das  Testament  an,  sondern  man  wandte  sich  unabhän- 
gig davon  im  Senat  mit  der  Bitte  an  Tiberius^  das  Principat  zu  über- 
nehmen. Nach  längerem  Sträuben  verstand  er,  der  inzwischen 
dem  Senat  gegenüber  nur  die  unzweifelhaft  ihm  zukommende 
tribunicische  Gewalt  geltend  gemacht,  sich  zur  Annahme,  und  es 
erfolgten  die  betreffenden  Beschlüsse,  ohne  Zweifel  in  Analogie 
der  für  Augustus  angewandten  Formen,  wenn  auch  über  die 
formellen  Akte  nichts  berichtet  wird.*)  Dfe  Fixierung  auf  Lebens- 
zeit liefs  Tiberius  nicht  zu,  aber  andrerseits  steckte  er  keinen 
Termin,  sondern  stellte  blofs  die  Niederlegung  in  Aussicht,  wenn 
das  Bedürfnis  nicht  mehr  da  sei');  damit  ist  der  augusteische 
Vorgang  der  Formulierung  auf  fünf  oder  zehn  Jahre  anfgegeben^ 
nur  noch  in  der  Feier  der  Dezennalien  eine  Spur  hinterlassend. 
Dafs  Augustus  selbst  den  Schein  angenommen,  als  könnte  an 
eine  Auswahl  unter  mehreren  gedacht  werden,  (ob.  S.  164  A.  1), 
machte  sich  nur  darin  fühlbar,  dafs  die  so  bezeichneten  dem 
Mifstrauen  des  Tiberius  preisgegeben  waren*);  dafs  die  von 
Augustus  zu  seinen  Gunsten  gemachten  Vorbereitungen  die 
Voraussetzung  für  den  schliefslichen  Hergang  bildeten,  das  Vor- 
gehen des  Tiberius  ermöglichten  und  Senat  und  Volk  in  die- 
selbe Richtung  brachten,  war  wohl  in  letzter  Linie  ausschlag- 
gebend gewesen.  Es  wurde  jedoch  damit  dem  Principat  nicht 
das  Zugeständnis  der  Anordnung  der  Nachfolge  gemacht,  immer- 
hin aber  die  Auktorität  zuerkannt,  durch  Adoption,  Zuweisung 
einer    hervorragenden    Stellung    oder    blofs    Kundgebung    eines 

1)  Tac.  ano.  1,  8.     Saeton  101.     Die  67,  82. 

2)  Tac.  ann.  1,  7:  ne  edictutn  quidem,  qxM  patres  in  curiam  vocabat^  nisi 
tribunici<u  potestcUis  praescriptione  posuit  aub  ÄugtMto  accepiae,  c.  13: 
fes8U8  clamore  ommutnf  expostulutione  singtüorum  flexit  patUl(Uim,  non  ut 
fateretur  svscipi  a  se  imperium^  sed  %U  negare  tt  rogari  dtsineret.  Nachdeoi 
so  die  WeigeruDg  aufgehört^  erfolgen  die  betreffenden  Beschlüsse,  wobei 
Tacitas  gerade  die  auf  Tiberius  bezflglichen  als  blofse  Form  nicht  herYOr- 
hebt,  sondern  nur  (c.  16)  die  über  Livia  und  Germanicus. 

8)  Sneton  Tib.  24:  tandem  quasi  coactus  —  recepit  imperium;  nee  tarnen 
aliter  quam  ut  deposUurum  se  quandoque  spem  facerit.  Ipsius  verha  sunl:^ 
„dum  viniam  ad  id  tempus,  quo  vobis  aequum  possit  videri  dare  vos  aJiquam 
senectuti  meae  requiem"  Wenn  dies  mit  dem  taciteischen  non  vJt  fateretur 
(s.  vorh.  k.)  vereinigt  werden  soll,  so  müssen  diese  Worte  nach  den  er- 
folgten formellen  Beschlüssen  gesprochen  worden  sein. 

4)  Tac.ann.  1, 13,  wo  die  Namen  genannt  werden  mit  dem  Beisatz:  omnes' 
que  praeter  Lepidum  varüa  mox  criminibus  struente  Tiberio  circumventi  sunt. 

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^ 


~     236     - 

Urteils  den  über  die  Nachfolge  rechtlich  bestinimendeo  Organen 
den  Weg  zu  weisen.^) 

2.  Bei  den  drei  Nachfolgern  des  Tiberius  aus  dem  augustei- 
schen Hause  wurde  gleichfalls  bei  dem  Vorhandensein  mehrerer 
Möglichkeiten  durch  eine  auf  militärische  Macht  gestützte  Usur- 
pation der  rechtlichen  Entscheidung  vorgegriffen  und  letztere 
darauf  beschränkt,  dafs  vollzogener  Thatsache  die  Bestätigung 
ertheilt  wurde.  Tiberius  hinterliefs,  nachdem  während  seiner 
Regierung  nähere  Veni^andte  hinweggerafft  waren,  in  seinen  zwei 
Enkeln,  dem  einzigen  noch  übrigen  Sohn  des  von  ihm  adoptierten 
Germanicus,  Gaius  Cäsar,  und  demjenigen  Enkel,  den  er  von 
seinem  leiblichen  Sohn  Drusus  hatte,  Tiberius  Cäsar,  zwei  Nach- 
kommen, zwischen  denen  er  in  seinem  Testament  nicht  unter- 
schied, obgleich  Gaius  durch  das  höhere  Lebensalter  und  die 
begonnene  Amterlaufbahn  voran  war'),  wogegen  dann  Gaius  bei 
dem  Tode  seines  Grofsvaters  im  Einverständnis  mit  dem  nicht 
koUegialisch,  sondern  allein  fungierenden  Kommandanten  der 
Leibwache,  Macro,  sich  als  einzigen  Nachfolger  ausrufen  liefs 
und  dadurch  die  verfassungsmäfsigen  Organe  zwang,  die  Ver- 
leihung des  Principats  auf  ihn  zu  richten«  Das  Testament  des 
Grofävat^rs  wurde  für  ungiltig  erklärt  und  ersetzt  durch  die  Adop- 
tion des  Enkels  und  rechtmäfsigen  Miterben  Tiberius.')  —  Als 


1)  Ann.  8, 56:  M.  Agrippam  socium  (tribuniciae)  potestatk^  quo  defunäo 
Ttberium  Neronem  delegtt,  ne  successor  in  incerto  foret;  sie  cofUberi  pravas 
dliorum  spes  rebatur.  Dagegen  läfst  bist  1,  16  (ut  principcUum  —  beHo 
adeptus  quiescenti  o/feram  exemplo  divi  Äugusti,  qui  sororis  ßium  MarceUum, 
dein  generiMU  Agrippam  —  in  proximo  sibi  fasUgio  cohloca/vit;  aed  Augustus 
in  domo  attccessorem  quaesivitf  ego  in  rep.)  Tacitus  den  Galba,  mit  weniger 
Vorsicht  als  in  dem  ne  suceesaor  in  incerto  foret  liegt,  von  den  thatsftch- 
liehen  nicht  den  rechtlichen  Verhältnissen  aas  sprechen. 

2)  Der  ältere  Enkel  Gaias  war  Pontifez  und  im  J.  33,  also  mit 
21  Jahren  QuAstor  mit  Dispensation  von  den  Altersgesetzen  für  die  fernere 
Laafbahn;  dies  galt  als  ein  ad  spem  auccesaionis  (ulmoveri  Säet.  Galig.  12. 
Vgl.  Dio  68,  8.  23.  Tiberius  war  fOr  die  Amterlanfbahn  zu  jung,  anfaer- 
dem  sagt  Dio  c.  23:  i%etvov  dtd  xs  t^p  ijJUiiCav  —  %al  dw  ti^p  ^oipCav 
(ov  yä(f  imctBvexo  ^qovoov  naig  slvai)  na^Bmifa,  Eine  Entscheidung  wollte 
er  aber  nicht  treffen,  sondern  incertus  ammt,  fesao  corpore  conaiUum,  cui 
impar  erat,  fato  permisU,  iactis  tarnen  vocibus,  per  quaa  inUüegeräur  pro- 
vidus  futurorum  (d.  h.  äsSa  Qaias  sich  des  Tiberius  des  jangeren  entledigen 
werde).  In  seinem  Testament  heredes  aequia  partibua  reliquit  Gaium  —  et 
Tiberium  —  aubatittatque  in  vicem.    Säet.  Tib.  76.    Cal.  14.    Dio  69,  1. 

3)  Sueton  und  Dio  a.  a.  0. 

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-     237     — 

€raius  ermordet  war,  fehlte^  da  Tiberius  bald  nach  seiner  Adop- 
tion beseitigt  worden,  jede  Voraussetzung,  und  der  Senat  glaubte 
sich  schon  in  dem  Besitz  voller  Entscheidungsfreiheit,  bei  welcher 
sogar  die  Beibehaltung  des  Principats  selbst  in  Frage  kommen 
konnte^):  allein  wiederum  griflFen  die  Soldaten  ein,  indem  sie 
den  andern  Sohn  des  älteren  Drusus,  also  Bruder  des  Germani- 
cus  und  Neffen  des  alten  Tiberius,  Oheim  des  Gaius,  den  bisher 
seiner  personlichen  Eigenschaften  wegen  hintangesetzten  Claudius, 
an  den  vorher  niemand  gedacht  hatte,  auf  den  Schild  hoben  und 
abermals  den  Senat  zwangen,  ihrem  Kandidaten  die  rechtliche 
Sanktion  zu  geben.')  —  Endlich  bei  dem  gewaltsamen  Ende  des 
Claudius  war  zwar  der  von  diesem  adoptierte  Sohn  der  Agrippina, 
Nero,  durch  Verleihung  wichtiger  Auszeichnungen,  worunter  der 
Titel  princqps  iuventutis  und  die  Verleihung  prokonsularischer 
Gewalt,  letztere  in  einer  bis  dahin  ungewöhnlichen  Weise  hier 
angewandt,  femer  eine  andeutende  Erklärung  des  Claudius  be- 
sonders hervorgehoben  werden,  dem  ohnedies  jüngeren  leiblichen 
Sohn  des  Kaisers,  Britanniens,  vorangestellt  worden,  aber  denen, 
welche  Neros  Nachfolge  betrieben,  schien  damit  die  Entschei- 
dung nicht  genügend  gesichert,  sondern  sie  fanden  für  notig,  durch 
die  Prätorianer,  deren  einziger  Befehlshaber  Burrus  mit  Agrippina 
im  Einverständnis  war,  zuerst  die  Leibwache  f&r  sich  zu  ge- 
winnen imd  so  die  Anerkennung  durch  Gewalt  zu  erlangen.') 
Das  Ergebnis  aller  dieser  Vorgänge  war  einmal,  dafs  eine  feste 
Regel    der  Nachfolge   im  Principat   in    dynastischem  Sinn  nicht 

1)  Säet.  Claad.  10:  consülea  cum  senaiu  et  cohartibua  urhanis  forum 
Capitoliumque  occupaveratU,  asaerturi  communem  liberUxiem.  c.  11:  biduum, 
quo  de  mutando  reip.  statu  haesiUUum  fuerat  Vgl.  auch  Calig.  60.  Vgl. 
über  diese  Vorgänge  auch  Die  60,  1.    Joseph,  antiq.  iud.  19,  2,  Iff. 

2)  Claud.  10:  poaiero  die  et  senatu  segniore  in  exeguendis  conatibus  per 
taedium  ac  dissenaionem  diversa  censentium  et  mültitudine  quae  circumatäbat 
unum  rectorem  iam  et  nominatim  exposcente  armatos  pro  contione  iurare  in 
8uum  nomen  pasaus  est  (Claudias  im  Prätorianerlager)  promisitgue  singulis 
quina  dena  sestertia,  primus  Caesarum  fidem  militis  etiam  praemio  pignerattu, 
Dio  60,  1:  ot  äl  vnatoi  timg  {tlv  aXlovg  rc  nccl  SvifMXQxovg  niiinovtsg  (in 
das  Prätorianerlager)  dnriyoffevov  avtm  (irjdlv  TOiovro  noiBiv  dXX'  in£  zs  rcp 
S'^iup  %ttl  TJ  ßovX^  nal  xotg  v6fioig  yeviad'ai'  insl  dl  avxovg  ot  avvovxeg 
Cfpüti  etQttziaxtti  iynatiXinoVy  tote  dri  %al  avtol  mnoXoyrjaav  netl  td  Xoina 
o€a  ig  tigv  uvxaq%ütv  rjiiovta  r^v  avtm  iipri(pCaavto. 

3)  Tac.  ann.  12,  64—69.  c.  69:  Sententiam  militum  secuta  patrum 
consulta  nee  dübitatum  est  apud  provindas,    Sueton  Claud.  43—46.    Nero 

7  f.    Dio  61,  1.    Zonar.  11,  11.  / 

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erzielt  wurde.  Es  wäre  denkbar  gewesen^  dafs  ohne  Aufhebong 
der  augustischen  Idee  von  Verhältnis  zwischen  Princeps  und 
Senat  das  Principat  erblich  geworden  wäre,  ähnlich  wie  die 
Generalstatthalterschaft  in  der  Republik  der  vereinigten  Nieder- 
lande; so  aber  kommt  die  Nachfolge  in  einer  Familie  daraaf 
hinaus,  dafs  in  denjenigen  Kreisen^  welche  die  militärische 
Gewalt  in  der  Hauptstadt  vertreten,  sowie  in  der  öffentlichen 
Meinung  die  Zugehörigkeit  zum  Hause  des  ersten  Augustus  einen 
Anspruch  der  Berücksichtigung  gab,  dieser  jedoch  so  wenig 
an  die  privatrechtliche  Erbfolge  gebunden  war,  dafs  jeder,  der 
jene  Zugehörigkeit  hatte,  in  den  Verdacht  eines  Strebens 
nach  der  Gewalt  kommen  konnte^)  und  die  Nähe  der  Verwandt- 
schaft nur  einen  thatsächlichen,  nicht  einen  rechtlichen  Vor- 
sprung gab.  Eine  weitere  Folge  aber  war  die,  dafs  das  Recht 
von  Senat  und  Volk,  das  Principat  zu  vergeben,  jener  Reihe  von 
Usurpationen  gegenüber  zwar  in  jedem  einzelnen  Fall  ein  nur 
formelles  war,  aber  doch  durch  die  jedesmalige  Ausübung  und 
weil  in  den  betreffenden  Fällen  eine  andere  Entscheidung  immer- 
hin möglich  war,  prinzipiell  gewahrt  und  besser  im  Gedächtnis 
behalten  wurde,  als  wenn  die  Praxis  sich  einfach  an  die  Ver- 
hältnisse privatrechtlicher  Succession  gehalten  hätte.  Endlich, 
was  die  Auktorität  vorbereitender  Akte  betrifft,  so  bildete  diese 
in  den  gegebenen  Fällen  nur  ein  unterstützendes  Moment: 
wenn  nicht  blofs  die  Usurpation,  sondern  auch  der  Senat 
das  Testament  de§.  Tiberius  bei  der  Entscheidung  über  das 
Principat  nicht  beachtete,  so  wurde  damit  kein  Recht  verletzt. 
Aber  von  grofsem  Gewicht  war  die  testamentarische  Verfügung 
jedenfalls,  und  die  Furcht  vor  dem  Testament  des  Claudius  be- 
schleunigte im  Falle  Neros  das  Eintreten  der  Usurpation.  In 
der  geschichtlichen  Bezeichnung  der  Reihenfolge  der  Principes 
als  der  Herrscher  vom  julisch-claudischen  Hause  ^)  kommt  jener 
Schein  einer  dynastischen  Folge  zum  Ausdruck;  Julier  heifsen 
dabei  diejenigen,  welche  in  der  Adoptionsfolge  von  Cäsar  und 
Augustus  her  liegen,  Tiberius  und  Gaius;  mit  Claudius  tritt  die 
cognatische  Verwandtschaft  ein,  die  auf  die  Ehe  des  Augustus 


1)  So  unter  Nero  L.  Janios  Silanus  als  divi  ÄugusH  abnepo8  Tac 
ann.  13,  1  und  Robellius  Flau  tue  per  mcUemam  originem  pari  ctc  Nero  gradu 
a  divo  Äugusto.     13,  19.     14,  22. 

2)  Tac.  bist.  1,  16:  Jüliorum  Claudiorumqtie  domtu, 

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-     239     - 

mit  Livia,  der  früheren  Gemahlin  des  Ti.  Claudius  Nero,  (ob. 
S.  123  A.  1),  zurückgeht,  und  der  claudische  Name  wurde  durch  die 
Adoption  auf  den  Sohn  des  Cn.  Domitius  Ahenobarbus,  Cons. 
32  n.  Chr.  übertragen,  wobei,  da  Nero  durch  seine  Mutter 
Ägrippina  Enkel  des  in  die  julische  Familie  hinübergenommenen 
Germanicus  war,  auch  diese  Seite  mit  Berücksichtigung  fand. 

3.  Beim  Übergang  des  Principats  von  Nero  auf  Galba  folgte  von  oaiua  bis 
der  Senat  nicht  blofs  den  usurpatorischen  Akten,  welche  die  Er- 
hebung des  Nachfolgers  herbeiführten,  sondern  er  hatte  sein 
Recht  schon  in  der  Verurteilung  Neros  ausgeübt.*)  Die  Vor- 
gänge in  den  Provinzen  hätten  zum  Teil  wenigstens  dem  Senat 
Veranlassung  geben  können,  das  Principat  aufzuheben  und  zur 
Republik  zurückzukehren;  allein  er  folgte  solchen  Impulsen  nicht, 
und  mit  Becht;  denn  es  wäre  unmöglich  gewesen  die  Republik 
aufrecht  zu  erhalten  gegenüber  dem  übermächtigen  Eintreten  der 
Legionen,  welche  irgend  einen  Imperator  in  der  Stellung  des 
Principats  haben  wollten  und  damit  die  Zukunft  des  letzteren 
sicherten.*)     Bei   der  Verleihung  selbst  war  durch  dieses  Ver- 


1)  Sueton  Nero  49:  hgü  $e  hostem  a  aevuUu  iuduuxium  et  qtuieri,  ut 
puniatur  more  tnaiorum. 

2)  Dio  68,  29:  tm  FdXß^  xä  xjß  ocvtonQatOQi  oqx^  n(fogi^%ovta  i^ri- 
tpUavxo,  Plnt.  Gkdba  7:  (Ikelos,  der  nach  Spanien  zu  Galba  kommt) 
amfyyfCiUi',  oxi  %al  i&vxog  ixt  xov  Ni(f<ovog  ov%  ovxog  dh  q>ctvsQOv  x6 
6XQdxfv(ia  TiQcixov^  dxa  6  d^/cioff  xal  17  <rvy%Xrjxog  avxa%QaxoQa  xov  FdXßav 
avayoifivöBiBv y  oUyov  dh  vatsgav  dnayysXd'sCrj  xsd^xmg  ixfCvog,  In  Rom 
also  war  kein  Gedanke  an  Aufgeben  des  Principats.  In  den  Provinzen  nun 
fa&t  Mommsen  in  Hermes  18  S.  90—106.  14,  147—162  die  Vorgänge  so 
aof,  dafs  aach  nach  dem  Tod  des  Vindex,  der  im  März  mit  der  Erhebung 
begonnen  hatte,  im  Mai  68  sämtliche  Generale  des  Westens,  Galba  und 
Ofcho  in  Spanien,  Macer  in  Africa,  Rufos  und  Capito  in  Germanien  die 
Republik  proklamiert  hatten  und  dafs,  wie  Verginios  Rufas,  so  auch  die 
übrigen  nicht  den  Wunsch  gehabt  hätten,  die  lebenslängliche  Oberherr- 
Bcbaft  in  ihrer  Person  fortzusetzen;  so  habe  die  Erneuerung  des  alteo 
aristokratischen  Regiments  nie  näher  gelegen  als  damals,  und  in  diesem 
Sinn  sei  es  wie  philologisch  und  juristisch ,  so  auch  sachlich  angemessen 
za  deuten,  wenn  Vindex  und  die  andern  Heerfahrer  als  cidseriores  libertaAis, 
d.  h.  als  Befreier  der  Republik,  die  in  der  Gewalt  eines  nicht  berechtigten 
dominus  gewesen  sei,  bezeichnet  würden.  H.  Schiller  dagegen  in  seiner 
Gesch.  des  röm.  Eaiserr.  unter  Nero,  in  Bursians  Jahresb.  1876—78  S.  509 
und  Hermes  15,  620  will  von  republikanischen  Tendenzen  nichts  wissen 
und  deutet  das  adserere  Ubertaiem  nur  dahin,  dafs  der  schlechte  Herrscher 
beseitigt  und  durch  einen  bessern  ersetzt  worden  sei.  Die  entscheidenden 
Momente  scheinen  mir  in  folgendem  zu  liegen:  nach  den  vorliegenden  Zeug- 

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-     240     - 

hältnis  aufs  neue  gegeben,  dafs  der  Senat  annehmen  mufste,  was 
die  Gewalt  der  Umstände  ihm  aufdrängte,  aber  ebenso  konstant 
wurde  bei  allen  aufeinanderfolgenden  Prätendenten  des  Jahres  69, 


nissen  haben  die  Heerführer  allerdings  zunächst  nnr  Nero  beseitigen  nnd 
Senat  and  Volk  die  Entscheidung  anheimgeben  wollen.  Galba  weigert  sich 
zunächst,  von  den  Soldaten  das  Imperium  anzunehmen,  und  will  nur  legaius 
seficUm  ac  populi  Born,  sein  (Plut.  Galba  6.  Sueton  Gralba  10),  und  Vet- 
ginius  sagt  bei  Plut.  G^lba  6  (vgl.  Dio  63,  25):  ovrs  avzoq  Xri^Botai  nj» 
r^ffiovücv  ov%8  aXlm  nsffioipBad'ctt,  di9o(iiv7jv  ov  av  nfj  ^  evyuXrjtos  ilrittu^ 
aber  dafs  sie  dabei  an  die  Herstellung  der  Bepublik  dachten,  ist  nicht 
wahrscheinlich,  da  die  Stimmung  der  Truppen  deutlich  genug  dagegen 
sprach.  Sie  wollten  eben  nur,  dafs  der  Senat  einen  neuen  Imperator  er- 
nennen solle.  Dies  konnte  unter  den  damaligen  Verhältnissen  schon  ein 
adserere  libertatem  genannt  werden.  Lälst  doch  auch  in  diesem  Sinne 
Tacitus  bist.  1,  16  den  Galba  zu  Piso  sagen:  H  inmensum  imperii  corpus 
Stare  ac  librari  sine  imperio  poaset,  dignus  eram  a  quo  resp.  inciperet:  wiim 
eo  necessüatis  ventum  est,  %U  nee  mea  senectus  conferre  plw  poptdo  Born, 
posait  quam  bonum  successorem  nee  tua  pliAS  iuventa  qucun  bonum  prindpem; 
loco  liberiatis  erit  quod  eligi  coepitnus,  und  auch  sonst  zu  Anfang  der 
Historien,  wo  doch  mehrfach  Gelegenheit  dazu  gegeben  war,  wird  dessen  nicht 
Erwähnung  gethan,  dafs  die  Wiederherstellung  der  Republik  in  Frage  stand. 
Vielmehr  wenn  es  1,  8  heifst  (Oermanici  exercitus)  tarde  a  Nerone  desciverant 
nee  statim  proGaXba  Ver ginius;  an  imperare  noluisset^  dubium,  so  ist  daraus 
deutlich  zu  ersehen,  dafs  Tacitus  bei  Verginius  nicht  an  ein  Schwanken 
zwischen  Galba  und  der  Bepublik,  sondern  nur  zwischen  Galba  und  sich 
selbst  dachte.  Was  den  Kommandanten  der  Legion  in  Afrika,  Clodiua 
Macer  {in  Africa  haud  diibie  turbantem  Tac.  bist  1,  7)  betrifft,  so  weisen 
seine  Münzen  allerdings  aus,  dafs  er  den  Schein  eines  Auftretens  für  die 
alte  Verfassung  annahm  (vgl.  Cohen  1,  p.  317  f.  die  Münzen  mit  dem  republ. 
Titel  pro  prae{tore)  und  der  Bezeichnung  der  Legion  als  liberatrix),  aber 
dafs  dies  auf  die  Dauer  nicht  ernsthaft  gemeint  und  er  kein  Mann  von 
republikanischer  Gesinnung  war,  zeigt  nicht  nur  sein  Verfahren  in  der 
Provinz,  die  ihn  bald  genug  hatte  {contenta  qudlicunque  principe  post  ex- 
perimentum  donUni  minoris  bist  1,  11),  sondern  auch  seine  Verbindung  mit 
Calvia  Crispinilla,  magislra  libidinum  Neronis  (1,  78).  —  In  Rom  aber  kam, 
wie  schon  bemerkt,  der  Senat  nicht  einmal  in  die  Lage,  von  der  Freiheit  der 
Beratung  über  einen  neuen  Princeps,  die  ihm  die  Statthalter  geschaffen 
hatten,  Gebrauch  zu  machen;  denn  ehe  noch  Nero  tot  war,  hatte  der  praef. 
praet.  Nymphidius  Sabinus  die  Prätorianer  für  Galba  verpflichtet  nnd  da- 
durch den  Senat,  dem  übrigens  wohl  Galba  auch  am  meisten  genehm  sein 
mochte,  in  eine  Zwangslage  gebracht.  In  Bevue  numism.  7  (1862), 
197—284  hat  der  Herz.  v.  Blacas  eine  ziemlich  groüse  Anzahl  von  Münzen, 
darunter  Gold-  und  Silbermünzen,  zusammengestellt  (=»  Cohen  1,  p- 
84-2—860),  welche  im  Gewicht  mit  den  Münzen  Neros  und  Galbas  nnd  im 
Typns  zum  Teil  mit  Münzen  Galbas  und  des  Vitellius,  die  aber  keinen 
Kaisemamen  haben,  zum  Teil  die  Legende  s.  p.  q.  r.  tragen.    Er  bezeichnet 

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-     241     — 

Galba,  Otho,  Vitellius  und  VespasiaD,  die  Anerkennung  durch 
Senat  und  Volk  als  unentbehrliche  Notwendigkeit  behandelt.^) 
Der  Übergang  von  Vespasian  auf  Titus  konnte  keine  Schwierig- 
keiten bieten;  wir  wissen  aber  darüber  nichts.  Domitian  hielt 
eine  Usurpation  für  notig  und  handelte  demgemäfs^);  doch  ist 
nicht  bekannt,  daCs  Titus  bemüht  gewesen  wäre,  ihm  die  Nach- 
folge zu  erschweren.  Im  Gegenteil^  bestimmter  als  unter  den 
früheren  Kaisern  war  unten  den  Flaviern  schon  von  dem  leben- 
den Princeps  die  Nachfolge  vorbereitet*);  woneben  noch  besonders 


diese  Münzen,  die  man  früher  unter  Aogast  oder  auch  unter  der  Republik 
eingestellt,  als  autonome  und  bringt  sie  alle  in  der  Zeit  nach  dem  Tode 
Neros  unter,  indem  er  in  dieser  Münzprägung  des  Senats  ausgedrückt  findet, 
was  Tac.  hist.  1,  4  sagt:  (nach  dem  Tode  Neros)  patres  laeti  usurpata 
statitn  ItbertaU  licentius  ut  erga  principem  novum  et  absentem.  Alles  dies 
zugegeben,  so  folgt  gerade  aus  diesem  trefifenden  Citat,  dafs  der  Senat 
allerdings  sich  eine  Kompetenz  nahm,  die  er  bisher  nicht  gehabt,  aber 
bereits  unter  Anerkennung  eines  princeps  novw^  der  dann,  nachdem  er 
sich  festgesetzt^  das  Münzrecht  in  der  früheren  Weise  wieder  in  die 
Hand  nahm. 

1)  Tac.  hist  1,  47:  exacto  per  scelera  die  (der  Tag,  an  dem  Otho  von 
den  Prätorianem  erhoben  war)  vocat  senatum  praeior  wrhanus:  —  decemitwr 
Oihoni  tribunicia  potestas  et  nomen  Äugusti  et  omnes  principum  honores. 
2,  66:  ut  concessisse  Oihonem  et  a  Flavio  Säbino  praefecto  urhis  quod  erat 
in  urhe  müüum  saeramento  Vitellii  adactum  —  attülerunt^  ViteUio  plausere 
(im  Theater  an  den  Cerealien);  —  in  senatu  longis  aliorum  prineipatibus 
composita  stcUim  decernuntur.  4,  3:  (nach  dem  Tode  des  Vitellius  und 
zwar  am  Tage  darnach  Joseph,  h.  iud.  4,  11,  4)  Bomae  Senat us  cuncta 
prineipibus  solita  Vespasiano  (der  damals  noch  in  Alexandrien  war)  decemit. 
c  6:  «0  sencttus  die^  quo  de  imperio  Vespasiani  censebcmt,  placuerat  mitti 
ad  principem  legcUos, 

2)  Dio  6,  26:  ht  ^mvtog  avtov  (sc.  tov  Tixov)  Ig  ts  triv  ^Pmfiriv 
afpimiBvat  %al  ig  to  atgutönsdov  igriX^s  ti^v  ts  inMrjatv  wxi  t^v  i^ovalav 
rov  avTonQcitOQog  flaße,  dovg  avtoig  oaov  nsq  nal  b  d&BX€pog  avtov  iSs- 
dm%si',  am  Tage  darauf  wird  dann  der  Senat  darüber  heschlossen  haben. 
Henzen,  act.  fratr.  Ary.  p.  64. 

3)  Schon  den  Galba  iSÜst  Tacitus  hist.  1,  14—19  die  Adoption  Pisos 
in  einer  Weise  vollziehen,  die  ganz  offen  den  Adoptierten  als  präsumtiven 
Nachfolger  bezeichnet.  Titus  aher  wird  von  Vespasian  neben  dem,  dafs  er 
die  tribunicische  Gewalt  erhält,  in  neuer  Weise  als  Teilhaher  im  Imperium 
angenommen  und  dadurch  offen  schon  in  Besitz  gesetzt;  näheres  hier- 
über unten.  Wenn  aufserdem  Vespasian  die  Neuerung  einführte,  seinem 
Sohn  die  Präfektur  der  Leibwache  zu  geben  (Suet.  Tib.  6),  so  ist  dies 
nicht  sowohl  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  besonderen  Ehre  als  unter 
dem  der  Sicherheitsffirsorge  zu  fassen.  Das  zwischen  Domitian  und  Titus 
bestehende  Mifsverhältnis  nötigte  den  Titus,  in  dem,  was  er  dem  Domitian 

Her.og.  d.  röm.  StaaUverf.  n,  1.  ^-^^^^  byGoOglC 


-     242     - 

die  testamentarische  Auordnung  hervorgehoben  wird  in  einer 
Weise,  dafs  in  ihr  eine  direkte  Beziehung  auf  das  Imperium 
angenommen  werden  kann.  ^)  Hierin  liegt  eine  auf  das  Dynastische 
gerichtete  Tendenz^  und  es  darf  wohl  angenommen  werden,  dali 
bei  ununterbrochener  Fortführung  des  Familienbestands  diese 
Tendenz  rechtliche  Ausprägung  gesucht  und  der  unter  Domitian 
ganz  besonders  ausgeprägte  Charakter  der  Tyrannis  auch  hierin 
Eonsequenzen  gezogen  hätte.  Trotzdem  ist  nicht  zu  zweifeln^ 
dafs  die  Übertragung  durch  Senat  und  Volk,  wie  sie  herkömm- 
lich war,  obgleich  nichts  davon  berichtet  wird;  auch  bei  Titus 
und  Domitian  stattfand. 

Über  die  Art  der  Übertragungsakte  ist  durch  schriftstelle- 
rischen Bericht  und  urkundliches  Zeugnis  am  meisten  zu  ersehen 
aus  dem  Regierungsantritt  Yespasians;  doch  sind  auch  hier  die 
Zeugnisse  keineswegs  so  vollständig,  dafs  nicht  zur  vollen  Her- 
stellung des  Verfahrens  Kombination  notig  wäre.^ 

§  77.     Die  JnliBOh-olaudiBohen  Kaiser. 

•  Tiberiug.  1.    Veränderungen     der    konstitutionellen    Grundlagen    des 

ftndernngen.   augusteischcu  Systems  brachte  von   den  nächstfolgenden  Regie- 

deo  voikswah- rungen  nur  die  des  Tiberius  und  auch  sie  nur  in  einer  einzigen 

voikigeaeu-   Mafsrogcl,  wclchc  Tibcrius  im  Sinne  des  Augustus  selbst  sogleich 

nach  seinem  Regierungsantritt  noch  im  J.  14  vornahm,  nämlich 


gewährte,  zurückhaltend  za  sein;  es  heilst  zwar  Suet.  Tit  9:  fratrem  in- 
sidiari  sibi  non  desinentem,  —  ne  in  minore  quidem  honare  habere  sugtinuU, 
sed  tU  a  primo  imperii  die  consortem  succeasoremque  testari  perseveramt;  aber 
Domitian  klagt  (Suet.  Domii  2):  relictum  se  participem  imperii,  sed  fraudem 
testamento  cidhibitam;  auch  hierüber  s.  näheres  unten. 

1)  Vgl.  vorherg.  Anm.  Bezeichnend  für  das  Bestreben  eine  dynastische 
Reihe  herzustellen,  ist  nicht  nur  die  Herübemahme  des  Cäsarennamens  in 
die  neue  Folge  von  Principes,  sondern  auch,  dafs  Titus  seine  Tochter 
Julia  nannte.  Und  doch  war  die  niedrige  Herkunft  der  Flavier  so  wenig 
vergessen,  dals  patrizische  Abstammung  dem  Titus  gegenüber  zur  adfectaÜo 
imperii  zu  genügen  schien.  Suet.  Tit.  9.  —  Von  Domitian  selbst,  der 
keinen  eigenen  Sohn  hatte,  heilst  es  Suet.  Domit.  16:  (FlaoU  Clementis 
patrwlis  8ui)  filios  etiam  tum  parvulos  successores  ptüam  destinaverat  ä 
abolito  prior e  nomine  aUerum  Vespasianum  appeüari  iusserat,  altenm 
Domitianum. 

2)  Deshalb  ist  auch  die  Einreihong  der  uns  erhaltenen  lex  de  imperio 
Vespasiani  in  die  Bestellungsakte ,  soweit  nicht  schon  bei  der  Aufinchtong 
des  Augusteischen  Principats  davon  die  Rede  war,  im  System  zu  erörtern. 

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-     243     — 

die  Übertragung  des  Wahlrechts  für  die  sämtlichen  ordentlichen 
Magistrate  vom  Volk  auf  den  Senat  ^)  in  der  Weise,  dafs  das 
Volk  nur  noch  zur  Benuntiation  in  den  alten  Formen  berufen 
wurde.  An  sich  war  dies  keine  Erhöhung  der  kaiserlichen  Ge- 
walt: nicht  nur  war  das  Empfehlungsrecht  des  Priuceps  dem 
Senat  gegenüber  dasselbe  wie  gegenüber  dem  Volk,  sondern  der 
erstere  verzichtete  dadurch  auf  die  Möglichkeit,  gegen  den  Senat 
in  den  von  ihm  sicher  beherrschten  Eomitien  ein  Gegengewicht 
zn  haben,  und  so  wurde  in  dieser  Hinsicht  sogar  ein  Mittel  der 
Macht  aufgegeben.  Indessen  für  Tiberius  fiel  letzteres  nicht  ins 
Gewicht:  ohnedies  seiner  Natur  nach  wenig  volks&eundlich 
erachtete  er  die  Wege,  auf  welchen  ein  Julius  Cäsar  zur  Macht 
gelangt  war,  jetzt  nicht  mehr  für  zeitgemäfs,  schuf  sich  dem 
Senat  gegenüber  eine  andere  Stütze  und  liefs  so  eintreten,  was 
für  die  Stetigkeit  und  Würde  der  Staatsverwaltung  unstreitig 
notwendig  war.  Zugleich  wurde  dadurch  die  Aristokratie  von  der 
grofsen  Last  des  Ambitus  bei  den  Tribus  befreit  und  konnte 
dem  ihr  wenig  günstigen  Kaiser,  wenn  er  auch  nicht  ihr  zu 
Danke  die  Maferegel  vorgenommen,  doch  nur  dankbar  dafür  sein.*) 
Von  weiterem  politischem  Gesichtspunkt  aus  betrachtet  verlor 
allerdings  die  Magistratur,  indem  sie  hiedurch  von  der  Volks- 
wahl losgelöst  war,  und  mit  ihr  die  Reichsaristokratie,  wie  sie 
im  Senat  vertreten  war  und  nun  aus  sich  selbst  heraus,  nur 
noch  durch  die  Kaiser  beschränkt,  die  Beamten  bestellte,  an 
Volkstümlichkeit;  aber  das  Volk,  das  in  gesunder  Weise  Popu- 
larität geben  konnte,  war  ebenfalls  nicht  mehr  da.  Indirekt 
wirkte  die  Beseitigung  der  Volkswahlen  gewifs  auch  zum  all- 
mählichen Aufgeben  der  Komitialgesetzgebung  mit.  Die  Zahl  der 
überhaupt  noch  sei  es  durch  Principes  oder  durch  Magistrate 
eingebrachten  Gesetze  ist  aufserordentlich  klein,  und  die  gesetz- 
geberische Thätigkeit,  mit  welcher  das  Volk  bei  der  Bestellung 
des  Princeps  l)eteiligt  bleibt,  rein  formeller  Natur.     Jetzt  also 


1)  Tac.  ann.  1,  16:  Tum  primum  e  campo  cotnitia  ad  patres  tranalata 
8UfU:  nam  ad  eam  diem  etsi  potissima  arhitrio  prineipis  quaedam  tarnen 
«tudiis  tribmtm  fiebant,  Vell.  2,  124,  8:  post  redditum  coelo  patrem  —  pri- 
mum principaiium  eius  operum  fuit  ordinatio  comüiorum,  quam  manu  sua 
scriptam  Äugustus  religuerat.  Alles  Nähere  ist  ans  den  Angaben  über  ein- 
zelne Wahlvorgänge  zn  kombinieren. 

2)  Tac.  a.  a.  0.:  neque  populus  adeptum  tus  qu£stu8  est  nisi  inani 
rumore  et  senat/us  largitionibus  ac  precibus  sordidis  exsolutus  libens  tenuit. 

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—     244     — 

begann  schon  der  Ersatz  der  Volksgesetzgebimg  durch  die  Senats- 
beschlüsse  und  Anordnungen  des  Princeps. 

ünfliifi  auf  die  Jcue  eben  erwähnte  Konsequenz  der  neuen  Art  der  Wahlen, 

Mtrang  dei    dafs  der  Senat  nun  selbst  sich  ergänzte  und  die  Rangerhöhung 
seiner  Mii^lieder  bestimmte,  verdient  noch  besondere  Beachtung. 
Sie  beruhte  darauf,  dafs  mit  bekleideter  Quästur  der  Eintritt  in 
den  Senat  verbunden  war  und  das  Aufsteigen  in  den  Bangklassen 
des  Senats  an  der  Bekleidung  höherer  Ämter  hing.    An  sich  war 
nun  neben  dem  Empfehlungsrecht  des  Princeps  der  freien  Wahl 
durch  den  Senat  immer  noch  Spielraum  gelassen,   selbst   dann 
noch,  als  mit  der  Zeit  direkte  Ernennung  durch  den  Kaiser  {adr 
lecHo)  hinzukam,  und  bei  wirklich  konstitutionellem  Verhältnis 
wäre  so  in  der  Zusammensetzung  des  Senats  eine  Ausgleichung 
der  beiden  Seiten,  der  kaiserlichen  und  der  autonomen  der  Be- 
hörde selbst  denkbar  gewesen;  aber  der  mit  dem  Principat  ver- 
bundene Scheinkonstitutionalismus  liefs  es  durch  die  angegebenen 
Bestimmungen  doch  höchstens  dazu  kommen,  dafs  die  Kaiser  in 
der  Ausübung  ihres  indirekten  Einflusses  auf  die  vom  Senat  ohne 
Empfehlung  geübte  Wahl  gewisse  Bücksichten  nehmen  und  die 
einmal  aufgenommenen  ihren  Weg  gehen  lassen  mufsten;  es  war 
dann  für  sie  nur  um  so  gröfsere  Vorsicht  bei  der  Bestellung  der 
untersten  Stufe  geboten.    Freilich  wäre,  so  wie  die  Dinge  lagen, 
eine   ernst   gemeinte  Teilung   des   Wahlrechts   nur   möglich  ge- 
wesen bei  zweckmäfsiger  und  ernstgemeinter  Teilung  der  Funk- 
tionen. —  Die  neue  Einrichtung  der  Wahlen  wurde  zwar  von  Cali- 
gula  wieder  beseitigt,  aber  nur  vorübergehend,  da  sich  die  Wieder- 
erweckung der  Volkswahlen  sofort  als  zu  sinnlos  erwies  (s.  unten). 

w«  Stodtprft-  2.   Nicht   eine  Änderung   der  Verfassung,    wohl   aber  eine 

bleibende  Neuerung,  welche  das  Verhältnis  der  beiden  grofsen 
Gewalten,  des  Princeps  und  des  Senats,  in  etwas  verschob,  wurde 
durch  die  Einführung  der  Stadtpräfektur  als  eines  stehenden 
Amts  von  Tiberius  gemacht.  Unter  ihm  zuerst  erscheint  das 
Amt  dauernd  von  Einern  Mann  bekleidet,  und  zwar  schon  in  der 
Zeit,  in  welcher  Tiberius  stets  in  Bom  selbst  oder  höchstens  in 

•^  seiner  nächsten  Nachbarschaft  verweilte,  so  dafs  es  offenbar  von 

J'..  der  Abwesenheit   des  Herrschers    unabhängig  war.*)     Natürlich 

f"  1)  Tac.  ann.  6,  11,  nachdem  er  gelegentlich  des  Todes  des  L.  Piso 

im  J.  82  die  Geschichte  der  Stadtpräfektur  vor  'J'iberius  gegeben  (ob.  8.  188 

^  A.  8)  fÄhrfc  fort:  dein  Piso,  viginti  per  annos  pariter  probatus  publica  ftmere 

^  €X  decreto  senatus  celebratw  est.    Von  Piso  selbst  hatte  er  c.  10  gesagt: 

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—     245    — 

war  es  aber  während  dieser  Abwesenheit  noch  yiel  wichtiger  und 
auch  neben  der  so  hoch  gesteigerten  Gewalt  des  Präfekten  der 
Leibwache  von  grofser  Bedeutung.  Die  erprobte  Zuverlässigkeit 
des  L.  PisO;  den  Tiberius  auf  diesen  Vertrauensposten  gestellt^ 
stand  ihm  eben  noch  während  der  kritischen  Zeit  des  Sturzes 
Sejans  zur  Verfügung.^)  Wenn  nun  die  Punktion  des  Stadt- 
präfekten  überhaupt  nicht  mehr  für  die  Stellvertretung  des  ab- 
wesenden Kaisers  bestimmt  wurde  ^  sondern  für  die  Leitung  der 
hauptstädtischen  Polizei  und  das  Kommando  der  städtischen 
Kohorten  als  Spezialamt^  so  trat  zum  Schein  während  der  Ab- 
wesenheit des  Kaisers  die  Stellung  der  Konsuln  wieder  hervor^ 
als  derjenigen^  welche  nun  die  Regierungsbehörde  in  Bom  bildeten'); 


ffotcipiM  ex  eo  gloria,  qtwd  praefectus  urbi  recens  contimuim  potestatem  et 
insokntia  parendi  graviorem  nitre  tetnpercmt.  Sueton  Tib.  42:  postea  prin- 
eeps  in  ipsa  pt^licortm  morum  correctiane  cum  Pompanio  Flacco  et  L.  Pisone 
noetem  continuumque  bidtMtn  epülando  potcmdoque  consumpsit^  quomm  dlteri 
Syriam  pravinciain,  dlteri  praefecturam  iMrbis  confestim  dettüit  Plinins  n.  h. 
14,  145:  credidere  L,  Pisonem  urhis  cwrae  ab  eo  delectum,  guod  hidtto  — 
per  potcUionem  contintMSset  apud  tp^um  iam  principem.  Da  mit  der  Er- 
nennnng  unter  Tiberius  als  Princeps  die  80  Jahre  des  Tacitus  nicht 
stimmen,  so  wollen  Lipsins  X,  Emesti  und  Nipperdey  XV  statt  XX  lesen; 
Mommsen  dagegen  (Staatsr.  2,  1014  A.  2)  behält  XX  bei  und  setzt  die  Er- 
nennung des  Piso  in  das  J.  18,  mit  Bezug  auf  die  gemeinsame  Abreise  des 
Augustus  und  Tiberius  im  J.  14.  Indessen  kann  man  auf  diese  Art  wohl 
die  20  Jahre  des  Tacitus  unterbringen,  nicht  aber  den  Gegensatz  gegen  die 
Betonung  des  princeps  bei  Plinius  und  Sueton  wegschaffen.  Ich  möchte 
die  20  Jahre  des  Tacitus  als  runde  Zahl  fassen,  die  Einführung  der  Stadt- 
priU'ektur  in  dem  nunmehrigen  Sinn  in  den  Anfang  des  Principats  von  Tiber, 
aber  natürUoh  nach  Tac.  1,  7,  wo  nur  die  yon  Augustus  her  übernommenen 
Pr&fekten  erwähnt  werden  konnten,  setzen  und  zwar  sogleich  mit  einer 
Kompetenz,  die  neben  dem  anwesenden  Princeps  ausgeübt  werden  sollte. 
Diese  Kompetenz  selbst  war  nach  Tacitus  schon  von  Augustus  normiert  ob 
magnitudinem  populi  ac  tarda  legum  aiucilia  —  qui  coerceret  servitia  et  quod 
civium  audacia  turbidutn,  nisi  vim  metuat.  Tiber  konnte  sich  also  auch  hier 
auf  Augustus  berufen,  und  diese  Schöpfung  eines  Polizeiministeriums  würde 
dann  zu  den  Mafsregeln  gehören,  mit  denen  er  von  Anfang  an  fflr  seinen 
persönlichen  Schutz  sorgte.  —  Darüber,  dafs  Tiber  vor  dem  J.  26  es  ver- 
mied, Bom  anders  zu  verlassen  als  zu  einer  peregrinatio  süburbana  (Tac. 
wm.  8,  47),  vgl.  Sueton  Tib.  88. 

1)  Bei  der  Verhaftung  des  Sejan  werden  zwar  die  vigiles  statt  der 
Prätorianer  verwendet  (Dio  68,  9),  aber  die  Aufgabe,  über  die  Ruhe  der 
Stadt  zu  wachen,  konnte  nur  dem  Stadtpräfekten  zufallen. 

2)  Der  abwesende  Princeps  fährt  die  Geschäfte  durch  Korrespondenz 
mit  Konsuln  und  Senat.    Dio  58,  10.    Sueton  Tib.  66.    Tac.  ann.  6,^ 

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—     246     - 

allein  eben  durch  die  Aufrichtung  der  Stadtpräfektur  neben  den 
andern  kaiserlichen  Präfekten  waren  jetzt  die  wichtigsten  Teile 
der  hauptstädtischen  Verwaltung  der  alten  Magistratur  vollends 
entzogen.  So  war  mit  dem  neuen  Amt  die  Teilung  der  Macht 
zu  gunsten  des  Princeps  weiter  verschoben. 

3.  Der  Mangel  an  anderweitigen  Verfassungsneuerungen  er- 
klärt sich  zur  Genüge  durch  die  bereits  hervorgehobene  Weite 
der  Befugnisse  des  Principats.  Es  ist  also  die  Handhabung 
dieser  Gewalt  in  erster  Linie ;  welche  jetzt  in  dem  Verfassungs- 
leben Geschichte  macht. 
Verschiedene  Die  Regierung  des  ersten  Nachfolgers  des  Augustus  ist  in 

dei  charaktem  der  altcu  wic  in  der  neueren  Geschichtschreibung  gleich  ve^ 
schiedenen  Urteilen  ausgesetzt  gewesen.  Einem  Tacitus  und 
Dio  steht  Vellejus  gegenüber^),  der  an  die  Auktorität  des  Tacitus 
sichj  bindenden  Jahrhunderte  lang  in  Wissenschaft  und  Schule 
herrschenden  Auffassung  die  günstigere  Würdigung  neuerer 
Historiker ;  die  teils  auf  einem  gewissen  Bedürfnis  der  Reaktion 
gegen  das  Überkommene  beruhend  bis  zu  systematischen  Rettungs- 
versuchen gehen,  teils  auf  eingehende  Kritik  und  Detailkenntnis 
sich  stützend  von  dem  engen  Standpunkt  der  aristokratischen 
Quellen  an  die  Interessen   des  ganzen  Reichs  appellieren.^)    Es 


1)  Bei  Tacitus  geht  von  Anfang  an  die  ganze  Darstellung  von  so  un- 
günstiger Auffassang  ans,  da&  man  von  dem  berühmten  günstigen  urteil 
über  das  erste  Decennium  ann.  4,  6  überrascht  ist  Die  dem  Principat  des 
Tiberins  gewidmete  Schlufspartie  des  Vellejus  2,  124—181,  geschrieben  vor 
dem  Sturz  Sejans  (über  welchen  c.  127  f.),  preist,  was  irgend  gelobt  werden 
konnte,  übergeht  das  Bedenkliche,  oder  stellt  sich,  wie  gegenüber  der 
Agrippina  (c.  ISO)  auf  den  Standpunkt  der  offiziellen  Darstellung.  Sneton 
nimmt  wie  überall  jeden  ihm  merkwürdig  scheinenden  Zug,  der  ihm  aaf- 
stöfst,  unbekümmert  um  das  Gesamtbild,  das  dabei  herauskommt.  Dio,  der 
gleich  zu  Anfang  (67,  1)  eine  Charakteristik  giebt,  weicht  von  Tacitus  nicht 
im  Urteil,  sondern  nur  in  der  Art  der  Darstellung  ab.  Die  spätere  Auszugs- 
litteratur  kommt  nicht  in  Betracht,  auch  Orosius  (7,  4)  nicht,  der  fOr  seine 
Hervorhebung  der  günstigen  Seiten  des  Tiberius  seine  besonderen  Gründe 
hat.  —  Eine  wertvolle  Nebenqnelle,  die  des  Josephus,  der  die  Beziehungen 
der  jüdischen  Fürsten  zn  dem  römischen  Kaiserhofe  mit  groDsem  Interesse 
und  greiser  Ausführlichkeit  verfolgt,  kommt  in  B.  XVII 1  der  Archäologie 
auch  der  Geschichte  des  Tiberius  zu  gute. 

2)  Niebuhr,  Vortr.  herausg.  von  Schmitz- Zeifs  2,  247:  „Von  Napoleon 
wird  erzählt,  dafs  er  gesagt  habe,  Tacitus  habe  dem  Tiberins  nicht  Ge- 
rechtigkeit widerfahren  lassen.**  Niebuhr  selbst  meint,  bis  zu  seinem  fünfidg- 
sten  Jahre  sei  er  ein  grofser  Feldherr  und  Staatsmann  gewes^i:  aber  ^er 

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-     247     - 

liegt  aber  auch  in  den  überlieferten  Thatsachen  selbst  ein  greller 
Widersprach  zwischen  dem  allgemeinen  Zustand  des  Reichs,  der 
befriedigend  war,  und  der  Stimmung  in  Rom,  zwischen  der  Sicher- 
heit und  Festigkeit  des  Kaisers  in  der  Führung  der  Reichs- 
geschäfte und  dem  unheimlich  Lauernden  und  Mifstrauischen  in 
seiner  Stellung  zum  Senat,  zwischen  Zügen  von  Menschenfreund- 
lichkeit und  selbst  weichem  GefühP)  und  dem  vorherrschenden 
Typus  eijies  grausamen  und  unerbittlichen  Despoten,  von  ein- 
fachem, natürlichem  Wesen  und  abschreckendster  Heuchelei.  So 
ist  der  Charakter  Tibers  ein  psychologisches  Problem.  Die  un- 
abhängige Geschichtschreibung  der  Alten  hat  wenigstens  für  die 
Zeit  des  Principats  eine  vorherrschend  ungünstige  Auffassung, 
erklärt  die  besseren  Zeiten  als  Ausflufs  einer  durch  die  Verhält- 
nisse aufgenötigten  Heuchelei,  welche  die  Maske  fallen  läfst,  so- 
bald jener  Zwang  aufhört;  aber  sie  kann  sich  doch  auch  nicht 
dem  Eindruck  entziehen,  dafs  die  ungünstigen  Seiten  der  Natur- 
anlage sich  erst  allmählich  zu  der  erschreckenden  Erscheinung 
ausgebildet  haben,  welche  das  Principat  des  Tiberius  zeigt. ^)  Für 
den  Zweck  unsrer  Darstellung,  für  die  Einsicht  in  die  Fortbildung 
des  ganzen  Systems  dieser  Regierungsform  ist  bei  der  hohen 
Bedeutung  der  Persönlichkeit  in  diesem  System  jene  psycholo- 
gische Seite  nicht  gleichgültig,  aber  im  Vordergrund  der  Be- 
trachtung steht  die  Erwägung  der  mafsgebenden  Einrichtungen, 
in  welchen  die  Mittel  der  Ausübung  der  Herrschaft  liegen. 


besafs  alle  die  Laster,  welche  die  Alten  subdola  neDDen;  sie  alle  werden 
jetat  offenbar/*  Weiter  in  Beschränkung  des  Urteils  Ton  Tacitas  geben 
Merivale,  Dorny,  Ranke,  Mommsen;  um  förmliche  Rettung  sind  bemüht 
Sievers,  Tacitus  et  Tiberius,  Hamburg  1850.  1851.  Freytag,  Tiberius  und 
Tacitns.  Marburg  1868.  Stahr,  Tiberius.  Berlin  1868;  letzterer  kommt 
schlierslich  zu  einer  absurd  sentimentalen  Auffassung.  Auch  Schiller 
1  §  82.  35.  86  steht  der  Rettungstendenz  sehr  nahe.  Eine  mittlere  Auf- 
&a8ung  findet  sich  bei  Binder,  Tacitus  und  die  Gesch.  des  röm.  Reichs 
unter  Tiberius.  Wien  1880,  wo  insbesondere  die  Quellenfrage  behandelt, 
aach  die  Litteratur  über  die  letztere  gegeben  ist. 

1)  Sueton  Tib.  7  (Verhältnis  zu  seiner  ersten  Frau  Agrippina,  der 
Tochter  Agrippas  aus  dessen  erster  Ehe). 

2)  Tac.  ann.  6,  51 :  Morum  quoque  tempara  Uli  diversa:  egregium  vita 
famaque,  quoad  privcUus  vel  in  imperiis  attb  Augusto  fuit;  occultum  ac  sub- 
dolum  fingendis  virttUibus  donec  Germanicus  ac  Drusus  superfuere  etc. 
Saeton  Tib.  21  ist  der  Meinung,  dafs  August  vitiis  Tiberii  virtutibusque 
perpensis  poHores  duxisse  virttUes.  \ 

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Die  Bedeutung         4.  Da  erscheint  nun  als  die  durchschlagendste,  alles  beherr- 
schende Mafsregel  die  Bedeutung,  welche  der  Eaisergarde  in  Elom 
gegeben  wurde.     Wie  Tiberius  sofort,   indem   er  nach  Augusts 
Tod   den  Befehl    über  sie  an   sich  nahm,    die  Lage  beherrschte 
und  dann  ruhig  das  Spiel  des   Zwangs  mit  dem   Senat  treiben 
konnte,  so  blieb  die  bewafihete  Macht,  die  er  in  Rom  um  sich 
hatte,  die  wahre  Stütze  seiner  Regierung.     Diese  Waffe   stand 
von  Anfang  an  jeder  unabhängigen  Aufserung  drohend  entgegen 
und  vernichtete  damit  trotz  dem  gegenteiligen  Schein  den  Spiel- 
raum,  der  dem   Senat  und  überhaupt  dem  yerfassungsmäfsigen 
Leben  von  August  gelassen.    Es  gehören  hieher  die  Sicherungs- 
mafsregeln  und  das  Auftreten  in  bewafiheter  Begleitung  gegen- 
über dem  Senat,  demonstratives  Entfalten  der  bewaffneten  Macht 
in  Rom^),  die  Steigerung  der  Stellung  des  Gardekommandos,  die 
Zusammenziehung  der  ganzen  Prätorianertruppe  in  einem  Lager 
unmittelbar   bei   der   Hauptstadt.^)      Auf    diese   Macht    gestützt 
konnte  Tiber  in  der  laufenden   Politik  des  Tages  den  Senat  in 
ausgedehntestem  Mafse  an  der  Regierung  teilnehmen  lassen;  er 
war  sicher,  dafs  man  nicht  gegen  seinen  Willen  handeln  würde. 
Daher  die  Hervorhebung  der  äufseren  Achtung  vor  der  hohen 
Körperschaft  und  der  Magistratur,  die  Verweisung  von  Geschäften, 
die  der  Princeps   ohne  jeglichen  Widerspruch   allein  vollziehen 
konnte,  an  den  Senat ^,  ja  sogar  die  Steigerung  seiner  Kompetenz 
durch  die  Übertragung  der  Magistratswahlen  und  den  Ersatz  der 
Gesetzgebung  durch  Senat«konsulte.*)    Aber  das  Verhältnis  zum 


1)  Tac.  ann.  1,  7:  miles  in  forum  ^  tniUs  in  cwriam  comäabcUur.  Dio 
67,  2:  tovg  te  aafiLatotpvlaTtag  dfttp'  avtov  i}9rj  i%(ov  iSeCro  trjq  yBQOvüieis 
GVvaqaö^aC  ot  u.  8.  w.  c.  24  (z.  J.25):  h  9'  oiv  t6  rote  o  Ttßigios  ttiv  xov 
doQVtpoQiKOv  yvfuvaa^av  to£g  ßovXevtaig  manSQ  ayvoovai  tr^v  dvvafuv  avrmy 
inidsiisv  onag  xal  noXXovg  atpag  xal  i^fattivovg  ISovtsg  fuilXov  avxov 
(foßmvrai, 

2)  Tac.  ann.  4,  2:  Vim  praefecturae  modicam  antea  intendü,  di^peraas 
per  urbem  cohortes  una  in  castra  conducendo,  Sueton  c.  37.  Dio  67,  19. 
Das  Lager  lag  aulflerhalb  der  porta  Viminalis  des  Bervianischen  Walls, 
zwischen  diesem  und  der  späteren  aorelianischeu  Mauer. 

3)  Tac.  ann.  3,  60 :  Sed  Tiberius  vim  principatus  sibi  firmcms  itnaginem 
antiquitcUis  senaiwi  praebeboit,  postulata  provinciarum  ad  disquisitionem  por 
trum  mittendo,  3,  69.  4,  6:  iam  primum  publica  negotia  et  privatwrum 
maxima  apud  patres  tradabantur  — ;  «ua  consuUbus  9ua  praetoribus  speeies  etc. 
Sueton  27  fiP.    Dio  67,  8  ff. 

4)  Es  ist  gelegentlich  der  Übertragung  der  Wahlen  an  den  Senat,  dals 
Mommsen,  Staatsr.  2,  898  urteilt:   „auch  nach  dieser  Seite  hin  also  wie 

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Senat  wurde  darum  für  den  Princeps  doch  kein  beruhigendes. 
Wäre  er  auch  anderer  Natur  gewesen  als  er  war,  so  hätte  der 
Fluch  der  Tyrannis^  —  und  nichts  anderes  ist  es  ja  eben  durch 
diese  Stellung  zur  bewafiEoeten  Macht,  was  er  einführte  — ,  das 
Mifstrauen  gegen  jeden  Mitwirkenden,  sein  Werk  gethan:  so  aber . 
waren  durch  die  Naturanlage,  die  früheren  Schicksale,  das  Be- 
wufstsein  der  Unpopularität  und  der  eigenen  Unfähigkeit  solche 
zu  gewinnen^)  gegenüber  grölster  Popularität  anderer,  durch  die 
Möglichkeit,  dafs  über  das  Principat  auch  in  anderer  Weise  ver- 
fügt werden  konnte,  ebenso  viele  Momente  gegeben,  das  Mifs- 
trauen zu  erhalten  und  schliefslich  zum  entscheidenden  in  allem 
zu  machen.^)  Die  unvermeidliche  Begleiterin  des  Miiatrauens 
aber,  die  Heuchelei,  fehlte  auch  hier  nicht,  auch  hier  vorbereitet 
durch  den  Zwang,  den  der  wenig  geliebte  Stiefsohn  Augusts  zu 
dessen  Lebzeiten  andern  gegenüber  sich  hatte  auferlegen  müssen.') 
Man  wird  dem  Tiberius  nicht  unrecht  thun,  wenn  man  urteilt, 
dafs  niemals  in  seinem  ganzen  Principat  ein  aufrichtiges  Ver- 
hältnis zwischen  ihm  und  dem  Senate  geherrscht  habe,  nicht 
blofs  in  dem  Sinne,  in  dem  dieser  Mangel  am  Principat  über- 
haupt, auch  an  dem  des  Augustus  hing,  sondern  in  dem  beson- 
deren, dafs  jeder  Akt  des  Senats  dem  Mifstrauen  des  Herrschers 
begegnete  und  die  Ausübung  der  Funktion  des  Senators  nicht 
mehr  ein  Recht,  sondern  ein  Zwang  war,  dem  unter  der  stets 
wachsamen  Eontrolle  ängstlich  gehorcht  wurde. 

5.  Ein  Gegengewicht  gegen  den  Mifsbrauch  dieses  Gewalt-  we  beMeren 
Verhältnisses  bildeten  nun  allerdings  bessere  Züge  seines  Charak-  ben  BegioruDg. 
ters.     Angeborenes  Gefühl   für  eine  ererbte   hohe  Stellung,   die 
keines  leeren  Aufputzes  bedarf,  lieÜB  ihn  leere  Ehrenbezeugungen 
gering  achten  und   das  Wesen  der  Macht  erfassen,   nicht  deren 
Sehein/)     Ein   in   Arbeit   und   mannigfacher   Entsagung    zuge- 


nach  der  monarchiBchen  hat  Tiberins  das  Princip  der  Dyarcbie  zuerst  voll 
und  scharf  zam  Ansdrack  gebracht.'^ 

1)  Tac.  ann.  3,  69:  quanto  rarior  apud  Tiberium  popidaritas, 

2)  4,  70:  secutae  Utterae  —  grates  agentis  quod  hominem  infensum  reip, 
punitnssent^  adiecto  trepidam  sibi  vitam^  stupectas  inimieorum  insidiaa  etc. 

8)  Liefs  er  sich  doch  zu  einem  Gedicht  auf  den  Tod  des  L.  C&sar 
herbei,  des  Eokelsohns  Augusts,  der  seinen  Hoffnungen  in  den  Weg  gestellt 
worden  war.    Suet.  Tib.  70. 

4)  Tac.  2,  14:  (Tib,)  moderandos  feminarum  honores  dictitana  eademque 
se  temper amtia  usi^um  in  iis,  quae  sibi  tribuerentwr,  4,  37:  {Tib.)  vaUd%i^ 
älioqui  spemendis  hanoribus.    Sueton  Tib.  36:  praenomen  quoque  imperatoria  ^ 

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-     250     - 

brachtes  Leben  hatte  den  Sinn  f&r  einfache  Lebensweise  in  ihm 
erhalten  und  liefs  ihn  denselben  auch  in  der  Stellung  des  Herr- 
schers nicht  nur  für  sich  selbst  bewahren ,  sondern  auch  in  Be- 
gierungsmafsregeln  bethätigen  ohne  Übertreibung.^)  Dieselbe 
rege  Thätigkeit  in  allen  Teilen  des  romischen  Herrschaftsgebiets 
unter  den  Augen  und  in  steter  Beratung  mit  einem  Politiker  wie 
Augustus  hatte  ihn  die  Bedürfnisse  des  Reichs  in  einer  Weise 
kennen  gelehrt,  wie  kein  anderer  neben  ihm  sie  kannte,  und  liels 
ihn  fortwährend  —  gleichgültig,  ob  aus  menschlichem  Literesse  f&r 
die  Unterthanen  oder  aus  dem  Interesse  des  Staatsmanns,  den 
überkommenen  guten  Zustand,  den  er  mitgeschaffen,  erhalten  zu 
sehen  —  als  natürlichen  Anwalt  der  Provinzialen  gegen  räuberische 
Beamte  und  als  Helfer  in  Unglücksfällen  handeln.^)  Die  augusteische 
Idee  des  Principats  als  einer  Gewalt,  die  überall  aushelfen  sollte, 
machte  er  in  seiner  beständigen  Teilnahme  an  den  Gerichts- 
verhandlungen^) wie  in  der  Fürsorge   für  das   materielle  Wohl 


cognomenque  pcUris  patriae  et  civicam  in  vestibiilo  coronam  recuaavit,  ac  ne 
Augusti  quidem  nomen,  quatnquatn  hereditarium  tiUis  nisi  ad  reges  ac  dtffuh 
8ta8  epistolis  addidit.  Dio  67,  2.  8:  ovzs  yag  9ean6trjv  iavtov  xois  iXev- 
^igotg  ovts  ocvrongatoga  nlrjv  toCg  axgatioaTaig  nalsiv  iq>£si,  das  übrige  wie 
SuetoD.  Bestätignng  hiefür  giebt  zum  Teil  die  Titulatur  auf  Inschriften  and 
Münzen,  vgl.  die  Indicee  von  Orelli-Henzen  und  Wilmanns,  sowie  die  Münzen 
bei  Cohen  I  p.  188  fiF.  Der  Titel  ist  Ti,  Caesar  divi  Augusti  flüius),  wozu 
dann  noch  der  Augustusname ,  der  die  Siege  bezeichnende  Imperatoreniitel 
öfter  ohne  die  Wiederholnngszahl,  die  trib,  pot.  und  der  Pontificat  kommen. 

1)  Vgl.  die  Verhandlungen  über  Malfiregeln  gegen  den  Luxus.  Tac. 
ann.  8,  52  ff.  und  die  CharakterisieruDg  des  Tiberius  selbst  c.  62  als  princeps 
antiquae  parsimoniae. 

2)  Tac.  ann.  4,  6 :  n«  provinciae  novis  oneribus  turbarentur  utque  velera 
sine  avaritia  aut  crudditate  magistraiuum  tolerarent,  provideibat:  corponm 
verbera^  ademptiones  bonorum  aberant.  Die  Ironie  des  oft  citierten  Worts  Suet 
Tib.  82 :  boni  pastoris  esse  tondere  pecus  non  deglubere  l&Ist  verschiedene  Deutung ' 
zu.  Dahin  gehören  dann  auch  die  zahlreichen  Repetundenprozesse,  wovon 
übrigens  unten.  Auch  das  coniinuare  imperia  ac  plerosque  ad  finem  vitae  in 
isdem  exercitibus  aut  iurisdictionibus  habere  (Tac.  ann.  1,  80)  wirkte  fördernd 
mit,  obwohl  hier  anch  andere  Gründe  mit  unterliefen.  —  Positive  Hilfe- 
leistung nach  dem  Erdbeben  in  Asien  2,  47,  nach  Sueton  48  allerdings  der 
einzige  Fall.  • 

3)  Sueton  Tib.  38.  Tac.  1,  76:  nee  patrum  cogniHonibus  saiiahts 
iudiciis  adsidebat  in  cornu  tribundlis,  ne  praetorem  eurüli  depeUeret,  muHaque 
eo  coram  adversus  ambitum  et  potentium  preces  constüuta;  wenn  aber  Tadtoi 
hier  beisetzt:  sed  dum  veritati  eonstUitur,  libertas  corrumpebatur^  so  hat  er 
auf  diesem  Gebiet  nicht  unrecht,  da  sich  die  Selbständigkeit  des  Becht- 
Sprechens  mit  solch  beständiger  Überwachung  nicht  vertrag. 

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der  Hauptstadt^),  in  der  sorgfaltigen  Pflege  des  Finanzwesens 
bis  zuletzt  geltend.^)  Jene  Schule  des  Augustus  machte  ihn 
femer  zum  vorsichtigen  Hüter  der  auswärtigen  Beziehungen  des 
Reichs  y  und  so  auf&llend  es  sein  mochte ,  den  Heerführer ,  der 
in  grofsen  Unternehmungen  Thatkraft  und  Initiative  gezeigt,  nun 
nachdem  er  zu  freiem  Handeln  gelang  war,  das  Testament  des 
Augustus  mit  seiner  Empfehlung  der  Enthaltsamkeit  getreu 
wahren  zu  sehen  ^)y  so  mufste  der  kühle  Beurteiler  doch  aner- 
kennen, dafs  diese  dem  reifen  Alter  des  Herrschers  zu  verdankende 
Vorsicht,  wenn  sie  auch  zum  Teil  Berechnungen  der  persönlichen 
Sicherheit  entsprungen  war,  doch  zugleich  den  wahren  Interessen 
des  Reichs  besser  diente,  als  die  abenteuerlichen  Eroberungspläne 
des  Germanicus. 

Endlich  selbst  iden  Soldaten  gegenüber  hat  Tiberius,  nach- 
dem einmal  die  ersten  durch  den  Regierungswechsel  hervor- 
gerufenen Bewegungen  durch  mäfsige  Eonzessionen  überwunden 
waren,  ohne  weitere  Zugeständnisse,  ja  selbst  unter  Zurücknahme 
der  früher  gemachten,  Disciplin  und  Ergebenheit  aufrecht  zu  er- 
halten gewufst.*) 

Gelang  es  ihm  so,  in  Fortführung  dessen,  was  Augustus 
erzielt  hatte,  mit  seiner  ebenfalls  langen  Regierung  der  ganzen 
Reichsverwaltung  eine  Festigkeit  und  Sicherheit  zu  geben,  wie 
sie  bisher  noch  niemals  dagewesen,  so  wirkten  nun  aber  andrer- 
seits jene  entgegengesetzten  Züge  seines  Charakters,  je  mehr  sie 
sich  ausbildeten,  so  verhängnisvoll,  dafs  die  zweite  Hälfte  seiner 

1)  Fürsorge  gegen  Hangersnot  Tac.  2,  87.  Vell.  2,  126:  qwmdo  an- 
nona  moderatior?  wozu  Tac.  6,  18:  addidit,  quibua  ex  provinciis  et  qtianto 
maiorem  quam  Augtisius  rei  frumentariae  copiam  advectaret,  Hilfe  nach  dem 
Brandonglück  der  J.  27  (Tac.  4,  64  f.)  und  86  (6,  46).  Eingreifen  bei  Geld- 
kalamit&t  6,  17  (refecta  fides).    Snet.  48. 

2)  Bei  aller  Sparsamkeit  war  er  doch  erogandae  per  honesta  pecimiae 
cupiens,  quam  virtutem  diu  retinuit,  cum  ceteras  exueret.  Tac.  1,  76.  Das 
Resaltat  seiner  Verwaltung  war  ein  wohlgefüllter  Staatsschatz.  Suet.  Cal.  87. 
Indessen  wollte  er  dabei  unkontrolliert  sein,  vgl.  ebendas.  o.  16:  raiiones  a5 
Augusto  proponi  solitas  sed  a  Tibtrio  intermissas  publicamt  {C.  Caesar), 

8)  Tac.  ann.  2,  26. 

4)  Suet.  Tib.  48:  Militi  post  dupUc(xta  ex  AugusH  testamento  kgaia 
nihü  unquam  largitus  est  praeterquam  singtila  müia  denariorum  praetorianis, 
qw)d  Seiano  se  non  accommodassent,  et  quaedam  munera  Syriacis  legionibus, 
quod  sölae  nuUam  Seiani  imaginem  inter  sigfia  colu/issent;  atque  etiam 
nissiones  veteranarum  rarissimaa  fecit  ex  senio  mortem  ex  morte  compendium 
captans,  r^  i 

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—     252     ~ 

Regierungszeit  nicht  nur  für  sich  zu  den  düstersten  Perioden  der 
Eaiserzeifr  gehört,  sondern  auch,  indem  sie  die  Widerstandsfähig- 
keit des  Senats  systematisch  vernichtete,    dem  Despotismus  der 
nachfolgenden  Regierungen  die  Wege  bahnte. 
Die  Wendung  6.  Die  altcu  Quellen  machen  den  ersten  Einschnitt  in  der 

meren.  Rcgicrung  dcs  Tibcrius  bald  mit  dem  Tode  des  Germanicus,  bald 
mit  dem  des  eigenen  Sohns  des  Tiberius,  des  Drusus,  im  J.  23, 
sofern  letzteres  Ereignis  teils  an  sich  von  wichtigen  Folgen  ge- 
wesen, teils  in  Verbindung  gestanden  sei  mit  dem  Aufkommen 
Sejans.^)  In  der  That  ist  das  Verschwinden  dieser  zwei  Sohne, 
wenn  auch  in  verschiedener  Weise,  epochemachend  gewesen.  Die 
Stimmung  von  Volk  und  Armee  für  Germanicus  war  ein  Faktor, 
mit  dem  Tiberius  rechnen  mufste.  Die  Vorgänge  in  Germanien 
unmittelbar  nach  dem  Regierungswechsel  liefsen  zwar  die  Loyalität 
des  Adoptivsohns  glänzend  aus  der  scharfen  Probe  hervorgehen, 
so  dafs  selbst  das  Mifstrauen  dieses  Herrschers  ihm  personlich 
gegenüber  beschwichtigt  sein  mufste*,  allein  ebenso  hatte  man 
gesehen,  dafs  die  Popularität  des  jüngeren  Mannes,  der  alles  zu 
haben  schien,  was  dem  Tiberius  fehlte,  genügte,  um  gegen  seinen 
Willen  Bewegungen  hervorzurufen,  und  die  Klugheit  gebot,  dieser 
Lage  der  Dinge  nicht  durch  ein  offen  despotisches  Verfahren 
Nahrung  zu  geben  und  so  die  Erinnerung  daran  wachzurufen, 
dafs  Germanicus  der  leibliche  Sohn  des  Mannes  war,  dem  man 
republikanische  Neigungen  zugeschrieben  hatte  (ob.  S.  161  A.  1). 
Bitter  mochte  es  Tiberius  empfinden,  dafs  in  der  öffentlichen  Meinung 
ihm  der  Neffe  und  Adoptivsohn  vorgezogen  wurde,  der  an  Regie- 
rungsfähigkeit weit  unter  ihm  stand,  und  dessen  Auftreten  er  mit 
Recht  in  wichtigen  Punkten  Veranlassung  hatte  in  Schranken  zu 
weisen  oder  direkt  zu  tadeln.  Denn  nachdem  Germanicus  gezeigt 
hatte,  dafs  er  jedenfalls  keine  Garantie  für  glückliche  Durch- 
führung germanischer  Eroberungen  bot,  mufste  ihm  Tiberius 
die  Grenzen  vorschreiben  und  ihn  auf  ein  anderes  Kommando 
versetzen  y  und  wenn  von  Augustus  her  für  jeden  Mann  senato- 
rischen Standes  streng  verboten  war,  ohne  Erlaubnis  des  Prineeps 
Ägypten  zu  betreten,  so  durfte  Tiberius  es  nicht  übersehen,  dafs 


1)  Wendepunkt  beim  Tode  des  GermanicoB  Dio  67,  18  a.  £.,  bei  dem 
des  Drusas  Tac.  4,  7.  Schlieralich  nach  dem  Tode  der  Livia  Tac  b,  Z:  ex 
eo  praerupta  tarn  et  urgens  dominatio;  nam  incolumi  Augusta  erat  adhitc 
perfugium,  quia  Tiberio  inveteratum  erga  matrem  obsequium  neque  Seianus 
aiidebat  auctoritcUi  parentis  anteire, 

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_    253    — 

Germanicus  dieses  Verbot  mifsachtete.^)  Der  Tod  des  letzteren 
im  J.  19  y  an  dem  ihm  die  Schuld  aufzubürden  weder  durch  die 
gegebenen  Indicien  gerechtfertigt^)^  noch  nach  den  innem  Gründen 
des  Zwecks  und  daraus  zu  ziehenden  Nutzens  angezeigt  ist,  befreite 
ihn  immerhin  von  dem  Gefühl,  sich  mit  dem  eignen  Verhalten 
fortwährend  in  der  öffentlichen  Meinung  an  einem  andern  ge- 
messen zu  wissen,  brachte  den  eigenen  Sohn  Drusus  in  die  natür- 
liche Stellung  und  verwies  die  Ansprüche  der  Germanicuskinder 
in  eine  fernere  Zukunft.  Aber  diese  Zeit  einer  gewissen  Beruhi- 
gung währte  nicht  lange.  Der  Tod  des  Drusus  im  J.  23  brachte 
die  Nachkommenschaft  des  Germanicus  wieder  in  die  nächste 
Anwartschaft  und  veranlafste  damit  zugleich  das  schroffere  Her- 
vortreten seiner  Wittwe,  der  unversöhnlichen  Agrippina,  die  jetzt 
nicht  blofs  mit  ihren  Klagen  über  das  Vergangene  dem  Tiber, 
sondern  auch  mit  ihren  Hoffnungen  für  die  Zukunft  dem  Sejan 
gegenüberstand,  dem  derselbe  Todesfall  die  Herrschaft  bereiten 
sollte.  L.  Alius  Sejanus,  gleich  zu  Anfang  der  neuen  Regierung 
seinem  Vater  Seius  Strabo  im  Kommando  der  Leibwache  bei- 
gegeben, Begleiter  des  jungen  Drusus  auf  seiner  Mission  zu  den 
aufständischen  Legionen  in  Illyricum,  nach  seiner  Rückkehr  sofort 
ein  Gregner  des  Germanicus,  seit  dem  J.  17  alleiniger  Inhaber 
des  Gardekommandos  ^)  und  in  dieser  Stellung  mit  Erfolg  bemüht, 
den  Einfluls  seines  Postens  aufs  höchste  zu  steigern,  hatte  eben 
im  J.  23  die  Zusammenziehung  des  ganzen  Gardekorps  in  dem 
^inen  Lager  in  Rom  ausgeführt.  Von  Tiberius,  der,  nahezu  gegen 
alle  andern  mifstrauisch^),  diesem  Manne  allein  unbedingtes  Ver- 

1)  Tac.  ann.  2,  69.  , 

2)  Wenn  Antouia,  die  Mutter  des  Germanicus,  deren  Charakter  all- 
gemein anerkannt  war,  gegen  Tiberius  Verdacht  gehegt  hätte,  so  hätte  sie 
ihm  nicht  die  Freundschaft  gewahrt,  die  sie  nach  Joseph,  antiq.  18,  6,  6 
ffir  ihn  hatte. 

3)  Ober  Sejans  Laufbahn  Tac.  1.  24.  69.    3,  29.    35.    72.    4,  1. 

4)  Im  J.  21  war  der  von  Augnstus  übernommene  Geheimsekretär 
C.  Sallustius  gestorben,  der  aetcUe  provecta  speciem  magis  in  amicitia  prin- 
dpis  quam  vim  tenuit  (Tac.  3,  30).  Die  sonst  genannten  Vertrauten  und 
anch  von  Tacitus  als  Charaktere  anerkannten  Senatoren  M\  Lepidus  (4,  20), 
der  Stadtpräfekt  L.  Piso  (ob.  S.  244  A.  1),  der  rcchtegelehrte  Eonsular  Coccejus 
Nerva,  Tibers  Begleiter  nach  Capri  (4,  68),  und  der  hotno  navus  Lucilius 
Longos,  Coos.  im  J.  7  n.  Ch.,  gest.  im  J.  23  (4,  15)  übten  offenbar  nur 
gelegentlich  Einflnfs  und  hüteten  sich  entschieden  aufzutreten.  Dafs  Lepidus 
dem  Kreise  des  Sejan  aus  dem  Wege  ging,  zeigt  Tac.  3,  36,  und  Nerva 
entaog  sich  den  Eindrücken  des  Aufenthalts  in  Capri  durch  Selbstmord  6^26. 

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-     254     - 

trauen  schenkte,  zum  Mentor  seines  Sohnes  Drusus  bestimmt, 
hatte  er  noch  höher  gehende  Pläne  gefa&t  und  nach  der  Nach- 
folge für  sich  selbst  strebend  nun,  was  freilich  erst  später  er- 
wiesen wurde,  den  Drusus,  der  sich  schon  seinen  unmittelbaren 
Einflufs  nicht  gefallen  lassen  wollte,  durch  Vergiftung  beseitigt^) 
Jetzt  beginnt  dann  die  Zeit,  in  welcher  Sejans  Einflufs  alles  ander« 
zurückdrängt,  und  es  entsteht  ein  wahrhaft  dramatisches  Inte^ 
esse,  wenn  man  sieht,  wie  der  betrogene  Herrscher  den  nicht 
hoch  genug  heben  kann,  der,  nachdem  er  seinen  Herrn  von  Greuel 
zu  Greuel  geführt,  ihn  selbst  zu  stürzen  sucht,  bis  er,  dem  kein 
Mann  zu  trotzen  wagte,  endlich  durch  das  Eingreifen  einer 
Frauenhand  der  Rache  verfällt*) 

Der  Schlüssel  nun  zum  Verständnis  des  Verhaltens  Tibers  wäh- 
rend der  Zeit  des  Sejanischen  Einflusses  und  in  den  sechs  daraof 
folgenden  Jahren  mag  darin  gefunden  werden,  dals  Tiberius  wah^ 
nahm,  wie  Agrippina  nunmehr,  nachdem  Drusus  gestorben,  durch 
die  Aussicht  auf  die  Nachfolge  ihrer  Söhne  unter  den  Senatoren 
Freunde  gewann.  Es  galt  diese  entgegenstehende  Seite,  die  dazu 
wirklich  gehörenden  oder  im  Verdacht  stehenden,  zu  vernichten. 
Sicherheit  dagegen  suchte  er  jetzt  mehr  als  je  in  der  jedermann 
vor  Augen  gestellten,  unter  Sejans  Befehl  concentrierten  Milita^ 
macht,  aber  es  bildete  dies  nur  den  drohenden  Hintergrund  f&r 
anderweitiges  Vorgehen.  Die  Wafien  nämlich,  welche  der  Princeps 
unmittelbar  gebrauchte^  waren  die  früher  schon  vereinzelt  von 
ihm  angewandten,  auch  unter  der  Bepublik  gegen  politische 
Gegner  bewährten,  welche  der  Eriminalprozefs  bot,  und  zwar  die 
durch  das  Majestäts-  und  Repetundengericht  gegebenen  Anklagen^ 
die  er  vor  sein  Forum  ziehen  oder  dem  Senat  zur  Aburteilung 
überlassen  konnte,  und  die  ihrer  Natur  nach  eben  gegen  Schul- 
dige aus  dem  Senatorenstand  gerichtet  waren.  Die  Schuldigen 
herauszufinden  und  zu  bezeichnen  war  die  Aufgabe  der  Delatoren, 
der  freiwilligen  Angeber,  deren  durch  die  Prozefsordnung  be- 
günstigtes und  durch  Belohnungen  gefördertes  Auftreten  nun 
eine  stets  bereite  Hilfe  für  die  Verfolgung  wird;  die  Exekution 


Immerhin  zeigen  diese  Beispiele  wie  das  Verhalten  der  Antonia,  d&Is  die 
besseren  Seiten  im  Charakter  geeignet  waren,  ihm  nachhaltige  Sympathieen 
zn  erwecken. 

1)  Dio  67,  22.    68,  11.     Tac.  4,  11. 

2)  Vgl  die  Erzählung  vom  Eingreifen   der  Antonia  Joseph,  aniiq.  18, 
6,  6.    Es  geschah  im  J.  81. 

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—    255     — 

der  Urteile  und  die  Niederhaltung  der  Erbitterung,  welche  der 
gegen  die  MiTsliebigen  eröfifnete  Kampf  hervorbringen  mufste^  war 
durch  die  Prätorianer  gesichert 

7.  Die  Einführung  des  Majestätsprozesses  in  das  römische  nie  Majestftts- 
Kriminalgericht  war  in  der  Republik  durch  ein  tribunicisches  prozesae. 
Gesetz  erfolgt  (1,485  A.  4);  durch  Sulla  und  den  Diktator  Cäsar 
war  derselbe  durch  neue  Gesetze  weiter  ausgebildet  worden,  und 
die  lex  Jtdia  de  maiestcUe,  ob  in  der  Form  des  Julius  Cäsar,  oder 
in  einer  durch  Augusti^  schon  erweiterten  Gestalt,  war  die 
Grundlage  des  Verfahrens  in  der  Kaiserzeit.  ^)  Unter  den  ur- 
sprünglichen Motiven  der  Majestätsanklage  war  nachweislich  mit 
begrififen  gewesen  der  Schutz  der  tribunicischen  Gewalt,  indem 
diese  zwar  mit  dem  Becht  der  Selbsthilfe  und  dem  ganzen  Schutz 
der  lex  saoraia  ausgestattet,  aber  in  den  Parteikämpfen  der 
späteren  Bepublik  damit  nicht  ausgekommen  war.  Allein  dies 
war  nicht  der  einzige  Zweck  des  neuen  Verfahrens  gewesen, 
sondern  es  waren  auch  Staatsverbrechen  in  weiterem  Sinne  mit 
in  den  Begriff  aufgenommen  worden.  Auch  in  der  Kaiserzeit 
sollte  nicht  etwa  blofs  die  tribunicische  Gewalt  durch  dieses 
Gesetz  geschützt  werden,  sondern  es  war,  wie  die  klassischen 
Juristen  zeigen,  immer  noch  auch  auf  die  Majestät  des  Staats 
und  seiner  Organe  in  weiterem  Sinne  und  die  Abwehr  von  Hoch- 
verrat gerichtet.*)  Eine  besondere  Verwertung  für  die  Person 
des  Princeps  hatte  nun  schon  Augusti^s  eingeführt  und  ziemlich 
weit  auszudehnen  versucht;  allein  er  war  doch  selten  in  den  Fall 
gekommen,  davon  Gebrauch  zu  machen.^)  Tiberius  dagegen 
machte  nicht  blofs,  zuerst  sparsam,  dann  in  immer  steigendem 
Mafse  diesen  Gebrauch,  sondern  er  nützte  auch  die  Weite  des 
Begriffs  in  unerhörter  Weise  aus,  liefs  neben  die  gesetzliche 
Strafe  der  Verbannung  die  Todesstrafe  setzen  und  die  Mittel  des 
Verfahrens  aufs  gehässigste  handhaben/)     Diese  Waffe  war  es 

1)  Vgl.  Dig.  48,  4.  Ad  legem  Jüliam  maiestcUis.  Von  Neuereö  vgl.  für  die 
Kaiserzeit  Bein,  Eriminalrecht  S.  604—697.  Ders.  in  Panlys  Bealencykl.  4, 
1464  ff.    Mommsen,  röm.  Str.  2,  730  f. 

2)  Tao.  1,  72  und  die  angef.  Digestenstelle. 

3)  So  gegen  Cornelins  Gallas.  Dio  63,  23.  Suet.  Aug.  66.  AuCBerdem 
sagt  Tacitos  ann.  3,  24  mit  Bezug  auf  die  bei  dem  Ehebrach  der  Julia  Be- 
teiligten: (Ätigtistus)  ctdpam  inter  viros  ac  feminas  vulgatam  grcm  nomine 
laesarum  rüigumum  ac  violatae  maiestatis  appelUmdo  clementiam  tnatorum 
suasque  ipse  leges  egrediebatur ;  8.  femer  folg.  Anm. 

4)  Tac.  1,  72:  primus  Äugustus  cognitionem  de  fatnosis  libeUiaspecie 

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-     266     — 

denn,  welche  die  zweite  Hälfte  der  tiberianischen  Regierung  zu 
einer  Schreckensherrschaft  für  die  römische  Gesellschaft  machte 
und  gleich  abschreckend  gehandhabt  wurde  unter  dem  Einflofs 
Sejans  wie  in  dem  Straf-  und  Rachegericht,  das  über  diesen 
selbst  erging,  sowie  schliefslich  nach  dessen  Sturz  in  der  Ver- 
nichtung der  Agrippinapartei.  Aber  immer  nur  das  Majestats- 
gesetz  anzuwenden  war  zu  einförmig,  und  da  nun  in  dem  Repe- 
tundengesetz  eine  zweite,  analoge  WaflFe  vorhanden  war,  so  wurde 
auch  diese  zu  Hilfe  genommen.  Es  ^ar  an  sich  gerade  eine 
gute  Seite  der  Verwaltung  des  Tiberius  gewesen,  dafs  er  der 
Ausplünderung  der  Pnrvinzen  entgegentrat;  allein  auch  hier  war 
es  nicht  schwer,  Dinge,  die  durch  das  Herkommen  den  Charakter 
des  Strafbaren  verloren  hatten,  nach  strengem  Recht  zur  Strafe 
zu  ziehen,  um  das  Merkmal  des  Tendenzprozesses,  das  hier  in 
der  Auswahl  derer,  die  man  vor  Gericht  zog,  gegenüber  den  un- 
behelligten liegt,  zu  erkennen,  ist  das  Material  der  Thatsachen 
für  uns  zu  unvollständig,  doch  genügt  es  immerhin,  um  den  Ein- 
druck zu  gewinnen,  dafs  auch  hier  Mifsbrauch  stattfand.^)  Die 
Gesetze  hatten  für  die  genannten  Verbrechen  den  Quästionen- 
prozefs  in  Aussicht  genommen;  allein  wie  schon  unter  Augustus 
der  Senat  ein  mit  den  Quästionen  konkurrierendes  Forum  ge- 
worden war,  so  liefs  auch  Tiberius  den  Majestäts-  und  Repetunden- 


legis  eiu8  tradavit,  cammottis  Cassii  Severi  lihidine  (vgl.  Dio  56,  27  e.  J.  IS 
it  Gh.),  mox  Tiberius  (i.  J.  16)  consuUante  Pompeio  Macro  praetore,  an 
ii*dicia  maiestatis  redderentur^  exercendas  leges  esse  respondit.  Zur  Greschichte 
der  Weiterbildung  unter  Tiberius  2,  50  {adolescebat  interea  lex  maiestatis 
zum  J.  17);  8,  88:  postulaverat  de  repetundis  addito  maiestatis  crimine,  quod 
tum  omnium  accusationum  complementum  erat;  hinsichtlich  der  angeklagten 
Handlungen  Sueton  Tib.  58.  61.  Tac.  4,  34  f.  Indessen  sind  die  Fälle  in 
dem  ersten  Jahrzehnt  yerhältnismäfsig  selten,  und  bei  mehreren  lehnt 
Tiberius  die  Verfolgung  ab,  so  1,  78.  2,  50;  um  so  zahlreicher  sind  sie  in 
der  zweiten  Hälfte  der  Regierung.  (Aufzählung  z.  B.  bei  Rein,  Eriminalr. 
S.  548  f.)  Die  im  Qesetz  Torgeschriebene  Strafe  des  Exils  erscheint  gegen- 
über den  Fällen  mit  Todesstrafe  als  Ausnahme.  Nach  dem  Sturze  de^ 
Sejan  incitaiu^  suppliciis  cunctos  qui  carcere  attinebantur  (tccuscUi  societcäis 
cum  Seumo  necari  iubet.  ann.  6,  19.  Hinsichtlich  des  Verfahrens  der  Dela- 
toren, des  Zengenverhörs  u.  dgl.  aufser  den  Ton  Tacitus  beigebrachten  Details 
Sueton  61.  Hinsichtlich  der  Strafe  besonders  zu  bemerken  die  setäentia  des 
M\  Lepidus  Tac.  8,  50  extr. 

1)  Vgl.  die  Darstellung  vom  Prozefs  des  Prokonsuls  Ton  Aeio», 
G.  SiluDus,  im  J.  22  bei  Tac.  8,  66  ff.  (c.  67:  multa  adgereb<mtur  eüam 
insontibus  periculoea  etc.). 

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prozefs  im  Senat  vor  sich  gehen  ^),  und  dies  war  in  seinen  Polgen 
noch  schlimmer  als  der  vom  Despoten  direkt  verübte  Justizmord. 
Während  durch  jene  Prozesse  der  erste  Stand  des  Reichs  sich 
selbst  zerfleischte,  das  Geschwür  des  Delatorentums  am  eigenen 
Leibe  ausbildete,  nicht  nur  ein  freisprechendes  urteil  nicht  wagte, 
sondern  sich  in  Schärfung  der  Bluturteile  überbot*),  stand  Tiberius 
schweigend  daneben,  zuweilen,  wo  er  besonders  hafste,  auftauchen, 
den. Gefühlen  der  Milde  entgegentretend^)  und  gegen  die  am 
bittersten  Gehafsten  in  grausamer  Lust  des  Quälens  schwelgend*), 
zuweilen  mit  gleich  bitterer  Ironie  der  Sache  wie  des  Willens 
mäfsigend  und  Garantie  gegen  allzu  rasches  Vorgehen  heuchelnd.^) 

Nicht  dafs  der  Senat  eine  tote  Masse  war,  in  der  niemand  Parteigegen- 
besondere Bestrebungen  gehabt  hätte:  im  eigenen  Anhang  des  souaukreisen. 
Despotismus  gab  es  Parteien,  Anhänger  des  Sejanus  und  wieder 
Männer,  die  direkt  der  Person  des  Princeps  nahe  genug  standen 
um  der  Vermittlung  des  allmächtigen  Günstlings  nicht  zu  be- 
dürfen, ja,  soweit  die  Eaiserinmutter  eine  eigene  Stellung  am  Hofe 
einnahm,  auch  ihre  Anhänger^  und  diesen  allen  gegenüber  dann 

1)  Näheres  über  die  EompeteDZ  des  Senats  und  die  unter  andern 
Kaisern  häufig  konkurrierende  des  Princeps  unten  im  System.  Hinsichtlich 
des  Tiberius  vgl.  Tac.  4,  16:  —  patres,  apud  quos  etiam  tum  cuncta  tracta. 
bantur,  ctdeo  ut  procu/raior  Asiae  Lucilius  Capito  accusante  provincia  causam 
dixerit,  m€igna  cum  adseveratione  principis  non  se  ius  nisi  in  servitia  et  pe- 
cunias  familiäres  dedisse. 

2)  Tac.  ann.  8,  66 :  Exequi  sententias  haud  institui  nisi  insignes  per 
honestum  aut  notdbili  dedecore,  worauf  dann  Erzählung  von  Beispielen. 

3)  So  in  dem  ganz  besonders  gehässigen  Fall  des  Vibius  Serenus 
Tac.  4,  28—30,  (vgl.  c.  29:  non  occultante  Tiberio  vetus  odium  adversus 
exulem  Serenum).  Als  hiebei  verhandelt  wird  de  praemiis  accusatorum  ab- 
olendiSf  st  quis  maiestaiis  postulatus  ante  perfecttwi  iudicium  se  ipse  vita 
privavisset,  wäre  im  Senat  dies  durchgegangen,  ni  durius  contraque  morem 
suum  palam  pro  accusatoribus  Caesar  inritas  leges  —  conquestus  esset:  sub 
verterent  potius  iura  quam  custodes  eorum  amoverent 

4)  Sneton  Tib.  61:  Mox  in  omne  genus  crudelitatis  erupit.  —  Mori 
voientibus  vis  cuihibita  vivendi. 

6)  Tac.  ann.  8,  69:  (Tib.)  prudens  moderandi^  si  propria  ira  non  im- 
peUeretur,  —  Da  Verurteilung  durch  den  Senat  sofort  exekutiert  werden 
sollte,  veranlafst  er  im  J.  22  ein  s.  c,  ne  decreta  patrum  ante  diem  decimum 
ad  €ierarium  deferrentur  idque  viiae  spatium  damna;tis  prorogaretur,  Tac. 
3,  61.  Dio  67,  20.  Sed,  fügt  Tacitns  bei,  non  senatui  libertas  ad  paeniten- 
dum  eraJt  neque  Tiberius  interiectu  temporis  mitigahatur,  —  In  seinem  ganzen 
Verfahren  bewährt  sich  das  kompetente  Ui-teil  Augusts  Sueton  Tib.  21: 
miserum  populum  Born.,  qui  sub  tarn  lentis  maxillis  eritf  vgl.  c.  67:  Saeva 
ac  lewta  natura  ne  in  puero  quidem  latuit,  ^  j 

ncrzog,  d.  Tom.  SUatsvcrf.  H.  1.  D^i^zed  by  VjOOglC 


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die  Freunde  der  Agrippina.^)  Allein  es  waren  dies  nicht  poli- 
tische Parteien,  sondern  Interessengruppen,  von  denen  die  einen 
im  Spiel  der  Intrigue  gegen  einander  um  den  Einflufs  bei  Tiber 
stritten  und  gelegentlich  ein  schwaches  Bemühen  hatten,  die  Be- 
drohten des  eigenen  Kreises  zu  retten,  die  andern  aber,  die  von 
der  Gruppe  der  Agrippina,  zwar  in  Freundschaft  und  Treue 
fQr  das  UnglQck  Selbständigkeit  zeigten,  aber  zu  einer  politischen 
Aktion  nicht  kommen  konnten,  sondern  nur  in  Kundgebungen 
von  Sympathieen  und  Gemeinsamkeit  des  Leidens  sich  erschöpften. 
Eine  republikanisch  gesinnte  Partei,  wie  sie  die  stoische  Philo- 
sophie unter  den  folgenden  Regierungen  hervorbrachte,  ist  unter 
Tiberius  nicht  zu  bemerken;  wer  von  den  alten  Familien  ver- 
einzelt republikanische  Erinnerungen  und  Hoffnungen  hegte, 
konnte  dies  nur  verstohlen  hinter  der  Maske  der  Ergebenheit 
thun.  Noch  viel  weniger  aber  hatte  irgend  eine  Partei,  auch 
die  der  Agrippina  nicht,  Rückhalt  im  Volk.  Die  romische  Bürger- 
schaft mochte  wohl  nach  den  Beziehungen  der  einzelnen  zu  den 
grofsen  Häusern  an  deren  Geschicken  teilnehmen'),  und  es 
mochten  weitverbreitete  Sympathieen  für  die  Familie  des  Germa- 
nicus  bestehen:  ein  Trieb  zur  Handlung  ergab  sich  daraus  nicht^ 
und  Tiberius,  obgleich  er  nie  dem  Volke  schmeichelte,  nicht 
seinen  Vergnügungen  oder  Launen,  sondern  nur  seinen  Bedürf- 
nissen diente,  war  von  dieser  Seite  her  sicher.  So  blieb  der 
Kampf  des  Tyrannen  mit  den  von  ihm  als  Feinde  erachteten 
Senatoren  innerhalb  des  Senatsgerichts,  und  wo  irgend  sein  ent- 
schiedener Wille  zu  erkennen  war,  verstummte  in  diesem  jeder 
Widerspruch.  Den  Despoten  selbst  soll  der  Anblick  solcher 
Servilität  angewidert  haben*),  aber  es  fehlte  ihm  das  Recht,  die 

1)  Einen  interessanten  Versach,  diese  Parteien  nach  den  dasn  ge- 
hörigen Persönlichkeiten  zu  skizzieren,  macht  Abraham^  Vellejus  und  die 
Parteien  in  Born  unter  Tiberius.  Berlin  1885.  Ober  die  Partei  der  Agrippinft 
vgl.  Tac.  4,  17:  incusabat  {Seianus)  didtictam  civitatem  ut  dvüi  beüo;  tm 
qui  se  partium  Agrippinae  vocetU  ac  ni  resistatur,  fore  pluris  etc.  —  Da6 
die  Haitang  der  Agrippina  selbst  heraasfordernd  war,  geht  aooh  ans  Tacitoi 
hervor;  dafs  aber  von  ihrer  Partei  die  Stellung  des  Tiberius  bedroht  ge- 
wesen, wie  ihr  vorgeworfen  wurde  (4,  67),  liels  sich  nicht  erweisen  ond  ist 
nicht  wahrscheinlich.  Es  war  eine  Partei  der  Zakunft,  die  fär  diese  ihre 
Rolle  sehr  unvorsichtig  vorging. 

2)  Vgl.  aus  späterer  Zeit  Tac.  bist.  1,  4:  pars  popuU  integra  et  magnis 
domibus  adnexa^  clientes  Ubertique  damnatorwn  et  exulum  in  spem  ereeU. 

3)  Tac.  ano.  3,  66:  Memoriae  proditur,  Tiberium  quoiiens  ctiria  egredere- 

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—    259    — 

zu  yerachten^  welche  seine  unheimliche  Herrschaft  gesinnungslos 
gemacht  hatte  und  vor  denen  er  selbst  vom  J.  26  an  Rom  auf 
immer  verliefs*),  um  Mifstrauen  und  Menschenhafs  von  der 
sichern  Einsamkeit  von  Capri  aus  ungestraft  wirken  zu  lassen. 

Bemerkenswert  in  den  Regierungseinrichtungen  des  Tiberius  Dor  Beir&t  des 
ist  noch^  dais  er  dem  Vorgang  des  Augustus  (ob.  S.  176  f.)  ent- 
sprechend einen  Beirat  nicht  blofs  für  das  Bechtsprechen,  sondern 
auch  f&r  politische  Angelegenheiten  annahm ,  aus  Senatoren 
zusammengesetzt^  doch  nicht  ausschliefslich^  sofern  auch  der  * 
NichtSenator  Sejanus  dazu  gehorte.')  Ob  dies  zu  dem  von  An- 
fang an  kundgegebenen  Princip  gehorte,  sich  möglichst  an  das 
Beispiel  des  Vorgängers  zu  halten ;  oder  zu  dem  angenommenen 
Schein,  die  Last  der  Regierung  mit  andern  teilen  zu  wollen^  oder 
ob  es  eine  Mafsregel  der  Kontrolle  gegenüber  den  principes  civi- 
tatis war^  lafst  sich  nicht  erkennen.  Das  Schicksal^  das  die 
meisten  dieser  Räte  hatten^  macht  wahrscheinlich,  dafs  letzteres 
Motiv  wenigstens  mitwirkte.  Dafs  dieser  Beirat  wirklich  Einflufs 
auf  die  Regierung  gehabt  hätte,  läfst*  sich  nicht  erkennen.  Unter 
seinen  Nachfolgern  ist  auf  lange  Zeit  nur  noch  von  einem 
richterlichen,  nicht  von  einem  allgemein  politischen  Konsilium 
die  Rede. 

Die  Regierungen  der  drei  Nachfolger  des  Tiberius  haben 
anter  sich  wie  mit  der  tiberianischen  das  gemein,  dafs  einem 
guten  Anfang  ein  schlimmer  Fortgang  folgte,  und  so  bietet  vom 
Tode  Augusts  ab  die  Geschichte  seines  Hauses  nur  verschiedene 
Variationen  eines  Schreckensregiments,  dessen  Greuel,  ob  man 
sie  in  Suetons  statistischer  Aufzählung  oder  in  dem  tragisch 
gehaltenen  Pragmatismus  des  Tacitus  liest,  einen  ungemein 
düstem  Eindruck  machen.  Es  besteht  indessen  nicht  blofs  ein 
Unterschied  zwischen  den  Persönlichkeiten  der  Herrscher,  sondern 
es  war  auch  die  Wirkung  auf  den  Kernpunkt  alles  dessen,  was 
man  noch  Verfassungsleben  nennen  konnte,  d.  h.  auf  das  Ver- 
hältnis des  Senats  zum  Princeps,  eine  verschiedene. 

tur,  Qraecis  verbis  in  hunc  modum  doqui  solitum:  o  homines  ad  servitutem 
paratoß!  Seüioet  etiam  iUum,  qui  Ubertatem  publicum  noUety  tarn  proiectae 
servienUum  pctUentiae  taedebat. 

1)  Tac.  4,  67. 

2)  Saeton  Tiber.  66:  Super  veUres  amicoa  ac  familiäres  viginH  sibi  e 
numero  prineipum  civitatis  depoposcercU  veltU  consüiarios  in  negotiis  ptiblicis, 
Harum  vix  duos  anne  tres  incöltmiis  praesUtü,  eeteros  älium  alia  de  causa 
percvlif,  inter  quos  cum  plurimarum  clade  Aelium  Seianum.  ^  j 


-     260     - 

Kaiser  Gaiui.  8.  Der  Übergang  von  der  Bahn  konstitutioneller  Verheifsungen 

zu  ausgesprochener  Willkür  vollzog  sich  am  raschesten  bei  Kaiser 
Gaius.^)  Unbekümmert  um  die  Folgen  der  Erziehung;  welche 
der  jüngste  Sohn  des  Germanicus  und  der  Agrippina  am  Hofe 
des  Tiberius  durchgemacht  und  um  die  schlimmen  Eigenschaften^ 
die  er  bereits  gezeigt,  gab  man  sich,  als  im  März  des  J.  37  der 
25jährige  Herrscher  von  dem  Präfekten  Macro  vorgestellt  wurde 
und  alles  gute  versprach*),  der  vollen  Freude  über  die  Befreiung 
von  dem  langen  Druck  und  dem  Einflufs  der  populären  Familien- 
erinnerungen  hin,  übersah  die  Usurpation,  die  in  dieser  Einffili- 
rung  lag  und  entschuldigte  mit  dem  jugendlichen  Alter,  was  in 
der  persönlichen  Haltung  an  warnenden  Anzeichen  vorlag.  Gegen- 
über der  jeder  Volksfreude  feindlichen  festlosen  Zeit  des  Vo^ 
gängers  schien  die  Menge  der  jetzt  gebotenen  Feste  ein  goldenes 
Zeitalter  einzuleiten.*)  Die  Ernüchterung  folgte  früh  genug*), 
denn  bald  zeigte  die  neue  Regierung  das  Treiben  eines  Knaben, 
der  aus  schwerstem  personlichem  Zwang  zur  höchsten  Macht  ge- 
langt, von  der  Schule  des  Drucks  wohl  so  viel  Klugheit  mit- 
gebracht hat,  um  bis  zur  vollen  Sicherheit  der  Herrschaft  gute 
Eindrücke  erzielen  zu  wollen,  dann  aber,  sobald  dies  nicht  mehr 


1)  Der  offizielle  Name:  C,  Caesar  Augustus  Germanicus,  Dio  59,  8: 
drifto%(fatL%mtatog  elvat,  Ta  nQmta  do^ag  mcts  (ir^ts  tm  diq^m  ri  t^  fB  ßovXy 
yi^dijxtt.  XI  iii^ts  tmv  ovofidrmv  t^v  aqxL'umv  nqog&ia^'ai  xi  {Lwuqxmuoiatog 
iysvBto  maxs  ndvta  oca  o  Avyovaxog  iv  toao^xm  xrig  aQxfjg  XQovm  fLolus  wd 
xaö"*  ?v  STiaatov  fffriq>iad-ivxa  ot  idi^uto,  mv  ivuc  6  TißiQiog  ovd'  oXmg 
TCQO^KaxOj  iv  fiia  riiisga  XaßsCv,  Hiezu  ist  za  bemerken,  dafs  er  den  Im- 
peratoniamen  so  wenig  wie  Tiberius  führt.  Der  offizielle  Antrittstag  {dies 
imperii)  ist  der  18.  März.  Henzen,  acta  fratr.  Arv.  p.  XLIIl  z.  d.  Dat: 
hoc  die  C.  Caesar  Augustus  Germanicus  a  senatu  impera[tor  app€ll4Uus]  est, 
wozu  p.  68.  Die  potestas  trib.  wird  vom  18.  MSjrz  87  an  gezählt  —  Anf 
den  Regierungsantritt  des  Oains  bezieht  sich  der  Eid,  den  der  Legat  von 
Lusitanien  in  seiner  Provinz  abnimmt  und  von  dem  uns  eine  Urkunde  von 
der  Stadt  Aritium  erhalten  ist.  C.  inscr.  lat.  11.  n.  172.  Wilmanns,  exempla 
inscr.  n.  2839. 

2)  Vgl.  über  den  Anfang  der  Regierung  Saeton  Gai.  13—16.  Dio  69,  6  f. 
—  Das  Thatsächliche^  das  der  yerlorene  Bericht  des  Tacitus  bot,  wird  wohl 
in  dem  des  Dio  zu  finden  sein. 

8)  Phil.  leg.  ad  Gai.  p.  547. 

4)  Als  Wendepunkt  wird  von  dem  Zeitgenossen  Philo  a.  a.  0.  p.  54S 
die  Krankheit  angegeben,  welche  den  Kaiser  im  achten  Monat  befiel;  vgl. 
Dio  69, 8.  Die  bezeichnenden  Thatsachen  waren  die  Beseitigung  des  Bruders 
Tiberius  und  des  Schwiegervaters  Silanus. 

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-     261     - 

nötig  scheint)  jeden  Zwang  abwirft.  Seine  Naturanlage,  die  nun 
in  voller  Schrankenlosigkeit  sich  kundgiebt,  brachte  es  mit  sich, 
dafs  sich  in  ihm  das  Gefähl  der  Selbstherrschaft  als  solcher  bis 
zum  Wahnsinn  steigerte'):  bald  wurde  jeder  Ratgeber  überflüssig, 
weder  Präfekten-  noch  Freigelasseneneinflufs  galt  unter  diesem 
Herrscher,  er  allein  war  alles,  der  inhalts-  und  zweckloseste  und 
darum  von  keinem  Gefühl  einer  Verantwortlichkeit  begleitete 
Eigenwille  war  es,  der,  genährt  durch  die  Ideen  des  orientalischen 
Despotismus,  die  er  in  seiner  Umgebung  schöpfte^),  schliefslich 
jenes  ungeheuerliche  Bild  eines  Tyrannen  bietet,  welcher,  der  ver- 
worfenste der  Menschen,  der  Welt  seine  Göttlichkeit  aufdrängen 
will  imd  bereits  mit  Erfolg  aufdrängt.  Unter  diesen  Um- 
standen erscheinen  denn  auch  die  Mafsregeln,  welche  von  der 
Initiative  dieses  Kaisers  ausgingen,  nicht  als  von  sachlicher  Er- 
wägung, sondern  von  Laune  oder  Berechnung  des  Augenblicks 
eingegeben.  Zum  Teil  hat  er,  was  er  eingeführt,  bald  selbst 
wieder  aufgehoben.*)  Die  Magistratswahlen  wurden  im  J.  38 
der  Volkswahl  zurückgegeben  und  dann  wieder  im  J.  39  der- 
selben entzogen;  die  Majestätsprozesse  sollten  im  Kontrast  zur 


1)  Die  Quellen  nehmen  ausgesprochenen  Wahnsinn  als  Krankheit  an, 
Saaten  Cal.  50.  Tac.  ann.  13,  3:  etiam  C.  Caesaris  turbata  mens  vim  dt- 
cendi  non  corrupit.  Philo  spricht  p.  548  wohl  von  den  Folgen  der  durch 
die  Lebensweise  des  Gains  herbeigeführten  Krankheit,  drückt  sich  aber  sonst 
Toraichtiger  aus  and  spricht  von  Selbstverblendung,  jugendlicher  Über- 
hebnng  u.  dgl.  Wirkliche  Krankheit  bezweifeln  Hock  3,  243.  Schiller  1,  306. 
Physiologisch  heredit&ren  Wahnsinn  will  begründen  Wiedemeister,  der 
Cäsarenwahnsinn  in  der  julisch-clandischen  Familie.  Hannover  1875.  Dafs 
bei  Gaius  eine  gewaltthätige  Natur  (Tac.  ann.  6,  45:  comtnotus  ingenio)  in 
krankhafter  Weise  aufs  äufserste  gesteigert  erscheint,  ist  unverkennbar;  ob 
in  einer  Weise,  welche  die  Zurechnung  aufhebt  —  denn  darauf  allein  kann 
die  Frage  gerichtet  werden  — ,  ist  nicht  vom  Historiker  zu  entscheiden. 
Für  unseren  Zweck  vollends  handelt  es  sich  nur  um  Darstellung  der  Grenze, 
bis  zu  welcher  die  augusteische  Kaisergewalt  im  römischen  Staat  ausgedehnt 
werden  konnte,  d.  h.  um  den  Wert,  welchen  die  in  ihre  rechtliche  Fixierung 
gelegten  Schranken  gegenüber  solchen  Prüfungen  hatten. 

2)  Sueton  Cal.  22,  besonders  Philo  a.  a.  0.  Dio  59^  24:  invv&dvovto 
w  xt  'JyQ^nnap  uvx^  %al  xov  'Avt{o%ov  %ov£  ßaailfag  coctcsq  tivag  TV(^cewo- 
iidaanäXovs  cwsipui;  vgl.  Sueton  a.  a.  0.:  nee  muUutn  afuit  quin  statim 
diadema  sumeret  speciemque  principatw  in  regni  formam  converteret. 

8)  Vgl.  die  Ausführung  bei  Dio  59,  4.  Sueton  zahlt  c.  15  £  die 
besseren  Seiten  auf  und  geht  dann  c.  22  (hactentM  quasi  de  principe,  reliqua 
«<  de  monstro  narranda  sunt)  zu  der  Statistik  der  Unthaten  über.  Jenes 
Bessere  gehört  gröfstenteil?,  aber  nicht  ganz,  der  Zeit  vor  der  Krankheiten.        t 

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vorhergehenden  Regierung,  auf  deren  Akte  Gaius  nicht  schworen 
liefs,  eingestellt  werden,  im  J.  39  wurden  sie  mit  rühmender 
Berufung  auf  Tiberius  wieder  aufgenommen.^)  Es  sollte  über 
die  Finanzen  des  Reichs  wie  unter  Augustus  Rechenschaft  ge- 
geben werden,  aber  bald  folgte  die  tollste  Verschwendung,  der 
zuerst  der  reiche  von  Tiberius  gesammelte  Schatz  und  dann  die 
laufenden  Mittel  der  Verwaltung  zum  Opfer  fielen.  Italien  wurde 
Steuererleichterung  gewährt,  um  dann  infolge  jener  Verschwen- 
dung Rom,  Italien  und  die  Provinzen  mit  Steuern  und  Beraubung 
einzelner  heimzusuchen.^)  Würde  und  Kompetenz  des  Senats  und 
der  Magistratur,  letztere  namentlich  in  der  Jurisdiktion,  sollten 
gewahrt  werden,  während  Senatoreurund  Magistrate  jedem  Schimpf 
und  jeder  Mifshandlung  ausgesetzt  waren. •)  Von  bleibender  Be- 
deutung und  dem  sachlichen  Bedürfais  entsprechend  war  die 
Vermehrung  des  Ritterstands  unter  Zuziehung  auch  von  Pro- 
vinzialen  und  die  Hinzufügung  einer  fünften  Decurie  zum  Ge- 
schworenendienst*); ebenso  wurden  in  die  Provinzialeinrichtungen 
einschneidende  Neuerungen  eingeführt,  von  denen  weiterhin  zu 
reden  ist  —  Wo  Philo  von  den  Gefühlen  der  Sympathie  spricht, 
welche  die  Krankheit  des  Gaius  hervorrief*),  führt  er  dieselben 
zurück  auf  die  Furcht,  es  möchte  dem  Tod  des  Princeps  der 
Rückfall  in  die  Greuel  der  Bürgerkriege  folgen.  Drei  Jahre  nach- 
her hatten  die  Greuel  dieses  Principats,  indem  sie  alle  Stände 
des  Reichs,  zuvörderst  den  Senat,  heimsuchten,  die  persönliche 
Sicherheit  der  Bürger  wie  der  Provinzialen  aufhoben  und  selbst 
das  Heer  nicht  schonten,  es  dahin  gebracht,  dafe  jene  Furcht 


1)  Dio  69,  6.   16. 

2)  SaetOQ  c.  16:  diicentesimam  auctionum  lialiae  remisit  Die  entgegen- 
gesetzte Seite  c.  38  fif.  Ober  die  Veröffentlichung  der  Rechnangen  Saei  16, 
(ob.  S.  261  A.  2).     Dio  69,  9. 

3)  Einerseits  Dio  69,  6.  Sueton  16  {magistratibus  liberam  tum  dktio- 
nem  et  sine  sui  appeUatione  concessit),  andrerseits  c  26:  nihüo  reverentior 
leniorve  erga  senatum  etc.  und  Dio  c.  18:  idUa^s  %ctl  Idla  xal  ^txa  *a9rfi 
T^g  yiqovcCai  maC  xiva  xol  ins^vr}  xad"*  iavriiv  ixQiviiß'  ov  fiivtoi  nal  ccvxo- 
ttXrig  ^9,  all'  Iqpicrtfiot  di%ai  an  avT^s  iyiyvovxo  ovxraL  Letfteres 
war^  wie  im  System  zu  zeigen,  der  Ordnang  der  Kompetenzen  zuwider.  — 
Vgl.  auch  Joseph,  antiq.  Jud.  19,  1,  1. 

4)  Suet.  Dio  69,  9.  (Vermehrung  des  Biiterstands ,  worüber  n&hercs 
im  System  beim  Ritterstand.)  Suet  Cal.  16:  ut  levior  läbor  iudicantibus 
foret,  ad  quattuor  prioris  quintam  decuriam  addidit, 

5)  Legat,  ad  Gai.  p.  648.  ^  j 

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Yor  dem  Sprung  ins  Ungewisse  schwand  und  die  Beaktion  gegen 
diese  Tjrrannei  das  Principat  selbst  gefährdete.  Gaius  fiel  durch 
einen  Akt  personlicher  Rache^  aber  der  Pratorianeroffizier,  der 
den  Tyrannen  beseitigte,  gewann,  wie  er  schon  vor  der  That 
Zustimmung  in  dem  Kreise  seiner  Kameraden  gefunden,  nach  der 
That  sofort  Anschlufs  an  eine  republikanische  Strömung,  die 
stark  genug  schien,  um  die  Leitung  des  Staats  zu  erhalten.^) 
Aber  die  Germanen  von  der  Leibwache  und  die  Pratorianertruppe 
machten  der  neuerstandenen  Republik  sofort  wieder  ein  Ende 
und  hielten  nicht  nur  das  Principat,  sondern  speziell  die  Herr- 
schaft des  augusteischen  Yerwandtschaftskreises  aufrecht  und 
zwar  sogar  mit  der  Person  eines  Claudius.  Das  war  freilich 
unwürdig  und  ungeheuerlich,  unwürdig  insbesondere  die  Rolle 
des  Senats,  der  bereits  wieder  im  Besitz  der  Regierung  zu  sein 
schien  und  doch  dem  Claudius  sich  ergab.  Indessen  die  Soldaten 
ersparten  mit  ihrem  Eingreifen  doch  nur  Kämpfe,  wie  sie  später 
das  J.  69  brachte.^)    Jene  kurze  Zeit  der  freien  Diskussion  ge- 


1)  Ob  im  J.  89  der  Statthalter  YOn  Obergermanien,  Cn.  Lentalns 
GätalicQS^  der  zehn  Jahre  auf  seinem  Posten  gelassen  worden  war,  wirklich 
einer  Verschwörung,  die  sich  auch  an  den  Hof  verzweigte,  schuldig  war, 
l&Tst  sich  nicht  entscheiden.  Die  offizielle  Angabe  (Henzen,  act.  fratr.  Arv. 
p.  XLIX  Z.  7;  über  die  Zeit  p.  77)  wird  von  Sueton  (Gai.  24.  Claud.  9) 
angenommen;  allein  Dio  59,  22  sieht  als  Verbrechen  des  Mannes  doch  nur 
an,  Ott  Totff  ^T^oTio^Torcff  tpnsüüto.  War  die  Beschuldigung  richtig,  so  war 
bei  der  Stellung  des  Gätulicus  an  der  Spitze  eines  ihm  ergebenen  Heeres 
nicht  blofs  die  Gefahr  grofs,  sondern  auch  der  Hintergrund  eines  politischen 
Plans  schon  damals  vorhanden.  Auch  Seneca  war  ein  Freund  des  Gätulicus 
Tgl.  Sen.  quaest  nat.  4.  praef.  16.  17. 

2)  Über  die  Verschwörung  des  Prätorianertribuns  Cassius  Chärea  Sueton 
c.  6ef.  Dio  69^  29 f  Joseph,  antiq.  19,  1,  S.  —Über  die  politische  Seite: 
neqne  coniurati  cuiqmm  imperium  destinaverunt;  et  senatiM  in  asserenda 
Ubertate  adeo  consensit,  ut  consuks  pritno  non  in  curiam,  quae  JuMa  voca- 
biihtr,  sed  in  Cctpitolium  canvocarint,  quidam  vero  sentmtiae  loco  abolendam 
dusamm  memoriatn  ac  diruenda  iempla  cemuerint.  Vgl.  auch  Suei  Claud. 
10  f.  Einsichtlich  der  Details  der  Vorgänge  kommt  vorzugsweise  Josephus 
in  Betracht,  dessen  höchst  ausführlichen  Bericht  wir  der  Anwesenheit  des 
Königs  Agrippa  am  Eaiserhof  zu  verdanken  haben.  Dieser  Bericht  ist  im 
Allgemeinen  wohl  gut,  aber  die  Rolle,  welche  Agrippa  bei  der  Überleitung 
der  ephemeren  Wiederherstellung  der  Republik  zur  Anerkennung  des  Clau- 
dios durch  den  Senat  gespielt  haben  soll,  ist  sicher  zum  gröfseren  Ruhme 
der  jüdischen  Nation  übertrieben.  Die  Dauer  der  republikanischen  Episode 
wird  Suet.  Claud.  11  auf  zwei  Tage  angegeben;  bei  solch  kurzer  Dauer  ist 
begreiflich,  data  sie  sich  im  Münzwesen  nicht  bemerklich  macht.  -^  Ge-    . 

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—     264     — 

uügte  utn  zu  zeigen,  wie  bei  der  vollständigen  Schwäche  der  so 
unerwartet  und  unvorbereitet  restaurierten  Magistratur  und  dem 
Mangel  an  leitenden  Persönlichkeiten  im  Senat  nur  ein  Kampf 
von  Prätendenten  entfesselt  worden  wäre^),  die  zunächst  wenig- 
stens sich  eine  militärische  Macht  erst  hätten  suchen  müssen. 
Die  Fortführung  des  Principats  im  nächsten  Zusammenhang  mit 
der  bisherigen  Cäsarenfamilie  war  so  in  der  That  eine  Rettung 
aus  völlig  linberechenbarer  Lage.  Wie  wenig  Boden  die  republi- 
kanische Richtung  hatte ,  zeigte  sich  in  dem  Nachspiel  dieser 
Vorgänge  im  J.  42,  in  der  Erhebung  des  Furius  Camillus  Scri- 
bonianus,  Statthalters  von  Dalmatien.  Damals  handelten  die 
Führer  der  Bewegung,  neben  Camillus  dieselben  wie  im  J.  41, 
von  einem  bedeutenden  Truppenkommando  aus,  fanden  aber  weder 
unter  den  Truppen  noch  unter  der  Bevölkerung  Roms  oder  Italiens 
Heerfolge  und  scheiterten  kläglich.*) 
ciftudiuH.  9.  Die  Regierung  des  Claudius^)  ist  epochemachend  durch 

das   offene  Eingreifen  des  kaiserlichen  Haushalts  in  die  Staats- 


legentlich  der  Erhebung  des  Claudius  durch  die  Prätorianer  wird  derselbe 
(Suet.  Claud.  10}  bezeichnet  als  primus  Caesarum  fidem  müüis  etiam  pramio 
pigneratus, 

1)  Vgl.  die  Darstellung  bei  Dio  60,  1.  —  Unter  den  Prätendenten  ist 
bemerkenswert  L.  Annius  Vinicianns  (Borghesi,  oeuvr.  4  p.  478.  Henien, 
act.  fratr.  Arv.  p.  XLIV  Z.  34,  bei  Josephus  fölschlich  Minucianus  genannt), 
der  schon  unter  Tiberins  in  einen  Majestätsprozels  verwickelt  ist  (Tac 
ann.  6,  9),  unter  Claudius  sich  an  der  Verschwörung  des  Scribonianns  (siehe 
folg.  Anm.)  beteiligt  und  darin  untergeht  Dio  60,  16.  Aufser  ihm  wird  als 
Führer  einer  republikanischen  Partei  von  Josephus  ant.  Jud.  19,  1,  3  ein 
aus  der  Provinz  in  den  Senat  gekommener  Amilius  Regulus  von  Corduba 
genannt. 

2)  Dio  60,  16.  Suet.  Claud.  13.  36.  Tac.  ann.  12,  62.  Nominell 
wurde  die  Bepublik  proklamiert  (Dio:  tov  KafUXXov  tots  tov  dijfuov  CfpUif 
6vo(ia  nQOtsivovxog  xal  t^v  aQx^^^v  iXev9'8QCav  dnoStocstv  vntaxvovftivov), 
aber  man  fafste  allgemein  den  Camillus  als  Prätendenten  auf  (Dio  c.  16: 
zl  ccv  inoCrioag^  el  KccfiLlXos  iftsiiovaQXV^^f'i  Sueton  c.  13:  denuntiato  üd 
novutn  imperatorem  itinere), 

3)  Name:  Ti.  Claudius  Drusi  f.  Caesar  Äugiistus  Germanicus,  Da«i 
Sueton  Claud.  12 :  in  setnet  augendo  parcus  atque  civilis  praenomine  impera- 
toris  ahstinuit.  Was  er  als  dies  imperii  annahm,  ist  nicht  bekannt;  er  wird 
ihn  wohl  nicht  von  seiner  Anerkennung  durch  den  Senat,  sondern  von 
seiner  Erhebung  durch  die  Pi-ätorianer,  die  noch  am  Todestag  des  Gains 
stattfand,  gerechnet  haben  (Sueton  Claud.  11:  nihil  antiqmus  habuit  qntu^ 
id  hiduum,  quo  de  mutando  reip.  statu  haesitatum  erat,  memoriae  exitHere)^ 

P  also  vom  24.  Jan.  41  (Sueton  Caüg.  68).   Das  Datum  der  trib.  pot.  dagegen 

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—     265     - 

geschäfte,  speziell  durch  das  Hervortreten  des  Einflusses  der 
Freigelassenen.  Der  aus  einem  Leben  tiefster  Mifsachtung  und 
selbst  Gefahrdung  und  einem  Augenblick  beschämendster  Angst 
zar  Herrschaft  über  die  Welt  erhobene  von  Hause  aus  geistig 
schwache  Mann  ist  der  Typus  eines  untrer  Weiber-  und  Diener- 
regiment stehenden  Schwächlings  in  all  den  Erzählungen  von 
Messalina  und  Agrippina,  von  dem  Einflufs  nicht  nur^  sondern 
auch  von  dem  aller  römischen  Tradition  spottenden  öffentlichen 
Auftreten  und  Einwirken  eines  EallistuS;  Narcissus  und  Pallas')^ 
Yon  der  Stellung,  die  diesen  und  andern  gewesenen  Sklaven  nicht 
blofs  in  der  kaiserlichen  Regierung,  sondern  selbst  dem  Senate 
gegenober  eingeräumt  wurde,  von  der  Art,  wie  sie  diese  Stellung 
mifsbrauchten,  endlich  von  den  Unthaten,  die  Claudius  selbst 
unter  diesem  Einflufs  beging.^  Aber  allen  diesen  Un Würdig- 
keiten und  Verbrechen^)  stehen  nun  andere  Züge  gegenüber:  die 
Stellung  des  Senats  unter  dieser  Regierung,  die  sofort  die  Majestäts- 
prozesse wieder  einstellte  und  eingestellt  sein  liefs^),  war  eine 
wesentlich  bessere  als  unter  den  zwei  vorhergehenden,  und  die 
Interessen  des  Reichs  im  Ganzen  erscheinen  nicht  wesentlich  ge- 
fährdet^ in  vielen  Dingen  sogar  entschieden  gefördert.  Der  Pedant, 
der  nun  in  die  Rolle  des  Augustus  eingesetzt  war,  fühlte  sich 
doch  bei  persönlich  bescheidenem  Auftreten,  das  in  wahrhaft  er- 
lösendem Kontrast  zu  dem  eben  erlebten  Yergötterungswahn 
stand,  in  der  Berufsstellung  der  Nachfolge  in  solchem  Namen 


hing  voD  einem  Akt  ab,  der  erst  nach  der  Anerkennung  durch  den  Senat 
erfolgen  konnte. 

1)  S.  über  sie  Lehmann  S.  147  f.  Friedländer,  Sittenschilderungen 
1*,  83.  168  ff. 

2)  Während  im  Verlauf  des  J.  47  die  Erzählung  des  Tacitus  mit  dem 
am  Anfang  unvollständigen  B.  11  eintritt,  hört  der  ausführliche  Bericht 
Dios  (69,  28)  auf  und  treten  die  Epitomatoren  Xipbilinus  und  Zonaras  ein. 
Senecas  ludtu  de  morte  Claudiif  charakteristisch  trotz  oder  in  den  Über- 
treibungen der  Satire,  giebt  im  Grunde  nicht  viel  eigentümliche  Thatsachen. 
—  Von  Neueren  vgl.  H.  Lehmann,  Claudius  und  Nero  und  ihre  Zeit  I. 
Qotha  1858  (Band  II  über  Nero  nicht  erschienen) ,  der  im  Anhang  auch 
die  Münz-  und  Inschriftenzeugnisse  zusammenstellt. 

8)  Bei  dem  Widerspruch  zwischen  einer  gutmütigen  Anlage  und  Zügen 
von  empörendster  Grausamkeit  ist  der  abstumpfende  Einflufs,  den  die  Tra- 
dition des  Blutvergiefsens  im  damaligen  Rom  hervorbringen  mnfste,  in  An- 
schlag zu  bringen;  wie  derselbe  sich  hier  gerade  bei  einem  Menschen  dieser 
Anlage  äulserie,  ist  eben  als  psychologische  Thaisache  zu  beachten. 

4)  Dio  60,  8. 

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—     266    — 

und  liefs  das  Beispiel  des  grofsen  Stifters  des  Principats  anf 
sich  einwirken*),  ein  Trieb  der  Geschäftigkeit  liefs  ihn,  den 
schwachen  Geist,  vieles  unternehmen,  was  selbst  die  grofsen 
Vorgänger  nicht  gewagt  hatten*),  derselbe  Trieb,  der  ihn  in  un- 
ruhiger Thätigkeit  in  den  Gang  der  ordentlichen  Jurisdiktion  sich 
einmischen  liefs,  veranlafste  ihn  auch  zu  eifriger  Behandlung  der 
an  ihn  kommenden  Verwaltungsgeschäfte,  und  eine  ihm  nicht 
abzustreitende  Beigabe  gesunden  Menschenverstands  machte  sein 
Thun  nicht  so  gar  selten  zu  einem  erspriefslichen.*)  Die  gelehrte 
Richtung  seiner  Pedanterie  aber  gab  ihm  auch  jene  Achtung  vor 
der  Bedeutung  des  Senats  ein,  liefs  ihn  geschichtliche  Erinne- 
rungen wahren  und  in  nicht  unwichtigen  Dingen  selbst  den  Geist 
der  Geschichte  des  alten  Staats  richtig  erfassen.*)  Sein  Ehrgeiz 
als  Redner  zu  gelten  führte  ihn  mit  einer  gewissen  Regelmäfsig- 
keit  in  den  Senat,  veranlafste  ihn,  der  Diskussion  Raum  zu  geben, 
selbst  an  ihr  teilzunehmen,  so  mit  und  durch  den  Senat  zu  re- 
gieren, und  selbst  die  wider  einander  streitenden  Einflüsse  am 
Hof  suchten  ihre  Sache  vor  dem  Senat  und  durch  ihn  zum  Aus- 
trag zu  bringen.^)  Dafs  trotz  aller  Habsucht  der  Freigelassenen 
die  Finanzlage  bei  seinem  Tode  keine  schlechte  war,  ist  aus  den 
Mitteln  zu  erkennen,  welche  dem  Nero  zu  Gebote  standen,  und 
dies  nach  den  grofsen  Ausgaben,  die  Claudius  während  seiner 
Regierung  für  öffentliche  Arbeiten  gemacht  Italien  und  die 
Provinzen  hatten  über  ihn  nicht  zu  klagen,  für  Rom  schuf  er 
Wasserleitungen  und  das  grofsartige  Werk  des  Hafens  von  Ostia, 
sorgte  auch  sonst  für  den  Verkehr  durch  den  Bau  und  die  ünter- 


1)  Sueton  Claud.  11:  iusiurandum  neque  sanctiua  sibi  neque  crebrius 
instituit  quam  per  Äugustum.  Die  Begierangsakte  des  Osamb  wurden  nicht 
anerkannt  (ebendas.:  Gai  acta  omnia  rescidit). 

2)  So  die  zuversichtliche  Ausdehnung  des  Bürgerrechts  in  Gallien  u^d 
die  Expedition  nach  Britannien. 

3)  Durch  das,  was  Sueton  Claud.  14  f.  sagt,  wird  der  Hohn,  den  Seneca 
darüber  ausgiefst,  eingeschränkt. 

4)  Vgl.  seine  Rede  über  das  Bürgerrecht  der  Gallier  (Tac.  ann.  11,  23  f., 
im  Original  auf  den  Lyoner  Tafeln  Boissieu,  inscript.  de  Lyon  p.  IW« 
Nipperdeys  Ansg.  von  Tac.  Annalen,  Anh.),  die,  wie  sie  auch  sonst  mit 
ihrer  krausen  Zusammenstellung  der  YorgUnge  beschaffen  sein  mag,  doch 
die  liberalen  Momente  auswärtiger  römischer  Politik  richtig  erfafst  Über 
Sinn  und  Tragweite  jener  Verleihung  s.  iip  Syst.  bei  dem  Bürgerrecht 

5)  Lehmann  S.  198.  250  f.  360  und  sonst  bei  den  einzelnen  Jahren; 
Schiller  1,  386  f.  r^  I 

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—     267     — 

haltong  der  Strafsen,  yerstarkte  den  Schatz  der  Provinzialen 
gegen  Bedrückung^),  kurz  die  materielle  Blüte  des  Reichs  erfuhr 
keine  Beeinträchtigung  und  die  Verbreitung  des  römischen  Bürger- 
rechts unter  den  Provinzialen/  wie  sie  Claudius  betrieb;  war 
epochemachend.  Der  Grenzschutz  wurde  nicht  versäumt,  sogar 
in  aktivem  Vorgehen  bethätigt'),  und  an  Claudius'  Namen  knüpft 
sich  die  Eroberung  Britanniens.  So  ist  diese  Regierung  von 
dreizehn  Jahren,  die  nach  den  Persönlichkeiten  derer,  die  sie 
führten,  bald  der  Komödie,  bald  der  bittersten  Satire  und  wieder 
der  schärfsten  Verdammung  verfallen  erscheint,  in  ihren  Resul- 
taten ernst  zu  nehmen;  sie  ist  in  ihnen  überwiegend  positiv 
gewesen.  Dieser  Kontrast  zwischen  der  Persönlichkeit  und  den 
Resultaten  wird  für  die  Kritik  zum  Teil  allerdings  abgeschwächt 
durch  die  Erwägung,  dafs  aus  der  Geschichtschreibung  hohen 
Stils  eines  Tacitus  und  der  anekdotenhaften  eines  Sueton  ein 
solcher  Charakter  nur  als  Zerrbild  hervorgehen  konnte:  wer  den 
Konflikt  zwischen  der  Freiheit  der  Republik  und  der  Willkür 
des  Imperiums  mit  der  Würde  der  Tragödie  beschreibt,  sieht 
nur  die  Würdelosigkeit,  und  wer  die  Figuren  der  Geschichte  in 
den  Privatgemächern  aufsucht,  um  ihr  Bild  zu  gewinnen,  wird 
es  von  hier  aus  leicht  erreichen,  selbst  wirkliche  Gröfsen  klein 
zu  malen.  Indes  alle  solche  Kritik  der  Berichterstattung  läfst 
doch  ftir  jenen  Kontrast  in  der  Persönlichkeit  des  Claudius  noch 
genug  stehen,  und  es  wäre  vergebliche  Mühe,  dem  Charakter 
dieses  Kaisers  imponierende  Züge  retten  zu  wollen.  Nur,  was 
dann  notwendig  ein  besseres  Licht  gewinnt',  ist,  wenn  nicht  der 
Charakter,  so  doch  die  persönliche  Fähigkeit  der  Ratgeber. 

Jene  Freigelassenen,  welche  Einflufs  auf  die  Verwaltung 
übten,  besaXsen  wirkliches  Regierungstalent  und  verstanden,  dafs 
es  ihr  eigenes  Interesse  war,  es  zu  bethätigen,  und  es  wird  dies 
insbesondere  für  Narcissus  gelten,  dessen  Bild  selbst  in  der 
taciteischen  Schilderung  bessere  Züge  zeigt.')    Sodann  ist  unver- 


1)  Dio  60,  25  (Mafsregeln  allgemeiner  und  iDdividaeller  Art  v.  J.  45). 

2)  Tac.  ann,  11,  19  f.  Dio  60,  80.  Die  Heerführer  in  Nieder-  und 
Obergermanien ,  Corbalo  und  Cartius  Bafus  operieren  im  J.  47  aaf  dem 
rechten  Rheinufer.  Clandius  soll  allerdings  durch  kleinliche  Intrigne  ver- 
anlaüit  worden  eeiu,  den  Gnrtins  zurückgehen  za  lassen;  allein  ob  die  Bat- 
geber nicht  sachlich  recht  hatten,  kann  immerhin  gefragt  werden. 

3)  Vgl.  Tac.  ann.  12,  65:  tnuUum  adoersante  Narcisso,  qui  Agrippinam 
magis  magisque  suspectans  prompsisse  inier  proximos  ferebatur    certa^  sitfi 

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-     268     - 

kenubar^  dafs  die  durch  Augustus  und  Tiberias  geschaffene  und 
zwei  volle  Generationen  hindurch  gehandhabte  Reichsordnung, 
wo  man  nicht  störend  und  verwirrend  einwirkte,  bereits  mit  der 
Macht  d^r  Tradition  sich  geltend  machte.  Endlich  kommt  in 
Betracht,  dafs  jene  Ausbreitung  des  BQrgerrechts  und  der  Zutritt 
neuer  Elemente  in  den  öffentlichen  Dienst  und  durch  ihn  zu  den 
oberen  Ständen  bereits  frische  Kräfte  der  Verwaltung  zur  Ver- 
fügung stellten,  deren  untergeordnete  Stellung  ihre  Bedeutung 
nicht  erkennen  läfst,  die  aber  darum  nicht  minder  in  allen  Zweigen 
der  Verwaltung  fruchtbar  wirkten.*) 

Hinsichtlich  der  Verfassungsinstitute  ist  die  Regierung  des 
Claudius  bezeichnet  durch  die  Wiedererweckung  der  Censur,  die 
er  im  J.  47,  demselben  Jahr,  in  dem  er  den  800jährigen  Bestand 
Roms  durch  Säcularspiele  feierte,  nach  Niederlegung  des  Kon- 
sulats mit  dem  von  ihm  zum  Kollegen  bestimmten  L.  Vitellius 
übernahm  und  im  Anschlufs  an  die  republikanische  Sitte  mit 
Vornahme  des  Census  bis  zum  Lustrum  im  J.  48  durchführte.*) 


perniciem  seu  Britannicus  seu  Nero  poteretur;  verum  ita  de  se  merihim 
Caesarem,  ut  vitam  umi  eius  impenderet,  Tacitas  schreibt  ihm  also  wirk- 
liche Anhänglichkeit  zu.  —  Den  Claudius  selbst  schildert  Mommsen,  Hermes 
4,  107  als  den  ^wunderlichsten  aller  römischen  Regenten,  in  dessen  Gemüt 
die  Keime  lagen  Ton  naiver  Ehrlichkeit,  humoristischer  Laune,  Sinn  für 
Recht  und  Ordnung,  ja  selbst  von  Scharfsinn  und  Thatkraft,  nur  dafs  diese 
schönen  Fähigkeiten  in  Verwirrung  geraten  waren  und  in  Kopf  und  Herx 
nichts  fest  zusammenhielt,  so  dafs  alle  jene  Eigenschaften,  wie  im  Hohl- 
spiegel verzerrt  und  fratzenhaft  ein  Bild  von  grausenhafter  Lächerlichkeit 
ergeben.'  Jene  Freigelassenen  haben  oft  genug  diese  Verwirrung  benutzt, 
nicht  selten  aber  auch  die  bessere  Anlage. 

1)  Als  Beispiel  sei  der  zufällig  erwähnte  L.  Vestinus  aus  Vienna  ge- 
nannt, ein  zur  Umgebung  des  Claudius  gehöriger  Ritter  (Claud.  or.  tab. 
Lug.  I(.  11),  von  Vespasian  mit  der  cura  restituendi  CapitoUi  beauftragt^ 
den  Tacitus  bist.  4,  63  bezeichnet  als  auctoritcUe  famaque  inter  proceres. 

2)  Die  Dauer  dieser  Censur,  für  deren  Anfang  Tacitus  noch  nicht  ein- 
getreten ist,  ist  bestimmt  durch  die  Inschrift  Henzen  6181,  in  welcher 
Claudius  heifst:  trib,  pot  VII.  cos,  IUI,  (=■  47  n.  Ch.)  censor  designatttSf 
also  nach  dem  24.  Jan.  47  noch  designiert  erscheint,  und  durch  Tac.  ann. 
12,  4,  wonach  am  Ende  des  J.  48  lectus  pridem  sencUus  lustruinque  am- 
ditum  est.  Der  genauere  Anfang  hängt  davon  ab,  ob  man  annimmt,  dsSa 
bei  Tacitus  11,  13,  wo  Claudius  unmittelbar  nach  Erwähnung  der  Säcular- 
spiele eingeführt  wird  als  munia  censoria  usurpans,  der  Beginn  seiner 
Censur  angegeben  ist,  oder  ob  dieser  Beginn  in  dem  verlorenen  Anfang  des 
11.  Buchs  stand,  also  vor  die  Säcularfeier  föllt  Das  letztere  ist  nur  wahr- 
scheinlicher,  weil  Tacitus  doch  wohl  jenen  Anfang  bestimmter  hervorhob. 

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—     2G9     — 

Diese  Censar  war  wohl  zunächst  einem  altertümelnden  Einfall 
entsprungen  und  war  politisch^  d.  b.  für  die  Verteilung  der  Ge- 
walten, indifferent,  da  sie  unter  dieser  Regierung  vereinzelt  da- 
steht und  ihre  Zwecke  auch  auf  anderen  Wegen  erfüllt  werden 
konnten;  allein  da  sie  unter  Yespasian  wieder  Nachfolge  findet, 
mufs  das  Verfahren  für  die  Verwaltung  doch  Vorteile  geboten 
haben.  Fraglich  ist,  ob  Claudius  mehr  als  seine  Vorgänger  die 
Komitialgesetzgebung  eintreten  liefs.  Indessen  sind  claudische 
^Gesetze',  soweit  sie  überhaupt  auf  Grund  direkter  Erwähnung 
oder  von  Andeutung  als  vorhanden  anerkannt  werden  können, 
keinenfalls  zahlreich  und  ihrem  Inhalt  nach  unbedeutend.^)  Viel 
mehr  Gewicht  hat  unter  ihm  die  Teilnahme  des  Senats  an  der 
Rechtschaffung  durch  Senatskonsuite,  ja  man  wird  wohl  sagen 
dürfen,  dafs  die  Verschiebung  in  den  Rechtsquellen,  welche  von 
der  Volksgesetzgebung  zum  Senatskonsult  hin  stattfand,  unter 
Claudius  zuerst  in  entscheidender  Weise  hervortrat.*) 


Ob,  was  für  die  Republik  schon  1  S.  767  A.  4  abgewiesen  ist,  auf  Grund 
TOD  Zonar.  7,  19  und  der  für  die  Censur  des  Claudius  vorliegenden  Zeug- 
nisse eine  fünfjährige  Dauer  des  Amts  anzunehmen  sei  (Nipperdey  zu  Tac. 
ann.  11,  18),  ist  noch  im  System  zu  besprechen.  —  Über  die  Säcularfeier 
(Tac.  ann.  11,  11.  Sueton  c.  21),  die  Verbindung  <^8  achthundertjährigen 
Bestands  von  Rom  (Dio  60,  29)  mit  dem  Begriff  der  ludi  saectäares  und  das 
Verhältnis  dieser  Säcularfeier  zu  den  vorhergehenden  s.  Mommseu,  Chrono! . 
192.  —  Das  Konsulat,  welches  Claudius  im  J.  47  annahm,  war  zweimonat- 
lich (Sueton  c.  14). 

1)  Sicher  ist  die  l.  Claudia  Gai.  1,  167,  qvMe  quod  oi  feminas  attinety 
afffuUorum  tutelas  9U8tulit,  bestritten,  ob  Tac.  ann.  11,  13  mit  der  l.  lata, 
qua  aaevitiam  creditorufn  coercmty  ein  Eomitialgesetz  oder  eine  h  censoria 
(1,  786)  gemeint  ist;  doch  spricht  der  Ausdruck  hlatai^x  ein  Volksgesetz. 
Ganz  unsicher  ist,  ob  11,  14  unter  dem  aes  publicum  per  fora  ac  templafiocum, 
das  die  claudischen  Buchstaben  zeige,  Yolksgesetze  in  gröfserer  Zahl  ver- 
standen seien.  Auch  hätte  Tacitus,  wenn  für  Claudius  ein  charakteristisches 
Moment  in  der  Legislation  durch  das  Volk  läge,  dies  wohl  hervorgehoben. 
Vgl.  auch  Earlowa,  rOm.  Bechtsgesch.  1,  628. 

2)  Durch  direkte  Zeugnisse  läfst  sich  das  nicht  beweisen,  aber  es  liegt 
in  der  Natur  der  Sache,  dafs  unter  dem  ersten  Kaiser  seit  Augustus,  der 
den  Senat  nicht  hafste,  sondern  im  Gegenteil  ihn  zum  Schauplatz  eigener 
Thätigkeit  machte,  auch  die  Beschlüsse  dieser  Körperschaft  eine  gröfsere 
Bedeutung  wenigstens  in  den  indifferenten  Gebieten  des  Privatrechts  und 
der  Administration  gewannen.  Zufällig  sind  uns  aus  der  Zeit  des  Claudius 
mehrere  Senatskonsuite  oder  Fragmente  von  solchen  im  Wortlaut  erhalteui 
msammengestellt  bei  Bruns,  fontes  *  p.  162  f.  168  ff.  (betr.  die  Säcularspiele 
und  den  Ankauf  von  Häusern  auf  Spekulation  aus  dem  Abbruch).  In  den 
Tafeln  von  Lyon  tritt  an  die  Stelle  des  S.  C.  die  Rede  des  Princeps,  was  . 

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-     270     - 

Neroj)  10.  Claudios'  Sturz  erfolgte,  als  es  schien,  dafs  er  in  einer 

Regung  Ton  Selbständigkeit  in  der  Ordnung  der  Nachfolge  die 
ihm  aufgedrungene  Zurücksetzung  des  eigenen  Sohnes  aufheben 
wolle,  und  hier  tritt  uns  nun  schon  die  eigentümliche  Verbindung 
von  Kräften  verschiedenster  Art  entgegen,  welche  dann  die  erste 
Hälfte  der  Regierungszeit  Neros  beherrscht. 

Schon  im  J.  49  hatte  Agrippina,  die  eben  ihre  Ehe  mit 
Claudius  vollzogen,  den  Philosophen  Seneca,  nachdem  sie  ihm 
die  Rückkehr  aus  dem  Exil  verscha£Ft,  mit  der  Erziehung  ihres 
Sohnes  aus  der  Ehe  mit  Cn.  Domitius  betraut;  zu  den  Mitteln 
sodann,  mittelst  deren  sie  diesem  Sohne  Nero,  nachdem  sie  ihm 
die  Adoption  durch  Claudius  verschafft,  den  Vorzug  vor  Britanni- 
ens, dem  Sohne  des  Claudius  und  der  Messalina,  verschaffen 
wollte,  gehörte  >es,  dafs  sie  nicht  nur  die  Offizierstellen  in  der 
Leibwache  mit  ihren  Günstlingen  besetzen,  sondern  auch  die  dem 
Andenken  der  Messalina  ergebenen  zwei  Gardepräfekten  ent- 
fernen und  das  Kommando  des  Korps  in  die  Hände  eines  ein- 
zigen ihr  ergebenen  Mannes  legen  liefs.  Dieser  Mann,  Afranios 
Burrus,  galt  für  einen  tüchtigen  Militär  und  ernsten,  zuverlässigen 
Charakter.    So  bestand  denn  nun  eine  Verbindung  zwischen  einer 

in  diesem  Falle,  da  sie  gegenüber  einem  widerstrebenden  Senat  die  Ent- 
scheidung gab,  besonders  berechtigt  war.  —  Auch  die  andere  Bechtsqnelle, 
welche  neben  dem  S.  C.  an  die  Stelle  der  Yolksgesetzgebung  trat,  die 
kaiserliche  Verordnung,  ist  aus  dieser  Zeit  (dem  J.  46)  erhalten  in  dem 
Edikt  des  Claudius  über  das  Bürgerrecht  einiger  Eum  Trientinischen  ge- 
hörigen kleinen  Gemeinden  (Anauni  u.  a.).  Mommsen,  Hermes  4,  99— ISO. 
1)  Name:  Nero  Claudius,  divi  Claud,  /*.,  Gcrmanid  Caesaris  n.,  Ti, 
Caesaris  ÄugusH  pron.,  divi  Augusti  ahn.,  Caesar  Augusius  Gemumicus, 
(Vgl.  das  Militärdipl.  c.  i.  1.  III  p.  845).  Der  Name  imperaior  fehlt  anch 
bei  Nero  meist,  doch  nicht  immer,  ygl.  Wilmanns,  ex.  inscr.  n.  902  n.  1. 
—  Der  dies  imperü  ist  der  13.  Okt.  64.  Henzen,  act  fratr.  Arval.  p.  LXIX 
Z.  9  f.  Tac.  ann.  12,  69.  Suet  Claud.  46.  Die  comitia  tribuniciae  pci- 
(8,  darüber  im  System)  waren  am  4.  Dez.,  Henzen  a.  a.  0.  p.  LXIV  Z.  14. 
p.  LXX  Z  20,  wozu  die  Bemerkungen  p.  66.  Bei  der  Zählung  der  trib. 
pot,  findet  sich  das  eigentümliche,  dafs  in  den  Arvalakten  Nero  am  3.  Jan.  69 
trib,  poL  V.,  am  1.  und  3.  Jan.  60  trib,  pot,  VII.  heilst.  Vgl.  hierüber 
Stobbe  im  Philol.  Bd.  32  S.  24  und  Mommsen,  Staatsr.  2,  774  A.  3.  Letc- 
terer  findet  eine  Erklärung,  welche  die  Beseitigung  urkundlicher  Daten,  wie 
sie  Stobbe  will,  vermeidet,  darin ^  dafs  Nero  im  J.  60  in  der  Zählung  der 
Jahre  habe  einen  Systemwechsel  eintreten  lassen,  indem  nun  nach  dem 
tribunic.  Jahr  (10.  Dez.  bis  9.  De^)  gerechnet  worden  wäre  und  13.  Okt.  64 
bis  9.  Dez.  64  dann  »  trib.  pot,  /,  10.  Dez.  64  bis  9.  Dez.  66  —  trib,  pot.  U 
gewesen  wären. 

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-     271     - 

Frau,  die  um  ihre  Zwecke  zu  erreichen  vor  keinem  Verbrechen 
zurückscheute,  einem  politischen  Philosophen,  der  mit  seinen 
Moralschriften  der  Wortführer  der  romischen  Stoa  sein  wollte, 
und  einem  militärischen  Politiker,  der  an  dem  Platz,  an  den  er 
sich  hatte  stellen  lassen,  den  Ruf  eines  braven  Mannes  einsetzte 
für  die  Zwecke  der  allgemeinen  Wohlfahrt,  die  aber  doch  zugleich 
die  Zwecke  jener  Frau  waren,  über  die  niemand  sich  täuschen 
konnte.  Eine  Welt  seltsamer  Kontraste,  zunächst  in  den  Menschen 
liegend,  die  sie  darstellten,  aber  zugleich  tief  begründet  in  dem 
Wesen  einer  Herrschaft,  welche  über  Menschen,  die  das  Spiel 
freier  Einrichtungen  handhaben  und  die  Erinnerungen  einer 
grofsen  Vergangenheit  fortführen  sollten,  die  äufserste  Enecht- 
Bchafb  verhängen  konnte. 

Es  ist  für  das  Verständnis  der  Politik  dieser  Zeit*)  von  Inter- 
esse zu  betrachten,  wie  in  diesem  Eomplot  der  Tugend  und  des 
Lasters  die  Bollen  verteilt  waren.  Nach  dem  unverdächtigen 
Zeugnis  des  Tacitus')  führte  Agrippina  die  Beseitigung  des  Clau- 
dius allein  aus  ohne  die  Beihilfe  namhafter  Personen'),  aber 
nachdem  die  That  geschehen,  war  es  Burrus,  der  unter  dem 
Schutze  der  Prätorianer  den  Nero  als  Herrscher  einführte.  Der 
Senat,  der  schon  vorher  der  Agrippina  die  Bahn  geebnet,  ver- 
sagte unter  Senecas  Führung  der  vollendeten  Thatsache  seine 
Zustimmung,  nicht,  das  Volk  hatte  schon  früher  den  Nero  vor 
Britanniens  bevorzugt  und  that  es  auch  jetzt,  und  nochmals 
jubelte  Rom  dem  Hause  des  Germanicus  zu  ungeachtet  des 
Schlimmen,  das  diese  Anhänglichkeit  schon  gebracht.  Die  Be- 
stimmung der  Bichtung,  in  welcher  die  Regierung  geführt  werden 
sollte,  gebot  die  Klugheit  den  angesehenen  Namen  eines  Seneca 
und  Burrus  zu  überlassen,  und  diese  nahmen  die  Aufgabe  in  die 


1)  Für  Nero  haben  wir  den  vollen  Bericht  des  Tacitus  bis  gegen  den 
Schlafs  des  J.  66,  dagegen  von  Die  nur  den  Auszug,  der  übrigens  über  die 
griechische  Reise  und  über  den  Sturz  Neros  ausführlich  ist  Neueste  Mono- 
graphieen  H.  Schiller,  Gesch.  des  rOm.  Kaiserreichs  unter  der  Regierung  des 
Nero.  Berlin  1862.  A.  H.  Raabe,  Qeschichte  und  Bild  von  Nero.  Utrecht 
1872.  (Apologie  der  taciteischen  Charakteristik  Neros;  ohne  wissenschaft- 
lichen Wert.) 

2)  Tacitus  ist  13,  2  und  sonst  dem  Seneca  nicht  ungünstig  gesinnt, 
während  bei  Dio  61,  10  die  Summe  des  Urteils  lautet:  ov  ilovov  h  xovxm^ 
dXXa  %al  iv  äXXoig  ndv ta  xa  ivavtuotata  olg  i(piXoc6fpH  nomv  riXiy%^ri, 

3)  Tac.  ann.  12,  66 :  Agrippina  sceleris  olim  certa  et  oblatae  occasionis 
propera  nee  ministrorum  egens. 

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—    272     - 

Hand  mit  der  Zuversicht  eines  grofsen  Zwecks  ohne  Rücksicht 
auf  das  Vorhergegangene^  bei  deui  sie  ja  nicht  beteiligt  gewesen. 
Der  Plan  war  beiden  gemeinsam,  die  Beratung  des  Princeps  und 
die  Vertretung  der  Politik  vor  dem  Senat  fiel  dem  Lehrer  des 
Regenten  und  Senator  Seneca  zu,  die  Sorge  fQr  den  militärischen 
Schutz  und  die  Mitberatung  der  allgemeinen  Mafsregeln  dem 
Burrus.^)  Nero  selbst,  im  Gegensatz  zu  den  Vorgängern  rhetorisch 
nicht  ausgebildet,  und  mit  dem,  was  er  an  geistigen  Beschäfti- 
gungen trieb,  auf  anderes  gerichtet,  überliefs  gerne  seinem  Minister 
die  Anfertigung  ^er  Reden,  mit  welchen  er  selbst  öffentlich  au^ 
zutreten  hatte:  der  erste  Princeps,  der  nicht  voll  mit  seiner 
Person  eintrat,  sondern  ein  Ministerregiment  einführte*),  zugleich 
aber  auch  ein  beim  Antritt  der  Regierung  noch  nicht  voll 
siebenzehnjähriger  Jüngling.  Eine  Weiterbildung  dieses  Verhält- 
nisses bis  zur  Eonsequenz  eines  verantwortlichen  Ministers  war 
denkbar  und  hätte  die  Einführung  einer  erblichen  Monarchie 
über  dem  Senate  mächtig  gefordert,  aber  dieser  Gedanke  war 
dem  Sinn  des  augusteischen  Principats  vollständig  zuwider,  und 
wie  es  sich  auch  mit  der  Möglichkeit  seiner  Durchführung  ver- 
hielt, die  Ereignisse  sind  darüber  so  hinweggegangen,  daCs  er 
auch  in  der  Folgezeit  nicht  auftrat.  —  Das  Programm,  das  Seneca 
entwarf,  hat  uns  Tacitus  authentisch  erhalten*),  es  geht  vollständig 


1)  Seneca  war  im  J.  67  consul  suffectus  (Klein,  fast.  cons.  z,  d.  J.); 
eine  andere  offizielle  Stellung  als  die  eines  Eonsulars  im  Senat  bekleidete 
er  seitdem  nicht  mehr,  wenn  man  nicht  die  Zuziehung  zum  Eonsilium  des 
Kaisers  als  eine  solche  betrachten  will.  -  Darnach  ist  zu  beurteilen  Tac. 
ann.  14,  63:  Quartus  decimus  annus  est^  Caesar ^  ex  quo  spei  tuae  admotui 
«um,  octawAS,  ut  imperium  obtines:  medio  temparis  tantum  honorum  aique 
opum  in  me  cumulasti^  ut  nihil  feliciiati  meae  desit  nisi  moderatio  aus. 
ßurrus  war  Präfekt  vom  J.  61  (Tac.  ann.  12,  42)  bis  zu  seinem  Tode  im 
J.  62  (14,  51). 

2)  Tac.  ann.  13,  3:  oratio  (die  laudcttio  funehris  für  Claudius)  a  Seneca 
composita,  —  Ädnotabant  seniores,  —  prinmm  ex  iis  qui  rerum  potiti  essentj 
Neronem  alienae  factmdiae  eguisse  (folgt  das  Verhalten  der  Vorgänger  in 
dieser  Hinsicht).  Nero  puerilibiM  statitn  annis  vividum  ingenium  in  dHa 
detorsit,  caelare,  pingere,  catUus  aut  regimen  equorum  exereere,  Suet.  Nero  63: 
a  cognitione  veterum  oraiorum  Seneca  praeceptor  {avertit),  quo  diutius  in 
admiratione  sui  detineret, 

8)  Ann.  18,  4:  tum  formam  futuri  principatus  praescripsU  (Nero):  — 
discretam  domum  et  rempniblicam;  teneret  antiqua  munia  sentxtus,  consulvm 
tribunalibus  Italia  et  ptiblicae  provinciae  assisterent^  iUi  patrum  adüum  prae- 
herent,  se  mandatis  exercitibus  consulturum, 

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—    273    — 

zurQck  auf  die  augusteische  Idee  der  wiederaufgerichteten  Re- 
publik mit  der  Gewalt  des  Princeps  als  einer  Hilfsgewalt^  ja  es 
geht  noch  über  den  liberalen  Schein  des  Augustus  hinaus  durch 
die  Betonung  der  militärischen  Seite:  dieser  sollte  im  wesent- 
lichen die  Thätigkeit  des  Princeps  gewidmet  sein,  sonst  der  Senat 
regieren^  der  letztere  natürlich  als  Vertreter  alles  dessen,  was 
eigentlich  Senat  und  Volk  zugestanden  war,  ohne  Eonzessionen 
an  die  Eomitien.  Dieses  Programm  wurde  denn  auch  festgehalten, 
80  lange  Burrus  und  Seneca  mit  am  Ruder  waren,  es  bildete  den 
moralischen  Grund  des  Verharrenö  in  ihrer  Stellung,  die  einzige 
Erklärung  für  ihr  persönliches  Verhalten,  so  lange  man  irg^id 
noch  einen  höheren  Mafsstab  an  dasselbe  legt;  es  bildete  aber 
zugleich  den  entgegenstehenden  Einflüsse^  gegenüber  seine  Durch- 
führung eine  Aufgabe,  an  der  schliefslich  auch  der  in  nachsich- 
tigem Geschehenlassen  opferwilligste  Staatsmann  scheitern  muTste. 
Unter  jenen  Einflüssen  standen  oben  an  der  Ehrgeiz  der  Agrippina 
und  die  jedem  ernsten  Treiben  abgewandte  Natur  Neros;  denn 
jene  konnte  wohl  die  Männer,  die  sie  selbst  in  die  leitende 
Stellung  eingesetzt,  bis  zur  vollen  Erreichung  des  Ziels  gewähren 
lassen,  sie  war'jedoch  nicht  gemeint,  ihnen  die  Leitung  auch  ferner 
anheimzugeben;  von  Nero  aber  war  nicht  zu  erwarten,  d als  er 
mit  seiner  Persönlichkeit  in  die  Ausführung  jenes  Programms 
eintrete,  man  mufste  zufrieden  sein,  wenn  er  es  nicht  geradezu 
durchkreuzte.  Die  Politik  der  Minister  war  nun  dahin  gerichtet, 
den  Einflufs  der  E-aiserinmutter  auf  die  Geschäfte  soviel  wie 
möglich  zu  beschränken,  den  ihrer  höfischen  Vertrauten  zu  be- 
seitigen oder  wenigstens  nicht  über  das  Gebiet  der  Hofintriguen 
hinaus  wirken  zu  lassen,  den  Einflufs  der  Mutter  auf  den  Sohn 
aber  womöglich  zu  brechen  und  damit  auch  ihrem  direkten  Ein- 
greifen ein  Ende  zu  bereiten.^)  Hinsichtlich  Neros  selbst  war 
das  Gegenmittel  gegen  den  mütterlichen  EinfluCs  das  einer  Ab- 
lenkung seiner  Neigungen  und  Interessen  auf  weibliche  Einflüsse 
anderer  Art*),  und  dies  hing  zusammen  mit  dem  Princip,  was 
nicht  zu  verhindern  war,  in  einer  für  den  Staat  unschädlichen 
Richtung    gewähren    zu    lassen,    zugleich    aber   hier   vor   allem 

1)  Bezeichnend  ist  in  dieser  Beziehimg  die  Scene  beim  Empfang  der 
armenischen  Gesandten  im  Senat  Tac.  ann.  13,  5. 

2)  Dio  61,  7  f.  Tac.  ann.  IS,  12  ff.  13,  4:  {Seneca  et  Bumu)  iuvantes 
iiwieem,  quo  f acutus  lubricam  prmcipis  aetatem,  ai  virtutem  aspemaretur, 
voluptatibus  conceasis  retinerent. 


Her  sog,  d.  röm.  Staats  verf.  II.  1. 


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—    274     - 

zwischen  Hof  und  Staat  eine  Wand  einzuschieben,  nur  mit  dem 
Vorbehalt,  was  von  dem  Treiben  des  Hofs  för  die  eigenen  poU- 
tischen  Zwecke  zu  verwerten  war,  sich  zu  gute  kommen  zu  lassen. 
Das  Gefahl  der  Macht  und  des  Herrseins  sollte  dem  jugendlichen 
Kaiser  nicht  bestritten  werden  —  wäre  dies  doch  auch  gegenüber 
dem,  was  seine  Umgebung  ihm  hierüber  sagte,  unmöglich  ge- 
wesen — ,  und  so  unterläfst  Seneca  nicht,  in  der  dem  Nero  in 
der  ersten  Zeit  seiner  Regierung  gewidmeten  Schrift  Won  der 
Milde'  diesem  Gefühl  zu  huldigen^),  aber  er  sucht  es  nach  den 
persönlichen,  nicht  politischen  Beziehungen  hin  zu  richten  und 
leistet  den  Anforderungen  an  den  Moralisten  Genüge,  indem  er 
dem  Bewufstsein  der  Willkür,  die  über  ungezählter  Menschen 
Los  zu  entscheiden  hat,,  den  Preis  der  Milde  und  Gnade  gegen- 
überstellt 

Weniger  aus  den  annalistischen  und  biographischen  Berichten 
über  die  neronische  Zeit  selbst  als  aus  dem,  was  noch  spätere 
Generationen  Über  dieselbe  wuTsten,  ersehen  wir,  dafs  es  dem 
Seneca  und  Burrus  gelang,  während  der  ersten  fünf  Jahre  mit 
den  angegebenen  Grundsätzen  ein  Senatsregiment  zu  erhalten^ 
das  den  besten  Zeiten  der  Eaiserherrschaft  zugerechnet  wurde. *) 
Ohne  Zweifel  wurde  dabei  als  Wendepunkt  der  im  J.  59  erfolgte 
Muttermord  angenommen; 'vom  politischen  Standpunkt  aus  wirkte 
das  Motiv,  das  den  fünf  ersten  Jahren  den  Ruf  einer  glücklichen 
Zeit  verschaffte,  d.  h.  der  Einflufs  der  leitenden  Minister  noch 
fort  bis  zu  deren  Ausscheiden  im  J.  62.  Denn  ihnen  kommt  das 
Verdienst  weitaus  am  meisten  zu.^)  Der  Senat  ging  zwar  auf 
ihre  Intentionen  ein,  allein  da  die  persönliche  Sicherheit  der  ein- 
zelnen Senatoren  dabei  doch  nicht  entsprechend  gesichert  war, 
nur  in  passiver  Weise  und,  wie  die  Folgezeit  zeigte,  ohne  eine 
prinzipielle  Festigung  seiner  Stellung  auch  nur  anzustreben. 
Indessen    war   es   auch   für   die   spätere   Bedeutung   des  Senats 


1)  De  Clement.  1,  1,  If.:  iuvat  —  ita  loqui  secum:  egone  ex  omnibus 
mortälibus  placui  dectusque  suiUy  qut  in  terris  deonam  vice  fimgertr?  ego 
vitcLe  necisque  getUibus  arbiter?  etc. 

2)  Aurel.  Yict.  epit.  5 :  quinquennio  toUrdbilis  vistis;  unde  quidam  pro- 
didere^  Traianwn  solitum  dicere,  proctd  distare  cunctos  prindpes  Nerom 
quinquennio, 

3)  Bei  Tacitas  ist  ein  solcher  Einschnitt  bei  dem  J.  59  nicht  her?or- 
gehoben.  Über  die  Rolle  von  Seneca  und  Barras  als  rectcres  imperatmae 
iuventae  Tac.  ann.  13,  2.     Dio  61,  3. 


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-     275    — 

keineswegs  gleichgültig,  dafs  uun  in  einer  noch  entschiedeneren 
und  freieren  Weise  als  unter  Claudius  der  Senat  an  den  Ge- 
schäften der  Reichsregierung  beteiligt  war.  Der  Kampf  gegen 
Agrippina  und  die  zu  ihr  haltenden  war  erfolgreich;  ihr  Einflufs 
wurde  zurückgedrängt,  und  die  Absicht,  eine  Kluft  zwischen 
Mutter  und  Sohn  aufi&urichteu,  gelang  bis  zum  Resultate  des 
Muttermords;  aber,  selbst  wenn  man  von  dieser  Konsequenz  ab- 
sehen will,  so  war  bei  der  Natur  Neros  auf  dem  eingeschlagenen 
Wege  Yon  Anfang  an  ein  Geschehenlassen  notig,  das  für  den 
Moment,  in  welchem  die  Auktorität  der  Führer  abgeworfen  wurde, 
das  Schlimmste  in  Aussicht  stellte  und  wenigstens  dem  erziehen- 
den Einflufs  des  Philosophen  grofse  Erfolge  nicht  versprach. 
AUerdings  heifst  es,  dafs  die  Minister  viel  Schlimmes  verhindert^); 
allein,  um  von  dem  Tode  des  Silanus,  dem  Eröffnungsakte  der 
neuen  Regierung,  zu  schweigen,  da  derselbe  der  Agrippina  zur 
Last  fiel,  wie  leicht  ging  man  über  die  Ermordung  des  Britannicus 
hinweg,  die  doch,  man  mochte  über  ihre  politischen  Folgen 
denken,  wie  man  wollte,  über  den  wahren  Charakter  des  Herr- 
schers keinen  Zweifel  lassen  konnte.  Das  allerdings  kam  den 
leitenden  Staatsmännern  zu  gute,  dafs  dem  Nero  der  autokra- 
tische Sinn  eines  Caligula  fehlte,  dafs  er  in  der  That  auf  die 
Trennung  zwischen  Privatleben  und  Regierung  einging  und  für 
die  vollkommene  Freiheit  des  ersteren  sich  in  der  letzteren  die 
Einflüsse  der  Politiker  gefallen  liefs,  wobei  immerhin  zwischen 
Seneca  und  ihm  ein  personliches  Verhältnis  bestehen  mochte, 
das  dem  ersteren  die  Illusion  einer  Möglichkeit  auch  sittlicher 
Leitung  gewährte  und  für  Nero  selbst  das  Eingehen  auf  die  Ab- 
sichten seiner  Führer  erleichterte. 

Wenn  nun  aber  dies  die  Lage  war,  so  mochte  man  wohl 
erwarten,  dafs  irgend  gröfsere  und  durchgreifendere  Entwürfe 
dieser  Gunst  der  Verhältnisse  entsprungen  wären,  dafs  die 
Minister,  des  Senates  sicher,  ihrerseits  Reformen  geplant  und  den 
nicht  unbegabten  jugendlichen  Herrscher  dafür  gewonnen  hätten, 
solche  an  seinen  Namen  zu  knüpfen.  Allein  hiervon  nehmen  wir 
nichts  wahr:  weder  bei  den  Historikern,  noch  in  den  Schriften 
Senecas  finden  wir  eine  Spur,  dafs  man  daran  gedacht  hätte. 
Von  Nero  selbst  wird  berichtet,  dafs  er  einmal  den  Gedanken 


1)  Tac  ann.  13,  2;  ibatur  in  caedes,  nisi  Afiramw  Bunins  et  Ännaeus 
Seneca  ohviatn  issent.  ^  , 

^QfedbyLiOOgle 


-     276     - 

gehabt;  Italien  von  der  Last  der  indirekten  Steuern  zu  befreien^); 
aber  diese  Idee  trug  so  sehr  den  Charakter  eines  augenblicklichen 
Einfalls,  entbehrte  so  sehr  des  staatsmännnischen  Hintergrunds, 
dafs  sein  Mentor  hiegegen  nur  Einsprache  erheben  konnte. 
Offenbar  lag  der  Gesichtskreis  von  Seneca  und  Burrus  nicht  blols 
innerhalb  der  augusteischen  Ordnung  der  Dinge,  sondern  er  ging 
nicht  einmal  über  die  Ausnützung  momentaner  Verhältnisse  hin- 
aus, höchstens  dafs  man  sich  von  dem  gegebenen  Beispiel  auch 
gutes  für  die  Zukunft  versprechen  konnte.  Diese  Beschrankung 
in  den  Zielen  hinderte  indessen  nicht,  dafs  einzelnes  in  den  be- 
stehenden Einrichtungen  gebessert  wurde:  so  vor  allem  im  Ge- 
richtswesen. Es  war  besonders  die  Art  des  Bechtsprechens  ge- 
wesen, welche  Seneca  dem  Vorgänger  Neros  vorgeworfen*);  nun 
konnte  er  darauf  hinwirken,  dafs  die  von  ihm  gerügten  Mifs- 
stände,  willkürliche  Einmischung  in  die  Jurisdiktion,  allzu  rasches 
und  einseitiges  Urteilen  u.  A.  durch  ein  überlegteres  und  gerech- 
teres Verfahren  beseitigt  würden.  Daher  die  grofsere  Sorgfalt 
in  der  Art  des  kaiserlichen  Bechtsprechens,  dessen  Entscheidung 
nun  erst  nach  Prüfung  der  schriftlich  gegebenen  Ansichten  des 
Konsiliums  erfolgte^),  die  Steigerung  der  Ehre  und  Kompetenz 
des  Senatsgerichts  ^),  Neuerungen  in  den  Verwaltungskompetenzen 
der  Magistrate  und  in  der  magistratischen  Jurisdiktion^),  welcher 
übrigens  —  schwerlich  zum  Nachteil  der  Sache  —  in  erweiterter 
Kompetenz  des  Stadtpräfekten  Abbruch  gethan  erscheint^,  vor 


1)  Tac  ann.  13,  60:  (Im  J.  58)  crebris  populi  flagüaUombus  inmodettiam 
publicanorum  arguentis  dübitavit  Nero,  an  cuncta  vectigalia  omiUi  iuherä 
idque  pulcherrimum  donum  generi  mortalium  daret.  Sed  impetum  eins  muUum 
prius  laudata  magnitudine  animi  cUÜniKre  aeniores  (Hdschr.  aenatores)  dis- 
sölutiontm  imperii  docendo,  st  fruclus,  quibus  resp.  sustineretur,  deminuerentur. 

2)  Seneca  lud.  d.  m.  Cl.  12. 

3)  Saeton  Nero  15. 

4)  Tac.  ann.  14,  29:  (Im  J.  60)  ai$xit  patrum  Tionorem  sUUuendo,  vi 
qui  a  privaHs  iudidbus  ad  senatum  pravocavissent,  eiusdem  pecuniae  perid^ 
lum  facerentf  cmus  ii  qui  imperatorem  appellavere;  nam  antea  vacuum  id 
solutumque  poena  fueraL  Suet.  Ner.  17:  cautum  %U  omnes  appeUationes  ad 
senatum  fierent.  Wann  and  wodurch  Nero  zu  letzterem  kam,  ist  nicht  ge- 
sagt; immerhin  wird  es  bei  Saeton  anter  den  Mafsregeln  der  besseren  Zeit 
aufgefOhrt. 

5)  Tac.  ann.  13,  28  f. 

6)  14,  41:  (Im  J.  61)  pari  ignominia  Vaierius  Ponticus  afficitur^  quod 
reos  ne  apud  praefectutn  ttrbis  arguereniur,  ad  praetorem  deMitset,  interim 
specie  legum^  mox  praevaricando  uUionem  elusurus.     Damals  hatte  also  be- 

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-     277       - 

Allem  aber  die  thatsächliche  Enthaltung  von  Majestätsprozessen^ 
die  von  Claudius  her  bis  zum  J.  62  unterblieben.^)  Gegen  mifs- 
bräuchliches  Verfahren  der  Publikanen  wurde  gelegentlich  jenes 
projektierten  Steuererlasses  durch  ein  Edikt  eingeschritten,*) 
Noch  war  die  kaiserliche  Easse  imstande^  dem  Arar  d.  h.  den 
Finanzen  der  Senatsyerwaltung  zu  Hilfe  zu  kommen.^  In  der 
Proyinzialverwaltung  wurde  gegen  die  zwei  wesentlichsten  Quellen 
der  Bedrängnis  der  Provinzialen^  die  Habsucht  der  Beamten  und  das 
Eingreifen  der  Steuereinnehmer  in  die  Verhältnisse  der  Privaten 
wie  der  Gemeinden,  einige  Vorkehr  getroffen^);  aber  besonderer 
Eifer  zum  Schutz  dieser  Klasse  von  Reichsangehörigen  war  von 
einem  Minister  nicht  zu  erwarten,  dem  man  vorwerfen  konnte, 
dafs  er  selbst  durch  Wuchergeschäfte  zum  Ruin  einer  Provinz 
sein  redliches  Teil  beitrage.'')  Dafs  eine  grofsartige  Unter- 
nehmung, die  aus  der  Initiative  eines  Statthalters  hervorging,  an 
der  Eifersucht  eines  Kollegen,  welcher  die  des  Kaisers  ins  Spiel 
zog,  scheiterte,  wird  ausdrücklich  bemerkt.^    Die  Reichsverteidi- 

reits  der  Stadtpräfekt  die  fragliche  Eompetens,  die  soDst  der  Prätor  gehabt. 
Wann  der  Präfekt  sie  an  sich  gezogen,  ist  damit  nicht  gesagt. 

1)  Über  Claudius  ob.  8.  265  A.  4.  Tac.  ann.  14,  48:  tum  primum  (im 
J.  62)  revocata  ea  lex  (sc,  maiestcUis). 

2)  IS,  51:  ergo  edixit  princeps,  tU  leges  cuimque  publici  (d.  h.  die  für 
jede  Steuer  geltenden  Grundsätze  der  Erhebung)  occuJtae  ad  id  tempus  pro- 
scrtbererUur ;  otnissas  petiitones  non  ultra  annum  rcsumerent  (Verjährung  der 
Forderungen);  Eomae  praetor,  per  provineiaa  qui  pro  praetore  aut  consule 
essent^  iura  adversus  puhlicanos  extra  ordinem  redderent,  milUibus  immunitas 
servaretur,  nisi  in  iis  quae  veno  exercerent,  aliaque  admodum  aequa,  quae 
breüi  servata  dein  frustra  habita  swnt 

3)  IS,  48:  (Im  J.  57)  sestertium  quadringenties  (8700000  Mark)  aerario 
inUUum  est  ad  retinendam  populi  fidem,  15,  18  rühmt  Nero  im  J.  62  von 
sich  se  annuum  sexcenties  sestertium  (13  Mill.  Mark)  reipuhlicae  largiri. 

4)  Tac.  ann.  18,  81.  (Durch  Verbot  von  Spielgeben  soll  den  Statt- 
haltern und  Prokuratoren  verwehrt  sein,  ne  quae  libidine  ddiquerant^  ambitu 
propugnarent),     15,   22   (gegen   Danksagungsbeschlüsse   der  Provinzialen). 

•  Dagegen  hatte  15,  20  Pätus  Thrasea  aus  Anlafs  der  übermütigen  Äufse- 
mngen  eines  Eretensers  Verwahrung  eingelegt,  dafs  den  Provinzialen  zu  viel 
gegenüber  den  Beamten  eingeräumt  werde  {nunc  colimus  externes  et  (tdula- 
mur\  hinsichtlich  der  Publikanen  s.  vorherg.  Anm. 

5)  Gegen  Seneca  bringen  seine  Gegner  vor,  dafs  durch  ihn  Italiam  et 
pfoüincias  inmenso  faenore  hauriri;  vgl.  Dio  62,  2  (der  Aufstand  in  Bri- 
tannien vom  J.  61  bricht  aus)  %al  ort  6  Zsviuccg  xtUag  atpiai  (ivQiadag 
a%ov6i9  in\  xQfiaxatg  iXnlai  x6%<ov  daveloag  instx'  d^Qoag  xs  Siux  avtäg 
%ai  ßiaüog  slghtifacasv. 

6)  Tac.  ann.  18,   53   (Plan   des   obergermanischen    Statthalters,   den 

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-     278     — 

gung  blieb  unter  Burrus  in  gatem  Stand;  für  die  Eriegfiihrang; 
welche  yor  dem  Tode  dieses  Präfekten,  dem  man  den  bestimmen- 
den Einflufs  hierin  zuschreiben  mufs^  in  Armenien  und  Britannien 
notig   wurde y   wurden   in   Corbulo   und   Suetonius   Paulinus   die 
tüchtigsten  Heerführer  bestellt.     Indessen  wurde  im  Unterschied 
von  der  augusteischen  Zeit^  in  welcher  die  leitenden  Persönlich- 
keiten sich  selbst  in  die  Provinzen  begaben,  dies  alles  von  Rom 
aus  besorgt,  und  für  die  Regierung  stand  so  sehr  das  Interesse 
an  den  hauptstädtischen  Dingen  im  Vordergrund,  dafs  hier  nur 
von  defensivem  Verhalten  die  Bede  sein,  an  eine  aktive  auswär- 
tige  Politik   nicht   gedacht   werden   konnte.^)     Dafs   auch  dem 
Detail  der  Heeresverhältnisse  nicht  besondere  Sorgfalt  gewidmet 
wurde,  zeigen  die  Klagen,  die  nach  dem  Sturze  Neros  in  den 
Soldatenkreisen  zu  Tage  kommen.^)  * 
Nero  unter  dorn         Nachdcm  Burrus  im  J.  62  gestorben  und  Seneca  bei  Seite 

Kinäufg  des  -.      .     t    i  ^  /»         ^i  .        i-.    i.  i 

TigeUinus  und  getreten  war,   um  drei  Jahre  darauf  selbst  ein  Opfer  der  ver- 

der  Freige-     °  '  ,  *.  . 

lassenon.  änderten  Verhältnisse  zu  werden,  hörte  jede  Produktivität  in  der 
Regierung  auf.  An  die  Stelle  der  Verbindung  eines  Führers  im 
Senat  und  des  Präfekten  der  Leibwache  tritt  seit  der  Nachfolge 
des  TigeUinus  in  diesem  Kommando  die  Verbindung  des  letzteren 
mit  den  Freigelassenen;  die  Politik,  welche  den  Schutz  des  Ge- 
meinwesens in  der  Scheidung  zwischen  dem  Privatleben  des 
Herrschers  und  seiner  öffentlichen  Stellung  gesucht  hatte,  wird 
völlig  über  den  Haufen  geworfen,  die  Majestätsprozesse  kommen 
wieder  auf,  für  den  Senat  bildet  die  Frage  der  persönlichen 
Sicherheit  der  einzelnen  wieder  die  erste  Sorge,  und  dem  ent- 
sprechend kommt  für  den  Princeps  die  Abwehr  der  Verschwo- 
rungen. Grofse  Energie  von  bleibender  Bedeutung  wurde  für 
den  Umbau  Roms  und  der  zweit-wichtigsten  Stadt  des  Westens 
Lugudunum  (Lyon)  entwickelt;  aber  die  das  Brandunglück  in  der 
Hauptstadt  begleitenden  Umstände  und  die  ihm  folgenden  Hand- 


Bhein  mittelst  Kanalisation  über  Mosel  und  Saone  mit  der  Rhone  zu  ver- 
binden). 
^  1)  Sueton   charakterisiert  c.   18   die  auswärtige  Politik  sogar  dahin: 

^  a/ugendi  propagandique  impei-ii  neque  völuntate  ulla  neque  spe  mottts  umqMfi^ 

t  ^  etiam  ex  Britannia  deducere  exercitum  cogitamt,  nee  msi  verecundia,  ne  o&- 

1^.  trectare  parentis  gloriae  videretur,  destitü, 

2)  Sowohl  bei  Othos  Erhebung  von  Seiten  der  in  der  Stadt  befind- 
lichen Truppen  als  bei  der  des  Vitellius  von  Seiten  des  germanischen  Heew. 
Tac.  hisi  1,  46.  68. 


S^-^. 


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-     279    — 

langen  grausamster  Verfolgung  müssen^  welche  Meinung  man 
auch  über  die  Veranlassung  des  Brandes  haben  mag,  alles  was 
man  Nero  bei  dem  Neubau  zum  Verdienste  anrechnen  könnte^ 
völlig  in  den  Hintergrund  drängen  und  drücken  für  das  Urteil 
der  Geschichte  gleichsam  das  Siegel  auf  die  Verdammung  seines 
Andenkens. 

In  der  Erzählung  über  die  vielen  Opfer,  welche  bei  dem 
Gericht  über  die  pisonische  Verschworung  fielen,  ergreift  den 
Tacitus  ein  Gefühl  schmerzlichen  Staunens,  ja  des  Unwillens 
darüber,  dafs  so  viele  treffliche  Männer  sich  hinmorden  liefsen 
oder  sich  selbst  den  Tod  gaben  ohne  den  Versuch  eines  mann- 
haften Widerstands,  er  bittet  aber  den  Leser,  nicht  Hals  gegen 
die  geduldig  leidenden  Opfer  von  ihm  zu  verlangen,  sondern  dem 
Geschick  die  Schuld  zu  geben,  das  es  so  schlimm  mit  dem 
romischen  Staat  gemeint  habe.^)  Auch  der  moderne  Leser,  wenn 
er  sich  nicht  bei  dieser  Entschuldigung  beruhigen  will,  muTs  bei 
der  Betrachtung  all  der  despotischen  Regierungen  und  der  nach 
Unterbrechung  weniger  Jahre  immer  sich  wiederholenden  Greuel 
des  Kampfes  gegen  die  Aristokratie  sich  fragen,  ob  sich  denn 
so  wenig  Thatkraft  in  dieser  fand,  dafs  sie  solche  Herrscher  so 
lange  geduldig  ertrug.  Was  man  zu  Erklärung  der  Resignation 
des  Selbstmordes  anführt,  die  Sorge  für  die  Hinterbleibenden, 
welchen  bei  einem  solchen  das  Vermögen  erhalten  blieb,  ist 
immer  nur  ein  untergeordnetes  Motiv,  das  nur  in  Betracht 
kommen  konnte,  wenn  überhaupt  stärkere  Entschlüsse  nicht  vor- 
handen waren.  Man  kann  nun  wohl  sagen,  die  wiederholten 
Verschwörungen,  insbesondere  die  weitverbreitete  des  Piso,  seien 
eben  ein  Beweis,  dafs  die  Geduld  der  Bedrohten  eine  Grenze 
hatte.  Allein  schon  das  verkehrte  Bestreben,  in  möglichst  weiter 
Ausdehnung  der  Verschwörung  Sicherheit  zu  suchen,  beweist, 
me  gering  das  Mafs  der  Entschlossenheit  bei  den  einzelnen  war, 
und  die  Geschichte  der  Entdeckung  wie  des  Strafgerichts,  das 
auf  dieselbe  folgte,  zeigt  wieder  nur  Menschen,  die  eher  zu  leiden 
als  zu  handeln  wufsten,  und  deren  deshalb  das  despotische  Principat 
mit  den  Schutzwehren,  die  es  in  der  materiellen  Macht  der  Leib- 
wache, wie  in  deren  Sympthieen  für  das  Haus  der  Cäsaren  hatte, 

1}  Aud.  16,  16:  patientia  servUis  tantumque  sanguinis  domi  perditum 
faiigant  animum  et  tnaestitia  restringuni;  neque  aliam  defensionem  ab  m, 
guibue  ista  noscentur,  exegerim  qiMm  ne  oderim  tarn  segniter  pereuntes.  Ira 
üla  numinwn  in  res  Romanas  fuit 


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-     280     — 

mit  demy  was  das  Interesse  oder  die  Ergebenheit  der  häuslichen 
Umgebung  für  sie  that^  und  mit  den  besonderen  Schutzmafsregehi, 
welche  ihre  Person  vor  Angrififen  irgend  einer  Art  sichern 
sollten^),  in  Rom  Herr  wurde.  In  dem  Falle  des  Piso  waren 
zudem  die  für  einen  Erfolg  notwendigen  Eigenschaften  in  der 
leitenden  Persönlichkeit  nicht  vorhanden^  da  Piso  wohl  einen 
glänzenden,  altrepublikanischen  Namen  hatte,  aber  seiner  Haltung 
nach  nur  den  Typus  eines  vornehmen  Lebemanns  vertrat.*)  Unter 
diesen  Umstanden  war  lange  unglaubliches  möglich;  man  konnte 
sehen^  wie  Männer  von  höchster  Bildung,  wie  ein  Cluvius  Bufiis, 
oder  von  militärischer  Tüchtigkeit,  wie  Yespasian,  sich  bei  dem 
in  Griechenland  umherziehenden  Komödiantenkaiser  dem  würde- 
losesten Hof  dienst  fügten^),  und  wie  ein  Mann  von  den  Ver- 
.diensten  eines  Corbulo  willenlos  den  Todesbefehl  eines  solchen 
Tyrannen  an  sich  vollstreckte.*)  Es  bedurfte  des  Ehrgefühls 
und  der  Thatkraft  eines  Provinzialen,  des  Julius  Vindex^),  um 
zuerst  den  Heerführern  und  dann  dem  Senat  und  dem  Volk  in 
Rom  dazu  zu  helfen,  sich  eines  Princeps  zu  entledigen,  der 
Namen  und  Recht  des  julischen  und  claudischen  Hauses  nur 
dazu  in  sich  vereinigt  hatte,  um  schliefslich  auch  die  blindeste 
Ergebenheit,  die  der  Prätorianer,  von  sich  abzustofsen. 
Das  Jahr  der  vier  H.  Das  Jahr,  wclchcs  dem  Sturze  Neros  folgte^,  stellte, 
was  bisher  durch  die  dynastische  Tendenz  der  Cäsaren  verdeckt 

1)  Dio  60,  3:  (Claudius)  rd  ts  aXla  dnQißmg  ifpvlatttto  %al  nennag 
tovg  nQogiovxag  ot  %al  ävdQag  xal  yvvaixag  iQSwäa&cci  inoCsi  nrj  xi  ^upüfiof 
^Xmciv  iv  ts  roti?  av[i7to0^oig  navtcog  riväg  otgatimtag  avvovtag  elitv  «ai 
tovto  (ilv  ii  ijisivov  xataSeix&hv  xal  Ssvqo  dsl  y/yvcTort,  ^  dl  di}  iqswa 
rj  did  navTcav  inl  Oosenaaiccvov  inavcato. 

2)  Tac.  ann.  16,  48. 

3)  Dio  63,  14.  Tac.  ann.  16,  8.  Suet.  Vesp.  4.  Vgl.  Tac.  bist  2,  71: 
Neronem  —  Vitellius  —  sectari  cantaniem  solitus  non  necessiiate,  qua 
honestissimus  quisque, 

4)  Dio  63,  17. 
6)  Dio  62,  22  ff.    Hinsichtlich  der  Zeit  Suet.  Nero  AO:  Neapoli  de  motu 

Oalliarum  cognovit  die  ipso  quo  matretn  occiderat  d.  h.  nach  Tac.  ann.  14,  4 
um  die  Zeit  des  Quinquatrusfests  (19. — 23.  März.) 

