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Geſchichte
von
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Böhmen.
Größtentheils
nach
Urkunden und Handſchriften.
Von
Franz Palacky.
Dritten Bandes erſte Abtheilung.
Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum Ausbruch des
Huſſitenkrieges. Vom Jahre 1378 — 1419.
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Prag.
In Commiſſion bei Kronberger und Riwnak.
1845.
Druck der k. k. Hofbuchdruckerei von Gottlieb Haaſe Söhne.
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Inhalts⸗überſicht.
Sechstes Buch.
Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum Aus
bruch des Huſſitenkrieges. Vom J. 1378 - 1419.
Seite
Erſtes Capitel. König Wenzels IV erfte Regie:
gierungsperiode. Das große Schisma. Die politiſchen
Verhältniſſe bei Wenzels Regierungsantritt. Deſſen Cha—
rakter und erſte Beſtrebungen. Verhältniß zu Frankreich
und England. Lage von Italien, Deutſchland und Böh—
men. Wenzel und ſeine Günſtlinge; erſter Streit mit der
Geiſtlichkeit. M. Sigmund wird König von Ungarn.
Luxenburg'ſche Hausverträge. Anfang der Unruhen in
Böhmen. Kriege in Deutſchland und Wenzels Abdan—
kungsproject. Judenverfolgung in Prag. Das Prager
Jubeljahr. Bruch zwiſchen Wenzel und dem Prager Erz—
biſchof, und grauſame Behandlung einiger Mitglieder des
Clerus . 8 2 . g ; : ; ; 5 3
Zweites Capitel: König Wenzels IV zweite Regie:
rungsperiode. Der König und ſeine Regierung. Bil—
dung des böhmiſchen Herrenbundes. Wenzels erſte Ge—
fangennehmung und Befreiung. Herzog Johann von Gör—
litz. Neue Schwierigkeiten und Unruhen. K. Sigmund
von Ungarn als Vermittler. Erneuerte Gährung. Der
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IV
Drittes Capitel: K. Wenzels dritte Regierungs-
Mord der Günſtlinge in Karlſtein. Umtriebe der rheini—
ſchen Kurfürſten. Der Herzog von Mailand. Karl VI
von Frankreich und die beiden Päpſte; der Tag zu Rheims.
Neue Unruhen in Böhmen; Markgraf Prokop von Mäh—
ren. K. Wenzels Abſetzung in Deutſchland und Wahl
Ruprechts von der Pfalz. Krieg mit Ruprecht und dem
Herrenbunde. Ruprecht in Italien. Sigmund Reichs—
verweſer in Böhmen. Zweite Gefangenſchaft K. Wenzels
und Kriege in Böhmen. Wenzel in Wien. Sigmunds
Bruch mit Bonifaz IX. Wenzels Flucht.
periode. Beginn kirchlicher Bewegungen in Böhmen.
Anfänge und Grundzüge des kirchlichen Zwieſpalts. Die
Biſchöfe und die Bettelmönche. Erzbiſchof Arneſt und
Kaiſer Karl IV. Vorläufer der Reformation in Böhmen:
Konrad Waldhauſer, Milic von Kremſier, Mathias von
Janow. Die Prager Univerſität und das böhmiſche Schul—
weſen. Thomas von Stitnh. Wiklefs Lehre und deren
Verbreitung in Böhmen. M. Johann Hus und Hiero—
nymus von Prag. Erſte Verdammung von 45 Wiklef—
ſchen Sätzen durch die Prager Univerſität. K. Wenzels
neue Regierung; Krieg mit K. Sigmund; kräftige Maß—
regeln zu Herſtellung der Ruhe im Innern. Verſuche
zur Geltendmachung der römiſchen Königswürde. Bruch
des Königs mit Papſt Gregor XII. Fortſchritte des Wik—
lefismus in Böhmen. M. Hus als Prediger in Bethle—
hem. Das kirchliche Schisma und die Neutralitätsfrage;
beide Päpfte von ihren Cardinälen verlaſſen. Neue Re:
actionsverſuche gegen den Wiklefismus in Böhmen. K.
Wenzel, das Cardinalscollegium und die Prager Univer—
fität. Streit um die drei Stimmen; Nicolaus von Lob—
kowic. Auswanderung der deutſchen Profeſſoren und Stu—
denten aus Prag
Viertes Capitel: Entwickelung und Verbreitung
der Huſſiſchen Lehre. König Wenzel und das Con—
cilium von Piſa. Dreiheit der Päpſte. Widerſetzlichkeit
des böhmiſchen Clerus. Bulle Alexanders V. Wiklefs
Bücher werden in Prag verbrannt. M. Hus vor die rö—
Seite
154
miſche Curie geladen. Dreiheit der römiſchen Könige.
Joſtens Tod und der Heimfall Mährens. Aus ſöhnung
Wenzels mit Sigmund. Vergleich zwiſchen dem Prager
Erzbiſchof und M. Hus. Papſt Johanns XXIII Kreuz—
und Ablaßbullen, und Tumulte darüber in Prag. M. Hus
und Stephan von Palec. Hus im päpſtlichen Bann, muß
Prag verlaſſen. Die Erzbiſchöfe Albicus und Konrad.
Synode zu Prag. Die katholiſchen Profeſſoren aus Böh—
men verbannt. Hus auf dem Lande. Reiſen des M.
Hieronymus von Prag. Verhältniſſe zwiſchen Böhmen
und Polen. Ausſchreibung des Conſtanzer Conciliums.
Hus entſchließt ſich, dahin zu gehen
Fünftes Capitel: M. Johann Hus und das Con⸗
ſtanzer Concilium. Das Concilium und feine Haupt—
zwecke; K. Sigmunds Verdienſte um dasſelbe. Huſſens
Vorbereitung und Reiſe nach Conſtanz; ſeine Gegner,
ſeine Verhaftung daſelbſt. Papſt Johann XXIII. König
Sigmunds erſtes Auftreten in Conſtanz. Proceß gegen
Hus. Beginn der utraquiſtiſchen Communion in Böh—
men. Johanns XXIII Flucht von Conſtanz. M. Hiero—
nymus von Prag wird gefangen eingebracht. Verwen—
dungen zu Gunſten Huſſens. Deſſen dreimaliges Verhör.
K. Sigmunds Urtheil über ihn. Beſchluß des Conciliums
gegen die Communion unter beiderlei Geſtalten. Wer:
gebliche Bemühungen, Hus zum Widerruf zu ſtimmen.
Seine Verurtheilung und Hinrichtung
Sechstes Capitel: König Wenzels letzte Regie—
rungsperiode. Sonderung der kirchlichen Parteien in
Böhmen und K. Wenzels ſchwankende Haltung dabei.
Großer Landtag in Prag und deſſen drohender Brief an
das Concilium. Huſſitiſcher und katholiſcher Herrenbund.
Das lange Interdict von Prag. Des M. Hieronymus
von Prag Widerruf und Rückfall, letzte Verhöre und Hin—
richtung in Conſtanz. Folgen davon in Böhmen. Wei—
tere ſtrenge Maßregeln des Concils. Der Huſſiten be:
ginnende Spaltung in Calixtiner und Taboriten. Die
Prager Univerſität und die utraquiſtiſche Communion.
Papſt Martin V und die Kirchenreform. Schluß des
V
Seite
De)
—
307
VI
Concils von Conſtanz. K. Wenzels zweideutiges Beneh—
men. Er entſcheidet ſich endlich gegen die Huſſiten. Be—
ginn innerer Unruhen. Die Volksführer Nicolaus von
piſtna und Johann Zijfa von Trocnow. Volksverſamm—
lungen am Taborberge. Fenſterſturz der Neuſtädter Raths—
herren. K. Wenzel ſtirbt. Schlußbemerkungen
Seite
369
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Sechstes Buch.
Böhmen unter König Wenzel IV, bis zum
Ausbruch des Huffitenfrieges.
Vom J. 1378 — 1419.
Erſtes Capitel.
König Wenzels IWerſte Regierungsperiode.
Das große Schisma. Die politiſchen Verhältniſſe bei Wen—
zels Regierungsantritt. Deſſen Charakter und erſte Be—
ſtrebungen. Verhältniß zu Frankreich und England. Lage
von Italien, Deutſchland und Böhmen. Wenzel und ſeine
Günſtlinge; erſter Streit mit der Geiſtlichkeit. M. Sig—
mund wird König von Ungarn. Luxenburg'ſche Hausverträge.
Anfang der Unruhen in Böhmen. Kriege in Deutſchland
und Wenzels Abdankungsproject. Judenverfolgung in Prag.
Das Prager Jubeljahr. Bruch zwiſchen Wenzel und dem
Prager Erzbiſchof, und grauſame Behandlung einiger Mit—
glieder des Clerus.
(Jahr 1378 — 1393.)
Das Jahr 1378, bei welchem unſere Erzählung wie—
derbeginnt, iſt durch die Todesfälle der beiden Häupter der
Chriſtenheit, Papſt Gregor XI und Kaiſer Karl IV, fo
verhängnißvoll geworden, wie nur wenige in der Geſchichte.
Bekanntlich war das ganze Staats- und Kirchenleben der
abendländiſchen Chriſten im Mittelalter urſprünglich auf
das vorherrſchende, wenn gleich nicht unbeſchränkte, Walten
des einigen römiſchen Kaiſers und des Papſtes, und auf
ihr gegenſeitiges Verhältniß, gegründet geweſen. Die Be—
ſtrebungen dieſer zwei ſouverainen Gewalten, ſich bald über
einander zu erheben, bald das verlorene Gleichgewicht
wieder herzuſtellen, hatten Jahrhunderte lang, und dieß
1%
1378
4 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1378 nicht im ſogenannten römiſchen Reich allein,“ faſt den ganzen
Inhalt der Geſchichte gebildet; denn eine dritte Macht hatte
ſich außerhalb ihrer Sphäre noch nicht ausbilden, viel
weniger geltend machen können. Nach dem Ableben Gre—
gors XI und Karls IV aber geriethen jene beide Gewalten,
durch den Zwieſpalt, ſo wie durch die Sitten- und Hal—
tungsloſigkeit ihrer höchſten Träger und Repräſentanten, zu
gleicher Zeit in einen ſo tiefen und lang anhaltenden Ver—
fall, daß ewigen Naturgeſetzen gemäß ihnen gegenüber im
Volke endlich eine dritte Macht entſtehen konnte und mußte,
welche durch ihr gewaltiges Auftreten nach und nach das
ganze Staats- und Kirchenleben der Chriſten umſtaltete;
zuerſt in Böhmen, ſpäter faſt in allen Ländern Europas.
Das erſte und wichtigſte Moment dieſer neuen Epoche
war ohne Zweifel der ſchon im vorigen Bande dieſes Werkes
angezeigte Ausbruch des großen Schisma in der
römiſchen Kirche. Bei der hohen Bedeutung desſelben für
unſere ganze ſpätere Geſchichte, müſſen wir etwas umſtändlicher
darauf zurückkommen. Das Collegium der Cardinäle war
bei Gregors XI Tode größtentheils aus Franzoſen zuſam—
mengeſetzt, welche dem verſtorbenen Papſte nicht alle, und
nur ungern, nach Rom gefolgt waren. Da es allen An—
ſchein hatte, daß der künftige Papſt wieder nach Avignon
zurückkehren, und das durch die lange Abweſenheit der
Curie ſehr in Verfall gerathene Rom ſeinem Schickſal über—
laſſen werde: ſo ließen die Römer bei der neuen Sperrung
des Conclave am 7 April 1378 kein Mittel unverſucht,
die Wahl eines Römers oder wenigſtens eines Italieners zu
erlangen, der ſeinen Sitz in Rom bleibend wieder aufſchlüge.
8 Apr. Am Wahltage, den 8 April, rotteten ſie ſich in großer
1) Für Frankreich, England und andere Länder, in welchen des
Kaiſers Gebote nicht anerkannt wurden, half man ſich in dieſer
Hinſicht mit der Vorſtellung aus, daß die Könige dieſer Län—
der ſelbſt die Stelle des Kaiſers in denſelben vertraten.
Das große Schisma. 5
Zahl zuſammen, zogen bewaffnet vor das Conclave, und
bedrohten die Cardinäle mit dem Tode, wenn ſie nicht nach
des Volkes Sinne wählten. Man hat hernach die römi—
ſchen Cardinäle, insbeſondere die Orſini's, beſchuldigt, daß
ſie dieſen Tumulten nicht fremd geblieben, um die Wahl
auf einen der Ihrigen zu lenken; doch erlangten ſie dieſen
Zweck keineswegs, und die Gefahr, welche für den Augen—
blick alle Parteien im Conclave neutraliſirte, hatte nur die
Folge, daß alle Stimmen ſich in kurzer Zeit in der Wahl
eines Nicht-Cardinals, des Erzbiſchofs von Bari, Bartho—
lomäus von Prignano, vereinigten. Der Umſtand nun,
daß die Cardinäle es nicht wagten, die getroffene Wahl
dem Volke ſogleich zu verkündigen, ſondern es durch Aus—
flüchte und Vorwände täuſchten, bis der Sturm über ihren
Häuptern weggezogen war, beweiſt allerdings, daß dieſe
Wahl weder vollkommen frei, noch auch eigentlich erzwun—
gen geweſen. Für ihre volle Giltigkeit iſt aber die That—
ſache wohl entſcheidend, daß auch nach hergeſtellter Ordnung
nicht nur keine Proteſtation gegen den neuen Papſt, welcher
den Namen Urban VI annahm, erfolgte, ſondern daß alle
Cardinäle ohne Ausnahme (auch die in Avignon zurückge—
bliebenen) ihn anerkannten, ihm huldigten, und die getroffene
Wahl und Krönung in eigenhändig unterſchriebenen Bullen
dem Kaiſer und der geſammten Chriſtenheit verkündeten.
2) Hält man die vielen umſtändlichen Berichte von Theilnehmern
und Augenzeugen (wie ſie einerſeits von Raynaldi zum J. 1378,
anderſeits von Baluze in den Noten zu feinen Vitae paparum
Avenionensium, von Lenfant in der Histoire du concile de Pise
u. a. m. fleißig zuſammengeſtellt worden ſind) gegeneinander,
ſo wird man ſich ſchon durch dieſes Beiſpiel allein überzeugen
müſſen, wie wenig man den einſeitigen Berichten ſelbſt der
Beſtunterrichteten trauen darf, und wie das »Audiatur et al-
tera parse, daher ſtrenge Kritik überhaupt, in aller Geſchichte
unerläßliche Erforderniſſe ſind, wenn man Geſchichte und
nicht Partei-Deductionen ſchreiben will.
—
378
1378
6 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
Papſt Urban VI, bei ſeiner Erhebung etwa 60 Jahre
alt, klein und dick von Geſtalt, war ein gelehrter, offener
und gerader, ſtreng ſittlicher, für Religion und Gottesdienſt
eifriger und unbeugſamer Mann, zudem ein abgeſagter
Feind aller Simonie; aber auch hochfahrend, herriſch, hart
bis zur Grauſamkeit, eigenſinnig (obgleich für Schmeichler
nicht ganz unzugänglich) und dem maßloſeſten Nepotismus
offen fröhnend. Sein Eifer für Abſchaffung der vielen ein—
gewurzelten Mißbräuche entbehrte zu ſehr der nothwendigen
Klugheit und des Wohlwollens, als daß er zum Ziele ge—
führt hätte. Er wollte mit den Reformen gleich bei den
Cardinälen und den höchſten Prälaten ſeines Hofes be—
ginnen; nur waren öffentliche Beſchämung, Schmähungen
und Drohungen nicht die rechten Mittel dazu. Die vielfach
beleidigten Cardinäle verließen in der Sommerhitze Rom,
unter dem Vorwande der Malaria, vereinigten ſich in
Anagni, und gewannen dort Muße, ihren Unmuth über
die getroffene Wahl wechſelſeitig auszutauſchen. Da Urban
das ihm gemachte Anſinnen, nach Avignon zurückzukehren,
kurz und entſchieden von ſich wies, und den zu ihm ge—
ſandten Herzog Otto von Braunſchweig, Gemahl der Kö—
nigin Johanna von Neapel, durch rückſichtsloſe Behandlung
ſich zum Feinde machte: ſo gewannen die mißvergnügten
Cardinäle ſowohl bei dem Könige von Frankreich, als auch
bei der Königin von Neapel, Schutz und Aufmunterung,
und faßten endlich, vier Monate nach Urbans VI Wahl
und Krönung, den Entſchluß, dieſelbe für tumultuariſch
erzwungen, daher kanoniſch für ungiltig, zu erklären.
Als die fo beginnende Spaltung zu Kaiſer Karls IV
Kenntniß gelangte, ſandte er alſogleich ſeine Boten zu den
Cardinälen, ermahnte und beſchwor ſie, inne zu halten in
ihrem Beginnen, zu Urban VI zurückzukehren, ſich mit ihm
auszufohnen und fo dem drohenden Ruin der Kirche zu:
Das große Schisma. 7
vorzufommenz und da dieſelben bald darauf von Anagni
nach Fondi im Neapolitaniſchen ſich begeben hatten, ſo for—
derte er auch die Königin Johanna von Neapel auf, ihren
Vaſallen, den Grafen von Fondi, zu hindern, daß er den
abtrünnigen Cardinälen keinen Vorſchub leiſte. Aber bei
dem vollen Einverſtändniſſe der Cardinäle nicht nur mit
der Königin von Neapel, ſondern auch mit dem Könige
von Frankreich, hielten Jene ſich für vollkommen geſichert,
und wählten ſchon am 20 Sept. 1378 zu Fondi einen aus
ihrer Mitte, den Cardinal Robert von Genf, zum Gegen—
3) Karl IV hat in feinem Briefe an die Cardinäle (welcher mit
dem von Pelzel im Urkk. Buch Nr. 347 S. 389 mitgetheilten,
an die Königin Johanna von Neapel erlaſſenen, in der Faſſung
größtentheils übereinſtimmt) ſchon alle Gründe für die Giltig—
keit von Urbans VI Wahl aufgeſtellt; wir führen daraus nur
einige Stellen an. Decet Imperatoriam Majestatem orbis pro-
movere rempublicam, et damnosis discordiarum periculis, prae-
sertim quibus status et sperata tranquillitas universalis eccle-
siae sanctae dei laeduntur, quantum Altissimus dignatur con-
cedere, salubriter providere. Sane volubilis famae loquacitas
his diebus Caesareum re stupenda nimis turbavit auditum, qua-
liter quidam domini cardinales se — Urbano pp. VI — mo-
liantur opponere, et ab ipso quibusdam praetensis coloribus
sint diversi. — Quia ex literis majoris partis dietorum domi-
norum cardinalium, nobis post electionem et coronationem
dieti domini nostri papae successive transmissis, quas cauta
custodia recondi mandavimus, constat clarissime, — dietum
dominum nostrum papam — concorditer et canonice electum
ac solemniter coronatum, — assistentibus et consentientibus
sibi vobis, plures, imo multiplices solemnes actus exercuisse et
justo titulo fecisse papales, tam in publicis consistoriis quam
privatis: multum et digne miramur, si diversitas hujusmodi,
quod tamen non credimus, veritati innitatur. Quis inter vos
reverendissimos cardinales seductor et non cardinalis exstiterit,
qui tam scandalosa tamque damnosa — in agris ecelesiae sanctae
dei — malivole zizanizare praesumsit? aut qualiter in tantam
imperitiam tot peritissimi viri devenerunt? u. ſ. w.
1378
20 Sept.
8 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
*
1378 papſte mit dem Namen Clemens VII. Der Umſtand, daß
derſelbe mit dem franzöſiſchen Königshauſe, und entfernter
auch mit dem Hauſe von Luxenburg, verwandt war, gab
ihnen Hoffnung, daß er um ſo leichter allgemeine Aner—
kennung finden werde. Kaiſer Karl IV wollte aber von
einem zweiten Papſte nichts wiſſen, und wurde, unaufge—
fordert, die treueſte und thätigſte Stütze Urbans VI. Seine
Boten eilten an alle Höfe Europas, “ um zu ſtandhafter
Anhänglichkeit an Urban zu mahnen, und die Manifeſte der
abtrünnigen Cardinäle auch durch ihre eigenen Widerſprüche
zu widerlegen. ? Als römiſcher Kaiſer, daher als oberſter
Schirmherr der chriſtlichen Kirche, fühlte er ſich im Ge—
wiſſen verbunden, dem beginnenden großen Übel zu ſteuern;
und noch näher trieb ihn dazu ſein ſeit lange fortgeſetztes
Beftreben, ® die Päpſte von Avignon nach Rom wieder über—
4) Das von Pesina im Phosphorus septic. (Pragae 1673, pag.
194) angeführte Manuſcript »Epistolae Caroli IV Imp. ad
diversos imperii principes, imo etiam vicinos reges, pro Urbano
VI, datae Pragae anno 1378 mens. Aug. Sept. Octobri, haben
wir leider bis jetzt noch nicht wieder auffinden können.
5) So ſandte er nicht nur an alle Höfe vidimirte Abſchriften des
von dem Cardinalscollegium am 8 Mai 1378 über die ein—
müthige Wahl und Krönung Urbans VI an ihn erlaſſenen
Schreibens, ſondern er ließ eine ſolche, unter ſeinem und anderer
14 Fürſten und Herren Siegel, auch an die S. Peterskirche im
Vatican öffentlich anſchlagen. S. Henrici de Knighton chro-
nica de eventibus Angliae, in (Twysden et Selden) Historiae
Anglicanae script. Londini 1652, pag. 2631 8.
6) Vgl. vorigen Bandes 2 Abtheil. Seite 574 fg. Zur näheren
Andeutung der damaligen Verhälniſſe und Beſtrebungen, füh—
ren wir noch aus Urbans VI Briefe an K. Wenzel IV (dd.
1382, 6 Sept. in Pelzels Urkk. Buche S. 53) folgende Worte
an: Utinam tibi notum esset, prout notum erat clarae memo-
riae Karolo Rom. Imperatori, inclyto genitori tuo, quantum Gal-
lica natio semper ad imperium suspiravit! De papatu quid
loquamur? Notum adeo est, quod nulla potest tergiversatione
Das große Schisma. 9
4
zuführen und aus der Übermacht der Könige von Frank- 1378
reich zu erlöſen; ein Erfolg, welcher durch des Gegenpapſtes
Clemens VII Rückkehr nach Avignon wieder in Frage ge—
ſtellt wurde. Da nun nach dem vollendeten Schisma die
vorzüglichſten kirchlichen Autoritäten, und darunter auch die
drei anſehnlichſten Univerfitäten Europa's, Paris, Oxford
und Prag, auf die Berufung eines allgemeinen Conciliums
drangen, ” und bei der ſtrittigen Frage, welcher von den
beiden Päpſten ein ſolches Concilium zu berufen habe, die
Mehrzahl der Zeitgenoſſen ſich dahin vereinigten, daß dieſes
Amt in ſolchem Falle dem gekrönten römiſchen Kaiſer zu—
ſtehe: jo iſt wohl die Meinung vieler Zeitgenoſſen“ nicht
ungegründet, daß es dem perſönlichen Anſehen und Ein—
fluſſe Karls IV, ſo wie ſeiner bekannten Klugheit und
Thätigkeit, wahrſcheinlich hätte gelingen können, das Schisma
bald wieder zu unterdrücken, wenn er nicht zu früh nach
deſſen Ausbruch (den 29 Nov. 1378, wie wir bereits be—
richtet,) geſtorben wäre.
Um nun die Aufgabe, welche ſein längſt gekrönter
Sohn und Nachfolger, König Wenzel IV, zu löſen bekam,
in ihrem ganzen Umfange kennen zu lernen, müſſen wir,
celari: nedum papatum, nedum imperium, sed universi orbis
monarchiam vellent Gallici usurpare, si facultas eorum deside-
riis responderet.
7) Raynaldi ad ann. 1378, F. 43 sq. Baluze in vitis papar. Ave-
nion. II, 864 etc. Pelzels König Wenceslaus I, 79. Zuerft
wollte Clemens VII mit feiner Partei, ſpäter aber auch Urban
VI, von einem Concilium nichts hören.
8) So ſagt z. B. der Verfaſſer des Tractatus de longaevo schis-
mate: Felicissimae recordationis Karolus IV tantae fuit indus-
triae, bonitatis et justitiae, quod verisimiliter creditur, divisi-
onem illam ecclesiae nullomodo durasse longo tempore, si onmi-
potentis dei pietas eum tam subito post ejusdem divisionis
exordium de hoc medio minime sublevasset. (S. meine Sta:
lien. Reife. S. 96).
1378
10 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
außer den kirchlichen, auch die politiſchen Verhältniſſe jener
Zeit, noch etwas näher ins Auge faſſen.
Durch ein merkwürdiges Zuſammentreffen ſehen wir
kurz vor und nach Karls IV Tode auch alle anderen durch
Macht, Charakter und Einfluß ihm ebenbürtigen Monarchen
Europa's von der Weltbühne ſchwinden, und ihre ſämmtlich
noch unmündigen Nachfolger der Leitung charakterloſer, aber
herrſch- und habſüchtiger Verwandten überlaſſen. Zuerſt
war der früher oft von uns genannte König Eduard III
von England abgetreten (1377), und hatte den erſt
13jährigen Enkel Richard IL des von der Schlacht von
Crecy her berühmten ſchwarzen Prinzen Sohn, zum Nach—
folger. Später, am 16 Sept. 1380, ſtarb auch Karl V,
zugenannt der Weiſe, von Frankreich, der ſein Reich, und
die königliche Macht in demſelben, nach den von den Eng—
ländern erlittenen Unfällen, durch kluge, wenn auch nicht
immer gerechte Maßregeln, ziemlich wieder emporgehoben
hatte; und da ſein Sohn und Nachfolger, Karl VI, noch
nicht 12 Jahre alt war, ſo ſtritten ſich deſſen Oheime erſt
lange um die Regentſchaft, die ſie, gleich den Regenten in
England, zur Auflegung der drückendſten Steuern miß—
brauchten, und dadurch blutige Volksaufſtände veranlaßten;
dann, als der nicht unedle Karl VI die Regierung ſelbſt
übernahm, verfiel er bald in eine häufig wiederkehrende
Gemüthskrankheit, und konnte ſchon deshalb nicht conſequent
und kräftig regieren. Auch der durch perſönlichen Charakter
ausgezeichnete König Lud wig von Ungarn und Polen
hinterließ bei ſeinem am 11 Sept. 1382 erfolgten Tode
nur zwei unmündige Töchter, unter der Leitung einer
herrſchſüchtigen, aber mehr eiteln und liſtigen, als ſtolzen
und klugen Mutter. Mit mehr Klugheit und Glück waltete
im Norden Europa's ſeit 1376, zuerſt auch als Vormün—
derin ihres Sohnes, dann ſelbſtändig, Margarethe
von Dänemark, die berühmte Stifterin der Kalmar'ſchen
Die politiſchen Verhältniſſe. Deutſchlands Zuſtand. 11
4.
Union im Jahre 1397; aber auf den Gang der Ereigniſſe, 1378
welche wir zu berichten haben, äußerte ſie keinen merklichen
Einfluß.
Auf dieſe Weiſe ſtellte ſich in kurzer Zeit in allen
größeren Reichen Europa's eine Art Gleichgewicht von
Schwäche nach Außen ein, und K. Wenzel hatte in dieſer
Beziehung für ſeine beiden Kronen, die deutſche und die
böhmiſche, vorerſt keine Gefahren zu beſorgen. Auch im
Innern Böhmens und ſeiner Kronländer hatte durch Karls IV
lange und umſichtige Leitung die ganze Staatsmaſchine einen
ſo geregelten, ruhigen und feſten Gang gewonnen, daß ſie
ohne große Schwierigkeit lange in derſelben Weiſe fortge—
führt werden konnte. Anders war es aber in Deutſchland
und Italien, wo es ſelbſt der langen Regierung Karls IV
nicht gelungen war, einen ganz ruhigen öffentlichen Zuſtand
herzuſtellen. Die Betrachtung dieſes Zuſtandes, wie er ſich
bei Karls IV Tode ergab, iſt faſt in allen Beziehungen
höchſt unerfreulich. Von dem Gedanken an ein einiges
deutſches Vaterland, und von einem entſprechenden Patrio—
tismus, läßt ſich bei allen damaligen großen und kleinen
Machthabern Deutſchlands auch nicht die kleinſte Spur er—
blicken; alles erſcheint in Selbſtſucht verſunken, einzig auf
Mehrung und Feſtigung der eigenen Macht bedacht, und
um die Moralität der Mittel dazu unbekümmert; nur bei
den Städten zeigt ſich hie und da eine wohlthuende Aus—
nahme. Die Herrſchaft der römiſchen Kaiſer beſtand auch
in Deutſchland nur noch der Idee nach; in der Wirklichkeit
war ſie ſeit den Tagen der Hohenſtaufen gebrochen, und
die Kaiſer wurden von den Reichsfürſten in der That nur
als die Erſten unter ihres Gleichen, als die gewählten,
daher von der Zuſtimmung der Wähler abhängigen, Häupter
einer oligarchiſchen Republik angeſehen. Als vorherrſchendes
Moment in der Entwicklung der geſammten Zuſtände läßt
ſich noch immer das Beſtreben der Reichsfürſten erkennen,
12 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1378 ihre Macht auch durch Verwandlung der ihnen übertragenen
Reichsvogtei in wirkliche Landesherrſchaft auszubreiten; und
dieſem entgegen der Drang der unteren Stände, der Reichs—
ritterſchaft und der Städte, ihre Unabhängigkeit, gleich den
Schweizern, durch Einigungen und Eidgenoſſenſchaften un—
tereinander zu ſchützen. Kaiſer Karl IV hatte, in ſeiner
Achtung für die geſetzlichen Formen, es nicht über ſich nehmen
mögen, ſich mit den je länger je entſchiedener auftretenden
unteren Ständen zu verbinden, um mit ihrer Hilfe zu ver—
ſuchen, die Herrſchaft der Fürſten zu brechen; er hatte nur
die Übergriffe auf beiden Seiten zu mäßigen und zu hin—
dern geſucht, dadurch aber den Dank keiner Partei ſich ge—
ſichert. Im Gegentheil hatte ſeine durch eine lange Reihe
von Jahren glücklich gehandhabte diplomatiſche Überlegen—
heit, wodurch er alle Bewegungen der Fürſten, ohne offene
Gewalt, zu hemmen und zu zügeln, und zugleich auch ſeinen
Sohn, gegen ihren Wunſch, aber doch mit ihrer Zuſtim—
mung, zu ſeinem Nachfolger im Reiche zu beſtellen wußte,
eine Reaction bei ihnen hervorgebracht, die dem Reſte von
monarchiſchem Anſehen, welches der römiſche König noch
behalten hatte, verderblich werden mußte, wenn er ſich nicht
fähig erwies, die Rolle ſeines Vorgängers mit gleicher Kraft
und Klugheit fortzuſetzen.
Von dem Charakter und der ganzen Perſönlichkeit
König Wenzels IV hat uns leider kein Zeitgenoſſe ein voll—
ſtändiges naturgetreues Bild hinterlaſſen; nur einzelne Züge
und zufällige, meiſt in Leidenſchaft gefällte Urtheile und
Außerungen, ſind uns von Denjenigen überliefert wor—
den, welche mit ihm perſönlich zu thun hatten, daher
auch aus eigener Anſchauung und Erfahrung zu berichten
im Stande waren.“ Dieſelben Leidenſchaften aber, welche
9) Es iſt auffallend, daß K. Wenzels IV ganzes Zeitalter weder
in Böhmen, noch in Deutſchland, einen Chroniſten hervorge—
bracht hat, welcher die gleichzeitigen Ereigniſſe mit einiger
Deutſchlands Zuſtand. Wenzels Charakter. 13
während feiner Aljährigen Regierung jene großen Partei- 1378
ungen ſchufen, in welche die abendländiſche Chriſtenheit
auch jetzt noch geſpalten iſt, haben auch die widerſprechend—
ſten Urtheile über K. Wenzels IV Charakter und Benehmen,
wie unter ſeinen Zeitgenoſſen, ſo auch bei der Nachwelt
hervorgerufen; daher geſchah es, daß während einerſeits
die Mehrzahl der Schriftſteller ihn als einen gemeinen
Trunkenbold und ſinnloſen Wütherich ſchilderte, es ander—
ſeits auch nicht an Stimmen fehlte, die ihn für einen ein—
ſichtsvollen und wohlwollenden — Märtyrer ausgaben, der
nur dem Haſſe böſer Menſchen unterlegen fei. 1% Bei ſolchem
Widerſpruche der Meinungen kann nur die möglichſt treue
geſchichtliche Erzählung eine gerechte Entſcheidung begründen,
und wir dürfen dem Urtheil des Leſers um ſo weniger
vorgreifen, je weniger es ſich verkennen läßt, daß K. Wenzel
ſelbſt ſein Benehmen in den verſchiedenen Perioden ſeines
Lebens bedeutend geändert hat.
Die Sorgen, welche dem Könige in der erſten Periode
ſeiner Regierung oblagen, laſſen ſich unter folgenden Ge—
Vollſtändigkeit und im Zuſammenhange geſchildert hätte. Nur
einzelne äußerſt dürftige Particularchroniken haben ſich, zumal
über die drei erſten Regierungsperioden K. Wenzels (bis 1409)
erhalten. Was aus ihnen und mehr noch aus gleichzeitigen
Acten zu ſchöpfen war, hat Franz Mart. Pelzel in ſ. »Lebens—
geſchichte des röm. und böhm. Königs Wenceslaus“ (Prag,
II Bde, 1788 — 1790 in 8.) mit großem Fleiße zuſammenge—
ſtellt; dieſes Werk iſt und bleibt die unentbehrliche Grundlage
aller hiſtoriſchen Studien über K. Wenzel und ſeine Zeit; nur
in Hinſicht der Kritik läßt es viel zu wünſchen übrig.
10) Wir erinnern nur an des geiſtreichen Chriſt. Thomaſius
zwei Differtationen über K. Wenzel, darunter eine »Disserta-
tio, in qua ostenditur, Wenceslaum Imp. prope inter martyres
esse referendum, et odium adversus elerum pontificium atque
protectionem Hussi primarias causas videri, cur tam male au-
diat.« (Halae Magd. 1693, in 4.)
14 » Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1378 ſichtspuncten begreifen: Angelegenheiten der römiſchen, nun
in ſich geſpaltenen Kirche; Angelegenheiten des römiſchen
Reichs in Deutſchland und Italien; Verhältniſſe des Hauſes
Luxenburg zu den benachbarten Mächten, insbeſondere
Frankreich und England; Verhältniſſe der Mitglieder dieſes
Hauſes untereinander; und endlich innere Landesangelegen—
heiten von Böhmen.
Das wichtigſte und dringendſte war die Sorge um
Beilegung des kirchlichen Zwieſpalts, der aller Chriſtenheit
das höchſte Aergerniß darbot, und gleich in ſeinem Beginn
ſelbſt in Deutſchland und Böhmen weiter um ſich griff, als
man hätte erwarten ſollen. Wie leidenſchaftlich beide Päpſte
gegen einander verfuhren, wie ſie ſich und ihre Anhänger
wechſelſeitig als Antichriſten mit Bannflüchen belegten, und
nach erfolgloſer Erſchöpfung der geiſtlichen, auch zu den
weltlichen Waffen griffen, wollen wir hier nicht näher aus—
einanderſetzen. Der von den meiſten alten Cardinälen ver—
laſſene Urban VI mußte deren ſich neue ſchaffen, und er—
nannte ihrer (im Nov. 1378) an Zahl 26 auf einmal,
darunter auch den Prager Erzbiſchof, Johann Deko von
Wlasim. 1 Zur Wahrung feiner Intereſſen an K. Wenzels
Hofe ſandte er (im Dec. 1378) den gleichfalls neu ernannten
Cardinal Pileus, aus dem Hauſe der Grafen von Prata,
Erzbiſchof von Ravenna. Aber auch der Gegenpapſt Cle—
mens VII gab vorerſt die Hoffnung nicht auf, den römiſchen
König auf ſeine Seite zu ziehen, da er, von dem jungen
Markgrafen Prokop von Mähren offen begünſtigt, an dem
Biſchof Dietrich von Breslau, an dem Prager Domdechant
Hynek Kluk, ſeinem einſt von Avignon her vertrauten
Freunde, und ſelbſt an dem Wysehrader Dechant Kunes
11) Raynaldi ad ann. 1378, f. 104. Nach einer gleichzeitigen Nach—
richt in Pessina Phosphor. septicorn. pag. 542 hatte Urban VI
unſern Johann Ocko von Wlasim ſchon am 17 Sept. 1378
zum Cardinalat erhoben.
Wenzels erſte Bemühungen. 15
von Weſſel, ! entſchiedene Anhänger gewonnen hatte. Er
beſtimmte ſeinerſeits zu Fondi, am 8 Dec. 1378, den Car—
dinal Guillelmus de Agrifolio zu ſeinem Legaten in Böhmen
und in Deutſchland überhaupt. !
Es iſt nicht zu läugnen: in den erſten Jahren ſeiner
Regierung entwickelte K. Wenzel den größten Eifer, das
Schisma zu unterdrücken, und öffentlichen Frieden in Deutſch—
land herzuſtellen. Wenige Wochen nach ſeines Vaters Tode
ſchrieb er ſchon deshalb einen Reichstag nach Nürnberg aus.
Als er aber dort ankam, fand er, daß die wenigſten Reichs—
fürſten ſein Gebot beachtet und ſich dort, ſei es in Perſon,
ſei es durch Bevollmächtigte, eingeſtellt hatten. Ob er der
ſchlimmen Vorbedeutung, welche darin für ſeine Regierung
lag, ſich bewußt worden ſei, wird uns nicht berichtet. Er
gab aber nach, und ſetzte gleich darauf, nach dem Wunſche
12) Dieſer Kunes oder Konrad von Weſſel befand ſich, als kaiſer—
licher Abgeſandter, in Rom, als Gregor XI ſtarb und Urban
VI gewählt wurde. Eine eigenhändige Note deſſelben (in einer
Handſchrift des Prager Domcapitels, O. 18) macht uns mit
folgender intereſſanten Nachricht bekannt: »Anno 1377, mense
Septembri, D. Karolus imperator destinavit me Conradum,
decanum ecclesiae Wysegradensis, ad D. Gregorium pp. XI
in factis filii sui serenissimi principis Wenceslai pro regno
Romanorum, et misit per me XL millia florenorum eidem Gre-
gorio mutuando. Qui D. Gregorius receptis florenis a me,
incidit in infirmitatem, et mortuus est sabbato ante Laetare
ann. 1378. Post cujus mortem factum est schisma, et duravit
XL annis usque ad concilium Constantiense, in quo fuit elec-
tus Martinus V. Alſo lebte diefer ehemalige Wysehrader De—
chant (der aber ſeine Würde ſchon um 1380 dem Wenzel Kra—
lik von Burenic hatte abtreten müſſen) noch im J. 1418.
Seine Anhänglichkeit an Clemens VII wird, dieſer Nachricht
zu Folge, auch in perſönlichen Verhältniſſen zu den Cardinälen
ihren Grund gehabt haben.
13) Baluze J. c. II, 848 sq. Vita Joannis de Jencenstein (Pragae
1793) pag. 48.
1378
1379
16 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1379 der Fürſten, einen zweiten Reichstag nach Frankfurt am
27 Febr.
Main an.“ Hier wurden dann, auf fein Andringen, in
Gegenwart des Cardinals Pileus, der drei geiſtlichen Kur—
fürſten, des Pfalzgrafen Ruprecht des älteren und anderer
Reichsglieder, am 27 Febr. 1379 Beſchlüſſe gefaßt, denen
zu Folge ganz Deutſchland in ſeinem Innern den Land—
frieden wahren und mit dem Könige für einen Mann bei
Urban VI beharren, daher weder mit Robert von Genf,
der ſich Clemens VII nennet, noch mit deſſen Partei jemals
in irgend eine Verbindung ſich einlaſſen ſollte; auch wurde
beſtimmt, daß wenn K. Wenzel etwa mit Tode abginge,
Niemand zu ſeinem Nachfolger im Reiche gewählt werden
ſoll, der nicht vorher zu ſtandhafter Anhänglichkeit an Ur—
ban VI ſich verpflichtete. Die Abgeſandten des Gegenpapſtes
wurden hier gar nicht vorgelaſſen, und die des Königs von
Frankreich erlangten kein Gehör; ihnen wurde im Gegen—
theil bedeutet, nicht ihr König, ſondern der römiſche, der
künftige Kaiſer, ſei der römiſchen Kirche natürlicher Vogt
und Beſchützer, der auch um die Beſetzung des päpſtlichen
Stuhles vorzugsweiſe ſich zu kümmern habe. 16 Auch ſchrieb
14) Wenker in apparatu archivorum pag. 229 sq. Historia Norim-
berg. diplomatica pag. 320.
15) In der bei Raynaldi (ad ann. 1379 F. 36 — 38) und bei
Baluze (J. c.) gedruckten Urkunde iſt das Datum fehlerhaft ge—
ſchrieben, und ſtatt der Worte »dominicae incarnationis« iſt dort
»dominica Invocavit« (27 Febr.) zu leſen.
16) In der ſo eben erwähnten Urkunde vom 27 Febr. heißt es
unter andern Worten: quippe nos, et nullus alter, tam-
quam rex Romanorum, mediante dei adjutorio futurus impera-
tor, verus et legitimus advocatus et protector sanctae Romanae
ecclesiae, domino papae et fidei Christianae merito et de jure
providere habemus. Das »nullus alter« deutet auf König Karl V
von Frankreich hin, der ſich einen Einfluß auf die Beſetzung
des päpſtlichen Stuhls anmaßte, und Clemens VII begünftigte,
um nur wieder einen Papſt in Avignon zu haben.
Wenzels erſte Bemühungen. 17
K. Wenzel, wie an alle chriſtlichen Fürſten, ſo insbeſondere
an die Königin Johanna von Neapel, eindringliche Briefe
in dieſer Hinſicht; er bedrohte dieſe Letztere mit der Reichs—
acht, 17 wenn ſie nicht alſogleich dem Afterpapſte ihre Un—
terſtützung entziehe. Nun wiſſen wir nicht, ob Johanna
1 Drohung fürchtete: 1° Clemens VII aber fand es ſchon
deshalb gerathen, von Neapel je eher je lieber nach Avignon,
in Frankreichs mächtigeren Schutz, ſich zu begeben.
dem
Vielleicht war es der Wunſch, durch einen Bund mit
Könige Ludwig von Ungarn die Königin Johanna
mehr zu ſchrecken, was K. Wenzel bewog, ſich perſönlich
zu ihm nach Altſohl zu begeben.!“ Obgleich aber Ludwig
an Urban VI feſt hielt, und auch von Dieſem zur Ergrei—
17) Das noch ungedruckte Schreiben K. Wenzels an die Königin ſchließt
nämlich mit folgenden Worten: Vos seriose requirimus et horta-
mur, volentes, ut scismatis errore deposito, ad obedientiam
18)
19)
apostolicae sedis et dieti domini nostri Urbani papae quanto
eitius redeatis; quod nisi feceritis, scitote pro certo, quod culpa
vestra vos destruet, et nos adversum vos velut inobedientem et
indignum vasallum imperii opportuno remedio procedemus.
Freilich paßte eine ſolche Sprache wenig mehr zu den Zeitver:
hältniſſen. Glimpflicher äußerte ſich der König in dem an Jo—
hanna's Gemahl Otto zu gleicher Zeit erlaſſenen Briefe.
Daß ſie im Mai 1379, ſcheinbar wenigſtens und auf kurze
Zeit, wieder zu Urban VI übertrat, erfahren wir aus einem
von Rom am 24 Mai 1379 datirten Schreiben des Letzteren
an K. Wenzel, das ſich im Original in der Bibliothek des
Prager Domcapitels befindet.
Dieſe Reiſe iſt nur durch die in den gleichzeitigen Annales Me—
diolanenses (bei Muratori, XVI, Pa: 772) erhaltene, von bei-
den Königen zugleich zu Altſohl im J. 1379 (ohne Angabe des
Tags) ausgeſtellte Urkunde bekannt; nel hat ſie aber auch
gar nicht Statt gefunden. Wenigſtens kann K. Wenzel nicht,
wie Pelzel will, erſt nach dem 23 Juni, ſondern er müßte ſchon
vor dieſem Tage in Ungarn geweſen ſein; denn eine andere
Urkunde K. Wenzels, die Pelzel nicht kannte, iſt am 8 Juli
1379 zu Karlſtein datirt.
2
1379
18 VI Buch, 1 Kapitel. K. Wenzel IV.
1379 fung der Waffen gegen Johanna ermahnt wurde, ſo ging
er doch in ſolche Vorſchläge nicht ein, indem er bereits mit
Venedig in Krieg verwickelt war. Dagegen erneuerten beide
Könige jetzt ihr Freundſchaftsbündniß, und es iſt nicht zu
zweifeln, daß der ſeit 1372 oft beſprochene Plan, Ludwigs
ältere Tochter und Erbin Marie mit Wenzels Bruder,
dem Markgrafen Sigmund, zu vermählen, neuerdings zur
Sprache gebracht und beiderſeits genehmigt wurde. i
Die große Thätigkeit, welche Wenzel zu Unterdrückung
des Schisma in dieſer Zeit entwickelte, war nicht ſowohl
der Anweſenheit des Cardinals Pileus an ſeinem Hofe, als
vielmehr den noch lebenden vorzüglichſten Räthen Karls IV.
und insbeſondere dem Erzbiſchof Johann Defo von Wlasim
zu verdanken. Dieſer bereits 86jährige und noch immer
rüſtige Greis hatte wohl auch an den diesfälligen Bemü—
hungen Karls IV, deſſen innigſter Vertrauter er war, den
größten Theil gehabt. Er wurde für dieſen Eifer durch
den von Urban VI ihm überſandten Cardinalshut, den
erſten, den ein Böhme trug, belohnt; Cardinal Pileus
brachte ihn nach Böhmen, und übergab ihn demſelben unter
6 März großen Feſtlichkeiten (6 März.) “ Da Ocko hiebei die
Würde eines Erzbiſchofs von Prag niederlegte, ſo wurde
dieſe ſeinem Brudersſohne Johann von Jenſtein, damals
20) De anno 1379, mense Martio, die VI ejusdem mensis, in domi-
nica Reminiscere, hora quasi vesperarum, capellum cardinalatus
Johanni archiepiscopo Pragensi per D. Pileum cardinalem Ra-
vennatensem fuit traditum extra civitatem Pragensem in strata
Montis Kutnae circa cumulum lapidum, qui vulgo dicitur
pausa sive requies beati Wenceslai martyris, in praesentia sere-
nissimae principis D. Elisabethae imperatrieis Rom. et copiosa
multitudine baronum, nobilium regni, praelatorum, magis-
trorum, scholarium studii Pragensis et multorum advenarum
partium diversarum. (M. S. in Pess ina Phosphoro septi-
corn. pag. 542 sq.)
Wenzels erſte Bemühungen. 19
Biſchof von Meißen, zu Theil; “ und auch deſſen Inveſtitur 1379
erfolgte zu derſelben Zeit, mit dem üblichen Gepränge.
Der neue Erzbiſchof war zwar noch jung, aber als Zög—
ling der Univerſitäten von Prag, Padua, Bologna, Mont:
pellier und Paris, vielſeitig gebildet, ein Freund der Lite—
ratur und ſelbſt Schriftſteller, fromm und rechtſchaffen, dabei
jedoch den Weltfreuden, dem heiteren Lebensgenuſſe, Jag—
den, Turnieren und Bällen, nicht abhold; “ er wurde des
jungen Königs Rath und oberſter Kanzler, ſowohl für die
Reichsgeſchäfte, als für die Angelegenheiten von Böhmen.
In ſeinen Erblanden wurde es dem Könige nicht ſchwer,
die Keime des kirchlichen Schisma zu unterdrücken. Dem
Breslauer Domcapitel drohte er mit Einziehung ſeiner
Güter, wenn es dem Biſchof Dietrich, der ſich von Clemens
hatte weihen laſſen, nicht alſogleich öffentlich allen Gehorſam
aufkündige; die Dechante von Prag und Wysehrad wurden
ihrer Würden entſetzt, aber ſpäter, nachdem ſie viele Drang—
ſale erlitten und ſich zur Obedienz Urbans VI zurückge—
21) Erzbiſchof Johann Ocko von Wlasim hatte zwei Brüder: Paul
von Jenſtein, Kammerſecretär Kaiſer Karls IV ſeit 1360, und
Michael von Wlasim. Pauls von Jenſtein (oder Jenzenſtein)
Söhne hießen Martin, Johann (der dritte Prager Erzbiſchof),
Paul Herr auf Stara, und Wenzel, Canonicus in Prag; eine
ihrer Schweſtern war mit dem Prager Bürger Wolfram von
Skworec, dem Vater des gleichnamigen vierten Erzbiſchofs,
vermählt. Das nachmalige (im XVI Jahrh. erloſchene) Ge—
ſchlecht der Herren von Jenſtein ſtammte von Pauls ſo eben
genanntem dritten Sohne, Paul auf Stara (1380 — 1400).
Die gleichzeitige von J. Dobrowſkky zuerſt edirte »Vita Joannis
de Jencenstein« (Pragae, 1793, 8.) iſt von einem einſeitigen
frömmelnden Standpunkt geſchrieben. Das k. k. geheime Ar—
chiv in Wien beſitzt einen ganzen Folioband von noch unbe—
kannten Briefen dieſes Erzbiſchofs im Originalconcept; ein
ſtarker Codex der vaticaniſchen Bibliothek in Rom (Bibl.
Vatie. Nr. 1122) enthält die geſammelten Werke desſelben voll:
ſtändig. (Vgl. Ital. Reife, pag. 57 sq.)
22
—
2 *
20 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1379 wendet hatten, zu einfachen Canonicaten bei ihren Kirchen
wieder zugelaſſen. Nicht ſo leicht ging es aber in Deutſch—
land her, wo es mächtige Fürſten gab, die ungeachtet der
Frankfurter Reichstagſchlüſſe eine ſolche Gelegenheit, aus
dem Streite zweier Parteien Vortheil zu ziehen, nicht un—
benützt laſſen wollten.
In einem ſolchen Falle befand ſich das Kurfürſtenthum
Mainz, um welches ſchon ſeit 1374 zwei Erzbifchöfe ſich
ſtritten, der von Kaiſer und Papſt anerkannte Ludwig von
Meiſſen, und der mehr vom Capitel unterſtützte Adolf von
Naſſau, ohne daß es ſelbſt Karl IV gelungen war, den
Streit anders, als durch einen Waffenſtillſtand auf den
status quo (1375) beizulegen. Da nun Ludwig von Meißen
auch bei K. Wenzel und Papſt Urban VI Anerkennung
fand, ſo war dies für den mehr kriegeriſchen als geiſtlichen
Adolf von Naſſau ſchon Grund genug, ſich mit ſeinem An—
hang auf die Seite des Gegenpapſtes zu ſchlagen. Auf
ähnliche Weiſe benahm ſich auch Herzog Leopold von Oeſter—
reich. Dieſe »Zier der Ritterſchaft«, wie fie in der Blüthezeit
des Fauſtrechts ſeyn konnte, liebte es, nicht allein im offenen
Felde Händel ohne Ende aufzuſuchen, ſondern auch im Ka—
binette durch kühnes und indiscretes Auftreten Vortheile
zu erobern. Niemand hatte darunter mehr zu leiden, als
ſein älterer, friedliebender und geachteter Bruder Albrecht.
Mit dem franzöſiſchen Hofe und mit Clemens VII ließ ſich
Leopold ſchon im Jahre 1378 in Unterhandlungen ein,“ war
23) Pessina Phosphorus septicorn. pag. 195 sd. Der Wysehrader De—
chant hatte an dem Markgrafen Prokop von Mähren einen
eifrigen Beſchützer.
24) Den Brief, in welchem Ludwig von Anjou, Karls V Bruder,
ſchon am 28 Januar 1379 ihm für ſeine Anhänglichkeit an
Clemens VII bewaffnete Hilfe zuſagte, theilt Kurz in ſ. Werke
»Oeſterreich unter H. Albrecht III« (Linz, 1827, I, pag. 290)
mit. Aus dem Chron. Regiense (bei Muratori XVIII, pag. 88)
Wenzels erite Bemühungen. 21
aber eben ſo eifrig bedacht, den König Wenzel in guter
Stimmung gegen ſich zu erhalten. Sein doppeltes Spiel
erwies ſich lange Zeit eben ſo erfolgreich, als es klug an—
gelegt war. Von Clemens VII erhielt er die Zuſicherung
jährlicher Subſidien von 120,000 Ducaten und ſelbſt be—
waffneter Hilfe, ? ohne daß er das Mindeſte zu deſſen
Vortheile unternahm; dagegen mußte ihm K. Wenzel ſchon
am 25 Febr. 1379 die Landvogtei in Ober- und Nieder-
ſchwaben zu Pfande für 40,000 Ducaten verſchreiben, ?“ und
erfahren wir, daß Clemens VII ſpäter (wohl erſt ſeit 1382) mit
dem Gedanken umging, den Herzog Ludwig von Anjou, dieſen
»erudelissimus homo in partibus Galliae et omnibus odio habi-
tus,« fogar zum röm. Kaiſer zu ernennen, daher K. Wenzel,
ſo viel an ihm lag, abzuſetzen.
25) Die Urkunden darüber ſind bei Kurz a. a. O. abgedruckt.
26) In der (bei Dumont II, 1, 127, Lünig Cod. Germ. dipl. II, 885
abgedruckten) Verpfändungsurkunde ſagt Wenzel: — »daß wir
ihme und ſeinen Erben durch der getreuen Dienſt willen,
die er unſerm Vatern fel. Kaiſer Karln, uns und dem heil.
Reich offt ohnverdroſſenlich gethan hat und noch thun ſoll
und mag in künftigen Zeiten, von rechter redlicher Schuld
ſchuldig fein und gelten ſollen 40,000 fl. von Florenze,
gut Gold und ſchwer an Gewicht; dafür wir ihme und ſeinen
Erben verſetzt und verpfendet haben« u. ſ. w. Unbegreiflich iſt
es, wie ſchon Pelzel dieſe Worte mißverſtehen und auf eine
Geldſchuld Karls IV an den Herzog hindeuten, wie fpäter Fr.
Kurz (a. a. O.) gar von einem Darlehen Leopolds an Wen—
zel reden konnte. Hätte Leopold von jener Summe auch nur
einen Heller baar vorgeſtreckt, ſo wäre dies in der Urkunde
gewiß nicht übergangen worden. Daß aber die ganze Ver—
ſchreibung eine reine Gnadenſache »um getreuer Dienſte willen«
war, erhellt ſchon aus der Niedrigkeit der Pfandſumme, welche
bei einem Einkommen von 6525 Gulden jährlich, ſonſt auf
wenigſtens 60000 fl. hätte angeſetzt werden müſſen. Dieſes
Mißverſtändniß bei Pelzel und Kurz hat ſchon Pfiſter und neu—
lich auch Schloſſer zu der ganz unſtatthaften Folgerung verlei—
tet, als habe Karl IV die böhmiſchen Finanzen in Zerrüttung
zurückgelaſſen.
1379
1379
1380
14 San.
22 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
ſpäter noch andere Gefälligkeiten erweiſen, damit er nur
nicht offen für den Gegenpapſt auftrete. Die Erlaubniß,
die der Herzog ſich am 16 Juli 1381 von Clemens geben
ließ, daß er dem Könige von Böhmen“ den Durchzug
durch ſeine Länder ſelbſt zu des Gegenpapſtes Schaden ge—
ſtatten dürfe, beweiſt zur Genüge, daß ſeine Anhänglichkeit
an jenen nicht ernſtlich gemeint war; wie er denn, nachdem
er in den Beſitz jener Landvogtei gelangte,“ ſelbſt den
Schein ſolcher Anhänglichkeit endlich aufgab.
Zu großem Unglück für K. Wenzel und für Böhmen,
ſo wie für die Angelegenheiten des Reichs und der Kirche
allzumal, ſtarben ſchon im J. 1380 nach einander alle die
vornehmſten Räthe, welche Karl IV gebildet und ſeinem
Sohne hinterlaſſen hatte: der 88jährige Cardinal Oéko von
Wlasim, fo wie der ehemalige Magdeburger Erzbifchof,
jetzt Biſchof von Leitomiſchl, Albrecht von Sternberg, beide
an demſelben Tage, 14 Januar 1380; dann am 20 Dec.
1380 der Olmützer Biſchof, Johann von Neumarkt, ehe—
maliger Reichskanzler und muthmaßlicher Verfaſſer der gol—
denen Bulle. Ob die große Epidemie, welche Böhmen im
Laufe dieſes Jahres ſchwer heimſuchte, auch dieſe Todesfälle
veranlaßt habe, wird nicht berichtet. Bis zu dieſer Zeit
hatte man Wenzels Regierung immer nur als eine unmit—
telbare Fortſetzung der Regierung ſeines Vaters anſehen
können; erſt von jetzt an trat ſein perſönliches Walten
deutlicher hervor.
Für den Augenblick gab zwar die Erledigung zweier
Biſchofſitze im böhmiſchen Reiche ein erwünſchtes Mittel
her, die Obedienz Urbans VI in Deutſchland zu fördern.
27) Dieſe Landvogtei übte im J. 1379 und noch ſpäter, Herzog
Wenzel von Luxenburg und Brabant, Karls IV Bruder, aus;
ſie konnte daher dem Herzog Leopold nicht ſogleich überant—
wortet werden. Vgl. Fürſt Lichnowsky's Regeſten vom 23
Juni 1379.
Tod der Räthe Karls IV. Buͤnd mit Frankreich. 23
Der Erzbiſchof von Magdeburg, Peter, ein geborner Böhme, 1380
erzeigte ſich willig, ſeinen Stuhl mit dem von Olmütz zu
vertauſchen. Dadurch wurde es möglich, dem langen Streit
um das Mainzer Erzbisthum ein Ende zu machen. Ludwig
von Meißen entſagte dieſem Erzbisthum, indem er das von
Magdeburg erlangte, und Adolf von Naſſau wurde mit
K. Wenzels und mit Urbans VI Zuſtimmung alleiniger
Kurfürſt von Mainz, nachdem er alle Verbindung mit dem
Gegenpapſte aufgegeben hatte.
Mit dieſem Geſchäfte ſchließt jedoch die Reihe von
ernſteren Bemühungen, welchen Wenzel ſeit Antritt ſeiner
Regierung zur Unterdrückung des Schisma ſich unterzog.
Dieſer König empfand von jeher eine beſondere Vorliebe
für ſeine überrheiniſchen Verwandten, zumal für das könig—
liche Haus in Frankreich; und geſtattete auch überhaupt
ſeinen perſönlichen Gefühlen mehr Einfluß auf die Politik,
als ſein Vater. Als er daher einſah, daß Frankreich nicht
zu bewegen war, von Clemens VII zu laſſen, erneuerte er
(im Juli 1380) die alten Freundſchaftsbündniſſe zwiſchen Juli
den Häuſern Luxenburg und Valois, ohne in denſelben des
Schisma auch nur zu gedenken; was Urban VI zu großem
Leid gereichte. Wenn aber die franzöſiſche Partei auf jene
Neigung des Königs ſogar die Hoffnung baute, ihn am
Ende noch von Urban ab und zu Clemens hinüber zu
ziehen, fo täuſchte fie ſich; ſchon die Pietät gegen den
Vater allein wäre mächtig genug geweſen, ihn von einem
ſolchen Schritte abzuhalten.
Die Cardinäle des Gegenpapſtes hatten ihre Hoffnung 1381
vorzüglich auf die Verhandlungen geſtützt, welche ſeit 1380
von Seite des franzöſiſchen Hofes eingeleitet waren, um
den noch minderjährigen Karl VI von Frankreich mit K.
Wenzels junger und liebenswürdiger Schweſter Anna zu
1381
24 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
vermählen. ' Um fo mehr Mühe gab ſich Cardinal Pileus,
dieſen Entwurf zu vereiteln, und dagegen die Bewerbungen
K. Richards Il von England um dieſelbe Princeſſin zu
unterſtützen. Die Braut, und ihre noch lebende Mutter,
Kaiſerin Eliſabeth, gaben, wie es ſcheint, ſelbſt den Aus—
ſchlag für Richard. Es ging eine feierliche Geſandtſchaft,
an deren Spitze ſich der Cardinal befand,? nach England,
um den Ehevertrag zu ſchließen; und noch vor Ende des
Jahres 1381 langte die böhmiſche Anna in London an.
Ihre dortige Ankunft kündigte ſich gleich durch die Gnade
an, welche fie bei ihrem Gemahl für einige politiſchen Ges
fangenen auswirkte; auch ſpätere häufige Fürſprachen dieſer
Art, und andere Wohlthaten mehr, ſicherten ihr in England
das Andenken und den Namen der »guten Königin Anna.“
Sie brachte nicht allein neue Moden über den Canal mit,
ſondern, was damals nicht minder auffallend war, auch
ein Evangelienbuch in böhmiſcher, deutſcher und lateiniſcher
Sprache zugleich, in welchem ſie fleißig zu leſen pflegte.
Es heißt ſogar, daß ſie zu Überſetzung der ganzen Bibel
ins Engliſche, welche der bekannte M. Johann Wyekliff in
jener Zeit unternahm, ihn insbeſondere angeeifert habe;?“ und
28) Dies lernen wir aus dem Briefe kennen, den damals Petrus
de Sortenaco cardinalis Vivariensis ad Franciscum de Corsinis
et Simonem de Brossano cardinales geſchrieben und Baluze in
den Vitae paparum Avenion. tom. II pag. 864 73 bekannt
gemacht hat. Vgl. daſelſt pag. 869.
29) Baluzius in notis ad tom. I paparum Avenion. pag. 1359 sq-
30) Der berühmte Thomas Arundel, Erzbiſchof von Canterbury,
rühmte bei ihrem Tode die ungewöhnliche Liebe und den Fleiß,
den ſie auf das Leſen der heil. Schrift in der engliſchen Sprache
verwendet, und worin ſie gar manchen Prälaten übertroffen
habe. Daß ſie die Evangelienbücher in den obengenannten
drei Sprachen beſaß, erfahren wir durch Wycliff ſelbſt: nobilis
regina Angliae, soror Caesaris, habet evangelium in lingua tri-
plici exaratum, scilicet in lingua bohemica, teutonica et latina ete.
*
u a 22
- zu u
Verbindung mit England, 25
da fie bis zu ihrem Tode ſtets die innigſte Verbindung mit
ihrem Bruder und ihrem Vaterlande unterhielt, ſo legte
ſie auch den Grund zu den wichtigen Ereigniſſen, welche
ſpäter aus dieſer Verbindung Englands mit Böhmen ge—
floſſen ſind. ö
Der König von England hatte gehofft, durch ſeine
nahe Verbindung mit dem Hauſe Luxenburg, und durch
bedeutende Geldvorſchüſſe, die er an K. Wenzel machte,
ſo wie durch glänzende Geſchenke, welche er unter deſſen
Räthe vertheilen ließ, den böhmiſchen Hof zur Schließung
einer Allianz gegen Frankreich zu bewegen. Auch Urban VI
unterſtützte dieſen Plan auf alle Weiſe, zumal nachdem
Herzog Ludwig von Anjou im Sommer 1382 mit mächtigem
Heere in Italien eingebrochen, er daher in ſeinen Beſitzungen
eben ſo, wie in der Oberherrlichkeit über Neapel bedroht
war. K. Wenzel aber ließ ſich durch nichts bewegen, ſeinen
franzöſiſchen Verwandten irgend Leides zuzufügen; er glaubte
ſeiner Stellung als römiſcher König und als Richards
Schwager ſchon Opfer genug gebracht zu haben, daß er
allem innigeren Verkehr mit dem franzöſiſchen Königshauſe
entſagte. “ Auch war er ſehr unzufrieden geworden mit
Vgl. Vaughan’s Life of Wycliffe, (1828) II, 158 sq. Lives
of the Queens of England, by Agnes Strickland, Lond. 1840.
31) In dem Beſchwerdebrief an Urban VI, welchen Pelzel im Urkk.
Buch Nr. 31 S. 50 (jedoch unvollſtändig und ungenau) edirt
hat, hebt K. Wenzel dieſen Umſtand beſonders hervor: carissi-
mos etiam nepotes nostros, videlicet regem Franciae et patruos
suos, a consortio nostro sejunximus, et quos nobis alti san-
guinis junxit identitas, a dilectionis participatione debita tam-
quam scismaticos decrevimus removendos; sed et ipsorum
principes, nobiles et magnates, militaris exereitii causa terras
nostras pertranseuntes, acceptare contempsimus, et quos regio
honore poscente in terris nostris remunerare debuimus, incon-
solatos abire permisimus viam suam. Darin ſcheint ſich K.
Wenzel ein noch höheres Verdienſt um Urban VI beizulegen,
*
1381
1382
26
VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1382 Urban VI, der mehre Biſchofſitze in Deutſchland, und
darunter vorzüglich den von Breslau, nicht nach ſeinem
Wunſche beſetzt hatte. Dadurch empfindlich gereizt, warf
er dem Papſte ſeinen Undank offen vor, und fügte ſogar
die Drohung hinzu, ſeine Partei zu verlaſſen, wenn er ſein
Benehmen in Zukunft nicht ändere. Daß unter ſolchen
Umſtänden Cardinal Pileus nicht länger am böhmiſchen
Hofe verweilte, bedarf kaum einer Erwähnung.“
In eine Schilderung der Zuſtände Italiens, dieſes
durch ewige Zwietracht und Factionen ohne Zahl zerriſſenen
Landes, konnen wir hier nicht eingehen. Die alten Übel
daſelbſt ſchienen bei der Invaſion Ludwigs von Anjou im
Jahre 1382 ihren Gipfel erreicht zu haben. Da aber die
Herrſchaft der Franzoſen dort noch mehr, als die der Deut—
32)
33)
als in allen übrigen Bemühungen, in welchen er non sine gra-
vibus expensis et sumptibus (man denke hier z. B. an Leopold
von Oſterreich) pro ipsorum (scismaticorum) reprimenda pro-
ter via fecimus effectualiter posse nostrum.
Dignetur Vestrae Beatitudinis clementia ea, quae seribimus,
gratiosis favoribus compensare, ut in talibus perseverare nos,
delectet in antea, nee intervenientibus opus sit aliquibus, quod
absit, obstaculis, nostram in hoc voluntatem mutare. Nam in
casum, quo V. B. favor ad personam nostram, quod absit, re-
flecti non poterit, oportebit nos, licet invitos, nobismet de
solerti cautela et opportuno super hoc remedio providere.
Im J. 1380 hatte K. Wenzel ihn förmlich unter feine Räthe
aufgenommen und ihm, als ſolchen, an der Kuttenberger
Urbur ein Wochengeld von 20 Mark Silber angewieſen. Der
erſt unlängſt edirte gleichzeitige Mönch von St. Denis (Chro-
nique du religieux de St. Denys, Paris, 1839, I pag. 502) nannte
ihn einen »vir cautus mirabiliter et'astutus — in legatione prae-
dicta (im Jahre 1379 — 81) ingentes sibi accumulavit pecunias.«
Da er im J. 1387 fogar felbft zu Clemens VI überging, und
1391 zu Bonifaz IX wieder zurückkehrte, ſo nannte ihn das
Volk in Italien ſpottweiſe den Cardinal »di tre capelli.« Er
ſtarb erſt nach 1398. Vgl. Baluze J. C. I, 1362.
Spannung mit Urban VI. Zuſtand von Italien. 27
ſchen, verhaßt war, und das Land in ſeiner Zerſplitterung 1382
dem Feinde zu widerſtehen nicht vermochte, ſo wendeten
nicht allein der Papſt und die Fürſten, ſondern auch das
Volk ſelbſt, und insbeſondere die Patrioten aus Petrarcha's
Schule, * ihre ſehnſuchtsvollen Blicke nach Böhmen zu K.
Wenzel, der mit ſiegreichen Fahnen herbeieilen, ihre inneren
Zwiſte ſchlichten, den Feind aus dem Lande ſchlagen, und
dafür die höchſte Ehre auf Erden, die Kaiſerkrone von Rom,
34) Ein ſolcher war Antonius de Lemaco, aus deſſen am 24 Oct.
1382 zu Verona an K. Wenzel geſchriebenem noch unbekannten
Briefe wir nicht umhin können einige bezeichnenden Stellen
hier anzufühen. Sane jam tecum invectiva, non obsequio opus
est. — Nec jam legationibus utendum est, nec literis: ense
resecanda sunt mala, crede mihi, arduum et inevitabile aggre-
diendum est facinus, et contra virulentam anguem (Ludwig
von Anjou), quae quotidie adversus te Italiamque tuam violen-
tiorem caudam erigit, explicandae sunt Boemiae regni et Ro-
mani vires imperii; quas in praesentiarum si vinci et labefactari
sinis, necesse est, ut de Germania relato in Galliam imperio,
et ignavus splendidissimorum proavorum heres, et indignus
patris imperatoris successor, toti Hesperiae totique Germaniae
notus monstratusque digito, exsecrabile monstrum, per sylvas et
latebras infamem et lugubrem vitam agas. Nescio, si sentias, ubi
sis; volo te tibi ostendere. — Non decet Hercle, ut apud Latinos
fama vulgatur, sylvestres adversus feras et aves te noctes et
dies pueriliter terere; hominibus, non bestiis, praefectus es. —
In tuae Majestatis opprobrium, proh pudor! nefandus prodiit
antipapa, qui nec deum timet, nec Caesarem reveretur. Adde,
quod nec antipapatu contentus, de Romani subversione im-
perii jam conclusit, Ludovicum Andegavensem ducem, iniqui-
tatis filium suique antipontificatus pugilem, adversus Urbanum
nostrum — non sine imperii sponsione transmisit. — Haec
sunt, quae, serenissime princeps, in gemebunda Italia tua urgent
nova: et tu per lucos et thermas inania consilia agitas, nil de
ecclesia, nil de imperio, nil de Italia, nil de te ipso prorsus
cogitans. — Der Brief ſchließt mit der rührenden Apoftrophe:
Vale et veni, o unicum miserandae Italiae praesidium! —
*
1382
1383
28 VI Buch, 1 Kapitel, K. Wenzel IV.
aus den Händen des Statthalters Chriſti empfangen ſollte.
Zwar hatte der Herzog von Anjou ſich wiederholt gegen
König Wenzel erklärt und verpflichtet, daß er in Italien
nichts gegen Rom, noch gegen das römiſche Reich unter—
nehmen, ſondern nur das ihm von der Königin Johanna
erblich vermachte Königreich Neapel beſetzen wolle; doch
warnten ſowohl der Papſt, als auch andere Italiener, dieſem
Verſprechen nicht zu trauen, ® und dem vorbereiteten Bes
trug, ſo wie der Schande daraus, durch raſchen Entſchluß
zuvorzukommen. Der König verſprach alſo endlich, im
April des nächſten Jahres 1383 aus Böhmen aufzubrechen
und feine Römerfahrt anzutreten; und ſchon dieſe Hoffnung
erfüllte die Italiener und den Papſt mit Freude. Als aber
der Zeitpunct heranrückte, traten unvermuthete Hinderniſſe
dazwiſchen, welche den Römerzug, nach des Königs Worte,
für jetzt unmöglich machten. Daher ernannte er am 5 Juli
1383 feinen Vetter, den Markgrafen Joſt von Mähren,
zu ſeinem Generalvicar in Italien mit voller Macht, und
überließ ihm fortan die Sorge, die Angelegenheiten jenes
Landes zu ordnen. %#
Deutſchlands öffentlicher Zuſtand war es, was den
35) Der Papſt ſchrieb ihm darüber am 6 Sept. 1382, auf ſeine
Jagdluſt anſpielend: Nunc, nunc est tibi permaxime vigilandum,
nunc aperiendi sunt oculi, nunc tuus accelerandus adventus:
hic latet lepus, hic sunt insidiae, hic decipula, hie laqueus!
Vgl. Pelzels Urkk. Buch, Nr. 33, S. 53.
36) Urkunden bei Pelzel J. . In einem zu gleicher Zeit an einen
italieniſchen Fürſten erlaſſenen Schreiben ſagte der König:
Scimus et experimento didicimus, quod ex diutina nostrae Ma-
jestatis absentia in Italiae partibus pro varietate temporum
honor, jura, justitia, et libertas imperii distracta sint hactenus
et per amplius quotidie distrahantur. Pro quibus reformandis
dudum partes ipsas personaliter adire decrevimus, si non here-
ditariarum terrarum nostrarum, nec non aliorum grandium
agendorum imperii per Almaniam evidens quidem et diversa
necessitas hujusmodi nostro proposito firmo obice restitissent ete.
Zuſtand von Italien, Deutſchland, Böhmen. 29
König gehindert hatte, nach Italien zu ziehen. Es war 1383
ihm zwar gelungen, auf dem Reichstage zu Nürnberg am
11 März 1383 mit Hilfe der Fürſten einen allgemeinen
Landfrieden wieder zu Stande zu bringen, dem zu Folge
ganz Deutſchland in vier »Parteien« getheilt wurde, welche
nicht allein unter einander Frieden halten, ſondern auch
jede Störung desſelben durch gegenſeitige Hilfe hindern
und ſtrafen ſollten. Da jedoch dieſer Landfriedensbund
den Fürſten und fürſtenmäßigen Herren, durch deren Zuthun
er geſtiftet worden war, mehr Gewalt einzuräumen ſchien,
als es die Reichsſtädte mit ihren Rechten und Intereſſen
für verträglich hielten: ſo weigerten ſich dieſelben ihm bei—
zutreten, und das gegenſeitige Mißtrauen nahm eine um
ſo drohendere Geſtalt an, je mehr die Parteien ſich zu orga—
niſiren fortfuhren. Daß der König in ſolchem Zeitpuncte
es nicht gerathen fand, Deutſchland zu verlaſſen, iſt be—
greiflich, zumal er unter jenen Umſtänden auch keine wirk—
ſame Unterſtützung für ſeinen Römerzug zu hoffen hatte.
Er ſetzte daher ſeine Friedensverhandlungen, mehr in der
Art eines Vermittlers als eines Herrn, fort, und brachte 1384
endlich zu Heidelberg am 26 Juli 1384 eine Einigung
zwiſchen den Fürſten und den Städten zu Stande, deren
Dauer jedoch, ſonderbar genug, vorläufig nur auf vier
Jahre beſtimmt wurde.
Das Königreich Böhmen erfreute ſich in den erſten
zehn Jahren der Regierung K. Wenzels einer ungetrübten
öffentlichen Ruhe und eines Wohlſtandes, wie dergleichen
im ganzen Mittelalter nur ſelten zu finden waren. Die
Zeitgenoſſen ſelbſt bedienten ſich ſpäter, zur Bezeichnung
dieſer glücklichen aber kurzen Epoche, eines finnlichen Bildes,
das bei aller Übertreibung wenigſtens ſehr ſprechend iſt:
ſie ſagten, wer damals mit einem Goldſacke auf dem Kopfe
von einem Ende des Landes zum andern gewandert wäre,
ger hätte nicht zu fuͤrchten gehabt, daß ihm etwas zu Leide
30 VI Buch, 1 Kapitel. K. Wenzel IV.
1384 geſchehe. “ Freilich wurde das Verdienſt davon hauptſächlich
den noch von Karl IV getroffenen Anſtalten zugeſchrieben;
gleich wie auch Gottes Segen auf Kuttenbergs Silbergruben
ruhte, und Prag durch ſeinen ausgebreiteten Handel, und
durch die Univerſität, zu welcher aus allen Ländern Europa's
Wißbegierige in Menge herbeiſtrömten, in hoher Blüthe
ſtand. Das Volk aber zeigte ſich mit K. Wenzels Regie—
rung um ſo zufriedener, als es bei fortwährendem Genuſſe
des von Karl IV geficherten Friedens, gleichwohl mit fo
außerordentlichen Abgaben, wie noch Karl ſie öfter gefor—
dert hatte, fortan verſchont blieb; denn Böhmen war, die
ganze Regierungszeit K. Wenzels hindurch, vielleicht das
am billigſten beſteuerte Land in Europa. Auch lobte man
es an dem jungen Könige, daß er oft verkleidet und un—
erkannt perſönlich die ſcharfe Polizei machte, Unterſchleife
in Maaß und Gewicht bei Prager Gewerbleuten auf der
Stelle ahndete, ſich der Armen gegen die Reichen, der
Juden gegen die Chriſten annahm, Mißbräuche der niederen
Amtsgewalt ſtreng beſtrafte, und ſelbſt von den Scandalen
in einzelnen Haushaltungen, zumal der Geiſtlichen, Kenntniß
nahm und in dieſelben mit raſcher Juſtiz rückſichtlos ein—
griff u. ſ. w. Dieſe Emſigkeit des Herrſchers war indeß
wohl beſſer gemeint als berechnet; zeigte er dadurch einige
Größe im Kleinen, ſo konnte auch der Rückſchlag nicht
ausbleiben, daß er ſich nachher in großen Dingen klein er—
wies. Überdies gewöhnte er ſich durch zu häufiges un—
mittelbares Einſchreiten an die Verletzung mancher heilſa—
men Verwaltungsformen.
Im höchſten Rathe des Königs, für die böhmiſchen An—
gelegenheiten, ſaßen in dieſer Zeit: zuerſt die Markgrafen
Joſt und Prokop von Mähren, und Herzog Premek von
37) Script. rer. Boh. III, 3, 26. Cf. Tractatus de longaevo schis-
mate cap. 7 in Italien. Reiſe p. 96. Bohuslai Balbini vita Ar-
nesti etc.
