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Full text of "Geschichte von Böhmen : grösstentheils nach urkunden und handschriften"

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Geſchichte 


von 
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Böhmen. 
Größtentheils 
nach 
Urkunden und Handſchriften. 
Von 


Franz Palacky. 


Dritten Bandes erſte Abtheilung. 


Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum Ausbruch des 
Huſſitenkrieges. Vom Jahre 1378 — 1419. 


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Prag. 


In Commiſſion bei Kronberger und Riwnak. 


1845. 


Druck der k. k. Hofbuchdruckerei von Gottlieb Haaſe Söhne. 


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Inhalts⸗überſicht. 


Sechstes Buch. 


Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum Aus 
bruch des Huſſitenkrieges. Vom J. 1378 - 1419. 


Seite 
Erſtes Capitel. König Wenzels IV erfte Regie: 
gierungsperiode. Das große Schisma. Die politiſchen 
Verhältniſſe bei Wenzels Regierungsantritt. Deſſen Cha— 
rakter und erſte Beſtrebungen. Verhältniß zu Frankreich 
und England. Lage von Italien, Deutſchland und Böh— 
men. Wenzel und ſeine Günſtlinge; erſter Streit mit der 
Geiſtlichkeit. M. Sigmund wird König von Ungarn. 
Luxenburg'ſche Hausverträge. Anfang der Unruhen in 
Böhmen. Kriege in Deutſchland und Wenzels Abdan— 
kungsproject. Judenverfolgung in Prag. Das Prager 
Jubeljahr. Bruch zwiſchen Wenzel und dem Prager Erz— 
biſchof, und grauſame Behandlung einiger Mitglieder des 
Clerus . 8 2 . g ; : ; ; 5 3 


Zweites Capitel: König Wenzels IV zweite Regie: 
rungsperiode. Der König und ſeine Regierung. Bil— 
dung des böhmiſchen Herrenbundes. Wenzels erſte Ge— 
fangennehmung und Befreiung. Herzog Johann von Gör— 
litz. Neue Schwierigkeiten und Unruhen. K. Sigmund 
von Ungarn als Vermittler. Erneuerte Gährung. Der 


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IV 


Drittes Capitel: K. Wenzels dritte Regierungs- 


Mord der Günſtlinge in Karlſtein. Umtriebe der rheini— 
ſchen Kurfürſten. Der Herzog von Mailand. Karl VI 
von Frankreich und die beiden Päpſte; der Tag zu Rheims. 
Neue Unruhen in Böhmen; Markgraf Prokop von Mäh— 
ren. K. Wenzels Abſetzung in Deutſchland und Wahl 
Ruprechts von der Pfalz. Krieg mit Ruprecht und dem 
Herrenbunde. Ruprecht in Italien. Sigmund Reichs— 
verweſer in Böhmen. Zweite Gefangenſchaft K. Wenzels 
und Kriege in Böhmen. Wenzel in Wien. Sigmunds 
Bruch mit Bonifaz IX. Wenzels Flucht. 


periode. Beginn kirchlicher Bewegungen in Böhmen. 
Anfänge und Grundzüge des kirchlichen Zwieſpalts. Die 
Biſchöfe und die Bettelmönche. Erzbiſchof Arneſt und 
Kaiſer Karl IV. Vorläufer der Reformation in Böhmen: 
Konrad Waldhauſer, Milic von Kremſier, Mathias von 
Janow. Die Prager Univerſität und das böhmiſche Schul— 
weſen. Thomas von Stitnh. Wiklefs Lehre und deren 
Verbreitung in Böhmen. M. Johann Hus und Hiero— 
nymus von Prag. Erſte Verdammung von 45 Wiklef— 
ſchen Sätzen durch die Prager Univerſität. K. Wenzels 
neue Regierung; Krieg mit K. Sigmund; kräftige Maß— 
regeln zu Herſtellung der Ruhe im Innern. Verſuche 
zur Geltendmachung der römiſchen Königswürde. Bruch 
des Königs mit Papſt Gregor XII. Fortſchritte des Wik— 
lefismus in Böhmen. M. Hus als Prediger in Bethle— 
hem. Das kirchliche Schisma und die Neutralitätsfrage; 
beide Päpfte von ihren Cardinälen verlaſſen. Neue Re: 
actionsverſuche gegen den Wiklefismus in Böhmen. K. 
Wenzel, das Cardinalscollegium und die Prager Univer— 
fität. Streit um die drei Stimmen; Nicolaus von Lob— 


kowic. Auswanderung der deutſchen Profeſſoren und Stu— 
denten aus Prag 


Viertes Capitel: Entwickelung und Verbreitung 


der Huſſiſchen Lehre. König Wenzel und das Con— 
cilium von Piſa. Dreiheit der Päpſte. Widerſetzlichkeit 
des böhmiſchen Clerus. Bulle Alexanders V. Wiklefs 
Bücher werden in Prag verbrannt. M. Hus vor die rö— 


Seite 


154 


miſche Curie geladen. Dreiheit der römiſchen Könige. 
Joſtens Tod und der Heimfall Mährens. Aus ſöhnung 
Wenzels mit Sigmund. Vergleich zwiſchen dem Prager 
Erzbiſchof und M. Hus. Papſt Johanns XXIII Kreuz— 
und Ablaßbullen, und Tumulte darüber in Prag. M. Hus 
und Stephan von Palec. Hus im päpſtlichen Bann, muß 
Prag verlaſſen. Die Erzbiſchöfe Albicus und Konrad. 
Synode zu Prag. Die katholiſchen Profeſſoren aus Böh— 
men verbannt. Hus auf dem Lande. Reiſen des M. 
Hieronymus von Prag. Verhältniſſe zwiſchen Böhmen 
und Polen. Ausſchreibung des Conſtanzer Conciliums. 
Hus entſchließt ſich, dahin zu gehen 


Fünftes Capitel: M. Johann Hus und das Con⸗ 


ſtanzer Concilium. Das Concilium und feine Haupt— 
zwecke; K. Sigmunds Verdienſte um dasſelbe. Huſſens 
Vorbereitung und Reiſe nach Conſtanz; ſeine Gegner, 
ſeine Verhaftung daſelbſt. Papſt Johann XXIII. König 
Sigmunds erſtes Auftreten in Conſtanz. Proceß gegen 
Hus. Beginn der utraquiſtiſchen Communion in Böh— 
men. Johanns XXIII Flucht von Conſtanz. M. Hiero— 
nymus von Prag wird gefangen eingebracht. Verwen— 
dungen zu Gunſten Huſſens. Deſſen dreimaliges Verhör. 
K. Sigmunds Urtheil über ihn. Beſchluß des Conciliums 
gegen die Communion unter beiderlei Geſtalten. Wer: 
gebliche Bemühungen, Hus zum Widerruf zu ſtimmen. 
Seine Verurtheilung und Hinrichtung 


Sechstes Capitel: König Wenzels letzte Regie— 


rungsperiode. Sonderung der kirchlichen Parteien in 
Böhmen und K. Wenzels ſchwankende Haltung dabei. 
Großer Landtag in Prag und deſſen drohender Brief an 
das Concilium. Huſſitiſcher und katholiſcher Herrenbund. 
Das lange Interdict von Prag. Des M. Hieronymus 
von Prag Widerruf und Rückfall, letzte Verhöre und Hin— 
richtung in Conſtanz. Folgen davon in Böhmen. Wei— 
tere ſtrenge Maßregeln des Concils. Der Huſſiten be: 
ginnende Spaltung in Calixtiner und Taboriten. Die 
Prager Univerſität und die utraquiſtiſche Communion. 
Papſt Martin V und die Kirchenreform. Schluß des 


V 


Seite 


De) 
— 


307 


VI 


Concils von Conſtanz. K. Wenzels zweideutiges Beneh— 
men. Er entſcheidet ſich endlich gegen die Huſſiten. Be— 
ginn innerer Unruhen. Die Volksführer Nicolaus von 
piſtna und Johann Zijfa von Trocnow. Volksverſamm— 
lungen am Taborberge. Fenſterſturz der Neuſtädter Raths— 
herren. K. Wenzel ſtirbt. Schlußbemerkungen 


Seite 


369 


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Sechstes Buch. 


Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum 
Ausbruch des Huffitenfrieges. 


Vom J. 1378 — 1419. 


Erſtes Capitel. 
König Wenzels IWerſte Regierungsperiode. 


Das große Schisma. Die politiſchen Verhältniſſe bei Wen— 
zels Regierungsantritt. Deſſen Charakter und erſte Be— 
ſtrebungen. Verhältniß zu Frankreich und England. Lage 
von Italien, Deutſchland und Böhmen. Wenzel und ſeine 
Günſtlinge; erſter Streit mit der Geiſtlichkeit. M. Sig— 
mund wird König von Ungarn. Luxenburg'ſche Hausverträge. 
Anfang der Unruhen in Böhmen. Kriege in Deutſchland 
und Wenzels Abdankungsproject. Judenverfolgung in Prag. 
Das Prager Jubeljahr. Bruch zwiſchen Wenzel und dem 
Prager Erzbiſchof, und grauſame Behandlung einiger Mit— 
glieder des Clerus. 


(Jahr 1378 — 1393.) 


Das Jahr 1378, bei welchem unſere Erzählung wie— 
derbeginnt, iſt durch die Todesfälle der beiden Häupter der 
Chriſtenheit, Papſt Gregor XI und Kaiſer Karl IV, fo 
verhängnißvoll geworden, wie nur wenige in der Geſchichte. 
Bekanntlich war das ganze Staats- und Kirchenleben der 
abendländiſchen Chriſten im Mittelalter urſprünglich auf 
das vorherrſchende, wenn gleich nicht unbeſchränkte, Walten 
des einigen römiſchen Kaiſers und des Papſtes, und auf 
ihr gegenſeitiges Verhältniß, gegründet geweſen. Die Be— 
ſtrebungen dieſer zwei ſouverainen Gewalten, ſich bald über 
einander zu erheben, bald das verlorene Gleichgewicht 


wieder herzuſtellen, hatten Jahrhunderte lang, und dieß 
1% 


1378 


4 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1378 nicht im ſogenannten römiſchen Reich allein,“ faſt den ganzen 
Inhalt der Geſchichte gebildet; denn eine dritte Macht hatte 
ſich außerhalb ihrer Sphäre noch nicht ausbilden, viel 
weniger geltend machen können. Nach dem Ableben Gre— 
gors XI und Karls IV aber geriethen jene beide Gewalten, 
durch den Zwieſpalt, ſo wie durch die Sitten- und Hal— 
tungsloſigkeit ihrer höchſten Träger und Repräſentanten, zu 
gleicher Zeit in einen ſo tiefen und lang anhaltenden Ver— 
fall, daß ewigen Naturgeſetzen gemäß ihnen gegenüber im 
Volke endlich eine dritte Macht entſtehen konnte und mußte, 
welche durch ihr gewaltiges Auftreten nach und nach das 
ganze Staats- und Kirchenleben der Chriſten umſtaltete; 
zuerſt in Böhmen, ſpäter faſt in allen Ländern Europas. 

Das erſte und wichtigſte Moment dieſer neuen Epoche 
war ohne Zweifel der ſchon im vorigen Bande dieſes Werkes 
angezeigte Ausbruch des großen Schisma in der 
römiſchen Kirche. Bei der hohen Bedeutung desſelben für 
unſere ganze ſpätere Geſchichte, müſſen wir etwas umſtändlicher 
darauf zurückkommen. Das Collegium der Cardinäle war 
bei Gregors XI Tode größtentheils aus Franzoſen zuſam— 
mengeſetzt, welche dem verſtorbenen Papſte nicht alle, und 
nur ungern, nach Rom gefolgt waren. Da es allen An— 
ſchein hatte, daß der künftige Papſt wieder nach Avignon 
zurückkehren, und das durch die lange Abweſenheit der 
Curie ſehr in Verfall gerathene Rom ſeinem Schickſal über— 
laſſen werde: ſo ließen die Römer bei der neuen Sperrung 
des Conclave am 7 April 1378 kein Mittel unverſucht, 
die Wahl eines Römers oder wenigſtens eines Italieners zu 
erlangen, der ſeinen Sitz in Rom bleibend wieder aufſchlüge. 

8 Apr. Am Wahltage, den 8 April, rotteten ſie ſich in großer 


1) Für Frankreich, England und andere Länder, in welchen des 
Kaiſers Gebote nicht anerkannt wurden, half man ſich in dieſer 
Hinſicht mit der Vorſtellung aus, daß die Könige dieſer Län— 
der ſelbſt die Stelle des Kaiſers in denſelben vertraten. 


Das große Schisma. 5 


Zahl zuſammen, zogen bewaffnet vor das Conclave, und 
bedrohten die Cardinäle mit dem Tode, wenn ſie nicht nach 
des Volkes Sinne wählten. Man hat hernach die römi— 
ſchen Cardinäle, insbeſondere die Orſini's, beſchuldigt, daß 
ſie dieſen Tumulten nicht fremd geblieben, um die Wahl 
auf einen der Ihrigen zu lenken; doch erlangten ſie dieſen 
Zweck keineswegs, und die Gefahr, welche für den Augen— 
blick alle Parteien im Conclave neutraliſirte, hatte nur die 
Folge, daß alle Stimmen ſich in kurzer Zeit in der Wahl 
eines Nicht-Cardinals, des Erzbiſchofs von Bari, Bartho— 
lomäus von Prignano, vereinigten. Der Umſtand nun, 
daß die Cardinäle es nicht wagten, die getroffene Wahl 
dem Volke ſogleich zu verkündigen, ſondern es durch Aus— 
flüchte und Vorwände täuſchten, bis der Sturm über ihren 
Häuptern weggezogen war, beweiſt allerdings, daß dieſe 
Wahl weder vollkommen frei, noch auch eigentlich erzwun— 
gen geweſen. Für ihre volle Giltigkeit iſt aber die That— 
ſache wohl entſcheidend, daß auch nach hergeſtellter Ordnung 
nicht nur keine Proteſtation gegen den neuen Papſt, welcher 
den Namen Urban VI annahm, erfolgte, ſondern daß alle 
Cardinäle ohne Ausnahme (auch die in Avignon zurückge— 
bliebenen) ihn anerkannten, ihm huldigten, und die getroffene 
Wahl und Krönung in eigenhändig unterſchriebenen Bullen 
dem Kaiſer und der geſammten Chriſtenheit verkündeten. 


2) Hält man die vielen umſtändlichen Berichte von Theilnehmern 
und Augenzeugen (wie ſie einerſeits von Raynaldi zum J. 1378, 
anderſeits von Baluze in den Noten zu feinen Vitae paparum 
Avenionensium, von Lenfant in der Histoire du concile de Pise 
u. a. m. fleißig zuſammengeſtellt worden ſind) gegeneinander, 
ſo wird man ſich ſchon durch dieſes Beiſpiel allein überzeugen 
müſſen, wie wenig man den einſeitigen Berichten ſelbſt der 
Beſtunterrichteten trauen darf, und wie das »Audiatur et al- 
tera parse, daher ſtrenge Kritik überhaupt, in aller Geſchichte 
unerläßliche Erforderniſſe ſind, wenn man Geſchichte und 
nicht Partei-Deductionen ſchreiben will. 


— 


378 


1378 


6 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


Papſt Urban VI, bei ſeiner Erhebung etwa 60 Jahre 
alt, klein und dick von Geſtalt, war ein gelehrter, offener 
und gerader, ſtreng ſittlicher, für Religion und Gottesdienſt 
eifriger und unbeugſamer Mann, zudem ein abgeſagter 
Feind aller Simonie; aber auch hochfahrend, herriſch, hart 
bis zur Grauſamkeit, eigenſinnig (obgleich für Schmeichler 
nicht ganz unzugänglich) und dem maßloſeſten Nepotismus 
offen fröhnend. Sein Eifer für Abſchaffung der vielen ein— 
gewurzelten Mißbräuche entbehrte zu ſehr der nothwendigen 
Klugheit und des Wohlwollens, als daß er zum Ziele ge— 
führt hätte. Er wollte mit den Reformen gleich bei den 
Cardinälen und den höchſten Prälaten ſeines Hofes be— 
ginnen; nur waren öffentliche Beſchämung, Schmähungen 
und Drohungen nicht die rechten Mittel dazu. Die vielfach 
beleidigten Cardinäle verließen in der Sommerhitze Rom, 
unter dem Vorwande der Malaria, vereinigten ſich in 
Anagni, und gewannen dort Muße, ihren Unmuth über 
die getroffene Wahl wechſelſeitig auszutauſchen. Da Urban 
das ihm gemachte Anſinnen, nach Avignon zurückzukehren, 
kurz und entſchieden von ſich wies, und den zu ihm ge— 
ſandten Herzog Otto von Braunſchweig, Gemahl der Kö— 
nigin Johanna von Neapel, durch rückſichtsloſe Behandlung 
ſich zum Feinde machte: ſo gewannen die mißvergnügten 
Cardinäle ſowohl bei dem Könige von Frankreich, als auch 
bei der Königin von Neapel, Schutz und Aufmunterung, 
und faßten endlich, vier Monate nach Urbans VI Wahl 
und Krönung, den Entſchluß, dieſelbe für tumultuariſch 
erzwungen, daher kanoniſch für ungiltig, zu erklären. 

Als die fo beginnende Spaltung zu Kaiſer Karls IV 
Kenntniß gelangte, ſandte er alſogleich ſeine Boten zu den 
Cardinälen, ermahnte und beſchwor ſie, inne zu halten in 
ihrem Beginnen, zu Urban VI zurückzukehren, ſich mit ihm 
auszufohnen und fo dem drohenden Ruin der Kirche zu: 


Das große Schisma. 7 


vorzufommenz und da dieſelben bald darauf von Anagni 
nach Fondi im Neapolitaniſchen ſich begeben hatten, ſo for— 
derte er auch die Königin Johanna von Neapel auf, ihren 
Vaſallen, den Grafen von Fondi, zu hindern, daß er den 
abtrünnigen Cardinälen keinen Vorſchub leiſte. Aber bei 
dem vollen Einverſtändniſſe der Cardinäle nicht nur mit 
der Königin von Neapel, ſondern auch mit dem Könige 
von Frankreich, hielten Jene ſich für vollkommen geſichert, 
und wählten ſchon am 20 Sept. 1378 zu Fondi einen aus 
ihrer Mitte, den Cardinal Robert von Genf, zum Gegen— 


3) Karl IV hat in feinem Briefe an die Cardinäle (welcher mit 
dem von Pelzel im Urkk. Buch Nr. 347 S. 389 mitgetheilten, 
an die Königin Johanna von Neapel erlaſſenen, in der Faſſung 
größtentheils übereinſtimmt) ſchon alle Gründe für die Giltig— 
keit von Urbans VI Wahl aufgeſtellt; wir führen daraus nur 
einige Stellen an. Decet Imperatoriam Majestatem orbis pro- 
movere rempublicam, et damnosis discordiarum periculis, prae- 
sertim quibus status et sperata tranquillitas universalis eccle- 
siae sanctae dei laeduntur, quantum Altissimus dignatur con- 
cedere, salubriter providere. Sane volubilis famae loquacitas 
his diebus Caesareum re stupenda nimis turbavit auditum, qua- 
liter quidam domini cardinales se — Urbano pp. VI — mo- 
liantur opponere, et ab ipso quibusdam praetensis coloribus 
sint diversi. — Quia ex literis majoris partis dietorum domi- 
norum cardinalium, nobis post electionem et coronationem 


dieti domini nostri papae successive transmissis, quas cauta 


custodia recondi mandavimus, constat clarissime, — dietum 
dominum nostrum papam — concorditer et canonice electum 
ac solemniter coronatum, — assistentibus et consentientibus 


sibi vobis, plures, imo multiplices solemnes actus exercuisse et 
justo titulo fecisse papales, tam in publicis consistoriis quam 
privatis: multum et digne miramur, si diversitas hujusmodi, 
quod tamen non credimus, veritati innitatur. Quis inter vos 
reverendissimos cardinales seductor et non cardinalis exstiterit, 
qui tam scandalosa tamque damnosa — in agris ecelesiae sanctae 
dei — malivole zizanizare praesumsit? aut qualiter in tantam 


imperitiam tot peritissimi viri devenerunt? u. ſ. w. 


1378 


20 Sept. 


8 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 
* 


1378 papſte mit dem Namen Clemens VII. Der Umſtand, daß 
derſelbe mit dem franzöſiſchen Königshauſe, und entfernter 
auch mit dem Hauſe von Luxenburg, verwandt war, gab 
ihnen Hoffnung, daß er um ſo leichter allgemeine Aner— 
kennung finden werde. Kaiſer Karl IV wollte aber von 
einem zweiten Papſte nichts wiſſen, und wurde, unaufge— 
fordert, die treueſte und thätigſte Stütze Urbans VI. Seine 
Boten eilten an alle Höfe Europas, “ um zu ſtandhafter 
Anhänglichkeit an Urban zu mahnen, und die Manifeſte der 
abtrünnigen Cardinäle auch durch ihre eigenen Widerſprüche 
zu widerlegen. ? Als römiſcher Kaiſer, daher als oberſter 
Schirmherr der chriſtlichen Kirche, fühlte er ſich im Ge— 
wiſſen verbunden, dem beginnenden großen Übel zu ſteuern; 
und noch näher trieb ihn dazu ſein ſeit lange fortgeſetztes 
Beftreben, ® die Päpſte von Avignon nach Rom wieder über— 


4) Das von Pesina im Phosphorus septic. (Pragae 1673, pag. 
194) angeführte Manuſcript »Epistolae Caroli IV Imp. ad 
diversos imperii principes, imo etiam vicinos reges, pro Urbano 
VI, datae Pragae anno 1378 mens. Aug. Sept. Octobri, haben 
wir leider bis jetzt noch nicht wieder auffinden können. 

5) So ſandte er nicht nur an alle Höfe vidimirte Abſchriften des 
von dem Cardinalscollegium am 8 Mai 1378 über die ein— 
müthige Wahl und Krönung Urbans VI an ihn erlaſſenen 
Schreibens, ſondern er ließ eine ſolche, unter ſeinem und anderer 
14 Fürſten und Herren Siegel, auch an die S. Peterskirche im 
Vatican öffentlich anſchlagen. S. Henrici de Knighton chro- 
nica de eventibus Angliae, in (Twysden et Selden) Historiae 
Anglicanae script. Londini 1652, pag. 2631 8. 

6) Vgl. vorigen Bandes 2 Abtheil. Seite 574 fg. Zur näheren 
Andeutung der damaligen Verhälniſſe und Beſtrebungen, füh— 
ren wir noch aus Urbans VI Briefe an K. Wenzel IV (dd. 
1382, 6 Sept. in Pelzels Urkk. Buche S. 53) folgende Worte 
an: Utinam tibi notum esset, prout notum erat clarae memo- 
riae Karolo Rom. Imperatori, inclyto genitori tuo, quantum Gal- 
lica natio semper ad imperium suspiravit! De papatu quid 
loquamur? Notum adeo est, quod nulla potest tergiversatione 


Das große Schisma. 9 


4 

zuführen und aus der Übermacht der Könige von Frank- 1378 
reich zu erlöſen; ein Erfolg, welcher durch des Gegenpapſtes 
Clemens VII Rückkehr nach Avignon wieder in Frage ge— 
ſtellt wurde. Da nun nach dem vollendeten Schisma die 
vorzüglichſten kirchlichen Autoritäten, und darunter auch die 
drei anſehnlichſten Univerfitäten Europa's, Paris, Oxford 
und Prag, auf die Berufung eines allgemeinen Conciliums 
drangen, ” und bei der ſtrittigen Frage, welcher von den 
beiden Päpſten ein ſolches Concilium zu berufen habe, die 
Mehrzahl der Zeitgenoſſen ſich dahin vereinigten, daß dieſes 
Amt in ſolchem Falle dem gekrönten römiſchen Kaiſer zu— 
ſtehe: jo iſt wohl die Meinung vieler Zeitgenoſſen“ nicht 
ungegründet, daß es dem perſönlichen Anſehen und Ein— 
fluſſe Karls IV, ſo wie ſeiner bekannten Klugheit und 
Thätigkeit, wahrſcheinlich hätte gelingen können, das Schisma 
bald wieder zu unterdrücken, wenn er nicht zu früh nach 
deſſen Ausbruch (den 29 Nov. 1378, wie wir bereits be— 
richtet,) geſtorben wäre. 

Um nun die Aufgabe, welche ſein längſt gekrönter 
Sohn und Nachfolger, König Wenzel IV, zu löſen bekam, 
in ihrem ganzen Umfange kennen zu lernen, müſſen wir, 


celari: nedum papatum, nedum imperium, sed universi orbis 
monarchiam vellent Gallici usurpare, si facultas eorum deside- 
riis responderet. 

7) Raynaldi ad ann. 1378, F. 43 sq. Baluze in vitis papar. Ave- 
nion. II, 864 etc. Pelzels König Wenceslaus I, 79. Zuerft 
wollte Clemens VII mit feiner Partei, ſpäter aber auch Urban 
VI, von einem Concilium nichts hören. 


8) So ſagt z. B. der Verfaſſer des Tractatus de longaevo schis- 
mate: Felicissimae recordationis Karolus IV tantae fuit indus- 
triae, bonitatis et justitiae, quod verisimiliter creditur, divisi- 
onem illam ecclesiae nullomodo durasse longo tempore, si onmi- 
potentis dei pietas eum tam subito post ejusdem divisionis 
exordium de hoc medio minime sublevasset. (S. meine Sta: 


lien. Reife. S. 96). 


1378 


10 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


außer den kirchlichen, auch die politiſchen Verhältniſſe jener 
Zeit, noch etwas näher ins Auge faſſen. 

Durch ein merkwürdiges Zuſammentreffen ſehen wir 
kurz vor und nach Karls IV Tode auch alle anderen durch 
Macht, Charakter und Einfluß ihm ebenbürtigen Monarchen 
Europa's von der Weltbühne ſchwinden, und ihre ſämmtlich 
noch unmündigen Nachfolger der Leitung charakterloſer, aber 
herrſch- und habſüchtiger Verwandten überlaſſen. Zuerſt 
war der früher oft von uns genannte König Eduard III 
von England abgetreten (1377), und hatte den erſt 
13jährigen Enkel Richard IL des von der Schlacht von 
Crecy her berühmten ſchwarzen Prinzen Sohn, zum Nach— 
folger. Später, am 16 Sept. 1380, ſtarb auch Karl V, 
zugenannt der Weiſe, von Frankreich, der ſein Reich, und 
die königliche Macht in demſelben, nach den von den Eng— 
ländern erlittenen Unfällen, durch kluge, wenn auch nicht 
immer gerechte Maßregeln, ziemlich wieder emporgehoben 
hatte; und da ſein Sohn und Nachfolger, Karl VI, noch 
nicht 12 Jahre alt war, ſo ſtritten ſich deſſen Oheime erſt 
lange um die Regentſchaft, die ſie, gleich den Regenten in 
England, zur Auflegung der drückendſten Steuern miß— 
brauchten, und dadurch blutige Volksaufſtände veranlaßten; 
dann, als der nicht unedle Karl VI die Regierung ſelbſt 
übernahm, verfiel er bald in eine häufig wiederkehrende 
Gemüthskrankheit, und konnte ſchon deshalb nicht conſequent 
und kräftig regieren. Auch der durch perſönlichen Charakter 
ausgezeichnete König Lud wig von Ungarn und Polen 
hinterließ bei ſeinem am 11 Sept. 1382 erfolgten Tode 
nur zwei unmündige Töchter, unter der Leitung einer 
herrſchſüchtigen, aber mehr eiteln und liſtigen, als ſtolzen 
und klugen Mutter. Mit mehr Klugheit und Glück waltete 
im Norden Europa's ſeit 1376, zuerſt auch als Vormün— 
derin ihres Sohnes, dann ſelbſtändig, Margarethe 
von Dänemark, die berühmte Stifterin der Kalmar'ſchen 


Die politiſchen Verhältniſſe. Deutſchlands Zuſtand. 11 


4. 
Union im Jahre 1397; aber auf den Gang der Ereigniſſe, 1378 
welche wir zu berichten haben, äußerte ſie keinen merklichen 
Einfluß. 

Auf dieſe Weiſe ſtellte ſich in kurzer Zeit in allen 
größeren Reichen Europa's eine Art Gleichgewicht von 
Schwäche nach Außen ein, und K. Wenzel hatte in dieſer 
Beziehung für ſeine beiden Kronen, die deutſche und die 
böhmiſche, vorerſt keine Gefahren zu beſorgen. Auch im 
Innern Böhmens und ſeiner Kronländer hatte durch Karls IV 
lange und umſichtige Leitung die ganze Staatsmaſchine einen 
ſo geregelten, ruhigen und feſten Gang gewonnen, daß ſie 
ohne große Schwierigkeit lange in derſelben Weiſe fortge— 
führt werden konnte. Anders war es aber in Deutſchland 
und Italien, wo es ſelbſt der langen Regierung Karls IV 
nicht gelungen war, einen ganz ruhigen öffentlichen Zuſtand 
herzuſtellen. Die Betrachtung dieſes Zuſtandes, wie er ſich 
bei Karls IV Tode ergab, iſt faſt in allen Beziehungen 
höchſt unerfreulich. Von dem Gedanken an ein einiges 
deutſches Vaterland, und von einem entſprechenden Patrio— 
tismus, läßt ſich bei allen damaligen großen und kleinen 
Machthabern Deutſchlands auch nicht die kleinſte Spur er— 
blicken; alles erſcheint in Selbſtſucht verſunken, einzig auf 
Mehrung und Feſtigung der eigenen Macht bedacht, und 
um die Moralität der Mittel dazu unbekümmert; nur bei 
den Städten zeigt ſich hie und da eine wohlthuende Aus— 
nahme. Die Herrſchaft der römiſchen Kaiſer beſtand auch 
in Deutſchland nur noch der Idee nach; in der Wirklichkeit 
war ſie ſeit den Tagen der Hohenſtaufen gebrochen, und 
die Kaiſer wurden von den Reichsfürſten in der That nur 
als die Erſten unter ihres Gleichen, als die gewählten, 
daher von der Zuſtimmung der Wähler abhängigen, Häupter 
einer oligarchiſchen Republik angeſehen. Als vorherrſchendes 
Moment in der Entwicklung der geſammten Zuſtände läßt 
ſich noch immer das Beſtreben der Reichsfürſten erkennen, 


12 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1378 ihre Macht auch durch Verwandlung der ihnen übertragenen 
Reichsvogtei in wirkliche Landesherrſchaft auszubreiten; und 
dieſem entgegen der Drang der unteren Stände, der Reichs— 
ritterſchaft und der Städte, ihre Unabhängigkeit, gleich den 
Schweizern, durch Einigungen und Eidgenoſſenſchaften un— 
tereinander zu ſchützen. Kaiſer Karl IV hatte, in ſeiner 
Achtung für die geſetzlichen Formen, es nicht über ſich nehmen 
mögen, ſich mit den je länger je entſchiedener auftretenden 
unteren Ständen zu verbinden, um mit ihrer Hilfe zu ver— 
ſuchen, die Herrſchaft der Fürſten zu brechen; er hatte nur 
die Übergriffe auf beiden Seiten zu mäßigen und zu hin— 
dern geſucht, dadurch aber den Dank keiner Partei ſich ge— 
ſichert. Im Gegentheil hatte ſeine durch eine lange Reihe 
von Jahren glücklich gehandhabte diplomatiſche Überlegen— 
heit, wodurch er alle Bewegungen der Fürſten, ohne offene 
Gewalt, zu hemmen und zu zügeln, und zugleich auch ſeinen 
Sohn, gegen ihren Wunſch, aber doch mit ihrer Zuſtim— 
mung, zu ſeinem Nachfolger im Reiche zu beſtellen wußte, 
eine Reaction bei ihnen hervorgebracht, die dem Reſte von 
monarchiſchem Anſehen, welches der römiſche König noch 
behalten hatte, verderblich werden mußte, wenn er ſich nicht 
fähig erwies, die Rolle ſeines Vorgängers mit gleicher Kraft 
und Klugheit fortzuſetzen. 

Von dem Charakter und der ganzen Perſönlichkeit 
König Wenzels IV hat uns leider kein Zeitgenoſſe ein voll— 
ſtändiges naturgetreues Bild hinterlaſſen; nur einzelne Züge 
und zufällige, meiſt in Leidenſchaft gefällte Urtheile und 
Außerungen, ſind uns von Denjenigen überliefert wor— 
den, welche mit ihm perſönlich zu thun hatten, daher 
auch aus eigener Anſchauung und Erfahrung zu berichten 
im Stande waren.“ Dieſelben Leidenſchaften aber, welche 

9) Es iſt auffallend, daß K. Wenzels IV ganzes Zeitalter weder 
in Böhmen, noch in Deutſchland, einen Chroniſten hervorge— 
bracht hat, welcher die gleichzeitigen Ereigniſſe mit einiger 


Deutſchlands Zuſtand. Wenzels Charakter. 13 


während feiner Aljährigen Regierung jene großen Partei- 1378 
ungen ſchufen, in welche die abendländiſche Chriſtenheit 
auch jetzt noch geſpalten iſt, haben auch die widerſprechend— 
ſten Urtheile über K. Wenzels IV Charakter und Benehmen, 
wie unter ſeinen Zeitgenoſſen, ſo auch bei der Nachwelt 
hervorgerufen; daher geſchah es, daß während einerſeits 
die Mehrzahl der Schriftſteller ihn als einen gemeinen 
Trunkenbold und ſinnloſen Wütherich ſchilderte, es ander— 
ſeits auch nicht an Stimmen fehlte, die ihn für einen ein— 
ſichtsvollen und wohlwollenden — Märtyrer ausgaben, der 
nur dem Haſſe böſer Menſchen unterlegen fei. 1% Bei ſolchem 
Widerſpruche der Meinungen kann nur die möglichſt treue 
geſchichtliche Erzählung eine gerechte Entſcheidung begründen, 
und wir dürfen dem Urtheil des Leſers um ſo weniger 
vorgreifen, je weniger es ſich verkennen läßt, daß K. Wenzel 
ſelbſt ſein Benehmen in den verſchiedenen Perioden ſeines 
Lebens bedeutend geändert hat. 


Die Sorgen, welche dem Könige in der erſten Periode 
ſeiner Regierung oblagen, laſſen ſich unter folgenden Ge— 


Vollſtändigkeit und im Zuſammenhange geſchildert hätte. Nur 
einzelne äußerſt dürftige Particularchroniken haben ſich, zumal 
über die drei erſten Regierungsperioden K. Wenzels (bis 1409) 
erhalten. Was aus ihnen und mehr noch aus gleichzeitigen 
Acten zu ſchöpfen war, hat Franz Mart. Pelzel in ſ. »Lebens— 
geſchichte des röm. und böhm. Königs Wenceslaus“ (Prag, 
II Bde, 1788 — 1790 in 8.) mit großem Fleiße zuſammenge— 
ſtellt; dieſes Werk iſt und bleibt die unentbehrliche Grundlage 
aller hiſtoriſchen Studien über K. Wenzel und ſeine Zeit; nur 
in Hinſicht der Kritik läßt es viel zu wünſchen übrig. 

10) Wir erinnern nur an des geiſtreichen Chriſt. Thomaſius 
zwei Differtationen über K. Wenzel, darunter eine »Disserta- 
tio, in qua ostenditur, Wenceslaum Imp. prope inter martyres 
esse referendum, et odium adversus elerum pontificium atque 
protectionem Hussi primarias causas videri, cur tam male au- 


diat.« (Halae Magd. 1693, in 4.) 


14 » Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1378 ſichtspuncten begreifen: Angelegenheiten der römiſchen, nun 
in ſich geſpaltenen Kirche; Angelegenheiten des römiſchen 
Reichs in Deutſchland und Italien; Verhältniſſe des Hauſes 
Luxenburg zu den benachbarten Mächten, insbeſondere 
Frankreich und England; Verhältniſſe der Mitglieder dieſes 
Hauſes untereinander; und endlich innere Landesangelegen— 
heiten von Böhmen. 

Das wichtigſte und dringendſte war die Sorge um 
Beilegung des kirchlichen Zwieſpalts, der aller Chriſtenheit 
das höchſte Aergerniß darbot, und gleich in ſeinem Beginn 
ſelbſt in Deutſchland und Böhmen weiter um ſich griff, als 
man hätte erwarten ſollen. Wie leidenſchaftlich beide Päpſte 
gegen einander verfuhren, wie ſie ſich und ihre Anhänger 
wechſelſeitig als Antichriſten mit Bannflüchen belegten, und 
nach erfolgloſer Erſchöpfung der geiſtlichen, auch zu den 
weltlichen Waffen griffen, wollen wir hier nicht näher aus— 
einanderſetzen. Der von den meiſten alten Cardinälen ver— 
laſſene Urban VI mußte deren ſich neue ſchaffen, und er— 
nannte ihrer (im Nov. 1378) an Zahl 26 auf einmal, 
darunter auch den Prager Erzbiſchof, Johann Deko von 
Wlasim. 1 Zur Wahrung feiner Intereſſen an K. Wenzels 
Hofe ſandte er (im Dec. 1378) den gleichfalls neu ernannten 
Cardinal Pileus, aus dem Hauſe der Grafen von Prata, 
Erzbiſchof von Ravenna. Aber auch der Gegenpapſt Cle— 
mens VII gab vorerſt die Hoffnung nicht auf, den römiſchen 
König auf ſeine Seite zu ziehen, da er, von dem jungen 
Markgrafen Prokop von Mähren offen begünſtigt, an dem 
Biſchof Dietrich von Breslau, an dem Prager Domdechant 
Hynek Kluk, ſeinem einſt von Avignon her vertrauten 
Freunde, und ſelbſt an dem Wysehrader Dechant Kunes 


11) Raynaldi ad ann. 1378, f. 104. Nach einer gleichzeitigen Nach— 
richt in Pessina Phosphor. septicorn. pag. 542 hatte Urban VI 
unſern Johann Ocko von Wlasim ſchon am 17 Sept. 1378 
zum Cardinalat erhoben. 


Wenzels erſte Bemühungen. 15 


von Weſſel, ! entſchiedene Anhänger gewonnen hatte. Er 
beſtimmte ſeinerſeits zu Fondi, am 8 Dec. 1378, den Car— 
dinal Guillelmus de Agrifolio zu ſeinem Legaten in Böhmen 
und in Deutſchland überhaupt. ! 

Es iſt nicht zu läugnen: in den erſten Jahren ſeiner 
Regierung entwickelte K. Wenzel den größten Eifer, das 
Schisma zu unterdrücken, und öffentlichen Frieden in Deutſch— 
land herzuſtellen. Wenige Wochen nach ſeines Vaters Tode 
ſchrieb er ſchon deshalb einen Reichstag nach Nürnberg aus. 
Als er aber dort ankam, fand er, daß die wenigſten Reichs— 
fürſten ſein Gebot beachtet und ſich dort, ſei es in Perſon, 
ſei es durch Bevollmächtigte, eingeſtellt hatten. Ob er der 
ſchlimmen Vorbedeutung, welche darin für ſeine Regierung 
lag, ſich bewußt worden ſei, wird uns nicht berichtet. Er 
gab aber nach, und ſetzte gleich darauf, nach dem Wunſche 


12) Dieſer Kunes oder Konrad von Weſſel befand ſich, als kaiſer— 
licher Abgeſandter, in Rom, als Gregor XI ſtarb und Urban 
VI gewählt wurde. Eine eigenhändige Note deſſelben (in einer 
Handſchrift des Prager Domcapitels, O. 18) macht uns mit 
folgender intereſſanten Nachricht bekannt: »Anno 1377, mense 
Septembri, D. Karolus imperator destinavit me Conradum, 
decanum ecclesiae Wysegradensis, ad D. Gregorium pp. XI 
in factis filii sui serenissimi principis Wenceslai pro regno 
Romanorum, et misit per me XL millia florenorum eidem Gre- 
gorio mutuando. Qui D. Gregorius receptis florenis a me, 
incidit in infirmitatem, et mortuus est sabbato ante Laetare 
ann. 1378. Post cujus mortem factum est schisma, et duravit 
XL annis usque ad concilium Constantiense, in quo fuit elec- 
tus Martinus V. Alſo lebte diefer ehemalige Wysehrader De— 
chant (der aber ſeine Würde ſchon um 1380 dem Wenzel Kra— 
lik von Burenic hatte abtreten müſſen) noch im J. 1418. 
Seine Anhänglichkeit an Clemens VII wird, dieſer Nachricht 
zu Folge, auch in perſönlichen Verhältniſſen zu den Cardinälen 
ihren Grund gehabt haben. 

13) Baluze J. c. II, 848 sq. Vita Joannis de Jencenstein (Pragae 
1793) pag. 48. 


1378 


1379 


16 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1379 der Fürſten, einen zweiten Reichstag nach Frankfurt am 


27 Febr. 


Main an.“ Hier wurden dann, auf fein Andringen, in 
Gegenwart des Cardinals Pileus, der drei geiſtlichen Kur— 
fürſten, des Pfalzgrafen Ruprecht des älteren und anderer 
Reichsglieder, am 27 Febr. 1379 Beſchlüſſe gefaßt, denen 
zu Folge ganz Deutſchland in ſeinem Innern den Land— 
frieden wahren und mit dem Könige für einen Mann bei 
Urban VI beharren, daher weder mit Robert von Genf, 
der ſich Clemens VII nennet, noch mit deſſen Partei jemals 
in irgend eine Verbindung ſich einlaſſen ſollte; auch wurde 
beſtimmt, daß wenn K. Wenzel etwa mit Tode abginge, 
Niemand zu ſeinem Nachfolger im Reiche gewählt werden 
ſoll, der nicht vorher zu ſtandhafter Anhänglichkeit an Ur— 
ban VI ſich verpflichtete. Die Abgeſandten des Gegenpapſtes 
wurden hier gar nicht vorgelaſſen, und die des Königs von 
Frankreich erlangten kein Gehör; ihnen wurde im Gegen— 
theil bedeutet, nicht ihr König, ſondern der römiſche, der 
künftige Kaiſer, ſei der römiſchen Kirche natürlicher Vogt 
und Beſchützer, der auch um die Beſetzung des päpſtlichen 
Stuhles vorzugsweiſe ſich zu kümmern habe. 16 Auch ſchrieb 


14) Wenker in apparatu archivorum pag. 229 sq. Historia Norim- 
berg. diplomatica pag. 320. 

15) In der bei Raynaldi (ad ann. 1379 F. 36 — 38) und bei 
Baluze (J. c.) gedruckten Urkunde iſt das Datum fehlerhaft ge— 
ſchrieben, und ſtatt der Worte »dominicae incarnationis« iſt dort 
»dominica Invocavit« (27 Febr.) zu leſen. 

16) In der ſo eben erwähnten Urkunde vom 27 Febr. heißt es 
unter andern Worten: quippe nos, et nullus alter, tam- 
quam rex Romanorum, mediante dei adjutorio futurus impera- 
tor, verus et legitimus advocatus et protector sanctae Romanae 
ecclesiae, domino papae et fidei Christianae merito et de jure 
providere habemus. Das »nullus alter« deutet auf König Karl V 
von Frankreich hin, der ſich einen Einfluß auf die Beſetzung 
des päpſtlichen Stuhls anmaßte, und Clemens VII begünftigte, 
um nur wieder einen Papſt in Avignon zu haben. 


Wenzels erſte Bemühungen. 17 


K. Wenzel, wie an alle chriſtlichen Fürſten, ſo insbeſondere 
an die Königin Johanna von Neapel, eindringliche Briefe 
in dieſer Hinſicht; er bedrohte dieſe Letztere mit der Reichs— 
acht, 17 wenn ſie nicht alſogleich dem Afterpapſte ihre Un— 
terſtützung entziehe. Nun wiſſen wir nicht, ob Johanna 
1 Drohung fürchtete: 1° Clemens VII aber fand es ſchon 
deshalb gerathen, von Neapel je eher je lieber nach Avignon, 
in Frankreichs mächtigeren Schutz, ſich zu begeben. 


dem 


Vielleicht war es der Wunſch, durch einen Bund mit 
Könige Ludwig von Ungarn die Königin Johanna 


mehr zu ſchrecken, was K. Wenzel bewog, ſich perſönlich 
zu ihm nach Altſohl zu begeben.!“ Obgleich aber Ludwig 
an Urban VI feſt hielt, und auch von Dieſem zur Ergrei— 


17) Das noch ungedruckte Schreiben K. Wenzels an die Königin ſchließt 
nämlich mit folgenden Worten: Vos seriose requirimus et horta- 


mur, volentes, ut scismatis errore deposito, ad obedientiam 


18) 


19) 


apostolicae sedis et dieti domini nostri Urbani papae quanto 
eitius redeatis; quod nisi feceritis, scitote pro certo, quod culpa 
vestra vos destruet, et nos adversum vos velut inobedientem et 
indignum vasallum imperii opportuno remedio procedemus. 
Freilich paßte eine ſolche Sprache wenig mehr zu den Zeitver: 
hältniſſen. Glimpflicher äußerte ſich der König in dem an Jo— 
hanna's Gemahl Otto zu gleicher Zeit erlaſſenen Briefe. 
Daß ſie im Mai 1379, ſcheinbar wenigſtens und auf kurze 
Zeit, wieder zu Urban VI übertrat, erfahren wir aus einem 
von Rom am 24 Mai 1379 datirten Schreiben des Letzteren 
an K. Wenzel, das ſich im Original in der Bibliothek des 
Prager Domcapitels befindet. 
Dieſe Reiſe iſt nur durch die in den gleichzeitigen Annales Me— 
diolanenses (bei Muratori, XVI, Pa: 772) erhaltene, von bei- 
den Königen zugleich zu Altſohl im J. 1379 (ohne Angabe des 
Tags) ausgeſtellte Urkunde bekannt; nel hat ſie aber auch 
gar nicht Statt gefunden. Wenigſtens kann K. Wenzel nicht, 
wie Pelzel will, erſt nach dem 23 Juni, ſondern er müßte ſchon 
vor dieſem Tage in Ungarn geweſen ſein; denn eine andere 
Urkunde K. Wenzels, die Pelzel nicht kannte, iſt am 8 Juli 
1379 zu Karlſtein datirt. 

2 


1379 


18 VI Buch, 1 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1379 fung der Waffen gegen Johanna ermahnt wurde, ſo ging 
er doch in ſolche Vorſchläge nicht ein, indem er bereits mit 
Venedig in Krieg verwickelt war. Dagegen erneuerten beide 
Könige jetzt ihr Freundſchaftsbündniß, und es iſt nicht zu 
zweifeln, daß der ſeit 1372 oft beſprochene Plan, Ludwigs 
ältere Tochter und Erbin Marie mit Wenzels Bruder, 
dem Markgrafen Sigmund, zu vermählen, neuerdings zur 
Sprache gebracht und beiderſeits genehmigt wurde. i 

Die große Thätigkeit, welche Wenzel zu Unterdrückung 
des Schisma in dieſer Zeit entwickelte, war nicht ſowohl 
der Anweſenheit des Cardinals Pileus an ſeinem Hofe, als 
vielmehr den noch lebenden vorzüglichſten Räthen Karls IV. 
und insbeſondere dem Erzbiſchof Johann Defo von Wlasim 
zu verdanken. Dieſer bereits 86jährige und noch immer 
rüſtige Greis hatte wohl auch an den diesfälligen Bemü— 
hungen Karls IV, deſſen innigſter Vertrauter er war, den 
größten Theil gehabt. Er wurde für dieſen Eifer durch 
den von Urban VI ihm überſandten Cardinalshut, den 
erſten, den ein Böhme trug, belohnt; Cardinal Pileus 
brachte ihn nach Böhmen, und übergab ihn demſelben unter 

6 März großen Feſtlichkeiten (6 März.) “ Da Ocko hiebei die 
Würde eines Erzbiſchofs von Prag niederlegte, ſo wurde 
dieſe ſeinem Brudersſohne Johann von Jenſtein, damals 


20) De anno 1379, mense Martio, die VI ejusdem mensis, in domi- 
nica Reminiscere, hora quasi vesperarum, capellum cardinalatus 
Johanni archiepiscopo Pragensi per D. Pileum cardinalem Ra- 
vennatensem fuit traditum extra civitatem Pragensem in strata 
Montis Kutnae circa cumulum lapidum, qui vulgo dicitur 
pausa sive requies beati Wenceslai martyris, in praesentia sere- 
nissimae principis D. Elisabethae imperatrieis Rom. et copiosa 
multitudine baronum, nobilium regni, praelatorum, magis- 
trorum, scholarium studii Pragensis et multorum advenarum 
partium diversarum. (M. S. in Pess ina Phosphoro septi- 
corn. pag. 542 sq.) 


Wenzels erſte Bemühungen. 19 


Biſchof von Meißen, zu Theil; “ und auch deſſen Inveſtitur 1379 
erfolgte zu derſelben Zeit, mit dem üblichen Gepränge. 
Der neue Erzbiſchof war zwar noch jung, aber als Zög— 
ling der Univerſitäten von Prag, Padua, Bologna, Mont: 
pellier und Paris, vielſeitig gebildet, ein Freund der Lite— 
ratur und ſelbſt Schriftſteller, fromm und rechtſchaffen, dabei 
jedoch den Weltfreuden, dem heiteren Lebensgenuſſe, Jag— 
den, Turnieren und Bällen, nicht abhold; “ er wurde des 
jungen Königs Rath und oberſter Kanzler, ſowohl für die 
Reichsgeſchäfte, als für die Angelegenheiten von Böhmen. 
In ſeinen Erblanden wurde es dem Könige nicht ſchwer, 
die Keime des kirchlichen Schisma zu unterdrücken. Dem 
Breslauer Domcapitel drohte er mit Einziehung ſeiner 
Güter, wenn es dem Biſchof Dietrich, der ſich von Clemens 
hatte weihen laſſen, nicht alſogleich öffentlich allen Gehorſam 
aufkündige; die Dechante von Prag und Wysehrad wurden 
ihrer Würden entſetzt, aber ſpäter, nachdem ſie viele Drang— 
ſale erlitten und ſich zur Obedienz Urbans VI zurückge— 


21) Erzbiſchof Johann Ocko von Wlasim hatte zwei Brüder: Paul 
von Jenſtein, Kammerſecretär Kaiſer Karls IV ſeit 1360, und 
Michael von Wlasim. Pauls von Jenſtein (oder Jenzenſtein) 
Söhne hießen Martin, Johann (der dritte Prager Erzbiſchof), 
Paul Herr auf Stara, und Wenzel, Canonicus in Prag; eine 
ihrer Schweſtern war mit dem Prager Bürger Wolfram von 
Skworec, dem Vater des gleichnamigen vierten Erzbiſchofs, 
vermählt. Das nachmalige (im XVI Jahrh. erloſchene) Ge— 
ſchlecht der Herren von Jenſtein ſtammte von Pauls ſo eben 
genanntem dritten Sohne, Paul auf Stara (1380 — 1400). 

Die gleichzeitige von J. Dobrowſkky zuerſt edirte »Vita Joannis 
de Jencenstein« (Pragae, 1793, 8.) iſt von einem einſeitigen 
frömmelnden Standpunkt geſchrieben. Das k. k. geheime Ar— 
chiv in Wien beſitzt einen ganzen Folioband von noch unbe— 
kannten Briefen dieſes Erzbiſchofs im Originalconcept; ein 
ſtarker Codex der vaticaniſchen Bibliothek in Rom (Bibl. 
Vatie. Nr. 1122) enthält die geſammelten Werke desſelben voll: 
ſtändig. (Vgl. Ital. Reife, pag. 57 sq.) 


22 


— 


2 * 


20 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1379 wendet hatten, zu einfachen Canonicaten bei ihren Kirchen 
wieder zugelaſſen. Nicht ſo leicht ging es aber in Deutſch— 
land her, wo es mächtige Fürſten gab, die ungeachtet der 
Frankfurter Reichstagſchlüſſe eine ſolche Gelegenheit, aus 
dem Streite zweier Parteien Vortheil zu ziehen, nicht un— 
benützt laſſen wollten. 

In einem ſolchen Falle befand ſich das Kurfürſtenthum 
Mainz, um welches ſchon ſeit 1374 zwei Erzbifchöfe ſich 
ſtritten, der von Kaiſer und Papſt anerkannte Ludwig von 
Meiſſen, und der mehr vom Capitel unterſtützte Adolf von 
Naſſau, ohne daß es ſelbſt Karl IV gelungen war, den 
Streit anders, als durch einen Waffenſtillſtand auf den 
status quo (1375) beizulegen. Da nun Ludwig von Meißen 
auch bei K. Wenzel und Papſt Urban VI Anerkennung 
fand, ſo war dies für den mehr kriegeriſchen als geiſtlichen 
Adolf von Naſſau ſchon Grund genug, ſich mit ſeinem An— 
hang auf die Seite des Gegenpapſtes zu ſchlagen. Auf 
ähnliche Weiſe benahm ſich auch Herzog Leopold von Oeſter— 
reich. Dieſe »Zier der Ritterſchaft«, wie fie in der Blüthezeit 
des Fauſtrechts ſeyn konnte, liebte es, nicht allein im offenen 
Felde Händel ohne Ende aufzuſuchen, ſondern auch im Ka— 
binette durch kühnes und indiscretes Auftreten Vortheile 
zu erobern. Niemand hatte darunter mehr zu leiden, als 
ſein älterer, friedliebender und geachteter Bruder Albrecht. 
Mit dem franzöſiſchen Hofe und mit Clemens VII ließ ſich 
Leopold ſchon im Jahre 1378 in Unterhandlungen ein,“ war 


23) Pessina Phosphorus septicorn. pag. 195 sd. Der Wysehrader De— 
chant hatte an dem Markgrafen Prokop von Mähren einen 
eifrigen Beſchützer. 

24) Den Brief, in welchem Ludwig von Anjou, Karls V Bruder, 
ſchon am 28 Januar 1379 ihm für ſeine Anhänglichkeit an 
Clemens VII bewaffnete Hilfe zuſagte, theilt Kurz in ſ. Werke 
»Oeſterreich unter H. Albrecht III« (Linz, 1827, I, pag. 290) 
mit. Aus dem Chron. Regiense (bei Muratori XVIII, pag. 88) 


Wenzels erite Bemühungen. 21 


aber eben ſo eifrig bedacht, den König Wenzel in guter 
Stimmung gegen ſich zu erhalten. Sein doppeltes Spiel 
erwies ſich lange Zeit eben ſo erfolgreich, als es klug an— 
gelegt war. Von Clemens VII erhielt er die Zuſicherung 
jährlicher Subſidien von 120,000 Ducaten und ſelbſt be— 
waffneter Hilfe, ? ohne daß er das Mindeſte zu deſſen 
Vortheile unternahm; dagegen mußte ihm K. Wenzel ſchon 
am 25 Febr. 1379 die Landvogtei in Ober- und Nieder- 
ſchwaben zu Pfande für 40,000 Ducaten verſchreiben, ?“ und 


erfahren wir, daß Clemens VII ſpäter (wohl erſt ſeit 1382) mit 
dem Gedanken umging, den Herzog Ludwig von Anjou, dieſen 
»erudelissimus homo in partibus Galliae et omnibus odio habi- 
tus,« fogar zum röm. Kaiſer zu ernennen, daher K. Wenzel, 
ſo viel an ihm lag, abzuſetzen. 

25) Die Urkunden darüber ſind bei Kurz a. a. O. abgedruckt. 

26) In der (bei Dumont II, 1, 127, Lünig Cod. Germ. dipl. II, 885 
abgedruckten) Verpfändungsurkunde ſagt Wenzel: — »daß wir 
ihme und ſeinen Erben durch der getreuen Dienſt willen, 
die er unſerm Vatern fel. Kaiſer Karln, uns und dem heil. 
Reich offt ohnverdroſſenlich gethan hat und noch thun ſoll 
und mag in künftigen Zeiten, von rechter redlicher Schuld 
ſchuldig fein und gelten ſollen 40,000 fl. von Florenze, 
gut Gold und ſchwer an Gewicht; dafür wir ihme und ſeinen 
Erben verſetzt und verpfendet haben« u. ſ. w. Unbegreiflich iſt 
es, wie ſchon Pelzel dieſe Worte mißverſtehen und auf eine 
Geldſchuld Karls IV an den Herzog hindeuten, wie fpäter Fr. 
Kurz (a. a. O.) gar von einem Darlehen Leopolds an Wen— 
zel reden konnte. Hätte Leopold von jener Summe auch nur 
einen Heller baar vorgeſtreckt, ſo wäre dies in der Urkunde 
gewiß nicht übergangen worden. Daß aber die ganze Ver— 
ſchreibung eine reine Gnadenſache »um getreuer Dienſte willen« 
war, erhellt ſchon aus der Niedrigkeit der Pfandſumme, welche 
bei einem Einkommen von 6525 Gulden jährlich, ſonſt auf 
wenigſtens 60000 fl. hätte angeſetzt werden müſſen. Dieſes 
Mißverſtändniß bei Pelzel und Kurz hat ſchon Pfiſter und neu— 
lich auch Schloſſer zu der ganz unſtatthaften Folgerung verlei— 
tet, als habe Karl IV die böhmiſchen Finanzen in Zerrüttung 
zurückgelaſſen. 


1379 


1379 


1380 


14 San. 


22 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


ſpäter noch andere Gefälligkeiten erweiſen, damit er nur 
nicht offen für den Gegenpapſt auftrete. Die Erlaubniß, 
die der Herzog ſich am 16 Juli 1381 von Clemens geben 
ließ, daß er dem Könige von Böhmen“ den Durchzug 
durch ſeine Länder ſelbſt zu des Gegenpapſtes Schaden ge— 
ſtatten dürfe, beweiſt zur Genüge, daß ſeine Anhänglichkeit 


an jenen nicht ernſtlich gemeint war; wie er denn, nachdem 


er in den Beſitz jener Landvogtei gelangte,“ ſelbſt den 
Schein ſolcher Anhänglichkeit endlich aufgab. 

Zu großem Unglück für K. Wenzel und für Böhmen, 
ſo wie für die Angelegenheiten des Reichs und der Kirche 
allzumal, ſtarben ſchon im J. 1380 nach einander alle die 
vornehmſten Räthe, welche Karl IV gebildet und ſeinem 
Sohne hinterlaſſen hatte: der 88jährige Cardinal Oéko von 
Wlasim, fo wie der ehemalige Magdeburger Erzbifchof, 
jetzt Biſchof von Leitomiſchl, Albrecht von Sternberg, beide 
an demſelben Tage, 14 Januar 1380; dann am 20 Dec. 
1380 der Olmützer Biſchof, Johann von Neumarkt, ehe— 
maliger Reichskanzler und muthmaßlicher Verfaſſer der gol— 
denen Bulle. Ob die große Epidemie, welche Böhmen im 
Laufe dieſes Jahres ſchwer heimſuchte, auch dieſe Todesfälle 
veranlaßt habe, wird nicht berichtet. Bis zu dieſer Zeit 
hatte man Wenzels Regierung immer nur als eine unmit— 
telbare Fortſetzung der Regierung ſeines Vaters anſehen 
können; erſt von jetzt an trat ſein perſönliches Walten 
deutlicher hervor. 

Für den Augenblick gab zwar die Erledigung zweier 
Biſchofſitze im böhmiſchen Reiche ein erwünſchtes Mittel 
her, die Obedienz Urbans VI in Deutſchland zu fördern. 


27) Dieſe Landvogtei übte im J. 1379 und noch ſpäter, Herzog 
Wenzel von Luxenburg und Brabant, Karls IV Bruder, aus; 
ſie konnte daher dem Herzog Leopold nicht ſogleich überant— 
wortet werden. Vgl. Fürſt Lichnowsky's Regeſten vom 23 
Juni 1379. 


Tod der Räthe Karls IV. Buͤnd mit Frankreich. 23 


Der Erzbiſchof von Magdeburg, Peter, ein geborner Böhme, 1380 
erzeigte ſich willig, ſeinen Stuhl mit dem von Olmütz zu 
vertauſchen. Dadurch wurde es möglich, dem langen Streit 

um das Mainzer Erzbisthum ein Ende zu machen. Ludwig 
von Meißen entſagte dieſem Erzbisthum, indem er das von 
Magdeburg erlangte, und Adolf von Naſſau wurde mit 

K. Wenzels und mit Urbans VI Zuſtimmung alleiniger 
Kurfürſt von Mainz, nachdem er alle Verbindung mit dem 
Gegenpapſte aufgegeben hatte. 


Mit dieſem Geſchäfte ſchließt jedoch die Reihe von 
ernſteren Bemühungen, welchen Wenzel ſeit Antritt ſeiner 
Regierung zur Unterdrückung des Schisma ſich unterzog. 
Dieſer König empfand von jeher eine beſondere Vorliebe 
für ſeine überrheiniſchen Verwandten, zumal für das könig— 
liche Haus in Frankreich; und geſtattete auch überhaupt 
ſeinen perſönlichen Gefühlen mehr Einfluß auf die Politik, 
als ſein Vater. Als er daher einſah, daß Frankreich nicht 
zu bewegen war, von Clemens VII zu laſſen, erneuerte er 
(im Juli 1380) die alten Freundſchaftsbündniſſe zwiſchen Juli 
den Häuſern Luxenburg und Valois, ohne in denſelben des 
Schisma auch nur zu gedenken; was Urban VI zu großem 
Leid gereichte. Wenn aber die franzöſiſche Partei auf jene 
Neigung des Königs ſogar die Hoffnung baute, ihn am 
Ende noch von Urban ab und zu Clemens hinüber zu 
ziehen, fo täuſchte fie ſich; ſchon die Pietät gegen den 
Vater allein wäre mächtig genug geweſen, ihn von einem 
ſolchen Schritte abzuhalten. 


Die Cardinäle des Gegenpapſtes hatten ihre Hoffnung 1381 
vorzüglich auf die Verhandlungen geſtützt, welche ſeit 1380 
von Seite des franzöſiſchen Hofes eingeleitet waren, um 
den noch minderjährigen Karl VI von Frankreich mit K. 
Wenzels junger und liebenswürdiger Schweſter Anna zu 


1381 


24 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


vermählen. ' Um fo mehr Mühe gab ſich Cardinal Pileus, 
dieſen Entwurf zu vereiteln, und dagegen die Bewerbungen 
K. Richards Il von England um dieſelbe Princeſſin zu 
unterſtützen. Die Braut, und ihre noch lebende Mutter, 
Kaiſerin Eliſabeth, gaben, wie es ſcheint, ſelbſt den Aus— 
ſchlag für Richard. Es ging eine feierliche Geſandtſchaft, 
an deren Spitze ſich der Cardinal befand,? nach England, 
um den Ehevertrag zu ſchließen; und noch vor Ende des 
Jahres 1381 langte die böhmiſche Anna in London an. 
Ihre dortige Ankunft kündigte ſich gleich durch die Gnade 
an, welche fie bei ihrem Gemahl für einige politiſchen Ges 
fangenen auswirkte; auch ſpätere häufige Fürſprachen dieſer 
Art, und andere Wohlthaten mehr, ſicherten ihr in England 
das Andenken und den Namen der »guten Königin Anna.“ 
Sie brachte nicht allein neue Moden über den Canal mit, 
ſondern, was damals nicht minder auffallend war, auch 
ein Evangelienbuch in böhmiſcher, deutſcher und lateiniſcher 
Sprache zugleich, in welchem ſie fleißig zu leſen pflegte. 
Es heißt ſogar, daß ſie zu Überſetzung der ganzen Bibel 
ins Engliſche, welche der bekannte M. Johann Wyekliff in 
jener Zeit unternahm, ihn insbeſondere angeeifert habe;?“ und 


28) Dies lernen wir aus dem Briefe kennen, den damals Petrus 
de Sortenaco cardinalis Vivariensis ad Franciscum de Corsinis 
et Simonem de Brossano cardinales geſchrieben und Baluze in 
den Vitae paparum Avenion. tom. II pag. 864 73 bekannt 
gemacht hat. Vgl. daſelſt pag. 869. 

29) Baluzius in notis ad tom. I paparum Avenion. pag. 1359 sq- 

30) Der berühmte Thomas Arundel, Erzbiſchof von Canterbury, 
rühmte bei ihrem Tode die ungewöhnliche Liebe und den Fleiß, 
den ſie auf das Leſen der heil. Schrift in der engliſchen Sprache 
verwendet, und worin ſie gar manchen Prälaten übertroffen 
habe. Daß ſie die Evangelienbücher in den obengenannten 
drei Sprachen beſaß, erfahren wir durch Wycliff ſelbſt: nobilis 
regina Angliae, soror Caesaris, habet evangelium in lingua tri- 


plici exaratum, scilicet in lingua bohemica, teutonica et latina ete. 


* 


u a 22 


- zu u 


Verbindung mit England, 25 


da fie bis zu ihrem Tode ſtets die innigſte Verbindung mit 
ihrem Bruder und ihrem Vaterlande unterhielt, ſo legte 
ſie auch den Grund zu den wichtigen Ereigniſſen, welche 
ſpäter aus dieſer Verbindung Englands mit Böhmen ge— 
floſſen ſind. ö 

Der König von England hatte gehofft, durch ſeine 
nahe Verbindung mit dem Hauſe Luxenburg, und durch 
bedeutende Geldvorſchüſſe, die er an K. Wenzel machte, 
ſo wie durch glänzende Geſchenke, welche er unter deſſen 
Räthe vertheilen ließ, den böhmiſchen Hof zur Schließung 
einer Allianz gegen Frankreich zu bewegen. Auch Urban VI 
unterſtützte dieſen Plan auf alle Weiſe, zumal nachdem 
Herzog Ludwig von Anjou im Sommer 1382 mit mächtigem 
Heere in Italien eingebrochen, er daher in ſeinen Beſitzungen 
eben ſo, wie in der Oberherrlichkeit über Neapel bedroht 
war. K. Wenzel aber ließ ſich durch nichts bewegen, ſeinen 
franzöſiſchen Verwandten irgend Leides zuzufügen; er glaubte 
ſeiner Stellung als römiſcher König und als Richards 
Schwager ſchon Opfer genug gebracht zu haben, daß er 
allem innigeren Verkehr mit dem franzöſiſchen Königshauſe 
entſagte. “ Auch war er ſehr unzufrieden geworden mit 


Vgl. Vaughan’s Life of Wycliffe, (1828) II, 158 sq. Lives 
of the Queens of England, by Agnes Strickland, Lond. 1840. 
31) In dem Beſchwerdebrief an Urban VI, welchen Pelzel im Urkk. 
Buch Nr. 31 S. 50 (jedoch unvollſtändig und ungenau) edirt 
hat, hebt K. Wenzel dieſen Umſtand beſonders hervor: carissi- 
mos etiam nepotes nostros, videlicet regem Franciae et patruos 
suos, a consortio nostro sejunximus, et quos nobis alti san- 
guinis junxit identitas, a dilectionis participatione debita tam- 
quam scismaticos decrevimus removendos; sed et ipsorum 
principes, nobiles et magnates, militaris exereitii causa terras 
nostras pertranseuntes, acceptare contempsimus, et quos regio 
honore poscente in terris nostris remunerare debuimus, incon- 
solatos abire permisimus viam suam. Darin ſcheint ſich K. 
Wenzel ein noch höheres Verdienſt um Urban VI beizulegen, 


* 


1381 


1382 


26 


VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1382 Urban VI, der mehre Biſchofſitze in Deutſchland, und 
darunter vorzüglich den von Breslau, nicht nach ſeinem 
Wunſche beſetzt hatte. Dadurch empfindlich gereizt, warf 
er dem Papſte ſeinen Undank offen vor, und fügte ſogar 
die Drohung hinzu, ſeine Partei zu verlaſſen, wenn er ſein 
Benehmen in Zukunft nicht ändere. Daß unter ſolchen 
Umſtänden Cardinal Pileus nicht länger am böhmiſchen 
Hofe verweilte, bedarf kaum einer Erwähnung.“ 


In eine Schilderung der Zuſtände Italiens, dieſes 


durch ewige Zwietracht und Factionen ohne Zahl zerriſſenen 
Landes, konnen wir hier nicht eingehen. Die alten Übel 
daſelbſt ſchienen bei der Invaſion Ludwigs von Anjou im 
Jahre 1382 ihren Gipfel erreicht zu haben. Da aber die 
Herrſchaft der Franzoſen dort noch mehr, als die der Deut— 


32) 


33) 


als in allen übrigen Bemühungen, in welchen er non sine gra- 
vibus expensis et sumptibus (man denke hier z. B. an Leopold 
von Oſterreich) pro ipsorum (scismaticorum) reprimenda pro- 
ter via fecimus effectualiter posse nostrum. 

Dignetur Vestrae Beatitudinis clementia ea, quae seribimus, 
gratiosis favoribus compensare, ut in talibus perseverare nos, 
delectet in antea, nee intervenientibus opus sit aliquibus, quod 
absit, obstaculis, nostram in hoc voluntatem mutare. Nam in 
casum, quo V. B. favor ad personam nostram, quod absit, re- 
flecti non poterit, oportebit nos, licet invitos, nobismet de 
solerti cautela et opportuno super hoc remedio providere. 

Im J. 1380 hatte K. Wenzel ihn förmlich unter feine Räthe 
aufgenommen und ihm, als ſolchen, an der Kuttenberger 
Urbur ein Wochengeld von 20 Mark Silber angewieſen. Der 
erſt unlängſt edirte gleichzeitige Mönch von St. Denis (Chro- 
nique du religieux de St. Denys, Paris, 1839, I pag. 502) nannte 
ihn einen »vir cautus mirabiliter et'astutus — in legatione prae- 
dicta (im Jahre 1379 — 81) ingentes sibi accumulavit pecunias.« 
Da er im J. 1387 fogar felbft zu Clemens VI überging, und 
1391 zu Bonifaz IX wieder zurückkehrte, ſo nannte ihn das 
Volk in Italien ſpottweiſe den Cardinal »di tre capelli.« Er 
ſtarb erſt nach 1398. Vgl. Baluze J. C. I, 1362. 


Spannung mit Urban VI. Zuſtand von Italien. 27 


ſchen, verhaßt war, und das Land in ſeiner Zerſplitterung 1382 
dem Feinde zu widerſtehen nicht vermochte, ſo wendeten 
nicht allein der Papſt und die Fürſten, ſondern auch das 
Volk ſelbſt, und insbeſondere die Patrioten aus Petrarcha's 
Schule, * ihre ſehnſuchtsvollen Blicke nach Böhmen zu K. 
Wenzel, der mit ſiegreichen Fahnen herbeieilen, ihre inneren 
Zwiſte ſchlichten, den Feind aus dem Lande ſchlagen, und 
dafür die höchſte Ehre auf Erden, die Kaiſerkrone von Rom, 


34) Ein ſolcher war Antonius de Lemaco, aus deſſen am 24 Oct. 
1382 zu Verona an K. Wenzel geſchriebenem noch unbekannten 
Briefe wir nicht umhin können einige bezeichnenden Stellen 
hier anzufühen. Sane jam tecum invectiva, non obsequio opus 
est. — Nec jam legationibus utendum est, nec literis: ense 
resecanda sunt mala, crede mihi, arduum et inevitabile aggre- 
diendum est facinus, et contra virulentam anguem (Ludwig 
von Anjou), quae quotidie adversus te Italiamque tuam violen- 
tiorem caudam erigit, explicandae sunt Boemiae regni et Ro- 
mani vires imperii; quas in praesentiarum si vinci et labefactari 
sinis, necesse est, ut de Germania relato in Galliam imperio, 
et ignavus splendidissimorum proavorum heres, et indignus 
patris imperatoris successor, toti Hesperiae totique Germaniae 
notus monstratusque digito, exsecrabile monstrum, per sylvas et 
latebras infamem et lugubrem vitam agas. Nescio, si sentias, ubi 
sis; volo te tibi ostendere. — Non decet Hercle, ut apud Latinos 
fama vulgatur, sylvestres adversus feras et aves te noctes et 
dies pueriliter terere; hominibus, non bestiis, praefectus es. — 
In tuae Majestatis opprobrium, proh pudor! nefandus prodiit 
antipapa, qui nec deum timet, nec Caesarem reveretur. Adde, 
quod nec antipapatu contentus, de Romani subversione im- 
perii jam conclusit, Ludovicum Andegavensem ducem, iniqui- 
tatis filium suique antipontificatus pugilem, adversus Urbanum 
nostrum — non sine imperii sponsione transmisit. — Haec 
sunt, quae, serenissime princeps, in gemebunda Italia tua urgent 
nova: et tu per lucos et thermas inania consilia agitas, nil de 
ecclesia, nil de imperio, nil de Italia, nil de te ipso prorsus 
cogitans. — Der Brief ſchließt mit der rührenden Apoftrophe: 


Vale et veni, o unicum miserandae Italiae praesidium! — 


* 


1382 


1383 


28 VI Buch, 1 Kapitel, K. Wenzel IV. 


aus den Händen des Statthalters Chriſti empfangen ſollte. 
Zwar hatte der Herzog von Anjou ſich wiederholt gegen 
König Wenzel erklärt und verpflichtet, daß er in Italien 
nichts gegen Rom, noch gegen das römiſche Reich unter— 
nehmen, ſondern nur das ihm von der Königin Johanna 
erblich vermachte Königreich Neapel beſetzen wolle; doch 
warnten ſowohl der Papſt, als auch andere Italiener, dieſem 
Verſprechen nicht zu trauen, ® und dem vorbereiteten Bes 
trug, ſo wie der Schande daraus, durch raſchen Entſchluß 
zuvorzukommen. Der König verſprach alſo endlich, im 
April des nächſten Jahres 1383 aus Böhmen aufzubrechen 
und feine Römerfahrt anzutreten; und ſchon dieſe Hoffnung 
erfüllte die Italiener und den Papſt mit Freude. Als aber 
der Zeitpunct heranrückte, traten unvermuthete Hinderniſſe 
dazwiſchen, welche den Römerzug, nach des Königs Worte, 
für jetzt unmöglich machten. Daher ernannte er am 5 Juli 
1383 feinen Vetter, den Markgrafen Joſt von Mähren, 
zu ſeinem Generalvicar in Italien mit voller Macht, und 
überließ ihm fortan die Sorge, die Angelegenheiten jenes 
Landes zu ordnen. %# 

Deutſchlands öffentlicher Zuſtand war es, was den 
35) Der Papſt ſchrieb ihm darüber am 6 Sept. 1382, auf ſeine 

Jagdluſt anſpielend: Nunc, nunc est tibi permaxime vigilandum, 

nunc aperiendi sunt oculi, nunc tuus accelerandus adventus: 


hic latet lepus, hic sunt insidiae, hic decipula, hie laqueus! 
Vgl. Pelzels Urkk. Buch, Nr. 33, S. 53. 

36) Urkunden bei Pelzel J. . In einem zu gleicher Zeit an einen 
italieniſchen Fürſten erlaſſenen Schreiben ſagte der König: 
Scimus et experimento didicimus, quod ex diutina nostrae Ma- 
jestatis absentia in Italiae partibus pro varietate temporum 
honor, jura, justitia, et libertas imperii distracta sint hactenus 
et per amplius quotidie distrahantur. Pro quibus reformandis 
dudum partes ipsas personaliter adire decrevimus, si non here- 
ditariarum terrarum nostrarum, nec non aliorum grandium 
agendorum imperii per Almaniam evidens quidem et diversa 


necessitas hujusmodi nostro proposito firmo obice restitissent ete. 


Zuſtand von Italien, Deutſchland, Böhmen. 29 


König gehindert hatte, nach Italien zu ziehen. Es war 1383 
ihm zwar gelungen, auf dem Reichstage zu Nürnberg am 
11 März 1383 mit Hilfe der Fürſten einen allgemeinen 
Landfrieden wieder zu Stande zu bringen, dem zu Folge 
ganz Deutſchland in vier »Parteien« getheilt wurde, welche 
nicht allein unter einander Frieden halten, ſondern auch 
jede Störung desſelben durch gegenſeitige Hilfe hindern 
und ſtrafen ſollten. Da jedoch dieſer Landfriedensbund 
den Fürſten und fürſtenmäßigen Herren, durch deren Zuthun 
er geſtiftet worden war, mehr Gewalt einzuräumen ſchien, 
als es die Reichsſtädte mit ihren Rechten und Intereſſen 
für verträglich hielten: ſo weigerten ſich dieſelben ihm bei— 
zutreten, und das gegenſeitige Mißtrauen nahm eine um 
ſo drohendere Geſtalt an, je mehr die Parteien ſich zu orga— 
niſiren fortfuhren. Daß der König in ſolchem Zeitpuncte 
es nicht gerathen fand, Deutſchland zu verlaſſen, iſt be— 
greiflich, zumal er unter jenen Umſtänden auch keine wirk— 
ſame Unterſtützung für ſeinen Römerzug zu hoffen hatte. 
Er ſetzte daher ſeine Friedensverhandlungen, mehr in der 
Art eines Vermittlers als eines Herrn, fort, und brachte 1384 
endlich zu Heidelberg am 26 Juli 1384 eine Einigung 
zwiſchen den Fürſten und den Städten zu Stande, deren 
Dauer jedoch, ſonderbar genug, vorläufig nur auf vier 
Jahre beſtimmt wurde. 

Das Königreich Böhmen erfreute ſich in den erſten 
zehn Jahren der Regierung K. Wenzels einer ungetrübten 
öffentlichen Ruhe und eines Wohlſtandes, wie dergleichen 
im ganzen Mittelalter nur ſelten zu finden waren. Die 
Zeitgenoſſen ſelbſt bedienten ſich ſpäter, zur Bezeichnung 
dieſer glücklichen aber kurzen Epoche, eines finnlichen Bildes, 
das bei aller Übertreibung wenigſtens ſehr ſprechend iſt: 
ſie ſagten, wer damals mit einem Goldſacke auf dem Kopfe 
von einem Ende des Landes zum andern gewandert wäre, 
ger hätte nicht zu fuͤrchten gehabt, daß ihm etwas zu Leide 


30 VI Buch, 1 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1384 geſchehe. “ Freilich wurde das Verdienſt davon hauptſächlich 
den noch von Karl IV getroffenen Anſtalten zugeſchrieben; 
gleich wie auch Gottes Segen auf Kuttenbergs Silbergruben 
ruhte, und Prag durch ſeinen ausgebreiteten Handel, und 
durch die Univerſität, zu welcher aus allen Ländern Europa's 
Wißbegierige in Menge herbeiſtrömten, in hoher Blüthe 
ſtand. Das Volk aber zeigte ſich mit K. Wenzels Regie— 
rung um ſo zufriedener, als es bei fortwährendem Genuſſe 
des von Karl IV geficherten Friedens, gleichwohl mit fo 
außerordentlichen Abgaben, wie noch Karl ſie öfter gefor— 
dert hatte, fortan verſchont blieb; denn Böhmen war, die 
ganze Regierungszeit K. Wenzels hindurch, vielleicht das 
am billigſten beſteuerte Land in Europa. Auch lobte man 
es an dem jungen Könige, daß er oft verkleidet und un— 
erkannt perſönlich die ſcharfe Polizei machte, Unterſchleife 
in Maaß und Gewicht bei Prager Gewerbleuten auf der 
Stelle ahndete, ſich der Armen gegen die Reichen, der 
Juden gegen die Chriſten annahm, Mißbräuche der niederen 
Amtsgewalt ſtreng beſtrafte, und ſelbſt von den Scandalen 
in einzelnen Haushaltungen, zumal der Geiſtlichen, Kenntniß 
nahm und in dieſelben mit raſcher Juſtiz rückſichtlos ein— 
griff u. ſ. w. Dieſe Emſigkeit des Herrſchers war indeß 
wohl beſſer gemeint als berechnet; zeigte er dadurch einige 
Größe im Kleinen, ſo konnte auch der Rückſchlag nicht 
ausbleiben, daß er ſich nachher in großen Dingen klein er— 
wies. Überdies gewöhnte er ſich durch zu häufiges un— 
mittelbares Einſchreiten an die Verletzung mancher heilſa— 
men Verwaltungsformen. 

Im höchſten Rathe des Königs, für die böhmiſchen An— 
gelegenheiten, ſaßen in dieſer Zeit: zuerſt die Markgrafen 
Joſt und Prokop von Mähren, und Herzog Premek von 
37) Script. rer. Boh. III, 3, 26. Cf. Tractatus de longaevo schis- 


mate cap. 7 in Italien. Reiſe p. 96. Bohuslai Balbini vita Ar- 
nesti etc. 


Landesverwaltung in Böhmen. 31 


Teſchen; dann der Prager Erzbiſchof, Johann von Jenſtein, 1384 
als oberſter Kanzler, der Titular-Patriarch von Antiochien 
Wenzel Kralik von Burenic, 3 und Hanko Brunonis, Propſt 
von Lebus, königl. Landesunterkämmerer. Von den oberſten 
Hof⸗ und Landesbeamten gehörten nur einige zugleich unter 
die höchſten Räthe. Solche waren: die Oberſtburggrafen 
Peter von Wartenberg auf Koſt 1381—86 und Otto von 
Bergow 1388 — 93; die Oberſtlandkämmerer Witek von 
Landſtein 1379 — 80 und Heinrich Skopek von Duba auf 
Libesic 1381— 915 die Oberſthofmeiſter Konrad Krajir von 
Kreigk auf Landſtein 1380 — 85 und Heinrich Skopek von 
Duba (wie oben) 1385—95; der Oberſthofkämmerer Tiema 
von Kolditz 1378 fg.; als Oberſtlandrichter fungirte der 
ehrwürdige Andreas von Duba bis 1394. Die meiſten hier 
genannten waren ſchon von Karl IV im Staatsdienſt an— 
geſtellt worden; unter ihnen ſcheint K. Wenzel zu Herrn 
Heinrich Skopek von Duba (c 1395, 6 Mai) das meiſte 
Vertrauen gehabt zu haben, da er nicht nur mehre Amter 
auf ihn und ſeinen älteren Bruder Benes häufte, ſondern 
ihn auch im Jahre 1380 und 1386 zum Reichsverweſer in 
Böhmen, für die Zeit ſeiner Abweſenheit, ernannte. Die 
Amter des oberſten Landmarſchalls, des oberſten Truchſeſſen 
und Mundſchenks, waren bereits in den Familien von Lipa, 
von Haſenburg und Wartenberg erblich geworden, und 
auch ſchon zu bloßen Titeln herabgeſunken. 

Neben den höchſten Behörden, welche K. Wenzel ihren 
gewohnten Gang nehmen ließ, organiſirte er ſich jedoch 
frühzeitig eine Art Kabinetsregierung, welche unmittelbar 
von ihm ausging, und ſich durch Raſchheit und Rückſicht— 
loſigkeit auszeichnete. Wenzel wählte dazu am liebſten 
Männer von niederem Adel, die durch Geiſt und Energie 


38) Dieſer Wenzel Kralik von Burenic ftand von 1380 bis 1416, 
wo er ſtarb, als innigſter Vertrauter ſtets an der Seite des 
Königs, ohne ſich durch irgend etwas ausgezeichnet zu haben. 


32 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1384 hervorragten, ihm aber unbedingt gehorchten. Die vorzüg— 
lichſten Glieder dieſer Art von Camarilla waren in dieſer 
Zeit: Georg von Roztok, gewöhnlich nur »pan Jira« ge— 
nannt, des Königs erſter Oberſtjägermeiſter und Burggraf 
in Bürglitz 1380 —84, dann Landesunterkämmerer 1384 fg. 
und Oberfthofmeifter der Königin (bis 1400); Wenzel er— 
hob dieſen ſeinen Liebling in den Stand der Barone des 
Reichs und ſchenkte ihm, neben anderen Gütern, auch die 
anſehnliche Burg Krakowec; Johann Cüch von Zaſada, 
Herr auf Lobkowie und Nawarow, Marſchall des königli— 
chen Hofes 1380 — 1399; Hyncik Pluh von Rabſtein, auf 
Orlik und Sternſtein; Boriwoj von Swinar; Sigmund 
Huler, ein Prager Bürger, ſeit 1387 königlicher Unter— 
kämmerer; Kunat Kapler von Sulewic, Chwal von Rzawy 
auf Koſtelec, Wysehrader Burggraf u. a. m. 

Unter dem Einfluſſe dieſer Männer ſtand in ſeiner 
erſten Regierungsperiode König Wenzel, der zwar viel 
darauf hielt, ſelbſt zu regieren, aber, von ſeinem Vater 
früh verwöhnt und zu viel bevormundet, trotz der herbſten 
Schule des Schickſals, niemals zu voller Selbſtändigkeit 
des Charakters ſich durchzubilden vermochte. Indem man 
ſeinen Leidenſchaften und Launen Folge leiſtete, gewann 
man um ſo mehr Macht über ſein Gemüth. Unter jenen 
Leidenſchaften ſtand aber zu dieſer Zeit die Jagdluſt obenan. 
In den meilenweit ausgedehnten Wäldern von Bürglitz, 
Zebrak, Beraun und Karlſtein trieb der junge König, um 
den Gang der Weltereigniſſe unbekümmert, oft ganze Wochen 
lang unermüdet das Waidwerk; große Jagdhunde ließ er 
in allen Ländern für ſich aufkaufen; die größten und be— 
liebteſten unter ihnen theilten ſogar das Schlafgemach mit 
ihm, und es wird nicht ohne Wahrſcheinlichkeit erzählt, daß 
die Königin Johanna, ſeine erſte Gemahlin, von einem 
derſelben am 31 Dec. 1386 Nachts, als ſie ſich zufällig 
vom Bette erhob, erwürgt worden ſei. In ſpäteren Jahren 


Wenzels Günſtlinge und Streit mit der Geiſtlichkeit. 33 


ſtumpfte ſich jedoch dieſe Leidenſchaft ab, und wich einer 1384 
anderen, der Trinkſucht.““ 

Was bei den genannten Vertrauten und Günſtlingen 
(milci, gratiarii) des Königs zunächſt auffällt, insbeſondere 
im Rückblicke auf die ehemalige Umgebung und Sitte Karls IV, 
iſt die Rückſichtloſigkeit, mit welcher ſie den Geiſtlichen über— 
haupt zu begegnen pflegten. Hyncik Pluh ſcheint darin 
am weiteſten gegangen zu ſeyn. “ Es konnte nicht fehlen, 
daß auch der König in dieſem Geiſte fortgeriſſen wurde, 
obgleich er es an Gnadenbezeugungen jeder Art gegen 
Kirchen und Klöſter niemals fehlen ließ. Der erſte Vor— 
gang ſo ungewöhnlicher Art war der Breslauer Pfaffen— 
krieg im Sommer des Jahres 1381. Da der Stadtrath 
von Breslau ein gegen ſein Verbot eingeführtes, für das 
dortige Domcapitel beſtimmtes Fuder Schweidnitzer Bier 
hatte confisciren laſſen, belegte das Capitel die ganze Stadt 
mit Interdict. Nun kam der König mit ſeinem Hofe nach 
Breslau, und erſuchte die geiſtlichen Herren, ihm zu Liebe 
den Gottesdienſt wieder zu beginnen, indem er ihren Streit 


39) Gegen das ſchöne Geſchlecht ſcheint Wenzel, ungleich feinem 
Bruder Sigmund, von Natur kalt und unempfindlich geblie— 
ben zu ſeyn; wenigſtens haben Frauen erſt in den letzten Jahren 
ſeines Lebens Einfluß auf ihn zu üben angefangen. 

40) Wir kennen von ihm z. B. einen Brief an die Tauſſer fol— 

genden Inhalts: Amicabili salutatione praemissa: amici singu- 

lares et dilecti! Quia presbyteri vestri aliqui me et meos ut 
puto propter vilem presbyterum excommunicaverunt excommu- 
nicatione inconsueta: quapropter peto mihi quod non imputare 
velitis et talia non advertere, neque in talibus aliquid facere, 
si contingeret, quod aliquibus, si arripuero tales me et meos 
inconsuete excommunicantes, linguas eorum per posteriora ex- 
traham et intendam exstirpare. Talia cum facta fuerint, vobis 
non sint in contrarium: quia contraria vobis invitus vellem 
procurare. Datum in Storenstein, pridie innocentum sanctorum 
(zwiſchen 1380 — 86). 
3 


34 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1384 mit der Stadt gerichtlich zu unterſuchen Willens ſei. Als 
ſie ihm aber dies rund abſchlugen, und der Abt Johann 
vom Sande ſogar unehrerbietige Worte ſich gegen ihn er— 
laubte, ließ er den undiscreten Redner verhaften, jagte 
die Domherren und andere Prälaten aus der Stadt, und 
gab ihre Güter dem Volke Preis. Zu ſpät wurden die— 
ſelben inne, daß ſie ſich übereilt hatten, und daß ihnen 
nichts übrig blieb, als des Königs Gnade wieder zu ſuchen, 
wollten ſie anders zu ihren Beneficien zurückgelangen. Papſt 
Urban VI konnte ihnen keine andere Hilfe leiſten, als daß 
er in der Perſon Herzog Wenzels von Liegnitz einen neuen 
Biſchof von Breslau beſtellte, der aber ſeinerſeits nichts 
Dringenderes zu thun fand, als den König, gegen deſſen 
Wunſch er ernannt worden war, für ſich zu gewinnen. * 

Bedeutender noch war der Streit, in welchen König 
Wenzel mit dem Prager Erzbiſchof Johann von Jenſtein, 
feinem Oberſtkanzler, gerieth. Dieſer hatte ſchon ſeit 1380, 
wo eine Krankheit ihn an den Rand des Grabes gebracht 
hatte, ſeine Meinungen und Sitten ſehr geändert; ſeine 
Lebensfreudigkeit wich einem frommen Ernſt, der nach einem 
über den Magdeburger Erzbiſchof gekommenen Unglücks— 
falle je länger je mehr in ascetiſchen Rigorismus über— 
ging. Als nämlich jener Erzbiſchof im J. 1382 auf einem 
Ball tanzend durch plötzlichen Einſturz des Hauſes mit der 
Mehrzahl der Gäſte ums Leben kam, betrachtete Johann 
von Jenſtein dies als eine Strafe des Himmels, welche 
ihn wegen ähnlicher früherer Vergehen zur Buße auffor— 
derte. Von da an nahm ſein Geiſt eine Richtung, welche 
dem lebensluſtigen Hofe des jungen Königs keineswegs zu— 


41) Kloſe, documentirte Geſchichte von Breslau, II, 271 fag. Es 
war dies jene Beſetzung des biſchöflichen Stuhles von Bres— 
lau, wegen deren, wie oben bereits im J. 1382 bemerkt wurde, 
K. Wenzel mit Papſt Urban VI in Streit gerieth; doch ließ 
er ſich hernach durch den Biſchof beſänftigen. 


Streit mit der Geiſtlichkeit. 35 


ſagte, und um ſo leichter zum Bruche führte, als 1384 
der Erzbiſchof, bei aller perſönlichen Demuth, dennoch 
hinſichtlich ſeiner hohen Kirchengewalt ſich äußerſt eifer— 
ſüchtig und unbeugſam erwies, und ſeine Anſichten und 
Neuerungen ſelbſt bei ſeinem Capitel auf Oppoſttion ſtie— 
ßen.“« Nun geſchah es, daß Herr Johann Cüch von Za— 
ſada, des Königs Hofmarſchall und Liebling, auf ſeinem 


42) »Er brachte die meiſte Zeit entweder im Kloſter zu Raudnitz 
oder in der Karthauſe bei Prag unter den Mönchen zu, trug 
ein Cilicium unter grober Kleidung, ſchlief auf der Erde, die 
Bibel oder einen Stein unter dem Haupte, peitſchte ſich bis 
aufs Blut, ließ feine Glieder vor Kälte erſtarren, wuſch Bett: 
lern die Füße, lief bei Nacht von Raudnitz auf den Berg Rip 
des Gebets wegen, bediente die Mönche beim Tiſche und ſpeiſte 
auf der Erde. Das übertriebene Faſten verurſachte ihm end— 
lich eine Krankheit, die ihn manchmal der Sinne beraubte, 
ſo aber für eine heilige Entzückung gehalten wurde u. ſ. w. 
Pelzel L, 145 (nach der oben genannten Vita.) 

43) Zum Beiſpiel das von ihm ſchon im J. 1383 in ſeiner Dib— 
ceſe vorgeſchriebene Feſt der Heimſuchung Mariä, deſſen Ein— 
führung der Prager Domſcholaſticus Adalbertus Rankonis de 
Ericinio beſtritt, die Päpſte Urban VI und Bonifaz IX aber 
im J. 1389 beſtätigten. Auf dieſen Streit bezieht ſich die 
Apologie jenes ſeiner Zeit berühmten Gelehrten (er war 1355 
Rector der Univerſität von Paris geweſen), und die Gegen— 
ſchrift des Erzbiſchofs im vaticaniſchen Coder (S. Italien. 
Reiſe S. 57). Ueber einen zweiten Streitpunct berichtet M. 
Adalbert mit Folgendem: Inclytus rex Wenceslaus in suo cas- 
tro dicto vulgariter Hradek (Bürglitz), in praesentia antedicti 
antistitis Pragensis et multorum aliorum praelatorum, clericorum, 
militum et aliorum gravium hominum assistentium, talem mihi, 
ut saepe fuit solitus, quaestionem formavit: an omnes salvandi 
sint prius a peccati scoria purgandi? Ad quam quaestionem 
cum respondissem, quod sic, dietus antistes — intulit in- 
pertinenter de angelis etc. Der dritte Streitpunct betraf 
das Heimfallsrecht der Obrigkeiten nach ihren kinderloſen Un— 
terthanen, worin M. Adalbert allerdings Unrecht hatte. Vergl. 


dieſer Geſch. Bd. II. Abtheil. 2. S. 32. 
8 


36 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1384 Gute Lobkowic an der Elbe, hart an der Gränze erz— 
biſchöflicher Beſitzungen,“ eine Waſſerwehre anlegen ließ, 
wogegen des Erzbiſchofs Beamte proteſtirten, und als ſolches 
nicht half, im Sommer 1384 das Werk mit bewaffneter 
Macht überfielen und zerſtörten. Über ein ſo eigenmäch— 
tiges Verfahren gerieth König Wenzel in heftigen Zorn, 
rief den Erzbiſchof zu ſich nach Karlſtein, hielt ihn daſelbſt 
mehre Tage lang in Haft, und befahl endlich ſeinem Hof— 
marſchall, ſich durch Plünderung der erzbiſchöflichen Be— 
ſitzungen ſelbſt zu entſchädigen.“ In der Beſchreibung der 
darüber entſtandenen Kämpfe und Scharmützel findet ſich 
die älteſte beſtimmte Nachricht von dem Gebrauch des Schieß— 
pulvers und der Feuerwaffen in Böhmen.!“ Nach fo ent— 
ſchiedenem Bruche konnte der Erzbiſchof natürlich keinen 
Tag länger des Königs Oberſtkanzler bleiben. Wenzel 
beförderte zu dieſer wichtigen Stelle einen ſeiner Günſt— 
linge im Clerus, den Propſt von Lebus Hanko Johann) 
Bruno's Sohn, der bis dahin das Amt eines Landes— 
Unterkämmerers bekleidet hatte.“ 


44) Das unterhalb Lobkowic an der Elbe gelegene, ſeit dem 
Huſſitenkriege mit dem Gute Lobkowie verbundene Dorf Nera— 
towic, gehörte im XIV Jahrh. zur erzbiſchöflichen Herrſchaft 
Raudnic. Die fragliche Wehre ſteht noch heutzutage zwar in 
den Lobkowicer, jedoch nahe an den Neratowicer Gründen. 
Wenn daher der Erzbiſchof in ſeiner Klageſchrift an den Papſt 
den Ausdruck braucht, daß Herr Cuüch dieſelbe »in meo flumine« 
angelegt habe, ſo muß dies als nicht der Wahrheit gemäß be— 
zeichnet werden. S. Acta in curia Romana, in Pelzels Urkk. 
Buche L 150. 

45) Acta in curia Romana J. c. Vita Joannis de Jencenstein p- 58. 

46) Vita l. c. Quidam dum se praepararet ad jaciendum de instru- 

mento, quod puska dieitur, mox illa fracta et scissa jacere vo- 

lentis unam aurem amputavit. Dem zu Folge könnte es gar 
fhon eine Handbüchſe geweſen fein. 

Pelzel fest dieſen erſten Auftritt mit dem Erzbiſchofe, nach 

deſſen Vita, in das Jahr 1383, um den Barbaratag (4 Dec.), 


47 


— 


Heimfall des Herzogthums Luxenburg. 37 


Durch das am 7 Dec. 1383 erfolgte kinderloſe Ab— 
leben des Herzogs Wenzel von Luxenburg war deſſen Land, 
den beſtehenden Verträgen gemäß, dem Könige und der 
Krone von Böhmen anheimgefallen. Um Beſitz davon zu 
nehmen, begab ſich Wenzel im Sommer 1384 von Heidel— 
berg dahin, verweilte dort bis zum Spätherbſte, und be— 
nützte die Zeit zum Wiederſehen ſeiner überrheiniſchen Ver— 
wandten, an welchen ſein Herz immer mit Vorliebe hing. 
Als er endlich zurückkehren mußte, ernannte er am 10 Dec. 
zu Koblenz den böhmiſchen Baron Pota von Gaftolowic 
zu ſeinem oberſten Hauptmann und Statthalter in jenem 
Herzogthume.“ 


Nicht ſo friedlich entwickelten ſich die Ausſichten zur 


Erweiterung der Macht des Hauſes Luxenburg im Oſten 
von Europa. König Wenzels Bruder, Markgraf Sig— 
mund, war, wie bereits erwähnt, mit K. Ludwigs von 
Ungarn und Polen älterer Tochter und Erbin Maria ver— 
lobt worden, und hatte zugleich die Anwartſchaft auf die 
Krone von Ungarn erhalten. Um ihm auch die Nachfolge 
in Polen zu ſichern, hatte König Ludwig noch bei ſeinen 
Lebzeiten (im Juli 1382) dem erſt vierzehnjährigen Schwieger— 
ſohn die Verwaltung dieſes Königreichs übertragen,“ und 


wo es doch in der Handſchrift ſteht »eirca festum Barnabae« 
d. i. um den 10 Juni. Da es aber ſicher iſt, daß Johann 
von Jenſtein noch in der erſten Hälfte des Jahres 1384 als 
Reichs- und böhm. Oberftfanzler fungirte, jo kann der Vor— 
fall nicht früher, als im Juni 1384, ſich ereignet haben. Die 
Jahresangaben der Vita ſind insgemein unverläßlich. 

48) Zwei Originalurkunden darüber befinden ſich im herzoglichen 
Archiv zu Oels in Schleſien. 

49) Anonymi archidiaconi Gneznensis brevior chronica co 
viae, in Sommersbergs Silesiacarum rerum scriptores II, 
137: Lodvicus Poloniae et Ungariae rex omnes capitancos 
vegui Poloniae ad sui praesentiam evocavit, ipsis termi- 


num in Zolyn curia suae venationis pracfigendo. Qui cum 


1384 


> 


1384 


38 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


damit den ſprechendſten Beweis des hohen Vertrauens ge— 
geben, welches er auf deſſen Fähigkeiten ſetzte. Leider ſtarb 
der alte ausgezeichnete König Ludwig bald darauf (am 
11 Sept. 1382 zu Tyrnau) und während Sigmunds Braut, 
die erſt zwölfjährige Maria, ſchon am 17 September dar— 
auf in Stuhlweißenburg zum »rex Hungariae« gekrönt 
wurde, ſuchte eine der ungriſchen Regierung überdrüſſige 
Partei in Polen den Piaſten Semowit von Mazovien auf 
den Thron zu erheben. Markgraf Sigmund führte im fol— 
genden Sommer (1383) erfolgloſe Kriege mit Semowit, 
und mußte endlich alle Ausſicht auf Polen aufgeben, als 
im Juni 1384 die Königinwittwe Eliſabeth von Ungarn 
den Polen ihre jüngere Tochter Hedwig übergab, damit 
dieſe als Königin des Landes fortan in Krakau reſidire. 
Aber auch in Ungarn hielten ihn die herrſchſüchtige Eliſa— 
beth und deren Günſtling, der Palatin Niklas von Gara, 
von allem Antheil an der Regierung ferne; und da man 
auch ſeine Vermählung mit der Königin immer hinaus— 
ſchob, ſo fand er ſich ſelbſt am ungriſchen Hofe bald 
jo überflüſſig, daß er ſchon zu Ende des Jahres 1384 
nach Böhmen und in ſeine Markgrafſchaft von Branden— 
burg zurückkehrte, und es den Anſchein gewann, als wolle 
die ganze durch ſo viele Tractate vorbereitete Verbindung 
mit Ungarn rückgängig werden. Doch der Prinz, dem es 
perſönlich nicht an Muth gebrach, wollte ſein einmal er— 
worbenes Recht nicht ſo leicht aufgeben. Schon im Mai 


ad sui praesentiam venissent, jussit eisdem, ut Sigismundo ge- 
nero suo omagium fidelitatis praestarent, quod et fecerunt; 
ipsumque cum eisdem capitaneis et Bodzanta archiepiscopo 
Gneznensi ad capiendum possessionem civitatum et castrorum 
destinavit. Dies läßt vermuthen, daß eine ähnliche Huldigung, 
auf K. Ludwigs Geheiß, auch von den ungriſchen Ständen an 
Sigmund geleiſtet worden iſt. Der polniſche Chroniſt ſchrieb 
mit der Begebenheit faſt gleichzeitig. 


Markgraf Sigmund in Ungarn. 39 


1385 warb er in Böhmen und Mähren Truppen,“ mit 1385 
deren Hilfe er in Ungarn ſeine Gegner zu ſtürzen, und 
die ihm zugedachte Stellung ſich zu erkämpfen gedachte. 
Um Geld zu dieſen Rüſtungen, ſo wie zur Bezahlung der 
ſchon in Polen gemachten Schulden zu erlangen, ſuchte er 
ſchon jetzt die Markgrafſchaft Brandenburg an ſeine Brü— 
der und Vettern zu verpfänden (13 Juli fg). Die unerwar— 
tete Landung des von mißvergnügten Ungarn und Kroa— 
ten herbeigerufenen Königs Karl des Kleinen von Neapel 
mit einer Kriegsſchaar zu Zeng in Dalmatien (3 Sept.) 
änderte jedoch bald die Lage der Dinge. Die Königin— 
nen, von einem neuen Feinde bedroht, erkannten ſelbſt die 
Nothwendigkeit, in der innigeren Verbindung mit dem Hauſe 
Luxenburg Hilfe zu ſuchen. Darum wurde Markgraf Sig— 
mund endlich, im Oktober 1385, mit Maria von Ungarn Oct. 
vermählt, während deren jüngere Schweſter Hedwig zu 
gleicher Zeit in Krakau ſich die polniſche Krone aufſetzen 
ließ. Das Vorrücken des Königs von Neapel gegen Ofen, 


und der faſt allgemeine Abfall der Ungarn zu ihm, nö— 


thigte Sigmund im December 1385 noch einmal nach Böh-VDec. 
men zu eilen, um ein größeres Heer zur Vertreibung des 
neuen Prätendenten aufzubringen. 

Während aber Sigmund in Böhmen rüſtete, entſpann 
ſich zwiſchen den von aller Hilfe verlaſſenen Königinnen 
und ihrem neapolitaniſchen Vetter in Ungarn ein unheim— 
liches Spiel von Heuchelei und grauſamer Hinterliſt. So 
wie Karl verſicherte, aus Dankbarkeit gegen ſeinen ehe— 
maligen Wohlthäter, König Ludwig, nur zum Schutze der 
Wittwe und der Tochter desſelben gekommen zu ſein, ſo 
empfingen ihn dieſe auch mit der zuvorkommendſten Freund— 
lichkeit, die ſelbſt dann nicht abgelegt wurde, als er am 
31 Dec. 1385 ſich im Dome zu Stuhlweißenburg zum Kö— 
50) Nach dem Zeugniſſe von Urkunden in der Sternbergiſchen Fa— 

miliengeſchichte von Brezan. Vgl. Dobners Monum. IV, 376. 


40 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1385 nige von Ungarn krönen ließ, und die Königinnen zwang, 


dem Acte ſelbſt beizuwohnen. Erſt nachdem der Kronraub 
vollendet war, ſchienen die Ungarn zum Bewußtſein des 
Unrechts zu erwachen, welches ſie an dem Stamme ihres 
großen Königs Ludwig verübt hatten, und die Stimmung 
Vieler neigte ſich wieder zu Maria hin. Dadurch ermuthigt, 
beſchloß Eliſabeth, ſich des verhaßten Gegners durch Meuchel— 
mord zu entledigen; Nicolaus von Gara übernahm die 
Ausführung des Plans. Unter dem Vorwande von Nach— 
richten und Vorſchlägen von Seite ihres Schwiegerſohns 
aus Böhmen, welche fie ihm mitzutheilen habe, lud Elifa- 
beth den König zu ſich in ihre Gemächer ein. Während 
des Geſprächs kam Nicolaus von Gara mit dem verwege— 
nen Blaſius Forgäcs, ſcheinbar um Abſchied zu nehmen 
von der Königin; Letzterer hieb aber ſogleich auf den König 
ein (7 Febr.), und in dem darüber entſtandenen Lärm be— 
mächtigte ſich Gara der königlichen Burg, vertrieb die 
Kroaten und Neapolitaner daraus, und ſtellte die frühere 
Regierung wieder her. Karl der Kleine war jedoch an 
jenem Tage nicht getödtet, ſondern nur ſchwer verwundet 
und gefangen genommen worden; erſt als ſeine Wunden 
gegen alle Erwartung heilen zu wollen ſchienen, ließ man 
ihn (am 24 Febr.) im Gefängniſſe vollends umbringen. 
Der abweſende Sigmund, und wie es ſcheint, auch 
ſeine Gemahlin Maria, waren an dieſer grauſen That un— 
ſchuldig. Ihr Gelingen jedoch und die wiedererlangte Herr— 
ſchaft machte Eliſabeth übermüthig. Nun glaubte ſie der 
Hilfe ihres Schwiegerſohnes nicht mehr zu bedürfen, und 
ihn in die frühere unbedeutende Stellung zurück verſetzen 
zu können. Den Grund zu offener Unzufriedenheit mit 
ihm nahm ſie von dem Umſtande her, daß er, um neuer— 
dings Geld zu feinen großen Rüſtungen zu erhalten,“ ſich 
51) In welchen Geldverlegenheiten ſich Sigmund um dieſe Zeit befun— 
den haben muß, läßt ſich aus dem Briefe ſchließen, in welchem 


Markgraf Sigmund in Ungarn. 41 


gezwungen geſehen hatte, die an Mähren gränzenden Di— 
ſtricte von Ungarn an ſeine habſüchtigen Vettern Joſt und 
Prokop zu verpfänden, ohne dazu von ungriſcher Seite be— 
vollmächtigt geweſen zu ſein. Sigmund ließ ſich die Zu— 
rückſetzung jedoch nicht gefallen, und ſuchte, auf ſein Heer 
und die Hilfe der mähriſchen Markgrafen pochend, das— 
jenige mit Gewalt zu erringen, was ihm mit Unrecht vor— 
enthalten wurde. Es kam zwiſchen den Königinnen und 
Sigmund zu einem offenen Kriege, der eine Zeit lang ohne 
Entſcheidung geführt wurde. Da ſah endlich König Wenzel 
ein, daß er ſeinen Bruder in ſo kritiſchem Augenblicke nicht 
hilflos laſſen dürfe. Mit bedeutender Macht brach er im 
April 1386 nach Ungarn auf, und drang am 1 Mai bis 
vor Raab, wo er ein feſtes Lager bezog. 

Bei der allgemeinen Zerrüttung, in welche Ungarn 
durch alle dieſe Vorgänge gerathen war; bei den drohen— 
den Anſtalten, welche die neapolitaniſche Partei traf, den 
Tod ihres Königs zu rächen, und bei dem Unvermögen, 
der vereinigten Macht des Hauſes Luxenburg wirkſamen 
Widerſtand entgegenzuſtellen, mußten die Königinnen ein 
friedliches Abkommen ſelbſt für wünſchenswerth halten. Sie 
kamen perſönlich nach Raab, und erklärten ſchon am 1 Mai 
daſelbſt, ſich und ihre ſämmtlichen Irrungen mit den Mark— 
grafen Sigmund, Joſt und Prokop, der Entſcheidung des 
römiſchen und böhmiſchen Königs ſchlechterdings anheim— 
ſtellen zu wollen; dasſelbe thaten auch der Bruder und 
die Vettern desſelben. Zwölf Tage lang wurde daher vor 
Raab zwiſchen den Parteien unterhandelt, und erſt am 
12 Mai erfolgte der ſchiedsrichterliche Spruch, der nach 


er den Markgrafen Joſt bat, den mähriſchen Baron Zdenef von 
Sternberg dahin zu bringen, daß er in ſeiner Schuldforderung 
ſich höflicher und nicht fo ehrverletzend erweiſe: — qui multis 
modis nos defamare solet, — ut nos atque nostros non moneat 


eo modo. (MS. der Vatican. Bibliothek Nr. 3995, fol. 1215) 


1386 


April 


1 Mai 


12 Mai 


42 VI Buch, 1 Eapitel, K. Wenzel IV. 


1386 Herſtellung der Eintracht, Freundſchaft und ehelicher Liebe, 
alles Vergangene der Vergeſſenheit zu übergeben befahl, 
die Königinwittwe Eliſabeth fortan auf den Genuß ihres 
Leibgedinges beſchränkte, den Markgrafen Sigmund zum 
Generalkapitän des Königreichs Ungarn ernannte,“ die 
von ihm bis dahin gemachten Schulden als ungriſche Staats— 
ſchuld erklärte, und ihm zu feinem perfünlichen Unterhalt 
für die Zukunft diejenigen Ländereien an der öſterreichiſchen 
und mähriſchen Gränze anwies, welche einſt König Ludwigs 


52) Dies erhellt aus dem noch ungedruckten Briefe, den K. Wenzel 
darüber an K. Karl VI von Frankreich geſchrieben hat: Dum 
inter eundem fratrem nostrum ab una, et serenissimas dominas 
Ungariae reginas, proditorum hujusmodi suggestu nefario, prae- 
cipue N. de N. (?) qui poenam proinde sibi debitam divino 
judicio jam exsolvit, gravis esset dissensionis suborta materia, 
quae nomnisi magnis bellorum sedari conflietibus sperabatur, 
nosque viribus et armis nostrae potentiae jam accincti, pro 
reformatione status ejusdem fratris nostri ejusque assistentia et 
reductione provisa deliberatione decreverimus vires nostras et 
arma exercere: ecce auctore domino, qui principum salutem 
clementi sua bonitate disponit, dirigit et tuetur, praedictae par- 
tes, signanter reginae et earum pars, nostram formidantes poten- 
tiam, ad manus nostras omnem earum causam ponentes, in nos 
velut arbitrum et compositorem amicabilem compromiserunt 
simpliciter et de plano. Nos igitur hujusmodi praetextu inter 


eas et praedictum germanum nostrum omni sedata discordia, 


eundem gernranum nostrum ad possessionem et gubernationem 
regnorum et terrarum Ungariae circa medium transacti jam 
mensis Maji magnifice reduximus et potenter. Da in der bei 
Pelzel (Urk. Buch Nr. 50 p. 70.) gedruckten Urkunde der Er: 
nennung Sigmunds zum Generalkapitän nicht gedacht wird, 
ſo muß dieſe in der verloren gegangenen anderen Spruch— 
urkunde, welche in der Pelzelſchen ſelbſt erwähnt wird (»prout 
in aliis nostrae pronuntiationis literis latius est expressum, c) 
enthalten geweſen ſein, wie es auch die ſpäteren, von Aſchbach 
(in ſ. Geſchichte K. Sigmunds I, 43) zuſammengeſtellten Ur— 
kunden beweiſen. 


* 


Markgraf Sigmund in Ungarn. 43 


Bruder Stephan beſeſſen hatte. Die Clauſel, durch welche 
ſich die Königinnen verbindlich machten, Sigmund in Ungarn 
nicht ohne Wenzels Vorwiſſen krönen zu laſſen, beweiſt 
gleichwohl, daß das Verhältniß der zwei hohen Brüder 
gegen einander ſchon in dieſen Jahren kein vollkommen in— 
niges geweſen, und daß Wenzel befliſſen war, den jünge— 
ren Bruder in einer Art von Bevormundung und Ab— 
hängigkeit zu erhalten. 

Obgleich alle Parteien eidlich angelobt hatten, dieſen 
Schiedſpruch zu halten, ſo ſcheint doch den Königinnen und 
den Ungarn überhaupt kein Ernſt damit geweſen zu ſein. 
Da aber bald darauf (am 25 Juli) Eliſabeth und Maria 
auf einer, in Begleitung des Niklas Gara, Blaſius For— 
gäcs und einiger Hofleute, unternommenen Luſtreiſe in 
Syrmien, von der neapolitaniſchen Partei, unter Anfüh— 
rung des kühnen und grauſamen Horwathy, überfallen, 
die Männer nach kurzer Gegenwehr getödtet, die Königin— 
nen aber als Gefangene nach Krupa in Kroatien gebracht, 
dann in das feſte Schloß Novigrad in Dalmatien einge— 
ſperrt wurden: ſo fiel damit die Regierung in dem kurz 
vorher noch blühenden, jetzt aber in die äußerſte Verwir— 
rung gerathenen Ungarn, gleichſam von ſelbſt in Sigmunds 
Hände. Eine ſeiner erſten Sorgen mußte natürlich auf 
die Befreiung der Königinnen gerichtet ſein. Da Unter— 
handlungen nicht direct zum Zwecke führten, ſo verband 
er ſich mit den Venetianern, daß ſie die Abführung der 
Gefangenen zur See nach Neapel hinderten und die Kroa— 
ten von der einen Seite bedrängten, während er mit Heeres— 
macht von der anderen heranrückte. Als aber Horwathy's 
Bruder in Novigrad keine Rettung für ſich ſah, ließ er 
Eliſabeth vor den Augen ihrer Tochter erdroſſeln, und 
ihren Leichnam den Stürmenden über die Mauer zuwerfen; 
er drohte, der Königin Maria ein gleiches Schickſal zu 
bereiten, wenn man nicht ablaſſe. Um ſeine Gemahlin 


1386 


1387 
Anf. Jan. 


44 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1387 nicht zu gefährden, und mit ihrem Tode nicht auch ſeine 
eigenen Anſprüche auf die ungriſche Krone einzubüßen, 
mußte Sigmund ſich begnügen, die Burg Novigrad einzu— 
ſchließen, die Unterhandlungen wieder aufzunehmen, und 
indeſſen ſeine eigenen Rechte auf Ungarn für jeden Fall 
zu ſichern. 

Während dieſer Begebenheiten waren in Polen nicht 
minder entſcheidende Ereigniſſe vor ſich gegangen. Die 
ſchöne Königin Hedwig war zwar mit Herzog Wilhelm 
von Sſterreich, dem älteſten Sohne des in der Schlacht 
bei Sempach am 9 Juli 1386 gefallenen Herzogs Leopold, 
verlobt, entſchloß ſich jedoch ſpäter, auf das Zureden der 
polniſchen Großen, dem lithauiſchen Fürſten Jagjel ihre 
Hand zu geben, welcher um dieſen Preis ſich taufen zu 
laſſen und ſein Land mit Polen für immer zu vereinigen 
verſprochen hatte. Nach empfangener Taufe wurde daher 
Jagjel unter dem Namen Wladislaw am 17 Febr. 1387 
in Krakau zum Könige von Polen gekrönt. Als Hed— 
wigens Gemahl hatte er für den Fall, wenn Königin Maria 
in der Gefangenſchaft umkam, die nächſten Anſprüche, auch 
in Ungarn zu ſuccediren. Um nicht am Ende unter die 
Botmäßigkeit eines ſo wildfremden Menſchen zu kommen 
und eine Art Provinz von Polen zu werden, fingen die 
ungriſchen Stände jetzt an, Sigmunds Rechte auf die ung— 
riſche Krone ſelbſt zu begünſtigen. Sie kamen in großer 
Anzahl zuſammen, und einigten ſich über die Bedingungen, 
unter welchen der böhmiſche Prinz auf den Thron der Ar⸗ 
paden erhoben werden ſollte. Sigmund mußte angeloben, 
die alten Rechte und Gewohnheiten des Königreichs auf— 
recht zu erhalten, ſich fortan nur mit ungriſchen Räthen 
zu umgeben, keine Fremden zu Amtern und geistlichen Wür— 
den im Reiche zu befördern, für Alles, was ſeine Gegner 
bisher gethan, Amneſtie zu gewähren, alle von ihm bis 
dahin gemachten Schenkungen und geſchloſſenen einſeitigen 


Sigmund wird König von Ungarn. 45 


Bündniſſe aufzuheben, die in böhmiſche und mähriſche Ge— 
fangenſchaft gerathenen Ungarn ohne Löſegeld in Freiheit 
zu ſetzen u. fe w.'s Dafür wurde ihm in Zukunft Ger 
horſam geſchworen, und am 31 März 1387 im Dome zu 
Stuhlweißenburg die Krone St. Stephans feierlich aufs 
Haupt geſetzt. Dann erſt zog er wieder nach Kroatien 
hin, und befreite endlich, mit Hilfe der Venetianer, ſeine 
Gemahlin aus dem Gefängniſſe. 

Auf dieſe Weiſe gelangten im J. 1387 auf die wi 
nachbarten Throne von Ungarn und Polen zwei neue Dy— 
naſtien, und Böhmens auswärtige Verhältniſſe erhielten 
dadurch auf lange Zeit hin eine neue beſtimmte Richtung. 
Bei der weſentlich friedlichen Politik unſerer Könige, welche 
nach Karl IV nichts Neues mehr zu erwerben, ſondern nur 
das Erworbene zu behalten ſuchten, geſtalteten ſich die Vers 
hältniſſe zu Polen fortan um ſo friedlicher, als auch König 
Wladislaw und ſeine Nachfolger ihr Augenmerk immer 
mehr nach Norden und Oſten gegen Preußen und Ruß— 


53) Die bisher unbekannte Wahlurkunde Sigmunds iſt uns in einem 
gleichzeitigen böhmiſchen Formelbuche, leider nur unvollſtändig 
und uncorrect, erhalten worden. Ihr Eingang lautet: In no- 
mine domini amen. Nos praelati, barones, proceres et regni 
Hungariae nobiles, quorum sigilla inferius sunt appensa, notum 
facimus tenore praesentium quibus expedit universis, quod cum 
serenissimus princeps et dominus D. Sigismundus marchio 
Brandeburgensis, S. R. I. archicamerarius, illustrissimae princi- 
pis et dominae D. Mariae reginae Hungariae consors praecla- 
rus, ejusdem regni antecessor et capitaneus, bonum statum 
sacrae coronae et regnicolarum utilitatem sinceris affectibus con- 
templando, in augmentum culminis praedictae coronaae, de 
praesenti in suis terminis non modicum distractae, ex altitudine 
divini consilii, magnifice intendere velit, nobisque articulos 
infrascriptos in suis punctis, clausulis et articulis, quoad 
eorum mentem et verba, diligenter et inviolabiliter de certa 
sua scientia observare promiserit, eosque et eorum quemlibet 


ellectui sollicite mancipare etc. 


1387 


31 März 


46 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1387 land hin, als nach Weſten gegen Böhmen richteten. Jag— 
jels Stamm regierte Polen zwei Jahrhunderte lang, und 
brachte es auf den Gipfel feiner politiſchen Macht und 
Blüthe. Der Lurenburger Sigmund legte dagegen den 
erſten Grund zu der auch jetzt noch dauernden Verbindung 
der Kronen von Ungarn und Böhmen auf Einem Haupte. 
Es folgte ihm zwar kein Sohn mehr nach; doch war es 
ihm ſelbſt beſchieden, das Scepter in Ungarn, unter den 
mannigfaltigſten Wechſeln des Schickſals, ein halbes Jahr— 
hundert lang zu führen. 

Nach einer ſolchen Erhebung konnte und mußte Sig— 
mund zur Modification der einſt von ſeinem Vater in den 
böhmiſchen Kronländern eingeführten Erbfolgeordnung, zu 
Gunſten ſeiner Brüder und Vettern, um ſo williger die 
Hand bieten, je größere Entſchädigungs-Anſprüche dieſelben 
an ihn zu ſtellen hatten, und je mehr ihm daran gelegen 
ſein mußte, die an die mähriſchen Markgrafen verpfändeten 
ungriſchen Diſtricte, ſeinem Eide gemäß, wieder an die 
Krone zurückzubringen. Da die Verhandlungen darüber 
ſich jedoch ſehr in die Länge zogen, ſo müſſen ſie auf be— 
deutende Schwierigkeiten geſtoßen ſein, deren Grund wir 
wohl weniger in den Sachverhältniſſen, als in den Chara— 
kteren der Perſonen zu ſuchen haben. Wenn es diesfalls 
ſchwer hält, zu beſtimmen, wer von den ſechs damals lebenden 
Luxenburgern ſich vor allen anderen durch Adel der Ge— 
ſinnung oder durch Geiſtesgröße ausgezeichnet, — denn das 
Auge des Beobachters kann auf keinem von ihnen mit 
vollem Gefallen ruhen: ſo iſt es dagegen um ſo leichter, 
denjenigen zu bezeichnen, der an ſich am meiſten vermiſſen 
ließ. Dies war Markgraf Joſt von Mähren. Man hat 
ihn den gelehrteſten Fürften feiner Zeit * genannt; und er 
54) Principum doctissimus — wird er von einem gelehrten Zeit— 


genoſſen in einer Vaticaniſchen Handſchrift (Nr. 3995) genannt. 
In derſelben Handſchrift ſtehen Briefe von Joſt, in welchen 


Luxenburg'ſche Hausverträge. 47 


bewährte ſich als Freund der Literatur, indem er Bücher 
von allen Seiten her — nicht kaufte, ſondern zum Leſen 
ausborgte; denn ſein Geiz und ſeine Habſucht erwieſen ſich 
noch ſtärker, als ſeine wiſſenſchaftlichen Neigungen. An 
Verſtand, Berechnung und Eigennutz übertraf er unbedingt 
alle ſeine Brüder und Vettern; darum konnten auch alle 
billigen Vergleichs-Vorſchläge lange Zeit nicht zum Ziele 
führen. 

Die Hauptverhandlungen betrafen die Mark Branden— 
burg, in deren Beſitz Markgraf Joſt zu gelangen wuͤnſchte. 
Sigmund war ſchon im Jahre 1385 willig geweſen, ihm 
dieſelbe zu Pfand abzutreten; nur die Abneigung der mär— 
kiſchen Stände und das Vorrecht der Brüder Sigmund's, 
ihm im Beſitze der Mark, den Beſtimmungen Karls IV ge- 
mäß, zu folgen, hatten damals das Geſchäft verhindert. 
Nun wurde es wieder aufgenommen, und in der Art er— 
ledigt, daß Sigmund zu Gunſten Wenzels den von Karl IV 
ihm angewieſenen Kuttenberger Wochengeldern, zu Gunſten 
Johanns von Görlitz aber ſeinem näheren Erbrechte zur 
Krone von Böhmen entſagte; wogegen beide dann in die 
Verpfändung von Brandenburg willigten, und die dortigen 
Stände von allen Pflichten und Eiden, womit ſie ihnen 
verbunden waren, losſprachen. So gelangte jene Mark, 
nebſt der mit ihr verbundenen Kurwürde, im J. 1388 an 
den Markgrafen Joſt von Mähren, und nominell auch an 
deſſen jüngften Bruder Prokop; der mittlere Johann So— 
beslamw, ſeit 1380 Biſchof von Leitomysl, wurde 1387 auf 
den Patriarchenſtuhl von Aquileja befördert, daher bei den 
Familienverträgen nicht mehr berückſichtigt. Wie es aber 
kam, daß zu gleicher Zeit, im Jahre 1388, K. Wenzel dem 
Markgrafen Joſt auch das Herzogthum Luxenburg verſchrieb, 
wiſſen wir, aus Mangel an Nachrichten, gar nicht zu er— 


er von mehren Prager Stiftern ſich Bücher zum Leſen aus— 
bat, darunter z. B. des Josephus Flavius antiquitates Judaicae. 


1387 


1388 


48 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1388 klären.” Am wahrſcheinlichſten iſt der Grund davon in 
der Verlegenheit zu ſuchen, in welche K. Wenzel gleich— 
zeitig durch die unruhigen Bewegungen ſowohl in Böhmen 
als in Deutſchland gerathen war. 

Die oben auch von uns geprieſene Zeit der allſeitigen 
Ruhe und Sicherheit im Innern von Böhmen erreichte ihr 
Ende ſchon im Laufe des Jahres 1387. Einer der vor— 
nehmſten Barone Böhmens, Marquard von Wartenberg, 
einſt Karls IV Oberſtkammermeiſter, des Oberſtburggrafen 
Peter von Wartenberg jüngerer Bruder und Herr der 
Burgen Zleby, Rohozec und Zbirow, erlangte den traurigen 
Ruf, der Erſte geweſen zu fein, “' der die ſeit lange unge— 
wohnten Unruhen und Fehden im Lande wieder herauf— 
beſchwor. Er war in einen Rechtsſtreit verwickelt geweſen, 
und glaubte durch deſſen Entſcheidung in ſeinem Rechte ge— 
kränkt worden zu ſeyn. Da die Juſtiz auf ſeine nachträg— 
lichen Einwendungen keine Rückſicht nahm, griff er am Ende 
zum Mittel der Selbſthilfe, und wagte es im Jahre 1387 
ſchon dem Könige und dem ganzen Lande Fehde anzukün— 
digen. Er fand alsbald Helfer genug, die in ſeinem Namen 
alle Straßen beunruhigten, die Kaufleute plünderten, fried— 
liche Einwohner brandſchatzten und allerlei Unfug verübten. 
Seinem Beiſpiel folgte in Kurzem, wir wiſſen nicht aus 
welcher Veranlaſſung, auch ein Kolowrat, Herr auf Korn— 
haus. Der König mußte mitten im Winter 1388 ein 
allgemeines Aufgebot gegen ſie ergehen laſſen. » Da Herr 


55) Bertholet, in feiner Histoire du duché de Luxembourg, tom. 
VII, pag. 160, 161 berichtet auch nur die nackte Thatſache. 
Pelzel weiß von dieſer Verpfändung ſogar nicht eher, als im 
J. 1395. 

56) Scriptores rer. bohem. III. Stari letopisowé, pag. 4. 

57) Das am 18 Jan. 1388 diesfalls erlaffene Edict beginnt mit 
den Worten: Ad reprimendam proterviam et rebellionem Mar- 
quardi de Wartenberg, dieti de Kosta, adhaerentium et com 


Unruhen in Böhmen und in Deutſchland. 49 


Marquard ſich mit aller Macht zur Wehr ſetzte, ſo wurde 1388 
der innere Krieg über alle Erwartung ernſter, und dauerte 

bis tief in den Sommer 1388 hinein; doch wurden die 
Burgen Zleb, Rohozec und Zbirow mit Sturm erobert, 
und Herr Marquard ſelbſt gerieth in Gefangenſchaft, in 
welcher er bis 1392 ſich zu Tode abgehärmt haben ſoll. 
Auch Kornhaus wurde genommen und zerſtört. 

Noch viel bedeutender waren jedoch die gleichzeitig in 
Deutſchland entſtandenen Unruhen. Der Heidelberger Ver— 
trag von 1384 hatte nicht die Kraft gehabt, alle blutigen 
Fehden im Reiche zu beſeitigen. Im Gegentheil entbrannte 
der alte Streit zwiſchen den Herzogen von Sſterreich und 
den ſchweizeriſchen Eidgenoſſen nur um ſo heftiger, ſeitdem 
die Schweizer im Jahre 1385 zu Conſtanz ſich mit dem 
großen deutſchen Städtebund geeinigt hatten. Die Nieder— 
lage der Oſterreicher bei Sempach am 9 Juli 1386, wo 
Herzog Leopold fiel, hatte zunächſt die Folge, daß die 
Fürſten in Deutſchland insgeheim ſich näher an einander 
ſchloßen, und eine drohendere Haltung gegen die von K. 
Wenzel begünſtigten Städte annahmen. Nun gelang es 
zwar dem Könige, zu Mergentheim am 5 Nov. 1387 ein 
Bündniß zwiſchen den Fürſten und den Städten, noch auf 
Ein Jahr, zu Stande zu bringen; aber kaum waren vier— 
zehn Tage verfloſſen, jo brachen ſchon die Herzoge von 
Bayern, insbeſondere Herzog Friedrich, durch Gefangen— 
nehmung des Erzbiſchofs von Salzburg und durch Plün— 
derung ſtädtiſcher Kaufleute, den Frieden wieder, und 
brachten einen allgemeinen Krieg der Städte mit den Fürſten 
und Herren zum Ausbruch. Da ein ſolches Unrecht offen 


er 


plicum suorum, qui se nobis contra deum et justitiam, quam 
ipsis pridem exhiberi mandavimus, arroganter opposuerunt, 
stratasque publicas depraedati sunt, quod jam ulterius per tole- 
rantiam sustinere non possumus ete. Dieſes Edict wurde fpäter 
(an nichtbenanntem Tage) wiederholt. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 4 


1388 


5 Febr. 


23 Apr. 


50 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


zu Tage lag, ſo konnte K. Wenzel nicht anders, als der 
Städte ſich annehmen; er kündigte dem Herzoge Friedrich 
ſchon am 5 Febr. 1388 den Krieg an, und zog bald darauf 
auch perſönlich in die Oberpfalz. Darüber erſchrak der 
Herzog, ſuchte des Königs Gnade nach, und erlangte es, 
daß der Streit auf den Austrag des Pfalzgrafen Ruprecht 
des Alteren geſetzt und die den Bayern drohende Gefahr 
vor der Hand abgewendet wurde. Der Pfalzgraf gebot 
beiden Seiten eine lautere Sühne und vollen Frieden; 
und beide Parteien gelobten, dem Spruche zu gehorchen. 
Da jedoch K. Wenzels Waffen, in Dämpfung der böhmi— 
ſchen Unruhen beſchäftigt, nicht ſo mächtig mehr in Deutſch— 
land auftreten konnten, ſo hielten es die Herzoge Friedrich 
und Stephan auch nicht mehr für nöthig, ihr Wort zu er— 
füllen. Ein zweiter Spruch erfolgte zwar noch am 23 April 
1388 in derſelben Sache vom Pfalzgrafen, dem der König 
dazu auch den böhmiſchen Baron Bores von Rieſen— 
burg und den Grafen Johann zu Sponheim beigegeben 
hatte. Die Herzoge kehrten ſich aber nicht mehr daran, 
und erneuerten die Feindſeligkeiten; bald ſtanden auch die 
übrigen Fürſten und Städte in Waffen gegen einander. Der 
Krieg wurde nun von beiden Seiten meiſt auf die gräulichſte 
Art geführt; man ſchlug ſich nicht auf offenem Felde, Macht 
gegen Macht, ſondern zog ſich bei Annäherung der Feinde 
hinter feſte Mauern zurück, und gab das flache Land preis. 

So ſtanden die Sachen in Deutſchland und in Böhmen, 
als die Luxenburger die oben erwähnten Hausverträge 
unter einander ſchloßen, und Markgraf Joſt, mit der Er— 
werbung von Brandenburg nicht zufrieden, nun auch nach 
dem Herzogthume Luxenburg griff, dem Stammlande des 
Geſammthauſes. K. Wenzel hatte ſowohl bei Joſt, als 
bei Sigmund Hilfe nachgeſucht, und die Zuſage von beiden 
erhalten; ob auch wirklichen Beiſtand, iſt uns unbekannt. 
Da einige Reichsfürſten bereits laut von des Königs Ab— 


Wenzels Abdankungsproject. 51 


ſetzung ſprachen, weil er die Städte begünſtigte, ſo bedurfte 
er allerdings der Hilfe ſeiner Brüder und Vettern um ſo 
mehr, je weniger Muth und Geſchick er ſelbſt beſaß, einen 
großen Krieg zu führen. Als aber am 24 Auguſt 1388 
bei Döffingen die Städte eine entſcheidende Niederlage er— 
litten, auf welche ſpäter noch andere Verluſte folgten, 
wurde Wenzel der Regierung in Deutſchland, wo Niemand 
mehr gehorchen mochte, völlig überdrüſſig, und fing an, 
von Niederlegung der römiſchen Krone zu ſprechen. 

Es iſt nicht zu zweifeln, daß dieſer Gedanke aus K. 
Wenzels innerſter Neigung kam, da er mit allerlei Ehren 
dieſer Welt von Kindheit an geſättigt, keinen Ehrgeiz mehr 
beſaß, und trotz der genoſſenen ſorgfältigen Erziehung, von 
den politiſchen Ideen und Maximen ſeines Vaters nichts 
geerbt hatte. Möglich iſt es auch, daß Markgraf Joſt auf 
fein angelegte Weiſe dazu beitrug, einen ſolchen Entſchluß 
bei Wenzel zur Reife zu bringen; denn nur ein Luxenburger 
ſollte deſſen Nachfolger im römiſchen Reiche werden, und 
unter dieſen konnte für jetzt Keiner eine günſtigere Ausſicht 
haben, als der neue Kurfürſt von Brandenburg und Herzog 
von Luxenburg. Auch bewarb er ſich bereits um die Stimmen 
nicht der Kurfürften allein, ſondern auch z. B. der Herzoge 
von Sſterreich. '' Aber obgleich ſich die Verhandlungen 
darüber bis in den Sommer des nächſten Jahres hinaus— 
zogen, ſo blieben ſie doch ohne Folgen, und Wenzel nahm 
ſeinen Entſchluß am Ende wieder zuruͤck; ſei es, daß eine 
58) Kurfürſt Rudolf von Sachſen verſprach (in der bereits von 

Pelzel S. 86 mitgetheilten Urkunde, die ſich im böhm. Kron— 

archive befindet) nicht mehr, als daß er demjenigen Luxenbur— 

ger, den Wenzel ſelbſt in Vorſchlag bringen werde, feine Kur— 
ſtimme geben wolle. Markgraf Joſt machte ſich aber noch am 

18 Juni 1389 dem Herzog Albrecht verbindlich, deſſen Rath— 

ſchläge zu befolgen und Oſterreichs Privilegien zu beſtätigen, 

wenn er zum römiſchen Könige gewählt werde. S. Kurz, 

Oſterreich unter H. Albrecht III, Bd. II. S. 364 fg. 

4 * 


1388 


24 Aug. 


1388 


1389 


52 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


Wahl, wie man ſie wünſchte, nicht durchzuſetzen war, oder 
daß Wenzel frühzeitig Argwohn ſchöpfte, es könne die all— 
zugroße Macht, in des ſelbſtſüchtigen Vetters Hände gelegt, 
am Ende gegen den Verleiher ſelbſt ſich wenden. 