6)  Hinsichtlich  der  Quellen  ist  dieses  Jahr  besonders  bemerkenswert, 
weil  wir  hier  neben  einander  Tacitus'  Historien,  Plutarch  (Gralba  und  Oiho), 
Saeton,  Dio  (Auszug),  haben.  Die  vielen  Verhandlungen  über  das  Ver- 
hältnis dieser  Schriftsteller  zu  einander  und  zu  den  Originalquellen  haben 
yiel  mehr  ein  litterargeschichtliches  als  historisches  Interesse;,  vollends  die  für 
die  Verfassungsgeschichte  bedeutsamen  Thatsachen   werden  dadurch  kaum 


Kaiser 


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—     281     — 

worden  war,  nun  als  eine  Eonsequenz  der  militärischen  Stellung 
des  Principats  in  schreckenvoller  Weise  klar  vor  Augen,  dafs 
es  möglich  war,  auch  anderswo  als  zu  Rom  Kaiser  zu  .werden '), 
die  bürgerlich  konstitutionelle  Art  der  Einsetzung,  wie  sie  Au- 
gustus  festgestellt,  noch  rücksichtsloser,  als  es  bisher  unter  dem 
Schutz  der  Leibwache  geschehen  war,  zum  untergeordneten  Moment 
zu  machen  und  wieder  wie  der  erste  Cäsar  von  der  Provinz  aus 
an  der  Spitze  eines  Heeres  sich  die  Herrschaft  zu  gewinnen. 
Allerdings  war  es,  wie  schon  hervorgehoben  (ob.  S.  239  f.),  die 
Meinung  weder  des  Yindex  noch  des  Galba,  das  Recht  des  Senats 
zu  beseitigen,  sie  wollten  nur  dem  Senat  eine  geeignete  Persön- 
lichkeit, die  zugleich  den  Schutz  eines  Heeres  mitbringe,  zur  Ver- 
fügung stellen,  und  auch  die  andern  Kaiser  dieses  Jahrs  waren 
um  die  Anerkennung  durch  den  Senat  bemüht;  aber  die  Initiative 
zur  Bestellung  des  Reichsoberhauptes  war  in  die  Hand  der  Sol- 
daten gelegt,  und  willenlos  mufste  der  Senat  nach  einander  die 
ihm  von  den  verschiedenen  Seiten  gebotenen  Herrscher  bestätigen. 
Noch  trat  dieses  Geheimnis  des  Kaisertums  durch  den  weiteren 
Gang  der  Ereignisse,  welcher  wieder  die  friedlichen  und  ge- 
ordneteren Formen  zur  Geltung  brachte,  in  die  Verborgenheit 
zurück,  aber  seine  Bedeutung  war  nicht  unbemerkt  geblieben, 
und  mitten  aus  einer  Zeit  heraus,  welche  die  Schrecken  jenes 
Geheimnisses  völlig  überwunden  zu  haben  schien,  ruft  es  Tacitus 
seinen  Zeitgenossen  ins  Gedächtnis,  wie  wenn  er  mit  vorahnen- 
dem Geiste  vor  der  Zukunft  hätte  warnen  wollen. 

Wenn  irgend  eine  der  damals  in  Frage  kommenden  Persön- 
lichkeiten den  Übergang  von  der  Usurpation  zu  einem  konstitu- 
tionellen Regiment  hoffen  liefs,  so  war  es  Galba.*)  Mit  einem 
Heere,  wie  das  seiner  spanischen  Provinz,  das  eben  genügte,  um 
die  Erhebung  in  Scene  zu  setzen,  von  hohem  Alter,  zwar  nicht 

l>erfihii.  Eine  wertvolle  Originalqaelle  fSr  diese  Zeit  haben  wir  dagegen 
in  den  Fragmenten  der  Arvalakten. 

1)  Tac.  bist.  1,  4:  Finis  JNeronia  —  varios  motm  animorum  —  conci- 
verat,  evolgato  itnperü  arcano,  posse  principem  alibi  quam  Rotnae  fieri, 

2)  Nach  Dio  64,  6  regierte  Galba,  der  am  15.  Jan.  69  umkam,  9  Mon. 
13  Tage;  also  von  Anfang  April  69  an;  wenn  dies  die  offizielle  Rechnung 
war,  80  Kählte  er  trotz  seiner  Ergebenheitsversicherung  gegen  den  Senat 
sein  Imperium  von  dem  Tage  seiner  Proklamation  durch  die  Truppen  in 
Spanien  an,  also  fthnllch  wie  sp&ter  Vespasian  (s.  unten).  Neros  Tod  fällt 
erst  Aofang  Juni  (vgl.  die  Daten  bei  Schiller,  Nero  S.  258  A.  5);  erst  kurz 
▼or  letzterem  Datum  hatte  der  Senat  den  Galba  anerkannt. 

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-     282     - 

ohne  militärischen  Ruhm  aber  ohne  Verlangen  ihn  zu  mehren, 
als  kinderloser  Greis  in  der  Vorbereitung  der  Nachfolge  frei 
genug  gestellt  um  sie  in  Gemeinschaft  mit  dem  Senat  zu  ordnen, 
durch  Abstammung  von  einem  altrepublikanischen  Geschlecht 
zwar  zu  den  wenigen  Altadeligen  des  Senats  gehurig  aber  auch 
auf  Achtung  dieser  Körperschaft  hingewiesen,  angesichts  der 
Stimmung  der  grofsen  Heere  doppelt  veranlafst^  sich  auf  den 
Senat  und  was  dieser  repräsentierte  zu  stützen,  konnte  er  be- 
stimmt erscheinen,  eine  Periode  gemäfsigter  Freiheit  einzuleiten, 
und  nicht  nur  läuft  die  Grundtendenz  seiner  kurzen  Regierung  in  der 
That  in  diesen  Wegen  ^),  sondern  auch  die  Zukunft  sollte  durch  die 
Adoption  des  Piso  Licinianus  derselben  Richtung  gesichert  werden.*) 
Aber  eben  die  Schwäche  des  Heers,  auf  das  er  sich  stützte,  gegen- 
über den  Ambitionen,  welche  durch  das  Vorgehen  mit  diesem 
Heere  bei  den  Prätorianern  wie  bei  den  anderen  Provinzial- 
armeen  erweckt  wurden,  und  dazu  dann  die  personlichen  Mängel 
des  Kaisers,  die  Abhängigkeit  von  schlecht  ausgewählter  Um- 
gebung, unkluge  Verteilung  von  Strenge  und  Gehenlassen,  und 
was  ponst  von  einzelnen  Mifsgriffen   berichtet  wird,  zog  seiner 


1)  Die  Rede  Galbas  bei  Tac.  bist.  1,  16  f.  kann  in  sofern  als  Zeugnis 
gelten,  als  der  Schriftsteller  den  Galba  nicht  so  reden  lassen  konnte,  weon 
er  nicht  in  dem  wirklichen  Charakter  des  Kaisers  Anknüpfung  fflr  die  da- 
selbst entwickelten  Grundsätze  gefunden  hätte.  Im  übrigen  ist  die  Rede, 
wie  unten  zu  zeigen  ist,  eine  Zurechtlegung  des  Principats  aus  den  An- 
Bchauungen  des  Tacitus  selbst  und  der  trajanischen  Zeit  heraus.  Das  wirk- 
liche Urteil  des  Tacitus  über  Galba  liegt  in  1,  49:  ipsi  medium  ingemuw, 
magis  extra  vitia  quam  cum  virttUihus;  —  et  omnium  cofisensu  capax  im- 
perii,  nm  imperasset.  Dafs  die  Öffentliche  Meinung  der  besseren  Kreise  in 
Galba  einen  konstitutionellen  Kaiser  sah  uud  der  Senat  im  Ganzen  seine 
Stellung  wahren  konnte,  liegt  in  1,  4.  19.  Bezeichnend  ist  auch  3,  7: 
Galbae  imagines  discordia  temporum  suhversas  in  omnibus  municipiis  recoii 
iussit  Antonius,  decorum  pro  causa  ratus,  si  placere  GaXhae  principatus  et 
partes  revirescere  viderentur;  also  der  Führer  der  Flavianer  glaubt  durch 
Anknüpfung  an  Galba  Stimmung  für  Vespasian  in  Italien  zu  machen.  —  Dafs 
Galba  von  Anfang  an  das  augusteische  Principat  im  Auge  hatte,  zeigt  auch 
die  interessante  von  ihm  in  Spanien  geschlagene  Münze  Cohen  1*  p.  79 
n.  109  mit  Divus  Augustus  —  Hispania. 

2)  Auch  in  der  Interpretation  dieses  Adoptionsakts  g^ht  Tacitus 
1,  15 f.  im  Sinne  seiner  Zeit  über  die  Intention  Galbas  hinaus,  aber  die 
Wahl  der  adoptierten  Persönlichkeit  war  gewils  von  liberalem  Geiste  ein- 
gegeben. —  Diese  Adoption  ist  auch  erwähnt  act.  fratr.  Arv.  b.  Henzen 
p.  XCI.  Z.  24  ff.  Ober  die  Genealogie  des  Adoptierten  Mommsen  in  eph. 
epigr.  1  p.  148. 


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—    283     - 

Regierang  den  Boden  anter  den  Füfsen  weg.  Ziemlich  zu  gleicher 
Zeit  und  unabhängig  von  einander  führten  jene  Ambitionen  in 
Rom  und  am  Rhein  zu  der  Erhebung  des  Otho  als  Erkorenen 
der  Prätorianer  und  des  Yitellius  als  des  Prätendenten  der  Rhein- 
armee und  der  von  dieser  abhängigen  Provinzen.  Den  Verlauf 
des  darauf  folgenden  Kampfes  zwischen  diesen  beiden^  den  Sieg 
des  YitelliuS;  das  Auftreten  und  den  Erfolg  Yespasians  gegen  diesen 
hat  Tacitus  mit  so  kunstvoller^  wahrhaft  dramatischer  Darstellung, 
mit  so  klarer  Zeichnung  der  einander  gegenüberstehenden  Parteien 
nnd  der  grofsen  Wendepunkte  erzählt,  dafs  dem  modernen  Historiker 
kaum  etwas  hinzuzufügen  bleibt.  Für  uns  genügt  es,  die  rechtliche 
Datierung  dieser  Imperien  festzustellen.  Sofern  Otho  nach  der  Er- 
mordung Galbas  den  Senat  in  Rom  zu  seiner  Verfügung  hatte,  war 
er  bis  zu  seinem  Tode  legitimer  Kaiser;  dann  trat  die  Anerkennung 
des  Vitellius  durch  den  Senat  ein,  und  dieser  begnügte  sich  damit, 
sein  Imperium  von  dem  Tage  dieser  Anerkennung  ab  zu  datieren 
und  die  Zeit  vom  2.  Januar,  an  dem  er  von  den  Soldaten  aus- 
gerufen wurde,  bis  zu  jenem  Senatsbeschlufs  nicht  nachträglich 
in  dasselbe  hereinziehen  zu  lassen.  Vespasian  dagegen,  welchen 
die  Heere  des  Orients  dem  Vitellius  entgegengestellt,  liefs  sich 
bei  der  Anerkennung  durch  den  Senat  die  Regierung  zurück- 
datieren bis  zum  Tage  der  Erhebung  durch  dasjenige  Heer,  das 
den  Anstofs  gab,  die  Truppen  in  Alexandrien.^) 


1)  Hinsichtlich  Ofcbos  vgl.  Tao.  hisi  1,  47:  exacto  per  scelera  (Er- 
mordaDg  Galbas)  die  (15.  Jan.)  ~  vocat  senatum  praetor  urbantis  — :  dccemitur 
OthofU  tribtmicia  potestaa  et  nomen  Äugusti  et  omnes  principum  honores; 
dagegen  opfern  die  Arvalen  erst  am  28.  Febr.  ob  comit{ia)  tr%b{%mtctae) 
pot(esiatis)  imp^eraton's)  act.  fratr.  Arv.  bei  Henzen  p.  XCII  Z.  60.  Damals 
also  erst  fand  der  Scheinakt  des  Komitialbeschlusses  statt;  aber  gerechnet 
warde  die  tribunicische  Gewalt  ohne  Zweifel  vom  Datum  des  Senatsbe- 
schlasses  an.  Über  Vitellius'  Erhebung  durch  die  Legionen  am  2.  Jan.  Tac. 
hist.  1,  56  f.  Von  diesem  Datum  aus  hatte  er  also  die  Priorität  vor  Otho; 
allein  er  erhielt  vom  Senat  natürlich  die  Anerkennung  erst,  nachdem  die 
Nachricht  vom  Tode  Othos  angekommen  (Tac.  hist.  2,  65:  Ceriäles  ludi  — 
deren  letster  Tag  der  19.  April  war  —  ex  more  spectabantur ;  ut  cecidisse 
Othonem  ~  adtiUerunt  —  in  senatu  cuncta  longis  aliorum  principatibw 
composita  statitn  decernuntur),  und  er  nahm  diesen  Tag  als  den  dies  imperii 
an;  vgl.  acta  fratr.  Arv.  bei  Henzen  p.  XCIV  Z.  86:  ob  diem  imperi  [Vitelli 
ausgemerzt]  ö«fman(tct)  imp{era6oris) ,  quod  XIII  k.  Mai(as)  (19.  April) 
8UUtU{um)  est.  Ans  Tacitus'  allgemeiner  Angabe  erhellt,  dafs  in  dem  Senats- 
beschlufs auch  die  trib.  pot.  gegeben  war;  dagegen  die  comitia  trib.  pot. 
waren   am  30.  April,   act.  fratr.  Arv.  am  angegebenen  Ort  Z.  81  f.    Vgl, 

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—     284     -  . 

In  die  Einrichtungen  des  Reichs  wurde  in  diesem  ereignis- 
vollen  Jahr  nichts  neues  von  Bedeutung  eingef&hrt;  der  Eamp{ 
um  das  Dasein  nahm  unter  so  kurzen  Regierungen,  während 
deren  die  kaiserliche  Initiative  ja  noch  kürzere  Zeit  in  der 
Hauptstadt  sich  befand,  alle  Interessen  und  vor  allem  die  der 
Regierenden  selbst  in  Anspruch,  und  was  irgend  gethan  wurde, 
trägt  personlichen  und  ephemeren  Charakter.*)  Für  die  Kaiser- 
regierung selbst  aber  war  es  von  unzweifelhafter  Bedeutung,  dafs 
die  Folge  in  der  einen  Familie  unterbrochen  wurde;  das  ostensible 
Princip  des  augusteischen  Principats,  die  in  jedem  Fall  neue 
Verleihung  durch  Senat  und  Volk  wurde  so  durch  die  That- 
Sachen  aufs  neue  in  den  Vordergrund  gedrängt^  and  indem  jeder 
der  neuen  Herrscher  einfach  die  Bestimmungen  seiner  Gewalt  so 
annahm,  wie  sie  die  früheren  Principes  gehabt,  wurde  auch  diese 
wieder  befestigt     Durch   Annahme  derselben  Titel*)   war  diese 

über  diese  Daten  Henzen  p.  64.  Dieselben  Arvalakten  geben  aach  Anf- 
schlafs  über  die  comitia  constUarta  und  die  Verleihnng  der  Priestertümer 
für  Otho.  Darüber,  dafs  in  Gelübden,  welche  für  Othos  Rückkehr  getban 
waren,  nachträglich  an  die  Stelle  von  Othos  Namen  der  des  Vitellias  kam, 
vgl.  Henzen  p.  115.  —  Vespasian  endlich  verfahr  anders  als  Vitellias;  er 
wurde  am  1.  Jali  69  in  Alexandrien  au&gerafen  and  nahm  diesen  Tag  ah 
dies  imperii  an  (Tac.  hist.  1,  79:  initium  ferendi  ad  Vespasianum  imperü 
AUxandriae  coeptum  festinante  Tiberio  Alexandra ,  qui  kdl.  Jüliia  sacra- 
mento  eitis  legiones  adegit,  isque  primus  principatus  dies  in  posterum  cdt- 
hratus).  Die  Anerkennung  durch  den  Senat  konnte  erst  nach  Vitellias* 
Tod  im  Dez.  nach  den  Satumalien  erfolgen  (Tac.  S,  78.  83  a.  E. ;  über  die 
verschiedenen  Annahmen  des  genaaeren  Datnms  in  den  Qaellen  Chambala, 
de  magistratibus  Flaviorum  p.  7  A.  1);  vgl.  4,  3:  Bomae  senaius  euncta 
principibus  solita  Vespasiano  decemit  (über  das  Verhältnis  dieser  Stelle  in 
der  lex  de  imp.  Vespasiani  a.  and.  0.).  Die.  dabei  in  Frage  kommenden 
Rechte,  also  auch  die  trib.  pot.  müssen  dann  auf  den  1.  Jali  zurückdatiert 
worden  sein,  vgl.  Borghe^i,  oear.  VI.  14—20.  Über  Sueton  Vesp.  12  s.  onten 
S.  289  A.  1. 

1)  Was  Sueton  c.  14  von  Galba  erwähnt,  ist  negativer  Art  oder  war 
nar  geplant.  Von  Otho,  dessen  Stellang  zum  Senat  so  war,  dafs  er  selbst 
und  die  ihm  ergebenen  Soldaten  sich  stets  voll  Mifstraaen  gegen  denselben 
zeigen  (Tac.  hist.  1,  80  flF.  2,  52.  54.  Säet.  Oth.  8),  sagt  Tacitus  hist  1,  77: 
fHunera  imperii  obibat,  quaedam  ex  dignitate  reip.,  pleraque  contra  deeus  ex 
praesenti  tisu  properando.  Was  von  Vitellias'  Mafsregeln  berichtet  wird, 
hat  für  ihn  selbst  wie  für  andere  nur  persönliche  Bedeutung.  Dafs  er  sich 
zum  cansul  perpetutis  macht  (Suei  11:  comitia  in  decem  annos  ordinavü 
seque  Perpetuum  cotisulem),  ist  nicht  einmal  in  den  Fasten  oder  aaf  Ur- 
kunden bemerklieb. 

2)  Die  Münzen  Galbas,  welche,  wie  es  scheint,  unmittelbar  nach  seiner 

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-     285     — 

Kontinuität  aach  äufserlich  kund  gegeben  ^  und  indem  dabei  zu- 
gleich der  Cäsarenname  mit  herübergenommen  wurde  ^),  gewann 
dieser  vor  allem  die  Bedeutung^  künftig  jenen  Zusammenhang  in 
freier  yon  der  Familienberechtigung  losgelöster  Weise  darzustellen. 

§  78.    Die  Plavfer. 

1.  Die  siebenundzwanzigjährige  Regierung  der  Imperatoren  übersieht. 
des  flavischen  Namens  trägt  nach  den  Persönlichkeiten  der 
Herrscher  keinen  einheitlichen  Charakter;  nicht  nur  stellen  *lie 
drei  Regenten  als  Menschen  Typen  von  verschiedenen  Eigen- 
schaften dar,  sondern  es  unterscheidet  sich  hinsichtlich  des  per- 
sönlichen Eingreifens  insbesondere  der  Despotismus  Domitians 
von  der  mit  Mäfsigung  gepaarten  Festigkeit  Yespasians  und  der 


Erhebung  in  Spanien  geschlagen  wurden  .und  seinen  Kopf  nicht  tragen 
(Cohen  1\  p.  218  f.),  haben  die  Aufschriften  Galba  imp.  oder  Serv.  Gälha 
imp.,  Caesar  Äug.  GaJba  imp.,  die  späteren  bald  imp.  ebenso  nach  dem 
l^amen  gesetzt,  bald  als  praenomen,  am  vollständigsten  imp.  Serv.  Galba 
Caesar  Aug.,  und  zwar  finden  sich  dieselben  Varianten  auf  den  kaiserlichen 
wier  auf  den  SenatsmOnzen.  In  dem  Militärdiplom  c.  i.  1.  III  p.  847 
=»  Or.-Henzen  737.  Wilmanns  915  heij^t  es  Ser.  Galba  imperator  Caesar 
Augusius.  ~  Otho  heifst  auf  seinen  Münzen,  die  übrigens  bemerkenswerter 
Weise  in  Kupfer  nicht  existieren,  am  vollständigsten:  imp.  M.  Oiho  Caesar 
Augusius^  ebenso  in  den  Anralakten ;  andere  Inschriften  von  ihm  giebt  es  bis 
jetzt  nicht.  Von  Vitellius  heilst  esTac.  bist.  1,  62:  nomine  Germanici  ViteUio 
sia^im  addäo  (von  den  Soldaten  bei  seiner  Erhebung)  Caesarem  se  appettari 
etiam  victor  pröhibmt.  2,  62:  praemisit  in  urbem  edictumf  qw)  vocabulum 
Augusti  differret,  Caesaris  non  reciperet,  cum  de  potestate  nihil  retraheret. 
2,  90:  abnuenti  nomen  Augtisti  expresser e  ut  adsumeret,  schliefslich  S,  68: 
(in  der  letzten  Not)  quin  et  Caesarem  se  dici  voluit,  aspemcUus  antea,  sed 
tunc  superstitione  nominis;  in  den  Arvaltafeln  (Henzen  XCIIIf.)  heifst  er 
demgemSls  auch  Vitellius  Germanicus  imperator,  auf  den  Münzen  tritt  dazu 
zum  Teil  Aug.  Wenn  auf  Provinzialmonumenten  (Henzen  6417  —•Wil- 
manns 916)  Caesar,  erscheint,  so  ist  dies  Unkenntnis  des  für  korrekt  Er- 
achteten. Vitellius  hatte  also  die  Caprice  —  etwas  anderes  war  es  sicherlich 
nicht  — ,  mit  sich  anfangen  zu  wollen;  nachher  aber  fand  er  doch,  dafs 
die  Anknüpfung  an  die  Cäsaren  Vorteile  habe.  Speziell  wollte  er  wie  Otho, 
der  sogar  daran  dachte,  den  Namen  Nero  anzunehmen  (Sueton  Otho  7), 
den  letzten  der  Cäsaren  als  sein  Vorbild  anerkennen  (Sueton  Vit.  c.  11). 

1)  Eünsichtlich  der  Kaiser  selbst  s.  vorherg.  Anm.,  aber  auch  die 
präsumtiven  Nachfolger  oder  Prinzen  nehmen  den  Namen  Caesar  an;  YgL 
act.  fratr.  Arv.  p.  XCI,  wo  der  von  Galba  adoptierte  Piso  [Serv.  Sulpicius 
Gal]ba  C[aesar]  heilst  und  Tac.  hist.  1,  19:  hie  (Piso)  dignationem  Caesaris 
laturus;  femer  hist.  3,  86:  (nach  Vitellius'  Tod)  Domitianum  —  Ci 


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tS^-Sgle 


-     286    — 

beflissenen  Milde  des  Titas.  ^)  Indessen  bietet  sich  diese  PericMfe 
doch  auch  wieder  in  einheitlicher  Beleuchtung  dar.  Die  Zu* 
stände,  welche  Yespasian  antraf,  blieben  dieselben  unter  seinen 
Nachfolgern,  die  drei  Regenten  mufsten  mit  ihnen  rechnen,  sie 
haben  mit  ihrem  darauf  gegründeten  Verfahren  die  Überleitung 
von  der  Periode  des  julisch-claudischen  Hauses  zu  der  des  zweit^i 
Jahrhunderts  gebildet,  und  trotz  der  Verschiedenheit  der  Charaktere 
geht  doch  durch  die  drei  flavischen  Regierungen  ein  autoritativer 
von  Vespasian  eingeführter  Zug.*) 
veapasian.  Zu-  2.  In  dem  Augcublick,  da  Vespasian  anerkannter  und  alleiniger 
nähme  der  Re-  Herr  wurdc,  bot  das  Reich   selbst  noch  den  Anblick  einer  Zer- 

gierung. 

rissenheit  dar,  welche  viele  örtlich  getrennte  und  der  Art  nach 
verschiedene  Aufgaben  stellte.  Der  jüdische  Krieg  war  noch 
nicht  zu  Ende  und  erhielt  den  ganzen  Osten  in  Erregung,  in 
Grermanien  und  Gallien  begann  jetzt  erst  der  Kampf  des  Reichs 
mit  den  aufständischen  Provinzialen,  in  verschiedenen  andern  6ren»- 
Provinzen  hatte  die  romische  Herrschaft  in  Kampf  sich  zu  be- 
haupten, Italien  war  von  Grund  aus  erschüttert,  Rom  selbst 
hatte  eben  eine  Katastrophe  durchgemacht  wie  seit  Sulla  und 
Marius  nicht  mehr,  und  dem  allem  stand  nun  ein  Mann  gegen- 
über, der  bis  jetzt  nichts  gezeigt  hatte  als  die  Eigenschaften 
eines  guten  Soldaten,  nicht  einmal  die  eines  dem  grofsen  Krieg 
gewachsenen  Heerführers.  Es  gelang  aber  diesem  Mann,  aljer 
jener  Schwierigkeiten  in  einer  Weise  Herr  zu  werden,  welche 
nicht  nur  för  seine  Regierung,  sondern  auch  för  fernere  Zeiten 
eine  neue  Wohlfahrt  des  ganzen  Reichs  begründete. 

Die  örtlich  getrennten  Aufgaben  verlangten  verschiedene 
Kräfte  zu  ihrer  Bewältigung.  Die  östlichen  Verhältnisse  hatte 
naturgemäfs  Vespasian  selbst  noch  in  der  Hand:  zwar  den  Krieg 
in  Judäa  überliefs  er  seinem  Sohne  Titus  zur  VollfQhrung 
dieser  nächsten  Aufgabe  selbst  wie  zur  Bewährung  für  die 
Zukunft,  aber  indem  er  langsam  im  Verlauf  de»  Jahres  70  Ober 
Ägypten  und  die  Küstenprovinzen  nach  Rom  reiste,  befestigte 
er  überall  auf  dieser  Seite  des  Reichs  die  neue  Herrschaft    Rom, 


consalutatum  miles  frequens  —   deduxit,     4,   2:    fumen  sedemque  Caesaris 
Domitianus  acceperat. 

1)  Zasammenfassende  Charakteristiken  bei  Anr.  Vict  in  den  CaetartM 
und  der  Epitome  9—11. 

2)  Sueton  Vespas.  1:  Rebellione  trium  prineipum  et  caede  ineerhun 
diu  et  quasi  vagum  imperium  suscepit  finnavitque  tandem^gena  Klavia. 

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-     287     — 

Italien  und  der  Westen  mufste  während  dieser  Zeit  den  Heer- 
führern Oberlassen  bleiben ^  welche,  wie  Antonius  Primus  und 
Arrius  Varus,  den  Krieg  in  Italien  gef&hrt  oder,  wie  Mucian, 
als  Stütze  der  zunächst  aktiyen  Kräfte  nachgerückt  waren.  Der 
letztere,  als  der  durch  Stellung  und  politische  Befähigung  unbe- 
dingt überlegene  übernahm  die  Leitung;  neben  ihm  stand  als 
Repräsentant  der  Herrscherfamilie  der  zweite  Sohn,  Domitian, 
der  aber  nach  kurzen  Velleitäten  von  Eigenmächtigkeit  mehr 
geduldet  und  überwacht  als  in  den  Vordergrund  gestellt  wurde. 
Der  glückliche  Umstand,  dafs  der  Ehrgeiz  Mucians  eine  gewisse 
Grenze  einhielt,  verbunden  mit  der  klugen  Übersicht  Yespasians 
überwand  die  mancherlei  Gefahren  dieser  Teilung  der  leitenden 
Kräfte,  nnd  nachdem  Yespasian  im  Sommer  70  selbst  in  Rom 
eingetroffen  war,  konnte  er  die  oberste  Leitung  ohne  weitere 
Schwierigkeit  selbst  in  die  Hand  nehmen.^) 

3.  Die  nächste  Aufgabe,  die  er  hier  sich  stellte,  war  die  HodifikAtionen 
Feststellung  des  Imperiums  selbst.  Die  Thatsachen  hatten  ge-  •truktion  des 
zeigt,  welchen  Halt  demselben  der  dynastische  Zug  gegeben  hatte, 
den  es  unter  den  Cäsaren  gehabt,  und  wie  haltlos  das  blofse 
Soldatenkaisertum  war.  Unter  den  Motiven,  welche  Tacitus  dem 
Mucian  in  den  Mund  legt,  da  er  den  Yespasian  zur  Übernahme 
des  Imperiums  bestimmen  will,  ist  nicht  das  wenigst  schwer- 
wiegende, dafs  Yespasian  zwei  Sohne  habe,  während  Mucian 
selbst  kinderlos  sei*)  Wiederum  also  sollte  die  Nachfolge  in 
der  Familie  gesichert  werden,  aber  nun  nicht  blofs  durch  Yor- 
bereitung  der  Zukunft,  sondern  schon  durch  eine  Mitwirkung  in 
der  Gegenwart,    die   über   die   in   früheren   Fällen   kaiserlichen 


1)  Um  Einsicht  in  diese  Verhältnisse  zu  geben,  reicht  eben  noch  die 
l^telloDg  des  Tacitns,  die  fflr  diese  Dinge  bis  znm  Sohlufs  des  vierten 
Baoha  der  Historien  geht  Kürzer  ist  der  Auszug  aus  Dio  66,  1  fiP.  Über 
Vespasians  Bückkehr  Joseph,  bell.  lud.  4,  11.  7,  2.  Zonar.  11,  17.  — 
Chambalu  in  Philol.  44,  602  iF.  deutet  die  statos  aestivis  flatibus  dies,  welche 
Vespasian  nach  Tac.  hist.  8,  81  in  Alexandrien  abwartete,  auf  die  Zeit 
2^i»chen  19.  Aug.  und  17.  Sept.  und  iSXst  ihn  nicht  vor  Mitte  Oktober 
i^ach  Rom  kommen  und  dort  die  Regierung  übernehmen;  Pick  dagegen 
(^rl.  Zeitschr.  für  Numism.  18,  878  A.  2)  bezieht  jene  flatus  aesHvi  auf 
^e  frühere  Periode  der  Südwinde  und  lälst  den  Kaiser  gegen  Ende  August 
11^  Rom  ankommen. 

2)  Hist.  2,  77:  tuae  domui  —  duo  luvenes,  capax  iam  itnperti  älter; 
^^(ium  fuerit  non  cedeie  imperio  et,  cuius  ßium  adoptaturus  essem,  si 

«P«c  tniperarwn.  r^^^^T^ 

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-    288    - 

Prinzen   gewährte  Stellung   hinausreiche.     Zugleich   aber    wurde 
das  Principat  anders  gefafst  als  bisher.    Zunächst  natürlich  hatte 
sich  Yespasian  einfach  die  Gewalten,  welche  dasselbe  aasmachten, 
in  derselben  Weise  übergeben  lassen,  wie  es  von  Augiißtus  her 
üblich  gewesen^);  aber  nachdem  er  die  Aufgabe  einer  Neuordnung 
in  Rom   selbst  in  die  Hand  genommen,  brachte  er  eine  Modifi- 
kation an.     Zwar  die  militärische  Seite  der  Eaisergewalt  blieb 
dieselbe:  ein  Imperator,  wie  er,  der  Ton  den  Legionen  erhoben 
war  und  den  Tag  dieser  Erhebung  als  Antt'ittstag  seiner  Regie- 
rung bestimmt  hatte,  hätte,  wenn  er  ändern  wollte,  seine  Stellung 
eher    durch    eine    allgemeinere   Grundlage   als   die   der    prokon- 
sularischen Gewalt  verstärkt;  auch  die  tribunicische  Gewalt,  die 
ihm  mit  den  übrigen  Attributen  yom  Senat  übertragen  worden 
war,  behielt  er  bei,  allein  er  gab  ihr  nicht  die  Bedeutung,  welche 
sie  bisher  gehabt     Die  Idee,  die  einst  Julius  Cäsar  mit  diesem 
Titel  yerbunden  hatte,  die  Anerkennung  der  demokratischen  Ent- 
wicklung, welche  die  romische  Verfassung  durch  sie  gehabt  und 
die  ihm  die  Wege  gebahnt  hatte,  lag  dem  Yespasian  zu  ferne 
und    war    auch    der    damaligen    Generation    bedeutungslos;    für 
die  besondere  Berechnung  aber,  mit  welcher  Augustus  in  seiner 
Konstruktion  des  Principats  den  Titel  wieder  aufgenommen,  hatte 
er  keinen  Sinn,  und  so  kam  er  nun  auf  den  Gedanken,  den  ja  eine 
Zeit  lang  auch  Augustus  gehabt  (ob.  S.  138.  144) ,  das  Konsulat^ 
die  autoritative  Spitze  der  republikanischen  Magistratur,  durch  jähr- 
liche Übernahme  desselben  enger  mit  dem  Principat  zu  yerbinden. 
Eine  Verfassungsänderung   war  dazu  nicht  notig,   sondern  nur 
ein  anderer  Usus  als  der  bisherige;  dabei  konnte  man,  wie  bis- 
her, sich  auf  die  Annahme  des  ordentlichen  Konsulats  beschränken 
und  die  Stellen  mit  nachträglichem  Eintritt  den  Privaten  über- 
lassen, ja  auch   innerhalb    der   gewöhnlichen   Funktionszeit  der 
ordentlichen  Konsuln  zurücktreten,  um  einem  ergänzenden  Privaten 
Platz  zu  machen:  es  genügte,  den  ersten  republikanischen  Magi- 
stratstitel mit  dem  Charakter  der  Eponymie,  der  darin  lag,  an  die 
Person  des  Princeps   zu  knüpfen,  auf  diese  Weise  insbesondere 
die  Leitung  des  Senats  und  der  ganzen  republikanischen  Seite  in 
seiner  Hand  konzentriert  zu  zeigen  und  den  Unterschied  zwischen 
dem  Princeps  und  den  Senatoren  durch  ein  weiteres  Privilegium 
noch    schärfer   zu    bezeichnen;   dagegen  wurde  auf  die  Zählang 


1)  Hist  4,  8  (ob.  S.  241  A.  1  u.  S.  288  A.  1).     ^  - 

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-     289     -     . 

der  Regierungsjahre  nach  der  tribunicischen  Gewalt  jetzt  kein 
Wert  mehr  gelegt.^)  Die  Übernahme  der  höchsten  republi- 
kanischen Würde  durch  die  Prinzen  des  kaiserlichen  Hauses  ferner 
war  auch  durch  die  Praxis  der  früheren  Zeit  von  selbst  gegeben, 
nur  ebenfalls  in  sporadischer  Weise;  jetzt  wurde  jener  Zweck, 
das  Imperium  mittelst  der  Sohne  zu  befestigen,  mit  in  dieses 
System  des  kaiserlichen  Konsulats  hereingezogen,  indem  der 
Kaiser  beinahe  regelmäfsig  den  älteren  Sohn  zum  Kollegen  im 
ordentlichen  Konsulat  nahm. 

Weiter    wurde    aber    nun    dieser   neben    dem,    dafs    auch  Titiu  au  Mit- 
er  die  tribunicische  Gewalt  erhielt,  zugleich  zur  Teilnahme  an 
dem  Imperatomamen  zugelassen,  nachdem  er  sich  im  jüdischen 
Krieg   den  Anspruch   darauf  erworben   und  jene  Ehre  von  den 
Soldaten  für  ihn  gleichsam  gefordert  worden  war.^)    Noch  kam 


1)  Über  die  Titulatur  der  Flavier  und  deren  ataatsreclitliche  und  ge- 
schichtliche Bedeutung  haben  neuestens  nach  Münzen  und  Inschriften,  und  zwar 
der  Natur  der  Sache  nach  zumeist  nach  den  ersteren  als  den  offiziellsten  Quellen, 
gehandelt  Mommsen  in  der  Wiener  numismat.  Zeitschr.  3  (1871),  468  ff.  Cham- 
balu,  de  magistratibus  Flaviorum.  Bonn  1882.  Ders.  in  Philol.  44,  106—131. 
502  ff.  Hoffmann,  quomodo  qttando  Titus  imperaior  factus  sit.  Bonn  1883.  Pick, 
Berl.  Zeitschr.  fOr  Numismatik  13,  190—239.  856—383.  Die  Liste  der  cons, 
ordin.  von  70—79  ergiebt:  70  Vespasian  11  und  Titus,  71  Vespasian  III  und 
Nerya,  72  Vespasian  IUI  und  Titus  II,  73  Domitian  11  (nachdem  er  im 
J.  71  suff.  gewesen)  und  Messalinus,  74  Vespasian  V  Titus  III,  75  Vespasian 
VI  Titus  nU,  76  Vespasian  VU  Titus  V,  77  Vespasian  VIII  Titus  VI, 
78  L.  Ceionius  Commodus  D.  Novins  Priscus,  79  Vespasianus  Villi  Titus  VII. 
—  Von  der  trib.  pot.  werden  die  Jahrzahlen  auf  den  Münzen  der  ersten  Jahre 
und  wieder  im  J.  79  angegeben,  sonst  aber  nicht  (Cbambalu,  Philol.  44, 125  f., 
in  einzelnem  berichtigt  durch  Pick,  a.  a.  0.  S.  3  A.  1).  Auf  Inschriften 
jedoch,  darunter  auch  auf  den  Militärdiplomen  wird  die  trib.  pot.  gezählt 
(Wilmanns  II  p.  506),  so  dafs  der  Plan,  sie  für  die  Zählung  der  Regierungs- 
jahre aufzugeben,  nicht  fest  erscheint.  Er  hätte  dies  freilich  nur  sein 
können,  wenn  die  jährliche  Übernahme  des  Konsulats  ausnahmslos  statt- 
fand. Auch  erscheint  die  trib.  pot.  in  der  gemeinen  Auffassung  in  nicht 
geminderter  Bedeutung,  wenn  Plinins  in  der  an  Titus  gerichteten  praefatio 
der  nat.  bist.  §  5  den  bildlichen  Ausdruck  gebraucht:  Fulgurat  in  nüllo 
unquam  verius  dicta  vis  eloquentiae,  tribuniciae  poteataHs  facundia  {Cod. 
facundiae).  —  Bei  den  angegebenen  thatsächlichen  Verhältnissen  kann  in 
der  verstümmelten  Stelle  Suet.  Vesp.  12:  ne  iribuniciam  quidem  potestaUm 
.  .  patria  patriae  appeUcUianem  nisi  sero  recepit  nicht  blofs  et  oder  atU  er- 
gänzt werden^  sondern  es  mufs,  wenn  die  Bemerkung  den  Thatsachen  ent- 
sprechen soll,  bemerkt  gewesen  sein,  dafs  er  die  Ehre  der  tribunicischen 
Gewalt  nicht  so  würdigte,  wie  seine  Vorgänger. 

2)  Die  pot.  trib.  führt  Titus  vom  1.  Juli  71  ab,  dem  Jahrestag; der     , 

Hersog,  d.  röm.  Sta»t«verf.  H.  1.  19gitized  by  VjOOQIC 


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es  nicht  so  weit,  dafs  zwei  Herrscher  mit  gleicher  Würde  neben 
einander  auch  nominell  die  Regierungsakte  vertraten,  aber  die 
Stellung,  welche  Titus  mit  jenem  Imperatornamen  und  als  Mit- 
konsul neben  seinem  Vater  einnahm,  ist  gegenüber  dem,  was 
frühere  Imperatoren  den  ihnen  nächststehenden  und  zur  Nach- 
folge designierten  Familiengliedem  gewährt  hatten,  ein  neues 
und  höheres  gewesen.  Dazu  kam  dann  noch  im  J.  73,  dafs 
Titus  mit  dem  Vater  die  Censur  führte,  also  in  dieser  von  Ve- 
spasian  wichtig  genommenen  Funktion  kollegiale  Mitwirkung  und 
Ehre  genofs  und  weiterhin  am  Münzrecht  teilnahm.^)  Wenn  er 
dagegen  nach  seiner  Rückkehr  vom  jüdischen  Krieg  das  Kommando 
der  Garde  erhielt^),  so  war  die  Übertragung  dieses  notwendig 


Gewaltübemahme  des  Vaters.  Sueton  Tit.  6:  (patri)  colkga  et  in  tribuniäa 
poUstate  et  in  Septem  consulatibus  fuit;  über  das  Datam  Borghesi,  op.  VI. 
p.  10  f.;  ob,  wie  Pick  a.  a.  0.  S.  128  meint,  aus  Philostr.  vit.  ApolL  7,  29 f. 
zu  entnehmen  ist,  dafs  die  Verleihung  schon  früher  statt  fond  und  nur  die 
Zählung  in  der  angegebenen  Weise'  geregelt  wurde,  ist  Nebensache.  Mit 
dem  Imperatortitel,  d.  h.  der  Acclamation  als  Sieger  ehrten  die  Sol- 
daten den  Titus  im  Moment  der  gesicherten  Eroberung  Jerusalems  am 
6.  Aug.  70;  zur  Annahme  dieser  Khre  bedurfte  er  aber  der  Genehmigung 
seines  Vaters;  die  Monumente  zeigen,  dafs  dieselbe  gewährt  wurde.  Ebenso 
zeigen  sie  aber  auch,  dals  Titus  den  Imperator n amen  erhielt,  und  zwar  aaf 
seinen  eigenen  Münzen  mit  der  Folge  Imp.  T.  Caesar,  aber  auf  denen  des 
Senats  T,  Imp.  Caesar^  letzteres  übrigens  auch  auf  Inschriften  und  zwar 
nicht  blofs  in  der  senatorischen  Provinz  Afrika  (c.  i.  l.  8,  7057 f.),  sondern 
auch  in  dem  kaiserlichen  Pannonien  (archäol.  epigr.  Mitteil,  ans  Ostreich 
V.  209);  vgl.  über  diese  Titel  Mommsen,  numism.  Zeitschr.  a.  a.  0.,  Hoff- 
mann a.  a.  0.  u.  besonders  Pick  S.  225  ff.  Nun  giebt  es  aber  auch  eine 
Senatsmünze  (Coh.  1  Vesp.  46 — 51)  nach  gewöhnlicher  Lesung  mit  der  Legende: 
Caesiflr)  Aug{usti)  /*.,  des{ignatw)  imp(erator)  ==  Titus;  ÄugiusH)  /[ilius) 
co{n)s{uT)  d€s(ignatus)  iter(um).  Pick  will  S.  190  ff.  den  des,  imp,  entfernen, 
indem  er  teilt:  Imp{eraior)  Aug.  f,y  cos,  des.  Her.  «=  Titus.  Coes.,  Aug.  /"., 
desig{natus)  sc,  cansul  primum  =»  Domitian.  Aber  diese  Lesimg  ist  sehr 
bedenklich  (vgl.  Mommsen  in  Zeitschr.  f.  Numism.  14  S.  31—85,  und  der  da. 
imp,  wird  nicht  wegzubringen  sein.  Allein  es  wurde  sonst  gar  kein  offizieller 
Gebrauch  davon  gemacht  und  so  scheint  er  eine  ganz  vorübergehende  Be- 
deutung gehabt  zu  haben. 

1)  Suet.  Tit.  6.  Über  Titus  auf  den  Münzen  infolge  der  Erteilung 
der  Mitregentschaft  Mommsen,  Zeitschr.  f.  Numism.  3,  462  ff. 

2)  Snet.  Tit.  6:  receptaque  ad  sc  prope  omnium  officiorum  cura,  cum 
patris  nomine  et  epistolas  ipse  dictaret  et  edicta  conscrtberet  orationesque  in 
senatu  recitaret  etiam  quaestoris  vice,  praefecturam  quogue  praetorii  suscepit 
nunquam  ad  id  tempus  nisi  ab  equite  Romano  odmtntstratom.  Zugleich 
wurde  die  unter  Vitellius  bis  zu  16  gestiegene  Zahl  d^  prätor.  Kohorten 

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—    291     - 

untergeordneten  Postens,  wie  schon  bemerkt  (S.  241  A.  3), 
nicht  eine  Frage  ehrenvoller  Stellung,  sondern  der  Sicher- 
heit.*) Wie  bei  dem  Allem  das  persönliche  Verhältis  zwischen 
Vater  und  Sohn  war,  wem  die  Initiative  zu  diesen  eigentüm- 
lichen Neuerungen  zukomme,  liegt  in  den  Zeugnissen  nicht  mit 
Yoller  Klarheit  vor;  aber,  wenn  auch  vorübergehend  am  An- 
fang Schatten  von  Mifstrauen,  erzeugt  durch  die  Vorliebe  der 
Soldaten  für  Titus  und  durch  gewisse  Seiten  in  dessen  Cha- 
rakter, das  Einvernehmen  zwischen  den  beiden  gefährdeten,  so 
ist  doch  aus  dem  Urteil  der  Zeitgenossen  und  der  geschicht- 
lichen Überlieferung  überhaupt  der  Gesamteindruck  zu  schöpfen, 
daüs  die  Regierung  von  Vespasian  und  Titus  in  einheitlichem 
Geiste  geführt  wurde  und  dafs  mit  vollem  Willen,  ja  auch  aus 
der  Initiative  und  nach  dem  Plan  des  ersteren  den  Wünschen  des 
Sohnes  in  der  Weise,  wie  es  geschehen  ist,  Genüge  gethan  wurde. 
Insbesondere  ist  die  Übertragung  der  Gardepräfektur  gar  nicht 
anders  denkbar  als  auf  Grund  vollständig  gesicherter  Eintracht.') 

auf  die  augusieiscbe  Neunzahl  reduciert;  s.  den  Nachweis  bei  Mommsen 
in  Hermes  14,  85.     16,  647. 

1)  Vgl.  jxras  Sueton  weiter  über  die  Strenge,  mit  der  Titas  das  Amt 
fahrte,  sagt  mit  dem  Beisatz:  quibus  rebus  sieiU  in  posterum  aecuritati  satis 
cavit,  ita  ad  praesens  plurimum  contraxit  invidiae. 

2)  Aus  dem,  was  Soeton  c.  6  berichtet,  so  wie  aus  der  Laufbahn  des 
Titos  haben  insbesondere  Chambalu  und  Hoffmann  abgeleitet,  Titus  habe 
sich  die  ihm  von  Vespasian  erteilte  Stellung  erzwungen  nnd  der  Vater  sie 
eben  erteilt,  um  einen  Konflikt  zu  vermeiden.  Allein  nicht  einmal  aus 
Snetons  Darstellung  geht  hervor,  dafs  der  Schriftsteller  selbst  das  Ver- 
halten des  Titus  in  der  angegebenen  Weise  falste,  sondern  nur,  dafs  es 
Leate  gab,  welche  den  Vespasian  gegen  seinen  Sohn,  wie  es  scheint  nicht 
ohne  augenblicklichen  Erfolg,  einzunehmen  suchten,  wogegen  Titus  selbst 
io  rascher  Rückkehr  und  offener  Loyalit&t  das  Gegenmittel  fand.  Neque 
ex  eo  destitäf  sagt  Soeton,  participem  atque  etiam  tutorem  imperii  agere. 
In  Tacitus'  Historien  vollends  herrscht  zwischen  Titus  und  Vespasian  dorch- 
weg  das  offenste  Verhältnis,  wie  Tacitos  überhaupt  eine  ganz  ausgesprochene 
Vorliebe  für  Titus  hat,  selbst  was  onleogbar  war,  mit  seiner  Jogend  ent^ 
schuldigt  und  seine  Liebe  zu  Berenice,  —  den  Bömern  ein  schwerer  Anstofs, 
—  in  einem  romantischen  Lichte  erscheinen  läfst  (2,  2).  Das  ist  persönliche 
Auffassung,  aber  von  da  bis  zur  Annahme  wissentlicher  Unterdrückung 
der  Wahrheit  bei  Tacitus  ist  ein  weiter  Schritt,  den  zu  thun  schon  die 
richtige  Auffassung  des  Vespasian  hindern  muls.  Die  Momente,  welche 
Hoffm.  und  Chamb.  aus  den  Thatsachen  der  Münz-  und  Inschriftzeugnisse 
entnehmen  und  unter  denen  auch  jener  imperator  designatus  eine  zu 
grofse  Bolle  spielt,  nötigen  keineswegs  zu  der  von  ihnen  vertretenen  Auf- 
fassung. —  Mit  Pick   in  der  Handhabung   des  Imperatomamens   Bja^  den    i 

^  19*   dby Google 


—    292     - 

Anders  allerdings  verhielt  es  sich  mit  dem  zweiten  Sohne  Domi- 
tian.  Dafs  dessen  Teilnahme  von  Anfang  an  mit  in  Rechnung 
gezogen  war,  ist  aufser  Zweifel,  und  die  Lage  der  Dinge  in  Rom 
begünstigte  den  Ehrgeiz  desselben  ausnehmend;  auch  wurde  von 
Anfang  an  Gewicht  darauf  gelegt,  dafs  das  Haus  des  neuen 
Herrschers  auf  zwei  Söhne  sich  stütze.  Aber  die  Art,  wie  der  junge 
Mann  seine  Stellung  mifsbrauchte,  bis  zu  einem  Grade,  dafs  er  in 
Verdacht  des  Reichsverrats  kam  (unt.  S.  304  A.  4),  veranlafste  den 
Vater  für  diesen  Sohn  an  Ehren  und  Teilnahme  an  den  Geschäften 
nur  so  viel  zu  bewilligen,  als  das  dynastische  Interesse  verlangte, 
wenn  ihm  die  Berücksichtigung  für  die  Zukunft  überhaupt  ge- 
wahrt werden  sollte.^) 

Die  angeführten  Neuerungen  in  der  Gestaltung  und  Führung 
des  Principats  durch  das  neue  Herrscherhaus  wurden,  wie  sie 
m'cht  in  eine  Form  von  gesetzlicher  Kraft  gebracht  waren,  so 
auch  nach  Ausweis  der  Monumente  schon  von  Vespasian  nicht 
mit  voller  Eonsequenz  gehandhabt.*)  Unter  der  kurzen  Regie- 
rung des  Titus  sodann  wurde  schon  im  zweiten  Jahr,  im  J.  81, 
das  ordentliche  Konsulat  wieder  Privaten  bewilligt  und  die  Jahres- 
zählung nach  Jahren  der  tribunicischen  Gewalt  wieder  eingeführt, 
die  Rechte  der  Mitregentschaft  aber  dem  Domitian  nicht  ge- 
währt, sondern  derselbe  auf  die  Aussicht  der  Nachfolge  be- 
schränkt. Domitian  endlich  nahm  allerdings  wieder  für  sich 
das  Konsulat  zunächst  Jahr  um  Jahr  in  Anspruch  und  dann  in 
neuer  Weise  als  bleibendes  Attribut;  allein  es  war  dies,  wie 
weiterhin  zu  zeigen,  Ausflufs  einer  persönlichen  Auffassung  ohne 

SenatsmüDzen  eine  gewisse  Opposition  zu  erkennen,  ist  nach  dem  S.  8S9 
A.  2  Bemerkten  nicht  angezeigt;  das  Verfahren  des  Senats  kann  aach  harm- 
loser staatsrechtlicher  DOftelei  entsprungen  sein. 

1)  Sueton  Domit.  1  f.  Tac.  hist  4,  61  f.  86.  •  Tacitus  lä&t  den  Titas 
als  Vermittler  zwischen  Domitian  nnd  dem  Vater  auftreten,  und  auch  Sueton 
sagt  Domit.  2:  in  sex  consükUtbus  nonnisi  unum  ordinarium  gessit^  eumg^e 
cedente  ac  suffragante  fratre.  Auch  dies  will  Chambalu  p.  106  ff.  nicht 
gelten  lassen,  da  vielmehr  Titus  überall  den  Domitian  zurückgedrängt  hätte. 
Allein  die  Beweise,  welche  er  und  Hoffmann  aus  den  Daten  über  die  Lauf- 
bahn der  Brüder  beibringen,  sind  nicht  zureichend  und  werden  auch  durch 
die  Zurechtlegung  der  Konsulate  Domitians  bei  Pick  S.  356  ff.  entkräftet 
Dals  Titus  der  regelmälsige  Teilhaber  im  ordentlichen  Konsulat  war,  lag 
in  der  Natur  der  Sache;  daneben  aber  war  es  Ve8i>asian  in  erster  Linie, 
der  gegenüber  dem  Ehrgeiz  und  den  Intriguen  Domitians  für  gut  fand, 
diesen  zurückzuhalten. 

2)  S.  d.  vorhergehenden  Anmerkungen. 

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293     - 


Aufnahme  der  Gedanken  Vespasians,  wie  er  denn  daneben  eben- 
falls die  Jahre  der  tribonicischen  Gewalt  zählte.^) 

4.  Die  nächste  Aufgabe  nach  der  Befestigung  im  Principat^larserer  Friede, 
die  Wiederherstellung  des  äufseren  Friedens  konnte  Vespasian  ^^Seichs.^ 
seinen  Generalen  überlassen^  deren  richtige  Auswahl  ihm  nicht 
schwer  fiel.  Der  Erfolg  eines  gesicherten  Friedenszustands  wurde 
denn  auch  nach  einiger  Zeit  erreicht,  im  J.  71  durch  Schliefsung 
des  Janustempels  feierlich  besiegelt  und  durch  die  Erbauung 
eines  Friedenstempels  auch  für  die  Erinnerung  der  folgenden 
Generationen  in  seiner  Bedeutung  erhalten.^) 

Aber  von  bleibenderen  Folgen  wie  von  gröfster  Bedeutung 
fQr  die  Gegenwart  war  die  Neuordnung  des  Reichs.  Sie  wurde 
von  Vespasian  mit  Recht  in  erster  Linie  von  der  finanziellen 
Seite  erfafst,  zunächst  wohl  weil  für  eine  geordnete  Verwaltung 
dies  unentbehrlich  war,  aber  jedenfalls  auch  in  den  Folgen  mit 
tieferer  politischer  Bedeutung;  denn  unter  früheren  Regierungen, 
bei  einem  Gaius  und  Nero,  hatte  die  finanzielle  Zerrüttung  nicht 
die  geringste  Rolle  unter  den  Motiven  der  tyrannischen  Akte 
gespielt.  Zu  dem  nun,  was  in  dieser  Beziehung  neu  eingeführt 
werden  sollte,  hätten  wohl  die  gewöhnlichen  Wege  der  Gesetz- 
gebung und  Verordnung  genügt.  Aber  indem  Vespasian  die 
Reformen  in  der  Verwaltung  als  ein  Ganzes  auffafste,  ersah  er 
sich  ein  besonderes  Mittel,  mittelst  dessen  das  ganze  Werk  in 
einheitlicher  Weise  ausgeführt  werden  konnte,  die  Censur.*)  Von  Di©  censnr 
den  früheren  Kaisern  hatte  Augustus  diese  Magistratur  im  An- 
schlufs  an  die  republikanische  Tradition  wieder  aufgenommen, 
Claudius  mehr  im  Sinne  seiner  archäologischen  Politik,  bei 
Vespasian  kann  weder  das  eine  noch  das  andere  dieser  Motive  in 
Frage  kommen,  ihn  kann  nur  der  Nutzen  der  Sache  bestimmt 
haben.  Wir  besitzen  leider  keine  Berichte  über  die  Führung 
dieser  Censur,  über  die  Zwecke,  die  sie  erfüllen  sollte  und  über 
ihre  Resultate,  sondern  nur  vereinzelte  Notizen^);  aus  der  Natur 
der  Sache  aber  ergiebt  sich  hierüber  etwa  Folgendes: 

Die   alte  Censur   hatte   mit   ihren  Aufgaben  der  Übersicht 

1)  Die  Zeagnisse  übersichtlich  zusammengestellt  bei  Chambalu,  de 
wtagistr.  Flav.  p.  24—27. 

2)  Beides  nach  dem  jüdischen  Krieg  Oros.  7,  9.    Joseph,  b.  ind.  7,  6,  7. 

3)  Säet.  Vesp.  8:  mscepit  et  censwram  ac  per  totum  imperii  tempus 
nüiü  hahuU  antiguius  quam  propa  afflictam  nutantemque  remp,  stcibüire 
primo,  deinde  et  omare. 

4)  S.  die  folg.  Anmerkungen;  eine  Zusammenfassung  ist  am  ehesten 

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von  73/74. 


-     294     - 

über  die  Wehr-  und  Steuerkräfte  des  Staats,  mit  ihrer  Feststellung 
der  verschiedenen  RjBchtskreise  in  der  Bürgerschaft,  mit  dem  Ein- 
flufs,  den  sie  auf  die  ständische  Gliederung  hatte,  mit  der  seit 
dem  ovinischen  Gesetz  ihr  anheimgegebenen  Feststellung  der 
Senatsliste,  mit  ihren  finanziellen  und  baulichen  Fumktionen  den 
Mittelpunkt  der  Verwaltung  gebildet.  Sie  war  nun  als  regel- 
mäfsig  in  Funktion  tretendes  Institut  überflüssig  und  unpraktisch 
geworden  infolge -des  numerischen  Verhältnisses  der  Bürgerschaft 
zu  den  anderen  Klassen  der  Reichsbevölkerung,  infolge  der  Pro- 
vinzialverfassung  und  der  Neuerungen  im  Heerwesen,  endlich  aucb, 
wenigstens  wenn  man  sie  kollegial  fafste,  infolge  der  auf  einheit- 
liches Handeln  gerichteten  Form  des  Principats,  das  lieb^  andere 
Machtbefugnisse  für  ihre  Zwecke  anwandte.  Allein  wenn  nun 
in  einem  Ausnahmezustand  eine  allgemeine  Revision  all  der  an- 
gegebenen Verhältnisse  nötig  war,  so  liefs  sich  das  alte  Amt 
mit  der  Freiheit  seines  Waltens  als  auf  eine  gewisse  Zeit  an- 
genommene Gesamtbefugnis  wohl  verwenden,  und  so  wie  Vespasian 
den  Titus  neben  sich  gestellt  hatte ,  pafste  nun  hiezu  auch  die 
Kollegialität  in  der  Censur.  Von  diesem  Amt  aus  wurde  nun 
der  gründlich  zusammengeschmolzene  und  seiner  altadeligen  Be- 
standteile beraubte  Senat  erneuert,  ihm  durch  Hereinziehung  des 
italischen  Munizipal-  und  Provinzialadels  neue  Bestandteile  zu- 
geführt^), schon  vorhandene  durch  Erhebung  in  das  Patriziat  zu 


bei  Sueton  c.  9—11  zu  finden.    Vgl.   über   diesen  Censue   auch  de  Boor^ 
fasH  cens.  p.  83.  99. 

1)  Snet.  c.  9:  amplisaimos  ordines  et  exhaustos  caede  varia  et  conta- 
minatos  vetert  neglegentia  purgavit  supplevitque  recenso  senatu  et  equite 
summotis  indignissimis  et  honestissimo  quoque  Italicorum  ac  provinciaUum 
cUlecto.  Vgl.  Plin.  ep.  1,  14:  Miniciw  Macrinus,  equestris  ordinis  princeps, 
quia  nihil  altius  voluit:  adlectiis  enim  a  Divo  Vespasiano  inter  praetorios 
honestam  quictem  huic  noatrcu  ambitioni  prcietuUt;  er  stammte  aus  Brixia 
ex  illa  nostra  ItaUa,  quae  mtUtutn  culhuc  verectmdiae,  frugalüatis  atgue  etiam 
rusticitatis  antiquae  retinet  ac  servcA*  Der  Sohn  Minicios  Acilianns  wnrde 
dann  Senator.  Beispiel  eines  Provinzialen  corp.  i.  1.  8,  7058,  wo  ein  ad- 
lectus  ab  imp.  Caes.  Vespasiano  Aug.  et  Tito  imp,  Aug{ti8ti)  f[ilio)  heifot 
constU  ex  Africa  primus  (nach  Borghesi  opp.  8,  668  Pactumeius  Fronto 
Eons.  80).  Auf  die  Censur  wird  senatorische  Beförderung  znrückgefSbrt 
Orell.-Henz.  3669  (adlecttis  inter  praetorios  a  divis  Vespasiano  et  Tito  cen- 
soribtts),  aber  auch  sonst  wo,  wie  in  der  Inschrift  des  Pactnmeius,  die 
beiden  Regenten  genannt  werden  ohne  den  Beisatz  censores^  kann  nur  die 
Censnr  gemeint  sein,  flber  die  Bedentnng  der  adlectio  in  eine  gewisse 
Rangklasse  s.  unt.  im  Byst. 

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-     295    — 

höherer  Stufe  gebracht  ^);  der  Ritterstand  nach  seinen  Bestand- 
teilen übersehen  und  nach  seiner  Brauchbarkeit  für  die  Verwal- 
tung geprüft^  die  Grundlagen  für  das  Mafs  der  Ausdehnung  des 
Bürgerrechts  und  der  Latinität  gewonnen^);  ebenso  die  Übersicht 
über-  die  Bezugsquellen  für  die  Aushebung  der  Legionen^  über 
den  Yermögensstand  der  Bürgerschaft  und  ihre  Befähigung  in- 
direkte Steuern  zu  ertragen,  über  die  Notwendigkeit  öffentlicher 
Arbeiten  und  über  andere  Dinge  mehr^),  welche  zur  Herstellung 
einer  festen  Ordnung  zunächst  in  Italien,  aber  auch  durch  die 
Provinzen  hindurch  nötig  waren.  Um  so  beklagenswerter  ist  es, 
dafs  die  Bücher  dieser  Censur,  die  ohne  Zweifel  in  gesetzmäfsiger 
Weise  und  innerhalb  des  gesetzmäfsigen  Termins,  wenn  auch  in 
den  Formen  der  Aufnahmen  den  damaligen  Verhältnissen  ent- 
sprechend, bis  zum  Lustrum  durchgeführt  wurde*),  für  uns  ver- 

1)  Tac.  Agric.  9.  Capitol.  vit.  Marci  1:  adscitus  in  patricios  a  Vespa- 
siano  et  Tito  censoribus.  Wilmanns  ex.  inscr.  1154:  (L.  Neratio  Marcello 
cons.  II  129)  adlecto  inter  pcUric{io8)  ab  divo  Vespasiano. 

2)  Der  Gensns  bezog  sich  nach  altem  Recht  auf  die  römischen  Bürger; 
indem  man  aber  diese  durch  das  ganze  Reich  hindurch  zählte,  gewann  man 
den  Maßstab  für  die  Erweiterung  des  Bürgerrechts. 

3)  Dafs  aach  die  Baothätigkeit  Yespasians  znm  Teil  hier  anknüpfte, 
geht  hervor  aus  Plinins  n.  h.  3,  66,  wo  die  Aufnahme  des  Umfangs  der 
Maaern  Roms  an  den  Census  angeknüpft  wird,  femer  aus  Or.-Henz.  2364: 
Vespasiano  —  censori  conseroatori  ceremoniarum  publicarum  et  restitutari 
aedium  sacrarum  ~;  vgl.  auch  die  Ausscheidung  öffentlichen  Eigentums 
Suet  Vesp.  8.  Or.-Henz.  3260.  Ausdehnung  auf  Provinzen  Henzen  6419 
(Sardinien).  —  Vor  die  Censur  fällt  die  Sorge  för  die  Wiederherstellung 
des  Kapitels  (Tac.  bist.  4,  4.  9.  Suet.  8)  und  die  Erneuerung  der  zerstörten 
BroDzetafeln  (Suet.  Vesp.  8):  aerearum  tahuJarum  tria  milia,  quae  sitnul 
conflagraverant ,  restitumda  suscepit  u/ndique  investigatis  exemplaribus ,  in- 
strumentum  imperii  pukherrimum  ac  vetustissimum  quo  continebantur  paene 
ah  exordio  urbis  aenatus  consulta,  pUbiscita  de  societate  et  foedere  ac  privilegio 
cuicunque  concessis.  Tac.  bist.  4,  40:  sorte  ducti,  —  qui  aera  legum  vetustcUe 
delapsa  noscerent  figerentque  et  fastos  adulatione  temporum  foedatos  exone- 
rarent.  Vgl.  darüber  Mommsen  in  ann.  delF  inst.  1858  p.  200.  Während 
Saeton  in  einer  summarischen  Darstellung  das  Verdienst  einfach  dem  Vesp. 
zuschreibt,  giebt  Tacitus  präciser,  dafs  im  Senat  unter  Vorsitz  des  Prinzen 
Domitian  eine  Kommission  dafür  niedergesetzt  wurde.  Der  Auftrag  an  die 
Kommission  lautet  bei  Tacitus  allgemeiner  und  wird  so  wohl  auch  in  dem 
S.  C.  gestanden  haben.  Gewifs  war  aber  auch  in  diesem  dann  die  Be- 
schränkung auf  die  im  Tempel  der  Fides  auf  dem  Kapitel  aufbewahrten 
internationalen  Urkunden  ausgesprochen. 

4)  Censorin.  de  die  nai  18,  14:  inter  primum  a  Servio  rege  conditum 
Iwtrum  et  id  quod  ab  imperatore  Vespasiano  V,  et  T.  Cc^esare  III  cos,  (74) 

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—     296     - 

schlössen  sind  und  nicht  einmal  die  Schlufszahl  des  Bürgercensos 
uns  erhalten  ist.*) 
Gttnsüge  Besui.  5.  Nachdem  durch  den  Census  mindestens  die  Grundlagen 
waittmg.  der  neuen  Reichs  Verwaltung  gegeben  waren ,  schritt  diese^  wenn 
sie  auch  anfangs  namentlich  nach  den  Leiden  des  Kriegs  mit 
ihren  Lasten  als  drückend  gefühlt  wurde,  doch  in  ungestörter 
Weise  fort,  ohne  dafs  wir,  da  uns  der  annalistische  Bericht  des 
Tacitus  ohne  Ersatz  fehlt,  diesem  Gang  folgen  könnten.  Das 
Resultat  dieser  Regierung  war  ein  neuer  Status  des  Reichs,  Her- 
stellung geordneter  Finanzen  nach  einem  Zustand  tiefster  Zer- 
rüttung*), Belebung  der  Provinzen  und  mächtige  Fortschritte  in 
der    Romanisierung    derselben^)    und    insbesondere    Einführung 

factum  est.  Allgemeine  Zeitangabe  bei  Plin.  n.  h.  7,  162  inlra  quaedriennium 
d.  h.  vier  Jahre,  ehe  Plinins  das  Buch  schrieb.  In  der  ersten  Hälfte  des 
J.  73  heifst  Vespasian  noch  censor  designcUus  (corp.  inscr.  L  II.  d.  185. 
ephem.  epigr.  IV.  p.  9);  wenn  die  alte  Regel  galt  (Monunsen,  StaaUr. 
2,  340  A.  3),  80  mag  diese  Censur  von  April  73  an  zu  rechnen  sein  mit 
dem  üblichen  Zeitraum  von  18  Monaten. 

1)  Aus  den  Listen  hat  Plinius  a.  a.  0.  einige  nach  den  italischen 
Regionen  verzeichnete  Angaben  über  die  höchsten  Altersstufen  erhalten. 

2)  Sueton  Yesp.  16:  sunt  gui  opincTUur,  ad  manübias  et  r azinös  ne- 
cessitate  eompuhum  summa  aerarii  fiscique  inopia;  de  qua  tettifkaJtus  sü 
initio  statim  principatus,  professus  quadringenties  millies  opus  esse  tU  resp. 
Stare  posset.  Diese  vielbesprochene  und  für  statistische  Verwertung  in  An- 
spruch genommene  Angabe  mnfs  vor  AUem  auf  einen  geschichtlichen 
Moment  gebracht  werden.  Sie  ist  sehr  allgemein  gehalten  und  doch  nicht 
in  so  rander  Zahl,  dafs  sie  nicht  als  eine  Summieiung  gewisser  Ziffern 
erscheinen  müfste;  so  Wie  sie  ihrem  Betrag  nach  in  der  Oberlieferung 
lautet,  40  Milliarden  Sest  «=  rund  8700  Mill.  Mark,  ist  sie  gewifs  sehr 
hoch,  aber  nicht  undenkbar  und  deshalb,  da  keinerlei  Anhaltspunkt  fflr 
eine  Korrektur  vorliegt,  beizubehalten;  in  ihrer  Höhe  mag  in  vieler  Be- 
ziehung einmaliger  Aufwand,  bei  anderem  fortlaufende  Befriedigung  von 
Bedürfnissen  gerechnet  sein,  also  Zuschufs  an  die  grofsen  Eiissen,  um  fOr 
einige  Zeit  die  laufenden  Ausgaben  bestreiten  zu  können.  Die  Interpretation 
kann  sich  in  dieser  Beziehung  nur  halten  an  den  Ausdruck  „u^  respublica 
Stare  posset, ^^  In  dem  Moment  also,  da  Vespasian  in  Rom  die  Regierung  in 
die  Hand  nahm,  überschlug  er  die  zunächst  dringenden  Ausgaben;  dazu 
gehörte  neben  der  Speisung  der  entleerten  Centralkassen  die  Errichtung 
neuer  Truppenkörper,  der  Wiederaufbau  des  Kapitels,  der  Krieg  in  Germanien 
u.  s.  w.,  und  beim  Oberschlag  über  diese  Bedürfnisse  des  Reichs  kam  er 
auf  die  obige  Summe.  Anderweitige  Einsicht  in  das  römische  Finanzwesen 
dieser  Zeit  bietet  die  Stelle  nicht. 

3)  Plin.  n.  h.  3,  30:  universae  Hispaniae  Vespasianus  Augustus  iaäa- 
tum  proceUis  reip.  L<üium  tribuit.  Näheres  darüber  s.  unten  bei  der  Über- 
sicht über  die  Provinzen. 

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—     297     — 

neuen  Bluts  in  die  oberen  Stande  (ob.  S.  294  A.  1.)     Der  letztere 
Punkt  liegt  statistisch  Yor  in  der  Namenreihe  der  Fasten^  in  dem, 
was  wir  von  der  Zusammensetzung  des  Senats  wissen  imd  über- 
haupt in  allen  den  Quellen,  welche  Beitrage  zum  Personalbestand 
der  Verwaltung  und  Regierung  der  Folgezeit  geben.     In  dieser  somuie  Emeac- 
Beziehung  nicht  zum  wenigsten  bildet  diese  Periode  eine  Über-      stände. 
gangszeit;  denn  in  ihr  bereitet  sich  diejenige  Gesellschaft  vor, 
mit  welcher  Trajan  und  seine  Nachfolger  in  anderer  Weise  als 
die  julisch-claudischen  Kaiser  regiert  haben  und  regieren  konnten. 
Fertig  also  werden  wir  diese  gesellschaftliche  Umwandlung  erst 
in  der  folgenden  Periode  sehen;  dagegen  möge  hier  hervorgehoben 
werden,  was  gerade  diesem  Obergang  angehört:  der  Geist,  welcher 
von  der  bisherigen  Aristokratie  sich  auf  die  neue  übertrug,  war 
noch  immer  machtig  genug,  um  die  neuen  Elemente  nicht  blofs 
im  Allgemeinen  in  die  Tradition  des  Trüberen  einzuführen,  son- 
dern in  einzelnen  neuen  Persönlichkeiten,  wie  in  einem  Tacitus, 
die  republikanischen  Traditionen  wie  altererbte  wirken  zu  lassen. 
Soweit  diese  Richtung  sich  auf  politischem  Gebiet  hielt,  konnte 
sie  unter   der  Regierung  eines  Vespasian  wohl  bestehen;   denn 
sie  muCste   die  ernsthafte  Fürsorge  für  das  Gemeinwesen  aner- 
kennen,  daran    mitarbeiten  und  wuIste  sich  jedenfalls  der  poli- 
tischen Notwendigkeit    der   Gegenwart    zu   fügen.     Wenngleich 
dem  Senat   als    mitregierender  Behörde   auch  jetzt   nur  ein  be- 
schränkter Anteil  verblieb,  so  war  doch  das  Verhältnis  zwischen 
den  beiden  höchsten  Faktoren  ein  geregeltes,  und  gegenüber  dem 
Zastand  unter  den  früheren  Regierungen  fQhlte  man  sich  gegen- 
seitig persönlich  sicherer.^)     Dagegen  die  stoischen  Doktrinäre, 
welche  wie  unter  Nero  in  Pätus  Thrasea,  so  unter  Vespasian  in 
Thraseas  Schwiegersohn  Helvidius  Priscus  ihre  Wortführer  im  Senat 
hatten,  spielten  die  Unversöhnlichen,  aber  dies  allerdings  mit  üblem 
Erfolg,  indem  der  Konflikt,  den  sie  suchten,  sehr  ernstlich  aufge- 
nommen  wurde.     Der   eigenen  Natur   des  Kaisers   widerwärtig, 
fanden  sie  auch  noch  in  Mucian  einen  rücksichtslosen  Gegner, 
Helvidius   Priscus    büfste   seine   schroflFe  Opposition   zuerst    mit 
Verbannung,  dann  mit  dem  Tode,  und  der  Anhang  im  Publikum, 

1)  Sueton  16  c.  11:  stoHm  ab  initio  prindpcUtM  usque  ad  exUum  civilis 
^  Clemens,  non  Umere  quis  pwnit%n8  insom  reperiet^r  nisi  äbsente  eo  et 
igmro  out  certe  invito  aique  decepto;  andererseits  Gefflhl  der  Sicherheit 
bei  ihm,  c.  12:  eansuetttdinem  scrutandi  saluiantes  manente  adhuc  heÜo  civHi 
omwcrot. 

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-     298    — 

die  philosophischen  Sekten^  wurden  aus  Rom  yerwiesen,  einzeke 
auf  Inseln  verbannt.^) 

Vespasian  wird  geschildert  als  in  seiner  Lebensföhrung  schlicbt 
und  bürgerlich  einfach,  jeder  Verschwendung,  auch  für  die  eigene 
Person  abgeneigt,  hinsichtlich  geistiger  Interessen  nüchtern,  und 
wenn  auch  persönlich  im  Besitz  höherer  Bildung,  doch  zu  sehr 
aufs  praktische  gerichtet,  um  ein  Protektor  von  Kunst  und  Wissen- 
schaft zu  sein.  Indessen  ist  schon  unter  seiner  Regierung  und 
nicht  ohne  seine  Initiative  Kunst,  Wissenschaft  und  Litteratur 
sehr  wesentlich  gefördert  worden,  da  es  seinem  Sinne  keines- 
wegs fremd  war,  auch  diese  Gebiete  unter  die  staatlichen  Auf- 
gaben zu  begreifen.  Dieser  seiner  Auffietösung  entsprechend  war 
es  und  wird  als  geradezu  epochemachend  angeführt,  dafs  er  durch 
Bewilligung  staatlicher  Gehälter  die  höchsten  Unterrichtszweige 
als  ordentliche  Gegenstände  der  staatlichen  Fürsorge  anerkannte.^} 
Titui.")  Bei  der  Stellung,  welche  der  Nachfolger  Vespasians  zu  der 

Regierung  bisher  gehabt  hatte,  war  von  vornherein  zu  erwarten, 
dafs  der ^  neue  Herrscher,  wenn  gleich  die  Leitung  des  Staats 
unter  eigener  Verantwortung  eine  wirklich  neue  Stellung  be- 
gründete*), doch  konstitutionelle  Neuerungen  nicht  eintreten 
würden;  höchstens  konnte  man,  da  schärfere  Mafsregeln  des 
früheren  Regiments  in  der  öflfentlichen  Meinung  dem  Titus  zur 
Last  gelegt  wurden,  erwarten,  dafs  die  Auktorität  der  kaiser- 
lichen Stellung  sich  noch  strenger  fühlbar  mache,  und  war  am 
so  mehr  überrascht,  als  das  Gegenteil  eintrat.^)  DsSg  der  Cha- 
rakter ganz  ausnehmender  Milde,  welcher  die  Regierung  des  Titns 
in  der  Geschichte  auszeichnet,  geschichtlich  wahr  ist,  dafür  spricht 
neben   der  Einstimmigkeit   der  Zeugnisse   besonders  wieder  das 

1)  Sueton  Vesp.  15:  Die  66,  12  f.    Zur  Charakteristik  des  HelTidius 
Tac.  bist  4,  5.  48.    Epikt  diss.  1,  2. 
V  2)  Sueton    18 :    Primus   e  fisco  Latinis  grciecisque   rhetoribus  annua 

centena  constüuit 

3)  Der  Todestag  Vespasians  und  damit  der  dies  imperii  des  Titas  war 

der  28.  Juni  79.    Suet.  Vesp.  24. 

^'  4)  Die  in  der  1.  de  imp.  Vesp.  enthaltenen  Rechte  muiaten  nach  unsrer 

y^l  Auffassung  durch  einen  neuen  Akt  verliehen  werden.    Neu  ist  femer  der 

^f .  Titel  ÄugustiiS  und  das  Oberpontifikat  (Suet.  Tit  9),  übernommen  wohl  in 

^  thunlichster  Bälde   nach    dem  Regierungsantritt.    Der  Name  lautet  jetsi 

offiziell  Imp.  T,  Caesar  divi  f.   Vespasianus  Äugustus;  vgl.  die  Mflnsen  naä 

Inschriften. 

6)  Suet.  Tit.  6  f. 

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-     299     — 

Urteil  des  Tacitus,  sofern  dieses  gewifs  über  den  Prinzen  Titus 
ganz  anders  lauten  würde,  wenn  der  Geschichtschreiber,  der  unter 
Titus  bereits  im  Senat  war,  gegen  den  Kaiser  hätte  Vorwürfe  zu 
erheben  gehabt.  Indessen  bedarf  sowohl  die  Würdigung  der 
Person  des  Kaisers  wie  seiner  Regierung  einer  genaueren  Be- 
stimmung. Von  der  letzteren  werden  keine  Züge  berichtet,  welche 
eine  Verletzung  der  dem  Senate  zustehenden  Rechte^)  oder  ein 
Eingreifen  in  die  Funktionen  der  Magistratur  in  sich  schlössen, 
und  so  mag  ihr  der  Ruhm  verfassungsmäfsigen  Verfahrens  ge- 
bühren; allein  sie  war  doch  durch  und  durch  persönliches  Re- 
giereU;  und  in  nichts  erscheint  die  kaiserliche  Initiative  zu  Gunsten 
eines  selbständigeren  Eingreifens  des  Senats  geopfert  oder  be- 
schränkt. Noch  deutlicher  tritt  die  Wahrung  des  Rechts  der 
eigenen  Stellung  darin  hervor,  dafs  eine  Mitregentschaft  nicht 
zugelassen,  vielmehr  der  Bruder  Domitian  auf  die  Aussicht  der 
Nachfolge  beschränkt  bleibt^)  Nach  der  Überlieferung  war  Titus 
durch  das  Verhalten  Domitians  dazu  genötigt;  immerhin  fragt 
sich,  ob  er  seiner  Natur  nach  auch  unter  andern  Umständen 
geneigt  gewesen  wäre,  eine  Teilung  der  Regierungsgewalt  einzu- 
räumen. Der  einheitliche  Zug  in  seinem  Wesen,  für  den  Mit- 
regenten wie  den  Kaiser  gleich  bezeichnend,  ist  der  Trieb  einer 
leicht  an-  und  erregbaren  Natur,  die  Entfaltung  einer  glänzenden 
Thätigkeit  liebt;  mit  edler  Anlage  verbunden,  in  grofse  Verhältnisse 
hineingestellt  konnte  es  dieser  nicht  fehlen,  blendend  zu  wirken 
und  grofse  Erfolge  der  That  und  der  Popularität  zu  haben,'  aber 
unruhig  und  Widerstand  gegenüber  reizbar,  wie  sie  zugleich  war, 
dabei  zu  vollem  Lebensgenufs  drängend  und  in  die  Lage  gebracht, 
ihn  sich  zu  schaffen,  war  sie  auch  schlimmer  Richtung  ausgesetzt 
Titus  Wulste  der  letzteren  zu  entgehen,  in  der  früheren  Zeit  ge- 

1)  Über  die  Popularität  des  Titus  beim  Senat  Suet.  11. 

2)  Da&  in  den  Worten  Suet.  Tit.  9:  Fratrem  insidiari  sibi  non  de- 
mefUem  —  ne  in  minore  quidem  honore  habere  stuiinwt,  sed  ut  a  primo 
iiitpm»  die  consortem  successoremque  testari  perseveravit  eine  ofBeielle  Stellung 
als  Mitregent  nicht  liegt,  zeigt  die  Klage  Domitians  (Suet.  Dom.  2):  relic- 
tum  se  parUcipem  imperii,  sed  fraudem  testamento  adhibitam.  Die  Monuinente 
aber  seigen  (s.  unten),  dals  Domitian  die  trib,  pot.  vor  seinem  Regierungs- 
antritt nicht  hatte.  Noch  weniger  konnte  Titus  in  Nachahmung  seiner 
eigenen  Stellung  dem  Domitian  das  Kommando  der  Garde  anvertrauen, 
wenn  man  denselben  im  Verdacht  hatte,  er  habe  die  Soldaten  beim  Re- 
gierungswechsel für  sich  za  gewinnen  gesucht.  Säet.  Dom  2.  Wer  dieses 
Kommando  unter  Titus  führte,  ist  nicht  bekannt. 

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—     300     - 

wüs  unter  dem  Einfluls  des  Vaters^  unter  der  eigenen  Regierung 
aber  blieb  ihm  die  schwierigste  Probe  erspart.  Die  zeitgenössische 
Geschieh tschreibung^  geblendet  durch  die  glänzenden  Seiten  dieses 
Charakters,  war  geneigt,  ihm  schon  bei  der  Regeneration  des 
Reichs  unter  Vespasian  nicht  blofs  eine  hervorragende,  sondern 
sogar  die  überwiegende  Rolle  zuzuweisen,  aber  die  Thatsachea, 
welche  diese  selbe  Geschichtschreibung  aus  der  eigenen  Regierung 
des  Titus  beibringt,  dienen  dazu,  ihr  Urteil  zu  berichtigen.  Es 
ist  nicht  blofs  der  für  die  zwei  Jahre  des  Titus  besonders  dürf- 
tige Stand  der  Überlieferung,  der  uns  auch  auf  dem  Gebiete  der 
Verwaltung  beinahe  nur  Akte  des  Princeps  kennen  lehrt,  die 
persönlicher  Entscheidung  des  Augenblicks  angehören  oder  äufser- 
lieber  Art  sind^),  sondern  es  liegt  dies  tiefer  in  jener  mehr 
glänzenden  als  nachhaltig  eingreifenden  Natur.  Vor  Allem  aber 
bildet  ein  Gegengewicht  gegen  allzu  günstige  Beurteilung  die 
Sorglosigkeit  hinsichtlich  der  Zukunft:  was  ihm  im  tagliehen 
Leben  gesagt  wurde,  dafs  er  mehr  verspreche,  als  er  halten 
könne*),  gilt  für  seine  Regierung  überhaupt.  Die  Verschwendung, 
die  sie  bezeichnet,  ohne  dafs  neue  Einnahmen  beschafft  wurden, 
mufste  die  Zukunft  beeinträchtigen^),  und  dafs  dann  der  Charakter 
des  Herrschers  die  Einhaltung  der  durch  Vespasian  eingeleiteten 


1)  Die  geschieh tUche  Litteratnr  geht  ganz  auf  in  der  Schilderung  der 
dementia  und  liheralitas.  Der  Versuch,  bei  deujenigen,  welche  die  Historien 
des  Tacitus  benützt  haben  können,  Spuren  von  dessen  jedenfalls  das  Poli- 
tische gebendem  Bericht  zu  finden,  bietet  kein  Ergebnis.  Auch  die  sonstige 
Litteratur  der  Zeit  und  selbst  die  monumentalen  Zeugnisse  versagen.  Die 
Verfügung  über  die  Jurisdiktion  in  Fideikommifssachen  (Dig.  1,  2,  2,  32. 
s.  im  System  beim  Konsulat)  ist  indifferent  und  unbedeutend;  der  Verzicht 
auf  die  Geltendmachung  des  Majestätsgesetzes  und  die  Bestrafung  der  De- 
latoren (Dio  66,  19.  Snei  8)  begründet  kein  bleibendes  Verfahren;  dagegen 
wirkt  die  generelle  Bestätigung  der  von  den  Vorgängern  bewilligten  Bene- 
fizien  ohne  besonderes  Nachsuchen  darum  (Sueton  8.  Dio  66,  19  Vict  de 
Caes.  10  und  unten  im  Syst)  zwar  nicht  rechtlich,  aber  als  Vorgang  for 
das  Gefühl  der  Sicherheit  des  Rechtsstands  in  vorteilhafter  Weise  auf  das 
Verfahren  der  Nachfolger. 

2)  Suet  Tit.  8:  admanenUbw  domesticis,  quasi  plura  polliceretur  quam 
praestare  posset. 

3)  Bei  der  Fürsorge  für  die  vom  Vesuv  verschütteten  Orte  und  für 
das  aufs  neue  von  Brandunglück  betroffene  B^m  war  er  bemüht,  die  öffent- 
liche Fürsorge  thunlichst  zu  entlasten  (Suet.  Tit  8);  dagegen  der  Luxus 
der  Spiele,  das  hunderttägige  Fest  (Suet.  9.  Dio  66,  25)  war  neben  der 
übermäfsigen  Liberalität  für   die  Zukunft  dem   öffentlichen  Geist   ebenso 

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-     301     — 

Richtung   nicht   verbürgte,    ist   auch   dem   Altertum   nicht   ent- 
gangen.*) 

7.  Die  schärfere  Betonung  der  Regierungsgewalt  des  Princi-  Domuian. 
pats,  welche  die  Flayier  Ton  Anfang  an  vertraten,  hatte  in  der 
Persönlichkeit  des  Titus  eine  Form  angenommen,  welche  geeignet 
war,  sogar  den  Schein  des  Gegenteils  hervorzurufen.  Sein  Bruder 
und  Nachfolger,  der  bisher  niedergehaltene  Domitian^),  suchte 
nun  die  Herrscherstellung  aufs  höchste  zu  steigern,  und  die  Idee 
des  Principats  als  einer  nicht  erblichen,  sondern  von  Person  zu 
Person  neu  zu  verleihenden  Gewalt  blieb  durch  ihn  wohl  nur 
deshalb  unangetastet,  weil  er  kinderlos  war.  Im  übrigen  that  er 
innerhalb  des  gegebenen  Rahmens  alles,  um  sämtliche  Regierungs- 
funktionen in  sich  zu  vereinigen,  wenn  auch  insofern  im  Anschlufs 
an  die  geschichtlich  gegebene  Ordnung,  als  seine  Gewalt  eine 
aus  den  überlieferten  Teilgewalten  zusammengesetzte  blieb.  ^) 
Nachdem  er  die  bisher  üblichen  Rechte  und  Titel  des  Principats 
angenommen  und  mit  ihnen  bis  zum  J.  84  ein  ordentliches  Kon- 
sulat in  der  herkömmlichen  Weise  der  jährlichen  Ernennung 
Jahr  für  Jahr  übernommen  hatte,  liefs  er  sich  im  J.  84  auf  die 
zehn  nächsten  Jahre  zumal  designieren  und  zugleich  sich  die  cen- 

gefährlich  wie  den  Fioansen,  wenngleich  ihm  bei  Zonara«  11,  18  bezeugt 
ist:  ^  xbqI  xQi^pLata  dyiQißrig  %al  ov  fidtrjv  dvi^liansv. 

1)  Zonaras  a.  a.  0.  Aason.  de  XII  Caes.  11:  Titus  imperii  felix  brc- 
ffitate. 

2)  Name:  Imperator  Caesar  divi  Vespasiani  f.  Domüianus  Aug.,  wozu 
nach  dem  germanischen  Feldzng  im  J.  84  Germanicus  kam.  (Säet.  Dom.  13. 
Eckhel  doctr.  nnmm.  6,  896  f.)  Über  die  Titulatur,  zu  welcher  neben  den 
sogleich  angenommenen  wesentlichsten  Gewaltstiteln  in  thnnlichster  B&lde 
der  Oberpontifikat  kam,  vgl.  die  Indices  der  Inschriftensammlnngen  und 
Ghambaln,  de  mag.  Flav.  26—27.  —  Titns  starb  am  18.  Sept.  81  im  Sa- 
bmerland;  ehe  er  noch  gestorben,  eilte  Domitian  nach  Rom  and  liels  sich 
Yon  den  Prfttorianem  als  Imperator  anerkennen.  (Snet.  Tii  11.  Domit.  8. 
Die  66,  26.)  Als  sein  Tod  bekannt  wnrde,  senatus  prius  quam  edicto  con- 
voearetur  ad  curiam  cucurrtt,  obseraHsque  adhuc  foribus^  deinde  apertis 
tantas  mortuo  gratias  egit  laxidesqtie  congessit  etc.  Das  Auftreten  bei  den 
Prätorianem  kann  noch  am  13.,  aber  auch  erst  am  14.  Sept.  vorgefallen 
sein;  der  Senat,  der  am  18.  Sept.  eine  ordentliche  Sitzung  gehabt  hatte, 
komite  am  14.,  oder,  wenn  die  Nachricht  erst  im  Laufe  des  14.  allgemein 
bekannt  wnrde,  am  16.  in  der  angegebenen  Weise  zusammenkommen;  am 
14.  opfern  die  Arralen  auf  dem  Eapitol  ob  Imperium  OaesariSy  divi  /!,  Do- 
miHani  Äug,    Henzen,  act.  p.  CX.  S.  64. 

3)  Trotz  gehässiger  Haltung  gegenüber  den  zwei  vorhergegangenen 
Regierungen  (Dio  67,  2.   Sueton  Domit.  2  a.  E.)  bestätigte  er  übrigensr^em      i 

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—     302     — 

sorische  Gewalt  auf  Lebenszeit  verleihen.*)  War  für  Vespasian 
die  Übernahme  der  Censur  das  Mittel  für  die  Neugestaltung  des 
Senats  und  fQr  leichtere  Durchführung  mannigfaltiger  Reformen 
gewesen,  so  stand  jetzt  die  censorische  Gewalt  für  die  ganze 
Regierungszeit  zum  Behuf  der  Entfernung  oder  Nichtzulassong 
mifsliebiger  Persönlichkeiten  in  vollerem  Mafse  als  durch  den 
bisherigen  Einflufs  zur  Verfügung  und  die  sonstigen  censorischen 
Befugnisse  gestatteten  Eingriffe  auch  in  das  Privatleben.^  Da- 
gegen diente  die  konsularische  Gewalt,  die  meist  nur  je  auf 
wenige  Tage  beibehalten  wurde,  blofs  zur  Repräsentation^)  und 
für  denselben  Zweck  wurden  die  Insignien  der  Herrscherstellong 
gesteigert.  Vom  Hof  dieses  Kaisers  aus  wurde  die  Bezeichnung 
des  Herrschers  als  dominus  und  deus  auch  dem  Publikum  auf- 
gedrängt.*) 

Die  Führung  des  Regiments  mit  diesen  Mitteln  hat  in  der 


BeiBpjel  des  Titas  (ob.  S.  300  A.  1)  folgend,  die  von  diesen  erteilten  Benefiaen 
(Die  a.  a.  0.:  ygafifia  i^id-rins  triQmv  navta  tä  nQog  t€  1%b£v<ov  %al  %^ 
rmv  ccXXmv  avtoHQutOQmv  xtoCv).  Auffallen  muTa  daher,  dafs  Mariial,  der 
das  1148  tHum  Uberorum  schon  von  Titos  erhalten  hat  (3,  95,  5  f.  9,  97,  5  f.), 
doch  2,  91  den  Domitian  wieder  dämm  bittet  and  aaf  seine  Bitte  diese 
Vergünstigung  erhalt  (2,  92;  natorum  mihi  im  trium  roganti  —  dedä). 

1)  Dio  67,  4:  vnavog  filv  ixri  dia^c  itpi^Tig^  tifiTjxrig  ^h  6ta  ßiov  9ffmtoi 
Örj  xal  IduDtav  xal  avtoyiQaxogmv  ixsiQovovTjd^ ,  ^aßdovxoig  dh  tiaoa^ 
nccl  Bt%oci  xal  rjj  atol-fj  tri  Inivt^ica^  ozav  ig  to  ßovXsvxriQiov  igiy^  Z9^^* 
fXaßev,  Hinsichtlich  des  Konsnlats  wird  bemerkt,  dafs  vom  J.  84  an  die 
vorher  regelmftisige  Designation  zom  nächsten  Eonsalate  in  der  Titulatur 
nicht  mehr  erscheint  (Momrosen,  Str.  2,  1043  A.  8).  Der  Titel  der  Cemor 
laatet  bald  censoria  potestate  bald  censar  perpetuus. 

2)  Suet.  Domit.  8.    Martial  5,  8. 

3)  Von  der  zehnjährigen  Designation  machte  Domitian  nicht  ToUen 
Gebrauch;  in  den  Jahren  89,  91,  93,  94,  96  finden  sich  prwati  als  ordent- 
liche Konsuln.  Über  die  Führung  der  einseinen  Konsulate  Saeton  13:  Gm- 
stUcUus  septemdecim  cepü,  quot  ante  eum  nemo;  ex  quibus  Septem  medios  eon- 
tinuavitj  omnes  autem  paene  tittUo  tenus  geasit,  nee  quemquam  ultra  K.  Maka, 
plerosque  ad  Id.  usque  Januarias,  Das  17.  Konsulat,  vom  J.  95,  feiert 
Statins  silv.  4,  1.  Wenn  es  dort  heifst  v.  9  f.:  precibusque  receptis  Oma 
Caesareum  gaudet  vicisse  pudorem  (vgl.  v.  33  f.),  so  sieht  man,  dafs  Domitian, 
nachdem  er  auf  das  eontinuare  der  10  Konsulate  verzichtet  hatte,  sich  ?oni 
Senat  um  neue  Übernahme  bitten  liefs. 

4)  Suet.  13:  Äddamari  in  amphitheatro  epuli  die  libent^  audiit:  do- 
rn ino  et  dominae  feliciter.  —  Pari  arroganUa  cum  procwratorum  suorwK^  «o- 
mine  formalem  dittaret  epistolamy  sie  coepit:  'dominus  et  deus  noster  hoc  fieri 
iubei',  ut  ne  scripta  quidem  ac  sermone  cudtisquam  appdlarehtr  äliter. 


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Geschichte*)  den  Ruf  eines  Despotismus,  der  den  Domitian  an 
die  Seite  eines  Tiberius,  Caligula,  Nero*)  stellt,  und  Tacitus 
kann  für  das  Gesamtbild  der  Zeit,  das  er  in  seinen  Historien  giebt, 
nicht  anders  als  in  dem  unmittelbar  nach  dem  Sturze  Domitians 
geschriebenen  Agricola  nur  die  düstersten  Schatten  aus  ihr  ge- 
wimien.^)  Domitian  selbst  suchte  in  Tiberius  sein  Vorbild^),  und 
mit  ihm  ist  er  in  der  That  am  ehesten  zu  vergleichen.  Wie 
unter  Tiberius,  so  war  auch  unter  ihm  die  Lage  des  Reichs  im 
Ganzen  eine  günstige^)  und  dies  nicht  blofs  dadurch,  dafs  der 
Princeps  sich  der  Bedrückung  der  Provinzen  enthielt,  sondern 
mit  durch  sein  Verdienst:  niemals  sollen  die  Beamten  schärfer 
in  Ordnung  gehalten  worden  sein.  Sein  Eingreifen  in  die  Juris- 
diktion wird  als  wohlthätig  gerühmt,  in  der  bürgerlichen  wie  in 
der  militärischen  Verwaltung  fanden  eingreifende  Reformen  statt, 
in  der  letzteren  freilich   teils  nur  aus  Gründen  der  Vorsicht^, 


1)  Die  Zeugen  der  Prosa ,  die  Historiker  Tacitus  und  Sueton,  sowie 
der  jüngere  Plinius  sind  den  Ereignissen  gleichzeitig,  dabei  Tacitus  und 
Plinius  in  Amtsstellung,  aber  ihr  Urteil  über  Domitian  ist  aus  der  Zeit 
nach  dem  Sturze  desselben  geschrieben.  ^Qniutilian  steht  der  Politik  ganz 
fera.  Von  den  Dichtem  hat  der  yomehme  Silius  Italiens,  der  unter  Nero 
Delator  gewesen  sein  soll,  es  an  gelegentlicher  Huldigung  (Fun.  3,  594  ff.) 
nicht  fehlen  lassen,  bei  Martial  und  Statins,  die  noch  unter  Domitian  publi- 
zieren, entspricht  der  Ton  den  Anforderungen  der  Zeit  (vgl.  bei  Martial  die 
Geschichte  seines  10.  Buchs.  —  Stobbe  im  Philol.  26,  71  ff.  27,  630  ff. 
Friedländer,  Sittengesch.  3,  386  f.  und  die  Stellen  5^  8:  edictum  domini 
deique  nostri.  Dagegen  10,  72:  dicturus  dominum  deumque  non  sum  —  non  est 
hie  dominus,  sed  imperator).  Als  entgegengesetzte  Enden  kann  man  betrachten 
Statins  silv.  4,  1  nnd  die  vierte  Satire  Jnvenals.  Zengnisse  gleiohzeitiger 
Stimmung  unabhängiger  Zengen  haben  wir  nicht.  Bestimmter  aber  läist 
sich  der  Vorwurf  ungerechten  Urteils  über  den  Kaiser  hinsichtlich  des 
Kriegs  in  Germanien  erheben.  Die  Fortschritte,  welche  die  römische  Macht 
onter  Domitian  hier  erzielte,  sind  unzweifelhaft. 

2)  Juv.  Sat.  4,  38:  ccdvus  Nero,  Eutrop.  7,  23:  Neroni  aut  Caligtüae 
aiA  Tihtrio  similior  quam  patri  vel  fraltri  suo. 

3)  Hist.  1,  2  f.     Agric.  2,  39  ff. 

4)  Sneton  20:  Praeter  commentarios  et  acta  Tiberi  Caesaris  nihil 
lecOtabat, 

5)  Sueton  stellt  7  f.  die  günstigen  Seiten  zusammen. 

6)  So  dafs  er  die  Zusammenlegung  der  Legionen  in  einzelnen  Pro- 
vinzen nicht  mehr  zuliefs  und  verbot,  die  Ersparnisse  der  Soldaten  in 
grölseren  Snmmen  in  der  Legionskasse  anzuhäufen  (Suet.  7:  geminari  Jegio- 
num  castra  prohibitit,  nee  plus  quam  mille  nummos  a  quoquum  ad  signa  de- 
poni),  beides  infolge  des  Aufstands  des  Satuminus. 


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teils  mit  zweifelhaftem  Wert.^)  Aber  das  personliche  Verdienst 
bei  den  guten  Seiten  der  Verwaltung  ist  nicht  dasselbe:  an  die 
Regierungsfahigkeit  und  -kraft  des  Tiberius  reicht  Domitian  ent- 
fernt nicht  heran^  dazu  ist  viel  zu  sehr  das  personliche  Interesse, 
die  eifersüchtige  Herrschsucht  bei  ihm  mafsgebend^  während  bei 
seinem  Gegenbild  eine  lange  Übung  in  Stellungen  zweiten  Ranges 
und  die  eigene  personliche  Tüchtigkeit  ein  Interesse  an  der 
Sache  erzeugt  hatte.  Wenn  Domitian  bald  als  Princeps  und 
Imperator,  bald  als  Oberpontifex^)  und  Censor  strafend  und  re* 
formierend  eingreift,  so  ist  es,  wo  nicht  geradezu  grausame  Lust, 
nur  ein  unruhiger  Drang,  die  Macht  zur  Geltung  zu  bringen, 
nicht  Ausflufs  eines  tiefer  gehenden  Plans ^);  die  Feldzüge,  die 
unter  ihm  unternommen  wurden,  mögen  sämtlich  mit  durch  die 
Lage  der  Dinge  motiviert  gewesen  sein,  aber  ihm,  der  als  Prinz 
in  gefahrvollster  Lage  des  Staats  fähig  gewesen,  einen  vor  dem 
auswärtigen  Feinde  stehenden  Obergeneral  zu  Verrat  an  Kaiser 
imd  Reich  aufzufordern^),  war  es  dabei  nicht  um  Sicherheit  und 
Gröfse  des  Reichs,  sondern  um  persönlichen  Erfolg  eigenen 
Kriegsruhms  zu  thun. 

Wiederum  gleich  aber  ^t  die  mifstrauisch  verschlossene  Art 
der  beiden  Despoten,  und  gleich  ist  auch  die  Wirkung,  der  Krieg 
mit  dem  Senat  und  den  Senatoren,  auch  hier  zuerst  nur  zu  spo- 
radischen Strafurteilen  führend,  dann  aber,  nachdem  dadurch 
Verschwörungen  hervorgerufen  waren,  von  Seiten  des  Kaisers 
ununterbrochen  und  mit  allen  Waflfen    der  Tyrannei   geführt.^) 

1)  So  die  Erhöhung  des  Solds,  der  eine  Verminderung  der  Heeresstftrke 
entsprechen  sollte;  da  letztere  sich  unausführbar  erwies,  fahrte  die  ver- 
mehrte Last  dazu,  d  als  er  nihil  pensi  Tiabuit,  quin  prttedareiur  omni  modo. 
Sueton  7.  12. 

2)  Vgl.  das  Urteil  bei  Plinius  ep.  4,  11  über  die  Vestalinnenprosesee. 
8)  Wenn  Schiller,  Gesch.  der  Kaisers.  1,  ÖS6,  dem  Kaiser  einen  iibe^ 

legten  Kampf  mit  geistigen  Mitteln  gegen  die  philosophischen  und  religio«^ 
Sekten  zuschreibt,  so  thut  er  ihm  zu  viel  Ehre  an. 

4)  Tac.  bist.  4,  86:  creditur  Domitianus  occwUis  ad  Cerialem  nuntOs 
fidem  eius  temptavisae,  an  praeaenti  sibi  exercitunt  imperiumgue  tradikiru»  forä. 

6)  Epochemachend  ist  die  Verschwörung  des  L.  Antonius  Satuminos 
in  Obergermanien,  wahrscheinlich,  da  die  im  Sept.  87  erwähnten  deteäa 
scelera  nefariorum  (act  fratr.  Arv.  p.  GXX  Z.  61  Henz.)  nicht  notwendig 
sich  auf  diese  Verschwörung  beziehen  müssen,  88/89  zu  setzen  (vgl.  die 
Litter.  darüber  Schiller,  Kaiserz.  1,  524).  Dio  67,  11:  6  dopt,  aipoQ^fig  if- 
tsv^ev  svnoQT^oag  in\  tovg  q>6vove  OQiirioag  ovd'  äv  etnoi  tig  ocovg  dninxsi- 
vsv.    Sueton  10.    Tacitas  setzt  aber  die  eigentliche  Schreckensherrschaft 

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—    305    — 

Tiberidfl  hatte  gegen  den  Geist  der  alten  Aristokratie  und  die 
Opposition*  geschichtlicher  Ansprüche  gekämpft^  Domitian  sah 
den  jüngeren  Adel  und  die  seit  Nero  im  Senat  vertretene  philo- 
sophische Opposition^  die  seinem  Vater  schon  lästig  geworden 
war,  sich  gegenüber,  und  die  letztere  vor  allem,  welche  die  Un- 
abhängigkeit der  Gesinnung  als  Glaubensartikel  aufstellte,  reizte 
ihn.^)  Der  Senat  verlangte,  das  von  diesem  Kaiser  zu  erwar- 
tende richtig  würdigend,  dafs  die  Senatoren  nicht  vom  Kaiser, 
sondern  vom  Senat  gerichtet  werden  sollten;  es  war  dies  nicht 
zu  erreichen*):  das  Gericht  des  Kaisers  war  so  furchtbar  wie  je. 
Yen  einem  offenen  Auftreten  als  Partei  im  Senat  konnte  auch 
damals  nicht  die  Rede  sein;  die  Opposition  machte  sich  vielmehr 
auf  litterarischem  Gebiet  oder  im  Senat  bei  einzelnen  Gelegen- 
heiten zu  Meinungsäufserungen  und  bei  Abstimmungen  geltend, 
and  dies  eben  war  der  Kampfplatz  für  die  Philosophenpartei.  ^) 
SchlieJblich,  als  Kriegführung  und  Bauten  den  kaiserlichen  Schatz 
erschöpft  hatten,  kamen  auch  hier  die  Verurteilungen  mit  dem 
Zweck  der  Konfiskationen  hinzu.  ^)    Immerhin  konnten  vorsichtige 


ent  nach  dem  Tode  des  Agricola  im  J.  93.  Agric.  c.  44:  fettinatae  mariis 
grande  solMum  tulit  evasisse  postremum  ülud  tempus,  quo  Domitianus  non 
ioM  per  intervaUa  et  spiramerUa  tempor^m,  aed  cantinuo  et  velut  uno  ietu 
ren^,  eschausü  c.  45:  Non  vidü  Agricola  obsesaam  curictm  etc. 

1)  Aufzahlung  der  Opfer  beiTac.  Agric.  46.  Suet.  lOff:  Plin.  ep.  3,  11. 
Die  zweimalige  Philosophenverfolgnng  Euseb.  (89  und  95)  Chron.  p.  160  Schöne. 

2)  Die  67,  2:  ovn  itpQovttesv  —  Ott  ^  yBQikvaüc  noXluKig  ^^iov  fffrjq)!^ 
^f^vai,  fi^  i^Bivat  ta  avto%QäxoQt  tAv  oiioxiyMV  tiva  dnoXicai'  ndw  yd(f 
ovp  a<püti  noXv  diiq>SQSv  ei^ts  Idla  xtvl  ccvtmv  stts  nal  di'  kttihtov  icora- 
Z^^itfffiro,   &cneQ  xi  dvtsinsiv  rj  nal  firi  xaxtnprjfpiaaa^aC  xtvos  9wa(i4vois, 

8)  Die  Vertreter  derselben  sind  der  jüngere  Helvidins  Priscns,  Heren- 
nius  Senecio,  die  beiden  Brüder  Junius  MaoricuB  und  Arnlenua  Busticus 
(dieser  Ton  Begnlns  stoicorum  simia  genannt  Plin.  ep.  1,  5,  2).  Bei  aller 
Qage  um  sie  (Agric.  45)  sind  sie  dem  Tacitus  doch  diejenigen,  qui  con- 
iwnacia  et  inani  iadatione  UbertcUia  famam  fatumque  provocabant,  die,  quibus 
^^Mris  erat  illicita  nUrari,  und  welche  per  abrupta,  sed  in  nuttum  reip.  usum, 
wnbüiosa  tnorte  indaruerunt  (c.  42).  Herennius  wird  verurteilt  wegen  seiner 
Lebensbeschreibung  des  alteren  Helvidius  (Plin.  ep.  7,  19,  6.  Tao.  Agric.  2), 
fiosticus  weg&  des  Lobs  des  Thrasea  und  Helvidius  (Tac.  a.  a.  0.  Sueton  10). 
Wie  man  wegen  gelegentlicher  Meinungsäulserung  gefiEifst  werden  konnte, 
seigt  Plinius  ep.  1,  5,  5.  —  Schilderungen  des  Belagerungszustands,  unter 
dem  Seoatssitztmgen  gehalten  wurden,  bei  Tac.  Agric.  45  (ob.  S.  804  A.  5). 
l*liö.  ep.  8,  14,  8.    Paneg.  76. 

4)  Sueton  Dom.  10:  Sed  neque  in  clementiae  neque  in  äbstinentiae  tenore 
P^ifnansit,  et  tarnen  cUiquanto  cekrim  ad  saevitiam  desdvit  quam  ad  W>i4i\rTl/> 

HerEog,  d.  rom.  Staatsverf.  IL  1.  2^9'^'^"^  ^^ ^OOglL 


-    306    - 

Männer  zwar  nicht  ohne  Gesinnungsopfer,  aber  doch  ohne  Scr- 
vilität  auch  jetzt  noch  durchkommen;  der  jüngere  Plinius  ver- 
säumt nicht;  die  Gelegenheiten  aufzuzählen^  bei  denen  er  seine 
Unabhängigkeit  in  gefährlichster  Zeit  bewiesen  habe^),  und  er 
scheint  nie  die  Gunst  des  Domitian  verloren  zu  haben*),  und 
Tacitus,  der  SchrofiTieit  und  Herausforderung  vermied,  dem  aber 
noch  v^eniger  als  dem  Plinius,  eine  Handlung  nachzuweisen  ist^ 
in  welcher  er  über  die  Linie  der  blofsen  Vorsicht  hinausgegangen 
wäre^),  hatte  höchstens  vielleicht  gegen  das  Ende  dieser  Regie- 
rung Ungnade  zu  erfahren.^)  Indessen  diese  Männer  waren  da- 
mals jung,  ohne  Auktorität  und  ihrer  Herkunft  nach  ohne  be- 
deutende Familienstellung,  ja  Tacitus  als  Sohn,  Plinius  als  Neffe 
eines  kaiserlichen  Beamten,  waren  von  Hause  aus  den  Interessen 
des  Hofes  nahestehend;  sie  forderten  weder  das  Mifstrauen  noch 
die  Eifersucht  Domitians  heraus,  neben  der  Rachsucht  die  ge- 
föhrlichsten  Eigenschaften  dieses  Despoten,  der  darum  freilich 
auch  keinen  Günstling  weder  unter  Freigelassenen  noch  unter 
seinen  Beamten  hatte  und  von  keinem  beherrscht  wurde.  ^)  Je 
mehr  jedoch  im  Laufe  seiner  Regierung  der  Mangel  einer  sicheren 
Nachfolge  sich  geltend  machte,  desto  gefährlicher  erschien  dem 

tatem.    12:  exJuMSttis  aperum  <ic  msmerum  impensis  stipendioque  quod  adu- 
cerat  —  nihil  penai  habuü  quin  praedaretwr  omni  modo  etc. 

1)  Ep.  1,  5.   3,  11. 

2)  Zu  Anfang  seiner  Laufbahn  mnh  er,  da  er  quaestor  Caestms  war 
(ep.  7,  16),  dem  Kaiser  genehm  gewesen  sein.  Vgl.  die  Darlegung  seiner 
Laufbahn  überhaupt  bei  Mommsen,  Hermes  3,  79  ff.  Die  Art  seiner  Vor- 
sicht gegenüber  yersuchtem  Angriff  des  Delator  Regulus  zeigt  1,  6.  Scbliefa- 
lieh  allerdings  will  er  in  Gefahr  geschwebt  sein  ep.  7,  28,  14:  non  fui  ret», 
futwrus,  si  DomitianuB  longius  vixiaset;  nam  in  scrinio  eius  datus  a  Coro 
de  me  lihelhu  inventus  est. 

3)  Die  oben  angeführte  Stelle  Agric.  c.  42  sieht  ans  wie  eine  Abwehr 
gegen  nachträgliche  Angriffe  der  Philosophen  gegen  Agricola  und  ihn,  weil 
sie  nicht  deren  Wege  gegangen  waren;  indessen  war  der  Charakter  des 
Historikers,  wie  wir  ihn  aus  seinen  Schriften  entnehmen  können^  deren 
Auftreten  zuwider.  Das  Wort  von  Stoicorum  arrogantia^  qmie  turbidos  H 
negotiorum  adpeient^  facit,  legt  er  zwar  ann.  14,  57  dem  Tigellinus  in  den 
Mund;  er  selbst  wird  aber  ähnlich  gedacht  haben. 

4)  Dafs  der  grofse  Zwischenraum  zwischen  der  Prätur  des  Tacitus  im 
J.  88  (ann.  11,  11)  und  seinem  Konsulat  unter  Nerva  auf  Zurücksetsung 
durch  Domitian  deute,  macht  Mommsen,  Hermes  3,  88  bemerklich. 

5)  Dio  67,  14:  vitontsvcov  navtag  av^Qmnovg  ovniz'  ovdh  iv  roii? 
^lev^iQOig  mansQ  ovdh  iv  zotg  inaQxoig,  ovg  ys  %eci  muq  avrrfv  xffw  i}yf- 
{lovCav  HffCvtü^ai,  InoUt,^  iXnida  datpaXeiag  slxsp,  ^  j 

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-    307    - 

sich  gehafst  wissenden  Despoten  Geburt  und  Verdienst.  Einen 
der  wenigen  Übriggebliebenen  der  alten  republikanischen  Nobi- 
litat,  den  M*.  Acilius  Glabrio,  schützte  weder  persönlicher  Un- 
wert noch  Servilismus  vor  dem  Verdacht  versuchten  Umsturzes*), 
und  die  unter  den  vorhergehenden  Regierungen  aufgekommenen 
tüchtigen  Manner  der  Verwaltung  fanden  früher  oder  später  f&r 
got^  sich  von  den  Geschäften  zurückzuziehen.  Der  trefiFliche 
Frontin^  der  schon  im  J.  70  unter  dem  Prinzen  Domitian  im 
Krieg  gegen  Civilis  gedient,  später  Britannien  verwaltet  und 
unter  Domitian  wahrscheinlich  in  Germanien  kommandiert  hatte^), 
tritt  in  den  späteren  Jahren  Domitiaus  nicht  mehr  hervor.  Ver- 
ginios  Rufus  lieüs  sich  unter  dieser  Regierung  noch  weniger  als 
unter  den  zwei  vorhergehenden  zur  Teilnahme  am  Staatsleben 
herbei,  Agricola  fand  für  gut,  nach  seiner  Rückkehr  aus  Bri- 
tannien auf  weitere  Verwendung  zu  verzichten,  und  wie  es  sich 
auch  mit  der  Schuld  Domitians  an  dem  Tode  dieses  Mannes 
verhalten  mag,  jedenfalls  fühlte  derselbe  sich  dem  Despoten 
gegenüber  nicht  sicher.  Auch  Vestricius  Spurinna  und  der  Vater 
Trajans  mögen  dieser  Seite  beigezählt  werden.^)  Möglich,  dafs 
diese  Männer,  deren  Tüchtigkeit  das  Produkt  der  besten  Seite 
des  Kaisertums,  des  Geists  einer  geordneten  Verwaltung  war,  in 
der  Hoffnung  einer  baldigen  Änderung  der  Lage  sich  reservierten, 
möglich  auch,  dafs  sie  zu  dem  Umsturz  des  Despotismus,  nach- 
dem er  unerträglich  geworden,  mitwirkten;  wenigstens  mufste  der 


1)  Jnyen.  Sat.  4,  94  ff.  Sueton  10:  Complurea  senatores,  in  iis  aliquot 
consuiares  interemü;  ex  ^pMÖua  Civicam  Cereakm  in  ipso  Äsiae  proconstüatu, 
SdkridienuM  Orfitum,  Acüium  Gläbrianem  in  exüio  qwm  moUtares  rerum 
ncvarwn, 

2)  Strateg.  4,  8,  14.  Tac.  Agric.  17.  Ein  Kommando  im  germanischen 
Krieg  von  84  oder  Teilnahme  an  demselben  als  Begleiter  nnd  Katgeber  des 
Kaisers  ist  nicht  bezengt,  allein  sehr  wahrscheinlich  durch  die  Bezugnahme 
aof  diesen  Krieg  in  den  straUgemaUca  (1,  1,  8.   8,  10  n.  a.  St.). 

8)  Diese  beiden  hatten  sich  unter  den  früheren  Regierungen  zum 
Konsulat  und  zu  konsularischer  Statthalterschaft  erhoben,  werden  aber 
unter  Demitian  nicht  genannt.  Ulpius  TngaAus  war  übrigens  zur  Zeit  der 
Erhebung  seines  Sohnes  gestorben  (Plin.  paneg.  89),  während  Spurinna  in 
den  neuen  Verhältnissen  wieder  thätig  war.  Plin.  ep.  2,  7.  '—  Was  die 
Quellen,  litterarische  und  monumentale,  zur  Orientierung  über  die  Personal- 
▼erhältnisse  dieser  Zeit  bieten,  ist  zusammengestellt  yon  Mommsen  im 
Iudex  nominum  zu  Piini  epistul.  ed.  H.  Keil.  Leipzig  1870.  Vgl.  auch 
ürlichs,  de  yita  et  honoribus  Agricolae  1868.  De  Tita  et  honoribus  Ta- 
citi  1879.  ^  I 


—      308    — 

an  Domitians  Stelle  erhobene  M.  Coccejus  Nerva,  der  ihnen  nalie 
stand,  zum  voraus  verständigt  sein  und,  wenn  er  es  war,  mit 
diesen  Männern  Fühlung  suchen.^)  Jedenfalls  beeilte  sich  die 
neue  Regierung,  die  Erfahrung  und  Auktorität  dieser  Männer 
wieder  für  das  Staatsleben  nutzbar  zu  machen. 

§  79.    Der  ftuTsere  Bestand  des  Beiohs  von  Tiberios  biB 

Domitian. 

1.  In  der  äufseren  Ordnung,  welche  Augustus  für  Italien  und 
die  Provinzen  hinterlassen,  wurde  in  den  achtzig  Jahren,  die  seit 
seinem  Tod  verflossen,  verhältnismäfsig  wenig  geändert,  jedenfalls 
in  den  allgemeinen  Dispositionen  der  Verwaltung  seine  Grund- 
sätze beibehalten,  und  so  konnten  die  Früchte  von  dem,  was  er 
luuen.  gesäet,  zur  Reife  gelangen.  In  Italien  wurde  während  dieser 
Zeit  an  dem  Princip  der  Verwaltung  wohl  nichts  geändert:  die 
einzelnen  Städtebezirke,  in  welche  die  ganze  Halbinsel  zerfiel,  — 
denn  die  Regioneneinteilung  macht  sich  für  die  politische  Ver- 
waltung nicht '  bemerklich  —  behielten  das  Maus  von  lokaler 
Autonomie,  das  ihnen  von  den  Municipalgesetzen  der  cäsarischen 
Zeit  her  bewilligt  war,  im  allgemeinen  unverkürzt,  auf  keinem 
Gebiet,  weder  bezüglich  der  Wahlen  noch  der  Finanzverwaltuug 
noch  der  Kriminal-  und  Civiljurisdiktion   ist  eine  Beschränkung 

1)  Dio  67,  16:  (Die  Verschwörer  am  Hofe)  ov  nQott^op  iM(%BiQfictcw 
ioytp  nglv  xov  dia8si6(isvov  xriv  d^xriv  avtov  ßBßaiaeaad'ai'  SieXi^ttvto  iilw 
d^  xttl  aXlois  tiaCv^  firidavog  d^  i%s£v<ov  Ssiaptivov  inl  xov  Ni^ovaw  ^Id-ov, 
ineidrj  %al  svyeviaxccxoe  xttl  iniBiniatatoe  t^v.  Wenn  Sueton  c  15  über  die 
Hinrichtung  des  Flavius  Clemens,  welchen  Dom.  tanttMn  non  ipso  eius  con- 
sülatu  interemit,  sagt:  quo  maxime  facto  maturavU  sibi  exitium,  so  hat  er 
wohl  im  Sinn,  dals  diese  ünthat  endlich  die  Senatskreise,  in  denen  sie  zu- 
nächst einschlug,  in  Erregung  brachte.  —  Das  Verhältnis  des  Ner?a  zu 
Domitian  in  der  letzten  Zeit  dieses  Kaisers  ist  unklar.  Von  der  Noüz  des 
Aurelius  Victor  Gaes.  12,  nach  der  er  apud  Sequanos,  quo  tyranni  defecU 
metu^  imperium  arbitrio  legionum  cepisset,  ist  ganz  ahzusehen.  Mit  mehr 
Anspruch  auf  Glaubwürdigkeit  tritt  die  Angabe  des  Philostratos  vit  ApolL 
7,  8  auf,  Nerva  sei  in  Verdacht  einer  Verschwörung  mit  Orfitus  und  Bufus 
(im  J.  95)  gekommen  und  nach  Tarent  verwiesen  worden;  aber  sie  kann 
mit  der  Darstellung  in  den  Auszügen  aus  Dio  (Xiphil.  a.  a.  0.  u.  Zon.  11,  20) 
eben  nur  so  vereinigt  werden,  dafs  Domitian  den  Nerva  zwar  nicht  ge- 
tötet, aber  ans  Rom  verwiesen  und  dann  die  Verabredungen  zwischen  Born 
und  Tarent  stattgefunden  hätten.  Indes  da  beide  Auszüge  aus  Dio,  der 
seinerseits  die  Wahrsagung  des  Apollonius  aus  Philostratos  kannte  (67,  18), 
keine  Spur  von  der  Verbannung  nach  Tarent  enthalten^^so  wird  bei  Dio 

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—    309    — 

sicher  nachzuweisen.^)  Dafs  Italien  unter  den  friedlichen  Ver- 
hältnissen sich  einer  grofsen  Blüte  erfreute,  dafür  sprechen  die 
monumentalen  wie   die   litterarischen  Zeugnisse.     Auch  hat  der 


davon  oichts  gestanden  haben.  Es  gab  eben  yerschiedene  Angaben  über 
'die  Sache;  die  des  Philostratus  könnte  auf  einer  Verwechslung  damit  be- 
ruhen, dafs  Nerva  den  Calpnmius  Crassus,  der  sich  gegen  ihn  versohworen, 
nach  Tarent  verwies.    Dio  68,  3. 

1)  Dals  die  Beamten  der  städtischen  Gemeinden  in  Italien  wie  in  den 
Provinzen  diese  ganze  Periode  hindurch  noch  von  der  Yolksgemeinde 
gewählt  wurden,  beweisen  —  abgesehen  von  den  meist  nicht  datierten  In- 
schriften —  die  unter  Domitian  gegebenen  Stadtrechte  der  spanischen 
Latinerstädte:  was  diesen  bewilligt  ist,  kann  Gemeinden  höheren  Rechts 
nicht  gefehlt  haben.  Die  Beispiele  von  kaiserlicher  Eommendation  (Momm- 
sen,  Staatsr.  2,  887  A.  8)  beruhen  wohl  auf  gelegentlichen  Ausnahmen; 
denn  regelmäüsig  sie  zu  üben  verbot  schon  die  Menge  der  Fälle  und  die 
Unmöglichkeit,  die  Lokal  Verhältnisse  zu  beurteilen.  Wie  weit  sich  son- 
stiges Abstimmungsrecht  der  Eomitien  erstreckte,  ist  nicht  zu  ersehen.  Be- 
schränkung der  städtischen  Kriminaljurisdiktion  (über  deren  Ausdehnung  s.  ob. 
S.  180),  ist  nicht  bekannt,  ebensowenig  der  Civiljurisdiktion  über  das  Mafs 
der  in  der  lex  Bubria  ausgesprochenen  Grenze  (Bethman-Hollweg,  Civil - 
proz.  2,  65).  Die  Frage  über  die  Beschränkung  der  sonstigen,  speziell  der 
finanziellen  Verwaltung  hängt  an  der  über  den  Ursprung  der  von  den 
Kaisem  eingesetzten  curatores  reipüblicae  von  Gemeinden.  Die  Stelle  aus 
ülpian  Dig.  48,  24,  3,  4  {Plane  $i  praeses  vel  curator  reip.  permiserit  in 
publica  facere:  Nerva  scribit  exceptionem  locutn  non  habere)  deutet  Kuhn, 
städt.  Verf.  des  r.  Reichs  1  S.  37  A.  162  auf  den  Kaiser  Nerva,  Mommsen, 
Str.  2,  1034  A.  2  ohne  nähere  Begründung  auf  den  unter  Tiberius  lebenden 
Juristen.  Für  letzteren  scheint  mir  zu  sprechen,  dafs  auch  sonst  in  der 
Weise:  N,  N.  scribit,  Juristen  citiert  werden,  vom  Kaiser  dagegen  gesagt 
werden  mufste:  divas  Nerva  rescripsit  (vgl.  16,  7  aus  demselben  Buch 
Ulpians:  ita  divus  Pius  et  deinceps  omnes  prindpes  rescripserun^,  dagegen 
Casaius  scribit,  Neratius  scribit  u.  dgl.).  Aber  damit  ist  die  Frage  noch 
schwieriger  gemacht;  denn  dann  müssen  solche  curatores  reip.  schon  in  den 
Monicipalgesetzen  vorgesehen  gewesen  sein,  da  es  weiter  heifst:  hoc  ita  verum 
est,  si  non  lex  munidpälis  cwratori  reip,  amplius  concedaJt.  Wenn  aber  dies, 
weshalb  erscheinen  sie  so  spät  auf  Inschriften?  Zwar  ist  es  nicht  ganz 
richtig,  dafs,  wie  Henzen  (annali  d.  inst.  arch.  1851  p.  5—35)  meint,  die 
curatores  inschriftlich  nicht  überTrajan  zurück  nachzuweisen  wären;  vgl.  die 
von  Ed.  Degner  de  curatore  reip.  I.  Halle  1883  p.  14  namhaft  gemachte  In- 
schrift c.  i.  1.  Z,  291,  wo  ein  Prätorier,  der  auf  der  expeditio  Suebica,  also 
unter  Domitian,  ausgezeichnet  wurde,  curator  coloniarum  et  municipiorum 
heilst;  allein  eine  Folge  von  curatores ,  wie  sie  auf  eine  stehende  Einrich- 
tung deutet,  ist  allerdings  erst  von  Trajan  an  nachzuweisen.  Kombinationen 
einer  Stufenfolge  in  der  Durchführung  einer  kaiserlichen  Kontrolle  der 
Bauschen  Verwaltungen,  wie  sie  mit  diesen  cu/ratores  eintreten  sollte, 
lassen  sich  auf  Grund  des  angegebenen  Quellenmaterials  wohl  machen>>yon      . 

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—     310    — 

Despotismus  hier  nicht  tief  eingegriffen,  während  andrerseits  die 
munizipale  Aristokratie  durch  die  neue  politische  Ordnung  ihren 
Besitzstand  und  ihre  gesellschaftliche  Bedeutung  so  gut  gewähr- 
leistet erhielt  wie  die  senatorische  in  Rom  ohne  die  Gefahren, 
denen  diese  ausgesetzt  war;  darum  konnte  sie  auch,  als  die  letz- 
tere schwand,  in  die  Lücke  treten.  Allerdings  ergofs  sich  im 
J.  69  schweres  Unheil  beinahe  über  alle  Teile  der  Halbinsel,  und 
es  wird  ein  gutes  Stück  der  Regierung  Vespasians  vorüber- 
gegangen sein,  bis  die  Landstädte  sich  von  dem  über  sie  er- 
gangenen erholten.  Indessen  zeigt  das  Beispiel  Pompejis,  wie 
wir  aus  den  heutigen  Ruinen  ersehen,  was  zwischen  der  Zer- 
störung durch  das  Erdbeben  im  J.  63  und  der  vom  J.  79  auf- 
gerichtet worden  war,  in  sprechendster  Weise,  wieviel  unter 
günstigen  Verhältnissen  geschehen  konnte.  Schwerer  als  diese 
vorübergehenden  Ereignisse  wog  für  die  Wohlfahrt  Italiens  die 
Gestaltung  der  Bevölkerung  und  des  Besitzes.  Augustus  hatte 
nach  dem  Abschlufs  der  Kolonisation  eine  Sicherheit  der  Besitz- 
verhältnisse hergestellt,  die  nachher  nicht  mehr  erschüttert  wurde. 
Der  Despotismus  seiner  Nachfolger  griff  wohl  in  seinem  E[ampf 
mit  der  Aristokratie  oft  genug  mit  Konfiskationen  in  das  Privat- 
eigentum ein,  allein  der  dadurch  hervorgerufene  Besitswechsel 
änderte  an  den  allgemeinen  Verhältnissen  nichts,  und  es  war 
eben  die  Folge  der  neuen  festen  Regierungsform,  dafs  keine 
soziale  Krise  revolutionärer  Art  mehr  zu  fürchten  war.  Damit 
war  aber  der  von  der  Republik  her  vorhandene  Grofsgrundbesitz 
des  senatorischen  und  ritterlichen  Reichsadels  wie  der  landstädti- 
schen Familien  nicht  nur  gesichert,  sondern  zugleich  auch  in 
seiner  Ausdehnung  begünstigt;  denn  der  natürliche  Zug  des 
grofsen  Besitzes  treibt  ihn  zu  fortwährender  Steigerung,  und  die 
Konkurrenz  zieht  nur  mäfsige  Schranken.  Die  Ansiedlung  der 
Veteranenkolonieen   nach   den   Bürgerkriegen    bildete   wohl  ein 

jener  Inschrift  der  domitianischen  Zeit  aus,  welche  die  cura  als  bereits  all- 
gemeiner üblich  bezeichnet,  könnte  man  z.  B.  auf  die  Censur  Vespasians 
zorückschliefsen,  yon  dem  sonstigen  Bestand  der  Inschriften  in  Verbindimg 
mit  dem,  was  Nerva  fQr.  Italien  that  (s.  unt.),  auf  diesen  Kaiser,  ohne  jedoch 
darum  die  DigestensteUe  auf  ihn  zu  beziehen.  Allein  all  dies  ist  zn  anbe- 
stimmt, nnd  es  bleibt  nur,  dafs  man  erst  im  zweiten  Jahrhundert  mit  dieser 
Kontrolle  ernstlicher  vorging.  —  Eine  Darstellung  der  Verwaltung  Italiens  anf 
Gnmd  des  Inschriftenmaterials  ist  noch  zu  erwarten.  Camille  JulUan,  Us 
transformcUions  pQlüiques  de  Vltdlie  sous  les  empereurs  Bomains,  Paris  1883 
erfafst  die  Aufgabe,  erledigt  sie  aber  nicht. 

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-     311    — 

Gegengewicht  zu  goiiBten  des  kleineren  Besitzes  und  Augustus 
versicherte,  dafs  dieselben  zu  seinen  Lebzeiten  blühend  geblieben 
(ob.  S.  179  iu  2);  aber  der  spätere  Zustand  zeigt  doch,  daCs  sie 
zar  Aufrechthaltung  einer  normalen  BevölkeruDgsstarke  nicht 
genügten.  Man  hatte  es  nun  freilich  in  der  Hand,  auch  ferner- 
hin die  Yeteranenversorgung  zur  Ausfüllung  der  Lücken  zu  ver- 
wenden statt  mit  Geld  abzulehnen,  und  man  wandte  dies  Mittel 
auch  an;  es  konkurrierten  jedoch  hier  die  Provinzen,  und  dann 
erwiesen  sich  die  von  den  Legionen  nach  Italien  gebrachten 
Veteranen  als  ein  sehr  wenig  brauchbares  Material  für  die  Kultur 
des  Landes,  während  sie  unter  Provinzialverhältnissen,  die  sie, 
wie  es  scheint,  selbst  auch  vorzogen,  besser  verwendbar  waren.  ^) 
Einigen  Ersatz  gewährten  die  Freigelassenen;  denn  diese  ver- 
mehrten wohl  auch  die  ländliche  Bevölkerung,  aber  es  wurde 
mit  ihnen  doch  nicht  die  Widerherstellung  des  alten  freien  Bauern- 
standes möglich,  bei  dem  die  Anhäuglichkeit  an  den  ererbten 
und  heimischen  Boden  die  moralische  Stütze  der  Wohlfahrt  ge- 
wesen war.  Gewüjs  darf  man  sich  darum  den  Zustand  Italiens 
in  dieser  Zeit  nicht  so  denken,  dafs  die  Grofisgrundbesitzer  über- 
wiegend mit  Sklaven  den  Landbau  betrieben  hätten,  es  war  viel- 
mehr in  den  meisten  Teilen  Italiens  der  kleine  freie  Pächter, 
welcher  an  die  Stelle  des  freien  kleinen  Eigentümers  trat,  und 
in  dieses  Pachtverhältnis  mag  sich  eben  der  Freigelassene  und 
der  frühere  Bauer  geteilt  haben  ^);  aber  solche  Eulturverhältnisse 
mit  dem  geringen  Gewinn,  den  sie  bieten,  waren  nicht  geeignet, 
die  BcTÖlkerung  zu  mehren,  sie  konnten  sie  höchstens  auf  not- 
dürftigem Stand  erhalten,  und  die  Bodenkultur  Italiens,  beschrälakt 
durch  Luzusanlagen  und  in  manchen  Teilen  durch  Weidewirt- 
schafb,  genügte,  wenngleich  dieser  über  so  bedeutende  Kapitalien 

1)  Tac.  anD.  14,  27:  (im  J.  60)  veieram  Tarentvm  et  Antium  adscripH 
non  tarnen  infrequentiae  locorum  suibvenere,  dilapsis  pluribus  in  provincuu, 
in  quilms  stipendia  expleverant;  neque  covdugiis  suscipiendis  neque  alendis 
Uberis  8neti  orhas  sine  posteris  domos  relinquebant.  Non  enim  ut  olim  uni- 
versae  Ugiones  deducehantur  —  sed  ignoti  inter  se  diversis  e  manipttlia  — 
numerus  magis  quam  colonia.  Übersicht  der  italischen  Eolonieen  bis  auf 
Vespasian  bei  Mommsen  im  Hermes  18,  211  f. 

2)  Übertriebenen  Yorsteliongen  von  der  Anhänfong  des  Grofsgrnnd- 
bezitzes  und  dem  Vorherrschen  des  Sklavenbetriebs  begegnet  Mommsen 
Hermes  20,  398—416  mit  Verwertung  des  Materials,  welches  die  Urkunden 
der  Alimentartafeln  fflr  die  Erkenntnis  der  Verteilung  des  Grundbesitzes 
geben. 

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-     312     - 

verfügende  Grofsgrundbesitz  auch  mit  dem  Pächtersystem  den 
Ertrag  steigern  konnte,  doch  auch  jetzt  entfernt  nicht  fär  die 
Bedürfnisse  Italiens.^)  In  normalen  Zeiten  trat  nun  allerdings 
die  auf  die  Eornprovinzen  gegründete  Fürsorge  ein,  allein  nicht 
nur  war  in  Eriegszeiten  Rom  und  Italien  überhaupt  sofort  dem 
Mangel  ausgesetzt,  sondern  es  erhellt  auch  aus  den  gleichzeitigen 
Zeugnissen,  dafs  man  nicht  das  Gefühl  hatte,  für  den  Rückgang 
des  Ackerbaus  Ersatz  in  ähnlicher  Weise  gefunden  zu  haben, 
wie  ihn  in  unsrer  Zeit  Industrieländer,  die  der  Eorneinfuhr  be- 
dürfen, durch  andere  Erwerbsgebiete  ünden:  es  blieben  eben  doch 
alle  Verhältnisse  in  Italien  auf  den  Grundbesitz  angelegt.  Im 
übrigen  genofs  die  Halbinsel  die  ganze  Zeit  hindurch  nicht  nur 
die  Segnungen  des  Friedens,  sondern  auch  die  Vorteile  jedenfalls 
thatsächlicher  Freiheit  von  direkten  Abgaben,  nur  vorübergehend 
drückten  die  indirekten  Auflagen  des  Willkürregiments  geld- 
bedürftiger Despoten  (ob.  S.  262  A.  2),  und  endlich  fiel  die 
Militärlast  weg.^  Das  J.  69  freilich  brachte  die  unerfreuliche 
Seite  dieses  Zustandes  klar  zu  Tage:  es  zeigte  das  Land,  dessen 
Bürger  die  Welt  erobert  hatten,  ^jeglicher  Enechtschaft  aus- 
gesetzt' und  Oberitalien  mit  seinen  stattlichen  Städten  einer  kleinen 
Schaar  Reiter  willenlos  preisgegeben.') 
Die  provinMn.  2.  Der  Bestand   des  Reichs   an   Provinzen,   sowie   die  Ver- 

BritannidiL.  Die 

gerniftiüsohe  u.  tcilung  derselben  zwischen  der  kaiserlichen  und  der  Senatsver- 

die  Donau- 

groMe.  waltung  erlitt  einige  Veränderungen.  Vorher  völlig  fremdes 
Gebiet,  durch  Eroberung  gewonnen,  kam  in  bedeutendem  Mafse 
in  Britannien  hinzu:  hier  gelang  es  in  der  Zeit  von  der  ersten 
Expedition  unter  Claudius  im  J.  43  bis  auf  Domitian,  d.  h.  bis 


1)  Tac.  8,  54.  12,  43.  An  der  ersten  Stelle  klagt  Tiberias  darüber, 
dafs  die  Villen  und  die  Luxuskultur  das  Ackerfeld  verdrängt  hätten,  an  der 
zweiten  Tacitus  selbst,  dafs  man  wohl  Ägypten  und  Afrika  bebaue,  aber 
Italien  nicht. 

2)  Was  die  Pratoriauer,  die  siÄdtischen  Gehörten  und  die  sog.  Cohorten 
der  italischen  Freiwilligen  an  Italikern  in  Anspruch  nahmen,  dafür  konote 
freiwillige  Meldung  genügen.  Hinsichtlich  des  Dienstes  in  den  Legiooen 
vermutet  Mommsen,  Hermes  19,  18  f.,  dafs  seit  Vespasian  die  ItaJiker  ge- 
radezu von  ihm  ausgeschlossen  waren. 

8)  Tac.  bist.  1,  11:  inermes  provtnciae  atque  ipsa  in  primis  ItdUa, 
ctticumque  servitio  exposita,  in  pretium  belli  cessurae  erant,  c.  70 :  (die  Sol- 
daten der  ala  Süiana)  transiere  in  partes  (Vitellii)  et  ut  donum  cUiquod 
novo  principi  firmissima  transpadanae  regionis  tnunicipia  Medioianum  ac 
Novariam  et  Eporediam  et  Vercellas  adiunxere. 


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-     313     ~ 

za  der  uns  zuletzt  geuauer  bekannten  Statthalterschaft  Agricolas^ 
in  systematischem  Vorgehen  die  römische  Herrschaft  nach  Nor- 
den so  weit  auszudehnen,  als  von  Eburacum  (York)  aus  beherrscht 
werden  konnte;  das  kühne  Vordringen  Agricolas  in  Schottland 
war  nicht  von  Erfolg  begleitet  gewesen  und  nach  Irland  hin- 
öberzugehen  wurde  ihm  geradezu  untersagt  An  der  germanischen 
Grenze  steht  am  Anfang  dieses  Zeitabschnitts  das  Aufgeben  des 
rechten  Rheinufers  nach  den  Feldzügen  des  Germanicus,  wovon 
oben  schon  die  Rede  war  (S.  230  f.).  Doch  wurde  dafür  gesorgt, 
dafs  die  Flufsübergänge  durch  rechtsrheinische  Festungen  gesichert 
blieben^  zumal  bei  Köln  und  Mainz.  Das  Schreckensjahr  69  stellte 
die  römische  Herrschaft  in  Gallien  und  am  Rhein  auf  die  schärfste 
Probe,  aber  nur  um  so  deutlicher  zeigte  sich  einerseits,  dafs  das 
in  den  vorhergehenden  Jahrzehnten  eingeführte  Römertum  in 
den  römischen  Grenzgebieten  doch  den  Resten  nationaler  Ten- 
denzen überlegen,  andrerseits,  da&  das  rechtsrheinische  freie 
Germanien  noch  keiner  Zusammenfassung  gegen  die  Römer  fähig 
war.  Alle  die  aufeinanderfolgenden  Schläge  und  unglücklichen 
Umstände,  die  Empörung  der  batavischen  Truppen  und  des  bata- 
vischen  Stamms  und  damit  die  Gefahr  eines  Ansturms  der  freien 
Germanen,  in  Gallien  selbst  der  Versuch  der  Gründung  eines 
eigenen  gallischen  Reichs,  die  Demoralisierung  des  römischen 
Rheinbeers,  das  in  dem  Schwanken  zwischen  Vitellius  und  seinen 
Gegnern  nicht  wulste,  woran  es  sich  halten  konnte  und  den 
Keichsgedanken  ohne  festen  Halt  an  einem  Imperatornamen  nicht 
zu  erfassen  vermochte  —  all  das  wurde,  nachdem  ein  kräftiger 
Herrscher  dem  Reiche  gesichert  war,  überwunden  in  erster  Linie 
durch  die  Fürsorge  dieses  Mannes,  wesentlich  aber  auch  mit  da- 
durch, dafs  in  dem  Widerstreit  zwischen  Germanen  und  Galliern 
und  gegenüber  der  Halbheit  des  romanisierten  Galliertums  das 
romische  Imperium  allein  ein  klares,  imponierendes  und  anziehend 
wirkendes  Wort  war.  Nach  Wiederherstellung  der  Ordnung 
wurden  die  beiden  grofsen  Kommandos  am  Rhein  in  der  alten 
Weise,  nur  infolge  der  Verschiebung,  Auflösung  und  Neubildung 
der  Legionen  mit  anderer  Verteilung  der  Truppenkörper  wieder 
aufgerichtet.  Die  Grenzverhältnisse  blieben  in  Niedergermanien 
dieselben,  trotzdem  dafs  die  Bataver  von  jenseits  des  Rheins 
Bundesgenossen  an  sich  gezogen  hatten:  man  hatte  hier  kein 
Interesse,  weiter  nach  Osten  zu  gehen  und  fühlte  sich  mit  der 
Beherrschung  des  Rheinstroms  genügend  gesichert.    Dagegen^yon 

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-     314     - 

Obergermanien  aus  ging  man  nun  über  den  Rhein  herüber;  denn 
hier  lag  die  Aufgabe  Yor^  neben  der  Beseitigung  der  Chatten- 
einfalle  auch  eine  möglichst  gute  Verbindung  mit  den  Donao- 
ländem  herzustellen.  Das  Vorgehen  geschah  in  mehr£acher 
Weise:  von  Mainz  aus  in  das  Neckargebiet  und  von  Strafsburg 
aus  nach  dem  Schwarzwald  zu^  und  zwar  vollzog  es  sich  hier, 
so  viel  aus  dem  Vorhandensein  nur  indirekter  Zeugnisse  zu  er- 
schliefsen  ist^  in  friedlicher  Weise  durch  Anlegung  von  Strafsra- 
zügen  mit  dem  dafür  nötigen  Schutz.  Dies  ist  schon  vor  Domitian 
nachweisbar.^)  Das  Vordringen  von  Mainz  aus  gegen  den  Taunus 
dagegen  wurde  von  Domitian  im  J.  83  unternommen  in  einem 
förmlichen  Eriegszug  gegen  die  Chatten.  Das  Resultat  des 
kurzen  und  wie  es  scheint  unblutigen^  aber  doch  erfolgreichen 
Feldzugs  war  die  Ausdehnung  der  Grenze  über  das  Mattiakerland 
(um  Wiesbaden)  bis  zum  Taunus.*)  Ebenfalls  unter  den  flavi- 
sehen  Kaisern  erfolgte  nun  auch  ein  ernstlicheres  Vorgehen  von 
der  Linie  des  Oberrheins  (Basel -Bodensee)  aus.  Schon  vor  69 
finden  wir  Truppen  des  festen  Lagers  von  Vindonissa  nördlich 
vom    Rhein,    aber    nicht    über    eine    mäüsige    Entfernung   hin- 


1)  Zangemeister  in  Westdentsche  ZeiUchr.  f.  Gesch.  und  Eonst  3, 
237-265.    307—326.    Mommaen,  r.  G.  6,  184  f. 

2)  Über  den  Gbattenkrieg  Domitians,  der  nach  den  monomentalen 
Zeugnissen  über  die  Annahme  des  Titels  Germanicus  ins  J.  83,  nicht  84, 
föllt^  8.  anfser  den  allgemeinen  Darstellungen  der  Eaisergeschichte  Asbach 
in  Westd.  Zeitschr.  3,  6  ff.  Mommsen,  r.  G.  6,  136  f.  —  Den  Vorwürfen» 
dals  Domitian  den  Krieg  gar  nicht  gesehen  (Dio  67,  4),  einen  erlogenen 
Triumph  gefeiert  xmd  Gefangene  für  denselben  zusammengekauft  habe  (Tac. 
Agr.  39),  muTs  etwas  wahres  zu  Grunde  liegen.  Mit  dem  unbestreitbaren 
Zeugnis  des  bei  dem  Feldzug  beteiligten  Frontin  (strateg.  1,  1,  8.  1,  3,  10. 
2,  3,  23.  2,  10,  7),  dafs  Erfolge  errungen  wurden,  lassen  sich  jene  Vorwürfe 
so  yereinigen,  dals  Domitian  selbst,  wie  später  im  dakischen  Krieg  (Dio 
67,  6)  hinter  der  vorrückenden  Armee  blieb,  dafs  keine  wirkliche  Schlacht 
geliefert  wurde  und  die  Erfolge  wesentlich  strategischen  Mitteln  und 
auch  klugem  Entgegenkommen  zu  danken  waren.  Dafs  für  Land  zu  Kastell- 
zwecken  im  Chattengebi6t  Entschädigung  geleistet  wurde,  mochte  als  ein 
Erkaufen  des  Siegs  gedeutet  werden;  dals  aber  Frontin  überall  die  Anord- 
nung der  Mittel,  durch  welche  die  Erfolge  gewomien  wurden,  dem  Domituui 
als  dem  obersten  Kriegsherrn  zuschrieb,  verstand  sich  von  selbst.  —  Die 
Frage,  ob  die  limües,  welche  Domitian  auf  120  Meilen  anlegen  lieis,  nörd- 
lich oder  südlich  vom  Main  anzunehmen  seien,  ob  sie  mit  Teilen  des  noch 
heute  erhaltenen  Tfahlgrabens'  identisch  seien  oder  nicht,  ist  fortwährend 
kontrovers  und  wird  es  bleiben,  bis  ein  entscheidendes  monumentales  Zeug- 
nis aufgefunden  wird. 

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-     316     - 

aas.^)  Das  Land  zwischen  Rhein,  Schwarzwald  und  Main^  seit  dem 
Markomanenabzug'^anter  Augustas  kaum  noch  mit  Resten  von 
Bevölkerung  ausgestattet,  war  damals  wohl  unter  einer  gewissen 
allgemeinen  Hut  der  Römer,  aber  nicht  zur  Provinz  geschlagen 
und  der  Occupation  unter  römischer  Aufsicht  überlassen.  Zwischen 
Rhein  und  Schwarzwald  und  wiederum  von  diesem  ab  nach  Osten 
war  kalturfahiges  Land,  jenes,  wie  schon  bemerkt,  von  Strafsburg 
aus  gehütet  und  besetzt,  letzteres  von  dem  Lager  und  den  Kastellen 
der  Schweiz  aus;  der  dazwischen,  liegende  Schwarzwald  mufs 
keine  Gefahr  geboten  haben,  er  war  zweifellos  ohne  Bevölkerung. 
Die  unter  Yespasian  nach  Yindonissa  gelegte  Legion  nun  rückte, 
wie  es  scheint,  mit  einem  Teil  ihrer  Mannschaft  vor  bis  Rott- 
weil am  oberen  Neckar^),  und  an  derselben  Stelle,  jedenfalls  in 
derselben  Gegend,  finden  wir  den  Ort  Arae  Flaviae'),  der  schon 
durch  seine  Bezeichnung  sich  kund  thut  als  einen  gewichtigen 
Mittelpunkt  für  neubesetztes  Land,  das  damit  im  Namen  des 
Kaiserhauses  feierlich  als  annektiert  erklärt  wird.  Zu  welcher 
Zeit  dies  genauer  anzusetzen  ist,  läfst  sich  nicht  sagen,  da  wir 
über  die  örtlichen  Vorgänge  bei  dem  Aufstand  des  Saturninus 
im  J.  88  nicht  unterrichtet  sind;  es  ist  nicht  unmöglich,  dafs 
erst  nach  demselben  dieses  Ziel  erreicht  wurde.  In  Verbindung 
mit  der  Bewegung  vom  unteren  Neckar  her  war  damit  die  Neckar- 
linie überhaupt  gewonnen  und  die  notwendige  Konsequenz  ge- 
geben, diese  an  das  östliche  Ende  der  Mainlinie  anzuschliefsen. 
Dies  wird,  wie  die  Neckarlinie  selbst  durch  Kastelle  befestigt 
wurde,  unter  Domitian  noch  durch  eine  Reihe  von  Kastellen  ge- 
schehen und  damit  die  erste  befestigte  Grenzlinie  jenseits  des 
Oberrheins  gewonnen  worden  sein.*)  —  Der  Bestand  des  Reichs 


1)  YgL  die  Ziegel  der  21.  Legion  bei  Schieitheim  Mommsen,  insc. 
Helv.  n.  344. 

2)  An  diesem  Ort  sind  wiederholt  Ziegel  der  11.  Legion,  die  nach  70 
in  Vindonissa  stand,  gefunden  worden. 

3)  Ptolem,  2,  11,  30.  tab.  Penting. 

4)  Diese  Verhältnisse  durch  Aufsuchen  der  Kastelllinie  klar  zu  stellen 
ist  die  Lokalforschong  gegenwärtig  bemühi  Nach  den  Truppendislokationen 
zu'schÜefsen,  boten  sich  die  von  der  Schweiz  einerseits,  Yom  unteren  Neckar 
andrerseits  yorrückenden  Truppen  bei  Bottweil  und  Rottenburg  a.  N.  die 
Hand.  Das  damit  in  Besitz  genommene  Land,  das  Tac.  Germ.  29  mit  dem 
Ausdruck  ^deewmates  agri*  bezeichnet  und  in  welchem  der  Bezirk  Sumelo- 
cenne  (Rottenburg  a.  N.)  yon  der  ursprünglichen  rechtlichen  Lage  selbst 
noch  bei  munizipaler  Organisation  saltm  Sumelocennensia  heifst  (Brambach,, 

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—     316     - 

an  der  Donaugrenze  wurde  nicht  geändert.  Die  rätische  und 
norische  Donaugrenze  war  durch  das  günstige  Verhältnis  zu  den 
Germanen  auf  dem  linken  Ufer  leicht  zu  hüten  ^)  und  ebenso 
konnte  man  an  der  pannonischen  Donaulinie  durch  diplomatische 
Behandlung  der  jenseitigen  Germanenfürsten  den  Frieden  wahren. 
Dagegen  war  von  Mösien  aus  das  thrakische  Ufer  und  Thrakien 
selbst  nicht  genügend  gegen  Einfalle  gesichert^  Doch  gab  es 
bis  auf  Domitian  nördlich  von  der  Donau  grofsere  feindliche 
Macht  nicht;  und  dem  entsprechend  war  das  romische  Grenzheer 
schwach  an  Zahl  gehalten  worden:  der  Einfall  vom  J.  69  führte 
zur  Verlegung  der  in  ihrer  bisherigen  Provinz  entbehrlich  ge- 
wordenen zwei  Legionen  von  Dalmatien  nach  Mösien  ^  so  dafs 
hier  die  Truppenzahl  verdoppelt  wurde.  Bald  dai'auf  erstand  das 
neue  Reich  der  Daker  unter  Dekebalus^  und  stellte  auf  einmal  der 
Grenzhut  an  der  Donau  ^  speziell  den  Provinzen  Pannonien  und 
Mösien  ganz  neue  Aufgaben.  Der  dakische  Krieg  Domitians 
änderte  an  den  Gebietsverhältnissen  nichts ,  brachte  aber  auch 
die  Markomanen  in  Feindschaft  mit  dem  Reich  und  endigte  im 
J.  89  mit  einem  für  die  Würde  desselben  bedenklichen  Frieden. 
Zur  Erleichterung  der  Wacht  an  der  unteren  Donau  diente  im 
Gefolge  dieses  Kriegs  die  Teilung  der  ^inen  Provinz  Mösien  in 
zwei,  eine  obere  und  untere.  •) 
dot  Osten.  3.  Was  an  der  Nordost-  und  Ostgrenze  des  Reichs  vorging, 

stand  beinahe  durchaus  im  Zusammenhang  mit  dem  Verhältnis 
zum  Partherreiche.  Es  handelte  sich  auch  nach  Augustus  nicbt 
um  eine  Gebietsvermehrung,  weder  in  Armenien  noch  in  Parthien, 
und  ebenso  wenig  hatten  die  Parther  Eroberungspläne,  sondern 
die  Kämpfe  um  die  Besetzung  des  armenischen  Thrones  wie  das 


inscr.  Rhen.  n.  1638),  mag  zunächst  als  kaiserliche  Domäne  (saltus)  behan- 
delt und  mit  der  Auflage  eines  Zehnten  verpachtet  worden  sein,  bis  die 
vorgeschrittene  Kultur  die  Einrichtung  eines  munizipalen  Bezirks  gestattete. 
.1)  Tac.  Germ.  41:  Hermunduronmi  civitas,  fida  Bomams,  eoque  idlu 
Oermanarum  nan  in  ripa  commercium  ^  sed  penitus  atque  in  splendidissima 
Baeticte  provindae  colonia.  Pausim  sine  custode  transeumt^  et  cum  cäeris 
gentibus  arma  modo  castraque  nostra  ostendamuSy  Ms  domos  villasque  pate- 
fecimus  non  concupiscentibus. 

2)  Suet.  Tib.  41:  Eegressus  in  inaulam  (Tiberius)  reip.  curam  usque 
adeo  abiecit,  ut  —  Moesiam  a  Bctcis  SarmaHsque  —  vasiari  neglexerÜ. 
Tac.  hist.  1,  79  (Einfall  der  sarmatischen  Rhoxolanen  in  Mösien  im  J.  69). 

3)  Über  den  Dakerkrieg  Domitians  Mommsen  im  Hermes  3,  115  f. 
Ders.  r.  G.  5,  200  ff.     Schiller  1,  528  ff. 

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-    317    - 

sonstige  aktive  Vorgehen  hatte  stets  nur  defensive  Bedeutung^ 
and  so  v^urde  in  den  Grenzverhältnissen  nichts  geändert.  Auch 
die  grofste  kriegerische  Machtentfaltung  Roms  gegen  Parthien 
unter  Nero  ftihrte  nur  zu  einem  Ausgleich^  bei  dem  der  Gewinn 
eher  den  Parthern  zufiel,  wenn  diese  gleich  hinsichtlich  der  Form 
auf  den  Stolz  Roms  Rücksicht  nahmen.^)  Dieselbe  Vorsicht  und 
Rücksicht  herrschte  in  den  persönlichen  Beziehungen  zwischen 
den  beiderseitigen  Regierungen  und  in  der  Einmischung  in  die 
Thronstreitigkeiten.  Die  Römer  hatten  durch  die  Parther  gar 
zu  oft;  Gelegenheit  solche  zu  benützen,  um  es  nicht  zu  thun, 
und  die  Parther  ihrerseits  lieüsen  es  sich  nicht  ganz  entgehen, 
das  Auftreten  eines  falschen  Nero  eine  Reihe  von  Jahren  hin- 
durch unter  Vespasian,  Titus  und  Domitian  zu  verwerten,  bis 
der  Betrüger  endlich  ausgeliefert  wurde;  aber  überall  waren  es 
nur  augenblickliche  Zwecke,  wegen  deren  man  sich  um  die 
inneren  Verhältnisse  des  Nachbarreichs  kümmerte,  und  die  Par- 
ther insbesondere  waren  im  J.  69  keineswegs  bemüht,  die  Wirren 
im  römischen  Reich  gründlich  für  sich  auszunützen,  sondern 
wollten  nur  so  eingreifen,  dafs  sie  sich  erboten,  den  ihnen  zu- 
nächst stehenden  Prätendenten  zu  unterstützen.  Noch  herrschte 
beiderseits  die  Überzeugung,  dafs  die  beiden  Grofsstaaten  nur  in 
dem  ^inen  Punkte  Armenien  sich  berührten,  und  wenn  dieser 
befriedigend  geordnet  sei,  am  besten  thun,  Frieden  zu  halten, 
weil  im  Kriege  nichts  zu  gewinnen  wäre.  Erweiterung  des  Reichs 
im  Nordosten  hat  Nero  am  Ende  seiner  Regierung  allerdings 
angestrebt,  aber  gegenüber  einem  Rom  und  den  Parthern  gemein- 
samen Feind.  —  Einen  Rückschlag  auf  die  Ordnung  des  römi- 
schen Staatswesens  haben  die  Vorgänge  in  Parthien  insofern 
geübt,  als  sie  dazu  führten,  mehrere  der  kleinen  einheimischen 
Dynastieen  zu  beseitigen,  um  die  ihnen  bisher  überlassenen  Ge- 
biete zu  Provinzialland  zu  machen  (s.  unten),  und  als  der  Krieg 
unter  Nero  wieder  einmal  zur  Aufstellung  eines  grofsen  kom- 
binierten Kommandos  unter  Corbulo  führte.*)  —  Während  der 


1)  Der  Friedenßscblufs  im  J.  63  bei  Tac.  15,  28-31.  16,23.  Dio62,23. 
63,  1  ff.  Der  partbische  Schätzliog  Tiridates  wird  von  den  Römern  für 
Armenien  angenommen,  holt  sich  aber  die  Anerkennung  in  Born.  Über  die 
KriegsgeBchichte  selbst  nnd  das  ganze  Verhältnis  der  Römer  zu  den  Par- 
them  V.  Gutscbmid  in  der  Encyclopaedia  Briteumica  vol.  XVIII.  (Artikel 
Persia),  speziell  p.  601  ff.    Mommsen,  r.  G.  Ö,  375  ff. 

2)  Tac.  aun.  15,  25:  Corbulo  —  gerendete  rei  praeßeiiur ;  Syriae  executio 

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-    318    - 

Verwicklungen  mit  Parthien  erwuchs  den  Römern  in  Palästina 
ein  Eampf^  der  einzig  in  der  Reichsgeschichte  dasteht  Von 
weltgeschichtlicher  Bedeutung  wird  er  doch  wie  auf  einer  Insel 
geführt;  denn  die  Verzweigungen,  die  er  nach  Ägypten  und  nach 
den  jüdischen  Ansiedlungen  der  Zerstreuung  hat,  stehen  nur  in 
geistigem  Zusammenhang  mit  den  Vorgängen  in  der  Heimat  des 
Judentums,  und  zu  den  Parthern  finden  keine  Beziehungen  statt. 
Aufserlich  handelt  es  sich  hier  nur  um  die  Durchführung  der 
Provinzialregierung  in  vorher  mittelbar  abhängigem  Gebiet; 
aber  die  Art  des  Volks  stellt  dieser  Aufgabe  gröfeere  Schwierig- 
keiten entgegen  als  in  irgend  einem  anderen  Teile  des  Reichs. 
Der  im  J.  66  zum  o£fenen  Ausbruch  gekommene  Krieg  führt 
ebenfalls  zur  Bildung  eines  besonderen  grofsen  dem  Vespasian 
anvertrauten  Kommandos^)  und  tritt  dadurch  schon  in  seiner 
ernsten  Bedeutung  hervor,  aber  derselbe  Charakter  der  aufstän- 
dischen Nation,  der  ihn  schwer  und  langwierig  macht,  hindert 
seine  Ausdehnung,  da  das  sich  gegen  alle  andern  Völker  ab- 
schliefsende  Judentum  nirgends  Hilfe  findet.  Dem  Sieg  folgen 
auch  hier  dieselben  Mittel  der  Verwaltung  und  Wiederherstellung, 
die  an  andern'  Orten  einen  Ersatz  für  das  zerstörte  nationale 
Wesen  geben,  Belegung  des  Landes  mit  Truppen*)  und  mit  An- 
siedlungen, aber  mit  noch  weniger  Erfolg  als  sonst  im  Orient, 
weil  ein  Anschlufs  an  die  einheimische  ländliche  Bevölkerung 
nicht  möglich  war:  aus  ihr  hatte  der  Aufstand  die  besten  Kräfte 
gezogen,  und  was  von  ihr  übrig  blieb,  fügte  sich  dem  Sieger  nichi 
Afrika.  4.   In    Ägypten    und   Nordafrika   brachte   die   Aufgabe  des 

Grenzschutzes     öfter     militärische    Unternehmungen    mit    sich; 
doch   führten   diese   nirgends   zu  einer  bedeutenderen  Grenzver- 


C,  Gestio,  copiae  miliiares  Corbidoni  permissae ;  —  Bcribüur  tetrarchis  ac  regi- 
bu8  praefectisque  et  procuratoribiM  et  qui  praetorum  fifUtimas  pravineias  rege- 
bant^  iussis  Corbulonie  obsequi^  in  tantum  ferme  moämm  awAa  potesUäe,  q^m 
populus  Born.  Cn.  Pompeio  bellum  piraticutn  gestwro  dederat.  Über  dieie 
Art  von  Kommando  vgl.  unten  im  Syst. 

1)  Joseph,  b.  ind.  8,  1,  8:  (Nero)  ni(inst  tov  av9qa  iiaXrifpoikBvov  t^ 
Tiytfiovlav  tmp  inl  Zvqlag  otQctt^vpMttov,  Tac.  bist.  1,  10:  Beüum  Judai- 
cum  Flavius  Vespasianus  {ducem  eum  Nero  ddegeratj  tribw  legiombus  ad- 
ministrabctt ;  daneben  war  Mncianns  Statthalter  von  Syrien. 

2)  In  das  zerstörte  Jerusalem  wurde  eine  Legion,  die  X  Fretensis,  ge- 
legt. Joseph,  b.  Jud.  7,  1,  1.  3.  epb.  epigr.  2,  p.  292  f.,  nach  Emmans 
(Nicopolis)  Veteranen  Jos.  7,  6,  6.  Site  der  römischen  Verwaltong  war  wie 
unter  den  Prokuratoren  das  jetzt  zur  Kolonie  erhobene  jC^sarea. , 

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—    319    - 

rücknng;  auch  da  nicht^  wo^  wie  in  Äthiopien,  die  geographischen 
Yerhältnisae  nicht  besonders  hinderlich  gewesen  wären.  Von 
Nero  wird  berichtet,  dafs  er  jenseits  der  ägyptischen  Grenze  bei 
Syene  Vermessungen  nach  Äthiopien  hinein  vornehmen  liefs,  und 
Spuren  romischer  Kultur  sind  noch  südlich  von  Syene  nach- 
zuweisen^), allein  eine  Yerrückung  der  Provinzgrenze  war  damit, 
so  viel  wir  sehen,  nicht  gegeben.  —  In  der  Provinz  Afrika  war 
unter  Tiberius  einmal  ein  ernstlicher  Kampf  gegen  die  südlichen 
Wüstenbewohner  zu  bestehen,  der  in  Tacitus'  Annalen  eine  Reihe 
von  Jahren  hindurch  (17 — 24  n,  Chr.)  eine  regelmäfsige  Stelle 
hai  Aber  nach  der  Überwindung  des  Führers  in  diesem  Aufstand, 
Tacfarinas,  wird  eine  Kriegführung  im  Gro&en  in  dieser  Periode 
nicht  mehr  erwähnt  Es  wurde  eben  auch  hier  —  allerdings 
nicht  blols  aus  militärischen  Gründen  —  der  Grenzschutz  ähnlich 
wie  in  Germanien  in  besonderer  Weise  organisiert  Bis  in  die 
Regierung  des  Kaisers  Gaius  hinein  war  die  Civil-  und  Militär- 
verwaltung der  Provinz  Afrika  in  der  Hand  des  vom  Senate  be- 
stellten Prokonsuls  vereinigt,  nur  dafs  in  bedenklichen  Zeiten, 
wie  während  des  Kriegs  mit  Tacfarinas  die  Bestellung  nicht  der 
Losung  unter  den  Berechtigten  überlassen  wurde.  Gaius  da- 
gegen stellte  innerhalb  der  Provinz  die  Grenze  gegen  die  Wüste 
und  den  westlichen  Teil  des  Provinzialgebiets,  d.  h.  Numidien, 
besonders,  zog  in  diesem  alle  militärischen  Kräfte  zusammen 
und  stellte  die  letzteren  unter  ein  von  dem  Prokonsul  unab- 
hängiges Kommando  eines  prätorischen  Legaten.  Damit  war  die 
Beschränkung  der  senatorischen  Statthalter  auf  die  Civilverwal- 
tung  in  allen  dem  Senat  unterstehenden  Provinzen  durchgeführt 
und  hier  zugleich  in  dem  kaiserlichen  Legaten  dem  senatorischen 
Prokonsul  eine  Kontrolle  gesetzt^) 


1)  Plin.  n.  h.  6,  181.  184.  12,  19;  vgl.  Senec.  nat  quaeat  6,  8,  3.  cOrp. 
i.  lat.  III  p.  16.  Mommsen,  r.  Q.  5,  693.  694  A.  1  mit  den  daselbst  er- 
wUmten  Zengnieflen^  darunter  c.  i.  gr.  III  n.  5101  das  eines  T.  Julius 
Seztns,  ctQ€ctn6t7ig  Isystovog  III  Kv(fTiva'(%fig  x^Q^9^9^^^S  aus  dem  Jahre 
33  B.  Chr. 

2)  Tac.  4,  48:  Legio  in  Africa  auxüiague  ttUandis  imperii  finibus  sub 
dwo  Auguato  Tiberioque  prindpibus  procansuli  parebant,  mox  Gaius  Caesar 
tiwrbidMS  amimi  ac  M,  Süanum  obtinentem  Africam  metuens  ablatam  pro- 
eonsuli  Jeffionem  misso  in  eam  rem  legato  tradidit;  aequatus  inter  duos  bene- 
ficiorwn  ntitnerus  et  mixtis  utriusque  mandatis  diseordia  quaesiia  auctaque 
eertamine  legatorum  vis  adolemt  diuturnitate  officii  vel  quia  minoribus  maior 
aemtUandi  cura^  proconst4ium  ^lendidissimus  quisque  securitati  magis 


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C^ogle 


-    320    - 

Unter  demselben  Kaiser  Gaius  wurde  das  Königreich  Maure- 
tanien gewaltsam,  durch  die  Ermordung  des  Königs,  aufgehoben, 
und  das  Gebiet  desselben  direkt  zum  Reiche  geschlagen  in  der 
von  Kaiser  Claudius  eingerichteten  Form  von  zwei  prokuratorischen 
Statthaltereien  Mauretania  CaesariensiSy  unmittelbar  an  die  Provinz 
anstofsend,  und  Tingitana,  die  afrikanische  West^enze  des  Reichs 
büdend.i) 
Aufhebung  der  5.  Es  stcht  dicscr  Vorgang,  wenn  auch  gerade  er  nicht  so- 
uastieen.  wohl  einem  staatsmännischen  Gedanken  als  schnödem  Despotismus 
entsprungen  war,  doch  in  einer  Reihe  von  Veränderungen  des  von 
August  hinterlassenen  Zustands,  durch  welche  der  unmittelbare 
Bestand  des  Reichs  vorzugsweise  vermehrt  wurde.  Augustus  hatte, 
wie  wir  gesehen,  noch  eine  grofse  Anzahl  von  lokalen  Djnastieen, 
t^ils  an  den  Grenzen,  teils  innerhalb  des  Reichs  zwischen 
den  Provinzen  liegend,  gelassen  (ob.  S.  196  f.).  Von  ihnen  ver- 
schwindet in  dieser  Periode  der  gröfste  Teil,  je  nach  GröDse  und 
Bedeutung  schon  bestehenden  Provinzen  zugeschlagen  oder  in 
eigene  Provinzen  verwandelt.  Es  waren  teils  persönliche  Be- 
ziehungen zum  Herrscherhaus,  teils  Zweckmäfsigkeitsrücksichten 
gewesen,  was  diesen  Dynasten  ihre  Herrenstellung  bewahrt  hatte: 
aus   denselben  Gründen  wurde  auch  jetzt  noch  Schonung  geabt, 


potentiae  consulebant  (c.  49)  Sed  tum  legionem  in  Africa  regebat  Valerius 
Festus.  Wie  Tacitus,  so  weist  auch  Dio  59,  20,  wo  er  zum  J.  39  die  Maß- 
regel erwähnt,  dem  Legaten  nur  das  militärische  Kommando  su,  und  dals 
das  Gebiet,  in  welchem  die  Truppen  unter  demselben  standen,  zur  Provinz 
Afrika  gerechnet  wurde,  ist  schon  nach  diesen  Zeugnissen  auTser  Zweifel; 
aber  ohne  Verwaltungsbefugnisse  innerhalb  des  den  Garnisonen  zugewiesenen 
Gebiets  konnte  die  Stellung  nicht  sein,  und  Tacitus  zeigt  eben,  wie  wenig 
definiert  einerseits  diese  Befugnis  war  und  wie  man  sie  andrerseits  nch 
ausdehnen  liefs.  Zugleich  sieht  man  aus  Tacitus,  wie  man  in  den  Kreisen, 
die  den  Senat  hochgehalten  wissen  wollten,  ober  diese  Yerkürzung  der 
einzigen  miliÜLrisch  ausgerüsteten  Provinz,  welche  dem  Senat  noch  ver- 
blieben war,  dachte.  Bezeichnend  für  die  Bedeutung  dieses  prätoriBchen 
Legatenpostens  ist  auch,  dafs  30  Jahre  nach  der  Einrichtung  ein  solcher 
Legat  Clodius  Macer  (bei  Sueton  Galba  11  legatus  genannt)  wagen  konnte, 
sich  dem  Galba  gegenüberzustellen.  —  Vgl.  über  die  Sonderstellung  dieses 
Kommandos  Mommsen  in  Ber.  der  sächs.  Gesellsch.  188i  S.  213—230. 
Henzen  in  anncili  deU*  inst.  1860  p.  24  ff.  Corp.  inscr.  lat,  VIII  p.  XV  sq. 
und  die  Karte  zu  diesem  Band. 

1)  Suet.  Cal.  26.  35.  Dio  59,  25  z.  J.  40  (Ermordung  des  dem  Cali- 
gula  verwandten  Königs  Ptolemäus).  60,  9  z.  J.  42  (Einrichtung  der  iwei 
Provinzen).    Dazwischen  liegt  eine  Empörung  der  Mauren  Plin.jn.  h.  5,  11. 

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—     321     — 

aber  der  allgemeine  Zug  ging  doch  früh  auf  Einziehung  der 
kleinen  Fürstentümer.  Augustus  selbst  hatte  schon  ^  nachdem 
er  die  Teilung  des  Reichs  von  Herodes  unter  seine  Söhne  zuge- 
lassen^ Judäa^  den  wichtigsten  Teil,  dem  Archelaus  genommen, 
am  eine  prokuratorische  Provinz  daraus  zu  machen  und  in  Eappa- 
dokien  dem  altersschwachen  Fürsten  Archelaus  einen  Prokurator 
zugesellt.^)  Veranlafst  teils  durch  nötig  gewordene  allgemeine 
Fürsorge  für  die  östlichen  Grenzländer,  teils  durch  persönliche 
Stimmungen  oder  zufällige  Umstände  beseitigte  sodann  Tiberius 
die  kappadokische  Herrschaft  ganz  und  ebenso  die  von  Komma- 
gene.  In  derselben  Zeit,  in  der  er  die  Mission  des  Germanicus 
in  den  Osten  anordnete,  im  J.  17,  liefs  er  nämlich  den  alten 
Archelaus,  den  er  von  früher  her  hafste,  nach  Rom  kommen, 
und  als  dieser  dort  unter  der  Behandlung,  die  ihm  zu  teil  wurde, 
gestorben  war  und  zu  gleicher  Zeit  der  Fürst  der  Grenzherrschaft 
Eommagene  starb,  wurde  beschlossen,  [Eappadokien  zu  einer 
prokuratorischen  Provinz  zu  machen,  Eommagene  aber  mit  Syrien 
zu  verbinden:  Germanicus  liefs  dann  durch  zwei  seiner  Legaten 
die  Veränderung  durchführen.*)  In  Thrakien  griff  er  im  J.  19 
von  Aufsichtswegen  in  den  Streit  zwischen  den  zwei  vorhandenen 
Fürsten  ein,  und  nachdem  der  eine  durch  den  andern  und  der  zweite 
durch  römische  Verfügung  beseitigt  war,  führte  er  für  die  minder- 
jährigen Nachfolger,  die  man  liefs,  vormundschaftliche  Regierung 
mit  einem  römischen  Beamten  ein,  die  dann  unter  seiner  ganzen 
Regierung  auch  blieb;  das  wichtige  Land,  auf  dessen  Eräfte  sich 
der  Statthalter  von  Mösien  zum  Schutz  der  unteren  Donau  stützen 
mufste,  konnte  in  der  That  nicht  unsicheren  Zuständen  überlassen 
werden;  aber  die  durch  dieses  Eingreifen  verursachten  Eämpfe 
zeigten  immerhin,  dafs  Vorsicht  im  Zerstören  solcher  Reste  von 
Unabhängigkeit   angezeigt  sei.^)     Des   Eaisers  Gaius  Verfahren 

1)  Joseph,  ant.  Jud.  17,  11—18.  Die  55,  27.  (JudOa).  Die  57,  17. 
(Kappad.). 

2)  Tac.  ann.  2,  42.  Dio  a.  a.  0.  (beide  zum  J.  17).  Strabo  p.  534. 
8uet  Tib.  87.  Tac.  ann.  2,  56:  Cappadoces  in  formam  provinciae  redacti 
Q,  Veranium  Ugatutn  accepere;  —  Commagenis  Q.  Servaeus  praeponitur  tum 
primum  ad  ius  praetoris  translatis;  beide  Legaten  des  Qerm.  waren  nur 
ZOT  Dorchführung  der  Annexion  beordert.  Im  J.  17  war  auch  der  Fürst 
einer  ciliciechen  Teilherrschaft  gestorben  (2,  42);  was  mit  dessen  Gebiet 
geschah,  sagt  Tacitas  nicht. 

8)  Tac.  2,  67.  8,  38  f.  4,  5.  Strabo  p.  556.  Vgl.  die  Geschichte  der 
thrakischen  Dynastie  bei  Mommsen,  ephem.  epigr.  2,  250 — 261. 

Uerzog,  d.  röm.  Staattvorf.  n.  1.  2titized  by  VjOOQIC 


—     322     — 

in  dieser  Richtung  beruhte  durchaus  auf  persönlicher  Willkür: 
mehrere  solcher  Prinzen,  zum  Teil  mit  ihm  verwandt,  waren  am 
Hofe  des  Tiberius  mit  ihm  aufgewachsen,  und  daher  ihm  be- 
freundet; nachdem  er  auf  den  Thron  gekommen,  wuTsten  sie  die 
Gunst  eines  Herrschers,  der  selbst  die  Wege  des  orientalischen 
Despotismus  ging,  auszunützen.  So  erhielt  Agrippa,  der  Enkel 
des  Herodes,  in  Judäa  zuerst  im  J.  37  die  eine  Tetrarchie,  im 
J.  39  die  zweite^),  einem  andern  dieser  Prinzen,  Antiochus,  wurde 
Kommagene  zurückgegeben,  —  freilich  gleich  darauf  wieder  ge- 
nommen —  ^),  dem  Vertreter  der  einen  thrakischen  Familie  wurde 
ganz  Thrakien  überlassen  und  von  der  zweiten  Familie  am  Pontus 
ein  Sprosse  in  Trapezunt,  wo  sein  Grofsvater  mütterlicher  Seite 
früher  geherrscht  hatte,  der  andre  in  Kleinarmenien  eingesetzt.*) 
Aber  derselbe  Kaiser  war  es,  der  aus  Baubsucht  den  ihm  eben- 
falls verwandten  König  von  Mauretanien  umbringen  liefs  und 
sein  Land  einzog  (ob.  S.  320  A.  1).  Kaiser  Claudius  liefs  die  Anord- 
nungen seines  Vorgängers  zunächst  bestehen  und  war  sogar 
zum  Teil  noch  freigebiger  gegen  die  Fürsten:  Agrippa  erhielt 
von  ihm  im  J.  41  auch  noch  Judäa,  so  dafs  in  dieser  Hand  nun 
wieder  das  ganze  Reich  des  Herodes  vereinigt  war,  und  der  von 
Gaius  wieder  abgesetzte  Antiochus  wurde  in  Kommagene  aufs  neue 
eingesetzt,  auüserdem  gab  er  einem  Mithridates  einen  Teil  des 
Pontusreichs,  wofür  der  aus  Thrakien  in  den  Pontus  versetzte  FiSrst 
Entschädigung  in  Cilicien  erhielt.  All  das  geschah  sogleich  nach 
der  Thronbesteigung*);  später  wurde  es  anders:  die  Freigelassenen 
am  Hofe,  die  als  Minister  die  Geschäfte  führten,  lenkten  in  eine 
andere  Richtung  ein.  Als  im  J.  44  Agrippa  starb,  wurde  Judaa 
wieder  prokuratorisch,  und  der  Sohn  des  Verstorbenen  auf  ein 
kleineres  Gebiet  gesetzt,  im  J.  46  wurde  nach  dem  Tode  des 
thrakischen  Königs  dessen  Land  zur  Prokuratur  gemacht,  ob- 
gleich mit  Sicherheit  ein  Aufstand  dagegen  zu  erwarten  war, 
der  denn  auch  eintrat.^)     Und  wie  diesen  Fürstentümern,  so  war 


1)  Vgl.  über  Agrippa  die  ausführliche  Erzählung  bei  Joseph,  ani  Jod. 
18,  1—7.     19,  5. 

2)  Die  69,  8.     60,  8  (ont.  A.  4). 

3)  Mommsen,  eph,  epigr.  a.  a.  0. 

4)  Zasammenfassend  aufgezählt  Die  60,  8  mit  dem  Beisatz:  Tccrta 
filv  ovv  avtov  TB  xov  KlavdCov  ^gya  f/v  xal  v<p'  aiedvtmv  iwjjveitOf  worauf 
folgt,  was  die  Freigelassenen  weniger  löbliches  getban  hätten. 

ö)  Joseph,  ant.  19,  8  f.  (Jud.)  Mommsen,  eph.  ep.  Ä5>269  (Thrak.). 

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-     323    — 

schon  vorher  der  freien  Landschaft  Lykien  ihre  Sonderstellung 
genommen  und  sie  zur  prätorischen  Provinz  gemacht  worden.*) 
Unter  diesen  Verhältnissen  hatte  es  nur  die  Bedeutung  einer 
Titelverleihung,  wenn  im  J.  44  dem  Nachkommen  der  früheren 
„Konige"  der  cottischen  Alpen ,  der  sonst  als  romischer  Präfekt 
die  Verwaltung  geführt^  wieder  der  Titel  Konig  bewilligt  wurde,*) 
Die  Regierung  unter  Nero  fuhr  in  der  Verminderung  der  Fürsten- 
tümer fort:  die  eben  erwähnte  cottische  Königswürde  wurde 
nicht  nur  nach  dem  Tode  des  Inhabers  nicht  wieder  hergestellt, 
sondern  das  Land  unter  gewöhnliche  Prokuratoren  gestellt,  im 
J.  63  wurde  die  pontische  Herrschaft  des  Polemo  eingezogen 
und  zu  Galatien  geschlagen.^)  Am  entschiedensten  aber  ging 
schliefslich  Vespasian  vor:  Kommagene  wurde  jetzt  definitiv  ein- 
gezogen und  mit  Syrien  verbunden,  ebenso  das  bergige  Cilicien 
und  wohl  auch  Kleinarmenien;  ebenso  wurde  einer  Reihe  von 
freien  Städten  die  Freiheit  genommen.*)  Nicht  nur  wurde  durch 
jene  erstgenannten  Mafsregeln  die  Provinz  Syrien  einheitlicher 
hingestellt,  sondern  es  wurde  zugleich  in  Kappadokien,  mit  dem 
Galatien  wenigstens  bis  auf  Domitian  vereinigt  war^),  ein 
starkes  Provinzkommando  mit  zwei  Legionen  errichtet.  Indem 
nun  Syrien  vier,  Kappadokien  zwei,  Judäa  eine  Legion  mit  den 
entsprechenden  Nebentruppen  hatte,  war  eine  grofse  gegen  Osten 
und  Norden  gerichtete  Macht  als  stehende  Grenzwacht  vorhanden. 
Was  noch  innerhalb  Syriens  an  kleinen  Herrschaften  bestand, 
wie  die  des  jüngeren  Agrippa  im  nördlichen  Palästina,  war  so 
gut  wie  auf  den  Aussterbeetat  gesetzt;  nur  das  jenseits  der 
Grenze  gelegene  Arabien  blieb  als  selbständige  Dynastie  noch 
von  BedeutuDg.*) 

1)  Dio  60,  17  zum  J.  43.    Suet.  Claud.  26. 

2)  Dio  60,  24:  Maquco  'lovXi<p  Kotxlq)  ttiv  natQmav  aQxriv  —  nQog- 
sxfiv^Tlos  ßaailia  avxbv  xoxb  ngatov  ovoftMcag, 

3)  Sueton  Nero  18:  Ponti  regnum  concedente  Polemone  item  Alpium 
defundo  Cottio  in  provinciae  formatn  redegit.  Über  das  Jahr  63  and  die 
Zuteilung  von  Fontus  zn  Galatien  Marquardt,  Staatsverw.  4*,  360  A.  8.  9. 
Über  das  regnum  Cottii  und  die  daraus  entstandene  Provinz  c.  i.  1.  5, 
p.  808—810. 

4)  Suet.  Vesp.  8:  Ächaiam,  Lyciam,  Bhodum,  Byzantium,  Samum 
libertate  adempta,  item  tracheam  Ciliciam  {Thraciam,  öiliciam  d.  Handschr.) 
et  öommagenem  diciotUs  regiae  usque  ad  id  tempus  in  provinciarum  formatn 
redegü, 

5^  Die  Beweise  biefür  bei  Marquardt  4',  S.  361  f. 

6)   Über     die    arabische     Dynastie     des    Nabatäerreichs    up4    ihre, 

21  ♦  dby  Google 


—     324     - 

Senats-  und  6.  HinsicfatHch  der  Yerteilong  der  Provinzen  zwischen  Kaiser 

proTüuen.  und  Senat  verschob  sich  das  Verhältnis  schon  insofern^  als  der 
durch  Eroberung  x)der  Einziehung  bisher  nominell  selbständiger 
Gebiete  gewonnene  Zuwachs  vom  Kaiser  übernommen  wurde, 
dessen  Teil  also  betrachtlich  wuchs:  dafs  früher  freie  Städte  oder 
Inselgebiete,  wie  Rhodos,  der  Senatsprovinz  zugeschlagen  wurden, 
in  der  oder  der  sie  zunächst  lagen,  kommt  dagegen  nicht  in 
Betracht.  Direkt  verkürzt  wurde  der  Teil  des  Senats  einmal 
durch  die  schon  erwähnte  Ausscheidung  des  Militärbezirks  in 
Afrika,  sodann  durch  wenigstens  zeitweilige  Übernahme  von  Senats- 
provinzen, die  aus  vorübergehenden  Ursachen  militärischen 
Schutzes  oder  auch  infolge  von  senatorischer  Mifsregiemng  einer 
Erleichterung  bedurften.  Der  erste  Grund  war  es,  der  im  J.  15 
den  Tiberius  veranlasste ,  die  Provinzen  Makedonien  und  Achaja 
dem  Senat  abzunehmen  und  dem  Statthalter  von  Mösien  zu  übe^ 
geben,  und  in  dieser  Stellung  blieben  sie  dann,  bis  Claudius  im 
J.  44  wieder  zwei  Senatsprovinzen  daraus  machte.  *)  Dabei  wurde 
N  es  dann  belassen  mit  Ausnahme  einer  kurzen  Zeit;  Achaja  ward  näm- 

lich von  Nero  gelegentlich  seiner  griechischen  Kunstreise  im  J.  67 
für  frei  erklärt,  eine  Gunst,  die  Yespasian  dann  für  gat 
fand  sogleich  wieder  rückgängig  zu  machen.*)  Die  Notwendig- 
keit militärischer  Hilfe  hatte  noch  -  den  Augustus  veranlafst,  einen 
kaiserlichen  Prokurator  mit  Truppen  auf  die  Insel  Sardinien  zu 
schicken,  um  diese,  zu  der  Korsika  gehörte,  von  den  Bäubem  zu 


Beziehnngen    zu    den    Römern     Strabo    p.    779  f.     Mommsen,    r.  G.  5, 
576—679. 

1)  Tac.  ann.  1,  76:  Ächaiam  ac  Macedoniam  onera  deprecanUs  levm 
in  praesens  proconstdari  imperio  tradigue  Caesari  placuü,  c.  80:  Propa- 
gatur  Poppaeo  Sdbino  provincia  Moesia^  additis  Achaia  ac  Macedoma^ 
Da  gerade  die  mösische  Statihalterei  besonders  lange  in  denselben 
Händen  blieb  (Tac  c  80.  Marqoardt,  Staatsverw.  4«,  802  A.  7),  to 
kam  die  Stabilität  dieser  Verwaltung  auch  jenen  zugefügten  Provinzen 
zu  gute.  Durch  den  geringen  Betrag  des  stipendiären  Teils  von  Ghriechen- 
land  neben  den  freien  Städten  und  römischen  Eolonieen  erklärt  es  sich,  wie 
diese  Provinz  leicht  einen  Anhang  an  eine  andere  bilden  konnte.  Dio 
60,  24  (z.  J.  44):  rriv  'Axalav  %otl  t^v  Mansdoviav  atif^tots  a^iovöif  H 
ovntQ  6  Tipigiog  ^q^e  didopLSvag  ccnidoDTisv  6  KXavSiog  totB  t^  nXfiQO. 
Sueton  Claud.  26. 

2)  Sneton  Ner.  24:  Decedens  provinciam  univcrsam  libertaU  donavü 
simtUque  iudices  civitate  Bomana  et  peamia  grandi;  quae  hm^icia  <  medio 
studio  Isthmiorum  die  sua  ipse  voce  pronwntiavit  Pansan.  7,  17,  3.  s.  folg. 
Anmerkimg.  ^  j 

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-     325    — 

befreien.  Als  Ersatz  f&r  Achaja  gab  sie  Nero  dem  Senat  zurück, 
aber  wie  dann  dieser  von  Yespasian  Makedonien  und  Achaja 
zurückerhielt,  ging  Sardinien  wieder  in  kaiserliche  Verwaltung 
über.*) 

7.  In  der  grofsen  Masse,  welche  die  Provinzen  gegenüber  Kuuur- 
Ton  Italien  bilden,  bleibt  der  Unterschied  der  Eulturgebiete  verwaitang. 
natürlich  bestehen.  Der  hellenische  und  hellenistische  Osten,  der 
letztere  mit  den  zum  Teil,  wie  in  Syrien,  recht  beträchtlichen, 
in  den  unteren  Schichten  vorherrschenden  semitischen  oder 
sonstigen  vorgriechischen  Volksteilen^,  nimmt  zwar  in  Eolo- 
nieen,  Verkehrsmitteln,  Verwaltungsorganen  Bestandteile  des 
westlichen  und  allgemeinen  Staatswesens  auf,  behalt  aber  im 
übrigen  seine  Eigentümlichkeit,  es  besteht  kein  Bestreben,  die- 
selbe zu  störeu,  ja  sie  wird,  namentlich  in  Griechenland  selbst, 
sogar  gepflegt.  Ägypten  behält  ebenfalls  seinen  Sondercharakter, 
nur  dafs  unter  dem  Schutz  der  römischen  Verwaltung  der  helle- 
nistische Verkehr  das  noch  weiter  ausbreiten  kann,  was  unter 
den  Ptolemäern  an  neuen  Eulturelementen  eingeführt  worden 
war.*)  Dagegen  föllt  die  ganze  übrige  Ländermasse  den  Ein- 
wirkungen der  italischen  Eultur  anheim.  Durch  die  Art 
der  Truppenverteilung  und  Rekrutierung  wird  die  Trennung 
zwischen  den  beiden  Hälften  auch  auf  das  Militärwesen  ausge- 


1)  Dio  66,  28  z.  J.  6  n.  Chr.:  Xjjaral  avxvä  nccritQSxov,  äcts  xifv 
Za(fdm  ikTid'  &^%orta  ßovXsvrriv  hsai.  xQtal  üxei9  dXlcc  CTQatn6zai.g  ts  %al 
oxQattaQxaig  tnnevöip  imtQanrjvai,  Pausan.  a.  a.  0.  Sa^dm  tiiv  vrjoov 
ig  tä  fidXiata  sv9aC(iovcc  dvtl  ^EXXdSog  atplaiv  (den  Römern,  d.  h.  dem  Senat 
und  Volk)  dvTsSayKev  {NiQcnv),  —  ov  fi^v  "EXXricC  ys  iisyivsTo  ovaa^ai  tov 
daQW  Ovsanaaiccvov  yot^  —  aQ^avtos  ig  i(i(pvXiov  axdaiv  TCQOi/ixd'rjaav  nal 
atpdg  vnottXsTg  xb  av^ig  h  Ovsanacuxvog  ilvai  (poQfov  xal  d%ovsi>v  iniXBvcsv 
Tiyeiiovog  d7eonB(ia^ri%ivai  tpriaccg  xrjv  iXsvd'Bifiav  to  iXXrivmov,  Über  die 
Zeityerhältnisse  des  Umtauschs  von  Sardinien  und  Achaja  Mommsen, 
Hermes  2,  111.  8,  172.  Marqnardt,  Staatsverw.  4*,  249.  —  Unter  Vespasian 
ist  Sardinien  anfangs  noch  unter  Prokonsuln  (Mommsen,  Herrn.  2,  173), 
spater  wieder  unter  Prokuratoren.  Or.-Henz.  n.  6190  (74  n.  Chr.);  4031 
(anbest.  Jahr);  sp&tere  Inschriften  Wilmanns,  ex.  2.  ind.  p.  468. 

2)  Vgl.  Nöldeke  in  Zeitschr.  der  deutscjien  morgenl.  G^esellsch.  XXXIX 
(1886)  S.  1  ffl  (mit  Beziehung  auf  Mommsens  Darstellung  in  röm.  Gesch. 
Bd.  V.) 

8)  Der  Stand  der  römischen  Verwaltung  zu  Anfang  dieser  Periode  bei 
Strabo  p.  797;  Schilderung  der  zust&ndlichen  Verhältnisse  nach  neuen 
Quellen  bei  W.  v.  Hartel,  über  die  griech.  Papyri  Erzh.  Bainer,  Wien 
1886  S.  19  ff.  n  ] 

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-     326     - 

dehnt  ^);  und  in  der  Teilnahme  der  Bevölkerung  an  den  staatlichen 
Rechten  macht  sich  das  Verhältnis  zur  westlichen  Seite  auch  darin 
geltend,  dafs  ein  Aufsteigen  in  die  oberen  Reichsstände  der  Ritter- 
schaft und  des  Senats  den  westlichen  Provinzen  schon  ziemlicli 
freigebig  gewährt  ist,  als  aus  den  ostlichen  erst  vereinzelte  Beförde- 
rungen bemerklich  werden.*)  Durch  alle  Teile  dieses  Provinzial- 
gebiets  hindurch  aber  zeigt  sich  die  Macht  der  römischen  Ver- 
waltung. Sie  zieht  mit  einem  geringen  Apparate  in  jeder  Provinz 
auf  und  läfst  oft  die  bisherigen  Gemeinden  beinahe  unverändert 
fortbestehen,  und  doch  welche  Wirkungen  bringt  sie  im  ganzen 
wie  im  einzelnen  hervor!  Sie  trennt,  wo  sie  grofsen,  weit  ver- 
breiteten Nationalitäten  gegenübersteht,  zuerst  durch  die  Schöpfung 
der  provinziellen  Bezirke  die  bisherigen  nationalen  Zusammen- 
hänge und  richtet  die  Interessen  auf  neue  von  ihr  geschaffene 
Mittelpunkte  hin;  dabei  werden  je  nach  den  Verhältnissen  die 
Verbände  bald  gröfser  bald  kleiner  gestaltet:  die  einzelnen  Pro- 
vinzen müssen  ein  beschränktes  Gröfsenmafs  haben,  daneben 
aber  wird  in  Gallien  ein  gemeinsamer  Landtag  für  drei  Provinzen 
gewährt,  während  in  Spanien  jede  Provinz  einen  besonderen 
Landtag  erhält  Gerade  in  Gallien  zeigt  das  Jahr  69,  wie  selbst 
eine  grofse  Nationalität  nach  kurzer  Zeit  unter  dem  Einflufs  der 
romischen  Verwaltung  so  sehr  auf  die  neuen  Verhältnisse  zu- 
gerichtet worden  ist,  dafs  sie  die  nationale  Vereinigung  nicht 
mehr  finden  kann.  Daneben  aber  wahrt  diese  selbe  Verwaltung 
die  Reichseinheit,  indem  sie  alle  Besonderheiten  der  einzelnen 
Provinzen  in  denselben  Rahmen  der  gleichen  leicht  verständlichen 
allgemeinen  Einrichtungen  fafst,  mit  denen  jeder  überall  zu  thnn 
hat,  und  indem  sie  die  durch  das  ganze  Reich  gehenden  Ver- 
kehrswege schafft,  auf  denen  man,  nur  wenig  gehindert  durch  die 
Provinzgrenzen,  alle  Teile  durchziehen  kann.^) 


1)  Vgl.  Mommsen,  die  Konskriptionsordnung  der  röm.  Eaiserzeit  in 
Hermes  XIX,  1  flF. 

2)  Vgl.  die  Beispiele  bei  Friedl&nder,  Sittenschild.  1*,  219.  Das  Ein- 
treten von  Griechen  und  Orientalen  zuerst  in  den  Ritter-,  dann  auch  in  den 
Senatorenstand  wird  von  Domitian  an  bemerkbar;  dagegen  die  Opposition 
bei  Martial  10,  76;  Juv.  7,  14;  nur  für  die  Ägypter  blieb  der  von  Angastas 
angeordnete  Ansschluls  noch  bis  zum  Anfiang  des  dritten  Jahrb.  bestehen. 
Dio  61,  17.  76,  6. 