Landesverwaltung in Böhmen. 31
Teſchen; dann der Prager Erzbiſchof, Johann von Jenſtein, 1384
als oberſter Kanzler, der Titular-Patriarch von Antiochien
Wenzel Kralik von Burenic, 3 und Hanko Brunonis, Propſt
von Lebus, königl. Landesunterkämmerer. Von den oberſten
Hof⸗ und Landesbeamten gehörten nur einige zugleich unter
die höchſten Räthe. Solche waren: die Oberſtburggrafen
Peter von Wartenberg auf Koſt 1381—86 und Otto von
Bergow 1388 — 93; die Oberſtlandkämmerer Witek von
Landſtein 1379 — 80 und Heinrich Skopek von Duba auf
Libesic 1381— 915 die Oberſthofmeiſter Konrad Krajir von
Kreigk auf Landſtein 1380 — 85 und Heinrich Skopek von
Duba (wie oben) 1385—95; der Oberſthofkämmerer Tiema
von Kolditz 1378 fg.; als Oberſtlandrichter fungirte der
ehrwürdige Andreas von Duba bis 1394. Die meiſten hier
genannten waren ſchon von Karl IV im Staatsdienſt an—
geſtellt worden; unter ihnen ſcheint K. Wenzel zu Herrn
Heinrich Skopek von Duba (c 1395, 6 Mai) das meiſte
Vertrauen gehabt zu haben, da er nicht nur mehre Amter
auf ihn und ſeinen älteren Bruder Benes häufte, ſondern
ihn auch im Jahre 1380 und 1386 zum Reichsverweſer in
Böhmen, für die Zeit ſeiner Abweſenheit, ernannte. Die
Amter des oberſten Landmarſchalls, des oberſten Truchſeſſen
und Mundſchenks, waren bereits in den Familien von Lipa,
von Haſenburg und Wartenberg erblich geworden, und
auch ſchon zu bloßen Titeln herabgeſunken.
Neben den höchſten Behörden, welche K. Wenzel ihren
gewohnten Gang nehmen ließ, organiſirte er ſich jedoch
frühzeitig eine Art Kabinetsregierung, welche unmittelbar
von ihm ausging, und ſich durch Raſchheit und Rückſicht—
loſigkeit auszeichnete. Wenzel wählte dazu am liebſten
Männer von niederem Adel, die durch Geiſt und Energie
38) Dieſer Wenzel Kralik von Burenic ftand von 1380 bis 1416,
wo er ſtarb, als innigſter Vertrauter ſtets an der Seite des
Königs, ohne ſich durch irgend etwas ausgezeichnet zu haben.
32 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1384 hervorragten, ihm aber unbedingt gehorchten. Die vorzüg—
lichſten Glieder dieſer Art von Camarilla waren in dieſer
Zeit: Georg von Roztok, gewöhnlich nur »pan Jira« ge—
nannt, des Königs erſter Oberſtjägermeiſter und Burggraf
in Bürglitz 1380 —84, dann Landesunterkämmerer 1384 fg.
und Oberfthofmeifter der Königin (bis 1400); Wenzel er—
hob dieſen ſeinen Liebling in den Stand der Barone des
Reichs und ſchenkte ihm, neben anderen Gütern, auch die
anſehnliche Burg Krakowec; Johann Cüch von Zaſada,
Herr auf Lobkowie und Nawarow, Marſchall des königli—
chen Hofes 1380 — 1399; Hyncik Pluh von Rabſtein, auf
Orlik und Sternſtein; Boriwoj von Swinar; Sigmund
Huler, ein Prager Bürger, ſeit 1387 königlicher Unter—
kämmerer; Kunat Kapler von Sulewic, Chwal von Rzawy
auf Koſtelec, Wysehrader Burggraf u. a. m.
Unter dem Einfluſſe dieſer Männer ſtand in ſeiner
erſten Regierungsperiode König Wenzel, der zwar viel
darauf hielt, ſelbſt zu regieren, aber, von ſeinem Vater
früh verwöhnt und zu viel bevormundet, trotz der herbſten
Schule des Schickſals, niemals zu voller Selbſtändigkeit
des Charakters ſich durchzubilden vermochte. Indem man
ſeinen Leidenſchaften und Launen Folge leiſtete, gewann
man um ſo mehr Macht über ſein Gemüth. Unter jenen
Leidenſchaften ſtand aber zu dieſer Zeit die Jagdluſt obenan.
In den meilenweit ausgedehnten Wäldern von Bürglitz,
Zebrak, Beraun und Karlſtein trieb der junge König, um
den Gang der Weltereigniſſe unbekümmert, oft ganze Wochen
lang unermüdet das Waidwerk; große Jagdhunde ließ er
in allen Ländern für ſich aufkaufen; die größten und be—
liebteſten unter ihnen theilten ſogar das Schlafgemach mit
ihm, und es wird nicht ohne Wahrſcheinlichkeit erzählt, daß
die Königin Johanna, ſeine erſte Gemahlin, von einem
derſelben am 31 Dec. 1386 Nachts, als ſie ſich zufällig
vom Bette erhob, erwürgt worden ſei. In ſpäteren Jahren
Wenzels Günſtlinge und Streit mit der Geiſtlichkeit. 33
ſtumpfte ſich jedoch dieſe Leidenſchaft ab, und wich einer 1384
anderen, der Trinkſucht.““
Was bei den genannten Vertrauten und Günſtlingen
(milci, gratiarii) des Königs zunächſt auffällt, insbeſondere
im Rückblicke auf die ehemalige Umgebung und Sitte Karls IV,
iſt die Rückſichtloſigkeit, mit welcher ſie den Geiſtlichen über—
haupt zu begegnen pflegten. Hyncik Pluh ſcheint darin
am weiteſten gegangen zu ſeyn. “ Es konnte nicht fehlen,
daß auch der König in dieſem Geiſte fortgeriſſen wurde,
obgleich er es an Gnadenbezeugungen jeder Art gegen
Kirchen und Klöſter niemals fehlen ließ. Der erſte Vor—
gang ſo ungewöhnlicher Art war der Breslauer Pfaffen—
krieg im Sommer des Jahres 1381. Da der Stadtrath
von Breslau ein gegen ſein Verbot eingeführtes, für das
dortige Domcapitel beſtimmtes Fuder Schweidnitzer Bier
hatte confisciren laſſen, belegte das Capitel die ganze Stadt
mit Interdict. Nun kam der König mit ſeinem Hofe nach
Breslau, und erſuchte die geiſtlichen Herren, ihm zu Liebe
den Gottesdienſt wieder zu beginnen, indem er ihren Streit
39) Gegen das ſchöne Geſchlecht ſcheint Wenzel, ungleich feinem
Bruder Sigmund, von Natur kalt und unempfindlich geblie—
ben zu ſeyn; wenigſtens haben Frauen erſt in den letzten Jahren
ſeines Lebens Einfluß auf ihn zu üben angefangen.
40) Wir kennen von ihm z. B. einen Brief an die Tauſſer fol—
genden Inhalts: Amicabili salutatione praemissa: amici singu-
lares et dilecti! Quia presbyteri vestri aliqui me et meos ut
puto propter vilem presbyterum excommunicaverunt excommu-
nicatione inconsueta: quapropter peto mihi quod non imputare
velitis et talia non advertere, neque in talibus aliquid facere,
si contingeret, quod aliquibus, si arripuero tales me et meos
inconsuete excommunicantes, linguas eorum per posteriora ex-
traham et intendam exstirpare. Talia cum facta fuerint, vobis
non sint in contrarium: quia contraria vobis invitus vellem
procurare. Datum in Storenstein, pridie innocentum sanctorum
(zwiſchen 1380 — 86).
3
34 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1384 mit der Stadt gerichtlich zu unterſuchen Willens ſei. Als
ſie ihm aber dies rund abſchlugen, und der Abt Johann
vom Sande ſogar unehrerbietige Worte ſich gegen ihn er—
laubte, ließ er den undiscreten Redner verhaften, jagte
die Domherren und andere Prälaten aus der Stadt, und
gab ihre Güter dem Volke Preis. Zu ſpät wurden die—
ſelben inne, daß ſie ſich übereilt hatten, und daß ihnen
nichts übrig blieb, als des Königs Gnade wieder zu ſuchen,
wollten ſie anders zu ihren Beneficien zurückgelangen. Papſt
Urban VI konnte ihnen keine andere Hilfe leiſten, als daß
er in der Perſon Herzog Wenzels von Liegnitz einen neuen
Biſchof von Breslau beſtellte, der aber ſeinerſeits nichts
Dringenderes zu thun fand, als den König, gegen deſſen
Wunſch er ernannt worden war, für ſich zu gewinnen. *
Bedeutender noch war der Streit, in welchen König
Wenzel mit dem Prager Erzbiſchof Johann von Jenſtein,
feinem Oberſtkanzler, gerieth. Dieſer hatte ſchon ſeit 1380,
wo eine Krankheit ihn an den Rand des Grabes gebracht
hatte, ſeine Meinungen und Sitten ſehr geändert; ſeine
Lebensfreudigkeit wich einem frommen Ernſt, der nach einem
über den Magdeburger Erzbiſchof gekommenen Unglücks—
falle je länger je mehr in ascetiſchen Rigorismus über—
ging. Als nämlich jener Erzbiſchof im J. 1382 auf einem
Ball tanzend durch plötzlichen Einſturz des Hauſes mit der
Mehrzahl der Gäſte ums Leben kam, betrachtete Johann
von Jenſtein dies als eine Strafe des Himmels, welche
ihn wegen ähnlicher früherer Vergehen zur Buße auffor—
derte. Von da an nahm ſein Geiſt eine Richtung, welche
dem lebensluſtigen Hofe des jungen Königs keineswegs zu—
41) Kloſe, documentirte Geſchichte von Breslau, II, 271 fag. Es
war dies jene Beſetzung des biſchöflichen Stuhles von Bres—
lau, wegen deren, wie oben bereits im J. 1382 bemerkt wurde,
K. Wenzel mit Papſt Urban VI in Streit gerieth; doch ließ
er ſich hernach durch den Biſchof beſänftigen.
Streit mit der Geiſtlichkeit. 35
ſagte, und um ſo leichter zum Bruche führte, als 1384
der Erzbiſchof, bei aller perſönlichen Demuth, dennoch
hinſichtlich ſeiner hohen Kirchengewalt ſich äußerſt eifer—
ſüchtig und unbeugſam erwies, und ſeine Anſichten und
Neuerungen ſelbſt bei ſeinem Capitel auf Oppoſttion ſtie—
ßen.“« Nun geſchah es, daß Herr Johann Cüch von Za—
ſada, des Königs Hofmarſchall und Liebling, auf ſeinem
42) »Er brachte die meiſte Zeit entweder im Kloſter zu Raudnitz
oder in der Karthauſe bei Prag unter den Mönchen zu, trug
ein Cilicium unter grober Kleidung, ſchlief auf der Erde, die
Bibel oder einen Stein unter dem Haupte, peitſchte ſich bis
aufs Blut, ließ feine Glieder vor Kälte erſtarren, wuſch Bett:
lern die Füße, lief bei Nacht von Raudnitz auf den Berg Rip
des Gebets wegen, bediente die Mönche beim Tiſche und ſpeiſte
auf der Erde. Das übertriebene Faſten verurſachte ihm end—
lich eine Krankheit, die ihn manchmal der Sinne beraubte,
ſo aber für eine heilige Entzückung gehalten wurde u. ſ. w.
Pelzel L, 145 (nach der oben genannten Vita.)
43) Zum Beiſpiel das von ihm ſchon im J. 1383 in ſeiner Dib—
ceſe vorgeſchriebene Feſt der Heimſuchung Mariä, deſſen Ein—
führung der Prager Domſcholaſticus Adalbertus Rankonis de
Ericinio beſtritt, die Päpſte Urban VI und Bonifaz IX aber
im J. 1389 beſtätigten. Auf dieſen Streit bezieht ſich die
Apologie jenes ſeiner Zeit berühmten Gelehrten (er war 1355
Rector der Univerſität von Paris geweſen), und die Gegen—
ſchrift des Erzbiſchofs im vaticaniſchen Coder (S. Italien.
Reiſe S. 57). Ueber einen zweiten Streitpunct berichtet M.
Adalbert mit Folgendem: Inclytus rex Wenceslaus in suo cas-
tro dicto vulgariter Hradek (Bürglitz), in praesentia antedicti
antistitis Pragensis et multorum aliorum praelatorum, clericorum,
militum et aliorum gravium hominum assistentium, talem mihi,
ut saepe fuit solitus, quaestionem formavit: an omnes salvandi
sint prius a peccati scoria purgandi? Ad quam quaestionem
cum respondissem, quod sic, dietus antistes — intulit in-
pertinenter de angelis etc. Der dritte Streitpunct betraf
das Heimfallsrecht der Obrigkeiten nach ihren kinderloſen Un—
terthanen, worin M. Adalbert allerdings Unrecht hatte. Vergl.
dieſer Geſch. Bd. II. Abtheil. 2. S. 32.
8
36 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1384 Gute Lobkowic an der Elbe, hart an der Gränze erz—
biſchöflicher Beſitzungen,“ eine Waſſerwehre anlegen ließ,
wogegen des Erzbiſchofs Beamte proteſtirten, und als ſolches
nicht half, im Sommer 1384 das Werk mit bewaffneter
Macht überfielen und zerſtörten. Über ein ſo eigenmäch—
tiges Verfahren gerieth König Wenzel in heftigen Zorn,
rief den Erzbiſchof zu ſich nach Karlſtein, hielt ihn daſelbſt
mehre Tage lang in Haft, und befahl endlich ſeinem Hof—
marſchall, ſich durch Plünderung der erzbiſchöflichen Be—
ſitzungen ſelbſt zu entſchädigen.“ In der Beſchreibung der
darüber entſtandenen Kämpfe und Scharmützel findet ſich
die älteſte beſtimmte Nachricht von dem Gebrauch des Schieß—
pulvers und der Feuerwaffen in Böhmen.!“ Nach fo ent—
ſchiedenem Bruche konnte der Erzbiſchof natürlich keinen
Tag länger des Königs Oberſtkanzler bleiben. Wenzel
beförderte zu dieſer wichtigen Stelle einen ſeiner Günſt—
linge im Clerus, den Propſt von Lebus Hanko Johann)
Bruno's Sohn, der bis dahin das Amt eines Landes—
Unterkämmerers bekleidet hatte.“
44) Das unterhalb Lobkowic an der Elbe gelegene, ſeit dem
Huſſitenkriege mit dem Gute Lobkowie verbundene Dorf Nera—
towic, gehörte im XIV Jahrh. zur erzbiſchöflichen Herrſchaft
Raudnic. Die fragliche Wehre ſteht noch heutzutage zwar in
den Lobkowicer, jedoch nahe an den Neratowicer Gründen.
Wenn daher der Erzbiſchof in ſeiner Klageſchrift an den Papſt
den Ausdruck braucht, daß Herr Cuüch dieſelbe »in meo flumine«
angelegt habe, ſo muß dies als nicht der Wahrheit gemäß be—
zeichnet werden. S. Acta in curia Romana, in Pelzels Urkk.
Buche L 150.
45) Acta in curia Romana J. c. Vita Joannis de Jencenstein p- 58.
46) Vita l. c. Quidam dum se praepararet ad jaciendum de instru-
mento, quod puska dieitur, mox illa fracta et scissa jacere vo-
lentis unam aurem amputavit. Dem zu Folge könnte es gar
fhon eine Handbüchſe geweſen fein.
Pelzel fest dieſen erſten Auftritt mit dem Erzbiſchofe, nach
deſſen Vita, in das Jahr 1383, um den Barbaratag (4 Dec.),
47
—
Heimfall des Herzogthums Luxenburg. 37
Durch das am 7 Dec. 1383 erfolgte kinderloſe Ab—
leben des Herzogs Wenzel von Luxenburg war deſſen Land,
den beſtehenden Verträgen gemäß, dem Könige und der
Krone von Böhmen anheimgefallen. Um Beſitz davon zu
nehmen, begab ſich Wenzel im Sommer 1384 von Heidel—
berg dahin, verweilte dort bis zum Spätherbſte, und be—
nützte die Zeit zum Wiederſehen ſeiner überrheiniſchen Ver—
wandten, an welchen ſein Herz immer mit Vorliebe hing.
Als er endlich zurückkehren mußte, ernannte er am 10 Dec.
zu Koblenz den böhmiſchen Baron Pota von Gaftolowic
zu ſeinem oberſten Hauptmann und Statthalter in jenem
Herzogthume.“
Nicht ſo friedlich entwickelten ſich die Ausſichten zur
Erweiterung der Macht des Hauſes Luxenburg im Oſten
von Europa. König Wenzels Bruder, Markgraf Sig—
mund, war, wie bereits erwähnt, mit K. Ludwigs von
Ungarn und Polen älterer Tochter und Erbin Maria ver—
lobt worden, und hatte zugleich die Anwartſchaft auf die
Krone von Ungarn erhalten. Um ihm auch die Nachfolge
in Polen zu ſichern, hatte König Ludwig noch bei ſeinen
Lebzeiten (im Juli 1382) dem erſt vierzehnjährigen Schwieger—
ſohn die Verwaltung dieſes Königreichs übertragen,“ und
wo es doch in der Handſchrift ſteht »eirca festum Barnabae«
d. i. um den 10 Juni. Da es aber ſicher iſt, daß Johann
von Jenſtein noch in der erſten Hälfte des Jahres 1384 als
Reichs- und böhm. Oberftfanzler fungirte, jo kann der Vor—
fall nicht früher, als im Juni 1384, ſich ereignet haben. Die
Jahresangaben der Vita ſind insgemein unverläßlich.
48) Zwei Originalurkunden darüber befinden ſich im herzoglichen
Archiv zu Oels in Schleſien.
49) Anonymi archidiaconi Gneznensis brevior chronica co
viae, in Sommersbergs Silesiacarum rerum scriptores II,
137: Lodvicus Poloniae et Ungariae rex omnes capitancos
vegui Poloniae ad sui praesentiam evocavit, ipsis termi-
num in Zolyn curia suae venationis pracfigendo. Qui cum
1384
>
1384
38 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
damit den ſprechendſten Beweis des hohen Vertrauens ge—
geben, welches er auf deſſen Fähigkeiten ſetzte. Leider ſtarb
der alte ausgezeichnete König Ludwig bald darauf (am
11 Sept. 1382 zu Tyrnau) und während Sigmunds Braut,
die erſt zwölfjährige Maria, ſchon am 17 September dar—
auf in Stuhlweißenburg zum »rex Hungariae« gekrönt
wurde, ſuchte eine der ungriſchen Regierung überdrüſſige
Partei in Polen den Piaſten Semowit von Mazovien auf
den Thron zu erheben. Markgraf Sigmund führte im fol—
genden Sommer (1383) erfolgloſe Kriege mit Semowit,
und mußte endlich alle Ausſicht auf Polen aufgeben, als
im Juni 1384 die Königinwittwe Eliſabeth von Ungarn
den Polen ihre jüngere Tochter Hedwig übergab, damit
dieſe als Königin des Landes fortan in Krakau reſidire.
Aber auch in Ungarn hielten ihn die herrſchſüchtige Eliſa—
beth und deren Günſtling, der Palatin Niklas von Gara,
von allem Antheil an der Regierung ferne; und da man
auch ſeine Vermählung mit der Königin immer hinaus—
ſchob, ſo fand er ſich ſelbſt am ungriſchen Hofe bald
jo überflüſſig, daß er ſchon zu Ende des Jahres 1384
nach Böhmen und in ſeine Markgrafſchaft von Branden—
burg zurückkehrte, und es den Anſchein gewann, als wolle
die ganze durch ſo viele Tractate vorbereitete Verbindung
mit Ungarn rückgängig werden. Doch der Prinz, dem es
perſönlich nicht an Muth gebrach, wollte ſein einmal er—
worbenes Recht nicht ſo leicht aufgeben. Schon im Mai
ad sui praesentiam venissent, jussit eisdem, ut Sigismundo ge-
nero suo omagium fidelitatis praestarent, quod et fecerunt;
ipsumque cum eisdem capitaneis et Bodzanta archiepiscopo
Gneznensi ad capiendum possessionem civitatum et castrorum
destinavit. Dies läßt vermuthen, daß eine ähnliche Huldigung,
auf K. Ludwigs Geheiß, auch von den ungriſchen Ständen an
Sigmund geleiſtet worden iſt. Der polniſche Chroniſt ſchrieb
mit der Begebenheit faſt gleichzeitig.
Markgraf Sigmund in Ungarn. 39
1385 warb er in Böhmen und Mähren Truppen,“ mit 1385
deren Hilfe er in Ungarn ſeine Gegner zu ſtürzen, und
die ihm zugedachte Stellung ſich zu erkämpfen gedachte.
Um Geld zu dieſen Rüſtungen, ſo wie zur Bezahlung der
ſchon in Polen gemachten Schulden zu erlangen, ſuchte er
ſchon jetzt die Markgrafſchaft Brandenburg an ſeine Brü—
der und Vettern zu verpfänden (13 Juli fg). Die unerwar—
tete Landung des von mißvergnügten Ungarn und Kroa—
ten herbeigerufenen Königs Karl des Kleinen von Neapel
mit einer Kriegsſchaar zu Zeng in Dalmatien (3 Sept.)
änderte jedoch bald die Lage der Dinge. Die Königin—
nen, von einem neuen Feinde bedroht, erkannten ſelbſt die
Nothwendigkeit, in der innigeren Verbindung mit dem Hauſe
Luxenburg Hilfe zu ſuchen. Darum wurde Markgraf Sig—
mund endlich, im Oktober 1385, mit Maria von Ungarn Oct.
vermählt, während deren jüngere Schweſter Hedwig zu
gleicher Zeit in Krakau ſich die polniſche Krone aufſetzen
ließ. Das Vorrücken des Königs von Neapel gegen Ofen,
und der faſt allgemeine Abfall der Ungarn zu ihm, nö—
thigte Sigmund im December 1385 noch einmal nach Böh-VDec.
men zu eilen, um ein größeres Heer zur Vertreibung des
neuen Prätendenten aufzubringen.
Während aber Sigmund in Böhmen rüſtete, entſpann
ſich zwiſchen den von aller Hilfe verlaſſenen Königinnen
und ihrem neapolitaniſchen Vetter in Ungarn ein unheim—
liches Spiel von Heuchelei und grauſamer Hinterliſt. So
wie Karl verſicherte, aus Dankbarkeit gegen ſeinen ehe—
maligen Wohlthäter, König Ludwig, nur zum Schutze der
Wittwe und der Tochter desſelben gekommen zu ſein, ſo
empfingen ihn dieſe auch mit der zuvorkommendſten Freund—
lichkeit, die ſelbſt dann nicht abgelegt wurde, als er am
31 Dec. 1385 ſich im Dome zu Stuhlweißenburg zum Kö—
50) Nach dem Zeugniſſe von Urkunden in der Sternbergiſchen Fa—
miliengeſchichte von Brezan. Vgl. Dobners Monum. IV, 376.
40 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1385 nige von Ungarn krönen ließ, und die Königinnen zwang,
dem Acte ſelbſt beizuwohnen. Erſt nachdem der Kronraub
vollendet war, ſchienen die Ungarn zum Bewußtſein des
Unrechts zu erwachen, welches ſie an dem Stamme ihres
großen Königs Ludwig verübt hatten, und die Stimmung
Vieler neigte ſich wieder zu Maria hin. Dadurch ermuthigt,
beſchloß Eliſabeth, ſich des verhaßten Gegners durch Meuchel—
mord zu entledigen; Nicolaus von Gara übernahm die
Ausführung des Plans. Unter dem Vorwande von Nach—
richten und Vorſchlägen von Seite ihres Schwiegerſohns
aus Böhmen, welche fie ihm mitzutheilen habe, lud Elifa-
beth den König zu ſich in ihre Gemächer ein. Während
des Geſprächs kam Nicolaus von Gara mit dem verwege—
nen Blaſius Forgäcs, ſcheinbar um Abſchied zu nehmen
von der Königin; Letzterer hieb aber ſogleich auf den König
ein (7 Febr.), und in dem darüber entſtandenen Lärm be—
mächtigte ſich Gara der königlichen Burg, vertrieb die
Kroaten und Neapolitaner daraus, und ſtellte die frühere
Regierung wieder her. Karl der Kleine war jedoch an
jenem Tage nicht getödtet, ſondern nur ſchwer verwundet
und gefangen genommen worden; erſt als ſeine Wunden
gegen alle Erwartung heilen zu wollen ſchienen, ließ man
ihn (am 24 Febr.) im Gefängniſſe vollends umbringen.
Der abweſende Sigmund, und wie es ſcheint, auch
ſeine Gemahlin Maria, waren an dieſer grauſen That un—
ſchuldig. Ihr Gelingen jedoch und die wiedererlangte Herr—
ſchaft machte Eliſabeth übermüthig. Nun glaubte ſie der
Hilfe ihres Schwiegerſohnes nicht mehr zu bedürfen, und
ihn in die frühere unbedeutende Stellung zurück verſetzen
zu können. Den Grund zu offener Unzufriedenheit mit
ihm nahm ſie von dem Umſtande her, daß er, um neuer—
dings Geld zu feinen großen Rüſtungen zu erhalten,“ ſich
51) In welchen Geldverlegenheiten ſich Sigmund um dieſe Zeit befun—
den haben muß, läßt ſich aus dem Briefe ſchließen, in welchem
Markgraf Sigmund in Ungarn. 41
gezwungen geſehen hatte, die an Mähren gränzenden Di—
ſtricte von Ungarn an ſeine habſüchtigen Vettern Joſt und
Prokop zu verpfänden, ohne dazu von ungriſcher Seite be—
vollmächtigt geweſen zu ſein. Sigmund ließ ſich die Zu—
rückſetzung jedoch nicht gefallen, und ſuchte, auf ſein Heer
und die Hilfe der mähriſchen Markgrafen pochend, das—
jenige mit Gewalt zu erringen, was ihm mit Unrecht vor—
enthalten wurde. Es kam zwiſchen den Königinnen und
Sigmund zu einem offenen Kriege, der eine Zeit lang ohne
Entſcheidung geführt wurde. Da ſah endlich König Wenzel
ein, daß er ſeinen Bruder in ſo kritiſchem Augenblicke nicht
hilflos laſſen dürfe. Mit bedeutender Macht brach er im
April 1386 nach Ungarn auf, und drang am 1 Mai bis
vor Raab, wo er ein feſtes Lager bezog.
Bei der allgemeinen Zerrüttung, in welche Ungarn
durch alle dieſe Vorgänge gerathen war; bei den drohen—
den Anſtalten, welche die neapolitaniſche Partei traf, den
Tod ihres Königs zu rächen, und bei dem Unvermögen,
der vereinigten Macht des Hauſes Luxenburg wirkſamen
Widerſtand entgegenzuſtellen, mußten die Königinnen ein
friedliches Abkommen ſelbſt für wünſchenswerth halten. Sie
kamen perſönlich nach Raab, und erklärten ſchon am 1 Mai
daſelbſt, ſich und ihre ſämmtlichen Irrungen mit den Mark—
grafen Sigmund, Joſt und Prokop, der Entſcheidung des
römiſchen und böhmiſchen Königs ſchlechterdings anheim—
ſtellen zu wollen; dasſelbe thaten auch der Bruder und
die Vettern desſelben. Zwölf Tage lang wurde daher vor
Raab zwiſchen den Parteien unterhandelt, und erſt am
12 Mai erfolgte der ſchiedsrichterliche Spruch, der nach
er den Markgrafen Joſt bat, den mähriſchen Baron Zdenef von
Sternberg dahin zu bringen, daß er in ſeiner Schuldforderung
ſich höflicher und nicht fo ehrverletzend erweiſe: — qui multis
modis nos defamare solet, — ut nos atque nostros non moneat
eo modo. (MS. der Vatican. Bibliothek Nr. 3995, fol. 1215)
1386
April
1 Mai
12 Mai
42 VI Buch, 1 Eapitel, K. Wenzel IV.
1386 Herſtellung der Eintracht, Freundſchaft und ehelicher Liebe,
alles Vergangene der Vergeſſenheit zu übergeben befahl,
die Königinwittwe Eliſabeth fortan auf den Genuß ihres
Leibgedinges beſchränkte, den Markgrafen Sigmund zum
Generalkapitän des Königreichs Ungarn ernannte,“ die
von ihm bis dahin gemachten Schulden als ungriſche Staats—
ſchuld erklärte, und ihm zu feinem perfünlichen Unterhalt
für die Zukunft diejenigen Ländereien an der öſterreichiſchen
und mähriſchen Gränze anwies, welche einſt König Ludwigs
52) Dies erhellt aus dem noch ungedruckten Briefe, den K. Wenzel
darüber an K. Karl VI von Frankreich geſchrieben hat: Dum
inter eundem fratrem nostrum ab una, et serenissimas dominas
Ungariae reginas, proditorum hujusmodi suggestu nefario, prae-
cipue N. de N. (?) qui poenam proinde sibi debitam divino
judicio jam exsolvit, gravis esset dissensionis suborta materia,
quae nomnisi magnis bellorum sedari conflietibus sperabatur,
nosque viribus et armis nostrae potentiae jam accincti, pro
reformatione status ejusdem fratris nostri ejusque assistentia et
reductione provisa deliberatione decreverimus vires nostras et
arma exercere: ecce auctore domino, qui principum salutem
clementi sua bonitate disponit, dirigit et tuetur, praedictae par-
tes, signanter reginae et earum pars, nostram formidantes poten-
tiam, ad manus nostras omnem earum causam ponentes, in nos
velut arbitrum et compositorem amicabilem compromiserunt
simpliciter et de plano. Nos igitur hujusmodi praetextu inter
eas et praedictum germanum nostrum omni sedata discordia,
eundem gernranum nostrum ad possessionem et gubernationem
regnorum et terrarum Ungariae circa medium transacti jam
mensis Maji magnifice reduximus et potenter. Da in der bei
Pelzel (Urk. Buch Nr. 50 p. 70.) gedruckten Urkunde der Er:
nennung Sigmunds zum Generalkapitän nicht gedacht wird,
ſo muß dieſe in der verloren gegangenen anderen Spruch—
urkunde, welche in der Pelzelſchen ſelbſt erwähnt wird (»prout
in aliis nostrae pronuntiationis literis latius est expressum, c)
enthalten geweſen ſein, wie es auch die ſpäteren, von Aſchbach
(in ſ. Geſchichte K. Sigmunds I, 43) zuſammengeſtellten Ur—
kunden beweiſen.
*
Markgraf Sigmund in Ungarn. 43
Bruder Stephan beſeſſen hatte. Die Clauſel, durch welche
ſich die Königinnen verbindlich machten, Sigmund in Ungarn
nicht ohne Wenzels Vorwiſſen krönen zu laſſen, beweiſt
gleichwohl, daß das Verhältniß der zwei hohen Brüder
gegen einander ſchon in dieſen Jahren kein vollkommen in—
niges geweſen, und daß Wenzel befliſſen war, den jünge—
ren Bruder in einer Art von Bevormundung und Ab—
hängigkeit zu erhalten.
Obgleich alle Parteien eidlich angelobt hatten, dieſen
Schiedſpruch zu halten, ſo ſcheint doch den Königinnen und
den Ungarn überhaupt kein Ernſt damit geweſen zu ſein.
Da aber bald darauf (am 25 Juli) Eliſabeth und Maria
auf einer, in Begleitung des Niklas Gara, Blaſius For—
gäcs und einiger Hofleute, unternommenen Luſtreiſe in
Syrmien, von der neapolitaniſchen Partei, unter Anfüh—
rung des kühnen und grauſamen Horwathy, überfallen,
die Männer nach kurzer Gegenwehr getödtet, die Königin—
nen aber als Gefangene nach Krupa in Kroatien gebracht,
dann in das feſte Schloß Novigrad in Dalmatien einge—
ſperrt wurden: ſo fiel damit die Regierung in dem kurz
vorher noch blühenden, jetzt aber in die äußerſte Verwir—
rung gerathenen Ungarn, gleichſam von ſelbſt in Sigmunds
Hände. Eine ſeiner erſten Sorgen mußte natürlich auf
die Befreiung der Königinnen gerichtet ſein. Da Unter—
handlungen nicht direct zum Zwecke führten, ſo verband
er ſich mit den Venetianern, daß ſie die Abführung der
Gefangenen zur See nach Neapel hinderten und die Kroa—
ten von der einen Seite bedrängten, während er mit Heeres—
macht von der anderen heranrückte. Als aber Horwathy's
Bruder in Novigrad keine Rettung für ſich ſah, ließ er
Eliſabeth vor den Augen ihrer Tochter erdroſſeln, und
ihren Leichnam den Stürmenden über die Mauer zuwerfen;
er drohte, der Königin Maria ein gleiches Schickſal zu
bereiten, wenn man nicht ablaſſe. Um ſeine Gemahlin
1386
1387
Anf. Jan.
44 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1387 nicht zu gefährden, und mit ihrem Tode nicht auch ſeine
eigenen Anſprüche auf die ungriſche Krone einzubüßen,
mußte Sigmund ſich begnügen, die Burg Novigrad einzu—
ſchließen, die Unterhandlungen wieder aufzunehmen, und
indeſſen ſeine eigenen Rechte auf Ungarn für jeden Fall
zu ſichern.
Während dieſer Begebenheiten waren in Polen nicht
minder entſcheidende Ereigniſſe vor ſich gegangen. Die
ſchöne Königin Hedwig war zwar mit Herzog Wilhelm
von Sſterreich, dem älteſten Sohne des in der Schlacht
bei Sempach am 9 Juli 1386 gefallenen Herzogs Leopold,
verlobt, entſchloß ſich jedoch ſpäter, auf das Zureden der
polniſchen Großen, dem lithauiſchen Fürſten Jagjel ihre
Hand zu geben, welcher um dieſen Preis ſich taufen zu
laſſen und ſein Land mit Polen für immer zu vereinigen
verſprochen hatte. Nach empfangener Taufe wurde daher
Jagjel unter dem Namen Wladislaw am 17 Febr. 1387
in Krakau zum Könige von Polen gekrönt. Als Hed—
wigens Gemahl hatte er für den Fall, wenn Königin Maria
in der Gefangenſchaft umkam, die nächſten Anſprüche, auch
in Ungarn zu ſuccediren. Um nicht am Ende unter die
Botmäßigkeit eines ſo wildfremden Menſchen zu kommen
und eine Art Provinz von Polen zu werden, fingen die
ungriſchen Stände jetzt an, Sigmunds Rechte auf die ung—
riſche Krone ſelbſt zu begünſtigen. Sie kamen in großer
Anzahl zuſammen, und einigten ſich über die Bedingungen,
unter welchen der böhmiſche Prinz auf den Thron der Ar⸗
paden erhoben werden ſollte. Sigmund mußte angeloben,
die alten Rechte und Gewohnheiten des Königreichs auf—
recht zu erhalten, ſich fortan nur mit ungriſchen Räthen
zu umgeben, keine Fremden zu Amtern und geistlichen Wür—
den im Reiche zu befördern, für Alles, was ſeine Gegner
bisher gethan, Amneſtie zu gewähren, alle von ihm bis
dahin gemachten Schenkungen und geſchloſſenen einſeitigen
Sigmund wird König von Ungarn. 45
Bündniſſe aufzuheben, die in böhmiſche und mähriſche Ge—
fangenſchaft gerathenen Ungarn ohne Löſegeld in Freiheit
zu ſetzen u. fe w.'s Dafür wurde ihm in Zukunft Ger
horſam geſchworen, und am 31 März 1387 im Dome zu
Stuhlweißenburg die Krone St. Stephans feierlich aufs
Haupt geſetzt. Dann erſt zog er wieder nach Kroatien
hin, und befreite endlich, mit Hilfe der Venetianer, ſeine
Gemahlin aus dem Gefängniſſe.
Auf dieſe Weiſe gelangten im J. 1387 auf die wi
nachbarten Throne von Ungarn und Polen zwei neue Dy—
naſtien, und Böhmens auswärtige Verhältniſſe erhielten
dadurch auf lange Zeit hin eine neue beſtimmte Richtung.
Bei der weſentlich friedlichen Politik unſerer Könige, welche
nach Karl IV nichts Neues mehr zu erwerben, ſondern nur
das Erworbene zu behalten ſuchten, geſtalteten ſich die Vers
hältniſſe zu Polen fortan um ſo friedlicher, als auch König
Wladislaw und ſeine Nachfolger ihr Augenmerk immer
mehr nach Norden und Oſten gegen Preußen und Ruß—
53) Die bisher unbekannte Wahlurkunde Sigmunds iſt uns in einem
gleichzeitigen böhmiſchen Formelbuche, leider nur unvollſtändig
und uncorrect, erhalten worden. Ihr Eingang lautet: In no-
mine domini amen. Nos praelati, barones, proceres et regni
Hungariae nobiles, quorum sigilla inferius sunt appensa, notum
facimus tenore praesentium quibus expedit universis, quod cum
serenissimus princeps et dominus D. Sigismundus marchio
Brandeburgensis, S. R. I. archicamerarius, illustrissimae princi-
pis et dominae D. Mariae reginae Hungariae consors praecla-
rus, ejusdem regni antecessor et capitaneus, bonum statum
sacrae coronae et regnicolarum utilitatem sinceris affectibus con-
templando, in augmentum culminis praedictae coronaae, de
praesenti in suis terminis non modicum distractae, ex altitudine
divini consilii, magnifice intendere velit, nobisque articulos
infrascriptos in suis punctis, clausulis et articulis, quoad
eorum mentem et verba, diligenter et inviolabiliter de certa
sua scientia observare promiserit, eosque et eorum quemlibet
ellectui sollicite mancipare etc.
1387
31 März
46 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1387 land hin, als nach Weſten gegen Böhmen richteten. Jag—
jels Stamm regierte Polen zwei Jahrhunderte lang, und
brachte es auf den Gipfel feiner politiſchen Macht und
Blüthe. Der Lurenburger Sigmund legte dagegen den
erſten Grund zu der auch jetzt noch dauernden Verbindung
der Kronen von Ungarn und Böhmen auf Einem Haupte.
Es folgte ihm zwar kein Sohn mehr nach; doch war es
ihm ſelbſt beſchieden, das Scepter in Ungarn, unter den
mannigfaltigſten Wechſeln des Schickſals, ein halbes Jahr—
hundert lang zu führen.
Nach einer ſolchen Erhebung konnte und mußte Sig—
mund zur Modification der einſt von ſeinem Vater in den
böhmiſchen Kronländern eingeführten Erbfolgeordnung, zu
Gunſten ſeiner Brüder und Vettern, um ſo williger die
Hand bieten, je größere Entſchädigungs-Anſprüche dieſelben
an ihn zu ſtellen hatten, und je mehr ihm daran gelegen
ſein mußte, die an die mähriſchen Markgrafen verpfändeten
ungriſchen Diſtricte, ſeinem Eide gemäß, wieder an die
Krone zurückzubringen. Da die Verhandlungen darüber
ſich jedoch ſehr in die Länge zogen, ſo müſſen ſie auf be—
deutende Schwierigkeiten geſtoßen ſein, deren Grund wir
wohl weniger in den Sachverhältniſſen, als in den Chara—
kteren der Perſonen zu ſuchen haben. Wenn es diesfalls
ſchwer hält, zu beſtimmen, wer von den ſechs damals lebenden
Luxenburgern ſich vor allen anderen durch Adel der Ge—
ſinnung oder durch Geiſtesgröße ausgezeichnet, — denn das
Auge des Beobachters kann auf keinem von ihnen mit
vollem Gefallen ruhen: ſo iſt es dagegen um ſo leichter,
denjenigen zu bezeichnen, der an ſich am meiſten vermiſſen
ließ. Dies war Markgraf Joſt von Mähren. Man hat
ihn den gelehrteſten Fürften feiner Zeit * genannt; und er
54) Principum doctissimus — wird er von einem gelehrten Zeit—
genoſſen in einer Vaticaniſchen Handſchrift (Nr. 3995) genannt.
In derſelben Handſchrift ſtehen Briefe von Joſt, in welchen
Luxenburg'ſche Hausverträge. 47
bewährte ſich als Freund der Literatur, indem er Bücher
von allen Seiten her — nicht kaufte, ſondern zum Leſen
ausborgte; denn ſein Geiz und ſeine Habſucht erwieſen ſich
noch ſtärker, als ſeine wiſſenſchaftlichen Neigungen. An
Verſtand, Berechnung und Eigennutz übertraf er unbedingt
alle ſeine Brüder und Vettern; darum konnten auch alle
billigen Vergleichs-Vorſchläge lange Zeit nicht zum Ziele
führen.
Die Hauptverhandlungen betrafen die Mark Branden—
burg, in deren Beſitz Markgraf Joſt zu gelangen wuͤnſchte.
Sigmund war ſchon im Jahre 1385 willig geweſen, ihm
dieſelbe zu Pfand abzutreten; nur die Abneigung der mär—
kiſchen Stände und das Vorrecht der Brüder Sigmund's,
ihm im Beſitze der Mark, den Beſtimmungen Karls IV ge-
mäß, zu folgen, hatten damals das Geſchäft verhindert.
Nun wurde es wieder aufgenommen, und in der Art er—
ledigt, daß Sigmund zu Gunſten Wenzels den von Karl IV
ihm angewieſenen Kuttenberger Wochengeldern, zu Gunſten
Johanns von Görlitz aber ſeinem näheren Erbrechte zur
Krone von Böhmen entſagte; wogegen beide dann in die
Verpfändung von Brandenburg willigten, und die dortigen
Stände von allen Pflichten und Eiden, womit ſie ihnen
verbunden waren, losſprachen. So gelangte jene Mark,
nebſt der mit ihr verbundenen Kurwürde, im J. 1388 an
den Markgrafen Joſt von Mähren, und nominell auch an
deſſen jüngften Bruder Prokop; der mittlere Johann So—
beslamw, ſeit 1380 Biſchof von Leitomysl, wurde 1387 auf
den Patriarchenſtuhl von Aquileja befördert, daher bei den
Familienverträgen nicht mehr berückſichtigt. Wie es aber
kam, daß zu gleicher Zeit, im Jahre 1388, K. Wenzel dem
Markgrafen Joſt auch das Herzogthum Luxenburg verſchrieb,
wiſſen wir, aus Mangel an Nachrichten, gar nicht zu er—
er von mehren Prager Stiftern ſich Bücher zum Leſen aus—
bat, darunter z. B. des Josephus Flavius antiquitates Judaicae.
1387
1388
48 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1388 klären.” Am wahrſcheinlichſten iſt der Grund davon in
der Verlegenheit zu ſuchen, in welche K. Wenzel gleich—
zeitig durch die unruhigen Bewegungen ſowohl in Böhmen
als in Deutſchland gerathen war.
Die oben auch von uns geprieſene Zeit der allſeitigen
Ruhe und Sicherheit im Innern von Böhmen erreichte ihr
Ende ſchon im Laufe des Jahres 1387. Einer der vor—
nehmſten Barone Böhmens, Marquard von Wartenberg,
einſt Karls IV Oberſtkammermeiſter, des Oberſtburggrafen
Peter von Wartenberg jüngerer Bruder und Herr der
Burgen Zleby, Rohozec und Zbirow, erlangte den traurigen
Ruf, der Erſte geweſen zu fein, “' der die ſeit lange unge—
wohnten Unruhen und Fehden im Lande wieder herauf—
beſchwor. Er war in einen Rechtsſtreit verwickelt geweſen,
und glaubte durch deſſen Entſcheidung in ſeinem Rechte ge—
kränkt worden zu ſeyn. Da die Juſtiz auf ſeine nachträg—
lichen Einwendungen keine Rückſicht nahm, griff er am Ende
zum Mittel der Selbſthilfe, und wagte es im Jahre 1387
ſchon dem Könige und dem ganzen Lande Fehde anzukün—
digen. Er fand alsbald Helfer genug, die in ſeinem Namen
alle Straßen beunruhigten, die Kaufleute plünderten, fried—
liche Einwohner brandſchatzten und allerlei Unfug verübten.
Seinem Beiſpiel folgte in Kurzem, wir wiſſen nicht aus
welcher Veranlaſſung, auch ein Kolowrat, Herr auf Korn—
haus. Der König mußte mitten im Winter 1388 ein
allgemeines Aufgebot gegen ſie ergehen laſſen. » Da Herr
55) Bertholet, in feiner Histoire du duché de Luxembourg, tom.
VII, pag. 160, 161 berichtet auch nur die nackte Thatſache.
Pelzel weiß von dieſer Verpfändung ſogar nicht eher, als im
J. 1395.
56) Scriptores rer. bohem. III. Stari letopisowé, pag. 4.
57) Das am 18 Jan. 1388 diesfalls erlaffene Edict beginnt mit
den Worten: Ad reprimendam proterviam et rebellionem Mar-
quardi de Wartenberg, dieti de Kosta, adhaerentium et com
Unruhen in Böhmen und in Deutſchland. 49
Marquard ſich mit aller Macht zur Wehr ſetzte, ſo wurde 1388
der innere Krieg über alle Erwartung ernſter, und dauerte
bis tief in den Sommer 1388 hinein; doch wurden die
Burgen Zleb, Rohozec und Zbirow mit Sturm erobert,
und Herr Marquard ſelbſt gerieth in Gefangenſchaft, in
welcher er bis 1392 ſich zu Tode abgehärmt haben ſoll.
Auch Kornhaus wurde genommen und zerſtört.
Noch viel bedeutender waren jedoch die gleichzeitig in
Deutſchland entſtandenen Unruhen. Der Heidelberger Ver—
trag von 1384 hatte nicht die Kraft gehabt, alle blutigen
Fehden im Reiche zu beſeitigen. Im Gegentheil entbrannte
der alte Streit zwiſchen den Herzogen von Sſterreich und
den ſchweizeriſchen Eidgenoſſen nur um ſo heftiger, ſeitdem
die Schweizer im Jahre 1385 zu Conſtanz ſich mit dem
großen deutſchen Städtebund geeinigt hatten. Die Nieder—
lage der Oſterreicher bei Sempach am 9 Juli 1386, wo
Herzog Leopold fiel, hatte zunächſt die Folge, daß die
Fürſten in Deutſchland insgeheim ſich näher an einander
ſchloßen, und eine drohendere Haltung gegen die von K.
Wenzel begünſtigten Städte annahmen. Nun gelang es
zwar dem Könige, zu Mergentheim am 5 Nov. 1387 ein
Bündniß zwiſchen den Fürſten und den Städten, noch auf
Ein Jahr, zu Stande zu bringen; aber kaum waren vier—
zehn Tage verfloſſen, jo brachen ſchon die Herzoge von
Bayern, insbeſondere Herzog Friedrich, durch Gefangen—
nehmung des Erzbiſchofs von Salzburg und durch Plün—
derung ſtädtiſcher Kaufleute, den Frieden wieder, und
brachten einen allgemeinen Krieg der Städte mit den Fürſten
und Herren zum Ausbruch. Da ein ſolches Unrecht offen
er
plicum suorum, qui se nobis contra deum et justitiam, quam
ipsis pridem exhiberi mandavimus, arroganter opposuerunt,
stratasque publicas depraedati sunt, quod jam ulterius per tole-
rantiam sustinere non possumus ete. Dieſes Edict wurde fpäter
(an nichtbenanntem Tage) wiederholt.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 4
1388
5 Febr.
23 Apr.
50 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
zu Tage lag, ſo konnte K. Wenzel nicht anders, als der
Städte ſich annehmen; er kündigte dem Herzoge Friedrich
ſchon am 5 Febr. 1388 den Krieg an, und zog bald darauf
auch perſönlich in die Oberpfalz. Darüber erſchrak der
Herzog, ſuchte des Königs Gnade nach, und erlangte es,
daß der Streit auf den Austrag des Pfalzgrafen Ruprecht
des Alteren geſetzt und die den Bayern drohende Gefahr
vor der Hand abgewendet wurde. Der Pfalzgraf gebot
beiden Seiten eine lautere Sühne und vollen Frieden;
und beide Parteien gelobten, dem Spruche zu gehorchen.
Da jedoch K. Wenzels Waffen, in Dämpfung der böhmi—
ſchen Unruhen beſchäftigt, nicht ſo mächtig mehr in Deutſch—
land auftreten konnten, ſo hielten es die Herzoge Friedrich
und Stephan auch nicht mehr für nöthig, ihr Wort zu er—
füllen. Ein zweiter Spruch erfolgte zwar noch am 23 April
1388 in derſelben Sache vom Pfalzgrafen, dem der König
dazu auch den böhmiſchen Baron Bores von Rieſen—
burg und den Grafen Johann zu Sponheim beigegeben
hatte. Die Herzoge kehrten ſich aber nicht mehr daran,
und erneuerten die Feindſeligkeiten; bald ſtanden auch die
übrigen Fürſten und Städte in Waffen gegen einander. Der
Krieg wurde nun von beiden Seiten meiſt auf die gräulichſte
Art geführt; man ſchlug ſich nicht auf offenem Felde, Macht
gegen Macht, ſondern zog ſich bei Annäherung der Feinde
hinter feſte Mauern zurück, und gab das flache Land preis.
So ſtanden die Sachen in Deutſchland und in Böhmen,
als die Luxenburger die oben erwähnten Hausverträge
unter einander ſchloßen, und Markgraf Joſt, mit der Er—
werbung von Brandenburg nicht zufrieden, nun auch nach
dem Herzogthume Luxenburg griff, dem Stammlande des
Geſammthauſes. K. Wenzel hatte ſowohl bei Joſt, als
bei Sigmund Hilfe nachgeſucht, und die Zuſage von beiden
erhalten; ob auch wirklichen Beiſtand, iſt uns unbekannt.
Da einige Reichsfürſten bereits laut von des Königs Ab—
Wenzels Abdankungsproject. 51
ſetzung ſprachen, weil er die Städte begünſtigte, ſo bedurfte
er allerdings der Hilfe ſeiner Brüder und Vettern um ſo
mehr, je weniger Muth und Geſchick er ſelbſt beſaß, einen
großen Krieg zu führen. Als aber am 24 Auguſt 1388
bei Döffingen die Städte eine entſcheidende Niederlage er—
litten, auf welche ſpäter noch andere Verluſte folgten,
wurde Wenzel der Regierung in Deutſchland, wo Niemand
mehr gehorchen mochte, völlig überdrüſſig, und fing an,
von Niederlegung der römiſchen Krone zu ſprechen.
Es iſt nicht zu zweifeln, daß dieſer Gedanke aus K.
Wenzels innerſter Neigung kam, da er mit allerlei Ehren
dieſer Welt von Kindheit an geſättigt, keinen Ehrgeiz mehr
beſaß, und trotz der genoſſenen ſorgfältigen Erziehung, von
den politiſchen Ideen und Maximen ſeines Vaters nichts
geerbt hatte. Möglich iſt es auch, daß Markgraf Joſt auf
fein angelegte Weiſe dazu beitrug, einen ſolchen Entſchluß
bei Wenzel zur Reife zu bringen; denn nur ein Luxenburger
ſollte deſſen Nachfolger im römiſchen Reiche werden, und
unter dieſen konnte für jetzt Keiner eine günſtigere Ausſicht
haben, als der neue Kurfürſt von Brandenburg und Herzog
von Luxenburg. Auch bewarb er ſich bereits um die Stimmen
nicht der Kurfürften allein, ſondern auch z. B. der Herzoge
von Sſterreich. '' Aber obgleich ſich die Verhandlungen
darüber bis in den Sommer des nächſten Jahres hinaus—
zogen, ſo blieben ſie doch ohne Folgen, und Wenzel nahm
ſeinen Entſchluß am Ende wieder zuruͤck; ſei es, daß eine
58) Kurfürſt Rudolf von Sachſen verſprach (in der bereits von
Pelzel S. 86 mitgetheilten Urkunde, die ſich im böhm. Kron—
archive befindet) nicht mehr, als daß er demjenigen Luxenbur—
ger, den Wenzel ſelbſt in Vorſchlag bringen werde, feine Kur—
ſtimme geben wolle. Markgraf Joſt machte ſich aber noch am
18 Juni 1389 dem Herzog Albrecht verbindlich, deſſen Rath—
ſchläge zu befolgen und Oſterreichs Privilegien zu beſtätigen,
wenn er zum römiſchen Könige gewählt werde. S. Kurz,
Oſterreich unter H. Albrecht III, Bd. II. S. 364 fg.
4 *
1388
24 Aug.
1388
1389
52 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
Wahl, wie man ſie wünſchte, nicht durchzuſetzen war, oder
daß Wenzel frühzeitig Argwohn ſchöpfte, es könne die all—
zugroße Macht, in des ſelbſtſüchtigen Vetters Hände gelegt,
am Ende gegen den Verleiher ſelbſt ſich wenden.
Daß die Überzeugung und das Gefühl, ſeiner Aufgabe
in ſo ſtürmiſchen Zeiten nicht gewachſen zu ſein, den König
zur Abdankung beſtimmten, gäbe ein noch vortheilhafteres
Zeugniß für ſein Herz, wenn er ſeinen Entſchluß nur aus—
geführt hätte: als er aber wider ſeine beſſere Überzeugung
in einer unhaltbaren Stellung beharrte, verlor er den Reſt
von Selbſtändigkeit, und ſank bald zum Werkzeug, zum
Spielball der Parteien herab. Denn gewiß kam es nicht
aus ihm ſelbſt, daß nach vollendeter Demüthigung der
deutſchen Städte durch die Fürſten er denſelben ſeinen
Schutz entzog, und auf dem mit Mühe zuſammengebrachten
Reichstag zu Eger, im April und Mai 1389, den Städte—
bund, dem er doch ſelbſt behilflich geweſen, als geſetzwidrig
erklärte und auflöste. Allgemein wurde das Verdienſt, den
König von den Städten ab und wieder auf die Seite der
Fürſten gezogen zu haben, den Herzogen von Bayern zu—
geſchrieben; über die dazu in Bewegung geſetzten Mittel
und den ganzen Gang der diesfälligen Verhandlungen ſind
jedoch nur äußerſt mangelhafte Überlieferungen vorhanden,
die ſelbſt über die wichtigſten Vorgänge oft gar keine Aus—
kunft geſtatten.
Als eines der bedeutendſten Momente in dieſer Um—
kehrung vieler Verhältniſſe erſcheint jedenfalls die in die—
ſem Jahre, an noch unbekanntem Tage und auf unbekannte
Weiſe zu Stande gekommene Vermählung 7 K. Wenzels
59) Wie ſchlecht wir überhaupt über die Ereigniſſe dieſer Jahre
unterrichtet ſind , beweiſt ſchon der Umſtand, daß das Ver—
mählungsjahr Wenzels mit Sophie von Bayern von verſchie—
denen Chroniſten bisher verſchieden in die Jahre 1389, 1390,
1392, 1393, ja 1397 und 1400 geſetzt worden iſt. Pelzel und
Wenzels Vermählung mit Sophie von Bayern. 53
mit einer bayriſchen Prinzeſſin, Sophie, Tochter Herzog 1389
Johanns von München, ſomit Nichte der Herzoge Stephan
und Friedrich. Der letztere ſoll ſie ſelbſt ihrem königlichen
Gemahl nach Prag zugeführt haben. Sie war jung und
ſchön, ohne Ehrgeiz, fromm und gut, und bewies ihrem
Gemahl unter allen Umſtänden ſtets die treueſte Anhäng—
lichkeit. Doch hatte K. Wenzel von ihr ſo wenig, wie
von ſeiner erſten Gemahlin Johanna, ſich irgend eines
Kindes und Erben zu erfreuen. Da zugleich auch Sig—
mund mit Marien von Ungarn und Markgraf Joſt mit
ſeiner Gemahlin Agnes noch kinderlos waren, Markgraf
Prokop aber unvermählt blieb, ſo war die Fortpflanzung
des Luxenburgiſchen Stammes ſchon jetzt einigermaßen in
Frage geſtellt, und hing zumeiſt von Herzog Johann von
Görlitz ab, der zwar am 10 Febr. 1388 ſich mit Richardis,
einer Tochter des unglücklichen Königs von Schweden,
Albrecht von Meklenburg, vermählte, ſie aber, nachdem ſie
ihm nur eine Tochter, Eliſabeth, geboren hatte, bald wieder
verlor.
Während K. Wenzel noch in Eger mit den Reichs—
Pubicka entſchieden ſich für das Jahr 1392; uns iſt aber erft
kürzlich ein ganz unverdächtiges, von K. Wenzel zu Prag am
23 Dec. 1389 ausgeſchriebenes Patent in die Hände gekom—
men, worin eine allgemeine Berna-Erhebung im Lande auf den
3 Febr. 1390 zum Behufe der Krönung der Königin anbe—
fohlen wird: Quia de communi baronum regni nostri Bohemiae
consensu et unanimi voluntate, generalem bernam per regnum
nostrum Bohemiae, in subsidium coronationis conthoralis nostrae
carissimae, levandam decrevimus et tollendam etc. Dat. Pragae
die XXIII Decembris, regnorum nostrorum anno Bohemiae
XXVII. Romanorum vero XIV. Hiemit erhalten die Anga—
ben Arenpeks (in Bern. Pez Anecdot. III, lib. 5) und des
Dlugos, ſo wie die Leitmeritzer Urkunde von 1390, auf welche
ſich Dobner (in feinen Vindiciae etc.) beruft, ihre Beſtätigung.
Die Krönung der Königin Sophie fand aber bekanntlich
erſt um zehn Jahre ſpäter Statt.
51 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1389 fürſten über den allgemeinen Landfrieden für Deutſchland
verhandelte, brach in Prag plötzlich die furchtbarſte Juden—
verfolgung aus, deren die böhmiſche Geſchichte überhaupt
gedenkt. Die Juden, deren Vorhandenſein in Prag ſchon
vom X Jahrhunderte an urkundlich ſichergeſtellt iſt, hatten
ſchon zu Otakars II Zeiten beſonderen Schutz genoſſen, und
die von Karl IV kräftig gehandhabte innere Ruhe und
Sicherheit war ihrem Wohlſtande und ihrer Vermehrung
ſehr förderlich geweſen. Mit Wenzels IV Regierung ſchienen
aber noch günſtigere Zeiten für ſie gekommen zu ſein, da
dieſer König allgemein als ein ganz vorzüglicher Gönner
und Beſchützer der Juden angeſehen wurde, “ obgleich er
unſeres Wiſſens nichts Außerordentliches für ſie gethan hat.
Es mag ſein, daß einerſeits der bedeutende Wohlſtand und
die gewohnte Sicherheit unter dem Schutze des Königs
manchem Juden eine Zuverſicht einflößte, die dem Chriſten
als Übermuth erſchien, während anderſeits an dem ſtets
wachen Neid und Haß des Prager Pöbels gegen die meiſt
ſelbſtſüchtigen Gläubiger nicht zu zweifeln iſt. Vor der
Gründung der Prager Neuſtadt im J. 1348 hatten die
Juden diejenige Vorſtadt inne gehabt, welche in der Gegend
des noch heutzutage ſogenannten Judengartens in der Neu—
60) Der Tractatus de longaevo schismate (S. Italien. Reiſe, pag.
97, 99) führt aus dem Catalogus abbatum Saganens. (in Sten—
zels Script. rer. Silesiac. I, 212 sq.) folgende Worte über K.
Wenzel an: Exosus erat clero et populo, nobilibus, civibus et
rusticis (?), solis erat acceptus Judaeis, — und nennt ihn deser-
tor Romanorum, desertus eorum, persecutor clericorum, hostis
Teutonicorum, carnifex Bohemorum, fautor haereticorum et rex
Judaeorum. Eine zu Anfang des J. 1397 verfaßte noch ungedruckte
invectiva gegen den König (Forma curialis II) macht ihm unter
vielen anderen auch folgenden Vorwurf: Cur tantis fervoribus
Judaeorum amastis perfidiam, ipsos diligendo super fideles Christi-
colas, ipsos namque super prophetas domini extollendo ? etc.
Man vergleiche auch die Acta in curia Romana g. 12 und 27.
Große Judenverfolgung in Prag. 55
ſtadt ausgebreitet war; erſt Karl IV überſiedelte fie in die 1389
heutige Judenſtadt. Die nächſte Veranlaſſung zu blutigen
Aufritten gab ein chriſtlicher Prieſter, der an einem Nach—
mittage der Charwoche das Sacrament der Hoſtie in die
Judenſtadt zu einem dort erkrankten Chriſten trug, aber
mit Steinwürfen empfangen und zum Rückzug genöthigt
wurde. Der Prager Magiſtrat ſchritt zwar alſogleich ein,
und verhaftete die Schuldigen: als aber am Oſterſonntage
die Prediger in den Kirchen ſelbſt das Volk zur Rache auf—
forderten, ließ dasſelbe ſich nicht länger im Zaume halten.
Der wüthende Pöbel ſtürmte die Judenſtadt, zündete ihre
Häuſer an, trieb die Einwohner in die Flammen zurück
und mordete die flüchtigen. Nur Einzelne, meiſt Frauen
und Kinder, wurden verſchont, in die Altſtadt aufgenommen
und alſogleich zum Schein getauft, um ſie fernerer Miß—
handlung zu entziehen. Gegen drei tauſend Perſonen ſoll
dieſe furchtbare Raſerei das Leben gekoſtet haben. 61
K. Wenzel eilte daher, nach der am 5 Mai 1389 zu
Eger vollzogenen Verkündigung des Landfriedens auf ſechs
Jahre, nach Prag zurück. Welche Maßregeln er traf, um
ſo ſchreiende Miſſethaten zu ſtrafen, wiſſen wir, bei den
dürftigen aus dieſer Zeit uns überlieferten Nachrichten,
nicht anzugeben; “ nur fo viel iſt bekannt, daß alles bei
dieſer Gelegenheit in der Judenſtadt geraubte Gold und
Silber (von dem letzteren allein fünf Tonnen voll) an
61) Eine umſtändlichere Schilderung davon gibt Pelzel (J 214 fg.)
nach einer noch im MS. vorhandenen Monographie »Passio
Judaeorum Pragensium.
62) Daß er gar nichts gethan und den Chriſten ſogar Recht gege—
ben habe, wie Hajek will, iſt ganz gewiß eine der vielen Lügen
und Erdichtungen, welche dieſer gewiſſenloſe Chroniſt ſich ins—
beſondere bei K. Wenzel erlaubt hat. Sie widerſpricht nicht
nur der ganzen Regierungsweiſe Wenzels (der in ſeiner Weiſe
ſehr auf Gerechtigkeit hielt), ſondern auch den in der vorletzten
Bemerkung angeführten gleichzeitigen Zeugniſſen.
18 Apr.
56 VI Bud, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1389 die königliche Kammer ausgeliefert werden mußte. Und
wenn es ſchon aus dieſem Umſtande erhellt, daß Wenzel
weit entfernt war, ſich über die gemeine Anſicht des Mittel—
alters zu erheben, der zu Folge alles Privateigenthum der
Juden dem Landesherrn unbedingt gehörte: ſo wird dieſe
Wahrheit noch mehr durch die bekanntlich im September
1390 von ihm erlaſſenen Decrete beſtätigt, in welchen er
alle deutſchen Reichsſtände von der Bezahlung der Juden—
oder Wucher-Schulden, nach dem Beiſpiele Ludwigs IV
und Karls IV, ſo wie der Könige von Frankreich und von
England, aus kaiſerlicher Machtvollkommenheit dispenſirte.
Seine vielgerühmte, aber auch viel getadelte Judenliebe
dürfte ſich daher kaum weiter erſtreckt haben, als daß er
in vielen einzelnen Fällen feinen Amtern und den Magis
ſtraten auf dem Lande befahl, jüdiſchen Gläubigern gegen
ſäumige chriſtliche Schuldner Beiſtand zu leiſten. ““
Papſt Urban IV ſtarb am 15 Oct. 1389, und hinter⸗
ließ dem zu feinem Nachfolger gewählten neapolitaniſchen
Cardinal Peter Tomacelli, der am 9 Nov. 1389 unter dem
kamen Bonifaz IX gekrönt wurde, die Ausführung zweier
Decrete, bei welchen zwar die ganze Chriſtenheit, Böhmen
aber insbeſondere betheiligt war. Das eine betraf das
vom Prager Erzbiſchof Johann von Jenſtein ſchon ſeit
Jahren vorzugsweiſe empfohlene Feſt der Heimſuchung Mariä,
deſſen allgemeine Einführung durch die Päpſte unſerem Erz—
biſchofe zu um ſo größerer Genugthuung gereichte, je grö⸗
ßere Widerwärtigkeiten ihm früher deſſen übereilte Ein—
ſetzung in feiner Diöceſe bereitet hatte. “ Das andere
Decret kürzte den einſt hundertjährigen, ſeit Clemens VI
aber fünfzigjährigen Termin des chriſtlichen Jubeljahres in
Zukunft auf 33 Jahre ab, als die Dauer des Lebens Chriſti
63) Urkunden ſolchen Inhalts haben aus K. Wenzels Regierung
ziemlich viele ſich erhalten.
64) Vergl. oben zum Jahr 1384, Seite 35, Note 43.
Das Prager Jubeljahr. 57
auf Erden und zugleich die Durchſchnittszeit eines Men- 1389
ſchenalters überhaupt; demzufolge wurde verordnet, daß
das nächſtfolgende Jahr 1390 als das erſte Jubeljahr dieſer 1390
Art in Rom gefeiert werden ſollte. Es ſtrömten daher,
wie überhaupt aus allen Ländern der römiſchen Obedienz,
fo auch vorzüglich aus den böhmiſchen Kronländern, Schaa—
ren von Wallfahrern nach Rom in dem beſagten Jahre,
um den vorgeſchriebenen Proceſſionen und Bußwerken in
den dortigen Kirchen ſich zu unterziehen, und der dafür
bewilligten Abläſſe theilhaftig zu werden.
Man hat die Gründe, warum K. Wenzel ſeinen Römer—
zug aufſchob, außer ſeiner natürlichen Indolenz und dem
Drang der Umſtände, auch in dem Einfluſſe des franzöſiſchen
Hofes zu finden geglaubt, der ſich bemüht habe, einen dem
Afterpapſte von Avignon ſo nachtheiligen Act zu verhüten;
wir werden aber kaum irren, wenn wir ſie noch mehr in der
Abneigung K. Wenzels ſuchen, mit dem düſterſtrengen und
hochfahrenden Urban VI perſönlichen Umgang zu pflegen.
Als daher der leutſeligere und geſchmeidigere Bonifaz IX
an deſſen Stelle getreten war, fing der König wieder an,
an ſeinen Römerzug zu denken, und ſandte den Doctor 21 Nov.
Ubaldin von Florenz, ſeinen geheimen Rath, und den Mi—
noritenbruder Nicolaus, ſeinen Beichtvater, um dem neuen
Papſte dieſen Entſchluß zu verkünden, und ſich von ihm
einige geiſtliche Gnaden auszubitten:® die eine betraf die
Erhebung von beſonderen Kirchenſubſidien zum Behufe des
Römerzugs, eine andere die Verleihung eines eigenen Jubel—
jahres für Prag und Böhmen, damit ſowohl der König,
als deſſen Unterthanen, welche in dem beſtimmten Termin
nicht hatten nach Rom ziehen können, dennoch an den durch
jenes Jubeljahr eröffneten heiligen Spenden Theil nehmen
könnten. Bonifaz ernannte beide Geſandten, den Doctor 1391
Ubaldin alſogleich, den Bruder Nicolaus etwas ſpäter, zu
65) S. die Acten bei Raynaldi, 1390, §. 3 — 5. 8
1391
1393
58 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
Biſchöfen,“« ſandte den erſteren als feinen eigenen Nun—
tius und Collector für die päpſtliche Kammer nach Prag
zurück, befahl ihm die gedachten Kirchenſubſidien einzutrei—
ben und dem Könige, jedoch erſt bei wirklichem Antritt der
Römerfahrt, zu übergeben, und gewährte auch die Bitte
hinſichtlich des in Prag abzuhaltenden Jubeljahres.
Nun verſchob Wenzel ſeine ſchon oft angekündigte
Römerfahrt wieder bis nach dem Prager Jubeljahre; die—
ſes nahm aber erſt am 16 März 1393 ſeinen Anfang.
Der König und deſſen junge Gemahlin waren unter den
Erſten, welche ſich den vorgeſchriebenen Wallfahrten und
Bußübungen, nicht ohne Dispens, unterzogen. Das Volk
ward angewieſen, in die St. Peterskirche auf dem Wyse—
hrad zur Beichte zu gehen, von dort 7 bis 15 Tage lang
in Proceſſionen die Fronleichnamskirche auf der Neuſtadt,
die Kathedralkirche auf dem Hradſchin und das Kloſter
Brewnow zu beſuchen,“ und einen Theil derjenigen Koften,
welche die perſönliche Wallfahrt nach Rom ihnen verurfacht
hätte, nach der billigen Schätzung der Beichtväter, für die
apoſtoliſche Kammer zu entrichten. Der Zudrang der Gläu—
bigen wurde außerordentlich ſtark, obgleich ein zwiſchen dem
Könige und dem Prager Erzbiſchof neuerdings ausgebro—
chener heftiger Streit die ganze Feier gleich Anfangs zu
zerſtören drohte.
Wir haben bereits oben bemerkt, wie eiferſüchtig der
Erzbiſchof über ſeine kirchliche Immunität wachte, und wie
66) Bruder Nicolaus wurde Biſchof von Lavant, konnte aber zum
Beſitze ſeines Bisthums eben ſo wenig gelangen, wie Hanko
Brunonis, der Oberſtkanzler, Biſchof von Kamin.
In den böhmichen Annalen (Letopisowé, in Scriptt. rer. Boh.
UI, 5) werden zwar noch andere Kirchen, die da beſucht wer—
den ſollten, angegeben: wir folgen aber in der obigen Angabe
einem noch ungedruckten gleichzeitigen Actenſtücke, mit welchem
auch die Acta in curia Romana (artic. 31: »per omnes qua-
tuor ecclesias«) übereinſtimmen.
67
—
Das Prager Jubeljahr. Wenzels Bruch m. d. Erzbiſchof. 59
wenig Umſtände dagegen der König und deſſen nächſte 1393
Umgebung gerade mit den Geiſtlichen zu machen gewohnt
war. An Anlaß zu Reibungen konnte es unter ſolchen
Verhältniſſen niemals fehlen; die meiſten entſtanden aus
wahren oder vermeinten Eingriffen in die gegenſeitige Juris—
diction.““ Als der königliche Landesunterkämmerer, Sig—
mund Huler, mehrere Prager Studenten wegen unbekann—
ter Exceſſe hatte verhaften und zwei davon, mit Wiſſen
des Königs, hinrichten laſſen, forderte der Erzbiſchof ihn
deshalb, und zugleich wegen einiger nicht orthodoxen Auße—
rungen, vor ſein Gericht; und als derſelbe zur Antwort
gab, daß er allerdings, jedoch nur in Begleitung von 200
Lanzen, erſcheinen werde: ſo ließ er über dieſen Günſtling
den Kirchenbann in Prag verkünden, ohne den König vor—
her davon in Kenntniß zu ſetzen. Wenn dies fihon ges
eignet war, den jähzornigen Wenzel zu entflammen, ſo
trat gleich darauf ein noch wichtigeres Ereigniß ein, wel—
ches ihn noch ungleich mehr aufreizte.
K. Wenzel zählte an ſeinem Hofe nicht weniger als
einen Titular-Patriarchen und drei Titularbiſchöfe, die Alle
ſich ſeiner Gunſt erfreuten; um wenigſtens Einem von
ihnen einen Kirchenſprengel zu verſchaffen, beabſichtigte er
im ſüdweſtlichen Theile Böhmens ein neues Bisthum für
ihn zu gründen, und wartete dazu nur den Tod des alten
Kladrauer Abtes Racek ab, wo er dann an die Stelle der
dortigen Benedictinerabtei eine Kathedrale hinſetzen wollte.
Kaum war jedoch Racek geſtorben, ſo wurde von den Mön—
chen die Wahl eines neuen Abtes, und von dem Vicar des
68) Die Acta in curia Romana (abgedruckt in Pelzels Urk. Buch.
S. 145 — 164) zählen ſie auf, und dienen auch unſerer Er—
zählung als Quelle. Nur ſind ſie eine Parteiſchrift, die alle
für den Gegner redenden Umſtände und Gründe verſchweigt,
wie z. B. bei Artic. 9 und 10, daß der Verkauf von Land:
gütern an den Clerus in Böhmen von jeher (auch unter Karl IV)
geſetzlich verboten war.
60 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1393 Erzbiſchofs deſſen Beſtätigung, ſo beſchleunigt, daß der
10 März König mit der Nachricht vom Tode des alten Abtes zu—
gleich auch die von der bereits erfolgten Einſetzung des neuen
bekam. Dieſer gegen ſeine ausdrücklichen Befehle durch—
geführte Streich ſetzte ihn vollends in Wuth. Er ſandte
wiederholte Boten an den Erzbiſchof und deſſen Räthe,
welche aus Furcht vor ihm in vorhinein nach Raudnitz
ſich geflüchtet hatten, und rief ſie nach Prag. Als zuletzt
auch der Biſchof von Lavant, des Königs Beichtvater, und
der Hofmarſchall Eich von Zaſada zu dem Erzbiſchof kamen
und ihn verſicherten, daß er und die Seinigen nicht allein
ſicher nach Prag kommen könnten, ſondern auch müßten,
wenn überhaupt je eine Ausſöhnung zwiſchen ihnen und
dem Könige Statt haben ſolle: ſo ging er endlich (am
18 März 18 März) in die Stadt, ungeachtet ein eben ſo ungnä—
diges als lakoniſches Handbillet des Königs“ ihn nichts
Gutes ahnen ließ.
Da die Räthe des Königs ſelbſt eine Kataſtrophe zu
verhüten ſuchten, ſo wurde die von ihnen in Ausſicht ge—
19 März ſtellte Ausſöhnungs- und Friedensverhandlung am 19 März
thätig begonnen, und ſchon am folgenden Tage durch einen
beiderſeits genehmigten Vertrag geſchloſſen, dem nur noch
69) Es lautete: »Tu archiepiscope! mihi castrum Rudnic et alia
castra mea restituas, et recedas mihi de terra mea Boemiae;
et si aliquid contra me attentabis vel meos, volo te submer-
gere, litesque sedare. Pragam veni!« Mit Unrecht ſchloßen Pel—
zel und Andere, daß der Erzbiſchof damals mehrere Krongüter
zu Pfande beſeſſen haben müſſe. Raudnitz und andere Schlöſ—
ſer beſaßen ja die Prager Biſchöfe als unbeſtrittenes Eigenthum
ſeit Jahrhunderten. Der König ſprach aber in obigen Zeilen
nur als oberſter Lehensherr einem Vaſallen gegenüber, mit
Rückſicht auf den althergebrachten Grundſatz in Böhmen, daß
alles unbewegliche Eigenthum der Kirche und der Städte des
Landes, im weiteſten Sinne des Workes, ein königliches Kam—
mergut ſei.
Wenzels Bruch mit dem Erzbifchof. 61
die Sanction des Königs fehlte. Um auch dieſe zu er- 1393
langen, und die Ausſöhnung vollſtändig zu machen, begab
ſich der Erzbiſchof mit feinem ganzen Gefolge zu dem Kö- 20 März
nige, der in noch zahlreicherer Umgebung ſich eben in der
Nähe der heutigen Malteſerkirche in Prag befand. Bei
Anblick der geiſtlichen Herren übermannte aber den Letz—
teren ein ſo heftiger Zorn, daß er unter Flüchen und
Scheltworten den Vertrag zerriß, den Anſtiftern der oben
berührten Handlungen des Erzbiſchofs mit furchtbarer Züch—
tigung drohte, und deſſen Official Nicolaus Puchnik, den
Generalvicar Doctor Johann von Pomuk, den Meißner
Propſt Wenzel, ja den Erzbiſchof ſelbſt auf der Stelle zu
verhaften und in die Burg zum Domcapitel zu führen be—
fahl, um daſelbſt eine ſcharfe Unterſuchung mit ihnen vor—
zunehmen. Als der geängſtigte Erzbiſchof, um ihn zu be—
ſänftigen, vor ihm auf die Kniee fiel, erwiederte er dies
mit einer gleichen Kniebeugung und mit hohnlachender Nach—
ahmung ſeiner Gebärden. Die geiſtlichen Räthe wurden
daher gefangen genommen, und unter ſtarker Bedeckung
auf den Hradſchin hinauf geführt; den Erzbiſchof ſchützten
vor einer gleichen Behandlung nicht ſowohl ſeine Würde,
als vielmehr ſeine zahlreich anweſenden Waffenträger.
Unter ihren Schilden zog er ſich in ſeine nahegelegene Re—
ſidenz zurück, und floh, nach kurzem Verweilen, aus der
Stadt hinaus, obgleich auf Wenzels Befehl bereits alle
Thore und Wege geſperrt worden waren.
Das bei dem Prager Domcapitel vorgenommene Ver—
hör ſteigerte noch Wenzels Wuth. Er ſchlug dem bejahr—
ten Domdechant, Doctor Bohuslaw von Krnow, mit ſei—
nem Degenknopfe blutige Wunden in den Kopf, ließ ihn
dann binden und in das Prager burggräfliche Gefängniß
ſetzen; von den anderen ließ er Puchnik, Pomuk, den Propſt
Wenzel und den Hofmeiſter des Erzbiſchofs, Nepr von Rau:
pow, auf das Altſtädter Rathhaus führen, um die noch
62 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1393 immer erfolgloſe Inquiſition in der dortigen Folterkammer
endlich wirkſamer zu machen. Gegen Abend kam er ſelbſt
dahin. Da der Propſt und der Hofmeiſter unter Eid und
Siegel alles leiſteten, was der König nur haben wollte,
ſo ließ er ſie frei ausgehen. Auch Puchnik, kaum auf die
Folter geſpannt, bat und gelobte alles, ſogar ewiges Still—
ſchweigen über die mit ihm beobachtete Procedur; auch er
fand daher Gnade, und wurde wieder entlaſſen. Nur der,
durch Zuſammenfluß mehrer Umſtände in den Augen des
Königs beſonders gravirte Generalvicar, Johann von Pomuk,
beſtand alle Qualen der Folter, bei welcher Wenzel ſelbſt
das Henkeramt mitverrichtet haben ſoll, ohne ſeinen Rache—
durſt ſättigen zu können. Am Ende ließ er den bereits
halbtodten Prieſter binden, auf die Prager Brücke führen,
und von dort in die Moldau hinabſtürzen. Dies geſchah
Donnerſtags am 20 März, um 9 Uhr Abends.“
Der Erzbiſchof hatte ſich inzwiſchen mit Mühe und
Gefahr in ſeine feſte Burg Geiersberg an der ſächſiſchen
70) Der Widerſpruch in den Quellen, welche bald den 20, bald
den 21 März angeben, iſt ſchon bei Pubicka (Chronolog.