Daß die Überzeugung und das Gefühl, ſeiner Aufgabe 
in ſo ſtürmiſchen Zeiten nicht gewachſen zu ſein, den König 
zur Abdankung beſtimmten, gäbe ein noch vortheilhafteres 
Zeugniß für ſein Herz, wenn er ſeinen Entſchluß nur aus— 
geführt hätte: als er aber wider ſeine beſſere Überzeugung 
in einer unhaltbaren Stellung beharrte, verlor er den Reſt 
von Selbſtändigkeit, und ſank bald zum Werkzeug, zum 
Spielball der Parteien herab. Denn gewiß kam es nicht 
aus ihm ſelbſt, daß nach vollendeter Demüthigung der 
deutſchen Städte durch die Fürſten er denſelben ſeinen 
Schutz entzog, und auf dem mit Mühe zuſammengebrachten 
Reichstag zu Eger, im April und Mai 1389, den Städte— 
bund, dem er doch ſelbſt behilflich geweſen, als geſetzwidrig 
erklärte und auflöste. Allgemein wurde das Verdienſt, den 
König von den Städten ab und wieder auf die Seite der 
Fürſten gezogen zu haben, den Herzogen von Bayern zu— 
geſchrieben; über die dazu in Bewegung geſetzten Mittel 
und den ganzen Gang der diesfälligen Verhandlungen ſind 
jedoch nur äußerſt mangelhafte Überlieferungen vorhanden, 
die ſelbſt über die wichtigſten Vorgänge oft gar keine Aus— 
kunft geſtatten. 

Als eines der bedeutendſten Momente in dieſer Um— 
kehrung vieler Verhältniſſe erſcheint jedenfalls die in die— 
ſem Jahre, an noch unbekanntem Tage und auf unbekannte 
Weiſe zu Stande gekommene Vermählung 7 K. Wenzels 


59) Wie ſchlecht wir überhaupt über die Ereigniſſe dieſer Jahre 
unterrichtet ſind , beweiſt ſchon der Umſtand, daß das Ver— 
mählungsjahr Wenzels mit Sophie von Bayern von verſchie— 
denen Chroniſten bisher verſchieden in die Jahre 1389, 1390, 
1392, 1393, ja 1397 und 1400 geſetzt worden iſt. Pelzel und 


Wenzels Vermählung mit Sophie von Bayern. 53 


mit einer bayriſchen Prinzeſſin, Sophie, Tochter Herzog 1389 
Johanns von München, ſomit Nichte der Herzoge Stephan 
und Friedrich. Der letztere ſoll ſie ſelbſt ihrem königlichen 
Gemahl nach Prag zugeführt haben. Sie war jung und 
ſchön, ohne Ehrgeiz, fromm und gut, und bewies ihrem 
Gemahl unter allen Umſtänden ſtets die treueſte Anhäng— 
lichkeit. Doch hatte K. Wenzel von ihr ſo wenig, wie 
von ſeiner erſten Gemahlin Johanna, ſich irgend eines 
Kindes und Erben zu erfreuen. Da zugleich auch Sig— 
mund mit Marien von Ungarn und Markgraf Joſt mit 
ſeiner Gemahlin Agnes noch kinderlos waren, Markgraf 
Prokop aber unvermählt blieb, ſo war die Fortpflanzung 
des Luxenburgiſchen Stammes ſchon jetzt einigermaßen in 
Frage geſtellt, und hing zumeiſt von Herzog Johann von 
Görlitz ab, der zwar am 10 Febr. 1388 ſich mit Richardis, 
einer Tochter des unglücklichen Königs von Schweden, 
Albrecht von Meklenburg, vermählte, ſie aber, nachdem ſie 
ihm nur eine Tochter, Eliſabeth, geboren hatte, bald wieder 
verlor. 

Während K. Wenzel noch in Eger mit den Reichs— 


Pubicka entſchieden ſich für das Jahr 1392; uns iſt aber erft 
kürzlich ein ganz unverdächtiges, von K. Wenzel zu Prag am 
23 Dec. 1389 ausgeſchriebenes Patent in die Hände gekom— 
men, worin eine allgemeine Berna-Erhebung im Lande auf den 
3 Febr. 1390 zum Behufe der Krönung der Königin anbe— 
fohlen wird: Quia de communi baronum regni nostri Bohemiae 
consensu et unanimi voluntate, generalem bernam per regnum 
nostrum Bohemiae, in subsidium coronationis conthoralis nostrae 
carissimae, levandam decrevimus et tollendam etc. Dat. Pragae 
die XXIII Decembris, regnorum nostrorum anno Bohemiae 
XXVII. Romanorum vero XIV. Hiemit erhalten die Anga— 
ben Arenpeks (in Bern. Pez Anecdot. III, lib. 5) und des 
Dlugos, ſo wie die Leitmeritzer Urkunde von 1390, auf welche 
ſich Dobner (in feinen Vindiciae etc.) beruft, ihre Beſtätigung. 
Die Krönung der Königin Sophie fand aber bekanntlich 
erſt um zehn Jahre ſpäter Statt. 


51 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1389 fürſten über den allgemeinen Landfrieden für Deutſchland 
verhandelte, brach in Prag plötzlich die furchtbarſte Juden— 
verfolgung aus, deren die böhmiſche Geſchichte überhaupt 
gedenkt. Die Juden, deren Vorhandenſein in Prag ſchon 
vom X Jahrhunderte an urkundlich ſichergeſtellt iſt, hatten 
ſchon zu Otakars II Zeiten beſonderen Schutz genoſſen, und 
die von Karl IV kräftig gehandhabte innere Ruhe und 
Sicherheit war ihrem Wohlſtande und ihrer Vermehrung 
ſehr förderlich geweſen. Mit Wenzels IV Regierung ſchienen 
aber noch günſtigere Zeiten für ſie gekommen zu ſein, da 
dieſer König allgemein als ein ganz vorzüglicher Gönner 
und Beſchützer der Juden angeſehen wurde, “ obgleich er 
unſeres Wiſſens nichts Außerordentliches für ſie gethan hat. 
Es mag ſein, daß einerſeits der bedeutende Wohlſtand und 
die gewohnte Sicherheit unter dem Schutze des Königs 
manchem Juden eine Zuverſicht einflößte, die dem Chriſten 
als Übermuth erſchien, während anderſeits an dem ſtets 
wachen Neid und Haß des Prager Pöbels gegen die meiſt 
ſelbſtſüchtigen Gläubiger nicht zu zweifeln iſt. Vor der 
Gründung der Prager Neuſtadt im J. 1348 hatten die 
Juden diejenige Vorſtadt inne gehabt, welche in der Gegend 
des noch heutzutage ſogenannten Judengartens in der Neu— 


60) Der Tractatus de longaevo schismate (S. Italien. Reiſe, pag. 
97, 99) führt aus dem Catalogus abbatum Saganens. (in Sten— 
zels Script. rer. Silesiac. I, 212 sq.) folgende Worte über K. 
Wenzel an: Exosus erat clero et populo, nobilibus, civibus et 
rusticis (?), solis erat acceptus Judaeis, — und nennt ihn deser- 
tor Romanorum, desertus eorum, persecutor clericorum, hostis 
Teutonicorum, carnifex Bohemorum, fautor haereticorum et rex 
Judaeorum. Eine zu Anfang des J. 1397 verfaßte noch ungedruckte 
invectiva gegen den König (Forma curialis II) macht ihm unter 
vielen anderen auch folgenden Vorwurf: Cur tantis fervoribus 
Judaeorum amastis perfidiam, ipsos diligendo super fideles Christi- 
colas, ipsos namque super prophetas domini extollendo ? etc. 
Man vergleiche auch die Acta in curia Romana g. 12 und 27. 


Große Judenverfolgung in Prag. 55 


ſtadt ausgebreitet war; erſt Karl IV überſiedelte fie in die 1389 


heutige Judenſtadt. Die nächſte Veranlaſſung zu blutigen 
Aufritten gab ein chriſtlicher Prieſter, der an einem Nach— 
mittage der Charwoche das Sacrament der Hoſtie in die 
Judenſtadt zu einem dort erkrankten Chriſten trug, aber 
mit Steinwürfen empfangen und zum Rückzug genöthigt 
wurde. Der Prager Magiſtrat ſchritt zwar alſogleich ein, 
und verhaftete die Schuldigen: als aber am Oſterſonntage 
die Prediger in den Kirchen ſelbſt das Volk zur Rache auf— 
forderten, ließ dasſelbe ſich nicht länger im Zaume halten. 
Der wüthende Pöbel ſtürmte die Judenſtadt, zündete ihre 
Häuſer an, trieb die Einwohner in die Flammen zurück 
und mordete die flüchtigen. Nur Einzelne, meiſt Frauen 
und Kinder, wurden verſchont, in die Altſtadt aufgenommen 
und alſogleich zum Schein getauft, um ſie fernerer Miß— 
handlung zu entziehen. Gegen drei tauſend Perſonen ſoll 
dieſe furchtbare Raſerei das Leben gekoſtet haben. 61 

K. Wenzel eilte daher, nach der am 5 Mai 1389 zu 
Eger vollzogenen Verkündigung des Landfriedens auf ſechs 
Jahre, nach Prag zurück. Welche Maßregeln er traf, um 
ſo ſchreiende Miſſethaten zu ſtrafen, wiſſen wir, bei den 
dürftigen aus dieſer Zeit uns überlieferten Nachrichten, 
nicht anzugeben; “ nur fo viel iſt bekannt, daß alles bei 
dieſer Gelegenheit in der Judenſtadt geraubte Gold und 
Silber (von dem letzteren allein fünf Tonnen voll) an 


61) Eine umſtändlichere Schilderung davon gibt Pelzel (J 214 fg.) 
nach einer noch im MS. vorhandenen Monographie »Passio 
Judaeorum Pragensium. 

62) Daß er gar nichts gethan und den Chriſten ſogar Recht gege— 
ben habe, wie Hajek will, iſt ganz gewiß eine der vielen Lügen 
und Erdichtungen, welche dieſer gewiſſenloſe Chroniſt ſich ins— 
beſondere bei K. Wenzel erlaubt hat. Sie widerſpricht nicht 
nur der ganzen Regierungsweiſe Wenzels (der in ſeiner Weiſe 
ſehr auf Gerechtigkeit hielt), ſondern auch den in der vorletzten 
Bemerkung angeführten gleichzeitigen Zeugniſſen. 


18 Apr. 


56 VI Bud, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1389 die königliche Kammer ausgeliefert werden mußte. Und 
wenn es ſchon aus dieſem Umſtande erhellt, daß Wenzel 
weit entfernt war, ſich über die gemeine Anſicht des Mittel— 
alters zu erheben, der zu Folge alles Privateigenthum der 
Juden dem Landesherrn unbedingt gehörte: ſo wird dieſe 
Wahrheit noch mehr durch die bekanntlich im September 
1390 von ihm erlaſſenen Decrete beſtätigt, in welchen er 
alle deutſchen Reichsſtände von der Bezahlung der Juden— 
oder Wucher-Schulden, nach dem Beiſpiele Ludwigs IV 
und Karls IV, ſo wie der Könige von Frankreich und von 
England, aus kaiſerlicher Machtvollkommenheit dispenſirte. 
Seine vielgerühmte, aber auch viel getadelte Judenliebe 
dürfte ſich daher kaum weiter erſtreckt haben, als daß er 
in vielen einzelnen Fällen feinen Amtern und den Magis 
ſtraten auf dem Lande befahl, jüdiſchen Gläubigern gegen 
ſäumige chriſtliche Schuldner Beiſtand zu leiſten. ““ 

Papſt Urban IV ſtarb am 15 Oct. 1389, und hinter⸗ 
ließ dem zu feinem Nachfolger gewählten neapolitaniſchen 
Cardinal Peter Tomacelli, der am 9 Nov. 1389 unter dem 
kamen Bonifaz IX gekrönt wurde, die Ausführung zweier 
Decrete, bei welchen zwar die ganze Chriſtenheit, Böhmen 
aber insbeſondere betheiligt war. Das eine betraf das 
vom Prager Erzbiſchof Johann von Jenſtein ſchon ſeit 
Jahren vorzugsweiſe empfohlene Feſt der Heimſuchung Mariä, 
deſſen allgemeine Einführung durch die Päpſte unſerem Erz— 
biſchofe zu um ſo größerer Genugthuung gereichte, je grö⸗ 
ßere Widerwärtigkeiten ihm früher deſſen übereilte Ein— 
ſetzung in feiner Diöceſe bereitet hatte. “ Das andere 
Decret kürzte den einſt hundertjährigen, ſeit Clemens VI 
aber fünfzigjährigen Termin des chriſtlichen Jubeljahres in 
Zukunft auf 33 Jahre ab, als die Dauer des Lebens Chriſti 
63) Urkunden ſolchen Inhalts haben aus K. Wenzels Regierung 


ziemlich viele ſich erhalten. 
64) Vergl. oben zum Jahr 1384, Seite 35, Note 43. 


Das Prager Jubeljahr. 57 


auf Erden und zugleich die Durchſchnittszeit eines Men- 1389 
ſchenalters überhaupt; demzufolge wurde verordnet, daß 
das nächſtfolgende Jahr 1390 als das erſte Jubeljahr dieſer 1390 
Art in Rom gefeiert werden ſollte. Es ſtrömten daher, 
wie überhaupt aus allen Ländern der römiſchen Obedienz, 
fo auch vorzüglich aus den böhmiſchen Kronländern, Schaa— 
ren von Wallfahrern nach Rom in dem beſagten Jahre, 
um den vorgeſchriebenen Proceſſionen und Bußwerken in 
den dortigen Kirchen ſich zu unterziehen, und der dafür 
bewilligten Abläſſe theilhaftig zu werden. 

Man hat die Gründe, warum K. Wenzel ſeinen Römer— 
zug aufſchob, außer ſeiner natürlichen Indolenz und dem 
Drang der Umſtände, auch in dem Einfluſſe des franzöſiſchen 
Hofes zu finden geglaubt, der ſich bemüht habe, einen dem 
Afterpapſte von Avignon ſo nachtheiligen Act zu verhüten; 
wir werden aber kaum irren, wenn wir ſie noch mehr in der 
Abneigung K. Wenzels ſuchen, mit dem düſterſtrengen und 
hochfahrenden Urban VI perſönlichen Umgang zu pflegen. 
Als daher der leutſeligere und geſchmeidigere Bonifaz IX 
an deſſen Stelle getreten war, fing der König wieder an, 
an ſeinen Römerzug zu denken, und ſandte den Doctor 21 Nov. 
Ubaldin von Florenz, ſeinen geheimen Rath, und den Mi— 
noritenbruder Nicolaus, ſeinen Beichtvater, um dem neuen 
Papſte dieſen Entſchluß zu verkünden, und ſich von ihm 
einige geiſtliche Gnaden auszubitten:® die eine betraf die 
Erhebung von beſonderen Kirchenſubſidien zum Behufe des 
Römerzugs, eine andere die Verleihung eines eigenen Jubel— 
jahres für Prag und Böhmen, damit ſowohl der König, 
als deſſen Unterthanen, welche in dem beſtimmten Termin 
nicht hatten nach Rom ziehen können, dennoch an den durch 
jenes Jubeljahr eröffneten heiligen Spenden Theil nehmen 
könnten. Bonifaz ernannte beide Geſandten, den Doctor 1391 
Ubaldin alſogleich, den Bruder Nicolaus etwas ſpäter, zu 
65) S. die Acten bei Raynaldi, 1390, §. 3 — 5. 8 


1391 


1393 


58 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


Biſchöfen,“« ſandte den erſteren als feinen eigenen Nun— 
tius und Collector für die päpſtliche Kammer nach Prag 
zurück, befahl ihm die gedachten Kirchenſubſidien einzutrei— 
ben und dem Könige, jedoch erſt bei wirklichem Antritt der 
Römerfahrt, zu übergeben, und gewährte auch die Bitte 
hinſichtlich des in Prag abzuhaltenden Jubeljahres. 

Nun verſchob Wenzel ſeine ſchon oft angekündigte 
Römerfahrt wieder bis nach dem Prager Jubeljahre; die— 
ſes nahm aber erſt am 16 März 1393 ſeinen Anfang. 
Der König und deſſen junge Gemahlin waren unter den 
Erſten, welche ſich den vorgeſchriebenen Wallfahrten und 
Bußübungen, nicht ohne Dispens, unterzogen. Das Volk 
ward angewieſen, in die St. Peterskirche auf dem Wyse— 
hrad zur Beichte zu gehen, von dort 7 bis 15 Tage lang 
in Proceſſionen die Fronleichnamskirche auf der Neuſtadt, 
die Kathedralkirche auf dem Hradſchin und das Kloſter 
Brewnow zu beſuchen,“ und einen Theil derjenigen Koften, 
welche die perſönliche Wallfahrt nach Rom ihnen verurfacht 
hätte, nach der billigen Schätzung der Beichtväter, für die 
apoſtoliſche Kammer zu entrichten. Der Zudrang der Gläu— 
bigen wurde außerordentlich ſtark, obgleich ein zwiſchen dem 
Könige und dem Prager Erzbiſchof neuerdings ausgebro— 
chener heftiger Streit die ganze Feier gleich Anfangs zu 
zerſtören drohte. 

Wir haben bereits oben bemerkt, wie eiferſüchtig der 
Erzbiſchof über ſeine kirchliche Immunität wachte, und wie 
66) Bruder Nicolaus wurde Biſchof von Lavant, konnte aber zum 

Beſitze ſeines Bisthums eben ſo wenig gelangen, wie Hanko 
Brunonis, der Oberſtkanzler, Biſchof von Kamin. 
In den böhmichen Annalen (Letopisowé, in Scriptt. rer. Boh. 
UI, 5) werden zwar noch andere Kirchen, die da beſucht wer— 
den ſollten, angegeben: wir folgen aber in der obigen Angabe 
einem noch ungedruckten gleichzeitigen Actenſtücke, mit welchem 
auch die Acta in curia Romana (artic. 31: »per omnes qua- 
tuor ecclesias«) übereinſtimmen. 


67 


— 


Das Prager Jubeljahr. Wenzels Bruch m. d. Erzbiſchof. 59 


wenig Umſtände dagegen der König und deſſen nächſte 1393 
Umgebung gerade mit den Geiſtlichen zu machen gewohnt 
war. An Anlaß zu Reibungen konnte es unter ſolchen 
Verhältniſſen niemals fehlen; die meiſten entſtanden aus 
wahren oder vermeinten Eingriffen in die gegenſeitige Juris— 
diction.““ Als der königliche Landesunterkämmerer, Sig— 
mund Huler, mehrere Prager Studenten wegen unbekann— 
ter Exceſſe hatte verhaften und zwei davon, mit Wiſſen 
des Königs, hinrichten laſſen, forderte der Erzbiſchof ihn 
deshalb, und zugleich wegen einiger nicht orthodoxen Auße— 
rungen, vor ſein Gericht; und als derſelbe zur Antwort 
gab, daß er allerdings, jedoch nur in Begleitung von 200 
Lanzen, erſcheinen werde: ſo ließ er über dieſen Günſtling 
den Kirchenbann in Prag verkünden, ohne den König vor— 
her davon in Kenntniß zu ſetzen. Wenn dies fihon ges 
eignet war, den jähzornigen Wenzel zu entflammen, ſo 
trat gleich darauf ein noch wichtigeres Ereigniß ein, wel— 
ches ihn noch ungleich mehr aufreizte. 

K. Wenzel zählte an ſeinem Hofe nicht weniger als 
einen Titular-Patriarchen und drei Titularbiſchöfe, die Alle 
ſich ſeiner Gunſt erfreuten; um wenigſtens Einem von 
ihnen einen Kirchenſprengel zu verſchaffen, beabſichtigte er 
im ſüdweſtlichen Theile Böhmens ein neues Bisthum für 
ihn zu gründen, und wartete dazu nur den Tod des alten 
Kladrauer Abtes Racek ab, wo er dann an die Stelle der 
dortigen Benedictinerabtei eine Kathedrale hinſetzen wollte. 
Kaum war jedoch Racek geſtorben, ſo wurde von den Mön— 
chen die Wahl eines neuen Abtes, und von dem Vicar des 
68) Die Acta in curia Romana (abgedruckt in Pelzels Urk. Buch. 

S. 145 — 164) zählen ſie auf, und dienen auch unſerer Er— 

zählung als Quelle. Nur ſind ſie eine Parteiſchrift, die alle 

für den Gegner redenden Umſtände und Gründe verſchweigt, 
wie z. B. bei Artic. 9 und 10, daß der Verkauf von Land: 


gütern an den Clerus in Böhmen von jeher (auch unter Karl IV) 
geſetzlich verboten war. 


60 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1393 Erzbiſchofs deſſen Beſtätigung, ſo beſchleunigt, daß der 
10 März König mit der Nachricht vom Tode des alten Abtes zu— 
gleich auch die von der bereits erfolgten Einſetzung des neuen 
bekam. Dieſer gegen ſeine ausdrücklichen Befehle durch— 
geführte Streich ſetzte ihn vollends in Wuth. Er ſandte 
wiederholte Boten an den Erzbiſchof und deſſen Räthe, 
welche aus Furcht vor ihm in vorhinein nach Raudnitz 
ſich geflüchtet hatten, und rief ſie nach Prag. Als zuletzt 
auch der Biſchof von Lavant, des Königs Beichtvater, und 
der Hofmarſchall Eich von Zaſada zu dem Erzbiſchof kamen 
und ihn verſicherten, daß er und die Seinigen nicht allein 
ſicher nach Prag kommen könnten, ſondern auch müßten, 
wenn überhaupt je eine Ausſöhnung zwiſchen ihnen und 
dem Könige Statt haben ſolle: ſo ging er endlich (am 
18 März 18 März) in die Stadt, ungeachtet ein eben ſo ungnä— 
diges als lakoniſches Handbillet des Königs“ ihn nichts 
Gutes ahnen ließ. 
Da die Räthe des Königs ſelbſt eine Kataſtrophe zu 
verhüten ſuchten, ſo wurde die von ihnen in Ausſicht ge— 
19 März ſtellte Ausſöhnungs- und Friedensverhandlung am 19 März 
thätig begonnen, und ſchon am folgenden Tage durch einen 
beiderſeits genehmigten Vertrag geſchloſſen, dem nur noch 


69) Es lautete: »Tu archiepiscope! mihi castrum Rudnic et alia 
castra mea restituas, et recedas mihi de terra mea Boemiae; 
et si aliquid contra me attentabis vel meos, volo te submer- 
gere, litesque sedare. Pragam veni!« Mit Unrecht ſchloßen Pel— 
zel und Andere, daß der Erzbiſchof damals mehrere Krongüter 
zu Pfande beſeſſen haben müſſe. Raudnitz und andere Schlöſ— 
ſer beſaßen ja die Prager Biſchöfe als unbeſtrittenes Eigenthum 
ſeit Jahrhunderten. Der König ſprach aber in obigen Zeilen 
nur als oberſter Lehensherr einem Vaſallen gegenüber, mit 
Rückſicht auf den althergebrachten Grundſatz in Böhmen, daß 
alles unbewegliche Eigenthum der Kirche und der Städte des 
Landes, im weiteſten Sinne des Workes, ein königliches Kam— 
mergut ſei. 


Wenzels Bruch mit dem Erzbifchof. 61 


die Sanction des Königs fehlte. Um auch dieſe zu er- 1393 
langen, und die Ausſöhnung vollſtändig zu machen, begab 
ſich der Erzbiſchof mit feinem ganzen Gefolge zu dem Kö- 20 März 
nige, der in noch zahlreicherer Umgebung ſich eben in der 
Nähe der heutigen Malteſerkirche in Prag befand. Bei 
Anblick der geiſtlichen Herren übermannte aber den Letz— 
teren ein ſo heftiger Zorn, daß er unter Flüchen und 
Scheltworten den Vertrag zerriß, den Anſtiftern der oben 
berührten Handlungen des Erzbiſchofs mit furchtbarer Züch— 
tigung drohte, und deſſen Official Nicolaus Puchnik, den 
Generalvicar Doctor Johann von Pomuk, den Meißner 
Propſt Wenzel, ja den Erzbiſchof ſelbſt auf der Stelle zu 
verhaften und in die Burg zum Domcapitel zu führen be— 
fahl, um daſelbſt eine ſcharfe Unterſuchung mit ihnen vor— 
zunehmen. Als der geängſtigte Erzbiſchof, um ihn zu be— 
ſänftigen, vor ihm auf die Kniee fiel, erwiederte er dies 
mit einer gleichen Kniebeugung und mit hohnlachender Nach— 
ahmung ſeiner Gebärden. Die geiſtlichen Räthe wurden 
daher gefangen genommen, und unter ſtarker Bedeckung 
auf den Hradſchin hinauf geführt; den Erzbiſchof ſchützten 
vor einer gleichen Behandlung nicht ſowohl ſeine Würde, 
als vielmehr ſeine zahlreich anweſenden Waffenträger. 
Unter ihren Schilden zog er ſich in ſeine nahegelegene Re— 
ſidenz zurück, und floh, nach kurzem Verweilen, aus der 
Stadt hinaus, obgleich auf Wenzels Befehl bereits alle 
Thore und Wege geſperrt worden waren. 

Das bei dem Prager Domcapitel vorgenommene Ver— 
hör ſteigerte noch Wenzels Wuth. Er ſchlug dem bejahr— 
ten Domdechant, Doctor Bohuslaw von Krnow, mit ſei— 
nem Degenknopfe blutige Wunden in den Kopf, ließ ihn 
dann binden und in das Prager burggräfliche Gefängniß 
ſetzen; von den anderen ließ er Puchnik, Pomuk, den Propſt 
Wenzel und den Hofmeiſter des Erzbiſchofs, Nepr von Rau: 
pow, auf das Altſtädter Rathhaus führen, um die noch 


62 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1393 immer erfolgloſe Inquiſition in der dortigen Folterkammer 
endlich wirkſamer zu machen. Gegen Abend kam er ſelbſt 
dahin. Da der Propſt und der Hofmeiſter unter Eid und 
Siegel alles leiſteten, was der König nur haben wollte, 
ſo ließ er ſie frei ausgehen. Auch Puchnik, kaum auf die 
Folter geſpannt, bat und gelobte alles, ſogar ewiges Still— 
ſchweigen über die mit ihm beobachtete Procedur; auch er 
fand daher Gnade, und wurde wieder entlaſſen. Nur der, 
durch Zuſammenfluß mehrer Umſtände in den Augen des 
Königs beſonders gravirte Generalvicar, Johann von Pomuk, 
beſtand alle Qualen der Folter, bei welcher Wenzel ſelbſt 
das Henkeramt mitverrichtet haben ſoll, ohne ſeinen Rache— 
durſt ſättigen zu können. Am Ende ließ er den bereits 
halbtodten Prieſter binden, auf die Prager Brücke führen, 
und von dort in die Moldau hinabſtürzen. Dies geſchah 
Donnerſtags am 20 März, um 9 Uhr Abends.“ 

Der Erzbiſchof hatte ſich inzwiſchen mit Mühe und 
Gefahr in ſeine feſte Burg Geiersberg an der ſächſiſchen 


70) Der Widerſpruch in den Quellen, welche bald den 20, bald 
den 21 März angeben, iſt ſchon bei Pubicka (Chronolog. 
Geſch. VII, 130) dadurch richtig erklärt, daß im damaligen 
Böhmen die alte Sitte, den Tagesanfang vom Sonnenunter— 
gange an zu zählen, noch nicht allgemein aufgegeben worden 
war. — über die Identität oder Nicht-Identität jenes Ge— 
neralvicars Johann von Pomuk oder Nepomuk, mit dem gleich— 
namigen von Benedict XIII am 19 März 1729 canoniſirten 
Heiligen, iſt ſeit dem XVII Jahrhunderte vielfach und nicht 
ohne Leidenſchaft geſtritten worden; Berufene und Unberufene 
haben ihre Stimmen für und wider erhoben. Ein allen Zweifel 
ausſchließender Beweis läßt ſich, unſeres Dafürhaltens, in 
dieſer Sache nicht mehr führen. Doch wird die vermittelnde 
Anſicht, welche zuerſt Aſſemann, Wokaun und P. Athanas auf— 
ſtellten, ſpäter aber der kritiſche Meiſter Gelaſius Dobner in 
feinen Vindiciae sigillo confessionis divi Joannis Nepomuceni 
protomartyris poenitentiae assertae (Pragae 1784, 8) vortrug, 
vor dem Forum der hiſtoriſchen Kritik wohl immer das meifte 


Mißhandlung einiger Chriſtlichen. 63 


Gränze geflüchtet. Als der König feinen dortigen Auf— 1393 
enthalt erfuhr, und bei abgekühltem Blute auch wieder zur 
Beſinnung gekommen war, gab er ſich der Reue über das 
Geſchehene mit gleicher Heftigkeit hin. Er rief Herrn 
Hyncik Pluh von Rabſtein und zwei Domherren zu ſich, 
und ſprach zu ihnen: »Gehet hin zum Erzbiſchof, und ſaget 
ihm, er ſolle unbeſorgt zu mir zurückkehren; denn ich be— 
reue ſehr, was ich gethan, und will ihm dafür, nach dem 
Ermeſſen ſeines eigenen Capitels, die gehörige Genug— 
thuung leiſten. Ja, abbitten will ich ihn, und wenn ihr 
wollt, ſelbſt auf die Kniee vor ihm niederfallen: aber ab— 
ſolviren ſoll und muß er mich, ſonſt gerathe ich in Ver— 
zweiflung, und werde dann noch ärger haufen, als zuvor.« 
Als die Geſandten dies dem Erzbiſchof vortrugen, äußerte. 
dieſer ſich zwar zufrieden darüber, daß ſein Capitel den 
Austrag zwiſchen ihm und dem Könige thun ſollte, wollte 
aber von einer Reiſe nach Prag nichts hören, und ſtellte 
der Verſöhnung ſeinerſeits die Vorbedingung auf, daß der 
königliche Unterkämmerer, der in den Verdacht der Ketzerei 
gefallen, ſich vor ſein geiſtliches Gericht ſtelle, der neue 
Abt von Kladrau in ſeiner Abtei nicht beunruhiget werde, 
die Strafe des Kirchenbannes allenthalben ungehinderte 
Vollziehung finde, und der König ihn, den Erzbiſchof, für 
alle ſeit vierzehn Jahren durch ihn erlittenen Verluſte ſchad— 
los halte. Bei Anhörung ſo hochgeſpannter Forderungen 
lächelten die Geſandten, und traten unverrichteter Dinge 
die Rückreiſe an. Da ſandte er ihnen das Anerbieten nach, 
daß er nach Prag kommen wolle, wenn drei von ihm na— 
mentlich bezeichnete Barone des Reichs ſich für ſeine Sicher— 


Anſehen behaupten. Obgleich Dobner in dieſer Schrift einige 
Blößen gab, ſo iſt ſein Satz in der Hauptſache doch gar nicht 
ſo ungegründet oder unwahrſcheinlich, als es Dobrowsky in 
ſ. Literariſchen Magazin von Böhmen und Mähren III, 101 
— 126 (Prag 1787) behauptete. 


64 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1393 heit bei der Hin- und Herreiſe verbürgen. Der König befahl 
nun drei anderen Baronen die geforderte Bürgſchaft zu leiſten, 

29 März und ſo kehrte der Erzbiſchof am 29 März nach Prag zurück. 
Bei der eigenthümlichen Denkweiſe Johanns von Jen— 

ſtein konnten jedoch auch die neuen Friedensverhandlungen 

zu keinem erfreulichen Ende führen. Er, dem jede per— 
ſönliche Ambition ſo ferne lag, ſah es gleichwohl für eine 
Sünde an, wenn er hinſichtlich ſeiner Kirchengewalt auch 

nur ein Haar breit nachgäbe; und da er ſeine Anſprüche 
offen durchzuſetzen unvermögend war, ſo verwickelte er ſich, 

um des Friedens willen, ſogar in Zweideutigkeiten und Heu— 
chelei.“ Am Ende gab fein eigenes Capitel ihm Unrecht, 

als es ihn ſo viele Ausflüchte gebrauchen ſah, und ſtellte 

ſich auf des Königs Seite, und die Unterhandlungen zer— 
ſchlugen ſich an der Forderung, daß der Erzbiſchof nicht 
nur zur Errichtung des Bisthums in Kladrau ſeine Zu— 
ſtimmung geben, ſondern auch bei dem Papſte ſeine Für— 
ſprache zu dieſem Zwecke einlegen ſollte. In dieſer Hin— 
ſicht erwies ſich Johann von Jenſtein minder edel, als einſt 

fein Vorgänger Biſchof Andreas;? um ſich allen Zu— 

23 April muthungen dieſer Art zu entziehen, floh er am 23 April 


71) Belege dazu gibt ſeine eigene Erzählung in Menge, z. B. 
Art. 30: quod autem dimittere dixi, certe quia aliter tunc 
fieri non poterat, non tamen ut dimittere in futurum vellem, 
intendebam. Als ihn Sigmund Huler auf Befehl des königl. 
Rathes um Verzeihung bat, antwortete er: »parco, quidquid 
mihi fecisti,« hoc reticens: nam quidquid contra deum exces- 
sisti, quando tempus faciendi advenerit, in te nullatenus im- 
punita dimittam. — Nolui esse culpabilis, nec etiam contradixi, 
quod non facerent, sed dissimulate transivi. — Art. 34: hoc 
factum canonici, sicut sine me tractaverunt, sic et sine me con- 
summare possunt. — Art. 36: pro tunc dixi, haec velle facere; 
ipsi aliqualiter contenti abscesserunt; cumque ibi essem, tan- 
dem commissionem, quam eis feceram, revocavi etc. 


72) S. Band II, Abtheilung J. Seite 79 zum J. 1216. 


Des Erzbiſchofs Klage. 65 


in Begleitung des neuen Kladrauer Abtes nach Rom zu 
Bonifaz IX, und klagte mündlich und ſchriftlich über die 
erlittenen Unbilden.“ Indeſſen befahl K. Wenzel, die 
Güter des Kladrauer Stiftes vorläufig unter weltliche Ad— 
miniſtration zu ſetzen. 

Doch auch bei Bonifaz IX fand Johann von Jenſtein 
nicht die gehoffte Hilfe und Genugthuung. Wenzel fandte 
nicht allein ſeine Boten nach Rom, die ſein Benehmen 
gegen den Erzbiſchof zu entſchuldigen ſuchten, ſondern er 
erwies dem römiſchen Hofe zu gleicher Zeit auch ſo we— 
ſentliche Gefälligkeiten, daß der Papſt ihm unmöglich zür— 
nen konnte. Der päpſtliche Collector in Böhmen, Biſchof 
Übaldin, hatte nämlich, zumeiſt aus den Indulgenzen des 
Prager Jubeljahres, zwar große Summen geſammelt, aber 
damit auch bereits zu eigenem Vortheil zu ſpeculiren an— 
gefangen, und ſie auf die Seite zu ſchaffen geſucht. Als 
K. Wenzel dies vernahm, ließ er auf die ganze Baarſchaft 
Beſchlag legen, benachrichtigte den Papſt alſogleich davon, 
und ſorgte dafür, daß die Gelder ohne weitere Veruntreuung 
an ihre Beſtimmung gelangten.“ Überdies dürfte auch 
Bonifaz IX das Benehmen des Erzbiſchofs nicht in Allem 
gebilligt haben. Dieſer kehrte daher im Herbſte 1393 in 
der Stille nach Böhmen mit der Überzeugung zurück, daß 
ſeine perſönliche Stellung dem Könige gegenüber unhalt— 
bar geworden war. 

73) Die ſchriftliche Klage bilden eben jene oben berührten Acta in 
curia Romana (vgl. Anmerk. 68, S. 59.) 

Dies lernen wir aus einem Briefe K. Wenzels, der ſich in 
einem gleichzeitigen Formelbuche (Bibl. Metrop. MS. H. 3, 
fol. 56 sq.) erhalten hat. Darnach iſt die Stelle in dem unge— 
druckten Chronicon Universitatis Pragensis (in der Wiener k. k. 
Hofbibliothek MS. Theol. 99. ad ann. 1392) — »Quapropter 
justo dei judicio majorem partem (pecuniae) rex Wenceslaus 


pro sua camera reservavit« — zu verſtehen und zu berichtigen. 


74 


— 


Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 


1393 


1393 


Zweites Capitel. 
König Wenzels IV zweite Regierungsperiode. 


Der König und ſeine Regierung. Bildung des böhmiſchen 
Herrenbundes. Wenzels erſte Gefangennehmung und Be— 
freiung. Herzog Johann von Görlitz. Neue Schwierig— 
keiten und Unruhen. K. Sigmund von Ungarn als Ver⸗ 
mittler. Erneuerte Gährung. Der Mord der Günſtlinge 
in Karlſtein. Umtriebe der rheiniſchen Kurfürſten. Der 
Herzog von Mailand. Karl VI von Frankreich und die 
beiden Päpſte; der Tag zu Rheims. Neue Unruhen in 
Böhmen; Markgraf Prokop von Mähren. K. Wenzels Ab— 
ſetzung in Deutſchland und Wahl Ruprechts von der Pfalz. 
Krieg mit Ruprecht und dem Herrenbunde. Ruprecht in 
Italien. Sigmund Reichsverweſer in Böhmen. Zweite 
Gefangenſchaft K. Wenzels und Kriege in Böhmen. Wenzel 
in Wien. Sigmunds Bruch mit Bonifaz IX. Wenzels Flucht. 


(Jahr 1393 — 1403.) 


Die Reihe der von uns im erſten Capitel dieſes Buchs 
geſchilderten Ereigniſſe hat uns belehrt, daß es K. Wenzel 
je länger je ſchwieriger wurde, ſeine Macht und ſein könig— 
liches Anſehen in den Überhand nehmenden Wirrniſſen feiner 
Zeit zu erhalten; ſeine zweite Regierungsperiode ſtellt ihn 
uns dar, wie er das bis dahin mit Muͤhe behauptete 
Gleichgewicht verlor, und am Ende zur Nullität eines Un— 
mündigen herabſank. 

Man hat, um ſein Mißgeſchick zu erklären, von jeher 
auch falſche Beſchuldigungen gegen ihn erhoben, und ihn 


Wenzels Charakter und Regierung. 67 


z. B. als einen Wütherich geſchildert, der ſich in des 1393 
Scharfrichters Geſellſchaft gefallen, und ſeine Unterthanen 
ohne Urtheil, ja ohne Veranlaſſung, je nach zufälliger Laune, 
habe peinigen oder hinrichten laſſen. Alte und neue Schrift— 
fteller ? haben ihren Leſern Scenen vorgeführt, welche an 
die Barbarei afrikaniſcher Deſpoten erinnern, wie z. B. 
der blutige Landtag bei Wilemow, der glücklicherweiſe nur 
ein aus der Luft gegriffenes Mährchen ift.”% Die Ge— 


75) Schon Edmund Dinter hat in feinen in das Magnum chro- 
nicon Belgicum (bei Piſtorius-Struve, III, 355 — 6) aufge— 
nommenen Nachrichten falſche Züge von ihm mitgetheilt; nicht 
in dem, was er ſelbſt ſah und erlebte, ſondern was er aus— 
drücklich nur nach bloßem Hörenſagen (»dicitur de eo«) berich— 
tete. Bei M. Paul Zidek (MS. vom Jahr 1471) wer: 
den erweislich falſche Beſchuldigungen, jedoch minder wichtiger 
Art, in Menge gegen Wenzel erhoben. Der überhaupt gewiſſen— 
loſe Hajek (1541) hat ſich aber gegen Niemanden ſchänd— 
licher benommen, als eben gegen dieſen König; man kann als 
untrügliche Regel annehmen, daß Alles in Wenzels Geſchichte, 
was keinen ältern Gewährsmann für ſich hat, als Hajek, rein 
erdichtet und erlogen iſt. Und nun — ſollte man es glau— 
ben, daß Pelzel, durch die Aufnahme des Mährchens vom 
Wilemower Landtag aus einer kothigen Quelle des J. 1619 in 
ſein Werk, Hajeks Unrecht, aus bloßem Mangel an Kritik, 
noch überbieten würde? 

76) Daß dieſer Landtag — auf welchem K. Wenzel (nach Pelzel 
im J. 1389) die verſetzten böhmiſchen Krongüter von den Ba— 
ronen zurückgefordert, die ſich deſſen Weigernden in ein eige— 
nes rothes Zelt gewieſen und ſie dort hinrichten laſſen haben 
ſoll — eine aus Verwechslung mit einem ähnlichen, jedoch 
auch nicht ganz verbürgten Auftritte zwiſchen Sigmund und 
den Ungarn entſtandene Fabel ſei, haben wir in einer 
umſtändlichen kritiſchen Abhandlung (im Casopis èeskeho Mu- 
seum, 1842, S. 345 362) hoffentlich genügend nachgewieſen. 
Die Annahme, auf welche ſich dieſe ganze Erzählung ſtützt, daß 
alle böhmiſchen Krongüter ſchon unter Karl IV (h) und dann 
auch unter Wenzel IV, an die Barone verpfändet geweſen ſein 


ſollen, iſt rein abſurd. Einen Herrn „Weitminar“, der bei dem 
A * 
0 


68 


VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1393 ſchichte bewährt es aber, daß Wenzel von Natur gutmüthig, 
nur ſelten, wenn gereizt, im Jähzorn und in der Trunken— 
heit, grauſam wurde, ſeine Grauſamkeit bei wiederkehren— 
der Beſinnung immer wieder bereuete, und niemals einen 
vorbedachten Juſtizmord ſich zu Schulden kommen ließ. 


Sollte die je länger je offener zu Tag tretende Un— 


fähigkeit und Charakterloſigkeit Wenzels nicht genügend 
ſein, alle Unfälle ſeiner Regierung, einer ſtürmiſch auf— 
geregten böſen Zeit gegenüber, zu erklären? Sein ſtarker 
Körperbau, ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe und ſelbſt ſein 
Witz,“ konnten feine Schwäche nur dem gemeinen Blicke 


77) 


Wilemower Landtage die Hauptrolle fpielt, hat es unter Wenzel 
noch nicht gegeben, ſondern erweislich erſt unter Georg und 
Wladislaw II u. ſ. w. — Wer übrigens ſich mit Studien des 
böhmiſchen Onomaſtikons und der hiſtoriſchen Topographie 
abgegeben, der braucht auch nur die Namen »Hrozek von Cban⸗ 
und »Jiros von Hradist« zu hören, um ſogleich zu erkennen, 
daß er auch da eine falſche Waare vor ſich hat, und daß 
ſomit die Hinrichtung der Herren dieſes Namens im J. 1391 
eine Hajek'ſche Erfindung iſt. Das böhmiſche Alterthum kannte 
wohl Perſonen wie Jira, Jirkik, Jirka, Jirſa, Sireta, Jiraus, 
aber keinen Jiro s. Einen Ort Namens »Cbans hat es auch 
nicht im Lande gegeben, vielweniger ein Herrend) geſchlecht, 
das ihn geführt hätte. Aus ſehr umfaſſenden und detaillirten 
Forſchungen find uns Tauſende von damaligen Perſonen-, Orts: 
und Familiennamen bekannt; die obigen möchte man jedoch 
vergebens darunter ſuchen. Entſcheidend iſt aber für unſere 
Behauptung, daß wir eine zu Anfang des J. 1397 verfaßte 
Klageſchrift (Forma curialis II) mit Aufzählung ſämmtlicher 
Gewaltthaten K. Wenzels beſitzen (wir werden darauf zurück— 
kommen), und daß darin von ſolchen Hinrichtungen böhmiſcher 
Edlen und Bürger auch nicht Ein Wort zu leſen iſt, während 
doch wirkliche Facta, z. B. die Scenen vom 20 März 1393, 
gehörig hervorgehoben werden. 

»Robustus venator« nennt ihn ſchon Petrarca. »Erat bene lite- 
ratus, congrue loquens latine,« fagt Edmund Dinter, und er: 
zählt, unter andern Anekdoten von ihm, wie er einft, als er 


Wenzels Charakter und Regierung. 69 


verdecken. Allen politiſchen Ideen fremd, ohne Gefühl für 1393 
königliche Ehre, von Natur träge, und doch reizbar, ohne 
Muth und Thatkraft, aber nicht ohne Eigenſinn, ein ver— 
wöhntes Kind ſein Leben lang, — ließ er dennoch nicht 
die Anſprüche fahren, ſelbſt zu herrſchen und, gleich ſeinem 
Vater, perjönlich zu regieren. Hätte er doch nur auch, 
gleich ihm, vor allem ſich ſelbſt zu beherrſchen gelernt! 
Während aber Karl IV, in richtiger Würdigung der Ver— 
hältniſſe, die vornehmſten Stände ſeiner Zeit, Geiſtlichkeit 
und Adel, zu ſich und in ſein Intereſſe zog, mehr um ſich 
ihrer zu bedienen als ſich von ihnen beſtimmen zu laſſen, 
ſtieß im Gegentheile Wenzel ſie beide von ſich weg, miß— 
handelte die Einen, verletzte die Anderen durch offenkun— 
dige Zurückſetzung; während Jener, bei aller perſönlichen 
Energie, dennoch die äußerſte Schonung für alle alt her— 
gebrachten Rechte und Formen der Verfaſſung beurkundete, 
ſchien Dieſer zu glauben, ſeine guten Abſichten genügten 
ſchon, alle Welt zufrieden zu ſtellen, wenn ſie auch noch 
ſo eigenmächtig und ſummariſch durchgeführt wurden. An 
die Stelle der einſt zwiſchen Karl IV und feinem Bruder 
Johann von Mähren herrſchenden Einigkeit trat jetzt die 
Zwietracht und Selbſtſucht ihrer Söhne, die, um ſich gegen— 
ſeitig einige Vortheile abzudringen, ſich oft nicht ſcheuten, 
ſogar mit den Feinden ihres Hauſes in Verbindung zu 
treten. 

Um bei aller Schwäche des Charakters dennoch ſelbſt 
zu regieren, umgab Wenzel ſich mit Hofleuten und Günſt— 
lingen meiſt aus dem niederen Adel und dem Bürgerſtande, 
wie wir bereits erzählt haben. Dieſe, ganz und gar Ge— 
ſchöpfe und Werkzeuge ſeines Willens, bildeten in ihrer 
Geſammtheit ſich bald gleichſam zu einer außerordentlichen 

auf einer Wand die Worte »Wenceslaus alter Nero“ geſchrie— 


ben fand, ſogleich die Kreide nahm, und den Reim darunter 


ſetzte: »Si non fui, adhuc ero.« 


70 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1393 Regierung aus, welche die ordentliche an Nachdruck über— 
traf, ſie aber auch nicht ſelten durch Eingriffe hemmte, und 
dieſe höchſtens nur durch ihre gute Abſicht entſchuldigen 
konnte. Das Mißvergnügen des höheren böhmiſchen Adels 
über dieſes der hergebrachten Sitte und Verfaſſung wider— 
ſprechende Verfahren konnte aber nicht lange ausbleiben; 
es hätte noch früher in ſtürmiſchem Ausbruch ſich Luft ge— 
macht, wenn der König nicht das ſeltene Glück oder Ge— 
ſchick gehabt hätte, dieſe Kabinetsregierung, oder wie man 
ſie nennen mag, faſt durchaus mit Männern von ungemei— 
ner Tüchtigkeit zu beſtellen. Es iſt uns nicht bekannt, daß 
irgend Einer von ihnen die königliche Gnade und Macht 
zu perſönlichen Zwecken mißbraucht hätte;'s auch haben 
Zeitgenoſſen ihnen, unſeres Wiſſens, nichts als ihre Ab— 
kunft zum Vorwurfe gemacht. 

Des Königs leidenſchaftliches und grauſames Verfah— 
ren mit den Häuptern des böhmiſchen Clerus im J. 1393 
hat auf das Volk in Böhmen einen tiefen und nachhal— 
tigen Eindruck gemacht; denn diejenigen, welche am meiſten 
gelitten, hatten gerade durch Frömmigkeit und Wohlthätig— 
keit ſich ausgezeichnet. Die Häupter des böhmiſchen Adels 
beeilten ſich, dieſen Eindruck zu benützen, um die ihnen 
mehr als dem Volke verhaßte Kabinetsregierung zu ſtürzen. 
An der Spitze dieſer Mißvergnügten ſtand der fürſten— 
mäßige Herr Heinrich von Roſenberg, der ſich durch 
eine für ſeine Zeit und ſeinen Stand ungewöhnliche lite— 
rariſche Bildung nicht minder auszeichnete, als durch ſein 
Vermögen, die Menge ſeiner ritterlichen Vaſallen und die 
Größe ſeiner Beſitzungen. An ihn ſchloſſen ſich an: Hein— 
rich der ältere von Neuhaus, auf Neuhaus und Teltſch, 
der Chef dieſes mächtigen Hauſes; Brenef Swihowſty von 
Rieſenberg auf Skala; der geweſene Oberſtburggraf Otto 
78) Sigmund Hulers im J. 1405 beftraftes Vergehen bildet die 

einzige Ausnahme. (S. unten.) 


Bildung des böhmiſchen Herrenbundes. 71 


von Bergow auf Bilin, jetzt ein erbitterter Feind des Kö— 
nigs; Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein; Wilhelm 
von Landſtein auf Lipnic; Johann Michalec von Michalo— 
wic; Bores der jüngere von Rieſenburg auf Petſchau, und 
Bocek von Kunſtat auf Podebrad. Sie beriethen ſich unters 
einander und kamen in der Anſicht überein, daß ſie die 
vorzüglichſten Mitglieder des königlichen Hauſes in ihr In— 
tereſſe ziehen, und mit ihnen vereint erſt friedliche Mittel 
und Wege verſuchen müßten. 


Markgraf Joſt ſäumte keinen Augenblick, in eine 
Verbindung zu treten, welche eine Ausſicht bot, ſeine Macht 
und ſeinen Einfluß noch zu vermehren. Auch König Sig— 
mund kam aus Ungarn herbei, und gab dem ſich bildenden 
Herrenverein durch ſein Anſehen ein verſtärktes Ge— 
wicht. Das Schutz- und Trutz-Bündniß, welches am 
18 Dec. 1393 zu Znaim K. Sigmund, Markgraf Joſt, 
Herzog Albrecht von Sſterreich und Markgraf Wilhelm 
von Meißen untereinander »wider allermänniglich, us— 
genommen dem heil. Romiſchen Riche« ſchloſſen, hat man 
mit Recht als eine Einleitung in die folgenden Ereigniſſe 
angeſehen; daß es, ungeachtet jener Clauſel, zunächſt gegen 
K. Wenzel gerichtet war, haben nicht allein die Folgen 
beſtätigt, ſondern auch die Theilnehmer ſelbſt eingeſtan— 
den.“? Nur Herzog Johann von Görlitz ließ von feinem 
Bruder ſich nicht abwendig machen; und auch Markgraf 
Prokop von Mähren hielt es ſchon aus dem Grunde mit 
K. Wenzel, weil er mit ſeinem Bruder Joſt bereits in 
Zwietracht, ja in blutigen Streit verwickelt war. 


Von Znaim begab ſich K. Sigmund mit glänzendem 
Hofſtaat, einer Einladung des Bruders folgend, nach Prag, 


79) Die Urkunde vom 18 Dec. 1393 iſt bei Pelzel abgedruckt. 
Man vergleiche damit Herzog Albrechts Verantwortung bei 
Kurz J. c. II. S. 294. 


1393 


1394 


12 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1394 und verweilte da bis zum Februar 1394.8 Der Inhalt der 
daſelbſt gepflogenen Verhandlungen läßt ſich, nach einigen An— 
deutungen und dem Erfolge, größtentheils errathen. Wäh— 
rend man ſich gegen das Volk den Anſchein gab, als gelte 
es bloß dem Römerzuge und der damit verbundenen Wieder— 
herſtellung der Kirchen-Einheit, — einem Thema, das Jeder— 
mann mit frommer Salbung im Munde führte, ohne ge— 
rade im Ernſte daran zu denken, — verfolgte man bald 
mehr, bald minder offen, viel näher liegende Zwecke. Man 
verlangte eine Reform des Hofes und der Regierung; 
Wenzel ſollte ſich in Rom die Kaiſerkrone holen, und ſich 
fortan den deutſchen Reichsgeſchäften vorzugsweiſe widmen; 
die Emporkömmlinge ſollten aus ſeinem Rathe entfernt und 


80) Den bisher unbekannten Aufenthalt K. Sigmunds in Prag 
im Januar und Februar 1394 bezeugen zwei noch unedirte 
Urkunden: erſtens ein Schreiben K. Wenzels an den König 
von Frankreich im Dec. 1393, wo es heißt: quod hucusque 
Dilectioni Vestrae in facto sanctae matris ecclesiae nihil certi 
nuntiare valuimus, fecit hoc magnitudo praepediens regalium 
agendorum, et non minus quotidie praestolatus adventus 
sermi principis D. Sigismundi Ungariae etc. regis, fratris no- 
stri carissimi, quem infra octavas epiphaniae proximas venturum 
Pragam indubie exspectamus; propter cujus exspectationem 
consiliariis nostris carere commode non possumus ete. Zweitens 
ein Mandat des königl. Unterkämmerers Sigmund Huler an 
die böhm. Städte, Weinvorräthe nach Prag zu fchaffen (dd. 
7 Febr. 1394): D. Wenceslaus rex — videns magnas expen- 
sas per dilectum fratrem suum Sigismundum, regem Ungariae, 
in civitate Pragensi factas et faciendas, timens defectum vino- 
rum in civitate praedicta in tempore brevi habere, voce prae- 
conia publice jussit proclamari, quatenus vina Franconica, Au- 
stralica, terrestria et alia quaecumque vina ad civitatem prae- 
dictam ducere absque impedimento quolibet possint et debeant 
etc. Dem zu Folge find die Daten in Eberhard Windeks Le 
ben Kaiſer Sigmunds (bei Menke I, 1079), nämlich das Jahr 
1393 der erfolgten Einladung und 2 Febr. 1394 der getroffe— 
nen „Verrichtung“ zwiſchen den Brüdern, wohl ganz richtig. 


Bildung des böhmischen Herrenbundes. 73 


durch Männer von Geburt und Anſehen erſetzt werden; 
Markgraf Joſt war bereit, an die Spitze einer in Böhmen 
neu zu organiſirenden Verwaltung zu treten, und den König 
ſeiner meiſten Regierungsſorgen zu überheben. Dieſer aber 
lehnte alle Zumuthungen dieſer Art ab; er fand an ſeiner 
Art zu regieren nichts Außergewöhnliches, noch weniger etwas 
Rechtswidriges, und wollte ſeine Günſtlinge nicht von ſich 
laſſen. König Sigmund, der es vorläufig mit keiner Par— 
tei verderben wollte, ſchloß am 2 Febr. 1394 mit Wenzel 
ein brüderliches Bündniß, und erklärte ihn darin eventuell 
ſogar zu ſeinem Erben in Ungarn, verſtändigte ſich aber 
auch mit den Baronen über die Maßregeln, die zu ergrei— 
fen waren, um die böhmiſche Camarilla zu ſtürzen. Ob 
außer den Überredungsmitteln ſchon jetzt nicht auch Ge— 
walt verſucht wurde, wiſſen wir nicht; jedenfalls war dieſe 
von Seite der Mißvergnügten das in Rückhalt geſtellte 
letzte Mittel. Man ſchob aber die verabredete Unterneh— 
mung noch auf, um die verhaßten Gegner durch ſcheinbare 
Sicherheit täuſchen, und dann durch Überraſchung um fo 
leichter zum Ziel gelangen zu können. 

Erſt am 5 Mai 1394 trat Markgraf Joſt mit den 
obengenannten Herren zu Prag in einen förmlichen Bund, 
indem ſie ſich gegenſeitig verpflichteten, mit aller ihnen zu 
Gebote ſtehenden Macht ſich zu vereinen, und einander bei— 
zuſtehen, damit das allgemeine Wohl gefördert, Unrecht 
abgeſchafft, und Recht und Gerechtigkeit im Lande in der— 
ſelben Weiſe wieder gehandhabt werde, wie es zu Zeiten 
ihrer Vorfahren Sitte geweſen;“! ſollte bei Verfolgung 


81) »Azbychom zemi ku präwu a prawd& postawili i priwedli, tak 
jakoz jest diewe za nasich predköw w prawd& stäla«, — ſo 
lauten die Worte der im fürſtl. Schwarzenberg'ſchen Archive in 
Wittingau noch vorhandenen Originalurkunde, welche wir nebſt 
andern auf dieſen Gegenſtand bezüglichen gleichzeitigen Acten 
im Archiv Cesky, Band J. S. 52 fg. haben abdrucken laſſen. 


1394 


5 Mai 


74 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1394 dieſes Zweckes einem von ihnen irgend ein Leid wider— 


8 Mai 


fahren, ſo verſprachen alle übrigen, es von ihm wieder 
abzuwenden. Der Bund ſollte bis zu völliger Erreichung 
des Zweckes in Kraft bleiben. Nach dieſen und allen ſpä— 
teren Erklärungen zu ſchließen, beabſichtigten alſo die Ba— 
rone nichts Anderes, als die Wiederherſtellung der alten 
böhmiſchen Landesverfaſſung überhaupt; die näheren und 
nächſten Zwecke hat man in der Bundesurkunde nicht an— 
gegeben. Zugleich wurden die verabredeten Maßregeln ſo 
in der Stille getroffen, daß ihre Gegner kaum eine Ah— 
nung davon bekamen. 

Freitag den 8 Mai reiſte K. Wenzel von ſeiner vor— 
zugsweiſe beliebten Burg Zebrak nach Prag zurück, und 
kehrte unterwegs mit ſeinem nicht ſehr zahlreichen Gefolge 
in dem zwiſchen Pocaple und Beraun gelegenen Königshof 
ein. Da kamen zu ihm, von einer kleinen, aber entſchloſ— 
ſenen Schaar begleitet, Markgraf Joſt und die Barone, 
und wurden ohne Umſtände vorgelaſſen. Heinrich von Roſen— 
berg führte das Wort vor dem Könige, und ſchilderte in 
wohlgeſetzter Rede alle Mißgriffe und Irrthümer der bis— 
herigen Regierung, den dadurch herbeigeführten Verfall 
des Reichs, die himmelſchreienden Klagen der armen Wit— 
wen und Waiſen, und die Nothwendigkeit, daß es endlich 
beſſer werde. Darüber gerieth Wenzel in große Leiden— 
ſchaft; er habe immer gut regiert, entgegnete er, bedürfe 
der angebotenen Hilfe nicht und werde dieſe Vermeſſenheit 
ſeiner Vaſallen zu ſtrafen wiſſen. Inzwiſchen hatte ſich 
aber der Königshof mit neuen Bundesſchaaren gefüllt, 
welche alle Poſten darin beſetzten, und das königliche Ge— 
folge ohne Geräuſch entwaffneten; die wenigen Günſtlinge, 
die ſich bei dem Könige befanden, ergriffen die Flucht, und 
wurden deshalb mehr mit Spott als mit Waffen verfolgt.“? 


82) Cum vero sermones hos amatores regis percepissent et com- 


plices, — non per valvas nec Portas, sed retro Per muros pe- 


Wenzels erſte Gefangennehmung. 75 


Nun erklärten die Barone dem Könige einſtimmig, ſie hiel- 1394 
ten es vor Gott und dem Vaterlande für ihre Pflicht, nicht 
mehr von ſeiner Seite zu weichen und mit ihm fortan 
Freude und Leid zu theilen; er ſolle daher mit ihnen nach 
Prag ziehen und dort mit ihrer Hilfe, nach alter Sitte, 
das gemeine Beſte ſchaffen, das Recht ſtärken und den 
Frieden beſtellen. Trotz langem Sträuben mußte Wenzel 
endlich, da er ſich von allen ſeinen Lieben verlaſſen ſah, 
in die Nothwendigkeit ſich fügen. Er wurde zuerſt nach 
Beraun geführt, und im Refectorium des dortigen Mino— 
ritenkloſters feſtlich bewirthet; dann geleitete man ihn, unter 
ſtarker Bedeckung, die als Ehrengeleite gelten ſollte, gleich— 
ſam im Triumphe nach Prag in die königliche Burg, aus 
welcher inzwiſchen die Anhänger der vorigen Regierung in 
ähnlicher Weiſe verdrängt worden waren.“ 

Es zeigte ſich bald, daß die von den Baronen dar— 
gelegten Anſichten über die Regierung des Königs nicht 
vom gaͤnzen Lande getheilt wurden. Kaum hatte ſich die 
Kunde von dem, was geſchehen, in Prag verbreitet, ſo 
verſammelten ſich die Bürger, gingen mit den vertriebenen 
Regierungsmitgliedern zu Rathe, ſperrten und bewachten 


tierunt exitus. Si in his strenua viguisset animositas, nullo- 
modo hoc nefarium perpetrassent et dedecus; sed singulis est 
notorium, quod muscatum numquam ex stercore poterit Pro- 
creari! (Forma curialis I, ſ. die folgende Bemerkung.) 

83) Wir erzählen dieſe Vorfälle meiſt nach einem noch ungedruck— 
ten und bisher unbekannten Aufſatze eines Zeit- und Bundes— 
genoſſen, den wir unter der Aufſchrift: »Forma curialis et veri- 
dica, qualiter serenissimus D. Wenceslaus Rom. et Boh. rex 
per barones Bohemiae juste et meritorie fuit arrestatus« in 
einer Handſchrift des Prager Domcapitels (8, XIX, fol. 121 
sq.) aufgefunden haben. In die Widerlegung fo vieler Un— 
richtigkeiten, welche ſowohl alte als neue Schriftſteller bei Er— 
zählung dieſer Ereigniſſe ſich zu Schulden kommen ließen, kön— 
nen wir uns, um der Kürze willen, nicht einlaſſen. 


1394 


15 Mai 


76 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


die Stadtthore mit Strenge, ſammelten Truppen in und 
außerhalb der Stadt, warfen um die königliche Burg neue 
Verſchanzungen auf und fingen ihre Belagerung an. Das 
Land theilte ſich in Parteien, und kleine Gefechte, das Vor— 
ſpiel eines Bürgerkriegs, fielen an mehreren Orten vor. 
Da erſchien am 15 Mai ein von Heinrich von Neuhaus 
gegengezeichnetes königliches Patent, das alle Stände des 
Königreichs zu einem Landtage nach Prag auf den 31 Mai 
zuſammenberief; wer da nicht erſcheine, werde als Störer 
des öffentlichen Friedens angeſehen und behandelt werden; 
doch hat man ſpäter den Termin dieſes Landtags auf den 
10 Juni verſchoben. Zugleich erging an das ganze Volk 
eine königliche Verordnung, worin Markgraf Joſt zu einem 
Staroſta“ des Königreichs beſtellt, und Jedermann ger 
boten wurde, ihm als ſolchem Folge und Gehorſam zu 
leiſten. Die Prager Städte wieſen jedoch ſolche Befehle 
lange Zeit von ſich, da ſie dem Könige abgedrungen wor— 
den ſeien. Erſt als auch ſolche Barone, die dem Bunde 
nicht beigetreten, ſondern dem Könige unter allen Umſtän— 
den treu geblieben waren, wie der Oberſtlandmarſchall 
Hynce von Lipa, der Oberſtlandrichter Andreas von Duba, 
der neue Oberſtburggraf Burkhard Strnad von Sanowic 
und Pota der jüngere von Caſtolowic, die Bürger ver— 
ſicherten, daß es des Königs ernſtlicher Wille ſei, daß der 


84) Auch in den in deutſcher Sprache über dieſen Gegenſtand erlaſ— 
ſenen Urkunden heißt es: „als einen Hauptmann, bemiſchen 
ein Staroſta genennet.« Markgraf Joſt wollte daher kein gewöhn— 
licher Hauptmann oder Generalcapitain des Königreichs ſein, 
wie dergleichen von böhmiſchen Königen für die Zeit ihres 

Verdweilens in Deutſchland beſtellt zu werden pflegten, ſondern 
ein Staroſta nach dem altböhmiſchen gemeinen Hausgebrauche 
(ogl. Band J. Seite 169 fg. Band II, Abth. L S. 15); alſo 
ein durch des Landes Willen beſtellter, folglich unabſetzbarer, 
Regierer des Landes, der dem Könige nichts als Ehre und 
Titel übrig ließ. 


\ 


Wenzels erſte Gefangenſchaft. 77 


Friede wiederhergeſtellt werde,“ ſchloſſen die Prager mit 
den Baronen zuerſt einen Waffenſtillſtand, und dann, am 
4 Juni, einen Friedensvertrag ab, in welchem ſie ausdrück— 
lich ſagten, daß ſie ſich nur auf Befehl des Königs mit dem 
Markgrafen Soft, als Staroſta des Königreichs, »dieweilen 
ihn der König als einen ſolchen haben will“, und mit den 
Landherren verbinden, ſo daß ſie ihnen behilflich ſein ſollen 
und wollen »zu ſchaffen unſeres ehegenannten Herrn, des 
Königs, und ſonſt gemeinen Nutzen, Frieden und Seligkeit im 
Lande.« Dieſen Friedensvertrag beſtätigte Wenzel durch 
eine am folgenden Tage ausgeſtellte beſondere Urkunde. 

Indeſſen hatte der König doch Mittel gefunden, ſich 
insgeheim mit ſeinem jüngſten Bruder, Herzog Johann von 
Görlitz, in ein Einverſtändniß zu ſetzen. Er ließ ihn bit— 
ten, ſich an die Spitze ſeiner Getreuen zu ſtellen, und kein 
Mittel unverſucht zu laſſen, ihn aus der Macht des ver— 
haßten Vetters zu befreien. Zu dieſem Zwecke befahl er 
ſeinen ganzen geheimen Schatz zu des Herzogs Verfügung 
zu ſtellen, und bat dieſen, ja keine Koſten zu ſcheuen, ſon— 
dern einzig nur das Wohl und die Treue eines Bruders 
vor Augen zu haben.““ Der Herzog erließ daher am 7 Juni 
von Kuttenberg aus ein Manifeſt an die böhmiſche Nation, 


85) Dieſe Verſicherung war es, welche die Prager über den wah— 
ren Zuſtand des Königs täuſchte, ſo daß ſie in der Urkunde 
vom 28 Juni d. J. (bei Pelzel S. 132) in Wahrheit ſagen 
konnten, ſie hätten ihn nicht gekannt. Pelzels Deutung dieſer 
Worte widerſpricht der Geſchichte. 

86) Ut chesauros nolit censeri modum per aliquem, sed fidelita- 
tem, quam frater, necessitatis in articulo, ostendere fratrı cogi- 
tur. Forma curialis I. Das Vorhandenſein eines geheimen 
Hausſchatzes widerlegt noch zum Überfluß die Meinung eini— 
ger neuen Schriftſteller, daß Karl IV die Finanzen feines Lan— 
des in Zerrüttung gelaſſen, und Wenzel in dieſer Hinſicht mit 
Noth zu kämpfen gehabt habe. Wir werden feiner Zeit nad) 
weiſen, daß auch Wenzel einen ähnlichen Schatz hinterlaſſen hat. 


1394 


4 Juni 


7 Juni 


78 VI Buch, 2 Kapitel, K. Wenzel IV. 


1394 ſo wie an alle Fürſten und Getreuen des heiligen römiſchen 
Reichs. Er erklärte darin, es ſei auch ihm angemuthet 
worden, ſich mit den Landherren zu verbinden und den 
Markgrafen Joſt für einen Hauptmann und Staroſt des 
Königreichs anzunehmen, alles »zu des Kuniges und des 
Landes Ehre, Nutz und Frommen«; er wiſſe aber in dem 
Beginnen der Landherren noch nichts zu finden, was zu 
dem Zwecke führe. Dieſelben hätten nämlich des Papſtes 
Kammer zu Wysehrad und auch des Königs Kammer an— 
gegriffen, das Feuer im Lande ausgelaſſen, Ritter und 
Knechte im friedlichen Lande beſchädigt; das heiße doch 
keineswegs zum Nutz und Frommen des Landes handeln. 
Es könne auch Niemand zu einem Hauptmann, außer von 
dem König allein, eingeſetzt werden; daher ſei es auch 
unerlaubt, ſich dem Markgrafen eidlich zu verbinden, oder 
auch nur der Einladung zum Landtag auf den 10 Juni 
nach Prag zu folgen, indem beide darüber erlaſſenen De— 
crete ungiltig ſeien, ſo lange der König in fremder Ge— 
walt ſich befinde. Schließlich berief er alle Getreuen des 
Landes zu ſich in des Königs Dienſt, und bot für jeg— 
lichen Spieß und gewappneten Schützen monatlich 18 Gold— 
gulden an Sold nebſt Schadenerſatz an.““ 

Des Herzogs Sprache, von ſo goldenem Anbot unter— 
ſtützt, erregte im ganzen Lande Senſation. Alle könig— 
lichen Burggrafen ſtellten mit ihren Mannſchaften ſich frei— 
willig unter ſeine Befehle, und Söldner ſtrömten ihm aus 
allen Gegenden ſchaarenweiſe zu; auch Markgraf Prokop 
kam und verſtärkte durch ſeinen Beitritt die Macht und 
das Anſehen der neuen königlichen Partei. So ſah ſich 
Johann bald an die Spitze eines mächtigen Heeres geſtellt, 


87) Ein gutes Originalexemplar dieſes Manifeſtes befindet ſich im 
Budweiſer Stadtarchive; eine minder correcte Abſchrift hat 
unlängſt Guſt. Köhler (in ſ. Beiträgen zur Geſch. der Lauſitz 


I, Görlitz 1840, S. 21 fg.) abdrucken laſſen. 


Wenzels erſte Gefangenſchaft. H. Johann v. Görlitz. 79 


das der ganzen Bundesmacht Trotz bieten konnte. Ob 
unter ſolchen Umſtänden der beabſichtigte Landtag in Prag 
zu Stande gekommen ſei, wiſſen wir nicht; die gewöhn— 
lichen Sitzungen des großen Landrechtes aber wurden, vom 
12 Juni an, unter dem Vorſitze des Markgrafen, ord— 
nungsmäßig abgehalten.“ 

Gegen den 20 Juni erſchien Herzog Johanns Heer 
vor Prag, und verlangte, in des Königs Namen, Einlaß 
in die Stadt. Die Neuſtädter öffneten ihm die Thore frei— 
willig, und vereinigten ſich mit ihm; die Altſtädter, von 
dem Herrenbunde eingeſchüchtert, zögerten lange, bis ernſte 
Anſtalten zur Erſtürmung ihrer Mauern auch ſie zur Ca— 
pitulation vermochten.“ Von da an hielten ſich die Ba— 
rone nicht mehr ſicher in der königlichen Burg. In der 
Nacht auf den 22 Juni zwangen ſie den König, mit ihnen 


88) Da es nicht ohne Intereſſe iſt, den damaligen Perſonenſtand 
näher zu kennen, ſo ſtellen wir die Namen der Herren, welche 
an den Sitzungen des 12 Juni fg. Theil nahmen, hieher: es 
waren Markgraf Joſt (an des Königs Stelle); dann die ober— 
ſten Landesbeamten: Burkhard von Janowic, Oberſter Burg— 
graf und Hoflehnrichter zugleich; Andreas von Duba, Oberſt— 
landrichter; Brenék Swihowſkh von Rieſenberg, Oberſtland— 
kämmerer (dieſer erſt ſeit dem 8 Mai neu eingeſetzt;) und Ku— 
nata Kaplér von Sulewic, Oberſtlandſchreiber; endlich die Ba— 
rone: Heinrich von Roſenberg, Peter von Wartenberg auf 
Koſt, Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Zdenék von 
Rozmital, Heinrich von Neuhaus, Johann von Michalowie, 
Bocek von Kunſtat auf Podébrad, Wilhelm von Landſtein, 
Otto von Bergow auf Bilin, Johann von Austi, Pota von 
Turgow auf Arnau, Ulrich und Johann von Neuhaus, Pota 
von Caſtolowic, Heinrich von Breznic, Hermann von Neuhaus, 
Wenzel von Wartenberg, Wilhelm von Zwitetic, Ratmir von 
Schwamberg, Zdenef von Waldſtein auf Stöpanic, Johann 
von Wartenberg auf Tetſchen, Ulrich von Sternberg u. a. m. 
Vgl. Archiv Cesky II, 354. Die Mehrzahl diefer Herren hatte 
an dem Bunde keinen Theil genommen. 

89) Chronicon universit. Prag. (noch ungedruckt.) 


1394 


12 Juni 


20 Juni 


22 Juni 


80 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1394 den Hradſchin in aller Stille zu verlaſſen, und führten 


5 Juli 


ihn in Eile in die dem Herrn von Roſenberg gehörige 
feſte Burg Pribenic, jetzt kaum mehr ſichtbare Ruine an 
der Luznie unweit der Stadt Tabor. Da ihnen aber das 
königliche Heer bald auf dem Fuße folgte, ſo brachten ſie 
ihn dann weiter in das noch feſtere Krumau, den Haupt— 
ſitz Roſenbergs. Doch auch dieſes genügte ihnen nicht zur 
Sicherheit, und Wenzel mußte am Ende bis nach Sſter— 
reich in die Burg Wildberg ziehen, wo er am 5 Juli den 
Herren von Stahrenberg zur Verwahrung übergeben wurde. 
Hier war man ſeiner ziemlich gewiß; denn außer den Ver⸗ 
bündeten wußte in Böhmen Niemand mehr, wo ſich der 
König befinde. 

Das königliche Heer lagerte nunmehr bei Budweis, 
wo es in Kurzem auch durch einige deutſche Schaaren ver— 
ſtärkt wurde; denn die Reichsfürſten waren nach erhal— 
tener Nachricht von der Gefangenſchaft ihres Königs zuerſt 
in Nürnberg, dann in Frankfurt zuſammengetreten, hatten 
dem alten Kurfürſten von der Pfalz das Reichsvicariat 
zu führen aufgetragen, und den Herrenbund mit einem 
Kriege bedrohen laſſen, wenn man den römiſchen König 
nicht alsbald wieder freigebe; Herzog Ruprecht der jün— 
gere von Bayern, der nachmalige Gegenkönig, verfügte 
ſich auch perſönlich zu dem böhmiſchen Heere. Einige der 
Verbündeten ſchienen noch früher, bei Anſicht der Macht, 
welche Herzog Johann von Görlitz entwickelte, in ihren 
Entſchlüſſen zu wanken; ſie unterſtützten daher ihre Freunde 
nur ſehr lau,” und die Laſt des Krieges fiel faſt aus— 
ſchließlich auf die Herren von Roſenberg und von Neu— 
haus, deren nahe gelegene Güter gräulich verwüſtet wur— 
den; nur Herzog Albrecht von Sſterreich ſchickte ihnen und 
90) Die Forma curialis I klagt ſogar über Einige, (ohne fie zu 


nennen,) daß ſie, von Herzog Johann beſtochen, ſich kaum 
hätten halten laſſen, um nicht offen zu ihm überzutreten. 


Wenzels Befreiung. 81 


dem Markgrafen Joſt 600 Bewaffnete zu Hilfe, welche 
ihrerſeits eben ſo grauſam das Land verheerten. Daß es 
zu einer Schlacht gekommen, ſagt keine Nachricht. Man 
überzeugte ſich beiderſeits, daß man am Ende doch au Uns 
terhandlungen die Hand bieten müſſe. 

Nach vielen vergeblichen Vorſchlägen verbürgte ſich 
endlich Herzog Johann nebſt 50 böhmiſchen Edlen dafür, 
daß Wenzel dem Herrenbunde völlige Amneſtie gewähren, 
und einige, das Recht und die Verfaſſung Böhmens be— 
treffende Puncte genehmigen werde; doch müſſe er erſt frei 
ſein, bevor er ſelbſt ein giltiges Verſprechen darüber leiſten 
könne. In Folge deſſen wurde er von Wildberg zurück— 
geholt, und am 1 Auguſt dem Herzog Johann übergeben, 
der ihn mit großem Geleite unter den höchſten Freudenbe— 
zeigungen in die ihm treu gebliebene Stadt Budweis 
führte.“ Tags darauf übergab Wenzel den Herren von 
Stahrenberg die verſprochene urkundliche Verſicherung, daß 
er ſie das Vorgefallene niemals entgelten laſſen wolle; 
wozu auch Ruprecht ſein Siegel fügte. 

Um ſo ſchwieriger erwies ſich der Stand hinſichtlich 
der den Baronen gemachten Verſprechungen. Daß Wenzel 
die ihm zugefügte Behandlung! ganz und gar vergeſſen 


91) Ad vincula Petri per certos tractatores praetactus Rex est 
solutus et cum ingenti gaudio et magna multitudine stipendia- 
riorum in civitatem Budweis regalem per ducem Johannem 
est deductus, et sic totaliter a sua arrestatione solutus. Chro- 
nicon universit. Prag. 

Was einige Schriftſteller von Einkerkerung und unwürdiger 
Behandlung des Königs in der Gefangenſchaft erzählen, gehört 
unter die Hajek'ſchen Mährchen, gleich der abgeſchmackten Fabel 
von der Bademagd Suſanne. Die Barone wollten von An: 
fang her den König für ſich gewinnen, nicht von ſich abſtoßen; da— 
her erwieſen ſie ihm alle Ehre und Achtung, die ſich nur immer 
mit dem perſönlichen Zwange vereinen ließ. Aber eben dieſen 
ihm angethanen Zwang konnte Wenzel nimmermehr vergeſſen. 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 


92 


— 


1394 


1 Aug. 


82 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1394 


25 Aug. 


und dem Bunde in ſeinen Forderungen auch noch Recht 
geben ſollte, — ein ſolches Reſultat ſchien ihm der darge- 
brachten Opfer nicht werth; auch übernahm er alſogleich 
die perſönliche Verwaltung ſeines Schatzes wieder, und 
brachte dadurch den Bruder in die größte Verlegenheit, da 
Dieſer nicht mehr allen denen, welche ihn um den zuge— 
ſicherten Sold bedrängten, Genüge leiſten konnte. Einen 
weiteren Grund zur Unzufriedenheit gab es, daß an Sig— 
mund Hulers Statt Herzog Johann einen (uns nicht näher 
bekannten) Ritter Heres als königl. Landesunterkämmerer 
in Böhmen beſtellt oder angenommen hatte; es mußte ſo— 
gleich in allen Städten wieder verkündigt werden, daß 
kein Anderer als Sigmund Huler des Königs Unterkäm— 
merer ſei, und deſſen Befehlen allein gehorcht werden ſolle. 
Daß bei Allem dem etwas zur Beruhigung der Gemüther 
geſchehen müſſe, ſah Wenzel ſelbſt ein. Nach dreiwöchent— 
lichen Verhandlungen ließ er ſich endlich dahin bringen, 
daß er zu Piſek am 25 Aug. 1394 in einer (zum erſten⸗ 
mal in böhmiſcher Sprache ausgeſtellten) Urkunde “ ver— 
ſprach, hinſichtlich der gewünſchten Reformen Dasjenige zu 
genehmigen, was vier oder ſechs von ihm gemeinſchaftlich 
mit den Baronen zu wählende Schiedsrichter ausſagen 
würden; dann gewährte er die verlangte volle Amneſtie 
aus dem Grunde, weil er den Verſicherungen der Barone, 
alles, was geſchehen war, nur zum gemeinen Beſten unter— 
nommen zu haben, vollen Glauben ſchenke; und befahl 
endlich alle gegenſeitig gemachten Gefangenen in Freiheit 
zu ſetzen, ſo wie alle im Kriege eingenommenen Güter 
ihren frühern Beſitzern zurückzuſtellen. Zu größerer Sicher— 
heit hängten auch die Herzoge Johann von Görlitz, Rup— 
93) Das wohlerhaltene Original dieſer allen früheren Hiſtorikern 


unbekannten Urkunde befindet ſich noch im Wittingauer Archive. 
Wir haben es im Archiv Cesky I, 53 fg. abdrucken laſſen. 


Neue Schwierigkeiten und Unruhen. 83 


recht der jüngere von Bayern, zugenannt Klem, und Pre- 1394 
myslaw von Teſchen, ihre Siegel an die Urkunde. 


Man ſieht, dieſe Löſung der Dinge war nur das Ende 
eines Anfangs. Jedermann war damit unzufrieden. Die 
Barone hatten ſo wenig, wie Markgraf Joſt, ihre Abſichten 
erreicht; im Gegentheil ſahen ſie ſich ihrem Ziele noch weiter 
entrückt, als zuvor, da Wenzel ſeine Günſtlinge wieder um 
ſich verſammelte, und gar keine Eile zeigte, die verſprochenen 
Schiedsrichter zu wählen oder wählen zu laſſen. Herzog 
Johann hatte auf beſſeren Dank für ſeine Anſtrengungen 
gerechnet, als ihm jetzt zu Theil geworden.“ König Wenzel 
aber ärgerte und kränkte ſich lange über das Geſchehene; 
ſeine früher oft heitere Stimmung trübte ſich mehr und 
mehr; Mißtrauen bemächtigte ſich feiner, er wurde furcht— 
ſam und unſchlüſſig, obgleich nicht nachgiebiger als zuvor; 
und da trotz dem Geſchmack, den er oft an gelehrten 
Streitfragen fand, ſein Geiſt jedes höheren Strebens und 
Lebens ermangelte, ſo bedarf es kaum der Annahme eines 
ihm beigebrachten Giftes, das ihn mit ewigem Durſt ge— 
quält haben fol, ® um den Hang zum Trunke zu erklären, 


94) Daß K. Wenzel über die Art, wie Herzog Johann mit ſeinem 
Schatze umgegangen war, ſich unzufrieden zeigte, iſt aus der 
Forma curialis J gewiß; mit welchem Grunde, kann jetzt nicht 
mehr ermittelt werden. Wenn wir uns hier eine Vermuthung 
erlauben dürften, ſo möchten wir auf den obengenannten Unter— 
kämmerer Sigmund Huler hinweiſen, der ſich dem Könige durch 
Aufdeckung wirklicher oder vermeintlicher Unterſchleife während 
der Amtshandlung ſeines Vorgängers Heres empfohlen, und 
damit ſeine frühere Stellung wieder errungen haben mag. 

95) Edmund Dinter l. c. Rex Wenceslaus — fuit bina vice 
veneno (nescitur per quem) intoxicatus, sed gratia dei et ope me 
dicorum illico curatus; nihilominus propter caloris et siccitatis 
ardorem, quem propter toxicum in corpore continuo sentiebat, 
semper appetebat bibere; et bibit de facto aliquando sobrie ad 
laetitiam, aliquando excessive ad ebrietatem. 


6* 


84 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1394 der ſich bei ihm vorzüglich während feiner zweiten Regierungs— 
periode äußerte. Indeſſen begriff er vollkommen, daß der 
Streit mit ſeinem Vetter und mit dem Adel ſeines Landes 
noch lange nicht zu Ende war. Darum ſehen wir ihn, 
nach Herſtellung ſeiner Gewalt, vor allem auf Mittel 
ſinnen, ſeinen Schatz wieder zu füllen, und mit einzelnen 
ihm treu gebliebenen Baronen Verträge ſchließen, durch 
welche dieſe ſich in außerordentlicher Weiſe zu ſeiner Ver— 
theidigung verpflichteten. “” Auch mit auswärtigen Fürſten 
erneuerte er die alten Bündniſſe, wie mit Frankreich und 
Polen, oder er knüpfte neue Verbindungen an, wie insbe— 
ſondere mit Herzog Stephan von Bayern zu Ingolſtadt. 

Die letztere Verbindung müſſen wir etwas näher be— 
leuchten, gälte es auch nur, zu zeigen, wie der Drang 
ſelbſtſüchtiger Politik auch hier über die zarteſten Bande 
der Verwandtſchaft den Sieg davon trug. Nach dem Tode 
Herzog Friedrichs von Bayern zu Landshut CT 1392 
wurden deſſen überlebende Brüder, die Herzoge Stephan 
und Johann, wegen der Vormundſchaft über deſſen minder— 
jährigen Sohn, Heinrich den Reichen, miteinander uneins, 
und H. Johann zu München, K. Wenzels Schwiegervater, 
ſchloß deshalb am 20 Mai 1394 mit den Herzogen Albrecht 
und Wilhelm von Oſterreich ein Schutz- und Trutzbündniß 
gegen Jedermann, mit alleiniger Ausnahme des Erzbiſchofs 
von Salzburg und des Markgrafen Joſt von Mähren. 
Da er ſomit ein Bundesgenoſſe der entſchiedenſten Gegner 
ſeines königlichen Schwiegerſohnes geworden, ſo fand ſein 


96) Nach dem Zeugniſſe von Urkunden, die größtentheils noch un— 
gedruckt ſind. — Die von Pelzel zum 10 Nov. 1394 (nach 
Paprocky, der feine Nachricht doch eigentlich aus Hajek geſchöpft 
hatte,) erzählte Hinrichtung von Prager Magiſtratsperſonen 
auf Befehl des Königs, weil ſie zu ſeiner Gefangennehmung 
beigetragen hätten (), iſt eben fo ungegründet, als der ange— 
gebene Grund an ſich ungereimt iſt. — 


w 


Neue Schwierigkeiten und Unruhen. 85 


Bruder Herzog Stephan eine um ſo freundlichere Aufnahme 
bei K. Wenzel, als er zugleich vom Könige von Frankreich, 
ſeinem Schwiegerſohne, unterſtützt wurde. In Bayern kam 
es zu offenem Kriege zwiſchen den Brüdern; in Böhmen 
und Sſterreich ſuchte man ſich vorerſt noch durch Bündniſſe 
auch mit gegenſeitigen Unterthanen zu ſtärken. Herzog 
Albrecht von Sſterreich hatte ſeinen Hofmeiſter, den reichen 
Herrn Johann von Lichtenſtein auf Nikolsburg, aus unbe— 
kanntem Grunde mit deſſen ganzer Familie verhaften laſſen; 
als deſſen Vetter Mathias von Lichtenſtein deshalb einen 
Krieg gegen den Herzog erhob, verſprachen König Wenzel 
und die Herzoge Johann von Görlitz und Stephan von 
Bayern, ihm darin mit aller ihrer Macht beizuſtehen.“ 
Dagegen ſchloßen ſämmtliche Herzoge von Sſterreich am 
17 Dec. 1394 zu Weitra nicht nur mit dem Markgrafen 
Soft, ſondern auch mit dem ganzen böhmiſchen Herrenver— 
ein einen ſiebenjährigen engen Bund, deſſen Ziel und Ab— 
ſicht wir unter dieſen Umſtänden nicht näher anzugeben 
brauchen. 


Da König Wenzel, dem zu Piſek geleiſteten Verſpre— 
chen zuwider, noch immer keinen Ernſt zeigte, in die Wünſche 
des Herrenbundes einzugehen, ſo mehrte ſich die Zahl der 
unzufriedenen Barone; es traten zuerſt die Herren Genef 
von Wartenberg und Hasek von Lemberg, ſpäter der Bi— 
ſchof Johann von Leitomysl, der als Dichter und Schrift— 
ſteller ausgezeichnete Herr Smil Flaska von Pardubic auf 
Richenburg, und drei Herren von Auſti, endlich mehrere 
Herren von Schwamberg und Rieſenburg in den Verein, 
der am 10 Januar 1395 bei dem Herrn von Roſenberg in 


97) Die Urkunde iſt aus dem Original des fürſtl. Lichtenſteinſchen 
Archivs erſt unlängſt abgedruckt in Fürſt Lichnowsky's Geſchichte 
des Hauſes Habsburg, IV Theil, 1839, Urk. Buch. S. 845. 


1394 


17 Dec. 


1395 


10 Jan. 


86 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1395 Wittingau einen neuen Bundesbrief entwarf und befiegelte, " 


23 Mai 


30 Mai 


Die Kunde davon bewog den König, den Gegenſtand 
endlich wenigſtens in Erwägung zu ziehen und Unterhand— 
lungen darüber anzuknüpfen; er beſchied die Barone zu 
wiederholten Malen unter ſicherem Geleite zu ſich, konnte 
aber mit ihnen um ſo weniger zum gewünſchten Ziele ge— 
langen, je weniger aufrichtig er ſelbſt dabei zu Werke ging. 
Denn während er die Gegner durch unbeſtimmte Reden 
und Verſprechungen hinhielt, arbeitete er insgeheim um 
ſo eifriger an der Sprengung des Bundes, indem er ein— 
zelne Mitglieder desſelben durch Beſtechung auf ſeine Seite 
zu bringen ſuchte. Doch ſcheint ihm das nur bei dem 
Herrn Bocef von Podĩbrad, und auch da nur zum Theil, 
gelungen zu fein.” Herzog Johann von Görlitz, welchen 
Wenzel am 23 Mai bevollmächtigt hatte, alles zum Frie— 
den Dienliche im Lande anzuordnen, mußte am Ende ſelbſt 
in ſeinen Bruder dringen, daß er die öffentliche Ruhe durch 
ſolche Ausflüchte nicht länger gefährde. Da ſtellte endlich 
Wenzel am 30 Mai 1395 zu Zebrak den Baronen, nicht 
den Beſtätigungsbrief, ſondern eine Art von Empfangſchein 
über jene Artikel aus, welche er den Ständen gewähren 
ſollte. Die wichtigſten wollen wir hier einzeln anführen 


98) Archiv Cesky I, S. 54 fg. 

99) Nach einer im Archive zu ls in Schleſien bewahrten Original— 
Urkunde vom 13 Apr. 1395 verpflichteten ſich die damaligen 
geheimen Räthe des Königs, die Herzoge Johann von Görlitz 
und Stephan von Bayern, Erzbiſchof Albrecht von Magde— 
burg königl. Oberſtkanzler, der Oberſthofmeiſter Heinrich Sko⸗ 
pek von Duba, der Oberſtlandmarſchall Hynce von Lipa, dann 
die Herren Pota von Caſtolowie, Burkhard Strnad von Ja— 
nowic, Johann von Mühlheim und der Oberſtmünzmeiſter 
Peter von Pisek, dem Herrn Bocek von Podébrad die Stadt 
Potſtatt nebſt Zugehör innerhalb dreier Wochen einzuantwor— 
ten, oder aber ihm die Summe von 2000 Schock Prag. Gr. 
baar zu erlegen. Man vergleiche damit unten den 31 Mai 1396. 


Neue Schwierigkeiten. Forderungen des Herrenbundes, 87 


und zu beſſerem Verſtändniß des eigentlichen Streites dabei 1395 
auch kurz zu beleuchten ſuchen. 

1) Einer der erſten Puncte betraf die Zuſammen— 
ſetzung des oberſten Landesgerichtshofs. 19 Von jeher ſaßen 
darin, zunächſt dem Könige und den Prinzen des könig— 
lichen Hauſes, die vier höchſten Landesbeamten (Oberſt— 
burggraf, Oberſtlandkämmerer, Oberſtlandrichter und Oberſt— 
landſchreiber), dann der Erzbiſchof von Prag mit ſeinen 
Suffraganen (obgleich dieſe nur höchſt ſelten dabei er— 
ſchienen), ferner 12 Kmeten, und endlich ſo viele Landes— 
barone, als ſich jedesmal einfanden. Die wichtigſten Bei— 
ſitzer waren immer die zwölf Kmeten oder Landſchöffen, 
da dieſe die weſentlichſten Functionen bei dem Gerichte 
allein auszuüben hatten. Der Herrenbund verlangte nun, 
daß dieſe Kmeten vom Könige nur nach eingeholtem Rath 
des Herren- und Ritterſtandes (pany i zemany, alſo auf 
dem Landtage) ernannt werden ſollten, wie ſolches von 
jeher Sitte geweſen ſei; ferner, daß der Vollzug der Ur— 
theilſprüche dieſes oberſten Bun in feiner Weiſe ge— 
hindert oder gehemmt werde. 


2) Die mit dem oberſten Landgericht vereinigte all— 
gemeine Landtafel ſollte nach alter Weiſe gehalten, nur 
in den Gerichtstagen geöffnet, und ihre Beamten vom Kö— 
nige nach dem Rathe der Stände eingeſetzt werden; auch 
ſollten keine Einlagen in dieſelbe Statt finden, außer in 
Gegenwart von wenigſtens drei Landeskmeten; endlich ſollen 
die dabei von Altersher üblichen Taxen nicht erhöht werden. 


100) Nejwyssi üredniei a saudcowé zemsti — iſt der eigentliche alte 
Amtstitel dieſer höchſten Behörde, die urſprünglich ein Juſtiz— 
hof war, aber zugleich auch die politischen Geſchäfte des Lan: 
des in höchſter Inſtanz, im Namen des Königs, leitete. Es 
iſt dies dieſelbe oberſte Regierungsbehörde, welche im XVII 
und XVIII Jahrh. (bis 1749) den Namen der königl. Statt— 
halterei führte 


1395 


88 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


3) Der Oberſte Burggraf von Prag ſoll, nach alter 
Gewohnheit, immer aus der Mitte der im Lande begüter— 
ten Barone, vom Könige nach Rath der Stände ernannt 
werden; eben ſo ſoll es bei Beſetzung des Oberſten Lehn— 
richteramtes und anderer Amter gehalten werden, die von 
jeher aus dem Herrenſtande beſetzt zu werden pflegten. 
Dieſer Artikel iſt offen gegen den damaligen Oberſtburg— 
grafen und Lehnrichter zugleich, Herrn Burkhard Strnad 
von Janowic, gerichtet, der zwar von einem alten böh— 
miſchen Herrengeſchlechte abſtammte, aber außer der Herr— 
ſchaft Jung-Wozie, welche er vom Könige zu Lehen er— 
halten, keine eigenen Patrimonialgüter beſeſſen zu haben 
ſcheint. 

4) Die peinliche Rechtspflege auf dem Lande (po- 
prawa) ſoll ausſchließlich von den dazu ernannten poprawei 
ausgeübt werden, und Niemand ſoll ſich irgend Eingriffe 
in dieſes Amt erlauben. Man ſieht, daß dies eine directe 
Rüge der von uns oben öfter erwähnten Kabinetsjuſtiz iſt. 


5) Die Eingriffe der weltlichen Macht in die geiſt— 
liche Gerichtsbarkeit ſollen eben jo wenig, wie die der geiſt— 
lichen Macht in weltliche Geſchäfte, Statt finden oder ge— 
duldet werden. Dieſer Artikel zeigt, daß Heinrich von 
Roſenberg ſeinen Freund, den Erzbiſchof Johann von Jen— 
ſtein, nicht vergaß, obgleich Letzterer an dem Herrenbunde 
keinen directen Antheil nahm, ſondern ſich ſtill verhielt. 

6) Die Münze ſoll auf denjenigen Fuß zurückgeführt 
werden, wie der im J. 1378 mit K. Karl IV darüber ge— 
ſchloſſene Vertrag es beſtimmt hat. Leider iſt die anhal— 
tende, wenn auch nicht raſche Verſchlimmerung der Münze 
unter Wenzel, ſelbſt an den Prager Groſchen, die uns aus 
ſeiner Regierung erhalten worden ſind, nicht zu verkennen. 


7) Die Berna (allgemeine Grundſteuer) ſoll nur bei 
den von Alters her beſtimmten Veranlaſſungen, und nur 


Forderungen des Herrenbundes. 89 


durch ſolche Perſonen erhoben werden, denen es gebührt, — 1395 
d. i. durch die jedesmal auf dem Landtage zu dieſem Ge— 
ſchäfte gewählten Herren und Ritter. Ferner ſoll der Unfug 
abgeſtellt werden, daß in den königlichen Städten in neue— 

rer Zeit ſelbſt der Adel zu Entrichtung des Zolls angehal— 

ten wurde. 


Über dieſe, und andere minder bedeutende Punkte mehr, 
ſollten die nach dem Piſeker Decret zu ernennenden Schieds— 
richter ihren Austrag thun, und zu Beobachtung dieſes Aus— 
trags ſollten der König und Herzog Johann unter ihrem 
Siegel, der ganze Herrenſtand aber für ſich, und Ritter 
und Städte wieder für ſich, unter ihren Eiden ſich ver— 
pflichten. Es ſollte daher ein neues Geſetz vom ganzen 
Land genehmigt und ſanctionirt werden. Das Neue in 
der Sache beſtand darin, daß der Herrenſtand einen alt⸗ 
hergebrachten Gebrauch, trotz der veränderten Bedeutung, 
welche der Fortſchritt der Zeit ihm gegeben, in ein unver— 
brüchliches Geſetz verwandelt wiſſen wollte. Die veränderte 
Bedeutung erklärt ſich aber durch die mit der Verbreitung 
des Feudalweſens unter K. Johann und Karl IV gleich— 
zeitig hervortretende Schärfung des Unterſchieds der Stände. 
Der Könige Gunſt, hohe Amter und anſehnlicher Güter— 
beſitz, hatten in früheren Zeiten hingereicht, den Begünſtig— 
ten, ohne Rückſicht auf ſeine Geburt, in die Reihen des 
höheren Adels einzuführen; jetzt aber wollte der Herren— 
bund von der Aufnahme ſolcher Emporkömmlinge nichts 
mehr hören, und verlangte, daß nur geborne Mitglieder 
des Herrenſtandes, die zugleich reich begütert waren, zu 
den höchſten Amtern befördert werden ſollten. 


Wie geſagt, gab K. Wenzel dem Herrenbunde am 
30 Mai 1395 über obige Forderungen eine in ſo unbe— 
ſtimmte Worte gefaßte Urkunde, daß ſie mehr einem Em— 
pfangſcheine über die ihm vorgelegten Artikel, als einer 


90 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1395 Beſtätigung derſelben ähnlich fah. '% Das Mißvergnügen 


15 Juli 


9 Aug. 


der Barone wurde dadurch nicht gehoben, ſondern erhöht, 
und der Ausbruch eines neuen Krieges war unvermeidlich. 
Nun gerieth Herzog Johann von Görlitz wieder in ein 
eigenthümliches Verhältniß zu den ſtreitenden Parteien, 
welches wir jedoch, aus Mangel an Quellen, nicht mehr 
ganz aufzuklären vermögen. Er trat am 15 Juli 1395 


ſelbſt dem Herrenbunde bei; !® ohne Zweifel, um zwiſchen 


ihm und dem Könige beſſer vermitteln zu können; denn 
in den über ſeinen Beitritt beiderſeits erlaſſenen Urkunden 
wurde der Zweck, »die Ehre des Königs zu wahren«, 
immer obenan geſtellt. Gleichwohl ſtand die zu Zwettl 
am 9 Aug. 1395 vom Markgrafen Joſt und Heinrich von 
Roſenberg im Namen des Bundes übernommene Verpflich- 
tung, alles aufzubieten, damit die Gewalt und Vicarie des 
römiſchen Reichs von König Wenzel auf Herzog Albrecht 
von Sſterreich übergehe, “s im grellſten Widerſpruche mit 
jenem ausgeſprochenen Zwecke. Es iſt nicht anders anzu— 
nehmen, als daß Herzog Johann von einer ſolchen Ver— 
pflichtung ſeiner neuen Bundesgenoſſen keine Kenntniß hatte. 


101) Sie ift gedruckt in Pelzels Urkk. Buche II, 4 und im Archiv 
Cesky I, 56 fg. Das leider ſchon ſehr beſchädigte Original 
dieſer in böhmiſcher Sprache verfaßten Urkunde befindet ſich 
jetzt im böhm. Kronarchive. Für den diplomatiſchen Gebrauch 
dieſer Sprache bilden überhaupt die Verhandlungen dieſer Jahre 
Epoche; von da an nimmt dieſer Gebrauch immer mehr Über— 
hand, und macht ſich ſchon ſeit dem erſten Viertel des XV 
Jahrh. faſt ausſchließlich geltend. 

102) Archiv Cesky I, 59 fg. Früher ſchon, am 2 April 1395, hatte 
Herzog Johann nicht nur mit Stephan von Bayern, ſondern 
auch mit Joſt von Mähren und Wilhelm von Meißen ein ſo— 
genanntes ewiges Bündniß geſchloſſen (das jedoch ſehr kurz 
dauerte). Vgl. G. Köhlers Beiträge zur Geſch. der Lauſitz I, 23. 

103) Fürſt Lichnowsky's Geſch. IV Band, Regeſten Nr. 2498. Da 
Herzog Albrecht bald darauf (am 29 Aug.) ſtarb, ſo hatte dieſe 
Verſchreibung keine weitere Folge. 


Neue Unruhen. Herzog Johann von Görlitz. 91 


Als zu gleicher Zeit der Herr von Roſenberg mit den 
Bundestruppen gegen den König zu Felde zog, die könig— 
liche Burg Kugelweit zerſtörte, Budweis belagerte und Wod— 
nian einnahm,!“ fällt es auf, den Herzog bei ſolchen Vor— 
gängen auf der Seite der Gegner des Königs zu erblicken; 
aber noch mehr überraſcht es, zu ſehen, daß Wenzels Starr— 
ſinn auch durch ſolche Demonſtrationen ſich nicht brechen 
läßt, und er eine Zeit lang den Muth hat, das Feld gegen 
alle ſeine vereinigten Feinde zu halten. Am 10 Auguſt 
jedoch entſchloß er ſich, den Bruder zum oberſten Haupt— 
mann des Königreichs zu ernennen, verſprach ſein Kriegs— 
volk binnen acht Tagen aus dem Felde zu ziehen, und gab 
zugleich dem Bruder die volle Macht, die ſtrittigen Puncte 
zwiſchen ihm und den Baronen einer endlichen Entſchei— 
dung entgegenzuführen. 19 

Herzog Johann, zwiſchen zwei erbitterte und eigen— 
ſinnige Parteien als Vermittler geſtellt, ſcheint in guter 
Abſicht ſich alle Mühe gegeben zu haben, eine Einigung 
herbeizuführen. Daß viele Verhandlungen zu dieſem Ende 
angeknüpft, abgebrochen und wieder aufgenommen wurden, 
iſt gewiß, obgleich uns der nähere Inhalt derſelben un— 
bekannt bleibt. Die Liebe, welche der Herzog in Böh— 
men wegen ſeiner bis ins folgende Jahr 1396 fort— 
geſetzten Bemühungen ſich erwarb, gibt für ihn ein gün— 
ſtiges Zeugniß. Er ſetzte endlich, kraft ſeiner Vollmacht, 
im Januar 1396 einen jetzt unbekannten Friedensvertrag 
auf, der aber dem Sinne K. Wenzels ſo wenig entſprach, 
daß beide Brüder darüber in einen Streit geriethen, der 
zu entſchiedenem unheilbaren Bruche führte. Wenzel nahm 
dem Herzoge die Hauptmannſchaft über das Königreich in 
ſehr ungnädiger Weiſe wieder ab, und erließ in das ganze 
104) Chron. Benesii minoritae in Dobner monum. IV, 65 — über: 


einſtimmend mit handſchriftlichen Noten aus dieſer Zeit. 
105) Die Urkunde ſteht in Wenker's Collecta archiv. pag. 393. 


1395 


10 Aug. 


1396 


92 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1396 Land Decrete, in welchen ihm fortan Gehorſam zu leiſten 


1 März 


verboten wurde; man vermißte in dieſen Schreiben ſelbſt 
die gewöhnlichſten Formen der Höflichkeit gegen einen Bru— 
der. 18 Als der Herzog von Prag ſchied, um nimmermehr 
dahin zurückzukehren, entſtanden in der Stadt Tumulte; 
denn die Mehrzahl der Einwohner war ihm ſehr ergeben 
geweſen. Wenzel ſetzte einen neuen Stadtrath ein, und 
hatte Mühe, die gährenden Gemüther zu beſchwichtigen. 197 
Johann kehrte in fein Land zurück. Abends auf den 1 März 
1396 legte dieſer erſt 25jährige Prinz im Kloſter Neuzelle 
ſich geſund zu Bette; am folgenden Morgen fand man 
ihn darin todt. Ob ein Schlagfluß, oder Gift, oder Ge— 
walt dieſen plötzlichen Tod veranlaßt hat, iſt unerforſcht 
geblieben. Er hinterließ nur eine Tochter Eliſabeth, im 
Kindesalter. 

Während aller dieſer Ereigniſſe verhielt ſich König, 
Sigmund von Ungarn ſcheinbar neutral und ruhig; einer— 
ſeits war er zu ſehr im eigenen Lande und in der Wa— 
lachei gegen die Türken beſchäftigt; anderſeits wartete er 
den Zeitpunct ab, wo feine Dazwiſchenkunft erſt entſchei— 
dend werden konnte. Gegen Ende des J. 1395 ſchrieb er 
an Wenzel einen Brief, der die innigſte Theilnahme und 
die tiefſte Beſorgniß für das Wohl und Anſehen des Bru— 


106) Der im Kanzleiſtyl jener Zeit obligate Beiſatz »carissimus« bei 
»frater noster« wird in dem (bei Pelzel II, 9 gedruckten) Des 
krete vermißt u. dgl. m. Der König beſchuldigte darin ſeinen 
Bruder, fälſchlich vorgegeben zu haben, daß er von den Ba— 
ronen bevollmächtigt geweſen ſei. Dies iſt wohl eigentlich dahin 
zu verſtehen, daß Johann weder die Macht, noch den Willen 
hatte, alles nur nach des Bruders Wunſche allein zu erledigen. 

107) S. Wenker's Collecta archiv. p. 394. Was Pelzel und An⸗ 
dere bei dieſer Gelegenheit von Hinrichtungen in Prag erzäh— 
len, beruht nicht auf hiſtoriſchen Zeugniſſen, ſondern nur auf 
unkritiſcher Combination Hajekiſcher Lügen mit wirklichen Er— 
eigniſſen. 


Herzog Johann von Görlitz ſtirbt. K. Sigmund. 93 


ders ausſprach, 1% aber auch vollkommen zu den im Fe- 1396 
bruar 1394 feſtgeſetzten Plänen paßte. Vor Allem, ſagte 
er, müſſe dafür geſorgt werden, daß die in dem Hauſe 
Luxenburg ſchon gleichſam erblich gewordene Kaiſerkrone 
ihm nicht wieder entzogen werde. Er habe ſo eben er— 
fahren, auf welchen geheimen Wegen der König von Eng— 
land nach der kaiſerlichen Würde ſtrebe, und wie er darin 
von Vielen unterſtützt werde. Schon aus Pietät für den 
Vater (Karl IV), der ſich jo viel Mühe gegeben, das 
Kaiſerthum ſeinem Hauſe zu erhalten, müſſe Wenzel ſich 
beeilen, und durch Annahme der höchſten Krone der Chriſten— 
heit allen Nebenbuhlern die Hoffnung dazu abſchneiden. 
Die Umſtände ſeien günſtig, wie nie vorher; zumal Wen— 
zel jetzt nicht nur an dem Papſte einen Freund, ſondern 
auch an dem Herzog von Mailand den treueſten Diener 
habe. Er, Sigmund, ſei gleichfalls bereit, ihm mit aller 
Macht beizuſtehen; denn des Bruders Ehre gehe ihm, wie 
ſeine eigene, zu Herzen, und trotz der Ränkemacher, welche 
Mißtrauen und Zwietracht zwiſchen ihnen zu ſäen ſich be— 
mühen, werde er nie aufhören, ihm der treueſte und er— 
gebenſte Bruder zu ſeyn. 19° 


108) In einer Handſchrift des Prager Domcapitels (H, 3, fol. 35 q.). 
Er iſt noch ungedruckt. 

109) Ad aures nostras veridica nuper insinuatione pervenit, et ad 
vestras quoque pervenisse non ambigo, Anglorum regem qui- 
busdam subterraneis, ut ita dixerim, viis, ad hoc fastigium 
aspirare, multosque sibi ad hoc complices ascivisse; quorum 
nonnulli, sub spe fallendi, vobis forte suadere moliuntur, nihil 
de imperio agi. Videte, principum maxime, ad quem ex bene- 
ficio paterno hujuscemodi rei cura principaliter spectat, ne ali- 
quando in diebus nostris hoc possit accidere, ut imperium ex 
nostra in alienam familiam transferatur. — Tempus exigit, ut 
regio nomine deposito, vobis imperatoris omnium maximum 
vendicetis, et imperialis apieis spem cunctis extraneis adima- 


tis. — Utimini fortunae beneficio; et — pro decore Majestatis 
* 


94 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1396 Solche Betheurungen waren ganz geeignet, den bei 
allem Eigenſinn im Grunde gutmüthigen Wenzel für ſei— 
nen Bruder aufs günſtigſte zu ſtimmen; zumal er jetzt der 
Hilfe desſelben wirklich bedurfte. Er berief ihn daher (am 

2 Febr. 2 Febr.) zu ſich nach Böhmen, und überhäufte den ſchnell 
Herbeigekommenen mit Beweiſen von Liebe und Vertrauen. 
25 Febr. Schon am 25 Februar fertigten zu Prag beide königlichen 
Brüder den ſicheren Geleitsbrief für Markgraf Joſt und 
deſſen Anhänger aus, damit dieſelben perſönlich kommen 
und die ſo oft vergeblich verſuchte Ausgleichung zu Ende 
1 März führen helfen; am 1 März, dem Sterbetag des Herzogs 
von Görlitz, erneuerten ſie die ſchon vor zwei Jahren unter 
einander errichteten wechſelſeitigen Erbverträge; und am 
19 März 19 März ernannte Wenzel feinen Bruder ſogar zu feinem - 
Vicar und Stellvertreter im geſammten römiſchen Reiche. 
Am ſelben Tage erklärte endlich Wenzel, daß anſtatt der 
nach der Piſeker Urkunde vom 25 Aug. 1394 zu wählenden 
ſechs Schiedsrichter, nunmehr König Sigmund und Mark— 
graf Joſt allein die volle Macht haben ſollten, über alle 


vestrae, pro debito, pro augmento, pro exaltatione domus no- 
strae, pro aemulorum confusione, ad hanc sumendam digni- 
tatem, omnibus postpositis aliis, prop erate. Oro, obsecro, sua- 
deo, ne oblatam vobis divinitus tam felicem occasionem per 
incuriam cum Celsitudinis Vestrae pudore et generis nostri 
confusione perdatis. Nihil enim honoris vel augmenti perso- 
nae Vestrae potest evenire, cujus et ipse non sim particeps; 
nihil e contra dedecoris vel pudoris. Quamobrem, si quid ad 
haec mea possibilitas valet, me semper animo et corpore viri- 
busque totis, more boni fratris, paratissimum, quando et quo- 
tiescunque volueritis, invenietis. Testis est enim secretorum 
omnium conditor deus, quod exaltationem Vestram, tamquam 
propriam, optavi, opto et optabo, donec in me ullae vitalis 
aurae reliquiae supererunt; licet obtrectatores multi malignandi 
studio inter nos dissensiones odiaque seminare satagentes, vobis 
aliter esse persuaserunt; quorum nugis, carissime frater, quaeso, 
ne de cetero Serenitas Vestra aurem credulam accomodet etc. 


K. Sigmund von Ungarn als Vermittler. 95 


zwiſchen ihm und den Baronen ſtrittigen Puncte, und na— 
mentlich über die Beſetzung der oberſten Landesämter, über 


1396 


die Wahl der Landeskmeten und über die Münze, den 


Austrag zu thun. Markgraf Prokop war bei allen dieſen 
Verhandlungen gegenwärtig, und galt als Wenzels vor— 
nehmſter Rath; doch iſt uns unbekannt, wie weit ſein per— 
ſönlicher Einfluß gereicht hat. 

Am Oſterſonntag, den 2 April, erfolgte von beiden 
bevollmächtigten Fürſten der ſchon lange vorbereitete, und 
ganz im Sinne des Herrenbundes gefaßte Spruch. Der 
wichtigſte Theil desſelben betraf die Zuſammenſetzung des 
oberſten Regierungsrathes für das Königreich Böhmen. 
In dieſem Rathe ſollten fortan ſitzen: der Erzbiſchof von 
Prag und die Biſchöfe von Olmütz und Leitomysl, dann 
die Herren Heinrich von Roſenberg als Oberſtburggraf, 
Wilhelm von Landſtein als Oberſtlandkämmerer, Hynek 
Berka von Duba auf Hohenſtein als Oberſtlandrichter, 
Breneék von Rieſenberg auf Skala als Hoflehnrichter, 
Benes Skopek von Duba als Oberſthofmeiſter, Smil Flaska 
von Pardubic auf Richenburg als Oberſtlandſchreiber, fer— 
ner die Barone Otto von Bergow auf Bilin, Johann von 
Michalowic, Bokek von Podĩbrad und Bores von Rieſen— 
burg. Dieſe alle ſollte der König nicht abſetzen dürfen, 
doch könne er neben ihnen auch andere Barone mehr in 
ſeinen Rath berufen. Landeskmeten ſollten diejenigen blei— 
ben, die es zu jener Zeit waren und den üblichen Eid be— 
reits geleiſtet hatten. Die Münze ſollte ſo beſtellt wer— 
den, daß nicht mehr als achtzig Prager Groſchen auf eine 
Mark feines Silber gehen. In Folge dieſer Maßregeln 
ſollte dem Könige allenthalben neu gehuldigt, der Frieden 
im ganzen Lande hergeſtellt und befeſtigt, alle im Kriege 
geraubten Güter zurückerſtattet, und die ganze Regierung in 
ihren früheren ordentlichen Gang wieder gebracht werden. 11 
110) Die Urkunde iſt bei Pelzel II, 14 fg. abgedruckt. 


2 April 


1396 


15 April 


2 Juli 


96 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


Daß ein ſo gearteter Spruch den König nicht befrie— 
digte, war nach allen bisherigen Vorgängen natürlich. 
Unter den ihm aufgedrungenen Räthen befand ſich nur ein 
einziger, der Oberſthofmeiſter Benes Skopek von Duba, 
der ihm von jeher treu und lieb geweſen; die übrigen alle 
waren Mitglieder des Herrenbundes. Dennoch fügte er 
ſich diesmal in die Nothwendigkeit, wenn gleich mit Wider— 
willen und mit Klagen; Sigmund hatte bereits zu viel 
Gewalt über das Gemüth des Bruders gewonnen, als 
daß dieſer es gewagt hätte, alſogleich wieder offenen Wider— 
ſtand zu leiſten. Die Barone wurden daher in die ge— 
nannten Amter eingeſetzt, und die ganze Regierung ſchien 
von nun an einen andern Gang zu nehmen. Schon am 
15 April waren zu Prag die ordentlichen Sitzungen des 
größeren Landrechts wieder eröffnet, in welchen die neu— 
ernannten Oberſtlandesofficiere ihre Sitze einnahmen. 

An dem oben genannten Oſterſonntage (2 April) re— 
ſignirte auch Johann von Jenſtein das Prager Erzbisthum, 
und inſtallirte ein Viertel Jahr ſpäter in der Kathedral— 
kirche ſeinen Schweſterſohn und Nachfolger, Wolfram von 
Skworec, den geweſenen Kanzler des Herzogs Johann von 
Görlitz. Die Verhandlungen über dieſe Reſignation waren 
ſchon im vorigen Jahre von dem genannten Herzoge ein— 
geleitet und von Papſt Bonifaz IX gutgeheißen worden; 
auch die Wahl Wolframs als Nachfolger ſeines Oheims 
hatte in Rom ſchon am 5 März 1396 die nöthige Ap— 
probation gefunden. Ob dieſe Wahl ganz nach Wenzels 
Wunſch ausgefallen, wiſſen wir nicht; gewiß iſt es nur, 
daß Wenzel zu gleicher Zeit dem Papſte vielerlei Wünſche 
über Beſetzung einiger Bisthümer in Deutſchland, ſo wie 
auch des durch den Tod Johann Sobeslaws von Mähren 
Cr 1394, 12 Oct.) erledigten Patriarchenſtuhles von Aqui— 
leja vortrug, welche keine Berückſichtigung fanden. Auch 
von der Erhebung Kladrau's zu einem Bisthum mußte er 


Erzbiſchof Wolfram. Neue Gährung. 97 


abſtehen, und die dortigen Kloſtergüter wurden zuerſt im 1396 
J. 1397 dem Patriarchen von Antiochien zur Commende, 
einige Zeit ſpäter aber einem neuen Abte, Namens Wer— 
ner, eingeräumt. Johann von Jenſtein begab ſich im fol— 
genden Jahre nach Rom und wurde dort zum Patriarchen 
von Alexandrien befördert, ſtarb aber ſchon am 17 Juni 
1400. Wolfram hielt ſich von allem Einfluſſe auf die Ge— 
ſchäfte fern, und gab daher ea feinen Anlaß zu Rei⸗ 
bungen und Klagen. 

König Sigmund verließ Böhmen bald nach der zwi— 
ſchen ſeinem Bruder und dem Herrenbunde getroffenen Ver— 
richtung. Ihn riefen dringende Angelegenheiten ſeines ei— 
genen Landes zurück, ſo daß er als neuernannter Reichs— 
vicar nicht einmal eine Reiſe nach Deutſchland unterneh— 
men konnte. Die von den Türken drohende Gefahr brachte 
auf ſeinen Ruf viele kampfluſtige Chriſten, zumal aus 
Frankreich, nach Ungarn, und führte am Ende zu der un— 
glücklichen Schlacht bei Nikopolis (28 Sept. 1396), in 
welcher die Chriſten gänzlich geſchlagen und Sigmund ſogar 
genöthigt wurde, ſein Heil in einer abenteuerlichen Flucht 
bis in das mittelländiſche Meer zu ſuchen. 

Die in Böhmen neuorganiſirte Regierung war aus 
einander widerſtrebenden Elementen zuſammengeſetzt: ſie 
konnte daher unmöglich Ordnung und Ruhe im Lande auf 
die Dauer herſtellen. Die oberſten Landesbeamten han— 
delten und regierten im Namen des Königs: der König 
aber machte kein Hehl daraus, daß ihr Wille nicht der 
ſeinige ſei, und daß man ihm keinen Gefallen erweiſe, 
wenn man ihnen und nicht ihm allein Folge leiſte. Ver— 
gebens bemühte ſich insbeſondere Herr Heinrich von Roſen— 
berg, Wenzels Gnade und Vertrauen wieder zu gewinnen; 
er erlangte nicht mehr, als daß Dieſer ſeinen Zorn gegen 
ihn etwas zurückhielt. Der dem Herrenbunde verhaßte 


Landesunterkämmerer, Sigmund Huler, war in ſeinem 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 7 


98 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1396 Amte belaſſen worden, und hörte daher nicht auf, den frü— 


31 Mai 


heren Einfluß auf alle königlichen Städte auszuüben. Es 
konnte nicht ausbleiben, daß widerſprechende Befehle im 
Volke Ungehorſam, u bei der Regierung ſteigende Zwie— 
tracht und Haß erzeugten. Wohl mußten auch wohlmei— 
nende Männer an einem Könige irre werden, der weder 
allein, vernünftig und conſequent, zu regieren, noch auch 
in die Mitregierung Anderer ſich zu fügen wußte. Wenzel 
verdarb es bei Vielen noch dadurch, daß er, einer Auf— 
wallung ſeines Jähzorns folgend, den Markgrafen Joſt 
und ſechs Barone, die in Begleitung Herzog Stephans 
von Bayern am 31 Mai 1396 zu ihm nach Karlſtein 
kamen, dort plötzlich verhaften ließ. »Du haſt es ver— 
anftaltet« (rief er dem Markgrafen zu), »daß der von 
Schwamberg die Abgeſandten von Straßburg und Frank— 
furt gefangen nahm; Du haſt den Kaufleuten großes Gut 
wider Recht genommen; Du machſt es, daß mich die Ba— 
rone angreifen, mir mein Land wüſten und die Straßen 
darnieder legen: nun iſt es beſſer, daß Du verdirbſt, als 
daß Land und Leute verderben ſollen. Ich war Dein rech— 
ter Herr, Du hatteſt mir Treue geſchworen und darüber 
Briefe gegeben, und Du fingſt mich, und haſt mich nicht 
gut bewahrt; ich werde Dich aber gut zu bewahren wiſ— 
ſen. «u Unter Einem ſandte Wenzel Befehle nach Prag, 
in deren Folge man die Stadtthore ſchloß und alle Anz 
gehörigen des Markgrafen verhaftete; auch ließ er dem 
Markgrafen Prokop nach Mähren melden, daß er ſich aller 
Beſitzungen ſeines Bruders bemächtigen ſollte. Bald jedoch 


111) Auf dieſe Verhältniſſe beziehen ſich K. Wenzel's Worte bei 
Windeck cap. VI, pag. 1079: „damit er (K. Sigmund) uns 
Land und Leute und Städte hat wieder irre gemacht und un— 
gehorfam.« 

112) Nach dem von Wenker in Collect. archiv. p- 395 mitgetheilten 
Briefe. 


Neue Gährung. Mord der Günftlinge. 99 


legte ſich die hitzige Aufwallung wieder. Auf das Zureden 1396 
des Herzogs Stephan von Bayern, der ſich dadurch ge— 
kränkt fühlte, daß ſeine Begleiter für ihr Vertrauen zum 
Könige im Gefängniſſe büßen ſollten, gab Wenzel erſt 
allen Gefangenen, außer dem Markgrafen und dem Herrn 
Bokek von Podebrad, die Freiheit wieder; nach einigen 
Tagen aber befahl er auch dieſe ihrer Haft zu entlaſſen. 
Da die oben von uns genannten Günſtlinge des Kö— 
nigs die Haupturſache waren, um deren willen ſich der 
böhmiſche Herrenbund erhoben hatte: ſo fällt es auf, daß 
wir keinen von ihnen in die Ereigniſſe dieſer Jahre kräf— 
tiger eingreifen ſehen. Allein zum Theil hielten ſie ſich, 
wie Georg von Roztok und Johann Cuͤch von Zaſada, 
als Hofbeamte, von allem Einfluß auf die Geſchäfte mög— 
lichſt ferne; zum Theil bediente ſich ihrer Wenzel auch 
außerhalb des eigentlichen Böhmens, des Boriwoj von 
Swinar in deutſchen Ländern, des Hyncik Pluh von Rab— 
ſtein in den Lauſitzen. Noch andere Männer, als die oben— 
genannten, waren es, welche in dieſen Jahren des Königs 
Gunſt und Vertrauen vorzugsweiſe beſaßen und in den 
Geſchäften geltend machten. Namentlich zeichnete ſich unter 
ihnen der geweſene Oberſtburggraf und Hoflehnrichter Burk— 
hard Strnad von Janowic aus; Wenzel tröſtete ihn für 
den Verluſt ſeiner Landes-Amter damit, daß er ihn zu 
feinem Oberſtkämmerer ernannte und ihm noch die Schlöf- 
ſer Königſtein und Lilienſtein mit der Stadt Pirna zu 
Pfande verſchrieb. Ein anderer Günſtling war Herr Ste— 
phan von Opoeéna, aus dem Haufe Dobruska, jetzt königl. 
Hauptmann in Breslau; ihn hatte Wenzel mit der dem 
Herrn Marquard von Wartenberg confiscirten Burg Zleb 
beſchenkt. Auch Hermann von Chauſtnik ſtand ſchon in 
dieſen Jahren dem Könige nahe, und ſcheint durch ehren— 
haften Charakter ſich vor Anderen ausgezeichnet zu haben. 
Alle dieſe drei gehörten ihrer Geburt nach dem Herren— 


Pi 


/ 


100 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1396 ſtande an, obgleich ſie kein bedeutendes Vermögen beſaßen. 


1397 


Von anderen Günſtlingen, wie dem königl. Hofkämmerer 
Stephan von Martinic, zugenannt Poduska, und dem Mal— 
teſerprior Markold von Wrutic, läßt ſich nichts Näheres 
angeben; ſie theilten die königliche Gunſt zunächſt noch mit 
zwei Männern bürgerlicher Abkunft, Johann von Milheim, 
dem Gründer der Betlehemskapelle in Prag, und Peter 
von Piſek, königl. Münzmeiſter in Kuttenberg. . 

Die Verhaftung der Häupter des Herrenbundes in 
Karlſtein hatte neue Erbitterung in die Gemüther gewor— 
fen. Alle ſchieden von dort als offene Feinde des Königs. 
Ihre Freunde gaben jedoch die erlangten oberſten Landes— 
ämter mit nichten auf; ſie benützten vielmehr ihre Stel— 
lung, um verſchiedene Amter im Lande mit ihren Anhängern 
zu beſetzen. So gelang es ihnen insbeſondere, in der Alt— 
ſtadt Prag einen ihnen ergebenen Magiſtrat zu erlangen; 
das Nähere darüber iſt jedoch unbekannt. Gegen den König 
wurden ohne Scheu und Rückhalt die aufreizendſten Reden 


und Schriften verbreitet. us Dennoch näherte Markgraf 


113) Den Beweis liefert eine zweite, noch unbekannte, »Forma cu- 
rialis super quibusdam evitandis per D. Regem, illis, quae vi- 
delicet statum et commodum regni videntur impedire«, in 
einer Handſchrift des Prager Domcapitels (G, 19, fol. 120), 
Da wird dem Könige ein ganzer Sündenſpiegel vorgehalten. 
Wir führen nur einige charakteriſtiſchen Stellen hier an. Al- 
titudo imperii! cur non imitatus estis invictissimi genitoris ve- 
stri Karoli vestigia? qui terrae suae nobiles, extraneos et ad- 
venas insignes et laudabiles cordis totius adamavit nisibus, 
cum quibus provincias terras obtinuit; cohortem vero civium 
et mechanicorum ad celsitudinis consilium non vocavit. Do- 
minis namque terrae et baronibus regni commisit officia, per- 
spicua sagacitate illorum disponens gubernamina, quemlibet in 
suo esse ordine disposuit, cuncta ordinans baronum consiliis. 
Tune temporis imperio et regno Bohemiae dietenus acerevit 
honoris augmentum et victoria; quia praeclarae memoriae pater 


vester invietissimus maturis baronum utebatur consilüs, qui 


Mord der Günſtlinge in Karlſtein. 101 


Joſt ſich ihm wieder, und war, in Folge neu angeknüpf— 
ter Unterhandlungen, am 6 Febr. 1397 ſogar auf dem 
Puncte, zu den böhmiſchen Kronländern, Mähren, Branden— 
burg und Luxenburg, die er bereits inne hatte, auch die 
beiden Lauſitzen hinzugefügt zu ſehen. Das bereits ge— 
ſchloſſene Geſchäft zerſchlug ſich wieder; doch ſind wir über 
den eigentlichen Hergang dieſer einander widerſprechenden 
Ereigniſſe zu wenig unterrichtet, als daß ſich darüber ein 
klarer Aufſchluß geben ließe. Das wenigſtens iſt gewiß, 
daß der Krieg, der neuerdings auszubrechen drohte, hint— 
angehalten wurde. Dagegen zog ſich über den Häuptern 
der Günſtlinge unvermuthet ein um ſo ſchrecklicherer Sturm 
zuſammen. Herzog Hanns von Troppau und Ratibor, der 
neuernannte Oberſthofmeiſter des Königs, der jedoch bis— 
her keine bedeutende Rolle am Hofe geſpielt hatte, ließ 
ſich von einigen Mitgliedern des Herrenbundes zur Aus— 
führung eines blutigen Anſchlags gewinnen. Aus Anlaß 
wichtiger aus Deutſchland eingelangter Nachrichten wurden 
des Königs Räthe am Pfingſtmontag (den 11 Juni) nach 


post decessum ipsius per novellos dominos a celsitudinis con- 
silio sunt exclusi. Nonne sua invictuosa potentia status om- 
nium regiminum satis solerter disposuit, clientes in suo ordine, 
cives in suo similiter? ita, quod quidam propinantes cerevi- 
siam, quidam suebant calceos, quidam crassantes pecudes, far- 
cientes farcimina, unde sui barones et elientes enutriri poterant 
etc. — Puerili Vestra Gloriositas est perversa consilio, quod 
regnum Boemiae, longis plantatum temporibus, incuriose per- 
misistis destruere. Cum dominis vestris et regni baronibus 
compositionem non curastis hucusque intrare gratuitam; cum 
quibus tamen omnia incommoda, omnes insolentias Vestram 
gloriositatem oportebit vincere ultimatim. Serenitas namque 
Vestra imaginative dignetur respicere: hos, quos vobis novel- 
los formastis dominos, de luto faecis erexistis et miseriae, Sertis 
Vrae formastis in praejudicium. Si namque Vra Sertas jpso- 
rum consilio utetur diutius, imperio, corpore et regno privari 
poteritis u. f. w. 


1397 


11 Juni 


102 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1397 Karlſtein zuſammenberufen. Während der Berathungen 

11 Jun. ging der Herzog mit den Herren von Michalowic, von 

Schwamberg und von Rieſenburg aus dem Saale hinaus, 

und ließ die Herren Burkhard von Janowic, Stephan von 

Opoéna, Stephan von Martinic und den Malteſerprior 

Markold in ein nahegelegenes Kabinet rufen, das er mit 

Bewaffneten wohl verſehen hatte. Als dieſelben ahnungs— 

los eintraten, wurden ſie, als angebliche Verräther des 

Königs,“ ſogleich niedergemacht; der Herzog ſelbſt begann 

die Schlächterei damit, daß er dem Herrn Strnad das 

Schwert in den Leib ſtieß. Die drei Herren blieben auf 

der Stelle todt; nur Markold lebte noch einige Stunden 

lang. Von da an wurde der Herzog ein Gegenſtand des 

Abſcheu's für das böhmiſche Volk, das ihn nun insgemein 

nicht mehr »knez Hanus«, ſondern »mistr Hanus (d. i. 
Hanns der Scharfrichter) zu nennen pflegte. 

Während dieſes Vorfalls befand ſich K. Wenzel in 
der Nähe, im Königshofe bei Beraun. Nach vollbrach— 
ter blutiger That ritt daher Herzog Hanus mit ſeinen 
Freunden alſogleich zu ihm, um ihm ſelbſt die Kunde des 
Geſchehenen zu bringen. Sie knieeten vor dem Könige 
nieder und lieferten ihm Beweiſe von den hochverräthe— 
riſchen Plänen der Hingerichteten; Beweiſe, die durch die 
Ausſage des ſterbenden Großpriors beſtätigt worden ſein 
ſollen. Sie hatten daher, ihren Worten gemäß, den gräß— 
lichen Mord aus purer Treue und Anhänglichkeit an den 
König vollbracht. Und dieſer war ſchwach genug, wo nicht 
ihnen vollen Glauben zu ſchenken, doch das Geſchehene auf 


114) „Do ſprach der Herzog zu In: Ir Herren, ihr ſeid, die Tag 
und Nacht unſerm Herrn Künig rathen, daz er nicht gen deu— 
tſchen Landen ſoll, und wollt ihn bringen von dem romiſchen 
Reich« — ſagt der deutſche Berichterſtatter bei Wenker p. 395. 
„Sie haben uns an unſeren Eren und umb unſern Leibe wol— 
len vorraten« — ſagt das königl. Manifeft vom 13 Juli 1397, 


Mord der Günſtlinge in Karlſtein. 103 


ſich beruhen zu laſſen. Das in einem königl. Manifeſt vom 1397 
13 Juli 1397, durch Vermittelung des Markgrafen Pro- 13 Juli 
kop, den Mördern ertheilte Abſolutorium, iſt eines der 
ſchmachvollſten Documente dieſer Zeit.!“ Der Herzog von 
Troppau behielt zwar ſein Oberſthofmeiſteramt nicht lange; 
wir finden ihn aber gleich darauf als königl. Hauptmann 
der Grafſchaft Glatz wieder. Nur die bald nach der Ge— 
waltthat erfolgte Verweiſung des Markgrafen Joſt aus der 
Stadt Prag und aus Böhmen!“ ſcheint anzudeuten, daß der 
König mit dem nicht zweifelhaften Anſtifter jener Kata— 
ſtrophe unzufrieden war; auch ſetzte er ſogleich diejenigen 
Räthe der Altſtadt Prag, welche es mit Joſt gehalten hat— 
ten, von ihren Amtern ab, und zwang viele derſelben zu 
eiliger Flucht aus dem Lande. 

Vielleicht iſt die Nachſicht, welche Wenzel gegen die 
Mörder ſeiner Günſtlinge bewies, durch die Gefahr zu er— 
klären, welche ſchon damals von Deutſchland her drohend 
ſich gegen ihn erhob. Bei dem ſteigenden Mißvergnügen 
der Neichsfürften mag der König die Nothwendigkeit er— 
kannt haben, dem böhmiſchen Herrenbunde um des Frie— 
dens willen einige Conceſſionen zu machen, damit er, von 
dieſer Seite ungehindert, mit um ſo mehr Nachdruck ſich 
den Reichsangelegenheiten widmen könne. Die ſchon da— 
mals in Deutſchland und Italien gegen ihn begonnenen 
Umtriebe waren ihm kein Geheimniß; 117 er entſchloß ſich 


115) Pelzel hat es aus dem in Regensburg befindlichen Original 
abdrucken laſſen, im Urkk. Buche II, pag. 26. 

116) Brief vom 5 Juli 1397 in Wenker's Collect. archiv. p. 395: 
„Auch was Markgraf Jobs von Merhern zu Prag nachdem do 
das geſchah; da enbot Im unſer Herr der Künig, daz er auz 
der Stat reit, er wolt ſein Stat und ſein Land ſelber wol 
verſehen. Alſo reit er herauz“ ꝛc. 

117) Schon im Auguſt 1397, kurz vor Antritt der Reiſe nach Deutſch— 
land, ſchrieb er an den ihm ergebenen Herzog von Mailand, 
unter Anderem, die Bitte: quatenus, si quae ad tui notitiam 


104 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1397 daher, um ſie zu vereiteln, zu einer längeren Reiſe an 
den Rhein, und beſtellte für die Zeit ſeiner Abweſenheit 
jenen Vermittler, den Markgrafen Prokop von Mähren, 
zu ſeinem Statthalter und Gubernator in Böhmen. 

Der im J. 1389 zu Eger geſchloſſene allgemeine Land- 
friede für Deutſchland war längſt zu Ende gegangen, und 
K. Wenzels Verſuche, ihn auf mehrere Jahre hinaus zu 
verlängern, hatten nicht den gewünſchten Erfolg; das am 
19 März 1396 dem Könige Sigmund von Ungarn über— 
gebene Reichsvicariat war auch ein gleichſam nur papier— 
ner Act geblieben, da Sigmund wegen der vom ſiegreichen 
Sultan Bajazet ihm drohenden Gefahr ſich mit den deut— 
ſchen Zuſtänden bisher nicht hatte beſchäftigen können. Bei 
dem gänzlichen Mangel einer gehörigen vollziehenden Ge- 
walt überhaupt, und der damit in Verbindung ſtehenden 
Ohnmacht der Geſetze, war daher Deutſchland, in dieſer 
Blüthezeit des Fauſtrechts, einer Anarchie Preis gegeben, 
bei deren Betrachtung ſelbſt Diejenigen ein Mißbehagen 
fühlen mochten, welche ſie am meiſten ſelbſt zu verurſachen 
und auszubeuten pflegten. Die Unzufriedenheit war in 
Deutſchland allgemein; und mit Recht konnte man darüber 
klagen, daß K. Wenzel nicht mehr Fleiß und Nachdruck 
auf die Beſeitigung ſo ſchreiender Übelſtände verwendete. 
Unrecht aber hatte man, wenn man ihn gleichſam allein 
für die herrſchenden Unordnungen verantwortlich machte, 
während man doch ihm zur Herſtellung der Ordnung nicht 


pervenerint, quae in nostram vergere possint laesionem, his 
remediis opportunis fidelitas tua velit occurrere, nobisque hu- 
jusmodi crebrius nuntiare, prout de te gerimus confidentiam 
specialem. In demſelben Briefe heißt es über Böhmen: In- 
super statu regni Bohemiae in pacis et tranquillitatis commodo 
post terga relicto, ad quod etiam barones regni Boemiae sua 
praestant ammmicula, mox ad partes Almaniae personaliter 


pergimus. 