3)  Was  in  dieser  Beziehung  unter  den  einzelnen  Kaisern,  oder  ancb 
unter  einzelnen  Statthaltern  geschah,  zeigen  die  Inschiifben  der  Meilensteine, 

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-     327     — 

Die  gröfsten  Wirkungen  aber  brachte  sie  hervor  durch  die  städtowoscn  in 
Übertragung  der  italischen  Städteverfassung  in  die  Provinzen. 
So  weit  dies  in  den  ostlichen  durch  Anlage  von  römischen 
Bürgerkolonieen  oder  Erhebung  vorhandener  Orte  zum  Rang  von 
solchen  geschieht^  hat  es  neben  den  überkommenen  griechischen 
Städten  nur  den  Zweck,  die  Bevölkerung  zu  mehren,  neue  Stütz- 
punkte für  die  Verwaltung  zu  schaffen  und  die  Verkehrslinien 
zu  hüten;  die  Zahl  der  östlichen  Kolonieen  ist  darum  auch  gering 
und  in  der  Periode  von  Tiberius  bis  auf  Domitian  sind  es  nur 
die  Regierungen  des  Claudius  imd  Vespasian,  welche  sich  durch 
eine  bewufste  und  geplante  Vermehrung  dessen,  was  Augustus 
in  dieser  Richtung  gethan,  bemerklich  machen.^)  In  der  west- 
lichen Hälfte  des  Reichs  dagegen  war  auch  nach  Cäsar  und 
Augustus  noch  jungfräulicher  Boden,  für  neue  Saat  günstig,  im 
weitesten  Umfang  vorhanden,  und  wie  jene  zwei  Begründer  der 
Cäsarenherrschaft  auf  diesem  Gebiet  gegenüber  der  Republik 
neue  Wege  eingeschlagen  hatten,  so  fanden  sich  auch  Nachfolger, 
welche  diese  Wege  weiter  gingen,  während  andere  mit  Absicht 
oder  aus  Indifferenz  die  Romanisierung  der  natürlichen  Entwick- 
lang der  vorhandenen  Grundlagen  überliefsen.  Es  wurde  bereits 
bemerkt,  dalüs  schon  Augustus  in  dieser  Beziehung  vorsichtiger 
war  als  der  erste  Cäsar:  Tiberius  hielt  vollständig  zurück;  denn 
weder  monumentale  noch  inschriftliche  Zeugnisse  legen  ihm  irgend 
einen  Akt  dieser  Art  bei;  aber  er  hatte  gerade  in  dem  Lande, 
das   zunächst  in  Betracht   kam,    in  Gallien   noch   zu   kämpfen. 


die  jetzt  im  corp.  inscr.  lat.  durch  die  einzelnen  Provinzen  verfolgt  werden 
können.  Wie  in  wenig  bevölkerten  Provinzen  der  Strafsenzug  zugleich  die 
Anfänge  für  Ortschaften  giebt,  zeigt  die  Inschr.  aus  Mahalä  in  Bulgarien 
c.  i.  1.  III  n.  6123  v.  J.  61  n.  Chr.:  {Nero  Chaudius)  divi  Claudi  f{iUu8), 
Germ{anici)  Caesaris  n{epo8\  Ti.  Caesaris  Äug{u8ti)  pron{epo8),  divi  Äug(usti) 
abn{epo8),  Caesar  Äitg{u8tw)  Gemi(anicu8)  pontif{ex)  max{imiU8),  trib(unicia) 
pci{est€ite)  VIII.  cos.  IUI.  p{ater)  p{atriae)  tdbernas  et  praetoria  per  vias 
müitares  fieri  iussit  per  Ti,  Jülium  proc{wrator€m)  provinciae  Thrac{iae). 

1)  In  Galatien  finden  wir  Iconium  und  Claudiopolis,  (Marquardt  1', 
364),  in  Eappadokien  Archelais  (Plin.  n.  h.  6,  8),  in  Syrien  Ptolemais  (Plin. 
6}  75)  als  claudische  Kolonieen,  während  sonst  weder  in  diesen  noch  in  den 
andern  Provinzen  seit  Augustus  weitere  Städte  angelegt  waren.  Unter 
Yespasian  wird  Kolonie  Cäsarea  in  Palästina  (Plin.  5,  69  vgl.  auch  Emmaus- 
Nikopolis  ob.  8. 318  A.  2).  AufschluTs  hierüber  geben  auch  die  Beinamen  der 
Städte  auf  Inschriften  und  Münzen;  vgl.  die  Indices  in  corp.  inscr.  lat.  III. 
und  die  Btädtemünzen  bei  Cohen,  monnaies  frappdes  50M5  l'emp.  rom. 

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Caligulas  Herrschaft  war  zu  sehr  rein  personlich;  als  dafs  ein 
sachlicher  Gesichtspunkt,  wie  er  hier  erforderlich  war,  von  ihm 
in  Betracht  gezogen  worden  wäre.  Mit  Claudius  dagegen  beginnt 
ein  energischeres  Vorgehen,  Es  gab  drei  Wege,  die  man  ein- 
schlagen konnte,  die  Provinzen  Italien  näher  zu  fahren:  Erhebung 
der  besten  Elemente  zu  den  Ehrenstellungen  des  Reichs,  Gründung 
von  Eolonieen,  Erteilung  der  Latinität  oder  des  Bürgerrechts  an 
eine  gröfsere  Anzahl,  beziehungsweise  an  zusammenhängende 
Bevölkerungen.  Alle  diese  Mittel  hat  Claudius  angewandt:  er 
hat  die  höchste  Stufe  persönlicher  Rechte,  das  ius  honorum  im 
nördlichen  Gallien  freigebig  ausgeteilt  und  dieses  liberale  Ver- 
fahren dem  wenig  hiezu  geneigten  Senat  gegenüber  ausführlich 
begründet^);  nach  ihm  benennen  sich,  wie  im  Orient  (ob.  S.  327 
A.  1)  so  auch  im  Westen  neu  angelegte  oder  vermehrte  Eolonieen 
bürgerlichen  oder  latinischen  Charakters*)  und  vielleicht  war  er 
es,  der  einigen  zwischen  der  gallischen  Südprovinz  und  Italien 
gelegenen  Alpenstämmen  die  Latinität  gab.^    Von  seinem  Nach- 

1)  Tao.  ann.  11,  28  ff.  und  die  Lyoner  Rede  des  Clandius  vgl  oben 
S.  266  A.  4. 

2)  Z.  B.  in  den  zwei  mauretanischen  Provinzen,  die^Clandias  ein- 
richtete, vier:  Tingis  und  Lixos  (Plin.  n.  h.  5,  2)  in  Tingitana,  Cäsarea  nnd 
Oppidum  ncvnrn  in  Caesariensis  (Plin.  6,  20);  die  Hauptstadt  der  Narbo- 
nensis  nennt  sieb  col.  Julia  Patema  Claudia  (vgl.  meine  Gallia  Narb. 
p.  110);  in  Thrakien  ist  die  colonia  Claudia  Aprensis  (Apri  des  Plin.  4,  47) 
Orelli  612;  in  Pannonien  Plin.  3,  146:  oppida  {Noricorum)  Virunum,  Cdeia, 
Teumia^  Agtmium,  Juvavum,  omnia  Claudia,  Flavium  Solvense.  Norids 
iunguntur  locus  Peiso,  deserta  Boiorum:  iam  tarnen  colonia  divi  Glaudii 
Saharia  {colonia  Savaria  in  Pannonien)  et  oppido  Saräbantia  Julia  habt- 
tantur, 

3)  Plin.  n.  h.  3,  135:  Sunt  praeterea  Latio  donati  incolae,  ut  Oetod^ 
renses  et  finitimi  Ceutrones,  CoUianae  civitates,  Esturi  Ligurihua  orti,  Vagienni 
Ligures  et  qui  Mofitani  vocantur  Capiüatorumque  plura  genera  ad  confinium 
Ligustici  maris.  Mommsen,  c.  i.  1.  V.  810  schreibt  diese  Verleihung  dem 
Augustus  zu,  weil  die  Beschreibung  der  Provinzen  bei  Plinius  auf  diesen 
zurückgehe,  und  0.  Hirschfeld,  zur  Gesch.  des  latin.  Rechte  S.  9  stimmt 
ihm  bei.  Ich  habe  in  meiner  Gall.  Narb.  p.  96  n.  68  vermutet,  dafs  die 
Ceutronen,  in  deren  Gebiet  ein  forum  Claudii  liegt,  von  Claudius  die  La- 
tinität erhalten  hätten,  und  p.  110  n.  18,  dafs  die  cottischen  Alpen,  wie  die 
Seealpen  (s.  folg.  Anm.)  sie  dem  Nero  dankten.  Das  erstere  halte  ich 
auch  jetzt  noch  für  das  nächstliegende;  das  andere  ist  allerdings  zweifel- 
haft, weil  in  dem  Zeugnis  über  Nero  die  cottischen  Alpen  nicht  mit  er- 
wähnt werden.  Was  aber  das  Zeugnis  des  Plinius  betrifft ,  so  erscheint  er 
gerade  in  dem  betreffenden  Abschnitt  von  seiner  sonstigen  Hauptqnelle 
unabhängig.  —  Wenn  es  femer  bei  Plin.  6,  20  heifst:  oppidum  (in  Maure- 

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-     329    — 

folger  Nero  wird  berichtet,  dalisi  ihm  der  südlichste  Teil  der 
Westalpen,  die  Seealpenprovinz,  diese  Vergünstigung  verdankte^), 
sonst  aber  ist  seine  Regierung  den  Grundsätzen  des  Claudius 
nicht  gefolgt.  Mit  Hohn  spricht  sein  Minister  Seneca  von  den 
Bürgerrechtsverteilungen  des  Vorgangers*),  wohl  nicht  blofs, 
weil  eben  dieser  nach  allen  Seiten  hin  verunglimpft  werden  sollte, 
sondern  auch  hier  in  Einklang  mit  der  Stimmung  in  Senats- 
kreisen, die  einer  rascheren  Ausbreitung  der  Civitat  abhold  war. 
In  den  auf  Nero  folgenden  Kämpfen  war  die  Verleihung  höherer 
Rechtsstufen  ein  Mittel  um  Anhänger  zu  gewinnen  oder  zu  be- 
lohnen, wobei  mit  dem  Untergang  des  Verleihers  öfter  auch  das 
Verliehene  wieder  entzogen  wurde. '^  Dagegen  trat  mit  Vespasian 
auch  hier  wieder  ein  überlegtes  Verfahren  ein:  in  Kolonisationen, 
Verleihung  von  Bürgerrecht  und  Latinität,  in  Verbindung  damit 
Vergebung  von  Stadtrechten  an  bisherige  Unterthanenorte,  wo- 
durch dieselben  Municipien  wurden.  Das  hervorragendste  Bei- 
spiel hievon  ist  die  Verleihung  der  Latinität  an  die  bisher  in 
gemeinem  Unterthanenverhältnis  stehenden  Gemeinden  Spaniens, 
eine  Mafsregel,  die  von  der  Censur  des  Vespasian  und  Titus  aus- 
gehend (ob.  S.  295.  296)  mit  ihren  Konsequenzen  begreiflicherweise 
erst  unter  der  Regierung  Domitians  völlig  durchgeführt  werden 


tanien)  cekberrimum  Caesarea^  (mtea  vocitatum  Joly  Jubae  regia  a  divo 
Claudio  eoUmiae  iure  donata,  eiusdem  iußsu  deductis  veUranis  Oppidum 
Novum,  et  Lotio  dato  Tipasa^  itemque  a  Vespasiano  imperatore  eodem  mutiere 
donatum  Icosiutn,  so  erscheint  auch  hier  Claudias  als  Verbreiter  der  Latini- 
tät; B.  überdies  unten  S.  880  A  2. 

1)  Tac.  ann.  15,  82:  Eodem  anno  (im  J.  68)  Caesar  nationes  Älpium 
maritimarum  in  tu«  Latii  transtülit. 

2)  Lud.  de  morte  Ol.  8:  Clotho:  ego  mehercuka,  inquit,  pusiUum  tcm- 
poris  adicere  Uli  voJebam^  dum  hos  paucvHos,  gui  super  sunt,  civitate  donaret; 
constituerat  enim  omnes  Graecos,  Gallos,  Hispanos,  Britannos  togatos  videre. 
8)  Plinins  n.  h.  8,  80:  iactatum  procellis  reip.  Latium  (ob.  S.  296  A.  8); 
dieser  Ausdruck  für  das  zu  Parteizwecken  in  den  Prätendentenkämpfen  des 
J.  69  vergebene  latinische  Recht  wird  verstandlich  durch  Tac.  bist.  1,  8: 
Gälliae  super  memoriam  Vindicis  obligatae  (dem  Galba)  recenti  dono  Bomanae 
civitatis  et  in  posterum  tributi  levamento;  proximae  tarnen  Germanicis  exer- 
citibus  Galliarum  civitates  non  eodem  honore  habitae;  1,  78:  Eadem  Jargitione 
(Otho)  civitatium  quoque  ac  provinciarum  animos  adgressus  —  Lingonibiis 
universis  civitatem  Bomanam  —  dono  dedit;  nova  iura  Cappadociae^  nova 
Äfricae,  ostentata  magis  quam  mansura.  8,  55:  (Vitellins)  foedera  sociis, 
Latium  externis  düargiri;  his  tributa  dimittere^  alios  immunitatibus  iuvare. 
Vgl.  0.  flirschfeld  a.  a.  0.  r^  ] 

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-     330     — 

konnte.^)  Durch  direkte  und  indirekte  Zeugnisse  ergiebt  sich 
aber;  dafs  Vespasian  auch  sonst  die  Latinität  in  bedeutsamer 
Weise  verwendet,  z.  B.  sie  den  Helvetiem  gegeben  hat.*)  Ins- 
besondere war  er  es,  der  wie  im  Orient  so  auch  in  den  sonst  der 
Bomanisierung  noch  weniger  zugänglichen  Donaugegenden  einige 
beträchtliche  weitere  Mittelpunkte  derselben  schuf)  —  Ali 
dieses  ging  in  den  kaiserlichen  Provinzen  wie  in  denen  des  Senats 
vor  sich.  Von  den  letzteren  war  in  Sicilien,  Hispania  Baetica, 
dem  narbonensischen  Gallien ,  Afrika  durch  Augustus  schon  so 
viel  geschehen,  dafs  die  bereits  Italien  näher  gebrachte  Gestaltung 
mit  ein  Motiv  für  die  Überlassung  an  den  Senat  war.  Was 
aber  in  dieser  Richtung  weiter  gethan  werden  sollte^),   konnte 


1)  Infolge  der  Verleihung  wurden  den  jetzt  zn  mimicipia  civium  Laii- 
norum  gewordenen  Städten  Stadtrechte  gegeben;  die  zwei  davon  auf  uns 
gekommeDen  Exemplare  der  Städte  Salpensa  und  Malaca  in  Bätica  (c.  L 

1.  II  n.  1963.  1964.  BruDS,  fontes^  p.  180—141)  sind  zwischen  82  und  84 
gegeben  (Mommsen,  Stadtr.  von  Salp.  und  Mal.  in  Abh.  der  sächs.  GeseUscL 

2,  389  f.  399  f.).  Verzeichnisse  von  Bpanischen  Latinerstädten ,  die  nun  als 
municipia  Flavia  bezeugt  sind,  bei  Monunsen  a.  a.  0.  S.  400  A.  24.  Inl 
zu  corp.  i.  1.  n  p.  747 f.;  vgl  überdies  das  in  diesem  Bande  von  Hfibner 
zn  den  einzelnen  Städten  bemerkte. 

2)  Hinsichtlich  Helvetiens  vgl.  Mommsen,  Schweizer  Nachstudien  in 
Hermes  16,  467—474.  Mommsen  sucht  a.  a.  0.  nachzuweisen,  dals  die  von 
Hadrian  eingeführte  kaiserliche  Leibwache  der  equitea  singülares  aus  Völker- 
schaften und  Gemeinden  von  latinischem  Recht  genommen  worden  sei,  und 
bestimmt  dann  nach  diesem  Gesichtspunkt  das  Rechtsverhältnis  der  Heimate- 
gemeinden, die  auf  den  Inschriften  der  egwites  sing,  angegeben  sind.  Es  ergiebt 
sich  daraus,  dafs  eine  Reihe  von  Städten,  welche  bei  Plinius  und  auf  Inschriften 
coloniae  genannt  werden  (aufgezählt  S.  472),  darunter  eben  solche,  die  ihr 
Eolonierecht  von  Claudius  und  Vespasian  herleiten,  nicht  Bürger-,  sondern 
Latinerkolonieen  waren.  Damach  ist  also  nun  von  Claudius  und  Vespasian 
das  von  Julius  Cäsar  angewandte  Princip  der  Verbreitung  der  Latinität  als 
Vorstufe  des  Bürgerrechts  im  Grofsen  aufs  neue  wieder  angewandt  worden. 

3)  Vgl.  die  col  Flaviae  Sirmium  und  Sciscia,  vielleicht  auch  das 
tnunidpium  Vindobona,  Von  Bedeutung  für  diese  Gebiete  war  auch  Flwno- 
polis  in  Thrakien,  das  Plin.  4,  47  nennt,  wozu  nach  Zumpt  1,  396  and 
Marquardt,  Verw.  1,  315  auch  noch  Develtus  und  Oleiticos  {Avlalov  rcixo;) 
zu  fügen  wären.  —  Mösien  dagegen  blieb  hiervon  noch  unberührt. 

4)  Über  Sicilien  vgl.  Marquardt,  Verw.  1,  246;  über  Bätica  sagt  schon 
Strabo  p.  161:  ot  nsgi  zhv  Baitiv  rsXims  slg  tov  ^Pmnaüov  futaßißXrjrtai 
ZQonov  ovdh  trjg  diaXinrov  rrjg  atpsti^ag  ixv  (iBiivrifiivoi,  ÄazivoC  ts  oT 
TtXBioxoi  ysyovaai  xod  inoinovg  slXi^fpaci  *P(0(iMÜivg  Süts  iutlqov  dxi%ov9i 
tov  ndvtsg  thai  ^PatfiaCoi;  genauer  Plinius  3,  7  nach  der  augustischen 
Quelle:   col  Villi,   municipia  c.  Ä.  X,  Latio  antiquiius  donata  XXVII, 

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-     331     — 

^rohl  durch  Statthalter  oder  durch  Initiative  von  Senatoren  beim 
Senate  angeregt  werden;  aber  die  Erteilung  von  Rechten  war 
Sache  des  Kaisers.  Es  ist  jedoch  allem  nach  der  kaiserlichen 
Regierung  überall  auch  die  Initiative  zuzuschreiben;  nur  werden 
die  Kaiser  Mafsregeln  von  mehr  als  personlicher  Bedeutung  mit 
dem  Senat  vereinbart  haben.  Ob  man  in  diesen  friedlichen  Pro- 
vinzen schon  in  dieser  Periode  über  die  Latinität  hinaus  ging 
und  latinischen  Gemeinden  das  Bürgerrecht  erteilte,  dafür  fehlen 
sichere  Daten.*) 

Die  auf  diese  Weise  durch  das  Reich  in  die  Provinzen  ge- 
tragene Kultur  hat  natürlich  je  nach  den  Formen  des  Ein- 
heimischen, das  sie  dort  traf,  verschiedene  Gestalt  gehabt,  und 
ein  Gang  durch  die  römischen  Provinzen  bietet  darnach  sehr 
mannichfaltige  Bilder,  aber  diesen  nachzugehen  ist  nicht  die  Auf- 
gabe dieser  Darstellung*);  dieselbe  hat  vielmehr  gerade  die  einheit- 
liche Kraft  hervorzuheben,  der  diese  Wirkungen  entspringen. 
Dafs  es  das  Verdienst  des  Kaisertums  war,  diese  Kraft  geübt  zu 
haben,  ist  allgemein  anerkannt;  der  Anteil,  der  den  einzelnen 
Regierungen  an  diesem  Werke  zukommt,  tritt  für  die  heutige 
Forschung  immer  deutlicher  zu  Tage^)  und  dient  wesentlich  mit  - 
dazu,  das  Urteil  über  dieselben  festzustellen. 


libertcUe  VI  foedere  III,  sHpendiaria  XX;  über  das  südl.  Gallien  meine 
Gall.  Narb.  p.  97  ff.  und  Hirscbfeld  a.  a.  0.;  über  Afrika  der  bei  Plinios 
6,  29  f.  beschriebene  Zustand  mit  Vergleichung  des  in  c.  i.  lat.  VIII  ge- 
gebenen und  verarbeiteten  Materials. 

1)  Wenn  in  Bätica  die  von  Plinius  erwähnten  120  St&dte  erst  unter 
den  Flaviem  die  Latinität  erhielten,  sind  sie  in  dieser  Periode  jedenfalls  la- 
tinisch geblieben.  Hinsichtlich  des  narbonensischen  Galliens  giebt  Plinius 
in  seiner  Beschreibung  8,  31 — 37  den  durch  Augustus  erreichten  Zustand 
wieder,  ohne  wie  in  Spanien  eine  seitdem  eingetretene  Neuerung  anzufügen. 
Mommsen  schliefst  Hermes  16,  471  aus  dem  Nichtvorkommen  von  equites 
singulares  dieser  Provinz,  dafs  dieselbe  vor  Hadrian  das  römische  Bürger- 
recht hatte.  In  Afrika  können  wir  nur  sagen,  dafs  die  Einrichtung  italischer 
Städte  in  dieser  Periode  nicht  tiefer  in  das  Binnenland  hinein  getragen 
wurde.  —  Übrigens  sind  beim  römischen  Bürgerrecht  selbst  wieder  mehrere 
Stufen  zu  unterscheiden,  worüber  jedoch  erst  im  System  zu  reden  ist. 

2)  Vgl.  für  diesen  Zweck  J.  Jung,  die  romanischen  Landschaften  des 
röm.  Reichs.    Innsbruck  1881,  vor  allem  aber  Mommsen,  röm.  G^sch.  Bd.  V. 

3)  Die  Zusammenstellung,  welche  Zumpt  commentat,  epigraph.  (1860) 
1,  381— -438  für  die  einzelnen  Regierungen  giebt,  für  ihre  Zeit  verdienstlich, 
bedürfte  einer  Erneuerung  nach  dem  seither  so  ungemein  vermehrten  In- 
schriftenmaterial; doch  ist  bei  Marquardt,  Verw.  Bd.  1  in  die  Statistik  der 
einzelnen  Provinzen  dieses  Material  zu  einem  guten  Teil  eingearbeitete  j 

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—    332     - 

Dritter  Abschnitt. 
Die  verfassnngsmäMge  Eaiserfolge  von  Nerva  bis  Commodus. 

Allgemeino  

charakteriBtik.  Wclchei  Initiative  auch  der  neue  Kaiser  die  Nennung  seines 
Namens  für  das  Principat  zu  danken  hatte  ^)y  nachdem  er  genannt 
war,  wurde  er  vom  Senat  formell  anerkannt  und  war  damit  ein 
verfassungsmäfsiger  Princeps.  Von  ihm  aus  sind  die  nächst- 
folgenden Principes  in  geordneter  Weise  zu  ihrer  Stellung  ge- 
kommen mit  einem  als  korrekt  anzusehenden  Verfahren  und 
diese  konstitutionelle  Regierungsfolge  ist  es,  welche  die  ganze 
Reihe  einschliefslich  des  Commodus  zu  einem  Ganzen  vereinigt 
Hinsichtlich  des  letzteren  macht  sich  eben  noch  in  seinem 
Regierungsantritt  der  Einflufs  der  vorhergehenden  Zeit  geltend; 
denn  er  ist  zwar  als  leiblicher  Sohn  eines  Herrschers  auf  den 
Thron  gekommen,  während  seine  Vorgänger  durch  Adoption  dazu 
gelangt  waren,  aber  formell  wurde  bei  seiner  Erhebung  dasselbe 
Verfahren  wie  vorher  eingeschlagen  und  damit  anerkannt,  daCs 
nicht  die  Geburt,  sondern  die  mit  dem  Senat  vorgenommenen 
politischen  Akte  die  rechtliche  Grundlage  der  Gewalt  seien.  In 
dieser  Regelmäfsigkeit  der  Übertragungsform  spiegelt  sich  der 
verfassungsmäfsige  materielle  Charakter  dieser  Regierungen  wieder; 
er  reicht  so  weit  als  die  Initi'ative  der  Übertragung  geht,  bis  auf 
Marcus  Aurelius,  während  der  letzte  der  Reihe  tyrannisch  auf- 
tritt, aber  auch  dem  entsprechend  endigt.  Das  Programm  dieser 
Periode  wird  von  senatorischer  Seite  gleich  zu  Anfang  ver- 
kündigt.^)    Was  sonst  unversöhnlicher  Gegensatz  war,  Principat 


1)  Der  Hergang  der  Erhebnng  des  Nerva  wird  nicht  näher  berichtet, 
aber  da  er  nicht  von  den  Soldaten  erhoben  war,  so  kann  es  nicht  anders 
zugegangen  sein,  als  dafs  die  Anhänger  der  Verschworenen  im  Senat  ihn 
in  dieser  Behörde  vorschlagen  nnd  der  Senat  für  ihn  cuncta  princ^pilm 
soUta  beschlofs. 

2)  Tac.  Agric.  3:  quamquam  primo  statim  heatissimi  saecuU  ortu  N&w 
Caesar  res  olim  disaocidbihs  tnisctierit^  principatum  ac  libertatem,  augeatque 
guotidie  felicitatem  temporum  Nerva  Traianus,  nee  spem  modo  ac  ro<«» 
secwrüas  publica  sed  ipsius  voti  fiduciam  ac  robur  adsumserü.  —  Hist.  1, 16 
(dem  Ghilba  in  den  Mund  gelegt,  aber  auf  die  eigene  Zeit  des  Tacitos 
gehend):  si  inmensum  imperii  corpus  stare  ac  librari  sine  rectore posset,  digrm 
eram  a  quo  respublica  inciperet :  nunc  eo  necessitatis  iam  pridem  ventum  estj 
ut  nee  mea  senectus  conferre  plus  poptHo  Bomano  possit  quam  bonum  suc- 

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-     333     - 

und  Freiheit,  wird  jetzt  vereinigt.  Die  Republik,  die  volle  Form 
der  Freiheit,  ist  allerdings  nicht  mehr  möglich;  aber  man  kann 
ihr  mit  dem  Principat  wenigstens  nahe  kommen.  Die  Grundlage 
daför  ist  eben,  dals  man  den  Princeps  wählt,  daTs  die  Adoption 
es  ist,  welche  den  för  die  Wahl  empfehlenswertesten  findet  und 
vorschlägt.  Was  man  unter  Freiheit  in  materiellem  Sinn  ver- 
steht, wird  nicht  ausgef&hrt;  sie  hätte  genau  genommen  nicht 
anders  als  dahin  definiert  werden  können,  dafs  die  eigentliche 
Regierung  wieder  der  Magistratur  und  dem  Senat  zustehe  und 
das  Principat  zur  bloISsen  Hilfsgewalt  zurückgebracht  werde;  allein 
dies  wagt  man  denn  doch  nicht  auszusprechen,  vielleicht  kaum 
ernstlich  zu  wünschen,  und  so  begnügt  man  sich,  die  Wirkung 
zu  bezeichnen,  welche  man  sich  von  dem  neu  angebrochenen  glück- 
lichen Zeitalter  verspricht,  die  Wiederkehr  der  öffentlichen  Sicher- 
heit, gewils  nach  der  eben  durchlebten  Zeit  Domitians  der  natür- 
lichste und  in  jeder  Hinsicht  berechtigtste  Wunsch.  Die  Darstellung 
der  nun  folgenden  Regierungen  wird  zeigen,  in  welcher  Weise 
die  Hoffnungen,  die  an  den  Aufgang  der  neuen  Zeit  geknüpft 
waren,  sich  erfüllten,  dafs  nicht  blofs  die  persönliche  Rechts- 
sicherheit erzielt  wurde,  sondern  auch  ein  Zustand  vorher  nie 
gesehener  positiver  Wohlfahrt,  aber  freilich  nicht  durch  Ge- 
währenlassen, sondern  dadurch,  dafs  das  Principat  sich  als  die 
lebendigste,  handlungsfähigste  und  handlungskräftigste  Magistratur 
bewährte,  die  von  ihren  herkömmlichen  Befugnissen  nicht  nur 
nichts  abgiebt,  sondern  sie  so  sehr  wie  möglich  verwertet  und 
die  republikanischen  Faktoren  in  bestimmten  Grenzen  der  Mit- 
wirkung erhält.  Die  Regierung  des  Commodus  aber  bildet  zu  den 
vorhergehenden  Principaten  nicht  nur  den  Kontrast,  sondern  auch 
gewissermafsen  die  Kritik:  sie  zeigt  aufs  neue,  dals  ein  Verhält- 
nis öffentlicher  Gewalten,  bei  dem  die  Mäfsigimg  des  mächtigeren 
Teils  in  der  Hauptsache  auf  dem  guten  Willen  beruht,  nicht 
genügt,  wie  denn  auch  der  Widerspruch  zwischen  Wahl  und 
Erbrecht   nur   durch    die   Thatsachen   eine    Zeit    lang   auf  dem 


cesforem,  nee  tua  plus  inventa  quam  honum  principem,  Suh  Tjberio  et  Gaio 
et  Claudio  unius  familiae  quasi  hereditas  fuimus:  hco  libertatis  erit  guod 
^igi  eoepitnus,  et  finita  Juliorum  Claudiorumque  domo  Optimum  quemque 
adoptio  iw>eniet;  nam  generari  et  nasci  a  principibus  fortuitum  nee  uitra 
aestimatur:  adoptandi  iudieium  integrum  et,  si  velis  eligere,  consensu  mon- 
stratur.  —  Imperaturus  es  hominihus  qui  nee  totam  servitutem  pati  possunt 
nee  totam  libertatem.  ^  I 

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-     334     - 

Weg  der  Adoption  gelöst  wurde^  nicht  wie  Tacitus  es  meinte, 
durch  prinzipielle  Festsetzung. 

Aber  die  Generationen ,  die  unter  den  guten  Regierungen 
des  zweiten  Jahrhunderts  lebten^  hatten  Ursache,  diesem  tbat- 
sächlichen  Verhältnis  dankbar  zu  sein  und  sorgten  unter  der 
Gunst  der  Gegenwart  nicht  um  die  Zukunft. 

§  80.   Nerva  tuid  Trajan.^) 

Ncrva.»)  1.    In    den    ersten    Monaten    von    Nervas    Regierung   war 

neben  der  Restitution  der  Verbannten  die  allgemeine  Losung  die 
Rache  an  den  Angebern,  überhaupt  an  den  Feinden,  die  man 
unter  dem  vorigen  Regiment  gehabt  und  als  dessen  Anhänger 
verfolgen  konnte.*)  Nerva,  zunächst  nicht  kräftig  genug,  nm 
die  Bewegung  in  Schranken  zu  halten,  fand  endlich  auf  ein 
mahnendes  Woii  des  ^inen  der  damals  fungierenden  Konsuln 
den  Mut  Einhalt  zu  thun,  so  dafs  sogar  mehrere  der  verhafstesten 
Ankläger  später  in  allen  Ehren  weiter  lebten.*)  Überhaupt  aber 
hatten  weite  Kreise  zu  erfahren,  dafs  die  Zeit  der  Verfolgungen 
vorüber  sei.^)  Eine  andre  Art  von  Reparatur  war  es,  dafs  Nerva 
Männer   von  Auktorität   wie  Verginius  Rufus,   der  freilich  nur 


1)  Für  Nerva  und  Trajan  ist  von  erzählenden  Qaellen  die  Auwiigs- 
litteratur  vorhanden,  Xiphilinns  und  Zonaraa  aus  Dio,  Aurelius  Victor  in 
den  Caesares  und  der  Epitome,  wobei  för  Nerva  die  letztere  ergiebiger  itt, 
endlich  Eutrop  und  Orosins.  Philostratus  giebt  in  dem  romanhaften  Lebeo 
des  Apollonins  von  Tyana  seinem  Helden  nahe  Beziehungen  zn  Nerva;  was 
daran  wahr  ist,  läfst  sich  nicht  sagen. 

2)  Namen  und  Titel  auf  Inschriften  und  Münzen:  Imperator  Neroa 
Caesar  Augustus  Germanicus  pont,  max.  trib.  pot.  ,  ,  cos  .  ,  pat.  patf' 
Zum  dies  imperii  (18  Sept.  96)  corp.  i.  1.  VI.  472  =  Henzen  6486.  Wil- 
manns  n.  64:  Libertati  ah  imp.  Nerva  Ca[e8]are  Aug.  anno  ab  urbe  conääa 
DCCCXXXXIIX  XIIIL  [k.]  Oc[tl  restitultae']  s,  p.  q.  r. 

3)  Dio  68,  1.  Plin.  ep.  9,  13:  occiso  Domitiano  Statut  mecum  ae  deU- 
beravi  esse  magnam  pülchramque  materiam  insectandi  nocentes^  miseros  vindir 
candif  se  proferendi.  —  ac  primis  quidem  diebus  redditae  Itbertatis  pro  se 
quisque  initnicos  suos,  dumtaxcU  minores,  incondito  turbidoque  damore  postur 
laverat  simul  et  oppresserat 

4)  Dio  a.  a.  0.  Plin.  1,  6.  4,  22;  auch  die  von  Domitian  verliehenen 
Beneficien  wurden  anerkannt,  und  wir  haben  in  Plinius'  Briefen  an  Tnyan 
(ep.  68  Keil)  noch  den  Wortlaut  des  betr.  Edikts. 

6)  So  wurden  die  Verfolgungen  wegen  der  Judensteuer  eingestellt; 
Dio  a.  a.  0.,  bestätigt  durch  die  Münzen  mit  fisci  Judaici  calumnia  suhhia 
Cohen  2*,  p.  6. 

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-     335     - 

kurz  mehr  lebte*),  und  Frontin  für  97  und  98  neben  sich  zu 
Konsuln  machte;  unter  solcher  Leitung  konnte  der  Senat  sich 
allmählich  der  neuen  Lage  entsprechend  einrichten,  mit  jenen 
Männern  konnte  der  Kaiser  sich  unter  den  Kräften,  die  der 
Senat  bot,  umsehen  und  die  Auswahl  derer  trefiFen,  die  seine  In- 
tentionen unterstützen  sollten.  Die  laufenden  Greschäfte  wurden 
in  durchaus  konstitutionellem  Sinn  mit  dem  Senat  oder  den 
Spitzen  desselben  beraten,  den  Senatoren  wurde  die  feste  Zu- 
sicherung gegeben,  es  solle  unter  dem  neuen  Kaiser  kein 
Todesurteil  über  einen  Senator  gefallt  werden,  und  man  glaubte 
in  der  Kurie  wieder  an  die  Freiheit  der  Rede.*)  Der  geschäfts- 
erfahrene Kaiser  war  aber  nicht  blofs  Organ  des  Senats,  sondern 
hatte  auch  seine  eigenen  Ideen,  die  er  unverzüglich  zur  Aus- 
führung brachte.  Seine  Erfahrung  bezog  sich  allerdings  nach 
einem  mehr  der  Thätigkeit  des  Beamten  und  Senators  in  Rom 
als  der  Proyinzialyerwaltung  gewidmeten  Leben  vorzugsweise  auf 
die  Centralregierung  und  Italien,  aber  was  er  hier  that,  zeigt, 
dafs  er  über  die  Schäden  des  Reichs  und  die  Zustände  des 
Mutterlandes  vielfach  nachgedacht  hatte,  so  dafs  er  nun  in  der 
kurzen  ihm  zugemessenen  Zeit  schwieriger  Verhältnisse  Herr 
wurde  und  eingreifende  Reformen  schuf.  Erstaunlich  rasch  wurden 
unter  Mitwirkung  einer  Senatskommission  die  schwer  zerrütteten 
Finanzen  geordnet  und  durch  Sparsamkeit  in  Largitionen  wie  in 
regelmäfisigen  Ausgaben  sogar  noch  Mittel  gewonnen,  um  sogar 
—  in  Italien  wenigstens  —  Erleichterung  der  Lasten  bewilligen  zu 
können.')     Auf  dieser  Grundlage  wurde  sodann  der  wirtschaft- 


1)  Plin.  ep.  2,  1;  über  die  genaue  Zeit  seines  Todes  im  J.  98  und 
damit  auch  des  Konsulats  von  Tacitns,  der  als  Eonsnl  dem  Verginins  die 
Leichenrede  hielt,  vgl.  Asbach,  anal,  histor.  et  epigr.  p.  16  f.,  dem  Urlichs, 
de  viU  et  hon.  Tac.  f.  18  beistimmt. 

8)  Die  68,  2:  mfiooe  xal  iv  xA  cwid^Cm  (itiSiva  tmv  ßovlBvtmv  (poP€v- 
9H9y  ißeßcUmai  ts  tor  Zq%ov  %aCnBQ  inißovlev^iig'  inQcctts  dl  ovdlp  Ott 
f^4  fiera  tov  ngoitap  dvögAv.  Jener  Eid  band  aber  nur  ihn  und  schuf 
keine  bleibende  Befireiong  von  dem  Eapitalgericht  des  Kaisers.  So  war  man 
freilich  noch  weit  genog  entfernt  von  den  Errangenschaften  des  römischen 
Bürgers  unter  der  Bepublik,  fühlte  sich  aber  doch  in  rara  temporum  fdi- 
^^kAe,  vkbi  sentke  quae  vdis  et  quae  sentias  dicere  licet.    Tac.  bist.  1,  1. 

8)  Dio  a.  a.  0.  Plin.  2,  1,  9:  (Der  kranke  Verginius  besorgte)  ne  inter 
gy^nqueviros  crearetur,  qui  minuendis  püblieis  sumptibus  iudicio  senatus 
conktäuebantur.  Die  Angabe  der  Münze  bei  Cohen  2,  Nerva  n.  127  (plebei 
fomanae  frumento  constituto)  deutet  Mommsen,  röm.  Trib.  S.  198  dpauf,      t 

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liehen  Lage  Italiens  wieder  aufgeholfen  einmal  durch  neue  Ver- 
teilung von  Land;  das  zu  diesem  Zwecke  aufgekauft  wurde, 
sodann  durch  Erleichterung  der  Eindererziehung,  um  in  unmittel- 
bar fruchtbarerer  Weise  als  es  von  August  durch  die  Gesetz- 
gebung über  Ehelosigkeit  und  die  Privilegien  für  die  Au&iehimg 
mehrerer  Kinder  geschehen  war,  für  die  Vermehrung  der  Be- 
völkerung zu  sorgen.  Für  den  ersteren  Zweck  wurde  zugleich 
die  alte  Form  eines  komitialen  Ackergesetzes  ins  Leben  gerufen^) 
und  damit  wieder  ein  Versuch  gemacht,  die  Volksrechte  in  Übung 
zu  bringen,  ein  Versuch,  der  bei  dem  Charakter  der  Bürgerschaft 
und  in  dem  Ganzen  der  Institute  der  Kaiserherrschaft  natürlich 
keine  weiteren  Folgen  und  bei  diesem  einmaligen  Vorkommen 
einen  sachlichen  Zweck  nur  etwa  darin  haben  konnte,  dafs  darch 
die  Empfehlung  des  Plans  vor  allem  Volk  diejenigen  selbst,  za 
deren  Gunsten  das  Gesetz  gegeben  wurde,  für  die  grofsen  hier 
vorliegenden  Literessen  gewonnen  würden.  Über  die  Art  und 
Weise  der  Ausführung  ist  bezeugt,  dafs  sie  durch  eine  Kommisaion 
geschah^  und  dafs  diese  ihr  Werk  zu  Ende  brachte,  liegt  indirekt 
in  dem  Bericht  darüber  ausgesprochen.  Daneben  verstärkte  er 
einige  alte  Kolonieen  und  zwar  nicht  blofs  in  Italien.^  Dafs 
Nerva  daran  dachte,  die  Assignationen  zu  einer  von  Zeit  zu  Zeit 
sich  wiederholenden  Einrichtung  zu  machen,  wird  nicht  berichtet: 
dazu  hätte  die  Bildung  eines  Fonds  gehört,  zu  dem  er  die  Mittel 
nicht  bereit  hatte;  doch  konnte,  was  freilich  in  Wirklichkeit 
nicht  geschah,  das  einmalige  Beispiel  wirken,  wenn  gleichgesinnte 


dafs  eine  Zeit  lang  Nerva  die  Eorngaben  sistiert  und  dann  wieder  gegeben 
hätte.  Besonders  hervorgehoben  wird  femer  anf  Münzen,  dafs  ItalieO)  d.  h. 
den  italischen  Gemeinden  die  Last  der  Unterhaltung  der  Reichspost  abge- 
nommen wurde.  Cohen  2,  148  mit  der  Legende :  VehictiUtHone  lUüiae  re- 
missa  und  entsprechendem  Bild. 

1)  Dio  68,  2:  toCg  itdvv  nivTjai  xmv  *PcD(Mximv  ig  xiXidSa  nttl  Msvia- 
noüCag  (iVQiddag  y^(  %tijai.v  ixaqiaaxo^  ßovXevtaig  xmi  x'fyß  t€  afOffasktv 
avtmv  xal  trjv  SuivofJLrjv  itgogra^ag.  Plin.  ep.  7,  81:  a  CordUo  nostro  ex 
liberälitate  imperatoris  Nervae  emendis  dividendisque  agris  (idiutor  adsumpUa. 
Dig.  47,  21,  3:  Lege  agrariay  quam  Gaius  Caesar  ttUü  — ;  aiia  quoque  Uge 
agraria,  quam  divus  Nerva  tülü,  cavetur  etc. 

2)  Agrimens.  ed.  Lachm.  p.  239  (das  Feld  yon  VertUae  im  Heroiker- 
land)  ah  imp.  Nerva  colonis  est  redditus.  Or.-Henz. «»  Momms.  inscr.  Keap.  68: 
cöloniae  Minerviae  Nerviae  ScoTlacio  (Scyllacium  in  Bruttium)  aquam  dfA 
(Hadrian).  Wilmanns  n.  1030:  {cölonia)  Nerviana  Aug(usta)  MartiaUs  ve- 
teranorum  S%tifen{sium)  vgL  Zumpt  comm.  epigr.  1,  399^  i 

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-     337     — 

Nachfolger  kamen.  Das  zweite  Institut  dagegen  war  bei  seiner 
Begründung  so  gedacht ,  dafs  es  dauernd  wirken  sollte,  und  es 
hat  auch  von  der  ersten  Einrichtung  aus  Nachahmung  und  Er- 
weiterung gefunden;  Nerva  konnte  es  übrigens  nur  begründen, 
erst  Trajan  hat  es  ausgeführt*)  Der  Zweck,  der  damit  erreicht 
werden  sollte,  war  ein  doppelter:  der  eine,  der  im  Namen  lag, 
bestand  darin,  durch  Schaffung  eines  Fonds,  dessen  Zinsen  diesem 
Zweck  dienen  sollten,  Mittel  zu  gewinnen,  um  Waisen  erziehen 
zu  lassen  und  bedürftigen  Eltern  Unterstützung  zur  Kinder- 
erziehung zu  gewähren.  Der  andere  nicht  ausgesprochene  Zweck 
lag  in  der  Art  der  Anlage  des  Fonds.  Derselbe  wurde,  an  die 
Grandbesitzer  gewisser  Gemeinden  gegen  mafsigen  Zins  gegeben 
und  damit  Gelegenheit  geschaffen,  Ackerbesitz  mit  fremdem 
Kapital  günstig  zu  erwerben  und  umzutreiben.  ^)  Da  Trajan  noch 
weiteres  daran  knüpfte  und  da,  nachdem  die  Sache  sich  befestigt 
hatte,  ein  neuer  Yerwaltungsposten  dafür  eingestellt  wurde,  so 
wird  noch  weiter  davon  die  Rede  sein;  zur  Charakteristik  Nervas 
dient  es  aber,  dals  er  in  seiner  kurzen  Regierung  sofort  Gelegen- 
heit nahm  diesen  Plan  anzuregen.') 


1)  Yict.  epit.  12:  pueUas  puerosque  ncctos  parentihus  egestosia  sumpiu 
pyblico  per  Itcdiae  oppida  alt  ius9Ü.  Der  Auszug  aus  Die  erwähnt  unter 
Nerra  die  Sache  nicht,  sondern  l&Xst  erst  den  Trajan  und  zwar  sofort  nach 
seiner  ersten  Rückkehr  nach  Rom  im  J.  99  solche  Fürsorge  treffen,  auch 
hier,  ohne  daüs  des  Nerra  Erwähnung  gethan  wird.  Dafs  nun  Trajan  in 
dieser  Richtung  thätig  war,  ist  aufser  Zweifel;  aber  gerade,  dafs  er  so  frühe 
schon  hier  eingreifen  konnte^  spricht  dafür,  dals  ein  AnfiEing  Ton  Nerva  da 
war,  und  zu  dem  Zeugnis  der  Epitome  tritt  die  Münze  Tom  J.  97,  Cohen 
2,  142.  Schwieriger  scheint  mir  eine  andere  Frage  zu  sein.  Plinius  hat, 
wie  ep.  1,  8  berichtet  ist,  in  seiner  Heimat  Comvm  eine  ähnliche  Stiftung 
gemacht.  Wie  kommt  es,  dafs  er  weder  an  dieser  Stelle,  noch  im  J.  18, 
wo  er  sein  Beispiel  einem  andern  empfiehlt,  des  kaiserlichen  Vorgangs  ge- 
denkt? Ist  er  mit  seiner  Schenkung  dem  Nerva  vorangegangen  und  sind 
überhaupt  Vorgänge  für  diesen  da  gewesen?  Indessen  als  Plinius  7,  18 
schrieb,  (i  J.  107),  hatte  er  jedenfalls  das  Beispiel  auch  Trajans  vor  sich 
(vgl.  auch  Panegyr.  26)  und  spricht  doch  nicht  davon;  so  ist  wohl  auch 
aus  dem  Schweigen  in  seinem  Brief  von  97  nichts  anderes  zu  schliefsen,  als 
dals  er  eben  sein  Thnn  nicht  in  Parallele  mit  dem  des  Kaisers  setzen  wollte. 

2)  Vgl.  die  Obligationsurkunde  vom  J.  101,  in  welcher  [ob  liberaii- 
tatem  opUmi]  maocimiqus  principis  obligarurU  prae[dia  ex  propo8]üo  Li- 
ffurea  B<ubia{ni  et  Comeliani,  ujß  ex  indulgentia  eius  jpiim  pueUaeque 
<d{menta  a}(!cipiaM,  Text  bei  Henzen  n.  6664,  Wilmanns  2844.  Weiteres 
s.  bei  Tngan. 

8)  Vgl.  auch  oben  S.  309  Anm.  1.  ^  . 

Her»og,  d.  röm.  StaaUverfL  H.  1.  I^atized  by  VjOOglC 


—    338     - 

Bedrohnog  des  2.  Mitten  in  den  anscheinend  ruhigen  Gang  der  Überleitung 
Adoption  des  in  die  neue  Bahn  konstitutioneller  Regierung  ^)  fiel  eine  Militar- 
revolte.  Es  scheint,  dafs  sich  Nerva  in  der  Besetzung  der  einen 
Gardepräfektenstelle  getäuscht  hatte,  indem  er  als  Nachfolger  des 
bei  seiner  Erhebung  thätig  gewesenen  Norbanus  einen  schon 
früher  unter  Domitian  verwendeten  Casperius  Alianus  bestellte. 
Dieser  regte  die  Prätorianer  auf,  den  Tod  derer,  die  den  Domi- 
tian beseitigt^  darunter  des  anderen  Befehlshabers  der  Garde,  zu 
verlangen,  und  Nerva,  offenbar  von  niemand  unterstützt,  mnfste 
ihnen  willfahren.^)  Daneben  wurde  ihm  bekannt,  daCs  ein  Cal- 
purnius  Crassus,  aus  einer  der  ersten  Adelsfamilien,  sich  gegen 
ihn  verschwor.^)  Dies  veranlafste  ihn,  unverzüglich  eine  Ad- 
option vorzunehmen,  durch  die  für  das  Imperium  eine  Persön- 
lichkeit gewonnen  würde,  die  mit  der  Aussicht  auf  gutes 
Einvernehmen  mit  dem  Senat  und  auf  Regierungsfilhigkeit  mili- 
tärische Tüchtigkeit  verbände:  er  adoptierte  den  damals  in  Ober- 
germanien kommandierenden  M.  Ulpius  Trajanus,  das  erste  Bei- 
spiel eines  ans  der  Provinz  stammenden  Princeps.*)  Aber  letzteren 
Umstand   zu   übersehen   war   der  Senat  in   seiner  jetzigen  Zu- 


1)  Die  der  Zeit  Nervas  angehörigen  Briefe  des  Pliniaa  (1.  Bach  Qod 
Anf.  des  2.)  machen  den  Eindruck  ruhiger  normaler  Zeit. 

2)  Dio  68,  8.    Viot.  epit.  12. 

8)  Ebendas.  (Dio  a.  a.  0.:  K^dacov  ts  KaXnavi^Cov^  xmv  K(fat€aw 
inehayif  inyovov).     Vgl.  Plin.  Panegyr.  6. 

4)  Ebendas.;  überall  werden  die  angegebenen  Vorgänge  als  Motiv  für 
die  Erhebung  Trajans  angeben.  Nach  Vict.  epit.  18  war  L.  Licinios  Sara 
der,  cuius  studio  imperium  arripuerat,  d.  h.  der  die  Wahl  des  Nerva  aof 
ihn  lenkte.  Ebendas.  über  die  frühere  Laufbahn  des  Tr^an;  neuerdings 
ist  diese  behandelt  hauptsächlich  von  Dierauer,  Beitr.  zu  einer  krii.  Qesohichte 
Trajans  in  Büdingers  Unters,  zur  röm.  Kaisergesch.  1,  8  ff.  Das  Datum  der 
Adoption  ist  zu  berechnen  nach  Vict  epit.  12,  wonach  Nerva,  der  am 
27.  Jan.  98  (nach  der  Berechnung  aus  Dio  68,  4)  starb,  den  Trojan  noch 
8  Monate  als  Mitregenten  hatte.  Mommsen,  Str.  2,  776  A.  8  (unter  teil- 
weiser Berichtigung  von  Hermes  8,  126  f.),  vermutet,  dals  zu  gleicher  Zeit 
die  Jahresberechnung  der  tribunicischen  Gewalt  geändert  worden  sei.  Dm 
spätere  feste  Jahr  derselben,  das  identisch  ist  mit  dem  republikanischen, 
10.  Dez.  bis  9.  Dez.  (Dio  63,  17),  sei  bei  dieser  Gelegenheit  eingeführt 
worden,  so  dafs  Trajans  trib.  pot.  I  von  Ende  Okt.  bis  9.  Dez.  97  währte, 
trib.  pot  II  vom  10.  Dez.  97  an  gerechnet  wurde.  —  Vielleicht  war  bei 
dieser  Änderung,  welche  an  Stelle  der  nach  dem  Datum  des  Regierongs- 
antritts  wechselnden  früheren  Berechi^ung  ein  festes  Datum  wenigstens  je 
vom   10.   Dezember  nach  jeder  Regierungsübemahme  an^tate,  neben  dem 

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-     339     - 

sammeDsetzimg  ohne  Schwierigkeit  bereit*);  wenn  aber  die  Wahl 
eines  Mannes  gebilligt  wurde,  dessen  Adel  yon  ganz  neuem 
Datum  war,  so  bewies  dies,  dafs  selbst  der  Adel  julischer 
Schöpfung  keine  imponierende  Kraft  mehr  aufzuweisen  hatte  und 
zeigt  wieder  die  Bedeutung  der  neuen  Schichten  im  Senat,  die 
in  Trajan  den  ihrigen  sahen.  Mit  der  Adoption  war  die  Erteilung 
der  tribunicischen  Gewalt  und  Teil  am  Imperium,  d.  h.  die  Mit- 
regentschaffc,  verliehen.^) 

Jene  Angriffe,  welche  Nervas  Regierung  zu  erfahren  hatte, 
liefsen  erkennen,  dafs  er  die  Auktorität  der  Herrschaft,  welche 
für  den  Imperator  unentbehrlich  war,  nicht  besafs  und  dafs  die 
Yon  ihm  eingenommene  Stellung  zum  Senat  auf  die  Dauer  nicht 
zu  halten  war:  in  Gefahren  einen  Rückhalt  zu  gewähren,  über- 
haupt die  Zügel  auch  nur  neben  dem  Kaiser  zu  führen,  war 
diese  Behörde  nicht  mehr  imstande.  Aber  um  eine  neue  Zeit 
herbeizuführen,  dazu  war  jene  Schwäche  vielleicht  geradezu 
förderlich.  Die  Momente  eines  letzten  geistigen  Erwachens  nach 
dem  Yorhergegangenen  Druck,  die  frische,  frohe  Stimmung,  aus 
welcher   heraus   die   Vorreden   des  Agricola   und   der   Historien 


Natzen  fclr  die  Zählung  auch  die  Eonzession  an  die  herkömmliche  Rechnung 
des  altrepublikanischen  Tribnnats  ein  Motiv.    Vgl.  auch  ob.  S.  270  A.   1. 

1)  In  sämtlichen  Quellen  wird  das  Epochemachende  des  Eintretens 
eines  Nichtitalieners  hervorgehoben,  am  stärksten  Dio  68,  4:  oti  'IßriQ  6 
Tffatavog  all'  ovn  *ItaXog  ovd'  'ixaXimxrn  ^v  (d.  h.  nicht  in  Italien  geboren 
und  nicht  einmal  daselbst  ansässig);  aber  von  einer  Opposition  dagegen 
ist  nicht  die  Bede.  Plinius  geht  in  seiner  Rede  darüber  kurz  hinweg,  nur 
etwa  in  denjenigen  Teilen  darauf  Rücksicht  nehmend,  in  denen  er  die  absolut 
freie  Wahl  von  Seiten  Nervas  und  das  persönliche  Verdienst  Trajans  her- 
vorhebt, das  ihn  den  alten  Heerführern  gleichstelle;  vgl.  §§  8  ff. 

2)  Plin.  Panegyr.  8 f.:  gimul  ßius,  simui  Caesar,  mox  iwperaior  et 
consors  tribuniciae  poiestatis  et  omnia  pariter  et  stcUim  f actus  es,  guae  pro- 
xime  parens  verus  tantutn  in  älterum  filiutn  contulit.  Magnum  hoc  tuae 
moderationis  indiciim,  quod  non  solum  successor  imperii  sed  particeps  eHam 
8oeii48^»e  placuiati;  nam  successor,  etiamsi  nolis,  häbendus  est;  non  est  ha- 
hendus  socius,  nisi  velis.  —  Durch  diese  Stellung  war  Trajan  über  die  des 
Statthalters  einer  einzelnen  Provinz  erhoben,  und  so  konnte  er,  während  er 
bis  zu  seiner  Adoption  Statthalter  von  Obergermanien  war,  die  Nachricht 
vom  Tode  Nervas  zu  Köln  in  Ni^dergermanien  erhalten.  Eutrop.  8,  2. 
Vict.  epit.  18.  In  der  oberen  germanischen  Provinz  war  ihm  Servianus 
nachgefolgt  (vit  Hadr.  c.  2.  Plin.  ep.  8,  28),  in  der  untern  kommandierte 
Spurinna  (Plin.  2,  7),  über  beiden  stand  Trajan.  VgU  Henzen,  iscr. 
d'Adriano  in  annal.  dell'  inst.  84,  145  ff.  ^  y 

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-     340     - 

geschrieben  sind,  hat  er  der  romischen  Welt  gegeben,  und  jene 
Schwäche  der  Politik  hat  er  eben  selbst  noch  erkannt  und  geheilt 
durch  die  Fürsorge  für  die  Nachfolge. 
Trajan.  Die  3.  Trajau^)  ist  Seit  Augustus  der  erste  romische  Kaiser,  der 

Aufenthaita  in  währcud  sciucr  Regierung  wiederholt  und  je  auf  längere  Zeit- 
räume in  ernster  Kriegführung  yon  Rom  abwesend  war:  seine 
friedliche  Regierungsthätigkeit  ist  demnach  in  ihren  verschiedenen 
Stadien  nach  den  Zeiten  seiner  Anwesenheit  in  Rom  zu  be- 
messen. Es  war  ein  starkes  Zeugnis  f&r  die  richtige  Wahl,  die 
Nerva  getroffen,  dafs  der  zu  neuen  Kräften  gelangte  Senat  die 
Übernahme  des  Imperiums  auf  Grund  der  Adoption  ohne  Weite- 
rung bestätigte  und  Trajan  es  wagen  konnte,  noch  längere  Zeit 
von  Rom  fortzubleiben,  während  es  andererseits  nicht  minder 
ein  Zugeständnis  des  neuen  Kaisers  an  Magistratur  und  Senat 
in  Rom  war,  dafs  er  diesen  Behörden  durch  seine  Abwesenheit 
gröfseren  Spielraum  liefs.  Allerdings  hatte  er  in  Männern  Ton 
dem  Ansehen  eines  Licinius  Sura  kräftige  und  zuverlässige  Ver- 
treter seines  Willens.  Nach  seinem  Einzug  in  Rom  im  Sommer 
99  blieb  er  in  der  Hauptstadt  bis  zum  Auszug  in  den  dakischen 
Krieg  Ende  März  101.^)  Der  zweite  Aufenthalt  in  Rom  ist  be- 
grenzt durch  die  Rückkehr  vom  ersten  Dakerkrieg  gegen  den 
Schlufs   des  J.  102   und   die  Abreise   für    den   zweiten  Anfang 


1)  Name:  Imperator  Caesar,  Divi  Nervae  f,,  Nerva  Traianus  Augustus 
Germanicus.  Letzteren  Teil  des  Namens  nahm  Trajan  noch  als  adoptiert 
zugleich  mit  Nerva  im  Spätherbst  des  J.  97  an  (Mommsen,  im  Hermes 
3,  117);  den  Namen  Badens  Ende  des  J.  102  (vgl.  die  Münzen  mit  dem- 
selben neben  cos.  IUI  bei  Cohen  2,  Trai.  128.  129;  Mommsen  im  Hermes 
3,  131);  der  Name  Farthicus  wird  ihm  bewiUigt  im  J.  116  (das  genauere 
Datnm  und  die  Kritik  der  Zeitfolge  bei  Dio  68,  23,  bei  Mommsen  r.  6. 
5, 398  A.  1).  Das  cognomen  OpHmtiS  ist  dem  Tngan  schon  im  J.  100  vom 
Senat  beschlossen  (Plin.  Paneg.  2,  88),  er  nimmt  es  erst  im  J.  114  als  Teil 
des  Namens  (zwischen  Trajanns  und  Aogostas)  an,  wenn  er  anch  schon 
früher  auf  Denkmälern  opUmus  princeps  genannt  wird.  Eckhel,  d.  n.  VI 
p.  448.  468  f.  Wilmanns  ex.  inscr.  n.  936.  Über  den  Titel  proeonsui,  der 
im  J.  116  in  der  Titulatur  Trajans  auftritt  (c.  i.  1.  3  p.  870)  und  anch  von 
seinen  Nachfolgern  aufserhalb  Roms  gefuhrt  wird,  s.  im  System.  --  Als  T«g 
des  Regierungsantritt?,  von  dem  jetzt  nach  S.  338  A.  4  die  Z&hlung  der  tri- 
bunicischen  Jahre  unabhängig  ist,  ist  aus  Dio  68,  4  (Nerras  Regierongs- 
dauer)  der  27.  Jan.  98  zu  berechnen. 

2)  Acta  fratr.  Arv.  bei  Henzen  p.  CXL  Z.  23  «.  26.  März  101:  i^pre 
sfüute  et  reäU)u  et  victoria  imp,  Caesaris  Nervae .  Traiani  Äug,  Germ. 
(folgen  die  vota), 

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—    341    — 

Juni  105.*)  Die  dritte  römische  Regierungsperiode  begreift  die 
Zeit  zwischen  dem  dakischen  Triumph  von  106^  dessen  genaueres 
Datum  nicht  zu  bestimmen  ist,  und  der  Abreise  für  den  Orient- 
krieg 114^  von  dem  er  nicht  mehr  wiederkehrte.^)  Die  Quellen 
Rauben  y  der  ersten  dieser  drei  Perioden  eine  Reihe  charakte- 
ristischer Handlungen  zuzuweisen ,  die  zweite  tritt  in  der  Über- 
lieferung kaum  besonders  hervor  und  war  auch  bald  wieder 
durch  die  Vorbereitungen  för  eine  neue  Donauexpedition  in  An- 
spruch genommen^  fÖr  die  dritte  sind  wir,  obgleich  sie  acht 
Jahre  umfafst^  doch  wesentlich  auf  allgemeine  Gesichtspunkte 
angewiesen«') 

4  In  den  Mafsregeln,  die  Trajan  in  jener  ersten  Periode  ThäUgkeit  in 
traf,  tritt  durchaus  das  Bestreben  hervor,  mit  den  durch  Nerva  vorwaitung. 
noch  nicht  beseitigten  Schäden  aufzuräumen,  durch  Reformen  im 
einzelnen,  namentlich  auf  finanziellem  Gebiet,  sowie  durch  gute 
Justiz  einen  befriedigenden  Zustand  zu  begründen  und  durch  die 
Art  des  persönlichen  Regiments  dem  Principat  einen  Charakter 
zu  geben,  der  es  als  mit  der  Herrschaft  des  Gesetzes  verträglich, 
ja  geradezu  als  Wahrer  und  Hüter  solcher  Ordnung  erscheinen 
liefse.^)    Offenbar  hatte  Trajan  in  den  anderthalb  Jahren,  die  er 


1)  Acta  fratr.  Arv.  p.  GXLVil  Z.  40.  —  Diese  erst  1867—71  aufge- 
fondenen  Fragmente  berichtigen  frühere  Annahmen. 

2)  Vgl.  Dieraner  164  A.  4.    Mommsen  röm.  Gesch.  6,  400  A.  1. 

S)  Mafegebend  für  das  der  ersten  Periode  zuzuweisende  ist  die  in  der 
2.  Hälfte  des  J.  100  gehaltene  grattarum  cuiio  (Panegyricus)  des  Konsuls 
Plinias.  Über  die  Disposition  imd  Ausarbeitung  dieser  Bede  s.  Dieraner 
187  ff.  Die  AnszOge  aas  der  Gesohichtsdarstellung,  die  wir  haben,  geben 
fSr  die  innere  Geschichte  eben  Züge,  welche  zur  Charakterzeichnnng  dienen, 
daneben  die  Bautlüktigkeit  sowie  die  Schenkungen  Trajans.  Für  die  dritte 
Periode  geben  Ausbeute  die  Briefe  des  Plinias,  die  bis  109  reichen,  histo- 
risch geordnet,  wie  de  sind  (Mommsen,  Hermes  8,  86  ff),  und  sein  Brief- 
wechsel mit  Trajan,  der  mit  Wahrscheinlichkeit  111—113  föllt  (Mommsen, 
a.  a.  0.  S.  56—69).  Für  die  Personenkenntnis  und  einzelne  Daten  (s.  S.  840 
A.  2  n.  S.  841  A.  1)  sind  auTser  diesem  Briefwechsel  TOn  Bedeutimg  die  acta 
fratrom  ArraHnm,  ron  denen  ziemlich  umfangreiche  Fragmente  ans  101, 
105  nnd  117  vorhanden  sind;  vgl.  Henzen,  acta  fr.  A.  p.  GXXXIX— GL.  — 
Die  Edikte  n.  s.  w.  Trajans,  die  den  juristischen  Quellen  zu  entnehmen 
sind,  haben  zusammengestellt  Franke,  zur  Geschichte  Trajans  u.  s.  Zeit- 
genossen. Güstrow,  1887  S.  871  ff.  Hänel,  corp.  leg.  p.  69 — 85.  Aufser 
diesem  und  Dierauer  vgl.  von  Neueren  auch  de  la  Berge,  sur  le  r^gne  de 
Tngan.   Paris  1877.    Fröhner,  la  colonne  Trf^'ane.    Paris  1865. 

4)  Paneg.  65:  'in  rostris  quoque  sitnüi  religione  ipse  U  legibus  stibiedsti, 
legibus,  Caesar,  guas  nemo  princtpi  scripsit;  sed  tu  nihil  amplius  yis  tibi    j 

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—    342     - 

nach  der  Übernahme  des  Imperiums  noch  in  Germanien  zu- 
brachte, sich  einen  festen  Plan  gebildet.  Mit  der  Vergangenheit 
wurde  abgeschlossen  durch  die  Bestrafung  der  Pratorianer,  die 
den  Nerva  gezwungen  hatten  den  Präfekten  zu  opfern,  und  der 
Delatoren,  der  verhafsten  Überbleibsel  der  domitianischen  Herr- 
schaft, ferner  durch  die  Beschränkung  des  Majestatsgesetzes  and 
durch  den  Nachlafs  der  von  den  früheren  Regierungen  her  vor- 
handenen Steuerrückstände.  ^)  Die  Grundlage  für  eine  würdige 
Stellung  des  Senats,  die  Garantie  der  persönlichen  Sicherheit 
wurde  wie  unter  Nerva  wenigstens  dadurch  gewährt,  dafs  auch 
Trajan  versprach,  keinen  Senator  am  Leben  zu  strafen.*)  Die 
Formen  eines  ersten  unter  gleichen,  welche  Trajan  einhielt, 
sollten  nicht  blofs  Formen  sein,  sondern  die  Achtung  einer  recht- 
lichen Stellung  bezeugen,  und  man  empfand  lebhaft  den  Kontrast 
zwischen  einer  Senatssitzung,  welche  der  jetzige  Princeps  leitete, 
und  dem  Vorsitz  eines  Domitian.^  Trajan  ging  sogar  so  weit, 
dafs  er  für  die  Beamtenwahlen  im  Senat  geheime  Abstinunimg 
einführte^),  wobei  zu  bemerken  ist,  dafs  gerade  für  das  Amt, 
das  den  Eintritt  in  die  Magistratur  und  damit  auch  in  den  Senat 
bedeutete,  die  Quästur,  die  weitaus  gröfste  Zahl  der  Stellen  durch 
freie  Wahl  des  Senats  besetzt  wurde.     Die  Gefahr  war  freilich 


licere  quam  nohis:  sie  vis  ut  nos  tibi  plus  velimus,  Quod  ego  nunc  primvm 
audio;  non  est  princeps  super  leges,  sed  leges  super  principen^  idemque  Caesan 
consuli  quod  ceteris  non  licet, 

1)  Dio  68,  5  f.  Plin.  Paneg.  34  fP.  Die  finanziellen  Vergünstigungen 
zusammengefalst  c.  41:  mihi  cogitanii  eundem  te  collationes  remisisse,  dona- 
tivum  reddidissCj  congiarium  ohtulisse,  delatores  dbegisse^  vectigaUa  tempe- 
rosse,  interrogandus  videris  satisne  computaveris  imperii  reditus,  c.  40: 
vetuisti  exigif  quod  deberi  non  tuo  saeculo  coeperat.  Dieser  ErlaTs  der  Eück- 
stände  wird  nach  dem  Zusammenhang  sich  auf  die  Erbschaftssteuer  be- 
schränkt haben.  —  Hinsichtlich  der  Majestätsverbrechen  Tgl.  auch  Plin.  et 
Trai.  ep.  82. 

2)  Dio  68,  5  (Zusicherung  und  Schwur.).  Eutrop.  8,  5:  nihü  non 
tranquillum  et  placidum  agens,  adeo  ut  omni  eius  aetate  umts  Senator,  dam- 
natus  sitf  atque  is  tarnen  per  senatum  ignorante  Traiano.  Vgl.  bei  Dio: 
Kai  Tovro  iQy<p  ivsnitfcoas  %a£nsQ  inißovXevd^Bis.  Das  hier  gemeinte  Tbat- 
sächlicBe  ist  nicht  näher  bekannt. 

8)  Paneg.  48.  76 :  quis  antea  loqui,  quis  hiscere  audebat  praeter  misen» 
illos  qui  primi  interrogäbantur? 

4)  Plin.  ep.  3,  20  (aus  dem  J.  101) :  nunc  in  senatu  sine  uUa  dissensione 
hoc  idem  {sc.  lex  tabettaria)  ut  Optimum  placuit:  omnes  comiüorum  die  tdbdias 
postulaverunt. 


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—     343    — 

nicht  grofs,  da  eben  in  diese  Stufe  doch  nur  junge  Männer  in- 
differenten politischen  Charakters  kamen  und  der  Princeps  weiter- 
hin die  Mittel  hatte,  bedenkliche  Elemente  zu  beseitigen  oder 
unschädlich  zu  machen;  nach  der  Darstellung  des  Plinius  kann 
man  es  sogar  in  erster  Linie  als  Ordnungsmafsregel  ansehen.^) 
Aber  es  lag  doch  auch  Anerkennung  selbständiger  Stellung  des 
Senats  darin^  und  die  Wahlen  erhielten  wieder  mehr  einen  poli- 
tischen Charakter  als  den  eines  Wetteifers  in  der  Ausbeutung 
einer  gesellschaftlichen  Stellung.  Der  Magistratur  wurde  die 
Ehre  erwiesen^  daJGs  der  Kaiser  sein  eigenes  Konsulat  in  kon- 
stitutionellen Formen  hielt,  es  nur  annahm,  wenn  er  es  in  Rom 
selbst  zur  Anwendung  bringen  konnte,  und  wiederum  war  es 
eine  Rücksicht  auf  die  Senatoren,  dafs  er  —  anders  als  die 
Flavier  —  überhaupt  nicht  oft  es  übernahm  und  so  auch  Pri- 
Tate  zum  ordentlichen  Konsulat  gelangen  liefs.^)  Von  Seiten 
des  Emporkömmlings  war  es  ein  Zeichen  grofser  Unbefangenheit, 
dafs  er  die  Sohne  der  älteren  Adelsfamilien  in  ihrer  Laufbahn 
begünstigte  und  so  mit  dem  Aufkommen  neuer  Familien  zu  yer- 
sohnen  suchte.') 

Für  die  Ordnung  im  Staatshaushalt  war  es  schon  ein  grofser 
Vorteil,  dafe  Trajan,  persönlich  anspruchslos,  denselben  für  sich 
nicht  über  das  seiner  Stellung  notwendig  zukommende  Mafs  hinaus 
belastete.  Die  Spenden,  welche  er  der  Bevölkerung  Roms  in  der 
Form  von  Kongiarien  d.  h.  Zugaben  von  Wein  oder  Ol  zu  den 
Getreidegaben  gewährte,  waren  allerdings  wesentlich  höher  als 
früher^);  aber  er  fand  die  Mittel  dazu,  ohne  die  Provinzialsteuem 
zu  erhöhen  und  neben  Erleichterungen  der  die  römischen  Bürger 
belastenden  Erbschaftssteuer.^)     Die  Ausführung  der  von  Nerva 

1)  A.  a.  0.:  excesseramus  sane  manifesHs  Ulis  apertisque  iuffragiis  U- 
emiiam  contionum, 

2)  Paneg.  c.  66  ff.  63  ff.  Letztere  Stelle  namentlich  far  die  Abhaltung 
der  Eomitien  in  dieser  Zeit  wichtig.  —  Trajan  war  Konsul  nach  98  in  den 
Jahren  100  III,  101  IUI,  108  F,  112  VI, 

8)  69:  tandem  ergo  nobüiUis  non  obacuratur  sed  inluatratwr  a  principe: 
tandem  iüos  vngenHwn  vircmMn  nepotes,  lUos  posteroa  libertatis  nee  terret  Caesar 
nee  pavet;  quin  itnmo  festinatis  honoribw  amplificat  atque  äuget  et  maioribua 
suis  reddit. 

4)  Vgl.  die  Notizen,  welche  sich  darüber  für  die  verschiedenen  Regie- 
rungen im  Chronogr.  von  364  finden  (Mommsenin  Abh.  der  sächs.  Ges.  I 
S.  646.    Marq.  Staatsverw.  2\  184  ff.);  für  Trajan  speziell  Paneg.  26. 

6)  Über  die  Milderung  derselben  spricht  ausführlich  und  instruktiv 
für  das  ganze  Institut  Plinius  Paneg.  37  ff. 

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-     344    - 

geplanten  Alimentareinrichtungen  nahm  er  sofort  in  die  Hand^) 
und  erweiterte  das  von  Nerva  nur  för  freigeborene  Kinder  in 
den  italischen  Gemeinden  ins  Werk  Gesetzte  nun  auch  durch 
Leistungen  fär  die  Stadtbevölkerung  in  der  Weise^  daTs  hier  be- 
dürftige freigeborene  EnabeU;  die  in  Listen  verzeichnet  wurden, 
für  ihren  Unterhalt  regelmäfsige  Getreidegaben  erhielten.^  Als 
Motiv  für  diese  Mafsregehi  wird  in  altrömischem  Sinn  angegeben, 
dafs  dadurch  Lager  und  Tribus  wieder  gefüllt  werden  sollten.*) 
Nach  der  Abwälzung  des  Militärdienstes  von  Italien  und  bei  der 
politischen  Bedeutungslosigkeit  der  Tribus  war  dies  freilich  eine 
inhaltlose  Phrase;  indes  darf  in  diesem  Teil  der  öffentlichen 
Fürsorge  wenigstens  ein  wirkliches  Humanitätsinteresse  an- 
erkannt werden  ganz  anders  als  in  der  Fütterung  von  er- 
werbsfähigen Bürgern.  Übrigens  sorgte  Trajan  auch  hiefur  sor 
Genüge,  und  die  Getreideversorgung  von  Rom  und  Italien  über- 
haupt wurde  durch  Anlegung  grofserer  Vorräte  von  zufäUigen 
Unterbrechungen  der  Zufuhren  unabhängig  gemacht.^)    Endlich 


1)  Dio  68,  6:  ig  xriv  Pmiirjv  noXXa  inoCu,  —  mg  xorl  xcttg  %6Uoi  xaSi 
Iv  'ixaXia  rcQog  t^v  tmv  naiSoav  tQOtpriv  noXXä  xagiaaed-ai.  Erhalten  sind 
die  Urkunden,  in  welchen  die  für  die  Zwecke  der  Stiftung  hypothekarisch 
angelegten  Kapitalien  mit  Angabe  der  verpfändeten  Grundstücke  verzeichnet 
sind  aus  den  Gemeinden  der  Ligttres  Baebiani  et  Comeliani  in  ünteritalien 
(bei  Benevent)  vom  J.  101  und  von  Veleja  in  Oberitalien  (nach  1Ö2),  die 
erstere  bei  Henzen  6664.  Wilmanns  2844,  die  letztere  Wilm.  2845.  Litte- 
ratur:  Henzen  in  annali  deir  inst  1844  S.  5  fp.  Bull.  d.  inst  1847  p.  8  ff.  aon. 
1849  220  fiP.  Hirschfeld,  Yerwaltungsgesch.  S.  114—122.  Marquardt,  röm. 
Staatsverw.  2',  141  ff.  Über  die  Organisation  dieses  Verwaltongszweig«  ist  im 
System  zu  reden.  Die  erste  Einrichtung  wurde  durch  zwei  in  den  ürkanden 
erwähnte  aufserordentliche  Kommissäre  hoher  senatorischer  Stellung  ge- 
macht. —  Vgl.  auch  die  Patronatstafel  von  Ferentinum  für  den  einen  dieser 
Kommissäre  T.  Pomponius  Bassus,  Wilmanns  2863.  Plinius  erwähnt,  wie 
ob.  S.  387  A.  1  bemerkt,  diese  italische  Einrichtung  nicht 

2)  Plin.  Paneg.  26  f.  Henzen,  ann.  delF  inst.  a.  a.  0.  p.  9ff.  Hirsch, 
feld  im  Phüol.  29,  10. 

8)  Paneg.  28:  ^t  subsidium  hdlorufn,  omamentum  pacis  pubUds  sumpü- 
bn8  dlwitur;  —  ex  his  castra  ex  his  tribus  replebuntur,  ex  his  gtumdoque 
nascentur  quibus  cUimentis  opus  non  sit. 

4)  Paneg.  26.  29—31,  wonach  Trajan  sogar  dem  damals  zuföllig  be- 
drängten Ägypten  zu  Hilfe  kommen  konnte.  Dafs  aber  die  Berechnung  der 
Fürsorge  für  7  Jahre  dem- Trajan  zukomme,  wird  von  Hirschfeld,  Philol  29 
S.  24  mit  Recht  bezweifelt  und  vorgeschlagen,  in  der  vita  Heliog.  27  statt 
cum  —  iuxta  provisionem  Severi  et  Traiani  Septem  annorum  canon  firumen- 
tarius  esset,  zu  lesen:  Bassiani  (d.  h.  des  Caracalla).    In  VerbindoDg  da- 

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-    345    — 

wird  er  schon  in  dieser  Zeit  den  Reichspostdienst  yerbessert 
haben«  ^) 

Die  achtjährige  Periode  zwischen  dem  zweiten  Dakerkrie^ 
and  dem  Orientfeldzng  dient^  zum  Teil  eben  wegen  der  wenigen 
Nachrichten,  die  wir  von  ihr  haben,  dazu,  das  Gesamturteil 
über  den  Charakter  der  Regierung  Trajans  festzustellen.  Wenn 
Nerra  sich  geneigt  gezeigt  hatte,  die  Rechte  Ton  Senat  und  Volk 
wieder  in  republikanischem  Sinn  zu  erweitem,  so  lag  dies  dem 
Trajan  fem;  aber  schon  er  hat  den  Charakter  des  Principats  als 
der  höchsten  Magistratur  in  loyaler  und  für  den  Staatszweck 
fruchtbarer  Weise  zur  Geltung  gebracht  Tritt  bei  ihm  person- 
licher Begabung  und  Neigung  gemäfs  die  militärische  Seite  seiner 
Stellung  allerdings  über  die  Idee  einer  Generalstatthalterschaft 
der  Republik  weit  hinaus  zu  monarchischer  Eriegshoheit  und 
Eroberungspolitik,  so  war  seine  Thätigkeit  in  der  inneren  Politik 
doch  eine  ideelle  Erfüllung  der  Aufgaben  des  Principats,  wenn 
anders  man  diese  richtig  darin  sieht,  dafs  es  mit  seiner  obersten 
Gewalt  einmal  die  Einheit  und  Beharrlichkeit  der  Verwaltungs- 
gmndsätze  wahrte  und  sodann  überall  in  die  Lücke  trat,  wo  die 
ordentliche  Verwaltung  nicht  genügte.  Im  Senat  war  er  be* 
müht^  das  Aufkommen  der  Proyinzialen  mit  dem  früheren  Vor- 
zugsrecht Italiens  zu  vermitteln  durch  eine  Verordnung,  daüs 
jeder  Senator  mindestens  ein  Drittteil  seines  Vermögens  in  ita- 
lischem Grandbesitz  angelegt  haben  solle,  auch  hierin  um  so  un- 
befangener, als  bei  ihm  selbst  dies  in  seiner  früheren  Laufbahn 
nicht  der  Fall  gewesen  zu  sein  scheint.*)    Ferner  wie  er  geheime 

mit  steht  auch  eine  Reform  der  B&ekerzrinft  Vict.  Caes.  18':  annonae  per- 
petuae  mire  consultum  reperto  firmatoque  pistarum  coUegio,  Dals  vorher  ein 
coU.  pigt,  überhaupt  nicht  bestand,  ist  nicht  wahrscheinlich,  vgl.  Hirsch  feld 
a.  a.  0.  S.  44  A.  60.  —  Bei  diesen  Einrichtungen  ist  immer  wohl  zn  unter- 
scheiden Kwischen  der  Besorgung  von  Getreide  zum  Marktverkauf  auf 
Rechnung  des  Staats,  womit  fOr  die  Bevölkening  überhaupt  gesorgt  wurde, 
und  den  unentgeltlichen  Frumentationen  für  die  Armen. 

1)  Vict  Caes.  18  im  Anschlufs  an  die  Notiz  über  das  coli,  pist.:  aimul 
noscendis  ocius,  quae  tibique  e  rep,  gerehatUur^  admota  media  pubJici  curms. 
Es  ist  übrigens,  da  diese  Dinge  im  Panegyr.  nicht  erw&hnt  werden,  mOglich, 
dab  sie  der  späteren  Periode  angehören. 

S)  Plin.  ep.  6,   19:   (candidatos)  patrimonii  terüam  partem  conferre    ' 
iwiit  in  ea  quae  solo  continererUur,  deforme  arbitratus  —  et  erat  —  honorem 
petitwros  wrbem  Bdliamque  non  pro  patria,  sed  pro  hospüio  aut  stahtdo  quasi 
peregrinantes  habere.    Hinsichtlich  des  Trajan  selbst  vgl.  ob.  S.  839  A.  1. 
Dafs  die  Maisregel  für  den  Augenblick  Anlals  zu  bedeutenden  spekulativen     j 

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—    346     - 

Abstimmimg  yerlt^ngte;  so  erliefs  er  auch  Verbote  gegen  den  im 
Senat  üblich  gewordenen  AmbituS;  was  der  Würde  wie  dem  Ver- 
mögen der  Senatoren  gleich  dienlich  war.^)  Die  wiederholten  Falle 
von  längerer  Abwesenheit  des  Kaisers  im  Feld  brachten  es  mit  sich, 
dafs  die  Kompetenz  des  Senats  sich  selbständiger  geben  konnte, 
jedoch  nicht  in  eigentlich  politischen,  sondern  nur  in  Verwaltnngs- 
fragen;  indem  er  aber  mit  und  neben  dem  Princeps  die  Ver- 
waltung leitete,  war  er  durch  die  Summe  von  Kräften,  die  in 
ihm  sich  zusammenfanden,  ein  keineswegs  überflüssiger  Faktor, 
und  Trajan  wiederum,  der  diese  Kräfte  heranbildete  und  durch 
sein  persönliches  Beispiel  bestimmte,  sorgte  damit  für  die  Würde 
der  Körperschaft  Die  Teilnahme  des  Senats  an  der  Becht- 
schafiPung  durch  Senatuskonsulte  macht  sich  mehr  geltend^),  und 
die  vor  ihm  yerhandelten  Repetundenprozesse,  die  früher  neben 
den  Majestätsprozessen  auch  zu  einem  Mittel  politischer  Ver^ 
folgung  und  der  Rache  geworden  waren,  werden  sachlicher  be- 
handelt.^) An  diesen  Funktionen  des  Senats  nimmt  der  Kaiser, 
wenn  er  in  Rom  ist,  als  Vorsitzender  regen  Anteil,  ohne  die 
Freiheit  der  Meinungsäufserung  zu  beschränken.  Daneben  steht 
seine  richterliche  und  administratiye  Entscheidung  in  den  ihm 
mit  seinem  Konsilium  vorgelegten  Sachen^),  und  das  aus  eigner 
Initiative  oder  aus  gegebenem  Anlafs  fliefsende  kaiserliche  Edikt 
Nicht  als  ob  diese  Organe  der  Rechtschöpfung  unter  den  früheren 
Kaisem,  selbst  den  am  meisten  despotischen,  nicht  auch  ord- 
nuDgsmäfsig  fungiert  und  auch  sachlich  entschieden  hätten, 
allein  das  sachliche  Motiv  hat  jetzt  nicht  mehr  mit  der  Kon- 
kurrenz der   politischen   und  persönlichen  Willkür  zu  kämpfen. 


Bewegungen  im  Provinzial-  und  italischen  Grundbesitz  gab,  ist  aus  Plinios 
zu  ersehen:  si  paenitet  U  Itcdicorum  praediorum,  hoc  vmdendi  Umpua  tarn 
hercule  quam  in  provinciis  comparandi,  dum  Odem  candidati  üUc  vendwüt 
ut  hie  emant.  Mit  der  Anordnung,  die  unter  Tiberius  hinsichtlich  der  Geld- 
anlage der  feneratorea  in  italischem  Grundbesitz  (Tac.  ann.  6,  16  f.)  gegeben 
worden  war,  ist  dies  nicht  in  Parallele  au  setzen.  —  Die  Briefe  des  betr. 
Buchs  sind  aus  den  J.  106/7. 

1)  Plin.  a.  a.  0.:  sumptus  candidatorum,  foedos  iüos  ei  infames,  amMM 
lege  restrinxit 

2)  AuTser  Francke  S.  492  f.  vgl.  Kariowa,  Rechtsgesch.  1,  643  ff. 

8)  Vgl.  Plin.  ep.  2,  11,  wo  eine  Verhandlung  unter  dem  Vorsitz  des 
Kaisers  geschildert  wird,  femer  3,  4.    9.   4,  9. 

4)  Falle,  in  welchen  Plinius  zum  Konsilium  gezogen  wurde  4,  M. 
6,  22.    6,  31. 

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-     347    — 

Die  Bechtsweisimg  xmd  Rechtspflege  trägt,  so  weit  aus  den  hie- 
für  vorhandenen  Zeugnissen  zu  ersehen  ist,  den  Charakter  der 
Billigkeit;  doch  ist  noch  nicht  ein  dem  nationalen  Recht  fremder 
Zug  neuer  philosophischer  oder  religiöser  Humanität  zu  bemerken, 
sondern  es  handelt  sich  nur  um  Milderungen,  die  ofiPenbarem  Mifs- 
brauch  steuern  sollen.^)  —  Die  Finanzyerwaltung  wird  in  dieser 
Zeit  in  ihren  Grundzügen  nicht  verändert:  es  verrät  sich  hier 
Unfruchtbarkeit  an  grolsen  prinzipiellen  Gedanken  in  der  Re- 
gierung, aber  man  war  auch  in  dieser  Periode,  in  welche  die 
grofsen  Bauten  Trajans  fielen,  durch  den  Ertrag  der  dakischen 
Beute  und  eine  geregelte  Verwaltung  der  ordentlichen  Einnahmen 
imstande,  das  Gleichgewicht  zu  erhalten,  ohne  auf  die  Steuer- 
pflichtigen mehr  zu  drücken,  als  die  Art  der  Steuererhebung 
ohnehin  mit  sich  brachte,  vielmehr  unter  Behandlung  von 
Steuerprozessen   in   aller   Form  Rechtens.^     Für   die    Aufrecht- 


1)  Vgl.  die  Yerfagong  zu  Gunsten  derer,  welche  widerrechtlichen 
Besitz  selbet  zur  Anzeige  brachten  Dig.  49,  14,  13,  die  in  Dig.  48,  18  auf 
Trajan  gehenden  Bestimmungen  über  die  quaestiones  n.  A.  Die  Bestimmungen 
über  Freigelassene  hinsichtlich  der  Beiziehung  zur  Folter,  eventnell  znr  Mit- 
bestrafdng  im  Fall  der  Ermordung  des  Herrn  durch  einen  unbekannten 
waren  ein  Zugeständnis  an  eine  vermeintliche  Sichorheitsgarantie  für  die 
Herren,  das  zeigt,  welch  wichtige  Bolle  in  den  Interessen  der  herrschenden 
Klasse  die  Abwehr  der  von  den  Sklaven  drohenden  Gefahr  spielte.  Vgl. 
die  Yerhaudlnngen  bei  Plin.  ep.  8,  14  und  Dig.  29,  5,  10.  Eingreifen  in 
die  Härten  der  patria  poUstas  gestattet  sich  Trajan  nnr  noch  in  einem 
einzelnen  Fall  und  weiterhin  durch  indirekte  Bestimmung  hinsichtlich  des 
Erbrechts,  noch  nicht  in  einer  allgemeinen  direkten  Milderung  (Dig.  37, 12, 5, 
wobei  die  Entscheidung  besonders  bemerkenswert  ist  wegen  der  Angabe 
der  ^a  der  betr.  Entscheidung  ratenden  Juristen  des  Konsiliums).  Die  Be- 
stimmungen über  das  Testament  haben  darin  einen  politischen  Charakter, 
dafis  sie  gegenüber  dem  Bestreben  früherer  Kaiser,  Vermächtnisse  sich  zu 
verschaffen  und  ganze  Vermögen  fflr  den  Fiskus  zu  gewinnen,  die  Freiheit 
des  Testierens  wieder  herstellten.  Plin.  Paneg.  43:  in  eodem  gener e  ponen- 
dwm  est,  quod  Ustamenta  nostra  secwa  swU  nee  unua  omnium  nimc  quia 
eeripim,  nunc  quia  non  scriptus,  heres, 

2)  Dafs  ein  Reformer  in  den  Steuerqnellen  und  der  Verwaltung  der 
Steuern  vieles  hätte  ändern  können,  ist  angesichts  des  ümstands,  dafs  stets 
betriLchtliche  Steuerrückständc  vorhanden  waren  und  dafs  schwere  Zeiten 
den  Druck  sofort  unverhältnismäfsig  steigerten,  unbestreitbar.  Mit  solchem 
Besserungsbedürfnis  steht  in  starkem  Kontrast,  wenn  Trigan  die  Mittel  des 
Staat«  dadurch  zu  mehren  sucht,  dals  er  die  Münze  verschlechterte. 
(Mommsen,  r.  Münzw.  764.  767.  766.)  Für  die  Sparsamkeit  und  Ordnung 
in  der  laufenden  Verwaltung  spricht  dagegen  der  Briefwechsel  mit  Plinins 
(vgl.  18.  24  K.  u.  sonst);  hinsichtlich  der  Steuerprozesse  vgL  Plin.  paneg.  36:     j 

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—    348     — 

haltung  der  Leistungsfähigkeit  der  Gemeinden  hatte  Trajan  ein 
wachsames  Auge:  jetzt  haben  wir  Sicherheit  über  die  Existenz 
Yon  Gemeindekuratoren  y  die  Yon  Staats  wegen  die  Lokalverwal- 
tungen  zu  revidieren  und  zu  beaufsichtigen  hatten^);  und  hin- 
sichtlich der  Provinzen  ist  uns  dadurch  ^  dafs  die  Senatsprovinz 
BithjuieU;  in  welcher  sich  die  Mifsbräuche  der  Senatsverwaltung 
besonders  deutlich  gezeigt  hatten ,  in  die  kaiserliche  Yerwaltong 
übernommen  wurde  ^),  ein  Einblick  in  die  Yerwaltungsgnmdsatze 
Trajans  geboten.  Für  die  Fähigkeit  und  den  Eifer  des  Kaisers 
in  der  Oberleitung  legen  die  Detailentscheidungen  auf  die  An- 
fragen des  Statthalters  mit  ihren  sachlich  ebenso  einfach  als 
klar  begründeten ;  kurz  gefafsten  und  bestimmt  eingreifenden 
Weisungen  ein  glänzendes  Zeugnis  ab.  Nicht  alle  Statthalter 
werden  so  viel  gefragt  und  damit  so  viele  Entscheidungen  er- 
halten haben,  aber  nach  Abzug  der  besonderen  Verhältnisse  darf 
man  dieses  Beispiel  doch  wohl  als  eines  unter  vielen  annehmen. 
Aber  freilich  mit  Entscheidungen  im  einzelnen  Fall  war  für  die 
Besserung  der  wirtschaftlichen  Lage  der  verschiedenen  Teile  des 
Reichs  nicht  gesorgt,  und  wenn  wir  sehen,  dafs  unter  den  im 
übrigen  für  das  Erwerbsleben  ungemein  günstigen  Verhältnissen 
des  Friedens  im  Innern,  eines  gewinnreichen  Kriegs  nach  auüsen, 
der  Erleichterung  des  Verkehrs  unter  allen  Teilen  des  Reichs 
und  des  Handels  nach  aufsen  doch  ein  wesentlicher  Mafsstab  für 
das  Resultat,  der  Wohlstand  der  Gemeinden,  bereits  im  Still- 
stand, wo  nicht  im  Verfall  erscheint,  so  zeugt  dies  für  unrichtige 
Verwendung  und  Verteilung  des  erworbenen  Reichtums.  Eine 
Seite  dieses  Übelstands  lassen  die  noch  vorhandenen  munizipalen 
Luxusbauten  erkennen,  die,  wie  Theater,  Bäder  und  Gymnasien 
selbst  in  kleineren  Städten  nicht  nur  mit  unverhältnismafsig 
grofsen  Kosten  erbaut  wurden,  sondern  auch  mit  ihren  Zwecken 


Qiuim  %uv(xt  cemere  aerarium  süens  et  quietum  et  gtude  ernte  delatores  eratf  — 
eodem  foro  tUuntur  principattis  et  libertM,  quaeque  praecipaa  iua  gloria  est^ 
saepius  vincüur  fiscus,  cuitM  mala  causa  nunquam  est  nisi  sub  hono  prinäpe, 
Ingens  hoc  merttum,  maiiM  üluä,  quod  eos  procuratores  hohes,  ^  phrwnqne 
eives  tut  non  dlios  iudices  mälint, 

1)  Die  Reihe  der  fortlaufeoden  Inschriften  von  solchen  curatares  be- 
ginnt mit  der  Zeit  Trsgans.  Henzen,  ann.  d.  inst  1861  p.  9S.  Im  Qbrigen 
8.  ob.  S.  309  A.  1. 

2)  Trajan  an  Plin.  (ep.  82  K.):  Meminerimus  idcirco  te  in  istam  pro- 
vinciam  missum,  quoniam  muUa  in  ea  emendanda  apparuerunt;  über  die  Zeit 
dieser  Übernahme  Bithyniens  ob.  S.  341  A.  3. 

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^     349     ~ 

den  fortwährenden  Aufwand  der  Einzelnen  wie  der  Privaten  in 
der  wenigst  produktiven,  ja  häufig  in  ruinierender  Weise  in  An- 
spruch nehmen  mufisten.  Trajan  hat  allerdings  dies  erkannt  und 
so  nach  Bithynien  entsprechende  Mahnung  ergehen  lassen  ^)^  er 
hat  femer  durch  die  Nutzbauten,  die  er  in  Rom,  Italien  und  den 
Provinzen  aufif&hren  liefs,  dem  Unternehmungsgeist  richtigere 
Wege  gewiesen,  daneben  aber  durch  die  eigenen  Luxnswerke 
und  durch  das,  was  er  fQr  das  Vergnügen  und  die  Schaulust  der 
Hauptstadt  that,  verführerisch  gewirkt.*)  Aber  noch  bedenk- 
licher war,  daXs  Trajan  die  Leistungsfähigkeit  des  römischen 
Reichs  im  Wehrsystem  nicht  wesentlich  forderte.  Der  Kaiser, 
der  zuerst  nach  langer  Pause  wieder  erobernd  auftrat,  der  das 
bestehende  Heerwesen  und  was  im  ganzen  Reich  an  Hülfsmitteln 
für  die  Förderung  desselben  vorhanden  war  übersah  wie  wenige, 
der  in  dem  Siegesdenkmal  des  dakischen  Kriegs  die  Leistungen 
dieses  Heers,  seine  Organisation,  seine  technischen  Mittel,  seine 
Verwendung  im  grofsen  Krieg  wie  in  kleinen  Kämpfen  der 
Nachwelt  in  einziger  Weise  dargelegt  hat,  ist  nicht  zu  dem 
Entschluls  gekommen,  die  Grundlage  des  Heerwesens,  die  Aus-  * 
hebungsordnung  im  Sinne  stärkerer  Inanspruchuahme  der  Bürger 
zu  ändern  und  den  Militäraufwand  so  zu  gestalten,  daüs  dauernde 
Aufstellung  stärkerer  Wehrkraft  möglich  war  ohne  Störung  des 
Gleichgewichts  der  Finanzen.  Er  hat  wohl  neue  Legionen  ge- 
schaffen, aber  nur  an  Stelle  von  eingegangenen  älteren"),  wäh- 
rend doch  die  neuen  Provinzen  das  Bedürfnis  vermehrten,  und 
die  Schonung  nicht  nur  der  Italiker,  sondern  auch  der  Bürger- 
bevölkerung in  den  Provinzen  hat  er  beibehalten.  Das  am  An- 
fang dieser  Regierung  ausgesprochene  Wort  von  den  inermes 
pravinciae  und  ipsa  inprimis  Italia  cuicmnque  servitio  exposita  (ob. 
S.  312  A.  3)  gilt  am  Ende  derselben  in  dem  gleichen  Sinne,  ja  noch 

1)  Traj.  an  Plin.  88  K.:  ad  diligentiam  tuam  pertinet  inquirere,  quorum 
vüio  ad  hoc  iempua  tantam  pecimiatn  Nicomedenses  perdiderint,  ne,  dum  inter 
se  graUficanUtr,  et  inchoaverint  aquae  ductus  et  reliquerint.  40  E.:  gymnasiis 
induXgent  Graeculi,  ideo  forsitan  Nicaeenses  maiore  animo  constructionem 
ehu  adgressi  sunt;  sed  opportet  tllos  eo  contentos  esse,  quod  possit  Ulis  sufficere. 

2)  Dio  68,  7.   Kurze  Zasammenstellung  der  Werke  bei  Schiller  1,  567. 
8)  Dio  66,  24:    Tgcoavog  (ovvsta^e)  to  dsvtBQOV  tb  Alyvnxtov  %al  xo 

xqux%ocxbv  x6  FeiffMcvinov,  a  %al  ä(p'  iccvxov  in(ov6(Mcasv.  Die  Nummer  80 
war  Dicht  in  der  Reihenfolge  der  Nommem  gegeben,  sondern  sollte  die 
Qetamtmhl  anzeigen;  aber  80  Legionen  gab  es  anch  schon  unter  Yespasian 
(vgl.  die  Aufzählung  bei  ßorghesi  oeuyr.  IV.  p.  240  A.  2). 

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—    350    — 

viel  stärker  mit  allen  Konsequenzen^  welche  die  Abwendung  einer 
Bevölkerung  vom  Kriegsdienst  nach  sich  zieht;  und  fOr  jede 
weitere  Generation  schärft.^)  Der  Grund  dieses  Verfahrens  ist 
unschwer  zu  finden:  die  Abneigung  der  kultivierten  Bevölkerung 
gegen  den  Kriegsdienst  schien  zu  grofs,  um  überwunden  za 
werden^  und  man  glaubte,  besseres  Material  in  den  noch  jüngeren 
Bestandteilen  des  Reichs  zur  Genüge  zu  finden.  Die  Folge  zeigte, 
dafs  dies  kurzsichtige  Politik  war,  und  Trajan  trägt  hieran  viel- 
leicht in  besonderem  Mafse  die  Schuld ,  sofern  unter  ihm  noch 
am  meisten  die  Möglichkeit  vorlag,  gröfsere  Anforderungen  an 
die  Bevölkerung  zu  machen.  Und  wenn  nun  ein  Gesamtarteil 
über  die  Reichsverwaltung  Trajans  gefällt  werden  soll,  so  wird 
es  dahin  festzustellen  sein,  dafs  der  Kaiser  den  Zustand  des 
römischen  Reichs,  den  er  antraf,  in  allen  Teilen  besserte  und 
überall  fOr  zweckmäfsige  Anwendung  des  Bestehenden  sorgte, 
dafs  er  von  den  besten  Intentionen  geleitet  allen  Schichten  der 
Bevölkerung  aufzuhelfen  suchte,  dafs  er  in  seinem  ganzen  Auf- 
treten Milde  mit  Festigkeit  zu  vereinigen  wufste  und  durch  seine 
'  persönliche  Haltung  das  Principat  in  ein  natürliches  Verhältnis 
zu  den  Unterthanen  brachte,  dafs  er  endlich  dies  alles  that  aas 
eigener  Kraft,  ohne  Günstlingseinflufis  nur  mit  denjenigen  Be- 
ratern, welche  die  Reichsverfassung  ihm  als  die  legitimen  zur 
Verfügung  stellte,  dafs  aber  ein  reformierendes  Hinausgehen  über 
die  Zustände,  die  er  antraf,  und  in  die  er  durch  seine  Laafbi^ 
*  sich  hineingelebt  hatte,  seinem  Willen  oder  seinem  Gesichtskreis 
ferne  lag. 
Geistiges  Leben         5.  Für  das  politisch-seistiiTe  Leben  der  in  demselben  f&hren- 

unter  Trjyan.  f  o  o 

Tacitus  und  dcu  Kxcise  uud  für  das  geistige  Leben  im  Reich  überhaupt  ist 
die  Zeit  Trajans  in  mehr  als  einer  Beziehung  von  grofser  sympto- 
matischer Bedeutung.  Trajan  selbst  hat  allerdings  in  die  geistige 
Bewegung  seiner  Zeit  wenig  eingegrifien,  sein  Verdienst  —  und 
es  ist  dies  grofs  genug  —  war,  dafs  er  ihr  freie  Bahn  liefe; 
direkt  fördernd  und  zwar  mit  grofsen  Mitteln  erscheint  er,  ab- 
gesehen von  der  Gründung  der  Bibliothek  auf  seinem  Forum, 
nur  auf  dem  Gebiete  der  Kunst;  es  sind  Männer  zweiten  und 
dritten  Rangs,  ein  Licinius  Sura  und  Titinius  Oapito,  die  unter 


1)  Wenn  die  Verdienste  um  Hebung  des  Heerwesens,  welche  dem 
Hadrian  zugeschrieben  werden  (s.  unten),  nicht  übertrieben  sind,  so 
hätte  Trajan  trotz  seines  beständigen  Verkehrs  mit  den  Soldaten  sich  weniger 
um  das  Detail  des  Dienstes  gekümmert. 

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—     351     - 

ihm   als  Mäcenate  für  die  Litteratur  auftreten.*)     Aber  indirekt 
war  die  Wirkung  seines  milden  Regiments  eine  bedeutende.   Jene 
Freiheit  des  Gedankens^   die  wir  zu  Anfang  der  Regierung  Tra- 
Jans  begrüfst  sehen  mit  dem  Jubelruf  des  Tacitus  über  das  Glück 
der  Zeit^  in  der  erlaubt  sei  zu  denken  was   man  wolle  und  aus- 
zusprechen was  man  denke,   gestattete  Yor  Allem  unbeschränkte 
Kritik   der   Vergangenheit^    aber  auch    bis   zu   einem   gewissen 
Grade  jedenfalls  Diskussion  der  Bedürfnisse  der  Gegenwart.  Plinius 
benützte  diese  Kritik  gegen   die  Zeit  Domitians  zu  Beschwerden 
personlicher  Art  und  zur  Begründung  seines  Anspruchs  auf  be- 
sondere Berücksichtigung  unter  der  neuen  Regierung,  Sueton  zur 
Sammlung   und  Preisgebung   aller  auch  der   intimsten    und  ge- 
ringsten  Kammerdieneranekdoten   über    die   früheren   Regenten, 
Martial,  soweit  dieser  überhaupt  noch  in  Betracht  kommt,  zur^ 
Ausbeutung  der  Gegenwart  auf  Kosten  der  Vergangenheit  und 
zur  Rache  des  unbelohnten  Dichters,  Juvenal  zu  der  freiesten  rheto- 
rischen Steigerung  der  sozialen  Satire,  Tacitus  für  die  Ausbildung 
einer  Geschichtschreibung,  welche  die  selbsterlebten  oder  von  den 
nächstvorhergehenden  Geschlechtern  überlieferten  Ereignisse  mit 
der  Wirkung  dramatischer  Spannung  und  einem  grofsen  idealen  Ge- 
halt darzustellen  weifs.  So  sind  es  wohl  bekannte  und  selbst  grofse 
Namen,  welche  diese  Zeit  bietet,  aber  wenn  wir  fragen,  was  auf  die- 
selbe gefolgt  ist  und  daran  die  Nachhaltigkeit  ihrer  Kraft  messen, 
ist  eine  Herabstimmung  des  Urteils  unmittelbar  gegeben.    Wie  in 
der  allgemeinen  Reichsgeschichte  nicht  Politiker  auftreten,  sondern 
nur  tüchtige  Verwaltungsmänner  und  Soldaten,  so  vertritt  in  der 
Litteratur  Plinius  seine  Zeit,  nicht  Tacitus.     Was  entspricht  bei 
diesem  letzteren  am  Ende  dieser  Regierung  jener  freudigen  Er- 
hebung,   der   er   am   Anfang   Worte    geliehen?     Erscheint  ihm 
das  Programm  des  mit  der  Freiheit  verbundenen  Imperiums,  der 
Monarchie,  welche  zwar  nicht  die  Freiheit  selbst  ist   aber  doch 
ihr  nächstberechtigter  Ersatz,   in   befriedigender  Weise  erfüllt? 
Offenbar  nicht    Das  Proomium  der  Annalen  ist  weit  entfernt  von 
denen  des  Agricola  und  der  Historien,  und  die  Geschichte  Nervas 
und  Trajans,  die  er  nach  den  Historien  schreiben  wollte,  hat  er 
mit  der  des  weiter  zurückliegenden  Despotismus  vertauscht.    Es 
liegt  darin   gewifs   viel   von   jener    individuellen   Richtung   der 
eigentümlich  historisch-rednerischen  Tendenz,  die  an  dem  grofsen 

1)  Hart.  6,  64,  13.    Plin.  ep.  5,  8.   8,  12.    Auch  PÜDins  selbst  kann 
diesen  logerechnet  werden  ep.  3,  21.  r^  T 

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-     352    — 

Gegensatz  der  Republik  und  der  Ausbildung  eines  monarchisdien 
Despotismus  sich  nährt  und  ihm  ihre  kräftigsten ,  Motive  ent- 
nimmt, jener  Tendenz,  die  bei  diesem  Geschichtschreiber,  einem 
neuen  Manne,  der  eher  den  frischen  Interessen  der  Gegenwart, 
als  den  Erinnerungen  der  aristokratischen  Republik  angehorte, 
nicht  in  äufseren  Umständen,  sondern  in  geistiger  IndiTiduahüt 
und  der  Richtung  seiner  Bildung  begründet  war.  Allein  es  ist 
dies  nicht  das  einzigbestimmende  für  jene  Umkehr  seines  Plans. 
Ob  es  der  Geschmack  für  schriftstellerische  Thätigkeit  oder 
Widerwille  war,  der  ihn  zu  der  Zurückgezogenheit  vom  öffent- 
lichen Leben  veranlafste,  die  er  unter  Trajan  einhielt,  ist  nicht 
zu  sagen;  aber  die  ganze  Richtung  der  Annalen  zeigt  gegenüber 
den  Historien  eine  bittere  Stimmung.  Es  ist,  wie  wenn  ein 
Vorgeschmack  des  nun  kommenden  Niedergangs  über  ihn  ge- 
kommen wäi'e,  ein  Gefühl  dafür,  dafs  bei  allem  Düsteren,  welches 
das  Ringen  der  früheren  Cäsaren  mit  den  Resten  der  Republik 
bot,  diese  Zeit  doch  selbst  aus  dem  blofsen  Leiden,  zu  dem  sie 
verurteilt  war,  mehr  Kraft  zog  und  zeigte,  als  die  politisch  in- 
difiPerente  Gegenwart  aus  dem  alles  versöhnenden  Regiment  des 
besten  Kaisers.  Dem  Plinius '  lagen  solche  Gefühle  ferne;  und 
ihr  Ausdruck  bei  einem  andern  ist  ihm  höchstens  eine  Form 
von  litterarischer  Bedeutung.  Er  gehört  zu  den  Befriedigten 
ohne  Rückhalt,  ihm  ist  wirklich  jetzt  das  Lnperium  mit  der 
Freiheit  und  allen  ihren  Segnungen  verknüpft,  imd  nur  nach 
^iner  Seite  hin  steht  er  noch  auf  demselben  Boden  wie  Tacitas^ 
Vfie  der  Kaiser  selbst  und  wie  die  übrige  leitende  Gesellschafl 
dieser  Zeit,  in  der  national -römischen  nur  mit  griechischer  Bil- 
dung vereinigten  Gefühls-  und  Denkungsweise. 
N«uonairöini-  6.   In  dicscm  Sinne  macht  die  Zeit  Trajans  einen  gewissen 

•eher  Charakter.  •'  ° 

Abschlufs,  und  dafs  hier  die  Art  und  Weise  des  Kaisers  von 
grofser  Bedeutung  war,  zeigt  die  unmittelbar  darauf  folgende 
Regierung.  Trajan  war,  wie  der  ganze  in  der  Yerwaltong 
emporgekommene  Kreis,  einfach  in  die  Tradition  des  römischen 
Wesens  eingegangen,  und  seine  spanische  Heimat  war  so  weit 
römisch  geworden,  dafs  seine  Herkunft  dem  entgegenwirkende 
Einflüsse  nicht  üben  konnte.  Unterrichtet  genug,  um  in  einer 
hochgebildeten  Gesellschaft  ebenbürtig  zu  erscheinen^),  stand  er 


1)  Dio  68,  7:  naidsCag  (ikv  yäq  d%(fvßovgf  ocij  iv  Xoyo^,  ov  (istht^^ 
x6  ys  iiiiV  ^Qyov  avtrjg  xal  rin^atato  xal  ixoist» 

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—    353    — 

doch  dem  litterarischen  Treiben  seiner  Zeit  ungeföhr  so  fern 
nnd  frei  gegenüber  wie  ein  Staatsmann  der  vorciceronischen 
Zeit,  nnd  vollends  phantastischen  fremden  Einflüssen  war  sein 
schlichter,  nüchterner  Sinn  vollständig  unzugänglich.  Auch 
soziale  Fragen,  wie  sie  in  den  unteren  Klassen  der  Bevolkenmg 
auftauchten  und  in  dem  Genossenschaftswesen  wenigstens  auf 
griechischem  oder  hellenistischem  Boden  zunächst  ein  Element  von 
gesellschaftlicher  Selbsthilfe  hereinbrachten  und  mindestens  neue 
Probleme  schaffen  konnten,  wies  er  voll  Mifstrauen  ab  und  setzte 
ihnen  einfach  die  Auktorität  der  Gewalt  von  oben  enl^egen, 
welche,  so  weit  ihre  Mittel  und  ihr  Herkommen  reicht^  sorgt  und 
überwacht  und  im  übrigen  ihre  Anforderungen  an  den  ein- 
zelnen stellt.^)  Aber  es  war  die  letzte  Zeit  der  Herrschaft;  des 
nationalen  Geistes;  denn  was  Trajan  thun  konnte,  um  denselben 
mit  den  dafür  in  den  oberen  Ständen  noch  vorhandenen  Ejräfken 
auch  für  die  Zukunft  zu  sichern,  nämlich  einen  Nachfolger  von 
denselben  Grundsätzen  zu  bestellen,  geschah  nicht. 

7.  Unter  Trajan  hatte  die  romische  Regierung  zum  ersten  nie  christeu- 
Mal  Veranlassung,  sich  über  ihre  Stellung  gegenüber  den  Christen 
offen  zu  erklären.  Auch  hiezu  gab  der  Eifer  des  Plinius  als  Statt- 
halters in  Bithynien  den  Anlafs.  Erfunden  hat  dieser  die  Christen- 
frage nicht,  sondern  sie  bot  sich  ihm  dar;  allein  sie  hätte  sich  ebenso 
den  übrigen  Statthaltern  der  ostlichen  Provinzen,  namentlich  dem 
der  Provinz  Asien  bieten  können,  wo  das  Christentum  in  derselben 
Weise  in  den  Städten  wie  auf  dem  platten  Lande  Verbreitung 
gefunden,  aber  in  dem  für  die  Augen  der  Verwaltung  inoffen- 
siven Charakter  der  bereits  vom  Judentum  sich  emanzipierenden 
christlichen  Genossenschaften  zu  keiner  allgemeinen  Mafsregel 
Anlafs  gegeben  hatte.  Delationen  gegen  Christen,  sei  es  aus  dem 
Brodneid  der  von  dem  heidnischen  Kultus  Gewinn  ziehenden 
Kreise  heraus,  wie  solche  Plinius  erwähnt,  oder  aus  andern  Motiven 
personlicher  Feindschaft  kamen  wohl  überall  vor  und  werden 
zumeist  auf  dieselbe  Anklage,  zu  der  die  Christen  Veranlassung 
geben  mufsten,  hinausgekommen  sein,  die  Weigerung,  den 
Kaisem  die  in  den  ostlichen  Provinzen  in  besonderem  Mafse  ge- 
steigerten gottlichen  Ehren  zu  erweisen,  überhaupt  an  Ceremo- 
nien  teilzunehmen,  die  solche  Gotteslästenmg  in  sich  schlössen. 
Bei  Christen,  die  vom  Judentum  herkamen  oder  mit  ihm  Fühlung 


1)  Trajan  an  Plin.  S4  K.  n  ] 

Her.og,  d.  röm.  StaatoTerl  IL  1.  Dg^^ed  byLjOOglC 


—     354    — 

hatten^  war  dies  weniger  aujBTallend;  denn  diese  Frage  war  g^en- 
über  den  Juden  ja  längst  aufgeworfen  und  wurde  im  Allgemeinen 
tolerant  behandelt,  und  so  war  es  immerhin  der  Verwaltung  und 
den   Gerichten   möglich,   die   christliche   supersHtio   dem    analog 
anzusehen.    Aber  man  konnte  auch  anders  verfahren,  auf  etwaiges 
Vorhandensein   nationaler  Motive,   die   einer  gewissen   Dnldong 
herkömmlich  teilhaftig  waren,  überhaupt  keine  Bücksicht  nehmen 
oder  wenigstens  nicht   für   die,   welche   früher  Heiden  gewesen 
waren  und  nun  plötzlich  und  auffallend,  eigenem  früherem  Ver- 
halten zuwider,  die  Verehrung  des  Kaisers  wie  der  heidnischen 
Götter   einstellten.    Der   Prozefs   wurde   den   Verhaltnissen    der 
Zeit  entsprechend  am  einfachsten  auf  Majestfttsverbrechen  gestellt^ 
eine  Art  der  Klage,  die  wohl  in  Rom  gegen  die  bisher  dadurch 
beunruhigten  Kreise  ruhte,  aber  in  solchen  Fallen  jederzeit  zu- 
lässig war.     Dazu  kam  in  Bithynien  das  eben  vorher  von  Trajan 
selbst  angeordnete  Verbot  der  Hetärien  oder  Genossenschaften, 
das   nach   dem  Zeugnis   des  Plinius   die  Christen   selbst   sofort 
als   mit   auf  sie    anwendbar  erachtet  hatten,   obgleich   es  ganz 
andern  Anlafs  gehabt.^)     Soweit  Plinius  selbst  zu  urteilen  hatte, 
verfuhr   er   zunächst   ungefähr   wie  Pilatus  gegen  Christus:  die 
religiöse  Seite  kam  ihm  nur  in  ihrer  Verbindung  mit  der  poUii- 
sehen   in  Betracht;   andrerseits   war   er  unbefangen   genug,  die 
sonstige  gute  Haltung  der  Christen  anzuerkennen,  und  als  ein 
nicht  inhumaner  Mann  war  er  geneigt,   soweit  ihm  die  Ange- 
klagten irgend  es  erleichterten,  Schonung   eintreten  zu   lassen; 
wo   sie  dagegen  jedes  Zugeständnis  verweigerten,   nahm  er  mit 
der    bei    den    römischen    Beamten    üblichen    Nichtachtung    der 
Existenz  der  Provinzialen  keinen  Anstand,  Kapitalurteile  g^en 
diese  zu  fällen,  während  gegen  römische  Bürger  das  gegen  sie 
vorgeschriebene   Verfahren   der   Einsendung  nach  Rom   eintrat 
Immerhin  veranlafste  ihn  die  Häufigkeit  der  Fälle  und  die  Un- 
sicherheit über  die  Denkungsweise  des  Kaisers  zu  einer  Anfrage.^) 
Die  Antwort  des  Kaisers  war  im  Ganzen  anerkennend  für  den 


1)  Plin.  an  Tr%j.  96  E.:  (die  reuigen  Angeklagten  sagen  aus)  quod 
ipsum  facere  (<L  h.  sich  an  den  YersammlnDgen  der  Christen  zu  beteiligen) 
desisse  post  edictum  meum,  quo  sectmdum  mandata  tua  hetaerias  esse  ve- 
tueram. 

2)  Ebendas.:  nihü  aliud  inveni  quam  superstitumempravamimmodicttm; 
ideo  dtkUa  cognitione  ad  consviendum  te  decucurri;  visa  est  enim  res  digna 
consultcUione  maxime  propter  pcriditantium  numerum,     ^  , 

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-     355    — 

Statthalter,  zugleich  in  den  Entscheidongsgründen  und  dem  ge> 
naneren  Inhalt  der  Entscheidung  dem  Charakter  des  Kaisers 
entsprechend.  Getreu  den  Grundsätzen  humanen  und  gerechten 
Verfahrens ;  die  er  auch  sonst  in  seinen  Edikten  über  gericht- 
liehes  Verfahren  Tertrat,  verbot  er  Berücksichtigung  anonymer 
Klagen,  wollte  also  offenes^  geordnetes  Verfahren,  billigte  die 
Schonung  derer,  welche  irgend  zu  einer  solchen  die  Hand  boten, 
übei^ng  die  Beziehung  auf  seine  Person  mit  Stillschweigen  und 
yerlangte  nur  als  Kennzeichen  der  Gresinnung  das  Sichherbeilassen 
zu  Opfern  *far  unsere  Götter*;  dagegen  mit  der  Bestrafung  der 
Hartnackigen  war  er  einTcrstanden.^)  Die  Art  der  Klage  be* 
zeichnet  er  so  wenig  wie  Pliniüs;  er  konnte  jedoch,  auch  wenn 
er  von  der  Verweigerung  der  Verehrung  seiner  Person  ganz  ab- 
sah, die  Nichtanerkennung  der  römischen  Götter  unter  den  Begriff 
des  Majestätsverbrechens  als  gegen  die  Majestät  des  Reichs  und 
der  offiziellen  Religion  gerichtet  befassen.  Bemerkenswerter 
Weise  wird  von  ihm  das  Vergehen  gegen  sein  eigenes  Verbot 
der  Hetarien  gar  nicht  in  Betracht  gezogen.  Das  Neue,  das 
damit  gegeben  war,  lag  eben  in  dem  kaiserlichen  Edikt  an  sich: 
nun  war  das  Verfahren  gegen  die  Christen  von  der  höchsten 
Obrigkeit  anerkannt  und  selbst  milden  Statthaltern  es  erschwert^ 
sie  zu  ignorieren. 

8.  Die  zwei  letzten  Jahre  Trajans  gehören  ganz  der  aus-  Trajant  Ende 
wartigen  Politik  an.  Dafs  er,  mehr  als  sechzigjährig  und  ohne  Hadrians. 
leiblichen  Sohn,  zu  dem  groüsen  Unternehmen  eines  Eroberungs- 
zQgs  im  Orient  auszog,  ohne  durch  Vornahme  einer  Adoption  die 
Nachfolge  vorzubereiten,  ist  verschiedener  Deutung  filhig;  die 
einfachste  mag  immerhin  die  sein,  dafs  dieselbe  Zuversicht,  die 
ihn  in  so  hohem  Alter  den  Feldzug  unternehmen  liefs,  ihm  ^uch 
das  Bedürfnis  solcher  Fürsorge  entfernter  und  die  Möglichkeit 
offen  erscheinen  liefs,  im  Verlauf  eben  dieses  Kriegs  den  rich- 
tigen Mann  zu  finden,  oder  den,  den  er  schon  im  Auge  hatte,  zu 
erproben.     Unter  den  Rückschlägen,    welche   nach   den  grofsen 


1)  ep.  97:  qui  negaverü  se  Christicmum  esse  idque  re  ipsa  mamfestum 
fecerü  id  est  supplieando  dis  nostris,  quanwis  siupectm  in  pratUriiuim^  re- 
mam  ex  paenüetUia  impetret.  —  HioBichtlich  der  Bonstigen  Zeognisse  über 
das  Verfohren  gegen  die  Christen  unter  Trojan  Tgl.  Hansrath,  neuteat. 
Zeitgesohiehte  8,  894:  j^Direkte  glaubwürdige  Nachrichten  üher  Umfemg  und 
Verlaof  der  Trajanischen  Yerfolgong  sind,  PlinioB  abgerechnet,  nicht  vor- 
handen.** 

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-    356    - 

Erfolgen  der  Anfange  des  Kriegs  eintraten,  war  der  Kaiser 
totlich  erkrankt  Dafs  man  nach  seinem  Tode  ein  Adoptions- 
dokument von  seiner  Hand  vorzeigen  konnte,  lautend  auf  den 
Namen  des  P.  Alius  Hadrianus,  Verwandten  des  Kaisers  und 
Günstlings  der  Kaiserin  Plotina,  kann  als  erwiesen  betrachtet 
werden;  ein  anderweitiges  Zeugnis  ö£fentlicher  Art  aber  für  die 
darauf  zielende  Willensäufserung  war  nicht  vorhanden.^) 

§  81.    Hadrian,  AntoninuB  Pins  und  Maro  AureL^ 

Charakter  der  1.  Das  durch  Trajau  gefestigte  Reich  genofs  unter  den  drei 

folgenden  Regierungen  einer  Sicherheit  und  Pflege  der  Ver- 
waltung und  —  mit  Ausnahme  des  Schlusses  der  letzten  dieser 
Regierungen  —  einer  äufseren  Ruhe,  wie  zu  keiner  andern  Zeit 
und  ist  deshalb  auch  arm  an  StolBT  geschichtlicher  Einzeldaten. 
Aber  die  römische  Welt  erlitt  unter  diesen  Regierungen  und 
mit  durch  den  Charakter  der  Herrscher  eine  Umwandlung  tief- 
greifendster Bedeutung  politischer  und  geistiger  Art,  es  bereitet 
sich  eben  jetzt  unter  der  Oberflache  einer  Zeit  höchster  Blüte 
der  Übergang  zu  den  Zeiten  des  niedergehenden  Reichs  vor. 

1)  Die  Frage,  ob  das  Dokument  echt  war  (Dio  69,  1.  vita  Hadr.  4), 
ist  nicht  zn  entscheiden.  Unter  den  gegebenen  Umständen  aber,  da  Trojan 
keinen  andern  bestimmt  hatte  —  denn  was  von  Neratins  Priscns  gesagt 
wurde  (vit.  4),  war  ja  nur  Gerücht  — ,  in  Wirklichkeit  kein  unbedingt  her- 
vorragender Mann  neben  Hadrian  vorhanden  war,  dieser  selbst  von  Trajan 
bereits  die  Stellvertretung  im  Oberkommando  der  Orientarmee  erhalten 
hatte  (Dio  68,  33),  war  es  sicherlich  der  einzige  Weg,  eine  ruhige  Nach- 
folge zu  haben,  dafs  Hadrian  dieselbe  erhielt.  Dem  Charakter  Trajans 
mochte  es  allerdings  nicht  ganz  fern  liegen,  daran  zu  denken,  dafs  dem 
Senat  die  Wahl  unter  mehreren  namentlich  bezeichneten  überlassen  bleiben 
sollte  (vit.  Hadr.  4). 

2)  Mit  Hadrian  kommt  neu  herein  die  nun  fortlaufende  Quelle  der 
Biographieen  der  Scriptores  historiae  Augustae,  von  denen  die  zunächst  hier 
in  Betracht  kommenden  von  Älius  Spartianus  sind  mit  einer  Widmung  an 
Diocletian,  und  deren  Quellen,  soweit  sie  nicht  authentisch  sind,  für  die 
Zeit  des  zweiten  Jahrhunderts  auf  den  Anfang  des  dritten  zurückgehn.  Die 
Litteratur  über  diese  Quellen,  über  die  Art  der  Darstellung  und  die  Olanb- 
Würdigkeit  s.  bei  Teuffel-Schwabe,  Litteraturgesch.  §  892.  Über  Marius 
Maximus  als  die  wesentlichste  Quelle  für  die  Biographieen  deijenigen 
Kaiser,  mit  denen  dieser  sich  beschäftigt,  J.  J.  Müller  in  Büdingers  Unter- 
suchungen ni  S.  67 — 202.  In  einzelnen  Notizen  kommt  Ammian  in  dem  uns 
erhaltenen  späteren  Teil  seiner  Berum  gesta/rum  libri  auf  die  frühere  Zeit 
zurück;  begonnen  hat  er  mit  Nerva.  —  Die  monumentalen  Quellen  sind 
zahlreich,  doch  fehlen  Urkunden  ersten  Bangs. 

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-    357    — 

2.  Nachdem  der  neue  Kaiser^)  die  Anerkenoung  des  syrischen  HMirianf  Por- 
Heeres  erhalten,  handelte  es  sich  um  die  Auseinandersetzung  mit  Be^er^ng^" 
dem  Senai    Der  Kaiser  kam   diesem  entgegen ,   indem  er   das      ^ 
Verstimmen   des  Heers   als   ein   ungewöhnliches   und  von   dem 
Herkommen  abweichendes  Verfahren   anerkannte  und   entschul- 
digte, dem  Senat  das  Recht  der  eigentlichen  Entscheidung  zu- 
gestand und  seine  Anerkennung  sich  erbai^)     Die  Folge  zeigte, 
dafe  es  im  Senat  keineswegs  an  Gegnern  Hadrians  fehlte,  aber 
fOr  den  Augenblick  konnten  sie,  sei  es  wegen  des  Überraschen- 
den oder  weil  sie  nicht  Fühlung  unter  sich  hatten,  nicht  gegen 
ihn  auftreten,   und  so  bewilligte  der  Senat  ohne  Opposition  die 
Anerkennung  und  gewährte  die  Titel  der  kaiserlichen  Würde,  was, 
da  nichts  vorbereitet  war,  für  die  verschiedenen  Seiten  der  Gewalt 
zumal  geschehen  mufste. 

Die  ersten  Schritte,  welche  Hadrian  zur  Sicherstellung  seines 
Imperiums  sowohl  in  dem  erwähnten  Verhalten  zu  Heer  und 
Senat  wie  in  der  äufseren  Politik  that,  zeigen,  dafs  er  der  Mann 
war,  die  Lage  zu  beherrschen.  Eine  bestreitbare  Herrscher- 
stellung ohne  Widerstand  behaupten,  eine  Eroberungspolitik  ohne 
Beeinträchtigung  der  eigenen  wie  des  Reiches  Würde  aufgeben 

1)  Geb.  24.  JaD.  76  vit.  Hadr.  1,  8.  Die  Laufbahn  bis  zum  J.  112 
giebt  neben  der  vita  die  iDschr.  yon  Athen  bei  Henzen  ann.  d.  inst.  1862 
p.  187.  Corp.  i.  1.  8,  550,  wozu  Mommsen;  Wilmanns,  ex.  n.  987.  Znr 
Begierongsübemahme  Tit.  4,  6:  quinto  id.  Äug.  die  (11.  Aug.)  legatus  Syriae 
lUteras  adoptumis  aecepit^  quando  et  natalem  adoptionis  celebrari  iussü; 
ierHum  iduum  earundem  (13.  Aug.),  guando  et  natalem  imperii  statuit 
eeMfrandum,  excessus  ei  Traiani  nuntiatus  est,  Namen  und  Titel:  Imp. 
Caes.  Divi  Traiani  f,  Divi  Nervae  nep.  Traianus  Hadrianus  Aug.  pont.  m€ix, 
tfib.  pot,  €08.  —  Hadrian  hat  die  Benützung  seiner  Titulatur  zu  chronolo- 
gischen Zwecken  dadurch  sehr  erschwert,  dafs  er  das  Konsulat  nach  119, 
wo  er  et  zum  dritten  Male  geführt,  nicht  mehr  annahm^  die  Iterations- 
zahlen der  irib.  pot  nur  ausnahmsweise  angab  und  doch  keine  andere 
Datierung  an  die  Stelle  setzte^  insbesondere,  da  er  keine  Kriege  führte,  den 
Siegestitel  bis  zum  J.  185,  dem  Jahre  des  jüdischen  Kriege,  nicht  wieder- 
holte. Der  Titel  pater  patriae  findet  sich  zu  Anfang  seiner  Regierung,  so 
lange  seine  Ablehnung  desselben  (vit.  6,  4)  nicht  bekannt  war;  später  nahm 
ihn  Hadrian  an  und  so  tritt  er  in  die  offizielle  Titulatur  ein  und  zwar  im 
J.  128.  VgL  Dürr,  die  Reisen  des  Kaisers  Hadrian.  Wien  1881.  S.  28  ff.; 
somit  ist  dies  ein  ohronolog.  Terminus.  —  Monogr.  von  Gregorovius,  der 
Kaiser  Hadrian.   2.  Aufl.   Stuttg.  1884. 

2)  Vit  6,  2:  cum  ad  senatum  scriberet,  veniam  petit,  quod  de  imperio 
iuo  iudicium  senatui  non  dedisset,  saiutatus  scilicet  praepropere  a  milüibus 
ifnperator,  quod  esse  resp»  sine  imperatore  non  passet,  r^  t 

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—    358    — 

kann  nur  ein  Mann^  der  zu  imponieren  weifs.    Dem  ist  als  drittes 
Zeugnis  für  die  Festigkeit  seiner  Stellung  und  das  Gewicht  seiner 
Persönlichkeit  aus  dem  ganzen  Lauf  seiner  Regierung  beizuf&geu; 
dafs   er   es   wagen   konnte^   in  Rom   nur   yorübergehenden  Auf- 
enthalt zu  nehmen^  |den  weitaus  grofsten  Teil  seiner  Regierung 
ungefährdet  auf  Reisen  zuzubringen  und  bei   stets  wechselnder 
Residenz  das  Regiment  zu  führen. 
Chronologie  des         3.  Der  geschichtliche  Verlauf  der  Regierung  Hadrians  hängt 
ik>m°uud  der  au  dem  Wechsel  seines  Aufenthalts  in  Rom  und  seiner  Reisen. 
^"'^^      Epochemachend   war   natürlich   sein   erstes  Eingreifen   in   Rom 
nach  der  Rückkehr  aus  dem  Osten ,  und   hiefür  liegen  auch  be- 
stimmbare Daten  vor;   einige  Handlungen  bleibender  Bedeutung 
knüpfen  sich  an  die  einzelnen  Etappen  seiner  Reisen  ^  für  vieles 
aber   fehlt   die   genauere   zeitliche  Bestimmung.    Die  erste  An- 
wesenheit in  Rom  ist,  wie  es  scheint,  wenige  Monate  nach  dem 
Regierungsantritt  zu  setzen:  noch   von  Syrien  aus  hatte  er  den 
Senat  erkennen   lassen,   dafs  er  seinen  Gregnem  gegenüber  die 
Vorsicht    nicht    bis    zur    Verfolgung    ausdehnen    wolle;    nach 
der  Ankunft  in  Rom   stellte  er  das  durch  schriftlichen  Verkehr 
angebahnte  Verhältnis  zum  Senat  nun  persönlich  fest,  liefs  die 
dem  Trajan  schuldigen  Ehren,  darunter  den  rückständigen  parthi- 
schen   Triumph,   der   auf  des   Toten   Namen   begangen   werden 
sollte,  bewilligen  und  gewährte  nach  dem  Beispiel  Trajans  Erlafs 
der  mit  dem  Regierungsantritt  verbundenen  Lasten.    Abgerufen 
durch  Sarmateneinfalle  ging  er  nach  Mösien,  und  während  dieser 
Abwesenheit  war  es,  dafs  angeblich  von  seinen  Gegnern  in  Senat 
und  Heer,   Nigrinus,    Celsus,    Palma   und  Lusius  Quietus,   also 
mifsrergnügten  Generalen  Trajans,  ein  Anschlag  gegen  ihn  ge- 
macht, jedoch  rechtzeitig  entdeckt  wurde.    Gegen  den  Willen  des 
Kaisers  soll  der  Senat  die  Verschwörer  zum  Tode  gebracht  haben; 
aber  man  belastete  doch  jenen  damit,  so  dafs  Hadrian  nach  seiner 
Zurückkunft  im  Sommer  118  zur  Zerstreuung  der  durch  dieses  Straf- 
verfahren erregten  Besorgnisse  ebenfalls  wie  Trajan  das  Versprechen 
abgab,   nie   einen  Senator   anders    als   durch   Senatsgericht   zur 
Strafe  zu  ziehen.^)     Nunmehr  konnte  er  sich  der  Regierung  in 


1)  Die  Folge  der  Ereignisse  ist  hier  im  Ansohlufs  an  die  vita  gegeben. 
Dieser  stellt  Dürr  in  seiner  trefif liehen  Monographie  über  die  Reisen  Hadrimos 
(ob.  8. 367  A.  1)  eine  andere  örtliche  und  zeitliche  gegenüber,  indem  er  den 
Hadrian  von  Syrien  ans  durch  Kleinasien  nach  Mösien  gegen  die  Sarmaten 
ziehen  ond  erst  nach  Beendigung  dieses  Feldzags  im  Aug.  118  nach  Born 

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-     359     — 

Born  in  Ruhe  widmen:  es  folgten  auch  sofort  einzelne  Reformen, 
Gewährung  von  Erleichterungen  in  der  Verwaltung  nebst  person- 
lichen und  einmaligen  Gnadenbezeugungen  ^);  aber  von  Inangriff- 
nahme eines  umfassenderen  Plans  ist  nicht  die  Rede.  Die  eine 
jener  Reformen  bezieht  sich  auf  die  Neueinrichtung  des  Post- 
wesenSy  die  anderen,  so  wichtig  sie  an  sich  waren,  dienten  doch 
in  erster  Linie  der  Popularität,  und  aus  den  zwei  und  ein  halb 
Jahren  seines  jetzigen  Aufenthalts  in  Rom  wird  sonst  keine  tiefer 
eingreifende  Handlung  von  ihm  erwähnt  Offenbar  war  jetzt 
schon  Hadrians  Absicht  darauf  gerichtet,  die  Reichsregierung  auf 
Grund  eingehender  Kenntnis  der  einzelnen  Teile  zu  führen  und 
sie  von  der  Anwesenheit  in  Rom  unabhängig  zu  machen.  In  diesem 
Sinne  hatte  er  schon  im  J.  119  Unteritalien  bereist  und  unter- 
nahm es  nun,  vom  J.  121  an  alle  Provinzen  des  Reichs  zu  be- 
suchen und  die  Wohlfahrt  des  Ganzen  in  der  der  Teile  zu 
erstreben.  Begreiflicherweise  konnte  er  dies  nur  thun,  wenn  er 
der  Hauptstadt  völlig  sicher  war,  und  diese  Sicherheit  lag  in  dem 
Kommando  der  Leibwache.  Hadrian  hatte  dieses  zu  Anfang 
seiner  Regierung  zwei  Männern  anvertraut,  von  denen  der  eine, 
Cälius  Attianus,  ihm  zum  Thron  verholfen,  der  andere,  Sulpicius 
Similis,  ein  durchaus  tüchtiger  aber  selbständig  denkender  Mann 


kommen  läfet.  Allein  keines  der  hieför  beigebrachten  ZeagnisBe  ist  für 
diese  Annahme  beweisend,  auch  nicht  die  aus  den  Acta  fratmm  Arval.;  die 
Tita  dagegen  wird  schon  durch  ihre  Anlage  in  ihrer  Darstellung  gerecht- 
fertigt: sie  fängt  chronologisch  an  und  will  dies  festhalten,  wenn  auch  die 
Ideenverknfipfung  die  seitliche  Fortfuhrung  der  Erzählung  unterbricht  (vgl. 
S.  361 A.  2);  auch  ihre  Quellen  waren  chronologisch,  und  in  ihrem  Ausschreiben 
derselben  konnte  sie  in  diesem  Punkt  nicht  wohl  fehl  gehen.  Es  ist  ferner 
nach  dem  Vorgang  Trajans  nicht  wahrscheinlich,  dafs  er  während  seines  zwei- 
ten Konsulats  abwesend  von  Rom  blieb,  auch  nicht,  dals  er  unter  den  ge- 
gebenen Verhältnissen  seinen  Gegnern  in  Rom  so  lange  das  Feld  frei  liefs. 
Er  wird,  wenn  nicht  schon  am  1.  Jan.,  so  doch  am  24.  bei  der  Feier  seines 
Geburtstags  in  Rom  gewesen  sein. 

1)  Vit.  7,6:  statitn  (Hirschfeld,  Verw.- Gesch.  S.  98  A.  5.  korrigiert 
nach  Juret  sUUum,  unrichtig,  wie  ich  glaube,  da  es  dem  Biographen  eben 
auf  die  zeitliche  Folge  hier  ankommt)  cttrsum  fi$C(üem  instUMy  ne  magistra- 
tU8  hoc  anere  gravarentur,  Äd  coUigendam  autem  grcUiam  nihil  praetermittens 
infinOam  pecwniam,  guae  fisco  debebatw,  privcUis  debitoribtts  in  urbe  atque 
ItaHOy  in  pravinciis  vero  etiam  ex  religuis  ingentes  swnmas  remisit,  syngraphis 
in  faro  divi  Traicm,  qw>  magis  secuHias  omnibtis  robora/retwr,  incensis.  Barn* 
naiorum  bona  in  fiscum  privatum  redigi  vetuit  omni  summa  in  aerario 
publico  recepta  etc. 

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-     362     - 

von  untergeordnetem  Werte,  da,  wie  schon  bemerkt,  ein  einheit- 
licher Plan  in  ihnen  nicht  zu  erkennen  ist,  wenn  sie  auch  als 
einzelne  yon  gewissen  Begierungsprinzipien  des  Kaisers  ausgehen. 
Hier  möge  es  genQgen,  das  einzebie  Charakteristische  eben  unier 
diese  prinzipiellen  Seiten  und  allgemeinen  Gesichtspunkte  zu  be- 
fassen und  die  Resultate  erkennen  zu  lassen. 
s^nat  u.  Bitter.  4.  Dic  PoUtik  dcs  Ealscrs  gegenüber  dem  Senat  wird  als 
sieh'nng  des  eiuc  hochst  rücksichtsvollc  herrorgehoben  und  in  diesem  Charakter 
vcrwaituDg.  durch  Äufseruugen  aus  seinem  eigenen  Munde  bezeugt^)  In  der 
That  erschien  ja  schon  darin,  daCs  während  der  Abwesenheit  des 
Kaisers  in  Rom  die  Magistratur  und  der  Senat  unbehelligt  durch 
den  Druck  persönlichen  Einflusses  walteten,  diesen  Faktoren  ein 
grofserer  Spielraum  gelassen,  und  weder  die  äulseren  Ehren  noch 
die  herkömmlichen  Rechte  des  Senats  und  des  Senatorenstands 
wurden  gemindert  Allein  es  zieht  sich  doch  durch  die  Regierang 
Hadrians  ein  Mifstrauen  gegen  den  ersten  Stand  hin,  welches 
am  Schlufs  seiner  Regierung,  als  Alter  und  körperliches  Leiden 
früher  zurückgehaltene  gehässigere  Motive  hervortrieben,  seibat 
in  blutigen  Handlungen  zum  Ausbruch  kam.  Schon  jene  Ein* 
Setzung  eines  Ritters,  des  Marcius  Turbo,  wenn  auch  nur  in 
vorübergehender  Weise  in  ein  senatorisches  Kommando  (oben 
S.  360)  war  ein  Mifstrauenszeichen  gegen  den  Senat,  und  wenn 
derselbe  Mann  als  Präfekt  des  Prätoriums  offenbar  sich  so  hielt^ 
dafs  er  bei  aller  Wahrung  der  Interessen  des  Senats  diesen  in 
der  Form  schonte,  so  war  dies  ein  Zeugnis  für  die  Richtigkeit 
der  Wahl,  die  Hadrian  getroffen,  minderte  aber  nichts  daran,* 
dafs  eben  wegen  der  Abwesenheit  des  Kaisers  ein  Stellvertreter 
desselben  aus  dem  zweiten  Stande  die  wirkliche  Leitung  der 
Dinge  in  Rom  und  Italien  hatte. 

Aber  neben  dieser  militärisch-politischen  Stellung  des  ritter- 
lichen Gardekommandanten  bereitete  sich  für  diesen  auch  eine 
andere  für  das  bürgerlich-politische  Gebiet  vor,  die  in  Zusammen- 
hang mit  einer  für  den  Ritterstand  noch  viel  wichtigeren  Neue- 
rung zusammenhing.  Bisher  hatte  dieser  Stand,  sofern  er  nicht 
blofs  eine  durch  Vermögensstellung  bezeichnete  gesellschaftliche 

Während  der  Reisen  werden  o.  11,  3  von  Britannien  ans  Olarus  und  Sueton 
entlassen,  daran  schliefsen  sich  dann  ähnliche  Dinge,  die  allgemein  charakte- 
ristisch sind  oder  später  yorkamen  u.  s.  w. 

1)  Vit.  c.  8.  Dio  69,  7:  ingatts  dh  %cel  dia  tov  ßovltvtriQÜfv  icavza 
%a  iisydXa  %a\  dvay%ai6tatcc  n.  s.  w. 


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-     363    — 

Bangklasse  war,   nur   durch   die  Teilnahme   am  Geschworenen- 
gericht, in  Offizierstellen y  in  der  kaiserlichen  Finanzverwaltung, 
in    dieser   übrigens  nicht  ohne  Konkurrenz  mit  Freigelassenen, 
endlich    in    einigen    hohen    Präfekturen    öffentliche    Funktionen 
geübt;  der  Hofdienst  in  weitestem  Sinn  jedoch,  auch  der,  welcher 
fK>litische  Bedeutung  hatte,  war  in  den  Händen  Yon  Freigelassenen. 
Hadrian  nun  gab  die  hohen  Hofömter  in  die  Hände  von  Rittern^), 
vermehrte   die   durch  Bitter  zu  besetzenden  Funktionen  in  den 
übrigen  Verwaltungszweigen  und  regelte  zugleich  die  Laufbahn 
durch  diese  Ämter  genauer,  so  daüs  sich  eine  festere  Praxis  im 
Aufsteigen  durch  die  Terschiedenen  Grade  ergab.   Zugleich  scheint 
er    in   der  FinanzTerwaltung,   indem   er  jedenfalls  teilweise  die 
Steueryerpachtung  durch  direkte  Erhebung  ersetzte,  nicht  nur  die 
Funktionen  der  ritterlichen  Steuerbeamten  gemehrt  und  gestärkt, 
sondern    auch    eine    erbliche   Schwäche   der  romischen   Finanz- 
Verwaltung  wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gehoben  zu 
haben.  *)    Aulserdem  wird   an   ihm   strenge  Kontrolle   der  Pro- 
kuratoren  nicht   minder   als   der   Statthalter   in   den   Provinzen 
gerühmt.*)  —  Nachdem  aber  so  die  Bitter  in  wichtige  Funktionen 
aller  Zweige  der  praktischen  Verwaltung  eingeführt  waren,  fand 
man   sie  auch  geschäftlich  durchaus   fähig,   in  der  kaiserlichen 
Zentral  Verwaltung  eine  beratende  Stellung  zu  erhalten,  und  so 
nahm  Hadrian  auch  einen  beträchtlichen  Bestandteil  seines  Kon- 
siliums in  Bechtsentscheidungen  aus  diesem  Stande^),  der  dann 


1)  Vit  22,  8:  Ab  epütulis  et  a  Ubellis  primus  equites  Botnanos  habuU, 
Die  Vorgänge,  welche  von  Vitellins  (Tac.  bist.  1,  68)  und  Domitian  (Suet.  7) 
berichtet  werden,  waren  nur  von  vorübergehender  Bedeutung,  so  dafs  ^pri- 
mus' bei  Spartian  immerhin  seine  Richtigkeit  hat.  Die  persönlichen  Belege 
dazu  Friedländer,  Sittengesch.  1*,  170.  172.  179.  Liebenam,  Beitr.  zur  Ver- 
waltnngsgesch.  des  röm.  Kaiserr.  Jena  1886.  S.  87  fiP.  Über  das  Eingreifen 
Uadrians  in  die  Verwaltung  überhaupt  Hirschfeld,  Verwaltungsgeech.  an 
zahlreichen  Einzelstellen  und  zusammenfassend  S.  290—293.  W.  Schurz,  de 
mutationibus  in  imperio  Rom.  ordinando  ab  imp.  Hadriano  factis  I.  Bonn  1883. 

2)  Direkt  wird  diese  Reform  der  Art  der  Erhebung  nicht  berichtet,  sie 
ist  auch  nicht  als  allgemeine  prinzipielle  Mafsregel  durchgeführt  worden; 
dafi)  Hadrian  dazu  den  Anstois  gab,  ist  aus  dem  allmählichen  Verschwinden 
der  Pnblikaneninschriften  und  der  Mehrung  der  Inschriften  kaiserlicher 
Steuerbeamten  bei  der  vicesima  Jiereditixtum  von  Mommsen,  Str.  2,  977  ver- 
mutet und  von  Hirschfeld,  Verw.- Gesch.  S.  64  weiter  ausgeführt  worden. 

8)  Vit.  18,  10:  eircumiena  provinciaa  procuratorea  ei  praeaides  pro  facti» 
»uppHicio  cidfecit  ita  severe^  ut  euicuscUorea  per  se  crederetur  inmütere, 

4)  Vit.  8,  9:  erat  tunc  mos  ut  cum  princeps  causa»  agnosceret,  fi^sena-  j 

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-     364     - 

auch  hier  seine  Spitze  in  dem  Gardebefehlshaber  fand;  denn  schon 
jetzt  nahm  dieser^  wenn  auch  noch  nicht  mit  derselben  Bedeutung 
wie  später^  die  erste  Stelle  in  dem  Beirat  des  Kaisers  ein.^) 

Diese  ausgiebige  Heranziehung  des  Ritterstands  hatte  zu- 
nächst eine  grofse  geschäftliche  Bedeutung,  sofern  die  Mitarbeit 
eines  gewichtigen,  angesehenen  und  sehr  leistungsföhigen  bürger- 
lichen Standes  in  den  grofsen  Yerwaltungszweigen  diese  ent- 
schieden fördern  mufste.  Aber  es  lag  darin  auch  eine  Begünstigung 
des  einen  Stands  gegenüber  von  zwei  andern.  Zwar  geht  man 
zu  weit,  wenn  man  dem  Hadrian  zuschreiben  wollte,  er  habe  den 
Ritterstand  geradezu  dem  senatorischen  entgegenstellen  wollen: 
nicht  nur  wurde  dem  letzteren  nichts  genommen,  sondern  bei 
allem  Ansehen,  welches  die  höchsten  Ritterstellen  genossen,  blieb 
das  letzte  Ziel  des  Ehrgeizes  der  Einzelnen  doch  der  Übergang 
in  den  Senat  ^,  und  wenn  der  Gardepräfekt  dem  ganzen  Senat 
als  Stellvertreter  des  Kaisers  überlegen  gegenüber  stand,  so  blieb 
er  doch  unfähig  zu  den  senatorischen  Ämtern.  Allein  es  war 
eben  doch  für  das  Gewicht  der  Senatoren  von  grofser  Bedeutung, 
wenn  neben  ihnen  ein  Beamtenstaat  erstand,  wohl  organisiert, 
dem  Kaiser  gegenüber  unselbständig,  keinem  Mifstrauen  von 
seiner  Seite  ausgesetzt  und  deshalb  gerade  zu  den  thatsächlich 
wichtigsten.  Geschäften  und  Stellungen  geeignet  Man  kann 
fragen,  ob  nicht  jetzt  die  Zeit  gewesen  wäre,  mit  der  augusteischen 
Tradition,  welche  den  Senat  neben  den  Princeps  stellte,  zu  brechen, 
die  Senatoren  in  das  System  der  Monarchie  einzugliedern  und 
eben  mit  den  grofsen  Stellungen  zu  betrauen,  welche  Hadrian 
den  Rittern  gab.  Wenn  der  Stadtpräfekt  ein  Konsular  war, 
weshalb  konnte  es  nicht  auch  der  Kommandant  der  Garde  sein? 
Allein  es  bestand  eben  noch  die  augusteische  Form  der  Über^ 
tragung  des  Principats.  In  dieser  Hinsicht  war,  so  lange  Erb- 
lichkeit  noch   nicht  rechtlich   hergestellt   war,   hinsichtlich   der 


tores  et  eguües  Rom,    in  consüium  vocaret  et  sententiam  ex  omnium  deUbera- 
turne  proferret. 

1)  Vgl.  Dio  69,  18:  (Turbo)  td  ts  alXa  xal  tfjv  r^iffav  näcap  m^l 
top  ßaciXia  ^liT^ißs  %al  noXlomig  xal  nQo  fUatov  vvvitdiv  nQog  avzop  je» 
Q.  8.  w. 

2)  Vgl.  yit.  8,  7:  senvtua  fastigium  in  tanhtm  eocMit  difficiU  faeiens 
eencUores^  ut,  cum  Ättiantmi  ex  praefecto  praei,  omamentis  consukmilnu  prae- 
äitutn  faceret  senatorem,  nihü  ae  amplius  habere  quoä  in  ewn  conferri  passet 
ostenderit  ^  , 

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-     365      - 

Amtsfähigkeit  jeder  Eonsular  dem  Princeps  ebenbürtig  und  der 
Senat  war  es,  der  das  Kecht  der  Übertragung  hatte.  Dies 
machte  ein  Herabgeben  der  Senatoren  zu  einem  Beamtenstand 
unmöglich  y  und  ebenso  wenig  konnte  man  den  Senatoren  die 
Statthalterstellen,  in  deuen  sie  eine  dem  imperium  proconstdare 
des  Kaisers  analoge  Gewalt  hatten,  nehmen.  Aber  man  konnte 
sie  Yon  dem  zweiten  Machtmittel,  den  Finanzen,  ferne  halten, 
indem  man  diese  dem  Kitterstand  anvertraute,  und  eben  weil 
man  den  Stadtpräfekten  nicht  besonderes  Vertrauen  entgegen- 
brachte^), brauchte  man  das  Gegen-  und  Übei^ewicht  des  ritter- 
lichen Gardebefehlshabers.  So  hatte  die  hadrianische  Yerwaltungs- 
ordnung  allerdings  entschieden  einen  politischen  Sinn.  Sie  hatte 
ihn  aber  auch  nach  der  Seite  hin,  dafs  durch  sie  die  Freigelassenen 
zurückgedrängt  wurden.  In  gewisser  Beziehung  war  dies  eine 
konstitutionelle  Mafsregel:  an  die  Stelle  eines  personlich  durch- 
aus abhängigen,  unfreien  Standes  trat  ein  angesehener  freier, 
der  nur  thatsächlich  Ursachen  zur  Ergebenheit  hatte.  Die  Frei- 
gelassenen wurden  zwar  nicht  aus  der  Umgebung  des  Kaisers 
entfernt  und  konnten  auf  anders  denkende  Kaiser  immer  wieder 
Einflufs  üben,  aber  die  hadrianische  Einrichtung  war  doch  nicht 
leicht  wieder  zu  beseitigen  und  jedem  der  Nachfolger,  der  über 
Freigelasseneneinflufs  ähnlich  wie  Hadrian  dachte'),  war  damit 
von  vornherein  ein  Ausgangspunkt  gegeben.  Jedenfalls  gewann 
die  Würde  der  Verwaltung.  Allein  dies  ist  allerdings  nur  die 
eine  Seite.  Die  andere  ist  die,  dafs  abgesehen  von  der  Her- 
stellung der  Erblichkeit  die  Monarchie  mit  diesem  Beamtentum 
einen  wesentlichen  Fortschritt  machte.  Die  Fiktion,  dafs  der 
Princeps  mit  seinem  Haushalt  für  einen  gewissen  Teil  der  Staats- 
verwaltung aushilfsweise  eintrete  im  übrigen  aber  die  Ilepublik 
bestehe,  wurde  beseitigt,  wenn  der  Haushalt  sich  in  einen  staat- 
lichen Beamtenkorper  verwandelte.  Ein  späterer  Schriftsteller 
sieht  in  Hadrian  bereits  den,  der  den  byzantinischen  Beamten- 
staat hergestellt  hat^;  dies  ist  freilich  zu  viel  gesagt;  aber  den 

1)  YgL  yit.  6,  5:  ctufi  —  ab  ÄUiano  per  epistolaa  esset  admanüus,  tU 
Baebku  Macer,  praefedue  urhis,  si  remkreiwr  eiw  imperio,  necaretur. 

2)  Yii  21 :  liberios  iuoa  nee  seki  vol%Ut  in  p%tbl%co  nee  aUquid  apud  se 
posse,  diclo  au)  amnibua  superioribus  principibua  vitia  impuiana  Uhertarum, 
äaimnaHs  ommbue  hbertis  suis  guicunque  se  de  ea  iaekwerant. 

d)  Aar.  Vict  epii  14:  officia  sa/ne  publica  et  paMina  nee  nan  miUtiae 
in  eam  fortnam  statuit^  quae  paucis  per  Constaniinum  immutaHs  hodie 
perseveranL 

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—    366     — 

Weg  dazu  hat  er  eröffnet  Überhaupt  beginnt  nun  mit  Hadrian 
dasjenige  Stadium  der  Eaiserzeit^  in  welchem  der  Mechanismus 
der  Verwaltung  an  die  Stelle  des  Spiels  konstitutioneller  Interessen 
und  Ideen  tritt  und  die  Ordnung  des  Staatswesens  den  Begriff 
der  Freiheit  ersetzt  Die  Schranken  der  absoluten  Gewalt  waren 
jetzt  nur  noch  gegeben  in  dem  Gewicht  der  Ordnung,  die  der 
Gewalthaber  vorfindet  oder  selbst  schafft,  in  der  Existenz  des 
Senats  mit  seinen  Erinnerungen,  in  der  gelegentlichen  Einwirkung 
desselben  auf  den  erledigten  Thron,  vor  allem  aber  in  der  Un- 
sicherheit der  Nachfolge,  welche  den  jeweiligen  Träger  des  Throns 
den  Gefahren  des  Pratendententums  aussetzte. 
Die  weient-  5.    Das  Eingreifen   der   hadrianischen  Verwaltung,   wie  es 

lieben  Resultate .  ,  °  .         . 

Tou  Hadrians  innerhalb  jener  Ordnung  stattfand,  geschah  vorzugsweise  in  der 
Form  von  Einzelentscheidungen  auf  den  verschiedenen  ortliehen 
und  administrativen  Gebieten;  es  konnte  aber  darum  doch  von 
bleibender  Bedeutung  sein,  weil  ja  die  Auktoritat  einer  kaiser- 
lichen Entscheidung  allgemein  mafsgebend  war,  und  die  juristische 
Litteratur  zeigt,  dafs  die  hadrianischen  Edikte  und  Reskripte 
Epoche  machten.  ^)  Indessen  fehlt  es  auch  nicht  an  allgemeinen 
Anordnungen  reformatorischen  Charakters,  die  nur  in  unsrer 
Überlieferung  nicht  deutlich  genug  hervortreten.  Die  wesent- 
lichsten Resultate  fOr  die  verschiedenen  Verwaltungszweige  sind 
folgende: 

PinaMwewn.  Aus  dem  früher  (ob.  S.  348  f.)  Bemerkten  geht  hervor,  daCs 

die  Finanzen  des  Reichs  nicht  die  Erträgnisse  aufwiesen,  die 
man  hätte  erwarten  sollen.  Bei  Hadrians  Regierungsantritt  war 
der  Stand  der  öffentlichen  Kassen  nicht  sehr  günstig^;  dennoch 
erliefs  Hadrian  nicht  blofs  das  dem  neuen  Regenten  herkömm- 
licher Weise  zukommende  sogen.  Erongeld,  sondern  die  Steuer- 
rückstände  der  letzten  15  Jahre  in  Italien  ganz,  in  den  Provinzen 
teilweise,   im  Granzen   eine  Summe   von   über  196  Mill.  Mark.') 

1)  Die  Sammlung  von  Sentenzen  des  Hadrian  bei  Dositheas  (Aasg.  von 
Böcking,  p.  1  ff.)  ist  zwar  nicht  wegen  der  Auswahl  des  Inhalts,  der  unbedeutend 
ist,  von  Wert,  aber  deshalb,  weil  man  sieht,  dafs  sur  Zeit  des  Dositheas 
(Anf.  des  8.  Jahrh.)  Hadrians  Entscheidungen  einen  besonderen  Buf  ge- 
nossen. Dasselbe  ist  auch  aus  der  AnfShrung  hadrianischer  Reskripte  bei 
späteren  Juristen  zu  entnehmen. 

2)  Vit.  6,  6:  aurum  coranärium  Itdliae  remisU,  in  prowticiii  mimtU^ 
et  quidem  difficuUatibus  aerarii  ambitiöse  ae  diligenter  ex- 
poaitis. 

8)  Vit  7,  6:  infinitam  pecuniam,  quae  fisco  debebatur,  privatis  dM- 


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—     367     — 

Solehe  Freigebigkeit  y  ob  sie  nun  notwendig  war  oder  nicht, 
spricht  schon  durch  ihren  Anlafs  nicht  zu  Gunsten  des  Finanz- 
systems; auch  kann  man  die  Zweckmäfsigkeit  einer  solchen  Art 
der  Steuerliberalitat  bezweifeln.  Indessen  Hadrian  bemühte  sich 
der  Wiederholung  vorzubeugen  durch  geregelten  Haushalt,  durch 
Beformen  in  der  Steuererhebung  und  -Verwaltung  und  durch 
Hebung  der  Steuerkraft  Es  wird  an  ihm  gerühmt,  dafs  er  den 
Staatshaushalt  kannte,  wie  nicht  leicht  ein  anderer  und  ein 
tre£nicher  Haushalter  war^),  und  da  zudem  grSfsere  Eriegsaus- 
gaben  wegfielen,  so  wird  es  ihm  nicht  schwer  gefallen  sein  das 
Gleichgewicht  im  Budget,  soweit  dies  von  ihm  abhing,  aufrecht 
zu  erhalten,  trotz  des  ungeheuren  Bauaufwands,  den  er  in  allen 

toribus  in  whe  atque  Baiia,  in  provinciis  vero  etiatn  ex  religuis  ingentes 
mtmmas  remisit  syngrapkis  in  foro  divi  Traianiy  qiu>  magis  aectmtas  Omni- 
bus roborarehir,  incenais.  Dio  69,  8:  &(pfi%8  tot  6q>tiX6pi,iva  taS  xt  ßcietXinm 
«al  Tfl»  dfifMolqi  TCO  tadv  *PmficeUav  Ixxat^cicafT^  OQ^aag  x^t^o^y  «9*  oi  tt 
ncd  (iixQit  ov  trufridiicBcd'ai  tovt'  iitBllsv.  Inschrift,  welche  Senat  und 
Volk  dem  Kaiser  widmen,  qu4  pritnus  omnium  principum  et  sölus  remittendo 
sestertium  navies  tnilies  centena  nUlia  n.  debitum  fiscis  non  praesentes  tcmtum 
cioes  8U08  sed  et  posteros  eorum  praestüit  hoc  liberalitate  seeuros.  Corp.  i. 
l.  6  n.  967.  Wilmanns  ex.  n.  9S8.  Vgl.  Senatsmünze  bei  Cohen  2,  1910—13: 
rdiqua  vetera  HS.  navies  miU.  aholita  (mit  Darstellang  der  Verbrennung 
der  Dokumente).  Fraglich  ist  hier  einmal,  ob  der  Nachlafs  für  Fiekus* 
nnd  Ärarschulden  galt,  wie  Dio  ausdrücklich  sagt,  oder  nur  für  den  Fiskus. 
Verfassnngsm&fsig  und  nach  früheren  Vorgängen  hfttte  es  hinsichtlich  des 
Arars  entweder  eines  Senatsbeschlusses  bedurft  oder  hfttte  der  Kaiser  das 
Arar  schadlos  halten  müssen.  Ich  möchte  Hirschfeld,  Yerwaltungsgesch. 
S.  12  A.  1  recht  geben,  wenn  er  gestützt  auf  die  Senatsinschriffc  nur  den 
Fiskus  in  Mitleidenschaft  sieht,  während  Mommsen  Str.  2,  976  Ärarium 
und  Fiskus  beteiligt  sein  läTst.  Anzunehmen  ist  allerdings,  dals  auf  irgend 
eine  Weise  dafür  gesorgt  war,  dals  auch  in  den  Senatsprovinzen  bei  gewissen 
Steuern  die  Wohlthat  fühlbar  wurde.  Eine  zweite  Frage  ist,  ob  die  Notiz 
Dios  von  dem  ixnocidBTUietrig  xQovog  auf  eine  bleibende  Einrichtung  zu 
deuten  ist  in  der  Weise,  wie  Mommsen  thut,  der  a.  a.  0.  „eine  von  16  zu 
15  Jahren  eintretende  Gesamtrevision  der  Bestforderungen  und  über- 
haupt des  Steuerwesens,  die  Grundlage  der  Indiktionenordnung  der  kon- 
stantinischen  Zeit^  daran  anknüpft.  Sowohl  der  Wortlaut  bei  Dio  als 
sachliche  Gründe  sprechen  dafür,  dals  eben  nur  damals  für  den  einmaligen 
Erlafs  ein  Termin,  wie  weit  die  Malsregel  zurückgehen  sollte,  angesetzt 
wurde.  Abgesehen  davon,  dafs  die  Anknüpfung  der  Revision  gerade  an 
diesen  Erlafs  zur  Säumigkeit  im  Steuerzahlen  veranlafst  hätte,  war  das, 
was  mit  dieser  Revision  gegeben  sein  sollte,  besser  durch  die  Einführung 
der  adoocoH  fisei  (s.  nni)  zu  erzielen. 

1)  Vit.  20,  11:  omnes  publicas  rationes  ita  complexus  est,  ut  domitm 
privatam  quivis  paterfamüias  diligens  non  satius  novit.  ^  , 

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—    368    — 

Teilen  des  Reichs  aus  eigenen  Mitteln  machte  oder  yeranlafste.^) 
Indessen  lag  hier  wieder  eine  Seite,  welche  geeignet  war,  die  gnten 
Wirkungen  der  hadrianischen  Finanzverwaltung  au&uheben.  Der 
Vorgang  des  Kaisers,  die  Unterstützungen,  die  er  gewährte  und 
augenblicklich  günstige  Verhältnisse  veranlafsten  die  ohnedies 
hiezu  nur  allzu  leicht  geneigten  Gemeinden  aufs  neue  zu  Bauten 
von  Bädern,  Theater-,  Gymnasien  u.  dgl.,  die  weit  über  das  Be- 
dürfnis hinausgingen^  neben  der  einmaligen  Herstellung  grofsen 
jährlichen  Aufwand  verursachten  und  die  Leistungsfähigkeit  der 
Städte  untergruben.  Die  Lage  auch  der  Folgezeit  zeigt^  dafs  der 
Aufschwung,  den  Handel  und  Verkehr  in  den  Jahrzehnten  vollen 
Friedens  nehmen  mufste,  nicht  genügte,  um  die  finanzielle  Wohl- 
fahrt des  Reichs  auf  längere  Zeit  fest  zu  begründen.  An  das 
System  der  Steuern  selbst  hat^Hadrian  nicht  gerührt;  was  er 
erstrebte  und  wohl  erreichte,  war,  dafs  die  bestehenden  Steuern 
ohne  zu  grofse  Belastung  mit  einem  für  die  Bedürfhisse  des 
Staats  ausreichenden  Betrag  einkämen.  Die  überkommene 
Scheidung  der  oflFentlichen  Kassen  scheint  er  nicht  angetastet 
zu  haben');  insbesondere  liegt  es  in  seiner  Art  den  Senat  zu 
behandeln,  dals  er  der  Senatskasse,  dem  aerarium  popuii  R^  nichts 
entzog.  Ohne  dafs  im  System  des  Fiskus  und  in  seinem  Ver- 
hältnis zum  Privatvermogen  des  Kaisers  jetzt  schon  eine  Änderung 
eintrat,  wurde  der  Charakter  des  Fiskus  als  einer  Staatskasse 
durch  die  Einführung  der  ritterlichen  Verwaltung  unzweideutig 
Advocaius/isci.'k.xmdgegehen.  Eine  wesentliche  Neuerung  endlich  war  es,  dals 
die  rechtliche  Vertretung  des  Fiskus,  d.  h.  die  Führung  der 
Fiskalprocesse,  überhaupt  die  Verfolgung  der  Ansprüche  des 
Fiskus  den  Prokuratoren  genommen  und  besonderen  Advokaten 
übergeben  wurde  ^),  wodurch  jene  zu  gunsten  ihrer  Rechnongs- 


1)  Das  durch  die  BeiBon  veranlaüste  s.  bei  Dürr  a.  a.  0.;  über  die 
sonstigen  Bauten  Hadrians  Schiller  1,  625. 

2)  Mit  den  Quellen  der  Hadrianischen  Zeit  tritt  man  in  eine  Periode 
ein,  in  welcher  die  Sch'riftsteller  zwischen  aerarium  und  fisctia  nicht  mehr 
genau  scheiden,  während  Tacitus  und  der  jüngere  Plinius  diese  Scheidoiig 
streng  beobachten.  Wenn  es  vit.  7,  7  heilst:  damnatorum  bona  in  fiseum 
privatum  redigi  vetuit,  omni  st$mma  in  (lerario  publico  recepta,  so  ist  hier 
der  fiscus  privatus  das  Patrimonium  principis  als  Teil  des  allgemeinen 
kaiserlichen  Fiskus  und  mit  aerarium  publicum  ist  der  andere,  der  Haupt- 
teil des  letzteren  gemeint,  wie  Spartian  ja  kurz  vorher  6,  5  {diffieuUaUlms 
aerarii)  den  fiscua  durch  aerarium  bezeichnet  hat 

8)  Vit.  20,  6:  fisci  advocatum  primus  instiMU    Wm  in  dieser  so  knn 

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—    369    — 

thätigkeit  Entlastung  fanden  und  zugleich  der  Fiskus  eine  bessere 
juristisclie  Vertretung  gewann. 

Die  Rechtspflege  hat  dem  Hadrian  verschiedene  grofse  Re-  Beohuweaen. 
formen  zu  danken.  Wie  mehrere  seiner  Vorgänger  hat  er  selbst^ 
80  weit  es  seine  sonstigen  Geschäfte  erlaubten^  personlich  Juris- 
diktion geübt  und  sich  in  allgemeiner  Weise  wie  in  einzelnen 
Entscheidungen  den  Ruhm  grofster  Gewissenhaftigkeit  erworben^); 
aber  bedeutsamer  war,  was  er  für  die  Organisation  des  Rechts- 
wesens und  die  Rechtsquellen  that.  In  letzterer  Hinsicht  ist 
Yor  Allem  zu  erwähnen  die  Zusammenfassung  des  in  der  bis- 
herigen Rechtsentwicklung  aufgelaufenen  Materials  an  ins  hono-  Edictumper- 
rarinm  (1,  749  f.)  in  dem  edidum  perpehium  als  einer  nun  mit  **^ 

einem  gewissen  Umfang  sanktionierten  und  abgeschlossenen 
Bechtsquelle.')  Es  war  damit  allerdings  zugleich  der  rechts- 
bildenden Thätigkeit  der  republikanischen  Magistrate  ein  Ende 
gemacht,  da  die  Edikte  derselben  nichts  neues  mehr  hinzuzufügen, 
vielmehr  der  kaiserlichen  Auktorität  und  dem  Senatuskonsult 
weitere  Rechtschopfung  zu  überlassen  hatten;  allein  es  war  dies 
nur  den  Zeitverhältnissen  und  der  wirklichen  Bedeutung  jener 
Magistrate  entsprechend.  Immerhin  gewinnt  durch  diesen  Ge- 
sichtspunkt jene  Neuerung  auch  einen  politischen  Charakter. 

Die   kaiserlichen   Erlasse,    bleibender    oder   einmaliger   Be- Bas  luiseruche 
deutung,  vor  allem  die  constüutiones,  jetzt  die  wichtigste  Rechts- 
angegebenen Beform  liegt,  ist  aus  den  Notizen  der  späteren  Zeit  von  den 
Funktionen  dieser  Beamten  zn  entnehmen;  s.  im  Syst. 

1)  Vit.  22,  11:  Causa»  Bomae  atque  in  provincits  freqtienter  audivit 
adhibitis  in  cansilio  suo  cons%$lilni8  atque  praetoribus  et  opttmis  senatoribtts, 
Dio  69,  7:  id^xats  i^exä  tmv  nQtoxoav  tozl  ^Iv  iv  xm  naXatCoi  xox\  6\  iv 
TJ  ayoqa  tao  xb  Ilav^iCm  xal  alXovq  noX}M%6^i  dno  ßfjfMCxog  ägxs  drj^oüi- 
BVic^ui  XU  yiyvoiisva'  %al  xoig  vndxotg  iaxiv  oxs  dmdiovat,  cvptyiyvsxo. 
Beispiele  seiner  Entscheidungen  auTser  im  Dositheus  (ob.  S.  866  A.  1)  in 
der  tn'to,  a.  a.  0.  Vgl.  auch  die  Zusammenstellung  sämtlicher  bekannten 
Erlasse  Hadrians  bei  Hänel  corp.  leg.  p.  86—101. 

2)  Cod.  lust.  1,  17,  2,  18:  Julianus  legum  et  edicti  perpetui  conditor 
in  suis  Itbris  hoc  rettuiit  —  et  non  ipse  solus,  sed  et  divus  Hadrianus  in 
compositione  edicti  et  senatus  constUto,  quod  eam  secutum  est,  hoc  apertissime 
definivit,  ut  si  quid  in  edicto  positum  non  inveniatur,  hoc  ad  eas  regulas 
easque  coniecturas  et  imitationes  possit  nova  instruere  audoritas,  4,  6,  10. 
Const.  Inst.  Jid<o%Bv  §  18.  Eutrop.  8,  17  Hart.  Dafs  das  J.  181,  bei 
welchem  Hieronymns'  Chron.  die  Hotiz  giebt,  nicht  verbärgt  sei,  darüber 
vgL  Mommsen,  über  den  Chronogr.  von  854  S.  678  A.  1.  Vgl.  Budorff, 
Edicti  perpetui  quae  rdiqua  sunt.  Lenel,  das  edictum  perpetuum,  Leipzig 
1883.    Kariowa,  Bechtsgesch.  1,  628 ff.  DgtzedbyGoOQlc 

Herzog,  d.  rOm.  Staatsverf.  IL  1.  24  ^ 


—     370     - 

quelle,  erhielten  eine  neue  innere  Auktorität  dadurch ^   dafs  der 
Beirat  des  Kaisers  beim  Rechtsprechen  und  bei  Feststellung  der 
Konstitutionen    einen    fachmäfsigen    Charakter    annahm,    indem 
Pachjuristen   senatorischen   und   ritterlichen  Standes   darin   eine 
hervorragende  Stelle   erhielten   und   zwar   als   auf  längere  Zeit 
mit  Gehalt  angestellte  Beamte,  wobei,  wie  schon  bemerkt,  der 
Gardepräfekt  die  erste  Stelle  einnahm.     Näheres  hierüber  ist  an 
anderem  Orte  zu  geben;  die  Konsequenzen  für  die  Jurisprudenz 
sind   ohnedies  hier  nicht  zu  erörtern.     Dagegen  sei  hier  hervor- 
gehoben,  dafs   auch   dies   eine  politische  Seite   hatte.     Es  war 
damit  der  Weg  gegeben,  Dinge,  für  welche  bisher  der  Kaiser  im 
Senat  sich  Rat  geholt,  die  er  also  diesem  zur  Entscheidung  vor- 
gelegt, wie  zahlreiche  Fälle  die   aus  den  Provinzen  kamen,  nun 
in  "diesem  Konsilium  zu  entscheiden,  und  in  dieser  Beschränkung 
der  thatsächlichen  Kompetenz  des  Senats  lag  eine  Herabminderung 
der   allgemeinen    Bedeutung   dieser   Behörde.     Dafür,   dafs   dies 
wohl  gefühlt  wurde,  ist  ein  Zeichen  die  Notiz,  der  Kaiser  habe 
für  die,  welche  er  in  sein  Konsilium  aufnahm,  die  Zustimmung 
des  Senats  eingeholt^)     Wenn  aber  ein  Senator  dieser  Zeit  nun 
verglich,  was  in  den  Büchern  des  Tacitus  noch  unter  Tiberius 
dem  Senate   vorgelegt   worden   war  und  was  nunmehr  vor  ihn 
kam,    so    wird    er    eine    merkliche    Differenz    gefunden    haben. 
Vollends  was  der  Kaiser  auf  seinen  Reisen  an  Akten  der  Rechts- 
pflege vornahm,  das  Gericht,  das  er  über  untreue  Statthalter  und 
Prokuratoren    mit   einem   Konsilium  aus  seiner  jeweiligen  Um- 
gebung  hielt,   that  ebenso  sehr,   wie   die  administrativen  Kon- 
stitutionen dem  Abbruch,  was  sonst  wohl   dem  Senat  an  Mit- 
wirkung eingeräumt  wurde. 
Die  amiuiares  Der  Rechtspflege  gehört  es  an,  ist  aber  ebenfalls  von  poli- 

tischer Bedeutung,   dafs   unter  Hadrian   zuerst   die  Jurisdiktion 

1)  Vit.  18:  Cum  iudicaret,  in  consüio  hdbuit  non  atnicos  suoe  oirf 
eomites  solum  sed  iuris  constUtos  et  praecipue  Jülium  Celsumy  Salvium  JuUa- 
num,  Neratium  Priscum  aliosque,  guos  tarnen  senatus  omnis  pröbasset.  Ober 
die  Stellung  dieser  Räte  und  speoiell  die  des  praef,  praet.  s.  unt  im  Syst; 
über  die  Beiziehung  der  Bitter  ob.  S.  363  A.  4.  Den  Senatoren  wurde  auch 
das  Zugeständnis  gemacht,  dalJs  zum  Gericht  über  einen  Senator  Bitter 
nicht  zugezogen  werden  sollten.  Vit.  8.  —  Von  dem  consüium  su  unter- 
scheiden ist  das  coniubemium,  welches  durch  die  jeweilig  zur  Gesellschaft 
des  Kaisers  zugezogenen  Männer  von  Stande  bezeichnet  wird.  Vii  8,  1: 
optimos  quosque  de  senatu  in  conivrbemium  imperatoriae  nuUesUUis  adsdvii. 
Vgl.  im  Syst.  und  Schurz,  de  mutat.  p.  16  £  ^  i 

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-     371     — 

der  römischen  Magistrate  hinsichtlich  Italiens  entlastet  wurde, 
indem  für  wesentliche  Teile  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  und 
der  Civiljurisdiktion  in  den  über  eine  gewisse  Entfernung  von 
Born  hinausliegenden  Teilen  Italiens  vier  besondere  Beamte  kon- 
sularischen Rangs,  consulareSj  jeder  mit  einem  besonderen  Bezirk, 
aufgestellt  wurden.*)  Nach  dem,  was  über  die  Kompetenz  dieser 
Beamten  zu  ersehen  ist,  sind  sie  nicht  in  dieselbe  Linie  mit  den 
Kuratoren  zu  stellen,  da  sie  nicht  die  bisherige  Jurisdiktion  der 
Munizipalbeamten  beschränken  sollten,  sondern  sie  sind  zur  Er- 
leichterung der  stadtrömischen  Rechtspflege  und  damit  zugleich 
zur  Herstellung  einer  prompteren  und  besseren  Justiz  bestimmt. 
Die  Bestellung  dieser  Konsulare  geschah  durch  den  Kaiser,  nicht 
durch  Senatswahl.  Bei  der  Jurisdiktionellen  Bedeutung  dieser 
Funktionen  und  dem  damaligen  Charakter  der  Magistratsbestellung 
konnte  man  geneigt  sein,  dem  nur  Bedeutung  für  die  personliche 
Auswahl  zuzuschreiben  und  die  Interessen  des  Senats  dadurch 
gewahrt  zu  finden,  dals  die  Auszuwählenden  Senatoren  sein 
mufsten;  indessen  war  damit  einmal  die  altrepublikanische  Magi- 
stratur in  ihren  Funktionen  in  ähnlicher  Weise  beschränkt,  wie 
in  der  Hauptstadt  durch  den  vom  Kaiser  ernannten  Stadtpräfekten, 
dessen  Stellung  eine  ähnliche  war,  und  sodann  war  es  immerhin 
ein  gewichtiger  Anfang  dazu,  Italien  von  der  Hauptstadt  zu 
trennen  und  den  Provinzen  näher  zu  bringen.  Abermals  war 
ein  Stück  von  den  augusteischen  Zugeständnissen  an  den  Senats- 
teil weggezogen. 

Die   Verdienste  Hadrians    um    die  Provinzen,   die  schon  zu  Provinxen  «nd 
Anfang  seiner  Regierung  durch  die  bessere  Einrichtung  der  offi- 
ziellen Verkehrseinrichtungen    eröflfnet   worden^),  wurden   schon 


1)  Vit.  22,  13:  quaituor  constdares  per  omnem  Itäliafn  iudices  constituit 
Über  Titel  nnd  Kompetenz  s.  im  Syst. 

2)  Vit.  c.  7.  ob.  S.  369  A.  1.  Die  Worte  'ne  magtstratus  hoc  onere 
gravarerduT^  sind  undeutlich.  Gewöhnlich  versteht  man  sie  jetzt  von  der 
Erleichterong  der  Munizipalbeamten  mit  Beziehung  auf  Galba  8,  wo  diese 
bei  der  kaiserlichen  Post  beschäftigt  erscheinen  (vgl.  Hirschfeld,  Verw. 
S.  98  A.  5).  Dafs  jener  Ausdruck  dies  heifsen  kann,  soll  natürlich 
nicht  bestritten  werden;  vgl.  abgesehen  von  dem  Sprachgebrauch  von  magi- 
strcUus  bei  den  Juristen  der  Zeit  die  besonders  nahe  liegende  Parallele  vita 
Pii  8,  4:  miiUas  etiam  civitcUes  adiuvit  pecunia,  ut  opera  —  facerent  — ,  ita  ut 
et  magtstratus  adiuvaret  et  senatores  urbis  ad  functiones  suas.  Allein  sachlich 
ist  mir  diese  Deutung  nicht  aufser  Zweifel.  Die  Kosten  lagen  nach  wie 
vor    den  Provinzialen    ob;    für    deren   Leistungen    werden    also   wohl   di( 


24«bbyLjOOgre 


-     372     ~ 

bei  seinen  Reisen  erwähnt  Die  wichtigste  Seite  an  dem,  was 
er  hier  that,  lag  in  der  Gründung  neuer  Städte,  der  Erhebung 
schon  bestehender  zu  Kolonieen  oder  Munizipien  römischen  Bürger- 
rechts und  der  weiteren  Verbreitung  des  Latinerrechts.^)  Den 
Reisen  gehört  auch  an,  was  die  Schriftsteller  über  die  Reformen 
Hadrians  im  Militärwesen  zu  berichten  wissen,  und  die  Detail- 
angaben, die  hier  gemacht  werden,  zeigen,  dals  der  vielseitige 
Herrscher  auch  hier  den  Dienst  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten 
kannte  und  gar  manchfach  mit  Verständnis  zu  bessern  suchte 
und  auch  besserte.*) 
Geachichtuchei  6.  Mit  all  dem,  was  die  hier  skizzierte  Thätigkeit  Hadrians 

Bild  Hadrians.  '  .     °  . 

Bedoutung  für  dem  Rcichc  gethan,  hat  er  unstreitig  nachhaltigere  Wirtungen 
Bichtung  der  hintcrlasscn  als  sein  Vorgänger,  und  doch  ist  das  Bild,  das  die 
Geschichte  uns  von  ihm  überliefert,  keineswegs  so  glänzend  wie 
das  Trajans,  es  ist  überhaupt  nicht  das  eines  grofsen  Mannes. 
Neben  dem  Lob  findet  sich  aufwiegender  Tadel,  ganz  unvermittelt 
stehen  starkes  Licht  und  ebenso  starker  Schatten  neben  einander. 
Die  Art  dieser  Darstellung  erklärt  sich  nun  wohl  daraus,  dafs 
die  Berichte,  auf  die  wir  angewiesen  sind,  eben  unvermittelt 
kompiliert  haben:  neben  einer  dem  Hadrian  feindlichen  Geschicht- 
schreibung sind  seine  eigenen  Aufzeichnungen  oder  die  von  ihm 
veranlafsten  gleichmäfsig  benützt  worden,  und  so  ergab  sich  ein 
Bild   voll   eigentümlicher  Widersprüche:   bald  mild,   bald  rach- 


Gemeindebeamten  verantwortlich  geblieben  und  im  Zasammenhang  damit 
auch  zu  dem  lokalen  Dienst  herangezogen  worden  sein.  Dagegen  mochte 
es  zweckmäfsig  sein,  die  Oberaufsicht  in  jeder  Provinz  den  Statthaltern 
(magistraiiis)  abzunehmen  und  Fiskalbeamten  unter  der  Oberleitung  eines 
praefectus  vehiculorumy  welcher  Titel  seit  Hadrian  vorkommt  (Hirschfeld, 
a.  a.  0.  S.  100  A.  3),  zu  übergeben. 

1)  Die  nachweisbaren  Fälle  bei  Dürr  a.  a.  0.  durch  die  einzelnen 
Provinzen  hindurch.  Der  Einzelnachweis  för  das  in  der  Vita  sehr  allge- 
mein gehaltene:  Latium  miUtts  civitatibiM  dedit  (c.  21,  7)  kann  nur  in 
Untersuchungen  über  die  einzelnen  Provinzen  gefunden  werden.  —  Alles, 
was  die  nach  aufsen  gerichtete  Provinzialpolitik  betrifft,  s.  unten. 

2)  Vit.  10,  2  anknüpfend  an  den  Aufenthalt  in  Germanien.  Dio  69,  9 
macht  dies  zur  Hauptaufgabe  der  Reisen.  Fronte  (p.  206  Nah.)  erkennt 
zwar  an,  dafs  Hadrian  regundis  et  facunde  appellandis  exercitibus  suis  im- 
piger  gewesen  sei,  aber  die  guten  Wirkungen  hievon  werden  ihm  auf- 
gehoben durch  das  Aufgeben  der  von  Trajan  eroberten  Provinzen  und  den 
darauf  begründeten  Friedenszustand ,  da  longa  desuetudine  heUandi  mües 
Romanus  ad  ignaviam  redactus  sei.  Allerdings  dient  das  Frühere  dem 
Fronto  eben  als  Folie  für  die  Verdienste  des  L.  Verus  in  Syrien. 

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-     373     - 

süchtig,  gewissenhaft  sachlich  xmd  dano  wieder  in  kleiner  Weise 
personlich,  bemüht,  Hohe  wie  Niedrige  zu  erfreuen,  und  doch 
mifsgünstig  und  voll  gehässigen  Mifstrauens.^)  DaÜB  diese  Wider- 
sprüche so,  wie  sie  uns  hier  entgegentreten,  nicht  anzunehmen 
sind,  ist  leicht  zuzugeben,  aber  es  bleibt  über  die  Darstellungen 
dritter  Hand,  die  wir  haben,  zurück  bestehen,  dafs  schon 
die  frühere  Geschichtschreibung  ein  in  hohem  Grade  un- 
günstiges Urteil  über  diesen  Kaiser  vorfand.  Die  Schuld  daran 
liegt  nun  freilich  an  dem  Eindruck,  den  er  in  dem  Senatskreise 
hinterlassen  hat,  welchem  diese  Quellen  entstammen,  während 
gerade  diejenigen,  welche  die  Wohlthaten  seiner  Regierung  ge- 
nossen, keine  Stimme  in  der  Geschichte  hatten.  Indessen  blofse 
Parteigehässigkeit  liegt  in  jenem  ungünstigen  Urteil  doch  wieder 
nicht,  und  wenn  die  neueste  Geschichtschreibung  unter  dem  Ein- 
druck des  Bedeutenden,  das  die  tiefer  gehende  geschichtliche  For- 
schung aus  objektiveren  Quellen  über  Hadrian  zu  Tage  gefördert 
hat,  bemüht  ist,  den  Kaiser  hoch  zu  heben,  geht  sie  ihrerseits  darin 
vielfach  zu  weit  Hadrian  hatte  grofse  auf  die  Wohlfahrt  des 
Reichs  gerichtete  Zwecke  und  den  ernstlichen  Willen,  zum  Besten 
des  Staats  zu  regieren,  aber  er  gab  sein  Wollen  in  gar  zu  kleiner 
Münze  und  oft  in  kleinlicher  Weise  aus.  Die  Kehrseite  femer 
seines  unermüdlichen  Thätigkeitstriebs  und  jener  so  sehr  ge- 
rühmten Vielseitigkeit  war  eine  Unruhe  des  Urteilens  und 
Handelns,  eine  Unsicherheit  im  Verhalten  zu  Menschen  und 
Dingen,  und  wie  er  im  Mifstrauen  gegen  andere  bis  zu  den 
kleinlichsten  Polizeimafsregeln  ging,  so  war  auch  er  unfähig, 
Vertrauen  zu  erwecken.*)     Er  hatte  nie  einen  Kreis  wirklicher 


1)  So  findet  es  sich  in  der  yita  wie  bei  Dio.  In  der  ersteren  nament- 
lich läTst  sich  onschwer  scheiden,  was  auf  die  ungünstige  Quelle,  Marius 
Mazimus  (c.  3.  12.  20.  26.  yit.  Alex.  Sev.  30)  und  was  auf  die  von  Hadrian 
ausgehende  Litteratur  zurückging  (vit  16:  famae  celebris  Hadrianus  tarn  cu- 
pidus  fuü  ut  libros  vitae  sitae  scriptoa  a  8e  Ixbertis  suis  litteratis  dederit 
iubens  ut  eos  suis  nomintbus  publicarent;  nam  et  PKUgontis  libri  Hadriani 
esse  dicuntt^). 

2)  Vit.  11,  4:  erat  curiasus  tum  solum  domus  suae  sed  etiam  amicarum, 
ita  ut  per  frumentarios  occulta  omnia  exploraret  u.  s.  w.  Für  das  Verhält- 
nis selbst  Nahestehender  zum  Kaiser  Fronto  ad  M.  Caes.  p.  26  Nab.: 
Hadrianum  ego,  quod  bona  venia  pietaiis  tuae  dictum  sit,  ut  Martern 
Gradivom,  ut  Ditem  Fairem^  prapitium  et  placatum  magis  volui  quam  amavi. 
Quare?  quia  ad  amandum  fiducia  dliqua  opus  est  et  famüiaritate:  quia 
fiducia  mihi  defuit,  eo  quem  tantopere  vener dbar  non  sum  ausus  ^l^9^AQ]e 

■  igi  ize     y  g 


—    374    - 

Vertrauten  und  Freunde  um  sich^  und  die  letzten  Jahre  seines 
Lebens  waren  hiedurcli  nicht  nur  vereinsamt,  sondern  geradezu 
vergiftet.^)  Er  hat,  wie  die  besseren  seiner  Vorgänger,  auf  die 
Majestätsprozesse  verzichtet^),  aber  es  gelang  ihm  nicht  Blut- 
urteile zu  vermeiden,  die  ihn  verhafst  machten.  Jedoch,  die 
Aufgabe  eines  geschichtlichen  Urteils  über  seine  Persönlichkeit 
geht  nicht  auf  in  der  Abwägung  von  Lob  und  Tadel:  von 
gröfserem  Interesse  ist  es,  zu  erkennen,  wie  er  mit  wesentlichen 
Eigenschaften  typisch  war  fiir  seine  Zeit  und  mit  diesen  Zügen, 
als  Herrscher  und  hochbegabter  Mensch,  im  vollen  Besitz  der 
Bildung  seiner  Zeit  das,  was  ihm  und  seinen  Zeitgenossen  eigen- 
tümlich war,  steigerte  und  zu  weiterer  Entwicklung  brachte. 
Der  wesentlichste  dieser  Züge  ist  die  Abkehr  von  dem  streng 
romischen  Typus,  die  Aufaahmefähigkeit  für  die  verschiedensten 
nationalen  Kulturelemente.  Es  wird  wohl  hervorgehoben,  dafs 
Hadrian  von  den  Bomern  romische  Haltung  verlangt  habe^, 
aber  dies  war  nur  eine  äufserliche  Huldigung  an  die  grofse 
Vergangenheit  des  römischen  Wesens;  das  übrige  entsprach  dem 
nicht,  sondern  es  tritt  nun  mit  Hadrian  eine  entschiedene  Wendung 
zu  einem  allgemeinen  Reichsgefühl  in  der  Politik  und  einem 
kosmopolitischen  Kulturinteresse  ein.  Vergangenheit  und  Zukunft 
scheiden  sich  besonders  scharf.  Unter  den  Griechen  dieser  Zeit 
bewegt  sich  Hadrian  mit  Kundgebungen  einer  Romantik,  wie  sie 
kein  Römer  vor  ihm  selbst  besseren  griechischen  Zustanden 
gegenüber  bekannt,  wie  sie  aber  auch  durch  Hervorrufung  einer 
reichen  und  inhaltlich  bedeutenden  Kunstübung  geradezu  eine 
neue  Blüte  der  bildenden  Kunst  erzeugt  hat.  Aber  auch  der 
fernere 'Osten  schlofs  sich  dem  Geiste  des  Kaisers  auf,  er  wird 
von  ihm  nicht  blofs  zugelassen,  sondern  aufgesucht,  um  ihm 
seine  Geheimnisse  zu  entlocken*),  und  so  tritt  er  auch  für  die 
ganze  Zeit  in  ein  neues  Licht.  Es  wird  sich  in  den  Konsequenzen 
zeigen,  mit  welchen  Schwächen  vom  reichspolitischen  Gesichts- 


1)  Dio  69,  17.    Vit.  23. 

2)  Vit  18,  4:  mcUestatis  crimina  nan  admisit 

3)  Vit.  22:  disciplinam  civtlem  non  aliter  tenuit  quam  militarem;  sena- 
tores  et  equites  Bomanos  semper  in  pvhlico  togaios  esse  iussit;  —  ipse,  cum 
in  Italia  esset,  semper  togatus  processit. 