Geſch. VII, 130) dadurch richtig erklärt, daß im damaligen
Böhmen die alte Sitte, den Tagesanfang vom Sonnenunter—
gange an zu zählen, noch nicht allgemein aufgegeben worden
war. — über die Identität oder Nicht-Identität jenes Ge—
neralvicars Johann von Pomuk oder Nepomuk, mit dem gleich—
namigen von Benedict XIII am 19 März 1729 canoniſirten
Heiligen, iſt ſeit dem XVII Jahrhunderte vielfach und nicht
ohne Leidenſchaft geſtritten worden; Berufene und Unberufene
haben ihre Stimmen für und wider erhoben. Ein allen Zweifel
ausſchließender Beweis läßt ſich, unſeres Dafürhaltens, in
dieſer Sache nicht mehr führen. Doch wird die vermittelnde
Anſicht, welche zuerſt Aſſemann, Wokaun und P. Athanas auf—
ſtellten, ſpäter aber der kritiſche Meiſter Gelaſius Dobner in
feinen Vindiciae sigillo confessionis divi Joannis Nepomuceni
protomartyris poenitentiae assertae (Pragae 1784, 8) vortrug,
vor dem Forum der hiſtoriſchen Kritik wohl immer das meifte
Mißhandlung einiger Chriſtlichen. 63
Gränze geflüchtet. Als der König feinen dortigen Auf— 1393
enthalt erfuhr, und bei abgekühltem Blute auch wieder zur
Beſinnung gekommen war, gab er ſich der Reue über das
Geſchehene mit gleicher Heftigkeit hin. Er rief Herrn
Hyncik Pluh von Rabſtein und zwei Domherren zu ſich,
und ſprach zu ihnen: »Gehet hin zum Erzbiſchof, und ſaget
ihm, er ſolle unbeſorgt zu mir zurückkehren; denn ich be—
reue ſehr, was ich gethan, und will ihm dafür, nach dem
Ermeſſen ſeines eigenen Capitels, die gehörige Genug—
thuung leiſten. Ja, abbitten will ich ihn, und wenn ihr
wollt, ſelbſt auf die Kniee vor ihm niederfallen: aber ab—
ſolviren ſoll und muß er mich, ſonſt gerathe ich in Ver—
zweiflung, und werde dann noch ärger haufen, als zuvor.«
Als die Geſandten dies dem Erzbiſchof vortrugen, äußerte.
dieſer ſich zwar zufrieden darüber, daß ſein Capitel den
Austrag zwiſchen ihm und dem Könige thun ſollte, wollte
aber von einer Reiſe nach Prag nichts hören, und ſtellte
der Verſöhnung ſeinerſeits die Vorbedingung auf, daß der
königliche Unterkämmerer, der in den Verdacht der Ketzerei
gefallen, ſich vor ſein geiſtliches Gericht ſtelle, der neue
Abt von Kladrau in ſeiner Abtei nicht beunruhiget werde,
die Strafe des Kirchenbannes allenthalben ungehinderte
Vollziehung finde, und der König ihn, den Erzbiſchof, für
alle ſeit vierzehn Jahren durch ihn erlittenen Verluſte ſchad—
los halte. Bei Anhörung ſo hochgeſpannter Forderungen
lächelten die Geſandten, und traten unverrichteter Dinge
die Rückreiſe an. Da ſandte er ihnen das Anerbieten nach,
daß er nach Prag kommen wolle, wenn drei von ihm na—
mentlich bezeichnete Barone des Reichs ſich für ſeine Sicher—
Anſehen behaupten. Obgleich Dobner in dieſer Schrift einige
Blößen gab, ſo iſt ſein Satz in der Hauptſache doch gar nicht
ſo ungegründet oder unwahrſcheinlich, als es Dobrowsky in
ſ. Literariſchen Magazin von Böhmen und Mähren III, 101
— 126 (Prag 1787) behauptete.
64 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1393 heit bei der Hin- und Herreiſe verbürgen. Der König befahl
nun drei anderen Baronen die geforderte Bürgſchaft zu leiſten,
29 März und ſo kehrte der Erzbiſchof am 29 März nach Prag zurück.
Bei der eigenthümlichen Denkweiſe Johanns von Jen—
ſtein konnten jedoch auch die neuen Friedensverhandlungen
zu keinem erfreulichen Ende führen. Er, dem jede per—
ſönliche Ambition ſo ferne lag, ſah es gleichwohl für eine
Sünde an, wenn er hinſichtlich ſeiner Kirchengewalt auch
nur ein Haar breit nachgäbe; und da er ſeine Anſprüche
offen durchzuſetzen unvermögend war, ſo verwickelte er ſich,
um des Friedens willen, ſogar in Zweideutigkeiten und Heu—
chelei.“ Am Ende gab fein eigenes Capitel ihm Unrecht,
als es ihn ſo viele Ausflüchte gebrauchen ſah, und ſtellte
ſich auf des Königs Seite, und die Unterhandlungen zer—
ſchlugen ſich an der Forderung, daß der Erzbiſchof nicht
nur zur Errichtung des Bisthums in Kladrau ſeine Zu—
ſtimmung geben, ſondern auch bei dem Papſte ſeine Für—
ſprache zu dieſem Zwecke einlegen ſollte. In dieſer Hin—
ſicht erwies ſich Johann von Jenſtein minder edel, als einſt
fein Vorgänger Biſchof Andreas;? um ſich allen Zu—
23 April muthungen dieſer Art zu entziehen, floh er am 23 April
71) Belege dazu gibt ſeine eigene Erzählung in Menge, z. B.
Art. 30: quod autem dimittere dixi, certe quia aliter tunc
fieri non poterat, non tamen ut dimittere in futurum vellem,
intendebam. Als ihn Sigmund Huler auf Befehl des königl.
Rathes um Verzeihung bat, antwortete er: »parco, quidquid
mihi fecisti,« hoc reticens: nam quidquid contra deum exces-
sisti, quando tempus faciendi advenerit, in te nullatenus im-
punita dimittam. — Nolui esse culpabilis, nec etiam contradixi,
quod non facerent, sed dissimulate transivi. — Art. 34: hoc
factum canonici, sicut sine me tractaverunt, sic et sine me con-
summare possunt. — Art. 36: pro tunc dixi, haec velle facere;
ipsi aliqualiter contenti abscesserunt; cumque ibi essem, tan-
dem commissionem, quam eis feceram, revocavi etc.
72) S. Band II, Abtheilung J. Seite 79 zum J. 1216.
Des Erzbiſchofs Klage. 65
in Begleitung des neuen Kladrauer Abtes nach Rom zu
Bonifaz IX, und klagte mündlich und ſchriftlich über die
erlittenen Unbilden.“ Indeſſen befahl K. Wenzel, die
Güter des Kladrauer Stiftes vorläufig unter weltliche Ad—
miniſtration zu ſetzen.
Doch auch bei Bonifaz IX fand Johann von Jenſtein
nicht die gehoffte Hilfe und Genugthuung. Wenzel fandte
nicht allein ſeine Boten nach Rom, die ſein Benehmen
gegen den Erzbiſchof zu entſchuldigen ſuchten, ſondern er
erwies dem römiſchen Hofe zu gleicher Zeit auch ſo we—
ſentliche Gefälligkeiten, daß der Papſt ihm unmöglich zür—
nen konnte. Der päpſtliche Collector in Böhmen, Biſchof
Übaldin, hatte nämlich, zumeiſt aus den Indulgenzen des
Prager Jubeljahres, zwar große Summen geſammelt, aber
damit auch bereits zu eigenem Vortheil zu ſpeculiren an—
gefangen, und ſie auf die Seite zu ſchaffen geſucht. Als
K. Wenzel dies vernahm, ließ er auf die ganze Baarſchaft
Beſchlag legen, benachrichtigte den Papſt alſogleich davon,
und ſorgte dafür, daß die Gelder ohne weitere Veruntreuung
an ihre Beſtimmung gelangten.“ Überdies dürfte auch
Bonifaz IX das Benehmen des Erzbiſchofs nicht in Allem
gebilligt haben. Dieſer kehrte daher im Herbſte 1393 in
der Stille nach Böhmen mit der Überzeugung zurück, daß
ſeine perſönliche Stellung dem Könige gegenüber unhalt—
bar geworden war.
73) Die ſchriftliche Klage bilden eben jene oben berührten Acta in
curia Romana (vgl. Anmerk. 68, S. 59.)
Dies lernen wir aus einem Briefe K. Wenzels, der ſich in
einem gleichzeitigen Formelbuche (Bibl. Metrop. MS. H. 3,
fol. 56 sq.) erhalten hat. Darnach iſt die Stelle in dem unge—
druckten Chronicon Universitatis Pragensis (in der Wiener k. k.
Hofbibliothek MS. Theol. 99. ad ann. 1392) — »Quapropter
justo dei judicio majorem partem (pecuniae) rex Wenceslaus
pro sua camera reservavit« — zu verſtehen und zu berichtigen.
74
—
Geſch. v. Böhm. 3 Bd.
1393
1393
Zweites Capitel.
König Wenzels IV zweite Regierungsperiode.
Der König und ſeine Regierung. Bildung des böhmiſchen
Herrenbundes. Wenzels erſte Gefangennehmung und Be—
freiung. Herzog Johann von Görlitz. Neue Schwierig—
keiten und Unruhen. K. Sigmund von Ungarn als Ver⸗
mittler. Erneuerte Gährung. Der Mord der Günſtlinge
in Karlſtein. Umtriebe der rheiniſchen Kurfürſten. Der
Herzog von Mailand. Karl VI von Frankreich und die
beiden Päpſte; der Tag zu Rheims. Neue Unruhen in
Böhmen; Markgraf Prokop von Mähren. K. Wenzels Ab—
ſetzung in Deutſchland und Wahl Ruprechts von der Pfalz.
Krieg mit Ruprecht und dem Herrenbunde. Ruprecht in
Italien. Sigmund Reichsverweſer in Böhmen. Zweite
Gefangenſchaft K. Wenzels und Kriege in Böhmen. Wenzel
in Wien. Sigmunds Bruch mit Bonifaz IX. Wenzels Flucht.
(Jahr 1393 — 1403.)
Die Reihe der von uns im erſten Capitel dieſes Buchs
geſchilderten Ereigniſſe hat uns belehrt, daß es K. Wenzel
je länger je ſchwieriger wurde, ſeine Macht und ſein könig—
liches Anſehen in den Überhand nehmenden Wirrniſſen feiner
Zeit zu erhalten; ſeine zweite Regierungsperiode ſtellt ihn
uns dar, wie er das bis dahin mit Muͤhe behauptete
Gleichgewicht verlor, und am Ende zur Nullität eines Un—
mündigen herabſank.
Man hat, um ſein Mißgeſchick zu erklären, von jeher
auch falſche Beſchuldigungen gegen ihn erhoben, und ihn
Wenzels Charakter und Regierung. 67
z. B. als einen Wütherich geſchildert, der ſich in des 1393
Scharfrichters Geſellſchaft gefallen, und ſeine Unterthanen
ohne Urtheil, ja ohne Veranlaſſung, je nach zufälliger Laune,
habe peinigen oder hinrichten laſſen. Alte und neue Schrift—
fteller ? haben ihren Leſern Scenen vorgeführt, welche an
die Barbarei afrikaniſcher Deſpoten erinnern, wie z. B.
der blutige Landtag bei Wilemow, der glücklicherweiſe nur
ein aus der Luft gegriffenes Mährchen ift.”% Die Ge—
75) Schon Edmund Dinter hat in feinen in das Magnum chro-
nicon Belgicum (bei Piſtorius-Struve, III, 355 — 6) aufge—
nommenen Nachrichten falſche Züge von ihm mitgetheilt; nicht
in dem, was er ſelbſt ſah und erlebte, ſondern was er aus—
drücklich nur nach bloßem Hörenſagen (»dicitur de eo«) berich—
tete. Bei M. Paul Zidek (MS. vom Jahr 1471) wer:
den erweislich falſche Beſchuldigungen, jedoch minder wichtiger
Art, in Menge gegen Wenzel erhoben. Der überhaupt gewiſſen—
loſe Hajek (1541) hat ſich aber gegen Niemanden ſchänd—
licher benommen, als eben gegen dieſen König; man kann als
untrügliche Regel annehmen, daß Alles in Wenzels Geſchichte,
was keinen ältern Gewährsmann für ſich hat, als Hajek, rein
erdichtet und erlogen iſt. Und nun — ſollte man es glau—
ben, daß Pelzel, durch die Aufnahme des Mährchens vom
Wilemower Landtag aus einer kothigen Quelle des J. 1619 in
ſein Werk, Hajeks Unrecht, aus bloßem Mangel an Kritik,
noch überbieten würde?
76) Daß dieſer Landtag — auf welchem K. Wenzel (nach Pelzel
im J. 1389) die verſetzten böhmiſchen Krongüter von den Ba—
ronen zurückgefordert, die ſich deſſen Weigernden in ein eige—
nes rothes Zelt gewieſen und ſie dort hinrichten laſſen haben
ſoll — eine aus Verwechslung mit einem ähnlichen, jedoch
auch nicht ganz verbürgten Auftritte zwiſchen Sigmund und
den Ungarn entſtandene Fabel ſei, haben wir in einer
umſtändlichen kritiſchen Abhandlung (im Casopis èeskeho Mu-
seum, 1842, S. 345 362) hoffentlich genügend nachgewieſen.
Die Annahme, auf welche ſich dieſe ganze Erzählung ſtützt, daß
alle böhmiſchen Krongüter ſchon unter Karl IV (h) und dann
auch unter Wenzel IV, an die Barone verpfändet geweſen ſein
ſollen, iſt rein abſurd. Einen Herrn „Weitminar“, der bei dem
A *
0
68
VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1393 ſchichte bewährt es aber, daß Wenzel von Natur gutmüthig,
nur ſelten, wenn gereizt, im Jähzorn und in der Trunken—
heit, grauſam wurde, ſeine Grauſamkeit bei wiederkehren—
der Beſinnung immer wieder bereuete, und niemals einen
vorbedachten Juſtizmord ſich zu Schulden kommen ließ.
Sollte die je länger je offener zu Tag tretende Un—
fähigkeit und Charakterloſigkeit Wenzels nicht genügend
ſein, alle Unfälle ſeiner Regierung, einer ſtürmiſch auf—
geregten böſen Zeit gegenüber, zu erklären? Sein ſtarker
Körperbau, ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe und ſelbſt ſein
Witz,“ konnten feine Schwäche nur dem gemeinen Blicke
77)
Wilemower Landtage die Hauptrolle fpielt, hat es unter Wenzel
noch nicht gegeben, ſondern erweislich erſt unter Georg und
Wladislaw II u. ſ. w. — Wer übrigens ſich mit Studien des
böhmiſchen Onomaſtikons und der hiſtoriſchen Topographie
abgegeben, der braucht auch nur die Namen »Hrozek von Cban⸗
und »Jiros von Hradist« zu hören, um ſogleich zu erkennen,
daß er auch da eine falſche Waare vor ſich hat, und daß
ſomit die Hinrichtung der Herren dieſes Namens im J. 1391
eine Hajek'ſche Erfindung iſt. Das böhmiſche Alterthum kannte
wohl Perſonen wie Jira, Jirkik, Jirka, Jirſa, Sireta, Jiraus,
aber keinen Jiro s. Einen Ort Namens »Cbans hat es auch
nicht im Lande gegeben, vielweniger ein Herrend) geſchlecht,
das ihn geführt hätte. Aus ſehr umfaſſenden und detaillirten
Forſchungen find uns Tauſende von damaligen Perſonen-, Orts:
und Familiennamen bekannt; die obigen möchte man jedoch
vergebens darunter ſuchen. Entſcheidend iſt aber für unſere
Behauptung, daß wir eine zu Anfang des J. 1397 verfaßte
Klageſchrift (Forma curialis II) mit Aufzählung ſämmtlicher
Gewaltthaten K. Wenzels beſitzen (wir werden darauf zurück—
kommen), und daß darin von ſolchen Hinrichtungen böhmiſcher
Edlen und Bürger auch nicht Ein Wort zu leſen iſt, während
doch wirkliche Facta, z. B. die Scenen vom 20 März 1393,
gehörig hervorgehoben werden.
»Robustus venator« nennt ihn ſchon Petrarca. »Erat bene lite-
ratus, congrue loquens latine,« fagt Edmund Dinter, und er:
zählt, unter andern Anekdoten von ihm, wie er einft, als er
Wenzels Charakter und Regierung. 69
verdecken. Allen politiſchen Ideen fremd, ohne Gefühl für 1393
königliche Ehre, von Natur träge, und doch reizbar, ohne
Muth und Thatkraft, aber nicht ohne Eigenſinn, ein ver—
wöhntes Kind ſein Leben lang, — ließ er dennoch nicht
die Anſprüche fahren, ſelbſt zu herrſchen und, gleich ſeinem
Vater, perjönlich zu regieren. Hätte er doch nur auch,
gleich ihm, vor allem ſich ſelbſt zu beherrſchen gelernt!
Während aber Karl IV, in richtiger Würdigung der Ver—
hältniſſe, die vornehmſten Stände ſeiner Zeit, Geiſtlichkeit
und Adel, zu ſich und in ſein Intereſſe zog, mehr um ſich
ihrer zu bedienen als ſich von ihnen beſtimmen zu laſſen,
ſtieß im Gegentheile Wenzel ſie beide von ſich weg, miß—
handelte die Einen, verletzte die Anderen durch offenkun—
dige Zurückſetzung; während Jener, bei aller perſönlichen
Energie, dennoch die äußerſte Schonung für alle alt her—
gebrachten Rechte und Formen der Verfaſſung beurkundete,
ſchien Dieſer zu glauben, ſeine guten Abſichten genügten
ſchon, alle Welt zufrieden zu ſtellen, wenn ſie auch noch
ſo eigenmächtig und ſummariſch durchgeführt wurden. An
die Stelle der einſt zwiſchen Karl IV und feinem Bruder
Johann von Mähren herrſchenden Einigkeit trat jetzt die
Zwietracht und Selbſtſucht ihrer Söhne, die, um ſich gegen—
ſeitig einige Vortheile abzudringen, ſich oft nicht ſcheuten,
ſogar mit den Feinden ihres Hauſes in Verbindung zu
treten.
Um bei aller Schwäche des Charakters dennoch ſelbſt
zu regieren, umgab Wenzel ſich mit Hofleuten und Günſt—
lingen meiſt aus dem niederen Adel und dem Bürgerſtande,
wie wir bereits erzählt haben. Dieſe, ganz und gar Ge—
ſchöpfe und Werkzeuge ſeines Willens, bildeten in ihrer
Geſammtheit ſich bald gleichſam zu einer außerordentlichen
auf einer Wand die Worte »Wenceslaus alter Nero“ geſchrie—
ben fand, ſogleich die Kreide nahm, und den Reim darunter
ſetzte: »Si non fui, adhuc ero.«
70 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1393 Regierung aus, welche die ordentliche an Nachdruck über—
traf, ſie aber auch nicht ſelten durch Eingriffe hemmte, und
dieſe höchſtens nur durch ihre gute Abſicht entſchuldigen
konnte. Das Mißvergnügen des höheren böhmiſchen Adels
über dieſes der hergebrachten Sitte und Verfaſſung wider—
ſprechende Verfahren konnte aber nicht lange ausbleiben;
es hätte noch früher in ſtürmiſchem Ausbruch ſich Luft ge—
macht, wenn der König nicht das ſeltene Glück oder Ge—
ſchick gehabt hätte, dieſe Kabinetsregierung, oder wie man
ſie nennen mag, faſt durchaus mit Männern von ungemei—
ner Tüchtigkeit zu beſtellen. Es iſt uns nicht bekannt, daß
irgend Einer von ihnen die königliche Gnade und Macht
zu perſönlichen Zwecken mißbraucht hätte;'s auch haben
Zeitgenoſſen ihnen, unſeres Wiſſens, nichts als ihre Ab—
kunft zum Vorwurfe gemacht.
Des Königs leidenſchaftliches und grauſames Verfah—
ren mit den Häuptern des böhmiſchen Clerus im J. 1393
hat auf das Volk in Böhmen einen tiefen und nachhal—
tigen Eindruck gemacht; denn diejenigen, welche am meiſten
gelitten, hatten gerade durch Frömmigkeit und Wohlthätig—
keit ſich ausgezeichnet. Die Häupter des böhmiſchen Adels
beeilten ſich, dieſen Eindruck zu benützen, um die ihnen
mehr als dem Volke verhaßte Kabinetsregierung zu ſtürzen.
An der Spitze dieſer Mißvergnügten ſtand der fürſten—
mäßige Herr Heinrich von Roſenberg, der ſich durch
eine für ſeine Zeit und ſeinen Stand ungewöhnliche lite—
rariſche Bildung nicht minder auszeichnete, als durch ſein
Vermögen, die Menge ſeiner ritterlichen Vaſallen und die
Größe ſeiner Beſitzungen. An ihn ſchloſſen ſich an: Hein—
rich der ältere von Neuhaus, auf Neuhaus und Teltſch,
der Chef dieſes mächtigen Hauſes; Brenef Swihowſty von
Rieſenberg auf Skala; der geweſene Oberſtburggraf Otto
78) Sigmund Hulers im J. 1405 beftraftes Vergehen bildet die
einzige Ausnahme. (S. unten.)
Bildung des böhmiſchen Herrenbundes. 71
von Bergow auf Bilin, jetzt ein erbitterter Feind des Kö—
nigs; Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein; Wilhelm
von Landſtein auf Lipnic; Johann Michalec von Michalo—
wic; Bores der jüngere von Rieſenburg auf Petſchau, und
Bocek von Kunſtat auf Podebrad. Sie beriethen ſich unters
einander und kamen in der Anſicht überein, daß ſie die
vorzüglichſten Mitglieder des königlichen Hauſes in ihr In—
tereſſe ziehen, und mit ihnen vereint erſt friedliche Mittel
und Wege verſuchen müßten.
Markgraf Joſt ſäumte keinen Augenblick, in eine
Verbindung zu treten, welche eine Ausſicht bot, ſeine Macht
und ſeinen Einfluß noch zu vermehren. Auch König Sig—
mund kam aus Ungarn herbei, und gab dem ſich bildenden
Herrenverein durch ſein Anſehen ein verſtärktes Ge—
wicht. Das Schutz- und Trutz-Bündniß, welches am
18 Dec. 1393 zu Znaim K. Sigmund, Markgraf Joſt,
Herzog Albrecht von Sſterreich und Markgraf Wilhelm
von Meißen untereinander »wider allermänniglich, us—
genommen dem heil. Romiſchen Riche« ſchloſſen, hat man
mit Recht als eine Einleitung in die folgenden Ereigniſſe
angeſehen; daß es, ungeachtet jener Clauſel, zunächſt gegen
K. Wenzel gerichtet war, haben nicht allein die Folgen
beſtätigt, ſondern auch die Theilnehmer ſelbſt eingeſtan—
den.“? Nur Herzog Johann von Görlitz ließ von feinem
Bruder ſich nicht abwendig machen; und auch Markgraf
Prokop von Mähren hielt es ſchon aus dem Grunde mit
K. Wenzel, weil er mit ſeinem Bruder Joſt bereits in
Zwietracht, ja in blutigen Streit verwickelt war.
Von Znaim begab ſich K. Sigmund mit glänzendem
Hofſtaat, einer Einladung des Bruders folgend, nach Prag,
79) Die Urkunde vom 18 Dec. 1393 iſt bei Pelzel abgedruckt.
Man vergleiche damit Herzog Albrechts Verantwortung bei
Kurz J. c. II. S. 294.
1393
1394
12 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1394 und verweilte da bis zum Februar 1394.8 Der Inhalt der
daſelbſt gepflogenen Verhandlungen läßt ſich, nach einigen An—
deutungen und dem Erfolge, größtentheils errathen. Wäh—
rend man ſich gegen das Volk den Anſchein gab, als gelte
es bloß dem Römerzuge und der damit verbundenen Wieder—
herſtellung der Kirchen-Einheit, — einem Thema, das Jeder—
mann mit frommer Salbung im Munde führte, ohne ge—
rade im Ernſte daran zu denken, — verfolgte man bald
mehr, bald minder offen, viel näher liegende Zwecke. Man
verlangte eine Reform des Hofes und der Regierung;
Wenzel ſollte ſich in Rom die Kaiſerkrone holen, und ſich
fortan den deutſchen Reichsgeſchäften vorzugsweiſe widmen;
die Emporkömmlinge ſollten aus ſeinem Rathe entfernt und
80) Den bisher unbekannten Aufenthalt K. Sigmunds in Prag
im Januar und Februar 1394 bezeugen zwei noch unedirte
Urkunden: erſtens ein Schreiben K. Wenzels an den König
von Frankreich im Dec. 1393, wo es heißt: quod hucusque
Dilectioni Vestrae in facto sanctae matris ecclesiae nihil certi
nuntiare valuimus, fecit hoc magnitudo praepediens regalium
agendorum, et non minus quotidie praestolatus adventus
sermi principis D. Sigismundi Ungariae etc. regis, fratris no-
stri carissimi, quem infra octavas epiphaniae proximas venturum
Pragam indubie exspectamus; propter cujus exspectationem
consiliariis nostris carere commode non possumus ete. Zweitens
ein Mandat des königl. Unterkämmerers Sigmund Huler an
die böhm. Städte, Weinvorräthe nach Prag zu fchaffen (dd.
7 Febr. 1394): D. Wenceslaus rex — videns magnas expen-
sas per dilectum fratrem suum Sigismundum, regem Ungariae,
in civitate Pragensi factas et faciendas, timens defectum vino-
rum in civitate praedicta in tempore brevi habere, voce prae-
conia publice jussit proclamari, quatenus vina Franconica, Au-
stralica, terrestria et alia quaecumque vina ad civitatem prae-
dictam ducere absque impedimento quolibet possint et debeant
etc. Dem zu Folge find die Daten in Eberhard Windeks Le
ben Kaiſer Sigmunds (bei Menke I, 1079), nämlich das Jahr
1393 der erfolgten Einladung und 2 Febr. 1394 der getroffe—
nen „Verrichtung“ zwiſchen den Brüdern, wohl ganz richtig.
Bildung des böhmischen Herrenbundes. 73
durch Männer von Geburt und Anſehen erſetzt werden;
Markgraf Joſt war bereit, an die Spitze einer in Böhmen
neu zu organiſirenden Verwaltung zu treten, und den König
ſeiner meiſten Regierungsſorgen zu überheben. Dieſer aber
lehnte alle Zumuthungen dieſer Art ab; er fand an ſeiner
Art zu regieren nichts Außergewöhnliches, noch weniger etwas
Rechtswidriges, und wollte ſeine Günſtlinge nicht von ſich
laſſen. König Sigmund, der es vorläufig mit keiner Par—
tei verderben wollte, ſchloß am 2 Febr. 1394 mit Wenzel
ein brüderliches Bündniß, und erklärte ihn darin eventuell
ſogar zu ſeinem Erben in Ungarn, verſtändigte ſich aber
auch mit den Baronen über die Maßregeln, die zu ergrei—
fen waren, um die böhmiſche Camarilla zu ſtürzen. Ob
außer den Überredungsmitteln ſchon jetzt nicht auch Ge—
walt verſucht wurde, wiſſen wir nicht; jedenfalls war dieſe
von Seite der Mißvergnügten das in Rückhalt geſtellte
letzte Mittel. Man ſchob aber die verabredete Unterneh—
mung noch auf, um die verhaßten Gegner durch ſcheinbare
Sicherheit täuſchen, und dann durch Überraſchung um fo
leichter zum Ziel gelangen zu können.
Erſt am 5 Mai 1394 trat Markgraf Joſt mit den
obengenannten Herren zu Prag in einen förmlichen Bund,
indem ſie ſich gegenſeitig verpflichteten, mit aller ihnen zu
Gebote ſtehenden Macht ſich zu vereinen, und einander bei—
zuſtehen, damit das allgemeine Wohl gefördert, Unrecht
abgeſchafft, und Recht und Gerechtigkeit im Lande in der—
ſelben Weiſe wieder gehandhabt werde, wie es zu Zeiten
ihrer Vorfahren Sitte geweſen;“! ſollte bei Verfolgung
81) »Azbychom zemi ku präwu a prawd& postawili i priwedli, tak
jakoz jest diewe za nasich predköw w prawd& stäla«, — ſo
lauten die Worte der im fürſtl. Schwarzenberg'ſchen Archive in
Wittingau noch vorhandenen Originalurkunde, welche wir nebſt
andern auf dieſen Gegenſtand bezüglichen gleichzeitigen Acten
im Archiv Cesky, Band J. S. 52 fg. haben abdrucken laſſen.
1394
5 Mai
74 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1394 dieſes Zweckes einem von ihnen irgend ein Leid wider—
8 Mai
fahren, ſo verſprachen alle übrigen, es von ihm wieder
abzuwenden. Der Bund ſollte bis zu völliger Erreichung
des Zweckes in Kraft bleiben. Nach dieſen und allen ſpä—
teren Erklärungen zu ſchließen, beabſichtigten alſo die Ba—
rone nichts Anderes, als die Wiederherſtellung der alten
böhmiſchen Landesverfaſſung überhaupt; die näheren und
nächſten Zwecke hat man in der Bundesurkunde nicht an—
gegeben. Zugleich wurden die verabredeten Maßregeln ſo
in der Stille getroffen, daß ihre Gegner kaum eine Ah—
nung davon bekamen.
Freitag den 8 Mai reiſte K. Wenzel von ſeiner vor—
zugsweiſe beliebten Burg Zebrak nach Prag zurück, und
kehrte unterwegs mit ſeinem nicht ſehr zahlreichen Gefolge
in dem zwiſchen Pocaple und Beraun gelegenen Königshof
ein. Da kamen zu ihm, von einer kleinen, aber entſchloſ—
ſenen Schaar begleitet, Markgraf Joſt und die Barone,
und wurden ohne Umſtände vorgelaſſen. Heinrich von Roſen—
berg führte das Wort vor dem Könige, und ſchilderte in
wohlgeſetzter Rede alle Mißgriffe und Irrthümer der bis—
herigen Regierung, den dadurch herbeigeführten Verfall
des Reichs, die himmelſchreienden Klagen der armen Wit—
wen und Waiſen, und die Nothwendigkeit, daß es endlich
beſſer werde. Darüber gerieth Wenzel in große Leiden—
ſchaft; er habe immer gut regiert, entgegnete er, bedürfe
der angebotenen Hilfe nicht und werde dieſe Vermeſſenheit
ſeiner Vaſallen zu ſtrafen wiſſen. Inzwiſchen hatte ſich
aber der Königshof mit neuen Bundesſchaaren gefüllt,
welche alle Poſten darin beſetzten, und das königliche Ge—
folge ohne Geräuſch entwaffneten; die wenigen Günſtlinge,
die ſich bei dem Könige befanden, ergriffen die Flucht, und
wurden deshalb mehr mit Spott als mit Waffen verfolgt.“?
82) Cum vero sermones hos amatores regis percepissent et com-
plices, — non per valvas nec Portas, sed retro Per muros pe-
Wenzels erſte Gefangennehmung. 75
Nun erklärten die Barone dem Könige einſtimmig, ſie hiel- 1394
ten es vor Gott und dem Vaterlande für ihre Pflicht, nicht
mehr von ſeiner Seite zu weichen und mit ihm fortan
Freude und Leid zu theilen; er ſolle daher mit ihnen nach
Prag ziehen und dort mit ihrer Hilfe, nach alter Sitte,
das gemeine Beſte ſchaffen, das Recht ſtärken und den
Frieden beſtellen. Trotz langem Sträuben mußte Wenzel
endlich, da er ſich von allen ſeinen Lieben verlaſſen ſah,
in die Nothwendigkeit ſich fügen. Er wurde zuerſt nach
Beraun geführt, und im Refectorium des dortigen Mino—
ritenkloſters feſtlich bewirthet; dann geleitete man ihn, unter
ſtarker Bedeckung, die als Ehrengeleite gelten ſollte, gleich—
ſam im Triumphe nach Prag in die königliche Burg, aus
welcher inzwiſchen die Anhänger der vorigen Regierung in
ähnlicher Weiſe verdrängt worden waren.“
Es zeigte ſich bald, daß die von den Baronen dar—
gelegten Anſichten über die Regierung des Königs nicht
vom gaͤnzen Lande getheilt wurden. Kaum hatte ſich die
Kunde von dem, was geſchehen, in Prag verbreitet, ſo
verſammelten ſich die Bürger, gingen mit den vertriebenen
Regierungsmitgliedern zu Rathe, ſperrten und bewachten
tierunt exitus. Si in his strenua viguisset animositas, nullo-
modo hoc nefarium perpetrassent et dedecus; sed singulis est
notorium, quod muscatum numquam ex stercore poterit Pro-
creari! (Forma curialis I, ſ. die folgende Bemerkung.)
83) Wir erzählen dieſe Vorfälle meiſt nach einem noch ungedruck—
ten und bisher unbekannten Aufſatze eines Zeit- und Bundes—
genoſſen, den wir unter der Aufſchrift: »Forma curialis et veri-
dica, qualiter serenissimus D. Wenceslaus Rom. et Boh. rex
per barones Bohemiae juste et meritorie fuit arrestatus« in
einer Handſchrift des Prager Domcapitels (8, XIX, fol. 121
sq.) aufgefunden haben. In die Widerlegung fo vieler Un—
richtigkeiten, welche ſowohl alte als neue Schriftſteller bei Er—
zählung dieſer Ereigniſſe ſich zu Schulden kommen ließen, kön—
nen wir uns, um der Kürze willen, nicht einlaſſen.
1394
15 Mai
76 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
die Stadtthore mit Strenge, ſammelten Truppen in und
außerhalb der Stadt, warfen um die königliche Burg neue
Verſchanzungen auf und fingen ihre Belagerung an. Das
Land theilte ſich in Parteien, und kleine Gefechte, das Vor—
ſpiel eines Bürgerkriegs, fielen an mehreren Orten vor.
Da erſchien am 15 Mai ein von Heinrich von Neuhaus
gegengezeichnetes königliches Patent, das alle Stände des
Königreichs zu einem Landtage nach Prag auf den 31 Mai
zuſammenberief; wer da nicht erſcheine, werde als Störer
des öffentlichen Friedens angeſehen und behandelt werden;
doch hat man ſpäter den Termin dieſes Landtags auf den
10 Juni verſchoben. Zugleich erging an das ganze Volk
eine königliche Verordnung, worin Markgraf Joſt zu einem
Staroſta“ des Königreichs beſtellt, und Jedermann ger
boten wurde, ihm als ſolchem Folge und Gehorſam zu
leiſten. Die Prager Städte wieſen jedoch ſolche Befehle
lange Zeit von ſich, da ſie dem Könige abgedrungen wor—
den ſeien. Erſt als auch ſolche Barone, die dem Bunde
nicht beigetreten, ſondern dem Könige unter allen Umſtän—
den treu geblieben waren, wie der Oberſtlandmarſchall
Hynce von Lipa, der Oberſtlandrichter Andreas von Duba,
der neue Oberſtburggraf Burkhard Strnad von Sanowic
und Pota der jüngere von Caſtolowic, die Bürger ver—
ſicherten, daß es des Königs ernſtlicher Wille ſei, daß der
84) Auch in den in deutſcher Sprache über dieſen Gegenſtand erlaſ—
ſenen Urkunden heißt es: „als einen Hauptmann, bemiſchen
ein Staroſta genennet.« Markgraf Joſt wollte daher kein gewöhn—
licher Hauptmann oder Generalcapitain des Königreichs ſein,
wie dergleichen von böhmiſchen Königen für die Zeit ihres
Verdweilens in Deutſchland beſtellt zu werden pflegten, ſondern
ein Staroſta nach dem altböhmiſchen gemeinen Hausgebrauche
(ogl. Band J. Seite 169 fg. Band II, Abth. L S. 15); alſo
ein durch des Landes Willen beſtellter, folglich unabſetzbarer,
Regierer des Landes, der dem Könige nichts als Ehre und
Titel übrig ließ.
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Wenzels erſte Gefangenſchaft. 77
Friede wiederhergeſtellt werde,“ ſchloſſen die Prager mit
den Baronen zuerſt einen Waffenſtillſtand, und dann, am
4 Juni, einen Friedensvertrag ab, in welchem ſie ausdrück—
lich ſagten, daß ſie ſich nur auf Befehl des Königs mit dem
Markgrafen Soft, als Staroſta des Königreichs, »dieweilen
ihn der König als einen ſolchen haben will“, und mit den
Landherren verbinden, ſo daß ſie ihnen behilflich ſein ſollen
und wollen »zu ſchaffen unſeres ehegenannten Herrn, des
Königs, und ſonſt gemeinen Nutzen, Frieden und Seligkeit im
Lande.« Dieſen Friedensvertrag beſtätigte Wenzel durch
eine am folgenden Tage ausgeſtellte beſondere Urkunde.
Indeſſen hatte der König doch Mittel gefunden, ſich
insgeheim mit ſeinem jüngſten Bruder, Herzog Johann von
Görlitz, in ein Einverſtändniß zu ſetzen. Er ließ ihn bit—
ten, ſich an die Spitze ſeiner Getreuen zu ſtellen, und kein
Mittel unverſucht zu laſſen, ihn aus der Macht des ver—
haßten Vetters zu befreien. Zu dieſem Zwecke befahl er
ſeinen ganzen geheimen Schatz zu des Herzogs Verfügung
zu ſtellen, und bat dieſen, ja keine Koſten zu ſcheuen, ſon—
dern einzig nur das Wohl und die Treue eines Bruders
vor Augen zu haben.““ Der Herzog erließ daher am 7 Juni
von Kuttenberg aus ein Manifeſt an die böhmiſche Nation,
85) Dieſe Verſicherung war es, welche die Prager über den wah—
ren Zuſtand des Königs täuſchte, ſo daß ſie in der Urkunde
vom 28 Juni d. J. (bei Pelzel S. 132) in Wahrheit ſagen
konnten, ſie hätten ihn nicht gekannt. Pelzels Deutung dieſer
Worte widerſpricht der Geſchichte.
86) Ut chesauros nolit censeri modum per aliquem, sed fidelita-
tem, quam frater, necessitatis in articulo, ostendere fratrı cogi-
tur. Forma curialis I. Das Vorhandenſein eines geheimen
Hausſchatzes widerlegt noch zum Überfluß die Meinung eini—
ger neuen Schriftſteller, daß Karl IV die Finanzen feines Lan—
des in Zerrüttung gelaſſen, und Wenzel in dieſer Hinſicht mit
Noth zu kämpfen gehabt habe. Wir werden feiner Zeit nad)
weiſen, daß auch Wenzel einen ähnlichen Schatz hinterlaſſen hat.
1394
4 Juni
7 Juni
78 VI Buch, 2 Kapitel, K. Wenzel IV.
1394 ſo wie an alle Fürſten und Getreuen des heiligen römiſchen
Reichs. Er erklärte darin, es ſei auch ihm angemuthet
worden, ſich mit den Landherren zu verbinden und den
Markgrafen Joſt für einen Hauptmann und Staroſt des
Königreichs anzunehmen, alles »zu des Kuniges und des
Landes Ehre, Nutz und Frommen«; er wiſſe aber in dem
Beginnen der Landherren noch nichts zu finden, was zu
dem Zwecke führe. Dieſelben hätten nämlich des Papſtes
Kammer zu Wysehrad und auch des Königs Kammer an—
gegriffen, das Feuer im Lande ausgelaſſen, Ritter und
Knechte im friedlichen Lande beſchädigt; das heiße doch
keineswegs zum Nutz und Frommen des Landes handeln.
Es könne auch Niemand zu einem Hauptmann, außer von
dem König allein, eingeſetzt werden; daher ſei es auch
unerlaubt, ſich dem Markgrafen eidlich zu verbinden, oder
auch nur der Einladung zum Landtag auf den 10 Juni
nach Prag zu folgen, indem beide darüber erlaſſenen De—
crete ungiltig ſeien, ſo lange der König in fremder Ge—
walt ſich befinde. Schließlich berief er alle Getreuen des
Landes zu ſich in des Königs Dienſt, und bot für jeg—
lichen Spieß und gewappneten Schützen monatlich 18 Gold—
gulden an Sold nebſt Schadenerſatz an.““
Des Herzogs Sprache, von ſo goldenem Anbot unter—
ſtützt, erregte im ganzen Lande Senſation. Alle könig—
lichen Burggrafen ſtellten mit ihren Mannſchaften ſich frei—
willig unter ſeine Befehle, und Söldner ſtrömten ihm aus
allen Gegenden ſchaarenweiſe zu; auch Markgraf Prokop
kam und verſtärkte durch ſeinen Beitritt die Macht und
das Anſehen der neuen königlichen Partei. So ſah ſich
Johann bald an die Spitze eines mächtigen Heeres geſtellt,
87) Ein gutes Originalexemplar dieſes Manifeſtes befindet ſich im
Budweiſer Stadtarchive; eine minder correcte Abſchrift hat
unlängſt Guſt. Köhler (in ſ. Beiträgen zur Geſch. der Lauſitz
I, Görlitz 1840, S. 21 fg.) abdrucken laſſen.
Wenzels erſte Gefangenſchaft. H. Johann v. Görlitz. 79
das der ganzen Bundesmacht Trotz bieten konnte. Ob
unter ſolchen Umſtänden der beabſichtigte Landtag in Prag
zu Stande gekommen ſei, wiſſen wir nicht; die gewöhn—
lichen Sitzungen des großen Landrechtes aber wurden, vom
12 Juni an, unter dem Vorſitze des Markgrafen, ord—
nungsmäßig abgehalten.“
Gegen den 20 Juni erſchien Herzog Johanns Heer
vor Prag, und verlangte, in des Königs Namen, Einlaß
in die Stadt. Die Neuſtädter öffneten ihm die Thore frei—
willig, und vereinigten ſich mit ihm; die Altſtädter, von
dem Herrenbunde eingeſchüchtert, zögerten lange, bis ernſte
Anſtalten zur Erſtürmung ihrer Mauern auch ſie zur Ca—
pitulation vermochten.“ Von da an hielten ſich die Ba—
rone nicht mehr ſicher in der königlichen Burg. In der
Nacht auf den 22 Juni zwangen ſie den König, mit ihnen
88) Da es nicht ohne Intereſſe iſt, den damaligen Perſonenſtand
näher zu kennen, ſo ſtellen wir die Namen der Herren, welche
an den Sitzungen des 12 Juni fg. Theil nahmen, hieher: es
waren Markgraf Joſt (an des Königs Stelle); dann die ober—
ſten Landesbeamten: Burkhard von Janowic, Oberſter Burg—
graf und Hoflehnrichter zugleich; Andreas von Duba, Oberſt—
landrichter; Brenék Swihowſkh von Rieſenberg, Oberſtland—
kämmerer (dieſer erſt ſeit dem 8 Mai neu eingeſetzt;) und Ku—
nata Kaplér von Sulewic, Oberſtlandſchreiber; endlich die Ba—
rone: Heinrich von Roſenberg, Peter von Wartenberg auf
Koſt, Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Zdenék von
Rozmital, Heinrich von Neuhaus, Johann von Michalowie,
Bocek von Kunſtat auf Podébrad, Wilhelm von Landſtein,
Otto von Bergow auf Bilin, Johann von Austi, Pota von
Turgow auf Arnau, Ulrich und Johann von Neuhaus, Pota
von Caſtolowic, Heinrich von Breznic, Hermann von Neuhaus,
Wenzel von Wartenberg, Wilhelm von Zwitetic, Ratmir von
Schwamberg, Zdenef von Waldſtein auf Stöpanic, Johann
von Wartenberg auf Tetſchen, Ulrich von Sternberg u. a. m.
Vgl. Archiv Cesky II, 354. Die Mehrzahl diefer Herren hatte
an dem Bunde keinen Theil genommen.
89) Chronicon universit. Prag. (noch ungedruckt.)
1394
12 Juni
20 Juni
22 Juni
80 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1394 den Hradſchin in aller Stille zu verlaſſen, und führten
5 Juli
ihn in Eile in die dem Herrn von Roſenberg gehörige
feſte Burg Pribenic, jetzt kaum mehr ſichtbare Ruine an
der Luznie unweit der Stadt Tabor. Da ihnen aber das
königliche Heer bald auf dem Fuße folgte, ſo brachten ſie
ihn dann weiter in das noch feſtere Krumau, den Haupt—
ſitz Roſenbergs. Doch auch dieſes genügte ihnen nicht zur
Sicherheit, und Wenzel mußte am Ende bis nach Sſter—
reich in die Burg Wildberg ziehen, wo er am 5 Juli den
Herren von Stahrenberg zur Verwahrung übergeben wurde.
Hier war man ſeiner ziemlich gewiß; denn außer den Ver⸗
bündeten wußte in Böhmen Niemand mehr, wo ſich der
König befinde.
Das königliche Heer lagerte nunmehr bei Budweis,
wo es in Kurzem auch durch einige deutſche Schaaren ver—
ſtärkt wurde; denn die Reichsfürſten waren nach erhal—
tener Nachricht von der Gefangenſchaft ihres Königs zuerſt
in Nürnberg, dann in Frankfurt zuſammengetreten, hatten
dem alten Kurfürſten von der Pfalz das Reichsvicariat
zu führen aufgetragen, und den Herrenbund mit einem
Kriege bedrohen laſſen, wenn man den römiſchen König
nicht alsbald wieder freigebe; Herzog Ruprecht der jün—
gere von Bayern, der nachmalige Gegenkönig, verfügte
ſich auch perſönlich zu dem böhmiſchen Heere. Einige der
Verbündeten ſchienen noch früher, bei Anſicht der Macht,
welche Herzog Johann von Görlitz entwickelte, in ihren
Entſchlüſſen zu wanken; ſie unterſtützten daher ihre Freunde
nur ſehr lau,” und die Laſt des Krieges fiel faſt aus—
ſchließlich auf die Herren von Roſenberg und von Neu—
haus, deren nahe gelegene Güter gräulich verwüſtet wur—
den; nur Herzog Albrecht von Sſterreich ſchickte ihnen und
90) Die Forma curialis I klagt ſogar über Einige, (ohne fie zu
nennen,) daß ſie, von Herzog Johann beſtochen, ſich kaum
hätten halten laſſen, um nicht offen zu ihm überzutreten.
Wenzels Befreiung. 81
dem Markgrafen Joſt 600 Bewaffnete zu Hilfe, welche
ihrerſeits eben ſo grauſam das Land verheerten. Daß es
zu einer Schlacht gekommen, ſagt keine Nachricht. Man
überzeugte ſich beiderſeits, daß man am Ende doch au Uns
terhandlungen die Hand bieten müſſe.
Nach vielen vergeblichen Vorſchlägen verbürgte ſich
endlich Herzog Johann nebſt 50 böhmiſchen Edlen dafür,
daß Wenzel dem Herrenbunde völlige Amneſtie gewähren,
und einige, das Recht und die Verfaſſung Böhmens be—
treffende Puncte genehmigen werde; doch müſſe er erſt frei
ſein, bevor er ſelbſt ein giltiges Verſprechen darüber leiſten
könne. In Folge deſſen wurde er von Wildberg zurück—
geholt, und am 1 Auguſt dem Herzog Johann übergeben,
der ihn mit großem Geleite unter den höchſten Freudenbe—
zeigungen in die ihm treu gebliebene Stadt Budweis
führte.“ Tags darauf übergab Wenzel den Herren von
Stahrenberg die verſprochene urkundliche Verſicherung, daß
er ſie das Vorgefallene niemals entgelten laſſen wolle;
wozu auch Ruprecht ſein Siegel fügte.
Um ſo ſchwieriger erwies ſich der Stand hinſichtlich
der den Baronen gemachten Verſprechungen. Daß Wenzel
die ihm zugefügte Behandlung! ganz und gar vergeſſen
91) Ad vincula Petri per certos tractatores praetactus Rex est
solutus et cum ingenti gaudio et magna multitudine stipendia-
riorum in civitatem Budweis regalem per ducem Johannem
est deductus, et sic totaliter a sua arrestatione solutus. Chro-
nicon universit. Prag.
Was einige Schriftſteller von Einkerkerung und unwürdiger
Behandlung des Königs in der Gefangenſchaft erzählen, gehört
unter die Hajek'ſchen Mährchen, gleich der abgeſchmackten Fabel
von der Bademagd Suſanne. Die Barone wollten von An:
fang her den König für ſich gewinnen, nicht von ſich abſtoßen; da—
her erwieſen ſie ihm alle Ehre und Achtung, die ſich nur immer
mit dem perſönlichen Zwange vereinen ließ. Aber eben dieſen
ihm angethanen Zwang konnte Wenzel nimmermehr vergeſſen.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd.
92
—
1394
1 Aug.
82 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV.
1394
25 Aug.
und dem Bunde in ſeinen Forderungen auch noch Recht
geben ſollte, — ein ſolches Reſultat ſchien ihm der darge-
brachten Opfer nicht werth; auch übernahm er alſogleich
die perſönliche Verwaltung ſeines Schatzes wieder, und
brachte dadurch den Bruder in die größte Verlegenheit, da
Dieſer nicht mehr allen denen, welche ihn um den zuge—
ſicherten Sold bedrängten, Genüge leiſten konnte. Einen
weiteren Grund zur Unzufriedenheit gab es, daß an Sig—
mund Hulers Statt Herzog Johann einen (uns nicht näher
bekannten) Ritter Heres als königl. Landesunterkämmerer
in Böhmen beſtellt oder angenommen hatte; es mußte ſo—
gleich in allen Städten wieder verkündigt werden, daß
kein Anderer als Sigmund Huler des Königs Unterkäm—
merer ſei, und deſſen Befehlen allein gehorcht werden ſolle.
Daß bei Allem dem etwas zur Beruhigung der Gemüther
geſchehen müſſe, ſah Wenzel ſelbſt ein. Nach dreiwöchent—
lichen Verhandlungen ließ er ſich endlich dahin bringen,
daß er zu Piſek am 25 Aug. 1394 in einer (zum erſten⸗
mal in böhmiſcher Sprache ausgeſtellten) Urkunde “ ver—
ſprach, hinſichtlich der gewünſchten Reformen Dasjenige zu
genehmigen, was vier oder ſechs von ihm gemeinſchaftlich
mit den Baronen zu wählende Schiedsrichter ausſagen
würden; dann gewährte er die verlangte volle Amneſtie
aus dem Grunde, weil er den Verſicherungen der Barone,
alles, was geſchehen war, nur zum gemeinen Beſten unter—
nommen zu haben, vollen Glauben ſchenke; und befahl
endlich alle gegenſeitig gemachten Gefangenen in Freiheit
zu ſetzen, ſo wie alle im Kriege eingenommenen Güter
ihren frühern Beſitzern zurückzuſtellen. Zu größerer Sicher—
heit hängten auch die Herzoge Johann von Görlitz, Rup—
93) Das wohlerhaltene Original dieſer allen früheren Hiſtorikern
unbekannten Urkunde befindet ſich noch im Wittingauer Archive.
Wir haben es im Archiv Cesky I, 53 fg. abdrucken laſſen.
Neue Schwierigkeiten und Unruhen. 83
recht der jüngere von Bayern, zugenannt Klem, und Pre- 1394
myslaw von Teſchen, ihre Siegel an die Urkunde.
Man ſieht, dieſe Löſung der Dinge war nur das Ende
eines Anfangs. Jedermann war damit unzufrieden. Die
Barone hatten ſo wenig, wie Markgraf Joſt, ihre Abſichten
erreicht; im Gegentheil ſahen ſie ſich ihrem Ziele noch weiter
entrückt, als zuvor, da Wenzel ſeine Günſtlinge wieder um
ſich verſammelte, und gar keine Eile zeigte, die verſprochenen
Schiedsrichter zu wählen oder wählen zu laſſen. Herzog
Johann hatte auf beſſeren Dank für ſeine Anſtrengungen
gerechnet, als ihm jetzt zu Theil geworden.“ König Wenzel
aber ärgerte und kränkte ſich lange über das Geſchehene;
ſeine früher oft heitere Stimmung trübte ſich mehr und
mehr; Mißtrauen bemächtigte ſich feiner, er wurde furcht—
ſam und unſchlüſſig, obgleich nicht nachgiebiger als zuvor;
und da trotz dem Geſchmack, den er oft an gelehrten
Streitfragen fand, ſein Geiſt jedes höheren Strebens und
Lebens ermangelte, ſo bedarf es kaum der Annahme eines
ihm beigebrachten Giftes, das ihn mit ewigem Durſt ge—
quält haben fol, ® um den Hang zum Trunke zu erklären,
94) Daß K. Wenzel über die Art, wie Herzog Johann mit ſeinem
Schatze umgegangen war, ſich unzufrieden zeigte, iſt aus der
Forma curialis J gewiß; mit welchem Grunde, kann jetzt nicht
mehr ermittelt werden. Wenn wir uns hier eine Vermuthung
erlauben dürften, ſo möchten wir auf den obengenannten Unter—
kämmerer Sigmund Huler hinweiſen, der ſich dem Könige durch
Aufdeckung wirklicher oder vermeintlicher Unterſchleife während
der Amtshandlung ſeines Vorgängers Heres empfohlen, und
damit ſeine frühere Stellung wieder errungen haben mag.
95) Edmund Dinter l. c. Rex Wenceslaus — fuit bina vice
veneno (nescitur per quem) intoxicatus, sed gratia dei et ope me
dicorum illico curatus; nihilominus propter caloris et siccitatis
ardorem, quem propter toxicum in corpore continuo sentiebat,
semper appetebat bibere; et bibit de facto aliquando sobrie ad
laetitiam, aliquando excessive ad ebrietatem.
6*
84 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1394 der ſich bei ihm vorzüglich während feiner zweiten Regierungs—
periode äußerte. Indeſſen begriff er vollkommen, daß der
Streit mit ſeinem Vetter und mit dem Adel ſeines Landes
noch lange nicht zu Ende war. Darum ſehen wir ihn,
nach Herſtellung ſeiner Gewalt, vor allem auf Mittel
ſinnen, ſeinen Schatz wieder zu füllen, und mit einzelnen
ihm treu gebliebenen Baronen Verträge ſchließen, durch
welche dieſe ſich in außerordentlicher Weiſe zu ſeiner Ver—
theidigung verpflichteten. “” Auch mit auswärtigen Fürſten
erneuerte er die alten Bündniſſe, wie mit Frankreich und
Polen, oder er knüpfte neue Verbindungen an, wie insbe—
ſondere mit Herzog Stephan von Bayern zu Ingolſtadt.
Die letztere Verbindung müſſen wir etwas näher be—
leuchten, gälte es auch nur, zu zeigen, wie der Drang
ſelbſtſüchtiger Politik auch hier über die zarteſten Bande
der Verwandtſchaft den Sieg davon trug. Nach dem Tode
Herzog Friedrichs von Bayern zu Landshut CT 1392
wurden deſſen überlebende Brüder, die Herzoge Stephan
und Johann, wegen der Vormundſchaft über deſſen minder—
jährigen Sohn, Heinrich den Reichen, miteinander uneins,
und H. Johann zu München, K. Wenzels Schwiegervater,
ſchloß deshalb am 20 Mai 1394 mit den Herzogen Albrecht
und Wilhelm von Oſterreich ein Schutz- und Trutzbündniß
gegen Jedermann, mit alleiniger Ausnahme des Erzbiſchofs
von Salzburg und des Markgrafen Joſt von Mähren.
Da er ſomit ein Bundesgenoſſe der entſchiedenſten Gegner
ſeines königlichen Schwiegerſohnes geworden, ſo fand ſein
96) Nach dem Zeugniſſe von Urkunden, die größtentheils noch un—
gedruckt ſind. — Die von Pelzel zum 10 Nov. 1394 (nach
Paprocky, der feine Nachricht doch eigentlich aus Hajek geſchöpft
hatte,) erzählte Hinrichtung von Prager Magiſtratsperſonen
auf Befehl des Königs, weil ſie zu ſeiner Gefangennehmung
beigetragen hätten (), iſt eben fo ungegründet, als der ange—
gebene Grund an ſich ungereimt iſt. —
w
Neue Schwierigkeiten und Unruhen. 85
Bruder Herzog Stephan eine um ſo freundlichere Aufnahme
bei K. Wenzel, als er zugleich vom Könige von Frankreich,
ſeinem Schwiegerſohne, unterſtützt wurde. In Bayern kam
es zu offenem Kriege zwiſchen den Brüdern; in Böhmen
und Sſterreich ſuchte man ſich vorerſt noch durch Bündniſſe
auch mit gegenſeitigen Unterthanen zu ſtärken. Herzog
Albrecht von Sſterreich hatte ſeinen Hofmeiſter, den reichen
Herrn Johann von Lichtenſtein auf Nikolsburg, aus unbe—
kanntem Grunde mit deſſen ganzer Familie verhaften laſſen;
als deſſen Vetter Mathias von Lichtenſtein deshalb einen
Krieg gegen den Herzog erhob, verſprachen König Wenzel
und die Herzoge Johann von Görlitz und Stephan von
Bayern, ihm darin mit aller ihrer Macht beizuſtehen.“
Dagegen ſchloßen ſämmtliche Herzoge von Sſterreich am
17 Dec. 1394 zu Weitra nicht nur mit dem Markgrafen
Soft, ſondern auch mit dem ganzen böhmiſchen Herrenver—
ein einen ſiebenjährigen engen Bund, deſſen Ziel und Ab—
ſicht wir unter dieſen Umſtänden nicht näher anzugeben
brauchen.
Da König Wenzel, dem zu Piſek geleiſteten Verſpre—
chen zuwider, noch immer keinen Ernſt zeigte, in die Wünſche
des Herrenbundes einzugehen, ſo mehrte ſich die Zahl der
unzufriedenen Barone; es traten zuerſt die Herren Genef
von Wartenberg und Hasek von Lemberg, ſpäter der Bi—
ſchof Johann von Leitomysl, der als Dichter und Schrift—
ſteller ausgezeichnete Herr Smil Flaska von Pardubic auf
Richenburg, und drei Herren von Auſti, endlich mehrere
Herren von Schwamberg und Rieſenburg in den Verein,
der am 10 Januar 1395 bei dem Herrn von Roſenberg in
97) Die Urkunde iſt aus dem Original des fürſtl. Lichtenſteinſchen
Archivs erſt unlängſt abgedruckt in Fürſt Lichnowsky's Geſchichte
des Hauſes Habsburg, IV Theil, 1839, Urk. Buch. S. 845.
1394
17 Dec.
1395
10 Jan.
86 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1395 Wittingau einen neuen Bundesbrief entwarf und befiegelte, "
23 Mai
30 Mai
Die Kunde davon bewog den König, den Gegenſtand
endlich wenigſtens in Erwägung zu ziehen und Unterhand—
lungen darüber anzuknüpfen; er beſchied die Barone zu
wiederholten Malen unter ſicherem Geleite zu ſich, konnte
aber mit ihnen um ſo weniger zum gewünſchten Ziele ge—
langen, je weniger aufrichtig er ſelbſt dabei zu Werke ging.
Denn während er die Gegner durch unbeſtimmte Reden
und Verſprechungen hinhielt, arbeitete er insgeheim um
ſo eifriger an der Sprengung des Bundes, indem er ein—
zelne Mitglieder desſelben durch Beſtechung auf ſeine Seite
zu bringen ſuchte. Doch ſcheint ihm das nur bei dem
Herrn Bocef von Podĩbrad, und auch da nur zum Theil,
gelungen zu fein.” Herzog Johann von Görlitz, welchen
Wenzel am 23 Mai bevollmächtigt hatte, alles zum Frie—
den Dienliche im Lande anzuordnen, mußte am Ende ſelbſt
in ſeinen Bruder dringen, daß er die öffentliche Ruhe durch
ſolche Ausflüchte nicht länger gefährde. Da ſtellte endlich
Wenzel am 30 Mai 1395 zu Zebrak den Baronen, nicht
den Beſtätigungsbrief, ſondern eine Art von Empfangſchein
über jene Artikel aus, welche er den Ständen gewähren
ſollte. Die wichtigſten wollen wir hier einzeln anführen
98) Archiv Cesky I, S. 54 fg.
99) Nach einer im Archive zu ls in Schleſien bewahrten Original—
Urkunde vom 13 Apr. 1395 verpflichteten ſich die damaligen
geheimen Räthe des Königs, die Herzoge Johann von Görlitz
und Stephan von Bayern, Erzbiſchof Albrecht von Magde—
burg königl. Oberſtkanzler, der Oberſthofmeiſter Heinrich Sko⸗
pek von Duba, der Oberſtlandmarſchall Hynce von Lipa, dann
die Herren Pota von Caſtolowie, Burkhard Strnad von Ja—
nowic, Johann von Mühlheim und der Oberſtmünzmeiſter
Peter von Pisek, dem Herrn Bocek von Podébrad die Stadt
Potſtatt nebſt Zugehör innerhalb dreier Wochen einzuantwor—
ten, oder aber ihm die Summe von 2000 Schock Prag. Gr.
baar zu erlegen. Man vergleiche damit unten den 31 Mai 1396.
Neue Schwierigkeiten. Forderungen des Herrenbundes, 87
und zu beſſerem Verſtändniß des eigentlichen Streites dabei 1395
auch kurz zu beleuchten ſuchen.
1) Einer der erſten Puncte betraf die Zuſammen—
ſetzung des oberſten Landesgerichtshofs. 19 Von jeher ſaßen
darin, zunächſt dem Könige und den Prinzen des könig—
lichen Hauſes, die vier höchſten Landesbeamten (Oberſt—
burggraf, Oberſtlandkämmerer, Oberſtlandrichter und Oberſt—
landſchreiber), dann der Erzbiſchof von Prag mit ſeinen
Suffraganen (obgleich dieſe nur höchſt ſelten dabei er—
ſchienen), ferner 12 Kmeten, und endlich ſo viele Landes—
barone, als ſich jedesmal einfanden. Die wichtigſten Bei—
ſitzer waren immer die zwölf Kmeten oder Landſchöffen,
da dieſe die weſentlichſten Functionen bei dem Gerichte
allein auszuüben hatten. Der Herrenbund verlangte nun,
daß dieſe Kmeten vom Könige nur nach eingeholtem Rath
des Herren- und Ritterſtandes (pany i zemany, alſo auf
dem Landtage) ernannt werden ſollten, wie ſolches von
jeher Sitte geweſen ſei; ferner, daß der Vollzug der Ur—
theilſprüche dieſes oberſten Bun in feiner Weiſe ge—
hindert oder gehemmt werde.
2) Die mit dem oberſten Landgericht vereinigte all—
gemeine Landtafel ſollte nach alter Weiſe gehalten, nur
in den Gerichtstagen geöffnet, und ihre Beamten vom Kö—
nige nach dem Rathe der Stände eingeſetzt werden; auch
ſollten keine Einlagen in dieſelbe Statt finden, außer in
Gegenwart von wenigſtens drei Landeskmeten; endlich ſollen
die dabei von Altersher üblichen Taxen nicht erhöht werden.
100) Nejwyssi üredniei a saudcowé zemsti — iſt der eigentliche alte
Amtstitel dieſer höchſten Behörde, die urſprünglich ein Juſtiz—
hof war, aber zugleich auch die politischen Geſchäfte des Lan:
des in höchſter Inſtanz, im Namen des Königs, leitete. Es
iſt dies dieſelbe oberſte Regierungsbehörde, welche im XVII
und XVIII Jahrh. (bis 1749) den Namen der königl. Statt—
halterei führte
1395
88 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
3) Der Oberſte Burggraf von Prag ſoll, nach alter
Gewohnheit, immer aus der Mitte der im Lande begüter—
ten Barone, vom Könige nach Rath der Stände ernannt
werden; eben ſo ſoll es bei Beſetzung des Oberſten Lehn—
richteramtes und anderer Amter gehalten werden, die von
jeher aus dem Herrenſtande beſetzt zu werden pflegten.
Dieſer Artikel iſt offen gegen den damaligen Oberſtburg—
grafen und Lehnrichter zugleich, Herrn Burkhard Strnad
von Janowic, gerichtet, der zwar von einem alten böh—
miſchen Herrengeſchlechte abſtammte, aber außer der Herr—
ſchaft Jung-Wozie, welche er vom Könige zu Lehen er—
halten, keine eigenen Patrimonialgüter beſeſſen zu haben
ſcheint.
4) Die peinliche Rechtspflege auf dem Lande (po-
prawa) ſoll ausſchließlich von den dazu ernannten poprawei
ausgeübt werden, und Niemand ſoll ſich irgend Eingriffe
in dieſes Amt erlauben. Man ſieht, daß dies eine directe
Rüge der von uns oben öfter erwähnten Kabinetsjuſtiz iſt.
5) Die Eingriffe der weltlichen Macht in die geiſt—
liche Gerichtsbarkeit ſollen eben jo wenig, wie die der geiſt—
lichen Macht in weltliche Geſchäfte, Statt finden oder ge—
duldet werden. Dieſer Artikel zeigt, daß Heinrich von
Roſenberg ſeinen Freund, den Erzbiſchof Johann von Jen—
ſtein, nicht vergaß, obgleich Letzterer an dem Herrenbunde
keinen directen Antheil nahm, ſondern ſich ſtill verhielt.
6) Die Münze ſoll auf denjenigen Fuß zurückgeführt
werden, wie der im J. 1378 mit K. Karl IV darüber ge—
ſchloſſene Vertrag es beſtimmt hat. Leider iſt die anhal—
tende, wenn auch nicht raſche Verſchlimmerung der Münze
unter Wenzel, ſelbſt an den Prager Groſchen, die uns aus
ſeiner Regierung erhalten worden ſind, nicht zu verkennen.
7) Die Berna (allgemeine Grundſteuer) ſoll nur bei
den von Alters her beſtimmten Veranlaſſungen, und nur
Forderungen des Herrenbundes. 89
durch ſolche Perſonen erhoben werden, denen es gebührt, — 1395
d. i. durch die jedesmal auf dem Landtage zu dieſem Ge—
ſchäfte gewählten Herren und Ritter. Ferner ſoll der Unfug
abgeſtellt werden, daß in den königlichen Städten in neue—
rer Zeit ſelbſt der Adel zu Entrichtung des Zolls angehal—
ten wurde.
Über dieſe, und andere minder bedeutende Punkte mehr,
ſollten die nach dem Piſeker Decret zu ernennenden Schieds—
richter ihren Austrag thun, und zu Beobachtung dieſes Aus—
trags ſollten der König und Herzog Johann unter ihrem
Siegel, der ganze Herrenſtand aber für ſich, und Ritter
und Städte wieder für ſich, unter ihren Eiden ſich ver—
pflichten. Es ſollte daher ein neues Geſetz vom ganzen
Land genehmigt und ſanctionirt werden. Das Neue in
der Sache beſtand darin, daß der Herrenſtand einen alt⸗
hergebrachten Gebrauch, trotz der veränderten Bedeutung,
welche der Fortſchritt der Zeit ihm gegeben, in ein unver—
brüchliches Geſetz verwandelt wiſſen wollte. Die veränderte
Bedeutung erklärt ſich aber durch die mit der Verbreitung
des Feudalweſens unter K. Johann und Karl IV gleich—
zeitig hervortretende Schärfung des Unterſchieds der Stände.
Der Könige Gunſt, hohe Amter und anſehnlicher Güter—
beſitz, hatten in früheren Zeiten hingereicht, den Begünſtig—
ten, ohne Rückſicht auf ſeine Geburt, in die Reihen des
höheren Adels einzuführen; jetzt aber wollte der Herren—
bund von der Aufnahme ſolcher Emporkömmlinge nichts
mehr hören, und verlangte, daß nur geborne Mitglieder
des Herrenſtandes, die zugleich reich begütert waren, zu
den höchſten Amtern befördert werden ſollten.
Wie geſagt, gab K. Wenzel dem Herrenbunde am
30 Mai 1395 über obige Forderungen eine in ſo unbe—
ſtimmte Worte gefaßte Urkunde, daß ſie mehr einem Em—
pfangſcheine über die ihm vorgelegten Artikel, als einer
90 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1395 Beſtätigung derſelben ähnlich fah. '% Das Mißvergnügen
15 Juli
9 Aug.
der Barone wurde dadurch nicht gehoben, ſondern erhöht,
und der Ausbruch eines neuen Krieges war unvermeidlich.
Nun gerieth Herzog Johann von Görlitz wieder in ein
eigenthümliches Verhältniß zu den ſtreitenden Parteien,
welches wir jedoch, aus Mangel an Quellen, nicht mehr
ganz aufzuklären vermögen. Er trat am 15 Juli 1395
ſelbſt dem Herrenbunde bei; !® ohne Zweifel, um zwiſchen
ihm und dem Könige beſſer vermitteln zu können; denn
in den über ſeinen Beitritt beiderſeits erlaſſenen Urkunden
wurde der Zweck, »die Ehre des Königs zu wahren«,
immer obenan geſtellt. Gleichwohl ſtand die zu Zwettl
am 9 Aug. 1395 vom Markgrafen Joſt und Heinrich von
Roſenberg im Namen des Bundes übernommene Verpflich-
tung, alles aufzubieten, damit die Gewalt und Vicarie des
römiſchen Reichs von König Wenzel auf Herzog Albrecht
von Sſterreich übergehe, “s im grellſten Widerſpruche mit
jenem ausgeſprochenen Zwecke. Es iſt nicht anders anzu—
nehmen, als daß Herzog Johann von einer ſolchen Ver—
pflichtung ſeiner neuen Bundesgenoſſen keine Kenntniß hatte.
101) Sie ift gedruckt in Pelzels Urkk. Buche II, 4 und im Archiv
Cesky I, 56 fg. Das leider ſchon ſehr beſchädigte Original
dieſer in böhmiſcher Sprache verfaßten Urkunde befindet ſich
jetzt im böhm. Kronarchive. Für den diplomatiſchen Gebrauch
dieſer Sprache bilden überhaupt die Verhandlungen dieſer Jahre
Epoche; von da an nimmt dieſer Gebrauch immer mehr Über—
hand, und macht ſich ſchon ſeit dem erſten Viertel des XV
Jahrh. faſt ausſchließlich geltend.
102) Archiv Cesky I, 59 fg. Früher ſchon, am 2 April 1395, hatte
Herzog Johann nicht nur mit Stephan von Bayern, ſondern
auch mit Joſt von Mähren und Wilhelm von Meißen ein ſo—
genanntes ewiges Bündniß geſchloſſen (das jedoch ſehr kurz
dauerte). Vgl. G. Köhlers Beiträge zur Geſch. der Lauſitz I, 23.
103) Fürſt Lichnowsky's Geſch. IV Band, Regeſten Nr. 2498. Da
Herzog Albrecht bald darauf (am 29 Aug.) ſtarb, ſo hatte dieſe
Verſchreibung keine weitere Folge.
Neue Unruhen. Herzog Johann von Görlitz. 91
Als zu gleicher Zeit der Herr von Roſenberg mit den
Bundestruppen gegen den König zu Felde zog, die könig—
liche Burg Kugelweit zerſtörte, Budweis belagerte und Wod—
nian einnahm,!“ fällt es auf, den Herzog bei ſolchen Vor—
gängen auf der Seite der Gegner des Königs zu erblicken;
aber noch mehr überraſcht es, zu ſehen, daß Wenzels Starr—
ſinn auch durch ſolche Demonſtrationen ſich nicht brechen
läßt, und er eine Zeit lang den Muth hat, das Feld gegen
alle ſeine vereinigten Feinde zu halten. Am 10 Auguſt
jedoch entſchloß er ſich, den Bruder zum oberſten Haupt—
mann des Königreichs zu ernennen, verſprach ſein Kriegs—
volk binnen acht Tagen aus dem Felde zu ziehen, und gab
zugleich dem Bruder die volle Macht, die ſtrittigen Puncte
zwiſchen ihm und den Baronen einer endlichen Entſchei—
dung entgegenzuführen. 19
Herzog Johann, zwiſchen zwei erbitterte und eigen—
ſinnige Parteien als Vermittler geſtellt, ſcheint in guter
Abſicht ſich alle Mühe gegeben zu haben, eine Einigung
herbeizuführen. Daß viele Verhandlungen zu dieſem Ende
angeknüpft, abgebrochen und wieder aufgenommen wurden,
iſt gewiß, obgleich uns der nähere Inhalt derſelben un—
bekannt bleibt. Die Liebe, welche der Herzog in Böh—
men wegen ſeiner bis ins folgende Jahr 1396 fort—
geſetzten Bemühungen ſich erwarb, gibt für ihn ein gün—
ſtiges Zeugniß. Er ſetzte endlich, kraft ſeiner Vollmacht,
im Januar 1396 einen jetzt unbekannten Friedensvertrag
auf, der aber dem Sinne K. Wenzels ſo wenig entſprach,
daß beide Brüder darüber in einen Streit geriethen, der
zu entſchiedenem unheilbaren Bruche führte. Wenzel nahm
dem Herzoge die Hauptmannſchaft über das Königreich in
ſehr ungnädiger Weiſe wieder ab, und erließ in das ganze
104) Chron. Benesii minoritae in Dobner monum. IV, 65 — über:
einſtimmend mit handſchriftlichen Noten aus dieſer Zeit.
105) Die Urkunde ſteht in Wenker's Collecta archiv. pag. 393.
1395
10 Aug.
1396
92 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1396 Land Decrete, in welchen ihm fortan Gehorſam zu leiſten
1 März
verboten wurde; man vermißte in dieſen Schreiben ſelbſt
die gewöhnlichſten Formen der Höflichkeit gegen einen Bru—
der. 18 Als der Herzog von Prag ſchied, um nimmermehr
dahin zurückzukehren, entſtanden in der Stadt Tumulte;
denn die Mehrzahl der Einwohner war ihm ſehr ergeben
geweſen. Wenzel ſetzte einen neuen Stadtrath ein, und
hatte Mühe, die gährenden Gemüther zu beſchwichtigen. 197
Johann kehrte in fein Land zurück. Abends auf den 1 März
1396 legte dieſer erſt 25jährige Prinz im Kloſter Neuzelle
ſich geſund zu Bette; am folgenden Morgen fand man
ihn darin todt. Ob ein Schlagfluß, oder Gift, oder Ge—
walt dieſen plötzlichen Tod veranlaßt hat, iſt unerforſcht
geblieben. Er hinterließ nur eine Tochter Eliſabeth, im
Kindesalter.
Während aller dieſer Ereigniſſe verhielt ſich König,
Sigmund von Ungarn ſcheinbar neutral und ruhig; einer—
ſeits war er zu ſehr im eigenen Lande und in der Wa—
lachei gegen die Türken beſchäftigt; anderſeits wartete er
den Zeitpunct ab, wo feine Dazwiſchenkunft erſt entſchei—
dend werden konnte. Gegen Ende des J. 1395 ſchrieb er
an Wenzel einen Brief, der die innigſte Theilnahme und
die tiefſte Beſorgniß für das Wohl und Anſehen des Bru—
106) Der im Kanzleiſtyl jener Zeit obligate Beiſatz »carissimus« bei
»frater noster« wird in dem (bei Pelzel II, 9 gedruckten) Des
krete vermißt u. dgl. m. Der König beſchuldigte darin ſeinen
Bruder, fälſchlich vorgegeben zu haben, daß er von den Ba—
ronen bevollmächtigt geweſen ſei. Dies iſt wohl eigentlich dahin
zu verſtehen, daß Johann weder die Macht, noch den Willen
hatte, alles nur nach des Bruders Wunſche allein zu erledigen.
107) S. Wenker's Collecta archiv. p. 394. Was Pelzel und An⸗
dere bei dieſer Gelegenheit von Hinrichtungen in Prag erzäh—
len, beruht nicht auf hiſtoriſchen Zeugniſſen, ſondern nur auf
unkritiſcher Combination Hajekiſcher Lügen mit wirklichen Er—
eigniſſen.
Herzog Johann von Görlitz ſtirbt. K. Sigmund. 93
ders ausſprach, 1% aber auch vollkommen zu den im Fe- 1396
bruar 1394 feſtgeſetzten Plänen paßte. Vor Allem, ſagte
er, müſſe dafür geſorgt werden, daß die in dem Hauſe
Luxenburg ſchon gleichſam erblich gewordene Kaiſerkrone
ihm nicht wieder entzogen werde. Er habe ſo eben er—
fahren, auf welchen geheimen Wegen der König von Eng—
land nach der kaiſerlichen Würde ſtrebe, und wie er darin
von Vielen unterſtützt werde. Schon aus Pietät für den
Vater (Karl IV), der ſich jo viel Mühe gegeben, das
Kaiſerthum ſeinem Hauſe zu erhalten, müſſe Wenzel ſich
beeilen, und durch Annahme der höchſten Krone der Chriſten—
heit allen Nebenbuhlern die Hoffnung dazu abſchneiden.
Die Umſtände ſeien günſtig, wie nie vorher; zumal Wen—
zel jetzt nicht nur an dem Papſte einen Freund, ſondern
auch an dem Herzog von Mailand den treueſten Diener
habe. Er, Sigmund, ſei gleichfalls bereit, ihm mit aller
Macht beizuſtehen; denn des Bruders Ehre gehe ihm, wie
ſeine eigene, zu Herzen, und trotz der Ränkemacher, welche
Mißtrauen und Zwietracht zwiſchen ihnen zu ſäen ſich be—
mühen, werde er nie aufhören, ihm der treueſte und er—
gebenſte Bruder zu ſeyn. 19°
108) In einer Handſchrift des Prager Domcapitels (H, 3, fol. 35 q.).
Er iſt noch ungedruckt.