Umtriebe der rheiniſchen Kurfürften. 105 


nur keine Gewalt einräumen und keine Hilfe leiſten mochte, 1397 
ſondern auch ſeinen Friedenshandlungen ſelbſt hindernd ent— 
gegentrat, und ſeine beſtgetroffenen Maßregeln ſogar di⸗ 

rect zu vereiteln ſuchte. 

Seit dem Jahr 1388, wo Wenzel ſelbſt von ſeiner 
Reſignation geſprochen hatte, ſcheinen mehrere Reichsfürſten 
ſich mit dem Gedanken vertraut gemacht zu haben, daß er 
nicht beſtimmt ſei, die Reichskrone bis an ſein Lebensende 
zu tragen. Der ehrgeizigen Verſuche des Markgrafen Joſt 
und des Herzogs Albrecht von Sſterreich haben wir ſchon 
gedacht. Nach des Letzteren Tode war es vorzüglich Pfalz— 
graf Ruprecht, zugenannt Klem, der den Plan verfolgte, 
auf die allgemeine Unzufriedenheit der Deutſchen mit ihrem 
Könige feine eigene Erhebung zu gründen. Beſtrebungen 
dieſer Art zeigten ſich bei ihm ſeit dem Jahre 1396, wo nicht 
noch früher. Den größten Vorſchub leiſtete ihm dabei der 
um dieſe Zeit erneuerte Streit um das Mainzer Erzbisthum. 
Nach dem Tode des Erzbiſchofs Konrad von Weins— 
berg Cr 1396, 9 Oct.) wählte das Mainzer Capitel den 
Domherrn Gottfried von Leiningen an deſſen Stelle, den 
auch K. Wenzel beſtätigte. Ein Graf Johann von Naſ— 
ſau aber, der vergebens Alles aufgeboten hatte, die Wahl 
auf ſich zu lenken, nahm zuletzt ſeine Zuflucht nach Rom, 
und es gelang ihm, trotz allen Vorſtellungen K. Wenzels, 
den immer geldbedürftigen Bonifaz IX durch das Anbot 
einer großen Summe in der Art für ſich zu gewinnen, 
daß er ihn dem Mainzer Erzbisthume, unter der Form 
einer apoſtoliſchen Proviſion, förmlich aufdrang. s Pfalz— 


118) Joh. Trüthemü chronicon Hirsaugiense, vol. II, pag. 300 sq.: 
Joannes ex comitibus de Nassau, homo astutus et callidus, ni- 
mium aspirans ad altiora, per medium suorum egit cum Bo- 
nifacio pp. IX. — Erant, qui dicerent, eum nescio quibus flo- 
renorum septuaginta millia exposuisse, ut Godfrido pontifica- 


tum praeriperet etc. & Gobelinus Pers. ap. Meibom. I, 317 sq. 


106 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1397 graf Ruprecht wurde die Hauptſtütze des auf ſolche Art 
beförderten neuen Erzbiſchofs, nachdem er in vorhinein 
von ihm ſich die urkundliche Zuſicherung hatte geben laſſen 
(1396, 23 Oct.), daß derſelbe, als Kurfürſt von Mainz, 
„ihm zu allen Ehren und Würden, darnach er ſtellen wollte, 
mit allen feinen Freunden beiſtändig und behilflich fein« 
werde.!“ Deutlicher brauchte für diesmal Ruprechts Plan, 
ſich an Wenzels Stelle zum römiſchen Könige erheben zu 
laſſen, nicht ausgeſprochen zu werden. Es gab alſo zu 
Anfange des Jahres 1397 ſchon zwei Kurfürſten, welche 
mit entſchiedenem Willen, wenn gleich noch nicht ganz offen, 
auf die Abſetzung K. Wenzels, und ſomit vorläufig auf 
Mehrung der Unzufriedenheit mit ihm, hinarbeiteten. Früh— 
zeitig ſetzten ſie ſich ins Einverſtändniß mit allen Fürſten 
und Städten, bei welchen ſie eine Abneigung gegen den 
König wahrnahmen; und es darf bei der Lage, in welcher 
ſich Italien damals befand, uns nicht wundern, ſie auch 
alsbald in vertrautem Verkehr mit Wenzels Hamufenben, 
den Florentinern, zu erblicken. 

In Mailand und deſſen Gebiete waltete ſeit einem 
Jahrhunderte die Familie Visconti, — eine lange Reihe 
meiſt ſehr tüchtiger Männer, die jedoch vor keinem Ver— 
brechen zurückbebten, wenn es galt, ihre Herrſchſucht zu 
befriedigen, oder ihre oft bedrohte Macht zu ſichern und 
auszubreiten. Seit 1378 übte daſelbſt Galeazzo's Sohn, 
Johann Galeazzo, die oberſte Gewalt aus, zuerſt gemein— 
ſchaftlich mit ſeinem Oheim Bernabo, dann, nachdem er 
1385 dieſen mit Gift aus der Welt hatte ſchaffen laſſen, 
allein. Dem unternehmenden Geiſte und der klugen Be— 
rechnung dieſes aufgeklärten Deſpoten ſtand kein Ziel zu 
hoch. Sein gut organiſirtes Heer focht meiſtens ſiegreich 
gegen zahlreiche verbündete Feinde; es hatte bereits Ve— 


119) Die Urkunde ſteht in Gudenus Codex diplomaticùs tom. III, 
p. 615 s. 


Umtriebe der Kurfürſten. Die Herzoge von Mailand. 107 


rona, Vicenza und andere Diſtricte mehr ſeinem Gebote 
geſichert, und drohte ganz Oberitalien unter ſeine Herr— 
ſchaft zu bringen. Seine Unterthanen belaſtete er ſo un— 
barmherzig mit Steuern, daß ihrer viele von Haus und 
Hof flohen, um nur den unaufhörlichen Bedrückungen ſich 
zu entziehen. Dagegen bewies er einen hohen fürſtlichen 
Sinn in allem, was auf Förderung von Wiſſenſchaft, Kunſt 
und Induſtrie in ſeinem Staate Bezug hatte; der hehre 
Dom von Mailand, und die prächtige Karthauſe bei Pavia, 
die er erbaute, ſind deſſen unvergängliche Zeugen. Der 
Größe dieſer ſelbſtändigen Macht, die jedem Feinde Trotz 
zu bieten vermochte, fehlte nur noch — ein Titel; denn 
der bloße Name eines Grafen von Virtu und eines kaiſer— 
ichen Vicars in Mailand war der Stellung, welche Johann 
Galeazzo eingenommen, nicht mehr angemeſſen. Um auch 
ſolche Wünſche zu befriedigen, ließ er ſich ſchon 1394 mit K. 
Wenzel in Unterhandlungen ein. Mehre Botſchaften gingen 
hin und her, bis es endlich dem Biſchof von Novara, Pietro 
Filargo (nachmaligen Papſt Alexander »), trotz der Gegen— 
bemühungen der in Prag anweſenden florentiniſchen Ge— 
ſandten, glückte, von Wenzel eine Urkunde zu erlangen, durch 
welche (am 11 Mai 1395) Johann Galeazzo zum Herzoge von 
Mailand erhoben und als Lehensmann des heil. röm. Reichs 
allen übrigen Reichsfürſten in Allem gleichgeſtellt wurde. 
Die bedeutende Tare von 100,000 Goldgulden, die ſich 
Wenzel dafür zahlen ließ, ſcheint den Abſchluß dieſes Ver— 
trags weſentlich gefördert zu haben; denn dieſe Summe 
kam dem Könige zu einer Zeit, wo er ſeinen durch Johann 
von Görlitz im vorjährigen Kriege geleerten Hausſchatz 
wieder zu füllen befliſſen war. Im September darauf 
überreichte des Königs Rath, Benes von Chauſtnik, auf 
dem Platze vor der Ambroſiuskirche in Mailand, unter 
glänzenden Feſten und Feierlichkeiten, dem Herzoge den 
kaiſerlichen Brief und die Inſignien ſeiner neuen Würde. 


1397 


Aug. 


108 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


Durch dieſe und ähnliche ſpätere Gunſtbezeigungen, 
welche des neuen Herzogs Macht nicht materiell vermehr— 
ten, aber in moraliſcher Hinſicht befeſtigten, gewann Wen— 
zel in Italien an Johann Galeazzo einen eben ſo treuen 
als mächtigen Diener, deſſen Ergebenheit ihm bei der noch 
immer beabſichtigten Römerfahrt von der größten Wichtig— 
keit werden mußte. Dagegen machte er ſich die Floren— 
tiner zu vollends unverſöhnlichen Feinden, da dieſe in dem 
Begünſtigten ihren gefährlichſten Gegner erkannten. Sie 
knüpften daher alsbald mit den mißvergnügten Reichs— 
fürſten Verbindungen an, ſchilderten ihnen die Gefahr, die 
angeblich aus der Erhebung der Visconti's dem römiſchen 
Reiche drohen ſollte, und ſuchten ihrerſeits zum Sturze 
des ihnen verhaßten Königs beizutragen. 1? Auch wurde 
dieſe Erhebung wirklich der vorzüglichſte Punct unter den 
Beſchwerden, welche ſpäter die Kurfürſten gegen Wenzel 
vorbrachten; — insbeſondere aus dem Grunde, weil er 
einen ſo wichtigen Act ohne ihr Wiſſen und ihre Beiſtim— 
mung ſich erlaubt habe. 

Als nun im Auguſt 1397 Wenzel wieder nach Deutſch— 
land kam, ſchien er durch verdoppelten Eifer alles Ver— 
ſäumte einholen, alles Verworrene ordnen und damit jeden 
Grund zu Klagen heben zu wollen. Der Anfang wurde 
mit der Erſtürmung und Schleifung vieler Raubſchlöſſer 
gemacht, dann mehrere ungeſetzliche Waffenbündniſſe auf— 
gelöſt und aufgehoben, viele Zwiſte unter den einzelnen 
Ständen und Einwohnern geſchlichtet, endlich zu Wieder— 


120) Neben anderen Beweiſen ſprechen für dieſe Mitwirkung der 
Florentiner nachſtehende Worte in dem, unten näher zu be— 
ſprechenden Briefe Leonardo Therunda's an K. Wenzel dd. 
Veronae, 16 Nov. 1401: Sensisti primum, idque dudum, a Flo- 
rentia oratores ad hos scilicet, quibus eligendi Caesaris jus 
est, frequentare; nec clam te fuit, quas in te callidi oblocuto- 


res fingerent querelas etc. 


Umtriebe der Kurfürſten. Wenzel in Deutfchland. 109 


herſtellung des allgemeinen Landfriedens ein Reichstag nach 
Frankfurt am Main ausgeſchrieben. Von den Verhand— 
lungen dieſes Reichstags iſt im Einzelnen nicht mehr be— 
kannt, als daß der Landfriede wirklich zu Stande kam, und 
vom Könige am 6 Januar 1398 auf die Dauer von zehn 
Jahren kundgemacht wurde. Wie gering aber der Eifer 
einiger Kurfürſten war, ihren König in dieſem heilſamen 
Werke zu unterftügen, läßt ſich ſchon aus dem Umſtande ab— 
nehmen, daß der Pfalzgraf Ruprecht und die Erzbiſchöfe von 
Mainz und Trier ſchon am 3 März jene Dauer des Landfrie— 
dens eigenmächtig auf fünf Jahre herabzuſetzen ſich erlaubten. 

Noch zweideutiger war das Benehmen dieſer Kur— 
fürſten bei den Verhandlungen über die Beilegung des 
großen Schisma der vccidentalifchen Kirche. In dieſer 
Sache hatte, bei Wenzels Sorgloſigkeit und dem Draͤngen 
der Pariſer Univerſität, König Karl VI von Frankreich 
ſchon ſeit 1394 die Initiative mit nachdrücklichem Ernſt 
ergriffen, und damit das Amt eines oberſten Kirchenvogts, 
das nach der öffentlichen Meinung dem Kaiſer allein zukam, 
factiſch an ſich gezogen. Allerdings hatten die Völker der Obe— 
dienz von Avignon (nämlich Franzoſen und Spanier) eine 
noch nähere Veranlaſſung, die Wegräumung des Schisma 
zu wünſchen, da ſie mit ihrem Papſte in der Minorität 
ſich befanden, und daher den Beſtand einer entgegengeſetz— 
ten Obedienz nicht ſo leicht ignoriren konnten, wie die— 
jenigen Völker, welche Bonifaz IX in Rom anhingen (Ita— 
liener, Deutſche, Engländer, Scandinavier, Polen, Ungarn); 
auch machte ſich der Widerſpruch, der in dem Satze lag, 
daß »der wahre Papſt der römiſchen Kirche nicht in Rom 
ſitzes, ſelbſt dem gemeinen Volke leichter bemerklich. Nach 
Clemens VII Tode (1394) war in Avignon, gegen Karls VI 
Willen, der Aragonier Peter von Luna zu deſſen Nach— 
folger gewählt worden, und hatte den Namen Benedict XIII 
angenommen. Jetzt arbeitete daher der König von Frank— 


1397 


1398 


6 Jan. 


110 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1398 reich, nach dem Vorſchlag der Pariſer Univerſität, dahin, 
daß durch ein Compromiß beide Päpſte, Bonifaz IX und 
Benedict XIII, ihrer Würde zugleich entſagen, und dann 
von den beiden in Eines vereinigten Cardinalscollegien 
ein einiger neuer Papſt gewählt werden ſollte; würden 
die beiden Päpſte nicht freiwillig darauf eingehen, ſo ſoll— 
ten ſie dazu gezwungen werden. Schon hatten auch zu 
dieſem Plan die Könige von England, von Caſtilien und 
Navarra ihre Zuſtimmung gegeben; und Karl VI ſparte 
keine Mühe, um vor Allem unſern König Wenzel, und 
mit ihm die Deutſchen und Böhmen überhaupt, dafür zu 
gewinnen. Seine Geſandten hatten, wie ſchon früher ei— 
nigemal, ſo zuletzt auch noch während des Frankfurter 
Reichstags, bei Wenzel in dieſer Angelegenheit ſich ein— 
gefunden, und hatten diesmal eine perſönliche Zuſammen— 
kunft beider Könige zu obigem Zwecke in Vorſchlag gebracht. 

Zwiſchen Wenzel und Bonifaz IX hatte bis zu Ende 
des Jahres 1396 ſtets ein gutes Einverſtändniß geherrſcht, 
obgleich dieſer Papſt bei Beſetzung von Bisthümern und 
andern Kirchenbeneficien in Deutſchland nach Grundſätzen 
verfuhr, die einen minder indolenten König längſt hätten 
in Harniſch bringen müſſen. Doch auch nach der Einſetzung 
Johanns von Naſſau in Mainz beharrte Wenzel in ſeinem 
Wohlwollen gegen Bonifaz,“ und nur das Drängen der 


121) Unter mehreren Beweiſen, die dafür ſprechen, führen wir nur 
die bisher unbekannte Thatſache an, daß Wenzel dem Papſte 
noch im April 1397 die Summe von 5000 Goldgulden vor— 
ſtrecken ließ, wie es nachſtehende Worte einer Bulle an Wen— 
zel, Patriarchen von Antiochien (dd. Romae, 17 Apr. 1397), 
bezeugen: Cum tu de pecuniis carissimi in Christo filii nostri 
Wenceslai, regis Roman. illustris, penes te existentibus, quin- 
que millia florenorum auri de camera, camerae nostrae apo- 
stolicae plurimum indigenti mutuo ad preces nostras conces- 
seris: nos volentes ipsius regis et tuis in hac parte indemni- 


tatibus salubriter providere ete. 


Kirchliche Unionsverſuche— 111 


Prager Univerſität 122 beſtimmte ihn, den Anträgen der fran— 
zoͤſiſchen Abgeſandten Gehör zu geben und zu der gewünſch— 
ten Zuſammenkunft mit Karl I die Hand zu bieten. Nun 
widerſetzten ſich aber dieſem Vorhaben gerade Diejenigen, 
welche am meiſten berufen waren, dazu mitzuwirken: die 
rheiniſchen Kurfürſten. Der lange Brief, den Pfalzgraf 
Ruprecht dem Könige ſchrieb, um ihm von jener Zuſammen— 
kunft abzurathen, iſt noch vorhanden;! unter den vielen 


1398 


nichtigen und zum Theil impertinenten Gründen, die der 


Pfalzgraf darin geltend zu machen ſuchte, möchte eine Be— 
hauptung, in Rückſicht auf die bereits angeſponnenen Um— 
triebe, vorzügliche Aufmerkſamkeit verdienen: der Kurfürſt 
ſagte nämlich, Wenzel dürfe dem Papſte, der ihn in feiner 
römiſchen Königswürde beſtätigt hat, ſeine Obedienz nicht 
entziehen, wenn er nicht wolle, daß auch ihm der Gehor— 
ſam mit Recht verſagt werde.!“ 

Wenzel begab von Luxenburg aus im März 1398 
ſich perſönlich nach Frankreich. In ſeinem Gefolge befan— 
den ſich: ſein Oberſtkanzler und erſter Rath, Wenzel Kra— 
lik von Burenic, Patriarch von Antiochien, Herzog Hanns 
von Troppau, Johann der jüngere Graf von Sponheim; 
die zwei Günſtlinge Hyncik Pflug von Rabſtein und Jo— 
hann von Milheim; Hubard von Elter, Seneſchall von 


122) Ad instigationem universitatis generalis sui studii Pragensis, 
anno 1398 ex Bohemia ad civitatem Remensem venit ete. Ed: 
mund Dinter bei Piſtorius-Struve III, 357. Leider hat ſich 
über die dahin gehörigen Verhandlungen der Prager Univer— 
ſität bisher nichts Näheres auffinden laſſen. 

123) Abgedruckt bei Martene et Durand Thesaurus Anecdotorum, 
tom. II, pag. 1172 8. 

= »Possent subditi vestri dicere: tu non vis obedire illi, qui te 
conſirmavit in regem, et nos non etiam intendimus obedire Ubi 
neque tenemur, quia nondum es rex; si autem tu es vere con- 
firmatus et denegas obedientiam confirmanti, justum est et ra- 


tionabile, quod nos etiam tibi denegemus.« 


112 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1398 Luxenburg, und andere deutſche und böhmiſche Fürften und 
23 März Herren. Am 23 März hielt er ſeinen feſtlichen Einzug in 
Rheims. Karl VI war ihmemit den Prinzen feines Hau— 

ſes vor die Stadt entgegengeritten, und empfing den ſchon 
lange ſehnlich erwarteten Verwandten, den römiſchen König, 

mit eben ſo ausgeſuchten Ehren, als ängſtlich bemeſſener 
Etikette, — da die Könige von Frankreich ſtets eiferſüch— 

tig darüber wachten, daß in ihre Ehrenbezeigungen ſich 
nichts einmiſche, was einer Huldigung und Anerkennung 
der römiſchen Kaiſergewalt auch über Frankreich ähnlich 
ſähe. Der feinen Sitte und Eleganz der Franzoſen, und 
ihrem zur Schau geſtellten Lurus gegenüber, nahm König 
Wenzel in ſeiner derben Natürlichkeit ſich faſt wie ein 
Barbar aus; ſeine Unarten in Rheims gaben den fran— 
zöſiſchen Höflingen viel zu reden. 1? Auf den Gang der 
Geſchäfte, um deren willen man zuſammengekommen, hatte 

das natürlich keinen Einfluß. Wenzel zeigte ſich ganz ge— 


125) Am 25 März ſollte Wenzel bei Karl VI fpeifen. Zur beſtimm⸗ 
ten Stunde verfügten ſich daher die Herzoge von Berry und 
von Bourbon in ſeine Wohnung, um ihn in den königlichen 
Palaſt zu begleiten, — kehrten aber ſchamroth und voll Ver— 
druß zurück; denn Wenzel hatte ſich damals bereits in Spei— 
ſen und in Wein übernommen, war in feſten Schlaf verſunken, 
und konnte ſomit der Tafel nicht mehr beiwohnen. Sed ex- 
cusatio vitio non carebat. Nam omnibus notum erat, quod 
rudissimus existens et incomptus moribus, curialitates regias 
penitus negligebat, gulaeque et vino deditus, comessationes 
quotidianas reiterans, nunc ventre pleno se jam sopori dede- 
rat; et sic in convivio regio, amore sui sumptuosissime prae- 
parato, non potuit interesse. Quamvis inde damnum multum 
aulici, me audiente, assererent consecutum etc. So berichtet, 
als Augenzeuge, der Mönch von St. Denys, in der unlängſt 
von Bellaguet herausgegebenen Chronique du religieux de St. 
Denys, tome II, Paris 1840, pag. 568 (in der Collection de 
documents inedits sur l’histoire de France, publies par ordre 
du roi etc.). 


K. Wenzel auf dem Tage zu Rheims. 113 


neigt, den zur Herſtellung der Kircheneinheit von den Uni- 1398 
verſitäten von Paris und Prag urgirten Plan des Com— 
promiſſes zu unterſtützen; dafür ſpricht ſchon der Umſtand, 
daß er den berühmten Miturheber jenes Plans, Peter von 
Ailly, Kanzler der Pariſer Univerſität, in ſeinen Rath auf— 
nahm, zum Biſchof von Cambray befördern half, und ſich 
ſeiner in dieſem Geſchäfte fortan bediente. Dennoch konnte 
er in Rheims ſich zu nichts weiter verbindlich machen, als 
daß er die Könige von Ungarn und Polen, ſo wie die 
Reichsfürſten alle, zur Annahme und Förderung des Com— 
promiſſes zu ſtimmen, und zugleich beide Päpſte, insbeſon— 
dere aber Bonifaz IX, zur Reſignation in Güte zu be— 
wegen ſuchen wolle.!“ Auch ſendete er zu dieſem Zwecke 
alſogleich den Peter von Ailly nebſt ſeinem Geheimſchrei— 
ber Nicolaus von Jewicka an Benedict XIII, der ihnen 
jedoch nur eine ausweichende Antwort gab. Außerdem er— 
wies ſich Wenzel willig, ſeine Nichte Eliſabeth, Herzog 
Johanns von Görlitz Tochter, den einzigen damals leben— 
den Sprößling des luxenburgiſchen Hauſes, ſomit die prä— 
ſumtive Erbin der Kronen von Böhmen und Ungarn, mit 
dem Sohne Ludwigs von Orleans (eines Bruders Karls VD, 
vermählen zu laſſen. !“ 


126) Martene et Durand collectio ampliss. tom. VII, p. 431. Pro- 
posita fuerunt ibi multa de neutralitate tenenda. Sed cum 
rex Romanorum non posset induci, supplicavit rex Francorum, 
ut Bonifacium ad hoc induci festinaret, ut papatui cederet pro 
bono sacrae unionis. Qui respondit, quod libentissime scri- 
beret ei, ut si absque praejudicio causae et honoris sui hoc 
facere posset, quod hanc viam cessionis acceptaret, alias non. 
Sieque infecto negotio ambo reges regressi sunt ad propria. 
Letztere Angabe iſt, nach anderen Quellen und ſpäteren Acten, 
nicht ganz richtig. Vgl. Edmund Dinter pag. 357. 

127) Der Mönch von St. Denys (I. c. pag. 570) nennt »filiam mar- 
chionis Moraviae« — wohl durch Irrung, da von einer Tod: 
ter des Markgrafen Joſt nichts bekannt iſt. 

Geſch, v. Böhm, 3 Bd. 8 


1398 
1 Juni 


3 Aug. 


114 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


Bei der Rückkehr nach Deutſchland gerieth am 1 Juni 
zu Koblenz K. Wenzel in einen heftigen Wortwechſel mit 
dem Pfalzgrafen Ruprecht. Beſchuldigungen wurden hier 
gegen Beſchuldigungen erhoben, und der Pfalzgraf ins— 
beſondere wegen der gegen den König angeſponnenen Um— 
triebe zur Verantwortung gezogen. Der nähere Hergang 
der Sache iſt nicht bekannt; nur eine vom Pfalzgrafen 
am 3 Aug. dieſes Jahres ausgeſtellte Urkunde“ belehrt 
uns, daß er ſich hernach verantwortet und von Wenzel 
auch Verzeihung erlangt hat, weshalb er, der Pfalzgraf, 
den König verſicherte, daß er ihn fortan »für ſeinen gnä— 
digen Herrn haben und Seinen Gnaden getreulich dienen 
wolle, als billig iſt.“ Somit hätte er die Pläne, die er 
verläugnete, auch wirklich aufgeben ſollen; aber im Gegen— 
theil verband er ſich bald darauf noch näher mit Boni— 
faz IX, dem Wenzels innige Verbindung mit Karl VI 
Sorge machte, um auch deſſen Furcht vor Abſetzung zu 
ſeinem Vortheil auszubeuten. 

Denn allerdings ging Wenzel je länger je entſchiede— 
ner in die von den Univerſitäten empfohlenen Grundſätze 
und Maßregeln ein, denen zu Folge beide Päpſte im ſchlimm— 
ſten Falle mit Zwang zur Reſignation angehalten werden 
ſollten. Er hatte noch von Deutſchland aus durch eine 
Botſchaft an Bonifaz IX feine Wünſche in dieſer Hinſicht 
eröffnen laſſen, jedoch keine erwünſchte Antwort erhalten. 
Der Papft verlangte immer, Wenzel ſollte vor Allem nach 
Italien kommen, um dort die Kaiſerkrone zu empfangen; 
dann werde er mit ihm für die Wiederherſtellung der 
Einheit der Kirche mit um ſo mehr Erfolg thätig ſein kön— 
nen; und da es offen lag, daß Wenzel zu der Romfahrt 


ſchwer zu bewegen ſei, ſo äußerte Bonifaz den Wunſch, 


es möchte wenigſtens ſein Bruder K. Sigmund an ſeiner 
Statt nach Italien kommen, um mit ihm die nöthigen Maß— 
128) Abgedruckt bei Pelzel, IU, num. 151, pag. 45. 


Fortgeſetzte Unionsverſuche. 115 


regeln zu verabreden. Keiner der königlichen Brüder folgte 
dieſem Rufe; Wenzel bemühte ſich dagegen, in ſeinem 
Lande eine Art von Fürſtencongreß zu veranſtalten, um in 
der Sache einen gemeinſchaftlichen Beſchluß aller regierenden 
Häupter zu Wege zu bringen; denn mit Recht bemerkte 
er in feiner Antwort an den König von Frankreich, 1°? daß 
die Zuſtimmung jener Fürſten unerläßlich ſei, wenn der 
Zweck wirklich erreicht werden ſolle. Nach mehreren Hin— 
und Herſendungen wurde endlich beſchloſſen, daß zu Weih— 
nachten 1398 die Könige von Ungarn und Polen, die Mark— 
grafen von Mähren, die ſchleſiſchen Fürſten und mehrere 
Reichsfürſten ſich zu K. Wenzel nach Breslau verfügen 
wollten, um das Geſchäft der Kircheneinheit in gemein— 
ſchaftliche Berathung zu ziehen. Als aber dieſer Tag her— 
anrückte, verfiel Wenzel in eine ſo ſchwere und langanhal— 
tende Krankheit, daß er den Congreß abſagen laſſen mußte; 
dem Gerüchte, als ſei ihm Gift beigebracht worden, wider— 
ſprach er ſelbſt in einem an Bonifaz IX gerichteten Schrei— 
ben.!“ Nachdem fein an ſich kräftiger Körper mit Hilfe 
ſeines berühmten Leibarztes, des Profeſſors der Mediein 
an der Prager Univerſität, M. Albik von Unikow, 3! zu 
voller Geſundheit wieder gelangt war, ſuchte er den ge— 
wünſchten Congreß nach Prag wieder zuſammenzurufen, 
und lud ſogar die Cardinäle beider Obedienzen dazu ein: 
aber es traten wieder politiſche Ereigniſſe dazwiſchen, welche 
auch dieſes vereitelten und alle henotiſchen Verſuche auf 
unbeſtimmte Zeit in den Hintergrund drängten. 

Schon in den erſten Monaten des Jahres 1399 zeig— 
ten ſich in Böhmen und Mähren unter den Mitgliedern 


129) Am 16 Oct. 1398, gedruckt in Urstisii script. rer. German. II, 180. 

130) Pelzel's Urkundenbuch Nr. 153 — 155. 

131) K. Wenzel erwies dieſem Arzte ſeitdem viele Gnaden, und 
half ihn im J. 1412 ſogar auf den erzbiſchöflichen Stuhl von 
Prag befördern. (Siehe unten.) 

8 * 


1398 


1399 


1399 


16 Apr. 


15 Juni 


116 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


des Herrenbundes wieder unruhige Bewegungen, welche 
des Königs ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zogen; über ihren 
Grund, ihre Entwickelung und Geſtaltung laſſen jedoch die 
äußerſt ſpärlichen Überlieferungen dieſer Zeit uns im Dun— 
keln. Die Vollmacht, die K. Wenzel am 16 April an den 
Burggrafen Friedrich von Nürnberg ausſtellte, über Bei— 
legung dieſer Irrungen mit König Sigmund von Ungarn 
zu verhandeln und zu beſchließen, beweiſt, daß Dieſer wie— 
der ſeine Hand im Spiel hatte; und die Folge der Ereig— 
niſſe belehrt uns, daß im Ganzen zwar die alten Par— 
teiungen ihre gegenſeitige Stellung wieder einnahmen, der 
ehrgeizige Kurfürſt Ruprecht von der Pfalz aber dem ver— 
worrenen Gewebe dieſer unerfreulichen Händel nicht fremd 
war. Es kam wieder zu innerem Kriege in Böhmen; doch 
iſt uns von deſſen Fortgang nichts weiter bekannt, als daß 
das königliche Heer die Stadt Horazdiowie belagerte, und 
von dort mit großem Geſchütze vor die feſte Burg Skala, 
den Sitz des Herrn Brenék von Rieſenberg, rückte, 3? Daß 
bei dieſen Zerwürfniſſen ein Mann von ſo anerkannt ehren— 
werther Geſinnung, wie der ehemalige Oberſtlandrichter 
Andreas von Duba auf Zlenic, mit feinen nächſten Ver— 
wandten, an der Spitze der königlichen Partei erſcheint, 
könnte für die Sache des Königs ein günſtiges Vorurtheil 
begründen; die alten Günſtlinge, Georg von Roztok auf 
Krakowec, Johann Cüch von Zaſada, Sigmund Huler auf 
Worlik, Philipp Laut von Dedie, und andere mehr, er— 
wieſen ſich allerdings auch thätig. Am 15 Juni 1399 en⸗ 
digte das Blutvergießen und Landverwüſten durch einen 


192) Benes Minorita ap. Dobner. IV, 65: Exercitus regis circum- 
vallavit Harawic et abhinc discessit ad castrum Skala cum 
pyxide magna. Die Lage diefer einft wichtigen Burg (im Pra— 
chiner Kreiſe) hat ſich bis jetzt nicht ermitteln laſſen. Viel— 
leicht iſt ſie in der Nähe des Dorfes Skala zwiſchen Strako— 
nic und Barau zu ſuchen. 


Erneuerte Unruhen in Böhmen. Markgr. Prokop. 117 


an dieſem Tage geſchloſſenen Waffenſtillſtand bis zum 6 Ja- 1399 
nuar 1400, während welcher Zeit acht gewählte Schieds— 
richter alle Streitpuncte in Frieden austragen follten. 13 
Ob dieſer Austrag in der beſtimmten Zeit erfolgte, 
iſt unbekannt; um ſo gewiſſer dagegen, daß das Land noch 
lange nicht zum Genuſſe des Friedens gelangte. Das Miß— 
vergnügen des Herrenbundes hörte nicht auf, ſondern nahm 
nur eine andere Richtung; ſein Ziel wurde Markgraf Pro— 
kop von Mähren. Wie früher ſchon einigemal, ſo hatte 
Wenzel auch 1397 wieder dieſen Markgrafen mit der oberſten 
Gewalt an ſeiner Statt, für die Dauer ſeines Verweilens 
außerhalb Böhmen, bekleidet. Einige Acten dieſer Zeit, 
die ſich zufällig erhalten haben, ſcheinen zu beweiſen, daß 
der Reichsverweſer es an Fleiß nicht fehlen ließ, und eher 
zu viel als zu wenig regierte. Wie dem immer ſei, ſo 
unterliegt es keinem Zweifel, daß Wenzel mit der Ver— 
wendung ſeines Vetters zufrieden war. Denn nicht nur 
ſchenkte er ihm anſehnliche Summen Geldes, die auf die 
Burgen Beſig, Potenſtein u. a. angewieſen wurden, ſon— 
dern er übergab ihm auch abermals die Regierung, als 
er im December 1398 in die obenerwähnte Krankheit ver— 
fiel. Weniger zufrieden, als der König, zeigte ſich das 


133) Nach den bei Pelzel num. 159 und 160 und im Archiv Cesky 
1,.61 65 gedruckten Urkunden, waren die Schiedsrichter: der 
Oberſtkanzler Wenzel Patriarch von Antiochien, Erzbiſchof 
Wolfram von Skworee, Johann Biſchof von Leitomysl, Hein: 
rich von Roſenberg, Otto der ältere von Bergow, Hermann 
und Benes von Chauſtnik und Hynek Berka von Hohenſtein. 
Die erſten zwei und die Brüder von Chauſtnik waren auf 
Seiten des Königs, die übrigen gehörten dem Herrenbunde an. 
Sie ſollten am nächſten Margarethentage zu Benesau zuſam— 
menkommen und dort den endlichen Austrag thun. Was Pel— 
zel (S. 387) von der Dauer des Friedens zu Benesau an— 
führt, paßt nicht hieher, denn es bezieht ſich auf ganz andere 
Ereigniſſe. 


1399 


1400 
18 Jan. 


118 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


Volk mit Prokops Herrſchaft; aus welchem Grunde, wiſſen 
wir nicht anzugeben. Das größte Mißvergnügen über ihn 
äußerte jedoch der Herrenbund; dieſer beſchloß vor allem, 
ihn zu ſtürzen; ſei es, daß er wirkliche Gründe zur Un— 
zufriedenheit hatte, oder daß er nur den unbequemen Mitt⸗ 
ler zwiſchen dem Könige und ihnen, gleichſam den Schild, 
der jenen noch vor ihnen ſchützte, — aus dem Wege zu räu— 
men wünſchte. Noch vor Ablauf des Jahres 1399 be— 
gaben ſich Markgraf Joſt, der Leitomysler Biſchof Johann 
und Herr Otto von Bergow perſönlich zu K. Sigmund 
nach Ofen,!“ um ihn gegen Prokop aufzubringen, und zu 
einem Vertilgungskrieg gegen denſelben zu bewegen. Dies 
gelang ihnen auch vollkommen; und ſchon am 18 Januar 
1400 errichtete Sigmund zu Iglau perſönlich nicht nur 
einen bewaffneten Bund, welchem außer dem Markgrafen 


Joſt namentlich Biſchof Johann von Leitomysl und die 


Barone (Heinrich von Roſenberg, Bocek von Kunſtat auf 
Podebrad, Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Otto 
von Bergow auf Bilin, Johann von Michalowic, Johann 
von Wartenberg auf Tetſchen, Johann und Johann Vet⸗ 
tern von Uſtie, Benes von Duba, Pota der ältere von 
Rieſenberg auf Skal, Smil Flaska von Pardubice auf 
Richenburg, Hermann von Potenſtein auf Lopata u. a. m.) 
beitraten, ſondern er forderte auch ſämmtliche Einwohner 
Böhmens auf, gegen den Markgrafen, der die zwiſchen dem 
Könige und dem Lande geſchloſſenen Verträge zu brechen 
und ſomit Unfrieden zu ſäen nicht aufhöre, bewaffnet auf— 


134) In einem offenen Briefe Sigmund's darüber heißt es: Novis- 
sime nobis cum illustri principe, patruo nostro carissimo, Jo- 
doco marchione Moraviae, nec non reverendissimo patre D. 
Johanne episcopo Lutomyslensi et nobili Ottone de Bergow in 
civitate nostra Budensi simul existentibus, inter ceteros tracta- 
tus compassiva mente collegimus, quod totius discidii in regne 
Boemiae origo et fomes sit marchio Procopius etc. 


Krieg gegen Markgr. Prokop. Die Kurfürſten. 119 


zuſtehen und nicht zu ruhen, bis derſelbe mit allen ſeinen 1400 
Helfern vertilgt ſei. ““ 

Dieſe wachſenden Unruhen in Böhmen kamen den rhei— 
niſchen Kurfürſten, welche ſich bereits gegen König Wenzel 
verſchworen hatten, ſehr gelegen; auch dürften ſie kaum 
unterlaſſen haben, ſie nach Möglichkeit zu nähren. Schon 
am 2 Juni 1399 waren ſie in Marburg zuſammengekom— 
men, um ſich da näher zu einigen, und hatten auch den 
Kurfürſten Rudolf von Sachſen auf ihre Seite gezogen; 
ſpäter hielten ſie wiederholte Verſammlungen zu Mainz 
und zu Frankfurt am Main, ſtärkten ſich durch den Bei— 
tritt vieler Reichsfürſten (wie der Herzoge Stephan und 
Ludwig von Bayern, der Markgrafen zu Meißen, des Land— 
grafen Hermann zu Heſſen), und faßten Beſchlüſſe und 
erließen Erklärungen, in welchen rückſichtslos auf die Ab— 
ſetzung des Königs hingearbeitet wurde; wie ſie denn ſchon 
im September 1399 zu Mainz es offen ausſprachen, daß 
ſie einen andern römiſchen König wählen und ſetzen woll— 
ten. 16 Es war daher vergeblich, daß Wenzel feine Bes 
vollmächtigten nach Deutſchland ſchickte, mehrere Reichs— 
tage nach Nürnberg ausſchrieb, die nicht beſucht wurden, 
und ſich zu Verhandlungen über die Beſchwerden der Für— 
ſten, ſo wie zu deren Abhilfe erbot. Er hätte nunmehr 
die böhmiſchen Wirren in welcher Weiſe immer definitiv 
ordnen, und dann mit anſehnlicher Macht perſönlich in 


135) »In sui finale exterminium« — heißt es im bereits angeführ— 
ten noch ungedruckten Briefe Sigmund's; »wsi moci az do tech 
hrdele — drückt ſich die Bundesurkunde vom 18 Januar 1400 
aus, die wir aus dem Wittingauer Original im Archiv Cesky 
I, 65 fg. haben abdrucken laſſen. 

136) Vgl. Ulrici Obrecht Apparatus juris publiei et historiae Ger- 
manicae. Pars prima: Acta depositionis Wenceslai et electio- 
nis Ruperti regum Romanorum continens. Argentorati, 1696, 
pagg- 108 in 4to. Iterum edidit J. C. Fischer, Francof. Lip- 
siae, 1754, 410. 


120 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1400 Deutſchland auftreten, die Treugebliebenen (insbeſondere 


1 Febr. 


15 März 


die Städte) an ſich ziehen, die Schwankenden zum Gehor— 
ſam zurückführen, die entſchiedenen Gegner aus dem Felde 
ſchlagen und den öffentlichen Gebrechen nach Möglichkeit 
ſteuern ſollen: dazu fehlte ihm aber der Entſchluß und 
Muth, ſo wie die nöthige Thätigkeit und Ausdauer; er 
vertröſtete die Reichsfürſten meiſt nur mit ſeinem Bruder 
K. Sigmund, den er nächſtens nach Deutſchland bringen 
und mit deſſen Hilfe er alles zu allgemeiner Zufriedenheit 
ordnen wolle, während doch Sigmunds Gedanken und Sor— 
gen auf ganz andere Dinge gerichtet waren. Eben ſo rath— 
und charakterlos benahm ſich Wenzel in den böhmiſchen 
Angelegenheiten: als das Ungewitter ſich über des Mark— 
grafen Prokop Haupte ſammelte, hatte er nicht den Muth, 
weder ſich ſeiner offen anzunehmen, noch ihn offen zu ver— 
läugnen. In der Noth des Augenblicks kam ihm der von 
den verſchworenen Reichsfürſten am 1 Febr. 1400 gefaßte 
Beſchluß, daß der zu wählende römiſche König nur aus 
einem der folgenden Häuſer, Bayern, Sachſen, Meißen, 
Heſſen, Nürnberg oder Wirtenberg genommen werden ſoll, 
noch einigermaßen zu Statten; denn die damit ausgeſpro— 
chene Ausſchließung des ganzen Hauſes Luxenburg vom 
kaiſerlichen Throne machte die Prinzen dieſes Hauſes ge— 
neigter, ihren Zwiſt wenigſtens aufzuſchieben, einen Waffen— 
ſtillſtand einzugehen und auf Wenzel als Schiedsrichter zu 
compromittiren. 17 In der Abſicht, mehrere Reichsfürſten, 
insbeſondere die von Bayern, zu bewegen, nach Prag zu 
kommen, und mit ihm in Verhandlungen zu treten, hatte 
Wenzel den längſt gefaßten Entſchluß, ſeine Gemahlin So— 
phie krönen zu laſſen, endlich ins Werk geſetzt; am 15 März 
1400 ging dieſe Krönung unter den herkömmlichen Feier— 
lichkeiten im Prager Dome vor ſich. Die Fürſten jedoch 
137) Nach der im Codex Premyslaeus fol. 69 enthaltenen undatirten 

Urkunde, welche Pelzel (S. 456) irrig auf das Jahr 1402 bezog. 


Die Kurfürften ſetzen K. Wenzel ab. 121 


achteten deſſen nicht; kein Herzog kam aus Bayern herbei, 
das Feſt ſeiner Schweſter und Muhme durch ſeine Gegen— 
wart zu verherrlichen; nur die Lurenburger Sigmund und 
Joſt, der Burggraf Johann von Nürnberg, ſchleſiſche Fürſten 
und böhmiſche Barone ſtellten ſich dazu ein; Letztere, wie 
Heinrich von Roſenberg, Hynek Berka von Duba und Jo— 
hann von Michalowic, um ihre Functionen bei der Krö— 
nung zu verrichten. Markgraf Prokop durfte jedoch nicht auch 
dahin ſich wagen, wo ſeine bitterſten Gegner das Feld be— 
haupteten. Nach Sigmunds und Joſtens Rath wurde jetzt 
beſchloſſen, daß K. Wenzel mit anſehnlicher Macht ſobald 
als möglich nach Deutſchland perſönlich ſich begeben ſollte; 
dem zu Folge wurde den böhmiſchen Ständen auf den 
9 April ein Landtag ausgeſchrieben, 1° um die Verwaltung 
des Landes für die Dauer der Abweſenheit des Königs zu 
ordnen. Und dennoch unterblieb der ſo dringend nothwen— 
dige Zug wieder, weil Wenzel ſeinem Spruche keine Folge 
zu verſchaffen wußte, ſein Bruder aber wie ſeine Vettern 
nur perſönliche Zwecke verfolgten. Denn es ließen Sig— 
mund und Joſt durch die ihrem Hauſe drohende Gefahr 
und Schmach ſich nicht abhalten, gegen den Markgrafen 
Prokop den Krieg wieder zu eröffnen, der vom April bis 
gegen Ende Auguſt 1400 439 mit unentſchiedenem Glücke 


138) Dies erhellt aus einem im Wittingauer Archiv erhaltenen Ori— 
ginal⸗Schreiben Wenzel's vom 30 März 1400 an Heinrich von 
Roſenberg, wo es heißt: Poscentibus arduis nostris et imperü 
sacri negotiis, nobis necessitate inevitabili imminentibus, dis 
ponimus morae periculo procul moto partes Alemanniae visi 
tare etc. . 2 

139) S. Vortrag des Herzogs von Teſchen an die Reichsfürſten auf 
dem Frankfurter Tage zu Ende Mai 1400, bei Obrecht 1. e. 
p- 25. Daß jener Krieg noch am 9 Aug. 1400 in vollem Gange 
war, erhellt aus einer in Wittingau befindlichen Original— 
Urkunde von jenem Tage. 


1400 


9 Apr. 


122 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1400 geführt wurde, und die nächſte Urſache war, um deren 
willen Wenzel Böhmen nicht verlaſſen mochte. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein energiſches Auf— 
treten von Seite Wenzels auch jetzt noch alle Anſchläge 
der rheiniſchen Kurfürſten zu nichte gemacht hätte; denn 
wie dieſelben nicht von Patriotismus, ſondern von Selbſt— 
ſucht eingegeben waren, ſo fehlte ihnen auch alle moraliſche 
Begründung und Haltung. Der ganze Bund mochte in 
dem Zwecke, Wenzel abzuſetzen, einig ſein: in der Anſicht, 
wer deſſen Nachfolger im Reiche werden ſollte, war er nicht 
einig. Die Reichsſtädte dagegen hatten noch gar nicht ernſtlich 
daran gedacht, ſich dem Gehorſam des Königs zu entziehen, 
da die Abſichten der mißvergnügten Fürſten diesfalls vor 
ihnen verheimlicht worden waren; erſt auf dem Reichs— 
tage, welcher zu Frankfurt am Main vom 26 Mai bis 
5 Juni 1400 gehalten wurde, und welchen auch Abgeord— 
nete vieler Städte beſuchten, kam dieſer Punct offen zur 
Sprache. Hier nun ließ Kurfürſt Rudolf von Sachſeu 
durchblicken, daß er ſeinen Schwiegerſohn, den Herzog Fried— 
rich von Braunſchweig, zum römiſchen König erhoben zu 
ſehen wünſche; und da er damit bei ſeinen rheiniſchen Col— 
legen keinen Anklang fand, ſo verließ er mit den Seinigen 
den Reichstag in Unwillen, wurde aber auf dem Rückwege 
bei Fritzlar auf Mainziſchem Gebiete und von Dienſtleuten 
des Mainzer Kurfürſten überfallen und gefangen genom— 
men. In dem Gefechte kam Herzog Friedrich von Braun— 
ſchweig ums Leben, — zufällig, ſo hieß es, weil er ſich 
keck zur Wehr geſetzt hatte. Der Erzbiſchof Johann von 
Mainz ſuchte ſich durch einen Eid zu reinigen, daß er an 
dieſem Meuchelmord keinen Theil habe; es iſt ihm jedoch 
nicht gelungen, die Zeitgenoſſen oder die Nachwelt von ſeiner 
Unſchuld zu überzeugen. Um aber die Zweifel der Städte 
über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen K. Wenzel 
zu beſchwichtigen, wurde Letzterer von den Fürſten auf— 


Die Kurfürſten fegen K. Wenzel ab. Bonifaz IX. 123 


gefordert, am nächſten 10 Auguſt nach Lahnſtein zu kom— 
men, und ſich daſelbſt über die ihm zur Laſt gelegten Reichs— 
gebrechen zu verantworten. 

Von großer Bedeutung, wie an ſich überhaupt, ſo auch 
insbeſondere wegen ſeiner bedauerlichen Folgen, war das 
Benehmen des Papſtes Bonifaz IX in dieſer Angelegenheit. 
Er hatte ſich mit den mißvergnügten Kurfürſten insgeheim 
in Verhandlungen eingelaſſen, und billigte ihr Vorhaben, 
ohne davon gegen K. Wenzel etwas merken zu laſſen; im 
Gegentheil ſchien des Letzteren Verhältniß zu ihm ſich aufs 
günſtigſte zu geſtalten, als am 15 Juni 1400 König Sig- 
mund es über ſich nahm, an ſeines Bruders Statt und in 
deſſen Vollmacht ſich zum Papſte perſönlich zu begeben, und 
mit ihm über alle erhobenen Anſtände eine Einigung zu 
treffen. Denn obgleich Sigmund ſeine Reiſe noch aufſchob, 
fo ſchien doch Bonifaz IX ganz für Wenzel geſtimmt zu 
ſein, da er noch am 26 Aug. 1400 ihn brieflich verſicherte, 
daß er ihn bei ſeinen Ehren und Würden mit väterlicher 
Zärtlichkeit, ſollte er dabei auch ſein eigenes Blut ver— 
gießen, ſchirmen und erhalten wolle.““ Um fo größer war 
Wenzels Entrüſtung, als er hintennach erfuhr, daß Boni— 
faz die Fürſten in ihrer Empörung gegen ihn geſtärkt und 
aufgemuntert hatte, 1# 


140) Im Original heißt es: Unum tamen Serenitatem Tuam tenere 
volumus pro constanti, quod circa ea, quae statum honorem- 
que Sublimitatis Tuae concernere valeant, studio paternae te- 
neritudinis erimus indefesso usque ad proprii effusionem san- 
guinis pervigiles et intenti. K. Wenzel ſchickte dieſen Brief 
am 20 Oct. 1400 der Stadt Regensburg zum Beweiſe, daß 
der Papſt auf feiner Seite ſtehe. S. Pelzel, II, 428 — 432. 
Urkk. Nr. 170. 

141) Bonifaz ſuchte zwar einige Zeit lang wenigſtens einen Schein 
von Neutralität zwiſchen den beiden Königen zu bewahren; 
doch erklärte er ſpäter ſelbſt, er habe die Kurfürſten zur Ab— 
ſetzung Wenzel's ermächtigt: »Ad ipsius Wenceslai depositio- 


1400 


15 Juni 


26 Aug. 


1400 


20 Aug. 


124 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


Da der König der von ſeinen aufrühreriſchen Vaſal— 
len an ihn erlaſſenen Vorladung, wie natürlich, keine Folge 
leiſtete, ſo ſchritten dieſelben zu Oberlahnſtein am 20 Aug. 
1400 zu deſſen förmlicher Abſetzung. Vor einer nicht ſehr 
glänzenden Verſammlung (denn es waren außer den vier 
rheiniſchen Kurfürſten nur noch 2 fürſtliche, 4 gräfliche, 
4 ritterliche Perſonen, wenig Adel, jedoch viel Volk zu— 
gegen) las erſt der Mainzer Erzbiſchof die Klagepuncte 
gegen Wenzel vor: daß er 1) als Schirmvogt der Kirche 
nie zum Frieden geholfen, 2) das Reich geſchmälert, na— 
mentlich den Visconti zum Herzog von Mailand erhoben, 
3) viele dem Reiche heimgefallenen Beſitzungen in Deutſchland 
und Italien wieder verliehen, H Blanquets ausgegeben, 
die mißbraucht werden konnten, 5) den Unruhen und Feh— 
den im Reiche nicht begegnet, 6) viele perſönliche Grau— 
ſamkeiten begangen, und endlich, ungeachtet vieler an ihn 
ergangenen Ermahnungen, ſich um die Kirche und das Reich 
überhaupt nicht gekümmert habe; darum ſeien die Kur— 
fürſten übereingekommen, ihn »als einen unnützen, verſäum— 
lichen, unachtbaren Entgliederer und unwürdigen Hand— 
haber des heiligen Reichs“ abzuſetzen. Am folgenden Tage 
wählten dann die drei Erzbiſchöfe verabredetermaßen den 
Pfalzgrafen Ruprecht zum römiſchen Könige; auf die übri— 
gen drei Kurſtimmen, Böhmen, Sachſen und Brandenburg, 
wurde bei der Wahl keine Rückſicht genommen.“ 

Das Verfahren der verſchworenen Fürſten gegen Wenzel 
hat ſchon bei den Zeitgenoſſen wenig Beifall gefunden; in 
unſeren Tagen aber fällt es keinem beſonnenen Hiſtoriker 
mehr ein, es zu entſchuldigen, geſchweige denn zu verthei— 


nem seu amotionem a praefato regno Romanorum auctoritate 
nostra suflulti concorditer processerunt. S. Raynaldi zum J. 
1400, $. 12, ©. 248 der Kölner Ausgabe. Vgl. 3. Chmel, 
Regesta Ruperü regis Romanorum, Frankfurt a. M. 1834. 
S. 184. 


Die Kurfürften ſetzen K Wenzel ab, 125 


digen. Die Gründe jenes Ausſpruchs«, ſagt einer der 
tüchtigſten deutſchen Geſchichtforſcher,““ „ſind fo abgeſchmackt 
und leicht zu widerlegen, entbehren zum Theil auch aller 
Wahrheit, daß man ſich wundern muß, wie der Kurfürſt 
von Mainz, der allein die Abſetzungsurkunde beſiegelte, 
aber vorgab, im Namen aller Mit-Kurfürſten zu handeln, 
dieſelben den Reichsſtänden vorzulegen wagen konnte.“ Ei— 
nige dieſer Gründe könnte man wohl gelten laſſen, wenn 
nur die Kläger dabei nicht noch größere Schuld träfe, als 
den Beklagten ſelbſt.““ Dagegen lieferte Ruprechts zehn— 
jährige, ruhe- und erfolglofe Regierung den Beweis, daß 
auch der gute Wille, die Einſicht und Thätigkeit eines 
fähigen Monarchen nicht im Stande war, die tiefgewur— 
zelten Gebrechen der damaligen öffentlichen Zuſtände Deutſch— 
lands zu heilen. Das Beiſpiel ſeiner vielen vergeblichen 
Anſtrengungen könnte beinahe zur Entſchuldigung für Wen— 
zels Unthätigkeit dienen. Jener Tag zu Lahnſtein aber, 
und die Spaltung der römiſchen Reichskrone unter zwei 


142) Dr. Joſ. Aſchbach in ſ. Geſchichte Kaifer Sigmunds (Hamburg 
1838) IJ. S. 151. 

143) Der Schreiber des unten näher zu beſprechenden Briefs an 
K. Wenzel dd. Veronae, 16 Nov. 1401, ſpottet über die ſchein— 
patriotiſche Sprache der verſchworenen Kurfürſten, die ſich ge— 
berdeten, quasi male gestae rei condolentes et salutis om- 
nium curiosi. O dolosam machinationem! fingunt odisse, quod 
diligunt, optare, quod nolunt, postulare, quod fugiunt. — Utun- 
tur in te causa nostra, adjicientes maledictis eorum, quod ducem 
Mediolani erescere nedum passus sis, sed eum rebus imperii 
donans in illud armaveris. Sed testis est deus, et tu non igno- 
ras, quantis periculis, laboribus, sumptibus ipse et majores 
sui imperio perpetua fide se gesserint. — Constat, nihil sibi 
amplius in Italia habere imperium, nisi quantum ſidelis ipse 
servarit. Ideo illis molestum est, quod illum apud te carum 
habes, quod titulis, quod honoribus effers, quibus hostis est, 
quicunque Romano fidelis imperio. Non segnitiem tuam ode- 
runt bilingues detractores, sed defensoris sollicitudins uf. w. 


4 
8 


1400 


126 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1400 Oberhäupter, hat in und für Böhmen, und dadurch mittel— 


30 Aug. 


bar auch für Deutſchland, bei weitem wichtigere Folgen 
gehabt, als man gemeinhin anzunehmen pflegt; wie wir 
das ſeiner Zeit näher nachweiſen werden. 

Als Wenzel am 30 Auguſt ſeine Abſetzung erfuhr, 
gerieth er in heftigen Zorn, und ſchwor bei St. Wenzel, 
dieſe Beleidigung zu rächen; Einer von beiden, er oder 
Ruprecht, müſſe fallen. Auch M. Joſt, der in Prag zu— 
gegen war, verſprach die Unthat zu rächen, ſonſt wolle er 
kein Haar in feinem Bart behalten.“ Nun machte Letz 
terer zwar Frieden mit ſeinem Bruder, und es fand einen 
Augenblick eine volle Ausſöhnung aller vier Glieder des 
Hauſes Luxenburg Statt: aber eben in dieſem entſcheiden— 
den Momente, wo es galt, die gefährdete Stellung des 
Hauſes gegenüber der ganzen Chriſtenheit, ja ſeine Ehre 
zu ſchützen, bewieſen ſie, daß ſie dafür im Grunde kein 
Herz und keinen Sinn hatten, daß die niedrigſte Selbſt— 
ſucht ſie beherrſchte, und daß ſie fähig waren, mit Ver— 
läugnung aller natürlichen Gefühle, um ein paar Mark 
Zinſen mehr oder weniger, ihr eigen Fleiſch und Blut zu 
verkaufen und zu verrathen. Die böhmiſche Geſchichte kennt 
keine widerlicheren Scenen, als welche in dieſen Jahren Hab— 
ſucht und Eigenſinn, Schwäche und Tücke, Gewalt und Grau— 
ſamkeit der gebornen Häupter des Staats in raſchem Wechſel 
vorführten, bis endlich der alte Gang der Staatsmaſchine, 
aus Erſchöpfung und Untauglichkeit ſeiner Lenker, ins Stocken 
gerieth, und einem neuen Lebenselemente Platz machte. 

Da K. Wenzel in dieſen Jahren niemals für ſich allein 
einen Entſchluß zu faſſen wußte,“ fo ſandte er feine Räthe 


144) Dr. J. F. Boehmer, Codex diplomaticus Moeno-Francofurta- 
mus, 1836, pag. 781. Aſchbach 1. c. p. 154. 

145) Er geſtand ſelbſt ſeine Muthloſigkeit auf naive Weiſe in einer 
Stiftungsurkunde vom 5 Oct. 1400 zu Ehren der heil. Maria 
und der böhmiſchen Landespatrone, »a quıbus majoris prae 


Zwietracht im königlichen Haufe, 127 


mit dringendem Erſuchen an ſeinen Bruder, nach Böhmen 
zu kommen. Nach langem Widerſtreben ließ endlich Sig— 
mund ſich dazu bewegen, und kam mit anſehnlicher Macht 
bis gegen Kuttenberg heran. Auch Markgraf Joſt mit dem 
böhmiſchen Herrenbunde fanden ſich im Kloſter zu Sedlec 
ein. Nun wurde zuerſt um den Preis verhandelt, um wel— 
chen man dem gekränkten Könige gegen ſeine Feinde bei— 
ſtehen wollte. Nicht allein ſollte er alle Laſten des Krie— 
ges tragen, wozu er wohl willig war, ſondern der Herren— 
bund verlangte auch vorläufig noch die Abſtellung aller 
ſeiner alten Beſchwerden, und K. Sigmund beſtand darauf, 
daß ihm Wenzel nicht allein Schleſien und die Lauſitz alſo— 
gleich einräumen, ſondern auch die Verwaltung Böhmens 
gänzlich in die Hände geben müßte. Dieſe unmäßigen 
Forderungen empörten Wenzel ſo ſehr, daß er auf der 
Stelle ſein Pferd holen ließ, und ohne Abſchied aus der 
Verſammlung davon ritt. Dies geſchah um die Mitte Ok— 
tobers 1400. Es brachte aber den König um den Reſt 
ſeiner Anhänger in Deutſchland, zumal um die bis jetzt 
treugebliebenen Reichsſtädte; denn da ſie die wiederholten 
Verheißungen nahebevorſtehender Hilfe niemals ſich erfüllen 
ſahen, jo traten fie nach und nach alle zum Gegenkönige über. 

Aus Arger über die unbilligen Zumuthungen ſeiner 
Verwandten und der mit ihnen verbundenen Landesbarone, 
erlaubte ſich Wenzel nunmehr im Innern ſeines Landes 
Willkürlichkeiten,““ die feine Gegner allerdings empfind— 


sumptionis audaciam, piaeque subventionis praesentibus tem- 
poribus praesidia postulamus« etc. Gel. Dobner Monumenta 
II, 431. 

146) So z. B. verlieh er im Dec. 1400 das Oberſtlandſchreiberamt 
ohne Weiteres ſeinem Oberſtkanzler, dem Patriarchen Wenzel, 
obgleich damals der dem Herrenbunde zugethane Herr Smil 
Flaska von Pardubic auf Richenburg (der böhmiſche Dichter) 
dieſes Amt verwaltete (Codex Premyslaeus fol. 34). Der Pa: 
triarch gelangte auch niemals zu deſſen Genuſſe. 


1400 


Oct. 


1401 


128 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1401 lich kränken, aber auch noch heftiger gegen ihn aufbringen 
mußten als zuvor. Es müſſen in der That arge Ver— 
letzungen der beſtehenden Rechtsverhältniſſe Statt gefunden 
haben, da wir auch ſolche Männer, wie den Erzbifchof 
Wolfram von Prag, die Herren Johann Krusina von 
Lichtenburg und Pota von Caſtolowic, welche bis dahin dem 
Könige immer treu geblieben waren, jetzt auf die Seite ſeiner 
Gegner treten ſehen. Der Gegenkönig Ruprecht, der ſeine 
Verbindungen im Lande hatte, unterließ auch nichts, was 
die böhmischen Wirren und die Verlegenheit feines Geg— 
ners mehren konnte. Leider fand er nicht allein bei den 
mähriſchen Markgrafen, ſondern auch bei den böhmiſchen 
Baronen allzu williges Gehör! Der Herrenbund einigte 
ſich förmlich mit ihm, ““ und zog, mit Hilfe des Mark 
grafen Joſt, auch die Markgrafen von Meißen, die Burg— 
grafen von Nürnberg, die Biſchöfe von Bamberg und 
Würzburg, gegen Wenzel ins Feld. Anderſeits durfte 
Ruprecht gegen den Papſt ſich brüſten, Markgraf Prokop, 
der ſeine Sache wieder von der ſeines Bruders getrennt 
hatte, habe mit ſeinen 40 Schlöſſern gar in ſeinen, des 
Gegenkoͤnigs, Dienſt ſich begeben!“ Dieſe faſt unglaub? 


147) Dietrich von Niem (in Nemus unionis, tract. VI, cap. 32) 
ſchrieb darüber an K. Ruprecht: In secundo anno assumtio- 
nis tuae ad regni fastigium, si bene recolis, Ruperte rex, mar- 
chiones Misnenses amici tui et poene omnes nobiles et baro- 
nes regni Bohemiae, propter inordinatum regimen regis Wen- 
ceslai, — contra ipsum regem insimul concordarunt, quod eum 
tibi subjicerent manu forti, dummodo eis in hoc potenter as- 
sisteres etc. 

148) Martene Thesaurus I, 1670: Quod marchio Procopius Mora- 
viae se dedit in familiarem D. Regi (Ruperto) et ad sibi ser- 
viendum cum 40 fortalitiis, quem D. Rex taliter acceptavit. 
Trotz dieſen etwas ruhmredigen Worten macht es der Zu— 
ſammenhang aller Daten wahrſcheinlicher, daß der eben nicht 
charakterfeſte Prokop ſich nur mit Ruprecht gut ſtellen wollte, 


Kriege mit K. Ruprecht und dem Herrenbunde. 129 


lichen Thatſachen ſtehen feſt, obgleich ihr näherer Hergang 
nicht bekannt iſt. Den Krieg gegen Wenzel hatten pfäl— 
ziſche Beamte ſchon im Herbſte 1400 mit der Eroberung 
einiger böͤhmiſch-pfälziſchen Burgen und Städte eröffnet, 
welche ſeitdem nicht wieder mit Böhmen vereinigt worden 
ſind. Im Frühling 1401 wurde dieſer Krieg an die böh— 
miſchen Gränzen verſetzt, und Ruprechts Sohn Ludwig 
führte ſelbſt zahlreiche Schaaren über den Böhmerwald her— 
über: hier aber bewies die alte, nur auf Abwehr berech— 
nete böhmiſche Kriegsverfaſſung, daß ſie ihrem Zwecke zu— 
weilen doch noch entſprechen konnte, zumal das Volk im 
Allgemeinen nicht dem Beiſpiel der Großen gefolgt, ſon— 
dern dem Könige treu geblieben war. Ruprechts Fahnen 
waren diesſeits der böhmiſchen Landesgränzen nicht glück— 
lich, und er entſchloß ſich, am 20 Juni 1401 zu Amberg, 
einen Waffenſtillſtand abzuſchließen und in Unterhandlungen 
einzugehen, zu deren Ort Waldmünchen, ein dem Land— 
grafen von Leuchtenberg gehöriges Städtchen an der böh— 
miſchen Gränze, beſtimmt wurde. 

Die Forderungen, welche Ruprecht am Tage zu Wald— 
münchen an Wenzel ſtellen ließ, waren folgende: erſtens 
ſollte Dieſer dem römiſchen Reiche zu Gunſten Ruprechts 
förmlich entſagen und ſeinen Entſchluß darüber der ganzen 
Chriſtenheit kundmachen; zweitens ſollte er ihm alle hei— 
ligen Reichskleinode und Reliquien, ſo wie die geſammte 
Reichsregiſtratur, insbeſondere auch alle Urkunden über Bra— 

ohne gänzlich von Wenzel abzufallen oder deſſen Feind zu wer— 

den, — ja daß er noch im Laufe des Jahres 1401 wieder offen 
für Wenzel die Waffen ergriff, da dieſer bald darauf (noch in 
demſelben Jahre) ihm das Einlöſungsrecht der Grafſchaft Glatz 
vom Herzog Hans von Troppau (zu 4000 Schock Pr. Gr.) 
verlieh, und ihm dieſelbe nebſt Frankenſtein, Fürſtenberg, Brau— 
nau und Politz, »wegen geleiſteter treuer Dienſte und erlitte— 
ner Schäden«, zu 16,000 Schock zu Pfande verſchrieb. Codex 
Premyslaeus fol. 72. 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 9 


1401 


20 Juni 


. 


1401 


16 Suni 


130 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


bant, alſogleich und gratis ausliefern; drittens ſollte er 
ihm von Seite ſeines Königreichs Böhmen die gewöhnliche 
Huldigung leiſten, Ruprecht wolle ſich damit begnügen, daß 
es nur ſchriftlich geſchehe; viertens ſollte ſeine Nichte, Eli— 
ſabeth von Görlitz, einem Sohne Ruprechts vermählt und 
ihr zur Mitgift diejenigen Länder verſchrieben werden, über 
welche man ſich weiter noch einigen würde; für alle dieſe 
Zugeſtändniſſe ſei Ruprecht bereit, Wenzel den ungeſtörten 
Beſitz von Böhmen zu garantiren. Wie tief mußte die 
Macht und das Anſehen des Königs nicht ſchon gefallen 
ſeyn, wenn man ihm gegenüber ſolche Anſprüche auch nur 
laut werden laſſen konnte! Daß unter ſolchen Umſtänden 
die Verhandlungen zu keinem Reſultate führten, braucht 
kaum erſt geſagt zu werden. Wenzel ließ Ruprecht ſagen, 
er wolle ihm den Titel eines römiſchen Königs zugeſtehen, 
wenn er zuvor von ihm als römiſcher Kaiſer anerkannt 
werden würde; dann werde auch den vorgeſchlagenen Hei— 
rathsplänen kein Hinderniß im Wege ſtehen.“ 

Was den Gegenkönig veranlaßt hatte, ſeine Forde— 
rungen, trotz dem geringen Erfolg ſeiner Waffen, ſo hoch 
zu ſpannen, war die Bedrängniß, in welche Wenzel zu 
gleicher Zeit von der andern Seite durch den Markgrafen 
Joſt, den böhmiſchen Herrenbund und die mit ihnen ver— 
bundenen Markgrafen von Meißen gerathen war. Da Joſt 
und die Meißniſchen Markgrafen ſchon am 16 Juni 1401 
untereinander eine Verabredung über die von ihnen in 
Böhmen zu machenden Eroberungen getroffen hatten, ſo 
iſt die Angabe einiger gleichzeitigen Quellen, daß man die 
Endabſicht hatte, Wenzel vollends auch vom böhmiſchen 
Throne zu ſtürzen, um ſo glaublicher. Die Markgrafen 
von Meißen befanden ſich damals im Pfandbeſitze mehrer 
149) Martene et Durand collectio amplissima, vol. IV, pag. 50 — 52 


(wo Num. 33 offenbar vor Num. 32 geſchrieben und erlaſſen 
worden iſt). 


Kriege mit dem Herrenbunde; Belagerung von Prag. 131 


an ihr Gebiet ſtoßenden böhmiſchen Burgen und Städte, 
namentlich war auch die Burg und Stadt Brür ihnen ver— 
pfändet; um ſo leichter wurde es ihnen, ihre Truppen mit 
denen des Herrenbundes zu vereinigen, und damit vor die 
Hauptſtadt zu rücken. Schon im Juni lagerte das verbün— 
dete Heer in Michle bei Prag, und ſetzte ſpäter nach Owenec 
hinüber, wo es auch den königlichen Thiergarten einnahm. 150 
Prag hatte ſeit hundert Jahren keine fremden Truppen 
mehr vor ſeinen Thoren geſehen; ihre Anweſenheit, und 
die davon unzertrennlichen Gewaltthaten, machten nicht allein 
auf die Bürger, ſondern auch auf das böhmiſche Volk über— 
haupt einen tiefen Eindruck, und der ſo verrathene und 
bedrängte König fand je länger je mehr Bereitwilligkeit, 
gegen die gemeinſamen Feinde und Landesverderber auf— 
zuſtehen und ſie über die Gränzen hinaus zu treiben. Eine 
Eroberung der Stadt zu verſuchen, war das verbündete 
Heer zu ſchwach, ſo lange Ruprechts Truppen nicht dazu 
kommen konnten, ſich mit ihm zu vereinigen; bei der Treue 
der Bürger und der Ergebenheit vieler ſtreitfähigen Ba— 
rone gegen den König, I konnte das Mißlingen eines Stur— 


150) Nach der Erzählung in einem noch ungedruckten Breve Chro- 

nicon Boemiae ab ann. 1344 — 1411, das ſich in einem Manu: 

ſcript der Leipziger Univerfitätsbibfiothef (MS. No. 176) befindet. 

151) Namentlich zeichneten ſich jetzt im Dienſte des Königs aus: 

Bocek von Kunſtatt auf Podébrad (der noch vor zwei Jahren 

gegen ihn gekämpft hatte), Bohuslaw und Johann von Schwam— 

berg, Andreas von Duba auf Zlenic, Heinrich von Duba auf 

Humpolec, Brenék von Strakonic, Zdenék von Rozmital, 

Predbor von Cimburg, Heinrich von Chlum auf Lacembok 

u. a. m. Unter den königlichen Burggrafen muß insbeſondere 

der von Taus, Marsik von Hradef, ſich wacker gehalten haben, 

da K. Wenzel ihm ſchon am 9 Apr. 1401 für feine treuen 

Dienſte (nicht wie Pelzel will, gegen ein Darlehen) die königl. 

Burg Lopata und den königl. Kammerzins zu Schüttenhofen 
verſchrieb. 

9 * 


— 


1401 


Juni 


1401 


12 Aug. 


132 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


mes auf Prag das ganze feindliche Heer in die äußerſte 
Gefahr bringen. So begnügte es ſich gegen ſechs Wochen 
lang unthätig vor den Mauern Prags zu liegen, ohne 
dieſe Stadt auch nur eingeſchloſſen zu haben, und bot am 
Ende zu Friedensunterhandlungen willige Hand. Am 12 
Auguſt 1401 kam ein definitiver Vertrag zu Stande, dem 
zu Folge Erzbiſchof Wolfram und die Barone Heinrich von 
Roſenberg, Otto von Bergow auf Bilin und Johann Kru— 
sina von Lichtenburg dem Könige als eine Art oberſter 
Regentſchaftsrath zur Seite geſetzt wurden, welche nach den 
in den früheren Vertragsurkunden K. Sigmunds aufgeftell- . 
ten Grundſätzen an der Verwaltung des Landes Theil neh— 
men, und insbeſondere bei Anſtellungen neuer Landes— 
Beamten, ſo wie bei den Staatsausgaben überhaupt eine 
verbietende Stimme haben ſollten. Die königlichen Städte 
und Amter ſollten ſich den vier Regenten eidlich verpflich— 
ten mit dem Beiſatze, daß ſie in Colliſionsfällen ihnen zuerſt 
zu folgen haben; doch ſollte der ganze Vertrag den Rechten 
und Anſprüchen, welche dem Könige Sigmund in Böhmen 
zukamen, unnachtheilig fein. 2 Dieſe Übereinkunft befrie- 
digte den Herrenbund in dem Maße, daß er ſich mit dem 
Könige ausſöhnte und die Sache der gegen ihn verbun— 
denen Fürſten gänzlich verließ; worauf auch die Meißner 
in Eile aus dem Lande zogen. Später einigte ſich Wenzel 
auch mit dem Markgrafen Joſt in der Art, daß er ihm 
das Markgrafthum Lauſitz auf deſſen Lebenszeit gänzlich 
überließ und noch bedeutende Summen in Geld verſchrieb. 
Welches Abkommen mit dem Markgrafen Prokop getroffen 
wurde, iſt unbekannt. 153 

Daß bei den letzteren Ereigniſſen K. Sigmund keine 
Rolle mehr ſpielte, kam nur daher, weil auch ihn jetzt das— 
152) Pelzel urkk. Num. 178. Archiv Cesky I, 66. (pelzels Deu: 


tung dieſer böhmiſchen Urkunde iſt nicht in Allem genau.) 
153) Man vergleiche jedoch hierüber die Note 148 (ſ. oben). 


Friedensvertrag. K. Sigmunds Gefangenſchaft. 133 


ſelbe Schickſal getroffen hatte, wie vor 7 Jahren ſeinen 1401 
Bruder, — von ſeinen aufrühreriſchen Unterthanen ge— 
fangen genommen zu werden. Die ungriſchen Magnaten 
hatten ihn in einer Landtags-Verſammlung, in ſeiner Burg 
zu Ofen am 28 April 1401 verhaftet, ohne daß für den 
Augenblick auch nur ein Schwert im Volke für ihn ſich 
erhob. Gründe zur Unzufriedenheit mit ihm wendeten ſie 
viele vor; der vorzüglichſte und haltbarſte war ſeine Be— 
günſtigung der Fremden in Ungarn, welche bei dieſer Ka— 
taſtrophe entweder gleichfalls verhaftet oder aus dem Lande 
vertrieben wurden.““ Man führte den gefangenen König 
zuerſt auf die feſte Burg Wysegrad an der Donau, und 
übergab ihn ſpäter dem Banus von Kroatien und Dal— 
matien, Niklas von Gara, zur Bewahrung auf deſſen Burg 
Siklos. Über die Frage jedoch, wer an Sigmunds Stelle 
auf den ungriſchen Thron zu erheben ſei, entzweiten ſich 
bald die ungriſchen Großen, und erleichterten damit den 
Anhängern desſelben das Geſchäft, ihn zu befreien und in 
ſeine vorige Macht wieder einzuſetzen. An der Spitze dieſer 
Anhänger ſtand Sigmunds Liebling, Stibor von Stiboric, 


154) In einem noch ungedruckten Schreiben darüber aus Ungarn, 
an Sigmunds Anhänger in Böhmen und Mähren, heißt es: 
Heu dolor! serenissimus dominus noster, gratiosissimus rex 
Ungariae, a perfidis Ungaris ex eo, quod hospites et alienige- 
nas in regno servavit, est detentus, sed custodiente altissimo 
in nulla parte corporis sui offensus, in castro V. detinetur; 
unde omnes et singuli alienigenae, tam spirituales quam etiam 
seculares, vestibus et ipsorum rebus spoliati, sunt expulsi, 
nobiles vero et ditiores illos consimiliter captivaverunt etc. 
Weiter unten fagt der Schreiber: Cum gentibus vestris quan- 
tocius poteritis accelerare ad nos curetis, ut eundem dominum 
nostrum regem vindicantes a sui captivitate possimus libe- 
rare; nam multa firmissima castra, communitiones optimas et 
eivitates habemus, quae vobis omnia ad placitum volumus ape- 
rire etc. Offenbar rührt alſo dieſes Schreiben, mittelbar oder 
unmittelbar, vom Grafen Stibor her. 


1401 


134 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


(ein Sohn des polniſchen Wojwoden Sudiwoj von Kalis), 19 
von Sigmund bereits zum Wojwoden von Siebenbürgen 
und zum Grafen von Presburg erhoben. Er rief aus Mäh— 
ren und Böhmen jene ſtets kampfluſtigen Schaaren, die 
ſchon fo oft für ꝛſeinen und ihren gnädigſten Herrn« in 
Ungarn gekämpft hatten, wieder herbei, und machte auch 
auf die Gefahr aufmerkſam, in welcher das ganze Haus 
Luxenburg ſchwebte, wenn es den treuloſen Rebellen ge— 
lingen ſollte, Sigmund aus Ungarn zu verdrängen. Dieſe 
Gefahr beherzigten denn auch die Fürſten dieſes Hauſes, 
und unterſtützten Stibors Werbungen auf alle Weiſe, ſo 
uneinig ſie auch im Übrigen untereinander waren. Ins- 
beſondere ließ Wenzel kein Mittel zu Sigmunds Befreiung 
unverſucht; je ſtärker ihn feine zahlreichen Feinde, und dars 
unter ſeine eigenen Vettern und Unterthanen bedrängten, 
um ſo mehr ſehnte er ſich nach dem Bruder, dem er trotz 
ſo vieler vorangegangenen Täuſchungen, noch immer brüder— 
liche Geſinnung und Anhänglichkeit zutraute. Er ließ ſich 
zuletzt auch in Unterhandlungen mit Niklas von Gara ein, 
und verſchrieb demſelben für die gute Behandlung und Frei— 
laſſung des Königs einen Jahrgehalt von tauſend Ducaten. 
Dadurch und durch Zuthun des Grafen Hermann von Cilley, 
gelangte Sigmund zu Anfang September 1401 zu ſeiner 
Freiheit und zur oberſten Gewalt in Ungarn wieder, und 


ſöhnte ſich dann auf einem Landtage zu Papa (27 Oct.), 


durch kluge Nachgiebigkeit, mit den ungriſchen Ständen 
vollends aus. 


155) Am 3 Febr. 1398 verbürgte ſich Zandiwogius waywoda Kali- 
siensis für den »magnificus vir D. Stiborius, waywoda Tran- 
silvanensis comesque Pozoniensis, filius noster carissimus«, daß 
er jene 7000 Schock Prager Groſchen, welche K. Sigmund dem 
Markgrafen Prokop ſchuldete, und für deren Zahlung auch 
Stibor haftete, nöthigen Falls auf ſich nehme. Dat. in Alba 
Ecclesia, alias in Holicz ete. (Orig. in Wittingau.) 


K. Sigmunds Gefangenſchaft und Befreiung. 135 


K. Wenzel äußerte die lebhafteſte Freude über die Be— 
freiung ſeines Bruders. Er ſchrieb ihm darüber einen Brief 
voll der herzlichſten Ergebenheit, ſchob die Schuld aller bis— 
herigen Mißverſtändniſſe unter den Brüdern auf die Mittel- 
perſonen, denen im Menſchenverkehre der Geiſt der Wahr— 
heit abhanden gekommen ſei, und bat ihn nur eheſtens Tag 
und Ort zu beſtimmen, wo ſie zuſammenkommen könnten; 
denn er wolle, mit Hintanſetzung aller übrigen Geſchäfte, 
freudig ſich dahin begeben.!“ Er reiſte auch alſogleich 
nach Kuttenberg ihm entgegen. Doch erſt gegen das Ende 
des Jahres konnte auch Sigmund dahin gelangen, nach— 
dem er noch zuletzt von Tyrnau aus am 12 Dec. den Ve— 
netianern hatte die Warnung zukommen laſſen, daß ſie ſich 
in keine Verbindungen mit dem Gegenkönige Ruprecht gegen 
feinen Bruder und ihn einlaſſen ſollten. 157 

Ruprecht hatte nämlich, nach Anerkennung und Be— 
feſtigung ſeiner Macht in Deutſchland, den Entſchluß ge— 
faßt, ſeine Romfahrt anzutreten, die Kaiſerkrone ſeinem 
Gegner vorwegzunehmen, und zugleich, ſeinem an die Kur— 
fürſten und an die Florentiner geleiſteten Verſprechen gemäß, 


156) Wenzels eigene Worte ſind: Qualem visceribus cordis nostri 
Vestra liberatio fecerit laetitiam, quantamque gaudiorum nobis 
cumulaverit abundantiam, novit serutator eordium et secreto- 
rum cunctorum indagator, cui omnia cognita sunt praesentia, 
praeterita pariter et futura. Et jam nobis deo propitio simul 
convenientibus, ab experto mutuo cognoscemus, qui nostri fra- 
terni amoris fuerint veri zelatores. Timemus enim et experien- 
tia docente cognoscimus, quod multi inter nos utrinque tracta- 
tores fuerint, qui inter alios homines perdiderunt anhelitum 
veritatis. Velit igitur fraterna Vestra dilectio terminum placi- 
torum in metis, vel ubi placuerit, statuere, ad quem per dei 
gratiam laeta mente et jocundis oceursibus aliis obmissis negotiis 
omnino veniemus u. ſ. w. Dieſen Brief haben wir in zwei böh— 
miſchen Formelbüchern gefunden. 
157) Vgl. Italieniſche Reiſe, pag. 76. 


1401 


12 Dec. 


1401 


21 Oct. 


136 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


den Viscontis Mailand zu entreißen. Da ſich auf dem 
Reichstage in Nürnberg viel guter Wille gezeigt hatte, ihn 
zu unterſtützen, die Herzoge von Sſterreich ihm den Weg 
durch Tyrol öffneten, alle Feinde der Visconti ſehnſuchts— 
voll ſeiner harrten, um mit ihrer ganzen Macht ſich ihm 
anzuſchließen, und die Florentiner zu einer Subſidien— 
zahlung von 200,000 Ducaten ſich verpflichteten, ſo glaubte 
Jedermann an den glücklichen Ausgang ſeines Unterneh— 
mens. Schon von Insbruck aus erklärte er am 25 Sept. 
1401 den Johann Galeazzo aller feiner Beſitzungen ver— 
luſtig und ließ den Krieg gegen ihn verkündigen. Als er 
aber von Trient gegen Brescia in der Meinung vorrückte, 
daß ihm die Thore dieſer Stadt von einer dortigen Partei 
freiwillig geöffnet werden ſollten, wurde er am 21 Oct. 
von dem, wenn nicht an Zahl, doch an Kriegskunſt und 
Zucht überlegenen mailändiſchen Heere angegriffen, und 
nach kurzer Gegenwehr vollſtändig geſchlagen; der ihn be— 
gleitende Herzog Leopold von Sſterreich gerieth ſogar in 
feindliche Gefangenſchaft. So über den Umfang ſeiner 
Macht enttäuſcht, und von der Mehrzahl der Seinigen ver— 
laſſen, zog er ſich bis Botzen zurück, rückte aber nach ei— 
nigen Wochen, ohne ein eigentliches Heer, durch das vene— 
tianiſche Gebiet nochmals bis Padua vor, um zu verſuchen, 
ob er nicht mit Hilfe der Venetianer und Florentiner zur 
See nach Mittelitalien gelangen könnte.!“ 


158) Alles dies erhellt aus dem bereits öfter erwähnten langen 
Schreiben des Viscontiſchen gelehrten Staatsmannes Leonard 
Therunda an K. Wenzel dd. Veronae, 16 Nov. 1401, das an⸗ 
fängt: »Non quis ego te verbis adoriar, dive Caesars etc. 
Darin werden dem Könige viele Vorwürfe über ſeine Nach— 
läſſigkeit gemacht, und doch Partei für ihn genommen: irasci 
liceat, precor, non odisse, ſagt der Schreiber in Bezug auf 
Wenzel. Nach einer Schilderung der Schlacht bei Brescia, 
heißt es über Ruprecht: — Paduam cum cohorte modica adivit, 
ibique applicitus pauper suorum Guelforum frustra mendicat 


Der Visconti Sieg über K. Ruprecht. 137 


Als Sieger fertigte Johann Galeazzo an K. Wenzel 1401 
eine Botſchaft ab, um ihn endlich zu der ſo lange beſchloſ— Nov. 
ſenen, und ſo oft vergebens erwarteten Romfahrt zu be— 
wegen. Es ſei nun offenbar, daß es keiner ſehr großen 
Anſtrengungen von ſeiner Seite bedürfe, um ans gewünſchte 
Ziel zu gelangen; er brauche ja gar keine Armee mitzu— 
bringen, denn die erwarte ihn ſchon ſchlagfertig, und treuere, 
ergebenere Truppen, als die lombardiſchen, könne er auf 
der Welt nicht finden! Es wäre doch hart, wenn man 
für ſeinen Kaiſer kämpfen und ſiegen, und als Sieger den— 
noch den Preis entbehren müßte, um welchen gekämpft wird! 
Dieſe günſtigen Vorfälle und die Vorſtellungen der 1402 
Lombarden hatten denn doch die Folge, daß man in Böh— 
men anfing, ernſtlich an Wenzels Römerzug zu denken. 
Verhandlungen wurden darüber auf einem im Januar 1402 
zu Königgrätz gehaltenen Fürſtentag, dem auch viele böh— 
miſche Barone beiwohnten, gepflogen, und man ſuchte ſich 
insbeſondere auch mit denjenigen Fürſten ins Einverſtänd— 
niß zu ſetzen, durch deren Lande der Zug gehen ſollte, und 
die folglich ihn fördern oder hindern konnten. Da jedoch 
Wenzel ſich nicht mehr getraute, in dieſer Angelegenheit 
aus eigener Kraft ſich zu bewegen, ſondern wie ein Un— 
mündiger in Allem geleitet und unterſtützt ſein wollte, und 
bei dem Mißtrauen, das er gegen alle Welt gefaßt hatte, 
zumal nach den im vorigen Sommer gemachten Erfah— 
rungen, von Sigmunds geiſtiger Überlegenheit, ritterlicher 
Außenſeite und Entſchloſſenheit ſich noch am meiſten an— 
gezogen und beherrſcht fühlte, ſo warf er ſich nunmehr ganz 
in ſeine Arme. Was ihn noch vor fünfzehn Monaten in 


adminicula. Ha! quantum potest poenitere, si sapiat, male 
suasus Bavarus etc. Quid agat, eligere nescit; sibi omnia sunt 
dubia; fertur tamen nuper misisse Venetias, desperans nostro- 
rum obice terra Romam posse contingere, quo mari vehatur, 
postulare navigium etc. 


1402 


4 Febr. 


138 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


der bloßen Vorſtellung empört hatte, das fette er jetzt »mit 
wohlbedachtem Muth und gutem Rath ſeiner Fürſten, Herren 
und anderer ſeiner lieben Getreuen« ins Werk: er legte 
ſich ſelbſt und die ganze Landesverwaltung Böhmens in 
Sigmunds Hände, um von ihm zur Kaiſerkrönung nach 
Rom geführt und begleitet zu werden. Am 4 Februar 
1402 ſtellte er darüber in Königingrätz eine Urkunde mit 
nachſtehenden Verwahrungen aus: 1) da er zu ſeinem 
Bruder ſich gänzlicher Liebe und Treue verſehe, ſo ernenne 
er ihn an ſeiner Statt zum Verweſer ſeines Königreichs 
Böhmen mit voller Macht, ſo daß derſelbe es in der Art 
zu regieren habe, wie es von ihrem Vater Karl IV her— 
gebracht iſt; 2) daher übergebe er ihm alle feine könig— 
lichen Schlöſſer und Städte zu deſſen eigener Verfügung; 
3) auch wolle er aus brüderlicher Liebe und Treue ihm 
gänzlich gehorſam ſeyn und ſich in Allem nach deſſen Rath 
richten, in der Art jedoch, daß er deſſenungeachtet Herr 
bleibe und bei ſeiner königlichen Würde im römiſchen Reiche 
wie in Böhmen zeitlebens erhalten werde; 4) in den Ver— 
hältniſſen, welche den langen Streit mit den böhmiſchen 
Landherren veranlaßt hatten, habe K. Sigmund die von 
ihm ſelbſt gefällten Sprüche, wie fie vom Lande angenom- 
men worden, zur Richtſchnur zu nehmen; was etwa Wenzel 
dazu thun möchte, deſſen ſoll Sigmund immer vollkommen 
mächtig ſeyn, doch auch auf der Landherren Rath hören; 
und was er in dieſer Weiſe zu vollziehen haben wird, 
dazu ſollen ſowohl die königl. Städte, als auch die Landes— 
beamten und Burggrafen ihm Hilfe zu leiſten ſich eidlich 
verbinden; 5) die Beſetzung der Landesämter behält ſich 
K. Wenzel vor, doch räumt er darin ſeinem Bruder, hin— 
ſichtlich der Wahl der Perſonen, in einzelnen Fällen eine 
verneinende Stimme ein; 6) dasſelbe ſoll auch bei der Ver— 
waltung der Staatseinkünfte und Ausgaben Statt finden; 
endlich 7) ſoll K. Sigmund das Vicariat im römiſchen 


K. Sigmund wird Reichsverweſer in Böhmen. 139 


Reiche fortführen, wie es ihm bereits früher übergeben 1402 


worden ift. 1? Wenn in der über dieſen Act aufgeſetzten 
Urkunde ſchon die gar zu häufige Hinweiſung auf das »brü— 
derliche Vertrauen« beſorgen läßt, daß derſelbe nicht ganz 
ohne Argwohn und eine Art von liebevollem Zwang 
vollzogen ſein dürfte: ſo begründet die Halbheit der darin 
feſtgeſetzten Maßregeln, insbeſondere die ſo unbeſtimmte 
Theilung der oberſten Gewalt unter den Brüdern, um ſo 
mehr die Überzeugung, daß auch dieſer Vertrag über kurz 
oder lang zu noch ſchwereren Colliſionen führen mußte. 
Natürlich nahm damit die am 12 Auguſt des vorigen Jahres 
eingeſetzte Regentſchaft ein Ende. 

Bevor man den Römerzug antrat, mußte durch kluge 
und kräftige Mittel für die innere Ruhe des Landes vor— 
geſorgt werden. Es wurde daher ein Landtag auf den 
18 Februar nach Prag berufen, und von den Ständen in 
großer Anzahl beſucht; die ſtändiſchen Verſammlungen und 
Verhandlungen wurden auf der Altſtadt im Kloſter bei 
St. Jacob, daher in der Nähe der damaligen königlichen 
Reſidenz bei St. Benedict gepflogen. “““ Die gefaßten Ber 


159) Die Urkunde iſt abgedruckt in den von J. v. Born heraus— 
gegebenen Abhandlungen einer Privatgeſellſchaft in Böhmen ıc. 
Ater Bd. Prag 1779, Seite 63— 66. 

160) Unter denjenigen, welche an dieſen Landtagsverhandlungen Theil 
nahmen, werden als die vorzüglichſten genannt: K. Sigmund, 
der Oberſtlandkämmerer Hermann von Chauſtnik, Oberftland: 
richter Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Oberſtland— 
ſchreiber Smil von Pardubice auf Richenburg, Wolfram Erz: 
biſchof von Prag, Johann Mraz Biſchof von Olmütz, Johann 
der Eiſerne Biſchof von Leitomysl, Racek don Schwamberg, 
Bocek von Kunftat auf Podebrad, Burkhard von Janowic, 
Heinrich von Chlum auf Lacenbok, Heinrich von Nachod, Otto 
der ältere von Bergow, Zdeslaw von Sternberg, Johann von 
Michalowic, Heinrich der ältere Berka von Duba auf Hauska, 
Wilhelm von Wartenberg auf Zwiretic, Johann von Frim— 
burg, Jaroslaw von Opoecna auf Zleb, Ales Skopek von Duba, 


18 Febr. 


140 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1402 ſchlüſſe waren den Umſtänden angemeſſen: 1) Da viele 
Böhmen, gegen Sold, Diener auswärtiger Fürſten (ins— 
beſondere Ruprechts) geworden waren, ſo wurde ihnen der 
nächſte 7 April als peremptoriſcher Termin geſetzt, bis 
wohin ſie alle aus jenen Dienſten treten und vor dem 
Landgerichte erſcheinen ſollten; wer das nicht thun und 
noch ferner zum Schaden der Krone und des eigenen Lan— 
des Dienſte leiſten würde, der ſollte als ehrlos dem Lan— 
desbann, und mit Leib und Gut der Krone verfallen. 
2) Gleiche Strafe hat Derjenige zu gewärtigen, der einen 
Gebannten oder einen Landesverderber überhaupt in welcher 
Weiſe immer fördert, ſobald er deſſen von drei Geſchwor— 
nen ſeines Kreiſes bezichtigt und überwieſen werden wird. 
3) Die Verfolgung der Gebannten ſoll auf den Ruf der 
poprawei in alter Weiſe kräftig und unnachſichtig, jedoch 
ohne Schaden der Kreisinſaſſen, gehandhabt werden. Y End— 
lich ſoll jege Art von Selbſthilfe und jede Fehde innerhalb 
des Landes ſchlechterdings unterbleiben und die Parteien 
ſich ſtreng an die Wege Rechtens halten; wer dagegen 
handelt, verfällt in den Landesbann, wird ehrlos und alle 
ſeine Güter fallen der Krone anheim. Dieſe ernſten De— 
crete wurden im ganzen Lande feierlich verkündigt und na— 
türlich auch in die Landtafel eingetragen; hätte man doch 


Heinrich und Ulrich von Neuhaus, Pota von Caſtolowic, Die— 
trich von Janowic auf Nachod, Benes der Starke von Duba, 
Ales von Schönburg, Johann von Schwamberg, Hynek Zajic 
von Waldek auf Pihel, Tas von Boskowic, Johann von Warten— 
berg, Herbord von Kolowrat, Albert von Sternberg auf Ko— 
nopist, Johann von Wlasim, Benes von Wartenberg auf 
Tetſchen, Niklas von Kolowrat auf Zbraslawic, Heinrich und 
Wenzel von Wartenberg, Heinrich der jüngere Berka von 
Duba, Johann Bocek von Kunftat auf Podébrad, Janek und 
Hynek von Wiſenburg, Heinrich Skopek von Duba und An— 
dere. Vgl. Archiv Cesky, II, 359 8. 


K. Sigmund nimmt K. Wenzel gefangen. 141 


die Kunſt beſeſſen, ſie den Zeitgenoſſen auch ins Herz hinein 1402 
zu ſchreiben! 

Nicht minder 0 für die innere Ruhe der Mon— 
archie war ein zu gleicher Zeit zwiſchen den Königen Wenzel 
und Sigmund und dem Markgrafen Prokop geſchloſſener 
Vertrag. Um den zwiſchen den mähriſchen Brüdern immer 
wiederkehrenden Reibungen und Streitigkeiten ein wirk— 
ſames Ziel zu ſetzen, beſchloſſen die Könige, dieſelben auch 
räumlich von einander zu trennen; darum ſollte Markgraf 
Prokop alle ſeine Beſitzungen in Mähren und Böhmen 
gänzlich abtreten, und dafür die Herzogthümer Schweid— 
nitz und Jauer, dann die Grafſchaft Glatz mit Franken— 
ſtein, im Ganzen um die Summe von 50,000 Schock Pra— 
ger Groſchen, von der Krone Böhmen zu Pfand erhalten 
und allein beſitzen. Da in dem Vertrage zugleich für den 
Fall, daß er noch heirathen und natürliche Erben gewin— 
nen ſollte, vorgeſorgt war, ſo gab ſich Prokop damit zu— 
frieden, und hängte ſein Siegel mit an die feierlich aus— 
geſtellte Urkunde. 16 

Ob jedoch dieſer Vertrag wirklich vollzogen worden 
ſei, iſt ſehr zweifelhaft. Denn ſchon einige Tage nach deſſen 
Abſchließung brach unter den Pacifcenten ſelbſt ein Zwiſt 
aus, der ſich nicht mehr beſeitigen ließ und zum letzten un— 
heilbaren Bruche führte. Die eigentliche Veranlaſſung dieſes 
verhängnißvollen Streits, welcher der ganzen Kette von 
Begebenheiten dieſer Jahre eine andere Richtung gab, iſt 
uns von Niemanden überliefert worden; wahrſcheinlich iſt 
ſie jedoch in dem Widerſtande zu ſuchen, welchen der eben 
ſo eigenſinnige als ſchwache Wenzel einzelnen von Sig— 
mund im Sinne des Herrenbundes getroffenen Regierungs— 
maßregeln entgegenſtellte. Es kam ſo weit, daß Sigmund 
feinen Bruder ſchon am 6 März 1402 im Königshofe der 6 März 
Altſtadt Prag verhaften, in die königliche Burg auf den 
161) Codex Premyslaeus fol. 76 — 77. 


142 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1402 Hradſchin führen und dort genau bewachen ließ. 1% Die 
Barone und ein Theil der Räthe des Königs ſollen ſelbſt 
für ſeine Verhaftung geſtimmt haben. Dies beweiſt alſo, 
daß ſein alter Streit mit dem Herrenbunde hier wieder 
zum Vorſchein kam. Somit nahm das vor kurzem noch 
fo geprieſene »brüderliche Vertrauen« allzufrüh und für 
immer ein klägliches Ende. 


Obgleich man bei dieſer zweiten Gefangennehmung 
Wenzels alles Aufſehen zu vermeiden geſucht, und ihm auch 
nach derſelben einen Schein von Freiheit gelaſſen hatte, — 
wie man denn auch fortfuhr, Regierungsacte und Urkun— 
den in ſeinem Namen ausfertigen zu laſſen: — ſo wurde 
dennoch die an der Perſon des Königs verübte Gewalt 
im Volke ruchbar, und regte die Leidenſchaften desſelben 
in verſchiedener Richtung wieder auf. Da Sigmund die 
erlangte Gewalt ſogleich zur Auflegung der drückendſten 
Steuern mißbraucht, und ſich dabei viele Eigenmächtig— 
keiten und Grauſamkeiten erlaubt hatte, “s jo nahm die 
Mehrzahl des Volkes auch jetzt für Wenzel wieder Partei; 
ſelbſt diejenigen Räthe, die fuͤr ſeine Gefangenſchaft ge— 
ſtimmt hatten, änderten ihre Anſichten, und trennten ſich 


162) Chronicon universitatis Pragensis: Anno dom. MCCCCI, sexta 
die Martii, quae fuit secunda feria post translationem s. Wen- 
ceslai, adhuc cometa apparente, rex Wenceslaus a fratre rege 
Ungariae Sigismundo ex consilio baronum regni Bohemiae et 
quorumdam consiliariorum ejusdem Wenceslai regis altera vice 
arrestatur in curia S. Benedicti, ut in regno procuretur ju- 
dicium et justitia, pax et aequitas; et in castrum ducitur, et 
ibi aliquanto tempore detinetur. Dies ift unſeres Wiſſens die 
älteſte Erwähnung jenes Königshofes (unweit des Pulver— 
thurmes), in welchem die Könige von Böhmen von Wenzel 
an bis 1483 vorzugsweiſe zu reſidiren pflegten. 

163) Vgl. Eberh. Windecks Leben Sigmunds bei Menken I, 1080 
bis 1081. 


K. Wenzels zweite Gefangenſchaft; neue Gährung. 143 


von K. Sigmund; 4 nur die bekannten Mitglieder des 1402 
Herrenbundes, die Roſenberge, Schwamberge, Swihowsky's 
von Rieſenberg, Michalowice, Bergowe und Andere, hiel— 
ten feſt an dem Letzteren. Markgraf Prokop ſtellte ſich an 
die Spitze der gegen Sigmund ſich bildenden Partei, welche 
ihrerſeits auch mehrere Barone und die meiſten königlichen 
Städte in ihrem Bunde zählte. Ein neuer Bürgerkrieg, 
blutiger als alle vorhergegangenen, wurde unvermeidlich. 

Die neuen Unruhen in Böhmen kamen Niemanden er— 
wünſchter, als dem Gegenkönige Ruprecht, der bis dahin 
erfolgs- und hoffnungslos von Padua aus nach allen Sei— 
ten hin unterhandelt hatte; ſie gaben ihm einen Vorwand 
mehr an die Hand, Italien wenn nicht mit Ehren, doch 
wenigſtens ohne offene Schande zu verlaffen. 19 Er kehrte 
nach Deutſchland zurück, und hielt ſich den Monat Mai 
hindurch meiſt in der Nähe der böhmiſchen Gränzen auf, 
um mit Markgraf Prokop und deſſen Partei gegen Sig— 
mund wo möglich einen Bund zu ſchließen, “s der ihm 
Wenzels Abdankung in Deutſchland herbeizuführen helfen 
könnte. Nun ließ ſich Prokop zwar durch den Landgrafen 
von Leuchtenberg und den Markgrafen Wilhelm von Mei— 
ßen in Unterhandlungen mit Ruprecht ein, deren Zweck 
ein gemeinſamer Krieg gegen Sigmund war: es iſt aber 
aus den uns zu Gebote ſtehenden Quellen nicht erſichtlich, 
wie weit er ſonſt in Ruprechts Abſichten eingeſtimmt haben 
dürfte. 


164) Et tunc consilium regis Wenceslai, contra ut dicebatur suum 
promissum, a rege Sigismundo recessit. Chronicon universit. 
Prag. L. c. Cf. Scriptt. rer. Boh. III, p. 8. 

165) Vgl. Ruprechts Brief an die Königin von Frankreich dd. Hei: 
delberg, den 16 Juni 1402, in Martene collectio ampliss. IV, 
96 — 97. 


166) Vgl. deſſen Botſchaft an den Markgrafen Wilhelm von Mei— 
ßen, in Martene I. c. pag. 94 — 96. 


144 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1402 K. Sigmund zeigte diesmal mehr Thätigkeit und Nach— 
druck, aber auch größere Treuloſigkeit, als ſeine Gegner. 
3 Juni Schon am 3 Juni rückte er, von dem Herrenbunde unter— 
ſtützt, gegen den Markgrafen und deſſen Anhänger ins Feld 
nachdem er den Tag zuvor ſeinen gefangenen Bruder, um 
größerer Sicherheit willen, in einen Thurm der Prager 
Burg hatte einſchließen und ſtreng bewachen laſſen. Vor 
die hohe Burg Beſig, den Hauptſitz des Markgrafen, mit 
ſeinem Heere gelagert, rief er den Letzteren unter ſicherem 
Geleite zu ſich, und ließ ihn, als er kam, dennoch verhaf— 
ten. Was weiter in einer gleichzeitigen Chronik erzählt 
wird, 167 daß er, wie einſt K. Wenzel II den Zawis von 
Roſenberg, ſo jetzt den Markgrafen gebunden vor deſſen 
Schlöſſer (namentlich vor Blanik) habe führen laſſen, um 
die Beſatzungen zur Übergabe zu zwingen, — ſcheint nur 
in Haß erdichtet worden zu ſein; wäre es wahr, ſo hätte 
eine ſo ausgeſuchte Grauſamkeit gewiß in allen Chroniken 
jener Zeit Nachhall gefunden. So viel iſt aber gewiß, 
daß es Sigmund diesmal gelang, allen in Böhmen gegen 
ihn erhobenen Widerſtand mit bewaffneter Hand raſch zu 
unterdrücken. Markgraf Joſt nahm an dieſen kriegeriſchen 
Bewegungen jetzt noch keinen Theil; aus den Verhand— 
lungen jedoch, welche nach Prokops Gefangennehmung auch 
er mit Ruprecht anknüpfte, iſt zu ſehen, daß er ſich mit 
dem Gedanken ſchmeicheln durfte, es könne, wenn er ſich 
nur klug benähme, aus dieſem Samen blutiger Zwietracht 
und Treuloſigkeit ihm noch eine Königskrone erwachſen! 168 
eachdem die Ruhe in Böhmen durch ſo rückſichtsloſes 
Verfahren wiederhergeſtellt war, verließ Sigmund zu Ende 
Juni 1402 Prag und Böhmen wieder, und führte ſeine 
beiden Gefangenen mit ſich nach Oſterreich. Er gab vor, 
er führe feinen Bruder, der Verabredung gemäß, nach Ita— 


167) Seript. rer. Bohem. III, pag. 8. 
168) Martene coll. ampl. IV, 102 sq. 


Auch Markgraf Prokop gefangen u. weggeführt. 145 


lien zur Kaiſerkrönung, — ein jetzt willenloſes, unbehilf- 1402 
liches altes Kind, um es zum Herrn der Chriſtenheit krönen 

zu laſſen! In dem damals einem Stiefſohne des Grafen 

von Cilley gehörigen Schloſſe Schaumberg oberhalb Linz 
wurde der Plan beſprochen, Wenzel in Begleitung des 
Prokop von dem Cilleyer Grafen durch die Länder der 
Grafen von Ortenburg und von Görz dem Visconti zu— 
führen zu laſſen. Im Grunde dürfte aber Sigmund kaum 
mehr ernſtlich daran gedacht haben; und geſchah es den— 
noch, ſo mußte er doch alle Gedanken dieſer Art aufgeben, 

als er den Tod Desjenigen erfuhr, auf welchen allein die 
Hoffnung des Gelingens gebaut werden konnte. Johann 
Galeazzo von Mailand ſtarb nämlich am 3 Sept. 1402. 3 Sept. 
Inzwiſchen war Wenzel als Gefangener nach Wien ge— 
bracht und den Herzogen von Sſterreich übergeben wor— 
den; Prokop mußte in Presburg für ſeine Unternehmungen 
büßen, wo er ſich die Zeit unter anderm mit Abfaſſung 
ſchlechter lateiniſcher Knittelverſe gekürzt haben ſoll.““ 


169) Ein Pröbchen dieſer ſonderbaren poetiſchen Ergüſſe, das we— 
nigſtens ſeine damalige Stimmung ſchildert, theilt uns eine 
alte Handſchrift mit: 

In aliena provincia 
Conturbat me tristitia 
Evacuavit laetitia. 
Ex patria sum expulsus, 
Moravia sum detrusus, 
Factus sum sicut rusticus, 
Conturbat me vilissimus! 
Si miles essem, equitassem, 
Si latro essem, spoliassem: 
Non sum miles, neque latro, 
Sed sum unus pauper Ziako. (d. i. Bettelſtudent) 
Ungarones sunt barones! 
Non barones, sed latrones, 
Quorum Satan erit comes 
Et dem.. dat eos omnes! 
Geſch. o. Böhm. 3 Bd. 10 


1402 


23 Sept. 


146 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


Wenn man die Lage bedenkt, in welcher ſich Sig— 
mund damals überhaupt befand, kann man ihm Muth und 
Entſchloſſenheit in Gefahren nicht abſprechen; denn indem 
er ſich ſo mit allen ſeinen Verwandten überwarf, ſpielte 
er ein höchſt gewagtes Spiel. Es kann ihm nicht unbe— 
kannt geblieben fein, welche Umtriebe ſchon damals Bo— 
nifaz IX gegen ihn in Ungarn ſelbſt angezettelt hatte, um 
ihn dort zu ſtürzen und K. Ladislaus von Neapel, der ſo 
viele Anhänger vorzüglich in Südungarn zählte, auf den 
ungriſchen Thron zu erheben. 79 Schon im Auguſt 1402 
war eine neapolitaniſche Armee in Dalmatien gelandet, und 
wurde mit offenen Armen aufgenommen. War diesmal 
die von der Mehrzahl des ungriſchen Clerus aus Gehorſam 
gegen den Papſt gepredigte Empörung ſiegreich, ſo war 
Sigmund verloren; denn aus den Ländern des Luxenbur— 
giſchen Hauſes durfte er ſich dann keine Hilfe verſprechen. 
In richtiger Würdigung dieſer Gefahr ſuchte er ſich daher 
jetzt an die Herzoge von Sſterreich anzuſchließen, und ſie 
um jeden Preis für ſich zu gewinnen. Darum erneuerte 
er nicht nur die ſchon von feinem Vater Karl IV geſchloſ— 
ſene Erbeinigung der Häuſer Luxenburg und Sſterreich, 
ſondern er nahm auch alſogleich den Herzog Albrecht IV 
gleichſam an Kindes Statt an, ſicherte ihm die Nachfolge 
in Ungarn zu, und ſetzte es auch auf einem Landtage in 
Presburg durch, daß die ungriſchen Stände ihm als ſeinem 
Thronfolger huldigten; der Umſtand, daß fie eine gleiche 
Huldigung früher ſchon an den Markgrafen Joſt geleiſtet 
hatten, hatte jetzt nichts auf ſich. Am 23 Sept. ſandte 
er auch nach Böhmen den Befehl, daß man in ſeiner Ab— 


weſenheit dort demſelben Herzog, als ſeinem Stellvertreter, 


zu gehorchen habe. 
In Böhmen aber war man jetzt nichts weniger als 


170) Vgl. unten den 9 Aug. 1403, und Raynaldi ad ann. 1403, 
F. 13 etc. 


Sigmunds Bund mit Sſterreich; Gährung in Böhmen. 147 


einig im Gehorſam gegen Sigmund ſelbſt, geſchweige denn 1402 
gegen deſſen Stellvertreter. Er hatte, als er von dort 
wegzog, aus den ihm am meiſten ergebenen Mitgliedern 
des Herrenbundes einen oberſten Regierungsrath gebildet, 
und ihm die Verwaltung des Landes übertragen.!“ Viele 
Barone aber, die Mehrzahl der königlichen Burggrafen und 
Städte, ſo wie alle Fürſten und Städte in Schleſien, waren 
der Anſicht, daß durch die der Perſon ihres Königs an— 
gethane Gewalt alle früheren Verträge aufgehoben, und 
ſie daher nicht gehalten ſeien, Sigmund als böhmiſchen 
Reichsverweſer anzuerkennen. Am eifrigſten in der An— 
hänglichkeit an den gefangenen König waren die Kutten— 
berger; ihre durch den Bergſegen reiche und mächtige Stadt 
bildete gleichſam den Kern, an welchen ſich die meiſten 
Mißvergnügten anſchloſſen, wogegen die Prager ſich den 
Befehlen des oberſten Regierungsrathes zu fügen gezwungen 
waren. Es half nichts, daß man Wenzel zwang, am 20 20 Nov. 
dov. einen Befehl an feine Burggrafen in Böhmen zu 
erlaffen, daß fie zu ihm nach Wien kommen ſollten, wo 
er ſie dann verpflichten würde, nicht allein an Sigmund, 
ſondern auch an die Herzoge von Sſterreich die Huldigung 
zu leiſten; ſie glaubten ihre Pflicht beſſer zu kennen und 
beharrten in ihrer angenommenen Stellung. 1? Markgraf 


171) Es waren: Biſchof Johann der Eiſerne von Leitomysl, Hein: 
rich von Roſenberg Oberſtburggraf, Brenék Swihowſky von 
Rieſenberg Oberſthoflehnrichter, Otto der ältere von Bergow 
Landesunterkämmerer, Ulrich von Neuhaus Oberſtmünzmeiſter 
und Heinrich von Neuhaus Malteſer-Grandprior. Am mei: 
ſten kränkte K. Wenzel die Anſtellung ſeines heftigſten Fein— 
des, des von Bergow (ehemals Oberſtburggrafen) im Landes— 
unterkammeramte, einem der wichtigſten in der damaligen Lage 
der Dinge. 

Pelzels Urkk. Nr. 184, vergl. mit Wenzels Worten bei Win— 
def pag. 1080: »und fie doch nicht anders gelobet haben, als 
unſer ere, frummen und nutze, — und mit der Urkunde vom 

10 * 


172 


— 


148 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1402 Joſt begünſtigte dieſe in Böhmen wachſende Partei, und 


trat bald auch offen für ſie auf. 

Nun hielt es Sigmund für ſo wichtig, Böhmen vor Allem 
in feiner Botmäßigkeit und feinem Gehorſam zu erhalten, ““ 
daß er ungeachtet der ihm von der neapolitaniſchen Partei in 
Ungarn drohenden Gefahren, doch zuerſt wieder nach Böhmen 


zurückkehrte. Im December 1402 erſchien er mit zwölf tau— 


ſend Mann, meiſt Ungarn und Kumanen, im Lande, und 
bezog mit ihnen bei Kolin an der Elbe ein feſtes Lager. 
Von hier erließ er ein Manifeſt an die ganze böhmiſche 
Nation, worin er die Urſache feiner Ankunft erklärte, ““ 


14 Apr. 1403 bei Kurz (Sſterreich unter Albrecht IV, Bd. 1, 
S. 231). 

173) Wie ſehr ihm Böhmen überhaupt am Herzen lag, ſprach er 
in dieſen Jahren in einem noch ungedruckten Briefe mit fol— 
genden Worten aus: Insudantibus nobis assidue circa regno- 
rum nostrorum, quibus nutu divino feliciter praesidemus, gu- 
bernacula, qualiter ea a Turcorum aliarumque barbaricae na- 
tionis gentium quotidianis insultibus, altissimi nobis suflra- 
gante dextera, valeamus protegere, nihilque aut modicum nobis 
delicato vacantibus otio, requiei reputamus, non oneri, quae 
ad reformandum paternae nostrae hereditatis, regni videlicet 
Boemiae, statum salubrem crebris studiis cogitamus, affectantes 
et hoc potissime satagentes, ut hoc electum viridarium, era- 
dicatis nocivis fructibus et evulsis pungitivis vepribus, prout 
in progenitorum nostrorum felicis memoriae, sic et nostris tem- 
poribus salutiferae pacis roboribus dilatetur etc. 

174) Post egressum nostrum de Boemia, dum iter agere coepisse- 
mus versus Italiam cum sermo principe D. Wenceslao Rom. 
et Boh. rege, fratre nostro carissimo, pro recuperando imperii 
honore et consequendis coronis imperialibus: nostis, qualis et 
quanta, quamque damnosa turbatio in toto regno excitata sit, 
adeo, ut metuentes ipsi regno periculum irrecuperabile, iter 
coeptum relinquere, et ad Bohemiam propter filios Belial auc- 
tores excidii regredi cogeremur. Venimus itaque cum magna 
gentis potentia, altissimo duce, usque ad Coloniam super Al- 
beam, ad destruendos et ejiciendos rebelles etc. 


Krieg in Böhmen; Einnahme von Kuttenberg. 149 


und unter Androhung der ſchwerſten Strafen allen Ba- 1402 


ronen, Rittern und Städten des Landes befahl, alſogleich 
mit ihrem bewaffneten Volke zu ihm zu ſtoßen, auch ihre 
Geſchütze und ſonſtiges Belagerungsgeräthe mitzubringen; 
wer ſich ſäumig erweiſe, den wolle er als offenen Feind 
behandeln. Der Zweck dieſer großen Machtentwickelung 
war vor allem die Eroberung von Kuttenberg, das, an 
ſich reich, auch noch Wenzels koſtbaren Schatz in ſich be— 
wahrte, und in Treue gegen ihn allen übrigen Einwohnern 
voranging. Die Stadt ſetzte ſich zur Wehre, und es müſſen 
am Schluſſe des Jahres 1402 blutige Kämpfe vor ihren 
Mauern Statt gefunden haben, von welchen uns leider 
keine deutliche Kunde erhalten worden ift. "7 Als jedoch 
die Bürger einſahen, daß ſie ſich gegen ſo große Übermacht 
in die Länge nicht würden halten können, ſprachen ſie die 
Vermittelung einiger ihnen günſtig geſinnten Mitglieder des 
Herrenbundes an, und verlangten zu capituliren. Sig— 
mund legte ihnen die härteſten Bedingungen auf. Die 
vornehmſten Bürger mußten vor ihm in Kolin erſcheinen, 
dort im Koth auf Knieen ihn um Gnade bitten, und ſich 
zu einer unmäßigen Geldbuße verpflichten; dann zog er in 
ihre Stadt ein, und bemächtigte ſich auch des dort bis jetzt 
treu bewahrten Schatzes ſeines Bruders, darunter einer 


175) Wir ſchließen dies aus vielen unbeſtimmten Angaben, ins— 
beſondere auch in dem Breve chron. Boem. 1344 — 1411, wo 
es heißt: Anno 1402 exiverunt cives Pragenses cum magna 
multitudine, in vigilia Nativitatis Domini, ante montes Chut- 
nae, et jacuerunt ante munitionem dictam Suchdol, ubi Mar- 
quardus de Ulicz capitaneus Pragensium a munitione prae- 
dicta est sagitta interemptus in die s. Johannis evangelistae. 
Ferner eine hiſtoriſche Compilation dieſer Zeit in einer Wie: 
ner Handſchrift, wo es heißt: Sigismundus — veniens cum 
gente Ungariae, Cunis et Jassonibus, exquisivit montes Kuthnas 
contra marchionem Jodocum, et bona D. Boèkonis (de Po- 


diebrad) et aliorum devastavit. 


1403 


150 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1403 koſtbaren Krone und vieler reichen Kleinode in Gold und 


14 Apr. 


Silber. 76 Inzwiſchen verübte fein Heer in der Umgegend 
von Kuttenberg, Kolin und Podebrad Exceſſe, deren krän— 
kendes Andenken in Böhmen lange nicht verwunden wer— 
den konnte. 

Zufrieden, den vorzüglichſten Herd des Widerſtandes 
gebrochen und neue Geldkräfte zu weiterer Kriegführung 
erworben zu haben, unternahm Sigmund diesmal nichts 
Bedeutendes mehr in und aus Böhmen; wenigſtens iſt 
nichts dieſer Art von ihm bekannt, obgleich es keinem Zweifel 
unterliegt, daß er noch Monate lang im Lande verblieb, 
und der Krieg mit der Unterwerfung von Kuttenberg kei— 
neswegs beendigt war. Noch am 14 April 1403 ſchloß 
Markgraf Joſt für ſich und die ihm jetzt in Böhmen an— 
hängende Partei mit K. Sigmund und den Herzogen Wil— 
helm und Albrecht von Sſterreich einen Waffenſtillſtand, 
der bis zum 20 Mai dauern ſollte. Alle näheren An— 
gaben über die damaligen Kriegsvorfälle in Böhmen fehlen 
gänzlich. Im Sommer darauf kehrte Sigmund nach Ungarn 
zurück, wo die Fortſchritte der Inſurrection zu Gunſten 
des Königs von Neapel feine Anweſenheit dringend noth- 
wendig machten. Da inzwiſchen ein eigener päpſtlicher 
Legat in Ungarn erſchienen war, um dem Könige Ladis— 
laus die Wege zu bahnen; da mehr als die Hälfte des 
Königreichs ſich demſelben bereits angeſchloſſen hatte, und 
der Graner Erzbiſchof ihn am 5 Auguſt 1403 zu Zara 
ſogar förmlich zum Könige von Ungarn zu krönen ſich er— 
kühnte: ſo bedurfte es großer Anſtrengungen und nicht 
minderer Klugheit von Seite Sigmunds, um ſo vielen 
Feinden ſiegreich zu widerſtehen; doch bewies der Erfolg, 
daß er ſeine Maßregeln gut zu treffen gewußt hatte. Bei 
176) Wenzel ſchätzte ſich den Schaden, den er diesmal durch Sig— 

mund erlitt, auf eine Million Goldgulden, d. i. ohngefähr 

3,400.000 fl. C. M. Siehe Eberh. Windek 1. c. 


Sigmunds Gefahren in Ungarn. Bruch mit Bonifaz IX. 151 


der Zaghaftigkeit, welche Ladislaus im Hinblick auf das 
tragiſche Schickſal ſeines Vaters, K. Karl des Kleinen, 
nicht bewältigen konnte, und bei dem Feldherrntalente 
des treuen Grafen Stibor, wendete ſich das Kriegsglück 
bald entſchieden zu Gunſten Sigmunds, ſo daß Ladislaus, 
nach vielen erlittenen Verluſten, ſchon im October 1403 
Ungarn gänzlich wieder zu verlaſſen gezwungen war. 

Der Umſtand, daß Bonifaz IX, mit welchem Sig— 
mund es immer ſo gut gemeint hatte, in den letzten Jahren 
an die Spitze der Feinde, wie des Hauſes Luxenburg über— 
haupt, ſo auch der Könige Wenzel und Sigmund ins— 
beſondere, ſich geſtellt hatte, brachte Letzteren in große Lei— 
denſchaft, und veranlaßte ihn, die entſchiedenſten Maßregeln 
gegen ihn zu ergreifen. Durch mehre am 9 Auguſt 1403 
zu Presburg für Ungarn, und mittelſt der böhmiſchen Statt— 
halter, auch für Böhmen erlaſſene Decrete, befahl er, 
daß von da an und bis auf weiteren Befehl, in beiden 
Reichen Niemand mehr eine Zahlung oder Gefälle, welcher 
Art es immer ſei, an die päpſtliche Kammer leiſten, oder 
Bullen, Briefe und Befehle, gleichviel welchen Inhalts, 
ſei es vom Papſte ſelbſt, oder von deſſen Hofe und Le— 
gaten, annehmen und vollziehen dürfe, unter der ſtreng— 
ſten Ahndung, und namentlich bei Geiſtlichen unter Strafe 
der Verhaftung und Einziehung ihrer Präbenden in die 
königliche Kammer. Allen Biſchöfen und deren Vicarien 
wurde eben ſo wie den weltlichen Amtern aufgetragen, 
dafür zu ſorgen, daß dieſe Befehle dem geſammten Volke 
gehörig kund gemacht werden. 77 Sigmund ließ alſo jetzt 
den Ungehorſam gegen den Papſt in feinen Ländern eben 
ſo predigen, wie vorhin der Papſt ihn gegen den König 
hatte predigen laſſen. In Böhmen fiel dieſer Same in 
einen ſchon ſeit lange vorbereiteten empfänglichen Boden, 


177) Siehe die Urkunde bei Pelzel Nr. 188, S. 92 — 94, ferner bei 
Pray, Spec. hierarch. Ungar. I, p. 92 etc. 


1403 


9 Aug. 


152 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV. 


1403 und trug ſeiner Zeit Früchte, deren Bitterkeit eben Nie— 
mand mehr zu koſten bekam, als Sigmund ſelbſt, wie uns 
die nächſtfolgende Geſchichte lehren wird. Sein Benehmen 
ſuchte er aber in einem an das Cardinals-Collegium ge— 
richteten Briefe zu entſchuldigen, in welchem gegen Boni— 
faz IX die ſchwerſten Vorwürfe erhoben wurden. 173 

Während aller dieſer Ereigniſſe blieb K. Wenzel in 
Wien, in der Gewalt und unter der Obhut der Herzoge 
von Oſterreich. Er wohnte daſelbſt zuerſt in der herzog— 
lichen Burg, und es wurde ihm täglich erlaubt, in der 
Stadt und außer derſelben ſpazieren zu reiten. Nach einem 
halben Jahre räumte ihm Herzog Wilhelm ein eigenes 
Haus am Kienmarkt ein, und beſuchte ihn dann täglich, 
eben ſo Vorſichts- als Ehrenhalber. Denn obgleich Wenzel 
ein wirklicher Gefangener war, ſo ſuchte man doch dieſes 
Verhältniß vor dem Volke zu verſchleiern, und erwies ihm 
ſcheinbar alle Ehren, die ſeinem Range gebührten. Darum 
ließ man ihn in Wien auch einen Hof halten, der, nach 


178) Sigmund ſagt darin u. a.: — Tacemus illatas germano nostro 
Romanorum regi contumelias, — et nostras dumtaxat injurias 
recitamus. Siquidem ipse Romanus pontifex nihil aliud die 
noctuque cogitare videtur, nisi ut modum inveniat, quo nos 
possit ejicere de hoc regno; nam tot et tanta mala atque scan- 
dala in regno nostro seminavit, — quod horror est audire. — 
Nam ultra quam XX millia hominum ferro, igne, fame perie- 
runt; quot autem ecclesiae combustae! quot monasteria spo- 
liata! quot claustra desolata! quot xenodochia destructa, in- 
credibile dictu est; praeterimus villarum incendia, pauperum 
spolia etc. — Excogitare nescimus, quid umquam nostra ma- 
jestas contra Sanct. Suam attentaverit, propter quod nos ita 
prosequi deberet odio capitali. — Si etiam aliquomodo nostra 
filiatio contra Suam Paternitatem excessisset, debuisset more 
pü patris excessum nostrum benivolis verbis primo corripere 
et salubribus monitis emendare; hoc siquidem non fecit, sed 
potius nobis dando verba benivola, clandestine de nostro ex- 


terminio pertractavit etc. 


K. Wenzel in Wien; feine Flucht von dort. 153 


dem Range der ihn bildenden Perſonen zu ſchließen, nicht 
ganz unbedeutend geweſen fein muß.!“ Da er ſich mit 
der Zeit in ſein Schickſal ergeben zu haben ſchien, ſo wurde 
auch ſeine Beaufſichtigung je länger je nachläſſiger, und 
es gelang ihm am Ende, ſeine Wächter zu täuſchen. Mit 
Hilfe eines Malteſerordensprieſters, Namens Bohus, und 
anderer Getreuen entwich er, am 11 Nov. 1403 nach 
Mittag, unter den Augen der Bewohner Wiens, verkleidet 
und unerkannt, aus der Stadt ans Ufer der Donau, 190 
wo ein Fiſcher ihn in ſeinem Kahn nach Stadlau über— 
führte. Dort wartete ſein Johann von Lichtenſtein mit 
50 Schützen, und führte ihn eilig zuerſt in ſein Schloß 
Nikolsburg in Mähren, dann zu deſſen Getreuen nach Kut— 


tenberg in Böhmen. 

* 

170) Ihn bildeten nämlich drei ſchleſiſche Herzoge, Ruprecht von 
Liegnitz, Bolek und Niclas von Münſterberg, der böhmiſche 
Baron Benes von Chauſtnik, der Landesunterkämmerer Sig— 
mund Huler auf Orlik und mehre Ritter und Hofdiener bür— 
gerlichen Standes. (Vgl. Urkk. vom 5 Nov. 1404 bei Pelzel.) 

180) Zu den von Pelzel, Aſchbach u. A. geſammelten Quellenzeug— 
niſſen über Wenzels Flucht aus Wien haben wir noch zwei 
ungedruckte hinzuzufügen: 1) Chronicon Bohem. ann. 1344 — 
1411: Ann. dom. 1403, in die S. Martini, Wenceslaus rex est 
liberatus mirabiliter a captivitate civitatis Viennensis. 2) Chron. 
universit. Prag.: — in die s. Martini, Wenceslaus rex miro 
modo, die clara post prandium, multis videntibus sed non 
cognoscentibus, per Danubium evasit, procurante quodam cru- 
cifero dicto Bohuss cum sibi adhaerentibus. Worin das Wun— 
derbare in den Anſtalten zu Wenzels Befreiung beſtand, wüß— 
ten wir nicht näher anzugeben. 


1403 


11 Nov. 


Drittes Capitel. 


K. Wenzels dritte Regierungsperiode. Beginn 
kirchlicher Bewegungen in Böhmen. 


Anfänge und Grundzüge des kirchlichen Zwieſpalts. Die 
Biſchöfe und die Bettelmönche. Erzbiſchof Arneſt und 
Kaiſer Karl IV. Vorläufer der Reformation in * 
Konrad Waldhauſer, Milid von Kremſier, Mathias von 
Janow. Die Prager Univerſität und das böhmiſche Schul— 
weſen. Thomas von Stitny. Wiklef's Lehre und deren Ver— 
breitung in Böhmen. M. Johann Hus und Hieronymus 
von Prag. Erſte Verdammung von 45 Wiklef'ſchen Sätzen 
durch die Prager Univerſität. K. Wenzels neue Regierung; 
Krieg mit K. Sigmund; kräftige Maßregeln zu Herſtel— 
lung der Ruhe im Innern. Verſuche zur Geltendmachung 
der römiſchen Königswürde. Bruch des Königs mit Papſt 
Gregor XII. Fortſchritte des Wiklefismus in Böhmen. 
M. Hus als Prediger in Bethlehem. Das kirchliche Schisma 
und die Neutralitätsfrage; beide Päpſte von ihren Car— 
dinälen verlaſſen. Neue Reactionsverſuche gegen den Wik— 
lefismus in Böhmen. K. Wenzel, das Cardinalscollegium 
und die Prager Univerſität. Streit um die drei Stim— 
men; Nicolaus von Lobkowic. Auswanderung der deut— 
ſchen Profeſſoren und Studenten aus Prag. 


(Jahre 1403 — 1409.) 


> 
1403 In einer fehr zahlreichen Verſammlung der Prager 
Univerſität am 28 Mai 1403 wurden, auf Verlangen 
des erzbiſchöflichen Officials und des Prager Domcapitels, 
45 aus den Büchern des engliſchen Reformators Johann 


Anfänge und Grundzüge des kirchl. Zwieſpalts. 155 


von Wiklef gezogene Lehrſätze vorgeleſen, und nach ſtür— 
miſchen Verhandlungen durch Mehrheit der Stimmen der 
Beſchluß gefaßt, daß kein Mitglied der Univerſität dieſel— 
ben, unter der Strafe des Eidbruchs, lehren und verbrei— 
ten dürfe. N 

Es war dies der erſte öffentliche Act, in welchem ein 
ſeit geraumer Zeit in den Gemüthern keimender Zwieſpalt 
von Meinungen und Anſichten in Betreff ſowohl der chriſt— 
lichen Lehre, als auch der Verfaſſung und Verwaltung der 
abendländiſchen Kirche, zum Ausbruch kam. Von da an 
ſetzte ſich dieſer Zwieſpalt in dem Bewußtſein der Zeit— 
genoſſen, je länger, je klarer und entſchiedener feſt. Nach 
einer Reihe eben ſo bedeutſamer als unerhörter Ereigniſſe 
ergriff dieſes neue Element das ganze Volksleben in Böh— 
men und Mähren, drängte alle übrigen geiſtigen und ma— 
teriellen Intereſſen in den Hintergrund, äußerte die hef— 
tigſte Rückwirkung nicht allein auf die Nachbarländer, ſon— 
dern auch auf die ganze Chriſtenheit, und führte endlich zu 
gewaltigen Kriegen, die zu wiederholten Malen ganz Europa 
erſchütterten, unſer Vaterland aber mit Blut tränkten und 
mit Trümmern bedeckten. Die außerordentliche Wichtigkeit 
dieſes verhängnißvollen Momentes in der Geſchichte legt 
uns die Pflicht auf, ſeine erſten Keime und die ganze Ent— 
wicklung derſelben mit möglichſter Treue, Klarheit und 
Bündigkeit zu verfolgen und vor Augen zu ſtellen. 

Der inhaltſchwere Streit, der dieſe Epoche bezeichnet, 
drehte ſich im Allgemeinen um die Frage: ob das Chriſten— 
thum, wie es in den damaligen Zeiten ſich in der abend— 
ländiſchen Kirche geſtaltete, dem Sinne ſeines göttlichen 
Stifters und der erſten Verkündiger und Lehrer desſelben 
entſprach? ob es nicht in einigen Puncten davon abgewi— 
chen war, und deshalb in die urſprüngliche Bahn zurück— 
geführt werden ſollte? Die Frage bezog ſich ſowohl auf 
die Theorie, als die Praxis des Chriſtenthums, nämlich 


1403 


156 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— ſowohl auf die Lehre, als die Verfaſſung und Disciplin 
der Kirche. 

Hierauf antworteten, im Allgemeinen, die Einen: 
Nein, die Kirche iſt nicht abgewichen vom Geiſte des Hei— 
lands; denn dieſer Geiſt ruht in ihr, als unmittelbares 
lebendiges Vermächtniß ihres Stifters, er bewegt und bil— 
det ſie von innen aus für alle Zeiten. Was ſie glaubt 
und lehrt, iſt daher der wahre chriſtliche Glaube, die wahre 
chriſtliche Lehre; außer ihr gibt es um ſo weniger ein wah— 
res Chriſtenthum, als nur ſie allein, in ihrer Geſammtheit, 
das Wahre vom Falſchen zu unterſcheiden berufen und 
befähigt iſt. Ihre einzelnen Glieder können von ihr ab— 
fallen und im Lebenswandel, ſo wie in der Lehre, auf 
Irrwege gerathen: ſie ſelbſt aber wird dadurch nicht ver— 
ändert, ſie bleibt dieſelbe für und für, und die Pforten der 
Hölle können ſie nicht bewältigen! 


Die Andern behaupteten dagegen: Das wahre Ver— 
mächtniß Chriſti an ſeine Kirche ſeien die von ſeinen un— 
mittelbaren Jüngern hinterlaſſenen Schriften des neuen 
Teſtaments, welche, vernünftig erklärt und angewendet, als 
alleinige Norm der chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehre 
zu gelten hätten. Alles das in der Kirche, was nicht mit— 
telbar oder unmittelbar aus jener Norm fließt, ſei menſch— 
liches Beiwerk, und als ſolches entweder gleichgiltig, oder, 
falls es damit im Widerſpruche ſtehe, ſogar verwerflich. 


Man ſieht, daß es ſich hier um die Gegenſätze des 
Katholicismus und Proteſtantismus handelte, welche ſeit 
Jahrhunderten ſich geltend machen und auch heute noch 
nicht ausgeglichen ſind; alſo um einen Zwieſpalt in der 
Chriſtenheit, der auf einem tiefern Grunde ruht und eine 
ausgedehntere Bedeutung hat, als ſich mit leichtem Blick 
erfaffen läßt. Seit Jahrhunderten ſieht ſich die Chriſten— 
heit in Parteien geſpalten und zu gegenſeitigem Kampf 


Anfänge und Grundzüge des kirchl. Zwieſpalts. 157 


gerüſtet, deſſen Ende menſchlicher Weiſe nicht abzu- — — 


ſehen iſt. — 

Die erſten Bewegungen in der böhmiſchen Kirche, 
welche mit den folgenden Ereigniſſen, wie Glieder einer 
Kette zuſammenhängen, und ohne Zweifel noch ganz dem 
Gebiete des Katholicismus angehören, reichen in ältere 
Zeiten hinauf, als gewöhnlich angenommen wird. Unbe— 
gründet ſcheint zwar, was ſpätere Schriftſteller von einer 
im böhmiſchen Volke angeblich durch Jahrhunderte fortge— 
pflanzten Überlieferung griechiſch-flawiſcher Kirchenanſichten 
anführten; wir haben davon nirgends einige Spuren 
wahrzunehmen vermocht. 1%! Haltbarer möchte dasjenige 
ſein, was von dem Herüberſtreifen waldenſiſcher Lehren 
im XIII und XIV Jahrhunderte auch nach Böhmen ge— 
ſprochen wird, obgleich es auch darüber an deutlichen gleich— 
zeitigen Daten mangelt. Wir wiſſen nicht, welcher Art 
Ketzerei es war, zu deren Unterdrückung K. Otakar II 
ſich die Hilfe des päpſtlichen Stuhles ausbat, welche auch 
Alexander IV durch die am 17 April 1257 erfolgte Er— 
nennung zweier Minoriten zu Inquiſitoren in Böhmen 
gewährte.!“ 2 Das faſt gleichzeitige Auftreten wirklicher 
181) Man darf nicht außer Acht ſetzen, daß die ſlawiſchen Mönche 

im Kloſter zu Sazawa, ungeachtet ihres abweichenden Ritus, 

(gleichwie die Glagoliten in Prag ſeit Karl IV) ſich ſtets zur 

römiſchen Obedienz bekannt hatten, der böhmiſch-ſlawiſche Sa— 

zawer Abt Prokop von Innocenz III im J. 1204 canoniſirt 

wurde u. ſ. w. 

182) In der darüber erlaſſenen Bulle heißt es nur: Quia in ali- 
quibus partibus regni et dominii carissimi in Christo filii nostri 
illustris regis Boemorum et Poloniae confiniis adeo infidelitatis 
error invaluit, quod ibi quam plurimi a via veritatis prorsus 
aversi mentes, per devium falsitatis, pestiferas ad concutien- 
dum orthodoxae murum fidei machinas construebant, molientes 
ipsum fallacium argumentationum impulsibus demoliri: Sedis 
Apostolicae diligentia contra talium dolosam astutiam, ne dif- 


fusus serperet morbus ipse, remedium adhibuit opportunum etc. 