4)  Tertull.  apolog.  6:  Quales  leges  istae,  quas  adversus  nos  sali  ex- 
sequunttMT impiiy  qtMS nuUtis  Hadrianus,  quamquam  cnriositatum  omnium 
explorator  impressit,  r~^  i 

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-     376    — 

puokt  dies  verbunden  war;  aber  6me  Folge  jedenfalls  von  gröfster 
Tragweite  kann  rühmend  hervorgehoben  werden,  die  Änderung, 
die  im  Verhalten  der  Volksstände  zu  einander  eintritt:  das  Ver- 
hältnis der  Bürger  zu  den  Peregrinen  wird  ein  weniger  schroffes, 
die  Rolle,  welche  die  Freigelassenen  spielen,  so  viel  abstofsendes 
sie  in  den  Erscheinungen  in  den  höchsten  Kreisen  hat,  hat  doch 
in  dem  munizipalen  Leben  eine  viel  bessere  Bedeutung  und  er- 
scheint im  Ganzen  als  eine  Reparation  fQr  das  unrecht  der 
Sklaverei;  diese  selbst  wird  in  den  Milderungen,  die  man  dem 
Sklaven  im  häuslichen  Leben  gewährt,  erleichtert^)  Insbesondere 
aber  tritt  jetzt  zum  ersten  Male  die  Gesetzgebung  mit  Zugeständ- 
nissen an  die  Sklaverei  auf,  wie  sie  auch  innerhalb  des  Familien- 
lebens die  schroffisten  Seiten  des  alten  Rechts  abschwächt.')  Dies 
alles  bahnt  dem  Christentum  auf  dem  Boden  des  sittlichen  Lebens 
die  Wege.  Dasselbe  aber  ergiebt  sich  auch  aus  dem  religiösen 
Synkretismus  und  der  Pflege  der  Philosophie.  Hadrian  hat  wohl  auch 
hier  sich  bemüht,  seinen  Pflichten  dem  römisch-nationalen  Kultus 
gegenüber  nachzukommen');  im  übrigen  ist  durch  seinen  Vorgang 
dem  weiteren  Hereindringen  der  orientalischen  Religionen  mächtiger 
Vorschub  geleistet  worden,  aber  wieder  geht  neben  dem  abstofsen- 
den  damit  verbundenen  Treiben  die  bessere  Seite  einer  Abschwächung 
des  schroff  heidnischen  und  einer  zunehmenden  Aufnahmefähigkeit 


1)  Hiefur  bieten  die  Inschriften  dieser  Zeit,  die  dem  manizipalen  und 
häusliclien  Leben  entstammen,  insbesondere  anch  die  Gh-abschriften  Belege. 
Hinsichtlich  der  Gesetzgebung  vgl.  vit.  Hadr.  18,  7 :  servos  a  dominis  occidi 
vetuü  eosque  iussit  damnari  per  iudices,  si  digni  e88erd\  lenoni  et  lanistae 
servum  vel  anciUam  vendi  vetuü  causa  non  praestita.  Si  dominus  in  domo 
interemptus  esset,  non  de  omnibus  servis  quaestionem  haheri  sed  de  is  qui 
per  vtdnitatem  poterant  sentire  praecepit.  Es  schliefsen  sich  diese  Mildenmgen 
an  an  Vorgänge  der  lex  Petronia  nnter  Angostns  (Dig.  48,  8,  11,  2:  post 
legem  Fetroniam  et  senoitus  consvUa  ad  eam  legem  pertinentia  dominie  potestas 
äblata  est  ad  bestias  depugnandas  suo  arhitrio  servos  tradere;  oblato  tarnen 
iudici  servo,  si  iusta  sit  domini  quereüa,  sie  poenae  tradetur)  and  eine  Yer- 
ordnong  des  Claadius  (Sneton  Cland.  25:  cum  quidem  aegra  et  adfecta 
mancipia  in  insuiam  Aesculapii  taedio  medendi  exponerent,  omnes  gui  ex- 
ponerentur  liberos  esse  sanxit  nee  redire  in  dicionem  domini,  si  convcduissent.) 

2)  Vgl.  die  hierauf  bezdglichen  Gesetzgebungsakte  und  Entscheidungen 
bei  Hänel,  corp,  legum  a.  a.  0.  (ob.  S.  869  A  1). 

8)  Vit.  22:  Sacra  Bomana  düigentissime  curavit,  peregrina  contempsit; 
ponHfieis  maximi  officium  peregit.  Dem  gegenüber  vgl.  die  Zeugnisse  für 
die  synkretistischen  Neigungen  und  das  Aufsuchen  griechischer  und  orien- 
talischer Mysterien  bei  Gregorovius  S.  400  f. 


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Nachfolge. 


—     376     - 

für  christliches  Denken  und  Glauben  her,  die  dann  noch  gefordert 
wird  durch  den  Einflufs  der  praktischen  Philosophie  dieser  Zeit 
Ein  Charakter  wie  Hadrian  konnte  auf  diesem  Gebiete  nur  tolerant 
sein,  und  so  ist  von  ihm  auch  kein  Akt  der  Verfolgung  von  Christen 
geschichtlich  beglaubigt;  der  jüdische  Krieg  aber  war  ihm  ein 
nationaler  und  politischer,  nicht  ein  religiöser.  Er  selbst  freilidi 
steht  dem  allem  nur  mit  dem  Interesse  der  Wifsbegierde  gegen- 
über, auch  in  der  Philosophie  ist  er  Dilettant  wie  in  den  andern 
Gebieten  geistigen  Lebens,  aber  vom  Standpunkt  des  Regenten 
aus  heifst  dies  doch  nur,  dafs  er  noch  Staatsmann  genug  war, 
um  nicht  die  Pflichten  des  Herrscherberufs  der  Neigung  zu  opfern. 
Ordnung  der  7.    Eiucu  Nachfolger   sich   zu   bestellen,   beeilte  sich  auch 

Hadrian  nicht;  doch  lehnte  er  diese  wichtige  Pflicht  gegen  das 
Reich  in  höherem  Alter  nicht  ab.  Ein  natürlicher  Erbe  war 
ihm  versagt,  aber  er  hatte  an  seinem  Schwager  Servianus  einen 
Verwandten,  in  dessen  Enkel  eine  Bürgschaft  für  künftige  regel- 
mäfsige  Nachfolge  zu  liegen  schien.  Allein,  sei  es  aus  Abneigung 
und  Mifstrauen  gegen  Servianus  oder  weil  er  principiell  freiere 
Wahl  haben  wollte,  Hadrian  adoptierte  im  J.  136  den  ihm  sonst 
nicht  nahe  stehenden  L.  Ceionius  Commodus  Verus,  Schwieger- 
sohn des  zu  Anfang  der  Regierung  als  Verschwörer  hingerichteten 
Nigrinus;  den  Servianus  und  seinen  Enkel  Fuscus  aber  kostete 
das,  dafs  sie  übergangen  wurden,  auch  noch  das  Leben. ^)  Es 
scheint,  dafs  für  die  Stellung  des  so  zur  Nachfolge  designierten, 
der  nun  L.  Älius  Verus  Cäsar  hiefs,  Hadrian  eigentümlich  ver- 
fuhr. Er  legte  in  den  Namen  Cäsar  formell  die  Aussicht  auf 
die  Zukunft*),  die  sonstigen  Machtbefugnisse  der  Mitregentschafl 


1}  Dio  69,  17.  vit.  Hadr.  23  ohne  Zweifel  nach  Marius  Mazimas  mit 
dessen  Deutung  der  Motive  des  Hadrian. 

2)  Name  nach  vit.  Hadr.  L,  Ädius  Verus  Caesar;  auf  Münzen  und 
Inschriften  fehlt  Verus,  Vgl.  die  Münzen  bei  Cohen  2,  p.  258  ff.  Inschr. 
b.  Wilmanns  n.  942.  —  Eine  besondere  Bedeutung  des  Cäsarentitels  ist  so 
kombinieren  aus  vit.  Ael.  2,  1  primus  tantum  Caesar  est  appdlaius;  o.  8: 
quoniam  de  Caesarwn  nomine  in  huius  praecipue  vita  est  dliquid  di^puta$i' 
dum^  qm  hoc  solum  nomen  indeptus  est;  Capit.  yit.  Yen:  primus  Caesar  esi 
dictus  et  in  eadem  statione  constitutus  periit  und  der  allerdings  nicht  ganz 
sicheren  Münze  bei  y.  Sallet,  Daten  der  alez.  Eaiserm.  S.  83  f.,  welche  den 
L.  Älius  Cäsar  im  3.  Jahr  stehend  nennt,  woraus,  da  Veras  am  1.  Jan.  188 
starb,  zugleich  hervorgeht,  dafs  seine  Adoption  ins  Jahr  136  vor  den 
29.  Aug.  (Anfiekng  des  ägypt.  Jahrs)  fallen  muls.  Vgl.  Eckhel  6,  524,  der 
schon  jene  Mfinze  verwertet. 


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-     377     — 

aber  gab  er  ihm  nicht  sofort  Um  ihn  zu  erproben,  hatte  er 
ihm  ein  gröfseres  Kommando  in  Pannonien  als  Vorstufe  gegeben, 
mit  der  Adoption  erhielt  er  jedoch  nicht  das  imperium  proconsulare, 
wohl  aber  bald,  vermutlich  am  10.  Dez.  136,  die  tribunicische 
Gewalt  und  für  137  das  zweite  Konsulat.^)  Dafs  er  einen  Sohn 
hatte,  war,  wie  die  Folge  zeigt,  bei  seiner  Wahl  in  Rechnung 
genommen.  Indes  L.  Alius,  ein  kränklicher  Mann,  starb  am 
1.  Jan.  138,  und  nun  fiel,  da  an  seinen  erst  siebenjährigen  Sohn 
unmittelbar  nicht  gedacht  werden  konnte,  die  Wahl  Hadrians 
auf  einen  in  jeder  Beziehung  sicheren  Mann  T.  Aurelius  Fulvus 
Boionius  Antoninus.  Seine  Bestellung  ging  in  voller  Offenheit 
vor  sich.  Der  Kaiser  empfahl  an  seinem  Geburtstag,  dem 
24.  Januar,  den  damals  im  52.  Lebensjahr  stehenden  Konsular, 
nachdem  er  zuerst  mit  seiner  nächsten  Umgebung  Rücksprache 
genommen,  dem  Senat,  gab  dann  dem  Ausersehenen  Bedenkzeit 
und  nahm  erst  nach  dessen  Zustimmung  am  25.  Februar  die 
Adoption  vor.*)  Antoninus,  der  schon  im  J.  121  das  erste  Kon- 
sulat bekleidet,  wurde  hoher  gestellt  als  Verus;  er  erhielt  sofort 
den  Imperatortitel,  hiefs  also  nun  Imperator  T.  Ädius  Caesar 
AntoninuSj  und  war  Mitregent  im  vollen  Sinn  mit  imperium  pro- 
consulare  und  potestas  tribunicia.^  Zu  gleicher  Zeit  aber  sollte, 
da  Antoninus  keine  Söhne  hatte,  für  die  fernere  Zukunft  gesorgt 
werden:   er  mufste  seinerseits  seinen  Neffen,   der  Hadrians  In- 


1)  Vit.  Ael.  8:  stoHm  praetor  f actus  et  Pannaniis  dux  ac  rector  im- 
P08ÜU8,  mox  consul  creah^s  et  quia  erat  deputatus  imperio  Herum  consul 
designatus  est.  Eonsnl  I  war  Älins  zu  Anfang  186  gewesen.  Trib.  poi  cob. 
II  heiüat  er  auf  verschiedenen  Münzen  und  Wilmanns,  ex.  inscr.  n.  942;  es 
ist  also  zu  vermuten,  da(s  Hadrian  beim  Jahreswechsel  seiner  tribonicischen 
Gewalt  dem  Älins  dieselbe  verlieh.  Hätte  dieser  sie  schon  vor  dem  10.  Dez. 
136  gehabt,  so  würde  er  187  trib.  pot.  II  heifsen. 

2)  Vit.  Hadr.  24.  Pii  1—4.  Die  69,  17.  20.  In  der  Stelle  Hadr. 
c.  26,  wo  es  heilst:  nattüt  suo  ultimo,  ct*m  Äntoninum  commendaret  (Hadrianus), 
praetexta  sponte  delapsa  caput  ei  aperuit,  dentet  Casanbonns  (not.  in  Spart. 
Hadr.  p.  42)  commendare  anf  das  Gebnrtstagsopfer  *-  diis  eommendare\  allein 
solches  commendare  hätte  an  dem  Geburtstag  des  Antoninus  stattfinden 
müssen,  nicht  an  dem  des  Hadrian,  und  so  fasse  ich  es  als  eine  Art  von 
pubUce  commendare, 

8)  Vit  Pii  4,  6:  adoptaius  est  V.  Kai,  Hart.  —  factus^tue  est  pairi  et 
in  imperio  proeonstdari  et  in  tribunicia  potestate  collega.  Münzen  bei  Cohen 
2  p.  407  n.  1 :  Imp.  T.  Aelius  Caesar  Antoninus  zusammen  mit  Hadrianus 
Äug,  WS.  III,  p,  p.  Die  Abstammungsverhältnisse  des  Antoninus  giebt 
Capitolin  vit.  1. 

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-     378    — 

teresse  gewonnen  hatte,  den  damals  achtzehnjährigen  M.  Annios 
Yerus,  nun  M.  Äurelius  Antoninus  genannt,  adoptieren  und 
zugleich  mit  diesem  den  Sohn  des  verstorbenen  L.  Alias 
Verus,  der  zufolge  jener  ersten  Adoption  Hadrians  Enkel  war, 
von  nun  an  aber  L.  Älius  Äurelius  Commodus  hiefs.^)  So  war 
die  in  den  nächsten  Verhältnissen  gegebene  freie  Auswahl  zu- 
gleich wieder  auf  die  Aussicht  der  natürlichen  Erbfolge  hin- 
geleitet, obgleich  jener  Mangel  eines  direkten  Erben  bei  dem 
zunächst  auserkorenen  die  fernere  freie  Auswahl  eines  bereits 
erprobten  Maimes  erleichtert  hätte.*) 

Der  neue  Mitregent  erhielt  durch  die  Krankheit  Hadrians, 
die  denselben  zur  Reise  nach  Bajä  veranlafste,  sofort  Gelegenheit 
zur  ßethätigung  seiner  Stellung  in  Rom;  er  wurde  als  Stell- 
vertreter hier  zurückgelassen.  Am  10.  Juli  138  starb  Hadrian 
und  fand  die  Nachfolge  statt.  ^)  Antoninus  wurde  nun  sofort 
Augustus,  von  den  beiden  Adoptivsöhnen  wurde  Marcus  im 
J.  139  zum  Cäsar  erklärt  imd  in  seiner  Laufbahn  gefordert.^) 
Letzteres  wurde  auch  dem  jüngeren  Adoptivsohn  zu  teil;  dagegen 
wurde  derselbe,  so  lange  Antoninus  lebte,  nicht  Cäsar ^)  und  in 


1)  Vii  Hadr.  24.  Pii  4.  M.  Ant.  6.  An  letaterer  Stelle  heilkt  es  bei 
Capitolinus  unrichtig:  ea  lege  ut  sibi  Marcum  Pitts  adopiaret  ita  tarnen,  ut 
et  Marcus  sün  Lucium  Commodum  adopiaret  (ebenso  Yer.  2);  denn  Marcus 
und  Lncins  wurden  beide  von  Plus  adoptiert.  —  Den  vollen  Namen  de« 
Lucius  als  Cäsar  giebt  die  Inschrift  Wilmanns  n.  947.    Vgl.  unt.  S.  dSl  A.  1. 

2)  Die  umstände  der  Adoption  des  Antoninus  machen  notwendig  an- 
zunehmen, dafs  zur  Zeit  derselben  seine  eigenen  zwei  Söhne,  die  wir  ans 
den  Inschriften  des  Grabmonuments  der  Alier  (c.  i.  1.  6,  988.  989.  =»  Wil- 
manns 961.  962)  kennen,  bereits  gestorben  waren. 

8)  Vit.  Hadr.  25.  —  Den  Beinamen  Pius  fährt  Antoninus  zuerst  auf 
Münzen  des  J.  138  zusammen  mit  Aug.,  tr,  pot  cos,  XI  des.  H,  Cohen  2, 
p.  277.  Über  die  Veranlassung  zu  dem  Namen  gehen  unsre  Berichte  aus- 
einander (vgl.  Bossart  und  Müller  in  Büdinger,  Jlnters.  2,  296  ffl);  jeden- 
falls v^ird  dieser  Beiname  ihm  durch  einen  Senatsbeschluis  zugesprochen 
worden  sein. 

4)  Vit.  Marci:  constdem  secutn  Pius  Marcum  designavit  et  Caesaris 
appeUoHone  donavit;  das  Konsulat  fällt  ins  J.  140. 

6)  Nicht  nur  wird  davon  im  Leben  des  Antoninus  nichts  berichtet, 
sondern  es  wird  vit.  Marci  7  ausdrücklich  gesagt,  dafs  erst  Marctts  Lucmm 
Caesarem  atque  Augustum  dixit  Es  giebt  auch  keine  Münzen  des  Antonin 
und  Verus,  während  es  solche  mit  Antonin  und  Marcus  giebt,  und  auf  letsteren 
heifst  dieser  ohne  Vornamen  Äurelius  Caesar  (Cohen  2,  409—412),  woraus 
erhellt,  dafs  es  nicht  zwei  Aurelii  Caesares  gab.  Vgl.  auch  Tillemont  2, 
p.  647  f. 

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5*:x^ 


—    379     - 

allem  hinter  Marcus  zurückgehalten.  Dieser  wird  mit  der  ur- 
sprünglich dem  Lucius  bestimmten  Faustina,  Antoninus  Tochter^ 
vermählt^  erhält  darauf  die  tribunicische  Gewalt ^  das  prokon- 
sularische Imperium  und  eine  privilegierte  Stellung  im  Senat  ^); 
er  wird  mit  allen  Ehren  der  Mitregentschaft  ausgestattet  und 
ist  während  der  ganzen  Regierung  seines  Vaters  in  ununter- 
brochenem unmittelbarstem  Verkehr  mit  diesem^;  während  Lucius 
zwar  Sohn  des  Kaisers  ist,  aber  nicht  zu  einer  Stufe  gelangt, 
die  am  Principat  selbst  Teil  gegeben  hätte.*) 

8.  Die  beinahe  durchaus  friedliche  Regierung  des  Antoninus  Antoninai  piai 

and  Marc 
AnreL«)    Über- 


1)  Capit.  yit  Marc.  6:  post  haec  Faustinam  duxit  uxorem  et  «««cepto  ^Jj^n^der  Au- 
fiJia  trib.  pcieskUe  donatus  est  atque  imperio  extra  wrhem  proconeulari  addito  Wesenheit  in 
iwre  quintae  relaiionis.    Über  letzteres  Recht  8.  im  Syst.    HinBichtlich  der  Abwesenheit. 
trib.  pot,   vgl.  corp.  i.    graec.  n.  8176.    Hier   dankt  M.  Aarel   drjfiaQx^nrjg 
iiov^^av  vncctog  x6  ff  (also   im  1.   Jahr   der   trib.  Gewalt  und   zwar   am 

28.  März)  der  OenossenBchaft  des  DioDjioa  Briseas  in  Smyma  fflr  einen 
Glfickwnnsch  zur  Gebort  eines  Sohnes,  der  aber  znr  Zeit,  da  dieser  Brief 
geschrieben  wurde,  bereits  gestorben  war.  Das  Jahr  ist  durch  die  Ver- 
bindung von  trib.  pot.  und  zweitem  Konsulat  als  147  gegeben.  Die  Er- 
teilung der  trib.  pot.  ist  demnach  zu  bestimmen  auf  10.  Dez.  146,  vgl. 
Mommsen,  Str.  2,  277  A.  8.  Damit  stimmen  die  sonstigen  Jahreszahlen 
der  trib.  pot.  des  M.  Aurel.  Nach  Capitolins  Angabe  mufs  der  Geburt  des 
Sohns  die  einer  Tochter  vorangegangen  sein,  infolge  deren  die  trib.  pot. 
erteilt  wurde.  Diese  Angabe  ist  mit  der  Inschrift  nicht  unverträglich,  wie 
BOckh  z.  d.  Inschr.  andeutet  und  Waddington  in  m^m.  de  Tacad.  26 
p.  212  A.  2  bestimmt  meint,  sondern  das  Verhältnis  ist  so,  dafs  die  Heirat 
des  Marcus  145,  die  Geburt  der  Tochter  146  zu  setzen  ist,  beim  darauf 
folgenden  Termin  des  Wechsels  der  trib.  pot.  die  Erteilung  der  letzteren, 
dann  die  Geburt  eines  Sohns  folgt.  Vgl.  auch  Borghesi  oeuvr.  7,  118  f. 
Mommsen  in /Hermes  8,  206  A.  4. 

2)  Vit.  Marc.  7:  per  vigifUi  et  tres  atmos  in  domo  patris  ita  versatus, 
ut  eiu8  cotidie  amor  cresceret,  nee  praeter  duas  noctes  per  tot  annos  ab  eo 
maneit  divereia  vicibw. 

8)  Vit.  Veri  c.  2:  fuU  privatus  in  domo  imperatoria  viginti  et  tribus 
cmnis  mit  der  näheien  Darlegung  seiner  Zurflcksetzung  hinter  Marcus  in  c.  8. 

4)  Für  Antoninus  flielsen  die  Quellen  besonders  spärlich.  Die  vita, 
die  wie  die  des  M.  Aurel  von  Julius  Capitolinus  stammt,  ist  kurz,  Victor, 
die  epitome  und  Eutrop  sind  noch  viel  dürftiger,  und  Xiphilinus  hat  fdr 
diese  Partie  nicht  den  Dio  zur  Verfügung  gehabt,  sondern  anderweitig  die 
Lficke  ausgefflUt  (70,  1);  auch  Zonaras  (12,  1)  scheint  nicht  den  Dio  selbst 
vor  sich  gehabt  zu  haben,  sondern  nur  den  Xiphilinus.  Malalas  (p.  280  f. 
ed.  Bonn.)  ist  hier  nicht  ganz  ohne  Wert  (s.  unten).  Charakteristiken  von 
Antoninus  geben  M.  Aurel  Elg  iccvtov  1,  17.  6,  30.  Pausan.  8,  48.  Von 
Alins  Aristides  gehören  unter  Antonin  die  zwei  Reden,  die  nähere  Be- 
ziehung zur  Politik  haben,  slg  'Ptiitriv  und  Big  ßocetXia.    (Waddingtonr>7iep.^Tp 

•  igi  ize     y  g 


—    380    - 

Pius,  des  zweiten  Numa,  wie  er  bezeichnet  wird^),  verlief  aacli 
im  Innern  so  einfach,  dafs  es  so  gut  wie  keine  Chronologie  der- 
selben giebt;  kaum  gewähren  einige  Kämpfe  an  den  Grenzen 
eine  nähere  zeitliche  Bestimmung.*)  Es  wird  heryorgehoben, 
dafs  Antoninus  und  demgemäfs  auch  M.  Aurel  als  Cäsar  niemals 
Rom  verlassen  hätten*),  und  nur  durch  Kombination  ersehen 
wir,  dafs  beide  im  J.  154/5  durch  die  Verwicklungen  mit  dem 
Partherreich   veranlafst  wurden,   in  den  Orient  zu  gehen.*)     So 

du  rh6teur  Aelius  Aristide  in  mim.  de  VAcad.  des  inscr.  *.  XXVI.  p.  265). 
Für  M.  Aurel  ist  der  Auszug  aus  Dio  wieder  ausführlicher;  daneben  haben 
wir  Frontos  Briefe,  die  zwar  für  diese  Zeit  charakteristisch  genog^  sind^ 
aber  wenig  historische  und  politische  Ausbeute  geben.  Vgl.  dazu  Monunseo, 
die  Chronologie  der  Briefe  Frontos  in  Hermes  8,  198—216.  Die  Schrift  des 
Kaisers  selbst  Elg  iccvrov  giebt  wenig  Geschichtliches,  so  interessaiit  sie 
für  die  Charakteristik  ist.  Herodian  beschäftigt  sich  mit  M.  Aurel  1,  1—4. 
Historisches  Detail  giebt  auch  die  rhetorische,  philosophische  and  belle- 
tristische Litteratur  der  Zeit  (vgl.  insbes.  Lucian  zu  dem  Partnerkrieg  in 
Tcmg  dsi  tcxoq.  ovyyq.)  sowie  die  aufkommende  christliche  Apologetik  (vgl 
hiezu  E.  Renan,  origines  du  chrütianisme  Bd.  7.  8.  290—818.  Bd.  8.  {Marc 
AwrhU),  Baur,  christl.  Eirchengesch.  18,  878 — 382.  440  ff.;  YOr  allem  aber 
ist  diese  Litteratur  von  gröfstem  Interesse  für  die  geistigen  und  sociale 
Zustände  dieser  Zeit.  Münzen  und  Inschriften  sind  zahlreich.  Das  Material, 
dxis  den  Rechtsquellen  zu  entnehmen  ist,  beiH&nel,  corpus  legum-p.  101 — 132. 
—  Von  Neueren  vgL  über  Antouin  Sievers,  Studien  zur  Gesch.  der  r&n. 
Kaiser  S.  171—223.  Xav.  Bossart  und  Jak.  Müller  in  Büdingers  Unter- 
suchungen zur  Kaisergesch.  2,  287—820;  über  M.  Aurel  NoSl  des  Vergers, 
essai  sur  Marc  AurMe.  Paris  1860.  —  Über  die  kaiserliche  Familie  und 
die  hervorragenden  Persönlichkeiten  der  Zeit  bieten  vieles  Borghesi,  oeuvr. 
comph  an  verschiedenen  Stellen,  Waddington  a.  a.  0.,  femer  in  Le  Bas- 
Waddington,  descripL  de  VAsie  mineure  vol.  III  zu  einzelnen  Inschriften  und 
fMtes  des  provinces  Asiatigues  bei  den  Statthaltern  dieser  Zeit. 

1)  Vit.  Ant.  13.  Eutrop.  8,  8  Hart  Vict.  ep.  16:  quamvis  eum  Numae 
contülerit  aetas  sua. 

2)  Vgl.  BoBsart-Müller  a.  a.  0.  S.  304  ff.,  wo  zu  erweisen  gesncfai 
wird,  dals  alle  Kämpfe  vor  146  fielen.  Daraus,  dals  der  Kaiser,  nacbdem 
er  im  J.  142  wahrscheinlich  aus  AnlaTs  der  Erfolge  in  Britannien  den 
Titel  itnp.  II  angenommen,  diesen  Titel  nicht  wiederholt,  ist  wohl  zu 
schliefsen,  dafs  nach  142  keine  ernstlicheren  Kämpfe  mehr  stattfiemden. 
Die  Verwicklungen  mit  den  Parthern  aber,  die  erst  164  eintreten,  setien 
Bo8s.-Müller  zu  frühe  an,  s.  unt.  A.  4. 

3)  Vit.  Pii  7,  11:  nee  uücts  expeditiones  ohiit  nisi  quod  ad  agros  suos 
profectus  et  ad  Campaniam,  dieens  gravem  esse  promncicdibus  comitatum 
principis  eHaim  nimis  parci;  et  tarnen  ingenti  auctoritate  apud  omnes  gentes 
fuit,  cum  in  urbe  propterea  sederet,  %U  undique  nuntios  medius  utpote  eiUus 
passet  accipere. 

4)  Waddington,  vie  du  rhä.  Arist,  p.  260  f.  zeigif>dars  nach  Malalaa 

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-     381     - 

beschränkt  sich  denn  alles  ^  was  wir  über  die  23  Jahre  des  An- 
toninus  wissen^  auf  seine  Charakteristik^  eine  Anzahl  meist  zeit- 
los berichteter  Anordnungen,  die  er  traf,  seine  Familienverhält- 
nisse und  einige  Notizen  auf  Münzen  und  Inschriften.  Von  der 
Regierung  des  M.  Aurel  ist  die  Zeitfolge  der  auf  die  innere 
Politik  bezüglichen  einzelnen  Akte  kaum  viel  besser  bekannt; 
dagegen  teilt  sich  dieselbe  durch  die  Einschnitte,  welche  die 
Kriegsgeschichte  macht,  in  verschiedene  genauer  bestimmbare 
Perioden.  Unmittelbar  an  die  eigene  Übernahme  der  Herrschaft 
schliefst  sich  die  folgenreiche  Erhebung  des  bisher  L.  Commodus, 
jetzt  L.  Verus  genannten  Adoptivbruders  zum  Mitkaiser,  d.  h. 
zur  Gleichstellung  in  Macht  und  TiteH),  ein  Vorgang,  der  in 
seiner  geschichtlichen  Bedeutung  weiterhin  zu  würdigen  ist.  Da 
Verus  schon  im  J.  162  zur  Führung  des  Partherkriegs  sich  nach 
Asien  begiebt,  führt  M.  Aurel  die  Regierung  in  Rom  wenn  auch 
nominell  mit  Verus  zusammen,  so  thatsächlich  doch  allein,  und 
so  stellt  sich  in  diesen  Jahren ,  da  er  in  Ruhe  in  Rom  regieren 
kann,  der  Charakter  seiner  Führung  des  Principats  fest^);  nur 
da,  wo  L.  Verus  seinerseits  thätig  sein  mufs,  persönliche  Auktorität 
ausübt  und  mit  seinen  persönlichen  Eigenschaften  einwirkt,  wird 
der  Eindruck,  den  die  gemeinsame  Regierung  macht,  mit  durch 
ihn  bestimmt^  doch  tritt  er  auch  hier  als  untergeordneter  Cha- 
rakter auf.^)    Unmittelbar  an  die  Beendigung  des  Kampfes  im 


p.  280  an  einem  längeren  Aufenthalt  des  Antonin  im  Osten,  m  Kleinasien, 
Syrien  und  Ägypten,  nicht  zu  zweifeln  sei  nnd  zwar  aus  AnlaTs  der  Haltung 
des  Partherkönigs  Yolagäses;  gelegentlich  dieses  Aufenthalts  hielt  wohl 
Aristides  die  Rede  slg  ßaaiXia,  Die  Verhandlungen  mit  dem  PartherkÖnig 
fielen  in  den  Febr.  166;  die  Dauer  des  Aufenthalts  ist  nicht  näher  zu  be- 
stimmen. 

1)  Vit.  M.  7,  6:  post  excessum  divi  Pii  a  seiuxtu  coactus  regimm  publi- 
cum capere  fratrem  aibi  participem  in  imperio  designavit,  quem  L,  Aurelium 
Verum  Commodum  appeUavit  Caesaremque  atgue  At^ustum  dixit;  aique  ex 
eo  pariter  coeperunt  retnp,  agere,  tuncque  primum  imperium  duos  Augustes 
habere  coepü,  Vit.  Veri  8,  8—4,  1:  defuncto  Pio  Marcus  in  eum  omnia 
contulit,  participatu  etiam  imperatoriae  potestaHs  induUo,  sibique  consortem 
fecit,  cum  Uli  sali  senatus  detulisset  imperium.  Dato  igitur  imperio  et  in- 
dulta  tribunieia  potestate  post  consül(xtus  etiam  honorem  delatum  Verum  vocari 
praecepit  suum  in  eum  transferens  nomen,  cum  ante  Commodus  vocaretur. 

2)  V.  M.  12,  7:  cum  se  Marcus  äbsente  Vero  erga  omnes  Senator  es  at- 
que  homines  moderatissime  gessisset. 

Z)  Vgl.  yit.  Veri  8  f.  Dies  schliefst  nicht  aus,  dafs  er  da  und  dort 
eigenmächtig  erscheint,  ebendas.  8,  6:  reversus  e  Parthico  bello  minore  circa 

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~     382    — 

Orient  im  J.  166^)  schliefst  sich  der  erste  Markomanenkrieg 
an  der  Donau^)  an,  und  nachdem  zu  Anfang  167  die  beiden 
Kaiser  auf  den  Kriegsschauplatz  abgegangen  waren ,  kommt  es 
nur  noch  ^vorübergehend  dazu,  dafs  beiden^  oder  nachdem  Veras 
im  J.  169  gestorben  y  dem  M.  Äurel  der  Aufenthalt  in  Kom 
möglich  wird.  Im  J.  175  bricht  in  Syrien  der  Aufstand  des 
dortigen  Statthalters  Avidius  Cassius  aus^  der  den  M.  Aurel  Ter- 
anlafst,  nach  Asien  und  Ägypten  zu  gehen;  nachdem  er  toq 
dort  über  Griechenland  gegen  Ende  176  nach  Rom  zurückgekehrt 
war^  ist  es  ihm  vergönnt,  wenigstens  bis  Sommer  178  daselbst 
bleiben  zu  können.  Dann  wird  er  durch  die  Kriegsereignisse 
aufs  neue  an  die  Donau  gerufen ,  um  von  da  nicht  wiederzu- 
kehren.^)    In  die  Zeit  des  letzten  längeren  Aufenthalts  in  Rom 

fr  (Urem  cultu  fuit    Verus;  nam  et  libertis  inhonestius  indulsü  et  multa  sim 
frcUre  disposuit, 

1)  In  dem  Militärdiplom  Epbem.  epigr.  II.  p.  460  heifst  L.  Veras  in 
dem  EoDBulatenundiniam  Febr.-März  166  proconsul,  ist  also  aas  dem  Parther- 
krieg noch  nicht  nach  Rom  zurückgekehrt,  während  M.  Aarel  als  in  Rom 
befindlich  diesen  Titel  nicht  führt.  Über  den  gemeinsamen  Triamph  t.  li 
12,  8  ff.  V.  Veri  7,  9.  Zogleich  wird  beiden  der  Name  pater  patriae  de<  I 
kretiert  v.  M.  12,  7. 

2)  V.  M.  12,  13:  Dum  Farthicum  bellum  geritur,  natum  est  Marcomam- 
cum,  quod  diu  eorum  qui  aderant  arte  suspensum  est,  ut  finito  tarn  arientali 
hello  Marcomanicum  agi  posset  et  cum  famis  tempore  populo  insinuasset  de 
hello,  fratre  post  quinquennium  reoerso  in  senatu  egit,  ambos  necessariof 
dicens  hello  Germanico  imperatores.  Die  Vorbereitungen  für  den  Aumag 
nahmen  jedenfalls  den  Rest  Yom  J.  166  weg,  so  dafs  dieser  erst  Aof&ng 
167  erfolgen  konnte. 

8)  Am  6.  Jan.  168  hielt  M.  Aurel  eine  Rede  in  Rom  {iur.  ram,  fragm. 
Vat,  §  195),  mufs  also  Ende  167  dorthin  zurückgekehrt  sein;  TgL 
Fort(una)  Med{ux)  auf  der  Münze  vom  J.  168  Cohen  III  M.  Aur^le  n.  207; 
Borghesi  oeuvres  3,  116  f.  Im  Lauf  des  J.  168  erfolgt  sehr  g^^  den 
Willen  des  Verus  die  Rückkehr  auf  den  Eriegsschauplats,  Yon  dem  su  An- 
fang 169,  da  er  nicht  ausharren  will,  M.  Aurel  ihn  nach  Rom  zarückgehen 
lassen  will;  unterwegs  stirbt  Verus  v.  M.  14.  V.  9,  10  f.  M.  Aurel  kehrt 
mit  der  Leiche  zurück  und  ordnet  in  Rom  die  Konsekration  seines  Mit- 
kaisers (y.  M.  16.  20.)  sowie  das  durch  die  Yeränderte  Sachlage  sonst  not- 
wendig gewordene  und  das  weiter  für  den  Krieg  erforderliche.  Dann 
aber  eilt  er  noch  169  auf  den  Kriegsschauplatz  zurück  (Münzen  bei  Cohen  III 
M.  Aur.  n.  500:  Profeebio  Äug.  Yom  J.  169).  Um  diese  Zeit  Yerheinitet« 
er  seine  Tochter  Lucilla,  die  Wittwe  des  Verus,  an  Claudius  Pompejaoos^ 
einen  Mann  von  ritterlicher  und  provinzialer  Abkunft,  in  dem  er  eine  Stütse 
für  die  Kriegsführung  sah.  Im  Feldlager  an  der  Donau  blieb  der  Kaiser, 
bis  er  in  den  Orient  gegen  Cassius  ziehen  muiste.    DaQ^  nach  I)io  71,  17  ff. 

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i 


-     383     - 

fallt  die  Erhebung  seines  Sohnes  Commodus  zum  Mitkaiser. 
Dieser,  der  am  31.  Aug.  161  geboren,  im  J.  166  zusammen  mit 
seinem  jüngeren  Bruder  Annius  Veras  Cäsar  geworden  war, 
diesen  Bruder  aber  schop  im  J.  170  verloren  hatte,  erhielt  nach 
der  Rückkehr  im  J.  176  den  Imperatortitel,  die  Teilnahme  am 
Triumph,  für  177  das  Konsulat,  obgleich  er  erst  16  Jahre  alt 
war,  und  darauf  die  volle  Mitkaiserschaft  mit  dem  Titel  Augustus, 
wie  sie  vorher  L.  Verus  gehabt  hatte.*)  —  Die  vielfache  und 


und  vit.  M.  26,  1.  Avid.  7,  7  M.  Aurel  vom  Donaukrieg  aus  gegen  Cassias 
EOg  and  nicht,  wie  ans  den  in  der.  vit.  Avid.  9.  10  eingelegten  Briefen  zu 
sehliellBen  wäre,  von  Italien  aus,  und  dafs  nicht  im  J.  172,  sondern  175  die 
Erhebung  des  Cassius  zu  setzen  ist,  führt  gegen  Waddington  aus  Napp,  de 
rebus  M.  Aur.  imp.  gestis  p.  42  ff.  Bemerkenswert  ist  allerdings,  dafs  nunmehr 
M.  Aurel,  während  er  in  dem  ersten  Feldzug  Ende  167  wieder  zurückgekehrt 
war,  so  lange  von  Rom  fortbleibt,  und  der  Zustand  unsrer  litterarischen  Ober- 
lieferung könnte  wohl  veranlassen,  einen  vorübergehenden  Aufenthalt  in 
Rom  zwischen  169  und  176  anzunehmen;  allein  davon  wären  wohl  Spuren 
in  den  monumentalen  Quellen,  zumal  auf  den  Münzen  zu  finden.  Cassius 
wird  3  Monate  6  Tage  nach  seiner  Erhebung  getötet  (Dio  71,  27);  der  An- 
fang dieser  Erhebung  kann  bestimmt  werden  nach  vit.  Comm.  2,  2:  Non. 
JtUiarum  die  —  eo  tempore  qtio  Cassius  a  Marco  descivit  Über  die  Expedition 
nach  Ägypten  und  den  Tod  der  Faustina  in  Eappadokien  vit.  M.  26,  1 ,  die 
Rfickreise  über  Athen  nach  Rom  c.  27.  Der  Triumph  findet  statt  im  Dez. 
176;  denn  von  Commodus  ist  bezeugt,  dafs  er  am  23.  Dez.  iriutnphavU  cum 
patre.  (Vit  Comm.  2,  4.  12,  5;  s.  darüber  weiter  folg.  Anm.)  Die  Rück- 
kehr auf  den  Kriegsschauplatz  findet  statt  am  3.  Aug.  178;.  ebendas.  12,  6. 
Während  dieses  Feldzugs  stirbt  M.  Aurel,  nach  TertuUian  apolog.  26  und 
Dio  71,  33  am  17.  März  100;  letzterer  giebt  als  Ort  an  Sirmium,  während 
Victor  und  die  epitome  in  ihren  Quellen  Vindohona  genannt  fanden.  (Hero- 
dian  1,  3  allgemein:  diaz^lßovxa  iv  Ilaioüi,) 

1)  Summarisches  Verzeichnis  der  Laufbahn  mit  Jahres-  und  Tages- 
daten vit.  Comm.  12.  Hinsichtlich  des  einzelnen  v.  Marc.  12,  8:  gelegent- 
lich des  Triumphs  v.  166  petü  Luciiu,  ut  filii  Marci  Caesares  appeliarentur. 
22,  12:  fUio  Commodo  arcessito  ad  limitem  togam  virilem  dedit  (nach  vit. 
Comm.  12,  3  im  J.  175),  guare  congiarium  poptUo  divisit  et  eum  ante  tempus 
consulem  designavit.  Vor  der  Rückkehr  aus  dem  Orient  erfolgen  im  Senat 
wegen  der  Milde  des  Kaisers  gegen  die  Anhänger  des  Cassius  Acclamationen 
(vit.  Avid.  13,  3:  Commodo  imperium  iustum  rogamus;  progeniem  tuam 
rohora,  fac  securi  sint  liberi  noetri,  —  Commodo  Äntonino  tribuniciam  potes- 
statem  rogamus).  Nach  der  Rückkehr  v.  Comm.  12,  4  (vgl.  2,  4  vorherg. 
Anm.):  cum  patre  appeUatus  imperator  V,  Kai.  Exsuperatorias  («  Dec.) 
PoUione  et  Apro  II  cos,  (176)  et  triumphavit  cum  patre;  vgl.  16,  2:  statim- 
que  (in  ßium  conttUit)  nomen  imperaioris  ac  triumphi  participationem  et 
consuiatum.  Der  Triumph  des  Sohns  mufs  aber  besonders  gefeiert  worden 
sein;  denn  einmal  heilst  es  v.  M.  16,  2:  ipse  imperator  ßio  ad  triumphalem ^\^ 

o 


—    384     - 

lange  Abwesenheit  des  Kaisers  von  Rom  störte  die  Ausübang 
der  Reichsregiemng  nicht  in  dem  Grade^  wie  zu  erwarten  war; 
denn  der  unermüdlich  arbeitsame  M.  Aurel  kam  auch  im  Feld- 


currum  in  circa  pedes  cucurrit,  und  dann  ist  die  Inschrift  des  Triumph- 
bogens (corp.  i.  L  6,  1014  <»  Wibnanns  n.  962),  deren  Datom  doch  wohl 
auf  den  Tag  des  Trinmphs  gerichtet  ist,  mit  der  trib.  pot,  XXX  datiert, 
welche  läaft  vom  10.  Dez.  175  —  9.  Dez.  176;  der  Triamph  des  Sohns 
aber  war  am  23.  Dez.  176  (vgl.  vorh.  Anm.);  auch  gilt  jene  Inschrift  dem 
Vater  allein.  Möglich,  dals  der  Triamph  des  Vaters  am  24.  Nov.  gefeiert 
wurde  und  daTs  bei  dieser  Gelegenheit  der  Sohn  den  Titel  imperaior^  d.  h. 
das  imperium  proconstdare  erhielt  (vgl.  dazu  das  Beispiel  des  Hadriao ,  der 
bei  der  Adoption  dem  Antonin  den  Imperatortitel  giebt,  ob.  S.  877  A.  3). 
Jener  Annahme  scheint  entgegenzustehen,  dafs  auf  der  Mfinze  Ck>h.  DI 
p.  827  n.  788  Vater  und  Sohn  zusammen  auf  dem  Triumphwagen  stehen, 
allein  wie  der  Schriftsteller  zwei  jedenfalls  auf  dieselben  Erfolge  bezfig- 
lichen  und  zeitlich  sich  naheliegenden  Triumphe  in  das  cum  patre  triumpha- 
Vit  zusammenfassen  kann,  so  auch  die  Münzdarstellung.  Nach  dem  Triumph 
Lavinium  profectus  est.  Commodum  deinde  sibi  coUegam  in  tribumiciam 
potestatem  iunxity  congiarium  poptUo  dedit  etc.  Die  genauere  Zeit  dieser 
trib.  pot.  wird  nicht  berichtet;  sie  mufs  durch  Kombination  gefunden  werden. 
Am  1.  Jan.  177  trat  Commodus  das  Konsulat  an.  Nun  giebt  es  Münsen 
1.  mit  imp,  Caes.  L.  Aurel,  Comm.  Germ,  Sarm,  und  sowohl  trib.  pot  cot 
(Cohen  111  Comm.  n.  788—738)  als  auch  trib.  pot.  II  cos,  (n.  789.  741. 
742),  2.  mit  L,  Aur,  Comm.  Aug.  und  trib.  pot.  II  cos.  p.  p.  (n.  748  £); 
8.  am  Schlafs  des  Lebens  des  Kaisers  noch  mit  trib.  pot.  XYIII^  was  sich, 
da  Commodus  am  81.  Dez.  192  starb,  mit  einer  Übertragung  im  J.  177 
oder  nach  10.  Dez.  176  nicht  verträgt.  Aus  diesen  Daten  nun  geht  hervor, 
dafs  der  Titel  Augustus  im  Verlauf  der  trib.  pot.  II  dem  Commodus  n 
teil  wurde,  also  nicht,  wie  dem  L.  Verus,  trib.  *pot.  und  volle  Kaiserwflrde 
gleich  zufiel  (ob.  S.  881  A.  1).  Das  Rätsel  der  trib,  pot.  XFJJJ  aber,  das  schon 
Eckhel  8,  417  beschäftigt  hat,  wollen  Stobbe,  Philol.  82  S.  48  und  Mommsen, 
Str.  2,  777  A.  8  so  lösen,  dafs  sie  annehmen,  die  trib.  pot.  sei  dem  Commodus 
zuerst  im  J.  177  gegeben,  weiterhin  aber  auf  den  27.  Nov.  176  zurück- 
datiert worden,  und  zwar  wäre  nach  Stobbe  diese  Rückdatierung  gelegent- 
lich der  Verheiratung  des  Commodus  mit  Crispina  erfolgt.  Nach  Mommsen, 
der  den  Wechsel  der  Tribunatszählung  auf  10.  Dez.  setzt,  wäre  dann  trib. 
pot.  1  —  27.  Nov.  —  9.  Dez.  176,  trib.  pot,  II  10.  Dez.  176.  —  9.  De». 
177.  trib.  pot.  XVni  von  10.  Dez.  192  ab.  Könnten  indessen  nicht,  wenn 
die  trib.  pot.  wenige  Tage  vor  dem  10.  Dez.  176  gegeben  wurde,  suD&chst 
in  der  Münze  jene  paar  Tage  nicht  in  Berechnung  genommen  und  so  von 
dem  Tage  der  Übertragung  bis  9.  Dez.  177  ein  wenig  übervolles  Jahr 
*»  1  Jahr  gerechnet,  dann  aber  dies  als  Benachteiligung  korrigiert  worden 
sein,  so  dafs  man  die  durch  keine  Analogie  zu  motivierende  Rückdatienmg 
vermiede?  Jedenfalls  kommt  dann  aber  im  Laufe  von  177  der  Augustus- 
titel  hinzu,  den  neben  den  Münzen  die  Inschriften  (Wilmanns  n.  953.  964 
corp.  i.  1.  VI.  1016)  und  Akten  (Hänel,  carp.  legum  pr^ao--iafi^  zu  Leb- 


—    .385     - 

lager  den  Geschäften  der  Beichsregierung,  insbesondere  auch 
den  jurisdiktionellen  Aufgaben  des  Principats,  so  weit  es  immer 
ging,  nach.O 

9.  Dies  ist  der  äufsere  Rahmen  der  Regierungen  des  Anto-  Allgemeine 
ninos  und  M.  Aurel,  welche  mit  den  zweiundvierzig  Jahren  ihrer  beider  Begie- 
Dauer  den  Hohe-  und  zugleich  Wendepunkt  der  ersten  grofsen 
Periode  der  römischen  Imperatorenherrschaft  bilden.  Sie  in  ihrer 
Charakterisierung  zusammenzunehmen  ist  man  durch  mancherlei 
äufsere  und  innere  Gründe  berechtigt;  denn  sie  heben  sich 
gegen  Früheres  und  Späteres  durch  gemeinsame  Züge  ab.  Schon 
änfserlich  ist  eine  enge  Verbindung  beider  Regierungen  dadurch 
gegeben,  daüs,  wie  schon  bemerkt,  der  zweite  dieser  Herrscher 
vom  Antritt  des  ersten  an  ohne  Unterbrechung  in  dessen  Um- 
gebung war,  unter  seiner  Leitung  auf  den  Regentenberuf  vor- 
bereitet wurde  und,  nachdem  er  selbst  das  Principat  übernommen, 
sich  dazu  bekannte,  es  im  Geiste  seines  Vorgängers  zu  führen.^) 
Piaton  läfst  in  seinem  Dialog  vom  Staate  den  Ausspruch  thun: 
„Wo  nicht  die  Philosophen  Könige  in.  den  Staaten  werden,  oder 
die,  welche  jetzt  Könige  und  Herrscher  heifsen,  ernstlich  und 
tüchtig  Philosophie  treiben,  und  wo  so  nicht  beides  zusammen- 
fallt, Macht  im  Staate  und  Philosophie,  da  giebt  es  für  die  Ge- 
meinwesen und  für  die  Menschheit  überhaupt  kein  Ende  ihrer 
Leiden.*'^  Jene  Voraussetzung  war  nun  erfüllt,  M.  Aurel  beruft 
sich  ausdrücklich  auf  das  Wort  Piatons  und  bekennt  sich  zu 
dem  Bemühen,  die  Leiden  der  Menschheit  zu  lindern.  Und  in 
der  That,   wenn   unter   den   vorhergehenden   Principaten   es   in 


Zeiten  des  M.  Aurel  geben,  während  die  Schriftsteller  die  Erteilung  desselben 
nieht  erwähnen.  Bei  Enseb.  Ghron.  heilst  es  zwar  zum  J.  177  (aas  dem 
armen,  fibers.):  Antaninus  Cammodum  ßium  8%mm  imperii  socium  fecü; 
allein  dieser  Ansdrack  ist  za  allgemein,  zumal  da  zum  J.  182  der  Antritt 
der  AUeinregierung  bezeichnet  wird  damit,  dafs  der  Senat  dem  Commodos 
den  Namen  Angostos  gegeben  habe;  auch  ist  die  Zugehörigkeit  der  Notiz 
z.  J.  177  nicht  einmal  sicher.  Den  Biographen  mols  die  Notiz  ent- 
gangen sein. 

1)  So  richtet  er  in  der  Klage  der  Athener  gegen  Herodes  Attikus  in 
Sirmium,  Philostr.  vit  soph.  p.  661. 

8)  Bk  Bavt.  1,  16:  IlaQU  %ov  naxQhg  x6  rJiUQOV  u.  s.  w.  6,  30:  Uavxu 

a)  Plat  Polit  p.  478.  yit.  M.  27,  7:  setUetUta  PlaUmia  semper  in  ore 
iOius  fuü,  florere  dvitates,  si  aut  philosopM  imperarent  aut  imperantes  pkUo- 
8opharet4i»r. 

Hersog,  d.  rö».  StwktiTerf.  II.  1.  J^ized  byCiOOglC 


—    386    — 

Dm  Giflck  erster  Linie  die  Ordnung  des  Reichs  und  der  politische  Zustand 
war,  der  in  möglichst  befriedigender  Weise  hergestellt  werden 
sollte ;  woraus  die  Wirkung  auf  die  Reichsangehorigen  mehr  in 
mittelbarer  Weise  sich  ergab,  so  sollte  jetzt  neben  der  Auf- 
rechterhaltung der  von  den  Vorgängern  Qberkommenen  Blüte  des 
Reichs  die  Fürsorge  möglichst  unmittelbar  den  einzelnen  Klassen 
der  Bevölkerung  zugute  kommen,  ja  den  einzelnen  Menschen,  so 
weit  sie  von  der  Stellung  des  Herrschers  erreichbar  waren.  ^) 
Anordnungen  der  Verwaltung,  Reskripte  auf  Anfragen,  Richter- 
sprüche und  Ordnung  des  Rechtswesens  überhaupt*),  Einschreiten 
mit  Akten  der  Wohlthätigkeit  in  gegebenem  Fall,  kurz  alle  Ge- 
legenheiten zur  Bethätigung  wohlwollenden  und  doch  zugleieb 
gerechten  und  umsichtigen  Eingreifens  sollten  pflichtmäTsig  be- 
nützt werden,  um  der  Aufgabe  des  Herrschers  nachzukommen.') 
Der  Grundsatz  der  Humanität  wurde  jetzt  öffentlich  aufgestellt  und 
befolgt,  wie  bisher  nie  im  Altertum^),  so  wie  es  eben  möglich  war 
in  einer  Gesellschaft,  welche  auf  die  Sklaverei  begründet  ist 
Wenn  diese  gesellschaftliche  Organisation  nicht  zu  ändern  war, 
'  so  konnte  man  sie  wenigstens  mildern,  durch  allgemeine  Be- 
stimmungen wie  durch  Einzelverfügungen  auch  der  Sklaven  sich 
annehmen  und   hier  besonders  die  Tendenz  walten   lassen,  den 

1)  V.  Pii  7,  1:  Tanta  sane  diligentia  subiectos  sibi  poptUos  rexü,  fä 
omnia  et  omnes,  quasi  sua  essent,  curaret.  Provinctae  sub  eo  cunäae  flo- 
ruerunt. 

2)  Vit.  Marci  10,  10:  iudiciariae  rei  singularem  düigentiam  adhibuU. 
8)  Die   Citate   aus   den  Bechtsquellen,   zusammengestellt  bei  Hänel, 

corpus  legum,  und  die  einzelnen  von  den  Biographen  hervorgehobenen  Ent- 
scheidungen geben  hieför  reichliche  Beweise,  sie  betreffen  insbesondere  das 
Erbrecht,  Familienrecht,  Vormundschaftsweaen,  Bflrgerrecht  nnd  persönliche 
Rechtsstellung  überhaupt,  Milderung  zu  gunsten  der  Sklaven,  Herabminde- 
rung d$r  Ansprüche  des  Fiskos  u.  dgl.  Um  die  Eonstatierung  der  persÖn- 
^  liehen  Rechtsverhältnisse  zu  erleichtern,  wird  Aufzeichnung  der  (Geburten 

eingeführt,    v.  M.  9,  7. 

4)  Dig.  29,  2,  86:  restitutionem  in  integrum  impiarabant,  quae  stricto 
iure  non  campetit  ~;  divum  tarnen  Pium  contra  constituisse  Maedanus  — 
refert  — ;  quod  et  hie  humanitatis  causa  ohtinendum  est.  28,  4,  8:  (Änto- 
ninus  Caesar  d.  h.  M.  Aurel)  remotis  omnibus  cum  ddiberasset  —  dixit: 
causa  praesens  admittere  videtur  humaniorem  interpretationem 
(zn  gunsten  der  Ansprüche  eines  Sklaven  auf  Freilassung).  In  derselben 
Frage  28,  6,  86:  et  humanius  est  et  magis  aequitaiis  ratione  subnixum^ 
worauf  eine  dem  entsprechende  Entscheidung  erfolgt  ex  eonstiMione  divi 
Marci,  —  Hinsichtlich  der  Strafgerichtsbarkeit  vgl.  vit,  Marc.  24:  enU 
mos  — ,  ut  omnia  crimina  minore  supplicio  quam  legibus  plecti  soient  ptmiret, 

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~     387     — 

Schwachen  zu  Hilfe  zu  kommen.  Gerade  in  dieser  Zeit  finden 
sich  denn  auch  Spuren,  dafs  man  das  wichtige  und  nunmehr 
über  das  ganze  Reich  verbreitete  Institut  der  Genossenschaften 
in  den  niederen  Klassen  der  Bevölkerung  (coUegia  tenuiorum) 
auch  positiver  Aufmerksamkeit  wert  hält  und  nicht  blofs  inner- 
halb der  polizeilichen  Beschränkungen  sich  selbst  überläfsi^) 
Beihilfe  in  Unglücksfallen,  wozu  es  an  Gelegenheit  nicht  fehlte, 
wird  für  alle  Teile  des  Reichs  berichtet,  Erleichterung  der  Lasten 
bis  ins  E^eine  angestrebt  und  von  den  Organen  besonders  der 
Finanzverwaltung  verlangt,  dafs  sie  im  Sinne  des  Herrschers  ihr 
Amt  führen.*)  Der  Erfolg  einer  solchen  Regierung  war  auch 
ein  glücklicher:  die  Menschheit  fand  gewifs  kein  Ende  ihrer 
Leiden,  aber  sie  kam  in  volleren  Genufs  der  von  früher  her  schon 
angebahnten  Wohlthaten  der  Verwaltung  und  sie  atmete  auf 
wie  nie  zuvor.  Der  Preis  der  Regierung  des  Pius,  den  vrir  von 
dem  Rhetor  Aristides  haben'),  ist  eine  Deklamation  und  zeigt 
dies  in  der  Leere  der  Begründung  des  Lobs,  aber  das  Lob  selbst 
entspricht  der  Wirklichkeit  Kürzer  und  einfacher,  aber  mit  ein- 
dringlicherer Wirkung  bezeichnet  Pausanias  denselben  Kaiser  als 
*  Vater  der  Menschen*.*)  Dabei  ist  aber  nicht  zu  verkennen, 
dafs  eine  Wechselwirkung  zwischen  den  Herrschern  und  der 
Welt,  die  sie  beherrschten,  stattfand.  Die  ganze  Zeit  ist  dem 
Gedanken  der  Humanität  zugänglicher  als  je  sonst.  Wie  den 
Unterworfenen  der  Zugang  zu  besserem  Recht  immer  mehr  er- 
leichtert, das  Bürgerrecht  und  die  Latiniiät  fortwährend  weiter 
verbreitet  werden,  die  höhere  Laufbahn  in  Ritter-  und  Senatoren- 
stand  neuen  Kreisen  offen  wird,  so  geht  der  Zug,  welcher  den 


1)  M.  Anrel  berechtigt  die  RollegieD,  Legate  anzunehmen  und  Sklaven 
frei  zu  lassen.  Dig.  84,  5,  20.  40,  8,  1  f.  Näheres  über  dieses  Institat  im 
System. 

2)  Vit.  Pii  9:  (Hilfe  bei  adversa  temporis).  7:  (Sparsamkeit  zu  gun- 
sten  der  Unterthanen).  6^  1:  Procuraiores  suaa  et  modesie  suseipere  tri^mta 
UusU  et  excedentea  modum  raUonem  factorum  auorum  reddere  praecepit  nee 
unfuam  uüo  laetatua  est  luero,  quo  pravineialis  oppressus  est;  contra  pro- 
euratorea  suos  conquerentes  libenter  audwit,  v.  Msrci  11,  8:  Italicis  civita- 
tibus  fcmis  tempore  frumeniwn  ex  urhe  donawt  etc.  28,  8.  M.  Anrel  hatte 
znmal  in  den  Zeiten  der  Pest  Gelegenheit  genug  zn  hetfen. 

8)  In  den  Beden  tlq  ßaadia  nnd  ik'Pmfirtp;  vgl.  auch  Appian  praef.  7. 

4)  Paus.  8,  48,  6:  Tovtop  Evötßrj  tov  ßaöUict  ixuXsöav  ot 'Pmiiaioiy 
dioti  ti  ig  x6  ^Biov  tifi^  iidXiövcc  itpaivBxo  XQ^f^^^og'  do^y  dh  ifiy  xal  to 
ovofia  TO  KvQOv  tpiifoito  uv  xov  nQsaßvtiQOVf^atriQ  dv^Qonoav  naXovfisvos. 


25*    clby 


raS'gle 


—    388     - 

zurückgesetzten  Klassen  bei  ihren  Mitmenschen  mehr  Beachtung 
verschafiFt);  weiter.  Nach  dem^  was  die  Inschriften  bieten,  müssai 
die  f^reilassungen  überaU  in  ungemeiner  Zunahme  begriffen  ge- 
wesen sein,  und  auch  die  Anerkennung  der  Freigelassenen  im 
munizipalen  Leben  scheint  Fortschritte  zu  machen.^)  Wenn  die 
Kluft  zwischen  Freien  und  Sklaven  schon  früher  unter  dem  Ein- 
flufs  der  Nationalitätenmisohung  weniger  schroff  geworden  war, 
so  trug  jetzt  auch  die  Philosophie  dazu  bei^  menschenwürdigere 
Anschauungen  aufkommen  zu  lassen.')  So  wird  man  anerkennen 
dürfen,  dafs  durch  das  Zusammenwirken  der  Initiative  der  Herr- 
scher und  des  eigenen  Sinnes  der  Beherrschten  die  Menschheit 
im  Altertum  niemals  einen  äufserlich  befriedigenderen  Zustand 
erlebt^  die  Menge  der  Volker^  die  nun  im  römischen  Reiche  ver- 
einigt war,  nie  ein  solches  und  so  allgemein  verbreitetes  Glück 
gesehen  hat  wie  in  der  Periode  unter  Antoninus  Pius  und  M.  AureL 
Wären  doch,  wenn  es  auf  die  Herrscher  allein  angekommen  wäre, 
selbst  die  grausamen  Züge  des  romischen  Charakters,  welche  die 
Lust  an  Gladiatoren-  und  Tierkämpfen  hervorgebracht^  abgethan 
worden.*) 

Indes  dieser  glückliche  Zustand  nahm  mit  M.  Aureis  Tode 
ein  Ende,  und  schon  dies  weist  darauf  hin,  in  der  Analyse  des 
Charakters  dieser  Zeit  tiefer  zu  gehen,  um  auch  die  Gründe  fQr 
den  Verfall  kennen  zu  lernen;  der  Geschichte  der  Verfassung 
aber  liegt  es  noch  weiter  ob,  vor  allem  die  politischen  Ver- 
hältnisse ins  Auge  zu  fassen  und  von  ihnen  aus  die  Zeit  zu 
beurteilen. 


1)  Vgl.  was  im  Syst.  Ober  die  Bedeutung  der  Korporationen  von  Frei- 
gelassenen in  den  italischen  Land-  und  den  Provinzialstftdten  zu  sagen  ist 

2)  Es  wird  hinsichtlich  der  Sklaven  wenigstens  iure  naturaU  an- 
erkannt, dafs  omnea  Jiomines  aequaks  sunt  (Dig.  60,  17,  32).  YgL  ferner 
Dig.  1,  6,  1,  2:  Hoc  tempore  nuUis  hominibus,  qui  sub  imperio  Born,  swU, 
licet  8upra  modum  et  sine  causa  legibus  cognita  in  servos  suos  saetnre;  mam 
ex  constitutione  divi  Antonini  qui  sine  causa  servum  suum  ocdderü  non 
minus  puniri  iubetur,  quam  qui  dlienum  servum  ocdderü,  sed  et  motor  oiperi- 
tas  dominorum  eiusdem  principis  constitutione  coercetur. 

8)  Vit.  M.  28,  6:  fuit  popuio  hie  sermo,  cum  sustuUsset  ad  beüum 
gtadiatores,  quod  populum  sublatis  voh^tatibus  vellet  cogere  ad  philosophiam. 
15,  1:  Bei  Qladiatorenspielen  fuit  consuetudo  Marco,  ut  legeret  a%uliretgue 
et  subscrtberetf  ex  quo  quidem  saepe  iocis  popularibus  dicitwr  lacessitms.  Dasa 
kann  auch  der  Zug  genommen  werden  12, 12:  funambulis  post  puerum  lap&nm 
eulpitas  subici  iussit,  ^  ^ 

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-     389     «- 

10.  Als  Hadrians  Wahl  auf  Antoninus  fiel,  soll  dies  im  Senat  Deuii  der 
bei  vielen  Eifersucht  erregt  haben^  am  meisten  bei  dem  damaligen  ^  r^gen^^' 
Stadtprafekten  Gatilius  Seyerus^  der  sich  bereits  auf  die  Nach- 
folge gefaüst  gemacht  hatte ,  und  Hadrian  sah  sich  yeranlaXst^ 
den  Catilius  darum  seiner  Stelle  zu  entheben.^)  In  der  That 
fehlte  es  im  damaligen  Senat  nicht  an  Männern^  die  wohl  vor 
Antoninus  an  eine  Wahl  denken  konnten;  allein  diese  Biyalitaten 
waren  weitaus  weniger  gefährlich ,  als  seiner  Zeit  die  der  Gene- 
rale TrajanS;  welche  Hadrian  sich  gegenüber  gehabt;  denn  hinter 
den  Wünschen  der  einzelnen  stand  offenbar  kein  Anspruch  allge- 
meinerer Art.  Nachdem  dies  überwunden  war,  mufste  der  Senat 
zu  der  Überzeugung  kommen,  dafs  für  seine  Interessen,  die  der 
ganzen  Eörperscbaft  wie  der  einzelnen  Senatoren,  nichts  forder- 
licher war^  als  das  Principat  eines  Mannes,  der  eben  noch  voll- 
ständig ihnen  gleich  gewesen  und  vor  Allem  durch  die  Milde 
seines  Charakters  sich  empfohlen  hatte.  Sie  machten  denn  auch 
sogleich  bei  der  Frage  der  Apotheose  Hadrians  Miene,  von  dieser 
Auffassung  des  neuen  Principats  Gebrauch  zu  machen  und  das, 
was  der  Adoptivsohn  för  den  verstorbenen  Vater  verlangte,  zu 
verweigern.  Die  Opposition  soll  weniger  an  der  Auktoritat  des 
neuen  Kaisers  als  daran  gescheitert  sein,  dals  hinter  dem  Ver- 
langen, das  Heer  stand.')  Für  seine  eigene  Regierung  hatte 
Antoninus  zwar  noch  vereinzeltes  Prätendententum  zu  erfahren, 
der  Senat  im  Ganzen  aber  war  ihm  ergeben  und  empfand  dank- 
bar die  absolute  persönliche  Sicherheit  und  die  sorgfaltige 
Schonung  seiner  Kompetenz  und  seiner  Würde.*)  Für  die  fernere 
Nachfolge  war  gesorgt  und  damit  ein  Grund  der  Unruhe  für  die 
Regierung  eines  betagten  Herrschers  beseitigt.  Die  Reife  des 
Alters  wie  der  Charakter  waren  eine  Bürgschaft  dafür,  dafs 
keine  einschneidenden  Reformen  zu  erwarten  waren  und  damit 
auch  keine  Verletzung  herkömmlicher  Interessen,  nur  Handhabung 


1)  Vit.  Hadr.  24,  6. 

2)  Vit.  Hadr.  27.  Vit.  Pii  6,  1.  Dio  70,  1:  ixovaaöa  (ij  ßovXii)  dh 
tavxo  (die  Bede  des  Pias)  %al  aiSfö^iCca  tov  &vdQa  to  di  ti  %al  zovg  otqu- 
xuotag  ipoßri&si^a  uniSmxB  x&  ^ASquxv^  räq  tifidg. 

8)  Vit  Pii  6,  5:  senah/ii  tanUim  deMit,  quantum^  cum  privatus  esset^ 
deferri  Hbi  ab  äliio  principe  qptavit;  patris  patriae  notnen  delatwn  a  senaiu, 
quod  primo  disMerat,  cwn  ingenti  groHarwn  acUone  suseepü.  Vgl.  rit.  M. 
10,  2:  neque  quisquam  principum  ampUus  senatui  deMü,  wozu  dann  einzelne 
Beweise. 

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-     390     — 

des  bestehenden  Apparats  in  gerechtem .  und  mildem  Geist  und 
Repression  des  Mifsbrauchs.  An  eine  Fortbildung  oder  radikale 
Besserung  dieses  Apparats  dachte  der  neue  Kaiser  so  wenig,  dafs 
er  sogar  die  Einrichtung  Hadrians,  die  Jurisdiktion  in  Italien 
unter  besondere  Beamte  zu  stellen  (ob,  S.  371  A.  1),  wieder 
aufhob^),  trotzdem  dafs  er  selbst  die  Stelle  eines  solchen  itali- 
schen Oberrichters  bekleidet  hatte.  Es  ist  schwer  anzunehmen, 
dafs  Antonin  in  seiner  eigenen  Funktion  zu  der  Überzeugung 
gekommen  wäre,  die  hadrianische  Beform  sei  verkehrt  oder  über- 
flüssig, da  M.  Aurel  sich  veranlafst  sah,  sie  wieder  aufzunehmen.') 
Aber  mag  es  Nachgiebigkeit  gegen  die  Wünsche  des  Senats 
oder  die  Schwierigkeit  gewesen  sein,  Konsulare  für  diese  wohl 
wenig  dankbaren  Stellungen  zu  gewinnen,  in  jedem  Fall  ersieht 
man  daraus,  dafs  Antonin  leicht  für  die  Erhaltung  des  Herge- 
brachten zu  stimmen  war.  In  der  Verwaltung  wird  hervor- 
gehoben, dafs  er  die  Beamten  so  lange  als  möglich  auf  ihren 
Posten  liefs^,  also  auch  hier  einen  möglichst  ruhigen  und  gleich- 
mäfsigen  Gang  wollte,  dafs  er  die  Regierung  beinahe  durchaus 
von  Rom  aus  führte  (ob.  S.  380  A.  3  f.),  sich  somit  für  die  Kennt- 
nis der  Provinzialverhältnisse  mit  den  Erfahrungen  eigenen 
früheren  Aufenthalts  in  denselben  begnügte  und  von  ihnen  aus 
die  Entscheidungen,  für  die  er  in  Anspruch  genommen  wurde, 
gab,  in  schroffstem  Kontrast  zu  dem  Verfahren  Hadrians.  Die 
dem  Antonin  bekannte  Unzufriedenheit,  die  in  Rom  und  nament- 
lich in  Senatskreisen  über  die  Reisen  dieses  Vorgängers  geherrscht 
liatte,  mochte  dieses  Verharren  in  der  Hauptstadt  mit  bestimmt 
haben.  Der  schon  unter  den  vorhergehenden  Regierungen  in 
seiner  Bedeutung  gesteigerte  Beirat  des  Kaisers  für  Rechts-  und 
Verwaltungsentscheidungen  gewann  jetzt  noch  höheres  Gewicht 
sowohl  durch  die  Auktorität,  die  ihm  der  Princeps  zugestand, 
als  auch  dadurch,  dafs  hier  manches,  was  früher  vor  den  Senat 
gekommen  war,  nun  von  dem  Kaiser  entschieden  wurde.*)     Von 

1)  Appian  b.  civ.  1,  38:  (die  Einricbiang  Hadrians  von  t^^  'itaXüts 
aQXOvreg  civ&vnatoi  natoc  fiiQTi)  fut'  avxov  InifiBivsv  ig  §Q9cxv. 

2)  Vit.  Marc.  11:  datis  ittridicis  Itäliae  cansuHuit  ad  id  exemplum,  quo 
Hadrianus  constdares  viros  reddere  iura  praeceperaL 

8)  Vit.  Pii  6,  3:  fact%t8  imperator  ntUli  eorutn^  quos  Hadrianus  pro- 
vexerat,  successorem  dedit  fuitque  ea  constantia,  ut  septenis  et  novenis  amus 
in  provinciis  bonos  praesides  detineret. 

4)  Vit.  6,  11:  negue  de  provinciis  neque  de  ullis  acUbui  quicquam  con- 
stituit,   nisi  quod  prius  ad  amicos  rettulU,  atque  ex  corum  sentenüa  formas 

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—     391     - 

jetzt  an  wird  die  Zahl  der  kaiserlichen  Entscheidungen,  welche 
in  unsem  Kechtsquellen  als  för  die  Folgezeit  mafsgebend  citiert 
werden,  immer  groCser,  d.  h.  es  wird  eben  die  Thätigkeit  des 
Eidsers  mit  seinem  Konsilium  in  seiner  Bedeutung  als  Rechts- 
quelle immer  sichtbarer.  In  diesen  Reskripten  und  Edikten  ist 
nun  abär  unverkennbar,  wie  neben  der  durch  das  Konsilium 
gegebenen  allseitigen  Erwägung  des  Falls  das  personliche  Zu- 
thun  des  Kaisers  in  Aufstellung  allgemeiner  Grundsätze  und 
insbesondere  in  Geltendmachung  humaner  Entsch^dungsgründe 
Einflufs  übt.  Die  Stellung,  welche  die  Kaiser  überhaupt  und  in 
besonderem  Mause  Antonin  und  M.  Aurel  in  dieser  Beziehung 
einnahmen,  ist  im  Grunde  genommen  auch  jetzt  nicht  die  eines 
Herrschers,  wie  ihn  sonst  das  monarchische  System  auffafst, 
der  nur  als  oberste  Gnadeninstanz  mit  den  Einzelfallen  der 
Justiz  zu  thun  hat,  sondern  eines  solchen,  der  regelmäfsig 
als  Appellationsinstanz  an  der  Rechtsprechung  teilnimmt  Allein 
das  Principat  war  von  Anfang  an  auf  diese  Art  des  persönlichen 
Eintretens  l^gelegt,  und  es  ist  nur  die  besondere  Gewissen- 
haftigkeit und  der  Eifer  in  dieser  Funktion,  was  solcher  Thätig- 
keit eine  grolsere  Bedeutuug  in  dem  Leben  der  beiden  Kaiser 
giebt,  wobei*  aber  allerdings  nicht  zu  verkennen  ist,  dals  ein 
ohnehin  mehr  auf  daä  Einzelne  gerichteter  Sinn  hiedurch  leicht 
von  gröfseren  Aufgaben  des  Regenten  abgezogen  werden  konnte, 
auch  innerhalb  des  einzelnen  das  Eingreifen  in  dem  dinen  und  das 
Übersehen  des  andern  Falls  den  Charakter  des  Zufälligen  hatte. 
Neben  dem  Interesse  für  die  Jurisdiktion  war  von  beson- 
derer Wichtigkeit  und  wird  auch  gebührend  hervorgehoben  die 
Sorge  für  die  Finanzen.  Neben  dem,  dals  von  beiden  Regenten 
hervorgehoben  wird,  sie  hätten  weiser  Sparsamkeit  sich  befleifsigt^ 
ohne  darum  zu  kargen,  wenn  es  Schenkungen  ans  Volk  bei  be- 
sonderen Gelegenheiten  oder  Beihilfe  in  Unglücksfällen  in  irgend 
einem  Teil  des  Reichs  galt,  wird  von  Antonin,  dem  man  auch 
in  seinem  Privathaushalt  besondere  Genauigkeit  nachsagte,  ge- 


c<mpo6uit.  12,  1 :  mtUta  de  iure  sanxit  ususque  est  iuris  periHs  Vindio  Vero^ 
Saldo  Vdlewte,  Volusio  Maeciano^  ülpio  Marceüo  et  Diavöleno,  Vit  M. 
11,  10 :  habuit  secum  praefectos,  quorttm  et  auctorüate  et  periculo  semper  iura 
dictavit;  usus  autem  est  Seaevola  praecipue  iuris  perito.  Übrigens  überlielk 
M.  Anrel  auch  solches,  das  er  hätte  an  sich  nehmen  können,  dem  Senat« 
yit.  10,  9:  senatum  appeüatumibus  a  consule  [actis  iudicem  dedit  —  Näheres 
tlber  das  Eonsilinm  im  System. 

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-     392     - 

rühmty  dafs  er  sorgfältig  die  Etats  der  Provinzen  prüfte,  Gehälter 
entzog,  wo  keine  entsprechende  Leistung  vorlag,  seinen  eigenen 
Haushalt  aufs  einfachste  einrichtete,  so  dafis  er  mit  seinen  Be- 
dürfnissen der  Staatskasse  nicht  nur  nicht  zur  Last  fiel,  sondern 
helfen  konnte,  und  dafs  er  so  erreichte,  einen  wohlgefüllten 
Schatz  zu  hinterlassen,  trotzdem  dab  er  Milde  hei  der  Steuer- 
erhebung empfahl,  Steuernachlässe  bewilligte,  auf  Erbschaften, 
die  ihm  personlich  oder  dem  Fiskus  zufallen  sollten,  verzichtete, 
Konfiskationen  nicht  vornahm,  die  Yermögensstrafen  bei  Ver- 
urteilungen wegen  Erpressung  nicht  auf  die  Kinder  ausdehnte, 
daneben  aber  im  Ausgabenbudget  noch  Baum  fand  für  Bauten, 
für  eine  Reihe  von  Liberalitätsakten  in  Rom,  f&r  Erweiterung 
der  Alimentarstiftungen,  für  Gründung  von  besoldeten  Lehrstühlen 
und  für  eine  Erleichterung  der  Lasten,  welche  die  Unterhaltung 
der  Reichspost  den  Provinzen  auflegte.^)  Freilich  hatte  er  auoh 
kein  aufserordentliches  Kriegsbudget,  da  er  Angriffskriege  völlig 
vermied  und  die  Grenz  Verteidigung  nur  unbedeutende,  wenig 
Kosten  verursachende  Kämpfe  mit  sich  brachte.  In  letzterer 
Beziehung  war  die  Lage  für  M.  Aurel  eine  ungleich  ungünstigere: 
vom  Anfang  seiner  Regierung  an  schwere  Kriege  in  ganz  ent- 
gegengesetzten Teilen  des  Reichs  und  dabei  Verwüstung  von 
Provinzen  durch  feindliche  EinfUlle,  welche  die  betreffenden 
Gegenden  in  ihrer  Leistungsfähigkeit  beeinträchtigten,  dann  die 
Jahre  lang  währende  Pest  mit  ähnlicher  Wirkung^  —  all  das 


1)  Vgl.  aolser  dem  ob.  S.  387  A.  2  bemerkten  vit.  Pii  7  t  10.  12,  S. 
M.  Aarel  rühmt  an  Antonin,  zogleich  damit  sich  selbst  hiezu  bekennend, 
slg  iavx.  1,  16:  to  tpvXantixov  asl  tmv  ävayuaimv  xy  uqx^  xcel  Tafucvrixofr 
T^ff  XOiffjyCag  %al  vnofisvBti^iiov  tijg  ixl  tmv  toiovzmv  xivmv  iiatatuactmg. 
Mit  dem  letzteren,  dafs  er  sich  nm  Tadel  seiner  Sparsamkeit  nicht  kümmerte, 
ist  wohl  angespielt  auf  das  bei  Dio  70.  3  berührte:  liyttat  ifitfitivog  ywwi- 
od'ai  xal  fiTidl  isbqI  t«  fuxQa  nal  ta  xvxovta  tijg  dnQißoloyCag  dtpinae^ai' 
od'sv  avtov  ot  andnrovteg  nal  nv(ttvonQi<rtriv  indlow.  Von  Antonin  wird 
wie  von  M.  Aurel  (S.  393  A.  2)  berichtet,  er  habe  in  Finanznot  das  Gerate 
ans  dem  kaiserlichen  Hanshalt  Öffentlich  verkauft,  Zonar.  12,  1  p.  524  ed. 
Bonn.  Allein  dies  ist  nur  irrtümlich  übertragen  von  dem  Nachfolger.  Es 
ist  nach  dem  sonst  von  Antonin  Gesagten  gar  nicht  za  verstehen,  wie  er 
sein  sollte  iv  inoqCff  ysyovag  aQyvQCmv  noXifimv  innui^hcav,  Anführungen 
der  Erweise  von  Freigebigkeit  {f,%b€ralüaJte8)  auf  Münzen  Cohen  2,  p.  316 
n.  soff. 

2)  Über  diese  Epidemie,  welche  das  Heer  des  L.  Yems  aus  dem  Orient 
mitbrachte,  und  die  während  der  ganzen  Regierungszeit  des  M.  Aurel  nicht 
mehr   erlosch,  vgl.  Friedländer,  Sittengesch.  1^  35 f.^   woselbst  anch  die 

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-    393    — 

bot  ftlr  das  Gleichgewicht  des  Budgets  ganz  andere  Schwierig- 
keiten und  M.  Aurel,  der  so  wenig  wie  sein  Vorgänger  Ein- 
nahmen wollte,  die  er  für  ungerecht  hielt,  bekam  auch  diese 
Schwierigkeiten  zu  fahlen;  allein  trotzdem  gelang  es  auch  ihm, 
mit  seiner  ungemeinen  Gewissenhaftigkeit,  gute  Wirtschaft  zu 
f&hren  und  ohne  Steigerung  der  Auflagen  durchzukommen.^) 
An  eine  Änderung  im  Steuersystem  dachte  er  so  wenig  wie  seine 
Vorgänger;  soweit  nicht  die  Sparsamkeit  und  die  Mittel  des 
kaiserlichen  Haushalts  genügten,  suchte  man  durch  Münz- 
verschlechterung zu  helfen.')  Die  Konzentration  der  Finanzen 
in  der  kaiserlichen  Verwaltung  aber  mufste  unter  diesen  Um- 
standen noch  weitere  Fortschritte  machen,  und  auch  das  Personal 
der  oberen  durch  Ritter  geführten  Verwaltung  scheint  zum  Be- 
huf einer  pünktlicheren  Geschäftsführung  versiärkt  worden  zu 
sein.')  Man  kann  finden,  dafs  beide  Kaiser  in  der  Steuererhebung 
zu  lax  waren  und  insbesondere  der  zweite  in  Milderungen  und 
Nachlässen,  überhaupt  in  der  Hintansetzung  des  Rechts  des 
Fiskus  weiter  ging  als  die  Lage  des  Reichs  zuliefs,  so  dafs  dazu 
herausgefordert  war,  im  Vertrauen  auf  die  kaiserliche  Milde  sich 
den  Leistungen  zu  entziehen:  indes  wog  der  Schaden,  der  hie- 
durch  erzeugt  wurde,  da  im  ordentlichen  Lauf  der  Geschäfte  die 
Interessen  des  Fiskus  durch  dessen  Advokaten  gewahrt  blieben, 

Zeugxusse  nod  die  Litterator  darüber.  Es  mag  wohl  keine  andere  mit  ihrer 
Aasbreitang  über  daiS  Reich  und  ihrer  langen  Daner  so  yerderblich  ge- 
wesen sein. 

1)  Vit.  M.  11,  wo  verschiedenes  Detail«  —  Die  liberdlitates  auf  Münzen 
Cohen  3  p.  41  n.  401  ff. 

2)  17,  4:  Cum  ad  {Hilarcomanicum)  hdlum  omnt  aerarium  exhansisset 
suum  neque  in  animum  induceret,  ut  extra  ardinem  provincidlibus  aliquid 
imperaret,  in  foro  divi  Traiani  auctionem  omamentorum  imperialiutn  fecit 
vendidOque  aureapoeüla  etc.;  dieselbe  Notiz  21,  9.  Vgl.  S.  892  A.  1.  —  Ober 
die  schlechte  Mfinze  vgL  Mommsen,  röm.  Münzw.  S.  764:  „Die  reelle  Prägung 
erstreckt  sich  aach  noch  auf  Nervas  Regierung  nnd  die  ersten  zwei  Jahre 
Tr%)aDS;  späterhin  hat  dieser  Kaiser  sowie  Hadrian  etwa  wie  Nero  gemünzt, 
etwas  vollwichtiger  Pins.  Erst  von  M.  Anrelins  an  erhebt  sich  das  effektive 
Gewicht  (des  aweus)  nicht  mehr  über  7,3  Gr.  (anter  Aug.  7,95—7,80,  unter 
Nero  7,39  nnd  weniger)  und  zeigen  sich  zugleich  einzelne  um  1  Gr.  und 
mehr  nntermünzte  Goldstücke." 

3)  Nachweis  von  Einführung  weiterer  Beamten  bei  der  Reichskasse 
(procuratar  summarum  raiumum)  nnd  der  Getreideverwaltung  (subpraef.  an- 
nonae)  ans  den  Inschriften,  wahrscheinlich  von  M.  Aarel  an  bei  Hirschfeld, 
Verw.-Geech.  1,  36  f.  13Q.  Vgl.  auch  vii  11,  6:  rei  frumentariae  graviter 
provm. 

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-     394     — 

wohl  nicht  so  schwer^  um  zu  schweigen  yon  der  YergleichaDg 
mit  den  Erpressungen  und  Konfiskationen  unter  früheren  Eaiseni. 
Und  in  einer  Hinsicht  war  M.  Aurel  auch  für  bleibende  Siche- 
rung der  Leistungsfähigkeit  besorgt^  indem  er  das  Institut  der 
staatlichen  Aufsichtsbeamten  für  die  Stadtgemeinden  (curatores 
civitaium)  in  sehr  ausgedehntem  Mafse  eintreten  liefs.^)  Aber  dies 
war  eine  späte  und^  wie  die  Folgezeit  zeigte,  ungenügende  ELUfe, 
und  die  eine  grofse  Schwäche  dieser  Verwaltung,  die  ungenügende 
Entwicklung  der  Mittel,  tritt  in  ihren  Folgen  unter  M.  Aurel 
klar  zu  Tage.  Wenn  aligemein  eine  vorher  nie  in  solchem 
Mafse  vorhandene  Blüte  Italiens  und  der  Provinzen  bezeugt  wird, 
wie  unter  Antoninus  Pius,  wie  kommt  es,  dafs  die  Regierung  des 
Nachfolgers  bald  in  grofse  Finanznot  gerät?  Dies  ist  ein  klarer 
Beweis,  dafs  das  Vorhandensein  eines  Staatsschatzes  beim  Be- 
gierungswechsel nicht  zu  einem  günstigen  Abschlufs  genügte, 
sondern  doch  auch  nur  einem  unerhört  günstigen  äufseren  Ver- 
lauf entsprang.  Trotz  aller  Fürsorge  für  die  überlieferte  Ver- 
waltung kam  man  nicht  über  ein  Leben  von  der  Hand  in  den 
Mund  hinaus.  Vielleicht  lag  die  Hauptschuld  an  der  gesellschaft- 
lichen Organisation,  der  Verteilung  der  Güter,  dem  unrichtigen 
Verhältnis  zwischen  Ausgaben  und  Einnahmen  in  dem  ausschlag- 
gebenden Mittelstand,  dem  Mangel  an  Energie  im  Erwerbsleben 
dieser  Klassen,  aber  dafs  die  Vorteile  der  so  langen  Friedenszeit 
so  wenig  sichere  und  dauerhafte  Resultate  für  den  Staatshaushalt 
brachten,  weist  notwendig  auf  die  Schwäche  der  staatlichen  Ini- 
tiative hin.*) 
unterichiede  im         H.  Bci  aller  Übereinstimmung  in   den  allccemeinen  Grand- 

Charakier  der  °  °  .  . 

iwei  Horracher.  Sätzen  warcu  aber  doch  auch  wieder  die  beiden  Kaiser  ihrem 
persönlichen  Charakter  nach  und  in  der  Führung  der  Herrschaft 
nicht  unwesentlich  verschieden.  Antoninus,  aus  einer  bis  zu  den 
höchsten  Stufen  durchmessenen  Laufbahn  im  Staatsdienst  zu  der 


1)  Vit.  11,  2:  curatores  multis  eivüatibus,  quo  laHtts  senatorias  tenderet 
digniiates,  a  senatu  dedit.  Das  hier  angegebene  Motiv  wäre  kleinlich  ge- 
wesen. Der  Zweck  war,  wie  anch  der  Zusammenhang  der  andern  Notizen, 
unter  denen  dies  steht,  zeigt,  ein  finanzieller.  Dafs  es  die  Quelle  des  Bio- 
graphen so  auffafste,  zeigt  eben  dieser  Zusammenhang;  daneben  mag  die 
dadurch  vermehrte  Thätigkeit  der  Senatoren  als  Eonsequenz  angegeben 
gewesen  sein.  Die  Notiz  der  vita  aber  wird  durch  die  zahlreichen  Inschriften 
von  Stadtekuratoren  bestätigt 

2)  Vit.  Mard  11,  10:  im  magis  väus  restituit  guam  novum  feeU  ist 
charakteristisch  für  die  beiden  Regierungen. 

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-     395    — 

Stellung  des  Princeps  berufen,  ist  in  erster  Linie  Staatsmann; 
seine  philosophische  Bildung  und  Lebensgestaltung  hat  wohl 
bestimmenden  Einflufs  auf  seine  AufiPassung  der  Pflichten  eines 
Herrschers  geübt,  aber  das,  was  ihn  in  den  Berufsgeschäften  des 
Tages  leitet,  ist  das  Interesse  der  richtigen  sachlichen  Erledigung 
der  vorliegenden  Aufgaben,  zu  deren  Anforderungen  er  in  einem 
natürlichen  und  unmittelbaren  Verhältnis  steht,  und  so  war  er, 
wenn  vielleicht  auch  weniger  begabt  und  weniger  tief  als  sein 
Nachfolger,  doch  als  Regent  nicht  blofs  glücklicher,  sondern 
auch  mehr  am  richtigen  Platze.  Bei  M.  Aurel,  der  von  Jugend  auf 
den  Philosophen  in  die  Schule  gegeben  war  und  sich  zu  einer 
bestimmten  Philosophie,  dem  Stoicismus,  bekannte,  geht  jede 
Aufgabe,  die  sich  ihm  bietet,  durch  eine  Reflexion  über  sich 
selbst  hindurch,  und  sein  Verhalten  gewinnt  den  Anschein,  als 
ob  er  in  seiner  Herrscherstellung  nicht  sich  selbst,  sondern  eine 
Rolle  zu  geben  hätte.  ^)  In  seinen  Selbstbetrachtungen  ist  die 
Forderung  der  Pflichterfüllung  und  des  gewissenhaftesten  Berufs- 
lebens nach  allen  Seiten  ausgeführt  und  auch  speziell  auf  die 
Pflichten  des  Regenten  angewandt;  aber  der  Verfasser  steht 
dieser  speziellen  PQicht  nicht  anders  gegenüber  als  jeder  andern; 
er  ist  ein  gewissenhafter  Regent,  weil  ihn  die  Vorsehung  einmal 
auf  diesen  Posten  gestellt  hat;  der  Stoiker  soll  ja  am  Staatsleben 
immer  sich  beteiligen,  wenn  er  hoffen  kann,  mit  seiner  Lehre 
Einflufs  üben  zu  können^),  und  bei  wem  wäre  dies  mehr  der 
Fall  gewesen  als  bei  einem  Herrscher?  Aber  die  Frage  ist  in 
erster  Linie  für  M.  Aurel  immer  die,  ob  er  in  dem,  was  er  thut, 
den  Anforderungen  an  sich  selbst  genüge  leistet;  die  der  Sache 
stehen  in  zweiter  Linie.  Er  ist  eben  immer  nur  Moralist,  nicht 
Staatsmann.  Im  Verkehr  mit  den  Menschen  soll  man  Milde 
üben  und  sie  ertragen'),  aber  dieser  Verkehr  ist  wegen  der  Art 
der  meisten  Menschen  ein  so  grofses  Übel,  dafs  der  Gedanke  an 
die  Befreiung  davon  genügt,  um  einen  mit  dem  Tod  zu  ver- 
söhnen.*)    Das  sind  nicht  die  Ideen,  nach  denen  ein  praktischer 


1)  So  mag  sich  wohl  auch  der  bei  dem  so  wahrheitsliebenden  Cha- 
rakter auffallende  Vorwurf  erklären  (vit.  29,  6):  quod  effictu8  fuisaet  nee 
tarn  Simplex  quam  videretur  aut  quam  vel  Pius  veH  Verus  fuisaet. 

2)  Seneca  dial.  8,  3,  2:  Epicwrus  ait:  non  accedei  ad  remp,  sapiens,  nisi 
si  quid  intervenerii.    Zenan  ait:  accedet  ad  remp.,  nisi  si  quid  impedierit. 

3)  Z.  B.  «&  iavt,  9,  3.  11. 

4)  9,  3:  tovto  yccQ  yiovov,  Bl^ntq  &(foc^  dv^silnev  iv  %al  xatstj^  h     , 

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-     396     - 

Politiker  sein  Verhalten  zu  den  Menschen  regelt  Als  Philosoph 
ond  Mensch  steht  er  unendlich  hoch  über  der  Mehrziüil  der 
Fachphilosophen  und  Rhetoren,  die  er  zu  Lehrern  hatte  oder  su 
seinem  Umgang  heranzog,  und  die  Art,  wie  er  die  stoische 
Pflichtenlehre  zu  einer  Lebensphilosophie  fQr  sich  gestaltet  und 
befolgt;  nötigt  die  höchste  Achtung  ab;  auch  fehlt  es  ihm  nidit 
ganz  an  kritischem  Urteil  über  die,  welche  seine  persönliche 
Neigung  zu  philosophischem  Umgang  auszunützen  suchen.^)  Aber 
sein  Verkehr  mit  Fronto  und  die  Stellung,  die  er  dieser  ganzen 
Menschenklasse  in  seiner  Umgebung  und  sogar  in  Staatsamtem 
gestattete,  zeigt  doch,  dafs  ihm  die  durch  diesen  Kreis  beein- 
flufste  Richtung  den  klaren  Blick  getrübt  hat,  verrät  eine  Schwäche 
des  Urteils  und  hat  Männer  von  ihm  ferne  gehalten,  oder  gegen 
ihn  aufgebracht,  die  mehr  berufen  waren  die  Umgebung  eines 
römischen  Kaisers  zu  bilden.^ 

^9^  i^^f  £^  cvifjp  iq>tCto  toCg  xa  avta  doyftaxa  %B^i%B%ovii^ivoig'  nw  d\ 
hffägf  oaog  6  nonog  iv  t^  duKtpmvCa  tfjs  avfißttoasmg,  Säte  iinetv  0dTxo9 
iXd'oig,  £0  9'dvattf  ftif  nov  xal  avtog  iniXäd'oafuci,  inavrov. 

1)  Er  rühmt  an  Antoninns  1,  16  to  firfil  av  zwa  einstv,  urixB  ort  ctHpi- 
<FT7j$,  firitB  ort  ovtifvänXog  fiijxs  Sri  cxoXacu%6g,  dXX'  oti  dv^^  Tfiictigog, 
tiXsiog,  axoXaxfvroff,  n^oectavat  dvvdpLBvog  xal  xmv  ictvtov  %al  %mv  Stllmv, 
Er  ist  1,  17  dankbar  dafür,  onrng  te  ine^i^rjöa  tpdoaotpiccg  firi  ifimtö^üf 
sCg  Tiva  öotptCTTiv  (irjÖl  dno%a9'Caai  i%\  tovg  avyyqatpeCg  iq  avXloyiü[iovg  dwa- 
XvBiv  Tj  nsgl  tcc  (tstemQoXoymd  %cttayCyvBC^ai,y  anch  1,  7,  dala  er  von  dem 
Philosophen  Rusticas  gelernt  habe  xo  (itj  intganrivai  sig  t^Xov  aotplötixov  — 
%al  x6  oKocxrivat  (rixoQixrjg  n.  s.  w.  —  vit.  28,  9:  fama  fuit  sane,  quod 
9u6  phüosophorum  specie  guidam  renip.  vexarent  et  privatas;  gMod  ük 
purgavit, 

2)  Vgl.  die  Vorwürfe,  welche  in  dem  Schreiben  in  vit  Avid.  Cass.  14 
gegen  M.  Aurel  ausgesprochen  sind:  Marcus  sane  optttnus,  qtU  dum  aietmens 
dici  cupitf  eos  patitur  vivere  quorum  ipse  non  probat  vitam  n.  s.  w.,  femer 
den  Brief  des  Vems  ebendas.  1:  (Ävidius)  te  phüosopham  anietilamy  me 
luxariosum  morionem  vocat.  Teils  Schwäche,  teils  Inkonsequenz  des  Urteilt 
liegt  in  dem  Verhalten  gegenüber  seinen  nächsten  Angehörigen,  zn  L.  Veras 
und  Faustina,  deren  Lob  e^;  iavx.  1,  17  nur  begreiflich  ist  Yon  einer  Gut- 
mütigkeit ans^  welche  die  schlimme  Wahrheit  über  andre  nicht  an  aich 
kommen  lassen  will  (ygl.  yit.  29,  1)  und  sich  an  den  besseren  Schein  hftlt, 
▼oUends  in  Commodns,  über  dessen  Zukunft  nur  der  nrteilssoh wache  Opti- 
mismus des  Vaters  sich  täuschen  konnte.  In  Claudius  Pompejanns,  den  er 
nach  dem  Tode  des  L.  Veras  zu  seinem  Schwiegersohn  machte,  gewann  er 
sich  eine  tüchtige  militärische  Stütze;  allein  da  er  aus  nichtaenatorischer 
antiochenischer  Familie  stammte  (vit  20,  6),  konnte  er  nicht  die  militärische 
und  politische  Seite  in  der  Umgebung  des  Kaisers  mit  voller  Auktorität  reprä- 
sentieren. —  Eine  eigentümliche  Schwäche  liegt  auch  i|i>der  Ängstlichkeit 

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—     397     - 

12.  Letzterer  Umstand  kam  namentlich  in  Betracht  in  der  Be-  dm  Heer 
Ziehung  zum  Heere.  Antonin  hatte  dieses  in  gutem  Zustand  von 
Hadrian  fiberkommen  und  in  den  ersten  Jahren  seiner  Regierung 
war  ja  auch  an  yerschiedenen  Punkten  der  Grenze  Beschäftigung 
für  dasselbe  vorhanden;  im  zweiten  Jahrzehnt  war  er  wenigstens 
an  der  wichtigsten  Grenzstrecke  selbst  veranlafst  nachzusehen 
(ob.  S.  380  A.  4).  Man  kann  aber  nicht  ein  zweiter  Numa  sein^  sich 
?on  jeder  eigenen  Heerf&hrung  fernhalten^)  und  dabei  doch  die 
wenig  beschäftigten  Truppen  als  eine  schneidige  Wafife  erhalten. 
So  fand  denn  L.  Verus,  als  er  die  syrische  Armee  für  den 
Partherkrieg  fibemahm^  dieselbe  in  üblem  Zustand.^)  Doch  hatte 
Antoninus  während  seiner  ganzen  Regierung  mit  keinem  Militär- 
aufstand  zu  thun  und  M.  Aurel  fand  bei  seinem  Antritt  der  Herr- 
schaft verschiedene  treffliche  Generale  vor,  die  er  dem  bald  zur 
Heerführung  untauglich  erwiesenen  Mitkaiser  zur  Seite  stellen 
konnte.*)  Dann  kam  er  selbst  in  die  Lage^  den  Krieg  zu  ffibren, 
und  wenn  er  auch  schwerlich  die  Eigenschaften  eines  Feldherm 
hatte,  so  hat  er  doch  pflichtgetreu  die  Auktorität  des  Imperiums 
im  Feldlager  geltend  gemacht  und  die  unter  ihm  kommandierenden 
Feldherren  in  der  Botmäfsigkeit  desselben  erhalten/)  Dagegen 
machte  sich  da,  wo  er  nicht  war,  die  Minderung  der  Auktorität 
des  philosophischen  Kaisertums  wiederholt  geltend.  In  Britannien 
boten   sogleich   im  J.   161    die   Soldaten   ihrem  Kommandanten 


gegenüber  fremdem  üriei],  die  er  gezeigt  haben  soU,  vii  20, 6 :  erat  famae  snae 
cmummmus,  reguiren$advenm,quidqm$quede8edieeret,  emendansquaehene 
reprehensa  viderejüwr,  29,  5:  nihü  magis  HtMMt  et  deprecatus  est  quam 
aoaritiae  famam,  de  qua  se  muitia  epis^ulis  purgavU.  Vgl  auch  9,  5:  Bamam 
staHm  rediit  revocatus  eorum  semumibus,  qui  dicdtant  Marcum  veüe  finiti 
hdU  gloriam  sünmet  vindicare  atque  idcirco  in  Syriam  proficisci. 

1)  Vit  Pii  6,  4:  per  legatos  piurima  belia  geesit,.  worauf  die  AuMhlung 
der  wenigen  E&mpfe  folgt,  die  unter  seiner  Regierung  statt&nden. 

2)  Frönto  p.  206  f.  Nab. 

8)  Vit.  Marci  8,  10:  Verum  Mcurcus  —  amicis  comitantibus  e  eenatu 
omavü  additis  officiorum  omnium  principibus,  —  12:  Et  Verus  quidem  — 
eimm  pef  legatos  bdhtm  Parthicum  gerena  imperator  appeUatus  esset,  etc. 
Über  diese  Legaten  vgl.  Napp,  de  rebus  imp.  M.  Aurelio  in  or.  gestis 
p.  58  ff. 

4)  Vgl  y.  28,  7:  exercitus  eognäa  mala  vaietudine  v^hementissime  dole- 
haiU,  quia  iUum  unioe  amarunt.  —  Seine  Anktorit&t  machte  er  auch  in 
der  Vergebung  der  Statthalter-  beziehungsweise  Eommandoposten  geltend 
22,  9;  pravindas  ex  procansularibus  consulares  aut  ex  consuiaribus  procan- 
sviares  aut  praetorias  pro  bsUi  neccessitate  fedt.  ^  . 

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—     398    — 

Statins  Priscus  das  Imperium  an  ^),  und  es  war  ein  groläes  Glücky 
dafs  die  Aufforderang  an  einen  pflichttreuen  Mann  kam;  doch 
schien  es  nötige  denselben  von  seinem  damaligen  Kommando  zu 
entfernen  und  ihm  auf  dem  östlichen  Kriegsschauplatz  Gelten- 
heit  zur  Bewährung  seiner  Tüchtigkeit  zu  geben.*)  Im  J.  175 
aber  erhob  sich  wirklich  ein  gefahrlicher  Prätendent  aus  der 
Zahl  der  bedeutendsten  Heerführer^  der  Statthalter  von  Syrioi 
Avidius  Cassini  Ayidius  Cassius.  Derselbe  hatte  sich  im  parthischen  Krieg  aus- 
gezeichnet,  hatte  dann  die  Provinz  Syrien  erhalten  und  in  dieser 
Stellung  bei  den  Soldaten  als  bis  zur  Grausamkeit  strenger 
Führer  Gehorsam  und  Mannszucht  hergestellt,  bei  den  Provin- 
zialen,  seinen  Landsleuten,  Anhänglichkeit  gewonnen.  Sdion 
Yerus  soll  vor  ihm  gewarnt  haben;  jedenfalls  scheint  seiner 
Natur  die  Art  des  Kaisers  zuwider  gewesen  zu  sein.  Ob  er 
durch  anderweitige  Aufreizung  veranlafst  wurde  oder  aus  eigenem 
Antrieb  sich  erhob,  ist  nicht  zu  erkennen;  jedenfalls  war  sein 
Versuch  ungenügend  vorbereitet  und  schwach  begründet  Die 
Soldaten,  sei  es  aus  Anhänglichkeit  an  den  Kaiser  oder  aus 
Furcht  vor  der  Strenge  des  Cassius,  waren  nicht  auf  dessen 
Seite,  und  ehe  noch  M.  Aurel  selbst  zur  Bek&mpfung  des  Auf- 
Stands  im  Orient  eintraf,  war  der  Prätendent  bereits  von  der 
Hand  eines  Centurio  gefallen.  Allein  das  Beispiel  eines  vom 
Heer  proklamierten  Kaisers  war  nun  nach  mehr  als  hundert  Jahr» 
wieder  einmal  gegeben  und  wurde  bald  genug  zur  Regel.  Auch 
war  aus  diesem  Vorgang  zu  entnehmen,  dafs  ein  Regent,  der 
das  Schwergewicht  auf  die  friedliche  Seite  seiner  Stellung  legte, 
oder  ein  solcher,  der  nicht,  wie  Friedrich  der  Grofse  von  PreuXsen, 
den  Philosophen  mit  dem  Heerführer  vereinigte,  weniger  als  je 
den  Anforderungen  entsprach  in  einer  Zeit,  in  welcher  die  bürger- 
liche Bevölkerung  jeder  kriegerischen  Thätigkeit  entwöhnt  war 
und  alle  Widerstandsfähigkeit  wie  alle  Kraft  zum  Handeln  in 
den  Provinzialheeren  lag.     Die  durchaus  bürgerliche  Regierung 


1)  Dio  ed.  Bekker  p.  854  Anm.:  ort  ot  iv  Bifstrccvio^  atifcctimrai  iZ^- 
CHOV  vnoatQatrjyov  sTXovto  avtoniftttOQa;  6  ih  vag'gtiqcato  sbtdify  oti  Yiua«TO$ 
iym  sifn  avtcx^aroo^  oloi  viietg  cxqcctimxai  iars.  Dafs  diese  Notiz  an  den 
Anfang  der  Regierung  des  M.  Anrel  gehört,  darfiber  vgl.  Boighesi,  oeiivr.  3» 
249  f.  NoSi  des  Vergers  p.  29  f.;  über  Statins  Priscus  Laufbahn  überhaupt 
die  Inschrift  corp.  i.  1.  6,  1623  »  Henzen  n.  5480.  Napp  a.  a.  0.  55  f. 

2)  Dio  71,  22—81.    Vit.  M.  24—26.     Vulc.  Gallic.  vita  Avidii  Catai 
Vgl.  über  ihn  Napp  a.  a.  0.  p.  42—50.  67—65.  ^  , 

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-     399    — 

des  Antoninus  Pios^  während  welcher  eine  mäfsige  Anzahl  von 
Legionen  \md  Hilfstrnppen^  ohne  dafs  der  Kaiser  sich  zu  bemühen 
brauchte  y  die  Grenze  hütete ,  die  übrige  Bevölkerung  aber  unter 
dem  denkbar  mildesten  Herrscher  ihren  friedlichen  Beschäfti- 
gungen nachging,  schien  einen  idealen  Zustand  herbeigeführt  zu 
haben  ^),  und  doch  war  eben  damit  der  Grund  zu  einem  Zwiespalt 
zwischen  dem  Interesse  der  bürgerlichen  Bevölkerung  und  dem 
des  Heeres  an  der  Besetzung  des  Imperiums  gelegt,  und  es  waren 
darauf  in  den  schweren  Kriegen  unter  M.  Aurel  die  Heere  zu 
einem  solchen  Bewufstsein  ihrer  Kraft  und  Bedeutung  gelangt, 
dafs  nach  kurzer  Zeit  das  Heerkaisertum  mit  allen  seinen 
Schrecken  heraufbeschworen  war.  An  dem  Vorgang  des  Cassius 
aber  suchte  man  die  bedenklichste  Seite  darin,  dafs  er  in  seiner 
heimatlichen  Provinz  ein  so  bedeutendes  Kommando  gehabt  und 
darin  eine  verstärkte  Ermutigung  gefunden  hatte.  Deshalb  sollte 
nun  kein  Provinziale  mehr  in  seiner  Heimat  ein  Kommando  er- 
halten.*) 

13.  An  der  Minderung  der  Kraft  der  bürgerlichen  Gesellschaft  sohwinden  des 

.  •   1  j     1  1    -       ••.       -r-i  1  "TTT    nr»       1.  <■      i   Nation»lgefühl8. 

war  aber  nicht  blofs  die  Entwöhnung  vom  Waffendienst  schul- soziale  und  rcii. 
dig,  sondern  auch  der  Mangel  jeder  Bethätigung  von  politischem       niase. 
Bürgersinn.    Die  Bomanisierung  der  Landschaften  des  Westens 
hatte  nunmehr  die  alten  Nationalitäten  vollends  aufgezehrt,  indem    - 
die  Latinität  und   das  Bürgerrecht   in  immer  weiteren   Kreisen 
sich  verbreitete.*)    Im  Osten  war   der  Hellenismus  wohl   herr- 


1)  AriBÜd.  elg  ^Pmtiriv  L  p.  216  (Jebb):  noXiiMi  ovd*  bI  nmnotB  iyi- 
vovxo  izi  niczBvovxcciy  aXX'  iv  SlIXohv  ftv^atv  Ta£«t  tots  noXXotg  dnovovTai. 
p.  217:  nmg  ovv  iiroir/(rarf ;  svqbxb  oUeiov  at^axBvyM  x&v  noXitmv  ov%  ho' 
%tMVfiivtov'  xovxo  d\  vfuv  inoffutsv  ^  nsffl  ndaqg  xrjg  dQxfjq  ßovlri  %al  x6 
1111619  i%%^iv6Cv  Big  fifjdlv  ip  av  Öi^vrjxai  xb  %al  difj  noiBtif  u.  8.  w.  —  M.  Aurel 
brachte  auch  den  bfirgerlichen  Charakter  der  heimkehrenden  Heere  wieder 
in  Erinnerung;  vii  27,  8:  per  Brwfidi9ivm  veniens  in  Itdliam  togam  et  ipse 
9um8it  et  müites  togatos  esse  iussit,  nee  unquam  sagati  erant  sub  eo  müites, 

2)  Die  71,  31:  ivofio^BvridTi  xoxb  utidiva  iv  xm  id-vBi  Zd-Bv  x6  uqxcUöv 
icttv  aifXBiVy  Zxi  o  Kiaaiog  iv  xjj  SvqUf  xriv  naxq^a  avxov  ixovaji  i^ye/M»- 
vBvmv  ivB6xfi^eBP, 

8)  Es  wird  zwwr  weder  von  Antonin  noch  von  M.  Aurel  besondere 
Liberalit&t  hierin  ausgesagt,  Eolonieen  oder  Munizipien  sind  kaum  mit 
Sicherheit  auf  sie  surückzufQhren  und  ob  die  vielen  Älier  und  Aurelier  in 
den  Provinzen  ihren  römischen  Namen  und  damit  ihr  Bürgerrecht  einem  von 
ihnen  zu  danken  haben,  läTst  sich  nicht  nachweisen,  aber  schon  die  natür- 
liche Fortpflanzung  der  höheren  Rechtsstufen  und  die  Aushebung  f£lr  die 
Legionen  zog  immer  weitere  Kreise  in  das  Bürgerrecht  herein;  es  istgaber     . 

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-     400    — 

sehend,  aber  nicht  als  eine  Art  von  Nationalitat ,  sondern  ab 
eine  Eulturform  von  kosmopolitischem  Charakter,  und  wer  irgend 
unter  den  dazu  gehörigen  Individuen  höher  strebte,  suchte  eben- 
falls das  römische  Bürgerrecht  zu  gewinnen.  Dieses  war  aber 
jetzt  in  keiner  Weise  mehr  der  Ausdruck  für  die  Zugehörigkeit 
zu  einem  Gemeinwesen,  das  wie  es  Rechte  giebt  so  auch  ein 
aktives  Interesse,  ein  Einsetzen  der  Person  für  seine  Zwecke  in 
Anspruch  nimmt,  sondern  es  ist  eben  eine  Stufe  persönlichen 
Rechts,  welche  dem,  der  sie  besitzt,  weniger  Lasten  f&r  Aaß 
Reich  auferlegt  als  andere  Stufen.  Als  Teil  eines  Gemein weseos 
fühlt  man  sich  nur  etwa  innerhalb  des  munizipalen  Zusanunen- 
hangs  und  auch  hier  kaum  mehr  mit  einigem  Selbstbewufstsein 
oder  mit  dem  Gefühl  der  befriedigten  Eitelkeit  in  den  diesem 
Kreise  zugehörigen  Ehren,  sondern  bereits  mit  der  Sorgq  wegen 
belastender  Leistungen  und  mit  dem  Bewulstsein  des  untergeord- 
neten Standpunkts.^)  Der  Vernichtung  der  Nationalitaten  folgt 
in  dem  ungeheuren  Reich  die  Vernichtung  des  Gemeingeffthls 
und  der  gemeinnützigen  Thätigkeit.  Im  Interesse  der  Massen 
tritt  an  die  Stelle  des  politischen  Lebens  die  Sorge  für  die  soziale 
Existenz  und  im  Zusammenhang  damit  die  Frage  der  Religion« 
Auf  dem  sozialen  Gebiet  haben  wir  oben  als  einen  positiven 
und  neuen  Zug  ein  gewisses  Humanitatsgefühl  in  der  Masse 
hervorgehoben,  das  an  die  Ausgleichung  der  persönlichen  Rechts- 
verhältnisse sich  anschliefst.  Ein  anderer  Zug  ist  der  nach  kor- 
porativem Zusammenschlufs,  der  in  den  unteren  Schichten  das 
ersetzt,  was  in  den  oberen  der  ständische  Zusammenhalt  repra- 


bei  der  Gesinnungsweise  dieser  Kaiser  auch  anzunehmen^  dafs  sie  mit  der 
Erteilang  an  einzelne  nicht  kargten.  —  DsSs  andrerseits  mit  der  Ansiedlong 
barbarischer  Elemente  diesseits  der  Grenze  ein  Neues  hereinkam,  darüber 
ist  unten  zu  reden. 

1)  Dig.  60, 4, 6 :  Bescripto  divorum  fratrum  ad  Euiüiwn  Lupum  üa  deda- 
ratur:  ConsHMio,quaeaiUum  estpratU  quisque  decwrio  crecOw  est  ut  itaetmagi- 
Stratum  apiscatur^  tatiens  servari  debet,  guotiens  idoneos  et  suffidentes  onmts 
contingU,  Ceterum  si  üa  quidem  tenues  et  exhausH  swU^  ut  non  modopv^ 
eis  hanaribw  pares  non  sint,  sed  et  vix  de  suo  victum  sustinere  passint,  (t 
minus  %Uile  et  nequaguam  konestum  est  tälibm  mmndari  magistratum,  prae- 
serUrn  cum  sint  qui  con/veniewter  ei  et  suae  fortunae  et  splendori  pubUco  possitU 
creari.  Seiant  igitur  locupletiares  non  debere  se  hoc  praetexto  legis  uU  ä  de 
tempore,  quo  quisque  in  curiam  adlectus  sit,  inter  eos  demum  esse  quaerend^m, 
qui  pro  suhsta^ia  sua  capiant  honoris  dignitatem.  Dies  verrät  andere  Zu- 
stände als  sie  zu  An&ng  der  Eaiserzeit  waren,  als  die  Auktorität  des  Princepe 
wegen  zu  lebhafter  Wahlomtriebe  einschreiten  mulste. 

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—    401     — 

sentiert,  und  das  Kollegienwesen  in  ausgedehntestem  Mafse  erzeugt. 
Wir  sind  diesem  bereits  darin  begegnet,  dafs  es  Gegenstand  der 
kaiserlichen  Fürsorge  bildete,  aber  die  Voraussetzung  für  letztere 
war  eben  die  ungemein  grofse  über  das  ganze  Reich  sich  er- 
streckende Verbreitung,  die  es  gewann  und  die  nur  wunderbar 
erscheinen  läfst,  dafs  die  Rechtsquellen  so  wenig  sich  damit  be- 
schäftigen.^) 

Dieser  Zug  des  Zusammenschlusses  der  hilflosen  Einzelnen  Die  christen- 
verbindet  sich  nun  in  eigentümlicher  Weise  mit  dem  religiösen 
Interesse  in  den  christlichen  Gemeinden.  Schon  Trajan  war 
darauf  aufmerksam  geworden,  wie  bei  der  Christenfrage  neben 
der  Stellung  des  religiösen  Gefühls  des  Einzelnen  zum  Staate 
auch  die  christliche  Genossenschaft  in  Betracht  komme  (oben 
S.  354).  In  den  zwei  Generationen,  die  seitdem  verflossen  waren, 
hatte  sowohl  die  christliche  Religion  als  Bekenntnis  des  Einzelnen 
einen  breiteren  Boden  im  Reich  gewonnen  als  auch  die  Gemeinde- 
bildang  sich  immer  mehr  befestigt  und  zwar  nicht  blofs  für  die 
Organisation  der  einzelnen  Gemeinde,  sondern  auch  hinsichtlich 
des  Zusammenhangs  der  Gemeinden  unter  sich.  Es  leuchtet  ein,  wie 
sehr  dies  nicht  blofs  äufserlich,  sondern  auch  nach  den  inneren 
Motiven  mit  der  Richtung  der  Geister  in  der  heidnischen  Welt  zu- 
sammenhing. Noch  aber  bildete  die  christliche  Gemeinschaft  keine 
Frage,  die  man  unter  die  wichtigeren  Angelegenheiten  des  Reichs 
rechnete.  Weder  die  neu  aufgekommene  christliche  Apologetik, 
die  sich  mit  den  Argumenten  rhetorischer  und  philosophischer 
Bildung  an  die  Philosophie  auf  dem  Throne  wandte,  noch  anderer- 
seits die  Beschwerden,  welche  man  gegen  die  Christen  erhob, 
hatten  den  Erfolg,  die  Reichsregierung  lebhaft  dafür  zu  inter- 
essieren. Für  die  Lehre  des  Christentums  gab  es  keinen  Anschlufs 
an  die  Philosophie  der  beiden  Kaiser;  andererseits  achteten  sie 
direkter  geflissentlicher  Bekämpfung  die  neue  Sekte  nicht  wert; 
von  gelegentlicher  Repression  hielt  den  Antonin  selbst  sein  überall 
zar  Milde  geneigter  Sinn  zurück,  und  die  Statthalter  hatten  von 
ihm  wenigstens  nicht  Vorwürfe  zu  fürchten,  wenn  sie  die  Christen 
gewähren  liefsen  oder  sie  etwa  auch  gegen  die  feindliche  Volks- 
stimmung in  Schutz  nahmen.  M.  Aurel  indessen,  bei  dem  die 
natürliche  Milde  stets  mit  der  Pflichtenlehre  abzurechnen  hatte, 


1)  Die  Hanptqaellen  sind  die  Inschriften.    Über  die  Sache  ist  näher 
im  System  zu  reden.  ^  j 

Herzog,  d.  röm.  Stantaverf.  n.  1.  t^itized  by  VjOOglC 


-     402     - 

der  sich  ein  System  bildete,  das  deo  Stoicismus  nicht  blofs  mit 
den  Funktionen  der  Staatsreligion,  sondern  mit  der  Anstibimg 
der  absurdesten  Formen  peregriner  Kulte  vereinigte^),  und  der, 
wie  Überhaupi  gegen  die  öffentliche  Meinung  so  offenbar  auch 
gegen  den  Ausdruck  der  heidnischen  Yolkswut  nicht  gleichgültig 
war,  gewährte  den  Christen,  nachdem  er  ihr  Auftreten  als  mit 
dem  Staatsinteresse  nicht  verträglich  gefunden,  nicht  nur  kernen 
Schutz,  sondern  billigte  geradezu  die  Repression  und  hatte  kein 
Wort  der  Mifsbilligung  oder  gar  Ahndung  gegen  die  wildesten 
und  grausamsten  Formen  ihres  Auftretens.  Wenn  die  Anklagen, 
welche  die  christliche  Überlieferang  in  letzterer  Beziehung  gegen 
die  Zeit  des  M.  Aurel  und  gegen  diesen  selbst  erhebt,  thatsächlidi 
begründet  sind,  so  ist  gegenüber  den  Grundsätzen,  welche  der- 
selbe für  die  Jurisdiktion  aufstellte,  keine  Entschuldigung-  ans 
dem  Staatsinteresse  für  sein  Verfahren  zu  gewinnen.^) 


1)  Vit.  13,  1:  tofUus  terror  belli  Marcotnanici  fuit,  vi  undique  saeer- 
dotes  Äntoninus  acciverit^  peregrinos  ritus  itnplevent,  Bomam  omni  genere 
Itistraverit  retardattisque  a  bellica  profectione  sit, 

2)  Für  die  Beurteilung  des  Verfahrens  M.  Aureis  gegenüber  den 
Christen  sind  die  folgenden  Zeugnisse  maisgebend:  dafs  er  eine  besonda^e 
Verordnung  gegen  die  Christen  als  solche  nicht  erliefs  und  ihnen  den 
Rechtsschutz  nicht  entziehen  wollte,  geht  hervor  aus  TertuUian  Apolog.  6, 
wo  er  den  debellatores  Christianorum  sogar  als  protector  gegenübergestellt 
wird  {qiii  siciU  non  pdlam  ab  eiusmodi  hominibus  poenam  dimavit,  ita  älio 
modo  palam  dispersit^  adiecta  eüam  acctMotoribus  damnatione  et  guidm 
tetriore).  Dagegen  konnte  die  Verordnung  in  Dig.  48,  19,  dl  (YgL  PanL 
Sent.  6,  21,  2):  «t  quis  dliquid  fecerit,  guo  leves  hominum  animi  supentäiom 
numinis  terrentur,  diviM  Marcus  huitismodi  homines  in  instdam  rdegari  re- 
scripsit,  gegen  sie  angewandt  werden;  aber  es  läfst  sich  nicht  behaupten, 
worauf  es  hier  allein  ankommt,  dafs  sie  gegen  sie  gerichtet  war.  Insoweit 
läfst  sich  ein  Vorwurf  nicht  erheben.  Dagegen  zeigt  die  Stelle  eig  lovr. 
11,  8,  man  müsse  zum  Tode  bereit  sein  ^^  kutcc  ^ipiXrjv  naoata^iv,  ag  U 
XQiatiMvoiy  aXka  IsloytüfLivoag  %al  esftvmg  %al  mcxe  %al  aULov  ns^cat  atga- 
ycoScag^  dafs  dem  M.  Aurel  die  Vorkommnisse^  die  den  Christen  Veran- 
lassung gaben,  sich  zum  Tode  zu  drängen,  sehr  wohl  bekannt  waren.  In 
direkter  Weise  endlich  wurde  er  veranlafst  sich  mit  ihnen  zu  befassen  in 
dem  Prozefs  der  Christen  von  Lngudnnum  und  Vienna  (Euseb.  bist.  eccl.  6, 1). 
Dals  er  hier  auf  die  Anfrage  des  Statthalters,  wie  es  mit  den  ge&ngen 
gesetzten  Christen,  die  römische  Bürger  seien,  zu  halten  wäre,  keinen  andan 
Bescheid  zu  geben  wufste  als  rovj  filv  anotvfinavutdiivai,  sl  di  xivig  a^oTrto 
TovTovc  dnoXv^vaiy  und  kein  Wort  der  Mahnung  fand,  man  solle  nicht 
die  gegen  die  Christen  gerichtete  Volkswut  das  Verfahren  beeinflussen 
lassen,  kann  nur  als  eine  Schwäche  erklärt  werden.  —  tJber  die  Vor^^üi^ 


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-    403    - 

13.  Noch  bleibt  übrig,  die  konstitutionellen  Resultate  der  Re-  ne  konttituuo- 
gierung  der  beiden  Kaiser  kritisch  zu  prüfen.  Es  legt  sich  die  "'"'°'^"'*'*' 
Frage  nahe,  ob  durch  ihr  yielgerühmtes  rücksichtsvolles  Verhalten 
zum  Senat  die  Stellung  dieser  Körperschaft  eine  selbständigere 
und  einfluJjsreichere  geworden  sei  als  vorher.  Irgend  eine  neue 
Bechtsfestsetzung  über  die  politische  Kompetenz  des  Senats  oder 
eine  Verzichtleistung  des  Princeps  auf  eines  seiner  Rechte  wird 
weder  von  dem  einen  noch  dem  andern  berichtet*),  und  es  blieb 
auch  unter  ihnen  bei  dem  von  Anfang  an  bestehenden  Verhältnis, 
dafs  der  Senat  im  Grunde  zu  jeder  Kompetenz  fähig  war,  ebenso 
aber  auch  der  Princeps  jede  Initiative  an  sich  ziehen  und  mit 
den  ihm  übertragenen  Rechten  überall  für  den  Senat  handelnd 
auftreten  konnte.  Jene  Rücksicht  bestand  also  lediglich  in  dem 
praktischen  Verhalten,  zu  dem  allerdings  gehörte,  dafs  der  Prin- 
ceps dem  Senat  Rechenschaft;  von  seinen  Handlungen  gab.^) 
Wir  finden  nun  freilich,  wie  auch  schon  früher,  dafs  der  Senat 
selbständig  und  vom  Kaiser  unabhängig  verföhrt,  indem  er 
Majestätsprozesse  gegen  den  Willen  des  Princeps  vor  sein  Forum 
zieht,  das  Urteil  spricht  und  vollziehen  läfst.*)  Allein  diese 
Selbständigkeit  ist  nicht  von  grofsem  praktischem  Wert  für  die 
Frage  der  konstitutionellen  Gewalt.  Im  übrigen  erscheint  gerade 
bei  der  Gewissenhaftigkeit,  mit  welcher  diese  Kaiser  sich  selbst 
der  Geschäfte  annehmen,  die  Rolle  des  Senats  erst  recht  auf 
die  eines  Staatsrats  beschränkt.  Wir  hören  nichts  mehr  von 
verschiedenen  politischen  Richtungen,  um  nicht  zu  sagen  Parteien, 
im  Senat:  es  kommen  nur  die  Rang-  und  Abstimmungsstufen  in 
Betracht.  Wenn  von  M.  Aurel  berichtet  wird,  dafs  er,  so  lange 
er  in   der  Hauptstadt   oder   in   deren  Nähe   sich  befand,  nicht 


in  Lyon  handeln  ansführlich  Aabd,  bist,  des  pers^cutions  de  r^glise  1,  876  ^ 
Renan,  origmes  du  christianisme  VU  (=a  Marc  AnrMe)  p.  302  ff. 

1)  Die  oben  S.  490  A.  4  erwähnte  Zuweisung  der  Appellationen  von 
den  Eonsnln  an  den  Senat  hat  nur  Jurisdiktionellen  Charakter. 

2)  Vit.  Pii  12,  3:  omnium  quae  gessit  et  in  senaiu  et  per  edicta  ratio- 
nem  reddidit. 

3)  Ib.  7,  8:  publicatio  bonorum  rarior  quam  unguam  fuit,  ita  ut  unue 
iantum  proseriberetur  adfectatae  tyrannidia  reus  hoc  est  Atüius  Titianus 
senatu  ptmiente,  a  quo  conscios  requiri  vetuit  Marcus  richtet  nach  dem 
Aufstand  des  Cassius  an  den  Senat  nur  die  Bitte  (jpetit)  ne  qui  Senator 
tempore  principatus  sui  occideretur,  ne  eitM  poUueretur  imperium  und  eos  qui 
dqfortati  fuerant  revocari  tussit. 

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—     404     — 

leicht  eine  Senatssitzung  versäumte^),  so  folgte  daraus,  dafs  er 
in  allen  Dingen  für  nötig  fand,  seine  Mitwirkung  eintreten  in 
lassen.  Innerhalb  dieses  Rahmens  war  der  Spielraum,  den  man 
der  Auktoritat  einzelner  Senatoren,  der  freien  Meinnngsäufsening, 
der  Abstimmung  lassen  konnte,  ein  willkürlicher,  aber  die  SteHong 
des  anwesenden  Princeps  mufste  doch  zur  Geltung  kommciL 
Und  selbst  vom  Felde  aus  behielt  M.  Aurel  die  Leitung  der 
Gesamtregierung  in  der  Hand  und  liefs  nicht  etwa  den  Senat  in 
irgend  einem  Gebiet  der  Regierung  unabhängig  von  sich  oder 
seinen  Organen  frei  walten.  Von  der  Konkurrenz  des  kaiser- 
lichen Konsiliums  mit  dem  Senat  auf  dem  Jurisdiktions-  und  Ver- 
waltungsgebiet war  schon  oben  S.  390  f.  die  Rede.  Wenn  aber 
von  M.  Aurel  gesagt  wird,  er  habe  mit  dem  romischen  Volk 
nicht  anders  verhandelt  als  es  unter  der  Republik  Sitte  gewesen^ 
so  kann  dies  über  gewisse  äufsere  Formen  nicht  hinausgegangen 
sein.  Wir  vrissen  nichts  davon,  dafs  für  Wahlen  oder  Gesetz- 
gebung die  Komitien  wieder  in  Anspruch  genommen  worden 
waren,  wie  unter  der  Republik.  Davon  konnte  nun  freilich  über- 
haupt im  Ernste  nicht  mehr  die  Rede  sein;  dagegen  wäre  es 
allerdings  eine  Frage  von  grofster  Bedeutung  gewesen,  das  in 
der  Persönlichkeit  der  Herrscher  begründete  geordnete  Reehts- 
leben  und  den  geregelten  Gang  der  Verwaltung  dem  Zufälligen 
zu  entreifsen  sei  es  durch  eine  festere  Ordnung  der  Nachfolge 
oder  durch  Einräumungen  an  den  Senai  Es  war  ja  wohl 
schon  durch  Hadrian  und  noch  mehr  durch  Antonin  der  erstere 
Punkt  dadurch  auf  neue  Wege  gebracht,  dafs  der  jeweilig  das 
Principat  führende  wenn  nicht  unter  eigentlicher  Mitwirkung,  so 
doch  unter  einer  gewissen  Kontrolle  des  Senats  einen  Nachfolger 
designierte,  und  wenn  vollends,  wie  es  von  Antonin  zu  M.  Aurel 
geschah,  diese  Designation  sofort  beim  Regierungsantritt  geschah, 
•so  war  hinlänglich  Gelegenheit  für  den  Designierten,  in  die 
künftige  Stellung  eingeführt  zu  werden  und  sich  in  dieser  m 
erproben.     Allein  solches  Verfahren  war  doch  dem  guten  Willen 


1)  Vit  10,  7:  semper  cum  potuit  interfuit  sentUui,  etiamsi  nihü  eüä 
referendum,  si  Bomae  fuü;  si  vero  aliquid  referre  volutt^  etiam  de  Campama 
ipse  venit  Comitiis  (d.  h.  den  im  Senat  stattfindenden  Magistratswahleo) 
praeterea  etiam  usgue  ad  noctem  frequenUr  interfuit  neque  unquam  rtce$sU 
de  curia^  nisi  consiU  dixisaet:  „nihü  vo8  moramur,  p,  e/' 

2)  Vit.  12,  1:  cum  populo  non  aliter  egit  quam  est  actum  sub  dvitaU 
libera, 

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-    405    - 

der  jeweiligen  Regenten  anheimgegeben  und  es  blieb  dabei  die 
freie  Auswahl  in  Konkurrenz  mit  der  Erblichkeit  Es  muijste, 
wenn  man  die  bisherigen  Grundlagen  festhalten  wollte  ^  ent- 
weder die  freie  Wahl  unter  den  Beföhigten  zu  Lebzeiten  des 
Regierenden  in  einem  wenn  auch  nur  formellen  Einvernehmen 
mit  dem  Senat  zum  Prinzip  und  zur  stehenden  Einrichtung  er- 
hoben oder  das  Prinzip  der  Erblichkeit  unter  gleichzeitiger  Stärkung 
der  Stellung  des  Senats  ^  also  eine  erbliche  Generalstatthalter- 
schaft eingeführt  werden«  Beim  Senat  setzte  dies  allerdings  mehr 
voraus y  als  was  er  in  dieser  Zeit  darstellt:  denn  so  wenig  wie 
bei  dem,  was  man  römische  Bürgerschaft  nennt,  ist  bei  ihm  ein 
GemeingefÜhl  bemerklich.  Er  schliefst  eine  nicht  geringe  An- 
zahl von  tüchtigen  Verwaltungskräften  in  sich,  aber  als  Körper- 
schaft fehlt  ihm  der  Zusammenhalt  und  das  Interesse  am  Ge- 
meinwesen: wir  sehen  ihn  nur  bewegt  durch  die  Sorge  um  die 
Privilegien  und  Vorteile  der  einzelnen,  um  den  Rechtsschutz  für 
die  Person  der  Senatoren,  unter  despotischen  Kaisem  um  die 
Existenz  jedes  einzelnen.  Das  Zunehmen  der  Sonderstellung  des 
Heeres,  die  Schwäche  des  Senats  und  das  ungeheure  Gewicht  der 
Person  des  Princeps  neben  der  Unsicherheit  über  den  jeweilig  im 
Principat  nachfolgenden  sind  die  schwachen  Seiten,  die  am  Schlufs 
der  Regierung  M.  Aureis  so  drohend  wie  je  die  Zukunft  belasten. 

14.  Indessen  dem  nachdenklichen  und  vorsorglichen  Geiste  des  Die  KuiieRiaii- 
Kaisers  waren  diese  in  den  Verhältnissen  liegenden  Gefahren  von 
Anfang  an  nicht  entgangen,  er  hatte  ihnen  durch  Einführung 
einer  neuen  Gestaltung  der  höchsten  Gewalt  gleich  beim  Regie- 
rungsantritt zu  begegnen  gesucht  und  er  kam  in  den  letzten 
Jahren  seines  Lebens  auf  denselben  Plan  zurück:  es  war  die 
Einführung  der  Kollegialität  in  das  Principat  statt  der  bisher  in 
der  Mitregentschaft  gesuchten  Hilfe.  Dafs  dies  sein  eigenster 
und  wohlerwogener  Gedanke  war,  ist  unverkennbar.  Antonin 
hatte  ja  absichtlich  den  L.  Verus  zurückgesetzt,  so  dafs  von 
seiner  Seite  jeder  Gedanke  an  eine  solche  Neuerung  ausgeschlossen 
war;  M.  Aurel  aber  führte  sie  ein  nicht  etwa,  weil  er  Verpflich- 
tungen g^en  seinen  Adoptivbruder  zu  haben  glaubte  —  das 
motivierte  höchstens,  dafs  er  sich  an  dessen  Person  hielt  — , 
sondern  aus  sachlichen  Gründen;  denn  er  kam  ja  später  mit 
Commodus  wieder  darauf  zurück.  Seinem  Wesen  nach  schlofs 
das  Principat  die  Kollegialität  keineswegs  aus;  die  Gröfse  der 
Aufgaben,  die  ihm  gestellt  waren,  konnten  eine  Verdoppel»|ig 

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—    406    — 

der  Ejraft  wohl  rechtfertigen  und  der  römischen  Magistratur,  zu 
welcher  konstitutionell  gedacht  das  Principat  doch  auch  zu  rechnen 
war,  lag  der  Gedanke  ja  nahe  genug.  Die  negative  Seite  der 
Gewalt  mufste  dabei  freilich  bei  Seite  bleiben:  dafs  der  eine 
Kaiser  gegen  den  andern  intercediere,  war  undenkbar.  Dagegen 
blieb  die  positive  Seite,  dafs  beide  vollständig  dieselbe  Gewalt 
hatten,  weder  eine  räumliche  noch  eine  sachliche  Teilung  anders 
stattfand  als  unter  Verabredung,  im  übrigen  auch  wo  jeder  für 
sich  entschied,  jeder  Regierungsakt  als  von  beiden  ausgehend 
galt  und  formuliert  wurde.  Die  Möglichkeit  einer  derartigen 
Einrichtung  war  unter  der  Republik  garantiert  worden  durch 
die  verfassungsmäfsigen  Schranken  der  Magistratur,  die  im  Senat 
und  Yolkstribunat  lagen,  und  sie  hatten  in  der  That  damals 
Jahrhunderte  lang  genügt,  um  wo  etwa  der  gute  Wille  des  Ein- 
vernehmens fehlte,  dasselbe  zu  erzwingen.  Von  solchen  Schranken 
war  jetzt  nicht  mehr  viel  zu  erwarten;  dagegen  sollte  wohl  das 
verwandtschaftliche  Gefühl  eintreten  zuerst  des  Bruders,  dann 
des  Sohns.  Gegenüber  der  bisherigen  untergeordneten  Stellung 
des  mit  tribunicischer  und  prokonsularischer  Gewalt  zur  Regierung 
beigezogenen  bot  diese  neue  Form  den  Vorteil,  dafs  bei  ge- 
trennter Aktion  jeder  mit  gleich  voller  Auktorität  eintreten 
konnte,  und  hinsichtlich  der  sachlichen  Aufgaben  konnte  beson- 
derer Begabung  für  die  militärische  Seite  Raum  gegeben  werden, 
ohne  die  Funktionen  förmlich  zu  trennen,  was  notwendig  zu 
gunsten  der  militärischen  Seite  ausgefallen  wäre  und  direkt  zur 
Militärherrschaft  hätte  führen  müssen.  AuCserdem  war  bei 
gröfseren  über  mehrere  Provinzen  sich  erstreckenden  Kriegen 
dem  Zwiespalt  und  der  Eifersucht  der  Generale  dadurch  vorge- 
beugt, dafs  leichter  ein  anerkannter  Oberfeldherr  zur  Stelle  sein 
konnte.  Sogleich  in  dem  ersten  Fall  der  Anwendung  fand  diese 
Trennung  statt,  indem  der  zweite  Augustus  die  Kriegführung  im 
Partherkrieg  übernahm.^)  Davon,  dafs  diese  Motive  irgend  einer 
Diskussion  unterlegen  gewesen  wären,   ist   nicht  die  Rede;   die 


1)  Für  beide  Motive  ist  die  orientalische  KriegfOhrung  anter  M.  Anrel 
exemplarisch.  L.  Veras  galt  als  geeigneter  zar  Heerffihrung  (Dio  71,  1: 
6  9^  Aovniog  iQQoato  t£  %ai  vs(6t€(fog  fjv^  toCg  axQaxKotmotg  ts  iQyois  xa- 
taXXrilo'reQog).  Nach  seinem  Verschwinden  war  es  nötig,  im  Orient  ein 
gröCseres  Kommando  za  bilden  in  Analogie  der  früheren  Fälle  eines  Corbulo 
n.  A.  (s.  onten);  es  war  dies  aber  mit  eine  Hilfe  für  den  damit  betraaten 
Avidias  Cassias  za  seiner  Erhebung  gegen  den  Kaiser.  ^^  , 

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—      407     — 

Form  der  Einführung  ist  nur  die,  dafs  der  bereits  vorhandene 
Princeps  einem  zweiten  dieselben  Attribute  und  Gewalten  ver- 
schafft, die  er  selbst  hat,  auf  demselben  Wege,  auf  dem  er  sie 
selbst  erhalten.  Es  geschieht  dies^nur  für  die  jeweilig  in  Frage 
kommende  Person:  als  eine  bleibende  Einrichtung  von  zwingen- 
dem Charakter  wird  es  weder  in  das  öffentliche  Becht  eingeführt 
noch  auch  nur  angekündigt^) 

Der  letzterwähnte  Umstand  zeigt^  dafs  M.  Aurel  seine  Neue- 
rung zunächst  nur  als  einen  Versuch  aufstellen  wollte,  und  vor- 
erst blieb  es  ein  solcher;  für  die  weitere  Zukunft  aber  war  es 
ein  Vorgang.  Es  gab  Fälle,  wo  der  verwandtschaftliche  Zu- 
sammenhang und  die  natürliche  Auktorität  des  einen  Augustus 
über  den  andern  das  kollegiale  Imperium  möglich  machte,  wie 
es  unter  M.  Aurel  selbst  zwar  wegen  der  Persönlichkeit  der  von 
ihm  gewählten  Kollegen  keine  wesentlichen  Vorteile  brachte, 
aber  eben  wegen  der  unanfechtbaren  Auktorität  des  einen  Augustus 
aueh  keine  erheblichen  Nachteile;  im  späteren  Verlauf  aber  in 
dem  diokletianisch-konstantinischen  System  hat  es  zur  Zerreifsung 
des  Reichs  geführt. 

§  82.     OcmmodTiSy  Helvins  FeHinax,  Didins  Jalianiis. 

1.  Denen,  welche  die  Zeit  des  M.  Aurel  imd  seines  Sohnes  commodu».') 
erlebten,  mufste  das  helle  Licht  nur  um  so  stärker  auf  die  Periode 
der  Adoptivkaiser  fallen,  nachdem  es  sich  so  gefügt  hatte,  dafs 
der  erste,   der   nach   einem  Jahrhundert   wieder   als   wirklicher 
Sohn  des  Vorgängers  zum  Principat  gelangte,  sich  einem  Caligula 


1)  Vgl  die  oben  S.  381.  383  angeführten  Stellen  über  die  betreffenden 
Akte.    Ober  die  Eonaequenzen  in  der  Aasführang  s.  im  System. 

2)  Gommodus,  der  seinen  Kaiserstammbaam  bis  auf  Nerva  zurückfahrt 
(dki  Nervae  culnep.)  und  seine  nobüiUis  auf  den  Münzen  und  Inschriften 
hervorhebt  (Cohen  3  Comm.  n.  379—386.  Henzen  5486,  wo  zuerst  nobilüsi- 
mu8  prtncep«;  vgl.  auch  Herod.  1,  7,  4),  heifst  bis  zu  seiner  Thronbesteigung 
L.  Äureliua  Commodus,  nach  derselben  M.  Aurelius  (Jotnmodus  Antonintis, 
im  J.  191  nimmt  er  wieder  den  Vornamen  L,  an  und  nennt  sich  mit  Beziehung 
auf  den  Ahn  Hadrian  L.  Aelius  Aurelius  Commodus.  Wilmanns,  ex.  inscr. 
957.  969.  Den  Beinamen  Pius  nimmt  er  183  an,  Felix  nach  dem  Sturz 
des  Perennis  186;  vgl.  über  diese  Namen  yit.  8,  1,  über  Felix  unten  S.  410 
A.  3.  PonUfex  max.  heilst  er  in  der  Arvaltafel  von  183  v.  13,  dagegen  nicht 
?.  4  (Henzen  act.  fr.  Arv.  p.  CLXXXV  sq.),  auf  Münzen  führt  er  den  Titel 
erst  vom  J.  184  an.  Die  Titulatur  der  späteren  Zeit  mit  den  verschiedenen 
Beinamen  Dio  72,  16.    Vgl.  Eckhel  7,  134  ff.    Cohen  3  p.  227. 

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—    408    — 

und  Nero  zur  Seite  stellte.  —  Die  auf  zeit^euossische  Erinne- 
rungen zurückgehenden  Berichte^)  sind  im  Zwiespalt  darüber, 
ob  Commodus  schon  gründlich  verdorben  zur  Regierung  kam 
oder  erst  im  Genüsse  derselben  durch  schlimme  Ratgeber  ver- 
kehrt wurde.*)  Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  die  erstere  Anschauung 
die  richtigere  ist,  dafs  die  Belege,  welche  man  dafür  beibringt*), 
zuerst  nur  in  den  unmittelbarsten  Hofkreisen  bekannt  waren  und 
erst  später,  nachdem  der  wahre  Charakter  offenkundig  geworden, 
zur  Sprache  kamen.  Die  Bevölkerung  des  Reichs  nahm  indessen 
den  neuen  Regenten  günstig  auf^),  und  dieser  wagte  auch  in 
der  That  nicht  sogleich,  sich  dem  Einfiulis  der  Staatsmänner  zu 
entziehen,  die  seinem  Vater  zur  Seite  gestanden  waren.  ^)    Allein 

1)  Mit  der  Zeit  des  Commodus  haben  wir  drei  Quellen  von  Zeit- 
genossen:  das  was  uns  in  den  Auszügen  aus  Dio  erhalten  ist,  den  Marina 
Maximus  in  der  vita  des  Commodus  von  Alius  Lampridius  und  den  Herodian. 
Dio  und  Marius  Maximus  gehörten  den  senatorischen  Kreisen  an  und  waren 
damit  in  der  Lage,  besser  unterrichtet  zu  sein;  sie  weichen  in  ihrem  Urtal 
Öfter  von  einander  ab  und  sind  darauf  zu  prüfen,  inwieweit  sie  unbefiuigen 
waren.  Im  Allgemeinen  ist  Marius  Maximus  aufs  schärfste  absprechend 
über  Commodus  und  seine  Werkzeuge,  Dio  zum  Teil  günstiger  urteilend 
(s.  unten).  Herodian  war  Beamter  (1,  25:  S  (istä  triv  Magnov  tsUvri^ 
naga  ndvxa  tov  ifuxvtov  ß^ov  sldov  xs  %al  Tjnavaa^  iati  9*  mv  %al  ffe% 
fisxiaxov  iv  ßaaiU%aig  ^  drjiioeiaig  hnrig^alaiq  ysvofievog  tavta  trwfy^cf^a), 
aber  offenbar  in  untergeordneten  Stellungen  und  steht  mit  seiner  Kenntnis 
auch  der  Persönlichkeiten  den  leitenden  Kreisen  femer:  für  Ereignisse  und 
Vorgänge,  die  sich  vor  jedermanns  Augen  abspielten,  ist  er  öfter  eine  er- 
gänzende Quelle,  sein  Urteil  aber  ist  beschränkt  teils  durch  das  Mals  seiner 
Einsicht,  teils  durch  die  Tendenz  seiner  rhetorischen  Darstellung.  Vgl  so 
seiner  Kritik  Sievers  in  Philologus  26,  29—48.  253—270.  Zürcher,  Commo- 
dus, ein  Beitrag  zur  Kritik  der  Historien  Herodians  in  Büdingers  Unters. 
1,  221—264. 

2)  Vit.  1,  7:  a  prima  stcUim  pueriiia  turpis  impröbus  crudeUs  Ubidino- 
Sfi8  u.  s.  w.  1,  2,  6.  Dio  72,  1:  ovtog  nccvovQyog  (ihv  ov%  iqfv,  all'  ft  ttg 
x»l  alXog  dvd^Qmnmv  &%a%og^  vno  d\  xrig  noXXrig  aitlottitog  xal  ir^o^^n  wi 
SstXiag  idovXsvas  totg  avvovci  xal  vtc'  avtmv  oLyvoUt  t6  ngmxov  xw  %Qtit- 
xovog  a(ucQX(ov  elg  ^9'og  xax  xovxov  ig  (pvaiv  dcfXyij  xal  fiiaKp6pov  ngorijfi^' 
Herod.  1,  6. 

3)  Vgl.  yit.  1,  9  die  Geschichte  von  dem  Sklaven,  den  er  als  zwölf- 
jähriger Knabe  in  den  Ofen  werfen  lassen  wollte. 

4)  Herod.  1,  7. 

5)  Herod.  1 ,  6 ,  1 :  oXiyov  (i^v  ovv  xtvog  xqovov  ndvxa  inQoxxtto  t$ 
yvmfifj  xöov  naxQcoav  tpikonv.  Dem  widerstreitet  nicht  absolut  die  summa- 
rische Angabe  vit.  3,  1:  pati^  ministeria  seniora  summovü,  amicos  senes 
dbiccit,  da  keine  Zeit  dafür  angegeben  ist.  Die  Natur  der  Sache  sprieht 
dafür,  dafs  er  zunächst  vorsichtig  war. 

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-    409    — 

schon  durch  die  RQckkehr  nach  Rom  und  die  Art^  wie  an  der 
Donau  die  Erfolge  seines  Vaters  zum  gröfsten  Teil  aufgegeben 
wurden  (s.  unten)^  war  die  Wendung  bezeichnet,  und  sie  vollzog 
sich  in  ähnlicher  Weise  in  der  Hauptstadt  selbst  Hier  war  von 
individuellen  Einflüssen,  die  fOr  den  jungen ,  kaum  neunzehn* 
jährigen  Herrscher  in  Betracht  kamen ,  der  wichtigste  jedenfalls 
der  der  Präfekten  der  Leibwache,  und  so  bestimmen  sich  denn 
auch  die  Perioden  der  Regierung  dieses  Kaisers  nach  dem  Wechsel, 
der  in  der  Besetzimg  dieses  Postens  vorging.  Commodus  traf 
in  demselben  zwei  von  seinem  Vater  eingesetzte  Männer^),  Tar- 
run tenus  Paternus  und  Perennis^,  ohne  Zweifel  tüchtige  Männer; 
dies  gilt  zumal  für  Patemus,  während  Perennis,  um  leitender 
Minister  zu  werden,  in  den  Mitteln  nicht  wählerisch  war.  Als 
im  J.  183  die  an  Claudius  Pompejanus  vermählte  Schwester  des 
Commodus,  Lucilla,  aus  Gründen  und  mit  Zwecken,  die  nicht  mehr 
zu  erkennen  sind*),  eine  Verschwörung  gegen  ihren  Bruder  veran- 
lafste,  die  nicht  zum  Ziele  führte,  gelang  es  dem  Perennis,  den 
Paternus  der  Teilnahme  verdächtig  zu  machen  und  so  zu  be- 
seitigen: er  wurde  zuerst  mit  einer  Standeserhöhung  der  Präfektur 
enthoben    und   darauf  getötei^)     Die   Politik,   welche  Perennis, 


1)  Vit.  14,  8:  praefectos  Patemum  et  Perennetn  non  diu  tulit^  ita 
tarnen  ut  etiam  de  iis  praefectis,  quos  ipse  fecerat,  triennium  nullus  itnpleret, 
guorum  plurimos  interfecit  vel  veneno  vel  gladio;  et  praefectos  urbi  eadem 
facilitate  mutavit.  Daraus  folgt,  dafs  Fat.  und  Per.  nicht  von  ihm  selbst 
eingesetzt  waren.  Die  Stelle  7it.  4,  7:  Patemum  et  huiua  caedis  (d.  h.  des 
Günstliogs  von  Commodus,  Saoteros)  auctorem  et  quantum  videbatur  paratae 
necis  Commodi  conscium  et  interventorem,  ne  caniwrcUio  latius  punirehtr,  in- 
stigante  Tigidio  per  laticlavi  honorem  a  praefecturae  administrcUione  summo- 
vit,  deutet  Hirechfeld,  Verw.  1,  228  so,  dafs  Tigidius  nur  das  Nomen  des 
Perennis  seL  Jedenfalls  ist  es  ungenau  und  irreführend,  wenn  bei  Dio  und 
Herodian  der  Mann  TIsQivviog  heifst.  —  Vgl.  über  die  Personen  sämtlicher 
bekannter  praef,  praet.  unter  Commodus  Hirschfeld  a.  a.  0.  227—229. 

2)  Paternus  ist  der  dtligentissimus  iuris  müitaris  assertor  bei  Vegei 
de  re  miL  1,  8,  der  erste  bekannte  Jurist  unter  den  Präfekten;  vgl.  Earlowa, 
Bechtsgesch.  1,  782.    Über  Perennis  s.  weiterhin. 

3)  Nach  der  vita  Comm.  4,  1  wäre  es  die  Grausamkeit  des  Commodus 
gewesen,  was  die  Lucilla  zu  ihrem  Vorgehen  veranlafste;  allein  nach  Dio  72, 4 
war  sie  nicht  besser  als  ihr  Bruder.  Was  Herod.  1^  8,  4  von  Eifersucht 
auf  die  Stellung  der  Crispina,  des  Commodus  Frau,  sagt,  ist  in  der  bei- 
gegebenen Begründung  nachweislich  falsch.  Es  müssen  persönliche  Gründe 
gewesen  sein^  welche  die  Lucilla  bestimmten. 

4)  Vit.  4,  7:   Patemum  —  per  laticlavi  honorem  a  praefecturae  ad-  i 

"*       o 


-     410     - 

jetzt  alleiniger  Präfekt^  nun  einschlug,  erscheint  wie  eine  Kopie 
des  Verfahrens  von  Seneca  und  Burrus  gegenüber  Ton  Nero:  der 
Kaiser  sollte  ganz  seinen  Vergnügungen  überlassen  werden,  die 
Regierung  in  der  Hand  des  Präfekten  als  ersten  Ministers  sein.^) 
Auch  hier  ging  es  ähnlich  wie  unter  Nero:  neben  dem  politischen 
Minister  kamen  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Kaisers 
andere  Einflüsse  auf,  die  sich  nicht  auf  das  Treiben  am  Hof 
beschränken  wollten,  die  Freigelassenen-  und  Kammerdiener- 
herrschaft griff  wieder  um  sich  und  untergrub  die  Macht  des 
Präfekten.  Über  das  Regiment^  das  dieser  führte,  finden  sich  in 
den  zeitgenössischen  Berichten  verschiedene  Urteile;  während  er 
nach  der  einen  Seite  der  Typus  eines  eigennützigen,  rücksichts- 
losen, willkürlichen  Ministers  ist,  waren  nach  der  andern  die 
Interessen  des  Kaisers  wie  des  Reichs  bei  ihm  gewahrt,  verdiente 
er  das  Schicksal,  das  ihm  bereitet  wurde,  nicht  und  war  der 
grofste  Vorwurf,  den  man  ihm  machen  konnte,  die  Beseitigung 
des  Paternus.^)  Die  Motive,  die  bei  seinem  Sturz  im  J.  185 
erscheinen^),  gewähren  einen  etwas  deutlicheren  Einblick  in  die 


tninistraiüme  sutnmovit;  post  paucos  dies  insimülavü  cum  comwratiom  — 
qaare  et  Patemum  et  Jtdianum  —  interfecit. 

1)  Vit.  6,  2:  PerentUs  Cammodi  persciens  invenit^  quemadmoätMn  ipse 
potens  esset;  nam  persuasü  CommodOy  ui  ipse  ddiciis  vacaret^  idem  vero 
Perennis  curis  incuniberet;  qtiod  Cammodus  laetanter  accepit,  Herodian  8, 1  f. 
Mit  etwas  anderer  Wendung  giebt  Dio  72»  9  von  seinem  Standpunkt  ans 
(s.  folg.  Anm.)  dies  so:  xov  Kofinodov  aQfkatriXttaücis  %al  aaslyBÜtii  inii- 
damoxog  savrbv  %al  rav  t^  c^QXV  *Q0£fj%6pti»p  ov9lv  ms  slxsip  HQattovxoi 
b  ÜBifivviog  TivayxaitTO  ovx  OTf  tä  tfr^arMSTixa  alXa  xal  tiXXa  dta  xn^g 
^XSiv  Mal  xov  moifpov  nqqaraTSiv,  Die  Darstellung  der  vita  wird  hier  wohl 
die  richtigere  sein. 

2)  Nur  Ungünstiges  über  Perennis  bringt  die  Tita  c.  4 — 6  und  damit 
stimmt  Herodian  8  f.  Dio  dagegen  sagt  bei  seinem  Stnrz  72,  10:  6  i^hv  ov9 
ovtag  ia(pdyfjy  fjnKSta  drj  tovto  xad'CiV  %al  di,'  iavtbv  %al  Sia  r^y  xatf«cv 
tav  ^Pmiialav  ceqxv^  6(psilav  nXrjv  %a9*  ocov  Siä  xriv  tpiXct^x^^  alxuazoxog 
ttp  Tlcctiifpa}  tm  awd(fXOvti.  xov  olid'QOV  iyivsxo'  I9i<f  ^v  yag  ovdlv  xanou 
0VX8  ngbg  do^av  ovxs  ngbg  nXovxow  mgi^ßdlixo  dUd  %al  dSagoxccxa  %al 
cmtpgoviaxttxa  9i,ijyaysp,  xov  9h  KopLfiodov  %cel  xijg  dgxfjg  avtov  ndcav  dcipa- 
Isiav  inoiBho.  Es  ist  möglich,  dals  Dio  persönliche  Verpflichtongen  gegen 
Perennis  hatte;  doch  spricht  dafilr,  dafs  zu  seiner  günstigeren  AnfiiMBQng  auch 
sachliche  Gründe  vorhanden  waren,  der  Umstand,  dafs  M.  Anrel  es  gewesen, 
der  ihn  zum  Präfekten  gemacht  hatte,  und  die  gemäfsigte  Art,  mit  der  Dio  för 
ihn  eintritt.  Herodian  übertreibt  schon  darin,  dafs  er  den  Perennis  ab 
Prätendenten  darstellt;  aulserdem  ist  seine  Darstellung  der  Vorgänge  unrichtig. 

3)  Die  Zeitbestimmung  hiefür  hängt  an   dem  Beinamen  Felix,  den 

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-     411     - 

wirkliche  Lage  der  Dinge.  Das  Heer  in  Britannien,  ohnehin 
schwierig  niederzuhalten^),  lehnte  sich,  nicht  ohne  Mitschuld  der 
Offiziere  senatorischen  Rangs,  welche  sich  von  Perennis  in  ihrer 
Stellung  bedroht  sahen,  auf  nicht  gegen  den  Kaiser,  aber  gegen 
den  Präfekten.  Es  scheint,  dafs  dieser  beabsichtigte,  mit  Ein- 
fähmng  des  Ritterstands  in  die  oberen  Kommandostellen  die 
Senatoren  allmählich  aus  den  militärischen  Stellungen  zu  ver- 
drängen, und  dafs  der  Versuch,  der  hiemit  in  Britannien  gemacht 
wurde,  die  Unzufriedenheit  auch  der  Soldaten  erregte.*)  Es  ge- 
schah, was  unter  geordneten  Verhältnissen  undenkbar  war:  eine 
Schaar  von  1500  Mann  zog  offenbar  mit  Bewilligung  des  Ober- 
kommandos aus  ihrer  Provinz  weg,  gelangte  unbehelligt  nach 
Italien,  und  der  Kaiser  zog  ihr  entgegen:  seiner  Prätorianer,  die 
mit  ihrem  Präfekten  ebenfalls  nicht  zufrieden  waren,  nicht  sicher, 
gab  er  den  Perennis,  von  dem  man  ihm  sagte,  dafs  er  seinen 
Sohn  auf  den  Thron  setzen  wolle,  den  Soldaten  und  den  Ein- 
flüsterungen des  am  Hofe  herrschenden  Kammerdieners  Kleander 
preis.')  Daraus  geht  hervor,  dafs  Perennis,  wenn  auch  kein 
Prätendent,  doch  ein  energischer  Mann  von  weittragenden  Plänen 
war,  für  die  er  sich  auf  den  Ritterstand  stützen  wollte.  Für  die 
damit  gegebene  Zurücksetzung  des  Senats  konnte  er  glauben,  der 
Zustimmung  des  Commodus  gewifs  zu  sein,  da  dieser  von  jener 
Verschworung  her,  bei  welcher  der  gegen  ihn  geworbene  Atten- 

nach  vit.  8,  1  CommoduB  nach  der  Eataetrophe  des  Perennis  erhielt;  dieser 
findet  sich  auf  Münzen  zuerst  im  J.  185  (Eckhel  7^  135  f ),  auf  einer  Inschrift 
Orelli  n.  1918  allerdings  schon  183;  allein  letztere  hat  keine  offizielle  Be- 
deutung. 

1)  Dio  72,  9:  ot  iv  BQsrtccvi^  xoCvvv  vnaifxovtsg  ifCBtSi^  ti  xal  insti- 
{irfiriisav  i(p'  olg  iatcta^aiov  u.  s.  w.  Vgl.  oben  S.  897  f.  und  die  kurz  nach 
den  hier  erwähnten  Vorgängen  von  185  unter  Pertinax'  Statthalterschaft 
versuchte  Meuterei  vit.  Pert.  3,  6. 

2)  Vit.  6,  2 :  Perennis,  qui  tafUum  potuit^  subito,  quod  hello  Britannico 
militibus  equestris  loci  vires  praefecerat  amotis  senatoribus  prodita  re  per 
legatos  exercitus  hosiis  appeUatus  lacerandusque  militibus  est  deditus.  Was 
prod.  re  per  kg,  ex,  bedeutet,  macht  die  in  der  folg.  Anm.  citierte  Erzählung 
Dios  klar. 

3)  Dio  72,  9:  ot  iv  BQStxavloi  (Vgl.  ob.  A.  1)  xiUovs  xal  nsvxa- 
noeiovg  d%ovuatag  and  atpav  dnoli^avtsg  ig  triv  'izaUav  ^nsittpccv'  äv  {itj- 
divog  %(oXvovtog  %^  ^Pfof^V  nXriöutadvzap  6  Koiifiodog  dn^vtrjai  rc  avtoCg 
u.  8.  w.;  es  folgt  die  Erzählung  vom  Sturze  des  Perennis.  Die  ganz 
anders  lautende  Darstellung  Herodians  kann  gegen  die  ?ita  und  Dio  nicht 
aufkommen.  ^  j 

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—    412     - 

täter  ihm  zugerufen  hatte^  er  sei  vom  Senat  gesdiickt,  dem  Senat 
so  feindlich  wie  möglich  gesinnt  war.^)  Es  ist  möglich,  dads 
Perennis,  wie  Dio  versichert,  mit  dieser  Politik  nicht  blofs  sein 
eigenes  Interesse  im  Auge  hatte,  sondern  auch  fOr  den  Bestand 
des  Imperiums  sorgen  wollte,  wie  es  sich  ebenso  leicht  begreift^ 
dafs  die  in  ihrer  Stellung  von  ihm  Bedrohten  ihm  das  Schlimmste 
nachsagten.  Aber  der  Weg,  den  er  einschlagen  wollte,  war  in 
der  That  ein  sehr  bedenklicher  und  hätte  sofort  entweder  zum 
Bürgerkrieg  oder  zum  reinsten  Absolutismus,  yielleicht  zunächst 
einer  Art  Hausmeiertum  geführt.  Sein  Schicksal  zeigte  aber  zu- 
gleich, wie  jede  Hoffnung,  unter  Gommodus  die  Regierung  mit 
Aussicht  auf  Dauer  führen  zu  können,  an  dessen  Charakter  zu 
Schanden  werden  mufste:  bei  der  ersten  Grelegenheit  wurde  der 
bisherige  Günstling  ohne  jegliches  Bedenken  preisgegeben.  Mit 
der  nun  beginnenden  Herrschaft  des  Eleander  war  man  wieder 
bei  dem  tollsten  Despotismus  ohne  jedes  legitime  Gegengewicht 
angelangt,  bei  dem  Despotismus,  dessen  gleichsam  natürliche 
Schranke  die  Palastverschwörung  oder  die  Empörung  der  Statt- 
halter bildet.  Der  Gladiator  und  Tierkämpfer  Gommodus,  dessen 
Schilderung  in  unsern  Berichten  einen  reichlichen  Platz  einnimmt, 
bildet  das  Gegenstück  zu  dem  Schauspieler  Nero,  seine  Regierung 
ist  ebenso  unfruchtbar  wie  die  der  letzten  neronischen  Jahre, 
nirgends  zeigen  sich  positive  Leistungen,  wie  unter  Tiber,  Clau- 
dius oder  Domitian.  Nachdem  das  Regiment  Eleanders  kaum 
vier  Jahre  gewährt,  wird  er  im  J.  189  der  Wut  des  römischen 
Volks  ebenso  leicht  geopfert,  wie  vordem  Perennis  den  Soldaten.*) 
Kleandcr,  der  Freigelassene,  hatte  nach  rascher  Folge  einiger 
Nachfolger  des  Perennis  die  Präfektur  des  Prätoriums  in  der 
Weise  übernommen,  dafs  er  allein  die  wirkliche  Gewalt  und  das 
Abzeichen  des  Dolches  hatte,  neben  ihm  aber  noch  zwei  Prä- 


1)  Vit.  4.    Dio  72,  4.    Herodian  1,  8,  6  ff. 

2)  Vit,  7.  Dio  72,  13.  Über  die  auch  hier  abweichende  rhetoriBche 
Daratellong  Herodiana  (1,  13)  Zürcher  a.  a.  0.  S.  242—246.  Nach  Tüle- 
mont  2,  438.  566  kann  der  Sturz  des  Perennis  nicht  wohl  vor  189  falleo, 
weil  das  Konsulat  des  Septimius  Severus,  das  in  189  zu  setzen  ist  (EleiD, 
fact.  cons.  z.  d.  J.),  unter  die  25  unter  Eleander  in  einem  Jahr  bestellten 
Konsulate  (uni  S.  413  A.  8)  zu  rechnen  ist  (vit.  Sev.  4.  6:  consuUshm  am 
Äpuleio  Bufino  pnmvm  egit  Gommodo  se  inter  plurimos  desigmmU), 
Kleander  also  in  diesem  Jahr  noch  gelebt  haben  mofs.  Andererseits  erlaabi 
der  weitere  Verlauf  der  Regierung  des  Gommodus  nicht,  die  Katastrophe 
später  zu  setzen.  ^^  I 

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-     413    — 

fekten  als  militärische  Befehlshaber  standen^);  ihm  folgte  kein 
Prafekt  mehr  von  ähnlichem  Einflufs;  die,  welche  den  Posten 
übernahmen,  wurden  bald  genug  und  ohne  dafs  davon  viel  Auf- 
hebens gemacht  wurde,  den  Vorgängern  nachgeschickt,  bis  die 
Reihe  an  einen  kam,  der,  als  er  sich  bedroht  sah,  dem  Kaiser  zu- 
vorzukommen wuTste.  Mit  Eleander  zogen  alle  die  andern  Kenn- 
zeichen der  Preigelassenenwirtschaft  wieder  ein,  das  Überwiegen 
des  kaiserlichen  Haushalts  über  den  Staat^),  die  Einführung  von 
Freigelassenen  in  die  oberen  Stände  des  Reichs,  die  Käuflichkeit 
aller  Stellen  und  der  richterlichen  Entscheidung,  um  die  Mittel 
für  die  kaiserliche  Verschwendung  zu  erzielen  und  die  eigene 
Gewinnsucht  der  am  Hofe  herrschenden  Personen  zu  befriedigen') 
—  Übel,  die  man  wohl  aus  der  Geschichte  der  weit  zurück- 
liegenden Regierungen  kannte,  die  aber  doppelt  empfindlich 
waren  nach  den  unmittelbar  vorhergegangenen  Kaisem.  Wenn 
in  diesem  Zusammenhang  erwähnt  wird,  dafs  unter  Kleander 
nicht  blofs  Provinzen  verkauft,  sondern  in  dem  einen  Jahre  189 


1)  Nach  dem  Tod  des  Perennis  hatte  Commodas  wieder  zwei  Präfekten 
eingesetzt  (Herod.  1,  9,  10);  als  Kleander  eintrat,  heilst  es  v.  Comm.  6,  12: 
in  cuius  (Aehtdiani  inieremptt)  locum  ipse  Oleander  cum  aliis  duobus,  qtws  ipse 
deUgerat,  praefedus  est  factm^  tuncque  primum  tres  praefecti  praetorio  fuere^ 
inter  quos  libertintis,  gut  a  pugione  appelUxtus  est.  Unter  dem  libertinus  ver- 
stand Casanbonns  z.  d.  St.  einen  Diener,  der  den  Dolch,  das  insigne  der 
der  Präfektur  znstehenden  Gewalt,  den  andern  nachgetragen  hätte.  Dagegen 
hat  Salmasins  z.  d.  St  mit  Recht  bemerkt,  dafs  es  der  Freigelassene  Eleander 
ist,  der  aUein  von  den  Dreien  jenes  Zeichen  der  militärischen  Qewalt  der 
Präfektnr  hat  und  daher  a  pugione  hiefs.  Ebenso  xurteilen  Mommsen,  Str. 
1,  419  A.  1.  Hirschfeld,  Verwaltmigsgesch.  1,  228 f.,  während  Friedländer 
1*,  111  in  der  Bezeichnung  einen  populären  Beinamen  sieht. 

2)  Vgl.  die  sprechende  Scene  Dio  72,  21;  femer  72,  10:  ot  xaLcdqsioi 
Tovtov  (d.  h.  tov  TlBQtvvlov)  unaXXayivTsg  (^v  d^  avtmv  iiOQV(paios  o  KliapSgog) 
ovSlv  ort  %u%6v  ovK  idgtov  nmlovvtsg  ncivtec^  vßQliovxsg^  dctXya^vovxtg.  Vgl. 
Tit.  6  f.  die  Opfer,  welche  ans  Senatskreisen  diesem  Eammerdienerregiment 
fielen,  wonmter  der  Schwager  des  Commodns,  L.  Antistius  Bnrrns,  nnd 
Arriüs  Antoninus  von  den  Arrii  Ani,  zu  denen  Antoninns  Pins  gehört  hatte. 
Der  Tod  dieses  Arrios  brachte  nach  vit.  7,  1  die  Volkswnt  gegen  Eleander 
zom  Ausbruch. 

3)  Vit  6,  8:  horum  (des  sechsstündigen  praef,  praet.  Niger  nnd  des 
fOnfi&gigen  Marcius  Qoartus)  successares  ad  arhitrium  Cleandri  aut  retenti 
suni  aut  occisi.  Ad  cuius  wuiwn  etiam  libertim  in  senatum  atque  in  patricios 
lecU  swnty  tuncque  primum  viginti  quinque  cansuies  in  unum  annum,  venditae- 
que  omnes  provindae,  Omnia  Cleander  pecunia  venditabat:  revocatos  de 
exüio  dignüatihus  orndbat,  res  iudicatas  rescindebat.    Dio  72,  18.    ^  j 

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—     414    — 

nicht  weniger  als  25  Konsuln  gemacht  wurden  ^)y  so  zeigt  dies 
in  erschreckender  Weise,  wie  wenig  die  Aristokratie,  die  sich  so 
kaufen  liefs,  widerstandsfähig  geworden  war.^)  Nur  darin  zeigte 
sich  der  Erfolg  der  vorhergehenden  Regierungen,  dals  die  Grenz- 
Verteidigung  aufrecht  erhalten  blieb  ^),  während  in  Rom  der  Kaiser, 
der  sich  den  gewöhnlichsten  Verpflichtungen  seiner  Stellung  ent- 
zog*), von  dem  unwürdigsten  Treiben  hinweg  nach  den  Vor- 
gängen eines  Caligula  und  Nero  das  alte  Spiel  der  Yei^otteroug 
bei  Lebzeiten  hervorholte,  Rom,  den  Senat,  die  Legionen,  das 
römische  Volk  nach  sich  benannte,  die  Namen  der  Monate  auf 
seine  Ptcton  richtete^),  während  im  Innern  des  Reichs  Pest  und 
Hiangersnot  auftrat^),  in  den  Provinzen  Banden  von  Deserteuren 
und  Räubern  sich  zusammenrotteten,  mit  denen  man  nur  schwer 
fertig  wurde ^),  und  endlich  ganz  nach  dem  Beispiel  Neros,   als 


1)  S.  Yorberg.  Anm.  und  S.  412  A.  2. 

2)  Bezeichnend  für  die  Stimmung  im  Senat  ist  neben  der  schon  er- 
wähnten Schilderung  bei  Dio  72,  21  das  Wort  des  Pertdnax  an  den  Eoneul 
Falco,  der  ihm  seine  Verbindung  mit  den  ministrt  scelerum  Cammodi  vorwirft: 
iuvenis  es  consid  nee  parendi  scis  necemtaUs;  pannenAWt  invüi  Commodo,  sed 
ubi  habuerunt  facuUatem,  quid  semper  voluerint  ostenderufU  (vit  Pert.  6,  8  f.). 

8)  Dio  72,  8  (Kämpfe  in  Dacien  und  Britannien)  vit  IS,  5:  vidi  s%uU 
sub  eo  tarnen  cum  tue  sie  viverety  per  legatos  Mauri,  vidi  Daci,  Pannoniae 
quoque  compositae,  in  Britannia,  in  Germania  et  in  Dada  imperium  eimi 
recusantibus  provinciaübus^  quae  omnia  ista  per  duces  sedata  sunt 

4)  13,  7:  ipse  Commodus  in  subscribendo  tardus  et  neglegens  iia  ut 
libeüis  una  forma  müUis  subscriberet^  in  epistulis  autem  plurimis  Vah  tan- 
tum  scriberet  agebanturque  omnia  per  cdios,  qui  etiam  condemnaHones  t» 
sinum  vertisse  dicuniur. 

5)  Vit  8.    Dio  72,  16.     Herod.  I,  14,  8. 

6)  Herod.  1,  12.    Vit  14,  1.     Dio  72,  14. 

7)  Herodian,  1,  10  giebt  eine  ausführliche  Erzählung  von  einem  IIa- 
temus  <STgaxmTfig  (ilv  hqoxbüov  nolXa  &\  %al  dhiva  xoX^tr^aaqy  xf^»  9%  Tcrgcr 
Xmdav  %al  xsüsag  ixigovg  dno  xmv  avxcov  iffymv  öwanod^dvaiy  xtl^ft  noll^ 
natiovQymv  iv  oXiyto  ad'QOÜras  XQovia  u.  s.  w.,  der  in  g^anz  G^allien  nnd 
Spanien  sein  Unwesen  treibt,  sich  in  Rom  einschleicht,  um  den  Commodus 
zu  ermorden,  »ol  itbqI  ßaöiXsias  ^^i}  %al  li^sitortov  nQayfuncop  ißovlsvtTO, 
Es  ist  hier  dasselbe  gemeint,  wie  vit  Comm.  16,  2:  ante  bellum  dtser- 
torum  caelum  arsit  und  vit  Nigri  3,  3:  et  Pescennius  quidem  Severo  to 
tempore  quo  Lugdunensem  provindam  regebat  amicissimus  fuU;  nam  ipse 
missus  erat  ad  comprehendendos  desertores,  qui  innumeri  GaXUas  tuncvexdbamL 
Es  geht  femer  auch  aus  den  kurzen  Erwähnungen  der  vitae  hervor,  da£s 
die  Sache  von  Bedeutung  war  und  grdlsere  Ausdehnung  gewann;  war  doch 
ein  Feldzug  ipeüum)  dagegen  nötig.  Herodians  Darstellung  mag  übertriebe« 
sein,  doch  nicht  in  dem  Grade,  wie  Zürcher  a.  a.  0.  241X  meint.    Zu  der 

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-    415    — 

Konfiskationen,  Stellenverkanf;  Erpres^uBg^n  nicht  niehr  genügten, 
vermehrter  Steuerdruck  die  Bevölkerung  belastete.^)  Nach  dem 
Sturze  Eleanders  regierte  Commodus  noch  etwas  mehr  als  drei 
weitere  Jahre  ohne  einen  ähnlich  einflufsreichen  Günstling.  Am 
31.  Dez.  192  machte  die  Verbindung  der  sich  am  Hofe  be- 
droht fühlenden,  der  Konkubine  Maroia^  des  Kammerdkneq» 
Eklektus  und  des  Pr&fekten  der  Leibwache  Q.  Ämilius  Ltttns 
den  unmöglichen  Zustanden  ein  Ende.') 

2.  Der  Mann,  welchen  der  Leiter  des  Attentats,  Lätus^  an  Pertinax. 
Stelle  des  Ciommodus  zunächst  den  Prätoriauern  in  Vorschlag 
brachte,  war  F.  HeMus  Pertinax:  so  sollte  an  die  Stell«  desseii, 
bei  dem  die  Ahnenreihe  so  sehr  betont  worden,  der  Sohn  eines 
Freigelassenen,  eines  Handlers,  gesetzt  werden,  ein  Masn,  d#r  in 
seiner  Jugend  selbst  zum  Erwerbsleben  bestimmt  aber  durch 
günstige  Verbindung  in  den  militärischen  Dienst  gekommen  und 
in  diesem  durch  die  ritterlichen  Stellen  zur  senatoriscken  Laaf- 
bahn  gelangt  war.')    Er  hatte  sich  unter  Marc  Aurel  vielfäeh 

Übertreibung  gehört,  dafs  er  ihm  wie  dem  Perennis  und  Eleauder  die  Ab- 
sicht zaschreibt,  eelbst  das  Imperium  zu  gewinneu;  aber  im  übrigen  ist  es 
wohl  möglich,  dafs  Herodian  aus  wirklicher  Sachkunde  schreibt  als  einer, 
der  die  so  weithin  fühlbare  Sache  in  der  Nähe  sah.  Die  Zeit  bestimmt  sich 
einerseits  nach  Herod.  1, 10, 1,  wonach  Matemus  nach  dem  Sturz  des  Perennis 
Xffovov  ov  nolXov  diayevoiiipov  auftrat,  andererseits  nach  vit.  Pescenn.  a.  a.  0., 
wonach  der  Krieg  gegen  die  Deserteure  unter  die  lugdunensische  Statt- 
halterschaft des  Septimius  Severus  fiel,  die  nicht  yor  186  angesetzt  werden 
kann;  der  Aufstand  wird  in  das  J.  187  fallen,  vgl.  Tillemont  2,  484  f.  Sievers 
a.  a.  0.  41  f. 

1)  Dies  geht  indirekt  herror  aus  vit  Pert.  8,  6:  coactus  es$  (Pertinax) 
ea  exigere,  qwu  Commodus  indixerat,  contra  quam  proftssus  ftterat, 

2)  Vit.  17.    Dio  72,  22.     Herod.  1,   16  f.   mit   manchen   bei   Zürcher 
a.  a.  0.  249  aufgei^lten  Ausschmückungen  und  üngenauigkeiten. 

8)  Qeburt  und  frühere  Laufbahn  des  Pertinax  ist  am  genauesten  ge>  * 
gegeben  in  der  vita  c.  1—8.  In  der  Beurteilung  dieses  Kaisers  sind  die 
▼erschiedenen  Quellen  im  allgemeinen  übereinstimmend,  nur  dafs  Dio,  der 
selbst  erklärt,  dals  er  dem  Pertinax  zu  Dank  verpflichtet  gewesen  (78,  12), 
was  ihn  niedriger  erscheinen  läfst,  mildert  oder  verschweigt.  So  ist  der 
Vater  bei  ihm  blofs  ov%  tvytviig  (78,  8);  w&hrend  Pert  dem  Biographen 
magis  hlandus  quam  benignus  nee  unquam  creditus  simpUx  ist,  et  cum  verbis 
esset  affabüis,  re  erat  ihliberälis  et  prope  sordidus  (vgl.  9,  4  ff.),  ist  er  nach 
Dio  78,  1  tav  %tiXmv  %aya^mv  und  (piXapd'qan^a  tt  %al  xf^ctorrig  %al  ol- 
%opoiUa  ßsltüstfi  %al  n(f6voicc  lov  %oivov  tmpLtlsatdxfj  ihm  nachzurühmen 
(c.  6),  und  ist  er  zwar  sparsam,  aber  inl  tovxm  ot  (i^p  nlovcioi  %al  i/ksya- 
Xavxoi  disyiXtov  avxov^  ot  91  «IZoi,  oh  ä(ftefi  dosXyiütg  n^oti(ioxiQa  fyf^ 
htgrovfiBv  (c.  8.)  ^  j 

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-     416     - 

ausgezeichnet  und  unter  Commodus  verschiedene  bedeutendere 
Statthalterschaften  versehen,  darunter  das  gefahrliche  Britannien^ 
wo  er  eine  Meuterei  mit  Gefahr  seines  Lebens  bestanden  aber 
auch  überwältigt  hatte.  ^)  Damals  war  er  Stadtpräfekt  und  hatte 
eben  im  J.  192  neben  Commodus'  siebentem  Konsulat  sein  zweites 
gehabt.^)  Der  Grund,  weshalb  der  siebenundsechzigjährige  Mann 
ausersehen  wurde,  konnte  nur  darin  liegen,  dafs  man  in  ihm  die 
meiste  Energie  und  militärische  Fähigkeit  unter  den  zur  Stelle 
befindlichen  vertreten  sah,  verbunden  mit  einem  Charakter,  der 
ihn  dem  Senat  geföllig  und  trotz  seiner  niederen  Greburt  an- 
nehmbar machen  würde.  Auf  den  Senat  kam  es  in  erster  Linie 
allerdings  nicht  an;  aber  nachdem  die  Soldaten,  wenn  auch  über 
sein  Auftreten  ihnen  gegenüber  verstimmt^),  die  Usurpation 
angenommen,  war  Pertinax  selbst  bemüht,  dieselbe  in  verfassungs- 
mäfsige  Bahnen  zu  bringen.^)  Erklärte  er  sich  ja  doch,  ängst- 
lich über  die  Folgen,  bereit,  wieder  zurückzutreten  und  ange- 
seheneren Männern,  wie  dem  alten  Claudius  Pompejanus,  dem  Eidam 
des  Marc  Aurel  und  Nachfolger  des  Kaisers  Verus  in  der  Ehe 
mit  Lucilla,  der  die  Schreckenszeit  des  Commodus  glückUch 
überlebt  hatte,  die  gefahrliche  Stellung  zu  überlassen.^)  Da  sie 
ihm  nicht  abgenommen  wurde,  erbat  er  sich  vom  Senat  die  An- 
erkennung und  erhielt  sie  nicht  ungern,  wenn  auch  nicht  ohne 
Opposition,  die  sogar  durch  den  einen  Konsul  Q.  Sosius  Faleo 
vertreten  war.^)     Es  gelang  ihm  auch  weiterhin  mit  dem  Senat 


1)  Vit.  2  f.    Dio  72,  9. 

2)  Dies  steckt  in  der  verderbten  Stelle  vit  4,  3:  (als  Stadtpräfekt)  mi- 
tiasimm  et  humanmimus  fuit  et  ipsi  Cammodo  plurimum  pUicuU^  qnia  üH 
esset  iterum  cum  Pertinax  factus  est  (etwa:  qui  {cum  ipse  VII]  esset,  itenm 
cum  [eo]  Pertinax  factus  est.)  Dio  Zeugnisse  über  die  Konsuln  von  192  bei 
Klein  fast.  cons.  z.  d.  J. 

3)  Dio  13,  1;  anch  dafs  er  am  ersten  und  zweiten  Tag  die  Parole 
„militemusf'  gab,  fafsten  sie  als  Vorwurf  wegen  ihres  bisherigen  Sichgehen- 
lassens  auf;  exprohrationem  istam  milites  non  tiderunt  statimque  de  imperor 
tore  mutando  cogitarunt;  vit  6,  7.  6,  liF.  Schon  am  8.  Jan.  wollen  sie 
einen  vornehmen  Senator  an  die  Stelle  des  Pertinax  setzen;  der  aber 
weigert  sich.    6,  4. 

4)  Vit.  6,  7:  susdpere  se  etiam  Imperium  a  senatu  dixä^  quod  iam 
sponie  inierat, 

6)  Vit,  4,  10.    Vgl.  Dio  78,  3.    Herod.  2,  3,  3. 

6)  Vit  5, 2 :  cum  Laeto  gratias  egtsset  PertinaXy  Faleo  conaul  dixü:  quaüi 
imperator  es  futurus,  hinc  intellegimus,  quod  Laetum  et  Mardam,  ministn» 
scelerum   Commodi,  post  te  videmus.     Darauf  die  Antwort  ob.  8.^  412  A,  2. 

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-     417     ^ 

in  wirklichem  Einvernehmen  zu  bleiben,  ja  die  von  Commodus 
mifshandelte  Behörde  fühlte  sich  unter  ihm  wie  befreit,  da  er 
die  Majestatsanklagen  aufhob,  die  Verbannten  zurückrief,  das 
Andenken  der  Getöteten  wiederherstellte  und  die  konfiszierten 
Vermögen  zurückgab^),  andrerseits  regelwidrige  Bevorzugungen, 
welche  Günstlingen  des  Commodus  in  ihrer  Senatsstellung  zu 
Teil  geworden,  aufhob.*)  In  den  Beratungen  liefs  er  sich  Oppo- 
sition gefallen^  und  sein  Verkehr  mit  den  Senatoren  war  im 
Tone  nicht  des  Herrschers,  sondern  in  dem  eines  Kollegen, 
höchstens  in  dem  eines  Princeps  in  der  bescheidensten  Bedeutung 
des  Worts  gehalten.*)  So  ist  es  nämlich  wohl  zu  verstehen, 
wenn  er  zwar  die  üblichen  Titel  annahm,  darunter  den  eines 
pater  patriae  sofort*^),  aber  auch  den  eines  princeps  senatus,^) 
Wie  mit  dem  Senat,  so  stellte  er  sich  auch  mit  dem  Volke  gut; 
denn   man   sah,   dafs   es  ihm  ernst  damit  war,   eine  geordnete. 


1)  Vit  6,  8:  quaestionem  maiestaUs  penitus  Mit  cum  iureiurando, 
revocavit  etiam  eos  gut  deportati  fuerant  crimine  maiestaUs  y  earum  memoria 
restiiuta,  gut  occisi  fuerant,  9,  8:  omntbus  sane  possessiones  suas  reddidit, 
guibus  Commodus  ademerat^  sed  non  sine  pretio;  letzteres  heilst  nach  dem 
Zosammenhang,  dafs  er  sich  persönlich  diese  Heimgabe  habe  bezahlen  lassen. 

2)  6,  10:  cum  Commodus  adlectiontbus  innumeris  praetorias  Ihiscuissety 
senatus  constUtum  Pertinax  fecit  iiASsitque  eos  gut  praeturas  non  gessissent 
sed  adlectione  aecepissent  post  eos  esse  gut  vere  praetores  fuissent;  sed  hinc 
quoque  grande  odium  müUorum  commovit. 

8)  7,  7:  aggressus  eum  Lollianus  Gentianus  constdaris,  quod  contra 
promissimt  (der  Aufhebung  der  Steuern  des  Commodus)  facerety  necessitatis 
rationem  accepit, 

4)  Dio  73,  -d:  ^XQTixo  d\  xal  riy^tv  d7j(i4fti%(6xccta'  %al  yccQ  S'öngogiqyoQog 
^  u.  8.  w. 

5)  Vit.  5,  5:  primus  sane  omnium  ea  die  qua  Äugustus  est  appellatus, 
etiam  patris  patriae  nomen  recepit  necnon  simiU  etiam  imperium  proconstdare 
nee  non  ius  guartae  reUxtionis.  Auf  den  Münzen  findet  sich  der  Titel  p.  p. 
nicht,  dagegen  auf  Inschriften  zn  seinen  Ehren.  Or.  896  (=»  Wilm.  981). 
Corp.  insc.  lat.  II  n.  4126  (=-  Wilm.  n.  876).    Vgl.  folg.  Anm. 

6)  Dio  73,  5:  iXaßs  Tag  ts  ällag  inmXiqa^ig  tag  ngogri%ovaccg  %al  ixiqav 
inl  TCO  9fiyLOxi%og  elvai  ßovls69'ai>'  nQOHQitog  yäq  tijg  ysQOVciag  %axa  tb 
agz^f^ov  inayifOi/MoQiriy  wobei  in  Betracht  zu  ziehen  ist,  dafs  Dio  den  Titel 
princeps  von  princeps  sena;t/us  ableitete  (ob.  S.  134  A.  2).  Auf  seinen  Münzen 
führt  er  übrigens  auch  diesen  Titel  nichi  Von  Inschriften  vgl.  die  in  der 
vorh.  Anm.  cltierten,  die  eine  vom  11.  Februar,  die  andre  (Or.  896)  vom 
20,  M&rz  198:  Imp.  Caes.  P.  Helvio  Pertinaci  Äug.  cos.  II  pontifid  maximo 
trib.  pot.  p,  p.  principi  sen.  fortissimo  duci  et  omnium  virtutuum  (so)  prin- 
dpi  Capenates  u.  s.  w. 

H«T«og,  d.  röm.  StaatsTorf.  II.  1.  §^1\t\zeö  byGoOglC 


-     418    — 

leistungsfähige  Verwaltung  herzustellen.^)  Gleich  zu  An&ng 
machte  er  die  Würde  des  Reichs  geltend,  indem  er  die  Auszahlung 
der  Gelder,  die  man  den  BarbarenfÖrsten  an  der  Grenze  leistete, 
einstellte^);  im  übrigen  war  er  vorzugsweise  bedacht,  die  durch 
Commodus  in  arge  Zerrüttung  geratenen  Finanzen  wieder  her- 
zustellen, was  ihm,  einem  vom  Privatleben  her  sparsamen  und 
erwerbseifrigen  Mann,  auch  in  merkwürdig  kurzer  Zeit  gelangt), 
und  nur  das  wurde  von  wohlwollender  Seite  ausgesetzt,  da&  er 
zu  viel  zumal  in  Angriff  nahm.^)  Dieser  Hätigkeitstrieb  ist  es 
auch,  was  ihn  von  Galba,  mit  dessen  Charakter  und  Lage  manche 
Ähnlichkeit  besteht,  unterscheidet.  Aber  eines  fehlte,  die  volle 
Auktorität  der  Person,  und  darum  gelang  es  auch  den  ihm 
feindlichen  Kräften,  ihn  zu  stürzen.  Diese  waren  vor  allem  das 
Hofgesinde  und  die  Garde,  welche  beide  von  Commodus  zu  viel 
Gewinn  gehabt,  um  mit  dem  sparsamen  neuen  Regiment  zufrieden 
zu  sein;  auch  der  Gardepräfekt  Latus,  der  den  Pertinax  erhoben 
hatte,  wurde  ihm  bald  untreu  und  suchte  seine  Stellung  zu  unter- 
graben.^)    Zuerst  suchte  man  den  Falco,  der  in  der  Sitzung  vom 

1)  Vit.  14,  6:  populus  mortem  eius  indignissime  Mii,  quia  videM 
omnia  per  eum  antiqua  posse  restitui, 

2)  Dio  73,  6:  ßaQ^aQOVS  rtvag  %qvalov  naq'  avxov  icoXv  in'  bI^^ 
stXri(p6ta9'  (i8tan£(iflfdiisvos  (Irt  yaQ  h  6dm  ijaav)  an^xijasv  avro,  il%m 
oti  liysTS  Tots  otxoi  nsQTiva%a  a(fXBi'V'  ^dsaav  ycr^  xal  ndw  x6  oro^ 
avTov  l^  ajv  nsnovd'eaav  ort  fj^srä  tov  Mdgxov  iatgaxsvsto, 

3)  Vit.  7,  1—6  werden  Mafsregeln  von  Liberalität  anfgez&hlt;  deshalb 
ist  auch  7,  1 :  eensus  reiractari  iussit  in  dem  Sinn  aufsnfassen,  dafs  gegen- 
über zu  grofser  und  willkürlicher  Belastung  unter  der  vorigen  Begieroog 
Erleichterung  und  billige  Taxation  erfolgen  sollte.  7,  6  —  c.  9  folgen  dann 
Mafsregeln  zur  Hebung  der  Finanznot.  Dio  78,  5.  Eine  einzelne  Maisregel 
nennt  Herodian  allein  2,  4,  6:  n^mtop  näcav  t^  %at'  'itaUav  nal  h  tois 
loinoCg  i&vseiv  dystogyritov  xs  %al  navxdxaciv  ovaav  dgyov  inixgt^tv  ono- 
ajjv  xig  ßovlBxai  xal  ^vi^arai  sl  %al  ßaaiXiag  %x^(Ut  e^  nutxaXai^dwtuff 
intfislrjd'ivxi  xs  xal  ysoDQyi^aavxi  dsanoxjj  slvai'  idaxi  xs  ysaffyovüip  tcxt- 
iBiav  ndvxfov  ig  ds%a  ixrj  xal  Sid  navxog  SBonoxBiag  dusgiiikvCav.  DaCi 
eine  so  wichtige  Anordnung,  die  zu  dem  Detail  bei  Herodian  zu  rechnen 
ist,  das  er  nicht  erfunden,  in  den  andern  Quellen  nicht  erwähnt  wird,  hat 
seinen  Grund  wohl  nur  darin,  dafs  sie  bei  der  Kürze  dieser  Regierung  keine 
Wirkung  hatte.  So  hat  sie  denn  vorzugsweise  symptomatische  Bedeutung 
als  Zeichen  für  die  zunehmende  Entvölkerung.  Dafs  er  auf  finanziellem 
Gebiet  Erfolg  hatte,  zeigt  vit.  9,  1  f. 

4)  Dio  73,  10:  ovxod  o  TlB^xlva^  im%BigTicag  iv  oUya  ndvxa  dwanM- 
XicaaO'ai,  ixBlBvxriCBv  ovS\  iyvm  ncUnsq  ifi^fCBiQoxuxog  ngayfiaxmv  &9y  9U 
ddvvaxov  iaxiv  dO'Qoa.  xwd  dofpaXmg  iiiavoQd'ovad'at. 

5)  Dio  73,  8:  insl  ovxb  roti;  öxqccximxaig  dgitd^Biv  ovxe  xoig  xauro^^ 

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—    419     - 

1.  Januar  dem  neuen  Kaiser  entgegen  getreten  war^  zu  erheben. 
Dies  mifslangy  und  Falco  selbst,  vom  Senat  verurteilt  aber  von 
Pertinax  begnadigt,  stand  von  weiterem  Versuch  ab.  Allein  die 
Soldaten,  nun  vollends  erbittert  durch  Hinrichtungen,  die  ihren 
Kreis  getroffen,  gaben  sich  damit  nicht  zufrieden,  sondern  erhoben 
sich  jetzt  ohne  einen  Prätendenten,  nur  um  den  Pertinax  zu  be- 
seitigen, drangen  in  den  Palast  und  mordeten  den  von  seinem 
Gesinde  preisgegebenen  Herrscher.')  Er  hatte  nicht  ganz  drei 
Monate  die  Regierung  geführt^,  aber  in  dieser  Zeit  die  Idee 
des  Principats  als  einer  obersten  Hilfsmagistratur  vielleicht  reiner 
als  irgend  ein  anderer  dargestellt.  Und  dafs  dies  bei  Senat  und 
Volk  des  Eindrucks  nicht  verfehlte,  zeigen  die  Ehren,  die  man 
unter  Severus  dem  Andenken  des  Pertinax  tA&  eines  bonus  princeps 
erwies.^) 

3.  Aber  das  Mafs  dessen,  was  die  Ziigellosigkeit  der  Prä-nidina  juiianu?. 
torianertruppe  in  Rom  leisten  konnte,  war  dadurch  noch  nicht 
voll:  es  folgte  die  Scene,  in  welcher  der  eigene  Eidara  des  er- 
mordeten Kaisers,  der  Stadtprafekt  Sulpicianus,  der  von  Pertinax 
gesendet  sich  ins  Lager  begeben  hatte,  und  ein  älterer  Senator, 
M.  Didius  Julianus,  von  der  Frechheit  der  Soldaten  das  Imperium 
ersteigerten.  Julianus  war  der  Meistbietende,  der  es  dann  über 
den  Verwandten  des  Ermordeten  gewann.*)  Auch  ihn  erkannte 
der  Senat,  widerwillig  aber  ohne  eine  Spur  des  Widerstands 
gegen  die  Soldaten,  an,  und  die  Soldaten  hielten  ihn  zunächst 
aufrechi^)     Er   zählte   unter  seinen  Vorfahren   mütterlicherseits 


düBlyalpstv   in  iirjv,   ^£iyc5ff  oixot  ifUaovv  avxov.    Vit.  14,  6:  milites  eum 
et  iiulici  odio  häbueruni. 