109) Ad aures nostras veridica nuper insinuatione pervenit, et ad
vestras quoque pervenisse non ambigo, Anglorum regem qui-
busdam subterraneis, ut ita dixerim, viis, ad hoc fastigium
aspirare, multosque sibi ad hoc complices ascivisse; quorum
nonnulli, sub spe fallendi, vobis forte suadere moliuntur, nihil
de imperio agi. Videte, principum maxime, ad quem ex bene-
ficio paterno hujuscemodi rei cura principaliter spectat, ne ali-
quando in diebus nostris hoc possit accidere, ut imperium ex
nostra in alienam familiam transferatur. — Tempus exigit, ut
regio nomine deposito, vobis imperatoris omnium maximum
vendicetis, et imperialis apieis spem cunctis extraneis adima-
tis. — Utimini fortunae beneficio; et — pro decore Majestatis
*
94 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1396 Solche Betheurungen waren ganz geeignet, den bei
allem Eigenſinn im Grunde gutmüthigen Wenzel für ſei—
nen Bruder aufs günſtigſte zu ſtimmen; zumal er jetzt der
Hilfe desſelben wirklich bedurfte. Er berief ihn daher (am
2 Febr. 2 Febr.) zu ſich nach Böhmen, und überhäufte den ſchnell
Herbeigekommenen mit Beweiſen von Liebe und Vertrauen.
25 Febr. Schon am 25 Februar fertigten zu Prag beide königlichen
Brüder den ſicheren Geleitsbrief für Markgraf Joſt und
deſſen Anhänger aus, damit dieſelben perſönlich kommen
und die ſo oft vergeblich verſuchte Ausgleichung zu Ende
1 März führen helfen; am 1 März, dem Sterbetag des Herzogs
von Görlitz, erneuerten ſie die ſchon vor zwei Jahren unter
einander errichteten wechſelſeitigen Erbverträge; und am
19 März 19 März ernannte Wenzel feinen Bruder ſogar zu feinem -
Vicar und Stellvertreter im geſammten römiſchen Reiche.
Am ſelben Tage erklärte endlich Wenzel, daß anſtatt der
nach der Piſeker Urkunde vom 25 Aug. 1394 zu wählenden
ſechs Schiedsrichter, nunmehr König Sigmund und Mark—
graf Joſt allein die volle Macht haben ſollten, über alle
vestrae, pro debito, pro augmento, pro exaltatione domus no-
strae, pro aemulorum confusione, ad hanc sumendam digni-
tatem, omnibus postpositis aliis, prop erate. Oro, obsecro, sua-
deo, ne oblatam vobis divinitus tam felicem occasionem per
incuriam cum Celsitudinis Vestrae pudore et generis nostri
confusione perdatis. Nihil enim honoris vel augmenti perso-
nae Vestrae potest evenire, cujus et ipse non sim particeps;
nihil e contra dedecoris vel pudoris. Quamobrem, si quid ad
haec mea possibilitas valet, me semper animo et corpore viri-
busque totis, more boni fratris, paratissimum, quando et quo-
tiescunque volueritis, invenietis. Testis est enim secretorum
omnium conditor deus, quod exaltationem Vestram, tamquam
propriam, optavi, opto et optabo, donec in me ullae vitalis
aurae reliquiae supererunt; licet obtrectatores multi malignandi
studio inter nos dissensiones odiaque seminare satagentes, vobis
aliter esse persuaserunt; quorum nugis, carissime frater, quaeso,
ne de cetero Serenitas Vestra aurem credulam accomodet etc.
K. Sigmund von Ungarn als Vermittler. 95
zwiſchen ihm und den Baronen ſtrittigen Puncte, und na—
mentlich über die Beſetzung der oberſten Landesämter, über
1396
die Wahl der Landeskmeten und über die Münze, den
Austrag zu thun. Markgraf Prokop war bei allen dieſen
Verhandlungen gegenwärtig, und galt als Wenzels vor—
nehmſter Rath; doch iſt uns unbekannt, wie weit ſein per—
ſönlicher Einfluß gereicht hat.
Am Oſterſonntag, den 2 April, erfolgte von beiden
bevollmächtigten Fürſten der ſchon lange vorbereitete, und
ganz im Sinne des Herrenbundes gefaßte Spruch. Der
wichtigſte Theil desſelben betraf die Zuſammenſetzung des
oberſten Regierungsrathes für das Königreich Böhmen.
In dieſem Rathe ſollten fortan ſitzen: der Erzbiſchof von
Prag und die Biſchöfe von Olmütz und Leitomysl, dann
die Herren Heinrich von Roſenberg als Oberſtburggraf,
Wilhelm von Landſtein als Oberſtlandkämmerer, Hynek
Berka von Duba auf Hohenſtein als Oberſtlandrichter,
Breneék von Rieſenberg auf Skala als Hoflehnrichter,
Benes Skopek von Duba als Oberſthofmeiſter, Smil Flaska
von Pardubic auf Richenburg als Oberſtlandſchreiber, fer—
ner die Barone Otto von Bergow auf Bilin, Johann von
Michalowic, Bokek von Podĩbrad und Bores von Rieſen—
burg. Dieſe alle ſollte der König nicht abſetzen dürfen,
doch könne er neben ihnen auch andere Barone mehr in
ſeinen Rath berufen. Landeskmeten ſollten diejenigen blei—
ben, die es zu jener Zeit waren und den üblichen Eid be—
reits geleiſtet hatten. Die Münze ſollte ſo beſtellt wer—
den, daß nicht mehr als achtzig Prager Groſchen auf eine
Mark feines Silber gehen. In Folge dieſer Maßregeln
ſollte dem Könige allenthalben neu gehuldigt, der Frieden
im ganzen Lande hergeſtellt und befeſtigt, alle im Kriege
geraubten Güter zurückerſtattet, und die ganze Regierung in
ihren früheren ordentlichen Gang wieder gebracht werden. 11
110) Die Urkunde iſt bei Pelzel II, 14 fg. abgedruckt.
2 April
1396
15 April
2 Juli
96 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
Daß ein ſo gearteter Spruch den König nicht befrie—
digte, war nach allen bisherigen Vorgängen natürlich.
Unter den ihm aufgedrungenen Räthen befand ſich nur ein
einziger, der Oberſthofmeiſter Benes Skopek von Duba,
der ihm von jeher treu und lieb geweſen; die übrigen alle
waren Mitglieder des Herrenbundes. Dennoch fügte er
ſich diesmal in die Nothwendigkeit, wenn gleich mit Wider—
willen und mit Klagen; Sigmund hatte bereits zu viel
Gewalt über das Gemüth des Bruders gewonnen, als
daß dieſer es gewagt hätte, alſogleich wieder offenen Wider—
ſtand zu leiſten. Die Barone wurden daher in die ge—
nannten Amter eingeſetzt, und die ganze Regierung ſchien
von nun an einen andern Gang zu nehmen. Schon am
15 April waren zu Prag die ordentlichen Sitzungen des
größeren Landrechts wieder eröffnet, in welchen die neu—
ernannten Oberſtlandesofficiere ihre Sitze einnahmen.
An dem oben genannten Oſterſonntage (2 April) re—
ſignirte auch Johann von Jenſtein das Prager Erzbisthum,
und inſtallirte ein Viertel Jahr ſpäter in der Kathedral—
kirche ſeinen Schweſterſohn und Nachfolger, Wolfram von
Skworec, den geweſenen Kanzler des Herzogs Johann von
Görlitz. Die Verhandlungen über dieſe Reſignation waren
ſchon im vorigen Jahre von dem genannten Herzoge ein—
geleitet und von Papſt Bonifaz IX gutgeheißen worden;
auch die Wahl Wolframs als Nachfolger ſeines Oheims
hatte in Rom ſchon am 5 März 1396 die nöthige Ap—
probation gefunden. Ob dieſe Wahl ganz nach Wenzels
Wunſch ausgefallen, wiſſen wir nicht; gewiß iſt es nur,
daß Wenzel zu gleicher Zeit dem Papſte vielerlei Wünſche
über Beſetzung einiger Bisthümer in Deutſchland, ſo wie
auch des durch den Tod Johann Sobeslaws von Mähren
Cr 1394, 12 Oct.) erledigten Patriarchenſtuhles von Aqui—
leja vortrug, welche keine Berückſichtigung fanden. Auch
von der Erhebung Kladrau's zu einem Bisthum mußte er
Erzbiſchof Wolfram. Neue Gährung. 97
abſtehen, und die dortigen Kloſtergüter wurden zuerſt im 1396
J. 1397 dem Patriarchen von Antiochien zur Commende,
einige Zeit ſpäter aber einem neuen Abte, Namens Wer—
ner, eingeräumt. Johann von Jenſtein begab ſich im fol—
genden Jahre nach Rom und wurde dort zum Patriarchen
von Alexandrien befördert, ſtarb aber ſchon am 17 Juni
1400. Wolfram hielt ſich von allem Einfluſſe auf die Ge—
ſchäfte fern, und gab daher ea feinen Anlaß zu Rei⸗
bungen und Klagen.
König Sigmund verließ Böhmen bald nach der zwi—
ſchen ſeinem Bruder und dem Herrenbunde getroffenen Ver—
richtung. Ihn riefen dringende Angelegenheiten ſeines ei—
genen Landes zurück, ſo daß er als neuernannter Reichs—
vicar nicht einmal eine Reiſe nach Deutſchland unterneh—
men konnte. Die von den Türken drohende Gefahr brachte
auf ſeinen Ruf viele kampfluſtige Chriſten, zumal aus
Frankreich, nach Ungarn, und führte am Ende zu der un—
glücklichen Schlacht bei Nikopolis (28 Sept. 1396), in
welcher die Chriſten gänzlich geſchlagen und Sigmund ſogar
genöthigt wurde, ſein Heil in einer abenteuerlichen Flucht
bis in das mittelländiſche Meer zu ſuchen.
Die in Böhmen neuorganiſirte Regierung war aus
einander widerſtrebenden Elementen zuſammengeſetzt: ſie
konnte daher unmöglich Ordnung und Ruhe im Lande auf
die Dauer herſtellen. Die oberſten Landesbeamten han—
delten und regierten im Namen des Königs: der König
aber machte kein Hehl daraus, daß ihr Wille nicht der
ſeinige ſei, und daß man ihm keinen Gefallen erweiſe,
wenn man ihnen und nicht ihm allein Folge leiſte. Ver—
gebens bemühte ſich insbeſondere Herr Heinrich von Roſen—
berg, Wenzels Gnade und Vertrauen wieder zu gewinnen;
er erlangte nicht mehr, als daß Dieſer ſeinen Zorn gegen
ihn etwas zurückhielt. Der dem Herrenbunde verhaßte
Landesunterkämmerer, Sigmund Huler, war in ſeinem
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 7
98 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1396 Amte belaſſen worden, und hörte daher nicht auf, den frü—
31 Mai
heren Einfluß auf alle königlichen Städte auszuüben. Es
konnte nicht ausbleiben, daß widerſprechende Befehle im
Volke Ungehorſam, u bei der Regierung ſteigende Zwie—
tracht und Haß erzeugten. Wohl mußten auch wohlmei—
nende Männer an einem Könige irre werden, der weder
allein, vernünftig und conſequent, zu regieren, noch auch
in die Mitregierung Anderer ſich zu fügen wußte. Wenzel
verdarb es bei Vielen noch dadurch, daß er, einer Auf—
wallung ſeines Jähzorns folgend, den Markgrafen Joſt
und ſechs Barone, die in Begleitung Herzog Stephans
von Bayern am 31 Mai 1396 zu ihm nach Karlſtein
kamen, dort plötzlich verhaften ließ. »Du haſt es ver—
anftaltet« (rief er dem Markgrafen zu), »daß der von
Schwamberg die Abgeſandten von Straßburg und Frank—
furt gefangen nahm; Du haſt den Kaufleuten großes Gut
wider Recht genommen; Du machſt es, daß mich die Ba—
rone angreifen, mir mein Land wüſten und die Straßen
darnieder legen: nun iſt es beſſer, daß Du verdirbſt, als
daß Land und Leute verderben ſollen. Ich war Dein rech—
ter Herr, Du hatteſt mir Treue geſchworen und darüber
Briefe gegeben, und Du fingſt mich, und haſt mich nicht
gut bewahrt; ich werde Dich aber gut zu bewahren wiſ—
ſen. «u Unter Einem ſandte Wenzel Befehle nach Prag,
in deren Folge man die Stadtthore ſchloß und alle Anz
gehörigen des Markgrafen verhaftete; auch ließ er dem
Markgrafen Prokop nach Mähren melden, daß er ſich aller
Beſitzungen ſeines Bruders bemächtigen ſollte. Bald jedoch
111) Auf dieſe Verhältniſſe beziehen ſich K. Wenzel's Worte bei
Windeck cap. VI, pag. 1079: „damit er (K. Sigmund) uns
Land und Leute und Städte hat wieder irre gemacht und un—
gehorfam.«
112) Nach dem von Wenker in Collect. archiv. p- 395 mitgetheilten
Briefe.
Neue Gährung. Mord der Günftlinge. 99
legte ſich die hitzige Aufwallung wieder. Auf das Zureden 1396
des Herzogs Stephan von Bayern, der ſich dadurch ge—
kränkt fühlte, daß ſeine Begleiter für ihr Vertrauen zum
Könige im Gefängniſſe büßen ſollten, gab Wenzel erſt
allen Gefangenen, außer dem Markgrafen und dem Herrn
Bokek von Podebrad, die Freiheit wieder; nach einigen
Tagen aber befahl er auch dieſe ihrer Haft zu entlaſſen.
Da die oben von uns genannten Günſtlinge des Kö—
nigs die Haupturſache waren, um deren willen ſich der
böhmiſche Herrenbund erhoben hatte: ſo fällt es auf, daß
wir keinen von ihnen in die Ereigniſſe dieſer Jahre kräf—
tiger eingreifen ſehen. Allein zum Theil hielten ſie ſich,
wie Georg von Roztok und Johann Cuͤch von Zaſada,
als Hofbeamte, von allem Einfluß auf die Geſchäfte mög—
lichſt ferne; zum Theil bediente ſich ihrer Wenzel auch
außerhalb des eigentlichen Böhmens, des Boriwoj von
Swinar in deutſchen Ländern, des Hyncik Pluh von Rab—
ſtein in den Lauſitzen. Noch andere Männer, als die oben—
genannten, waren es, welche in dieſen Jahren des Königs
Gunſt und Vertrauen vorzugsweiſe beſaßen und in den
Geſchäften geltend machten. Namentlich zeichnete ſich unter
ihnen der geweſene Oberſtburggraf und Hoflehnrichter Burk—
hard Strnad von Janowic aus; Wenzel tröſtete ihn für
den Verluſt ſeiner Landes-Amter damit, daß er ihn zu
feinem Oberſtkämmerer ernannte und ihm noch die Schlöf-
ſer Königſtein und Lilienſtein mit der Stadt Pirna zu
Pfande verſchrieb. Ein anderer Günſtling war Herr Ste—
phan von Opoeéna, aus dem Haufe Dobruska, jetzt königl.
Hauptmann in Breslau; ihn hatte Wenzel mit der dem
Herrn Marquard von Wartenberg confiscirten Burg Zleb
beſchenkt. Auch Hermann von Chauſtnik ſtand ſchon in
dieſen Jahren dem Könige nahe, und ſcheint durch ehren—
haften Charakter ſich vor Anderen ausgezeichnet zu haben.
Alle dieſe drei gehörten ihrer Geburt nach dem Herren—
Pi
/
100 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1396 ſtande an, obgleich ſie kein bedeutendes Vermögen beſaßen.
1397
Von anderen Günſtlingen, wie dem königl. Hofkämmerer
Stephan von Martinic, zugenannt Poduska, und dem Mal—
teſerprior Markold von Wrutic, läßt ſich nichts Näheres
angeben; ſie theilten die königliche Gunſt zunächſt noch mit
zwei Männern bürgerlicher Abkunft, Johann von Milheim,
dem Gründer der Betlehemskapelle in Prag, und Peter
von Piſek, königl. Münzmeiſter in Kuttenberg. .
Die Verhaftung der Häupter des Herrenbundes in
Karlſtein hatte neue Erbitterung in die Gemüther gewor—
fen. Alle ſchieden von dort als offene Feinde des Königs.
Ihre Freunde gaben jedoch die erlangten oberſten Landes—
ämter mit nichten auf; ſie benützten vielmehr ihre Stel—
lung, um verſchiedene Amter im Lande mit ihren Anhängern
zu beſetzen. So gelang es ihnen insbeſondere, in der Alt—
ſtadt Prag einen ihnen ergebenen Magiſtrat zu erlangen;
das Nähere darüber iſt jedoch unbekannt. Gegen den König
wurden ohne Scheu und Rückhalt die aufreizendſten Reden
und Schriften verbreitet. us Dennoch näherte Markgraf
113) Den Beweis liefert eine zweite, noch unbekannte, »Forma cu-
rialis super quibusdam evitandis per D. Regem, illis, quae vi-
delicet statum et commodum regni videntur impedire«, in
einer Handſchrift des Prager Domcapitels (G, 19, fol. 120),
Da wird dem Könige ein ganzer Sündenſpiegel vorgehalten.
Wir führen nur einige charakteriſtiſchen Stellen hier an. Al-
titudo imperii! cur non imitatus estis invictissimi genitoris ve-
stri Karoli vestigia? qui terrae suae nobiles, extraneos et ad-
venas insignes et laudabiles cordis totius adamavit nisibus,
cum quibus provincias terras obtinuit; cohortem vero civium
et mechanicorum ad celsitudinis consilium non vocavit. Do-
minis namque terrae et baronibus regni commisit officia, per-
spicua sagacitate illorum disponens gubernamina, quemlibet in
suo esse ordine disposuit, cuncta ordinans baronum consiliis.
Tune temporis imperio et regno Bohemiae dietenus acerevit
honoris augmentum et victoria; quia praeclarae memoriae pater
vester invietissimus maturis baronum utebatur consilüs, qui
Mord der Günſtlinge in Karlſtein. 101
Joſt ſich ihm wieder, und war, in Folge neu angeknüpf—
ter Unterhandlungen, am 6 Febr. 1397 ſogar auf dem
Puncte, zu den böhmiſchen Kronländern, Mähren, Branden—
burg und Luxenburg, die er bereits inne hatte, auch die
beiden Lauſitzen hinzugefügt zu ſehen. Das bereits ge—
ſchloſſene Geſchäft zerſchlug ſich wieder; doch ſind wir über
den eigentlichen Hergang dieſer einander widerſprechenden
Ereigniſſe zu wenig unterrichtet, als daß ſich darüber ein
klarer Aufſchluß geben ließe. Das wenigſtens iſt gewiß,
daß der Krieg, der neuerdings auszubrechen drohte, hint—
angehalten wurde. Dagegen zog ſich über den Häuptern
der Günſtlinge unvermuthet ein um ſo ſchrecklicherer Sturm
zuſammen. Herzog Hanns von Troppau und Ratibor, der
neuernannte Oberſthofmeiſter des Königs, der jedoch bis—
her keine bedeutende Rolle am Hofe geſpielt hatte, ließ
ſich von einigen Mitgliedern des Herrenbundes zur Aus—
führung eines blutigen Anſchlags gewinnen. Aus Anlaß
wichtiger aus Deutſchland eingelangter Nachrichten wurden
des Königs Räthe am Pfingſtmontag (den 11 Juni) nach
post decessum ipsius per novellos dominos a celsitudinis con-
silio sunt exclusi. Nonne sua invictuosa potentia status om-
nium regiminum satis solerter disposuit, clientes in suo ordine,
cives in suo similiter? ita, quod quidam propinantes cerevi-
siam, quidam suebant calceos, quidam crassantes pecudes, far-
cientes farcimina, unde sui barones et elientes enutriri poterant
etc. — Puerili Vestra Gloriositas est perversa consilio, quod
regnum Boemiae, longis plantatum temporibus, incuriose per-
misistis destruere. Cum dominis vestris et regni baronibus
compositionem non curastis hucusque intrare gratuitam; cum
quibus tamen omnia incommoda, omnes insolentias Vestram
gloriositatem oportebit vincere ultimatim. Serenitas namque
Vestra imaginative dignetur respicere: hos, quos vobis novel-
los formastis dominos, de luto faecis erexistis et miseriae, Sertis
Vrae formastis in praejudicium. Si namque Vra Sertas jpso-
rum consilio utetur diutius, imperio, corpore et regno privari
poteritis u. f. w.
1397
11 Juni
102 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV.
1397 Karlſtein zuſammenberufen. Während der Berathungen
11 Jun. ging der Herzog mit den Herren von Michalowic, von
Schwamberg und von Rieſenburg aus dem Saale hinaus,
und ließ die Herren Burkhard von Janowic, Stephan von
Opoéna, Stephan von Martinic und den Malteſerprior
Markold in ein nahegelegenes Kabinet rufen, das er mit
Bewaffneten wohl verſehen hatte. Als dieſelben ahnungs—
los eintraten, wurden ſie, als angebliche Verräther des
Königs,“ ſogleich niedergemacht; der Herzog ſelbſt begann
die Schlächterei damit, daß er dem Herrn Strnad das
Schwert in den Leib ſtieß. Die drei Herren blieben auf
der Stelle todt; nur Markold lebte noch einige Stunden
lang. Von da an wurde der Herzog ein Gegenſtand des
Abſcheu's für das böhmiſche Volk, das ihn nun insgemein
nicht mehr »knez Hanus«, ſondern »mistr Hanus (d. i.
Hanns der Scharfrichter) zu nennen pflegte.
Während dieſes Vorfalls befand ſich K. Wenzel in
der Nähe, im Königshofe bei Beraun. Nach vollbrach—
ter blutiger That ritt daher Herzog Hanus mit ſeinen
Freunden alſogleich zu ihm, um ihm ſelbſt die Kunde des
Geſchehenen zu bringen. Sie knieeten vor dem Könige
nieder und lieferten ihm Beweiſe von den hochverräthe—
riſchen Plänen der Hingerichteten; Beweiſe, die durch die
Ausſage des ſterbenden Großpriors beſtätigt worden ſein
ſollen. Sie hatten daher, ihren Worten gemäß, den gräß—
lichen Mord aus purer Treue und Anhänglichkeit an den
König vollbracht. Und dieſer war ſchwach genug, wo nicht
ihnen vollen Glauben zu ſchenken, doch das Geſchehene auf
114) „Do ſprach der Herzog zu In: Ir Herren, ihr ſeid, die Tag
und Nacht unſerm Herrn Künig rathen, daz er nicht gen deu—
tſchen Landen ſoll, und wollt ihn bringen von dem romiſchen
Reich« — ſagt der deutſche Berichterſtatter bei Wenker p. 395.
„Sie haben uns an unſeren Eren und umb unſern Leibe wol—
len vorraten« — ſagt das königl. Manifeft vom 13 Juli 1397,
Mord der Günſtlinge in Karlſtein. 103
ſich beruhen zu laſſen. Das in einem königl. Manifeſt vom 1397
13 Juli 1397, durch Vermittelung des Markgrafen Pro- 13 Juli
kop, den Mördern ertheilte Abſolutorium, iſt eines der
ſchmachvollſten Documente dieſer Zeit.!“ Der Herzog von
Troppau behielt zwar ſein Oberſthofmeiſteramt nicht lange;
wir finden ihn aber gleich darauf als königl. Hauptmann
der Grafſchaft Glatz wieder. Nur die bald nach der Ge—
waltthat erfolgte Verweiſung des Markgrafen Joſt aus der
Stadt Prag und aus Böhmen!“ ſcheint anzudeuten, daß der
König mit dem nicht zweifelhaften Anſtifter jener Kata—
ſtrophe unzufrieden war; auch ſetzte er ſogleich diejenigen
Räthe der Altſtadt Prag, welche es mit Joſt gehalten hat—
ten, von ihren Amtern ab, und zwang viele derſelben zu
eiliger Flucht aus dem Lande.
Vielleicht iſt die Nachſicht, welche Wenzel gegen die
Mörder ſeiner Günſtlinge bewies, durch die Gefahr zu er—
klären, welche ſchon damals von Deutſchland her drohend
ſich gegen ihn erhob. Bei dem ſteigenden Mißvergnügen
der Neichsfürften mag der König die Nothwendigkeit er—
kannt haben, dem böhmiſchen Herrenbunde um des Frie—
dens willen einige Conceſſionen zu machen, damit er, von
dieſer Seite ungehindert, mit um ſo mehr Nachdruck ſich
den Reichsangelegenheiten widmen könne. Die ſchon da—
mals in Deutſchland und Italien gegen ihn begonnenen
Umtriebe waren ihm kein Geheimniß; 117 er entſchloß ſich
115) Pelzel hat es aus dem in Regensburg befindlichen Original
abdrucken laſſen, im Urkk. Buche II, pag. 26.
116) Brief vom 5 Juli 1397 in Wenker's Collect. archiv. p. 395:
„Auch was Markgraf Jobs von Merhern zu Prag nachdem do
das geſchah; da enbot Im unſer Herr der Künig, daz er auz
der Stat reit, er wolt ſein Stat und ſein Land ſelber wol
verſehen. Alſo reit er herauz“ ꝛc.
117) Schon im Auguſt 1397, kurz vor Antritt der Reiſe nach Deutſch—
land, ſchrieb er an den ihm ergebenen Herzog von Mailand,
unter Anderem, die Bitte: quatenus, si quae ad tui notitiam
104 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1397 daher, um ſie zu vereiteln, zu einer längeren Reiſe an
den Rhein, und beſtellte für die Zeit ſeiner Abweſenheit
jenen Vermittler, den Markgrafen Prokop von Mähren,
zu ſeinem Statthalter und Gubernator in Böhmen.
Der im J. 1389 zu Eger geſchloſſene allgemeine Land-
friede für Deutſchland war längſt zu Ende gegangen, und
K. Wenzels Verſuche, ihn auf mehrere Jahre hinaus zu
verlängern, hatten nicht den gewünſchten Erfolg; das am
19 März 1396 dem Könige Sigmund von Ungarn über—
gebene Reichsvicariat war auch ein gleichſam nur papier—
ner Act geblieben, da Sigmund wegen der vom ſiegreichen
Sultan Bajazet ihm drohenden Gefahr ſich mit den deut—
ſchen Zuſtänden bisher nicht hatte beſchäftigen können. Bei
dem gänzlichen Mangel einer gehörigen vollziehenden Ge-
walt überhaupt, und der damit in Verbindung ſtehenden
Ohnmacht der Geſetze, war daher Deutſchland, in dieſer
Blüthezeit des Fauſtrechts, einer Anarchie Preis gegeben,
bei deren Betrachtung ſelbſt Diejenigen ein Mißbehagen
fühlen mochten, welche ſie am meiſten ſelbſt zu verurſachen
und auszubeuten pflegten. Die Unzufriedenheit war in
Deutſchland allgemein; und mit Recht konnte man darüber
klagen, daß K. Wenzel nicht mehr Fleiß und Nachdruck
auf die Beſeitigung ſo ſchreiender Übelſtände verwendete.
Unrecht aber hatte man, wenn man ihn gleichſam allein
für die herrſchenden Unordnungen verantwortlich machte,
während man doch ihm zur Herſtellung der Ordnung nicht
pervenerint, quae in nostram vergere possint laesionem, his
remediis opportunis fidelitas tua velit occurrere, nobisque hu-
jusmodi crebrius nuntiare, prout de te gerimus confidentiam
specialem. In demſelben Briefe heißt es über Böhmen: In-
super statu regni Bohemiae in pacis et tranquillitatis commodo
post terga relicto, ad quod etiam barones regni Boemiae sua
praestant ammmicula, mox ad partes Almaniae personaliter
pergimus.
Umtriebe der rheiniſchen Kurfürften. 105
nur keine Gewalt einräumen und keine Hilfe leiſten mochte, 1397
ſondern auch ſeinen Friedenshandlungen ſelbſt hindernd ent—
gegentrat, und ſeine beſtgetroffenen Maßregeln ſogar di⸗
rect zu vereiteln ſuchte.
Seit dem Jahr 1388, wo Wenzel ſelbſt von ſeiner
Reſignation geſprochen hatte, ſcheinen mehrere Reichsfürſten
ſich mit dem Gedanken vertraut gemacht zu haben, daß er
nicht beſtimmt ſei, die Reichskrone bis an ſein Lebensende
zu tragen. Der ehrgeizigen Verſuche des Markgrafen Joſt
und des Herzogs Albrecht von Sſterreich haben wir ſchon
gedacht. Nach des Letzteren Tode war es vorzüglich Pfalz—
graf Ruprecht, zugenannt Klem, der den Plan verfolgte,
auf die allgemeine Unzufriedenheit der Deutſchen mit ihrem
Könige feine eigene Erhebung zu gründen. Beſtrebungen
dieſer Art zeigten ſich bei ihm ſeit dem Jahre 1396, wo nicht
noch früher. Den größten Vorſchub leiſtete ihm dabei der
um dieſe Zeit erneuerte Streit um das Mainzer Erzbisthum.
Nach dem Tode des Erzbiſchofs Konrad von Weins—
berg Cr 1396, 9 Oct.) wählte das Mainzer Capitel den
Domherrn Gottfried von Leiningen an deſſen Stelle, den
auch K. Wenzel beſtätigte. Ein Graf Johann von Naſ—
ſau aber, der vergebens Alles aufgeboten hatte, die Wahl
auf ſich zu lenken, nahm zuletzt ſeine Zuflucht nach Rom,
und es gelang ihm, trotz allen Vorſtellungen K. Wenzels,
den immer geldbedürftigen Bonifaz IX durch das Anbot
einer großen Summe in der Art für ſich zu gewinnen,
daß er ihn dem Mainzer Erzbisthume, unter der Form
einer apoſtoliſchen Proviſion, förmlich aufdrang. s Pfalz—
118) Joh. Trüthemü chronicon Hirsaugiense, vol. II, pag. 300 sq.:
Joannes ex comitibus de Nassau, homo astutus et callidus, ni-
mium aspirans ad altiora, per medium suorum egit cum Bo-
nifacio pp. IX. — Erant, qui dicerent, eum nescio quibus flo-
renorum septuaginta millia exposuisse, ut Godfrido pontifica-
tum praeriperet etc. & Gobelinus Pers. ap. Meibom. I, 317 sq.
106 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1397 graf Ruprecht wurde die Hauptſtütze des auf ſolche Art
beförderten neuen Erzbiſchofs, nachdem er in vorhinein
von ihm ſich die urkundliche Zuſicherung hatte geben laſſen
(1396, 23 Oct.), daß derſelbe, als Kurfürſt von Mainz,
„ihm zu allen Ehren und Würden, darnach er ſtellen wollte,
mit allen feinen Freunden beiſtändig und behilflich fein«
werde.!“ Deutlicher brauchte für diesmal Ruprechts Plan,
ſich an Wenzels Stelle zum römiſchen Könige erheben zu
laſſen, nicht ausgeſprochen zu werden. Es gab alſo zu
Anfange des Jahres 1397 ſchon zwei Kurfürſten, welche
mit entſchiedenem Willen, wenn gleich noch nicht ganz offen,
auf die Abſetzung K. Wenzels, und ſomit vorläufig auf
Mehrung der Unzufriedenheit mit ihm, hinarbeiteten. Früh—
zeitig ſetzten ſie ſich ins Einverſtändniß mit allen Fürſten
und Städten, bei welchen ſie eine Abneigung gegen den
König wahrnahmen; und es darf bei der Lage, in welcher
ſich Italien damals befand, uns nicht wundern, ſie auch
alsbald in vertrautem Verkehr mit Wenzels Hamufenben,
den Florentinern, zu erblicken.
In Mailand und deſſen Gebiete waltete ſeit einem
Jahrhunderte die Familie Visconti, — eine lange Reihe
meiſt ſehr tüchtiger Männer, die jedoch vor keinem Ver—
brechen zurückbebten, wenn es galt, ihre Herrſchſucht zu
befriedigen, oder ihre oft bedrohte Macht zu ſichern und
auszubreiten. Seit 1378 übte daſelbſt Galeazzo's Sohn,
Johann Galeazzo, die oberſte Gewalt aus, zuerſt gemein—
ſchaftlich mit ſeinem Oheim Bernabo, dann, nachdem er
1385 dieſen mit Gift aus der Welt hatte ſchaffen laſſen,
allein. Dem unternehmenden Geiſte und der klugen Be—
rechnung dieſes aufgeklärten Deſpoten ſtand kein Ziel zu
hoch. Sein gut organiſirtes Heer focht meiſtens ſiegreich
gegen zahlreiche verbündete Feinde; es hatte bereits Ve—
119) Die Urkunde ſteht in Gudenus Codex diplomaticùs tom. III,
p. 615 s.
Umtriebe der Kurfürſten. Die Herzoge von Mailand. 107
rona, Vicenza und andere Diſtricte mehr ſeinem Gebote
geſichert, und drohte ganz Oberitalien unter ſeine Herr—
ſchaft zu bringen. Seine Unterthanen belaſtete er ſo un—
barmherzig mit Steuern, daß ihrer viele von Haus und
Hof flohen, um nur den unaufhörlichen Bedrückungen ſich
zu entziehen. Dagegen bewies er einen hohen fürſtlichen
Sinn in allem, was auf Förderung von Wiſſenſchaft, Kunſt
und Induſtrie in ſeinem Staate Bezug hatte; der hehre
Dom von Mailand, und die prächtige Karthauſe bei Pavia,
die er erbaute, ſind deſſen unvergängliche Zeugen. Der
Größe dieſer ſelbſtändigen Macht, die jedem Feinde Trotz
zu bieten vermochte, fehlte nur noch — ein Titel; denn
der bloße Name eines Grafen von Virtu und eines kaiſer—
ichen Vicars in Mailand war der Stellung, welche Johann
Galeazzo eingenommen, nicht mehr angemeſſen. Um auch
ſolche Wünſche zu befriedigen, ließ er ſich ſchon 1394 mit K.
Wenzel in Unterhandlungen ein. Mehre Botſchaften gingen
hin und her, bis es endlich dem Biſchof von Novara, Pietro
Filargo (nachmaligen Papſt Alexander »), trotz der Gegen—
bemühungen der in Prag anweſenden florentiniſchen Ge—
ſandten, glückte, von Wenzel eine Urkunde zu erlangen, durch
welche (am 11 Mai 1395) Johann Galeazzo zum Herzoge von
Mailand erhoben und als Lehensmann des heil. röm. Reichs
allen übrigen Reichsfürſten in Allem gleichgeſtellt wurde.
Die bedeutende Tare von 100,000 Goldgulden, die ſich
Wenzel dafür zahlen ließ, ſcheint den Abſchluß dieſes Ver—
trags weſentlich gefördert zu haben; denn dieſe Summe
kam dem Könige zu einer Zeit, wo er ſeinen durch Johann
von Görlitz im vorjährigen Kriege geleerten Hausſchatz
wieder zu füllen befliſſen war. Im September darauf
überreichte des Königs Rath, Benes von Chauſtnik, auf
dem Platze vor der Ambroſiuskirche in Mailand, unter
glänzenden Feſten und Feierlichkeiten, dem Herzoge den
kaiſerlichen Brief und die Inſignien ſeiner neuen Würde.
1397
Aug.
108 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
Durch dieſe und ähnliche ſpätere Gunſtbezeigungen,
welche des neuen Herzogs Macht nicht materiell vermehr—
ten, aber in moraliſcher Hinſicht befeſtigten, gewann Wen—
zel in Italien an Johann Galeazzo einen eben ſo treuen
als mächtigen Diener, deſſen Ergebenheit ihm bei der noch
immer beabſichtigten Römerfahrt von der größten Wichtig—
keit werden mußte. Dagegen machte er ſich die Floren—
tiner zu vollends unverſöhnlichen Feinden, da dieſe in dem
Begünſtigten ihren gefährlichſten Gegner erkannten. Sie
knüpften daher alsbald mit den mißvergnügten Reichs—
fürſten Verbindungen an, ſchilderten ihnen die Gefahr, die
angeblich aus der Erhebung der Visconti's dem römiſchen
Reiche drohen ſollte, und ſuchten ihrerſeits zum Sturze
des ihnen verhaßten Königs beizutragen. 1? Auch wurde
dieſe Erhebung wirklich der vorzüglichſte Punct unter den
Beſchwerden, welche ſpäter die Kurfürſten gegen Wenzel
vorbrachten; — insbeſondere aus dem Grunde, weil er
einen ſo wichtigen Act ohne ihr Wiſſen und ihre Beiſtim—
mung ſich erlaubt habe.
Als nun im Auguſt 1397 Wenzel wieder nach Deutſch—
land kam, ſchien er durch verdoppelten Eifer alles Ver—
ſäumte einholen, alles Verworrene ordnen und damit jeden
Grund zu Klagen heben zu wollen. Der Anfang wurde
mit der Erſtürmung und Schleifung vieler Raubſchlöſſer
gemacht, dann mehrere ungeſetzliche Waffenbündniſſe auf—
gelöſt und aufgehoben, viele Zwiſte unter den einzelnen
Ständen und Einwohnern geſchlichtet, endlich zu Wieder—
120) Neben anderen Beweiſen ſprechen für dieſe Mitwirkung der
Florentiner nachſtehende Worte in dem, unten näher zu be—
ſprechenden Briefe Leonardo Therunda's an K. Wenzel dd.
Veronae, 16 Nov. 1401: Sensisti primum, idque dudum, a Flo-
rentia oratores ad hos scilicet, quibus eligendi Caesaris jus
est, frequentare; nec clam te fuit, quas in te callidi oblocuto-
res fingerent querelas etc.
Umtriebe der Kurfürſten. Wenzel in Deutfchland. 109
herſtellung des allgemeinen Landfriedens ein Reichstag nach
Frankfurt am Main ausgeſchrieben. Von den Verhand—
lungen dieſes Reichstags iſt im Einzelnen nicht mehr be—
kannt, als daß der Landfriede wirklich zu Stande kam, und
vom Könige am 6 Januar 1398 auf die Dauer von zehn
Jahren kundgemacht wurde. Wie gering aber der Eifer
einiger Kurfürſten war, ihren König in dieſem heilſamen
Werke zu unterftügen, läßt ſich ſchon aus dem Umſtande ab—
nehmen, daß der Pfalzgraf Ruprecht und die Erzbiſchöfe von
Mainz und Trier ſchon am 3 März jene Dauer des Landfrie—
dens eigenmächtig auf fünf Jahre herabzuſetzen ſich erlaubten.
Noch zweideutiger war das Benehmen dieſer Kur—
fürſten bei den Verhandlungen über die Beilegung des
großen Schisma der vccidentalifchen Kirche. In dieſer
Sache hatte, bei Wenzels Sorgloſigkeit und dem Draͤngen
der Pariſer Univerſität, König Karl VI von Frankreich
ſchon ſeit 1394 die Initiative mit nachdrücklichem Ernſt
ergriffen, und damit das Amt eines oberſten Kirchenvogts,
das nach der öffentlichen Meinung dem Kaiſer allein zukam,
factiſch an ſich gezogen. Allerdings hatten die Völker der Obe—
dienz von Avignon (nämlich Franzoſen und Spanier) eine
noch nähere Veranlaſſung, die Wegräumung des Schisma
zu wünſchen, da ſie mit ihrem Papſte in der Minorität
ſich befanden, und daher den Beſtand einer entgegengeſetz—
ten Obedienz nicht ſo leicht ignoriren konnten, wie die—
jenigen Völker, welche Bonifaz IX in Rom anhingen (Ita—
liener, Deutſche, Engländer, Scandinavier, Polen, Ungarn);
auch machte ſich der Widerſpruch, der in dem Satze lag,
daß »der wahre Papſt der römiſchen Kirche nicht in Rom
ſitzes, ſelbſt dem gemeinen Volke leichter bemerklich. Nach
Clemens VII Tode (1394) war in Avignon, gegen Karls VI
Willen, der Aragonier Peter von Luna zu deſſen Nach—
folger gewählt worden, und hatte den Namen Benedict XIII
angenommen. Jetzt arbeitete daher der König von Frank—
1397
1398
6 Jan.
110 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1398 reich, nach dem Vorſchlag der Pariſer Univerſität, dahin,
daß durch ein Compromiß beide Päpſte, Bonifaz IX und
Benedict XIII, ihrer Würde zugleich entſagen, und dann
von den beiden in Eines vereinigten Cardinalscollegien
ein einiger neuer Papſt gewählt werden ſollte; würden
die beiden Päpſte nicht freiwillig darauf eingehen, ſo ſoll—
ten ſie dazu gezwungen werden. Schon hatten auch zu
dieſem Plan die Könige von England, von Caſtilien und
Navarra ihre Zuſtimmung gegeben; und Karl VI ſparte
keine Mühe, um vor Allem unſern König Wenzel, und
mit ihm die Deutſchen und Böhmen überhaupt, dafür zu
gewinnen. Seine Geſandten hatten, wie ſchon früher ei—
nigemal, ſo zuletzt auch noch während des Frankfurter
Reichstags, bei Wenzel in dieſer Angelegenheit ſich ein—
gefunden, und hatten diesmal eine perſönliche Zuſammen—
kunft beider Könige zu obigem Zwecke in Vorſchlag gebracht.
Zwiſchen Wenzel und Bonifaz IX hatte bis zu Ende
des Jahres 1396 ſtets ein gutes Einverſtändniß geherrſcht,
obgleich dieſer Papſt bei Beſetzung von Bisthümern und
andern Kirchenbeneficien in Deutſchland nach Grundſätzen
verfuhr, die einen minder indolenten König längſt hätten
in Harniſch bringen müſſen. Doch auch nach der Einſetzung
Johanns von Naſſau in Mainz beharrte Wenzel in ſeinem
Wohlwollen gegen Bonifaz,“ und nur das Drängen der
121) Unter mehreren Beweiſen, die dafür ſprechen, führen wir nur
die bisher unbekannte Thatſache an, daß Wenzel dem Papſte
noch im April 1397 die Summe von 5000 Goldgulden vor—
ſtrecken ließ, wie es nachſtehende Worte einer Bulle an Wen—
zel, Patriarchen von Antiochien (dd. Romae, 17 Apr. 1397),
bezeugen: Cum tu de pecuniis carissimi in Christo filii nostri
Wenceslai, regis Roman. illustris, penes te existentibus, quin-
que millia florenorum auri de camera, camerae nostrae apo-
stolicae plurimum indigenti mutuo ad preces nostras conces-
seris: nos volentes ipsius regis et tuis in hac parte indemni-
tatibus salubriter providere ete.
Kirchliche Unionsverſuche— 111
Prager Univerſität 122 beſtimmte ihn, den Anträgen der fran—
zoͤſiſchen Abgeſandten Gehör zu geben und zu der gewünſch—
ten Zuſammenkunft mit Karl I die Hand zu bieten. Nun
widerſetzten ſich aber dieſem Vorhaben gerade Diejenigen,
welche am meiſten berufen waren, dazu mitzuwirken: die
rheiniſchen Kurfürſten. Der lange Brief, den Pfalzgraf
Ruprecht dem Könige ſchrieb, um ihm von jener Zuſammen—
kunft abzurathen, iſt noch vorhanden;! unter den vielen
1398
nichtigen und zum Theil impertinenten Gründen, die der
Pfalzgraf darin geltend zu machen ſuchte, möchte eine Be—
hauptung, in Rückſicht auf die bereits angeſponnenen Um—
triebe, vorzügliche Aufmerkſamkeit verdienen: der Kurfürſt
ſagte nämlich, Wenzel dürfe dem Papſte, der ihn in feiner
römiſchen Königswürde beſtätigt hat, ſeine Obedienz nicht
entziehen, wenn er nicht wolle, daß auch ihm der Gehor—
ſam mit Recht verſagt werde.!“
Wenzel begab von Luxenburg aus im März 1398
ſich perſönlich nach Frankreich. In ſeinem Gefolge befan—
den ſich: ſein Oberſtkanzler und erſter Rath, Wenzel Kra—
lik von Burenic, Patriarch von Antiochien, Herzog Hanns
von Troppau, Johann der jüngere Graf von Sponheim;
die zwei Günſtlinge Hyncik Pflug von Rabſtein und Jo—
hann von Milheim; Hubard von Elter, Seneſchall von
122) Ad instigationem universitatis generalis sui studii Pragensis,
anno 1398 ex Bohemia ad civitatem Remensem venit ete. Ed:
mund Dinter bei Piſtorius-Struve III, 357. Leider hat ſich
über die dahin gehörigen Verhandlungen der Prager Univer—
ſität bisher nichts Näheres auffinden laſſen.
123) Abgedruckt bei Martene et Durand Thesaurus Anecdotorum,
tom. II, pag. 1172 8.
= »Possent subditi vestri dicere: tu non vis obedire illi, qui te
conſirmavit in regem, et nos non etiam intendimus obedire Ubi
neque tenemur, quia nondum es rex; si autem tu es vere con-
firmatus et denegas obedientiam confirmanti, justum est et ra-
tionabile, quod nos etiam tibi denegemus.«
112 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1398 Luxenburg, und andere deutſche und böhmiſche Fürften und
23 März Herren. Am 23 März hielt er ſeinen feſtlichen Einzug in
Rheims. Karl VI war ihmemit den Prinzen feines Hau—
ſes vor die Stadt entgegengeritten, und empfing den ſchon
lange ſehnlich erwarteten Verwandten, den römiſchen König,
mit eben ſo ausgeſuchten Ehren, als ängſtlich bemeſſener
Etikette, — da die Könige von Frankreich ſtets eiferſüch—
tig darüber wachten, daß in ihre Ehrenbezeigungen ſich
nichts einmiſche, was einer Huldigung und Anerkennung
der römiſchen Kaiſergewalt auch über Frankreich ähnlich
ſähe. Der feinen Sitte und Eleganz der Franzoſen, und
ihrem zur Schau geſtellten Lurus gegenüber, nahm König
Wenzel in ſeiner derben Natürlichkeit ſich faſt wie ein
Barbar aus; ſeine Unarten in Rheims gaben den fran—
zöſiſchen Höflingen viel zu reden. 1? Auf den Gang der
Geſchäfte, um deren willen man zuſammengekommen, hatte
das natürlich keinen Einfluß. Wenzel zeigte ſich ganz ge—
125) Am 25 März ſollte Wenzel bei Karl VI fpeifen. Zur beſtimm⸗
ten Stunde verfügten ſich daher die Herzoge von Berry und
von Bourbon in ſeine Wohnung, um ihn in den königlichen
Palaſt zu begleiten, — kehrten aber ſchamroth und voll Ver—
druß zurück; denn Wenzel hatte ſich damals bereits in Spei—
ſen und in Wein übernommen, war in feſten Schlaf verſunken,
und konnte ſomit der Tafel nicht mehr beiwohnen. Sed ex-
cusatio vitio non carebat. Nam omnibus notum erat, quod
rudissimus existens et incomptus moribus, curialitates regias
penitus negligebat, gulaeque et vino deditus, comessationes
quotidianas reiterans, nunc ventre pleno se jam sopori dede-
rat; et sic in convivio regio, amore sui sumptuosissime prae-
parato, non potuit interesse. Quamvis inde damnum multum
aulici, me audiente, assererent consecutum etc. So berichtet,
als Augenzeuge, der Mönch von St. Denys, in der unlängſt
von Bellaguet herausgegebenen Chronique du religieux de St.
Denys, tome II, Paris 1840, pag. 568 (in der Collection de
documents inedits sur l’histoire de France, publies par ordre
du roi etc.).
K. Wenzel auf dem Tage zu Rheims. 113
neigt, den zur Herſtellung der Kircheneinheit von den Uni- 1398
verſitäten von Paris und Prag urgirten Plan des Com—
promiſſes zu unterſtützen; dafür ſpricht ſchon der Umſtand,
daß er den berühmten Miturheber jenes Plans, Peter von
Ailly, Kanzler der Pariſer Univerſität, in ſeinen Rath auf—
nahm, zum Biſchof von Cambray befördern half, und ſich
ſeiner in dieſem Geſchäfte fortan bediente. Dennoch konnte
er in Rheims ſich zu nichts weiter verbindlich machen, als
daß er die Könige von Ungarn und Polen, ſo wie die
Reichsfürſten alle, zur Annahme und Förderung des Com—
promiſſes zu ſtimmen, und zugleich beide Päpſte, insbeſon—
dere aber Bonifaz IX, zur Reſignation in Güte zu be—
wegen ſuchen wolle.!“ Auch ſendete er zu dieſem Zwecke
alſogleich den Peter von Ailly nebſt ſeinem Geheimſchrei—
ber Nicolaus von Jewicka an Benedict XIII, der ihnen
jedoch nur eine ausweichende Antwort gab. Außerdem er—
wies ſich Wenzel willig, ſeine Nichte Eliſabeth, Herzog
Johanns von Görlitz Tochter, den einzigen damals leben—
den Sprößling des luxenburgiſchen Hauſes, ſomit die prä—
ſumtive Erbin der Kronen von Böhmen und Ungarn, mit
dem Sohne Ludwigs von Orleans (eines Bruders Karls VD,
vermählen zu laſſen. !“
126) Martene et Durand collectio ampliss. tom. VII, p. 431. Pro-
posita fuerunt ibi multa de neutralitate tenenda. Sed cum
rex Romanorum non posset induci, supplicavit rex Francorum,
ut Bonifacium ad hoc induci festinaret, ut papatui cederet pro
bono sacrae unionis. Qui respondit, quod libentissime scri-
beret ei, ut si absque praejudicio causae et honoris sui hoc
facere posset, quod hanc viam cessionis acceptaret, alias non.
Sieque infecto negotio ambo reges regressi sunt ad propria.
Letztere Angabe iſt, nach anderen Quellen und ſpäteren Acten,
nicht ganz richtig. Vgl. Edmund Dinter pag. 357.
127) Der Mönch von St. Denys (I. c. pag. 570) nennt »filiam mar-
chionis Moraviae« — wohl durch Irrung, da von einer Tod:
ter des Markgrafen Joſt nichts bekannt iſt.
Geſch, v. Böhm, 3 Bd. 8
1398
1 Juni
3 Aug.
114 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
Bei der Rückkehr nach Deutſchland gerieth am 1 Juni
zu Koblenz K. Wenzel in einen heftigen Wortwechſel mit
dem Pfalzgrafen Ruprecht. Beſchuldigungen wurden hier
gegen Beſchuldigungen erhoben, und der Pfalzgraf ins—
beſondere wegen der gegen den König angeſponnenen Um—
triebe zur Verantwortung gezogen. Der nähere Hergang
der Sache iſt nicht bekannt; nur eine vom Pfalzgrafen
am 3 Aug. dieſes Jahres ausgeſtellte Urkunde“ belehrt
uns, daß er ſich hernach verantwortet und von Wenzel
auch Verzeihung erlangt hat, weshalb er, der Pfalzgraf,
den König verſicherte, daß er ihn fortan »für ſeinen gnä—
digen Herrn haben und Seinen Gnaden getreulich dienen
wolle, als billig iſt.“ Somit hätte er die Pläne, die er
verläugnete, auch wirklich aufgeben ſollen; aber im Gegen—
theil verband er ſich bald darauf noch näher mit Boni—
faz IX, dem Wenzels innige Verbindung mit Karl VI
Sorge machte, um auch deſſen Furcht vor Abſetzung zu
ſeinem Vortheil auszubeuten.
Denn allerdings ging Wenzel je länger je entſchiede—
ner in die von den Univerſitäten empfohlenen Grundſätze
und Maßregeln ein, denen zu Folge beide Päpſte im ſchlimm—
ſten Falle mit Zwang zur Reſignation angehalten werden
ſollten. Er hatte noch von Deutſchland aus durch eine
Botſchaft an Bonifaz IX feine Wünſche in dieſer Hinſicht
eröffnen laſſen, jedoch keine erwünſchte Antwort erhalten.
Der Papft verlangte immer, Wenzel ſollte vor Allem nach
Italien kommen, um dort die Kaiſerkrone zu empfangen;
dann werde er mit ihm für die Wiederherſtellung der
Einheit der Kirche mit um ſo mehr Erfolg thätig ſein kön—
nen; und da es offen lag, daß Wenzel zu der Romfahrt
ſchwer zu bewegen ſei, ſo äußerte Bonifaz den Wunſch,
es möchte wenigſtens ſein Bruder K. Sigmund an ſeiner
Statt nach Italien kommen, um mit ihm die nöthigen Maß—
128) Abgedruckt bei Pelzel, IU, num. 151, pag. 45.
Fortgeſetzte Unionsverſuche. 115
regeln zu verabreden. Keiner der königlichen Brüder folgte
dieſem Rufe; Wenzel bemühte ſich dagegen, in ſeinem
Lande eine Art von Fürſtencongreß zu veranſtalten, um in
der Sache einen gemeinſchaftlichen Beſchluß aller regierenden
Häupter zu Wege zu bringen; denn mit Recht bemerkte
er in feiner Antwort an den König von Frankreich, 1°? daß
die Zuſtimmung jener Fürſten unerläßlich ſei, wenn der
Zweck wirklich erreicht werden ſolle. Nach mehreren Hin—
und Herſendungen wurde endlich beſchloſſen, daß zu Weih—
nachten 1398 die Könige von Ungarn und Polen, die Mark—
grafen von Mähren, die ſchleſiſchen Fürſten und mehrere
Reichsfürſten ſich zu K. Wenzel nach Breslau verfügen
wollten, um das Geſchäft der Kircheneinheit in gemein—
ſchaftliche Berathung zu ziehen. Als aber dieſer Tag her—
anrückte, verfiel Wenzel in eine ſo ſchwere und langanhal—
tende Krankheit, daß er den Congreß abſagen laſſen mußte;
dem Gerüchte, als ſei ihm Gift beigebracht worden, wider—
ſprach er ſelbſt in einem an Bonifaz IX gerichteten Schrei—
ben.!“ Nachdem fein an ſich kräftiger Körper mit Hilfe
ſeines berühmten Leibarztes, des Profeſſors der Mediein
an der Prager Univerſität, M. Albik von Unikow, 3! zu
voller Geſundheit wieder gelangt war, ſuchte er den ge—
wünſchten Congreß nach Prag wieder zuſammenzurufen,
und lud ſogar die Cardinäle beider Obedienzen dazu ein:
aber es traten wieder politiſche Ereigniſſe dazwiſchen, welche
auch dieſes vereitelten und alle henotiſchen Verſuche auf
unbeſtimmte Zeit in den Hintergrund drängten.
Schon in den erſten Monaten des Jahres 1399 zeig—
ten ſich in Böhmen und Mähren unter den Mitgliedern
129) Am 16 Oct. 1398, gedruckt in Urstisii script. rer. German. II, 180.
130) Pelzel's Urkundenbuch Nr. 153 — 155.
131) K. Wenzel erwies dieſem Arzte ſeitdem viele Gnaden, und
half ihn im J. 1412 ſogar auf den erzbiſchöflichen Stuhl von
Prag befördern. (Siehe unten.)
8 *
1398
1399
1399
16 Apr.
15 Juni
116 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
des Herrenbundes wieder unruhige Bewegungen, welche
des Königs ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zogen; über ihren
Grund, ihre Entwickelung und Geſtaltung laſſen jedoch die
äußerſt ſpärlichen Überlieferungen dieſer Zeit uns im Dun—
keln. Die Vollmacht, die K. Wenzel am 16 April an den
Burggrafen Friedrich von Nürnberg ausſtellte, über Bei—
legung dieſer Irrungen mit König Sigmund von Ungarn
zu verhandeln und zu beſchließen, beweiſt, daß Dieſer wie—
der ſeine Hand im Spiel hatte; und die Folge der Ereig—
niſſe belehrt uns, daß im Ganzen zwar die alten Par—
teiungen ihre gegenſeitige Stellung wieder einnahmen, der
ehrgeizige Kurfürſt Ruprecht von der Pfalz aber dem ver—
worrenen Gewebe dieſer unerfreulichen Händel nicht fremd
war. Es kam wieder zu innerem Kriege in Böhmen; doch
iſt uns von deſſen Fortgang nichts weiter bekannt, als daß
das königliche Heer die Stadt Horazdiowie belagerte, und
von dort mit großem Geſchütze vor die feſte Burg Skala,
den Sitz des Herrn Brenék von Rieſenberg, rückte, 3? Daß
bei dieſen Zerwürfniſſen ein Mann von ſo anerkannt ehren—
werther Geſinnung, wie der ehemalige Oberſtlandrichter
Andreas von Duba auf Zlenic, mit feinen nächſten Ver—
wandten, an der Spitze der königlichen Partei erſcheint,
könnte für die Sache des Königs ein günſtiges Vorurtheil
begründen; die alten Günſtlinge, Georg von Roztok auf
Krakowec, Johann Cüch von Zaſada, Sigmund Huler auf
Worlik, Philipp Laut von Dedie, und andere mehr, er—
wieſen ſich allerdings auch thätig. Am 15 Juni 1399 en⸗
digte das Blutvergießen und Landverwüſten durch einen
192) Benes Minorita ap. Dobner. IV, 65: Exercitus regis circum-
vallavit Harawic et abhinc discessit ad castrum Skala cum
pyxide magna. Die Lage diefer einft wichtigen Burg (im Pra—
chiner Kreiſe) hat ſich bis jetzt nicht ermitteln laſſen. Viel—
leicht iſt ſie in der Nähe des Dorfes Skala zwiſchen Strako—
nic und Barau zu ſuchen.
Erneuerte Unruhen in Böhmen. Markgr. Prokop. 117
an dieſem Tage geſchloſſenen Waffenſtillſtand bis zum 6 Ja- 1399
nuar 1400, während welcher Zeit acht gewählte Schieds—
richter alle Streitpuncte in Frieden austragen follten. 13
Ob dieſer Austrag in der beſtimmten Zeit erfolgte,
iſt unbekannt; um ſo gewiſſer dagegen, daß das Land noch
lange nicht zum Genuſſe des Friedens gelangte. Das Miß—
vergnügen des Herrenbundes hörte nicht auf, ſondern nahm
nur eine andere Richtung; ſein Ziel wurde Markgraf Pro—
kop von Mähren. Wie früher ſchon einigemal, ſo hatte
Wenzel auch 1397 wieder dieſen Markgrafen mit der oberſten
Gewalt an ſeiner Statt, für die Dauer ſeines Verweilens
außerhalb Böhmen, bekleidet. Einige Acten dieſer Zeit,
die ſich zufällig erhalten haben, ſcheinen zu beweiſen, daß
der Reichsverweſer es an Fleiß nicht fehlen ließ, und eher
zu viel als zu wenig regierte. Wie dem immer ſei, ſo
unterliegt es keinem Zweifel, daß Wenzel mit der Ver—
wendung ſeines Vetters zufrieden war. Denn nicht nur
ſchenkte er ihm anſehnliche Summen Geldes, die auf die
Burgen Beſig, Potenſtein u. a. angewieſen wurden, ſon—
dern er übergab ihm auch abermals die Regierung, als
er im December 1398 in die obenerwähnte Krankheit ver—
fiel. Weniger zufrieden, als der König, zeigte ſich das
133) Nach den bei Pelzel num. 159 und 160 und im Archiv Cesky
1,.61 65 gedruckten Urkunden, waren die Schiedsrichter: der
Oberſtkanzler Wenzel Patriarch von Antiochien, Erzbiſchof
Wolfram von Skworee, Johann Biſchof von Leitomysl, Hein:
rich von Roſenberg, Otto der ältere von Bergow, Hermann
und Benes von Chauſtnik und Hynek Berka von Hohenſtein.
Die erſten zwei und die Brüder von Chauſtnik waren auf
Seiten des Königs, die übrigen gehörten dem Herrenbunde an.
Sie ſollten am nächſten Margarethentage zu Benesau zuſam—
menkommen und dort den endlichen Austrag thun. Was Pel—
zel (S. 387) von der Dauer des Friedens zu Benesau an—
führt, paßt nicht hieher, denn es bezieht ſich auf ganz andere
Ereigniſſe.
1399
1400
18 Jan.
118 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
Volk mit Prokops Herrſchaft; aus welchem Grunde, wiſſen
wir nicht anzugeben. Das größte Mißvergnügen über ihn
äußerte jedoch der Herrenbund; dieſer beſchloß vor allem,
ihn zu ſtürzen; ſei es, daß er wirkliche Gründe zur Un—
zufriedenheit hatte, oder daß er nur den unbequemen Mitt⸗
ler zwiſchen dem Könige und ihnen, gleichſam den Schild,
der jenen noch vor ihnen ſchützte, — aus dem Wege zu räu—
men wünſchte. Noch vor Ablauf des Jahres 1399 be—
gaben ſich Markgraf Joſt, der Leitomysler Biſchof Johann
und Herr Otto von Bergow perſönlich zu K. Sigmund
nach Ofen,!“ um ihn gegen Prokop aufzubringen, und zu
einem Vertilgungskrieg gegen denſelben zu bewegen. Dies
gelang ihnen auch vollkommen; und ſchon am 18 Januar
1400 errichtete Sigmund zu Iglau perſönlich nicht nur
einen bewaffneten Bund, welchem außer dem Markgrafen
Joſt namentlich Biſchof Johann von Leitomysl und die
Barone (Heinrich von Roſenberg, Bocek von Kunſtat auf
Podebrad, Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Otto
von Bergow auf Bilin, Johann von Michalowic, Johann
von Wartenberg auf Tetſchen, Johann und Johann Vet⸗
tern von Uſtie, Benes von Duba, Pota der ältere von
Rieſenberg auf Skal, Smil Flaska von Pardubice auf
Richenburg, Hermann von Potenſtein auf Lopata u. a. m.)
beitraten, ſondern er forderte auch ſämmtliche Einwohner
Böhmens auf, gegen den Markgrafen, der die zwiſchen dem
Könige und dem Lande geſchloſſenen Verträge zu brechen
und ſomit Unfrieden zu ſäen nicht aufhöre, bewaffnet auf—
134) In einem offenen Briefe Sigmund's darüber heißt es: Novis-
sime nobis cum illustri principe, patruo nostro carissimo, Jo-
doco marchione Moraviae, nec non reverendissimo patre D.
Johanne episcopo Lutomyslensi et nobili Ottone de Bergow in
civitate nostra Budensi simul existentibus, inter ceteros tracta-
tus compassiva mente collegimus, quod totius discidii in regne
Boemiae origo et fomes sit marchio Procopius etc.
Krieg gegen Markgr. Prokop. Die Kurfürſten. 119
zuſtehen und nicht zu ruhen, bis derſelbe mit allen ſeinen 1400
Helfern vertilgt ſei. ““
Dieſe wachſenden Unruhen in Böhmen kamen den rhei—
niſchen Kurfürſten, welche ſich bereits gegen König Wenzel
verſchworen hatten, ſehr gelegen; auch dürften ſie kaum
unterlaſſen haben, ſie nach Möglichkeit zu nähren. Schon
am 2 Juni 1399 waren ſie in Marburg zuſammengekom—
men, um ſich da näher zu einigen, und hatten auch den
Kurfürſten Rudolf von Sachſen auf ihre Seite gezogen;
ſpäter hielten ſie wiederholte Verſammlungen zu Mainz
und zu Frankfurt am Main, ſtärkten ſich durch den Bei—
tritt vieler Reichsfürſten (wie der Herzoge Stephan und
Ludwig von Bayern, der Markgrafen zu Meißen, des Land—
grafen Hermann zu Heſſen), und faßten Beſchlüſſe und
erließen Erklärungen, in welchen rückſichtslos auf die Ab—
ſetzung des Königs hingearbeitet wurde; wie ſie denn ſchon
im September 1399 zu Mainz es offen ausſprachen, daß
ſie einen andern römiſchen König wählen und ſetzen woll—
ten. 16 Es war daher vergeblich, daß Wenzel feine Bes
vollmächtigten nach Deutſchland ſchickte, mehrere Reichs—
tage nach Nürnberg ausſchrieb, die nicht beſucht wurden,
und ſich zu Verhandlungen über die Beſchwerden der Für—
ſten, ſo wie zu deren Abhilfe erbot. Er hätte nunmehr
die böhmiſchen Wirren in welcher Weiſe immer definitiv
ordnen, und dann mit anſehnlicher Macht perſönlich in
135) »In sui finale exterminium« — heißt es im bereits angeführ—
ten noch ungedruckten Briefe Sigmund's; »wsi moci az do tech
hrdele — drückt ſich die Bundesurkunde vom 18 Januar 1400
aus, die wir aus dem Wittingauer Original im Archiv Cesky
I, 65 fg. haben abdrucken laſſen.
136) Vgl. Ulrici Obrecht Apparatus juris publiei et historiae Ger-
manicae. Pars prima: Acta depositionis Wenceslai et electio-
nis Ruperti regum Romanorum continens. Argentorati, 1696,
pagg- 108 in 4to. Iterum edidit J. C. Fischer, Francof. Lip-
siae, 1754, 410.
120 VI Buch, 2 Kapitel. K. Wenzel IV.
1400 Deutſchland auftreten, die Treugebliebenen (insbeſondere
1 Febr.
15 März
die Städte) an ſich ziehen, die Schwankenden zum Gehor—
ſam zurückführen, die entſchiedenen Gegner aus dem Felde
ſchlagen und den öffentlichen Gebrechen nach Möglichkeit
ſteuern ſollen: dazu fehlte ihm aber der Entſchluß und
Muth, ſo wie die nöthige Thätigkeit und Ausdauer; er
vertröſtete die Reichsfürſten meiſt nur mit ſeinem Bruder
K. Sigmund, den er nächſtens nach Deutſchland bringen
und mit deſſen Hilfe er alles zu allgemeiner Zufriedenheit
ordnen wolle, während doch Sigmunds Gedanken und Sor—
gen auf ganz andere Dinge gerichtet waren. Eben ſo rath—
und charakterlos benahm ſich Wenzel in den böhmiſchen
Angelegenheiten: als das Ungewitter ſich über des Mark—
grafen Prokop Haupte ſammelte, hatte er nicht den Muth,
weder ſich ſeiner offen anzunehmen, noch ihn offen zu ver—
läugnen. In der Noth des Augenblicks kam ihm der von
den verſchworenen Reichsfürſten am 1 Febr. 1400 gefaßte
Beſchluß, daß der zu wählende römiſche König nur aus
einem der folgenden Häuſer, Bayern, Sachſen, Meißen,
Heſſen, Nürnberg oder Wirtenberg genommen werden ſoll,
noch einigermaßen zu Statten; denn die damit ausgeſpro—
chene Ausſchließung des ganzen Hauſes Luxenburg vom
kaiſerlichen Throne machte die Prinzen dieſes Hauſes ge—
neigter, ihren Zwiſt wenigſtens aufzuſchieben, einen Waffen—
ſtillſtand einzugehen und auf Wenzel als Schiedsrichter zu
compromittiren. 17 In der Abſicht, mehrere Reichsfürſten,
insbeſondere die von Bayern, zu bewegen, nach Prag zu
kommen, und mit ihm in Verhandlungen zu treten, hatte
Wenzel den längſt gefaßten Entſchluß, ſeine Gemahlin So—
phie krönen zu laſſen, endlich ins Werk geſetzt; am 15 März
1400 ging dieſe Krönung unter den herkömmlichen Feier—
lichkeiten im Prager Dome vor ſich. Die Fürſten jedoch
137) Nach der im Codex Premyslaeus fol. 69 enthaltenen undatirten
Urkunde, welche Pelzel (S. 456) irrig auf das Jahr 1402 bezog.
Die Kurfürften ſetzen K. Wenzel ab. 121
achteten deſſen nicht; kein Herzog kam aus Bayern herbei,
das Feſt ſeiner Schweſter und Muhme durch ſeine Gegen—
wart zu verherrlichen; nur die Lurenburger Sigmund und
Joſt, der Burggraf Johann von Nürnberg, ſchleſiſche Fürſten
und böhmiſche Barone ſtellten ſich dazu ein; Letztere, wie
Heinrich von Roſenberg, Hynek Berka von Duba und Jo—
hann von Michalowic, um ihre Functionen bei der Krö—
nung zu verrichten. Markgraf Prokop durfte jedoch nicht auch
dahin ſich wagen, wo ſeine bitterſten Gegner das Feld be—
haupteten. Nach Sigmunds und Joſtens Rath wurde jetzt
beſchloſſen, daß K. Wenzel mit anſehnlicher Macht ſobald
als möglich nach Deutſchland perſönlich ſich begeben ſollte;
dem zu Folge wurde den böhmiſchen Ständen auf den
9 April ein Landtag ausgeſchrieben, 1° um die Verwaltung
des Landes für die Dauer der Abweſenheit des Königs zu
ordnen. Und dennoch unterblieb der ſo dringend nothwen—
dige Zug wieder, weil Wenzel ſeinem Spruche keine Folge
zu verſchaffen wußte, ſein Bruder aber wie ſeine Vettern
nur perſönliche Zwecke verfolgten. Denn es ließen Sig—
mund und Joſt durch die ihrem Hauſe drohende Gefahr
und Schmach ſich nicht abhalten, gegen den Markgrafen
Prokop den Krieg wieder zu eröffnen, der vom April bis
gegen Ende Auguſt 1400 439 mit unentſchiedenem Glücke
138) Dies erhellt aus einem im Wittingauer Archiv erhaltenen Ori—
ginal⸗Schreiben Wenzel's vom 30 März 1400 an Heinrich von
Roſenberg, wo es heißt: Poscentibus arduis nostris et imperü
sacri negotiis, nobis necessitate inevitabili imminentibus, dis
ponimus morae periculo procul moto partes Alemanniae visi
tare etc. . 2
139) S. Vortrag des Herzogs von Teſchen an die Reichsfürſten auf
dem Frankfurter Tage zu Ende Mai 1400, bei Obrecht 1. e.
p- 25. Daß jener Krieg noch am 9 Aug. 1400 in vollem Gange
war, erhellt aus einer in Wittingau befindlichen Original—
Urkunde von jenem Tage.
1400
9 Apr.
122 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1400 geführt wurde, und die nächſte Urſache war, um deren
willen Wenzel Böhmen nicht verlaſſen mochte.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein energiſches Auf—
treten von Seite Wenzels auch jetzt noch alle Anſchläge
der rheiniſchen Kurfürſten zu nichte gemacht hätte; denn
wie dieſelben nicht von Patriotismus, ſondern von Selbſt—
ſucht eingegeben waren, ſo fehlte ihnen auch alle moraliſche
Begründung und Haltung. Der ganze Bund mochte in
dem Zwecke, Wenzel abzuſetzen, einig ſein: in der Anſicht,
wer deſſen Nachfolger im Reiche werden ſollte, war er nicht
einig. Die Reichsſtädte dagegen hatten noch gar nicht ernſtlich
daran gedacht, ſich dem Gehorſam des Königs zu entziehen,
da die Abſichten der mißvergnügten Fürſten diesfalls vor
ihnen verheimlicht worden waren; erſt auf dem Reichs—
tage, welcher zu Frankfurt am Main vom 26 Mai bis
5 Juni 1400 gehalten wurde, und welchen auch Abgeord—
nete vieler Städte beſuchten, kam dieſer Punct offen zur
Sprache. Hier nun ließ Kurfürſt Rudolf von Sachſeu
durchblicken, daß er ſeinen Schwiegerſohn, den Herzog Fried—
rich von Braunſchweig, zum römiſchen König erhoben zu
ſehen wünſche; und da er damit bei ſeinen rheiniſchen Col—
legen keinen Anklang fand, ſo verließ er mit den Seinigen
den Reichstag in Unwillen, wurde aber auf dem Rückwege
bei Fritzlar auf Mainziſchem Gebiete und von Dienſtleuten
des Mainzer Kurfürſten überfallen und gefangen genom—
men. In dem Gefechte kam Herzog Friedrich von Braun—
ſchweig ums Leben, — zufällig, ſo hieß es, weil er ſich
keck zur Wehr geſetzt hatte. Der Erzbiſchof Johann von
Mainz ſuchte ſich durch einen Eid zu reinigen, daß er an
dieſem Meuchelmord keinen Theil habe; es iſt ihm jedoch
nicht gelungen, die Zeitgenoſſen oder die Nachwelt von ſeiner
Unſchuld zu überzeugen. Um aber die Zweifel der Städte
über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen K. Wenzel
zu beſchwichtigen, wurde Letzterer von den Fürſten auf—
Die Kurfürſten fegen K. Wenzel ab. Bonifaz IX. 123
gefordert, am nächſten 10 Auguſt nach Lahnſtein zu kom—
men, und ſich daſelbſt über die ihm zur Laſt gelegten Reichs—
gebrechen zu verantworten.
Von großer Bedeutung, wie an ſich überhaupt, ſo auch
insbeſondere wegen ſeiner bedauerlichen Folgen, war das
Benehmen des Papſtes Bonifaz IX in dieſer Angelegenheit.
Er hatte ſich mit den mißvergnügten Kurfürſten insgeheim
in Verhandlungen eingelaſſen, und billigte ihr Vorhaben,
ohne davon gegen K. Wenzel etwas merken zu laſſen; im
Gegentheil ſchien des Letzteren Verhältniß zu ihm ſich aufs
günſtigſte zu geſtalten, als am 15 Juni 1400 König Sig-
mund es über ſich nahm, an ſeines Bruders Statt und in
deſſen Vollmacht ſich zum Papſte perſönlich zu begeben, und
mit ihm über alle erhobenen Anſtände eine Einigung zu
treffen. Denn obgleich Sigmund ſeine Reiſe noch aufſchob,
fo ſchien doch Bonifaz IX ganz für Wenzel geſtimmt zu
ſein, da er noch am 26 Aug. 1400 ihn brieflich verſicherte,
daß er ihn bei ſeinen Ehren und Würden mit väterlicher
Zärtlichkeit, ſollte er dabei auch ſein eigenes Blut ver—
gießen, ſchirmen und erhalten wolle.““ Um fo größer war
Wenzels Entrüſtung, als er hintennach erfuhr, daß Boni—
faz die Fürſten in ihrer Empörung gegen ihn geſtärkt und
aufgemuntert hatte, 1#
140) Im Original heißt es: Unum tamen Serenitatem Tuam tenere
volumus pro constanti, quod circa ea, quae statum honorem-
que Sublimitatis Tuae concernere valeant, studio paternae te-
neritudinis erimus indefesso usque ad proprii effusionem san-
guinis pervigiles et intenti. K. Wenzel ſchickte dieſen Brief
am 20 Oct. 1400 der Stadt Regensburg zum Beweiſe, daß
der Papſt auf feiner Seite ſtehe. S. Pelzel, II, 428 — 432.
Urkk. Nr. 170.
141) Bonifaz ſuchte zwar einige Zeit lang wenigſtens einen Schein
von Neutralität zwiſchen den beiden Königen zu bewahren;
doch erklärte er ſpäter ſelbſt, er habe die Kurfürſten zur Ab—
ſetzung Wenzel's ermächtigt: »Ad ipsius Wenceslai depositio-
1400
15 Juni
26 Aug.
1400
20 Aug.
124 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
Da der König der von ſeinen aufrühreriſchen Vaſal—
len an ihn erlaſſenen Vorladung, wie natürlich, keine Folge
leiſtete, ſo ſchritten dieſelben zu Oberlahnſtein am 20 Aug.
1400 zu deſſen förmlicher Abſetzung. Vor einer nicht ſehr
glänzenden Verſammlung (denn es waren außer den vier
rheiniſchen Kurfürſten nur noch 2 fürſtliche, 4 gräfliche,
4 ritterliche Perſonen, wenig Adel, jedoch viel Volk zu—
gegen) las erſt der Mainzer Erzbiſchof die Klagepuncte
gegen Wenzel vor: daß er 1) als Schirmvogt der Kirche
nie zum Frieden geholfen, 2) das Reich geſchmälert, na—
mentlich den Visconti zum Herzog von Mailand erhoben,
3) viele dem Reiche heimgefallenen Beſitzungen in Deutſchland
und Italien wieder verliehen, H Blanquets ausgegeben,
die mißbraucht werden konnten, 5) den Unruhen und Feh—
den im Reiche nicht begegnet, 6) viele perſönliche Grau—
ſamkeiten begangen, und endlich, ungeachtet vieler an ihn
ergangenen Ermahnungen, ſich um die Kirche und das Reich
überhaupt nicht gekümmert habe; darum ſeien die Kur—
fürſten übereingekommen, ihn »als einen unnützen, verſäum—
lichen, unachtbaren Entgliederer und unwürdigen Hand—
haber des heiligen Reichs“ abzuſetzen. Am folgenden Tage
wählten dann die drei Erzbiſchöfe verabredetermaßen den
Pfalzgrafen Ruprecht zum römiſchen Könige; auf die übri—
gen drei Kurſtimmen, Böhmen, Sachſen und Brandenburg,
wurde bei der Wahl keine Rückſicht genommen.“
Das Verfahren der verſchworenen Fürſten gegen Wenzel
hat ſchon bei den Zeitgenoſſen wenig Beifall gefunden; in
unſeren Tagen aber fällt es keinem beſonnenen Hiſtoriker
mehr ein, es zu entſchuldigen, geſchweige denn zu verthei—
nem seu amotionem a praefato regno Romanorum auctoritate
nostra suflulti concorditer processerunt. S. Raynaldi zum J.
1400, $. 12, ©. 248 der Kölner Ausgabe. Vgl. 3. Chmel,
Regesta Ruperü regis Romanorum, Frankfurt a. M. 1834.
S. 184.
Die Kurfürften ſetzen K Wenzel ab, 125
digen. Die Gründe jenes Ausſpruchs«, ſagt einer der
tüchtigſten deutſchen Geſchichtforſcher,““ „ſind fo abgeſchmackt
und leicht zu widerlegen, entbehren zum Theil auch aller
Wahrheit, daß man ſich wundern muß, wie der Kurfürſt
von Mainz, der allein die Abſetzungsurkunde beſiegelte,
aber vorgab, im Namen aller Mit-Kurfürſten zu handeln,
dieſelben den Reichsſtänden vorzulegen wagen konnte.“ Ei—
nige dieſer Gründe könnte man wohl gelten laſſen, wenn
nur die Kläger dabei nicht noch größere Schuld träfe, als
den Beklagten ſelbſt.““ Dagegen lieferte Ruprechts zehn—
jährige, ruhe- und erfolglofe Regierung den Beweis, daß
auch der gute Wille, die Einſicht und Thätigkeit eines
fähigen Monarchen nicht im Stande war, die tiefgewur—
zelten Gebrechen der damaligen öffentlichen Zuſtände Deutſch—
lands zu heilen. Das Beiſpiel ſeiner vielen vergeblichen
Anſtrengungen könnte beinahe zur Entſchuldigung für Wen—
zels Unthätigkeit dienen. Jener Tag zu Lahnſtein aber,
und die Spaltung der römiſchen Reichskrone unter zwei
142) Dr. Joſ. Aſchbach in ſ. Geſchichte Kaifer Sigmunds (Hamburg
1838) IJ. S. 151.