158 VI Buch, 3 Kapitel. K. Wenzel IV. 


— Waldenſer im benachbarten Regensburg, ſo wie ſpäter in 
Oſterreich, 18 geſtattet die Vermuthung, daß auch Böhmen 
von ihren damals in viele Länder verbreiteten Lehren nicht 
unberührt geblieben ſei. Doch hatte dies Alles wenigſtens 
keinen ſichtbaren Einfluß auf die Entwickelung der nach— 
maligen Ereigniſſe. 

Als erſtes Glied in der Kette müſſen wir die häu— 
figen Reibungen bezeichnen, in welche die biſchöfliche 
Gewalt in Böhmen, wie auch anderweit, mit den un— 
mittelbar vom päpſtlichen Stuhl abhängigen und auf deſſen 
Hebung vorzugsweiſe bedachten Orden der Bettel— 
mönche gerieth. Die Minoriten (vom heil. Franz von 
Aſſiſſi 1207 gegründet), die Dominicaner oder Prediger— 

mönche, die Karmeliter und Auguſtinereremiten wurden 
bald nach ihrer Stiftung auch nach Böhmen verpflanzt; 
am Hofe K. Wenzel J und Otakar II erfreuten ſich ins— 
beſondere die Minoriten der höchſten Gunſt, wie ſie ſich 
auch durch Eifer im Predigen des Evangeliums an das 
Volk auszeichneten; gleiches Anſehen erlangten bald auch 
die Dominicaner, vorzüglich wegen ihrer theologiſchen Ge— 
lehrſamkeit.!““ Aber fie wurden auch frühe ſchon beſchul— 
digt, daß ihr einſt apoſtoliſcher Lebenswandel, ihre mu— 
ſterhafte Zucht, bei der ſteigenden Macht ihrer Orden in 
immer tieferen Verfall geriethen; daß anftatt der urſprüng— 
lichen Demuth und freiwilligen Armuth bei ihren Gliedern 
Anmaſſung und unerſättliche Habſucht ſich immer mehr 
geltend machten, und daß ſie ihren großen Einfluß auf das 
Volk mehr zu Befriedigung ihrer Leidenſchaften, als zu 
Förderung wahrer chriſtlicher Frömmigkeit gebrauchten. 


183) Thom. Ried codex chronol. diplomat. Ratisbon. I, 481 (ad ann. 
1265). Pez, scriptt. rer. Austriac. II. 534. 

184) Die ziemlich lange Reihe der theologiſchen Schriftſteller Böh— 
mens im XIV Jahrh. eröffnen zwei Dominicaner, M. Zdislaus 
und Kolda von Koldic. 


Streit B. Johanns v. Drazic u. der Bettelmönche. 159 


Als insbeſondere die Minoriten von Leitmeritz die vom —— 
letzten Prager Biſchof, Johann von Drazie, zu oft ver— 
hängten kirchlichen Interdicte nicht beobachteten, wurden 
ſie von den biſchöflichen Officialen offen beſchuldigt, dieſer 
Bruch der Kirchenzucht rühre nur von ihrer Habſucht 
her;!“ und als die von Saaz es ſogar wagten, den vom 
Biſchof wegen Beſchädigung von Kirchengütern excommu— 
nicirten Herrn Suliſlaw von Pnétluk, der 1313 im Bann 
verſtarb, feierlich zu beerdigen, belegte ſie Johann von 
Drazic auch ſelbſt mit dem Bann in ſo lange, bis ſie die 
gehörige Buße geleiſtet haben würden. Dagegen klagten 
ſie ihn an, daß er die Gründung eigener Convente für 
ſogenannte Magdalenitinnen, s die doch vom päpſtlichen 
Stuhle weder autoriſirt noch erlaubt ſeien, offen begün— 
ſtige, daher der Ketzerei in ſeiner Diöceſe Vorſchub leiſte. 
Obgleich aber nach Clemens V Tode mehre Cardinäle 
ſich ins Mittel legten, ſo ließ der begonnene Streit ſich 
dennoch lange nicht beſeitigen, und trug viel zu den Wi— 
derwärtigkeiten bei, welche der Bifchof während feines un— 
freiwilligen eilfjährigen Verweilens zu Avignon (1318-1329) 
zu erdulden hatte, 17 Wie jedoch auch bald nach feiner 
Rückkehr auf den biſchöflichen Stuhl, im J. 1334, ſein 
Secular-Clerus mit den Mönchen der ſogenannten Bettel— 
orden ſogar in blutigen Zwiſt gerieth, haben wir bereits 
im früheren Bande dieſer Geſchichte berichtet. 


1 185) Vgl.: Über Formelbücher, 1 Lieferung, S. 340. 

186) Quasdam religiosas, appellatas Magdalenitas, nullius tamen reli- 
gionis approbatae defenditis, quas magis — repellere debuistis. 
(Schreiben des Cardinals Bernard an Biſchof Johann, noch un— 
gedruckt.) Dies iſt wohl auf die zahlreichen Convente adeliger 
Beginen zu verſtehen, die in jener Zeit auch in Böhmen ſich 
bildeten, ſpäter aber von Papſt Johann XXII ſtreng unterſagt 
wurden. Vgl. Chronicon Aulae regiae bei Dobner, V, 367. 

187) Vgl. Band II, Abtheil. 2, Seite 156 und 210. 


160 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


Auch unter Johanns von Drazie Nachfolger, dem 
großen erſten Prager Erzbiſchof Arne ſt von Pardubice, 
hörten ſolche Zerwürfniſſe im Schooße der böhmiſchen 
Kirche nicht auf, ſondern nahmen mit der Zeit einen noch 
ernſteren Charakter an. Über den Eifer, womit Arneſt 
bei dem Clerus ſeiner Diöceſe Bildung und Sittenreinheit 
zu fördern befliſſen war, und über die zweckmäßigen, zum 
Theil ſtrengen Maßregeln, die er deshalb ergriff, haben 
wir bereits geſprochen. An Gelehrſamkeit, Welt- und 
Menſchenkenntniß, ſchöpferiſchem Geiſt und Organiſirungs— 
talent glich Arneſt ſeinem Herrn und Freunde, Karl IV, 
ohne die Schwächen ſeines Charakters zu theilen. Wie 
Karl im J. 1348 den Staat gleichſam neu gründete, ſo 
folgte auch Arneſt ſeinem Beiſpiele, indem er auf einer 
böhmiſchen Provincialſynode am 12 Nov. 1349 jene Dis— 
ciplinargeſetze für den böhmiſchen Clerus feſtſetzte, welche 
unter dem Titel »Statuta Arnesti« berühmt, Jahrhunderte 
lang in Kraft und Anſehen ſich erhielten. 1° Es iſt be— 
kannt, mit welchem Eifer auch Karl IV auf eine Reform 
des Clerus drang; die vereinten Bemühungen des Kaiſers 
und des Erzbiſchofs hatten die Folge, daß die böhmiſche 
Geiſtlichkeit jener Zeit an Bildung und Sitten der deut— 
ſchen im Allgemeinen unſtreitig überlegen war. 1% Die 
im J. 1348 gegründete Prager Univerſität, dieſes von 
Kaiſer und Erzbiſchof gleich zärtlich gepflegte Schooßkind, 
trug dazu weſentlich bei. 

Bezeichnend für den Geiſt, der die Häupter des Staats 
und der Kirche in Böhmen leitete, war die Berufung des 


188) Sie wurden zuerſt in Pilſen 1476, als eine der älteſten Incu— 
nabeln in Böhmen, gedruckt; dann in Prag 1606, in 4. 

189) Auf dieſen Umſtand gründete bekanntlich Urban V im J. 1365 
die Nothwendigkeit, die Prager Erzbiſchöfe zu Legaten des heil. 
Stuhles auch für die Diöceſen Regensburg, Bamberg und 
Meißen zu beſtellen. S. Bd. II. Abth. 2. S. 372 — 73. 


Erzbiſchof Ernſt. K. Karl IV. Konrad Waldhauſer. 161 


Auguſtinerbruders Konrad Waldhauſer aus Oſter⸗ —— 
reich,!“ und deſſen mehrjährige Wirkſamkeit in Prag; 
jenes Konrad, der unter dem falſchen Zunamen 'von 
Stekna⸗ in allen kirchenhiſtoriſchen Lehrbüchern als ein 
Vorläufer des M. Johann Hus angeführt wird. Dieſer 
durch Gelehrſamkeit und Energie des Charakters ausge— 
zeichnete Prediger war einer der Zeitgenoſſen, der Karls IV 
Aufmerkſamkeit auf ſich zog und den Wunſch in ihm rege 
machte, auch dieſe Notabilität für fein geliebtes Böhmen zu ge— 
winnen. Karl ließ ihm durch die Herren von Roſenberg die 
Vorſchläge eröffnen, in deren Folge Konrad (wie es ſcheint, 
im J. 1360) nach Prag kam, um hier an der St. Gallikirche 
das Predigeramt zu übernehmen. Seine eindringlichen Reden, 
in welchen er den Stolz, die Habſucht und UÜppigkeit der 
Prager ſchonungslos angriff, ““! hatten bald einen bis 
dahin unerhörten Erfolg. Nicht nur zogen ſie ſo viele u- 
hörer an, daß die Kirche ihre Menge nicht mehr fafjen - 
konnte und er meiſt auf offenem Platze vor derſelben zu “ 
predigen gezwungen war, ſondern ſie bewirkten auch die 
auffallendſten Sinnes- und Sittenänderungen im Volke. 
Die Prager Frauen legten ihren gewohnten Schmuck, ihre 
koſtbaren Schleier, ihre mit Gold und Perlen beſetzten 


190) Er ſchrieb ſich ſelbſt: Ego Conradus in Waldhausen, professus 
ordinis St. Augustini canonicorum regularium ;« Mathias von 
Janow nannte ihn »Conradus Wolthausar;« eine gleichzeitige 
Handſchrift im böhm. Muſeum lieſt: postilla — edita per D. 
Chunradum de Walthusa, plebanum in ecclesia b. Virg. in 
Lacta Curia in civitate Pragensi. Der Name »von Stöfna« 
gehört einer andern Perfon an, und zwar dem Ciftercienfer: 
bruder M. Johann von Stékna, deſſen in den Jahren 1373 
bis 1405 gedacht wird. (S. unten.) 


191) Quasi in omnibus sermonibus argui superbiam Pragensium, ava- 
ritiam et luxuriam — fagt er ſelbſt in feiner noch ungedruckten 
Apologie, aus welcher wir, gleichwie aus andern gleichzeitigen 
Manuſcripten, unſern Bericht geſchöpft haben. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 11 


162 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— Kleider nach und nach ab, und kleideten ſich einfach; der 


Wucher hörte auf, und mehre Sünder dieſer Art erboten 
ſich freiwillig, ihre früheren Opfer zu entſchädigen; be— 
kannte Buhler, in Prag damals »Hellenbrechte« genannt, 
vor deren Zudringlichkeiten ſittige Bürgertöchter ſelbſt in 
den Kirchen nicht ſicher geweſen, thaten Buße und gingen 
in Frömmigkeit und Andacht mit gutem Beiſpiel voran 
u. dgl. m. Verwundert fragte Konrad ſelbſt: »wie kommt 
es, daß das Volk mir ſo viel Liebe und Anhänglichkeit 
erweiſt, während ich nicht aufhöre, es zu ſtrafen? Die 
Bettelmönche thun in ihren Predigten das Gegentheil „ſie 
ſchmeicheln dem Volke, und ſiehe, ihre Kirchen bleiben leer!« 
Und war ſchon dieſer ungleiche Erfolg geeignet, Neid, und 
Haß zu erregen, ſo ſtiegen dieſe Leidenſchaften noch höher, 
als Konrad (im Dec. 1363) anfing, auch gegen die Si— 


monie der Geiſtlichen, insbeſondere der Bettelmönche, zu. 


eifern; und Simonie nannte er auch das, wenn z. B. 
weibliche Novizen nicht anders, als mit angemeſſener Aus— 
ſteuer, in die Klöfter aufgenommen wurden. Als er dem 
Erzbiſchof Arneſt ſolche Fälle anzeigte und ihn dagegen 
einzuſchreiten aufforderte, entſchuldigte dieſer ſich damit, 


daß die Bettelorden ihre eigenen Oberen hätten und von 


feiner Jurisdiction eximirt ſeien.!?? Die Dominicaner be— 
nützten aber die Anweſenheit ihres Generals, der zu An— 
fang des Jahres 1364 als päpſtlicher Legat nach Prag 
gekommen war, um den verhaßten Prediger wegen zwei 
ketzeriſcher Artikel, die er gelehrt haben ſoll, vor das Gericht 
des Erzbiſchofs zu laden. Konrad reichte alſogleich ſeine 
ſchriftliche Vertheidigung dagegen ein; nichtsdeſtoweniger 
fand Arneſt es für gut, in öffentlicher Ankündigung Tag 
und Stunde feſtzuſetzen, wo Jeder, der über den Wald— 
192) Qui (archiepiscopus) respondit, quod monasteria monialium fere 


omnia essent ab ejus cura in civitate Pragensi exempta, sed 


sub alis fratrum ordinum Mendicantium, ut communiter, essent. 


Konrad Waldhauſer in Prag. 163 


hauſer zu klagen habe, mit feiner Klage vor ihm erſchei- — — 
nen ſollte. Es erſchien Niemand. Dies ſcheint den Muth 
des Sittenrichters noch geſteigert zu haben; im Mai 1364, 
während der Anweſenheit Herzog Rudolfs von Sſterreich 
in Prag, wollte er ſeinen Streit mit den Bettelmönchen 
zum Gegenſtande einer Predigt machen, leiſtete aber der 
abmahnenden Stimme ſeiner Oberen endlich dennoch Folge, 
und unterließ die Predigt, um das ohnehin gegen die 
Mönche erbitterte Volk nicht noch mehr zu reizen. 19% Her— 
zog Rudolf, der jetzt erſt den Werth des Mannes erkannt 
zu haben ſchien, machte ihm die ſchmeichelhafteſten Anträge, 
um ihn zu bewegen, in ſein Vaterland zurückzukehren: 
Konrad erklärte jedoch, der Dank, den er dem Kaiſer für 
ſo viele Gnadenbezeigungen ſchulde, erlaube ihm nicht, die 
Anträge anzunehmen. Später traten die Dominicaner 
wieder mit 18, die Auguſtiner mit 6 Artikeln gegen ihn 
auf; Letztere beſchuldigten ihn insbeſondere auch der Apo— 
ſtaſie. Dagegen ſchrieb er wieder eine umſtändliche Apo— 
logie, deren bisweilen ſehr derbe Worte auf den Ton ſei— 
ner Vorträge überhaupt ſchließen laſſen. Er behauptete 
darin unter Anderem, die Mönche ſeien ihren älteſten Vor— 
fahren in Allem ſo unähnlich geworden, daß wenn die 
heiligen Stifter ihrer Regeln jetzt wieder unter ihnen 
erſchienen, ihre Jünger ſie nicht nur nicht erkennen und 
aufnehmen, ſondern ſteinigen würden; ſo ſehr erbittere ſie 
jede Rüge ihrer ausgearteten Sitten. Nur in Einem 
Puncte hätten ſie in jüngſter Zeit ſich wunderſam gebeſſert: 
während ſie vorhin in ewigem Hader einander ſelbſt be— 
kämpft, “ ſtänden fie jetzt ausgeſöhnt und einträchtig alle 


193) Ipsi statim procuraverunt, quod fui patenti prece rogatus, 

a ut talia obmitterem ista vice, timentes a populo amplius odiri, 
a quo, sua exigente hujusmodi meae indebitae vexationis 
culpa, diliguntur sicut lupi. 

194) Virtute meae doctrinae — duo magni hostes di mutuo fuerunt 


3 


164 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— für einen Mann da — gegen ihn, den gemeinſchaftlichen 
Gegner. Doch bewegte ſich der ganze Streit, der bis in 
die Nachbarländer Aufſehen machte, um bloße Disciplinar— 
ſätze von untergeordneter Bedeutung. Für den beſonderen 
Schutz, den Karl IV dem kühnen Redner fortwährend an— 
gedeihen ließ, ſpricht auch der Umſtand, daß er ſpäter die 
anſehnlichſte Pfarrei in Prag, die an der Teynkirche, er— 
hielt, wo er am 8 Dec. 1369, zu früh für die Prager, 
ftarb und unter allgemeiner Trauer begraben wurde. !“ 

Konrads glänzende Erfolge auf der Kanzel erſchienen 
einem Manne von gleicher Geſinnung, wenn gleich ver 
ſchiedenem Geiſte, ſo neidenswerth, daß er beſchloß, ſeine 
höhere kirchliche Stellung aufzugeben, um mit ihm auf 
gleichem Felde zu wetteifern. Es war der Prager Dom— 
herr Milié von Kremſier,““ der ſeit vielen Jahren 
an Karls IV Hofe angeſtellt, denſelben noch 1360—62 
auf Reiſen in Deutſchland als Unterkanzler begleitet hatte. 
Als Herr des Gutes Tman zugleich, durfte Milié mit 
ſeiner äußern Lage wohl zufrieden ſein: aber im Herbſte 
1363 erklärte er plotzlich ſeinen Entſchluß, allen Ehren, 
Würden und Beneficien zu entſagen, um in vollkommener 

Armuth Chriſtus und deſſen Evangelium zu dienen. Höchſt 
ungern verlor Erzbiſchof Arneſt einen ſo frommen und ge— 
lehrten Mann aus feinem Capitel; »was könnt Ihr denn 


reconciliati — qui — numquam se prius dilexerant, imo stu- 
pende pro cadaveribus humanorum corporum, tamquam fame- 
lici volucres, saepe certaverant ete. 

195) Benessii de Weitmil chron. in Scriptt. rer. Bohem. II, 403 sq. 

196) Vgl. Band II, Abtheil. 2, S. 358. Den Bericht über Milic 
ſchöpfen wir, außer ſeinen Schriften und vielen gleichzeitigen 
meiſt noch unbekannten Acten, vornehmlich aus zwei Quellen: 
der bereits erwähnten Vita (in Balbins Miscell. lib. IV, parte 
2, pag. 44 — 64) und der umſtändlichen Charakterſchilderung, 
die Mathias von Janow in ſeinem noch ungedruckten großen 
Werke von ihm hinterlaſſen hat. (S. unten.) 


Milie von Kremfier. . 165 


Beſſeres thun, als Eurem armen Oberhirten bei Führung — -- 
ſeiner Heerde Beiſtand leiſten?« ſtellte er ihm vor. Doch 
der ſchwärmeriſch begeiſterte Miliè ließ ſich nicht halten; 
er floh aufs Land, nach Biſchofteinitz, um als Capellan 
des dortigen Pfarrers ſich in der Seelſorge, zumal im 
Predigen, zu üben. Nach einem halben Jahre kehrte er 
nach Prag zurück, und fing zuerſt bei St. Niklas auf der 
Kleinſeite, dann bei St. Agidius auf der Altſtadt, zu pres. 
digen an. Ungeachtet des gleichen Ziels und der gleichen 
Geſinnung, unterſchieden ſich die Vorträge des neuen Re— 
formators dennoch weſentlich von denen des ältern. Da 
der deutſche Konrad bisher nur den deutſch redenden Theil 
der Prager Bevölkerung hatte erbauen können, ſo wendete 
Milié ſich zunächſt an den rein böhmiſchen; und während 
die Kraft des Erſteren vorzüglich in ſeiner Klarheit, Be— 
fonneaheit und derben Naturwahrheit lag, wirkte letzterer 
mehr durch Anregung des Gefühls und der Phantaſie, 
durch myſtiſchen Anflug und einen mit apokalyptiſchen Bil— 
dern reichlich durchwebten Vortrag. Anfangs hatte er nur 
wenige Zuhörer, und auch dieſe erlaubten ſich mitunter, 
feine Sprache ſpöttiſch zu bekritteln;!“ nach und nach aber 
mehrte ſich die Zahl, und wuchs endlich ſo bedeutend heran, 
daß er, vielfachen Wünſchen ſich fügend, manchen Tag an 
drei verſchiedenen Orten, eines Tags ſogar fünfmal, pre— 
digen mußte. Wie einerſeits das Volk von feiner religid- 
ſen Begeiſterung mit hingeriſſen wurde, ſo bewunderten 
anderſeits auch die Gelehrten die außerordentliche Frucht— 
barkeit, Friſche und Schnellkraft feines Geiftes. 1 


197) Propter incongruentiam vulgaris sermonis — fagt der Biograph; 
wahrſcheinlich iſt das auf den mähriſchen Accent zu verſtehen, 
den Milie auch in feinen Predigten beibehalten haben dürfte. 

198) Selbſt der gelehrteſte Böhme ſeiner Zeit, der Prager Dom— 
ſcholaſticus Adalbert Rankonis von Ericino (im J. 1355 ge— 
weſener Rector der Univerſität von Paris,) ſoll einſt in Ver— 


166 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


Durch vieles Grübeln in der heiligen Schrift, zumal 
in den Propheten und der Apokalypſe, gewöhnte ſich Mi— 
lik's Geiſt an die gleiche Richtung und Anſchauungsweiſe. 
Im täglichen Kampfe mit der Verdorbenheit der Sitten 
aller Stände ſeiner Zeit befangen, und auf Mittel ſinnend, 
den Erfolg dieſes Kampfes zu ſichern, glaubte er plötzlich 
eine eben fo furchtbare als wichtige wiſſenſchaftliche Ent- 
deckung gemacht zu haben: eine mit großer Beleſenheit und 
eigenem Scharfſinn angeſtellte Combination und Erklärung 


der in der Bibel über die Ankunft des Antichriſts in den 


letzten Tagen der Welt vorhandenen Daten!“ führte ihn 
auf das Ergebniß, daß die vorausgeſagte ſchreckliche Zeit 
beſtimmt in die Jahre 1365-1367 unſerer Zeitrechnung 
falle. Er ſchrieb darüber eine eigene gelehrte Abhand— 
lung,“ und verkündigte feinen Lehrſatz in ergreifenden 
Worten auch von der Kanzel herab. Da gab es nun 
keinen Stand, kein Alter und kein Verhältniß, in welchem 
er die Wirkungen und Werkzeuge des Antichriſts nicht auf— 
zudecken und zu ſchildern gewußt hätte; Alles, was im 
Menſchenleben mit reiner chriſtlicher Liebe, Demuth und 


wunderung ausgerufen haben: omme, quidquid ego pro Ser-“ 
mone faciendo viris literatis et illuminatis vix in uno mense 
comprehendere possum, Milicius vero tantum una hora suo 
studio comprehendit. 

199) Nämlich die Stelle im Evangelium Matthäi XXIV, 15: Cum 
videritis abominationem desolationis, quae dicta est a Daniele 
propheta, stantem in loco sancto ete. — verglichen mit den Wor⸗ 
ten Daniels XII, 11, 12: tempus, quo ablatum fuerit juge sa- 
erifiecium et posita fuerit abominatio in desolationem ete. 

200) Libellus de Antichristo, der mit den Worten anfängt: »In 
Christi nomine, qui est testis fidelis, amen. Qui audit, etiam 
dicat amen! et non exhorreat hoc audiens« etc. Mathias von 
Janow hat dieſe Abhandlung feinem großen Werke (j. unten) 
ganz einverleibt, und zwar lib. III, tractat. V, distinct. XI, wo 
dieſelbe in vier Capitel eingetheilt iſt. 


Milie von Kremſier. 167 


Frömmigkeit unvereinbar erſchien, galt ihm als antichriſt- —— 


lich. Vornehmlich war es der geiſtliche Stand, vom Erz— 
biſchof bis zu den Bettelmönchen herab, der ihm reichen 
Stoff zu ſeinen Strafpredigten darbot; doch auch weltliche 
Fürſten und Herren traf das gleiche ſtrenge Gericht, wie 
den gemeinen Mann. Als aber Milic es ſich beifallen 
ließ, in einer großen Verſammlung dem Kaiſer Karl IV. 


ſelbſt ins Geſicht zu behaupten, daß er der große Anti— 


chriſt ſei, fand es Erzbiſchof Oeko von Wlasim nothwen— 
dig, ihn dieſe Kühnheit durch mehrtägigen Kerker büßen 
zu laſſen. ! Der Kaiſer indeß, der den Eiferer von jeher 
geliebt und geachtet hatte, entzog ihm auch nach dieſem 


Vorfalle nicht feine Gunſt; als Milié, von den Prager 


Theologen wegen ſeines Lehrſatzes gedrängt, an Papſt 
Urban V appellirte und deßhalb im Jahre 1367 perſön— 
lich nach Rom ſich begab, verſah Karl IV ihn mit den 
beſten Empfehlungsſchreiben. 

Lachdem Milié der vorbeſtimmten Ankunft Urbans V 
in Rom lange vergebens geharrt, beſchloß er, ihm nach 
Avignon entgegen zu gehen, vorher aber noch die Römer 
mit ſeiner großen Entdeckung bekannt zu machen. Er 
eröffnete in einem Anſchlag an den Thoren der St. Pe— 
terskirche ſeine Abſicht, in einer öffentlichen Predigt die 
bereits erfolgte Feſtſetzung des Antichriſts auf Erden zu 
verkünden, und angemeſſene Mahnungen daran zu knü⸗ 


201) Artieuli XI contra Milicium praesentati in curia Romana:; 
„Primo, quod ipse tenuit et atfirmavit, quod in anno dom. 
1366 Antichristus fuisset natus; et quia eandem opinionem 
dimittere noluit, fuit per D. Johannem archiep. Prag. incar- 
ceratus« etc. Dies wird von Mathias von Janow näher be: 
ſtimmt: »Indutus zelo quasi thoraci, imperatorem praedictum- 
aggressus digito indicavit, et dixit sibi cum omnibus, quod 
ille sit magnus Antichristus; propter quod carceres et vincula 


‚diutine est perpessus.« 


168 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— pfen. 2 Kaum war jedoch der Anſchlag bekannt geworden, 
ſo ſuchte der Ketzerrichter von Rom, ein Dominicaner, den 
frommen Schwärmer alſogleich auf, und ließ ihn in der 
Peterskirche ſelbſt verhaften; denn ſchon früher war er 
von ſeinen Ordensbrüdern in Prag auf ihn aufmerkſam 
gemacht worden. Viele Wochen lang ſchmachtete nun Mi— 
lic bei den Minoriten in Araceli, ſein Begleiter Dietrich 
bei den Dominicanern, in ſchwerem Gefängniſſe. Froh— 
lockend verkündigten ſchon in Prag die Bettelmönche ihren 
Zuhörern von den Kanzeln herab die nahe Verbren⸗ 
nung dieſes angeblichen Ketzers.“s Mit Urbans M Ein— 
tritt in Rom änderte ſich jedoch die Scene: Karls IV 
Schützling wurde nicht nur ſeiner Haft ledig, und vieler 
Auszeichnungen, insbeſondere durch den Cardinal von Al— 
bano, theilhaftig, ſondern er bekam auch bald Gelegenheit, 
eine wahrhaft chriſtliche Tugend zu üben, indem er ſich für 
ſeine zur Verantwortung gezogenen Verfolger ſelbſt ver— 
wendete. Der Inhalt ſeiner Unterredungen mit dem Papſte 
iſt uns nicht überliefert worden; nicht zu verkennen iſt es 


202) Quum jam desperassem de adventu domini nostri Papae, tune 
praeparavi me, iter volens arripere versus Avinionem; et in- 
terim irruit in me spiritus, ita ut me continere non possem, 
dicens mihi in corde: vade, intima publice per cartam, quam 
affiges ostiis ecelesiae S. Petri, sicut solitus fuisti intimare in 
Praga, quando eras praedicaturus, quod velis praedicare, quod 
Antichristus venit; et exhortaberis elerum et populum, ut orent 
pro domino nostro papa et pro domino nostro imperatore, ut ita 
ordinent ecelesiam sanctam in spiritualibus et temporalibus, ut 
securi fideles deserviant creatori; et dabis in scriptis sermonem 
illum, ne mutentur verba tua, et ut materia divulgetur, ut mali in 
timorem mittantur et boni ferventius deo famulentur; seereta hu- 
jus rei domino summo pontifici reservabis. Dieſe Stelle aus dem 
Libellus de Antichristo iſt in die Vita (bei Balbin p. 50) wörtlich 
aufgenommen, aber die Worte »quod Antichristus venit« hin⸗ 
weggelaſſen worden — gewiß nicht zufällig. 

203) »Charissimi! ecce jam Milicius cremabitur.« (Vita, pag. 51.) 


Milie von Kremſier. 169 


aber, daß er von da an feinen Lehrſatz von der Ankunft — — 
des Antichriſts, wenn auch nicht ganz aufgab, E mehr 
und mehr zurückhielt. 

In ſeinem Innern beruhigt und vor den Augen der 
Gläubigen gerechtfertigt, entwickelte Mitte nach feiner Zus 
rückkunft eine noch größere Thätigkeit in Bekämpfung des 
Laſters nach allen ſeinen Formen. Um auch den Deutſchen 
in Prag nützlich werden zu können, lernte er noch im vor— 
gerückten Alter deutſch, + und fing auch in dieſer Sprache 
zu predigen an; wie er denn nach Konrad Waldhauſers 
Tode das Amt eines Predigers in der Teynkirche förm— 
lich übernommen zu haben ſcheint. Doch beſchränkte ſich 
ſein Eifer nicht auf das Predigen allein; Tauſenden war 
er zugleich Beichtvater und Gewiſſensrath, der oft in ihren 
ſchwierigſten Verhältniſſen zu entſcheiden berufen wurde; 
und da man ihm häufig Geſchenke aufdrang, die er, bei 
ſeiner äußerſt ſtrengen Enthaltſamkeit, nicht für ſich behal— 
ten konnte, ſo ſuchte er die Nothleidenden ſelbſt auf, um 
ihnen zu helfen. Am meiſten war er bedacht, gute Volks— 
prediger zu bilden; alle Zeit, die ihm übrig blieb, ver— 
wandte er auf den Unterricht junger Cleriker, deren täglich 
mehre Hundert ſich verſammelten, um ſeine Vorträge in 
die Feder zu nehmen. Bei aller ſittlichen Strenge aber 
blieb ſein Geiſt immer heiter und aufgeweckt; niemand 
verließ den ſeltenen Mann, ohne ſich in ſeinem Gemüthe 
wunderbar geſtimmt und gehoben zu fuͤhlen.““? Auch war 


204) Ita erat sollicitus de salute populi, quod licet nunquam in ju- 
ventute Teutonicum profecerat, volens ergo majorem populum 
domino suo acquirere, coepit jam in senectute studiose idioma 
Teutonicale inquirere a suo scholari et ab alüis, quibus notum 

erat etc. Vita p. 47. 

205) Nullus erat, nisi forte spiritu Antichristi agitatus, qui cum 
ipso habebat loqui vel agere, qui amorem et gratiam atque 
suavitatem spiritus ab ipso non hauriret, nullusque non con- 
solatus ab eo recedebat. (Mathias von Janow.) 


170 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— der Eindruck und die Wirkung, die ſein Eifer auf das 
religibſe Leben in Böhmen gehabt hat, wirklich außeror— 
dentlich; den auffallendſten Beleg dazu liefert das gänz— 
liche Veröden der Wohnungen der Unzucht, insbeſondere 
des altberühmten Venedig (Venetiae, Benatky), einer Häu— 
ſerreihe öffentlicher Proſtituten in Prag. “s Als dieſes 
Sünden-Ouartier im Jahre 1372 leer wurde, ſchenkte 
Kaiſer Karl IV dasſelbe an Milié, der es niederreißen 
ließ, mehre angränzende Bauſtellen hinzukaufte, dann mit 
Unterſtützung der frommen Bürger Prags ein großes Haus 
für ſeine Büßerinnen und für Cleriker nebſt einer Kapelle 
zur heil. Maria Magdalena hinbaute, und dieſe neue Woh— 
nung »Serufalem« benannte. Da er auch die zeitliche 
Verſorgung ſeiner Convertiten auf ſich nahm, und ohne 
einen Fonds zu beſttzen, fortan oft 200 bis 300 Menſchen 
zu ernähren hatte, ſo konnte er, bei allem guten Willen 
ſeiner Verehrer, ſich augenblicklicher Verlegenheiten nicht 
immer erwehren, und mußte, wenn er manchen Reichen um 
einen Vorſchuß bat, ſich oft bittere Kränkungen und De— 
müthigungen gefallen laſſen. 

Mit den Bettelmönchen kam Milie zu einem noch 
größeren Unfrieden, als ſein Vorgänger Konrad; der Haß 
gegen ihn ſtieg ſo hoch, daß er ſeines Lebens nicht ſicher 


206) »Redimendo atque ad fundum destruendo antiquum et famo- 
sissimum prostibulum in Praga, videlicet vicum illum pessimum 
et horrendnm, qui dicebatur Venetiae, — atque ibidem scho- 
lam et templum et locum omni gratia et virtute fundatum et 
erectum constituendo et fabricando« ſagt Mathias von Sa: 
now. Der Ort lag auf der Altſtadt, zwiſchen der heutigen 
Bartholomäi- und Convict-Gaſſe, wo das Haus Nr. 307 
noch jetzt „Collegium Jeruſalem“ genannt wird, obgleich das 
Ganze urſprünglich viel größer geweſen fein muß, da es nach 
der Urkunde Karls IV, vom 17 Dec. 1374 (Pelzels Urkk. Nr. 
316) eine Häuſer-Inſel bildete, in welcher das Prienerhaus 
allein 30 Ellen lang war (Va p. 55.). 


Milic von Kremſier. 171 


geweſen fein foll.*7 Da jedoch die erklärte Gunſt, womit —— 
Karl IV ihn Schütte, ““ der Verfolgung in Prag keinen 
freien Spielraum gewährte, ſo vereinigten ſich ſeine Feinde, 
ihn als Irrgläubigen am päpſtlichen Hofe anzuklagen. 
Zwölf Artikel wurden gegen ihn geltend gemacht: 1) fein 
Lehrſatz über die Ankunft Antichriſts, D und 3) eine zu 
weite Ausdehnung des Begriffs vom Wucher, J und 5) 
ſeine Empfehlung des zu häufigen Genuſſes der heil. Com— 
munion; 6) daß er ſeinen Büßerinnen eine Art Kloſterregel 
aufgelegt, und ſie einerſeits zu ſtreng gehalten, anderſeits 
zu viel gelobt habe; 7) daß er den ganzen Clerus, vom 
Papſt bis zum Mönche herab, ſchmähe; 8) die Excommu— 
nicationsſtrafe gering achte; 9) das Studium der freien 
Künſte für ſündhaft erkläre; 10) den Frauen keinen noch 
ſo anſtändigen Putz geſtatten wolle; 11) ſich hochmüthig 
zeige und zu Unterſtützung dieſes Hochmuths auch die 
weltliche Macht gegen die geiſtliche hetze, und endlich 
12) daß er den Geiſtlichen kein perſönliches Eigenthum 
geſtatten wolle. 2% Der am Hofe zu Avignon lebende 


207) »Quasi incessanter ac infatigabiliter cum multitudine pseudo- 
prophetarum, religiosorum, sacerdotum alias legis peritorum 
atque clericorum infinita eoncertando, fuit fere quotidie in ar- 


ticulo mortis pro veritate constitutus.« Math. von Janow. 


208) Für dieſen Schuß ſprechen, neben vielen anderen Daten, ins— 
beſondere auch die gegen Milic erhobenen 12 Klageartifel, wo 
es heißt: Art. 8: »respondit, quod si papa eum excommuni- 
caret, ipse per imperatorem se defendere vellet. Art. 11: — 
quidquid ipse de suis conceptibus et erroribus secundum vo- 
luntatem ad effectum producere non potest, hoc per manus 
principum et potestatem brachii secularis ad effeetum producit, 
eosdem suis erroneis suggestibus informando, et super hoc contra 


statum totius cleri excitando, 


209) Wir haben dieſe noch ungedruckten Klageartifel in einer gleich: 
zeitigen Handſchrift des Prager Domcapitels (J. 40) aufge— 
funden. 


172 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— Prager Magiſter Johann Klonkot lieh den Klägern feinen 
Beiſtand, und es gelang ihm, von Gregor XI am 10 Ja— 
nuar 1374 mehre Bullen an Kaiſer Karl IV, an den 
Erzbiſchof von Prag und die Biſchöfe von Leitomysl, Ol— 
mütz, Breslau und Krakau, — ein Beweis, daß Milic's 
Lehre bis in dieſe Diöceſen durchgedrungen, — zu erlan— 
gen, in welchen jene Artikel eben ſo, wie die Biſchöfe, die 
deren Verbreitung in ihren Diöceſen nicht gehindert, ſcharf 
gerügt und eine ſtrenge Unterſuchung darüber angeordnet 
wurde. !“ Der alte Erzbiſchof Ocko, der bisher Milie 
gegen deſſen Feinde immer geſchützt hatte, verlor bei Em— 
pfang dieſer Bullen alle Faſſung, und mußte ſogar von 
Milie getröſtet werden. Als aber der Prager Inquiſitor 
fein Amt zu verwalten begann, appellirte Milie neuerdings 
an den Papſt ſelbſt, und begab ſich in der Faſtenzeit 1374 
auf die Reiſe nach Avignon. Er wurde dort von ſeinem 
alten Gönner, dem Albaner Cardinal, wieder mit Aus— 
zeichnung aufgenommen und behandelt, verſcheüchte bald 
alle Zweifel an ſeiner Rechtgläubigkeit, verfiel aber in eine 
Krankheit, der ſein Körper am St. Peterstage 1374 un— 
terlag, bevor in ſeiner Sache ein entſchiedenes Urtheil er— 
folgt war. i! Karl IV ſchenkte hierauf jenes »Jeruſalem« 
dem Ciſtercienſer-Orden, zum Beſten ſowohl der Lehrer 
als der Studirenden der Theologie dieſes Ordens an der 
Prager Univerſität. 


210) Gedruckt bei Raynaldi ad h. a. 

211) Milicius et Conradus Wolthausar dictis suis et scriptis prin- 
cipales metropoles sanctae ecclesiae repleverunt, utpote Romam 
et Avinionem, ubi papa, et Bohemiam atque Pragam, ubi re- 
sidet imperator; et unus ipsorum, scil. Conradus, in Praga 
occubuit, ubi Caesar, alter Avinione est mortuus, ubi papa. 
Et ambo in extremis articulis pro Christi Jesu veritate et ju- 
stitia in medio tribulationis pessimae occubuerunt, — fagt Ma: 
thias von Janow, und wiederholt noch am anderen Orte die 
Angabe: Milicius — Avinione exulans est mortuus. 


Milie von Kremſier. Mathias von Janow. 173 


Wir haben bei den Schickſalen dieſes Mannes länger — — 
verweilt, weil ſeine perſönliche Erſcheinung, welche manchen 
Gläubigen an die erſten Verkünder des Chriſtenthums er— 
innerte, “ eine nachhaltige Wirkung im böhmiſchen Volke 
hervorbrachte. In ihm hatte ſich die, dieſes Volk von je— 
her auszeichnende Gemüthskraft und Phantaſie, religiöſer 
Schwung mit etwas düſterer Färbung, inniges Gefühl und 
entſchloſſene That, gleichſam verkörpert; er war es daher, 
der unter beſonderer Begünſtigung der höchſten weltlichen 
und geiſtlichen Behörden, dieſen Volksgeiſt in ſeinen Tiefen 
. anregte und ihn zuerſt in jene Wellenbewegung verſetzte, 
welche ſpäter, unter Mitwirkung neuer Elemente, ſich bis 
zu Stürmen ſteigerte. Er hatte vorzüglich durch leben— 
diges Wort und augenblickliche That gewirkt; ſeine Schrif— 
ten dagegen, in ſichtbarer Eile flüchtig verfaßt, ermangeln, 
bis auf wenige Stellen, jener Tiefe und Kraft, welche 
allein ihnen bleibende Bedeutung ſichern könnte. 

Was Milic als Schriftſteller abging, wurde bald von 
einem ſeiner begeiſterten Schüler in hohem Maß erſetzt. 
Mathias, Sohn des böhmiſchen Ritters Wenzel von 
Janow, war einer der Cleriker geweſen, welche während 
ihrer Studien an der Prager Univerſität ſich an Milie in 
deſſen letzten Jahren aufs innigſte anſchloßen.“!“ Noch 
vor deſſen Tode begab er ſich aber zu Fortſetzung feiner. 
Studien nach Paris, wo er ſechs Jahre lang blieb und 


212) Math. von Janow nennt ihn: Ipse Milicius, filius et imago 
domini Jesu Christi, apostolorumque ipsius similitudo prope 
expressa et oslensa. 

213) Er ſagt darüber ſelbſt: Ego quippe confiteor, me deeimam 
partem 15 sufficere ad dicendum solum eorum, quae cum 
tempore brevissimo sibi (Milicio) commorans, egomet oculis 
vidi, auribus audivi et manibus meis contrectavi. In hoc si- 
quidem loco apud me optime est verificatum illud vulgatum 
poeticum, quia copia me facit egenum de virtutibus Milicii 
ad scribendum. 8 


174 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— auch den Grad eines Magiſters annahm, ſo daß man ihn 
in Böhmen dann vorzugsweiſe den Pariſer Magiſter (ma— 
gister Parisiensis) nannte. Auch in Rom und in Nürn— 
berg verweilte er längere Zeit, und ſammelte ſich nicht 
nur reiche Kenntniſſe, ſondern auch mannigfaltige Erfah- 
rung und Weltanſchauung. Papſt Urban VI verlieh ihm 
am 1 April 1381 eine apoſtoliſche Proviſion auf das 
nächſte ledig werdende Canonicat an der Prager Domkirche, 
in Folge deren er am 12 Oct. 1381 daſelbſt als Dom— 
herr aufgenommen wurde. Der Erzbiſchof Johann von 
Jenſtein, der in Paris einſt ſein Studiengenoſſe geweſen, 
wies ihm den Beichtſtuhl als ſeinen Wirkungskreis an, und 
entzog ihm nicht ſeine Gunſt, trotz dem, daß Mathias ſich 
mehr an ſeinen älteren Collegen, den Prager Scholaſticus 
M. Adalbert Rankonis von Ericino, den einſtigen Rector 
der Pariſer Univerſität, und des Erzbiſchofs gelehrten 
Gegner, anſchloß, ja ſogar die Wohnung mit ihm theilte. 
Die Stellung eines Beichtvaters an der Domkirche verließ 
Mathias von Janow bis zu feinem Tode nicht, 2 der 
ihn im beſten Mannesalter ſchon am 30 Nov. 1394 ereilte. 

So dürftig aber dieſer Umriß ſeiner äußeren Schick— 
ſale iſt, ſo reich entfaltete ſich dagegen bei ihm die Blüthe 
des inneren, im Reiche der Gedanken ſich bewegenden Le— 
bens. Er trat nicht öffentlich auf, wie Konrad und Mi— 


214) Jedenfalls nicht bis 1392, wo er von ſich ſelbſt Nachſtehendes 
ſchrieb: Et accepi confirmationem ipsius — a tota multitu- 
dine hominum, cum quibus a principio sacerdotii mei labo- 
ravi usque modo per XII annos (alſo 1380-1392), eisdem 
corpus et sanguinem Jesu dispensando in kathedrali ecclesia 
Pragensi, tenens locum domini mei et patris in Christo, D. 

1 Archiepiscopi ecclesiae supradictae, habens auctoritatem ejus 
in audiendo confessiones ete. Wenn man ihn daher auch einen 
Pfarrer zu St. Niklas auf der Altſtadt genannt, ſo beruhte 
dieſes auf bloßem Mißverſtändniß der Widerrufsformel von 
1389, oder auf Verwechslung mit andern Perſonen. 


M. Mathias von Janow. 175 


lie, um in Wort und That auf die Maſſen des Volks zu —— 
wirken: an eine ſtillere Thätigkeit durch Beruf und Nei— 
gung gewieſen, begnügte er ſich, durch fromme chriſtliche 
Erbauung unmittelbar nur für das Seelenheil Derjenigen 
zu ſorgen, die ſich ſeiner geiſtlichen Pflege anvertrauten. 
Das Amt eines Predigers ſcheint er nur mit geringem 
Erfolg ausgeübt zu haben. Dagegen erſchloß er die un— 
vergleichlichen Schätze ſeines edlen Geiſtes in einer langen 
Reihe von theologiſchen Schriften, die er ſpäter zu einem 
großen Ganzen ſammelte und »Von den Geſetzen des al— 
ten und des neuen Teſtaments« (De regulis veteris et 
novi testamenti) überſchrieb, obgleich man fie, ihrem In— 
halt gemäß, paſſender »-Unterſuchungen über das 
wahre und falſche Chriſtenthum⸗ nennen dürfte. 
Dies ſeltene Werk? hat zu feiner Zeit den außerordent— 


215) Es beſteht im Ganzen aus fünf Büchern, deren jedes in mehre 
Tractate, dieſe in Diſtinctionen, und letztere wieder in 
Capitel eingetheilt ſind. Eine vollſtändige Handſchrift exiſtirt 
unſeres Wiſſens nirgends mehr; doch ließe ſich das Ganze, 
aus den einzeln vorhandenen Theilen, noch vollſtändig zuſam— 
menſtellen. In Druck möchte es einen jtarfen Folioband fül— 
len. Das erſte Buch, noch vor 1388 geſchrieben, wurde ſpä— 
ter zum Theil überarbeitet und iſt daher in zweierlei Recen— 
fionen vorhanden; die letzte Hand legte der Verfaſſer erſt 
1392 ans Werk. Die einzelnen Theile führen folgende Titel: 
lib. I: de discretione spirituum in doctoribus et prophetis et 

de venerabili Sacramento; lib. II: de judicio et notitia falso- 
rum et verorum Christianorum (darin traet. I: de falsa spe- 
cie sanctitatis s. hypocrisi, tract. 2: de distincta veritate); 
lib. III: de regula generali, und darin tract. 1: de regula in 
se; 2 de apostolis et prophetis; 3 de frequenti communione; 
4 de universitate et unitate ecclesiae; 5 de Antichristo; 6 de 
abominatione in loco sancto. Die letzten zwei Bücher handeln 
wieder de rara et crebra communione. Von dem Allen iſt 
nur der Tractat de abominatione in loco sancto ganz, obgleich 
nicht unverſtümmelt, gedruckt worden, und zwar unter den 


176 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— lichſten Einfluß ausgeübt, obgleich es, nach vollendeter 
Spaltung der chriſtlichen Parteien, ſchon als unbefriedigend 
erſchien und ſogar in völlige Vergeſſenheit gerieth. Der 
Verfaſſer war nämlich in ſeinen Anſichten und Lehrſätzen 
den Einen zu weit, den Andern nicht weit genug gegan— 
gen. Er hatte die Gebrechen aller kirchlichen Zuſtände ſeiner 
Zeit eben ſo kühn als ſcharfſichtig aufgedeckt, und dadurch 
das Mißtrauen aller Conſervativen gegen ſich geweckt; da— 
bei hatte er jedoch ſtets an den weſentlichen Traditionen 
der Kirche feſtgehalten, hatte den Gehorſam gegen die 
Häupter der Hierarchie nicht nur gelehrt, ſondern auch 
geübt, und konnte daher denjenigen nicht mehr als Auto— 
rität gelten, die ſich dieſes Gehorſams abſichtlich entaͤu- 
ßerten. ' 

Schon in der, erft nach Vollendung des ganzen Wer— 

kes aufgeſetzten Vorrede, erklärte der Verfaſſer, er habe 

dasjenige, was er ſchrieb, aus dem Gebete, aus dem Leſen 
der Bibel, aus fleißiger Betrachtung der Zuſtände der 

Gegenwart und deren Vergleichung mit dem Alterthume 

gefchöpft. 1° Da die Bibel ſelbſt über alle weſentlichen 

Puncte der Religion klare und zureichende Belehrung dar— 


Werken des M. Joh. Hus, dem er fälſchlich zugeſchrieben 
wurde, wie dies bereits im Jahre 1535 die Verfaſſer der Con- 
fessio fidei ac religionis baronum ac nobilium regni Bohemiae 
(Witebergae, 1535, Blatt 4) bemerkten, und in neuerer Zeit 
auch Gieſeler in ſ. Kirchengeſch. II. Abtheil. 3, S. 285 fgg. 
richtig erkannt hat. Auch die (in opp. Hussii) auf dieſen 
Tractat folgenden von Otto von Brunfels geſammelten Bruch— 
ſtücke ſind alle aus Janows Werke gezogen, aber oft bis zum 
Unſinn und zur Unkenntlichkeit verſtümmelt. 

216) Ea quae hie conscribam vel conscripsi, maxime in oratione 
et per orationem accepi, et intellexi ex lectione bibliae, atque 
didici ex consideratione vigili et sedula eorum, quae in se- 
culo moderno geruntur, et ex comparatione temporum anti- 


quorum. 


M. Mathias von Janow. 177 


biete, fo habe er die Schriften der Kirchenväter weniger zu —— 
berückſichtigen gefunden.?!“ Seine Hauptabſicht gehe dahin, 
das Weſentliche des Chriſtenthums von dem minder We— 
ſentlichen zu unterſcheiden, daher auf die Grundgeſetze hin— 
zuweiſen, und zu verhüten, daß ſie unter der Fülle nach— 
träglicher Verordnungen nicht außer Acht gelaſſen wer— 
den. is Dieſe Grundgeſetze (regulae), deren er 4 aus 
dem alten, 8 aus dem neuen Teſtamente ſchöpfte, bezie— 
hen ſich weniger auf die Dogmen, als auf die Praxis 
des Chriſtenthums, auf die Übung chriſtlicher Tugenden, der 
Liebe zu Gott und dem Nächſten, der Demuth und der 
Selbſtverläugnung; mit Einem Wort, auf die Nachahmung 


217) Quapropter in his scriptis meis per totum usus sum maxime 
biblia, — et modicum de dictis doctorum; tum quia bib lia 
ad omnem considerationem et materiam scribendam semper 
mihi promte et copiose occurrit; tum quia ex ipsa et 
per ejus divinissimas veritates, quae sunt lucidae et per se 
manifestae, solidius omnes sententiae confirmantur, fundantur 
stabilius et utilius ruminantur; tum quia ipsa est, quam a ju. 
ventute mea adamavi, et vocavi ipsam amicam et sponsam 
meam, imo matrem pulchrae dilectionis et agnitionis et timo- 
ris et sanctae spei; — ubi fateor, quod a juventute mea non 
recessit a me usque ad senectam et senium, neque in via, 
neque in domo, neque dum oceupabar, nec eum otiabar u. ſ. w. 

218) Contemplor, quod hodie sacerdotes et populus minus sciat et 
observet praecepta dei sui tremendi, quam mandata et tradi- 
tiones hominum, et magis timeat et ponderet hujusmodi ad- 
inventiones, quam veritatem vitae et caritatem proximorum, 
et quod in talibus observantiis totam constituat Justitiam suam 
et salutem, licet non habita Jesu crucifixi notitia et caritate. — 
Propositi igitur mei est, cum hace loquor, ut tales adinven- 
tiones, et obligationes ad ipsas, essent diminutae et remissae, 
saltem quoad aliquam ipsarum partem, et quod solum dilec- 
tio dei et proximorum, aut dei praecepta alia solum esse po- 
pulis tremenda et ad unguem usque adimplenda docerentur, 
et quod alia sunt modicae reputationis aut nihili ipsorum in 
respectu; et ea, quae mandant et statuunt praclati subditis, 


Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 12 


178 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— Chriſti, deſſen Beiſpiel eben die General-Regel bilde. An 
dieſen Grundſätzen prüfte er nun das ganze Chriſtenleben 
ſeiner Zeit, eiferte gewaltig gegen Scheinheilige und Heuch— 
ler aller Art, die Chriſtus nur auf den Lippen, nicht im 
Herzen tragen, tadelte jeden bloß mechaniſchen Gottesdienſt, 
und beklagte die Verblendung, die da meint, durch äußere 
Werke und Anſtalten den Abgang innerer Wahrheit er— 
ſetzen zu können. Solche Anſtalten und Werke verwarf 
er zwar nicht an ſich, warnte aber, daß man über die 
Mittel nicht den Zweck vergeſſe; denn das ſei eben die 
Hauptwaffe des Antichriſts und fein ſtetes Ziel, der Ver⸗ 
ehrung und den Beſtrebungen der Chriſten, anſtatt der höch— 
ſten himmliſchen, niedrige und irdiſche Gegenſtände unter— 
zuſchieben u. ſ. w. 

Es wurde zur Zeit Janows unter den Theologen 
viel und heftig über die Frage geſtritten: ob den Laien 
der häufige Genuß der heiligen Communion zu geſtatten 
fei, oder nicht? i“ Er als Beichtvater fand ſchon in feinem 
Berufe Veranlaſſung, lebhaften Theil an der Entſcheidung 
dieſer Frage zu nehmen, und er erklärte ſich, gleich ſeinem 
Lehrer Milié, für die häufige Communion der Laien. Ihm 
ſtimmten darin einige der gelehrteſten Zeitgenoſſen bei, wie 
der oft erwähnte Prager Scholaſticus M. Adalbert Ran— 
konis von Ericino, M. Matthäus von Krokow, Doctor 


ea faciant cum magno temperamento caritatis ete. (MS. des 
böhm. Muſeums 289, fol. 156.) 

219) Sciendum est, quod in temporibus, quae nunc currunt, quae- 
stio multum invaluit, saltem inter communes et simplices, de 
manducatione quotidiana vel erebra a plebejis corporis et san- 
guinis Jesu Christi. Et quidam doctores vel praedicatores 
concedunt et invitant populos ad quotidianam vel crebram 
sacramenti altaris perceptionem corporalem, cum praeparatione 
praevia opportuna et vita condigna. Alii sunt, qui ex ad- 
verso reclamant, et contrarium nituntur summis conatibus in- 


ducere et persuadere, videlicet quod nequaquam sit bonum, 


M. Mathias von Janow. 179 


der Theologie an der Prager Univerſität, der Dechant Ni— 
clas Wendler in Breslau, Dr. Johann Horlewann u. a. 
Die Zahl der Gegner war jedoch überwiegend, und ſie 
ſetzten es durch, daß in einer zu Prag gehaltenen Provin— 
cialſynode am 19 Oct. 1388 der Beſchluß gefaßt wurde, 
daß die Laien keineswegs häufiger, als monatlich höchſtens 
einmal, zum Genuſſe der Communion zuzulaſſen ſeien. 270 
Die Kränkung, die Mathias von Janow darüber empfand, 
wurde noch vermehrt, als ſeine Gegner, durch dieſen Er— 
folg kühner gemacht, auch ſein ſich vielleicht überſtürzendes 
Eifern gegen die Verehrung von Bildern und Reliquien 
der Heiligen benützten, eine förmliche Anklage gegen ihn 
zu erheben. Man brachte ihn dahin, daß er, auf einer im 
folgenden Jahre (1389) gehaltenen Synode, in der St. 
Niclaskirche der Altſtadt Prag, einen öffentlichen Widerruf 
leiſtete, in welchem er jene Verehrung und die Gebete der 
Gläubigen um Interceſſion der Heiligen als heilſam an— 
erkannte, und unter anderen Puncten verſprach, keinen 
Laien mehr zum täglichen Genuſſe der heil. Communion 
zu ermahnen.??! Dem Lehrſatze von der Heilſamkeit der 


saepe laicos Christi corpore et sanguine sauari. (MS. des Mu: 
feums, fol. 77.) 

220) Mathias von Janow erzählt dies ſelbſt in der zweiten Recen— 
ſion ſeines erſten Buches, und kann dabei nicht umhin, zu be— 
merken: tunc autem videtur esse juge sacrificium (Danielis 
cap. XII) ablatum etc. 

221) Eine Handſchrift der Stiftsbibliothek zu Wurzen (Schrank II, 
Nr. 148) gibt über dieſen Act eine Nachricht, die mit folgen— 
den Worten anfängt: »Isti errores praedicati sunt Pragae 
apud S. Nicolaum in antiqua civitate boemice, et revocali 
sunt iidem articuli et errores per praedictos viros tenore sub- 
sequente in synmodo Pragensi facta anno ab incarn. Dom. 
meccuxxxıx: Noverint omnes fideles, quod ego M. Ma- 
thias praedicavi aliqua non tam recte, caute et prudenter, sic- 


ut debitum fuisset et aptum, per quae et ſui et esse polui 
12* 


180 Vi Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— häufigen Communion war er aber zu entſagen nicht ge— 
zwungen worden; er widmete ihm daher in ſeinen Unter— 
ſuchungen um ſo größere Aufmerkſamkeit, hob die außer— 
ordentliche Wichtigkeit der Communion für die Heiligung 
des Menſchen auf alle Weiſe hervor, und beleuchtete die— 
ſen Gegenſtand nach allen Seiten ſowohl hiſtoriſch, als 
dogmatiſch und pſychologiſch. Bei jo vielfachem darauf ges 
richteten Studium kann es nicht ſehr auffallen, daß er auch 
auf den Gedanken gerieth, die älteſte Praxis der chriſt— 
lichen Kirche wieder zurückzurufen und den Laien das heil. 
Abendmahl unter zwei Geſtalten, des Brodes nämlich und 
des Weins, darzureichen. Als ihm aber auch dieſes von 
ſeinen Oberen verboten wurde, gehorchte er neuerdings, 
und ſtand davon ab.? Denn er unterließ bei keiner Ge— 
legenheit, es laut zu erklären, daß er ſich in allen ſeinen 
Lehrſätzen, Meinungen und Handlungen, ſeinen kirchlichen 
Vorſtänden unterwerfe, und ihrer höheren Entſcheidung 
immer Folge leiſten wolle, ?* 


aliquibus causa et occasio erroris et scandali. Quare ad’ tol- 
lendum istud, et ne virus lateat, atque ut fideles sciant, quae 
in his credere debent et tenere: dico primo, quod imagines 
Christi et sanctorum non dant causam et occasionem idolo- 
latriae etc. Von Ketzerei iſt bei dieſem Widerruf Feine 
Rede, wohl aber bei dem ihm angehängten Widerrufe Ja— 
kobs (des Pfarrers bei St. Niklas ?), der ähnliche Anſichten, 
jedoch mit geringerer Umſicht und Mäßigung, als Mathias, 
verbreitet hatte. 

222) Dieſe Thatſache iſt nur aus den Disputationen Rokycana's 
auf dem Basler Concilium 1433 bekannt (ſ. unten). Janow 
behauptet nirgends die Nothwendigkeit der Communion sub 
utraque, ſpricht aber an vielen Stellen ſo, als wenn ſie ſich 
von ſelbſt verſtände und auch noch üblich geweſen wäre. 

223) Zum Beiſpiel: Non intendo dicere vel seribere, sicut neque 
in ullo actu per me facto vel fiendo in futurum, imo intendo 
non dicere omne illud, quod est contra sacrosanctam eccle- 


siam Christi Jesu catholicam, vel contra fidem Christianam per 


M. Mathias von Janow. 181 


Wir konnten nicht umhin, den beinahe verſchollenen —— 
Schriften des Mathias von Janow einige Aufmerkſamkeit 
zu ſchenken, weil ſie für die Entwickelung der ſpätern An— 
ſichten und Ereigniſſe eine bei weitem größere Bedeutung 
hatten, als man gemeinhin annimmt. Der von ihm ge— 
ſtreute Same ging erſt 20 Jahre nach ſeinem Tode frucht— 
bar auf, viele böhmiſche Reformatoren ſchöpften vorzugs— 
weiſe aus feinen Werken Belehrung,?“ und feinem Ein— 
fluſſe iſt ohne Zweifel das vorwiegende Gewicht zuzuſchrei— 
ben, welches dem Sacrament der Communion in allen 
kirchlichen Bewegungen und Fragen der nächſten Folgezeit 
zukam. Doch war er, wenn auch der vorzöglichſte, nicht 
der einzige Gelehrte in Böhmen, der das Bedürfniß einer 
Reform der kirchlichen Zuſtände fühlte und ausſprach; zwei 
ſonſt unbekannte Geiſtliche, Jakob und Andreas, hatten 
im J. 1389 zugleich mit ihm einen dem ſeinigen ähnlichen 
Widerruf leiſten müſſen; und auch andere Prager Profeſ— 
ſoren und Prediger, wie z. B. Matthäus von Krokow, 
Albert Engelſchalk, Johann von Bor, Wenzel Rohle und 


directum vel indirectum, vel quod esset ullo modo contra sa- 

cram scripturam aut bonos mores ecclesiae, aut quod posset 
} aliquomodo oflendere pias aures fidelis hominis Christiani. 
Quod si forte, quod absit, aliquid horum contrarium me di- 
cere, scribere vel sentire contingeret ex mea ignorantia vel in- 
advertentia aut quavis alia negligentia et imperfectione, quam 
cognosco in me ipso esse multam nimis, illud statim in prin- 
eipio revoco et retracto, rogans habere pro non dieto; propter 
quod, et ad securitatem majorem, ista dieta mea et scripta, 
quemadmodum et omnia alia facta’mea et me ipsum, submitto 
correctioni sanctae catholicae ecclesiae et meis patribus ortho- 
doxis, paratus existens et cupiens usquequaque emendari et 
per ipsam piam matrem meam et patres ad viam veritatis et gra- 
tiae per Christum Jesum factae in ecelesia duei et reduciac deduci. 
Insbeſondere galt der ſpäter oft zu nennende Prager Magiſter 
Joh. v. Pribram CH 1448) als Janows Schüler; auf des M. Ja— 
cobell Verhältniß zu ihm werden wir ſpäter noch zurückkommen. 


224 


— 


182 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— Johann von Stekna, ſchrieben und lehrten in gleichem 
Sinne.” Es läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß dieſe 
kirchenreformatoriſchen Beſtrebungen, durch welche ſich die 
Prager Univerſität im XIV Jahrh. auszeichnete, zumeiſt 
dem ſchon von Karl IV in dieſer Richtung gegebenen Im— 
pulſe zuzuſchreiben ſind. 

Der Perſonalſtand und Einfluß der Prager Univer— 
ſität in dieſer Zeit darf überhaupt nicht nach dem Maß— 
ſtabe der Gegenwart gemeſſen werden. Bekanntlich war 
jener gleich von der Gründung her in vier Nationen, die 
böhmiſche, bayriſche, ſächſiſche und polniſche getheilt; im 
J. 1372, den 23 April, hatte die juridiſche Facultät ſich 
von dem übrigen Körper abgelöſt, und bildete fortan ein 
eigenes Ganze für ſich, ſo daß ſogar von zwei in Prag 
beſtehenden Univerſitäten die Rede war. Ihre Frequenz 
ſtieg zu Anfange des XV Jahrhunderts im eigentlichen 


225) Der Pommerer Matthäus von Krokow ſtudirte in Prag bis 
1367, lehrte dann daſelbſt noch in den Soger Jahren, und ſtarb 
als Biſchof von Worms 1409; er ſchrieb unter andern: De 
emendatione morum cleri et populi, eine im Jahre 1384 ge: 
haltene Synodalrede; de squaloribus Romanae curiae (in 
Walchii Monum. med, aevi t. D. Albert Engelſchalk ftudirte 
bis 1373 und lehrte dann noch 1400 daſelbſt; er ſchrieb Spe- 
culum aureum in demſelben Sinne (bei Walch I. c. t. II. 
Johann von Bor, Doctor der Rechte, ſchrieb nach Balbin 
(Bohemia docta II; 180) ein jetzt unbekanntes Werk gegen die 
Bettelmönche. Wenzel Rohle, ein Prediger in Prag, der ſchon 
1393 gegen den Ablaß eiferte (Chron. univers. Prag.). M. Jo⸗ 
hann von Stöfna, Ciſtercienſerordensbruder (1373—1405), pres 
digte in gleichem Geiſte, wie Konrad Waldhauſer und Milic; 
Hus nannte ihn »velut tuba resonans praedicator eximius.« 
Andreas von Broda ſchrieb 1414 an Hus: »et ab antiquis 
temporibus Milicius, Conradus, Sczekna et alii quam plurimi 
contra clericos praedicaverunt ete.« Aus Mißverſtändniß Die 
fer Stelle (bei Cochlaeus p. 42) hat man Konrad und 
Stiekna fälſchtich für eine Perſon gehalten. 


Die Prager Univerſität. 183 


Sinne ins Unglaubliche: denn wenn wir Angaben Glau- — — 
ben ſchenken, die zwar nicht ämtlich, aber faſt ganz gleich— 
zeitig ſind, ſo lebten ums J. 1408 in Prag nicht weniger 
als beinahe 200 Doctoren und Magiſter, 500 Baccalare 
und über 30,000 Studenten. Alle Wiſſenſchaften, die 
an der Zeit waren, wurden auch in Prag gelehrt; jeder 
Magiſter war berechtigt, nach eigener Wahl öffentliche und 
Privatvorträge zu halten, doch mußte er ſeine Abſicht jedes— 
mal erſt dem Decan ſeiner Facultät anmelden, der dafür 
zu ſorgen hatte, daß nicht mehr als drei Profeſſoren zu 


226) Seriytt. rer. Bohem. III, p. 11, 12. Tak jest bylo mnoho tu 
chwili tech miströw, bakalarèw a Studentöw rozlieneho uceni 
w Praze, ze tomu élowék 1&7ko uwéri, ktoz jest toho sam ne- 
widel, jako sem ja tak& toho zastal. — Matias Lauda prawi, 
ten jest jesté Ziw, Ze jest bylo intitulowanych a pripsanych t& 
chwile 36000, krom& töch, ktoz sü ze skol do kolleje na lekcı 
chodili. — In der noch ungedruckten »Chronica D. Procopii, 
notarii novae civitatis Pragensis« (vom J. 1476), deren Con⸗ 
cept ſich in einer Wittingauer Handſchrift befindet, heißt es: 
»In ecelesia Pragensi archiepiscopus, praelati et quingenti, et 
in ecelesia Wysegradensi patriarcha praepositus, decanus et 
CCCL sacerdotes fuerunt, et scholare plurimi. — Studentes 
et magistri ac doctores in universitate Pragensi triginta sex 
millia fuere; in regno plura monasteria bene dotata, a quibus 
pauperes victum habuere copiosum; in villis etiam pluribus 
scolae fuere« ete. Inmitten dieſer unglaublichen Angaben ift 
uns wenigſtens ein ziemlich verläßliches Datum überliefert 
worden. An dem (unten näher zu beſprechenden) Beſchluſſe 
vom 20 Mai 1408 haben 64 Mag iſter und 150 Baccalare 
der böhmiſchen Nation allein Theil genommen. Dieſe 
Nation war allerdings die zahlreichſte an der Univerſität; doch 
werden auch einige Mitglieder derſelben noch abweſend ge— 
weſen ſeyn. Dies ſetzt wohl nicht nur die oben angegebene 
Geſammtzahl der Magiſter und Baccalare aller vier Natio— 
nen, ſondern auch einen größeren Studentenkörper voraus, 
als jene Zahl von 7000 iſt, welche Pelzel (K. Wenceslaus, II. 
S. 550) durch Combination feſtzuſtellen verſucht hat. 


184 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— gleicher Zeit über einen und denſelben Gegenſtand laſen. 
Die Doctoren und Magiſter durften nach eigenen Heften 
vortragen; nicht ſo die Baccalare, die da angewieſen waren, 
ſich bei ihren Vorleſungen nur der Hefte bekannter Ma— 
giſter von Prag, Paris oder Oxford zu bedienen. Jeder 
Student durfte hören, was und wen er wollte; Reichere 
zahlten dafür beſtimmte Lehrgelder, Armere wurden von 
der Zahlung dispenſirt. Nur wer einen gelehrten Grad 
erlangen wollte, unterzog ſich den vorgeſchriebenen Prü— 
fungen und öffentlichen Disputationen. Dieſe Lehr- und 
Hörfreiheit, und die vielen Privilegien, deren alle Imma— 
triculirten genoſſen, erklären wohl zum Theil den unge— 
meinen Zudrang zu der Univerſität. 27° Bei allen ihren 
öffentlichen Acten mußte man in beſtimmter Amtstracht er— 
ſcheinen; wer dies vernachläſſigte, durfte nicht mitſtimmen. 
Was aber den inneren Gehalt der damals gehaltenen Vor— 
träge betrifft, ſo iſt derſelbe allerdings nicht hoch anzu— 
ſchlagen. Bediente man ſich auch der Werke höchſt aus— 
gezeichneter Altenz um Vortrage, wie des Ariſtoteles, Ga— 
lenus u. dgl., ſo gab es doch nur äußerſt wenige, welche 
nur einigermaßen in deren Geiſt eindrangen; bei den Mei⸗ 
ſten war das Erlernte nur mechaniſches Gedächtnißwerk, 
über welches man um ſo mehr disputirte, je unklarer die 
Einſicht in das Weſen der Sache war. Gleichwohl darf 
man dieſe Regungen des wiſſenſchaftlichen Forſchungsgeiſtes, 
ſo ſchwach und unſicher ſie waren, auch nicht zu gering 
ſchätzen. Da alles Wiſſen, auch das der Gegenwart, nur 
relativ und in fortwährender Entwickelung begriffen ift. 
ſo ſind auch jene an ſich noch unvollkommenen Übungen 
der Denkkraft als kein unnützes Glied in der Kette anzu— 


227) Der böhm. Annaliſt am a. O. ſetzt ſehr glaubwürdig hinzu, 
und erklärt noch Manches Andere dadurch, daß viele auslän— 
diſche Studenten zugleich Kaufmannsgeſchäfte beſorgten, Waa— 
renſpediteure abgaben u. dgl. m. 


Die Prager Univerfität u. das böhm, Schulweſen. 185 


ſehen; und in der That, es fehlte jenem Zeitalter nicht —— 
an einzelnen Männern, welche gleichſam aus höherer Weihe 

jede geiftige Erſcheinung im Verkehr von Menſchen zu Mens 
ſchen nach Wahrheit und Recht zu würdigen wußten. Auch 
verſchaffte die karoliniſche öffentliche Bibliothek, deren reiche 
Ausſtattung ſich der Kaiſer ſelbſt hatte angelegen ſein laſſen, 
Jedermann die Möglichkeit, ſich wenigſtens auf die Höhe 

der Wiſſenſchaft ſeiner Zeit zu erheben. 

Der Univerſität, welche Prag zum Centrum der Bil— 
dung für einen großen Theil von Europa erhob, fehlte es 
in Böhmen auch damals nicht an der nothwendigen Grund— 
lage des Primär-Unterrichts und der Volksſchulen. Daß 
in jedem der vielen Collegiatſtifte und Klöſter eine Unter— 
richts-Anſtalt von jeher beſtand, braucht um ſo weniger 
hervorgehoben zu werden, als ſich die Wirkung derſelben 
nur auf die Stiftsglieder beſchränkt zu haben ſcheint. Mehr 
Beachtung verdienen die damaligen Stadt- und Pfarr: 
ſchulen, welche durch das ganze Land verbreitet und der 
oberſten Aufſicht und Leitung der Univerſität unterworfen 
waren. Aus der in Urkunden dieſer Zeit nur zufällig, 
jedoch häufig vorkommenden Erwähnung von Schulleh— 
rern, läßt ſich in der That der Schluß ziehen, daß nicht 


228) Zum Beweiſe wollen wir nur die drei Jahrgänge 1406, 1407 
und 1408 hier in dieſer Beziehung excerpiren: 1406, 8 Januar. 
Mag. Joh. Syndel, rector scholarum S. Nicolai minoris civi- 
tatis Pragensis; 14 Mai, Drahoslaw, rector scholarum in Ra- 
konik ; 20 Sept. Jacobus rector scholarum et notarius oppidi 
Duchezow ; 22 Oct. Andreas Kossata, rect. scholarum in Zde- 

-raz; 4 Dec. Mag. Nicolaus r. scholarum ecclesiae Pragensis. 
1407, 6 Jul. Drzko rector scholarum in Pribislavia; 9 Sept. 
Laurentius rector scholarum in Usst; am felben Tage, ein 
ungenannter rector scholae in Bezna. 1408, 5 Mart. Jacobus 
rector scholae S. Michaelis majoris eivit. Prag.; 1 Mai Benes 
rect. scholarum in Wysegrado; 20 Jun. Duchek rector scho— 


larum in Biela; 30 Jun. Mag. Diwis olim rector scholarum 


186 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


— nur alle böhmiſchen Städte, fondern auch viele Pfarr: 
dörfer ihre beſonderen Schulen beſaßen, und es daher an 
Gelegenheiten, ſich zeitgemäß zu unterrichten, für Reiche 
und Arme damals faſt eben ſo wenig fehlte, wie im gegen— 
wärtigen Jahrhunderte. Wer nämlich an der Univerſität 
irgend einen gelehrten Grad erhielt (namentlich das Bac— 
calaureat der freien Künſte), war ſtatutenmäßig verpflichtet, 
ſich zwei Jahre lang erſt dem Primärunterricht zu widmen, 
bevor er zu höheren Graden aufſteigen durfte.?“ 

Bei ſolchem Aufſchwung des Unterrichtsweſens konnte 
auch die Volksbildung im Allgemeinen nicht zurückbleiben. 
Ihre Höhe läßt ſich, wie überall, ſo auch hier, durch den 
damaligen Stand der Volksliteratur in Böhmen bemeſſen. 
Obgleich verhältnißmäßig nur Weniges davon ſich in den 
Stürmen der folgenden Jahrhunderte hat erhalten können, “ 
ſo iſt doch auch dies Wenige reichhaltig genug, zu zeigen, 
wie unangemeſſen die Vorſtellungen von allgemeiner Fin— 
ſterniß und Rohheit ſind, die man ſich über jenes Zeit— 


S. Martini in Praga. Die Urkunden und Acten, aus welchen 
wir dieſe Daten geſchöpft haben, befinden ſich alle im Archiv 
des Prager Domcapitels. Nach dem bei Balbin (Miscell. IV) 
gedruckten Catalog gab es damals in der Prager Dibceſe 
1914 Pfarreien; wenigſtens ein Drittheil davon dürfte auch 
mit Schulen verſehen geweſen ſein. 

229) Man vergleiche auch die von M. Hieronymus von Prag am 26 
Mai 1416 vor dem Conſtanzer Concilium geſprochenen Worte: 
»In studio Pragensi fuerunt plures Teutonici, et in praebendis 
ecelesiarum collocabantur, ita quod Bohemi nihil habebant; et 
quando unus Bohemus fuit graduatus in artibus, si alias non 
habebat vivere, opportuit eum vue per villas et oppida et re- 
gere scholas particulares, acquirendo cum hoc victum suum.« 
(Von der Hardt concil. Constant. tom, IV, pag. 757.) 

230) Wir erinnern nur an die anderthalbhundertjährige Bücher: 
verfolgung durch die Miſſionare (1620—1760) , denen jedes 
böhmiſche Buch für ketzeriſch galt, und über deren blinden Ei— 
fer bekanntlich ſelbſt der Jeſuit Balbin Klagen führte ıc. 


Das Schulwefen u. die Literatur. Thomas v. Stitny. 187 


alter gewöhnlich macht. Möge man übrigens über die Ver— 
dienſte der vielen böhmiſchen Schriftſteller und Schriftſtelle— 
rinnen #1 jener Zeit noch fo abweichend denken: das läßt 
ſich immer behaupten, daß ein Volk, das einen Thomas 
von Stitny hervorgebracht und verſtanden hat, nicht mehr 
roh und ungebildet genannt werden kann. Dieſer aus— 
gezeichnete böhmiſche Edelmann, Herr auf Zasmuk und 
Chotenic, ſchrieb fein bedeutendſtes Werk im J. 1374, 
lebte aber noch bis zu Ende des XIV Jahrhunderts. 232 
Er beſaß nicht nur alle wiſſenſchaftliche Bildung, die ſein 
Zeitalter gewähren konnte, ſondern auch die Gabe, ſie in 
anziehender, klarer und kerniger Sprache dem Volke mit— 
zutheilen. In allen feinen umfangreichen Schriften?“ 
herrſcht die religibſe Tendenz vor; doch hinderte ihn dieſes 
nicht, eine Menge gelehrter und populär -philoſophiſcher 
Fragen gelegentlich zu erörtern,?“ und er ließ ſich in Dies 
ſem Geſchäfte auch durch den häufig ausgeſprochenen Un— 
muth der Schulgelehrten, die da glaubten, daß ſolche Un— 


231) Siehe Cochlaei historia Hussitarum pag. 18. 153. Stephan i 
prioris Dolanens. epistola ad Hussitas in B. Pez thesauro anec- 
dot. tomo IV, parte II, pag. 519 —526. 536 sq. 

232) Im Jahre 1394 wird er noch urkundlich genannt, und dürfte 
bis 1400 gelebt haben. In ſeinem letzten Werke, worin er 
die durch den böhmiſchen Herrenverein (im J. 1394 fgg.) er: 
regten Unruhen erwähnte, nannte er ſich ſelbſt einen 70jäh— 
rigen Greis. S. Rozbor literatury Ceske, 1842, S. 197. Vgl. 
auch unten Note 238. 

233) Im J. 1840 war nur erſt ein Werk von Stitny bekannt; 
jetzt (1844) kennen wir deren fünf, alle von nicht geringem 
Umfange. 

234) So ging er z. B. auch an eine umſtändliche Erörterung der 
Frage: was iſt das Schöne? ein — und löste ſie, im Sinne 
des Ariſtoteles, gar nicht ungeſchickt. über den Bau des 
Weltalls gab er, nach Ptolomäus, eine ziemlich klare Vorſtel— 
lung u. dgl. m. 


188 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— terſuchungen nicht vor das Volk gehörten, nicht ſtören. “““ 
Seine bewundernswerthe Meiſterſchaft in Handhabung aller 
der reichen Formen der böhmiſchen Sprache geſtaltete die 
ſelbe bald zu einem brauchbaren Organ für noch ſo gelehrte 
Erörterungen; ſo wie auch das böhmifche Volk, das feine 
Werke mit Beifall und Nutzen las, s ſich durch ihn ge 
wöhnte, ſelbſt einem längeren Gange abftracter Gedanken 
zu folgen. Darum durfte auch fein Einfluß auf die nach— 
malige Geſtaltung der Dinge hier nicht mit r 
übergangen werden. 

Das bereits erwähnte Geſetz, nach welchem Collegien— 
Hefte aller bekannten Pariſer und Orforder Profeſſoren 
auch an der Prager Univerſität, ſelbſt von bloßen Bacca— 
laren, frei vorgetragen werden durften, 37 erklärt es, wie 


235) Man vergleiche die von uns im Casopis desk. Museum 1838, 
Heft I. S. 5 aus Stitny's erſtem Werke (Mrawnä nauceni) 
gegebenen Auszüge, wie auch Dobrowſfky's Geſchichte der 
böhmiſchen Sprache und älteren Literatur (1818), Seite 140 
19. 171, 19% 

236) Obgleich vor Erfindung der Buchdruckerkunſt jede Verbreitung 
von Büchern ſchwieriger war, ſo ſpricht doch die häufige Nen— 
nung des Buchbindergewerbes in den gleichzeitigen Prager 
Stadtbüchern für einen lebhaften Bücherverkehr im damaligen 
Böhmen. 


237) Das Geſetz der philoſophiſchen Facultät vom 20 April 1307 
lautet: »Quivis magistrorum poterit super quolibet libro de 
facultate artium propria dicta dare, per se vel per alium ido- 
neum pronuntiando; poterit quoque scripta aliorum et dicta 
per se aut per alium pronuntiare, dummodo sint ab aliquo 
vel aliquibus famoso vel famosis de universitate Pragensi, Pa- 
risiensi vel Oxoniensi magistro vel magistris compilata, et 
dummodo ista antea fideliter correxerit, et pronuntiatorem as- 
sumserit idoneum et valentem. Baccalarii super libros Ari- 
stotelis et alios libros difficiles propria dicta dare vel pronun- 
tiare non debebunt, dicta tamen alıorum magistrorum de ista 


universitate vel aliorum de univeisitatibus, Parisiensi scilicet 


Johann von Wiklef in England. 189 


einzelne Werke des feiner Zeit ſehr berühmten Profeſſors in —— 
Oxford, Johann von Wiklef (eigentlich Wyeliffe), 
ſchon bei ſeinen Lebzeiten nach Prag gelangten; zumal ſeit 
der Vermählung der böhmiſchen Prinzeſſin Anna mit dem 
Könige von England (1381) der Verkehr zwiſchen Böh— 
men und England lebhafter als je zuvor geworden war. 
Wiklef war in England eben ſo, wie Konrad Waldhauſer 
und Milie in Böhmen, zuerſt mit den Bettelmönchen in 
Streit gerathen (1360); als aber König Eduard III im 
J. 1366 die Zahlung des ſogenannten Peterszinſes an den 
Papſt einſtellte, und noch andere Einſchränkungen der rö— 
miſchen Curie in ſeinem Lande vornahm, wagte es Willef, 
auch dieſe Maßregeln in gelehrter Schrift zu rechtfertigen, 
und wurde ſchon dadurch auf einen Standpunct geführt, 
den K. Karls IV Pietät einem Prager Magiſter niemals 
geſtattet haben würde. Im J. 1377 verhängte Gregor XI 
eine gleiche Unterſuchung gegen den kühnen engliſchen Re— 
formator, wie drei Jahre früher gegen Milié; bei der 
Gunſt der engliſchen Großen aber, insbeſondere des da— 
maligen Regenten, Herzogs von Lancaſter, ging dieſelbe 
für ihn unſchädlich vorüber. Nach dem Ausbruch des großen 
Schisma (1378) trat er noch kühner auf; er überſetzte 
(1380 fg.) die Bibel ins Engliſche, und fing ſeit 1381 an, 
auch das Dogmenſyſtem der Kirche anzugreifen, indem er 
zuerſt die Lehre von der Transſubſtantiation beſtritt. Darin 
unterſchied er ſich von den bisherigen Reformatoren in 
Böhmen, deren Verſuche ſich nicht über Fragen der Kirchen— 
verfaſſung und Disciplin hinaus erſtreckt hatten. Wiklefs 
neue Lehre fand viele Freunde in den höheren Ständen, 
aber auch den entſchiedenſten Widerſpruch; auf einem zu 


vel Oxoniensi, famosorum dare poterunt, non quidem per 
alios, sed per semet ipsos pronuntiando, dummodo tamen de- 
canum, qui pro tempore fuerit, praerequirant etc. Monu- 


menta histor. Universü. Prag. (1830) Tom. I. pag. 41 et 50. 


190 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— London im J. 1382 gehaltenen Concil wurden von 13 
Biſchöfen und 30 Magiſtern der Theologie, unter Vorſitz 
des Erzbiſchofs von Canterbury, ſchon 24 Lehrſätze Wiklefs 
als ketzeriſch, oder doch als irrig, verdammt. Er ſelbſt 
mußte die Lehrkanzel in Oxford verlaſſen und ſich in feine 
Pfarrei zu Lutterworth zurückziehen, wo er fortan unan— 
gefochten blieb, und ſeine Lehre in einer Reihe von Schrif— 
ten bis zu feinem am 31 Dec. 1384 erfolgten Tode zu 
erklären und zu behaupten fortfuhr. 

Mehre Bücher Wiklefs wurden in Böhmen, wie ge— 
ſagt, ſchon vor dem Jahre 1385 bekannt, und brachten 
nach und nach eine nicht geringe Aufregung unter den Ma— 
giſtern der Prager Univerſität hervor. Es muß in der 
That ſchon vor Ausgang des XIV Jahrhunderts viel über 
Wiklef'ſche Sätze in Prag disputirt worden ſein, da auch 
Stitny in ſeinem letzten Werke von ihnen zu reden Anlaß 
fand; 2's man erkennt ſie an der vielfach verhandelten Frage 
von der Transſubſtantiation. Die vorzüglichſten Prager 
Gelehrten, welche ſich frühzeitig für Wiklefs Bücher inter— 
eſſirten, waren: unter den älteren, M. Niclas von Leito— 
mysl, M. Stanislaus von Znaim, M. Stephan von Paleé 
und der Aſtronom M. Chriſtann von Prachatic; ? unter 
den jüngeren, vorzüglich die Magiſter Johann Hus von 
Huſinec und Hieronymus von Prag. 

M. Johann Hus war in dem, damals theils zur 
königlichen Burg Hus, theils unmittelbar zur königlichen 


238) » Aj, jiz mi jde l&to sedmdesäte, a w3ak jesté su mmü nckteri 
mistti pohnuli, tak ze neumelbych za jisto powedieti, jestli w 
te swätosti jest® chleb, pod nimzby bylo take t&lo bozie, eili 
tu jiz zhyne chleb« etc. Vgl. Rozbor starodesk& literatury. 
I, 1842, pag. 197. Dagegen müſſen wir bemerken, daß in 
Janows großem Werke keine Spur von Wiklef'ſchem Einfluß 
wahrzunehmen iſt. 

239) Den Nic. von Leitomysl, Magiſter ſeit 1378, Rector der 
Univerſität im Jahre 1391, nennt Hus ſelbſt einen consiliarius 


Johann von Wiklef. M. Johann Hus. 191 


Kammer gehörigen Markte Huſinec““ im Prachiner Kreiſe —— 
im J. 1369 von gemeinen, jedoch verhältnißmäßig wohl— 
habenden Altern geboren. Er ſtudirte in Prag, und wurde 
daſelbſt im September 1393 Baccalar der freien Künſte, 
1394 Baccalar der Theologie, endlich 1396, im Januar, 
Magiſter der freien Künſte. In der Reihe der mit ihm 
zugleich Graduirten erſcheint er jedesmal in der Mitte; 
dürfte daher unter ſeinen Collegen in der Schule als ein 
nicht beſonders ausgezeichneter Kopf angeſehen worden ſein. 
Doch trat er ſchon 1398 als öffentlicher Lehrer an der 
Univerfität auf, und gerieth 1399, bei einer in der Pfarrei 
zu St. Michael auf der Altſtadt abgehaltenen Disputation, 
zum erſten Mal in einen offenen Streit mit ſeinen Col— 
legen dadurch, daß er einige Wiklef'ſche Lehrſätze verthei— 


perspicacissimus; er ſtarb zwiſchen 1403 und 1408. Stanislaus 
von Znaim, Magiſter 1388, + 1414; Steph. Palec, Mag. 
1391, 7 nach 1421; Chriſtann von Prachatic, ſeit 1390 Ma: 
giſter, lebte bis 1439, und es wird von den letzten dreien 
noch oft die Rede ſein. 
240) Schon als König Johann im J. 1341 den Herren von Jano— 
wic, als Pfandbeſitzern der königl. Burg Winterberg, die 
Erbauung einer neuen Burg, Namens Hus (Gans, Auca), 
in den Winterberger Wäldern geſtattete, behielt er der Krone 
das Obereigenthum derſelben vor. Daß zu dieſer Burg, außer 
23 Dörfern, auch die Hälfte des Marktes Hufinec Omedietas 
oppidi Husinec, quia alia medietas est libera«) und der ganze 
Markt Zablat gehörte, lernen wir aus den noch im Original 
vorhandenen Quaternen der königl. Lehntafel jener Zeit (Nr. 
XXII, fol. 119). Es gab alſo keinen beſonderen Grundherrn 
in Böhmen, deſſen geborener Unterthan oder gar Leibeigener ) 
M. Hus geweſen wäre. Jener königliche Günſtling Nikolaus 
von den Jahren 1419 und 1420, welchem man dieſe Ehre ge— 
wöhnlich zueignet, war nur ein auf Lebenszeit ernannter könig— 
licher Burggraf auf Hus, kein Erbherr auf Hufinecz fein Fa— 
milienname hieß »von Pieſtna.« (S. unten.) 


192 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


—— digte. Gleichwohl wurde er ſchon am 15 Oct. 1401 
zu dem wichtigen Amte eines Decans der philoſophiſchen 
Facultät gewählt,?“ und als ſolcher von dem königlichen 
Günſtling, dem aus Pardubice gebürtigen Prager Bürger 
Johann von Milheim, der 1391 die Bethlehemscapelle in 
der Altſtadt Prag erbaut hatte, zum Predigeramte an 
dieſer Capelle präſentirt. Der erzbiſchöfliche Generalvicar 
ertheilte ihm am 14 März 1402 den Inveſtiturbrief dar— 
über. *3 Schon im October darauf erlangte er auch die 
höchſte akademiſche Würde, die eines Rectors der Prager 
Univerſität, die er bis zu Ende Aprils 1403 begleitete, *+ 

Mag. Hieronymus von Prag gehörte, feiner Ge— 
burt nach, einer in Prag wohnenden Familie von niederem 
Adel an.““ Er war um einige Jahre jünger, als Johann 


241) Nach den »Depositiones testium contra M. Joh. Hus, mit 
der Verantwortung des Letzteren. 

242) Monumenta histor. universit. Prag. I, 286 sq. 368. 

243) Pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, II, Nr. 189. S. 95. 

244) Monum. Histor. universit. Prag. vol. III, pag. 400. 

245) Die von Pelzel (Lebensgeſch. K. Wenzels, I, 571) über feine 
Abſtammung gegebenen Details halten nicht Stich, da fie ver— 
ſchiedene Perſonen verwechſeln. M. Hieronymus von Wojkowic 
war von dem in Rede ſtehenden gie von Prag ſchon 
deshalb ganz verſchieden, weil er im J. 1418 und ſpäter noch 
am Leben war. Der Name „Faulfiſche wird unſerm Hie— 
ronymus auch in keinem gleichzeitigen Documente beigelegt; 
er iſt ihm erſt in ſpäterer Zeit durch Verwechslung mit dem 
minder bekannten Nikolaus Faulfiſch (von Budweis?) 
zugeſchrieben worden. Über Letzteren gibt Peter von Mlade— 
nowic, bei Huſſens Verhör am 8 Juni 1415 zu Conſtanz, 
folgende Nachricht: »Illam literam cum sigillo universitatis 
Oxoniensis duo studentes Pragam attulerunt. Tune Anglici 
requisiverunt eum (M. J. Hus), ut nominet illos studentes, 
quia dixerunt, illam literam fuisse falsificatam et non debite 
emanasse. Et M. Hus, ostendens super Palecz, dixit: »Ille 


amicus meus novit bonae memoriae Nicolaum Faulfiss, qui 


M. Johann Hus und Hieronymus von Prag. 193 


Hus, an welchen er ſchon in früher Jugend mit inniger —— 
Freundſchaft ſich anſchloß. Von der Natur nicht minder 
begabt, als Dieſer, und eben ſo ſcharfſinnig und beredt, 
unterſchied er ſich von dieſem ernſten und eiſenfeſten Cha— 
rakter durch größere Lebhaftigkeit des Geiſtes und eine ge— 
wiſſe, auch äußere, Unſtätigkeit. Denn während Hus nicht 
aus Prag und Böhmen herauskam, ſchienen dem feurigen 
Hieronymus alle Länder Europa's nicht genügend, ſeinen 
Wiſſensdurſt zu ſtillen. Schon als Student?“ zog er nach 
Oxford in England, und brachte von der dortigen Univer— 
ſität mehre in Prag noch unbekannte, meiſt theologiſche 
Werke Wiklefs zurück. Im Sept. 1398 wurde er Bacca— 
lar der freien Künſte, und erhielt, fünf Monate ſpäter, 
durch Verwendung ſeines Freundes, die zweijährige Dis— 
pens von der Prager Univerſität.““ Dann zog er wieder 
ins Ausland, an die deutſchen Univerſitäten Cöln und 


illas literas apportavit cum alio, quem non scio, quis fuerit,« 
Et interrogarunt eum Anglici, ubi esset ille® Et Magister 
dixit: » mortuus est alicubi, credo inter Hispaniam et Ang- 
liam;« et deriserunt eum. Et Palecz dixit: » Ah! ille Faulfiss 
non fuit Anglicus, sed Boemus; et ecce, Revmi patres! ille 

idem Faulfiss portavit unam petiam lapidis de sepulero ipsius 
Wiklef, quam postea Pragae pro reliquiis venerabantur et ha- 
bebant, Et horum omnium iste Hus conscius erat.« Damit 
ſtimmen die Angaben des Aeneas Sylvius über Faulfiſch voll: 
kommen überein: vir quidam genere nobilis, ex domo quam 
»Putridi piscis« vocant, apud Oxoniam Angliae civitatem 
literis studens etc. (cap. 35). Offenbar meinte Aeneas Sylvius 
hier den Niklas Faulfiſch, den er noch keineswegs mit Hiero— 
nymus verwechſelte; Letzteres thaten erſt feine Leſer, die den 
Faulfiſch und Hieronymus für eine Perſon hielten. 

246) Bei Von der Hardt, IV, pag. 635, bekannte er ſelbſt: Profiteor, 
quod cum eram adolescens, habens ardorem discendi, perveni 
in Angliam etc. 

247) Nämlich von der Nothwendigkeit, ſich zwei Jahre lang dem 
Schulunterrichte zu widmen. Monum. hist. universit. Prag. J, 338. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 13 


1403 


194 VI Buch, 3 Cavpitel. K. Wenzel IV. 


Heidelberg, endlich nach Paris, an deſſen weltberühmter 
Hochſchule er auch den Grad eines Magiſters erlangte, 
der ihm in Prag erſt viel ſpäter zugeſtanden wurde.“ 
Doch auch damit nicht zufrieden, hatte er ſchon 1403 Rei— 
fen bis nach Paläſtina und Jeruſalem unternommen,?“ 
und beſuchte ſpäter noch andere Länder, bald den Ritter 
und Hofmann, bald den Gelehrten ſpielend, und wegen 
ſeiner Vorliebe für Wiklef faſt allenthalben Anſtoß er— 
regend, wie wir dies unten noch näher nachweiſen werden. 

Dies waren die zwei hervorragendſten Charaktere, 
welche die ſeit lange vielfach in Böhmen geſtreuten Keime 
von Unzufriedenheit mit den damaligen kirchlichen Zuſtän— 
den in ſich aufnahmen, und mit ſelbſtändiger Geiſteskraft 
zur weiteren Entwickelung brachten. Um ſte herum ſchaar— 
ten ſich noch viele Männer von nicht geringer Bedeutung, 
wie M. Jacobellus von Mies, M. Johann von Sefenic, 
M. Prokop von Pilſen und andere, auf deren Wirkſamkeit 
wir ſpäter noch zurückkommen werden. 

Der Prager Erzbiſchof Wolfram von Sfworec war 
am 2 Mai 1402 geſtorben. Da K. Wenzel ſich damals 
als Gefangener in der Gewalt ſeines Bruders befand, ſo 
erhielt der einſt von ihm gemarterte Nicolaus Puchnik von 
K. Sigmund die Ernennung zu dieſer hohen Würde; aber 
auch er ſtarb (19 Sept. 1402), noch bevor ihm die päpft- 
liche Confirmation zugekommen war. Nun wollte Sig— 
mund den ihm ſehr anhänglichen Biſchof von Leitomysl, 
Johann den Eiſernen, an ſeine Stelle befördern; da er 
inzwiſchen aber mit Papſt Bonifaz N gänzlich zerfiel, ſo 


248) Monum. hist. universit. Prag. I, 391 ad ann. 1407: Hieronymus 
de Praga, magister Parisiensis, hie assumtus. 

249) In feinem Verhör (bei v. d. Hardt, IV, 643) ſagte er ſelbſt: 
»Cum condemnatio facta fuit articulorum (Wicleff), tune Hie- 
rosolymis eram.« 


Erſte Verdammung Wiklef'ſcher Lehrſätze in Prag. 195 


blieb das Prager Erzbisthum unbeſetzt, ' bis gegen Ende 1403 
des Jahres 1403 der Melniker Propſt, Zbynef Zajic von 
Haſenburg, aus der böhmiſchen Herrenfamilie dieſes Na— 
mens, auf den erzbiſchöflichen Stuhl gelangte. 

Wolframs Schwäche und die lange Sedisvacanz nach 
ſeinem Tode verſchafften der Verbreitung Wiklef'ſcher Leh— 
ren an der Prager Univerſität um ſo freieren Spielraum, 
als zwei der eifrigſten Beförderer derſelben, Nicolaus von 
Leitomysl und Johann Hus, in den Jahren 1401 — 1403 
eine Zeit lang die beiden wichtigſten Amter an der Uni— 
verfität, der eine als Vicekanzler, der andere zuerſt als 
Decan der philoſophiſchen Facultät, dann als Rector des 
Geſammtkörpers, begleiteten. r Beide gehörten der böh⸗ 
miſchen Nation an. Als daher ihre Amter ordnungsmäßig 
auf andere Nationen übergingen, bildete ſich um ſo leich— 
ter eine Reaction gegen ſie, welche zugleich eine nationale 
Färbung annahm. Man zog die Acten des Londoner Con— 
cils vom J. 1382 hervor; zu den 24 dort ſchon verdamm— 
ten Lehrſätzen ſchöpfte der Prager Magiſter Johann Hüb— 
ner, ein Schleſier von Geburt, noch andere 21 aus Wik— 
lefs Werken, und legte ſie dem Prager Domcapitel vor. 
Auf ein von den beiden Domherren, Johann Kbel, dama— 
ligem Official des Erzbisthums, und Wenzel, Archidiacon 
von Bechin, im Namen ihres Capitels geſtelltes Verlangen, 
berief Huſſens Nachfolger im Rectorat, M. Walther Har— 
raſſer von der bayriſchen Nation, die ganze Univerſität am 


250) Noch am 9 Aug. 1403 ſchreibt ſich »Johannes episcopus Lu- 
tomysslensis, postulatus archiepiscopus Pragensis,« und am 
3 Sept. 1403 heißen noch Johannes de Smilkow praepositus 
Omnium Sanctorum, Wenceslaus de Radeez decanus S. Apol- 
linaris et Wenceslaus praepositus Misnensis, administratores 
archiepiscopatus Pragensis sede vacante. Am 7 Oct. 1403 
wird aber ſchon D. Zbynko archiepiscopus electus genannt. 

251) Monumenta histor, universit, Prag. I, 368 sq. III. 400, 


13 * 


1403 
28 Mai 


196 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


28 Mai 1403 nach Mittag in das Karolin-Gebaͤude, um 
hinſichtlich der 45 Wiklef'ſchen Artikel einen allgemeinen 
Beſchluß faſſen zu laſſen. Als er aber, in Gegenwart der 
beiden Domherren als Kläger, jene 45 Artikel vorleſen 
ließ, ſuchten Wiklefs Freunde nicht ſowohl ihre Wahrheit 
zu behaupten, als vielmehr zu beweiſen, daß ſie, in der 
ihnen gegebenen Faſſung, keineswegs Wiklefs Lehrſätze ſeien. 
Nicolaus von Leitomysl ereiferte ſich ſehr gegen Hübner, 
der es gewagt habe, Wiklef ganz unrichtige und falſche 
Sätze zu unterſchieben; und Hus, der an zwei kurz vor— 
her in Prag wegen Safranverfälſchung zum Tode ver— 
urtheilte und verbrannte Perſonen erinnerte, fragte die 
Verſammlung, ob Lehrverfälſcher nicht ſtrafbarer ſeien, als 
Verfälſcher von Safran 2 * Nur Stanislaus von Znaim 
vertheidigte die 45 Artikel in einer für viele Zuhörer ſo 
anſtößigen Weiſe, daß einige ältere Magiſter die Sitzung 
verließen, um ihn nur nicht anhören zu müſſen. 3 Die 
Mehrzahl der Magiſter ließ ſich jedoch durch dieſe Ein— 
wendungen nicht beirren, und ſo kam, nach längerem Streit, 
durch Stimmenmehrheit (secundum pluralitatem vocum) 
der Beſchluß zu Stande, daß kein Mitglied der Univerſität 
irgend einen jener 45 Artikel öffentlich oder insgeheim leh— 


252) Wir berichten dies nach Huſſens eigener Erzählung in ſeinen 
Bemerkungen zu den bereits genannten Depositiones testium, 
»Non sunt (ſagt er) illi 45 articuli omnes ipsius Wiclef, quos 
tenuisset, sed conficti sunt per M. Johannem Hubner... Con- 
fiteor, me dixisse, quod ad bonum sensum multi articuli sunt veri, 
quando vellent homines pie examinare... Sed nee dico, quod 
omnes sunt veri, quia Hubneri articuli aliquot sunt falsi. — 
Bekanntlich hat auch Wiklef ſelbſt geklagt, das Londoner Concil 
1382 habe ihm Artikel angedichtet, die er nicht für die ſeinigen 
erkenne. 

253) Opp- Huss. tom. I, pag. 331» : Propter ejus argumentum se- 
niores doctores de congregatione exiverant, tolerare illud non 


valentes. 


Erſte Verdammung Wiklef'ſcher Lehrſätze in Prag. 197 


ren und verbreiten dürfe, wofern es den der Univerſität 1403 
eidlich angelobten Gehorſam bewahren und nicht als eid— 
brüchig behandelt werden wolle.?“ 

Es war dies, wie wir ſchon oben bemerkten, der erſte 
große öffentliche Act, der das Daſein eines tief greifenden 
Zwieſpalts in den Anſichten der Zeitgenoſſen über chriſt— 
liche Kirche und Lehre conſtatirte und zugleich zu heben 
befliſſen war. Diejenigen aber, welche ſich etwa der Hoff— 
nung hingaben, daß dieſes ſtrenge Verbot einer an ſich 
noch wenig verbreiteten Lehre ſich wirkſam erweiſen werde, 
täuſchten ſich gar ſehr; ſie ahnten nicht, daß eben dies 
Verbot erſt den rechten Anfang eines Streites bildete, der 
da kam, ſie aus ihrer bequemen Ruhe zu reißen, und deſſen 
Ende fie alle nicht erleben ſollten! s Denn das Übel, 
das die Wiklef'ſchen Lehrſätze, als einzelnes Krankheits— 
ſymptom, hervorbrachte und ihnen Eingang verſchaffte, lag 
tiefer und war im ganzen Körper der Kirche weiter ver— 
breitet, als daß es ſich durch eine noch ſo kräftige ſympto— 
matiſche Cur hätte heilen laſſen. 

Es iſt wahr, für den Augenblick hatte das Verbot 
doch einige Wirkung. Wenn bis dahin M. Hus, gleich 
ſeinem ehemaligen Lehrer, M. Stanislaus von Znaim, in 


254) Das öffentliche Notariats-Inſtrument über dieſen Act findet 
ſich in mehren alten Handſchriften; eine kurze Nachricht ſteht 
auch bei Von der Hardt, IV, p. 652. Um ſo auffallender iſt 
es, daß noch kein Hiſtoriker von dieſem wichtigen Vorfall 
Kenntniß genommen hat; ſelbſt der fleißige Cochläus (b. I, 
pag. 8 — 11) verwechſelt die erſte Verdammung von 1403 mit 
der zweiten von 1408 (ſ. unten). 

255) Auch das Chronicon universitatis Pragensis ſagt: Anno dom. 
1403 incepit notabilis dissensio in clero regni Bohemiae, ma- 
gistris, sacerdotibus et praelatis, propter quosdam articulos 
ex Johannis Wicleff doctoris Anglici libris non bene extra- 
ctos — und erzählt dann kurz den Hergang im Karolingebäude 
am 28 Mai 1403. 


198 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1403 der Lehre von der Transſubſtantiation mit ſich ſelbſt, wie 
es ſcheint, nicht ganz einig geweſen war, und ſich daher 
wenigſtens ſchwankend erwieſen hatte, “ fo entſchied er 
ſich ſeitdem zu beſtimmter Verwerfung und Verläugnung 
der Lehre Wiklefs in dieſem Puncte, gleichwie er von jeher 
denjenigen Satz verworfen hatte, dem zufolge die Sa— 
cramente, durch die Hand eines mit einer Todſünde be— 
hafteten Prieſters verabreicht, ihre heiligende Kraft ver- 
loren haben ſollten. “? Es gab aber in den Werken Wik— 
lefs noch andere Lehrſätze, die wohl in den Herzen vieler 
Zeitgenoſſen Anklang finden mußten; es waren diejenigen, 
in welchen er auf Abſtellung der in die Kirchenverwaltung 
eingeſchlichenen Mißbräuche drang, folglich mit den oben 
genannten böhmiſchen Reformatoren übereinſtimmte. In 


256) Es iſt wohl bezeichnend, daß in den Depositiones testium alle 
Angaben über Huſſens nicht orthodoxe Außerungen hinſichtlich 
der Transſubſtantiationslehre in die Zeit vor 1403 zurückgehen. 
über M. Stanislaus von Znaim ſchreibt Hus ſelbſt an ſeinen 
Freund M. Chriſtann von Prachatic: Stanislaus tenuit et in 
scripto sententialiter scripsit de remanentia panis; et a me 
quaesivit, antequam disturbium incepit, si vellem idem secum 
tenere. Ecce postea juravit et abjuravit; et post duos annos 
(1405), quando Stiekna venit cum suo tractatu, postquam 
timuit archiepiscopum, nesciens subterfugere, dixit per jura- 
mentum, quod tractatum illum non perfecit ete. 

257) Gegen Johann Protiwa, den Pfarrer bei St. Clemens auf 
dem Poric, der Hus eines ſolchen Irrſatzes zuerſt beſchuldigt 
hatte, erwiederte dieſer: Scit omnis populus fidelis, qui visi- 
tavit sermones meos ab initio praedicationis meae, quod prae- 
dicavi oppositum, dicens, quod tam malus quam bonus sa- 
cerdos conficit digne. — Et istud mendacium Protiwae possunt 
comperire illi, qui habent sermones meos de primo anno prae- 
dicationis meae, in quibus scripsi ista verba b. Augustini: 
intra katholicam ecclesiam mysterium corporis et sanguinis Do- 
mini nihil a bono majus, nihil a malo minus perheitur sacer- 


dote etc. 


Oppoſition gegen Bonifaz IX und die Kirche. 199 


Hinſicht dieſer erwies ſich das Verbot als eine unwirkſame 
Maßregel; denn es lenkte die Aufmerkſamkeit noch mehr 
auf jene Werke hin, und verſchaffte ihnen einen ſtets wach— 
ſenden Umlauf. 

In dieſe Gährung der Gemüther warf das von uns 
ſchon erzählte, von K. Sigmund an ſeine Statthalter in 
Böhmen am 9 Auguſt 1403 erlaſſene Verbot des Gehor— 
ſams gegen Papſt Bonifaz IX einen neuen und mächtigen 
Zündſtoff. Wenn auch die geiſtlichen Behörden ſich wenig 
beeilt haben dürften, einen den Kirchengeſetzen ſo wider— 
ſprechenden Befehl bekannt zu machen, ſo fehlte es doch 
gewiß nicht an Organen, die das königliche Decret im Lande 
verbreiteten und ihm in Wort und That Nachdruck zu ver— 
ſchaffen ſuchten. Die ſeit lange vielfach geweckte Mißſtim— 
mung und Unzufriedenheit mit den kirchlichen Zuſtänden 
erhielt dadurch eine beſtimmtere Richtung, indem ſie ſich 
zu einer Oppoſition gegen das Haupt der Kirche geſtal— 
tete; dieſe zu wecken, vereinigten ſich Sigmunds Befehle 
mit den kühnen Lehren Wiklefs; daß eine Oppoſition gegen 
das Haupt bald auch zu einer Oppoſition gegen den ganz 
zen Körper führen könne, ließ der nie tief denkende Sig— 
mund ſich nicht einfallen. Will man aber gerecht ſein, ſo 
muß man zugeben, daß Bonifaz IX nicht allein den Kö— 
nigen Sigmund und Wenzel, ſondern allen Gutgeſinnten 
in der Chriſtenheit viel Grund und Anlaß zum Mißver— 
gnügen und zu Klagen gegeben hat. Sein von uns be— 
reits erzähltes Benehmen gegen die Häupter des Luxen— 
burgiſchen Hauſes hätte ſich durch politiſche Rückſichten und 
Verhältniſſe, in welche er als weltlicher Fürſt verwickelt 
war, vielleicht noch entſchuldigen laſſen; nicht durchaus fo 
ſein Verfahren in kirchlichen Angelegenheiten. Es iſt be— 
kannt, wie er oft gerügte Mißbräuche, — in deren Schil— 
derung wir hier nicht eingehen können, — abzuſtellen un— 
terließ. — 


1403 


9 Aug. 


1403 


1404 


200 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


Als nun König Wenzel von ſeiner Wiener Gefangen— 
ſchaft nach Böhmen zurückkehrte, fand er die Lage der 
Dinge und die Stimmung der Gemüther, trotz der nur 
anderthalbjährigen Dauer ſeiner Abweſenheit, merklich ge— 
ändert. Die nicht ohne Rechtsgründe vielfach beſtrittene 
Gewaltherrſchaft Sigmunds und ſeiner Statthalter hatte 
zu Ungehorſam und zu Fehden ohne Zahl Anlaß gegeben, 
und dadurch faſt einen Zuſtand von Anarchie herbeigeführt, 
in welcher viel krieg- und raubluſtiges Volk, Edle und 
Unedle, zu einer wahren Landplage nicht bloß für Böhmen 
und Mähren, ſondern auch für die Nachbarländer, aus— 
arteten. Nun nahmen zwar die Böhmen ihren alten König 
mit Freuden wieder auf, und leiſteten, bis auf wenige Aus— 
nahmen, ihm willig die neue Huldigung; ſie hatten an dem 
ſchweren Steuerndruck, dem ſie unter Sigmund ausgeſetzt 
waren, eben erſt die Erfahrung gemacht, welch' ein mil— 
derer Herrſcher ihnen Wenzel von jeher geweſen. Auch 
ſammelten ſich die früheren Günſtlinge (milei) wieder um 
ihren königlichen Herrn, deſſen Regierung, nach Auflöſung 
der Statthalterei Sigmunds, bald ihren gewohnten Gang 
wieder nahm: aber in das Volksleben war auch bereits 
ein neues Element gedrungen, das fortan die öffentliche 
Aufmerkſamkeit in erſter Linie auf ſich zog und mit jedem 
Jahre an Stärke gewann. Der König war weit entfernt, 
die Bedeutung desſelben zu erkennen oder zu würdigen. 
Nicht ahnend, daß ſich aus ihm Ereigniſſe entwickelten, 
welche ihm ſelbſt im günſtigſten Falle nur die Rolle des 
Zuſchauers ließen, geſtattete er ihm um ſo leichter ſeinen 
freien Lauf, je mehr er, von Bonifaz IX aufs empfind— 
lichſte gekränkt, mit der öffentlichen Meinung gegen ihn 
ſelbſt ſympathiſirte. 

Es iſt übrigens nicht zu verkennen, daß die Schule 
des Unglücks, in welche Wenzel zuletzt durch eigene Schuld 
gerathen war, einen heilſamen tiefen Eindruck auf ſein 


K. Wenzels neue Regierung. 201 


Gemüth gemacht, und feinen Geiſt zu etwas mehr Selb- 1404 
ſtändigkeit, Umſicht und Thätigkeit gehoben hat. Auf den 
Thron zurückgelangt, ließ er ſich fortan weniger von An— 
deren beherrſchen, und zeigte ſich weder ſo rathlos, noch 
ſo eigenſinnig mehr, wie vormals; er hatte auch offenbar an 
der erſten und nothwendigſten Gabe eines Herrſchers, an 
Menſchenkenntniß, viel gewonnen. Wir ſehen ihn ſeitdem 
mit größerem Bedacht die Zügel der Regierung in eigener 
Hand führen; und wenn er gleich nichts übereilt, ſo läßt 
er doch, wo es Noth ſ thut, an gehörigem Nachdruck es auch 
nicht fehlen. Hätte er ſich von jeher ſo benommen, wie 
viele Demüthigungen wären ihm, wie viele Drangſale dem 
Lande erſpart worden! 

Seine erſte Sorge ging dahin, alle ER der Herr- 
ſchaft ſeines Bruders in Böhmen zu vertilgen, und in Vor— 
ausſicht der mit ihm zu führenden Kriege, ſich durch Bünd— 
niſſe zu ſtärken. Zuerſt rief er ſeinen Vetter, den Markgrafen 
Joſt, von Berlin herbei; er durfte ihm jetzt vertrauen, da auch 
Joſt nicht minder entſchieden mit Sigmund gebrochen hatte; 
auch Markgraf Prokop kam und trat der Einigung bei. Die 
oberſten Landesämter wurden mit fähigen und treuen Män— 
nern beſetzt: an der Stelle des Herrn Heinrich von Roſenberg, 
der fortan nimmermehr bei Hofe erſcheinen durfte, wurde Herr 
Johann Krusina von Lichtenburg Oberſter Burggraf des Kö— 
nigreichs und Oberſtlandhofmeiſter zugleich; ?“ das oberſte 
Landkämmerer-Amt erhielt Herr Ales Skopek von Duba 
auf Drazic, des einſt vorzugsweiſe beliebten Herrn Hein— 
richs (T 1395) Sohn. Das wichtige Oberſtkanzleramt be— 


258) Eine Vermuthung können wir jedoch hier nicht zurückhalten. 
Da die Cumulirung des oberſten Burggrafenamtes mit dem 
Hofmeiſteramte nur bei Lebzeiten des Herrn Heinrich von Ro— 
ſenberg (T 1412) Statt fand, und nach feinem Tode wieder 
aufhörte; da die Herren Johann Krusina von Lichtenburg 
(1403-1407), Lacek von Krawar (1408-1411) und Johann 


202 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1404 gleitete nach wie vor der Patriarch von Antiochien, Wenzel 
Kralik von Burenic, derjenige faſt unbekannte Mann, dem 
Wenzel ſeine ganze lange Regierungszeit hindurch unver— 
ändert das höchſte Vertrauen ſchenkte. Oberſtlandrichter 
blieb Herr Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein; Hof— 
lehenrichter Herr Brenek Swihowſkh von Rieſenberg auf 
Skal, beide einſt Mitglieder des Herrenbundes, jetzt aber, 
gleichwie der neue Oberſtlandſchreiber, Bokek von Kunſtat 
auf Podébrad, Sigmunds erklärte Feinde. Zum Landes— 
unterkammeramte wurde, während Sigmund Huler noch in 
der Wiener Gefangenſchaft ſchmachtete, ein Prager Bürger, 
Nicolaus von Okor, aus dem Geſchlechte der Rokycanſky, 
befördert. Man bemerkt unter dieſen Beamten kaum einen 
Mann vom Ritterſtande; gleichwohl iſt an der Richtigkeit 
der von einem Zeitgenoſſen gemachten Bemerkung nicht zu 
zweifeln, daß Wenzel ſeit ſeiner zweiten Gefangenſchaft 
gegen die Barone im Allgemeinen eine noch entſchiedenere 
und unbeſiegbare Abneigung gefaßt hat. 

Als Sigmund die Entweichung ſeines Bruders aus 
Wien erfuhr, ergrimmte er ſo ſehr gegen die Herzoge von 
Oſterreich, daß nur die ſtrengſte Winterkälte ihn hindern 
konnte, ſie zur Strafe für ihre vermeinte Treuloſigkeit mit 
einem ſchweren Kriege heimzuſuchen. Es gelang ihnen 
aber, ihn von ihrer Unſchuld zu überzeugen, und ſie ver— 
banden ſich dagegen, ihm mit anſehnlicher Macht in dem— 
jenigen Kriege beizuſtehen, den er gegen ſeinen Bruder und 
ſeine Vettern erheben würde. Im Sommer 1404 rückte 
deshalb Herzog Albrecht perſönlich mit Sigmund gegen 

von Neuhaus (1412-1413) zwar wirklich das oberſtburggräf— 

liche Amt ausübten, ſich aber gewöhnlich nur königl. Oberſt— 
hofmeiſter allein zu nennen pflegten: ſo ſcheint die Oberſte 

Burggrafſchaft dem Herrn von Roſenberg von K. Wenzel 

durch eine jetzt unbekannte frühere Urkunde auf Lebenszeit ver- 

liehen worden zu ſein, obgleich er ſelbſt nach 1403 weder das 

Amt noch den Titel davon mehr führte. 


Krieg mit K. Sigmund. 203 


Mähren ins Feld; zu Anfange Juli umſchloß ein anfehn- 1404 
liches, aus Ungarn und Sſterreichern beſtehendes Heer 
das feſte Znaim, in welchem K. Wenzels und der Mark— 
grafen Diener,? Herr Hynek von Kunſtat und Jewiso— 
wic, zugenannt Suchy Cert (der dürre Teufel), und Jo— 
hann von Lamberg, zugenannt Sokol (der Falke), beide 
wegen häufiger Raubzüge in Sſterreich und Mähren be— 
rüchtigt und gefürchtet, den Befehl führten. Sechs Wochen 
lang bot man alles vergebens auf, was die damalige Be— 
lagerungskunſt vermochte, um die Stadt zu bezwingen, 
deren Bürger überdies mit der Beſatzung nicht ſympathi— 
ſirten. In kühnem Ausfall zerſtörten die Belagerten alle 
gegen ſie gerichteten Maſchinen, Mauerbrecher und Katzen, 
mit brennendem Pech und Schwefel; und die Beſchießung 
mit Kanonen blieb bei der Schwäche des damals fabri— 
cirten Pulvers unwirkſam. Der Muth der Belagerer ſank 
noch mehr, als eine ruhrartige Krankheit in ihrem Heere 
überhand nahm, von welcher auch Sigmund und Albrecht 
ergriffen worden zu ſein ſcheinen, obgleich ihre Erkrankung 
einem von den Belagerten ihnen beigebrachten Gift zuge— 
ſchrieben wurde.?“ Unter dieſen Umſtänden hob man die 


259) Vgl. Pelzel's Wenceslaus, Seite 484 (K. Wenzels Schenkun— 
gen an Joh. Sokol von Lamberg), und Wolny's Topographie 
von Mähren, Bd. III, S. 59 (in der Note). Hynek von 
Kunſtat nannte ſich in Urkunden einen Herrn auf Rabſtein 
und Hauptmann in Znaim. Pesina (im Mars Moravicus) gibt 
ganz verkehrte Angaben über dieſe Belagerung. 

260) Daß man im Ernſte an eine Vergiftung glaubte, beweiſt ſchon 
die Art, wie K. Sigmund curirt wurde. »Alſo kam ein Arzt 
von Wyenne, den ſante Im der Herzog Wilhelm von Oſterich, 
vnd der was ein grober Swop, er war aber ein guter Arzt — 
Derſelbe hing den Konig auf mit den Fuſſen, das dem Konig 
die Bruſt auff einem Kuſſe auf die Erden rurte, das werte 
wol vir und zwanzig ſtund. — Do ſprach der Arzt: ſolte die 
Gift unten ausgangen ſeyn, die Natur kunt es nit erliden ha— 
ben.« (Eberh. Windeck bei Menken p. 1087.) — Wenn man 


or 


204 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1404 Belagerung zu Ende Auguſt 1404 auf; zwei Schleuder— 


2 


maſchinen und drei Kanonen, welche man den Belagerten 
als Beute überließ, 81 beweiſen, daß der Rückzug nicht 
ganz mit Ordnung angetreten wurde. Das Heer ging 
auseinander, der Feldzug war zu Ende.“? K. Sigmund 
genas bald wieder; Herzog Albrecht ſtarb aber an der— 
ſelben Krankheit ſchon am 14 Sept. 1404. 

K. Wenzel, der gar nicht gehofft hatte, daß der Krieg 
gegen ſeinen Bruder ein ſo baldiges und glückliches Ende 
nehmen würde, war inzwiſchen nach Breslau gegangen, 
um mit K. Wladiſlaw von Polen, der mit äußerſt zahl— 


i reichem Gefolge eben dahin kam, ein Schutz- und Trutz— 


bündniß zu ſchließen. Wladiſlaw war den Böhmen von 
jeher ein friedlicher und freundlicher Nachbar geweſen. Für 
die Hilfe, die er jetzt gegen Sigmund leiſten ſollte, bot 
ihm Wenzel Beſitzungen in Schleſien an, ?% deren Annahme 


aber die Worte des Chron. Mellic. (bei Pez I, 250) » multi 
in exercitu fluxu ventris obierunt,« — mit denen des Eben— 
dorfer (ebendaſ. II, 825) »dux Albertus gravi coepit dysen- 
teria fatigari« vergleicht, jo kann man den banalen Glauben 
an Vergiftung wohl auf ſich beruhen laſſen. 

261) Stari letopisowé in Seriptt. rer. Boh. tom. III, pag. 10. 

262) Der von Sigmund während der Belagerung angeblich gegen 
Kuttenberg unternommene Streifzug beruht auf einem bloßen 
Mißverſtändniß der Quellen; denn die Nachricht des Beness 
minorita bei Dobner IV, p. 65 bezieht ſich auf Sigmund's 
Feldzug gegen Kuttenberg zu Ende des Jahres 1402 (ſ. oben), 
wie ihre Quelle in einer Wiener Handſchrift Nr. 3280, olim 
hist. prof. 1055, fol. 6 sq. es augenſcheinlich beweiſt. 

263) Daß Wenzel wirklich mit dem Gedanken umging, dem Könige 
von Polen einen Theil ſeiner Beſitzungen (wohl nur pfand— 
weiſe) zu überlaffen, erhellt aus dem Briefe an die Räthe Sig— 
munds (bei Pelzel Nr. 198, S. 103 fg.) Si ipse (Sigismundus), 
fraternae caritatis prorsus immemor, — in depopulationem no- 
stram et nostrorum per operam desudaret, ex tunc ad hoc sua 


oppressione impellente veniret, quod — compelleremur de do- 


Krieg mit K. Sigmund. 205 


jedoch die polniſchen Großen widerriethen, da ſie ſolche als 
einen Anlaß zu künftigen Zerwürfniſſen und Kriegen mit 
Böhmen betrachteten. Das Bündniß kam daher ohne Schmä— 
lerung der böhmiſchen Krone um ſo leichter zu Stande, 
als die polniſche Hilfe nach dem Rückzug der verbündeten 
Heere von Znaim unnöthig wurde. Denn zu einem An— 
griffskriege gegen Sigmund taugte Wenzels Charakter eben 
ſo wenig, wie die böhmiſche Kriegsverfaſſung. Dagegen 
ſtritt man noch lange in Schriften; und da Sigmund fort— 
fuhr, ſich einen Verweſer des Königreichs Böhmen zu ſchrei— 
ben, ſo war es von Seite Wenzels nicht ganz unangemeſ— 
ſen, wenn er ihn aufforderte, ihm, dem Herrn, auch Rech— 
nung über feine Verwaltung abzulegen.?“ Mit den Herz 
zogen von Sſterreich ſöhnte ſich dagegen Wenzel ſchon im 
Laufe des Jahres 1404 wieder aus. 

Während dieſer Vorgänge nach außen, war man nicht 
minder thätig geweſen, die lang entbehrte Ruhe auch im 
Innern Böhmens wieder herzuſtellen. Unter den raub— 
luſtigen Männern, welche die Anarchie des Landes benützt 
hatten, um mit bewaffneten Schaaren ihre Nachbarn, ſo 
wie Kaufleute auf den Straßen, zu überfallen und zu plün— 
dern, war der Ritter Nicolaus Zül von Oſtredek der mäch— 
tigſte und gefürchtetſte. Derſelbe hatte ſich mehrer Schlöſ— 
ſer an der Sazawa bemächtigt, und von ihnen herab viel 
Unheil im Lande angeſtiftet. Wenzel ſandte ein ganzes 


miniis coronae Boemiae alienare et in tantum aliorsum impen- 
dere, ubi nobis adversum ipsum amminicula provenirent, quod 
circa nostra dominia immobiles maneremus. Wenn aber Dlu— 
gos (lib. X p. 181) ſpricht: » offerens se regi et regno Poloniae 
universam terram Slesiae,« — fo muß man dies feiner gewohn— 
ten patriotifchen Übertreibung zu Gute halten. 

264) Dies geſchah bekanntlich in der von Eberhard Windek (bei 
Menken, I, p. 1078 — 1082) uns erhaltenen, oben mehrmals 
erwähnten Klageſchrift K. Wenzels gegen feinen Bruder. 


1404 


206 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1404 Heer gegen ihn unter Anführung des Prager Erzbiſchofs 


9 Juli 


Zbynek Zajic von Haſenburg; und dieſer traf ſeine An— 
ſtalten ſo gut, daß er nicht nur alle Schlöffer Zuls er— 
oberte, ſondern auch ihn ſelbſt mit fünfzig ſeiner Geſellen 
gefangen nahm und nach Prag brachte. Das oberſte Land— 
gericht verurtheilte den Raubritter zur gemeinen Räuber⸗ 
ſtrafe; er wurde ſammt allen ſeinen Genoſſen auf der Pra— 
ger Richtſtätte gehängt, und genoß nur die Auszeichnung, 
daß ſein Galgen unter allen der höchſte war. Und nicht 
minderen Eindruck, als dieſe gerechte Strenge, machte das 
ungewohnte Beiſpiel, daß der beliebte Prediger in Bethle— 
hem, M. Johann Hus, dem Verbrecher ſeinen geiſtlichen 
Beiſtand lieh, ihn bis zum Galgen begleitete, und dahin 
brachte, daß der einſt ſo wilde Mann reuevoll das um— 
ſtehende Volk bat, Gott für ihn um Vergebung ſeiner Sün— 
den anzuflehen. ?“ Auch andere minder hervorragende Sün— 
der dieſer Art erhielten in verſchiedenen Gegenden Böh— 
mens, vorzüglich durch die Thätigkeit des oberſten Burg— 
grafen Johann von Lichtenburg, die verdiente Züchtigung, 
und das oberſte Landgericht ſprach, zu Vervollſtändigung 


265) Stari letopisowe in Scriptt. rer. Boh. III, 951. Warum Pelzel 
(II, 495) Zuls Hauptſchloß Cejchanõw- Hrädek (fpäter Kostköw 
Hrädek genannt) in die Gegend von Tabor verſetzt, iſt uns 
unbekannt; wir möchten darin eher das heutige Kammerburg 
(Hradek nad Sazawau) erblicken. Das noch ungedruckte Breve 
chronicon Boh. ſagt: » An, dom. 1404, circa festum Procopii, 
D. Zbynko Prag. archiepiscopus cum civibus Pragensibus ja- 
cuerunt ante castra, videlicet Dubam et Hradek (d. i. Alt-Duba 
und Kammerburg) et ea ruperunt, Zulonemque captivaverunt 
etc.« Zuls übrige Beſitzungen (Oſtkedek, Markt Diwisow 
u. A.) lagen auch in der Nähe, und die Koſtka's ſetzten ſich 
ſeit 1440 fg. in dieſer Gegend feſt. Neben Nikolaus oder 
Mikes Zul wurde auch ein Johann Zul als Räuber hinge— 
richtet und deſſen Güter vom König eingezogen. Vgl. Archiv 
Cesky II, 365. 


Herſtellung der Ruhe im Innern. 207 


der ſtrengen Maßregeln, am 20 Dec. 1404 ſogar die 1404 


Todesſtrafe auf den Kauf jedes geraubten Gutes aus. ?% 
Und als bald hernach K. Wenzel, auf den Grund eines 
darüber gefaßten Landtagsſchluſſes, am 5 Januar 1405 für 
einen jeden der 12 Kreiſe Böhmens einen oder mehre 
Ober⸗Poprawcee beſtellte, ihnen einen erweiterten Wirkungs— 
kreis anwies und zugleich einander wechſelſeitig zu unter— 
ſtützen befahl, ſo konnte die innere Ruhe fortan als ge— 
ſichert angeſehen werden. Letztere Verordnung iſt zugleich 
als ein Beginn der nachmaligen Kreisamtsverfaſſung in 
Böhmen zu betrachten, deren Nothwendigkeit, nach der völ— 
ligen Auflöſung der ehemaligen Zupenämter, ſich bald prak— 
tiſch herausſtellen mußte. 267 

Noch bedeutſamer, als die Hinrichtung Zuͤls, war die 
Strafe, welche K. Wenzel bald darauf über einen ſeiner 
erſten und berühmteſten Günſtlinge verhängte. Der ehe— 
malige Prager Bürger Sigmund Huler hatte als Landes— 
unterkämmerer ſchon ins achtzehnte Jahr die ſämmtlichen 
königlichen Städte Böhmens unmittelbar zu Handen des 
Königs verwaltet, und auch auf alle königlichen Domainen, 
ſo wie auf ſämmtliche Kloſtergüter, inſofern ſie auch als 


266) S. Pelzels diplomatiſche Beweiſe in den Abhandlungen der 
Privatgeſellſchaft ꝛc. Band IV, Nr. XI, S. 66 fg., und Archiv 
Cesky II, 363 fg. 

267) Die Zahl der Poprawcee hatte ſich in letzter Zeit, durch könig— 
liche Privilegien, zu ſehr vermehrt, und dadurch zu gegenſei— 
tigen Hemmungen Anlaß gegeben; ihre Reduction war daher 
ein Fortſchritt. Die aus Urkunden bekannten Namen der jetzt 
ernannten Poprawei hat Pelzel (II, 506) zuſammengeſtellt, ſie 
ſind jedoch gewiß unvollſtändig, und müſſen nach dem Acten— 
ſtücke ergänzt werden, welches wir aus dem Talmberg'ſchen 
Codex in den Casopis cesk. Museum 1835, IV, ©. 446 fg. 
haben einrücken laſſen, und aus welchem die Kreiseintheilung 
in einer ſehr bedeutſamen Verbindung mit der uralten Zahl 
der 12 Landeskmeten in Böhmen erſcheint. 


1405 
5 Jan. 


1405 


23 Juni 


24 Sept. 


208 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


königliches Kammergut angeſehen wurden, entſchiedenen Ein— 
fluß gehabt. Er hatte ſich ſtets der beſonderen Gunſt ſei— 
nes Königs zu erfreuen, wurde Herr der einſt königlichen 
Burg Worlik, und theilte zuletzt Wenzels Gefangenſchaft 
in Wien, aus welcher er, gleich ſeinen übrigen Genoſſen 
erſt ein Jahr nach Wenzels Flucht erlöſt, und in ſein frü— 
heres Amt eingeſetzt wurde. Jetzt fiel er aber plötzlich 
in ſo hohe Ungnade, daß ihn K. Wenzel am 23 Juni 
1405 auf dem Prager Rathhauſe, da wo er einſt geherrſcht 
hatte, ſogar enthaupten ließ. Die Urſache wurde nirgends 
deutlich angegeben, läßt ſich aber errathen. Karl IV hatte 
einſt den Herzogen von Oppeln die Stadt Jaromir und 
die Burgen Potenſtein und Koftelec in Böhmen zu Pfande 
verſchrieben; als K. Wenzel dieſelben im J. 1389 wieder 
einlöſte, verband er ſich den Herzogen 8000 Schock Prager 
Groſchen dafür ratenweiſe zu zahlen. Die Quittungen der 
Herzoge wurden ſeiner Zeit richtig vorgewieſen; dennoch 
mahnten ſie den König um die Schuld. Wenzel ſtellte 
endlich dieſe Streitſache dem Ausſpruche des Königs von 
Polen anheim, und dieſer entſchied am 18 Juni 1405, daß 
Wenzel die Zahlung noch ſchuldig ſei. Da dieſes Ge— 
ſchäft durch die Hände des Unterkämmerers gegangen war, 
ſo läßt der Zuſammenhang der Daten keinen Zweifel übrig, 
daß Huler des Unterſchleifs und einer Fälſchung der Quit— 
tungen beſchuldigt und wohl auch überwieſen wurde.““ 
Die ſo raſche und ſtrenge Züchtigung eines vornehmen Ver— 
brechers konnte natürlich ihre Wirkung auf das Volk nicht 
verfehlen. 

Markgraf Prokop von Mähren ſtarb unvermählt, daher 
auch unbeerbt, am 24 Sept. 1405. Sein Tod muß als 
ein für die öffentliche Ruhe nur förderliches Ereigniß an— 
geſehen werden, da mit ihm die ſeit 20 Jahren nur zeit— 


208) Nähere Daten hierüber liefert Pelzel im II Bd. S. 507 fg. 


Sigmund Hulers Hinrichtung. Markgr. Prokops Tod. 209 


weilig unterbrochenen Zwiſte im königlichen Hauſe ihr Ende 
erreichten. Am 21 Dec. darauf ſchloß Wenzel mit ſeinem 
nun noch einzig übrigen Vetter Joſt einen Vertrag,“ in 
welchem er ihm alle früheren Beſitzungen Prokops auf 
Lebenszeit überließ, und dafür die Zuſicherung des treue— 
ſten Beiſtandes von ihm erhielt; eine Zuſicherung, die ſeit— 
dem unſers Wiſſens nicht mehr gebrochen worden iſt. 

Auf dieſe Weiſe im ruhigen Beſitze ?“ feines Reichs 
befeſtigt, durfte K. Wenzel endlich ſein Augenmerk wieder 
nach außen zu richten beginnen. Der Krieg mit ſeinem 
Gegner K. Ruprecht hatte an den Gränzen Böhmens ei— 
gentlich noch nicht aufgehört; er war aber von den an 
Bayern ſtoßenden Kreiſen und Städten nur vertheidigungs— 
weiſe geführt und durch einzelne Waffenſtillſtände unter— 
brochen worden. Im J. 1406 beſchloß endlich Wenzel, 
mit größerer Macht angriffsweiſe in der Sache zu Werke 
zu gehen. Er rüſtete ein Heer gegen die Bayern aus und 
ſtellte dasſelbe unter die Befehle zweier waffenkundigen 
Prälaten, des Erzbiſchofs Zbynek Zajic von Haſenburg, 
und des Chotejchauer Propſtes Sulek von Hradek. Dieſe 
brachen in Bayern ein, verheerten das Land weit und breit, 
und vergalten reichlich den Schaden, den gleiche Einfälle 


269) Eine Original-Urkunde darüber befindet ſich im herzogl. Archive 
zu Ols in Schleſien. 

270) Einzelne Fehden gab es freilich nach wie vor: ſo erhoben ſich 
die Herren Erhart der ältere und jüngere von Kunſtat gegen 
den König, und bemächtigten ſich im Februar 1406 der königl. 
Stadt Wodnian, wahrſcheinlich aus ähnlichem Grunde, wie 
Herr Johann von Wartenberg auf Ralſko, der die Stadt 
Weißwaſſer als ein Vermächtniß des Markgrafen Prokop an— 
ſprach, und als ſie ihm verweigert wurde, zu den Waffen 
griff. Beide Fehden wurden 1406 durch Vertrag beigelegt, 
und den Herren von Kunſtat trat zu eben dieſer Zeit M. Joſt 
feine Burg und Herrſchaft Bechin in Böhmen ab. Vgl. Ar- 
chiv Cesky I, 189 fg. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 14 


1405 


1406 


210 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1406 der Bayern vorher in Böhmen gemacht hatten. Eine 
Wiedereroberung der ſeit fünf Jahren an Ruprecht ver— 
lorenen böhmiſchen Städte in der Pfalz ſcheinen fie da— 
gegen nicht einmal verſucht zu haben.”! Gleichwohl machte 
Wenzel im Ernſt Anſtalten, die factiſch verlorene Herr— 
ſchaft im römiſchen Reich wieder zu erlangen. Mehre Um— 
ſtände ſchienen dieſem Vorhaben günſtig. Von den benach— 
barten Mächten, Frankreich, Polen und Ungarn, wurde er 
noch immer als römiſcher König anerkannt; im Reiche ſelbſt 
blieb das Haus Luxenburg im Beſitze von zwei Kurſtim— 
men; ein dritter Kurfürſt, Rudolph von Sachſen, neigte 
ſich auch auf Wenzels Seite; in der Lombardie wurde ihm 
nach wie vor gehorcht; die Herzoge von Sſterreich traten 
ſeit 3 Nov. 1404, wo die karoliniſche Erbeinigung zwiſchen 
Böhmen und Sſterreich wieder erneuert worden, gleichfalls 
zu Wenzel über; ſelbſt ein bayeriſcher Fürſt, Herzog Ernſt, 
hing nicht dem Pfalzgrafen, ſondern dem Schwager Wenzel 
an; nicht minder einige Reichsſtädte, wie Aachen, Lüttich, 
Regensburg, Rothenburg u. a. m. Noch bedeutſamer für 
die Umkehr vieler Verhältniſſe war aber die Bildung des 
Marbacher Bundes. Den Gegenkönig Ruprecht traf näm— 
lich, ungeachtet ſeiner anerkannten perſönlichen Tüchtigkeit, 
nahebei dasſelbe Schickſal, welches er vor ſechs Jahren 
ſeinem Könige ſelbſt bereitet hatte: er erregte das Miß— 


271) Dieſer in Bayern ſeit Aventin und Adelsreitter vielfach mit 
Fabeln ausgeſchmückte und in die Jahre 1378 — 1388 verſetzte 
Krieg muß aus bayriſchen Archiven, nach dem Vorgang des 
verſtorbenen J. von Fink, weſentlich berichtigt und in die ge— 
hörige Zeit verſetzt werden. Sulek Propſt von Chotesau, der 
darin die Hauptrolle ſpielt, ſtand dem Kloſter erſt in den 
Jahren 1391-1415 vor. Darnach find auch Buchners Angaben 
zum J. 1380 (Bd. VI, Seite 107) zu verbeſſern. Die aus 
böhmiſchen Quellen bekannten Daten hat Pelzel richtig zuſam— 
mengeſtellt. 