1)  Vit.  10  f.     Dio  78,  8—10.     Herod.  2,  6. 

2)  87  Tage  nach  Dio  c.  10  extr.,  2  Monate  25  Tage  nach  vita  15,  6. 
Dio  ist  der  onmittelbarBte  Zange.  Der  Todeetag  wäre  nach  ihm  (vom 
1.  Jan.  an  gerechnet)  der  28.  März,  welcher  Tag  auch  in  der  vita  unmittel- 
bar vor  jener  Regiemngsdaner  angegeben  ist. 

3)  Vit.  15,  1—5.     Dio  74,  8—5. 

4)  Die  VersteigemngsBcene  drastisch  geschildert  Dio  73,  11;  kürzer 
und  mit  einigen  Abweichungen  vit.  Jul.  2,  2.  üerodian  2,  6.  Abstammung 
und  sonstige  Personalien  des  Jul.  vit.  1. 

5)  Dio  78,  12  f.,  wo  mit  derselben  Offenheit  wie  unter  Com  modus  das 
Verhalten  des  Senats  und  des  Dio  selbst  geschildert  werden.  —  Julianua 
nahm  auch  den  in  seiner  Familie  erblichen  Beinamen  Severus  an  (vit.  7,  2) 
und  ftlhrt  ihn  auf  seinen  Münzen.  Inschriften  von  ihm  giebt  es  nicht.  Zu 
Dio  73,  12:  »al  avxov  ot  cxQaxmxai  xd  xs  äXXa  ifiBydXvvov  xal  Kofinodov 
inmvoiia^ov  geben  die  Münzen  keinen  Beleg.  —  In  der  Charakterschilderung 

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-     420    — 

den  berühmten  Juristen  der  hadrianischen  Zeit  Salvius  Julianns 
(s.  ob.  S.  369  A.  2),  väterlicherseits  war  seine  Familie  vom  italischen 
Munizipaladel  in  den  Senat  gekommen ,  er  selbst  hatte ,  durch 
Beziehungen  zum  Kaiserhaus  gefordert,  die  senatorische  Lauf- 
bahn ohne  besondere  Auszeichnung  durchlaufen,  wie  er  denn 
auch  persönlich  nur  den  Genufs  seiner  Stellung  haben  wollte. 
Seine  Regierung  war  von  Anfang  an  so  sehr  geföhrdet  und  auf 
die  Sorge  um  die  Existenz  angewiesen,  dafs  von  positiven  Resul- 
taten nicht  die  Rede  sein  konnte.  Der  Senat  zwar  war  unter- 
würfig, und  er  seinerseits  that  alles,  um  sich  die  angeseheneren 
Männer  gewogen  zu  machen,  aber  die  Bevölkerung  Roms,  in 
eigentümlicher  Unabhängigkeit  von  der  Garde,  bezeugte  dem 
Manne,  der  das  Imperium  erkauft,  von  Anfang  an  Hafs  und  Ver- 
achtung und  war  nahe  an  offener  Empörung.  Dies  veranla&te 
denn  auch  den  Julianus  zu  Gewaltmafsregeln,  die  aber  die 
Stimmung  nicht  besserten,  und  nur  die  Hoffnung  auf  ein  Los- 
brechen der  grofsen  Heere  hielt  die  Erregung  zurück.^)  Bald 
genug  hörte  man  auch  von  Aufständen  der  Statthalter  in  den 
grofsen  Provinzen.  Ermimtert  durch  die  Stimmung,  die  man 
ihm  aus  Rom  berichtete,  durch  die  Sympathieen,  die  er  bei  seinem 
Heere  und  in  seiner  Provinz  fand,  durch  die  Heeresmacht,  über 
die  er  schon  verfügte  und  die  er  leicht  hoffen  konnte  zur  be- 
deutendsten im  Reiche  zu  machen,  nahm  der  Statthalter  von 
Syrien,  Pescennius  Niger,  das  Unternehmen  des  Yespasian  und 
Avidius  Cassius,  vom  Osten  aus  das  Reich  zu  erobern,  seiner- 
seits auf  und  liefs  sich  von  seinen  Truppen  und  den  Provinzialen 
in   Antiochia   zum  Imperator   ausrufen.     Allein   zur  selben  Zeit 


des  Julianus  besteht  ein  auffallender  unterschied  zwischen  der  vita  und 
Dio.  Letzterer  ist  voll  Hafs  und  Verachtung,  in  der  Biographie  wird  mög- 
lichst gemildert  Die  Schmach  des  ersteigerten  Imperiums  und  der  Hafs 
des  Volks  kann  zwar  nicht  weggenommen  werden,  aber  haec  omtda  Juliamu 
placide  tulit  totoque  imperii  8ui  tempore  müissimfAS  fuä.  4,  8.  Die  Angpabe 
von  dem  üppigen  Mahl  angesichts  der  Leiche  des  Pertinaz  (Dio  78,  13)  ist 
unwahr  (vit.  3,  8),  andre  Vorwürfe,  die  man  ihm  macht,  widersprechen 
seinem  ganzen  Wesen  (9,  1  f.),  nur  der  Tadel  hat  keine  Erwiderung,  gfuod 
eo8  quo8  regere  auctoritate  sua  debuerat  regendae  reip.  sibi  praesules  ipu 
fecisset  (9,  4).  Diese  Verschiedenheit  des  Urteils  rührt  deutlich  von  der 
verschiedenen  Stellung  der  Urheber  her;  die  geschichtliche  Wahrheit  wird 
mehr  bei  Dio  zu  suchen  sein. 

1)  Dio  73,  13.    Vit.  4.    Herod.  2,  7,  der  auch  die  Soldaten  schon  un- 
zufrieden sein  läfst,  weil  der  Kaiser  nicht  alles  erföllen^onnte., 

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—    421     — 

hatte  in  Pannonien  an  der  Spitze  einer  ebenfalls  bedeutenden 
Macht  L.  Septimius  Severus,  ein  geborener  Afrikaner,  auf  die 
Nachricht  vom  Sturze  des  Pertinax,  indem  er  sich  als  Racher 
dieses  in  Pannonien  in  gutem  Andenken  stehenden  Kaisers  auf- 
warf und  selbst  den  Namen  des  Pertinax  annahm,  sich  gegen 
Julianus  erhoben.  Endlich  lehnte  der  Statthalter  von  Britannien 
wenigstens  nicht  ab,  als  er  von  seinem  Heere,  das  schon 
wiederholt  einen  Kaiser  hatte  stellen  wollen,  als  solcher  aus- 
gerufen wurde,  und  so  waren  noch  mehr  Prätendenten  yorhanden 
als  im  J.  69.^)  Der  rührigste  von  diesen,  zugleich  der,  welcher 
der  Hauptstadt  am  nächsten  stand,  war  Septimius  Severus.*)  Er 
schaffte  sich  für  den  Augenblick  Ruhe  vor  Albinus,  indem  er 
ihn  zum  Cäsar  machte,  rückte  dann  in  Italien  ein,  besetzte  ohne 
Schwertstreich  Ravenna  und  durfte  ohne  Kampf  die  Huldigung 
der  wehrlosen  italischen  Städte  entgegennehmen.  Die  ihm  ent- 
gegengesandten Prätorianer  erwiesen  sich  als  gänzlich  unfähig, 
die  Anstalten  zur  Rüstung  in  Rom  und  zur  Verteidigung  der 
Hauptstadt  waren  nur  lächerlich,  der  in  der  Not  ergriffene  Aus- 
weg, den  eben  vorher  geächteten  Severus  nun  durch  einen  Senats- 
beschlufs  zum  Mitkaiser  erklären  zu  lassen,  führte  natürlich  zu 
nichts,  vielmehr  sobald  der  den  Sieg  mit  sich  bringende  Afrikaner 
Yor   der  Hauptstadt   stand  und  Verbindungen  mit  den  Römern 


1)  Mit  besonderer  ÄDsführlichkeit  and  eingelegten  Beden  schildert 
diese  Vorgftnge  2,  7—10;  den  Namen  des  Albinus  führte  er  erst  nach  dem 
Einzog  des  Severns  in  Rom  in  die  Ereignisse  ein.  Dagegen  heifst  es  vit. 
Clod  Alb.  Ij  1:  Uno  eodemque  prope  tempore  post  Pertinacem,  qui  aitetore 
Attnno  interemptus  est  JiUianns  a  sencUu  Eomae,  Septimius  Severus  od  exer- 
cUu  in  lUyrico^  Pescennivs  Niger  in  Oriente,  Clodius  Albinus  in  GaUia  impera- 
tares  appeüati.  Damit  stimmt  aach  Dio  78,  14.  Vielleicht  zögerte  Albinas 
und  gab  so  dem  Severus  Gelegenheit  zu  Unterhandlang.  Fflr  die  Zeit  der 
Erhebang  des  Severns  selbst  ist  Voraossetzang,  dafs  die  Nachricht  von  der 
Ermordung  des  Pertinax  nach  Pannonien  gekommen  war.  Die  Angabe  idihus 
AugusUs  vit  Sev.  6,  1  ist  jedenfalls  unrichtig  überliefert.  Für  Niger  wird 
angenommen,  dafs  ihm  die  Stimmung  des  römischen  Volks  gegen  Julianas 
und  für  ihn  bereits  bekannt  war.  —  Dafs  Clodius  Albinus  schon  bei  der 
Ermordong  des  Pertinax  beteiligt  gewesen,  wird  zwar  auch  von  Eutr.  8,  18. 
Oros.  7,  17^  6  gesagt,  ist  aber  doch  nicht  anzunehmen,  sowohl  wegen  des 
Schweigens  von  Dio  als  weil  die  Angabe  jener  beiden  (tn  occidendo  Pcr- 
tinace  socius  fuercft  Albino)  mit  der  beglaubigten  Erzählung  von  Jalianns' 
Erhebung  nicht  stinunt. 

2)  Dio  73,  15:  tav  dij  XQmv  riysfiovav  wv  saQri%a  dsivotccxog  6 
Zeov^Qog  Sv,  ^  , 

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Uutor  Nerva 
uud  Trajan. 


-     422     - 

anknüpfen  konnte^  wurde  Julianus  vom  Senat  preisgegeben,  zum 
Tode  verurteilt  und  am  1.  Juni  umgebracht.  Durch  einen  zweiten 
Beschlufs  wurde  Severus  als  Imperator  anerkannt.  Ehe  aber  der 
neue  Kaiser  einzog,  entledigte  er  sich  der  Prätorianer.  Durch 
kluge  Verhandlungen  mit  ihnen  erlangte  er  die  Auslieferung  der 
Mörder  des  Pertinax,  veranlafste  die  ganze  Truppe  wehrlos  vor 
ihm  zu  erscheinen  und  löste  sie  dann  auf,  so  dafs  er  freie  Hand 
zur  Reorganisation  des  Korps  auf  neuer  Grundlage  sich  schuf. 
Darauf  hielt  er,  nachdem  er  sich  zuvor  des  Prätorianerlagers  ver- 
sichert, seinen  Einzug  in  Rom,  von  Senat  und  Volk  begrüdst 
und  geleitet.  So  stand  er  nun  mit  wesentlich  besserer  Stellang, 
als  legitimer  Kaiser  und  mit  den  Hilfsmitteln,  die  diesem  die 
Zentralregierung  bot,  dem  Pescennius  Niger  gegenüber,  der  den 
Fortschritten  seines  Rivalen  unthätig  zugesehen  und  diesem  die 
Vorteile,  die  ihm  die  Stimmung  der  Hauptstadt  anfanglich  ver- 
sprochen hatte,  preisgegeben  hatte.  Dem  Andenken  des  Pertinai 
liefe  Severus  die  höchsten  Ehren  erweisen.^) 

§  83.     Der  änfsere  Bestand  des  Beichs  von  Nerva  bis 
Commodiis. 

1.  Die  mit  Nerva  und  Trajan  beginnende  neue  Periode  sab 
schon  in  ihrem  Anfang  eine  Machtentfaltung  des  römischen  Reichs, 
wie  sie  nicht  einmal  zur  Zeit  des  Augustus  da  gewesen  war, 
und  wenn  auch  die  damit  betretene  Bahn  der  Eroberungen  nicht 
weiter  verfolgt  wurde,   so  blieb  doch  unter  den  nächsten  Nadi- 


1)  Dio  73,  15—17.  Vit  Jul.  6—8.  Sev.  6  f.  Herod.  2,  11—18.  HIb- 
Bichtlich  der  Ermordung  des  JuUanus  ist  bei  Vict.  epit.  19  ein  abweichen- 
des Detail  gegeben.  —  Die  BeschlösBe  des  Senats  vit  Jal.  8,  7:  (nachdem 
alles  den  Julianus  verlassen)  actum  est  denique,  ut  Juiiano  senatus  auctori- 
tote  abrogaretur  imperium ;  et  dbrogatum  est  appellatusque  statim  Sevenis  im- 
perator,  cum  fingeretur,  quod  veneno  [se]  (ibsumpsisset  Jülianus;  missi  tarnen  a 
senatu,  quarum  cura  per  militem  gregarium  in  Palatio  idem  Julianus  oceisus 
est,  fidem  Caesaris  implorans.  Dio  73,  17:  (Der  Konsul  Silius  Messalla) 
cvvayayoiv  ^ftag  ig  t6  'Ad"rjvaLov  %ccloviievov  dno  trjg  iv  avrA  xmv  ituUfiffO- 
(livcav  daTii^osmg  to  nciQcc  t<5i^  axQazioatmv  idi^Xoaösv  (dafs  sie  n&mlich  die 
Mörder  des  Pertinax  ausgeliefert);  xal  tov  xe  'lovXiavov  d'dvaxov  »«m- 
yffitpiadiisd^a  xal  xov  Zsov^qov  avxonqdxoQa  (ivo(id<sa(iiv  ^  x^  x€  Ilciftifinn 
rjq<oi%ttg  xifidg  dnedmuaiifv,  Datum  des  Todes  von  Jnlianns  nach  der  An- 
gabe seiner  Regierungsdauer  (66  Tage  Dio  a.  a.  0.,  2  Monate  5  Tage  vit 
Jul.  9,  3).  —  Der  glänzende  Einzog  in  Rom  beschrieben  Dio  74,  1,  die 
Konsekration  c.  4f.  r^  I 

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—    423    — 

folgern  Trajans  jene  Macht  auf  einer  so  achtunggebietenden 
Höhe,  dals  niemand  ernstlich  an  einen  Angriff  auf  dasselbe  dachte. 
Erst  unter  den  zwei  letzten  Regierungen  kam  es  wieder  an  den- 
jenigen Punkten^  die  stets  die  bedrohtesten  waren,  an  der  syrischen 
und  der  Donaugrenze,  zu  grofsen  Verteidigungskriegen ,  die  ein 
Vorspiel  f&r  die  Bedrohung  des  Reichs  in  dem  darauffolgenden 
Jahrhundert  bildeten. 

Nenra  übernahm  das  Reich  in  einem  nirgends  ernstlich  be- 
drohlichen Zustand.  Italien  war  vollständig  ruhig,  und  blieb  es 
mit  einer  Ausnahme  unter  M.  Aurel  dieses  ganze  Jahrhundert 
hindurch;  es  war  nur  ein  Objekt  der  friedlichen  Verwaltung^ 
woYon  bereits  bei  den  einzelnen  Regierungen  gehandelt  wurde. 
Auch  in  den  Provinzen  und  an  den  Grenzen  war  der  Thron- 
wechsel von  keinen  Ruhestörungen  gefolgt.  Am  Rhein  war  manches 
zu  ordnen^);  aber  in  Trajan  war^  nachdem  er  vollends  die  Stellung 
des  Adoptivsohns  erhalten,  ein  Mann  zur  Stelle,  der  diese  Ord- 
nung zu  schaffen  vermochte;  an  der  mittleren  Donau  wurde  zwar 
im  Gefolge  der  Bewegung,  die  unter  Domitian  hier  geherrscht 
hatte,  noch  gekämpft,  allein  in  kleinen  Verhältnissen  und  glück- 
lich.^ Der  gesamten  Donau-  und  Rheingrenze  wandte  dann 
Trajan  sofort,  nachdem  er  selbst  das  Imperium  übernommen, 
seine  Fürsorge  zu.  In  den  Jahren  98  und  99  lieüs  er  unter 
seiner  persönlichen  Leitung  den  grofsen  Strafsenzug  beginnen,  der 
von  der  unteren  Donau  an  der  Reichsgrenze  hin  nach  dem  oberen 
Grermanien  und  weiter  nach  Gallien  führte.  Im  Zusammenhang 
damit  geschah  es  ferner,  dafs  aus  dem  Militärbezirk  der  beiden 
Germanien,  welche  bisher  der  Provinz  Belgica  zugeteilt  und  mit 
ihrer  bürgerlichen  Verwaltung  von  dieser  abhängig  gewesen 
waren,  nunmehr  zwei  besondere  Provinzen  gemacht  wurden.    Auch 


1)  Dahin  gehört  auch  das  Plin.  ep.  2,  7  erwähnte,  daTs  Vestricius 
Sparinna  Bructerum  regem  vi  et  armis  induxit  in  regnwm  ostentatoque  hello 
ferocissimam  gentem  terrore  percUnnuit.  Aus  Tac.  Germ.  33  geht  hervor, 
daiii  die  Politik  der  Römer  dabei  darin  bestand,  die  Germanen  sich 
unter  einander  bek&mpfen  zu  lassen.  Vgl.  darüber  Mommsen  in  Hermes 
3,  39  f.  Asbach,  Bonner  Jahrb.  69,  1  ff.  Westdeutsche  Zeitschr.  3  (1884),  18. 
Die  Sache  spielte  unter  Nerva  und  Tn^an. 

2)  Orelli-Henzen  n.  5439:  Inschrift  gewidmet  einem  donis  donato  ah 
imp.  Nerva  (Jaesare  Aug.  Oerm.  hello  Suehic(p);  vgl.  über  diesen  bei  den 
Schriftstellern  nicht  erwähnten  Suebenkrieg  Henzen  ann.  1862  p.  146  f. 
Mommsen  im  Hermes  3,  116  f.,  der  nachweist,  dafs  derselbe  von  Pannonien 
aus  an  der  Donau  gefuhrt  wurde. 

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_     424     - 

ist  es  mit  jenem  Strafsenbau  verbunden  zu  denken,  dafs  jetzt 
die  Grenze  von  Rätien  nördlich  von  der  Donau  ihre  definitifc 
Gestalt  erhielt,  der  rätische  Limes  an  den  germanischen  sicli 
anschlofs  und  letzterer  im  Anschlufs  an  daS;  was  Domitian  hier 
hinterlassen,  neue  Anlagen  erhielt.^)  Hinter  dem  Limes  erfolgten 
im  Anschlufs  an  die  inneren  Verkehrslinien  fortifikatorische  and 
munizipale  Anlagen  im  Neckar -Schwarzwald-  und  Maingebiet, 
und  in  Niedergermanien  wurde  der  grofse  WaflFenplatz  der  frtlheren 
Castra  Vetera  beim  heutigen  Xanten,  der  im  J.  69  so  heftig  um- 
stritten und  der  Zerstörung  anheimgefallen  war,  wieder  auf- 
gerichtet zur  Aufnahme  der  von  Trajan  neu  errichteten  30.  Legion, 
woran  sich  die  Einrichtung  einer  dvüas  Traianensis  schlofs.*) 
Die  Hauptsache  blieb  aber  hier,  dafs  jenseits  der  Grenze  keine 
drohende  grofse  Macht  war,  sondern  die  Germanen  in  friedlichem 
Verkehr  mit  den  Römern  standen  oder  wenigstens  keine  Ver- 
bindung, die  zu  einem  Angriff  föhig  gewesen  wäre,  unter  ein- 
ander hatten.')  Die  Römer  ihrerseits,  oder  vielmehr  Trajan 
dachte  an  dieser  Grenze,  der  er  eben  jetzt  die  Form  einer  de- 
finitiven gegeben,  nicht  mehr  an  weitere  Eroberungen. 
Bio  Dakerkriege         Dagcgcu  lagcu  fur  eiuc  kriegcrischc  Politik  an  der  unteren 

und  dio  Provinz  ^7  m»  iii^taa 

Dakieu.  Douau  Voraussctzungcn  vor.  Irajan  war  wohl  noch  im  J.  vv 
nach  Rom  zurückgekehrt,  aber  nachdem  er  dort  seine  Regierung 
aufgerichtet,  beeilte  er  sich  die  Entschlüsse  auszuführen,  die  ihm 
sein  Aufenthalt  in  Pannonien  und  Mösien  eingegeben.  Ein  be- 
stimmter Anlafs,  hier  Krieg  anzufangen,  lag  nicht  vor;  es  waren 

1)  Vgl.  über  diese  Verhältnisse  u.  A.  Mommsen  in  Ber.  der  s&chs. 
Gesellsch.  1862  S.  280  ff.  und  Hermes  3,  117.  Marquardt,  Staatsverw.  1' 
S.  271  ff.  0.  Hirschfeld  in  comment.  Mommsen.  p.  433  ff.  Hübner  in  Bonner 
Jahrb.  63  (1878)  S.  17  ff.  Meine  'Vermessung  des  römischen  Grenawalls'  in 
Württ.  Jahrb.  1880  S.  116—118.  Asbach  in  Westd.  Zeitschr.  a.  a.  0.  - 
Über  den  groisen  Strafsenzug  Vict.  Caes.  13:  tnterea  iter  condikm  ptr 
feras  gentes,  quo  facile  ab  usgue  Pontico  mari  in  Galliam  permeaiwr\  feroer 
die  Inschrift  von  Orsova  vom  J.  100,  welche  Bezog  auf  den  StraDsenban 
hat,  c.  inscr.  lat.  3,  1699  =>  Wilmanns  n.  801.  Benndorf  bei  Hirschfeld, 
epigr.  Nachlese  z.  c.  i.  1.  S.  57—60. 

2)  Die  einzelnen  Niederlassungen  der  Lage  und  Zeit  nach  zu  be- 
stimmen^ ist  Aufgabe  der  Lokalforschung.  —  Ober  das  Lager  der  le^ 
XXX  Ulpia  Victrix  bei  Xanten  und  die  civitas  Traianensis  vgl.  die 
Laschriften  von  Xanten  Brambach  corp.  inscr.  Rhen.  196  ff. 

3)  Der  S.  423  A.  1  erwähnte  Vorfall  mit  den  Bructerem  zeigt,  da& 
im  Gegenteil  die  Römer  mit  Zwiespalt  unter  den  Germanen  selbst  rechnen 
konnten. 

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-     425     - 

lediglich  Erwägungen  allgemeiner  Art  und  die  eigene  Eriegslust^ 
welche  die  schneidige  Waffe,  die  er  in  seinen  Legionen  hatte, 
gebrauchen  wollte,  was  den  Ausbruch  des  Kriegs  veranlaTste. 
Von  jenen  Erwägungen  wird  genannt,  dafs  es  fQr  das  Reich 
lästig  und  unrühmlich  sei,  dem  Eonig  Decebalus  ein  Jahrgeld 
zu  zahlen,  woneben  demselben  allerdings  noch  bedenkliche 
Rüstungen  und  Bezeigung  feindlichen  Sinns  vorgeworfen  wurden.^) 
Dies  wird  Trajan  selbst  angegeben  haben.  Dafs  er  von  vom 
herein  an  Verlegung  der  Grenze  über  die  Donau  hinüber  gedacht 
habe,  läTst  sich  nach  seinem  Verfahren  nach  dem  ersten  Krieg 
nicht  sagen;  dafs  aber  jedenfalls  Vernichtung  der  Macht  des 
Dakerreichs  beabsichtigt  war,  liegt  auf  der  Hand;  denn  die  all- 
gemeinste Erwägung  war  die,  dafs  diese  von  Decebalus  ge- 
gründete Macht  in  der  Hand  eines  solchen  Mannes  eine  bleibende 
Gefahr  für  den  Grenznachbar  bilde.  Der  Erfolg  des  ersten  Feld- 
zugs im  Dakerland  101/2  war  die  vollste  Demütigung  des  Feinds, 
aber  nicht  seine  Vernichtung;  es  mag  sein,  dafs  Trajan  darin, 
dafs  er  den  Decebalus  bewältigte,  das  Volk  selbst  noch  nicht  so 
geschwächt  sah,  dafs  er  den  Kampf  jetzt  schon  zu  Eude  führen 
konnte.  Der  Friedensschlufs  wurde  unter  denjenigen  Bedingungen 
gemacht,  die  auch  unter  der  Republik  einem  geschlagenen  Gegner 
auferlegt  worden  waren,  so  lange  man  ihn  noch  fortexistieren 
lassen  wollte:  Entwaffnung  bezw.  Schleifung  der  Festungen,  Ver- 
lust an  Land,  ungleiches  Bündnis  mit  den  Romern,  waren  die 
Hauptpunkte,  wozu  dann  Trajan  noch  verlangte,  dafs  durch  Ge- 
sandte der  Friede  auch  noch  vom  Senat  erbeten  werden  sollte.^)  Aber 
sehr  viel  rascher  als  in  früheren  Fällen  erfolgte  auf  den  Frieden  von 
102  die  Erneuerung  des  Kriegs  im  J.  105,  und  zwar  diesmal  wirklich 
hervorgerufen  durch  die  bedrohliche  Haltung  des  Dakerkönigs,  zu- 
gleich aber  auch  mit  den  schon  in  den  Zurüstungen,  wie  dem  Brücken- 
bau über  die  Donau  ausgesprochenen  Entschlufs,  dem  feindlichen 
Reich  das  Ende  zu  bereiten  und  Dakien  zur  Provinz  zu  machen.^) 

1)  Dio  68,  6.  —  Vgl.  über  die  Dakerkriege  Fröhner,  la  colonne  Trojane 
(ob.  S.  341  A.  3).  Dierauer  (ob.  S.  838  A.  4)  S.  63—112.  Schiller  1, 
550—554.  Dabo,  Urgesch.  der  germ.  und  röm.  Völker  2,  164  ff.  Mommsen, 
r.  G.  5,  202—208. 

2)  Dio  68,  9:  td  X8  i(fvii€cta  nad'Blsiv  %al  tTJg  ^o^a;  tijs  ialwuviag 
a%06t7J9ai,  %al  nQogixi,  tovg  xb  avxovg  ix^'QOvg  aal  tp^ovg  xoig  ^PmiiaCotg 
ixti9  u.  8.  w. 

8)  Ammian.  24,  3,  9:  Traianus  fertur  aliquotiens  iurando  dicta  con- 
suaae  firmare:  sie  in  provinciarum  speciem  redactam  videam  Daciam,^  . 

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—     426     — 

Schon  im  J.  107  war  der  Krieg  zu  Ende  ^),  nicht  hlofs  der  Konig 
selbst  verschwunden;  sondern  die  dakische  Macht  überhaupt  zer- 
stört und  die  Möglichkeit  der  Einrichtung  einer  Provinz  gegeben. 
Die  Begrenzung  derselben  ergab  sich  durch  die  geographische 
Beschaffenheit  des  Landes  und  die  Bevolkerungsverhältnisse:  im 
Süden  bildete  die  Donau  die  Grenze,  im  Westen  und  Norden  war 
sie  durch  die  Abfalle  des  siebenbürgischen  Berglands,  im  Westen 
auch  durch  die  Abgrenzung  gegen  die  Jazygen  der  Theifsebene 
gegeben,  im  Osten  durch  den  Pruth.*)  Befestigte  Grenzlinien, 
welche  zum  schwarzen  Meer  liefen,  vielleicht  auch  eine,  welche 
die  Nordgrenze  Daciens  nach  Westen  mit  der  Donau  verband 
und  das  Jazjgenland  einschlols,  sicherten  die  Ost-  und  Westseite 
des  durch  jene  Grenzen  gegebenen  Vierecks;  jedenfalls  wurde  daf&r 
gesorgt,  dafs  das  nicht  einverleibte  Jazjgenland  zwischen  Donau 
und  Theifs  keine  Gefahr  bilden  sollte.  Es  war  auch  unterdessen 
die  pannonische  Grenze  bis  zur  Donau  vorgerückt  worden'),  so 
dafs  die  Jazygen  von  hier  aus  leichter  überwacht  werden  konnten. 
Ferner  war,  wie  früher  Mösien,  so  jetzt  zwischen  dem  ersten 
und  zweiten  dakischen  Krieg  Pannonien  in  zwei  Provinzen,  eine 
obere  und  untere  geteilt  worden*),  jene  konsularisch  an  der 
oberen  Donau,  Drau  und  Save,  diese  zunächst  prätorisch  weiter 
unten  an  der  Donau  und  am  Unterlauf  der  zwei  andern  Flüsse. 
Die  neue  dakische  Provinz^)  wurde  zunächst  prätorisch  und  mit 
einer  Legion   belegt.     Mit   bürgerlicher   Bevölkerung  mufste  es 


1)  Über  die  Zeit  der  Beendigung  Mommsen  zu  der  athen.  Inschrift 
HadriauB  o.  i.  1.  3,  n.  550. 

2)  Ptolem.  8,  8:  'H  Ja%(a  negioifitstai.  dno  (lIv  aQHXoav  iUqh  xifg 
2aQiiaxlag  rijs  ^v  EvQtonjj  xm  dno  xov  KaQitdxov  OQOvg  fiixQi'  Jtigaxog  xijg 
BliffifiivTjg  iniaxQoqtiig  xov  Tvga  noxafiov  (Dnieater),  dno  dl  dvetag  xo£s 
7ajvjt  xoig  Mezavdaxaig  %axd  xov  Tipianov  noxa^ov  (TheifB),  dno  dl  l^^^fift- 
ßgiccg  (Ltgei  xov  Javovpiov  noxafiov  xm  dno  v^g  i%xQonrig  xov  Ttpiaxov 
noxaiiov  ft^^^t  'A^iovnoXstag.  Dafs  eine  bestimmt  vermessene  Grenze  da 
war^  zeigt  die  wenn  auch  summarisch  gegebene  Zahl  bei  Eutarop.  8,  2: 
Dada  provincia  decies  centena  mtlia  passuum  in  eircuitu  tenuü, 

8)  Mommsen  in  c.  inscr.  1.  3,  p.  415.  Dafs  diefe  jetzt  geschah,  ist 
Kombination. 

4)  Mommsen  a.  a.  0.,  wo  aus  inschriftlichen  Zeugnissen  dargethan 
wird,  dafs  die  Teilung  zwischen  102  und  107  stattfand. 

6)  Ober  die  Einrichtung  der  Provinz  zwischen  107  und  110  Mommsen 
c.  i.  1.  3,  p.  160.  Dac(Mi)  cap{ta)  erscheint  auf  den  Münzen  schon  105, 
(Cohen  2,  Traj.  n.  118  f.),  dagegen  Dada  Äugust{a)  provinda  (Cohen  n. 
126)  erst  112.  ^  j 

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-  .  427     — 

nach  der  Art,  wie  man  mit  der  einheimischen  aufgeräumt^  neu 
versehen  werden ,  und  «war  waren  es  neben  Dalmatern  und 
Pannoniem  vorzugsweise  Leute  aus  Asien,  die  Trajan  herbeizog.^) 
Die  frühere  Residenz  der  dakischen  Eonige,  Sarmizegetusa  wurde 
jetzt  romische  Kolonie.*)  Die  römische  Hauptmacht  aber  blieb 
südlich  von  der  Donau,  wo  während  der  nächsten  Jahrzehnte  in  den 
pannonischen  und  mosischen  Provinzen  zusammen  nicht  weniger 
als  neun  Legionen  lagen.')  Mit  dieser  Macht  war  hier  für  die 
damaligen  Verhältnisse  die  Sicherheit  der  Provinzen  verbürgt 

Da,  wie  bemerkt,  die  germanische  Grenze  ruhig  war  und  in  Syrien,  Arabien 
Britannien  damals  nichts  vorfiel,  was  über  lokale  Bedeutung 
hinausgegangen  wäre,  so  war  der  ganze  europäische  Teil  des 
Reichs  nach  den  dakischen  Kriegen  befriedet.  Nicht  minder  war 
es  damals  der  Osten.  Um  die  Zeit  des  zweiten  dakischen  Kriegs 
hatte  allerdings  der  Statthalter  von  Syrien  Sosius  Palma  das 
bisher  selbständig  gebliebene  nabatäische  Land  (ob.  S.  323  A.  6) 
ostlich  und  südostlich  von  Palästina,  d.  h.  den  Hauran  mit  der  Stadt 
Bostra  und  weiter  südUch  die  Umgegend  von  Petra,  unterthänig 
gemacht,  und  Trajan  gestaltete  daraus  die  prätorische  Provinz 
Aj-abia,  aber  dieser  Vorgang  war,  wenn  auch  vielleicht  nicht 
ohne  Kampf,  doch  für  das  übrige  Reich  unmerklich  erfolgt.  Die 
zahlreichen  Reste  der  Rdmerherrschaft,  die  in  den  bewohnbaren 
Teilen  dieser  Gegend  noch  vorhanden  sind,  zeigen,  dafs  weder 
die  Grenzbefestigung  noch  die  Kultur  hier  von  den  Römern 
vernachlässigt    wurde.*)      Kurz    vorher,    im    J.    100,    war    der 


1)  Eatrop.  8,  6:  Traianus  victa  Dada  ex  toto  orbe  Botnano  infinüas 
eo  copias  hominum  iranstulerai  ad  agros  et  urbes  colendas,  Dafs  dabei 
vorzugsweise  Leute  aus  den  asiatischen  Provinzen  herüberkamen,  darüber 
vgl.  Hensen  Bollett.  d.  inst.  1848  (nach  den  Kulten  und  Namen)  p.  129—135. 
Mommsen,  c.  i.  1.  3.  p.  169.  Uirschfeld,  epigr.  Nachlese  z.  corp.  inscr. 
L  IIL  S.  7. 

2)  Colonia  Ulpia  Traiana  Äugusta  Dacica  Sarmizegetusa j  deren  zahl- 
reiche Inschriften  c.  i.  1.  3,  nn.  1417  ff.  Die  Gründungsinschr.  n.  1443. 
Vgl.  auch  Hirschfeld  a.  a.  0.  S.  5  A.  2. 

3)  Legionenverzeichnis  corp.  L  1.  6,  8492  (»  Or.  3369.  Wilm.  1458) 
mit  der  Zuteilung  an  die  einzelnen  Provinzen  bei  Borghesi,  oeuv.  260  ff. 
Marq.,  r.  Verw.  2,  461. 

4)  Dio  68,  14  a  E.:  nara  %ov  avxov  xqovov  (mit  dem  zweiten  da- 
kischen Krieg)  %al  Udlfirocs  rrig  ZvQiag  aQxmv  xrjv  'Aqa^Uiv  triv  ngög  ty 
nitQcc  ixBiQmactxo  %ocl  ^PtoyLalmv  vTrrJxooy  inoiiqaato.  Ammian.  14,  8,  13. 
Über  die  Ära  der  Provinz  (von  22.  März  106  ab)  Marquardt,  r.  Verw.  1,  431 
A.  2  f.    Die  Grenzen  bei  Ptolem.  5,  17.    Lateinische  Inschriften  ^.1*^3. 


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t^bVgle 


—     428     — 

letzte  der  Dynasten  ans  dem  Hause  des  Herodes,  der  König 
Agrippa  IL,  der  seit  Claudias  im  nordöstlichen  Theil  von  Pala- 
stina belassen  worden  war  (ob.  S.  322),  gestorben^)  und  nach 
seinem  Tod  auch  dessen  Gebiet  als  Teil  Syriens  ProTinzialland 
geworden.  Damit  und  mit  dem  Verschwinden  der  nabalaischen 
Herrschaft  waren  alle  die  kleinen  früher  im  Reichsgebiet  ge- 
duldeten Dynastieen  beseitigt 
Der  Parther-  Die  Einverleibung  Arabiens  war  nach  dem  Verhältnis,  das 

ueuen  provinseu  die  früheren  Herrscher  zum  römischen  Reich  gehabt,  so  gut  wie 
'  eine  innere  Angelegenheit  gewesen.  Die  äufsere  Politik  hatte 
ihre  Aufgabe  in  dem  Verhältnis  zu  den  Parthern  und  in  den 
Vorkehrungen  gegen  die  den  Römern  wie  den  Parthern  gleich- 
mäfsig  gegenüberstehenden  Stamme  am  kaspischen  Meer.  Die 
Grenzhut  stand  den  syrischen  und  kappadokischen  Truppen  za. 
Gegenüber  den  Parthern  handelte  es  sich,  wie  damals  die  Lage 
war,  nicht  um  einen  von  deren  Seite  zu  befürchtenden  Angriff 
wohl  aber  um  die  von  jeher  zwischen  den  beiden  Reichen  um- 
strittene Frage  der  Besetzung  des  Throns  von  Armenien.*) 
Hinsichtlich  dieser  hatte  der  König  Chosroes  von  Parthien, 
Bruder  des  im  J.  112  gestorbenen  Pakorus  H  und  statt  eines 
Sohnes  des  letzteren  auf  den  Thron  gekommen,  willkürlich  ein- 
gegriffen, um  einen  seiner  Neffen  auf  den  Thron  von  Armenien 
zu  bringen.^)     Es  war  dies  gegen  das  Abkommen,  das  von  Nero 


nn.  86  £f.  Nach  Bostra  kam  die  legio  III.  Cyrenaica,  Vgl.  bei  Ptolemäos 
unter  den  Orten  Boöxqa  Isysciv.  Über  die  monumentalen  Reste  der  rö- 
mischen Periode,  unter  denen  neben  den  öffentlichen  Bauten  namentlich 
auch  die  steinernen  Wohnhäuser  zu  beachten  sind,  die  heute  noch  bewohnt 
werden,  Vogüö,  Syrie  centrale,  archüectwre  civile  et  rdigiewe,  Paris  1865 
bis  1877.  Über  die  römische  Kultur  des  Landes  überhaupt  Mommsen,  r. 
G.  5,  481  ff 

1)  Justus  Tiber,  bei  Phot.  bibl.  cod.  ^^\  er  starb  hn  xqltm  Tgaun^ov. 
Eckhel,  doctr.  num.  3  p.  496.    Vgl.  über  ihn  Pauly,  Realenc.  4,  70  f. 

2)  7gl.  über  den  Partherkrieg  Trajans  Dierauer  a  a.  0.  162—186  (mit 
Bemerkungen  v.  Gutschmids  S.  154  ff.)  Schiller  1,  656—561.  v.  Gutschmid 
in  Encyclopaedia  Britann.  vol.  XVIII  (Persia)  p.  603  f.  Mommsen,  r.  ö. 
6,  897—403.  —  Hinsichtlich  der  Quellen  kommt  neben  Dio,  Eubrop, 
Orosius  auch  der  eigentümliche  Bericht  des  Syrers  Malalas  chronogr.  11 
(p.  269  ff'.  Bonn.)  in  Betracht,  zu  dessen  Kritik  v.  Gutschmid  bei  Dierauer, 
wogegen  Mommsen  a.  a.  0.  S.  400  A.  1. 

3)  Volle  Einsicht  in  das  Sachverhältnis  hinsichtlich  Armeniens  fehlt 
Dio  68,  17  lafst  den  Chosroes,  (Vict.  Caes.  18  Cosdroes,  bei  Dio  Osroßa, 
Malalas  OsdroSs)  zu  seiner  Entschuldigung  sagen,  er  h&he^tov  'Ehjda^  is 

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-     429    — 

her  galt  (ob.  S.  317  A.  1),  aber  man  hatte  sonst  wohl  zunächst  ver- 
sacht, auf  diplomatischem  Wege  den  bestehenden  Vertrag  zur 
Geltang  zu  bringen,  um  so  mehr,  als  der  Partherkonig  selbst 
dazu  Gelegenheit  bot.^)  Dessen  zu  gedenken,  dafs  vor  Jahren 
Decebalus  mit  Pakoras  Verbindungen  angeknüpft*),  lag,  nach- 
dem man  seither  dem  im  Verhältnis  zu  den  Parthern  keine  Be- 
achtung geschenkt,  jetzt  unter  dem  neuen  König  ein  dringender 
Grund  nicht  vor.  So  wird  für  den  Entschlufs,  den  gegebenen 
Anlals  zu  einem  Konflikt  sofort  zu  einer  Kriegserklärung  zu 
benützen,  nur  die  Kriegslust  Trajans  und  seine  Politik  der  Reichs- 
mehrung, die  durch  den  dakischen  Erfolg  Nahrung  erhalten 
hatte,  bestimmend  gewesen  sein'),  und  die  Verhältnisse  des 
Partherreichs  kamen  dieser  Politik  allerdings  entgegen.  Chosroes 
Stellung  war  umstritten  durch  seine  Verwandten,  die  Vasallen- 
könige waren  nicht  zuverlässig,  und  so  fehlte  dem  nominellen 
König  die  volle  Auktorität  und  Macht.  Unter  diesen  günstigen 
Verhältnissen  rückte  der  Kaiser,  indem  er  selbst  wieder  die 
Führung  übernahm,  im  J.  114  in  Armenien  ein,  gelangte  ohne 
Widerstand  zu  finden  in  das  Herz  von  Armenien  und  sah  bald 
den  von  den  Parthem  eingesetzten  König  zu  seinen  Füfsen. 
Statt  nun  aber,  wie  dieser  gehofiPfc,  die  Unterwerfung  anzunehmen 
und  das  vor  ihm  niedergelegte  Diadem  nach  dem  Beispiel  Neros 
gegenüber  von  Tiridates  (ob.  S.  317)  wieder  zurückzugeben,  hob 
Trajan  das  armenische  Königreich  auf  und  verwandelte  es  in 
eine    römische   Provinz.*)     Dieser    armenische   Feldzug   endigte 


ov%  initiidsiov  ovts  toig  *Pm(iaioig  ovxs  xotg  Hd^oiq  ovta  ninavnivai.  Der 
so  Gunsten  des  Neffen  von  ChosroSs,  Parthamasiris ,  verdrängte  Ezedares 
war  wohl  mit  Znstimmnng  der  Römer,  wenigstens  ohne  deren  Widersprach 
auf  den  armenischen  Thron  gekommen;  welchen  Verwand  Chosroes  hatte, 
um  ihn  mg  ovh  inirr^d.  xotq  Pmii,  zu  bezeichnen,  wissen  wir  nicht.  Vertrags- 
widrig war  aber  das  Eingreifen  des  Partherkönigs  jedenfalls. 

1)  Dio  68,  17:  (OüQOtjg)  %atidHCB  xol  vqtslg  xov  q>ifoviiiiaxog  insfiiffsv 
C%8X€va>p  |»4  nolsiiri^vai,  n.  s.  w. 

2)  Plin.  ep.  ad  Trai.  74.  E.  die  Geschichte  von  dem  Gefangenen,  der 
von  Decebalus  dem  Pacoms  als  Geschenk  geschickt  worden  war. 

3)  So  urteilt  Dio  68,  17. 

4)  Dio  68,  18—20.  Damals  ordnete  er  auch  das  Verhältnis  zu  den 
angrenzenden  Gebieten.  Dio  c.  18:  insl  naaav  xr^v  'Aq^LivCoav  %(OQav  slXsy 
nal  noXXoifg  xAv  ßaeiXicav  xovg  fily  vwmsifovxag  iv  xoCg  (pä,oig  ^ys  xovg  di 
xivag  %ccl  oTtBt^ovvxccg  ciiucxl  ixeiQovxo.  Eutrop  8,  3:  Ärmeniam  quam 
oecupaverant  Parthi,  recepit  Parthamasire  occiso  qui  cum  tenebat  Älbanis 
regtm  dedit    Iherorum  regem  et  Sauromatarum  et  Bosporanorum  e^rahum 


-     430     - 

also  mit  yollem  Erfolg.  Mehr  Kampf  kostete  der  im  J.  115 
unternommene  Krieg  in  Mesopotamien.  Zwar  der  zunächst  ge- 
legene Fürst  Abgarus  VII  von  Osroeue,  dessen  Residenz  Edessa 
war,  huldigte  ihm,  aber  gegen  den  Herrn  von  Adiabene  hatte  er  um 
Nisibis  und  sonst  zu  kämpfen ;  indes  auch  hier,  wie  in  Armenien, 
hatte  er  nur  die  ortlichen  Kräfte,  nicht  die  parthische  Macht  sich 
gegenüber;  denn  das  parthische  Königtum  war  gerade  jetzt  durch 
den  inneren  Zwist  in  höchster  Noi  So  war  es  möglich,  im 
J.  116  in  das  parthische  Hauptland  einzudringen,  über  Babylon 
bis  zu  den  Mündungen  des  Tigris  vorzudringen,  die  Reichshaupir 
stadt  Ktesiphon  zu  erobern  und  diese  Erfolge  damit  zu  besiegeln, 
dafs  zwei  weitere  neue  Provinzen  Mesopotamien  und  Assyrien 
eingerichtet  wurden.^)  Allein  kaum  war  dieser  Erfolg  erreicht^ 
so  kam  der  Rückschlag.  Es  hatte  sich  unterdessen  durch  groljsere 
Einigung  in  der  Konigsfamilie  eine  parthische  Macht  neugebildet, 
und  auch  die  Eingeborenen  rafften  sich  zum  Widerstand  auf. 
Romische  Besatzungen  wurden  niedergemacht,  die  Generale 
Trajans  sahen  sich  in  die  heftigsten  Kämpfe  verwickelt,  einer 
davon   vnirde    geschlagen,   selbst  Edessa,   dessen  früherer  Herr 


et  Osdroenorutn  et  Colcharum  in  fidem  accepit,  Dafs  die  Art,  wie  man  den 
Partbamasiris  beseitigte,  aucb  den  Römern  nicbt  gefiel,  zeigt  Fronto 
p.  209  Nab.:  Traiano  caedes  Parihamasiri  regis  stippUcis  hattd  satis  ex- 
cusata.  Ober  die  Provinz  vit.  Hadr.  c.  21,  11:  Armeniis  regem  habere  per- 
misit  {Uadrianus),  cum  sub  Traiano  legatum  habuisseni.  Entr.  8,  8  (s.  unt.). 
Dieselbe  biefs  Armenia  maiar,  wie  aus  der  Inschrift  eines  Prokurators  der- 
selben (Henzen  n.  6947)  hervorgeht.  Die  Einrichtung  ist  nach  114  zu  setzen. 
1)  Dio  68,  21—29.  Kurz  znsammengefalst  Eutrop:  Corduenos  Marco- 
medos  occupavü  et  Anthemusiam^  magnam  Persidis  regionem,  Seleuciam, 
Ctesiphontem^  Babylonem,  Messenios  vicit  ac  tenuit;  tisque  ad  Indiae  fines 
et  mare  rubrum  accessit  atque  ibi  tres  proüincias  fecit,  Armeniam,  Assyriam, 
Mesopotamiam  cum  his  gentibus,  guae  Madenam  cUtingunt,  Auf  das  Vor- 
dringen bis  zum  persischen  Meerbnsen  nimmt  auch  Tacit.  ann.  2,  61  Be- 
zug, wenn  er  vom  römischen  Reich  sagt,  dals  es  nunc  rubrum  ad  mare 
patescit.  Wenn  dies  genauer  zu  nehmen  ist,  so  hätte  die  Provinz  Meso- 
potamien bis  zum  Meer  gereicht  Der  zeitliche  Hergang  ist  bei  dem 
trümmerhaften  Zustand  des  Berichts  von  Dio  mit  Berücksichtigung  der 
geographischen  Verhältnisse  und  des  Malalas  (Erdbeben  von  Antiochia) 
kritisch  zu  ordnen,  worüber  vgl.  die  ob.  S.  428  A.  2  angeführte  Litteratar. 
Die  Münzen  mit  Armenia  et  Mesopotamia  in  potestatem  p.  r,  redactae,  Parthia 
capta,  rex  Parthis  datus  und  rex  Parthus  bei  Eckhel  6,  488—440.  Cohen 
2  Traj.  39.  184.  828.  829  (116/117).  —  Unter  den  Provinzen  wird  Assyrien 
(jenseits  des  Tigris)  weiter  nicht  genannt;  es  kam  vielleicht  nicht  einmal 
dazu  den  Apparat  der  römischen  Verwaltung  einzuführen.  ^^  , 

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-     431     - 

Abgarus  inzwischen  gestorben  war,  mufste  wie  Nisibis  wieder 
erobert  werden,  und  der  Kaiser  selbst  hatte  eine  umstrittene 
Rückkehr.  Indessen  jene  Städte  wurden  immerhin  wieder  ge- 
wonnen und  der  Kaiser  konnte  in  Ktesiphon  sogar,  nachdem  in 
der  parthischen  Königsfamilie  abermals  Zwist  ausgebrochen  war, 
in  dem  Sohn  des  Chosroes,  Parthamaspates,  einen  Partherkönig 
seiner  eigenen  Mache  als  Vasallen  einsetzen.  Allein  dieser  Er- 
folg war  ungenügend.  Die  mitten  in  dem  mesopotamischen 
Steppengebiet  gelegene  Feste  Hatra  setzte  dem  Kaiser  einen 
Widerstand  entgegen,  den  dieser  unter  den  ungünstigsten  klima- 
tischen Verhältnissen  nicht  bewältigen  konnte,  Trajan  selbst  er- 
krankte, der  römische  Vasallenkönig  wurde  von  Chosroes  ver- 
trieben und  so  waren  die  neuen  Provinzen  zwar  nicht  verloren, 
aber  ein  sehr  gefährdeter  Besitz.  Zu  all  dem  hin  brach  ein  all- 
gemeiner Aufstand  unter  der  jüdischen  Diaspora  in  den  östlichen 
Provinzen  und  in  Judäa  selbst  aus,  so  dafs  der  orientalische 
Feldzug  neben  seinem  eigentlichen  Ziel  sich  noch  über  ver- 
schiedene Provinzen  des  Reichs  erstreckte.^)  Angesichts  dieser 
Schwierigkeiten  war  es,  dafs  Trajan,  nachdem  er  sich  zur  Rück- 
kehr entschlossen  und  den  Hadrian  zum  Oberkommandanten  in 
Syrien  gemacht,  in  Selinunt  starb  und  Hadrian  sein  Nachfolger 
wurde.*) 

2.  Im  Augenblick  des  Todes  Trajans  hatten  seine  Generale  unter  Hadrian. 
in  den  neuen  Provinzen  so  viel  erreicht,  dafs  von  beängstigen- 
der Lage  nicht  die  Rede  war  und  der  neue  Besitz  hätte  ge- 
halten werden  können;  man  konnte  immerhin  darauf  rechnen, 
daCs  die  parthische  Macht  durch  den  erlittenen  Stofs  und 
die  inneren  Wirren  stark  geschwächt  sei.  Allein  von  einem 
ruhigen  Besitz  konnte  nicht  die  Rede  sein,  —  das  hatte  schon 
die  Vertreibung  des  aufgedrungenen  Partherkönigs  gezeigt,  — 
und  keinenfalls  wäre  es  ohne  starke  militärische  Besetzung  der 
gemachten  Eroberungen  abgegangen.  Auch  war  unter  den 
Voraussetzungen  einer  gedeihlichen  Entwicklung  dieser  Provinzen 
ein   Moment,   die   Anknüpfung  an  die   griechische   Kolonisation 


1)  Dio  68,  80--82. 

2)  Dio  68,  82.  ^&  (z.  J.  117):  Tgaucvbg  91  TtaQSCMvdtsto  (ilv  av^tg 
ig  triv  Meconotafiiccv  otQatsvaixi,  mg  dh  x&  voarjfMcti  inii^Bto,  avxog  (ilv 
ig  xij^p  'ixtxlCav  £Q(Lriae  nUtv,  UovnXtov  d\  ACXiov  ^ASf^iavov  iv  x^  Ikjf^Ca 
naxiXmB  iiexa  xov  cxgaxov  —  xal  ig  ZsUvovvxa  xrjg  KiXmüxg  ild'mv  — 
iiai€pvrig  dniiffv^sv. 

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—    432     - 

dieser  Gegenden^  durch  die  schwere  Beschädigung  des  griechischen 
Seleucia*)  ziemlich  hinfallig  geworden,  während  andrerseits  der 
Widerstand  der  einheimischen  Araber  bei  Hatra  alle  Gefahren, 
welche  die  lokalen  Verhältnisse  bargen,  klarstellten.  So  begreift 
sich  der  Entschlufs  Hadrians,  jene  Provinzen  aufzugeben*),  sach- 
lich unschwer;  dafs  er  ihn  aber  fafste  und  im  Interesse  des 
Reichs  sowie  den  Generalen  gegenüber  durchführte,  hing  in 
doppelter  Weise  an  seiner  Persönlichkeit.  Er  war  kein  Eroberer, 
aber  er  hatte  Geschick  und  Energie  bei  Transaktionen,  und  dies 
war  in  diesem  Fall  nützlicher.  Erleichtert  wurde  ihm  sein  Ver- 
fahren dadurch,  dafs  der  Judenaufstand  noch  alle  Kraft  in  An- 
spruch nahm;  dafs  er  jedoch  in  seiner  Stellung  als  Kaiser  immer- 
hin den  Rivalen  dadurch  eine  Handhabe  gegen  sich  bot,  ist  schon 
oben  (S.  357  f.)  erwähnt.  In  der  Sache  selbst  aber  wufste  Hadrian 
hier  wie  auch  sonst  nicht  blofs  dem  Rückzug  eine  annehmbare 
Form  zu  geben,  sondern  auch  ein  dauerndes  Verhältnis  herzu- 
stellen. Der  zurückgekehrte  Chosroes  wurde  anerkannt  und 
weiterhin  sogar  durch  Liberalität  gewonnen,  in  der  Grenzland- 
schaft Osrhoene,  wo  nach  Abgarus  VII  Tode  der  parthische 
Gegenkonig  untergebracht  worden  war,  wurde  später  wieder  die 
Abgarusdynastie  eingesetzt  und  in  Armenien  endlich  das  alte 
Verhältnis  einer  romischen  Lehensdynastie  hergestellt.')  Von 
den  Resultaten  Trajans  blieb  für  den  romischen  Horizont  nur 
der  Bruch  mit  dem  Verzicht  auf  Erwerbungen  jenseits  des  Enphrat 
als  einem  prinzipiellen;  denn  Mesopotamien  wurde  unter  späteren 
Kaisern  wieder  annektiert  Hadrian  aber  konnte  seinem  Friedens- 
system im  Orient  treu  bleiben:  als  einige  Jahre  nach  seinem 
Regierungsantritt,  zur  Zeit  seiner  ersten  grofsen  Reise,  es  an  der 
Parthergrenze   unruhig  aussah,   legte  er  die  Gefahr  durch  eine 


1)  Dio  68,  80:  iaXm  dh  %al  rj  SslevTista  ~  xal  hav^, 

2)  Vit.  Hadr.  5,  1 :  Adeptua  imperium  —  tenendae  per  arbem  terratum 
paci  operam  intendü;  —  c.  8:  quare  omnia  Irans  EufrcUen  ac  Tigrim  reU- 
quü  exemplo  tU  dicebat  Catanis^  qui  Macedonas  liberos  pronutUiavU,  qtUa 
tuert  non  poterant.    9,  1.    Dio  68,  33. 

3)  Vit.  Hadr.  21,  10:  PartJios  in  amicitia  semper  habuU,  guod  inde 
regem  retraxii,  quem  Traian%A8  imposuerat;  Ärmeniis  regem  habere  permtsU^ 
cum  8ub  Traiano  legatum  Tiabuissent;  Mesopotamenos  nan  exegit  tribuibum, 
quod  Traianus  imposuü.  5,  4:  Sarmatosirim^  quem  TrcUanus  Parthis  regem 
fecerat,  (gemeint  kann  also  nur  sein  der  bei  Dio  68,  80  Parthamaspatea 
genannte),  quod  cum  non  magni  ponderis  apud  Partkos  videre^^  proximis 
gentibus  dedit  regem.    Vgl.  v.  Gutschmid  S.  604  A.  3.  6.  ^  , 

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-     433     — 

Zusammenkunft  bei'),  und  ein  Jahrzehnt  später  hielt  er  einen 
Fürstentag  an  der  Parthergrenze  mit  all  den  Dynasten  der  Grenz- 
provinzen zur  Aufrechthaltung  des  guten  Einvernehmens.*)  — 
Ebenso  gelang  es  ihm  die  Ruhe  an  der  Donau  herzustellen.  In 
dem  mösischen  Feldzug,  den  er  sogleich  nach  Antritt  der  Regie- 
rung zu  führen  hatte  ^)y  nahm  er  den  von  den  Feinden  jenseits 
der  Grenze  gebotenen  Krieg  auf  und  führte  ihn  glücklich;  im 
übrigen  aber  zog  er  es  vor,  friedlichen  Verkehr  zu  pflegen  und 
konnte  nach  jenem  Kriege  sich  selbst  dazu  verstehen,  die  Be- 
ziehungen zu  den  Barbarenfürsten  durch  regelmäfsige  Geschenke 
friedlich  zu  erhalten  in  einer  Form  natürlich,  die  weniger  an- 
stofsig  war,  als  unter  Domitian.^) 

Sonst  war  in  den  ersten  Zeiten  der  Regierung  Hadrians 
auch  noch  in  Mauretanien  zu  kämpfen,  aber  dies  war  nur  da- 
durch bedenklich,  dafs  der  dorthin  gesandte  im  Parther-  und 
Judenkrieg  bewährte  Lusius  Quietus  sich  für  den  Kaiser  gefähr- 
lich erwies.  Nachdem  er  ersetzt  war,  wurde  durch  den  zuver- 
lässigen Marcius  Turbo  dort  die  Ruhe  wiederhergestellt.^) 

In  dem  weiteren  Verlauf  seiner  Regierung  arbeitete  Hadrian 
unausgesetzt  thätig  an  den  zwei  für  den  Bestand  des  Reichs 
wesentlichen  Grundlagen,  der  Erhaltung  eines  tüchtigen  und 
schlagfertigen  Heeres  und  der  Vervollständigung  des  Grenz- 
schutzes.    In  ersterer  Beziehung  stimmen  Schriftsteller  und  In- 


1)  Vit.  Hadr.  12,  7.  8:  Germania  regem  canstittUt,  motus  Maurorum 
campressit  et  a  senatu  supplicationes  emeruit.  Bellum  Parihorum  per  idem 
tempus  in  motu  tantum  fuit  idque  Hadriani  conloquio  repressum  est  Zeit- 
punkt, Ort  und  Personen  dieser  mündlichen  Verhandlungen  sind  nicht  ge- 
nauer zu  beBtimmen. 

2)  Vit.  Hadr.  13,  8:  per  Jsiam  iter  faciens  (i.  J.  130.  Dürr,  Reisen 
S.  61  f.)  toparchas  et  reges  ad  amicitiam  invitavit,  invitato  etiam  Osdroe  rege 
J^rihorum  remissaque  iüi  fiiia,  quam  Traianus  cepercU^  ac  pr amissa  sella 
quae  itidem  capta  fuerat;  cumque  ad  eum  quidam  reges  venissenty  ita  cum 
his  egit  ut  eos  paeniteret^  qui  venire  noluerunt.  Jener  Thronsessel  ist  übrigCDs 
noch  unter  Pius  nicht  zurückgegeben  vit.  Pii  9,  7. 

8)  Der  Feldzug  führte  zur  Aufstellung  eines  über  mehrere  Provinzen 
sich  erstreckenden  Oberkommandos,  das  dem  nachmaligen  Prätorianerpräfekten 
Marcius  Turbo,  also  einem  Mann  vom  Ritterstand, gegeben  wurde,  ob.  S.  360  A.  2. 

4)  Vit.  6,  8 :  cum  rege  Boxolanorum,  qui  de  inminutis  stipendiis  quere- 
baiwr,  cognüo  negotio  pacem  composuit.  21,  11:  Älbanos  et  Hiberos  ami- 
dssimos  hahuit,  quod  reges  eorum  largitionibus  prosecutw  est,  cum  ad  illum 
venire  contempsissent. 

6)  6,  8.    Vgl.  ob.  A.  1. 

Hersog,  d.  röm.  StaaUverf.  IL  1.  ogSzed  byGoOglC 


—     434    — 

Schriften  überein  in  der  Bezeugung  der  einsichtigen  und  bis  ins 
Detail  gehenden  Fürsorge  des  Kaisers^),  in  letzterer  hat  er  das 
schon  unter  seinen  Vorgängern  eingeführte  System  fortlaufender 
befestigter  Grenzlinien^  bestehend  in  Erdwällen  oder  Mauern,  die 
durch  Kastelle  geschützt  sind,  noch  weiter  ausgedehnt')  und  in 
Britannien  in  dem  Wall  zwischen  dem  Solway-Firth  und  der 
Mündung  des  Tyne  (bei  Newcastle)  ein  Denkmal  hinterlassen, 
in  dem  jenes  System  in  seiner  vollständigsten  Gestalt  damals 
dargestellt  wurde  und  heute  noch  sich  darvstellt.')  Die  Provinz 
Dacien,  über  deren  Beibehaltung  er  eine  Zeit  lang  schwankte, 
galt  ihm  als  ein  noch  nicht  gesicherter  Besitz,  da  er  den  Ober- 
bau der  trajanischen  Donaubrücke  abtragen  liefs,  nm  die  südlich 
des  Flusses  gelegenen  Provinzen  vor  Einfällen  zu  sichern^);  indes 
nachdem  er  sich  einmal  zur  Beibehaltung  entschlossen,  wandte 
er  ihr  auch  die  gebührende  Fürsorge  zu:  die  Provinz  wurde  in 
zwei  gesonderte  Verwaltungsbezirke  unter  einem  Legaten  ge- 
teilt^), und  neben  dem,  dafs  auch  hier  die  Grenze  ihre  Be- 
festigungen  erhielt,   begannen  schon  jetzt  die  Veteranennieder- 


1)  Ob.  S.  360  f.  Vit.  10.  Dio  69,  9;  von  Einzelheiten  ist  be- 
sonders sprechend  der  im  Lager  von  Lambäsis  gefundene  Tagesbefehl,  den 
er  bei  seiner  Anwesenheit  daselbst  im  J.  128  erliefs.  Renier,  inscr.  rom. 
de  TAIg.  n.  5.  Corp.  i.  1.  8,  2632.  Wilmanns  in  comment.  Mommsen. 
p.  207  ff. 

2)  Vit.  12,  6:  per  ea  tempora  (d.  h.  bei  seiner  ersten  grofsen  Reise) 
et  alias  frequenUr  in  plurimia  loeis,  in  qutbua  barbari  nan  fluminibtu  sed 
limitilms  dividuntur^  stipitibus  tnagnis  in  modum  muralis  saepis  fmuUtms 
iactis  atque  eonexia  barbaros  supera^it.  Die  Notiz  ist  ganz  allgemein  ge- 
halten und  gilt  demnach  für  verschiedene  Limites;  was  er  an  den  einzelnen 
that,  wäre  höchstens  durch  inschriftliche  Zeugnisse,  wenn  solche  sich  fänden, 
zu  erhärten.  Es  erhellt  femer,  dafs  er  nur  ein  von  den  früheren  Impera- 
toren her  eingeführtes  System  weiterfahrte.  Vgl.  Hübner,  der  röm.  Grenz- 
wall  in  Deutschland  in  Bonner  Jahrb.  Heft  68  S.  17  ff.  fi.  66  S.  13ff.  H.  80 
S.  23  ff.    V.  Gohausen,  der  röm.  Grenzwall  in  Deutschland.    Wiesbaden  1884. 

3)  Vit.  11,  2:  Britanniam  petit,  in  qua  muUa  eorrexit  mwrumqite  per 
odoginta  milia  passuum  primus  duxü,  qui  barbaros  Bamanosque  dMderti. 
John  CoUingwood  Bruce,  the  Boman  wall.  3.  Aufl.  London  1867.  Hfibner 
Corp.  i.  1.  7  p.  91  ff.    Deutsche  Rundschau  1878.     S.  821  ff. 

4)  Entrop.  8,  6:  revocavit  exereitus  (beim  Aufgeben  von  Mesopotamien) 
—  idem  de  Dada  faeere  canatum  amiei  deterrttertmt,  ne  mtUti  cives  Bomam 
barbaris  traderentur.  Dio  68,  13:  'jldQietvog  q>oßrfi8£gy  lari  %ccl  toHg  ßaoßa^oti 
tovg  q>(fovQOvg  avtrjg  ßiaio(Livoig  ^ad(a  duißaüig  ig  trjv  MvöütP  y,  mtp^iXt 
rr^v  intnoXrig  nccxacntvi^p, 

6)  Momrosen  in  c.  i.  1.  3  p.  160.  r^  i 

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-     435    — 

lassungen,  die  Arbeiten  f&r  den  Bergbau  und  was  sonst  zur 
Kultur  und  Ausbeutung  der  natürlichen  Hilfsmittel  zu  thun 
war.*)  Die  Folgezeit  hat  gezeigt,  dafs  dieser  Aufsenposten  des 
römischen  Reichs  genügte,  um  anderthalb  Jahrhunderte  die 
Grenzwacht  an  der  unteren  Donau  zu  üben  und  die  südlich  der- 
selben gelegenen  Provinzen  vor  Einfallen  zu  sichern. 

Die  Geschichte  der  Reisen  Hadrians  ist  zugleich  eine  Ge- 
schichte dessen,  was  er  für  die  Romanisierung  that;  von  der  Aus- 
breitung der  Latinitat  war  schon  die  Rede,  was  er  sonst  in  den 
einzelnen  Provinzen  hinterliefs,  bezeugen  die  Beinamen  der  Eolo- 
nieen  undMunicipien.^)  Hier  möge  nur  hervorgehoben  werden,  was 
in  dieser  Beziehung  den  Donauprovinzen  zu  gute  kam.  In  Pannonien 
war  der  an  Italien  angrenzende  Teil  nunmehr  vollständig  romani- 
siert,  so  dafs  Hadrian  das  Resultat  dieses  Prozesses  darin  ge- 
zogen zu  haben  scheint,  dafs  er  einen  nicht  unbeträchtlichen 
Teil  des  südlichen  Pannoniens  zu  Italien  schlug.^  Dagegen 
war  durch  die  allgemeine  Ausdehnung  des  Reichs  an  der  Donau 
bis  zum  Fluüsufer  und  darüber  hinaus  neuer  Boden  für  die  Kultur 
zu  bearbeiten  oder  das  bereits  angefangene  zu  befestigen.  Dies 
geschah  dadurch,  dafs  die  bei  den  Legionslagem  entstandenen 
bürgerlichen  Niederlassungen  an  der  Donau  entlang  Stadtrecht 
erhielten,  an  der  Draumündung  die  Kolonie  Mursa  angelegt  und 
an  der  Save  das  flavische  Siscia  neu  kolonisiert  wurde.  ^) 

So  friedlich  die  Tendenz  der  hadrianischen  Politik  war, 
so  blieben  ihm  doch  Kriege  in  den  Provinzen  auch  nach  Bei- 
legung   dessen,    was   er   bei    seinem    Antritt   angetroffen,   nicht 


1}  Vgl.  die  zahlreichen  inschriftlichen  Zeugnisse  im  C.  inscr.  lat.  III. 
Dacia.  Von  neueren  handelt  darüber  ausführlicher  Jung,  die  roman.  Land- 
schaften des  r.  Reichs  S.  87S— 406. 

2)  Vgl.  die  Zosammenstellungen  bei  Dürr  im  Verfolg  der  Reisen 
S.  34  ff. 

3)  Mommsen  in  c.  i.  1.  3  p,  482.  489.  496. 

4)  Ober  die  Lagerstädte  Camuntnm,  Aquincum  und  Viminacium 
Mommsen  im  Hermes  7,  323;  fiber  colonda  Aelia  Mursa  c.  i.  1.  3  p.  423, 
über  ocH.  Aelia  Siscia  p.  601.  Nach  Hadrian  nennen  sich  an  der  Donau 
entlang  und  in  ihrer  Nähe  Drobeta  (Tumu  Severinu)  in  Dacien,  Viminacium 
(Kostolatz)  in  Obermösien,  Aquincum  (Alt- Ofen),  Oamuntum  (Petronell)  in 
Oberpannonien,  Cetium  (bei  Mautem,  NiederOstr.)  in  Noricnm,  Augusta 
Vindelicorum  (Augsburg).  Vgl.  das  Register  zu  c.  i.  1.  Bd.  3.  —  Vielleicht 
ist  auch  Nikopolis  (Nikup)  in  Niedermösien  den  hadrianischen  Sitten 
wegen  der  Tribus  Sergia  zuzuschreiben.    Mommsen  in  ephem.  epigr.  3,  234.   / 

J^i^dbyGoOgk 


.^ 


—     436     — 

erspari  In  Britannien  kam  es  bei  seiner  ersten  Reise  zu  einem 
bedeutenderen  Grenzkrieg,  in  dem  er  selbst  das  Kommando  über- 
nahm; eben  damals  war  es,  dafs  der  Grenzwall  gebaut  wurde, 
der  auch  den  Vorteil  hatte,  die  unruhigen  Briganteu  innerhalb 
der  festen  Grenze  zähmen  zu  können.^)  —  Ein  viel  bedeutenderer 
Kampf  aber  war  der  gegen  das  jüdische  Volk  in  dem  Aufstand  des 
Bar-Kochba.  Die  Gründung  der  Kolonie  Aelia  Capitolina  an  der 
Stelle  des  zerstörten  Jerusalem  war  für  die  Juden  das  Wahr- 
zeichen dafür,  dafs  ihre  Heimat  nicht  mehr  ihnen  gehören  und 
die  Jehovahreligion  vernichtet  werden  sollte.  Der  mehrjährige 
Kriegt,  für  dessen  Führung  Hadrian  in  Julius  Severus  einen 
treflFIichen  Feldherm  hatte,  in  dem  er  aber  auch  persönlich  ein- 
griflf,  endigte  nach  schweren  Kämpfen  nicht  nur,  wie  vorauszu- 
sehen, mit  der  Besiegung  der  Juden,  sondern  auch  mit  unend- 
lichen Opfern  an  Menschen  und  den  tiefsten  Schäden  für  die 
Kultur  des  Landes.^)  Die  jüdische  Diaspora  war  durch  die  Ver- 
luste, die  sie  zu  Anfang  dieser  Regierung  zu  erleiden  gehabt, 
nicht  imstande  gewesen,  dem  Mutterlande  Hilfe  zu  bringen.  — 
Am  Ende  der  Regierung  Hadrians  wurde  die  nordöstliche  Grenze 
in  Asien,  ebenso  aber  auch  das  Partherreich  durch  einen  ver- 
heerenden Einfall  der  Iberer  in  Mitleidenschaft  gezogen;  doch 
war  die  Bedrohung  eine  vorübergehende,  und  Hadrian  zog  vor, 
keine  weiteren  Feindseligkeiten  daraus  hervorgehen  zu  lassen*), 
so  dafs  bei  seinem  Tode  im  ganzen  Umfang  des  Reichs  Friede 
herrschte. 

In  der  Verteilung  der  Provinzen  wurde  unter  dieser  Regie- 

1)  Vit.  5,  2:  Britanni  teneri  8ub  romana  ditione  non  poterant  (auf  die 
Zeit  nach  Obernahme  der  Regierung  bezogen).  Näheres  HObuer  corp.  incr. 
J.  7,  p.  99  f.  Schiller,  Gesch.  der  r.  K.  1,  607  A.  6  MommBcn,  r.  G.  6,  16»  f. 
Dafs  die  Kampfe  verlustreich  waren,  zeigt  Pronto  p.  217  Nab.:  Quid? 
avo  vestro  Hadriano  imperium  optinenU  quantum  miUtum  a  Judaeis^  quan- 
tum  a  Britannis  caesum. 

2)  Über  den  Aiilafs  Dio  69,  12  Anf.,  woran  sich  c.  12—14  die  Bo- 
schreibung des  Kriegs  reiht.  Hadrian  gewinnt  dadurch  den  Titel  in^.  II. 
Der  Kampf  dauert  in  der  Hauptsache  von  132—184.  Vgl.  über  ihn  Sdiiller, 
Gesch.  d.  r.  K.  1,  618—15,  woselbst  auch  die  kirchengeschichtliche  Litteratnr 
angegeben  ist,  und  Mommsen,  r.  G.  6,  644—46.  Über  Julius  Sevems,  der 
frflher  in  Britannien  kommandiert  hatte,  c.  i.  L  8,  n.  2830. 

8)  Dio  69,  14.  Aufzählung  der  Opfer:  986  Ortschaften  zerstört,  580000 
Menschen  getötet,  mgtf  nacav  oUyov  9fiv  t^v  'lovdaitxv  iQrjfuo^rjvai  u.  b.  w.; 
noXlol  (livtoi  iv  reo  noXiiuo  tovrcp  xcrl  tmv  *P(afiai(09  axmXavxo. 

4)  Dio  69,  15.  ^  . 

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-     437      - 

rung  Bitbynien  nun   für  immer  in  kaiserliche  Verwaltung  über- 
nommen und  dafür  dem  Senat  Pamphylien  überlassen.^) 

3.  Dafs  Hadrians  Nachfolger  in  noch  viel  höherem  Grade  nie  Friedeua- 
ein  Friedensfürst  war,  ist  schon  früher  gesagt.  Ein  einziger  Antonious 
Kampf,  wahrscheinlich  der  in  Britannien^  war  bedeutend  genug, 
um  ihm  die  Acclamation  als  imperator  zu  verschaffen  (ob. 
8.  380  A.  2);  alle  andern  in  den  Quellen  aufgezählten  sog.  Kriege 
waren  unbedeutende  Lokalkämpfe,  die  in  der  Lage  des  Reichs 
keinerlei  Veränderung  hervorbrachten.*)  Von  gröfserer  Bedeutung 
war  allerdings  jener  Krieg  in  Britannien,  der  unter  LoUius 
ürbicus  vom  J.  140  an  geführt  wurde;  denn  er  fährte  zu  einer 
zweiten  weiter  nördlich  angelegten  befestigten,  aber  nur  aus 
einem  Erd  wall  bestehenden  Linie  an  der  nächstgelegenen  schmälsten 
Stelle  zwischen  den  zwei  Meeren,  dem  Firth  of  Glyde  (Clota) 
und  Firth  of  Forth  (Bodotria),  so  dafs  ein  Gebiet,  das  bisher 
nur  durch  Aufsenposten  besetzt  war,  so  zu  sagen  innerhalb  der 
Festungsthore  zu  liegen  kam  und  damit  die  darin  wohnenden  ein- 
heimischen sicherer  in  der  Uand  blieben,  die  Kaledonier  aber 
leichter  abgewehrt  wurden.^)  —  Dafs  im  J.  155  Antoninus  ver- 
anlafst  wurde,  zur  Abwehr  drohender  parthischer  Friedensver- 
letzung nach  Syrien  zu  gehen,  wurde  ebenfalls  schon  erwähut 
(ob.  S.  380  A.  4).  Es  war  in  Volagäses  III  abermals  ein  Parther- 
könig vorhanden,  der  Armenien  von  den  Römern  wieder  los- 
reüjsen  wollte.  Es  gelaug,  durch  Unterhandlungen,  die  durch 
militärische  Drohungen  unterstützt  wurden*),  den  Frieden  noch 
zu  erhalten,  allein  dafs  die  Diplomatie,  welche  bisher  die  Grenz- 


1)  Dio  69,  13:  T^  (SovX^  xal  rcS  %XriQ(p  rj  TlaiKpvXia  dvtl  r^g  Btdvvüts 
iSo^jj.  Es  war  also  nach  der  Übernahme  durch  Trajan  Bitbynien  wieder 
senatoriijcb  geworden. 

2)  Vit.  Pii  5, 4:  per  legcUos  stws  plurima  bella  gessit;  nam  et  Britannos 
per  Lollium  Urbicum  vicU  legatum  alio  muro  cespiticio  summotis  barbaris 
ducto  et  Mauros  ad  pacetn  postulatidam  coegit  et  Gcrmanos  et  Dacos  et 
muUas  gentes  atque  Judaeos  rebellarUes  eontudit  per  praesides  ac  legatos,  in 
Achaia  etiam  atque  Äegypto  rebelHones  repressit;  AWanos  moUentis  scicpe 
refrenamt  Yermotungen  über  diese  Kämpfe,  für  welche  kaum  das  Wort 
beVa  pafste,  bei  Bossart  und  Müller  in  Badingers  Untersuch.  2,  304—320. 

3)  S.  Yorherg.  A.  und  Hübner  in  corp.  i.  1.  7  p.  191  f.  Mommsen, 
r.  G.  6,  170  f. 

4)  Wenn  der  imp.  Antoninus  Äug.  Pius,  welcher  den  L.  Keratins 
Proculns  ad  deducendas  vexülationes  in  Syriam  mittit  ob  bellum  Parthicum 
(Gr.*  3393),  dieser  Antoninus  ist  und  nicht  M.  Aurel. 

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—    438     - 

nachbarn  in  ßuhe  gehalten  hatte,  auf  die  Dauer  nicht  ausreichte, 
hatte  Antoninus  selbst  noch  zu  erfahren,  indem  das  Verhalten 
der  „Könige",  um  deren  Befriedigung  er  sich  so  sehr  bemuht 
hatte,  ihn  noch  in  seinen  letzten  Tagen  beunruhigte.^) 
Die  Kriege  unter  4.  Unter  sciucm  Nachfolger  wurde  denn  auch  die  Kriegs- 
"**'  politik  den  Römern  wieder  aufgedrungen.  Sei  es  von  einer  un- 
richtigen Auffassung  des  Charakters  von  M.  Aurel  und  von 
richtiger  Kenntnis  der  römischen  Heereszustande  in  Kappadokien 
und  Syrien  aus  oder  von  eigener  Kriegslust  und  Herrschsucht 
getrieben  drang  Volagäses  nach  dem  Tode  des  Pius  sofort  in 
Armenien  ein,  setzte  auf  den  Thron  des  Landes  seinen  Kandi- 
daten Pacoros,  schlug  den  ihm  entgegentretenden  Statthalter  von 
Kappadokien  gänzlich,  überschritt  nach  diesem  Erfolg  auch  die 
syrische  Grenze  und  erfocht  auch  hier  einen  bedeutsamen  Sieg. 
Mit  schwerer  Erfahrung  ersah  man  jetzt,  dafs  man  sich  auf  die 
in  dem  langen  Frieden  gänzlich  demoralisierten  orientalischen 
Truppen  durchaus  nicht  verlassen  konnte  und  auch,  dafs  man 
einen  ernstlichen  Krieg  führen  müsse. 
Der  Parther-  So  cntschlofs  sich  M.  Aurcl,   das  Oberkommando  dem  Mit- 

kxieff. 

augustus  L.  Verus,  der  europäische  Truppen  mit  ins  Feld  führte, 
zu  überlassen,  und  gegen  Ende  des  J.  162  traf  Verus  in  Syrien 
ein.  Dieser  selbst  war  zwar  untüchtig,  hatte  aber  treflFliche 
Feldherm,  welche  162 — 165  die  erlittenen  Niederlagen  rächten 
und  überall  Erfolge  erzielten.  Wie  unter  Trajan  war  es  wieder 
ein  doppelter  Feldzug-,  der  eine  in  Armenien  von  Kappadokien 
aus  unter  dem  Statthalter  M.  Statius  Priscus  und  dessen  Nach- 
folger P.  Martius  Verus,  der  andere  von  Syrien  aus  unter  Avidius 
Cassius,  dem  nachmaligen  Prätendenten,  in  Mesopotamien.  Das 
Resultat  des  ersteren  war  die  Vertreibung  des  Pacorus,  der  durch 
einen  andern  Spröfsling  des  parthischen  Königshauses  und  zu- 
gleich römischen  Senator,  Soämus,  ersetzt  wurde,  und  Martius 
Verus  drang  von  Armenien  aus  sogar  nach  Medien  vor,  in  Meso- 
potamien wurde  bis  Seleucia  und  Ktesiphon  vorgedrungen,  beide 
Städte  erobert,  dabei  jedoch  auch  das  griechische  Seleucia,  das 
schon  unter  Trajan  hart  mitgenommen  worden  aber  wieder  auf- 
geblüht war,  niedergebrannt.    Der  Friede  brachte  hier  wiederum 


1)  Vit.  Pii  9,  6  ff.  wird  gerühmt,  welche  Erfolge  er  bei  allen  mög- 
lichen reges  hatte,  und  dafs  tantum  sane  auctaritoHs  apud  exteras  genks 
nemo  Tiabuüy  cum  semper  amaverit  pacem,  allein  in  seiner  letzten  Krankheit 
nihil  aliud  quam  de  rep,  et  de  iis  regibus  quibus  irasceba^  loct^us  est.* 

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~     439     — 

eine  Reichs  Vermehrung  in  Mesopotamien ,  indem  die  an  Syrien 
anstoCsende  Herrschaft  Osrhoeue  von  den  Römern  mit  einem 
Fürsten  besetzt  und  zu  ihrem  Reich  geschlagen  und  ebenso  die 
Stadt  Karrhä  als  Freistadt  römisch  veurde.^)  Indessen  auch 
diesmal  erhielten  die  Römer  eine  Mahnung  über  die  Gefährlich- 
keit der  Kriege  im  Euphrat-  und  Tigrisland ,  Cassius  brach te, 
nachdem  er  grofse  Not  wegen  Mangels  an  Proviant  erlitten^  die 
Pest  in  seinem  Heere  mit,  die  dann  weiterhin  das  römische 
Reich  verheerte.^)  Immerbin  aber  wurde  das  Ergebnis  des 
ganzen  Kriegs  als  ein  grofser  und  ruhmreicher  Erfolg  gefühlt.^) 
Es  war  in  der  That  auch  nachhaltig.  Der  in  Syrien  verbleibende 
Avidius  Cassius  hatte  zwar  noch  zu  kämpfen^)  und  wurde  zu 
diesem  Zweck  mit  einem  Kommaudo  ausgestattet,  das  über  das 
eines  Statthalters^)  hinausging,  aber  die  Parther   blieben  ruhig, 


1)  Vit  Marci  8  f.  Dio  71,  If.,  wozu  Suid.  8.  v.  Md(ftiog»  Beiträge 
^eben  Lucian  nmg  det  tatog.  avyyQ.,  wo  die  Satire  auf  die  sich  auf  den 
Pariherkrieg  stürzende  Qeschichtschreibung  zu  Daten  über  denselben  Anlafs 
giebt,  und  die  Fragmente  von  Frontos  offizieller  Beschreibung  in  den principia 
Mstoriiie  p.  202  ff.;  aolserdem  die  Inschriften  und  Münzen.  Von  Neueren 
Tgl.  E.  Napp,  de  rebus  imp,  L.  Aurelio  Ant.  in  Oriente  gestis,  Bonn  1879, 
wo  auch  die  Persönlichkeiten  der  Heerführer  besprochen  sind.  Schiller 
Gesch.  d.  r.  K.  1,  639  ff.  Mommsen,  r.  G.  5,  406—409.  v.  Gutschmid,  Enc. 
Brit.  XVIII  p.  604.  —  Die  verschiedenen  Kriegsschauplätze  aufgezählt 
bei  Lucian  c.  80:  xa  nengayfiiv«  j  oaa  iv  'Agfisvicc,  oaa  iv  SvgUfy  Zca  iv 
Mtoovcoxaykia  ^  xa  inl  to»  TfyQtjti,  xoc  h  Mriöia.  Als  Resultat  rex  Armeniis 
datiu  auf  der  Münze  Cohen  3  Marc.  Aur.  n.  541;  über  Soämns  Dio  71,  1 
(wo  von  xorrayaycJV  die  Rede  ist,  so  dafs  es  scheinen  könnte,  er  sei  vorher 
schon  eingesetzt  gewesen),  Fronto  p.  127.  Photius  bibl.  p.  75  Bekk.  (inl 
ZoaifLOv  xov  'Axaiiisvidov  xov  UgoaiiCdov,  og  ßaciXsvg  tjv  iK  naxsQoav  ßaci- 
ZeW,  yiyovs  dl  oiimg  xal  xijg  övyuXrixov  ßovliig  xrig  iv  *P(o(ij]  %al  vjiaxog 
dh  eIxu  xal  paatlavg  naXiv  xi^g  fisyaXrig  'Agiievlag);  hinsichtlich  Mesopo- 
tamiens Rufus  brev,  14  einfach  reeepta  Mesapotatnia;  genaueres  aus  den 
Münzen  von  Karrhä  und  Edessa  mit  den  Bildern  und  Namen  der  röm. 
Kaiser  Eckhel  3,  506  f.  512  ff. 

2)  Dio  71,  2:  iv  r^  vnoaxQOcpy  nXsi'axovg  xmv  cxQaxi.a}xmv  vno  Xifiov 
xal  voaov  anspctXsv. 

3)  Lucian  a.  a.  0.  2:  dq>'  ov  o  «oXsfiog  6  ngbg  xovg  ßagßdgovg  xal 
x6  iv  'jQiievC^  xgavfia  xal  at  avvBX6i:g  vC%ai  ovdelg  oaxig  ov%  taxoglav 
avyyQcitpsi,  5:  ov  yuQ  n(fbg  rjfiäg  ye  xoX(it]osiev  &v  xig  {noXsiiov  avaxrioaa^ai) 
andvxtov  ridri  HiXBtoaniivmv. 

4)  So  bei  dem  Aufstand  der  räuberischen  Bewohner  der  BovKoXia 
in  Unterägypten  (bei  Damiette),  Dio  71,  4,  vit  Marc.  21,  2;  dann  vit.  6,  5: 
correcta  disciplina  et  in  Armenia  et  in  Ardbia  et  in  Aegypto  res  optime  gessit. 

'    5)  Vor  der  Erwähnung  des  Aufstands  in  Ägypten  heif^  es  Dio  71,  3: 

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—     440     - 

und  als  Avidius  Cassius  sicli  im  J.  175  gegen  den  Kaiser  erhob, 
suchten  die  Parther  dies  nicht  für  sich  auszunützen. 
Kieiiiero  Kriege.  Wohl  aber  gab  CS  auderwärts  schwerere  Kämpfe  zu  bestehen. 
Von  einem  Maureneinfall  in  Spanien  zwar  wird  kein  besonderes 
Aufheben  gemacht,  weil  solche  Überfölle  nur  den  Charakter  von 
ßäuberzOgen  hatten.^)  Vereinzelt  waren  auch  die  Kämpfe. in 
Britannien,  am  Nieder-  und  Oberrhein  gewesen,  die  in  den  An- 
fang der  Regierung  des  M.  Aurel  fallen.^)  Dagegen  brach  kurz 
Her  Marko-  uach  Bccudigung  des  Partherkriegs  an  der  europäischen  Nordost- 
grenze des  Reichs  ein  Sturm  los,  der  alle  Kraft  in  Anspruch 
nahm  und  in  der  ganzen  Weltlage  eine  neue  Epoche  bezeichnet *) 
Von  irgend  einem  Punkte  aus  war  auf  die  jenseits  der  oberen 
und  mittleren  Donau  wohnenden  Völker  ein  Druck  ausgeübt 
worden,  der  sie  nach  vorwärts  trieb,  und  zwar  machte  sich  die 
Bewegung  beinahe  von  den  Donauquellen  bis  gegen  Dacien  hin 
bemerklich.*)    Zuerst  waren  Schaaren  von  Barbaren  nach  Panuo- 


mancnkrieg. 


Tov  Kdeaiov  6  Magtiog  trjg  'AcCag  andarjg  iniTQonsvsiv  iitsXsvasv;  bei  dieser 
Stellang  mufste  dann  durch  ihn  geschehen,  was  an  Hilfe  in  Ägypten  ge- 
leistet wurde;  es  bedurfte  aber  doch  zum  Eingreifen  eines  besonderen  Be- 
fehls (c.  4:  triv  'AXs^dvdQsiav  stlov,  sl  firi  Kdoüiog  i%  Zvg^ag  nBiiq>^6lg  h' 
avtovg  u.  s.  w.).  Man  darf  also  schon  deshalb,  wenn  es  auch  bei  Philostr. 
vit.  Sophist.  13  noch  allgemeiner  heifst:  iort  tig  löyog^  mg  vscixBQa  fiiv  o 
t^v  smav  inixQOTcsvcov  Kdaciog  inl  rov  Mdguov  iitBßovlBvae,  Ägypten 
nicht  iu  dieses  Kommando  mit  einbegreifen. 

1)  Vit.  Marc.  21,  1:  cum  Mauri  Hispanias  prope  omnes  vastarerU,  res 
per  legatos  bene  gestae  sunt;  22,  11  wird  Lusitanien  als  beschädigt  hervor- 
gehoben, vit.  Severi  2,  3  Biltica.  Vgl.  über  diese  Einfälle  maurischer 
Piraten  Mommsen  r.  G.  5,  639.  Von  Severus  wird  a.  a.  0.  gesagt,  dafis  er, 
für  die  Senatsprovinz  Bätica  bestimmt,  wegen  der  Maureneinfälle  nach 
Sardinien  geschickt  worden  sei.  Zumpt  stnd.  rom.  p.  145  nimmt  einen 
damals  erfolgten  Tausch  von  Bätica  und  Sardinien  zwischen  Kaiser  und 
Senat  an,  wozu  vgl.  vit.  M.  22,  9:  provinctas  ex  proconsularibtts  consulares 
aut  ex  consularibus  proconstUares  aut  praetorias  pro  belli  necessiiate  fecii. 

2)  Vit.  Marci  8,  7 :  imminebab  etiam  Britannicum  bellum  et  Caiti  in  Ger- 
maniam  et  Eaetiam  inruperant.  Vit.  Did.  Jul.  1,  7:  (Julianns  als  Legat  von 
Belgica)  Chaucis,  Gennaniae  popülis,  qui  Älbim  fluvium  accolebant^  erum- 
pcntibus  restitit  tumultuariis  auxiliis  provincicUium ;  —  Cattos  etiam  debellacit^ 

3)  Die  Geschichte  des  Marko manenkriegs  ist  im  wesentlichen  zn 
kombinieren  aus  vit.  Marci  12.  14.  17.  22.  24  f.  27,  9  f.  Dio  71,  3.  6. 
7-23.  33—36.  Von  Neueren  vgl.  Schiller,  1,  642-662.  Dahn,  germ.  and 
rom.  Völker  2,  170  flF.     Mommsen,  r   G.  5,  209-216. 

4)  Vit.  Marci  22,  1:  Gentes  omnes  ah  lUyrid  limite  usque  in  Galliam 
conspiraverant,  tU  Marcomani  Varistae  Hcrmunduri  ei  Qmdi  Suem  Sarmatae 

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-     441     - 

nien  hereingekommen,  um  daselbst  Wohnsitze  sich  zu  erbitten, 
waren  aber  wieder  ober  den  Flufs  zurück  gewiesen  worden*); 
dann  erfolgte  an  der  Westgrenze  dieser  germanischen  Zusammen- 
hänge von  der  oberen  Donau  aus  ein  Einfall  durch  Noricum 
und  Rätien,  der  bei  der  dort  schwachen  Grenzverteidigung  keine 
entsprechende  Gegenwehr  fand,  bis  nach  Italien  herein  sich  er- 
streckte und  erst  vor  Aquileja  zum  Stehen  kam.*)  Damals  war 
es,  dafs  die  beiden  Kaiser  zusammen  auszogen,  um  vor  allem 
die  italische  Grenzwehr  mit  den  ihr  vorliegenden  Provinzen  in 
besseren  Stand  zu  setzen.  Die  Mauern  der  Grenzstädte  wurden 
befestigt,  zwei  neue  Legionen  errichtet,  die  eine  nach  Noricum, 
die  andere  nach  Rätien  gelegt  und  damit  beide  Provinzen  von 
prokuratorischen  zu  proprätorischen  gemacht,  indem  nun  natürlich 
ein  Legat  Statthalter  und  Legionskommandant  war.')  Dann 
wurde  das  Hauptquartier,  indem  jetzt  nach  des  Verus  Tode 
M.  Aurel  alleinige  aber  auch  freie  Leitung  hätte,  mit  wechseln- 
den Stationen  an  die  mittlere  Donau  verlegt,  wo  nunmehr  der 
Hauptsturm  abzuwehren  war.  Dort  waren  Quaden,  Markomanen, 
Sarmaten  und  Jazygen  die  mächtigsten  und  gefahrlichsten  Feinde, 
und  nur  mit  harten  Kämpfen  war  die  Donaugrenze  zu  wahren. 
Da  war  es  nun  jene  unermüdliche  Pflichttreue  des  Kaisers,  der, 
auf  dem  gefährdeten  Posten  ausharrend  und  Truppön  wie  Führer 
durch  sein  Beispiel  festigend,  der  Gefahr  Herr  wurde.  Wie 
immer  gegen  Barbaren,  half  die  Trennung  der  verbündeten  Feinde. 
Die  Quaden  wurden  von  den  Markomanen  weggezogen,  die 
Jazygen  konnten  von  den  Donaufestungen  einerseits,  von  Dacien 
andererseits  in   die  Mitte  genommen  und   kleinere  Stämme    der 

LacrifKjes  et  Burei  Vanddlique  cum  Victualis  Ost  Be8:>i  Cobotes  Hoxolani 
Basternae  Halani  Teudni  Costoboci.  Bezeichnend  ist,  dafa  auch  die  Hermun- 
duren an  der  rätischcn  Grenze,  deren  friedlichen  Verkehr  mit  den  Römern 
Tacitns  (ob.  S.  3 IG  A.  1)  rühmt,  in  dem  Bund  erscheinen. 

1)  Vita  Marci  14,  1 :  VictiMlis  et  Marcomanis  cuncta  iurhantibus,  oZii « 
äiam  gentibtis,  quae  pulsae  a  superioribus  barbaris  fugerant,  nisi  recipa-entur, 
bellum  infcrtntibus.  Über  das  erste  Stadium  12,  13:  dum  Parthicum  bellum 
gerüur,  natum  est  Marcomanicum,  quod  diu  eorum  qui  aderant  arte  suspen 
sum  est,  ut  finito  tarn  orientali  bello  Marcomanicum  agi  posset. 

2)  Vit.  14,  2:  nee  parum  profuit  isla  profectio,  cum  Aquileiam  usque 
venissent  (barbari).  Am  miau.  29,  6,  1 :  obsessa  ab  isdeni  {QtMdis)  ac  Marco- 
manis Aquileia  Opitergiumque  excisum  —  vix  resistente  perruptis  Alpibus 
Jutiis  principe  serio  —  Marco. 

3)  Dio  66,  24:  'Avtcovivog  6  Md^nog  x6  x%  ^svtSQOv  (at^atoitB^ov)  tb 

iv  Noqi%(p  xal  %o  xf^Cxov  xo  iv  ^FaixCtf,  a  nal  'iraAtxa  xaxAijTcx»,  {cwixciihv),    j 

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-     442     — 

eine  gegen  den  andern  verwendet  werden.  Die  besten  Truppen 
und  besten  Generale  wurden  hier  zusammengezogen,  und  Dacien 
wie  Niederpannonien  zu  konsularischen  Provinzen  gemacht.')  Im 
J.  175  war  der  Kaiser  so  weit  gekommen,  dafs  nicht  blofs  die 
Gefahr  abgewehrt  war,  sondern  auch  an  ein  Festsetzen  in  Feindes- 
land gedacht  werden  konnte.  Wie  an  der  Euphratgrenze,  so 
war  von  ganz  anderem  Ausgangspunkt  M.  Aurel  veranlafst^  dem 
Beispiel  des  Trajan  zu  folgen  und  jenseits  der  durch  den  Fluljs 
gegebenen  natürlichen  Grenze  einen  neuen  Halt  für  die  absolute 
Festhaltung  dieser  selbst  zu  haben.  Er  dachte  bereits  daran, 
zwei  neue  jenseitige  Provinzen,  Markomanien  und  Sarmatien,  zu 
bilden,  als  der  Aufstand  des  Cassius  ausbrach  und  ihn  zwang, 
nach  Syrien  zu  gehen. ^  Ohne  EinfluCs  auf  das  an  der  Donau 
der  Vollendung  nahe  Werk  blieb  diese  Störung  nicht;  doch 
konnte  der  Kaiser  gegen  drei  Jahre  lang  die  Leitung  daselbst 
seinen  Generalen  überlassen.  Als  er  im  Spätsommer  178  mit 
üommodus  auf  den  Kriegsschauplatz  zurückkehrte,  gab  es  zwar 
noch  bedeutende  Kämpfe,  aber  im  J.  180  beim  Tode  des  Mark 
Aurel  war  der  Krieg  im  wesentlichen  beendigt')  Commodos 
hatte  wohl  noch  zu  kämpfen,  aber  es  war  ihm,  als  er  um  nach 
Rom  zurückzukommen  (ob.  S.  408  f.)  auf  den  vollen  Erfolg  ver- 
zichtete, doch  möglich,  die  Erfahrung  seiner  Generale  so  zu  ver- 
werten, dafs  er  einen  haltbaren  Zustand  zuröckliefs«  Zu  einer 
Provinzbildung  kam  es  nicht,  man  blieb  im  wesentlichen  bei 
den  Abmachungen,  welche  schon  im  J.  175  erzielt  worden  waren, 
und  wie  damals,  so  wurden  sie  auch  jetzt  mit  den  verschiedenen 
Stämmen  besonders  verabredet.  Schon  früher  waren  Bedingungen 
festgesetzt,  welche  den  Verkehr  der  Barbaren  unter  sich  und 
mit  den  Römern  mit  aller  Vorsicht  regelten:  diese  wurden  natür- 
lich erneuert;  dagegen  wurden  die  starken  Besatzungen,  welche 

1)  Für  PannonieQ  b.  den  Nachweis  bei  Borghesi,  oeavr.  VIII.  456  fil 
Corp.  i.  1.  3,  p.  415;  der  Anfangspunkt  ist  nicht  anzugeben,  für  Dacien  Borgh. 
Vlll.  474,  c.  i.  1.  3,  p.  160.  Da  Dacien  nunmehr  in  drei  statt  in  zwei  Ver- 
waltungsbezirke geteilt  erscheint  und  zwar  schon  im  J.  168  und  die  Besetauing 
mit  einem  Konsulat  wohl  innerlich  damit  zusammenhing,  so  wird  beides  an 
den  Anfang  des  Kriegs  zu  setzen  sein. 

2)  Vit.  24,  5:  voluü  Marcomaniam  provinciam  velut  etiam  SarmaÜam 
facere  et  fedsset,  nisi  Avidius  Oasstua  rebdlassei. 

3)  Vit.  27,  10:  (Von  178  an)  triennio  bellum  postea  cum  Mareomanis 
Ilennunduris  SarmtxUs  Quadis  etiam  egü  et^  si  anno  uno  superfuisset,  provincias 
ex  his  fedsset 

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—     443     - 

Marcus  in  das  feindliche  Land  gelegt  hatte,  wieder  zurückgezogen, 
andererseits  den  Barbaren  auferlegt,  sich  so  weit  fernzuhalten, 
daCs  ein  breiter  Streifen  zwischen  der  Donau  und  ihnen  lag. 
Es  war  schon  während  des  Kriegs  wiederholt  vorgekommen,  dafs 
manchen  Stämmen,  wenn  man  sie  zu  etwas  brauchte,  Geld  be- 
willigt wurde;  dies  scheint  auch  bei  Friedensbedingungen  da  und 
dort  als  jährliches  Geschenk  gewährt  worden  zu  sein,  immerhin 
in  einer  Weise,  welche  einen  unwürdigen  Anschein  hatte,  weshalb 
eben  Pertinax  sie  sofort  aufhob  (ob.  418  A.  2).*)  Die  Hauptsache 
war,  dafs  die  Barbaren  auf  der  ganzen  Donaulinie  auf  Jahrzehnte 
hinein  unfähig  gemacht  waren,  sich  wieder  zu  erheben.  M.  Aurel 
hatte  an  Erfolgen  erzielt,  was  billig  verlangt  werden  konnte  und 
auch  in  dem,  was  Gommodus  seine  Ratgeber  festsetzen  lieüs,  war 
noch  die  Sicherheit  des  Reichs  gewahrt,  wie  dies  ja  auch  daraus 
hervorgeht,  dafs  die  Einstellung  der  Geldgaben  keine  Feindselig- 
keiten veranlafste.  Es  war  freilich  angesichts  dessen,  was  sich 
jenseits  des  damaligen  römischen  Horizonts  vorbereitete,  selbst 
mit  HinausrQckung  der  Verteidigungslinie  im  Sinne  des  M.  Aurel,  die 
Gefahr,  die  von  dem  Barbarenandraug  drohte,  nicht  beseitigt, 
aber  der  Teil  der  Arbeit,  der  der  lebenden  Generation  zufiel,  war 
gethan,  und  es  wäre  den  folgenden  zugekommen,  das  Errungene 
zu  vervollständigen  und  dann  auch  auf  die  entfernteren  Volker- 
bewegungen  hinauszublicken.  —  In  den  Anfangen  des  Kriegs  Koionat 
hatten  Barbaren  Land  innerhalb  des  römischen  Reichs  verlangt; 
es  war  ihnen  aber  auf  solche  Art  der  Forderung  dieses  nicht  be- 
willigt worden.     Allein  im  Verlauf  des  Kriegs  kam  es  nun  vor. 


1)  Dio  72,  2 :  (Commodus)  ionsicaro  avtoCs  {roCg  Ma^nofidvoig)  InC  te 
totg  aXXoie  i<p'  olg  o  natrjg  avxov  avvixi^eiTO  xal  a.  s.  w.)  £&  sind  des- 
halb die  Bedingungen  zasammenzanebmen  aus  71,  16—21  und  72,  2  f.  Vgl. 
insbesondere  71,  20:  Beschwerde  der  Quaden  und  Markomanen  unter  M.  Aurel 
über  die  ihnen  ins  Land  gelegten  20  000  Mann;  dagegen  72,  2  (Commodus) 
ta  (p^ovffuc  ndpxa  tä  iv  vj  x<oi^  cevtav  vnhg  trjv  fiB^Oifiav  trjv  dnotBtfirii^imjv 
ovta  iiiXmeif,  c.  8:  Bedingung  ofioaai  mgxs  firjr'  ivomiiaiiv  noth  firit' 
iw^iuiv  tscaandnovra  atddia  xrig  x<>^(ff>^S  aqtmv  xrjg  ngog  x^  Ja%i^  ovcrig.  Die 
Herausgabe  der  Überläufer  und  Gefangenen  spielte  in  den  Bedingungen  eine 
bedeutende  Rolle,  weil  bei  den  Einfällen  in  römischem  Gebiet  auDserordentlich 
viele  Leute  weggeschleppt  worden  waren.  —  Ober  die  Leistungen  an  Geld  71, 
12.  73,  6.  —  Die  Verkehrsbeschränkungen  und  der  Streifen  wQsten  Landes 
sind  besonders  instruktiv  fOr  die  Behandlung  der  Grenzverhältnisse,  vgl. 
K.  Samwer,  die  Grenzpolizei  des  röm.  Reichs  in  Westdeutsch.  Zeitschrift 
6.  8.  317. 

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—    444     - 

(lafs  Schaaren  barbarischer  Stamme  in  den  Donauproyinzen  Land 
angewiesen  erhielten,  sei  es  auf  ihre  Bitte,  sei  es  zwangsweise, 
und  Markomanen  sogar  in  Italien  bei  Ravenna  augesiedelt  wurden. 
Dafs  für  diese  Leute  ein  besonderes  Rechtsverhältnis  gebildet 
werden  mufste,  zeigt  vor  Allem  die  Ansiedlung  in  Italien;  doch 
ist  es  Sache  der  systematischen  Untersuchung^  dieses,  d.  h.  den 
Stand  des  Kolonats,  zu  definieren.  Die  Ansiedlung  in  Italien 
erwies  sich  übrigens  als  bedenklich,  ohne  Zweifel  wegen  des 
Mangels  lokalen  militärischen  Schutzes,  und  wurde  nicht  wieder- 
Barbaren im  holt.*)  Eine  weitere  wichtige  Folge  dieses  Kriegs  war,  dafs  in 
KriegßdiciiHt.  dou  Friedensbedinguugen  die  Stellung  gröfserer  Eontingente  der 
überwundenen,  im  übrigen  aufserhalb  des  Reichs  bleibenden 
Barbaren  für  das  römische  Heer  verlangt  wurde,  auch  dies  eine 
Mafsregel,  die  nicht  ohne  Vorgänge  war,  selbst  aber  den  Vor- 
gang zu  einem  wichtigen  neuen  Moment  in  dem  romischen  Heer- 
wesen bildete.*) 
comuiodus.  5.    Während  der  ganzen  Regierung  des  Commodus  wurde, 

unbedeutendere  Vorgänge  in  einzelnen  Provinzen  abgerechnet*), 
der  Friede  mit  den  Grenznachbarn  aufrecht  erhalten,  und  es  kam 
keine  Veränderung  im  Bestand  des  Reichs  vor.  Auch  nach  seiner 
Ermordung,  als  der  Bürgerkrieg  entbrannte,  brachte  es  der  Um- 
stand, dafs  gerade  die  drei  grofsen  Gebiete,  welche  am  meisten 
feindliche  Einfälle  zu  fürchten  hatten,  Syrien,  Britannien,  die 
Donauprovinzen,  das  Rüstungsgebiet  der  um  das  Imperium 
streitenden  Statthalter  waren,  mit  sich,  dafs  zunächst  wenigstens 
keine  Greuzbedrohung  dort  zu  fürchten  war.  Dafs  in  Britannien 
die  Soldaten  selbst  schon  unter  Commodus  unruhig  waren  und 
in  Gallien  ein  nicht  unbedenklicher  Räuberaufstand  statt  fand, 
ist  schon  oben  (S.  411.  417  A.  7)  bemerkt  worden  und  gehört 
zu  den  Kennzeichen  der  inneren  Regierung. 


1)  Vit.  22,  2:  (iccepit  in  dedittonem  Marcomanos  pltnimis  in  Italiam 
traductis.  24,  3:  infinitos  ex  gentibus  in  romano  solo  conlocavü.  Dio  71,  H: 
ot  d^  xal  yrjv  oi  fihv  h  da%ia  ot  de  iv  IlavvovCa  ot  dl  Mvat^  %al  Tfp- 
fiavia  T^  tB  'ixaXloi  avr^  ilaßov;  dabei  die  Vorgänge  in  Ravenna,  wo  sich 
die  Leute  empörten;  femer  bei  den  Abmachungen  mit  den  einielnen 
Stämmen  c.  15  ff.  z.  B.:  Nagiaxal  taXainmffi^cavxeg  tqisx^Xioi  afia  179TO- 
lioXrjaav  xal  yrjv  iv  tfi  tifLsxiffu  iXaßov, 

2)  Dio  72,  2.    Die  Qnaden  allein  18000  Mann. 

3)  Dio  72,  8  (Dacien  und  Britannien).  Vit  Alb.  6,  3  (in  Niede^ 
germanien). 

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-     445    — 

Vierter  Abschnitt. 

Die  Ausgänge  des  Principats.    Von  Septimius  Severus  bis  zum 
Regiemngsantritt  Diokletians. 

Dafe  die  Regierung  des  Septimius  Severus  Epoche  niaeht,^®^'*^^^*.^^'' 
ist  von  der  alten  Geschichtschreibung  verkannt  worden,  von 
der  gleichzeitigen,  weil  das  Neue  nicht  in  einer  oflfenen  Reform 
der  Verfassung  bestand,  von  der  um  einige  Generationen  später 
liegenden  aus  Mangel  an  geschichtlicher  Einsicht^),  die  neuere 
Geschichtschreibung  dagegen  ist  der  Bedeutung  dieser  Epoche 
gerecht  geworden  nicht  blofs  in  allgemeiner  geschichtlicher  Auf- 
fassung, sondern  auch  —  und  zwar  mit  nicht  geringem  Erfolg  für 
die  allgemeinen  Gesichtspunkte  —  durch  Untersuchung  der  Einzel- 
heiten der  Verwaltung.*)     Die  letztere  Seite  berichtigt  in  wesent- 


1)  Bei  Dio  genügt  der  Aufzog,  den  wir  haben,  um  zu  sehen,  dafs  er 
in  Septimius  Severus  nur  eine  besondere  Persönlichkeit  in  der  Reihenfolge 
der  Kaiser  sah,  nicht  einen  Neuerer.  Besonders  bezeichnend  aber  ist  für 
ihn,  dafs  er  nach  der  unter  Severus  Alexander  geschriebenen  Programmrede, 
die  er  52,  14  ff.  dem  Mücenas  in  den  Mund  legt,  die  aber  yon  der  Zeit  des 
Dio  selbst  su  beurteilen  ist,  alles  von  Angnstus  bis  auf  seine  Zeit  Ein- 
gerichtete in  ^in  System  befafst.  Ebenso  bezeichnend  ferner  fiSr  die  Art  der 
Reform  des  Septimius  ist,  dals  Alexander,  um  seine  dieser  entgegengesetzten 
Grundsätze  geltend  zu  machen,  seinerseits  keiner  Verfassuogsveränderung 
bedarf.  —  Dem  Herodian  ist  Septimius  einzig  in  seinen  Kriegsthaten  (3,  7.  15), 
epochemachend  aber  nur  als  Yerderber  der  Eriegszucht  (8,  8).  Die  Ilistoria 
Augusta  kommt  mit  eigenem  Urteil  nicht  in  Betracht;  es  ist  aber  aus  ihr 
und  den  sonstigen  späteren  Darstellungen  zu  ersehen,  dals  in  ihren  Quellen 
das  Nene  nicht  hervorgehoben  war.  Septimius  Seyerus  selbst  scheint  in 
seinen  Memoiren,  in  denen  er  vitam  suam  privatam  ptiblicamgue  ipse  compo- 
9uit  ad  fidem,  solum  tarnen  Vitium  crudelitatis  excusans  (vit.  Sev.  18,  6), 
eine  apologetische  Tendenz  verfolgt  zu  haben  nicht  sowohl  für  sein  Re- 
giernngssystem  als  für  seinen  Charakter  und  einzelne  Handlungen.  Die 
Zeugnisse  von  diesen  Memoiren  s.  bei  Müller  (fragm.  bist  graec.  3,  657  f.), 
der  es  für  wahrscheinlicher  hält,  dafs  Severus  griechisch  geschrieben  habe. 

2)  Vgl.  Niebuhr,  Vortr.,  herausg.  von  Schmitz- Zeifs  2,  386:  „Es  ist 
zu  beklagen,  dafs  wir  von  den  von  Severus  eingeführten  politischen  Ein- 
richtungen so  wenig  wissen ;  denn  es  ist  augenscheinlich,  dafa  er,  besonders 
in  Besiehung  auf  Italien,  gro&e  Veränderungen  getroffen  haben  mufs.** 
Seitdem  hat  man  das  dürftige  Quellemnaterial  zu  ergänzen  gesucht  durch 
die  Verwertung  der  Inschriften  und  zur  Würdigung  jener  Veränderungen 
die  Verwaltung  genauer  ins  Auge  gefafet.  Monographieen  giebt  es  mehrere, 
so  von  Schulte,  de  imperatore  L.  Septimio  Severo,  Münster  1869.  Uöfner, 
Unters,  zur  Geschichte   des   Kaisers  Sept.    Sev.    Giefsen   1875.     Du^y  in    j 

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-     44G     — 

liehen  Dingen  verbreitete  Anschauungen.  Von  dem  Ausgangs- 
punkt der  höchsten  Gewalt,  von  den  Mitteln,  mit  welchen  dieselbe 
aufrecht  erhalten  wurde,  von  den  Kämpfen,  welche  daraus  her- 
vorgingen, pflegt  man  die  durch  Septimius  Severus  eingeleitete 
Zeit  die  der  Soldatenkaiser  zu  nennen,  aber  es  genügt  dies  nicht 
zu  ihrer  Charakteristik.  Die  Übertragung  der  Eaisergewalt  durch 
die  Soldaten  ist  auch  jetzt  weder  die  allgemeine  Regel  noch  eine 
gesetzlich  anerkannte  Form,  sondern  Usurpation,  die  Stützen  der 
Gewalt,  wie  sie  Septimius  Severus  übt,  sind  ebensowohl  bürger- 
licher als  militärischer  Art,  es  wird  sogar  bereits  der  Ansatz 
dazu  gemacht,  den  Dienst  der  bürgerlichen  Verwaltung  selbst- 
ständig neben  den  der  militärischen  zu  stellen,  und  die  Form, 
auf  welche  die  Begierungsweise  zustrebt,  ist  nicht  eine  Militar- 
monarchie,  sondern  der  Absolutismus  in  allgemeinster  Gestalt 
So  bestimmt  sich  negativ  der  Charakter  dieser  Periode  als  die 
Untergrabung  des  Systems  des  augusteischen  Principats.  Noch 
wird  von  den  Grundeinrichtungen  kaum  die  eine  oder  die  andere 
völlig  beseitigt,  aber  der  Spielraum,  den  das  System  Augusts 
der  Handhabung  des  Principats  und  Imperiums  läfst,  wird  zu 
Gunsten  der  absoluten  Gewalt  voll  ausgenützt  und  damit  ein 
sehr  entschiedener  und  bewufster  Schritt  dazu  gethan,  dafs  der, 
dessen  Stellung  die  eines  Hilfsmagistrats  sein  sollte,  in  den  allein 
gewaltigen  verwandelt,  der  Generalstatthalter  der  Republik  in 
Praxis  und  Theorie  zum  selbständigen  Herrn  wird,  die  höchste 
Gewalt  auf  sich  selbst  ruht  und  sich  selbst  weiter  giebt.  Wenn 
auf  Septimius  Severus  Männer  desselben  Geistes  gefolgt  wären, 
so  würde  die  förmliche  Änderung  der  Verfassung  noch  früher 
eingetreten  sein;  so  aber  kamen  zunächst  Vertreter  der  rein 
persönlichen  Willkür,  dann  einer,  unter  dem  das  augusteische 
System  möglichst  restauriert  werden  sollte,  und  darauf  folgte  als 
stärkste  Reaktion  der  Ansturm  des  prinziplosen  Soldatenkaiser- 
turas  gegen  die  Centralgewalt  in  Rom  und  der  Kampf  der  Im- 


Revne  histor.  VII.  p.  241—315  <=«  bist,  des  Rom.  6,40—143  (in  dorohauB 
apologetischer  Richtang).  A.  de  Genleneer,  essai  snr  la  vie  et  le  r^e  de 
Sept.  Sev.  Brüssel  1880  (aas  den  M^m.  de  FAcad.  roy.  de  Belgiqoe  i  43). 
Über  das  Nene  in  der  Verwaltung  ygl.  Torzngsweise  0.  Hirschfelds  Unters, 
aaf  dem  Gebiete  der  Verwaltnngsgesch.  W.  Liebenam,  Beitr.  znr  Ver- 
waltongsgesch.  des  röm.  Eaiserr.  Jena  1886.  Unter  den  allgemeinen  Dar- 
stellungen ist  die  von  Schiller ,- Gesch.  d.  röm.  Kaisen.  1,  726—739  be- 
sonders ausführlich  darauf  eingegangen. 

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—     447     — 

peratoTen  unter  einander,  jene  Zeit^  in  welcher  in  dem  täglichen 
Siareit  um  die  eigene  Existenz,  wie  um  die  Grenzen  des  Reichs 
nnd  um  dessen  inneren  Zusammenhalt  von  ernstlicher  Inangriff- 
nahme einer  Reform  der  Verfassung  nicht  wohl  die  Rede  sein 
konnte.  Nachdem  aber  am  Ende  des  dritten  Jahrhunderts 
energische  Männer,  welche  wieder  das  Ganze  übersahen  und 
dauernd  in  ihre  Hand  brachten,  zur  Regierung  gekommen,  waren 
sie  darauf  bedacht,  das  was  unter  Septimius  Severus  eingeleitet 
worden  war,  zu  vollenden,  ihm  feste  Formen  zu  geben  und  so 
das  augusteische  System  völlig  zu  beseitigen. 

§  84.    Von  L.  SepÜmiufl  SeTernB^)  an  Sevems  Alexander. 

1.  Von  Geburt  Afrikaner  und  einer  Ritterfamilie  angehörig,  Persönlichkeit 
die  eben  erst  anfing,  durch  einige  ihrer  Glieder  in  den  Senatoren-  und  übersieht 
stand  zu  kommen,  hatte  Severus  keinen  engeren  Zusammenhang    BegieraiTg^. 
mit  den  Senatskreisen.  ^    Seine  eigene  höhere  Laufbahn  hatte  mit 
dem    ritterlichen  Amt   eines  Advokaten  des  Fiskus  begonnen'), 


1)  Zu  seinem  Namen  L.  Stptimms  Sevems  fügt  der  Kaiser  bis  201 
den  Namen  Pertinax  und  von  105  an  nennt  er  sich  fortwährend  Plus  nach 
Antoninns  Pins;  pater  patriae  heifst  er  seit  194.  Über  den  Titel  proconsul 
8.  nnten.  Die  Siegestitel  Arabiens ,  AdiabenicM,  Parthicus  maximuSj  Bri- 
tamiicus  max.  scbliefsen  sich  an  die  FeldzQge  an.  Die  Inschriften  des 
Sevems  sind  ungemein  zahlreich;  eine  Übersicht  über  die  ihm  gewidmeten 
Monumente  giebt  Ceuleneer  a.  a.  0.  S.  169—187.  Die  Zahl  der  Typen 
von  Reichsmfinzen  bei  Cohen  4  S.  3—82  ist  798.  —  An  Specialunter- 
snchungen  über  die  Quellen  für  die  Zeit  des  Severus  vgl.  Sievers  in  Philol. 
26  S.  269  ff.  (mit  besonderer  Bez.  auf  Herodian).  Müller  in  BQdingers 
Unters.  3  S.  76  ff.  151  ff.  (Herausstellung  dessen,  was  auf  Marius  Maximus 
geht).  Höfner  a.  a.  0.  1,  1  ff.  Ceuleneer  1  ff.  H.  Haupt  in  Philol.  44. 
S.  563  ff.  (woselbst  noch  weitere  Litteraturangabe).  Dio  und  Marius  Maximus, 
die  beiden  Senatoren,  wollen  die  Wahrheit  geben,  aber  sie  sind  in  ihrem 
Urteil  zu  einseitig  und  sehen  nicht  die  Bedeutung  dieser  Regierung.  Die 
Zuge  der  Grausamkeit  und  der  Habsucht,  unter  denen  der  Senat  so  schwer 
zu  leiden  hatte,  sind  ihnen  so  überwiegend,  dafs  sie  schon  darüber  zu  einer 
tiefer  gehenden  Würdigung  nicht  kommen. 

2)  Abstammung  und  Familienbeziehungen  vit.  1.  Über  die  Laufbahn 
bis  zur  Übernahme  des  Imperiums  vgl.  die  angeführten  Monographieen, 
femer  Klein,  die  Verwaltungsbeamten  des  röm.  Reichs  I,  1  S.  112  ff. 
Gellens-Wilford,  la  famiüe  et  le  cwrsuB  honcrum  de  Sept  Sev,  Paris  1884. 
0.  Hirschfeld  in  Wiener  Studien  1884,  S.  121—128. 

3)  vit  Gel  2,  3 f.:  Severum  (Ptu«)  od  fisei  advocationem  ddegerai  ex 
formuiaria  (?)  forensi.  Dafs  der  im  J.  146  geborene  Severus  nicht  vom  Kaiser 
Pins   diese  Stelle   erhalten   haben   kann,   ist  zuzugeben,   dafs  er  sm^aber 

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und  voD  da  aus  erst  war  er  zu  den  senatorischen  Ämtern  ge- 
langt,  indes  war  unmittelbar  vorher  ein  Mann  geringer  Her- 
kunft, PertinaXy  dem  Senat  ein  annehmbarer  Princeps  gewesen. 
Durch  jenes  juristische  Amt  aber  war  Severus,  was  für  seine 
spätere  Politik  nicht  gleichgültig  war^  mit  derjenigen  Yerwaltungs- 
laufbahn,  mit  der  er  sich  viel  beschäftigen  sollte,  personlich  ver- 
traut geworden.  Seine  senatorische  Laufbahn  führte  ihn  nicht 
mehr  als  andere  zu  militärischen  Stellungen,  aber  als  Kaiser  hat 
er  gezeigt,  dafs  er  auch  die  Fähigkeiten  eines  Kriegsmanns  im 
höchsten  Mafse  besafs.  So  hat  er,  wenn  auch  von  seiner  Regierung 
ab  bereits  eine  grofsere  Scheidung  von  militärischer  und  bürger- 
lich-politischer Laufbahn  bemerklich  ist,  in  sich  wenigstens  den 
Typus  des  römischen  Staatsmanns,  der  den  politischen  Magistrat 
und  den  Feldherrn  in  einer  Person  vereinigt,  in  der  alten  Weise 
dargestellt. 

So  sehr  die  Stellung  des  nun  vom  Senat  anerkannten  Im- 
perators durch  die  Besitznahme  von  Rom  und  Italien  gehoben 
war,  so  hatte  sie  doch  noch  starken  Widerstand  zu  überwinden, 
und  dies  war  von  wesentlichem  Einflufs  auf  den  Gang  der  inneren 
Regierung.  Die  Motive,  welche  den  definitiven  Charakter  der- 
selben bestimmten,  kamen  erst  während  der  Kriege  zur  Reife 
und  die  Ausführung  von  Organisationen,  wie  er  sie  durchführte, 
war,  wenn  Severus  auch  vom  Feld  aus  die  Gentralregierung  in 
der  Hand  behalten  wollte,  doch  erst  möglich  während  der  Zeit 
dauernden  Aufenthalts  in  Rom  in  den  Jahren  202  bis  208.^) 
Dies   schliefst  nicht  aus,  dafs  die  Tendenzen,  die  der  Kaiser  in 


Oberhaupt  nicht  bekleidet  habe  (Hdüier  1,  56  f )  daraus  noch  nicht  za  folgern. 
Die  vita  Severi  spricht  allerdings  nicht  davon,  s.  aber  vit.  Carac.  8,  3. 
Vict  Caes.  20.    Eutrop.  8,  18. 

1)  Chronologische  Daten:  nach  dem  Einzug  in  Rom  am  1.  Juni  193 
(s.  ob.  S.  422)  bleibt  Severus  30  Tage  in  Born  (vit  Sev.  8,  8);  der  Kri^ 
im  Orient  gegen  Niger  und  die  Grenznachbarn  jenseits  des  Euphrat  dauert 
bis  in  die  zweite  HüJfte  von  196 ;  Zug  über  die  Donauprovinzen  nach  Gallien 
gegen  Albinus  mit  kurzem  Aufenthalt  in  Rom  (vit.  10,  1);  am  19.  Febr.  197 
Schlacht  bei  Lyon  (vit.  11,  7);  Aufenthalt  in  Gallien  bis  Mai  197;  Ankunft 
in  Rom  Sommer  197  (die  Münzen  mit  Fort,  redtuo  aus  dieser  Periode  gehen 
bis  197).  Noch  Ausgang  Sommers  197  beginnt  der  parthische  Krieg  (Münaea 
mit  profectio  Äugusti  und  imp.  VIII  bei  Cohen  4  Sev.  578.  681);  Rück< 
kehr  nach  Rom,  nachdem  vorher  noch  Ägypten  besucht  war  (Dio  76,  13) 
im  J.  202  (Münzen  mit  Advent.  Augg.  von  202  Cohen  4  Sev.  1  f.).  Datum 
des  Triumphbogens  (c.  i.  l.  6,  1083.     Orell.  912.    Wüm^87)  203. 

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Kaisergairde. 


—    449     - 

dieser  Organisation  verwirklichte,  schon  in   froheren  Zeiten  und 
nach  weiter  zurückliegenden  Ideen  in  ihm  vorbereitet  waren. 

2.  Eine  einschneidende  Mafsregel  jedoch  muTste  sofort  nach     Die  neue 
dem  Einzug  in  Rom  vorgenommen  werden,  die  Neueinrichtung 
des  Gardekorps,   nachdem   die  alten   pratorischen  Kohorten  auf- 
gelöst worden  waren  (ob.  S.  422). 

Die  bisherige  Garde  war  in  der  Weise  beschafft  worden, 
dafs  in  Italien  und  in  gewissen  hierfür  besonders  geeigneten 
Provinzen  unter  den  bürgerlichen  Kreisen  für  die  pratorischen 
Kohorten  rekrutiert  wurde;  jetzt  sollte  die  Hut  des  Prätoriums 
aus  den  Legionen  gebildet  werden,  der  Vorzug  des  Dienstes 
in  ihr  wurde  also  den  Italikem  entzogen  und  an  Legionare  nach 
einer  gewissen  Dienstzeit  überwiesen,  d.  h.  durchaus  an  Soldaten, 
die  aus  den  Provinzen  stammten.  Damit  war  nicht  blofs  ein 
bisheriges  Privilegium  der  italischen  Bevölkerung  beseitigt, 
sondern  mit  der  Bedeutung,  welche  die  Garde  in  der  Umgebung 
des  Kaisers,  vor  Allem  aber  in  Italien  und  Rom  hatte,  in  dem 
Mittelpunkt  des  Reichs  ein  Element  mit  mafsgebender  Stellung 
eingeführt,  das  der  bisher  herrschenden  Klasse  von  Reichs- 
bürgern. fremd  und  unebenbürtig  erscheinen  mufste.  Diese  neue 
Art  der  Formation  sollte  bleiben,  unter  den  Legionen  selbst  aber 
hinsichtlich  der  Auswahl  kein  Vorzugsrecht  bestehen;  indessen 
wie  zunächst  die  von  Severus  mitgebrachten  Truppen,  die  allein 
in  Betracht  kamen,  so  erschienen  auch  weiterhin  die  Armeen 
gewisser  Provinzen  bevorzugt  In  den  Senatskreisen  aber  nahm 
man  diese  Reform  ungünstig  auf,  obgleich  man  zunächst  mehr 
an  der  barbarischen  Erscheinung  der  neuen  Gardetruppen  Anstofs 
nahm  und  die  sonstige  Tragweite  der  Mafsregel  nicht  erkannte.^) 


1)  Dio  74,  2.  Herod.  2,  14,  5.  Dio  tadelt  an  der  Mafsregel  nur,  dafs 
sie  triv  ts  riXi%Cav  tijv  In  tfig  'itaUag  nctganciXeoB  ngog  Xjjatsiag  xcrl  (lovo- 
{uex^ag  avxl  xi\g  nqlv  öTQaxeiag  tQanofjiivTjv  xal  t6  afftv  oxXov  argaTKOTcöv 
GvfiiiCxtatv  xal  li^stv  dy^ifoxutmv  naX  dnovaat  (poßsQcatdrav  ofAiXrjaai  re 
dyttoinotdrav  inlriQcaGtv.  Bei  der  im  Verhältnis  zur  Bevölkerung  Italiens 
geringen  Zabl  von  Mannschaft,  welche  dieses  Land  zur  Garde  bisher  ge- 
stellt hatte,  war  der  erste  Gesichtspunkt  untergeordnet;  der  zweite  mochte 
auffallend  genug  sein,  dafQr  war  aber  die  frühere  Garde,  die  sich  eben  als 
dorcbans  untüchtig  gezeigt  hatte,  jetzt  durch  eine  kriegstüchtige  ersetzt. 
Der  wahre  Gegensatz  zu  der  Mafsregel  Severus  wäre  eine  ausgiebige  und 
regelmäfsige  Heranziehung  der  Italiker  zum  Kriegsdienst  überhaupt  gewesen. 
—  Als  Vorspiel  der  Reform  des  Severus  wird  öfter  die  ähnliche  Um- 
gestaltung der  Garde  durch  Vitellius  (Tac.  bist.  2,  94)  genannt;  allein  so 


Her  sog,  d.  röm.  Staatsverf.  H.  1.  29        ^  ^^ 


lern  so      f 

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Bio  Kriege  mit  3.  So  lange  Severus  mit  den  andern  Prätendenten  zu  thon 
Aibinns.  hatte,  zeigte  er  sich  politisch  ebenso  klug  und  vorsichtig,  wie 
nachher  autokratisch  rücksichtslos;  daneben  war  er  seinen  Gregnern 
durch  rasches  Vorgehen  überlegen.  Pescennius  Niger  hatte  ihm 
gegenüber  die  Sympathieen  des  römischen  Volkes  für  sieh, 
Albinus  die  des  Senats.  Letzteren  nun  wufste  er  zu  bewegwi, 
dals  er  sich  die  Rolle  nicht  eines  Mitregenten,  sondern  eines 
Cäsars  gefallen  liefs  und  vermied  so  die  Auseinandersetzung  mit 
zwei  Gegnern  zumal  Dem  ersteren  suchte  er  durch  reichlichste 
Schenkungen  an  die  Bevölkerung  der  Hauptstadt  den  Boden,  den 
er  in  dieser  hatte,  zu  entziehen  und  es  gelang  ihm  dadurch,  den 
Kampf  mit  Niger  zu  einer  reinen  Eriegsaufgabe  zu  machen,  in 
welcher  er  sich  dem  Gegner  überlegen  erwies.  Bei  Eröffnung 
dieses  Kriegs  konnte  allerdings  trotz  des  Abkommens  mit  Albinos 
die  Gefahr  eines  Zerfalls  des  Reichs  nahe  scheinen;  denn  dals 
jene  Übereinkunft  mit  dem  Statthalter  von  Britannien  nur  eine 
provisorische  Lösung  war,  liefs  sich  wohl  erkennen,  und  so 
standen  sich  unter  Führern,  die  sämtlich  als  fähig  zur  Herrschaft 
galten,  drei  je  mit  einer  starken  Armee  ausgerüstete  Gruppen 
gegenüber,  von  denen  jede  ein  unschwer  abzugrenzendes  Ganze 
von  Provinzen  umfafste. 

Noch  waren  indessen  die  Dinge  nicht  so  weit  gediehen: 
denn  gerade  die  zwei  von  den  Provinzen  aus  operierenden  Präten- 
denten waren  durch  die  Verbindungen,  die  sie  hatten,  mehr  römiseh 
und  italisch  als  Severus  und  keiner  hatte  die  Tendenz  eines 
Teilimperiums.  Auch  die  Erhebung  des  Albinus  zum  Cäsar  tbat 
der  einheitlichen  Gewaltübung  keinen  Eintrag;  denn  nicht  nur 
regierte  Severus  durchaus  für  sich  ohne  Berücksichtigung  des 
Cäsars,  sondern  er  bewilligte  ihm  nicht  einmal  die  tribuniciscbe 
Gewalt,   die    er   wohl    erwarten    konnte,  vielmehr   nur   für   das 


wie  Tacitns  diesen  Vorgang  schildert,  war  er  wie  die  Besetzung  der  Hof- 
ämter mit  Rittern  nicht  ans  einem  Prinzip  hervorgegangen,  sondern  am 
den  Verhältnissen  des  Augenblicks,  wurde  auch  von  Vespaaian  wieder  be- 
seitigt. —  Über  die  Durchführung  der  Reform  des  Severus  s.  die  statistifleb 
belegte  Darlegung  bei  Bohn,  über  die  Heimat  der  Prätorianer.  Berlin  1883. 
S.  11  fif.  Ders.  mtlües  pr<uior%ani  et  urbaniciani  originis  ItaUcae  in  epben. 
epigr.  5,  251—258;  über  die  Prätorianer  aus  den  Provinzen  Mommsen  in 
ephem.  epigr.  6,  164  ff.  —  Es  mochte  wohl  auch  nach  Severus  noch  v<tf- 
kommen,  dafs  Rekruten  in  die  prätorischcn  Kohorten  eingestellt  wurden, 
auch  finden  sich  einzelne  Italiker,  aber  die  von  Severus  gegebene  Regel 
blieb.     Vgl.  Mommsen  a.  a.  0.  p.  136.  A.  1. 

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J.  194  das  Konsulat  neben  sich;  ja  wir  haben  kaum  eine  Spur 
davon  ^  dafs  die  Auktorität  des  Albinus  in  dieser  Zeit  auch  nur 
in  Gallien  sich  geltend  machte.^) 

Der  Krieg  mit  Pescennius  Niger  entschied  sich,  wenn  auch 
Episoden  desselben,  wie  die  Belagerung  von  Byzanz,  sich  Jahre 
lang  hinzogen,  in  der  Hauptsache  doch  so  früh  zu  Gunsten  des 
Severns,  dafs  in  Rom  die  Anhänger  Nigers  sich  nicht  röhren 
konnten.  Dafs  es  solche  immerhin  gab,  zeigt  die  Erzählung  von 
den  Strafen,  welche  nach  dem  Sieg  verhängt  wurden^);  Severus 
aber  fühlte  sich  sicher  genug,  um  nach  dem  Krieg  gegen  Niger 
noch  einen  Feldzug  über  den  Euphrat  hinüber  zu  unternehmen. 
Unterdessen  waren  jedoch  die  Freunde  des  Albinus  nicht  mülsig 
gewesen;  wenigstens  ist  dem  sonstigen  Verhalten  des  letzteren 
nach  anzunehmen,  dafs  er,  der  in  Britannien  auch  durch  einen 
von  Severus  ihm  aufgedrungenen  Beamten  überwacht  war^),  erst 
durch  seine  Anhänger  in  Rom  zur  Lossagung  vom  Kaiser  ver- 
anlafst  wurde.  Dafs  dieser  nach  dem  Sieg  über  Niger  sich  schon 
um  der  eigenen  Söhne  willen  des  unbequemen  Cäsars  zu  ent- 
ledigen gesucht  hätte,  war  von  vorherein  anzunehmen;  jetzt  kam 
ihm  Albinus  zuvor,  legte  sich  im  Frühjahr  196  den  Augustus- 
titel  bei,  nahm  von  den  von  seiner  Machtsphäre  aus  erreichbaren 
Provinzen,  deren  Mittelpunkt  nun  Gallien  bildete,  Besitz  und 
suchte  dem  eben  auf  dem  Rückmarsch  aus  Asien  begriffenen 
Severas  in  Italien  und  Rom  zuvorzukommen.  Allein  sobald 
Severus  von  dem  Abfall  Kunde  erhalten,  traf  er  Fürsorge  für 
die  Sicherung  Italiens.  In  Viminacium  an  der  Donau,  wo  ihm 
die  Nachricht  zugekommen  war,  erklärte  er  nunmehr  seinen 
älteren  Sohn,  den  damals  achtjährigen  Bassianus,  auch  Caracalla 

1)  Name  und  Titn]atnr  des  Albinns  als  Cäsar  D.  Clodiits  SepUmius 
Albinus  Caesar  cos.  II,  Ob  der  Name  Septimius,  der  noch  auf  den  Münzen 
sich  findet,  die  Albinus  als  Angnstns  in  Britannien  und  Gallien  schlagen 
liels,  auf  einem  Adoptionsakt  beruht,  wird  nicht  gesagt.  Die  Münzen  bei 
Eckhel  7,  164  mit  p,  m.  tr.  p.  cos,  II  und  tr.  p.  IL  cos,  II  finden  sich 
bei  Cohen  nicht.  —  In  der  Lyoner  Taurobolieninschrift  vom  Mai  194 
(Henzen  n.  6032.  Wilm.  n.  121)  stand  der  später  getilgte  Name  des  Albinus 
neben  dem  des  Severus. 

2)  Dio  74,  8  (keine  Hinrichtnng  von  Senatoren,  aber  Verbannungen 
und  Konfiskationen). 

S)  Vit.  Sev.  6,  10.  Nig.  6,  2  (wo  mit  Bezug  auf  die  erste  Stelle  zu 
lesen  ist:  HeracUtum  od  obtinendam  Britanniam  misit  Hübner  im  Rheiu. 
Mus.  N.  F.  12  S.  64  f.) 

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genannt,  in  Anknüpfung  au  die  populäre  mit  Commodus  ausge- 
storbene Kaiserfamilie  unter  dem  Namen  M.  Aurelius  Antoninas 
zum  Cäsar  und  begab  sieh  darauf,  um  die  Partei  des  Albinos 
im  Senat  nicht  aufkommen  zu  lassen,  nach  Rom.  Dort  lag  die 
Gefahr  nahe,  dafs  der  Senat  sich  offen  zu  Gunsten  des  Albinus 
erklärte;  dessen  Anhänger  konnten  wagen,  entschieden  aufzutreten, 
die  Mehrheit  aber  war  neutral,  während  das  Volk  sich  in  Klagen 
über  die  endlosen  Kämpfe  erging.  Der  Senat  mufste  den  Albinus 
in  die  Acht  erklären  und  beim  Krieg  trug  die  Energie,  mit  der 
Severus  auch  hier  vorging,  ihre  Früchte;  der  Gegenkaiser,  in 
Gallien  von  den  Heeren  des  Severus  erreicht,  wurde  durch  die 
Schlacht  bei  Lyon  (19.  Febr.  197)  beseitigt^),  und  nunmehr  war 
der  Weg  offen,  die  Regierung  des  jetzt  sicher  einheitlichen  Reichs 
rücksichtslos  einzurichten.  Aber  zunächst  begnügte  er  sich  neben 
der  Neuordnung  der  Dinge  in  Gallien  und  Britannien  mit  der 
Beseitigung  seiner  Feinde:  während  nach  der  Besiegnng  des 
Niger  hervorgehoben  wird,  dafs  wenigstens  kein  Todesurteil 
gegen  Senatoren  verhängt  worden  sei,  wurden  jetzt  die  über- 
wiesenen Gegner  hingerichtet  und  selbstverständlich  in  der  hier- 
durch sowie  durch  Verbannungen  und  Ausstofsungen  veranlaüsten 
neuen  Zusammensetzung  des  Senats  die  Gefahr  einer  neuen  Oppo- 
sition beseitigt.  Dafs  ein  solches  Schreckensregiment ^),  das  sich 
durch  die  nachträgliche  Konsekration  des  beim  Senat  in  schlimmstem 
Andenken  stehenden  Commodus  eingeführt  hatte,  die  früher  mehr 
neutralen  Elemente  nicht  zu  vollen  Anhängern  machte,  begreift 

1)  Dio  76,  4—6.  Vit.  Sev.  10  f.  Alb.  9.  Herod.  8,  6  ff.  —  Über  deo 
Sohn  Bassianus  vit.  Sey.  10,  3:  in  itinere  apud  Viminacium  filium  swm 
maiorem  Bassianum  adposito  Äurelii  Antonini  nomine  Caesarem  appelkwü. 
Die  Benennang  Caesar  destinatus  in  der  Inscbr.  c.  i.  1.  7  n.  210  ist  sa  un- 
sicher überliefert,  in  6  n.  1984  z.  J.  197,  wenn  richtig  überliefert,  Yerwedis- 
lung  mit  imp,  destinatus,  —  Albinas  nannte  sich  als  Prätendent  Imp.  Caes. 
B.  Clodius  Sept.  Alb.  Aug.,  doch  fehlt  in  manchen  Typen  auch  SepUmius. 
Die  Silbermünze  Eckhel  7  p.  164.  Cohen  4  Alb.  78:  Imp.  Caes.  Cl. 
Sept.  Albin.  Aug.  —  8.  P.  Q.  B.  P.  P.  OB  C.  S,  scheint  nicht  genügend 
bezeugt  zu  sein. 

2)  Vit  Sev.  11—14  (mit  AufzÄhlung  der  Opfer).  Dio  76,  7  f.,  der  ans 
den  unmittelbaren  Eindrücken  der  Senatoren  heraus  schreibt.  Herod.  3, 
8,  6  ff.  —  In  Gallien  und  Spanien  fänden  natürlich  besonders  viele  Strafen 
statt  Tit.  12,  1.  Den  Umschlag  der  Dinge  in  Gallien  bezeichnen  zwei  Tanro- 
bolienaltäre  von  Lyon,  von  denen  der  eine  vom  J.  194  (Wilmanns  d.  121) 
dem  Severus  und  Albinus  gilt,  der  andere  vom  J.  197  (Wilm.  n.  122)  dem 
Severus  und  M.  Aurelius  Antoninus  als  imp.  destinatus. 

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sich  und  zeigt  sich  au  Dio;  aber  solche  negative  Stimmungen 
waren  jetzt  ungefährlich.  Nach  den  hiermit  verbundenen  Mafs- 
regeln  begab  sich  der  Kaiser  zu  jenem  Krieg  mit  den  Parthern^ 
von  dem  er  erst  gegen  Ende  202  zurückkehrte;  dalB  ihn  aber 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  das  Mifstrauen  gegen  hervor- 
ragende Persönlichkeiten  in  diesen  Krieg  begleitete ,  zeigt  die 
Beseitigung  eines  der  bedeutendsten  Heerführer,  des  Latus.  ^) 

4.  unterdessen  v^ar  bereits  über  die  Person  des  Severus 
hinaus  für  eine  Dynastie  gesorgt.  Schon  während  des  Krieges,  Bogründunfr 
und  ehe  er  noch  seinen  älteren  Sohn  zum  Cäsar  erhoben,  hatte  ^  "^'  ^°*'  *^ 
der  Kaiser  im  J.  195  angedeutet,  dafs  er  seine  Stellung  an  den 
Stamm  der  antoninischen  Kaiser  anknüpfen  wolle:  er  nannte  sich 
von  diesem  Jahr^an  Pius  und  Sohn  des  gottgewordenen  Marcus, 
und  in  demselben  Sinn  hatte  er  dem  Bassianus  bei  seiner  Er- 
nennung, zum  Cäsar  den  Namen  Antoninus  gegeben.  Jene  nach- 
trägliche Selbstadoption,  einen  Vorgang  eigener  neuer  Er- 
findung, brachte  er  auf  seinen  Münzen  zum  Ausdruck  und  der 
Senat  folgte  ihm  mit  seiner  Münzprägung  nach.^)  Nach  dem 
Sieg  über  Albinus  wurde  dies  in  seinen  Konsequenzen  weiter 
verfolgt,  im  Zusammenhang  damit  Commodus,  nun  Bruder  des 
Kaisers,  konsekriert  und  alle  Familienrechte,  die  sich  daraus 
ergaben,  insbesondere  auch  die  auf  das  Vermögen  bezüglichen, 
in  Anspruch  genommen.  Ohne  Zweifel  mufste  der  Senat  dies 
formlich  anerkennen,  und  er  verband  damit,  sei  es  aus  eigener 
Initiative,  sei  es  auf  Verlangen  des  Kaisers,  einen  Beschlufs, 
wodurch  Bassianus  (Caracalla)  die  Insignien  eines  Imperator  erhielt 
und  damit,  wie  es  scheint,  den  Titel  Imperator  destinatus^),  der 

1)  Dio  76,  10:  dni%Ttiw8  nal  tov  Aatxov,  Zxi  tb  (pQOvrjficc  bIxs  ncel  oxi 
VKQ  xmv  cxqaxuaxmv  tjyanäxo.  Dieser  Lätns  kann  nicht  wohl  ein  andrer 
sein  als  der,  welcher  nach  Dio  76,  6  in  der  Schlacht  bei  Lyon  den  Ver- 
dacht erweckte,  doppeltes  Spiel  zu  spielen  and  auf  den  Untergang  beider 
Piittendenten  zn  rechnen.  Denn  wenn  nicht  das  spätere  Schicksal  des 
Mannes  solchem  Verhalten  entsprochen  hätte,  worauf  hätte  sich  denn  sonst 
der  Verdacht  gegründet,  den  Dio  ausspricht?  Offenbar  hat  Severus  für 
den  Augenblick  das  Verhalten  des  Latus  in  der  Schlacht  nicht  offen  ver- 
folgt, aber  das  Mifstrauen  gegen  ihn  in  den  parthischen  Krieg  mitgenommen. 
Mit  dem  Verteidiger  Ton  Nisibis  kann  dieser  Latus  nicht  identisch  sein. 

2)  Mtlnzen  y.  J.  196  bei  Cohen  4  Sev.  n.  123 ff.  Severus  heifst  nun: 
Imp.  Gaes.  divi  M.  /*.  divi  Commodi  fraUr  divi  Antonini  Pii  nepos  divi 
Hadriani  pranep.  divi  Traiani  abnep.  divi  Nervae  adnepos.  Vgl.  z.  B. 
Oreili  n.  904. 

3)  Vit.  Sev.  14,  3:   Caesarem  dein  Basaianum  Autoninum  a  semtu    , 

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nur  bei  ihm  sich  findet.  Diese  Beschlüsse  scheinen  in  Abwesen- 
heit des  Severus  gefafst  und  durch  eine  Gesandtschaft  ihm,  der 
eben  von  Gallien  aus  nach  Germanien  sich  begeben  hatte,  und 
dem  in  Pannonien  befindlichen  Bassianus  überbracht  worden  zu 
sein.^)  Im  J.  198  sodann,  während  des  parthischen  Kriegs,  nach 
der  Eroberung  von  Ktesiphon,  wurde  letzterer,  damals  zehnjährig, 
zum  Mitregenten  mit  dem  Augustustitel  erhoben  und  ihm  die 
tribunicische  Gewalt  verliehen;  zugleich  wurde  der  jüngere  Sohn 
Geta  zum  Cäsar  erhoben;  im  J.  202  sodann  trat  Severus  in 
Syrien  mit  Bassianus,  der  201  als  13  jährig  die  toga  virüis  er- 
halten hatte,  als  Kollegen  sein  drittes  Konsulat  an.^)  Damit 
waren  alle  anderweitigen  Hoffnungen  auf  Nachfolge  abgeschnitten  •) ; 
dagegen  war  das  Verhältnis  der  zwei  Söhne  zu  einander  noch 
nicht  geregelt.  Dies  geschah  im  Lauf  der  folgenden  Jahre  in 
der  Richtung,  dafs  beide  zugleich  Nachfolger  werden  sollten^  sn 
welchem  Zweck  der  Kaiser  den  Gcita,  nachdem  dieser  in  den 
Jahren  205  und  208  mit  seinem  Bruder  das  Konsulat  gef&hrt 
hatte,  im  J.  209  zum  dritten  Augustus  erhob,  womit  wieder  die 
tribunicische  Gewalt  verbunden  war.*)    Zum  ersten  Mal  hat  nun 


appeUari  fecit  decretis  itnperatoriis  insignibus.  BezeichnaDg  als  tirip.  deU, 
auf  Münzen  und  Inschriften  (Cohen  4  Garac.  n.  63  f.  Wilmanns  n.  12t, 
984.  1200). 

1)  Vgl.  die  Inschrift  des  P.  Porcina  Optatus,  der  heifst  legcUus  ab 
amplissimo  senatu  ad  eundem  dominum  (Sev.)  imp.  in  Germaniam  et  ad 
Äntoninum  Caes.  imp.  desttnatttm  in  Fannoniam  missi,  Heneen  8494. 
Wilm.  1200. 

2)  Vit  Sev.  16,  3  f.  filium  eins  Bassicmum  Äntoninum,  gut  Caesar 
appellatus  iam  fuerat,  annum  XIII  agentem  (dies  unrichtig,  vielleicht  in 
Verwechslung  mit  der  im  J.  201  erfolgten  Designation  zum  Konsul)  parti- 
cipem  imperii  dixerunt  milites,  Getam  guoque  minorem  filium  Caesarem 
dixerunt  eundem  Äntoninum  appeJlantes.  Von  Geta  an  heifsen  die  Prinzen 
regelmäfsig  nobilissimi  Caesarea  (vgl.  oben  S.  407  A.  2).  —  8:  dein  cum 
Äntiochiam  transisset  data  virili  toga  ßio  maiori  secum  eum  consulem  desig- 
navit  et  statim  in  Syria  consulatum  inierunt,  —  Die  Verleihung  der  trib. 
Gewalt  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  geht  aus  der  Z&hlung  der  Jahre 
derselben  hervor. 

3)  Vgl.  vit.  10,  5:  ut  fratrem  suum  Getam  a  spe  imperii,  quam  %Ge  cou- 
ceperat,  amoveret. 

4)  Vit.  Sev.  20,  1 :  cum  moreretur  laetatum  quod  duos  Äntoninos  pari 
imperio  reip.  relinqueret  exemplo  Pii  etc.  Geta  heifst  zuerst  im  J.  209  auf 
Münzen  Imp.  Caes.  P.  Sept.  Geta  Pius  Äug.  pont.  tr.  p.  cos.  IL  Eckhel  7  p.  230. 
8  p.  426.  Cohen  4  Get.  n.  129  f.  —  Genaueren  Anhalt  giebt  die  Inschrift,  corp. 
inscr  attic.  III.  10,   durch  die  in  Athen  die  Erhebung  de&^Geta  im  Mooat 

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-     455     - 

in  den  Jahren  209 — 211  das  römische  Reich  drei  Kaiser  neben 
einander,  und  es  fragt  sich,  ob  damit  nicht  die  Einheit  der  obersten 
Gewalt  mehr  gefährdet  wurde ,  als  durch  die  Kollegenschaft  von 
zweien,  wie  sie  Marc  Aurel  in  das  Imperium  eingeführt  hatte. 
In  dieser  Beziehung  war  jedoch  eine  Änderung  nicht  beabsichtigt. 
Schon  der  Umstand,  dafs  die  Mitkaiser  zur  Zeit,  da  sie  zur  Teil- 
nahme beigezogen  wurden,  in  so  jugendlichem  Alter  waren  und 
Sohne  dessen,  der  sie  beigezogen ,  sollte  dafür  bürgen,  dafs  die 
Ausübung  der  Herrschergewalt  im  Reich  thatsächlich  in  Äner 
Hand  bleibe,  und  sie  ist  es  auch  bis  zum  Tode  des  Seyerus  ge- 
blieben, weil  dieser  der  Mann  war,  zu  zeigen,  dafs  er  denn  doch 
das  Haupt  war^);  ferner  war  bei  dreien  wie  bei  zweien  für  posi- 
tive Akte  immer  Übereinstimmung  vorausgesetzt.  Allein  die 
Gefahr  eines  Zerwürfnisses  war  doch  grofser,  und  wenn,  worauf 
Seyerus  selbst  hingewiesen  haben  soll,  für  einzelne  Handlungen 
jedem  einzelnen  Befehlsgewalt  mit  Anspruch  auf  Gehorsam  der 
Dienenden  zustand^),  so  konnte  doch  nur  ein  starkes  Interesse 
der  gemeinsamen  Aufrechthaltung  der  Gewalt  Mifsbrauch  ver- 
hüten; dafs  aber  dieses  durch  die  Familienbande  nicht  verbürgt 
war,  erfuhr  Severus  selbst  in  dem  Verhalten  der  Söhne  gegen 
ihn  und  unter  sich.  Es  war  aber  auch  die  Mitregentschaft  der 
Sohne  von  ihm  nicht  mit  Rücksicht  auf  die  Zeit  seines  Lebens  ein- 
geführt worden,  sondern  lediglich  zur  Sicherung  der  Nachfolge. 

5.    Der  Weg,  auf  dem  Severus  zum  Imperium  gekommen.  Die  koustitu- 
war  der  der  Usurpation,  der  demnach  zum  Übergang  in  die  ver-   fassong  dos 
fassungsmäfsige  Bahn  einer  Legitimation  bedurfte.     Er  selbst  hat  Verhältnis  zum 
eine  solche  nicht  erbeten,  aber  der  Senat  hatte  dieselbe,  noch  ehe 
der  Usurpator  in  Rom  war,  gegeben^),  so  dafs  letzterer,  als  er 
bei  und  nach  seinem  Einzug  in  Rom  in  Verkehr  mit  dem  Senat 
trat^  schon  anerkannt  war.    In  der  ersten  Senatssitzung,  die  er 


Poseideon  ("»  Nov./Dez.)  gefeiert  wird.    Die  drei  AugusU  zusanamen  (ab- 
gekürzt Äuggg.)  z.  B.  Henzen  d.  6498. 

1)  Vit  Sev.  11:  tandem  sentüü  caput  imperare  non  pedes  (Wort  an 
die  za  Gunsten  des  Caracalla  meuterischen  Soldaten). 

2)  Dio  76,  15:  (Wort  des  Severus  an  den  ihn  gefährdenden  Caracalla) 
naqicxrpui  aoi  Jlecntifucvog  6  ina^%og  m  dvifccccci  %sXsvaai  tva  (is  i^Sffyaaritat  * 
Maiftmg   yaQ  nov    näv  xo  ubIsvo^Iv  vno   aov  ats  nctl  avtonQaroQog  ovtog 

3)  Dio  78,  17:  (Auf  das  Referat  des  Konsuls  Silius  Messala)  tov  te 
'lovltavov  d'dvatov  narsrpritpiadiifd'a  %cel  tov  2bovtjqov  avtonQaroQa  mvofia- 
9a^iv.    Darauf  folgte  die  Deputation  an  Sev.  nach  Interamna  vit.  6. 

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-     456     - 

hielt;  liefs  er  sich  zur  EntschuldiguDg  der  Usurpation  herbei 
und  machte  angesichts  der  Schwierigkeiten,  die  er  noch  vor  sich 
hatte,  den  Senatoren  das  Zugeständnis,  dafs  er  ihnen  den  Eid 
leistete,  nie  einen  von  ihnen  zum  Tod  bringen  zu  lassen.*) 
Während  des  Kriegs  mit  Niger  waren  die  thatkräftigen  unter 
dessen  senatorischen  Anhängern  im  Felde,  die  des  Albinus  durch 
dessen  Frieden  mit  Seyerus  gebunden,  und  als  letztere  ihren 
Prätendenten  veranlafsten,  mit  Severus  zu  brechen,  konnten  sie 
in  Rom  selbst  den  Senat  nicht  zu  offener  Erklärung  bringen, 
sondern  mufsten,  soweit  sie  offene  Parteinahme  wagten,  zum 
britannischen  Heere  gehen.  Es  war  aber  im  Senat  immerhin 
genug  für  Albinus  geschehen,  um  den  Severus  zur  Bache  zu  be- 
wegen, und  jener  Eid  wurde  nunmehr  so  verletzt,  dafs  fQr  den 
Senat  die  Zeiten  wiederkehrten,  in  denen  die  personliche  Sicher- 
heit der  Mitglieder  nur  auf  der  Gunst  des  Kaisers  beruhte  und 
die  Delatoren  wieder  freies  Spiel  hatten.^)  Und  nun  kam  auch 
die  Tendenz  zur  Geltung,  die  Reichsregierung  mit  dem  Geist 
kaiserlicher  Alleinherrschaft  zu  durchdringen.  Der  Senat  bleibt 
noch  äufserlich  in  seinen  Befugnissen:  er  ist  noch  eine  Behörde, 
die  Recht  macht ^),  er  hat  noch  seine  Provinzen,  die  Magistrats- 
wahlen werden  noch  in  seinem  Schofse  vorgenommen  und  der 
Senat  teilt  mit  dem  Kaiser  das  Recht  der  Bestellung,  allein  das 
Übergewicht  des  letzteren  ist  in  allem  überwiegend:  die  oratio 
principis  allein  macht  in  allen  wichtigen  Dingen  das  vom  Senat 
ausgehende  Recht"^),  und  das  Verfahren  bei  der  Beamtenbestellung 
steht  so  sehr  unter  dem  Einflufs  des  Princeps,  daCs  dieser  als 
der  eigentlich  auswählende  erscheint.^)     Aber  der  Kaiser  regiert 


1)  Vit.  Sev.  7,  4:  in  curia  reddidit  rationem  suscepti  imperii  causaiia- 
que  est,  quod  ad  se  occidendum  Iidianus  noios  ducum  caedibus  misis9ä; 
fieri  etiam  s.  c.  coegit,  ne  liceret  imperatore  inconsulto  senatu  ocddere  sena- 
torcm.  Dio  74,  2:  slgeXd'av  ovr<og  iveavieveato  (ilv  ola  xal  ot  n^toriv  dja^ol 
avTOKQatOQSg  TtQog  rifiäg  mg  ovSiva  rmv  ßovXsvtmv  dnonTBivri  %al  mfi09f 
nsffl  tovtov  n.  s.  w. ,  was  dann  als  8.  c.  möglichst  befestigt  werden  sollte. 

2)  Dio  75,  8  (Exekutionen  von  197),  besonders  aber  die  Ersah- 
langen  76,  7  f. 

3)  Dig.  1;  3,  9  (aas  Ulpian):  tion  ambigitiir  senatum  ius  facere  posse, 

4)  Beispiele  von  solchen  orationes  des  Severus  fragm.  Vat.  158. 
Dig.  27,  9,  1. 

5)  Vit.  Alb.  3,  6:  (Severus)  homo  in  legendis  magisiroHhus  diUgens; 
andere  Stellen  bei  Mommsen  Sir.  2,  881  A.  4  z.  B.  Dig.  48,  14,  1:  ad 
curam  principis  magistratuum  creatio  pertinet,  non  ad  popidi  favorem, 

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~     457     — 

allerdiugs  nicht  mit  rein  person lieber  Willkör,  er  ist  in  seinen 
Handlungen  gebunden  durcb  den  Zusammenbang  eines  Reebts- 
staats  ^)  und  durcb  das  Institut  des  Beirats,  welcber  der  Senat  sein 
kann  wenn  der  Kaiser  will,  regelmäfsig  aber,  wäbrend  die  Politik 
im  böcbsten  Sinn  yom  Kaiser  allein  ausgebt,  für  Geriebt  und 
Verwaltung  vertreten  ist  in  dem  Konsilium  des  Kaisers.  Dieses 
aber  bat  seine  Spitze  scbon  Torber  und  erbält  sie  jetzt  mebr 
als  je  in  der  Präfektur  des  Prätoriums,  welche  nun  auch  die 
Spitze  der  ganzen  Verwaltung  bildet. 

6.    Der  grofse  Einflufs  dieser  letzteren  Stellung  äufsert  sich    nie  Garde- 

••ii«  •  li»  i  -r»  1  Tk»«rii  i^-ni»         prifektur  und 

zunächst  m  einer  bestimmten  Person,  dem  Praiekten  C.  Fulvius  ihre  iuh»ber. 
Plautianus.  Dieser  Mann,  in  den  Augen  des  Senats  ein  zweiter  Pspinian. 
Sejan,  besafs  Ton  Anfang  an  das  höchste  Vertrauen  des  Kaisers, 
dessen  Landsmann  und  Jugendgenosse  er  war,  und  erscheint  um 
dieselbe  Zeit,  in  welcber  dieser  seine  Söhne  zur  Regierung  heran- 
zog, zu  einem  allgewaltigen  Einflufs  erhoben.  Schwiegervater 
des  Caracalla  gegen  dessen  Willen,  in  Feindschaft  mit  der  Ge- 
mahlin des  Kaisers,  Gegenstand  des  allgemeinen  Hasses  wird  er 
zwar  einen  Augenblick  gestürzt,  aber  nur  um  wieder  zu  noch 
höheren  Ehren  zu  gelangen,  bis  es  endlich  dem  Caracalla  im 
J.  205  geUngt,  ihn  zum  Tode  zu  bringen.  Er  wurde  gegen  die 
bisherigen  Vorgänge  zur  höchsten  senatorischen  Würde  erhoben 
durch  Erteilung  zuerst  der  konsularischen  Ehrenzeichen  —  dies 
war  aber  auch  schon  anderen  zu  teil  geworden  — ,  dann  eines  wirk- 
lichen Konsulats,  das  gegen  die  Ordnung  von  jenen  Ehrenzeichen  aus 
als  zweites  gerechnet  wurde.  Dafs  Plautianus  ein  gewalttbätiger 
und  habsüchtiger  Günstling  war,  wird  wohl  nicht  erfunden  sein, 
zum  Teil  aber  mag  bei  den  Urteilen,  die  wir  über  ihn  haben, 
der  Hafs  der  Senatoren,  die  sich  vor  ihm  beugen  mufsten  und 
denen  gegenüber  er  die  senatsfeindlicbe  Seite  der  Politik  des 
Severus  vertrat,  in  der  Übertreibung  eine  Rolle  spielen;  jeden- 
falls ist  kaum  anzunehmen,  dafs  ein  Mann  wie  Kaiser  Severus 
einem  untüchtigen  Menschen  solches  Vertrauen  geschenkt  hätte; 
er  wird  in  ihm  einen  im  Krieg  wie  in  der  Civil  Verwaltung  ge- 
eigneten und  seinen  Absiebten  entsprechenden  Gehilfen  gefunden 
haben.  Trotzdem  bleibt  es  psychologisches  Rätsel,  dafs  ein 
energischer  und  durcb  eigene  Kraft  und  Einsicht  ausgezeichneter 


1)  Instit.  2,  17,  8:  Lieet^  if%quiunt  (divi  Severus  et  Äntoninua),  legibus 
soluU  8umu8^  cUtamen  legibus  vivirnus.  /^^^/^T^ 

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-    458     - 

Herrscher  in  dem  Mafse^  wie  es  der  Fall  gewesen  sein  mufs^ 
Yon  einem  Günstling  sich  beherrschen  liefs,  und  es  genügt  daf&r 
auch  nicht  das  Motiy,  dafs  er  in  ihm  eine  Stütze  für  die  Zukunft 
seiner  Söhne  sah,  da  eine  so  selbständig  gestellte  Macht  f&r 
eine  blofse  Stütze  gar  zu  bedenklich  stark  war.^)  —  Die  grolse 
Stellung  der  Gardepräfektur  überhaupt  aber  hing  nicht  an  dieser 
persönlichen  Bevorzugung  eines  einzelnen  Präfekten;  denn  der 
Nachfolger  des  Plautianus,  der  grofse  Jurist  Papinianus,  bildete 
ebenfalls  die  Spitze  der  ßeichsverwaltung,  wohl  auch  in  freund- 
schaftlicher Stellung  zum  Kaiser,  aber  nicht  als  Günstling.  Ja 
gerade  die  Bedeutung  dieses  trefflichen  Mannes  ist  geeignet^  den 
Umschwung  in  der  Ordnung  der  Dinge  zu  yergegenwärtigeB. 
Der  militärische  Charakter  des  Präfekten  kommt  bei  ihm  und 
den  anderen  berühmten  Juristen,  die  nach  ihm  in  dieser  Stellung 
waren,  für  die  Auktorität  desselben  auch  jetzt  noch  in  Betracht, 
aber  in  den  Funktionen  tritt  sie  zurück;  diese  können  von  einem 
zweiten  Präfekten  und  den  Offizieren  besorgt  werden.  Das  eigent- 
liche Gebiet  der  leitenden  Stellung  ist  die  Yerwaltungsfunktion 
in  dem  eigenen  Kessort  des  Amts,  der  jetzt  übrigens  auch  er- 
weitert ist,  und  die  Bedeutung  im  Konsilium  des  Kaisers  ab 
erster  Ratgeber  und  StelWertreter  desselben.  Eben  in  der  Person 
Papinians  ist  diese  Stellung  die  Spitze  nicht  einer  militärischen, 
sondern  juristischen  Yerwaltungslauf  bahn^),  und  damit  vertritt  sie 
nicht  nur  die  ritterliche  Carriere  gegenüber  der  senatorischen, 
sondern  auch  innerhalb  der  ritterlichen  eine  besondere  bürger- 
liche;  in   der  Regierung   aber  vertritt   sie   die  Jurisprudenz,  in 

1)  Über  PlautianuB  Dio  76,  14—76,  7.  Dio  ist  der  getreue  Interpret 
der  StimmnDg  des  Senats.  Herod.  3,  10,  5—12,  12.  Vit  Sev.  6,  10: 
(Severus)  Plautianum  ad  occupandos  Nigri  libros  misit,  also  schon  im  J.  193. 
14,  5  ff.  Inschriften:  Wilm.  985.  986  (beide  aus  dem  J.  202).  1500  (aus  20S). 
Er  heilst  (n.  986)  darin  darissimm  vir,  pontifex^  fwhäissimus  praef,  praä., 
necessarius  Äugustorum  et  comes  per  omnes  expeditiones  eorum;  pro  boIuU 
eiu8  wird  (n.  985)  geweiht  zugleich  mit  der  Weihung  für  den  Kaiser  und 
er  wird  zur  domus  divina  gerechnet,  cos,  II  heifst  er  203  (n.  1500). 
Summarische  Übersicht  über  seine  Laufbahn  bei  Hirschfeld  Verwaltungsgesch. 
S.  230  n.  58.  Dieser  vermutet,  dals  Plautian  in  seiner  letzten  2^it  alleiniger 
Pr&fekt  war. 

2)  Über  Papinian,  seine  enge  Freundschaft  mit  Severus  und  Verwandt- 
schaft vit.  Carac.  8^  2;  er  heifat  vit.  Sev.  21,  8  iuris  asylum  ei  dodrinae 
legdlis  thesaums^  über  seine  Stellung  in  der  Reihe  der  Präfekten  Hirschfeld 
a.  a.  0.  S.  231  n.  61;  sonst  Kariowa,  Rechtsgeschichte  1,^  735  f.  —  Die 
näheren  Belege  über  die  Kompetenz  des  Gardepräfekten^.  im  Sptem. 

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—    459     — 

indiffereDten  Dingen  im  Dienste  der  Wissenschaft  und  des  ge- 
ordneten Geschäftsgangs  sowie  der  guten  Tradition,  häufig  auch 
der  Humanität,  in  politischen  Fragen  aber  im  Dienste  der  kaiser- 
lichen Seite  der  Gewalt,  d.  h.  eben  jener  Autokratie  des  Kaisers. 
In  der  Lehre  von  den  Rechtsquellen  und  der  Staatsgewalt  wird 
die  Überlieferung  über  Senat  und  Volk  stehen  gelassen  und  vor- 
getragen, dafs  der  Kaiser  seine  Gewalt  yom  Volk  hat,  allein  das 
ist  eine  för  die  Gegenwart  gleichgültige  Antiquität,  wertvoll 
für  Aufrechterhaltung  der  Überlieferung  und  das  Verständnis  des 
Rechts,  aber  das  aktuelle  Interesse  und  die  Fortbildung  des 
Reichs  beruht  nicht  etwa  auf  der  communis  respüblica,  auf  weiteren 
Yolksgesetzen  oder  auf  dem  Zusammenhang  des  Princeps  mit 
Senat  und  Volk,  sondern  in  dem,  was  legis  vigorem  habety  in  den 
eigenen  Verfügungen  des  Princeps.  Dieser  ist  jetzt  einfach  rex, 
ßaeiXevg]  das  Gesetz,  durch  das  ihm  das  Imperium  übertragen 
wird,  ist  dem  ülpian  eine  lex  regia.^)  Eben  die  aus  dem  Orient 
stammenden  Juristen,  wie  Papinian  und  Ulpian^  und  Senatoren 
ilerselben  Herkunft  fanden  in  den  Traditionen  ihrer  Heimat  An- 
knüpfung genug,  um  das  romische  Cäsarenthum  in  dem  Licht 
eines  Königtums  zu  sehen.  Und  diese  Juristen  nahmen  keinen 
Anstand,  den  Majestätsprozefs  in  der  Weise  zu  stützen,  dafs  sie 
es  als  selbstverständliches  Recht  vortragen  ^  dafs  in  ihm  keine 
Würde  vor  der  Folter  schütze.^)  —  Diese  neue  Theorie  ist  denn 
auch  nach  orientalischen  Vorbildern  begleitet  von  immer  ge- 
steigerten Formen  der  kaiserlichen  Titulatur,  die  schon  von  der 
Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  an  sich  vom  Publikum  aus  geltend 
machen,  jetzt  aber  immer  mehr  offiziell  werden.  Und  den  kaiser- 
lichen Ehrentiteln  folgen  dann  auch  in  entsprechender  Entfernung 
solche  des  Senats  und  der  Grade  des  ritterlichen  Beamtenstandes, 
bei  welch  letzterem  sie  mit  der  Stufenfolge  und  Zusammenfassung 
unter  der  Gardepräfektur  zusammenhängen.^) 

7.    Bei  aller  Fürsorge  für  die  bürgerliche  Verwaltung  stand 
dem  Kaiser  doch  in  erster  Linie  die  Erhaltung  eines  zuverlässigen 


Das  Hee 


1)  Vgl.  die  Digestentitel  I.  3,  4,  speciell  l,  4,  1  (ans  Ulpians  In- 
BÜtationen):  Quod  principi  placuitf  legis  habet  vigorem,  utpoU  cum  lege  regia^ 
quae  de  imperio  eius  lata  est,  populw  ei  et  in  eum  omne  suum  Imperium  et 
potestatem  conferat. 

2)  Paulus  seDt.  6,  29,  2:  iäeo  cum  de  eo  (so.  crimine  maiestatis)  quae- 
rüur^  nuUa  dignitas  a  tormentis  excipitur. 

3)  Näheres  hierüber  im  System.  ^  j 

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—     460     — 

Heers.  Er  endlich  machte  hinsichtlich  der  Zahl  der  Legionen 
einen  kräftigeren  Fortschritt  als  irgend  einer  seiner  Vor^nger, 
indem  er  nach  den  Partherkriegen  drei  neue,  die  drei  parthischeD 
errichtete«^)  In  der  Behandlung  des  Soldatenstandes  ging  er  mit 
Gunstbezeugungen  bis  an  die  äufserste  Grenze.  Nicht  nur  waren 
die  Geschenke,  die  er  den  Truppen  bei  verschiedenen  Gelegen- 
heiten gab,  wie  übrigens  auch  die  an  die  Stadtbevölkerung,  von 
enormer  Hohe'),  sondern  es  wurde  den  Soldaten  auch  sonst  in 
vielen  Beziehungen  bedeutende  Besserstellung  zu  teil,  Erhöhung 
des  Soldes,  Erlaubnis  goldene  Ringe  zu  tragen  auch  fÖr  die 
Gemeinen,  Bewilligung  des  Zusammenwohnens  mit  Weibern  aoiker- 
halb  des  Lagers^),  so  dafs  dieses  nicht  mehr  die  eigentliche 
Heimat,  sondern  nur  mehr  der  Übungsplatz  und  die  Festung 
war,  die  schönere  Ausrüstung  der  Lager  und  Ausführung  von 
mancherlei  nützlichen  Bauten  in  denselben^),  Privilegien  der 
Veteranen  in  ihrer  bürgerlichen  Stellung'^)  u.  A.  Namentlich 
aber  wurde  die  Offizierslaufbahn  anders  geordnet:  die  Kluft 
zwischen  dem  Centurionat  und  den  Stabsoffiziersstellen  (müitiae 
equestres)  schwand,  indem  ersterem  Bitterrang  gegeben  und  damit 


1)  Dio  bei  der  Geschichte  der  Legionen,  die  er  56,  23  f.  giebt,  c.  24: 
SBOvrJQog  ta  JTa^txa  {avvha^e\  x6  ts  ngmtov  x«l  to  xqCxov  xa  h  Meto- 
noxuyki(f  xal  xo  9icc  fiiöov  x6  dsvxsQOv  x6  iv  xfj  'ixalia. 

2)  Z.  ß.  bei  der  Feier  der  Decennalia,  des  zehnjährigen  Regiemngs- 
jabiläums  Dio  76,  1:  idoaQriOaxo  xm  o/li^Xad  navxl  xm  aixoSoxovfiivo}  nocl  xoig 
axQaxuaxctig  xoiq  doQvtpoqoig  IfSaqC^iaovg  xotg  tfjs  riyBfiowias  ixB6i  xqvstmg^ 
i(p'  otg  xal  iiiytöxov  rjydXkexo'  %al  yctQ  mg  dXrj^KS  ovdslg  nmnoxs  zoaovxow 
avxois  dd'Qooig  iSsdmxet.  VgL  in  der  Gongiarienznsammenstellnng  bei 
Marquardt,  röm.  Staatsverw.  2',  S.  139  die  Summe  des  Severaa  mit  den 
andern.     Herodian  3,  8,  4. 

8)  Herod.  3,  8,  6:  to  aixrjQiaiov  ngmxog  rjv^jjaeif  (xo^g  axgaxuoxaig)  ntd 
öayLxvXioig  ^pvffori?  zgi^caed-ai  inixgs^s  yvfcri|/  xb  ewoixBiv.  Über  die  Be- 
dentnng  dieses  letzteren  Zugeständnisses  vgl.  Mommsen  in  corp.  i.  1.  3 
p.  908  nnd  G.  Wilmanns  in  Commentat.  Mommsenian.  S.  200  ff.  —  Diese 
Vergünstigung  läfst  Herodian  nach  dem  Sturz  des  Albinus  eintreten. 

4)  Dies  zeigt  besonders  deutlich  das  Lager  von  Lambäsis  in  Afrika; 
vgl.  G.  Wilmanns  a.  a.  0. 

5)  Digest.  50,  6,  7:  -4  muneribus,  quae  non  patrimomis  indicuntur^ 
veterani  post  optimi  noatri  Severi  Äugusli  liUeras  perpetuo  excusaiUw,  — 
Überhaupt  findet  sich  von  jetzt  an  stetige  Fürsorge,  dafe  das  Militär  in 
seinen  bürgerlichen  Rechtsverhältnissen  Bevorzugung  ge?nnne  oder  wenig- 
stens nicht  zu  schaden  komme,  wie  denn  z.  B.  das  benefidum  inventarii 
unter  Gordian  III  zuerst  den  Soldaten  zu  teil  wird  (Cod.  Just.  6,  30,  22), 
sie  vor  den  Nachteilen  der  ignorantia  iuris  gewahrt  we;»|en  u.  A. 

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-     461     - 

auch  das  Avancement  zu  den  höheren  OfBziersstellen  und  von 
diesen  aus  in  die  höhere  bürgerliche  Verwaltungscarriere  eröflfnet 
wurde,  und  infolge  davon  war,  da  die  Möglichkeit  von  unten  auf 
zum  Centuriouat  zu  gelangen,  nicht  ausgeschlossen  war,  das 
Aufsteigen  vom  Gemeinen  zum  höheren  Offizier  erleichtert^) 
Dies  macht  sich  denn  auch  im  Lauf  des  dritten  Jahrhunderts 
bis  zu  der  höchsten  Stelle  des  Imperators  selbst  hinauf  geltend. 
Von  einschneidendster  Bedeutung  aber  war,  dafs  eine  der  drei 
neuen  Legionen  in  die  Nähe  von  Rom,  in  ein  Lager  am  Albaner- 
berg verlegt  wurde.*)  Damit  war  nicht  blofs  die  militärische 
Macht^  die  dem  Kaiser  in  Italien  jeden  Augenblick  zu  Gebot 
stand,  sehr  wesentlich  verstärkt,  der  Kaiser  persönlich  gesicherter 
und  militärisch  aktionsfähiger,  sondern  er  wurde  auch  zugleich 
weniger  abhängig  von  der  Garde,  sofern  sie  nicht  mehr  die 
einzige  Truppe  zu  seinem  unmittelbaren  Schutz  war,  und  endlich 
wurde  ein  weiterer  Unterschied  zwischen  Italien  und  den  Provinzen 
aufgehoben.  Aber  gerade  hier  trat  noch  mehr  als  bei  der  neuen 
Formation  der  Garde  das  fQr  Italien  ungünstige  Moment  hervor. 
Allerdings  wurde  auch  Italien  dadurch  verteidigungsfähiger,  aber 
in  viel  besserer  Weise  wäre  dies  geschehen,  wenn  zu  gleicher 
Zeit  die  Italiker  zu  regelmäfsigem  Dienst  herangezogen  worden 
wären.  Nachdem  auch  diese  Gelegenheit  in  letzterer  Hinsicht 
zu  reformieren  versäumt  war,  konnte  sie  nicht  leicht  mehr  mit 
Erfolg  versucht  werden.  —  In  Verbindung  mit  den  militärischen 
Vorkehrungen  zum  Schutz  der  Hauptstadt  und  des  Kaisers  stand 
auch  der  Bau  einer  zweiten  Gardekaserne  in  Rom,  deren  genauere 
Bestimmung  jedoch  nicht  bekannt  ist.')    Unter  den  Zeitgenossen 


1)  Es  ist  dies  aus  den  epigraphiachen  Beispielen  von  der  Militär! anf- 
bahn  zu  entnehmen;  vgl.  L.  Renier,  milangea  d*  ipigr,  203 ff.  Hirschfeld, 
Verwaltnngflgesch.  1,  248 ff.  Liebenam,  Verwalinngsgesch.  1,  112 ff.,  wo- 
selbst auch  Einzelbelege  und  die  Zeugnisse  füir  den  Übergang  von  den 
OfQüersstellen  in  den  Verwaltnngsdienst.  —  Andere  Änderungen  in  der 
Ordnung  des  Dienstes  und  der  Offiziersstellen  sind  von  speziell  militärischem 
Charakter,  wenn  sie  auch  einen  gewissen  Zusammenhang  mit  den  Unter- 
schieden der  Stände  haben. 

2)  Ob.  460  A.  1.  Die  Inschriften  vom  Lagerplatz  dieser  Legion  beim 
Albanerberg  in  Corp.  inscr.  lat.  6  p.  762—796.  Henzen  in  cmncäi  delV  inst. 
1867  p.  7S  ff.  Vgl.  über  die  Vermehrung  der  Militärmacht  in  Rom  und 
Umgebung  Herod.  3,  13,  4. 

3)  Corp.  inscr.  1.  3,  p.  893.  LL  Z.  6  f.;  equitibus,  qui  inter  singulares 
miliiaver(unt)   casirh  novis  Severianis,    wobei  es  aber  nur  Vermutung  ist, 

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—     462     — 

läfst  sich  das  Urteil  yernehmen,  Seyerus  sei  mit  all  dem,  wm 
er  den  Soldaten  angedeihen  liefs,  ein  Zerstörer  der  alten  romisdien 
Heereszucht  gewesen^),  und  wenn  auch  dagegen  wieder  andere 
Zeugnisse  angefahrt  werden  können,  die  ihm  Strenge  nachrühmen, 
so  kann  doch  kein  Zweifel  darüber  sein,  dafs  schon  die  groCfien 
Schenkungen,  welche  der  Kaiser  den  Soldaten  zukommen  liefs, 
und  das  sichtliche  Bemühen  um  ihre  Anhänglichkeit^)  ihnen  ein 
Selbsi^efühl  geben  mufste,  bei  dem  der  Gehorsam  nur  auf  Gegen- 
leistungen hin  gewährt  wurde. 

Für  sich  selbst  hatte  Seyerus  wohl  ein  derartiges  Verfahren 
kaum  nötig;  denn  er  wäre  der  Mann  gewesen,  sich  den  Gehor- 
sam der  Soldaten  durch  seine  Auktorität  als  Imperator  und  sieg- 
reicher Feldherr  zu  erhalten;  aber  es  war  teils  der  Gegensati 
gegen  den  Senat,  teils  die  Sicherung  seiner  Dynastie,  was  ihn 
dazu  yeranlafste,  geradezu  die  Gunst  der  Soldaten  zu  suchen. 
Das  erstere  Gefühl  hat  ihm  das  Wort  eingegeben,  das  er  seinen 
Söhnen  als  Testament  hinterliefs,  sie  sollen  die  Soldaten  bereichem, 
sonst    aber    um   niemanden    sich    kümmern'):    es    ist    dieselbe 


dafs  der  Beiname  dieser  Kaserne  der  eq.  sing,  von  Septimins  Seyenu  her- 
komme. Henzen  nimmt  aun.  dell'  inst.  1850  p.  33  damit  zosammeo,  daCi 
es  bei  Herod.  3,  13,  4  heifst:  Trjg  rt  iv  ^Ptofiy  dvvdfismg  avtijs  xstQania- 
ciaa^Bloriq  und  schreibt  dem  Severns  auch  die  casira  peregrina  zu. 

1)  Herodiau  3,  8,  6:  (das  den  Soldaten  bewilligte)  anavta  amipQoavviis 
ötqatimtinfjg  xal  xov  iiQog  xov  noXsfiov  stoifiov  xb  xofl  ivaxctXovg  aXXoxQUt 
ivofU^eto'  'nal  ngatog  ys  i%£ivog  x6  Tcecvv  avxmv  if(t»fiUvov  nal  xb  ffxlijpo« 
xijg  duiixrjg  x6  xs  avnsid'lg  nQog  xovg  novovg  xal  svx€c%xov  ftsx'  aldovg 
TCQog  ctQxovxag  inavixQS^e  XQ^f'^''^^  ^^  ini^iicCv  dtSd^ag  %al  {t^xayaymv 
ig  x6  äßgodianov,  Dio  78,  36  (Schreiben  des  Macrinus  an  den  Senat): 
tva  ys  xig  äXXa  oca  nagd  xs  xov  £sovijqov  %al  xov  vtsog  avxov  nQog  dur- 
tpoQdv  xijg  d%Qißovg  axgaxsiag  svqtivxo  na^aX^nj^.  —  Wenn  dem  gegenüber 
derselbe  Macrinus  vit.  Macr.  12,  1  heifst,  incusans  superiorum  tempomm 
disciplinam  ac  solum  Severum  prae  ceteris  laudans,  wenn  Dio  78,  28  die 
unter  Severus  den  Soldaten  gemachten  Bewilligungen  noch  als  m&Tsig  er- 
scheinen gegenüber  dem  was  nachher  gekommen  war,  wenn  strenge  Militär- 
gesetze von  ihm  erwähnt  werden,  (Dig.  49,  13,  16,  6)  so  sind  dies  keine 
Widersprüche,  sondern  es  zeigt  sich  nur,  dafs  die  Politik  den  Sieg  davon 
trug  über  das,  was  die  Sachkenntnis  verlangte. 

2)  Dahin  gehört  auch,  dafs  er  nach  dem  Beispiel  des  Triumvirs  An- 
tonius die  Namen  der  Legionen  auf  seine  Münzen  setzte.  Vgl.  Cohen  4 
Sev.  255—278,  wobei  bezeichnend  ist,  welche  Legionen  dieser  Ehre  würdig 
erachtet  wurden  und  welche  nicht. 

3)  Dio  76,  15:  oftopostxSy  xovg  axgaxuixag  nXovxCtsxs,  xmv  iXlt9P  itdr- 
xav  %axtttpQOveite. 

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—    463    — 

absolute  Rücksichtslosigkeit,  die  er  seit  197  dem  Senat  gegen- 
über bewiesen  hatte,  und  mit  der  er  allem  ruhig  zugesehen,  was 
Plautianus  sich  jenem  gegenüber  erlaubt  hatte.  Im  Senat  wollte 
er  keine  Stütze  haben  und  andere  Rücksichten  als  die  auf  die 
Erhaltung  des  Imperiums,  wie  er  es  für  sich  und  sein  Haus 
wollte,  kannte  er  nicht:  dieses  sollte  den  Soldaten  allein  anver- 
traut werden.  Darum  war  er  auch,  wo  es  sich  um  deren  An- 
hänglichkeit  handelte,  wie  das  Schicksal  des  Latus  (ob.  S.  453 
A«  1)  zeigte,  schonungslos  eifersüchtig,  wozu  dann  freilich  einen 
schreienden  Kontrast  bildete,  dafs  gerade  in  der  Gunst  der  Sol- 
daten der  Sohn  ihn  zu  yerdrängen  suchte.  ^)  Im  Gaqzen  erreichte 
der  Kaiser  wohl,  dafs  die  Truppen  an  sein  Haus  anhänglich 
blieben,  aber  die  Mittel,  durch  welche  dies  erzielt  wurde,  hatte 
das  Reich  und  hatte  bald  diese  Dynastie  selbst  schwer  zu  büfsen. 

8.   Der  Grund,  weshalb  die  früheren  Kaiser  die  Vermehrung      Pinan«- 

VGPWftlttlOCf 

der  Legionen  so  sehr  gescheut  hatten,  war  in  den  grofsen  Kosten 
gelegen  gewesen.  Bei  Severus  war  es,  als  ob  solche  Bedenken 
nicht  mehr  in  Betracht  kämen,  er  hatte  die  Mittel  dazu,  wahrte 
einen  befriedigenden  Stand  der  Finanzen  während  einer  Zeit,  die 
an  Ausgaben  für  öffentliche  Vergnügungen  und  öffentliche  Arbeiten 
überreich  war  und  hinterliefs  einen  bedeutenden  Schatz  neben 
dem,  daüs  er  für  das  Privatyermögen  der  eigenen  Familie  in 
einer  Weise  sorgte,  wie  nie  ein  Kaiser  vor  ihm.^)  Es  fragt  sich, 
wie  er  diese  Erfolge  erzielte. 

Unter  den  Quellen,  aus  denen  jene  reichen  Mittel  zusammen- 
flössen, spielten  die  nach  den  Siegen  über  Niger  und  Albinus 
ungemein  zahlreichen  Konfiskationen  in  Rom,  Italien  und  allen 
beteiligten  Provinzen  die  erste  Rolle.  Dafs  mit  deren  Ertrag 
die  Lasten  der  Bürgerkriege  und  die  unmittelbaren  Bedürfnisse 
der  neuen  Regierung  bestritten  wurden,  versteht  sich  von  selbst, 
aber  Severus  hatte  nicht  im  Sinne,  in  der  Art  des  ersten  Au- 
gustus  mit  dem,  was  er  hier  erübrigte,  dem  Reiche  überall  da 
auszuhelfen,  wo  die  ordentlichen  Einnahmen  nicht  ausreichten, 
und    als  Kehrseite   des   kaiserlichen  Verfügungsrechts   über   die 


1)  Vit  Sev.  18,  9.  Herod.  3,  16,  1.  Dio  76,  14,  wobei  die  Anfaerung 
Dies:  tots  (piXoTSTivog  (mcXXov  ^  (ptXonoXig  iyivsto. 

2)  Dio  76,  16:  ndfinlstata  danavrjßag  ofioag  ovx  fvaQid'firiTOvg  tivag 
fiVQUxSag  ägaxficiv  nccxaXiXontsv  dXXä  xal  ndvv  noXXdg.  Vit.  Sev.  12,  3: 
fiiiis  suis  ex  heu;  proscriptiane  tantum  reliquit  quantum  nulhAS  imperatorum. 
Herod.  3,  13,  4.     16,  3:  xQi^fiata  7iataXin(ov  oaa  (iriSslg  noinots. 

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-     464    — 

Reichsmittel  eine  EhrenyerpäichtuDg  anzuerkennen,  mit  dem  ein- 
zutreten, was  er  Eigenes  nennen  konnte;  er  verfuhr  vielmehr  in 
entgegengesetztem  Sinn,  unmittelbar  im  Anschlufs  an  die  Er- 
wähnung jener  grofsen  aufserordentlichen  Einnahmequelle  der 
Konfiskationen  wird  berichtet,  dafs  er  ein  Hausgut  mit  besonderer 
Verwaltung  einrichtete.^)  In  erster  Linie  also  sollte  das  neue 
kaiserliche  Haus  finanziell  sicher  gestellt  werden.  Bisher  hatte 
es  ein  Kaiservermögen  gegeben,  welches  von  einem  Prineeps  auf 
den  andern  überging,  nicht  etwa  bloCs  von  Vater  auf  Sohn, 
sondern  im  Allgemeinen  von  Principat  zu  Principat  (jpo^'^notiMiiii 
principis)]  dieses  wurde  jetzt  auch  noch  beibehalten  und  diente 
dem  Kaiser  wie  früher  filr  seine  Stellung  und  für  Reichszwecke, 
aber  es  sollte  jetzt  abgeschlossen  sein.  Was  demselben  früher 
zugeflossen  war,  sollte  zusammen  mit  dem  Ertrag  jener  Konfis- 
kationen und  Strafen  ein  Hausvermogen  der  kaiserlichen  FamiUe 
(res  privata)  bilden  und  bestimmt  sein,  ihr  für  alle  Fälle  die 
Mittel  zu  sichern,  um  sich  im  Imperium  zu  erhalten;  denn  dafs 
mit  der  durch  Geld  erkauften  Treue  der  Soldaten  und  etwa  auch 
des  hauptstädtischen  Volkes  die  Sicherheit  dafür  gegeben  sei, 
war  ja  das  erste  und  letzte  Wort  dieser  Regierung.  Aber  de^ 
selbe  Kaiser,  der  in  dieser  Weise  für  sich  und  seine  Familie 
sorgte,  war  doch  auch  wieder  zu  eifriger  Verwaltungsmann'), 
als  dafs  er  nicht  auch  für  einen  geordneten  Haushalt  im  Reich 
besorgt  gewesen  wäre,  und  einen  solchen  stellte  er  denn  auch 
her.  Neue  aufserordentliche  Mittel  nun,  die  dem  Fiskus  zuge- 
flossen wären,  sind  nicht  nachzuweisen.  Wenn  der  Partherkrieg 
über  die  Kriegskosten  und  die  Belohnungen  der  Soldaten  hinaus 
noch  einen  Ertrag  gab,  so  wurde  dieser  schon  durch  die  Er- 
richtung der  drei  neuen  Legionen  verschlungen.  Bald  darauf 
gab  der  Sturz  des  Plautianus,  der  seinerseits  durch  Erpressungen 
ungeheure  Reichtümer  gesammelt  haben  soll^,  diese  allerdings 
dem  Kaiser,    aber   ohne  Zweifel   zu  Vermehrung  des  Hausguts, 

1)  Vit.  Sev.  12,  4:  tunc  primum  privatarum  remm  procuraüo  con- 
stüuita  est.  Näheres  Hirschfeld,  Yerwaltungsgesch.  1,  41  ff.  und  ujiten  im 
System. 

2)  Vgl.  über  seine  Thätigkeit  und  Arbeitskraft  den  Nekrolog  hei  Dio 
76,  16  f.  und  Herod.  3,  10,  2:  hmv  ov%  oXiymv  h  rij^PciiiTi  diitffi^s  dindiw 
ts  avvexois  xffl  tct  noXirma  dtotnmp. 

8)  Vgl.  die  Inschr.  eines  procurator  ad  b(ma  Plautiani^  d.  h.  wohl 
(mit  Duruy  6,  104  A.  2)  eines  proc.  ad  bona  damnatarum  c.  i.  1.  3,  1464. 
Henzen  6920.     Wilmanns  1277.  ^ 

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—     465    — 

Kumal  da  der  Mitkaiser  Eidam  des  Gestürzten  war,  und  ebenso  flössen 
die  Konfiskationen  bei  den  zahlreichen  fernerhin  noch  folgenden 
Exekutionen  letzterem  zu,  ebenso  der  grofse  Posten  der  dem  Kaiser 
gemachten  Vermächtnisse.^)  -Eine  Reform  der  Steuern  ist  nicht 
nachzuweisen;  auch  wagte  man  noch  nicht,  Italien  in  derselben 
Weise  wie  die  Provinzen  zu  besteuern.  Die  Mittel  können  also 
nur  aus  einer  strengeren  Verwaltung  der  bisherigen  Steuerquellen 
geflossen  sein,  und  darauf  fQhren  auch  einige  Spuren.  Die  Ein- 
richtung der  Fiskaladvokaten  wurde  zu  sicherer  Beibringung  der 
Forderungen  des  Fiskus  auf  eine  gröfsere  Anzahl  von  Steuer- 
verwaltungen ausgedehnt,  da  und  dort  neue  Stellen  geschaffen, 
in  der  hauptstadtischen  Verwaltung  mit  dem  Erfolg  einer  spar- 
sameren Wirtschaft  Senatsbeamte  durch  kaiserliche  ersetzt, 
und  namentlich  mochte  strammere  Konzentration  der  ganzen 
Seite  des  kaiserlichen  Dienstes  dazu  dienen,  bessere  Resultate  zu 
erzielen.^  In  das  Detail  dieser  Organisation  sehen  wir  nicht 
genügend  hinein,  aber  aus  ihren  Wirkungen  können  wir  auf  den 
durchgreifenden  Charakter  schliefsen. 