143) Der Schreiber des unten näher zu beſprechenden Briefs an
K. Wenzel dd. Veronae, 16 Nov. 1401, ſpottet über die ſchein—
patriotiſche Sprache der verſchworenen Kurfürſten, die ſich ge—
berdeten, quasi male gestae rei condolentes et salutis om-
nium curiosi. O dolosam machinationem! fingunt odisse, quod
diligunt, optare, quod nolunt, postulare, quod fugiunt. — Utun-
tur in te causa nostra, adjicientes maledictis eorum, quod ducem
Mediolani erescere nedum passus sis, sed eum rebus imperii
donans in illud armaveris. Sed testis est deus, et tu non igno-
ras, quantis periculis, laboribus, sumptibus ipse et majores
sui imperio perpetua fide se gesserint. — Constat, nihil sibi
amplius in Italia habere imperium, nisi quantum ſidelis ipse
servarit. Ideo illis molestum est, quod illum apud te carum
habes, quod titulis, quod honoribus effers, quibus hostis est,
quicunque Romano fidelis imperio. Non segnitiem tuam ode-
runt bilingues detractores, sed defensoris sollicitudins uf. w.
4
8
1400
126 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1400 Oberhäupter, hat in und für Böhmen, und dadurch mittel—
30 Aug.
bar auch für Deutſchland, bei weitem wichtigere Folgen
gehabt, als man gemeinhin anzunehmen pflegt; wie wir
das ſeiner Zeit näher nachweiſen werden.
Als Wenzel am 30 Auguſt ſeine Abſetzung erfuhr,
gerieth er in heftigen Zorn, und ſchwor bei St. Wenzel,
dieſe Beleidigung zu rächen; Einer von beiden, er oder
Ruprecht, müſſe fallen. Auch M. Joſt, der in Prag zu—
gegen war, verſprach die Unthat zu rächen, ſonſt wolle er
kein Haar in feinem Bart behalten.“ Nun machte Letz
terer zwar Frieden mit ſeinem Bruder, und es fand einen
Augenblick eine volle Ausſöhnung aller vier Glieder des
Hauſes Luxenburg Statt: aber eben in dieſem entſcheiden—
den Momente, wo es galt, die gefährdete Stellung des
Hauſes gegenüber der ganzen Chriſtenheit, ja ſeine Ehre
zu ſchützen, bewieſen ſie, daß ſie dafür im Grunde kein
Herz und keinen Sinn hatten, daß die niedrigſte Selbſt—
ſucht ſie beherrſchte, und daß ſie fähig waren, mit Ver—
läugnung aller natürlichen Gefühle, um ein paar Mark
Zinſen mehr oder weniger, ihr eigen Fleiſch und Blut zu
verkaufen und zu verrathen. Die böhmiſche Geſchichte kennt
keine widerlicheren Scenen, als welche in dieſen Jahren Hab—
ſucht und Eigenſinn, Schwäche und Tücke, Gewalt und Grau—
ſamkeit der gebornen Häupter des Staats in raſchem Wechſel
vorführten, bis endlich der alte Gang der Staatsmaſchine,
aus Erſchöpfung und Untauglichkeit ſeiner Lenker, ins Stocken
gerieth, und einem neuen Lebenselemente Platz machte.
Da K. Wenzel in dieſen Jahren niemals für ſich allein
einen Entſchluß zu faſſen wußte,“ fo ſandte er feine Räthe
144) Dr. J. F. Boehmer, Codex diplomaticus Moeno-Francofurta-
mus, 1836, pag. 781. Aſchbach 1. c. p. 154.
145) Er geſtand ſelbſt ſeine Muthloſigkeit auf naive Weiſe in einer
Stiftungsurkunde vom 5 Oct. 1400 zu Ehren der heil. Maria
und der böhmiſchen Landespatrone, »a quıbus majoris prae
Zwietracht im königlichen Haufe, 127
mit dringendem Erſuchen an ſeinen Bruder, nach Böhmen
zu kommen. Nach langem Widerſtreben ließ endlich Sig—
mund ſich dazu bewegen, und kam mit anſehnlicher Macht
bis gegen Kuttenberg heran. Auch Markgraf Joſt mit dem
böhmiſchen Herrenbunde fanden ſich im Kloſter zu Sedlec
ein. Nun wurde zuerſt um den Preis verhandelt, um wel—
chen man dem gekränkten Könige gegen ſeine Feinde bei—
ſtehen wollte. Nicht allein ſollte er alle Laſten des Krie—
ges tragen, wozu er wohl willig war, ſondern der Herren—
bund verlangte auch vorläufig noch die Abſtellung aller
ſeiner alten Beſchwerden, und K. Sigmund beſtand darauf,
daß ihm Wenzel nicht allein Schleſien und die Lauſitz alſo—
gleich einräumen, ſondern auch die Verwaltung Böhmens
gänzlich in die Hände geben müßte. Dieſe unmäßigen
Forderungen empörten Wenzel ſo ſehr, daß er auf der
Stelle ſein Pferd holen ließ, und ohne Abſchied aus der
Verſammlung davon ritt. Dies geſchah um die Mitte Ok—
tobers 1400. Es brachte aber den König um den Reſt
ſeiner Anhänger in Deutſchland, zumal um die bis jetzt
treugebliebenen Reichsſtädte; denn da ſie die wiederholten
Verheißungen nahebevorſtehender Hilfe niemals ſich erfüllen
ſahen, jo traten fie nach und nach alle zum Gegenkönige über.
Aus Arger über die unbilligen Zumuthungen ſeiner
Verwandten und der mit ihnen verbundenen Landesbarone,
erlaubte ſich Wenzel nunmehr im Innern ſeines Landes
Willkürlichkeiten,““ die feine Gegner allerdings empfind—
sumptionis audaciam, piaeque subventionis praesentibus tem-
poribus praesidia postulamus« etc. Gel. Dobner Monumenta
II, 431.
146) So z. B. verlieh er im Dec. 1400 das Oberſtlandſchreiberamt
ohne Weiteres ſeinem Oberſtkanzler, dem Patriarchen Wenzel,
obgleich damals der dem Herrenbunde zugethane Herr Smil
Flaska von Pardubic auf Richenburg (der böhmiſche Dichter)
dieſes Amt verwaltete (Codex Premyslaeus fol. 34). Der Pa:
triarch gelangte auch niemals zu deſſen Genuſſe.
1400
Oct.
1401
128 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1401 lich kränken, aber auch noch heftiger gegen ihn aufbringen
mußten als zuvor. Es müſſen in der That arge Ver—
letzungen der beſtehenden Rechtsverhältniſſe Statt gefunden
haben, da wir auch ſolche Männer, wie den Erzbifchof
Wolfram von Prag, die Herren Johann Krusina von
Lichtenburg und Pota von Caſtolowic, welche bis dahin dem
Könige immer treu geblieben waren, jetzt auf die Seite ſeiner
Gegner treten ſehen. Der Gegenkönig Ruprecht, der ſeine
Verbindungen im Lande hatte, unterließ auch nichts, was
die böhmischen Wirren und die Verlegenheit feines Geg—
ners mehren konnte. Leider fand er nicht allein bei den
mähriſchen Markgrafen, ſondern auch bei den böhmiſchen
Baronen allzu williges Gehör! Der Herrenbund einigte
ſich förmlich mit ihm, ““ und zog, mit Hilfe des Mark
grafen Joſt, auch die Markgrafen von Meißen, die Burg—
grafen von Nürnberg, die Biſchöfe von Bamberg und
Würzburg, gegen Wenzel ins Feld. Anderſeits durfte
Ruprecht gegen den Papſt ſich brüſten, Markgraf Prokop,
der ſeine Sache wieder von der ſeines Bruders getrennt
hatte, habe mit ſeinen 40 Schlöſſern gar in ſeinen, des
Gegenkoͤnigs, Dienſt ſich begeben!“ Dieſe faſt unglaub?
147) Dietrich von Niem (in Nemus unionis, tract. VI, cap. 32)
ſchrieb darüber an K. Ruprecht: In secundo anno assumtio-
nis tuae ad regni fastigium, si bene recolis, Ruperte rex, mar-
chiones Misnenses amici tui et poene omnes nobiles et baro-
nes regni Bohemiae, propter inordinatum regimen regis Wen-
ceslai, — contra ipsum regem insimul concordarunt, quod eum
tibi subjicerent manu forti, dummodo eis in hoc potenter as-
sisteres etc.
148) Martene Thesaurus I, 1670: Quod marchio Procopius Mora-
viae se dedit in familiarem D. Regi (Ruperto) et ad sibi ser-
viendum cum 40 fortalitiis, quem D. Rex taliter acceptavit.
Trotz dieſen etwas ruhmredigen Worten macht es der Zu—
ſammenhang aller Daten wahrſcheinlicher, daß der eben nicht
charakterfeſte Prokop ſich nur mit Ruprecht gut ſtellen wollte,
Kriege mit K. Ruprecht und dem Herrenbunde. 129
lichen Thatſachen ſtehen feſt, obgleich ihr näherer Hergang
nicht bekannt iſt. Den Krieg gegen Wenzel hatten pfäl—
ziſche Beamte ſchon im Herbſte 1400 mit der Eroberung
einiger böͤhmiſch-pfälziſchen Burgen und Städte eröffnet,
welche ſeitdem nicht wieder mit Böhmen vereinigt worden
ſind. Im Frühling 1401 wurde dieſer Krieg an die böh—
miſchen Gränzen verſetzt, und Ruprechts Sohn Ludwig
führte ſelbſt zahlreiche Schaaren über den Böhmerwald her—
über: hier aber bewies die alte, nur auf Abwehr berech—
nete böhmiſche Kriegsverfaſſung, daß ſie ihrem Zwecke zu—
weilen doch noch entſprechen konnte, zumal das Volk im
Allgemeinen nicht dem Beiſpiel der Großen gefolgt, ſon—
dern dem Könige treu geblieben war. Ruprechts Fahnen
waren diesſeits der böhmiſchen Landesgränzen nicht glück—
lich, und er entſchloß ſich, am 20 Juni 1401 zu Amberg,
einen Waffenſtillſtand abzuſchließen und in Unterhandlungen
einzugehen, zu deren Ort Waldmünchen, ein dem Land—
grafen von Leuchtenberg gehöriges Städtchen an der böh—
miſchen Gränze, beſtimmt wurde.
Die Forderungen, welche Ruprecht am Tage zu Wald—
münchen an Wenzel ſtellen ließ, waren folgende: erſtens
ſollte Dieſer dem römiſchen Reiche zu Gunſten Ruprechts
förmlich entſagen und ſeinen Entſchluß darüber der ganzen
Chriſtenheit kundmachen; zweitens ſollte er ihm alle hei—
ligen Reichskleinode und Reliquien, ſo wie die geſammte
Reichsregiſtratur, insbeſondere auch alle Urkunden über Bra—
ohne gänzlich von Wenzel abzufallen oder deſſen Feind zu wer—
den, — ja daß er noch im Laufe des Jahres 1401 wieder offen
für Wenzel die Waffen ergriff, da dieſer bald darauf (noch in
demſelben Jahre) ihm das Einlöſungsrecht der Grafſchaft Glatz
vom Herzog Hans von Troppau (zu 4000 Schock Pr. Gr.)
verlieh, und ihm dieſelbe nebſt Frankenſtein, Fürſtenberg, Brau—
nau und Politz, »wegen geleiſteter treuer Dienſte und erlitte—
ner Schäden«, zu 16,000 Schock zu Pfande verſchrieb. Codex
Premyslaeus fol. 72.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 9
1401
20 Juni
.
1401
16 Suni
130 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
bant, alſogleich und gratis ausliefern; drittens ſollte er
ihm von Seite ſeines Königreichs Böhmen die gewöhnliche
Huldigung leiſten, Ruprecht wolle ſich damit begnügen, daß
es nur ſchriftlich geſchehe; viertens ſollte ſeine Nichte, Eli—
ſabeth von Görlitz, einem Sohne Ruprechts vermählt und
ihr zur Mitgift diejenigen Länder verſchrieben werden, über
welche man ſich weiter noch einigen würde; für alle dieſe
Zugeſtändniſſe ſei Ruprecht bereit, Wenzel den ungeſtörten
Beſitz von Böhmen zu garantiren. Wie tief mußte die
Macht und das Anſehen des Königs nicht ſchon gefallen
ſeyn, wenn man ihm gegenüber ſolche Anſprüche auch nur
laut werden laſſen konnte! Daß unter ſolchen Umſtänden
die Verhandlungen zu keinem Reſultate führten, braucht
kaum erſt geſagt zu werden. Wenzel ließ Ruprecht ſagen,
er wolle ihm den Titel eines römiſchen Königs zugeſtehen,
wenn er zuvor von ihm als römiſcher Kaiſer anerkannt
werden würde; dann werde auch den vorgeſchlagenen Hei—
rathsplänen kein Hinderniß im Wege ſtehen.“
Was den Gegenkönig veranlaßt hatte, ſeine Forde—
rungen, trotz dem geringen Erfolg ſeiner Waffen, ſo hoch
zu ſpannen, war die Bedrängniß, in welche Wenzel zu
gleicher Zeit von der andern Seite durch den Markgrafen
Joſt, den böhmiſchen Herrenbund und die mit ihnen ver—
bundenen Markgrafen von Meißen gerathen war. Da Joſt
und die Meißniſchen Markgrafen ſchon am 16 Juni 1401
untereinander eine Verabredung über die von ihnen in
Böhmen zu machenden Eroberungen getroffen hatten, ſo
iſt die Angabe einiger gleichzeitigen Quellen, daß man die
Endabſicht hatte, Wenzel vollends auch vom böhmiſchen
Throne zu ſtürzen, um ſo glaublicher. Die Markgrafen
von Meißen befanden ſich damals im Pfandbeſitze mehrer
149) Martene et Durand collectio amplissima, vol. IV, pag. 50 — 52
(wo Num. 33 offenbar vor Num. 32 geſchrieben und erlaſſen
worden iſt).
Kriege mit dem Herrenbunde; Belagerung von Prag. 131
an ihr Gebiet ſtoßenden böhmiſchen Burgen und Städte,
namentlich war auch die Burg und Stadt Brür ihnen ver—
pfändet; um ſo leichter wurde es ihnen, ihre Truppen mit
denen des Herrenbundes zu vereinigen, und damit vor die
Hauptſtadt zu rücken. Schon im Juni lagerte das verbün—
dete Heer in Michle bei Prag, und ſetzte ſpäter nach Owenec
hinüber, wo es auch den königlichen Thiergarten einnahm. 150
Prag hatte ſeit hundert Jahren keine fremden Truppen
mehr vor ſeinen Thoren geſehen; ihre Anweſenheit, und
die davon unzertrennlichen Gewaltthaten, machten nicht allein
auf die Bürger, ſondern auch auf das böhmiſche Volk über—
haupt einen tiefen Eindruck, und der ſo verrathene und
bedrängte König fand je länger je mehr Bereitwilligkeit,
gegen die gemeinſamen Feinde und Landesverderber auf—
zuſtehen und ſie über die Gränzen hinaus zu treiben. Eine
Eroberung der Stadt zu verſuchen, war das verbündete
Heer zu ſchwach, ſo lange Ruprechts Truppen nicht dazu
kommen konnten, ſich mit ihm zu vereinigen; bei der Treue
der Bürger und der Ergebenheit vieler ſtreitfähigen Ba—
rone gegen den König, I konnte das Mißlingen eines Stur—
150) Nach der Erzählung in einem noch ungedruckten Breve Chro-
nicon Boemiae ab ann. 1344 — 1411, das ſich in einem Manu:
ſcript der Leipziger Univerfitätsbibfiothef (MS. No. 176) befindet.
151) Namentlich zeichneten ſich jetzt im Dienſte des Königs aus:
Bocek von Kunſtatt auf Podébrad (der noch vor zwei Jahren
gegen ihn gekämpft hatte), Bohuslaw und Johann von Schwam—
berg, Andreas von Duba auf Zlenic, Heinrich von Duba auf
Humpolec, Brenék von Strakonic, Zdenék von Rozmital,
Predbor von Cimburg, Heinrich von Chlum auf Lacembok
u. a. m. Unter den königlichen Burggrafen muß insbeſondere
der von Taus, Marsik von Hradef, ſich wacker gehalten haben,
da K. Wenzel ihm ſchon am 9 Apr. 1401 für feine treuen
Dienſte (nicht wie Pelzel will, gegen ein Darlehen) die königl.
Burg Lopata und den königl. Kammerzins zu Schüttenhofen
verſchrieb.
9 *
—
1401
Juni
1401
12 Aug.
132 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
mes auf Prag das ganze feindliche Heer in die äußerſte
Gefahr bringen. So begnügte es ſich gegen ſechs Wochen
lang unthätig vor den Mauern Prags zu liegen, ohne
dieſe Stadt auch nur eingeſchloſſen zu haben, und bot am
Ende zu Friedensunterhandlungen willige Hand. Am 12
Auguſt 1401 kam ein definitiver Vertrag zu Stande, dem
zu Folge Erzbiſchof Wolfram und die Barone Heinrich von
Roſenberg, Otto von Bergow auf Bilin und Johann Kru—
sina von Lichtenburg dem Könige als eine Art oberſter
Regentſchaftsrath zur Seite geſetzt wurden, welche nach den
in den früheren Vertragsurkunden K. Sigmunds aufgeftell- .
ten Grundſätzen an der Verwaltung des Landes Theil neh—
men, und insbeſondere bei Anſtellungen neuer Landes—
Beamten, ſo wie bei den Staatsausgaben überhaupt eine
verbietende Stimme haben ſollten. Die königlichen Städte
und Amter ſollten ſich den vier Regenten eidlich verpflich—
ten mit dem Beiſatze, daß ſie in Colliſionsfällen ihnen zuerſt
zu folgen haben; doch ſollte der ganze Vertrag den Rechten
und Anſprüchen, welche dem Könige Sigmund in Böhmen
zukamen, unnachtheilig fein. 2 Dieſe Übereinkunft befrie-
digte den Herrenbund in dem Maße, daß er ſich mit dem
Könige ausſöhnte und die Sache der gegen ihn verbun—
denen Fürſten gänzlich verließ; worauf auch die Meißner
in Eile aus dem Lande zogen. Später einigte ſich Wenzel
auch mit dem Markgrafen Joſt in der Art, daß er ihm
das Markgrafthum Lauſitz auf deſſen Lebenszeit gänzlich
überließ und noch bedeutende Summen in Geld verſchrieb.
Welches Abkommen mit dem Markgrafen Prokop getroffen
wurde, iſt unbekannt. 153
Daß bei den letzteren Ereigniſſen K. Sigmund keine
Rolle mehr ſpielte, kam nur daher, weil auch ihn jetzt das—
152) Pelzel urkk. Num. 178. Archiv Cesky I, 66. (pelzels Deu:
tung dieſer böhmiſchen Urkunde iſt nicht in Allem genau.)
153) Man vergleiche jedoch hierüber die Note 148 (ſ. oben).
Friedensvertrag. K. Sigmunds Gefangenſchaft. 133
ſelbe Schickſal getroffen hatte, wie vor 7 Jahren ſeinen 1401
Bruder, — von ſeinen aufrühreriſchen Unterthanen ge—
fangen genommen zu werden. Die ungriſchen Magnaten
hatten ihn in einer Landtags-Verſammlung, in ſeiner Burg
zu Ofen am 28 April 1401 verhaftet, ohne daß für den
Augenblick auch nur ein Schwert im Volke für ihn ſich
erhob. Gründe zur Unzufriedenheit mit ihm wendeten ſie
viele vor; der vorzüglichſte und haltbarſte war ſeine Be—
günſtigung der Fremden in Ungarn, welche bei dieſer Ka—
taſtrophe entweder gleichfalls verhaftet oder aus dem Lande
vertrieben wurden.““ Man führte den gefangenen König
zuerſt auf die feſte Burg Wysegrad an der Donau, und
übergab ihn ſpäter dem Banus von Kroatien und Dal—
matien, Niklas von Gara, zur Bewahrung auf deſſen Burg
Siklos. Über die Frage jedoch, wer an Sigmunds Stelle
auf den ungriſchen Thron zu erheben ſei, entzweiten ſich
bald die ungriſchen Großen, und erleichterten damit den
Anhängern desſelben das Geſchäft, ihn zu befreien und in
ſeine vorige Macht wieder einzuſetzen. An der Spitze dieſer
Anhänger ſtand Sigmunds Liebling, Stibor von Stiboric,
154) In einem noch ungedruckten Schreiben darüber aus Ungarn,
an Sigmunds Anhänger in Böhmen und Mähren, heißt es:
Heu dolor! serenissimus dominus noster, gratiosissimus rex
Ungariae, a perfidis Ungaris ex eo, quod hospites et alienige-
nas in regno servavit, est detentus, sed custodiente altissimo
in nulla parte corporis sui offensus, in castro V. detinetur;
unde omnes et singuli alienigenae, tam spirituales quam etiam
seculares, vestibus et ipsorum rebus spoliati, sunt expulsi,
nobiles vero et ditiores illos consimiliter captivaverunt etc.
Weiter unten fagt der Schreiber: Cum gentibus vestris quan-
tocius poteritis accelerare ad nos curetis, ut eundem dominum
nostrum regem vindicantes a sui captivitate possimus libe-
rare; nam multa firmissima castra, communitiones optimas et
eivitates habemus, quae vobis omnia ad placitum volumus ape-
rire etc. Offenbar rührt alſo dieſes Schreiben, mittelbar oder
unmittelbar, vom Grafen Stibor her.
1401
134 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
(ein Sohn des polniſchen Wojwoden Sudiwoj von Kalis), 19
von Sigmund bereits zum Wojwoden von Siebenbürgen
und zum Grafen von Presburg erhoben. Er rief aus Mäh—
ren und Böhmen jene ſtets kampfluſtigen Schaaren, die
ſchon fo oft für ꝛſeinen und ihren gnädigſten Herrn« in
Ungarn gekämpft hatten, wieder herbei, und machte auch
auf die Gefahr aufmerkſam, in welcher das ganze Haus
Luxenburg ſchwebte, wenn es den treuloſen Rebellen ge—
lingen ſollte, Sigmund aus Ungarn zu verdrängen. Dieſe
Gefahr beherzigten denn auch die Fürſten dieſes Hauſes,
und unterſtützten Stibors Werbungen auf alle Weiſe, ſo
uneinig ſie auch im Übrigen untereinander waren. Ins-
beſondere ließ Wenzel kein Mittel zu Sigmunds Befreiung
unverſucht; je ſtärker ihn feine zahlreichen Feinde, und dars
unter ſeine eigenen Vettern und Unterthanen bedrängten,
um ſo mehr ſehnte er ſich nach dem Bruder, dem er trotz
ſo vieler vorangegangenen Täuſchungen, noch immer brüder—
liche Geſinnung und Anhänglichkeit zutraute. Er ließ ſich
zuletzt auch in Unterhandlungen mit Niklas von Gara ein,
und verſchrieb demſelben für die gute Behandlung und Frei—
laſſung des Königs einen Jahrgehalt von tauſend Ducaten.
Dadurch und durch Zuthun des Grafen Hermann von Cilley,
gelangte Sigmund zu Anfang September 1401 zu ſeiner
Freiheit und zur oberſten Gewalt in Ungarn wieder, und
ſöhnte ſich dann auf einem Landtage zu Papa (27 Oct.),
durch kluge Nachgiebigkeit, mit den ungriſchen Ständen
vollends aus.
155) Am 3 Febr. 1398 verbürgte ſich Zandiwogius waywoda Kali-
siensis für den »magnificus vir D. Stiborius, waywoda Tran-
silvanensis comesque Pozoniensis, filius noster carissimus«, daß
er jene 7000 Schock Prager Groſchen, welche K. Sigmund dem
Markgrafen Prokop ſchuldete, und für deren Zahlung auch
Stibor haftete, nöthigen Falls auf ſich nehme. Dat. in Alba
Ecclesia, alias in Holicz ete. (Orig. in Wittingau.)
K. Sigmunds Gefangenſchaft und Befreiung. 135
K. Wenzel äußerte die lebhafteſte Freude über die Be—
freiung ſeines Bruders. Er ſchrieb ihm darüber einen Brief
voll der herzlichſten Ergebenheit, ſchob die Schuld aller bis—
herigen Mißverſtändniſſe unter den Brüdern auf die Mittel-
perſonen, denen im Menſchenverkehre der Geiſt der Wahr—
heit abhanden gekommen ſei, und bat ihn nur eheſtens Tag
und Ort zu beſtimmen, wo ſie zuſammenkommen könnten;
denn er wolle, mit Hintanſetzung aller übrigen Geſchäfte,
freudig ſich dahin begeben.!“ Er reiſte auch alſogleich
nach Kuttenberg ihm entgegen. Doch erſt gegen das Ende
des Jahres konnte auch Sigmund dahin gelangen, nach—
dem er noch zuletzt von Tyrnau aus am 12 Dec. den Ve—
netianern hatte die Warnung zukommen laſſen, daß ſie ſich
in keine Verbindungen mit dem Gegenkönige Ruprecht gegen
feinen Bruder und ihn einlaſſen ſollten. 157
Ruprecht hatte nämlich, nach Anerkennung und Be—
feſtigung ſeiner Macht in Deutſchland, den Entſchluß ge—
faßt, ſeine Romfahrt anzutreten, die Kaiſerkrone ſeinem
Gegner vorwegzunehmen, und zugleich, ſeinem an die Kur—
fürſten und an die Florentiner geleiſteten Verſprechen gemäß,
156) Wenzels eigene Worte ſind: Qualem visceribus cordis nostri
Vestra liberatio fecerit laetitiam, quantamque gaudiorum nobis
cumulaverit abundantiam, novit serutator eordium et secreto-
rum cunctorum indagator, cui omnia cognita sunt praesentia,
praeterita pariter et futura. Et jam nobis deo propitio simul
convenientibus, ab experto mutuo cognoscemus, qui nostri fra-
terni amoris fuerint veri zelatores. Timemus enim et experien-
tia docente cognoscimus, quod multi inter nos utrinque tracta-
tores fuerint, qui inter alios homines perdiderunt anhelitum
veritatis. Velit igitur fraterna Vestra dilectio terminum placi-
torum in metis, vel ubi placuerit, statuere, ad quem per dei
gratiam laeta mente et jocundis oceursibus aliis obmissis negotiis
omnino veniemus u. ſ. w. Dieſen Brief haben wir in zwei böh—
miſchen Formelbüchern gefunden.
157) Vgl. Italieniſche Reiſe, pag. 76.
1401
12 Dec.
1401
21 Oct.
136 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
den Viscontis Mailand zu entreißen. Da ſich auf dem
Reichstage in Nürnberg viel guter Wille gezeigt hatte, ihn
zu unterſtützen, die Herzoge von Sſterreich ihm den Weg
durch Tyrol öffneten, alle Feinde der Visconti ſehnſuchts—
voll ſeiner harrten, um mit ihrer ganzen Macht ſich ihm
anzuſchließen, und die Florentiner zu einer Subſidien—
zahlung von 200,000 Ducaten ſich verpflichteten, ſo glaubte
Jedermann an den glücklichen Ausgang ſeines Unterneh—
mens. Schon von Insbruck aus erklärte er am 25 Sept.
1401 den Johann Galeazzo aller feiner Beſitzungen ver—
luſtig und ließ den Krieg gegen ihn verkündigen. Als er
aber von Trient gegen Brescia in der Meinung vorrückte,
daß ihm die Thore dieſer Stadt von einer dortigen Partei
freiwillig geöffnet werden ſollten, wurde er am 21 Oct.
von dem, wenn nicht an Zahl, doch an Kriegskunſt und
Zucht überlegenen mailändiſchen Heere angegriffen, und
nach kurzer Gegenwehr vollſtändig geſchlagen; der ihn be—
gleitende Herzog Leopold von Sſterreich gerieth ſogar in
feindliche Gefangenſchaft. So über den Umfang ſeiner
Macht enttäuſcht, und von der Mehrzahl der Seinigen ver—
laſſen, zog er ſich bis Botzen zurück, rückte aber nach ei—
nigen Wochen, ohne ein eigentliches Heer, durch das vene—
tianiſche Gebiet nochmals bis Padua vor, um zu verſuchen,
ob er nicht mit Hilfe der Venetianer und Florentiner zur
See nach Mittelitalien gelangen könnte.!“
158) Alles dies erhellt aus dem bereits öfter erwähnten langen
Schreiben des Viscontiſchen gelehrten Staatsmannes Leonard
Therunda an K. Wenzel dd. Veronae, 16 Nov. 1401, das an⸗
fängt: »Non quis ego te verbis adoriar, dive Caesars etc.
Darin werden dem Könige viele Vorwürfe über ſeine Nach—
läſſigkeit gemacht, und doch Partei für ihn genommen: irasci
liceat, precor, non odisse, ſagt der Schreiber in Bezug auf
Wenzel. Nach einer Schilderung der Schlacht bei Brescia,
heißt es über Ruprecht: — Paduam cum cohorte modica adivit,
ibique applicitus pauper suorum Guelforum frustra mendicat
Der Visconti Sieg über K. Ruprecht. 137
Als Sieger fertigte Johann Galeazzo an K. Wenzel 1401
eine Botſchaft ab, um ihn endlich zu der ſo lange beſchloſ— Nov.
ſenen, und ſo oft vergebens erwarteten Romfahrt zu be—
wegen. Es ſei nun offenbar, daß es keiner ſehr großen
Anſtrengungen von ſeiner Seite bedürfe, um ans gewünſchte
Ziel zu gelangen; er brauche ja gar keine Armee mitzu—
bringen, denn die erwarte ihn ſchon ſchlagfertig, und treuere,
ergebenere Truppen, als die lombardiſchen, könne er auf
der Welt nicht finden! Es wäre doch hart, wenn man
für ſeinen Kaiſer kämpfen und ſiegen, und als Sieger den—
noch den Preis entbehren müßte, um welchen gekämpft wird!
Dieſe günſtigen Vorfälle und die Vorſtellungen der 1402
Lombarden hatten denn doch die Folge, daß man in Böh—
men anfing, ernſtlich an Wenzels Römerzug zu denken.
Verhandlungen wurden darüber auf einem im Januar 1402
zu Königgrätz gehaltenen Fürſtentag, dem auch viele böh—
miſche Barone beiwohnten, gepflogen, und man ſuchte ſich
insbeſondere auch mit denjenigen Fürſten ins Einverſtänd—
niß zu ſetzen, durch deren Lande der Zug gehen ſollte, und
die folglich ihn fördern oder hindern konnten. Da jedoch
Wenzel ſich nicht mehr getraute, in dieſer Angelegenheit
aus eigener Kraft ſich zu bewegen, ſondern wie ein Un—
mündiger in Allem geleitet und unterſtützt ſein wollte, und
bei dem Mißtrauen, das er gegen alle Welt gefaßt hatte,
zumal nach den im vorigen Sommer gemachten Erfah—
rungen, von Sigmunds geiſtiger Überlegenheit, ritterlicher
Außenſeite und Entſchloſſenheit ſich noch am meiſten an—
gezogen und beherrſcht fühlte, ſo warf er ſich nunmehr ganz
in ſeine Arme. Was ihn noch vor fünfzehn Monaten in
adminicula. Ha! quantum potest poenitere, si sapiat, male
suasus Bavarus etc. Quid agat, eligere nescit; sibi omnia sunt
dubia; fertur tamen nuper misisse Venetias, desperans nostro-
rum obice terra Romam posse contingere, quo mari vehatur,
postulare navigium etc.
1402
4 Febr.
138 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
der bloßen Vorſtellung empört hatte, das fette er jetzt »mit
wohlbedachtem Muth und gutem Rath ſeiner Fürſten, Herren
und anderer ſeiner lieben Getreuen« ins Werk: er legte
ſich ſelbſt und die ganze Landesverwaltung Böhmens in
Sigmunds Hände, um von ihm zur Kaiſerkrönung nach
Rom geführt und begleitet zu werden. Am 4 Februar
1402 ſtellte er darüber in Königingrätz eine Urkunde mit
nachſtehenden Verwahrungen aus: 1) da er zu ſeinem
Bruder ſich gänzlicher Liebe und Treue verſehe, ſo ernenne
er ihn an ſeiner Statt zum Verweſer ſeines Königreichs
Böhmen mit voller Macht, ſo daß derſelbe es in der Art
zu regieren habe, wie es von ihrem Vater Karl IV her—
gebracht iſt; 2) daher übergebe er ihm alle feine könig—
lichen Schlöſſer und Städte zu deſſen eigener Verfügung;
3) auch wolle er aus brüderlicher Liebe und Treue ihm
gänzlich gehorſam ſeyn und ſich in Allem nach deſſen Rath
richten, in der Art jedoch, daß er deſſenungeachtet Herr
bleibe und bei ſeiner königlichen Würde im römiſchen Reiche
wie in Böhmen zeitlebens erhalten werde; 4) in den Ver—
hältniſſen, welche den langen Streit mit den böhmiſchen
Landherren veranlaßt hatten, habe K. Sigmund die von
ihm ſelbſt gefällten Sprüche, wie fie vom Lande angenom-
men worden, zur Richtſchnur zu nehmen; was etwa Wenzel
dazu thun möchte, deſſen ſoll Sigmund immer vollkommen
mächtig ſeyn, doch auch auf der Landherren Rath hören;
und was er in dieſer Weiſe zu vollziehen haben wird,
dazu ſollen ſowohl die königl. Städte, als auch die Landes—
beamten und Burggrafen ihm Hilfe zu leiſten ſich eidlich
verbinden; 5) die Beſetzung der Landesämter behält ſich
K. Wenzel vor, doch räumt er darin ſeinem Bruder, hin—
ſichtlich der Wahl der Perſonen, in einzelnen Fällen eine
verneinende Stimme ein; 6) dasſelbe ſoll auch bei der Ver—
waltung der Staatseinkünfte und Ausgaben Statt finden;
endlich 7) ſoll K. Sigmund das Vicariat im römiſchen
K. Sigmund wird Reichsverweſer in Böhmen. 139
Reiche fortführen, wie es ihm bereits früher übergeben 1402
worden ift. 1? Wenn in der über dieſen Act aufgeſetzten
Urkunde ſchon die gar zu häufige Hinweiſung auf das »brü—
derliche Vertrauen« beſorgen läßt, daß derſelbe nicht ganz
ohne Argwohn und eine Art von liebevollem Zwang
vollzogen ſein dürfte: ſo begründet die Halbheit der darin
feſtgeſetzten Maßregeln, insbeſondere die ſo unbeſtimmte
Theilung der oberſten Gewalt unter den Brüdern, um ſo
mehr die Überzeugung, daß auch dieſer Vertrag über kurz
oder lang zu noch ſchwereren Colliſionen führen mußte.
Natürlich nahm damit die am 12 Auguſt des vorigen Jahres
eingeſetzte Regentſchaft ein Ende.
Bevor man den Römerzug antrat, mußte durch kluge
und kräftige Mittel für die innere Ruhe des Landes vor—
geſorgt werden. Es wurde daher ein Landtag auf den
18 Februar nach Prag berufen, und von den Ständen in
großer Anzahl beſucht; die ſtändiſchen Verſammlungen und
Verhandlungen wurden auf der Altſtadt im Kloſter bei
St. Jacob, daher in der Nähe der damaligen königlichen
Reſidenz bei St. Benedict gepflogen. “““ Die gefaßten Ber
159) Die Urkunde iſt abgedruckt in den von J. v. Born heraus—
gegebenen Abhandlungen einer Privatgeſellſchaft in Böhmen ıc.
Ater Bd. Prag 1779, Seite 63— 66.
160) Unter denjenigen, welche an dieſen Landtagsverhandlungen Theil
nahmen, werden als die vorzüglichſten genannt: K. Sigmund,
der Oberſtlandkämmerer Hermann von Chauſtnik, Oberftland:
richter Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein, Oberſtland—
ſchreiber Smil von Pardubice auf Richenburg, Wolfram Erz:
biſchof von Prag, Johann Mraz Biſchof von Olmütz, Johann
der Eiſerne Biſchof von Leitomysl, Racek don Schwamberg,
Bocek von Kunftat auf Podebrad, Burkhard von Janowic,
Heinrich von Chlum auf Lacenbok, Heinrich von Nachod, Otto
der ältere von Bergow, Zdeslaw von Sternberg, Johann von
Michalowic, Heinrich der ältere Berka von Duba auf Hauska,
Wilhelm von Wartenberg auf Zwiretic, Johann von Frim—
burg, Jaroslaw von Opoecna auf Zleb, Ales Skopek von Duba,
18 Febr.
140 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1402 ſchlüſſe waren den Umſtänden angemeſſen: 1) Da viele
Böhmen, gegen Sold, Diener auswärtiger Fürſten (ins—
beſondere Ruprechts) geworden waren, ſo wurde ihnen der
nächſte 7 April als peremptoriſcher Termin geſetzt, bis
wohin ſie alle aus jenen Dienſten treten und vor dem
Landgerichte erſcheinen ſollten; wer das nicht thun und
noch ferner zum Schaden der Krone und des eigenen Lan—
des Dienſte leiſten würde, der ſollte als ehrlos dem Lan—
desbann, und mit Leib und Gut der Krone verfallen.
2) Gleiche Strafe hat Derjenige zu gewärtigen, der einen
Gebannten oder einen Landesverderber überhaupt in welcher
Weiſe immer fördert, ſobald er deſſen von drei Geſchwor—
nen ſeines Kreiſes bezichtigt und überwieſen werden wird.
3) Die Verfolgung der Gebannten ſoll auf den Ruf der
poprawei in alter Weiſe kräftig und unnachſichtig, jedoch
ohne Schaden der Kreisinſaſſen, gehandhabt werden. Y End—
lich ſoll jege Art von Selbſthilfe und jede Fehde innerhalb
des Landes ſchlechterdings unterbleiben und die Parteien
ſich ſtreng an die Wege Rechtens halten; wer dagegen
handelt, verfällt in den Landesbann, wird ehrlos und alle
ſeine Güter fallen der Krone anheim. Dieſe ernſten De—
crete wurden im ganzen Lande feierlich verkündigt und na—
türlich auch in die Landtafel eingetragen; hätte man doch
Heinrich und Ulrich von Neuhaus, Pota von Caſtolowic, Die—
trich von Janowic auf Nachod, Benes der Starke von Duba,
Ales von Schönburg, Johann von Schwamberg, Hynek Zajic
von Waldek auf Pihel, Tas von Boskowic, Johann von Warten—
berg, Herbord von Kolowrat, Albert von Sternberg auf Ko—
nopist, Johann von Wlasim, Benes von Wartenberg auf
Tetſchen, Niklas von Kolowrat auf Zbraslawic, Heinrich und
Wenzel von Wartenberg, Heinrich der jüngere Berka von
Duba, Johann Bocek von Kunftat auf Podébrad, Janek und
Hynek von Wiſenburg, Heinrich Skopek von Duba und An—
dere. Vgl. Archiv Cesky, II, 359 8.
K. Sigmund nimmt K. Wenzel gefangen. 141
die Kunſt beſeſſen, ſie den Zeitgenoſſen auch ins Herz hinein 1402
zu ſchreiben!
Nicht minder 0 für die innere Ruhe der Mon—
archie war ein zu gleicher Zeit zwiſchen den Königen Wenzel
und Sigmund und dem Markgrafen Prokop geſchloſſener
Vertrag. Um den zwiſchen den mähriſchen Brüdern immer
wiederkehrenden Reibungen und Streitigkeiten ein wirk—
ſames Ziel zu ſetzen, beſchloſſen die Könige, dieſelben auch
räumlich von einander zu trennen; darum ſollte Markgraf
Prokop alle ſeine Beſitzungen in Mähren und Böhmen
gänzlich abtreten, und dafür die Herzogthümer Schweid—
nitz und Jauer, dann die Grafſchaft Glatz mit Franken—
ſtein, im Ganzen um die Summe von 50,000 Schock Pra—
ger Groſchen, von der Krone Böhmen zu Pfand erhalten
und allein beſitzen. Da in dem Vertrage zugleich für den
Fall, daß er noch heirathen und natürliche Erben gewin—
nen ſollte, vorgeſorgt war, ſo gab ſich Prokop damit zu—
frieden, und hängte ſein Siegel mit an die feierlich aus—
geſtellte Urkunde. 16
Ob jedoch dieſer Vertrag wirklich vollzogen worden
ſei, iſt ſehr zweifelhaft. Denn ſchon einige Tage nach deſſen
Abſchließung brach unter den Pacifcenten ſelbſt ein Zwiſt
aus, der ſich nicht mehr beſeitigen ließ und zum letzten un—
heilbaren Bruche führte. Die eigentliche Veranlaſſung dieſes
verhängnißvollen Streits, welcher der ganzen Kette von
Begebenheiten dieſer Jahre eine andere Richtung gab, iſt
uns von Niemanden überliefert worden; wahrſcheinlich iſt
ſie jedoch in dem Widerſtande zu ſuchen, welchen der eben
ſo eigenſinnige als ſchwache Wenzel einzelnen von Sig—
mund im Sinne des Herrenbundes getroffenen Regierungs—
maßregeln entgegenſtellte. Es kam ſo weit, daß Sigmund
feinen Bruder ſchon am 6 März 1402 im Königshofe der 6 März
Altſtadt Prag verhaften, in die königliche Burg auf den
161) Codex Premyslaeus fol. 76 — 77.
142 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1402 Hradſchin führen und dort genau bewachen ließ. 1% Die
Barone und ein Theil der Räthe des Königs ſollen ſelbſt
für ſeine Verhaftung geſtimmt haben. Dies beweiſt alſo,
daß ſein alter Streit mit dem Herrenbunde hier wieder
zum Vorſchein kam. Somit nahm das vor kurzem noch
fo geprieſene »brüderliche Vertrauen« allzufrüh und für
immer ein klägliches Ende.
Obgleich man bei dieſer zweiten Gefangennehmung
Wenzels alles Aufſehen zu vermeiden geſucht, und ihm auch
nach derſelben einen Schein von Freiheit gelaſſen hatte, —
wie man denn auch fortfuhr, Regierungsacte und Urkun—
den in ſeinem Namen ausfertigen zu laſſen: — ſo wurde
dennoch die an der Perſon des Königs verübte Gewalt
im Volke ruchbar, und regte die Leidenſchaften desſelben
in verſchiedener Richtung wieder auf. Da Sigmund die
erlangte Gewalt ſogleich zur Auflegung der drückendſten
Steuern mißbraucht, und ſich dabei viele Eigenmächtig—
keiten und Grauſamkeiten erlaubt hatte, “s jo nahm die
Mehrzahl des Volkes auch jetzt für Wenzel wieder Partei;
ſelbſt diejenigen Räthe, die fuͤr ſeine Gefangenſchaft ge—
ſtimmt hatten, änderten ihre Anſichten, und trennten ſich
162) Chronicon universitatis Pragensis: Anno dom. MCCCCI, sexta
die Martii, quae fuit secunda feria post translationem s. Wen-
ceslai, adhuc cometa apparente, rex Wenceslaus a fratre rege
Ungariae Sigismundo ex consilio baronum regni Bohemiae et
quorumdam consiliariorum ejusdem Wenceslai regis altera vice
arrestatur in curia S. Benedicti, ut in regno procuretur ju-
dicium et justitia, pax et aequitas; et in castrum ducitur, et
ibi aliquanto tempore detinetur. Dies ift unſeres Wiſſens die
älteſte Erwähnung jenes Königshofes (unweit des Pulver—
thurmes), in welchem die Könige von Böhmen von Wenzel
an bis 1483 vorzugsweiſe zu reſidiren pflegten.
163) Vgl. Eberh. Windecks Leben Sigmunds bei Menken I, 1080
bis 1081.
K. Wenzels zweite Gefangenſchaft; neue Gährung. 143
von K. Sigmund; 4 nur die bekannten Mitglieder des 1402
Herrenbundes, die Roſenberge, Schwamberge, Swihowsky's
von Rieſenberg, Michalowice, Bergowe und Andere, hiel—
ten feſt an dem Letzteren. Markgraf Prokop ſtellte ſich an
die Spitze der gegen Sigmund ſich bildenden Partei, welche
ihrerſeits auch mehrere Barone und die meiſten königlichen
Städte in ihrem Bunde zählte. Ein neuer Bürgerkrieg,
blutiger als alle vorhergegangenen, wurde unvermeidlich.
Die neuen Unruhen in Böhmen kamen Niemanden er—
wünſchter, als dem Gegenkönige Ruprecht, der bis dahin
erfolgs- und hoffnungslos von Padua aus nach allen Sei—
ten hin unterhandelt hatte; ſie gaben ihm einen Vorwand
mehr an die Hand, Italien wenn nicht mit Ehren, doch
wenigſtens ohne offene Schande zu verlaffen. 19 Er kehrte
nach Deutſchland zurück, und hielt ſich den Monat Mai
hindurch meiſt in der Nähe der böhmiſchen Gränzen auf,
um mit Markgraf Prokop und deſſen Partei gegen Sig—
mund wo möglich einen Bund zu ſchließen, “s der ihm
Wenzels Abdankung in Deutſchland herbeizuführen helfen
könnte. Nun ließ ſich Prokop zwar durch den Landgrafen
von Leuchtenberg und den Markgrafen Wilhelm von Mei—
ßen in Unterhandlungen mit Ruprecht ein, deren Zweck
ein gemeinſamer Krieg gegen Sigmund war: es iſt aber
aus den uns zu Gebote ſtehenden Quellen nicht erſichtlich,
wie weit er ſonſt in Ruprechts Abſichten eingeſtimmt haben
dürfte.
164) Et tunc consilium regis Wenceslai, contra ut dicebatur suum
promissum, a rege Sigismundo recessit. Chronicon universit.
Prag. L. c. Cf. Scriptt. rer. Boh. III, p. 8.
165) Vgl. Ruprechts Brief an die Königin von Frankreich dd. Hei:
delberg, den 16 Juni 1402, in Martene collectio ampliss. IV,
96 — 97.
166) Vgl. deſſen Botſchaft an den Markgrafen Wilhelm von Mei—
ßen, in Martene I. c. pag. 94 — 96.
144 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1402 K. Sigmund zeigte diesmal mehr Thätigkeit und Nach—
druck, aber auch größere Treuloſigkeit, als ſeine Gegner.
3 Juni Schon am 3 Juni rückte er, von dem Herrenbunde unter—
ſtützt, gegen den Markgrafen und deſſen Anhänger ins Feld
nachdem er den Tag zuvor ſeinen gefangenen Bruder, um
größerer Sicherheit willen, in einen Thurm der Prager
Burg hatte einſchließen und ſtreng bewachen laſſen. Vor
die hohe Burg Beſig, den Hauptſitz des Markgrafen, mit
ſeinem Heere gelagert, rief er den Letzteren unter ſicherem
Geleite zu ſich, und ließ ihn, als er kam, dennoch verhaf—
ten. Was weiter in einer gleichzeitigen Chronik erzählt
wird, 167 daß er, wie einſt K. Wenzel II den Zawis von
Roſenberg, ſo jetzt den Markgrafen gebunden vor deſſen
Schlöſſer (namentlich vor Blanik) habe führen laſſen, um
die Beſatzungen zur Übergabe zu zwingen, — ſcheint nur
in Haß erdichtet worden zu ſein; wäre es wahr, ſo hätte
eine ſo ausgeſuchte Grauſamkeit gewiß in allen Chroniken
jener Zeit Nachhall gefunden. So viel iſt aber gewiß,
daß es Sigmund diesmal gelang, allen in Böhmen gegen
ihn erhobenen Widerſtand mit bewaffneter Hand raſch zu
unterdrücken. Markgraf Joſt nahm an dieſen kriegeriſchen
Bewegungen jetzt noch keinen Theil; aus den Verhand—
lungen jedoch, welche nach Prokops Gefangennehmung auch
er mit Ruprecht anknüpfte, iſt zu ſehen, daß er ſich mit
dem Gedanken ſchmeicheln durfte, es könne, wenn er ſich
nur klug benähme, aus dieſem Samen blutiger Zwietracht
und Treuloſigkeit ihm noch eine Königskrone erwachſen! 168
eachdem die Ruhe in Böhmen durch ſo rückſichtsloſes
Verfahren wiederhergeſtellt war, verließ Sigmund zu Ende
Juni 1402 Prag und Böhmen wieder, und führte ſeine
beiden Gefangenen mit ſich nach Oſterreich. Er gab vor,
er führe feinen Bruder, der Verabredung gemäß, nach Ita—
167) Seript. rer. Bohem. III, pag. 8.
168) Martene coll. ampl. IV, 102 sq.
Auch Markgraf Prokop gefangen u. weggeführt. 145
lien zur Kaiſerkrönung, — ein jetzt willenloſes, unbehilf- 1402
liches altes Kind, um es zum Herrn der Chriſtenheit krönen
zu laſſen! In dem damals einem Stiefſohne des Grafen
von Cilley gehörigen Schloſſe Schaumberg oberhalb Linz
wurde der Plan beſprochen, Wenzel in Begleitung des
Prokop von dem Cilleyer Grafen durch die Länder der
Grafen von Ortenburg und von Görz dem Visconti zu—
führen zu laſſen. Im Grunde dürfte aber Sigmund kaum
mehr ernſtlich daran gedacht haben; und geſchah es den—
noch, ſo mußte er doch alle Gedanken dieſer Art aufgeben,
als er den Tod Desjenigen erfuhr, auf welchen allein die
Hoffnung des Gelingens gebaut werden konnte. Johann
Galeazzo von Mailand ſtarb nämlich am 3 Sept. 1402. 3 Sept.
Inzwiſchen war Wenzel als Gefangener nach Wien ge—
bracht und den Herzogen von Sſterreich übergeben wor—
den; Prokop mußte in Presburg für ſeine Unternehmungen
büßen, wo er ſich die Zeit unter anderm mit Abfaſſung
ſchlechter lateiniſcher Knittelverſe gekürzt haben ſoll.““
169) Ein Pröbchen dieſer ſonderbaren poetiſchen Ergüſſe, das we—
nigſtens ſeine damalige Stimmung ſchildert, theilt uns eine
alte Handſchrift mit:
In aliena provincia
Conturbat me tristitia
Evacuavit laetitia.
Ex patria sum expulsus,
Moravia sum detrusus,
Factus sum sicut rusticus,
Conturbat me vilissimus!
Si miles essem, equitassem,
Si latro essem, spoliassem:
Non sum miles, neque latro,
Sed sum unus pauper Ziako. (d. i. Bettelſtudent)
Ungarones sunt barones!
Non barones, sed latrones,
Quorum Satan erit comes
Et dem.. dat eos omnes!
Geſch. o. Böhm. 3 Bd. 10
1402
23 Sept.
146 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
Wenn man die Lage bedenkt, in welcher ſich Sig—
mund damals überhaupt befand, kann man ihm Muth und
Entſchloſſenheit in Gefahren nicht abſprechen; denn indem
er ſich ſo mit allen ſeinen Verwandten überwarf, ſpielte
er ein höchſt gewagtes Spiel. Es kann ihm nicht unbe—
kannt geblieben fein, welche Umtriebe ſchon damals Bo—
nifaz IX gegen ihn in Ungarn ſelbſt angezettelt hatte, um
ihn dort zu ſtürzen und K. Ladislaus von Neapel, der ſo
viele Anhänger vorzüglich in Südungarn zählte, auf den
ungriſchen Thron zu erheben. 79 Schon im Auguſt 1402
war eine neapolitaniſche Armee in Dalmatien gelandet, und
wurde mit offenen Armen aufgenommen. War diesmal
die von der Mehrzahl des ungriſchen Clerus aus Gehorſam
gegen den Papſt gepredigte Empörung ſiegreich, ſo war
Sigmund verloren; denn aus den Ländern des Luxenbur—
giſchen Hauſes durfte er ſich dann keine Hilfe verſprechen.
In richtiger Würdigung dieſer Gefahr ſuchte er ſich daher
jetzt an die Herzoge von Sſterreich anzuſchließen, und ſie
um jeden Preis für ſich zu gewinnen. Darum erneuerte
er nicht nur die ſchon von feinem Vater Karl IV geſchloſ—
ſene Erbeinigung der Häuſer Luxenburg und Sſterreich,
ſondern er nahm auch alſogleich den Herzog Albrecht IV
gleichſam an Kindes Statt an, ſicherte ihm die Nachfolge
in Ungarn zu, und ſetzte es auch auf einem Landtage in
Presburg durch, daß die ungriſchen Stände ihm als ſeinem
Thronfolger huldigten; der Umſtand, daß fie eine gleiche
Huldigung früher ſchon an den Markgrafen Joſt geleiſtet
hatten, hatte jetzt nichts auf ſich. Am 23 Sept. ſandte
er auch nach Böhmen den Befehl, daß man in ſeiner Ab—
weſenheit dort demſelben Herzog, als ſeinem Stellvertreter,
zu gehorchen habe.
In Böhmen aber war man jetzt nichts weniger als
170) Vgl. unten den 9 Aug. 1403, und Raynaldi ad ann. 1403,
F. 13 etc.
Sigmunds Bund mit Sſterreich; Gährung in Böhmen. 147
einig im Gehorſam gegen Sigmund ſelbſt, geſchweige denn 1402
gegen deſſen Stellvertreter. Er hatte, als er von dort
wegzog, aus den ihm am meiſten ergebenen Mitgliedern
des Herrenbundes einen oberſten Regierungsrath gebildet,
und ihm die Verwaltung des Landes übertragen.!“ Viele
Barone aber, die Mehrzahl der königlichen Burggrafen und
Städte, ſo wie alle Fürſten und Städte in Schleſien, waren
der Anſicht, daß durch die der Perſon ihres Königs an—
gethane Gewalt alle früheren Verträge aufgehoben, und
ſie daher nicht gehalten ſeien, Sigmund als böhmiſchen
Reichsverweſer anzuerkennen. Am eifrigſten in der An—
hänglichkeit an den gefangenen König waren die Kutten—
berger; ihre durch den Bergſegen reiche und mächtige Stadt
bildete gleichſam den Kern, an welchen ſich die meiſten
Mißvergnügten anſchloſſen, wogegen die Prager ſich den
Befehlen des oberſten Regierungsrathes zu fügen gezwungen
waren. Es half nichts, daß man Wenzel zwang, am 20 20 Nov.
dov. einen Befehl an feine Burggrafen in Böhmen zu
erlaffen, daß fie zu ihm nach Wien kommen ſollten, wo
er ſie dann verpflichten würde, nicht allein an Sigmund,
ſondern auch an die Herzoge von Sſterreich die Huldigung
zu leiſten; ſie glaubten ihre Pflicht beſſer zu kennen und
beharrten in ihrer angenommenen Stellung. 1? Markgraf
171) Es waren: Biſchof Johann der Eiſerne von Leitomysl, Hein:
rich von Roſenberg Oberſtburggraf, Brenék Swihowſky von
Rieſenberg Oberſthoflehnrichter, Otto der ältere von Bergow
Landesunterkämmerer, Ulrich von Neuhaus Oberſtmünzmeiſter
und Heinrich von Neuhaus Malteſer-Grandprior. Am mei:
ſten kränkte K. Wenzel die Anſtellung ſeines heftigſten Fein—
des, des von Bergow (ehemals Oberſtburggrafen) im Landes—
unterkammeramte, einem der wichtigſten in der damaligen Lage
der Dinge.
Pelzels Urkk. Nr. 184, vergl. mit Wenzels Worten bei Win—
def pag. 1080: »und fie doch nicht anders gelobet haben, als
unſer ere, frummen und nutze, — und mit der Urkunde vom
10 *
172
—
148 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1402 Joſt begünſtigte dieſe in Böhmen wachſende Partei, und
trat bald auch offen für ſie auf.
Nun hielt es Sigmund für ſo wichtig, Böhmen vor Allem
in feiner Botmäßigkeit und feinem Gehorſam zu erhalten, ““
daß er ungeachtet der ihm von der neapolitaniſchen Partei in
Ungarn drohenden Gefahren, doch zuerſt wieder nach Böhmen
zurückkehrte. Im December 1402 erſchien er mit zwölf tau—
ſend Mann, meiſt Ungarn und Kumanen, im Lande, und
bezog mit ihnen bei Kolin an der Elbe ein feſtes Lager.
Von hier erließ er ein Manifeſt an die ganze böhmiſche
Nation, worin er die Urſache feiner Ankunft erklärte, ““
14 Apr. 1403 bei Kurz (Sſterreich unter Albrecht IV, Bd. 1,
S. 231).
173) Wie ſehr ihm Böhmen überhaupt am Herzen lag, ſprach er
in dieſen Jahren in einem noch ungedruckten Briefe mit fol—
genden Worten aus: Insudantibus nobis assidue circa regno-
rum nostrorum, quibus nutu divino feliciter praesidemus, gu-
bernacula, qualiter ea a Turcorum aliarumque barbaricae na-
tionis gentium quotidianis insultibus, altissimi nobis suflra-
gante dextera, valeamus protegere, nihilque aut modicum nobis
delicato vacantibus otio, requiei reputamus, non oneri, quae
ad reformandum paternae nostrae hereditatis, regni videlicet
Boemiae, statum salubrem crebris studiis cogitamus, affectantes
et hoc potissime satagentes, ut hoc electum viridarium, era-
dicatis nocivis fructibus et evulsis pungitivis vepribus, prout
in progenitorum nostrorum felicis memoriae, sic et nostris tem-
poribus salutiferae pacis roboribus dilatetur etc.
174) Post egressum nostrum de Boemia, dum iter agere coepisse-
mus versus Italiam cum sermo principe D. Wenceslao Rom.
et Boh. rege, fratre nostro carissimo, pro recuperando imperii
honore et consequendis coronis imperialibus: nostis, qualis et
quanta, quamque damnosa turbatio in toto regno excitata sit,
adeo, ut metuentes ipsi regno periculum irrecuperabile, iter
coeptum relinquere, et ad Bohemiam propter filios Belial auc-
tores excidii regredi cogeremur. Venimus itaque cum magna
gentis potentia, altissimo duce, usque ad Coloniam super Al-
beam, ad destruendos et ejiciendos rebelles etc.
Krieg in Böhmen; Einnahme von Kuttenberg. 149
und unter Androhung der ſchwerſten Strafen allen Ba- 1402
ronen, Rittern und Städten des Landes befahl, alſogleich
mit ihrem bewaffneten Volke zu ihm zu ſtoßen, auch ihre
Geſchütze und ſonſtiges Belagerungsgeräthe mitzubringen;
wer ſich ſäumig erweiſe, den wolle er als offenen Feind
behandeln. Der Zweck dieſer großen Machtentwickelung
war vor allem die Eroberung von Kuttenberg, das, an
ſich reich, auch noch Wenzels koſtbaren Schatz in ſich be—
wahrte, und in Treue gegen ihn allen übrigen Einwohnern
voranging. Die Stadt ſetzte ſich zur Wehre, und es müſſen
am Schluſſe des Jahres 1402 blutige Kämpfe vor ihren
Mauern Statt gefunden haben, von welchen uns leider
keine deutliche Kunde erhalten worden ift. "7 Als jedoch
die Bürger einſahen, daß ſie ſich gegen ſo große Übermacht
in die Länge nicht würden halten können, ſprachen ſie die
Vermittelung einiger ihnen günſtig geſinnten Mitglieder des
Herrenbundes an, und verlangten zu capituliren. Sig—
mund legte ihnen die härteſten Bedingungen auf. Die
vornehmſten Bürger mußten vor ihm in Kolin erſcheinen,
dort im Koth auf Knieen ihn um Gnade bitten, und ſich
zu einer unmäßigen Geldbuße verpflichten; dann zog er in
ihre Stadt ein, und bemächtigte ſich auch des dort bis jetzt
treu bewahrten Schatzes ſeines Bruders, darunter einer
175) Wir ſchließen dies aus vielen unbeſtimmten Angaben, ins—
beſondere auch in dem Breve chron. Boem. 1344 — 1411, wo
es heißt: Anno 1402 exiverunt cives Pragenses cum magna
multitudine, in vigilia Nativitatis Domini, ante montes Chut-
nae, et jacuerunt ante munitionem dictam Suchdol, ubi Mar-
quardus de Ulicz capitaneus Pragensium a munitione prae-
dicta est sagitta interemptus in die s. Johannis evangelistae.
Ferner eine hiſtoriſche Compilation dieſer Zeit in einer Wie:
ner Handſchrift, wo es heißt: Sigismundus — veniens cum
gente Ungariae, Cunis et Jassonibus, exquisivit montes Kuthnas
contra marchionem Jodocum, et bona D. Boèkonis (de Po-
diebrad) et aliorum devastavit.
1403
150 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1403 koſtbaren Krone und vieler reichen Kleinode in Gold und
14 Apr.
Silber. 76 Inzwiſchen verübte fein Heer in der Umgegend
von Kuttenberg, Kolin und Podebrad Exceſſe, deren krän—
kendes Andenken in Böhmen lange nicht verwunden wer—
den konnte.
Zufrieden, den vorzüglichſten Herd des Widerſtandes
gebrochen und neue Geldkräfte zu weiterer Kriegführung
erworben zu haben, unternahm Sigmund diesmal nichts
Bedeutendes mehr in und aus Böhmen; wenigſtens iſt
nichts dieſer Art von ihm bekannt, obgleich es keinem Zweifel
unterliegt, daß er noch Monate lang im Lande verblieb,
und der Krieg mit der Unterwerfung von Kuttenberg kei—
neswegs beendigt war. Noch am 14 April 1403 ſchloß
Markgraf Joſt für ſich und die ihm jetzt in Böhmen an—
hängende Partei mit K. Sigmund und den Herzogen Wil—
helm und Albrecht von Sſterreich einen Waffenſtillſtand,
der bis zum 20 Mai dauern ſollte. Alle näheren An—
gaben über die damaligen Kriegsvorfälle in Böhmen fehlen
gänzlich. Im Sommer darauf kehrte Sigmund nach Ungarn
zurück, wo die Fortſchritte der Inſurrection zu Gunſten
des Königs von Neapel feine Anweſenheit dringend noth-
wendig machten. Da inzwiſchen ein eigener päpſtlicher
Legat in Ungarn erſchienen war, um dem Könige Ladis—
laus die Wege zu bahnen; da mehr als die Hälfte des
Königreichs ſich demſelben bereits angeſchloſſen hatte, und
der Graner Erzbiſchof ihn am 5 Auguſt 1403 zu Zara
ſogar förmlich zum Könige von Ungarn zu krönen ſich er—
kühnte: ſo bedurfte es großer Anſtrengungen und nicht
minderer Klugheit von Seite Sigmunds, um ſo vielen
Feinden ſiegreich zu widerſtehen; doch bewies der Erfolg,
daß er ſeine Maßregeln gut zu treffen gewußt hatte. Bei
176) Wenzel ſchätzte ſich den Schaden, den er diesmal durch Sig—
mund erlitt, auf eine Million Goldgulden, d. i. ohngefähr
3,400.000 fl. C. M. Siehe Eberh. Windek 1. c.
Sigmunds Gefahren in Ungarn. Bruch mit Bonifaz IX. 151
der Zaghaftigkeit, welche Ladislaus im Hinblick auf das
tragiſche Schickſal ſeines Vaters, K. Karl des Kleinen,
nicht bewältigen konnte, und bei dem Feldherrntalente
des treuen Grafen Stibor, wendete ſich das Kriegsglück
bald entſchieden zu Gunſten Sigmunds, ſo daß Ladislaus,
nach vielen erlittenen Verluſten, ſchon im October 1403
Ungarn gänzlich wieder zu verlaſſen gezwungen war.
Der Umſtand, daß Bonifaz IX, mit welchem Sig—
mund es immer ſo gut gemeint hatte, in den letzten Jahren
an die Spitze der Feinde, wie des Hauſes Luxenburg über—
haupt, ſo auch der Könige Wenzel und Sigmund ins—
beſondere, ſich geſtellt hatte, brachte Letzteren in große Lei—
denſchaft, und veranlaßte ihn, die entſchiedenſten Maßregeln
gegen ihn zu ergreifen. Durch mehre am 9 Auguſt 1403
zu Presburg für Ungarn, und mittelſt der böhmiſchen Statt—
halter, auch für Böhmen erlaſſene Decrete, befahl er,
daß von da an und bis auf weiteren Befehl, in beiden
Reichen Niemand mehr eine Zahlung oder Gefälle, welcher
Art es immer ſei, an die päpſtliche Kammer leiſten, oder
Bullen, Briefe und Befehle, gleichviel welchen Inhalts,
ſei es vom Papſte ſelbſt, oder von deſſen Hofe und Le—
gaten, annehmen und vollziehen dürfe, unter der ſtreng—
ſten Ahndung, und namentlich bei Geiſtlichen unter Strafe
der Verhaftung und Einziehung ihrer Präbenden in die
königliche Kammer. Allen Biſchöfen und deren Vicarien
wurde eben ſo wie den weltlichen Amtern aufgetragen,
dafür zu ſorgen, daß dieſe Befehle dem geſammten Volke
gehörig kund gemacht werden. 77 Sigmund ließ alſo jetzt
den Ungehorſam gegen den Papſt in feinen Ländern eben
ſo predigen, wie vorhin der Papſt ihn gegen den König
hatte predigen laſſen. In Böhmen fiel dieſer Same in
einen ſchon ſeit lange vorbereiteten empfänglichen Boden,
177) Siehe die Urkunde bei Pelzel Nr. 188, S. 92 — 94, ferner bei
Pray, Spec. hierarch. Ungar. I, p. 92 etc.
1403
9 Aug.
152 VI Buch, 2 Capitel. K. Wenzel IV.
1403 und trug ſeiner Zeit Früchte, deren Bitterkeit eben Nie—
mand mehr zu koſten bekam, als Sigmund ſelbſt, wie uns
die nächſtfolgende Geſchichte lehren wird. Sein Benehmen
ſuchte er aber in einem an das Cardinals-Collegium ge—
richteten Briefe zu entſchuldigen, in welchem gegen Boni—
faz IX die ſchwerſten Vorwürfe erhoben wurden. 173
Während aller dieſer Ereigniſſe blieb K. Wenzel in
Wien, in der Gewalt und unter der Obhut der Herzoge
von Oſterreich. Er wohnte daſelbſt zuerſt in der herzog—
lichen Burg, und es wurde ihm täglich erlaubt, in der
Stadt und außer derſelben ſpazieren zu reiten. Nach einem
halben Jahre räumte ihm Herzog Wilhelm ein eigenes
Haus am Kienmarkt ein, und beſuchte ihn dann täglich,
eben ſo Vorſichts- als Ehrenhalber. Denn obgleich Wenzel
ein wirklicher Gefangener war, ſo ſuchte man doch dieſes
Verhältniß vor dem Volke zu verſchleiern, und erwies ihm
ſcheinbar alle Ehren, die ſeinem Range gebührten. Darum
ließ man ihn in Wien auch einen Hof halten, der, nach
178) Sigmund ſagt darin u. a.: — Tacemus illatas germano nostro
Romanorum regi contumelias, — et nostras dumtaxat injurias
recitamus. Siquidem ipse Romanus pontifex nihil aliud die
noctuque cogitare videtur, nisi ut modum inveniat, quo nos
possit ejicere de hoc regno; nam tot et tanta mala atque scan-
dala in regno nostro seminavit, — quod horror est audire. —
Nam ultra quam XX millia hominum ferro, igne, fame perie-
runt; quot autem ecclesiae combustae! quot monasteria spo-
liata! quot claustra desolata! quot xenodochia destructa, in-
credibile dictu est; praeterimus villarum incendia, pauperum
spolia etc. — Excogitare nescimus, quid umquam nostra ma-
jestas contra Sanct. Suam attentaverit, propter quod nos ita
prosequi deberet odio capitali. — Si etiam aliquomodo nostra
filiatio contra Suam Paternitatem excessisset, debuisset more
pü patris excessum nostrum benivolis verbis primo corripere
et salubribus monitis emendare; hoc siquidem non fecit, sed
potius nobis dando verba benivola, clandestine de nostro ex-
terminio pertractavit etc.
K. Wenzel in Wien; feine Flucht von dort. 153
dem Range der ihn bildenden Perſonen zu ſchließen, nicht
ganz unbedeutend geweſen fein muß.!“ Da er ſich mit
der Zeit in ſein Schickſal ergeben zu haben ſchien, ſo wurde
auch ſeine Beaufſichtigung je länger je nachläſſiger, und
es gelang ihm am Ende, ſeine Wächter zu täuſchen. Mit
Hilfe eines Malteſerordensprieſters, Namens Bohus, und
anderer Getreuen entwich er, am 11 Nov. 1403 nach
Mittag, unter den Augen der Bewohner Wiens, verkleidet
und unerkannt, aus der Stadt ans Ufer der Donau, 190
wo ein Fiſcher ihn in ſeinem Kahn nach Stadlau über—
führte. Dort wartete ſein Johann von Lichtenſtein mit
50 Schützen, und führte ihn eilig zuerſt in ſein Schloß
Nikolsburg in Mähren, dann zu deſſen Getreuen nach Kut—
tenberg in Böhmen.
*
170) Ihn bildeten nämlich drei ſchleſiſche Herzoge, Ruprecht von
Liegnitz, Bolek und Niclas von Münſterberg, der böhmiſche
Baron Benes von Chauſtnik, der Landesunterkämmerer Sig—
mund Huler auf Orlik und mehre Ritter und Hofdiener bür—
gerlichen Standes. (Vgl. Urkk. vom 5 Nov. 1404 bei Pelzel.)
180) Zu den von Pelzel, Aſchbach u. A. geſammelten Quellenzeug—
niſſen über Wenzels Flucht aus Wien haben wir noch zwei
ungedruckte hinzuzufügen: 1) Chronicon Bohem. ann. 1344 —
1411: Ann. dom. 1403, in die S. Martini, Wenceslaus rex est
liberatus mirabiliter a captivitate civitatis Viennensis. 2) Chron.
universit. Prag.: — in die s. Martini, Wenceslaus rex miro
modo, die clara post prandium, multis videntibus sed non
cognoscentibus, per Danubium evasit, procurante quodam cru-
cifero dicto Bohuss cum sibi adhaerentibus. Worin das Wun—
derbare in den Anſtalten zu Wenzels Befreiung beſtand, wüß—
ten wir nicht näher anzugeben.
1403
11 Nov.
Drittes Capitel.
K. Wenzels dritte Regierungsperiode. Beginn
kirchlicher Bewegungen in Böhmen.
Anfänge und Grundzüge des kirchlichen Zwieſpalts. Die
Biſchöfe und die Bettelmönche. Erzbiſchof Arneſt und
Kaiſer Karl IV. Vorläufer der Reformation in *
Konrad Waldhauſer, Milid von Kremſier, Mathias von
Janow. Die Prager Univerſität und das böhmiſche Schul—
weſen. Thomas von Stitny. Wiklef's Lehre und deren Ver—
breitung in Böhmen. M. Johann Hus und Hieronymus
von Prag. Erſte Verdammung von 45 Wiklef'ſchen Sätzen
durch die Prager Univerſität. K. Wenzels neue Regierung;
Krieg mit K. Sigmund; kräftige Maßregeln zu Herſtel—
lung der Ruhe im Innern. Verſuche zur Geltendmachung
der römiſchen Königswürde. Bruch des Königs mit Papſt
Gregor XII. Fortſchritte des Wiklefismus in Böhmen.
M. Hus als Prediger in Bethlehem. Das kirchliche Schisma
und die Neutralitätsfrage; beide Päpſte von ihren Car—
dinälen verlaſſen. Neue Reactionsverſuche gegen den Wik—
lefismus in Böhmen. K. Wenzel, das Cardinalscollegium
und die Prager Univerſität. Streit um die drei Stim—
men; Nicolaus von Lobkowic. Auswanderung der deut—
ſchen Profeſſoren und Studenten aus Prag.
(Jahre 1403 — 1409.)
>
1403 In einer fehr zahlreichen Verſammlung der Prager
Univerſität am 28 Mai 1403 wurden, auf Verlangen
des erzbiſchöflichen Officials und des Prager Domcapitels,
45 aus den Büchern des engliſchen Reformators Johann
Anfänge und Grundzüge des kirchl. Zwieſpalts. 155
von Wiklef gezogene Lehrſätze vorgeleſen, und nach ſtür—
miſchen Verhandlungen durch Mehrheit der Stimmen der
Beſchluß gefaßt, daß kein Mitglied der Univerſität dieſel—
ben, unter der Strafe des Eidbruchs, lehren und verbrei—
ten dürfe. N
Es war dies der erſte öffentliche Act, in welchem ein
ſeit geraumer Zeit in den Gemüthern keimender Zwieſpalt
von Meinungen und Anſichten in Betreff ſowohl der chriſt—
lichen Lehre, als auch der Verfaſſung und Verwaltung der
abendländiſchen Kirche, zum Ausbruch kam. Von da an
ſetzte ſich dieſer Zwieſpalt in dem Bewußtſein der Zeit—
genoſſen, je länger, je klarer und entſchiedener feſt. Nach
einer Reihe eben ſo bedeutſamer als unerhörter Ereigniſſe
ergriff dieſes neue Element das ganze Volksleben in Böh—
men und Mähren, drängte alle übrigen geiſtigen und ma—
teriellen Intereſſen in den Hintergrund, äußerte die hef—
tigſte Rückwirkung nicht allein auf die Nachbarländer, ſon—
dern auch auf die ganze Chriſtenheit, und führte endlich zu
gewaltigen Kriegen, die zu wiederholten Malen ganz Europa
erſchütterten, unſer Vaterland aber mit Blut tränkten und
mit Trümmern bedeckten. Die außerordentliche Wichtigkeit
dieſes verhängnißvollen Momentes in der Geſchichte legt
uns die Pflicht auf, ſeine erſten Keime und die ganze Ent—
wicklung derſelben mit möglichſter Treue, Klarheit und
Bündigkeit zu verfolgen und vor Augen zu ſtellen.
Der inhaltſchwere Streit, der dieſe Epoche bezeichnet,
drehte ſich im Allgemeinen um die Frage: ob das Chriſten—
thum, wie es in den damaligen Zeiten ſich in der abend—
ländiſchen Kirche geſtaltete, dem Sinne ſeines göttlichen
Stifters und der erſten Verkündiger und Lehrer desſelben
entſprach? ob es nicht in einigen Puncten davon abgewi—
chen war, und deshalb in die urſprüngliche Bahn zurück—
geführt werden ſollte? Die Frage bezog ſich ſowohl auf
die Theorie, als die Praxis des Chriſtenthums, nämlich
1403
156 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— ſowohl auf die Lehre, als die Verfaſſung und Disciplin
der Kirche.
Hierauf antworteten, im Allgemeinen, die Einen:
Nein, die Kirche iſt nicht abgewichen vom Geiſte des Hei—
lands; denn dieſer Geiſt ruht in ihr, als unmittelbares
lebendiges Vermächtniß ihres Stifters, er bewegt und bil—
det ſie von innen aus für alle Zeiten. Was ſie glaubt
und lehrt, iſt daher der wahre chriſtliche Glaube, die wahre
chriſtliche Lehre; außer ihr gibt es um ſo weniger ein wah—
res Chriſtenthum, als nur ſie allein, in ihrer Geſammtheit,
das Wahre vom Falſchen zu unterſcheiden berufen und
befähigt iſt. Ihre einzelnen Glieder können von ihr ab—
fallen und im Lebenswandel, ſo wie in der Lehre, auf
Irrwege gerathen: ſie ſelbſt aber wird dadurch nicht ver—
ändert, ſie bleibt dieſelbe für und für, und die Pforten der
Hölle können ſie nicht bewältigen!
Die Andern behaupteten dagegen: Das wahre Ver—
mächtniß Chriſti an ſeine Kirche ſeien die von ſeinen un—
mittelbaren Jüngern hinterlaſſenen Schriften des neuen
Teſtaments, welche, vernünftig erklärt und angewendet, als
alleinige Norm der chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehre
zu gelten hätten. Alles das in der Kirche, was nicht mit—
telbar oder unmittelbar aus jener Norm fließt, ſei menſch—
liches Beiwerk, und als ſolches entweder gleichgiltig, oder,
falls es damit im Widerſpruche ſtehe, ſogar verwerflich.