Verſuche zur Geltendmachung der röm. Königswürde. 211 


vergnügen mehrer Reichsfürſten feiner eigenen Partei, for 1406 
bald er Maßregeln traf, welche zwar bei jeder geordneten 
und gerechten Regierung unerläßlich, ihrem ſelbſtſüchtigen 
Intereſſe aber nicht günſtig waren. Derſelbe ränkevolle 
Mainzer Kurfürſt, Johann von Naſſau, der Wenzels Ab— 
ſetzung und Ruprechts Erhebung eingeleitet hatte, trat am 
14 Sept. 1405 mit Wirtemberg, Baden und vielen ſchwä— 
biſchen Städten zu Marbach in einen Bund, demzufolge 
ſie einander unverzügliche Hilfe leiſten ſollten, ſobald ſie 
wer immer von ihren Rechten und Freiheiten drängen 
würde. Obgleich man Ruprecht darin ausdrücklich aus— 
genommen hatte, ſo wußte er doch eben ſo gut, wie jeder 
andere, daß der Bund gegen ihn vorzugsweiſe gerichtet 
war, und alle ſeine Bemühungen, ihn aufzulöſen, waren 
vergebens. 

K. Wenzel hat unſeres Wiſſens keinen Verſuch ge— 
macht, den Marbacher Bund auf ſeine Seite zu ziehen; 
dagegen gab er ſich Mühe, den päpſtlichen Hof zum Wi— 
derruf der Anerkennung Ruprechts zu bewegen. Bonifaz IX 
war bereits am 1 Oct. 1404 geſtorben, und an deſſen 
Stelle am 17 Det. darauf Innocenz VII, ein ſehr geachteter 
Mann, gewählt worden, der jedoch ſchon nach zwei Jah— 
ren mit Tode abging (T 6 Nov. 1406) und feinem Nach— 
folger Gregor XII Platz machte. An Gregor XII wendete 1407 
ſich nun Wenzel, ſtellte ihm ſeines Vaters und ſeine bis— 
herigen Verdienſte um den päpſtlichen Stuhl, insbeſondere 
die uneigennützige und ſtandhafte Vertheidigung Urbans VI 
und feiner Nachfolger vor, klagte über die Übereilung, 
deren Bonifaz IX ſich nicht zu ſeiner Ehre ſchuldig gemacht, 
die er aber ſpäter ſelbſt bereut habe,?“ und verlangte die 


272) »Quamquam Bonifacius papa, sinistra procul dubio inductione 
deflexus, victus pretio magis quam precibus, animatus etiam 
a ducibus Austriae, quod redemtio nostri corporis esset penitus 


desperata, ad eonfirmationem nostri hostis, ducis Ruperti de 


14* 


212 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1407 förmliche Caſſirung der Anerkennungsbulle Ruprechts, ſo 
wie die Herſtellung der Titel und Formen, die nur ihm 
als römiſchem König gebührten, von Seite der apoſtoliſchen 
Kanzlei.?“ Auch unter den Reichsfürſten ſelbſt ſuchte er 
neue Anhänger wieder zu gewinnen; ein Mittel dazu gab 
das Verſprechen der Verlobung der Nichte des Königs, 
Prinzeſſin Eliſabeth von Görlitz, die bereits zu mannbarem 
Alter heranwuchs und auch ſchon einem Sohne des Her⸗ 
zogs von Orleans verſprochen war; deſſenungeachtet wurde 
bald den Markgrafen von Meißen, bald dem Herzoge Lud— 
wig von Bayern Hoffnung gegeben, ihre Hand und damit 
zugleich die Anwartſchaft auf mehre Länder des Luxen— 
burgiſchen Hauſes zu erlangen. Wenzel ſcheint an dem 
Erfolg ſeines Unternehmens nicht mehr gezweifelt zu haben; 
er verſprach ſchon feinen Anhängern in Deutſchland bal— 
dige Hilfe und Belohnung für ihre Treue. Um ſo tiefer 
kränkte es ihn, als er erfuhr, daß Gregor XII ſeinen Wün— 
ſchen kein Gehör gegeben und ſich auf Ruprechts Seite 
geſchlagen hatte. Von da an wurde er des Papſtes Feind, 
und verbot dem Prager Erzbiſchof und deſſen Vicarien, 
irgend Proviſionsbriefe von Gregor XII anzunehmen oder 
zu berückſichtigen, ſo lange er die der königlichen Majeſtät 
zugefügte Kränkung nicht wieder gut gemacht haben werde.!“ 


Bavaria, vasalli nostri, suae fidei et juramenti nobis praestiti 
immemor. et honoris prodigus provolasset, sicut eundem scimus 
denuo, nobis favente domino liberatis, de hujusmodi facti 
praecipitio doluisse« etc. 

273) Das noch unbekannte Schreiben Wenzels an Gregor XII befin— 
det ſich in einem gleichzeitigen Formelbuch der Bibliothek des 
Prager Domcapitels (I, 3, fol. 48 sq.) 

274) In hoc regia Serenitas nostra suum solidavit propositum, quod 
virtute literarum Gregorii papae nullam personam absque no- 
stro et consiliariorum nostrorum consensu ad aliquod beneficium 
ecelesiasticum in regno nostro Bohemiae admittere volumus 


quoquomodo tamdiu, quousque dietus papa errorem in honoris, 


Bruch mit Gregor XII. Fortſchritte des Wiklefismus. 213 


Die Hoffnungen aber und Bemühungen hinſichtlich der 1407 
ieder zu erlangenden Herrſchaft in Deutſchland wurden 
urch auf einige Zeit wieder zurückgedrängt. 

Wenzels Groll gegen Gregor XII konnte nicht umhin, 
der gegen das Papſtthum gerichteten reformatoriſchen Stim— 
mung in ſeinen Ländern Vorſchub zu leiſten. Das oben 
erzählte Verbot Wiklef'ſcher Bücher und Lehrſätze durch die 
rſt ität hatte einen ſo wenig nachhaltigen Er— 
folg, daß ſchon im J. 1405 Papſt Innocenz VII durch 
mehre aus Böhmen ihm zugekommene Klagen ſich ver— 
anlaßt ſah, den Prager Erzbiſchof zu ermahnen, daß er in 
Erforſchung und Beſtrafung Wiklef'ſcher Irrlehren ſich ja 
nicht nachläſſig erweiſe.??? Auch einer der ſogenannten 
Vorläufer des Hus, der alte Ciſtercienſerbruder M. Jo— 
hann von Stekna, der von jeher gegen kirchliche Miß— 
bräuche und die Sittenloſigkeit des Clerus geeifert hatte, 
war zu gleicher Zeit bei dem Erzbiſchof in gleichem Sinne 
insbeſondere gegen den Prager Profeſſor der Theologie, 
M. Stanislaus von Znaim, klagbar aufgetreten. Der 
Erzbiſchof verordnete daher auf einer im J. 1406 gehal— 
tenen Provincialſynode, daß wer immer ſolche Lehren zu 
behaupten und zu verbreiten ſich unterſtehen würde, ſchwere 


status et nominis nostri dispendium, prout nostis, patratum, 
non duxerit ex certa scientia revocandum ete. — ſchrieb K. 
Wenzel an den Erzbiſchof und deſſen Vicare in einem noch 
unedirten Schreiben. 

275) Chronicon universit, Prag. Anno dom, MCCCCV Innocentius 
papa VII instigavit et monuit Zbynkone m archiepiscopum Pra- 
gensem, ut sit diligens et sollieitus ad errores Wicleſr et hae- 
reses exstirpandas. Hanc monitionem praelati procuraverunt. — 
Dies Datum hängt wohl mit der von Raynaldi (1405, F. 18) 
angeführten Bulle des Papſtes an den Erzbiſchof (dd. 1405, 
24 Jun.) zuſammen; daß aber K. Wenzel damals ſich zu Be— 
nedict XIII hingeneigt habe, wie Raynaldi will, iſt ganz un— 
wahrſcheinlich und wird in der Bulle auch nicht behauptet. 


1407 


214 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. * 


8 


* fi 


Kirchenſtrafen dafür zu gewärtigen habe, s Wehre 1 | 
dividuen, Geiſtliche und Weltliche, wurden hierg uf vor da 
erzbiſchöfliche Gericht gefordert und verhört, da 1 


auf ihren Wiklef'ſchen Anſichten, namentlich in der 2 Abend⸗ 
malslehre, nicht beſtanden, ſofort wieder entlaſſen; vr allem 
Anſcheine nach hat der damals bei dem Erzbiſchof nicht 
minder als bei dem königlichen Hofe und dem Volke be⸗ 
liebte Prediger in Bethlehem, M. Johann Hus „auf 
die milde Behandlung der Verhörten Einfluß genommen. 
Die vieljährigen Predigten dieſes Mannes in der 
Bethlehemscapelle der Altſtadt Prag gehörten unter die 
wichtigſten Erſcheinungen und Ereigniſſe ſeiner Zeit. We— 
niger derb in ſeinen Reden, als einſt Konrad Waldhauſer, 
weniger ſchwärmeriſch in feinen Anſichten als Milié, machte 
er auf ſeine Zuhörer auch keine ſo ſtürmiſche Wirkung, 
wie feine Vorgänger; dagegen war fein Erfolg viel nach— 
haltiger. Er wendete ſich nämlich vorzugsweiſe an den 
Verſtand ſeiner Zuhörer, weckte ihr Nachdenken, belehrte 
und überzeugte ſie zuerſt, und ließ es dann auch an ein— 
dringlichen Worten nicht fehlen. Der Scharfſinn und die 


276) Cron. universit. Prag. Item anno MCCCCVI D. Zbynko ar- 
chiepiscopus Prag. editit statutum, et eodem anno in synodo 
publice mandavit, quod quicunque praedicaret, assereret vel 
disputaret errores Wiclefl, in certas ibidem nominatus incideret 
poenas; pro tunc doctore Adam vicario generali existente. — 
Man vergleiche damit das erzbiſchöfliche Decret vom J. 1406, 
das der Dolaner Prior Stephan in ſeiner im J. 1408 e. 
benen Medulla tritici aufbewahrt hat, in Bern. Pez thesaurus 
anecdotorum, tom. IV parte II, pag. 158 8. 

277) Chronicon idem: Rem eodem et sequenti anno multi ex sacer- 
dotibus et laicis ad falsam delationem sunt examinati super 
praefatis erroribus, de quorum numero fuit quidam sacerdes 
Crucis (ein Kreuzherr?) et ejus pincerna, et quidam pellifex 
Abraham et Sigismundus et plures alii, qui justitia mediante 
fuerunt soluti. 


M. Joh. Hus, Prediger der Bethlehemscapelle. 215 


er jeden Frage eindrang, die Leichtigkeit, mit wel— 
r er ihn vor Jedermanns Augen zu entwickeln wußte, 
die große Beleſenheit, zumal in der heiligen Schrift, die 
eft gkeit und Conſequenz, mit welchen er ein ganzes Syſtem 
on Lehrſätzen geltend machte, verſchafften ihm eine große 
Überlegenheit unter ſeinen Collegen und Zeitgenoſſen. Dazu 
geſellte ſich gewaltiger Ernſt des Charakters, ein frommes 
Gemüth, ein Lebenswandel, an dem auch die Feinde nichts 
auszuſetzen fanden, glühender Eifer für die ſittliche Hebung 
des Volks, ſo wie für Verbeſſerung der kirchlichen Zuſtände 
feiner Zeit, aber auch ungemeſſene Kühnheit und Rückſicht— 
loſigkeit, Hartnäckigkeit und unbiegſamer Eigenſinn, auf— 
fallende Sucht nach Popularität, und ein Ehrgeiz, der die 
Märtyrerkrone als das höchſte Ziel eines Menſchenlebens 
anſah. 7s Sein frommer Eifer, der augenſcheinlich auf 
nichts anderes, als auf Beſſerung der Sitten und Abſtel— 
lung vieler in der That ſchreiend gewordenen Mißbräuche 
ausging, gewann ihm, neben der größten Popularität in 
der Stadt, auch die beſondere Achtung der ſtillen und ſehr 
andächtigen Königin Sophie, die ihn zu ihrem Beichtvater 
wählte. Dadurch erlangte er Zutritt und Einfluß bei 
Hofe, ſo wenig ſich auch Wenzel um ſeine einzelnen Lehr— 
ſätze und um den Unterſchied kümmerte, der etwa zwiſchen 
ihnen und denen der allgemeinen Kirche ſich ergab. Aber 
auch der Erzbiſchof Zbynek von Haſenburg, der trotz ſeines 
Feldherrngeiſtes und des Mangels an theologiſcher Bil— 
dung, eines geſunden wohlmeinenden Sinnes nicht ent— 


278) Dieſe Charakterſchilderung gründet ſich vorzüglich auf Huſſens 
in böhmiſcher Sprache hinterlaſſene Schriften, in welchen ſeine 
Eigenthümlichkeit ſich ſchärfer ausprägte, als in den mehr nach 
Schulregeln entworfenen lateiniſchen. Daß Hus das Märtyrer: 
thum für ſich ſchon frühzeitig in Ausſicht nahm, ließe ſich aus 
mehren Stellen dieſer meiſt noch ungedruckten Schriften beweiſen. 


it ſeines Geiſtes, der Tact, mit welchem er auf den 1407 


1407 


men Warte ihm ſelbſt alſogleich perſönlich anzuzeigen. 270 


Und daß er nicht anſtand, ſeine Mahnungen anzuhören 
und in ſeine Vorſchläge einzugehen, bezeugt ſchon das Bei— 
ſpiel der über Wilsnak und andere angebliche Wunderorte 
gepflogenen Unterſuchung. Die Kirche zu Wilsnak im 
Brandenburg'ſchen (unfern der Elbe und Havel gelegen) 
rühmte ſich damals einer wunderthätigen Reliquie des 
Blutes Chriſti; ihr Ruf verbreitete ſich ſeit einem Menſchen— 
alter ſo weit, daß das Volk auch aus fernen Landen, 
z. B. aus Ungarn und Siebenbürgen, ſchaarenweiſe dahin 
zu wallfahrten anfing. Da auch Böhmen dem Strome 
folgten, jo ernannte Erzbiſchof Zbynek, nach Huſſens Anz 
trag, eine Unterſuchungs-Commiſſion von drei Magiſtern, 
darunter auch Hus ſelbſt; und als dieſe zu dem Reſultate 
kamen, daß alle die angeblichen Wunder auf einer groben 
Täuſchung und Lüge beruhten, jo verbot er durch ein Sy— 
nodal-Edict allen feinen Diöceſanen unter Excommunica⸗ 
tionsſtrafe nach Wilsnak zu wallfahrten. ?“ Auf ähnliche 
Weiſe wurde verhütet, daß nicht auch in Böhmen falſche 


279) Dies lernen wir aus einem von Hus im Juli 1408 an den 
Erzbiſchof geſchriebenen, noch ungedruckten Brief kennen, wo 
es heißt: Saepissime reitero, qualiter in principio Vestri regi- 
minis mihi pro regula Paternitas Vestra instituerat, ut quo- 
tiescunque aliquem defectum erga regimen conspicerem, mox 
personaliter, aut in absentia per literam, defectum hujusmodi 
nuntiarem. 


280) Hus erzählt dies ſelbſt in ſeiner Abhandlung de sanguine 
Christi; ſ. » Historia et monumenta Joh. Hus et Hieronymi 
Pragensis« (Norimbergae 1715, in fol., welche Ausgabe wir 
ſtets als „Opera Hussii« citiren), tom. I, pag. 200 8. 


1 


menwirken Huſſens mit dem Erzbifchof dauerte 
6 cluſſe des Jahres 1407; denn noch am 18 


RS verfammelten Elerus der Prager Diöceſe im Palaſt 
des Erzbiſchofs eine Rede zu halten, welche mit Beifall 
aufgenommen wurde.? Bald darauf aber trübte ſich das 
gegenſeitige Verſtändniß durch Ereigniſſe, welche von dem 
Willen der Einzelnen unabhängig, im Laufe der geſamm— 
ten Zeitgeſchichte begründet waren. 

Nach K. Wenzels Abſetzung und Gefangennehmung 
verfolgte der franzöſiſche Hof, zur Herſtellung der Einheit 
in der Kirche, den früheren Weg des Compromiſſes nicht 
mehr, und kehrte 1403 zur Obedienz Benedicts XIII zu— 
rück; jedoch mußte Letzterer ſich verbindlich machen, ſein 
Pontificat niederzulegen, ſobald das römiſche durch Ceſſion, 
Tod oder Abſetzung ſeines Gegners gleichfalls erledigt wer— 
den würde. Da aber von den zwei römiſchen Königen 
der eine, Ruprecht, dem römiſchen Papſte unbedingt er— 


281) Si praefatus dominus (Erzbiſchof Zbynef) suam diligentiam non 
apponeret, in sua dioecesi loca plurima falsis miraculis corus 
carent: ut in quadam sylva circa claustrum Hradist, latine 
Gredis Monachorum (Münchengrätz,) lignum quoddam latine 
merica vocatum, nisi prohibuisset, instantibus monachis et 
multitudine eurrente populi, fuisset cum loco consecratum. Et 
in monte Blanik quidam laicus populum mirabiliter induxerat 
ad currendum et mirandum ibidem; (hängt dies nicht zuſammen 
mit der bekannten Volksſage von den Rittern des Berges Blanik!) 
et in una ecclesia quendam sacerdotem, qui ludiſicabat populum, 
comprehendit etc. — Et sic tam avari presbyteri, quam avari 
laici, praedicant miracula; presbyteri pro offertorio , laici pro 
muneribus, et alii propter adventum peregrinorum , quos au- 
dacter pro victualibus spoliant. Omnes enim quaerunt, quae 
sua sunt, et non quae Jesu Christi etc. (Opp. Huss. I. c. p. 
201 84.0 

282) Sie ſteht gedruckt in Opp. Huss. II, 47 sq. 


18 Oct. 


218 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1407 geben, der andere, Wenzel, ohne Anſehen und 
war: ſo übernahm wieder Frankreich die Sorge 
wünſchte Erledigung in Rom herbeizuführen. Die 
len von Innocenz VII und Gregor XII wurden von den 5 
Wählern und Gewählten ſelbſt nur für proviſoriſch er— 
klärt; insbeſondere ſchwor Letzterer bei ſeiner Erhebung 
(30 Nov. 1406), ſeine Würde alſogleich niederzulegen, ſo— 
bald ſein Gegner dasſelbe thun würde; er erbot ſich auch 
gegen Benedict, in Unterhandlungen über ihre beiderſeitige 
Ceſſion einzugehen, und bis dahin keine neuen Cardinäle 
zu ernennen; denn nach ihrer Abdankung ſollten die Car— 
dinäle beider Obedienzen in gleicher Zahl zuſammentreten, 
und durch gemeinſchaftliche Wahl eines einigen Papſtes 
dem Schisma ein Ende machen. Da in den letzten Jahren 
ſich die Anſicht geltend gemacht hatte, daß ein den Päpſten, 
als Häuptern der Kirche, angethaner Zwang keine rechtlich 
giltigen Folgen haben könne: ſo drang man nun um ſo 
ſtärker darauf, daß ſie aus eigener Entſchließung den ge— 
wünſchten Weg des Friedens bahnen ſollten, und Frank— 
reich erklärte durch ein im Januar 1407 gehaltenes Na- 
tionalconcil, ſich der Obedienz der Päpſte neuerdings ent— 
ziehen zu wollen, wenn durch ihre freiwillige Ceſſion binnen 
beſtimmter Zeit die Einheit der Kirche nicht wieder her— 
geſtellt ſein würde; für den Ernſt ſeiner Wünſche ſprach 
auch ſein erklärtes Zugeſtändniß, daß der künftige einige 
Papſt nicht mehr in Avignon, ſondern in Rom reſidiren 
ſollte. Nun wurde von Seite beider Päpſte zu Marſeille 
am 24 April 1407 eine perſönliche Zuſammenkunft in Sa- 
vona für den September 1407 verabredet. Als die Zeit 
heranrückte, kam Benedict XIII richtig dahin; Gregor XII 
aber, der vorhin ſo eifrig geweſen, fand jetzt hundert Aus— 
flüchte, um ſeine Wortbrüchigkeit zu bemänteln: bald durfte 
er Rom wegen der von König Ladislaw von Neapel ihm 
drohenden Gefahren nicht verlaſſen; bald hatte er nicht 


@ Das Schisma u. die Neutralität; Abfall der Cardinäle. 219 


Vemegen und Mittel genug, um eine ſo koſtſpielige Reiſe 1407 
zu unternehmen, — obgleich er ſich früher angetragen hatte, 
dieſe Reiſe nöthigenfalls zu Fuß mit dem Stab in der 
Hand zu unternehmen; bald ſchien ihm Savona nicht ſicher 
genug für ſeine Perſon u. dgl. Von ſeinen eigenen Car- 
dinälen gedrängt, kam er endlich im folgenden Jahr bis 1408 
nach Lucca, und eröffnete von da Verhandlungen über einen 
andern Ort der Zuſammenkunft. Obgleich aber Bene— 
dict XIII ihm bis Spezzia entgegen gekommen war, ſo 
zerſchlugen ſich dennoch die Unterhandlungen dadurch, daß 
Gregor nicht an die Meeresküſte gehen, Benedict ſie nicht 
verlaſſen wollte. Indeſſen knüpften die beiden örtlich 
einander fo nahe gekommenen Cardinalscollegien, durch 
Vermittelung franzöſiſcher Geſandten, um ſo leichter ein 
gegenſeitiges Einverſtändniß an; und als Gregor, dadurch 
beunruhigt, den Seinigen am 4 Mai 1408, unter An— 
drohung ſchwerer Strafen verbot, ohne ſeine beſondere Er— 
laubniß ſich aus Lucca zu entfernen, und Berathſchlagungen 
untereinander oder mit Benedicts Partei zu pflegen; als 
er, gegen den erklärten Willen ſeines Collegiums, ſo wie 
gegen ſein früheres Verſprechen, am 9 Mai auf einmal 
vier neue Cardinäle ernannte, um an ihnen eine Stütze 
mehr zu haben: ſo wichen die alten alle von ihm am 11 
Mai 1408, verließen Lucca zum Theil unter hoher Lebens— 
gefahr, und vereinigten ſich dann unter dem Schutze der 
Florentiner in Piſa, von wo ſie am 14 Mai ein Manifeſt 
über die Gründe ihres Abfalls von Gregor XII an alle 
Fürſten der Chriſtenheit erließen. 


283) Leonardus Aretinus ap. Muratori XIX, 926: Benedictus — 
quo propior esset, Spediam venerat. Sed cum de congressu 
eorum per internuntios ageretur, noster (Gregorius XII) tam- 
quam terrestre animal ad litus accedere, ille tamquam aqua- 
licum a mari discedere recusabat. 


1408 


220 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


Durch dieſen entſcheidenden Schritt der Cardinäle ge 
wann das Geſchäft der Union eine große Wichtigkeit, und 
wurde für einige Zeit gleichſam das leitende Ereigniß in 
Europa, das alle übrigen in ſeine Bewegung hineinzog; 
auch die böhmiſchen Angelegenheiten, politiſche ſowohl als 
kirchliche, erhielten dadurch eine beſtimmtere Richtung. Ein 
allgemeines Concilium wurde bald die Loſung nicht allein 
der einzelnen Freunde der Union in allen Ländern der 
Chriſtenheit, ſondern auch der beiden Cardinalscollegien 
ſelbſt; ein Concilium, das nach Abſetzung ſowohl Gregors 
als Benedicts, endlich einen einigen wahren Papſt wählen, 
dem langen Schisma ein Ende machen, und nach Entfer— 
nung dieſes Grundübels, allen Gebrechen in der Kirche, 
die man nur als eine Folge des Schisma anzuſehen ſich 
gewöhnt hatte, abhelfen ſollte. Dieſe Meinung erhielt um 
ſo mehr Kraft und Verbreitung, als auch die Cardinäle 
Benedicts XIII ihren Papſt verließen, und dann beide Col— 
legien in Livorno ſich vereinigten, von wo ſie im Juli 1408 
eine Erklärung an die ganze Chriſtenheit erließen und ein 
allgemeines Concilium nach Piſa auf den 25 März 1409 
auch wirklich ausſchrieben. Frankreich hatte ſich ſchon in 
vorhinein für die Neutralität hinſichtlich beider Päpſte, und 
für die Anhänglichkeit an die Cardinäle erklärt. Sein ent— 
ſchiedenes Benehmen machte großen Eindruck und fand viel— 
fache Billigung in Europa. 

Die ſolchergeſtalt nahe gerückte kirchliche Kriſis mußte 
nothwendig auch die andere Frage zur Entſcheidung bringen: 
wer denn der wahre römiſche König, ſomit der eigentliche 
oberſte Vogt der Kirche und zugleich Beſchützer des bevor— 
ſtehenden Conciliums ſei? Das ſah K. Wenzel frühzeitig 
ein, und er erwies ſich deshalb um fo thätiger, die Ent— 
ſcheidung zu ſeinen Gunſten zu ſichern, je mehr zugleich 
fein perſönlicher Unwille gegen Gregor XII ihn antrieb. 
Aber auch das wurde ihm klar, daß der bereits in meh— 


Die Neutralität. Reaction gegen den Wiklefismus. 221 


ren Ländern verbreitete Ruf, wie durch ſeine Begünſti— 
gung oder Nachläſſigkeit die Wiklef'ſche Ketzerei in Böhmen 
immer feſteren Fuß faſſe, ſeiner Anerkennung als oberſter 
Kirchenvogt im Wege ſtehen müſſe. Darum unterftüßte 
er nicht nur, ſondern veranlaßte auch mehre öffentliche 
Maßregeln, die den Zweck hatten, den kränkenden Ruf zu— 
gleich mit Allem, was dazu gegründeten Anlaß geben ns 
von feinem Lande zu entfernen. 

Die erfte Maßregel, die man ergriff, war ein erneuer— 
tes Verbot der Wiklef'ſchen Lehrſätze an der Prager Uni— 
verſität; da jedoch der Wiklefismus bei den übrigen drei 
Nationen, der bayriſchen, ſächſiſchen und polniſchen, ohne— 
hin keine Anhänger zählte, ſo beſchränkte ſich die Verhand— 
lung diesmal nur auf die böhmiſche Nation allein. Am 
20 Mai?“ 1408 verſammelten ſich die Mitglieder dieſer 
Nation in ihrem Collegium, im Hauſe zur ſchwarzen Roſe 
am Graben, in großer Zahl: 64 Doctoren und Magiſter, 
150 Baccalare und gegen tauſend Studenten: darunter 


284) Pelzel gibt den 18 Mai, Weleſlawin (Kalendar histor. pag. 
268) den 24 Mai an. In dem Actenſtücke, dem wir folgen, 
iſt die Zeit gleichfalls verworren angegeben; es heißt; »in 
mense Majo, dominica quinta post pascha, die XVI«, was 
nicht zuſammenpaßt. 

285) Die Zahl wird in verſchiedenen Quellen allerdings verſchieden 
angegeben: in einer Handſchrift der Breslauer Univerſitäts— 
bibliothek (I, F. 243, fol. 127) nur »25 magistri Pragenses na- 
tionis Bohemicae«, was jedenfalls gering, und wohl nur auf 
die in Prag eben damals domicilirenden Magiſter zu verſte— 
hen iſt; bei V. d. Hardt (IV, 652) heißt es 40 — 50 Magiſter, 
aber die Nachricht iſt ſchon darum ungenau, weil ſie das Da— 
tum vom Auguſt 1409 angibt. Dagegen ſagt der bekannte 
M. Johann von Pribram (7 1448), der in der Sitzung auch 
gegenwärtig geweſen (vgl. Cochlaeus p. 11— 12) und deſſen 
eigenhändige Schrift darüber uns vorliegt: »Eece nuper, 
ante annos circiter XVIII, praeclara natio Boemica, in 


qua circiter LX, erant doctores et magistri eruditissimi, — 


1408 


20 Mai 


222 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1408 der damalige Rector der Univerſität M. Clemens von 
Mnichowic, die Profeſſoren der Theologie, Dr. Helias, 
M. Peter und Stanislaus von Znaim, Dr. Andreas von 
Brod, M. Johann Hus, M. Stephan von Paleé, M. Jakob 
von Mies und andere. Auch hier wurden zuerſt die ſchon 
vor fünf Jahren von der Geſammt-Univerſität verdamm— 
ten 45 Artikel vorgeleſen und neuerdings verboten; da 
jedoch von M. Hus und ſeinen Anhängern ein Wider— 
ſpruch gegen die abſolute Verdammung derſelben erho— 
ben worden, indem mehre darunter, im gehörigen Sinne 
verſtanden, gar nicht unrichtig wären, fo formulirte man 
das Verbot in folgender Weiſe: daß kein Mitglied der 
böhmiſchen Nation, unter der Strafe der Ausſchließung, 
jene Artikel in deren ketzeriſchem, irrigen oder anſtößigen 
Sinne *% lehren und verbreiten dürfe. Weiter wurde die 
bisherige Lehrfreiheit an der Univerſität in der Art be— 
ſchränkt, daß fortan kein Baccalar mehr über einen der 
drei Tractate Wiklefs, den Dialogus, Trialogus und De 
eucharistia, öffentliche Vorleſungen halten, und Niemand 
einen auf Wiklefs Bücher und Lehre bezüglichen Satz zum 
Gegenſtande einer öffentlichen Disputation machen ſollte. 

Aus gleicher Veranlaſſung fand ſich der erzbiſchöfliche 
General-Vicar Johann von Kbel bewogen, mehre nicht im 
Rufe der Orthodoxie ſtehende böhmiſche Prediger zur Ver— 
antwortung zu ziehen. Der vorzüglichſte unter dieſen war 


fere mille baccalariis et studentibus ejusdem nationis prae- 
sentibus« etc. — was in einer andern, vom Canonicus Crux 
de Telcz ums J. 1467 abgeſchriebenen und uns vorliegenden 
Notiz folgendergeſtalt näher angegeben wird: »LXIIII magistri, 
centum quinquaginta baccalarii, mille studentes de natione Bo- 
hemorum« etc, (MS, archivi Trebon. A, 16.) 

286) »Quatenus nemo quemquam illorum articulorum XLV audeat 
tenere, docere vel defendere in sensibus eorum haereticis, aut 
erroneis, aut scandalosis.« Durch dieſen Zuſatz wurde freilich 
das ganze Verbot illuſoriſch. 


Reaction gegen den Wiklefismus in Böhmen. 223 


der Prediger an der heil. Geiſtkirche in Prag, Nicolaus 
von Welenowic, gemeinhin Abraham genannt; dann ein 
Mag. Mathias Pater von Knin, ein Baccalar Sigmund 
von Jiſtebnic, und Andere. Abraham ſtellte ſich vor dem 
General-Vicar am 30 Juni 1408, und wurde, da er im 
Verhöre irrige Meinungen entwickelte,?“ dem Prager In— 
quiſitor, Minoritenbruder Jaroſlaw, Titularbiſchof von Sa— 
repta, überliefert, welcher ihn in den Kerker werfen ließ. 
Umſonſt verwendete ſich M. Hus für deſſen Losſprechung 
und Befreiung; und als der Erzbifchof ihn nach einigen 
Tagen ſogar aus feiner Didcefe verbannte, tadelte es Hus, 
daß er gerade die fleißigſten und frommſten Hirten ſeiner 
Heerde verjage, während dagegen den fauleſten und ſünd— 
hafteſten volle Freiheit geſtattet fer. 3° Und dies war der 
erſte Schritt zum Bruche zwiſchen dem Erzbiſchof und Hus, 
der aber zu bald mehre andere nach ſich zog. 

Nachdem nämlich auf dieſe Art die Prager Didcefe, 
wie man glaubte, von aller ketzeriſchen Anſteckung gereinigt 
worden war, verſammelte Erzbiſchof Zbynef feinen Clerus 


287) Nach Zeugniß der Prager Conſiſtorial-Acten vom J. 1408 be— 
hauptete er: quod nedum presbyteris, sed etiam laicis licitum 
est praedicare evangelium. Nach den Depositiones testium wei— 
gerte er ſich, einen Eid in der vorgeſchriebenen Form zu lei— 
ſten. Der bei dem Verhör anweſende Hus rügte das Verfah— 
ren der Richter mit ihm: ecce vos vultis istum sacerdotem 
condemnare, dicentes eum tenere errorem Waldensium, et ipse 
juravit vobis per deum: estne hoc justum ? etc. Über M. 
Mathias Pater von Knin, und deſſen Verhör am 14 Mai, 

vgl. Monum, histor, univ. Prag. vol. III, pag. 420 sq. 

288) Qualiter hoc est, quod incestuosi et varie criminosi absque 
rigo correctionis — incedunt libere, sacerdotes autem humiles, 
spinas peccati evellentes, officium Vestri implentes regiminis 
ex bono affeetu, non sequentes avaritiam, sed gratis pro deo 
se offerentes ad evangelisationis laborem, tamquam haeretici 


mancipantur carceribus , et exilium propter evangelisationem 
ipsius evangelii patiuntur? etc. 


1408 


30 Suni 


1408 
17 Juli 


224 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


zu einer Provincialſynode am 17 Juli 1408, und erklärte 
zwar auf derſelben, auf Verlangen des Königs, öffentlich, 
daß nach angeſtellter fleißiger Unterſuchung durch die ge— 
hörigen Behörden in ſeiner ganzen Provinz kein Irrgläu— 
biger oder Ketzer vorgefunden worden ſei: ?““ damit aber 
auch ferner keine Ketzerei im Lande aufkomme, befahl er 
allen Predigern, ihrem Volke die Lehre der Kirche von der 
Transſubſtantiation mit beſonderem Fleiße zu erklären, und 
verlangte zugleich, daß alle Diejenigen, ſo im Beſitze Wik— 
lef'ſcher Bücher ſich befinden, ihm ſie zum Behufe ihrer 
vorzunehmenden Prüfung ausliefern ſollten.“““ Letztere 
Maßregel ſoll auf das beſondere Einrathen der Doctoren 
Georg von Bora, Andreas von Broda und Helias, und 
des Domherrn Adam von Neetic befchloffen worden fein, “! 
Wollte man aber damit die Ruhe herſtellen, ſo ſäumte der 
Erfolg nicht, den Beweis zu liefern, daß ſie unzureichend 
geweſen, obgleich die Freunde Wiklefs ſich vorerſt begnüg— 
ten, eine Appellation dagegen an Papſt Gregor XII zu 
richten, und ihrem Unmuth über den Erzbiſchof und deſſen 
Räthe durch Schmähſchriften, die man an öffentlichen Orten 
anheftete, Luft zu machen.?“ 


289) Opera Huss. I, pag. 114. Rede der Geſandten des Königs 
an die Cardinäle MS. (f. unten.) Daß die größten Ver: 
ehrer Wiklefs, Hus und Hieronymus von Prag, bei dieſer 
Unterſuchung unbehelligt blieben, verdankten ſie wohl nur ih— 
rem Anſehen bei Hofe, und dem damals geltend gemachten 
Grundſatze, nur das Abläugnen der Transſubſtantiation invol— 
vire eine Ketzerei. 

290) Opp. Huss. I, 109. Chronicon universit, Prag. MS. 


291) Chronicon universit. Prag. 


292) Breve chronicon Boemiae, MS. Ann. 1408, dominico die in 
die S. Dominici, de mane applicatae sunt plures literae diffa- 
matoriae nimis grossae contra D. Zbynkonem archiep. Prag. 
et canonicos et quosdam Bohemos magistros. 


Reaction in Böhmen. K. Wenzel u. die Neutralität. 225 


Durch jenes oͤffentliche Zeugniß der Prager Synode 1408 
über den Vorwurf hinſichtlich der Ketzerei in ſeinem Lande 
beruhigt, ging K. Wenzel in die von dem Cardinalscolle— 
gium und dem franzöſiſchen Hofe angeknüpften Verhand— 
lungen mit ſteigender Zuverſicht ein, daß ſie ihm die An— 
erkennung als römiſcher König wieder verſchaffen würden. 
Noch im Laufe des Jahres 1408 gingen zwiſchen Ober— 
italien, Böhmen und Frankreich viele Botſchaften hin und 
her, deren Geſchäfte und Verrichtungen wir hier nicht ein— 
zeln angeben können.“? Da bei Karls VI häufig wieder— 
kehrender Gemüthskrankheit die Regierung Frankreichs da— 
mals größtentheils vom Herzog Johann von Burgund ge— 
leitet wurde, deſſen Bruder Anton, nach dem Tode Jo— 


295) Unter den von Seite des Königs zu den Cardinälen gefandten 
Boten werden genannt: die Profeſſoren Mauritius Rwacka 
von Prag, Johann Cardinalis von Reinſtein, Stanislaus 
von Znaim und Stephan von Palec. Letztere zwei wurden 
zu Ende October 1408 von dem Cardinal-Legaten Baltha— 
ſar Coſſa in Bologna aus unbekanntem Grunde verhaftet 
und erſt nach vielfacher Verwendung einerſeits der Cardinäle 
ſelbſt, anderſeits des Königs und der Prager Univerſität, (vor— 
züglich der Magiſter Joh. Hus, Joh. von Jeſenic, und Chri— 
ſtann von Prachatic), im folgenden Jahre wieder in Freiheit 
geſetzt. Wahrſcheinlich hatten ſie durch Wiklefiſtiſche Außerun— 
gen auf der Reiſe ſich dieſe Behandlung zugezogen. Unter 
den Cardinälen war es vorzüglich Pietro Filargo von Can— 
dien, Erzbiſchof von Mailand, der die Verhandlungen mit K. 
Wenzel führte: derſelbe Cardinal, der 1395 in Prag die Er— 
hebung der Visconti zu Herzogen von Mailand negocürt hatte 
und als Papſt Alexander V ſtarb; fein an einen böhmiſchen 
Großen gerichteter Brief in Martene et Durand collectio am- 
plissima tom. VII, p. 815 etc. gilt wahrfcheinlih dem Herrn 
Benes von Chauſtnik. — Der in den Verhandlungen mit 
Frankreich zu dieſer Zeit vorzugsweiſe gebrauchte böhmiſche 
Bevollmächtigte war der Ritter Dietrich Kraa, königl. Mund— 
ſchenk und Herr auf Rothenhaus in Böhmen. — 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 15 


1408 


20 Juli 


24 Nov. 


226 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


hanna's, der Witwe einſt Herzog Wenzels von Luxenburg, 
in Brabant und Limburg vertragsmäßig ſuccedirte: ſo ließ 
ſich Wenzel um ſo bereitwilliger finden, Letzterem ſeine 
Nichte Eliſabeth von Görlitz zur Ehe zu geben, als der 
darüber am 20 Juli 1408 zu Gent geſchloſſene Vertrag 
zu Wenzels Gunſten auch eine von den burgundiſchen Brü— 
dern gegen Ruprecht von der Pfalz mit 2000 Lanzen zu 
leiſtende Hilfe ſtipulirte. Doch verzog ſich die Vollziehung 
dieſes Ehevertrags bis zum folgenden Jahre.?“ Den Gar- 
dinälen erklärte aber Wenzel von Breslau aus am 24 
Nov. 1408, daß er ihrem Wunſche gemäß in ſeinen Län— 
dern Gregor XII die Obedienz entziehen und zu dem nach 
Piſa ausgeſchriebenen Concilium eine anſehnliche Botſchaft 
ſenden wolle, wofern ſie ſich nur anheiſchig machen, ſeine 
Boten als die Bevollmächtigten des wahren römiſchen Kö— 
nigs aufzunehmen und zu behandeln. 2% 

In der That gab ſich Wenzel Mühe, ſeine Untertha— 
nen der Obedienz Gregors XII zu entziehen und eine Neu— 
tralität hinſichtlich beider Päpſte in ſeinen Ländern herzu— 
ſtellen, bis das Piſaner Concilium die Entſcheidung bringen 
würde. Er trug zuerſt den Prälaten auf, ſich zu verſam— 
meln, um der gewünſchten Neutralitätserklärung, gleich 
dem franzöſiſchen Clerus, beizutreten, und verlangte auch 
von der Prager Univerſität einen Beſchluß in dieſem Sinne. 


Der Widerſtand aber, den er hierin bei einem großen 


Theile ſeiner Unterthanen fand, reizte ihn um ſo mehr, 
je unerwarteter er ihm kam, und führte am Ende zu Ent— 
ſchlüſſen und Maßregeln, deren Folgen ſich nimmermehr 


294) Pelzels Wenceslaus, II, 537. 548. König Wenzel beftätigte den 
Vertrag am 27 April 1409, und ſandte die Braut am 11 Mai 
von Prag mit glänzendem Gefolge nach Frankreich. Das Bei— 
lager wurde erſt am 1 Juli 1409 zu Brüſſel gehalten. 

295) K. Wenzels Urkunde darüber ſteht in Martene et Durand col- 
lectio ampliss. VII, 891 sq. 


K. Wenzels Bemühungen für die Neutralität. 227 


berechnen ließen. Der Erzbiſchof nämlich und ſein Clerus 1408 
entſchuldigten ſich, daß fie den einmal angelobten Gehor— 
fan nicht brechen können; und als der Rector der Uni- 
verſität, M. Henning von Baltenhagen, ſeine Collegen be— 
rief, um einen dem Wunſche des Königs entſprechenden 
Beſchluß zu Stande zu bringen, zeigte ſich nur die böh— 
miſche Nation dazu geneigt, während die anderen drei Na— 
tionen offen widerſprachen, ſo daß der Rector es gerathe— 
ner fand, die Sitzung ohne eine Schlußfaſſung aufzuheben, 
als den König durch einen widrigen Beſchluß zu kränken. 296 
M. Johann Hus und feine dem Wiklefismus geneigten 
Freunde waren es, welche ſich allein willig erwieſen hatten, der 
Neutralität beizutreten; wofür Erzbiſchof Zbynek durch einen 
in lateiniſcher und böhmiſcher Sprache kundgemachten Be— 
fehl dem Erſteren, als einem ungehorſamen Sohn der 
Kirche, jede weitere Ausübung des Predigeramtes, jedoch 
vergeblich, unterſagte. 7 

Während dieſer Vorgänge in Böhmen, hatte K. Wen— 
zel eine Reiſe in die Lauſitz und nach Schleſien (Sept. 


296) Chron. Universit. Prag. I. c. Item eodem anno (1408) in re- 
ctoratu M. Heningi Baltehagen facta est dissensio inter natio- 
nem Bohemicam et alias tres nationes, scil. Bavarorum, Polo- 
norum et Saxonum, propter desiderium regis, qui optabat, ut 
sibi et cardinalibus ad abstractionem obedientiae papalis assi- 
sterent. Itaque Bohemis consentientibus et aliis nationibus 
dissentientibus, propter eorum pluralitatem vocum rector non 


audebat contra desiderium concludere. 


297) Dieſe Thatſache kennen wir zunächſt aus dem von M. Hus 
dem Erzbiſchof darüber geſchriebenen Briefe (MS. der Wiener 
k. k. Hofbibliothek Nr. 4937, fol. 74), worin Hus ſich darüber 
beſchwerte und ſeine Anſicht über die Neutralität nicht ohne 
einige Spitzfindigkeit entwickelte. Er erklärte darin, er wolle 
ſich dem Gehorſam des Papſtes und der Kirche nicht entzie— 
hen, ſondern ſei immer willig, Gregor XII eben fo wie dem 
Erzbiſchofe in Allem, was erlaubt iſt, zu gehorchen (in omni- 
15 * 


1408 


228 VI Buch, 3 Kapitel. K. Wenzel IV. 


bis Dec. 1408) unternommen, und mehre dortige Streitig— 
keiten, namentlich auch den Unfrieden zwiſchen den Ma— 


. giftraten und der Bürgerſchaft der Städte Bautzen, Görlitz 


und Breslau, durch ſtrenge, zum Theil blutige Maßregeln 
beigelegt. Nach ſeiner Rückkehr ſchlug er ſeine Reſidenz 
zuerſt auf einige Wochen in Kuttenberg auf, und beſchied 
den Rector der Prager Univerſität nebſt zwei Abgeord— 
neten einer jeden Nation zu ſich, um auch ihren Streit zu 
ordnen. 

Die kirchlichen Bewegungen in Prag hatten, wie wir 
bereits bemerkten, gleich von vornherein auch eine natio— 
nale Farbe angenommen, und die an der Univerſität in 
Mehrzahl vorhandenen Deutſchen hatten ſich frühzeitig ge— 
wöhnt, ihre böhmiſchen Collegen zu verdächtigen. Aber 
auch materielle Gründe kamen hinzu, die althergebrachten 
Antipathieen zu verſtärken und zum ſtürmiſchen Ausbruch 
zu drängen. Da die Univerſität ſich durch freie Wahlen 
ſelbſt adminiſtrirte, ſo verfügten die Deutſchen von jeher 
ſowohl über die Ämter daſelbſt, als auch über den Genuß 
der Stiftungen und Collegiaturen, indem ſie die Böh— 
men gewöhnlich überſtimmten. Dieſer Übelſtand hatte ſchon 
zu Ende des Jahres 1384 ſtürmiſche Unruhen veranlaßt, “s 


bus volo licitis obedire); in dem Streite der beiden Päpſte 
aber verhalte er ſich neutral, gleichwie ein gehorſamer Sohn 
im Streite des Vaters mit der Mutter neutral bleiben müſſe. 
(Außerdem vergleiche man darüber Hußens Schreiben an die 
Cardinäle, in Opp. Huss. I, 117.) 

298) Chronicon universit. Prag. MS. Anno dom. 1384, in die S. 
Galli, electus fuit Soltow in rectorem universitatis. In cujus 
rectoratu magnum certamen inter nationem Bohemicam et alias 
tres nationes insurrexit, propter collegiaturas, quas non Bohemi 
sed exterae nationes possidebant. Pro quo praefatus rector sus- 
pendit omnes lectiones sub gravissimis poenis. Natio autem 
Bohemica, non advertens reetoris mandatum, publice cum ar- 


mis scholaribus lectiones’ visitantibus, legit, disputavit et cete- 


Streit um die drei Stimmen an der Univerfität. 229 


und den König zu deren Beilegung einzufchreiten ge- 1408 
zwungen; und auch noch im J. 1390 war es nöthig ge— 
worden, die Grundſätze näher zu entwickeln und feſtzuſtel— 
len, nach welchen der Genuß der Collegiatplätze und Stif— 
tungen unter den Nationen geregelt worden war.?“ Doch 
auch nach dieſen Verträgen war das Übergewicht bei den 
Deutſchen geblieben, da auch die polniſche Nation, zumal 
nach der Gründung der Krakauer Univerſität, faſt nur 
aus deutſchen Schleſiern, Pommern und Preußen beſtand. 
Mit Unmuth ſahen ſich böhmiſche Magiſter häufig ge— 
zwungen, mit Schullehrerdienſten auf dem Lande vorlieb 
zu nehmen, während Fremde“ einander die reichlich do— 
tirten Ehrenſtellen in der Hauptſtadt vorzugsweiſe zutheil— 
ten. 0 Als daher die oben berührte Neutralitätsfrage den 
alten nationalen Streit zur neuen Kriſis brachte, und der 
Widerſtand, welchen die Deutſchen dem Wunſche des Kö— 
nigs entgegenſetzten, zu einem den Böhmen günſtigen Um— 
ſchwung der Verhältniſſe Hoffnung gab: ſo machten auch 
ſolche Mitglieder der böhmiſchen Nation, welche dem Wik— 


ros actus scholasticos in collegio locis deputatis exercuit. Et 
ipsis sic altercantibus, rector cum quibusdam aliis, prae cete- 
ris Bohemis adversantibus, fuerunt a Bohemis mutatis-habiti- 
bus siceis plagis percussi. Et sie Teotonici post multiplices 
labores circa R. Wenceslaum et archiepiscopum et regis con- 
siliarios, videntes se non posse proficere, quinque collegiatos 
Bohemos in collegio Karoli et sextum indifferentem admiserunt 
(die Zahl ſämmtlicher Eollegiatftellen für die Magiſter war 12 
et conformiter in collegio R. Wenceslai secundum numerum 
collegiatorum fuit concorditer pronunciatum. Pro quo Bohemi 
in aeternum sint benedicti.« 

299) Monumenta historica universitatis Pragensis. Tom. II, parte 1, 
pag. 292. 

300) Von der Hardt, IV, pag. 757—758 (wo jedoch die Darftellung 
die Verhältniſſe viel greller erſcheinen läßt, als ſie wohl je in 
der Wirklichkeit geweſen.) 


230 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1408 lefismus von jeher feind geweſen, gemeinſchaftliche Sache 


1409 


mit Hus und deſſen Freunden; die Profeſſoren Johann 
Eliä und Andreas von Broda ſah man wieder einträchtig 
mit dem Beichtvater der Königin verkehren, deſſen Einfluß 
bei Hofe eine ihnen erwünſchte Löſung des Streits in Aus— 
ſicht ſtellte. 

Dennoch ſchien es Anfangs, daß der Streit nicht be— 
ſtimmt ſei, irgend eine große Veränderung zu bewirken. 
Denn als die Abgeſandten der Nationen, denen auch Hus 
ſich anſchloß, vor dem Könige in Kuttenberg erſchienen, 
und hinſichtlich ihrer gegenſeitigen Klagen auf die im J. 
1390 geſchloſſenen Verträge ſich beriefen, verſprach Wenzel 
den Deutſchen, ſie bei ihren Rechten zu ſchützen, und fuhr 
dagegen M. Hus mit Heftigkeit wegen des Verdachts von 
Ketzerei an, in welchen er mit ſeinem Freunde Hieronymus 
das Land gebracht und ſomit ſeinem Könige Verdrießlich— 
keiten im Auslande bereitet habe; er befahl Letzterem, dafür 
zu ſorgen, daß die Sache wieder gut gemacht werde, ſonſt 
werde er es wohl noch zu einer Feuerprobe kommen laſſen. 39! 
Hus verließ Kuttenberg faſt hoffnungslos, und verfiel gleich 
darauf in eine ſo ſchwere Krankheit, daß man an ſeinem 
Aufkommen verzweifelte. “? Indeſſen hatte er aber einen 
der einflußreichſten Räthe des Königs für ſeine und ſeines 
Volkes Sache gewonnen: es war der damals zu Kutten— 
berg wohnende Obernotar des Bergweſens in Böhmen und 
nachmalige Oberſtlandſchreiber, Nicolaus von Lobko— 
wic; s ein Mann, der ſich auf Bücher und auf Waffen 


301) Opera Huss. I, 18 col. 2. Von der Hardt, IV, 312. Johann 
Nas, beider Rechte Doctor, der dies bezeugte, war damals 
vom Könige in mehren Geſandtſchaften gebraucht worden. 

302) Nach Huſſens eigener Erzählung in den Depositiones testium. 

303) Er war, nach Zeugniß der Prager Conſiſtorialacten (Vol. XVII, 
zum J. 1408, 7 Mai) ein Sohn des Ritters Mares von Ujezd, 
führte den perſonlichen Zunamen Chudy, war ſchon 1406 Ober: 


Streit um die drei Stimmen. Nicol. von Lobkowic. 231 


gleich gut verſtand, und bei Wenzel hohe Gunſt genoß. 1409 
Dieſer übernahm es, den Streit über die Stimmen für 
ſeine Landsleute durchzuführen, und erhielt alsbald an den, 
inzwiſchen nach Kuttenberg gekommenen Geſandten, des Kö— 
nigs von Frankreich und der Pariſer Univerſität, 3% uns 
erwarteten Beiſtand. Denn als Wenzel erfuhr, daß das 
bisherige Übergewicht der Stimmen jener drei Nationen 
auf keinem geſetzlichen Statut, ſondern nur auf der Ob— 


notar der königl. Urbur in Kuttenberg, und hieß bald Nico— 
laus de Praga (wo das ſogenannte Auguſtiniſche Haus ſein 
Eigenthum war), bald de Milicowes (1407) bald de Ujezd, 
ſeit 1408 aber, wo er das Gut Lobkowic an der Elbe an ſich 
brachte, meiſt nur de Lobkowie, endlich ſeit 1418, wo K. 
Wenzel ihm die Burg Haſſenſtein verpfändete, »de Lobkowie 
et de Hasistein.«e Im J. 1416 folgte er im Oberſtlandſchrei— 
beramte dem Nicolaus von Okor (mit welchem er häufig ver: 
wechſelt wird,) zeichnete ſich im Huſſitenkriege als königlicher 
Feldherr, wie wir ſehen werden, vortheilhaft aus, und ſtarb 
1435. Daß er und kein Anderer es war, der den Streit über 
die drei Stimmen durchführte, lernen wir auch aus einer ums 
J. 1432 geſchriebenen Invectiva contra Hussitas (MS.), wo es 
heißt: »Item dietum Chudy Mikulaj, protonotarium regni, qui 
nationem eorum, h. e. Boemorum, pestifera dissensionis mate- 
ria in universitate tunc Pragensi, rege adhuc Wenceslao vi- 
vente, de vocibus exorta, coram ipso rege tolis promovit viri- 
bus, et desiderium cordis eorum in eflectum perduxit, dignis 
laudum praeconiis attollebant et beatificabant. Postea vero, 
quia erroribus ipsorum tun pro magna parte pullulanubus et 
erescentibus, et praesertim erroribus circa communionem utrius- 
que speciei currentibus, repugnavit, graviter persecuti sunt« etc. 
304) Chron. universit, Prag. Item eodem anno venit solennis ambas- 
siata a rege et universitate Parisiensi ad regem nostrum Wen- 
ceslaum, pro tunc in Montibus Kutnis existentem. — Audlita 
legatione de abstractione obedientiae ab utroque praetenso 
papa, Bohemis placentibus, aliis nationibus displicentibus, — 
Wenceslaus — rex eodem die tres voces ad instar Parisiensis 


universitatis — largissime donavit ete. 


232 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 ſervanz beruhe, ließ er ſich um ſo leichter bereden, es aus 


18 Jan. 


22 Jan. 


königlicher Machtvollkommenheit umzukehren, als ihn die 
Abgeordneten der Pariſer Univerſität verſicherten, daß bei 
ihnen eben jenes umgekehrte Verhältniß Statt finde, und 
als es ohnehin bei Stiftung der Prager Univerſität Karls IV 
erklärter Grundſatz geweſen, daß ſie nach dem Muſter der 
Pariſer eingerichtet werden ſollte. Er befahl daher der. 
Prager Univerſität, durch ein von Kuttenberg am 18 Ja— 
nuar 1409 datirtes Decret, daß die eingeborne böhmiſche 
kation, nach dem Beiſpiele der Pariſer und der italie— 
niſchen Univerſitäten, bei allen Acten und Abſtimmungen 
fortan drei Stimmen, die fremden Nationen zuſammen 
aber nur eine haben follten. ““? Natürlich hatte dieſe Maß— 
regel von Seite des Königs zunächſt nur den Zweck, die 
Entziehung der Obedienz gegen Gregor XII und die Neu— 
tralitätserklärung, auf welche ſowohl das Cardinalscolle— 
gium, als auch die franzöſiſchen Geſandten drangen, in 
ſeinem Lande zu fördern; wie er ihr denn auch in einigen 
Tagen, am 22 Januar, den allgemeinen Befehl für ſein 
ganzes Reich folgen ließ, daß hinfort unter ſchwerer Strafe 


305) »Cum natio Teutonica, jure incolatus regni Bohemiae prorsus 
expers, in singulis universitatis studii Pragensis agibilibus, ut 
relatio veridica ad nos deduxit, tres voces sibi vindicaverit ad 
usum, natioque Boemica, ejusdem regni justa heres, tantum- 
modo unica gaudeat et fruatur: nos (id) iniquum et valde in- 
decens arbitrantes, — mandamus, quatenus — nationem Boe- 
micam in singulis consiliis, judiciis, examinibus, electionibus 
et quibuscunque aliis actibus et dispositionibus universitatis 
praedictae, ad instar ordinationis, qua gaudet natio Gallica in 
universitate studii Parisiensis, ac ceterae in Lombardia et Ita- 
lia potiuntur nationes, ad tres voces admittere modis omnibus 

“ debeatis« etc. Vgl. J. Th. Held, Tentamen historicum illu- 
swandis rebus auno mecccıx in universilate Pragena gestis, 


Pragae, 1827. in 8. (pag. 26 54.) 


Streit um die drei Stimmen an der Univerfität, 233 


Niemand mehr Gregor XII für einen Papſt erkennen oder 
ihm als ſolchen gehorchen dürfe. 306 r 
Als das königliche Decret über die drei Stimmen am 
26 Januar den verſammelten Mitgliedern aller vier Na— 
tionen der Prager Univerſität feierlich verkündet wurde, 
entſtand unter den Deutſchen die heftigſte Gährung. Nim— 
mermehr, erklärten ſie, würden ſie einer ſolchen Ungerech— 
tigkeit und Schmach ſich fügen, eher wollten ſie insgeſammt 
die Univerſität und das Land auf immer verlaſſen. Und 
um dieſer Drohung Nachdruck zu geben, ſetzten ſie unter— 
einander eine ſchriftliche Erklärung in Umlauf, in welcher 
jeder einzelne Magiſter, Baccalar und Student ſich an 
Eides Statt verpflichtete, unter der Strafe des Eidbruchs, 
der Excommunication, der Ehrloſigkeit und einer Geldbuße 
von 100 Schock Prager Groſchen, nicht zuzugeben, daß die 
bisherige Art zu ſtimmen in irgend einer Weiſe verändert 
werde, ſondern, im Fall die zu erneuernden Verſuche zu 
Erhaltung derſelben bei dem Könige und deſſen Räthen 
ſich fruchtlos erweiſen ſollten, lieber Prag zu verlaſſen 
und nimmermehr dahin um der Studien willen zurückzu— 
kehren.“ Dagegen pries Hus, nach feiner Wiedergeneſung, 
öffentlich die Liebe des Königs zu feinem Volke, und er— 
mahnte ſeine Zuhörer von der Kanzel herab, auch dem Herrn 
Nicolaus von Lobkowic, der ſich der Seinigen fo warm 
angenommen, ſich dafür dankbar zu erweiſen. “ 


306) Das noch von Kuttenberg datirte königl. Decret darüber iſt 
gedruckt in Martene et Durand collectio ampliss. tom. VII, 
pag. 923. 

307) Die aus einem gleichzeitigen Codex der Leipziger Univerſitäts— 
bibliothek geſchöpfte Formel dieſer Erklärung findet ſich nebſt 
anderen dazu gehörigen Acten gedruckt in Held's Tentamen 
historicum a. a. O. 

308) Depositio testium etc. »Wenceslaus de Wodierad, publicus no- 


larius, inter cetera sub juramento deponit, quod audivit ex 


1409 


26 Jan. 


1409 


231 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


Die drei Nationen ließen es nicht an Verſuchen man— 
geln, den König und ſeine Räthe zur Zurücknahme des 
verhängnißvollen Decrets zu ſtimmen; die darüber ange— 
knüpften Verhandlungen dauerten mehre Monate lang. 
Man war endlich geneigt, eine volle Gleichheit der Ein— 
heimiſchen und der Fremden überhaupt in der Art eintre— 
ten zu laſſen, daß in den öffentlichen Functionen und Am— 
tern ein Böhme jedesmal mit einem Deutſchen, gleichviel 
von welcher Nation, alternire, und namentlich das Recto— 
rat und die Decanate ein halbes Jahr je von einem Böh— 
men, das andere Halbjahr darauf von einem Deutſchen 
verwaltet würden;“ zu weiteren Conceſſionen aber woll— 
ten weder der König, noch deſſen Räthe ſich bereitwillig 
finden laſſen. Da inzwiſchen während dieſer Bewegungen 
alle gewöhnlichen Acte bei der Univerſität ins Stocken ge— 
rathen waren, und auch die im April vorzunehmende Wahl 
eines neuen Rectors und eines Decans der philoſophiſchen 
Facultät wegen des Streits der Nationen nicht zu Stande 
hatte kommen können: ſo legte K. Wenzel am Ende ſich 
ſelbſt ins Mittel, ernannte für diesmal, aus königlicher 
Macht, feinen Secretär M. Zdenek von Labaun zum Necz 


ore M. Hus in sermone ad populum praedicantis et dicentis: 
Pueri! laudetur deus omnipotens, quia Teutonicos exclusimus, 
et habemus propositum, pro quo institimus, et sumus victores; 
et specialiter regratiamini D. Nicolao Augustini, quod iste ad 
preces nostras coram rege eflecit.« (» Augustini« heißt hier 
Herr Nicolaus nach feinem Prager Hauſe, in ähnlicher Weiſe, 
wie jener Nicolaus Faulfiſch, »vir genere nobilis ex domo 
quam Putridi piscis vocant« bei Aeneas Sylvius.) 

309) »Quod rector universitatis et decanus facultatis artium, simi- 
liter et examinatores promovendorum in facultate artium in 
antea eligi deberent alternatis vicibus, sie quod una mutatione 
regeret et decanus esset et examinator Bohemus, et alia mu- 
tatione et per dimidium annum Teotonicus, non curando, cujus 


nationjs existeret.« (MO. bibl. univ. Wratislav. I, C. 90, fol. 14 sq.) 


Streit um die drei Stimmen an der Univerſität. 235 


tor der- Univerfität, den M. Simon von Tisnow zum 1409 
Decan der philoſophiſchen Facultät, und forderte zu Ge— 
horſam auf. Am 9 Mai kam mit dieſen Befehlen Herr 9 Mai 
Nicolaus von Lobkowie ins Karolingebäude, wohin bereits 

alle Mitglieder der Univerſität berufen worden waren; 
ihm folgten ſämmtliche Rathsherren der Altſtadt Prag, und 

eine anſehnliche Schaar von Bewaffneten. Nach voran— 
gegangener feierlicher Kundmachung des königlichen Wil— 
lens erklärte die böhmiſche Nation ihre Bereitwilligkeit, 

zu gehorchen; die übrigen beharrten bei ihrer Weigerung. 
Hierauf nöthigte Herr Nicolaus dem alten Rector, M. 
Henning von Baltenhagen, die Univerſitätskleinode ab: 0 

das Sigill, die Matrikel, die Schlüſſel zur Bibliothek und 

die Kaffe, und nahm ſie vorläufig in feine Verwahrung. 
Obgleich die heftigſten Reden dabei gewechſelt wurden, fo 
kam es dennoch zu keinen Thätlichkeiten: aber unmittelbar 
darauf fingen die deutſchen Magiſter und Studenten an, 


310) Breve chronicon Boem. MS. (ganz gleichzeitig.) Anno 1409, 
fer. Va proxima post festum S. Stanislai, — hora XIII diei vel 
quasi, tradita sunt insignia rectoratus per rectorem universi- 
tatis studii Pragensis M. Heningum Baltenhagen , videlicet si- 
gillum universitatis et matricula, qui metu compulsus tradidit 
eadem, in stuba facultatis, praesentibus fere magistris omnium 
quatuor nationum et omnibus consulibus majoris civitatis Pra- 
gensis, D. Nicolao notario urbariae in Montibus Chutuis etc, — 
MS. Wratislav. cit. Tauta supervenit nomine regis impressio, 
ut quidam Joannes (ſoll heißen Nicolaus) Augustini cum sca- 
binis eivitatis Pragensis collegium et stubam facultatis artium 
intrarent armata et magua comiliva; — extorserunt claves a 
rectore praecedenti, qui fuit Teotonicus, et elenodia universi- 
talis, nec non pecunias ſisci facultatis artium una cum clavi- 
bus ad librariam receperunt etc. (Cochlaeus hat pag. 13—14 
dieſe Breslauer Quelle, eine ums J. 1459 verfaßte Streit: 
ſchrift gegen die Huſſiten, meiſt wörtlich benützt.) Vergl. 
Monum. hist. universit. Prag. IJ, pag. 403. J. Theob. Held ten- 


tamen historicum etc. Pag, 21 544. 


1409 


236 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


ihrer gegenſeitigen Verbindung Folge zu geben, und Prag 
zu Fuß, zu Pferde und zu Wagen ſchaarenweiſe zu ver— 
laſſen. An einem einzigen Tage zählte man über zwei 
tauſend Abreiſende; die Geſammtzahl aller Wegziehenden 
wird aber verſchieden angegeben. 1 Bald blieben keine 
deutſchen Profeſſoren und Studenten mehr in Prag übrig, 
als einige Mitglieder der juridiſchen Facultät, welche, da 
ſie einen von der übrigen Univerſität abgeſonderten Körper 
bildeten, von dem Streit um die drei Stimmen gar nicht 
berührt worden waren.“! 

Dieſe in leidenſchaftlicher Aufwallung beſchloſſene und 
vollführte Auswanderung“ der deutſchen Profeſſoren und 
Studenten aus Prag iſt ein folgenreiches Ereigniß. Seit 
Karl IV hatten vorzüglich zwei Umſtände beigetragen, Prag 
gleichſam zur Hauptſtadt von Deutſchland zu erheben: die 
Anweſenheit des kaiſerlichen Hofs, und die Univerſität; 
der letzteren dürfte man in dieſer Hinſicht ſogar die größere 
Bedeutung zuſchreiben. Gab es damals auch ſchon mehre 
hohe Anſtalten dieſer Art in Deutſchland, ſo gab es doch 


311) Aeneae Hlvii Histor. Bohem. cap. 35: Magistri ac discipuli 
Teutonici generis, jurejurando adacti, uno die supra duo millia 
Pragam reliquere; nec diu post circiter tria millia secuti, apud 
Lipsiam Misnae civitatem — universale studium erexere, Da: 
gegen behauptet ein gleichzeitiger böhmiſcher Annaliſt (Script. 
rer. Boh. III, 11), es ſeien ihrer im Ganzen mehr als 20,000 
weggezogen. 

312) Darum zeigt das Album seu matricula facultatis juridicae uni- 
versitatis Pragensis ab ann. 1372 — 1418 (in dem dritten Bande 
der Monumenta universit. Prag 1834) keinen Abſchnitt im 
Jahre 1409, obgleich die Frequenz der drei auswärtigen Na— 
tionen ſeit 1409 dennoch ſichtbar ſich verminderte. 

313) Der gleichzeitige böhm. Annaliſt (Script. rer. Boh. III, 12) 
behauptet auch, die Ausgewanderten hätten hintennach ihren 
raſchen Entſchluß ſelbſt bereut und ſich noch lange nach Prag 
zurückgeſehnt. 


Die deutſchen Profefforen u. Studenten verlaffen Prag. 237 


keine, die der Prager an Frequenz und Anſehen gleich- 1409 
gekommen wäre. Von Prag war ſeit einem halben Jahr— 
hundert der vornehmſte bildende Einfluß nach allen Sei— 
ten, zumeiſt aber nach Norddeutſchland und bis nach Skan— 
dinavien hin, ausgegangen.?!“ Der Pflege der Wiſſen— 
ſchaft hatte ſich auch die der ſchönen Kunſt beigeſellt, und 
ſelbſt der Handel hatte dadurch einen lebhafteren Auf— 
ſchwung genommen; denn viele auswärtige Studenten be— 
ſorgten zugleich Kaufmannsgeſchäfte, oder richtiger geſagt, 
viele deutſche Kaufleute hatten ſich in Prag als Studen— 
ten einſchreiben laſſen, um der den letzteren zugeſtandenen 
perſönlichen Privilegien theilhaftig zu werden. Dies alles 
hörte jetzt gleichſam mit einem Schlage auf; Prag verlor 
ſeinen Vorrang unter den deutſchen Städten um ſo mehr, 
als die Mehrzahl der Deutſchen ihren König nicht mehr 
darin zu ſuchen pflegte. Die deutſchen Univerſitäten ver— 
ſtärkten ſich durch Aufnahme der Prager Flüchtlinge; eine 
neue Hochſchule bildete ſich aus dem Kern der Auswan— 
derer in Leipzig, wo ſie noch im ſelben Jahre 1409 eröff— 


31% Das Zeugniß, welches das Conſtanzer Concilium über die ehe— 
malige Bedeutung der Prager Univerſität für Deutſchland und 
für Europa ausſtellte, iſt wenigſtens unverdächtig: Illud egre- 
gium studium Pragense inter cetera majora orbis nostri con- 
numerabatur clenodia. — Nam omnium studiorum Germani- 
cae nationis illud maximum non immerito famabatur, ad quod 
de singulis regnis et dominiis Alamanniae adolescentes simul 
et adultae aetatis homines, virtutis et studii amore conflue- 
bant, et thesaurum philosophiae et scientiae quaerentes, illum 
ibi copiose invenerunt. Quot viros illuminatos ea universitas 
produxerit, magistri et doctores ejusdem universitatis in di- 
versis mundi partibus dispersi testantur, quorum doctrinä plu- 
rima egregia loca et solennes civitates generaliaque studia tam 
sacris moribus quam ecclesiasticis diseiplinis reguntur ete. Im 
Briefe an K. Sigmund vom Dec. 1416, bei v. d. Hardt, IV, 
1079 fg. Acta Conciliorum, tom. VIII (Paris. 1714), p. 449. 


238 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 net wurde; der wiſſenſchaftliche Geiſt Deutſchlands nahm 
fortan eine vielſeitigere ſelbſtändige Entwickelung, da keine 
Hauptſtadt mehr den vorherrſchenden Ton angab. Noch 
wichtiger waren die Folgen dieſer Auswanderung für Böh— 
men ſelbſt. Das Deutſchthum in dieſem Lande erhielt da— 
durch den erſten mächtigen Stoß, dem bald noch andere 
in gleicher Richtung folgten, welche die fernere Entfaltung 
des deutſchen Elements in Böhmen auf Jahrhunderte hin— 
aus lähmten. Aber die unmittelbarſte und größte Bedeu— 
tung erhielt das Ereigniß für die fernere Entwickelung der 
kirchenreformatoriſchen Ideen in Böhmen. Mit der Ent— 
fernung der deutſchen Profeſſoren und Studenten aus Prag 
war der Hauptdamm durchbrochen, der ihren Strom bis 
dahin aufgehalten hatte; nun war ihr Sieg entſchieden; 
ſie überflutheten fortan Land und Volk faſt ohne Wider— 
ſtand; und ſo groß war die Empfänglichkeit der Gemüther 
dafür bereits geworden, daß das Mißvergnügen Derjenigen, 
die den jedenfalls empfindlichen Verluſt im materiellen Ver— 
kehr des Landes berechneten, in den Maſſen des Volkes 
keinen Anklang fand, und der Schaden, den die Prager 
Hausbeſitzer an Miethe und Kundſchaften erlitten, kaum 
ein lautes Murren zu erregen im Stande war. 


Viertes Kapitel, 


Entwickelung und Verbreitung der Huſſiſchen 
Lehre. 


König Wenzel und das Concilium von Piſa. Dreiheit der 
Päpſte. Widerſetzlichkeit des böhmiſchen Klerus, Bulle 
Alexanders V. Wiklefs Bücher werden in Prag verbrannt. 
M. Hus vor die römiſche Curie geladen. Dreiheit der 
römiſchen Könige. Joſtens Tod und der Heimfall Mäh— 
rens. Ausſöhnung Wenzels mit Sigmund. Vergleich zwi— 
ſchen dem Prager Erzbifhof und M. Hus. Papſt Jo— 
hanns XXIII Kreuz- und Ablaßbullen, und Tumulte dar— 
über in Prag. M. Hus und Stephan von Paletd. Hus 
im päpſtlichen Bann, muß Prag verlaſſen. Die Erzbiſchöfe 
Albicus und Konrad. Synode zu Prag. Die katholiſchen 
Profeſſoren aus Böhmen verbannt. Hus auf dem Lande. 
Reiſen des M. Hieronymus von Prag. Verhältniſſe zwi— 
ſchen Böhmen und Polen. Ausſchreibung des Conſtanzer 
Conciliums. Hus entſchließt ſich, dahin zu gehen. 

(Jahre 1409 — 1414.) 


Konig Wenzel hatte ſich, wie bereits bemerkt wor— 
den, frühzeitig mit den von beiden Gegenpäpſten abgefal— 
lenen Cardinälen in Verbindungen eingelaſſen, und vor— 
züglich durch das Mittel des Cardinal-Erzbiſchofs von Mai— 
land, ſeines alten Bekannten, Verhandlungen angeknüpft, 
die zum Zwecke hatten, ihm die Anerkennung als römiſcher 
König, dem künftigen Concilium aber den von Seite des 
römiſchen Reichs nöthigen Schutz und Beiſtand zu ver— 


1409 


De 


1409 ſchaffen; er hatte noch vor dem Schluſſe des Jahres 1408 
die Cardinäle durch eine feierliche Geſandtſchaft direct auf— 
fordern laſſen, ſich an ihn als den wahren römiſchen König 
zu wenden, und ihm ihre Wünſche und Bedürfniſſe vor— 
zutragen. 9? Das Collegium vermied es lange Zeit, zwi— 
ſchen Wenzel und Ruprecht Partei zu nehmen; als aber 
der Termin des nach Piſa ausgeſchriebenen Conciliums 
heranrückte, mußte es ſich entſcheiden. Es ſandte den Car⸗ 
dinal⸗Erzbiſchof von Bari, Landolf Maramaur, nach Deutſch— 
land, zuerſt zu dem auf den 6 Januar 1409 nach Frank⸗ 
furt am Main ausgeſchriebenen Reichstag, dann zu König 
Wenzel. Auf dem Reichstag erſchien bald nach Landolf 
auch ein Neffe Gregors XII, um die Fürſten in der Obe— 
dienz ſeines Oheims zu erhalten. Nach vielen Verhand— 
lungen erklärte ſich zwar die Mehrzahl, und darunter auch 
der Erzbiſchof von Mainz, für die Neutralität und das 
Concilium von Piſa: Ruprecht aber beharrte bei Gregor XII, 
und beſchloß zu deſſen Gunſten ſogar dem Concilium ent— 
gegen zu arbeiten. Sein Benehmen zwang die Cardinäle, 
ſich endlich vollends an Wenzel anzuſchließen, und deſſen 
Sache eben ſo zu der ihrigen zu machen, wie Wenzel be— 
reits die ihrige zu der ſeinigen gemacht hatte. Cardinal 

16 Febr. Landolf kam nach Prag, und ſchloß am 16 Februar 1409, 
in Vollmacht ſeines ganzen Collegiums, einen Vertrag mit 


240 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


315) Die von den Geſandten Wenzels bei dieſer Gelegenheit ge— 
haltene Rede (die mit den Worten anfängt: »Regnum coelo- 
rum praesentis temporis super terram bifarie scissum este) {ft 
uns in einer Handſchrift der Prager Univerſitätsbibliothek 
(OL, G. 16) aufbewahrt worden; darin heißt es: ideirco om- 
nibus et singulis vobis reverendissimis in Christo patribus et 
dominis, D. Cardinalibus S. R. E. et toti sancto vestro col- 
legio placeat, sanctum vestrum propositum praedicto domino 
nostro amplius significare, secure denique postulare auxilium 
et subsidium ab eodem, ut vero et supremo advocato S. R. E. 


et Sedis apostolicae etc. 


Wenzel ab, kraft deſſen man ſich gegenfeitig zu Anerkennung 1409 
und Beiſtand verpflichtete; 1% am 15 März darauf fertigte 
Wenzel ſeine Räthe, den Oberſtkanzler Wenzel Patriarchen 
von Antiochien, den Meißner Biſchof Thimo von Kolditz, 
den Baron Benes von Chauſtnik, 97 und die Doctoren Hie— 
ronymus von Seidenberg und Johann Nas, als ſeine Be— 
vollmächtigten zum Concilium ab, und ernannte die erſten 
drei zugleich zu ſeinen Stellvertretern in Italien von des 
Reichs wegen. !“ Das Concilium nahm, wie beſtimmt war, 
zu Piſa am 25 März ſeinen Anfang; anweſend waren 25 März 
22 Cardinäle, 4 Patriarchen, 12 Erzbiſchöfe perſönlich und 
14 durch Abgeordnete, 80 Biſchöfe perſönlich und 102 durch 
Abgeordnete, 87 Abte, die Großmeiſter aller Orden, 31 
Deputirte von Univerſitäten und an 300 Doctoren; ferner 
die Bevollmächtigten K. Wenzels als römiſchen Königs, 
dann der Könige von Frankreich, England, Polen, Por— 
tugal, Sicilien und Cypern, nebſt vielen anderen Fürſten 
und Herren. Es kamen auch Abgeſandte des Gegenkönigs 
Ruprecht, jedoch nicht um mitzuwirken, ſondern um den 
Gang des Conciliums, wo möglich, zu hemmen; nachdem 
fie dies aber vergebens verſucht, ſchlichen fie ſich ſchon am 
21 April hinweg, und ließen eine Proteſtation zurück, in 
welcher ſie das Piſaner Concilium für ein Conciliabulum 
erklärten und in ihres Herren Namen an ein künftiges 
ökumeniſches Concil appellirten. Deshalb brachen die ver— 
ſammelten Väter vollends mit dem „Herzog Ruprecht von 
Bayern“, und ſämmtliche 22 Cardinäle unterſchrieben und 


K. Wenzel und das Concilium von Piſa. 241 


316) Die Urkunden darüber hat Pelzel im Urkk. Buche zu Wences— 
laus, Num. 218, abdrucken laſſen. 

317) Den letzten Mann ſeines berühmten Geſchlechts, der noch im 
Laufe dieſes oder zu Anfange des folgenden Jahres (1410) 
ſtarb. Vgl. Archiv Cesky I, 167, 529. | 

318) Die noch ungedruckten Urkunden findet man in einer Hand: 
ſchrift der k. k. Hofbibliothek in Wien (Num. 5097, fol. 139 8g.) 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 16 


242 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 beſiegelten eigenhändig eine Urkunde, in welcher fie fich ver⸗ 
pflichteten, die oft genannte Anerkennung Wenzels durch 
die ganze Chriſtenheit zu fördern und auch dem künftigen 
einigen Papſt zur Pflicht zu machen;?“ auch erhielten 
deſſen Geſandte wirklich den Vorrang vor allen übrigen. “ 

Die zwei Männer, von welchen ſeit fünfzehn Jahren 
die Verſuche, eine Union und zugleich Reform der Kirche 
herbeizuführen, vorzugsweiſe ausgegangen waren, Peter 
von Ailly, Biſchof von Cambray, und Johann Gerſon, 
Kanzler der Pariſer Univerſität, wohnten dem Piſaner Con— 
cilium perſönlich bei, und gaben ſich Mühe, ihren Ideen, 
die bereits in ſo vielen Ländern Anklang gefunden, auch 
hier Geltung und Folge zu verſchaffen. Da das Con- 
cilium am 5 Juni 1409 beide Päpſte, Gregor XII und 
Benedict XIII, als Schismatiker, für abgeſetzt erklärte, und 
die Wahl eines neuen Papſtes nothwendig wurde, ſo ver— 
pflichteten ſich am 10 Juni ſämmtliche Cardinäle durch 
einen feierlichen Eid, daß wer immer von ihnen gewählt 
werden würde, das Concilium nicht eher auflöſen laſſen 
dürfe, als bis die ſo allgemein gewünſchte Reformation 
der Kirche an Haupt und Gliedern durch ihn, unter 
dem Beiſtand des Concils, eingeführt und vollendet werden 
würde.?! Am 15 Juni traten die Cardinäle ins Conclave, 

26 Juni und wählten, nach eilftägigen Berathungen, am 26 Juni 
den ſchon oft genannten Cardinal-Erzbiſchof von Mailand, 


319) S. Ruprechts Schreiben an die Reichsſtädte in Wenkers Ap- 
paratus et instructus archivorum pag. 299 — 300. 

320) In dem bei Raynaldi (1409, $. 45) gedruckten authentiſchen 
Verzeichniſſe der Mitglieder des Conciliums ſtehen die Ge— 
ſandten K. Wenzels namentlich vor denen der Könige von 
Frankreich und England. 

321) »Quod si quis nostrum in summum Romanum Pontificem eli- 
getur, praesens concilium continuabit nec dissolvet, neque dis- 
solvi permittet, quantum in eo erit, usque quo per ipsum cum 
consilio ejusdem concilii sit facta debita, rationalis et sufficiens 


* 


Das Concilium von Piſa. Alexander V. 243 


Pietro Filargo von Candien, einſtimmig zum Papſt, der 
fortan den Namen Alexander V annahm. Er war ein 
Minoritenbruder geweſen, hatte einſt in Orford und Paris 
ſtudirt, wurde dann Profeſſor an der Pariſer Univerſität, 
und verdankte der beſonderen Vorliebe, welche Johann Ga— 
leazzo Visconti für gelehrte Männer hegte, ſeine Erhebung 
zu den Bisthümern von Vicenza und Novara, endlich zum 
Erzbisthum von Mailand; auch war er lange Zeit an der 
Spitze des viscontiſchen Staatsraths geſtanden, und hatte 
einſt die Erhebung der Visconti's zu Herzogen von Mai— 
land bei K. Wenzel durchgeſetzt. Nun war er ein 70jäh— 
riger Greis, von untadelhaften Sitten und dem beſten 
Willen, der jedoch um ſo weniger zu einem Reformator 
ſich eignete, als er nicht im Stande war, irgend Jeman— 
dem auch nur eine Bitte abzuſchlagen. Daher nahm er 
bald nach ſeiner Erhebung mehr Ernennungen vor, als 
Beneficien und Amter vorhanden waren, begünſtigte ins— 
beſondere ſeine ehemaligen Ordensbrüder mehr als billig 
ſchien, vermehrte ſomit wider Willen die Mißbräuche, an— 
ſtatt ſie abzuſtellen, und ließ ſich faſt in allem von dem 
herrſchſüchtigen und ränkevollen Cardinallegaten von Bo— 
logna, Balthaſar Coſſa, bevormunden. Unter ſolchen Ver— 
hältniſſen drängte ihn Johann Gerſon vergebens mit der 
bibliſchen Frage: „Herr, wirſt du nunmehr das Reich Is— 
raels wiederherſtellen?“ Da auch für die Aufrechthaltung 
des Beſtehenden, wo nicht zahlreichere, doch noch ungeſtü— 
mere Stimmen ſich erhoben, ſo ſetzte der neue Papſt zum 
Behufe der Kirchenreformation ein neues Concilium auf 
den April 1412 an, und löſte die Piſaner Verſammlung, 
mit deren Genehmhaltung, ſchon am 7 Auguſt 1409 wie— 
der auf. 


reformatio universalis ecclesiac et status ejus, tam in capite, 
quam in membris.« Acta Sessionis XVI, ap. Raynaldum L. e. 
et d’Achery I, p. 848. 

16 * 


1409 


7 Aug. 


244 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 Auf dieſe Art täuſchte das Piſaner Concilium, hin— 
ſichtlich der Kirchenreform, ſelbſt die gemäßigteſten Hoff— 
nungen, und auch das lange Schisma wurde durch die 
neue Papſtwahl nicht beſeitigt, ſondern noch vermehrt; denn 
weder Gregor XII, noch Benedict XIII ließen ſich da— 
durch zur Abdankung bewegen, und da ſie fortwährend 
noch ihren, wenn auch verringerten, Anhang fanden, ſo 
gab es nunmehr, anſtatt zweier, ſogar drei Päpfte zugleich. 
Benedict XIII wurde noch in Spanien und in Schottland, 
Gregor XII in Neapel, in einigen kleinen Staaten von 
Italien und den deutſchen Diöceſen von Trier, Speier und 
Worms anerkannt; die ganze übrige Chriſtenheit hing 
Alexander V an, indem auch K. Sigmund von Ungarn, 
der das Concilium, wahrſcheinlich nur ſeinem Bruder zum 
Trotz, nicht hatte anerkennen wollen, dennoch nicht lange 
bei Gregor XII beharrte. 

Dem römiſchen Könige lag nun, nach der Anſicht der 
Zeitgenoſſen, die Pflicht ob, dafür zu ſorgen, daß die ge— 
nannte Union der Kirche eine Wahrheit werde und der 
ernannte einige Papſt bei der ganzen Chriſtenheit Anerken— 
nung und Gehorſam finde. K. Wenzel kannte dieſe Pflicht, 
und gab ſich allerdings Mühe, ihr nachzukommen; wie be— 
ſchämend aber mußte nicht das Bewußtſein für ihn ſein, 
daß er nicht einmal im eigenen Lande, bei den eigenen 
Unterthanen im Stande war, Alexander V Gehorſam zu 
verſchaffen! Denn der Prager Erzbiſchof und die Mehr— 
zahl des böhmiſchen Clerus hingen auch nach der Auf— 
löſung des Piſaner Conciliums noch immer Gregor XII 
an, ohne auf ihres Königs wiederholte Befehle zu achten. 
Die Gründe dieſer Widerſetzlichkeit find uns weniger be— 
kannt, als ihre Folgen. K. Wenzel, der dem Clerus von 
jeher nicht beſonders günſtig geſinnt war, faßte darüber 
gegen den Erzbiſchof Zbynek und die böhmiſche Geiſtlichkeit 
überhaupt einen Groll, den auch alle ſeine Günſtlinge theil— 


Drei Päpſte. Wenzels Streit mit dem Clerus. 245 


ten. Als im Juli 1409 die Nachricht von Alexanders V 
Wahl nach Prag gelangte, kam es deshalb zu offenen Feind— 
ſeligkeiten zwiſchen dem Clerus und dem koͤniglichen Hofe 
in Böhmen; und da mehre Geiſtliche, gleich dem Erzbiſchof 
ſelbſt, den beabſichtigten Zwangsmaßregeln durch die Flucht 
ſich entzogen, ſo befahl der König, einige Güter der Flüch— 
tigen einzuziehen; wobei namentlich zwei Günſtlinge, Herr 
Wok von Waldſtein, zugenannt Wokſa, und der Ritter 
Racek von Kobyla, ſich vor andern thätig erwieſen. ?*? 
Erſt am 2 Sept. 1409 ließ ſich Erzbiſchof Zbynek mit 
ſeinem Suffragan Konrad von Vechta, Biſchof von Olmütz, 
bewegen, Gregor XII zu verlaſſen und zu Alexander 
überzutreten. Die außerordentlichen Freudenfeſte, welche 
dieſes Ereigniß in Prag veranlaßte, zeugen von der Größe 
des Kummers, welchen man bis dahin über den Streit 
der weltlichen mit der geiſtlichen Macht empfunden hatte. 
Man ſang das Je deum in allen Kirchen, ließ alle Glocken 
zu wiederholten Malen ertönen, und illuminirte Abends 
die Stadt, während der Magiſtrat in glänzendem Aufzug 
unter Trompetenſchall die Straßen bis in die ſpäte Nacht 
durchritt. Die Illumination beſtand in jener Zeit darin, 
daß man vor etwa 600 Häuſern Freudenfeuer abbrannte, “s 


322) In einer Handſchrift des Wittingauer Archivs (A, 10) ſteht 
die Notiz: Ann. MCCCCVIH (lieg 1409) prope vel in festo S. 
Mariae Magdalenae, rex Wenceslaus cum archiepiscopo Zbyn- 
kone Zajiec et canonicis et plebanis Pragensibus contendit prop- 
ter antipapas. Vgl. ‚Seriptt. rer. bolt. III, 410: Woksa, Racek 
Kobyla, ta sta korrektory byla etc. Opp. Huss. I, 18. Von 
der Hardt, IV. 312. 

323) Breve chronicon Bohemiae (gleichzeitig, noch ungedruckt). Ann. 
1409, feria II post festum S. Aegidii, D. Zbynko Pragensis 
archiepiscopus et D. Conradus Olomucensis episcopus cum 
toto clero accesserunt ad obedientiam D. Alexandri papae V, 
et eadem die hora XVIII cantabatur Te deum laudamus in 


omnibus ecelesiis. Sequenti vero die, videlicet fer. III, pul- 


1409 
Juli 


246 VI Buch, a Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 Die wichtigfte Folge jener langen Widerſetzlichkeit des 
böhmiſchen Clerus war der Vorſchub, welchen dieſes Be— 
nehmen den reformatoriſchen Beſtrebungen des M. Johann 
Hus und ſeiner Freunde leiſtete. Indem Hus öffentlich 
von der Kanzel herab gegen die Geiſtlichkeit eiferte und 
auf ihren Sittenverfall hinwies, ſprach er nur die am böh— 
miſchen Hofe herrſchende Geſinnung aus, und fand um ſo 
mehr Beifall im Volke. Schon vor dem Schluſſe des vo— 
rigen Jahres (1408) hatten die meiſten Prager Pfarrer 
gegen ihn bei dem Erzbiſchof eine Klage angebracht; im 
folgenden Jahre wurde ſie wiederholt und die Klagepuncte 
vermehrt. Die bedeutendſten darunter waren: daß er das 
Volk gegen die Geiſtlichkeit, die Böhmen gegen die Deut— 
ſchen aufreize, die Nichtachtung der Kirche und ihrer Straf— 
gewalt predige, Rom den Sitz des Antichriſts genannt, 
und jeden Geiſtlichen, der für die Spendung eines Sacra— 
ments irgend eine Bezahlung fordere, für einen Ketzer er— 
klärt habe; dagegen habe er ſich nicht entblödet, den ketze— 
riſchen Wiklef öffentlich zu loben, und auch den Wunſch 
zu äußern, daß ſeine Seele einſt eben dahin, wo Wiklefs 
Seele iſt, gelangen möchte! Der Erzbiſchof trug ſeinem 
Inquiſitor, dem Profeſſor der Theologie M. Mauritius 
von Prag, die Unterſuchung dieſer Klagen auf, und befahl 
ihm zugleich, zu erheben, auf welche Vollmacht hin in der 
Bethlehemscapelle gepredigt und ein feierlicher Gottesdienſt 
mit Geſang gehalten werde. Ob Hus ſich der über ihn. 
verhängten Unterſuchung gefügt habe, iſt zweifelhaft; ſchrift— 


sabatur campana magna in praetorio Pragensi trina vice, hora 
17, 20 et 24; et eadem hora incensi sunt ignes bene sexin- 
genti fere coram qualibet domo. Et magister eivium Petrus 
Habhardi de Albo Leone cum aliis consulibus equitabant cum 
tubicenis hineinde in civitate usque ad 4am horam noctis, et 
gratulabantur multum de reintegratione ac unione sanctae ma- 


tris ecelesiae ac electione D. Alexandri papae quinti. 


Erfte Klagen gegen Hus. Bulle Alexanders V. 247 


lich aber gab er auf alle ihm zur Laſt gelegten Artikel 
Antwort, “ und erhob ſeinerſeits Klagen gegen den Erz— 
biſchof ſelbſt, in Folge deren Letzterer am 8 Dec. 1409 
vor den apoſtoliſchen Stuhl geladen wurde, um ſich da 
zu rechtfertigen. 3% 

Inzwiſchen hatte aber auch Zbynek feine Boten, einen 
Canonicus Jinoch und den Minoritenbruder Jaroſlaw, Ti— 
tularbiſchof von Sarepta, zu Alexander V mit dem Auf— 
trag abgeordnet, den Papſt zu unterrichten, wie in Böh— 
men und Mähren aus Predigten in gewiſſen Capellen und 
aus dem Leſen Wiklef'ſcher Bücher mannigfache Irrthümer 
und Ketzereien, vorzüglich in Bezug auf die Abendmahls— 
lehre, emporkeimten und die Seelen vieler Gläubigen be— 
reits angeſteckt hätten; ferner auf welche Art und wie ver— 
geblich der Erzbiſchof bisher ſich bemüht habe, dieſem Übel 
Einhalt zu thun; wie daher das Einſchreiten der höchſten 
Auctorität des Papſtes nothwendig ſei, um noch ſchwereres 
Unheil zu verhüten. Auf den Grund dieſes Berichts caſ— 
ſirte Alerander V am 20 Dec. 1409 alle gegen den Erz— 
biſchof anhängig gemachten Proceſſe, und gab demſelben 
durch eine beſondere Bulle den Auftrag und die Vollmacht, 


324) Die erſte Klage der Geiſtlichen gegen Hus fängt mit den 
Worten an: Revme pater! Ad instantes preces cleri vestrae 
civitatis et dioecesis etc. Die Antwort darauf beginnt mit 
den Worten: Quia, pater revme, coram Pat. Vestrae gratia 
tamquam scandalosus, erroneus — sum per meos adversarios 
delatus ete. Beide noch ungedruckte Aufſätze kommen in meh— 
ren Handſchriften jener Zeit vor, z. B. Prager Bibl. III, 
G. 16. — Die zweiten Klagepuncte vom J. 1409 beginnen: 
Revmus in Christo pater et dominus, D. Zbynko ete. — und 
Huſſens Antworten finden ſich in einigen Handſchriften punct— 
weiſe angehängt. 

325) Breve chron. Boem. MS. Anno 1409, dominico die quo cani- 
tur Populus Sion, citatus est D. Archiepiscopus a Wiklefistis 
Romanam curiam. Vgl. Opp. Huss. I, 113. 


1409 


8 Dec. 


20 Dec. 


248 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1409 unter Zuziehung von vier Doctoren der Theologie und 
zwei Doctoren der Rechte, alle Ketzereien und Irrthümer 
in ſeiner Diöceſe auszurotten, die Verbreitung Wiklef'ſcher 
Lehrſätze unter der Strafe der Excommunication zu ver— 
bieten, die Bücher Wiklefs den Händen der Gläubigen zu 
entziehen, und das Predigen, außer den Collegiat-, Pfarr- 
und Kloſterkirchen, an keinem andern wie immer privilegir— 
ten Orte zu geftatten. “““ 

1410 Die verhängnißvolle Bulle bedurfte auffallender Weiſe 
volle zehn Wochen, um von Piſtoja nach Prag zu ges 

9 März langen; und erſt am 9 März 1410 wurde ſie von dem 
Erzbiſchofe publicirt.?? Zbynek hatte gehofft, eine fo ent— 
ſchiedene Erklärung des dem Könige befreundeten Papſtes 
würde auf Letzteren den erwünſchten Eindruck machen und 
ihn bewegen, den Umtrieben der Wiklefiſten Einhalt zu 
thun; aber er täuſchte ſich. Nicht nur die Hofleute alle, 
ſondern auch einige der höchſten Landesbeamten, wie der 
Oberſtburggraf und Oberſthofmeiſter Herr Lacek von Kra— 
war, waren eifrige Freunde Huſſens, und hatten deſſen 
Sache bereits zu ihrer eigenen gemacht. Aus Anlaß der 
Bulle wurde Zbynef dem Könige ſogar als eine Art Landes— 
verräther dargeſtellt, der dem von den ausgewanderten 
Deutſchen verbreiteten Rufe, daß unter den Böhmen die 
Ketzerei Überhand nehme, ſelbſt das Wort rede; man ver— 
langte von ihm den Nachweis, wo die vermeinten Ketzer 
ſich befänden und wer fie ſeien? Ja es gab Stimmen, 
die da behaupteten, die Bulle ſei nicht einmal ächt, ſon— 
dern unterſchoben und von einem Beamten der apoſtoliſchen 
Kanzlei um ſchweres Geld erkauft. Auch appellirte Hus 
alſogleich von dem ſchlecht unterrichteten an den beſſer zu 
unterrichtenden Papſt, und ſuchte damit die Wirkung der 


326) Die Bulle iſt abgedruckt bei Raynaldi zum J. 1409, §. 89. 


327) Breve chron. Boem. MS. 


Bulle Alexanders V. Gericht über Wiklefs Bücher. 249 


Bulle zu lähmen. Der Erzbiſchof ließ ſich aber durch 1410 


alles das nicht irre machen. Er erneuerte den ſchon vor 
zwei Jahren begonnenen Proceß nunmehr aus päpſtlichem 
Auftrag, und bedrohte durch ein öffentliches Edict alle 
Diejenigen mit dem Kirchenbann, welche binnen einer be— 
ſtimmten Friſt alle Bücher Wiklefs, in deren Beſitze ſie 
waren, ihm nicht ausliefern würden. Hus brachte nun ſelbſt 
die ſeinigen, und übergab ſie dem Erzbiſchof mit der ſtol— 
zen Bitte, ſie zu prüfen, und die Irrthümer, die er etwa 
darin finden würde, ihm anzugeben; da auch er bereit ſei, 
ſolche zu bekämpfen und Andere vor ihnen zu warnen.“ 
Sein Beiſpiel wurde von Anderen befolgt, und im Gan— 
zen wurden über 200 Bände, zum Theil prachtvolle Ex— 
emplare, eingeliefert; nur vier Magiſter und Studenten 
verweigerten die Übergabe ihres Wiklef'ſchen Büchervorraths 
beharrlich. Das Ergebniß der von den ſechs Doctoren ein— 
geleiteten Unterſuchung lautete, wie ſich vorausſehen ließ: daß 
alle Bücher Wiklefs offenbare Ketzereien und Irrthümer ent— 
halten. Dieſes Urtheil wurde auf der um die Mitte des Juni— 
monats gehaltenen Provincialſynode publicirt, und der Erz— 
biſchof decretirte dann, am 16 Juni, daß ſie alle dem 
Feuer übergeben werden follen. “““ Zugleich verbot er alles 
Predigen in Capellen oder an anderen Orten außerhalb 
der Stifts- und Pfarrkirchen, erklärte alle dem zuwider— 


328) Opp. Huss. I, 113. 294. 

329) Opp. Huss. I, 17. Von der Hardt, IV, 310 sq. 

330) Namentlich wurden in dem Decrete folgende Bücher Wiklefs 
verdammt: 1) Dialogus, 2) Trialogus, 3) De incarnatione verbi 
divini, 4) De corpore Christi, 5) De Trinitate, 6) De ideıs, 
7) De materia et forma, 8) De hypotheticis, 9) De individua- 
tione temporis, 10) De probatione propositionum, 11) De uni- 
versalibus realibus, 12) Super evangelia sermones per circu- 
lum anni, 13) De dominio civili, 14) Decalogus, 15) De Si- 
monia, 16) De attributis, 17) De fratribus discolis et malis. 
Vgl. Opp. Huss. I, 113, und die Urkunde vom 25 Aug. 1410. 


16 Juni 


1410 


250 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


laufenden Privilegien aus apoſtoliſcher Auctorität für nich— 
tig, und drohte Allen, welche ſich binnen ſechs Tagen nicht 
gehorſam erweiſen würden, mit dem Kirchenbann. 331 
Dieſes Verfahren machte großen Eindruck und allge— 
meines Aufſehen. Die Univerſität hatte ſich, unter ihrem 
Rector, Dr. Johann Andreä Sindel, ſchon Tags zuvor 
(15 Juni) verſammelt, hatte einſtimmig gegen die Ver— 
brennung der Bücher proteſtirt und die Proteſtation dem 
Erzbiſchof durch ihren Procurator M. Marcus von König— 
grätz auch alſogleich bekannt gemacht. Es wurde darin 
hervorgehoben, daß nach den der Prager Univerſität ver— 
liehenen kaiſerlichen und apoſtoliſchen Privilegien dem Erz— 
biſchof keinerlei Jurisdiction über dieſelbe zuſtehe, und der 
Beſitz von Büchern überhaupt ein Gegenſtand nicht des 
Kirchen-, ſondern des Civilrechtes ſei; ferner daß das päpſt— 
liche Mandat durch den inzwiſchen (am 3 Mai) erfolgten 
Tod Alexanders V an fich erloſchen ſei; daß es unver— 
nünftig ſei, Werke über Logik, Philoſophie, Moral, Ma— 
thematik u. dgl., die mit der Kirchenlehre nichts zu ſchaffen 
haben, zu verbrennen; daß ſelbſt unter Vorausſetzung von 
Irrthümern, welche in den Büchern enthalten ſein könnten, 
eine Vernichtung derſelben nicht Statt finden dürfe, weil 
man ſonſt auch alle Werke heidniſcher Philoſophen, deren 
Lehren mit dem Chriſtenthume oft unvereinbar ſind, aus 
den Schulen entfernen müßte u. dgl.” Die Univerſität 
nahm zugleich ihre Zuflucht zum Könige, um die Voll— 
ziehung des Verbrennungsdecrets zu hindern, und Wenzel 
ließ in der That den Erzbiſchof auffordern, inne zu halten, 
bis Markgraf Joſt von Mähren nach Prag kommen und 


Die »Narratio« (in Opp. Huss. I, 109) behauptet: D. Zbynko 
libros Wiklef nedum non examinatos, sed nee perlectos, per 
suam definitivam sententiam fecit igne concremari. 

331) Opp. Huss. I, 114, etc. 

332) Opp. Huss. I, 115. 


Verbrennung der Bücher Wiklefs in Prag. 251 


den Streit entſcheiden würde. ? Der Markgraf war als 1410 
Bücherfreund bekannt, und galt für einen gelehrten Fürſten; 

ihm konnten Wiklefs Werke um ſo weniger unbekannt ſein, 

als ihm Hus ſelbſt ein Exemplar des (von ihm auch ins 
Böhmiſche überſetzten) Trialogus zugeſendet hatte.“ Darum 

ſchob Zbynék die Vollziehung noch auf. Inzwiſchen ließ 

die Univerſität am 21 Juni eine offene Kundmachung durch 21 Juni 
ganz Böhmen und Mähren ergehen, daß ſie ſich gegen die 
Verbrennung der Bücher feierlich verwahrt habe, und Hus 

legte mit ſieben anderen Mitgliedern der Univerſität am 

25 Juni eine neue Appellation an den neuerwählten Papſt 25 Juni 
Johann XXIII ein. Da indeſſen die Ankunft des Mark— 

grafen ſich allzuſehr verſpätete, ſo beſchloß Zbynck, nicht 

länger zu warten. Am 16 Juli verſammelte er die Prä- 16 Juli 
laten und den Clerus in ſeinem Hofe auf der Prager Klein— 

ſeite, ließ dieſen mit Bewaffneten umſtellen, die Bücher 
Wiklefs inmitten des Hofes aufſchichten und unter lautem 

Te deum laudamus anzünden. Ein zu gleicher Zeit faſt 

in allen Kirchen Prags erhobenes Glockengeläute verkün— 


333) Cron. Univers. Prag. Zbynko — libros Wiklef — sequenti 
die post Viti eremari synodaliter mandavit; sed ad instantiam 
D. Wenceslai Rom. et Boh. regis distulit suam vesanam sen- 
tentiam usque ad adventum D. Jodoci antiqui Moraviae mar- 
chionis. Opp- Huss. I, 11: Doctores, magistri et scholastici 
tolius universitatis, nullo excepto, praeter illos, qui ab archi- 
episcopo ad judicium librorum Wiklef adhibiti erant, uno ore 
omnes statuerunt regi supplicare, ut rem impediret. Horum 
petitioni rex annuens, misit ad archiepiscopum, qui rem ex- 
plorarent. Ibi ille negavit se quicquam citra sententiam regis 
de libris Wiklef decreturum. Quamquam igitur postridie eos 
igni destinaverat, tamen res est propter regis metum praeter- 
missa. 

334) Stephani Prioris Cartus. epistola ad Hussitas, in Bern. Pes 


Thesaur. anced. tom. III, parte II, pag. 527. 


252 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV. 


1410 digte dem Volke das ernſte Ereigniß. !” Zwei Tage dar— 

18 Juli auf, am 18 Juli, ſprach er eben fo feierlich über M. Jo— 

hann Hus und deſſen Freunde den Kirchenbann aus, und 

befahl ihn in allen Kirchen feiner Diöceſe feierlich zu vers 
kündigen.“ 

Die Folgen dieſes ſtrengen Verfahrens entſprachen 
leider nicht den Wünſchen und Hoffnungen des Erzbiſchofs; 
die getroffenen Maßregeln ſchreckten das Volk nicht ab, 
ſondern reizten es noch mehr auf, und ſetzten die gähren— 
den Gemüther in eine noch heftigere Bewegung, welche 
nunmehr auch den niedern Ständen ſich mittheilte. 37 Die 
ganze Stadt ſpaltete ſich in zwei ungleiche Parteien, die 
ſich durch Streit, Schmähungen und Spottlieder gegen— 


335) Cron. universit. Prag. Marchione nondum veniente, archi- 
episcopus XVI die mensis Julii repositos libros Wiklef in 
medio archiepiscopalis curiae, in praesentia Pragensis capituli, 
praelatorum ac multitudine cleri, cremari praecepit. Et sic 
ibidem pluribus combustis libris, melioribus ut creditur reser- 
vatis, membranas et registra ab antiquo reservata igni sub- 
jecerunt, psallentes et laudantes clamore valido Te deum lau- 
damus, pulsatisque campanis quasi pro mortuis, sperantes se 
jam habere omnium tribulationum finem, cum tamen primo 


initium deo justo judice permittente sumserunt. 


336) Cron. idem. M. Johannes Hus et D. Zdislaus de Zwieretic 
cum sibi adhaerentibus appellaverunt; quorum appellationi non 
deferens, omnes appellantes cum adhaerentibus Zbynko archi- 
episcopus excommunicavit cum omnibus, qui libros non repo- 
suerunt. Ein Originalexemplar des Bannſpruchs vom 18 Juli 
1410 befindet ſich im Wittingauer Archive. 

337) Si letopisom (in Scriptt. rer. Boh. III, 12, 13). To byla 
welikä bürka a ruoznice. Nekteri prawili, ze jest mnoho jinych 
kneh späleno, nezli Wiklefowych; a proto se lide bürili w 
ty &asy, a najwiece kralowi dworane na kanowniky a na knöZie, 
a s nimi obeen® wsickni lide w Praze. Neb jedni drzeli s ka- 
nowniky a druzi s M. Husi, takze mezi sebü pisne hanèiwe 


sklädali jedni o druhych etc. 


Heftige Gährung in Prag. 253 


feitig noch mehr erbitterten, und deshalb ſehr bald zu 1410 
Thätlichkeiten übergingen. Denn ſchon als am 22 Juli 22 Juli 
der Erzbiſchof, von etwa 40 Geiſtlichen und Clerikern um— 
geben, den Bannſpruch in der Kirche feierlich erneuern 
wollte, zwang ihn ein offener Aufruhr in derſelben ſich zu— 
rückzuziehen; und an demſelben Tage wurde ein Prediger 
in der Kirche zu St. Stephan in der Neuſtadt aus glei— 
chem Anlaß von ſechs bewaffneten Männern überfallen und 
beinahe umgebracht.“? Die Gegenpartei ließ es an Ne 
preſſalien nicht fehlen: kam irgend ein bekannter Huſſit in 
die Nähe der Domkirche, ſo ergriffen ihn die zahlreichen 
Cleriker, ſchleppten ihn in ihre Gemeinſtube, und prügelten 
ihn unbarmherzig durch.“? Obgleich K. Wenzel, gleich 
allen feinen Hofleuten, dem Erzbiſchof und deſſen Gapitel 
jetzt feindlich geſinnt war, ſo erkannte er doch die Noth— 
wendigkeit kräftigen Einſchreitens, um noch größeres Unheil 
zu verhüten; er verbot jede fernere Aufreizung, insbeſon— 
dere das Singen von Spottliedern, unter Todesſtrafe;““ 
aber auch den kirchlichen Bannſtrahlen ſollte keine Folge 
mehr gegeben werden, und dem Erzbiſchof wurde aufge— 
tragen, die Eigenthümer der verbrannten Bücher für die 
erlittenen Verluſte zu entſchädigen. Als er ſich deſſen wei— 
gerte, befahl der König, ihm eben ſo, wie andern Geiſt— 
lichen, welche an der Bücherverbrennung und Excommuni— 
cation mit Rath und That Theil genommen, ihre Ein— 
künfte zu fperren. 3 


338) Chron. univers. Prag. L. c. erzählt das und ſchließt mit den 
Worten: Hic timor prostravit omnes plebanos, quod peram- 
plius ab excommunicatione — cessaverunt. 

339) Start letopisomwe I. c. 

340) Stephani prior. Cartus. Antihussus in Bern, Pez Thes. anec 
dot. tom. IV, parte II, pag. 417 sqq. 

341) Chron. universü. Prag. Post combustionem librorum et excom- 
municationem appellantium et libros non reponentium rex Wen- 


ceslaus arrestavit census clericorum. 


254 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1410 Das Benehmen des M. Hus in dieſen ſtürmiſchen 
Tagen läßt ſich von ſeinem eigenen Standpunct aus leich— 
ter erklären, als rechtfertigen. Daß ſein Eifer gegen die 
Verdorbenheit des Clerus eben ſo wohl begründet als gut 
gemeint geweſen, darf man nickt bezweifeln; aber es iſt 
nicht minder wahr, daß ſeine Lehre den geſammten Bau 
der Kirche zu untergraben drohte. Indem er fortfuhr, die 
Mißbräuche und Fehltritte der kirchlichen Oberen einer öf— 
fentlichen Rüge zu unterziehen, vergaß er gar leicht, daß 
Beſcheidenheit und Gehorſam gleichfalls unter die chriſt— 
lichen Tugenden gehören; und während er ſo die Ge— 
brechen der Hierarchie vor dem Volke aufdeckte, bedachte 
er nicht, daß er an der Vernichtung einer Auctorität ar— 
beitete, deren fortgeſetzte Überlieferung für den Beſtand 
der römiſchen Kirche weſentlich war. Als er daher in 
einer während dieſer Tage gehaltenen Predigt ſeinen Zu— 
hörern erklärte, wie er dem ihm zugekommenen Befehle, 
nicht mehr zu predigen, nicht folgen könne, indem er Gott 
mehr als den Menſchen gehorchen müſſe; als er den zwiſchen 
ihm und den kirchlichen Auctoritäten erfolgten Bruch ſelbſt 
als ſolchen bezeichnete, und die Zuhörer fragte, ob ſie ih m 
beizuſtehen geſonnen ſeien? — und gleichwohl den Vor— 
wurf, ſich vom Kirchenverbande getrennt zu haben, mit 
Entrüſtung von ſich wies: ſo läßt ſich dieſer Widerſpruch 
nur durch den Mangel an Orientirung erklären, indem die 
Zeit noch nicht alle Conſequenzen ſeiner Lehre ans Tages— 
licht gezogen hatte. Die von ihm und ſeinen Freunden 
gegen Ende des Julimonats an der Univerſität zu Gun— 
ſten Wiklefs gehaltenen öffentlichen Vorträge, in welchen 
er den Tractat De winitate, M. Jacobell von Mies den 
Dialogus, M. Prokop von Pilſen De ideis, M. Zdislaw 
von Wartenberg und Zwiretic (aus dem Herrengeſchlechte 
dieſes Namens) De universalibus realibus, M. Simon 
von Tisnow De probatione propositionum, M. Johann 


Huſſens Benehmen; er wird vom k. Hofe gefhätt. 255 


von Siein De materia et forma u. f. w. gegen die Vor- 1410 


würfe von Ketzerei vertheidigten, hatten für den ferneren 
Gang der Ereigniſſe keine Bedeutung.“ 

Es waren in denſelben Tagen zwei Doctoren von 
Bologna als päpſtliche Nuntien in Prag angekommen, und 
hatten von Johann XXIII Briefe an den König und an 
die Univerſität mitgebracht, in welchen der neue Papſt ihnen 
ſeine am 17 Mai erfolgte Erhebung bekannt machte, und 
die Nuntien bevollmächtigte, auch über einige Kirchen— 
angelegenheiten zu verhandeln. An dieſe wendeten ſich 
daher der König, die Königin und viele böhmiſchen Großen 
mit der Bitte um Zurücknahme und Aufhebung der oft 
erwähnten Bulle Alexanders V. Als dieſelben am 16 Sept. 
ihre Rückreiſe antraten, gab ihnen der König ein Geleite 
und eigenhändige Briefe an den Papſt und an die Car— 
dinäle mit. Er beſchwerte ſich darin in ziemlich heftigen 
Ausdrücken über das Verbot, daß außerhalb der Stifts— 
und Pfarrkirchen nirgends mehr gepredigt werden ſollte.“ 


342) Die Mehrzahl dieſer Vorträge hat ſich in einer Handſchrift der 
k. k. Hofbibliothek (Nr. 4002, vom J. 1412) erhalten. Der 
von der Univerſität über dieſe Arte ergangene öffentliche An— 
ſchlag iſt in das oft genannte Chronicon universit. Prag. auf— 
genommen worden. Nach der Invectiva contra Hussitas MS. 
ſoll einer der Defendenten mit dem von ihm vertheidigten 
Buche, zur Ergötzung ſeiner Zuhörer, folgendes drollige Ge— 
ſpräch geführt haben: »Die, quaeso, mi tractatule, ob quam 
condemmatus es causam? num propter avaritiam, simoniam, 
luxuriam aut superbiam, quam in clero arguebas’?« Et mox 
huic stultae quaestioni propriam subjungendo responsionem, 
ajebat: »Certe non in me hoc, sed dialogo et trialogo conti- 
netur libris; — et plures huic similes quaestiones et solu- 
tiones stultas, blasphemas et derisorias vomuit. 
343) »Praefata jubet sententia, quod libri singuli M. Johannis Wiklef 
comburantur, — causam sed falsam subjicientes, quia in regno 
Bohemiae et in eivitate Pragensi multorum corda ex eis hae- 


resi sunt infecta. O quam detractione perfida nostrum regnum 


16 Sept. 


256 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1410 Auch Königin Sophie verwendete ſich mit Eifer für die 
Aufrechthaltung der Privilegien der Bethlehemscapelle; “ 
und der Oberſtburggraf Lacek von Krawar ſtellte in feinem 
Schreiben insbeſondere die Nachtheile vor, wenn jener 
Bulle zufolge fortan auf keiner Burg, in keinem Feldlager 
mehr gepredigt werden dürfte. Da auch viele andere Ba— 
rone, ſo wie die Magiſtrate der drei Prager Städte, mit 
gleicher Bitte ſich an den Papſt gewendet hatten, ſo zwei— 
felte man nicht an dem Erfolg derfelben. 

Alle dieſe Bemühungen hatte jedoch der Erzbiſchof im 
voraus vereitelt, indem er der von Hus eingelegten Ap— 
pellation ſchon vor Ende Juni ſeinerſeits auch eine Ge— 
ſandtſchaft an Johann XXIII nach Bologna hatte folgen, 
ihn über den Stand der Dinge unterrichten und den Ap— 
pellanten als den eigentlichen Urheber alles Übels bezeich— 
nen laſſen. Der Papſt trug dem Cardinal Otto von Co— 
lonna (dem nachmaligen Papſt Martin V) die Unterſuchung 
und Entſcheidung des Proceſſes auf, und dieſer fällte (trotz 
dem, daß die Univerſität von Bologna die Verbrennung 
der Bücher Wiklefs mißbilligte s“) feinen Spruch ſchon am 


hoc dicto offenditur et sine demerito aemulorum invidia la- 
ceratur! Quapropter Vestram in domino hortamur Sanctita- 
tem, quatenus hujusmodi praetensam dignaretur tollere sen- 
tentiam, ut verbum dei praedicetur libere, honor servetur nostri 
regni, et perfidi aemuli, nisi probaverint, meritorie castigentur.« 

344) »Pro singulari Vestram Sanctitatem humillime rogamus gratia, 
quatenus capellam Bethlehem, quam nobis et nostris regnicolis 
ad audiendum verbum dei reputamus perutilem, confirmare 
perpetuis temporibus dignaretur. Vestrae enim Sanctitati hoc 
scribimus pro primariis precibus, cupientes certitudinaliter ex- 
audiri« etc. Beide Briefe, des Königs und der Königin, find 
neben andern Briefen gleichen Inhalts in der Handſchrift der 
k. k. Hofbibliothek Nr. 4902 erhalten worden. 

345) Vgl. Monum. histor. universit. Prag. tom. III, pag. 428. 


M. Hus vor die römiſche Curie geladen. 257 


25 Auguſt dahin,“ daß das ganze Verfahren des Erz 


1410 


biſchofs beftätigt, ihm darin fortzufahren befohlen, M. Hus Aug. 


aber vorgeladen wurde, innerhalb beſtimmter Friſt perſön- 
lich am päpſtlichen Hofe zu erſcheinen und ſich daſelbſt zu 
verantworten. | 
Als die Nachricht von dieſer Entſcheidung nach Prag 
gelangte und dem Erzbiſchof den Muth gab, am 24 Sep— 
tember zur Aggravation ſeines Strafurtheils zu ſchreiten, 
vermehrte dies noch die ſchon ſeit lange beſtehende Aufregung 
und Erbitterung. Huſſens zahlreiche Freunde wollten von 
deſſen Reiſe an den römiſchen Hof nichts hören. ug: 
beſondere nahm ſich die Königin Sophie alſogleich ihres 
Beichtvaters an, damit er von der Nothwendigkeit, ſich 
perſönlich zu ſtellen, entbunden werde; denn bei dem in 
vielen deutſchen Ländern gegen ihn rege gewordenen Haſſe 
beſorgten ſeine Landsleute, daß er ſeinen erbitterten Feinden 
unterwegs in die Hände fallen, und nicht lebend bis nach 
Bologna gelangen würde. Auch K. Wenzel fühlte ſich 
durch dieſe über ſein Land ergangenen neuen Cenſuren em— 
pfindlich verletzt. Er äußerte daher in einem am 30 Sept. 
neuerdings dem Papſte geſchriebenen Briefe ſein Befrem— 
den darüber, und verlangte um ſo mehr eine Aufhebung 
des Proceſſes, als alle Klagen über vermeinte Ketzereien 
in Böhmen eben fo unbegründet als ehrenrührig ſeien. 
Den Streit über die verbrannten Bücher wolle er zur Ruhe 
bringen, verlange aber, daß die Rechte der Bethlehems— 
capelle unangetaſtet bleiben, und die perſönliche Vorladung 
des M. Hus zurückgenommen werde; denn es ſei dem 
Staate nicht zuträglich, einen ſo erſprießlich wirkenden Pre— 
diger ſeinen Feinden Preis zu geben und ein ganzes Volk 
in Unruhe zu verſetzen; habe Jemand gegen ihn zu klagen, 
346) Wir haben dieſen noch unbekannten Spruch in einer (nicht 
ſignirten) gleichzeitigen Handſchrift * Prager Domcapitels 


aufgefunden. 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 17 


24 Sept. 


30 Sept. 


258 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1410 fo ſolle er dies vor der Prager Univerſität oder einem 
andern competenten Richter innerhalb des Landes thun.“ 
Mit dieſem Briefe ſandte er den Dr. Johann Nas und 


347) Da dieſer, zufolge der Unterſchrift (Rex per sec), vom Kö— 
nige unmittelbar herrührende Brief, ſowohl für den Stand 
der Dinge, als für die Geſinnung des Königs bezeichnend iſt, 
ſo ſetzen wir ihn ganz hieher: Post recommendationem humi- 
lem, Sanctitati reverentiam debitam exhibere. Pater beatis- 
sime! Pridem Sanct. Vestrae direximus literas, sublationem 
cujusdam praetensae sententiae, quae honori nostro derogat, 
postulantes; et ecce tempore medio quidam novi processus 
pro dicta in parte confirmanda sententia cum eitatione perso- 
nali M. Johannis Hus, s. theol. baccalaurei formati, capellani 
nostri fidelis devoti dilecti, ad inquietationem nostram et regni 
nostri nescimus quomodo emanarunt; etiam ut audimus, parti 
postulanti audientiam, ipsa penitus non admissa. Quapropter 
Sanct. Vestrae ex animo supplicamus, quatenus dignetur pro- 
cessus hujusmodi cum sententia tollere, et partes contenden- 
tium ad perpetuum silentium revocare. Volumus etenim, quod 
lis ratione librorum exorta sopiatur totaliter, ut cesset in nostro 
regno disturbium, quod pati nolumus, cum procurante omni- 
potenti domino, ratione librorum hujusmodi nullus noster re- 
gnicola in errore vel haeresi est compertus. Volumus etiam, 
quod capella Bethlehem, quam pro honore dei et salute po- 
puli, pro praedicatione evangelii libertavimus, in suo stet vi- 
gore et confirmetur, sic quod ejus collatores jure collationis 
non priventur, et M. Johannes Hus, capellanus noster fidelis 
devotus dilectus, ad eandem capellam confirmatus, pacifice 
praedicet verbum dei. Ceterum volumus, pater beatissime! 
quod citatio personalis ejusdem magistri cassetur; et si quis 
voluerit ei aliquid objicere, in regno nostro objieiat, coram 
Universitate studii Pragensis vel judice alio competente. Nam 
nostro regno non congruit, virum in praedicatione tam utilem 
in inimicorum discrimen exponere et totam multitudinem po- 
puli conturbare. De his autem et aliis honorabiles viri Dr. 
Naso et Mr. Joh. Cardinalis, fideles nostri devoti dilecti, Sanct, 
Vestrae clementiam plenius informabunt. Dat. Pragae, 30 mensis 


Sept. etc. (MS. Nr. 4902 der k. k. Hofbibliothek.) 


M. Hus vor die römische Curie geladen. 259 


den Mr. Johann Cardinal von Reinſtein zu Johann XXIII, 1410 
und gab ihnen auch den Auftrag, dahin zu arbeiten, daß 
zu Beilegung ſämmtlicher Streitigkeiten ein päpſtlicher Legat 
auf Koſten des Königs nach Böhmen komme. Dem 
Dr. Nas, den der Papſt perſönlich kannte, befahl er, Letz— 
terem noch überdies zu ſagen, daß er nur aus Achtung 
vor ihm ſich enthalte, die verdiente Züchtigung der Unruh— 
ſtifter und Verläumder ſeines Volkes ſelbſt vorzunehmen. 
Dann ſchrieb er auch an den Cardinal Otto von Colonna, 
und lud ihn ein, ſich nach Prag zu begeben, um an Ort 
und Stelle eine eigene Anſicht von der Lage der Dinge 
ſich zu bilden.“ M. Hus aber fertigte zu gleicher Zeit 
ſeinen Freund, M. Johann von Jeſenic, nebſt zwei andern 
Theologen, als ſeine Sachwalter an den päpſtlichen Hof 
ab, um ihn bei Führung des Proceſſes zu vertreten. 

Das Gewicht dieſer Scenen, der Anfänge und Vor— 
boten eines noch ungewohnten großen Kampfes um In— 
tereſſen des Geiſtes und der Gedanken, drängte im öffent— 
lichen Leben Böhmens ſchon jetzt alle gleichzeitigen politiſchen 
Ereigniſſe gleichſam in den Hintergrund. Über dem kirch— 
lichen und gelehrten Streit erregte der inzwiſchen am 18 
Mai 1410 erfolgte Tod des Gegenkönigs Ruprecht, und 
die unter den Kurfürſten verhandelte Frage, ob und wer 
als ſein Nachfolger zu wählen ſei, nur geringe Aufmerk— 
ſamkeit in Prag. Darüber waren jetzt in Deutſchland alle 
Stimmen einig, daß nur ein Mitglied des Hauſes Luxen— 


348) In dieſem Briefe heißt es: Quia a Nicolao regni nostri Bo- 
hemiae protonotario, nostro fidelissimo consiliario, et ab honor. 
viro Johanne Naso utriusque juris doctore, nobis dilectis, sumus 
informati multiplictier, quod Vestra Paternitas nobis suis af- 
ſectibus sit singulariter inclinata: ideo ipsam hortamur, exau- 
diri utique sperantes, quod propter honoris nostri et Lotius 
regni nostri quietem et commodum, processus hujusmodi cas- 
sare dignabitur ete. 

7 * 


4 
— 


260 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1410 burg römiſcher König ſein ſollte. Solche gab es nur noch 
drei, die letzten ihres Stammes: K. Wenzel, K. Sigmund 
von Ungarn und Markgraf Joſt von Mähren; und ſon— 
derbar! bevor das Jahr 1410 zu Ende ging, ſchmückten 
ſchon alle drei zugleich ſich mit den Titeln der Cäſaren. 

Da Böhmen, Brandenburg und Sachſen Ruprecht gar 
nicht als König anerkannt hatten, ſo konnte bei ihnen von 
der Erledigung des römiſchen Reichs und von einer neuen 
Wahl gar nicht die Rede ſein; die übrigen vier Kurfürſten 
waren aber unter einander ſchon deshalb uneinig, weil 
Pfalz und Trier noch immer Gregor XII anhingen, wäh— 
rend Mainz und Köln das Piſaner Concilium und deſſen 
Päpſte anerkannt hatten. Die damals noch fortdauernde 
gleiche Anhänglichkeit Sigmunds an Gregor XII beſtimmte 
die gleichgeſinnten zwei Kurfürſten, ihm ihre Stimme an— 
zutragen; wogegen die anderen zwei, wollten ſie nicht zu 
Wenzels Gehorſam zurückkehren, ſich nothwendig zu Markgraf 
Joſt hinneigen mußten. Beide, ſowohl Joſt als Sigmund, 
ſuchten die Wahl auf ſich zu lenken; beide ſtritten ſich um 
die Kurſtimme von Brandenburg. Als K. Wenzel merkte, 
daß eine neue Wahl nicht zu hindern ſei, verſtändigte er 
ſich mit dem Markgrafen, und verſprach ihm auch ſeine 
Stimme zu geben, wenn Joſt dabei ihn als älteren römi— 
ſchen König und künftigen Kaiſer anerkennen wollte. Joſt 
willigte in die Bedingung ein, und gewann mit der Kur— 
ſtimme Böhmens zugleich auch die von Sachſen. Nach 
langen Umtrieben beſchloß Sigmunds Partei, ihren Geg— 
nern zuvorzukommen, und wählte ihren Candidaten auf 
dem Kirchhofe zu Frankfurt am 20 Sept. 1410 mit nur 
drei Stimmen, indem Sigmund durch ſeinen Bevollmäch— 
tigten, den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, ſich die 
brandenburgiſche Stimme ſelbſt geben ließ. Am 1 Octo— 
ber darauf wurde aber von allen übrigen Kurſtimmen in 
derſelben Stadt wieder Joſt als römiſcher König gewählt. 


Drei römiſche Könige. Joſtens Tod. 261 


So erlebte die damalige Welt das vorhin und nach— 
her nimmermehr geſehene Schauſpiel von drei römiſchen 
Päpſten und drei römiſchen Königen zugleich! Bis zu die— 
ſem Zerrbilde mußte Karls des Großen einſt fruchtbare 
Idee von dem einigen Papſt und Kaiſer in der Chriſten— 
heit — dieſe Grundidee des chriſtlichen Mittelalters — ſich 
verirren, um ſich ihres letzten Zaubers zu entkleiden und 
die Welt zu überzeugen, daß ſie ſich endlich überlebt hatte, 
und daß die Fortſchritte des Zeitgeiſtes neue Schöpfungen 
forderten! In der That, tiefer als damals konnte das 
Anſehen, ſo wie die Macht und Würde der genannten 
Häupter der Chriſtenheit unmöglich mehr ſinken! 

Lange beſtand dieſer Zuſtand freilich nicht, — denn 
ſchon am 17 Januar 1411 ſtarb Joſt, vierthalb Monate 
nach ſeiner Wahl, ohne noch die Krone getragen zu haben. 
Man ſagte, es ſei ihm in einer Breiſpeiſe Gift beigebracht 
worden, und der Unglückliche, den man dieſes Verbrechens 
beſchuldigte, wurde nachher zu Böhmiſch-Brod in Gegen— 
wart vieler königlichen Burggrafen und Abgeordneten böh— 
miſcher Städte gefoltert und lebendig geviertheilt.“ Die 
näheren Umſtände jenes unvermutheten Todes ſind jedoch 


349) Breve chron. Boem. M. Anno dom. 1411, in die S. Antonii, 
mortuus est D. Jodocus marchio Moraviae, cum quibusdam 
pulveribus in pulmento cocto de pomis, ex inductione quorum- 
dam, super quos fassus est unus, qui tortus est in Broda bo- 
hemicali sabbato ante Invocavit coram consulibus Montis Chut- 
nac, et de Grecz Reginae, Coloniensibus, Numburgensibus, de 
Kurim, de Czaslavia et pluribus castellanis D. Regis, aliisque 
quam pluribus fide dignis militibus et elientibus eircum Bro- 
dam sedentibus, qui omnes praesentes fuerunt circa fassionem 
illius nequam, qui fer. II post dominicam Invocavit, videl. 2a 
die Martii, ibidem in Broda bohem. est in quatuor partes tal- 
liatus, et partes illae sunt suspensae in valvis civitatis. Alter 
vero nequam est rotatus in Tyn Horssoviensi fer. V ante do- 
minicam Esto mihi. 


1410 


1411 
17 San. 


1411 


262 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


der Nachwelt nicht überliefert worden. Da Joſt kinderlos 
ſtarb, ſo wurden ſeine Vettern Wenzel und Sigmund die 
einzigen Erben des reichen Nachlaſſes. Ob bei dem Un— 
willen, den beide königlichen Brüder noch immer gegen 
einander hegten, es darüber nicht zu einem Streite kam, 
wiſſen wir nicht; denn die Zeitgenoſſen, nur mit dem kirch— 
lichen Streit beſchäftigt, unterließen es, dieſe Vorgänge . 
aufzuzeichnen. Die Gewalt der Dinge nöthigte aber beide 
Könige, aus dem bisherigen Zuſtande herauszutreten, und 
ſich gegenſeitig zu thätiger Freundſchaft oder Feindſchaft 
zu entſcheiden. Da es dem Einen zu ſolcher Feindſchaft 
an Thatkraft gebrach, der Andere aber auf friedlichem Wege 
noch mehr zu erlangen hoffte, ſo boten ſie beide am Ende 
die Hand zur Ausſöhnung. Joſtens Beſitzungen aber wur— 
den in der Art getheilt, daß die Mark Brandenburg an 
Sigmund, die Niederlauſitz aber und Mähren an König 
Wenzel und an Böhmen zurückfielen. Sigmund verpfän⸗ 
dete Brandenburg alsbald, mit Wenzels Zuſtimmung, an 
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg. Das Stamm— 
land Luxenburg behielt der Gemahl der Eliſabeth von 
Görlitz, Herzog Anton von Brabant aus dem Hauſe Bur— 
gund, zu Pfand als böhmiſches Kronlehen. 

Joſt war der letzte Markgraf von Mähren geweſen, 
den, als ſolchen, die Geſchichte kennt; mit ſeinem Tode 
ſchloß die Reihe dieſer beſonderen Herrſcher, und die Kö— 
nige von Böhmen vereinigten fortan, wie die Herrſchaft, 
ſo auch die Titel der Markgrafſchaft, mit denen des Haupt— 
landes, bis auf den heutigen Tag. Schon zu Anfange 
Februars 1411 erſchienen die mähriſchen Barone, Lacek 
von Krawar, Hanus von Lichtenſtein, Wilhelm von Pern— 
ſtein, Erhard von Kunſtat auf Skal, Erhard von Kunſtat 
auf Kunſtat, Johann von Krawar auf Leipnik, Peter von 
Krawar auf Straznic und andere, und leiſteten, im Namen 
ihres Landes, dem Könige, als ihrem natürlichen Erbherrn, 


Mährens Heimfall an die Krone. 263 


die gewöhnliche Huldigung; worauf Letzterer durch einen 
am 16 Februar ausgeſtellten Majeſtätsbrief alle alten Pri— 
vilegien der Markgrafſchaft beſtätigte, und den bei ihm 
vorzugsweiſe beliebten Herrn Lacek von Krawar, der feit 
1408 ſchon die Amter eines oberſten Burggrafen zu Prag 
und oberſten Landeshofmeiſters zugleich verſehen hatte, zum 
mähriſchen Landeshauptmann beſtellte. Am 22 Februar 
ertheilte Wenzel auch den Ständen der Niederlauſitz die 
urkundliche Verſicherung, daß ſie von nun an nimmermehr 
von der Krone getrennt und nie unter eine andere Herrſchaft, 
als die des Königs von Böhmen, gebracht werden ſollen. 

Der neue Landeshauptmann von Mähren, Herr Lacek 
von Krawar, hatte ſich von jeher als Huſſens beſonderer 
Freund und eifriger Anhänger ſeiner Lehre erwieſen. Bei 
der Identität des Volkes in Böhmen und Mähren, hatten 
huſſitiſche Regungen ſich bereits auch im letzteren Lande 
verbreitet; durch den Herrn Lacek von Krawaf, und deſſen 
gleichgeſinnten Bruder Peter auf Straznic, fanden ſie nicht 
nur bei dem höheren Adel Mährens Eingang, ſondern ge— 
wannen in Kurzem ſo ſehr die Oberhand, daß Mähren 
bald (mit Ausnahme ſeiner erſten Städte, wo die Deut— 
ſchen noch vorherrſchten) im Eifer für den Huſſitismus 
ſelbſt Böhmen übertraf. 

Die oben erzählte wiederholte Verwendung König 
Wenzels, um Johann XXIII zur Niederſchlagung des 
gegen Hus geführten Proceſſes zu vermögen, hatte fürs 
Erſte keinen andern Erfolg, als daß der Papſt den 
Proceß aus Colonna's Händen nahm,“ und anderen 
Cardinälen anvertraute. Es wurde von Bologna nach 


350) Colonna hatte noch im Februar 1411 Hus in den Kirchenbann 
gethan: Idem D. Cardinalis commissarius, servatis servandis, 
de mense Februarii anni 1411 eundem M. Joh. Hus contuma- 
cem et non comparentem ac inobedientem in seriptis excom- 


municavit et excommunicatum fecit denuntiari etc. (MS.) 


1411 
16 Febr. 