Die  Gegner  des  Kaisers  sahen  darin  nur  Habsucht  und 
brutal  vernichtende  Ausbeutung  der  durch  Bürgerkriege  gewonne- 
nen Macht  ^),  und  wer  wird  leugnen,  dafs  unter  dem  so  ergiebigen 
Strafverfahren  des  Kaisers  selbst  und  unter  dem  herrschenden 
£influ£s  Plautians  viel  produktives  Leben  fär  die  Zukunft  zerstört 
wurde;  aber  ebenso  wenig  ist  in  Abrede  zu  ziehen,  dafs  eine 
sorgfaltigere  Verwaltung  selbst  ohne  anderweitige  Einrichtung 
der  Steuerquellen  bessere  Erträge  schaffen  konnte;  es  bedurfte 
dazu  nur  eines  Herrschers,  der  eben  hierfür  Sinn,  Verständnis 
und  Energie  hatte.  Die  an  Gehorsam  gewöhnten  Provinzen 
liefsen  jedenfalls  die  geschärfte  Steuerpolitik  ohne  Widerstand  über 
sich  ergehen,   hatten  sie  doch  andererseits  durch  die  wiederher- 


1)  Instit  Josi  2,  17,  8  wird  zwar  von  ihm  anerkannt,  dafa  er  Ver- 
mächtnisse, die  nicht  rechtlich  korrekt  waren,  nicht  annahm,  aber  die  an- 
standslos zufallenden  waren  bei  allen  Kaisern  bedeutend  genng. 

2)  Hirsohfeld,  Verwaltangsgesch.  an  Terschiedenen  Stellen,  nach  in- 
schriftlichen Zengnissen. 

8)  Dio  74,  8:  iiQyvqol6yriat  istvmg  —  ija^dveto  ftfv  nov  xal  avrog 
rovTO,  icoXXAp  dl  dri  xQtifuiTmif  %Qijimv  iv  ovSsvl  laym  ta  ^QvXoviispce  inoi- 
ffTO.  Herod.  3,  8,  7:  navtag  tovg  i^fxovxag  tote  trjg  cvynliitov  f^ovXrjg 
%ai  rovg  x€c%a  i^vtj  nlovtm  rj  yivBi  'hnsgixovtctg  dtpeidmg  dqnJQBi  —  vnsg- 
ßallovarig   iv   avta    (ptlo%Qrificctücg'  ovSelg  yovv  ßaailiav  ovtoi  xQVP^dtmv 

Hersog,  d.  röm.  StaaUverf.  U.  1.  30gitized  by  VjOOQIC 


—     466    — 

gestellte  Rahe  und  die  nach  den  Bürgerkriegen  hoch^fc  notwendige 
unter  Sevenis  geübte  Polizei  einen  Gegenwert.*)  Dafs  Severus  den 
Unterschied  zwischen  Ararium  und  Fiskus  aufhob,  kann  nicht 
angenommen  werden,  da  derselbe  nachher  noch  bestand.  Er  wird 
dem  Ärarium  wohl  auch,  was  damals  allein  noch  eine  bedeutendere 
Einnahmequelle  desselben  bildete,  die  Einkünfte  aus  den  Senats- 
proyinzen  überlassen  haben;  es  wäre  wenigstens  kaum  anzunehmen, 
dafs,  wenn  in  dieser  Zeit  hier  eine  Veränderung  eingetreten  wäre, 
dies  bei  Dio  nicht  erwähnt  und  so  hervorgehoben  worden  wäre, 
dafs  in  den  Auszügen  etwas  davon  stände«  Jene  Einkünfte 
werden  aber  auch  über  die  Yerwaltungskosten  nicht  viel  in  die 
Kasse  gebracht  haben,  und  was  so  erübrigt  wurde,  konnte  in 
althergebrachten  Senatsauf  gaben  sofort  seine  Verwendung  finden  ; 
dafs  aber  die  Steuerkraft  der  Senatsproyinzen  auch  dem  Fiskiu 
zu  gute  komme,  dafür  war  durch  andere  Steuern  gesorgt 

Zu  der  neuen  Verwaltung  gehörte  auch,  dafs  die  G^etreide- 
verwaltung  Roms  mit  möglichst  weitreichender  Sicherheit  organi- 
siert und  die  Reichspost  in  den  Provinzen  ebenso,  wie  bisher 
schon  in  Italien,  vom  Reiche  übernommen  wurde.  In  ersterer 
Beziehung  sollte  für  genügende  Vorräte  in  Rom  durch  ein  auf 
7  Jahre  voraus  berechnetes  System  gesorgt  sein*),  eine  Mafsregel, 
in  welcher  freilich  das  System  der  von  oben  her  besorgten  Er- 
nährung der  Hauptstadt  auf  die  Spitze  getrieben  war  und  die, 
auch  wenn  man  sie  mit  romischen  Augen  ansieht,  mit  der  darin 
liegenden    Fesselung    von    Produktion    und   Handel    ebensoviele 

1)  Für  die  nnsicheren  Verhältnisse,  welche  in  Italien  und  den  Pro- 
vinzen entstanden  waren,  sind  bezeichnend  die  Erzählungen  von  dem  italischen 
Räuber  Bulla,  Dio  76,  10,  und  dem  Freibeuter  Numerianus,  einem  früheren 
Schulmeister,  der  in  Gallien  für  Severus  auf  eigene  Faust  kämpfte  75,  5. 
Von  jenem  Bulla  sagt  Dio,  dafs  er  iX'^S^to  triv  'ixaUav  inl  itri  Svo  wt^o^ 
tmv  filv  tmv  avTonQaxoQonv  naQovtatv  9h  nal  tfTparioiriov  xocovxmv.  An 
Energie  gegen  das  Räuberwesen  liefs  es  im  Allgemeinen  Sevems  nicht 
fehlen,  vgl.  vit.  18,  6:  latrontim  übique  fiostis. 

2)  Sev.  23,  2:  moriens  Septem  annorutn  canonem  üa  ut  cotUdiana  aeptma- 
ginta  guinque  milia  medium  expmdi  possent,  rüiguü;  olei  vero  tantmn  vi 
per  quinqitennium  non  solum  tirbis  tmbus  sed  et  totius  Itäliae  quae  oUo  e§ä 
sufficeret.  c.  8,  5:  rei  frwnentariae^  quam  minimam  reppereratf  üa  eotuuMt^ 
ut  excedens  vüa  Septem  (nmorum  canonem  poptUo  B,  reiinqueret.  Nach  vü 
Heliog.  27  war  dieser  canon  unter  Elagabal  noch  eingehalten.  Vgl.  über 
denselben  Hirsohfeld  in  Philol.  29,  24  f.  An  Aufstapelung  von  Vorrftten, 
die  nicht  Jahre  lang  haltbar  waren,  ist  hier  nicht  zu  denken ^  sondeim  für 
diese  Art  an  ein  System  regelmtlfsiger  gesicherter  Beschafiung. 

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^     467     - 

Nachteile  als  Nutzen  gebracht  haben  mag.  Ob  dabei,  wenn 
dieser  ^Eanon^^  einmal  im  Gange  war  und  regelmäfsig  funk- 
tionierte bei  gleichzeitigen  Yerändernngen  in  der  VerwaltuDg, 
Ersparnis  oder  Mehrausgabe  herauskam ,  läfst  sich  nicht  sagen. 
Die  andere  Mafsregel  wird  als  eine  Wohlthat,  welche  der  Be- 
völkerung erwiesen  wurde,  gerühmt,  und  sie  wäre  es  in  hohem 
Grade  gewesen,  wenn  wirklich  die  Kosten  der  Beichspost  ganz 
auf  den  Fiskus  abgewälzt  worden  wären.  ^)  Allein  es  ist  inner- 
lich unwahrscheinlich,  dafs  die  Beichskasse  neben  den  vermehrten 
Kosten  für  die  Armee  auch  hierzu  noch  ausgereicht  hätte,  und 
Leistungen  der  Provinzialen  für  diesen  Dienst  werden  auch  später 
noch  erwähnt.  In  gewisser  Beziehung  ist  diese  Notiz  sicher  richtig; 
wir  wissen  nur  nicht  zu  sagen  in  welcher,  ob  die  Erleichterung 
in  erweiterter  Übernahme  des  persönlichen  Verwaltungsapparats 
oder  der  SachbeschafiFun^  bestand  oder  worin  sonst 

Der  Gesamterfolg  der  Finanzpolitik  des  Kaisers  würde  uns 
klarer  vor  Augen  liegen,  wenn  ähnliche  Regierungen  gefolgt 
wären.  Aber  die  regelmälsige  Funktion  wurde  auch  hier  da- 
durch aufgehalten,  dafs  zuerst  wieder  die  reine  Willkür  und  dann 
eine  andere  Tendenz  folgte.  Die  Prinzipien  der  Organisation 
aber  blieben,  wirkten  fort  und  fanden  Ihre  Vollendung  in  dem 
diokletianisch-konstantinischen  System. 

9.  In  der  sonstigen  Verwaltung  erfreuten  sich  die  Provinzen  ProvinBiai- 
jedenfalls  gröfserer  Fürsorge  als  Italien.  Dem  Severus  war  der 
Unterschied  zwischen  diesen  beiden  Beichsteilen  veraltet  und 
um  so  mehr  zuwider,  als  an  demselben  die  Bedeutung  des 
Senats  hing.  Daher  wurde  immer  mehr  zu  Ungunsten  Italiens 
ausgeglichen.  Der  Kaiser  führt  nunmehr  auch  in  Italien  die 
prokonsularische  Gewalt  im  Titel  und  bezeichnet  damit  auch 
dieses  Land  als  derselben  unterthan,  nicht  sowohl  um  daraus 
neue  Gewalt  zu  schöpfen  oder  ausrichten  zu  können,  was  er  bis- 
her nicht  gekonnt,  sondern  um  es  in  einer  Weise  und  von  einem 
Recht  aus  zu  thun,  das  demonstrativ  war.^)     Im  übrigen  hat  er 

1)  Vit.  Sev.  14,  2:  post  haec  (d.  h,  nach  den  Exekutionen  der  An- 
bänger des  Albinns)  cum  se  vdiet  eommendare  Jiomintbus^  vehicülarium  munua 
a  privatis  ad  fiscwn  traduxit.  Die  Anknüpfung  dieser  Notie  des  Biographen 
zeigt,  daCs  sein  Gewährsmann  die  Sache  nicht  als  eine  wohl  überlegte 
Malsregel,  sondern  nur  als  ein  augenblickliches  Auskunfis mittel  darstellte. 
Ans  den  Inschriften  (vgl.  Hirsohfeld ,  Verwaltungsgesch.  1,  99  ff.)  läfst  sich 
kaum  etwas  hierüber  entnehmen. 

2)  Mommsen,  Staatsr.  2,  817:  „Diese  Beschränkung  (das  Prokonsulat 

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~     468     — 

auch  in  diesem  Verhältnis,  wie  aus  dem  bisherigen  schon  herror- 
geht,  nicht  gründlich  geändert,  sondern  sich  auf  gewisse  Mafs- 
regeln  beschränkt,  die  Reorganisation  der  Garde  und  die  Belegung 
mit  einer  Legion,  wahrend  andererseits  Vorteile,  welche  bisher 
Italien  gehabt,  nun  auch  den  Provinzen  zu  gute  kamen.  Ab- 
gesehen von  diesem  allgemeinen  Gesichtspunkt  hing  die  Behand- 
lung der  Provinzen  in  der  ganzen  ersten  Hälfte  der  Regierung 
dieses  Kaisers  mit  dem  Kampf  um  das  Imperium  zusammen. 
Sowohl  im  Orient  als  in  Gallien  hat  er  sich  nach  dem  Sieg  über 
seine  Gegner  lange  genug  aufgehalten,  um  mit  den  einzelnen 
Provinzen  sich  eingehender  zu  beschäftigen  und  neben  den  Strafen 
und  Belohnungen,  welche  die  Folge  des  Krieges  waren,  die  Ver- 
waltung durchzunehmen.  Was  er  hier  anordnete  und  kennen 
lernte,  bildete  die  Grundlage  seiner  Reskripte  in  der  Zeit,  in 
welcher  er  die  Regierung  von  Rom  au^  führte. 

Die  Veränderungen  nun,  welche  er  in  dem  äufseren  Bestand 
der  Provinzen  vornahm,  werden  an  andrer  Stelle  erwähnt  werden; 
hier  soll  nur  im  Allgemeinen  der  fortschreitenden  Tendenz  gedacht 
werden,  die  Provinzen  zu  teilen.  Wir  sind  dieser  Mafsregel 
schon  früher  bei  den  Donau  pro  vinzen  begegnet  (ob.  S.  426);  wenn 
jetzt  Severus  Syrien  unfl  Britannien  teilt*),  so  geht  dies  bereits 
über  die  Bedeutung  vereinzelter  Mafsnahmen  hinaus  und  fängt 
an  Princip  zu  werden,  und  dem  wird  dadurch  kein  Eintrag  ge- 
than,  dafs  vorübergehend  die  beiden  Mauretanien  unter  Einern 
Prokurator  stehen.^)  Hatte  man  doch  aber  auch  eben  erfahren, 
welche  Gefahr  in  so  grofsen  militärischen  Provinzen  wie  Syrien 


titalar  nur  aufserhalb  Italiens  zu  führen)  verschwindet  zwar  seit  Sevenw 
aus  der  gewöhnlichen  Titulatur,  behauptet  sich  aber  im  streng  offizielien 
Stil  bis  zum  Ausgang  des  dritten  Jahrhunderts."  Beispiel  einer  rOmisdieD 
Inschrift  mit  procos.  ist  die  des  Bogens  des  Severus  auf  dem  Forum  c.  l 
1.  6,  1033,  bei  der  aber  der  Titel  durch  die  Natur  der  Sache  gerechtfertigt 
ist.    Auf  Münzen  findet  dies  noch  nicht  Eingang. 

1)  Hinsichtlich  der  Teilung  Syriens  (ohne  Palästina)  in  Syrui  Fhoemct 
und  Syria  Coele  Tertull.  ady.  Jud.  9  und  die  inschriftlichen  Belege  Boi^e« 
oenvr.  IV  p.  162.  VIU  p.  431  (Anm.  2  von  Waddington);  binsiehtlich 
Britanniens  Herodian  8,  8,  2  vgl.  mit  Dio  65,  28  (^  B^ttrctpia  tj-  avm\  die 
inschriftlichen  Zengnisse  Habner  in  rhein.  Mus.  12,  68  f.  Corp.  i.  L  7 
praef.  p.  4. 

2)  Vgl.  die  Inschriften  des  Cn,  Haiu8  Diadumenianna  proewraiar 
■^uggg.  utrarumque  Mauretaniarum  Tingit.  et  Caes.  und  des  SeUhuUus 
Macrinianus  proc,  Auggg.  utriusque  provinciae  in  corp.J^l.  8  n.|9366.  9371. 

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—    469    — 

und  Britannien  vorliege.  —  Die  allgemeinen  Grundsätze  der  Ver- 
waltung, wie  sie  unter  Severus  ausgegeben  wurden^  sehen  wir  in 
den  Schriften  der  gleichzeitigen  Juristen  über  die  Obliegenheiten 
der  Proyinzialbeamten,  bei  denen  wiederholt  Erlasse  des  Kaisers 
citiert  werden.^)  Man  darf  auch  wohl  glauben,  dafs  der  Kaiser 
auf  Einhaltung  der  Vorschriften  hielt,  und  ein  Beispiel  zeigt;,  dafs 
er  Vergehen  seiner  Statthalter  streng  bestrafte.^)  Im  Ganzen 
wird  man  wohl  annehmen  dürfen,  dafs  die  Zeit  nach  dem  Sturz 
des  Albinus,  in  der  man  es  nur  noch  mit  Grenzkriegen  zu  thun 
hatte,  und  namentlich  die  Periode  nach  dem  Partherkrieg  die 
Erholung  der  Provinzen  wieder  ermöglichte,  zumal  da  Severus 
bei  Byzanz  und  Antiochia  zeigte,  dafs  er  selbst  Städten,  welche 
die  strengste  Ahndung  getroffen,  mit  der  Zeit  wieder  aufhelfen 
wollte.  *)  Nur  der  Verfall  des  munizipalen  Lebens,  den  die  Rechts- 
quellen  durch  die  Anordnungen  zeigen,  die  man  für  die  Über- 
wachung der  städtischen  Finanzen,  Beschränkung  der  freien  Ver- 
fügung über  dieselben  und  die  Aufrechthaltung  leistungsfähiger 
Gemeinderäte  treffen  mufste,  ist  unverkennbar,  und  gerade  hier 
lag  die  Wurzel  für  eine  dauernde  Wohlfahrt  des  Reichs. 

Unter  den  Mafsregeln,  welche  Severus  in  den  Provinzen  traf,  Krteuung  des 
spielen  wieder  die  Erteilungen  des  Koloniecharakters  und  über- 
haupt die  Hebung  einzelner  Städte  eine  grofsere  Rolle.  Dies 
ergab  sich  an  sich  aus  den  Verhältnissen,  da  hierin  ebensowohl 
eine  Förderung  des  städtischen  Wesens  als  eine  Belohnung  för 
geleistete  Dienste  lag.  Aber  auch  hier  begegnen  wir  einem  Zug, 
der  etwas  vorher  schon  Dagewesenes  in  gesteigerter  Anwendung 
zeigt.  Schon  in  früherer  Zeit  war  es  vorgekommen,  dafs  Pro- 
vinzialgemeinden  als  höchstes  Privilegium  dieselben  Rechte  hatten, 
wie  Kolonieen  in  Italien,  und  es  scheint  dafür  im  Laufe  der 
Kaiserzeit  der  Name  ^italisches  Recht'  aufgekommen  zu  sein. 
Wenn  nun  jetzt  Severus  in  den  von  ihm  bevorzugten  Provinzen 
Syrien,  so  weit  es  ihm  sich  treu  erwiesen,  Afrika  und  Dacien 


1)  De  officio  procansulis  et  legati  Dig.  1,  16,  hauptsächlich  mit  Citaten 
ans  Ulpians  Schrift  de  off.  proCy  ferner  de  officio  praesidis  1,  18. 

2)  BestrafiiDg  eines  Frafekten  von  Ägypten  nach  der  l  Cornelia  de 
falsis  Dig.  48,  10,  1,  4.  Spart.  Sev.  8,  4:  AcctAsatos  a  provindalibus  iudices 
probcUis  rebus  graviter  punivit. 

8)  Vit.  Carac.  1,  7:  (Caracalla)  Antiochensibus  et  Byzantiis  interventu 
8U0  iura  väusta  restituit  (unter  der  Regierung  des  Severus),  quibus  iratus 
fuü  Severus,  quod  Nigrum  iuverant  ^  - 

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—    470     - 

dieses  italische  Recht  reichlich  austeilte  ^)y  so  sind  das  wohl  Be- 
lohnungen an  einzelne  und  werden  ausdrücklich  als  solche  be- 
zeichnet, aber  zugleich  sind  es  Merkzeichen  auf  dem  Wege,  der 
zur  Gleichstellung  der  Provinzen  mit  Italien  f&hren  solle.  Es 
konnte  in  solcher  Richtung  der  Weg  nicht  weiter  verfolgt  werden, 
da  durch  die  damit  verbundene  Steuerbefreiung  die  Provinzial- 
einkünfte  geschmälert  wurden  und  Ersatz  durch  gröfsere  Belastung 
anderer  nur  bis  zu  einem  gewissen  Mafse  zu  finden  war,  aber 
der  Grundsatz  allmählich  herzustellender  Gleichheit  war  bestärkt 
Mit  den  im  Vorstehenden  geschilderten  Zügen  stellt  sich 
die  Regierung  des  Severus  dar  als  eine  mit  Bewufstsein  refor- 
mierende. Dafs  Reformen  notig  waren,  lag  im  Gefühle  der  Zeit: 
auch  Pescennius  Niger  hatte  schon  unter  Commodus  diesem  ein 
Reformprojekt  vorgelegt'),  und  die  immer  gröfser  werdende  An- 
zahl neuer  Männer,  die  aus  den  Provinzen  in  die  obersten  Reichs- 
stände kamen,  war  für  Reformen  empfönglicher  und  zur  Mit- 
arbeit bereitwilliger.  Was  Niger  gewollt  hatte,  war  auf  ein  gewi^es 
wenn  auch  wichtiges  Gebiet  der  Verwaltung  beschränkt  gewesen, 
Severus  griff  voller  hinein,  und  er  hat  sich  den  Kreisen,  die  das 
Alte  vertraten,  schwer  fühlbar  gemacht,  wenn  sie  auch  den  viel- 
fachen Nutzen,  den  er  mit  seiner  Thätigkeit  brachte,  anerkennen 
mufsten.^)  Ein  geniales  Eingreifen  kann  ihm  nicht  nachgerühmt 
werden,  aber  was  er  angriff,  wufste  er  mit  klarem  das  ganze 
Reich  übersehendem  Urteil  und  mit  Energie  auszuführen.  In- 
mitten einer  gährenden  Zeit,  in  welcher  die  Formen  der  über- 
kommenen Bildung  erweitert  wurden  durch  neue  nationale  Ele- 
mente, die  nun  nicht  mehr  blofs  von  Gallien  und  Spanien,  sondern 
von  Afrika  und  den  ostlichen  romanisierten  oder  hellenistischen 
Provinzen  hereinkamen,  in  welcher  neue  soziale  und  religiöse 
Probleme  grofse  Massen  bewegten,  hat  er,  jeder  Phantasterei 
fremd,  mit  nüchternem  Verstand  den  Rahmen  des  Reichs,  der  all 
das  in  sich  befassen  und  allem  Halt  geben  sollte,  neu  zu  festigen 


1)  Nach  Dig.  50,  15  (de  censibus).  Näheres  über  dieses  Recht  s.  im 
System. 

2)  Vit.  Nig.  7;  kurz  yor  diesem  auf  Eontinnität  einer  geordneten  Ver- 
waltnng  gerichteten  Programm  heifst  es  (6,  10)  von  Niger:  usui  dernque 
reip.  8uh  Severo  —  esse  potuisset,  si  cum  eo  esse  voluisset. 

8)  Vit.  18,  7 :  de  hoc  senatus  ita  tudicavit,  iUutn  aut  nasci  non  debuiste 
aut  morif  quod  et  nimis  crudelis  et  nimis  utilis  reip.  videretur.  Ungeftfar 
auf  dasselbe  kommt  Dios  Urteil  hinaus.  r^r^r^^]r> 

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—     471     — 

gesucht,  mechanisch,  wenn  man  will,  und  in  letzter  Inst-anz  mit 
brutaler  Gewalt,  auch  in  den  Mitteln  nicht  wählerisch,  aber  doch 
hinsichtlich  der  Zwecke  mit  dem  Gefühl  geschichtlicher  Verant- 
wortung und  in  derjenigen  Tradition  des  augusteischen  Principats, 
welche  Yon"^  dem  Princeps  die  höchste  persönliche  Thätigkeit  für 
das  gemeine  Wesen  verlangte.^)  Dafs  die  Formen  der  römischen 
Verwaltung  in  den  Stürmen,  welche  das  Reich  im  Verlauf  des 
dritten  Jahrhunderts  heimsuchten,  so  viel  Halt  gewährten,  um 
überhaupt  noch  die  Idee  eines  römischen  Gemeinwesens  zu  retten, 
ist  nicht  zum  wenigsten  der  durch  Seyers  achtzehnjährige  Re- 
gierung denselben  gegebenen  neuen  Kraft  zuzuschreiben. 

10.  Severus  hatte  in  Konsequenz  des  bisherigen  rechtlichen  ou-acaua  und 
Charakters  der  kollegialen  Führung  des  Imperiums  durch  mehrere 
AugusH  die  Nachfolge  so  vorbereitet,  dafs  die  beiden  Söhne ^)  in 
voller  Gleichheit  nebeneinander  stehen  sollten.  Zum  ersten  Mal 
war  nun  diese  Einrichtung  auf  eine  Probe  gestellt,  bei  der 
keinerlei  Auktoritatsverbältnis  wie  bei  Mark  Aurel  gegenüber 
von  Verus  und  Commodus,  bei  Severus  selbst  gegenüber  seinen 
Söhnen,  stattfand;  denn  die  beiden  Brüder  standen  sich  im  Alter 
unmittelbar  nahe  und  waren  nur  in  der  Gewinnung  des  Augustus- 
titeis  um  mehrere  Jahre  auseinander.  War  diese  Probe  unter 
sonst  indifferenten  persönlichen  Verhältnissen  schon  schwierig 
genug,  so  war  sie  bei  zwei  feindlichen  Brüdern,  wie  Bassianus 
und  Geta,  vollends  bedenklich.  Daus  Severus,  ein  so  nüchtern 
und  klar  denkender  Kopf,  trotz  all  den  Erfahrungen,  die  er  selbst 
noch  gemacht,  keine  andere  Ordnung  vorbereitete,  ist  auch  nicht 
anders  zu  erklären,  als  dafs  er  die  rechtliche  Zurücksetzung  des 


1)  Vit.  23,  •  (letzte  Worte):  turbatam  remp.  ubique  (tceepi,  pacatam 
etiam  Britanms  reUnquo,  aenex  et  pedibus  aeger  firmum  Imperium  Änkminis 
meis  reUnquena  si  bani  erunt^  imbectlltmi  8%  mali;  iussU  deinde  Signum  tri- 
buKO  dari  ,Labaremu8\ 

2)  Offizieller  Name  des  älteren  als  Kaiser:  Imp.  Caes.  M.  Äwelius 
Äntaninua  Augusitis;  bei  einfiicherer  Bezeichnung  imp.  Äntoninus;  in  den 
vitae^  die  von  ihm  reden,  wird  er  Yorherrschend  Bassianus  genannt.  Dio 
and  Herodian  nennen  ihn  Antoninas:  dber  den  Popularnamen  Caracalla, 
als  genommen  von  einem  gallischen  Kleidungsstück,  das  er  in  Rom  ein- 
föhrte  vit  9,  7.  Dio  78,  3.  9.  Vict.  de  Caes.  und  epit.  21;  über  den  von 
einem  Gladiator  hergenommenen  Schimpfnamen  Tarautas  Dio  78,  9;  unter 
den  neueren  ist  Caracalla  beinahe  ausschliefslich  üblich.  Offizieller  Name 
des  (Jeta:  imp,  Caes.  P,  Septimius  Geta  Äug.  —  Beide  führen  nach  dem 
Vorgang  des  Vaters  ihre  Abstammung  auf  Nerva  zuräck.  ^  j 

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—    472     — 

einen  für  noch  bedenklicher  hielt  und  die  Hoffnung  hegte ,  da£B 
der  Einflufs  der  ihnen  durch  seine  Wahl  zur  Seite  gestellten 
Vertrauensmänner  und  wohl  auch  der  Mutter  im  Stande  wäre, 
das  Gleichgewicht  zu  erhalten.  Diese  Hoffnung  war  nun  freilich 
trügerisch;  denn  vom  ersten  Augenblick  an  war  das  Gleich- 
gewicht gestört.  Die  energischere  Natur  des  Alteren  gab  diesem 
den  Impuls  und  die  Möglichkeit,  eine  entscheidende  Stellung  an 
sich  zu  reifsen,  und  von  Anfang  an  soll  er  darauf  bedacht  ge- 
wesen sein,  den  Mitherrscher  zu  beseitigen.  Er  war  es,  der  den 
Feldzug  in  Britannien  beendigte,  die  Rückkehr  nach  Bom  leitete 
und  auf  dieser  schon  die  Absicht  sich  Getas  zu  entledigen  ge- 
äufsert  haben  soll.  Aber  dieser  Absicht  stand  die  Stimmung 
des  Heers  entgegen.^)  Es  wird  berichtet,  dafs  Geta  der  beliebtere 
Bruder  gewesen  sei  gewisser  Eigenschaften  wegen  wie  wegen 
seiner  äufseren  Ähnlichkeit  mit  dem  Vater.  Dem  ist  wohl 
Glauben  beizumessen,  während  damit  noch  nicht  gesagt  ist,  dafs 
Geta  wirklich  wesentlich  besser  und  bei  dem  feindlichen  Ver- 
hältnis nur  leidend  beteiligt  war.^)  Die  Hauptfrage  aber  ist, 
was  sich  aus  den  gegebenen  Umständen  thatsächlich  ergab.  Am 
Hofe  selbst  fiel  in  der  That  die  Aufgabe,  die  Einheit  zu  erhalten, 
der  Mutter  und  den  höchsten  kaiserlichen  Beamten  zu,  unter 
ihnen  zuerst  dem  Papinian.  Allein  dieser  wurde  von  Caracalla 
möglichst  bald  aus  seiner  nächsten  Umgebung  entfernt,  wenn  er 
auch  noch  Präfekt  blieb.  ^)  Der  Einflufs  der  Mutter  dagegen 
machte  sich  mehr  geltend.  Unter  Severus,  auch  nach  ihres 
Gegners  Plautianus  Sturz,  mehr  auf  litterarische  und  soziale 
Zwecke  beschränkt,  hatte  die  hochstrebende  und  geistig  jedenfalls 
bedeutende  Julia,  die  Herrin   {Domina)  genannt*),  jetzt  offenen 


1)  Dio  78,  1:  (Nach  dem  Tode  des  Severus)  itacav  xr^p  riyt^MPtm^ 
^Xaßev  Xoyco  ^ilv  ya^  fieta  tov  dSsltpov  too  Sl  i^yto  (tovog  Bv^vg  ii^ff- 
xov  81  ddsXcpov  Tjd'iXrios  filv  xal  ^mvtog  izi  tov  nax^og  tpovivcrntj  ov% 
fjdvvri^rj  dl  ovts  tote  di'  insivov  ov^*  vatsgov  iv  xy  6dm  duc  xa  axQauv- 
flava'  ndw  yäq  evvoiav  avxov  slxov  aXXmg  xe  %al  Sxt  x6  eldog  hiMioxatof 
xm  Ttaxifl  r)v. 

2)  Vgl.  die  Charakterifitik  in  der  vit.  Gäae;  in  allen  Qaellea  ersoheioen 
beide  Brüder  unversöhnlich. 

3)  Vit.  Carac.  8.  Dio  77,  1:  rov^  oln6Ü)vg  xovg  (ihv  ain^XIalfv,  if 
xal  Ilamviavog  ^v;  nach  vit.  Get.  6,  S  gehörte  Papinian  xa  denen,  qm 
concordiae  faverant  gegenüber  von  andern,  qui  partium  Getae  fuerant 

4)  Offizieller  Name:  Julia  Domna  Äugusta  (vgl.  Or.  Henzen  n.  4116: 
Julia  Äugu^ta  domina  noatra)  Septimii  Severi,  mater  A^g»  e^  coftrorw»; 

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-     473    — 

Beruf,  in  die  Politik  einzugreifen:  beide  Söhne  waren  ihrem  Ein- 
fluTs  zugänglich,  und  es  gelang  ihr,  selbst  die  schlimme  und 
heimtückische  Natur  des  älteren  eine  Zeit  lang  hintanzuhalten; 
allein  schliefslich  überwog  der  HaTs,  und  es  brach  die  Katastrophe 
über  den  jüngeren  Bruder  in  ihren  Armen  herein.  Dafs  die  offizielle 
Gesellschaft  Roms,  der  Senat,  die  Beamten,  dafs  das  Volk  in  Rom 
und  wohl  auch  die  Provinzen,  sich  in  ihren  Sympathieen  teilten, 
ist  glaublich  und  wird  durch  die  ungeheure  Menge  der  Opfer, 
welche  mit  Geta  fielen,  bestätigt*);  wenn  aber  Herodian  schon 
Yon  einem  formlichen  Plan  der  Teilung  zwischen  Osten  und 
Westen  zwischen  den  beiden  Brüdern  weifs*),  so  ist  es  zwar 
bedeutsam  genug,  dafs  ein  gleichzeitiger  Schriftsteller,  der  eine 
Generation  vor  den  späteren  geteilten  Zuständen  liegt,  diesen 
Gedanken  ausführlich  erörtert,  aber  dafs  er  in  Wirklichkeit  damals 
gehegt  wurde,  ist  zu  bezweifeln  nicht  blofs,  weil  die  andern 
Zeugen  ihn  nicht  kennen  und  Herodian  mit  eigenen  Erfindungen 
rhetorisiert,  sondern  weil  offenbar  die  Auffassung  des  Heeres 
einem  Plane  der  Teilung  ebenso  gegenüberstand  wie  der  Beseiti- 
gung des  einen  Bruders.  Glaubwürdigeres  Zeugnis  geht  dahin, 
dafs  das  Heer  an  dem  Testament  des  Severus  festhielt:  zweien 
Söhnen  des  verstorbenen  Kaisers  hatte  man  geschworen,  beide 
sollten  bleiben  und  die  Dynastie  der  neuen  Antonine  fortführen.^) 

vgl.  auch  Henzen  n.  1961:  mater  domini  nostri^  castrorumy  senatus^  patriae. 
Vgl.  aber  sie  Dio  77,  18:  ovd'  ins^^sto  (Caracalla)  —  tij  firirgl  noXXa  xal 
XQVOtot  ntxifaivovaij  ntäzoi  xal  tiiv  tmv  ßi^Xlmv  x&v  t«  iniatoXmv  s%ati(faiP 
nXiiv  x&v  ndvv  dvccyxaüov  dioUriciv  avtjj  initgiilfccg,  —  Tt  ydg  d%t  Xiyetv 
Ott  ri<snditxo  9riiMCi^  ndvtaq  xovg  nQmtovs  na^dneQ  nal  ixsivos;  dXX'  rj 
Itlv  xal  fiBtä  xovxmv  hi  fiaXXov  itpiXoaotpsi.  u.  s.  w.  Ohne  Zweifel  gehörte 
Dio  selbst  zu  dieser  Umgebung  der  Kaiserin- Mutter.  Vgl.  auch  die  Art, 
wie  er  78^  23  von  ihr  spricht  und  ihr  vindiciert,  dafs  sie  den  Caracalla 
imwxa  ipklün. 

1)  Vit.  Carac.  2,  7.  (Sympathieen  der  Legion  bei  Alba).  Dio  77,  8  f. 
(20000  Opfer).  —  Andrerseits,  um  den  Senat  zu  gewinnen,  relegatis  depor- 
tatisque  reditum  in  piäriam  restituit 

2)  4,  8,  6:  (Die  Brüder)  avvayayovxsg  xovg  nccxgmovg  (pilovg  xijs  ts 
ftrixQog  nagoverig  rillovv  ^leciQt^rjifai  xriv  ßaaiXs^ccv^  worauf  dann  der  Teilungs- 
plan  folgt. 

3)  Vit  Carac.  2,  7 :  (im  Lager  der  Legion)  dicentibtM  ctmctis  duobus  se 
fidem  promisisse  liberis  Severi,  duobua  servare  debere;  wiederholt  vit. 
Oet.  6,  1.  —  Nach  Mommsens  Ergänzung  der  Inschrift  C.  i.  L  3,  1464 
von  Sarmizegethusa,  nach  welcher  man  dort  in  den  Jahren  211/12  der 
2.  parthischen  und  der  7.  Legion  den  Beinamen  von  Geticae  gegeben 
hätte,  wäre  allerdings  die  Spaltung  in  Daoien  wenigstens  zu  offenem-Aus-     i 

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—     474     — 

Dafs  die  kollegialische  Führung  des  Imperiums  in  der  alten  Re- 
publik nur  möglich  gewesen  war,  weil  neben  der  Magisiarator  ein 
mächtiger  ausgleichender  Senat  und  das  Yolkstribunat  stand,  dafs 
aber  der  jetzige  Senat  hiezu  völlig  untauglich  war  und  die  ein- 
ander gegenüberstehenden  Leidenschaften  in  den  bestehenden 
Zustanden  keine  Schranke  fanden,  kümmerte  die  Soldaten  nichi 
Indessen  Caracalla  ersparte  der  römischen  Welt  die  Probe  des 
Systems,  indem  er  die  Einheit  des  Imperiums  wiederherstellte. 
Wie  vor  der  Ermordung  des  6eta  es  mit  den  Regiernngsakten 
ging,  ersehen  wir  nicht;  es  wird  wohl  in  der  geschäftlichen  Aus- 
fertigung die  übliche  Beziehung  auf  die  beiden  Kaiser  eingehaltffli 
worden,  aber  Initiative  und  Vertretung  gegenüber  dem  Senat  in 
der  Hand  des  älteren  Bruders  geblieben  sein.^) 
Caracalla  als  H.  Die  AUeiuregierung  des  Caracalla  nun  kann  ihrer  Ten- 

alleiniger  Im-  , 

porator.  dcnz  uach  nur  als  eine  zerstörende  und  auflosende  bezeichnet 
werden,  wenn  auch  gewisse  Mafsregeln  positive  Wirkungen  gehabt 
haben.  Auch  wenn  man  von  dem.  Bericht  Dios,  der  als  Senats- 
mitglied sechs  Jahre  lang  vor  dem  unheimlichen  Despoten  za 
zittern  hatte  und  nun  all  sein  Thun  unter  dem  einen  Gesichts- 
punkt der  Nichtswürdigkeit  darstellt,  Abzüge  macht  und  die  reinen 
Thatsachen  zu  gewinnen  bemüht  ist,  kann  man  ein  anderes  Urteil 
nicht  gewinnen.  Es  läfst  sich  keine  Seite  seiner  Thätigkeit  in 
der  inneren  Regierung  wie  in  der  äufseren  Politik  und  der  Bjieg- 
führung  ausfinden,  bei  der  es  ihm  um  die  Sache  zu  thun  gewesen 
wäre,  und  nur  die  Kraft  der  römischen  Institute  war  es,  welche 
die  volle  Wirkung  dieses  zerstörenden  Thuns  aufhielt.  Von 
ernsterer  persönlicher  Thätigkeit  war  nicht  die  Rede;  überliefe 
er  doch  die  Erledigung  der  laufenden  Regierungsaufgaben  wäh- 
rend der  Feldzüge  der  Eaiserin-Mutter.^)    Nicht  daüs  diese  darum 


dmok  gekommen;  allein  die  LesuDg  und  damit  auch  die  Erg&nsong  ist 
nicht  sicher,  eph.  epigr.  2  p.  316  n.  430;  jedenfalls  fehlt  in  den  sonstigeD 
Quellen  der  Anhaltspunkt  für  eine  so  weitgehende  Scheidung  und  nameot- 
lich  auch  dafür,  dals  Caracalla  in  Dacien  oder  andern  Provinien  Exe- 
kutionen gegen  Anhänger  Gretas  vorgenommen  hätte.  Nur  im  narbonensischeD 
Gallien  liefs  er,  —  es  wird  nicht  gesagt  weshalb  —  den  Statthalter  iöteo. 
Tit  6,  1. 

1)  Konstitutionen  der  beiden  Brüder  giebt  es  nicht. 

2)  Dio  77,  17:  (Caracalla)  i9i%aie  iilv  oiv  ^  Tt  ^  oväiv^  t6  dl  9ii 
nlstatov  toig  te  aXXoig  xal  rfj  (pilonQayfioavvff  icxola^ap.  77,  18  (ob. 
S.  472  A.  4).  78,  4:  (Julia)  iuBnilevoto  avtri  ndvta  ta  dq>i%voviuva  iieAijHt^ 
Zva  \jkri  pMtriv  ot  oxXog   y^aftyMXiov   iv  xij  noXifii^  optt^-^iiunjtai,  —  Der 

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-     475     - 

in  der  Lage  gewesen  wäre,  eine  eigene  Politik  für  sich  zu  machen; 
da«u  fehlte  ihr  wohl  weder  der  Geist  noch  der  Wille,  aber  jeder 
Schritt  auf  dieser  Bahn  hätte  sie  yemichtet,  nur  ein  geordneter 
Geschäftsgang  war  dadurch  ermöglicht  und  die  Gelegenheit, 
manches  Schlimme  zu  verhüten  gegeben.  Indessen  das  Schlimmste 
zu  hindern  war  sie  nicht  im  Stande,  auch  wenn  sie  es  versuchte, 
die  vollige  Zerrüttung  der  Finanzen  und  die  Korruption  des  Heers, 
der  Offiziere  wie  der  Soldaten.  Die  Vergeudung  der  von  Severus 
hinterlassenen  Schätze,  die  Erschöpfung  aller  Steuerquellen,  deren 
Ertrag  zum  Teil  verdoppelt  werden  sollte,  die  brutalste  Vernich- 
tung des  Staatskredits  durch  offizielle  weitest  gehende  Münz* 
falschung,  der  Krieg  gegen  den  Senat  in  allen  Formen,  die 
erneuten  Erpressungen  und  Exekutionen  Einzelner,  jenes  ausge- 
sprochene Rechnen  auf  die  nachfolgende  Sündflut,  die  herbeizu- 
führen man  das  möglichste  thun  will,  die  Verwöhnung  der  Sol- 
daten durch  hohen  Sold,  Geschenke  von  ungemessenem  Betrag, 
die  Scenen  von  wildem  Morden  und  Plündern,  zu  denen  man  sie 
in  Rom  gegen  Senatoren,  Beamte  und  Volk,  in  Alexandrien  gegen 
die  ganze  Stadt  veranlafste,  die  beständige  Erinnerung  daran, 
dafs  sie  allein  die  Stütze  der  Herrschaft  und  selbst  die  Herren 
im  Staate  seien,  die  Züge  selbst  von  kameradschaftlichem  Miter- 
tragen der  Mühen  des  Dienstes,  bei  früheren  Heerführern  Züge 
soldatischen  Ruhms,   hier   der  Erniedrigung^)  —  all  das,   wohl 


Kaiser  war  weitans  die  meiste  Zeit  seiner  Regiemng  von  Rom  entfernt. 
Am  11.  Angnst  218  opfern  die  Arralen  in  Rom,  weil  der  Kaiser  per  limitem 
RaeHae  ad  hosUs  exUrpandos  barbarorum  terram  intraitunu  est.  Noch  im 
Herbst  dieses  Jahres  wird  der  Krieg  siegreich  beendigt,  wie  das  Opfer  der 
Arvalen  vom  6.  Okt.  zeigt  (Henzen,  act.  fratr.  Arv.  p.  CXCVII).  Dafs  der 
Kaiser  dann  nach  Rom  zurückkehrte,  l&Tst  sich  nnr  yermnten  (vgl.  Drexler, 
Caracallas  Zng  nach  dem  Orient  S.  8—10);  214  zog  er  an  die  syrische 
Grenze  und  blieb  von  da  an  im  Orient. 

1)  Alle  diese  Züge  sind  gehänft  in  dem  Anszng  aas  Dio  77,  9fif. 
Hinsidiilich  der  Münze  sagt  Dio  77,  14,  dafs  Carac,  während  er  den 
Germanen  bei  seinen  Zahlungen  an  sie  vollwichtige  Goldstücke  gegeben, 
roCg  *P(D(iaioig  %£ßdrjXov  nccl  ro  agyvgiov  Hctl  ro  XQvaCov  nagsi^xsv'  to  (ihv 
yccQ  ix  iioUßdov  %cctaQyvQovii6vov  to  dh  ntxl  in  ;|raZNot;  nattxxifvaovfievov 
icHBvdteto,  Den  aureus^  dessen  Gewicht  unter  Augustus  */,o  Pftm^i  unter 
Nero  745  war,  setzte  Carac.  d.  J.  216  auf  y^^  herab  (aur,  Äntoninianua) ; 
Yom  Silber,  das  sehr  schlecht  ausgemünzt  ist,  wurde  zu  gleicher  Zeit  ein 
neues  Nominal  geschaffen,  der  argenteus  Äurelianus  oder  Antomnianus. 
Die  schlechte  Silbermünze  war  um  so  schlimmer,  wenn  die  zuerst  unter 
Severus  Alex,  bezeugte  Forderung,  dafs  die  Steaem  in  Gold  ^  ._„ 


—    476     - 

früher  schon  gesehen  und  erlebt,  aber  jetzt  gefährlicher  für  den 
Bestand    des    Reiches    als    sonst.      Diesem    rein    yemicfatenden 
Treiben  stehen  anscheinend  einige  Mafsregeln  gegenüber,  welche 
auch  ein  tüchtiger  Kaiser  im  Interesse  des  Reichs  liegend  erachten 
und  in  der  Eonsequenz  der  Entwicklung  liegend  finden  konnte, 
wenn  sie  auch  mit  der  Auffassung  des  Romertums  und  des  Ver- 
hältnisses der  verschiedenen  Nationalitaten  im  Reich,  die  Augostus 
gehabt,   völlig  brachen,  die  Eröffnung  des  Zugangs  zum  Senat 
auch  für  Alexandriner,  während  von  Augustus  her  alle  geborenen 
Ägypter  ausgeschlossen  waren,    und   die  Verallgemeinerung  des 
römischen  Bürgerrechts.    Allein  die  erste  dieser  Mafsregeln  wird 
mit  rein  individueller  Bedeutung  erwähnt^),  so  daCs  nicht  prin- 
zipielle Aufhebung  eines  geltenden  Rechts  dabei  in  Frage  kommt, 
sondern  nur  Nichtbeachtung  bei  einer  einzelnen  Persönlichkeit, 
woran  sich  allerdings  Konsequenzen  knüpfen  konnten.    Die  andere 
Verordnung  aber  hinsichtlich  des  Bürgerrechts  machte  wohl  für 
die  Zukunft  neues  Recht,  wird  als  solches  citiert  und  es  knüpften 
sich  bedeutsame  Folgen  daran.   Bei  Dio  jedoch,  dem  unmittelbaren 
Zeugen,  wird  sie  nicht  nur  in  der  Tendenz  darauf  beschränkt^ 
dafs  man  damit  die  bisher  dem  Bürgerrecht  fernstehenden  zu 
den   diesem    besonders    aufgelegten    Lasten    heranziehen   wollte, 
sondern   es    wird   ihr   auch  offenbar  nicht  die  Bedeutung  einer 
epochemachenden   und   tiefwirkenden   Neuerung   beigelegt     Der 
Wortlaut  der  Verordnung  ist  nirgends  gegeben,  sie  wird  in  so 
allgemeinen  Wendungen  citiert^  dafs  man  sie  einer  völligen  Auf- 
hebung der  Bürgerrechtsunterschiede  unter  den  Reichsangehörigen 
gleichachten  könnte,  während  doch  diese  Unterschiede  sowohl  hin- 
sichtlich  der  Gemeinden    wie    hinsichtlich    der   Individuen   fort- 
bestanden.^) Es  ist  Sache  der  systematischen  Darstellung  zu  sehen, 


(vit.  Alex.  39,  6),  schon  unter  Carac.  gestellt  wurde.     Vgl.  Mommsen,  röm. 
Mönzw.  7Ö4.  776  f.  782  f. 

1)  Dio  76,  5:  (Ko^Qccvog)  von  Scverus  nach  dem  Sturz  des  Plantianus 
auf  7  Jahre  verbannt  naTrjx&rj  fietcc  tovtov  aal  ig  xriv  ysgovatav  ngStog 
Alyvxtlmv  xatsXix^t}  vgl.  ob.  8.  196  A.  1.  —  Ein  P.  Aelius  Coeranus  ist 
Arvalbruder  in  den  Jahren  213  und  214.  Henzen  act  fratr.  Arv.  p.  175 
meint,  es  könnte  ein  Sohn  dieses  Agyptiera  sein. 

2)  Dio  77,  9  (bei  Erwähnung  der  Verdoppelung  der  ausschliefslich 
den  römischen  Bürgern  zufallenden  Freilassungs-  und  Erbschaftssteuern): 
ov  evexa  xal  ^PtopLOilovg  ndvtag  zovg  iv  t^  ^QZV  «^^o^  Xoym  ft^lv  ttftmv  i(fTf» 
dl  onag  nXsCm  avxÄ  %al  i%  tov  roiovtov  nqogiri  dia  to  tovc  ^hwtg  ta 
noXla   avtmp   firi    avresXelw   anideiisv.    Ulpian  in  Dig|<^j^6^nf:^»n  orbe 

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e^bfC^b^öglc 


—     477     -        # 

inwiefern  die  Verordnung  Caraeallas,  die  dem  J.  212  zuzuweisen 
ist,  das  romische  Reiebsbürgerrecht  auf  eine  neue  Grundlage 
stellte,  und  was  sie  vom  Alten  beibehielt;  für  die  Regierung 
dieses  Kaisers  selbst  wird  man  dem  Dio  glauben  dürfen ,  dafs 
sie  nicht  eine  wohlüberlegte  auf  den  ihrem  nächsten  Sinn  ent- 
sprechenden Zweck  gerichtete  Reform  war,  sondern  eine  Willkür- 
mafsregel  für  Nebenzwecke,  was  nicht  ausschliefst,  dafs  ihr  Inhalt 
durch  die  Entwicklungsstufe  dieser  Zeit  bis  zu  einem  gewissen 
Grad  angezeigt  war.  Ein  weislich  überlegender  Regent  hätte 
jedenfalls  eine  solche  Verordnung  nicht  in  ihrer  Vereinzelung  er- 
lassen, sondern  im  Ganzen  einer  Reform  von  Verwaltung  und 
Heerwesen.^)  Endlich  wo  waren  zu  der  Zeit,  in  welcher  diese 
Verordnung  erlassen  wurde,  die  erfahrenen  und  auktoritätsvollen 
Männer,  welche  eine  solche  Mafsregel  in  ihren  Folgen  erwogen 
und  mit  ihren  Modalitäten  ausgearbeitet  hätten,  da  Papinian  be- 
seitigt, Ulpian  und  Paulus  noch  in  imtergeordneten  Stellungen 
sich  befanden  und  die  Männer  aus  dem  Senat  nicht  gehört  wurden? 
—  Das  einzige  positive  Gegengewicht  gegen  die  auflösende  Ten- 
denz Caracallas  bildete  wie  bei  Commodus  das  Fortwirken  des 
von  der  vorangegangenen  Regierung  Ererbten:  die  von  Severus 
dem  Reiche  gegebenen  Organisationen  und  die  von  demselben 
herangebildeten  Prokuratoren  und  Generale  wirkten  in  Verwal- 
tung und  Heer,  im  täglichen  Dienst  immerhin  fori  Die  letzteren 
speziell  erreichten  in  Germanien,  dafs  die  gefährlichen  im  Anzug 
befindlichen  Bewegungen  die  Grenzlinien  nicht  überwältigten,  und 
dfldb  im  Orient,   wo  die  Waflfenehre  noch  weniger  aufrecht  er- 

Ramano  gut  sunt  ex  constitutione  imperatoris  Äntonini  cives  Rom,  effecti 
S%Mt.  Nov.  Jast.  78,  5 :  'Avxcavivog  tb  xfig  *Pa>iuc^rig  noXitstas  nQoxBQOv  nag* 
sndctov  tav  vscrinomv  ecizovfASVov  Snaaiv  ip  xotvcS  roCg  v7tri%6oig  dsdaQrjtat. 
August,  de  eiv,  dei  B,  17:  gratissime  et  humanissime  factum  est,  ut  omties 
Cid  Born,  Imperium  pertinentes  societatem  acciperent  civitiUis  et  Bomani  cives 
essentf  tantum  quod  plebs  ülay  qucie  suo8  (ngros  non  hdberet,  de  publica 
xnveret, 

1)  Dafs  Caracalla  in  der  Behandlnng  Italiens  eine  Ander ong  yornahm, 
wäre  anzunehmen,  wenn  C.  Octavius  Sabinos,  Cons.  i.  J.  214,  der  mit  ihm 
den  ]^tischen  Feldzog  von  213  machte,  und  in  den  Inschriften  ephem.  epigr. 
1,  130  und  Henzen  n.  6482  heifst  electtis  ad  corrigendum  statum  Itaiiae^ 
nnter  ihm  die  letztere  Funkion  hatte.  Indessen  auch  wenn  dieser  Vorgang 
fOr  die  Einsetzung  der  späteren  correctores  yon  Caracalla  herrührt,  so  mag  es 
zunächst  eine  einzelne  MaÜBregel  gewesen  sein,  die  vielleicht  in  Zusammen- 
hang mit  der  Steuererhöhung  stand,  ohne  dafs  eine  prinzipielle  Änderung 
des  bisherigen  Standes  beabsichtigt  war.  ^  j 

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^        -     478     — 

halten  wurde^  das  treulose  Eriegsspiel,  das  der  Kaiser  dort  trieb, 
nicht  zom  offensten  Schaden  ausschlug^  denn  hier  jedenfalls  war 
der  einzige  Zweck  des  Kriegs,  aus  der  Mahnung  des  Severas, 
den  Soldaten  Beute  zu  versch  äffen ,  abgeleitet  —  Indessen  auch 
diese  Regierung  des  äufsersten  Despotismus  und  des  unerträg- 
lichsten MiTstrauens  fand  bald  ihr  Ende  durch  die  eigene  Über- 
treibung: die  Willkür,  mit  welcher  auch  unter  den  Soldaten  die 
Beförderung  gegeben  wurde,  die  Gefahrdung,  welcher  schliefslich 
die  höchsten  Organe  des  kaiserlichen  Willens  selbst  ausgesetzt 
waren,  die  Heranziehung  fremder  Truppen  zur  unmittelbarsten 
Leibwache  infolge  des  gesteigerten  MiTstrauens  entzog  ihm  die 
Stütze  im  Heer,  die  er  bisher  gehabt:  eine  durch  die  Notwehr 
hervorgerufene  Verschwörung,  von  einzelnen  zunächst  bedrohten, 
vor  allem  dem  Gardepräfekten  Macrinus  ersonnen,  in  weiteren 
Kreisen  durch  Gehenlassen  unterstützt,  bereitete  am  8.  April  218 
dem  auf  dem  Marsch  gegen  die  Parther  begriffenen  Kaiser  ein 
jähes  Ende.^) 
Macrinus  und  12.    Als  i.  J.  69  Ncro  von  der  Provinz  her  gestürzt  wnrde, 

Biadumenianue  j^  ging  uach  Tacitus  der  römischen  Welt  das  düstere  Geheimnis 
auf,  dafs  man  auch  aufserhalb  Roms  ILaiser  werden  könnte 
(ob.  S.  281  A.  1).  Jetzt  offenbarte  sich  als  neues  Geheimnis, 
dafs  unter  dem  durch  Severus  begründeten  Übergewicht  des 
Heeres  das  Imperium  jedem  Abenteurer  preisgegeben,  kein  Stand 
und  keine  Nationalität  mehr  davon  ausgeschlossen  sei  und  dafs 
die  Armee,  zumal  die  Grenzheere  nun  das  volle  BewulBtsein 
davon  hatten,  dafs  die  Entscheidung  über  die  Regierung  des 
Reiches  in  ihren  Händen  liege.  Mit  Macrinus^)  kam  ein  Soldat 
zum  Principat,  der  den  militärischen  nichtsenatorischen  Posten, 
von  dem  aus  er  zum  höchsten  Imperium  aufstieg,  durch  keinerlei 
hervorragendes  Verdienst  gewonnen  hatte,  von  niedriger  Herkunft 
und  aus  einer  der  geringsten  Nationen  des  Reichs,  ohne  beson- 


1)  Die  einzelnen  Umstände  werden  in  den  verschiedenen  Berichten 
abweichend  gegeben ,  aber  die  Motive  ziemlich  übereinstimmeod.  Datum 
der  Ermordung  Dio  7S,  5. 

2)  Macrinus  ist  prcuf.  prctet,  wohl  von  Papinians  Tod  an  nnd  erfalUt 
als  solcher  senatorischen  Rang  (vgl.  Henzen  5512  f.  «»  Wilmanns  995  di« 
Köhren  mit 'If.  OpeUi  Macrini  pr.  pr.  c(lari88imi)  v{irf)  und  M.  OpdU 
Diadumeniani  c.  p{uer%).  Er  ist  Maure  aus  C&sarea  (Dio  7S,  11),  ebendaa. 
sowie  vit.  Macr.  4  seine  frühere  Laufbahn.  Als  Kaiser  nennt  er  sich  imp. 
Caes.  M,  Opellim  Severus  Pim  Fdix  Augustus  und  seinen  Sohn  M,  OpeUnu 
Antaninm  Diadumenianm  nohüissimus  Caesar  princ^  imeniutis^ 

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-     479     -. 

dere  SympaÜiieen  der  Soldaten ;  nur  durch  einen  Akt  der  Not- 
wehr, unter  Benützung  augenblicklicher  Verhältnisse.  Die  Re- 
gierung des  so  Erhobenen  war  freilich  von  kurzer  Dauer/)  aber 
bei  der  darauffolgenden  trat  das  Abenteuerliche  noch  viel  greller 
auf,  und  dafs  darauf  eine  Besserung  folgte,  war  doch  nur  ein 
günstiger  Zufall,  eine  ebenso  glückliche  Anknüpfung  an  dynastische 
Verhältnisse,  wie  die  Yorhergehende  unglücklich  gewesen  war; 
im  Ganzen  ist  schon  jetzt  der  Eintritt  in  die  Periode  angezeigt, 
in  welcher  das  Imperium  jeder  Ambition  zugänglich  erscheint 
und  nur  darin  unterscheidet  sich  diese  Epoche  von  der  darauf- 
folgenden, dafs  noch  keine  Teilimperien  auftreten. 

Ihrem  Gehalt  nach  ist  die  Regierung  des  Macrinus  lediglich 
ein  Kampf  um  die  Existenz  gewesen.  Ohne  irgend  hervorragende 
Eigenschaften,  in  militärischen  wie  in  bürgerlichen  Dingen  sich 
nie  über  Velleitäten  erhebend,  im  Krieg  wenig  glücklich  und  in 
Folge  davon  aufser  Stande  die  Würde  des  Reichs  zu  wahren, 
will  sich  dieser  Imperator  bald  auf  Senat  und  Volk  von  Rom 
gegen  ungünstige  Stinmiung  der  Soldaten  stützen,  bald  wieder 
die  Gunst  der  Soldaten  gewinnen;  da  er  aber  nie  nach  Rom 
geht,  unter  einem  Grenzheere  lebt,  diesem  gegenüber  keine  ge- 
nügende Auktorität  gewinnt  und  stets  zwischen  Douativen  und 
Bestrebungen  der  Wiederherstellung  der  Disziplin  schwankt,  in 
letzterem  Punkte  unter  den  reizbaren  Soldaten  teils  halbe  Mafsregeln 
ergreift,  teils  bis  zur  Grausamkeit  geht,  so  gewinnt  er  nirgends  eine 
Stütze.')  Von  eigentümlicher  Bedeutung  ist  aber  sein  Verhältnis 
zum  Senat.  Er  tritt  demselben  in  der  Frage  seiner  Anerkennung 
und  der  Konsekration  seines  Vorgängers,  ferner  in  politischen 
Anordnungen  halb  autokratisch  halb  konstitutionell  gegenüber^), 

1)  Er  übernimmt  die  Begiemng,  um  an  der  Ermordung  dee  Caracalla 
unbeteiligt  ta  erscheinen,  erst  am  11.  April  (Dio  78,  11)  217  und  fällt  selbst 
wenige  Tage  nach  der  Sohlacht  bei  Antiochien,  die  am  8.  Juni  218  statt- 
fimd,  in  einem  Alter  von  nahezu  66  Jahren.    Dio  78,  39  f.    41.  a.  E. 

2)  Vit  5.  8.  11.  12.  13.  Bei  Dio  wird  er  wohl  im  Nekrolog  c.  40.  41 
relatiy  gelobt,  zumal  gegenüber  seinem  Nachfolger,  aber  aus  der  Erzählung 
ergiebt  sich  ein  anderes  Urteil  und  78,  16  heilst  es:  ndvta  zavavtlcc  avtbv 
ixifiiv  noittv.  Dio  c.  16  und  Herodian  6,  2,  8  heben  hervor,  dafs  er  ein 
widerlich  üppiges  Leben  fdhrte  und  sich  dadurch  den  Soldaten  yerächtlich 
machte.  * 

8)  Vgl.  die  an  den  Senat  gesandte  oratio  (vii  6,  6):  nrnntitmius  primutn 
quid  de  nobis  exercitus  fecerit,  dein  honores  divinos,  quod  pritnum  faeiendum 
estf  deeemimus  ei  vvro,  in  eui^ns  verha  iurtwimus.  ~  detukrunt  ad  me  im- 
perium^  euius  ego,  p.  c,  interim  tutelam  recepi^  tenebo  regimen^  si  ^vobis^ 

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e^vobts   I 
/CjOOgle 


—     480     — 

im  Ganzen  aber  fEÜilt  sich  nnter  ihm,  da  er  abwesend  ist  und 
nicht  blofs  die  anter  der  Yorigen  Regierung  verfolgten  amnestiert^ 
sondern  sich  selbst  der  Bluturteile  enthalt,  der  Senat  freier  mis 
unter  seinen  Vorgängern.')  Allerdings  war  es  die  Erhebung 
eines  nichtsenatorischen  Mannes  sicher  nicht,  was  der  Senat  ge- 
wünscht hatte;  was  dieser  wünschte,  sagt  uns  Dio:  Macrinus  hätte, 
wie  man  es  vor  zwei  Jahrzehnten  bei  dem  Präfekt  Latus  ont^- 
Commodus  erlebt,  wohl  den  Senat  von  seinem  Bedränger  be- 
freien, dann  aber  helfen  sollen,  einen  geeigneten  Senator  zum  Im- 
perium zu  bringen,  fOr  sieh  aber  in  untergeordneter  Stellung 
bleiben^):  so  standen  der  wirklichen  Macht  des  Heers  die  Piu- 
tentionen  des  Senats  auch  jetzt  noch  gegenüber,  aber  fireilich 
eben  nur  die  Prätentionen.  Denn  in  Wirklichkeit  liefs  sich  der 
Senat,  da  er  das  Bessere  nicht  haben  konnte,  auch  den  Macrinus 
gefallen^),  und  nicht  minder  nahmen  wohl  in  Wechselwirkung  mit 
diesem  Verhalten,  die  Provinzen  den  Emporkömmling  an,  ohne 
dafs  ein  Statthalter  sich  gegen  ihn  erhob.  Indessen  jene  groüsere 
Freiheit  wufste  man  immerhin  zu  benützen:  man  beseitigte 
manches,  was  man  als  Übelstand  empfand  und  wofür  der  Kaiser 
entweder  dem  Senat  freie  Hand  zur  Änderung  liefs  oder  Wünschen 
des  Senats  nachkam:    so  wurde  die  Last,  welche  die  Prätoren 


placiient  quod  militibus  placuü^  quibus  iam  et  Stipendium  et  omnia  im- 
peratorio  more  iussi,  —  Antonino  divifws  honores  ei  tniles  decrevit  et  nos 
decemimus  et  ro«,  p.  c,  ut  decematis  cum  possimus  imperaiorio  iure  prae- 
cipere  tarnen  rogamua.  Bei  Dio  78,  16  ist  diese  erste  Botscbaft  ventOmmelt. 
hiyqaipBVy  sagt  Dio  u.  A.  (mit  Bekkers  Ergänzungen)  rg  Ixunol^  Ka£ea^ 
&•*  iavzbv  %ccl  avto%ifdzOQCi  %ccl  £sovrjifOv  ngogd'Bis  ty  Ma%qlvov  ovofuxxi 
tbv  tvOBßfj  xcrl  svTVXTi  ical  Avyovctov  xal  IleQthaxei  ov%  avafUvoip  Ti,  m^ 
si'Kog  ^v,  nccQ'  rifimv  iffriq)iafia.  —  Hinsichtlich  der  Übung  des  Münzrechts 
ygl.  vit.  Diad.  2,  6:  hac  habita  contione  statim  apud  ÄnOodtiam  wumeta 
Antonini  DUidumeni  nomine  percussa  estj  Macrini  usque  od  iussum  senatms 
dHata  est. 

1)  Dio  78,  12.  Herod.  6,  2,  1 :  (Nach  Verlesung  der  Botschaft)  intietmg 
&Bto  (idliata  rmv  iv  ocii(6asi  ttvl  rj  xqu^si  ncc^scttozatv  ^üpog  d%06Basiö9'ai 
roCs  av%iciv  inaimQovfisvov;  rj  tb  'Poo^/ooi/  noUg  xal  a%B9bv  ndsa  i^  rao 
*Pmiiaü>vg  ol%Off(iivri  —  iv  ddBia  voXX'j  %al  bIhopi  il(v^B(fiag  ißittcccp  huC- 
vov  tov  itovg  oi  (lovov  6  Mani^ivog  ißaüClsvoB, 

2)  Dio  78,  41 :  tuxI  b  fihv  inaivs^slg  av  vnhg  ndittag  aw&^novg  ttfi 
(iri  avxbg  avxaQx^acci  inBiB^vfirjuBi  all*  iniXB^(iit>Bv6g  tiva  xmv  ig  yt  x^ 
YBQ0V6iav  XBlovvtmv  xfjg  x&v  *PoiiiaÜ9V  d^zV^  ni^oßxatijcai  avxou^xo^ 
avxbv  ditBdtdfixBi. 

3)  Vit.  7,  4:  statim  Macrino  et  proconmlare  imperium  et  potettatem 
tribuniciam  detuUntnt. 

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-     481     - 

bisher  bei  ihren  Spielen  gehabt,  gemindert  und  die  Kompetenz 
der  italischen  Juridici,  die  seit  Mark  Aurel  sich  gemehrt  hatte, 
auf  das  yon  diesem  Kaiser  bestimmte  Maus  zurückgeführt.^)  Bei 
Gelegenheit  solcher  Mafsregeln  lernen  wir  aus  dem  was  Dio  an- 
erkannte und  was  er  tadelt,  den  Horizont  der  Ansprüche  des 
Senats  kennen.  Voran  steht  die  Sorge  für  die  persönliche  Sicher- 
heit der  Senatoren  und  als  Garantie  hiefÜr  die  Bestrafung  der 
Delatoren,  worin  Macrinus  allerdings  nur  zum  Teil  entgegenkam; 
daneben  bildet  die  Hauptsache  die  Schonung  des  Vermögens, 
wobei  eben  jene  Erleichterung  der  magistratischen  Lasten  in 
Frage  kam,  und  die  Einhaltung  der  Regeln  für  die  Aufnahme  in 
den  Senat  sowie  die  Beförderung  in  demselben,  beziehungsweise 
die  Verleihung  der  Provinzen:  in  letzterer  Hinsicht  wufste  sich 
Macrinus  die  Zufriedenheit  des  Senats  keineswegs  zu  erwerben, 
indem  er  willkürlich  verfuhr  und  Leute  beforderte,  die  ebenso 
unberechtigt  wie  unwürdig  waren.*)  Gröfsere  politische  Desiderien 
tauchen  nicht  auf,  wenn  man  nicht  in  jener  Abwehr  von  Über- 
griffen der  Juridici  ein  Eintreten  für  die  Selbständigkeit  der  ita- 
lischen Verwaltung  erkennen  will.  Bei  der  beständigen  Abwesen- 
heit des  Kaisers  war  der  Verkehr  desselben  mit  dem  Senat  auf 
die  Einsendung  von  kaiserlichen  Initiativanträgen  (orationes)  und 
Berichten  über  die  Erfolge  im  Krieg  beschränkt;  in  den  ersteren 
machte  sich  jenes  Schwanken  zwischen  dem  Ton  des  Herrn  und 
dem  des  Princeps  geltend,  in  den  letzteren  beschränkte  sich  der 
Kaiser  hinsichtlich  der  Wahrheit  auf  das,  was  ihm  gutdünkte*); 
im  allgemeinen  aber  mufsten  so  die  Sitzungen  des  Senats  die 
Form  republikanischer  Freiheit  gewinnen,  und  nach  langer  Zeit 
kam  es  wieder  vor,  dafs  der  Senat  sogar  durch  Volkstribunen 
berufen  wurde. ^)    Zu  den  wichtigsten  Desiderien  aber  nicht  blofs 


1)  Dio  78,  22:  xal  iisxec  xovto  x6  ts  diaSCdoa&aC  rcva  h  taig  tdav 
cxQtttriymv  rav  navv  ^iccig  nXi^v  tmv  zri  ^Itof^K  tfXovfisvtov  di%aiov6ykOi  ol 
tiiv  'itaXUtv  9ioiHOvvteg  inavaavto  vnl(f  ta  vofiia&ivra  vnb  xov  MdfyKov 
dixdiovtsg,  N&heres  im  System.  Zn  diesen  Mafsregeln  hat  schwerlich 
Macrin  die  Initiative  ergriffen,  dem  sie  ganz  ferne  lagen. 

2)  78,  12.  13  (Lob  und  Tadel  gelegentlich  der  Amnestie  und  der  vor- 
genommenen Beförderungen).    21  (Schonung  der  Delatoren). 

3)  78,  27:  ov  fAivtoi  xal  rnxvta  tä  ngax^ivra  avtoCg  aHQtßag  o  Mccxql- 
vog  TJ  ßovXjj  aniattiXfv. 

4)  Dio  78,  37:  xal  ftfr«  tovto  —  ovts  vno  xmv  vndtoiv  ovd'*  vno  tmv 
cxQutriy&v  avvtiX9o(iBv  (ov  ydg  itv%ov  naq6vzfg)y  aXX'  vno  töäv  drniMQ%mv^ 
onsQ  iv  tm  X(f6v<p  tifonov  xivd  ijdf}  ttatsXiXvTo.  —  Gerade  die  Senatsbß^chte 

Herzog,  d.  röm.  SUattverf.  U.  1.  31       d  byCjOOglC 


~     482    — 

der  Senatoren,  sondern  aller  römischen  Burger  gehorte  die  Herab- 
setzung der  Erbschafts-  nnd  Freilassungssteuer  auf  den  früheren 
Satz^),  welche  eines  der  ersten  Zugeständnisse  des  Popularität 
suchenden  Usurpators  war.  Als  Gegengewicht  gegen  diese 
Verminderung  der  Einnahme  war  er  auf  Ersparnisse  bedacht^ 
minderte  wieder  den  Sold  der  Prätorianer,  ebenso  den  der  fQr 
die  Zukunft  einzureihenden  Rekruten^,  aber  da  jeder  AnlaXs  zu 
Befürchtungen  dazu  führte ,  dafs  neue  Donative  an  die  Soldaten 
gegeben  wurden,  so  war  darum  auf  einen  gesicherten  Staatshaushalt 
doch  nicht  zu  zählen.  Überhaupt  fehlte  es  dem  Kaiser  wohl  nicht 
an  Worten  und  Versprechungen'),  umsomehr  aber  an  wirklicher 
Regententhätigkeit  und  an  der  Fähigkeit,  die  Lage  zu  beherrschen. 
Er  wollte  zwar  durch  die  Erhebung  seines  achtjährigen  Sohnes 
Diadumenus  zum  Cäsar  und  durch  die  Einfügung  in  den  Namen 
der  Antonine  dem  dynastischen  Gefühl  der  Soldaten  entgegen- 
kommen und  eine  Zukunft  vor  Augen  stellen^),  aber  unterdessen 
schwand  ihm  die  Gegenwart.  Hätte  der  Kaiser,  nachdem  er  im 
Orient  Frieden   gemacht,   wenn  auch  auf  Kosten  der  Ehre  des 


Dios  aus  dieser  Regierung  sind  für  die  Handhabung  der  Formen  und  die 
Kompetenz  des  Senats  instruktiv. 

1)  78,  12:  xd  ts  ntQl  zovg  %Xi^(fOvg  %al  tä  nsQi  ras  iUvd'tqiag  natu- 
dsix^fvta  vjio  xov  KaqainaXXov  nccvaag. 

2)  78,  12  a.  E.  28. 

3)  Als  leeres  hingeworfenes  Wort  nrnfs  man  ansehen,  was  vit  13 
berichtet  wird :  fuU  in  iure  non  incällidus  adeo  tU  stcUuisaet  omnia  rescripU 
vcterum  principiun  tollere  ^  ut  iure  non  rescriptia  ageretwr,  nefas  esse  dicens 
leges  videri  Commodi  et  Caracdili  et  hominum  imperitarum  voluntaUa  äc 
Dagegen  ist  anzuerkennen,  dafs  er  nach  der  lückenhaften  Stelle  78,  22  a.  E. 
für  das  Alimentarinstitut  sorgte. 

4)  Vit  5,  1 :  Statim  arripuit  imperium  füio  Diadumeno  in  partidpaitim 
adscitOy  quem  canHnuo  Äntoninum  appellari  a  müüibus  iussü;  über  d» 
Gewicht  dieses  Namens  beim  Heer  c.  2f.  Vgl.  über  diesen  Sohn  femer  c.  10: 
sciendum,  guod  Caesar  fuisse  dicUWy  non  Augustus  Diadumenus  puer^  quem 
plerique  pari  fuisse  cum  patre  imperio  tradiderunt.  Oceisus  est  etiam  fiUm^ 
cui  hoc  solum  attulit  imperium,  ut  interfkeretur  a  müite,  Lampridios  giebl 
von  diesem  Sohn,  der  sonst  Diadumenianns  heifst  (ob.  S.  478  A.  2),  eine 
eigene  Biographie;  auf  Inschriften  und  Beichsmünzen  heifst  er  nnr  Caesar; 
aber  in  der  letzten  Zeit  nannte  ihn  sein  Vater  auch  imperator  Dio  78,  37: 
(in  einem  Schreiben  an  den  Senat)  xal  Kalea^a.  %al  txvxom^dxo^  ovrof 
ovoyAaaq,  Vgl.  38:  xov  vtov  avzomqdxo^a  dnotpriifUi^  nnd  auf  MünseD 
Antiochias  u.  a.  Städte  im  Osten  heifst  er  avxo%,  Kate,  und  Stf,  Eckbel 
7,  242.  Dagegen  ist  der  Brief  vit,  Diad,  8,  6:  „Po^rt  Augusto  ßius  Au- 
gustus^^  nicht  als  achtes  Zeugnis  anzuerkennen. 

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—    483     - 

Reichs,  das  im  Osten  zusammengezogene  Heer  wieder  in  die 
Garnisonen  yerteilt^  sich  sofort  nach  Rom  begeben  und  von  dort 
ans  regiert,  so  wäre  eine  längere  Behauptung  der  Herrschaft 
möglich  gewesen;  so  aber  war  das  Volk  zu  Rom,  das  einen 
Kaiser  gegenwärtig  haben  wollte  und  bei  dem  Schein  einer  re- 
publikanischen Senatsregierung  in  der  Hauptstadt  sich  in  Wirk- 
lichkeit gar  nicht  regiert  fohlte,  keineswegs  befriedigt^),  das 
Orientheer  aber  liels  sich  in  seiner  Unzufriedenheit  durch  Gaukel- 
künste gewinnen  und  als  Mittel  zu  der  monströsesten  Usurpation 
gebrauchen,  die  je  vorkam. 

13.  Die  Erhebung  des  vierzehnjährigen  Priesterknaben  Varius    siagabains. 
Avitus   von  Emesa,   der   unter  dem  Namen  Elagabalus   in  der 
Geschichte   bekannt   ist^,   eines  Sprofslings  der  Priesterfamilie, 
zu  welcher  die  Kaiserin  Julia  Domna,  die  Schwester  seiner  Grofs- 
mutter,  gehört  hatte,  durch  die  bei  Emesa  lagernde  Legion  und 

1)  Vgl  Dio  78,  28  f.  20:  o  Sriiiog  (bei  den  Spielen  am  14.  Sept.) 
TtoXla  6dv(f6fievog  xal  liyav  fiovovg  Örj  tmv  ndvtoDV  avQ'ifmnaiv  iavtovg 
d7f(fOüt(iTovg  dßaailsvtovg  elvai.  —  Sets  %al  ins^vovg  fi^t'  dQxrjv  ^rt  slvat 
TOI'  Ma%QCvov  %al  tov  diadoviiavtavbv  voft^ieiv  dXX'  ag  mal  tfd^%6tag 
avTOvg  HUtanatBiv. 

2)  Der  Name  des  Vaters  war  Varius  Marcellus,  der  der  Matter  Soämis, 
Tochter  der  Jalia  Mäsa  Dio  78,  80.  Orelli-Henz.  n.  946  =^  Wilmanns  1208; 
über  die  vorgegebene  Vaterechaft  des  Caracalla  Dio  c.  31.  vit.  2  f.  und  sämt- 
liche andere  Quellen.  Nach  letzterem  nannte  er  sich  M.  Äurelius  (vielfach 
Äurellius)  Äntoninus  Divi  Magni  Ant<mini  f.  divi  Severi  nepos,  Dio  nennt 
ihn  Pseudantoninat  oder  Sardanapal  und  giebt  79,  1  noch  einige  andere 
Schimpfnamen,  dagegen  gebraucht  er  den  Namen  Elagabalus  nicht  In 
der  yita  1,  6  aber  heifst  es;  hie  quidem  prius  dtctus  est  Vctrius,  post  Helio- 
gabaJus  a  aacerdotio  dei  Heliogabali;  postremo  cwn  accepü  imperium  An- 
toninus  appellattis  est.  Die  vita  nennt  ihn  stets  Heliogdbcdus^  und  dies 
wurde  der  gangbare  geschichtliche  Name,  nur  dafs  neuerdings,  woran  schon 
Tillemont  erinnerte,  statt  dieser  griechisch-syrischen  Mischform  die  reiner 
orientalische  Elagabalus  gebraucht  wird.  In  seiner  Titulatur  hat  er  als 
ersten  Titel  den  eines  sacerdos  dei  invicti  Solis  Elagcibali  (vgl.  die  Indices 
in  den  Inschriftensammlungen  und  die  Münzen);  doch  findet  sich  in  der 
Arvaltafel  Yom  J.  218  (Henzen  act.  fratr.  Arv.  CCU  sqq.)  dieser  Titel  nicht. 
Seine  Regierung  rechnet  Dio  79,  3  von  der  Schlacht  bei  Antiochien  an 
(8.  Juni  218)  auf  3  Jahre  9  Monate  4  Tage  und  giebt  79,  20  bei  seinem 
Tode  sein  Alter  auf  18  Jahre  an.  Darnach  fiele  der  Todestag  auf  den 
11.  März.  Ist  dieser  Ansatz  Dies  richtig,  was  doch  das  wahrscheinlichste 
ist,  so  kann  das  Datum  der  Senatssitzung  vit.  Alex.  6,  2  (pridie  nanas 
Martias)  nicht  richtig  sein.  Vgl.  Tillemont  III  p.  472  f.  Der  Ansatz  des 
Todestags  auf  den  6.  oder  6.  Jan.  222  bei  Stobbe  in  Philol.  32,  56  f.  geht 
Yon  unrichtigen  Voraussetzungen  über  die  Tribunatsjahre  aus. 

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-     484    — 

die  beinahe  vierjährige  Regierung  dieses  Kaisers  bezeichnet  die 
tiefste  Emiedrigang,  welche  das  römische  Imperium  je  erlitt 
Die  Geschichtserzählung  ist  einstimmig  darüber,  dafs  die  Herr- 
schaft dieses  Syrers  über  das  romische  Reich  nicht  blofs  das 
änfserste  an  Schande  enthielt,  was  aus  schlechter  nationaler  An- 
lage und  persönlicher  Schlechtigkeit  hervorgehen  kann,  sondern 
auch  jedes  positiven  Gehalts  entbehrte.^)  Es  ist  diese  Regierung 
dann  freilich  abgelöst  worden  durch  eine  in  ganz  anderem  Lichte 
glänzende,  und  sie  hat  durch  direktes  Handeln  unmittelbar  nicht 
tief  eingegriffen,  aber  mittelbar  bedeutsam  genug  gewirkt,  und 
jedenfalls  bietet  das  allgemeinere  Bild,  das  der  Historiker  hinter 
dem  in  unsem  Quellen  sich  vordrängenden  malalos  eklen  Detail 
suchen  mufs,  sehr  charakteristische  Züge.  Schon  die  Reise  des 
neuen  Imperators  nach  Rom,  bei  welcher  er  von  218  bis  219  in 
Nikomedien  überwinterte,  überzeugte  die  selbst,  die  ihn  erhoben 
hatten,  von  der  Nichtswürdigkeit  ihres  Erkorenen  und  wandte 
bereits  die  Hoffnungen  auf  den  mit  ihm  ziehenden  Verwandten, 
den  Sohn  der  Julia  Mammäa,  Schwester  der  Julia  Mäsa,  der  Mutter 
des  Kaisers.^)  In  Rom  selbst  aber,  das  der  Kaiser  dann  nicht 
mehr  verliefs,  und  im  übrigen  Reich  gestaltete  sich  die  Lage, 
obwohl  man  sich  den  schlimmen  Folgen  der  Wahl  fügte,  doch 
bald  zu  einer  gewissen  Reaktion.  Den  Mittelpunkt  bildete  der 
Hof.  Aber  dieser  selbst  war  geteilt:  im  Vordergrund  stand 
natürlich  das  Treiben  des  Kaisers  und  seiner  nächsten  Umgebung, 
die  aus  den  verworfensten,  wenn  auch  nicht  durchaus  unfähigen 
Menschen  zusammengesetzt  war,  ein  Treiben,  dessen  sittlicher 
Typus  geradezu  sprichwörtlich  in  der  Geschichte  geworden  ist, 
und  das  durch  das  allem  Römisch-nationalen  Hohnsprechende  die 
Auflösung  des  römischen  Wesens  mehr  forderte  als  alles,  was 
bisher   in   dieser  Beziehung   geschehen   war.^)     Im  Hintergrund 

1)  Von  ernsthafter  Begiemogsthätigkeit  findet  sich  in  den  Quellen 
von  ihm  nur  Die  79,  14:  iv  tm  dtucctBiv  tivoc  aptfif  nmg  stpat  i9oK$i, 

2)  Vit.  5,  1:  cum  hibemasset  Nicamediae  at^pte  omnia  soräida  agertt 
—  sUxtim  milites  facti  sui  paenituü  etc. 

3)  Am  deutlichsten  trat  dies  in  den  neu  eingeschleppten  Kulten  za 
Tage,  beschränkte  sich  aber  keineswegs  auf  dieses  Gebiet  Vit.  8,  4:  ü{ 
agens,  ne  quis  Eomae  detts  nisi  Hdiogabälus  coUretur,  Dicebat  praderea, 
Judaeorutn  et  Samaritanorutn  religumes  et  Christianam  devotionem  iüue 
Irans ferendam,  tU  omnium  cuUurarum  secretum  HeUogabaii  saoerdaüum 
teneret.  7,  1 :  matris  etiam  deum  sacra  accepit  etc.  Herod.  5,  6  f.  Aach  Dio, 
der  mit  dem  religiösen  Treiben  des  Orients  doch  wohl  bekannt  war,  findet 

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—    485    — 

aber  machte  sich  bald  ein  stiller  Kampf  twu^^i^j    uv'    r  . 
Mutter  und  ihrer  Schwester  Mammäa  hetuerkiiKi,^  <^;r  ^.,  ^*    t 
dang  zum  bessern  vorbereitete,  und  bei  dem  iixa  üiu  J    *-   *..     . 

zuerst  eine  gewisse  Vermittlung  bildete,  dann  »W  <i*^  x^n . 

Mutter  des  Alexianus  oder,  wie  er  jetzt  genannt  wu*<iA;  /..i  /,  .>-  # 
und  der  in  diesem  liegenden  Zukunft  sich  zuwaudt«^. '^  i^i./  «,  ... 
war  den  Soldaten  gegenüber  machtlos;  er  nahm  emc  Mi^i./,«  .  vj 
Elementen  auf,  die  der  Herkunft  und  dem  Charakter  <ii.r  j>t  ..  , 
Regierung  entsprachen  und  die  Widerstandsfähigkeit  d«?i-  t^oi^.^-t 
Schaft  noch  mehr  beeinträchtigten.  Er  mufste  die  VAumiMH^ut.'/ 
der  Kaiserin-Mutter  in  die  Geschäfte  und  deren  AuftreUui  un 
Senat  formlich  anerkennen*)  und  zu  allem,  was  er  sab,  uthwiii'/,^  u 
Aber  ein  Mitglied  dieser  Behörde  selbst  bezeugt,  da&  ah^ta^hiu 
von  den  Exekutionen,  welche  einzelne  und  besonders  die  Anb&ij^i^ 
des  Macrinus  betrafen,  der  Senat  sich  nur  darüber  zu  beklagi/i 
hatte,  dafs  der  Kaiser  sich  seine  Stellung  nicht  vom  Senat  b^n- 
stätigen  liefs  und  mit  seinem  Konsulat  die  Regeln  mifsachtote/) 
An  die  Äufserungen  eines  erzwungenen  Servilismus  war  luaii 
lange  genug  gewöhnt  und  der  von  Elagabal  eingerichtete  Weiber- 
senat berührte  nur  die  soziale,  nicht  die  politische  Stellung  der 
Senatskreise/)  Die  höchsten  Ämter  in  der  kaiserlichen  Beamten- 
schaft wurden  mit  Kreaturen  des  Hofs  besetzt,  ebensowohl  auch 
manche  Statthalterschaft^);  doch  dauerten  die  Saturnalien  dieses 
Regiments  nicht  lange  genug,  um  hier  weit  um  sich  zu  greifen. 


79y  11  neu  nnd  auffallend  ras  ßccQßoQinccg  t^dag  ag  b  SaifSavancclXog  tm 
'ElayaßoXm  yde  fj  (itixqI  Sfia  %al  ty  tri9"iß  zag  xe  dno^Qj^zovg  ^aCag  ag 
avtS  i^vs  natSag  atpayiaionsvogy  u.  8.  w. 

1)  Herod.  B,  5,  6.  7,  1.  —  Den  in  der  syrischen  Stadt  Arke  geborenen 
Sohn  des  Qessins  Marcianns  nnd  der  Julia  Mammäa  nennt  Dio  78,  30  nicht 
Alexianus  wie  Herodian  6,  7,  8,  sondern  Bassianus. 

2)  Vit.  4,  1 :  tibi  primum  diem  senatua  habuit,  matrem  suam  in  senatum 
rogari  iussit;  guae  cum  venisset,  vocaia  ad  consulum  subsellia  scribendo  ad- 
fuü  etc,    Dio  spricht  hierron  nicht. 

3)  Dio  79,  2,  8:  (pivmv  filv  ovv  ixofiiva  ravta  avrflo  inQdxd'i]^  ^|a>  dl 
Sri  twv  ncetQ^mv  aTtXä  fihv  xal  firiShv  fiiya  xaxoy  rifi^Cv  (piqovta  nXijv  x«^' 
ooov  naqa  to  nad'eatrixog  inaivotofii^^  u.  s.  w.  Dafs  er  nicht  eigentlich  ver- 
folgungssüchtig war,  zeigte  er  durch  Nichtbenutzung  der  in  der  Korrespon- 
denz des  Macrinus  gefundenen  Schmähungen  gegen  ihn  selbst  c.  3.  ^u  der  Be- 
schwerde Dios,  dafs  er  sich  in  den  Fasten  an  Stelle  des  Macrin  für  218  als 
Konsul  einsetzen  liefs,  vgl.  die  Zeugnisse  bei  Klein,  fasti  com,  zu  dem  J  218. 

4)  Vit.  4.    Dio  und  Herodian  sprechen  hiervon  nicht. 

6)  Vit  6,  1:  vendidit  ei  honores  et  dignitates  et  potestates  ^^(l[^rjb]e 


—     486     — 

Mau  darf  wohl  annehmen,  dafs  der  tägliche  Lauf  der  Geschäfte, 
soweit  nicht  der  Kaiser  mit  seiner  Umgebung  Veranlassung  hatte, 
in  denselben  einzugreifen  ^  seinen  Gang  ging.  Die  Hauptsache 
aber  war^  dafs  die  besseren  Elemente  unter  den  kaiserlichen 
Beamten,  wie  z.  B.  ein  Domitius  Ulpianus  und  die  unabhängigeren 
des  Senats  einen  Rückhalt  fanden  an  der  zu  Julia  Mammäa  hal- 
tenden Seite  des  Hofs.  Das  römische  Volk  hatte  jetzt,  was  es  sich 
gewünscht,  einen  Herrn  in  seiner  Mitte  und  nahm  selbst  aus  diesen 
unreinsten  Händen  neue  Erfindungen  zu  seiner  Belustigung  mit  Ver- 
gnügen auf^);  wohl  hatte  Tacitus  schon  für  das  Jahr  69  gesprochen 
von  der  pUbs  sordida  drco  (ic  thecUris  sueta,  welche  tradüo  tnore 
quemcunque  principem  adulandi  auch  den  schlechten  Herrschern 
zujubelt,  allein  es  war  doch  in  diesem  Typus  ein  Stufengang 
merklicher  Verschlechterung  bemerkbar.  Noch  nach  dem  Sturze 
des  Commodus  hatte  einem  Julianus  gegenüber  das  Volk  der 
Hauptstadt  eine  gewisse  Selbständigkeit  gegen  das  Prätorianer- 
tum  und  ein  Gefühl  für  die  Würde  des  Reichs  gehabt;  jetzt 
war  man  zufrieden,  auch  von  einem  Elagabal  unterhaltend 
regiert  zu  werden.  Ahnliche  Indifferenz  herrschte  offenbar  unter 
der  Masse  der  Soldaten  aufserhalb  Roms.  Dafs  Versuche  gemacht 
wurden,  diesem  Herrscher  von  den  Provinzen  aus  gegenüberzu- 
treten, war  nur  natürlich^);  aber  sie  scheiterten  sämtlich  nicht 
blofs  daran,  dafe  die  Urheber  Männer  ohne  Namen  waren,  son- 
dern noch  mehr  an  der  Teilnahmlosigkeit  der  Truppen  und  wohl 
auch  der  Provinzialen,  welche  von  dem,  was  in  Rom  vorging, 
wenig  betroffen  waren.  Dagegen  war  von  entscheidender  Wichtig- 
keit die  Haltung  der  Truppen  in  Rom,  und  diese  wandten  sich 
immer  mehr  der  besseren  Seite  des  Hofs  zu.  Alexander,  schon 
vorher  zum  Cäsar  ernannt,  mufste  von  Elagabal  adoptiert  werden'); 
die  Angriffe,  die  Elagabal  infolge  davon  gegen  ihn  richtete,  be- 


qtMtn  per  omnes  servos  ac  libidinum  magistros;  in  senatum  legü  sine  cUdcri- 
mine  cietatia  censm  generia  etc. 

1)  Vit.  22,  4:  primus  hunc  morem  sortis  (der  Lotterieloose  bei  den 
Festlichkeiten)  insHtuit,  qiiem  nunc  videmus]  —  quae  poptüus  tarn  libeiUer 
accepit,  vi  eum  postea  imperare  grcUülarentur. 

2)  AofzählüDg  derselben  bei  Dio  79,  7,  der  einen  Versnch  die  Flotto 
aufzuwiegeln  aus  der  Nähe  mit  ansah. 

8)  Vit  Heliog.  10,  1:  milites  in  Alexandrum  amnes  indinantes,  qui 
iatn  Caesar  erat  a  senatu  eo  tempore.  13,  3 :  {iuvenis  Alexander)  a  miütibvs 
ctiam  amaibatur  et  senatui  acceptus  erat  et  equestri  ordini.  Den  Entschlols 
zur  Adoption  Alexanders   läTst  Dio  79,  17   von  Elagabal   selbst   ausgehen, 


-     487     - 

stärkten  die  Soldaten  nur  noch  mehr  in  ihrer  Vorliebe  für  Ale- 
xander und  führten  schliefslich  die  offene  Spaltung  zwischen  den 
weiblichen  Führerinuen  am  Hof  und  dabei  den  Untergang  des 
Elagabal  im  Pratorianerlager  herbeL^)  Au  seine  Stelle  trat  jetzt 
und  wurde  sofort  in  die  Gewalt  eingesetzt  der  Sohn  der  Mammäa. 

14.  M«  Aurelius  Severus  Alexander,  wie  der  neue  Herrscher      serenu 
sich  nannte^,  war,  als  er  im  März  222  das  Imperium  übernahm, 
ISy,  Jahre  alt*),  jünger  als  je  ein  Princeps  beim  Antritt   der 
Alleinregierung:    Commodus  war  wohl  mit   15  Jahren  Augustus 
geworden,  Caracalla  sogar  mit  10,  aber  beide  zu  Lebzeiten  des 

Herodian  5,  7  fährt  ihn  aaf  den  Rat  der  Mäsa  zurück.  Das  Datam 
(10.  Juli  221)  geben  die  Fasten  eines  Priesterkollegiums  (Henzen  n.  6063. 
C.  i.  1.  6  n.  2001  mit  dem  Kommentar  von  Borghesi  oeuvr.  8,  391  ff.)* 
Bandi  di  Yesme  liest  in  dem  verstümmelten  Diplom  corp.  i.  1.  3  p.  892 
o.  L  Z.  6 — 8  den  Namen  des  Alexander  als  imp.  Caes,  [Äugtaius]  noch 
zu  Lebzeiten  des  Elagabal,  und  Mommsen  stimmt  dem  bei,  indem  er  zur 
Unterstützung  auf  c.  i.  I.  6,  1016  c  verweist,  wo  der  Name  des  Alezander 
an  Stelle  des  getilgten  Commodus  neben  einen  M.  Aurelius  Anton,  gesetzt 
ist,  den  der  Urheber  dieses  Einsatzes  fälschlich  für  den  Elagabal  hielt. 
Allein  dieser  Urheber  konnte  sich  auch  in  der  Geschichte  des  Sev.  Alex, 
täaschen,  und  neben  dem,  was  für  die  Vesme'sche  Deutung  des  Diploms 
spricht,  verträgt  sich  die  Annahme,  dafs  Alex,  noch  einige  Zeit  neben 
Elag.  Augustus  gewesen  sei,  in  doppelter  Weise  nicht  mit  den  gleichzeitigen 
Quellen.  Nicht  blofs  heifst  es  vit.  Alex.  1,  3:  Augustum  nomen  recepit 
addUo  €0  ut  et  pcUris  paUi<ie  nomen  et  tue  proconsulare  et  tribuniciam 
potestcUem  et  iu8  quintae  reJationis  deferente  senatu  uno  die  adsumeret,  nicht 
blols  wissen  Dio  und  Herodian  nichts  (11,  6)  davon,  sondern  es  wäre  in 
dem  sonst  offenbar  auf  den  kurz  vorher  citierten  Marius  Maximus  zurück- 
gehenden genaueren  Bericht  vit.  Heliog.  14  ff.  eine  sehr  auffallende  Lücke 
und  eine  Unverträglichkeit  mit  dem  dabei  erzählten  Hergang.  Zeitlich 
könnte  dio  Ernennung  zum  Mitaugustus  etwa  erfolgt  sein  auf  Verlangen 
der  Soldaten  in  Zusammenhang  mit  der  Erzählung  vit.  16,  1  f. ;  allein  auch 
hier  wird  nichts  derartiges  bezeugt  und  das  darauf  folgende  Verhalten  des 
Elag.  stimmt  zu  einem  solchen  Zugeständnis  nicht. 

1)  Die  verschiedenen  Stadien  der  Empörung  der  Soldaten  am  richtigsten 
vit.  13  ff.  Bei  dem  letzten  Kampf  im  Lager  giebt  Dio  den  drastischen  und 
für  das  Vorhergegangene  bezeichnenden  Zug:  at  (irjtiQBg  a-ormv  iiapccvi- 
ötSQOv  1j  xqIv  ccXXiqXaig  iLaxoitBvat  tovg  <ftQatii6xag  rJQid'iiov. 

2)  Den  Namen  Antoninus,  den  ihm  der  Senat  aufdringen  wollte,  nahm 
er  nicht  an;  den  Namen  Severus  nahm  er  nach  dem  Willen  der  Soldaten 
an  vit.  Alex.  6—12.  Die  Abstammung  führt  er  durch  Caracalla  aufSevems 
zurück  (vgl.  z.  B.  in  dem  Militärdiplom  c.  i.  l  3  p.  893:  divi  Antonini 
Magni  Fii  fit.,  divi  Severi  Pii  nepos). 

3)  Er  war  geb.  1.  Okt.  (nat.  Caes.  bei  Bucher  de  dodr.  temp.  p.  276) 
208  (Clinton  fast  Rom.  zu  221).  ^  j 

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—    488     - 

Vaters,  also  thatsächlich  mit  der  Bedeutung  nur  des  Nachfolge- 
rechts, nicht  eigener  Regierung.  Der  Begriff  der  Minderjährig- 
keit kam  hier  nicht  in  Betracht,  da  er  dem  System  des  augusteischen 
Principats,  innerhalb  dessen  auch  das  Recht  dieser  Regierung 
steht,  durchaus  fremd  ist:  die  Übertragung  der  zu  dieser  Stellung 
gehörigen  Rechte  konnte  immer  nur  geschehen  unter  der  Vor- 
aussetzung, dafs  der,  dem  sie  übertragen  wurde,  ein  voller  Mann 
sei.  Man  mufste  also,  indem  man  einen  Knaben  zum  Augustus 
erhob,  darauf  gefafst  sein,  dafs  derselbe  zum  Unheil  des  Reichs 
sein  Recht  selbständig  geltend  machte.  Indes  die  Umstände 
machten  solche  Besorgnis  überflüssig.  Dieselben  Hände,  welche 
ihm  die  Erhebung  vorbereitet,  leiteten  auch  die  ersten  Jahre 
seiner  Regierung,  ohne  Zweifel  mit  festerer  und  sichererer  Hand 
als  er  selbst  später,  aber  nicht  in  irgend  einer  rechtlich  neuge- 
stalteten Form,  sondern  von  vorhandenen  Instituten  aus.  Das 
erste  war,  dafs  in  die  nächste  Stellung  beim  Kaiser,  in  die  des 
Gardepräfekten,  der  vertraute  Ratgeber  der  Kaiserin-Mutter,  Do- 
mitius  Ulpianus,  eintrat,  welcher  sich  sofort  der  mit  der  vorigen 
Regierung  zusammenhängenden  zwei  andern  Präfekten  entledigte 
und  welchem  weiterhin  der  aus  derselben  juristischen  Laufbahn 
wie  Ulpian  hervorgegangene  Julius  Paulus  beigegeben  wurde. ^) 
Ulpian  war  es,  der  mit  Mammäa  den  Geist  der  neuen  Regierung 
bestimmte  und  die  Einrichtungen  traf,  die  sie  befestigen  sollten. 
In  der  mit  gröfserer  Kraft  als  je  hervortretenden  Stellung  des 
Gardepräfekten  war  die  Kontinuität  mit  der  seit  Septimius  ein- 
geschlagenen Richtung  vertreten-,  daneben  aber  sollte  die  Einigung 

1)  Dio  80,  1:  'AXsiavÖQog  (ist'  i%Bivov  svdvg  avxaQxriaag  Jofutin 
Zivi  OvXnitxvm  xr^v  t£  rcov  doqvtpoqtov  fCQoatccaiav  xol  tä  Xoma  trjg  cr^x^g 
inizQiips  ngayfiatce,  c.  2:  6  OvXnucvog  noXXcc  i^hv  tmv  ov%  OQ^mg  tmo 
Tov  ZagdavandXXov  ngax^ivxmv  inrjvmQd'mas  xov  ts  Sri  Maoviavov  tov  tt 
XQriatov  dnonts^vag^  tv*  avtovg  SiaSiirjtcci,  Herodian  erwähnt  ihn  gar 
nicht;  umsomehr  spricht  die  vita  an  verschiedenen  Stellen  von  ihm.  In 
einem  Beskript  vom  81.  März  222  wird  er  von  Alex,  genannt  pruefeäus 
anno  na e  iuris  consültus  amicus  meus  (cod.  Inst.  8,  37,  4),  in  einem  andern 
vom  1.  Dec.  222  praefectus  praetorio  ei  parens  meus  (4,  65,  4);  damit  föllt  die 
anderweitige  Angabe,  er  sei  schon  unter  Elag.  pr,  pr.  geworden.  Vgl 
aber  seine  und  des  Paulus  Laufbahn  Hirschfeld,  Verwaltnngsgesch.  S.  234 1, 
aber  die  beiden  als  Juristen  Kariowa,  Rechtsgesch.  1,  789  flF.,  über  die 
Schriften  derselben  768  ü'.  —  Die  Angabe,  dals  Ulpian  seine  Stellung  bei 
Alex,  eingenommen  habe  primum  repugnante  mcUre  deinde  gratias  agefik 
ist  rein  erfunden  aus  der  Voraussetzung,  dafs  Mammäa  ihrer  Natur  nach 
gegen  jeden  anderen  Einflufs  als  den  ihrigen  habe  sein  müssen.  , 

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-     489     — 

mit  dem  Senat  so  weit  wie  möglich  erzielt  werden:  es  wurde^ 
wof&r  man  einen  Vorgang  unter  Augustas,  wenn  auch  unter  ganz 
andern  Umstanden,  finden  konnte  (ob.  S.  176);  ein  Ausschufs  des 
Senats  von  16  Mitgliedern  bestellt,  der  mit  den  obersten  Stellen 
der  kaiserlichen  Verwaltung  zusammen  die  Regierungsmafsregeln 
beriet,  und  dessen  Beschlüsse  der  kaiserlichen  Entscheidung  zu 
Grunde  lagen.  ^)  Die  letztere  mufs  auch  jetzt  unbedingt  als  das 
in  letzter  Linie  entscheidende  angesehen  werden^  d.  h.  bei  dem 
mafsgebenden  Einflufs  des  Gardepräfekten  blieb  diesem  neben 
allem  senatorischen  Einflufs  doch  die  Möglichkeit  die  letzte  Ent- 
scheidung selbständig  zu  halten.  Dagegen  wurde  dem  Senat  die 
weitere  Konzession  gemacht,  dafs  der  Gardepräfekt,  mindestens 
wenn  er  zu  dieser  Stellung  gelangte,  eine  Rangstellung  im  Senat 
erhielt,  eventuell  auch  ein  Senator  dazu  bestellt  werden  konnte.^ 
Damit  war,  ohne  dafs  die  Festigkeit  und  Einheit  der  Regierung 
beeinträchtigt  wurde,  doch  mit  einem  Male  verglichen  mit  der  Hal- 
tung, welche  von  Septimius  her  das  Imperium  gegenüber  dem  Senat 
eingenommen  hatte,  eine  ganz  neue  Richtung  eingeschlagen,  die 
zugleich  unter  den  augenblicklichen  Verhältnissen  jedenfalls  halt- 
bar war.  In  Verbindung  mit  dieser  politischen  Einrichtung  ging 
die  sittliche  Reaktion  der  Reinigung  des  Hofes  und  der  Beamten- 
schaft von  den  Werkzeugen  der  früheren  Regierung  und  eine 
nationale  Reaktion  auf  dem  Gebiete  des  religiösen  und  des  Kultur- 
lebens.*) Die  Syrerin  Mammäa  war  einsichtig  genug,  um  den 
Zusammenhang  der  letzteren  Seite  mit  dem,  was  man  politisch 
eingerichtet  hatte,  zu  erkennen,  und  wenn  auch  in  der  Bildung 
ihres  Sohnes  das  hellenistische  Element  überwiegend  war,  so  wollte 
er  doch  als  Kaiser  möglichst  Römer  sein,  soweit,  dafs  er  sogar 
seinen    syrischen  Ursprung  zu  verdecken  suchte,*)     Namentlich 


1)  Herod.  6,  1,  2:  itQmtav  (tlv  t^g  cvy%Xrftov  ßovXrjg  tovg  donovvtccg 
%al  TjXin^  asiiVfnatovg  xal  ßi(p  aoxpQOvtatcctovg  i%%a(di%a  insXi^avto 
9VpiSgovg  bIwui  nal  avftßovXovg  xov  ßaaiXimg  ovSi  %t  iXiyeto  ^  inQattsto 
bI  ^i)  xansipoi  avto  InmqivavxBg  avfitjnjfpoi  iyivavto.  Ober  den  tu  16,  1 
erwähnte D  Beirat  8.  unt. 

2)  Vit.  21,  3:  praefectis  praetorti  suis  senatoriam  addidit  dignitaUm, 
%U  viri  clarissimi  et  essent  et  dicerentur;  —  idcirco  senatores  esse  voluü  prae- 
fectos  prciet.,  ne  quis  non  Senator  de  Romano  senatore  iudicaret.  Der  weitere 
Zweck  lag  wohl  aach  darin,  in  dieser  höchsten  Spitze  der  ritterlichen  Yer- 
waltnng  diese  mit  der  senatorischen  aaszagleichen. 

8)  Vit.  16.     Herod.  6,  1,  8. 

4)  Vit.  28,  7:  volebat  videri  originem  de  Momanorum  gente  trähere^  9^^Q\^ 


—     490    — 

aber  wurde  sofort  in  der  Staatsreligion  das  hergebrachte  von 
Elagabal  beseitigte  wiederhergestellt ,  eine  Restitution,  der  frei- 
lich durch  den  Synkretismus,  in  welchen  die  religiösen  Anschaa- 
uDgen  des  Kaisers  selbst  ausliefen,  sehr  bedeutend  Eintrag  ge 
than  wurde.  ^)  Am  Hof  wurde  sofort  Einfachheit,  Sparsamkeit 
und  ein  Verkehr  eingeführt,  der  zu  den  unter  der  letzten  Regierung 
eingerissenen  orientalischen  Adorationsformen  den  direktesteo 
Gegensatz  bildete,  indem  der  Zugang  zu  der  obersten  Gewalt 
möglichst  frei  sein  sollte.^) 

In  welcher  Weise  nun  die  so  eingeleitete  Regierung  tod 
einer  ausschliefslich  durch  erfahrene  Hände  von  Ratgebern  ge- 
leiteten in  ein  Stadium  überging,  bei  dem  ohne  Aufgeben  der 
vorhergehenden  Führung  die  Individualität  des  Kaisers  mehr  sich 
bemerklich  machte,  läfst  sich  nicht  bestimmt  erkennen,  da  unsere 
Quellen  durch  ihre  Anordnung  uns  darüber  Auskunft  versageD. 
Die  Art  der  Einrichtung  jenes  Staatsrats  und  die  Stellung  des 
Kaisers  zu  demselben  uud  dem  Gardepräfekten,  die  äufserlicli 
die  gleiche  blieb,  sowie  der  Charakter  des  Kaisers,  in  dem  kein 
plötzliches  Erwachen  der  eigenen  Auktorität  vorging,  brachte  es 
mit  sich,  dafs  der  Übergang  ein  unmerklicher  war.  Immerhin 
läfst  der  Charakter  der  von  Alexanders  Regierung  hervorgehobenen 
Mafsregeln  vielfach  erkennen,  was  den  individuellen  Stempel 
trägt  und  was  ein  allgemeineres  Prinzip  vertritt;  auch  wird  man 
es  als  natürlich  annehmen  dürfen,  dafs  die  eigene  Initiative  des 
Kaisers  nach  dem  Tode  Ulpians,  also  vom  J.  228  an  starker 
und  deutlicher  hervortritt  als  vorher. 

Das  Verhältnis  zum  Senat  blieb,  soviel  wir  sehen,  bis  zum 
Tode  des  Kaisers  ungestört  Mag  auch  der  Ruhm  seiner  Re- 
gierung, dafs  sie  —  vom  Senatsstandpunkt  aus  —  unblutig  ge- 
wesen, d.  h.  kein  Senator  unter  ihm  exekutiert  worden  sei,  nicht 
ganz  zutrefiFen*),  jedenfalls  erfreuten  sich  die  Senatoren   wieder 

eum  pudehat  Syrum  did.  44, 3:  Syrum  st  dici  nökbiU  sed  a  maioribu9  lUmm- 
nutn  et  siemma  generis  depinxerat,  quo  ostendebaiury  gmus  eiua  a  MeUUä 
deseendere. 

1)  Herod.  a.  a.  0.  Vit.  43,  6:  CapUolium  sepiimo  quoque  die,  cum  in 
urbe  esset,  ascendit,  templa  frequentavü,  Christo  templum  faeere  voiuä  eum- 
que  itUer  deos  recipere.  22,  4:  Judaeis  privilegia  reservamt,  ChrisHanos  tm 
passus  est.    29,  2  (Christas,  Abraham  und  Orpheus  in  seinem  Larariom). 

2)  Vit.  18.  29  ff.  {vita  cottidiana  et  domestica), 

3)  Herod.  6,  1,  7:  ig  rsüüaQegnaidinatov  yovv  iXaöceg  r^s  ßaciUias 
hog  oyatfMSTl  i^Qisv,    9,  8:  äfiipMtmg  ^c^l  dvaiiJMti;  indes^arw&hni  Herodiao 

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-    491     - 

einer  Zeit  von  13  Jahren  ungewohnter  persönlicher  Sicherheit 
för  ihre  Person  und  ihr  Vermögen.  Die  äufseren  Ehren  wurden 
dem  Senat  in  vollem  Sinn  erwiesen  und  was  von  ihm  an  Devotion 
gegen  das  kaiserliche  Haus  erwartet  wurde ^  war,  wenn  nicht 
durchaus  freiwillig,  doch  in  mäfsigen  Schranken  gehalten.  Was 
dem  Kaiser  an  Befugnis  zur  Aufnahme  in  den  Senat  zustand, 
soll  er  nur  im  Einvernehmen  mit  dem  Senat  selbst  ausgeübt 
haben,  ebenso  die  Ernennungen  zum  Konsulat,  und  dafs  in  den 
Ritterstand  kein  Freigelassener  Zulassung  fand,  wurde  damit 
motiyiert,  dafs  er  die  Pflanzschule  des  Senats  sei.^)  Die  Er- 
nennung zum  Gardepräfekten  nahm  er  unter  Zuziehung  des 
Senats  vor,  den  Stadtprafekten  liefs  er  sich  vom  Senat  vor- 
schlagen.') Der  Staatsrat,  der  beim  Regierungsantritt  eingesetzt 
war,  scheint  in  erweiterter  Form  fortwährend  beibehalten  worden 
zu  sein,  und  zwar  so,  dafs  die  Zahl  bis  zu  der  fär  eine  Senats- 
abstimmung damals  verlangten  Minimalzahl  von  siebenzig  Mit- 
gliedern vermehrt  wurde,  und  man  könnte  aus  dieser  Notiz 
sogar  schliefsen,  dafs  abgesehen  von  den  höchsten  Verwaltungs- 
beamten  der  Ritterstand  in  diesem  Rat  nicht  vertreten  war.  In- 
dessen ist  es  leicht  begreiflich,  daüs  ein  solcher  Ausschufs  des 
Senats  die  Behörde  selbst  in  Schatten  stellte-,  alle  wichtigeren 
Fragen  wurden  in  ihm  vorweggenommen^)  und  das  Plenum  war 

selbst,  dafs  der  Schwiegervater  Alexanders  getötet  worden  sei,  aber  er 
ladet  die  Schuld  auf  Mammäa  ab.  Von  einem  allgemeineren  als  dem 
Senatsstandpunkt  aus  ist  yit.  26,  1  gesagt:  Huius  imperium  incruentum 
quidam  liUeris  trcididerunt,  quod  contra  est:  nam  et  Severus  est  appeUatus  a 
müüibus  ob  austeritatem  (was  natfirlich  unrichtig  ist)  et  in  animadversionibiis 
asperior  in  quibusdam  fuit.  Vgl.  52,  2:  amifMtov  imperium  eius,  cum 
fuerit  durus  et  ietricus  idcirco  vocaUum  est,  quod  senatorem  nüüum  ocdderit, 
ut  Herodianus  —  refert, 

1)  Vit.  48,  1  (Zugeständnis  des  Gebrauchs  von  vornehmeren  Wagen 
an  die  Senatoren,  Bestellung  der  Konsuln  ex  sen(ttus  sententia).  19,  2: 
senatorem  nunquam  sine  omnium  senatorum  qui  aderant  consilio  feeit  etc. 
Wie  das  hier  angegebene  in  das  Verfahren  bei  Ergänzung  des  Senats  ein- 
griff^ s.  im  Syst  19,  4:  libertinos  nunquam  in  equestrem  locum  redegit  ad- 
serens,  seminarium  senatorum  equestrem  locum  esse.  —  Vgl.  49,  2:  ponti- 
fictUus  et  quindecimviratus  et  auguratus  codiciüares  fedt,  ita  ut  in  senatu 
aüegarentur  (d.  h.  dem  Senat  mitgeteilt  wurden). 

2)  19,  1:  Praefectos  praet.  sibi  ex  senatus  auctoritate  constituit,  prae- 
fectum  urbi  a  senatu  aecepit. 

3)  Vit.  16,  1:  neque  uUam  constitutionem  sacravit  sine  viginH  iuris 
peritis  et  doctissimis  ac  sapientibus  viris  isdemque  disertissimis  non  minus 
quinquaginta^  ut  non  minus  in  consilio  essent  sententiae  quam  s.  c.  eonfieerent.  %q]^ 


-     492    - 

in  der  Hauptsache  nur  noch  die  Repräsentation  des  Standes  und 
etwa  noch  das  Forum,  vor  welchem  der  Kaiser  sich  über  seine 
Politik y  seine  Unternehmungen  und  überhaupt  alles,  was  er  in 
feierlicher  Weise  vor  die  Öffentlichkeit  gebracht  wissen  wollte, 
aussprach;  woneben  er  übrigens  auch  die  Eontionen  für  letztere 
Zwecke  benützte.  ^)  Die  Senatuskonsulte  als  Rechtsquelle  werden 
jetzt  vollends  durch  die  aus  dem  kaiserlichen  Staatsrat  hervor- 
gegangenem  Verfügungen  ersetzt.')  Das  Sondergebiet  des  Senats 
in  Provinzen  und  Haushalt  wurde  noch  geachtet  und  dem  sena- 
torischen Ärarium  wahrte  Alexander  durch  viele  Bestimmungen 
sein  Recht ^);  auch  in  dieser  Beziehung  also  wurde  die  alte  Ver- 
fassung wieder  gekräftigt.  Allein  das  Gebiet  der  kaiserlichen 
Verwaltung;  wie  es  Septimius  Severus  eingerichtet,  blieb  bestehen 
und  wir  dürfen  nicht  daran  zweifeln,  dafs  ein  Verwaltungsmann 
wie  Ulpian  den  inneren  Ausbau  dieser  Seite  weiter  verfolgte 
durch  Schaffung  neuer  Stellen  und  Ordnung  des  Geschäftsgangs, 
wenn  auch  die  Quellen,  die  wir  haben,  nicht  erlauben,  dies  zeitlich 
genauer  nachzuweisen.*)  Eine  wichtige  Reform  aber,  der  jedoch 
Ulpian  selbst  zum  Opfer  fiel,  war  die  Trennung  der  bürgerlichen  und 
militärischen  Funktionen.  Meist  blieb  allerdings  noch  die  bürger- 
liche Provinzialverwaltung  zusammen  mit  der  militärischen  in  den 
Händen  der  Statthalter;  aber  überall,  wo  eine  Heeresverwendung 
in  gröfserem  Mafsstab  notig  war,  fand  Trennung  statt,  oder  wurden 
Assessoren  bestellt;  welche  die  Civilverwaltung  führten;  damit  die 


Die  SO  können  identisch  sein  mit  den  16  bei  Herodian  (ob.  S.  489  A.  1)  anter 
Hinzurechnung  der  obersten  Yerwaltongsstellen,  im  Ganzen  aber  soll  das 
hier  besprochene  das  consilium  schildern,  wie  es  im  Verlauf  der  Begiernng 
fungierte.  Die  Beziehung  auf  die  Senatsabstimmung  scheint  andere  als 
Senatoren  auszuschliefsen,  während  der  Ausdruck  iuris  periti  an  sich  all- 
gemeiner ist.  In  dem  consilium y  wie  es  Dio  62,  33  will,  sollen  ot  im- 
liozaxoi  %al  t&v  ßovlsvtmv  %al  xmv  titnimv  sein. 

1)  Vit.  25, 11:  contiones  in  urbe  multas  hdbuit  moreveterumtribunarum 
et  consülum. 

2)  Von  nun  an  werden  keine  Senatsbeschlüsse  mehr  citieri 

3)  Vit.  16,  1 :  Leges  de  iure  papuli  et  fisd  moderatas  et  infinitas  san- 
xU:  24,  1:  provincias  —  proconsuiares  ex  senatus  voluntaie  ordinavit. 

4)  Wenn  man  die  in  der  vita  gebräuchlichen  Ausdrücke  für  dieee 
Zeit  in  Anspruch  nehmen  wollte  (15,  6:  scriniorum  principes;  26,  6:  Ulpian 
magister  scrinii;  49,  2:  pontificcUus  —  codicillares  fecit)^  so  wären  die 
Eiinzleibenennungen  des  folgenden  Jahrhunderts  schon  vielfach  üblich  ge- 
wesen. Es  ist  dies  aber  übertragener  Sprachgebrauch;  mafsgebend  fär  das 
der  Zeit  angehörige  sind  die  Inschriften.    Weiteres  s.  im.  System. 

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-     493    — 

Statthalter  ganz  dem  Heereskommando  sich  widmen  konnten.^) 
Damit  war  die  spätere  völlige  Trennung  machtig  vorbereitet.  In 
der  Organisation  des  Gardekommandos  in  Rom  war  man  freilich 
viel  weiter  gegangen,  seit  die  oberste  Stellung  einem  Juristen 
gegeben  war  und  die  militärischen  Funktionen  untergeordneten 
Posten  überlassen  waren.  Hier  rächte  sich  aber  das  Mifsver- 
hältnis  zwischen  dem  Namen  und  der  Funktion  des  Präfekten- 
postens  blutig  an  dem  Manne,  der  in  der  Bekleidung  desselben 
der  militärischen  Seite  fremd  blieb  und  doch  strenge  Anforde- 
rungen an  die  Disziplin  machte,  indem  die  darüber  erbitterten 
Soldaten  den  Juristen  in  der  Präfektur  töteten,  ohne  dafs  der 
Hof  ihn  schützen  konnte.*) 

Dafs   der   Senat   im   Allgemeinen   mit   dem   zufrieden   war,  nie  steiinng 
was  ihm  unverhofiFter  Weise  nach  einer  Zeit,  wie  die  des  Ela-  gchreibers  Dio 

zur  Regieruiig 
—  AlexMiden 

1)  24,  1:  Pravincias  legatorias  praesidüües  plurinuu  fecit  Dies  ist 
von  dem  Biographen  in  dem  Sinne  der  späteren  Zeit  gemeint,  in  welchem 
der  Chef  der  Civilverwaltang  in  speziellem  Sinn  praeses  heifst  and  Bitter 
ist.  Die  Frage  ist^  ob  der  Titel  in  dieser  Bedentang  schon  aaf  Alexander 
zurückgeht  Zu  dessen  Zeit  schreibt  der  Jurist  Macer  Dig.  1,  18,  1:  Prae- 
sidis  namen  generale  est  eoque  et  proconsules  et  legoH  Caesaris  et  omnes  pro- 
vincias  regenies ,  licet  senatores  sint,  praesides  appeUaniury  wohei  das  licet 
semUores  sint  sich  darauf  bezieht,  dafs  in  speziellem  Sinn  praeses  sonst  den 
Vorstand  einer  prokuratorischen  Provinz  bedeutet.  Mommsen,  der  in  den 
Ber.  der  säcbs.  Gesellsch.  1852  S.  221  jene  Einrichtung  später  als  Alexander 
setzt,  erklärt  die  Stelle  des  Biographen  so,  dafs  er  hätte  sagen  wollen, 
Alexander  habe  öfter  einen  procurator  et  praeses  in  Provinzen  geschickt, 
die  sonst  Legaten  unterstanden.  Allein  in  Verbindung  mit  der  Stelle  vit. 
46,  1:  adsessoribus  sailaria  instituit,  quamvis  saepe  dixerit,  eos  esse  promo- 
pendos  gui  per  se  remp.  gerer e  possent  non  per  adsessores,  addens  militares 
habere  suas  culministrationes^  habere  litteratos  et  ideo  unumquemque  hoc  agere 
debere,  quod  nässet,  dürfte  es  doch  annehmbar  sein,  in  Alex,  den  Begründer 
der  Trennung  der  Militär-  und  Civilverwaltung  zu  sehen,  aber  nur  in 
einzelnen  Beispielen,  während  das  Prinzip  der  Verwaltung  der  gröfseren 
Posten  durch  senatorische  Legaten  aufrecht  erhalten  blieb.  Es  scheint 
ferner,  dafs  er  es  in  doppelter  Weise  anwandte:  in  manche  Provinzen 
schickte  er  nur  Assessoren  und  diese  konnten  dann  ritterlichen  Standes 
sein;  wo  aber  der  Statthalter  einer  Provinz  durch  ein  grOfseres  Kommando 
in  der  Stellung,  wenn  nicht  schon  mit  dem  Titel  eines  dux  limitis  der 
Provinzialverwaltnng  ganz  entzogen  war,  da  wird  ein  praeses  geschickt 
worden  sein,  jedoch  senatorischen  Stands,  wie  M.  Caecilius  Novatillianus 
der  praeses  provinciae  Moesiae  sitp.  ist.    Wilmanns  n.  662. 

2)  Dio  80,  2:  6  Ovlntavog  —  vno  rmv  SoqvtpoQmv  ini^siiivcov  o[ 
wutog  TtectsaipdyTj  u.  s.  w.  Vgl.  vit  61,  4:  Ulpianum,  quem  saepe  a  fnili- 
tum  ira  obiectu  purpurae  suae  defendit. 

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-     494     - 

gabal  gewesen,  geboten  wnrde^  ist  wohl  zu  glauben;  doch  fehlte 
es  auch  nicht  ganz  an  solchen;  welche  schärfer  sahen  und  ihre 
Ideen  von  konstitutionellem  Regiment  nicht  verwirklicht  fanden. 
Ein  Zeugnis  hierfür  haben  wir  in  der  Rede,  welche  Dio  (52, 
14 — 46)  in  der  Geschichte  des  ersten  Augustus  dem  Mäcenas 
in  den  Mund  legt.  Dieselbe  ist  von  Beziehungen  auf  die  eigene 
Zeit  durchzogen  und  selbst  in  die  rhetorischen  Gemeinplätze 
über  die  Aufgaben  des  Regenten  hinein  kann  man  solche  Be- 
ziehungen verfolgen.  ^)  Aber  der  Standpunkt  des  Geschichtschreibers 
ist  nicht  identisch  mit  dem  der  Regierung  des  Severus  Alexander, 
und  es  ist  unverkennbar,  dafs  er  —  ob  wegen  Yemachlässigung 
oder  Meinungsverschiedenheit  —  frondierend  bei  Seite  steht.  Nicht 
dafs  es  ihm  an  äuiseren  Ehren  gefehlt  hätte:  er  bekleidet  unter 
diesem  Kaiser  wichtige  Statthalterposten  und  als  Kollege  des 
Kaisers  im  J.  229  ein  zweites  Konsulat.  Der  Kaiser  gewährt 
ihm  Schutz  gegenüber  den  Prätorianern,  während  er  dem  Dlpian 
solchen  nicht  hatte  gewähren  können,  und  erweist  ihm  während 
jenes  Konsulats  besondere  Gunst.  Aber  Dio  findet  dann  für  gut, 
in  seine  Heimat  Nicäa  sich  zurückzuziehen  und  dort  seine  Tage 
in  litterarischer  Tfaätigkeit  zu  beschliefsen,  wie  Hektor  von  Zeus 
den  Nöt^  des  Männermords  und  der  Kämpfe  entnommen.^)  Die 
Regierung  Alexanders  nimmt  er  unter  ziemlich  nichtigen  Gründen 
nicht  mehr  in  den  Rahmen  seiner  Geschichtschreibung  herein.') 
Er  gehört  ofiTenbar  nicht  zu  den  Vertrauensmännern  der  leitenden 
Personen,  nicht  zu  der  Umgebung  der  Kaiserin-Mutter,  die  er 
abgesehen   von   ihrem   ersten  Eintreten   in   den    geschichtlichen 

1)  Dio  62,  39:  oaa  av  ^zegov  tiva  aQ^avtä  aov  noutv  i&sXiqisjiSf  xavxa 
avtog  avTsndyysXtog  ngdaa^g^  ovtb  ri  afice^nfiF^  xal  ndvtcc  natoffi'weng  iL  a.  w. 
Vgl.  vit.  51,  7 :  clamabcU  8(iepiu8  quod  a  quibusdam  aive  Judaeis  sive  CMstianü 
attdUrcU  et  tenehat^  idque  per  praecanem,  cum  dliquem  emendarety  did  i%ibdMst: 
quod  tibi  fieri  non  vis,  aUeri  ne  feceris,  quam  sententiam  usque  adeo  düexU, 
ut  et  in  palaiio  et  in  puhlicis  operibus  prcieacribi  iuberet, 

2)  Dio  80,  4  f.  In  Pannonien  hatte  Dio  als  Statthalter  mit  wider- 
spenstigen Truppen  zu  thun,  und  die  Energie,  die  er  gegen  dieselben  seigte, 
verargten  ihm  die  Prätorianer,  welche  bei  ihrer  jetadgen  ZusammenBetKOog 
viel  mehr  Fühlung  mit  den  Legionen  hatten  als  früher. 

8)  80,  2  schützt  er  Erkrankung  in  Bithynien  und  weiterhin  amtliche 
Abwesenheit  von  Rom  vor,  als  ob  er  nicht  trotzdem  die  Vorgänge  hätte 
erfahren  können.  —  Die  von  Bekker  in  seiner  Ausgabe  Dios  p.  454  £.  aus 
Zonaras  II  p.  571  f.  ab  dionisch  in  Anspruch  genommenen  Stellen  über  das 
Konsilium  und  über  Mammäa  halte  ich  nicht  für  dionisch^  vgl.  auch  Volk- 
mann de  Herod.  vita  p.  28.     Dändliker  in  Büdingers  Unters.  3,  208  A.  5. 

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—      495    — 

Horizont  nur  einmal  erwähnt^);  namentlich  aber  ist  er  nicht 
Mitglied  des  Staatsrats.  In  jener  Rede  nun  steht  er  im  Allge- 
meinen auf  dem  Standpunkt^  dafs  seine  Zeit  innerhalb  des 
augusteischen  Systems  zu  bleiben  habe;  nicht  nur  liegt  dies  in 
der  ganzen  Situation  der  Rede,  welche  mit  ihren  Abweichungen 
von  dem  wahren  Programm  des  Augustus  und  ihrer  thatsäch- 
liehen  Berücksichtigung  dessen,  was  nach  ihm  in  die  Verfassung 
hereingekommen,  sonst  in  jenem  Zusammenhang  keinen  Zweck 
hätte,  sondern  er  will  in  sehr  wesentlichen  Punkten  die  Ver- 
fassung mehr  dem  augusteischen  Programm  entsprechend  erhalten 
wissen.  Die  Ergänzung  des  Senats  und  Ritterstandes  aus  Pro- 
vinzialen  nimmt  er,  der  aus  Nicäa  stammende,  selbstverständlich 
an,  ebenso  das  neueste  Gesetz  über  die  Verallgemeinerung  des 
römischen  Bürgerrechts;  er  acceptiert  auch  die  Festsetzung  des 
Ritterstandes  in  der  Verwaltung  und  die  Verwendung  der  aus- 
gedienten Offiziere  in  dieser  Seite  des  Verwaltungsdienstes*);  in 
dem  was  er  über  die  Fürsorge  für  die  Erziehung  durch  besoldete 
Lehrer  sagt,  ist  er  durchaus  auf  dem  Standpunkt  eines  Kaisers, 
der  in  solchen  Besoldungen  freigebig  ist  und  sogar  Stipendien 
för  die  Schüler  schafft^)  Auch  in  den  Kompetenzen  des  Stadt- 
prafekten,  in  der  Besetzung  der  Magistraturen,  in  der  Stellung 
Italiens  steht  er  auf  dem  Boden  des  zu  seiner  Zeit  Geltenden 
und  will  nicht  auf  den  des  Augustus  zurück/)  Dagegen  mifs- 
bUligt  er  die  Stellung  des  Gardepräfekten,  wie  sie  zu  seiner  Zeit 
sich  gestaltet^  will  vielmehr  in  diesem  Kommando  zwei  lediglich 
militärische   Führer    haben '^),    und    ein   Senatsausschufs    hat   in 


1)  80,  2  bei  der  Erzählung  von  der  Ermordnng  Ulpians,  der  sich  zum 
Kaiser  und  seiner  Matter  geflachtet  hatte,  aber  von  ihnen  nicht  geschützt 
werden  konnte. 

2)  52,  19  f.  26. 

8)  52,  26:  (die  Senatoren-  und  Rittersöhne)  ig  ta  SiSuayialsCa  avfKpoi- 
mm  —  didaandXavg  dri(ioauvovTag  iiiiiiad'ovg  i%ovxBg  vgl.  vit.  44,  4:  r/^- 
UmbuSy  grammoHcis^  medicis  —  sälaria  instüuü  et  axiditoria  decrevit  et  dis- 
cipulos  cum  annonü  patiperum  füios  modo  ingenuos  dort  iussit. 

4)  52,  21  (Stadtpräfekt):  20.  23  (Magistrate)  22:  (l^  »ccvfiaafig  bI  %ccl 
tr^  'itttXücv  toucvxa  (li^  vstfuxi  aoi  na^aivm. 

5)  52,  24:  tmv  tnieiayp  Svo  zovg  aQ^ctovg  trig  nsql  ah  ipQOVQag  aQ%Siv 
(fftrifd  x^^at)  —  tavta  yoQ  (der  militärische  Befehl)  xorl  ngogi^novta  xal 
avtaffufi  ccvtoig  Sidyiad'aiy  tvcc  fMj  nXsüo  nqiyfuita  mv  %aXmg  tpigsiv  dvvfj- 
aorrcEi  ixita%Q-ivtMg  acxoloi  n^og  t«  aifay%ata  rj  xtfl  otSvvatoi.  navxoav 
€tvt&p  nqolinanQ'm  yivmvxai. 


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-    496    — 

seinem  System  nicht  Platz.  Die  Kompetenz  des  Senats  hängt 
am  Plenum  desselben  und  an  dessen  Abstimmungen,  dieselbe 
wird  zwar  nicht  in  den  Magistratswahlen,  welche  zweckmäfsiger- 
weise  in  die  Hand  des  Kaisers  gelegt  werden,  aber  in  dem  Ein- 
flufs  auf  die  wichtigsten  politischen  Fragen  so  voll  wie  möglich 
genommen:  Auswärtiges ^  Gesetzgebung  und  Kapitaljurisdiktion 
über  seine  Mitglieder  stehen  dem  Senat  zU;  der  auf  gleicher 
Stufe  mit  dem  Princeps  steht.  Ein  Konsilium  aus  Senatoren 
und  Rittern  bestehend  sollte  selbstverständlich  wie  bisher  bei- 
behalten werden ;  aber  eben  nur  wie  früher  als  richterlicher 
Beirat.^)  —  Dies  war  doch  ein  wesentlich  anderes  Programm 
als  es  Ulpian  im  Sinne  hatte,  und  an  seine  Verwirklichung  unter 
den  damaligen  Verhältnissen  zu  denken  war  ein  Anachronismus, 
den  der  von  den  Geschäften  zurückgezogene  Geschichtschreiber 
sich  erlauben  konnte,  der  aber  nicht  besonders  stimmt  für  einen 
Senator^  der  die  Zeiten  yon  Commodus  bis  Elagabal  im  Senat 
mitgemacht  und  die  Grenzen  der  Widerstandskraft  dieser  Behörde 
erfahren  hatte.  Es  würde  wohl  auch  die  grofse  Mehrheit  des 
Senats  zufrieden  gewesen  sein,  wenn  die  Aussöhnung  dies^ 
Faktors  mit  dem  von  Septimius  Severus  begründeten  System, 
wie  sie  Ulpian  vertrat,  sich  hätte  weiterhin  erhalten  können, 
aber  es  ist  immerhin  möglich,  dafs  die  Ansprüche  an  Wieder- 
herstellung oder  Neubegründung  voller  Senatsauktorität,  wie  sie 
Dio  hier  versteckt  darlegte,  auch  von  anderen  geteilt  wurden. 
Die  Regierung  ludesscu  War  die  Art  dieser  Regierung  in  vieler  Beziehung 
aufgeklärter  wcdcr  au  die  augusteische  noch  an  die  des  Septimius  sich  an- 
schliefsend,  sondern  eigenartig  und  neu,  und  dies  hing  teils  an 
der  Persönlichkeit  des  Kaisers,  teils  an  der  oben  beschriebenen 
Organisation  des  Senatsausschusses  und  der  Gardepräfektur.  Das 
Principat,  wie  Alexander  es  führte,  näherte  sich  vielmehr  einer 
Monarchie,  in  welcher  der  Kaiser  mit  einem  ersten  Minister, 
anderen  vortragenden  Räten  und  einem  Staatsrat  die  Regierung 
führt.     Immer   ist  Ulpian  als   solcher  Minister   um   den  Kaiser 


1)  52,  82:  tavTU  ow  —  rj  ysQOvaia  dvatld'ei'  rä  ya^  «oiya  «oitw^ 
Siansta^ai.  Sst.  —  nal  nsQl  fifv  xmv  aXXtov  navtBg  ofiolovs  tovs  xaqdf- 
tag  yvmfirjv  didovat.  20  (Wahlkompetenz  des  Princeps).  3 1  (Eompetens 
des  Senats).  32:  (mit  BezieboDg  auf  die  Senatskompetenz)  «äaiv  dwd'^nois 
iliq>vtov  xal  x6  %al(fBi.v  itp'  oTg  civ  nccgd  tov  %QslTxovog  mg  xal  iconiMi 
avzA  ovtig  d^itod-öiai.  33:  (in  der  richterlichen  Funktion)  dcl  ol  iru- 
fiotatoi  nal  xciv  ßovXsvxmv  aal  tmv  tnnimv  —  diccyiypmunitmaav, 

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-     497     - 

und  trägt  ihm  vor,  was  von  den  Verwaltungsstellen  und  vom 
Staatsrat  zur  Entscheidung  durch  den  Monarchen  kommt:  ^)  Dafs 
dieser  Staatsrat  durch  seine  Verstärkung  zu  einer  Mitgliederzahl, 
die  der  vorschriftsmäfsigen  Minimalzahl  einer  Senatsabstimmung 
entspricht^  den  Anschein  einer  konstitutionellen  Behörde  in  der 
Art  des  Senats  selbst  gehabt  hätte,  ist  eine  unberechtigte  Fiktion-, 
denn  diese  siebenzig  sind  besonders  ausgewählt,  die  siebenzig 
aber,  welche  ein  Minimum  des  Plenums  repräsentieren  sollen, 
sind  durch  zufällige  Verhältnisse  auf  diese  Weise  reduziert  und 
eben  deswegen  auch  von  mannigfaltiger  Zusammensetzung.  Der 
Idee  des  Principats  nach  ist  der  Princeps  selbst  der  magistratisch 
handelnde,  von  welchem  in  seinem  Gebiet  Rat  und  That  unmittel- 
bar ausgeht;  jetzt  schieben  sich  vortragende  Minister  und  andere 
vortragende  Räte  vom  Verwaltungsdienst  ein,  legen  dem  Herrscher 
das  anderweitig  bureaukratisch  vorbereitete  zur  Unterschrift  vor 
und  geben  es  mit  dieser  zur  Exekutive  weiter.  Die  Grundsätze 
aber,  nach  denen  Alexander  entschied  und  mit  seinen  Weisungen 
eingriff,  tragen  ganz  den  Charakter  eines  aufgeklärten  Absolutis- 
mus neuerer  Art.  Der  Monarch,  vielseitig  gebildet  und  angeregt, 
arbeitsam  und  redlich  bemüht,  alles  so  gut  wie  möglich  zu  be- 
stellen, hat  überall  seine  eigenen  Ideen,  die  er  bessernd  und 
reformierend  zur  Geltung  bringen  will;  nicht  das  Herkommen 
oder  die  Zweckmäfsigkeit  des  Augenblicks,  die  einfache  politische 
Erwägung  der  gegebenen  Verhältnisse  sind  mafsgebend,  sondern 
irgend  ein  Prinzip,  ein  schönes  Wort,  der  Ausdruck  subjektiver 
aber  auf  vernünftiger  und  wohlwollender  Auffassung  ruhender 
Grandsätze,  in  denen  zugleich  die  Aufklärung  der  Zeit  zur  Gel- 
tung kommt  Von  hier  aus  ist  zu  beurteilen,  was  berichtet  wird 
von  der  Gerechtigkeitspflege,  den  religiösen  Grundsätzen ^  der 
pädagogischen  Tendenz,  seinem  Vorgehen  gegen  diebische  und 
betrügerische  Beamte^  der  Beamtenbestellung  unter  Bekannt- 
machung der  Namen  zur  öffentlichen  Kritik  aber  mit  dem  Risiko, 
bei  falsch  erwiesener  Kritik  den  Kopf  zu  verlieren,  von  seiner 


1)  Vit.  61,  4:  ülpianum  pro  tutore  habuit  —  atque  ideo  summus  im- 
perator  fuit,  quod  eins  consüiis  praecipue  remp,  rexit,  31,  2 :  neque  %mquam 
solum  quemguam  nm  prcLefectum  siium  vidit  et  quidem  UJpianim  ex  assessore 
semper  suo  cau$a  iustitiae  singülarü;  cum  atUem  cUterum  adhibuit,  et  ülpi- 
anum rogari  iuasit  16,  6:  negcfia  et  causM  prius  a  scriniorum  principibus 
et  docHssimis  iuris  peritis  et  sibi  fidelibus,  quorum  primus  tunc  ülpianus 
fuit,  tractari  ordinarique  atque  ita  referri  ad  se  praecepit 

Her.og.  d.  röm.  SUatsrerf.  IL  1.  ^|.^.^^^  by  GoOglC 


—    498    — 

Idee  einer  Kleiderordnung,  seinem  Bestreben,  möglichst  niedrigen 
Zinsfufs  herzustellen^  seiner  Fürsorge  für  die  Soldaten  und  wieder 
seiner  strengen  Disziplin,  seiner  Erneuerung  und  Erweiterung 
des  humanitären  Alimentarinstitus  u.  dgl.^)  Es  ist  dies  eine 
Mischung  von  trefflichen  Gedanken  und  Mafsregeln  und  wiederum 
von  individuellen  Einfällen,  deren  Widerspruch  mit  den  prak- 
tischen Verhältnissen  öfter  auf  der  Hand  liegt  Einer  solchen 
Natur  entspricht  es  auch,  eine  Menge  neuer  Vorschriften  und 
Gesetze  zu  geben  und  auch  das  einzelnste  zu  regeln.^)  In  der  so 
wichtigen  Finanzverwaltung  ergiebt  sich  hieraus  nicht  eine  ein- 
heitliche Steuerpolitik,  sondern  leicht  ein  widerspruchsvolles 
Schwanken,  zwischen  Erleichterung  und  Anforderung. ')  Besondere 
Fürsorge  scheint  er  dem  gewerblichen  Leben  wenigstens  in  Born 
zugewandt  zu  haben,  teils  um  es  teilweise  wenigstens  zur  Be- 
steuerung heranzuziehen,  teils  um  es  zu  fordern  und  zu  schützen.^ 


1)  All  das  iat  in  zahlreichen  Stellen  der  vita  ohne  Ordnung  gegeben, 
zum  Teil  in  WiederholuDg. 

2)  16,  1:  legea  —  infinitas  scmosit  (ob.  492  A.  4);  48,  1:  leges  tfUMt- 
meras  sanxit 

8)  Finanzielle  Mafsregeln  und  Zinsfufsregeln  21,  1:  veeÜgäHa  cMtatUm 
ad  proprio  fahricas  deputavit;  fenus  publictun  trientaritim  exercuU  (47«)i 
ita  %fit  pauperihus  plerisque  sine  usuris  pecunias  dederü  ad  agros  emendos, 
reddendas  de  frugibus,  26,  2:  üsuras  fenercUorum  can^ctxü  ad  trienUs 
pensiones  etiam  pauperibtis  consulens;  senatores  si  fenerarentur^  usuras  occt- 
pere  primo  vetuit,  nisi  dliquid  muneris  causa  acciperent;  postea  tarnen  iussU 
ut  semisses  acciperent  (67o)7  fnunus  tarnen  susttdit.  89:  vecUgdlia  publica  m 
id  contraxit,  tU  gui  decem  aureos  siU>  Heliogabdlo  prctestiterant ,  tertiam 
partem  aurei  praestarent  hoc  est  tricensimam  partem,  tuncque  primum  semistet 
aureorum  formati  simty  tunc  etiam,  cum  ad  tertiam  aurei  part&n  vtcügci 
desidisset,  iremisses  dicente  Alexandra  etiam  qiMrtarios  futuros,  quod  minus 
non  posset;  quos  quidem  iam  formatos  in  moneta  detinuit  exspedans,  ut  « 
vectigal  contrahere  potuisset  et  eosdem  ederet,  sed  cum  non  potuiss^  per 
ptU)licas  necessitates,  conflari  eos  iussit  et  tremisses  tantum  solidosque  formari, 
—  Eine  Herabsetzung  von  vectigcdia  auf  7,o  kann  sich  doch  wohl  nur  auf 
einzelne  Arten  beziehen,  bei  welchen  sie  vorher  ins  Malslose  gesteigeii 
sei  mufsten.  Bei  all  dem  wird  64,  3  bei  der  summarischen  Angabe  dessen, 
was  an  ihm  tadelnswert  war,  auch  angeführt:  quod  vectigalia  muUä  in- 
veniebat.  Es  wird  jedoch  in  dieser  Beziehung  nur  genannt  ein  vecUgal 
prdcherrimum,  das  auf  Gewerbe  und  zwar,  wie  es  nach  der  Aufzählung  84,  6 
scheint,  auf  Luxusgewerbe  gelegt  wurde  und  dessen  Ertrag  den  Thermen 
zu  gute  kam. 

4)  Über  die  Gewerbesteuer  s.  vorherg.  Anm.  Andererseite  vgl.  22,  1: 
negotiatores  ut  Eomam  volentes  concurrerent ,  maximam  immunitatem  dedit. 
83,  2:  Corpora  omnium  constituit  vinariorum  lupinariorum  caligariorum  cl 

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^     499     - 

Ferner  führte  er  eine  neue  Art  hauptstädtischer  Gemeindever- 
waltung neben  dem  Stadtpräfekten  ein,  welche  geeignet  war,  in 
Rom,  dessen  Verwaltung  immer  noch  eben  ein  Teil  der  Staats- 
verwaltung war,  ein  eigentümliches  munizipales  Wesen  zu  be- 
gründen. ^) 

Bei  diesem  Charakter  seiner  Regierung  hatte  übrigens  der 
Kaiser  nicht  wie  andere  ähnlich  auftretende  Regenten  mit  der 
Macht  eines  zähen  Herkommens  oder  mit  zurückgebliebenen  An- 
schauungen einflufsreicher  Kreise  oder  mit  verletzten  Interessen 
gewisser  Klassen  zu  kämpfen:  reaktionäre  Kreise  in  jenem  Sinn 
gab  es  nicht  und  die  Wohlthaten,  welche  aus  seinem  Verfahren 
dem  römischen  Reich  und  den  verschiedenen  Klassen  der  Be- 
völkerung zu  teil  wurden,  waren  zu  grofs  und  gegenüber  den 
vorherigen  Zuständen  zu  fühlbar,  als  dafs  man  sich  an  manchen 
weniger  verständigen  Seiten  derselben  gestofsen  hätte.  So  wurde 
man  denn  auch  vereinzelt  auftretender  Prätendenten,  wie  es 
scheint,    ohne    besondere  Not  Herr.*)     Dagegen   lag  stets   eine 


omnino  omnium  artium  atque  ex  sese  defensores  dedit  et  iussit,  qui  ad  quo8 
tudices  pertineret.  Wie  dies  in  die  sonstige  Organisation  des  Kollegien- 
wesens  eingriff,  8.  im  System  bei  den  Rechtsverhältnissen  der  verschiedenen 
Bevölkenmgsklassen.    Vgl.  auch  awruni  negotiatorium  —  Romae  remisit, 

1)  88,  1:  Fecit  Bomcie  curatores  t*r6w  quattuordecim  sed  ex  consuUhus 
viros,  quos  audire  negotia  urbana  cum  praefecto  urbis  iussit,  ita  ut  omnes 
aut  magna  pars  adessent,  cum  acta  fierent. 

2)  Die,  der  die  ungünstigen  Momente  mit  Vorliebe  hervorhebt,  sagt 
80,  8:  noXlal  dl  nal  TcaQU  noXXmv  inapaattxasig  yBv6(ievat  %al  rivsg  nal 
löxvQwg  i%<poßiJ6aacci  naxBitav^cav  ^  aber  es  werden  damit  nicht  sowohl 
Prätendenten,  als  wie  der  Zusammenhang  mit  dem  Vorhergehenden  und 
Folgenden  zeigt,  Soldatenunruhen  gemeint  sein,  wie  sie  Ulpian  in  Rom  und 
Dio  selbst  in  Pannonien  zu  bekämpfen  hatte  (vgl.  Vict.  Caes.  24).  Was 
yit.  48  von  einem  Prätendenten  erzählt  wird,  ist  nicht  ernsthaft  zu  nehmen. 
Zosimus  1,  12  spricht  von  einem  Antoninus  und  einem  Uranius.  Die  Münzen 
(Eckhel  7,  288  f.  Cohen  4,  608  f.)  zeigen^  dafs  dies  ^ine  einzige  Person 
war,  L.  Julius  Aurelius  Sulpicius  üranitts  Antoninus;  Cohen  will  seine 
Erhebung  nach  dem  Charakter  des  Münzstempels,  der  denen  von  Elagabal 
ähnlich  sei,  in  den  Anfang  der  Regierung  Alexanders  setzen,  allein  dies  ist 
ein  angenügender  Grund.  Da  Münzen  der  Stadt  Emesa  ebenfalls  diesen 
Namen  haben,  so  wird  man  richtiger  mit  Schiller  1,  780  diesen  Präten- 
denten in  die  Zeit  des  Perserkriegs  setzen  zu  den  bei  Herod.  6,  4,  7  erwähnten 
Soldatenmeutereien.  Jedenfalls  war  auch  dieser  Prätendent  von  ephemerer 
Bedeutung.  —  In  dem  Verzeichnis  der  principes  Bomani  des  Polemius 
Silvias  (Mommsen  in  Abh.  der  säohs.  Ges.  II  p.  248)  werden  aufser  üranius 
genannt  Sallustius    (von  Mommsen  a.  a.  0.  p.  245   mit   dem    vit.  Alex.  49 

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-     500     - 

grofse  Gefahr  in  dem  Verhältnis  zum  Heere  in  Verbindung  mit 
dem  Mangel  an  unmittelbar  Imponierendem  in  dem  Auftreten 
des  Kaisers.  Es  wird  berichtet,  dafs  noch  zu  Lebzeiten  Ulpians 
in  den  Strafsen  Roms  eine  förmliche  Schlacht  zwischen  dem 
Volk  und  den  Prätorianern  geschlagen  wurde. ^)  Andererseits 
war  der  Kaiser  selbst  wieder  in  allen  soldatischen  Übungen 
tüchtig,  überall  auf  das  Beste  der  Soldaten  bedacht,  mit  allen 
Verhältnissen  des  Dienstes  wohl  vertraut^);  und  als  der  grofse 
Krieg  unvermeidlich  war,  in  dem  schwierigen  Kampf  mit  den 
neu  erstandenen  Persern  wenn  nicht  immer  siegend,  so  doch 
schliefslich  erfolgreich.  Aber  die  Abhängigkeit  von  der  Matter, 
ein  Verhältnis,  das  einst  dem  Knaben  mit  zur  Gunst  der  Soldaten 
und  dadurch  zur  Herrschaft  verholfen  hatte,  wurde,  als  der  Mann 
es  noch  festhielt,  zumal  da  die  Kaiserin- Mutter  habsüchtigen 
Geizes  beschuldigt  wurde,  der  Stein  des  Anstofses'),  brachte  die 
schwachen  Seiten  in  dem  Verhalten  des  Kaisers  zur  Erscheinung 
und  untergrub  so  das  Ansehen,  und  dazu  mochten  dann  einzelne 
Akte  auffallender  Strenge  gegen  die  Soldaten  kommen.^)  Unter 
solchen  Verstimmungen  in  eine  soldatische  Welt  versetzt,  welcher 
ein  Thronwechsel  immer  etwas  lockendes  war,  bedurfte  der 
Kaiser  doppelter  Festigkeit  des  Auftretens  und  grofser  Erfolge. 
Statt  dessen  verbreitete  sich,  als  er  nach  dem  orientab'schen 
Krieg  einen  germanischen  mit  grofsen  Zurüstungen  aufgenommen 
hatte,  mit  Recht  oder  Unrecht  das  Gerücht,  dafs  der  Krieg  dorch 


erwähnten  Schwiegervater  des  Alex,  identifiziert),  dessen  Bolle  sehr  uoklftr 
ist,  Selencns,  der  sonst  gänzlich  an  bekannt,  nnd  Tanrinos,  bestätigt  aber 
anch  als  bedeutungslos  bezeugt  durch  Yict  epit.  24  {Taurinus  Äuffustus 
effectuB  oh  timorem  ipse  se  Euphrate  flimo  abiecit). 

1)  Die  80,  2:  imvtos  ixi  {xov  OvXnutvov)  oxaotQ  it^dlrj  xov  dij^ov 
ngog  tovg  doffvtpOQOvg  i%  Pqa%BCag  zi,vog  alxiag  iyivBxo^  äexi  «al  inl  XQiSs 
'^(ligag  ftdxsa^at  xs  dUrjXotg  %al  noXXovg  an    aiitpoxiQiov  dnoXic^tu. 

2)  Vit.  21,  6  ff.  c.  47.  60. 

8)  Vit.  14,  7:  cum  ptter  ad  Imperium  pervenisset,  feeü  cuncia  am 
mcUre,  ut  et  tUa  videretur  parüer  imperare,  mulier  acmcta  sed  oMtra  et  onri 
atgue  argenti  cupida.  69,  8:  a  müitibtu  ctmstat  {occisum  eum  esse),  cn» 
iniuriose  quasi  in  piterum  eumdem  et  matrem  eius  avciram  et  cupidam  muU0 
dixissent  63,  6:  causa  occidendi  eius  ab  dliis  haee  fuisse  perlUbehir^  guad 
mater  eius  relicto  hello  Gtrmanico  orientem  ad  ietctantiam  sui  veüH  reäkt 
atque  ob  hoc  esset  irtxtus  exercitus.  Besonders  hervorgehoben  wird  die 
Schuld  der  Mutter  bei  Herodian  6^  1,  8  ff.    8,  8. 

4)  Beispiele  vit.  52 — 54;  zusammenfossend  unter  den  reprehensa  64,  3: 
quod  nimis  severtu  in  müites  ercU, 

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-     501     - 

Tribatzahlungen  vermieden  werden  wollte^),  und  so  fiel  der  Kaiser 
der  elendesten  Soldatenerhebung  zum  Opfer. 

§  85.    Von  Maximintis  bis  Valerianxui.     Das  Heerkaisertam 
im  Kampfe  mit  dem  Senat. 

1.    Die  Erhebung   des    C.   Julius   Verus   Maximinus^)    war  Maximinus  und 
in  jeder  Hinsicht  epochemachend.    Ein  Militär,  der  es  noch  nicht    MaxinTas" 
über  den  Rang  eines  Tribunen  hinausgebracht ^),  ein,  wenn  auch 

1)  Herod.  1,  7,  9.  Über  die  Katastrophe  selbst  geben  die  Biographen 
des  Alex.  (61  f.)  nnd  des  Maximinns  (7)  yerschiedene  Versionen,  wovon  die 
eine  nach  Hergang  nnd  Art  auf  Mifsverständnis  eines  Ortsnamens  zn  be- 
mhen  scheint  (Britannien  unter  falscher  Deutung  des  vicits  Britannictu^ 
Bretzenheim  bei  Mainz;  vgl.  v.  Wieter^heim-Dahn,  Gesch.  der  Völkerw. 
1,  185).  Eine  andere,  welche  die  Schuld  der  Empörung  den  unter  Maximin 
stehenden  Rekruten  zuschreibt,  giebt  in  ausführlicher  Erzählung  Herod.  1,  6  f. 
FOr  das  Datum  der  Ermordung  liegt  ein  urkundlicher  Anhaltspunkt  vor  in 
jenen  ob.  S.  486  A.  8  erwähnten  Priesterfasten,  in  welchen  die  Wahl  des 
Maximinus  in  das  Kollegium  auf  den  25.  März  235  yerzeichnet  ist  Dar- 
nach in  Verbindung  mit  andern  Argnmeuten  berechnet  Borghesi  (a.  a.  0. 
S.  446—451)  als  Todestag  den  18.  März.  Über  ein  weiteres  Zeugnis 
eines  ägyptischen  Papyrus  zu  diesem  Datum  vgL  Seeck  in  Rhein.  Mus. 
8.  1C4  A.  1. 

2)  Der  Name  hat  auf  Inschriften  und  Münzen  die  Beiwörter  pius  felix^ 
die  er  sich  ohne  Zweifel  nach  dem  Vorgang  eines  Macrinus  und  Elagabal 
selbst  beilegte ;  dagegen  verzichtet  er  auf  jede  künstliche  Anknüpfung  an 
eine  frühere  Dynastie.  Abstammung  de  vico  Thraciae  vicino  barbaris  bar- 
baro  etiam  paire  et  matre  geniius  quorutn  alter  e  Gothia^  alter  ex  Haianis 
geniius  esse  perhibetwr  vit.  Maximin.  1, 5  (mit  den  gothischen  Namen  der  Eltern). 
—  In  der  Beurteilung  des  Maximinus  ist  Herodian  demselben  günstiger  als 
der  Biograph,  der  neben  Herodian  und  Dezippus  vorzugsweise  den  von 
stadtrömischem  Standpunkt  aus  schreibenden  Junius  Cordus  (vgl.  vit.  Marc. 
13,  4)  benützt.  Neigung  zu  willkürlicher  Ausmalung  hat  Herodian  hier  auch, 
doch  verrät  die  Art,  wie  er  den  Zug  Maximins  gegen  Aquileja  schildert,  dafs  er 
den  Ereignissen  nahe  gestanden  haben  mufs.  Die  Art,  wie  der  Biograph 
CapitolinuB  den  Stoff  dieser  Zeit  in  den  vitae  der  beiden  Maximine,  der 
drei  Gordiane,  des  Maximus  und  Balbinns  auseinander  gerissen  hat,  sowie 
das  Durcheinanderwerfen  der  verschiedenen  Quellen  in  dieser  Verteilung 
bereitet  mancherlei  Schwierigkeiten.  Über  die  chronologischen  Fragen  s. 
unten.  Von  neueren  vgl.  Jos.  Löhrer,  de  Jülio  Vera  Maximino  Münster 
1888.  Seeck,  der  erste  Barbar  auf  dem  rOm.  Kaiserthrone  in  Preufs.  Jahrb. 
66  (1885),  267—300.  Ders.  Die  Haloander'scben  Subskriptionen  und  die 
Chronologie  des  Jahres  288  n.  Chr.  in  Rhein.  Mus.  41,  161  ff. 

8)  Vit.  8,  1 :  primum  e  corpore  militari  et  nondum  Senator  sine  dtcreto 
senatus  Augustus  ab  exercitu  appelMus  est  filio  sibimet  in  participatum 
dato.    In  der  8,  4   dem  Alex,   in   den  Mund   gelegten  Seoatsrede  beifst  es 

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-     502    — 

ianerbalb  des  romischen  Reichs,  in  Thrakien  oder  Mosies,  ge- 
borener, doch  von  barbarischen  Altern  stammender  Mann,  der 
einer  überfeinerten  Gesellschaft  gegenüber  die  rohe  Naturkraft 
repräsentierte,  —  zum  Teil  mit  ihren  guten  Seiten,  vorherrschend 
aber  in  negativer  Weise,  —  ein  rücksichtsloser  Tyrann  wird  der 
Nachfolger  eines  hellenistisch  gebildeten  Kaisers,  der  zwar  von 
Geburt  auch  dem  römisch-nationalen  entgegenstand,  aber  doch 
für  seine  Pflicht  gehalten  hatte,  dasselbe  zu  vertreten  und  zu 
wahren,  eines  Kaisers,  dem  die  innere  Wohlfahrt  des  Reichs,  die 
Aufgabe  einer  vernünftigen  bürgerlichen  Regierung  die  erste 
Sorge  gewesen,  des  rücksichtsvollsten  und  mildesten  Herrschers. 
Nach  einer  Regierung  ferner,  welche  die  konstitutionelle  Stellung 
des  Senats  im  Ursprung  ihrer  Gewalt,  wie  in  der  Führung  der- 
selben in  unerwarteter  Weise  wieder  aufgerichtet  hatte,  bricht 
ein  Usurpator  in  dieses  System  ein,  der  von  Anfang  bis  zu  Ende 
der  erbittertste  Feind  des  Senats  ist  Damit  war  ein  Konflikt 
eröfliiet,  der  wechselnde  Phasen  durchmachte,  schiefslich  aber 
mit  der  reinen  absoluten  Monarchie  endigte. 

Ob  länger  vorbereitet  oder  einem  plötzlichen  Ausbruch  des 
Soldatenunmuts  entsprungen,  war  die  Usurpation  Maximins  jeden- 
falls die  äufserste  Folge  der  Stellung,  welche  seit  Severos  das 
Heer  eingenommen:  war  es  doch  der  Erkorene  einer  kleinen,  zur 
Repräsentation  des  Heeres  in  keiner  Weise  berechtigten  Schaar 
gewesen,  welcher  durch  einen  Handstreich  Imperator  geworden 
und  zur  Anerkennung  im  ganzen  Reich  gelangt  war.  Aber  auch 
für  die  Zukunft  war  diese  Usurpation  prinzipiell  bedeutungsvoll 
genug.  Bei  Septimius  Severus  war  die  Frage  der  Stellung  eines 
vom  Heere  ausgerufenen  Imperators  durch  die  thatsächlichen  Ver- 
hältnisse und  das  Entgegenkommen  des  Senats  umgangen  worden, 
Macrinus  hatte  das  Zureichende  der  Heereserhebung  zwar  aus- 
gesprochen, aber  dabei  doch  die  Bestätigung  des  Senats  nach- 
gesucht (S.  479  A.  3),  der  Vorgang  Elagabals  aber  (S.  485  A.  3) 
zählte  nicht.  Alexander  sodann  war,  nachdem  er  durch  Adoption 
und  Ernennung  zum  Cäsar  designiert  war,  vom  Senat  richtig  ein- 
gesetzt worden.  Nunmehr  wurde  die  Anerkennung  durch  den  Senat 
überhaupt  nicht  mehr  gesucht,  sondern  von  der  einen  Seite  ohne 
weiteres    vorausgesetzt   und  verlangt,   von   der  andern  entweder 


Maximintis^  eui  ego  IcUum  clavum  addidi;  aber  auch  wenn  dies  beglaobigt 
wäre,  80  war  er  damit  noch  nicht  Senator. 

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-     503     - 

nur   indirekt   gegeben   oder   formell    ausgesprochen  ^    damit   man 
nicht  ganz  beseitigt  erschiene.^) 

Aber  an  dieser  Neuerung  entzündete  sich  kein  Konflikt:  so 
schwer  die  Nachricht  von  den  Vorgängen  am  Rhein  den  Senat 
treffen  mufste^  man  nahm  die  brutale  Thatsache  hin,  weil  man 
keine  Macht  hatte  sie  zu  ändern,  und  so  wurde  sie  Vorgang 
und  hatte  weitgreifende  Folgen.  Seine  Stellung  in  Kom  sicherte 
sich  Maximinus  begreiflicherweise  sofort:  was  von  Gardesoldaten 
noch  in  der  Hauptstadt  zurückgelassen  war,  erhielt  in  einem 
gewissen  Vitalianus  einen  Befehlshaber,  der  geeignet  war,  den 
Kaiser  zu  vertreten^),  und  entsprechend  wurden  die  anderen 
Präfektenposten  besetzt.  Der  Kaiser  selbst  hatte  teils  wegen 
der  mit  weittragenden  Entwürfen  unternommenen  Kriegführung 
in  Germanien,  teils  weil  er  im  Bewufstsein  persönlicher  Inferiorität 
dem  Senat  nicht  direkt  gegenübertreten  wollte,  auf  lange  nicht 
im  Sinne  nach  Rom  zu  kommen,  und  sein  Sohn  Maximus,  den 
er  vor   dem  Heere  zum  Cäsar  erhob.^)  und  nach  Rom  als  Re- 


1)  Dafs  das  Verhalten  Maximins  nea  und  epochemacheDd  war,  geht 
darans  hervor,  dafs  alle  Berichte  davon  reden,  wenn  auch  nicht  in  der- 
selben Weise.  Auf  der  einen  Seite  stehen  vit.  Max.  8,  1  (s.  vorherg.  A.) 
Eatrop.  9,  1  (znm  teil  mit  denselben  Worten).  Oros.  7,  19,  1:  nulla  senatus 
völuntate  imperator  ab  exercitu  creaius,  auf  der  andern  Vict.  Caes.  26: 
potentiam  cepit  suffragiis  legionum;  quod  tarnen  etiam  patres  dum  pericülosum 
existimant  inermes  armcUo  resistere,  approbaverunt.  Letzteres  heifst  wohl 
nichts  anderes,  als  dafls  der  Senat  nicht  Widersprach  erhob,  die  Depeschen 
des  Kaisers  annahm,  seine  Münzprägung  auf  den  Kaiser  einrichtete  u.  s.  w. ; 
dafs  sofort  auch  Akte  vorgenommen  wurden,  wie  die  Kooptation  in  Priester- 
kollegien, zeigen  die  Urkunden  c.  i.  1.  6,  2001.  2009,  dafs  aber  solches 
Verhalten  identisch  gewesen  sei  mit  der  Bestätigung  des  Senats  und  es 
eine  andere  nie  gegeben  habe  (Seeck,  pr.  Jahrb.  56  S.  276  f.),  liegt  von 
der  unserer  Darstellung  zu  gründe  liegenden  Auffassung  von  der  Über- 
tragung des  Imperiums  weit  ab.    Vgl.  auch  unt.  A.  S  hins.  des  Sohnea. 

2)  Praefectus  praetorio  wird  Vitalianns  nicht  genannt,  sondern  nur 
mit  Umschreibungen  als  Befehlshaber  der  Truppe  bezeichnet,  was  dazu 
palst ^  dafs  ja  nur  ein  Depot  der  Garde  in  Rom  war,  man  müfste  nur  an- 
nehmen, dafs  Maximinus  in  Rom  einen  Stellvertreter  mit  dem  vollen  Rang 
eines  Präfekten  haben  wollte.  Vgl.  vit.  Max.  14,  4:  dux  militum  prae- 
torianarum,  Gord.  10,  5:  qui  praetoriania  miUtilms  praeerat  Herod.  7,  6,  4: 
T09  xirra  tiiv  *Pafirjv  zmv  atgatonidav  XQOSötöita, 

8)  Vgl.  ob.  S.  501  A.  d.  Auf  Münzen  und  Inschriften  heifst  er  wie  üblich 
nohilissimus  Caesar  und  princeps  iuventtUis,  Dafs  er,  obgleich  nnr  Cäsar, 
doch  die  nur  einem  Augustus  zukommenden  Siegestitel  Germanicits  maximus 
n.  dgl.  führt  (Wilmanns,  ex.  inscr.  zu  1007),  weist  darauf  hin,  dafs  Ma^min   . 

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-     504     ~ 

Präsentanten  des  Imperiums  zu  schicken  wünschte,  wollte  sich 
nicht  von  dem  Vater  trennen.^)  Der  Senat  hätte  den  Versuch 
machen  können,  das  Volk  in  Rom  gegenüber  der  geringen  Truppen- 
zahl für  die  Senatsinteressen  aufzubieten;  aber  ohne  sonstigen 
Rückhalt  war  dies  von  allzu  zweifelhaftem  Erfolg,  und  zudem 
konkurrierten  hier  Liberalitätsakte  des  Kaisers.^  Aber  erstaun- 
lich war  immerhin,  dafs  keiner  der  senatorischen  Statthalter  den 
Mut  fand,  dem  verachteten  Truppenobersten,  der  den  Imperatoren- 
purpur an  sich  gerissen,  den  Gehorsam  zu  versagen;  indessen  es 
war  ja  auch  in  der  Katastrophe,  welche  den  Alexander  getroffen, 
keiner  in  seiner  senatorischen  Umgebung  zu  finden  gewesen,  der 
mit  ofiFener  Auktorität  den  aufrührerischen  Soldaten  entgegen- 
getreten wäre.  Erst  nachträglich  wagte  ein  beim  Heere  befind- 
licher Senator,  eine  Verschworung  gegen  den  Kaiser  einzuleiten, 
welche  dann,  da  im  Lager  dafür  kein  günstiger  Boden  mehr 
war,  verraten  wurde. ^  Dabei  ist  nicht  einmal  anzunehmen, 
dafs  Maximin  das  bisherige  Personal  der  senatorischen  Beamten 
in  den  Provinzen  gründlich  umänderte,  wie  ja  Gordian  in  Afrika 
blieb,  und  wie  ja  später  die  Provinzen  jedenfalls  teilweise  von 
Maximin  abfielen,  weil  eben  die  Statthalter  nicht  mit  ihm  waren. 
Er  begnügte  sich  mit  dem  schon  früher  angewandten  Mittel,  die 
Finanzbeamten,  auf  deren  Ergebenheit  er  allerdings  schon  fSr 
die  Eintreibung  von  Geld  zählen  mufste,  gegen  die  Statthalter 
zu  verwerten,  und  aufserdem  wurde  das  Delatorentum  gegen 
alles,  was  senatorisch  war,'  auf  das  üppigste  gepflegt.^)  Dieses 
neue  Schreckensregiment  wirkte   mehr  als  zwei  Jahre;  die  vom 


sich  und  serinem  Sohn  dieselben  einfach  beilegt,  ohne  Verwilligong  durch 
den  Senat;  denn,  wie  wir  aus  Bio  sehen  (ob.  S.  479  A.  3),  war  dieser  bei 
aller  sonstigen  Nachgiebigkeit  in  Adnlationsbeschlüssen  doch  in  diesen 
Dingen  genau.    Anders  Seeck  a.  a.  0.  S.  276  A. 

1)  Vit.  Max.  17,  3:  causa  iracundiae  contra  ßium  haec  fuii,  quod  cum 
Romam  ire  iusserat,  cum  primum  imperator  f actus  est,  et  xUe  pakis  mmäo 
amore  neglexerat;  putabcU  autem,  quod,  st  ille  RotiMC  fuisset,  nihü  ausuma 
esset  senatus. 

2)  Cohen  4,  Max.  p.  507  nn.  19  ff. 

3)  Über  die  Verschwörung  des  Senators  Magnus  Herod.  7,  1,  6.  Vii 
Max.  10;  über  den  von  Trebellius  Pollio  c.  32  unter  den  triginUi  tyrcmm 
verzeichneten  Tribunen  Titas,  den  eine  Truppe  dem  Alexander  ergebener 
Osdroener  als  Kaiser  aufstellen  wollte,  vit  Max.  11. 

4)  Herod.  7,  3,  2.  Vit.  Max.  13,  5  übereinstimmend.  Dem  entsprach 
dann  auch  die  Bache  an  den  Delatoren  vii  14,  6.  ^  , 

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—     505     — 

Kaiser  gegen  die  Opfer  der  Delatoren  aus  dem  Lager  erlassenen 
Dekrete  wurden  vereinzelt  vollzogen,  während  im  übrigen  die 
Dinge  im  Reich  ihren  gewöhnlichen  Gang  nur  mit  grofsem 
Steuerdruck  gingen.  Die  Produktion  im  Verwaltungs-  und  Rechts- 
leben hört  auf,  jetzt  handelt  es  sich  nur  um  das  unmittelbar 
Notwendige  und  zur  Sicherung  der  Herrschaft  Erforderliche,  die 
ganze  Aktion  des  Kaisers  war  dem  Krieg  in  Germanien  zuge- 
wandt, hier  hatte  er  Erfolge,  hier  konnte  er  Pläne  entwerfen, 
welche  die  grolsartigsten  scheinen,  die  je  aufgetaucht  waren  und 
doch  nichts  anderes  sind,  als  das  planlose  Draufgehen  einer  un- 
gezügelten Kraft.  Es  mochte  das  Verlangen,  mit  dem  Heere, 
das  Alexander  gesammelt  und  das  er  ruhmlos  hatte  zurQckfQhren 
wollen,  Grofses  zu  leisten,  eine  sachliche  Berechtigung  haben: 
dem  Maximinus  war  es  nur  eine  persönliche  Sache,  die  Trag- 
weite eines  grofsen  Krieges  in  Germanien  wufste  er  gar  nicht 
zu  übersehen.  In  der  Persönlichkeit  und  der  Regierung  dieses 
Kaisers  irgend  einen  grofsen  Zug  finden  zu  wollen,  wäre  ver- 
geblich; auch  die  besseren  Zuge  dieser  Natur  gingen  unter  in 
dem  Hafs  gegen  den  Namen  des  Senats  und  im  Bewufstsein  der 
Schwäche  der  eigenen  Person  und  der  durch  ein  Verbrechen 
gewonnenen  Stellung,  die  bald  auch  im  Heere  nur  durch  Furcht 
behauptet  werden  konnte.  Es  war  in  Afrika,  wo  endlich  infolge 
brutalen  Verfahrens  eines  Finanzbeamten  in  provinziellen  Kreisen 
der  Aufstand  ausbrach  und  dadurch,  dafs  der  senatorische  Statt- 
halter bestimmt  wurde,  sich  zum  Kaiser  ausrufen  zu  lassen, 
dem  Senat,  der  von  sich  aus  zu  keiner  Aktion  gekommen  wäre, 
die  Teilnahme  sich  aufdrang.^) 

2.    Dieser    von    den    Afrikanern    aufgestellte    Gegenkaiser    Die  beiden 

°  °  Gordiane. 

M.  Antonius  Gordianus')  beeilte  sich  natürlich,  sobald  er  in 
Karthago  einigermafsen  für  sein  Imperium  einen  Halt  gewonnen 


1)  Von  Sirmiam  aas  rjnsClsi  i%%6rpti,v  xe  %al  vjtota^nv  xa  (lizgis 
miuavov  Ffgitavoav  l<^i}  ßagfiaga.     Vit.  Max.  18,  8. 

2)  Die  Erz&hluDg  von  den  Vorgängen  in  Afrika  aosföhrlich,  aber  doch 
hinsichtlich  wichtiger  Verhältnisse,  wie  hinsichtlich  Nnmidiens,  ungenügend, 
bei  Herod.  7,  4  ff.,  kurz  in  den  vitae,  deren  Verfasser  es  mehr  um  die  Vor- 
gänge in  Rom  zn  thnn  ist. 

8)  Von  den  beiden  älteren  Gk)rdianen  giebt  es  bei  der  knrzen  Daner 
ihrer  Regierung  änfserst  wenig  Inschriften.  Auf  den  Münzen  heifsen  Vater 
und  Sohn  M.  Antonius  Gordiamu  Africcmus^  der  ältere  ist  unterschieden 
durch  den  Titel  des  pont.  max.  (Eckhel  7,  301).  Über  den  Beinamen  Afri- 
canus,  der  za  Ehren  der  Provinz  angenommen  wurde,  vit.  Gord.  9, 

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tS^^agle 


-     506     - 

hatte^  den  Senat  um  Bestätigung  zu  bitten,  und  erhielt  sie  auch 
ohne  Widerspruch,  indem  zugleich  die  Maximine  geächtet  worden. 
Dem  Senat  konnte  ein  solcher  Imperator  nur  genehm  sein;  Ton 
dem  achtzigjährigen  Greis,  der  zu  den  ältesten  Geschlechtem 
gehörte,  unermefslich  reich  war,  ganz  innerhalb  der  Senat»- 
gesellschaft  stand  und  kein  Reformer  werden  wollte,  war  noch 
besseres  zu  erwarten  als  von  Severus,  und  über  das  Bedenken, 
ob  der  alte  Mann  der  über  ihn  hereingefallenen  Last  gewachsen 
wäre,  half  die  Erhebung  des  Sohnes,  den  Gordian  als  Legaten 
bei  sich  gehabt  hatte  und  jetzt  als  Mitkaiser  haben  wollte,  hin- 
weg.^)  Gordian  hatte,  indem  er  sich  an  den  Senat  wandte,  zu- 
gleich den  Befehlshaber  der  Gardetruppen  ermorden  lassen,  und 
von  anderer  Seite  verbreitete  man,  um  die  Zustimmung  des 
Volks  zu  erhalten,  das  Gerücht,  Maximin  sei  ermordet  worden. 
Das  Volk  zu  Rom  ging  denn  auch  auf  die  Verwerfung  des  ihm 


kommt   als  Gegenstück    der   weitere  Eomanus   (v.  Sallet  in  ZeitBchrift  fSr 
Numism.  7,  189). 

1)  Vit.  Max.  14,  5:  (Von  Karthago  aus)  Romam  ad  senatum  Utteras 
misit,  quae  occiso  Vitäliano  —  gratantei'  acceptae  sunt,  appdlati  etiatn  Gordianus 
senex  et  Gordianus  iuvenis  a  senatu  A^kgusti,  In  Kap.  16  f.  (vgl.  Gord. 
11)  schliefst  sich  eine  Mitteilung  von  Senatsakten  an,  die  aus  mehr  als 
einem  Grunde  verdächtig  ist:  einmal  läfst  sich  das  angegebene  Datum  16,  1 
( FI.  Kai  Jul.  vgl.  Vit.  Max.  et  Balb.  1, 1  VII.  Id.  Jul)  nicht  mit  der  sonst  sich 
ergebenden  Chronologie  vereinigen,  und  dann  ist  16,  7  bereits  der  Enkel 
des  alten  Gordian  in  einer  Weise  berücksichtigt,  welche  dem  Gan^^  der 
Ereignisse  voraneilt.  Doch  sind  diese  Berichte  Aber  Senatsverhandltmgen 
immerhin  antiquarisch  zu  verwenden.  Die  Chronologie  dieser  Vorgänge 
ist  behandelt  Tillemont  8,  484.  Eckhel  7,  293—296.  Borghesi  in  der  Ab- 
handl.  über  die  Priesterfasten  (ob.  S.  486  A.  3)  und  über  Pupienus  oeuv. 
5,  483  ff.  Löbrer  a.  a.  0.  33  ff.  Seeck,  Rhein.  Mus.  a.  a.  0.  Schon  Eckbel 
hat  richtig  erkannt,  dafs  die  Ereignisse  sich  abspielen  innerhalb  der  vierten 
pot,  trib.  (d.  h.  nur  nicht,  wie  Eckhel  meint,  1.  Jan.  838,  sondern  10.  Dei. 
237)  und  der  alexandrin.  Münzen  von  Gordian  III,  die  vor  dem  89.  Aag. 
238  liegen.  Des  Weiteren  kommen  in  Betracht  die  Angaben  der  Quellen 
über  die  Regierungsdauer,  über  die  Zeit  des  Feldzugs  des  Maximin  gegen 
Italien  und  verschiedene  Nebenumstände.  Aus  der  Vergleichung  von  Zonar. 
12,  17  mit  dem  Chronographen  von  364  (Momms.  Abb.  der  s&ch&  Oea. 
1  S.  647  Z.  34)  ergiebt  sich  für  die  Gordiane  eine  Regierungszeit  von  nur 
22  Tagen  (Löhrer  S.  38—41  Seeck  S.  167),  deren  Anftmg,  wenn  man  von 
Gordian  HI.  als  Augustus  und  dem  Zug  Maximins  gegen  AquUeja  rück- 
wärts  rechnet,  auf  Mitte  März  zu  setzen  sein  wird.  Dafs  damit  die  Snb- 
skriptionen  des  Cod.  Just,  zu  den  Erlassen  des  J.  838  stinunen,  setat  Seeck 
S.  168  f.  auseinander.  ><^  i 

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-     507     - 

wenig  bekannten  Thrakers  und  seinen  Ersatz  'durch  den  beliebten 
freigebigen  Gordianus  ein,  der  Senat  aber  nahm  nun,  des  unter- 
nommenen Wagnisses  sich  wohl  bewufst,  die  Regierung  in  Rom 
sehr  ernsthaft  in  die  Hand,  wohl  wissend,  dafs  er  einem  Gordian 
gegenüber  die  Verantwortung  hierfür  nicht  zu  fürchten  hatte.  ^) 
Aus  den  angesehensten  Senatoren  wurden  zwanzig  Kommissäre 
bestellt,  um  Italien  bezirksweise  gegen  Maximin  wehrhaft  zu 
machen,  in  den  Provinzen  aber  die  Beamten  für  die  Gordiane 
und  den  Senat  in  Anspruch  genommen,  und  zwar  meist  mit 
Erfolg.*)  Allein  gerade  in  derjenigen  Provinz,  in  der  die  beiden 
Kaiser  selbst  waren,  lief  die  Sache  anders  ab.  Da  es  in  dem 
prokonsularischen  Afrika  als  senatorischer  Provinz  andere  Truppen 
nicht  gab  als  die  Abteilung,  welche  für  den  Dienst  beim  Stattr 
halter  nötig  war,  lag  die  militärische  Entscheidung  bei  Gapel- 
lianus,  dem  Statthalter  von  Numidien,  dem  Militärbezirk.  Dieser 
nun  hatte,  wir  wissen  nicht  aus  welchen  Gründen,  beim  Aus- 
bruch der  Bewegung  in  der  Senatsprovinz  unterlassen  zu  thun, 
was,  wenn  er  treu  bleiben  wollte,  seine  Schuldigkeit  war,  d.  h. 
in  die  prokonsularische  Provinz  mit  seiner  Legion  einzurücken 
und  die  Rebellion  gegen  Maximin  niederzuschlagen;  aber  Gordian 
hatte  doch  seine  Gründe,  ihm  nicht  zu  trauen  und  wollte  ihn 
nun  durch  einen  anderen  Legaten  ersetzen.  Nun  aber  brachte 
Capellianus    seine  Truppen    dazu,    in  der  wehrlosen  Provinz  im 


1)  Herod.  7,  6  f.    Vit.  Max.  16,  1.    Gord.  10  f. 

2)  Vit.  Gord.  10,  1:  tcuüa  grcUtüatione  factos  contra  Maximinum  im- 
peratores  sefiattM  accepü^  tut  non  sölutn  gesta  haec  probarent  sed  eiiam  viginti 
viros  eligerent;  —  ülos  sane  viginti  senatus  ad  hoc  creaverat,  ut  divideret 
his  Italicaa  regiones  contra  Maximinum  pro  Gordianis  tuendas.  Nach  vit. 
Max.  82,  3  wären  diese  20  Männer  eret  nach  dem  Tode  der  Gordiane  ge- 
wählt worden;  allein  es  ist  dies  nicht  ein  Widersprach  zwischen  zwei 
Q Dellen,  da  der  Biograph  an  beiden  Stellen  dem  Dexippns  folgt  (vgl. 
Dändliker,  bei  Bfidinger,  Unters.  S.  252  ff.),  sondern  ein  anf  nachlässiger 
BenfltKong  der  Quelle  beruhender  Widerspruch  des  Biographen  mit  sich 
selbst.  'Das  sachlich  Wahrscheinliche  ist  aber,  dafs  jene  Fürsorge  für  die 
Verteidigung  Italiens  sofort  bei  der  Bestätigung  der  Gordiane  getroffen 
wnrde  in  Verbindung  mit  der  Sorge  für  die  Provinzen;  hierüber  vit.  16,  8 
(ßenattts)  litieras  deinde  mittit  ad  omnes  provinciaSj  ut  communi  saluti  liber- 
iaiique  sitbveniant:  quae  auditae  sfAnt  ah  omn%bu8\  paucae  civitates  fidem 
hosH  publica  servaverunt    In  Spanien   zeigen   die  zahlreichen  Meilensteine 

(c.  i.  1.  2,  ind.  p.  765)  mit  den  nicht  ausgetilgten  Namen  von  Maximinus        , 
und   seinem  Sohn,  dafs  der  Statthalter  ihm  treu  blieb.    Höchst  auffallend 
aber  sind  hier  die  trih.  pot,  V  (n.  4756)  und  VI  (tf.  4868). 

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—     608     — 

Namen  des  Maximin  einzumarschieren  und  bereitete  so  Anfang 
April  der  Kaiserherrschaft  der  Gordiane  ein  jähes  Ende.^) 
Die  senaiakaiser  3.  Dicsc  Eatastrophe  Stellte  den  Senat  in  Rom  auf  eine 
Baibinui.  ProbC;  wic  er  sie  unter  der  Imperatorenherrschaft  noch  nie  er- 
lebt hatte:  von  zwei  Seiten  bedroht,  von  der  Donau  her,  an  der 
Maximin,  nachdem  er  die  Erhebung  der  Gordiane  erfahren,  sich 
sofort  in  Marsch  gegen  Rom  gesetzt  hatte,  und  nun  auch  Ton 
Afrika,  war  der  Senat,  dem  kein  Heer  in  Italien  zur  Verfügung 
stand,  in  einen  Stand  der  Notwehr  gebracht,  bei  dem  nur  die 
Wahl  sein  konnte  zwischen  höchster  Anspannung  der  Krafte 
oder  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade.  Indessen  einem  Maximin 
gegenüber  war  selbst  durch  bedingungslose  Unterwerfung  für  alle 
die,  welche  sich  irgendwie  kompromittiert  hatten,  keine  Hoffnung 
auf  Verzeihung,  und  so  war  die  bessere  Aussicht  immer  noch 
auf  der  Seite  der  Ehre.  Und  der  Senat  zeigte  sich  den  An- 
forderungen, die  das  Interregnum  an  ihn  stellte,  gewachsen.    Man 

1)  Herod.  7,  9.  Vit.  Max.  19.  Gord.  16  f.  —  Seeck,  preufs.  Jahrb. 
66,  281  A.  nimmt  an,  Capellian  sei  zuerst  der  Revolution  förmlich  bei- 
getreten; er  schliefst  dies  aus  einem  vom  Lager  in  Lambäsis  stammenden 
Legionsziegel  c.  i.  1.  8  n.  10474,  9  mit  legio  III  Äu(gu8ta)  Gor(diaM\ 
einer  verstümmelten  griechischen  Inschrift  aus  dem  an  der  manretanischeD 
Grenze  von  Numidien  gelegenen  Coicol  (c.  L  1.  8  n.  10896),  welche  dem 
Gordian  gesetzt  zu  sein  scheint,  endlich  daraus,  dals  c.  i  1.  8,  2676  in  einer 
Inschrift  der  leg,  III,  Äug.  Maximiniana  der  letztere  Beiname,  aber  nicht 
der  Name  der  Legion  selbst  getilgt  erscheint  Diese  Beweise  erscheinen 
mir  nicht  zureichend.  Der  Legionsziegel  gehört  doch  eher  der  ersten  Zeit 
Gordians  III.  an  als  den  paar  Tagen,  die  z?rischen  der  Anerkennung  GordiaosL 
und  dem  Abfall  von  demselben  hätten  vergehen  können;  die  Inschrift  von 
Cuicul  rein  privaten  Charakters  ist  zu  vereinzelt,  um  etwas  zu  beweiiea, 
und  dals  man  sich  nach  dem  Sturze  Maximins  begnügte  mit  der  Tilgong 
des  auf  diesen  bezüglichen  Beiworts,  erklärt  sich^  wenn  man  zwischen  dem 
Tod  Maximins  und  der  Auflösung  der  Legion  einen  gewissen  Zwischenranm 
annimmt,  der  um  so  wahrscheinlicher  ist,  als  Gordian  III.  festsitzen  maustet 
ehe  er  so  vorgehen  konnte.  Gründe  für  Capellianus,  nicht  im  ersten  Aagen- 
blick  gegen  Gordian  in  Afrika  einzurücken,  können  in  der  Situation  nn- 
schwer  vermutet  werden.  Dafs  Gordian  blofs  in  unzeitig^r  Erinnemng  an 
einen  früheren  Privatstreit  (Herod.  7,  9,  4)  den  ihm  bereits  beigetretenen 
Capellian  habe  ersetzen  wollen,  ist  nicht  glaublich;  er  wird  es  getbsn 
haben,  weil  letzterer  auf  die  Aufforderung,  das  Pronunoiamento  in  Kartbsgo 
anzuerkennen,  mit  der  Antwort  zögerte  oder  die  Anerkennung  geradem 
verweigerte.  Vgl.  auch  Henzen  in  annali  deir  inst.  1860  p.  68  Mommsen 
c.  i.  l.  8  praef.  p.  XX.  —  Zn  dem  von  Capellians  Vorgehen  gegen  die 
afrikanische  Bevölkerung  berichteten  vgl.  die  Grabschrift  eines,  der  nmk&m 
pro  amore  Romano,  ab  hoc  Capdliano  captm  c.  i.  J.  8  n.  2170. 

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-     509     - 

konnte  sich  in  die  Tage  der  Republik  versetzt  glauben,  die  ver- 
sammelten Patres  unter  dem  Vorsitz  der  Konsuln  in  der  Lage^ 
über  das  höchste  Imperium  frei  zu  entscheiden,  begnügen  sich 
zv^ar  nicht  damit,  etwa  die  Konsuln  mit  aufserordentlicher  Gewalt 
zu  bekleiden,  aber  sie  gestalten  wenigstens  die  Imperatorengewalt 
in  einer  Weise,  welche  dem  Konsulat  am  nächsten  kommt:  es 
werden  zwei  Konsulare  zu  Augusti  mit  allen  Titeln  des  Principats 
inklusive  des  Oberpontifikats  in  freier  Wahl  des  Senats  bestellt 
zu  koUegialisoher  völlig  gleicher  Führung  der  höchsten  Gewalt, 
und  nur  in  der  Persönlichkeit  war  gegeben,  dafs  der  eine,  ein 
erprobter  Kriegsmann,  die  militärische,  der  andere  vorzugsweise 
die  bürgerliche  Seite  der  Regierung  zu  leiten  bekam.  Beide  Männer 
waren  schon  unter  den  zwanzig  Kommissären  gewesen  und  man 
war  in  der  Not  des  Augenblicks  unbefangen  genug,  dem  für  die 
Zivilregierung  bestimmten  D.  Cälius  Balbinus,  einem  Manne  vor- 
nehmster Familie,  einen  Kollegen  niedriger  Herkunft  M.  Glodius 
Pupienus  Maximus  zu  geben.  Gerade  beim  römischen  Volk  je- 
doch war  letzterer  von  strenger  Verwaltung  der  Stadtpräfektur 
her  verhafst,  und  schon  hier  zeigte  sich,  wie  schwach  bestellt  es 
in  den  nächsten  Verhältnissen  für  den  Senat  aussah;  denn  nur 
dadurch  konnten  die  vom  Senat  Gewählten  der  aufständischen 
Masse  gegenüber  ihre  Stellung  retten,  dafs  ein  noch  ganz  junger 
Enkel  des  alten  in  Rom  populären  Gordian,  Sohn  einer  Schwester 
des  jüngeren,  zum  Cäsar  erhoben  wurde.  Damit  waren  wenigstens 
für  den  Augenblick  Volk  und  Truppen  zufrieden.*)  —  Im  übrigen 
gestaltete  sich,  während  in  Rom  unter  Balbinus  in  Abwesenheit 
des  Pupienus  bald  wieder  die  schlimmsten  Kämpfe  zwischen  der 
Bevölkerung  und  den  Prätorianem  ausbrachen,  die  Lage  für  die 
neue  Regierung   aufserhalb  Roms  nicht  ungünstig:   Capellianus 


1)  Ausfdhrliche  Ersählung  bei  flerod.  7,  10  f.  und  in  der  Biographie 
des  MaximuB  und  Balbinus,  in  letzterer,  wie  oben  bemerkt,  mit  wegen  falschen 
Datums  (1,  1)  verdächtigen  Senatsakten.  —  Die  Namen  der  beiden  lauten 
vollBt&ndig  D.  CaeUus  Calvinm  B<übinti8  A%tgustf48  (Mommsen,  Zeitschr.  f. 
Kumism.)  und  M,  Clodius  Pupienus  (so  anf  Mdnsen,  dagegen  anf  Inschriften 
auch  offizieller  Natar  wegen  der  Neaheit  des  Namens  Pupiemus  c.  i.  1.  8, 
ind.  p.  104S.  Mommsen  a.  a.  0.  mit  der  Analogie  Alfenius  neben  Alfenus) 
Maximus  Äug,  —  Verleihung  der  Gkwalt  vit.  8,  1 :  decreUs  ommbus  imperch 
toriis  honoribus  atque  insignibus,  percepta  tribunida  pctestctte,  iure  procon- 
9%Uari^  pontificatu  mcucimo,  p(Uris  etiam  ptUriae  nomine  inierunt  imperiuni. 
Über  die  sonst  übliche  Behandlung  des  Oberpontifikats  Die  63,  17.  Eckhel 
7,  801.     8,  882  f.  ^  f 

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—    510    - 

ging;  —  man  sagte  in  selbständigem  Zuwarten  —  in  dem  Eintreten 
für  Maximin  nicht  über  den  Sturz  der  Gordiane  hinaus,  die  Wirk- 
samkeit der  Senatskommissäre,  sowie  der  dazu  aufgebotenen 
romischen  Magistrate^)  in  Italien  war  von  Erfolg  begleitet,  für 
die  Provinzialstatthalter,  nachdem  sie  einmal  von  Maximin  ab- 
gefallen, waren  dieselben  Motive,  welche  den  Senat  zur  Fort- 
setzung des  Widerstandes  gegen  diesen  bestimmt,  geltend  und 
dem  Pupienus  gelang  es  sogar,  Teile  des  germanischen  Heers, 
das  er  einst  befehligt,  nach  Italien  zu  ziehen.  Bei  all  diesen 
Vorgängen  und  nicht  zum  mindesten  in  der  von  zwei  Senatoren 
geleiteten  Verteidigung  Aquilejas  sah  man  nun,  welche  Summe 
von  Einzelkräften  denn  doch  in  diesem  aus  Männern  der  Ver- 
waltung zusammengesetzten  Senat  gegeben  war,  welche  Wehr- 
kraft die  ganze  Zeit  her  aus  Italien  zu  ziehen  gewesen  wäre, 
freilich  auch,  dalfi  diese  ebenso  einem  Principat,  das  mit  dem 
Senat  in  Konflikt  war,  geföhrlich,  wie  unter  günstigen  Verhalt- 
nissen eine  Bürgschaft  konstitutionellen  Regiments  hätte  werden 
können.  Der  Mifserfolg  der  Belagerung  Aquilejas  brachte  durch 
einen  Soldatenaufstand  den  beiden  Maximinen  ^)  an  der  Schwelle 
Italiens  den  Untergang,  und  nun  hatte  der  Senat  mehr  erreicht, 
als  er  je  hatte  hoffen  können.  Ein  von  ihm  selbst  bestelltes 
und  wenn  auch  mit  allen  Rechten  des  Principats  ausgestattetes, 
doch  wieder  in  die  Wege  einer  Magistratur  zurückgebrachtes 
höchstes  Imperium*),  unter  diesem  für  sich  vollen  konstitutionellen 
Einflufs  auf  die  Regierung,  die  Heere  und  Provinzen  in  der  Bot- 
mäfsigkeit  dieses  Regiments,  in  Rom  selbst  im  ersten  Augenblick, 
wie  vortreffliche  Verwaltung,  so  auch  Zufriedenheit*)     Und  doch 

1)  Vit.  Max.  Balb.  10:  Maxime  ad  bellum  profecto  senatt*s  per  omnes 
regtones  constdares  praetorios  quaestorios  aedüicios  tribunicios  etiam  virm 
misit,  ita  ut  unaquaeque  civitas  frtmentum  arma  et  propugnacuiLa  et  mwros 
pararet, 

2)  Dafs  der  Sobn  nicht  Augustus  wurde,  darüber  vgl.  Eckhel  7,  298 
zu  der  Münze  mit  Maximinua  et  Maximus  A%kgu^ti  Germanici.  Vit  Max. 
22f  6  beifst  es  noch  vor  Aqaileja:  Maximinus  cum  ßio  adu^escentej  quem 
Caesarem  appellaverat. 