Man ſieht, daß es ſich hier um die Gegenſätze des
Katholicismus und Proteſtantismus handelte, welche ſeit
Jahrhunderten ſich geltend machen und auch heute noch
nicht ausgeglichen ſind; alſo um einen Zwieſpalt in der
Chriſtenheit, der auf einem tiefern Grunde ruht und eine
ausgedehntere Bedeutung hat, als ſich mit leichtem Blick
erfaffen läßt. Seit Jahrhunderten ſieht ſich die Chriſten—
heit in Parteien geſpalten und zu gegenſeitigem Kampf
Anfänge und Grundzüge des kirchl. Zwieſpalts. 157
gerüſtet, deſſen Ende menſchlicher Weiſe nicht abzu- — —
ſehen iſt. —
Die erſten Bewegungen in der böhmiſchen Kirche,
welche mit den folgenden Ereigniſſen, wie Glieder einer
Kette zuſammenhängen, und ohne Zweifel noch ganz dem
Gebiete des Katholicismus angehören, reichen in ältere
Zeiten hinauf, als gewöhnlich angenommen wird. Unbe—
gründet ſcheint zwar, was ſpätere Schriftſteller von einer
im böhmiſchen Volke angeblich durch Jahrhunderte fortge—
pflanzten Überlieferung griechiſch-flawiſcher Kirchenanſichten
anführten; wir haben davon nirgends einige Spuren
wahrzunehmen vermocht. 1%! Haltbarer möchte dasjenige
ſein, was von dem Herüberſtreifen waldenſiſcher Lehren
im XIII und XIV Jahrhunderte auch nach Böhmen ge—
ſprochen wird, obgleich es auch darüber an deutlichen gleich—
zeitigen Daten mangelt. Wir wiſſen nicht, welcher Art
Ketzerei es war, zu deren Unterdrückung K. Otakar II
ſich die Hilfe des päpſtlichen Stuhles ausbat, welche auch
Alexander IV durch die am 17 April 1257 erfolgte Er—
nennung zweier Minoriten zu Inquiſitoren in Böhmen
gewährte.!“ 2 Das faſt gleichzeitige Auftreten wirklicher
181) Man darf nicht außer Acht ſetzen, daß die ſlawiſchen Mönche
im Kloſter zu Sazawa, ungeachtet ihres abweichenden Ritus,
(gleichwie die Glagoliten in Prag ſeit Karl IV) ſich ſtets zur
römiſchen Obedienz bekannt hatten, der böhmiſch-ſlawiſche Sa—
zawer Abt Prokop von Innocenz III im J. 1204 canoniſirt
wurde u. ſ. w.
182) In der darüber erlaſſenen Bulle heißt es nur: Quia in ali-
quibus partibus regni et dominii carissimi in Christo filii nostri
illustris regis Boemorum et Poloniae confiniis adeo infidelitatis
error invaluit, quod ibi quam plurimi a via veritatis prorsus
aversi mentes, per devium falsitatis, pestiferas ad concutien-
dum orthodoxae murum fidei machinas construebant, molientes
ipsum fallacium argumentationum impulsibus demoliri: Sedis
Apostolicae diligentia contra talium dolosam astutiam, ne dif-
fusus serperet morbus ipse, remedium adhibuit opportunum etc.
158 VI Buch, 3 Kapitel. K. Wenzel IV.
— Waldenſer im benachbarten Regensburg, ſo wie ſpäter in
Oſterreich, 18 geſtattet die Vermuthung, daß auch Böhmen
von ihren damals in viele Länder verbreiteten Lehren nicht
unberührt geblieben ſei. Doch hatte dies Alles wenigſtens
keinen ſichtbaren Einfluß auf die Entwickelung der nach—
maligen Ereigniſſe.
Als erſtes Glied in der Kette müſſen wir die häu—
figen Reibungen bezeichnen, in welche die biſchöfliche
Gewalt in Böhmen, wie auch anderweit, mit den un—
mittelbar vom päpſtlichen Stuhl abhängigen und auf deſſen
Hebung vorzugsweiſe bedachten Orden der Bettel—
mönche gerieth. Die Minoriten (vom heil. Franz von
Aſſiſſi 1207 gegründet), die Dominicaner oder Prediger—
mönche, die Karmeliter und Auguſtinereremiten wurden
bald nach ihrer Stiftung auch nach Böhmen verpflanzt;
am Hofe K. Wenzel J und Otakar II erfreuten ſich ins—
beſondere die Minoriten der höchſten Gunſt, wie ſie ſich
auch durch Eifer im Predigen des Evangeliums an das
Volk auszeichneten; gleiches Anſehen erlangten bald auch
die Dominicaner, vorzüglich wegen ihrer theologiſchen Ge—
lehrſamkeit.!““ Aber fie wurden auch frühe ſchon beſchul—
digt, daß ihr einſt apoſtoliſcher Lebenswandel, ihre mu—
ſterhafte Zucht, bei der ſteigenden Macht ihrer Orden in
immer tieferen Verfall geriethen; daß anftatt der urſprüng—
lichen Demuth und freiwilligen Armuth bei ihren Gliedern
Anmaſſung und unerſättliche Habſucht ſich immer mehr
geltend machten, und daß ſie ihren großen Einfluß auf das
Volk mehr zu Befriedigung ihrer Leidenſchaften, als zu
Förderung wahrer chriſtlicher Frömmigkeit gebrauchten.
183) Thom. Ried codex chronol. diplomat. Ratisbon. I, 481 (ad ann.
1265). Pez, scriptt. rer. Austriac. II. 534.
184) Die ziemlich lange Reihe der theologiſchen Schriftſteller Böh—
mens im XIV Jahrh. eröffnen zwei Dominicaner, M. Zdislaus
und Kolda von Koldic.
Streit B. Johanns v. Drazic u. der Bettelmönche. 159
Als insbeſondere die Minoriten von Leitmeritz die vom ——
letzten Prager Biſchof, Johann von Drazie, zu oft ver—
hängten kirchlichen Interdicte nicht beobachteten, wurden
ſie von den biſchöflichen Officialen offen beſchuldigt, dieſer
Bruch der Kirchenzucht rühre nur von ihrer Habſucht
her;!“ und als die von Saaz es ſogar wagten, den vom
Biſchof wegen Beſchädigung von Kirchengütern excommu—
nicirten Herrn Suliſlaw von Pnétluk, der 1313 im Bann
verſtarb, feierlich zu beerdigen, belegte ſie Johann von
Drazic auch ſelbſt mit dem Bann in ſo lange, bis ſie die
gehörige Buße geleiſtet haben würden. Dagegen klagten
ſie ihn an, daß er die Gründung eigener Convente für
ſogenannte Magdalenitinnen, s die doch vom päpſtlichen
Stuhle weder autoriſirt noch erlaubt ſeien, offen begün—
ſtige, daher der Ketzerei in ſeiner Diöceſe Vorſchub leiſte.
Obgleich aber nach Clemens V Tode mehre Cardinäle
ſich ins Mittel legten, ſo ließ der begonnene Streit ſich
dennoch lange nicht beſeitigen, und trug viel zu den Wi—
derwärtigkeiten bei, welche der Bifchof während feines un—
freiwilligen eilfjährigen Verweilens zu Avignon (1318-1329)
zu erdulden hatte, 17 Wie jedoch auch bald nach feiner
Rückkehr auf den biſchöflichen Stuhl, im J. 1334, ſein
Secular-Clerus mit den Mönchen der ſogenannten Bettel—
orden ſogar in blutigen Zwiſt gerieth, haben wir bereits
im früheren Bande dieſer Geſchichte berichtet.
1 185) Vgl.: Über Formelbücher, 1 Lieferung, S. 340.
186) Quasdam religiosas, appellatas Magdalenitas, nullius tamen reli-
gionis approbatae defenditis, quas magis — repellere debuistis.
(Schreiben des Cardinals Bernard an Biſchof Johann, noch un—
gedruckt.) Dies iſt wohl auf die zahlreichen Convente adeliger
Beginen zu verſtehen, die in jener Zeit auch in Böhmen ſich
bildeten, ſpäter aber von Papſt Johann XXII ſtreng unterſagt
wurden. Vgl. Chronicon Aulae regiae bei Dobner, V, 367.
187) Vgl. Band II, Abtheil. 2, Seite 156 und 210.
160 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
Auch unter Johanns von Drazie Nachfolger, dem
großen erſten Prager Erzbiſchof Arne ſt von Pardubice,
hörten ſolche Zerwürfniſſe im Schooße der böhmiſchen
Kirche nicht auf, ſondern nahmen mit der Zeit einen noch
ernſteren Charakter an. Über den Eifer, womit Arneſt
bei dem Clerus ſeiner Diöceſe Bildung und Sittenreinheit
zu fördern befliſſen war, und über die zweckmäßigen, zum
Theil ſtrengen Maßregeln, die er deshalb ergriff, haben
wir bereits geſprochen. An Gelehrſamkeit, Welt- und
Menſchenkenntniß, ſchöpferiſchem Geiſt und Organiſirungs—
talent glich Arneſt ſeinem Herrn und Freunde, Karl IV,
ohne die Schwächen ſeines Charakters zu theilen. Wie
Karl im J. 1348 den Staat gleichſam neu gründete, ſo
folgte auch Arneſt ſeinem Beiſpiele, indem er auf einer
böhmiſchen Provincialſynode am 12 Nov. 1349 jene Dis—
ciplinargeſetze für den böhmiſchen Clerus feſtſetzte, welche
unter dem Titel »Statuta Arnesti« berühmt, Jahrhunderte
lang in Kraft und Anſehen ſich erhielten. 1° Es iſt be—
kannt, mit welchem Eifer auch Karl IV auf eine Reform
des Clerus drang; die vereinten Bemühungen des Kaiſers
und des Erzbiſchofs hatten die Folge, daß die böhmiſche
Geiſtlichkeit jener Zeit an Bildung und Sitten der deut—
ſchen im Allgemeinen unſtreitig überlegen war. 1% Die
im J. 1348 gegründete Prager Univerſität, dieſes von
Kaiſer und Erzbiſchof gleich zärtlich gepflegte Schooßkind,
trug dazu weſentlich bei.
Bezeichnend für den Geiſt, der die Häupter des Staats
und der Kirche in Böhmen leitete, war die Berufung des
188) Sie wurden zuerſt in Pilſen 1476, als eine der älteſten Incu—
nabeln in Böhmen, gedruckt; dann in Prag 1606, in 4.
189) Auf dieſen Umſtand gründete bekanntlich Urban V im J. 1365
die Nothwendigkeit, die Prager Erzbiſchöfe zu Legaten des heil.
Stuhles auch für die Diöceſen Regensburg, Bamberg und
Meißen zu beſtellen. S. Bd. II. Abth. 2. S. 372 — 73.
Erzbiſchof Ernſt. K. Karl IV. Konrad Waldhauſer. 161
Auguſtinerbruders Konrad Waldhauſer aus Oſter⸗ ——
reich,!“ und deſſen mehrjährige Wirkſamkeit in Prag;
jenes Konrad, der unter dem falſchen Zunamen 'von
Stekna⸗ in allen kirchenhiſtoriſchen Lehrbüchern als ein
Vorläufer des M. Johann Hus angeführt wird. Dieſer
durch Gelehrſamkeit und Energie des Charakters ausge—
zeichnete Prediger war einer der Zeitgenoſſen, der Karls IV
Aufmerkſamkeit auf ſich zog und den Wunſch in ihm rege
machte, auch dieſe Notabilität für fein geliebtes Böhmen zu ge—
winnen. Karl ließ ihm durch die Herren von Roſenberg die
Vorſchläge eröffnen, in deren Folge Konrad (wie es ſcheint,
im J. 1360) nach Prag kam, um hier an der St. Gallikirche
das Predigeramt zu übernehmen. Seine eindringlichen Reden,
in welchen er den Stolz, die Habſucht und UÜppigkeit der
Prager ſchonungslos angriff, ““! hatten bald einen bis
dahin unerhörten Erfolg. Nicht nur zogen ſie ſo viele u-
hörer an, daß die Kirche ihre Menge nicht mehr fafjen -
konnte und er meiſt auf offenem Platze vor derſelben zu “
predigen gezwungen war, ſondern ſie bewirkten auch die
auffallendſten Sinnes- und Sittenänderungen im Volke.
Die Prager Frauen legten ihren gewohnten Schmuck, ihre
koſtbaren Schleier, ihre mit Gold und Perlen beſetzten
190) Er ſchrieb ſich ſelbſt: Ego Conradus in Waldhausen, professus
ordinis St. Augustini canonicorum regularium ;« Mathias von
Janow nannte ihn »Conradus Wolthausar;« eine gleichzeitige
Handſchrift im böhm. Muſeum lieſt: postilla — edita per D.
Chunradum de Walthusa, plebanum in ecclesia b. Virg. in
Lacta Curia in civitate Pragensi. Der Name »von Stöfna«
gehört einer andern Perfon an, und zwar dem Ciftercienfer:
bruder M. Johann von Stékna, deſſen in den Jahren 1373
bis 1405 gedacht wird. (S. unten.)
191) Quasi in omnibus sermonibus argui superbiam Pragensium, ava-
ritiam et luxuriam — fagt er ſelbſt in feiner noch ungedruckten
Apologie, aus welcher wir, gleichwie aus andern gleichzeitigen
Manuſcripten, unſern Bericht geſchöpft haben.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 11
162 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— Kleider nach und nach ab, und kleideten ſich einfach; der
Wucher hörte auf, und mehre Sünder dieſer Art erboten
ſich freiwillig, ihre früheren Opfer zu entſchädigen; be—
kannte Buhler, in Prag damals »Hellenbrechte« genannt,
vor deren Zudringlichkeiten ſittige Bürgertöchter ſelbſt in
den Kirchen nicht ſicher geweſen, thaten Buße und gingen
in Frömmigkeit und Andacht mit gutem Beiſpiel voran
u. dgl. m. Verwundert fragte Konrad ſelbſt: »wie kommt
es, daß das Volk mir ſo viel Liebe und Anhänglichkeit
erweiſt, während ich nicht aufhöre, es zu ſtrafen? Die
Bettelmönche thun in ihren Predigten das Gegentheil „ſie
ſchmeicheln dem Volke, und ſiehe, ihre Kirchen bleiben leer!«
Und war ſchon dieſer ungleiche Erfolg geeignet, Neid, und
Haß zu erregen, ſo ſtiegen dieſe Leidenſchaften noch höher,
als Konrad (im Dec. 1363) anfing, auch gegen die Si—
monie der Geiſtlichen, insbeſondere der Bettelmönche, zu.
eifern; und Simonie nannte er auch das, wenn z. B.
weibliche Novizen nicht anders, als mit angemeſſener Aus—
ſteuer, in die Klöfter aufgenommen wurden. Als er dem
Erzbiſchof Arneſt ſolche Fälle anzeigte und ihn dagegen
einzuſchreiten aufforderte, entſchuldigte dieſer ſich damit,
daß die Bettelorden ihre eigenen Oberen hätten und von
feiner Jurisdiction eximirt ſeien.!?? Die Dominicaner be—
nützten aber die Anweſenheit ihres Generals, der zu An—
fang des Jahres 1364 als päpſtlicher Legat nach Prag
gekommen war, um den verhaßten Prediger wegen zwei
ketzeriſcher Artikel, die er gelehrt haben ſoll, vor das Gericht
des Erzbiſchofs zu laden. Konrad reichte alſogleich ſeine
ſchriftliche Vertheidigung dagegen ein; nichtsdeſtoweniger
fand Arneſt es für gut, in öffentlicher Ankündigung Tag
und Stunde feſtzuſetzen, wo Jeder, der über den Wald—
192) Qui (archiepiscopus) respondit, quod monasteria monialium fere
omnia essent ab ejus cura in civitate Pragensi exempta, sed
sub alis fratrum ordinum Mendicantium, ut communiter, essent.
Konrad Waldhauſer in Prag. 163
hauſer zu klagen habe, mit feiner Klage vor ihm erſchei- — —
nen ſollte. Es erſchien Niemand. Dies ſcheint den Muth
des Sittenrichters noch geſteigert zu haben; im Mai 1364,
während der Anweſenheit Herzog Rudolfs von Sſterreich
in Prag, wollte er ſeinen Streit mit den Bettelmönchen
zum Gegenſtande einer Predigt machen, leiſtete aber der
abmahnenden Stimme ſeiner Oberen endlich dennoch Folge,
und unterließ die Predigt, um das ohnehin gegen die
Mönche erbitterte Volk nicht noch mehr zu reizen. 19% Her—
zog Rudolf, der jetzt erſt den Werth des Mannes erkannt
zu haben ſchien, machte ihm die ſchmeichelhafteſten Anträge,
um ihn zu bewegen, in ſein Vaterland zurückzukehren:
Konrad erklärte jedoch, der Dank, den er dem Kaiſer für
ſo viele Gnadenbezeigungen ſchulde, erlaube ihm nicht, die
Anträge anzunehmen. Später traten die Dominicaner
wieder mit 18, die Auguſtiner mit 6 Artikeln gegen ihn
auf; Letztere beſchuldigten ihn insbeſondere auch der Apo—
ſtaſie. Dagegen ſchrieb er wieder eine umſtändliche Apo—
logie, deren bisweilen ſehr derbe Worte auf den Ton ſei—
ner Vorträge überhaupt ſchließen laſſen. Er behauptete
darin unter Anderem, die Mönche ſeien ihren älteſten Vor—
fahren in Allem ſo unähnlich geworden, daß wenn die
heiligen Stifter ihrer Regeln jetzt wieder unter ihnen
erſchienen, ihre Jünger ſie nicht nur nicht erkennen und
aufnehmen, ſondern ſteinigen würden; ſo ſehr erbittere ſie
jede Rüge ihrer ausgearteten Sitten. Nur in Einem
Puncte hätten ſie in jüngſter Zeit ſich wunderſam gebeſſert:
während ſie vorhin in ewigem Hader einander ſelbſt be—
kämpft, “ ſtänden fie jetzt ausgeſöhnt und einträchtig alle
193) Ipsi statim procuraverunt, quod fui patenti prece rogatus,
a ut talia obmitterem ista vice, timentes a populo amplius odiri,
a quo, sua exigente hujusmodi meae indebitae vexationis
culpa, diliguntur sicut lupi.
194) Virtute meae doctrinae — duo magni hostes di mutuo fuerunt
3
164 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— für einen Mann da — gegen ihn, den gemeinſchaftlichen
Gegner. Doch bewegte ſich der ganze Streit, der bis in
die Nachbarländer Aufſehen machte, um bloße Disciplinar—
ſätze von untergeordneter Bedeutung. Für den beſonderen
Schutz, den Karl IV dem kühnen Redner fortwährend an—
gedeihen ließ, ſpricht auch der Umſtand, daß er ſpäter die
anſehnlichſte Pfarrei in Prag, die an der Teynkirche, er—
hielt, wo er am 8 Dec. 1369, zu früh für die Prager,
ftarb und unter allgemeiner Trauer begraben wurde. !“
Konrads glänzende Erfolge auf der Kanzel erſchienen
einem Manne von gleicher Geſinnung, wenn gleich ver
ſchiedenem Geiſte, ſo neidenswerth, daß er beſchloß, ſeine
höhere kirchliche Stellung aufzugeben, um mit ihm auf
gleichem Felde zu wetteifern. Es war der Prager Dom—
herr Milié von Kremſier,““ der ſeit vielen Jahren
an Karls IV Hofe angeſtellt, denſelben noch 1360—62
auf Reiſen in Deutſchland als Unterkanzler begleitet hatte.
Als Herr des Gutes Tman zugleich, durfte Milié mit
ſeiner äußern Lage wohl zufrieden ſein: aber im Herbſte
1363 erklärte er plotzlich ſeinen Entſchluß, allen Ehren,
Würden und Beneficien zu entſagen, um in vollkommener
Armuth Chriſtus und deſſen Evangelium zu dienen. Höchſt
ungern verlor Erzbiſchof Arneſt einen ſo frommen und ge—
lehrten Mann aus feinem Capitel; »was könnt Ihr denn
reconciliati — qui — numquam se prius dilexerant, imo stu-
pende pro cadaveribus humanorum corporum, tamquam fame-
lici volucres, saepe certaverant ete.
195) Benessii de Weitmil chron. in Scriptt. rer. Bohem. II, 403 sq.
196) Vgl. Band II, Abtheil. 2, S. 358. Den Bericht über Milic
ſchöpfen wir, außer ſeinen Schriften und vielen gleichzeitigen
meiſt noch unbekannten Acten, vornehmlich aus zwei Quellen:
der bereits erwähnten Vita (in Balbins Miscell. lib. IV, parte
2, pag. 44 — 64) und der umſtändlichen Charakterſchilderung,
die Mathias von Janow in ſeinem noch ungedruckten großen
Werke von ihm hinterlaſſen hat. (S. unten.)
Milie von Kremfier. . 165
Beſſeres thun, als Eurem armen Oberhirten bei Führung — --
ſeiner Heerde Beiſtand leiſten?« ſtellte er ihm vor. Doch
der ſchwärmeriſch begeiſterte Miliè ließ ſich nicht halten;
er floh aufs Land, nach Biſchofteinitz, um als Capellan
des dortigen Pfarrers ſich in der Seelſorge, zumal im
Predigen, zu üben. Nach einem halben Jahre kehrte er
nach Prag zurück, und fing zuerſt bei St. Niklas auf der
Kleinſeite, dann bei St. Agidius auf der Altſtadt, zu pres.
digen an. Ungeachtet des gleichen Ziels und der gleichen
Geſinnung, unterſchieden ſich die Vorträge des neuen Re—
formators dennoch weſentlich von denen des ältern. Da
der deutſche Konrad bisher nur den deutſch redenden Theil
der Prager Bevölkerung hatte erbauen können, ſo wendete
Milié ſich zunächſt an den rein böhmiſchen; und während
die Kraft des Erſteren vorzüglich in ſeiner Klarheit, Be—
fonneaheit und derben Naturwahrheit lag, wirkte letzterer
mehr durch Anregung des Gefühls und der Phantaſie,
durch myſtiſchen Anflug und einen mit apokalyptiſchen Bil—
dern reichlich durchwebten Vortrag. Anfangs hatte er nur
wenige Zuhörer, und auch dieſe erlaubten ſich mitunter,
feine Sprache ſpöttiſch zu bekritteln;!“ nach und nach aber
mehrte ſich die Zahl, und wuchs endlich ſo bedeutend heran,
daß er, vielfachen Wünſchen ſich fügend, manchen Tag an
drei verſchiedenen Orten, eines Tags ſogar fünfmal, pre—
digen mußte. Wie einerſeits das Volk von feiner religid-
ſen Begeiſterung mit hingeriſſen wurde, ſo bewunderten
anderſeits auch die Gelehrten die außerordentliche Frucht—
barkeit, Friſche und Schnellkraft feines Geiftes. 1
197) Propter incongruentiam vulgaris sermonis — fagt der Biograph;
wahrſcheinlich iſt das auf den mähriſchen Accent zu verſtehen,
den Milie auch in feinen Predigten beibehalten haben dürfte.
198) Selbſt der gelehrteſte Böhme ſeiner Zeit, der Prager Dom—
ſcholaſticus Adalbert Rankonis von Ericino (im J. 1355 ge—
weſener Rector der Univerſität von Paris,) ſoll einſt in Ver—
166 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
Durch vieles Grübeln in der heiligen Schrift, zumal
in den Propheten und der Apokalypſe, gewöhnte ſich Mi—
lik's Geiſt an die gleiche Richtung und Anſchauungsweiſe.
Im täglichen Kampfe mit der Verdorbenheit der Sitten
aller Stände ſeiner Zeit befangen, und auf Mittel ſinnend,
den Erfolg dieſes Kampfes zu ſichern, glaubte er plötzlich
eine eben fo furchtbare als wichtige wiſſenſchaftliche Ent-
deckung gemacht zu haben: eine mit großer Beleſenheit und
eigenem Scharfſinn angeſtellte Combination und Erklärung
der in der Bibel über die Ankunft des Antichriſts in den
letzten Tagen der Welt vorhandenen Daten!“ führte ihn
auf das Ergebniß, daß die vorausgeſagte ſchreckliche Zeit
beſtimmt in die Jahre 1365-1367 unſerer Zeitrechnung
falle. Er ſchrieb darüber eine eigene gelehrte Abhand—
lung,“ und verkündigte feinen Lehrſatz in ergreifenden
Worten auch von der Kanzel herab. Da gab es nun
keinen Stand, kein Alter und kein Verhältniß, in welchem
er die Wirkungen und Werkzeuge des Antichriſts nicht auf—
zudecken und zu ſchildern gewußt hätte; Alles, was im
Menſchenleben mit reiner chriſtlicher Liebe, Demuth und
wunderung ausgerufen haben: omme, quidquid ego pro Ser-“
mone faciendo viris literatis et illuminatis vix in uno mense
comprehendere possum, Milicius vero tantum una hora suo
studio comprehendit.
199) Nämlich die Stelle im Evangelium Matthäi XXIV, 15: Cum
videritis abominationem desolationis, quae dicta est a Daniele
propheta, stantem in loco sancto ete. — verglichen mit den Wor⸗
ten Daniels XII, 11, 12: tempus, quo ablatum fuerit juge sa-
erifiecium et posita fuerit abominatio in desolationem ete.
200) Libellus de Antichristo, der mit den Worten anfängt: »In
Christi nomine, qui est testis fidelis, amen. Qui audit, etiam
dicat amen! et non exhorreat hoc audiens« etc. Mathias von
Janow hat dieſe Abhandlung feinem großen Werke (j. unten)
ganz einverleibt, und zwar lib. III, tractat. V, distinct. XI, wo
dieſelbe in vier Capitel eingetheilt iſt.
Milie von Kremſier. 167
Frömmigkeit unvereinbar erſchien, galt ihm als antichriſt- ——
lich. Vornehmlich war es der geiſtliche Stand, vom Erz—
biſchof bis zu den Bettelmönchen herab, der ihm reichen
Stoff zu ſeinen Strafpredigten darbot; doch auch weltliche
Fürſten und Herren traf das gleiche ſtrenge Gericht, wie
den gemeinen Mann. Als aber Milic es ſich beifallen
ließ, in einer großen Verſammlung dem Kaiſer Karl IV.
ſelbſt ins Geſicht zu behaupten, daß er der große Anti—
chriſt ſei, fand es Erzbiſchof Oeko von Wlasim nothwen—
dig, ihn dieſe Kühnheit durch mehrtägigen Kerker büßen
zu laſſen. ! Der Kaiſer indeß, der den Eiferer von jeher
geliebt und geachtet hatte, entzog ihm auch nach dieſem
Vorfalle nicht feine Gunſt; als Milié, von den Prager
Theologen wegen ſeines Lehrſatzes gedrängt, an Papſt
Urban V appellirte und deßhalb im Jahre 1367 perſön—
lich nach Rom ſich begab, verſah Karl IV ihn mit den
beſten Empfehlungsſchreiben.
Lachdem Milié der vorbeſtimmten Ankunft Urbans V
in Rom lange vergebens geharrt, beſchloß er, ihm nach
Avignon entgegen zu gehen, vorher aber noch die Römer
mit ſeiner großen Entdeckung bekannt zu machen. Er
eröffnete in einem Anſchlag an den Thoren der St. Pe—
terskirche ſeine Abſicht, in einer öffentlichen Predigt die
bereits erfolgte Feſtſetzung des Antichriſts auf Erden zu
verkünden, und angemeſſene Mahnungen daran zu knü⸗
201) Artieuli XI contra Milicium praesentati in curia Romana:;
„Primo, quod ipse tenuit et atfirmavit, quod in anno dom.
1366 Antichristus fuisset natus; et quia eandem opinionem
dimittere noluit, fuit per D. Johannem archiep. Prag. incar-
ceratus« etc. Dies wird von Mathias von Janow näher be:
ſtimmt: »Indutus zelo quasi thoraci, imperatorem praedictum-
aggressus digito indicavit, et dixit sibi cum omnibus, quod
ille sit magnus Antichristus; propter quod carceres et vincula
‚diutine est perpessus.«
168 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— pfen. 2 Kaum war jedoch der Anſchlag bekannt geworden,
ſo ſuchte der Ketzerrichter von Rom, ein Dominicaner, den
frommen Schwärmer alſogleich auf, und ließ ihn in der
Peterskirche ſelbſt verhaften; denn ſchon früher war er
von ſeinen Ordensbrüdern in Prag auf ihn aufmerkſam
gemacht worden. Viele Wochen lang ſchmachtete nun Mi—
lic bei den Minoriten in Araceli, ſein Begleiter Dietrich
bei den Dominicanern, in ſchwerem Gefängniſſe. Froh—
lockend verkündigten ſchon in Prag die Bettelmönche ihren
Zuhörern von den Kanzeln herab die nahe Verbren⸗
nung dieſes angeblichen Ketzers.“s Mit Urbans M Ein—
tritt in Rom änderte ſich jedoch die Scene: Karls IV
Schützling wurde nicht nur ſeiner Haft ledig, und vieler
Auszeichnungen, insbeſondere durch den Cardinal von Al—
bano, theilhaftig, ſondern er bekam auch bald Gelegenheit,
eine wahrhaft chriſtliche Tugend zu üben, indem er ſich für
ſeine zur Verantwortung gezogenen Verfolger ſelbſt ver—
wendete. Der Inhalt ſeiner Unterredungen mit dem Papſte
iſt uns nicht überliefert worden; nicht zu verkennen iſt es
202) Quum jam desperassem de adventu domini nostri Papae, tune
praeparavi me, iter volens arripere versus Avinionem; et in-
terim irruit in me spiritus, ita ut me continere non possem,
dicens mihi in corde: vade, intima publice per cartam, quam
affiges ostiis ecelesiae S. Petri, sicut solitus fuisti intimare in
Praga, quando eras praedicaturus, quod velis praedicare, quod
Antichristus venit; et exhortaberis elerum et populum, ut orent
pro domino nostro papa et pro domino nostro imperatore, ut ita
ordinent ecelesiam sanctam in spiritualibus et temporalibus, ut
securi fideles deserviant creatori; et dabis in scriptis sermonem
illum, ne mutentur verba tua, et ut materia divulgetur, ut mali in
timorem mittantur et boni ferventius deo famulentur; seereta hu-
jus rei domino summo pontifici reservabis. Dieſe Stelle aus dem
Libellus de Antichristo iſt in die Vita (bei Balbin p. 50) wörtlich
aufgenommen, aber die Worte »quod Antichristus venit« hin⸗
weggelaſſen worden — gewiß nicht zufällig.
203) »Charissimi! ecce jam Milicius cremabitur.« (Vita, pag. 51.)
Milie von Kremſier. 169
aber, daß er von da an feinen Lehrſatz von der Ankunft — —
des Antichriſts, wenn auch nicht ganz aufgab, E mehr
und mehr zurückhielt.
In ſeinem Innern beruhigt und vor den Augen der
Gläubigen gerechtfertigt, entwickelte Mitte nach feiner Zus
rückkunft eine noch größere Thätigkeit in Bekämpfung des
Laſters nach allen ſeinen Formen. Um auch den Deutſchen
in Prag nützlich werden zu können, lernte er noch im vor—
gerückten Alter deutſch, + und fing auch in dieſer Sprache
zu predigen an; wie er denn nach Konrad Waldhauſers
Tode das Amt eines Predigers in der Teynkirche förm—
lich übernommen zu haben ſcheint. Doch beſchränkte ſich
ſein Eifer nicht auf das Predigen allein; Tauſenden war
er zugleich Beichtvater und Gewiſſensrath, der oft in ihren
ſchwierigſten Verhältniſſen zu entſcheiden berufen wurde;
und da man ihm häufig Geſchenke aufdrang, die er, bei
ſeiner äußerſt ſtrengen Enthaltſamkeit, nicht für ſich behal—
ten konnte, ſo ſuchte er die Nothleidenden ſelbſt auf, um
ihnen zu helfen. Am meiſten war er bedacht, gute Volks—
prediger zu bilden; alle Zeit, die ihm übrig blieb, ver—
wandte er auf den Unterricht junger Cleriker, deren täglich
mehre Hundert ſich verſammelten, um ſeine Vorträge in
die Feder zu nehmen. Bei aller ſittlichen Strenge aber
blieb ſein Geiſt immer heiter und aufgeweckt; niemand
verließ den ſeltenen Mann, ohne ſich in ſeinem Gemüthe
wunderbar geſtimmt und gehoben zu fuͤhlen.““? Auch war
204) Ita erat sollicitus de salute populi, quod licet nunquam in ju-
ventute Teutonicum profecerat, volens ergo majorem populum
domino suo acquirere, coepit jam in senectute studiose idioma
Teutonicale inquirere a suo scholari et ab alüis, quibus notum
erat etc. Vita p. 47.
205) Nullus erat, nisi forte spiritu Antichristi agitatus, qui cum
ipso habebat loqui vel agere, qui amorem et gratiam atque
suavitatem spiritus ab ipso non hauriret, nullusque non con-
solatus ab eo recedebat. (Mathias von Janow.)
170 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— der Eindruck und die Wirkung, die ſein Eifer auf das
religibſe Leben in Böhmen gehabt hat, wirklich außeror—
dentlich; den auffallendſten Beleg dazu liefert das gänz—
liche Veröden der Wohnungen der Unzucht, insbeſondere
des altberühmten Venedig (Venetiae, Benatky), einer Häu—
ſerreihe öffentlicher Proſtituten in Prag. “s Als dieſes
Sünden-Ouartier im Jahre 1372 leer wurde, ſchenkte
Kaiſer Karl IV dasſelbe an Milié, der es niederreißen
ließ, mehre angränzende Bauſtellen hinzukaufte, dann mit
Unterſtützung der frommen Bürger Prags ein großes Haus
für ſeine Büßerinnen und für Cleriker nebſt einer Kapelle
zur heil. Maria Magdalena hinbaute, und dieſe neue Woh—
nung »Serufalem« benannte. Da er auch die zeitliche
Verſorgung ſeiner Convertiten auf ſich nahm, und ohne
einen Fonds zu beſttzen, fortan oft 200 bis 300 Menſchen
zu ernähren hatte, ſo konnte er, bei allem guten Willen
ſeiner Verehrer, ſich augenblicklicher Verlegenheiten nicht
immer erwehren, und mußte, wenn er manchen Reichen um
einen Vorſchuß bat, ſich oft bittere Kränkungen und De—
müthigungen gefallen laſſen.
Mit den Bettelmönchen kam Milie zu einem noch
größeren Unfrieden, als ſein Vorgänger Konrad; der Haß
gegen ihn ſtieg ſo hoch, daß er ſeines Lebens nicht ſicher
206) »Redimendo atque ad fundum destruendo antiquum et famo-
sissimum prostibulum in Praga, videlicet vicum illum pessimum
et horrendnm, qui dicebatur Venetiae, — atque ibidem scho-
lam et templum et locum omni gratia et virtute fundatum et
erectum constituendo et fabricando« ſagt Mathias von Sa:
now. Der Ort lag auf der Altſtadt, zwiſchen der heutigen
Bartholomäi- und Convict-Gaſſe, wo das Haus Nr. 307
noch jetzt „Collegium Jeruſalem“ genannt wird, obgleich das
Ganze urſprünglich viel größer geweſen fein muß, da es nach
der Urkunde Karls IV, vom 17 Dec. 1374 (Pelzels Urkk. Nr.
316) eine Häuſer-Inſel bildete, in welcher das Prienerhaus
allein 30 Ellen lang war (Va p. 55.).
Milic von Kremſier. 171
geweſen fein foll.*7 Da jedoch die erklärte Gunſt, womit ——
Karl IV ihn Schütte, ““ der Verfolgung in Prag keinen
freien Spielraum gewährte, ſo vereinigten ſich ſeine Feinde,
ihn als Irrgläubigen am päpſtlichen Hofe anzuklagen.
Zwölf Artikel wurden gegen ihn geltend gemacht: 1) fein
Lehrſatz über die Ankunft Antichriſts, D und 3) eine zu
weite Ausdehnung des Begriffs vom Wucher, J und 5)
ſeine Empfehlung des zu häufigen Genuſſes der heil. Com—
munion; 6) daß er ſeinen Büßerinnen eine Art Kloſterregel
aufgelegt, und ſie einerſeits zu ſtreng gehalten, anderſeits
zu viel gelobt habe; 7) daß er den ganzen Clerus, vom
Papſt bis zum Mönche herab, ſchmähe; 8) die Excommu—
nicationsſtrafe gering achte; 9) das Studium der freien
Künſte für ſündhaft erkläre; 10) den Frauen keinen noch
ſo anſtändigen Putz geſtatten wolle; 11) ſich hochmüthig
zeige und zu Unterſtützung dieſes Hochmuths auch die
weltliche Macht gegen die geiſtliche hetze, und endlich
12) daß er den Geiſtlichen kein perſönliches Eigenthum
geſtatten wolle. 2% Der am Hofe zu Avignon lebende
207) »Quasi incessanter ac infatigabiliter cum multitudine pseudo-
prophetarum, religiosorum, sacerdotum alias legis peritorum
atque clericorum infinita eoncertando, fuit fere quotidie in ar-
ticulo mortis pro veritate constitutus.« Math. von Janow.
208) Für dieſen Schuß ſprechen, neben vielen anderen Daten, ins—
beſondere auch die gegen Milic erhobenen 12 Klageartifel, wo
es heißt: Art. 8: »respondit, quod si papa eum excommuni-
caret, ipse per imperatorem se defendere vellet. Art. 11: —
quidquid ipse de suis conceptibus et erroribus secundum vo-
luntatem ad effectum producere non potest, hoc per manus
principum et potestatem brachii secularis ad effeetum producit,
eosdem suis erroneis suggestibus informando, et super hoc contra
statum totius cleri excitando,
209) Wir haben dieſe noch ungedruckten Klageartifel in einer gleich:
zeitigen Handſchrift des Prager Domcapitels (J. 40) aufge—
funden.
172 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— Prager Magiſter Johann Klonkot lieh den Klägern feinen
Beiſtand, und es gelang ihm, von Gregor XI am 10 Ja—
nuar 1374 mehre Bullen an Kaiſer Karl IV, an den
Erzbiſchof von Prag und die Biſchöfe von Leitomysl, Ol—
mütz, Breslau und Krakau, — ein Beweis, daß Milic's
Lehre bis in dieſe Diöceſen durchgedrungen, — zu erlan—
gen, in welchen jene Artikel eben ſo, wie die Biſchöfe, die
deren Verbreitung in ihren Diöceſen nicht gehindert, ſcharf
gerügt und eine ſtrenge Unterſuchung darüber angeordnet
wurde. !“ Der alte Erzbiſchof Ocko, der bisher Milie
gegen deſſen Feinde immer geſchützt hatte, verlor bei Em—
pfang dieſer Bullen alle Faſſung, und mußte ſogar von
Milie getröſtet werden. Als aber der Prager Inquiſitor
fein Amt zu verwalten begann, appellirte Milie neuerdings
an den Papſt ſelbſt, und begab ſich in der Faſtenzeit 1374
auf die Reiſe nach Avignon. Er wurde dort von ſeinem
alten Gönner, dem Albaner Cardinal, wieder mit Aus—
zeichnung aufgenommen und behandelt, verſcheüchte bald
alle Zweifel an ſeiner Rechtgläubigkeit, verfiel aber in eine
Krankheit, der ſein Körper am St. Peterstage 1374 un—
terlag, bevor in ſeiner Sache ein entſchiedenes Urtheil er—
folgt war. i! Karl IV ſchenkte hierauf jenes »Jeruſalem«
dem Ciſtercienſer-Orden, zum Beſten ſowohl der Lehrer
als der Studirenden der Theologie dieſes Ordens an der
Prager Univerſität.
210) Gedruckt bei Raynaldi ad h. a.
211) Milicius et Conradus Wolthausar dictis suis et scriptis prin-
cipales metropoles sanctae ecclesiae repleverunt, utpote Romam
et Avinionem, ubi papa, et Bohemiam atque Pragam, ubi re-
sidet imperator; et unus ipsorum, scil. Conradus, in Praga
occubuit, ubi Caesar, alter Avinione est mortuus, ubi papa.
Et ambo in extremis articulis pro Christi Jesu veritate et ju-
stitia in medio tribulationis pessimae occubuerunt, — fagt Ma:
thias von Janow, und wiederholt noch am anderen Orte die
Angabe: Milicius — Avinione exulans est mortuus.
Milie von Kremſier. Mathias von Janow. 173
Wir haben bei den Schickſalen dieſes Mannes länger — —
verweilt, weil ſeine perſönliche Erſcheinung, welche manchen
Gläubigen an die erſten Verkünder des Chriſtenthums er—
innerte, “ eine nachhaltige Wirkung im böhmiſchen Volke
hervorbrachte. In ihm hatte ſich die, dieſes Volk von je—
her auszeichnende Gemüthskraft und Phantaſie, religiöſer
Schwung mit etwas düſterer Färbung, inniges Gefühl und
entſchloſſene That, gleichſam verkörpert; er war es daher,
der unter beſonderer Begünſtigung der höchſten weltlichen
und geiſtlichen Behörden, dieſen Volksgeiſt in ſeinen Tiefen
. anregte und ihn zuerſt in jene Wellenbewegung verſetzte,
welche ſpäter, unter Mitwirkung neuer Elemente, ſich bis
zu Stürmen ſteigerte. Er hatte vorzüglich durch leben—
diges Wort und augenblickliche That gewirkt; ſeine Schrif—
ten dagegen, in ſichtbarer Eile flüchtig verfaßt, ermangeln,
bis auf wenige Stellen, jener Tiefe und Kraft, welche
allein ihnen bleibende Bedeutung ſichern könnte.
Was Milic als Schriftſteller abging, wurde bald von
einem ſeiner begeiſterten Schüler in hohem Maß erſetzt.
Mathias, Sohn des böhmiſchen Ritters Wenzel von
Janow, war einer der Cleriker geweſen, welche während
ihrer Studien an der Prager Univerſität ſich an Milie in
deſſen letzten Jahren aufs innigſte anſchloßen.“!“ Noch
vor deſſen Tode begab er ſich aber zu Fortſetzung feiner.
Studien nach Paris, wo er ſechs Jahre lang blieb und
212) Math. von Janow nennt ihn: Ipse Milicius, filius et imago
domini Jesu Christi, apostolorumque ipsius similitudo prope
expressa et oslensa.
213) Er ſagt darüber ſelbſt: Ego quippe confiteor, me deeimam
partem 15 sufficere ad dicendum solum eorum, quae cum
tempore brevissimo sibi (Milicio) commorans, egomet oculis
vidi, auribus audivi et manibus meis contrectavi. In hoc si-
quidem loco apud me optime est verificatum illud vulgatum
poeticum, quia copia me facit egenum de virtutibus Milicii
ad scribendum. 8
174 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— auch den Grad eines Magiſters annahm, ſo daß man ihn
in Böhmen dann vorzugsweiſe den Pariſer Magiſter (ma—
gister Parisiensis) nannte. Auch in Rom und in Nürn—
berg verweilte er längere Zeit, und ſammelte ſich nicht
nur reiche Kenntniſſe, ſondern auch mannigfaltige Erfah-
rung und Weltanſchauung. Papſt Urban VI verlieh ihm
am 1 April 1381 eine apoſtoliſche Proviſion auf das
nächſte ledig werdende Canonicat an der Prager Domkirche,
in Folge deren er am 12 Oct. 1381 daſelbſt als Dom—
herr aufgenommen wurde. Der Erzbiſchof Johann von
Jenſtein, der in Paris einſt ſein Studiengenoſſe geweſen,
wies ihm den Beichtſtuhl als ſeinen Wirkungskreis an, und
entzog ihm nicht ſeine Gunſt, trotz dem, daß Mathias ſich
mehr an ſeinen älteren Collegen, den Prager Scholaſticus
M. Adalbert Rankonis von Ericino, den einſtigen Rector
der Pariſer Univerſität, und des Erzbiſchofs gelehrten
Gegner, anſchloß, ja ſogar die Wohnung mit ihm theilte.
Die Stellung eines Beichtvaters an der Domkirche verließ
Mathias von Janow bis zu feinem Tode nicht, 2 der
ihn im beſten Mannesalter ſchon am 30 Nov. 1394 ereilte.
So dürftig aber dieſer Umriß ſeiner äußeren Schick—
ſale iſt, ſo reich entfaltete ſich dagegen bei ihm die Blüthe
des inneren, im Reiche der Gedanken ſich bewegenden Le—
bens. Er trat nicht öffentlich auf, wie Konrad und Mi—
214) Jedenfalls nicht bis 1392, wo er von ſich ſelbſt Nachſtehendes
ſchrieb: Et accepi confirmationem ipsius — a tota multitu-
dine hominum, cum quibus a principio sacerdotii mei labo-
ravi usque modo per XII annos (alſo 1380-1392), eisdem
corpus et sanguinem Jesu dispensando in kathedrali ecclesia
Pragensi, tenens locum domini mei et patris in Christo, D.
1 Archiepiscopi ecclesiae supradictae, habens auctoritatem ejus
in audiendo confessiones ete. Wenn man ihn daher auch einen
Pfarrer zu St. Niklas auf der Altſtadt genannt, ſo beruhte
dieſes auf bloßem Mißverſtändniß der Widerrufsformel von
1389, oder auf Verwechslung mit andern Perſonen.
M. Mathias von Janow. 175
lie, um in Wort und That auf die Maſſen des Volks zu ——
wirken: an eine ſtillere Thätigkeit durch Beruf und Nei—
gung gewieſen, begnügte er ſich, durch fromme chriſtliche
Erbauung unmittelbar nur für das Seelenheil Derjenigen
zu ſorgen, die ſich ſeiner geiſtlichen Pflege anvertrauten.
Das Amt eines Predigers ſcheint er nur mit geringem
Erfolg ausgeübt zu haben. Dagegen erſchloß er die un—
vergleichlichen Schätze ſeines edlen Geiſtes in einer langen
Reihe von theologiſchen Schriften, die er ſpäter zu einem
großen Ganzen ſammelte und »Von den Geſetzen des al—
ten und des neuen Teſtaments« (De regulis veteris et
novi testamenti) überſchrieb, obgleich man fie, ihrem In—
halt gemäß, paſſender »-Unterſuchungen über das
wahre und falſche Chriſtenthum⸗ nennen dürfte.
Dies ſeltene Werk? hat zu feiner Zeit den außerordent—
215) Es beſteht im Ganzen aus fünf Büchern, deren jedes in mehre
Tractate, dieſe in Diſtinctionen, und letztere wieder in
Capitel eingetheilt ſind. Eine vollſtändige Handſchrift exiſtirt
unſeres Wiſſens nirgends mehr; doch ließe ſich das Ganze,
aus den einzeln vorhandenen Theilen, noch vollſtändig zuſam—
menſtellen. In Druck möchte es einen jtarfen Folioband fül—
len. Das erſte Buch, noch vor 1388 geſchrieben, wurde ſpä—
ter zum Theil überarbeitet und iſt daher in zweierlei Recen—
fionen vorhanden; die letzte Hand legte der Verfaſſer erſt
1392 ans Werk. Die einzelnen Theile führen folgende Titel:
lib. I: de discretione spirituum in doctoribus et prophetis et
de venerabili Sacramento; lib. II: de judicio et notitia falso-
rum et verorum Christianorum (darin traet. I: de falsa spe-
cie sanctitatis s. hypocrisi, tract. 2: de distincta veritate);
lib. III: de regula generali, und darin tract. 1: de regula in
se; 2 de apostolis et prophetis; 3 de frequenti communione;
4 de universitate et unitate ecclesiae; 5 de Antichristo; 6 de
abominatione in loco sancto. Die letzten zwei Bücher handeln
wieder de rara et crebra communione. Von dem Allen iſt
nur der Tractat de abominatione in loco sancto ganz, obgleich
nicht unverſtümmelt, gedruckt worden, und zwar unter den
176 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— lichſten Einfluß ausgeübt, obgleich es, nach vollendeter
Spaltung der chriſtlichen Parteien, ſchon als unbefriedigend
erſchien und ſogar in völlige Vergeſſenheit gerieth. Der
Verfaſſer war nämlich in ſeinen Anſichten und Lehrſätzen
den Einen zu weit, den Andern nicht weit genug gegan—
gen. Er hatte die Gebrechen aller kirchlichen Zuſtände ſeiner
Zeit eben ſo kühn als ſcharfſichtig aufgedeckt, und dadurch
das Mißtrauen aller Conſervativen gegen ſich geweckt; da—
bei hatte er jedoch ſtets an den weſentlichen Traditionen
der Kirche feſtgehalten, hatte den Gehorſam gegen die
Häupter der Hierarchie nicht nur gelehrt, ſondern auch
geübt, und konnte daher denjenigen nicht mehr als Auto—
rität gelten, die ſich dieſes Gehorſams abſichtlich entaͤu-
ßerten. '
Schon in der, erft nach Vollendung des ganzen Wer—
kes aufgeſetzten Vorrede, erklärte der Verfaſſer, er habe
dasjenige, was er ſchrieb, aus dem Gebete, aus dem Leſen
der Bibel, aus fleißiger Betrachtung der Zuſtände der
Gegenwart und deren Vergleichung mit dem Alterthume
gefchöpft. 1° Da die Bibel ſelbſt über alle weſentlichen
Puncte der Religion klare und zureichende Belehrung dar—
Werken des M. Joh. Hus, dem er fälſchlich zugeſchrieben
wurde, wie dies bereits im Jahre 1535 die Verfaſſer der Con-
fessio fidei ac religionis baronum ac nobilium regni Bohemiae
(Witebergae, 1535, Blatt 4) bemerkten, und in neuerer Zeit
auch Gieſeler in ſ. Kirchengeſch. II. Abtheil. 3, S. 285 fgg.
richtig erkannt hat. Auch die (in opp. Hussii) auf dieſen
Tractat folgenden von Otto von Brunfels geſammelten Bruch—
ſtücke ſind alle aus Janows Werke gezogen, aber oft bis zum
Unſinn und zur Unkenntlichkeit verſtümmelt.
216) Ea quae hie conscribam vel conscripsi, maxime in oratione
et per orationem accepi, et intellexi ex lectione bibliae, atque
didici ex consideratione vigili et sedula eorum, quae in se-
culo moderno geruntur, et ex comparatione temporum anti-
quorum.
M. Mathias von Janow. 177
biete, fo habe er die Schriften der Kirchenväter weniger zu ——
berückſichtigen gefunden.?!“ Seine Hauptabſicht gehe dahin,
das Weſentliche des Chriſtenthums von dem minder We—
ſentlichen zu unterſcheiden, daher auf die Grundgeſetze hin—
zuweiſen, und zu verhüten, daß ſie unter der Fülle nach—
träglicher Verordnungen nicht außer Acht gelaſſen wer—
den. is Dieſe Grundgeſetze (regulae), deren er 4 aus
dem alten, 8 aus dem neuen Teſtamente ſchöpfte, bezie—
hen ſich weniger auf die Dogmen, als auf die Praxis
des Chriſtenthums, auf die Übung chriſtlicher Tugenden, der
Liebe zu Gott und dem Nächſten, der Demuth und der
Selbſtverläugnung; mit Einem Wort, auf die Nachahmung
217) Quapropter in his scriptis meis per totum usus sum maxime
biblia, — et modicum de dictis doctorum; tum quia bib lia
ad omnem considerationem et materiam scribendam semper
mihi promte et copiose occurrit; tum quia ex ipsa et
per ejus divinissimas veritates, quae sunt lucidae et per se
manifestae, solidius omnes sententiae confirmantur, fundantur
stabilius et utilius ruminantur; tum quia ipsa est, quam a ju.
ventute mea adamavi, et vocavi ipsam amicam et sponsam
meam, imo matrem pulchrae dilectionis et agnitionis et timo-
ris et sanctae spei; — ubi fateor, quod a juventute mea non
recessit a me usque ad senectam et senium, neque in via,
neque in domo, neque dum oceupabar, nec eum otiabar u. ſ. w.
218) Contemplor, quod hodie sacerdotes et populus minus sciat et
observet praecepta dei sui tremendi, quam mandata et tradi-
tiones hominum, et magis timeat et ponderet hujusmodi ad-
inventiones, quam veritatem vitae et caritatem proximorum,
et quod in talibus observantiis totam constituat Justitiam suam
et salutem, licet non habita Jesu crucifixi notitia et caritate. —
Propositi igitur mei est, cum hace loquor, ut tales adinven-
tiones, et obligationes ad ipsas, essent diminutae et remissae,
saltem quoad aliquam ipsarum partem, et quod solum dilec-
tio dei et proximorum, aut dei praecepta alia solum esse po-
pulis tremenda et ad unguem usque adimplenda docerentur,
et quod alia sunt modicae reputationis aut nihili ipsorum in
respectu; et ea, quae mandant et statuunt praclati subditis,
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 12
178 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— Chriſti, deſſen Beiſpiel eben die General-Regel bilde. An
dieſen Grundſätzen prüfte er nun das ganze Chriſtenleben
ſeiner Zeit, eiferte gewaltig gegen Scheinheilige und Heuch—
ler aller Art, die Chriſtus nur auf den Lippen, nicht im
Herzen tragen, tadelte jeden bloß mechaniſchen Gottesdienſt,
und beklagte die Verblendung, die da meint, durch äußere
Werke und Anſtalten den Abgang innerer Wahrheit er—
ſetzen zu können. Solche Anſtalten und Werke verwarf
er zwar nicht an ſich, warnte aber, daß man über die
Mittel nicht den Zweck vergeſſe; denn das ſei eben die
Hauptwaffe des Antichriſts und fein ſtetes Ziel, der Ver⸗
ehrung und den Beſtrebungen der Chriſten, anſtatt der höch—
ſten himmliſchen, niedrige und irdiſche Gegenſtände unter—
zuſchieben u. ſ. w.
Es wurde zur Zeit Janows unter den Theologen
viel und heftig über die Frage geſtritten: ob den Laien
der häufige Genuß der heiligen Communion zu geſtatten
fei, oder nicht? i“ Er als Beichtvater fand ſchon in feinem
Berufe Veranlaſſung, lebhaften Theil an der Entſcheidung
dieſer Frage zu nehmen, und er erklärte ſich, gleich ſeinem
Lehrer Milié, für die häufige Communion der Laien. Ihm
ſtimmten darin einige der gelehrteſten Zeitgenoſſen bei, wie
der oft erwähnte Prager Scholaſticus M. Adalbert Ran—
konis von Ericino, M. Matthäus von Krokow, Doctor
ea faciant cum magno temperamento caritatis ete. (MS. des
böhm. Muſeums 289, fol. 156.)
219) Sciendum est, quod in temporibus, quae nunc currunt, quae-
stio multum invaluit, saltem inter communes et simplices, de
manducatione quotidiana vel erebra a plebejis corporis et san-
guinis Jesu Christi. Et quidam doctores vel praedicatores
concedunt et invitant populos ad quotidianam vel crebram
sacramenti altaris perceptionem corporalem, cum praeparatione
praevia opportuna et vita condigna. Alii sunt, qui ex ad-
verso reclamant, et contrarium nituntur summis conatibus in-
ducere et persuadere, videlicet quod nequaquam sit bonum,
M. Mathias von Janow. 179
der Theologie an der Prager Univerſität, der Dechant Ni—
clas Wendler in Breslau, Dr. Johann Horlewann u. a.
Die Zahl der Gegner war jedoch überwiegend, und ſie
ſetzten es durch, daß in einer zu Prag gehaltenen Provin—
cialſynode am 19 Oct. 1388 der Beſchluß gefaßt wurde,
daß die Laien keineswegs häufiger, als monatlich höchſtens
einmal, zum Genuſſe der Communion zuzulaſſen ſeien. 270
Die Kränkung, die Mathias von Janow darüber empfand,
wurde noch vermehrt, als ſeine Gegner, durch dieſen Er—
folg kühner gemacht, auch ſein ſich vielleicht überſtürzendes
Eifern gegen die Verehrung von Bildern und Reliquien
der Heiligen benützten, eine förmliche Anklage gegen ihn
zu erheben. Man brachte ihn dahin, daß er, auf einer im
folgenden Jahre (1389) gehaltenen Synode, in der St.
Niclaskirche der Altſtadt Prag, einen öffentlichen Widerruf
leiſtete, in welchem er jene Verehrung und die Gebete der
Gläubigen um Interceſſion der Heiligen als heilſam an—
erkannte, und unter anderen Puncten verſprach, keinen
Laien mehr zum täglichen Genuſſe der heil. Communion
zu ermahnen.??! Dem Lehrſatze von der Heilſamkeit der
saepe laicos Christi corpore et sanguine sauari. (MS. des Mu:
feums, fol. 77.)
220) Mathias von Janow erzählt dies ſelbſt in der zweiten Recen—
ſion ſeines erſten Buches, und kann dabei nicht umhin, zu be—
merken: tunc autem videtur esse juge sacrificium (Danielis
cap. XII) ablatum etc.
221) Eine Handſchrift der Stiftsbibliothek zu Wurzen (Schrank II,
Nr. 148) gibt über dieſen Act eine Nachricht, die mit folgen—
den Worten anfängt: »Isti errores praedicati sunt Pragae
apud S. Nicolaum in antiqua civitate boemice, et revocali
sunt iidem articuli et errores per praedictos viros tenore sub-
sequente in synmodo Pragensi facta anno ab incarn. Dom.
meccuxxxıx: Noverint omnes fideles, quod ego M. Ma-
thias praedicavi aliqua non tam recte, caute et prudenter, sic-
ut debitum fuisset et aptum, per quae et ſui et esse polui
12*
180 Vi Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— häufigen Communion war er aber zu entſagen nicht ge—
zwungen worden; er widmete ihm daher in ſeinen Unter—
ſuchungen um ſo größere Aufmerkſamkeit, hob die außer—
ordentliche Wichtigkeit der Communion für die Heiligung
des Menſchen auf alle Weiſe hervor, und beleuchtete die—
ſen Gegenſtand nach allen Seiten ſowohl hiſtoriſch, als
dogmatiſch und pſychologiſch. Bei jo vielfachem darauf ges
richteten Studium kann es nicht ſehr auffallen, daß er auch
auf den Gedanken gerieth, die älteſte Praxis der chriſt—
lichen Kirche wieder zurückzurufen und den Laien das heil.
Abendmahl unter zwei Geſtalten, des Brodes nämlich und
des Weins, darzureichen. Als ihm aber auch dieſes von
ſeinen Oberen verboten wurde, gehorchte er neuerdings,
und ſtand davon ab.? Denn er unterließ bei keiner Ge—
legenheit, es laut zu erklären, daß er ſich in allen ſeinen
Lehrſätzen, Meinungen und Handlungen, ſeinen kirchlichen
Vorſtänden unterwerfe, und ihrer höheren Entſcheidung
immer Folge leiſten wolle, ?*
aliquibus causa et occasio erroris et scandali. Quare ad’ tol-
lendum istud, et ne virus lateat, atque ut fideles sciant, quae
in his credere debent et tenere: dico primo, quod imagines
Christi et sanctorum non dant causam et occasionem idolo-
latriae etc. Von Ketzerei iſt bei dieſem Widerruf Feine
Rede, wohl aber bei dem ihm angehängten Widerrufe Ja—
kobs (des Pfarrers bei St. Niklas ?), der ähnliche Anſichten,
jedoch mit geringerer Umſicht und Mäßigung, als Mathias,
verbreitet hatte.
222) Dieſe Thatſache iſt nur aus den Disputationen Rokycana's
auf dem Basler Concilium 1433 bekannt (ſ. unten). Janow
behauptet nirgends die Nothwendigkeit der Communion sub
utraque, ſpricht aber an vielen Stellen ſo, als wenn ſie ſich
von ſelbſt verſtände und auch noch üblich geweſen wäre.
223) Zum Beiſpiel: Non intendo dicere vel seribere, sicut neque
in ullo actu per me facto vel fiendo in futurum, imo intendo
non dicere omne illud, quod est contra sacrosanctam eccle-
siam Christi Jesu catholicam, vel contra fidem Christianam per
M. Mathias von Janow. 181
Wir konnten nicht umhin, den beinahe verſchollenen ——
Schriften des Mathias von Janow einige Aufmerkſamkeit
zu ſchenken, weil ſie für die Entwickelung der ſpätern An—
ſichten und Ereigniſſe eine bei weitem größere Bedeutung
hatten, als man gemeinhin annimmt. Der von ihm ge—
ſtreute Same ging erſt 20 Jahre nach ſeinem Tode frucht—
bar auf, viele böhmiſche Reformatoren ſchöpften vorzugs—
weiſe aus feinen Werken Belehrung,?“ und feinem Ein—
fluſſe iſt ohne Zweifel das vorwiegende Gewicht zuzuſchrei—
ben, welches dem Sacrament der Communion in allen
kirchlichen Bewegungen und Fragen der nächſten Folgezeit
zukam. Doch war er, wenn auch der vorzöglichſte, nicht
der einzige Gelehrte in Böhmen, der das Bedürfniß einer
Reform der kirchlichen Zuſtände fühlte und ausſprach; zwei
ſonſt unbekannte Geiſtliche, Jakob und Andreas, hatten
im J. 1389 zugleich mit ihm einen dem ſeinigen ähnlichen
Widerruf leiſten müſſen; und auch andere Prager Profeſ—
ſoren und Prediger, wie z. B. Matthäus von Krokow,
Albert Engelſchalk, Johann von Bor, Wenzel Rohle und
directum vel indirectum, vel quod esset ullo modo contra sa-
cram scripturam aut bonos mores ecclesiae, aut quod posset
} aliquomodo oflendere pias aures fidelis hominis Christiani.
Quod si forte, quod absit, aliquid horum contrarium me di-
cere, scribere vel sentire contingeret ex mea ignorantia vel in-
advertentia aut quavis alia negligentia et imperfectione, quam
cognosco in me ipso esse multam nimis, illud statim in prin-
eipio revoco et retracto, rogans habere pro non dieto; propter
quod, et ad securitatem majorem, ista dieta mea et scripta,
quemadmodum et omnia alia facta’mea et me ipsum, submitto
correctioni sanctae catholicae ecclesiae et meis patribus ortho-
doxis, paratus existens et cupiens usquequaque emendari et
per ipsam piam matrem meam et patres ad viam veritatis et gra-
tiae per Christum Jesum factae in ecelesia duei et reduciac deduci.
Insbeſondere galt der ſpäter oft zu nennende Prager Magiſter
Joh. v. Pribram CH 1448) als Janows Schüler; auf des M. Ja—
cobell Verhältniß zu ihm werden wir ſpäter noch zurückkommen.
224
—
182 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— Johann von Stekna, ſchrieben und lehrten in gleichem
Sinne.” Es läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß dieſe
kirchenreformatoriſchen Beſtrebungen, durch welche ſich die
Prager Univerſität im XIV Jahrh. auszeichnete, zumeiſt
dem ſchon von Karl IV in dieſer Richtung gegebenen Im—
pulſe zuzuſchreiben ſind.
Der Perſonalſtand und Einfluß der Prager Univer—
ſität in dieſer Zeit darf überhaupt nicht nach dem Maß—
ſtabe der Gegenwart gemeſſen werden. Bekanntlich war
jener gleich von der Gründung her in vier Nationen, die
böhmiſche, bayriſche, ſächſiſche und polniſche getheilt; im
J. 1372, den 23 April, hatte die juridiſche Facultät ſich
von dem übrigen Körper abgelöſt, und bildete fortan ein
eigenes Ganze für ſich, ſo daß ſogar von zwei in Prag
beſtehenden Univerſitäten die Rede war. Ihre Frequenz
ſtieg zu Anfange des XV Jahrhunderts im eigentlichen
225) Der Pommerer Matthäus von Krokow ſtudirte in Prag bis
1367, lehrte dann daſelbſt noch in den Soger Jahren, und ſtarb
als Biſchof von Worms 1409; er ſchrieb unter andern: De
emendatione morum cleri et populi, eine im Jahre 1384 ge:
haltene Synodalrede; de squaloribus Romanae curiae (in
Walchii Monum. med, aevi t. D. Albert Engelſchalk ftudirte
bis 1373 und lehrte dann noch 1400 daſelbſt; er ſchrieb Spe-
culum aureum in demſelben Sinne (bei Walch I. c. t. II.
Johann von Bor, Doctor der Rechte, ſchrieb nach Balbin
(Bohemia docta II; 180) ein jetzt unbekanntes Werk gegen die
Bettelmönche. Wenzel Rohle, ein Prediger in Prag, der ſchon
1393 gegen den Ablaß eiferte (Chron. univers. Prag.). M. Jo⸗
hann von Stöfna, Ciſtercienſerordensbruder (1373—1405), pres
digte in gleichem Geiſte, wie Konrad Waldhauſer und Milic;
Hus nannte ihn »velut tuba resonans praedicator eximius.«
Andreas von Broda ſchrieb 1414 an Hus: »et ab antiquis
temporibus Milicius, Conradus, Sczekna et alii quam plurimi
contra clericos praedicaverunt ete.« Aus Mißverſtändniß Die
fer Stelle (bei Cochlaeus p. 42) hat man Konrad und
Stiekna fälſchtich für eine Perſon gehalten.
Die Prager Univerſität. 183
Sinne ins Unglaubliche: denn wenn wir Angaben Glau- — —
ben ſchenken, die zwar nicht ämtlich, aber faſt ganz gleich—
zeitig ſind, ſo lebten ums J. 1408 in Prag nicht weniger
als beinahe 200 Doctoren und Magiſter, 500 Baccalare
und über 30,000 Studenten. Alle Wiſſenſchaften, die
an der Zeit waren, wurden auch in Prag gelehrt; jeder
Magiſter war berechtigt, nach eigener Wahl öffentliche und
Privatvorträge zu halten, doch mußte er ſeine Abſicht jedes—
mal erſt dem Decan ſeiner Facultät anmelden, der dafür
zu ſorgen hatte, daß nicht mehr als drei Profeſſoren zu
226) Seriytt. rer. Bohem. III, p. 11, 12. Tak jest bylo mnoho tu
chwili tech miströw, bakalarèw a Studentöw rozlieneho uceni
w Praze, ze tomu élowék 1&7ko uwéri, ktoz jest toho sam ne-
widel, jako sem ja tak& toho zastal. — Matias Lauda prawi,
ten jest jesté Ziw, Ze jest bylo intitulowanych a pripsanych t&
chwile 36000, krom& töch, ktoz sü ze skol do kolleje na lekcı
chodili. — In der noch ungedruckten »Chronica D. Procopii,
notarii novae civitatis Pragensis« (vom J. 1476), deren Con⸗
cept ſich in einer Wittingauer Handſchrift befindet, heißt es:
»In ecelesia Pragensi archiepiscopus, praelati et quingenti, et
in ecelesia Wysegradensi patriarcha praepositus, decanus et
CCCL sacerdotes fuerunt, et scholare plurimi. — Studentes
et magistri ac doctores in universitate Pragensi triginta sex
millia fuere; in regno plura monasteria bene dotata, a quibus
pauperes victum habuere copiosum; in villis etiam pluribus
scolae fuere« ete. Inmitten dieſer unglaublichen Angaben ift
uns wenigſtens ein ziemlich verläßliches Datum überliefert
worden. An dem (unten näher zu beſprechenden) Beſchluſſe
vom 20 Mai 1408 haben 64 Mag iſter und 150 Baccalare
der böhmiſchen Nation allein Theil genommen. Dieſe
Nation war allerdings die zahlreichſte an der Univerſität; doch
werden auch einige Mitglieder derſelben noch abweſend ge—
weſen ſeyn. Dies ſetzt wohl nicht nur die oben angegebene
Geſammtzahl der Magiſter und Baccalare aller vier Natio—
nen, ſondern auch einen größeren Studentenkörper voraus,
als jene Zahl von 7000 iſt, welche Pelzel (K. Wenceslaus, II.
S. 550) durch Combination feſtzuſtellen verſucht hat.
184 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— gleicher Zeit über einen und denſelben Gegenſtand laſen.
Die Doctoren und Magiſter durften nach eigenen Heften
vortragen; nicht ſo die Baccalare, die da angewieſen waren,
ſich bei ihren Vorleſungen nur der Hefte bekannter Ma—
giſter von Prag, Paris oder Oxford zu bedienen. Jeder
Student durfte hören, was und wen er wollte; Reichere
zahlten dafür beſtimmte Lehrgelder, Armere wurden von
der Zahlung dispenſirt. Nur wer einen gelehrten Grad
erlangen wollte, unterzog ſich den vorgeſchriebenen Prü—
fungen und öffentlichen Disputationen. Dieſe Lehr- und
Hörfreiheit, und die vielen Privilegien, deren alle Imma—
triculirten genoſſen, erklären wohl zum Theil den unge—
meinen Zudrang zu der Univerſität. 27° Bei allen ihren
öffentlichen Acten mußte man in beſtimmter Amtstracht er—
ſcheinen; wer dies vernachläſſigte, durfte nicht mitſtimmen.
Was aber den inneren Gehalt der damals gehaltenen Vor—
träge betrifft, ſo iſt derſelbe allerdings nicht hoch anzu—
ſchlagen. Bediente man ſich auch der Werke höchſt aus—
gezeichneter Altenz um Vortrage, wie des Ariſtoteles, Ga—
lenus u. dgl., ſo gab es doch nur äußerſt wenige, welche
nur einigermaßen in deren Geiſt eindrangen; bei den Mei⸗
ſten war das Erlernte nur mechaniſches Gedächtnißwerk,
über welches man um ſo mehr disputirte, je unklarer die
Einſicht in das Weſen der Sache war. Gleichwohl darf
man dieſe Regungen des wiſſenſchaftlichen Forſchungsgeiſtes,
ſo ſchwach und unſicher ſie waren, auch nicht zu gering
ſchätzen. Da alles Wiſſen, auch das der Gegenwart, nur
relativ und in fortwährender Entwickelung begriffen ift.
ſo ſind auch jene an ſich noch unvollkommenen Übungen
der Denkkraft als kein unnützes Glied in der Kette anzu—
227) Der böhm. Annaliſt am a. O. ſetzt ſehr glaubwürdig hinzu,
und erklärt noch Manches Andere dadurch, daß viele auslän—
diſche Studenten zugleich Kaufmannsgeſchäfte beſorgten, Waa—
renſpediteure abgaben u. dgl. m.
Die Prager Univerfität u. das böhm, Schulweſen. 185
ſehen; und in der That, es fehlte jenem Zeitalter nicht ——
an einzelnen Männern, welche gleichſam aus höherer Weihe
jede geiftige Erſcheinung im Verkehr von Menſchen zu Mens
ſchen nach Wahrheit und Recht zu würdigen wußten. Auch
verſchaffte die karoliniſche öffentliche Bibliothek, deren reiche
Ausſtattung ſich der Kaiſer ſelbſt hatte angelegen ſein laſſen,
Jedermann die Möglichkeit, ſich wenigſtens auf die Höhe
der Wiſſenſchaft ſeiner Zeit zu erheben.
Der Univerſität, welche Prag zum Centrum der Bil—
dung für einen großen Theil von Europa erhob, fehlte es
in Böhmen auch damals nicht an der nothwendigen Grund—
lage des Primär-Unterrichts und der Volksſchulen. Daß
in jedem der vielen Collegiatſtifte und Klöſter eine Unter—
richts-Anſtalt von jeher beſtand, braucht um ſo weniger
hervorgehoben zu werden, als ſich die Wirkung derſelben
nur auf die Stiftsglieder beſchränkt zu haben ſcheint. Mehr
Beachtung verdienen die damaligen Stadt- und Pfarr:
ſchulen, welche durch das ganze Land verbreitet und der
oberſten Aufſicht und Leitung der Univerſität unterworfen
waren. Aus der in Urkunden dieſer Zeit nur zufällig,
jedoch häufig vorkommenden Erwähnung von Schulleh—
rern, läßt ſich in der That der Schluß ziehen, daß nicht
228) Zum Beweiſe wollen wir nur die drei Jahrgänge 1406, 1407
und 1408 hier in dieſer Beziehung excerpiren: 1406, 8 Januar.
Mag. Joh. Syndel, rector scholarum S. Nicolai minoris civi-
tatis Pragensis; 14 Mai, Drahoslaw, rector scholarum in Ra-
konik ; 20 Sept. Jacobus rector scholarum et notarius oppidi
Duchezow ; 22 Oct. Andreas Kossata, rect. scholarum in Zde-
-raz; 4 Dec. Mag. Nicolaus r. scholarum ecclesiae Pragensis.
1407, 6 Jul. Drzko rector scholarum in Pribislavia; 9 Sept.
Laurentius rector scholarum in Usst; am felben Tage, ein
ungenannter rector scholae in Bezna. 1408, 5 Mart. Jacobus
rector scholae S. Michaelis majoris eivit. Prag.; 1 Mai Benes
rect. scholarum in Wysegrado; 20 Jun. Duchek rector scho—
larum in Biela; 30 Jun. Mag. Diwis olim rector scholarum
186 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
— nur alle böhmiſchen Städte, fondern auch viele Pfarr:
dörfer ihre beſonderen Schulen beſaßen, und es daher an
Gelegenheiten, ſich zeitgemäß zu unterrichten, für Reiche
und Arme damals faſt eben ſo wenig fehlte, wie im gegen—
wärtigen Jahrhunderte. Wer nämlich an der Univerſität
irgend einen gelehrten Grad erhielt (namentlich das Bac—
calaureat der freien Künſte), war ſtatutenmäßig verpflichtet,
ſich zwei Jahre lang erſt dem Primärunterricht zu widmen,
bevor er zu höheren Graden aufſteigen durfte.?“
Bei ſolchem Aufſchwung des Unterrichtsweſens konnte
auch die Volksbildung im Allgemeinen nicht zurückbleiben.
Ihre Höhe läßt ſich, wie überall, ſo auch hier, durch den
damaligen Stand der Volksliteratur in Böhmen bemeſſen.
Obgleich verhältnißmäßig nur Weniges davon ſich in den
Stürmen der folgenden Jahrhunderte hat erhalten können, “
ſo iſt doch auch dies Wenige reichhaltig genug, zu zeigen,
wie unangemeſſen die Vorſtellungen von allgemeiner Fin—
ſterniß und Rohheit ſind, die man ſich über jenes Zeit—
S. Martini in Praga. Die Urkunden und Acten, aus welchen
wir dieſe Daten geſchöpft haben, befinden ſich alle im Archiv
des Prager Domcapitels. Nach dem bei Balbin (Miscell. IV)
gedruckten Catalog gab es damals in der Prager Dibceſe
1914 Pfarreien; wenigſtens ein Drittheil davon dürfte auch
mit Schulen verſehen geweſen ſein.
229) Man vergleiche auch die von M. Hieronymus von Prag am 26
Mai 1416 vor dem Conſtanzer Concilium geſprochenen Worte:
»In studio Pragensi fuerunt plures Teutonici, et in praebendis
ecelesiarum collocabantur, ita quod Bohemi nihil habebant; et
quando unus Bohemus fuit graduatus in artibus, si alias non
habebat vivere, opportuit eum vue per villas et oppida et re-
gere scholas particulares, acquirendo cum hoc victum suum.«
(Von der Hardt concil. Constant. tom, IV, pag. 757.)
230) Wir erinnern nur an die anderthalbhundertjährige Bücher:
verfolgung durch die Miſſionare (1620—1760) , denen jedes
böhmiſche Buch für ketzeriſch galt, und über deren blinden Ei—
fer bekanntlich ſelbſt der Jeſuit Balbin Klagen führte ıc.
Das Schulwefen u. die Literatur. Thomas v. Stitny. 187
alter gewöhnlich macht. Möge man übrigens über die Ver—
dienſte der vielen böhmiſchen Schriftſteller und Schriftſtelle—
rinnen #1 jener Zeit noch fo abweichend denken: das läßt
ſich immer behaupten, daß ein Volk, das einen Thomas
von Stitny hervorgebracht und verſtanden hat, nicht mehr
roh und ungebildet genannt werden kann. Dieſer aus—
gezeichnete böhmiſche Edelmann, Herr auf Zasmuk und
Chotenic, ſchrieb fein bedeutendſtes Werk im J. 1374,
lebte aber noch bis zu Ende des XIV Jahrhunderts. 232
Er beſaß nicht nur alle wiſſenſchaftliche Bildung, die ſein
Zeitalter gewähren konnte, ſondern auch die Gabe, ſie in
anziehender, klarer und kerniger Sprache dem Volke mit—
zutheilen. In allen feinen umfangreichen Schriften?“
herrſcht die religibſe Tendenz vor; doch hinderte ihn dieſes
nicht, eine Menge gelehrter und populär -philoſophiſcher
Fragen gelegentlich zu erörtern,?“ und er ließ ſich in Dies
ſem Geſchäfte auch durch den häufig ausgeſprochenen Un—
muth der Schulgelehrten, die da glaubten, daß ſolche Un—
231) Siehe Cochlaei historia Hussitarum pag. 18. 153. Stephan i
prioris Dolanens. epistola ad Hussitas in B. Pez thesauro anec-
dot. tomo IV, parte II, pag. 519 —526. 536 sq.
232) Im Jahre 1394 wird er noch urkundlich genannt, und dürfte
bis 1400 gelebt haben. In ſeinem letzten Werke, worin er
die durch den böhmiſchen Herrenverein (im J. 1394 fgg.) er:
regten Unruhen erwähnte, nannte er ſich ſelbſt einen 70jäh—
rigen Greis. S. Rozbor literatury Ceske, 1842, S. 197. Vgl.
auch unten Note 238.
233) Im J. 1840 war nur erſt ein Werk von Stitny bekannt;
jetzt (1844) kennen wir deren fünf, alle von nicht geringem
Umfange.
234) So ging er z. B. auch an eine umſtändliche Erörterung der
Frage: was iſt das Schöne? ein — und löste ſie, im Sinne
des Ariſtoteles, gar nicht ungeſchickt. über den Bau des
Weltalls gab er, nach Ptolomäus, eine ziemlich klare Vorſtel—
lung u. dgl. m.
188 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— terſuchungen nicht vor das Volk gehörten, nicht ſtören. “““
Seine bewundernswerthe Meiſterſchaft in Handhabung aller
der reichen Formen der böhmiſchen Sprache geſtaltete die
ſelbe bald zu einem brauchbaren Organ für noch ſo gelehrte
Erörterungen; ſo wie auch das böhmifche Volk, das feine
Werke mit Beifall und Nutzen las, s ſich durch ihn ge
wöhnte, ſelbſt einem längeren Gange abftracter Gedanken
zu folgen. Darum durfte auch fein Einfluß auf die nach—
malige Geſtaltung der Dinge hier nicht mit r
übergangen werden.
Das bereits erwähnte Geſetz, nach welchem Collegien—
Hefte aller bekannten Pariſer und Orforder Profeſſoren
auch an der Prager Univerſität, ſelbſt von bloßen Bacca—
laren, frei vorgetragen werden durften, 37 erklärt es, wie
235) Man vergleiche die von uns im Casopis desk. Museum 1838,
Heft I. S. 5 aus Stitny's erſtem Werke (Mrawnä nauceni)
gegebenen Auszüge, wie auch Dobrowſfky's Geſchichte der
böhmiſchen Sprache und älteren Literatur (1818), Seite 140
19. 171, 19%
236) Obgleich vor Erfindung der Buchdruckerkunſt jede Verbreitung
von Büchern ſchwieriger war, ſo ſpricht doch die häufige Nen—
nung des Buchbindergewerbes in den gleichzeitigen Prager
Stadtbüchern für einen lebhaften Bücherverkehr im damaligen
Böhmen.