1411 


15 März 


261 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


Prag berichtet, neue Geſandten des Erzbifchofs hätten es 
ſich großes Geld koſten laſſen, um die Zurücknahme der 
perſönlichen Vorladung Huffens zu hintertreiben. s'! Be— 
dauern muß man, daß dem Wunſche des Königs, es möchte 
ein Cardinal mit päpſtlicher Vollmacht zur Beilegung des 
Kirchenſtreits nach Böhmen geſchickt werden, keine Folge 
geleiſtet wurde. Hätte dieſe Sendung etwa den rechtſchaf— 
fenen und aufgeklärten Florentiner Cardinal, Franz Zaba— 
rella, getroffen, ſo hätte der beginnende Bruch vielleicht 
noch geheilt werden können. Er und Cardinal Ludwig 
Brancas waren die bedeutendſten Mitglieder der neuen 
Commiſſion, welche Huſſens Proceß zu unterſuchen und zu 
entſcheiden bekam. Zabarella ging darin mit großer Umſicht 
und Mäßigung zu Werke: aber plötzlich wurde, aus un— 
bekannter Veranlaſſung, das Geſchäft auch ſeinem Einfluß 
entzogen, und dem Cardinal Brancas allein übergeben, 
der trotz allen Bemühungen der Sachwalter Huſſens, es 
gegen anderthalb Jahre lang liegen ließ, ohne Colonna's 
Spruch zurückzunehmen oder zu beſtätigen. s'? So konnte 
es geſchehen, daß in Folge jenes Spruchs in Prag noch 
am 15 März 1411 Hus in allen Kirchen excommunicirt 
wurde; nur der Pfarrer zu St. Michael auf der Altſtadt, 
M. Chriſtann von Prachatic, und der damalige Hofpfarrer 
bei St. Benedict weigerten ſich, den Bann in ihren Kirchen 
verkündigen zu laſſen. 's Da indeß dieſe Excommunication 


351) Chron. universü. Prag. MS. »Zdenko Longus canonicus et 
Kunczo doctor, equos, scyphos et annulos papae Johanni de- 
derunt Bononiae, et etiam dominis cardinali de Ursinis et car- 
dinali de Columna publice annulos pretiosos donaverunt, ut 
appellantes pro libris non audirentur, nec citatio relaxaretur 
M. Johannis Hus; procuratoribus ac adyocatis solarium etiam 
copiosum dederunt« ete. 

52) Opp. Huss. I, pag. 1 er 110. Vgl. ebendaſelbſt pag. 416. 

353) Breve chron. boem. MS. »Die dominico, quo canitur Oculi, 


videlicet XV die Martii, denuntiatus est M. Johannes Hus in 


Huſſens Proceß. Wenzels Streit mit d. Clerus. 265 


keinen Eindruck machte, und auch die dem Erzbiſchof und 1411 
einigen Geiſtlichen auf Befehl des Königs vom Prager 
Magiſtrate entzogenen Einkünfte und Güter nach den an 
den Letztern ergangenen Mahnungen nicht zurückgeſtellt wur— 
den: ſo entſchloß ſich der Erzbiſchof, nach dem Antrag ſeiner 
geiſtlichen Räthe, die ganze Stadt Prag mit dem Inter— 
dict zu belegen. 3% 

Dieſes conſequent ſtrenge Verfahren mag in den Kirchen— 
geſetzen vollkommen begründet geweſen ſein: doch war es 
jedenfalls ſchon aus dem Grunde weniger erfolgreich, weil 
es an Mitteln gebrach, die Vollziehung der kirchlichen De— 
crete zu ſichern; unter den damaligen Umſtänden konnte 
der Streit dadurch nicht beſeitigt, ſondern mußte nur noch 
vermehrt und verbittert werden. Ein offener Krieg der 
weltlichen mit der geiſtlichen Macht in Böhmen war die 
Folge davon. König Wenzel fühlte ſich dadurch perſönlich 
gereizt, und ergriff um ſo ſchärfere Maßregeln gegen den 
Erzbiſchof und die Prager Pfarrer; mehre der Letzteren 
wurden aus der Stadt und dem Lande verbannt, andere 
ausgeplündert. 9 Am 6 Mai kam er ſelbſt unerwartet 6 Mai 
in die Domkirche, rief die Domherren zu ſich und ließ ſich 
von ihnen alle Kirchenſchätze vorweiſen; dann befahl er 
dem Karlſteiner Burggrafen Kunes von Olbramowiec und 


omnibus ecclesiis Pragae, praeterquam in ecclesiis S. Michae- 
lis et S. Benedieti majoris civitatis Pragensis.« Mit dieſem 
Datum ſchließt dieſes von uns oft angeführte, mit dem J. 1344 
beginnende Breve chronicon Boemiae, in einer Handſchrift der 
Leipziger Univerſitätsbibliothek. 

354) Chronicon universitatis Pragensis l. c. 

355) Anuo etc. XI rex Wenceslaus Boemiae coepit agere contra 
archiepiscopum et canonicos, spoliare et expellere, ex infor- 
matione et praedicatione Hus, immediate post ostensionem re- 
liquiarum in Praga; ubi plebani S. Aegidii et S. Nicolai magna 
damna perceperunt, et etiam alii plures sacerdotes. Nota coaeva 


in cod. MS. archivi Trebon. A. 10. 


1411 


5 Juni 


266 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


den Prager Rathsherren, dieſelben nach Karlſtein abzu— 
führen, — wahrſcheinlich um zu verhüten, daß der Erz— 
biſchof nicht, wie im gleichen Streite vor zwei Jahren, ſich 
dieſer Schätze wieder bemächtige, und ſie, wie damals, 
nach Raudnic übertrage. So wurden dieſe Schätze am 
7 Mai in Karlſtein untergebracht. 3° Für Wenzels pers 
ſönlichen Ernſt in dieſen Angelegenheiten ſpricht auch der 
ſeltene Umſtand, daß er am 5 Juni einmal im oberſten 
Landesgerichtshofe präſidirte und von den zahlreich ver— 
ſammelten Baronen das Geſetz faſſen ließ, daß Niemand 
es wagen dürfe, irgend Jemanden in einer weltlichen An— 
gelegenheit vor ein geiſtliches Gericht zu laden; wer es 
dennoch thue, deſſen Beneficium oder Einkünfte ſollten von 
den königlichen Beamten auf ſo lange in Beſchlag genom— 
men werden, bis dem gekränkten Theile volle Entſchädigung 
geleiſtet ſei.?? Der beſondere Anlaß zu dieſem Geſetze 
iſt uns nicht bekannt. 

Endlich im Sommer 1411 ſchien der trübe Zuſtand 
der böhmiſchen Kirche ſich wieder aufheitern zu wollen; 
Erzbiſchof Zbynek erwies ſich nachgiebiger, indem er die 
Fruchtloſigkeit des von huſſitiſchen Geiſtlichen unzähligemal 
gebrochenen Interdicts einſah, und ſich auch überzeugte, 
daß er jetzt bei Johann XXIII keine Unterſtützung zu ge— 
wärtigen habe. Es gab allerdings mehre Gründe, welche 
den Papſt bewogen haben können, gegen K. Wenzel Nach— 
ſicht zu üben. Dahin gehörte der Umſtand, daß nach Jo— 
ſtens Tode K. Sigmund die gewiſſe Ausſicht erhielt, eini— 
ger römiſcher König zu werden; er, der ſeine fortwährende 
Anhänglichkeit an Gregor XII noch am 5 Auguſt 1410 ur⸗ 


356) Bohuslai Balbini Epitome historica regni Bohemiae, pag. 421 
(nach einer gleichzeitigen Handfchrift). Stari letopisowé in 
Seriptt. rer. Boh. III, pag. 13, num. 38. 

357) Archiv Cesky II, 376 s. 


Wenzels Ausſöhnung mit Sigmund u. d. Clerus. 267 


kundlich zugeſichert hatte.? Wenn Johann auch nicht be- 1411 
ſorgen mochte, daß ſein aus Anlaß des Hus'ſchen Proceſ— 
ſes etwa erfolgender Bruch mit Wenzel, Letzteren wieder 
auf Gregors XII Seite zurück treiben könnte, ſo ſah er 
doch ein, wie wichtig es war, Sigmund für ſeine Obedienz 
zu gewinnen, und wie ſehr ihm Wenzel dazu behilflich ſein 
konnte. Es unterliegt eben ſo wenig einem Zweifel, daß 
in den damals zur Ausſöhnung Sigmunds mit Wenzel 
eingeleiteten Unterhandlungen auch jene Obedienz mit zur 
Sprache gebracht wurde, als es gewiß iſt, daß auch Sig— 
mund ſchon damals zur Beilegung der böhmiſchen Kirchen— 
ſtreitigkeiten beitrug; wie denn Wenzel zu gleicher Zeit 
und unter Vermittlung derſelben Perſonen ſowohl mit ſei— 
nem Bruder als mit dem Erzbiſchof und dem Clerus feines 
Reichs ausgeſöhnt wurde. Darum wäre auch die Ver— 
muthung nicht ungegründet, daß Johann XXIII ſelbſt den 
Erzbiſchof Zbynek zu einiger Nachgiebigkeit mitveranlaßt 
habe.““ 

Die völlige Ausſöhnung der beiden königlichen Brüder 
des Hauſes Luxenburg kam in Prag erft zu Ende Juni 360 
1411, vorzüglich durch die Verwendung des tapferen Gra— 


358) S. Wenker Apparatus Archivorum pag. 302. 

359) Wir nehmen keinen Anſtand, dieſe Vermuthung zu äußern, 
trotz den Worten des Biſchofs Johann von Leitomysl bei Coch— 
läus p. 35: tractare et compromittere non poterant, Sede apo- 
stolica dissentiente. Schon damals kannte die Diplomatie den 
Unterſchied zwiſchen ämtlichen und vertraulichen Mittheilungen, 
zwiſchen offener Zurücknahme eines Veto und zwiſchen Ge— 
ſchehenlaſſen durch Ignorirung ꝛc. Erzbiſchof Zbynef war aber 
nicht der Mann, der gegen den Willen der Curie offen ge— 
handelt hätte. 

360) Die in Pelzels Urkk. Buche Nr. 229 gedruckte Urkunde Sig— 
munds iſt zwar erſt vom 9 Juli datirt: der eigentliche Schluß 
der Verhandlungen muß aber in Prag, daher um etwa 10 
Tage früher, Statt gefunden haben. 


1411 


3 Suli 


268 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


fen Stibor von Stiboric, Wojwoden von Siebenbürgen, 
zu Stande. K. Wenzel verſprach, dem Bruder ſeine Stimme 
zum römiſchen Reich ebenſo zu geben, wie er ſie vorhin 
dem Markgrafen Joſt gegeben hatte; wogegen Sigmund 
ſich verpflichtete, Wenzeln zur Erlangung der Kaiſerkrone 
behilflich zu ſein und bei Lebzeiten desſelben nicht ſelbſt 
nach ihr zu ſtreben; beide Brüder machten ſich anheiſchig, 
die übrigen Kurfürſten zur Genehmigung dieſes Vertrags 
zu ſtimmen, und auf jeden Fall dafür zu ſorgen, daß das 
römiſche Reich ihrem Hauſe nicht entzogen werde. Die 
Reichseinkünfte und die heimgefallenen Güter verſprach Sig— 
mund mit Wenzel zu theilen, ihm die Reichskleinode auf 
Lebenszeit zu überlaſſen, und ihn im Beſitze der Krone 
Böhmen und der zu ihr gehörigen Lande zu Luxenburg, 
Mähren, Schleſien und der Ober- und Nieder-Lauſitz nicht 
zu kränken u. ſ. w. Hierauf wurde Sigmund am 21 Juli 
1411 zu Frankfurt am Main nochmals einſtimmig zum 
römiſchen Könige gewählt, und bekannte ſich fortan zur 
Obedienz Papſt Johanns XXIII. 

Der Ausſöhnung Wenzels mit ſeinem Bruder folgte, 
wie geſagt, die Ausſöhnung mit dem Clerus ſeines Reichs 
auf dem Fuße nach, indem ſchon am 3 Juli 1411 einer⸗ 
ſeits der Erzbiſchof mit ſeiner Geiſtlichkeit, anderſeits Hus 
mit ſeinem Anhang, auf den König und deſſen Räthe, ferner 
auf den Kurfürſten Rudolf von Sachſen, den Grafen Sti— 
bor von Stiboric und den Herrn Lacek von Krawar uns 
bedingt compromittirten. Durch dieſe, nämlich durch die 
drei letztgenannten Herren, welche eben damals in Prag 
ſich befanden, und die nachſtehenden Räthe des Königs: 
Wenzel Patriarchen von Antiochien, Konrad Biſchof von 
Olmütz, Sulek Propſt von Chotésau, Wenzel von Donin, 
Bohus Landcomthur zu Manetin, Peter Zmrzlik von Swoj— 
sin auf Worlik, kön. Münzmeiſter, und Nicolaus von 


6 Juli Okor auf Wozic, wurde am 6 Juli folgender Spruch ge— 


Wenzels Ausführung mit dem böhm. Clerus. 269 


fällt: 1 Der Erzbiſchof ſoll vor dem Könige, als vor 1411 
ſeinem Herrn, ſich demüthigen, und um deſſen Huld nach— 
ſuchen; er ſoll ferner an den Papſt ſchreiben und melden, 
daß er von Ketzereien und Irrthümern in Böhmen nichts 
wiſſe, ee und wegen der mit M. Hus und andern Mit— 
gliedern der Univerfität erhobenen Streitpuncte durch den 
König und deſſen Räthe vollſtändig ausgeſöhnt ſei, wes— 
halb dann alle am römiſchen Hofe begonnenen Proceſſe 
aufzuhören hätten, alle Bannſprüche aufgehoben werden 
ſollten; dagegen ſoll der König nach dem Rath der Bi— 
ſchöfe, Doctoren, Magiſter, Prälaten, Fürſten und Herren 
alle bei Weltlichen und Geiſtlichen auftauchenden Irrthü— 
mer hindern und ſtrafen, alle eingezogenen Kirchenbeneficien 
zurückſtellen und die deshalb Verhafteten wieder in Frei— 
heit ſetzen laſſen; ferner ſoll man alle bisherigen Miß— 
helligkeiten, Zwiſte und Kränkungen beiderſeits verzeihen 
und vergeſſen, und dagegen vollkommene Ruhe und Ein— 
tracht bewahren; endlich ſoll ſowohl der Clerus, als die 
Univerſität und die Landesbarone, bei ihren hergebrachten 
Rechten und Privilegien geſchützt und keine gegenſeitigen 
Eingriffe in fremde Jurisdictionen geſtattet werden. Der 
Erzbiſchof erkannte die bindende Kraft dieſes Spruchs an, 
und that bei dem Könige alſogleich die nöthigen Schritte, 
um ihn zu verſöhnen; das gebotene Schreiben an den 
Papſt hielt er jedoch noch zurück, bis die übrigen Puncte 
des Vertrags erfüllt ſein würden. 


361) Gedruckt in Pelzels Urkk. Buche zu Wenceslaus, Nr. 222, 
aus dem Original (in böhm. Sprache). Vgl. Opp. Huss. I, 
pag. 111. 

362) Der Erzbiſchof war nämlich von den Schiedsrichtern aufgefor— 
dert worden, die Ketzereien des Hus ſchriftlich anzugeben, und 
war hierauf von der Klage der Ketzerei gegen ihn abgeſtan— 
den: recognovit in scripto, — quod nullum sciret errorem vel 


haeresim in regno Bohemiae etc. Opp. Huss L. c. et pag. 419. 


1411 


1 Sept. 


5 Sept. 


270 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. | 


Diefer Vertrag gab ohne Zweifel die Veranlaſſung, 
daß M. Johann Hus in einer großen Verſammlung der 
Mitglieder der Univerſität im Karolin am 1 Sept. 1411 
eine Art öffentliches Glaubensbekenntniß ablegte und an 
den Papſt die Bitte richtete, ihn der Nothwendigkeit des 
perſönlichen Erſcheinens am römiſchen Hofe zu entbinden. 
Er betheuerte insbeſondere feierlich, man habe ihn vieler 
falſchen Lehrſätze beſchuldigt, die er nie gelehrt, 's und habe 
ihm Ereigniſſe zur Laſt gelegt, an denen er ganz unſchuldig 
geweſen; auch erklärte er die Gründe ſeines Benehmens, 
gleich wie ſeine Bereitwilligkeit, dem apoſtoliſchen Stuhle 
zu gehorchen. 

Dagegen glaubte der Erzbiſchof bald gegründete Kla— 
gen über Verletzungen des geſchloſſenen Vertrags genug 
zu haben, um ſeinerſeits der Nothwendigkeit ſich entziehen 
zu können, den vertragsmäßigen Brief an den Papſt ab— 
zuſenden. Da ſeine Stellung zum Könige, ungeachtet der 
Ausſöhnung, nicht günſtiger geworden war, ſo faßte er 
den Entſchluß, ſich an K. Sigmund zu wenden, und deſſen 
Vermittelung anzuſprechen. Er ſchrieb darüber von Leito— 
mysl aus am 5 Sept. an K. Wenzel einen Brief, in wel— 
chem er ſeine Klagen und die Gründe ſeines Verfahrens 
auseinander legte. Fünf Wochen lang, ſo ſchrieb er, habe 


363) Fidenter, veraciter et constanter assero, quod a veritatis aemu- 
lis sinistre Sedi Apostolicae sum delatus: false siquidem de- 
tulerunt et deferunt, quod docuerim populum, quod in sacra- 
mento altaris remanet substantia panis materialis; false, quod 
quando elevatur hostia, tune est corpus Christi, et quando 
ponitur, tune non est; false, quod sacerdos in peccato mortali 
non conficit; false, quod domini a clero auferant temporalia, 
quod decimas non solvant; false, quod indulgentiae nihil sunt; 
false, quod gladio materiali suaserim clerum percutere« etc. 
Das ganze Notariats:Inftrument über diefen Act iſt aus dem 
im Prager Univerſitäts-Archiv noch vorhandenen Original ab— 
gedruckt in Pelzels Urkk. Buch Nr. 230, pag. 144 fg. 


Neue Klagen des Erzbiſchofs. 271 


er in der Nähe des königlichen Hofes ſich aufgehalten, und 1411 


alle Mittel vergebens angewendet, um nur einmal eine 
Audienz bei Seiner Majeſtät zu erlangen, während die— 
ſelbe doch feinen Feinden immer gewährt werde, jo oft fie - 
darum nachſuchen. Er habe berichten wollen, wie wenig 
ihm der Vertrag gehalten werde: denn es gebe abermals 
Geiſtliche, welche offenbare Irrlehren und Schmähungen 
der heiligen Kirche dem Volke predigten, und ihm werde 
nicht gejtattet, feine Amtsgewalt gegen ſie auszuüben. So 
habe neulich das Volk, und mit ihm auch einige Hofleute 
des Königs, ſich in Waffen zuſammengerottet und zur Wehr 
geſetzt, als er den Unfug des Prager Dompropſtes “ habe 
ſtrafen wollen. Mehren Pfarrern, die ſich ihm gehorſam 
erwieſen hätten, würden ihre Pfründen noch immer vor— 
enthalten, andere ſeien dagegen neuerdings wieder geplün— 
dert worden. Schmähzettel gegen ihn, den Erzbifchof, 
würden nach wie vor ungehindert öffentlich angeſchlagen 
und verbreitet; auch erſännen ſeine Gegner täglich neue 
Mittel, den König gegen ihn aufzureizen, wie z. B. durch 
Verbreitung falſcher päpſtlicher Interdictbriefe über das 
ganze Königreich, die er ſollte haben anſchlagen laſſen. Auch 
ſei es ihm unmöglich, dem Papſte mit gutem Gewiſſen zu 
ſchreiben, daß diejenigen Geiſtlichen, die das Interdict ge— 
brochen, nicht geſündigt hätten. Da er unter dieſen Um— 
ſtänden keine andere Hilfe vor ſich ſehe, ſo habe er ſich 
entſchloſſen, nach Ungarn zu dem Bruder Sr. Majeſtät 
zu gehen, und ihn zu bitten, daß er ſich ſeiner annehme, 
und ihm die Gnade Sr. Majeſtät wieder zu gewinnen 
helfe. Schließlich bat er den König, ihm dieſen Schritt 


364) Prager Dompropſt in den Jahren 1399 — 1423 war Georg von 
Janowic, aus dem böhmiſchen Herrengeſchlechte dieſes Na— 
mens, wahrſcheinlich ein Sohn des im J. 1397 auf dem Karl: 
ſtein ermordeten königlichen Günſtlings Burkhard Strnad von 
Janowic. Was dieſer Propſt verbrochen, iſt uns nicht bekannt. 


1411 


28 Sept. 


272 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


nicht zu verdenken, und ſeinem Clerus diejenige Huld wie— 
der zu ſchenken, die er von feinem Vater Kaiſer Karl IV 
ſeligen Andenkens erblich überkommen habe, damit man 
ihm fortan um fo eifriger dienen und für ihn zu Gptt 
beten könne. ““ 

Als Zbynek dieſes ſchrieb, ahnete er wohl kaum, daß 
es ihm nicht beſchieden war, irgend eine Hilfe hienieden 
mehr zu finden. Denn ſchon unterwegs in Mähren ver: 
fiel er in eine ſchwere Krankheit, die ſeinem Leben endlich 
in Preßburg am 28 Sept. 1411 ein frühes Ziel ſetzte, 
noch bevor er zu Sigmund hatte gelangen können. Sein 
Leichnam wurde nach Prag zurückgebracht und hier unter 
vieler Trauer feierlich beigeſetzt. In der That ſprach ſich 
bei ſeinem Tode eine allgemeinere Theilnahme aus, als 
man erwartet hatte: denn auch ſeine Gegner gaben ihm 
das Zeugniß eines untadelhaften Lebenswandels und guten 
Willens; Hus ſelbſt verhehlte ſeine perſönliche Hochachtung 
für ihn niemals, und bedauerte nur ſeinen Mangel an ge— 
lehrter Bildung und eigener Einſicht in die Bedeutung der 
damaligen Streitfragen, welcher ihn von der Leitung min— 
der ehrwürdiger Rathgeber abhängig gemacht habe. “s 


365) Wir haben dieſen böhmiſch geſchriebenen Brief, nach einer 
gleichzeitigen Copie im Wittingauer Archive, im Casopis Cesk. 
Museum, 1830, I, 91, und Archiv Cesky III,. 292 abdrucken laſſen. 

366) Sey ſiani prioris Carthus. Dolan. Antihussus in B. Pez Thesauro 
anecdot. tom IV, parte II, pag. 418 sq. et apud Cochlacum 
pag. 20. »Qui reverendus pater (Zbynko) etsi aetate satis ju- 
venis, morum tamen honestate canus et gravis, — pro tem- 
poris congruenia furori cedens persequentium, affectus non 
confectus taedio, — dimissa sui episcopatus pontiſicali cathe- 
dra, exivit de terra et dioecesi propria Bohemia, et peregrinus 
ellectus, peragrata terra Moraviae, ut venisset in Hungariam, 
visitaturus — regem Sigismundum, antequam ad illius per- 
venisset conspectum, pracoccupatus et visitatus prior ipse di- 


vina providentia, ut sui certaminis optimae retributionis reci- 


Tod des Erzb. Zbynek u. Wahl d. Albicus. 273 


Zbynsks Nachfolger im Erzbisthum wurde Albicus von 1412 
Unicow, Doctor der Rechte und der Medicin und Ma— 
giſter der freien Künſte, König Wenzels Leibarzt und Schrift— 
ſteller im mediciniſchen Fache, ein damals ſchon bejahrter 
Mann. Es hatte zwar Johann XXIII die Beſetzung des 
Prager erzbiſchöflichen Stuhles nach Zbynéks Tode ſich 
ſelbſt vorbehalten: gleichwohl war das Capitel zu der be— 
ſagten Wahl geſchritten, und der Papſt ließ ſich dann auch 
bewegen, dieſelbe am 25 Januar 1412 gutzuheißen. Es 
gab Stimmen, die da behaupteten, Albicus habe ſich die 
Wahl und die Confirmation viel Geld koſten laſſen, da er 
ſehr reich geweſen ſei: es iſt aber geſtattet, dieſe Angabe 
wenigſtens um des Capitels wegen in Zweifel zu ziehen, 
da dem Letzteren jetzt viel daran lag, einen bei dem Kö— 
nige gern geſehenen Erzbiſchof zu bekommen, und Albicus 
in dieſer Hinſicht vor Andern dazu ſich eignete, obgleich er 
bis dahin nur die niederen Weihen erhalten hatte. Der 
neue Erzbiſchof bewies aber, daß ihm an einer höheren Stel— 
lung keineswegs viel gelegen war. Der Gemächlichkeit des 
Privatlebens in hohem Alter entriſſen, in einen ungewohn— 
ten Wirkungskreis eingetreten und den Stürmen einer tief 
bewegten Zeit ausgeſetzt, fand er gar bald Urſache, ſich 
wieder nach ſeiner früheren Ruhe zurückzuſehnen. 

Kaum hatte nämlich Albicus von ſeinem Erzbisthum 
Beſitz genommen, ſo brach, durch den Zuſammenſtoß der 
neuen Lehren mit alten Gewohnheiten, ein noch heftigerer 
Sturm als je zuvor, in der böhmiſchen Hauptſtadt los. 


peret praemia, carnis soluto debito, — est mortuus.« Vgl. 
Stari letopisowé pag. 13, 14. In letzterer Quelle wird ſein 
Tod einem angeblich von ſeinem Koch erhaltenen Gift zuge— 
ſchrieben, jedoch unter offenbarer Verwechslung mit der oben 
erwähnten Vergiftung des Markgrafen Joſt. Wäre die An— 
gabe bei Zbynék gegründet geweſen, fo hätte der jo gut un— 
terrichtete Dolaner Prior fie gewiß nicht verſchwiegen. 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 18 


274 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1412 Johann XXIII war wohl am wenigſten geeignet und geſonnen, 
die von der ganzen Chriſtenheit verlangte Reformation der 
Kirche an Haupt und Gliedern zu unternehmen oder aus 
zuführen. Um ſo thätiger erwies er ſich, als weltlicher 
Fürſt, in den mannigfach verworrenen Händeln Italiens, 
vorzüglich zur Hemmung der ehrgeizigen Pläne K. Ladis— 
laws von Neapel, der nach nichts Geringerem, als der 
Herrſchaft über ganz Italien ſtrebte, und überdies des ab— 
geſetzten Gregor XII feſteſte Stütze bildete. Durch zwei 
am 9 Sept. und 2 Dec. 1411 erlaffene Bullen ?67 befahl 
Johann XXIII einen Kreuzzug gegen Ladislaw in allen 
Ländern ſeiner Obedienz zu predigen, und verſprach darin 
allen Gläubigen, die entweder in Perſon das Kreuz an— 
nehmen, oder Bewaffnete ſtellen, oder aber Geldbeiträge 
zur Führung des Krieges gegen ihn leiſten würden, die 
gleiche Vergebung der Sünden, wie ſie den Kreuzfahrern 
zur Befreiung des Grabes Chriſti von Alters her zuge— 
ſichert worden war. Ein päpſtlicher Legat, der Paſſauer 
Dechant Wenzel Tiem, brachte dieſe Bullen, zugleich mit 

Mai dem Pallium für den Erzbiſchof Albicus, im Mai 1412 
nach Prag. König und Erzbiſchof nahmen keinen Anſtand, 
die Kundmachung derſelben und die Sammlung von Geld— 
beiträgen zu dem angegebenen Zwecke zu geſtatten. Die 
Kreuz- und Ablaßprediger traten daher öffentlich jedesmal 
unter Trommelſchlag auf den Märkten auf, und ermahnten 
das Volk zu Beiträgen, ſei es in Geld, ſei es in Waaren; 
auch wurden drei Kaſſen ausgeſtellt, in der Domkirche, am 
Teyn und auf dem Wysehrad, um die eingehenden Gelder 
zu ſammeln. 36° 


367) Abgedruckt in Opp. Huss. I, pag. 212 — 215. 

368) Pelzel im Wenceslaus (II, 604, 607, nach einem gleichzeitigen 
böhm. Volksliede). Letopisowé I. c. Hus läßt ſich darüber 
in einem noch ungedruckten Aufſatze folgendermaßen verneh— 
men: Videbatur mihi etiam ipsius cruciatae executio multum 


Päpſtliche Kreuz- u. Ablaßbullen in Prag. 275 


Dieſer Vorgang brachte in Prag neuerdings die tiefſte 
Aufregung hervor. Hus und ſeine Anhänger fingen alſo— 
gleich an, öffentlich von der Kanzel und der Katheder 
herab dagegen zu eifern, das Verfahren des Papſtes als 
unchriſtlich, und ihn ſelbſt als den leibhaften Antichriſt dar— 
zuſtellen, deſſen Erſcheinung in den letzten Tagen der Welt 
vorhergeſagt worden. Vergebens hatte der Erzbiſchof, bei 
Kundmachung der Bullen, jeden Anſtoß dadurch in vor— 
hinein zu beſeitigen geſucht, daß er verbot, das Volk in 
der Beichte zu tariren; “e vergebens erhob ſich die theo— 
logiſche Facultät unter ihrem damaligen Decan, Stephan 
von Paleé, um darzuthun, daß die Verkündigung von Kreuz 
und Ablaß zum Schutz der Kirche weder neu noch außer— 
ordentlich ſei, und daß es den Gläubigen nicht zukomme, 
ſich zu Richtern des Papſtes aufzuwerfen: Hus behauptete 
laut, dieſer Ablaß ſei eitel Lug und Trug, und verkün— 
digte, zu Vertheidigung ſeines Satzes, durch viele Mauer— 
anſchläge in der Stadt, eine öffentliche Disputation dar— 
über am 7 Juni im großen Karolinſaal an.““ Obgleich 


disconveniens: 1) ex eo, quia (M. Wenceslaus Tiem) forma- 
vit quosdam articulos, quos tradidit praedicatoribus ad publi- 
candum, quos etiam articulos M. Stephanus Palecz dedit mihi 
dicens, quod in ipsis continentur errores manu palpabiles; 
2) ex eo, quod praefatus M. Wenceslaus conveniebat sub certis 
pecuniis archidiaconatus, decanatus et ecclesias, sicut solet con- 
venire pater familias domos vel tabernas tabernariis vel pin- 
cernis; et conveniebat sacerdotibus ignaris, discolis, concubi- 
nariis et lusoribus, qui multa commiserunt scandala, et popu- 
lum taxarunt mirabiliter in confessionibus, ut pactatam con- 
quirerent pecuniam et lucrum abundantius obtinerent ete. Vgl. 
Opp. Huss. I, 283, 330. 

369) Quod populus in confessionibus non taxetur — nach gleichzei— 
tigen noch ungedruckten Streitſchriften. 

370) Das Thema der Disputation war in folgende Worte gefaßt: 
Utrum secundum legem Jesu Christi licet et expedit, pro ho- 
nore dei et salute populi Christiani, et pro commodo regni, 


18* 


1412 


7 Juni 


276 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1412 die theologiſche Faeultät ſich dagegen erklärte und durch 
zwei Mitglieder auch den Erzbiſchof, als Kanzler der Unis 
verſität, aufforderte, dieſe Disputation nicht zuzulaſſen: ſo 
kam dieſelbe dennoch, und zwar bei ſehr zahlreicher Ver— 
ſammlung von Profeſſoren, Magiſtern und Studenten, und 
darunter auch von Doctoren der Theologie, unter dem Vor— 
ſitze des Univerſitätsrectors Marcus von Königgrätz, zu 
Stande. Sie wurde, wie vorauszuſehen war, äußerſt ſtür— 
miſch. Nachdem Hus ſich dagegen verwahrt hatte, daß er 
weder für König Ladislaw oder Gregor XII Partei zu er— 
greifen, noch die dem Papſt von Gott verliehene Gewalt 
an ſich bekämpfen, ſondern nur einen Mißbrauch derſelben 
hindern wolle, unterwarf er alle Clauſeln der Kreuzbullen 
einer ſcharfen Kritik, ſuchte den Beweis zu führen, daß 
der ſo verkündigte Ablaß, weil in der heil. Schrift nicht 
begründet, auch keine Kraft haben könne, hob das Grau— 
ſame hervor, das in der Aufforderung zum Blutvergießen 
unter ſolchen Mitchriſten liege, die keine andere Schuld 
treffe, als ihrem Könige CELadislaw) gehorſam zu fein, und 
erinnerte an das Beiſpiel Chriſti, der ſeinen Jüngern ver— 
boten habe, das Schwert zur Vertheidigung ſeiner eigenen 
Perſon, wie viel weniger denn der Beſitzungen ſeiner Nach— 
folger, zu ziehen. Er fand bei den Mitgliedern der theo— 
logiſchen Facultät lebhaften Widerſpruch, die dagegen be— 
haupteten, daß nicht alle althergebrachten Kirchengebräuche, 
deren Grund in der heil. Schrift nicht unmittelbar nach— 
zuweiſen iſt, deshalb als verwerflich zu gelten haben. Mag. 


bullas papae de erectione crucis contra Ladislaum regem Apu- 
liae et suos complices, Christi fidelibus approbare? Vgl. Opp. 
Huss. I, 215— 237. Stari letopisowe pag. 15 sq. An letzterem 
Orte lieſt man die lebendige Schilderung des ganzen Actes 
von einem Augenzeugen, der gleichwohl darin irrt, daß er unter 
Huſſens Opponenten auch den alten Doctor Wlk (Wolf, Bla- 
sius Lupus) nennt, der ſchon im Auguſt 1410 geſtorben war. 


Hus eifert gegen die Ablafbullen. 277 


Hieronymus von Prag kam aber ſeinem Freunde zu Hilfe, 1412 


indem er in langer feuriger Rede vorzüglich auf das Ge— 
fühl der jüngeren Zuhörer einzuwirken ſuchte, und eine 
Aufregung hervorbrachte, die der Univerſitätsrector kaum 
mehr zu beſchwichtigen vermochte. Darum wurde auch von 
den Studenten »die Ehre des Tages“ nicht dem gemeſſen 
raiſonnirenden Hus, ſondern dem feurigen Redner zuge— 
ſprochen, und dies durch eine gleichſam triumphirende Be— 
gleitung desſelben bis zu ſeiner Wohnung bethätigt. 31 
Dieſen Scenen folgte, zu Schmähung des Papſtes, 
ein noch aufreizenderes öffentliches Schauſpiel. Einer der 
königlichen Günſtlinge, Herr Wokſa von Waldſtein, ““ ver— 
anſtaltete im Einverſtändniß mit M. Hieronymus von Prag 


371) Hi letopisowe pag. 16: M. Jeronym — welmi dluho ree 
swü rozsiril a wymluwn® wyprawowal. Az té reci zchopiw 
se z sweho miesta a powstaw, a chtiese ihned jiti na rathus 
pred konsely, chté pred nimi stäti o to, Ze jsü to falesnı od- 
pustei. S nimz mnozstwie weliké studentöw wstalo a ji s 
nim chtelo: a sotnü tühü Rector Universitatis to uklidi peknü 
reti. Wsak M. Jeronym toto slowo k M. Markowi rete.Cesky: 
»Slysisli M. Marku! Wsak ty za mé sweho hrdla nedäs, jat sam 

za se swü siji dam. Po tomto slowu ihned zase wekeé la- 
tinskü uderi: „Nonne S. Paulus dixit: Scio cui credidi, et 
certus sum, quia potens est depositum meum servare in illum 
diem? Kdyz pak bylo dokonäno to aktum, ten den mno- 
hem wiece studentéw Slo za M. Jeronymem nez za M. Husı: 
neb se jim libiese re&, kterüz jest na tom hädani u£inil. 

372) Daß nicht Hieronymus von Prag (wie die bei Von der Hardt, 
IV, 672 gedruckten Arxticuli etc. andeuten, und nach ihnen bis 
jetzt alle Hiftorifer glaubten), ſondern der ſchon einmal ge: 
nannte Herr Wok von Waldſtein, der Haupturheber und Leiter 
des Aufzugs geweſen, geht aus den noch ungedruckten Klage: 
artikeln hervor, welche hernach (1416) gegen K. Wenzel bei dem 
Conſtanzer Concilium eingereicht wurden. (S. unten.) Hinſicht— 
lich der Zeitangaben in den obigen Articuli (bei V. d. Hardt) 
müſſen wir ein- für allemal bemerken, daß ſie in unbegreif— 
ſicher Weiſe faſt alle erweislich vergriffen ſind. 


1412 


278 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


und anderen gleichgeſinnten Magiſtern, einen ſatyriſchen 
Aufzug, als Parodie der vor zwei Jahren geſchehenen 
Bücherverbrennung, — welcher zuerſt vor den erzbiſchöflichen 
Palaſt auf der Kleinſeite, dann über die Brücke und die 
ganze Altſtadt, neben dem Königshofe vorbei, bis auf den 
Graben der Neuſtadt geführt wurde; hier errichtete man 
unter dem Pranger einen Scheiterhaufen, legte päpſtliche 
Bullen darauf und zündete das Ganze an; — alles unter 
großem Volkszulauf und mannigfachen Kundgebungen einer 
dem Act entſprechenden Stimmung.“ 

K. Wenzel erkannte es wohl, daß er ſolchen Mani— 
feſtationen nicht länger gleichgiltig zuſehen durfte, wenn 
er es nicht mit Rom und mit der ganzen Chriſtenheit für 
immer verderben wollte. Er berief daher die Rathsherren 
und Gemeindälteſten aller drei Prager Städte zu ſich nach 
Zebrak, und befahl ihnen, jede öffentliche Schmähung des 
Papſtes, ſo wie jede Widerſetzlichkeit gegen die von ihm 
genehmigten päpſtlichen Bullen, fortan Jedermann ohne 
Ausnahme unter Todesſtrafe zu verbieten, und dafür zu 
ſorgen, daß jede gegenſeitige Aufreizung vermieden und die 
Ruhe und Ordnung in der Stadt kräftig gehandhabt 
werde.“ Gleichwohl hatte er ſich nicht entſchließen kön— 
nen, den Herrn von Waldſtein oder die Magiſter Hus und 
Hieronymus für das, was geſchehen war, zur Strafe zu 
ziehen; Herr Wokſa blieb fein Hofmann (familiaris), nach 
wie vor, und Huſſens Predigten in der Bethlehemscapelle 
wurden auch jetzt noch häufig von der Königin ſelbſt beſucht. 


373) Die umſtändliche Schilderung des ganzen Aufzugs hat uns der 
bekannte M. Martin Lupac (+ 1468) hinterlaſſen (MS.), der 
als Student ſelbſt daran Theil genommen hatte. 

374) Pelzel (im Wenceslaus, Bd. II, S. 607 fg.) gibt unrichtige 

kachrichten über dieſe Vorgänge, indem er das undatirte Schrei— 
ben K. Wenzels (Urkk. Buch Nr. 234) hieher zieht, das er— 
weislich nicht in dieſe, ſondern in eine viel frühere Zeit gehört 


Tumulte wegen der Ablaßbullen. 279 


In Folge jener Befehle, mit welchen die Mehrzahl 
der Rathsherren ſympathiſirte, kam es bald auch zu blu— 
tigen Auftritten in Prag. Sonntag den 10 Juli unter 
ſtanden ſich in verſchiedenen Kirchen drei junge Leute aus 
der niederen Volksclaſſe, mit Namen Martin, Stasek und 
Johann, ihren Predigern laut zu widerſprechen und zu be— 
haupten, daß der Ablaß ein Betrug ſei. Sie wurden ver— 
haftet und in die Gefängniſſe des Altſtädter Rathhauſes 
gebracht, wo man ſie vergebens zum Widerruf und zur 
Buße aufforderte. Die Rathsherren verurtheilten ſie daher 
den folgenden Tag zum Tode, und da ſie ihre Strafe für 
das Volk recht abſchreckend machen wollten, ſo ließen ſie 
die ganze Gemeinde berufen, der Hinrichtung beizuwohnen. 
Als Hus Solches erfuhr, ging er, von mehren Magiſtern 
und etwa zwei tauſend Studenten begleitet, auf das Rath— 
haus, und wurde, nach langer Bemühung, endlich vor den 
Senat gelaſſen; er bat um Schonung für die jungen Leute, 
indem er, als Urheber ihrer Schuld, dieſelbe auf ſich zu 
nehmen und für ſie zu büßen bereit ſei. Bei der inzwiſchen 
durch die ganze Stadt verbreiteten großen Bewegung, er— 
kannten die Rathsherren die Nothwendigkeit, den jeden 
Augenblick wachſenden Volksſturm zu beſchwichtigen. Sie 
gaben dem Magiſter gute Worte, und baten ihn, nicht nur 
ruhig nach Hauſe zu gehen, ſondern auch Andere zur Ruhe 
und zum Auseinandergehen zu ermahnen. Einige Stun— 
den darauf aber, nachdem das Volk ſich größtentheils ver— 
laufen hatte, befahlen ſie die Hinrichtung ungeſäumt vor— 
zunehmen. Die drei Verurtheilten wurden von einer großen 
Schaar von Bewaffneten aus dem Rathhauſe über den 
Galliplatz auf den Graben geführt, um dort auf der Neu— 
ſtädter Richtſtätte enthauptet zu werden. Bevor jedoch der 
Zug dort anlangen konnte, ſchwollen die von allen Seiten 
herbei ſich drängenden Volksmaſſen dergeſtalt an, daß man, 
um jedem unverhofften Fall zuvorzukommen, ſich entſchloß, 


1412 


10 Juli 


11 Juli 


1412 


280 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


die Hinrichtung ſchon am Eingange vom Brückel zum Gra— 
ben vorzunehmen. Gleichwohl waren die Anweſenden nicht 
geſtimmt, gegen die Juſtiz Gewalt zu brauchen; im Gegen— 
theile, als der Büttel rief, daß »Jeder, der ein Gleiches 
thue, die gleiche Strafe zu gewärtigen habe«, erklärten 
Mehre auf der Stelle, daß ſie Dasſelbe zu thun und zu 
leiden bereit ſeien, und ließen ſich ohne Widerſtand ver— 
haften. Eine Frau bot weiße Leintücher an, um die Lei— 
chen einzuhüllen. Da eilte M. Johann von Jiein mit 
einer Schaar Studenten herbei, bemächtigte ſich der Lei— 
chen, ſtimmte alfogleich den feierlichen Kirchengeſang »Isti 
sunt sancti« aus voller Kehle an, und trug feine März 
tyrer in großer Proceſſion in die Bethlehemscapelle, wo 
M. Hus ſie mit ſo vielen andächtigen Ceremonien begrub, 
daß deſſen Gegner die Capelle fortan ſpottweiſe zu den 
drei Heiligen“ benannten.“ 

Die hochgeſtiegene Gährung brauchte mehre Tage, um 
unter kluger Zurückhaltung der Behörden ſich wieder zu 
legen; der Magiſtrat enthielt ſich ſeitdem jeder ſcharfen 
Maßregel, und ließ auch Diejenigen, welche bei den letzten 
Tumulten verhaftet worden waren und ſich auf ein eben 
ſo glorreiches Marterthum gefaßt machten, gegen ihren 
Willen ins Freie treiben. Dagegen ſetzte man eine andere 
Maßregel ins Werk. Die theologiſche Facultät 7% hatte 
während der Streitigkeiten über den Ablaß nicht nur die 


375) Stari letopisowé p. 15 — 18. Cochlaeus p. 39 — 40. 


376) Hus ſpottete darüber, daß ſeine Gegner ſich den Namen der 
theologiſchen Facultät angemaßt hätten, während fie nur aus 
acht Perſonen beſtanden: Est autem illa Facultas Theologica, 
quae aciem contra nos dirigit, magistrorum theologiae octona- 
rius, qui taliter nominatur: Stephanus Palecz, Stanislaus de 
Znoyma, Petrus de Zuoyma, Joannes Heliae, Joannes Hildis- 
sen, Andreas Broda, Hermannus frater Eremita, Matthaeus mo- 


nachus de Aula Regia. Opp. Huss. I, pag. 331. 


Tumulte in Prag. Hus u. die theolog. Facultät. 281 


45 Wiklef'ſchen Lehrſätze neuerdings verdammt, ſondern 1412 


auch aus Anlaß der letzten Controverſen ſechs neue Artikel 
aufgeſetzt, die ſie als irrthümlich bezeichnete. Da der Weg 
der, ihrer Mehrzahl nach, bereits huſſitiſchen Univerſität, 
ihr verſchloſſen blieb, 37° fo wendete fie ſich durch das Mittel 
des Prager Magiſtrats an K. Wenzel mit der Bitte, das 
Lehren und Verbreiten jener Artikel durch königliche Be— 
fehle zu hindern, und allen jenen Männern, von welchen 
der Streit und Zwieſpalt ausgegangen, das Predigen 
ſchlechterdings zu verbieten. Nachdem Wenzel ſein Miß— 
fallen über den Widerſtand gegen die Kreuzbullen bereits 
offen ausgeſprochen hatte, hofften die Doctoren, daß er 
ihre die Sicherung der öffentlichen Ruhe bezweckende Bitte 
genehmigen werde. Auch geſtattete er am 10 Juli zu 
Zebrak wirklich, daß jene Artikel unter der Strafe der 
Landesverweiſung verboten würden, ließ jedoch zugleich den 
Doctoren ſagen, daß ſie ſich mehr um die Widerlegung, 
als um das Verbot der Irrlehren kümmern ſollten, 37° und 
verweigerte den das Unterdrücken des freien Predigens be— 
zweckenden Theil der Bitte. Daher verſammelte der Ma— 
giſtrat am 16 Juli die Doctoren und Magiſter beider Par— 
teien auf dem Rathhauſe, und verbot, im Namen des Kö— 
nigs, das Lehren nicht nur der oft genannten Wiklef'ſchen, 
fondern auch der neuen Artikel.“ Hus aber ließ ſich da— 


377) Vgl. Opp. Huss. I, pag. 332 — 333. 

378) Wir kennen dieſe Weiſung des Königs nur aus der von den 
Doctoren darauf gegebenen Antwort: »quod non stat per ma- 
gistros theologiae, quod nihil seribitur et non est scriptum 
contra dicta M. Johannis Hus de bullis papae, quia saepius 
requisitus, dietorum suorum non dedit copiam, nee hucusque 
dare voluit, magistris supradietis.« M.. 

379) Da dieſe noch ungedruckten Artikel für den damaligen Ent: 
wickelungsſtand der Huſſiſchen Lehre bezeichnend ſind, ſo führen 
wir ſie hier vollſtändig an: 


10 Juli 


16 Juli 


282 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1412 durch nicht hindern, im theologiſchen Hörſaal des Carolins 
eben jetzt öffentliche Vorträge zu Erklärung und Verthei— 
digung der Wiklef'ſchen Lehrſätze zu halten.“ Eines Tags 
mit ſeinen acht Gegnern vor den Rath des Königs nach 
Zebrak zum Verhör geladen, entgegnete er auf die Beſchul— 
digung, ſeine Lehrſätze dem theologiſchen Decan, trotz wie— 
derholter Ermahnung, nicht ſchriftlich überreicht zu haben, 
daß er ja nichts insgeheim, ſondern alles öffentlich gelehrt 
habe, daher ſeine Anſichten kein Geheimniß ſeien; er ſei 
jedoch bereit, ſeine Lehre ſchriftlich von ſich zu geben, wenn 


1) Qui aliter sentit de sacramentis et clavibus ecclesiae, 
quam Romana ecclesia, censetur haereticus. 

2) Quod his diebus sit ille magnus Antichristus et regnet, 
qui secundum fidem ecclesiae et secundum scripturam sacram 
et sanctos doctores in fine seculi est venturus: est error evi- 
dens secundum experientiam, 

3) Dicere, quod constitutiones sanctorum patrum et con- 
suetudines laudabiles in ecclesia non sint tenendae, quia in 
scriptura bibliae non continentur, est error, 

4) Quod reliquiae et ossa sanctorum, et similiter vestes et 
habitus corum, non sunt venerandae vel venerandi a Christi 
fidelibus, est error. 

5) Quod sacerdotes non absolvunt a peccatis et dimittunt 
peccata ministerialiter conferendo et applicando sacramentum 
poenitentiae, sed quod solum denuntient confitentem absolu- 
tum, est error. 

6) Quod papa non possit in necessitate evocare personas Christi 
fidelium, aut subsidia ab eis temporalia petere ad defenden- 
dum Sedem Apostolicam, statum S. Romanae ecclesiae et 
urbis, et ad compescendum et revocandum adversarios et ini- 
micos Christianos, largiendo Christi fidelibus fideliter sub- 
venienübus, vere poenitentibus, confessis et contritis plenam 
remissionem omnium peccatorum, est error. 

380) Siehe Opp. Huss. I, pag. 139 — 167. (Das Datum pag. 156 
»post festum S. Viti« iſt entweder unrichtig, oder es ſetzt. eine 
uns unbekannte Conferenz dieſer Art auf dem Rathhauſe ſchon 
vor dem 16 Juli voraus.) 


Hus und feine Gegner. Stephan von Palek. 283 


die Gegner, die ihn der Ketzerei beſchuldigen, ſich verpflich- 1412 
ten, den Beweis für ſeine Ketzerei unter der Strafe der 
Wiedervergeltung (poena talionis), und zwar der Verbren— 
nung als Ketzer, zu führen. Die über einen ſolchen Vor— 
ſchlag betroffenen Doctoren antworteten nach kurzer Be— 
rathung, ſie wollten einen aus ihrer Mitte dazu beſtim— 
men; als aber Hus darauf beſtand, daß die Solidarität 
Aller bei der Strafe eben ſo wie beim Angriff Statt finden 
müſſe, hoben die königlichen Räthe die Verhandlungen mit 
der eben ſo unbeſtimmten als erfolgloſen Mahnung auf, 
daß man ſich in Frieden zu vereinigen ſuchen ſollte. “! 
Durch alle dieſe Vorgänge war der Bruch zwiſchen den 
Parteien nicht nur erweitert, ſondern vollends unheilbar 
gemacht worden. Hus und ſeine Freunde hatten in ihrem 
Eifer für die Kirchenreform bereits auf einer Grundlage 
zu bauen angefangen, die ſie dem Gebiete der römiſch— 
katholiſchen Kirche entrückte. Indem ſie den geſammten 
Organismus dieſer Kirche auf den Maßſtab der bloßen 
Bibel zurückzuführen ſuchten, und der Überlieferung ſowohl 
als den ſpäteren Entwickelungen und Inſtitutionen, die 
zu dieſem Maßſtab nicht paßten, alle Geltung abſprachen, 
wurden fie, ohne ſich deſſen zu verſehen, dem Begriffe und 
der That nach Proteſtanten. Dies fühlten und erkannten 
auch mehre Männer ihrer Partei ſo ſehr, daß ſie eben bei 
dieſer Gelegenheit von Hus ſich trennten und ſogar deſſen 
Gegner und Feinde wurden. Der bedeutendſte unter ihnen 
war der ſchon genannte und noch oft zu nennende M. 
Stephan von Palec. “? Einſt eifriger Wiklefiſt und Huſ— 


381) Opp. Huss. I, 366%. 

382) Hus berichtet ſelbſt über feinen Bruch mit Paleè: Indulgen- 
Harum venditio et crucis adversus Christianos erectio me ab 
isto doctore (Palee) primum separavit. Si enim vult verita- 
tem fateri, recognoscet, quia articulos absolutionum, quos ipse 


mihi primum manu sua praesentaverat, dicebat esse errores 


1412 


281 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


ſens Jugendfreund, brach er mit ihm jetzt eben ſo, wie es 
ſchon früher M. Stanislaus von Znaim gethan hatte; und 
alſogleich erfuhr es Hus, daß er an dieſen beiden aus— 
gezeichneten Gelehrten gefährlichere Feinde bekommen, als 
er bis dahin noch gehabt. Aber auch die Prager Pfarrer 
blieben nicht unthätig, um ſich ihres verhaßten Gegners 
zu entledigen. Bei der Schwäche des neuen Erzbiſchofs 
wendeten ſie ſich durch das Mittel ihres Procurators in 
Rom, Michaels von Deutſchbrod, 33 an den Papſt Jo- 
hann XXIII ſelbſt, und klagten in heftigem Tone über Hus, 
wie dieſer Sohn der Ruchloſigkeit (iniquitatis filius), jede 
Kirchengewalt verachtend, ſchon über zwei Jahre lang im 
Kirchenbann verharre, und die oft verdammten Lehrſätze 
des Erzketzers Wiklef zu vertheidigen, den Haß gegen den 
Clerus zu predigen, nicht aufhöre; neuerdings habe er es 
gewagt, auch gegen den von Sr. Heiligkeit verkündigten 
Kreuzzug und Ablaß öffentlich zu belfern (oblatrare) und 


manu palpabiles, quos usque hodie reservo in testimonium. 
Postea cum alio collega accepto consilio, in oppositum decli- 
navit; cui ultimo dixi, et numquam sum sibi amplius voca- 
liter collocutus: »Amicus Paleè, amica veritas; utrisque ami- 
cis existentibus, sanctum est praehonorare veritatem.« 

383) Bekannter unter dem Namen Michael de Causis. Eine gleich— 
zeitige Handſchrift im böhm. Muſeum gibt von ihm folgende 
Notiz: Dietus Michael erat olim plebanus S. Adalberti Novae 
civitatis Pragensis. Et cum se exhibuisset scientem in refor- 
matione aurifodinarum (er war ein Sohn deutſcher Bergleute 
in Deutſchbrod) rex Boemiae Wenceslaus magnam pecuniae 
summam ei dedit pro reformatione aurifodinarum in Jilowy 
(Eule); et sic dimissa plebe et acceptis pecuniis, dictas auri- 
fodinas conatus est reformare. Cum autem nihil posset effi- 
cere, cum dietis pecuniis clam fugit de regno ad curiam Ro- 
manam; cum quibus pecuniis et aliis, sibi per adversarios Ma- 
gistri Hus exhibitis, contra ipsum M. Hus et adhaerentes ejus 
processus et eitationes procurabat etc. Vgl. Opp. Huss. I, 6. 
Er jtarb erſt auf dem Basler Concil. 


Hus im päpftlichen Bann. 285 


ſeine peſtilenzialiſchen Schriften darüber in verſchiedenen 
Gegenden von Böhmen, Mähren, Polen und Ungarn zu 
verbreiten, ſo daß ſchon eine große Menge chriſtlicher See— 
len davon angeſteckt ſei. Es ſei hohe Zeit, daß der Papſt 
ſich der Sache thätig annehme und ſeine Heerde vor dem 
reißenden Wolf ſchütze. Anderſeits wurde Johann XXIII 
auch noch gebeten, zu Verhütung geiſtlicher und leiblicher 
Gefahren in Böhmen, mehre böhmiſche Hofleute, und dar— 
unter namentlich Herrn Wok von Waldſtein, Herrn Hein— 
rich Lefl von Lazan, Johann Sadlo von Smilkow und An— 
dere, deren ſtarre Anhänglichkeit an die Ketzer notoriſch 
bekannt ſei, perſönlich vor die römiſche Curie zu laden. 
Es bedurfte wohl nicht ſo vieler Mittel, um Jo— 
hann XXIII gegen Hus in Harniſch zu bringen. Kaum 
hatte er das Vorgefallene vernommen, ſo nahm er den 
Proceß Huſſens auch aus den Händen des Cardinals Bran— 
cas, verbot die Sachwalter des neuen Ketzers noch ferner 
anzuhören, und trug dem Cardinal Peter S. Angeli auf, 
gegen Letzteren zu den äußerſten Rechtsmitteln zu ſchreiten. 
Da die Sachwalter auch dagegen, und zwar an das künf— 
tige allgemeine Concilium, appellirten, ſo wurden einige 
von ihnen eingekerkert, M. Johann von Jeſenic aber, der 
nach Böhmen entkam, auf Michaels de Cauſis Andringen 
auch ſelbſt excommunicirt. ““ Cardinal Peter verhängte 
über Hus den Kirchenbann in ſeiner erſchreckendſten Ge— 
ſtalt, und befahl ihn in allen Kirchen Prags zu verkün— 
digen: kein gläubiger Chriſt dürfe fortan mit ihm Umgang 
pflegen; und wenn er zwanzig Tage nach Kundmachung 
dieſes Spruchs in feinem Ungehorſam beharre, ſo ſollte an 
den Sonn- und Feiertagen in allen Kirchen, unter feier— 
lichem Geläute und Löſchen aller Lichter, der Fluch über 
384) Opp- Huss. I, 110. Ein Exemplar der Excommunicationsbulle 
des M. Jeſenic vom J. 1413 befindet ſich im Archiv des Pra— 
ger Domcapitels. 


1412 


Juli 


1412 


286 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


ihn ausgeſprochen werden; dann dürfe Niemand mehr, unter 
der Strafe gleichen Bannes, ihm Speiſe oder Trank oder 
Obdach bieten; wo er weile, wohin er immer komme, müſſe 
aller öffentliche Gottesdienſt aufhören; ſterbe er, ſo dürfe 
er nicht kirchlich begraben werden u. ſ. w. 8's Durch an⸗ 
dere Decrete wurden bald darauf noch die Gläubigen auf— 
gefordert, ſich der Perſon des M. Hus zu bemächtigen und 


ihn dem Erzbifchof von Prag oder dem Biſchof von Leito— 


2 Oct. 


mysl auszuliefern, die Bethlehemscapelle aber von Grund 
aus zu zerſtören. 356 

K. Wenzel widerſetzte ſich nicht der Verkündigung des 
Kirchenbannes in ſeinem Reiche, wie unangenehm er ihn 
auch berührt haben mag. Seine Zuſtimmung gab aber 
allen Feinden Huſſens den Muth, ſich um ſo thätiger zu 
erweiſen. Die Rathsherren auf der Altſtadt waren noch 
damals ihrer Mehrzahl nach Deutſche, und dem Huſſitis— 
mus abgeneigt. Mit ihrer Zuſtimmung ſammelten ſich am 
Prager Kirchweihfeſte, noch vor erfolgter Verkündigung des 
Interdicts, viele deutſche Bürger in Waffen, und zogen, 


385) Die Forma processus moderni dati contra M. Joh. Hus per 
D. Petrum cardinalem S. Angeli findet ſich undatirt in meh— 
ren Handſchriften, im Chron. universit. Prag. ſogar unrichtig 
zum J. 1410. Daß ſie in dieſe Zeit (1412) gehört, erſieht 
man wie aus dem Inhalt, fo auch aus Huſſens Worten in 
Opp. I, 393, und aus ſpäteren Proceßacten (MS.), wo es heißt: 
Processus praedicti de anno 1412 et de mense Julii, propter 
contumaciam et inobedientiiam ejusdem M. Joh. Hus, fuerunt 
per Rmum patrem D. Petrum cardinalem S. Angeli, tunc ad 
hoc commissarium, — servatis servandis, aggravati et reag 
gravali, 

386) Cron. universü. Prag. Primo mandatur, quod ulterius in hae- 
resi M. Joh. Hus non foveant, sed ipsum capiant vel capi pro- 
curent, et archiepiscopo praesentent vel Lutomysslensi, vel soli 
judicent secundum canones et comburant; item mandatur, 
quod capella Bethlehem destruatur et usque terram prosterna 


tur, ne ibidem haeretici nidificent etc. 


Hus im päpſtl. Bann. Reactionsverſuche in Prag. 287 


unter Anführung eines Böhmen, Namens Bernard Chotek, 1412 
gegen die Bethlehemscapelle, wo Hus eben predigte, um 
die Zuhörer mit Gewalt auseinander zu treiben und den 
Prediger zu fangen. Da aber die Zuhörer ihnen beherzt 
ſich entgegenſtellten, und ein Blutbad in der Kirche nicht 
in ihren Abſichten gelegen haben kann, ſo zogen ſie ſich 
unverrichteter Dinge wieder zurück. Dann beſchloſſen ſie 
auf dem Rathhauſe, wenigſtens die von Rom aus befoh— 
lene Zerſtörung der Bethlehemscapelle ins Werk zu ſetzen, 
und fanden damit wieder bei einigen Böhmen Beifall: als 
aber der Beſchluß ruchbar wurde, brachte er ſo viel Auf— 
regung hervor und fand ſo heftigen Widerſtand, daß man 
auch davon abſtehen mußte. 3°” Um ſo ſtrenger erwies ſich 
dann die Mehrzahl der Prager Pfarrer in der Beobach— 
tung des mittlerweile verkündigten Interdicts. In den 
meiſten Kirchen hörte aller Gottesdienſt auf, die Spendung 
der heiligen Sacramente wurde allen Pfarrkindern ohne 
Unterſchied verweigert, eben ſo das kirchliche Begräbniß 
der Todten, ſo lange Hus in Prag ſich aufhielt. Das 
wurde dem König gar bald zu arg: aber ſeine Befehle 
wurden nicht beachtet. Auch Huſſens eingelegte Appella— 
tion an Chriſtus, als das wahre Haupt der Kirche, fand 
eben ſo wenig Berückſichtigung, wie die von ſeinem rechts— 
gelehrten Procurator, M. Johann von Jeſenic, bei der 
Univerfität am 18 Dec. 1412 verſuchte Beweisführung, 


387) Dieſe Vorfälle erzählt Hus ſelbſt in ſeiner böhmiſchen Poſtille, 
und knüpft daran folgende Reflexion: Patt smelosti Nömecke! 
nesmeliby süsedu oboriti peci aneb chlewce bez krälowy wöle: 
a pak smeli sü sé pokusiti o chram bozi! Die Invectiva con- 
tra Hussitas berichtet darüber: It. ingressum armatorum quon 
dam Bethlehem — indigne ferentes, more furiosi, inermes ar- 
matos invaserunt, et in opprobrium et contumeliam illis cane- 
bant: Nömei sü zufali na Betlem béhali, w nedeli na poswie- 


cenie, priprawiwse sé w odenie, jakZto na Jezise etc. 


1412 


288 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


daß die Bannſprüche rechtsunkräftig feien. 39 Die im Volk 
deshalb wachſende Unruhe bewog am Ende den König, 
daß er Hus ſelbſt auffordern ließ, ſich auf einige Zeit von 

Prag zu entfernen; er verſprach, für ſeine Ausſöhnung 

mit dem Clerus Sorge zu tragen, damit die Zeit ſeines 

Exils abgekürzt werde. Dem Wunſche des Königs 3° wi— 

derſtand Hus nicht länger, und verließ Prag (im Dec. 1412), 

obgleich er die Hoffnung einer baldigen Ausgleichung ſeines 

Streites nicht theilte. 

Von dem Benehmen des Erzbiſchofs Albicus bei allen 
dieſen Ereigniſſen iſt nur das bekannt, daß er gegen Hus 
und deſſen Freunde keinen Ernſt bewies; wahrſcheinlich 
ſuchte er durch ſchwache Mittel nur beide Parteien zu be— 
ſchwichtigen, und verdarb es dadurch mit dem Papſt und 
dem Clerus eben ſo, wie er durch ſeine beſcheidene Haus— 
haltung es bereits auch mit ſeinen zahlreichen Vaſallen 
verdorben hatte. Denn da er nicht nach der Sitte ſeiner 
Vorgänger einen glänzenden Hof halten und mit einer 
Schaar adeliger Mannen ſich umgeben wollte, ſo ſchalt 
man ihn einen Geizhals, der Niemanden neben ſich leben 
laſſen wolle. Dies Alles verleidete ihm ſeine neue Stel— 
lung ſo ſehr, daß er noch vor dem Verlauf des Jahres 
1412 ſie zu verlaſſen ſuchte. Er ſchloß mit dem Biſchof 
von Olmütz, Konrad von Vechta, einen Vertrag, kraft 
deſſen er ihm ſein Erzbisthum abtrat, und bis zu deſſen 
Genehmigung durch den Papſt auch fehon die Verwaltung 
ſämmtlicher erzbiſchöflichen Beſitzungen übertrug.“ Konz 
388) Opp. Huss. I, 408 sq. 309 sq. 

389) In einem aus ſeinem Exil an M. Chriſtann von Pracatic 
geſchriebenen Briefe äußerte er ſich ſelbſt darüber: Aestimo, 
quod peccavi, ad voluntatem regis praedicationem dimittens; 
et ergo jam nolo sic peccare. 

390) Seriptt. rer. Bohem. II, 446, it. III, 14. Konrad nannte ſich 
ſeitdem gubernator et administrator in spiritualibus et tempo 


ralibus archiepiscopatus Pragensis. 


Hus verläßt Prag. Konrad v. Vechta wird Erzbiſchof. 289 


rad von Vechta war aus Weſtphalen gebuͤrtig, und hatte 1412 
von jeher eines beſondern Wohlwollens von Seite König 
Wenzels ſich zu erfreuen, an deſſen Hofe er die Amter 
eines oberſten Münzmeiſters 1403 — 5, dann eines Landes— 
unterkämmerers 1405 — 12 begleitete, obgleich der König 
ihn ſchon 1395 zum Bisthum von Werden, 1408 zu dem 
von Olmütz befördert hatte. Da man mit ſeiner neueſten 
Beförderung einen vielfachen Tauſch der höchſten kirchlichen 
Beneficien in der Art in Verbindung brachte, daß der oft 
genannte erſte Rath und oberſte Kanzler des Königs, 
Wenzel Patriarch von Antiochien, der zugleich Wysehra— 
der Propſt geweſen, das Olmützer Bisthum zur Commende 
erhalten, und dafür die Wysehrader Propſtei dem Erz— 
biſchof Albicus abtreten ſollte: ſo ließ die päpſtliche Ge— 
nehmigung aller dieſer Veränderungen lange auf ſich war— 
ten, und erſt am 17 Juli 1413 wurde Konrad in ſeiner 
neuen Würde inſtallirt. Albicus führte dann bis zu ſei— 
nem Tode CH 1427) den Titel eines Erzbiſchofs von Cä— 
ſarea und Commendatars der Wysehrader Propſtei. 
Durch die in Folge des Interdicts verbreitete Auf— 
regung des Volks, und durch die Ausweiſung des M. Hus 
aus Prag, war der kirchliche Streit zu ſolcher Höhe ge— 
ſtiegen, daß auch die höchſte Regierungsbehörde in Böh— 
men, das Collegium der oberſten Reichsbeamten und der 
zwölf Landeskmeten, davon Kenntniß nehmen und ſich ämt— 
lich damit beſchäftigen mußte. In den vor Weihnachten 
1412 gehaltenen Sitzungen dieſes Collegiums wurde, einem 
Auftrag des Königs zu Folge, die Frage verhandelt, wie 
dem ſeit lange im böhmiſchen Clerus herrſchenden Streit 
ein Ziel zu ſetzen, der im Auslande über Böhmen verbrei— 
tete böſe Ruf zu tilgen und im Lande wieder Ruhe und 
Eintracht herzuſtellen ſei. Die Biſchöfe Konrad von Olmütz 
und Johann von Leitomysl nahmen an dieſen Berathungen 
Theil, und ſowohl Hus als deſſen Gegner reichten ihre 
19 


1412 


1413 
3 San. 


6 Febr. 


290 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


Vorſtellungen ſchriftlich ein. ! Der gefaßte Beſchluß lau— 
tete dahin, daß unter dem Vorſitze dieſer beiden Biſchöfe 
eine Provincialſynode abgehalten und der Streit des Cle— 
rus auf derſelben ausgeglichen werden ſollte. K. Wenzel 
genehmigte dies, und ließ am 3 Januar 1413 Patente an 
den geſammten Clerus ſeines Reichs ausfertigen, daß man 
ſich am nächſtkommenden 2 Februar in der Stadt Böhmiſch— 
Brod zu obigem Zwecke verſammeln ſollte. Eine gleiche 
Kundmachung erließ auch Biſchof Konrad, als Adminiſtra— 
tor des Prager Erzbisthums. ??? Man hat wahrſcheinlich 
darum eine damals dem Erzbiſchof gehörig geweſene kleine 
Stadt zu der Synode beſtimmt, damit auch M. Hus dabei 
erſcheinen könne, ohne durch ſeine Gegenwart und das an 
ſie geknüpfte Interdict allzuviel Anſtoß im Volke zu erregen. 


Die gedachte Synode kam auch richtig zu Stande, 
jedoch nicht in Böhmiſch-Brod, ſondern in Prag, im erz— 
biſchöflichen Palaſt ſelbſt, am 6 Februar 1413; auch hat 
weder Hus, noch der Leitomysler Biſchof ihr perſönlich 
beigewohnt; des Erſteren Stelle vertrat ſein Procurator 
M. Johann von Jeſenic. Über die Art, wie die Verhand— 
lungen geführt wurden, ſind wir völlig im Dunkeln; nur 
die von beiden Seiten gewechſelten Streitſchriften haben 
ſich erhalten, die es wahrſcheinlich machen, daß man es 
zu offenen Debatten in voller Verſammlung gar nicht kom— 


391) Huſſens in böhm. Sprache gerichtetes Schreiben an die »Päni 
mili, dedicowe swatého krälowstwie Ceskeho« (wie er fie an— 
ſpricht) iſt noch ungedruckt. Die Vorſchläge der Doctoren 
findet man bei Cochläus pag. 29 8. 

392) In beiden Patenten wird der Zweck der Synode gleichlautend 
angegeben: Ad hoc, ut pestifera dissensionis materia, in clero 
regni nostri Boemiae dudum suborta (cujus practextu ipsum 
regnum et ejus incolae, quod dolenter referimus, in diversis 
prineipatibus coronae regni Boemiae adjacentibus, prout ac- 


cepimus, graviter infamantur), deleatur et radicitus exstirpetur. 


Verhandlungen der Prager Synode. 291 


men ließ. Beide Parteien reichten zuerſt, nach des Königs 
Befehle, ſchriftlich ihre Anſichten über die Art ein, wie der 
Friede im Lande herzuſtellen ſein möchte. Die katholiſchen 
Doctoren, jetzt unter der Leitung von Stephan Paleé und 
Stanislaw von Znaim, erklärten ſich zuerſt über den Ur— 
ſprung des Streits. Dieſen fanden ſie in der Abweichung 
einiger Mitglieder des böhmiſchen Clerus von den Grund— 
ſätzen der allgemeinen Kirche in drei Hauptpuncten: 1) im 
Dogma von den ſieben Sacramenten, von der Kirchen— 
gewalt, von den heil. Gebräuchen und Ceremonien, von 
Reliquien und Abläſſen u. dgl.; denn während die An— 
ſichten der Einen darüber mit denen der römiſchen Kirche 
übereinſtimmten, deren nothwendiges Haupt der Papſt und 
die Cardinäle der Körper ſeien, gebe es Andere, welche 
ſich darin widerſetzen und lieber den bereits verdammten 
Grundſätzen Wiklefs folgen; Y in der Glaubensregel: 
denn die Einen behaupteten, daß man in allen den Chriſten— 
glauben betreffenden Fragen ſich dem Ausſpruche des apo— 
ſtoliſchen Stuhles und der römiſchen Kirche unbedingt zu 
fügen habe, indem der Papſt als Haupt und die Cardi— 
näle als Körper dieſer Kirche, die wahren und nothwen— 
digen Nachfolger Petri und der Apoftel, “ ſomit auch die 


393) Die Replik der Huſſiten (bei Cochläus pag. 52) ſchließt mit 
den Worten: alibi dictum et scriptum est, et datum D. Epi- 
scopo Olomucensi; et adhuc deduceretur et ostenderetur, si 
audientia in publico daretur coram omnibus doctoribus. 

394) »Cujus Romanae ecclesiae papa est caput, corpus vero colle- 

gium cardinalium.« — »Nee possunt inveniri vel dari super 
terram alii tales successores (Christi et apostolorum), quam 
papa, existens caput, et collegium cardinalium, existens corpus 
ecclesiae Romanae supradietae.« Über dieſe Sätze ſpottete hernach 
Hus; er habe, fagte er, feinem ehemaligen Lehrer M. Stanis— 
law doch mehr Logik zugetraut. Denn wenn der Papſt das 
Haupt, die Cardinäle der Körper der Kirche ſeien, ſo ſeien beide 
zuſammen die ganze Kirche: und wohin gehöre dann die 
19 * 


1413 


294 . Buch, 4 Capitel. K Wenzel IV. 


1413 vollkommen competenten Richter in ſolchen Fragen ſeien; 
Andere wollten dagegen nicht dem Papſte und den Car— 
dinälen, ſondern nur der heiligen Schrift allein das An— 
ſehen in dieſer Sache zugeſtehen, und ſuchten die Schrift 
nach ihrem eigenen Gutdünken zu erklären; 3) in der 
Kirchendisciplin: denn während die Einen predigten, daß 
dem apoſtoliſchen Stuhl, der römiſchen Kirche und den 
kirchlichen Vorgeſetzten in Allem, wo nichts an ſich Böſes 
anbefohlen, nichts an ſich Gutes verboten wird, ſchlechter— 
dings gehorcht werden müſſe, ſuchten Andere dagegen den 
Gehorſam und die Achtung für den Papſt, die Biſchöfe 
und Prieſter bei dem Volke zu untergraben. Das Mittel, 
den Streit zu heben und den einſt unbefleckten Ruf des 
Landes wiederherzuſtellen, ſei daher eben ſo leicht als ſicher 
zu finden: man befehle, daß hinſichtlich jener drei Puncte 
Jedermann in Böhmen ſich mit den Grundſätzen der all— 
gemeinen Kirche in Übereinſtimmung ſetze; wer darin durch— 
aus nicht gehorchen wolle, den verweiſe man des Lan— 
des. Die Maßregeln, welche Huſſens Partei dagegen 
in Vorſchlag brachte, beſtanden in Folgendem: Man laſſe 
den am 6 Juli 1411 zwiſchen dem Erzbiſchof Zbynef und 
der Prager Univerſität nebſt dem M. Hus getroffenen Ver— 
gleich wieder gelten, und erhalte Böhmen bei denſelben 
Rechten und Gebräuchen hinſichtlich der allgemeinen Kirche, 
welche auch in anderen Ländern üblich find; 8's man er— 
laube dem M. Hus, auf der Synode zu erſcheinen und 
ſich von dem Verdacht der Ketzerei zu reinigen; man ver— 

übrige Chriſtenheit? »Si posuissent, quod non potest deus 
dare alios pejores successores suae ecelesiae, quam est papa 
cum cardinalibus, haberent majorem evidentiam diecti.« 

395) Dieſe wichtige Schrift ift ganz, aber mit auffallenden Inter: 
polationen und Auslaſſungen, abgedruckt bei Cochläus pag. 
44 — 49. 

396) Dies bezieht ſich ohne Zweifel auf das Recht, im eigenen Lande 
gerichtet (daher nicht nach Rom citirt) zu werden. 


Verhandlungen der Prager Synode. 293 


kündige, daß alle Diejenigen, welche ihn der Ketzerei be- 1413 
zichtigen, ſich gleichfalls einſtellen und ſich zur Beweis— 
führung unter der Strafe der Wiedervergeltung verpflich— 
ten; findet ſich dazu Niemand, ſo fordere man Diejenigen 
auf, welche bei dem Papſte Klagen über Ketzereien in 
Böhmen eingereicht haben, anzugeben, wer dieſe Ketzer 
ſeien; bekennt ſich Niemand zu einer ſolchen Klage, fo 
möge ein öffentliches Zeugniß darüber aufgeſetzt, von König 
und Erzbiſchof alle Verketzerungen unter Strafe verboten, 
und auf Koſten des Clerus eine Geſandtſchaft, zur Rei— 
nigung des Landes, an die römifche Curie abgeordnet 
werden; auch ſolle man wegen Hus keine Interdicte mehr 
verfündigen laſſen.“? Nur M. Jacobellus von Mies gab 
ſeine beſondere Meinung dahin ab, daß man bei den Be— 
mühungen zu Herſtellung des Friedens erſt wiſſen müſſe, 
welchen Frieden man herſtellen wolle: ob den mit der 
Welt, oder den mit Gott; der letztere hänge von der Be— 
obachtung der göttlichen Gebote ab. Der Streit in Böh— 
men komme daher, daß die Anſtrengungen einiger Männer 
des Clerus zu Herſtellung dieſes göttlichen Friedens bei 
ihren Collegen auf einen eben ſo heftigen als unlauteren 
Widerſtand geſtoßen ſeien. Und doch ſei der weltliche Friede 
ohne den chriſtlichen und göttlichen eben ſo unſicher, wie 
werthlos. Der König möge daher zuerſt auf dieſen ſein 
Augenmerk richten, dann werde jener ihm von ſelbſt kom— 
men u. ſ. w.“ —Praktiſcher und eingreifender waren die 
Vorſchläge, welche Biſchof Johann der Eiferne von Leito— 
mysl am 10 Februar einſandte: er trug auf die Ernen-10 Febr. 
nung eines mit Polizeigewalt bekleideten Vicekanzlers bei 
der Univerſität an, ferner auf ein Verbot des Predigens 


397) Gedruckt bei Cochläus pag. 32 — 33. 

398) Dieſes noch ungedruckte »Consilium M Jacobelli, devoti theo- 
logi, de pacificando regno« ſteht in einer Handſchrift der Pra— 
ger Univerſitätsbibliothek (III, G. 6, fol. 10 sq.). 


1413 


294 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


an das Volk über Fragen, welche nur vor die hohe Schule 
gehören, auf Entziehung des Predigeramtes bei Hus und 
deſſen Anhängern, endlich auf Verdammung und Wegräu— 
mung aller von den Letzteren in böhmiſcher Sprache ge— 
ſchriebenen Bücher u. dgl. 9° Der durch dieſe verſchieden— 
artigen Anträge neu verwickelte Streit wurde dann unter 
den Hauptperſonen, einerſeits M. Paleé und Stanislaw, 
andererſeits M. Hus und Jeſenie, ſchriftlich durch Repli⸗ 
ken und Dupliken ohne Ende fortgeſetzt;““ die Prager 
Synode aber löſte ſich ohne irgend ein ſichtbares Reſultat 
wieder auf. 8 

Das Mißlingen dieſes Verſuchs ſchreckte den König 
nicht ab, noch einen andern zu wagen. Er ſetzte eine Com— 
miſſion von vier Mitgliedern, dem Erzbiſchof Albicus, dem 
Propſt bei Allerheiligen M. Zdenef von Labaun, dem Wy⸗ 
sehrader Dechant Jacob und dem Univerſitätsrector M. 
Chriſtann von Prachatice zuſammen, und bevollmächtigte 
ſie, alle Mittel zu Herſtellung der Eintracht und Ruhe zu 
ergreifen. Dieſe Commiſſion brachte es zuerſt dahin, daß 
beide Parteien, unter der Geldbuße von tauſend Schock 
Prager Groſchen und der Strafe der Landesverweiſung, 
auf ihren Ausſpruch compromittirten. Dann pflog ſie in 
der Altſtädter Pfarrei bei S. Michael, in der Wohnung M. 
Chriſtanns, mehrtägige Verhandlungen mit den Parteien; 
M. Zdenef von Labaun leitete die Debatten. Aber ſchon 
bei Formulirung des erſten Satzes der beiderſeitigen Erklä— 
rung, »von der Übereinftimmung des Glaubens beider Par— 
teien, rückſichtlich der heil. Sacramente und der Kirchengewalt, 
mit dem Glauben der Kirchen, ſtieß man auf nicht zu lö— 
ſende Schwierigkeiten. Erſtens proteſtirte M. Paleé gegen 


399) Bei Cochläus pag. 34 — 36. 

400) Die Zahl der aus Anlaß dieſer Synode geſchriebenen, meiſt 
noch ungedruckten Tractate, iſt ſehr groß; ſelbſt Huſſens be— 
kannter Tractatus de ceclesia gehört dazu. 


Verbannung kathol. Profeſſoren aus Böhmen. 295 


2 
die Benennung Partei“ für ſich und die Seinigen; dann 
wollte er den Ausdruck „Kirche« in folgender Weiſe näher 
beſtimmt wiſſen: »die heil. römiſche Kirche, deren Haupt 
für jetzt Papſt Johann XXIII, und deren Körper die Car— 
dinäle ſind.« Nach langen Ausflüchten ließ M. Sefenic 
dieſe Beſtimmung endlich ſich gefallen, verlangte dann aber 
auch ſeinerſeits den Zuſatz: daß er und die Seinigen ꝛdie 
Entſcheidungen und Ausſprüche dieſer Kirche ſo annehmen, 
wie jeder wahre und treue Chriſt dieſelben annehmen 
müſſe.« Der Commiſſion ſchien auch dieſer Zuſatz billig 
und unverfänglich; Paleé und Stanislaw proteſtirten da— 
gegen aus allen Kräften. Das ſei nur eine Hinterthür, 
ſagten fie, um Willkür und Ungehorſam dadurch zu ver— 
ſtecken. Zwei Tage ſtritt man vergebens über dieſe An— 
fände; am dritten blieb Paleè mit den Doctoren bei den 
Verhandlungen gänzlich aus, indem er die Commiſſion der 
Schwäche und Parteilichkeit beſchuldigte. König Wenzel 
aber gerieth darüber in den höchſten Unwillen; er ſetzte 
die vier Profeſſoren der Theologie an der Univerſität ab, 
und verbannte ſie durch ein Patent für immer aus ſeinem 
Lande.“! M. Stanislaw von Znaim ſtarb bald darauf 
zu Neuhaus, wo er den Schutz des Herrn Johann des 
jüngeren von Neuhaus genoſſen hatte; Stephan von Paleé 


401) In dem königlichen Patente heißt es darüber: Stanislaus et 
Petrus de Znoyma, Stephanus Palecz, Johannes Heliae, sacrae 
paginae professores, utpote dietarum dissensionum patratores' 
se ab hujusmodi nostris conceptibus et mandatis absentarunt, 
se super hujusmodi dissensionum materiis notabiliter partem 
facientes. Propter quod ipsorum notabilem malitiam, dignam 
animadversione, refrenare volentes, ipsos et eorum quemlibet 
de regno nostro et ejus pertinentiis sine spe restitutionis ban- 
nivimus etc. Das Chronicon universit. Prag. enthält dieſes 
Patent nebſt umſtändlichen Notizen über den Gang dieſer 
Verhandlungen. 


296 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1413 trat erſt zu Conſtanz wieder öffentlich auf, durfte aber ſein 


21 Oct. 


2 Nov. 


Vaterland nicht mehr wiederſehen. 

Durch die Verbannung der vier bedeutendſten Pro— 
feſſoren erlitt die katholiſche Partei in Prag einen uner— 
ſetzlichen Verluſt; und ihr folgte bald ein anderer, der 
nicht minder empfindlich war. Das deutſche Element hatte 
vom Ende des XIII Jahrhunderts bis auf dieſe Zeit herab 
auf dem Rathhauſe der Altſtadt Prag vorgeherrſcht,“ un— 
geachtet die Klagen der Böhmen darüber ſeit Karl IV je 
länger je lauter wurden. Die Mehrzahl der Rathsherren 
waren Deutſche, folglich Gegner des Huſſitismus; unter 
ihnen hatte in den letzten Jahren ein Johann Ortel das 
meiſte Anſehen behauptet. Am 21 October 1413 änderte 
jedoch K. Wenzel das Verhältniß in der Art, daß er befahl, 
künftig je 25 Böhmen und 25 Deutſche in Vorſchlag zu 
bringen, wovon er 18, nämlich von jeder Nation zu 9, 
als Rathsherren ſetzen und beſtätigen wolle.“? Am 2 No— 
vember darauf ließ er Johann Ortel, und einen Tuch— 
händler Namens Genef, auf dem Rathhauſe enthaupten. 4% 
Die nähere Veranlaſſung zu beiden Vorfällen iſt uns un— 
bekannt; aber um ſo unzweifelhafter iſt die Folge, daß 
402) Der Neuſtädter Rath war dagegen ſchon im XIV Jahrh. vor— 

wiegend böhmiſch, die Kleinſeite utraquiſtiſch. 

403) Bei Von der Hardt, IV, 758, wird die Sache ſo dargeſtellt: 
M. Hieronymus et J. Hus deduxerunt materiam illam cum ad- 
jutorio Bohemorum nobilium et aliorum, quod ubi sedecim 
Teutonici fuerunt in consilio civitatis Pragensis, fuerint positi 
sedecim Bohemi, et loco duorum Bohemorum fuerunt positi 
duo Teutonici; womit Stari letopisowe pag. 15, 17 übereinſtim⸗ 
men. Gleichwohl ſcheint die obige urkundliche Angabe glaub: 
würdiger. Vgl. Pelzel im Wenceslaus pag. 622. 

404) In einem gleichzeitigen MS. der Krumauer Propſtei findet ſich 
die Nachricht von Ortels Hinrichtung. Ortel und Cenék waren 
die vorzüglichſten Rathsherren geweſen, welche den oft genann— 
ten Günſtling und Secretär des Königs, M. Zdenék von La— 
baun, am 24 Januar 1410 aus unbekanntem Grunde in Prag 


Anderung d. Altſtädter Raths. Hus auf d. Lande. 297 


auch fie zu Schwächung des Katholicismus in Böhmen 1413 
beitrugen. 

Die Ruhe war in Prag, durch die Entfernung der 
beiderſeitigen Vorkämpfer, äußerlich allerdings hergeſtellt, 
aber keineswegs für die Dauer geſichert. Unter den da— 
maligen Verhältniſſen trug ſelbſt Huſſens Exil zur weite— 
ren Entwickelung und Verbreitung ſeiner Lehren bei. Er 
hatte ſich zuerſt unter den Schutz der Herren von Auſtie 
begeben, und brachte die meiſte Zeit auf der Veſte Kozi 
hrädek bei Auſtie zu: gerade an der Stelle, wo einige 
Jahre ſpäter die Stadt Tabor ſich erhob. In der daſelbſt 
gewonnenen Muße ſchrieb er ſeine meiſten und bedeutend— 
ſten Werke in lateiniſcher und böhmiſcher Sprache. Hier 
entſtand fein Tractatus de ecelesia, mit den damit in Vers 
bindung ſtehenden Streitſchriften gegen Palec und Stani— 
ſlaw; hier ſeine böhmiſche Poſtille, ſein Werk über die Si— 
monie (o swatokupectwi) und viele andere Schriftchen. 
Von dem benachbarten Austi ift die kurzgefaßte Chriſten— 
lehre datirt, welche er zum Frommen ſeiner ehemaligen 
Zuhörer an die Wände der Bethlehemscapelle ſchreiben 
ließ, wo überdies ſein geliebter Schüler Hawlik ſeine Stelle 
als Prediger vertrat. Auch unterhielt er einen lebhaften 
Briefwechſel mit ſeinen Freunden, zumal während der Dauer 
der oben erwähnten Verhandlungen zu Herſtellung des 
Friedens. Die in jener Zeit an den Univerſitätsrector 
M. Chriſtann von Prachatic geſchriebenen Briefe find für 
feine Denkweiſe vorzüglich bezeichnend.“ ? Überdies ließ 


hatten öffentlich verhaften laſſen, wofür ſie dann, ſo wie der 
ganze Magiſtrat, in einen langen Proceß verwickelt wurden. 
Vielleicht hängt dieſe dunkle Geſchichte mit ihrer Hinrichtung 
zuſammen. 

405) Da dieſe Briefe, mit Aus nahme eines einzigen, noch ungedruckt 
find, fo wollen wir einige Stellen daraus hier anführen. Con- 
silium facultatis theologicae, ſchreibt Hus, si starem ante ignem 


298 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1413 er ſich eben ſo wenig abhalten, dem Volke, das aus der 
Umgegend zu ihm häufig zuſammenſtrömte, zu predigen, 
als das Volk ſelbſt des Verbots, ihn zu hören, nicht ach— 
tete. Seine lange Anweſenheit in der Gegend von Tabor 
hat ohne Zweifel weſentlich dazu beigetragen, daß daſelbſt 
ein eigenes, von Prag unabhängiges, Centrum des Huſſi— 
tismus, und in ihm der Keim der beſonderen Secte der 
Taboriten ſich bildete, wie Solches aus dem Verfolg der 
Geſchichte ſich herausſtellen wird. 

Es dürfte hier der Ort ſein, auch der Bemühungen 
Huſſens um die höhere Bildung der böhmiſchen Sprache 
und Literatur zu gedenken. Seine Oppoſition gegen die 


mihi praeparatum, juvante Christo domino non acceptabo; et 
spero, quod mors prius vel me, vel duos aversos a veritate 
ad coelum vel ad infernum diriget, antequam eorum senten- 
tiae consentiam. Cognovi enim ambos, quod prius vere fate- 
bantur secundum legem Christi veritatem, sed timore percussi, 
in adulationem papae et in mendacium sunt conversi. — Et 
si ego non possum libertare veritatem per omnia, saltim nolo 
esse inimicus veritatis et per mortem obsistere consensui. Cur- 
rat mundus, sicut deus eum permiserit currere; melius est 
bene mori, quam male vivere; propter mortis supplicium non 
est peccandum; praesentem vitam finire in gratia, est exire 
de miseria; qui addit scientiam, addit laborem; qui veritatem 
loquitur, caput sibi concutitur; qui mortem metuit, amittit 
gaudia vitae; super omnia vineit veritas; vineit qui oceiditur, 
quia nulla ei nocet adversitas, si nulla ei dominatur iniquitas; 
beati estis, cum maledixerint vobis homines, ait Veritas 
Haec sunt mea fundamenta et fercula, quibus refieitur spiritus 
meus, ut sit fortis contra omnes adversarios veritatis. — De 
infamia regis et regni, si rex erit bonus et regnicolae saltim 
quidam dum erunt boni, quid nobis? cum Christus per maxi- 
mam viavit infamiam cum suis electis, quibus dixit: absque 
synagogis facient vos et morte afficient ex vobis, eredentes se 
obsequium praestare deo, et eritis odio omnibus hominibus 
propter nomen meum, trademini a parentibus et cognatis; 


quod est plus, quam pati a Stanislao vel Paleé. 


Hus und die böhmiſche Sprache und Literatur. 299 


Deutſchen iſt durch den Streit über die drei Stimmen an 1413 
der Univerſität weltkundig geworden; ſie äußerte ſich auch 
in ſeinen Schriften, jedoch nicht angriffsweiſe, ſondern nur 
zum Schutz und zur Vertheidigung. Insbeſondere eiferte 
er gegen den inneren Verfall der böhmiſchen Sprache, zumal 
bei den Pragern, durch die Mengung beider Sprachen in ein— 
ander, und gegen die damit zuſammenhängende Halbheit und 
Charakterloſigkeit, wie der Gedanken, fo der Geſinnung. “s 
Als böhmiſcher Schriftſteller hielt er daher viel auf Puris— 
mus, und ſuchte nicht nur die Sprache durch feſte Regeln 
zu binden, ſondern erſann auch ein neues Syſtem der Or— 
thographie, welches ſich durch Einfachkeit, Präciſion und 
Folgerichtigkeit ſo ſehr empfahl, daß es ſchon im XVI Jahr— 
hunderte im Bücherdruck angenommen wurde, und ſeitdem 
bis heute noch allgemein befolgt wird. #7 Seine böhmi— 


406) Charakteriſtiſch ſind in dieſer Hinſicht folgende Worte im 40ſten 
Capitel feines größeren »Wyklad na päteres: Také kniezata, 
päni, rytieri, wladyky, mestöne — majie se postawiti, aby 
&eskä re& nehynula; puojmeli Cech Nemkyni, aby det ihned 
tesky uèili a nedwojili rei; neb feèi dwojenie jest hotowe 
zawidönie, roztrzenie, popüzenie a swär. Protok swaté pameti 
Karel ciesar kräl Cesky prikäzal jest byl Prazanöm, aby swe 
deti &esky uèili, a na radnem domu, jemuz nömecky rikajı 
rathüs, aby @esky mluwili a zalowali. A werne, jako Neemias 
slysaw, ano dietky zidowské mluwie odpolu azotsky a ne- 
umöjie zidowsky, proto je mrskal a bil: tes nynie hodniby byli 
mrskänie Prazanè i jini Cechowes, jen2 mluwie odpolu èesky 
a odpolu némecky. A ktoby mohl wse wypsati, co sü rel 
ji2 Ceskü zmietli; tak ze kdy prawy Cech slysi, ani jinak 
mluwie, nerozumie jim co mluwie etc. 

407) Seine lateinifhe Abhandlung über die Grundſätze der böhmi— 
ſchen Orthographie iſt in vielfacher Hinſicht intereſſant, aber 
noch ungedruckt. Seinen größeren Schriften pflegte er auch 
Vorreden grammatiſchen und orthographiſchen Inhalts beizu— 
legen, und darin die Abſchreiber derſelben zu ermahnen, daß 
ſie ja nicht in den gewöhnlichen Schlendrian zurück verfallen. 


300 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1413 ſchen Schriften, 15 an der Zahl, ſind nicht allein durch 
eigenthümlichen kernigen Vortrag ausgezeichnet, ſondern auch 
an der beſonderen Orthographie leicht zu erkennen. Die 
ganze Bibel war zwar von einem Ungenannten ſchon im 
XIV Jahrhunderte ins Böhmiſche überſetzt worden; Hus 
unternahm aber eine neue Reviſtion derſelben, “s wie es die 
noch erhaltenen, mit ſeiner Orthographie im erſten Viertel 
des XV Jahrhunderts geſchriebenen Exemplare darthun. 
Auch als Dichter verſuchte er ſich, ſowohl in frommen 
Kirchenliedern, als in didaktiſchen Hexametern; “ in bei— 
den jedoch ohne poetiſche Weihe. 

In der gleichen Zeit, wo Hus gezwungen worden war, 
Prag zu verlaſſen, entfernte ſich auch ſein Freund, M. 
Hieronymus, von dort; wahrſcheinlich aus freiem Ent— 
ſchluſſe, ſowohl um ſeine Reiſeluſt zu befriedigen, als um 
die neue kirchliche Lehre in die Nachbarländer verbreiten 
zu helfen,“ obgleich er wegen feiner Vorliebe für Wiklef 


(Man vergleiche ſeine Poſtille, dann die beiden Bautzner Hand— 
ſchriften u. a. m.) Dennoch drang er bei ſeinen Zeitgenoſſen 
nicht durch; ſeine Orthographie wurde erſt von den Taboriten, 
dann nach ihnen von den böhmiſchen Brüdern angenommen; 
Letztere verſchafften ihr erſt im XVI Jahrhunderte die allge— 
meine Aufnahme, obgleich mit kleinen Inconſequenzen, die erſt 
in der neueſten Zeit beſeitigt worden ſind. 

408) Namentlich rührt die von Dobrowſky zuerſt beſtimmte zweite 
Recenſion der böhm. Bibelüberſetzung von Hus her. 

409) In dem Verſuche, die böhmiſche Sprache in Hexameter ein— 
zuzwängen, war ihm ſchon Stitnb im 3. 1374 mit einem Bei— 
ſpiel vorangegangen. Doch ſind beide Verſuche ziemlich hol— 
pericht ausgefallen. b 

410) Wenigſtens ſind nachſtehende, vom Dolaner Prior Stephan in 
ſeinem Antiwiklef im J. 1408 geſchriebenen Worte, ſichtbar auf 
M. Hieronymus gemeint: Quidam insani magistri et homi- 
nes pestiferi Wiklefitiei ordinis et schismatis — post discur- 
sum peregrinarum nobis terrarum et distrietuum, etiam in terris 


nostris Bohemiae et Moraviae aulas principum, collegia et ca- 


M. Hieronymus in Ungarn, Wien, Polen u. Rußland. 301 


faſt allenthalben mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatte. 1413 
Schon früher hatte er deshalb aus Paris und Heidelberg 
ſich flüchten müſſen; auch am Hofe K. Sigmunds von 
Ungarn, in Ofen, hatte ihn im J. 1410 die Klage des 
Erzbiſchofs Zbynek aus Prag ereilt, in deren Folge er, 
auf Veranlaſſung des Königs, von dem Erzbiſchof von 
Gran 14 Tage lang in Haft gehalten wurde. Von dort 
zurückkehrend, war er auch in Wien angehalten, und auf 
Verlangen der Univerſität von dem Official des Paſſauer 
Biſchofs über feine Rechtgläubigkeit ins Verhör genommen 
worden; er mußte angeloben, die Stadt nicht zu verlaſ— 
ſen, bis er ſich von dem Verdacht der Ketzerei gereinigt 
haben würde, ergriff aber bei der erſten Gelegenheit die 
Flucht (zu Anfang Sept. 1410) und entſchuldigte ſich dann 
damit, daß man nicht den Rechtsformen gemäß, ſondern 
gewaltthätig ſich gegen ihn benommen habe. *! Die letzte 
größere Reiſe dieſer Art unternahm er, wie er ſagte, auf 
den Wunſch K. Wladiſlaws und des Großfürſten Witold, 
nach Polen und Rußland im Jahre 1413. Er trat am 
königlichen Hofe in Krakau bald als Edelmann, bald als 
Gelehrter auf, und brachte in den wenigen Tagen ſeines 
dortigen Verweilens die Gemüther des Clerus und des 
Volkes in größere Gährung, als man ſie ſeit Menſchen— 
gedenken dort geſehen.“? Dann begleitete er den Groß— 


thedras sacerdotum, scholas studentium, promiscui sexus po- 
pularem tumultum fidelium — tuba ipsorum ululans et pesti- 
fera — replevit. (Pez Thesaur. Anecdot. I. c. pag. 157 sq.) 

411) »Violenter arrestatus fui, nec quidquam mecum juridice, sed 
violenter actum est; nec habebant quidquam jurisdictionis 
super me, quia de alia eram dioecesi.« — Nec furtive, nec 
contumaciter recessi, sed violentiam mihi ab eis infligendam 
exspectare non volui, prout nec tenebar, nec debui.« Go äu: 
ßerte er ſich darüber fpäter in Conſtanz (bei Von der Hardt, 
IV, pag. 638). 

412) Der Krakauer Biſchof Albert ſchrieb über ihn am 2 April 1413 


302 VI Buch, 4 Eapitel, K. Wenzel IV. 


1413 fürſten Witold nach Litthauen und Rußland, und erregte 
insbeſondere bei den Minoritenbrüdern in Witepfk großen 
Anſtoß dadurch, daß er die dortigen griechiſch-gläubigen 
Ruſſen für gute Chriſten erklärte, ihre Kirchen beſuchte 
und ihre Ceremonien mitmachte; das Gleiche ließ er ſich 
auch in Pleſkow zu Schulden kommen, und achtete nicht 
der Ermahnungen, welche der Biſchof von Wilna deshalb 
an ihn richtete. Der Großfürſt ſcheint ihn gerade in den 
Angelegenheiten der beiden ſtreitenden Kirchen zu Rathe 
gezogen zu haben; doch iſt uns nichts Näheres davon be— 
kannt geworden. #13 | 

Die Sympathien und wechfelfeitigen Verbindungen 
des Volkes in Böhmen und Polen ſcheinen zu Anfange 
des XV Jahrhunderts überhaupt eine Höhe und Innigkeit 
erreicht zu haben, wie niemals zuvor oder nachher. Sehr 
viele Böhmen wanderten damals aus, um an der Weichſel 
ein beſſeres Fortkommen zu ſuchen, und nicht wenige Polen 
hielten ſich ſtets in Prag auf, vorzüglich um der Bildung 
willen. Die böhmiſche Sprache war damals auf dem Wege, 
nicht nur die Hofſprache der Jagellonen, ſondern die all— 


an den Patriarchen Wenzel von Antiochien Folgendes: Venit 
huc personaliter, et prima die barbatus apparuit, secunda vero 
imberbis stolatus, tunica rubra et caputio foderato, pellibus 
griseis, se gloriosum ostendebat, coram ipso rege, regina, prin- 
cipum, baronum ac procerum frequentia. Qui tamen licet hie 
paucis diebus moraretur, majores in clero et populo fecit com- 
motiones, quam fuere factae a memoria hominum in dioecesi 
ista etc. — Terra nostra (ſpricht der Biſchof mit bitterem Spott 
weiter) ad semen suum videtur esse arida capiendum et fruc- 
tum afferendum, eo quod simplex plebicula tanti philosophi 
dogmata comprehendere non valet, et multo minus terrae Li- 
tuanorum et Rusiae ete. (Beide Sätze ſcheinen doch mit ein: 
ander im Widerſpruch zu ſtehen.) 

413) Man vergleiche die Angaben bei Von der Hardt, IV, pag. 643, 
677 — 79 etc. 


Böhmens Verhältniſſe zu Polen. 303 


gemeine Bildungsſprache der römiſchgläubigen Slawen über— 
haupt zu werden, wenn nicht der in Böhmen begonnene 
Huſſitismus den Clerus in Polen, Ungarn und Kroatien 
gezwungen hätte, bei Zeiten auf ſeiner Hut zu ſein und 
fortan allen geiſtigen Einflüſſen aus Böhmen entgegenzu— 
wirken.!“ Wie verbreitet und tief gewurzelt in Böhmen 
die Neigung für die Polen war, zeigte ſich insbeſondere 
in dem bekannten großen Kriege der Letzteren gegen den 
deutſchen Orden in Preußen im J. 1410. K. Wenzel 
war damals, zu Gunſten des Ordens, ſeinem vieljährigen 
Freunde Wladiſlaw Jagjel untreu geworden, weil Letzterer 
ſich geweigert hatte, ſeinem Schiedſpruche im Streit mit 
dem Orden Folge zu leiſten. Wenzel nahm für den Orden 
Partei und machte ſich zu deſſen Unterſtützung anheiſchig: 
gleichwohl zog die Mehrzahl ſeiner Unterthanen freiwillig 
den Polen zu Hilfe, und wenn wir ſpäteren Chroniſten 
glauben dürfen, ſo trugen insbeſondere die böhmiſchen Feld— 
herren Johann Sokol von Lamberg, Johann Zijfa von 
Trocnow und Andere, nicht wenig dazu bei, daß die ent— 
ſcheidende blutige Schlacht bei Tannenberg am 15 Juli 
1410 für den Orden ſo unglücklich ausfiel. K. Wenzel 


414) Der diplomatiſche Gebrauch der böhmiſchen Sprache in Polen 
und Litthauen, der ſich zuletzt nur in häufigen Bohemismen 
bis gegen den Anfang des XVII Jahrhunderts erhielt, ver— 
diente eine nähere Unterſuchung. Man vergl. Casopis Lesk. 
Museum, 1830, pag. 293 fg. 1831, 280 fg. Auffallend iſt ins 
beſondere das ſtarke Bohemiſiren z. B. in dem Landtagſchluſſe 
von Wilna vom 19 Juni 1563, wie man ihn im Statut Li- 
tewski 1841, pag. 528 fg. lieſt, ſo wie in den litthauiſch-ruſſi— 
ſchen Acten des XVI Jahrh., wie fie in Muchanows Zbornik 
(1836) zu finden ſind. Die böhmiſche Sprache war unter 
Wladiſlaw Jagjel und deſſen nächſten Nachfolgern die Hof— 
ſprache in Polen. Unter den Südſlawen hatte ein Dominicus 
de Zagrabia ſchon 1413 den Huſſitismus zu predigen angefan— 
gen; er wurde aber eingezogen und zum Widerruf gebracht. 


1413 


304 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1413 rief hierauf alle ſeine Unterthanen zu den Waffen, und 
ſprach noch zu Anfang Septembers von ſeinem Entſchluſſe, 
ſich perſönlich an die Spitze ſeines Heeres zu ſtellen, um 
der neuen »Tatareninvafion« zu wehren: 6 allein feine 
Stimme machte um ſo weniger Eindruck, als auch Wla— 
diſlaw den Böhmen und Mährern die Überzeugung beizu— 
bringen wußte, daß ſie nichts von ihm zu beſorgen hätten. 
Darum fand ſich K. Sigmund noch am 2 Dec. 1411 be— 
wogen, bei ſeinem Bruder nachdrücklich darauf zu dringen, 
daß alle Böhmen, Mähren und Schleſier, welche ſich im 
Solde des Königs von Polen befanden, zurückgerufen, und 
die Widerſpenſtigen ernſtlich geſtraft werden.““ Wenn 
man weiß, daß auch Hus in dieſen Jahren mit K. Wla⸗ 
diſlaw in brieflicher Verbindung ftand, *7 und wenn man 
das Intereſſe erwägt, welches polniſche Herren bald darauf 
an dem Schickſal des böhmiſchen Reformators nahmen: ſo 
wird man die Anſicht kaum zurückweiſen, daß auch der 
Huſſitismus in ſeinem Beginne ein neues Bindungsmittel 
zwiſchen Polen und Böhmen gebildet hat. 

Es ſcheint, daß Hus aus ſeinem Exil im Laufe des 
Jahres 1413 einigemal incognito nach Prag zurückkehrte, 
ſich aber immer wieder entfernte, ſobald ſeine Anweſenheit 
daſelbſt entdeckt wurde. Um feinen Freunden näher zu 


415) Er ſchrieb am 4 Sept. einen Landtag auf den 14 Sept. zu 
dem Zwecke aus: »pro tractando, — qualiter saevissimis Tar- 
taris et ipsorum adhaerentibus, qui regna et terras nostras, imo 
et dominia vestra, nituntur manu tyrannica invadere, obviare 
realiter valeamus; — und dankte noch am 11 Sept. 1410 dem 
Herrn Heinrich von Roſenberg dafür, quod ad eorundem in- 
fidelium et paganorum ferocitatem conculcandam nobiscum pro- 
fieisci decrevisti ete. (Orig. im Wittingauer Archive.) 

416) J. Aſchbach, Geſchichte Kaiſer Sigmunds, Bd. L S. 42629. 

417) Ein von Hus im J. 1412, in die Barnabae, dem Könige ge— 
ſchriebener Brief (de malitia cleri) ſteht in der Handſchrift 
Nr. 4902 der k. k. Hofbibliothek in Wien. 


Hus auf der Burg Krakowec. 305 


ſein, nahm er dann das Anerbieten des königlichen Günſt— 
lings, Herrn Heinrich von Lazan, an, auf deſſen anſehn— 
licher Burg Krakowec im Rakonitzer Kreiſe zu wohnen.“ 
Von da pflegte er häufig in die benachbarten Märkte und 
Dörfer ſich zu begeben, um überall, wo es eine Volks— 
verſammlung gab, als Prediger aufzutreten, und das Volk 
firömte, nach dem Zeugniß eines gleichzeitigen Chroniſten, 
ihm ſchaarenweiſe allenthalben nach. So trug auch ſein 
Exil zur Verbreitung ſeiner Lehre auf dem Lande bei. 
Auf einem kleinen Concilium, welches Papſt Jo— 
hann XXIII zu Anfange des Jahres 1413 in Rom hielt, 
wurden die 45 Wiklef'ſchen Artikel neuerdings durch eine 
vom 2 Febr. 1413 datirte Bulle verdammt, welche her— 
nach in Böhmen einer kurzen, aber ſehr beißenden Kritik 
unterworfen wurde.“!“ Am 30 Oct. 1413 kam aber König 
Sigmund mit den Bevollmächtigten des Papſtes zu Viglud 
bei Lodi überein, ein allgemeines großes Concilium auf 


418) πν letopisomé p. 19. Die Burg Krafowec hatte Herr Hein— 
rich von Lazan, zugenannt Lefl (Ahnherr der heutigen Frei— 
herren Bechyns von Laßan), von dem Herrn Jira von Roztok 
und deſſen Sohne Peter an ſich gebracht (Archiv Cesky I, 166 
etc.); an die Kolowrate gelangte fie erſt ſeit 1443. Daß Hus 
während ſeines Exils ſich in Huſinec aufgehalten habe (apud 
villam, unde sibi origo fuit ac cognomen, permittente loci do- 
mino), iſt eine der unzähligen Unrichtigkeiten des Aeneas 
Sylvius, mit deren Widerlegung wir uns nicht einzeln befaſ— 
fen können. Der »loci dominus« in Hufinec war der König 
ſelbſt; der königliche Günſtling Nicolaus von Pieſtna, den 
man gewöhnlich dafür anſieht, war nur ein auf Lebenszeit er— 
nannter königlicher Burggraf der Burg Hus, zu welcher die 
Hälfte des Marktes Huſinec damals gehörte, wie ſchon oben 
geſagt worden iſt. 

419) Die Bulle ſteht bei Raynaldi zum J. 1413, §. 1 sq. Die 
Kritik darüber kommt in Handſchriften unter Huſſens Namen 
vor, obgleich er bekanntlich ihre Autorſchaft läugnete und ſie 
ſeinem Freunde M. Jeſenie zuſchrieb. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 20 


306 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. 


1413 den 1 November 1414 nach Conſtanz am Bodenſee zu— 
ſammenzuberufen. Er ließ alſogleich Einladungsſchreiben 
dazu in ſeinem Namen an die ganze Chriſtenheit ergehen, 
und brachte den ſchwankenden Johann XXIII bei einer per— 
ſönlichen Zuſammenkunft mit ihm zu Lodi endlich dahin, 
daß auch er am 9 Dec. 1413 die Einladungsbulle voll— 
zog und zugleich perſönlich in Conſtanz ſich einzufinden 
verſprach. Bei dem Ernſte, mit welchem K. Sigmund ſich 
dieſem Geſchäfte widmete, um die von Allen gewünſchte 
Union und Reformation der Kirche an Haupt und Glie— 
dern endlich ins Werk zu ſetzen, mußten nothwendig auch 
die kirchlichen Wirren von Böhmen zur Sprache und zur 
Entſcheidung kommen; zumal dieſe Wirren eben in einem 
vorlauten Streben nach der Kirchenreform ſelbſt ihren Ur— 
ſprung hatten. Sigmund ließ ſich deßhalb in directe Ver— 
handlungen mit Hus ein, und forderte ihn auf, ſich per— 
ſönlich in Conſtanz einzufinden; er bot ihm nicht nur ein 
freies Geleite dahin, ſondern auch ſeine Mitwirkung an, 
um ſeine Sache daſelbſt einem erwünſchten Schluſſe ent— 
gegenzuführen. Die zwei königlichen Hofleute, Heinrich 
Lefl von Lazan und Mikes Diwoͤcek von Jemnist, beide 
Freunde Huſſens, vermittelten dieſe Mittheilungen. Dieſer 
erklärte ſich alſogleich bereit, der hohen Einladung zu fol— 
gen, und ſein Entſchluß bildete nicht nur einen neuen 
Wendepunct in ſeinem Leben, ſondern es trat damit auch 
eine neue Reihe von Ereigniſſen in der Geſchichte von Böh— 
men überhaupt ein. 


Fünftes Capitel. 
M. Johann Hus und das Conſtanzer Concilium. 


Das Concilium und ſeine Hauptzwecke; K. Sigmunds Ver— 
dienſte um dasſelbe. Huſſens Vorbereitung und Reiſe nach 
Conſtanz; ſeine Gegner, ſeine Verhaftung daſelbſt. Papſt 
Johann XXIII. K. Sigmunds erſtes Auftreten in Con— 
ſtanz. Proceß gegen Hus. Beginn der utraquiſtiſchen Com— 
munion in Böhmen. Johanns XXIII Flucht von Gone 
ſtanz. M. Hieronymus von Prag wird gefangen einge— 
bracht. Verwendungen zu Gunſten Huſſens. Deſſen drei— 
maliges Verhör. K. Sigmunds Urtheil über ihn. Be— 
ſchluß des Conciliums gegen die Communion unter beider— 
lei Geſtalten. Vergebliche Bemuͤhungen, Hus zum Wider— 
ruf zu ſtimmen. Seine Verurtheilung und Hinrichtung. 


(Jahr 1414 — 1415.) 


Das in der Stadt Conſtanz am Bodenſee in den 
Jahren 1414 bis 1418 abgehaltene allgemeine Con— 
cilium war unter allen Kirchenverſammlungen des Mit— 
telalters die größte und feierlichſte, und hinſichtlich der Be— 
deutſamkeit ihrer Verhandlungen auch gewiß eine der wich— 
tichſten und denkwürdigſten. Zahlreicher hat man die Väter 
der Kirche aus den verſchiedenſten Ländern Europa's nie— 
mals beiſammen geſehen, und nie war deren Anſehen durch 
einen glänzenderen Kreis weltlicher Fürſten und Herren 
gehoben worden?“; und während fie, mit Letzteren ver: 


420) Man zählte in Conſtanz, außer dem römiſchen Könige und 
dem Papſte, 30 Cardinäle, 4 Patriarchen, 33 Erzbiſchöfe, 150 
Biſchöfe, mehre hundert andere Prälaten, Doctoren u. ſ. w. 

i 20 * 


1414 


1414 


308 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


eint, zugleich den erſten großen Fürſtencongreß bildeten, 
den die neuere Geſchichte kennt, ſetzten ſie ſich über Päpſte, 
Fürſten und Völker zu Gericht, und entſchieden in letzter 
Inſtanz Fragen, welche die Chriſtenheit in verſchiedenen 
Ländern tief aufgeregt und hie und da auch ſchon zu blu— 
tigem Streit getrieben hatten. Ein vollſtändiges, gedräng— 
tes und lebendiges Bild aller Verhandlungen dieſes Con— 
ciliums, ſo wie aller Verhältniſſe, in welche es eingegrif— 
fen hat, gäbe nicht nur einen treuen Spiegel des Geſammt⸗ 
lebens jener Zeit, ſondern auch denkwürdige Aufſchlüſſe 
über des Menſchen Geiſt und Sitte, ſeine Herrlichkeit und 
Niedrigkeit, den Streit des Göttlichen und des Thieriſchen 
in ſeiner Natur überhaupt. Wir haben jedoch die Auf— 
gabe, nur eine Seite dieſes Gemäldes, welche auf die 
böhmiſche Geſchichte Bezug hat, hier aufzurollen. Und dieſe 
iſt allerdings eine der bedeutſamſten und intereſſanteſten. 
Die Hauptzwecke des Conciliums waren: 1) die Be— 
ſeitigung des großen päpſtlichen Schisma; 2) die Refor— 
mation der Kirche an Haupt und Gliedern; und 3) die 
Unterdrückung der Wiklef'ſchen und Hus'ſchen Lehren, welche 
das ganze Gebäude der chriſtlichen Hierarchie zu erſchüt— 
tern drohten. Letzteres bildet den Geſichtspunct, unter 
welchem wir das Concilium vorzugsweiſe zu betrachten 
haben. Es iſt wahr, auch Hus hatte in ſeinen Lehren zu— 
nächſt nichts als eine Reformation der Kirche an Haupt 


Ferner waren 4 Kurfürften, 24 Herzoge und Fürſten, 78 Gra— 
fen, 676 Barone und Edle aus allen Ländern perſönlich an— 
weſend; auch gab es kaum einen Souverain, kaum eine ſich 
ſelbſt verwaltende Stadt oder Corporation in der katholiſchen 
Welt, die nicht ihre Abgeordneten da gehabt hätten; und die 
Zahl des Gefolges der Hohen und Vornehmen, ſo wie der 
Induſtrie-Männer und = Frauen jeder Art war fo groß, daß 
beſtändig über 50,000 Fremde beiderlei Geſchlechts in * 
ftanz ſich aufgehalten haben ſollen. 5 n 


9 


Das Concilium und feine Hauptzwecke. 309 


und Gliedern beadfichtigt: der Unterſchied zwiſchen feinen 1414 
Beſtrebungen und denen des Conciliums lag aber ſchon 
im Ausgangspuncte, dann auch in der Art und Weiſe der 
Ausführung, im Maßhalten und Nachdruck. Das Concil 
ging von einer poſitiven Grundlage aus, nämlich von der 
überlieferten höchſten Auctorität der Kirche, als eines Ganz 
zen, dem in Lehre und Glauben alles Individuelle ſich un— 
bedingt unterzuordnen und zu fügen habe: Hus ſchlug 
dagegen einen rationellen Weg ein, und nahm gegen jene 
Auctorität das Recht der freien Forſchung und Kritik in 
Anſpruch. Die Kirche ſollte, nach der Anſicht der Väter, 
in organiſcher Weiſe aus und durch ſich ſelbſt ſich refor— 
miren: Hus wollte dagegen die Reform nach einer be— 
ſtimmten Idee (nach dem Bilde des kirchlich noch nicht aus— 
gebildeten Ur-Chriſtenthums) ihr aufdringen. Was daher 
jene von oben herab langſam, bedächtig, mit Schonung 
aller beſtehenden Verhältniſſe ins Werk zu ſetzen beabſich— 
tigte, das hatte Dieſer von unten hinauf bereits in ſtür— 
miſchem Anlauf rückſichtslos durchzuführen begonnen. Bei 
Heilung der beiderſeits anerkannten Gebrechen im kirch— 
lichen Organismus wollten die Einen jedes ſeiner Glieder 
ſorgfältig erhalten wiſſen: der Andere unternahm das Ex— 
periment auf die Gefahr hin, daß einzelne Glieder dar— 
über auch zu Grunde gehen. Das Verfahren der Einen 
war, in der Sprache der Neuzeit zu reden, monarchiſch— 
ariſtokratiſch und confervativ, das des Anderen demokra— 
tiſch, radical und revolutionär. Welche von beiden Re— 
formarten für die ganze Chriſtenheit heilſamer und darum 
wünſchenswerther geweſen, darüber kann unter Unbefange— 
nen kaum die Frage fein. Das Unglück wollte aber, daß 
die Väter, trotz aller ernſten Bemühungen, nie recht an's 
Werk und zum Ziel gelangen konnten. 

Das größte Verdienſt um das Conſtanzer Concilium 
hat unſtreitig König Sigmund ſich erworben. Ohne ſeine 

„ 


1414 


310 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


eben ſo verſtändigen als beharrlichen Bemühungen wäre 
dasſelbe wohl nie zu Stande gekommen, und hätte auch 
lange nicht ſo erſprießliche Folgen gehabt. Es iſt zwar 
an ſich nicht zu läugnen, daß Sigmunds Geiſtesgaben in 
keiner Hinſicht ausgezeichnet waren; die höhere Weihe des 
Herrſchers, ſelbſt die Organiſirungs-Ideen eines Karl IV. 
fehlten ihm, gleichwie ſeinem Bruder Wenzel, und er be— 
wies ſogar mehr Egoismus und weniger Rechtsgefühl als 
dieſer: aber er beſaß Muth, Entſchloſſenheit und Thätig— 
keit, und hatte dabei etwas von dem ritterlichen Schwung 
ſeines Großvaters; auch zeigte er nicht nur Verſtand genug, 
die Wichtigkeit ſeiner Stellung als römiſcher König dem 
zerrütteten Zuſtande der Kirche gegenüber zu begreifen, 
ſondern auch Herz genug, ſich dem Rufe der Zeit mit 
voller Hingebung, mit Hintanſetzung aller übrigen Ange— 
legenheiten, und nicht ohne kluge Umſicht zu weihen. Das 


Conſtanzer Concilium bildet den höchſten Glanzpunct feines 


vielbewegten langen Lebens. 

So war Sigmund es auch geweſen, der zuerſt, wie 
wir bereits erzählten, an M. Johann Hus den Antrag 
ſtellte, ſich zu Schlichtung des kirchlichen Streits und zu 
Herſtellung des guten Rufes der Böhmen, nach Con— 
ſtanz zu begeben, indem er ihm zugleich ſeinen Schutz und 
ein ſicheres Geleite dahin anbot. Einer ſolchen Aufforde— 
rung hätte ein Hus in feiner Weiſe entſtehen konnen; er 
ſagte ſeine Reiſe alſogleich unbedingt zu, und ſäumte auch 
nicht, die nöthigen Anſtalten und Vorbereitungen dazu zu 
treffen. 

Huſſens erſte Sorge war darauf gerichtet, die Frage, 
ob er rechtgläubig oder Ketzer ſei, von Hauſe aus ſicher 
zu ſtellen. Da Erzbiſchof Konrad auf den 27 Auguſt 
1414 eine Synode ſeines Diöceſanclerus nach Prag be— | 
rufen hatte, ſo begab auch er ſich dahin. Schon den Tag 
zuvor, am 26 Auguſt, verkündete er durch viele Mauer— 

* 


Huſſens Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 311 


anſchläge in lateiniſcher, böhmiſcher und deutſcher Sprache, 
daß er bereit ſei, vor dem Erzbiſchof und der Synode zu 
Rede und Antwort zu ſtehen, und wenn er einer Irrlehre 
überwieſen werde, die gehörige Strafe zu erleiden; er fo— 
derte daher Jedermann auf, der ihn der Ketzerei bezich— 
tige, ſeine Klage daſelbſt in rechtlicher Form vorzutragen. 
Als er aber am folgenden Tage in Begleitung ſeiner 
Freunde, der Magiſter Johann von Jeſenic, Simon von 
Tisnowic, Prokop von Pilſen, Johann von Pribram und 
Anderer, vor dem erzbiſchöflichen Palaſt erſchien und Ein— 
laß begehrte, wurde er vom Marſchall des Erzbifchofg, 
Ritter Ulrich Swab von Swabenic, an der Pforte mit 
dem Bedeuten abgewieſen, daß die hochwürdige Verſamm— 
lung ſo eben über einen königlichen Auftrag verhandle und 
darin nicht geſtört werden dürfe. Beſſer erging es ihm 
bei dem vom Papſte beſtellten böhmiſchen Inquiſitor, Ni— 
colaus Biſchof von Nazareth. Dieſer nahm keinen An— 
ſtand, in einer anſehnlichen Verſammlung bei dem könig— 
lichen Oberſtmünzmeiſter Herrn Peter Zmrzlik von Swoj— 
sin “et am 30 Auguſt nicht nur laut zu erklären, daß er 
M. Johann Hus kenne und von aller Schuld der Ketzerei 
frei wiſſe, ſondern auch eine Urkunde darüber auszufer— 
tigen. *? Auf Huſſens Verlangen foderten dann mehre 


421) Dem Notariats-Inſtrument (in Opp. Hus. I, pag. 34) zu Folge 
waren damals in dem Zmrzlik'ſchen, jetzt Stupart'ſchen Haufe 
(in der Stupartsgaſſe auf der Altſtadt Nr. 647) unter Ande— 
ren gegenwärtig: die Barone Wilhelm von Wartenberg und 
Zwiretic nebſt feinem Sohne Peter, Hlawac von Ronow und 
Wenzel von Lnar, die Ritter Ones von Mukowic, kön. Burg: 
graf von Lichtenburg, Ctibor von Bohdanee, Wilhelm von 
Daupow u. A. m. 

422) Seine Worte ſind: »Ego multis et pluribus vieibus M. Joanni 
Hus conversatus sum, secum comedendo et bibendo, et ser- 
monibus suis saepe interfui, ac collationes plures de diversis 


sacrae scripturae materiis faciendo, numquam aliquem in ipso 


1414 


312 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 Barone auch den Erzbiſchof Konrad auf, E A — N 
ren, ob er den Magiſter einer Ketzerei beſchuldige? was 
Konrad mit dem Zuſatz verneinte, daß Hus es nicht mit 
ihm, ſondern mit dem Papſte zu thun habe. Über alle 
dieſe Vorgänge ließ ſich Hus urkundliche Zeugniſſe aus— 
ſtellen, und berichtete darüber in einem am 1 September 
an K. Sigmund geſchriebenen Briefe, worin er für die 
ihm bewieſene königliche Huld dankte, und nur die Bitte 
ſtellte, dafür zu ſorgen, daß er in Conſtanz nicht ins— 
geheim gerichtet, ſondern in öffentlicher Audienz gehört 
und geprüft, und daß es ihm geſtattet werde, ſeine Lehr— 
ſätze daſelbſt friedlich und ungeſtört vorzutragen; er wiſſe 
wohl, daß ihm von ſeinen bitteren Feinden ſchwere Prü— 
fungen bevorſtehen, doch ſei er auch bereit für das, was 
er als Wahrheit erkannte, wo nöthig, ſelbſt den Tod zu 
erleiden.“ 


a u un 


inveni errorem vel haeresim, sed in omnibus verbis et operi- 
bus suis ipsum semper verum et catholicum hominem reperi. 
(Opp. Huss I, 39.) 

423) Einige bedeutendere Stellen aus dieſem noch unbekannten Briefe 
müſſen wir hier wörtlich anführen: Vestrae benignitatis fa- 
vorem, quo me pauperculum gratiosissime respieit, toto cordis 
revolvens animo, non quovis modo sufficio respondere, sed 
obligor omnipotentis domini, qui quemlibet digne remunerat, 
pro Vestrae Majestatis regiae felici regimine misericordiam 
implorare, Nuper per Stephanum Harnsmeister Vestrae Sere- 
nitati direxeram responsum, quia juxta relationem domini Hen- 
rici Lefl de Lazan, juxta Maj. Vestrae vota, intendo humili- 
ter collum subjicere, et sub protectionis Vestrae salvo con- 
ductu in proximo Constantiensi concilio praestante altissimo 
domino comparere. — Vestram Maj. deprecor, supplicando 
humiliter in domino, — quatenus erga mei personam sie gra- 
tiam suam dignaretur extendere, ut in pace veniens, in ipso 
generali concilio valeam fidem, quam teneo, publice profiteri. 
Nam sicut nihil in occulto docui, — sie opto non in secreto, 


sed in publica audientia audiri, examinari, praedicare, et om- 


— 


r 
* 


* 
u 


Huſſens Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 313 
. 


* a: 
Wie lange ſich Hus dieſes letzte Mal in Prag auf- 1414 


gehalten habe, iſt uns nicht bekannt; ſeine Anweſenheit 
wurde vom Clerus um ſo mehr ignorirt, als er beſcheiden 
genug war, nicht mehr öffentlich zu predigen. König Wen— 
zel, Königin Sophie und der ganze königliche Hof in Böh— 
men waren ſeinen Lehren jetzt mehr als je geneigt: um 
ſo auffallender iſt es, daß uns von ihrem Benehmen gegen 
den Magiſter in dieſen letzten Tagen keine nähere Kunde 
geblieben iſt. Beide königlichen Brüder, Wenzel und Sig— 
mund, übergaben ihn dem Schutze dreier böhmiſchen Ba— 
rone, die über die Sicherheit ſeiner Perſon ſowohl auf 
der Reiſe nach Conſtanz, als auch auf dem Concilium ſelbſt, 
wachen ſollten. Der vorzüglichſte unter ihnen war Herr 
Johann von Chlum, zugenannt Kepka, aus dem Hauſe 


der nachmals berühmt gewordenen Grafen Slawata; ““ 


nibus, quotquot arguere voluerint, juvante spiritu domini re- 
spondere. Nec spero verebor confiteri Christum dominum, et 
pro ejus lege verissima, si oportuerit, mortem pati. — Con- 
solatus denique sum de his, quae nobilis et strenuus D. Mikes 
Diwoky, Vestrae Maj. nuntius praeclarus, retulit, quod tam 
pie et intente mei Vestra Celsitudo gerit memoriam, volens 
ad finem laudabilem factum meum deducere; quod et faciet, 
ad honorem et gloriam regis regum. Scripsi manu mea, in 
die S. Aegidü etc. (MS. der k. k. Hofbibliothef, Nr. 5097, 
fol. 96.) 
424) Er war der älteſte unter vier Brüdern (Johann, Wilhelm, 
Benes und Diwis), welche ihr väterliches Erbe (nach dem 
Vater Jesek, den Vatersbrüdern Diwis, Mitiflam und Sla— 
wata, und dem Großvater Diwis), nämlich die Burgen Chlum 
und Kosumberg im Chrudimer Kreiſe, die Ritterfeſten Smr— 
cany, Podmokly, Okreſanec, Radonow und Podhoran, dann 
die Städtchen Luje und Jenikau, und etwa 30 Dörfer, erſt 
im Jahre 1417 untereinander theilten. Die nachmaligen Gra— 
fen Slawata ſtammten von dem zweitgebornen Bruder Wil: 
helm (+ 1434) ab, dem bei der Theilung die Burg Kosum— 
berg zugefallen war. Beiläufig geſagt, ſind alle von Balbin 


2 


314 VI Buch, 5 Kapitel, K. Wenzel IV. 


1414 der zweite war Herr Wenzel von Duba auf Lestno, Neffe 
des von uns oft genannten Oberſtlandrichters Andreas 
von Duba; !“ der dritte, Herr Heinrich von Chlum auf 
Latzenbock, gewöhnlich nur Latzenbock genannt. Gleichwohl 
unternahm Hus ſeinerſeits die ganze Reiſe auf eigene, 
nicht auf königliche oder Landeskoſten; er wurde bloß durch 
freiwillige Beiträge ſeiner Freunde und Verehrer unter— 
ſtützt, die ihm freilich ſo reichlich zufloſſen, als er nur 
immer wünſchen mochte. 

Huſſens Gegner, die Mehrzahl des böhmiſchen Clerus, 
blieben auch nicht unthätig. Da Hus ſie ſelbſt aufgefor— 
dert hatte, ihre Klagen gegen ihn vor das Concilium zu 
bringen, ſo ſäumten ſie nicht, alles zur Inſtruction des 
Proceſſes Nöthige einzuleiten. Alle, die gegen den neuen 
Ketzer irgend ein Zeugniß abzugeben hatten, wurden vor— 
geladen, beeidigt und ihre Ausſagen zu Protokoll genom— 
men, welches den Grund zur Anklage bilden ſollte. Hus 
erlangte, durch die Hilfe eines Gönners, noch während 
ſeines Verweilens auf der Burg Krakowec, eine Abſchrift 
dieſes Protokolls, und hatte noch Zeit, ſeine Gloſſen und 
Bemerkungen dagegen aufzuſetzen.“““ Zur Beſtreitung der 
bevorſtehenden Proceßkoſten legte ſich der Clerus in Böh— 
men und Mähren eine eigene Collecte auf, deren Ertrag 
dem perſönlich nach Conſtanz ziehenden Leitomysler Bi— 


in feinen Miscellaneen über die älteſte Geſchichte der Sla— 
wata's angeführten Daten, fo weit fie über das Ende des 
XV Jahrh. hinaufgehen, rein aus der Luft gegriffen. 

425) Die Herren Johann von Chlum und Wenzel von Duba hat— 
ten in dem venetianiſchen Kriege 1413 für Sigmund mitgefoch— 
ten. Als ſie 1414 nach Böhmen zurückkehrten, gab ihnen Sig— 
mund perſönlich den oben genannten Auftrag. 

426) Es find die von uns oben häufig genannten Depositiones te- 
stium in einer Handſchrift des böhm. Muſeums, und vollſtän— 
diger noch und richtiger in einem MS. der v. Gersdorf'ſchen 
Bibliothek in Bauzen— 


4 


Huſſeus Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 315 


ſchof, Johann dem Eiſernen von Prag, überantwortet wurde. 
Den Biſchof begleiteten die Herren Pota von Caſtolowie, 
Peter von Sternberg auf Konopist, Albrecht von Raben— 
ſtein, Rubin von Rieſenburg, M. Stephan von Palec und 
noch drei andere Doctoren der Theologie aus Böhmen. 
Unmittelbar vor ſeiner Abreiſe richtete Hus am 10 
Oct. von der Burg Krakowec aus ein Abſchiedsſchreiben 
an die Böhmen. Er habe gewünſcht, ſagte er darin, ihnen 
noch einmal vor ſeinem Scheiden zu predigen, um ſie mit 
den einzelnen Klagen und Zeugniſſen, die gegen ihn er— 
hoben werden ſollen, und deren Abſchrift er bereits beſitze, 
vorläufig bekannt zu machen, damit, wenn er etwa in Con— 
ſtanz verurtheilt werde, ſie im voraus wiſſen, auf welchen 
Grund hin ſolches geſchieht. Nun werde er ſie wohl nim— 
mer wieder ſehen; denn er begebe ſich bereits, obgleich 
noch ohne Geleitsbrief, ? in die Mitte feiner Feinde, 
deren Zahl größer ſei, als welche einſt gegen Chriſtus auf— 
geſtanden; und unter ihnen ſeien die eigenen Landsleute 
die ſchlimmſten. Doch hoffe er, es werde ihnen nicht ge— 
lingen, ihn auf einen Abweg zu führen. Er empfehle ſich 
den Gebeten ſeiner Freunde, damit Gott ihm die Geiſtes— 
ſtärke verleihe, den Tod, wenn er unvermeidlich ſei, furcht— 
los zu beſtehen; wenn er aber noch etwa zurückkehren 
ſollte, daß ſolches mit Ehren geſchehe, ohne Verrath an 


427) Im Original heißt es: A jitt wyprawil sem se na cestu, bez 
kleitu, mezi welmi weliké a mezi mnohe neprätely, — was in 
der lateiniſchen Überſetzung (in Opp. Huss. I, 72 b) ganz ver: 
kehrt lautet: Ego profieiscar nunc cum literis publicae fidei 
a Rege mihi datis ad multos et magnos inimicos meos. Über— 
haupt müſſen wir ein- für allemal bemerken, daß die vielen 
urſprünglich böhmiſch geſchriebenen Briefe Huſſens, die man 
a. a. O. lateiniſch gedruckt findet, dem Überſetzer des XVI 
Jahrh. äußert ſchlecht gerathen find, und nicht allein häufigen 
Unſinn, ſondern mitunter auch ganz das Gegentheil von dem 
geben, was Hus fagen wollte. 


1414 


1414 


316 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


der Wahrheit, damit er das Geſetz Chriſti noch ferner ſtu— 
diren und die begonnenen Riſſe in den Netzen des Anti— 
chriſts noch erweitern könne u. ſ. w. Zugleich hinterließ 
er eine Art Teſtament, in einem an ſeinen geliebteſten 
Zögling Martin gerichteten verſchloſſenen Briefe, der erſt 
nach erlangter Gewißheit ſeines Todes eröffnet werden ſollte. 

Am 11 Oct. trat endlich Hus, in Begleitung der 
Herren Wenzel von Duba und Johann von Chlum, dann 
der Magiſter Johann Cardinalis von Reinſtein, Peter von 
Mladenowic“' und anderer Böhmen, die Reiſe an, ohne 
noch den vom römiſchen Könige längſt verſprochenen Ge— 
leitsbrief erhalten zu haben; er verließ ſich auf das könig— 
liche Wort, auf den Schutz der ihn begleitenden Barone, 
und endlich auf die in dem Einberufungsſchreiben von Kai— 
ſer und Papſt im Namen des Reichs und der Kirche ver— 
kündigte Sicherheit aller Derjenigen, welche das Concilium 
beſuchen würden. Auch zeigte der, wo nicht freundliche, 
doch überall friedliche und zum Theil günſtige Empfang, 
den er in Deutſchland fand, daß er des königlichen Schutz— 
briefes auf der Reiſe nicht bedurfte. Die große Aufmerk— 
ſamkeit, die das Volk ihm, wenn gleich nur aus Neugier, 
erwies, überraſchte ihn, deſſen ſchwache Seite eben die 


428) M. Johann Cardinalis war damals Pfarrer zu Janowie, einem 
dem Herrn Johann von Chlum gehörigen Städtchen; Peter 
von Mladenowic, damals noch Baccalar der freien Künſte, 
ſtand als Secretär in Dienſten desſelben Barons. Mladeno— 
wie ſchrieb eine umſtändliche und häufig mit Urkunden belegte 
Geſchichte Huſſens auf dem Concil, welche ſich in einer gleich— 
zeitigen Handſchrift des böhm. Muſeums befindet und eigent— 
lich noch ungedruckt iſt; denn die Historia de actis ete., welche 
die Sammlung der Opp. Huss. I, 1— 37 eröffnet, iſt eine im 
XVI Jahrh. unternommene freie Überarbeitung des Werkes 
von Mladenowic, mit vielfachen Interpolationen und noch häu— 
figeren Weglaſſungen. Wir werden, bei wichtigeren Daten, 
ſtets nur die eigenen Worte des Mladenowic anführen. 