3)  Die  Personen  der  zunächst  gewählten  Maximus  und  Balbinns  ver- 
traten keine  dynastische  Tendenz,  und  das  hatte  offenbar  mit  zu  ihrer  Wahl 
beigetragen.  Eine  solche  war  erst  durch  Volk  und  Truppen  mit  Gordian  IlL 
dem  Senat  aufgedrungen  worden. 

4)  Vit.  Max. -Balb.  13,  4:  Balbinus  cum  Maximo  urbem  cum  magna 
moderatione  gaudente  senatu  et  populo  R.  regebant;  senaiui  plurimum  de- 

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-     511     - 

erwies  sich  diese  Herrlichkeit  in  kürzester  Frist  als  eiQ  Karten- 
haus. Das  kollegialische  Imperium,  in  sich  uneinig,  erwies  sich 
nicht  einmal  der  Aufrechthaltung  der  Ruhe  in  Rom  gewachsen, 
die  nun  in  ihre  Lager  zurückgekehrten  Bestandteile  der  römischen 
Garnison  versagten  den  Gehorsam,  und  die  Imperatoren  wufsten 
in  dem  Mifstrauen,  das  der  eine  gegen  den  andern  hegte,  die 
Macht,  die  sie  in  anderen  Truppen  gegen  die  Garde  in  Händen 
gehabt  hätten,  nicht  zu  ihrem  Schutze  zu  verwenden.  So  fielen 
sie  wenige  Wochen  nach  Maximin,  ohne  noch  die  Probe  aus- 
wärtiger Kriege,  die  ihnen  bevorstand,  über  sich  zu  nehmen.^) 
Es  war  jetzt  doch  ein  Glück  für  das  Reich,  dafs  die  Nachfolge 
unmittelbar  gesichert  war,  indem  der  junge  Gordian^  den  die 
Prätorianer  sofort  zum  Augustus  ausriefen,  allgemein  anerkannt 
wurde*),  und  durch  glückliche  Besetzung  der  Stelle  des  Garde- 
kommandanten wie  durch  die  eigene  Persönlichkeit  dem  Reiche 
einige  Jahre  einer  guten  Regierung  sicherte.  Es  wäre  dies  frei- 
lich wohl  in  vollständigerer  Weise  erzielt  worden,  wenn  der 
Senat  in  dem  Augenblick,  da  ihm  nach  dem  Tod  der  älteren 
Gordiane  die  Besetzung  des  Imperiums  in  die  Hand  gegeben 
war,  eine  Persönlichkeit  gewählt  hätte,  die  für  sich  selbst  kräftig 
genug  gewesen  wäre  und  fähig  zur  Begründung  einer  neuen 
Dynastie,  da  nur  so  die  widerstrebenden  Heeres-  und  Volkskräfte 
im  Gehorsam  erhalten  werden  konnten;  nunmehr  war  zwar  wieder 
mit  Gordian  IH  ein  Imperator  der  früheren  Art  vorhanden,  aber 
in  der  Person  eines  Knaben^),    dessen  Zukunft  von  seiner  Um- 


ferehatwr;   leges  opUmcts  condebant,  moderate  causas  audiebant,  res  bdliccis 
ptUdierrime  disponebant.    Herod.  8,  8,  1. 

1)  Beim  Chronographen  (Mommsen  a.  a.  0.  S.  647  Z.  36):  Pupienus 
et  Balbinus  imper,  dies  XCIX,  Dals  die  Erhebung  Gordians  schon  mehrere 
Wochen  von  den  29.  Aug.  fallen  muTs,  ist  schon  oben  bemerkt.  —  Über 
die  Vorbereitung  eines  Parther-  und  Germanenkriegs  vit.  Max.-Balb.  13,  6. 

2)  Vit  Max.-Balb.  14,  7:  Gordianus  Caesar  sublatits  a  militibus  Im- 
perator est  appelUOWf  id  est  Augustus,  quia  non  erat  alius  in  praesenti, 
insuUcmtibus  militibus  senatui  et  populo,  qm  se  statim  in  castra  receperunt 
Gord.  22,  5:  (nach  dem  Tode  der  beiden  Kaiser)  Gordianus  adidescens^  qui 
Caesar  eatenus  fuerat,  et  a  militibus  et  a  populo  et  a  senatu  et  ab  omnibtts 
gentibus  ingenti  amore  —  A%^ustus  est  appeüatus.  23,  1:  posteaquam  con- 
stUit  apud  veter  CMOS  quoque,  solum  Gordia/num  imperare,  inter  populum  et 
müites  ac  veUrcmos  pax  roborata  est, 

8)  Vit.  Gord.  22,  2:  Gordianum  parvulum,  annos  agentem  ut  plerique 
adserwnt  ttndecim^  ut  nonnuUi  tredecim^  ut  Junius  Cordus  dicit  sedecim 
(nam  vicensimo  et  secundo  anno  eum  perisse  adserit)  peHverunt  ut  Caesar 

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-     512    — 

gebung  abhängig  und  darum  auch  ohne  Sicherheit  war.  Immer- 
hin zogen  Senat  und  Reich  aus  den  Ereignissen  des  Jahres  238 
einen  Gewinn.  In  dem  raschen  Thronwechsel  der  folgenden 
Zeiten,  in  welchem  thatsächlich  jeder  Versuch,  eine  Dynastie  zu 
gründen,  scheiterte,  war  der  Senat,  dessen  Auktoritat  durch  die 
in  jenem  Jahr  bewährte  Eraftentfaltung  gestiegen  war,  noch  das 
einzig  Feste  in  der  Regierung,  wohl  ohne  die  Ej*aft,  den  Heer^i 
die  Aufstellung  von  Imperatoren  wieder  zu  nehmen,  zumal  in» 
der  fortwährenden  Not  der  äufseren  Kriege^  aber  doch  immer 
wieder  als  Stütze  gesucht,  und  wo  das  Heerkaisertum  versagte, 
die  letzte  Quelle  für  neue  Bestellung  einer  Reichsgewalt,  bis 
endlich  die  absolute  Monarchie  mit  ihrer  eigentümlichen  Succes- 
sionsordnung  diese  Aushilfe  überflüssig  machte. 
Gorjianiii.  4.  Die  zwci  crsten  Jahre  Gordiins^)  sind  in  der  Art  ihres 

Verlaufs  nur  nach  wenigen  Spuren  zu  erkennen.  Es  scheint, 
dafs  zunächst  nach  den  Aufregungen  des  vorhergegangenen  Jahrs 
sich  der  Massen,  unter  deren  Kampf  seine  Erhebung  erfolgt  war, 
Bedürfnis  nach  Ruhe  und  Genufs  bemächtigte,  und  so  Volk  und 
Truppen  in  den  gewohnten  Geleisen  des  hauptstädtischen  Lebens 
sich  vertrugen.  Gordian  kam  diesem  Streben  entgegen  durch 
die  Befriedigung  der  GenuTssucht,  zumal  in  Spielen*);  er  war 
der  römischen  Bevölkerung  eine  sympathische  Erscheinung  und 
scheint   auch    im  Reich  populär  gewesen  zu  sein.^)     Der  Senat 

appellciretur.  Max.-Balb.  8,  4:  {Gordiantui)  annum  agens  quartum  decimum^ 
ut  plertque  dicufU.  Die  Entscheidang  zwischen  diesen  Angaben  kann  ma& 
nur  ans  dem  zeitgenössischen  Herodian  nehmen,  der  8, 8, 8  sagt:  6  FoifSunfog 
nBQl  ivri  nov  ysyovmg  xQignaidsna  aitoxQatnif  dveÖB^x^ifj,  Als  Gebortstag 
ist  in  den  natales  Caesarum  (Bacher,  de  doctr.  temp.  276)  der  20.  Januar 
angegeben. 

1)  Name:  Itnp.  Caes.  M.  AnUmiiAS  Gordianus  —  divi  Gordiani  fupos 
et  divi  Gordiani  sororis  filius.  Vgl.  c.  i.  1.  8  n.  4218  «=  Henzen  5629. 
Wilmanns  n.  1011.  Letzterer  macht  gegen  Henien  bemerklich,  dafs  dar- 
nach ein  Adoptionsverhältnis  nicht  eingetreten  sei  —  In  den  Quellen  hört 
Herodian  nun  auf.  In  der  Biographie  von  Gordian  III  ist  die  annaUstiBdie 
Anlage  23,  4.  6.     26,  3.     29,  1  zu  bemerken. 

2)  Vit.  Gord.  28,  8:  poet  haec  voluptatibus  et  deUeiis  populus  R.  rooa- 
vit,  ut  ea  quae  fuerant  aapere  gesta  mitigaret.  Vict.  Caes.  27:  Gordiamu  — 
regnum  obtinuit  eoque  anno  lustri  certamine^  quod  Nero  Bomam  incexerat, 
audo  firmatoque  etc.  Vgl.  auch  die  Münze  mit  dem  Amphitheater.  Cobeo 
6  p.  37  n.  165. 

3)  Vit.  Gord.  31,  5:  amatus  est  a  populo  et  senatu  et  müitibus  ante 
Philippi  factionem  ita  ut  nemo  principunu  Seine  Inschriften  sind  ziemlicli 
zahlreich. 

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—    513     - 

freilich  war  zurückhaltender.  Er  hatte  eben  erst  bei  der  Wahl 
des  Pupienus  und  Maximus  an  ein  Principat  sich  wiederholender 
freier  Wahl  von  reifen  Männern  gedacht,  und  es  war  ihm  ein 
Knabe  aufgedrungen  worden,  wenn  auch  aus  einer  Familie,  die 
eine  richtige  Adelsfamilie  war.  Aus  dieser  Stimmung  mag  es 
sich  erklären,  dafs  ihm  die  Beinamen  Tius  Felix  erst  nach  einiger 
Zeit  bewilligt  wurden*);  verwilligen  mufste  er  sie,  sobald  Gordian 
sich  als  haltbar  erwies.  Aber  niit  der  Entwicklung  seiner  Re- 
gierung standen  sie  vorerst  nicht  im  Einklang,  denn  diese  soll 
anfangs  unter  der  Führung  seiner  Mutter  durch  den  Einfiufs 
Yon  Ratgebern  schlechtester  Klasse,  schlimme  Stellenbesetzung 
und  Mifsbräuche  aller  Art  bezeichnet  gewesen  sein.^)  Doch 
fehlte  es  auch  nicht  an  energischem  Eingreifen.  In  Afrika  wurde, 
sobald  der  neue  Kaiser  fest  safs,  nachdem  Gapellianus  vielleicht 
schon  vorher  zur  Rechenschaft  gezogen  war,  die  dritte  Legion, 
welche  die  Gordiane  gestürzt  und  darauf  in  der  Provinz  gewütet 
hatte,  aufgelöst,  der  militärische  Schwerpunkt  und  der  Legaten- 
posten nach  Mauretanien  verlegt  und  auf  andere  legionäre  Truppen 
gestützt.')  Wohl  durch  die  Bewegung,  welche  hierdurch  hervor- 
gerufen wurde,  in  Verbindung  mit  dem  Eindruck,  den  man  von 
den  Zuständen  in  Rom  hatte,  wurde  in  Afrika  der  Versuch  einer 
Rebellion  unter  einem  gewissen  Sabinianus  gemacht,  ein  Versuch, 
der  aoer  wohl  schon  an  der  Anhänglichkeit  der  Provinz  an  den 
Namen  der  Gordiane  scheiterte.*)     Infolge  dieser  Erfahrung  aber 


1)  Auf  den  loschriften  werden  diese  ßeinamen  sofort  angewandt,  aaf 
den  Münzen  erst  seit  239,  vgl.  Eckhel  7,  309;  die  letzteren  sind  mafs- 
gebend. 

2)  Vit.  Gord.  28,  7:  vom  J.  241  an  hörte  auf,  dafs  er  per  spadones 
ex  ministros  aülieos  matris  vel  ignorantia  vel  coniventia  venderetur.  Dies 
wird  dann  in  dem  c.  24  f.  gegebenen  Briefwechsel  zwischen  Timesithens 
und  Gordian  weiter  ausgeführt. 

3)  Vgl  die  Ausfahrang  dieser  Kombinationen  corp.  i.  1.  8  praef.  p.  XX. 

4)  Vit.  28,  4:  (i.  J.  240)  tnüa  est  facHo  in  Africa  contra  Gordianum 
tertium  duce  Sabiniano;  quem  Gordianus  per  praesidem  Mauretaniae  öbsessis 
(so  Mommsen;  handschriftl.  obsessio)  coniwratü  ita  oppressit,  ut  ad  eum 
tradendum  Carthaginem  omnes  venirent  et  crimina  confitentes  et  veniam 
sceleribua  postulantes,  Zosim.  1,  17:  (ist*  ov  noXv  Kaqxridovioi  z^q  tov  §ctai- 
Xeoag  svvoiag  ccXXoxQtm^ivtBs  £aßiavov  (so !)  slg  ßaCiXsUiv  naqdyovai.  Foq- 
diawov  dl  xi97iaavxog  tag  iv  Aißvtf  dvva^sig  inccvsXd'ovTsg  ngog  avtov  rij 
yv(6fi.ij  tov  (ifv  ini^iiisvov  tfj  zv^ccwlSi  naQadiSoaai  avyyvcifirjg  dl  tvxovrsg 
töov  nsQiöxovTtop  avrovg  xirvdvvtov  riXevd'Sifad'rjaav.  Welche  Stellung  Sabini- 
anuB  hatte,  wird  nicht  gesagt. 

HotEOg,  d.  röm.  Staatsverf.  n.  1.  ^.^.^^^  byGoOglC 


—    514    — 

mag  mit  dem  jungen  Gordian  eine  Wandlung  vorgegangen  sein; 
i.  J.  241  heiratet  er  die  Tochter  eines  hohen  ritterlichen  Be- 
amten Timesitheus,  und  erheht  diesen  vortrefiFlichen  Manii  zum 
Gardekommando.  ^)  Unter  dem  Einflufs  dieses  seines  Schwieger- 
vaters gewinnt  nun  die  Regierung  einen  neuen  Charakter.  Die 
bisherigen  Ratgeber  werden  entfernt,  Verwaltung  und  Heerwesen 
gebessert,  das  letztere  in  den  Gang  strenger  Disciplin  nebst 
treflflicher  Fürsorge  für  die  Soldaten  und  die  Eriegsbedürfiiisse 
gebracht,  und  so  ist  wieder  von  der  Stellung  des  Gardekommandos 
aus  die  Reichsregierung  fest  und  sicher  geführt.*)  Indes  eine 
friedliche  Bewährung  war  dieser  Regierung  nicht  vergönnt:  zum 
letzten  Male  für  lange  Zeit  waren  einige  Jahre  des  Friedens  da 
gewesen,  während  deren  der  Janustempel  geschlossen  war.  Noch 
im  J.  241  mufste  man  den  Kampf  gegen  die  Perser  aufnehmen 
und  wird  die  Ceremonie  der  ÖiGFhung  jenes  Tempels  berichtet.^ 
Von  diesem  Feldzug  gegen  die  Perser  kehrte  Gordian  nicht  mehr 
zurück.  V7ährend  des  Kriegs  stirbt  243  Timesitheus,  wie  gesagt 
wurde,  durch  einen  Rivalen  Philippus,  der  sich  zunächst  an  seine 
Stelle  drängen  will;  Philippus  wird  in  der  That  nun  Garde- 
präfekt  und  beseitigt  noch  in  demselben  Jahr  den  jungen  Kaiser.^ 


1)  Vit.  28,  5:  primquam  ad  heüum  (Persicum)  proficiscereiur  et  duxü 
uxorem  fUiam  Misühei  [so  überl.  st.  Timesithet],  doctissimi  viri,  quem  causa 
eloquentiae  dignum  parentela  sim  putavü,  et  praefectum  skUim  feeit.  C.  Furins 
Sabiniua  Aquila  Timesitheus,  dessen  frflhere  Laufbahn  bis  zur  Prokoratnr 
von  Lagdnnensis  und  Aquitanien  die  Inschr.  Henzen  6580.  Wilm.  n.  1298 
giebt  (vgl.  Borgbesi  8,  484),  war  von  einer  Eohortenpräfektnr  in  die  prolnira- 
toiische  Carriere  gekommen  und  hatte  eine  Menge  von  Stufen  derselben 
durchlaufen.  —  Zu  der  Verehlichung  ygl.  act.  fratr.  Arval.  bei  Henzen 
p.  CCXXIV  die  ins  J.  241  fallenden  Gelübde,  weil  der  Kaiser  Furiam  Sabi- 
niam  [TranquüUnam]  Äugi^Ustam)  liberorum  creandorum  causa  [duxerit^, 

2)  Vit.  28,  7—27,  10.  Dio  27,  10  mitgeteilte  Ehreninschrift,  welche 
der  Senat  dem  Timesitheus  verwilligte,  wird  von  Hirschfeld,  Yerwaltongs- 
gescb.  1,  287  zu  restituieren  versucht;  in  derselben  würde  er  noch  vir 
eminentissimtis  heifsen.  —  Die  Anzahl  der  Reskripte  dieser  Regierung  ist 
wieder  ziemlich  beträchtlich;  vgl.  die  Listen  bei  H&nel,  corp.  leg.,  indices 
p.  11—14.    Cod.  Just.  ed.  Krüger  p.  492  f. 

3)  Gord.  26,  8:  aperto  Jana  gemino,  quod  Signum  erat  indi^  heJK 
profectus  est  contra  Persas,  Vict.  Caes.  27.  Entrop.  9,  2,  2.  DaCs  di^ 
das  letzte  Mal  war,  bemerkt  Tillemont  8  p.  258. 

4)  Vit.  29  f. ,  woselbst  eine  Stufenfolge  von  Erniedrigungen  berichtet 
ist,  durch  welche  der  nach  dem  Tode  des  Timesitheus  haltlose  Gordian  bis 
zu  seiner  Ermordung  hindurch  gegangen  sei.  Zosimus  (1,  18)  berichtet 
nur:  araaietauvTss  (of  oxQaTimtcci)  xara  xov   avto%ifdtOf^  i%aviin^€tc9  mq 

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-     515    — 

5.  So  war  das  höchste  Imperium  wieder  von  dem  Spröfs-  Phuippus. 
ling  eines  altadeligen  acht  römischen  Geschlechts  an  einen  Mann 
des  Heerlagers  von  ritterlicher  Herkunft  gelangt,  nicht  eigentlich 
durch  eine  Erhebung  des  Heeres,  sondern  infolge  von  be- 
trügerischen Machinationen  und  verbrecherischen  Handlungen 
eines  ehrgeizigen  Offiziers,  den  der  Vorgang  eines  Macrin  und 
Maximinus  zu  solchen  Hoffnungen  gebracht  hatte.  Dieselben 
Vorgange  erleichterten  auch  die  Aufnahme  in  den  nicht  sol- 
datischen Kreisen,  und  dafs  man  in  Philippus  wieder  einen 
Orientalen  von  der  alleräufsersten  Grenze  des  Reichs  zum  Kaiser 
hatte,  war  ja  ebenfalls  nicht  mehr  unerhört.  Der  Araber  Phi- 
lippus, dessen  römisches  Bürgertum  wohl  von  dem  Lager  von 
Bostra  herrührte^),  war  in  seinem  Verhältnis  zum  Senat  viel 
klüger  als  Maximin:  bemüht  mit  diesem  in  gutes  Einvernehmen 
zu  kommen,  suchte  er  den  Verdacht  der  von  ihm  begangenen 
Verbrechen  zu  verwischen  und  erbat  sich  vom  Senat  die  Be- 
stätigung seiner  Erhebung  durch  die  Soldaten.  Diese  wurde 
ihm  denn  auch  zu  teil  und  Philippus  beeilte  sich  nach  Rom  zu 
kommen.^)  Die  unter  Gordian  errungenen  Erfolge  erleichterten 
es  ihm,  mit  den  Persem  ein  leidliches  Abkommen  zu  gewinnen, 

aUiov  avTOig  ysyovorog  Xifiov  %al  ineld'6vxsg  otvtco  dnintstvccv  avxov  inl 
iviavtovg  Tiyefiovsvaavtcc  ?J.  Das  Datnm  des  Todes  ist  nicht  angegeben. 
Ober  die  Momente,  nach  denen  er  ins  Frühjahr  244  zu  setzen  wäre,  vgl. 
Schiller,  Gesch.  der  r.  Eaiserz.  1,  800  A.  6. 

1)  Vit.  Gord.  29,  1:  Philippus  Äräbs^  humili  genere  natus  sed  superbiis. 
Vict.  Caes.  28:  M,  Julius  Philippus  Ärabs  Trackonites,  Seine  Heimat  ist 
genauer  bezeichnet  durch  die  Stadt  Philippopolis  bei  Bostra,  welche  er 
seiner  Herkunft  zu  Ehren  gründete,  eben  das. :  condito  apud  Arabiam  Philip- 
popoli  oppido;  Zonar.  12,  19extr.:  wqiitjxo  8'  Ix  Boat^oav^  onov  xal  noXiv 
ßac^tsvaag  inavvfiov  lavrco  idofiriaaTO  ^iXCnnov  noXiv  ovofiaaocg  avtriv. 
Die  Münze  von  Philippopolis  mit  der  Apotheose  des  Vaters  von  Philippus 
^6Ä  Maifiwco,  welche  Eckhel  7,  378  unrichtig  lokalisiert,  teilt  Waddington 
Rev.  numism.  1865  p.  66  fF.  dieser  Philippopolis  und  dem  Vater  des  Philippus 
zu.  Vgl.  Cohen  6*,  p.  180.  Zur  Abstammung  Vict.  epit.  28:  Philippus 
humülitno  ortus  loco  fuit  patre  nobilissimo  latronum  ductore,  wobei  zu  be- 
denken ist,  dafs  in  diesen  Gegenden  die  Grenze  zwischen  Räuberbande  und 
Beduinenhorde  schwankend  ist.  Vielleicht  ist  schon  der  Vater  des  Philippus 
in  römischen  Dienst  getreten.  Namen  und  Titel  des  Pbil. :  Imp.  (hes.  M. 
JuUus  Phuippus  Aug.  pius  felix  invictus.  ~  Nach  Gordian  III.  ist  die 
Reihe  der  vitae  unterbrochen  bis  auf  Valerian,  so  dafs  wir  auf  die  dürftigsten 
Auszüge  angewiesen  sind.  Die  christliche  Litteratnr  der  Zeit  bietet  nur 
Material  für  die  Frage  nach  dem  christlichen  Charakter  des  Kaisers. 

2)  Vit.  Gord.  81,  2  f.     Zos.  1,  20. 

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-    516    — 

und  sobald  dieses  fertig  war,  zog  er  nach  Italien^  um  die  Reichs- 
regier ung  nicht  blofs  als  Soldatenkaiser  zu  führen.  Noch  unter- 
wegs hatte  er  seinen  Sohn,  der  noch  ein  Eiiabe  war,  zum  Cäsar 
erhoben,  und  um  sich  die  wichtigsten  Heere  zu  sichern,  übergab  er 
das  Kommando  in  Syrien  seinem  Bruder  Priscus  und  das  in  Mosien 
einem  andern  nahen  Verwandten.^)  Das  Wenige,  was  wir  von 
seiner  Regierung  wissen,  läfst  uns  erkennen,  dafs  es  ihm  gelang, 
mit  dem  Senat  in  gutem  Einvernehmen  zu  leben  und  daCs  von 
ihm  selbst  eine  geordnete  Regierung  erstrebt  wurde.  ^  Er  konnte, 
als  an  der  Donau  ein  Krieg  gegen  eine  neu  aufgetauchte  Völker- 
schaft zu  führen  war,  Rom  ruhig  verlassen  und  kehrte  nach 
Abwehr  dieses  Ansturms  gegen  die  Grenze  wieder  in  die  Haupt- 
stadt zurück.^)  Kurz  nach  seiner  Rückkehr  wurde,  da  nach  der 
geltenden  varronischen  Zeitrechnung  am  20.  April  248  Rom  ein 
Jahrtausend  seines  Bestands  hinter  sich  hatte^),  diese  Epoche 
feierlich  begangen,  freilich  in  eigentümlichem  Kontrast  der  Her- 
kunft dessen,  der  diese  Epoche  im  Namen  des  Reichs  vertrat, 
mit  der  römisch-italischen  Nationalitat,  und  dieser  Kontrast  wäre 
noch  stärker  gewesen,  wenn  der  Kaiser,  dem  weit  zurückgehende 
christliche  Zeugnisse  wohl  nicht  ohne  Grund  eine  gewisse  Zu- 
gehörigkeit zum  Christentum  zuschreiben,  diese  Seite  oSen  kund- 
gegeben hätte. ''^)    Indessen  hierfür  lag  die  Möglichkeit  gar  nicht 

1)  Zonar.  12,  19:  h  tm  inaviivai  xov  vtov  ^IXmxov  moivmvov  tjJs 
ßaails^ag  nQOssilsto.  —  Zosim.  1,  20:  coif^  Sstv  tag  fisyünag  xmv  d^fw 
toig  oUsiotara  nQog  avrbif  i%ovci  nuQadovvai  xal  nQÜf%ov  iihv  dSflip^r 
ovToc  rmv  ncetä  ZvqCav  nQOsatrjeato  ct^aTonidmv^  Esßi^Quxvm  dh  ra  hi^^citt^ 
tag  iv  MvcC^  xal  Mamdovia  dwdustg  iniatsvcs, 

2)  Die  ans  Beioer  Begiernng  stammenden  Reskripte  (Hänel  corp.  Jeg. 
ind.  p.  14)  sind  ziemlich  zahlreich.  Die  Schrifbsteller  heben  nnter  aeioen 
Verordnungen  besonders  eine  sittenpolizeiliche  hervor,  vit.  Alex.  Sev.  24,  4. 
Caes.  28 :  usum  virilis  scorti  removendum  honesHssitne  carmiUamt;  venmtamen 
manet,  quippe  condicione  loci  mutata  p€Jor^)us  fkigiHis  agiUUwry  dum  (widius 
pereulosa  quibusque  mortdles  prohihentur  petufU.  Ans  letzterer  Stelle  geht 
hervor,  dafs  das  Polizeiverbot  wenigstens  bestehen  blieb. 

3)  Zos.  1,  20.  Die  victoria  Carpica  erscheint  anf  den  MQnzen  zu- 
sammen mit  trib.  pot.  III L  cos.  IL  ==  247;  in  diesem  Jahr  war  der  FeW- 
zng  also  beendigt. 

4)  Vict.  Caes.  28.  Oros.  7,  20,  2  n.  a.  St  Dals  das  maiarium  sae- 
ctdum  nicht  im  letzten  Jahr  des  verflossenen  Jahrtausends,  sondern  im 
ersten  des  saeculum  novum,  also  im  J.  248  gefeiert  wurde,  zeigt  Eckhel 
7,  826.  Die  betr.  Münzen  ebendas.  und  bei  Cohen  5'  Philipp,  zerstreut 
nach  den  Legenden  der  Rückseite. 

5)  Oros  a.  a.  0.:  hie  pritnus  in^^atonun  omniumJCl/msUamm  fuü  ac 

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~     517     - 

vor,  da  der  Kaiser^  selbst  wenn  er  sich  von  seiner  Herkunft  her 
als  Glied  einer  christlichen  Gemeinde  noch  gewufst  hätte,  keinen 
Tag  vom  römischen  Imperium  aus  sich  dazu  bekennen  konnte. 
Immerhin  war  es  charakteristisch  genug,  dafs  jetzt  die  Ceremouien 
der  romischen  Staatsreligion,  welche  die  Feier  des  Millenniums 
bezeichneten,  dargebracht  wurden  von  einem  Kaiser  und  Ober- 
pontifex,  dessen  religiöse  Bildung  in  dem  Ideenkreis  des  Christen- 
tums sich  bewegt  hatte  und  der  auch  jetzt  noch  von  seiner 
Kenntnis  christlicher  Verhältnisse  aus  in  der  Existenz  solcher 
Gemeinden  mindestens  nichts  bedenkliches  sah.^)  —  Welches 
aber  auch  in  dieser  Beziehung  das  innere  Verhältnis  des  Kaisers 
gewesen  sein  mochte,  er  hatte  jetzt  unmittelbarere  Sorgen  durch 

post  tertium  impcrii  eins  annum  mülesimtis  a  conditione  Eomae  annm  imple- 
tu8  est;  ita  magnificis  ludis  augustisstmus  omnium  praeteritorutn  hie  fUjUalia 
annus  a  Okristiano  imperatore  celehratus  est,  mit  der  Bemerkoog,  es  sei 
nirgends  berichtet,  dafs  der  Kaiser  die  heidnischen  Opfer  auf  dem  Kapitel 
mitgemacht. 

1)  Das  älteste  Zeugnis  fdr  das  Christentum  des  Philippus  ist  indirekt, 
aber  es  scheint  mir  entscheidend.  Der  dem  Philippus  gleichzeitige  Bischof 
DionysiuB  von  Alexandrien  spricht  von  Kaisern  vor  Valerian  als  Xex^ivxss  dvcc- 
tpavdhv  Xi^icxiavol  ysyovivai,  (Euseb.  hist.  eccl.  7,  10,  3).  Er  kann  damit 
nur  Sevems  Alex,  und  Philippus  meinen.  Ist  dem  so,  so  sieht  man  aller- 
dings, was  Alex,  betrifft,  dafs  man  in  christlichen  Kreisen  wenig  Ansprüche 
machte,  um  einen  Kaiser  für  christlich  auszugeben,  bei  Philippus  aber 
mnfs  für  den  gleichzeitigen  Bischof  die  Sache  notorisch  gewesen  sein. 
Diesem  Argument  kommt  zu  Hilfe,  dafs  die  Kirche  kein  Interesse  hatte, 
gerade  den  Philippus  für  sich  zu  beanspruchen.  Anders  liegt  es  mit  der 
Erzählung  von  der  Bufse,  der  sich  Philippus  in  Antiochien  vor  dem  Bischof 
Babylas  unterworfen  haben  soll.  (Euseb.  6,  34).  Dies  wurde  allerdings  im 
4.  Jahrh.  in  der  antiochenischen  Kirche  erzählt;  aber  hierfür  lag  ein  sehr  ent- 
Bchiedenes  Interesse  vor:  wenn  man  Philippus  als  Christ  bezeichnen  konnte 
and  wollte,  so  war  dies  mit  den  Anforderungen  des  Christentums  in  Einklang 
zu  bringen,  und  darum  mulste  sein  Vorleben  durch  die  Bulse  in  Antiochien 
getilgt  werden.  Ob  dem  irgend  ein  entfernter  äufserer  Anhaltspunkt  zu 
Grande  lag,  ist  untergeordnet:  so,  wie  erzählt  wird,  ist  der  Vorgang  un- 
denkbar. (Vgl.  über  diese  Frage  neuestens  Aub(5,  bist,  des  persdcut.  3,  467  ff., 
der  sowohl  das  Christentum  als  die  Geschichte  von  der  Bufse  annimmt.) 
Wenn  Tillemont  3,  267,  der  übrigens  den  christlichen  Charakter  des  Phil, 
zwar  annimmt,  aber  nicht  ohne  Bedenken  ist  (p.  262  f ),  zur  Unterstützung 
auf  die  Art  aufmerksam  macht,  wie  der  heidnische  Zosimus  von  Philippus 
einerseits,  von  Decius  andererseits  spricht,  so  ist  dies  immerhin  beachtens- 
wert. Die  Familie  des  Philippus  mag  zu  einer  christlichen  Gemeinde  in 
Syrien  gehört  oder  Beziehungen  gehabt  und  die  Christen  in  dieser  Gegend 
dies  gerne  hervorgehoben  haben;  Philippus  verleugnete  dies  nicht,  aber 
er  machte  auch  keinen  Gebrauch  davon.  ^  j 

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-     518    - 

Militäraufstände.  Es  waren  in  Syrien  und  Mösien^  also  gerade 
da,  wo  Philippus  seine  Verwandten  eingesetzt,  infolge  von  deren 
Mifsverwaltung  Revolutionen  mit  Aufstellung  von  Gegenkaisem 
ausgebrochen^),  an  sich  von  wenig  Bedeutung  und  bald  ohne 
eigenes  Eingreifen  des  Kaisers  unterdrückt  Aber  dieser  war 
im  Andenken  an  den  Ursprung  der  eigenen  Stellung  dadurch 
irre  geworden  und  suchte  Hilfe  bei  einem  Senator,  der,  obgleich 
wohl  selbst  aufrichtig  die  eigene  Erhebung  nicht  wünschend, 
doch  ganz  dazu  geeignet  war,  dem  m5sischen  Heere,  zu  welchem 
er  gesandt  war,  durch  Abstammung  und  durch  Persönlichkeit 
als  der  richtige  zu  einem  Gegenkaiser  wie  gemachte  Mann  zu 
erscheinen.  Dieser  C.  Messius  Decius  wurde  denn  auch,  nach- 
dem er  gezwungen  das  Kommando  in  Mösien  übernommen,  so- 
fort, auch  hier  gegen  seinen  Willen,  zum  Imperator  ausgerufen 
und  mufste  die  höchste  Gewalt  im  Stand  der  Notwehr  annehmen.^ 
Die  Erfahrungen  der  letzten  Jahrzehnte  lassen  es  begreiflich  e^ 
scheinen,  dafs  ein  kluger  und  einsichtiger  Mann  ohne  leiden- 
schaftlichen Ehrgeiz  keine  Lust  hatte,  sich  den  Gefahren  des 
Imperiums  und  noch  dazu  eines  so  gewonnenen  auszusetzen,  und 
es  mag  auch  glaublich  sein,  dafs  Decius  dem  Philippus  ernsthaft 
eröffnen  liefs,  er  werde  in  Rom  die  ihm  aufgedrungene  Stellung 
wieder  abgeben,  aber  ebenso  begreiflich  ist,  dafs  eine  solche 
Eröffnung  den,  dem  sie  gemacht  wurde,  nicht  beruhigte  und 
von  der  Gegenwehr  nicht  abhielt.^)     Der  Kampf  zwischen  beiden 


1)  ZoBim.  1,  19:  noXXmv  dh  xara  tccvtov  ifinscovcmv  tagaimv  tots 
itQccy fiaai  tu  fisv  %ata  xrjv  imav  tatg  tmv  (poQODv  flgfega^sdi  xal  tm  Tl^imtp  — 
dipoQrjtov  anaaiv  slvai  ßaQWonsvoc  xal  diä  tovto  nQOg  to  vsmtSQ^lsiv  t^a- 
nivtcc  tov  'icatantavov  naqriyayov  slg  ri^v  xmv  oXfov  cepjjjjy,  ta  dl  Mvcnw 
tayfiata  xal  Ilaiovaiv  MaQtvov,  ersteres  bestätigt  darch  die  nomina  onrnium 
princ.  Rom.  des  Polemius  Silvias  (Mommsen  in  Abh.  der  sächs.  Gesellscb. 
1  S.  243):  8ub  quo  Jotapianus  tyranntts  in  Cappadocia  fuitf  beides  be- 
stätigt durch  die  Münzen;  nach  diesen  hiefs  der  eine  tmp.  C.  M.  F.  Ru. 
Jotapianus  (Cohen  5*  p.  183),  der  andere  imp.  Ti,  Cl,  3far(tnt*»)  Paca- 
tianus  P.  f.  Aug.  (Eckhel  7,  338  ff.  Waddington  re7.  numism.  1856  p.  66 ff. 
Cohen  5^,  181),  und  für  diesen  ergiebt  sich  die  Zeit  aus  dem  Exemplar 
Cohen  p.  182  n.  7 :  Romae  aet€rn{ae)  an.  mill  et  priiAOj  also  248.  Nach 
Zonar.  12,  19  wäre  er  sogar  nnr  Centurio  gewesen,  was  unglaublich  ist  — 
Den  Jotapianus  läfst  Vict.  Caes.  29  erst  unter  Decius  vernichtet  werden. 

2)  Zos.  1,  21.     Zon.  12,  19.     Vict.  Caes.  29. 

3)  Zon.  12,  20:  ygdqtei  zm  <bLXlnn(p  fi^  taqax^Hjvar  bI  yä^  ivunmri 
tJ  ^Ptouji,  anoQ-riastai,  rä  Trjg  ßaoiXsiag  na(fdürifue'  dXl'  u%iarri<fag  tovxm  o 
^O.in7cog  ilBatQoitevas  nur'  avtov.    Die  Ereignisse  in  J^ösien  müssen  aicb 

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—    519     - 

wurde  im  J.  249  in  der  sehr  ernsten  Schlacht  bei  Verona  aus- 
gefochten,  in  welcher  Philippus  Reich  und  Leben  verlor;  sein 
knrz  Yorher  zum  Augustus  erhobener  Sohn  wurde  von  den  Prä- 
torianem  in  Rom,  deren  Sjmpathieen  dem  Donauheere  gehörten, 
getötet.*)  Das  alles  war  die  Wiederholung  früheren  Hergangs, 
Philippus  erfuhr,  was  er  einem  andern  gethan,  nachdem  auch 
ihn  nicht  priores  et  futuri  principes  termerej  quo  minus  faceret 
scelxis  cuius  ultor  est  quisquis  successit  (Tac.  bist  1,  40).  Neu 
war  nur,  dafs  der,  welcher  dieses  Urteil  der  Geschichte  an  ihm 
vollzog,  es  that  in  voller  Erkenntnis  der  eigenen  Rolle  und  mit 
dem  daraus  sich  ergebenden  Blick  in  die  Zukunft.  In  konkreterer 
Weise  war  neu,  dafs  nun  an  Stelle  der  orientalischen  die  Donau- 
heere mit  Prätendenten  pannonisch-illjrischer  Herkunft  auf  den 
Schauplatz  treten*),  nachdem  in  den  letzten  zwei  Generationen 
die  Provinzen  vorzugsweise  durch  Afrikaner   und  Orientalen  im 


noch  im  J.  248  bis  zur  Erhebung  des  Decius  abgespielt  haben:  wenn  er 
auf  einer  Inschrift  von  Falerii  (Mommsen  bnll.  1865  p.  27  und  zu  Borgh. 
oeuv.  4,  290  A.  6)  im  J.  250  trib.  pot  III  heifsen  kann,  so  mufs  ein 
Anfangspunkt  da  sein,  der  im  J.  248  liegt.  Dies  kann  dann  aber,  da  die 
Entscheidongsschlacht  bei  Verona  erst  im  J.  249  vorfiel,  nur  seine  Aus- 
rufung als  Imperator  durch  die  Soldaten  in  Mösien  sein. 

1)  Der  Sohn,  bei  Vict.  ep.  28  ohne  sonstige  Bestätigung  G.  Julius 
Satuminus  genannt,   heifst   in   den   monumentalen   Zeugnissen  M.  Julius 

^Fhüippus  ndbüissimus  Caesar  bis  247;  in  diesem  Jahr  wird  er  Augustus, 
nnd  erhält  dabei  gegen  die  sonst,  mit  Ausnahme  des  Kollegenpaares  Pupienus 
and  Balbinus,  beobachtete  Regel  auch  das  Oberpontifikat,  Eckhel  7,  333  f. 
Bei  ihm  findet  sich  inschriftlich  (vgl.  die  indices  zum  c.  i.  1.)  neben  ein- 
ander nohüissimus  Caesar  p,  f.  Augustus  (Mommsen,  Str.  2,  1106  A.  2,  2; 
andere  Zeugnisse  bei  Schiller,  Kaiserz.  2,  801  A.  6);  weiteres  über  die  Be- 
deutung dieser  auch  bei  den  folgenden  vorkommenden  Häufung  im 
System.  Über  die  doppelte  Art  der  Zählung  der  trib.  pot,  teils  von  der 
Erhebung  zum  Cäsar  im  J.  244  teils  von  der  zum  Augustus  im  J.  247  vgl. 
Mommsen  in  ephem.  epigr.  4,  182  f.  —  Über  seine  Ermordung  zu  Rom 
apud  castra  praetorta  Vict.  Caes.  28  extr.  u.  a.  —  Die  Zeit  der  Katastrophe 
bestimmen  Eckhel  7,  327.    Borghesi  4,  283  auf  Sept.  oder  Auf.  Okt.  249. 

2)  Vict.  epit.  29:  Decius  e  Pannonia  inferiore  Bubaliae  (Eutrop.  9,  4 
BudfütM)  noitus,  Caes.  29:  Decius  Sirmienmim  vico  ortus  militiae  gradu 
ad  Imperium  conspiraverat.  Bei  Zosim.  1,  21  heifst  er  als  Senator  xal 
yipsi  nifoixo>v  *^^  d^idfiati,  und  für  seine  Zugehörigkeit  zu  aristokratischen 
Kreisen  spricht  auch  die  Kombination  in  seinem  vollständigen  Namen 
C.  Messius  Q,  Traianus  Decius,  die  er  mit  dem  doppelten  Vornamen  auch 
als  Kaiser  beibehält.  Wie  sich  dazu  die  Angaben  von  der  Herkunft  aus 
einem  obskuren  Flecken  bei  Sirmium  und  jenes  militiae  gradu  verhalten, 
ist  nicht  zu  erkennen. 


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-     520    - 

obersten  Imperium  vertreten  gewesen.     Es  kam  damit  jedenfalls 
frische  Kraft  im  Reiche  zur  Geltung. 
Decins.  6.   Das  Bild  des  Decius,  ohnehin  bei  der  äufsersten  Dürftig- 

keit der  Quellen  und  der  Kürze  seiner  Regierung  nur  schwer 
zu  fassen^  ist  auch  noch  durch  den  Gegensatz  der  heidnischen 
und  christlichen  Geschichtschreibung  unsicher  gemacht.^)  Doch 
läfst  sich  aus  den  zwei  von  der  inneren  Regierung  allein  he- 
richteten  Mafisregeln  ein  bedeutsamer  Zug  seines  Wesens  ge- 
winnen. Wie  in  seinem  Verhältnis  zu  Philippus  einerseits  Ein- 
sicht und  Interesse  für  den  Staat,  andererseits  Mangel  an  Ehrgeiz 
und  Mifstrauen  in  die  eigene  Kraft  zu  erkennen  ist^  so  sehen 
wir  auch  in  jenen  zwei  Mafisregeln  der  Erneuerung  der  Censnr 
mit  erweiterter  Bedeutung  und  der  Anordnung  eines  systematischen 
Vorgehens  gegen  die  Christen  wohl  ein  Resultat  tieferen  Nach- 
denkens über  die  Schäden  des  Reichs  und  einen  Trieb  zum 
Reformieren^  aber  zugleich  in  der  ersteren  Mafsregel  ein  Herab- 
gehen von  der  Stellung  des  Imperiums,  wie  sie  schon  im  au- 
gusteischen Principat  ausgesprochen  und  seitdem  zur  höchsten 
Steigerung  gelangt  war.  Nachdem  der  Kaiser  die  ersten  andert- 
halb Jahre  seiner  Regierung  anscheinend  vorzugsweise  sich  in 
Rom  aufgehalten  und  an  der  damals  besonders  gefährdeten 
Donaugrenze  sich  durch  seinen  ältesten  Sohn,  den  er  sich  zur 
Seite    gestellt,   hatte    vertreten  lassen*),    sah  er  sich  angesichts 

1)  Dem  Zosimne  (1,  23  extr.)  ist  er  aqioxa  ßsßaciXivnmg,  bei  den 
christlichen  Schriftstellern  drängt  die  Christenverfolgung  jeden  anderen 
Gesichtspunkt  zurück. 

2)  Vict.  Caes.  29 :  ßium  Etruscum  notnine  Caesarem  fecU  statimque  eo 
in  läyrioa  praemisso  Bomae  cUiquantum  moratur  moenwm  gr<Uia  qaae  in- 
stituit  dedicandorum.  Nach  vit.  Yaler.  5,  4  wäre  Deoins  noch  am  27.  Okt 
261  in  Rom  gewesen;  allein  dieses  Datum  ist  jedenfalls  falsch,  da  dann 
kein  Raum  mehr  im  J.  251  für  die  Teilnahme  am  Gothenkrieg  wäre;  aber 
die  Einsetzung  des  Valerianus  als  Censor  dürfte  erst  ins  J.  251  fallen,  in 
welches  die  vita  dieselbe  verlegt.  Daraus  folgt  nicht,  dals  Decius  nicht 
schon  vorher  veranlafst  war,  Rom  zwischeuhinein  nach  anderer  Richtung 
zu  verlassen;  waren  doch  nach  Zosim.  1,  23  to:  nQciyfuctcc  z€CQax^g  xlffgm- 
^ivta.  Unter  die  früheren  Fälle  von  Abwesenheit  möchte  ich  eine  Erhebung 
in  Gallien  (Eutrop.  9, 4)  und  die  des  Julius  Valens  setzen,  welche  Vici  Caes.  89 
nach  der  Abreise  zum  Gothenkrieg  setzt,  und  auf  deren  Verlauf  in  Italien 
Mommsen  Bnllett.  1865  a.  a.  0.  die  Tilgung  des  Namens  der  Decier  in  der 
Inschrift  von  Falerii,  die  ins  J.  250  fallt,  bezieht  Wie  verwirrt  die  Über- 
lieferung über  diese  Dinge  ist,  erhellt  daraus,  das  nach  vit.  tyr.  trig.  20  ein 
Valens,  der  nicht  wohl  ein  anderer  als  dieser  sein  kann,  in  Illyrien  anftriit, 

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—    521    — 

des  bedenklichen  Gothenkrieges  yeranlalst,  selbst  das  Kommando 
gegen  die  Gothen  zu  übernehmen  zu  einer  Zeit,  da  die  inneren 
Zustande  ihm  einer  reformatorischen  Kraft  zu  bedürfen  schienen. 
Da  kam  er  auf  den  Gedanken,  das  Amt  der  Censur  mit  viel 
weiter  gehender  Vollmacht  wieder  aufzurichten.  Selbst  wenn, 
was  in  der  Biographie  des  Valerianus  über  die  Kompetenz  des 
durch  den  Senat  zu  bestellenden  Censors  dem  Decius  in  den 
Mund  gelegt  ist,  der  Authentie  entbehrt^),  so  ist  durch  ander- 
weitiges Zeugnis  in  Verbindung  mit  dem  allgemeinen  Inhalt 
des  in  der  Biographie  enthaltenen  gesichert^),  dafs  Decius  den 
Plan  hatte,  die  innere  Verwaltung  einem  Vertrauensmann  des 
Senats  zu  überlassen  mit  der  Aufgabe  eingreifende  Reformen 
vorzunehmen,  die  gewifs  vorzugsweise  das  Finanzwesen  betreffen 
sollten,  aber  teils  durch  den  Titel  teils  durch  die  Definition  der 
Kompetenz  an  die  Verwaltungsaufgabe  und  das  regimen  morum 
der  alten  Censur  anknüpften.  Der  Name  war  hier  ziemlich 
gleichgültig;  hinsichtlich  der  Sache  aber  ist  zu  bemerken,  dafs 
einem  emstdenkenden  Mann  in  verantwortungsvoller  Stellung 
wohl  das  Bedürfnis  einer  Reform  sich  aufdrängen  mufste,  dafs 
aber  die  Ablenkung  dieser  Aufgabe  auf  einen  untergeordneten, 
dem  republikanischen  Amt  analog  gestellten  Magistrat  die  voll- 
standigste  Verleugnung  des  Principats  war:  denn  eben  die  Be- 
friedigung von  Reformbedürfnissen,  welche  im  gewöhnlichen 
Gang  der  Verwaltung  nicht  zu  erzielen  waren,  und  überhaupt 
die  Aushilfe  in  allen  Notlagen  war  der  Ausgangspunkt  und  der 
innere  Berechtigungsgrund  des  Principats  von  Augustus  her  ge- 

währeDd  Victor  und  Polem.  Silvias  ihn  nach  Rom  versetEen.  Die  Einsetzang  des 
Valerianas  als  Censor  mag  mit  durch  diese  Erhebung  veranlafst  gewesen  sein. 
—  Auf  jener  Inschrift  von  Falerii  (Wilmanns  1117)  sind  im  J.  260  die  beiden 
Söhne  des  Decins,  Q.  Herennius  Etruscas  imd  C.  Valens  Hostilianus,  Caesares 
genannt,  aber  nur  der  ältere  hat  die  trib.  pot,  Hostilianus  erhielt  sie  noch 
in  demselben  Jahr  250  ebenfalls;  vgl.  Borghesi  in  Bull,  dell'  inst.  arch. 
1862  p.  134  (za  der  Inschr.  bei  Henzen  n.  6640).  Darüber  ob  Hostilianus 
wirklicher  Sohn  de»  Decius  war,  u.  A.    Schiller,  Kaiserz.  1,  806  A.  1. 

1)  Vit.  Valer.  5  f.,  wo  das,  wie  schon  bemerkt,  unrichtige  Datum 
Verdacht  erweckt. 

2)  Zonar.  12,  20:  dnoCHoni^aag  ngog  xov  trjg  i^ovaiag  oy-KOv  %ccl  tijv 
tmv  nifayfiaxmv  oUovofi^ccv  tov  BuXsqucvop  inl  ty  rmv  nifaypkätcDV  dioi- 
xficst  nQOCBClBzo.  Vit.  Val.  6,  4  heifst  es  u.  A.:  tu  censibus  modutn  poneSy 
tu  vectigaUa  firmahis  divides,  tu  resptibUccis  recensebis,  ubi  Ugum  scribefi- 
darum  auctaritas  däbitur,  tu  arma  respicies  und  dgl.,  Ausdrücke,  die  wohl 
aus  der  alten  Censur  konstruiert  sein  könnten.  ^  j 

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—     522     - 

wesen.  Dies  läfst  denn  auch  der  Biograph  den  Valerianus  selböt 
dem  Decius  gegenüber  sagen,  und  über  das  Inslebentreten  dieser 
„Censur"  verlautet  nichts.  —  Dafs  diese  Regierung  senatsfreund- 
lich war,  liegt  schon  im  bisherigen;  bezeichnend  dafür  ist  aber 
auch,  dafs  der  Kaiser,  dessen  tribunicische  Gewalt  zuerst  von  seiner 
Erhebung  durch  die  Truppen  gezählt  wurde,  dieselbe  weiterhin 
nach  der  Anerkennung  durch  den  Senat*  berechnete.^)  Vielleicht 
im  inneren  Zusammenhang  mit  den  angeführten  reformatorischen 
Ideen  stand  die  neue  gegen  die  Christen  eingeschlagene  Politik. 
Es  wird  davon  noch  weiterhin  die  Rede  sein.  Sie  war  jedenfalls 
ein  Vorgang  von  gröfster  Bedeutung,  ob  man  die  Menge  der  von 
ihr  betroffenen  höher  oder  niedriger  beziffert.  Sie  erst  hat  die 
Christen  aus  dem  Hintergrund,  in  dem  sie  bis  jetzt  im  poli- 
tischen Leben  standen,  in  den  Vordergrund  geschoben  und  den 
Anstofs  dazu  gegeben,  dafs  sie  bei  der  Umgestaltung  des  Reichs 
ein  ausschlaggebender  Faktor  wurden.  Zunächst  machte  aber 
auch  hier  der  noch  im  J.  251,  wie  es  hiefs  durch  den  Verrat 
eines  Generals  erfolgende  Untergang  des  Kaisers  im  Gothenkrieg, 
während  dessen  noch  zu  seinen  Lebzeiten  auch  ein  L.  Priscus 
sich  in  Makedonien  als  Gegenkaiser  erhoben  hatte,  einer  kon- 
sequenten Politik  ein  Ende.^ 
GaUus  und  7.    Wie   die   letztvorhergegangenen   Imperatoren,   so  waren 

auch  die  nun  unmittelbar  in  rascher  Folge  einander  ablosenden 
dem  Senat  nicht  feindlich,  teils  um  der  eigenen  Existenz  willen, 
teils  weil  sie  nicht  einmal  Zeit  hatten,  eine  bestimmte  Richtung 
einzuschlagen.  Wenn  C.  Vibius  Trebonianus  Gallus,  der  Statt- 
halter von  Mösien,  wirklich  seinen  Imperator  Decius  im  Kampf 
mit  den  Gothen  verraten  hatte,  so  mufste  er,  um  vom  mosischen 
Heer  zu  dessen  Nachfolger  ernannt  und  als  solcher  anerkannt 
zu    werden,   freilich   alles  thun,   um  diese  äufserste  Schmach  zu 


1)  Vgl.  c.  i.  1.  3,  ind.  p.  1119  die  Titel  von  249  mit  trib,  poi.  (und 
zwar  auf  dem  Militärdiplom  p.  898  LVIA  noch  am  28.  Dez.),  und  250 
mit  trih.  pot.  11,  während  auf  jener  Inschr.  von  Falerii  Decius  im  J.  250 
trib.  pot  III  heifst.  Die  Zählung  erscheint  hier  verschieden  zur  selben 
Zeit,  es  ist  aber  eine  naheliegende  Kombination,  dafs  die  letztere  die  ältere 
ist  und  von  dem  senatsfreundlichen  Kaiser  ofBziell  nicht  beibehalten 
wurde. 

2)  Über  Priscus  Yict.  Caes.  29;  er  setzt  diese  Erhebung  noch  vor 
die  Abreise  zum  Gothenkrieg.  —  Die  Katastrophe  des  Decius  und  seineB 
älteren  Sohnes  in  verschiedener  Darstellung  Vict.  Caes.  29.  Zon.  12,  20 
a.  E.    An  letzterer  Stelle  der  Verrat  des  Gallus.  ^  f 

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-     523    — 

verdecken,  und  er  tbat  dies,  indem  er  den  überlebenden  Sohn 
des  Decius,  Hostilianus,  zum  Cäsar  annahm,  mit  dem  eigenen 
Sohn  Volusianus.  ^)  Da  aber  Hostilianus  bald  darauf,  wie  es 
scheint,  das  Opfer  einer  Epidemie  wurde,  die  damals  grofse  Ver- 
heerungen im  Reich  anrichtete*),  so  waren  Gallus,  Vater  und 
Sohn,  die  alleinigen  Herren.  Sie  führten,  nachdem  Gallus  mit 
den  Gothen  einen  Frieden  geschlossen,  der  für  das  Reich  ungünstig 
genug  war,  die  Regierung  in  Rom.  Aber  nachdem  der  Gothenkrieg 
wieder  ausgebrochen  war  und  wiederum  einem  mosischen  Statt- 
halter M.  Amilins  Amilianus,  einem  Mauren 'von  Geburt,  Gelegen- 
heit gegeben  hatte,  sich  auszuzeichnen,  fand  das  mösische  Heer 
die  Gelegenheit  gegeben,  diesen  seinen  Führer  zum  Imperator  zu 
erheben.  Er  zog  unter  den  besten  Versprechungen  an  den  Senat 
nach  Italien,  brachte  die  beiden  Galli  infolge  einer  siegreichen 
Schlacht  um  Thron  und  Leben  und  gelangte  nun  so  selbst 
zu  einem  durch  den  Senat  anerkannten  Imperium.')     Aber  nach- 

1)  Nach  den  Zahlen  der  Begierungsjahre,  für  welche  neben  den  Jahren 
der  trib,  pot.  auf  Münzen  und  Inschriften  die  ägyptischen  Jahre  auf  den 
alexandrinischcn  Münzen  jetzt,  hei  dem  häufigen  Wechsel  der  Imperatoren, 
einen  besonders  wichtigen  Regulator  bilden,  mnfs  die  Erhebung  des  Gallus 
in  die  zweite  Hälfte  des  J.  251  fallen.  Dafs  die  tribunicische  Gewalt  weder 
in  einheitlicher  Weise  durch  diese  Regierung  hindurch  noch  in  derselben 
Weise  wie  früher  (vom  10.  Dez.  ab)  gerechnet  wurde,  geht  daraus  hervor, 
dafs,  während  am  22.  Okt.  253  bereits  Valerian  und  Gallienus  herrschen 
(vgl.  die  Inschr.  Wilmanns  ex.  n.  1472),  die  beiden  Galli  noch  den  Titel 
einer  trih,  pot  IUI.  haben,  der  ihnen  nach  der  sonstigen  Rechnung  erst 
254  zugekommen  wäre,  vgl.  darüber  Eckhel  7,  36».  Wilmanns  n.  1022  Anm. 
Das  Konsulat  für  252  haben  Gallus  und  sein  Sohn  Volusianus.  Dafs  am 
1.  Jan.  252  dieser  schon  Aug.  heifst,  schliefst  Eckhel  S.  367  aus  Münz- 
zeugnis. Nach  Vict.  Caes.  30  Qiaec  tibi  patres  comperere,  Gallo  Hostilianoque 
Augusta  imperia^  Volusianum  Gallo  editutn  Caesarem  decernunt)  wäre  der 
Sohn  des  Decius  sogar  bevorzugt  worden.  Er  heifst  auch  Augustus  auf 
den  Münzen. 

2)  Vict.  epit.  30:  non  multo  post  pestikntia  consumtus  est;  dagegen 
Zosimus  1,  25:  (Gallus)  inißovXsvsi  ^avatov  avtm.  Über  die  verheerende 
Pest  Vict.  Caes.  30.  Zonar.  12,  21:  Zot/üo;  ii  Al^ionCaq  aq^aitivoi  mal 
nacaif  axedov  imvBiirjd'els  x^Q''^^  imav  ts  xal  eaniQiov  xal  noXXag  xmv 
noXfoüv  tcöv  oIhtjxoqcov  ilthaasv  inl  nBvxB%(tidB%a  SiUQHiaccg  iviavtovg. 
Sie  wird  auch  in  der  christlichen  Litteratur  wiederholt  erwähnt  und  war 
nicht  die  geringste  unter  den  Plagen  der  folgenden  Zeit. 

3)  Nach  den  alexandrin.  Münzen  (v.  Sallet  S.  72  fiP.)  geht  die  Re- 
gierung des  Amilianus  im  J.  258  von  einem  ägyptischen  Jahr  ins  andere 
über.  Anerkennung  durch  den  Senat  Vict.  Caes.  31 :  cwm  proceres  primo 
hostem,  dein  exstincHs  superioribus  pro  fortuna,  ut  solet,  Äugustum  p?fi^(<l-  i 

igi  ize     y  g 


—    524    — 

dem  bereits  in  Yalerian,  dem  schon  unter  Decios  durch  die 
Verleihung  jener  eigentümlichen  Censur  in  den  Vordergrund  ge- 
stellten Senator,  der  unterdessen  ein  Kommando  in  Germanien 
erhalten  und  dem  Amilianus  den  Weg  nach  Rom  hatte  verlegen 
sollen,  ein  neuer  Kaiser  von  seinem  Heere  aufgestellt  war,  ver- 
lor Ämilian  die  Gunst  auch  des  seinigen  und  wurde,  wie  es 
scheint  ehe  er  nach  Rom  kam,  ermordet.^)  Der  Senat  konnte 
es  nur  mit  Befriedigung  sehen,  daüs  in  Valerian  das  ausge- 
zeichnetste Mitglied  der  Behörde^),  das  eben  von  den  zwei  be- 
deutendsten Heeren,  dem  germanischen  und  dem  mit  Ämilian 
gekommenen  Donauheer,  anerkannt  worden,  das  Imperium  über- 
nahm. 
vaierianus  und         8.  Die  ErhebuniT  Valerians,  des  Vertrauensmannes  von  Decios, 

Gallienas  bii  ' 

zum  Orientfeld- bildete  lu  der  That  die  natürliche  Portsetzung  von  des  letzteren 
Regierung.  Aber  die  Verhältnisse  waren  unterdessen  wesentlich 
schwieriger  geworden,  und  Valerian  selbst  ein  60  jähriger  Greia*) 
Sofort  nach  der  eigenen  Anerkennung  stellte  er  sich  allerdings 
seinen  35  jährigen  Sohn  Gallienus,  für  den  der  Senat  zunächst 
die  Gäsarenwürde  ausgesprochen,  als  Augustus  zur  Seite^),  aber 


vissetU.  Verhältnis  znm  Senat  Zonar.  12,  22  a.  A.:  inicteiXf  x^  cvyn^ti» 
iitayysXXonevog  ms  xal  xriv  &Qonirjv  dnaXXd^fi  ßccQßdifav  %ccl  uccta  Ilfifcmv 
iHaxQatBvastai  nal  ndvta  tcqcc^si  xal  dytovic etat  dtq  ctQatrjyog  avzmv  tiit 
ßaöiXfiav  T§  yBQovcUf  nctzaXmmv,  —  Die  Zeit  seiner  Regierang  wird  auf 
3 — 4  Monate  angegeben;  wenn  man  davon  den  Aufenthalt  in  Mösien  in 
der  ersten  Zeit  nach  der  Erhebung  und  den  Marsch  nach  Italien  abrechnet, 
so  bleibt  für  den  Aufenthalt  in  Italien  selbst  wenig  übrig. 

1)  Zosim.  1,  29.  Zon.  12,  22  u.  A.  Nur  nach  Yict.  Caes.  31  morbo 
ahsumpius  est,  sonst  wird  überall  die  sachgemälse  Ermordung  durch  sein 
Heer  gegeben  und  motiviert.  —  Wenn,  wie  schon  bemerkt,  eine  Abteilung 
der  nach  der  Beseitigung  des  Amilianus  nach  Afrika  in  ihr  altes  Lager 
zuröckgeschickten  legio  Aug.  III  dort  in  Gemellä  bei  Lambäsis  am  22.  Oki 
der  Victoria  Aug,  für  Valerian  und  Gallienus  einen  Altar  weiht  (ob.  S.  523 
A.  1),  so  mufs  die  Entscheidung  fSr  Valerian  in  Italien  doch  mindestens 
6  Wochen  vorher  gefallen  sein.  Vgl.  über  diese  Wiederherstellung  der 
afrikanischen  Legion  c.  i.  1.  8  praef.  p.  XXI. 

2)  Er  war  schon  bei  der  Erhebung  Gordians  im  J.  238  princeps  sefMim. 
Vit.  Gord.  9,  7. 

8)  Vollständiger  Name:  P.  Lidnius  Vaierianus.  Für  das  Lebensalier 
wird  anzunehmen  sein  vit.  5,  1:  cuius  per  annos  sexa^ginta  vita  laudabüis 
in  eam  conscenderat  gloriam,  %U  post  omnes  honares  et  tnagistratus  insignüer 
gestos  imperator  fieret.  Tillemonts  Erörterungen  (3  p,  612  n.  1)  gehen  von 
der  Lesart  septuaginta  aus. 

4)  Vict.   Caes.   32:    Eius  ßium  Oällienum   senatus^  Caesarem  creaL 

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—    525    - 

dessen  unstäter  und  firivoler  Charakter  liefs  hiervon  keinen  Nutzen 
erwarten.  Indessen  war  beiden  immerhin  eine  Anzahl  von  Jahren 
gegeben,  ohne  dafs  Gegenkaiser  auftraten,  in  den  Provinzen  die  ersten 
Jahre  gewährten  auch  eine  verhältnismäfsig  ruhige  Regierung  in 
Born,  und  es  ist  von  Valerian  genügend  bezeugt,  daTs  er  bei  ruhigen 
Zeiten  die  Aussicht  auf  geordnete  Zustande,  eine  gewissenhafte 
Verwaltung  und  Einvernehmen  mit  dem  Senat  in  Aussicht 
stellte^)  und  selbst  den  Christen  zuerst  freundlich  gesinnt  war 
(s.  unten).  Allein  ruhige  Zeiten  kamen  eben  nicht.  Zu  der 
Verheerung  des  Reichs  durch  die  Pest  kam  der  Einfall  der  Perser 
in  Mesopotamien  und  Syrien,  der  im  J.  255  zur  Eroberung 
Antiochiens  führte  *),  und  wie  die  Donaugrenze  schon  früher,  so 
wurde  nun  auch  die  Rheingrenze  durchbrochen.  Diese  Verhält- 
nisse veranlafsten  den  Valerianus  zu  einem  Schritt,  der  unter 
allen  umstanden  bedenklich  war,  bei  einem  Mitregenten,  wie 
Gallienus  aber  verhängnisvoll  werden  mufste,  zu  einer  volligen 
Teilung  in   der  Reichsverteidigung.')     Er   selbst  übernahm  den 


Jordan.  Rom.  2S7 :  Valerianus  et  Gdllienu8,  dum  unus  in  Raetia  a  militibus, 
alter  Bamae  a  senaiu  in  imperio  levarentur;  andererseitB  Vict  epit.  32: 
(Valerianus)  ßium  swtim  Äugwtum  fecit  Urkunden  für  Gallienas  als  Cäsar 
giebt  es  nicht,  sondern  nur  von  ihm  als  Aognstns;  doch  ist  die  Angabe, 
daTs  der  Senat  ihn  zam  Cäsar  gemacht,  wohl  nicht  zu  verwerfen.  Wahr- 
scheinlich hat  der  Senat,  als  er  dem  Valerian  die  Anerkennung  aussprach, 
zDgleich  den  Gallienus  als  Cäsar  begrüist,  es  dem  Valerian  überlassend, 
welche  Stellung  er  weiterhin  dem  Sohn  übergeben  wollte;  dieser  erhob  ihn 
al>er  wohl  noch  im  J.  253  zum  Augustus.  Am  1.  Jan.  254  traten  beide  zu- 
sammen das  Konsulat  an.  —  Die  Zeitbestimmungen  werden  dadurch  er- 
schwert, dais  Mb.  pot,  und  Konsulate  jetzt  5fter  absolut  ohne  die  dazu  ge- 
hörigen Zahlen  gegeben  werden  und  wo  Zahlen  vorliegen,  Widersprüche 
in  denselben  sind. 

1)  Mit  weniger  Aufwand  von  Lob,  als  die  Biographie  bietet,  sagt 
Zosim.  1,  29:  cnovd^v  inoiBito  xa  ngay^ata  sv  diad^sivai;  erst  später  im 
persischen  Feldzug  wirft  er  ihm  schädliches  Milstrauen  vor  und  schildert 
ihn  als  Sia  ts  (iaXa%üicv  xal  ßü>v  xuvvdxrixa  ßoridijaai  filv  slg  iaxaxov 
il&ovin  totg  n^ayfiaaiv  dnoyvovxa.  Die  christliche  Litteratur  hält  auch 
bei  Valerian  nur  den  eigenen  religiösen  Gesichtspunkt  fest.  —  Detail  ist 
von  der  inneren  Regierung  so  gut  wie  nicht  berichtet. 

2)  Zosim.  1,  27.  Das  Datum  bei  Malalas  12  p.^296  Bonn,  nach  der 
antiochen.  Ära,  aber  fehlerhaft  überliefert:  nimmt  man  814  an  »  266  n.  Ch., 
so  würde  die  Eroberung  erst  nach  der  Katastrophe  des  Valerianus  fallen; 
korrigiert  man  304  (Müller,  fragm.  h.  gr.  4  p.  192),  so  wäre  dies  gleich  256. 

3)  Zosim.  1,  30:  ipoxXoviiivüov  x&v  nifetyiidxmv  anavxaxod'sv  avxog  filv 
inl  xrjv  itoav  rXaws  Ui^auig  dvxiaxriaouBVog  xm  xB   naiSl  xd  iv  E^Qmnjj 

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-     526    — 

Orient  und  begab  sieh  auf  den  dortigen  Kriegsschauplatz^  Gallienus 
sollte  von  Rom  aus  den  Schutz  der  westlichen  Hälfte  übernehmen. 
Wie  früher,  so  sollte  auch  jetzt  damit  nicht  eine  räumliche  Teilung 
für  die  Regierung  überhaupt  eintreten:  die  Erlasse  werden  wie 
bisher   im  Namen   beider  Auguste  veröffentlicht,   und  es  ist  an- 
zunehmen, dafs  Valerian  nicht  im  Sinne  hatte,  den  Verkehr  mit 
dem  Senat  und  die  Funktionen  der  Zentralregierung  dem  Gallienus 
allein  zu  überlassen.    Aber  die  Lage  des  Reiches  verlangte,  data  die 
Auktorität  des  einheitlichen  Imperiums  vomämlich  in  der  Person 
des  ^inen  naturgemäfs  leitenden  Kaisers  vor  allem  in  militariseher 
Beziehung  dem  gesamten  Reich  gesichert  und  auf  jedem  Kriegs- 
schauplatz zu  erwarten  sei.     So  hatte  es  M.  Aurel  gemeint  und 
Septimius  Severus  bis  zu  seinem  Ende  gehalten.     Jetzt  war  ein 
Vorgang  geschaffen,  zum  Zwecke  der  Verteidigung  Imperien  zu 
errichten,   die   bei   ideeller  allgemeiner  Bedeutung  und  bei  An- 
nahme  der  Attribute   des    Reichsimperiums   in   der  Anwendung 
auf  Teile  sich  beschränkten,  trotzdem  dafs  hier  nicht  etwa  zwei 
persönlich  gleiche  Imperatoren  neben  einander  standen,  wie  die 
Kollegen   Pupienus   und   Balbinus,   sondern   die   Auktorität   des 
Vaters  neben  dem  Sohn.     Solche  Teilung  war  nicht  geeignet, 
die  Einheit  des  Reichs  zu  wahren  in  einer  Zeit,  in  welcher  bereits 
jede  militärische  Leistung  in  irgend  einem  Teile  des  Reichs  den 
Anlafs  zur  Aufrichtung  eines  selbständigen  Imperiums  und  zur 
Aufkündigung   des  Gehorsams    gegen   die  ^entralregierung   gab. 

§  86.    Der  äufsere  Bestand  des  Reichs  von  Septimiiis  Sevenu 
bis  Valerian.  —  Die  Ohristenfrage. 

sepUmiuB  1.    Septimius  Severus  hatte  während  seiner  ganzen  Regierung 

mit  denselben  äufseren  Verhältnissen  zu  thun,  welche  bis  zum 
Schlufs  der  Regierung  des  Commodus  für  das  Römerreich  mafs- 
gebend  gewesen  waren,  und  auch  von  römischer  Seite  kamen 
keine  wesentlich  neuen  Motive  in  die  äufsere  Politik  herein:  aber 
dieser  Kaiser  hat  das  bisherige  neu  befestigt,  zum  teil  erweitert 
und  mit  neuen  Mitteln  ausgestattet.  Erst  nach  ihm  veränderten 
sich  zu  gleicher  Zeit  die  Verhältnisse  jenseits  der  Grenze  und 
die  Widerstandskraft  des  Reichs,  und  begann  damit  eine  neue 
Ära  der  äufseren  Kämpfe. 

atQatoueda  nuQsdiSov  toCg  navraxoQ'sv  iniova  ßa^ßagoig  fis%a  ttov  inti^ 
dwafisiov  dvtietrjvat  nuQsyyv^aag. 

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—     527     — 

Da  der  erste  von  Severus  bekämpfte  Prätendent,  Niger,  seine 
Stellung  im  Orient  hatte,  so  schlolja  sich  naturgemäfs  an  seine 
Besiegung  eine  Revision  der  syrischen  Grenzverhältnisse  an.  Be- 
sonderen Anlafs  dazu  gab  die  Hilfe,  welche  die  römischen 
Yasallenfürsten  in  Osrhoene  und  Adiabene  dem  Niger  geleistet; 
Severus  forderte  jetzt  Verantwortung,  rückte  in  Mesopotamien 
ein,  und  schon  diese  Aktion  führte  ihn  bis  Nisibis.  Die  Parther 
waren  augenblicklich  nicht  in  der  Lage  sich  einzumischen,  und 
so  ergab  sich  als  leichter  Erfolg  schon  jetzt  die  Vervollständigung 
der  von  M.  Aurel  gewonnenen  römischen  Stellung  in  Meso- 
potamien, sowie  die  Möglichkeit,  den  Orient  zu  verlassen  und 
gegen  Albinus  zu  ziehen.  Als  Severus  nach  dem  Sieg  über 
diesen  wiederkehrte,  waren  unterdessen  die  Parther  vor  Nisibis 
gerückt  in  der  Erkenntnis  der  Wichtigkeit  dieses  festen  Platzes. 
Die  Ankunft  des  Kaisers  brachte  nicht  nur  Entsatz,  sondern  es 
konnte  jetzt  auch  weiter  nach  Parthien  hinein  vorgerückt  werden. 
Wieder  gelang  wie  früher  die  Einnahme  von  Etesiphon  und 
scheiterte  man  vor  dem  von  den  Arabern  trefflich  verteidigten 
Hatra;  das  Resultat  des  Feldzugs  aber  war  die  Provinz  Meso- 
potamien mit  Nisibis  als  Kolonie,  mit  römischen  gegen  Parthien 
fährenden  Heerstrafsen  und  zwei  Legionslagem.  Der  Teil  des 
Senats,  der  mit  Severus  unzufrieden  war,  sah  in  diesem  neuen 
Vorschieben  der  Grenze  und  Gebietszuwachs  nichts  gutes:  die 
neue  Provinz  bringe  nichts  ein,  verursache  aber  grofse  Kosten. 
Dies  war  unzweifelhaft;  wäre  indessen  das  Partherreich  noch 
länger  geblieben,  so  wäre  die  Position^  innerhalb  der  erreichten 
Grenzen  gehalten,  dem  Schutze  Syriens  zu  gute  gekommen  und, 
da  mm  Armenien  ein  römisches  Vorland  hatte,  die  armenische 
Frage  vereinfacht  gewesen.^) 


1)  Über  die  Chronologie  s.  ob.  S.  448  A.  1,  über  den  ersten  Feldzag 
des  Severus  jenseits  des  Euphrat  hauptsächlich  Dio  75,  1—3.  Hcrod.  3,  1,  2. 
3,  4,  7  ff.  Vit.  Sev.  9,  9—11.  Die  Siegestitel,  die  er  hiervon  gewann,  sind 
Arabicus  und  AdiabenicuSy  noch  nicht  JPctrthicus  vit.  a.  a.  0.  und  Eckhel 
7,  172;  über  den  zweiten  Krieg,  den  gegen  die  Parther  Dio  75,  9  ff .  3,  9. 
Vit.  15.  Jetzt  nennt  er  sich  Parihictis  tnaximus,  Urteil  Dios  über  die 
Hinznfügung  Mesopotamiens  75,  3:  6  SsovrJQog  itXsyB  fisyaXriv  ti  riva 
%mQav  n^o^snxfje^cci  %al  nQoßoXov  ocvtriv  rijg  UvQ^ag  nsnoirjad'ai'  iXiyxtrai 
ih  ii  uvTov  Tov  igyov  xal  noXifuov  ^fuv  avvsxoiv  mg  hccI  danawfjfiuTotv 
noXkwv  alxia  ovecc '  dCdmci  ithv  yaQ  iXänütaj  uvaXüf%Bi  Sh  nccfinXri^  xa2  ngog 
iyyvtiQOvg  xal  tmv  Mridatv  %al  rcäv  Tldif^aiv  nQogsXijlv^otBg  del  tqonov 
uvcc  vnlQ  avxatv  futxofied'tt.  —  Von  Neueren  aufser  den  schon  angeführten 

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-     528     - 

Bei  der  Neuordnung  der  ostlichen  Provinzialyerhältnisse 
war  es,  dafs  der  Kaiser  durch  mehrfache  Erteilung  des  iu$  üaH- 
cum  der  Entwicklung  der  munizipalen  Verhältnisse  einen  neuen 
Anstofs  gab  (ob.  S.  469  f.),  den  letzten  bedeutenderen,  den  er  dann 
auch  auf  andere  Provinzen,  Dacien  und  Afrika  ausdehnte.  Von 
seinen  Nachfolgern  wurde  dies  durch  weitere  Erteilungen  noch 
in  etwas  weiter  geführt,  aber  die  Konstitution  Caracallas  über 
das  Bürgerrecht  (ob.  S.  476)  hat  jedenfalls  auch  hier  neue  Ver- 
hältnisse begründet 

Der  Kampf  mit  Albinus  hatte  keinen  Einflufs  auf  die  Zu* 
stände  an  der  Rheingrenze,  und  ebensowenig  wurden  an  der 
Donau  Veränderungen  vorgenommen.  Was  jenseits  der  Grenze 
sich  vorbereitete,  sah  man  noch  nicht.  -—  Dafs  Severus  sich  noch 
in  hohem  Alter  selbst  mit  seinen  Söhnen  nach  Britannien  begab, 
um  dort  den  Krieg  zu  führen,  wurde  zum  Teil  der  Absicht  zu- 
geschrieben, die  Söhne  von  Rom  fortzubringen;  immerhin  hatten 
die  Grenzkriege  daselbst  damals  einen  ernstlicheren  Charakter. 
Eine  weitere  Ausdehnung  des  von  Truppen  zu  besetzenden  Ge- 
biets wurde  hier  nicht  erzielt;  im  Gegenteil,  man  kam  wieder 
auf  die  Linie  zurück,  welche  Hadrian  als  diejenige  festgestellt 
hatte,  von  welcher  aus  der  Horizont  der  Nordgrenze  gezogen 
werden  sollte.  Wenn  die  alten  Quellen  dem  Severus  geradezu 
die  Anlage  dieser  Linie  zuschreiben,  so  ist  dies  gewils  ein  Irr- 
tum, es  wird  aber*  daraus  wenigstens  zu  entnehmen  sein,  daXs  er 
sie  neu  befestigte.^)  Durch  diese  Verminderung  der  Ansprüche, 
welche  die  römische  Herrschaft  auf  der  Insel  erhob,  war  es  seinen 
Söhnen  erleichtert,  dort  abzuschliefsen  und  nach  Rom  zurück- 
zukehren. 
caraoaiiA  und  2.    Unter  Caracalla  tritt  an  dem  bisher  ruhigsten  Teil  der 

Grenze,  an  der  des  Rheins,  eine  verhängnisvolle  Änderung  ein. 
Wie  unter  Marc  Aurel  durch  neue  Völkerverhältnisse  ein  ge- 
fährlicher Sturm  gegen  die  Donaulinie,  besonders  die  Stellung 
an  der  mittleren  Donau  zum  Ausbruch  gekommen  war,  so  stehen 


Monographieen  über  Severus  die  Darstellnngen  bei  Schiller  1, 711  ff.  Mommsen, 
r.  Gesch.  5,  409--411.    y.  Gutschmid  in  Encycl.  ßrit  18  p.  605. 

1)  Ziemlich  aasführliche  Ereählung  bei  Dio  76,  11  ff.;  kflrser  Herod. 
3,  14;  beide  sprechen  sich  über  die  Motive  ans;  vii  18,  2:  Brttanniam, 
quod  maximum  eins  imperium  est,  muro  per  transversam  ins%Uam  dueto 
utritnque  ad  finem  Oceani  munivü;  hierüber  Hübner  in  corp.  i.  1.  7 
p.  100  f.  192  f. 

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—    529    — 

nan  auf  einmal  die  Romer  am  Oberrhein  mit  ihrer  Stellung  in 
Mainz  und  am  obergermanischen  Limes  nicht  nur  ihren  alten 
Gegnern,  den  Chatten,  sondern  einer  Vereinigung  von  Völker- 
schaften gegenüber,  die  unter  dem  Namen  der  Alamannen  sich 
gebildet  hatte.  Schon  der  äufserste  Flügel  jener  früheren  Ver- 
einigung der  Donauvölker  war  beim  rätischen  Limes  durchge- 
brochen und  bis  nach  Italien  hinein  gekommen  (ob.  S.  441  A.  1); 
jetzt  war  nicht  blofs  mit  Mainz  Gallien  gefährdet,  sondern  von 
dem  Winkel  aus,  in  dem  der  rätische  uüd  germanische  Limes 
zusammenstiefisen,  die  Wege  über  die  Alpenstrafsen  nach  Italien 
bedroht.  Diese  Gefahr  wurde  durch  den  germanischen  Feldzug 
des  Garacalla  in  den  Jahren  213  und  214  allerdings  überwunden, 
der  Limes  nicht  blofs  gehalten,  sondern  auch  verstärkt;  aber  es 
waren  nicht  sowohl  Siege,  welchen  dies  Resultat  zu  danken  war, 
auch  nicht  der  Schrecken,  welchen  Akte  verräterischer  Grausam- 
keit hervorrufen  sollten,  sondern  teils  der  Umstand,  dafs  dieser 
erste  Völkerbund  offenbar  noch  keine  weiter  gehenden  Ziele  hatte, 
teils  die  Eonzessionen,  die  der  Kaiser  in  mehr  frivolem  als  klugem 
Eni^egenkommen  machte.  Die  Tendenz  zum  Herandrängen  an 
die  Grenze  wurde  hierdurch  sowie  durch  die  Bildung  einer  ger- 
manischen Leibwache  des  Kaisers  wesentlich  verstärkt  und  auch 
in  letzterer  Beziehung  zukünftige  Vorgänge  eingeleitet.*)  —  War 

1)  Die  77,  13  (Anlage  von  Kastellen,  die  er  nach  seinem  Namen  be- 
nannte; es  ist  nicht  eu  erkennen,  welcher  Art  Kastelle,  ob  solche  am 
Limes  oder  etwa  jenseits  desselben  gemeint  sind;  von  der  ersteren  Art, 
die  einen  ganz  guten  Sinn  gehabt  hätte,  konnte  Dio  nicht  so  sprechen, 
wie  er  es  thnt  An  ders.  Stelle  ist  auch  von  der  verräterischen  Nieder- 
metzelung  von  Alamannen  die  Rede).  Ilerod.  4,  7.  Vit.  5  und  die  kürzeren 
Nebenquellen.  Den  Namen  Alamannen  giebt  schon  der  Zeitgenosse  Dio; 
dafs  aber  offiziell,  d.  h.  zu  Siegestiteln  (vgl.  die  falsche  Angabe  vit.  Car.  10), 
zu  Namen  von  Spielen  u.  dgl.  er  noch  nicht  verwendet  wurde,  man  es 
vielmehr  hier  noch  bei  dem  Namen  Germanen  beliefs,  darüber  vgl.  vit. 
trig.  tyr.  13.  Mommsen  c.  i.  1.  1  p.  403  z.  5.  Okt.  Ober  die  Alamannen, 
die  Bedeutung  des  Namens  und  ihr  erstes  Auftreten  v.  Wietersheim- 
Dahn,  Gesch.  der  Vdlkerw.  1,  176  ff.  Holländer,  die  Kriege  der  Alamannen 
mit  den  Römern,  1874.  —  Wie  man  im  römischen  Senat  über  die  Erfolge 
des  Kaisers  in  Germanien  dachte,  zeigt  Dio  77,  14:  xal  ccvtol  {ot  Kivvoi, 
KtXrtxov  i^vog)  ro  tijg  rjttrig  ovoiia  noXltiv  XQW^'^^'*'  ^"toSofitvoc  öüvb- 
XfOQTjifar  avT^  ig  zriv  FfqaavCav  dnoaca^vai.  —  noXXol  %ai  t(ov  nag* 
avT/D  TCO  (oxcavcj  nsgi  tag  tov  "AXßidog  i'KßoXag  oUovvztav  ingsaßBvcavto 
ngog  avxop  (piXlav  altovvtsg  twa  xQriiiata  Xaßcoaiv  *  instdrj  yocQ  ovtmg  ins- 
nQccxBt  avxvol  ccvt^  inid-evro  noXsfiriasiv  dnsiXovvtBg  olg  naai  <'Hp^'f^fH(jIp 
Hersog,  d.  röm.  8ta*Uvorf.  n.  1.  3^'  '^^     ^  O 


-     530    — 

dieser  Feldzug  um  einer  notwendigen  Defensive  willen  unter- 
nommen,  so  war  der  Pariherkrieg,  zu  dessen  Beginn  Caracalla 
noch  214  in  Nikomedien  eintraf ,  durch  keinerlei  zwingenden 
Grund  veranlafst.  Das  Auslieferungsverlangen,  von  dem  Dio 
spricht^  betraf  in  dem  armenischen  Fürsten  Tiridates  einen 
Mann,  der  erst  durch  römisches  Vorgehen  zu  den  Parthem  ge- 
trieben wurde,  und  in  dem  Philosophen  Antiochus  eine  Persön- 
lichkeit, für  die  ein  Völkerkrieg  sich  wahrhaftig  nicht  lohnte. 
Es  war  vielmehr  der  Krieg  um  des  Kriegs  willen,  den  man  hier 
suchte,  und  dem  der  Kaiser  durch  die  Anknüpfung  an  den 
Alexanderberuf  einen  bei  ihm  widerlich  romantischen  Anstrich 
gab.  Indessen  war  einmal  jener  Vorwand  der  Auslieferungs- 
forderung gewählt,  und  so  fiel,  als  dieselbe  bewilligt  wurde,  dieser 
Grund  weg,  und  da  zu  gleicher  Zeit  die  unruhigen  Ägypter 
Gelegenheit  zu  lohnender  Beschäftigung  der  Soldaten  gaben,  so 
wurde  in  der  That  der  Partherkrieg  für  jetzt  aufgegeben  und 
die  Diversion  zur  Bestrafung  der  Alexandriner  gemacht.  Bei  der 
Rückkehr  aus  Ägypten  im  J.  216  nahm  der  Kaiser  Gelegenheit 
in  Osrhoene  einzuschreiten,  bemächtigte  sich  des  dortigen  Fürsten, 
zog  sein  Land  ein  und  drang  dann  von  dem  Hauptquartier  Edessa 
aus,  welche  Stadt  zur  Kolonie  erhoben  wurde,  in  Parthien  ein, 
indem  er  in  einer  abgewiesenen  Werbung  um  eine  parthisohe 
Königstochter  einen  neuen  Vorwand  gefunden.^)  Nun  aber  kam 
die  Gegenwirkung:  die  Parther  rüsteten  jetzt  ihrerseits,  und  ihre 
Aktion  ging  über  die  Person  des  Caracalla  hinweg.^  Nachdem 
dieser  bei  Eröffnung  des  Feldzugs  im  Frühjahr  217  ermordet 
war,  fand   sein  Nachfolger  Macrinus  eine  partbische  Macht  sich 


(folgt  die  Bemerkung,"  dals  er  hier  mit  echter  MOnze  zahlte,  wlihrend  er  im 
Reich  offizielle  Falschmflnzerei  trieb). 

1)  Dio  77,  21—78,  6.  Herod.  4,  8  ff.,  wonach  Caracalla  von  Born  zo- 
erst  zu  den  Donauheeren  geht ,  von  da  nach  Thrakien  und  hieranf  nach 
Asien,  überall  Erinnerungen  an  Alexander  den  Grolsen  pflegend.  Vit.  6. 
—  Neuere  Monographie  von  Drexler,  Caracallas  Zug  nach  dem  Orient  und 
der  letzte  Partherkrieg.  Halle  1880.  Über  die  Vorgänge  in  Osrhoene  und 
das  Verhalten  des  Caracalla  zu  dem  dortigen  König  Sevems  Abg^ros,  Sohn 
Abgars  IX,  sowie  über  die  Chronologie  vgl.  v.  Gntschmid,  Unters,  über  die 
Oesch.  des  Königreichs  Osro^ne  in  M^m.  de  Tacad.  de  St.  Petersb.  XXXV 
(1887)  p.  86  ff.  Darüber,  dafs  Edessa,  wo  Caracalla  den  Winter  216/217 
zubrachte,  jetzt  erst  Kolonie  wurde,  ebendas.  S.  36  A.  3. 

2)  Dio  78,  3  läfst  schon  den  Caracalla  über  die  Rüstungen  der  Parther 
in  grofse  Angst  geraten.  r^^^rrl^ 

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-     531     - 

gegenüber,  die  ihm  überlegen  war  und  der  grofse  Alexanderzug, 
den  Caracalla  geplant,  endigte  für  die  Römer  zwar  nicht  mit 
Gebietsverlust,  weil  die  Parther  auch  andere  Sorgen  hatten,  wohl 
aber  mit  sonst  demütigenden  Bedingungen.  *)  Der  Friede  brachte 
auch  den  Vasallenstaaten  ihre  eigenen  Fürsten  zurück.  Die 
Kampfe,  welche  der  Sturz  des  Macrinus  in  Syrien  veranlafste, 
wurden  von  den  Parthern  nicht  benützt;  Macrinus  hatte  zwar 
daran  gedacht,  sich  an  sie  zu  wenden,  sein  Vorhaben  wurde  je- 
doch verhindert.^) 

3.  Auch  die  Regierung  des  Elagabal  war  ungestört,  und  Eiagabai  und 
zwar  an  allen  Grenzen;  es  bestanden  eben  jenseits  der  Grenz-  Alexander. 
linien  Übergangszustände,  welche  erst  eine  Konzentration  ge- 
winnen mufsten,  ehe  es  zu  neuen  Angriffen  kommen  konnte.  In 
Rom  aber  hatte  man  auch  unter  Severus  Alexander  ofiFenbar 
keine  Kenntnis  von  dem,  was  jenseits,  in  Parthien  und  Germanien, 
vorging;  sonst  hätten  die  Ratgeber  des  Kaisers  in  anderer  Weise 
Fürsorge  getrofiFen.  Aber  für  energische  Führung  der  auswärtigen 
Politik  war  weder  die  Organisation  seines  Rats  noch  seine  eigene 
Persönlichkeit  angelegt,  und  niemand  dachte  an  eine  Präventiv- 
politik: auch  mufste  die  beständige  Gefahr  der  Militäraufstände, 
die  sowohl  von  Seiten  der  Truppen  als  von  der  der  Generale 
bestand,  die  Aktion  an  den  Grenzen  lähmen.  Für  die  Abwehr 
kleinerer  feindlicher  Einfälle  genügte  allerdings  die  Wehrkraft, 
welche  den  Provinzialstatthaltern  zu  Gebot  stand,  und  von  diesem 
Horizont  aus  sorgte  der  Kaiser  auch  dafür,  dafs  der  gute  Wille 
bei  Führern  und  Mannschaft  möglichst  erhalten  bleibe.^)  Die 
Statthalter,  die  eine  glückliche  Expedition  aufzuweisen  hatten, 
wurden  reich  belohnt,  und  die  Mannschaften  an  der  Grenze 
wurden  kolonisiert,  indem  man  ihnen  Land  anwies;  damit  sollte 
das  Interesse  für  eigenen  Herd  und  Hof  ins  Spiel  gezogen  werden.*) 
In  denselben  Zusammenhang  einer  neuen  Organisation  des  Grenz- 


1)  Dio  78,  26  f.  Trotzdem  nahm  Macrinus  den  Siegeatitel  Parlhi- 
Cfis  an. 

2)  Dio  78,  89:  (Macrinus)  ^ttridslg  tov  ^sv  vtov  ngog  tov  'AQxdßavov 
xov  tav  TlaQd'cov  ßaaiXicc  ^ns^tpsv  u.  s.  w. 

3)  Vit.  68:  Actcte  sunt  res  feliciter  et  in  Mauretania  Tingitana  per 
Furtum  Celsum  et  in  lUyrico  per  Varium  Macrinum  —  et  in  Armenia  per 
Junium  Pälmatum,  atque  ex  omnibus  locis  ei  tdbellae  laureatae  sunt  delcUae ; 
folgen  die  daraus  für  ihn  und  die  Führer  sich  ergebenden  Ehren. 

4)  Ebendas.:  sola  quae  de  hostibus  capta  sunt  Umetaneis  ducibus  et 
müitibus  donavit  ita  ut  eorum  essent,  si  heredes  eorttm  militarcnt  nee  unquanf^]^ 

34*  o 


—    532     - 

Schutzes  gehört  die  schon  erwähnte  Trennung  der  Militär-  und 
Zivilverwaltung  in  den  betreffenden  Provinzen,  deren  Zweck  darin 
lag,  das  Provinzialkommando  möglichst  frei  für  seinen  mili- 
tärischen Beruf  zu  stellen  (ob.  S.  492  f.). 

Aber  all  das  war  den  Gefahren  gegenüber,  welchen  das 
Reich  jetzt  entgegenging,  doch  von  untergeordneter  Bedeutung. 
Während  der  ersten  Jahre  Alexanders  war  jenseits  des  Euphrats 
eine  neue  Macht  entstanden:  die  persische  der  Sassaniden.  Die 
Römer  mochten  wohl  anfangs  das  Aufkommen  derselben  als  einen 
jener  inneren  Kämpfe  des  Partherreichs  betrachten,  welche  ihnen 
bisher  so  oft  nützlich  gewesen,  und  den  Fortgang  der  Bewegung 
nicht  ungerne  sehen.  Aber  nach  wenigen  Jahren  hatten  sie  eine 
neue  Grofsmacht,  wenn  nicht  gerade  viel  mehr  einheitlich,  so  doch 
frischer  und  schlagfertiger  als  die  parthische  sich  gegenüber  und  der 
Stifter  dieses  neuen  Reiches,  der  Perser  Artaxerxes  I  (Ardaschir), 
hatte,  indem  er  die  Tradition  des  alten  Perserreichs  aufnahm,  Ziele, 
die  für  seine  Nachbarn  höchst  unheimlich  waren.  ^)  Als  der  Ge- 
schichtschreiber Dio  bald  nach  seinem  im  J.  229  mit  Alexander 
bekleideten  zweiten  Konsulat  sich  in  seine  Heimat  zurückzog, 
war  Artaxerxes  bereits  Herr  des  Partherreichs  geworden,  hatte 
Armenien,  allerdings  ohne  Erfolg,  angegrifiPen  und  bedrohte  die 
römischen  Provinzen  Mesopotamien  und  Syrien.  Noch  sieht  der 
römische  Autor  in  der  persischen  Macht  an  sich  nichts  besonders 
bedrohliches,  und  es  ist  nur  die  zerrüttete  Disziplin  der  Grenz- 
heere, die  ihn  nach  eigenen  Erfahrungen  schlimmes  erwarten 
läfst^),  aber  er  wurde  wohl  noch,  nachdem  er  in  seiner  Heimat 
Bithynien  sich  zur  Ruhe  gesetzt,  eines  anderen  belehrt.  Alexander 
selbst,  einmal  von  der  Gefahr  überrascht,  nahm  sie  keineswegs 
leicht;  er  soll  zunächst  in  wenig  würdiger  Weise  durch  Unter- 
handlungen  den  Frieden   zu   erhalten   gesucht  haben;   nachdem 

ad  privatos  pertinerent  dicens   atteniitis  eos  tnilüaturos,  si  etiam  sua  rura 
defenderent  u.  s.  w. 

1)  Über  Entstehung,  erstes  Wachstum  und  Organisation  des  Sasaa- 
nidenreichs  Nöldeke,  Gesch.  der  Perser  und  Araber  zur  Zeit  der  Sassaniden 
1879.     Ders.  in  Eucycl.  Britann.  18  S.  608.     Mommsen,  r.  G.  5,  411  ff. 

2)  Dio  80,  4:  (AQta^iff^rig)  ovv  tpoßsQog  rifiCv  iyipfto  ct^ateviucxi  tt 
noXXm  ov  (lovov  t^  Msöonoxa^la  aXXä  %a\  ty  Svqltf  i(pBd^sv6as  ««l  a«cil»y 
dvaüTTiasad'at  ndvta  cog  xal  ngosTiyiovtd  of  i%  nQoyoptov  Sau  notl  of  ndlm 
nigacti  iiixQt  trjg  *EXXr]vtKrig  d'aXdaarjg  ^axov  ov%  oti  avxog  Xoyw)  Titro(  a£ios 
dXX*  Ott  ovt(o  td  GtQatiaTixd  rj(iCp  didusivai  tagte  tovg  (thp  xal  nQOgxi^^tö^ea 
avTo5  xovg  dl  ovn  id-iXeiv  dfivvsad'ai.  ^  I 

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—     533     - 

aber  diese  gescheitert  waren,  nahm  er  den  Kampf  wenigstens 
mit  voller  Rüstung  auf  und  benützte  den  Mifserfolg,  den  Arta- 
xerxes  gegen  Armenien  gehabt,  um  teils  von  diesem  Land,  teils 
von  Mesopotamien  und  Syrien  aus  die  Ofifensive  zu  ergreifen.^) 
Der  Verlauf  des  Kampfes,  zu  welchem  Alexander  im  J.  231  Rom 
verliefst),  scheint  die  Befürchtungen,  welche  Dio  hinsichtlich 
der  Tüchtigkeit  der  Truppen  gehegt,  gerechtfertigt  zu  haben; 
auch  war  Alexander  nicht  nur  selbst  kein  Feldherr,  sondern  es 
fehlte  ihm  auch  an  Generalen,  die  hierfür  hätten  Ersatz  bieten 
können;  wenn  trotzdem  der  Kaiser  Siegesberichte  nach  Rom 
schicken')  und  die  Integrität  der  Reichsgrenze  behaupten  konnte, 
so  half  dazu  wesentlich,  dafs  die  parthische  Dynastie  in  Armenien, 
die  stets  den  Zankapfel  zwischen  Rom  und  den  Parthern  ge- 
bildet, auch  nach  dem  Tode  des  tüchtigen  Chosroes,  der  den 
ersten  Persersturm  abgewehrt,  noch  aushielt  und  Unterstützung 
gewährte.  —  Kaum  war  Alexander  zurückgekehrt,  als  die  ger- 
manischen Verhältnisse  ihn  nach  Gallien  und  an  den  germanischen 
Limes  riefen.  Wie  im  Osten  die  Römer  durch  Persereiufälle  in 
ihren  eigenen  Provinzen  überrascht  und  zum  Kriege  genötigt 
worden  waren,  so  war  es  auch  hier:  Germanen  waren,  wenn 
auch  nur  in  Streifscharen  in  Gallien  eingedrungen,  die  Grenz- 
hut also  nicht  genügend  gewesen.*)  Wiederum  befolgte  Alexander, 
wie  es  scheint,  die  Politik,  dafs  er  grofse  Rüstungen  veranstaltete 
und  aus  den  fernsten  Provinzen  Truppen  herbeizog,  nur  um  von 
solcher  Heeresmacht  aus  friedliche  Unterhandlungen  anzuknüpfen. 
Allein  diesmal  hatte  diese  Politik  schlimmen  Erfolg  bei  den 
eigenen  Truppen:  die  Erhebung  gegen  ihn  soll  eben  an  diesem 
eines  römischen  Kaisers  unwürdig  erachteten  Verhalten  eingesetzt 
haben  (ob.  S.  500  f.). 

4.    Der   Nachfolger  Maximinus    nahm    nun   seinerseits    mit  von  Maximmu» 

.  ,  ,       bis  zu  Valerl- 

den    von    Alexander    angesammelten    Mitteln    die    Offensive    m        »o^aa. 


1)  Zonaras  12,  15  (nach  dem  anonymen  Forteetzer  Dios).  Hero- 
dian  6,  2  ff. 

2)  Das  Jahr  erwiesen  von  Eckhel  7,  273  aas  Münzen  mit  profectio 
Augustx. 

3)  Vit.  56  f.,  allerdings  mit  Belegen  zweifelhafter  Achtheit,  wie  auch 
der  Erfolg  des  Kaisers  fölschlich  gesteigert  ist.  Zu  dem  Triumph,  von 
dem  hier  die  Rede  ist,  vgl.  die  Münzen  vom  J.  233  Eckhel  7,  275  und 
Cohen  5  S.  445  f. 

4)  Vit.  59:  Germcmorum  vastationibus  GaUia  diripiebatur.  Der  Aus- 
zug des  Kaisers  nach  den  Münzen  im  J.  234.    Eckhel  7,  277.  ^  j 

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-     534    — 

Germanien  so  entschieden  wie  möglich  und  mit  Erfolg  auf,  zu- 
erst von  Mainz  ^  dann  von  der  mittleren  Donau  aus.  Hier  gab 
es  Kämpfe  gegen  die  unmittelbaren  Nachbarn^  die  freien  Daken 
und  Sarmaten^);  aber  was  der  Kaiser  als  Ziel  seines  Vorgehens 
angab,*  war  viel  grofsartiger.*)  Es  mag  jedoch,  wie  schon  oben 
(S.  505)  bemerkt,  bezweifelt  werden,  ob  er  auf  Grund  von  be- 
stimmterer Erkundung  der  germanischen  Verhältnisse  einen  Vor- 
stofs  in  das  Herz  des  freien  Germanien  für  das  beste  Mittel  hielt, 
um  der  von  dort  drohenden  Gefahr  zu  begegnen,  oder  ob  nicht 
vielmehr  Motive  persönlicher  Natur  ihn  bestimmten:  das  Streben, 
dem  von  ihm  gehafsten  Senat  Proben  seiner  Kraft  zu  geben, 
eigene  Kriegslust,  die  durch  die  ersten  Erfolge  gesteigert,  ohne 
besondere  Überlegung  weiter  strebte  und  dann  vielleicht  das, 
was  von  den  Germanen  zu  fürchten  war,  eher  beschleunigte  als 
schreckte.  Die  grofse  Aktion  wurde  jedenfalls  durch  Gordians 
Erhebung  vereitelt,  und  während  Maximin  ausschliefslich  den 
germanischen  Verhältnissen  seine  Aufmerksamkeit  zugewandt  hatte, 
waren  die  Perser,  klüger  als  die  Parther  mit  den  Zustanden  im 
Römerreich  rechnend,  in  Mesopotamien  eingedrungen.^  Selbst 
an  der  Donau  hatte  Maximinus  einen  vollen  Erfolg  auch  nur 
für  die  Defensive  nicht  hinterlassen;  denn  die  beiden  vom  Senat 
gewählten  Kaiser  hatten  in  ihrer  kurzen  Regierung  neben  den 
Vorbereitungen  für  einen  Perserkrieg  auch  an  der  Donau  gegen 
die  Carpen  und  Gothen  zu  rüsten,  welch  letzterer  Name  nun 
auftaucht.*)  Die  Erbschaft,  welche  so  Gordian  III  übernahm, 
war  denn  bedenklich  genug,  und  die  Last  wäre  für  den  Zusammen- 
halt des  Reichs  jetzt  schon  zu  grofs  gewesen,  wenn  der  junge 
Kaiser  nicht  in  Timesitheus  einen  ebenso  tüchtigen  Feldherm 
wie  Staatsmann  gefunden  hätte.  Durch  ihn  wurden  Mafsregeln 
für  den  Schutz  des  Reichs  in  umfassender  Weise  vorsehend  ge- 

1)  Vgl.  die  Siegestitel  Dacicus  und  Sartnaticus^  das  einzige  Zeagnis 
hiervon. 

2)  Vit.  Max.  12  f.     Herod.  7,  2,  9. 

3)  Zonar.  12,  18:   Ntcißiv  xal  Kdcgag  —  vno  Iliga^v  M  Ma^ifupov 

4)  Vit.  Max.-Balb.  13,  5.  16,  3.  Das  an  letzterer  Stelle  erw&hnte 
bellum  Scythicum  mit  der  Zerstörung  der  civitas  Istrica  (Istropolia  am 
schwarzen  Meer,  nördlich  von  Tomi)  gehört  bereits  den  Kämpfen  mit  den 
Gothen  an.  Petr.  Patric.  p.  124  Bonn.  (Der  mösische  Statthalter  Tullias 
Monophilus  und  seine  VerhaDdlungen  mit  den  Carpen,  welche  dieseibon 
Jahrgelder  wollen  wie  die  Gothen). 

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-     535     - 

troffen  und  durch  Herstellung  einer  genügenden  Sicherheit  in 
den  europäischen  Provinzen  die  Möglichkeit  geschaffen,  mit  voller 
Energie  den  Perserkrieg  aufzunehmen^  in  welchem  man  nunmehr 
im  J.  241  an  Stelle  des  Artazerxes  seinen  Sohn  Sapor  (Shahpur) 
zu  bekämpfen  hatte.  Die  Erfolge  waren  bereits  viel  versprechend 
und  die  römische  Armee  wieder  im  Vorrücken  gegen  das  Berz 
des  feindlichen  Reichs,  als  im  J.  243  Timesitheus  starb ,  darauf 
PhilippuSy  der  Araber,  als  Gardekommandant  gerade  durch 
Schädigung  des  Heers,  also  durch  Beeinträchtigung  der  Operationen 
den  Gordian  zum  Sturz  brachte  und  dann  Frieden  schlofs,  wie 
berichtet  wird,  mit  Aufgeben  von  Mesopotamien  und  Armenien. 
Doch  soll  er  durch  den  schlimmen  Eindruck,  den  dies  machte, 
yeranlafst  worden  sein,  die  Räumung  dieser  Positionen  nicht  zu 
ToUziehen;  da  aber  kaum  glaublich  ist,  dafs  die  Perser  die  Nicht- 
achtung der  Bedingungen  des  Vertrags  ohne  Widerstand  hinge- 
nommen hätten,  so  dafs  der  Kaiser  ruhig  nach  Rom  hätte  ab- 
gehen können,  so  dürfte  wohl  völlige  Preisgebung  jener  Länder 
beim  Friedensschlufs  von  einer  Stellung  aus,  welche  eben  noch 
die  Römer  zum  Marsch  auf  Etesiphon  be^igt  hatte,  kaum  richtig 
sein.  Jedenfalls  kam  aber  für  einige  Zeit  der  Krieg  hier  zum 
Stehen,  in  einer  Weise,  die  von  eben  errungenen  grofsen  Er- 
folgen weg  für  die  Römer  unvorteilhaft  war.^) 

Die  nächsten  Jahre  konzentrieren  das  Interesse  wieder  auf 
die  Donauprovinzen.  Eine  Zeit  lang  ist  es  der  Name  der  Carpen, 
der  hier  vom  linken  Donauufer  her  unter  den  Gegnern  Roms 
hervortritt;  aber  neben  ihnen  stehen,  wie  schon  bemerkt,  bereits 
die  Gothen,  denen  es  gelungen  war,  nicht  blofs  als  leitende  Völker- 
schaft auf  dem  rechten  Ufer  der  unteren  Donau  aufzutreten  und 
die  äufsersten  Posten  der  griechisch-römischen  Zivilisation  am 
schwarzen  Meer,  welche  in  halber  Selbständigkeit  aufserhalb  der 
eigentlichen  Grenzen  lagen,  zu  zerstören,  sondern  nunmehr  auch 
Einfälle  über  den  Flufs  herüber  in  den  römischen  Provinzen  zu 
machen.*)     Auch  hier   tritt  jetzt   eine  Macht  unter  bestimmten 

1)  Vit.  26  f.  Id  der  sonstigen  Geschichtsohreibung  hat  jetzt  Zosiiuus 
die  Führung;  daneben  Zonaras,  Jordanes  u.  A.  Zosimua  folgt  der  Chronik 
ond  den  Skythica  des  Atheners  Dexippus  (Müller,  fragm.  bist,  graec.  S, 
666  ff.  A.  Schäfer,  Quellenkonde  2,  §  168),  und  die  anderen  sind  ebenfalls 
in  dem  Mafse  von  Wert,  als  sie  dieser  Qaelle  folgen.  In  die  Kriegs- 
geschichte der  nachfolgenden  Zeit  hat  Dexippus  selbst  rühmlich  eingegriffen, 
indem  er  im  J.  267  die  Athener  im  Kampf  gegen  die  Gothen  führte.  S.  unt. 

2)  Über  Herkunft  mid   erstes  Auftreten,   sowie   die  Kriegsgeschichte     j 

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—    536     - 

Fürstennamen  auf  an  einem  Punkte,  der  schon  für  die  Yet- 
bindung  der  europäischen  Heere  mit  dem  Orient  von  höchster 
Wichtigkeit  war.  Es  ist  oben  schon  erwähnt  worden,  in  welcher 
Weise  hier  die  Kriegführung  mit  der  Erhebung  von  Präten- 
denten verbunden  war.  Die  Heere,  welche  hier  kämpften,  wollten, 
sobald  sie  einen  Erfolg  errungen,  für  denselben  in  ihrem  Selbst- 
gefühl wie  in  materieller  Weise  belohnt  sein  und  fanden  diesen 
Lohn  in  der  Erhebung  ihrer  Generale  zu  Kaisern.  So  wurde 
Decius  Imperator,  nach  ihm  Gallus  und  Ämilianus,  ohne  dab 
die  so  erhobenen  dann  ihre  Aufgabe  darin  gefunden  hätten, 
durch  völligen  Erfolg  gegen  die  gefährlichen  neuen  Feinde  ihre 
Herrschaft  zu  rechtfertigen:  noch  war  immer  die  erste  Sorge 
eines  jeden,  der  von  der  Truppe  ausgerufen  worden,  nach  Rom 
zu  kommen.  Decius  allerdings  hatte,  nachdem  er  in  Rom  An- 
erkennung gefunden,  den  Gothenkrieg  mit  Energie  aufgenommen^): 
—  damals  eben  war  der  Gothenkönig  Kniva,  der  Nachfolger 
des  Ostrogotha,  in  Mösien  eingedrungen  —  ^  aber  der  seine 
Schuldigkeit  thuende  Kaiser  war  unglücklich,  Gallus,  der  ihn 
verraten,  suchte  durch  Vertrag  und  Geldzahlungen  von  den 
Gothen  loszukommen  und  liefs  sie  unbehelligt  und  reich  mit 
Beute  beladen  den  Rückweg  über  die  Donau  antreten,  Ämilia- 
nus kam  um,  ehe  er  nach  Rom  gelangte.^)  Es  scheint^  dafs  die 
Provinz  Dakien  damals  den  Dienst  nicht  mehr  leisten  konnte,  den 
sie  der  Reichsverteidigung  thun  sollte.  An  ihr  vorbei,  wenn  nicht 
durch  sie  hindurch  zogen  ja  unter  Decius  die  Gothen,  verbreiteten 
sich,  ohne  im  Rücken  und  in  der  Flanke  von  dem  dakischen 
Gebirgsland  aus  gefährdet  zu  sein,  in  den  Niederungen  am 
schwarzen  Meer  und  drangen  über  die  Donau  nach  Thrakien 
und  Makedonien,  ja  bis  nach  Achaja  hinab.  Der  Erfolg,  welchen 
Ämilianus  gegen  die  Gothen  bis  in  ihr  eigenes  Land  hinein 
errungen  und  dem  er  die  Ehre  eines  ephemeren  Imperiums 
verdankt   hatte,    fiel   ungefähr  in  den  Anfang  d.  J.  253.')    In 


der  Gothen  in  dieser  Zeit  Pallmann,  Gesch.  derVölkerw.  1,49E  v.  Wieten- 
heim-Dahn  1,  194  fif.  Mommsen,  r.  G.  6,  217  f.  Über  die  Beseichnang 
Skythen  Dezippus  Cbron.  fragm.  16  Müller:  U^ivd^ai  ot  liyoftrSPOi  FoT^ot. 

1)  Nach  Zosim.  1,  23    wäre   die   Indolenz  des  Philippas   schuld  ge- 
wesen, dafs  die  Gothen  in  das  Reich  hereinkamen. 

2)  Zosim.  1,  23.    Zonar.  12,  20  f. 

3)  Zonar.  12,  21  a.  E.:   (Die  Soldaten   des  Amilian)  dnQooxtmg  hsl- 
&6vtss  T0C9  Srivd-utg  axtq  oXiycov  d7t6Kt£i.vav  anavTccg  nal  Xd(pv^a  i£  ixthf^f 

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—    537     — 

den  darauf  folgenden  ersten  Jahren  des  Valerianus  hört  man 
Ton  ihnen  an  der  unteren  Donau  nichts  mehr:  es  scheint,  dafs 
damals  ihre  Scharen  sich  vorzugsweise  an  den  Küsten  des 
schwarzen  Meeres  bemerklich  machten.*)  Dagegen  trat  an  der 
europäischen  Grenze  des  Reichs  nun  wieder  der  Ansturm  gegen 
den  Rhein  hervor,  und  dies  in  Verbindung  mit  dem  Einbruch 
der  Perser  in  Syrien  war  die  Veranlassung  dazu  gewesen,  dafs 
Valerianus  die  Kriegführung  und  damit  zusammenhängende  Ver- 
waltung zwischen  sich  und  seinem  Sohne  Gallienus  teilte. 

5.  Mit  dem  äufseren  Bestände  des  Reichs  hat  auf  den  ersten  nie  chrisicn  in 
Anschein  nichts  zu  thun  die  Frage  über  Verbreitung  und  Be-  nis  «um  Beich 
dentung  des  Christentums,  und  so  wie  die  Dinge  bis  in  den 
Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  hinein  lagen,  war  in  der  That 
die  Stellung  der  Christen  zum  römischen  Staat  nur  eine  unter- 
geordnete Frage  der  inneren  Verwaltung.  Mit  dem  Anfange  des 
dritten  Jahrhunderts  aber  wurde  aus  verschiedenen  Gründen  die 
Bedeutung  des  Christentums  für  das  Reich  eine  andere,  und  am 
Schlüsse  des  Zeitabschnittes,  in  dem  wir  stehen,  liegen  die  Dinge 
so,  dafs  römisches  Reich  und  Christentum  neben  einander  stehen 
wie  zwei  Mächte.*) 


nXsicta  awriyayov  triv  %(6(fav  naraSQafiovtss  tcvtmv.  Das  Datum  dieses 
Kampfes  bestimmt  sich  nach  dem  Kampf  zwiachen  Ämiliau  und  Valeirian 
und  dem  Regie mDgsantritt  des  letzteren,  d.  h.  nach  Ereignissen,  die  noch 
ins  J.  263  fallen  und  in  einer  gewissen  Zeitentfemnng  von  jenem  Erfolg 
des  Ämilian  sein  müssen. 

1}  Zonar.  12^  21:  Isyetai  rovtoiv  ftoiQciv  tivoc  diä  BoanoQOv  nagsl- 
9ovaav  %al  triv  ManoxiSa  Xifkvriv  vnsQßäaav  iicl  top  Ev^sivov  ysviad'ai 
nomnv  nal  %mQaq  nogdijaaL  noXXdg, 

2)  Die  innere  Geschichte  der  christlichen  Gemeinden  im  röm.  Reich 
gehört  der  Kirchengeschichte  oder  einer  allgemeinen  Geschichte  dieser 
Zeit  an.  Von  letzterem  Gesichtspunkt  aus  hat  Schiller,  Gesch.  d.  Kaiserz. 
1,  910  ff.  die  Organisation  von  Kirche  und  Gemeinde  eingehender  berück- 
sichtigt und  auch  die  neuere  Litteratur  darüber  angegeben.  Für  die  hier 
allein  in  Betracht  kommenden  Fragen,  welche  die  Stellung  der  Christen 
zum  Staat  betreffen,  ist  von  Neueren  auch  für  diese  Zeit  besonders  in- 
struktiv Aubä,  histoire  des  pere^cutions  de  T^glise  III  (1881).  IV  (1886). 
Hier  werden  die  kirchlichen  Quellen,  zumal  die  Acta  matyrum  mit  unbe- 
fangener Kritik  behandelt  und  an  den  sonstigen  Zeugnissen  wie  an  der 
Natur  der  Sache  geprüft.  Für  die  monumentalen  Zeugnisse,  welche  Rom 
bietet,  ist  das  Hauptwerk  de  Rossi,  La  Roma  sotteranea  cristiana  I— III. 
1864 — 1877;  nicht  nur  die  Abschnitte  über  die  Rechtsverhältnisse  und 
Administration  der  Begräbnisstätten  1,  101  ff.  3,  507  ff.  sind  darin  wichtig, 
sondern    auch   die  Auseinandersetzungen   gelegentlich   der  einzelnenJjrab-    ^ 

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-     538     - 

Das  Verhalten  der  Behörden  gegen  die  Christen  beruhte  zo 
nächst  noch  auf  den  von  Trajan  aufgestellten  Grundsätzen  (ob. 
S.  353 — 55):  wenn  die,  welche  den  christlichen  Religionsvor- 
schriften gemäfs  lebten,  sei  es  aus  Ursachen  von  Privatfeind 
Schaft  oder  durch  das  aufTällige  ihrer  Absonderung  von  allem, 
was  heidnischer  Brauch  war,  oder  weil  es  jemand  einfiel,  öffent- 
liche Kalamitäten  ihnen  schuld  zu  geben,  einzelne  Delatoren  oder 
ganze  Bevölkerungen  einer  Stadt  gegen  sich  aufgebracht  hatten, 
so  wurden  in  Rom  der  Stadtpräfekt,  in  den  Provinzen  die  Statt- 
halter gegen  sia  in  Anspruch  genommen,  ihr  Verhalten  auf  den 
Begriff  eines  in  der  Strafgesetzgebung  vorgesehenen  Verbrechens, 
Majestätsverbrechen,  Zauberei,  Religionsfrevel,  Zugehörigkeit  zu 
einem  unerlaubten  Verein,  gebracht  und  gerichtlich  verfolgt,  wo- 
bei die  für  ein  geordnetes  richterliches  Verfahren  geltenden  Vor- 
schriften stets  durch  die  Willkür  des  Polizeiverfahrens  und  die 
Gesichtspunkte  der  Fürsorge  für  die  allgemeine  Sicherheit  be- 
einträchtigt werden  konnten.  Es  ist  (ob.  S.  401  f.)  dargetiian 
worden,  wie  unter  M.  Aurel  auf  dieser  mehr  politischen  als 
rechtlichen  Grundlage  die  grausamste  Behandlung  der  Christen 
vorkam,  ohne  dafs  die  Zugehörigkeit  zu  einer  christlichen  Ge- 
meinde an  sich  direkt  als  ein  Verbrechen  erklärt  war.  Unter 
diesen  Verhältnissen  war  es  aber  auch  andrerseits  von  der  Per- 
sönlichkeit der  einzelnen  zuständigen  Beamten  und  des  in  letzter 
Instanz  entscheidenden  Kaisers  abhängig,  wie  weit  man  in  der 
Annahme  oder  Begünstigung  der  Delationen  auf  diesem  Grebiet 
gehen  wollte,  und  wenn  es  auch  wohl  vorkommen  konnte,  dab 
Richter  wider  Willen  Delationen  annehmen  mufsten,  weil  das 
Verfahren  dies  vorschrieb,  so  war  doch  die  Art  der  Behandlung 
der  einzelnen  Fälle  und  das  ganze  Verhalten  des  mafsgebenden 
Beamten  von  grofserii  Einflufs.  Dabei  kamen  vorzugsweise  in 
Betracht  die  Provinzen  Asien,  Afrika,  Syrien  und  Ägypten,  und 
dies  war  im  ganzen  günstig;  denn  die  zwei  ersten  Provinzen 
standen  unter  Männern,  die  zu  den  erfahrensten  in  der  Verwal- 


Stätten,  sowie  die  Untersuchungen  über  die  Quellen.  Der  ungemeine  Scharf- 
sinn des  Archäologen  und  QueUenforschers  ist  aber  öfters  im  Dienst  einer 
Tradition,  welche  vor  historischer  Prüfung  nicht  bestehen  kann,  hi  der 
Litteratur  der  Christen  schon  des  4.  Jahrh.  hat  die  Sucht,  eine  Summe 
von  Verfolgungen  herauszurechnen,  die  Geschichte  der  Martyrien  benn- 
stellen,  andererseits  -die  christliche  Welt  möglichst  frühe  als  eine  Macht 
erscheinen  zu  lassen,  die  Wahrheit  getrübt.  ^^  , 

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—    539     — 

tang  gehorten  und  darum  auch  mehr  zur  MäCsigung  angelegt 
waren,  in  den  zwei  andern  war  man  aus  Grdnden  der  Vorsicht 
von  jeher  gewohnt,  die  religiösen  Fragen  schonend  anzufassen. 
In  Rom  selbst  trugen  die  Verhältnisse  der  Grofsstadt  dazu  bei, 
daifl  die  Christen  in  der  Verborgenheit  bleiben,  unter  Besitz- 
titeln von  Privaten  ihre  Begräbnisstätten  haben  und  in  Privat- 
häusern unbehelligt  ihren  Kult  üben  konnten.  Unmittelbar  nach 
dem  wenig  günstigen  Verhalten  M.  Aureis  ferner  war  die  Re- 
gierung eines  Kaisers  gekommen,  der,  persönlich  gegen  diese 
Dinge  gleichgültig,  durch  zufällige  Verhältnisse,  d.  h.  den  Um- 
stand, dafs  er  unter  dem  Einflufs  einer  Christin  stand,  von  un- 
günstigen Entscheidungen  gegen  Christen  abgehalten  worden  war 
und  wenigstens  durch  sein  Verhalten  in  einzelnen  Fällen  auf  die 
Praxis  auch  der  untergeordneten  Behörden  eingewirkt  hatte.  ^) 
Unter  diesen  im  allgemeinen  günstigen  Verhältnissen  war  nun  aber 
das  Christentum  fortwährend  erstarkt,  am  meisten  neben  Rom 
immer  noch  in  den  orientalischen  Provinzen  und  in  Afrika,  hier 
wohl  vorzugsweise  unter  der  semitischen  Bevölkerung;  doch 
zeugten  ja  die  Vorgänge  in  Lugudunum  bereits  von  bedeutender 
Verbreitung  auch  in  Gallien,  dem  wichtigsten  Provinzialgebiet 
des  Occidents.  Namentlich  aber  waren  die  Gemeinden  in  ihrer 
Organisation,  sowohl  der  einzelnen  für  sich  als  des  Zusammen- 
hangs durch  das  Reich  hindurch  erstarkt:  stand  man  doch  be- 
reits in  der  Ausbildung  der  Hierarchie  und  der  Synoden,  und 
hatte  an  dem  Besitz  des  für  die  Begräbnisstätten  erforderlichen 
Grundeigentums  und  der  Mittel,  welche  für  die  gegenseitige 
Handreichung  gesammelt  wurden,  ein  Gemeinschaftsvermögen, 
das  als  solches  g^lt,  auch  wenn  dafür  noch  kein  Rechtstitel 
nach  aufsen  für  die  Gemeinde  gewonnen  war.  Allein  all  dies, 
Zahl  und  innere  Bedeutung,  war  nicht  zu  kontrollieren,  so  lange 
die  Christen  zu  der  nichtoffiziellen  Welt  gehörten,  so  lange  sie 
weder  in  den  beiden  höheren  Reichsständen  und  damit  in  der 
Reichsverwaltung,  noch  im  Heere  und  unter  den  munizipalen 
Honoratioren  vertreten  wareu.  Ein  solcher  Ausschlufs  gab  sich 
von   selbst,   so   lange   die   christliche   Lehre   sich   eben   an   die 

1)  Dio  72,  4:  MctQ%Ca  —  laxoQBitai  noXXd  xb  vnfQ  tmv  XQiatucvav 
onovdaeai  %al  noXXa  ccvzovg  ivfiQystrjuivcct  ats  xal  naga  tm  Kofifiodat  nap 
Svvcefisvfi.  Marcia  hatte  früher  zum  Haushalt  des  gelegentlich  der  Ver- 
schwöruDg  der  Lucilla  hingerichteteD  Quadratus  (vit.  Comm.  4,  ob.  S.  403 
A.  3)  gehört  und  war  danu  iu  den  des  Kaisers  übergegangen. 

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-     540     - 

niedrigen  und  peregrinen  Klassen  wandte  nnd  von  diesen  aofge- 
nommen  wurde;  er  trat  aber  allmählich  prinzipiell  ein,  als  solche 
Kreise  in  die  christliche  Gemeinde  hereingezogen  wurden,  welche 
für  das  öflfentliche  Leben  leistungsfähig  waren,  freiwillig  oder 
gezwungen  demselben  näher  treten  sollten  und  dies  nun  nicht 
thaten.  Als  der  Heide  Celsus  in  der  zweiten  Hälfte  des  zweiten 
Jahrhunderts  gegen  die  Christen  schrieb,  konnte  er  sie  noch  als 
eine  numerisch  und  politisch  unbedeutende  Herde  hinstellen,  mit 
der  man  leicht  vollends  fertig  würde*),  weil  sie  eben  unter  der 
Menge  der  nichtoffiziellen  Bevölkerung  nicht  auffielen,  wenn  man 
ihnen  nicht  nachging,  und  doch  findet  auch  er  schon  notig,  ihnen 
die  Forderung  entgegenzuhalten,  dafs  sie  sich  den  Anforderungen 
des  öffentlichen  Lebens  nicht  entziehen  sollten.^)  Kurz  darauf 
spricht  Tertullian  an  zahlreichen  Stellen  von  der  grofsen  Menge 
der  Christen,  die  in  allen  Klassen  der  Bevölkerung  sieb  vor- 
fanden, mit  rhetorischer  Übertreibung'),  aber  doch  nicht  ohne 
jegliche  Berechtigung,  und  er  hat  sich  sehr  ernstlich  mit  der 
Frage  zu  beschäftigen,  wie  man  sich  zu  den  Anforderungen  der 
Idololatrie  im  öffentlichen  Leben  zu  verhalten  habe.*)  Der  an- 
schwellende Strom  des  christlichen  Lebens  schlug  nun  überall 
an  den  Gestaden  der  politischen  Welt  an,  innerhalb  deren  es 
sich  bewegte,  um  so  mehr,  seit  die  Zuflüsse  aus  den  östlichen 
Provinzen  auch  in  die  zwei  höchsten  Stände  kamen.  Indessen,  was 
auch  Tertullian^)  hierüber  sagen  und  was  man  aus  Namen  und 
Formeln  monumentaler  Zeugnisse  herausdeuten  mag,  an  eine  er- 
hebliche Verbreitung  solcher,   die  sich  förmlich  und  offen   zum 

1)  Orig.  contr.  Geis.  8,  69:  vfimv  %av  nXavatai  ttg  ixi  lav^dvcav  alXa. 
iritettat  ngog  d'avdzov  dUriv. 

2)  Ebendae.  c.  73:  n^otginstai  ijiiag  6  KiXcog  aQtjyeiv  tc5  ßaüiUi 
Ttavtl  a^ivBi  xal  aviinovsCv  avrm  tcc  dUaia  %al  vnBQficcxsiv  avxov  %a\ 
avatQatsvHv  avvtp  av  insiyy  xcrl  avctQatrjysiv. 

3)  Am  stäi'ksten  Apologet  37:  hesterni  sumus  et  vcstra  omnia  impU- 
vimw,  urbes,  instüaSf  ccistella,  municipia,  conciliabula,  castra  ipsa,  tribus, 
decwrias,  pdlatium^  senatum^  forum  etc. 

4)  Vgl.  die  Schrift  dt  idololatria,  welche  den  Christen  belehren  will, 
von  welchen  Gewerben  nnd  Bernfsarten  er  fern  bleiben  müsse,  um  nicht 
der  Gefahr  der  Idololatrie  zu  verfallen. 

5)  Ob.  A.  8  nnd  ad  Scapulam  A:  sed  et  clarissiniiis  feminas  et  clarissi- 
mo8  viros  Sevenis  sciens  huius  sectae  esse  non  modo  tton  Utesü,  verum  et 
testimonio  exomavä  et  populo  fwrenii  in  nos  palam  restitit.  Unter  dar.  fem. 
nnd  cl.  viri  können  nur  Angehörige  des  römischen  Senats,  nicht  etwa  der 
karthagischen  Honoratiorenkreise  gemeint  sein.  ^^ 

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-     541     - 

Christentum  bekannten,  in  Ritterschaft  und  Senat  ist  nicht  zu 
denken.  Sympathieen  mögen  bestanden  haben,  und  die  Christen 
wafsten  sie  wohl  zu  nützen,  aber  ein  offenes  Bekenntnis  war 
kanm  möglich  ohne  fortwährende  offene  Kollision  mit  der  Staats- 
religion. Wohl  standen  auch  die  Freidenker  den  religiösen  Cere- 
monien,  welche  den  Staatsdienst  begleiteten,  geistig  ferne,  und 
es  mochte  solche  geben,  die  sich  äufserlich  daran  möglichst  wenig 
beteiligten^);  allein  im  allgemeinen  kostete  es  den  philosophisch 
frei  denkenden  nicht  die  geringste  Überwindung,  die  absurdesten 
Formen  offiziellen  Gottesdienstes  mitzumachen.  Eher  mag  es 
möglich  gewesen  sein,  christliches  Bekenntnis  mit  einer  Stellung 
am  Hofe  zu  verbinden,  und  dafs  im  kaiserlichen  Hofhalt  Christen 
sich  gefunden,  wird  wohl  nicht  ohne  Berechtigung  unter  ver- 
schiedenen Regierungen  behauptet.  Die  Art  der  Dienstleistung 
am  Hofe  brachte  die  Möglichkeit  mit  sich,  bald  in  der  Form 
des  stummen  Gehorsams  seine  Gefühle  zurückzudrängen,  bald 
wieder  sie  in  mancherlei  Weise  in  den  persönlichen  Beziehungen 
des  Gesindes  zu  den  Herrn  geltend  zu  machen  und  für  die 
Glaubensgenossen  zu  verwerten.  Bei  allen  hierher  gehörigen 
Angaben  jedoch  ist  stets  zu  bedenken,  dafs,  wenn  die  Christen 
einen  Severus  Alexander  und  eine  Julia  Mammäa  zu  den  ihrigen 
rechneten,  sie  auch  bei  der  Annahme  der  Zugehörigkeit  her- 
vorragender Persönlichkeiten  in  Senat  und  Beamtenschaft  mit 
wenigem  zufrieden  waren.  Vom  Heere  sich  fernzuhalten,  war 
bei  der  Art,  wie  die  Legionen  und  Hilfstruppen  sich  rekrutierten, 
nicht  schwer;  immerhin  fanden  sich  Christen  im  militärischen 
Dienst*),  und  wiederum  würde  die  Rekrutierung  in  den  östlichen 
Provinzen  und  in  Afrika  am  ehesten  solche  hereingeführt  haben. 
Indessen  eifrige  und  überzeugte  Christen  konnten  in  diesem  Dienst 
nicht  bleiben,  wie  eben  der  Fall  jenes  Soldaten  in  der  Schrift 

1)  Apologet.  46:  Eadem,  inguit,  et  philosophi  monent  et  profUentur, 
innocentiam,  iustiiiam,  patientiam,  söbrietatem^  pudicitiam.  Cur  ergo  quibus 
comparamur  de  disciplina  proinde  Ulis  non  adaequamur  ad  Ixcentiam  impunt' 
taiemque  disciplinM?  vel  cur  et  Uli  ut  pares  nostri  non  urgentur  ad  officia 
quae  no8  non  obeuntes  periclitamur?  Quis  enim  phüosophum  sacrificare  aut 
deierare  aut  lucernas  meridie  vanas  prostituere  compeUit?  etc. 

2)  Vgl.  die  Schrift  Tertullians  de  Corona  militiSy  die  veranlafst  ist  dnrch 
das  Martyrium  eines  christlicheu  Soldaten^  der  bei  der  Austeilung  eines 
kaiserlichen  Geschenkes  an  die  Truppen  den  Kranz  nicht  aufsetzt:  tnagis  dei 
mxleSy  ceteris  constantior  fratribus,  qui  se  duobus  dominis  servire  posse 
praesumpserantf  aolus  libero  capite,  coronamento  in  manu  otioso  (c.  1^4nit.).    j 

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-     542     — 

Tertullians    de    Corona    militis   zeigt,    während    solche^    wdche 
das    Christentum    von    ihren    Eltern    überkommen    hatten    und 
nur    deshalb    weiter   führten,    es    bei   einem    freieren    Anschluß 
an  eine  christliehe  Gemeinde  beliefsen,  und  mit  ihrem  Gewissen 
sich    zurecht   fanden,    indem   auch    sie    bei    dem    stummen    Cre- 
horsam    blieben    oder   die    Lässigkeit    der    Disziplin    benützten, 
welche  besonders  in  den  orientalischen  Legionen  bezeugt  wird. 
Im   Ganzen    ist   schwerlich   im   Heere   das  Christentum    in    der 
ersten  Hälfte  des  dritten  Jahrhunderts  erheblicher  vertreten  ge- 
wesen, und  gerade  diese  Fernhaltung  mochte  energische  Kaiser 
mit  dazu  veranlassen,  Gegenmafsregeln  zu  treffen.     Am  meistai 
kam  der  Gemeindedienst  in  Dekurionat  und  Gemeindeämtern  in 
Betracht.     So  lange  um  diese  Stellungen  ein  Wetteifer  der  Be- 
werbung stattfand,   war   es  im  Belieben  der  Christen    gelegen, 
ferne  zu   bleiben,   und   auch  auf  diesem  Gebiete  wird  die   neue 
Religion  nur  langsam  in   diejenigen  Klassen   eingedrungen  sein, 
welche  Geburt  und  Vermögen  zu  der  Bekleidung  jener  Stellen 
befähigte.     Je  mehr  aber  einerseits  das  Christentum  sich   nach 
den    oberen    Schichten    der   Bevölkerung    hin    ausbreitete,    und 
andrerseits   die   Gemeindeämter   den    Charakter   der   öffentlichen 
Last  annahmen,  zu  der  man  mit  Zwang  herangezogen  wird,  um 
so  weniger  konnten  sich  die  Christen  auf  die  Dauer  entziehen, 
zumal,   nachdem  die  Erteilung  des  Bürgerrechts  an  alle  Unier- 
thanen  des  Reichs  durch  Caracalla  diejenigen  Motive  der  Fem- 
haltung   beseitigt   hatte,   welche   in   dem   peregrinen   Charakter 
lagen.    Die  Eiferer  unter  den  Gläubigen  nun,  wie  ein  Tertulliao, 
kennen  nur  eine  Lösung:    der  Christ  hält  sich  vom  öffentlichen 
Dienst,  so  weit  er  irgend  mit  Idololatrie  verbunden  ist,  ebenso 
fern  wie  von  aller  privaten  Hantierung,  welche  den  Götzen  dient; 
ist  er  durch  irgend  welche  umstände  freiwillig  oder  durch  Zwang 
in  öffentliche  Dienstverhältnisse  gekommen  und  es  ergiebt  sich 
Konflikt  zwischen  dem  Bekenntnis   und  der  weltlichen  Obliegen- 
heit,  so  nimmt  er  den  Konflikt  auf  sich   und  duldet,   was  sich 
ergiebt^)     Aber   mit   der   Zunahme    der   Gläubigen   schwächen 


1)  Aufeer  Tertullian  (de  idolol.  u.  sonst)  spricht  sich  auch  Origenes 
c.  Geis.  8,  78 ff.  (ob.  S.  640  A.  2)  dahin  aus,  dafs  die  Christen  sieh  von 
Heer  und  Verwaltnng  fern  halten  and  damit  begnügen  müfiiteD,  filr  die 
Kaiser  zu  beten  und  gute  Bürger  für  das  Vaterland  sn  erziehen.  Das 
Verdienst  ihres  Gebets  für  die  Kaiser  wird  häufig  bei  den  christliehen 
Schriftstellern  hervorgehoben,  vgl.  auch  unt.  S.  649  A./^^^^!^ 

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—     543    — 

sich  auch  in  weiteren  Kreisen  die  Gegensätze  ab.  Die  Eiferer 
werden  immermehr  die  Minderheit:  selbst  wo  man  im  allgemeinen 
die  Pflicht  annimmt,  wenn  gegenüber  von  Delationen  öffentliches 
Bekenntnis  erforderlich  ist,  treu  zu  bleiben  und  das  Märtyrer- 
tum  zu  übernehmen,  lehrt  man  doch  die  Enthaltung  ?on  Pro?o- 
kationen  und  die  Dienstleistung  für  den  Staat,  soweit  irgend 
thunlich^),  und  die  Eiferer  selbst  nehmen  keinen  Anstand,  wenn 
es  für  ihre  apologetischen  Zwecke  pafst,  mit  Stolz  auf  die  Se- 
natoren, Beamten,  Krieger  u.  s.  w.  hinzuweisen,  welche  Christen 
seien,  während  sie  dies  doch  nur  mit  vielen  Konzessionen  sein 
konnten. 

Der  Staat  seinerseits  geht  auch  jetzt  selbst  bei  dem  einzig 
imponierenden  Herrscher,  den  diese  Zeit  kennt,  bei  Septimius 
Severus,  kaum  über  die  bisher  eingehaltene  Grenze  der  Reaktion 
hinaus.  Die  Prozesse  gegen  Christen,  welche  uns  durch  Ter- 
tallian  als  unter  Septimius  Severus  fallend  bezeugt  sind,  gehören 
zu  den  schon  besprochenen  Fällen  der  statthalterlichen  Juris- 
diktion, denen  ein  allgemeiner  und  neuer  Charakter  nicht  zu- 
kommt. Dagegen  hat  dieser  Kaiser  allerdings  —  ohne  Zweifel 
bei  der  Revision  der  orientalischen  Provinzen,  wegen  deren  er 
sich  nach  dem  zweiten  parthischen  Feldzug  im  Osten  aufhielt,  — 
in  Palästina  Juden  und  Christen  die  Propaganda  verboten^),  aber 
auch  nur  diese,  und  mochte  auch  dieses  Verbot,  dessen  Wort- 
laut wir  nicht  kennen,  wenn  auch  durch  lokale  und  zufällige 
Verhältnisse  veranlafst,  doch  für  das  ganze  Reich  gälten,  so 
sehen  wir  doch  keine  spezielle  Anwendung  davon  gemacht,  und 
doch  konnte  es,  wenn  man  davon  Gebrauch  machen  wollte,  zu 
anzähligen  Delationen  Veranlassung  geben.  Allerdings  war  es 
mit  der  christlichen  Propaganda  eine  andere  Sache  als  mit  der 
jüdischen:  mit  dem  Verbot  der  ersteren  konnte  man  hoffen,  das 
Christentum  selbst  zu  treffen,  da  es  nicht  an  einer  Nationalität 
und  damit  an  nationaler  Fortpflanzung  hing,  sondern  an  der  je- 
weiligen Generation;    denn   mochten   noch   so  viele  von  Geburt 


1)  Tert.  de  Corona  mil.  1:  exinde  sententiae  super  ülo  nescio  an 
Christianorum,  non  enim  cUiae  Ethnicorum^  ut  de  (ibmpto  et  praecipiti  et 
mori  cupido,  qui  de  hMtu  interrogatus  nomini  negotium  fecerit,  solus  scilicet 
foriis  inter  tot  frcUres  c(mmilitone8t  solus  CJmstianus;  ~  tnussitant  denique, 
tcun  iKmam  et  longam  sibi  pokern  periditari, 

2)  Vit.  Sev.  17,  1:  In  Uinere  Palaestinis  plurima  iura  fundavit; 
Judaeos  fieri  sub  gravi  poena  vetuit;  idem  etiam  de  Christianis  sanxit 

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-     544    — 

her  sich  zum  Christentum  bekennen^  es  war  doch  in  ganz  an- 
derer Weise  in  jedes  einzelnen  Belieben  gestellt,  ob  er  Chriai 
sein  und  bleiben  wollte  oder  nicht,  eine  Tradition  von  ritus 
patrii  erkannte  der  Staat  jedenfalls  hier  nicht  an.*)  Aber,  wie 
gesagt,  es  läCst  sich  nicht  nachweisen,  dats  von  dem  Dekret  des 
Kaisers  irgend  ein  allgemeinerer  Gebrauch  gegen  das  Christen- 
tum gemacht  worden  wäre.  Wohl  aber  läfst  sich  die  vom 
Judentum  geschiedene  Stellung  des  Christentums  unter  dieser 
Regierung  an  einem  andern  Beispiel  deutlich  erkennen.  Eine 
Verordnung  des  Severus  läfst  dieselben  Juden,  denen  die  Propa- 
ganda verboten  ist,  zu  den  Ehrenämtern  der  Gemeinden  und 
natürlich  deren  Lasten  zu,  aber  mit  Schonung  ihrer  Religion.') 
Es  zeigt  sich  darin  recht  klar,  dafs  man  die  wohlhabenden 
Juden  zu  den  Gemeindelasten  heranziehen  wollte  und  deshalb 
ihnen,  da  freiwilliges  Erbieten  dazu  denn  doch  seinen  Wert 
hatte,  jene  Konzession  machte.  Dagegen  für  die  Christen  giebt 
es  keine  derartige  Verordnung.  Soweit  der  Staat  sie  zwangs- 
weise für  öffentliche  Leistungen  in  Anspruch  nehmen  kann,  ge- 
schieht es;  aber  in  diesem  Fall  giebt  es  so  wenig  wie  bei  frei- 
willigem Erbieten  eine  staatliche  Konzession  an  religiöse  Ge- 
wissensbedenken; denn  solche,  als  nicht  national  begründet,  werden 
nicht  anerkannt.  Caracalla  scheint  das  Christentum  gar  nicht  be- 
achtet zu  haben;  das  Verhalten  eines  Elagabal^)  und  Alexander*) 
aber  konnte  den  Christen  natürlich  nicht  anders  als  in  hohem  Grade 
förderlich  sein;  verbot  es  sich  doch  von  selbst,  die  Religion  zn  ver- 
folgen, für  deren  Lehrsätze  die  Kaiser  selbst  Interesse  bezeugten 
(ob.  S.  490  A.  1;  494  A.  1)  und  deren  Stifter  in  der  kaiser- 
lichen Hauskapelle  Gegenstand  der  Verehrung  war.   Jetzt  werden 


1)  Es  ist  auch  bemerkenswert,  wie  wenig  bei  den  Christen  selbst  von 
altchristlichen  Familien,  ererbtem  Glauben  n.  dgl.  die  Bede  ist;  fiunt,  non 
nascuntur  Christiani,  sagt  Tertull.  apol.  18.  Und  doch  mufs  bei  dem  An- 
wachsen der  Zahl  die  Fortpflanzung  in  Familien  durch  Generationen  hin- 
durch ihre  Rolle  gespielt  haben. 

2)  Dig.  60,  2,  3,  3:  Eis  qui  Judaicam  superstUionem  seguuniur^  divi 
8even48  et  Äntonintis  honores  adipisci  permisenmt^  sed  et  necesgitates  eis 
imposuerunty  gt*t  superstitiones  earum  non  laederent, 

3)  Vit.  Heliog.  3,  6:  dicebat  Jadaeorum  et  Samaritanarum  rdigumes 
et  Christianam  devotionem  iUtic  (in  templum  Heliogabalt)  transferendmn^  ut 
omnium  ctUturarum  secretum  Heliogahdli  sacerdotium  teneret. 

4)  Vit  Alex.  22,  5:  Judaeis  privüegia  reservavit;  Christianos  esse 
passm  est. 

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die  Christen  auch  ihrerseits  immer  mehr  ihre  Zurückhaltung 
namentlich  im  munizipalen  Leben  aufgegeben  haben  und  wiederum^ 
wo  sie  zu  staatlichen  Leistungen  herangezogen  wurden ,  mit 
einiger  Bücksicht  auf  ihre  religiösen  Überzeugungen  behandelt 
worden  sein.  Es  ist  auch  möglich,  dafs  sie  jetzt  offen  als  col- 
legia  licita  auftraten,  unter  diesem  Rechtstitel  anerkannt  sein 
wollten  und  von  Alexander  anerkannt  wurden.^)  Man  darf  in 
dieser  Beziehung  nicht  übersehen,  dafs  diese  Zeit  überhaupt,  zu- 
mal unter  dem  hellenistischen  und  orientalischen  Einflufs,  der 
mit  den  syrischen  Kaisern  sich  geltend  machte^  für  die  religiösen 
und  philosophischen  Fragen  mehr  Sinn  hatte  als  jede  frühere 
Periode,  was  dann  der  Toleranz  wie  der  christlichen  Propaganda 
auch  unter  den  Gebildeten  zu  gute  kommen  mufste.  Aber  mit 
Severus  Alexanders  Tode  trat  eine  scharfe  Wendung  ein.  Kaiser 
Maximinus,  mit  soldatischer  Anhänglichkeit  den  Göttern  zuge- 
than,  welche  dem  römischen  Heere  den  Sieg  verbürgen  sollten, 
vielleicht  auch  den  Christen  feind  wegen  ihres  Verhaltens  gegen- 
über dem  Heeresdienst,  fand  zuerst,  dafs  die  Gefahr,  welche  dem 
ßeich  von  den  Christen  drohte,  in  ihrer  Gemeindeorganisation 
liege  und  erklärte  dieser  den  Krieg,  indem  er  die  Verfolgung 
der  Priester  und  Kleriker  anordnete.^)    Es  war  dies  an  sich  ein 

1)  De  Rossi  a.  a.  0.  1,  105.  3,  507  fP.  vermutet,  gestützt  namentlich 
auf  die  Entscheidung  zu  Gunsten  der  Christen  in  ihrem  Prozefs  mit  den 
papinarü  über  einen  locus  publicus  (vit.  Alex.  49,  6),  Alexander,  der  auch 
sonst  für  die  Ausbildung  des  EoUegienwesens  sich  interessierte  (ob.  S.  498  A.  4), 
habe  den  Christen,  die  bisher  nur  im  Notfall  die  Berufung  auf  die  Rechte 
der  Kollegien  angerufen  und  sich  im  übrigen  meist  mit  der  Anwendung 
des  Rechts  von  einzelnen  Privaten  begnügt,  zu  diesem  offenen  Verhält- 
nis verholfen;  doch  hätten  die  Christen  die  Bezeichnung  collegium  ver- 
schmäht und  sich  als  frcUres,  sodäles  fraires,  eccUsia  fratrum,  fratern^as 
bezeichnet.  Allerdings  heifst  es  von  dem  ersten  Minister  Alexanders,  ülpian, 
bei  Lactant.  divin.  instit.  5,  11:  Constüutiones  sacrilegae  et  disputationes 
turisperitorum  leguntur  iniustae;  Domitius  de  officio  proconsuHis  libro  septimo 
rescripta  principum  nefaria  coUegit,  ut  doceret  ^ibas  poenis  affici  oportei'et 
eo8  qui  se  cultores  Bei  profiterentur ;  aber  es  liegt  hier  eben  ein  Fall  vor, 
in  welchem  der  juristische  Ratgeber  im  Zwiespalt  ist  mit  der  Romantik 
des  Herrschers,  die  letztere  aber  entscheidet. 

2)  Euseb.  hist.  eccl.  6,  28:  {Mcc^i^vog  Kataag)  Hoctä  %6tov  xov  ngog 
xov  'AXi^dvSQov  olnov  i%  nleiavcov  ntazmv  avvsatoira  dKoyfiov  iye^Qag  tovg 
tmv  innlriinav  aQxovtas  (t^ovovg  mg  alzlovg  xr^g  %axa  x6  BvayyiXiov  didac- 
nuXiag  dvatQSia^ai  TtQogxaxxsi,  Ebenso  Snlpic.  Sev.  chron.  3,  32:  Maxi- 
minus tum  nuilos  ecclesiarum  clericos  vexavü.  Oros.  7,  19:  persecutionem  in 
sacerdates  et  clericos  id  est  doctares  —  miserat 


Herzog,  d.  rOm.  Staatsverf.  n.  1. 


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-     546     - 

leicht  begreiflicher  Gedanke,  aber  in  seinen  rechtlichen  und  that- 
sächlichen  Konsequenzen  war  er  vollständig  unklar.  Die  von 
der  Verfolgung  betroffenen  wurden  wohl  angeklagt  nicht  etwa 
als  Vorstände  von  unerlaubten  Vereinen:  —  wenn  Alexander 
ihnen  das  Vereinsrecht  bewilligt  hatte,  so  konnten  sie  dies  auch 
gar  nicht  —  sondern  als  Christen,  und  insofern  wurde  hier  ohne 
Zweifel  zum  ersten  Mal  nicht  unter  irgend  einem  andern  Reat, 
sondern  unter  dem  des  Christentums  der  Prozefs  gemacht,  allein 
dann  war  die  rechtliche  Konsequenz,  nicht  blofs  Priester  und 
Gemeindevertretung  zu  treffen,  sondern  jeden,  der  sich  zu  dieser 
Religion  bekannte,  und  es  war  nur  ein  Akt  der  Politik,  daüs 
man  die  hervorragenden  Spitzen  angriff;  diese  mochten  allerdings 
gerade  in  der  letzten  Zeit  mit  der  ihnen  gegebenen  Freiheit 
recht  auffällig  hervorgetreten  sein.  Wenn  man  aber  sich  hier- 
auf beschränkte,  was  war  damit  gewonnen  angesichts  des  üm- 
standes,  dafs  die  Christen  in  manchen  Provinzen  bereits  als 
Masse  in  der  Bevölkerung  auftraten  und  der  Ersatz  der  von 
der  Verfolgung  betroffenen  Häupter  unschwer  zu  erzielen  war? 
Indes  nicht  einmal  die  Verfolgung  der  Kleriker  wurde  konse- 
quent ausgeführt,  sondern  nur  vereinzelt.  Nicht  nur  hing  die 
Ausführung  mit  der  Auktorität  zusammen,  die  Maximinus  in  den 
einzelnen  Provinzen  hatte,  sondern  es  war  auch  seine  ganze 
Regierung  von  so  kurzer  Dauer,  dafs  eine  irgend  umfassendere 
Anwendung  des  gegen  die  Christen  gerichteten  Aktes  nicht  an- 
zunehmen ist.  Die  auf  ihn  folgende  Regierung  erkannte  seine 
Akte  nicht  an,  und  dafs  sie  selbst  von  sich  aus  die  Christen 
feindlich  behandelt  hätte,  wird  nicht  berichtet^)  Auf  GordianUI. 
folgte  der  Kaiser,  der  wie  oben  (S.  517  A.  1)  schon  dargelegt,  wohl 
nicht  ganz  mit  Unrecht  von  den  Christen  als  ihnen  zugehörig 
in  Anspruch  genommen  wird,  wenn  auch  die  christliche  Tra- 
dition das  Mafs  von  Thatsächlichem,  das  hier  vorlag,  wieder  über 
die  geschichtliche  Wahrheit  hinaus  gesteigert  hat.     Dafs  unter 


1)  Nach  dem  Über  pontifiealis  wäre  der  römische  Bischof  Anteros 
durch  einen  Präfekten  Maximus  zum  Martyrium  gebracht  worden.  Wie  es 
flieh  auch  mit  diesem  Martyrium  verhalten  mag,  (vgl.  Aabä  8  p.  435  f.),'  so 
ist  einmal  nicht  sicher,  ob  Maximns  identisch  mit  Pupienns  Maximns  war, 
nnd  wenn  er  es  war,  ist  ans  der  JurisdiktioD  des  Stadtpräfekten  nicht  auf 
die  Politik  des  nachherigen  Kaisers  zu  schliefsen,  abgesehen  davon,  dafs 
die  kurze  Frist  dieses  Imperiums  durch  ganz  andere  Sorgen  in  Anspruch 
genommen  war.  ^  . 

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-     547    — 

diesem  Kaiser  offizielle  Toleranz  herrschte^  wird  durch  nichts 
widerlegt;  der  einzige  ernstliche  Feind  war  die  heidnische  Be- 
völkerung in  Städten  wie  Alexandria  ^);  natürlich  ging  aber  da- 
neben her  und  wurde  durch  das  Beispiel  des  Kaisers  Philippus 
selbst  empfohlen  und  gefördert  die  Accommodation  an  die  offi- 
ziellen Formen^  und  ^ie  Laxheit  in  der  Auffassung  der  sittlichen 
Anforderungen.  Daneben  aber  gewann  namentlich  die  kirchliche 
Organisation,  der  eben  erst  der  Krieg  erklärt  worden  war,  und 
die  nun  immer  mehr  im  Tageslicht  handelt  und  selbstbewufst 
nach  innen  und  aufsen  auftritt.  Um  diese  Zeit  sind  in  zahl- 
reichen Städten  schon  neben  den  christlichen  Begräbnisstätten 
Gebäude  fQr  den  Gottesdienst  anzunehmen,  die  als  Eigentum  der 
Christengemeinden  anerkannt  wurden.  Wenn  der  Bechtstitel, 
unter  dem  dieses  Eigentum  lief,  der  des  Eigentums  von  Kollegien 
war,  so  fand  sich  hier  auch  noch,  was  allen  anderen  Kollegien 
versagt  war,  der  Zusammenhang  unter  einander,  und  zwar  durch 
das  ganze  Reich  hindurch  teils  zu  gegenseitiger  Unterstützung, 
teils  bereits  mit  der  Tendenz  nicht  blofs  provinzialer  Organi- 
sation, sondern  auch  einer  Leitung  mit  einheitlicher  Auktorität. 
Dies  waren  die  Zustände,  welche  derjenige  antraf,  der  den  Phi- 
lippus stürzte,  imd  nachdem  ihn  die  Kurzsichtigkeit  des  Philippus 
selbst  und  die  natürliche  Konsequenz  der  Thatsachen  zum  Im- 
perium gedrängt,  mit  dem  Willen,  ein  kräftiges  Regiment  nach 
innen  und  aufsen  zu  führen,  die  Reichsregierung  in  die  Hand 
nahm.  Zu  den  ersten  Mafsregeln  von  Decius  nun  gehörte 
ein  Edikt  gegen  die  Christen,  durch  welches  die  Gemeinden  im 
ganzen  Reich  an  Haupt  und  Gliedern  getrofifen  werden  sollten. 
Wir  haben  den  Inhalt  des  Edikts  nicht  mehr  authentisch  über- 
liefert^); allein  aus  seiner  Anwendung  ist  zu  ersehen,  dafs  es 
wie  das  des  Maximinus  in  erster  Linie  ebenfalls  gerichtet  wurde 

1)  Vgl.  die  ErzähloDg  des  BischofB  Dionysius  von  Alexandria  über 
die  dortige  Christenhetze  ein  Jahr  vor  dem  Edikt  des  Decius,  also  im  letzten 
Regiemngsjahr  des  Philippns.    Euseb.  bist.  eccl.  6,  41. 

2)  Aus  heidnisclien  Quellen  wissen  wir  über  die  Verfolgung  des  Decius 
nichts,  so  wenig  wie  über  die  des  Maximinus;  die  in  christlicher  Zeit 
schreibenden  Heiden  fanden  es  nicht  geeignet,  über  diese  Vorgänge  sich 
zu  äulsem.  Euseb.  6^  39  ff.  Zonar.  12,  20.  Oros.  7,  21  und  die  christ- 
lichen Quellen  überhaupt  reden  davon.  Cyprian  hatte  dÄunter  zu  leiden, 
allein  den  Wortlaut  der  Verordnung  erfahren  wir  von  ihm  nicht.  Das 
Martyrium    des  hervorragendsten  und  zugleich  wohl  frühesten  Opfers,   des 

Bischofs  Flavianus  von  Rom  ist  auf  den  20.  Jan.  250  datiert  Aub^  4h).  40.    | 

35*     dbyV^OOgle 


—    548     - 

gegen  die  Spitzen  der  Gemeinden  in  Rom  und  in  den  Provinzen, 
aber  keineswegs  auf  diese    beschränkt  sein  sollte,   sondern  auf 
Delationen  hin  oder  durch  inquisitorisches  Verfahren  gegen  jeden 
einzelnen  gerichtet  werden  konnte.     Es  lag  nur  in  der  Art  der 
Ausführung,  dafs  man  die  Führer  vor  allem  trefiFen  wollte^  weil 
man  hoffte,  die  Menge  durch  das  Loos  derselben  zu  schrecken 
oder    durch    ihren    eventuellen    Abfall    ebenfalls    abwendig    zu 
machen   oder,   wenn    sie  führerlos  wäre,   leichter  zur   Staatsre- 
ligion   zurückzuführen.     Denn   daran  ist  nicht  zu   denken,    dafs 
der  Kaiser  aus  blinder  Verfolgungswut  oder  aus  heidnisch-reli- 
giösem Fanatismus  vorgegangen  wäre;  sein  Zweck  war  ein  poli- 
tischer, und  was  er  erreichen  wollte,  war  nicht  Zerstörung,  son- 
dern  Gewinnung   von   Kräften.     Motive   oder   AnlaGs    sind    uns 
freilich  so  wenig  überliefert  wie  der  Inhalt  des  Dekrets;    aber 
wir  können   sie  aus  der  Lage   der  Dinge   und  der  allgemeine 
Politik  des  Kaisers  erschliefsen.     Was  Decius   wollte,  erforderte 
ein  Zusammenfassen  alles  guten  Willens  im  Reich,  ein  Aufbieten 
der  staatserhaltenden  Kräfte,   einen  Appell  an  die  Überlieferung 
des   Römertums   in    Politik,   Verwaltung   und  Heer;   in   diesem 
Sinne   hatte  er  die  Führung  der  bürgerlichen  Verwaltung  sich 
unter  dem  Namen  der  Censur  ausgedacht,  die  er  dem  Valerian 
übertragen.     Nun  fand  er  eine  weitverzweigte  wohl  organisierte 
Gemeinschaft,    welche   sich   diesem    staatserhaltenden   Gedanken 
entweder  völlig  versagte  oder  nur  halb  darbot,   wobei  es   klar 
zutage  lag,  dafs  dieselbe  zu  der  Bedeutung,  die  sie  gewonnen, 
nur  durch  die  Lässigkeit  der  Verwaltung,  durch  ein  Gehenlassen 
gelangt  war;  denn  noch  niemals  hatte  man  sich  in  vollem  Ernst 
mit  ihr  gemessen,  in  der  letzten  Zeit  sie  sogar  begünstigt    Nun 
sollte  die  Reaktion  kommen,  und  den  vom  Staate  weg  zur  Kirche 
gewandten  den  vollen  Ernst  der  Anforderungen  des  Staats  zeigen. 
Wie  bei  Maximinus  war  das  Christentum  als  solches  das  gegen 
den  Staat  gerichtete  Verbrechen;  nur  sollte  dasselbe  auch  jetzt 
nicht  als  begangenes  bestraft,   sondern  nur  bei  Beharrung  ge- 
ahndet  werden:  Verleugnung  durch  Darbringung  von  heidnischen 
Opfern  entzog  der  Strafe.    Es  ist  hier  nicht  auszuführen^  welche 
Wirkung  das  Edikt  des  Decius  auf  die  Christengemeinden,  vor 
allem    die   zu^  Rom   und   Karthago    ausübte,    von   welchen    wir 
einigermafsen  zuverlässige  Nachrichten  haben:   die   beste  gleich- 
zeitige Quelle,  die  Briefe  des  Cyprianus,  des  Bischofs  von  Kar- 
thago, lassen  uns  Blicke  in  die  Verwirrung  thun^  die  hierdurch 

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—     549    — 

in  den  Gemeinden  bervorgerufen  wurde,  und  in  der  Kirchen- 
geschichte der  Zeit  spielen  die  Gegensätze  in  dem  Verhalten  der 
Christen  zum  Staat,  in  der  Behandlung  der  ganz  oder  halb  ab- 
gefallenen, in  den  Ansprüchen  derer,  welche  mutig  ausgeharrt, 
eine  nicht  geringe  Rolle.  Das  Wesentliche  ist  das  Resultat, 
dafs  das  kaiserliche  Edikt  vor  allem  unter  den  Augen  des  Kaisers 
in  Rom  selbst,  dann  auch  in  den  Provinzen  im  Laufe  des  J.  250 
zur  Ausführung  kam  und  eine  Anzahl  von  hervorragenden  wie  auch 
geringen  Gemeindemitgliedern  traf,  dafs  aber  noch  Decius  selbst 
erkannt  haben  mufs,  wie  er  damit  nicht  zu  seinem  Ziele  komme 
und  seine  Politik  eher  gefährde  als  kräftige;  denn  im  Laufe  des 
J.  251,  noch  während  Decius  im  vollen  Besitz  der  Macht  war, 
werden  Verhaftete  entlassen  und  fungieren  die  kirchlichen  Or- 
gane unbehelligt.^)  Die  Ursachen  dieses  Mifserfolgs  lassen  sich 
unschwer  erkennen:  die  grofse  Masse  der  in  Frage  kommenden, 
die  Menge  der  dabei  ihrem  Glauben  treu  bleibenden,  insbeson- 
dere auch  unter  den  Führern,  die  unzähligen  gegebene  Möglich- 
keit, der  Verfolgung  durch  Zurückziehen  in  die  Verborgenheit 
zu  entgehen  und  in  dieser  Verborgenheit  das  Verbotene  fortzu- 
üben,  die  Gefahr  endlich,  die  trotz  des  im  allgemeinen  passiven 
Charakters  des  Widerstands  doch  immerhin  in  Erwägung  ge- 
zogen werden  konnte,  dafs  die  Hoffnung  auf  Unterstützung  durch 
die  verfolgten  einen  Gegenkaiser  hervorrufen  könnte,  alle  diese 
Umstände  machen  es  erklärlich,  wenn  noch  Decius  selbst  eine 
Wendung  eintreten  liefs.  Bei  seinem  Tode  stand  die  christliche 
Kirche  in  Rom  und  in  den  Provinzen  bereits  wieder  aufrecht  da. 
Die  römische  Gemeinde  speziell  hat  für  den  Märtyrer  Flavianus 
in  dem  offen  gewählten  Cornelius  einen  neuen  Bischof.  Der 
unmittelbare  Nachfolger  des  Decius,  Gallus,  soll  allerdings  her- 
vorragende Christen,  wahrscheinlich  stadtrömische,  verbannt 
haben*),  aber  vermutlich  nicht  in  Ausführung  des  früheren 
Edikts,  sondern  aus  spezieller  Veranlassung.  Von  Valerianus 
aber  wird  bezeugt,  dafs  er  im  Anfang  seiner  Regierung  den 
Christen  so  günstig  gewesen  sei,  wie  selbst  diejenigen  seiner 
Vorgänger  nicht,  die  selbst  Christen  gewesen  seien,  dann  aber  sei 
er  durch  Macrianus,  einen  der  nachmaligen  Imperatoren,  der 
damals,  in   der  Umgebung  Valerians  viel   galt,   umgestimmt  und 

1)  Vgl.  den  Nachweis  bei  Aubd  4,  68  ff. 

2)  Easeb.  7,  1:    (Gallus)    tovg    tsQOvg    avdgas   tovg  ^^Q^  f^ff   iigi^vrjg 

avTOv  Tial  tfis  vyuiag  nQsaßevovrag  ngog  tov  ^tov  riXccaev.  C^ r^r^r^]r> 

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—     550    — 

zu  Yerfolgungsedikten  gebracht  worden.^)  Möglich,  dafs  auch  die 
Volksstimmung,  die  durch  die  überall  wütende  Pest  erregt  war, 
EinfluTs  übte.  Ein  Edikt  gegen  die  Christen  wurde  257  erlassen. 
Indessen  war  das  Vorgehen  des  Valerian  von  seinem  Standpunkte 
aus  gemäfsigt;  indem  er  zunächst  nur  von  den  Vorstanden  der 
Gemeinden  ein  äufseres  Zeichen  der  Anerkennung  des  Staats- 
kultes wollte  und  die  Widerstrebenden  von  ihren  Bischofesitzai 
weg  wies,  den  Gemeinden  aber  die  Versammlungen  bei  den  Be- 
gräbnisstätten verbot.^)  Aber  von  seiten  der  Christen  war  ein 
solches  Kompromifs,  den  eigenen  Glauben  zu  behalten,  wenn 
man  nur  daneben  die  heidnischen  Götter  anerkenne^,  unan- 
nehmbar, und  der  Widerstand  scheint  diesmal  hartnäckiger  als 
unter  Decius  gewesen  zu  sein;  es  erfolgte  im  J.  258  ein  zweites 
Edikt  mit  Androhung  der  schärfsten  Strafen  gegen  die  Vor- 
stände der  christlichen  Gemeinden  und  gegen  alle  in  öffentlicher 
Stellung  befindlichen  Personen,  welche  Christen  wären  und  da- 
bei beharrten.^)  Man  wollte  abwarten,  welchen  Eindruck  diese 
gegen  die  hervorragenden  Gemeindemitglieder  gerichteten  Mafs- 
regeln  auf  die  Gemeinde  selbst  machten,  ehe  man  allgemeiner 
vorging.  Dieses  Edikt  blieb  aufrecht  bis  zur  Gefangennahme 
des  Valerian  durch  die  Perser,   und  viele,  die  unter  Decius  vcr- 


1)  Euseb.  7,  10,  3:  ovSl  yccQ  aXXog  tig  ovtoa  tmv  ngo  avrov  ßaatlimw 
svfisv6g  xal  Sf^mg  ngog  avrovg  diBtsdTj^  ovS'  ot  Ifx&ivtsg  ivaqfovSof 
XQnniavol  yB'^ovivaiy  mg  ittstvog  ol%Bi6tata  iv  ccQxy  xal  nifogtpiXiütcra 
(pavsQog  fiv  ocvtoifg  dnodexoii^vog.    Darauf  der  Einflufs  des  Macrian. 

2)  Hier  treten  die  Berichte  ein  über  die  Verhandlung  gegen  Cjrprijui 
vor  dem  Prokonsul  Patemus  (Cypr.  act.  procona.  ed.  Hartel  3  p.  CX  sqq.) 
und  gegen  den  Bischof  Dionysius  von  Alexandrien  vor  dem  Präfekten 
Amilianns  (Euseb.  hist.  et;cl.  7,  11,  4  ff.).  Zunächst  sollten  die  BischOfe 
und  Presbyter  getroffen  werden.  Das  Urteil  lautet  bei  beiden  wegen  Ver- 
weigerung des  Momancis  caeremonias  recognaacere  auf  Intemierung  in  einem 
bestimmten  Ort,  woran  das  allgemeine  Verbot  an  die  Christen  verbunden 
wird,  ne  in  aliquibus  locis  conciliabtUa  fiant  nee  coemeteria  ingrediatUur 
mit  Androhung  der  Todesstrafe  gegen  die  Zuwiderhandehiden. 

3)  Auf  die  Aufserung  des  Dionysius,  dafs  die  C/hristen  nur  äinen  Gott 
kennen,  erwidert  Amilianus:  zig  vfiag  hohXvbi  xal  tovtovt  bC  tcbq  ifnl  ^Bog^ 
(istä  tmv  natä  fpvoiv  d^BÄv  TiQognvvBiv; 

4)  Cypr.  epist.  80,  wo  der  Bischof  den  Inhalt  des  kaiserlichen  Reskripts 
an  den  Senat,  den  ihm  die  nach  Rom  auf  Kundschaft  gesandten  Christen 
hinterbracht,  mitteilt.  Das  Verfahren  ist  angedroht  gegen  Bischöfe,  Pres- 
byter, Diakone,  Senatoren,  Ritter,  Matronen,  endlich  die  aum  Hof  gehörigen 

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~     551     - 

schont  geblieben,  vor  allem  der  Bischof  Cypriau  von  Karthago, 
wurden  die  Opfer.  Aber  das  Resultat  im  ganzen  fiel  so  aus, 
dafs  Gallienus,  der  wohl  schon  vorher  in  seiner  Reichshälfte 
Schonung  geübt,  sobald  er  allein  die  Regierung  zu  führen  hatte, 
die  Edikte  seines  Vaters  aufhob  imd  den  christlichen  Gemeinden 
volle  Freiheit  gewährte,  wie  sie  solche  vorher  niemals  gehabt.^) 
Woher  diese  Milde  kam,  ob  vom  Gegensatz  gegen  Valerian  und 
seine  Ratgeber,  vom  Gegensatz  insbesondere  gegen  einen  Ma- 
crianus,  der  jetzt  einer  der  Gegeukaiser  war,  oder  ob  der  Kaiser 
in  einer  Zeit,  wo  so  viele  Feinde  sich  gegen  ihn  erhoben,  sich 
hier  Freunde  machen  wollte,  oder  von  seiner  sonstigen  Indolenz, 
der  die  Aufregung  religiöser  Kämpfe  widerwärtig  war,  oder  ob 
aus  allen  diesen  Gründen  zusammen,  das  läfst  sich  nicht  be- 
stimmen; dem  Charakter  des  Gallienus  gemäfs  können  es  nicht 
tiefer  gehende  Motive  gewesen  sein.  Die  Wirkung  des  neuen 
Edikts  war  natürlich  beschränkt  durch  die  Grenzen  seiner  Aukto- 
rität,  und  wo  diese  nicht  galt,  gehorte  es  eher  zu  den  Momenten 
des  Gegensatzes  gegen  ihn,  gegen  die  Christen  die  früheren 
Edikte  anzuwenden.  Aber  es  waren  jedenfalls  höchst  bedeutende 
Gemeinden,  vor  allem  Rom,  in  der  Lage,  die  Vorteile  des  kaiser- 
lichen Edikts  zu  geniefsen,  und  für  die  Unüberwindlichkeit  der 
Kirche  war  ein  neuer  Beweis  geliefert. 

§  87.    Die  Zeit  der  Verwirrung.  —  Gallienus  im  Kampf  mit 

den  provinzialen  Gegenkaisem  und  die  Einf&lle 

der  Barbaren  ins  Beioh. 

1.  Bei  der  Teilung  der  Kriegsschauplätze  (ob.  S.  525  f.)  hatte  ni«  Ereignisse 
Valerianus  für  sich  den  weit  schwierigeren  Teil  gewählt    Asien '»ngennchaft de« 

ValorianuB  im 

war  von  den  über  das  schwarze  Meer  herüberfahrenden  Gotheu       J-  »eo. 
geplündert  und  verheert,  in  Mesopotamien,  Armenien  und  Syrien 
waren  die  Perser  eingebrochen,  und  diesen  Feinden  sollte  er  mit 
den  orientalischen  Truppen  entgegentreten,   den  wenigst  zuver- 
lässigen  im  Reich;   denn   bei   den  Bedrängnissen,   welchen   die 


1)  Easeb.  teilt  7, 13  einen  Erlafs  des  Gallienus  an  den  Bischof  Dionysius 
und  Gen.  mit,  worin  er  auf  ein  Edikt  verweist,  das  den  Christen  den  Ge- 
brauch ihrer  religiösen  Lokale  wieder  gegeben  und  verboten  habe,  sie 
weiterhin  zu  belästigen.  Es  wird  beigefügt:  yial  aXXrj  is  xov  avtov  didxa^i^g 
ipigstaif  rjv  ngbg  itiQOvg  inufKonovg  neno^ritcn  tä  tav  naXovnivmv  thoiilti- 
rij^iW  dnoXanßdvsiv  inttginrnv  %(aqCa,  ^^  . 

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-     552     - 

übrigen  Grenzen  ausgesetzt  waren,  konnte  man  nicht  mehr  die 
oecidentalischen  Heere  von  ihren  Provinzen  wegnehmen.  In- 
dessen kam  ihm  zu  statten,  dafs  in  Asien,  wo  die  oberste  Heer- 
führung nicht  genügt  hatte,  ein  untergeordneter  Offizier,  Succes- 
sianus,  durch  energische  Abwehr  wenigstens  auf  einer  Seite,  den 
Gothen  gegenüber,  den  Provinzialen  Rettung  brachte.  Yalerian 
beeilte  sich,  diesen  Mann  sich  zu  nutze  zu  machen,  erhob  ihn 
zum  Gardekommandanten  und  schickte  ihn  nach  Syrien,  wodurch 
aber  freilich,  da  nun  dort  die  schützende  Hand  fehlte,  Eleinasien 
wieder  den  gothischen  Einfallen  preisgegeben  war.^)  Doch  dies 
war  von  geringerer  Bedeutung;  das  wichtigste  war  zunächst^ 
die  Perser  zu  vertreiben,  und  von  dieser  Aufgabe  übernahm 
Yalerian  selbst  die  Bettung  Armeniens  und  Mesopotamiens,  spe- 
ziell den  Entsatz  des  von  den  Römern  noch  gehaltenen  Edessa. 
Allein  er  war  hier  nicht  glücklich,  und  schliefslich  geriet  er  so- 
gar im  J.  259/60  in  die  Hände  seines  persischen  Gegners.*) 
Damit  fiel  die  Ausübung  des  Imperiums  auch  für  den  Orient 
naturgemäfs  dem  Mitkaiser  Gallienus  zu.  Dieser  hatte  unter- 
dessen anfangs  zwar  glücklicher  gekämpft,  bald  aber  noch  Kämpfe 
anderer  Art  als  die  mit  den  Barbaren  hervorgerufen.  Zuerst 
hatte  er  an  der  Rheingrenze  mit  den  Franken  zu  thun  gehabt 
Es  hatte  sich  nämlich,  während  die  Alamannen  über  Obergermanien 
hergefallen  waren,  von  Mainz  rheinabwärts  in  den  Franken  eine 
zweite  dominierende  und  viele  kleinere  Stämme  zusammenhaltende 

1)  Zosim.  1,  32  Anf.:  Bei  der  Bedrängung  von  Pityus  (Mitte  der  Ost- 
küste des  schwarzen  Meers)  hatte  SuccessiannB  den  Gothen  solchen  Schaden 
zugefügt,  dafs  sie  eiligst  heimgingen  und  ot  tov  Ev^sivov  novxov  oUovwxtg 
t^  ZovHsaaiavov  axqaxriyia  nsgusto^ivTeg  ovdBfcmnoxs  tovg  S%v^ag  ^Xxi^ov 
av^iri  nBQaiaid'riascd'ai.  OvaXsQtavov  dl  2ov%ecaiav6v  f^etdtBfintov  noni^tc- 
(i.6vov  Kai  vnoLQXov  xrig  avXr^g  {praef,  praet.)  dvads^iavtog  %al  cvv  avxm  xa 
nBqX  tijv  'Avtioxs lav  Kai  tov  ta-üxrig  olmaiiov  oltiovofiovvxog  avd'ig  ot  S%vf^t' 
nXoia  naqa,  xmv  BoanoQocvoäv  Xaßovxeg  insqam^aavy  woraaf  die  Verheerungen 
geschildert  werden,  die  sie  wieder  in  Eleinasien  anrichteten. 

2)  Zosim.  1,  36.  Zonar.  12,  23  mit  verschiedenen  Versionen  Qber  die 
Gefangennahme.  Hinsichtlich  seines  ferneren  Schicksals  bei  den  Persern 
mufs  man  sich  begnügen  zu  sagen,  dafs  er  apud  Persas  ignobüi  Servitute 
consenuit  Vict.  epit.  82.  Für  das  römische  Reich  zählte  er  nicht  mehr  als 
Kaiser,  wofür  ein  Kennzeichen  i»t,  dafs  die  alexandrinischen  Kaisermunzen, 
in  denen  alles  vertreten  ist,  was  anerkannt  ist,  für  Valerian  nur  bis  259/260 
gehen  (L  Z).  v.  Sallet,  Daten  der  alex.  Kaiserm.  S.  73.  Damit  ist  sogleich 
das  Datum  der  Gefangenschaft  als  in  dieses  Jahr,  vor  29.  Aug.  260  fcUlend 

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—    553    — 

Volksgenossenschafk  gebildet.  Diese  darchbrachen  die  Rhein- 
grenze ;  fielen  in  Gallien  ein^  weiter  in  Spanien  und  von  da 
sogar  in  Afrika,  gewifs  nicht  mit  grofsen  Haufen,  aber  doch 
zum  Teil  so,  dafs  man  sie  nicht  vertreiben  konnte,  jedenfalls 
aber  den  Beweis  liefernd,  wie  wehrlos  es  innen  im  Reich  aus- 
sah.') Zur  Aufrechterhaltung  der  Grenzlinie  selbst  aber  that 
Gallienus,  unterstützt  am  Oberrhein  durch  Generale  wie  Postumus, 
am  Niederrhein  durch  Aurelianus,  allerdings  seine  Pflicht,  und 
es  gelang  ihm,  weitere  Einbräche  zu  verhindern;  was  die  Ge- 
walt nicht  erzielte,  suchte  er  durch  Herüberziehen  einzelner  ger- 
manischer Häuptlinge  auf  seine  Seite  zu  erreichen.^)  Allein  er 
wurde  abgerufen  nach  Mosien,  wo  der  Statthalter  Ingenuus  als 
Gegenkaiser  aufgetreten  war.  Auch  mit  diesem  Zwischenfall 
wurde  er  fertig,  und  die  grausame  Bestrafung  der  aufrührerischen 
Truppen  sollte  für  die  Zukunft  ein  abschreckendes  Beispiel  geben.*) 
Aber  nachdem  er  hierher  geeilt  war,  war  in  Gallien  ein  neuer 


1)  Vict  Caes.  83 :  ut»  —  Francorum  gentes  direpta  Gällia  Htspaniam 
pomderent  vastato  ac  paene  direpto  Tarraconensium  oppido  nactisque  in 
tempore  navigiis  pars  in  t^sque  AfHcam  permearet.  Eutrop.  9,  8:  Germani 
usque  ad  Hispanias  penetraverunt  et  civitatem  nobilem  Tarraconem  expugna- 
verunt.  Oros.  7,  22,  7—9:  Germani  ülteriores  abrasa  potiuniur  Hispania  — -,- 
extant  adhuc  per  diversas  provincias  in  magnarum  urhium  ruinis  parcae  et 
pauperes  sedes,  Signa  miseriarum  et  nominum  indicia  servantes,  ex  quihus 
no8  quoque  in  Hispania  Tarraconem  nostram  ad  consolationem  miseriae 
recentis  ostendimus.  Nach  Hieronymus  (p.  183  Schöne)  würde  die  Eroberung 
von  Tarraco  in  das  J.  Abr.  2280  »  261  v.  Chr.,  also  unter  Postumus 
fallen,  aber  der  Durchbruch  der  Rheingrenze  ist  früher  anzunehmen;  s. 
folg.  Anm. 

2)  Zosim.  1,  30:  avtog  filv  tag  xov  'Pifvov  diaßdastg  (pvXccaamv  mg 
olog  te  f^v  nij  (ihv  inmXvs  nBQaiova^cci  n^  dl  xal  Siaßaivovaiv  avTStaztsto' 
nXf^d'Si  9h  KctyMoXXto  fista  dvvdfteoog  iXdttovog  noXf(i.wv  iv  anSgoig  re  mv 
iSo^tv  iv  fiiget  tov  %Cvdvvov  iXattovv  xm  anovddg  nqog  tivct  xdtv  iiyovfiivav 
i^ovg  VBQfikavtTiov  nenoiijc^at.  Ob  in  diesen  Zusammenbang  gehörte,  dafs 
er  einem  Markomanenfürsten  einen  Teil  des  oberen  Pannonien  einräumte 
und  seine  Tochter,  obgleich  er  schon  verheiratet  war,  wie  eine  zweite 
Gemahlin  zu  sich  nahm  (Vict.  epit.  33),  läfst  sich  nicht  sagen.  —  Dafs 
Postumus  dux  limitis  transrhenani  war,  dürfte  aus  vit.  trig.  tyr  8,  9  immer- 
hin zu  entnehmen  sein  -,  als  solcher  hatte  er  vorzugsweise  mit  den  Alamannen 
zu  thun,  Aurelian  dagegen  mit  den  Franken;  vgl.  vit.  Aur.  7,  1:  apud 
Mogwntiacum  tribwuus  legionis  sextae  GalUcanae  Francos  inrtientes  cum 
vagarentur  per  totam  GäUiam  sie  adflixit,  ut  etc. 

8)  Trig.  tyr.  9,  wo  das  Datum  258  angegeben  wird.  Vict.  Caes.  33 
(entscheidende  Schlacht  bei  Mursia).    Eutrop.  9,  8.  r^  ] 

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—     554    - 

Prätendent  von  ganz  anderer  Bedeutung  aufgetreten.  Gallienus 
hatte  in  Köln  seinen  älteren,  übrigens  noch  ganz  jugendlichen 
Sohn  P.  Cornelius  Licinius  Valerianus*),  der  schon  vorher  zum 
Cäsar  erhoben  war^  als  seinen  Stellvertreter  gelassen,  indem  er 
ihm  einen  Vertrauensmann  Silvanus  beigab,  der  für' ihn  die 
Leitung  dort  führen  sollte.^)  Aber  jener  General  Postomus,  der 
sich  besonderer  Verdienste  bewufst  war,  sei  es,  dafs  er  sich  hier- 
durch zurückgesetzt  fühlte  oder  von  Silvanus  gekränkt  wurde, 
bemächtigte  sich,  seines  Heeres  sicher,  dieser  Regentschaft  und 
brachte  den  Cäsar  samt  seinem  Ratgeber  um,  sich  selbst  als 
Imperator  auf  werfend.^)  Der  Erfolg,  den  er  wenigstens  fttr  den- 
jenigen Teil  des  Reichs,  den  er  mit  seinen  Truppen  beherrschte, 
für  ein  ganzes  Jahrzehnt  hatte,  leitete  nun  diejenige  Periode 
ein,  in  welcher  neben  der  anerkannten  Zentralgewalt  ein  that- 
sächlich  lokal  beschränktes  Teilimperium  bestand,  und  dieser 
Vorgang  wurde  für  die  Einheit  des  Reichs  noch  bedenklicher, 
als  nach  der  Gefangennahme  des  Valerianus  Gallienus  unterliefs, 
seine  Auktorität  im  Orient  durch  eigenes  Eingreifen  geltend  zu 
machen,  so  dafs  dort  nun  auch  Gegenkaiser  auftraten,  die  durch 
die  Lage  der  Dinge  genötigt  waren,  sich  zunächst  wenigstens 
auf  den  Osten  zu  beschränken.  Die  folgenden  zehn  Jahre 
blieben  als  die  trübste  Zeit  des  römischen  Reichs  im  Gedächt- 
nis und  ihre  Erfahrungen  trugen  das  meiste  dazu  bei,  dafs  man 
bestrebt  war,  die  bisherige  Verfassung  durch  eine  andere  zu 
ersetzen. 
Übersicht  über         2.    Als   Gallicnus    die    Nachricht    von   der   Gefangennahme 

die  Zeit  des  .  -in  i        -  ... 

üaiiienua.    scmes  Vatcrs  erhielt,  soll  er  sich  gefreut  und  wie  von  einer  ihn 
in  seinem  Lebensgenufs  störenden  Vormundschaft  befreit  gefühlt 


1)  Der  Name  corp.  i.  1.  8  n.  2382;  vgl.  Mommsen  Polem.  Sil?, 
p.  245  A.  9. 

2)  So  nach  Zosim.  1,  38,  nach  Zon.  12,  24  Älbanm,  letzteres  wohl 
verschrieben. 

3)  Voller  Name  dieses  Prätendenten  nach  Münzen  und  Inschriften 
M,  Cassianius  Latimus  Postumua.  Die  Münzen  geben  ihm  trib,  pot,  X 
nnd  Vota  vicennalia,  (Eckhel  7  p.  440.  Cohen  6  p.  56  n.  364),  woraus  sich 
für  seine  Erhebung  das  J.  258  ergiebt;  dies  stimmt  damit,  dafs  in  dieses 
Jahr  auch  die  Erhebung  des  Ingenuus  föUt  (ob.  S.  553  A.  3),  wegen  deren 
Gallienus  vom  Rhein  wegging;  femer  mit  den  10  Jahren,  welche  ihm  Enin^- 
9,  9  und  Oros.  7,  22,  10  geben,  wahrend  die  7  Jahre  vit  Call.  4,  5  sich 
als  falsch  erweisen.  ^  i 

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-     555    — 

haben  ^),  und  seine  Regierung  wird  von  dem  Verfasser  der  Eaiser- 
biographieen  dieser  Zeit  so  dargestellt^  dafs  er  fortwährend  in 
Rom  üppigen  und  niedrigen  Genüssen  sich  hingab,  während 
drau&en  im  Reich  die  Barbaren  einbrachen  und  in  allen  Pro- 
vinzen unter  der  dringenden  Not  und  der  Mifsachtung,  welcher 
der  erbärmliche  Imperator  in  Rom  anheimfiel,  Gegenkaiser  gegen 
ihn  aufstanden.^)  Wirklich  that  Gallienus  nicht  nur  keinen 
Schritt,  um  seinen  Vater  zu  befreien,  sondern  er  beeilte  sich 
auch,   in   der  Zurücknahme  der  Edikte  gegen  die  Christen  den 


1)  Vit.  Gall.  1,  1 :  cum  —  GalHentis  comperta  patris  captivitate  gau- 
deret,    3,  9. 

2)  In  den  Eaiserbiograpbieen  bildet  die  Zusammenstellung,  welche 
Trebellins  Pollio  von  Yalerianus  bis  Claudius  gemacht  hat,  eine  besondere 
Gruppe,  die  sich  aber  sehr  unvorteilhafb  ausnimmt  durch  ihre  ünzuver- 
lässigkeit,  durch  eine  Menge  eingeschobener  selbstgemachter  Dokumente, 
durch  den  Mangel  an  Chronologie,  der  selbst  die  wenigen  eingestreuten 
positiven  Daten  unsicher  macht,  durch  die  Einseitigkeit  des  Urteils,  die  bei 
Claudius  übergeht  in  die  Tendenz,  dem  Constantius  Chlorus  als  Nach- 
kommen des  Claudius  zu  gefallen.  Schon  die  Zeitgenossen  erkennen  diese  ün< 
Zuverlässigkeit  an,  vgl.  Vopisc.  vit.  Aurel.  2,  1:  adserente  Tiberiano  (praef. 
urb,)t  guod  Pollio  multa  incuriose  mülta  breviter  prodidisset.  In  der  An- 
ordnung der  Prätendenten,  für  welche  er  die  Geschichtschreibung  mit 
seinem  Einfall  der  Bezeichnung  der  ^dreifsig  Tyrannen'  belastet  hat,  reifst 
er  durch  die  biographische  Nebeneinanderstellung  die  Zusammenhänge  aus 
einander,  was  nur  durch  eine  gewisse  geographische  Ordnung  gemildert 
wird,  und  giebt  schon  dadurch  ein  unrichtiges  Bild,  dafs  er  sie  alle  gleich 
neben  einander  stellt^  die  unbedeutendsten  Eintagsimperatoren  neben  einen 
FostnmuB  und  Odänath,  wobei  letztere  unverantwortlich  dürftig  behandelt 
sind.  Aber  er  hält  doch  fest  an  dem  Ausgangspunkt,  dafs  er  alles  zu 
Gallienus  in  Beziehung  setzt  und  dadurch  in  seiner  Art  der  Stellung  der 
Zentralgewalt  Rechnung  trägt,  während  andere,  namentlich  die  griechischen 
Quellen  nur  dem  Vorgängen  an  der  Grenze  ihre  Aufmerksamkeit  schenken 
und  darnach  die  Erzählung  anordnen.  Die  sonstigen  Quellen  teilen  sich 
nach  den  Sprachen,  auf  der  einen  Seite  stehen  die  griechischen  Zosimus, 
Petrus  Patricius,  Synkellus,  Zonaras,  die  in  verschiedener  Weise  auf  Dexippus 
und  dem  Fortsetzer  von  Dio  beruhen,  auf  der  andern  die  lateinischen,  die 
ihre  eigentümlichen  Quellen  haben  und  unter  denen  Victor  und  Eutrop 
beachtenswerter  sind.  Den  Hergang  chronologisch  genauer  dazustellen,  ist- 
mit  dem  vorhandenen  Material  unmöglich.  Die  Münzen  und  Inschriften 
zeigen,  wie  ungenau  in  Namen  und  Daten  namentlich  die  Biographieen  sind, 
aber  sie  sind  selbst  natürlich  nur  ein  ungenügender  positiver  Ersatz.  So 
iat  denn  in  der  folgenden  Darstellung  vielfach  die  innere  Wahrscheinlich- 
keit für  die  Ordnung  und  den  Zusammenhang  der  Ereignisse  mafsgebend 
gewesen.  —  Neuere  Monographie:  Th.  Bernhardt,  polit.  Gesch.  des  röm. 
Reichs  von  263-264  n.  Ch.  Berlin.     1867.  DigitizedbyGoOglc 


—    556     - 

Gegensatz    seiner  Regierung   gegen   die  des  Valerianus  in    auf- 
fallendster Weise  kund  zu  thun  (ob.  S.  551  A.  1),  und  die  Tra- 
dition ist  gewifs  in  richtiger  Weise  —  mit  Ausnahme  von  gün- 
stiger  lautenden  christlichen  Zeugnissen   —   einstimmig   in    der 
Schilderung    seiner   Regierung    als    einer   unwürdigen    und    ver- 
hängnisvollen.    Man   darf  indessen   dem   Bilde   der  Verwirrung 
gegenüber^  das    dieses   Jahrzehnt   bietet ,  nicht  übersehen,    dafs 
die  legitime  und  vom  Senat  anerkannte  Zentralgewalt  in  Rom 
und  Italien  bis  zu  der  Katastrophe  des  Gallienus  nie  verdrängt 
und,  als  Gallienus  gefallen  war,   sofort  durch  eine  andere  vom 
Senat  anerkannte  abgelost   wurde,   dafs   Gallienus  in  Provinzen 
wie  Afrika  und  einem  Teil  von  Spanien  so   gut  wie  immer  an- 
erkannt war^),  dafs  er  in  den  Donauprovinzen  kämpfend  auftrat 
und   mehrere  Prätendenten    überwand,    dafs  er  im  Orient  zwar 
nicht    selbst   handelnd    eingriff,   aber   äufserlich    wenigstens    die 
Verbindung  desselben  mit  dem  Reich  wahrte,  dafs  also  in  keinem 
Augenblick  eine  völlige  Zerreifsung   des  Reichs  stattfand,   selbst 
abgesehen  davon,  dafs  natürlich  auch  die  Herrschaft  des  Postu- 
mus   in  Gallien,   die  einzige  im  Westen,    welche   einige  Daner 
hatte,  niemals  anerkannt  war.    Es  ist  ferner  nicht  zu  verkennen, 
dafs  die  Häufung  alles  nur  denkbaren  Unheils  in  der  Darstel- 
lungsweise der  Exzerptenlitteratur,  auf  die  wir  angewiesen  sind, 
eben   dadurch,   dafs    alles   zumal  auf  den  Leser  eindringt,    den 
Eindruck  macht,   als  ob  die  Welt  des  römischen  Reichs  damals 
dem  Untergang  nahe  gewesen  wäre,  während  doch   andrerseits 
auch  Kräfte,  die  bisher  im   Hintergrund   gestanden,  sich  kund- 
thaten  und  die  Reichseinrichtungen,  auch  wo  die  kräftige  Hand- 
habung fehlte,  ihre  Bedeutung  zeigten.    Freilich  nach  all  diesen 
Abzügen   von   dem    überlieferten  Bild   bleibt   noch   hinreichend 
viel  des  düsteren,  und  es  genügt  der  Vereinigung  dessen,  was 
für  viele  Provinzen  jedenfalls  zu  gleicher  Zeit  vorhanden   war, 
einer  verheerenden  Epidemie,  des  Bürgerkriegs  und  der  Einfalle 
barbarischer  Horden,   um  zu  erfassen,   wie  viel  bisher  Lebens- 

1)  In  Afrika  soll  einmal  ein  gewesener  Triban,  Celsus,  als  Pr&tendent 
aufgetreten  sein,  tyr.  trig.  29.  Der  Hergang  ist  nicht  zu  verstehen;  der 
betreffende  soll  aber  schon  am  siebenten  Tage  getötet  worden  sein.  Die 
Inschriften  des  Gallienus  in  Afrika  sind  zahlreich,  vgl.  c.  i.  1.  8  Ind. 
p.  1050  f.  Die  Inschrift  des  Prätoriums  von  Lambäsa  c.  i.  1.  8  n.  2671,  die 
wohl  richtig  auf  Gallienus  bezogen  wird,  hat  trib.  pot.  XVI  cos.  VII,  geht 
also  bis  268.  —  Über  Spanien  s.  unten.  r"r^r^n]i> 

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~     557    — 

volles  im  ganzen  Reich  in  dieser  kurzen  Zeit  zerstört  wurde. 
Der  geeignetste  Weg  aber,  um  ein  Bild  dieser  Zustände  zu  ge- 
winnen, dürfte  der  sein,  zuerst  die  Aktion  der  Zentralgewalt  zu 
verfolgen  und  darauf  zu  sehen,  was  in  den  Teilen,  welche  sich 
ganz  oder  halb  von*  derselben  lossagten,  eigentümliches  sich  ge- 
staltet«. 