237) Das Geſetz der philoſophiſchen Facultät vom 20 April 1307
lautet: »Quivis magistrorum poterit super quolibet libro de
facultate artium propria dicta dare, per se vel per alium ido-
neum pronuntiando; poterit quoque scripta aliorum et dicta
per se aut per alium pronuntiare, dummodo sint ab aliquo
vel aliquibus famoso vel famosis de universitate Pragensi, Pa-
risiensi vel Oxoniensi magistro vel magistris compilata, et
dummodo ista antea fideliter correxerit, et pronuntiatorem as-
sumserit idoneum et valentem. Baccalarii super libros Ari-
stotelis et alios libros difficiles propria dicta dare vel pronun-
tiare non debebunt, dicta tamen alıorum magistrorum de ista
universitate vel aliorum de univeisitatibus, Parisiensi scilicet
Johann von Wiklef in England. 189
einzelne Werke des feiner Zeit ſehr berühmten Profeſſors in ——
Oxford, Johann von Wiklef (eigentlich Wyeliffe),
ſchon bei ſeinen Lebzeiten nach Prag gelangten; zumal ſeit
der Vermählung der böhmiſchen Prinzeſſin Anna mit dem
Könige von England (1381) der Verkehr zwiſchen Böh—
men und England lebhafter als je zuvor geworden war.
Wiklef war in England eben ſo, wie Konrad Waldhauſer
und Milie in Böhmen, zuerſt mit den Bettelmönchen in
Streit gerathen (1360); als aber König Eduard III im
J. 1366 die Zahlung des ſogenannten Peterszinſes an den
Papſt einſtellte, und noch andere Einſchränkungen der rö—
miſchen Curie in ſeinem Lande vornahm, wagte es Willef,
auch dieſe Maßregeln in gelehrter Schrift zu rechtfertigen,
und wurde ſchon dadurch auf einen Standpunct geführt,
den K. Karls IV Pietät einem Prager Magiſter niemals
geſtattet haben würde. Im J. 1377 verhängte Gregor XI
eine gleiche Unterſuchung gegen den kühnen engliſchen Re—
formator, wie drei Jahre früher gegen Milié; bei der
Gunſt der engliſchen Großen aber, insbeſondere des da—
maligen Regenten, Herzogs von Lancaſter, ging dieſelbe
für ihn unſchädlich vorüber. Nach dem Ausbruch des großen
Schisma (1378) trat er noch kühner auf; er überſetzte
(1380 fg.) die Bibel ins Engliſche, und fing ſeit 1381 an,
auch das Dogmenſyſtem der Kirche anzugreifen, indem er
zuerſt die Lehre von der Transſubſtantiation beſtritt. Darin
unterſchied er ſich von den bisherigen Reformatoren in
Böhmen, deren Verſuche ſich nicht über Fragen der Kirchen—
verfaſſung und Disciplin hinaus erſtreckt hatten. Wiklefs
neue Lehre fand viele Freunde in den höheren Ständen,
aber auch den entſchiedenſten Widerſpruch; auf einem zu
vel Oxoniensi, famosorum dare poterunt, non quidem per
alios, sed per semet ipsos pronuntiando, dummodo tamen de-
canum, qui pro tempore fuerit, praerequirant etc. Monu-
menta histor. Universü. Prag. (1830) Tom. I. pag. 41 et 50.
190 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— London im J. 1382 gehaltenen Concil wurden von 13
Biſchöfen und 30 Magiſtern der Theologie, unter Vorſitz
des Erzbiſchofs von Canterbury, ſchon 24 Lehrſätze Wiklefs
als ketzeriſch, oder doch als irrig, verdammt. Er ſelbſt
mußte die Lehrkanzel in Oxford verlaſſen und ſich in feine
Pfarrei zu Lutterworth zurückziehen, wo er fortan unan—
gefochten blieb, und ſeine Lehre in einer Reihe von Schrif—
ten bis zu feinem am 31 Dec. 1384 erfolgten Tode zu
erklären und zu behaupten fortfuhr.
Mehre Bücher Wiklefs wurden in Böhmen, wie ge—
ſagt, ſchon vor dem Jahre 1385 bekannt, und brachten
nach und nach eine nicht geringe Aufregung unter den Ma—
giſtern der Prager Univerſität hervor. Es muß in der
That ſchon vor Ausgang des XIV Jahrhunderts viel über
Wiklef'ſche Sätze in Prag disputirt worden ſein, da auch
Stitny in ſeinem letzten Werke von ihnen zu reden Anlaß
fand; 2's man erkennt ſie an der vielfach verhandelten Frage
von der Transſubſtantiation. Die vorzüglichſten Prager
Gelehrten, welche ſich frühzeitig für Wiklefs Bücher inter—
eſſirten, waren: unter den älteren, M. Niclas von Leito—
mysl, M. Stanislaus von Znaim, M. Stephan von Paleé
und der Aſtronom M. Chriſtann von Prachatic; ? unter
den jüngeren, vorzüglich die Magiſter Johann Hus von
Huſinec und Hieronymus von Prag.
M. Johann Hus war in dem, damals theils zur
königlichen Burg Hus, theils unmittelbar zur königlichen
238) » Aj, jiz mi jde l&to sedmdesäte, a w3ak jesté su mmü nckteri
mistti pohnuli, tak ze neumelbych za jisto powedieti, jestli w
te swätosti jest® chleb, pod nimzby bylo take t&lo bozie, eili
tu jiz zhyne chleb« etc. Vgl. Rozbor starodesk& literatury.
I, 1842, pag. 197. Dagegen müſſen wir bemerken, daß in
Janows großem Werke keine Spur von Wiklef'ſchem Einfluß
wahrzunehmen iſt.
239) Den Nic. von Leitomysl, Magiſter ſeit 1378, Rector der
Univerſität im Jahre 1391, nennt Hus ſelbſt einen consiliarius
Johann von Wiklef. M. Johann Hus. 191
Kammer gehörigen Markte Huſinec““ im Prachiner Kreiſe ——
im J. 1369 von gemeinen, jedoch verhältnißmäßig wohl—
habenden Altern geboren. Er ſtudirte in Prag, und wurde
daſelbſt im September 1393 Baccalar der freien Künſte,
1394 Baccalar der Theologie, endlich 1396, im Januar,
Magiſter der freien Künſte. In der Reihe der mit ihm
zugleich Graduirten erſcheint er jedesmal in der Mitte;
dürfte daher unter ſeinen Collegen in der Schule als ein
nicht beſonders ausgezeichneter Kopf angeſehen worden ſein.
Doch trat er ſchon 1398 als öffentlicher Lehrer an der
Univerfität auf, und gerieth 1399, bei einer in der Pfarrei
zu St. Michael auf der Altſtadt abgehaltenen Disputation,
zum erſten Mal in einen offenen Streit mit ſeinen Col—
legen dadurch, daß er einige Wiklef'ſche Lehrſätze verthei—
perspicacissimus; er ſtarb zwiſchen 1403 und 1408. Stanislaus
von Znaim, Magiſter 1388, + 1414; Steph. Palec, Mag.
1391, 7 nach 1421; Chriſtann von Prachatic, ſeit 1390 Ma:
giſter, lebte bis 1439, und es wird von den letzten dreien
noch oft die Rede ſein.
240) Schon als König Johann im J. 1341 den Herren von Jano—
wic, als Pfandbeſitzern der königl. Burg Winterberg, die
Erbauung einer neuen Burg, Namens Hus (Gans, Auca),
in den Winterberger Wäldern geſtattete, behielt er der Krone
das Obereigenthum derſelben vor. Daß zu dieſer Burg, außer
23 Dörfern, auch die Hälfte des Marktes Hufinec Omedietas
oppidi Husinec, quia alia medietas est libera«) und der ganze
Markt Zablat gehörte, lernen wir aus den noch im Original
vorhandenen Quaternen der königl. Lehntafel jener Zeit (Nr.
XXII, fol. 119). Es gab alſo keinen beſonderen Grundherrn
in Böhmen, deſſen geborener Unterthan oder gar Leibeigener )
M. Hus geweſen wäre. Jener königliche Günſtling Nikolaus
von den Jahren 1419 und 1420, welchem man dieſe Ehre ge—
wöhnlich zueignet, war nur ein auf Lebenszeit ernannter könig—
licher Burggraf auf Hus, kein Erbherr auf Hufinecz fein Fa—
milienname hieß »von Pieſtna.« (S. unten.)
192 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
—— digte. Gleichwohl wurde er ſchon am 15 Oct. 1401
zu dem wichtigen Amte eines Decans der philoſophiſchen
Facultät gewählt,?“ und als ſolcher von dem königlichen
Günſtling, dem aus Pardubice gebürtigen Prager Bürger
Johann von Milheim, der 1391 die Bethlehemscapelle in
der Altſtadt Prag erbaut hatte, zum Predigeramte an
dieſer Capelle präſentirt. Der erzbiſchöfliche Generalvicar
ertheilte ihm am 14 März 1402 den Inveſtiturbrief dar—
über. *3 Schon im October darauf erlangte er auch die
höchſte akademiſche Würde, die eines Rectors der Prager
Univerſität, die er bis zu Ende Aprils 1403 begleitete, *+
Mag. Hieronymus von Prag gehörte, feiner Ge—
burt nach, einer in Prag wohnenden Familie von niederem
Adel an.““ Er war um einige Jahre jünger, als Johann
241) Nach den »Depositiones testium contra M. Joh. Hus, mit
der Verantwortung des Letzteren.
242) Monumenta histor. universit. Prag. I, 286 sq. 368.
243) Pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, II, Nr. 189. S. 95.
244) Monum. Histor. universit. Prag. vol. III, pag. 400.
245) Die von Pelzel (Lebensgeſch. K. Wenzels, I, 571) über feine
Abſtammung gegebenen Details halten nicht Stich, da fie ver—
ſchiedene Perſonen verwechſeln. M. Hieronymus von Wojkowic
war von dem in Rede ſtehenden gie von Prag ſchon
deshalb ganz verſchieden, weil er im J. 1418 und ſpäter noch
am Leben war. Der Name „Faulfiſche wird unſerm Hie—
ronymus auch in keinem gleichzeitigen Documente beigelegt;
er iſt ihm erſt in ſpäterer Zeit durch Verwechslung mit dem
minder bekannten Nikolaus Faulfiſch (von Budweis?)
zugeſchrieben worden. Über Letzteren gibt Peter von Mlade—
nowic, bei Huſſens Verhör am 8 Juni 1415 zu Conſtanz,
folgende Nachricht: »Illam literam cum sigillo universitatis
Oxoniensis duo studentes Pragam attulerunt. Tune Anglici
requisiverunt eum (M. J. Hus), ut nominet illos studentes,
quia dixerunt, illam literam fuisse falsificatam et non debite
emanasse. Et M. Hus, ostendens super Palecz, dixit: »Ille
amicus meus novit bonae memoriae Nicolaum Faulfiss, qui
M. Johann Hus und Hieronymus von Prag. 193
Hus, an welchen er ſchon in früher Jugend mit inniger ——
Freundſchaft ſich anſchloß. Von der Natur nicht minder
begabt, als Dieſer, und eben ſo ſcharfſinnig und beredt,
unterſchied er ſich von dieſem ernſten und eiſenfeſten Cha—
rakter durch größere Lebhaftigkeit des Geiſtes und eine ge—
wiſſe, auch äußere, Unſtätigkeit. Denn während Hus nicht
aus Prag und Böhmen herauskam, ſchienen dem feurigen
Hieronymus alle Länder Europa's nicht genügend, ſeinen
Wiſſensdurſt zu ſtillen. Schon als Student?“ zog er nach
Oxford in England, und brachte von der dortigen Univer—
ſität mehre in Prag noch unbekannte, meiſt theologiſche
Werke Wiklefs zurück. Im Sept. 1398 wurde er Bacca—
lar der freien Künſte, und erhielt, fünf Monate ſpäter,
durch Verwendung ſeines Freundes, die zweijährige Dis—
pens von der Prager Univerſität.““ Dann zog er wieder
ins Ausland, an die deutſchen Univerſitäten Cöln und
illas literas apportavit cum alio, quem non scio, quis fuerit,«
Et interrogarunt eum Anglici, ubi esset ille® Et Magister
dixit: » mortuus est alicubi, credo inter Hispaniam et Ang-
liam;« et deriserunt eum. Et Palecz dixit: » Ah! ille Faulfiss
non fuit Anglicus, sed Boemus; et ecce, Revmi patres! ille
idem Faulfiss portavit unam petiam lapidis de sepulero ipsius
Wiklef, quam postea Pragae pro reliquiis venerabantur et ha-
bebant, Et horum omnium iste Hus conscius erat.« Damit
ſtimmen die Angaben des Aeneas Sylvius über Faulfiſch voll:
kommen überein: vir quidam genere nobilis, ex domo quam
»Putridi piscis« vocant, apud Oxoniam Angliae civitatem
literis studens etc. (cap. 35). Offenbar meinte Aeneas Sylvius
hier den Niklas Faulfiſch, den er noch keineswegs mit Hiero—
nymus verwechſelte; Letzteres thaten erſt feine Leſer, die den
Faulfiſch und Hieronymus für eine Perſon hielten.
246) Bei Von der Hardt, IV, pag. 635, bekannte er ſelbſt: Profiteor,
quod cum eram adolescens, habens ardorem discendi, perveni
in Angliam etc.
247) Nämlich von der Nothwendigkeit, ſich zwei Jahre lang dem
Schulunterrichte zu widmen. Monum. hist. universit. Prag. J, 338.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 13
1403
194 VI Buch, 3 Cavpitel. K. Wenzel IV.
Heidelberg, endlich nach Paris, an deſſen weltberühmter
Hochſchule er auch den Grad eines Magiſters erlangte,
der ihm in Prag erſt viel ſpäter zugeſtanden wurde.“
Doch auch damit nicht zufrieden, hatte er ſchon 1403 Rei—
fen bis nach Paläſtina und Jeruſalem unternommen,?“
und beſuchte ſpäter noch andere Länder, bald den Ritter
und Hofmann, bald den Gelehrten ſpielend, und wegen
ſeiner Vorliebe für Wiklef faſt allenthalben Anſtoß er—
regend, wie wir dies unten noch näher nachweiſen werden.
Dies waren die zwei hervorragendſten Charaktere,
welche die ſeit lange vielfach in Böhmen geſtreuten Keime
von Unzufriedenheit mit den damaligen kirchlichen Zuſtän—
den in ſich aufnahmen, und mit ſelbſtändiger Geiſteskraft
zur weiteren Entwickelung brachten. Um ſte herum ſchaar—
ten ſich noch viele Männer von nicht geringer Bedeutung,
wie M. Jacobellus von Mies, M. Johann von Sefenic,
M. Prokop von Pilſen und andere, auf deren Wirkſamkeit
wir ſpäter noch zurückkommen werden.
Der Prager Erzbiſchof Wolfram von Sfworec war
am 2 Mai 1402 geſtorben. Da K. Wenzel ſich damals
als Gefangener in der Gewalt ſeines Bruders befand, ſo
erhielt der einſt von ihm gemarterte Nicolaus Puchnik von
K. Sigmund die Ernennung zu dieſer hohen Würde; aber
auch er ſtarb (19 Sept. 1402), noch bevor ihm die päpft-
liche Confirmation zugekommen war. Nun wollte Sig—
mund den ihm ſehr anhänglichen Biſchof von Leitomysl,
Johann den Eiſernen, an ſeine Stelle befördern; da er
inzwiſchen aber mit Papſt Bonifaz N gänzlich zerfiel, ſo
248) Monum. hist. universit. Prag. I, 391 ad ann. 1407: Hieronymus
de Praga, magister Parisiensis, hie assumtus.
249) In feinem Verhör (bei v. d. Hardt, IV, 643) ſagte er ſelbſt:
»Cum condemnatio facta fuit articulorum (Wicleff), tune Hie-
rosolymis eram.«
Erſte Verdammung Wiklef'ſcher Lehrſätze in Prag. 195
blieb das Prager Erzbisthum unbeſetzt, ' bis gegen Ende 1403
des Jahres 1403 der Melniker Propſt, Zbynef Zajic von
Haſenburg, aus der böhmiſchen Herrenfamilie dieſes Na—
mens, auf den erzbiſchöflichen Stuhl gelangte.
Wolframs Schwäche und die lange Sedisvacanz nach
ſeinem Tode verſchafften der Verbreitung Wiklef'ſcher Leh—
ren an der Prager Univerſität um ſo freieren Spielraum,
als zwei der eifrigſten Beförderer derſelben, Nicolaus von
Leitomysl und Johann Hus, in den Jahren 1401 — 1403
eine Zeit lang die beiden wichtigſten Amter an der Uni—
verfität, der eine als Vicekanzler, der andere zuerſt als
Decan der philoſophiſchen Facultät, dann als Rector des
Geſammtkörpers, begleiteten. r Beide gehörten der böh⸗
miſchen Nation an. Als daher ihre Amter ordnungsmäßig
auf andere Nationen übergingen, bildete ſich um ſo leich—
ter eine Reaction gegen ſie, welche zugleich eine nationale
Färbung annahm. Man zog die Acten des Londoner Con—
cils vom J. 1382 hervor; zu den 24 dort ſchon verdamm—
ten Lehrſätzen ſchöpfte der Prager Magiſter Johann Hüb—
ner, ein Schleſier von Geburt, noch andere 21 aus Wik—
lefs Werken, und legte ſie dem Prager Domcapitel vor.
Auf ein von den beiden Domherren, Johann Kbel, dama—
ligem Official des Erzbisthums, und Wenzel, Archidiacon
von Bechin, im Namen ihres Capitels geſtelltes Verlangen,
berief Huſſens Nachfolger im Rectorat, M. Walther Har—
raſſer von der bayriſchen Nation, die ganze Univerſität am
250) Noch am 9 Aug. 1403 ſchreibt ſich »Johannes episcopus Lu-
tomysslensis, postulatus archiepiscopus Pragensis,« und am
3 Sept. 1403 heißen noch Johannes de Smilkow praepositus
Omnium Sanctorum, Wenceslaus de Radeez decanus S. Apol-
linaris et Wenceslaus praepositus Misnensis, administratores
archiepiscopatus Pragensis sede vacante. Am 7 Oct. 1403
wird aber ſchon D. Zbynko archiepiscopus electus genannt.
251) Monumenta histor, universit, Prag. I, 368 sq. III. 400,
13 *
1403
28 Mai
196 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
28 Mai 1403 nach Mittag in das Karolin-Gebaͤude, um
hinſichtlich der 45 Wiklef'ſchen Artikel einen allgemeinen
Beſchluß faſſen zu laſſen. Als er aber, in Gegenwart der
beiden Domherren als Kläger, jene 45 Artikel vorleſen
ließ, ſuchten Wiklefs Freunde nicht ſowohl ihre Wahrheit
zu behaupten, als vielmehr zu beweiſen, daß ſie, in der
ihnen gegebenen Faſſung, keineswegs Wiklefs Lehrſätze ſeien.
Nicolaus von Leitomysl ereiferte ſich ſehr gegen Hübner,
der es gewagt habe, Wiklef ganz unrichtige und falſche
Sätze zu unterſchieben; und Hus, der an zwei kurz vor—
her in Prag wegen Safranverfälſchung zum Tode ver—
urtheilte und verbrannte Perſonen erinnerte, fragte die
Verſammlung, ob Lehrverfälſcher nicht ſtrafbarer ſeien, als
Verfälſcher von Safran 2 * Nur Stanislaus von Znaim
vertheidigte die 45 Artikel in einer für viele Zuhörer ſo
anſtößigen Weiſe, daß einige ältere Magiſter die Sitzung
verließen, um ihn nur nicht anhören zu müſſen. 3 Die
Mehrzahl der Magiſter ließ ſich jedoch durch dieſe Ein—
wendungen nicht beirren, und ſo kam, nach längerem Streit,
durch Stimmenmehrheit (secundum pluralitatem vocum)
der Beſchluß zu Stande, daß kein Mitglied der Univerſität
irgend einen jener 45 Artikel öffentlich oder insgeheim leh—
252) Wir berichten dies nach Huſſens eigener Erzählung in ſeinen
Bemerkungen zu den bereits genannten Depositiones testium,
»Non sunt (ſagt er) illi 45 articuli omnes ipsius Wiclef, quos
tenuisset, sed conficti sunt per M. Johannem Hubner... Con-
fiteor, me dixisse, quod ad bonum sensum multi articuli sunt veri,
quando vellent homines pie examinare... Sed nee dico, quod
omnes sunt veri, quia Hubneri articuli aliquot sunt falsi. —
Bekanntlich hat auch Wiklef ſelbſt geklagt, das Londoner Concil
1382 habe ihm Artikel angedichtet, die er nicht für die ſeinigen
erkenne.
253) Opp- Huss. tom. I, pag. 331» : Propter ejus argumentum se-
niores doctores de congregatione exiverant, tolerare illud non
valentes.
Erſte Verdammung Wiklef'ſcher Lehrſätze in Prag. 197
ren und verbreiten dürfe, wofern es den der Univerſität 1403
eidlich angelobten Gehorſam bewahren und nicht als eid—
brüchig behandelt werden wolle.?“
Es war dies, wie wir ſchon oben bemerkten, der erſte
große öffentliche Act, der das Daſein eines tief greifenden
Zwieſpalts in den Anſichten der Zeitgenoſſen über chriſt—
liche Kirche und Lehre conſtatirte und zugleich zu heben
befliſſen war. Diejenigen aber, welche ſich etwa der Hoff—
nung hingaben, daß dieſes ſtrenge Verbot einer an ſich
noch wenig verbreiteten Lehre ſich wirkſam erweiſen werde,
täuſchten ſich gar ſehr; ſie ahnten nicht, daß eben dies
Verbot erſt den rechten Anfang eines Streites bildete, der
da kam, ſie aus ihrer bequemen Ruhe zu reißen, und deſſen
Ende fie alle nicht erleben ſollten! s Denn das Übel,
das die Wiklef'ſchen Lehrſätze, als einzelnes Krankheits—
ſymptom, hervorbrachte und ihnen Eingang verſchaffte, lag
tiefer und war im ganzen Körper der Kirche weiter ver—
breitet, als daß es ſich durch eine noch ſo kräftige ſympto—
matiſche Cur hätte heilen laſſen.
Es iſt wahr, für den Augenblick hatte das Verbot
doch einige Wirkung. Wenn bis dahin M. Hus, gleich
ſeinem ehemaligen Lehrer, M. Stanislaus von Znaim, in
254) Das öffentliche Notariats-Inſtrument über dieſen Act findet
ſich in mehren alten Handſchriften; eine kurze Nachricht ſteht
auch bei Von der Hardt, IV, p. 652. Um ſo auffallender iſt
es, daß noch kein Hiſtoriker von dieſem wichtigen Vorfall
Kenntniß genommen hat; ſelbſt der fleißige Cochläus (b. I,
pag. 8 — 11) verwechſelt die erſte Verdammung von 1403 mit
der zweiten von 1408 (ſ. unten).
255) Auch das Chronicon universitatis Pragensis ſagt: Anno dom.
1403 incepit notabilis dissensio in clero regni Bohemiae, ma-
gistris, sacerdotibus et praelatis, propter quosdam articulos
ex Johannis Wicleff doctoris Anglici libris non bene extra-
ctos — und erzählt dann kurz den Hergang im Karolingebäude
am 28 Mai 1403.
198 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1403 der Lehre von der Transſubſtantiation mit ſich ſelbſt, wie
es ſcheint, nicht ganz einig geweſen war, und ſich daher
wenigſtens ſchwankend erwieſen hatte, “ fo entſchied er
ſich ſeitdem zu beſtimmter Verwerfung und Verläugnung
der Lehre Wiklefs in dieſem Puncte, gleichwie er von jeher
denjenigen Satz verworfen hatte, dem zufolge die Sa—
cramente, durch die Hand eines mit einer Todſünde be—
hafteten Prieſters verabreicht, ihre heiligende Kraft ver-
loren haben ſollten. “? Es gab aber in den Werken Wik—
lefs noch andere Lehrſätze, die wohl in den Herzen vieler
Zeitgenoſſen Anklang finden mußten; es waren diejenigen,
in welchen er auf Abſtellung der in die Kirchenverwaltung
eingeſchlichenen Mißbräuche drang, folglich mit den oben
genannten böhmiſchen Reformatoren übereinſtimmte. In
256) Es iſt wohl bezeichnend, daß in den Depositiones testium alle
Angaben über Huſſens nicht orthodoxe Außerungen hinſichtlich
der Transſubſtantiationslehre in die Zeit vor 1403 zurückgehen.
über M. Stanislaus von Znaim ſchreibt Hus ſelbſt an ſeinen
Freund M. Chriſtann von Prachatic: Stanislaus tenuit et in
scripto sententialiter scripsit de remanentia panis; et a me
quaesivit, antequam disturbium incepit, si vellem idem secum
tenere. Ecce postea juravit et abjuravit; et post duos annos
(1405), quando Stiekna venit cum suo tractatu, postquam
timuit archiepiscopum, nesciens subterfugere, dixit per jura-
mentum, quod tractatum illum non perfecit ete.
257) Gegen Johann Protiwa, den Pfarrer bei St. Clemens auf
dem Poric, der Hus eines ſolchen Irrſatzes zuerſt beſchuldigt
hatte, erwiederte dieſer: Scit omnis populus fidelis, qui visi-
tavit sermones meos ab initio praedicationis meae, quod prae-
dicavi oppositum, dicens, quod tam malus quam bonus sa-
cerdos conficit digne. — Et istud mendacium Protiwae possunt
comperire illi, qui habent sermones meos de primo anno prae-
dicationis meae, in quibus scripsi ista verba b. Augustini:
intra katholicam ecclesiam mysterium corporis et sanguinis Do-
mini nihil a bono majus, nihil a malo minus perheitur sacer-
dote etc.
Oppoſition gegen Bonifaz IX und die Kirche. 199
Hinſicht dieſer erwies ſich das Verbot als eine unwirkſame
Maßregel; denn es lenkte die Aufmerkſamkeit noch mehr
auf jene Werke hin, und verſchaffte ihnen einen ſtets wach—
ſenden Umlauf.
In dieſe Gährung der Gemüther warf das von uns
ſchon erzählte, von K. Sigmund an ſeine Statthalter in
Böhmen am 9 Auguſt 1403 erlaſſene Verbot des Gehor—
ſams gegen Papſt Bonifaz IX einen neuen und mächtigen
Zündſtoff. Wenn auch die geiſtlichen Behörden ſich wenig
beeilt haben dürften, einen den Kirchengeſetzen ſo wider—
ſprechenden Befehl bekannt zu machen, ſo fehlte es doch
gewiß nicht an Organen, die das königliche Decret im Lande
verbreiteten und ihm in Wort und That Nachdruck zu ver—
ſchaffen ſuchten. Die ſeit lange vielfach geweckte Mißſtim—
mung und Unzufriedenheit mit den kirchlichen Zuſtänden
erhielt dadurch eine beſtimmtere Richtung, indem ſie ſich
zu einer Oppoſition gegen das Haupt der Kirche geſtal—
tete; dieſe zu wecken, vereinigten ſich Sigmunds Befehle
mit den kühnen Lehren Wiklefs; daß eine Oppoſition gegen
das Haupt bald auch zu einer Oppoſition gegen den ganz
zen Körper führen könne, ließ der nie tief denkende Sig—
mund ſich nicht einfallen. Will man aber gerecht ſein, ſo
muß man zugeben, daß Bonifaz IX nicht allein den Kö—
nigen Sigmund und Wenzel, ſondern allen Gutgeſinnten
in der Chriſtenheit viel Grund und Anlaß zum Mißver—
gnügen und zu Klagen gegeben hat. Sein von uns be—
reits erzähltes Benehmen gegen die Häupter des Luxen—
burgiſchen Hauſes hätte ſich durch politiſche Rückſichten und
Verhältniſſe, in welche er als weltlicher Fürſt verwickelt
war, vielleicht noch entſchuldigen laſſen; nicht durchaus fo
ſein Verfahren in kirchlichen Angelegenheiten. Es iſt be—
kannt, wie er oft gerügte Mißbräuche, — in deren Schil—
derung wir hier nicht eingehen können, — abzuſtellen un—
terließ. —
1403
9 Aug.
1403
1404
200 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
Als nun König Wenzel von ſeiner Wiener Gefangen—
ſchaft nach Böhmen zurückkehrte, fand er die Lage der
Dinge und die Stimmung der Gemüther, trotz der nur
anderthalbjährigen Dauer ſeiner Abweſenheit, merklich ge—
ändert. Die nicht ohne Rechtsgründe vielfach beſtrittene
Gewaltherrſchaft Sigmunds und ſeiner Statthalter hatte
zu Ungehorſam und zu Fehden ohne Zahl Anlaß gegeben,
und dadurch faſt einen Zuſtand von Anarchie herbeigeführt,
in welcher viel krieg- und raubluſtiges Volk, Edle und
Unedle, zu einer wahren Landplage nicht bloß für Böhmen
und Mähren, ſondern auch für die Nachbarländer, aus—
arteten. Nun nahmen zwar die Böhmen ihren alten König
mit Freuden wieder auf, und leiſteten, bis auf wenige Aus—
nahmen, ihm willig die neue Huldigung; ſie hatten an dem
ſchweren Steuerndruck, dem ſie unter Sigmund ausgeſetzt
waren, eben erſt die Erfahrung gemacht, welch' ein mil—
derer Herrſcher ihnen Wenzel von jeher geweſen. Auch
ſammelten ſich die früheren Günſtlinge (milei) wieder um
ihren königlichen Herrn, deſſen Regierung, nach Auflöſung
der Statthalterei Sigmunds, bald ihren gewohnten Gang
wieder nahm: aber in das Volksleben war auch bereits
ein neues Element gedrungen, das fortan die öffentliche
Aufmerkſamkeit in erſter Linie auf ſich zog und mit jedem
Jahre an Stärke gewann. Der König war weit entfernt,
die Bedeutung desſelben zu erkennen oder zu würdigen.
Nicht ahnend, daß ſich aus ihm Ereigniſſe entwickelten,
welche ihm ſelbſt im günſtigſten Falle nur die Rolle des
Zuſchauers ließen, geſtattete er ihm um ſo leichter ſeinen
freien Lauf, je mehr er, von Bonifaz IX aufs empfind—
lichſte gekränkt, mit der öffentlichen Meinung gegen ihn
ſelbſt ſympathiſirte.
Es iſt übrigens nicht zu verkennen, daß die Schule
des Unglücks, in welche Wenzel zuletzt durch eigene Schuld
gerathen war, einen heilſamen tiefen Eindruck auf ſein
K. Wenzels neue Regierung. 201
Gemüth gemacht, und feinen Geiſt zu etwas mehr Selb- 1404
ſtändigkeit, Umſicht und Thätigkeit gehoben hat. Auf den
Thron zurückgelangt, ließ er ſich fortan weniger von An—
deren beherrſchen, und zeigte ſich weder ſo rathlos, noch
ſo eigenſinnig mehr, wie vormals; er hatte auch offenbar an
der erſten und nothwendigſten Gabe eines Herrſchers, an
Menſchenkenntniß, viel gewonnen. Wir ſehen ihn ſeitdem
mit größerem Bedacht die Zügel der Regierung in eigener
Hand führen; und wenn er gleich nichts übereilt, ſo läßt
er doch, wo es Noth ſ thut, an gehörigem Nachdruck es auch
nicht fehlen. Hätte er ſich von jeher ſo benommen, wie
viele Demüthigungen wären ihm, wie viele Drangſale dem
Lande erſpart worden!
Seine erſte Sorge ging dahin, alle ER der Herr-
ſchaft ſeines Bruders in Böhmen zu vertilgen, und in Vor—
ausſicht der mit ihm zu führenden Kriege, ſich durch Bünd—
niſſe zu ſtärken. Zuerſt rief er ſeinen Vetter, den Markgrafen
Joſt, von Berlin herbei; er durfte ihm jetzt vertrauen, da auch
Joſt nicht minder entſchieden mit Sigmund gebrochen hatte;
auch Markgraf Prokop kam und trat der Einigung bei. Die
oberſten Landesämter wurden mit fähigen und treuen Män—
nern beſetzt: an der Stelle des Herrn Heinrich von Roſenberg,
der fortan nimmermehr bei Hofe erſcheinen durfte, wurde Herr
Johann Krusina von Lichtenburg Oberſter Burggraf des Kö—
nigreichs und Oberſtlandhofmeiſter zugleich; ?“ das oberſte
Landkämmerer-Amt erhielt Herr Ales Skopek von Duba
auf Drazic, des einſt vorzugsweiſe beliebten Herrn Hein—
richs (T 1395) Sohn. Das wichtige Oberſtkanzleramt be—
258) Eine Vermuthung können wir jedoch hier nicht zurückhalten.
Da die Cumulirung des oberſten Burggrafenamtes mit dem
Hofmeiſteramte nur bei Lebzeiten des Herrn Heinrich von Ro—
ſenberg (T 1412) Statt fand, und nach feinem Tode wieder
aufhörte; da die Herren Johann Krusina von Lichtenburg
(1403-1407), Lacek von Krawar (1408-1411) und Johann
202 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1404 gleitete nach wie vor der Patriarch von Antiochien, Wenzel
Kralik von Burenic, derjenige faſt unbekannte Mann, dem
Wenzel ſeine ganze lange Regierungszeit hindurch unver—
ändert das höchſte Vertrauen ſchenkte. Oberſtlandrichter
blieb Herr Hynek Berka von Duba auf Hohenſtein; Hof—
lehenrichter Herr Brenek Swihowſkh von Rieſenberg auf
Skal, beide einſt Mitglieder des Herrenbundes, jetzt aber,
gleichwie der neue Oberſtlandſchreiber, Bokek von Kunſtat
auf Podébrad, Sigmunds erklärte Feinde. Zum Landes—
unterkammeramte wurde, während Sigmund Huler noch in
der Wiener Gefangenſchaft ſchmachtete, ein Prager Bürger,
Nicolaus von Okor, aus dem Geſchlechte der Rokycanſky,
befördert. Man bemerkt unter dieſen Beamten kaum einen
Mann vom Ritterſtande; gleichwohl iſt an der Richtigkeit
der von einem Zeitgenoſſen gemachten Bemerkung nicht zu
zweifeln, daß Wenzel ſeit ſeiner zweiten Gefangenſchaft
gegen die Barone im Allgemeinen eine noch entſchiedenere
und unbeſiegbare Abneigung gefaßt hat.
Als Sigmund die Entweichung ſeines Bruders aus
Wien erfuhr, ergrimmte er ſo ſehr gegen die Herzoge von
Oſterreich, daß nur die ſtrengſte Winterkälte ihn hindern
konnte, ſie zur Strafe für ihre vermeinte Treuloſigkeit mit
einem ſchweren Kriege heimzuſuchen. Es gelang ihnen
aber, ihn von ihrer Unſchuld zu überzeugen, und ſie ver—
banden ſich dagegen, ihm mit anſehnlicher Macht in dem—
jenigen Kriege beizuſtehen, den er gegen ſeinen Bruder und
ſeine Vettern erheben würde. Im Sommer 1404 rückte
deshalb Herzog Albrecht perſönlich mit Sigmund gegen
von Neuhaus (1412-1413) zwar wirklich das oberſtburggräf—
liche Amt ausübten, ſich aber gewöhnlich nur königl. Oberſt—
hofmeiſter allein zu nennen pflegten: ſo ſcheint die Oberſte
Burggrafſchaft dem Herrn von Roſenberg von K. Wenzel
durch eine jetzt unbekannte frühere Urkunde auf Lebenszeit ver-
liehen worden zu ſein, obgleich er ſelbſt nach 1403 weder das
Amt noch den Titel davon mehr führte.
Krieg mit K. Sigmund. 203
Mähren ins Feld; zu Anfange Juli umſchloß ein anfehn- 1404
liches, aus Ungarn und Sſterreichern beſtehendes Heer
das feſte Znaim, in welchem K. Wenzels und der Mark—
grafen Diener,? Herr Hynek von Kunſtat und Jewiso—
wic, zugenannt Suchy Cert (der dürre Teufel), und Jo—
hann von Lamberg, zugenannt Sokol (der Falke), beide
wegen häufiger Raubzüge in Sſterreich und Mähren be—
rüchtigt und gefürchtet, den Befehl führten. Sechs Wochen
lang bot man alles vergebens auf, was die damalige Be—
lagerungskunſt vermochte, um die Stadt zu bezwingen,
deren Bürger überdies mit der Beſatzung nicht ſympathi—
ſirten. In kühnem Ausfall zerſtörten die Belagerten alle
gegen ſie gerichteten Maſchinen, Mauerbrecher und Katzen,
mit brennendem Pech und Schwefel; und die Beſchießung
mit Kanonen blieb bei der Schwäche des damals fabri—
cirten Pulvers unwirkſam. Der Muth der Belagerer ſank
noch mehr, als eine ruhrartige Krankheit in ihrem Heere
überhand nahm, von welcher auch Sigmund und Albrecht
ergriffen worden zu ſein ſcheinen, obgleich ihre Erkrankung
einem von den Belagerten ihnen beigebrachten Gift zuge—
ſchrieben wurde.?“ Unter dieſen Umſtänden hob man die
259) Vgl. Pelzel's Wenceslaus, Seite 484 (K. Wenzels Schenkun—
gen an Joh. Sokol von Lamberg), und Wolny's Topographie
von Mähren, Bd. III, S. 59 (in der Note). Hynek von
Kunſtat nannte ſich in Urkunden einen Herrn auf Rabſtein
und Hauptmann in Znaim. Pesina (im Mars Moravicus) gibt
ganz verkehrte Angaben über dieſe Belagerung.
260) Daß man im Ernſte an eine Vergiftung glaubte, beweiſt ſchon
die Art, wie K. Sigmund curirt wurde. »Alſo kam ein Arzt
von Wyenne, den ſante Im der Herzog Wilhelm von Oſterich,
vnd der was ein grober Swop, er war aber ein guter Arzt —
Derſelbe hing den Konig auf mit den Fuſſen, das dem Konig
die Bruſt auff einem Kuſſe auf die Erden rurte, das werte
wol vir und zwanzig ſtund. — Do ſprach der Arzt: ſolte die
Gift unten ausgangen ſeyn, die Natur kunt es nit erliden ha—
ben.« (Eberh. Windeck bei Menken p. 1087.) — Wenn man
or
204 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1404 Belagerung zu Ende Auguſt 1404 auf; zwei Schleuder—
2
maſchinen und drei Kanonen, welche man den Belagerten
als Beute überließ, 81 beweiſen, daß der Rückzug nicht
ganz mit Ordnung angetreten wurde. Das Heer ging
auseinander, der Feldzug war zu Ende.“? K. Sigmund
genas bald wieder; Herzog Albrecht ſtarb aber an der—
ſelben Krankheit ſchon am 14 Sept. 1404.
K. Wenzel, der gar nicht gehofft hatte, daß der Krieg
gegen ſeinen Bruder ein ſo baldiges und glückliches Ende
nehmen würde, war inzwiſchen nach Breslau gegangen,
um mit K. Wladiſlaw von Polen, der mit äußerſt zahl—
i reichem Gefolge eben dahin kam, ein Schutz- und Trutz—
bündniß zu ſchließen. Wladiſlaw war den Böhmen von
jeher ein friedlicher und freundlicher Nachbar geweſen. Für
die Hilfe, die er jetzt gegen Sigmund leiſten ſollte, bot
ihm Wenzel Beſitzungen in Schleſien an, ?% deren Annahme
aber die Worte des Chron. Mellic. (bei Pez I, 250) » multi
in exercitu fluxu ventris obierunt,« — mit denen des Eben—
dorfer (ebendaſ. II, 825) »dux Albertus gravi coepit dysen-
teria fatigari« vergleicht, jo kann man den banalen Glauben
an Vergiftung wohl auf ſich beruhen laſſen.
261) Stari letopisowé in Seriptt. rer. Boh. tom. III, pag. 10.
262) Der von Sigmund während der Belagerung angeblich gegen
Kuttenberg unternommene Streifzug beruht auf einem bloßen
Mißverſtändniß der Quellen; denn die Nachricht des Beness
minorita bei Dobner IV, p. 65 bezieht ſich auf Sigmund's
Feldzug gegen Kuttenberg zu Ende des Jahres 1402 (ſ. oben),
wie ihre Quelle in einer Wiener Handſchrift Nr. 3280, olim
hist. prof. 1055, fol. 6 sq. es augenſcheinlich beweiſt.
263) Daß Wenzel wirklich mit dem Gedanken umging, dem Könige
von Polen einen Theil ſeiner Beſitzungen (wohl nur pfand—
weiſe) zu überlaffen, erhellt aus dem Briefe an die Räthe Sig—
munds (bei Pelzel Nr. 198, S. 103 fg.) Si ipse (Sigismundus),
fraternae caritatis prorsus immemor, — in depopulationem no-
stram et nostrorum per operam desudaret, ex tunc ad hoc sua
oppressione impellente veniret, quod — compelleremur de do-
Krieg mit K. Sigmund. 205
jedoch die polniſchen Großen widerriethen, da ſie ſolche als
einen Anlaß zu künftigen Zerwürfniſſen und Kriegen mit
Böhmen betrachteten. Das Bündniß kam daher ohne Schmä—
lerung der böhmiſchen Krone um ſo leichter zu Stande,
als die polniſche Hilfe nach dem Rückzug der verbündeten
Heere von Znaim unnöthig wurde. Denn zu einem An—
griffskriege gegen Sigmund taugte Wenzels Charakter eben
ſo wenig, wie die böhmiſche Kriegsverfaſſung. Dagegen
ſtritt man noch lange in Schriften; und da Sigmund fort—
fuhr, ſich einen Verweſer des Königreichs Böhmen zu ſchrei—
ben, ſo war es von Seite Wenzels nicht ganz unangemeſ—
ſen, wenn er ihn aufforderte, ihm, dem Herrn, auch Rech—
nung über feine Verwaltung abzulegen.?“ Mit den Herz
zogen von Sſterreich ſöhnte ſich dagegen Wenzel ſchon im
Laufe des Jahres 1404 wieder aus.
Während dieſer Vorgänge nach außen, war man nicht
minder thätig geweſen, die lang entbehrte Ruhe auch im
Innern Böhmens wieder herzuſtellen. Unter den raub—
luſtigen Männern, welche die Anarchie des Landes benützt
hatten, um mit bewaffneten Schaaren ihre Nachbarn, ſo
wie Kaufleute auf den Straßen, zu überfallen und zu plün—
dern, war der Ritter Nicolaus Zül von Oſtredek der mäch—
tigſte und gefürchtetſte. Derſelbe hatte ſich mehrer Schlöſ—
ſer an der Sazawa bemächtigt, und von ihnen herab viel
Unheil im Lande angeſtiftet. Wenzel ſandte ein ganzes
miniis coronae Boemiae alienare et in tantum aliorsum impen-
dere, ubi nobis adversum ipsum amminicula provenirent, quod
circa nostra dominia immobiles maneremus. Wenn aber Dlu—
gos (lib. X p. 181) ſpricht: » offerens se regi et regno Poloniae
universam terram Slesiae,« — fo muß man dies feiner gewohn—
ten patriotifchen Übertreibung zu Gute halten.
264) Dies geſchah bekanntlich in der von Eberhard Windek (bei
Menken, I, p. 1078 — 1082) uns erhaltenen, oben mehrmals
erwähnten Klageſchrift K. Wenzels gegen feinen Bruder.
1404
206 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1404 Heer gegen ihn unter Anführung des Prager Erzbiſchofs
9 Juli
Zbynek Zajic von Haſenburg; und dieſer traf ſeine An—
ſtalten ſo gut, daß er nicht nur alle Schlöffer Zuls er—
oberte, ſondern auch ihn ſelbſt mit fünfzig ſeiner Geſellen
gefangen nahm und nach Prag brachte. Das oberſte Land—
gericht verurtheilte den Raubritter zur gemeinen Räuber⸗
ſtrafe; er wurde ſammt allen ſeinen Genoſſen auf der Pra—
ger Richtſtätte gehängt, und genoß nur die Auszeichnung,
daß ſein Galgen unter allen der höchſte war. Und nicht
minderen Eindruck, als dieſe gerechte Strenge, machte das
ungewohnte Beiſpiel, daß der beliebte Prediger in Bethle—
hem, M. Johann Hus, dem Verbrecher ſeinen geiſtlichen
Beiſtand lieh, ihn bis zum Galgen begleitete, und dahin
brachte, daß der einſt ſo wilde Mann reuevoll das um—
ſtehende Volk bat, Gott für ihn um Vergebung ſeiner Sün—
den anzuflehen. ?“ Auch andere minder hervorragende Sün—
der dieſer Art erhielten in verſchiedenen Gegenden Böh—
mens, vorzüglich durch die Thätigkeit des oberſten Burg—
grafen Johann von Lichtenburg, die verdiente Züchtigung,
und das oberſte Landgericht ſprach, zu Vervollſtändigung
265) Stari letopisowe in Scriptt. rer. Boh. III, 951. Warum Pelzel
(II, 495) Zuls Hauptſchloß Cejchanõw- Hrädek (fpäter Kostköw
Hrädek genannt) in die Gegend von Tabor verſetzt, iſt uns
unbekannt; wir möchten darin eher das heutige Kammerburg
(Hradek nad Sazawau) erblicken. Das noch ungedruckte Breve
chronicon Boh. ſagt: » An, dom. 1404, circa festum Procopii,
D. Zbynko Prag. archiepiscopus cum civibus Pragensibus ja-
cuerunt ante castra, videlicet Dubam et Hradek (d. i. Alt-Duba
und Kammerburg) et ea ruperunt, Zulonemque captivaverunt
etc.« Zuls übrige Beſitzungen (Oſtkedek, Markt Diwisow
u. A.) lagen auch in der Nähe, und die Koſtka's ſetzten ſich
ſeit 1440 fg. in dieſer Gegend feſt. Neben Nikolaus oder
Mikes Zul wurde auch ein Johann Zul als Räuber hinge—
richtet und deſſen Güter vom König eingezogen. Vgl. Archiv
Cesky II, 365.
Herſtellung der Ruhe im Innern. 207
der ſtrengen Maßregeln, am 20 Dec. 1404 ſogar die 1404
Todesſtrafe auf den Kauf jedes geraubten Gutes aus. ?%
Und als bald hernach K. Wenzel, auf den Grund eines
darüber gefaßten Landtagsſchluſſes, am 5 Januar 1405 für
einen jeden der 12 Kreiſe Böhmens einen oder mehre
Ober⸗Poprawcee beſtellte, ihnen einen erweiterten Wirkungs—
kreis anwies und zugleich einander wechſelſeitig zu unter—
ſtützen befahl, ſo konnte die innere Ruhe fortan als ge—
ſichert angeſehen werden. Letztere Verordnung iſt zugleich
als ein Beginn der nachmaligen Kreisamtsverfaſſung in
Böhmen zu betrachten, deren Nothwendigkeit, nach der völ—
ligen Auflöſung der ehemaligen Zupenämter, ſich bald prak—
tiſch herausſtellen mußte. 267
Noch bedeutſamer, als die Hinrichtung Zuͤls, war die
Strafe, welche K. Wenzel bald darauf über einen ſeiner
erſten und berühmteſten Günſtlinge verhängte. Der ehe—
malige Prager Bürger Sigmund Huler hatte als Landes—
unterkämmerer ſchon ins achtzehnte Jahr die ſämmtlichen
königlichen Städte Böhmens unmittelbar zu Handen des
Königs verwaltet, und auch auf alle königlichen Domainen,
ſo wie auf ſämmtliche Kloſtergüter, inſofern ſie auch als
266) S. Pelzels diplomatiſche Beweiſe in den Abhandlungen der
Privatgeſellſchaft ꝛc. Band IV, Nr. XI, S. 66 fg., und Archiv
Cesky II, 363 fg.
267) Die Zahl der Poprawcee hatte ſich in letzter Zeit, durch könig—
liche Privilegien, zu ſehr vermehrt, und dadurch zu gegenſei—
tigen Hemmungen Anlaß gegeben; ihre Reduction war daher
ein Fortſchritt. Die aus Urkunden bekannten Namen der jetzt
ernannten Poprawei hat Pelzel (II, 506) zuſammengeſtellt, ſie
ſind jedoch gewiß unvollſtändig, und müſſen nach dem Acten—
ſtücke ergänzt werden, welches wir aus dem Talmberg'ſchen
Codex in den Casopis cesk. Museum 1835, IV, ©. 446 fg.
haben einrücken laſſen, und aus welchem die Kreiseintheilung
in einer ſehr bedeutſamen Verbindung mit der uralten Zahl
der 12 Landeskmeten in Böhmen erſcheint.
1405
5 Jan.
1405
23 Juni
24 Sept.
208 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
königliches Kammergut angeſehen wurden, entſchiedenen Ein—
fluß gehabt. Er hatte ſich ſtets der beſonderen Gunſt ſei—
nes Königs zu erfreuen, wurde Herr der einſt königlichen
Burg Worlik, und theilte zuletzt Wenzels Gefangenſchaft
in Wien, aus welcher er, gleich ſeinen übrigen Genoſſen
erſt ein Jahr nach Wenzels Flucht erlöſt, und in ſein frü—
heres Amt eingeſetzt wurde. Jetzt fiel er aber plötzlich
in ſo hohe Ungnade, daß ihn K. Wenzel am 23 Juni
1405 auf dem Prager Rathhauſe, da wo er einſt geherrſcht
hatte, ſogar enthaupten ließ. Die Urſache wurde nirgends
deutlich angegeben, läßt ſich aber errathen. Karl IV hatte
einſt den Herzogen von Oppeln die Stadt Jaromir und
die Burgen Potenſtein und Koftelec in Böhmen zu Pfande
verſchrieben; als K. Wenzel dieſelben im J. 1389 wieder
einlöſte, verband er ſich den Herzogen 8000 Schock Prager
Groſchen dafür ratenweiſe zu zahlen. Die Quittungen der
Herzoge wurden ſeiner Zeit richtig vorgewieſen; dennoch
mahnten ſie den König um die Schuld. Wenzel ſtellte
endlich dieſe Streitſache dem Ausſpruche des Königs von
Polen anheim, und dieſer entſchied am 18 Juni 1405, daß
Wenzel die Zahlung noch ſchuldig ſei. Da dieſes Ge—
ſchäft durch die Hände des Unterkämmerers gegangen war,
ſo läßt der Zuſammenhang der Daten keinen Zweifel übrig,
daß Huler des Unterſchleifs und einer Fälſchung der Quit—
tungen beſchuldigt und wohl auch überwieſen wurde.““
Die ſo raſche und ſtrenge Züchtigung eines vornehmen Ver—
brechers konnte natürlich ihre Wirkung auf das Volk nicht
verfehlen.
Markgraf Prokop von Mähren ſtarb unvermählt, daher
auch unbeerbt, am 24 Sept. 1405. Sein Tod muß als
ein für die öffentliche Ruhe nur förderliches Ereigniß an—
geſehen werden, da mit ihm die ſeit 20 Jahren nur zeit—
208) Nähere Daten hierüber liefert Pelzel im II Bd. S. 507 fg.
Sigmund Hulers Hinrichtung. Markgr. Prokops Tod. 209
weilig unterbrochenen Zwiſte im königlichen Hauſe ihr Ende
erreichten. Am 21 Dec. darauf ſchloß Wenzel mit ſeinem
nun noch einzig übrigen Vetter Joſt einen Vertrag,“ in
welchem er ihm alle früheren Beſitzungen Prokops auf
Lebenszeit überließ, und dafür die Zuſicherung des treue—
ſten Beiſtandes von ihm erhielt; eine Zuſicherung, die ſeit—
dem unſers Wiſſens nicht mehr gebrochen worden iſt.
Auf dieſe Weiſe im ruhigen Beſitze ?“ feines Reichs
befeſtigt, durfte K. Wenzel endlich ſein Augenmerk wieder
nach außen zu richten beginnen. Der Krieg mit ſeinem
Gegner K. Ruprecht hatte an den Gränzen Böhmens ei—
gentlich noch nicht aufgehört; er war aber von den an
Bayern ſtoßenden Kreiſen und Städten nur vertheidigungs—
weiſe geführt und durch einzelne Waffenſtillſtände unter—
brochen worden. Im J. 1406 beſchloß endlich Wenzel,
mit größerer Macht angriffsweiſe in der Sache zu Werke
zu gehen. Er rüſtete ein Heer gegen die Bayern aus und
ſtellte dasſelbe unter die Befehle zweier waffenkundigen
Prälaten, des Erzbiſchofs Zbynek Zajic von Haſenburg,
und des Chotejchauer Propſtes Sulek von Hradek. Dieſe
brachen in Bayern ein, verheerten das Land weit und breit,
und vergalten reichlich den Schaden, den gleiche Einfälle
269) Eine Original-Urkunde darüber befindet ſich im herzogl. Archive
zu Ols in Schleſien.
270) Einzelne Fehden gab es freilich nach wie vor: ſo erhoben ſich
die Herren Erhart der ältere und jüngere von Kunſtat gegen
den König, und bemächtigten ſich im Februar 1406 der königl.
Stadt Wodnian, wahrſcheinlich aus ähnlichem Grunde, wie
Herr Johann von Wartenberg auf Ralſko, der die Stadt
Weißwaſſer als ein Vermächtniß des Markgrafen Prokop an—
ſprach, und als ſie ihm verweigert wurde, zu den Waffen
griff. Beide Fehden wurden 1406 durch Vertrag beigelegt,
und den Herren von Kunſtat trat zu eben dieſer Zeit M. Joſt
feine Burg und Herrſchaft Bechin in Böhmen ab. Vgl. Ar-
chiv Cesky I, 189 fg.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 14
1405
1406
210 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1406 der Bayern vorher in Böhmen gemacht hatten. Eine
Wiedereroberung der ſeit fünf Jahren an Ruprecht ver—
lorenen böhmiſchen Städte in der Pfalz ſcheinen fie da—
gegen nicht einmal verſucht zu haben.”! Gleichwohl machte
Wenzel im Ernſt Anſtalten, die factiſch verlorene Herr—
ſchaft im römiſchen Reich wieder zu erlangen. Mehre Um—
ſtände ſchienen dieſem Vorhaben günſtig. Von den benach—
barten Mächten, Frankreich, Polen und Ungarn, wurde er
noch immer als römiſcher König anerkannt; im Reiche ſelbſt
blieb das Haus Luxenburg im Beſitze von zwei Kurſtim—
men; ein dritter Kurfürſt, Rudolph von Sachſen, neigte
ſich auch auf Wenzels Seite; in der Lombardie wurde ihm
nach wie vor gehorcht; die Herzoge von Sſterreich traten
ſeit 3 Nov. 1404, wo die karoliniſche Erbeinigung zwiſchen
Böhmen und Sſterreich wieder erneuert worden, gleichfalls
zu Wenzel über; ſelbſt ein bayeriſcher Fürſt, Herzog Ernſt,
hing nicht dem Pfalzgrafen, ſondern dem Schwager Wenzel
an; nicht minder einige Reichsſtädte, wie Aachen, Lüttich,
Regensburg, Rothenburg u. a. m. Noch bedeutſamer für
die Umkehr vieler Verhältniſſe war aber die Bildung des
Marbacher Bundes. Den Gegenkönig Ruprecht traf näm—
lich, ungeachtet ſeiner anerkannten perſönlichen Tüchtigkeit,
nahebei dasſelbe Schickſal, welches er vor ſechs Jahren
ſeinem Könige ſelbſt bereitet hatte: er erregte das Miß—
271) Dieſer in Bayern ſeit Aventin und Adelsreitter vielfach mit
Fabeln ausgeſchmückte und in die Jahre 1378 — 1388 verſetzte
Krieg muß aus bayriſchen Archiven, nach dem Vorgang des
verſtorbenen J. von Fink, weſentlich berichtigt und in die ge—
hörige Zeit verſetzt werden. Sulek Propſt von Chotesau, der
darin die Hauptrolle ſpielt, ſtand dem Kloſter erſt in den
Jahren 1391-1415 vor. Darnach find auch Buchners Angaben
zum J. 1380 (Bd. VI, Seite 107) zu verbeſſern. Die aus
böhmiſchen Quellen bekannten Daten hat Pelzel richtig zuſam—
mengeſtellt.
Verſuche zur Geltendmachung der röm. Königswürde. 211
vergnügen mehrer Reichsfürſten feiner eigenen Partei, for 1406
bald er Maßregeln traf, welche zwar bei jeder geordneten
und gerechten Regierung unerläßlich, ihrem ſelbſtſüchtigen
Intereſſe aber nicht günſtig waren. Derſelbe ränkevolle
Mainzer Kurfürſt, Johann von Naſſau, der Wenzels Ab—
ſetzung und Ruprechts Erhebung eingeleitet hatte, trat am
14 Sept. 1405 mit Wirtemberg, Baden und vielen ſchwä—
biſchen Städten zu Marbach in einen Bund, demzufolge
ſie einander unverzügliche Hilfe leiſten ſollten, ſobald ſie
wer immer von ihren Rechten und Freiheiten drängen
würde. Obgleich man Ruprecht darin ausdrücklich aus—
genommen hatte, ſo wußte er doch eben ſo gut, wie jeder
andere, daß der Bund gegen ihn vorzugsweiſe gerichtet
war, und alle ſeine Bemühungen, ihn aufzulöſen, waren
vergebens.
K. Wenzel hat unſeres Wiſſens keinen Verſuch ge—
macht, den Marbacher Bund auf ſeine Seite zu ziehen;
dagegen gab er ſich Mühe, den päpſtlichen Hof zum Wi—
derruf der Anerkennung Ruprechts zu bewegen. Bonifaz IX
war bereits am 1 Oct. 1404 geſtorben, und an deſſen
Stelle am 17 Det. darauf Innocenz VII, ein ſehr geachteter
Mann, gewählt worden, der jedoch ſchon nach zwei Jah—
ren mit Tode abging (T 6 Nov. 1406) und feinem Nach—
folger Gregor XII Platz machte. An Gregor XII wendete 1407
ſich nun Wenzel, ſtellte ihm ſeines Vaters und ſeine bis—
herigen Verdienſte um den päpſtlichen Stuhl, insbeſondere
die uneigennützige und ſtandhafte Vertheidigung Urbans VI
und feiner Nachfolger vor, klagte über die Übereilung,
deren Bonifaz IX ſich nicht zu ſeiner Ehre ſchuldig gemacht,
die er aber ſpäter ſelbſt bereut habe,?“ und verlangte die
272) »Quamquam Bonifacius papa, sinistra procul dubio inductione
deflexus, victus pretio magis quam precibus, animatus etiam
a ducibus Austriae, quod redemtio nostri corporis esset penitus
desperata, ad eonfirmationem nostri hostis, ducis Ruperti de
14*
212 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1407 förmliche Caſſirung der Anerkennungsbulle Ruprechts, ſo
wie die Herſtellung der Titel und Formen, die nur ihm
als römiſchem König gebührten, von Seite der apoſtoliſchen
Kanzlei.?“ Auch unter den Reichsfürſten ſelbſt ſuchte er
neue Anhänger wieder zu gewinnen; ein Mittel dazu gab
das Verſprechen der Verlobung der Nichte des Königs,
Prinzeſſin Eliſabeth von Görlitz, die bereits zu mannbarem
Alter heranwuchs und auch ſchon einem Sohne des Her⸗
zogs von Orleans verſprochen war; deſſenungeachtet wurde
bald den Markgrafen von Meißen, bald dem Herzoge Lud—
wig von Bayern Hoffnung gegeben, ihre Hand und damit
zugleich die Anwartſchaft auf mehre Länder des Luxen—
burgiſchen Hauſes zu erlangen. Wenzel ſcheint an dem
Erfolg ſeines Unternehmens nicht mehr gezweifelt zu haben;
er verſprach ſchon feinen Anhängern in Deutſchland bal—
dige Hilfe und Belohnung für ihre Treue. Um ſo tiefer
kränkte es ihn, als er erfuhr, daß Gregor XII ſeinen Wün—
ſchen kein Gehör gegeben und ſich auf Ruprechts Seite
geſchlagen hatte. Von da an wurde er des Papſtes Feind,
und verbot dem Prager Erzbiſchof und deſſen Vicarien,
irgend Proviſionsbriefe von Gregor XII anzunehmen oder
zu berückſichtigen, ſo lange er die der königlichen Majeſtät
zugefügte Kränkung nicht wieder gut gemacht haben werde.!“
Bavaria, vasalli nostri, suae fidei et juramenti nobis praestiti
immemor. et honoris prodigus provolasset, sicut eundem scimus
denuo, nobis favente domino liberatis, de hujusmodi facti
praecipitio doluisse« etc.
273) Das noch unbekannte Schreiben Wenzels an Gregor XII befin—
det ſich in einem gleichzeitigen Formelbuch der Bibliothek des
Prager Domcapitels (I, 3, fol. 48 sq.)
274) In hoc regia Serenitas nostra suum solidavit propositum, quod
virtute literarum Gregorii papae nullam personam absque no-
stro et consiliariorum nostrorum consensu ad aliquod beneficium
ecelesiasticum in regno nostro Bohemiae admittere volumus
quoquomodo tamdiu, quousque dietus papa errorem in honoris,
Bruch mit Gregor XII. Fortſchritte des Wiklefismus. 213
Die Hoffnungen aber und Bemühungen hinſichtlich der 1407
ieder zu erlangenden Herrſchaft in Deutſchland wurden
urch auf einige Zeit wieder zurückgedrängt.
Wenzels Groll gegen Gregor XII konnte nicht umhin,
der gegen das Papſtthum gerichteten reformatoriſchen Stim—
mung in ſeinen Ländern Vorſchub zu leiſten. Das oben
erzählte Verbot Wiklef'ſcher Bücher und Lehrſätze durch die
rſt ität hatte einen ſo wenig nachhaltigen Er—
folg, daß ſchon im J. 1405 Papſt Innocenz VII durch
mehre aus Böhmen ihm zugekommene Klagen ſich ver—
anlaßt ſah, den Prager Erzbiſchof zu ermahnen, daß er in
Erforſchung und Beſtrafung Wiklef'ſcher Irrlehren ſich ja
nicht nachläſſig erweiſe.??? Auch einer der ſogenannten
Vorläufer des Hus, der alte Ciſtercienſerbruder M. Jo—
hann von Stekna, der von jeher gegen kirchliche Miß—
bräuche und die Sittenloſigkeit des Clerus geeifert hatte,
war zu gleicher Zeit bei dem Erzbiſchof in gleichem Sinne
insbeſondere gegen den Prager Profeſſor der Theologie,
M. Stanislaus von Znaim, klagbar aufgetreten. Der
Erzbiſchof verordnete daher auf einer im J. 1406 gehal—
tenen Provincialſynode, daß wer immer ſolche Lehren zu
behaupten und zu verbreiten ſich unterſtehen würde, ſchwere
status et nominis nostri dispendium, prout nostis, patratum,
non duxerit ex certa scientia revocandum ete. — ſchrieb K.
Wenzel an den Erzbiſchof und deſſen Vicare in einem noch
unedirten Schreiben.
275) Chronicon universit, Prag. Anno dom, MCCCCV Innocentius
papa VII instigavit et monuit Zbynkone m archiepiscopum Pra-
gensem, ut sit diligens et sollieitus ad errores Wicleſr et hae-
reses exstirpandas. Hanc monitionem praelati procuraverunt. —
Dies Datum hängt wohl mit der von Raynaldi (1405, F. 18)
angeführten Bulle des Papſtes an den Erzbiſchof (dd. 1405,
24 Jun.) zuſammen; daß aber K. Wenzel damals ſich zu Be—
nedict XIII hingeneigt habe, wie Raynaldi will, iſt ganz un—
wahrſcheinlich und wird in der Bulle auch nicht behauptet.
1407
214 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV. *
8
* fi
Kirchenſtrafen dafür zu gewärtigen habe, s Wehre 1 |
dividuen, Geiſtliche und Weltliche, wurden hierg uf vor da
erzbiſchöfliche Gericht gefordert und verhört, da 1
auf ihren Wiklef'ſchen Anſichten, namentlich in der 2 Abend⸗
malslehre, nicht beſtanden, ſofort wieder entlaſſen; vr allem
Anſcheine nach hat der damals bei dem Erzbiſchof nicht
minder als bei dem königlichen Hofe und dem Volke be⸗
liebte Prediger in Bethlehem, M. Johann Hus „auf
die milde Behandlung der Verhörten Einfluß genommen.
Die vieljährigen Predigten dieſes Mannes in der
Bethlehemscapelle der Altſtadt Prag gehörten unter die
wichtigſten Erſcheinungen und Ereigniſſe ſeiner Zeit. We—
niger derb in ſeinen Reden, als einſt Konrad Waldhauſer,
weniger ſchwärmeriſch in feinen Anſichten als Milié, machte
er auf ſeine Zuhörer auch keine ſo ſtürmiſche Wirkung,
wie feine Vorgänger; dagegen war fein Erfolg viel nach—
haltiger. Er wendete ſich nämlich vorzugsweiſe an den
Verſtand ſeiner Zuhörer, weckte ihr Nachdenken, belehrte
und überzeugte ſie zuerſt, und ließ es dann auch an ein—
dringlichen Worten nicht fehlen. Der Scharfſinn und die
276) Cron. universit. Prag. Item anno MCCCCVI D. Zbynko ar-
chiepiscopus Prag. editit statutum, et eodem anno in synodo
publice mandavit, quod quicunque praedicaret, assereret vel
disputaret errores Wiclefl, in certas ibidem nominatus incideret
poenas; pro tunc doctore Adam vicario generali existente. —
Man vergleiche damit das erzbiſchöfliche Decret vom J. 1406,
das der Dolaner Prior Stephan in ſeiner im J. 1408 e.
benen Medulla tritici aufbewahrt hat, in Bern. Pez thesaurus
anecdotorum, tom. IV parte II, pag. 158 8.
277) Chronicon idem: Rem eodem et sequenti anno multi ex sacer-
dotibus et laicis ad falsam delationem sunt examinati super
praefatis erroribus, de quorum numero fuit quidam sacerdes
Crucis (ein Kreuzherr?) et ejus pincerna, et quidam pellifex
Abraham et Sigismundus et plures alii, qui justitia mediante
fuerunt soluti.
M. Joh. Hus, Prediger der Bethlehemscapelle. 215
er jeden Frage eindrang, die Leichtigkeit, mit wel—
r er ihn vor Jedermanns Augen zu entwickeln wußte,
die große Beleſenheit, zumal in der heiligen Schrift, die
eft gkeit und Conſequenz, mit welchen er ein ganzes Syſtem
on Lehrſätzen geltend machte, verſchafften ihm eine große
Überlegenheit unter ſeinen Collegen und Zeitgenoſſen. Dazu
geſellte ſich gewaltiger Ernſt des Charakters, ein frommes
Gemüth, ein Lebenswandel, an dem auch die Feinde nichts
auszuſetzen fanden, glühender Eifer für die ſittliche Hebung
des Volks, ſo wie für Verbeſſerung der kirchlichen Zuſtände
feiner Zeit, aber auch ungemeſſene Kühnheit und Rückſicht—
loſigkeit, Hartnäckigkeit und unbiegſamer Eigenſinn, auf—
fallende Sucht nach Popularität, und ein Ehrgeiz, der die
Märtyrerkrone als das höchſte Ziel eines Menſchenlebens
anſah. 7s Sein frommer Eifer, der augenſcheinlich auf
nichts anderes, als auf Beſſerung der Sitten und Abſtel—
lung vieler in der That ſchreiend gewordenen Mißbräuche
ausging, gewann ihm, neben der größten Popularität in
der Stadt, auch die beſondere Achtung der ſtillen und ſehr
andächtigen Königin Sophie, die ihn zu ihrem Beichtvater
wählte. Dadurch erlangte er Zutritt und Einfluß bei
Hofe, ſo wenig ſich auch Wenzel um ſeine einzelnen Lehr—
ſätze und um den Unterſchied kümmerte, der etwa zwiſchen
ihnen und denen der allgemeinen Kirche ſich ergab. Aber
auch der Erzbiſchof Zbynek von Haſenburg, der trotz ſeines
Feldherrngeiſtes und des Mangels an theologiſcher Bil—
dung, eines geſunden wohlmeinenden Sinnes nicht ent—
278) Dieſe Charakterſchilderung gründet ſich vorzüglich auf Huſſens
in böhmiſcher Sprache hinterlaſſene Schriften, in welchen ſeine
Eigenthümlichkeit ſich ſchärfer ausprägte, als in den mehr nach
Schulregeln entworfenen lateiniſchen. Daß Hus das Märtyrer:
thum für ſich ſchon frühzeitig in Ausſicht nahm, ließe ſich aus
mehren Stellen dieſer meiſt noch ungedruckten Schriften beweiſen.
it ſeines Geiſtes, der Tact, mit welchem er auf den 1407
1407
men Warte ihm ſelbſt alſogleich perſönlich anzuzeigen. 270
Und daß er nicht anſtand, ſeine Mahnungen anzuhören
und in ſeine Vorſchläge einzugehen, bezeugt ſchon das Bei—
ſpiel der über Wilsnak und andere angebliche Wunderorte
gepflogenen Unterſuchung. Die Kirche zu Wilsnak im
Brandenburg'ſchen (unfern der Elbe und Havel gelegen)
rühmte ſich damals einer wunderthätigen Reliquie des
Blutes Chriſti; ihr Ruf verbreitete ſich ſeit einem Menſchen—
alter ſo weit, daß das Volk auch aus fernen Landen,
z. B. aus Ungarn und Siebenbürgen, ſchaarenweiſe dahin
zu wallfahrten anfing. Da auch Böhmen dem Strome
folgten, jo ernannte Erzbiſchof Zbynek, nach Huſſens Anz
trag, eine Unterſuchungs-Commiſſion von drei Magiſtern,
darunter auch Hus ſelbſt; und als dieſe zu dem Reſultate
kamen, daß alle die angeblichen Wunder auf einer groben
Täuſchung und Lüge beruhten, jo verbot er durch ein Sy—
nodal-Edict allen feinen Diöceſanen unter Excommunica⸗
tionsſtrafe nach Wilsnak zu wallfahrten. ?“ Auf ähnliche
Weiſe wurde verhütet, daß nicht auch in Böhmen falſche
279) Dies lernen wir aus einem von Hus im Juli 1408 an den
Erzbiſchof geſchriebenen, noch ungedruckten Brief kennen, wo
es heißt: Saepissime reitero, qualiter in principio Vestri regi-
minis mihi pro regula Paternitas Vestra instituerat, ut quo-
tiescunque aliquem defectum erga regimen conspicerem, mox
personaliter, aut in absentia per literam, defectum hujusmodi
nuntiarem.
280) Hus erzählt dies ſelbſt in ſeiner Abhandlung de sanguine
Christi; ſ. » Historia et monumenta Joh. Hus et Hieronymi
Pragensis« (Norimbergae 1715, in fol., welche Ausgabe wir
ſtets als „Opera Hussii« citiren), tom. I, pag. 200 8.
1
menwirken Huſſens mit dem Erzbifchof dauerte
6 cluſſe des Jahres 1407; denn noch am 18
RS verfammelten Elerus der Prager Diöceſe im Palaſt
des Erzbiſchofs eine Rede zu halten, welche mit Beifall
aufgenommen wurde.? Bald darauf aber trübte ſich das
gegenſeitige Verſtändniß durch Ereigniſſe, welche von dem
Willen der Einzelnen unabhängig, im Laufe der geſamm—
ten Zeitgeſchichte begründet waren.
Nach K. Wenzels Abſetzung und Gefangennehmung
verfolgte der franzöſiſche Hof, zur Herſtellung der Einheit
in der Kirche, den früheren Weg des Compromiſſes nicht
mehr, und kehrte 1403 zur Obedienz Benedicts XIII zu—
rück; jedoch mußte Letzterer ſich verbindlich machen, ſein
Pontificat niederzulegen, ſobald das römiſche durch Ceſſion,
Tod oder Abſetzung ſeines Gegners gleichfalls erledigt wer—
den würde. Da aber von den zwei römiſchen Königen
der eine, Ruprecht, dem römiſchen Papſte unbedingt er—
281) Si praefatus dominus (Erzbiſchof Zbynef) suam diligentiam non
apponeret, in sua dioecesi loca plurima falsis miraculis corus
carent: ut in quadam sylva circa claustrum Hradist, latine
Gredis Monachorum (Münchengrätz,) lignum quoddam latine
merica vocatum, nisi prohibuisset, instantibus monachis et
multitudine eurrente populi, fuisset cum loco consecratum. Et
in monte Blanik quidam laicus populum mirabiliter induxerat
ad currendum et mirandum ibidem; (hängt dies nicht zuſammen
mit der bekannten Volksſage von den Rittern des Berges Blanik!)
et in una ecclesia quendam sacerdotem, qui ludiſicabat populum,
comprehendit etc. — Et sic tam avari presbyteri, quam avari
laici, praedicant miracula; presbyteri pro offertorio , laici pro
muneribus, et alii propter adventum peregrinorum , quos au-
dacter pro victualibus spoliant. Omnes enim quaerunt, quae
sua sunt, et non quae Jesu Christi etc. (Opp. Huss. I. c. p.
201 84.0
282) Sie ſteht gedruckt in Opp. Huss. II, 47 sq.
18 Oct.
218 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1407 geben, der andere, Wenzel, ohne Anſehen und
war: ſo übernahm wieder Frankreich die Sorge
wünſchte Erledigung in Rom herbeizuführen. Die
len von Innocenz VII und Gregor XII wurden von den 5
Wählern und Gewählten ſelbſt nur für proviſoriſch er—
klärt; insbeſondere ſchwor Letzterer bei ſeiner Erhebung
(30 Nov. 1406), ſeine Würde alſogleich niederzulegen, ſo—
bald ſein Gegner dasſelbe thun würde; er erbot ſich auch
gegen Benedict, in Unterhandlungen über ihre beiderſeitige
Ceſſion einzugehen, und bis dahin keine neuen Cardinäle
zu ernennen; denn nach ihrer Abdankung ſollten die Car—
dinäle beider Obedienzen in gleicher Zahl zuſammentreten,
und durch gemeinſchaftliche Wahl eines einigen Papſtes
dem Schisma ein Ende machen. Da in den letzten Jahren
ſich die Anſicht geltend gemacht hatte, daß ein den Päpſten,
als Häuptern der Kirche, angethaner Zwang keine rechtlich
giltigen Folgen haben könne: ſo drang man nun um ſo
ſtärker darauf, daß ſie aus eigener Entſchließung den ge—
wünſchten Weg des Friedens bahnen ſollten, und Frank—
reich erklärte durch ein im Januar 1407 gehaltenes Na-
tionalconcil, ſich der Obedienz der Päpſte neuerdings ent—
ziehen zu wollen, wenn durch ihre freiwillige Ceſſion binnen
beſtimmter Zeit die Einheit der Kirche nicht wieder her—
geſtellt ſein würde; für den Ernſt ſeiner Wünſche ſprach
auch ſein erklärtes Zugeſtändniß, daß der künftige einige
Papſt nicht mehr in Avignon, ſondern in Rom reſidiren
ſollte. Nun wurde von Seite beider Päpſte zu Marſeille
am 24 April 1407 eine perſönliche Zuſammenkunft in Sa-
vona für den September 1407 verabredet. Als die Zeit
heranrückte, kam Benedict XIII richtig dahin; Gregor XII
aber, der vorhin ſo eifrig geweſen, fand jetzt hundert Aus—
flüchte, um ſeine Wortbrüchigkeit zu bemänteln: bald durfte
er Rom wegen der von König Ladislaw von Neapel ihm
drohenden Gefahren nicht verlaſſen; bald hatte er nicht
@ Das Schisma u. die Neutralität; Abfall der Cardinäle. 219
Vemegen und Mittel genug, um eine ſo koſtſpielige Reiſe 1407
zu unternehmen, — obgleich er ſich früher angetragen hatte,
dieſe Reiſe nöthigenfalls zu Fuß mit dem Stab in der
Hand zu unternehmen; bald ſchien ihm Savona nicht ſicher
genug für ſeine Perſon u. dgl. Von ſeinen eigenen Car-
dinälen gedrängt, kam er endlich im folgenden Jahr bis 1408
nach Lucca, und eröffnete von da Verhandlungen über einen
andern Ort der Zuſammenkunft. Obgleich aber Bene—
dict XIII ihm bis Spezzia entgegen gekommen war, ſo
zerſchlugen ſich dennoch die Unterhandlungen dadurch, daß
Gregor nicht an die Meeresküſte gehen, Benedict ſie nicht
verlaſſen wollte. Indeſſen knüpften die beiden örtlich
einander fo nahe gekommenen Cardinalscollegien, durch
Vermittelung franzöſiſcher Geſandten, um ſo leichter ein
gegenſeitiges Einverſtändniß an; und als Gregor, dadurch
beunruhigt, den Seinigen am 4 Mai 1408, unter An—
drohung ſchwerer Strafen verbot, ohne ſeine beſondere Er—
laubniß ſich aus Lucca zu entfernen, und Berathſchlagungen
untereinander oder mit Benedicts Partei zu pflegen; als
er, gegen den erklärten Willen ſeines Collegiums, ſo wie
gegen ſein früheres Verſprechen, am 9 Mai auf einmal
vier neue Cardinäle ernannte, um an ihnen eine Stütze
mehr zu haben: ſo wichen die alten alle von ihm am 11
Mai 1408, verließen Lucca zum Theil unter hoher Lebens—
gefahr, und vereinigten ſich dann unter dem Schutze der
Florentiner in Piſa, von wo ſie am 14 Mai ein Manifeſt
über die Gründe ihres Abfalls von Gregor XII an alle
Fürſten der Chriſtenheit erließen.