. | 
Huſſens Reiſe nach Conſtanz. 317 


1 Sucht nach dem Beifall der Menge war. An keinem Orte 1414 
wurde während ſeines Durchzugs das Interdict beobach— 
tet, ſelbſt mehre Geiſtliche nahmen ihn freundlich bei ſich 
auf, das Volk eilte überall herbei, den berühmten Mann 
zu ſehen, und in Nürnberg, wo ſeine Ankunft durch Kauf— 
leute vorausgeſagt war, hielt er am 19 Oct. unter be— 
deutendem Zulauf ſeinen Einzug. Da mehre dortige Geiſt— 
liche, Bürger und Gelehrte ihm den lange gehegten Wunſch 
ausdrückten, ſich mit ihm zu unterreden, ſo willfahrte er 
ihnen, weigerte ſich aber in geheime Geſpräche einzugehen. 
Von Nürnberg reiſte Herr Wenzel von Duba dem Könige 
an den Rhein nach, um den verſprochenen Geleitsbrief für 
Hus in Empfang zu nehmen, während Dieſer mit Johann 
von Chlum direct nach Conſtanz ſich wendete.“ Auf die— 
ſem Wege ging ein deutſcher Biſchof ihm um eine Tage— 
reiſe voran, und warnte allenthalben das Volk vor ihm; 
Grund genug für letzteres, um ſo neugieriger der Ankunft 
des ungewöhnlichen Mannes zu harren, und ihm bei ſeiner 
Annäherung entgegenzuſtrömen. Hus rühmte ſich, auch da 
bei allen, mit denen er mündlich verhandelt, Beifall ge— 
erntet zu haben. Als er am 3 November Conſtanz ſich 
näherte, kamen Neugierige in großer Zahl vor die Stadt 
ihm entgegen und geleiteten ihn unter ziemlichem Volks— 
gedränge in ſeine Herberge, die er bei einer Witwe Na— 
mens Fida in der Paulsſtraße nahm. Erſt am 5 No— 


429) Als Probe, wie uncorrect auch die lateiniſch geſchriebenen 
Briefe Huſſens edirt find, diene folgende Stelle aus dem am 
20 Oct. von Nürnberg geſchriebenen Briefe: Rex (Sigismun- 
dus) est in Rheno (ed. in Regno), quem sequitur D. Wence. 
de Lestna; et nos de nocte pergimus Constantiam, ad quam 
appropinquat papa Johannes. Judicamus enim, quod esset 
inutile sequi regem forte per 60 milliaria, et reverti ad Con- 
stantiam. (Hdit. Judicamus enim, quod sequatur regem forte 


per 60 milliaria et revertatur Constantiam.) 


1414 


318 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


vember brachte Herr Wenzel von Duba nach Conſtanz den 
zu Speier am 18 October ausgefertigten Geleitsbrief, ““ 
durch welchen K. Sigmund den zum Concilium reiſenden 
M. Hus in der bei ſolchen Urkunden gewöhnlichen Form 
in ſeinen und des heil. römiſchen Reiches Schutz nahm, 
und allen Reichsangehörigen befahl, ihn freundlich aufzu— 
nehmen, gut zu behandeln und ungehindert hin und zurück 
paſſiren zu laſſen. 

Mittlerweile hatte Conſtanz ſich bereits mit Gäſten 
jeden Standes und Ranges von nah und fern zır füllen 
angefangen. Papſt Johann XXIII war daſelbſt ſchon am 
28 Oct. in Begleitung von neun Cardinälen, vieler Erz— 
bifchöfe und Biſchöfe und feines ganzen Hofes, feierlich 
eingezogen. Trübe Ahnungen erfüllten ſeine Seele, als 
er die Stadt erblickte, in der all' ſeine Herrlichkeit ein 


430) Daß der am 18 Oct. zu Speier ausgefertigte Geleitsbrief 
nicht ſchon am 20 Oct. zu Nürnberg präſentirt worden ſein 
kann (wie man allgemein annimmt), verſtünde ſich, bei der 
Entfernung der beiden Orte und der damaligen Art zu reiſen, 
von ſelbſt, wenn Hus auch nicht am 4 Nov. noch geſchrieben 
hätte: stamus in Constantia, in platea prope papae hospitium, 
et venimus sine salvo conductu. Zwei Tage darauf, am 6 
Nov., als der inzwiſchen von K. Sigmund zurückgekommene 
Herr Wenzel von Duba den Brief bereits gebracht hatte, 
ſchrieb Hus: De quo (rege Sigismundo) mihi nuntiavit D. de 
Lescna, quod valde fuit gavisus, quando ipse nobilis D. Wen- 
ceslaus dixit sibi, quod equito directe ad Constantiam sine 
salvo conductu. Mit Unrecht will man dieſe Worte auf einen 
päpſtlichen Geleitsbrief deuten, da ein ſolcher weder nach— 
geſucht, noch ertheilt zu werden pflegte. Die Stelle „Veni 
sibi salvo conductu papae ad Constantiamæ (in demſelben 
Briefe vom 6 Nov.) iſt offenbar unrichtig geleſen und ge— 
ſchrieben, anſtatt »Veni sine salvo conductu ipse (d. h. von 
ſelbſt, aus freien Stücken) ad Constantiam.« Man ſieht, daß 
Hus es ſich zum Verdienſt anrechnete, zur Antretung der Reiſe 
nicht erſt den Geleitsbrief abgewartet zu haben. 


. 


P. Johann XXIII und Hus in Conſtanz. 319 


Ende finden ſollte. In feiner Beſorgniß hatte er bereits 1414 
alle für Conſtanz getroffenen Maßregeln rückgängig machen, 
und das Concilium in eine italieniſche Stadt berufen wol— 
len; doch war er durch feine Cardinäle an der Ausfüͤh— 
rung dieſes Plans gehindert worden. Da er das Con— 
ſtanzer nur als eine Fortſetzung des Piſaner Conciliums an— 
geſehen und die Aufgabe desſelben dahin verſtanden wiſſen 
wollte, daß das Schisma durch gänzliche Abſetzung ſeiner zwei 
Gegner zu beſeitigen, die Kirchenreformation aber durch 
die Verdammung und Ausrottung der Wiklef'ſchen und 
Hus'ſchen Ketzerei zu erreichen ſei, ſo gab er ſich noch der 
Hoffnung hin, daß er das Concilium ohne Mißgeſchick lei— 
ten und in Kurzem werde ſchließen können, wie ſehr auch 
der bei den Kirchenvätern ſich kundgebende Ernſt ihn mit 
banger Ahnung erfüllte. Die Eröffnung des Conciliums 
ſollte am 1 November beginnen, er verſchob ſie aber zuerſt 
auf den 3, dann wieder auf den 5 November; man glaubt, 
er habe zu dieſer Eröffnung die Ankunft des Hus erwar— 
tet, #3! deſſen Sache er vor allen anderen in Verhandlung 
nehmen wollte. N 

N Gleich den Tag nach Huſſens Ankunft, am 4 Novem— 
ber, begaben ſich die Herren Johann von Chlum und Hein— 
rich von Latzenbock zum Papſte, ihm deſſen Anweſenheit 
zu melden und ihn um ſeinen Schutz zu bitten. Er ver— 
ſprach kein Unrecht zufügen und Hus in keiner Weiſe be— 
unruhigen zu laſſen, auch wenn Dieſer ihm den eigenen 
Bruder erſchlagen hätte; doch wollte er das über ihn ver— 
hängte Interdict nicht aufheben; »wie könnte ich das? 
eure eigenen Leute find ja dagegen!« fagte er. Da er 
aber hörte, daß K. Sigmund den Magiſter in ſeinen Schutz 
genommen hatte, ſo entſchloß er ſich, deſſen Proceß auf— 
431) Herm. von der Hardt, IV, pag. 11: Dilato in tertium Wien 


bris coneilio, nondum visus Hussus, a tertio in quintum dif- 


ferri sua mora suasisse videbitur etc. 


* 


320 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


zuſchieben, um nicht durch ſchnelles und ſcharfes Eingreifen 
in dieſer Sache den König gegen ſich aufzubringen. Herr 
Heinrich von Latzenbock reiſte daher noch am ſelben Tage 
an den königlichen Hof nach Aachen ab, und hinterließ 
dem Magiſter den Rath, ſich inzwiſchen ruhig zu verhal— 
ten und vor Ankunft des Königs nichts in ſeiner Sache 
zu beginnen. Erſt am 9 November kam, vom Papſt und 
den Cardinälen geſandt, der päpſtliche Pfalzrichter mit 
dem Biſchof von Conſtanz zu Hus in deſſen Wohnung, 
ihm zu melden, daß in Folge des oft wiederholten An— 
ſuchens,“ 2 der vom Papſt über ihn verhängte Kirchenbann 
vorläufig ſuspendirt ſei, er daher die Stadt und ihre Kir— 
chen frei beſuchen könne; nur um jeden Anſtoß zu vermei— 
den, ſolle er ſich enthalten, den feierlichen Kirchenacten 
beizuwohnen. Doch machte Hus von dieſer Erlaubniß kei— 
nen Gebrauch, und blieb ſtets zu Hauſe, mit Entwürfen 
zu Vorträgen beſchäftigt, die er vor dem Concilium zu 
halten gedachte. 

Thätiger als Hus, zeigten ſich in dieſen Tagen ſeine 
Gegner. Der eifrigſte unter dieſen war der ehemalige 
Pfarrer von St. Adalbert in Prag, Michael von Deutſch— 
brod, der vor Kurzem vom Papft zu dem wichtigen Amt eines 
»procurator de causis fidei« ernannt worden, daher man 
ihn gewöhnlich nur Michael de Causis zu nennen pflegte. 
Auch war jener Paſſauer Dechant, nunmehr Propſt, Wen⸗ 
zel Tiem, gegenwärtig, der im J. 1412 als päpſtlicher 
Legat die verhängnißvollen Ablaßbullen nach Prag gebracht 
hatte, und deshalb von Hus mit dem Namen eines Ab— 


432) Wenn man jedoch bedenkt, daß bei ſtrenger und conſequenter 
Beobachtung jenes Kirchenbanns in Conſtanz während der An— 
weſenheit des gebannten Hus kein Gottesdienſt überhaupt 
hätte Statt finden dürfen, ſo wird man zugeben, daß dieſe 
Suspenſion auch noch andere Gründe hatte, als die Willfäh— 
rigkeit gegen die Böhmen. 


Hufjens Gegner in Conſtanz. 321 


laßkraͤmers belegt worden war. Nicht lange darauf kam 1414 
auch M. Stephan von Palecé mit dem Leitomysler Biſchof 
an, und brachte die neueſten Werke Huſſens mit, die Letz— 
terer aus Anlaß der Synodalverhandlungen von 1413 ver— 
faßt hatte. Michael de Causis fing gleich den Tag nach 
Huſſens Ankunft an, Placate gegen ihn an die Kirchen— 
thüren in Conſtanz anheften zu laſſen, und ihn darin als 
einen gebannten hartnäckigen Ketzer zu bezeichnen.“? Spä— 
ter vereinigte ſich Palek mit ihm, um die Klageartikel 
gegen Hus zu redigiren und zur Kenntniß der anweſenden 
Kardinäle zu bringen. Beide zeigten ſich unermüdlich in 
Verfolgung ihres Ziels; und da ſie allenthalben freien Zu— 
tritt fanden, ſo gelang es ihnen leicht, die Mehrzahl der 
Anweſenden gegen den gefaͤhrlichen Neuerer zu ſtimmen. 
Darum durften ſie auch auf deſſen Verhaftung dringen, 
damit er weder entfliehen, noch auch im freien Verkehr 
mit dem Volke, demſelben ſeine Anſichten mittheilen und 
es verführen könne. Den falſchen Gerüchten, die damals 
in Conſtanz umliefen, als habe Hus öffentliche Predigten 
angekündigt, und doch auch aus der Stadt zu entweichen 
geſucht,““ blieben fie nicht fremd; da es aber zugleich nor 


433) Die Beweisſtellen für alle Angaben, die wir hier nicht ſpeciell 
belegen, findet man bei Von der Hardt und in Huſſens Brie— 
fen gedruckt. In dem Briefe des Johann Cardinalis von 
Reinſtein vom 10 Nov. (Opp. Huss. I. 73 sq.) iſt die Stelle: 
»et Michael de Causis rhytmisat acta sua« nach Handſchriften 
zu leſen: »et Michael de Causis ryene facit acta sua. Ryene, 
d. h. mit Lärm und öffentlichem Aufſehen. 

434) Von dieſem Gerücht meldet Peter von Mladenowic Folgen: 
des: Cum dictus M. Joh. Hus Constantiae staret ad tres heb- 
domadas cum media, famabatur per civitatem, quod M. Hus 
ductus fuisset extra civitatem in curru, in quo foenum vehe- 
batur vel ducebatur, sed falsum fuit. Sic enim fuit: famuli 
equitantes cum dicto curru pro foeno, pannum vel tegumen- 
tum, vulgariter Sperloch, de curru non deposuerunt, sed post 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 21 


322 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 toriſch bekannt war, daß er in ſeiner Wohnung Meſſe zu leſen 
und ſich über feine religiöſen Anſichten gegen Jedermann 
auszuſprechen pflegte, ſo erlangten ſie es um ſo leichter, 
daß man beſchloß, ſich ſeiner Perſon zu bemächtigen. 

Mittwoch den 28 November kamen in der Mittags— 
ſtunde die Bifchöfe von Augsburg und Trient, der Bürger— 
meiſter von Conſtanz und Herr Hans von Baden, in die 
Herberge des Hus, wo auch Herr Johann von Chlum ſich 
befand; ſie erklärten, der Papſt und die Cardinäle hätten 
ſie geſendet, um den Magiſter, der ſo oft ein freies Gehör 


binam vel trinam ductionem primo deposuerunt, et sine tecto 
illo iterum foenum duserunt. Ex illo tunc aliqui opinabau- 
tur vel famabatur, quod M. Hus jam esset extra civitatem in 
foeno eductus, et sic quod evasisset in foeno et extra ductus 
fuisset; sed in rei veritate nec mentio aliqua de illa re fuit 
aliquando, sicut post patuit et jam patet. Dieß iſt die erſte 
und urſprüngliche Form einer Fabel, welche ſpäter vorzüglich 
von Ulrich Reichenthal ausgeſchmückt, oft widerlegt, in neueſter 
Zeit aber wieder von Aſchbach (Geſch. K. Sigmunds, II, S. 
32 und 452) in Schutz genommen worden iſt. Hätte Letzterer 
die Acten des Concils vom 16 und 18 Mai 1415 (bei Von 
der Hardt, IV, S. 213) nur durchgeleſen, und ſomit die Über— 
zeugung gewonnen, daß Hus va tempore adventus sui ad hanc 
civitatem usque ad diem et tempus captivitatis suae« auch 
nicht einen Fuß über die Schwelle ſeines Wohnhauſes geſetzt 
hat, ſo hätte er ſich die Mühe wahrſcheinlich erſpart. In der 
That wäre Huſſens Verhaftung durch ſeinen Entweichungs— 
verſuch ſchon in vorhinein gerechtfertigt erſchienen: wie aber 
wäre es dann gekommen, daß man unterlaſſen hätte, dieſen 
Alles erklärenden Grund in den endloſen Criminationen und 
Recriminationen, die da folgten, auch nur ein einziges Mal 
anzuführen? (Man vergleiche unten den 16—18 Mai 1415.) 
Der erſt 20 Jahre nach der Begebenheit, aus dem bloßen Ge— 
dächtniſſe ſchreibende Reichenthal hat bekanntlich die Perſonen 
und Schickſale von Hus und Hieronymus vielfach verwechſelt, 
daher hinſichtlich Beider eine Menge unrichtiger Daten an— 
geführt. 


Huſſens Verhaftung, 323 


verlangt habe, vor fie zu führen, da ſie nunmehr bereit 1414 
ſeien, ihn zu hören. Herr von Chlum, der alſogleich den 
wahren Zweck des Beſuches ahnete, gerieth darüber in hef— 
tige Leidenſchaft: nicht auf ſolche Weiſe, ſagte er, dürfe 
man zu Werke gehen; M. Hus ſtehe im Schutze des Kö— 
nigs und des heil. römiſchen Reichs, und er, Chlum, ſei 
für ſeine perſönliche Sicherheit verantwortlich; es ſei des 
Königs erklärter Wille, daß in Huſſens Sache nichts vor 
ſeiner Ankunft in Conſtanz vorgenommen werde; er pro— 
teſtire daher im Namen Sr. Majeſtät gegen alle übereil— 
ten Maßregeln und warne die Geſandten, die Ehre des 
heil. römiſchen Reichs nicht bloszuſtellen. Der Biſchof von 
Trient entgegnete, man habe nichts Arges im Sinne, man 
ſei in friedlicher Abſicht hergekommen und wünſche alles 
Aufſehen zu vermeiden. Da trat Hus vor und erklärte: 
ver ſei zwar mit dem Wunſche und der Hoffnung nach 
Conſtanz gekommen, ſeine Sache nicht vor dem Papſt und 
den Cardinälen allein, ſondern vor dem ganzen Concilium 
führen zu können; nichtsdeſtoweniger ſei er bereit, auch 
den Cardinälen zu Antwort zu ſtehen, und er hoffe, daß, 
wenn auch eine Mißhandlung von ihrer Seite ihm bevor— 
ſtehe, ſie dennoch nicht im Stande ſein werde, ihn von 
der erkannten Wahrheit abzubringen.“ Dieſe Vereitwillig— 
keit ſtimmte die Geſandten zu freundlichem Benehmen gegen 
Hus, obgleich mittlerweile alle benachbarten Häuſer mit 
ſtädtiſchem Kriegsvolk beſetzt worden waren, um jeden Ver— 
ſuch des Widerſtands zu dämpfen. Bei dem Herabſteigen 
in die Hausflur trat Huſſen die Hausfrau entgegen und 
nahm weinend von ihm Abſchied; da wurde ſeine Ahnung 
ihm klar, er gab ihr mit ſichtbarer Rührung ſeinen Segen, 
und beſtieg dann das Roß, das ihn in Begleitung der 
Geſandten und des Herrn von Chlum in die Wohnung 
des Papſtes trug.“ 

435) Peter von Mladenowic beſchreibt dieſe Scenen umſtandlich; 


ſo auch die folgenden. 
21 = 


— 


324 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 Als Hus vor die verſammelten Cardinäle trat, redete 
der Vorſitzende ihn an: es ſeien dem heiligen Collegium 
viele und ernſte Beſchwerden über ihn zugekommen, welche, 
wenn ſie begründet ſein ſollten, durchaus nicht zu dulden 
wären; von allen Seiten ertöne es, daß er in Böhmen 
offenbare ſchwere Irrthümer gegen die heilige Kirche ver— 
breitet habe; darum habe man ihn jetzt berufen, um aus 
ſeinem eigenen Munde zu vernehmen, wie die Sache ſich 
verhalte. Hus entgegnete: er verabſcheue alle Irrlehren 
ſo ſehr, daß er viel lieber ſterben, als nur eine einzige, 
geſchweige denn viele, für wahr halten und verbreiten 
wolle; darum ſei er ganz freiwillig zum Concilium gekom— 
men; werde es ſich da erweiſen, daß er dennoch geirrt 
habe, ſo ſei er in aller Demuth bereit, ſich eines Beſſeren 
belehren zu laſſen und Buße zu leiſten. Die Verſamm— 
lung nahm dieſe Worte mit Beifall auf, und entfernte ſich 
dann aus dem Saale. Nur bewaffnete Wachen blieben 
darin zurück, und unter ihnen M. Hus mit dem Herrn 
von Chlum, der weiteren Entwickelung harrend. 

Um vier Uhr nach Mittag verſammelten ſich die Car— 
dinäle abermals in der Wohnung des Papſtes, um über 
Hus einen Entſchluß zu faſſen. Es kamen auch die Böh— 
men hin, einerſeits Paleé, Michael de Cauſis und Bruder 
Peter, Prediger bei St. Clemens an der Prager Brücke, 
anderſeits Johann Cardinalis von Reinſtein, Peter von 
Mladenowic und Andere. Erſtere boten neuerdings alles 
auf, um einen Rückſchritt unmöglich zu machen, und wuß— 
ten ihre Freude nicht zu mäßigen, als ſie die Gewißheit 
ihres Erfolges erlangten. #6 Abends kam der päpſtliche 


436) M. Peter von Mladenowic, dem wir hier folgen, ſagt über 
dieſe Scenen: Adversarii, Michael et alii, — saltantes circa 
aestuarium gaudebant dicentes: ha, ha! jam habemus eum; 
non exibit nobis quousque reddat minimum quadrantem! und 


fügt dann folgende Nachricht bei: Ibidem veniens Palecz, in- 


Huſſens Verhaftung. 325 


Hofmeifter zu Herrn von Chlum mit der Weiſung, daß er 
ſich entfernen möge, M. Hus müſſe aber zurückbleiben. 
Über dieſe Wendung der Sache entrüſtet, eilte Chlum alſo— 
gleich zum Papſte, den er noch in der Verſammlung an— 
traf; er brach in heftige Vorwürfe gegen ihn aus, bezich— 
tigte ihn eines offenen Wortbruchs, und drohte alle Welt 
in Bewegung zu ſetzen gegen Diejenigen, welche die Briefe 
kaiſerlicher Majeſtät zu höhnen und zu brechen wagen. 
Der Papft rief aber alle Anweſenden zu Zeugen auf, daß 
nicht Er es geweſen, der für Huſſens Gefangenſchaft ge— 
ſtimmt habe, und zog ſpäter den Herrn von Chlum mit 
den Worten auf die Seite: »Ihr wißt ja, wie ich mit den 
Cardinälen ſtehe; Die haben mir den Gefangenen auf— 
gedrungen, ich mußte ihn übernehmen. «“ Hus wurde 


venit M. Johannem Cardinalem (de Reinstein) et dixit ei: o 
Magister Johannes! doleo de vobis, quod vos dedistis sedu- 
cere; wzäcni (d. i. hochgeehrt) prius fuistis apud istam cu- 
riam (scilicet papae), notabilior omnibus Boemis, et jam quasi 
pro nihilo habent vos propter istam sectam. Cui M. Cardi- 
nalis respondit: Mag. Stephane! ego plus doleo de vobis, sicut 
vos, si sciretis aliquid mali in me, quod facerem, tunc de- 
beretis condolere. Et statim ab invicem recesserunt. Palec 
fpielte hier auf die vielen Botſchaften an, in welchen einft 
M. Johann von Reinſtein von K. Wenzel von Böhmen, zumal 
an den römiſchen Hof, gebraucht worden war. Seine vielen 
perſönlichen Verbindungen mit den Cardinälen ſcheinen ſeinen 
Zunamen »Cardinalis“ zuerſt als Spitznamen veranlaßt zu 
haben, der aber bald ſo allgemein gebräuchlich wurde, daß 
auch der Magiſter ſelbſt ſich ſeiner bediente. 

437) Der echte Bericht des Mladenowic jagt darüber: D. Johannes 
ira motus — ivit statim ad papam, praesentibus cardinalibus, 
et dixit ad eum: Pater sancte, Paternitas Vestra non promisit 
mihi hoc, neque patruo meo D. Henrico Lacenbok« — »Vra 
Pat. dixit, quia etsi germanum Vestrum occidisset, debet esse 
securus hic, et nec vult eum impedire, nec impediri permit- 


tere, nec contra eum aliquid innovare: et ecce hie jam ca- 


1414 


1414 


326 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


noch in derſelben Nacht in das Haus eines Conſtanzer Ca— 
nonicus gebracht, dort acht Tage lang von Bewaffneten 
gehütet, dann (6 Dec.) in das am Bodenſee gelegene Do— 
minicanerkloſter übergeführt und daſelbſt in einen an eine 
Cloake ſtoßenden finſtern Kerker geworfen.“ 

Das von Johann XXIII über fein Verhältniß zu den 
Cardinaͤlen gemachte Geſtändniß bedarf einiger Aufklärung. 
Schon der ihm gleichſam aufgedrungene Ort des Con— 
ciliums kann zum Beweiſe dienen, daß er, im Vorgefühk 
des über ihn hereinbrechenden Gerichts, nicht den Muth 
hatte, ſeinen Willen gegen den des heiligen Collegiums 
durchzuſetzen, indem er durch kluges Nachgeben und durch 
anderweitige Mittel ſich eher behaupten zu können hoffte. 
Der Geiſt der Unzufriedenheit mit ihm, der ſich ſchon in 
ſeiner nächſten Nähe zu äußern gewagt hatte, erhielt aber 
durch die Vereinigung entfernterer Kirchenglieder in Con— 
ſtanz neue Kraft und Nahrung. Die Anſicht, daß das 
Conſtanzer Concilium ſelbſtändig und nicht bloß eine Fort— 
ſetzung des Piſaner ſei, und daß zum Beſten des Friedens 
und der Einheit der Kirche alle drei Päpſte zugleich zur 
Niederlegung ihrer Würde bewogen werden müßten, fand 
je länger je zahlreichere und entſchiedenere Anhänger, ins— 
beſondere nachdem am 17 November der allgemein ver— 
ehrte Cardinal Ailly, der Vater der Reform, in Conſtanz 
eingetroffen war. Um dieſer Anſicht, und den an ſie ge— 


pitur« etc. Et papa respondit D. Johanni: »ecce hic fratres 
mei aucliunt (cardinales denotans), quia ego numquam man- 
davi ipsum captivare« etc. Ei posten dixit ad D. Johaunem 
solum: „tamen vos scitis, quomodo stant facta mea cum ipsis; 
ipsi mihi eum dederunt et oportebat me eum recipere ad cap- 
tivitatem.« 

438) Daß Hus nicht am 3 Jan. 1415 (wie allgemein angenommen 
wird), ſondern ſchon den 6 Dec. 1414 zu den Dominicanern 
gebracht wurde, jagt Mladenowiec ausdrücklich und zu wieder— 
holten Malen. 


Bemühungen Johanns von Chlum. 327 


knüpften Reformideen, um fo ſicherer Geltung zu verſchaf- 1414 
fen, wurde ſchon am 12 Nov. der Vorſchlag gemacht, das 
Concilium in Nationen zu theilen, und über alle wichtiges 
ren Fragen nicht nach Perſonen, ſondern nach Nationen 
abſtimmen zu laſſen. Dieß fand zwar, als eine Neuerung, 
vielfachen Widerſpruch, wurde aber durch Beſchluß (vom 
7 Febr. 1415) endlich doch zum Geſetz erhoben. Die erſte 
offene Oppoſition gegen Johann XXIII offenbarte ſich ſeit 
dem 19 Nov. über die Frage, ob die Abgeſandten Gre— 
gors XI, als ſolche, in Conſtanz zuzulaſſen ſeien. Es ges 
lang ihm zwar, dieſe Oppoſition vorerſt noch zum Schwei— 
gen zu bringen: aber ſein Benehmen, das je länger je 
mehr aller Haltung und Würde ermangelte, führte ihn 
dennoch dem gefürchteten Ziel immer näher entgegen. 

Johann von Chlum ließ kein Mittel unverſucht, ſeinen 
Schützling aus dem Gefängniſſe zu befreien. Er klagte 
zu Conſtanz laut und öffentlich über den Papſt und die 
Cardinäle, und wies den königlichen Geleitsbrief allen da— 
mals anweſenden Biſchöfen, Grafen, Herren und den Bür— 
gern von Conſtanz vor, ohne jedoch damit etwas zu er— 
langen; auch meldete er den Fall ungeſäumt dem Könige, 
der damals ſchon auf der Reiſe zum Concilium begriffen 
war. Sigmund gerieth darüber in den höchſten Unwillen, 
und ſandte alſogleich Befehle nach Conſtanz, Hus in Frei— 
heit zu ſetzen; er fügte die Drohung hinzu, daß, wenn 
man ihn nicht frei gebe, er die Thüren ſeines Gefäng— 
niſſes mit Gewalt werde erbrechen laſſen. Da man jedoch. 
Anſtand nehmen mußte, einer ſolchen Drohung Folge zu 
geben, ſo nützten alle dieſe Reden eben ſo wenig, wie die 
ſchriftlichen Proteſtationen, welche Chlum im Namen und 
Auftrag des Königs darüber zuerſt am 15 Dec., dann am 
24 Dec. in lateiniſcher und teutſcher Sprache eigenhändig 
an die Thüren der Domkirche zu Conſtanz anheftete. 


328 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 Endlich in der Chriſtnacht, den 25 Dec. ſpät nach 
Mitternacht, hielt K. Sigmund mit ſeiner Gemahlin Bar— 
bara von Cilley, vielen fürftlihen Herren und Frauen, 
und einem glänzenden Gefolge von etwa tauſend Berit— 
tenen, bei hellem Fackelſchein und ſchneidender Kälte, ſeinen 
feſtlichen Einzug in Conſtanz. Er gönnte der Königin und 
den vornehmen Damen kaum mehr als die Zeit, ſich in 
geheizten Zimmern von der Reiſe zu erwärmen und ihren 
Anzug zu wechſeln; dann begab er ſich noch vor Einbruch 
des Tages im feierlichen Zuge unter Fackelſchein in die 
hellerleuchtete Kathedrale, wo der Papſt ihn empfing, der 
das Hochamt mit ungewöhnlicher Pracht perſönlich feierte. 
Nach althergebrachter Sitte diente der römiſche König dabei, 
als Diaconus gekleidet, mit der Krone auf dem Haupte, 
am Altar, und ſang mit klangvoller Stimme das Evan— 
gelium: zes erging ein Befehl vom Kaiſer aus.« Nach 
der Meſſe übergab ihm der Papſt ein geweihtes Schwert 
mit dem Bedeuten, es zum Schirm der Kirche zu gebrau— 
chen: was Sigmund mit freudiger Bereitwilligkeit zuſagte. 

Die erſten Verhandlungen Sigmunds mit den Vätern 
des Conciliums waren nichts weniger als freundlicher und 
erfreulicher Art; ſie betrafen Hus und deſſen Gefangen— 
haltung. Der König empfand ſehr tief die Kränkung, die 
für ſein Anſehen darin lag, daß ein von ihm ertheilter | 
Schutzbrief gebrochen wurde; auch beſorgte er den üblen 
Eindruck, den dieſer Vorfall allenthalben im Reiche, vor— 
züglich aber in den Kronlanden Böhmens, deren Erbe er 
zu werden hoffte, hervorbringen mußte. Da der Papſt 
für ſeine Perſon ſich bei ihm darüber eben ſo, wie früher 
bei dem Herrn von Chlum, entſchuldigte, ſo hatte es Sig— 
mund in dieſer Hinſicht nur mit den verſammelten Cardi— 
nälen, Prälaten und Doctoren zu thun. Die letzten Con— 
ferenzen des Jahres 1414 waren vorzugsweiſe dieſem Ge— 
genſtande gewidmet; und da die Väter ſeinem Recht, 


K. Sigmunds erſtes Auftreten in Conſtanz. 329 


einem Unterthan feinen Schutz zu gewähren, ihr Recht 1414 
entgegenhielten, einen der Ketzerei Verdächtigen nach den 
beſtehenden Kirchengeſetzen zu richten, ſo ſchied er mehre 
Male in heftiger Aufwallung des Zornes aus der Ver: 
ſammlung. Es kam ſo weit, daß er ſogar vom Concilium 
ſich trennen und es ſich ſelbſt überlaſſen wollte; um Ernſt 
zu zeigen, verließ er Conſtanz, wie es ſcheint, kurz nach 
ſeiner Ankunft, in den letzten Tagen des Jahres 1414. 
Eine Deputation wurde nachgeſendet, ihm zu erklären, daß 
das Concilium alſogleich auseinander gehen müſſe und 
werde, wenn er es in ſeiner geſetzlichen Wirkſamkeit hin— 
dern und hemmen wolle.!“ Die Verantwortlichkeit für 
einen ſolchen Fall zu übernehmen, konnte Sigmund nicht 
wollen; ſo viel war ihm Hus nicht werth, daß wegen 
ſeiner alle Hoffnungen der Chriſtenheit auf die Wieder— 
herſtellung der Kircheneinheit und auf Reformation zu 
nichte werden ſollten; auch tröſtete er ſich mit der Aucto— 
rität der geltend gemachten Meinung, daß da nach göttlichem 


439) Die Nachricht über dieſe in den gedruckten Concilienacten nicht 
näher erwähnten Verhandlungen gibt uns ein Brief K. Sig— 
munds an die böhmiſchen Stände (4d. Paris, 21 Mart. 1416), 
worin es heißt: To böh wie, ze nam bylo jeho (Husa) welmi 
zel, co s& jemu stalo, ze to nemohlo wiece byti. Jakoz pak 
wsickni Cechowe, jixto pri nas byli, dobre wideli, ze smy zan 
mluwili, kterak smy sè nejednü s koncilium w hn&w& rozesli, 
nebr2 profi 2 Konstancie jeli, ak nam potom wzkäzali, nechce- 
myli dopustiti, aby sé prawo dälo a wedeno bylo W konci- 
lium, coz pak maji tu &initi? A tak smy zuamenali, ze tomu 
nemöZemy nic uéiniti, ani sé nam jiz hodilo dale o tom mlu- 
witi, nebby se bylo proto koncilium zrusilo. (Archiv Cesky., I, 6.) 
Die Concilienacten bei Von der Hardt (IV, 32) führen zum 
1 Januar 1415 nur einen Congregationsbeſchluß an »de in- 
quisitione Hussi per Caesarem non amplius impedienda.« Die: 
fer Ausdruck beweiſt wenigſtens, daß Sigmund bis zu diefem 
Tage, alſo eine Woche lang nach ſeiner Ankunft in Conſtanz, 
wegen Huſſens mit dem Concilium wirklich im Streit war. 


330 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 und menſchlichem Rechte kein zum Nachtheil des katholiſchen 
Glaubens gegebenes Verſprechen giltig ſein könne, er auch 
nicht verpflichtet ſei, das einem Ketzer gegebene Wort zu 
halten.“ Er geſtattete daher dem gegen Hus begonne— 
nen Proceſſe ſeinen freien Lauf— 

Der Papſt hatte ſchon am 4 Dec. zur Inſtruction 
dieſes Proceſſes drei Commiſſäre ernannt, den Patriarchen 
Johann von Conſtantinopel und die Biſchöfe Johann von 
Lebus und Bernard von Citta di Caſtello, denen er den 
Auftrag gab und die Gewalt verlieh, alle Maßregeln, die 
ſie zur Ermittelung und Sicherſtellung der Wahrheit hin— 
ſichtlich der gegen Hus erhobenen Beſchuldigungen für nö— 
thig erachten würden, zu ergreifen; das Endurtheil wurde 
ihnen ausdrücklich nicht anheimgeſtellt.““ Es muß eben 
ſo anerkannt werden, daß dieſe Commiſſäre alle Formen 
des Rechts gegen Hus beobachteten, wie ſich anderſeits 
nicht läugnen läßt, daß dieſe Formen da, wo es ſich um 
den Verdacht der Ketzerei handelte, ſtrenger als ſonſt waren. 
Hus war einige Wochen nach ſeiner Einkerkerung ſchwer 
erkrankt, ein heftiges Fieber brachte ihn an den Rand des 
Grabes, und Papſt Johann XXIII ſah ſich genöthigt, nicht 
nur zu ſeiner Pflege ſeine eigenen Leibärzte zu beordern, 
ſondern auch einen geſünderen Kerker in demſelben Ge— 
bäude ihm anzuweiſen (8 Januar 1415). Da eine jener 
Rechtsformen es mit ſich brachte, daß der Inquiſit Dies 


440) Vgl. die Beſchlüſſe vom 23 Sept. 1415, bei Von der Hardt, 
IV, 521 sq- 

441) In der Nennung der Namen und der Zahl dieſer Commiſ— 
ſäre ſtimmt Mladenowie mit der bei Raynaldi zum J. 1414 
(§. 10) gedruckten Urkunde überein; die Angaben des Cerre— 
tanus bei V. d. Hardt (IV, p. 23, zum 1. Dec.) ſind daher 
um ſo unrichtiger, je gewiſſer es iſt, daß Cardinal Peter von 
Ailly u. A. erſt am 6 April 1415 in jene Commiſſion ge— 
wählt wurde. i 


Proceß gegen Hus. 331 


jenigen Zeugen, die in ſeiner Sache deponiren ſollen, ſchwö— 
ren ſehe, ſo wurden deren an einem Tage fünfzehn vor 
ſein Gefängniß geführt und vor ſeinen Augen beeidet. 
Unter ihnen werden zwei ehemals Prager, ſpäter Leipziger 
Profeſſoren, Johann von Monſternberg und Peter Storch 
von Zwickau, die erſten genannt; dann Stephan von 
Paleè, Dr. Nicolaus Zeiſelmeiſter, einſt Official des Pra— 
ger Erzbisthums, Bruder Peter, Prediger bei St. Cle— 
mens in Prag, Peter Abt bei St. Ambros ebendaſelbſt, 
und andere minder bekannte Perſonen. Ein Anwalt wurde 
dem Angeklagten zu ſeiner Vertheidigung nicht zugeſtanden, 
da es geſetzlich verboten ſei, einen der Ketzerei Verdäch— 
tigen in Schutz zu nehmen.“? 

Nachdem Hus ſich von ſeiner Krankheit ein wenig er— 
holt hatte, wurden ihm von den Commiſſären 44 meiſt 
aus feiner Schrift von der Kirche“ gezogene Lehrſätze mit 
der Aufforderung vorgelegt, ſich darüber ſchriftlich zu ver— 
antworten. Nun bewies er allerdings in der noch vor— 
handenen Antwort, daß viele Artikel unrichtig aufgefaßt, 
verſtümmelt und aus dem Zuſammenhange geriſſen, einen 
andern Sinn gaben, als ihnen eigentlich zukam: aber es 
blieben denn doch noch andere Artikel genug übrig, die 
ſeine wirkliche Anſicht erklärten, und deren Tragweite in 
der That größer war, als er ſich vorgeſtellt haben mochte, 
indem ſie geeignet waren, das ganze Gebäude chriſtlicher 
Hierarchie zu zerſtören. Jene Schrift war zunächſt gegen 
die von den katholiſchen Doctoren auf der Prager Synode 
vom 6 Febr. 1413 geltend gemachte Lehre von der Auc— 
torität der Kirche überhaupt, und der Päpſte und Cardi— 
näle insbeſondere, gerichtet: um gegen ſie den Beweis zu 
führen, daß der Papſt nicht allein kein Haupt, ſondern 


442) Dicentes hoc esse contra jura ipsorum, cum nemo debeat su- 


specto de baeresi patrocinari, Mladenowic., 


1414 


332 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 möglicher Weiſe ſogar kein Glied der wahren Kirche ſein 
könne, hatte er neben anderen Gründen auch die craſſeſte 
Anſicht von der Prädeſtination gleichſam auf die Spitze 
getrieben, und dann allerdings folgerichtig geſchloſſen, daß 
die chriſtliche Kirche recht wohl auch ohne Papſt und Car— 
dinäle beſtehen könnte. Einmal im Kampfe gegen die be— 
ſtehende Auctorität begriffen, wurde er von Folge zu Folge 
immer weiter gedrängt, bis er auf einen Standpunct ge— 
langte, von woher das Einlenken und die Wiedervereini— 
gung unmöglich wurde. 

Derſelbe Fall ereignete ſich auch bei anderen Anhän— 
gern der huſſiſchen Lehre. In dem Maße, als das Be— 
ſtehende aufhörte, ihnen eine heilige unverbrüchliche Regel 
zu ſein, unterwarfen ſie je länger je mehre Partieen des— 
ſelben einer individuellen Kritik, die ſie aus ihrer vielfach 
mangelhaften Kenntniß der Urzuſtände des Chriſtenthums 
ſchöpften. Der anſehnlichſte unter den Prager Magiſtern 
und Theologen, nach der Entfernung des Hus, war der 
von uns bereits einige Mal erwähnte M. Jakob von 
Mies, den man zum Unterſchied von einem andern gleich— 
namigen Magiſter, nach ſeiner kleinen Geſtalt gewöhnlich 
nur M. Jacobellus (böhmiſch M. Jakübek ze Stribra) 
zu nennen pflegte. Ob er nicht perſönlich ein Schüler des 
Pariſer Magiſters Mathias von Janow geweſen, iſt nicht 
bekannt; +3 um fo gewiſſer iſt es dagegen, daß er aus 
deſſen Schriften Belehrung ſchöpfte und ſich ganz zum Erben 
ſeiner Anſichten machte, bis auf den allerdings weſent— 
lichen Unterſchied, daß er ſich des Gehorſams gegen die 
kirchlichen Vorſtände gänzlich entſchlug. Die von Janow 


443) Jacobell wurde ſchon 1393, ein Jahr vor Janows Tode, Bac— 
calar der freien Künſte an der Prager Univerſität, im Jahre 
1397 Magiſter. 


Communion unter beiden Geſtalten. 333 


wahrſcheinlich zuerſt aufgeſtellte,“ aber auf Befehl des 1414 
Prager Erzbiſchofs widerrufene Anſicht von der Nothwen— 
digkeit, das heilige Abendmahl auch den Laien unter bei— 
den Geſtalten, des Brodes nämlich und des Weins, dar— 
zureichen, faßte Jacobell kurz vor Ausgang des Jahrs 
1414 mit großem Eifer auf, +? machte fie zuerſt zum Ge— 


444) Das Tagebuch der boͤhmiſchen Abgeſandten bei dem Basler 
Concilium führt bei den Verhandlungen des 4 März 1433 
die Nachricht an: Rokyezana dixit: »ille doctor (Petrus de 
Palude) est mihi ignotus, est etiam novus; sed habemus unum, 
Nicolaum de Lacu, satis antiquum (non habemus eum hic, 
sed est in Praga), qui dieit expresse, quod sub utraque specie 
sumere est de necessitate et praecepto Christi,« denotans ple- 
banum in Lacu, Mnichonem. Leider wiſſen wir von dieſem 
Prager Pfarrer in Lacu (u matky bozi na Lauzi) gar nichts, 
alſo auch nicht die Zeit, wann er gelebt und geſchrieben hat. 

445) Die Überlieferung, der zu Folge ein von Dresden geflüchteter 

M. peter den Jacobell zuerſt auf den Gedanken geführt haben 

ſoll, die Communion unter beiderlei Öeftalten auszutheilen, 

halten wir für unbegründet: 1) Weil, wie ſchon Von der 

Hardt bemerkte, alle gleichzeitigen Streitſchriften, deren es 

eine große Menge gibt, einſtimmig Jacobell als den erſten 

und alleinigen Urheber dieſer Communion bezeichnen. 2) Weil 
von dem Daſein eines ſolchen Peter von Dresden, der ſchon 
durch dieſen Einfluß allein eine für den Huſſitismus wichtige 

Perſon geworden wäre, in allen gleichzeitigen Documen— 

ten und Streitſchriften auch nicht die geringſte Spur aufzu— 

finden iſt. 3) Die erſte Meldung über ihn äußert ſich erſt 
nach der Mitte des XV Jahrh. und zwar bloß bei antihuſ— 
ſitiſchen Böhmen, die den Utraquismus als fremdes Import 
zu bezeichnen ſuchten, um deſſen Popularität im Lande zu min— 
dern. 4) Dieſe älteſten Nachrichten find mit einander im Wi— 
derſpruch, indem ſie bald nur einen Peter, bald auch einen 

Nicolaus von Dresden angeben, und zugleich auch behaupten, 

die Fremden hätten erſt den M. Johann von Jiein, und durch 

dieſen den Jacobell verführt. 5) Endlich, wer ſowohl Janows 
als Jacobells Schriften kennt, der findet nicht allein in den 

Anſichten, ſondern auch in gewiſſen Eigenthümlichkeiten des 


334 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 genſtand einer akademiſchen Disputation auf der Univer— 


1415 


ſität, gewann dafür die Mehrzahl der Anhänger Huſſens, 
und begann im Bunde mit denſelben auch ſogleich in praxi 
die für Böhmen verhängnißvolle utraquiſtiſche Communion 
(communio sub utraque, nämlich specie) an die Laien; 
zuerſt in der St. Martinskirche an den Mauern, dann bei 
St. Michael auf der Altſtadt, und bei St. Adalbert auf 
der Neuſtadt. Der Prager erzbiſchöfliche Generalvicär 
ſäumte keinen Augenblick, gegen dieſe Neuerung einzuſchrei— 
ten; aber ſeine Bemühungen blieben ohne Erfolg. Der 
vor ihn geladene Jacobell ſtellte ſich, mehr um für ſeinen 
Lehrſatz zu ſtreiten, als um darüber Befehle oder Beleh— 
rung anzunehmen; und die Strafe des Kirchenbanns, die 
den offenen Ungehorſam nicht lange auf ſich warten ließ, 
war bei der veränderten Stimmung des Volkes bereits ſo 
unwirkſam geworden, daß man im Allgemeinen kaum mehr 
von ihr ſprach, vielweniger ihr Folge leiſtete. 
Auf dieſe Art war ein neuer Schritt auf der Bahn 
der Kirchentrennung gemacht, und ein neues Element des 
Streits und der Zwietracht in die Gemüther geworfen 
worden. Dieſe Neuerung war aber um ſo bedeutender; 
als ſie die Reformgedanken von dem Gebiete, auf welchem 
ſie ſich bisher allein bewegt hatten, auf ein anderes noch 
unberührtes Feld hinübertrug. Alle Beſtrebungen Huſſens 
und ſeiner Freunde waren nämlich bisher nur auf eine 
Reform der Kirchenverfaſſung, nicht des Lehrbegriffs, ge— 
richtet geweſen; hatte er auch Lehrſätze aufgeſtellt, die von 
der allgemeinen Norm abwichen, ſo war dieß doch nur 
gleichſam in zweiter Linie geſchehen, um damit ſeine Dis— 
ciplinartheſen zu unterſtützen. In dem Streit über die 


Styls, den Einfluß des Einen auf den Andern offen darlie— 
gend. Eine umſtändlichere Begründung aller dieſer Beweis— 
puncte läßt ſich hier, aus Mangel an Raum, nicht geben. 


Communion unter beiden Geſtalten. 335 


Communio sub utraque wurde aber zuerſt eine rein dog— 
matiſche Frage in die Vorderlinie geſtellt und damit ein 
Anfang zu Veränderungen im chriſtlichen Lehrbegriff ſelbſt 
gemacht, der ſich bald an ein äußeres Symbol, das des 
Kelches, knüpfen ließ, und daher die Scheidung der Par— 
teien um ſo ſichtbarer machte und feſter begründete. Es 
war aber natürlich, daß nicht alle Diejenigen, welche bis— 
her mit Hus gleichſam den erſten Schritt gethan hatten, 
ſich geneigt erwieſen, auch den zweiten mit Jacobell zu 
thun. Darum entſtand über die Frage des Kelchs unter 
den Huſſiten ſelbſt gleich in vorhinein eine Spaltung; und 
je uneiniger die Jünger unter einander waren, um ſo be— 
gieriger waren ſie alle, die Anſicht des gemeinſchaftlichen 
Meiſters darüber zu erfahren. 

Als Hus davon in ſeinem Kerker Nachricht erhielt, 
ſoll dieſe Neuerung, als ein in ſeinen Proceß erſchwerend 
eingreifender Umſtand, ihn zuerſt unangenehm berührt haben. 
Bald aber nahm er das Geſchehene als eine nicht zu än— 
dernde Thatſache auf, und entſchloß ſich ſogar, das Ger 
wicht ſeiner Auctorität in die Wagſchale ſeines Freundes 
und Anhängers zu legen. Er verfaßte im Kerker ſelbſt 
eine Abhandlung zu dieſem Zwecke, die alsbald nach Prag 
gebracht und dort als die beſte Empfehlung des neuen 
Ritus verbreitet wurde, obgleich es offen lag, daß Hus 
dem Gebrauch des Kelches lange nicht dieſelbe Wichtigkeit 
beilegte, wie Jacobell und deſſen Schüler; denn er em— 
pfahl ihn mehr in der Abſicht, eine Spaltung und Zwie— 
tracht unter feinen Anhängern zu verhindern. #6 Erſt ſpä— 


446) Wie wenig er noch damals geſonnen war, wegen des Kelches 
in eine Oppoſition gegen die Kirche zu treten, erhellt aus ſei— 
nem Briefe an den Herrn von Chlum (Opp. I, 92), wo er 
anräth, bei dem Concilium um die Erlaubniß zu bitten, daß 
diejenigen, die es wünſchen, unter zweierlei Geſtalten commu— 
niciren dürften. „Si potest fieri, attentetis, ut saltem permit- 


1414 


1414 


336 VI Buch, s Capitel. K. Wenzel IV. 


ter, als er zu ſeinem Leidweſen erfuhr, daß dieſer Zweck 
nicht erreicht wurde, und daß nicht allein mehre weltliche 
Herren, wie z. B. Nicolaus von Lobkowic, ſondern auch 
Geiſtliche, und unter ihnen ſelbſt ſein Nachfolger in der 
Bethlehemscapelle, Hawlik, aus Anlaß der Kelchfrage ſich 
vom Huſſitismus zu trennen begannen, da äußerte auch 
Hus mit größerem Nachdruck ſich zu Gunſten des Kelches, 
indem er behauptete, daß deſſen Entziehung bei den Laien 
mit dem Gebote Chriſti und der Apoſtel nicht überein— 
ſtimme, und nur ein Kirchengebrauch ſei, dem man nicht 
mehr zu folgen habe.““ 

Während die Inſtruction des gegen den gefangenen 
Hus eingeleiteten Proceſſes nur langſam vorſchritt, erhob 
ſich gegen Den, der ihn gefangen hielt, ein ähnlicher Sturm, 
der aber einen ungleich ſchnelleren Verlauf nahm. Die 
Anſicht, daß nicht allein alle drei Päpſte, ſondern daß ins— 
beſondere Johann XXIII vor Allen zur Reſignation be— 
wogen werden müſſe, drang bei dem Concilium entſchieden 
durch, ſobald den Mitgliedern desſelben eine Denkſchrift 


mitgetheilt wurde, die in 54 Klagepuncten das ganze öf— 


fentliche und Privatleben dieſes Mannes von ſeiner Schat— 
tenſeite her darſtellte. Um jeder anſtößigen Erörterung 
darüber zuvorzukommen, erklärte Johann XXIII ſchon am 
16 Februar feine Bereitwilligkeit, die päpftlihe Würde 
unter gewiſſen Bedingungen niederzulegen; da jedoch die 
Worte dieſer Erklärung etwas zu unbeſtimmt gefaßt waren, 
ſo ließ er ſich nach vielfachen Verhandlungen bewegen, 


tatur per bullam illis dari, qui ex devotione postulaverint, 
circumstantiis adhibitis,« — find feine Worte, die jedoch erft 
durch das Basler Concilium in Erfüllung gingen. 

447) Brief an Hawlik vom 21 Juni 1415 in Opp. I, 80. Aus der 
Invectiva contra Hussitas (MS.) iſt es erſichtlich, daß dieſer 
Hawlik ſich wegen der Kelchfrage von den Huſſiten gänzlich 
trennte, und ſpäter viele Verfolgungen deßhalb zu leiden hatte. 


P. Johanns XXIII Flucht von Conſtanz. 337 


am 1 März die beſtimmteſte Zuſage zu geben, daß er, 1415 
um des Friedens der Kirche willen, ſeine Würde unge— 
ſaͤumt niederlegen werde, ſobald auch Gregor XII und Ber 
nedict XIII durch eine gleiche Ceſſion, oder durch Tod, zur 
Beendigung des Schisma den gewünſchten Anlaß geben 
würden. Bald aber ſchien er dieſe Zuſage zu bereuen; 
er klagte über ungeſundes Clima und Mangel an perſön— 
licher Sicherheit für ihn zu Conſtanz, verlangte die Ver— 
legung des Concils in eine italieniſche Stadt, und brachte 
ſich durch mehre Anſtalten in den Verdacht, als wolle er 
Conſtanz heimlich verlaſſen und das Concilium auflöſen; 
darum fand man es für nöthig, die Thore der Stadt 
ſtreng zu bewachen, und König Sigmund unterließ es nicht, 
ihn vor den Folgen eines übereilten Schrittes zu warnen. 
Dennoch ſetzte er mit Hilfe Herzog Friedrichs von Sſter— 
reich, den er ſchon im vorigen Jahre zum Generalcapitän 
der römiſchen Kirche ernannt hatte, dieſe Abſicht durch. 
Am 20 März nach Mittag veranſtaltete der Herzog ein 
feierliches Turnier in Conſtanz; und während deſſen Pomp 
die öffentlihe Aufmerkſamkeit auf ſich zog, gelang es dem 
Papſte, in der Kleidung eines gemeinen Reiters, unerkannt 
zum Thore hinaus zu kommen, und von den Leuten des 
Herzogs unterſtützt, in der Nacht noch vor Einbruch des 
Tags nach Schaffhauſen, einer dem Herzoge Friedrich ge— 
hörigen Stadt, zu gelangen. Als daher in der Nacht und 
am folgenden Tage früh Morgens die Flucht des Papſtes 
in Conſtanz ruchbar wurde, gerieth Alles in einen paniſchen 
Schrecken: während die leeren Wohnungen vom Pöbel ge— 
plündert wurden, eilten die Italiener und Oſterreicher 
ihren Herren nach, der Bürgermeiſter von Conſtanz rief 
die Bürger unter die Waffen, Alles rannte angſtvoll hin 
und her, das Ende des Conciliums ſchien plötzlich einge— 
brochen, Ordnung und Gehorfam löften ſich auf, die Wechs— 


ler und Kaufleute ſchloſſen ihre Gewölbe, die Krämer 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 22 


1415 


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packten auf den Straßen eilig ihre Waaren zuſammen, um 
einer allgemeinen Plünderung zu entgehen u. ſ. w. In 
dieſer unbeſchreiblichen Verwirrung ſchwang K. Sigmund 
ſich eiligſt aufs Pferd, und durchritt, unter Trompeten— 
ſchall, in Begleitung des Pfalzgrafen Ludwig und anderer 
Herren, die Straßen der Stadt, allenthalben zur Ruhe 
ermahnend, den Zaghaften Muth zuſprechend, Schutz und 
Hilfe anbietend; es ſtehe Jedermann frei, den Flüchtigen 
zu folgen, ſprach er, man werde ſchon Mittel finden, ſie 
wieder zurückzubringen, das Concilium aber ſtehe feſt und 
ſei unauflösbar. Auch die verſammelten Väter tröſtete er, 
daß er ſie mit all ſeiner Macht und mit ſeinem Leben 
ſchützen werde. So gelang es ihm, durch ſchnelles und 


kräftiges Einſchreiten, alle üblen Folgen dieſes entſcheiden— 


den Ereigniſſes für das Concilium zu verhüten. Alles 
Unheil, welches daraus floß, kam nur über Diejenigen, 
welche die Flucht veranſtaltet hatten. Herzog Friedrich 
fiel in die Reichsacht, verlor in dem gegen ihn erhobenen 
Kriege einen Theil ſeiner Länder, und erlangte die Gnade 
des Königs nur gegen die Zuſage wieder, den Papft zu— 
rückzubringen. Letzterem wurde vom Concil der Proceß 
gemacht, und er zuerſt in ſeiner Würde ſuspendirt, dann 
aber (29 Mai) vollends und förmlich abgeſetzt. 

Die Flucht des Papſtes änderte auch die Lage des 
gefangenen Hus. Da Johann XXIII von Schaffhauſen 
aus allen ſeinen in Conſtanz noch zurückgebliebenen Die— 
nern befahl, ihm nachzufolgen, ſo übergaben Huſſens Wär— 
ter am Palmſonntag, den 24 März, die Schlüſſel ſeines 
Gefängniſſes dem Könige, und verließen die Stadt. Nun 
rechneten die in Conſtanz anweſenden Böhmen darauf, daß 
Sigmund den in ſeine Gewalt gegebenen Gefangenen um 
ſo eher in Freiheit ſetzen werde, je nachdrücklicher er deß— 
halb bereits von den böhmiſchen und mähriſchen Ständen 
angegangen worden war. Er berieth ſich jedoch in der 


Hus im Kerker zu Gottlieben. 339 


Sache mit den Vätern des Conciliums, und übergab in 1415 
deſſen Folge Hus in die Gewalt des Biſchofs von Con— 
ſtanz, der ihn bei Nacht auf einem Kahn in ſeine nahe 
Burg Gottlieben am Bodenſee abführen ließ.““ Dort ver— 
ſchlimmerte ſich Huſſens Lage bedeutend. Im Dominicaner— 
kloſter waren ſeine Wärter, insbeſondere ein gewiſſer Ro— 
bert, in die Länge, theils durch ſeinen Umgang, theils 
durch eifriges Zuthun der böhmiſchen Herren, ſo weit für 
ihn gewonnen worden, daß ſie ihm nicht nur zu ſchreiben 
erlaubten, was und wem er wollte, ſondern auch manch— 
mal ſeinen Freunden den Zutritt in ſeinen Kerker geſtat— 
teten: in Gottlieben aber wurde er in einen einſamen 
hohen Thurm geſperrt, an den Füßen in Feſſeln geſchla— 
gen, bei Nacht ſelbſt mit den Händen an die Wand an— 
gekettet, und von aller Verbindung mit den Freunden gänz— 
lich abgeſchloſſen. 

Unter den Beſuchen, die den Gefangenen noch im Do— 
minicanerkloſter überraſcht hatten, war auch der des M. 
Chriſtann von Prachatic; Hus brach in Thränen aus, als 
er den fern geglaubten alten Freund und Wohlthäter vor 
ſich erblickte.!“ In Erwägung der Gefahr aber, welcher 


448) Ein nach Böhmen geſchriebener noch ungedruckter Brief mel: 
det darüber: De Hus fuit periculum, ne eriperetur de carce- 
ribus ordinis Praedicatorum, situati ultra muros civitatis, quia 
custodes jam erant pauci et remissi; sed ex diligentia facta 
et clamore zelatorum fidei, ex decreto concilii, praesentatus 
est ad quoddam castrum et ad carceres domini episcopi Con- 
stantiensis; qui Dominica ne longe hora quasi IVa noctis, cum 
170 fere armatis ad unum castrum eum extra civitatem de- 
duxit, ubi bene custoditur et compedibus die noctuque vin- 
culatur etc. 

449) Accuso me (ſchreibt er am 4 März, S. 93), quod videns M. 
Christianum ex abrupto, non potui a lachrymis, quae erum- 
pebant, me continere, fidelem magistrum meum et specialem 


benefactorem videns. 


2 


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1415 ſich ſolche Beſucher ausſetzten,““ wollte er, daß fie davon 
lieber abſtehen möchten; insbeſondere ließ er den Magiſtern 
Jeſenic und Hieronymus ſagen, daß ſie auf keinen Fall 
ſich nach Conſtanz hineinwagen ſollten. Den Letzteren ver— 
leitete ſein feuriges Temperament, die Warnung unbeach— 
tet zu laſſen; er glaubte, ſeinem Freunde dennoch zu Hilfe 
eilen zu müſſen. Am 4 April kam er unerkannt und un⸗ 
bemerkt in Conſtanz an; nur die Herren von Chlum und 
von Duba erfuhren ſeine Anweſenheit, und riethen ſogleich 
zur ſchleunigſten Rückkehr. Er entſchloß ſich dagegen am 
7 April an die Rathhaus- und Kirchenthüren von Con—⸗ 

ſtanz Ankündigungen in lateiniſcher, deutſcher und boͤhmi- 
ſcher Sprache anheften zu laſſen, worin er dem Könige 
und dem Concilium den Zweck ſeiner Ankunft meldete, und 
um Ertheilung eines ſicheren Geleitbriefes bat, damit er 
ſich öffentlich ſtellen könne; inzwiſchen zog er ſich, noch 
immer unerkannt, in eine der benachbarten Städte zurück. 
Das Concilium ertheilte ihm erſt am 17 April eine Zu— 
ſicherung, die ihn nur vor Gewalt, nicht vor Recht ſchützen 
ſollte, und erklärte zugleich, daß es gegen ihn in geſetz— 
licher Form einſchreiten werde, ob er ſich ſtelle, oder nicht; 
darum erließ es auch gleich am folgenden Tage die erſte 
öffentliche Vorladung gegen ihn. Hieronymus hatte in— 
zwiſchen auch dieſe nicht mehr abgewartet, ſondern ſich be— 
reits früher auf die Flucht nach Böhmen zurück begeben. 
Doch unfern den Gränzen ſeines Vaterlandes, zu Hirſchau, 


450) Chriſtann von Prachatic wurde in Conſtanz, auf Michaels de 
Causis Andringen, wirklich verhaftet, und wegen 30 Artikeln, 
die ihm zur Laſt gelegt wurden, vor den Patriarchen von Con— 
ſtantinopel zur Verantwortung gezogen; da jedoch K. Sig— 
mund ſich für dieſen in Böhmen hochgeachteten Gelehrten (ſein 

Hauptfach war die Aſtronomie) eifrig verwendete, und er ſich 
ſehr beſcheiden benahm, ſo ſetzte man ihn am 15 März 1415 
wieder in Freiheit. MS.) . 


M. Hieronymus wird dem Conc. eingeliefert. 341 


wurde er am 25 April von einigen Geiſtlichen erkannt, 
von dem dortigen Pfleger des Pfalzgrafen Johann ver— 
haftet und nach Sulzbach zu dem Letzteren, einem Bruder des 
Pfalzgrafen Ludwig, gebracht, der das Concilium alſogleich 
von dem Vorfall benachrichtigte. Dieſes verlangte die Ein— 
lieferung des Gefangenen; dem zu Folge er, mit ſchweren 
Ketten belaſtet, nach Conſtanz gebracht und am 23 Mai 
in die Gewalt des Conciliums übergeben wurde, ohne ſeinen 
Freund Hus, vor oder nach, auch nur geſehen zu haben. 

Es konnte nicht fehlen, daß die Böhmen und Mährer, 
die den von Hus und Hieronymus verbreiteten Lehren be— 
reits größtentheils anhingen, die Gefangennehmung ihrer 
Lehrer übel nahmen und darüber Beſchwerde führten; ſelbſt 
in Polen, wo die böhmiſchen Reformatoren, zumal am 
königlichen Hofe, auch viele Freunde zählten, regte ſich die 
Sympathie für ſie. In Prag, Brünn und mehren Land— 
ſtädten hielt der Adel Verſammlungen, um an den römi— 
ſchen König, als den künftigen Erben des Landes, ſchrift— 
liche Vorſtellungen über den Bruch ſeines Geleitsbriefes 
durch die Gefangennehmung und harte Behandlung des 
Hus zu richten. Man nahm übrigens in dieſen Schrei— 
ben keine Immunität für Hus in Anſpruch, und wollte ihn 
weder dem Recht noch ſeinen Richtern entziehen: man ver— 
langte nur, daß er weder ungehört verdammt, noch auch 
insgeheim gerichtet, ſondern daß ihm Gelegenheit gegeben 
werde, ſich frei und öffentlich zu vertheidigen. 1 Ein ähn— 
liches Geſuch überreichten am 13 Mai!“ nach Mittag den 
bei den Minoriten (Franciscanern) verſammelten Vätern 


1415 


die in Conſtanz anweſenden böhmischen und polnischen Her: 


ren: namentlich von Seite der Polen die beiden Abgeſand— 


451) Vier ſolche Briefe find abgedruckt im Archiv Cesky, III, 182 8g. 

452) Das Datum bei V. d. Hardt (14 Mai, S. 187 — 189) ift 
unrichtig, und muß aus dem umſtändlichen Bericht des Mla— 
denowie verbeſſert werden. 


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1415 ten K. Wladiſlaws, Hanus von Tuliskowo, Caſtellan von 
Kalis, und Zawisa Gerny von Garbow; ferner ein Herr 
Borota, ein Donin, ein Balick)h und Andere; von den 
Böhmen und Mährern Wenzel von Duba, drei Herren 
von Chlum Johann, Heinrich und Kunes), Pota von 
Ilburg, Wenzel Myska von Hradek, Bohuflaw von Dau— 
pow, ein Skala von Libee, Schrank Vater und Sohn, ein 
Bieskowec u. a. m. In dem vom M. Peter von Mla— 
denowic, Secretär des Herrn Johann von Chlum, redigir— 
ten und geleſenen Geſuche wurde zuerſt die Art und Weiſe, 
wie Hus nach Conſtanz gebracht und hier ohne voraus— 
gegangenes Verhör eingekerkert worden,“ “ kurz dargeſtellt, 
und dann um ſo mehr darüber geklagt, als ſonſt andere 
Männer, die das Piſaner Concilium offen für Ketzer er— 
klärt hatte, in Conſtanz unbehelligt geblieben wären. Nun 
würden ſie, die in Conſtanz anweſenden Herren, von ihren 
Landsleuten deßhalb gedrängt und beſchuldigt, als wäre 
ſolches durch ihre Nachläſſigkeit geſchehen. Daher baten 
ſie die Väter inſtändig, nicht nur auf ein Volk Rückſicht 
zu nehmen, das ſich durch alle dieſe Vorgänge gekränkt 
fühle, ſondern auch die Ehre des römiſchen Königs und 
die eigene dadurch zu bedenken, daß ſie dem beſagten Hus 
ſein Recht nach göttlicher Gerechtigkeit ohne längeren Auf— 
ſchub widerfahren laſſen. Weiter klagten die böhmiſchen 
Herren allein (denn die Polen erklärten, dieſem Theil der 
Klage fremd bleiben zu wollen) über Verläumder und 
Feinde der böhmiſchen Nation, die unter den Vätern des 


453) Cum Constantiam sub dicto salvo conductu libere pervenisset, 
captus est et graviter nulla audientia praevia carceratus, et 
hucusque tam compedibus, quam fame et siti angustiatur. — 
Citra hoc tam graviter detinetur, compedibus et dieta levis- 
sima attenuatus; unde timendum est, ne viribus consumptus 
ratione periclitetur. — Schon aus dieſen Stellen iſt zu ſehen, 
daß der Abdruck bei V. d. Hardt (IV, 189) nicht ganz genau iſt. 


Verwendungen zu Gunſten Huſſens. 343 


Concils allerhand falſche Gerüchte ausgeſtreut hätten, wie 1415 
z. B. daß in Böhmen das Sacrament des Blutes Chriſti 
in gemeinen Flaſchen herumgetragen werde, daß ſelbſt 
Schuſter ſich zu Beichtvätern und zu Spendern der Sa- 
cramente eigenmächtig aufwerfen u. dgl. Sie verlangten, 
daß ſolche Verläumder genannt und zur Verantwortung 
gezogen werden, indem die böhmiſchen Herren bereit ſeien, 
dieſelben Lügen zu ſtrafen und nach Gebühr zu befehämen. ** 

Als der letztere Theil der Klage vorgeleſen wurde, 
ſtand der in der Verſammlung anweſende Biſchof Johann 
von Leitomysl auf und ſprach: dieſe Klage gehe ihn und 
die Seinigen an, und er nehme die Verantwortlichkeit für 
ſeine Reden auf ſich; denn allerdings habe er mehre Un— 
ordnungen, die in neueſter Zeit in Böhmen, in Folge der 
überhand nehmenden Communion unter beiderlei Geſtalten, 
eingeriſſen, ſo wie ſie ihm aus Böhmen glaubwürdig be— 
richtet worden, zur Kenntniß des Conciliums gebracht; 
ſoolches ſei jedoch nicht in der Abſicht geſchehen, die Ehre 
ſeines Vaterlandes und ſeines Volkes zu kränken; im 
Gegentheil liege dieſe Ehre ihm mehr am Herzen, als 
ſeinen Gegnern, die ſie eben durch ſo anſtößige Neuerungen 
bloßzuſtellen keine Scheu trügen. Um jedoch auf die Klage 
eine begründetere Antwort ertheilen zu können, bat er ſich 
die nöthige Friſt aus, die ihm auch ertheilt wurde. 


454) Der Schluß dieſes Actenſtückes iſt bei V. d. Hardt (IV, 189) 
nicht richtig angegeben; er lautet bei Mladenowic, wie folgt: 
Propter quod rogant domini de Boemia hie praesentes, qua 
teuus talibus falsis delatoribus non ceredatis, cum tamquam 
iniqui infamatores regni praedieti falsum dieant; quin potius 
petunt attentius Vras Pattes, quatenus tales infamatores regni 
praedieti nominentur; et D. Rex praedictus, similiter et Vrae 
Pattes videre debebunt, quod domini de Boemia talium in- 
famatorum delationes falsas et frivolas taliter studebunt refel- 
lere, unde ipsi infamatores coram D. Rege et Vris Patbus ve- 


rebuntur. 


344 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 Am 16 Mai erhielten die böhmiſchen und polnischen 
Herren ſowohl vom Concilium als vom Biſchof von Lei— 
tomysl Antwort. Letzterer wiederholte jetzt ſchriftlich ſeine 
neulich gegebene Erklärung, leugnete, jemals etwas von 
einer Spendung der Sacramente durch Schuſter vorge— 
bracht zu haben, äußerte aber auch die Beſorgniß, daß 
ein ſolches Scandal in die Länge auch noch zum Vorſchein 
kommen könnte, da er unterrichtet ſei, daß jüngſt eine Pra— 
ger Frau das einem Prieſter gewaltſam abgedrungene Sa— 
crament eigenmächtig genoſſen und zu Entſchuldigung dieſes 
Frevels viele Irrthümer behauptet und vertheidigt habe.““ 
Darum bat er wiederholt die Väter des Conciliums, zu 
Unterdrückung ſolcher Unordnungen unverzüglich geeignete 
Maßregeln zu ergreifen. Von Seite des Conciliums gab 
der Biſchof von Carcaſſonne den Herren mündlich die Ant— 
wort: durch Huſſens Gefangennehmung könne der könig— 
liche Geleitsbrief um ſo weniger gebrochen worden ſein, 
als man ſo eben erfahre, daß Hus dieſen Brief erſt 15 
Tage nach ſeiner Gefangennehmung erhalten habe; auch 
ſei es unrichtig, daß er ohne vorläufige Unterſuchung ein- 
gekerkert worden, da es bekannt ſei, daß er nach Rom 
citirt, wegen Nichterſcheinens in contumaciam verurtheilt 
und excommunicirt, keine Abſolution geſucht und erhalten 
habe, daher er füglich als Erzketzer (haeresiarcha) gelten 
könne, zumal er unter ſolchen Umſtänden auch in Conſtanz 


N 


455) Ohne Zweifel iſt hier dieſelbe Frau gemeint, welche nach des 
Priors Stephan von Dolan Epistola ad Hussitas (vom Jahre 
1417) noch vor Huſſens Tode auch eine böhmiſche Schutz— 
ſchrift für die Huffiten verfaßt hatte, deren Inhalt und An— 
fang der Prior in lateiniſcher Überſetzung mittheilt (in Pez 
Thesaur. Anecdot. tom. IV, parte II, pag. 520 sq.). Dieſes lite: 


D 


rariſche Curioſum (»cujus continentiam vix quinque arcus pa- 
pyri possent comprehendere) hat ſich noch nicht wieder auf— 
finden laſſen. Dieſelbe Frau ſoll im J. 1416 auch öffentlich — 
in einer Kirche gepredigt haben. 


Verhandlungen wegen Huſſens. 345 


öffentlich zu predigen ſich unterſtanden hätte. Zwei Tage 
ſpäter (18 Mai) replicirten die Herren: das Concilium 
ſei hinſichtlich des Datums in Huſſens Geleitsbriefe in Irr— 
thum und kränke die Ehre der königl. Reichskanzlei, indem 
es die Möglichkeit vorausſetze, daß dieſelbe eine Urkunde um 
volle zwei Monate zurückdatiren und ſomit fälſchen könne; 
ſie beriefen ſich auf den König ſelbſt, der die Ausfertigung 
angeordnet, auf die Fürſten und Herren, die dabei gegen— 
wärtig geweſen; es ſei nicht der Herren Schuld, daß am 
Tage jener Gefangennehmung Niemand den Brief habe 
ſehen wollen; auch ſei es unwahr, daß Hus in Conſtanz 
jemals öffentlich gepredigt habe, da er ſogar nie über die 
Schwelle des von ihm bewohnten Hauſes gekommen ſei 
u. ſ. w. #6 Solche Reden und Gegenreden wurden dann 
an den folgenden Tagen noch fortgeſetzt, und arteten zuletzt 
in bittere Perſönlichkeiten zwiſchen dem Biſchofe von Leito— 
mysl und den Baronen aus. Endlich auf die Bitte der 
Letzteren um Freilaſſung des Gefangenen, damit er ſich an 
Körper und Geiſt erholen könne, indem die Herren jede 
gewünſchte Bürgſchaft leiſten wollten, daß er dieſe Frei— 
heit nicht mißbrauchen werde, antwortete am 31 Mai der 


Patriarch von Antiochien im Namen des Concils, daß man 


456) De praedicatione vero, qua ipsum M. Joh. Hus sui aemuli in 
hac civitate retulerunt publice praedicasse, respondent domini, 
et specialiter D. Joh. de Chlum, hic praesens, qui in Con- 
stantia hic cum dicto M. Joh. Hus continuo est hospitatus, 
quod quicunque hoc ausi sunt vel audent dicere, quod ipse 
M. Joh. Hus, ut praemittitur, praedicasset, vel quod minus 
est, a tempore adventus sui ad hane civitatem usque ad diem 
et tempus captivitatis suae unum passum extra domum hospitü 
exüsset, quod dictus D. Joh. de Chlum se sub quacumque 
poena, sive pecuniali sive alia, cum quolibet tali vult obli- 
gare, quod id quod Vris Patbus tam sinistre retulit, numquam 
juste et veraciter deducere poterit et probare.« (Von der 
Hardt, IV, 213.) 


1415 


316 VI Buch, 5 Capitel. K Wenzel IV. 


1415 zwar Hus auch gegen tauſend Bürgſchaften nicht auf freien 


Fuß ſetzen könne, daß aber das Concilium den Bitten der 
Barone hinſichtlich ſeines öffentlichen Verhörs Folge geben 
und den Gefangenen am nächſtkünftigen 5 Juni in einer 
öffentlichen Verſammlung hören wolle. 

Mit der Flucht Johanns XXIII war auch die von ihm 
den obengenannten drei Commiſſären zur Unterſuchung des 
M. Hus gegebene Vollmacht erloſchen; das Concilium er— 
nannte dazu am 6 April 1415 vier neue Commiſſäre, die 
Cardinäle Peter von Ailly und Wilhelm von Cordiano, 
den Biſchof von Dole und den Abt von Gifterz, welche 
mit Zuziehung anderer Prälaten und Doctoren nicht allein 
die Lehren des Hus, ſondern auch die des Wiklef prüfen 
ſollten. Dieſelben ſtellten mit dem Gefangenen in Gott— 
lieben wiederholte Privatverhöre an, über deren Ergeb— 
niſſe keine Nachrichten vorhanden ſind; jedenfalls war die 
bereits in der achten Generalſeſſion am 4 Mai 1415 er— 
folgte feierliche Verdammung der 45 Wiklef'ſchen Lehrſätze 
von übler Vorbedeutung; war Wiklef einmal für einen 
Erzketzer erklärt worden, ſo konnte es auch Hus am Ende 
nicht viel beſſer ergehen. Als die Zeit ſeines erſten öffent— 
lichen Verhörs am 5 Juni heranrückte, wurde er von der 
Burg Gottlieben in das Kloſter der Franciscaner oder 
Barfüßermönche in Conſtanz übergeführt; und am ſelben 
Tage nahm feine Stelle in Gottlieben der abgeſetzte Jo— 
hann XXIII, nun Balthaſar Coſſa, als Gefangener des 
Concils ein. 

Am beſagten 5 Juni verſammelten ſich im Refecto— 
rium des Franciscanerkloſters faſt alle bei dem Concilium 
anweſenden geiſtlichen Notabilitäten, Cardinäle, Erzbiſchöfe, 
Biſchöfe, Prälaten, Doctoren, Magiſter und viele andere 
Leute. Bevor der Gefangene eingeführt wurde, las man 
den Bericht über die Ergebniſſe der bisher in ſeiner Sache 
gepflogenen Unterſuchungen vor. Ein Böhme, der ſich 


Huſſens erſtes Verhör vor dem Concil. 347 


hinter den Vorleſer geſchlichen hatte, #7 erblickte unter den 415 
zum Vortrag beſtimmten Stücken auch das bereits fertige 
Verdammungsurtheil des Hus; er ſetzte den gleichfalls an— 
weſenden Peter von Mladenowic, und dieſer die Herren 
von Chlum und von Duba in Kenntniß davon, welche 
augenblicklich zu K. Sigmund eilten, um ihn zu beſchwö— 
ren, daß er die Vorleſung jenes Urtheils hindere, indem 
die Klagepuncte, auf welche es gegründet worden, unrich— 
tig ſeien. Und da einige Hauptartikel darin aus Huſſens 
Tractat über die Kirche und aus den Schriften gegen 
Paleé und Staniſlaw von Znaim geſchöpft waren, fo über— 
gaben ſie dem Könige ein von Huſſens eigener Hand ge— 
ſchriebenes Exemplar dieſer Werke, damit es zur Con— 
trole der daraus geſchöpften Sätze dienen könne. Der 
König ſäumte nicht, durch den Pfalzgrafen Ludwig und 
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg die verſammelten 
Väter vor einer übereilten Entſcheidung in der Sache zu 
warnen; er ſtellte durch dieſe Fürſten das förmliche Ver— 
langen an das Concilium, Hus vor allem geduldig anzu— 
hören, und dann das über ihn zu fällende Urtheil vor— 
läufig zu ſeiner, des Königs, Kenntniß zu bringen. Auch 
ließ er den Vätern alſogleich die genannten Autographe 
Huſſens, jedoch nur zur Einſicht und gegen Zurückerſtat— 
tung, zuſtellen. 

Nachdem Hus in die Verſammlung eingeführt worden 
und die Fürſten ſie verlaſſen hatten, wurden ihm die ſo 
eben genannten Handſchriften ſeiner Werke mit der Frage 
vorgelegt, ob er ſie als die ſeinigen anerkenne? Er be— 
jahte das, und erklärte zugleich feine Bereitwilligkeit, wenn 


457) Mladenowic berichtet darüber: Quod cum cognovisset U., qui 
exterius prope pronuntiantem stabat, cucurrit et dixit P., et 
P. cucurrit ad dominos W. et Joh., ut ista regi dicerent, qui 
continuo ipsum accedentes, eidem singula enarrabant seriose 


etc. Wer diefer U. (Ulrich?) geweſen, ift nicht zu errathen. 


348 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 man ihn belehre, daß darin Irrthümer enthalten ſind, 
dieſelben zu widerrufen. Schon bei den erſten Debatten 
ergab es ſich aber, daß er mit dem Worte »Belehrung« 
einen ganz andern Begriff verband, als das Concilium; 
denn er verlangte, man ſolle ihn aus der heiligen Schrift 
und aus den Werken der älteſten Kirchenväter überführen, 
daß er Unrecht habe; ein Geſchäft, zu welchem ſich ein 
die geſammte Kirche repräſentirender, im heiligen Geiſte 
gehörig verſammelter, in Glaubens- und Kirchenſachen ab— 
ſolut richtender und geſetzgebender Körper unmöglich her— 
beilaſſen konnte. Wäre daher auch eine Verſtändigung und 
Verſöhnung hinſichtlich mancher einzelnen Klagepuncte noch 
möglich geweſen, ſo war ſie es doch nimmermehr hinſicht— 
lich der Competenz der Richter, die Hus, wenn auch nicht 
dem Worte, ſo doch der That nach beſtritt, daher er den 
Vätern auch in vorhinein ſchon als widerſpenſtig erſcheinen 
mußte. Dieß erklärt zum Theil die große Reizbarkeit und 
Bitterkeit der Letzteren, die ſich gleich in der erſten Au— 
dienz gegen Hus kund gab. Die von ihm nachgeſuchte Er— 
laubniß, ſein ganzes Glaubensbekenntniß erſt im Zuſammen— 
hange vorzutragen, wurde ihm verweigert, und er auf die 
bloße Beantwortung der an ihn zu richtenden Fragen an— 
gewieſen. Als er aber ſeine Sätze zu vertheidigen anfing, 
rief man ihm gleich von allen Seiten ſtürmiſch zu, daß er 
ſeine Sophiſterei fahren laſſen und einfach nur mit Ja 
oder Nein antworten ſollte. Er ließ ſich dadurch nicht ein— 
ſchüchtern, und erlaubte ſich, ſobald er nur zu Worte 
kam, ſogar die laute Bemerkung, daß er gehofft habe, in 
einer ſolchen Verſammlung mehr Ruhe, Anſtand und Ord— 
nung zu finden.“ Bei ſolcher gegenſeitigen Stimmung 


458) Huſſens Worte darüber (bei V. d. Hardt, IV, 307 und in? 
Opp. I, 77 sq.) find aus dem Böhmiſchen überſetzt: Equidem 
credidi majorem honestatem, bonitatem et disciplinam melio- 


rem esse in hoc concilio, atque est. Tune supremus cardi- 


Huſſens zweites Verhör. 349 


konnten alle dieſe Audienzen zu keinem günſtigen Ende 
führen, wenn gleich Hus in einem gleich nach dieſem erſten 
Verhör geſchriebenen Briefe ſich dazu Glück wünſchte, daß 
es ihm bereits gelungen, zwei Artikel von der Klageliſte 
ſtreichen zu machen, und ſich mit der Hoffnung ſchmeichelte, 
daß es auch bei anderen noch gelingen werde.“ 

Bei dem zweiten Verhör, welches am 7 Juni, kurz 
nach einer beinahe totalen Sonnenfinſterniß, Statt fand, 
und welchem auch K. Sigmund beiwohnte, ging es bereits 
viel ruhiger und ordentlicher zu; denn es war an dieſem 
Tage von Seite des Königs und des Conciliums kund 
gemacht worden, daß jeder Schreiende aus der Verſamm— 
lung hinausgewieſen werden ſolle. Um ſo auffallender 
zeigte ſich dann die Animoſität, welche insbeſondere der 
ſonſt mit Recht hochverehrte Cardinal Peter von Ailly, der 
erſte Wecker und Träger der Kirchenreform-Ideen in Frank— 
reich, gegen den böhmiſchen Reformator an den Tag legte. 
Sie läßt ſich nur durch die Beſorgniß erklären, daß die 
Reform, wie der Cardinal ſie verſtand, ihm durch die Art 
und Weiſe, wie der Magiſter ſie herbeizuführen ſuchte, an 
ſich ſelbſt gefährdet erſchien; daher rührte wohl auch ſein ſicht— 
bares Beſtreben, die Unterſuchung von den Disciplinar— 
fragen ab in das Gebiet der Dogmen zu ziehen, wo er 
und das ganze Concilium jede Anderung für unzuläſſig 
hielten. Dieſe ſeine Stimmung offenbarte ſich gleich bei 


nalis (Ostiensis) respondit: Siccine loqueris? in arce mo- 
destius verba fecisti. Cui ego: nam in arce nemo contra me 
vociferabatur, nunc vero vociferamini omnes. (Vgl. auch den 
Brief Num. 15, in Opp. I. 80.) 

459) Er ſchrieb: Deus omnipotens dedit mihi hodie cor animosum 
et forte; deleti sunt jam articuli duo; spero de gratia dei, 
quod plures delebuntur. Clamabant quasi omnes adversum 
me etc. Non consideravi, quod haberem in tota multitudine 


» eleri amicum, praeter Patrem et unum doctorem Polonum, 
quem nosco etc. ö 


1415 


7 Suni 


350 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 der erſten Frage, welche an dieſem Tage verhandelt wurde: 
über die Transſubſtantiation. Als Hus zu wiederholten 
Malen betheuerte, daß er es in dieſem Puncte nicht mit 
Wiklef, ſondern mit der Kirche halte, ſuchte Ailly als No— 
minaliſt ihn als Realiſten ſogar durch Folgerungen aus 
ſeinem philoſophiſchen Syſteme der Unwahrheit und ſomit 
der Ketzerei zu überführen; was ihm jedoch, nach dem 
Geſtändniß der Verſammlung ſelbſt, nicht gelang.“ Den 
Gegenſtand des heutigen Verhörs bildete überhaupt Huſ— 
ſens Verhältniß zu den vom Concilium bereits verdamm— 
ten Wiklef'ſchen Lehren, und ſein Benehmen in den ſtür— 
miſchen Scenen, welche ſeit ſechs Jahren in Prag vor— 
gefallen waren. Er geſtand, daß er mehre der 45 Artikel 
für wahr halte, daher er nicht habe für deren Verdam— 
mung ſtimmen können; auch bekannte er, Wiklef als einen 
frommen Mann geſchätzt und den Wunſch geäußert zu 
haben, daß ſeine Seele einſt ebendahin gelange, wo deſſen 
Seele ſich befinde. Als er aber mehre Zeugenausſagen 
geradezu für falſch und nur aus bitterer Feindſchaft er— 
dichtet erklärte, und ſich dagegen auf Gott und ſein Ge— 
wiſſen berief, bemerkten ihm die Cardinäle Zabarella und 
Peter von Ailly, das Concilium könne auf die Beſchaffen— 


460) Dieſe Einmiſchung einer ſcholaſtiſch-philoſophiſchen Frage im 
kirchlichen Streit durch Peter von Ailly iſt der erſte und ein— 
zige Fall dieſer Art in der Geſchichte Huſſens, den die gleich— 
zeitigen Quellen uns überliefert haben. Mladenowic ſagt dar— 
über: Multa ibi impertinentia de materia universalium im- 
miscebantur, et Anglicus ille, qui de materia prima instabat, 
dixit: »Ad quid illa impertinentia immiscentur, quae nihil fa- 
eiunt ad factum fidei? ipse (Hus) bene sentit de sacramento 
altaris, ut hie confitetur.« Darnach bemeſſe man, ob dieſer 
Schulſtreit der Nominaliſten und Realiſten einen fo großen 
Einfluß auf den ganzen Verlauf des Huſſitismus hat haben 
können, wie es in der neueſten Zeit von mehren Seiten iſt 
behauptet worden. 


bu 
. 


Huſſens zweites Verhör. 351 


heit ſeines Gewiſſens nicht eingehen, ſondern müſſe noth> 1415 


wendig nur nach den vorhandenen Ausſagen beeideter Zeu— 
gen urtheilen; auch ſcheine er im Perhorresciren dieſer Zeu— 
gen zu weit zu gehen, da er auch den Pariſer Kanzler 
Gerſon für verdächtig halte, einen Mann, der nach dem 
Urtheil der ganzen Welt über jeden Verdacht erhaben ſei. 
Nachdem viele Klagen und Antworten waren vernommen 
worden, konnte Ailly nicht unterlaſſen, es am Ende auch 
zu rügen, wie Hus bei ſeinem erſten Verhöre in eitler 
Prahlerei behauptet habe, daß, wenn er nicht freiwillig 
nach Conſtanz gekommen wäre, Niemand die Macht gehabt 
hätte, ihn dazu zu zwingen. Hus wiederholte dieſe Be— 
hauptung auch jetzt, indem er verſicherte, daß er in ſeinem 
Vaterlande viele und mächtige Gönner beſitze, die da willig 
und im Stande geweſen wären, ihn in ihren Schlöſſern 


gegen jede Gewalt zu ſchützen. Welche Vermeſſenheit! rief 


der Cardinal in ſichtbarer Entrüſtung aus; doch ſtand 
gegen ihn Herr Johann von Chlum auf, und beſtätigte 
Huſſens Worte; denn er, Chlum, ſei nur einer der ärme— 
ren Edelleute Böhmens, und doch hätte er ſich allein ge— 
traut, Hus ein Jahr lang gegen welche Macht immer zu 
ſchirmen; es gebe aber mächtige Barone in ſeinem Lande, 
die ihn auf ihren Burgen nöthigenfalls gegen die vereinten 
Heere des böhmiſchen und römiſchen Reichs zu vertheidigen 
unternommen hätten. Am Schluſſe der Sitzung nahm danu 
auch K. Sigmund noch das Wort, um ſich über ſein per— 
ſönliches Verhältniß zu Hus zu erklären. Er berichtigte 
zuerſt den Irrthum hinſichtlich des Datums in dem viel— 
verſprochenen Geleitsbriefe. Dieſen Brief und ſeinen könig— 
lichen Schutz habe er Huſſen allerdings noch vor deſſen 
Abreiſe aus Böhmen zugeſichert und ihm auch öffentliches 
Gehör zu verſchaffen verſprochen;“ ! darum habe er ihn 


461) Man vergleiche hierüber, was oben zum 1 Sept. 1414 iſt bei— 
gebracht worden. 


1415 


8 Juni 


352 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


auch dem beſonderen Schutze der Herren von Chlum und 
von Duba empfohlen, obgleich man behaupte, daß er einen 
der Ketzerei Verdächtigen in ſeinen Schutz zu nehmen nicht 
befugt geweſen. Nun ſei Hus ein ruhiges öffentliches Ge— 
hör zugeftanden und damit das königliche Verſprechen gelöſt 
worden. »Es erübrigt nur,“ fuhr der König gegen Hus 
gewendet fort, »nichts mehr, als mich den Ermahnungen 
der Cardinäle anzuſchließen, daß Du nicht auf Deinem 
Eigenſinne beſteheſt, ſondern Dich gänzlich der Gnade des 
Conciliums anvertraueſt; es wird mir, meinem Bruder 
und dem Königreiche Böhmen zu Liebe Dich gnädig auf— 
nehmen und Dir keine ſchwere Buße auferlegen. Wollteſt 
Du aber auf Deinem Eigenſinn beharren, ſo werden die 
Väter ſchon wiſſen, wie fie Dich zu behandeln haben. Ich 
habe ihnen zugeſagt, daß ich keinem Ketzer zum Schutze 


dienen werde; ja wollte Jemand hartnäckig auf ſeiner 


Ketzerei beſtehen, ſo wäre ich der Erſte, der ihn auf den 
Scheiterhaufen führte. Darum rathe ich Dir nochmals, 
ergib Dich in die Gnade des Concils, und zwar je eher, 
je beſſer, damit Du nicht in noch tiefere Schuld verfalleſt.“ 
Hus, ſichtbar angegriffen und durch die lange Anſtrengung 
bereits erſchöpft, entgegnete nur mit kurzem Danke für den 
empfangenen königlichen Schutz- und Geleitsbrief und mit 
der wiederholten vagen Betheuerung, daß er ſich gerne 


eines Beſſeren belehren laſſen wolle. Der Erzbiſchof von 


Riga führte ihn darauf in ſeinen Kerker zurück. 

Das dritte und letzte ordentliche Verhör, das am 8 Juni 
Statt fand, war auch das wichtigſte und entſcheidendſte: 
es betraf zuerſt die in den Schriften Huſſens vorkommenden 
anſtößigen Lehrſätze. Man las an dieſem Tage 26 Artikel 
vor, die aus ſeinem Tractat von der Kirche, 7 die aus 
der Streitſchrift gegen Paleè, 6 die aus der gleichen 
Schrift gegen Stanislaus von Znaim gezogen waren. Da 
dieſe Tractate insgeſammt gegen die von den katholiſchen 


uch 


Huſſens drittes Verhör. 353 


Doctoren auf der Synode vom 6 Februar 1413 geltend 1415 
gemachten Grundſätze gerichtet waren, ſo drehten ſich die 
heutigen Unterſuchungen überhaupt um das Anſehen, die Ver— 
faſſung und Auctorität der geſammten chriſtlichen Hierarchie. 
Um ſich von der Richtigkeit der gemachten Auszüge zu über— 
zeugen, las man die einzelnen Artikel in Huſſens Hand— 
ſchrift nach; wobei der Cardinal von Ailly wiederholt 
darauf aufmerkſam machte, daß dieſe Lehrſätze in ihrem 
Zuſammenhange einen noch ſchlimmeren Sinn liefern, als 
ihnen einzeln zukömmt. Huſſens Berufung auf die Aucto— 
rität des heil. Auguſtinus konnte ſeine craſſe Prädeſtina— 
tionslehre nicht ſchützen; auch konnte er ſich gegen den Vor— 
wurf nicht gehörig rechtfertigen, Beſchuldigungen gegen die 
Häupter der Kirche und den Clerus überhaupt vor unge— 
eignetem Auditorium und an ſolchen Orten erhoben zu 
haben, wo die abweſenden Beklagten ſich nicht verantwor— 
ten konnten. Eben ſo wenig konnte es ihm zur Empfeh— 
lung dienen, daß er den Papſt und die Cardinäle als nicht 
nothwendig zum Regiment der Kirche erklärte, das Anſehen 
und die Macht der Päpſte ein Geſchenk und Geſchöpf der 
Kaiſer nannte, den Fürſten eine Controlgewalt über die 
Prälaten einräumte, die Rechtsgiltigkeit mancher Kirchen— 
ſtrafen in Zweifel zog, das damals gewöhnliche Verfahren 
gegen die Ketzer als phariſäiſch bezeichnete u. dgl. m. Gro— 
ßes Aufſehen machte insbeſondere der Satz, daß ein Papſt, 
Prälat oder Prieſter, der da tödtlich ſündigt, kein Papſt, 
Prälat und Prieſter ſei. Als Hus ihn durch die Erklärung 
zu rechtfertigen ſuchte, daß er es wohl dem Amte nach 
(quoad officium), nicht aber dem Begriff und Weſen nach 
(quoad meritum) fein könne, und beiſpielweiſe hinzufügte, 
daß auch ein König da, wo er tödtlich ſündigt, kein wirk— 
licher König ſei, rief man nach König Sigmund, der ſo 
eben mit dem Pfalzgrafen und dem Nürnberger Burggrafen 


ſich zum Fenſter des Refectoriums hinaus gelehnt und mit 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 23 


354 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1414 ihnen Geſpräche über die Gefährlichkeit dieſer Lehren ange— 
knüpft hatte; Hus mußte ſeinen Satz vor dem Könige 
wiederholen, worauf dieſer nur erwiederte, daß wohl Nie— 
mand ſündlos ſei; der Cardinal Ailly aber in den Vorwurf 
ausbrach, daß Hus, nicht zufrieden, das Anfehen des Clerus 
zu kränken, auch die weltliche Macht zu untergraben geſucht 
habe. Nach beendigter Vorleſung dieſer anſtößigen Artikel 
nahm derſelbe wieder das Wort und ſprach zu Hus: er 
habe nun zweierlei Wege vor ſich, entweder ſich der Ge— 
walt und Gnade des Conciliums zu vertrauen und ſeiner 
Entſcheidung ſchlechterdings zu unterwerfen, oder wenn er 
auf ſeinen Meinungen beharre, den Rechtsweg noch weiter 
zu verfolgen; er rathe ihm wohlmeinend zu dem erſten, 
damit er durch fortgeſetzten Eigenſinn nicht eine noch ſchwe— 
rere Schuld auf ſich lade; und in gleichem Sinne ließen 
auch andere Prälaten ſich vernehmen. Hus entgegnete 
mit der Bitte um ein Gehör, damit er ſeine Meinung 
hinſichtlich der vorgeleſenen Lehrſätze deutlicher erklären 
könne; wenn, nachdem man ſeinen eigentlichen Sinn ver— 
ſtanden und ſeine Gründe angehört, dieſelben dennoch nicht 
ſtichhältig befunden werden, ſo ſei er bereit, ſich vom Con— 
cilium eines Beſſeren belehren zu laſſen. »Welche ver— 
fängliche Rede! er will nur Belehrung, keine Zurechtwei— 
fung, keinen Urtheilsſpruch!« riefen mehre Anweſende. 
Auf die Entgegnung, daß er ſich nicht nur belehren, ſon— 
dern auch zurechtweiſen laſſen und jeder Entſcheidung des 
Concils unterwerfen wolle, erklärte dann der Cardinal von 
Cambray: die von nahebei 60 Doctoren, im Auftrag des 
Conciliums, hinſichtlich ſeiner gefaßte Entſcheidung laute 
dahin, daß er erſtens ſeinen bei Behauptung jener Artikel 
begangenen Irrthum demüthig anerkenne; zweitens, daß er 
ſchwöre, dieſen Lehrſätzen für immer zu entſagen, und ſie 
nimmermehr zu behaupten oder zu verbreiten; drittens, 
daß er dieſelben öffentlich widerrufe, und viertens, daß 


Huſſens drittes Verhör. 355 


er ſich verpflichte „fortan die Gegenſätze feiner irrigen Ar- 1415 
tikel anzunehmen, zu behaupten und zu verkündigen. Hus 
bat, man möchte ihn nicht nöthigen, Lehrſätze abzuſchwören, 
die er niemals gelehrt oder für wahr gehalten habe; und 
in Betreff ſeiner eingeſtandenen Lehren erneuerte er die 
Bitte um die Erlaubniß, ſeine Anſichten umſtändlicher zu 
entwickeln, e da er ja ſonſt nicht gegen feine Überzeugung 
und ſein Gewiſſen handeln könne. Nach vielen Reden und 
Ermahnungen, in welche auch K. Sigmund ſich miſchte, 
erklärte Cardinal Zabarella: man werde ihm eine umſichtig 
und gemäßigt abgefaßte Abſchwörungsformel ſchriftlich vor— 
legen; er möge dann reiflich überlegen und ſich entſcheiden, 
was er thun wolle. Stephan Palecé lenkte hierauf die 
Aufmerkſamkeit der Verſammlung nochmals auf die Prager 
Ereigniſſe des Jahres 1412, welche wieder umſtändlich 
beſprochen wurden, und verwahrte ſich am Schluſſe der 
Sitzung öffentlich, daß er nicht aus Groll gegen Hus, 
ſondern aus bloßem Pflichtgefühl die Klagen gegen ihn 
erhoben habe; er erhielt darauf aus dem Munde des Car— 
dinals Ailly die lobende Anerkennung, daß er ſich in Allem 
gemäßigt und human benommen. Als auch Michael de 
Causis ſich der Proteſtation ſeines Freundes anſchloß, ent— 
gegnete Hus zuletzt: Gott werde zwiſchen ihm und ihnen 
ein gerechter Richter ſein. Hierauf führte der Erzbiſchof 
von Riga den Gefangenen abermals in ſeinen Kerker 
zurück. 


462) Et etiam rogo, quod solum mihi detur audientia ad tantum, 
quod possim meam intentionem declarare in certis punctis et 
articulis mihi objectis, et specialiter de papa, capitibus et 
membris ecclesiae, in quibus mecum aequivocant, quod meam 
intentionem concipiant; quia ego concedo et dico, quod papa, 
episcopi, praelati etc., si sint praesciti et in peccatis mortali- 
bus, non sunt vere tales quoad merita, nec digne coram deo 
pro tunc, sunt tamen quoad officia tales, scil. papae, episcopi, 
praelati« etc. (Rach dem Bericht Peters von Mladenowic.) 

23 * 


1415 


356 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


Nach aufgehobener Sitzung, als bereits der größte 
Theil der Verſammlung den Saal verlaſſen hatte, ereignete 
ſich darin eine ſcheinbar unbedeutende, doch leider folgen— 
reiche Scene. König Sigmund ließ ſich mit denjenigen 
Cardinälen und Prälaten, die zurückgeblieben waren und 
ihn umſtanden, in eine vertrauliche Converſation über Hus 
ein, und ſprach zu ihnen ohngefähr folgende Worte: »Ehr— 
würdige Väter! Ihr habt nun Hus gehört und ſeine Lehren 
kennen gelernt. Unter den vielen Artikeln, zu welchen er 
ſich ſelbſt bekannt hat, reicht wohl ſchon jeder einzelne hin, 
ſeine Verurtheilung zu begründen; will er daher dieſelben 
nicht abſchwören, jo verbrennet ihn oder verfahret mit ihm 
ſonſt nach Eueren Geſetzen. Doch rathe ich, daß wenn er 
auch widerrufet, Ihr ihm nicht trauet, wie auch ich ihm nicht 
trauen würde; nach Böhmen zurückgekehrt, würde er nur 
noch größeres Unheil ſtiften, als zuvor. Darum ſchicket 
die hier verdammten Artikel zu meinem Bruder, und auch 
nach Polen und in andere Länder, wo er leider zahlreiche 
Anhänger hat; und traget nicht nur ſämmtlichen Biſchöfen, 
ſondern auch den Königen und Fürſten auf, dieſe Anhänger 
zu ſtrafen, damit die Aſte zugleich mit dem Stamm aus— 
gerottet werden. Wahrlich, ich war noch jung, als dieſe 
Secte in Böhmen begann: und zu welcher Stärke iſt ſie 
nicht ſeitdem emporgewachſen 143 Ich werde nun das Con— 
cilium bald verlaffen müſſen, darum ſäumet nicht in dieſer 
Sache, und machet auch ſobald als möglich mit ſeinen 
Schülern ein Ende, namentlich mit dem, der da gefangen 
ſitzt — wie heißt er doch?« — Hieronymus!“ entgeg— 


463) Et rex iterum: »pro certo! ego adhuc eram juvenis, quando 
ista secta orta est et incepit in Boemia; et ecce, ad quan- 
tum crevit et multiplicata est.« Bedeutſam iſt dieſe Auße⸗ 
rung durch den Umſtand, daß ſchon Sigmund den Huſſitis— 
mus mit den Beſtrebungen eines Milic, Mathias von Janow 
u. a. in Verbindung ſetzte. 


K. Sigmunds Urtheil über Hus. 357 


neten die Umſtehenden; »Der wird uns keine Schwierig— 1415 
keiten bereiten; iſt nur erſt dem Meiſter ſein Recht wider— 
fahren, dann werden wir mit dem Schüler wohl in Einem 
Tage fertig werden!“ Nach dieſen Worten gingen fie ins— 
geſammt in heiterer Stimmung auseinander. So berichtet 
Peter von Mladenowic, der mit den Herren von Chlum 
und von Duba auf den König wartend, aber von ihm un— 
bemerkt dem Geſpräche gelauſcht hatte. Dieſe böhmiſchen 
Herren, welche bis dahin noch gehofft, daß Sigmund ſich 
des Hus annehmen würde, fanden ſich durch dieſen Vor— 
fall gänzlich enttäuſcht; ſie berichteten darüber nicht allein 
an Hus, der deshalb gegen Sigmund bitter wurde 6 
ſondern auch an ihre Landsleute; die in einer Ecke eines 
Barfüſſer⸗Refectoriums geſprochenen Worte hallten bald in 
ganz Böhmen nach, und koſteten dem Redner nicht viel 
weniger, als die Erbſchaft eines Königreichs. “““ 


464) Man leſe feinen 34ten Brief (Opp. I, pag. 87 sq.): Existima- 
bam, quod saperet sibi lex dei et veritas, modo concipio, quod 
non multum sibi sapiat; prius me condemnavit, quam inimici 
mei. Si saltem tenuisset modum gentilis Pilati, qui auditis 
accusationibus dixit: »Nullam causam invenio in hoc homine«; 
vel saltem dixisset: »Ecce, ego dedi ei salvum conductum; 
si ergo ipse non vult pati deeisionem concilii, ego remittam 
eum regi Bohemiae cum sententia vestra et attestationibus, ut 
ipse cum suo clero ipsum dijudicet.« Quia sic mihi intima- 
vit per Henricum Lefl, et per alios, quod vellet mihi ordinare 
sufficientem audientiam; et si me non submitterem judicio, 
quod vellet me salvum dirigere vice versa. Es ſcheint kaum 
glaublich, daß Sigmund letzteres Verſprechen geleiftet habe; 
that er es aber wirklich, ſo hätte man auf ſo unbedachte Reden 
um ſo weniger bauen ſollen, je mehr ſie nicht nur ſeine Rechte 
und Befugniſſe, ſondern auch ſeine Macht überſtiegen. 

435) Nicht das nahmen die Böhmen Sigmund übel, daß er Hus 
nicht gegen Verurtheilung und Hinrichtung als Ketzer ſchützte; 
dieſen Sinn hat ſein vielbeſprochener Geleitsbrief niemals ge— 
habt, daher auch von einem Bruch desſelben durch ihn nicht 


1415 


358 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


Bei dieſer Übereinſtimmung Sigmunds und der ver— 
ſammelten Kirchenväter hinſichtlich der Strafbarkeit des Hus, 
konnte deſſen endliche Verurtheilung weder zweifelhaft ſein, 
noch auch lange ausbleiben; er ſelbſt erwartete ſeine Hin— 
richtung faſt mit jedem kommenden Tage. Dennoch ließ 
man ihn noch volle vier Wochen lang am Leben. Ob dieſer 
Aufſchub nicht zunächſt durch neue, um dieſe Zeit zu Huſſens 
Gunſten in Conſtanz eingelaufene Briefe mit veranlaßt 
worden ſei, mögen wir nicht entſcheiden. In einer Ver— 
ſammlung der vier Nationen am 12 Juni wurde ein ſolcher 
Brief vorgeleſen, an welchem 250 Sigille böhmiſcher und 
mähriſcher Herren und Ritter hingen. Da zu dem Eindruck, 
den ihre mit Vorwürfen gemiſchten freien Worte hervor— 
brachten, bei vielen Zuhörern auch Entrüſtung ſich paarte, 
ſo unterließen es der Biſchof von Leitomysl und M. Ste— 
phan Palecé nicht, zu Beſchwichtigung der Gemüther den 
Umſtand hervorzuheben und darauf aufmerkſam zu machen, 
daß wenigſtens K. Wenzel an dieſen Demonſtrationen ſeiner 
Unterthanen keinen Theil genommen, und auch ſonſt nicht 
den geringſten Schritt zu Huſſens Gunſten gemacht habe. 
Die Thatſache war richtig; obgleich ihr Grund nicht fo ſehr 
in einem Mangel an Theilnahme, als vielmehr in den 
Launen eiferſüchtiger Politik zu ſuchen war. Die im J. 
1411 erfolgte Ausſöhnung der Könige Wenzel und Sig— 
mund hatte ſich nämlich weder vollkommen, noch auch nach— 
haltig erwieſen. Schon bei Eröffnung des Conſtanzer Con— 
ciliums fand zwiſchen ihnen kein brüderlicher Verkehr mehr 
Statt, ſie verſagten einander gegenſeitig den römiſchen 
Königstitel, und Wenzel nahm von dem Conſtanzer Con— 
cilium, das unter ſeines Bruders Einfluß ſtand, ämtlick 
eben ſo wenig Kenntniß, wie früher Sigmund von dem 

die Rede ſein konnte; das aber konnten ſie ihm nie vergeſ— 


fen, daß er, anſtatt ein Fürſprecher für Hus zu fein, die Väter 
vielmehr zu ſeiner Verdammung angeeifert hatte. 


Verbot der Communion unter beiden Geftalten. 359 


Concilium zu Piſa. Beide Könige vermieden es zwar, 1415 


den gegenſeitigen Streit und Groll, der ihnen ſo wenig 
zur Ehre gereichte, vor der Welt zur Schau zu ſtellen, 
und man machte ſich daher in Conſtanz noch immer Hoff— 
nung, daß Wenzel endlich das Beiſpiel aller Könige der 
Chriſtenheit nachahmen, und das Concilium durch Abgeord— 
nete beſchicken werde: doch konnten über den eigentlichen 
Grund ſeines zurückhaltenden Benehmens nur Unkundige 
ſich täuſchen. 

In der am 15 Juni gehaltenen dreizehnten General— 
Seſſion faßte das Concilium einen für die geſammte Ent— 
wickelung der böhmiſchen Zuſtände folgenreichen Beſchluß: 
es erließ ein förmliches Verbot gegen die von Jacobell von 
Mies wieder eingeführte Communion unter beiderlei Ge— 
ſtalten. In der darüber kundgemachten Bulle wird geſagt, 
daß, obgleich das heilige Sacrament von Chriſtus den Apo— 
ſteln insbeſondere, und dann den Gläubigen in der urſprüng— 
lichen Kirche überhaupt, unter zwei Geſtalten, des Brodes 
und des Weines, gereicht worden ſei, dennoch der hinten— 
nach von der Kirche zu Verhütung gewiſſer Gefahren und 
Anſtöße vernünftigerweiſe eingeführte und ſeit lange beob— 
achtete Gebrauch, es den Laien unter der Geſtalt des Bro— 
des allein darzureichen, als ein untadelhaftes und unab— 
änderliches Geſetz anzunehmen ſei, zumal es keinem Zwei— 
fel unterliege, daß unter der einzelnen Geſtalt ſowohl des 
Brodes als des Weines jedesmal der ganze Chriſtus ent— 
halten iſt. Der Tadel dieſes Gebrauchs und Geſetzes ſei 
daher als ein Irrthum zurückzuweiſen, und ein hartnäckiges 
Beharren in demſelben involvire eine Ketzerei, die von den 
Diöceſanen und Inquiſitoren nach den gegen die Retzer 
geltenden canoniſchen Satzungen zu richten und zu ſtrafen 
komme. Dieſe Bulle wurde, zur Belehrung der Gläubigen, 
ſogleich nach Böhmen befördert, wo ſie jedoch keine andere 
Folge hatte, als eine neue Anregung des zwiſchen den Par— 


15 Juni 


1415 


360 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


teien ſchwebenden Streits, zumal zwiſchen den zwei gelehr— 
ten Gegnern, Jacobell von Mies und Andreas von Broda— 

Während aber das Concilium in dieſem Decrete die 
altüberlieferte Auctorität und Autonomie der Kirche gel— 
tend machte, konnte Hus, gleichſam um den Gegenſatz des 
von ihm vertretenen proteſtantiſchen Princips deſto ſtärker 
hervorzuheben, ſich nicht enthalten, in Briefen, die er in 
dieſen letzten Tagen an ſeine Anhänger in Böhmen ſchrieb, 
wie dem Concilium, ſo auch der kirchlichen Überlieferung 
überhaupt, jede Auctorität in Glaubensſachen abzuſpre— 
chen.“ Daß bei ſolchen Geſinnungen er in den verſam— 
melten Kirchenvätern nicht mehr ſeine Richter, ſondern nur 
ſeine Feinde ſah, über deren Benehmen er ſich oft die bit— 
terſte Rüge erlaubte, kann uns nicht ſo ſehr Wunder neh— 
men, als der Umſtand, daß er dennoch fortfuhr, die Hoff— 
nung zu äußern, ſich mit dem Concilium zu verſtändigen, 
wenn man ihn nur erſt frei ſich ausſprechen ließe. Die 
verſammelten Väter erkannten aber beſſer die unausfüll— 
bare Kluft, die ſich zwiſchen ihnen und dem neuen Ketzer 


gebildet hatte; obgleich ſie noch am 18 und 23 Juni mit 


der Prüfung ſeiner Lehrſätze ſich beſchäftigten, und in deren 
Folge ſeine Schriften alle zum Feuer verdammten, fanden 
ſie es dennoch zweckwidrig, den Mann, deſſen unbeugſamen 
Sinn ſie bereits hinlänglich kennen gelernt hatten, noch 


466) In dem bereits oben erwähnten Briefe vom 21 Juni an Haw— 
lik ſagt er: Noli resistere sacramento calicis domini, quem 
Christus per se et per suum apestolum instituit; quia nulla 
scriptura est in oppositum, sed sola consuetudo, quae ut 
aestimo ex negligentia inolevit. Jam non debemus consuetu- 
dinem sequi, sed Christi exemplum et veritatem. Modo con- 
cilium, allegans consuetudinem, damnavit communionem cali- 
cis quoad laicos ut errorem, et qui practisaverit, nisi resi- 
piscat, tamquam haereticus puniatur. Eece malitia, Christi 


institulionem jam ut errorem damnat! etc. 


Bemühungen, Hus zum Widerruf zu ſtimmen. 361 


einmal anzuhören. Ihre Mittheilungen an ihn beſchränk— 
ten ſich fortan auf die Vorlegung einer Formel, nach wel— 
cher er ſeine irrigen Lehrſätze widerrufen und abſchwören 
ſollte. Es kann aber nicht geläugnet werden, daß das 
Concilium auch dann noch nichts unterließ, was es nach 
ſeiner Stellung nur immer thun konnte, um es nicht bis 
zum Außerſten kommen laſſen zu müſſen. Wege der Güte 
und Strenge, Überredungen und Drohungen, wurden noch— 
mals verſucht, um Hus in den Schooß der Kirche zurück— 
zuführen. Mit freundlicher Theilnahme und Beſorgniß be— 
mühte ſich insbeſondere dasjenige ungenannte Mitglied des 
Conciliums, das vor allen anderen Huſſens Vertrauen ge— 
wonnen hatte,“ ihn von feinem Wege abzuziehen und 
zum Widerruf zu ſtimmen. Auch Stephan von Palec, 
einſt ſein Jugendfreund, nun heftiger Gegner, kam in den 
Kerker, und verſuchte die alten Saiten wieder anzuſchla— 
gen; der Ernſt des Augenblicks, die Hinblicke auf die Ver— 
gangenheit und Zukunft, ſtimmten beide weich; ſie weinten 
zuſammen und leiſteten einander Abbitte, ohne hinſichtlich 
der Streitfragen zu einer Verſtändigung kommen zu kön— 
nen. Die wiederholten Deputationen des Conciliums, wel— 
chen ſich ſelbſt die vornehmſten Mitglieder, wie Ailly und 
Zabarella, anzuſchließen nicht verſchmähten, ließen am Ende 
ſie ſelbſt als den bittenden Theil Hus gegenüber erſchei— 
nen. Dieſer gab am 1 Juli ſchriftlich die Erklärung von 
ſich, daß er nicht abſchwören könne noch wolle; und am 


467) Man iſt (ſeit Luthers Zeiten) gewohnt, in dieſem Unbekann— 
ten, den Hus in ſeinen Briefen ſtets nur »den Vater“ nennt, 
den damaligen Präſidenten des Conciliums ſelbſt, Johann von 
Brogni, Cardinalbiſchof von Oſtia, zu ſehen, obgleich ſchon 
Lenfant den Ungrund dieſer Meinung nachgewieſen, und da— 
gegen viel richtiger auf einen unbekannten Ordensprälaten 
hingedeutet hat. Peter von Mladenowic gibt auch nichts Nä— 
heres über ihn an. 


1415 


362 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 5 Juli, als zum letzten Mal, außer den Abgeordneten des 


6 Juli 


Conciliums, auf K. Sigmunds Befehl auch die böhmiſchen 
Herren zu ihm kamen, und Johann von Chlum ihn bat, 
ſich ja nicht etwa durch falſche Scham von einem heilſamen 
Schritte abhalten zu laſſen, jedenfalls aber den Eingebungen 
ſeines Gewiſſens zu folgen: da wiederholte er nochmals 
feine alte Behauptung, daß er nur in dem Falle wider- 
rufen werde, wenn man ihn aus der Schrift eines Beſ— 
ſeren belehre. ““ Wollte das Concilium ihm nicht Recht 
geben und ſich am Ende von ihm noch meiſtern laſſen, ſo 
mußte es endlich, den hergebrachten Kirchengeſetzen gemäß, 
zu ſeiner Verurtheilung ſchreiten. 

Sonnabend den 6 Juli hielt das Concilium in der 
Kathedralkirche zu Conſtanz feine fünfzehnte General-Sef- 
ſion, eine der feierlichſten und wichtigſten. Auf dem Throne 
ſitzend, von den Zeichen ſeiner Majeſtät umgeben, wohnte 
auch K. Sigmund ihr bei; an ſeiner Seite hielten Pfalz— 
graf Ludwig den Reichsapfel, der Nürnberger Burggraf 
Friedrich den Scepter, Herzog Heinrich von Bayern die 
Krone, ein ungriſcher Magnat das Schwert. Die Cardi— 
näle und Prälaten waren unter dem Vorſitze des Cardi— 


468) Seine Worte ſind, nach dem eigentlichen Bericht des Mlade— 
nowic: Ipse M. Joh. Hus flens respondit humiliter: »Domine 
Johannes! seitote, quod si scirem me aliqua contra legem et 
contra sanctam matrem ecclesiam scripsisse vel praedicasse, 
quod sint erronea, vellem ea humiliter revocare, deus mihi 
testis est; sed semper desidero, quod ostendant mihi seriptu- 
ras meliores et probabiliores, quam sint ea, quae seripsi et 
docui; et si ostensae mihi fuerint, volo paratissime revocare. 
Ad quae dieta unus assistens episcoporum M. Johanni respon- 
dit: numquid tu vis esse sapientior toto concilio? At ma- 
gister dixit illi: »Ego nolo esse sapientior toto concilio, sed 
rogo, date mihi minimum de concilio, qui melioribus seriptu- 
ris et efficacioribus me informet, et paratus sum conlinuo 


revocare.« 


Huſſens Verurtheilung. 363 


nals von Brogni vollſtändig verſammelt. Inmitten der 1415 
Kirche erhob ſich ein kleines Gerüſt, und darauf ein mit 
dem Meßornat umhängter Holzſtock. Während der vom 
Erzbiſchof von Gneſen geleſenen feierlichen Meſſe mußte 
Hus, von Bewaffneten umgeben, an der Kirchenthüre ſtehen 
bleiben; erſt als der Biſchof von Lodi über die Worte 
des Apoſtels Paulus, »daß der fündhafte Leib zerſtört 
werder, eine Predigt hielt, wurde der Gefangene einge— 
führt, der vor dem Gerüſte auf den Knieen im Gebete 
lag, während der Prediger die Verſammlung und den 
König insbeſondere, an ihre Pflicht mahnte, jedwede Ketze— 
rei aus dem Schooße der chriſtlichen Kirche auszurotten. 
Bei Beginn der Verhandlungen wurde im Namen des 
Conciliums das Verbot verkündigt, daß bei Strafe der 
Excommunication und zweimonatlicher Einſperrung Nie— 
mand, wes Standes und Ranges er auch ſei, die Verhand— 
lungen durch Zwiſchenrede, Widerſpruch, Beifalls- oder Miß— 
fallsäußerungen ſtören oder unterbrechen dürfe. Dann wur— 
den zuerſt einige der 260 irrigen Lehrſätze vorgeleſen, welche 
die Univerſität von Oxford aus den Schriften Wiklefs 
ausgezogen hatte, und nachträglich noch vom Concilium 
verdammt. Hierauf kam Huſſens Sache an die Reihe. 
Der päpſtliche Auditor Berthold von Wildungen las zuerſt 
30 aus ſeinen Schriften gezogene Artikel, dann die durch 
Zeugenausſagen unterſtützten Klagen und den ganzen Ver— 
lauf des gegen ihn geführten Proceſſes vor. Hus wollte 
gleich Anfangs Einſprache thun und ſich rechtfertigen, dieß 
wurde ihm aber nicht mehr geſtattet; da er dennoch zu 
reden verſuchte, ſo befahl Cardinal Zabarella den Wachen, 
ihn zum Schweigen zu bringen. Er fiel nun auf die Knie, 
und ſchien gen Himmel blickend, eine Zeit lang ſtill zu 
beten. Als aber nicht nur ſolche Klageſätze wieder vor— 
gebracht wurden, die er längſt widerlegt zu haben glaubte, 
ſondern auch neue, vorhin unerhörte Beſchuldigungen, wie 


1415 


364 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


3. B. daß er ſich ſelbſt für die vierte Perſon in der heil. 
Dreifaltigkeit ausgegeben habe,“ da ließ er ſich nicht ab— 
halten, neuerdings laut und zum Theil bitter zu wider— 
ſprechen. Auch wiederholte er die ſchon oft gemachte Be— 
merkung, daß er ja, im Vertrauen auf das ihm vom rö— 
miſchen Könige angetragene ſichere Geleit, freiwillig zum 
Concilium gekommen ſei, um da ſeine Unſchuld zu bewei— 
ſen. Eine Röthe überflog Sigmunds Wangen, als Hus 
bei dieſen Worten feine Augen auf ihn heftete.““ Der 
Biſchof von Concordia las dann das Verdammungsurtheil, 
zuerſt über die Bücher und Lehrſätze Huſſens, dann über 
ihn ſelbſt vor; jene wurden zum Feuer verurtheilt, er aber 
für einen offenbaren hartnäckigen Ketzer erklärt, der irrige, 
anſtößige und aufrühreriſche Lehren gepredigt, viel Volk 
verführt, das Anſehen des apoſtoliſchen Stuhls und der 
Kirche gehöhnt, und ſich als unverbeſſerlich erwieſen; darum 
ſei er des Prieſterthums zu entſetzen, aller empfangenen 
Weihen zu berauben und dem weltlichen Arm zu über— 
geben, da die Kirche nichts mehr mit ihm zu thun habe. 


469) In den gedruckten Concilienacten G. B. Pariſer Ausgabe von 
1714, Bd. VIII, S. 416, bei V. d. Hardt IV, 418) iſt dieſer 
Artikel fo formulirt: »quod M. Joh. Hus concessit istam (pro- 
positionem), quod Joh. Hus esset persona in divinis, et quod 
plures essent personae in divinis, quam tres; (probatur) simi- 
liter per unum doctorem in theologia, fore verum, ex com- 
muni voce et fama; per unum abbatem ex communi fama; per 
unum vicarium cujusdam ecclesiae Pragensis, qui dicit, se au- 
divisse ab ore ipsius Joh. Hus, prout articulatur« etc. 

470) Die Nachricht von Sigmunds Erröthen gibt Mladenowie nicht 
in feinem großen lateinifchen, ſondern nur im kurzen böhmi— 
ſchen Bericht, deſſen Überſetzung in Opp. Hussi tom. II, 515 
— 520 zu leſen iſt. Durch Überlieferung kannte ſie auch Kai— 
ſer Karl V, der, als er auf dem Reichstag zu Worms auf— 
gefordert wurde, ſeinem Geleitsbrief entgegen, Luther gefangen 
zu nehmen, geantwortet haben ſoll: »ich will nicht, gleich mei— 
nem Vorgänger Sigmund, erröthen.“ 


Huſſens Verurtheilung. 365 


Der Erzbifchof von Mailand wurde mit ſechs ande— 
ren Biſchöfen beordert, die Degradirung Huſſens auf der 
Stelle vorzunehmen. Man ließ auf dem in der Mitte 
ſtehenden Gerüſt ihn vollſtändig als Meßprieſter anziehen, 
gab ihm einen Kelch in die Hand, und forderte ihn noch— 
mals auf, ſeine Irrlehren zu widerrufen. Da erklärte er 
neuerdings unter Thränen an die Umſtehenden, daß er 
aus Furcht, ſein Gewiſſen zu kränken, als Lügner vor 
Gott zu erſcheinen und ſeinen Anhängern Argerniß zu 
geben, ſeine Lehren und Schriften nicht abſchwören noch 
widerrufen könne. Die Biſchöfe ſchritten daher zu ſeiner 
Degradation, indem ſie zuerſt den Kelch, dann alle Prieſter— 
kleider nacheinander, unter den in ſolchen Fällen üblichen 
furchtbaren Verwünſchungen, ihm abnahmen. Zuletzt wurde 
ihm auch die Prieſtertonſur zerſtört. Nach Beendigung dieſer 
peinlichen Ceremonie ſetzte man ihm eine ellenhohe pyramidale 
Papiermütze auf den Kopf, worauf drei an einer Sünder— 
ſeele zerrende Teufel abgebildet waren, mit der Inſchrift: 
»hic est haeresiarcha« ; und die Biſchöfe ſprachen folgende 
letzten Worte über ihn: »Die Kirche hat nun nichts mehr 
mit Dir zu ſchaffen, ſie übergibt deinen Leib dem weltlichen 
Arm, deine Seele dem Teufel!« Hus ließ es nicht an 
Gegenreden fehlen, in welchen er ſeine Bereitwilligkeit er— 
klärte, das Marterthum nach dem Beiſpiele Chriſti und der 
Apoſtel, wie er behauptete, zu beſtehen. Auf K. Sig— 
munds Befehl legte nunmehr Pfalzgraf Ludwig die Reichs— 
inſignien ab, nahm den Gefangenen in ſeine Gewalt und 
überlieferte ihn dem Conſtanzer Stadtmagiſtrate mit den 
Worten: »Nehmet hin den Johann Hus, der nach des 
Königs, unſers allergnädigſten Herrn, Urtheil und unſerm 
eigenen Befehl als ein Ketzer verbrannt werden ſoll.“ 

Unmittelbar darauf folgte die Vollziehung des Ur— 
theils. Während das Concilium ſeine Sitzung fortſetzte, 
führte man, nach des Pfalzgrafen Befehle, Hus aus der 


1415 


366 VI Buch, s Capitel, K. Wenzel IV. 


1415 Kirche und der Stadt hinaus auf die Richtſtätte; eine 
Schaar von etwa tauſend Bewaffneten geleitete ihn, unter 
ungeheurem Zuſtrömen ſchauluſtigen Volkes. Er lächelte, 
als er beim Austritt aus der Kirche, auf deren Hofe ſeine 
Bücher im Feuer auflodern ſah; dann ging er feſten Schrit— 
tes, ohne Zeichen von Furcht oder Reue, ſingend und be— 
tend, dem Tode entgegen. Wegen des unmäßigen Volks— 
andrangs bewegte ſich der Zug nur langſam, und mußte 
einige Male anhalten; in ſolchen Augenblicken verſuchte Hus, 
ſich über ſeine Sache an die Umſtehenden zu erklären. 
Endlich auf dem Richtplatze vor dem für ihn bereiteten 
Scheiterhaufen angelangt, ſchien er an Geiſt noch heiterer 
zu werden. Er warf ſich vor dem Pfahl, an den er an— 
gebunden werden ſollte, auf die Kniee und betete laut; da 
fiel die papierene Teufelsmütze von ſeinem Haupte, bei 
deren Anblick er lächelte. Einige Umſtehenden erinnerten, 
ob er nicht noch beichten wolle? was er zwar bejahte, 
aber, als der herbeigetretene Prieſter den Widerruf ſeiner 
Lehren als Bedingung der Abſolution aufſtellte, wieder 
zurückwies. Er machte dann abermals einen Verſuch, das 
Volk anzureden, was jedoch der anweſende Pfalzgraf hin— 
derte, indem er ihn ſofort an den Pfahl zu binden befahl; 
nur das wurde ihm noch geſtattet, daß er ſeinen Kerker— 
wächtern für ihr ſchonendes Benehmen gegen ihn dankte 
und von ihnen Abſchied nahm. Hierauf entkleideten ihn!“! 


471) Reichenthal beſchreibt ſeinen damaligen Anzug mit Folgendem: 
Er hatte zwei gut ſchwarz Röck an, von gutem Tuch, und ein 
Gürtel was ein klein Beſchlag von vergültem Silber, und in 
einer Scheide zwei gute Beimeſſer und ein ledern Seckel, da 
wohl Pfennig in mochten ſeyn. Und hätte eine hohe weiße 
Infel auf feinem Haupt, die was von Papier gemacht« ꝛc. 
Nach dem damaligen Gebrauch fiel das, was ein Delinquent 
bei ſeiner Hinrichtung Brauchbares an ſich trug, dem Nach— 
richter als Eigenthum zu. 


| Huſſens Himichtung. 367 


die Nachrichter, und banden ihn mit Stricken und Ketten 1415 
an den Pfahl; da er aber mit dem Geſichte gegen Sonnen— 
aufgang gekehrt war, und einige Zuſchauer das bei einem 
Ketzer unſchicklich fanden, ſo wendete man ihn gegen Sonnen— 
untergang um. Zwei Fuhren Holz wurden, mit Stroh 
untermiſcht, in der Art um ihn aufgeſchichtet, daß ſie ihn 
bis an den Hals bedeckten. Im letzten Augenblicke kam, 
vom Könige geſendet, der Reichsmarſchall Haupt von 
Pappenheim herbei, und forderte, im Beiſein des Pfalz— 
grafen Ludwig, Hus nochmals auf, durch Widerruf ſein 
Leben und ſeine Seele zu retten. Dieſer antwortete, er 
fühle ſich in ſeinem Gewiſſen unſchuldig und ſterbe nun 
mit Freuden für die von ihm erkannte und verkündigte 
Wahrheit. Da ſchlugen beide Herren die Hände zuſam— 
men und entfernten ſich, der Nachrichter aber zündete den 
Holzſtoß an. Der ſchauerliche Todeskampf dauerte nicht 
lange; Hymnen ſingend und gen Himmel ſchauend, war 
der Sterbende bald von auflodernden Flammen umrungen; 
ein Windſtoß ſchlug ihm dieſelben ins Geſicht, daß er bin— 
nen wenigen Augenblicken lautlos erſtickte.“? 


472) Welchen Grund die bekannte Sage habe, welche ein altes 
Mütterchen unmittelbar vor Anzündung des Scheiterhaufens 
noch eifrig Holz herbeitragen und Hus bei ihrem Anblick 
vo heilige Einfalt!“ ausrufen läßt, — wiſſen wir nicht; es 
erſcheint wenig glaubwürdig, daß ein ſchwaches Weib im Stande 
geweſen wäre, durch das dichte Gedränge der unzähligen Zu— 
ſchauer mit ihrer Bürde durchzudringen. Entſchieden falſch iſt 
aber die Anecdote von der angeblichen Proteſtation Kaspar 
Schlicks, als kaiſerlichen Kanzlers, — was er damals noch gar 
nicht geweſen; und eben ſo wenig Grund hat die Sage von 
der Prophezeihung, daß in hundert Jahren ein Schwan kom— 
men werde (Luther), den man nicht ſo, wie jetzt die Gans 
(Hus), werde verbrennen können. Dagegen iſt es allerdings 
richtig, daß Hus bei mehren Gelegenheiten die Ahnung aus— 
ſprach, es würden nach ihm Männer kommen, die das von 


1415 


368 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV. 


Als der Pfalzgraf Huſſens Kleider in den Händen 
eines Nachrichters erblickte, befahl er ihm, dieſelben gleich— 
falls in den noch brennenden Holzſtoß hineinzuwerfen, indem 
er ihm dafür eine Entſchädigung zu geben verſprach. Aber 
auch ſämmtliche zurückgebliebene Aſche mußte auf der Richt— 
ſtätte fleißig aufgeleſen und in den nahen Rhein ausge— 
ſchüttet werden, damit von dem Todten nicht etwas übrig 
bleibe, was ſeine Anhänger ſammeln, nach Böhmen tragen 
und dort als Reliquie eines Märtyrers zur Verehrung 
ausſtellen könnten. 


ihm begonnene Werk vollſtändiger durchführen würden. Man 
vergleiche ſeinen Brief N. 44, S. 90 mit den Worten im 
Briefe VI, S. 121: anser, animal cicur, avis domestica, su- 


premo volatu suo non perlingens etc. 


Sechstes Capitel. 
König Wenzels letzte Regierungsperiode. 


Sonderung der kirchlichen Parteien in Böhmen und K. Wen— 
zels ſchwankende Haltung dabei. Großer Landtag in Prag 
und deſſen drohender Brief an das Concilium. Huſſitiſcher 
und katholiſcher Herrenbund. Das lange Interdict von 
Prag. Des M. Hieronymus von Prag Widerruf und 
Rückfall, letzte Verhöre und Hinrichtung in Conſtanz. Fol— 
gen davon in Böhmen. Weitere ſtrenge Maßregeln des 
Concils. Der Huſſiten beginnende Spaltung in Calixtiner 
und Taboriten. Die Prager Univerſität und die utraqui— 
ſtiſche Communion. Papſt Martin V und die Kirchen— 
reform. Schluß des Concils von Conſtanz. K. Wenzels 
zweideutiges Benehmen. Er entſcheidet ſich endlich gegen 
die Huſſiten. Beginn innerer Unruhen. Die Volksführer 
Nicolaus von Piſtna und Johann Zizka von Trocnow. 
Volksverſammlungen am Taborberge. Fenſterſturz der Neu— 
ſtädter Rathsherren. K. Wenzel ſtirbt. Schlußbemerkungen. 


(Jahr 1415 — 1419.) 


Groß, allgemein und langanhaltend war der Ein— 
druck, den die Nachricht von Huſſens Verbrennung in Con— 
ſtanz auf das Volk von Böhmen und Mähren machte; 
alle Stände und Parteien, jedes Alter und Geſchlecht fühl— 
ten ſich davon wie von einem entſcheidenden Schlag ge— 
troffen. In dem Streit, welcher ſeit zwölf Jahren in 
immer ſteigendem Maße die Gemüther aufregte, welcher 


die höchſten Intereſſen des Menſchen, Religion und Ge— 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 24 


1415 


370 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 wiſſen, Wahrheit und Sitte, Freiheit und Geſetz betraf, 
und bei welchem ſelbſt die Ehre der Nation betheiligt 
ſchien, hatte nach ſo vielen vergeblichen Verhandlungen und 
Eutſcheidungen endlich der letzte Richter, die oberſte Auc— 
torität auf Erden, ihr feierliches unwiderrufliches Urtheil 
geſprochen; die in ſeltener Vollzahl verſammelte Kirche 
hatte die neuen Beſtrebungen der böhmiſchen Reformato— 
ren entſchieden verworfen und verdammt, fie für irrig, an— 
ſtößig, aufrühreriſch und ketzeriſch erklärt. Nun durfte es 
in der übrigen Chriſtenheit keinen Zweifel, kein Schwanken 
mehr geben; man mußte entweder unbedingt dem Urtheil 
ſich fügen, oder in offene Oppoſition gegen die Kirche und 
deren geſammte Auctorität ſich ſetzen. Auch war wirklich 
eine ſcharfe Abſonderung der Parteien in Böhmen, Katho— 
liken und Huſſiten, gleichſam in zwei feindliche Lager, die 
nächſte Folge des großen Auto da fe zu Conſtanz. Nur 
ſehr klein war die Zahl derjenigen Perſonen, welche, ohne 
die Competenz des Richters zu beſtreiten, deſſen Benehmen 
nur in dieſem einen Falle mißbilligten, indem ſie ihn durch 
falſche Zeugniſſe irregeleitet ſich vorſtellten; und auch dieſe 
ſahen ſich in kurzer Zeit alle genöthigt, ihre vermittelnde 
Stellung zu verlaſſen und ſich der einen oder der anderen 
Partei gänzlich anzuſchließen. 