3.  Dafs  Gallienus  einen  guten  Teil  seiner  Alleinregierung  nie  zentrai- 
in  Rom  zubrachte,  ist  anzunehmen;  nicht  als  ob  er  nicht  wieder- 
holt an  den  Operationen  der  für  ihn  kämpfenden  Heere  teilge- 
nommen hätte,  gegen  Postumus,  gegen  die  Alamannen,  in  den 
Donauprovinzen  gegen  Prätendenten  und  Barbaren  und  gegen 
die  Aufrührer  in  Byzanz,  aber  es  war  dies  nur  Unterbrechung 
des  Lebens  in  Rom;  die  eigentliche  Kriegsführung  überliefs  er 
meist  seinen  Generalen  auf  das  Risiko  freilich,  dafs  sie  im  Falle 
eines  Erfolges  selbst  zu  Prätendenten  würden.  Eben  bei  solchen 
Gefahren  oder  besonders  bedenklichen  Verhältnissen  brachte  er 
es,  da  es  ihm  von  Hause  aus  weder  an  Fähigkeit  noch  an  Mut 
fehlte^),  in  einem  Aufleuchten  von  Energie  auch  zu  unerwarteten 
Erfolgen.  In  Rom  aber  soll  er  durchaus  ein  niedrigsten  Ver- 
gnügungen gewidmetes  Leben  geführt  haben,  und  die  verschie- 
denen Schilderungen,  die  wir  von  ihm  haben,  machen  den 
Eindruck  eines  von  besserer  Anlage  zum  Genufsmenschen  herab- 
gesunkenen Mannes,  der  imstande  ist,  den  ernstesten  Ereignissen 
mit  frivoler  Blasiertheit  gegenüber  zu  stehen,  bis  er  durch  Beleidi- 
gung oder  den  Kampf  um  die  Existenz  in  Leidenschaft  gebracht 
wird.  Indes  lag  in  jenem  Verbleiben  in  Rom  doch  auch  ein 
gutes  Stück  Politik.  Vom  Senat  aufs  bitterste  gehafst  und  ihm 
feind  mufste  er  fürchten,  dafs  bei  längerer  oder  dauernder  Ab- 
wesenheit ihm  mit  Rom  und  Italien  die  Hauptstütze  seiner 
Herrschaft  entzogen  würde;  denn  es  gab  kein  Provinzialheer, 
da£9  ihm  so  zu  gebot  gestanden  wäre,  wie  das  gallische  dem 
Postumus.  Wie  mifstrauisch  er  aber  gegen  den  Senat  war,  zeigte 
sich  in  der  wichtigen  Mafsregel,  dafs  er  mit  der  ganzen  Ver- 
gangenheit brechend  die  Senatoren  vom  Heere  ausschlofs*): 
weder  sollten  die  Mitglieder  der  gehafsten  Behörde  Fühlung  mit 

1)  Vit.  Gall.  7,  2:  erat  in  Oällieno  subitae  virtuHs  audacia,  nam  dli- 
qwmdo  iniwriia  graviter  movebatur. 

2)  Yict.  Caes.  88  extr.:  primus  (Gallienus)  metu  socordiae  mae^  ne  im- 
pemrni  ad  opHtnoa  nobilium  Irans ferretur,  senatum  militia  veiuit,  etiafn 
adire  exercitum, 

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-     558    — 

einer  Truppenmacht  erhalten,  noch  den  Soldaten  in  angesehenen 
Männern  des  ersten  Standes  Prätendenten  zur  Verfügung  stehen. 
Von  Seiten  eines  Mannes^  der  als  Sohn  des  angesehensten  Se- 
nators seiner  Zeit  zur  Herrschaft  gelangt  war,  war  dies  auf- 
fallend genug  und  rein  in  der  Persönlichkeit  liegend;  der  Wir- 
kung nach  verhinderte  es  wohl  die  Senatoren  sich  zu  Impera* 
toren  auf  zu  werfen,  nicht  aber  die  Truppen  andere  Gegenkaiser 
zu  machen  aus  Nichtsenatoren.  Im  übrigen  war  dies  eine  be- 
deutende Steigerung  der  Tendenz  zur  Trennung  der  Civil-  und 
Militärgewalt,  und  eine  politische  Bedeutung  für  die  nächstbe- 
vorstehende Zeit  hatte  es  darin,  dafs  der  Senat  und  die  Provin- 
zialheere  in  ihren  Interessen  nicht  getrennt  waren,  also  wegen 
des  gemeinsamen  Gegensatzes  gegen  Grallienus  bei  einer  Neu- 
besetzung des  Imperiums  wieder  zusammenwirken  konnten.  In- 
dessen persönliche  Verfolgung  der  Senatoren  wird  ihm  nicht 
nachgesagt,  während  er  gegen  aufständische  Truppen  mit  äolser' 
ster  Strenge  verfuhr^),  und  es  mag  sein,  daCs  ein  wesentlicher 
Grund  für  die  Anhänglichkeit  Italiens  und  einzelner  Provinzen 
an  ihn  darin  lag,  dafs  man  nicht  direkt  Schlimmes  von  ihm  zn 
erdulden  hatte,  in  Afrika  speziell  mag  sein  Verhalten  gegen  die 
Christen  wesentlich  günstig  für  ihn  gewirkt  haben.  In  den 
Reichsteilen,  in  welchen  er  herrschte,  dürfen  wir  annehmen,  dafs 
die  Verwaltung  in  soweit  geordnet  fortging,  als  es  bei  Mangel 
jeglicher  Anregung  von  oben  von  den  bestehenden  Einrichtungen 
aus  sein  konnte;  und  da  und  dort  machte  sich  in  den  munizi- 
palen Instituten  noch  so  viel  Lebenskraft  geltend,  dafs  man  über 
die  Notstände  erträglich  hinwegkam^);  ein  Sklavenaufstand,  der 
in  Sicilien  ausbrach,  wurde  immerhin  noch  unterdrückt.')  Eine 
der  gröfsten  Kalamitäten  für  den  friedlichen  Verkehr  war  jeden- 


1)  Tyr.  trig.  9,  3  (gegen  die  Anhänger  des  Ingenaua).  Vit.  Gall.  7,  8 
(gegen  die  Meuterer  in  Byzanz). 

2)  Besonders  zn  erwähnen  ist,  was  von  Griechenland  berichtet  wird 
Zosim.  1,  29:  xal  'A^rivctioi  ft^v  tov  rsixovg  iTSefiBlovvto  —  Tlsloxowri^un 
dl  tov  'Icd'nbv  distsixt-Sov,  Hotvri  dh  nuqoc,  ndarig  (pvXomr}  tfjg  *EXXddo$  i%* 
datpaXsia  t^g  x^^Q^S  iyCvsxo,  Vgl.  auch  das  Auftreten  des  Dexippns  als 
Feldherm  der  Athener,  dessen  munizipale  Bedeutung  vor  diesen  Ereignissen 
die  Inschrift  o.  inscr.  attic.  3  n.  716  zeigt.  In  Rom  selbst  rafft  sich,  als 
die  Alamannen  die  Hauptstadt  zu  bedrohen  schienen,  in  Abwesenheit  des 
Gallienus  der  Senat  auf  und  ordnet  die  Rüstungen  an  Zos.  1,  87. 

3)  Vit.  Gall.  4,  9:  etiatn  in  Sicilia  quasi  qtioddam  servile  bdhm 
extitit  latronibus  evagantibtAS,  qui  vice  oppressi  sunt.        f^  i 

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—    559    — 

falls  der  Steuerdruck  und  die  Münznot:  nicht  nur  ging  die 
Münzprägung  in  der  Herabdrückung  der  in  Wertmetallen  ge- 
prägten Münzen  bis  zum  äufsersten^  gab  also  der  Staat  Kredit- 
geld an  Stelle  eines  wirklichen  Werts  aus^  sondern  es  ging  neben 
dieser  offiziellen  Falschmünzerei  auch  noch  die  private  der  An- 
gestellten in  den  Münzstätten  her^);  und  da  der  Staat  wohl 
beanspruchte^  dafs  seine  Silbermünze  zu  dem  künstlichen  Wert 
genommen  wurde^  selbst  aber  nur  in  dem  noch  allein  effektiv 
zählenden^  wenn  auch  ebenfalls  minderwertig  ausgeprägten  Gold 
bezahlt  sein  wollte  (ob.  S.  473  A.  3),  so  wurde  dadurch  der 
Steuerdruck  verdoppelt,  und  alles,  was  d&  Staat  einnahm,  sah 
man  in  den  Vergnügungen  des  Kaisers,  den  Geschenken  an  die 
Truppen  und  dem,  was  an  Belustigungen  und  Gaben  der  haupt- 
städtischen Bevölkerung  geboten  wurde,  aufgehen.  Die  Truppen, 
soweit  es  ihm  möglich  war,  sich  ergeben  zu  erhalten,  dazu  war 
Gallienus  klug  genug,  und  es  gelang  ihm  dies  mit  den  Prä- 
torianern  und  der  albanischen  Legion  fortwährend,  andere,  die 
früher  zu  ihm  gehalten,  fielen  später  ab^);  jedoch  noch  bei  seinem 
Sturze  durch  die  Generale  waren  wohl  diese  leicht  gegen  ihn 
einig,  es  kostete  aber  Mühe,  die  Zustimmung  der  Soldaten  zu 
erhalten.^)  Die  Erfolge,  die  er  mit  seinen  Heeren  erzielte, 
reichten  zur  Abwehr  der  Germanen  von  Italien,  der  in  Afrika 
eingefallenen  Mauren^),  zu  dem  schon  erwähnten  Eingreifen  in 


1)  Mommsen,  Gesch.  des  röm.  Münzw.  8.  S30:  „Das  gesamte  römische 
Münzwesen  in  der  Epoche  von  Gallienus  bis  auf  die  Mitte  der  Regierung 
Diocletians  lälst  sich  dahin  charakterisieren,  dafs  der  Bankerott  in  Perma- 
nenz und  die  Münze,  die  diesen  Bankerrott  aasdrückte  nnd  in  der  er  sich 
vollzog,  das  Papiergeld  jener  Zeit,  der  Antoninianus  war."  Vgl.  die  Belege 
ebendas.  793  f. 

2)  Aach  bei  Gallienus  erscheinen  wieder  die  Münzen  zu  Ehren  der 
Legionen  mit  deren  Namen  in  der  Legende,  Cohen  5,  p.  386  ff.  Natürlich 
findet  sich  manche  darunter,  deren  Anhänglichkeit  sich  nicht  bewährte,  so 
dais  man  historisch  dieses  Verzeichnis  nur  mit  Unterscheidung  der  Zeiten 
verwerten  kann.  Vgl.  über  diese  Münzen  Brock  in  v.  Sallets  Zeitschr.  für 
Numism.  3  8.  93:  „wenn  sie  in  der  Regel  Yon  besserem  Metall  sind,  so 
mala  die  Erklärung  darin  gesucht  werden,  dais  sie  ohne  Zweifel  zur  Soldaten- 
iGhnang  bestimmt  gewesen  sind." 

3)  Vit.  Gall.  16,  1:  Occiso  OaUieno  aeditio  ingens  miliium  fuit,  cum 
—  imperaicrem  sibi  utilem  —  dicerent  raptttm ;  quare  consilium  principum 
fuUy  ui  müites  eius  quo  solent  placari  gener e  sedarentur  (folgt  ein  Donativ 
von  20  Goldstücken). 

4)  Corp.  inscr.  lat.  8  n.  2615.  r^  T 

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-     560     - 

den  Donauprovinzeii;  es  reichte  sogar  zu  einem  Eindringen  in 
Gallien,  aber  der  Abfall  der  Führer  vereitelte  jeden  gröfseren 
Erfolg,  und  diesem  fiel  dann  endlich  der  unwürdige  Imperator 
zum  Opfer. 

Dio  Provin«en  4.  Die  gehäuften  Fälle  von  Abfall  der  Heerführer  und  Statt- 

denten.  halter  uud  Erhebung  von  Gegenkaisern,  welche  die  Signatar 
dieser  Regierung  des  Gallienus  bildet,  bietet  der  Betrachtung 
verschiedene  Seiten  dar.  Von  einer  Anzahl  dieser  Männer  wird 
hervorgehoben,  dafs  sie  durchaus  tüchtig  und  der  höchsten  Stel- 
lung würdig  waren,  und  zum  Ruhme  des  Valerianus,  der  sie  in 
die  höhere  Lauf  bahn 'gebracht,  wird  angeführt,  dafs  er  in  ihrer 
Auswahl  gutes  Urteil  bewährte.^)  Es  war  aber  überhaupt  der 
Heeresdienst,  der  jetzt  allein  noch  Thatkraft  und  Energie  anzog 
und  bewährte,  und  dessen  waren  sich  die  Heere  wie  ihre  Führer 
nur  allzusehr  bewufst.  In  diesem  Bewufstsein  hatte  man  nun 
seit  Macrinus  tüchtige  und  untüchtige  Kaiser  gestürzt  und  jede 
Sicherheit  in  der  Tradition  des  Imperiums  aufgehoben.  Dafs 
jetzt  unter  einem  untüchtigen  Imperator  das  Soldatenkaisertum 
gleichzeitig  in  solcher  Häufigkeit  auftrat,  hatte  immerhin  das 
Gute,  dafs  denen  selbst,  welche  darauf  Hoffnungen  gründen 
konnten,  der  Entschlufs  kam,  diesen  Zuständen  durch  eine  Über- 
einkunft unter  sich  ein  Ende  zu  machen  und  einer  einheitlichen 
Reichsregierung  wieder  eine  gesichertere  Grundlage  zu  geben. 

Die  gauisohen  5.   TJutcr  den  revolutionären  Imperatoren  war  weitaus  der 

PoBtumuB.  *  bedeutendste  Postumus.^)  In  zehnjähriger  Regierung  hatte  er 
Totricus.  Zeit,  sich  in  einer  Herrseherstellung  einzurichten  und  bestimmte 
Ziele  zu  gewinnen.  Allein,  wenn  diese  verhältnismäüsig  lange 
Dauer  ein  gewisses  Gelingen  bezeichnet,  so  konnte  doch  unter 
den  gegebenen  Verhältnissen  eine  Rettung  für  das  ganze  Reich 
von  hier  nicht  ausgehen,  weil  die  Ziele  offenbar  zu  beschrankt 
waren.  Es  seh  int  dem  Postumus  gelungen  zu  sein,  in  Gallien  relati? 
befriedigende  Zustände  zu  schaffen,  nach  Sicherung  der  Grenze 
gegen  die  Franken  Handel  und  Verkehr  in  diesem  Lande  wieder 

1)  Tyr.  10,  14 :  nee  a  Gallieno  (Begalianus)  protnotus  est,  sed  a  patre 
eiu8  ValerianOf  ut  et  Claudius  et  Macrianus  et  Ingemms  et  Postumes  ä 
Äureolus^  qui  omnes  in  imperio  interempti  sunt,  cum  mererentur  Imperium. 

2)  Name:  M.  Cassianius  Laiinius  Postumus,  —  Vgl.  über  GallieD  in 
dieser  Zeit  Jean  de  Witte,  recherches  sur  les  emperears  qai  ont  regn^  daos 
les  Gaules  au  III.  si^cle  (mit  den  Münzzeugnissen).  Paris.  BolUn  et  Feoar- 
dent.     1869. 

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-     561     — 

aufleben  zu  lassen*),  im  Bereich  seiner  Heeresmacht  von  seiner 
Residenz  Trier  aus  den  Anschein  eines  Staates  zu  schaffen  und 
die  Sympathieen  der  Gallier  zu  erwerben.  Aber  dafs  seine  Ziele 
weiter  gingen,  das  lag  doch  nur  in  der  Prätention,  die  er  in 
seinen  Titeln  zur  Schau  trug.  £r  wollte  römischer  Imperator 
sein  mit  allen  den  Attributen,  die  einem  solchen  gebührten,  er 
nahm  das  Konsulat  an  sich  mit  einer  Regelmäfsigkeit,  wie  wenn 
Trier  Rom  gewesen  wäre^)  und  mufs  wohl  auch  seine  Beamten 
fSr  Verwaltung  und  Hofdienst  gehabt  haben  neben  dem,  dafs 
er  nun  es  war,  der  in  den  unter  seiner  Auktorität  stehenden 
Provinzen  die  Statthalter,  Heerführer  und  sonstigen  Provinzial- 
beamten  bestellte.  Dafs  er  einen  Senat  hatte,  ist,  da  wir  hier- 
über gar  nichts  vernehmen,  nicht  wohl  anzunehmen^),  wäre  auch 
bei  der  Stimmung  des  römischen  Senats  gegen  Gallienus  nur 
schädlich  gewesen,  da  vielmehr  mit  diesem  Senat  Fühlung  zu 
gewinnen  war,  wenn  man  irgend  Ho&ungen  auf  die  Zukunft 
setzte.  Wenn  nun  aber  so  von  einer  ausgesprochenen  und  prin- 
zipiellen Beschränkung  auf  Gallien,  von  dem  Abreifsen  eines 
Teüs  vom  Reich  nicht  die  Rede  war,  so  ist  andererseits  ledig- 
lich kein  energisches  Streben  zu  bemerken  mit  der  wirklichen 
Machtübung  über  Gallien  hinauszugehen.  Es  giebt  keinen  Beweis 
dafür,  dafs  man  auch  nur  in  Spanien  überall  Fufs  fafste^)  und  von 


1)  Es  wird  in  dieser  Beziehung  auf  die  Merkur-  und  Minervamünzen 
verwiesen.  Cohen  6,  p.  26  n.  192  £f.  Auch  sind  seine  Münzen  wenigstens 
etwas  besser.  Auffallend  grofs  ist  aber  andererseits  die  Menge  der  ver- 
grabenen Münzschätze,  die  aus  seiner  Zeit  in  Frankreich  gefunden  wurden. 
Vgl.  die  Zusammenstellung  bei  Schiller,  Gesch.  der  r.  Eaiserz.  1,  831  A.  3. 

2)  Er  nennt  sich  pont,  max.y  pius  felix,  nimmt  die  Siegestitel  an,  seine 
Konsulate  gehen  auf  den  Münzen  bis  zum  fünften,  das  neben  trib.  pot  X 
steht  und  ins  J.  267  zu  setzen  ist,  wenn  der  Beginn  der  trib,  pot  ins 
J.  268  fäUt 

3)  Dafs  auf  seinen  Kupfermünzen  s.  c.  steht,  kann  nicht  wohl  etwas 
beweisen.  So  gut  er  die  vom  Senat  gewöhnlich  erteilten  Würden  führt, 
als  ob  der  römische  Senat  sie  ihm  erteilt  hätte,  wenn  dieser  dies  auch 
natürlich  nicht  gethan  hat,  konnte  er  auch  die  auf  den  Kupfermünzen 
übliche  Formel  herübernehmen,  ohne  dafs  irgend  ein  Senat  die  Prägung 
angeordnet  hatte;  er  wollte  damit  wohl  auch  den  Umlauf  seiner  Münzen 
fördern. 

4)  Wenn  in  dem  angeblichen  Brief  des  Claudius  vit.  Cland.  7,  5  ge- 
sagt ist:  GdUioB  et  Hispanias,  vires  retp.,  Tetriais  tenet,  so  mag  dies,  ob 
der  Brief  acht  ist  oder  nicht,  mit  wirklichem  Wissen  des  Sachverhalts  ge- 
sagt  sein,   und   kann   dann   von   Tetricus   aus  auch  auf  seinen  Vorgänger 


Hersog,  d.  röin.  Staatsverf.  IL  1.  36 


gle 


-     562    - 

JBritannien  etwas  anderes  hatte,  als  die  Anerkennong^)  and  infolge 
davon  die  Sicherheit  gegen  Angriffe.  Dafs  Postumus  die  MiiM 
dieser  Provinzen  zur  Ausbreitung  und  Befestigung  seiner  Macht 
benützt  hätte,  sehen  wir  nicht,  auch  hat  er  Tarraco  nicht  vor 
den  Franken  zu  schützen  vermocht.  In  Italien  fürchtete  man 
ein  Herüberkommen  des  Postumus  und  nahm  dagegen  in  Ober- 
italien Stellung,  aber  Postumus  kam  nicht,  sondern  liefs  die 
Truppen  des  Gallienus  in  sein  Gebiet  hereinkommen.  *)  Nicht 
einmal  den  Oberrhein  wufste  er  zu  behaupten.  Die  Alamannen 
durchbrachen  den  transrhenanischen  Limes,  wohl  auch  den  rati- 
schen, durchbrachen  die  schweizerischen  Posten  am  Oberrhein 
und  drangen  in  Italien  ein,  wo  sie  bis  Ravenna  kamen  und 
Rom  schreckten,  ohne  dafs  Postumus  ihnen  in  die  Flanke  fiel: 
er  überliefs  es  dem  Gallienus,  mit  ihnen  fertig  zu  werden.*^ 
Es  war  dies  kein  Zustand,  aus  dem  heraus  etwas  Dauerndes 
geschaffen  werden  konnte,  und  so  war  es  denn  auch  kein  Un- 
glück für  das  Reich,  dafs  Postumus  die  Gewalt  über  seine  eige- 
nen Truppen  nicht  festhalten  konnte  und  von  ihnen  gestürzt 
wurde.  Nach  ihm  verlief  dieses  gallische  Kaisertum  in  rascher 
Folge  durch  Victorinus,  den  Postumus  selbst  noch  sich  zu- 
gesellt   haben    soll^),    und    vor    dem    der    aus    den    untersten 


Postumus  übertragen  werden,  aber  in  der  Geschichte  des  PostomuR  spielt 
diese  Provinz  gar  keine  Rolle.  Die  Inschriften  zeigen  in  Corduba  (Baetica) 
eine  Ehrung  des  Gallienus  allein  als  Sohns  des  Yalerianus,  also  wahr- 
scheinlich während  des  letzteren  Gefangenschaft  c,  i.  1.  2  n.  8199;  in  der 
Tarraconensis  allerdings  nennen  die  Meilensteine  vom  J.  260  den  PostnniQs; 
ebendas.  n.  4919.  4948. 

1)  Diese  ist  belegt  durch  die  Inschriften  des  Postumus  und  Victorinus 
in  Britannien  c.  i.  l.  7  n.  1160.  1161. 

2)  Vit.  Gall.  7,  1:  Con^a  Postumum  GcUUenus  cum  Aureole  et  Claudio 
duce  —  bellum  iniü,  et  cum  multis  auxiUis  Postumus  iuvaretur  CeUieis  ai- 
que  FranciciSf  in  bellum  cum  Victorino  processtt^  cum  quo  imperium  parOcipar 
verat.  Was  hier  gemeint  ist,  kann  nur  in  die  letzten  Jahre  des  Postumus 
fallen.  Besiegt  war  das  gallische  Imperium  bei  Postnrous  Tode  allerdings 
nicht,  da  es  ja  durch  verschiedene  Personen  weitergeführt  wurde. 

3)  Einen  Versuch,  die  Alamanneneinfä.lle  nebst  den  übrigen  Daten 
der  Geschichte  des  Gallienus  unterzubringen,  s.  bei  v.  Wietersheiro-Dahn 
1,  622—630. 

4)  Bei  Vici  Caes.  33  heifst  es:  (Postumus)  exphsa  Germanorum  muUi- 
tudine  Laeliani  bello  excipitur:  quo  non  minits  felicüer  fuso  suorum  tumuUu 
periit,  quod  flagitantibus  Moguntiacorum  direptiones^  quia  Laelianum  iuverani, 
abnuisset,  Igitur  eo  occiso  Marius  ferri  quondam  opifex  —  regnum  capit. 
—  hoc  iugulato  post  biduum  Victorinus  deligitur  belli  sciffdia  Postumo  par; 

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-     563     - 

Heeresschichten  aufgetauchte  Marius  uur  wenige  Tage  das  Spiel 
einer  Prätendentschaft  gespielt  haben  soll;  zu  dem  tüchtigen 
Tetricus^);  dem  Statthalter  von  Aquitanien,  also  einem  Manne 
senatorischer  Stellung,  der  dann  weiterhin  seine  Stellung  der 
Reichseinheit  zum  Opfer  brachte  (s.  unten). 

6.  Einen  anderen  Verlauf  nahmen  die  Dinge  in  den  Donau-  nie  nonanpro- 
Provinzen.  Nach  der  Beseitigung  des  Ingenuus  trat  hier  zu-  R^'aUanas."' 
nächst  ein  neuer  Prätendent  nicht  auf.  Dagegen  kam  vom  Orient 
herüber  in  Zusammenhang  der  unten  zu  besprechenden  Ereig- 
nisse Macrianus  mit  einer  bedeutenden  Heeresmacht,  wurde  je- 
doch durch  den  Heerführer  des  Gallienus,  Aureolus,  denselben, 
der  den  Ingenuus  gestürzt  hatte,  besiegt  und  getötet,  sein  Heer 
für  Gallienus  übernommen.^)     Zu  gleicher  Zeit  hatte  dieser   in 


—  p08t  biennii  imperium  —  accensis  furtim  milüibus  per  sedütonem  Agrip- 
pincie  occiditur.  Damit  stimmt  Eutrop.  9,  9,  der  offenbar  ans  derselben 
Quelle  geschöpft  hat;  ebenso  Oros.  7, 22, 11.  Trebellius  dagegen,  der  allein 
sonst  noch  über  diese  Vorgänge  berichtet,  läfst  einmal  den  Yictorinns  von 
Postnmns  zum  Mitregenten  angenommen  werden  nnd  setzt  dann  folgerichtig 
den  Marins  hinter  Yiotorinus.  Victor  hat  für  sich,  dafs  er  den  Namen  des 
Urhebers  der  Meuterei,  der  durch  Münzzeugnis  feststeht  (Cohen  6,  66—67), 
richtig  giebt,  während  Trebellius  ihn  Lollianus  nennt;  aufserdem  macht 
Mommsen,  r.  G.  6,  149  A.  2,  indem  er  diese  Berichte  kritisch  behandelt, 
KU  Gunsten  des  Victor  geltend,  dafs  es  keine  Münzen  giebt,  auf  denen 
Postnmus  und  Victorinus  zusammen  erscheinen.  Die  Folge:  Lälianus, 
Marias,  Victorinus,  Tetricus  findet  Ad.  Erman,  Zeitschr.  für  Numism.  7, 
347—361  auch  in  den  Münzen.  Die  Münzen  des  Victorinus  gehen  bis 
irib.  pd.  III  €08.  II;  dies  wäre  mit  dem  hiennium  des  Victor  nicht  un- 
verträglich; es  fragt  sich  nur,  ob  man,  wenn  man  den  Anfang  des  Victoria 
erst  nach  PostnmuB  eetzt,  mit  ihm  nicht  zu  weit  herab  käme.  —  Kam 
Victorinus  erst  nach  Postumus,  so  stand  er  nur  kurze  Zeit  noch  dem 
Gallienus  gegenüber.  Vict.  epit  84  {his  diebus  Victorinus  regnum  cepit) 
wird  er  erst  unter  Claudius  erwähnt,  Caes.  83  unter  Gallienus.  Auch  er 
hat  Legionsmünzen  prägen  lassen  (Cohen  6,  p.  74  n.  68  ff.),  zum  Teil  mit 
denselben  Nummern,  die  Gallienus  gehabt;  diese  Legionen  waren  also 
irgend  einmal  zu  der  gallischen  Seite  hinübergegangen.  Voller  Name  des 
Vict.:  C.  Piavonius  Victorinus, 

1)  Nach  Trebellius  tyr.  24  und  Vict.  Caes.  88  war  es  Victoria,  die  Mutter 
Victorins,  welche  mit  ihrem  Einflufs  bei  den  Truppen  die  Erhebung  dieses 
Senators  veranlafste,  woran  sich  die  Ernennung  seines  Sohnes  zum  Cäsar 
anschlofs;  auch  er  ist  in  Britannien  anerkannt.  C.  i.  1.  7,  1150  f.,  wozu 
ygl.  Benier  bei  Borghesi  oeuvr.  7,  429  A.  4.  Damach  führte  er  als  vollen 
Namen  C,  Pius  Etuvius  Tetricus.  Die  Übernahme  des  Imperiums  fand  in 
der  Hauptstadt  Aquitaniens  statt  {apud  Burdigalam  Eutrop.  9,  10.) 

2)  Zonar.  12,  24.    Tyr.  12,  18.  —  Vor  das  Ende  des  Macrianng^föllt    , 

36*     dbyCjOOgle 


-     564    — 

Regalianus,  einen  geborenen  Daker,  der  in  Dlyrien  komman- 
dierte^ einen  tüchtigen  General;  der  sich  gegen  die  in  Mähren 
eingefallenen  und  bis  Skupi  an  die  Grenze  von  Dalmatien  mid 
Macedonien  vorgedrungenen  Sarmaten  bewährte.^)  Dadurch  war 
dem  Gallienus  erspart;  selbst  zu  kommen;  dagegen  fiel  nun  hier 
die  Empörung  der  Besatzung  von  Bjzanz  herein;  die  ihn  veran- 
lafste,  sich  hierher  z\x  begeben.  Nach  der  Niederwerfung  dieser 
Meuterei;  mit  der  eine  neue  Vernichtung  des  eben  erst  wieder 
aufgeblühten  munizipalen  Lebens  in  Byzanz  verbunden  war^; 
eilte  Gallienus  wieder  nach  Rom  zurück;  die  Donauprovinzen 
wurden  aber  nun  von  Norden  her  zu  Land  wie  auch  von  Osten 
zur  See  von  den  Gothen  heimgesucht;  und  in  diesen  Jahren  war 
eS;  dafs  die  Scharen  dieses  Volkes  bis  Athen  vordrangen.^  In 
diese  Verhältnisse  hinein  dürfte  die  in  Mösien  vorfallende  Er- 
hebung des  RegalianuS;  jenes  Besiegers  der  Sarmaten;  zum  Gegen- 
kaiser zu  setzen  sei;  zu  welcher  neben  dem  Bedürfnis;  in  dem 
tüchtigen  Manne  einen  Schutz  gegen  die  Barbaren  zu  finden^ 
die  Erinnerung  an  die  grausame  Bestrafung  der  mit  Ingenuus 
Abgefallenen  beitrug.  Dies  mag  vollends  den  Gallienus  be- 
stimmt habeU;  selbst  wiederzukommen,  aber  ehe  er  noch  zur 
Stelle  war;  hatte  Regalianus  durch  die  Provinzialen,  die  ein  ähn- 
liches Schicksal  wie  nach  dem  Sturz  des  Ingenuus  fürchteten, 
sein  Ende   gefunden/)      Nachdem   Gallienus    dann    eingetroffen, 


der  Versuch  des  ProkonsuLs  Valens  von  Ach%ja,  sich  zum  Prätendenten  aaf- 
zuwerfen,  gegen  den  Macrianiis  einen  Piso,  angeblichen  Nachkonunen  der 
Pisones  Frugiy  mit  unglücklichem  Erfolg  schickte;  aber  der  getötete  Piso 
wird  darauf  vom  rGmischen  Senat,  der  unter  der  Gewalt  des  Gallienus 
steht,  belobt.  Vit.  Gall.  2,  2  ff.,  tyr.  20  f.  Wie  dies  zusammenKareimen, 
ist  unklar.  Valens  selbst  wird  dann  von  seinen  Soldaten  umgebracht; 
ebendas.  —  Vict.  epit.  32  erwähnt  nur  kurz  die  Erhebung  des  Valens  in 
Makedonien. 

1)  Tyr.  10,  9  ff.;  Reg.  heifst  daselbst  dux  Illyrici. 

2)  Vit.  Gall.  7,  2  ff.  Die  Zeit  ist  bestimmt  dadurch,  dals  Gallienus 
zur  Feier  seiner  Decennalien  (also  spätestens  zweite  Hälfte  262)  nach 
Rom  ging  7,  4. 

3)  Vit.  Gall.  6,  1 :  Pugnatum  est  in  Achaia  Marciano  duce  contra  eot- 
dem  Gothos  %mde  vidi  per  Ackaeos  recesserunt.  Rede  des  Dexippus,  de« 
Anführers  der  Athener,  hierüber  Dexipp.  fragm.  21  bei  Müller  3  p.  6S0. 

4)  Tyr.  10,  2:  (Beg.)  auctoribus  Roxolanis  eonsentientibusque  müüibvs 
et  timore  provincidlium,  ne  Herum  Gallienus  graviora  faceret,  tnicr- 
emptus  est.  Dies  läfst  eben  darauf  schliefsen,  dafs  man  den  Gallienus  selbst 
erwartete.  ^  j 

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—    565     - 

schickte  er  den  Aureolas  gegen  Gallien^  allein  dieser  liefs  sich 
bei  dieser  ÜDtemehniung  von  seinen  Truppen  selbst  zum  Kaiser 
erheben.  Was  inzwischen  Gallienus  gegen  die  Gothen  ansgerichtet, 
wissen  wir  nicht^);  jetzt  jeden^EÜls  zog  er  dem  Aoreolus  nach, 
erreichte  ihn  an  der  Adda  und  brachte  ihm  eine  entschiedene 
Niederlage  bei,  so  dafs  derselbe  veranlafst  war,  sich  nach  Mai- 
land zu  werfen.^)  Hier  aber  bekamen  die  Dinge  eine  neue 
Wendung. 

7.  Nicht  minder  bewegt  als  der  Westen  war  in  dieser  Zeit  »er  osten 
der  Osten  des  Reichs.  Unmittelbar  nach  der  Gefangennahme  odäuathus. 
des  Yalerianus  schien  hier  alles  yerloren  zu  sein;  die  Gothen  in 
Kleinasien;  die  Perser  in  Syrien,  der  römische  Imperator  besiegt 
und  gefangen ;  die  blühendsten  Städte  von  den  Persem  einge- 
nommen und  die  Einwohner  weggeschleppt,  der  noch  regie- 
rende andere  Imperator  für  den  Osten  nicht  zählend  —  dies 
schienen  trostlose  Zustande.  Indessen  auch  hier  fehlte  es  nicht 
an  entschlossenen  Männern,  welche  unabhängig  von  einer  Ober- 
leitung die  romische  Waffenehre  aufrecht  erhielten:  wie  Succes- 
sianus  in  Pityus  den  Gothen ,  Demosthenes  bei  der  Belagerung 
des  kappadokischen  Cäsarea  den  Persern^,  so  trat  ein  höherer 
Offizier  Ballisfa  in  Cilicien  ebenfalls  den  Persern  entgegen  und 
erzielte  Erfolge.*)  Derselbe  Mann  war  es,  welcher  nun  auch  den 
Macrianus,  jenen  einflufsreichen  Beamten  in  der  Umgebung  des 
Valerianus,  dessen  Rat  man  das  Vorgehen  gegen  die  Christen 
zuschrieb  (ob.  S.  549  f.),  bestimmte,  ein  neues  Imperium  im  Osten 
aufzurichten,  da  von  Gallienus  nichts  zu  erwarten  war.  Macria- 
nus sollte  es  führen,  Ballista  die  Stütze  desselben  sein;  Macria- 


1)  Die  GotbeDeinfölle  unter  OaUienns  sucht  cbronologiüch  zu  ordnen 
V.  Wietersheim-Dahn  1,  630  ff. 

2)  Zosim.  1,  40,  Vict.  Caea.  und  epit  33.  Tyr.  11.  Gegen  die  Gotben 
liefs  GUtllienos  nach  Zo8.  a.  a.  0.  einen  General  Maroianus  zurück,  der 
glfioklich  kämpfte. 

3)  Zonar.  12,  23:  yBvvaitos  %mv  iv  avt^  (t^  KuiüccQBia)  totg  noXsfiioig 
civti%ct9i<na(isvmv  xtd  ötqcctriyovfiivav  vfco  rtvog  Jrjfioa&ivovg  dvÖQog  nal 
awd^lw)  %a\  awtrov  n.  8.  w. 

4)  Da  er  in  griechischen  Quellen,  welche  auf  Dezippus  zurückgehen, 
KdXUotog  heifst  (SynkelL.  p.  716  Bonn.  Zonar.  12,  23),  nimmt  Mommsen 
r.  G.  5,  432  A.  1  diesen  Namen  an.  Bei  den  Lateinern  (tyr.  18)  und  bei 
Zonaras  c.  24,  wo  er  einer  andern  Quelle  folg^,  heifst  er  Ballista.  Es 
kann  in  der  griechischen  Quelle  hinsichtlich  des  lateinischen  Wortes  ein 
Irrtum,  sei  es  des  Dexippus  selbst  oder  seiner  Überlieferung,  stecken^  y 

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—    566    — 

nus  selbst,  eiu  älterer  Mann,  lehote  jedoch  für  sich  ab  za  gunst^n 
seiner  beiden  Sobne^  Macrianus  des  jüngeren  und  Quintus,  und 
diese  wurden  dann  auch  erhoben  und  nicht  nur  in  Asien,  son- 
dern auch  in  Ägypten  anerkannt^)  Aber  diese  Aushilfe  dauerte 
nicht  lange.  Während  Ballisia  mit  Quintus  in  Asien  blieb,  hatten 
die  beiden  Macrianus  dem  im  Auftrag  von  Gallienus  gegen  ihn 
rüstenden  Aureolus  entgegenzuj^reten;  sie  zogen  mit  einem  Heer 
von  30000  Mann  nach  Europa  hinüber,  wurden  aber  hier  von 
Aureolus  im  J.  261  geschlagen,  worauf  sie  sich  töteten  und  ihr 
Heer  auf  die  Seite  des  Gallienus  hinüberging.  In  Asien  aber 
fand  Quintus  einen  Gegner  in  einem  Manne,  der  aus  eigener 
Initiative  von  mujiizipalen  Verhältnissen  aus  gegen  die  Perser 
aufgetreten  und  siegreich  gewesen  war,  es  jedoch  seinen  Interessen 
angemessen  fand,  weder  für  sich  selbst  das  Imperium  zu  nehmen, 
noch  sich  mit  Quintus  zu  vereinigen,  sondern  im  Namen  des 
Gallienus  gegen  den  Prätendenten  aufzutreten.  Es  war  dies  das 
regierende  Haupt  der  Oasengemeinde  Palmyra,  Odänathns,  ein 
Mann,  der  in  der  Vereinigung  orientalischer  Herrscherstellong 
mit  der  Würde  eines  vornehmen  Römers  und  hellenistischer  Bil- 
dung einen  Vertreter  alles  dessen  darstellte,  was  der  östliche 
Teil  des  römischen  Reichs  an  Volkselementen  enthielt.^  Seine 
Vaterstadt,    im   Verlaufe    der    römischen   Eaiserherrschaft    dem 


1)  Der  Name  des  Vaters  heilst  in  der  Überlieferaog  bei  Trebellius 
(vit.  GM.  und  iyr.  12)  teils  Macrinus,  teils  Macrianos,  bei  Zonar. 
12,  24  da,  wo  er  auch  Ballista  giebt  (s.  yorherg.  A.),  also  ans  lateinischer 
Quelle  schöpft,  Macrinus.  Die  Form  Macrianns  wäre  gesichert,  wenn  die 
dem  Vater  zugeschriebenen  Münzen  als  ihm  zugehörig  anzuerkennen  wären; 
allein  v.  Sallet,  Daten  S.  76—79  erkennt  einen  Kaiser  Macrianus  senior 
nicht  an. 

2)  Zur  Geschichte  des  Odänathus  tragen  so  «iemlich  alle  fKr  diese 
Zeit  in  Betracht  kommenden  Quellen  bei;  sie  bedürfen  aber,  namentlich 
Trebellius  (vit  Gall.  12  f.,  iyr.  15)  sehr  der  Eontrolle,  die  durch  die  Monu- 
mente (Münzen  und  Inschriften)  gegeben  ist.  Auf  diesen  beruht  y.  Sallet, 
die  Fürsten  von  Falmjra  unter  Gallienus,  Claudius  uud  Aureliaa.  Über 
die  griechischen  Inschriften  vgl.  auch  Le  Bas-Waddiogton  III  n.  2600  ff. 
(ezplic.  p.  699  ff.),  wo  die  Ehrungen,  welche  die  Gemeinden  und  Korpora- 
tionen den  verschiedenen  Mitgliedern  der  Familie  des  Odänath  erwiesen, 
zusammengestellt  bind,  und  auch  die  Gemeindeverfassung  zu  erkennen  ist; 
femer  bei  Vogüd,  Syrie  centrale^  inscripHons  aemiUques,  die  Inachriften  in  der 
Landessprache.  Von  neueren  Darstellungen  der  Verhältnisse  Palmyraa  und 
der  hierher  gehörigen  Ereignisse,  vgl.  W.  R.  Smith  in  Encjcl.  Britann.  IB, 
198—203.    Mommsen,  r.  Gesch.  5,  422—442.  ^  j 

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-     567     - 

Reiche  angeschlosaeu,  hatte  bisher  nur  die  Rolle  einer  freien 
Handelsstadt  gespielt^  die  mit  allen  Privilegien^  welche  die  Ent- 
wicklung des  Zwischenhandels  zwischen  dem  Reich  und  den  jen- 
seitigen Euphratländern  begünstigen  konnten,  ausgestattet  und 
stark  genug  gestellt  war,  um  diesen  Handel  sowie  die  durch  ihr 
Gebiet  bezeichnete  Grenze  zu  schützen.  Die  angesehensten  Bürger 
nennen  sich  nach  dem  Kaiser  Septimius  Severus,  der  wohl  bei 
der  Neuordnung  der  syrischen  Verhältnisse  in  Erkenntnis  der 
Wichtigkeit  Palmyras  wahrscheinlich  der  Gemeinde  das  Kolonie- 
recht verliehen  hatte,  an  das  sich  dann  bald  darauf  das  Recht  des 
ius  Italicum  anschlofs.^)  Jetzt  wurde  die  reiche  Handelsstadt  der 
Mittelpunkt  einer  politischen  Macht.  Die  letzten  Ziele  des  Mannes, 
der  diese  Erhebung  zu  Stande  gebracht,  liegen,  da  er  auf  halbem 
Wege  beseitigt  wurde,  nicht  offen  vor,  aber  sie  lassen  sich  er- 
raten. Ansprüche  auf  das  römische  Imperium  zu  erheben,  konnte 
ihm,  der  der  römischen  Verwaltung  bisher  ferne  gestanden  und 
nur  in  den  lokalen  Verhältnissen  ihr  mittelbar  gedient  hatte, 
nicht  wohl  einfallen,  aber  nachdem  es  ihm  gelungen,  sich  im 
Kampfe  gegen  die  Perser  einen  Namen  zu  macheu,  mochte  es 
ihm  als  erreichbares  Ziel  erscheinen,  ein  Reich  zu  errichten,  wie 
es  einst  die  Seleukiden  gehabt.^)  DaTs  er  zu  diesem  Behufe  eine 
gröfsere  Macht  haben  mufste,  als  sie  dem  Haupte  der  palmyre- 
nischen  Gemeinde  zu  Gebote  stand,  war  natürlich,  und  diese 
Macht  suchte  er  in  den  Streitkräften,  welche  das  römische  Reich 
in  Asien  hatte.  Dazu  diente  ihm  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen vortrefflich  der  Name  des  Gallienus,  von  dem  er  nach 
allem,  was  man  bisher  erfahren,  annehmen  durfte,  dafs  er  für 
den  Orient  eben  ein  blofser  Name  bleibe,  und  der  erste  Teil 
seiner  Pläne,  unter  diesem  Namen  die  römische  Macht  unter 
seiner  Führung   zu   vereinigen,   gelang  ihm;   es   stand   ihm   in 

1)  Schon  der  Vater  nnd  Grofsvater  des  Odänathus  haben  nach  den 
inscr.  graec.  den  Rang  von  römischen  Senatoren,  der  Vater  heifst  daneben 
l%uq%o^  IlaXfivifrivÄVf  Fürst  von  Palmyra;  Septimius  Odftnathus  selbst  heifst 
Le  Bas- Waddington,  n.  2602  (explic.  8,  600)  »  Vogüä  n.  23  (vollständiger 
palmyr.  Text)  vnarinog  im  J.  268,  sein  Senatsrang  gehört  also  der  höchsten 
Stufe  an. 

2)  Trebellins  rechnet  ihn  tyr.  16  (vgl.  vit.  Gall.  8)  kurzweg  zu  denen, 
welche  Imperium  sumpserunt  in  der  Weise  der  andern  Prätendenten;  dem 
widersprechen  seine  Handlangen.  Die  andern  Quellen  sprechen  sich  über 
seine  Pläne  nicht  aas;  dem  Zonaras  ist  er  einfach  *Poofia^ffi  nictog  12,  24 
p.  600  Bonn. 

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~     568     - 

Palmyra  selbst  ordnungsmäJDsig  ein  romischer  Prokorator  zur 
Seite,  der  die  Interessen  des  romischen  Fiskus  zu  vertreten  hatte, 
aber  auch  dieser  war  aus  den  Eingeborenen  und  Yerwandteo 
des  Hauses  von  Odänath  genommen  und  hatte  keine  Militar- 
macht  zur  Verfugung.  *)  —  Wohl  im  J.  263  erschien  Odänatiiiis 
auf  dem  gröfseren  Schauplatze,  indem  er  den  für  Gallienus  ein- 
getretenen Yon  der  macrianischen  Familie  noch  übrigen  Quinios 
bei  Emesa  besiegte  und  zum  Tode  brachte.^  Einen  Augenblick 
scheint  Odänathus  daran  gedacht  zu  haben,  den  Perserkönig  durch 
Gefälligkeiten  und  Anerbietungen  zu  gewinnen,  aber  Sapor  lieCs 
sich  nicht  tauschen.')  Indes  mufste  bei  näherer  Erwägung  auch 
dem  Odänathus  der  Gedanke  kommen,  dufs  der  Perserkonig  dodi 
der  nächstliegende  Feind  für  seine  Absichten  sei  und  daCs  Yon 
diesem  Standpunkte  aus  angezeigt  wäre,  diesen  mit  römischen 
Hilfsmitteln  unschädlich  zu  machen  und  dann  die  Verwirrung 
im  romischen  Reich  für  seine  Pläne  einer  Herrschaft  über  Vorder- 
asien zu  benutzen.  So  legitimierte  er  sich  denn  nun  vor  den 
römischen  Truppen  in  Asien  durch  den  siegreichen  Kampf  gegen 
die  Perser,  denen  er  Mesopotamien  wieder  entrifs  und  die  er 
bis  zu  den  Mauern  von  Ktesiphon  verfolgte*):    es  zeigte  sich, 

1)  Vgl.  die  Inschriften  des  Septimius  Vorodes  (der  also  den  Namen 
Septimius  mit  Odänath  gemein  hat)  Waddington  n.  2606  ff.,  der  THQaxunoq 
inCtQonog  2eßciatov  dovurivdQiog  xal  agyanitrig  heilst.  Derselbe  fnngiert  in 
den  Jahren,  in  denen  Odänath  die  Stellung  eines  römischen  Oberfeldhemi 
hat,  neben  ihm  in  der  munizipalen  Stellung  eines  a^fanivrig^  vgL  darfiber 
Mommsen,  r.  6.  5,  434  A.  1. 

2)  Zonar.  12,  24:  {Kv'Cvxog  xal  BaVUcrag)  iv  'Ei^icg  ditjyov'  If^a 
yevoftsvog  6  'Sldivad'og  xal  avfißaXmv  avTori^  vi%^  nal  tov  filr  BccXUetof 
avtog  dvai(fet,  tov  dl  KvXvtov  ot  zijg  nölsmg.  Hinsichtlich  des  Ballista  ist 
dieser  Ausgang  wahrscheinlicher,  als  was  Trebellins  weils,  der  ihn  v.  QalL 
3,  2  zum  Verräter  an  Quintus  macht  und  tyr.  18  ihn  sogar  Eum  Präten- 
denten werden  läfst.  Die  Zeit,  in  welcher  dies  vorfiel,  bestimmt  sich  dar- 
nach, ob  man  die  Angabe  des  Trebellius  vit.  Gall.  10,  dals  im  J.  264 
Odänathus  das  imperium  totim  orientis  optinuit,  annimmt  und  die  Verleihung 
dieser  Würde  durch  Gallienus  mit  Zonar.  12,  24  unmittelbar  nach  der 
Ermordung  des  Quintus  setzt  oder  den  Perserkrieg  dazwischen  legt  Siehe 
unten. 

3)  Petr.  Patric.  fragm.  10  (Müller  fragm.  4,  187  fr.  10).  —  Es  ist 
Sache  der  Kombination,  dafs  im  obigen  der  Inhalt  dieses  Fragments  in 
eine  Zeit  verlegt  ist,  in  der  Odänath  über  den  Weg,  den  er  einschlages 
wollte,  noch  nicht  sicher  war. 

4)  Vit.  Gall.  10  und  die  andern  Quellen.  Zosimus  1,  89  sagt  sogftr; 
h&dav  liixQi  Ktrjatcpcavxog  ccvxrjg  ovx  «««£  dXXä  xal  Ssvte^ov, 

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—    569     — 

dafs  dieses  Perserreich  mit  seinen  kriegerischen  Anläufen  nicht 
nachhaltig  gefahrlich  war,  weil  es  kein  stehendes  Heer  besafs, 
sondern  auf  einen  Zuzug  angewiesen  war,  der  den  Charakter 
des  Freiwilligen  hatte.  Nach  den  Persem  kamen  die  Gothen, 
deren  Rückzug  über  den  Pontus  auch  ihm  zu  yerdanken  war.^) 
Gallienus  seinerseits  liefs  sich  die  Stellvertretung,  die  sich  ihm 
so  ohne  sein  Zuthun  angeboten,  gefallen.  Er  ernannte  den  Oda* 
nathus  wohl  zum  obersten  Heerführer  im  ganzen  Orient,  indem 
er  die  Stellung  eines  dux,  die  ja  schon  an  allen  Grenzen  be- 
kannt war,  in  ihrer  höchsten  Ausdehnung  zur  Anwendung  brachte 
und  die  Provinzialstatthalter  unter  ihn  stellte,  und  zwar  galt 
diese  Gewalt  für  ganz  Asien.  Daneben  nahm  er  den  Titel  eines 
Königs   Yon  Palmyra   an.^     Allein   mitten   in   diesen   Erfolgen 

1)  Sync.  p.  716 f.:  'Sldhad'og  %axä  ÜB^amv  äi^nntvcag  —  S^vd^ag 
xtnaXri^fABVos  doXotpoviCxai.  —  ot  dl  Znv^ai  hqIv  avtov  iWetv  inav^ld'ov 
slg  xä  tdia  9ul  xov  avxov  Ilovtov, 

2)  Wenn  Zonar.  12,  2S  f.  mit  trjg  icoag  oder  ndcrig  dvaxoliig  axffaxrjyog 
den  wirklichen  Titel  geben  will,  so  wlSne  dies  dux  orientts,  (ygl.  aach  Schiller, 
Gesch.  der  Eaiierz.  1,  826.  8S8  A.  9),  nnd  es  wäre  also  wohl  die  Stellang 
eines  dux  limitia  orierUis  in  dieser  Weise  erweitert  worden.  Bei  Zosim. 
1,  39  lantet  der  dem  Od.  erteilte  Auftrag  toCg  nsi^l  xriv  imav  ngayiucöiv 
oiüiv  ip  anoyvman  ßmi^sPif  'Oddpa^ov  ixcc^ev.  Vgl.  über  dux  auch  Mommsen 
bei  ▼.  Sallet,  Fürst  y.  Palm.  S.  72—76.  Ob  er,  wie  sf^ter  sein  Sohn,  den 
Titel  imperator  erhielt,  (tyr.  15,  6),  dafür  fehlen  die  urkundlichen  Belege. 
Bex  PdUmyrenorum  heifst  er  yit.  Gall.  10,  1  und  dafs  er  in  Palmyra  cum 
uxore  Zenobia  den  Titel  rex  annahm,  (tyr.  16,  2),  ist  für  Zenobia  urkund- 
lich belegt.  —  Die  Zeitfolge  wird  wohl  nach  Zonaras  12,  28  im  Verhältnis 
lu  12,  24  und  den  andern  Quellen  so  herzustellen  sein,  dafs  Od.  zuerst 
kleinere  Erfolge  gegen  die  Perser  errang  und  dadurch  ein  Heer  gewann; 
mit  diesem  trat  er  gegen  Quintus  auf,  erhielt  infolge  hieryon  den  Ober- 
befehl in  Asien  und  ging  nun  mit  yoller  Macht  gegen  Sapor  yor.  —  Dafs 
Gallienus  den  Od.  zum  Aug^stus  erhoben  hätte  (yii  Gall.  12,  1)^  ist  dem- 
nach nicht  wahrscheinlich,  jedenfalls  nicht  urkundlich  zu  erweisen  (y.  Sallet 
a.  a.  0.  S.  66).  Der  Ortliche  Umfang  seiner  Gewalt  mulste  in  dem  Dekret, 
das  ihm  dieselbe  yerlieh,  nach  Proyinzen  angegeben  sein.  —  In  sein  Gebiet 
fällt  jedenfalls  das  Land  der  cilidschen  Isaurier,  in  dem  ebenfalls  eine  Er- 
hebung stattfond,  deren  Führer  Trebellianus  aber  nur  die  lokale  Unabhängig- 
keit für  Aufrichtung  eines  neuen  Seeräubertums  wollte.  Gregen  ihn,  heifst  es 
tyr.  26,  4,  sei  ein  dux  GaJlieni  gezogen,  der  wohl  ihn  beseitigte  aber  nicht 
die  Unabhängigkeit  seiner  Isaurier,  mit  denen  die  Römer  auch  später  nur  in- 
soweit fertig  wurden,  als  sie  dieselben  in  ihren  Bergen  isolierten  (regio 
—  novo  genere  eustodiarum  quasi  limite  includiiur  —  26,  6).  Da  Odänath 
hier  gar  nicht  genannt  wird,  wird  die  Sache  wohl  yor  264  fallen.  —  Auch 
die  Erhebung  eines  Amilianus  wurde  durch  einen  dux  Gälliini  Theodotus. 

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scitigt. 


"     570     - 

fand  er  einen  Gegner  im  eigenen  Hause:  es  war  ein  Verwandter, 
der  ihn  tötete.*)  Seine  Ermordung  machte  jedoch  der  von  ihm 
vertretenen  Politik  noch  kein  Ende,  denn  seine  Gemahlin  Sep- 
timia  Zenobia,  die  wohl  schon  bei  seinen  Lebzeiten  die  kluge 
und  thätige  Genossin  seinei:  Bestrebungen  war,  fQhrte  sie  weiter 
fort,  indem  sie  für  ihren  jugendlichen  Sohn  Yaballathus  die  Re- 
gierung in  die  Hand  nahin,  dabei  auf  den  Bahnen  des  von 
Odänathus  begonnenen  weiter  ging  und  den  letzten  Zielen  eher 
mit  rücksichtsloserem  Vorgehen  nachstrebte.  Auch  sie  wurde 
mit  ihrem  Sohn  von  Gallienus  anerkannt,  und  zwar  sie  selbst  als 
Königin  von  Palmyra  und  ihr  Sohn  sogar  mit  dem  Imperatortitel 
im  Osten,^) 
Gaiiionu«  be-  8.   Dics  War  der  Stand  der  Dinge  im  Reich  zu  Anfang  des 

J.  268.  Das  Resultat  für  diesen  Moment  war,  dafs  die  Integrität 
des  Gebiets  zwar  im  Orient  nominell  voll  wieder  hergestellt,  da- 
gegen von  den  Donauprovinzen  Dacien  thatsächlich  so  gut  wie 
verloren,  wenn  auch  noch  nicht  aufgegeben*),  und  ebenso  das 

den  Bruder  des  Besiegere  der  Isaarier,  niedergeschlagen,  wobei  angegeben 
wird:  {ßaUimtAs)  cum  Theodoto  vellet  imperium  procansulare  äeeemere^  a 
sacej'dotibus  est  prohtbiius,  qui  dixerutU^  fasces  consulares  ingredi  AJexan- 
driam  non  licere  (tyr.  22).  Es  wäre  von  Interesse,  zu  wissen,  ob  dies  noch 
vor  Odänaths  Einsetzung  stattgefunden  hätte.  Nach  früherer  Regel  wäre 
in  Ägypten  von  Syrien  aus  eingeschritten  worden,  wie  dies  dann  auch  später 
unter  Zenobia  geschieht  (s.  unt.) 

1)  Tyr.  16,  5:  a  consohrino  suo  Maeonio  —  interemptus  est.  Dieser 
Mäonius  wird  dann  tyr.  17  selbst  als  Piiltendent  bebandelt,  aber  in^eratar 
appeUcUus  per  errorem  brevi  a  militibus  pro  euae  luxuriae  merüis  interemptus 
est.  Zonar.  12,  24  a.  E.  Nach  Zos.  1,  39  geschah  der  Mord  in  Emesa. 
Die  Zeit  bestimmt  sich  nach  ägyptischer  Zählupg  der  Regierung^ahre  des 
Sohnes  266/267.    v.  Sallet,  Fürsten  von  Palmyra  S.  14. 

2)  Yaballathus  heilst  auf  Inschriften  und  Münzen  sicher  imperator 
(avrox^aTflo^),  und  wenn  die  Deutung  der  Münzlegenden  bei  v.  Sallet  (a.  a 
0.  S.  16—48)  richtig  ist,  mit  seinem  vollen  Titel  v(ir)  c(onsularis)  B(oma' 
norum)  %m(perator)  d{ux)  B(omanorum) ;  wir  wissen  nicht,  wie  weit  diese 
Titulatur  an  den  Anfang  seiner  Regierung  zu  setzen  ist.  Zenobiamy  sagt 
Vopiscus  vit.  Aurel.  38,  1,  VabdlcUhi  ßii  nomine  imperium  tenuisse  quod 
tenuit.  Den  Römern  gegenüber  war  sie  zunächst  Königin  von  Palmyra; 
ihre  Stellung  als  wahre  Trägerin  der  dem  Sohn  überkagenen  Qewalt  madite 
sie  sich  zuerst  selbst  und  wurde  erst  später  von  den  Römern  darin  aner- 
kannt durch  den  Titel  Äugusta,  den  sie  auf  Münzen  und  Inschriften 
führt.    V.  SaUet,  48  ff. 

8)  Eutrop.  9,  8  Dada  tum  amissa.  Damit  ist  noch  nicht  gesagt,  dals 
man  bereits  auf  die  Wiedergewinnung  verzichtete,  auch  mögen  noch  mili- 
tärische Stellungen  gehalten  worden  sein. 

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^    571     - 

Land  zwischen  dem  Rhein  und  dem  überrheinischeu  Limes  in 
den  Händen  der  Alamannen  war^);  der  Rhein  selbst  war  durch 
die  gallischen  Imperatoren  noch  leidlich  gesc^ützt^  aber  hier  wie 
an  dem  ganzen  Lauf  der  Donau  von  Rätien  bis  zur  Mündung 
war  die  Grenze  eine  bestrittene  und  von  den  Barbaren  vielfach 
durchbrochene.  Das  Hauptinteresse  aber  war  in  diesem  Augen- 
blicke nicht  auf  diese  Barbarennot  gerichtet;  sondern  auf  den 
Feldzug  gegen  das  gallische  Imperatorentum  und  auf  die  Epi- 
sode desselben,  den  Kampf  zwischen  Gallienus  und  dem  in  Mai- 
land eingeschlossenen  Aureolus.  Hier  war  es,  dafs  die  dem 
Gallienus  bisher  noch  treu  gebliebenen  Generale,  worunter 
namentlich  Heraclian  und  der  spätere  Kaiser  Aurelian  genannt 
werden,  zusammentraten,  dem  allgemeinen  Verlangen,  endlich 
aus  diesen  schmählichen  Zuständen,  in  denen  man  nur  die  Wahl 
zwischen  einem  ebenso  unwürdigen  als  unfähigen  legitimen  Kaiser 
und  beständig  wechselnden  Prätendenten  hatte,  herauszukommen 
Ausdruck  gaben,  und  nachdem  sie  sich  über  die  Beseitigung  des 
Gallienus  geeinigt,  sich  auch  über  einen  Nachfolger  vereinbarten, 
der  durch  ihre  Namen  gestützt  die  Macht  gewinnen  sollte,  die 
übrigen  Prätendenten  zu  überwinden  und  zugleich  das  Reich 
nach  aufsen  wieder  zu  sichern.  Der  Mann,  auf  den  sie  sich 
einigten,  war  nicht  einer  der  Verschworenen,  aber  einer,  dessen 
Übereinstimmung  mit  ihnen  sie  sicher  waren  und  dem  sie  willig 
als  dem  verdientesten  Bekämpfer  der  Barbaren  und  dem  zum 
Imperium  geeignetsten  den  Vorrang  zuerkannten,  M.  Aurelius 
Claudius.  Der  dem  Tode  geweihte  Gallienus  wurde  in  einem 
Kampfe,  in  den  man  ihn  brachte,  samt  seinem  Sohne  getötet'). 


1)  Ein  iDBchriftliches  Datum  l&Ist  sich  von  der  Zeit  der  AUeinherr- 
Bchafb  des  Gallienns  an  im  transrhenacischen  Gebiet  nicht  mehr  nach- 
weieen.  Dafs,  was  die  Römer  unter  dem  Schutz  des  Lagers  von  Mainz 
jenseits  des  Rheins  bis  auf  80  Lengen  noch  unterworfen  hielten,  unter 
Gallienus  verloren  ging,  sagt  das  Yeroneser  Provinzialverzeichnis  vom 
J.  297.  Mommsen  in  Abh.  der  Berl.  Akad.  1862  S.  498.  Geogr.  lat.  min. 
Riese  p.  129.  Auf  rätischem  Gebiet  in  der  N&he  des  r&tischen  Limes  an 
der  Grenze  des  oberrheinischen  Zehntlandes  findet  sich  in  Hausen  ob  Lon- 
thal  (Wfirttemb.)  noch  eine  Inschrift  auf  Gallienus.  die  also  nach  260  f&llt: 
%7n]p.  (Joes,  Galli[cnu8]  Germanicu[8.  p,  f,]  inviciua  Äu[g.].  SiAlin,  würt. 
Gesch.  1^  49  n.  184  —  c.  l  lat.  8  n.  6988. 

2)  Trebellius  Gall.  14,  1  giebt  als  Motiv  nur  an,  dafs  sie  Gäüieni 
tantam  improbitaiem  ferre  non  possent  Nach  Yict.  Caes.  38  hatte  Aureolus 
durch  Mitteilung  an   die  Generale,   dafs  Gallienus  im  Sinne  habe  sie  zu 

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—    572    — 

und  Claudius  nahm  die  Nachfolge^)  an.  Die  Soldaten,  wie 
schon  bemerkt,  an  Gallienus  anhänglich ,  wollten  sofort  sich 
nicht  zufrieden  gej^en,  aber  man  kannte  das  Mittel,  sie  durch 
Geschenke  zu  gewinnen  (ob.  S.  559  A.  3).  Die  Anerkennung 
des  Senats  zu  erbitten,  versäumte  man  nicht ^),  und  so  war  der 
gefallene  konstitutionelle  Kaiser  durch  einen  ebenfalls  ver&s- 
sungsmäfsig  anerkannten  ersetzt.  Der  erste  Erfolg  war,  dafs 
Aureolus  sich  nicht  mehr  halten  konnte,  getötet  wurde  und  nun 
die  Streitkräffce  des  Occidents  mit  Ausnahme  der  gallischen  in 
der  Hand  des  neuen  Kaisers  wieder  vereinigt  waren.')  Damit 
begann  die  Wiederherstellung  des  einheitlichen  Imperiums. 

§  88.    Von  Claudius  bis  Diooletian.     Letztes  Sehwanken 

zwischen  Heer-  und  Senatakaisertum«     Das  Ausleben 

der  augusteischen  Verfassung. 

ciaudiuf.  1.  Die  etwa  zweijährige  Regierung  des  Illyriers  M.  Aurelius 

Claudius*)  gehört  für  uns  wenigstens  durchaus  dem  Kampf  gegen 


töten ,  diese  veranlafst  vorzagehen.  Dafs  das  Mifstrauen,  welches  Gallienos 
gegen  seine  Heerführer  hatte,  diese  mit  veranlassen  konnte,  ihm  zuvor- 
zukommen,  ist  immerhin  möglich.  Nach  Zonar.  12,  26  wäre  die  Ausfühnuig 
der  Yerschwörang  dadurch  beschleunigt  worden,  dafs  man  die  Entdeckung 
erfuhr.  —  Das  Datum,  an  welchem  der  Tod  des  Gallienus  in  Rom  bekannt 
wurde,  w9jre  nach  vit.  Claud.  4,  2  der  24.  März  268  gewesen. 

1)  Wie  weit  er  selbst  bei  dem  Plane  beteiligt  war,  läTst  sich  nicht 
bestimmen.  Die  tendenziös  lobende  Biographie  sagt  1,  8,  dafs  er  tum  auc- 
tor  consüU  fuü. 

2)  Vit.  Claud.  am  ang.  0.  mit  Angaben  zweifelhaften  Wertes  über  die 
Senatssitzung.  Eutrop.  9,  1 :  Claudius  —  a  miliHbus  electus  a  senatu  appd- 
7a^us  Augu8tt$8.  Nach  Vict.  Caes.  38  hfttte  Gallienus  selbst  einmal  den 
Claudius  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt  gehabt;  deshalb  Odlliemim  9Üb<icii 
a  Claudio  patres,  quod  eius  arbitrio  imperium  cepisset,  divum  dixere.  Da& 
es  trotzdem  keine  Inschriften  des  divus  OtUlienus  giebt,  begreift  sich. 

8)  Zosim.  1,  89:  AvqioXos  —  inBüTiQvxBvsto  z£  Tta^xQVC^"^  ^Qos  KXav- 
diov  %al  naqadovg  savxov  vno  rmv  nsi^l  top  ßaaiXicc  öxifctvtmtmv  «vco^rTat 
TJ  duc  triv  dnoütaötv  ixofiivoiv  oqy^.  Dagegen  vit.  Cland.  5,  8:  tudido 
suorutn  müitum  ap%td  Mediölanium  Aureolus  dignum  exitum  viia  ac  mori- 
bus  suis  hdbuü.  Nach  Vopisous  vit.  Aurel.  16,  2  war  es  ungewüs,  ob 
Claudius  den  Tod  des  Anr.  wollte. 

4)  Vict.  epit.  84:  imperavit  annis  duobus;  nach  Oros.  7,  28  starb  er 
priusquam  biennium  expleret  Das  stimmt  im  allgemeinen  damit,  dafs  er 
noch  trib,  pot.  III  hat  und  innerhalb  des  dritten  alexandriniscben  Jahres 
sich  hält.  Konsul  wurde  er  erst  als  Kaiser ;  vgl.  Henzen  in  Bulleti.  d.  inst 
arch.  1880  p.  106.  —  Über  seine  Abstammung   ans   der  üljrischen  Land- 

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-     573    — 

die  ins  Reich  eingedrungenen  Barbaren  an.  Anfserhalb  Roms 
erhoben,  aber  der  Stimmung  von  Senat  und  Volk  in  Rom  sicher, 
des  mit  Gallienus  ausgezogenen  Heeres,  unter  dem  die  Garde 
sich  befand,  ebenfalls  gewifs^),  ging  er  nicht  nach  Rom,  sondern 
blieb  im  Felde,  nach  errungenen  Siegen  aber  zurückzukehren 
war  ihm  nicht  mehr  yergonnt.  Von  der  durch  die  Erfahrung 
bestätigten  Ansicht  ausgehend,  dafs  die  Nebenregierung  in  Gal- 
lien eine  dringende  Gefahr  nicht  biete*),  begnügte  er  sich  die 
Sicherung  Italiens  gegen  Gallien,  eventuell  das  Vorgehen  seiner- 
seits nach  Gallien,  den  Truppen  zu  überlassen,  welche  zugleich 
die  Verteidigung  Italiens  gegen  die  Alamannen  zu  führen  hatten; 
die  Lage  im  Osten  aber  mulste  er,  von  wichtigerem  in  An- 
sprach genommen,  froh  sein,  in  dem  Stande  zu  lassen,  in  dem 
er  sie  antraf,  d.  h.  mit  dem  nominellen  romischen  Imperium 
und  der  thatsächlich  selbständigen  Herrschaft  der  palmyrenischen 
Konigin,  die  ihrerseits  für  den  Augenblick  noch  ebenfalls  bei 
dem  bisherigen  Verhältnis  bleiben  wollte.  Der  Kaiser  selbst 
muCste  so  rasch  wie  möglich  den  Gothen  entgegenziehen,  welche 
in  mächtigen  Massen  zu  Land  über  die  Donau  herübergekommen 
waren  und  von  der  See  her  die  thrakische  und  makedonische 
Küste  heimsuchten.^)  Ihre  Vernichtung  sollte  das  einzige  grofse 
Werk  seiner  Regierung  sein,  sie  war  aber  ein  so  gewichtiger 
Erfolg*),  dafs  der  Titel  des  Gothensiegers,  den  er  als  Unterschei- 
dungsnamen führt,  nicht  ohne  innere  geschichtliche  Berechtigung 

Schaft  Dardania  und  das  Verwandtscbaftsverhältnis  dos  nachmaligen  Kaisers 
Constantius  zu  ihm  vit.  11,  9.  13,  2.  Mit  letzterem  hängt  wohl  anch  zu- 
sammen,  dafs  ihm  in  den  Biographieen  (vit.  Anrel.  17,  2  vgl.  vit.  Cland. 
3,  6)  der  darch  die  Monumente  nicht  belegte  Name  Flavius  gegeben  wird. 

1)  Nach  tyr.  31,  12.  32  wäre  unter  Claudius  ein  Censonnus,  einer 
der  angesehensten  Männer  senatorisohen  Standes  (bis  conaülj  bis  praef. 
praet,^  ter  praef.  wbi  etc.),  wie  es  scheint  in  Italien,  von  Soldaten  zum 
Imperator  erhoben,  dabei,  weil  er  infolge  einer  Wunde  datidicims  gewesen, 
Claudiua  genannt,  jedoch  bald  wieder  wegen  seiner  Strenge  von  denselben 
Leuten  getötet  worden.  Es  läuft  in  dieser  Notiz  Ernsthaftes  und  Skurriles 
so  durch  einander,  dafs  man  nicht  weils,  was  man  damit  machen  soll, 
jedenfalls  liegt  darin  nur  ein  Zwischenfall,  der  keine  Bedeutung  hatte. 

2)  Zonar.  12,  26  läfst  ihn  rhetorisch  sagen:  6  nqoq  xov  xv(favvov  noXs- 
ftog  ifiol  diatpiifsif  b  Öl  ngog  tovg  (Sa^ßa^ovff  xy  noXixBÜf^  %al  %^ri  ngoxi' 
lifldijval  xop  x^s  nohxsücs. 

3)  Koalition  der  gothischen  und  sonstigen  germanischen  Stämme  gegen 
die  Donauprovinzen.    Zos.  1,  42.     Vit.  6  ff. 

4)  Die  Hauptschlacht   bei  Naissus  (Nisch)   angegeben  bei  Zo^.  1,  46l 

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seinem  Namen  in  anderer  Weise  anhaftet,  als  die  vielen  Sieges- 
titel der  andern  römischen  Imperatoren.^)  Infolge  dieses  Siegs 
wurde  wieder  eine  Menge  der  übrig  gebliebenen  Barbaren  in 
dem  römischen  Provinzialland  als  Kolonen  angesiedelt.*)  —  Aber 
auch  die  Alamannen,  die  über  Ratien  hereingekommen  waren, 
waren  bereits  im  J.  269  durch  einen  bedeutenden  Sieg  in  der 
Gegend  des  Gardasees  zurückgewiesen  worden^),  und  nach  diesem 
Sieg  hatten  sich  Truppen  des  Claudius  im  narbonensischen  Gal- 
lien festgesetzt*)  —  Andererseits  hatten  sich  in  Ägypten  Er- 
eignisse vollzogen,  welche  vom  Kaiser  nur  unter  der  Zwangs- 
lage, in  der  er  sich  mit  seiner  Eriegsaufgabe  befand,  angenommen 
werden  konnten.  Ein  Ägyptier  Timagenes  hatte  die  Zenobia 
veranlafst,  Ägypten  zu  besetzen,  und  diese  ihre  Truppen  unter 
palmyrenischer  Führung  einrücken  lassen;  der  Widerstand, 
welchen  die  Ägypter  unter  Anführung  eines  römischen  Befehls- 
habers Probus  leisteten,  wurde  niedergeschlagen.  Zenobia  hatte 
dies  gethan  noch    vermöge   des   römischen    Imperiums,   das   sie 


1)  Er  hat  ihn  auf  den  Monumenten  erst  als  Divus.  Orell.  1025.  Wil- 
manns  1038.    Cohen  6  p.  186  n.  63. 

2)  Vit.  9,  4:  impletae  barharis  servis  Scylhicisque  cultoribus  Ramanae 
provinciae;  f actus  limitis  barhari  colontts  e  Gotho,  nee  vUa  fmt  regio  quae 
Gothum  servum  tritmiphali  quodam  serviHo  non  haberet. 

3)  Vict.  epit.  34:  receptis  legionibus  adversum  gentem  Älamannorum 
haud  pi'ocul  a  lacu  Benaco  dimicans  tantam  tnuUitudinem  ftidit,  ut  aegre 
pars  dimidia  superfuerit  Damach  hätte  Claudius  selbst  sofort  nach  der 
Übernahme  des  Imperiums  in  Italien  diesen  Erfolg  gehabt.  Die  anderen 
Quellen  lassen  ihn  sogleich  gegen  di^  Gothen  ziehen.  Im  J.  269  hat 
Claudius  den  Beinamen  Germanicus,  der  wohl  eben  auf  diesen  Sieg  sich 
bezogen  haben  wird  (s.  folg.  Anm.).  Möglich  wäre,  dafs  der  Bruder  des 
Kaisers,  QuintiUu?,  der  bei  seinem  Tod  bei  Aquileja  steht  (Hieron.  a.  Abr. 
1287  p.  183  Schöne.  Chronogr.  n.  354  p.  648  Momms.),  die  Kriegführung 
gegen  die  Alamannen  gehabt  hätte;  dann  bleibt  es  aber  auffiallend,  dais 
dies  nicht  erwähnt  wird.  ' 

4)  Inschrift  von  Grenoble  Bullett  d.  inst.  arch.  1880  p.  106:  Imp. 
Caes.  M.  Aur.  Claudio  pio  felici  invicto  Aug.  Oertnanico  max,  p.  m.  trib. 
potestatis  II  cos,  patri  patriae  proc,  vexillationes  adque  eguües  itemque  prae- 
positi  et  ducenar(tt)  protectipres)  tendentes  in  Narb.  prov.  süb  cura  /«/. 
Placidiani  v(iri)  p(erfectissimi)  praefect.  vigil  etc.  Es  standen  aUo  bei 
diesem  Korps  auch  die  stadtrömischen  Truppen. 

6)  V.  Claud.  11.  Zos.  1,  44:  Zdßdav  inl  tjjit  Afyvntov  inmimsi  Ti^a- 
ysvovg  dvSQog  AlyvntCtn)  tr^v  ccQxrtv  t^g  Alyvnxov  ncclfiVQqvoig  xatangccTto- 
fiivov.  Bei  Zos.  heifst  der  Prätendent,  gegen  welchen  die  Palmyrener  ein- 
schreiten^ Probus. 

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vertrat  und  die  Ägypter  auch  wieder  zum  Gehorsam  gegen 
Claudius  Yerpflichtet,  dabei  vielleicht  die  Unternehmung  dadurch 
zu  rechtfertigen  gesucht,  dafs  sie  den  Probus  als  Usurpator  dar- 
stellte.^) Auch  ist  wohl  jetzt  der  Zenobia  der  Titel  Augusta, 
wie  einer  Frau,  die  zum  kaiserlichen  Hause  gehörte,  von  Clau- 
dius verliehen  worden,  nicht  aber  der  entsprechende  Titel  dem 
Yaballathus,  für  dessen  Person  darin  etwas  wesentlich  anderes 
gelegen  wäre.^)  Allein  Claudius  konnte  sich  bei  dem,  was  er 
hier  geschehen  liefs  und  that.  Ober  den  wirklichen  Sachverhalt 
keine  Illusionen  machen;  er  wollte  nur  mit  derselben  Umsicht, 
mit  der  er  die  gallischen  Dinge  anfafste,  auch  jetzt  noch  das 
Eingreifen  auf  die  Zeit  verschieben,  in  welcher  er  es  mit  freier 
Hand  und  dann  mit  sicherem  Erfolg  thun  konnte.  Jedoch  die 
Früchte  seiner  Siege  gegen  die  Germanen  zur  Wiederherstellung 
des  einheitlichen  Reichs  zu  verwerten,  war  ihm  nicht  vergönnt; 
er  starb  vor  August  des  J.  270*)  in  Sirmium  an  der  Pest,  von 
seiner  kurzen  Regierung  den  Eindruck  hinterlassend,  dafs  er  der 
Mann  gewesen  wäre,  der  dem  römischen  Reich  hätte  aufhelfen 
können/)  Sein  Tod  wurde  zugleich  verhängnisvoll  für  seinen 
Bruder  Quintillus.  Es  war  nun  wieder  im  ersten  Augenblick  der 
Wetteifer  der  Truppen  geschäftig  gewesen,  so  rasch  wie  mög- 
lich einen  Nachfolger  zu  schaffen,  der  dem  betreffenden  Heere 
genehm  gewesen  wäre;  das  Heer  in  Italien  stellte  den  Bruder 
des  Claudius  Quintillus  auf,  anderen  zuvorkommend;  allein  die 
übrigen  Legionen  wollten  hiervon  nichts  wissen,  sondern  erhoben 

1)  Vit.  Claud.  11,  2:  Aegyptii  omnes  se  Romano  imperatori  dedeitmt 
in  absentis  Claudii  veiha  iurantes. 

2)  V.  Sallet,  Münsen  y.  Palm.  60  ff.  findet  es  wahrscheinlicher,  dafs 
Zenobia  den  Angnetusiitel  von  Anrelian  erhielt,  aber  ans  welcher  Yeran- 
lassong?  Über  die  relative  Bedeutung  desselben  als  blofsen  Ehrentitels  bei 
Franen,  Mommaen  r.  G.  5,  487  A.  1;  über  Yaballathns  und  Zenobia  als 
rex  und  regina  in  Ägypten,  Mommsen  in  ephem.  epigr.  4  p.  26  sq. 

3)  Weil  es  kein  viertes  alex.  Jahr  von  ihm  giebt,  ob.  S.  672  A.  4. 

4)  Nicht  nur  der  Biograph,  auch  die  andern  Qnellen  stimmen  in  dem 
Lob  seiner  Regierung  überein.  Mit  den  summarischen  Angaben  über  die 
innere  Regierung  (vit.  2,  7:  fures  iudices  pdlatn  aperteque  damnavity  stuliis 
quasi  neghgenter  indulsit,  leges  optimas  dedit)  läfst  sich  nichts  anfangen. 
Eine  einzelne  Bestimmung  Zonar.  12,  26:  anrjyoQSvas  näai  trfTSiv  in  ßaat- 
X^mg  ttXloTQia  Tcgayficeta'  vsv6fi,iato  yccQ  tovg  ßctßiXBtg  dvvaa^ai  dcnqBtoQ'at 
aal  xcL  alXöxqia'  ZQ'Bv  %al  ot  hi  xtC^Bvoi  vofMi  rtaga  tjj  noXixBla  iG%ri%aüi 
triv  aq%r^v.  Daran  schliefst  sich  eine  charakteristische  Anekdote,  wie  er 
selbst  fremdes  Gut,  das  ihm  geschenkt  worden  war,  zurückgab.     ^  j 

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ihrerseits  den  General^  der  bereits  bei  der  Erhebung  des  Claudius 
eine  hervorragende  Stelle  eingenommen  und  von  letzterem  m^te^ 
dessen  an  dem  Donaulimes  mit  dem  höchsten  Kommando  nach 
dem  kaiserlichen  bekleidet  worden  war,  den  L.  Domitius  Aure- 
lianus.  Quintillus  gewann  zwar  die  Anerkennung  des  Senats, 
der  dem  nächstlagernden  Heer  gegenüber  sie  nicht  versagen 
konnte,  aber  gegen  den  Willen  der  Mehrzahl  der  Legionen 
blieben  ihm  auch  die  eigenen  Truppen,  ohnedies  durch  seine 
Strenge  von  ihm  abwendig  gemacht^  nicht  treu.  Für  Aurelianus 
kam  die  Zustimmung  des  Senats  nicht  weiter  in  Betracht.^) 
Aurelianus.  2.  Das  Werk  der  Verteidigung  der  Reichsgrenze,  das  Clau- 

dius begonnen,  hat  Aurelian,  der  ebenfalls  aus  den  Donaupro- 
vinzen stammte^),  kräftig  und  erfolgreich  fortgesetzt,  die  Wieder- 
herstellung der  Reichseinheit  hat  er  vollendet   Sofort  nach  seiner 


1)  Die  Erhebung  des  Qaintillaa  wird  ziemlich  einstiiiimig  berichtet; 
anch  geht  aus  den  ßerichten  hervor,  dafs  sie  zuerst  erfolgte.  Lob  seines 
Charakters  nicht  blofs  bei  Trebellius  und  Eutrop.  9,  12.  Anerkennung 
durch  den  Senat  bei  Eutrop  und  Zonar.  12,  26;  verschiedene  Versionen  über 
seinen  Tod  bei  Zonaras.  —  Die  meisten  Quellen  lassen  ihn  nur  17  oder 
18  Tage  regieren,  aber  Eckhel  hebt  7,  478  hervor,  dafs  wegen  der  Menge 
seiner  Münzen  man  ihm  mit  Zosim.  1,  47  wenigstens  einige  Monate  geben 
müsse;  im  Chronogr.  v.  854  heifst  es:  iwp,  dies  LXXVII;  über  den  Ort 
seines  Todes  ob.  S.  574  A.  3.  —  Über  die  Aufstellung  Aurelians  vit.  Aur. 
17,  4:  consensu  otnniutn  legionum  (actus  est  imperator;  nach  Zonar.  12,  26 
hätte  Claudius  selbst  vor  seinem  Tode  den  Generalen  den  Aurelian  als 
Nachfolger  empfohlen. 

2)  Vit.  3,  1:  Äureiiantts  ortus  ui  plures  loquuntur^  Sir  mit  familia  ob- 
scuriorey  ut  nonnulli  Dada  ripemi;  ego  atUem  legisse  me  memini  auctorem 
qui  cum  Moesia  gentium  praedicaret.  Vict.  epit.  35:  genitus  paire  mediocri 
et  iU  q\iidam  ferunt  AwreUi  clarissimi  senatoris  colono  inter  Dadam  et 
Macedoniam.  —  Die  Biographieen  der  Kaiser  zwischen  Claudius  und  Diocle- 
tian  rühren  von  Flavius  Vopiscus  her,  der  sie,  veranlalst  im  Nov.  303  durch 
den  damaligen  Stadtpräfekten  Junius  Tiberianns,  von  dieser  Zeit  an  sehrieb. 
An  sich  konnte  es  dem  Vopiscus  teils  aus  eigener  Erinnerung,  teils  nach 
der  von  älteren  Freunden  und  Verwandten,  die  bei  den  Ereignissen  be- 
teiligt waren  (vit.  Firm.  9,  4)  nicht  schwer  werden,  authentLsche  Erzählung 
zu  geben,  und  seine  Biographieen  sind  in  der  That  etwas  zuverlässiger  als 
die  des  Trebellius,  aber  auch  hinsichtlich  der  von  ihm  gegebenen  Urkunden 
ist  eine  Sicherheit  nicht  vorhanden,  und  geistlos  ist  er  kaum  minder  als 
Trebellius.  Vgl.  über  die  Schriftstellerei  des  Vopiscus  Julius  Brunner 
in  Büdinger,  Unters.  2,  1 — 111,  wo  übrigens  Vopiscus  eber  noch  zu  hoch 
taxiert  ist.  —  Der  Unterschied  der  griechischen  und  lateinischen  QueUen 
macht  sich  hinsichtlich  der  lokalen  Verhältnisse  auch  hier  mehrfach  geltend ; 
für   die   kriegerischen  Ereignisse,   namentlich    so   weit  sie    den  Osten  be- 


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Erhebung  ging  er  nach  Rom,  ohne  Zweifel  nm  sein  Imperium 
da,  wo  Quintillus  anerkannt  worden  war,  festzustellen,  von  da 
zuerst  nach  Aquileja,  wohl  um  die  dortigen  Truppen  des  Quin- 
tillus zu  übernehmen,  worauf  er  sofort  Veranlassung  hatte,  in 
Pannonien  gegen  eingedrungene  nördliche  Stamme  zu  kämpfen.^) 
Kaum  hatte  er  sie  dazu  gebracht,  so  mufste  er  die  Grenzen 
Italiens  gegen  die  zu  den  Alamannen  gehörigen  Juthungen 
schützen,  und  auch  hier  konnte  er  die  Gefahr  abwenden  durch 
einen  Sieg,  der  wohl  an  die  obere  Donau  südlich  vom  rätischen 
Limes  zu  verlegen  ist.')  Nach  diesen  Kämpfen,  die  noch  in  das 
J.  270  fallen,  mufste  der  Kaiser  im  Winter  270/1  abermals  zu- 
erst^ wie  es  scheint  an  der  Donau,  gegen  die  Yandalen,  die  über 
den  Flufs  herübergekommen,  kämpfen  und  dann  wieder  zum 
Schutz  Italiens  herbeieilen,  indem  alamannische  Stämme  vereint 
mit  Markomannen  in  grofsen  Massen  in  Oberitalien  eingefallen 
waren.  Zuerst  erlitt  das  römische  Heer  eine  schwere  Nieder- 
lage bei  Placentia,  infolge  deren  sogar  Rom  geföhrdet  erschien; 
aber  die  Germanen  wufsten  den  Erfolg  nicht  zu  nützen,  ihre 
Massen  nicht  zusammenzuhalten  und  wurden  geteilt  überwun- 
den.') Infolge  der  hier  gemachten  Erfahrungen  war  es,  dafs 
sich  dem  Kaiser  der  Gedanke  aufdrang,  der  Hauptstadt  Rom 
eine  neue  Befestigung  zu  geben.*)  Die  servianische  Umwallung 
der  Stadt  that  längst  nicht  mehr  den  Dienst  einer  Befestigungs- 


treffen, sind  wiedemm  hier  die  Fragmente  des  Dezippas  und  Zosimna  die 
besseren  Quellen. 

1)  Zosim.  1,  48:  AvQJiXiccvog  %Qaxvvcciisvog  xrjv  oi(fxrjv  xal  i%  xrjg'Pcaiirjg 
ilttcag  inl  xrjv  'AxvXritav  ix(6(fsi  %a%si^BV  rjXavvsv  inl  xd  Tlaioviov  ^d-vTj, 
xovxoig  xovg  Z%v^ag  fia^mv  imd-iö&ai,  v.  Wietersheim  Dahn  1,  668  ff. 
geht  bei  seinen  Erörternngen  darüber,  wer  die  hier  genannten  Skythen  ge- 
wesen, davon  aus,  dafs  Aquileja  dabei  als  Ausgangspunkt  der  Operationen 
genannt  werde.  Allein  Aquileja  hat  wohl  hier  mit  der  Eriegfflhrung  gegen 
die  Germanen  gar  nichts  xu  thun,  sondern  Aurelian  reiste  über  diesen  Ort 
nnr,  weil  daselbst  das  Heer  des  Quintillus  stand,  das  er  abemehmen  mufste. 

2)  Zu  kombinieren  aus  Zosim.  1,  49  und  Dexippus  fragm.  24  Müll., 
wo  von  alamannischen  Völkern  speziell  die  Juthungen  genannt  werden. 

8)  Neben  den  in  vorherg.  Anm.  genannten  Quellen  vit.  Auf.  18—21. 
Die  Zeitbestimmung  folgt  aus  dem  Datum  c.  19,  1,  wo  infolge  der  Gefahr, 
von  welcher  Rom  durch  die  Markomannen  bedroht  ist,  in  einer  Senats- 
sitzung vom  11.  Jlan.  (271)  über  Einsichtnahme  in  die  sibyllinischen  Bücher 
verhandelt  worden  sein  soll. 

4)  Vii  21,  9.  Zos.  1,  49  und  die  andern  Quellen;  die  vita  mit  dem 
Zusatz:  nee  tarnen  pomerio  addidü  eo  tempore  scd  postea.  C^r^r^n]o 

Herzog,  d.  röm.  StaaUvorf.  U.  1.  3^^'^'^^^  by  ^OOglL 


-     578     - 

anläge;  in  den  langen  Jahrhunderten  äufseren  Friedens  für  Italien 
hatte  die  Stadt  über  den  Wall  hinaus  sich  erstreckt,  dieser  selbst 
war  an  vielen  Stellen  überbaut   und  wohl  auch  da,  wo  er  noch 
ein  wirkliches  Festungswerk  war,  verfallen.    Nunmehr  wurde  ein 
Werk   in  Angriff  genommen,   das    seinem   Umfang   und   seiner 
Anlage  nach  den  Bedürfnissen  der  Zukunft  entsprechen  und  jeder 
denkbaren  Vergröfserung  der  Stadt  gewachsen  sein  sollte.     Eine 
zweite  Vorsichtsmafsregel   bezeichnet  in  nicht  geringerem  Mafse 
die  gegen  früher  veränderte  Lage.    Das  jenseits  der  Donaa  ge- 
legene Besitztum  Dacien  wurde  definitiv  aufgegeben,  die  Trappen 
und  die  Verwaltung  zurückgezogen,  und  da  ohne  deren  Schutz 
die  römische  und  romanisierte  Bevölkerung,  wenn  sie  sich  nicht 
mit  den  Barbaren  vertragen  wollte,  der  Vernichtung  preisgegeben 
war,   aufgefordert,   ebenfalls   diesseits   der  Donau  Ansiedlangen 
zu  nehmen.    Es  wurde  aber  nun,  teils  um  nicht  durch  das  Auf- 
geben eines  Provinzialnamens  den  Verlust   zu   offen    erscheinen 
zu    lassen,   teils   wohl   auch   in   dem  bereits  bestehenden  Zage, 
kleinere   Verwaltungsbezirke    herzustellen,    aus   einem   Teil    der 
mösischen    Provinzen    und   der   Landschaft   Dardania   eine    neue 
Provinz  Dacien  gebildet.*)  —  Unterdessen  war,  man  sieht  nicht 
genau  wie,  die  Abrechnung  mit  der  palmyrenischen  Reichsgrün- 
dung  gekommen;    sicher   ist,    dafs   Zenobia   in   Eleinasien    and 
Ägypten  wie  eine  selbständige  Regentin  auftrat  und  schliefslich 
auch  die  Maske  der  bisherigen  römischen  Unterthänigkeit  offen 
abwarf.     Sie   liefs   ihren  Sohn  Vaballathus   nunmehr   den  Titel 
Augustus  annehmen  und  damit  den  Bruch  mit  Rom  vollenden. 
Auch  ein  weniger  autokratisch   angelegter  Imperator  hätte  jetzt 
das   Einschreiten    nicht   länger   verschieben   können.     Die   erste 
Aktion  erfolgte  gegen  Ägypten,  aus  dem  der  beste  General  des 

1)  Vit  89,  7 :  cum  vastatum  Illyricum  ac  Moeaiam  deperditam  videreij 
provinciam  Trcmsdanuvianam  Daciam  a  Traiano  canstittUam  siiblato  exer- 
citu  et  prcvinciälibus  reliquüj  desperans  eam  passe  retineri  abductosque  ex 
ea  populos  in  Moesia  conlocavit  appeUavitque  suam  Daciam,  quae  nunc  duas 
Moesias  dividit.  ZunächBt  acheint  die  neue  Provinz  einfach  Dacia  geheilseo 
zu  hahen;  in  den  Münzen  mit  Dacia  felix  (Cohen  6  p.  184  n.  785)  wnrde 
ihr  gleichsam  der  offizielle  Willkomm  gegeben.  Erst  der  Diocletianischen 
Einrichtung  gehörten  wohl  die  Namen  Dacia  ripensis  und  Dardania  an, 
welche  bei  Ruf.  brev.  8  (per  Aurelianum  translatis  exinde  Bomanis  dwie 
Daciae  in  regionibiM  Moesiae  ac  Dardaniae  fadae  sunt)  zusammen  mit 
Aorelians  Mafsregel  erwähnt  werden;  aus  letzterer  Notiz  erhellt,  dals  die 
Landschaft  Dardania  in  dem  neuen  Dacien  Aurelians  mi^egriffen  war. 

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-     579     - 

Aurelian,  der  nachmalige  Kaiser  Probus,  die  Palmyrener  ver- 
treiben sollte  und  auch  wirklich  vertrieb.  Den  Feldzug  gegen 
Palmyra  selbst  unternahm  der  Kaiser  in  eigener  Person  mit  dem 
Erfolge,  dafs  im  Frühjahr  272  die  Oasenstadt  genommen  ward 
und  Zenobia  in  die  Gefangenschaft  Aurelians  geriet.^)  Die  per- 
sische Hilfe,  welche  sie  gehofft,  war  ausgeblieben,  und  so  konnte 
auch  Aurelian  vorerst  es  unterlassen,  seine  Aktion  im  Orient 
auf  einen  persischen  Feldzug  auszudehnen;  ein  solcher  wäre  bei 
den  damaligen  dynastischen  Kämpfen  in  Persien  selbst  erleichtert 
gewesen;  aber  des  Kaisers  harrte  noch  eine  weitere  Aufgabe  im 
Westen.  Doch  wollte  er  den  Osten  nicht  verlassen  ohne  völlige 
Sicherheit;  als  daher  während  seiner  Rückkehr  in  Palmyra  ein 
neuer  Aufstand  ausbrach,  kehrte  er  um  und  schaffte  sich,  trotz- 
dem dafs  er  damit  beinahe  ein  Jahr  verlor,  durch  vollige  Zer- 
störung Palmyras  definitive  Kühe;  ebenso  ging  er  selbst  nach 
Ägypten,  wo  ein  Prätendent  Firmus  mit  der  Absicht  der  Los- 
reiCsung  der  Provinz  vom  Reich  aufgetreten  war,  und  beseitigte 
auch  hier  die  neue  Störung.*)  —  Was  nach  der  Rückkehr  im 
J.  273  noch  übrig  war,  die  Beseitigung  des  gallischen  Impe- 
riums, wurde  durch  den  Träger  desselben  sehr  leicht  gemacht. 
Nur  gezwungen  seine  Rolle  weiterführend  verlangte  Tetricus, 
ein  friedlicher  Senator  und  kein  Feldherr,  nur  eioe  Gelegenheit, 
um   dem   legitimen  Kaiser   die  Gewalt  wieder   in  die  Hände  zu 

1)  AuBführlichere  Erzählung  Zosim.  1,  50—61.  Vit.  Aur.  22—31. 
Vit.  Prob.  9,  6  (Eroberung  Ägyptens  durch  Probus).  Über  die  Annahme  des 
Titels  Augustm  durch  Vaballathus  v.  Sallet,  Fürsten  von  Palmyra  S.  63  f. 
Die  ägyptischen  Münzen  zeigen  den  Yab.,  wo  er  mit  Aurelian  zusammen 
erscheint,  ohne  den  Titel  Augustus;  wo  Aur.  nicht  mit  dabei  ist,  führt 
Vab.  diesen  Titel;  über  die  Zeit  der  beiden  Feldzüge  (wegen  der  Krieg- 
fühning  gegen  Palmyra  je  nur  im  Frühjahr)  272  und  273  Le  Bas- Wadding- 
ton 3,  p.  605  f.  (explic),  Mommsen,  r.  6.  5,  441  A.  2.  —  Bei  dem  Aufstand 
von  272/273  heifst  der,  welchen  die  Palmyrener  an  die  Stelle  des  Vab. 
treten  lassen  wollen,  Achilleus,  bei  Zos.  1,  60  Antiochus.  Ersteres  mag 
Verwechslung  mit  einem  Achilleus  sein,  der  unter  Diocletian  in  Ägypten 
auftrat.    Vici  Caes.  39. 

2)  Vit.  Aur.  82,  2:  res  per  Thracias  Europamque  omnem  Aureliano 
ingentes  agente  (während  der  Rückkehr  nach  Europa)  Firmus  quidam  ex- 
Utü,  qui  sibi  Äegyptum  sine  insignibus  imperii  quasi  ut  esset  civitas  libera 
vindicavit;  ad  quem  continuo  Aurelianus  revertit  nee  illic  defuit  felicitas  solita; 
ausführlicher  derselbe  Biograph  in  der  vita  des  Firmus,  wo  bemerkenswert 
die  Stellung,  welche  ein  Kaufherr  wie  Firmus  einnahm;  ganz  kurz  ohne 
Nennung  des  Firmus  Zos.  1,  61.  ^<^  i 

^güizedbyV^OOgle 


-     580     - 

spielen,  und  diese  bot  sich  beim  Zusammentreffen  der  beider- 
seitigen Hauptmacht,  bei  dem  sich  Tetricus  gefangen  gab.*) 
Der  Triumph,  der  allen  diesen  Erfolgen  den  feierlichen  Abschlufs 
gab  und  die  restitutio  orim*)  besiegelte,  stellt  sich  den  bedeu- 
tungsvollsten Triumphen,  welche  Rom  gesehen,  würdig  zur  Seite; 
einzig  freilich  war  er  darin,  dafs  ein  römischer  Senator  dabei 
als  Besiegter  aufgeführt  wurde.  —  Die  weitere  Regierung  Aure- 
lians  war,  soweit  er  sie  nicht  in  Rom  zubrachte,  der  Ordnung 
der  gallischen  Verhältnisse  sowie  der  Sicherung  des  rätischen 
Limes  gewidmet,  und  als  er  hiermit  fertig  war,  sollte  nunmehr 
ein  persischer  Feldzug  die  Gelegenheit,  welche  Persien  einem 
Offensivkrieg  bot,  verwerten.  Aber  als  er  gegen  Ende  275  von 
Byzanz  nach  diesem  neuen  Kriegsschauplatze  aufgebrochen  war, 
wurde  er  auf  dem  Marsche  von  Verschworenen,  die  sich  selbst 
durch  ihn  bedroht  glaubten,  getötet.^) 

Von  einem  so  energischen  Herrscher,  wie  Aurelian  uns  in 
seinem  rastlosen  Streben  nach  Wiederaufrichtung  der  Gröfse  des 
Reichs  erscheint,  möchte  man  leicht  erwarten,  dafs  er  auch  in 
der  Organisation  der  inneren  politischen  Verhältnisse  reforma- 
torisch aufgetreten  wäre.  Dem  ist  jedoch  nicht  so:  es  lassen 
sich  keine  tiefer  gehenden  bleibenden  Neueinrichtungen  von  ihm 
nachweisen.  Alles  vielmehr,  was  an  Mafsregeln  der  inneren 
Politik  von  ihm  ausgeht,  ist  Geltendmachung  der  Auktorität  des 
Imperiums  und  Wiederherstellung  der  gestörten  Ordnung.  In 
den  konstitutionellen  Fragen  war  gegenüber  der  vor  ihm  liegen- 
den Zeit  nach  seinem  Tode  die  prinzipielle  Frage  genau  wie  sie 


1)  Vict  Caes.  und  epit.  86.  Eutrop.  9,  18:  superavit  in  GaXlia  Tetri- 
cum  apud  Catälaunos  ipso  Tetrico  prodente  exercitum  suum^  cuius  adsiduas 
seMiones  ferre  non  poterat 

2)  Bestüutor  orbis  heifst  Aareb'an  schon  im  J.  273  auf  einem  narbo- 
nensischen  Meilenstein,  vgl.  meine  öall.  Narb.  app.  n.  623,  also  offiziell; 
ebenso  auf  Münzen  restitutor  orientis  und  rest  orbis,  Cohen  6  p.  197  f.  Zur 
Zusammenstellung  und  Ordnung  seiner  Siegestitel  Wilmanns  n.  1044.  Über 
den  Triumph  vit.  83  f. 

3)  Vit.  36,  4:  his  gestis  ad  GaXlias  profectus  Vindelicos  obsidione  bar- 
barica  Uberavit,  deinde  ad  lUyricum  redit  paratoque  magno  potius  ^piam  in- 
genti  exercitu  Persis  —  bellum  indixit*,  worauf  die  Erzählung  von  seiner 
Ermordung;  über  letztere  Zos.  1,  62.  Zon.  12,  27.  Der  Unterschied  in  der 
Nennung  des  Namens  des  Urhebers  (Mnesteus  in  der  vita,  Eros  in  den 
griechischen  Quellen)  ist  bei  der  untergeordneten  Stellung  desselben  irre- 
levant; über  die  Chronologie  s.  unten  S.  686  A.  1.  r^^^^^T^ 

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-     581     — 

die  ganze  Zeit  vor  ihm  gewesen  war,  in  der  Verwaltung  aber 
war  wohl  manches  frühere  abgestorben,  aber  kaum  etwas  wesent- 
lich neues  eingeführt.  Die  Gründe  für  diese  Beschränkung  in 
der  Wirksamkeit  sind  gewifs  zum  Teil  in  den  äufseren  Umstän- 
den zu  suchen,  darin,  dafs  die  Wiederaufrichtung  des  äufseren 
Bestands  des  Reichs  durch  alle  die  Kegierungsjahre  Aurelians 
hindurch  so  vielen  Kraftaufwand  in  Anspruch  nahm  und  der 
Kaiser  nur  vorübergehend  sich  mit  der  Zentral  Verwaltung  be- 
schäftigen konnte;  aber  auch  Septimius  Severus  war  in  ähn- 
licher Lage  gewesen  und  hatte  doch  Zeit  und  Lust  gefunden, 
in  die  inneren  Verhältnisse  einzugreifen,  und  zur  Zeit,  da  sich 
Aütrelian  zum  Perserkrieg  anschickte,  hatte  er,  da  ihm  dieser 
durch  die  Lage  nicht  aufgedrungen  war,  die  Wahl,  ob  er  die 
nächste  Zeit  der  Kriegführung  oder  der  inneren  Regierung 
widmen  wollte.  Nicht  ohne  Einflufs  für  das  Übergewicht  der 
militärischen  Seite  in  ihm  war  natürlich  seine  rein  soldatische 
Laufbahn  von  niedriger  Herkunft  aus,  zumal  bei  der  seit  Gal- 
lienus  herrschenden  Trennung  der  Senatsstellung  und  der  hohen 
Militärstellen,  wie  er  ja  auch  infolge  hiervon  sich  in  einer  Um- 
gebung befand,  die  wenig  Fühlung  mit  der  bürgerlichen  Verwal- 
tung hatte.  Indessen,  der  nach  ihm  kam,  Diocletian,  war  unter 
ähnlichen  Verhältnissen  emporgekommen  und  wurde  doch  der  Re- 
formator der  gesamten  Reichseinrichtungen,  so  dafs  es  schliefs- 
lich  doch  an  der  Persönlichkeit  hing,  wenn  Aurelian  noch  die 
überkommenen  Verhältnisse  bestehen  liefs  und  keine  Hand  an- 
legte an  eine  gründliche  Reform. 

Das  Verhältnis,  das  Aurelian  zum  Senat  einnahm,  konnte 
von  Anfang  an  kein  besonders  freundliches  und  vertrauensvolles 
sein,  hatte  doch  der  Senat  den  Quintillus  anerkannt.  Indessen 
scheint  bei  der  ersten  Anwesenheit  in  Rom  unmittelbar  nach  der 
Übernahme  des  Imperiums  Aurelian  keine  feindselige  Gesinnung 
bethätigt  zu  haben^),  wie  er  denn  auch,  wenn  es  ihm  ernstlich 
um  Wiederherstellung  geordneter  Verhältnisse  zu  thun  war,  der 
Mitwirkung  des  Senats  nicht  entbehren  konnte.  Bei  einer  zweiten 
Anwesenheit  in  Rom  dagegen  glaubte  er  mit  Verschwörungen 
zu  thun  zu  haben  und  sah  sich  zu  Exekutionen  veranlafst,  doch 


1)  Dals  Aarelian,  nachdem  er  nach  Rom  gekommen,  die  Senatoren 
{tovg  h  tsXbi)  gefragt  hätte,  wie  er  herrschen  solle  (Zonar.  12,  27  a.  Anf ). 
ist  wenig  glaublich.  ^  j 

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—     5^2     — 

ist  Dicht  anzunehmeDy  daCs  e:*  ein  grofeerer  Teil  des  Senats  ge- 
wesen ware^  der  daran  gedacht ^  einen  Yersach  znm  Sturze  de^ 
Kaisers  zu  machen.*)  Bezeichnend  für  letzteren  in  seinem  Ver- 
balten gegen  den  Senat  ist  die  Behandlung  des  Tetricns.  Dals 
derselbe  geschont  wird,  kennzeichnet  den  Herrscher,  welcher  die 
Bedingungen  halt,  die  er  ohne  Zweifel  bei  der  Annahme  des 
Übertritts  oder  wenn  man  will  Verrats  des  Prätendenten  be- 
willigt hatte;  aber  keine  Rücksicht  auf  den  Senat,  in  dem  Te- 
tricus  viele  Freunde  hatte,  und  auf  dessen  Senatswürde  über- 
haupt hält  den  siegreichen  Imperator  ab,  dem,  der  sich  zur 
Spaltung  des  Reichs  hergegeben,  die  Demütigung  de«  besiegten 
Feindes  zn  ersparen.*)  Das  Imperium  des  Kaisers  soll  je\zt 
monarchische  Herrschaft  in  vollstem  Sinne  sein,  der  nnr  darum 
der  dynastische  Charakter  fehlt,  weil  Aurelian  keinen  Sohn  hat 
Ja  der  sonst  mafs volle  Kaiser  liefs  sich  auf  Münzen  sogar  ah 
Gott  und  Herr  bezeichnen.^  Auf  das,  was  der  Senat  an  Selb- 
ständigkeit noch  hat,  wird  wenig  Rücksicht  genommen.  Das 
Senatszeichen  wird  auf  die  Kupfermünze  nicht  gesetzt  und  in 
die  noch  unter  dem  Senat  stehende  Eassenyerwaltung  erlaubt 
sich  der  Kaiser  indiskrete  Einblicke.^  Aber  an  den  rechtlichen 
Verhältnissen  wird  damit  noch  nichts  geändert.  In  der  Verwal- 
tung zeigt  er  da,  wo  er  eingreift,  feste  Hand,  welche  aus  zum 
Teil    grauenhafter    Verwirrung   wieder   geordnete   Zustande    her- 

1)  Zo8.  1,  49:  ncnä  xovxov  xov  xq^nfow  ilg  irwoiccv  ^I^e  PioniQieiiOv 
*Enixi^i6g  xe  %al  Ovgptnfog  %al  dof^xiawog  xal  Magax^fnia  xi^rnffücv  vwi9%tn 
äloTXBg,  Nach  Vit  21,  5.  39,  8  hätte  kein  reeller  Grund  fOr  solche«  Vor- 
gehen gegen  die  Senatoren  vorgelegen. 

2)  Vit  84:  tarn  —  omnis  exercüus  et  senatus,  etsi  oliquantulo  tristicr, 
quod  seruttores  triumphari  videbant,  müÜmm  p<mq>ae  (beim  Trinmph)  addi- 
derant.  Das  GefOihl  des  Senats  ist  yorherrschend  Forcht  (Tit.bO,  b:  populus 
eum  Born,  amavit,  senaius  et  Umuü;  21,  8:  Hwuri  eoepit  princeps  cptinnu, 
tum  amari;  immerhin:  senatuB  mortem  eiua  grctviter  tuUt  37,  S). 

3)  Cohen  6,  p.  197  n.  200:  Deo  et  domino  nato  Äurdiano  Äug.  {Deus 
natus  ist  Aurelian  als  vom  Menschen  aus  gottgeworden.) 

4)  Bei  Vopiscas  20,  5  schreibt  Aurelian  an  den  Senat:  si  qwid  e$t 
sttmptuum,  datia  ad  praefectum  aerarii  Utteris  dccemi  iussi;  est  praeterea 
vestrae  audorücUis  arca  piibJica,  quam  imagis  refertam  reperio  esse  guam 
cupio.  Die  Unterscheidung  eines  ^aerarium\  das  unter  dem  Kaiser  steht, 
lind  einer  *arca  publica^  des  Senats  steht  den  Ausdrücken  nach  Tereinzelt 
da;  die  arca  pitblica  aber  kann  nicht  wohl  etwas  anderes  sein  als  der 
Rest  des  alten  oerctriHm  publicum,  und  erfunden  hat  der  Biograph  diesem 
^Schreiben  schwerlich.  —  Zu  dieser  Mahnung  an  den  Senat  palst  gut  87,  8: 
(populus  R.)  dicchat^  Aurdianum  paedagogum  esse  senatorum, 

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-     583     - 

stellen  wilL  Um  dem  Prätendententum  wenigstens  an  einer 
Stelle,  die  besonders  gefährlich  war,  einen  Riegel  vorzuschieben, 
verbot  er  dem  General,  den  er  zum  Grenzkommandanten  in 
Syrien  machte,  jemals  Ägypten  zu  betreten.^)  Wie  er  ferner  in 
der  militärischen  Disziplin  sich  unerbittlich  und  wenn  man  den 
Berichten  glauben  darf,  bis  zur  Grausamkeit  streng  erwiesen*), 
so  ist  er  es  auch  gegen  so  heillose  Zustände,  wie  sie  sich  in 
der  Münz-  und  Finanzverwaltung  unter  schwachen  oder  elenden 
Vorgängern  eingeschlichen  hatten  und  wie  sie  der  Senat  nimmer- 
mehr hätte  bewältigen  können.  Hatte  ja  doch  die  offizielle 
Münzfälschung  dazu  geführt,  dafs  die  Münzarbeiter  in  Rom, 
welche  an  dem  Gewinne  dieses  Vorgehens  ihren  eigentümlichen 
Anteil  genommen,  als  nun  Wandel  geschafft  werden  sollte,  mit 
dem  Münzvorstand  an  der  Spitze  geradezu  sich  empörten.  Aure- 
lian  schlug  sie  nieder^)  und  suchte,  soweit  es  ihm  möglich 
schien,  auch  die  Münzprägung  wieder  auf  einen  besseren  FuTs 
zu  bringen*),  aber  viel  konnte  er  damit  freilich  nicht  ausrichten; 
denn  wenn  dies  Erfolg  haben  sollte,  so  mufsten  vor  allem  in 
längerer  Zeit  Mittel  geschafft  und  in  jeder  Hinsicht  die  Finanzen 
gebessert  werden;  hierfür  aber  war  die  Regierung  des  Kaisers 
zu  kurz  und  zu  kriegerisch.  Besonderer  Liberalität  erfreute  sich 
die  hauptstädtische  Bevölkerung,  deren  Bezüge  an  Unterhalts- 
mitteln, zum  Teil  auf  Kosten  des  wieder  eroberten  Ägyptens, 
wesentlich  erhöht  wurden.^)  Diese  Art  Popularität  verschmähte 
also  auch  der  strenge  Aurelian  nicht.  In  der  Rechtspflege  stehen 
bei  ihm  nebeneinander  die  Unterdrückung  der  gewerbsmäfsigen 
Delation  und  eine  allgemeine  Amnestie  für  politische  Verbrechen, 
sowie  für  rückständige  Zahlungen   an  den   Staat   und   strengste 

1)  Es  war  der  nachmals  unter  Probas  doch  als  Prätendent  auftretende 
SatuminuB.    Vit.  Saturn.  7,  2. 

2)  Vit.  7,  3  ff.    Anonym,  post  Dion.  bei  Müller,  frgm.  4,  197  §  6. 

3)  Vit  88,  2:  fuit  süb  Aureliano  etiam  monetariorum  bellum  Feli- 
cissimo  rationaU  audore;  qtwd  acerritne  severissimeque  compescuit  septem 
tarnen  müibus  suorum  müitum  trUeremptis, 

4)  Zos.  1^  61:  ccgyvQLOv  viov  Srifioaia  ^tiöonTie,  to  %l^$rilov  anoSoc^ai 
xovg  dno  xov  ^i^fjtov  nagaanevdaag  xovttp  xb  xä  avfißoXocta  avyxv^scag  dnaX- 
Id^ag.  Mommsen,  r.  Münzen.  800.  831  f.  Schiller,  Gesch.  d.  r.  Kaiserz. 
1,  868  f. 

6)  Zos.  1,  61:  ägxoov  Sagsa  xov  'Ptoficcitiov  ixifirias  Sijfiov.  Vit.  47,  1: 
panes  urhis  Bomae  tmcia  de  Aegypiio  vedigdli  auxit  35,  2:  et  porcinam 
carnem  p.  B.  distrihuit,  quae  hodieque  dividitur.  Vict.  Caes.  85.  Nach  vit. 
48,  1  hatte  er  sogar  im  Sinne,  Weinspenden  zu  geben. 


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—    584     - 

Bestrafung  von  Verbrechen,  wie  Unterschleif  u.  dgl.*);  den  Christen 
gegenüber  folgte  auf  anfängliche  Duldung  Wiederaufnahme  des 
früheren  Vorgehens  gegen  dieselben  (s.  unt.  S.  602  A.  1).  In 
dem  allem  erhält  man  aus  den  Fragmenten  von  Erzählung,  die 
wir  haben,  den  Eindruck  eines  Mannes,  der  das  Rechte  ¥nll,  die 
Macht,  deren  er  sich  voll  bewufst  ist,  ohne  Hafs  und  Rachsucht 
ausübt,  wohl  aber  strafend  vorgeht  mit  einer  sehr  ausgeprägten 
Überzeugung  von  der  abschreckenden  Kraft  harter  Strafen,  wäh- 
rend er  andrerseits  wieder  strafend  nur  einschreitet,  wo  ihm 
wirklich  solche  Abschreckung  nötig  erscheint,  und  selbst  in  der 
Vernichtung  der  Gegner,  die  er  als  Reichsfeinde  bekämpft,  nur 
soweit  geht,  bis  der  Zweck,  sie  unschädlich  zu  machen,  erreicht 
ist.^)  Den  Bedürfiiissen  der  Reichs  Verwaltung  sucht  er  mit 
bestem  Willen  nachzukommen,  aber  für  ein  volles  Eingreifen 
steht  er  ihr  zu  äufserlich  und  fremd  gegenüber.*)  Ratgeber, 
deren  Hilfe  er  sich  auf  diesem  Gebiete  hätte  bedienen  können, 
hatte  er,  soviel  wir  sehen,  nicht,  sei  es,  dafs  er  sie  nicht  sachte 
oder  nicht  fand.*) 

1)  Yict.  Caes.  86.  Vit.  39,  2  ff. ,  beide  aus  ^iner  Quelle  schöpfmd. 
Besonders  hervorzaheben  ist,  dals  er  peculatum,  provindarum  praedatores 
contra  morem  müitarium,  guarum  e  numero  erat^  immane  guantum  insecta- 
batur.  Mit  Victor  sieht  Ranke,  Weltgesch.  3,  1,  458  hierin  die  wahre 
Ursache  seiner  Ermordung. 

2)  Dafs  Zenobia  nach  Rom  znm  Triumph  gebracht  und  dann  begnadigt 
wurde  (tyr.  SO,  23  ff.  vit.  Aur.  34),  ist  anzunehmen;  denn  dies  mufste  man 
in  Rom  wissen.  Zosimns  (1,  59),  der  vom  Orient  aus  sohrieb,  und  viel 
später  als  die  Biographen,  war  darüber  ungenügend  unterrichtet. 

8)  Wenn  es  vit.  35,  3  heifst:  leges  plurimas  sanxit  et  quidem  sdlutares^ 
so  ist  dies  eine  inhaltsleere  Phrase.  Auch  die  Rechtsqnellen  citieren 
äuTserst  wenige  Entscheidungen  von  ihm.  Als  eine  Malsregel  von  gröfserer 
Tragweite  kann  man  anführen,  dais  er  nach  cod.  lust.  11,  59,  1  die  De- 
kurionen  in  den  Gemeinden  (civitat/wn  ardines)  zur  Übernahme  herrenloser 
und  unbebauter  Qüter  heranzog  unter  Gewährung  dreijjähriger  Abgaben- 
freiheit;  auch  hatte  er  nach  vit.  48,  2  im  Sinne,  die  in  Etrurien  und 
Norditalien  unbebaut  liegenden  Felder  durch  GeÜEuigenenansiedlnDgen 
wieder  zu  kultivieren. 

4)  Nach  vit  13,  38  könnte  man  meinen,  Ulpius  Crinitus,  ein  Mann 
qui  86  de  Traiani  genere  referebat  (10, 2),  und  der  jedenfalls  ein  angesehener 
Senator  gewesen  sein  mufs,  übrigens  namentlich  als  dux  Illyriciani  Umitis 
sich  Verdienste  erwarb  und  dreimal  Konsul  war,  der  ferner  unter  Yalerian 
den  Aurelian  adoptierte,  hätte  die  Stellung  eines  vertrauten  Ratgebers  ein- 
genommen; aber  man  bemerkt  nichts  von  seinem  Einfluis.  Ebenso  wenig 
weifs  man  einen  praef.  praet.  dieses  Kaisers  zu  nennen. 

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~     585    — 

3.  Wie  wenig  nachhaltig  der  Einflufs  selbst  einer  autokra-  tacühb  und 
tischen  und  despotischen  Persönlichkeit  war  ohne  organische 
Änderung  des  Regierungssystems,  zeigte  sich  sofort.  Eine  zu- 
fallige Strömung  zuerst  und  nachher  das  Zufallige  in  dem  Cha- 
rakter des  Imperators  führten  wieder  eine  Reaktion  herbei ,  in 
der  zum  letzten  Mal  der  Gedanke  des  augusteischen  Principats, 
zum  Teil  sogar  reiner  als  sein  Urheber  es  erdacht  batte^  zur 
Geltung  kommen  sollte.  Beim  Tode  Aurelians  war  zu  erwarten, 
dafs  wieder  ein  oder  mehrere  Heereskaiser  auftreten  würden; 
allein  es  war  dem  nicht  so.  Die  Soldaten  vom  Heere  des  Kaisers, 
mit  der  Ermordung  desselben  nicht  einverstanden,  zufallig  keinen 
ihnen  genehmen  Mann  kennend,  am  wenigsten  aber  geneigt, 
einen  an  seiner  Ermordung  beteiligten  zu  erheben,  kamen  auf. 
den  für  sie  und  für  diese  Zeit  sonderbaren  Einfall,  dem  Senat 
die  Wahl  zu  überlassen.^)    Es  währte  einige  Zeit,  bis  der  Senat 


1)  Die  Erzählung  von  dem  Hin-  und  Herschieben  der  Wahl  findet 
sich  nur  bei  den  Lateinern  Yopiscns  (Anr.  40  f.  Tao.  1  ff.)  and  Victor 
(Cäs.  85),  nicht  bei  den  Griechen  Zosimus  und  Zonaras;  letzterer  weife  nur 
(12,  28),  dafs  Tacitus,  während  er  in  Eampanien  abwesend  war,  gewählt 
wurde,  eine  Notiz,  welche  schon  Vopiscus  Tac.  7,  6  berücksichtigt  und 
richtig  steUi  Jene  Yerhandlnngen  zwischen  Heer  und  Senat  sind  gewifs 
richtig,  wenn  auch  bei  Vopiscus  zeitlich  aasgedehnt  and  sachlich  ausgemalt. 
Was  die  Chronologie  betrifft,  so  ist  diese  in  der  Überlieferung  wider- 
spruchsToll.  Für  eine  kritische  Behandlang  bildet  mir  die  Grandlage,  d.  h. 
den  Bahmen  der  wesentlichen  Ereignisse,  dafs  nach  den  alezandrinischen 
Münzen  am  29.  Ang.  275  Aurelian  ein  7.  Jahr,  Tacitas  aber  überhaupt  nur 
den  Zahlbnchstaben  A  hat,  also  am  29.  Ang.  276  nicht  mehr  am  Leben  sein 
konnte.  Mit  letzterem  stimmen  die  Notiz,  dafs  er  am  25.  Sept.'Tom  Senat 
znm  Kaiser  gewählt  worden  (yit  Tao.  3,  1)  and  die  Angaben  über  seine 
Begiernngszeit,  die  zwischen  6  and  8  Monaten  schwanken.  Dagegen 
stimmen  nicht  daza  das  Datum  der  Senatssitzung  Ton  einem  8.  Febr.,  an 
welchem  die  erste  Botschaft  der  Soldaten  in  den  Senat  gekommen  wäre 
(yit.  Aar.  41,  8),  die  Annahme  eines  Interregnums  Ton  6—8  Monaten  und 
die  Ziffer  einer  trib.  pot  VII  des  Aurelian  auf  dem  Meilenstein  yon  Orleans 
Henzen  5551  —  Willmanns  1044,  welche  den  Tod  des  Aurelian  an  den 
Schlufs  TOn  275  oder  g^r  an  den  Anfang  von  276  rücken  würden.  Jenes  Datum 
TOm  25.  Sept.  scheint  mir  sicher,  es  ist  aach  bestätigt  durch  die  Notiz,  dafs 
Tacitus  den  September  habe  nach  sich  nennen  lassen,  weil  er  in  diesem 
Monat  geboren  und  zum  Kaiser  gewählt  worden  sei  (yit.  13,  6  ygl.  auch 
8,  1  f.).  Dagegen  ist  das  Datum  yom  8.  Febr.  y erdächtig  auch  wegen  seiner 
aufißOligen  Wiederholung  bei  der  Senatsyerhandlung  über  die  Botschaft 
des  Probus  yit.  Prob.  11,  5.  Die  trib.  pot.  VII  des  Meilensteins  aber*  ist 
irrtümlich  und  wird  durch  die  yereinzelte  Münze  Eckhel  VII  p.  481  — 
Cohen  6,  p.  194  n.  179  mit  ib.  (sie)  p.  VII  und  dem  jedenfalls  irrtümlichen^  Tp 


~     586     — 

sich  von  der  Überraschung  über  das  bedenkliche  Anerbieten  so 
weit  erholte,  dafs  er  nach  weiteren  Verhandlungen  mit  den 
Soldaten  dazu  gelangte,  seinen  damaligen  Yormann,  den  Eon- 
sular  M.  Claudius  Tacitus,  also  einen  Mann  in  vorgerückten 
Jahren  als  Imperator  zu  gewinnen.^)  Der  durch  Senatsbesclilufs 
gewählte  konnte  sich  über  die  Gefahren,  die  seiner  warteten, 
keine  Illusionen  machen  und  machte  sie  auch  nicht;  dafs  er  dem 
Gemeinwesen  das  Opfer  brachte  und  die  Art,  wie  er  es  brachte, 
gereicht  ihm  zum  Ruhm.  Sofort  nach  seiner  Ernennung  ging 
er  zum  Heer,  um  den  Oberbefehl  zu  übernehmen  und  den  neuen 
Einfallen  der  nordischen  Barbaren  in  Eleinasien  zu  begegnen, 
wobei  er  zugleich  die  Mörder  des  Aurelian  zur  Strafe  zog.*) 
.  Wunderbarer  Weise  war  in  der  Zwischenzeit  im  ganzen  Reich 
keine  innere  Bewegung  ausgebrochen.  Kein  Heer  rief  einen  Prä- 
tendenten aus,  die  Verwaltung  ging  in  allen  Provinzen  ihren 
Gang  fort,  die  Statthalter  blieben  über  das  Interregnum,  das 
freilich  nicht  als  halbjährig  anzunehmen  ist,  auf  ihren  Posten; 
wo  in  Asien  ein  Wechsel  sich  ordnungsmäfsig  ergab,  wurde  er, 
zumal  da  es  eine  Senatsprovinz  war,  ohne  Schwierigkeit  vorge- 
nommen.^) Die  Zentral  Verwaltung  konnte  in  jener  Zwischenzeit 
nur  durch  die  Konsuln  repräsentiert  sein   als  Leiter  des  Senats; 

COS.  II  in  ihrer  geschichtlichen  Richtigkeit  nicht  gestützt.  Der  25.  Sept 
275  steht  freilich  auch  in  Widerspruch  damit,  dafs  Aurelian  am  29.  Aug. 
275  noch  am  Leben  gewesen  wäre  und  die  Wahl  des  Tacitus  erst  nach 
längeren  Verhandlungen  zwischen  dem  Senat  in  Rom  und  dem  Heer  bei 
Byzanz  stattgefunden  hätte.  Allein  die  alezandrinischen  Münzen  konnten 
vor  dem  Antritt  des  7.  Jahres  geprägt  und  dann  in  Kurs  gekommen  sein, 
wenn  auch  Aurelian  kurz  vor  demselben  noch  ermordet  war.  Das  Inter- 
regnum zwischen  ihm  und  Tacitus  aber  mufs  jedenfalls  gekürzt  werden, 
wird  jedoch  dadurch  nur  annehmbarer. 

1)  Tacitus  heifst  vit.  4,  1  primae  sententiae  Senator,  Bei  Zonar.  12,  28 
wird  er  als  75jährig  bezeichnet;  dies  scheint  übertrieben  und  ist  mir  auch 
dadurch  zweifelhaft,  dafs  Tacitus  noch  nicht  zum  zweitenmal  KobbuI 
gewesen  war.  Vit.  Tac.  5,  1.  8,  5  wird  er  hinsichtlich  seiner  senectus  nicht 
etwa  mit  Nerva,  sondern  mit  Trajan,  Hadrian,  Pins  verglichen,  die  wesentlicb 
jünger  waren;  doch  will  dies  freilich,  da  es  Vergleichung  der  Schmeichelei 
ist,  nicht  viel  besagen.  —  Die  Abstammung  von  dem  Geschichtschreiber 
beruht  nur  auf  der  eigenen  Prätention  des  Kaisers  (vit.  10,  8:  Comeliwn 
Tacitum,  scriptorem  historiae  Äugustae,  quod  parentem  Isuwn  eundem  diceret, 
in  omnibtAS  biblioihecis  conlocari  itissit). 

'    2)  Vit.  8,  3:  inde  ad  exereüus  profectus.    18,  1. 

4)  Vit.  Aur.  40,  4:  id  factum  est,  ut  per  sex  mensee  imperatorem 
Eomantis  orbis  ndn  habuerity   omnesque  iudices  ii  pefmanererUi  qms  aut 

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-     587     - 

welche  Stellung  daneben  die  Gardepräfektur  mit  der  ihr  sonst 
neben  dem  Kaiser  zugewiesenen  Kompetenz  hatte,  läfst  sich 
nicht  sagen;  es  gab  jedenfalls  keinen  Inhaber  dieser  Stelle,  der 
Schwierigkeiten  machte.  Auch  der  Regierungsantritt  des  neuen 
Kaisers  war  günstig.  Das  Heer  nahm  ihn  zunächst  an  und  er 
hatte  einige  Erfolge  mit  ihm.^)  Dieser  wider  Erwarten  gün- 
stige Verlauf  wirkte  denn  auch  auf  den  Senat  zurück.  Der  Kaiser 
war  bemüht,  ein  richtiger  Senatskaiser  zu  sein;  er  ging  in  der 
Überlassung  der  Leitung  der  inneren  Regierung  an  diese  Behörde 
so  weit  wie  möglich,  und  der  Senat,  dies  dankbar  annehmend 
und  Vertrauen  gewinnend,  fühlte  sich  dem  Kaiser  gegenüber  wie 
in  seinem  Verkehr  mit  den  Provinzialstatthaltern,  den  grofsen 
Gemeinden  im  Reich  und  den  auswärtigen  Fürsten  und  Völkern 
als  der  wahre  Repräsentant  der  Regierung  mit  dem  Kaiser  als 
oberstem  Organ  der  Exekutive.*)  Indessen  verzichtete  der  Kaiser 
nicht  auf  eigenes  Regieren;  in  Fragen,  die  von  früher  her  sein 
besonderes  Interesse  erregten,   wie  in  der  Fortsetzung  der  Re- 

senatus  aut  Aurelianus  elegerat  nisi  quod  pro  constUe  Asiae  FalconiiM  Probua 
in  locum  Arelli  Fusci  delectus  est. 

1)  Einführung  beim  Heer  durch  den  Gardepräfekten  Mösiens  GallicanuB, 
Tit.  Tac.  8, 8,  während  die  Yorstellung  bei  Soldaten  und  Volk  in  Born  durch  den 
Stadtpräfekten  geschehen  war.  7,  2.  Glücklichen  Eriegsanfang  gegen  die 
vom  mäotischen  See  herkommenden  Gothen  durch  den  Kaiser  selbst  und 
seinen  Bruder  Florianus,  designierten  praef.  praet.^  vit.  13,  2.  Zosim.  1,  63; 
auf  der  Inschr.  Wilmanns  n.  1046  hat  er  den  Titel  Gothicw  maximus^ 
entsprechend  der  victoria  Gothica  auf  den  Münzen  Cohen  6,  p.  236  f. 

2)  Vgl.  die  oratio  prindpis  vii  9  mit  Zusicherung  der  vollen  Auto- 
rität des  Senats;  dahei  in  eadem  oratione  fratri  suo  Floriane  constUatum 
petit  et  non  impetravit,  idcirco  quod  iam  senatus  omnia  nundinia  suf- 
fectorum  considum  clauserat.  dicitttr  autem  muUum  laetatus  senatus  liber- 
tcUe,  etc.  c.  18  f.  (Schreiben  des  Senats  an  die  Kurien  von  Karthago  und 
Trier  und  von  Senatoren  an  ihre  Angehörigen.)  Allgemein  12,  1:  scirent 
omnes  socii  omnesque  nationes,  in  antiquum  statum  redisse  remp.  ac  senatum 
principes  legere,  immo  ipsutn  senatum  principem  factum,  leges  a  sen(xtu 
petendas  etc.  —  Von  einem  Verkehr  des  Senats  mit  den  Heeren  wird 
nichts  gesagt,  trotzdem  dafs  es  c.  19,  2  heilst:  nos  recepimus  i\is  procon- 
stdare.  In  den  Schreiben  an  die  Kurien  ist  angeordnet:  ad  nos  referte, 
quae  magna  sunt;  omnis  provocatio  praef ecti  urbis  erü,  quae  tarnen  a  pro- 
constilibus  et  ab  ordinariis  iudicibus  emerserit  (c.  18);  vgl.  19,  2:  redierunt 
ad  praefectum  urbi  appellationes  omnium  potestatum  et  omnium  dignitatum, 
womit  also  der  aus  dem  Senat  ernannte  Stadtpräfekt  an  Stelle  des  Kaisers 
und  des  praef.  praet.  die  oberste  Appellationsinstanz  geworden  wäre.  — 
Wilmanns  ex.  inscr.  n.  1046  heifst  Tacitns  verae  Ubertatis  auctor,  auf  der 
Münze  Cohen  6  p.  231  n.  107  restitut.  reipublicae.  OoOqIc 


~     588    — 

form  der  Münzverhältnisse,  an  der  er  schon  unter  Aurelian  mit- 
gewirkt, wie  in  der  Tendenz  gröfserer  polizeilicher  Strenge  er- 
liefs  er  Verordnungen  von  Wert.*)  Von  besonderer  Wichtigkeit 
wäre  gewesen,  wenn  von  längerer  Dauer,  dafs  den  Senatoren 
wieder  der  Militärdienst  eröffnet  wurde.*)  Indes  die  Freude  war 
kurz:  es  trat  zwar  auch  jetzt  noch  in  keinem  Provinzialheer  ein 
Gegenkaiser  auf,  aber  in  der  eigenen  Armee  konnte  Tacitus  die 
Stimmung  sich  nicht  günstig  erhalten:  nach  kaum  mehr  als 
halbjähriger  Regierung  wurde  er  wirklich  das  Opfer  seiner  Stel- 
lung.*) Nun  aber  ging  die  Ernennung  eines  Nachfolgers  wieder 
von  den  Truppen  aus.  In  dem  unter  des  Kaisers  eigenem  Befehl 
stehenden  Heer  nahm  für  sich  der  Bruder  des  Tacitus,  M.  An- 
nius  Florianus,  das  Imperium  an  sich,  gewann  aber  auch  die 
Zustimmung  seiner  Soldaten  und  weiterhin  aller  westlichen  Heere; 
die  des  Senats  soll  er  nicht  begehrt  haben  ^  allein  dafs  ihm  der 
Westen  sofort  zufiel,  zeugt  dafür,  dafs  ihm  vom  Senat  auch 
keine  Hindernisse  erwuchsen.  Nachdem  jedoch  der  Tod  des 
Tacitus  bekannt  geworden,  erhoben  nun  ihrerseits  die  syrischen 
Truppen  den  bei  ihnen  kommandierenden  General  M.  Aurelius 
Probus,  den  tüchtigsten  damals  vorhandenen  Heerführer.'^)  Florian, 


1)  Vit.  9,  8  (in  der  oratio,  die  er  vom  Feld  an  den  Senat  schickte) 
cavit,  iU  si  quis  argento  publice  privatimque  aes  miscuisset^  si  quis  auro 
argentum,  si  quis  aeri  pltmbum^  capitäl  esset  cum  bonorum  proseriptione. 
Vgl.  0.  11,  6  (Verbot  der  Luxusverwendong  von  Gold  bei  der  Kleidung): 
nam  et  ipse  auctor  ÄureJiano  fuisse  perMbetür,  ut  aurum  a  vesHbus  ä 
cameris  et  peUibus  summoveret.  Jene  oratio  war  gleichsam  das  Programm; 
in  ihr  machte  er  noch  das  Zugeständnis,  ut  servi  in  dominorum  capita  non 
interrogarentur ,  ne  in  causa  maiestatis  quidem.  Auf  diese  Botschaft  hin 
ging  denn  der  Senat  mit  seinen  Ansprüchen  vor. 

2)  Vict.  Caes.  37:  amisso  GcUlieni  edicto  (ob. S.  567  A.  2)  refici  müitia 
poiuit  conccflentibus  modeste  legionibus  Tadto  regnante,  neque  Florianus 
temer e  invasisset  aut  iudicio  manipularium  cuique,  bono  licet,  imperium 
daretur,  amplissimo  ac  ianto  ordine  in  castris  degenie, 

3)  Vit.  Tac.  18,  6:  interemptus  est  enim  insidiis  müikuibus  ut  aUi 
dicuwt  sexio  mense,  ut  alii  dicunt  morbo  interiit;  tarnen  constat,  facOonibus 
cum  oppressum  mente  atque  animo  defecisse.  Diese  Unbestimmtheit  wird 
gehoben  durch  die  bestimmte  Angabe  des  über  diese  im  Bereich  der  öst- 
lichen Heere  vorgehenden  Ereignisse  unterrichteten  Zosimus  1,  63  (vgl. 
Zonar.  12,  28),  wonach  die  Verwaltung  des  ihm  verwandten  syrischen 
Statthalters  auch  dem  Kaiser  Unzufriedenheit  zugezogen  und  zu  seiner  Er- 
mordung gefQhrt  hätte. 

4)  Hierbei  das  Detail:  cirni  inter  mtlites  sermo  esset  quis  fieri  deberä 
et  manipulatim  in  campo  tribuni  eos  adloquerentur  dficcn*»  etc.     j 

igi  ize     y  g 


-     589     — 

im  Vertrauen  auf  die  Anerkennung,  die  er  gefunden,  zog  ihm 
entgegen,  aber  seine  von  Seuchen  schwer  mitgenommenen  Truppen 
wurden  ihm  abwendig  gemacht,  er  selbst  zuerst  abgesetzt  und 
dann  zu  Tarsus  in  Cilicien  getötet  nach  zwei-  bis  dreimonat- 
licher Regierung.*) 

4.  Nach  dem  Gegensatze  zwischen  einem  Aurelianus  und  Probus. 
Tacitus  tritt  in  Kaiser  Probus  ein  Imperator  auf,  der  die  Eigen- 
tümlichkeit beider  zu  vereinigen  scheint,  indem  er  die  Vorzüge 
eines  ausgezeichneten  Heerführers  mit  denen  eines  Yortre£Plichen 
Princeps  vereinigt,  der  nur  in  bestem  Einvernehmen  mit  dem 
Senat  und  mit  den  liberalsten  Zugeständnissen  an  diesen  re- 
gieren will.  Er  hält  an  allen  Grenzen  den  romischen  Waffen- 
ruhm aufrecht,  sucht  die  Grenzprovinzen  so  sehr  wie  möglich  in 
Friedensstand  zu  bringen,  ihnen  dann  die  zu  Grunde  gerichtete 
Kultur  wieder  zu  schaffen  und  dabei  die  Soldaten  nicht  blofs  in 
Zucht  zu  halten,  sondern  als  friedliche  Mitarbeiter  an  den  Werken 
der  Kultur  zu  verwenden.  Vom  Senat  erbittet  er  nicht  nur  seine 
Anerkennung,  sondern  er  läfst  demselben  auch  die  Befugnisse, 
die  ihm  Tacitus  gewährt,  oberste  Entscheidung  auf  Appellation, 
Bestellung  der  Statthalter  und  der  Legaten  derselben,  sogar  ein 
Bestätigungsrecht  gegenüber  den  eigenen  Verordnungen  des 
Kaisers.*)  Indessen  diese  merkwürdige  Vereinigung  von  Energie 
und  Selbstbeschränkung  sowie  überhaupt  die  Art,  wie  Probus 
seine  Aufgabe  fafste,  erklärt  sich  nicht  sowohl  aus  besonderem 
Interesse  für  die  Senatsauktorität,  als  aus  einem  gewissen  Mangel, 
der  in  seiner  Laufbahn  lag,  und  wieder  aus  eigentümlichen  Inter- 

1)  Vit.  14,  1:  arripuit  nan  senatus  auctoritate  aed  stto  motu  qiMsi 
heiedüarium  esset  Imperium ,  cum  sciret,  adiuratum  esse  in  senatu  Tacitumj 
tUy  cum  mori  coepisset,  non  liberos  suos  sed  Optimum  cdiquem  principem 
faceret,  Vict.  Caes.  86:  Florianus  —  nuUo  Senat us  seu  militum  consulto 
imperium  invMcrat  Die  Soldaten  mufsten  aber  doch  mit  ihm  einver- 
Btanden  sein.  —  Ausfuhrlichere  Erzählung  der  Katastrophe  bei  Zosim.  1,63, 
daselbst  auch  die  Provinzen  genauer  angegeben,  die  ihn  anerkannt;  vgl. 
vit.  Prob.  18, 1 :  recepit  (Probus)  omnes  Europenses  (xcrcilus,  qui  Florianum 
et  imperatorem  fecerant  et  occiderant.  —  Münztypen  von  Fl.  hat  Cohen 
(6,  240—242)  immerhin  108.  Dauer  der  Regierung  nach  Eutrop.  (9,  16) 
2  Mon.  20  Tage,  nach  dem  Chronogr.  88  Tage. 

2)  Auch  Probus  sendet  vom  Feld  aus  eine  oratio  y  welche  sein  Pro- 
gramm gegenüber  dem  Senat  enthält.  Vit.  13,  1:  secunda  oratione  per- 
misit  patribus,  ut  ex  magnorum  iudicum  appellationibus  ipsi  cognoscerent , 
proconsuHes  crearent^  legaios  ex  consulibus  darenty  ius  praetorium  praesidibus 
darentj  leges  quas  Probus  ederet  senatus  consultis  propriis  consecrarenbx 


?o  nsecraremt  ^  ^  ^  l  ^ 

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—     590     - 

essen,  die  er  in  dieser  Laufbahn  gewonnen.  Noch  viel  mehr 
als  bei  Aurelian  macht  sich  bei  Probus  geltend,  dafs  nunmehr 
die  Heerführer  dem  Senat,  der  Magistratur  und  der  bürgerlichen 
Verwaltung  überhaupt  völlig  fem  stehen.  Aurelian  allerdings,  der 
wirkliche  Herrschereigenschaften  besafs,  hatte  darum  nicht  auf  die 
Kegierung  verzichtet,  wenn  er  sich  auch  aus  Unkenntnis  des 
Details  der  Geschäfte  auf  eine  allgemeine  Kontrolle  und  ge- 
legentliclies  Eingreifen  beschränkte.  Probus  dagegen,  ohne  den 
Ehrgeiz,  der  nach  dem  Höchsten  strebt,  wider  Willen  zur  Herr- 
schaft gekommen^),  an  der  Grenze  geboren,  von  früher  Jugend 
auf  in  den  Grenzheeren  dienend^),  hatte  für  die  innere  Regierung 
und  ihre  Aufgaben  und  Geschäfte,  insbesondere  die  Verhältnisse 
Roms  und  Italiens  weder  Sinn  noch  Verständnis,  und  so  erschien 
es  ihm  nun,  da  er  vom  Heer  erhoben  war  und  voraussah,  dafs 
auf  Jahre  hinaus  seine  Kraft  durch  Kriegführung  in  Anspruch 
genommen  würde,  nur  als  Erleichterung  seiner  Aufgabe,  wenn 
er  die  bürgerliche  Staatsleitung  völlig  dem  Senat  und  den  Statt- 
haltern überlassen  konnte,  und  er  that  dies  in  dem  Grade,  dafs 
er  während  seiner  Regierung  überhaupt  nur  zu  seinem  Triumph 
nach  Rom  kam.  Aber  Probus  war  nicht  blofs  kein  Mann  der 
Verwaltung,  sondern  überhaupt  kein  Politiker;  sonst  hätte  er 
das  Bedenkliche  einer  solchen  Teilung  der  Gewalt  unter  den 
bestehenden  Verhältnissen  eingesehen,  einer  Teilung,  die  weit 
über  alles  hinausging,  wozu  sich  früher  senatsfreundliche  Kaiser 
verstanden,,  selbst  über  die  Konzessionen  eines  Tacitus^  der  als 
aus  dem  Senat  hervorgegangen  immerhin  die  Teilnahme  an  der 
inneren  Regierung  nicht  aufgab.  Bemerkenswert  ist  nun  aber, 
dafs  wir  von  dem  Eindrucke,  den  dieses  Verhalten  des  Kaisers 
auf  den  Senat  machte,  durchaus  nichts  erfahren.  Selbst  der 
Biograph,  der  die  Akten  des  Senats  eifrig  durchsucht  haben  will, 
weifs  uns  nichts  zu  berichten  über  Genugthuungsäufserungen  der 
hohen  Behörde,  wie  sie  unter  Tacitus  stattfanden,  nichts  von 
der  Art,  wie  der  Senat  die  ihm  überlassene  Regierungshoheit 
benützte.     Es  wird  dies  nicht  blofs  an  der  elenden  Geschichts- 

1)  Vit.  10,  8:  omatus  paUio  purpureo  —  invUus  ac  retractans  et  saepe 
dicena:  non  vobis  expedit^  müitea,  non  mecum  bene  agetis;  ego  enim  vobis 
blandiri  non  possum, 

2)  8,  1:  ariundus  e  Pannonia  civitate  Sinniensi,  nobiliore  tnatre  quam 
pcUrey  patritnonio  moderaio;  5:  adülescens  corporis  viribus  tarn  cHartu  est 
fduivs,  ut  Valeriani  ittdicio  tribunaium  prope  imberbis  accipereL    , 

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-     591     — 

Überlieferung  liegen,  auf  die  wir  angewiesen  sind,  sondern  auch 
daran,  dafs  der  Senat  selbst  dem  Bestände  solchen  Verhältnisses 
zom  Kaiser  nicht  traute  und  nicht  über  das  hinausging,  was  die 
Erledigung  der  laufenden  Geschäfte  erforderte;  auch  mochte  sich 
bereits  in  Konsequenz  der  Fernhaltung  der  Senatoren  von  dem, 
was  seit  Jahrzehnten  die  besten  Kräfte  in  Anspruch  nahm,  von 
der  Reichsverteidigung,  jener  Zug  beim  römischen  Adel  geltend 
machen,  dafs  man  sich  mit  dem  Genufs  der  ererbten  Würde  und 
des  damit  verbundenen  Reichtums  begnügte,  ohne  sich  an  die 
ererbten  Pflichten  der  Stellung  zu  erinnern.^) 

Auf  demjenigen  Gebiete  nun,  auf  welchem  der  Kaiser  seinen 
wahren  Beruf  fand,  dem  der  Wiedergewinnung  der  Grenzpro- 
vinzen  zuerst  für  das  Reich  und  dann  für  den  Segen,  den  der 
wiedergewonnene  Friede  geben  konnte,  hat  er  mit  rastloser 
Energie  gearbeitet  und  überall  mit  Erfolg.^)  In  Gallien,  das 
nach  der  Beseitigung  des  lokalen  Imperiums  während  der  Re- 
gierung des  Tacitus  wieder  den  transrhenanischen  Germanen  ein 
offenes  Land  wurde,  am  Niederrhein  den  Franken,  am  Oberrhein 
den  Alamannen,  stellte  er  nicht  blofs  die  Rheingrenze  her,  son- 
dern ergriff  auch  jenseits  derselben  wieder  die  Offensive  und  er- 
zielte in  dem  wichtigen  Winkel  zwischen  Rhein  und  Donau,  an 
dem  die  Rhein-  und  die  Donauverteidigung  zusammenstofsen  und 
der  den  Schlüssel  zum  Einbruch  in  Italien  bildet,  Resultate,  die 
zwar  nicht  das  Alte  völlig  zurückbrachten,  aber  doch  wenigstens 
wieder  einen  Teil  der  Verteidigung  jenseits  des  Rheins  verlegten. 
Die  frühere  romanisierte  Bevölkerung  des  Dekumatenlandes  war 
allerdings  so  gut  wie  vernichtet,  aber  die  Kastelle  konnten  wieder- 
hergestellt werden,  und  die  alamannischen  kleinen  Stämme,  welche 
unter  ihren  Teilfürsten  an  die  Stelle  der  früheren  Bewohner  sich 
hier  niederliefsen,  wurden,  als  der  Kaiser  über  die  schwäbische 
Alb  zum  Neckar  vorrückte,  unterworfen;    wenn  er  nun  wenig- 


1)  Vict.  Caes.  87  (Forts,  der  Stelle  ob.  S.  688  A.  2):  verum  dum 
oblectantur  oiio  simulque  divitiis  pavent,  guarum  usum  affiuentiamque  cuter- 
nitaie  maius  putant^  mwnivere  miUtartbus  ac  paene  harbaris  viam  in  se  ac 
posteros  dominandi. 

2)  Die  Folge  der  Kriege  ist  vit.  14  fr.  in  der  natürlichen  geogra- 
phischen Ordnung  gegeben;  Zosimus  1,  67  ff.  unterscheidet  im  Allgemeinen 
auch  Westen  und  Osten,  hebt  aber  aus  beiden  Gebieten  mehr  nur  einzelnes 
hervor,  wodurch  die  Biographie  ergänzt  wird;  im  Osten  interessiert  ihn  nur 
Isaurien  und  Ägypten.  ^  , 

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—    592    — 

stens  die  alten  Posten  der  früheren  Neckarlinie  wieder  mit  Truppen 
besetzte  und  damit  jene  Stamme  in  Botmäfsigkeit  erhielt^  so 
konnte  man^  so  lange  nicht  wieder  eine  Flut  von  Völkern  an- 
stürmte, hoffen,  dort  Ruhe  zu  erhalten.^)  Im  Anschlufs  hieran 
mufste  aber  auch  der  rätische  Limes  wiederhergestellt  werden:  anch 
dies  geschah,  und  weiter  wurde  der  ganze  Donaulimes  befriedet^), 
darauf  Eleinasien  und  selbst  die  bisher  unabhängigen  Isaarier 
in  ein  leidliches  Abhängigkeitsyerhältnis  gebracht,  Ägypten  gegen 
die  Blemmyer  verteidigt  und  schlielslich  mit  dem  Perserkonig  ein 
Abkommen  getroffen,  das  der  Würde  des  Reichs  entsprach,  wie 
es   nun   wieder   mächtig   dastand.^)     Überall   hatte   der   Kaiser 


1)  Vit  13  f.  giebt  wichtige  Notizen  über  die  Erfolge  des  Probns 
jenseits  des  Obcrrbeins :  cum  {Germani)  tarn  in  nostra  ripcij  immo  per  omnc9 
Gaüias  securi  vagarentur,  eaesis  prope  quadringentis  milibus,  qui  Eomanum 
occupaverant  solumy  reliquias  ultra  Nicrum  ftuvium  et  Albam  removU; 
contra  urbes  Romanas  castra  in  solo  harbarico  posuit  atque  illic  miJitcs 
collocavit;  agros,  horrea  et  domos  et  annonam  Transrhenanis  omnibus  fecit, 
is  videlicet  quos  in  excubiis  collocavit.  Darauf  werden  die  neun  Fürsten 
(reguli)  erwähnt,  die  sich  unterwarfen;  diciiur  iussisse  his  acrius  ut  gladiis 
non  uterentur,  Bomanam  exspectaturi  defensionem^  si  essent  ah  aliguibfis 
vindicandi.  Sed  visum  est,  id  non  posse  fieri,  nisi  si  limes  Eomanus  exten- 
deretur  et  fieret  Germania  tota  provincia.  Die  Tragweite  dieser  Erfolge  ist 
unter  den  Neueren  sehr  kontrovers;  die  einen  sehen  darin  völlige  Wieder- 
herstellung des  alten  transrhenanischen  Limes,  die  andern  nur  eine  stärkere 
Sicherung  der  Rheingrenze.  Vgl.  einerseits  v.  Wietersheim  -  Dahn  1,  246, 
andrerseits  Mommsen,  r.  G.  6,  142.  In  Obigem  ist  gegeben,  was  mir  aas 
den  geographischen  Verhältnissen  und  jenen  Notizen  hervorzugehen  scheint. 
Dafs  diese  neue  transrhenanische  Grenzwehr  keinen  Bestand  hatte,  zeigt 
sich  darin,  dafs  keine  inschriftlichen  Zeugnisse  aus  dieser  Zeit  mehr  vor- 
handen sind;  aber  dafs  erst  Diocletian  die  Linie  Basel— Stein  a.  Rhein  als 
neue  Grenzlinie  einrichtete,  zeigen  die  monumentalen  Zeugnisse  von  den 
dazu  gehörigen  Werken. 

2)  Nur  wird  man  damals  den  Teil  von  Rätien,  der  nördlich  von  der 
Donau  lag  und  damit  die  Mauerlinie  des  hisherigen  Limes  nicht  mehr  fest- 
gehalten haben,  da  dieselbe  mit  dem  obergermanischen  Limes  enge  zu- 
sammenhing. 

3)  Der  Abschlufs  aller  dieser  Erfolge  in  dem  Triumph  ist  vit  19  an 
den  Schlufs  der  Kriege  gestellt.  Nach  den  Münzen  würde  dieser  Triumph 
in  das  J.  279  fallen,  wenn  die  Münze  Eckhel  7,  601  zu  d.  J.  «>  Cohen  6, 
p.  299  n.  453  (mit  virtus  Prdbi  Aug.  und  der  Quadriga)  darauf  zu  beziehen 
wäre;. aber  unmittelbarer  würde  die  Münze  d.  J.  281  passen  (Cohen  6 
p.  300  n.  466),  die  Eckhel  auf  das  vierte  Konsulat  bezieht,  das  ins  J.  281 
fällt  (nicht  wie  Cohen  angiebt,  ins  J.  280).  Die  Zeit  von  2V6  bis  279  wäre 
für  alle  diese  Feldzüge  und  was  damit  zu8ammenhängt,^4och  zujkurz. 

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—    593     — 

selbst  die  Operationen  geleitet.  Nun  aber  kam  der  zweite  Teil 
der  Aufgabe,  die  Wiederherstellung  der  Kultur  in  den  Grenz- 
ländern. Vor  allem  brauchte  man  hierzu  Menschen*,  da  er  diese 
aber  im  Reich  nicht  fand,  nahm  er  sie  aufserhalb  desselben 
bei  den  Germanen,  wo  sie  im  Übermafs  vorhanden  waren  und 
eben  wegen  dieses  Übermafses  immer  wieder  das  Reich  be- 
drohten: an  100000  Bastamer  soll  er  an  der  unteren  Donau  in 
die  dortigen  Provinzen  hereingenommen  haben  und  zwar  mit 
dauerndem  Erfolg;  mit  anderen  Stämmen  dagegen,  die  er  her- 
übemahm,  war  er  weniger  glücklich,  da  sie  sich  nicht  zu  ruhigen 
Ansiedlem  machen  liefsen,  sondern  plündernd  umherzogen  und 
zum  Teil  erfolgreiche  Raubfahrten  durch  das  Mittelmeer  machten.^) 
Jedoch  auch  im  günstigsten  Fall  war  das  Barbarenmaterial  bei 
der  Kulturarbeit  zunächst  nur  für  die  gröbere  Arbeit  zu  ge- 
brauchen, höherwertige  Anpflanzung  des  Bodens,  Bauten,  Meliora- 
tionen, kurz  alles  das,  was  der  Landeskultur  einen  nach  dem 
Muster  der  besseren  Provinzen  bemessenen  Charakter  geben  sollte, 
war  durch  diese  Hände  nicht  zu  erzielen.  Hier  nun  sollten  die 
Soldaten,  nachdem  sie  die  Kriegsarbeit  vollbracht,  ihre  Aufgabe 
im  Frieden  finden^),  und  eine  Zeit  lang  wenigstens  liefsen  sie 
sich  das  auch  gefallen,  so  dafs  in  manchen  Gegenden  noch  die 
späte  Nachwelt  die  Früchte  der  Arbeit  dieser  kurzen  Frist  zu 
geniefsen  hat.^     Allein  wenn  der  römische  Soldat  selbst  dieser 


1)  Vit.  18,  1  —  4.  Zosim.  1,  71.  Die  unzuverlässigen  waren  teils 
gothiflche  Stämme,  teils  Franken;  von  den  letzteren  fioiQu  %i,g  nXoCmv 
BvnoQT^aaaa  rrjv  *EXXdda  avvßrdQa^sv  anaaav  hccI  ZmeXioc  nQogoxovaa  xal 
xy  SvQttKOvaicov  nQogfii^aöa  noXvv  %atä  xavrrjv  slgyaoato  (povov'  Tjdri  Sh 
Hai  Aißvjj  nQogoQfiLod'siaa  %al  anonQOVoQ'etaa  dvvdiistog  i%  KaQX'^l^ovog 
inßvsx^siaTjg  ofa  re  yiyovBv  inaveXd'siv  oC%ade.  —  Mit  Erfolg  dagegen 
worden  auch  16  000  Germanen  nach  dem  Alamannenkrieg  unter  die 
römischen  Truppenkörper  verteilt.    Vit.  14,  7. 

2)  Vit  20.  Eatrop.  9,  17.  Vict.  Caes.  and  epit.  87.  Ob  die  Anfserongen, 
die  hier  dem  Kaiser  in  den  Mond  geloggt  werden  (brevi  müites  necessarios 
non  habebimus;  EomaniM  iam  mües  erit  nMus),  richtig  sind,  mag  dahin- 
gestellt sein;  wahrscheinlich  sind  sie  gerade  nicht,  wenn  der  Kaiser  damals 
einen  Perserkrieg  im  Sinne  hatte  (20,  1). 

.  3)  Berühmt  ist  die  Fürsorge  für  die  Ausbreitang  des  Weinbaaes, 
womit  das  alte  Verfahren,  den  Weinbau  in  den  Provinzen  zu  gunsten  des 
italischen  zn  beschränken,  gründlich  beseitigt  wurde.  Eutrop.  9,  17.  vit. 
18,  8:  Gällis  omnibw  et  Hispanis  ac  Britannis  hinc  permisit,  ut  vites 
luiberent  vinumqtke  conficerent;  ipse  Älmam  montem  in  lUyrico  circa  Sir- 
tnium  militari  manu  fossum  lecta  manu  vite  consevit.  /^^^/^T^ 

Herzog,  d.  rOm.  Staats veif.  IL  1.  SS  O 


-    594    - 

Zeit  noch  im  Kriege  die  schwersten  Anstrengungen  durchmachen 
mufste  und  unter  der  richtigen  Führung  willig  durchmachte,  so 
geschah  es  doch  immer  im  Hinblick  auf  die  darauf  folgende 
Belohnung  und  die  Genüsse  des  Friedens:  jetzt  sollte  der  Lohn 
für  die  Eriegsmühen  neue  Arbeit  sein,  die  höchstens  mittelbar 
zum  besten  der  Soldaten  selbst  als  künftiger  Ansiedler  diente. 
Dies  war  für  diese  Zeit  zu  viel  verlangt,  und  dals  der  Elaiser, 
der  sein  Leben  unter  diesen  Truppen  zugebracht  und  sie  durch 
alle  Teile  des  Reichs  geführt,  sich  hierüber  täuschen  konnte, 
zeigt,  mit  welcher  Macht  die  edle  Idee,  die  ihn  beseelte,  all  sein 
Denken  beherrschte.  Es  war  inmitten  solcher  Thätigkeit  im 
Herbst  282,  dafs  seine  Soldaten  bei  Sirmium,  erbittert  über  die 
ihnen  zugewiesenen  Mühen,  ihn  überfielen  und  sich  seiner  ent- 
ledigten. ^) 
caruB,  carinua  5.    Noch    uutcr   Probus   hatte    das    gemeine   Heerespraten- 

aims.  dententum  der  Zeit  des  Gallienus  wieder  seine  Vertreter  gehabt 
In  verschiedenen  Provinzen  hatte  der  Übermut  der  Soldaten  oder 
die  Ambition  von  Führern  wieder  zu  Erhebungen  geführt:  so 
war  in  Syrien  von  Truppen,  die  einen  eigenen  Kaiser  haben 
wollten,  einem  tüchtigen  und  das  Vertrauen  des  Probas  ge- 
niefsenden  General  wider  seinen  Willen  der  Purpur  aufgedrängt 
worden,  und  in  Gallien  hatte  zuerst  ein  niedriger  und  roher  ein- 
heimischer Offizier,  Proculus,  mehr  in  engem  lokalem  Kreis,  dann 
ein  höher  gestellter  und  tüchtigerer,  Bonosus,  mit  etwas  mehr 
Erfolg  sich  erhoben*),  allein  keiner  dieser  Versuche  hatte  ernst- 


1)  Nach  den  lateinischen  Qaellen  vit.  21.  Entrop.  9,  17.  Vict  Gaee. 
war  die  Ermordung  des  Probus  nur  ein  Ausbruch  der  arbeitenden  Soldaten 
und  wurde  Carus  erst  nach  dem  Tode  des  Probus  erhoben;  von  den  griechischeD 
Quellen  wird  Zosimus  gerade  hier  lückenhaft;  Zonaras  aber  l&Tst  12,  S9 
den  Carus  noch  eu  Lebzeiten  des  Probus  erhoben  werden^  ebenso  der  Fort- 
setzer des  Dio  (Muller  fragm.  4,  198).  Der  Biograph  bekämpft  vit  Gar.  6 
ausdrücklich  diese  Angabe  als  mit  dem  Charakter  und  dem  Vorgehen  des 
Carus  gegen  die  Mörder  des  Probus  unvereinbar.  Aber  nach  der  Darstellung 
bei  Zonaras  liefse  beides  sich  wohl  vereinigen.  —  Probus  hat  auf  den  alezan* 
drinischen  Münzen  ein  achtes  Jahr,  erlebte  also  als  Eaiier  siebenmal  den 
29.  August,  zum  ersten  Mal  276  kurz  nachdem  er  angetreten,  zum  lotsten 
Mal  also  282;  seine  Regierungszeit  wird  angegeben  auf  6  bis  6  Jahre  (vit. 
22,  2  quinquennium,  21,  4:  interemerunt  anno  imperii  sui  quinto;  Chronogr.: 
annos  VI  m.  II  d.  XII).  Er  mnfs  also  jedenfalls  nicht  lange  nach  dem 
29.  Aug.  282  gestorben  sein. 

2)  Vit.  Prob.  18,  4—7.    Vopiscus  hat  aufserdem  diesen  einen  beson- 
deren Teil   seiner   Biographieen    gewidmet   (Firmos,  Satnminus,  Procains 

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—     595     - 

liehe  Gefahr  gebracht;  unter  einem  Kaiser  wie  Probus  war  die 
Auktoritat  des  vom  Senat  anerkannten  Imperiums  denn  doch 
die  stärkere.  Allein  nunmehr  erschien  man  wieder  haltlos  dem 
Wechsel  der  Heeresprätendenten  anheimgegeben.  Sogleich  der 
von  den  Truppen  in  Pannonien  zum  Nachfolger  des  Probus  aus- 
gerufene Gardepräfekt  M.  Aurelius  Carus  trat  durchaus  wieder 
als  Heerkaiser  auf  ohne  jegliche  Bücksicht  auf  den  Senat.  ^) 
Die  zwei  Söhne^  die  er  hatte,  Carinus  und  Numerianus,  wurden 
zu  Cäsaren  und  Mitregenten  ernannt  und  sofort  auch  bei  der 
Regierung  beteiligt.  Um  die  Soldaten  zu  beschäftigen,  wurde 
die  KriegfQhrung  wieder  aufgenommen.  Schon  Probus  hatte 
noch  einen  Feldzng  gegen  die  Perser  geplant  und  dazu  gerüstet; 
Carus,  nachdem  er  zuerst  die  Sarmaten  zurückgewiesen,  trat 
ihn  nun  an  und  nahm  den  jQngeren  Sohn  Numerianus  mit  sich, 
während  er  dem  älteren  die  Regierung  des  Westens  mit  der 
Vollmacht  eines  Augustus  übergab,  ohne  ihn  jedoch  wirklich 
auf  gleiche  Stufe  mit  sich  selbst  zu  heben.*)  Der  Feldzug  be- 
gann unter  der  der  Aufgabe  gewachsenen  Führung  glücklich  und 
wurde  auf  persischem  Boden  geführt,  aber  mitten  im  feindlichen 
Gebiet  starb  Carus  auf  rätselhafte  Weise  nach  wenig  mehr  als 
einjähriger   Herrschaft'),    doch   unter   Umständen,    dafs   seinem 


tmd  Bonosne).  Zosim.  1,  66.  Zonar.  12,  29.  Diese  beiden  sprechen  anch 
von  einem  Statthalter  in  Britannien,  der  einen  Versuch  der  Erhebung 
gemacht  hätte. 

1)  Vit.  Prob.  24,  4  f  hört  der  Senat  von  der  Erhebung  des  Carus  und 
erschrickt  darSber,  ist  aber  Yolletändig  passiv.  Vict  Caes.  37  datiert  vom 
Tode  des  Probus,  dafs  ahhinc  militaris  patenHa  convdluit  ac  sencUui  im- 
perium  creandique  ius  prindputn  ereptum  ad  nostram  memoriam:  incertwn 
an  ipso  cupiente  per  desidiam  an  meiu  seu  dissensionum  odio. 

2)  Vit  Car.  16:  (Carinus)  cum  Caesar  decretis  sibi  Oalliis  atque  Italia 
Ulyrico  Uispaniis  ac  Britamüis  et  Africa  rdictm  a  patre  Caesareanum 
teneret  imperiumj  sed  ea  lege  ut  amnia  faceret  quae  ÄugtMti  faciunt.  Zur 
Titulatur  vgl.  die  afrikanische  luschrift  o.  i.  1.  8,  6332:  M,  Ättrelio  Carino 
ndbüissimo  Caes.  Aug(usto)  pr(ineipi)  iu(ventu^is)  cos.,  fUio  imp,  Caes.  M. 
Äureli  Cari  invicti  p.  f.  Äug.  p.  p.  tr.  p.  II.  p.  m.  cons.  II.  procos.^  fratri 
M.  Äureli  Numeriani  nobüissim.    Caes.  Ättg.  pr.  iu(v€ntutis). 

3)  Vit.  Car.  8,  2:  lU  alii  dicunt  morho,  tU  plures  f ulmine  interemptus 
est;  daneben  wird  dem  Gardepräfekten  Aper  schuld  gegeben,  dafs  er  ihn, 
um  ihn  ins  Verderben  zu  führen,  dazu  gebracht,  zu  weit  vorzugehen.  — 
Carus  hat  auf  den  alex.  Münzen  nur  A,  er  ist  also  vor  29.  Aug.  283  ge- 
storben (vgl.  ob.  S.  694  A.  1),  womit  stimmt,  dafs  ihm  der  Chronogr.  giebt 
m.  X  d.  V.  —  Über  das  Nichtzutreffende  im  Bericht  des  Zonaras  vgl. 
Schiller  1,  888  A.  30.  ^^^^,^^^^ .yGoOglc 


-     596     - 

Sohne  NumerianuS;  einem  ebenfalls  als  tüchtig  anerkannten  und 
beliebten  Manne,  es  möglich  war,  das  Imperium  an  seiner  Stelle 
zu  übernehmen.  Derselbe  sah  sich  jedoch  durch  die  Stimmung 
der  Truppen  genötigt,  den  Feldzug  aufzugeben,  und  als  er  nun 
das  Heer  zurückführte,  war  auch  er  beim  Übergang  nach  Europa 
bald  ein  Mann  des  Todes,  und  seinem  Gardepräfekten  Aper,  der 
zugleich  sein  Schwiegervater  war,  demselben  Manne,  den  man 
schon  in  Verdacht  gehabt,  dafs  er  den  Carus  verderben  wollte, 
wurde  die  Schuld  zugeschoben.*)  Als  der  Tod  des  Numerianus, 
den  man  zuerst  verheimlicht,  ruchbar  wurde,  traten,  wie  einst 
unter  Gallienus  vor  Mailand,  in  Chalcedon  die  Generale  und 
Offiziere  zusammen  und  wählten  am  17.  September  284  zu  seinem 
Nachfolger  den  C.  Valerius  Diocletianus,  den  Kommandanten  der 
kaiserlichen  Haustruppen,  einer  neuen  Art  von  Leibgarde.  Unter 
dessen  Vorsitz  wird  sodann  ein  Gericht  über  die  Ermordung 
Numerians  gehalten  und  vor  versammeltem  Heere  Aper,  ehe 
er  gehört,  niedergestofsen.^)  Im  Westen  hatte  unterdessen  Ca- 
rinus  die  Regierung  in  der  Art  eines  Gallienus  geführt,  so  dafs 
man  seinem  Vater  Carus  zutraute,  er  werde  den  eigenen  Sohn 
entsetzen  und  einen  geeigneteren  Cäsar  aus  seinen  Generalen 
ernennen.*)  Durch  den  Tod  des  Vaters  war  jedoch  Carinus  zu- 
erst mit  seinem  Bruder,  nach  dessen  Tode  allein  zur  vollen  Ehre 

1)  Am  ausführlichsten  ist  dies  erzählt  vit  Car.  12  f.  —  Namerianiis, 
dessen  zweites  ägyptisches  Jahr  mit  29.  Aug.  283  begann,  hat  auf  seinen 
Münzen  noch  ein  drittes,  mufs  also  am  29.  Ang.  284  oder  wenigstens  zur 
Zeit,  da  man  die  Münzen  dieses  neuen  Jahres  in  Alexandrien  fertigte,  noch 
am  Lehen  gewoäen  sein. 

2)  Nach  dem  Chron.  Pasch,  p.  274  G,  das  hier  genauere  Notizen  gieht, 
war  Numerianus  mit  dem  Heer  hereits  in  Perinth,  also  in  Europa,  als  er 
getötet  {atpd^stai,  h  DsQhd'a  trig  B^i^nrig  —  vno  'JnQOv  inaQxov)^  oder  — 
nach  der  Erzählxmg  von  der  Verheimlichung  — ,  der  Mord  bekannt  wurde, 
Diocletian  wird  darauf  am  17.  Sept.  284  zu  Chalcedon,  also  auf  asiatischer 
Seite,  zum  Imperator  gewählt  und  zwar  ducum  consilio  tribunommque 
Valerius  Diocletianus  domesticos  regem  oh  sajpien^tam  (ie^i^Yur  ( Vict.  Caes.  39). 
Wenn  bei  dem  Gericht  über  den  Mord  (vit.  Car.  IS)  Diocletian  schwört, 
Ntimeria/num  nuUo  sUiO  dolo  interfectum,  so  müssen  die  Verhältnisse  sar 
Zeit  der  Ermordung  Numerians  so  gelegen  haben,  dafs  Diocletian  in 
Verdacht  kommen  konnte.  —  Seeck,  Zeitschr.  f.  Numism.  12,  181  A.  1  will 
Ton  den  Vicennalien  aus  den  17.  Nov.  284  als  den  Tag  des  Regierungs- 
antritts Diocletians  berechnen;  aber  das  Chron.  Pasch,  scheint  hier  wie  hin- 
sichtlich des  Thatsächlichen  genaue  Notiz  zu  haben. 

8)  Vit.  Car.  7,  16.  Was  die  Biographie  über  ihn  giebt,  ist  wesentlicb 
eine  Schilderung  seines  üppigen  Lebens.  ^  j 

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-     597    — 

des  Augustus  gelangt,  aber  der  Yollgenufs  dieser  Stellung  war 
jetzt  erst  zu  erkämpfen.  Wie  Gallienus,  war  Carinus  weder  un- 
fähig noch^  wenn  er  durch  einen  Angriff  in  Erregung  gekommen, 
ohne  Energie.^)  Er  nahm  den  ihm  gebotenen  Kampf  kräftig 
auf  und  in  Mdsien  begegneten  sich  die  Heere,  von  denen  das 
des  Carinus  sogar  das  stärkere  war.  Aber  die  grofsere  An- 
ziehungskraft übte  nun  doch  Diocletian.  Die  Schlacht  im  Morava- 
thale  nahe  der  Mündung  dieses  Flusses  in  die  Donau  brachte 
die  Entscheidung,  indem  während  derselben  Carinus  von  einem 
seiner  eigenen  Offiziere  getötet  wurde.*)  So  war  nunmehr  der 
Mann  Alleinherrscher  des  Reichs,  der  die  bisherige  Rechtsgrund- 
lage des  romischen  Imperiums  durch  eine  andere  ersetzen  und 
überhaupt  das  römische  Reich  von  neuen  Gesichtspunkten  aus 
neu  gestalten  sollte,  nicht  mit  dem  Mafse  des  Neuen,  das  Cäsar 
und  Augustus  gebracht,  sondern  mit  einer  Staatsform ,  die  mit 
allen  wesentlichen  Grundlagen  des  bisherigen  romischen  Staats 
brach. 

Die  weltgeschichtliche  Bedeutung  der  Übernahme  der  Reichs-  Das  Ausleben 
regierung   durch   Diocletian,   das   genaue  Moment   des  Epoche-     resputika. 
machenden  seines  Auftretens,  die  Rechtfertigung  dafür,  dafs  eben 

1)  Nach  Yict.  epit.  38  wird  eio  SabinuB  Jalianus  invadena  imperium 
a  Carino  in  campis  Veronensibus  occiditur.  Nach  Caea.  89  geschah  dies 
auf  dem  Zuge  gegen  Diocletian. 

2)  Die  Schlacht  wird  meist  angegeben  als  apttd  Margum  erfolgt  d.  h. 
einem  Ort  bei  der  Mündung  des  gleichnamigen  Flasses  (Morava)  in  die 
Donau,  wozu  bei  Eutrop.  9,  20  noch  gefügt  wird:  inter  Vimincicium  (Ko- 
stolatz)  atque  Äureum  Montem^  eine  auffallende  Bezeichnung,  da  zwar  die 
StraTse  von  Viminacium  nach  Mons  Aureus  (jenseits  der  unteren  Dran) 
unfern  der  Mündung  über  den  Margns  und  den  Ort  der  Schlacht  führte, 
dieser  aber  Viminacium  ganz  nahe,  von  M,  Aureus  jedoch  ziemlich  entfernt 
lag,  entfernter  als  grofsere  und  bekanntere  Orte.  —  Das  entscheidende 
Moment  wird  verschieden  angegeben:  nach  Eutrop  ist  Carinus  prodütts  ab 
exercüu,  quem  fortiorem  habehat,  aut  certe  desertus;  nach  Vict.  Caes.  39 
(Carinus)  dum  vidos  avide  pr enteret,  suorum  ictu  inter iitj  quod  libidine 
impatiens  miliiarium  nuptas  affectabat,  was  noch  bestimmter  epit.  38  dahin 
lautet:  ad  extremum  trucidatwr  eius  praecipue  tribuni  deatera^  cuius  dice- 
batur  caniugem  polluisse,  —  Als  Zeit  ist  in  den  idatianischen  Fasten  das 
J.  285  angegeben;  damit  stinunt,  dafs  der  Chronograph  dem  Carinus  und 
Numerianus  d.  h.  genauer  dem  ersteren,  giebt  ann.  II.  m.  XI  d,  II.  Nach 
dem  Ereignis  vom  17.  Sept.  284  konnte  die  Rüstung  und  der  Feldzng 
des  Carinus  gegen  Diocletian  nicht  vor  Frühjahr  286  bis  zu  der  Schlacht 
bei  Margus  geführt  werden. 

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--     598    -- 

vor  ihm  ein  Abschlufs  gemacht  wird,  Hegt  in  der  Persönlichkeit 
dieses  Mannes.  In  den  allgemeinen  Verhältnissen  war  kein  neuer 
wesentlicher  Umstand  eingetreten  gegenüber  der  Zeit,  in  der  Aare- 
lian  die  Einheit  und  die  Grenzen  des  Reichs  wiederhergestellt,  oder 
derjenigen,  in  welcher  Probus  die  Regierung  übernommen  hatte. 
Wie  damals  war  der  äufsere  Bestand  des  Reichs  im  allgemeinen 
neu  festgestellt,  aber  auch  wieder  neu  bedroht,  an  verschiedenen 
Punkten  der  Grenze  waren  bereits  neue  Barbareneinbrüche  er- 
folgt, und  der  Kampf  um  die  Reichsgrenze  ging  in  demselben 
Wechsel  fort  wie  bisher.  Die  inneren  Schäden  waren  schon 
lange  vorhanden,  sie  kamen  nur  in  einem  gallischen  Bauernkrieg 
jetzt  erst  recht  zur  Erscheinung.  Auf  religiösem  Gebiete  war 
nach  dem  langen  Frieden,  der  seit  Gallienus  den  christlichen 
Gemeinden  gewährt  worden,  das  nächste  grofse  Ereignis  nicht 
die  Anerkennung  des  Christentums,  sondern  das  Unternehmen 
einer  gewaltsamen  Restauration  der  heidnischen  Staatsreligion. 
Endlich  wie  Aurelian  und  Probus  war  Diocletian  ein  im  Heeres- 
dienst aufgekommener  General  in  vorgerücktem  Alter,  der  ein- 
seitig vom  Heere  erhoben  worden,  wie  schon  so  mancher  seiner 
Vorgänger.  Allein  er  war  eben  nicht  blofs  General,  sondern 
ein  Staatsmann  mit  neuen  Ideen,  der,  was  er  erlebt,  mit  poli- 
tischem Sinn  erfafste,  den  seine  Waffenbrüder  als  den  klügsten 
in  ihrem  Kreise  erkannt  und  in  der  Erkenntnis,  dafs  endlich 
einmal  hervorragende  politische  Einsicht  sich  mit  dem  militäri- 
schen Charakter  einigen  müsse,  zum  Herrscher  gewählt  hatten.^) 
Mit  diesem  Manne  brach  das  Verständnis  durch,  dafs  die  bisherige 
staatliche  Ordnung  verlebt  war  und  ein  Neues  kommen  mufste. 
Wohl  blieben  die  alten  Kulturformen,  blieb  so  manches  auch 
von  den  politischen  Instituten,  und  blieben  die  Namen,  aber  wie 
war  das  alles  verändert  worden!  Ausgelebt  war  vor  allem  der 
Begriff  der  alten  respublica,  der  Bürgergemeinde,  als  eines  wesent- 
lichen Faktors  des  politischen  Lebens,  ausgelebt  der  Begriff  des 
romischen  Bürgertums  überhaupt  mit  seinen  Rechten  und  Pflichten, 
der  Verbindung  von  Wehrpflicht  insbesondere  und  Bürgerrecht, 


1)  Vgl.  ob.  S.  596  A  2:  6b  sapientiam  deHgüur.  Vit.  Car.  18,  1: 
Diocletianum  —  Äugusium  appeUaverunt  domesticos  tunc  regentem,  virum 
insignem  caUidum  amantem  rcip.  amantem  suorum  et  ad  omnia  quae  tempus 
qtuiesiverat  statim  paratum^  consilii  semper  aUi  nonnimqiiam  tarnen  effrofUis^ 
sed  prudentia  et  nimia  pervicacia  motus  inquiäi  pectoris  comprimentis.  Es 
ist  dies  das  Zeugnis  eines  Zeitgenossen.  /^  j 

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-    599     - 

seinem  ZusammenhaDg  mit  der  italischen  Nationalität^  ausgelebt 
der  Unterschied  zwischen  Italien  und  den  Provinzen,   ausgelebt 
die    Regierungshoheit  und  politische  Auktorität  des  Senats  und 
der  alten  Magistratur,  die  Organisation  der  Verwaltung  der  Teile 
mit  grofsen  Provinzen  unter  wenigen  Beamten,   die  Selbständig- 
keit  des  munizipalen  Lebens;  ausgelebt  war  aber  auch  die  von  . 
Augastus   eingeMirte   Hilfsmagistratur   des   Principats    und   die 
Idee  eines  römischen  Imperators  als  Generalstatthalters  einer  vom 
Senat  zusammen  mit  demselben  geleiteten  Republik;  ausgelebt  end- 
lich selbst  die  Art,  wie  noch  Septimius  Severus  die  Verwaltungs- 
thätigkeit  unter  den  zwei  obersten  Ständen  des  Reichs,  dem  sena- 
torischen und  dem  Ritterstande,  geteilt  hatte  und  die  munizipale 
Existenz  des  dritten  Standes  trotz  aller  Stützen,  mit  denen  man  das 
früher  so  fruchtbare  munizipale  Wesen  hatte  funktionsfähig  er- 
halten wollen.    An  die  Stelle  von  all  dem  war  jetzt  eine  Masse 
von  Reichsbevölkerung  getreten  ohne  herrschende  Nationalität,  ohne 
aktive  politische  Funktionen,  in  erster  Linie  geteilt  durch  den  ünter- 
schied  zwischen  Heer  und  Zivilbevölkerung,  das  Heer  vor  allem 
nicht  mehr  national  und  die  Zivilbevölkerung  nicht  mehr  selbst- 
bewuTstes  römisches  Volk,  nicht  nach  politischen  Ständen  geglie- 
dert, sondern  nach  den  persönlich  rechtlichen  und  sozialen  Ver- 
hältnissen  in   einer  Abstufung   der   freien   Stände    nach    Besitz 
und  Würde  von  der  glänzenden  Stellung  des  Senatorenstandes 
herab  bis  zu  der  halbfreien  des  Kolonen,  dabei  die  mittleren  und 
unteren  Stände  in  so  vollständigem  Niedergang,  dafs  sie,  wenn 
man  sie  sich  selbst  überliefs,  unfähig  waren  zu  den  Lasten  und 
Leistungen,  die  man  für  Staat  und  Gesellschaft  ihnen  auflegte. 
Auch  das  Interesse  dieser  Bevölkerung  ist  von  den  öffentlichen 
Dingen  abgewandt,   soweit  man  nicht  durch  eine  Amtsstellung 
unmittelbar  an  dieselben   gebunden  ist  oder  von  ihnen  Vorteile 
bezieht.     Was  von  Gedanken  und  Sorgen  über  das  Tagesleben 
und  die  Fragen  der  Existenz  hinausging,  gehörte  der  Wissen- 
schaft oder  der  Religion,  und  in  letzterer  lag  der  Trost  der  Massen. 
Die  Neuerungen   Diocletians  enthalten  die  Kritik   des  vor- 
ausgegangenen Zustandes,  und  sie  war  gründlich.     Auf  ihn  oder 
auf  den  von  ihm  gegebenen  Anstofs  geht  zurück  die  Änderung 
in  der  Stellung  des  Herrschers,  die  nun  so  über  die  Unterthanen 
gestellt  werden  soll,   dafs   sie  den  Gefahren   des   unmittelbaren 
Verkehrs  entnommen  und  dadurch  dem  raschen  Wechsel  entzogen 
wäre,  die  Definierung  der  Herrschergewalt  als  einer  absoluteiu.^ip 

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-     600     — 

eine  neue  Organisation  des  Heeres  für  den  Felddienst  wie  für 
die  Grenzfaut;  die  Einordnung  des  Senats  in  ein  monarchisches 
Staatswesen,  die  Aufrichtung  eines  sorgfaltig  abgestuften  Beamten- 
tums und  eines  entsprechenden  Geschäftsganges^  die  Unterordnung 
der  ganzen  Zivilverwaltung  unter  die  kaiserliche  Regierungshoheit, 
die  neue  Teilung  des  Reichs,  eine  neue  Stellung  der  Hauptstadt 
und  ihrer  Verwaltung,  vor  allem  aber  ein  neues  Steuersystem: 
nur  in  der  Fortpflanzung  der  Herrschaft  nahm  er  seine  Zu- 
flucht zu  einem  künstlichen  System,  das  sich  nicht  bewährte;  er 
teilte  hier  die  eigentümliche  Abneigung  der  militärischen  Kreise 
gegen  die  Erblichkeit,  die  auch  bei  Aurelian  und  Probus  zu  be- 
merken war^),  oder  hielt  sie  unverträglich  mit  dem  System  von 
Teilung  der  obersten  Gewalt,  das  er  einführte.  Die  Bedeutung 
der  Religion  für  diese  Zeit  hat  er  wohl  auch  noch  erkannt^  aber 
nur  in  negativer  und  unfruchtbarer  Weise,  die  positive  Ver- 
wertung dieses  Moments  für  den  Staat  flel  seinen  Nachfolgern 
zu.  Das  treibende  Motiv  in  all  diesen  Veränderungen  ist  die 
Erkenntnis  der  Unzulänglichkeit  der  früheren  Institute  für  die 
Erhaltung  des  Reichs  und  die  Austreibung  aller  Reste  von  Au- 
tonomie von  Neben-  und  Teilgewalten,  welche  die  augusteische 
Verfassung  noch  gelassen  hatte;  denn  diesen  wurde  eben  jene 
Unzulänglichkeit  zugeschrieben,  ihnen  hatte  die  Zeit  den  Prozefs 
gemacht. 

Man  kann  fragen,  ob  nicht  Teile  der  neuen  Ordnung  schon 
unter  den  letzten  Kaisern  des  dritten  Jahrhunderts  eingeführt 
oder  vorbereitet  wurden.  Ganz  fehlt  es  an  solchen  Vorarbeiten 
nicht;  aber  in  grofseren  Zügen  lagen  sie  nur  auf  militärischem 
Gebiet  vor,  so  vor  allem  in  der  Trennung  der  Heerführung  von  der 
Provinzialverwaltung  durch  Einführung  der  besonderen  duces  limi- 
tum  an  allen  Linien  der  Reichsgrenze,  die  schon  zur  Zeit  Valerians 
durchgefQhrt  erscheint^);  sodann  in  der  Scheidung  im  Kommando 


1)  Dafß  Aurelian  keinerlei  Fürsorge  für  die  Nachfolge  traf,  wurde 
oben  bemerkt;  dem  Probas  wird  vit.  11,  3  die  Aufsemng  an  den  Senat  in 
den  Mond  gelegt:  utinam  id  Fhrianus  €x,^pectare  voltUsset  nee  velut  kert- 
düarium  sibi  vindicasaet  imperium,  jedenfalls  hat  anch  er,  trotzdem  dals 
Nachkommen  von  ihm  vorhanden  waren  (vit.  24,  1),  keine  Dynastie  gründen 
wollen. 

2)  Vgl.  die  duces  ZmtYum,  welche  im  Konsilium  des  Valerian  sitzen 
vit.  Aurel.  13;  wenn  auch  der  praeses  arientis  und  der  praefecttis  annonof 
orientis   hier   geschichtlich    richtig   eingeführt   sind,   so    hat   die   Teilung 

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-     001     — 

der  Waffenkörper,  der  Reiterei  und  des  Fufsvolks*),  in  der  Re- 
krutierung, in  Einführung  neuer  Leibgarden  zum  persönlichen 
Schutz  des  Kaisers  in  den  domestid  und  protedores.^)  Dafs  ferner 
schon  seit  längerer  Zeit  grofse  Provinzen  geteilt  wurden,  ist 
mehrfach  hervorgehoben  worden.  Das  Hofleben  ist  schon  seit 
längerer  Zeit  im  Sinne  gröfserer  Abgezogenheit  des  Herrschers 
ausgebildet  und  in  den  Amtern  geneuert  worden*);  ebenso  stöfst 
man  auf  verschiedenen  Gebieten  der  kaiserlichen  Verwaltung 
auf  neue  Titel  als  Zeichen  von  Veränderungen.*)  Allein  all 
dies  ist  vereinzelt  und  gewinnt  eine  gröfsere  Bedeutung  erst 
durch  Einreihung  in  das  Ganze  eines  von  der  absoluten  Stellung 
des  Herrschers  ausgehenden  Systems  von  Regierung,  das  alle 
Teile  bis  herab  zu  der  Munizipalordnung  in  eine  Abhängigkeit 
bringt,  die  jede  Selbständigkeit  aufhebi  In  der  religiösen  Haupt- 
frage, der  Zulassung  des  Christentums,  hat  die  vorhergehende 
Zeit  vielleicht  am  meisten  vorgearbeitet  Auf  Grund  teils  des 
Edikts  von  Gallienus,  teils  der  Zeit  Verhältnisse,  welche  andere 
Sorgen  mit  sich  brachten,  hatte  sich  ein  System  der  Duldung  aus- 
gebildet, das  vollends  unter  der  Not  der  Zeit  der  Ausbreitung 
der  christlichen  Gemeinden  und  der  Organisation  der  Kirche  den 
gröfsten  Vorschub  gewährte.  Es  genügt  in  dieser  Beziehung  zu 
erinnern  an  die  Rechtsentscheidung,  welche  Aurelian  in  einer 
inneren  Frage  der  Gemeinde  von  Antiochien  gab,  eine  Ent- 
scheidung, in  welcher  die  Zuerkennung  einer  Rechtsstellung  für 
die  Christen  direkt  enthalten  und  zugleich  die  Auktorität  der 
grofsen  Gemeinden  und  ihrer  Leiter  für  die  Gesamtheit  der 
Christengemeinden  diesen  geradezu  als  Prinzip  vorgehalten  wurde.  ^) 


zwischen  Yalerian  und  Gallienus  auch   in   dieser   Beziehung  der  späteren 
Zeit  vorgearbeitet. 

1)  Vit.  Anrel.  18,  1:  Squites  sane  omnes  ante  itnperium  sub  Claudio 
Aureliantts  gubemavit,  cum  offensam  magistrt  eorum  incurrisserU,  quod  temere 
Claudio  non  iiibente  pugnassent. 

2)  Die  protectores  erwähnt  ob.  S.  674  A.  4;  vgl.  Mommsen,  eph.  epigr. 
6 ,  121  ff.  Diocletian  selbst  war  unter  Numerian  domesticos  regens  ob. 
S.  698  A.  1. 

3)  Der  magister  admissionum  Valeriani,  ans  dessen  acta  Vopiscus 
schöpft,  giebt  Zeugnis  für  beides. 

4)  Der  Titel  ^magister*  ist  z.  B.  ausgedehnter  angewandt  als  früher. 
Näheres  s.  im  Syst. 

6)  Der  Bischof  von  Antiochia,  Paul  von  Samosata,  der  Günstling  der 
Zenobia,  ist  von  der  Synode  abgesetzt;  er  will  die  bischöfliche  W^unpgwTp 

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-    602    -^ 

Später  allerdings  scheint  Aurelian  auf  andere  Meinung  gebracht 
und  ein  Edikt  gegen  die  Christen  erlassen  zu  haben*,  allein 
Wirkungen  desselben  sind  nicht  glaubhaft  bezeugt,  so  dafs  im 
Ganzen  und  Grofsen  von  dem  Edikt  des  Gallienus  bis  zu  dem 
des  Diocletian  den  Christen  offiziell  Frieden  gewahrt  war.*) 

War  die  Wendung,  welche  die  Verfassung  des  römischen 
Reichs  mit  Diocletian  erhielt,  innerlich  begründet,  geschichtlieh 
gerechtfertigt?  Wir  denken  wieder  zurück  an  das  Taciteische 
Wort:  dum  veritati  consulitur,  libetias  corrumpebatur.*)  Der  Kampf 
zwischen  der  Freiheit  oder  dem,  was  man  noch  so  nennen  konnte, 
und  der  unerbittlichen  Wahrheit  der  thatsächlichen  Verhältnisse 
war  nun  zu  Ende;  die  Freiheit  war  endgültig  beseitigt  Das 
tragische  Gefühl,  mit  dem  Tacitus  für  seine  Zeit  diesen  Kampf 
liegleitet,  hat  die  Geschichtsbetrachtung  stets  geteilt;  zu  allen 
Zeiten  haben  die  drei  ersten  Jahrhunderte  der  Kaiserzeit  mit 
flen  lebendigen  Kräften,  die  sie  in  positiver  Neubildung  wie  im 
Kampf  gegen  despotische  Gewalt  noch  zeigten,  das  Interesse  in 
ganz  anderer  Weise  gefesselt  als  die  darauf  folgenden,  und  mit 
Recht  nennt  man  jene  das  hohe  Imperium,  diese  das  niedergehende. 
Aber  das  Reich  des  dritten  Jahrhunderts  verlor  die  Kräfte,  welche 
jüdes  freie  Handeln  im  Gemeinwesen  voraussetzt,  und  darum  i?far 
der,  welcher  dem  freien  Handeln  ein  Ende  machte,  doch  der 
grofse  für  seine  Zeit  geschaffene  Mann. 


nicht  räumen;  da  ßaaiXsvg  ivTSvx^slg  AvQriXiavog  alaimtaxa  Äfpl  ^^^ 
Tt^auxiov  SiBCJirjtps,  Tovrotff  vsifiat  nqoaxdxxtov  xbv  olnov,  olg  av  ot  natti 
TTiv  'ixaXCav  %al  xriv  'PcofiULoav  noXiv  MaHonoi,  xov  doyfiazog  irciaxsiXanv- 
Eaaeb.  bist.  eccl.  7,  30,  19. 

1)  Ebendas.  6,  20:  ngolovarig  d^  {xm  AvQTjXiav^)  xijg  agxvs  ctUoiof 
Tt  nsgl  r}(imv  q)(fov7iaag  ildrj  xial  ßovXatg^  <og  av  dicoyfiov  xad"'  rjft^v  iyf^- 
^Pifv,  avsTuveüxo  ^rolvg  xs  Tqv  b  nagä  näai  nsgl  xovxov  Xoyog.  Vgl.  Lact. 
de  mort.  persec.  6. 

2)  Ann.  1,  75.     Ob.  S.  250  A    3. 


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