Unruhige Bewegungen, das Vorſpiel der DEREN die 
da kommen ſollten, brachen in ganz Böhmen und Mähren 
aus, ſobald jene Nachricht im Volke ſich verbreitete; ſie 
richteten ſich zunächſt gegen den Clerus und die Mönche, 
welchen man Huſſens Hinrichtung und die vermeintlich 
darin enthaltene Ehrenkränkung der Nation Schuld gab. 
In Prag insbeſondere entſtanden arge Tumulte, in wel— 
chen die Wohnungen derjenigen Pfarrer, die als Huſſens 
Feinde vorzugsweiſe bekannt waren, geplündert und zum 
Theil ganz zerſtört wurden; viele Geiſtliche, die nicht zeit— 
lich ſich geflüchtet hatten, erlitten perſönliche Mißhand— 


Kirchliche Parteiung in Böhmen, 371 


lungen, einige ſollen gar umgebracht und in die Moldau 
geworfen worden fein; ““ der erzbiſchöfliche Hof auf der 
Kleinſeite wurde förmlich belagert, und nur mit Mühe ge— 
lang es dem Erzbiſchof, ſich zu retten. Nicht beſſer erging 
es dem Clerus auf dem Lande, wo huſſitiſch geſinnte Pa— 
trone ihre katholiſchen Pfarrer zu verjagen und ihre Be— 
neficien huſſitiſchen Geiſtlichen einzuräumen anfingen. Die 
größte Erbitterung wendete ſich aber gegen den Biſchof 
von Leitomysl, der in Conſtanz den Proceß gegen Hus 
von Seite des böhmiſchen und mähriſchen Clerus eigentlich 
geleitet hatte; ſeine Güterverwalter in Böhmen erhielten 
in ſeiner Abweſenheit eine Menge Abſagebriefe von böh— 
miſchen Herren und Rittern, die da nicht zögerten, mit be— 


473) Theodor. de Niem ap. d. Hardt, II, p. 410: Audientes 
hoc alii haeretici in civitate Pragensi, — ut apud nos fama 
est, — illico insimul irruentes, domos quamplures catholico- 
rum presbyterorum Pragae et opinionibus eorum contrariorum 
impetuose destruxerunt, ipsorum aliquos gladio peremerunt, 
et quosdam in flumen Muldae, quod penetrat Pragam, sub- 
merserunt, domum archiepiscopi Pragensis circumvallarunt; 
tamen dictus archiepiscopus manus eorum, sed vix, evasit. 
Niem fchrieb dieſes noch vor dem 10 Sept. 1415. Da von 
einer fo bedeutenden Thatſache, wie der Mord mehrer Geiſt— 
lichen bei dieſer Gelegenheit, in allen übrigen Quellen, ſogar 
auch in den Verhandlungen über das Prager Interdict vom 
J. 1415, keine Rede iſt, ſo müſſen wir die Nachricht hievon 
auf ſich beruhen laſſen. Unwahrſcheinlich iſt ſie aber dennoch 
nicht, wenn man die hochgeſtiegene gegenſeitige Erbitterung 
der Parteien erwägt, der zu Folge z. B. die Olmützer ſchon 
am 29 Juni 1415 einen Prager Studenten, der in ihre Stadt 
gekommen, als Ketzer verbrannten. Johannes olim universi- 
tatis nostrae studii, — in civitate eorum (Olomue.) cum socio 
suo captus, in spatio quasi unius mediae diei naturalis tortus, 
judicatus et ignis voragini traditus est combustus tamquam 
haereticus, — fo Flagte die Prager Univerfität in einem am 

8 Juli 1415 an den Landeshauptmann Lacek von Krawar ge: 
richteten Briefe. 
24 * 


1415 


372 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 waffneter Macht ſich in ſein Beſitzthum zu theilen und ihn 
vorläufig aller Sorgen um die Verwaltung ſeiner irdiſchen 
Güter zu überheben. König Wenzel, der allem ſolchen 
Unfug eigentlich hätte ſteuern ſollen, erwies ſich gerade in 
dieſem Falle wieder ſo unſchlüſſig und charakterlos, wie 
ſonſt überhaupt. Er ſtellte ſich über Huſſens Ausgang in 
Conſtanz perſönlich entrüſtet, und ließ es an lauten Auße— 
rungen ſeines Unmuths darüber nicht fehlen; der Grund 
lag aber bei ihm nicht ſo ſehr in der Theilnahme am 
Schickſal jenes Mannes, der ihm in ſeinem Leben ohnehin 
viel Ungemach bereitet hatte, als vielmehr in dem Groll 
gegen ſeinen Bruder K. Sigmund; Wenzel fand eine Ge— 
nugthuung darin, daß er dieſen Bruder eines an Hus be— 
gangenen Wortbruchs beſchuldigen konnte. Darum ſah er 
auch Huſſens ehemaligen Freund und Sachwalter, M. Jo— 
hann von Jeſenic, der das Unrechtmäßige in dem gegen 
Hus beobachteten Proceßverfahren darzuthun ſich bemühte, 
nicht ungern an ſeinem Hofe. Es iſt nur einem Reſte von 
Schicklichkeitsgefühl und von Pietät gegen das verklärte 
Andenken ſeines Vaters zuzuſchreiben, daß Wenzel, der 
ſich noch immer als den wahren römiſchen König anſah, 
bei dieſer Gelegenheit nicht ſogar offen gegen jene Kirche, 
deren oberſter Schirmherr er zu ſein vorgab, ſich erklärte. 
Die Königin Sophie aber kränkte ſich aufrichtig über das 
Schickſal ihres ehemaligen Beichtvaters; ſie hielt ſich voll— 
kommen überzeugt von ſeiner Unſchuld, nahm offen Partei 
für ihn und wurde die mächtigſte Stütze ſeiner Anhänger 
bei ihrem Gemahl, ſo wenig ſie auch ſonſt gewohnt war, 
ſich in die öffentlichen Geſchäfte zu miſchen. Ihr zur Seite 
ſtanden gleichgeſinnte Frauen des höheren Adels in Böh— 
men, wie die Witwe einſt Heinrichs von Roſenberg, Eliſa— 
beth von Krawar; die Gemahlin des kön, oberſten Münz— 
meiſters Peter Zmrzlik von Swojsin auf Worlik, Anna 
von Frimburg, eine Frau von aufſtrebendem Geiſte, die 


Großer Landtag in Prag. 373 


auf K. Wenzel viel Einfluß ausgeübt haben fol; 7* dann 1415 
Anna von Mochow Mutter des jungen Herrn von Kult, 
und andere mehr. 

Es kam vorzüglich auf die Geſinnung und das Be— 
nehmen der an der Spitze der Landesregierung ſtehenden 
Perſonen an, ob und wie die öffentliche Ruhe in Böhmen 
und Mähren bewahrt werden ſollte. Die wichtigſten Amter 
aber befanden ſich damals in den Händen erklärter Huſ— 
ſiten; insbeſondere gingen die eigentlichen Häupter der Re— 
gierung, der oberſte Burggraf in Böhmen, Ceneék von 
Wartenberg, und der königliche Landeshauptmann in Mäh— 
ren, Lacek von Krawar, im Eifer für den Huſſitismus 
ihren Landsleuten voran. Sie verſtändigten ſich unter 
einander und verabredeten gemeinſchaftliche Maßregeln, 
um das Volk von weiteren Ausſchweifungen der Selbſt— 
hilfe zurückzuhalten und ſeinen Gefühlen, Anſichten und 
Wüuſchen einen geſetzlichen Ausdruck zu verſchaffen. Ein 
großer Landtag war auf den Anfang Septembers 1415 
nach Prag zuſammenberufen, und nicht allein von böh— 
miſchen, ſondern auch von mähriſchen Ständen ungewöhn— 
lich zahlreich beſucht. Wir müſſen uns begnügen, nur ei— 
nige der vornehmſten Männer, die ihm beiwohnten, hier 
anzuführen. Es waren a) aus Böhmen, außer dem be— 
reits genannten Oberſtburggrafen, der zugleich die Vor— 
mundſchaft über das Haus von Roſenberg führte, die Her— 
ren Hanus von Lipa, Oberſtlandmarſchall des Königreichs, 
Bocek der ältere und der jüngere von Kunſtat auf Po— 


474) In einer gleichzeitigen Handſchrift finden wir eine undatirte, 
jedoch aus dieſen Jahren herrührende »Litera regi seripta, ut 
adhaereat senum consilio, non Mrzlikonissae.« Ahnliche Be— 
ſchwerden, nur noch heftigerer Art, werden in einem Gedichte 
auch über die Frau von Mochow, »saevissima Jesabel«, ge: 
führt. Die Verfaſſer beider Aufſätze zeigen eine ſtark aus: 
geſprochene antihuſſitiſche Geſinnung. 


374 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV. . 


1415 debrad, Johann der ältere und Ulrich von Neuhaus, Wil— 


2 Sept. 


helm, Zdislaw, Wenzel und Peter von Zwiretie, Heinrich 
und Stephan von Wartenberg, Heinrich Skopek von Duba, 
Mikes, Bawor und Wilhelm von Potenſtein, Pota von 
Caſtolowic, Hynek Krusina von Lichtenburg, Smil von 
Sternberg, Wok, Nicolaus und Heinrich von Waldſtein, 
Johann und Zdenek von Rozmital und viele andere; b) aus 
Mähren, außer dem Landeshauptmann, die Herren Peter 
und Milota von Krawar, Ales, Johann Puska und Er— 
hart der jüngere von Kunſtat, Heinrich von Lipa, Johann 
von Lomnic, Wilhelm von Pernſtein, Jaroslaw von Stern— 
berg, Wanek und Johann Ozor von Boskowie, Johann 
von Lichtenburg und Vöttau, Dobes von Cimburg u. a. m. 

Schon am 2 Sept. 1415 einigte ſich die Verſamm— 
lung über Inhalt und Form eines Schreibens voll Vor— 
würfe und Drohungen, welche man an das Concilium 
zu richten beſchloſſen hatte. Gleich im Eingange brachten 
die Herren und Ritter den Vätern zu Conſtanz, anſtatt 
des üblichen Grußes, nur den Wunſch ihres Eifers zum 
Guten und ihres Feſthaltens an den Geboten Chriſti dar. 
Dann fuhren ſie fort: »Aus reiner, von Gott befohlener 
eächſtenliebe haben wir Euch, ehrwürdige Väter, fo wie 
dem allerdurchlauchtigſten Könige Sigmund, unſerm fünf 
tigen Herrn, mehre Briefe über unſern geliebten Prediger 
und Lehrer M. Johann Hus zugeſendet, welche auch in 
Eurer Verſammlung vorgeleſen worden ſind: Ihr aber 
habt, wie wir hören, dieſe Briefe ins Feuer werfen laſſen, 
und den ehrwürdigen Magiſter, ohne daß er eines Irr— 
thums überführt worden, blos auf boshafte Angaben ſeiner 
und unſerer Feinde und Verräther, verdammt und auf die 
grauſamſte Weiſe ums Leben gebracht, alles zu unſerer, 
des Königreichs Böhmen und Markgrafthums Mähren, 
ewigen Kränkung und Schmach. Außerdem habt Ihr den 
achtungswerthen M. Hieronymus von Prag, einen Mann 


Drohender Brief an das Concilium. 375 


von lieblicher Beredſamkeit und ausgezeichneten Philo— 
ſophen, ohne ihn vorher geſehen und gehört zu haben, 
auf Antrieb einiger Verläumder fangen und unbarmherzig 
feſſeln, ja vielleicht auch ſchon, wie Hus, grauſam um— 
bringen laſſen. Endlich hören wir zu unſerm größten 
Schmerz, und entnehmen es auch aus Euren Briefen, wie 
wir und unſer allerchriſtlichſtes Königreich und Markgraf— 
thum auf dem Concilium beſchuldiget werden, daß unter 
uns verſchiedene ſchwere Irrthümer aufkeimten und die Herzen 
vieler Gläubigen in dem Maße gefährdeten, daß ihnen 
ein ſchnelles Heilmittel Noth thue. Wie können wir ſo 
entſetzliche Beleidigungen ertragen? da es doch weltbekannt 
iſt, und Ihr es auch ſelbſt zugeben müſſet, daß unſer Land 
und Volk, von der Zeit ſeiner Bekehrung zum Chriſten— 
thume an, inmitten aller Stürme und Zerwürfniſſe, in 
welche die meiſten Reiche auf Erden durch kirchliche Schis— 
men und Gegenpäpſte geriethen, feſt und unbeweglich bei 
der heiligen römiſchen Kirche beharrte, und immer bereit 
war, zu ihrer Verherrlichung die größten Opfer darzu— 
bringen. Um daher unſere Ehre und unſer Gewiſſen zu 
wahren, erklären wir hiemit vor Euch und vor aller Welt, 
daͤß M. Johann Hus allerdings ein Mann von reinen 
Sitten und unbeſcholtenem Rufe geweſen, der die Gebote 
des Evangeliums nach den Satzungen der heiligen Väter 
und der Kirche lehrte, alle Irrthümer und Ketzereien ver— 
abſcheute, und uns und alle Gläubigen zum Frieden und 
zur Nächſtenliebe ſowohl mit Wort, Schrift und That eifrig 
ermahnte, als auch durch ſeinen ſtillen und erbaulichen 
Lebenswandel ſelbſt anleitete. Wir erklären ferner, daß 
wer immer behauptet, es gebe Ketzereien in Böhmen, gleich— 
viel welchem Stande er angehöre und welchen Rang er 
begleite, — mit einziger Ausnahme des römiſchen Königs, 
unſeres künftigen Herrn, dem wir es zutrauen, daß er ſich 
in dieſer Hinſicht keine Schuld zukommen laſſen werde, — 


1415 


1415 


5 Sept. 


376 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


daß er ein Lügner, ein Verräther und Feind unſeres Lan— 
des und Volks, ja ſelbſt ein arger Ketzer und ein Sohn 
des Teufels iſt, des Vaters der Lüge. Doch wollen wir 
dieſe Kränkungen für jetzt Gottes gerechter Vergeltung an— 
heimſtellen, und unſere Klagen darüber erſt bei dem künf— 
tigen einigen Papſt, den der Herr ſeiner Kirche verleihen 
wird, anbringen, dem wir auch wie getreue Söhne, ſo 
Gott will, in Allem, was gerecht und gut, der Vernunft 
und dem Geſetze Gottes gemäß iſt, gehorchen werden; un— 
beſchadet jedoch dem, daß wir die Gebote Chriſti und deren 
fromme, beſcheidene und ftandhafte Prediger, jedenfalls, 
mit Hintanſetzung aller Furcht und Verachtung, aller menſch— 
lichen Satzungen, bis zu Vergießung des eigenen Blutes 
zu vertheidigen und zu ſchirmen gedenken. «* 

Drei Tage ſpäter, am 5 September, traten dieſelben 
böhmiſchen und mähriſchen Herren, in Form eines Land— 
tagsſchluſſes, in einen Bund, durch welchen ſie ſich ver— 
pflichteten, nach dem Gutachten der drei gewählten Häup— 
ter, Cenek von Wartenberg, Lacek von Krawar und Bocek 
des älteren von Podebrad, “é in allem gemeinſchaftlich zu 
handeln, auf allen ihren Gütern und Beſitzungen die Frei— 
heit des Predigens zu ſchirmen, der ordentlichen biſchöf— 
lichen Gewalt nur da Folge zu leiſten, wo ſie der heiligen 
Schrift gemäß verfährt, ſonſt aber ſich an die Ausſprüche 
der Prager Univerſität zu halten, ungerechten Bannſprüchen 
ſich zu widerſetzen, ſie mögen von welcher weltlichen Ge— 
walt immer unterſtützt werden, und dergleichen mehr. Die 
Dauer dieſes Bundes wurde vorläufig auf ſechs Jahre 


475) Gedruckt, in lateinifcher Sprache, bei V. d. Hardt IV, 495 8. 
Vgl. ibid. p. 829. Opp. Hus I, 98 sq. Böhmiſch im Archiv 
Cesky III, 187. 

476) Großvater des nachmaligen Königs Georg von Böhmen. 


Huſſitiſcher Herrenbund. 377 


beſtimmt.“ Durch ihn wurde alſo, den Grundſätzen der 1415 
katholiſchen Kirche zuwider, die Prager Univerſität zum 
erſten Mal als oberſter Richter in allen Religions- und 
Kirchenfragen aufgeſtellt. 

Die verſammelten Herren hatten ſich alle Mühe ge— 
geben, ihren König dahin zu bereden, daß auch er ihrem 
Bunde beitrete und ihre Beſchlüſſe durch königliche Sanc— 
tion zu einem Landesgeſetze erhebe. Allein wie ſehr ihn 
auch ſeine eigene Neigung, ſo wie der Geiſt und Einfluß 
ſeiner nächſten Umgebung, eben dahin zog, ſo hatte er 
diesmal doch Tact und Feſtigkeit genug, allen Lockungen 
zu widerſtehen, und ſich nicht, durch einen falſchen Schritt, 
mit der ganzen Chriſtenheit zu überwerfen. Dagegen ließ 
er es geſchehen, daß in denjenigen Kreiſen von Böhmen 
und Mähren, in welchen huſſitiſche Barone ein unbeſtrit— 
tenes Übergewicht hatten, beſondere Kreistage gehalten 
und die Adeligen auf dem Lande eingeladen wurden, den 
in Prag aufgeſetzten Urkunden, durch Beifügung ihrer Sie— 
gel, beizutreten. So erhielt namentlich das Schreiben an 
die Väter des Conciliums, in acht Exemplaren ausgefer— 
tigt, nicht weniger als 452 hängende GSigille, 78 

Bei ſolcher Rührigkeit der huſſitiſchen Partei konnte 
es nicht lange anſtehen, daß auch die Gegenpartei ſich in 
Bewegung ſetzte. Sie war zwar viel geringer an Zahl, 
keineswegs aber an anſehnlichen und vornehmen Namen. 
An ihrer Spitze ſtand, unter den Baronen, der königliche 
Oberſthofmeiſter Johann der jüngere von Neuhaus; nächſt 
ihm der Oberſtlandkämmerer Ales Skopek von Duba auf 
Drazie, der Oberſtlandrichter Hynek Berka von Duba auf 


477) Gedruckt, böhmiſch, im Archiv Cesky III. 193; in lateinifcher 
Überſetzung in Opp. Hus I, 98. 

478) Vgl. Casopis desk. Museum 1834, 325. Theodoric. de Niem 
apud V. d. Hardt, II, 425. 


378 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 Hohenſtein, und der Hoflehenrichter Albrecht von Koldie 
auf Bilin; weiter gehörten dazu die Herren Johann von 
Michalowie, Johann Chudoba von Wartenberg auf Ralſko, 
Peter von Sternberg auf Konopist, Burkhard von Jano— 
wie auf Petersburg, Otto von Bergow, die ſämmtlichen 
Mitglieder des Hauſes Haſenburg und noch einige minder 
bekannte Herren, im Ganzen 14 Barone.“ Am 1 Octo— 
ber 1415 hielten fie eine Verſammlung bei dem Erzbiſchof 
Konrad in Böhmiſch-Brod, und ſetzten gleichfalls eine 
Bundesurkunde auf, von deren Inhalt jedoch nichts mehr 
bekannt iſt, als daß ſie ſich verpflichteten, ihrem Könige, 
der römiſchen Kirche und dem Concilium, nach der Weiſe 
ihrer Väter, in allem ſtets treu und gehorſam zu fein. 
König Wenzel erklärte hintennach zwar nur mündlich, jedoch 
öffentlich, dieſem Bunde gleichfalls angehören zu wollen; 
welche Erklärung, als die Kunde davon nach Conſtanz ge— 


479) Johann der jüngere von Neuhaus und jener Ulrich (Wawak), 
den wir unter den huſſitiſchen Baronen genannt haben, waren 
Brüder; Johann der ältere von Neuhaus war ein Bruder 
des Strakonicer Grandpriors Heinrich, eines eifrigen Katho— 
liken, und Vater des nachmals berühmten Herrn Meinhard 
von Neuhaus. Heinrich Skopek von Duba, Huſſens einſt innig— 
ſter Freund und Gönner, war des katholiſch geſinnten Ales 
jüngerer Bruder. Der huſſitiſche Heinrich von Wartenberg 
auf Waldſtein, Burggraf zu Königgrätz, und der katholiſche 
Johann auf Ralſko und Wartenberg, ſcheinen gleichfalls Brü— 
der geweſen zu ſein. Schon dieſe Beiſpiele dürften hinreichen, 
zu zeigen, wie tief der religiöſe Zwieſpalt ſelbſt in den Schooß 
einzelner Familien eindrang. Eine noch ungedruückte Chronik 
ſagt darüber: Erat omnis civitas in se, imo omnis domus di- 
visa; uxor contra virum et e converso pater contra filium, fa- 
milia contra hospitem. Cantabant enim Wiclefistae, compo- 
nentes cantiones novas contra ecclesiam et ritus catholicos, 
seducentes populum simplicem, et e converso catholici contra 
eos, de quibus est potius silendum. Rex vero dissimulabat, 


utramque partem tamquam gladius anceps tolerando etc. 


Katholiſcher Herrenbund. 379 


langte, daſelbſt große Freudenbezeugungen veranlaßt haben 1415 
ſoll. 450 

Das Concilium hatte zuerſt am 26 Juli, fünf Tage 
nach K. Sigmunds Abreiſe von Conſtanz, in mehren nach 
Böhmen, Mähren und Schleſien erlaſſenen Schreiben ſein 
gegen Hus beobachtetes Verfahren gerechtfertigt, vor deſſen 
Lehren Jedermann gewarnt und die Ungehorſamen mit 
kirchlichen Strafen bedroht. Am 25 Auguſt, als es von 
der in Böhmen gegen den Clerus ausgebrochenen Ver— 
folgung Kenntniß bekam, entließ es den Biſchof von Lei— 
tomysl, zugenannt den Eiſernen, in ſein Vaterland, mit 
der Vollmacht eines außerordentlichen apoſtoliſchen Legaten, 
und mit Briefen, worin es ihn dem Schutz aller treuen 
Söhne der Kirche, insbeſondere aber des königl. Oberſt— 
hofmeiſters Johann von Neuhaus, nachdrücklich empfahl. 
Der eben ſo waffenkühne als kirchlicheifrige Biſchof fand 
aber bei ſeiner Rückkehr die Stimmung ſeiner Landsleute 
ſo ſehr verändert und ſo feindſelig, daß er ſich kaum öffent— 
lich zu zeigen und ſelbſt vor den König und deſſen Räthe 


480) In einem im Oct. 1415 aus Conſtanz datirten Briefe lieſt 
man die Nachricht: Venerunt novitates, quomodo D. Cenko 
met sextus (?) baro vellet esse cum Wiklefistis, et D. Rex 
Wenceslaus cum 14 baronibus vellet esse e contra; de quo 
maximum gaudium Constantiae factum. Bald darauf heißt 
es: In Broda bohemicali in die S. Remigii congregati sunt ad 
archiepiscopum Pragensem Conradum domini terrae contra 
Hussitas, — qui nolunt se proseribere cum aliis dominis op- 
positam partem tenentibus ete. (MS. im böhmischen Mufeum.) 
Über beide Parteien vergl. auch K. Sigmunds Briefe von 
Paris 21 und 30 März 1416, im Archiv Gesky I, 6 fg. III, 
299. Ferner die noch ungedruckte »Invectio satyrica in regem 
et proceres viam Wiklef tenentes«, vom J. 1417, die in meh: 
ren gleichzeitigen Handſchriften zu finden ift, und über beide 
Parteien manche willkommene Auskunft darbietet; fie fängt 
an: Quamquam mihi soli exilis ingenioli constat imperitia etc. 


1415 


380 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


nicht ohne ſicheres Geleite zu treten ſich getrante. #1 Was 
ihn aber mehr als alles andere kränkte, war das laue, ja 
beinahe zweideutige Benehmen ſeiner zwei Collegen, des 
Erzbiſchofs Konrad von Prag und des Biſchofs Wenzel 
von Olmütz. Beide ſchienen ihren König ſich zum Muſter 
genommen zu haben; denn wie entrüſtet ſie ſich auch zeig— 
ten, ſo unternahmen ſie doch nichts Ernſtes, um den über⸗ 
griffen des Huſſitismus Einhalt zu thun, ihren Clerus zu 
ſchützen und die an ihm begangenen Unbilden zu rächen. 
Nur bei dem erzbiſchöflichen Generalvicar und den Mit— 
gliedern des Prager Domcapitels fand der Biſchof jene 
Entſchloſſenheit und Energie, welche er wünſchte. Dieſe 
hatten ſchon vor ſeiner Ankunft durch ſcharfe, in die ganze 
Diöceſe erlaſſene Decrete, dem Umſichgreifen der utraqui— 
ſtiſchen Communion und des freien Predigens von nicht 


481) K. Wenzels Brief vom 31 Oct. 1415 an den Oberſtburggra— 
fen Cenék von Wartenberg, im Archiv Cesky III, 298. Theo- 
doric. de Niem ap. Hardt II, 425: Episcopus Lutomyslensis, 
licet sit magnus, nobilis et etiam potens-opere et sermone in 
regno praedicto, et alias fuerit per ipsum concilium ad dic- 
tum regnum destinatus ad exstirpandum haereses hujusmodi 
de illo, et illic veniens cum literis multis dicti concilü, nec 
non adhibita per eum omni diligentia, — verumtamen in hoc 
usque perficere non potuit nee potest. Sunt enim adeo dieti 
haeretici contra cum sibique adhaerentes pertinaeiter coadu- 
nati in eorum perfidia, quod vix audet exire, et satis dubi- 
tat(ur) de persona et bonis ipsius. Et sic modieum profeci- 
mus, mittendo ipsum ad procurandam salutem in natione per- 
versa, quae ipsum Joannem Hus praedicat et concelebrat quasi 
pro apostolo seu martyre glorioso ete. Pelzels Nachricht (S. 
644 und 649), daß der Biſchof bei dieſer Gelegenheit ſich gegen 
den König empört und einen offenen Krieg begonnen habe, 
beruht auf einem Mißverſtändniſſe; denn die undatirte Ur— 
kunde (N. 240), auf welche er ſich dabei beruft, gehört er— 
weislich nicht in dieſes Jahr, ſondern in die Zeiten des älte— 
ren Herrenbundes (um 1399). 


i 


Das lange Interdict von Prag. 381 


dazu berufenen Geiſtlichen auf dem Lande zu ſteuern ge— 
ſucht; am 1 November belegten ſie, aus delegirter apoſto— 
liſcher Macht, ganz Prag mit dem Interdict, zunächſt wegen 
des dortigen Aufenthalts des M. Johann von Jeſenic, 
der ſeit mehren Jahren im päpſtlichen Bann beharrte, ohne 
ſich darum zu kümmern oder ſeine Geſinnungen zu ändern. 
Nun hatte zwar dieſe Maßregel gar viel von ihrer Furcht— 
barkeit verloren, da bereits die beſten Prager Pfarreien 
im Beſitze buffi ischer Prieſter ſich befanden, die von dem 
Interdicte keine Kenntniß nahmen; auch brachte ſie dem 
Clerus abermals nur Schaden, indem allen Pfarrern, die 
das Verbot beobachteten, wenn nicht auf Befehl, doch gewiß 
mit Nachſicht des Königs, ihre Einkünfte wieder geſperrt 
wurden. Dennoch beharrte das Capitel bei ſeiner Strenge, 
und hielt das Interdict in allen ihm noch ergebenen Kir— 
chen und Klöſtern mehre Jahre lang aufrecht, ungeachtet 
K. Wenzel den M. Jeſenic ſchon zu Anfange 1416 Prag 
zu verlaſſen bewogen hatte. Wohin unter dieſen Umſtän— 
den die ſchon ſeit Karl IV bei der Prager Domkirche 
allein angeſtellten 300 Geiſtlichen ſich wendeten und womit 
ſie ſich beſchäftigten, wiſſen wir nicht. Nur an den höch— 
ſten Feſttagen, Oſtern, Pfingſten und Weihnachten, durfte 
in den katholiſchen Kirchen Gottesdienſt gehalten werden; 
die übrige Zeit hindurch mußten alle nichthuſſitiſchen Prager 
den Wysehrad oder die zunächſtgelegenen Dorfkirchen zu 
Pfar, Bubna und Bubenec beſuchen, wenn fie einer Meſſe 
beiwohnen wollten; wofür ſie von ihren Gegnern mit Spott 
verfolgt und »Mahometiſten“ geſcholten wurden.“? 

M. Hieronymus von Prag befand ſich, wie wir be— 
reits berichteten, ſchon ſeit dem 23 Mai 1415 in der Ge— 
walt des Conciliums. Noch am ſelben Tage in die Ver— 


482) Laurentii de Brezowa chronicon MS. Archiv Cesky III, 195 
— 19. 


1415 
1 Nov. 


1415 


382 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


ſammlung der Väter im Refectorium des Minoritenkloſters 
zum Verhör geführt, wurde er von ſeinen ehemaligen Leh— 
rern in Paris, Köln und Heidelberg, darunter auch von 
dem berühmten Gerſon, wieder erkannt, und als ein von 
jeher zur NHeterodorie ſich hinneigender Kopf bezeichnet. 
Man feste ihn in einen Thurm am Kirchhofe bei St. Paul, 
an Händen und Füßen gefeſſelt und in ſo peinlicher Weiſe 
gebunden, daß er trotz feinem robuſten Körperbau ſchon 
am eilften Tage todtkrank wurde, und man gezwungen 
war, ihm ſeine Lage einigermaßen zu erleichtern, um ihn 
nur am Leben zu erhalten. Erſt nachdem Hus verbrannt 
war, fing das Concilium an, ſich auch mit ihm näher zu 
beſchäftigen. Er wurde häufig ins Verhör genommen, und 
viele Mitglieder des Conciliums hielten beſondere Unter— 
redungen mit ihm, nicht ſo ſehr zu dem Zwecke, ſeine Straf— 
barkeit zu ermitteln und feſtzuſtellen, als vielmehr ihn von 
ſeinen Meinungen abzubringen; denn nachdem man die Er— 


fahrung gemacht hatte, daß die Todesſtrafe weder auf Hus, 


noch auf deſſen Anhänger eine abſchreckende Wirkung ge— 
äußert, wünſchte das Concilium noch weniger, als zuvor, 
ſie in Anwendung bringen zu müſſen. Auch verſprachen 
dieſe Bemühungen einen um ſo glücklicheren Erfolg, je mehr 
Wohlwollen die Väter dem durch Kränklichkeit und unge— 
wohnten Mangel gebeugten und geſchwächten Gefangenen 
erwieſen. Von Todesfurcht gepeinigt und von Sehnſucht 
nach Freiheit ergriffen, widerſtand er den freundlichen Vor— 
ſtellungen vieler frommen und gelehrten Männer, zumal 
des würdigen Cardinals Franz Zabarella, nicht lange: 
ſchon am 10 Sept. 1415 erklärte er feine Bereitwilligkeit, 
Wiklefs und Huſſens Anſichten zu entſagen und ſie öffent— 
lich zu widerrufen, was er auch am folgenden Tage, in 
einer großen Verſammlung der vier Nationen in der biſchöf— 
lichen Kirche zu Conſtanz, wirklich that. Aus Briefen, die 
er über dieſe ſeine Bekehrung an ſeine und Huſſens ehe— 


Des M. Hieronymus Widerruf. 383 


malige Freunde nach Böhmen fchrieb, #3 läßt ſich ſchließen, 1415 
daß ſein Benehmen dabei, für den Augenblick wenigſtens, 
aufrichtig war, und daß ſeine Überzeugung mit ſeinen Wor— 
ten nicht im Widerſpruch ſtand. Das Concilium wünſchte 
dieſem erfreulichen Ereigniſſe die größte Publicität zu geben; 
darum veranlaßte es ihn, in der am 23 Sept. gehaltenen 
neunzehnten Generalſeſſion den Widerruf feierlich zu wieder— 
holen. Er that es, ſchwur ſeine bisherigen Meinungen 
ab, ſagte ſich von ſeinem ehemaligen Freunde Hus los, 
und unterwarf ſich unbedingt den Anordnungen des Con— 
ciliums. Auch das ſprach für ſeine Aufrichtigkeit, daß er 
die Nothwendigkeit, ſeine früheren Vergehen abzubüßen, 
freiwillig und laut vor der Verſammlung anerkannte, und 
daher wiederholt erklärte, daß er nicht verlange in Frei— 
heit geſetzt zu werden. Er wurde in ſeinen Kerker zurück— 
geführt, daſelbſt aber fortan milder gehalten. Bald jedoch 
entſtand unter den Mitgliedern des Conciliums ein Streit 
über die Frage, ob man ihn noch ferner gefangen halten, 
oder entlaſſen ſolle? Die geachtetſten Cardinäle, Peter 
von Ailly, Franz Zabarella, Jordan Orſini und andere, 
drangen auf ſeine Freilaſſung; dagegen proteſtirten aber 
die böhmiſchen auf dem Concilium anweſenden Doctoren 
mit aller Heftigkeit, indem ſie ſeine Aufrichtigkeit in vor— 
hinein in Zweifel zogen; und ſie fanden unter anderen 
auch bei Gerſon Unterſtützung. Doctor Johann Nas ſcheute 
ſich ſogar nicht, öffentlich zu jagen, jene Cardinäle müßten 
von K. Wenzel oder von den böhmiſchen Ketzern beſtochen 
ſein, da ſie ſich eines ſo gefährlichen Menſchen ſo lebhaft 
annähmen. So kam es, daß die gemäßigten Männer auch 
hier den Heftigen und Verfolgungsſüchtigen das Feld räum— 
ten, und Hieronymus ſeinem Schickſal überließen. Nach 


483) Seinen Brief an Herrn Lacek von Kramar, dd. 12 Sept. 
1415, haben wir im Archiv Cesky III, 297 abdrucken laſſen. 


384 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1416 der Ankunft einiger Carmeliter-Mönche aus Prag wurde 
gegen ihn ein neuer Proceß eingeleitet, und das Concilium 
ernannte am 24 Februar 1416 den Patriarchen Johann 
von Conſtantinopel und Doctor Niklas von Dinkelsbühl 
zu ſeinen Unterſuchungscommiſſären. 

M. Hieronymus war zwar ein für ſeine Zeit großer 
Gelehrter, aber kein Schriftſteller; außer einigen böhmi— 
ſchen Kirchenliedern, die er verfaßte, ſcheint er nichts Schrift— 
liches hinterlaſſen zu haben; auch hatte er keine eigenthüm— 
lichen Lehrſätze aufgeſtellt oder erfunden, ſondern ſich be— 
gnügt, den Lehren Wiklefs und Huſſens als Herold zu 
dienen. Die ganze gegen ihn geführte Unterſuchung mußte 
ſich daher auf das Einſammeln von Zeugenausſagen be— 
ſchränken, auf bloße Berichte über ſeine ehemaligen Hand— 
lungen und Reden. Wer dieſe Zeugen geweſen, weiß man 
nicht; doch ſpielten Michael de Cauſis und Stephan von 
Paleé auch gegen ihn jedenfalls die Hauptrolle. In 107 
Klageartikeln wurde ſein ganzer Lebenslauf, freilich nur 
von einer Seite her, beleuchtet: wie er ſchon in früher 
Jugend nach England gezogen, um Wiklefs Gift an Ort 
und Stelle einzuſaugen; wie er von dort deſſen Bücher 
zurückgebracht und in Böhmen zu verbreiten geſucht habe; 
ihn habe er bei jeder Gelegenheit über alle Philoſophen 
ſeiner Zeit geprieſen, und ſeine beſondere Verehrung für 
ihn auch dadurch an den Tag gelegt, daß er unter mehren 
großen Männern, deren Portraits er in ſeiner Wohnung 
an die Wand malen ließ, auch ihn, mit der Glorie der 
Heiligen umgeben, hingeſtellt habe; nicht zufrieden, die 
Böhmen und Mährer mit dem Wiklefismus angeſteckt zu 
haben, bemühte er ſich, ihn auch den Nachbarländern ein— 
zuimpfen; die tumultuariſchen Auftritte in Prag in den 
Jahren 1409 — 1414, und feine Theilnahme daran, wur⸗ 
den nicht vergeſſen, aber auch andere Beweiſe ſeines ver— 
kehrten Zelotenthums angeführt, wie er z. B. in dem Kar— 


Neuer Proceß gegen M. Hieronymus. 385 


meliterkloſter bei Maria Schnee in Prag einſt gewaltthätig 
einen Reliquienkaſten umwarf und die Mönche mißhan— 
delte, die Verehrung von Heiligenbildern als abgöttiſch 
läſterte, Schmähſchriften gegen den Papſt und den Erz— 
biſchof von Prag verbreitete, ſeine Landsleute zu Ver— 
folgung der Geiſtlichkeit aufmunterte, u. dgl. m. Endlich 
wurden auch notoriſch bekannte Thatſachen, ſein dem ketze— 
riſchen Hus in allen Dingen geleiſteter Beiſtand, und ſein 
Trotz der kirchlichen Strafgewalt gegenüber, gegen ihn gel— 
tend gemacht. 

Als ihm zuerſt 41 ſolche Artikel zur Verantwortung 
vorgelegt wurden, dictirte er zwar kurze Bemerkungen 
dazu, weigerte ſich aber, in weitere Erklärungen einzu— 
gehen; er verlangte, das Concilium ſollte ihn zuvor an— 
hören, dann erſt wolle er zu ſeiner Rechtfertigung ſchrei— 
ten; die in ſeiner Sache delegirten Richter wollte er nicht 
als ſolche anerkennen. Endlich wurde der Jahrestag ſeiner 


Conſtanzer Haft, der 23 Mai 1416, zu ſeinem öffentlichen 


Verhör beſtimmt. Unter den Männern, welche an dieſem 
und den folgenden Tagen auf der Bank ſeiner Richter 
ſaßen, befand ſich auch einer jener ausgezeichneten Männer 
des XV Jahrhunderts, denen Europa die Wiedererweckung 
der claſſiſchen Studien des Alterthums verdankt, der Flo— 
rentiner Poggio Bracciolini.““ Dieſer hochbegabte Geiſt, 
der, bei dem Anblick eines für ſeine Überzeugung ſterben— 
den Redners, über der philoſophiſchen Würdigung des— 
ſelben den Theologen vergaß, entwarf und hinterließ eine 


484) Giovanni Francesco Poggio Bracciolini, geboren 1380, diente 
als päpſtlicher Secretär bis 1452, und ſtarb als florentiniſcher 
Kanzler am 30 Oct. 1459. Bekanntlich war er während des 
Conſtanzer Conciliums ſo glücklich, in St. Gallen die verloren 
geglaubten Werke Quintilians u. a. m. zu entdecken. Seine 
vielen Werke, darunter eine ſchätzbare Geſchichte von Florenz 
in acht Büchern, ſind ſeit 1471 oft gedruckt worden. 

Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 25 


1416 


1416 


23 Mai 


386 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


lebendige Schilderung dieſer Vorgänge, die den Darfteller 
nicht minder als den Gegenſtand ſeiner Darſtellung ehrt, 
und allerdings in vielen Zügen an die großen Männer 
des Alterthums erinnert. Wir haben uns deshalb im Fol— 
genden ganz nur an ſeinen Bericht gehalten. 

Nachdem Hieronymus in die Verſammlung geführt 
worden war, wurde er vor Allem aufgefordert, auf die 
Angaben ſeiner Gegner zu antworten. Lange Zeit wei— 
gerte er ſich deſſen, indem er behauptete, daß man ihn 
erſt in ſeiner eigenen Sache ſich erklären laſſen ſollte, um 
nicht von ſeinen Verfolgern im Voraus gegen ihn, als einen 
Feind des Glaubens und der Geiſtlichkeit, eingenommen zu 
werden. Es wurde endlich beſchloſſen, daß er zuvor auf 
die gegen ihn vorgebrachten Klagen antworten, und dann 
erſt die Freiheit haben ſollte, zu reden, was ihm beliebte. 
Man las alſo von der Kanzel herab die einzelnen Artikel 
vor, fragte ihn, was er dagegen vorzubringen habe, und 
führte dann die Zeugniſſe gegen ihn an. Poggio Braccio— 
lini bewundert die Gelehrſamkeit, die ausgebreiteten Kennt— 
niſſe, die Beredſamkeit und den Scharfſinn, welchen Hie⸗ 
ronymus in ſeinen Antworten entwickelte, wie nicht minder 
ſein bewundernswerthes Gedächtniß, welches er bewies, 
indem er nach einer 360tägigen Haft in einem ſtinkenden 
und finſtern Thurme, wo er weder zu leſen, noch etwas 
zu ſehen vermochte, und überdieß von täglicher Angſt be— 
unruhigt werden mußte, dennoch ſo viele gelehrte Männer 
zu Bekräftigung ſeiner Anſichten anführte, ſo viele kirch— 
liche Auctoritäten für feine Meinungen citirte, daß es über 
und über genug geweſen wäre, wenn er dieſe ganze Zeit 
hindurch in voller Ruhe und Muße den Studien obgelegen 
hätte. Er behauptete, daß alle gegen ihn vorgebrachten 
Klagen falſch, alle Beſchuldigungen von ſeinen Feinden 
erdichtet ſeien, und bediente ſich aller Waffen des Verſtan— 
des und Witzes, um die Ankläger und Zeugen als Ver— 


Des M. Hieronymus letzte Verhöre. 387 


läumder darzuſtellen. Da die Unterſuchung wegen der Zahl 
und Wichtigkeit der Beſchuldigungen an einem Tage nicht 
beendet werden konnte, ſo vertagte man ſie auf den drit— 
ten Tag. ̃ 

Lachdem an dieſem Tage (26 Mai) der Inhalt aller 
noch übrigen Anſchuldigungen vorgeleſen worden war, ſtand 
Hieronymus auf, und bat, nun ſelbſt von dem Concilium 
gehört zu werden. Als ihm, ungeachtet des Widerſpruchs 
Vieler dagegen, die Erlaubniß zu reden gegeben wurde, 
ſetzte er in einer langen, wiewohl öfter unterbrochenen 
Rede, nochmals auseinander, wie gefährlich es ſei, den 
gegen ihn geführten Zeugen Glauben zu ſchenken, indem 
dieſe nicht aus Liebe zur Wahrheit, ſondern aus Haß, 
böſem Willen und Neid gegen ihn deponirt hätten. Er 
zeigte in einer Reihe von Beiſpielen aus dem heidniſchen 
Alterthum und der bibliſchen Geſchichte, wie haufig Män— 
ner von unbeſcholtenem Lebenswandel und hoher Weisheit 
von ihren Zeitgenoſſen verkannt, und auf falſche Beſchul— 
digungen ihrer Feinde hin verurtheilt worden ſind. Die 
Urfachen des Haſſes feiner Ankläger wußte er in der Art 
zu erklären, daß zur völligen Überzeugung der Richter 
wenig gefehlt haben ſoll. Alle waren im Innerſten be— 
wegt und zum Mitgefühl geſtimmt; doch erwarteten ſie, 
in dem Wunſche, ihn zu erhalten, daß er entweder durch 
Widerruf ſich reinigen, oder für ſeine Irrthümer um Ver— 
zeihung bitten werde. Allein er behauptete nun, weder 
geirrt zu haben, noch zum Widerruf fremder falſcher Be— 
ſchuldigungen aufgelegt zu ſein, und ging vielmehr zum 
Lobe des zum Feuer verdammten Johann Hus über, wel— 
chen er einen guten, gerechten und heiligen Mann nannte, 
der einen ſolchen Tod keineswegs verdient habe. Daß er 
ihn aus Todesfurcht einmal verläugnet habe, das erkenne 
er jetzt als ſeine größte Sünde an, und ſei bereit, jeder 
peinlichen Strafe muthig und ſtandhaft ſich zu unterziehen 


RR: 
25 * 


1416 


26 Mai 


1416 


388 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


und ſeinen Feinden zu weichen. Da er feſt auf ſeiner 
Meinung beſtand, und ſo den Tod ſelbſt herbeizuwünſchen 
ſchien, wurden ihm nochmals einige Tage Bedenkzeit ge— 
geben. Indeſſen beſuchten ihn viele gelehrte Männer, um 
ihn von ſeinen Irrthümern abzubringen; unter ihnen auch 
der Florentiner Cardinal Zabarelli, dem es ſchon früher 
gelungen war, ihn zu bekehren. Er blieb jedoch hartnäckig 
bei ſeinen Anſichten; daher wurde er endlich in der 21 Ge— 
neralſeſſion, am 30 Mai, als rückfälliger Ketzer verdammt 
und zum Feuer verurtheilt. So wie Hus, ging auch 
er mit heiterer Stirn und fröhlicher Miene dem Tod ent— 
gegen. Als er auf der Richtſtätte ankam, zog er ſelbſt 
ſeine Kleider aus, warf ſich auf die Kniee, und küßte den 
Pfahl, an den er gebunden wurde. Dann legte man 
Scheitholz, mit Stroh untermiſcht, bis an die Bruſt um 
ihn her. Als der Scharfrichter den Holzſtoß hinter ſeinem 
Rücken anzünden wollte, rief er ihm zu: Zünde nur vor 
meinen Augen an; hätte ich dein Feuer gefürchtet, ich wäre 
nie an dieſen Ort gekommen!“ Bei Anzündung des Hol— 
zes fing er einen Hymnengeſang an, den erſt Rauch und 
Flamme unterbrachen. 
Wenn ſchon dieſer Bericht es andeutet, wie ungern 
die verſammelten Väter den Scheiterhaufen abermals er— 
richten ſahen, ſo ließen ſich auch noch andere Gründe zum 
Beweiſe anführen, daß ſie nur der Nothwendigkeit wichen, 
die bedrohte Auctorität der Kirche, das Anſehen der gel— 
tenden Geſetze und ihre eigene Conſequenz aufrecht zu hal— 
ten.“ Um fo mehr muß man bedauern, daß die Geſetze 
und der Geiſt jener Zeit überhaupt ſolche Flammenopfer 


485) Auch der Augenzeuge Dietrich Vrie (Frey) bemerkt in ſeiner 
Historia concilii Constant., es habe alle Anweſenden des Hiero— 
nymus erbarmt, nur ihn ſelbſt nicht. Omnibus erat miseran- 
dus, eo demto, quod sui ipsius noluerit misereri. V d. Hardt, 
J. parte I, pag. 202. 


Des M. Hieronymus Hinrichtung. 389 


nicht nur zuließen, ſondern auch forderten. Es iſt kaum 1416 
zu zweifeln, daß, wenn Hus und Hieronymus nicht ver— 
brannt, ſondern nur etwa zu ewigem Kerker verdammt 
worden wären, der Huſſitismus in Böhmen niemals die 
überwiegende Macht erlangt hätte; er wäre wahrſcheinlich 
nur auf einen Theil der gebildeteren Claſſen beſchränkt 
geblieben, die Maſſen des Volkes aber wären von ihm nur 
wenig berührt worden. Es iſt allerdings gewiß, daß die 
huſſitiſch Geſinnten ſpäterhin keineswegs um dieſer zwei 
Perſonen willen, ſondern aus anderer Veranlaſſung, zu den 
Waffen griffen; aber eben ſo gewiß iſt es, daß ſie ſich 
nicht erhoben, wenn ſie die hergebrachte Achtung vor dem 
Concilium und den kirchlichen Auctoritäten überhaupt be— 
wahrt hätten. Dieſe aber hatte der irre geleitete Haufe 
verloren, weil er in ſeiner Einfalt es mit ſeinen Anſichten 
und Gefühlen von Recht und Billigkeit nicht zu vereinen 
wußte, daß dieſe Männer zum furchtbarſten Tod verdammt 
wurden, während er ihre erbitterten Gegner, deren Leben 
ihm auch ſo manche Schattenſeite zeigte, über ſie trium— 
phiren ſah; und die Gegner des Conciliums und der Kirche 
unterließen es dann nicht, dieſen offenen Zwieſpalt in ſeiner 
Bruſt zu ihrem Vortheil zu wenden und auszubeuten. 
Doch wenn auch das Concilium nicht anders als mit 
Bedauern und mit Widerwillen die Scheiterhaufen wieder— 
holt auflodern ſah, ſo war es dagegen um ſo feſter ent— 
ſchloſſen, dem Geiſte des Ungehorſams, der unter den 
Böhmen und Mähren in ſo befremdlicher Weiſe um ſich 
griff, alle mögliche Strenge entgegenzuſetzen. Schon am 
24 Februar 1416 hatte es beſchloſſen, alle jene 452 böh— 
miſchen und mähriſchen Barone und Ritter, die an den 
Drohbrief vom 2 Sept. 1415 ihre Siegel angehängt, und 
ſich ſomit der Ketzerei verdächtig gemacht hatten, vor ſein 
Gericht zu laden und den Proceß gegen ſie zu eröffnen. 
Die Vorladungsbullen wurden am 3 Mai zu Paſſau, 5 


390 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 Mai zu Conſtanz, 10 Mai an der St. Stephanskirche in 
Wien und am 14 Juni zu Regensburg publicirt und an— 
geheftet, und ſpäter beſondere vier Commiſſäre, aus jeder 
Nation einer, zu Führung des neuen Proceſſes ernannt. “s 
Aber auch den Prager Erzbiſchof, Konrad von Vechta, und 
den Olmützer Biſchof, Wenzel Kralik von Butenic, gedach— 
ten die Väter zur Verantwortung zu ziehen, daß ſie den 
Verfolgungen des Clerus in ihren Diöcefen gleichgiltig zu— 
ſahen, ſomit der Ketzerei Vorſchub leiſteten, und überdieß 
mit den ihnen anvertrauten Kirchengütern verſchwenderiſch 
umgingen, ſie verſetzten und verpfändeten. Und obgleich 
dieſelben auch ihre eifrigen Vertheidiger bei dem Concilium 
hatten, wie denn die beiden Capitel von Prag und Wyse— 
hrad gleichfalls nachdrücklich zu ihren Gunſten ſprachen, 
ſo wäre das Concilium dennoch gegen ſie förmlich ein— 
gefehritten, #7 wenn nicht König Sigmund, der um dieſe 


486) Vgl. die Acten bei Hardt IV, 829 — 852. 

487) Ein von Conſtanz nach Prag im Mai 1416 geſchriebener noch 
ungedruckter Brief ſagt darüber: Scitote, quod contra D. Con- 
radum archiepiscopum Pragensem primo fuit petita citatio per- 
sonalis in natione Germanica et aliis nationibus; quibus op- 
posuerunt se domini Kunczo de Zwola auditor et Albertus 
Warintrop, nullo modo consentiendo, dicentes, quod darentur 
in scriptis causae, quare citari deberet personaliter. Demum 
fuerunt diversi et multi articuli dati et lecti publice in natione 
Germanica coram omnibus praelatis, ambasiatoribus et docto- 
ribus; qualiter dictus D. Conradus archiepiscopus fuit nigro- 
manticus, alchimista, simoniacus, negligens in officio et dila- 
pidator omnium bonorum; et sic habuit magnam verecundiam ; 
et credo quod oportebit eum venire et facere rationem villi- 
cationis suae.... Et miror, quod domini canoniei et tota 
capella ecelesiarum Pragensis et S. Petri Wyssegradensis ausi 
fuerunt scribere cum authenticis literis, qualiter dictus D. Con- 
radus archiepiscopus rexerit et nullam negligentiam fecerit ... 
Nam constat de contrario, quia idem archiepiscopus in nullo 
defendit clerum, et alienavit bona; et sie similiter dieitur de 


D. Wenceslao’ patriarcha Antiochensi ete. 


Schritte des Conciliums gegen die Huffiten. 391 


Zeit in Frankreich und England verweilte, es dringend 
aufgefordert hätte, alle wichtigeren Schritte dieſer Art bis 
zu ſeiner Rückkehr nach Conſtanz aufzuſchieben. Inzwiſchen 
ſtarb am 12 Sept. 1416 der oft genannte Olmützer Bi— 
ſchof Wenzel, zugleich Patriarch von Antiochien, ſeines 
Königs von jeher vertrauteſter Rath und Diener, der, wie 
es ſcheint, nur darum groß geworden war, weil er nichts 
durch ſich ſelbſt, alles nur durch ſeinen Herrn ſein wollte. 
Der König beförderte an ſeine Stelle einen ſonſt unbekann— 
ten Wysehrader Canonicus Ales, und ließ ihm, da der 
päpſtliche Stuhl noch unbeſetzt war, nicht allein durch den 
Erzbiſchof Konrad die Beſtätigung ertheilen, ſondern ihn 
auch durch ſeinen erſten Günſtling und Secretär, Johann 
von Smilkau auf Koſtelec, in den wirklichen Beſitz des 
Olmützer Bisthums einführen. Mit dieſem Verfahren war 
jedoch das Concilium nichts weniger als einverſtaͤnden. 
Es caſſirte die Wahl und Beförderung des Ales, und er— 
nannte ſeinerſeits am 14. Dec. den Leitomysler Biſchof 
Johann den Eiſernen zugleich zum Biſchof von Olmütz.“ 
Darauf, daß König Wenzel durch dieſe Verfügung aufs 
empfindlichſte verletzt wurde, nahm es um ſo weniger Rück— 
ſicht, je mehr es endlich entſchloſſen war, auch gegen ihn 
ſelbſt und ſeine Gemahlin, als Ketzerbeſchützer, nach aller 
Strenge der Kirchengeſetze zu verfahren. Nachdem es 
nämlich keine der Hoffnungen, welche es aus Wenzels Bei— 
trittserklärung zu dem oben genannten katholiſchen Bunde 
vom 1 Oct. 1415 geſchöpft hatte, in Erfüllung gehen, 


588) Vgl. Augustini Olomucensis episcoporum Olomucensium series, 
ed. F. X. Richter, Olomuc. 1831, pag. 145 sq. Stephani prio- 
ris Cartus. epist. ad Hussitas in Bern. Pez Thesaur. Anecdot., 
tom. IV, parte II, pag. 597. In einer Handſchrift der k. k. 
Wiener Hofbibliothek (Num. 3934, fol. 148) findet man auch 
ein Olomucensis episcopi Alsonis juramentum Conrad archi- 


episcopo Pragensi praestitum in Abſchrift. 


1416 


392 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


vielmehr die Kirche in Böhmen je länger in um fo tiefe 
ren Fall gerathen ſah, lieh es auch den über ihn klagen— 
den Stimmen ein geneigteres Gehör, und ließ ſich die— 
ſelben, in herkömmlicher Weiſe articulirt, auch öffentlich 
vortragen. Dieſe Klageartikel holten über die bekannten 
Ereigniſſe ziemlich weit aus, und beſchuldigten den König 
nicht nur der Neigung zum Huſſitismus und der Beſchützung 
ſeiner Anhänger überhaupt, ſondern auch einer directen 
Theilnahme an der Plünderung der Geiſtlichkeit in ſeinen 
Ländern insbeſondere. Gegen die Königin Sophie wurde 
geklagt, daß fie, wie vorhin Hus, fo jetzt den M. Jeſenic 
ſchütze und in ſeiner Hartnäckigkeit ſtärke, den apoſtoliſchen 
Decreten mit offener Verachtung begegne und auf allen 
ihren Beſitzungen katholiſche Pfarrer zu vertreiben, huſ— 
ſitiſche einzuführen ſich bemühe.““ Nur der wiederholten 
Dazwiſchenkunft K. Sigmunds hat man es zu verdanken, 
daß das Concilium dieſen bereits begonnenen Proceß wieder 
fallen ließ.““ Wenzel aber achtete die Conſtanzer De— 
crete jo wenig, daß er Biſchof Johann dem Eiſernen fortan 
ſogar den Eintritt in ſein Land wehrte, ſeinen Biſchof Ales 
dagegen nicht allein im Beſitze des Olmützer, ſondern auch 
im Genuſſe des Leitomysler Bisthums, zeitlebens mit of— 
fener Macht beſchützte. “! 

Es hatte in dieſer Zeit unter den zwei königlichen 
Brüdern zwar keine Ausſöhnung und Verſtändigung, aber 
doch eine Annäherung wieder Statt gefunden. Nachdem 
Eliſabethens von Görlitz Gemahl, Herzog Anton von Bra— 
bant und Luxenburg aus dem Hauſe Burgund, in der 


489) Dieſe noch ungedruckten Klageartikel find in einer Handſchrift 
der k. k. Hofbibliothek (Num. 4902, fol. 112 fg.) uns aufbe— 
wahrt worden. 

490) Vgl. K. Sigmunds Schreiben vom 4 Dec. 1418 im Archiv 
Cesky I, p. 11, und vom 4 Sept. 1417 bei V. d. Hardt IV, 1409. 

491) Vgl. Dobner Monumenta histor. Boem. IV, 412. 


K. Wenzels Annäherung an Sigmund. 393 


Schlacht bei Azincourt am 25 Oct. 1415 gefallen war, 1416 
entſtanden in Luxenburg je länger je größere Unruhen, da 
die junge Witwe zu deren Bändigung weder die Macht, 
noch das Geſchick beſaß. König Sigmund, der während 
ſeines Verweilens in Frankreich und England im Jahre 
1416 dieſe Vorfälle in der Nähe zu beobachten Gelegen— 
heit hatte, wünſchte dem Verderben ſeines Stammlandes 
zu ſteuern, und verlangte ſchon darum, daß K. Wenzel 
ihm ſeine oberherrlichen Rechte über dieſes Herzogthum, 
wenigſtens zeitweilig, abtrete. Dieß führte zu Unterhand— 
lungen, in deren Folge Wenzel ſeinem Bruder am 13 Juli 
1416 die Vollmacht ertheilte, nicht allein in Luxenburg 
und Brabant die Rechte der böhmiſchen Krone geltend zu 
machen, ſondern auch die einſt vom Gegenkönige Ruprecht 
abgeriſſenen pfälziſchen Diſtricte und Städte wieder zu 
Böhmen zu bringen. Auch hinſichtlich der von Sigmund 
ſchon am 30 April 1415, ohne Wenzels Beiſtimmung, ge— 
ſchehenen Übertragung der Kurwürde von Brandenburg 
an den Burggrafen Friedrich von Nürnberg (Ahnherrn des 
jetzigen königl. preußiſchen Hauſes), wurde in dieſer Zeit 
verhandelt,“? und K. Wenzel erwies ſich auch in dieſer 
Angelegenheit nicht ſchwierig, obgleich eine gänzliche Ver— 
zichtleiſtung auf jene Markgrafſchaft von ſeiner Seite nicht 
vorliegt. Dagegen verlangte und erwartete er von Sig— 
mund, daß dieſer ſeine und ſeines Landes Ehre bei dem 
Concilium nicht werde kränken laſſen, indem nach ſeiner 
Meinung von wirklichen Ketzereien in Böhmen ohnehin 
keine Rede ſein konnte. 


492) Da in dieſen Verhandlungen die beiden Burggrafen von Nürn— 
berg, Friedrich, der neue Markgraf von Brandenburg, und 
Johann, Wenzels und Sigmunds Schwager, die Vermittler: 
rolle ſpielten, ſo unterliegt obige Angabe keinem Zweifel. S. 
pelzels Wenceslaus II, 650 — 52, und Urk. Buch Nr. 244, 
245. Über Luxenburg vergl. auch Archiv Cesky J. 9. 


1416 


394 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV. 


Die religiböſe Bewegung, welche die Anhänger Huſ— 
ſens ergriffen hatte und ſich zunächſt durch die in Anſpruch 
genommene freie Forſchung und Kritik des hergebrachten 
Glaubensſyſtems (nach dem Maßſtabe der heiligen Schrift). 
kund gab, entwickelte ſich auch von innen mehr und mehr, 
und ſchlug faſt mit jedem Jahre weitere Bahnen ein. 
Nachdem man ſich überzeugt hatte, daß das Überlieferte 
und Beſtehende gebeſſert werden müſſe, blieb auch der 
Streit über die Frage, wie man es beſſern ſoll, nicht lange 
aus; hatte man ſich einmal von der Auctorität und ihren 
poſitiven Satzungen losgeſagt, ſo konnte die neu gewon— 
nene Freiheit nicht eher zur Ruhe führen, als bis ſie alle 
Stadien ihrer zeitgemäßen Entwickelung durchlaufen hatte. 
In der chaotiſchen Fluth der Meinungen bildeten ſich jedoch 
frühzeitig zwei Gravitationspuncte, welche jene irren Be— 
wegungen in ihre beſonderen Kreiſe hineinriſſen, und ſich 
fortan gegenſeitig ſowohl anzogen als abſtießen. Der eine 
dieſer Puncte war Prag, der andere das einſtige Städt— 
chen Auſti an der Luznic, die Mutter von Tabor. Im 
erſteren kam der Antrieb zu Neuerungen und Reformen 
von der gelehrten Zunft der Univerſität, alſo gleichſam von 
oben herab; im letzteren ging er vom Volke ſelbſt aus, 
alſo von unten hinauf. Dort äußerte er ſich gemäßigt, 
conſervativ und gleichſam ariſtokratiſch; hier maßlos fort— 
ſchreitend, radical und demokratiſch. Ein reicher Tuchmacher 
und Tuchhändler in Auſti, Namens Pytel, einſt eifriger 
Zuhörer Huſſens in deſſen Exil, gewährte ſchon ſeit 1415 
ſolchen überſpannten Köpfen, die wegen ihrer allzukühnen 
Neuerungen bei den übrigen Böhmen Anſtoß erregten, in 
ſeinem Haus ein Aſyl; der durch die Ereigniſſe von 1412 
bekannt gewordene Prager Magiſter Johann von Jiein, 
die Prieſter Wenék, Bydlin, Kanis, Psenicka und andere 
nachmalige Koryphäen der Taboriten, wurden von ihm 
lange Zeit hindurch freigebig mit Koſt und anderen Be— 


Spaltung in Prager und Taboriten. 395 
dürfniſſen verſehen,““ und bildeten, im Gegenſatz zur Pra— 
ger Univerſität, eine beſondere Art Akademie, deren Lehren 
weit über die Decrete der Prager Magiſter hinausſchweiften. 
Die Parteien erhielten ſpäter, nach ihrer vollen Ausbil— 
dung, den Namen der Calixtiner oder Prager, und 
der Taboriten. Doch war weder die Hauptſtadt jemals 
ausschließlich calixtiniſch, noch Auſti ausſchließlich tabo— 
ritiſch; denn letztere Partei zählte von jeher in Prag, 
zumal auf der Neuſtadt, zahlreiche Anhänger, ſo wie in 
Auſti mehre Einwohner den Pragern anhingen; und da 
an beiden Orten ein Theil der Bevölkerung auch dem 
Glauben der Väter treu blieb, ſo fehlte es nie an Anläſſen 
zu Streit und Unruhen, welche in dem ſchwächeren Auſti 
zuletzt mit dem gänzlichen Ruin der Stadt endeten. 

Die fortſchreitende Entwickelung der von einander ab— 
weichenden huſſitiſchen Lehrſyſteme läßt ſich am ſicherſten 
aus den Decreten erkennen, welche die Prager Univerſität, 
als leitende Behörde, zu Lob wie zu Tadel an das Volk 
zu erlaſſen pflegte. Die bedeutendſten Männer dieſer Uni— 
verſität waren in dieſen Jahren die zum Theil ſchon oft 
genannten Magiſter Johann von Jeſenic, Jacobell von 
Mies, Chriſtann von Prachatic, Johann Cardinalis von 
Reinſtein, Simon von Tisnowic, Simon von Rokycan, 
Zdenek von Labaun Propſt bei Allerheiligen, Marcus von 
Königingrätz, der Baron Zdislaw von Zwirxetic und Michael 
Cizek von Malenic. Unter dem Rectorat des von Con— 
ſtanz zurückgekehrten M. Johann Cardinalis von Reinſtein 
erließ dieſer gelehrte Körper ſchon am 25 Januar 1417 
eine Erklärung,“ worin über die bereits überhand neh— 
menden allzu freien und ſomit irrigen Anſichten geklagt 
wurde. Der Teufel, heißt es, pflege oft auch den Schein 
493) Seriptores rer. Boh. tom. HI, pag. 471, 472. 

494) Gedruckt in Pelzels Urk. Buche zu K. Wenceslaus, Nr. 246, 


pag. 163. 


1417 


396 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1417 der Heiligkeit auf ſich zu nehmen, um auf dieſe Art Brüder— 
zwiſt und Verachtung der göttlichen Gebote deſto wirk— 
ſamer verbreiten zu können. Mit Schmerz höre man, wie 
in einigen Communitäten des Landes gelehret und geglaubt 1 
werde, daß es kein Fegefeuer gebe, und daß folglich Ge— i 
bete und Almoſen für Verſtorbene unnütz ſeien; daß das | 
Halten und Verehren von Heiligenbildern mit der heiligen 
Schrift im Widerſpruche ſtehe; daß Kirchenceremonien, wie 
das Weihen von Salz und Waſſer, Palmen, Oſtereiern 
u. dgl. überflüſſig und irrig ſeien. Die Magiſter ermah— 
nen daher und bitten, ſolchen Stimmen kein Gehör zu 
geben, ſondern in Allem die Richtſchnur zu befolgen, daß 
hinſichtlich derjenigen Gegenſtände, über welche die heilige 
Schrift nichts Beſtimmtes ausſagt, der althergebrachte 
Kirchengebrauch als Geſetz zu gelten habe.““ Wie wenig 
Erfolg jedoch dieſe Ermahnung hatte, kann man ſchon aus 
dem Umſtande abnehmen, daß dieſelbe Behörde ſich ge— 
nöthigt ſah, ſie nicht allein ſchon am 7 Febr. 1418 zu 
wiederholen, ſondern auch eine Art Synode nach Prag 
zum St. Wenceſlaitage (28 Sept. 1418) zu berufen, um 
neue Decrete gegen die ſich mehrenden Neuerungen zu 
erlaſſen. Die hierauf in 23 Artikel gefaßten Beſchlüſſe “ 
lauteten im Weſentlichen dahin, daß 1) Niemand einen neuen 


495) Seientes-juxta sanctorum canones, quod in hiis rebus, de qui- 
bus nil certi divina scriptura statuit, mos populi dei et in- 
stituta majorum pro lege tenenda sunt; et sicut praevaricato- 
res legum dominicarum, ita contemtores ecclesiasticarum con- 
suetudinem sunt coörcendi. Durch Fefthalten an dieſem katho— 
liſchen Grundſatze unterſchieden ſich die Calixtiner nicht allein 
von den Taboriten und den ſpäteren böhmiſchen Brüdern, 
ſondern auch zum Theil von J. Hus ſelbſt, und machten damit 
ihre ſpätere Wiedervereinigung mit der römiſchen Kirche (durch 
das Basler Concilium) möglich. 

496) Man findet ſie in der Handſchrift der k. k. Hofbibliothek in 
Wien, Nr. 4937, fol. 143 fgg. 


Decrete der Prager Univerfität. 397 


Lehrſatz öffentlich verkündigen folle, wenn er ihm auch noch 1417 
ſo wahr und nützlich ſcheine, ohne ihn vorher den Ma— 
giſtern zur Prüfung vorgelegt zu haben; 2) Niemand dürfe 
behaupten, daß man nur Dasjenige glauben müſſe, was 
in der heiligen Schrift kundgemacht iſt; denn viele Wahr— 
heiten ſtehen darin, wenn auch nicht dem Worte nach, doch 
dem Geiſte nach, und das Verſtändniß dieſes Geiſtes liege 
nicht für Jedermann offen; *” 3) die Kinder ſoll man, 
wo es thunlich iſt, gleich nach der Taufe communiciren; ““ 
4) das Fegefeuer fol man nicht läugnen, 5) die Seelen— 
meſſen nicht verwerfen, 6) Gebete für Verſtorbene und 
7) die Anrufung der Heiligen nicht verdammen; 8) der 
Eid ſei in wichtigen Angelegenheiten zuläſſig, eben ſo 9) die 
Todesſtrafe bei unverbeſſerlichen Verbrechern; 10) kein noch 
ſo frommer Laie, ſondern nur Prieſter allein können das 
Sacrament der Euchariſtie vollziehen; 11) die Beichte und 
das Sacrament der letzten Blung ſeien zu beobachten, 
eben ſo 12) heilſame Kirchengebräuche, wie Bilder der 
Heiligen in den Kirchen, Faſten, Feſte der Heiligen u. dgl. 
13) bei der Meſſe ſei nur das Evangelium und die Epiſtel 
in der Volksſprache, alles übrige aber im Latein vorzu— 
tragen!“ u ſ. w. Dieſe Decrete und Verbote zeigen deut— 


497) »Quamvis enim omnis veritas utilis saluti nostrae sit in sacra 
scriptura posita radicaliter, occulte vel expresse: non tamen 
omnia exprimit vel plane ponit, ut est illud, quod spiritus 
sanctus sit deus aequalis filio et patri, quod nullibi reperitur 
in scripturis, quamvis sit ibi secundum rei veritatem. Sic 
dicendum est de aliis veritatibus multis, quas aliqui clarius, 
aliqui obscurius eliciunt: verumtamen omnia intelligere, quae 
in sacra scriptura clauduntur, nemo potest, nec ipsi apostoli 
sermonem dei quandoque intellexerunt.« — 4 

498) »Tunc minima petia primi sacramenti est ei in os ponenda, 
et concluso ore ejus ad modicum, post hoc una stilla sangui- 
nis Christi capta super digito de patena, et delata super pa- 
tenam, est ori ejus semel vel bis immittenda.« 


499) Daß man ſchon 1417 die Meſſe böhmiſch zu leſen anfing, ſagt 


398 VI Buch, 6 Eapitel.. K. Wenzel IV. 


1417 lich, wie raſch der taboritiſche Lehrbegriff, noch vor der 
Gründung der Stadt Tabor, ſich entwickelte und bildete; 
daß aber auch ſie dieſe Entwickelung zu hindern oder auf— 
zuhalten unvermögend waren, wird der Verfolg der Ge— 
ſchichte nachweiſen. 

Iſt in dieſen Beſchlüſſen der Prager Univerſität einer 
ſeits die Sorgfalt unverkennbar, ſich von der poſitiven 
Grundlage des Chriſtenthums und der kirchlichen Über: 
lieferungen nicht zu entfernen, ſo ließen doch die Magifter 
einerſeits es auch an ſolchen Decreten nicht fehlen, welche 
eine Scheidewand zwiſchen ihnen und den Vätern des Con— 
ſtanzer Conciliums aufzurichten geeignet waren. Dahin 
gehörte die zunächſt auf Verlangen mehrer Barone am 
10 März 1417 abgegebene Erklärung der Univerſität über 
die Communion unter beiderlei Geſtalten; ſie ſprachen ſich 
darin zwar mit unverkennbarer Mäßigung und Umſicht, 
aber auch mit voller Entſchiedenheit aus. Sie erkannten 
es an, daß nicht erſt collectiv in beiden, ſondern ſchon in 
jeder einzelnen Geſtalt Chriſtus ganz enthalten ſei; man 
könne daher mit Denjenigen, die aus Unwiſſenheit oder 
andern Gründen das heil. Abendmahl nur unter einer Ge— 
ſtalt empfangen, immerhin Nachſicht haben: da dasſelbe 
jedoch von Chriſtus urſprünglich unter zwei Geſtalten ein— 
geſetzt und in der älteſten Kirche auch ſo ausgetheilt wor— 
den ſei, ſo müſſe man dieſes Verfahren für das richtigere 
erklären, und die Böhmen ſollten ſich darin nicht irre machen 
laſſen, ſelbſt wenn ein Engel vom Himmel herabſteigen 
und ſie eines andern zu belehren ſuchen follte.°” In 


der Dolaner Prior Stephan in feiner Zpistola ad Hussitas 
von dieſem Jahre (bei Bern. Pez, I. c. pag. 556): Adhue 
nova et inaudita ribaldia missas in boemico sermone cantatis 
et legitis, juvantibus vos concantare Begutis et Rebeceis mu- 
lieribus. 


500) Das Decret vom 10 März 1417 findet man gedruckt, in lat. 


Die utraquiſtiſche Communion. 399 


Folge dieſer Erklärung faßte der Utraquismus erſt feſte 1417 
Wurzel in Böhmen und Mähren. Auch ſolche Barone, 
welche bis jetzt Anſtand genommen hatten, ihre anders— 
geſinnten Pfarrer auf dem Lande zu beunruhigen, glaub— 
ten ſich fortan berechtigt und verpflichtet, den Kelch zur 
Bedingung des ferneren Beneficien-Genuſſes zu machen. 
So ließ Herr Cencék von Wartenberg, als Vormund des 
jungen Herrn Ulrich von Roſenberg, am 17 Juni 1417 
auf allen den weitläufigen Roſenberg'ſchen Herrſchaften 
verkünden, daß jeder Pfarrer, der die Communion unter 
beiden Geſtalten auszutheilen ſich weigert, binnen beſtimm— 
ter Friſt ſeine Stelle einem ſolchen einzuräumen habe, der 
dazu willig fei.?°! Die mähriſchen Herren Lacek und Peter 
von Krawar, Erhard von Kunſtat auf Skal und Johann 
Towacowſky von Cimburg beriefen zu gleichem Zwecke 
huſſitiſche Prieſter aus Böhmen in Menge nach Mähren. 
Und da die Zahl der ordinirten Geiſtlichen dieſer Partei 
nicht groß genug war, um alle Pfarreien mit ihnen be— 
ſetzen zu können, ſo brachte Herr Cenék von Wartenberg 
den Prager Suffragan und Generalvicar, Hermann Biſchof 
von Nikopolis, halb mit Gewalt, halb mit Überredung 
dazu, daß Dieſer auf ſeiner Burg Lipnic im Caslauer 
Kreiſe einer Menge huſſitiſcher Cleriker die Prieſterweihe 
ertheilte. ““? 

Das Concilium unterließ es nicht, den Decreten der 
Prager Univerſität die ſeinigen entgegenzuſetzen. Erſtens 
ſuspendirte es alle Befugniſſe dieſer Univerſität auf ſo 


Sprache bei Von d. Hardt III, 762, in böhm. Sprache im 
Archiv Cesky IH, 203. 

501) Script. rer. Bohem. tom. III, pag. 23. 

502) Seriptt. rer. Bohem. III, 473— 74. Cochlaei historia Hussita- 
rum pag. 169. Der Erzbiſchof Konrad nahm deshalb, durch 
ein von Raudnitz am 15 März 1417 datirtes Patent, dem 
Biſchof das Generalvicariat ab. 


400 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1417 lange, als ihre Adminiſtration in den Händen von Irr— 
gläubigen und Ketzereibeſchützern verbleiben würde, hob 
für dieſe Zeit ihre Privilegien auf, erklärte alle ihre Uni— 
verſitätsacte, Wahlen und Promotionen für ungiltig, und 
verbot den Gläubigen daſelbſt ferner noch zu ſtudiren. >03 
Zweitens trug es mehren in Conſtanz anweſenden Theo— 
logen auf, die Meinungen der Böhmen hinſichtlich der 
Communion unter beiden Geſtalten auch durch gelehrte Ab— 
handlungen zu widerlegen. Der erſte, der ſolches that, 
war der ſchon oft genannte Kanzler der Pariſer Univer— 
ſität, Johann Gerſon; er beleuchtete die ganze Streitfrage 
zwar nur kurz, jedoch, wie es von einem Gelehrten feiner 
Art zu erwarten ſtand, klar, gründlich und erſchöpfend; 
im Übrigen aber nahm er keinen Anſtand, zu erklären, 
daß es ihm geeigneter ſcheine, mit weltlichem Arm als mit 
geiſtlichen Mitteln gegen die Huſſiten einzuſchreiten. ““ Um— 
ſtändlicher ließ ſich der ehemalige Prager Profeſſor Mau— 
ritius, zugenannt Rwacka, vernehmen, indem er in die 
Widerlegung aller einzelnen Behauptungen ſeines Lands— 
manns Jacobell von Mies einging. Sein Werk wurde 
vom Concilium gebilligt. Aber auch andere Gelehrte in 
Menge ſetzten ſich die gleiche Aufgabe und kämpften in 
beinahe zahl- und endloſen Tractaten gegen die böhmiſchen 
Neuerungen an. 90 

Das Concilium war nach vielen Bemühungen endlich 
ſo glücklich, dem langen Schisma der abendländiſchen Kirche 


503) Das (undatirte) Decret darüber vom J. 1417 findet ſich in 
einer Handſchrift des Wittingauer Archivs, A, 16, fol. 188. 

504) »Debet potius hoc sacrum generale concilium invocare auxi- 
lium brachii secularis, si opus fuerit, quam per ratiocinationes 
contra tales, attenta sua determinatione, quae jam transüt in 
rem judicatam.« Bei V. d. Hardt III 771: 

505) Von der Hardt hat einige von dieſen Streitſchriften in ſeinem 
dritten Bande, Seite 338 — 932 bekannt gemacht. 


Ende des Kirchenſchisma. 401 


ein Ziel zu ſetzen. Gregor XII hatte freiwillig abgedankt 
(4 Juli 1415), Johann XXIII war abgeſetzt und ſchmach— 
tete in der Gefangenſchaft zu Mannheim; Benedict XIII. 
der ſich am ſtarrſinnigſten erwieſen, wurde in Folge der 
von K. Sigmund mit den Abgeſandten der ſpaniſchen Kos 
nige zu Narbonne am 13 Dec. 1415 geſchloſſenen Con— 
vention nach und nach von allen ſeinen Anhängern ver— 
laſſen, und nachdem auch die Spanier, als fünfte Nation, 
im Oct. 1416 ſich dem Concilium angeſchloſſen, durch feier 
lichen Urtheilſpruch am 26 Juli 1417 feiner Würde voll— 
ends entſetzt. Zwiſchen den Abſetzungen des Piſaner und 
des Conſtanzer Conciliums gab es glücklicher Weiſe den 
Unterſchied, daß die letzteren bei allen Fürſten und Völ— 
kern des Abendlandes einſtimmige Anerkennung, Beifall 
und Gehorſam fanden; ein Erfolg, zu welchem Sigmunds 
vielfältige Reiſen und perſönliche Bemühungen weſentlich 
beigetragen hatten. Nach hergeſtellter vollſtändigen Union 
der Kirche blieben daher dem Concilium nur noch zwei 
wichtige Geſchäfte: die Wahl eines neuen einigen Pap— 
ſtes für die ganze Chriſtenheit, und die Reformation der 
Kirche an Haupt und Gliedern. Die Nothwendigkeit und 
Dringlichkeit von beiden verkannte Niemand: aber über 
die Frage, welches zuerſt vorgenommen werden ſollte, gab 
es widerſprechende Anſichten, die zu ſo heftiger Entzweiung 
führten, daß man darüber eine Auflöfung des Conciliums 
befürchtete. K. Sigmund wünſchte die Grundſätze der Re— 
formation zuerſt feſtgeſetzt und angenommen zu ſehen, um 
dann auch dem zu wählenden Papſt ihre Annahme und 
Vollziehung zur Pflicht machen zu können; die Mehrzahl 
der Cardinäle behauptete dagegen, die Kirche müſſe zuerſt 
ihr Oberhaupt wieder haben, deſſen Mitwirkung das Werk 
der Reformation nicht allein erleichtern und befeſtigen, ſon— 
dern auch in ſeiner Ausführung ſichern ſoll. Den Cardi— 
nälen ſtimmten die italieniſche, franzöſiſche und ſpaniſche, 
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 26 


1417 


402 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1417 dem römiſchen Könige die deutſche und engliſche Nation 
bei. Am eifrigſten wurde Sigmund von der deutſchen Na— 
tion unterſtützt, zu welcher man auch die Böhmen, Ungarn, 
Polen und Skandinavier rechnete; und hier waren es wie— 
der die katholiſchen Böhmen, welche im Eifer für die un— 
geſäumte Vornahme des Reformationswerks vorangingen. 
M. Mauritius von Prag hatte es ſchon in feiner am 9 
Mai 1417 an das Concilium gehaltenen Rede nicht unter— 
laſſen, auch den Grund hervorzuheben, daß man die Huſ— 
ſiten nur dadurch werde zum Schweigen bringen und un— 
ſchädlich machen können.““ Ein eigenes Reformations— 
Collegium war ſchon ſeit 1415 aus Mitgliedern aller Na— 
tionen ernannt worden, um Vorſchläge zu dem gedachten 
Zwecke zu bearbeiten; im Auguſt 1417 ſetzte es K. Sig— 
mund durch, daß das ſeitdem vertagte Werk wieder vor— 
genommen wurde: doch machte es keine Fortſchritte, da 
ſelbſt die älteſten und größten Eiferer für die Reform, 
Peter von Ailly und Johann Gerſon, der Anſicht waren, 
daß die Reformation vor Allem mit der Wahl eines Pap— 
ſtes beginnen müſſe. K. Sigmund dagegen ſchien, in Vor⸗ 
ausſicht der Zukunft, die ganze Wichtigkeit des Momentes 
gefühlt und begriffen zu haben; er beharrte unerſchütter— 
lich auf ſeinem Vorſatze, obgleich die Zahl ſeiner Anhänger, 
zumal nach dem am 4 Sept. 1417 erfolgten Tode des 
Erzbiſchofs von Canterbury, Robert Hallam, täglich ſich 
minderte. Die Spannung ſtieg ſo hoch, daß am 9 Sept., 
als er in höchſter Aufwallung des Zorns plötzlich aus der 
Verſammlung der Väter ſich entfernte, einige nachrufende 


506) Seine Rede iſt gedruckt bei V. d. Hardt I, 860 — 874; die 
betreffende Stelle ſteht p. 870. Auch Stephans von VPalec 
Rede in derſelben Angelegenheit vom 27 Juni 1417 ließ Hardt 
I, 823 — 847 unter dem Titel Stephani de Praga Oratio de 


maturanda ecclesiae emendatione abdrucken. 


Papſt Martin V. 403 


Stimmen ihn und die Seinigen „Ketzer“ ſchalten, “ die 1415 
Cardinäle Conſtanz zu verlaſſen ſich anſchickten, und er 
eine Zeit lang wirklich mit dem Gedanken umging, ſie mit 
Gewalt zum Bleiben zu zwingen. Sein ſichtbarer Eifer, 
und die bittere Stimmung der Gegenpartei, verſchafften 
der Meinung, daß der weltliche Arm ſich da einen unge— 
bührlichen Einfluß auf Kirchenſachen anmaße, eine zuneh— 
mende Verbreitung, bis Sigmund, mit wenig Treugeblie— 
benen dem ganzen Concilium gegenüber ſtehend, endlich 
nachzugeben ſich gezwungen ſah. Er ließ daher die Papſt— 
wahl vor ſich gehen, nachdem in der 40ten Generalſeſſion 
beſchloſſen und zugeſichert worden, daß der künftige Papſt 
das Concilium weder auflöſen noch verlaſſen dürfe, bevor 
die gewünſchte Reformation zu Stande gekommen fein werde. 
Am 8 Nov. 1417 gingen die 23 in Conſtanz anweſen— 
den Cardinäle mit 30 Deputirten ſämmtlicher Nationen in 
das Conclave, und wählten am Martinstage, den 11 Nov., 
mit Einſtimmigkeit den Cardinal Otto von Colonna zum 
Papſt, der zum Andenken an den Tag ſeiner Erhebung 
ſich Martin V nannte. K. Sigmund war einer der 
Erſten, die aus Freude über die ſo bald und ſo einmüthig 
getroffene Wahl, dem neuen Papſte den Fuß küßten; wofür 
er von ihm unter herzlicher Dankſagung umarmt wurde. 
Man pries allgemein des Neugewählten Kenntniſſe und 
Beſcheidenheit, Gerechtigkeitsliebe und Thätigkeit; daher 
denn Jedermann von ihm das Beſte erwartete. Am 21 
November ging deſſen Krönung zu Conſtanz unter vielen 
Feierlichkeiten vor ſich. Für das Reformationsgeſchäft jedoch 
ſchien es von übler Bedeutung zu fein, daß er ſchon den 
Tag nach ſeiner Wahl demjenigen Cardinal, der einſt die 


507) Als nämlich der Patriarch Johann von Antiochien und Andere 
dem Könige unter großer Aufregung folgten, erſcholl der Ruf: 
„laßt fie nur gehen, die Ketzer!« (recedant haeretici.) V. d. 
Hardt IV, 1415 fg. nach Schelſtrate p. 266. 

28 


1417 


1418 


404 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


Kanzleiregeln für Johann XXIII entworfen hatte, den Auf— 
trag gab, ſie auch für ihn nach der bisherigen Weiſe auf— 
zuſetzen. Und obgleich er gleich nach ſeiner Krönung ſechs 
Cardinäle ernannte, die mit Zuziehung von Bevollmäch— 
tigten aller Nationen an dem Reformationszwecke arbeiten 
ſollten, ſo wurden doch nicht allein die Deutſchen, ſondern 
auch zumal die Franzoſen ungeduldig, da ſie Monate ver— 
gehen ſahen, ohne daß in der Sache ein wirklicher Schritt 
vorwärts gemacht wurde. Letztere drangen nicht allein in 
den Papſt, ſondern auch in den König, das Werk zu be— 
ſchleunigen; Sigmund aber wies ſie jetzt, mit Vorwürfen 
über ihr früheres Benehmen, zurück. s Als endlich am 
18 Januar 1418 Martin V einen’ Entwurf der Reforma— 
tion dem Concilium vorlegen ließ, fand man ihn den Er— 
wartungen ſo wenig entſprechend, daß die Unzufriedenheit 
dadurch nur noch vermehrt wurde. Bei den ſo abweichen— 
den Anſichten, was und wie zu reformiren ſei, fand es 
daher der Papſt am beſten, die allgemeine Reformation 
noch aufzuſchieben, 59 und inzwiſchen über die dringendſten 
Puncte mit jeder Nation beſondere Concordate abzuſchlie— 


508) Sigmunds Worte waren: »Als wir darauf beftanden, die Re— 
form der Kirche vor der Papſtwahl vorzunehmen, waret ihr 
anderer Meinung, und wolltet erſt einen Papſt haben. Sehet, 
jetzt habt ihr einen: gehet zu ihm hin, und bittet ihn um die 
Reformen. Wir können jetzt nicht mehr ſo viel bei der Sache 
thun, als da der päpſtliche Stuhl noch erledigt war.« Aſch— 
bach im Leben K. Sigmunds II, 329 fg. nach Gobelinus Per 
fona und einem von Conſtanz am 15 Febr. 1418 datirten Briefe. 

509) Der Biograph der Päpſte, Platina, ſpricht darüber in Vita 
Martini M Folgendes: De componendis moribus nimia licentia 
jam labefactatis, tam laicorum quam clericorum, mentio ha- 
beri coepta est. Verum quia quadriennio Constantiense con- 
cilium jam duraverat, cum magno praelatorum et ecclesiarum 
incommodo, Martino placuit, approbante concilio, rem tantam 


in aliud tempus magis idoneum transferre. Dicebat enim, rem 


Aufſchub der Kirchenreform. 405 


ßen. Nachdem dieſes geſchehen, wurde am 19 April Pavia 
zum Ort des nächſten Conciliums beſtimmt, und drei Tage 
darauf, in der am 22 April 1418 gehaltenen 45ten und 
letzten Generalſeſſion, das Conſtanzer Concilium gänzlich 
aufgelöſt. 

Noch vor Auflöſung des Conciliums war Martin V 
auch in die böhmiſchen Angelegenheiten eingegangen. Er 
erließ am 22 Februar 1418 zu Conſtanz mehre Bullen 
und Briefe, in welchen er das Entſtehen und den ganzen 
Hergang des Huſſitismus klagend beſchrieb, alle gegen ihn 
vom Concilium ergriffenen Maßregeln beſtätigte, die ab— 
trünnigen Böhmen und Mähren zur Rückkehr in den Schooß 
der Kirche ermahnte, die Ungehorſamen und Hartnäckigen 
mit dem päpſtlichen Bann belegte, und nicht allein die 
Kirchenprälaten, ſondern auch alle weltlichen Auctoritäten 
aufforderte, mit den geſetzlichen Strafen gegen ſie einzu— 
ſchreiten.!“ Auch war er Willens geweſen, den gegen 
König Wenzel ſowohl als gegen die verbündeten Barone 
begonnenen Proceſſen Folge zu geben, und den Bann über 
ſie auszuſprechen, wenn Sigmund nicht, auf die zweideu— 
tigen Erklärungen des Bruders ſich ſtützend, andere Wege 
angerathen und die Zurückführung der Böhmen durch mil— 
dere Mittel in Ausſicht geſtellt hätte. Der römiſche König 
war nämlich der Meinung, es fehle ſeinem Bruder we— 
niger an gutem Willen, als an kräftigem Entſchluſſe, ſeine 
huſſitiſchen Unterthanen zum Gehorſam zu bringen; und 


ipsam maturitate et consilio indigere: quia ex Hieronymi sen- 
tentia, unaquaeque provincia suos habeat mores, suos sensus, 
qui tolli sine perturbatione rerum subito non possunt. 

510) Die Bullen find gedruckt bei Hardt IV, 1518 1531. Em. 
Schelstrate Acta Constantiensis concilii p. 274. Das Schrei⸗ 
ben an die böhm. und mähr. Barone bei Cochläus p. 173 
(dd. Constantiae, VIII Kal. Aprilis) ſcheint auch zu demſelben 
Datum (VIII Kal. Martii) zu gehören. 


1418 


406 VI Buch, 6 Capitel. K Wenzel IV. 


1418 da Wenzel ihm jetzt mehre Male den Wunſch nach per— 
ſönlicher Zuſammenkunft mit ihm vortragen ließ, wo er 
ſich auch von ihm in Allem belehren zu laſſen verſprach, 
ſo zweifelte er nicht an dem Erfolg ſeiner Bemühungen. 
Es wurde daher nach ſeinem Wunſche vom Concilium in 
24 Artikeln vorläufig nur die Art und Weiſe vorgeſchrie— 
ben, wie bei Zurückführung der Huſſiten zum kirchlichen 
Gehorſam zu verfahren ſei. K. Wenzel ſollte ſich eidlich 
verpflichten, die römiſche Kirche mit ihren Immunitäten in 
ſeinem Reiche unverſehrt aufrecht zu erhalten und nicht 
durch die Huſſiten beeinträchtigen zu laſſen; alle Huffiten 
ſollten zur Abſchwörung ihrer Irrthümer gezwungen und 
die Hartnäckigen ernſtlich geſtraft werden; alles den Kir⸗— 
chen Weggenommene ſollte man ihnen zurückerſtatten, die 
Reliquien und Schätze der Prager Domkirche zurückgeben, 
die vertriebenen Geiſtlichen in ihre Beneficien wieder ein— 
ſetzen und entſchädigen, die Prager Univerſität müſſe re— 
formirt werden, die vorzüglichſten huſſitiſchen Lehrer vor 
dem päpſtlichen Stuhl ſich ſtellen, gleichwie auch die auf 
der Burg Lipnic ordinirten Geiſtlichen; endlich ſollten alle 
huſſitiſchen Schriften verbrannt, das Singen huſſitiſcher 
Lieder an allen Orten ſtreng verboten, das freie Predigen 
fremder Geiſtlichen nirgends geftattet, die ordentlichen Kir— 
chenſtrafen von Niemanden gehindert, die huſſitiſchen Bünd— 
niſſe aufgelöſt, und jeder, der Hus oder Hieronymus für 
heilig erklärt, als rückfälliger Ketzer zum Feuer verdammt 
werden u. ſ. w. 1 Wie wenig aber K. Wenzel noch 
immer geneigt war, ſolchen Anordnungen Folge zu leiſten, 
läßt ſich ſchon aus dem Umſtande abnehmen, daß er um 
dieſelbe Zeit (9 Juni 1418) das Geſetz neu publiciren 
ließ, das jede Vorladung böhmiſcher Unterthanen welt— 


511) Die 24 Artikel find vollſtändig abgedruckt bei Cochläus p. 165, 
V. d. Hardt IV, 1514 u. a. m. 


K. Wenzels zweideutiges Benehmen. 407 


lichen Standes vor ein außerhalb der Landesgränzen be- 1418 
findliches geiſtliches Gericht für unſtatthaft und nichtig er— 
klärte. ie Daher konnte auch der von Martin V am 10 
Juli 1418 zur Ausrottung der Ketzerei nach Böhmen mit 
voller Macht abgeſandte Cardinal Johann Dominici 53 vor- 
erſt nichts ausrichten. 

Wenzels zweideutiges Benehmen hatte für ihn einſt— 
weilen wenigſtens die angenehme Folge, daß das Land im 
Ganzen ziemlich ruhig blieb, daß keine großen Bündniſſe 
und Verſchwörungen, wie vor zwanzig Jahren, gegen ihn 
mehr ſich bildeten und ſeine Befehle faſt allenthalben raſche 
Vollziehung fanden. An einzelnen Ungehorſamen und Wider— 
ſpenſtigen fehlte es freilich, wie vorhin, ſo auch jetzt nicht. 
Wir kennen dieſe jedoch faſt nur durch die vom König 
ihnen ertheilten Geleits- und Gnadenbriefe. Er verlieh 
ſolche am 18 Auguſt 1416 an Herrn Heinrich von Nachod 
auf Adersbach; am 17 Sept. 1417 an die Barone Hynek von 
Rothenberg, Sigmund von Wartenberg auf Tetſchen, Veit 
von Schönburg und Glauchau und Johann Chudoba von 
Wartenberg auf Ralſko; am 25 Sept. an Johann von 
Boskowic auf Brandeys, Hynek Krusina von Lichtenburg, 
Johann und Benes Kosik von Lomnic; am 4 Oct. 1417 
an Wenzel von Jenſtein, Pota von Caſtolowic, Hynek von 
Waldſtein auf Stepanic und Burkhard von Janowie; am 
13 April 1418 an Marquard von Potenſtein und Zam— 
pach; endlich am 30 Juli 1418 an die Herren Bores von 
Rieſenburg il und ihre achtzig ritterlichen Mannen und 


512) Pelzel Urkk. Buch Nr. 248, Seite 166. 

513) Er heißt in Urkunden Cardinalis S. Sisi, war Dominicaner 
und ehemals Erzbiſchof von Raguſa. Vgl. Raynaldi ad ann. 
1418, $. 9, it ann. 1408, ©. 8, 1414, ©. 1. 

514) Der urkundlich nicht vorkommende berüchtigte Name Tiſta ſcheint 
ein im Volk üblicher Zuname des jüngeren Herrn Bores 
von Rieſenburg geweſen zu fein, jo wie man den älteren Hrab& 


408 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV. 


1418 Verbündeten. Außerdem wiſſen wir, daß Herr Heinrich 
der jüngere Reuß von Plauen auf Königswart, den Herren 
von Rieſenburg zu Hilfe, einen Krieg gegen Wenzel er— 
hoben hatte, aber nach Verluſt zweier Burgen, Haſſenſtein 
und Stedrä, ſich dem Könige auf Gnade ergab. Der 
Krieg der Rieſenburge, von der hohen Burg Pfrimberg 
herab, dauerte über zwei Jahre, zu großem Schaden der 
Umgegend und der Kaufleute auf den Straßen, die ge— 
plündert wurden; es war das letzte aber keineswegs wür— 
dige Auftreten dieſes einſt mächtigen Geſchlechtes in Böh— 
men, das vielleicht durch dieſe Anſtrengung erſchöpft, fortan 
in Armuth und Vergeſſenheit fiel. K. Wenzel nahm dieſe b 
Herren nur unter der Bedingung wieder zu Gnaden auf, 
daß ſie die zu Pfand beſeſſene königliche Burg Pfrimberg, 
gegen Empfang der Pfandſumme, dem Oberſtlandſchreiber 
Nicolaus von Lobkowic abtraten, dem er auch die Burg 
Haſſenſtein verſchrieben hatte.“? Der eigentliche Grund 
des ſo verderblichen und langen Krieges iſt aber ſo wenig 
bekannt, wie die Anläſſe zu Mißhelligkeiten mit den übrigen 
genannten Baronen; denn war auch ihre Mehrzahl ent— 
ſchieden katholiſch geſinnt, ſo berechtigt doch nichts zu der 
Annahme, daß ſie ſich aus Gründen des kirchlichen Zwie— 
ſpalts gegen den König aufgelehnt hätten. 516 

Als K. Sigmund zu Ende des Jahres 1418, in Be— 
gleitung des Cardinals Johann Dominici, nach Ungarn 
wieder zurückkehrte, ſchrieb er am 4 Dec. von Paſſau aus 


(Graf, auch Rechen) benannte. Im Böhmiſchen hießen die 
Herren von Rieſenburg »päni z Oscka. 

515) Pelzel, Wenceslaus II, 652, 659, 673, 674. Scriptt. rer. Bohem. 
III, 23, 24. Archiv Cesky I, 538. III, 279. Paprocky o stawu 
panském p. 120. 

516) Wir haben bereits oben (Note 374) bemerkt, daß Pelzels An— 
gaben und Combinationen dießfalls auf einem Mißverſtänd— 
niſſe beruhen. 


Sigmunds Brief an K. Wenzel. 409 


an ſeinen Bruder einen offenen Brief, den man paſſender 1418 
noch ein Manifeſt nennen könnte, da er ihn alſogleich in 
vielen Exemplaren nach Böhmen hin verbreiten ließ; >17 
ſein Zweck war, Wenzel noch einmal auf die verderblichen 
Folgen ſeines Schwankens und ſeiner Nachſicht gegen die 
in ſeinem Lande wachſenden Parteiungen aufmerkſam zu 
machen, und zugleich auf die ſtrengen Maßregeln, die des— 
halb gegen Böhmen ergriffen werden ſollten, drohend hin— 
zudeuten. Er erinnerte ihn an ſeine wiederholten Ver— 
ſprechungen, bei den Seinigen keine Ketzereien zu dulden; 
ihnen trauend, habe Sigmund den wiederholt beabſichtig— 
ten Bannſpruch von König und Land noch abgewendet; 
jetzt aber könne und wolle er nicht länger mehr für ihn 
ſprechen, damit die Welt nicht glaube, daß er ſein nächſtes 
Blut höher achte als den chriſtlichen Glauben. Er wolle 
ihn auch nicht mehr als ſeinen Bruder betrachten, wenn 
er nicht bei dem Glauben der glorreichen Ahnen verbleiben 
und ſein Land von Irrthümern nicht ſäubern wolle. Wenn 
daher die ganze Chriſtenheit gegen Böhmen aufſtehen, Wenzel 
ſeiner königlichen Würde verluſtig erklären, alle ſeine Va— 
fallen und Unterthanen ihrer Eide und ihres Gehorſams 
gegen ihn entbinden, und in einem Kreuzzuge das einſt 
blühende Land zu Grunde richten werde: ſo verwahre er 


517) Wir ſchließen Letzteres nicht allein aus dem Inhalt, ſondern 
auch aus folgendem Poſtſcript, das wir allen Exemplaren die— 
ſes Briefes in alten Handſchriften angehängt fanden: Take 
kräl Sigmund wece: »Wez kazdy Cech, Nemec i Latinik, ze 
jedwa te radosti a èasu docekäm, kdyz budu Wiklefy Husy 
topiti.« Ale biskup Pasowsky stoje pred krälem, wece: »Mäme 
je päliti, jako kaciere.« Tehdy kräl Sigmund odpowede: „Ne, 
ne tak; nebo Cechowe nejsü jest prawı kacieri, jedne ze jsu 
na wiere pochybili. Proto knözie Wiklefi a Husi majı topeni 
byti, ale swötskym pänom i mestaköm i sedläkem ma s& mi- 


lostiwé stati; neb su mneli, by je Husie dobre wedli.« 


1418 


1419 


410 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


ſich im voraus, daß er an all dem Unglück nicht Schuld ſein, 
ſondern nur ſeiner Pflicht nachkommen und Diejenigen 
dafür verantwortlich machen wolle, deren Starrſinn und 
Ungehorſam ihn in die peinliche Nothwendigkeit werde ver— 
ſetzt haben. is In gleichem Sinne erklärte er ſich auch, 
als am 19 Januar 1419 Abgeſandte von K. Wenzel zu 
ihm nach Linz kamen, und in deſſen Namen noch immer 
behaupteten, daß ihm von Ketzern und Irrgläubigen in 
Böhmen nichts bekannt ſei, er daher nicht wiſſe, was und 
wen er ſtrafen und ausrotten ſollte. Sigmund entgegnete, 
er könne nicht begreifen, wie ſein Bruder allein nicht wiſſe, 
was Jedermann bekannt ſei, und was ſeine Ehre, ſeinen 
guten Ruf vor aller Welt blosſtelle. Er fordere jetzt die 
Erfüllung der ihm nach Conſtanz wiederholt geſendeten 
Verſprechungen. Namentlich verlange er auch, daß Wenzel 
zu dem den katholiſchen Baronen Böhmens nach Skalic 
in Ungarn auf den 9 Febr. 1419 angeſetzten Tage, zur 
Berathung über die Unterdrückung der böhmiſchen Ketzerei, 
nachſtehende Räthe mit Vollmacht abſende: Wilhelm von 
Haſenburg, Albrecht von Koldie, Johann von Choteémie, 
Heinrich von Lazan, Johann von Smilkow, Niklas von 
Lobkowic, Philipp Lauta von Dedic, und wen er ſonſt 
noch beifügen wolle; wenn dieſe Räthe kommen und in 
die nothwendig gewordenen Maßregeln eingehen, ſo hoffe 
er noch einiges für des Bruders Ehre und für das Beſte 
des Landes thun zu können; außerdem aber wolle er in 
kein Geſchäft, in keine Verhandlung mit ihnen ſich ein— 
laſſen, ſo lange in dem Stand der Dinge keine Verände— 
rung vorgenommen werde. >? 

Dieſe nachdrückliche Sprache, von angemeſſenen Vor— 
ſtellungen und Ermahnungen des Cardinallegaten unter— 


518) Den Brief haben wir abdrucken laſſen im Archiv Cesky I, 10 fg. 
519) Pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, Nr. 250, pag. 169. 


K. Wenzels Maßregeln gegen die Huſſiten. 411 


ſtützt, verfehlte endlich ihre Wirkung nicht; e Wenzel ent— 
ſchloß ſich, dem Huſſitismus thätig entgegenzutreten, ſei es 
aus bloßer Furcht vor dem drohenden Krieg mit dem ge— 
ſammten Auslande, ſei es aus veränderter Überzeugung. 
Ob er den Skalicer Tag beſchickte, iſt unbekannt; um ſo 
gewiſſer dagegen, daß er ſchon zu Anfange des Monats 
Februar 1419 Maßregeln ergriff, deren Zweck die Ein— 
ſchränkung des Huſſitismus war. Nicht nur wurde M. 
Johann Jeſenic, der nächſte Anlaß des mehrjährigen Prager 
Interdicts, für immer aus Prag verbannt, ſondern Wenzel 
befahl auch, die von ihren Pfarreien vertriebenen katho— 
liſchen Prieſter allenthalben wieder einzuführen. Dieſe An— 
ordnungen, vom Prager Magiſtrat in Vollzug geſetzt, brach— 
ten im Volke die außerordentlichſte Aufregung hervor. Man 
hatte ſich in den letzten Jahren ſo ſehr gewöhnt, die be— 
deutendſten Pfarreien von Huſſiten adminiſtrirt zu ſehen, 
daß deren gezwungene Zurückgabe an die früheren Beſitzer 
jetzt Vielen als eine Gewaltthat, ja als Raub erſchien, 
dem man wehren müſſe. Nicht weniger Argerniß nahmen 
viele Pfarrkinder an dem Umſtand, daß die zurückgekehr— 
ten Pfarrer alle von ihren Vorgängern gebrauchten hei— 
ligen Gefäße verwarfen, die Kirchen bei geſchloſſenen Thü— 
ren neu ausweihten, die Altäre reinigten, vielen Bürgern 
den Eintritt wehrten, den Kranken die Sacramente nur 
nach Abſchwörung des Kelches reichten u. dgl. m. Dieß 
veranlaßte Volksaufläufe in der Stadt, in deren Folge 
am 25 Februar 1419 Deputirte der Bürgerſchaft vor des 


520) Notandum, quod rex Bohemiae ad instantiam cujusdam seripti 
Regis Romanorum, et cujusdam legati apostoliei, jussit exclu- 
dere de eivitate Pragensi exsecratum quendam Johannem Je- 
senicz, — plebanos quoque, qui repulsi fuerunt, ad eorum 
dotes introducere; et sic resumtum est dominicum ofſicium in 
Pragensi ecelesia et in aliis ecclesiis dominica Esto mihi anno 


dom. 1419 MS. Incidentia, in der k. k. Hofbibliothek, Nr. 7288. 


1419 


412 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1419 Königs Räthe beſchieden und ihnen bekannt gemacht wurde, 
daß Seine Majeſtät den Utraquiſten drei Prager Kirchen 
zu ihrem Gottesdienſt anweiſen laſſe: die Kloſterkirchen bei 
Maria Schnee und bei St. Ambroſius auf der Neuſtadt, 
und die Pfarrkirche bei St. Benedict auf der Altſtadt; *. 
man ſolle daher, unter ſtrengſter Ahndung, keine Tumulte 
mehr veranlaſſen oder dulden. Tags darauf, den 26 Fe— 
bruar, wurde endlich das vieljährige Prager Interdiet 
förmlich aufgehoben, und der ordentliche Gottesdienſt be— 
gann wieder, wie in der Kathedrale, ſo auch in den übri— 
gen Kirchen der Stadt. 

Damit war jedoch die Ruhe noch lange nicht her— 
geſtellt; im Gegentheil nahm die Gährung der Gemüther 
je länger, je heftiger zu. Da die Mehrzahl der Prager 
bereits utraquiſtiſch geſinnt war, ſo genügten die ihnen 


angewieſenen drei Kirchen nicht einmal ihren wirklichen 0 
Bedürfniſſen, geſchweige denn ihren Wünſchen; daher ihre N 
ftet3 erneuerten Verſuche, durch Bitten, Drohungen und 3 


Gewalt mehr und mehr Kirchen an ſich zu ziehen. Welche 
Reibungen Statt gefunden haben müſſen, läßt ſich ſchon 
aus der Nachricht entnehmen, daß an vielen Orten die 
Eingepfarrten zwar die Abtretung der Kirchen, deren Pa— 
tronat dem Könige gebührte, nicht aber die der Schulen 
geftatteten, indem fie behaupteten, daß dieſe von ihnen 
unterhalten würden, daher auch ſie allein und nicht die 
Pfarrer darüber zu verfügen hätten; da jedoch die Pfar— 
rer nicht ohne Schüler bleiben konnten, ſo riefen ſie deren 
Andere herbei, und wieſen ihnen die Kirchen- und Glocken— 
thürme zu ihren Schulübungen an; folglich gab es bei den 
meiſten Pfarreien zweierlei Schüler, katholiſche und utra— 
quiſtiſche, die einander gegenſeitig aufreizten, und in ihren 
oft blutigen Streit auch Bürger beider Parteien hineinzu— 


521) pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, Nr. 251, Seite 171 fgg. 


Beginn innerer Unruhen. 413 


ziehen pflegten. s'? Am 18 Juni 1419, dem Kirchweihfeſte 1419 
der St. Niklaskirche auf der Altſtadt, bemächtigten ſich 
ihrer die Utraquiſten mit Gewalt; was nicht ohne Blut— 
vergießen und andere vielfache Entweihung derſelben zu 
Stande kommen konnte. >? Andere Schlägereien und ein— 
zelne Morde kamen bei der Erbitterung der Parteien auch 
nicht ſelten vor. 

K. Wenzels nächſte Umgebung, ſeine Hofleute und 
erklärten Günſtlinge, waren von jeher die entſchiedenſten 
und eifrigſten Anhänger der religibſen Neuerung geweſen; 
ſie blieben, ungeachtet des nicht ſeltenen Wechſels der Per— 
ſonen, auch nach Huſſens Verbrennung die mächtigſten 
Stützen und Förderer des Huſſitismus. Als aber Wenzel 


522) Das unvollendete Concept der Chronica D. Procopii, notarii 
Novae civitatis Pragensis 1476, in einer Handſchrift des Wit— 
tingauer Archivs, berichtet darüber: Rex mandat, ut sacerdo- 
tes legitimi ad proprias parochias reducantur, quod factum 
est; sed parochiales scholas nolebant condescendere, dicentes: 
Scholae nostrae sunt, nos scholares fovemus, non plebani; et 
sic plebani legitimi receperunt sibi suos alios scholares, qui 
in turribus et campanilibus gymnasium habuere. — Et sic du- 
plices scholares circa unam ecclesiam, — hi latine circa suos 
fideles, hi bohemice circa Wiklefistas cantantes, invicem con- 
tendebant et alias in obviationibus; sic etiam, quod quidam 
sacerdos Sigismundus in cimiterio S. Michaelis in Opatowie 
in controversia sermonum quemdam laicum Wiklefistam inter- 
fecit; circa S. Petrum in Porieè in dedicatione scholares de 
Zderaz ibidem venientes cum Wiklefistarum scholaribus ibi- 
dem de schola S. Petri lites inierunt, quos pistores persecuti 
sunt ad sonitum campanae per eosdem scholares S. Petri in 
subsidium; et sie unus socius Zderaziensis, nomine Krizko, fu- 
giens cum alio socio suo nomine Kräl sequente, existimans 
inimicum, eum cultello ad collum vulneravit et interfecit; et 
mox dictus plebanus est expulsus et Wiklef introductus. 

523) Eine Nachricht darüber ſteht in der Handſchrift der k. k. Hof: 
bibliothek Nr. 7650, fol. 102 — 103. 


* 


414 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1415 um dieſe Zeit von den Huſſiten ſich abwendete, und die 
beginnenden Unruhen ſein Gemüth mit ſteigender Abnei— 
gung und Bitterkeit gegen fie erfüllten, blieb für diejenigen 
Günſtlinge, die ihren huſſitiſchen Eifer nicht zu bändigen 
wußten, kein Platz mehr am königlichen Hofe; ſie mußten 
ihr Glück anderer Orten ſuchen. Dieſes Loos traf auch 
zwei durch Geiſt und Thatkraft ungemein hervorragende 
Männer, deren einer ſich im Rathe als Staatsmann eben 
ſo tüchtig erwies, wie der andere als Feldherr im Kriege 
unvergleichlich war. Sie hießen Nicolaus von Pistna, 
königlicher Burggraf auf Hus und Prachatic, und Johann 
Zizka von Troenow. Von Zizka, des einem bereits 
ziemlich bejahrten Mann, war bis jetzt wenig die Rede 
geweſen, obgleich er ſich in mehren Kriegen bemerkbar ge— 
macht hatte; erſt die folgende Zeit und Noth ſollte ſeine 
Talente an's volle Tageslicht bringen. Er war der erb— 
liche Beſitzer nur einiger Höfe und Zinſungen in den Dör— 
fern Trocnow und Cerejow (jetzt Cejrow) unweit Bud— 
weis, gehörte ſomit der unterſten Stufe des böhmiſchen 
Landadels an, und war von Jugend auf gezwungen, ſein 
Glück in der Welt mit Waffen in der Hand zu ſuchen, 
bis K. Wenzel ihn bemerkte, ihn an ſeinen Hof zog und 
lieb gewann. Man erzählt, einmal ſei Dieſem die ver— 
ſtörte Miene, der ungewöhnlich ſchweigſame Ernſt, das 
dumpfe Hinbrüten und der ſtiere Blick des ohnehin ein— 
äugigen Günſtlings aufgefallen; auf die Frage, was ihn 
fo bewegt? habe er die Antwort bekommen: „Welcher 
Böhme könnte noch ein ruhiges Gemüth bewahren, wenn 
er ſein Volk von den Fremden allen als Ketzer geſchmäht, 
gemißhandelt und verfolgt ſieht, und ſeine achtbarſten 


524) Die in dem Büchlein »Diplomatiſch-hiſtoriſche Aufſätze über 
Johann Zizka von Trocnow«, von Max. Millauer, Prag, 
1824 in 8, enthaltenen Angaben find zwar ſehr unvollſtändig, 
aber doch brauchbar und größtentheils verläßlich. 


Nikolaus v. Pistna und Zizka v. Trocnow. 415 


Männer im Auslande wie Miſſethäter verbrannt werden ?« 
„Lieber Hans! (entgegnete der König) was ſollen wir dazu 
ſagen? was iſt da zu thun? Gibt es ein Mittel, die 
Sache wieder gut zu machen? Wenn Du es kennſt, ſo 
wende es an; wir geben Dir gerne unſere Einwilligung 
dazu.“ Von da an habe ſich Zißka für ermächtigt und 
berufen gehalten, den Huſſitismus mit allen ihm zu Ge— 
bote ſtehenden Mitteln zu ſchützen. Als Wenzel, zu Ver— 
hütung blutiger Aufſtände, den ſtrengſten Befehl an die 
Prager Bürgerſchaft erließ, alle ihre Waffenvorräthe auf 
den Wysehrad zu bringen und dort niederzulegen, und die 
Bürger weder zum Gehorſam, noch zum Widerſtande ſich 
zu entſchließen wußten, trat Zizka unter die Zaghaften hin 
und forderte ſie auf, alſogleich die Waffen anzulegen und 
damit vor dem König perſönlich zu erſcheinen; er wolle 
ſie ſelbſt dahin führen, und ſtehe ihnen für eine gnädige 
Aufnahme gut. Den ſchnell improviſirten zahlreichen Waffen— 
zug führte er dem Könige mit den Worten vor: »die ge— 
treuen Prager Bürger hätten nicht ſäumen wollen, ſich mit 
ihren Waffen Seiner Majeſtät gehorſamſt zu Dienſten zu 
ſtellen; der König möge ihnen ſeine Befehle ertheilen und 
den Feind bezeichnen, gegen den es zu ziehen gelte; denn 
ſie ſeien alle bereit, Gut und Blut für ihn hinzugeben.“ 
Der über die unvermuthete Erſcheinung betroffene Wenzel 
faßte ſich, lobte den Eifer ſeiner Bürger, und ermahnte 
ſie, ruhig wieder nach Hauſe zu gehen und unter den Nach— 
barn keinen Unfrieden mehr aufkommen zu laſſen. Da er 
aber, auf dem Wysehrad nicht mehr ſicher genug ſich wäh— 
nend, alſogleich auf das nahe bei Kunratic liegende Schloß, 
das er ſelbſt erbaut und Wenzelſtein« benannt hatte, ſich 
zurückzog: fo wußte Zijfa wohl, daß er ſich nicht mehr bei 
Hofe ſehen laſſen durfte; er wurde jetzt ein Mann des 
Volks, wie er bis dahin ein Hofmann geweſen. Dasſelbe 
widerfuhr auch feinem Standesgenoſſen, dem Nicolaus von 


1419 


416 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1419 Pistna, auch »von Hus« oder »Hufinec« genannt. * 


Dieſer von Wenzel bis dahin in vielen Staatsgeſchäften 
und Geſandtſchaften gebrauchte Mann hatte es um dieſe 
Zeit gewagt, den König, als er einmal bei St. Apollinaris 
in Prag ſich ſehen ließ, an der Spitze eines bedeutenden 
Volkshaufens um die Verleihung mehrer Kirchen für den 
utraquiſtiſchen Gottesdienſt anzugehen. Wenzel, der ihn 
kannte und als Gegner fürchtete, verbannte den unruhigen 
Kopf alſogleich aus Prag; die Folge war, daß Nicolaus 
von Hus ſeitdem ein Agitator des Landvolkes wurde. 
Das königliche Gebot, die katholiſchen Geiſtlichen in 
ihre alten Pfründen wieder einzuſetzen, hatte ſich nicht auf 
die Hauptſtadt allein beſchränkt; auch auf dem Lande fand 
die gleiche Umwandlung überall Statt, wo nicht eifrig— 
huſſitiſche Barone ihr wehrten. Daß die wieder eingeführ— 
ten Pfarrer gegen ihre ſeitdem auf Irrwege gerathenen 
Pfarrkinder keine Milde und Nachſicht übten, war voraus— 
zuſetzen, und wurde auch bald durch Klagen im ganzen 
Lande offenbar. Das Volk, dem ſeine ordentlichen Seel— 
ſorger den Kelch verweigerten, ſuchte andere Prieſter auf, 
welche dieſem Verlangen entſprachen, und ſcheute deshalb 
auch längere Wallfahrten nicht. Die endlich auch von 
Auſti verdrängten huſſitiſchen Geiſtlichen ſetzten ſich auf 
einem nahe gelegenen breiten Hügel an der Lußznie feſt, 
der auf drei Seiten von tiefen waſſerreichen Schluchten 


525) Im Jahre 1389 heißt er nur Nicolaus de Pistneho; K. Wen— 


zel nennt ihn in einem Creditiv vom 16 März 1406 feinen 


»burgravius in Auca.« In einer Urkunde vom 8 Januar 1408 


heißt er: »famosus Nicolaus de Piestna, pro tune residens in 


castro Auca« (d. i. Hus, Gans). Laurenz von Brezowa nennt 
ihn immer nur Nicolaus de Hus; bei Neueren heißt er da— 
gegen meiſtens »von Hufinec«, und wird für den Erb- und 
Grundherrn des M. Joh. Hus ausgegeben, worüber man die 
Noten 240 und 418 oben nachſehen möge. 


— 


Volksverſammlung am Taborberge. 417 


umgeben, nur durch eine Erdzunge mit dem feften Lande 1419 


zuſammenhängend, eine natürliche Feſtung bildete. Dort 
campirten ſie im Sommer 1419 unter Zelten, und pfleg— 
ten mit dem ſchaarenweiſe zu ihnen ſtrömenden Landvolk 
unter freiem Himmel Gottesdienſt zu halten; den Ort ſelbſt 
nannten ſie in der von ihnen faſt ausſchließlich gebrauchten 
bibliſchen Sprache, den Berg Tabor. 

Herr Nicolaus von Hus erkannte bald, wie gut dieſe 
in ihrem Beginn ganz harmloſen Zuſammenkünfte zu po— 
litiſchen Demonſtrationen ſich brauchen ließen. Unter ſeiner 
Leitung wurde auf den Magdalenentag, 22 Juli 1419, 
eine Hauptverſammlung auf dem Taborberge 6 veranſtal— 
tet und von allen Volksclaſſen aus Böhmen und Mähren 
außerordentlich zahlreich beſucht; über 42,000 Perſonen, 
Männer, Frauen und Kinder, fanden ſich ein. Der ganze 
Vorgang wurde, ſelbſt von den Gegnern, als ein großes, 
Geiſt und Herz erhebendes, religiös -idylliſches Volksfeſt 
geſchildert; es ging in ſchönſter Ruhe und Ordnung vor 
ſich. Den von allen Seiten proceſſtonsweiſe mit Fahnen, 
unter Vortragung des heil. Sacraments, heranrückenden 
Pilgerſchaaren gingen die am Ort Anweſenden eben ſo 
feierlich entgegen, empfingen ſie jubelnd, und wieſen ihnen 
ihre Plätze auf dem Berge an; Jeder, der kam, war »Bruder« 
und »Schweſter«; Standesunterſchiede wurden nicht bes 
rückſichtigt. Die Geiſtlichen theilten die Arbeit des Tages 


2 Die nachfolgende Darjtellung ſchöpfen wir aus den überein— 

N ſtimmenden Angaben zweier von einander ſonſt ſehr abwei— 
chenden Zeitgenoſſen, deren fortan oft anzuführende Werke 
erſt kaum zum Theil gedruckt ſind: des M. Laurenz von 
Brezowa diarium belli Hussitiei, und des Nicolaus von 
Pilgram (des erſten und einzigen Biſchofs der Taboriten) 
Chronica contınens causam sacerdotum Taboriensium. Vom 
letzteren, noch fait ganz unbekannten Werke, befindet ſich eine 
Abſchrift im böhmiſchen Muſeum. 

Geſch. v. Bohm. 3 Bd. 27 


1 


418 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1419 unter einander: die einen predigten an beſtimmten Orten, 
Männern und Frauen abgeſondert; die andern hörten 
Beichte; die dritten communicirten unter beiden Geſtalten. 
Das währte ſo bis Mittag. Dann ging man an die ge— 
meinſchaftliche, von den Gäſten mitgebrachte und unter 
einander vertheilte Mahlzeit; dem Mangel der Einen half 
der Überfluß der Andern ab; den Unterſchied des Mein 
und Dein kannten die Brüder und Schweſtern des Berges 
Tabor nicht. Da die Gemüther der ganzen Verſammlung 
von religiöſer Bewegung ergriffen waren, ſo wurde ſtrenge 
Zucht und Sitte in keiner Weiſe verletzt; an Muſik, Tanz 
und Spiel durfte man nicht denken; der Reſt des Tages 
verging unter Geſprächen und Reden, womit man ſich zu 
Eintracht, Liebe und feſter Anhänglichkeit an die Sache 
des »geheiligten« Kelches wechſelſeitig aufmunterte. An 
Klagen und Beſchuldigungen der Gegenpartei, an über— 
ſpanntem Eifern, an Plänen, wie man »dem Worte Got— 
tes« im Lande wieder Freiheit verſchaffen ſollte, konnte 
es unter ſolchen Umſtänden nicht fehlen. Die Verſamm— 
lung ging endlich ganz ruhig auseinander, nachdem ſelbſt 
die Eigenthümer der Felder, welche an dieſem Tage ge— 
litten hatten, durch eine Collecte reichlich entſchädigt wor— 
den waren. 

Doch wie unſchuldig auch dieſe erſte große Volks— 
verſammlung von den meiſten Theilnehmern gemeint ſein 
mochte: im Rathe des Königs konnte die politiſche Wich— 
tigkeit und Gefährlichkeit ſo außerordentlicher Erſcheinungen 
unmöglich verkannt werden. Wenzel ließ ſich ſogar ein— 
reden, die Häupter dieſer Schaaren gingen bereits mit dem 
Gedanken um, ihn vom Throne zu ſtürzen und an ſeine 
Stelle ihren oberſten Leiter, Nicolaus von Hus, zu be— 
rufen. Und er hatte dieſe Beſorgniß und Unruhe noch 
nicht überwunden, als unvermuthet in ſeiner Nähe ſelbſt 


Erneuerung des Neuſtädter Raths. 419 


eine weit ſchrecklichere Scene ſich ereignete, die feine Ge- 1419 
müthsbewegung noch höher ſpannen mußte. 

| Bei der letzten Reſtauration des Prager Neuftädter 
Magiſtrats (6 Juli 1419) hatte K. Wenzel durch den 
Landesunterkämmerer Johann von Lazan auf Bechin alle 
Stellen mit eifrigen Antihuſſiten beſetzen laſſen; was er 
nach und nach auch auf der Altſtadt und der Kleinſeite 
zu thun beabſichtigte. Dieſe neuen Rathsherren unter— 
ließen nichts, was der huſſitiſchen Partei in irgend einer 
Weiſe Abbruch thun konnte. Durch ihre geheimen Kund— 
ſchafter erfuhren ſie alle Verabredungen und hinderten 
recht zeitig alle beabfichtigten Bewegungen der Neuerer. 
Ihre Entdeckungen wirklicher oder vermeintlicher Anſchläge 
gegen die Ruhe der Hauptſtadt und des Landes veranlaß— 
ten den König zu immer ſtrengeren Maßregeln, und ſie 
brachten es endlich auch dahin, daß alle Pfarrſchulen auf 
der Neuſtadt von huſſitiſchen Schülern mit Gewalt geſäu— 
bert und den Fatholifchen überantwortet wurden.??? In 
der den Huſſiten noch überlaſſenen Maria-Schnee-Kirche 
auf der Neuſtadt predigte damals ein aus dem Prämon— 
ſtratenſerſtifte Selau entronnener Mönch, Namens Johann; 
ein Zelot und Demagog, wie ſie nur in den ſtürmiſchſten 
Epochen aufzutauchen pflegen, um die in Gährung ge— 
rathenen Volksmaſſen zu lenken. In dieſen Zeiten der 
Noth für ſeine Partei wählte er Texte und Bilder zu 
ſeinen Vorträgen aus der Apokalypſe, und erhitzte die Phan— 
tafie feiner Zuhörer mit Vorſtellungen des mit der Ber 
folgung der Gläubigen heranbrechenden jüngſten Tages, 
wo die Schale des Zornes Gottes über die Böſen dieſer 


527) Nach dem Bericht des ungenannten Verfaſſers der Incidentia 
(vergl. Note 520). 

528) Es iſt derſelbe, der im Jahr 1422, am 9 März, auf dem Alt— 
ſtädter Rathhauſe enthauptet wurde. Es wird von ihm noch 
oft die Rede ſein. 

N 


420 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1419 Welt ausgegoſſen werden ſollte. Sonntag den 30 Juli 1419 
veranſtaltete er mit den Seinigen eine feierliche Proceſſion 4 
aus feiner Kirche durch mehre Straßen bis zur St. Ste— 9 
phanskirche auf der Neuſtadt, und kehrte damit über den 
großen Markt zurück, an dem Neuſtädter Rathhauſe vor— 
bei. Hier wurde der große Umzug von den Rathsherren 
und deren Dienern gehemmt und gehöhnt; man ſagte auch, | 
aus den Fenſtern des Rathhauſes fei nach dem vom Se— 5 
lauer Ex-Mönch getragenen heil. Sacrament mit Steinen 
geworfen worden. Darüber gerieth die fanatiſirte Menge 
in offenen Aufruhr. Bewaffnete Haufen eilten von allen 
Seiten herbei, und ſtürmten, von Johann Zizka angeleitet, 
das Rathhaus. Bald war aller Widerſtand überwunden, 
die Wüthenden drangen hinein, rannten alles nieder, und 70 
warfen ſieben Rathsherren, die ſich nicht hatten flüchten 1 
können, unter ihnen den Richter Niklaſek, nebſt einigen an— 
dern Perſonen, zu den Fenſtern hinaus; die Herabſtürzen— 
den wurden mit Lanzen und Spießen aufgefangen, und 
wer dann noch athmete, auf der Stelle vollends umge— 

bracht. Der Landesunterkämmerer eilte zwar mit etwa 

300 Berittenen zu Hilfe herbei, er kehrte aber bei Anſicht 

der ins Zahlloſe ſteigenden Volksmenge wieder um. Denn 

bereits hatte das Sturmläuten in der ganzen Stadt be— 
gonnen, die Sieger hatten in Eile vier Perfonen zu Bürger— 6 
hauptleuten ernannt, welche auf dem Stadthauſe ihr Haupt⸗ 
quartier aufſchlugen, alle Bürger unter Todesſtrafe alſogleich 
zu den Waffen riefen, die wichtigeren Puncte der Neuſtadt mit 
Bewaffneten verſahen, und ſich in den Stand ſetzten, jedem 
Angriff Trotz zu bieten. Daß ſich Niemand fand, die auf 
die Straße geworfenen Leichname der unglücklichen Raths— 
herren ihres zum Theil koſtbaren Kleiderſchmucks zu be— 
rauben, bewies augenſcheinlich, wie ausſchließend das Volk 
bei dieſen Gräuelſcenen von fanatiſchem Rachegefühl be— 
herrſcht war. 


Fenſterſturz der Rathsherren. 421 


Als die Nachricht von dieſem Vorfall nach Wenzel 1419 
ſtein gelangte, war die Beſtürzung am königlichen Hofe 
groß und allgemein; Wenzel insbeſondere konnte vor Wuth 
ſich nicht faſſen, er ſchwor Rache, und bezeichnete alſogleich 
die Opfer derſelben, meiſt huſſitiſche Prieſter, mit Namen; 
die ganze Secte ſollte bis auf den Grund vertilgt werden. 
Als einer ſeiner Günſtlinge ſich die Bemerkung entſchlüpfen 
ließ, daß er das, was gekommen, wohl vorausgeſehen habe, 
ergriff ihn Wenzel, als vermeinten Mitſchuldigen, warf 
ihn zu Boden, und hätte ihn mit ſeinem Dolche umgebracht, 
wenn man ihn nicht daran gehindert hätte. Ein leichter 
Schlagfluß, der zunächſt die linke Seite des Körpers er— 
griff, ohne ihn in ſeinen Bewegungen gänzlich zu lähmen, 
war die unmittelbare Folge dieſer außerordentlichen Auf— 
wallung. 

Dieſes Ereigniß erſchütterte neuerdings Wenzels Ver— 
trauen zu den Menſchen; ſelbſt ſeine Gemahlin und ſeine 
Günſtlinge, glaubte er, ſeien gegen ihn verſchworen, da ſie 
ſich mehr oder weniger zum Huſſitismus neigten; alle Hoff— 
nung baute er jetzt auf den Bruder K. Sigmund allein, 
an den er alfogleich eine Botſchaft mit der Bitte um ſchleu— 
nige Hilfe abgefertigt hatte. Inzwiſchen ließ er ſich ge— 
fallen, daß ſeine Räthe zwiſchen ihm und den empörten 
Neuſtädtern einen Vergleich vermittelten, dem zu Folge 
dieſelben zu ſeinem Gehorſam zurückkehrten, ihn um Ver— 
zeihung baten, und er ihnen einen neuen Magiſtrat nach 
ihrem Wunſche vorſetzte. Doch erlebte er die erſehnte Ge— 
nugthuung nicht mehr; ſein Geiſt war bereits der Me— 
lancholie, ſein Körper den Leiden und der nahen Auflöſung 
verfallen. Am Mariä-Himmelfahrtstage erholte er ſich 
ein wenig, und beichtete: das heilige Sacrament konnte 
er aber, wegen anhaltenden Erbrechens, nicht nehmen. 
Tags darauf, Mitwoch den 16 Auguſt 1419, klagte er 
zwar nur über Schmerzen im linken Arme, die ihn ſchon 


422 VI Buch, 6 Kapitel, K. Wenzel IV. 


1419 ſeit etwa zehn Tagen nicht verlaſſen wollten: gegen Abend 
jedoch traf ihn ein neuer Blutſchlag mit ſolcher Heftigkeit, 
daß er binnen wenig Stunden, unter furchtbarem Stöh— 
nen, den Geiſt aufgab.??? Seine Günſtlinge umſtanden 


529) Der Verfaſſer der von Pelzel (im Vorbericht zum 2ten Bande 
ſeines Wenceslaus) zuerſt erwähnten Incidentia, ein eifrig anti— 
huſſitiſcher Schleſier, gibt nachſtehende Detailangaben über 
Wenzels Tod: Animadvertens rex, se quasi ab omnibus suis — 
fore derelictum, coepit ingemiscere et de die in diem magis 
ac magis anxie turbabatur, nec potuit per quempiam conso- 
lari, usque ad festum Assumptionis virginis gloriosae, quod 
tunc fuit feria tertia; quo die aliquantulum recreatus, suorum 
fecit confessionem peccatorum; sed propter vomitum, quo 
vexabatur die illo, corpus Domini sumere non potuit. — Feria 
quoque quarta immediate sequente ante meridiem nullum alium 
sensit dolorem, quam in sinistra manu, de quo per dies novem 
aut decem querulabatur continue; et post meridiem, facto jam 
prandio, hora diei XIX, ut quidam ajebant, in morbum in- 
cidit apoplecticum, et circa horanı ejusdem diei XXII mor- 
tuus est in dicto novo castro, ipsum circumstantium suorum 
in medio dilectorum. Quidam vero asserebant, ipsum regem 
per suos gratiarios seu dilectos, qui eum in modum coronae 
cinxerant, suffocatum; et hoc affırmabat Johannes Bechinie, 
regis Bohemiae tunc subcamerarius, dicens, sibi hoc ab uno, 
qui interfuit, fuisse secrete revelatum. Et si sic, prout vehe- 
mens est suspicio, quod tali modo sit extinctus, tunc -impleta 
est prophetia etc. Aeneas Sylvius berichtet darüber cap. 37: 
Nec mora, paralysi correptus, aegrotare coepit (30 Juli), atque 
infra XVIII dies (alſo richtig 16 Auguſt) signatis nominibus 
haereticorum, quos neci destinaverat, fratrem assidue vocitans 
et amicorum auxilia anxius exspectans, ante vita excessit, quam 
vocati principes adessent ete. Daß Wenzel am Schlagfluſſe 
ſtarb, darüber iſt in allen gleichzeitigen Quellen nur eine Stimme, 
und es leuchtet ſelbſt aus den obigen Worten der Ineidentia 
hervor, trotz der nicht abſichtlos eingeſtreuten »vehemens su- 
spieio«; da in dem ungewöhnlichen Weichmuth, dem anhal— 
tenden Schmerz im linken Arme, dem wahrſcheinlich durch 
Blutcongeſtionen gegen den Kopf erzeugten Erbrechen, die patho— 


K. Wenzels Tod. 423 


den Sterbenden im Kreiſe, wie ſie von jeher ſeine nächſte 1419 
Umgebung gebildet hatten. 

Königin Sophie ließ den Leichnam ihres Gemahls ein— 
balſamiren und am 18 Auguſt zuerſt in der St. Peters— 
kirche auf dem Wysehrad ausſtellen; wegen der furchtbaren 
Stürme, die unmittelbar darauf in Prag ausbrachen, konnte 
ein gewöhnlicher Leichenzug ihm zu Ehren nicht veranſtaltet 
werden. In der Nacht auf den 21 Auguſt brachte man 
die Leiche auf dem kürzeſten Wege in aller Stille in die 
St. Wenzelscapelle der Domkirche; doch da die Tumulte 
auch jetzt noch ſich nicht legten, ſo verzichtete man auf das 
beabſichtigte Leichengepränge, führte die irdiſchen Reſte des 
Königs am 12 Sept. 1419 in das Kloſter Königſaal, wo 
der Verſtorbene ſich ſein Grab im voraus bereitet hatte, 
und beſtattete ihn daſelbſt mit den gewöhnlichen Feierlich— 
keiten zur Ruhe. 

Der möglichſt treue Bericht, den wir über alle Hand— 
lungen K. Wenzels zu liefern befliſſen waren, dürfte ge— 
eignet ſein, über den vielbeſprochenen Charakter dieſes 
Herrſchers hinlänglichen Aufſchluß zu geben, und uns ſomit 


logiſchen Anzeichen der Apoplexie kaum zu verkennen ſind. Die 
beſtimmte und mit allen übrigen Daten übereinſtimmende An— 
gabe der erſten Paralyſe bei Aeneas Sylvius iſt von nicht 
minderem Gewichte. Iſt denn bei einem robuſten Eſſer und 
Trinker der Schlagfluß, und deſſen Wiederholung in kurzen 
Zwiſchenräumen, eine ſeltene Erſcheinung? Was hätten auch 
die Günſtlinge mit der Erdroſſelung ihres Herrn bezweckt und 
erlangt? ihre Herrlichkeit ging ja mit ſeinem Tode zu Ende, 
darüber konnten fie ſich nicht täuſchen. Und wäre die »vehe- 
mens suspicio« nur einigermaßen begründet geweſen, wie wäre 
es gekommen, daß weder Königin Sophie, noch K. Sigmund, 
noch die böhmiſchen Katholiken, noch ſonſt irgend Jemand, 
außer dem Anonymus, darüber auch nur ein Wort hätte fallen 
laſſen? Aus Delicateſſe oder Furcht hätte man ſolches doch 
gewiß nicht unterlaſſen. 


424 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV. 


1419 der Aufgabe überheben, in eine Wiederholung und Zu⸗ 


ſammenſtellung ſeiner einzelnen Züge einzugehen. Der un⸗ 
befangene Leſer wird die Schilderungen, die von poetiſchen 
und unpoetiſchen Federn in alter und neuer Zeit in Menge 
über ihn geliefert wurden, nach ihrem wahren Werth zu 
würdigen wiſſen. Eines iſt gewiß: bei allen geiſtigen und 
ſittlichen Gebrechen, die ſein Andenken für immer trüben, 
blieb dennoch ein Grundübel der Menſchennatur ihm ziem— 
lich fern: die Selbſtſucht. Als kleines Kind war er König 
geworden; als Kind regierte er auch im höheren Alter; 
wohlmeinend und rechtliebend, ſo lange keine unzähmbare 
Leidenſchaft ihn irre leitete, aber unmännlich, launiſch und 
eigenfinnig, wie alle Schwächlinge, die für ſtark gehalten 
werden wollen. Von ſeinem Vater ſcheint er nur eine 
gute Eigenſchaft geerbt zu haben, die wir ſchließlich noch 
hervorheben müſſe n!: die Ordnungsliebe in feinen Finan— 
zen. Er war haushälteriſch, ohne als geizig ſich zu zeigen; 
und da er keinen Ehrgeiz beſaß, der ihn zu großen Unter— 
nehmungen und Ausgaben verleitet hätte, ſo fand er auch, 
bei dem meiſtens geordneten Zuſtand ſeiner Kammer, keine 
Veranlaſſung, ſein Volk mit ungewöhnlichen Steuern zu 
belaſten. Dieſer Umſtand iſt auch ohne Zweifel der vor— 
züglichſte Grund der nicht zu verkennenden Popularität, 
deren der König, ungeachtet aller Mißgeſchicke feiner Res 
gierung, bei der großen Maſſe ſeiner Unterthanen bis zu 
ſeinem Tode ſich zu erfreuen hatte. 


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