283) Leonardus Aretinus ap. Muratori XIX, 926: Benedictus —
quo propior esset, Spediam venerat. Sed cum de congressu
eorum per internuntios ageretur, noster (Gregorius XII) tam-
quam terrestre animal ad litus accedere, ille tamquam aqua-
licum a mari discedere recusabat.
1408
220 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
Durch dieſen entſcheidenden Schritt der Cardinäle ge
wann das Geſchäft der Union eine große Wichtigkeit, und
wurde für einige Zeit gleichſam das leitende Ereigniß in
Europa, das alle übrigen in ſeine Bewegung hineinzog;
auch die böhmiſchen Angelegenheiten, politiſche ſowohl als
kirchliche, erhielten dadurch eine beſtimmtere Richtung. Ein
allgemeines Concilium wurde bald die Loſung nicht allein
der einzelnen Freunde der Union in allen Ländern der
Chriſtenheit, ſondern auch der beiden Cardinalscollegien
ſelbſt; ein Concilium, das nach Abſetzung ſowohl Gregors
als Benedicts, endlich einen einigen wahren Papſt wählen,
dem langen Schisma ein Ende machen, und nach Entfer—
nung dieſes Grundübels, allen Gebrechen in der Kirche,
die man nur als eine Folge des Schisma anzuſehen ſich
gewöhnt hatte, abhelfen ſollte. Dieſe Meinung erhielt um
ſo mehr Kraft und Verbreitung, als auch die Cardinäle
Benedicts XIII ihren Papſt verließen, und dann beide Col—
legien in Livorno ſich vereinigten, von wo ſie im Juli 1408
eine Erklärung an die ganze Chriſtenheit erließen und ein
allgemeines Concilium nach Piſa auf den 25 März 1409
auch wirklich ausſchrieben. Frankreich hatte ſich ſchon in
vorhinein für die Neutralität hinſichtlich beider Päpſte, und
für die Anhänglichkeit an die Cardinäle erklärt. Sein ent—
ſchiedenes Benehmen machte großen Eindruck und fand viel—
fache Billigung in Europa.
Die ſolchergeſtalt nahe gerückte kirchliche Kriſis mußte
nothwendig auch die andere Frage zur Entſcheidung bringen:
wer denn der wahre römiſche König, ſomit der eigentliche
oberſte Vogt der Kirche und zugleich Beſchützer des bevor—
ſtehenden Conciliums ſei? Das ſah K. Wenzel frühzeitig
ein, und er erwies ſich deshalb um fo thätiger, die Ent—
ſcheidung zu ſeinen Gunſten zu ſichern, je mehr zugleich
fein perſönlicher Unwille gegen Gregor XII ihn antrieb.
Aber auch das wurde ihm klar, daß der bereits in meh—
Die Neutralität. Reaction gegen den Wiklefismus. 221
ren Ländern verbreitete Ruf, wie durch ſeine Begünſti—
gung oder Nachläſſigkeit die Wiklef'ſche Ketzerei in Böhmen
immer feſteren Fuß faſſe, ſeiner Anerkennung als oberſter
Kirchenvogt im Wege ſtehen müſſe. Darum unterftüßte
er nicht nur, ſondern veranlaßte auch mehre öffentliche
Maßregeln, die den Zweck hatten, den kränkenden Ruf zu—
gleich mit Allem, was dazu gegründeten Anlaß geben ns
von feinem Lande zu entfernen.
Die erfte Maßregel, die man ergriff, war ein erneuer—
tes Verbot der Wiklef'ſchen Lehrſätze an der Prager Uni—
verſität; da jedoch der Wiklefismus bei den übrigen drei
Nationen, der bayriſchen, ſächſiſchen und polniſchen, ohne—
hin keine Anhänger zählte, ſo beſchränkte ſich die Verhand—
lung diesmal nur auf die böhmiſche Nation allein. Am
20 Mai?“ 1408 verſammelten ſich die Mitglieder dieſer
Nation in ihrem Collegium, im Hauſe zur ſchwarzen Roſe
am Graben, in großer Zahl: 64 Doctoren und Magiſter,
150 Baccalare und gegen tauſend Studenten: darunter
284) Pelzel gibt den 18 Mai, Weleſlawin (Kalendar histor. pag.
268) den 24 Mai an. In dem Actenſtücke, dem wir folgen,
iſt die Zeit gleichfalls verworren angegeben; es heißt; »in
mense Majo, dominica quinta post pascha, die XVI«, was
nicht zuſammenpaßt.
285) Die Zahl wird in verſchiedenen Quellen allerdings verſchieden
angegeben: in einer Handſchrift der Breslauer Univerſitäts—
bibliothek (I, F. 243, fol. 127) nur »25 magistri Pragenses na-
tionis Bohemicae«, was jedenfalls gering, und wohl nur auf
die in Prag eben damals domicilirenden Magiſter zu verſte—
hen iſt; bei V. d. Hardt (IV, 652) heißt es 40 — 50 Magiſter,
aber die Nachricht iſt ſchon darum ungenau, weil ſie das Da—
tum vom Auguſt 1409 angibt. Dagegen ſagt der bekannte
M. Johann von Pribram (7 1448), der in der Sitzung auch
gegenwärtig geweſen (vgl. Cochlaeus p. 11— 12) und deſſen
eigenhändige Schrift darüber uns vorliegt: »Eece nuper,
ante annos circiter XVIII, praeclara natio Boemica, in
qua circiter LX, erant doctores et magistri eruditissimi, —
1408
20 Mai
222 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1408 der damalige Rector der Univerſität M. Clemens von
Mnichowic, die Profeſſoren der Theologie, Dr. Helias,
M. Peter und Stanislaus von Znaim, Dr. Andreas von
Brod, M. Johann Hus, M. Stephan von Paleé, M. Jakob
von Mies und andere. Auch hier wurden zuerſt die ſchon
vor fünf Jahren von der Geſammt-Univerſität verdamm—
ten 45 Artikel vorgeleſen und neuerdings verboten; da
jedoch von M. Hus und ſeinen Anhängern ein Wider—
ſpruch gegen die abſolute Verdammung derſelben erho—
ben worden, indem mehre darunter, im gehörigen Sinne
verſtanden, gar nicht unrichtig wären, fo formulirte man
das Verbot in folgender Weiſe: daß kein Mitglied der
böhmiſchen Nation, unter der Strafe der Ausſchließung,
jene Artikel in deren ketzeriſchem, irrigen oder anſtößigen
Sinne *% lehren und verbreiten dürfe. Weiter wurde die
bisherige Lehrfreiheit an der Univerſität in der Art be—
ſchränkt, daß fortan kein Baccalar mehr über einen der
drei Tractate Wiklefs, den Dialogus, Trialogus und De
eucharistia, öffentliche Vorleſungen halten, und Niemand
einen auf Wiklefs Bücher und Lehre bezüglichen Satz zum
Gegenſtande einer öffentlichen Disputation machen ſollte.
Aus gleicher Veranlaſſung fand ſich der erzbiſchöfliche
General-Vicar Johann von Kbel bewogen, mehre nicht im
Rufe der Orthodoxie ſtehende böhmiſche Prediger zur Ver—
antwortung zu ziehen. Der vorzüglichſte unter dieſen war
fere mille baccalariis et studentibus ejusdem nationis prae-
sentibus« etc. — was in einer andern, vom Canonicus Crux
de Telcz ums J. 1467 abgeſchriebenen und uns vorliegenden
Notiz folgendergeſtalt näher angegeben wird: »LXIIII magistri,
centum quinquaginta baccalarii, mille studentes de natione Bo-
hemorum« etc, (MS, archivi Trebon. A, 16.)
286) »Quatenus nemo quemquam illorum articulorum XLV audeat
tenere, docere vel defendere in sensibus eorum haereticis, aut
erroneis, aut scandalosis.« Durch dieſen Zuſatz wurde freilich
das ganze Verbot illuſoriſch.
Reaction gegen den Wiklefismus in Böhmen. 223
der Prediger an der heil. Geiſtkirche in Prag, Nicolaus
von Welenowic, gemeinhin Abraham genannt; dann ein
Mag. Mathias Pater von Knin, ein Baccalar Sigmund
von Jiſtebnic, und Andere. Abraham ſtellte ſich vor dem
General-Vicar am 30 Juni 1408, und wurde, da er im
Verhöre irrige Meinungen entwickelte,?“ dem Prager In—
quiſitor, Minoritenbruder Jaroſlaw, Titularbiſchof von Sa—
repta, überliefert, welcher ihn in den Kerker werfen ließ.
Umſonſt verwendete ſich M. Hus für deſſen Losſprechung
und Befreiung; und als der Erzbifchof ihn nach einigen
Tagen ſogar aus feiner Didcefe verbannte, tadelte es Hus,
daß er gerade die fleißigſten und frommſten Hirten ſeiner
Heerde verjage, während dagegen den fauleſten und ſünd—
hafteſten volle Freiheit geſtattet fer. 3° Und dies war der
erſte Schritt zum Bruche zwiſchen dem Erzbiſchof und Hus,
der aber zu bald mehre andere nach ſich zog.
Nachdem nämlich auf dieſe Art die Prager Didcefe,
wie man glaubte, von aller ketzeriſchen Anſteckung gereinigt
worden war, verſammelte Erzbiſchof Zbynef feinen Clerus
287) Nach Zeugniß der Prager Conſiſtorial-Acten vom J. 1408 be—
hauptete er: quod nedum presbyteris, sed etiam laicis licitum
est praedicare evangelium. Nach den Depositiones testium wei—
gerte er ſich, einen Eid in der vorgeſchriebenen Form zu lei—
ſten. Der bei dem Verhör anweſende Hus rügte das Verfah—
ren der Richter mit ihm: ecce vos vultis istum sacerdotem
condemnare, dicentes eum tenere errorem Waldensium, et ipse
juravit vobis per deum: estne hoc justum ? etc. Über M.
Mathias Pater von Knin, und deſſen Verhör am 14 Mai,
vgl. Monum, histor, univ. Prag. vol. III, pag. 420 sq.
288) Qualiter hoc est, quod incestuosi et varie criminosi absque
rigo correctionis — incedunt libere, sacerdotes autem humiles,
spinas peccati evellentes, officium Vestri implentes regiminis
ex bono affeetu, non sequentes avaritiam, sed gratis pro deo
se offerentes ad evangelisationis laborem, tamquam haeretici
mancipantur carceribus , et exilium propter evangelisationem
ipsius evangelii patiuntur? etc.
1408
30 Suni
1408
17 Juli
224 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
zu einer Provincialſynode am 17 Juli 1408, und erklärte
zwar auf derſelben, auf Verlangen des Königs, öffentlich,
daß nach angeſtellter fleißiger Unterſuchung durch die ge—
hörigen Behörden in ſeiner ganzen Provinz kein Irrgläu—
biger oder Ketzer vorgefunden worden ſei: ?““ damit aber
auch ferner keine Ketzerei im Lande aufkomme, befahl er
allen Predigern, ihrem Volke die Lehre der Kirche von der
Transſubſtantiation mit beſonderem Fleiße zu erklären, und
verlangte zugleich, daß alle Diejenigen, ſo im Beſitze Wik—
lef'ſcher Bücher ſich befinden, ihm ſie zum Behufe ihrer
vorzunehmenden Prüfung ausliefern ſollten.“““ Letztere
Maßregel ſoll auf das beſondere Einrathen der Doctoren
Georg von Bora, Andreas von Broda und Helias, und
des Domherrn Adam von Neetic befchloffen worden fein, “!
Wollte man aber damit die Ruhe herſtellen, ſo ſäumte der
Erfolg nicht, den Beweis zu liefern, daß ſie unzureichend
geweſen, obgleich die Freunde Wiklefs ſich vorerſt begnüg—
ten, eine Appellation dagegen an Papſt Gregor XII zu
richten, und ihrem Unmuth über den Erzbiſchof und deſſen
Räthe durch Schmähſchriften, die man an öffentlichen Orten
anheftete, Luft zu machen.?“
289) Opera Huss. I, pag. 114. Rede der Geſandten des Königs
an die Cardinäle MS. (f. unten.) Daß die größten Ver:
ehrer Wiklefs, Hus und Hieronymus von Prag, bei dieſer
Unterſuchung unbehelligt blieben, verdankten ſie wohl nur ih—
rem Anſehen bei Hofe, und dem damals geltend gemachten
Grundſatze, nur das Abläugnen der Transſubſtantiation invol—
vire eine Ketzerei.
290) Opp. Huss. I, 109. Chronicon universit, Prag. MS.
291) Chronicon universit. Prag.
292) Breve chronicon Boemiae, MS. Ann. 1408, dominico die in
die S. Dominici, de mane applicatae sunt plures literae diffa-
matoriae nimis grossae contra D. Zbynkonem archiep. Prag.
et canonicos et quosdam Bohemos magistros.
Reaction in Böhmen. K. Wenzel u. die Neutralität. 225
Durch jenes oͤffentliche Zeugniß der Prager Synode 1408
über den Vorwurf hinſichtlich der Ketzerei in ſeinem Lande
beruhigt, ging K. Wenzel in die von dem Cardinalscolle—
gium und dem franzöſiſchen Hofe angeknüpften Verhand—
lungen mit ſteigender Zuverſicht ein, daß ſie ihm die An—
erkennung als römiſcher König wieder verſchaffen würden.
Noch im Laufe des Jahres 1408 gingen zwiſchen Ober—
italien, Böhmen und Frankreich viele Botſchaften hin und
her, deren Geſchäfte und Verrichtungen wir hier nicht ein—
zeln angeben können.“? Da bei Karls VI häufig wieder—
kehrender Gemüthskrankheit die Regierung Frankreichs da—
mals größtentheils vom Herzog Johann von Burgund ge—
leitet wurde, deſſen Bruder Anton, nach dem Tode Jo—
295) Unter den von Seite des Königs zu den Cardinälen gefandten
Boten werden genannt: die Profeſſoren Mauritius Rwacka
von Prag, Johann Cardinalis von Reinſtein, Stanislaus
von Znaim und Stephan von Palec. Letztere zwei wurden
zu Ende October 1408 von dem Cardinal-Legaten Baltha—
ſar Coſſa in Bologna aus unbekanntem Grunde verhaftet
und erſt nach vielfacher Verwendung einerſeits der Cardinäle
ſelbſt, anderſeits des Königs und der Prager Univerſität, (vor—
züglich der Magiſter Joh. Hus, Joh. von Jeſenic, und Chri—
ſtann von Prachatic), im folgenden Jahre wieder in Freiheit
geſetzt. Wahrſcheinlich hatten ſie durch Wiklefiſtiſche Außerun—
gen auf der Reiſe ſich dieſe Behandlung zugezogen. Unter
den Cardinälen war es vorzüglich Pietro Filargo von Can—
dien, Erzbiſchof von Mailand, der die Verhandlungen mit K.
Wenzel führte: derſelbe Cardinal, der 1395 in Prag die Er—
hebung der Visconti zu Herzogen von Mailand negocürt hatte
und als Papſt Alexander V ſtarb; fein an einen böhmiſchen
Großen gerichteter Brief in Martene et Durand collectio am-
plissima tom. VII, p. 815 etc. gilt wahrfcheinlih dem Herrn
Benes von Chauſtnik. — Der in den Verhandlungen mit
Frankreich zu dieſer Zeit vorzugsweiſe gebrauchte böhmiſche
Bevollmächtigte war der Ritter Dietrich Kraa, königl. Mund—
ſchenk und Herr auf Rothenhaus in Böhmen. —
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 15
1408
20 Juli
24 Nov.
226 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
hanna's, der Witwe einſt Herzog Wenzels von Luxenburg,
in Brabant und Limburg vertragsmäßig ſuccedirte: ſo ließ
ſich Wenzel um ſo bereitwilliger finden, Letzterem ſeine
Nichte Eliſabeth von Görlitz zur Ehe zu geben, als der
darüber am 20 Juli 1408 zu Gent geſchloſſene Vertrag
zu Wenzels Gunſten auch eine von den burgundiſchen Brü—
dern gegen Ruprecht von der Pfalz mit 2000 Lanzen zu
leiſtende Hilfe ſtipulirte. Doch verzog ſich die Vollziehung
dieſes Ehevertrags bis zum folgenden Jahre.?“ Den Gar-
dinälen erklärte aber Wenzel von Breslau aus am 24
Nov. 1408, daß er ihrem Wunſche gemäß in ſeinen Län—
dern Gregor XII die Obedienz entziehen und zu dem nach
Piſa ausgeſchriebenen Concilium eine anſehnliche Botſchaft
ſenden wolle, wofern ſie ſich nur anheiſchig machen, ſeine
Boten als die Bevollmächtigten des wahren römiſchen Kö—
nigs aufzunehmen und zu behandeln. 2%
In der That gab ſich Wenzel Mühe, ſeine Untertha—
nen der Obedienz Gregors XII zu entziehen und eine Neu—
tralität hinſichtlich beider Päpſte in ſeinen Ländern herzu—
ſtellen, bis das Piſaner Concilium die Entſcheidung bringen
würde. Er trug zuerſt den Prälaten auf, ſich zu verſam—
meln, um der gewünſchten Neutralitätserklärung, gleich
dem franzöſiſchen Clerus, beizutreten, und verlangte auch
von der Prager Univerſität einen Beſchluß in dieſem Sinne.
Der Widerſtand aber, den er hierin bei einem großen
Theile ſeiner Unterthanen fand, reizte ihn um ſo mehr,
je unerwarteter er ihm kam, und führte am Ende zu Ent—
ſchlüſſen und Maßregeln, deren Folgen ſich nimmermehr
294) Pelzels Wenceslaus, II, 537. 548. König Wenzel beftätigte den
Vertrag am 27 April 1409, und ſandte die Braut am 11 Mai
von Prag mit glänzendem Gefolge nach Frankreich. Das Bei—
lager wurde erſt am 1 Juli 1409 zu Brüſſel gehalten.
295) K. Wenzels Urkunde darüber ſteht in Martene et Durand col-
lectio ampliss. VII, 891 sq.
K. Wenzels Bemühungen für die Neutralität. 227
berechnen ließen. Der Erzbiſchof nämlich und ſein Clerus 1408
entſchuldigten ſich, daß fie den einmal angelobten Gehor—
fan nicht brechen können; und als der Rector der Uni-
verſität, M. Henning von Baltenhagen, ſeine Collegen be—
rief, um einen dem Wunſche des Königs entſprechenden
Beſchluß zu Stande zu bringen, zeigte ſich nur die böh—
miſche Nation dazu geneigt, während die anderen drei Na—
tionen offen widerſprachen, ſo daß der Rector es gerathe—
ner fand, die Sitzung ohne eine Schlußfaſſung aufzuheben,
als den König durch einen widrigen Beſchluß zu kränken. 296
M. Johann Hus und feine dem Wiklefismus geneigten
Freunde waren es, welche ſich allein willig erwieſen hatten, der
Neutralität beizutreten; wofür Erzbiſchof Zbynek durch einen
in lateiniſcher und böhmiſcher Sprache kundgemachten Be—
fehl dem Erſteren, als einem ungehorſamen Sohn der
Kirche, jede weitere Ausübung des Predigeramtes, jedoch
vergeblich, unterſagte. 7
Während dieſer Vorgänge in Böhmen, hatte K. Wen—
zel eine Reiſe in die Lauſitz und nach Schleſien (Sept.
296) Chron. Universit. Prag. I. c. Item eodem anno (1408) in re-
ctoratu M. Heningi Baltehagen facta est dissensio inter natio-
nem Bohemicam et alias tres nationes, scil. Bavarorum, Polo-
norum et Saxonum, propter desiderium regis, qui optabat, ut
sibi et cardinalibus ad abstractionem obedientiae papalis assi-
sterent. Itaque Bohemis consentientibus et aliis nationibus
dissentientibus, propter eorum pluralitatem vocum rector non
audebat contra desiderium concludere.
297) Dieſe Thatſache kennen wir zunächſt aus dem von M. Hus
dem Erzbiſchof darüber geſchriebenen Briefe (MS. der Wiener
k. k. Hofbibliothek Nr. 4937, fol. 74), worin Hus ſich darüber
beſchwerte und ſeine Anſicht über die Neutralität nicht ohne
einige Spitzfindigkeit entwickelte. Er erklärte darin, er wolle
ſich dem Gehorſam des Papſtes und der Kirche nicht entzie—
hen, ſondern ſei immer willig, Gregor XII eben fo wie dem
Erzbiſchofe in Allem, was erlaubt iſt, zu gehorchen (in omni-
15 *
1408
228 VI Buch, 3 Kapitel. K. Wenzel IV.
bis Dec. 1408) unternommen, und mehre dortige Streitig—
keiten, namentlich auch den Unfrieden zwiſchen den Ma—
. giftraten und der Bürgerſchaft der Städte Bautzen, Görlitz
und Breslau, durch ſtrenge, zum Theil blutige Maßregeln
beigelegt. Nach ſeiner Rückkehr ſchlug er ſeine Reſidenz
zuerſt auf einige Wochen in Kuttenberg auf, und beſchied
den Rector der Prager Univerſität nebſt zwei Abgeord—
neten einer jeden Nation zu ſich, um auch ihren Streit zu
ordnen.
Die kirchlichen Bewegungen in Prag hatten, wie wir
bereits bemerkten, gleich von vornherein auch eine natio—
nale Farbe angenommen, und die an der Univerſität in
Mehrzahl vorhandenen Deutſchen hatten ſich frühzeitig ge—
wöhnt, ihre böhmiſchen Collegen zu verdächtigen. Aber
auch materielle Gründe kamen hinzu, die althergebrachten
Antipathieen zu verſtärken und zum ſtürmiſchen Ausbruch
zu drängen. Da die Univerſität ſich durch freie Wahlen
ſelbſt adminiſtrirte, ſo verfügten die Deutſchen von jeher
ſowohl über die Ämter daſelbſt, als auch über den Genuß
der Stiftungen und Collegiaturen, indem ſie die Böh—
men gewöhnlich überſtimmten. Dieſer Übelſtand hatte ſchon
zu Ende des Jahres 1384 ſtürmiſche Unruhen veranlaßt, “s
bus volo licitis obedire); in dem Streite der beiden Päpſte
aber verhalte er ſich neutral, gleichwie ein gehorſamer Sohn
im Streite des Vaters mit der Mutter neutral bleiben müſſe.
(Außerdem vergleiche man darüber Hußens Schreiben an die
Cardinäle, in Opp. Huss. I, 117.)
298) Chronicon universit. Prag. MS. Anno dom. 1384, in die S.
Galli, electus fuit Soltow in rectorem universitatis. In cujus
rectoratu magnum certamen inter nationem Bohemicam et alias
tres nationes insurrexit, propter collegiaturas, quas non Bohemi
sed exterae nationes possidebant. Pro quo praefatus rector sus-
pendit omnes lectiones sub gravissimis poenis. Natio autem
Bohemica, non advertens reetoris mandatum, publice cum ar-
mis scholaribus lectiones’ visitantibus, legit, disputavit et cete-
Streit um die drei Stimmen an der Univerfität. 229
und den König zu deren Beilegung einzufchreiten ge- 1408
zwungen; und auch noch im J. 1390 war es nöthig ge—
worden, die Grundſätze näher zu entwickeln und feſtzuſtel—
len, nach welchen der Genuß der Collegiatplätze und Stif—
tungen unter den Nationen geregelt worden war.?“ Doch
auch nach dieſen Verträgen war das Übergewicht bei den
Deutſchen geblieben, da auch die polniſche Nation, zumal
nach der Gründung der Krakauer Univerſität, faſt nur
aus deutſchen Schleſiern, Pommern und Preußen beſtand.
Mit Unmuth ſahen ſich böhmiſche Magiſter häufig ge—
zwungen, mit Schullehrerdienſten auf dem Lande vorlieb
zu nehmen, während Fremde“ einander die reichlich do—
tirten Ehrenſtellen in der Hauptſtadt vorzugsweiſe zutheil—
ten. 0 Als daher die oben berührte Neutralitätsfrage den
alten nationalen Streit zur neuen Kriſis brachte, und der
Widerſtand, welchen die Deutſchen dem Wunſche des Kö—
nigs entgegenſetzten, zu einem den Böhmen günſtigen Um—
ſchwung der Verhältniſſe Hoffnung gab: ſo machten auch
ſolche Mitglieder der böhmiſchen Nation, welche dem Wik—
ros actus scholasticos in collegio locis deputatis exercuit. Et
ipsis sic altercantibus, rector cum quibusdam aliis, prae cete-
ris Bohemis adversantibus, fuerunt a Bohemis mutatis-habiti-
bus siceis plagis percussi. Et sie Teotonici post multiplices
labores circa R. Wenceslaum et archiepiscopum et regis con-
siliarios, videntes se non posse proficere, quinque collegiatos
Bohemos in collegio Karoli et sextum indifferentem admiserunt
(die Zahl ſämmtlicher Eollegiatftellen für die Magiſter war 12
et conformiter in collegio R. Wenceslai secundum numerum
collegiatorum fuit concorditer pronunciatum. Pro quo Bohemi
in aeternum sint benedicti.«
299) Monumenta historica universitatis Pragensis. Tom. II, parte 1,
pag. 292.
300) Von der Hardt, IV, pag. 757—758 (wo jedoch die Darftellung
die Verhältniſſe viel greller erſcheinen läßt, als ſie wohl je in
der Wirklichkeit geweſen.)
230 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1408 lefismus von jeher feind geweſen, gemeinſchaftliche Sache
1409
mit Hus und deſſen Freunden; die Profeſſoren Johann
Eliä und Andreas von Broda ſah man wieder einträchtig
mit dem Beichtvater der Königin verkehren, deſſen Einfluß
bei Hofe eine ihnen erwünſchte Löſung des Streits in Aus—
ſicht ſtellte.
Dennoch ſchien es Anfangs, daß der Streit nicht be—
ſtimmt ſei, irgend eine große Veränderung zu bewirken.
Denn als die Abgeſandten der Nationen, denen auch Hus
ſich anſchloß, vor dem Könige in Kuttenberg erſchienen,
und hinſichtlich ihrer gegenſeitigen Klagen auf die im J.
1390 geſchloſſenen Verträge ſich beriefen, verſprach Wenzel
den Deutſchen, ſie bei ihren Rechten zu ſchützen, und fuhr
dagegen M. Hus mit Heftigkeit wegen des Verdachts von
Ketzerei an, in welchen er mit ſeinem Freunde Hieronymus
das Land gebracht und ſomit ſeinem Könige Verdrießlich—
keiten im Auslande bereitet habe; er befahl Letzterem, dafür
zu ſorgen, daß die Sache wieder gut gemacht werde, ſonſt
werde er es wohl noch zu einer Feuerprobe kommen laſſen. 39!
Hus verließ Kuttenberg faſt hoffnungslos, und verfiel gleich
darauf in eine ſo ſchwere Krankheit, daß man an ſeinem
Aufkommen verzweifelte. “? Indeſſen hatte er aber einen
der einflußreichſten Räthe des Königs für ſeine und ſeines
Volkes Sache gewonnen: es war der damals zu Kutten—
berg wohnende Obernotar des Bergweſens in Böhmen und
nachmalige Oberſtlandſchreiber, Nicolaus von Lobko—
wic; s ein Mann, der ſich auf Bücher und auf Waffen
301) Opera Huss. I, 18 col. 2. Von der Hardt, IV, 312. Johann
Nas, beider Rechte Doctor, der dies bezeugte, war damals
vom Könige in mehren Geſandtſchaften gebraucht worden.
302) Nach Huſſens eigener Erzählung in den Depositiones testium.
303) Er war, nach Zeugniß der Prager Conſiſtorialacten (Vol. XVII,
zum J. 1408, 7 Mai) ein Sohn des Ritters Mares von Ujezd,
führte den perſonlichen Zunamen Chudy, war ſchon 1406 Ober:
Streit um die drei Stimmen. Nicol. von Lobkowic. 231
gleich gut verſtand, und bei Wenzel hohe Gunſt genoß. 1409
Dieſer übernahm es, den Streit über die Stimmen für
ſeine Landsleute durchzuführen, und erhielt alsbald an den,
inzwiſchen nach Kuttenberg gekommenen Geſandten, des Kö—
nigs von Frankreich und der Pariſer Univerſität, 3% uns
erwarteten Beiſtand. Denn als Wenzel erfuhr, daß das
bisherige Übergewicht der Stimmen jener drei Nationen
auf keinem geſetzlichen Statut, ſondern nur auf der Ob—
notar der königl. Urbur in Kuttenberg, und hieß bald Nico—
laus de Praga (wo das ſogenannte Auguſtiniſche Haus ſein
Eigenthum war), bald de Milicowes (1407) bald de Ujezd,
ſeit 1408 aber, wo er das Gut Lobkowic an der Elbe an ſich
brachte, meiſt nur de Lobkowie, endlich ſeit 1418, wo K.
Wenzel ihm die Burg Haſſenſtein verpfändete, »de Lobkowie
et de Hasistein.«e Im J. 1416 folgte er im Oberſtlandſchrei—
beramte dem Nicolaus von Okor (mit welchem er häufig ver:
wechſelt wird,) zeichnete ſich im Huſſitenkriege als königlicher
Feldherr, wie wir ſehen werden, vortheilhaft aus, und ſtarb
1435. Daß er und kein Anderer es war, der den Streit über
die drei Stimmen durchführte, lernen wir auch aus einer ums
J. 1432 geſchriebenen Invectiva contra Hussitas (MS.), wo es
heißt: »Item dietum Chudy Mikulaj, protonotarium regni, qui
nationem eorum, h. e. Boemorum, pestifera dissensionis mate-
ria in universitate tunc Pragensi, rege adhuc Wenceslao vi-
vente, de vocibus exorta, coram ipso rege tolis promovit viri-
bus, et desiderium cordis eorum in eflectum perduxit, dignis
laudum praeconiis attollebant et beatificabant. Postea vero,
quia erroribus ipsorum tun pro magna parte pullulanubus et
erescentibus, et praesertim erroribus circa communionem utrius-
que speciei currentibus, repugnavit, graviter persecuti sunt« etc.
304) Chron. universit, Prag. Item eodem anno venit solennis ambas-
siata a rege et universitate Parisiensi ad regem nostrum Wen-
ceslaum, pro tunc in Montibus Kutnis existentem. — Audlita
legatione de abstractione obedientiae ab utroque praetenso
papa, Bohemis placentibus, aliis nationibus displicentibus, —
Wenceslaus — rex eodem die tres voces ad instar Parisiensis
universitatis — largissime donavit ete.
232 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1409 ſervanz beruhe, ließ er ſich um ſo leichter bereden, es aus
18 Jan.
22 Jan.
königlicher Machtvollkommenheit umzukehren, als ihn die
Abgeordneten der Pariſer Univerſität verſicherten, daß bei
ihnen eben jenes umgekehrte Verhältniß Statt finde, und
als es ohnehin bei Stiftung der Prager Univerſität Karls IV
erklärter Grundſatz geweſen, daß ſie nach dem Muſter der
Pariſer eingerichtet werden ſollte. Er befahl daher der.
Prager Univerſität, durch ein von Kuttenberg am 18 Ja—
nuar 1409 datirtes Decret, daß die eingeborne böhmiſche
kation, nach dem Beiſpiele der Pariſer und der italie—
niſchen Univerſitäten, bei allen Acten und Abſtimmungen
fortan drei Stimmen, die fremden Nationen zuſammen
aber nur eine haben follten. ““? Natürlich hatte dieſe Maß—
regel von Seite des Königs zunächſt nur den Zweck, die
Entziehung der Obedienz gegen Gregor XII und die Neu—
tralitätserklärung, auf welche ſowohl das Cardinalscolle—
gium, als auch die franzöſiſchen Geſandten drangen, in
ſeinem Lande zu fördern; wie er ihr denn auch in einigen
Tagen, am 22 Januar, den allgemeinen Befehl für ſein
ganzes Reich folgen ließ, daß hinfort unter ſchwerer Strafe
305) »Cum natio Teutonica, jure incolatus regni Bohemiae prorsus
expers, in singulis universitatis studii Pragensis agibilibus, ut
relatio veridica ad nos deduxit, tres voces sibi vindicaverit ad
usum, natioque Boemica, ejusdem regni justa heres, tantum-
modo unica gaudeat et fruatur: nos (id) iniquum et valde in-
decens arbitrantes, — mandamus, quatenus — nationem Boe-
micam in singulis consiliis, judiciis, examinibus, electionibus
et quibuscunque aliis actibus et dispositionibus universitatis
praedictae, ad instar ordinationis, qua gaudet natio Gallica in
universitate studii Parisiensis, ac ceterae in Lombardia et Ita-
lia potiuntur nationes, ad tres voces admittere modis omnibus
“ debeatis« etc. Vgl. J. Th. Held, Tentamen historicum illu-
swandis rebus auno mecccıx in universilate Pragena gestis,
Pragae, 1827. in 8. (pag. 26 54.)
Streit um die drei Stimmen an der Univerfität, 233
Niemand mehr Gregor XII für einen Papſt erkennen oder
ihm als ſolchen gehorchen dürfe. 306 r
Als das königliche Decret über die drei Stimmen am
26 Januar den verſammelten Mitgliedern aller vier Na—
tionen der Prager Univerſität feierlich verkündet wurde,
entſtand unter den Deutſchen die heftigſte Gährung. Nim—
mermehr, erklärten ſie, würden ſie einer ſolchen Ungerech—
tigkeit und Schmach ſich fügen, eher wollten ſie insgeſammt
die Univerſität und das Land auf immer verlaſſen. Und
um dieſer Drohung Nachdruck zu geben, ſetzten ſie unter—
einander eine ſchriftliche Erklärung in Umlauf, in welcher
jeder einzelne Magiſter, Baccalar und Student ſich an
Eides Statt verpflichtete, unter der Strafe des Eidbruchs,
der Excommunication, der Ehrloſigkeit und einer Geldbuße
von 100 Schock Prager Groſchen, nicht zuzugeben, daß die
bisherige Art zu ſtimmen in irgend einer Weiſe verändert
werde, ſondern, im Fall die zu erneuernden Verſuche zu
Erhaltung derſelben bei dem Könige und deſſen Räthen
ſich fruchtlos erweiſen ſollten, lieber Prag zu verlaſſen
und nimmermehr dahin um der Studien willen zurückzu—
kehren.“ Dagegen pries Hus, nach feiner Wiedergeneſung,
öffentlich die Liebe des Königs zu feinem Volke, und er—
mahnte ſeine Zuhörer von der Kanzel herab, auch dem Herrn
Nicolaus von Lobkowic, der ſich der Seinigen fo warm
angenommen, ſich dafür dankbar zu erweiſen. “
306) Das noch von Kuttenberg datirte königl. Decret darüber iſt
gedruckt in Martene et Durand collectio ampliss. tom. VII,
pag. 923.
307) Die aus einem gleichzeitigen Codex der Leipziger Univerſitäts—
bibliothek geſchöpfte Formel dieſer Erklärung findet ſich nebſt
anderen dazu gehörigen Acten gedruckt in Held's Tentamen
historicum a. a. O.
308) Depositio testium etc. »Wenceslaus de Wodierad, publicus no-
larius, inter cetera sub juramento deponit, quod audivit ex
1409
26 Jan.
1409
231 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
Die drei Nationen ließen es nicht an Verſuchen man—
geln, den König und ſeine Räthe zur Zurücknahme des
verhängnißvollen Decrets zu ſtimmen; die darüber ange—
knüpften Verhandlungen dauerten mehre Monate lang.
Man war endlich geneigt, eine volle Gleichheit der Ein—
heimiſchen und der Fremden überhaupt in der Art eintre—
ten zu laſſen, daß in den öffentlichen Functionen und Am—
tern ein Böhme jedesmal mit einem Deutſchen, gleichviel
von welcher Nation, alternire, und namentlich das Recto—
rat und die Decanate ein halbes Jahr je von einem Böh—
men, das andere Halbjahr darauf von einem Deutſchen
verwaltet würden;“ zu weiteren Conceſſionen aber woll—
ten weder der König, noch deſſen Räthe ſich bereitwillig
finden laſſen. Da inzwiſchen während dieſer Bewegungen
alle gewöhnlichen Acte bei der Univerſität ins Stocken ge—
rathen waren, und auch die im April vorzunehmende Wahl
eines neuen Rectors und eines Decans der philoſophiſchen
Facultät wegen des Streits der Nationen nicht zu Stande
hatte kommen können: ſo legte K. Wenzel am Ende ſich
ſelbſt ins Mittel, ernannte für diesmal, aus königlicher
Macht, feinen Secretär M. Zdenek von Labaun zum Necz
ore M. Hus in sermone ad populum praedicantis et dicentis:
Pueri! laudetur deus omnipotens, quia Teutonicos exclusimus,
et habemus propositum, pro quo institimus, et sumus victores;
et specialiter regratiamini D. Nicolao Augustini, quod iste ad
preces nostras coram rege eflecit.« (» Augustini« heißt hier
Herr Nicolaus nach feinem Prager Hauſe, in ähnlicher Weiſe,
wie jener Nicolaus Faulfiſch, »vir genere nobilis ex domo
quam Putridi piscis vocant« bei Aeneas Sylvius.)
309) »Quod rector universitatis et decanus facultatis artium, simi-
liter et examinatores promovendorum in facultate artium in
antea eligi deberent alternatis vicibus, sie quod una mutatione
regeret et decanus esset et examinator Bohemus, et alia mu-
tatione et per dimidium annum Teotonicus, non curando, cujus
nationjs existeret.« (MO. bibl. univ. Wratislav. I, C. 90, fol. 14 sq.)
Streit um die drei Stimmen an der Univerſität. 235
tor der- Univerfität, den M. Simon von Tisnow zum 1409
Decan der philoſophiſchen Facultät, und forderte zu Ge—
horſam auf. Am 9 Mai kam mit dieſen Befehlen Herr 9 Mai
Nicolaus von Lobkowie ins Karolingebäude, wohin bereits
alle Mitglieder der Univerſität berufen worden waren;
ihm folgten ſämmtliche Rathsherren der Altſtadt Prag, und
eine anſehnliche Schaar von Bewaffneten. Nach voran—
gegangener feierlicher Kundmachung des königlichen Wil—
lens erklärte die böhmiſche Nation ihre Bereitwilligkeit,
zu gehorchen; die übrigen beharrten bei ihrer Weigerung.
Hierauf nöthigte Herr Nicolaus dem alten Rector, M.
Henning von Baltenhagen, die Univerſitätskleinode ab: 0
das Sigill, die Matrikel, die Schlüſſel zur Bibliothek und
die Kaffe, und nahm ſie vorläufig in feine Verwahrung.
Obgleich die heftigſten Reden dabei gewechſelt wurden, fo
kam es dennoch zu keinen Thätlichkeiten: aber unmittelbar
darauf fingen die deutſchen Magiſter und Studenten an,
310) Breve chronicon Boem. MS. (ganz gleichzeitig.) Anno 1409,
fer. Va proxima post festum S. Stanislai, — hora XIII diei vel
quasi, tradita sunt insignia rectoratus per rectorem universi-
tatis studii Pragensis M. Heningum Baltenhagen , videlicet si-
gillum universitatis et matricula, qui metu compulsus tradidit
eadem, in stuba facultatis, praesentibus fere magistris omnium
quatuor nationum et omnibus consulibus majoris civitatis Pra-
gensis, D. Nicolao notario urbariae in Montibus Chutuis etc, —
MS. Wratislav. cit. Tauta supervenit nomine regis impressio,
ut quidam Joannes (ſoll heißen Nicolaus) Augustini cum sca-
binis eivitatis Pragensis collegium et stubam facultatis artium
intrarent armata et magua comiliva; — extorserunt claves a
rectore praecedenti, qui fuit Teotonicus, et elenodia universi-
talis, nec non pecunias ſisci facultatis artium una cum clavi-
bus ad librariam receperunt etc. (Cochlaeus hat pag. 13—14
dieſe Breslauer Quelle, eine ums J. 1459 verfaßte Streit:
ſchrift gegen die Huſſiten, meiſt wörtlich benützt.) Vergl.
Monum. hist. universit. Prag. IJ, pag. 403. J. Theob. Held ten-
tamen historicum etc. Pag, 21 544.
1409
236 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
ihrer gegenſeitigen Verbindung Folge zu geben, und Prag
zu Fuß, zu Pferde und zu Wagen ſchaarenweiſe zu ver—
laſſen. An einem einzigen Tage zählte man über zwei
tauſend Abreiſende; die Geſammtzahl aller Wegziehenden
wird aber verſchieden angegeben. 1 Bald blieben keine
deutſchen Profeſſoren und Studenten mehr in Prag übrig,
als einige Mitglieder der juridiſchen Facultät, welche, da
ſie einen von der übrigen Univerſität abgeſonderten Körper
bildeten, von dem Streit um die drei Stimmen gar nicht
berührt worden waren.“!
Dieſe in leidenſchaftlicher Aufwallung beſchloſſene und
vollführte Auswanderung“ der deutſchen Profeſſoren und
Studenten aus Prag iſt ein folgenreiches Ereigniß. Seit
Karl IV hatten vorzüglich zwei Umſtände beigetragen, Prag
gleichſam zur Hauptſtadt von Deutſchland zu erheben: die
Anweſenheit des kaiſerlichen Hofs, und die Univerſität;
der letzteren dürfte man in dieſer Hinſicht ſogar die größere
Bedeutung zuſchreiben. Gab es damals auch ſchon mehre
hohe Anſtalten dieſer Art in Deutſchland, ſo gab es doch
311) Aeneae Hlvii Histor. Bohem. cap. 35: Magistri ac discipuli
Teutonici generis, jurejurando adacti, uno die supra duo millia
Pragam reliquere; nec diu post circiter tria millia secuti, apud
Lipsiam Misnae civitatem — universale studium erexere, Da:
gegen behauptet ein gleichzeitiger böhmiſcher Annaliſt (Script.
rer. Boh. III, 11), es ſeien ihrer im Ganzen mehr als 20,000
weggezogen.
312) Darum zeigt das Album seu matricula facultatis juridicae uni-
versitatis Pragensis ab ann. 1372 — 1418 (in dem dritten Bande
der Monumenta universit. Prag 1834) keinen Abſchnitt im
Jahre 1409, obgleich die Frequenz der drei auswärtigen Na—
tionen ſeit 1409 dennoch ſichtbar ſich verminderte.
313) Der gleichzeitige böhm. Annaliſt (Script. rer. Boh. III, 12)
behauptet auch, die Ausgewanderten hätten hintennach ihren
raſchen Entſchluß ſelbſt bereut und ſich noch lange nach Prag
zurückgeſehnt.
Die deutſchen Profefforen u. Studenten verlaffen Prag. 237
keine, die der Prager an Frequenz und Anſehen gleich- 1409
gekommen wäre. Von Prag war ſeit einem halben Jahr—
hundert der vornehmſte bildende Einfluß nach allen Sei—
ten, zumeiſt aber nach Norddeutſchland und bis nach Skan—
dinavien hin, ausgegangen.?!“ Der Pflege der Wiſſen—
ſchaft hatte ſich auch die der ſchönen Kunſt beigeſellt, und
ſelbſt der Handel hatte dadurch einen lebhafteren Auf—
ſchwung genommen; denn viele auswärtige Studenten be—
ſorgten zugleich Kaufmannsgeſchäfte, oder richtiger geſagt,
viele deutſche Kaufleute hatten ſich in Prag als Studen—
ten einſchreiben laſſen, um der den letzteren zugeſtandenen
perſönlichen Privilegien theilhaftig zu werden. Dies alles
hörte jetzt gleichſam mit einem Schlage auf; Prag verlor
ſeinen Vorrang unter den deutſchen Städten um ſo mehr,
als die Mehrzahl der Deutſchen ihren König nicht mehr
darin zu ſuchen pflegte. Die deutſchen Univerſitäten ver—
ſtärkten ſich durch Aufnahme der Prager Flüchtlinge; eine
neue Hochſchule bildete ſich aus dem Kern der Auswan—
derer in Leipzig, wo ſie noch im ſelben Jahre 1409 eröff—
31% Das Zeugniß, welches das Conſtanzer Concilium über die ehe—
malige Bedeutung der Prager Univerſität für Deutſchland und
für Europa ausſtellte, iſt wenigſtens unverdächtig: Illud egre-
gium studium Pragense inter cetera majora orbis nostri con-
numerabatur clenodia. — Nam omnium studiorum Germani-
cae nationis illud maximum non immerito famabatur, ad quod
de singulis regnis et dominiis Alamanniae adolescentes simul
et adultae aetatis homines, virtutis et studii amore conflue-
bant, et thesaurum philosophiae et scientiae quaerentes, illum
ibi copiose invenerunt. Quot viros illuminatos ea universitas
produxerit, magistri et doctores ejusdem universitatis in di-
versis mundi partibus dispersi testantur, quorum doctrinä plu-
rima egregia loca et solennes civitates generaliaque studia tam
sacris moribus quam ecclesiasticis diseiplinis reguntur ete. Im
Briefe an K. Sigmund vom Dec. 1416, bei v. d. Hardt, IV,
1079 fg. Acta Conciliorum, tom. VIII (Paris. 1714), p. 449.
238 VI Buch, 3 Capitel. K. Wenzel IV.
1409 net wurde; der wiſſenſchaftliche Geiſt Deutſchlands nahm
fortan eine vielſeitigere ſelbſtändige Entwickelung, da keine
Hauptſtadt mehr den vorherrſchenden Ton angab. Noch
wichtiger waren die Folgen dieſer Auswanderung für Böh—
men ſelbſt. Das Deutſchthum in dieſem Lande erhielt da—
durch den erſten mächtigen Stoß, dem bald noch andere
in gleicher Richtung folgten, welche die fernere Entfaltung
des deutſchen Elements in Böhmen auf Jahrhunderte hin—
aus lähmten. Aber die unmittelbarſte und größte Bedeu—
tung erhielt das Ereigniß für die fernere Entwickelung der
kirchenreformatoriſchen Ideen in Böhmen. Mit der Ent—
fernung der deutſchen Profeſſoren und Studenten aus Prag
war der Hauptdamm durchbrochen, der ihren Strom bis
dahin aufgehalten hatte; nun war ihr Sieg entſchieden;
ſie überflutheten fortan Land und Volk faſt ohne Wider—
ſtand; und ſo groß war die Empfänglichkeit der Gemüther
dafür bereits geworden, daß das Mißvergnügen Derjenigen,
die den jedenfalls empfindlichen Verluſt im materiellen Ver—
kehr des Landes berechneten, in den Maſſen des Volkes
keinen Anklang fand, und der Schaden, den die Prager
Hausbeſitzer an Miethe und Kundſchaften erlitten, kaum
ein lautes Murren zu erregen im Stande war.
Viertes Kapitel,
Entwickelung und Verbreitung der Huſſiſchen
Lehre.
König Wenzel und das Concilium von Piſa. Dreiheit der
Päpſte. Widerſetzlichkeit des böhmiſchen Klerus, Bulle
Alexanders V. Wiklefs Bücher werden in Prag verbrannt.
M. Hus vor die römiſche Curie geladen. Dreiheit der
römiſchen Könige. Joſtens Tod und der Heimfall Mäh—
rens. Ausſöhnung Wenzels mit Sigmund. Vergleich zwi—
ſchen dem Prager Erzbifhof und M. Hus. Papſt Jo—
hanns XXIII Kreuz- und Ablaßbullen, und Tumulte dar—
über in Prag. M. Hus und Stephan von Paletd. Hus
im päpſtlichen Bann, muß Prag verlaſſen. Die Erzbiſchöfe
Albicus und Konrad. Synode zu Prag. Die katholiſchen
Profeſſoren aus Böhmen verbannt. Hus auf dem Lande.
Reiſen des M. Hieronymus von Prag. Verhältniſſe zwi—
ſchen Böhmen und Polen. Ausſchreibung des Conſtanzer
Conciliums. Hus entſchließt ſich, dahin zu gehen.
(Jahre 1409 — 1414.)
Konig Wenzel hatte ſich, wie bereits bemerkt wor—
den, frühzeitig mit den von beiden Gegenpäpſten abgefal—
lenen Cardinälen in Verbindungen eingelaſſen, und vor—
züglich durch das Mittel des Cardinal-Erzbiſchofs von Mai—
land, ſeines alten Bekannten, Verhandlungen angeknüpft,
die zum Zwecke hatten, ihm die Anerkennung als römiſcher
König, dem künftigen Concilium aber den von Seite des
römiſchen Reichs nöthigen Schutz und Beiſtand zu ver—
1409
De
1409 ſchaffen; er hatte noch vor dem Schluſſe des Jahres 1408
die Cardinäle durch eine feierliche Geſandtſchaft direct auf—
fordern laſſen, ſich an ihn als den wahren römiſchen König
zu wenden, und ihm ihre Wünſche und Bedürfniſſe vor—
zutragen. 9? Das Collegium vermied es lange Zeit, zwi—
ſchen Wenzel und Ruprecht Partei zu nehmen; als aber
der Termin des nach Piſa ausgeſchriebenen Conciliums
heranrückte, mußte es ſich entſcheiden. Es ſandte den Car⸗
dinal⸗Erzbiſchof von Bari, Landolf Maramaur, nach Deutſch—
land, zuerſt zu dem auf den 6 Januar 1409 nach Frank⸗
furt am Main ausgeſchriebenen Reichstag, dann zu König
Wenzel. Auf dem Reichstag erſchien bald nach Landolf
auch ein Neffe Gregors XII, um die Fürſten in der Obe—
dienz ſeines Oheims zu erhalten. Nach vielen Verhand—
lungen erklärte ſich zwar die Mehrzahl, und darunter auch
der Erzbiſchof von Mainz, für die Neutralität und das
Concilium von Piſa: Ruprecht aber beharrte bei Gregor XII,
und beſchloß zu deſſen Gunſten ſogar dem Concilium ent—
gegen zu arbeiten. Sein Benehmen zwang die Cardinäle,
ſich endlich vollends an Wenzel anzuſchließen, und deſſen
Sache eben ſo zu der ihrigen zu machen, wie Wenzel be—
reits die ihrige zu der ſeinigen gemacht hatte. Cardinal
16 Febr. Landolf kam nach Prag, und ſchloß am 16 Februar 1409,
in Vollmacht ſeines ganzen Collegiums, einen Vertrag mit
240 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
315) Die von den Geſandten Wenzels bei dieſer Gelegenheit ge—
haltene Rede (die mit den Worten anfängt: »Regnum coelo-
rum praesentis temporis super terram bifarie scissum este) {ft
uns in einer Handſchrift der Prager Univerſitätsbibliothek
(OL, G. 16) aufbewahrt worden; darin heißt es: ideirco om-
nibus et singulis vobis reverendissimis in Christo patribus et
dominis, D. Cardinalibus S. R. E. et toti sancto vestro col-
legio placeat, sanctum vestrum propositum praedicto domino
nostro amplius significare, secure denique postulare auxilium
et subsidium ab eodem, ut vero et supremo advocato S. R. E.
et Sedis apostolicae etc.
Wenzel ab, kraft deſſen man ſich gegenfeitig zu Anerkennung 1409
und Beiſtand verpflichtete; 1% am 15 März darauf fertigte
Wenzel ſeine Räthe, den Oberſtkanzler Wenzel Patriarchen
von Antiochien, den Meißner Biſchof Thimo von Kolditz,
den Baron Benes von Chauſtnik, 97 und die Doctoren Hie—
ronymus von Seidenberg und Johann Nas, als ſeine Be—
vollmächtigten zum Concilium ab, und ernannte die erſten
drei zugleich zu ſeinen Stellvertretern in Italien von des
Reichs wegen. !“ Das Concilium nahm, wie beſtimmt war,
zu Piſa am 25 März ſeinen Anfang; anweſend waren 25 März
22 Cardinäle, 4 Patriarchen, 12 Erzbiſchöfe perſönlich und
14 durch Abgeordnete, 80 Biſchöfe perſönlich und 102 durch
Abgeordnete, 87 Abte, die Großmeiſter aller Orden, 31
Deputirte von Univerſitäten und an 300 Doctoren; ferner
die Bevollmächtigten K. Wenzels als römiſchen Königs,
dann der Könige von Frankreich, England, Polen, Por—
tugal, Sicilien und Cypern, nebſt vielen anderen Fürſten
und Herren. Es kamen auch Abgeſandte des Gegenkönigs
Ruprecht, jedoch nicht um mitzuwirken, ſondern um den
Gang des Conciliums, wo möglich, zu hemmen; nachdem
fie dies aber vergebens verſucht, ſchlichen fie ſich ſchon am
21 April hinweg, und ließen eine Proteſtation zurück, in
welcher ſie das Piſaner Concilium für ein Conciliabulum
erklärten und in ihres Herren Namen an ein künftiges
ökumeniſches Concil appellirten. Deshalb brachen die ver—
ſammelten Väter vollends mit dem „Herzog Ruprecht von
Bayern“, und ſämmtliche 22 Cardinäle unterſchrieben und
K. Wenzel und das Concilium von Piſa. 241
316) Die Urkunden darüber hat Pelzel im Urkk. Buche zu Wences—
laus, Num. 218, abdrucken laſſen.
317) Den letzten Mann ſeines berühmten Geſchlechts, der noch im
Laufe dieſes oder zu Anfange des folgenden Jahres (1410)
ſtarb. Vgl. Archiv Cesky I, 167, 529. |
318) Die noch ungedruckten Urkunden findet man in einer Hand:
ſchrift der k. k. Hofbibliothek in Wien (Num. 5097, fol. 139 8g.)
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 16
242 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1409 beſiegelten eigenhändig eine Urkunde, in welcher fie fich ver⸗
pflichteten, die oft genannte Anerkennung Wenzels durch
die ganze Chriſtenheit zu fördern und auch dem künftigen
einigen Papſt zur Pflicht zu machen;?“ auch erhielten
deſſen Geſandte wirklich den Vorrang vor allen übrigen. “
Die zwei Männer, von welchen ſeit fünfzehn Jahren
die Verſuche, eine Union und zugleich Reform der Kirche
herbeizuführen, vorzugsweiſe ausgegangen waren, Peter
von Ailly, Biſchof von Cambray, und Johann Gerſon,
Kanzler der Pariſer Univerſität, wohnten dem Piſaner Con—
cilium perſönlich bei, und gaben ſich Mühe, ihren Ideen,
die bereits in ſo vielen Ländern Anklang gefunden, auch
hier Geltung und Folge zu verſchaffen. Da das Con-
cilium am 5 Juni 1409 beide Päpſte, Gregor XII und
Benedict XIII, als Schismatiker, für abgeſetzt erklärte, und
die Wahl eines neuen Papſtes nothwendig wurde, ſo ver—
pflichteten ſich am 10 Juni ſämmtliche Cardinäle durch
einen feierlichen Eid, daß wer immer von ihnen gewählt
werden würde, das Concilium nicht eher auflöſen laſſen
dürfe, als bis die ſo allgemein gewünſchte Reformation
der Kirche an Haupt und Gliedern durch ihn, unter
dem Beiſtand des Concils, eingeführt und vollendet werden
würde.?! Am 15 Juni traten die Cardinäle ins Conclave,
26 Juni und wählten, nach eilftägigen Berathungen, am 26 Juni
den ſchon oft genannten Cardinal-Erzbiſchof von Mailand,
319) S. Ruprechts Schreiben an die Reichsſtädte in Wenkers Ap-
paratus et instructus archivorum pag. 299 — 300.
320) In dem bei Raynaldi (1409, $. 45) gedruckten authentiſchen
Verzeichniſſe der Mitglieder des Conciliums ſtehen die Ge—
ſandten K. Wenzels namentlich vor denen der Könige von
Frankreich und England.
321) »Quod si quis nostrum in summum Romanum Pontificem eli-
getur, praesens concilium continuabit nec dissolvet, neque dis-
solvi permittet, quantum in eo erit, usque quo per ipsum cum
consilio ejusdem concilii sit facta debita, rationalis et sufficiens
*
Das Concilium von Piſa. Alexander V. 243
Pietro Filargo von Candien, einſtimmig zum Papſt, der
fortan den Namen Alexander V annahm. Er war ein
Minoritenbruder geweſen, hatte einſt in Orford und Paris
ſtudirt, wurde dann Profeſſor an der Pariſer Univerſität,
und verdankte der beſonderen Vorliebe, welche Johann Ga—
leazzo Visconti für gelehrte Männer hegte, ſeine Erhebung
zu den Bisthümern von Vicenza und Novara, endlich zum
Erzbisthum von Mailand; auch war er lange Zeit an der
Spitze des viscontiſchen Staatsraths geſtanden, und hatte
einſt die Erhebung der Visconti's zu Herzogen von Mai—
land bei K. Wenzel durchgeſetzt. Nun war er ein 70jäh—
riger Greis, von untadelhaften Sitten und dem beſten
Willen, der jedoch um ſo weniger zu einem Reformator
ſich eignete, als er nicht im Stande war, irgend Jeman—
dem auch nur eine Bitte abzuſchlagen. Daher nahm er
bald nach ſeiner Erhebung mehr Ernennungen vor, als
Beneficien und Amter vorhanden waren, begünſtigte ins—
beſondere ſeine ehemaligen Ordensbrüder mehr als billig
ſchien, vermehrte ſomit wider Willen die Mißbräuche, an—
ſtatt ſie abzuſtellen, und ließ ſich faſt in allem von dem
herrſchſüchtigen und ränkevollen Cardinallegaten von Bo—
logna, Balthaſar Coſſa, bevormunden. Unter ſolchen Ver—
hältniſſen drängte ihn Johann Gerſon vergebens mit der
bibliſchen Frage: „Herr, wirſt du nunmehr das Reich Is—
raels wiederherſtellen?“ Da auch für die Aufrechthaltung
des Beſtehenden, wo nicht zahlreichere, doch noch ungeſtü—
mere Stimmen ſich erhoben, ſo ſetzte der neue Papſt zum
Behufe der Kirchenreformation ein neues Concilium auf
den April 1412 an, und löſte die Piſaner Verſammlung,
mit deren Genehmhaltung, ſchon am 7 Auguſt 1409 wie—
der auf.
reformatio universalis ecclesiac et status ejus, tam in capite,
quam in membris.« Acta Sessionis XVI, ap. Raynaldum L. e.
et d’Achery I, p. 848.
16 *
1409
7 Aug.
244 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1409 Auf dieſe Art täuſchte das Piſaner Concilium, hin—
ſichtlich der Kirchenreform, ſelbſt die gemäßigteſten Hoff—
nungen, und auch das lange Schisma wurde durch die
neue Papſtwahl nicht beſeitigt, ſondern noch vermehrt; denn
weder Gregor XII, noch Benedict XIII ließen ſich da—
durch zur Abdankung bewegen, und da ſie fortwährend
noch ihren, wenn auch verringerten, Anhang fanden, ſo
gab es nunmehr, anſtatt zweier, ſogar drei Päpfte zugleich.
Benedict XIII wurde noch in Spanien und in Schottland,
Gregor XII in Neapel, in einigen kleinen Staaten von
Italien und den deutſchen Diöceſen von Trier, Speier und
Worms anerkannt; die ganze übrige Chriſtenheit hing
Alexander V an, indem auch K. Sigmund von Ungarn,
der das Concilium, wahrſcheinlich nur ſeinem Bruder zum
Trotz, nicht hatte anerkennen wollen, dennoch nicht lange
bei Gregor XII beharrte.
Dem römiſchen Könige lag nun, nach der Anſicht der
Zeitgenoſſen, die Pflicht ob, dafür zu ſorgen, daß die ge—
nannte Union der Kirche eine Wahrheit werde und der
ernannte einige Papſt bei der ganzen Chriſtenheit Anerken—
nung und Gehorſam finde. K. Wenzel kannte dieſe Pflicht,
und gab ſich allerdings Mühe, ihr nachzukommen; wie be—
ſchämend aber mußte nicht das Bewußtſein für ihn ſein,
daß er nicht einmal im eigenen Lande, bei den eigenen
Unterthanen im Stande war, Alexander V Gehorſam zu
verſchaffen! Denn der Prager Erzbiſchof und die Mehr—
zahl des böhmiſchen Clerus hingen auch nach der Auf—
löſung des Piſaner Conciliums noch immer Gregor XII
an, ohne auf ihres Königs wiederholte Befehle zu achten.
Die Gründe dieſer Widerſetzlichkeit find uns weniger be—
kannt, als ihre Folgen. K. Wenzel, der dem Clerus von
jeher nicht beſonders günſtig geſinnt war, faßte darüber
gegen den Erzbiſchof Zbynek und die böhmiſche Geiſtlichkeit
überhaupt einen Groll, den auch alle ſeine Günſtlinge theil—
Drei Päpſte. Wenzels Streit mit dem Clerus. 245
ten. Als im Juli 1409 die Nachricht von Alexanders V
Wahl nach Prag gelangte, kam es deshalb zu offenen Feind—
ſeligkeiten zwiſchen dem Clerus und dem koͤniglichen Hofe
in Böhmen; und da mehre Geiſtliche, gleich dem Erzbiſchof
ſelbſt, den beabſichtigten Zwangsmaßregeln durch die Flucht
ſich entzogen, ſo befahl der König, einige Güter der Flüch—
tigen einzuziehen; wobei namentlich zwei Günſtlinge, Herr
Wok von Waldſtein, zugenannt Wokſa, und der Ritter
Racek von Kobyla, ſich vor andern thätig erwieſen. ?*?
Erſt am 2 Sept. 1409 ließ ſich Erzbiſchof Zbynek mit
ſeinem Suffragan Konrad von Vechta, Biſchof von Olmütz,
bewegen, Gregor XII zu verlaſſen und zu Alexander
überzutreten. Die außerordentlichen Freudenfeſte, welche
dieſes Ereigniß in Prag veranlaßte, zeugen von der Größe
des Kummers, welchen man bis dahin über den Streit
der weltlichen mit der geiſtlichen Macht empfunden hatte.
Man ſang das Je deum in allen Kirchen, ließ alle Glocken
zu wiederholten Malen ertönen, und illuminirte Abends
die Stadt, während der Magiſtrat in glänzendem Aufzug
unter Trompetenſchall die Straßen bis in die ſpäte Nacht
durchritt. Die Illumination beſtand in jener Zeit darin,
daß man vor etwa 600 Häuſern Freudenfeuer abbrannte, “s
322) In einer Handſchrift des Wittingauer Archivs (A, 10) ſteht
die Notiz: Ann. MCCCCVIH (lieg 1409) prope vel in festo S.
Mariae Magdalenae, rex Wenceslaus cum archiepiscopo Zbyn-
kone Zajiec et canonicis et plebanis Pragensibus contendit prop-
ter antipapas. Vgl. ‚Seriptt. rer. bolt. III, 410: Woksa, Racek
Kobyla, ta sta korrektory byla etc. Opp. Huss. I, 18. Von
der Hardt, IV. 312.
323) Breve chronicon Bohemiae (gleichzeitig, noch ungedruckt). Ann.
1409, feria II post festum S. Aegidii, D. Zbynko Pragensis
archiepiscopus et D. Conradus Olomucensis episcopus cum
toto clero accesserunt ad obedientiam D. Alexandri papae V,
et eadem die hora XVIII cantabatur Te deum laudamus in
omnibus ecelesiis. Sequenti vero die, videlicet fer. III, pul-
1409
Juli
246 VI Buch, a Capitel. K. Wenzel IV.
1409 Die wichtigfte Folge jener langen Widerſetzlichkeit des
böhmiſchen Clerus war der Vorſchub, welchen dieſes Be—
nehmen den reformatoriſchen Beſtrebungen des M. Johann
Hus und ſeiner Freunde leiſtete. Indem Hus öffentlich
von der Kanzel herab gegen die Geiſtlichkeit eiferte und
auf ihren Sittenverfall hinwies, ſprach er nur die am böh—
miſchen Hofe herrſchende Geſinnung aus, und fand um ſo
mehr Beifall im Volke. Schon vor dem Schluſſe des vo—
rigen Jahres (1408) hatten die meiſten Prager Pfarrer
gegen ihn bei dem Erzbiſchof eine Klage angebracht; im
folgenden Jahre wurde ſie wiederholt und die Klagepuncte
vermehrt. Die bedeutendſten darunter waren: daß er das
Volk gegen die Geiſtlichkeit, die Böhmen gegen die Deut—
ſchen aufreize, die Nichtachtung der Kirche und ihrer Straf—
gewalt predige, Rom den Sitz des Antichriſts genannt,
und jeden Geiſtlichen, der für die Spendung eines Sacra—
ments irgend eine Bezahlung fordere, für einen Ketzer er—
klärt habe; dagegen habe er ſich nicht entblödet, den ketze—
riſchen Wiklef öffentlich zu loben, und auch den Wunſch
zu äußern, daß ſeine Seele einſt eben dahin, wo Wiklefs
Seele iſt, gelangen möchte! Der Erzbiſchof trug ſeinem
Inquiſitor, dem Profeſſor der Theologie M. Mauritius
von Prag, die Unterſuchung dieſer Klagen auf, und befahl
ihm zugleich, zu erheben, auf welche Vollmacht hin in der
Bethlehemscapelle gepredigt und ein feierlicher Gottesdienſt
mit Geſang gehalten werde. Ob Hus ſich der über ihn.
verhängten Unterſuchung gefügt habe, iſt zweifelhaft; ſchrift—
sabatur campana magna in praetorio Pragensi trina vice, hora
17, 20 et 24; et eadem hora incensi sunt ignes bene sexin-
genti fere coram qualibet domo. Et magister eivium Petrus
Habhardi de Albo Leone cum aliis consulibus equitabant cum
tubicenis hineinde in civitate usque ad 4am horam noctis, et
gratulabantur multum de reintegratione ac unione sanctae ma-
tris ecelesiae ac electione D. Alexandri papae quinti.
Erfte Klagen gegen Hus. Bulle Alexanders V. 247
lich aber gab er auf alle ihm zur Laſt gelegten Artikel
Antwort, “ und erhob ſeinerſeits Klagen gegen den Erz—
biſchof ſelbſt, in Folge deren Letzterer am 8 Dec. 1409
vor den apoſtoliſchen Stuhl geladen wurde, um ſich da
zu rechtfertigen. 3%
Inzwiſchen hatte aber auch Zbynek feine Boten, einen
Canonicus Jinoch und den Minoritenbruder Jaroſlaw, Ti—
tularbiſchof von Sarepta, zu Alexander V mit dem Auf—
trag abgeordnet, den Papſt zu unterrichten, wie in Böh—
men und Mähren aus Predigten in gewiſſen Capellen und
aus dem Leſen Wiklef'ſcher Bücher mannigfache Irrthümer
und Ketzereien, vorzüglich in Bezug auf die Abendmahls—
lehre, emporkeimten und die Seelen vieler Gläubigen be—
reits angeſteckt hätten; ferner auf welche Art und wie ver—
geblich der Erzbiſchof bisher ſich bemüht habe, dieſem Übel
Einhalt zu thun; wie daher das Einſchreiten der höchſten
Auctorität des Papſtes nothwendig ſei, um noch ſchwereres
Unheil zu verhüten. Auf den Grund dieſes Berichts caſ—
ſirte Alerander V am 20 Dec. 1409 alle gegen den Erz—
biſchof anhängig gemachten Proceſſe, und gab demſelben
durch eine beſondere Bulle den Auftrag und die Vollmacht,
324) Die erſte Klage der Geiſtlichen gegen Hus fängt mit den
Worten an: Revme pater! Ad instantes preces cleri vestrae
civitatis et dioecesis etc. Die Antwort darauf beginnt mit
den Worten: Quia, pater revme, coram Pat. Vestrae gratia
tamquam scandalosus, erroneus — sum per meos adversarios
delatus ete. Beide noch ungedruckte Aufſätze kommen in meh—
ren Handſchriften jener Zeit vor, z. B. Prager Bibl. III,
G. 16. — Die zweiten Klagepuncte vom J. 1409 beginnen:
Revmus in Christo pater et dominus, D. Zbynko ete. — und
Huſſens Antworten finden ſich in einigen Handſchriften punct—
weiſe angehängt.
325) Breve chron. Boem. MS. Anno 1409, dominico die quo cani-
tur Populus Sion, citatus est D. Archiepiscopus a Wiklefistis
Romanam curiam. Vgl. Opp. Huss. I, 113.
1409
8 Dec.
20 Dec.
248 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1409 unter Zuziehung von vier Doctoren der Theologie und
zwei Doctoren der Rechte, alle Ketzereien und Irrthümer
in ſeiner Diöceſe auszurotten, die Verbreitung Wiklef'ſcher
Lehrſätze unter der Strafe der Excommunication zu ver—
bieten, die Bücher Wiklefs den Händen der Gläubigen zu
entziehen, und das Predigen, außer den Collegiat-, Pfarr-
und Kloſterkirchen, an keinem andern wie immer privilegir—
ten Orte zu geftatten. “““
1410 Die verhängnißvolle Bulle bedurfte auffallender Weiſe
volle zehn Wochen, um von Piſtoja nach Prag zu ges
9 März langen; und erſt am 9 März 1410 wurde ſie von dem
Erzbiſchofe publicirt.?? Zbynek hatte gehofft, eine fo ent—
ſchiedene Erklärung des dem Könige befreundeten Papſtes
würde auf Letzteren den erwünſchten Eindruck machen und
ihn bewegen, den Umtrieben der Wiklefiſten Einhalt zu
thun; aber er täuſchte ſich. Nicht nur die Hofleute alle,
ſondern auch einige der höchſten Landesbeamten, wie der
Oberſtburggraf und Oberſthofmeiſter Herr Lacek von Kra—
war, waren eifrige Freunde Huſſens, und hatten deſſen
Sache bereits zu ihrer eigenen gemacht. Aus Anlaß der
Bulle wurde Zbynef dem Könige ſogar als eine Art Landes—
verräther dargeſtellt, der dem von den ausgewanderten
Deutſchen verbreiteten Rufe, daß unter den Böhmen die
Ketzerei Überhand nehme, ſelbſt das Wort rede; man ver—
langte von ihm den Nachweis, wo die vermeinten Ketzer
ſich befänden und wer fie ſeien? Ja es gab Stimmen,
die da behaupteten, die Bulle ſei nicht einmal ächt, ſon—
dern unterſchoben und von einem Beamten der apoſtoliſchen
Kanzlei um ſchweres Geld erkauft. Auch appellirte Hus
alſogleich von dem ſchlecht unterrichteten an den beſſer zu
unterrichtenden Papſt, und ſuchte damit die Wirkung der
326) Die Bulle iſt abgedruckt bei Raynaldi zum J. 1409, §. 89.
327) Breve chron. Boem. MS.
Bulle Alexanders V. Gericht über Wiklefs Bücher. 249
Bulle zu lähmen. Der Erzbiſchof ließ ſich aber durch 1410
alles das nicht irre machen. Er erneuerte den ſchon vor
zwei Jahren begonnenen Proceß nunmehr aus päpſtlichem
Auftrag, und bedrohte durch ein öffentliches Edict alle
Diejenigen mit dem Kirchenbann, welche binnen einer be—
ſtimmten Friſt alle Bücher Wiklefs, in deren Beſitze ſie
waren, ihm nicht ausliefern würden. Hus brachte nun ſelbſt
die ſeinigen, und übergab ſie dem Erzbiſchof mit der ſtol—
zen Bitte, ſie zu prüfen, und die Irrthümer, die er etwa
darin finden würde, ihm anzugeben; da auch er bereit ſei,
ſolche zu bekämpfen und Andere vor ihnen zu warnen.“
Sein Beiſpiel wurde von Anderen befolgt, und im Gan—
zen wurden über 200 Bände, zum Theil prachtvolle Ex—
emplare, eingeliefert; nur vier Magiſter und Studenten
verweigerten die Übergabe ihres Wiklef'ſchen Büchervorraths
beharrlich. Das Ergebniß der von den ſechs Doctoren ein—
geleiteten Unterſuchung lautete, wie ſich vorausſehen ließ: daß
alle Bücher Wiklefs offenbare Ketzereien und Irrthümer ent—
halten. Dieſes Urtheil wurde auf der um die Mitte des Juni—
monats gehaltenen Provincialſynode publicirt, und der Erz—
biſchof decretirte dann, am 16 Juni, daß ſie alle dem
Feuer übergeben werden follen. “““ Zugleich verbot er alles
Predigen in Capellen oder an anderen Orten außerhalb
der Stifts- und Pfarrkirchen, erklärte alle dem zuwider—
328) Opp. Huss. I, 113. 294.
329) Opp. Huss. I, 17. Von der Hardt, IV, 310 sq.
330) Namentlich wurden in dem Decrete folgende Bücher Wiklefs
verdammt: 1) Dialogus, 2) Trialogus, 3) De incarnatione verbi
divini, 4) De corpore Christi, 5) De Trinitate, 6) De ideıs,
7) De materia et forma, 8) De hypotheticis, 9) De individua-
tione temporis, 10) De probatione propositionum, 11) De uni-
versalibus realibus, 12) Super evangelia sermones per circu-
lum anni, 13) De dominio civili, 14) Decalogus, 15) De Si-
monia, 16) De attributis, 17) De fratribus discolis et malis.
Vgl. Opp. Huss. I, 113, und die Urkunde vom 25 Aug. 1410.
16 Juni
1410
250 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
laufenden Privilegien aus apoſtoliſcher Auctorität für nich—
tig, und drohte Allen, welche ſich binnen ſechs Tagen nicht
gehorſam erweiſen würden, mit dem Kirchenbann. 331
Dieſes Verfahren machte großen Eindruck und allge—
meines Aufſehen. Die Univerſität hatte ſich, unter ihrem
Rector, Dr. Johann Andreä Sindel, ſchon Tags zuvor
(15 Juni) verſammelt, hatte einſtimmig gegen die Ver—
brennung der Bücher proteſtirt und die Proteſtation dem
Erzbiſchof durch ihren Procurator M. Marcus von König—
grätz auch alſogleich bekannt gemacht. Es wurde darin
hervorgehoben, daß nach den der Prager Univerſität ver—
liehenen kaiſerlichen und apoſtoliſchen Privilegien dem Erz—
biſchof keinerlei Jurisdiction über dieſelbe zuſtehe, und der
Beſitz von Büchern überhaupt ein Gegenſtand nicht des
Kirchen-, ſondern des Civilrechtes ſei; ferner daß das päpſt—
liche Mandat durch den inzwiſchen (am 3 Mai) erfolgten
Tod Alexanders V an fich erloſchen ſei; daß es unver—
nünftig ſei, Werke über Logik, Philoſophie, Moral, Ma—
thematik u. dgl., die mit der Kirchenlehre nichts zu ſchaffen
haben, zu verbrennen; daß ſelbſt unter Vorausſetzung von
Irrthümern, welche in den Büchern enthalten ſein könnten,
eine Vernichtung derſelben nicht Statt finden dürfe, weil
man ſonſt auch alle Werke heidniſcher Philoſophen, deren
Lehren mit dem Chriſtenthume oft unvereinbar ſind, aus
den Schulen entfernen müßte u. dgl.” Die Univerſität
nahm zugleich ihre Zuflucht zum Könige, um die Voll—
ziehung des Verbrennungsdecrets zu hindern, und Wenzel
ließ in der That den Erzbiſchof auffordern, inne zu halten,
bis Markgraf Joſt von Mähren nach Prag kommen und
Die »Narratio« (in Opp. Huss. I, 109) behauptet: D. Zbynko
libros Wiklef nedum non examinatos, sed nee perlectos, per
suam definitivam sententiam fecit igne concremari.
331) Opp. Huss. I, 114, etc.
332) Opp. Huss. I, 115.
Verbrennung der Bücher Wiklefs in Prag. 251
den Streit entſcheiden würde. ? Der Markgraf war als 1410
Bücherfreund bekannt, und galt für einen gelehrten Fürſten;
ihm konnten Wiklefs Werke um ſo weniger unbekannt ſein,
als ihm Hus ſelbſt ein Exemplar des (von ihm auch ins
Böhmiſche überſetzten) Trialogus zugeſendet hatte.“ Darum
ſchob Zbynék die Vollziehung noch auf. Inzwiſchen ließ
die Univerſität am 21 Juni eine offene Kundmachung durch 21 Juni
ganz Böhmen und Mähren ergehen, daß ſie ſich gegen die
Verbrennung der Bücher feierlich verwahrt habe, und Hus
legte mit ſieben anderen Mitgliedern der Univerſität am
25 Juni eine neue Appellation an den neuerwählten Papſt 25 Juni
Johann XXIII ein. Da indeſſen die Ankunft des Mark—
grafen ſich allzuſehr verſpätete, ſo beſchloß Zbynck, nicht
länger zu warten. Am 16 Juli verſammelte er die Prä- 16 Juli
laten und den Clerus in ſeinem Hofe auf der Prager Klein—
ſeite, ließ dieſen mit Bewaffneten umſtellen, die Bücher
Wiklefs inmitten des Hofes aufſchichten und unter lautem
Te deum laudamus anzünden. Ein zu gleicher Zeit faſt
in allen Kirchen Prags erhobenes Glockengeläute verkün—
333) Cron. Univers. Prag. Zbynko — libros Wiklef — sequenti
die post Viti eremari synodaliter mandavit; sed ad instantiam
D. Wenceslai Rom. et Boh. regis distulit suam vesanam sen-
tentiam usque ad adventum D. Jodoci antiqui Moraviae mar-
chionis. Opp- Huss. I, 11: Doctores, magistri et scholastici
tolius universitatis, nullo excepto, praeter illos, qui ab archi-
episcopo ad judicium librorum Wiklef adhibiti erant, uno ore
omnes statuerunt regi supplicare, ut rem impediret. Horum
petitioni rex annuens, misit ad archiepiscopum, qui rem ex-
plorarent. Ibi ille negavit se quicquam citra sententiam regis
de libris Wiklef decreturum. Quamquam igitur postridie eos
igni destinaverat, tamen res est propter regis metum praeter-
missa.
334) Stephani Prioris Cartus. epistola ad Hussitas, in Bern. Pes
Thesaur. anced. tom. III, parte II, pag. 527.
252 VI Buch, 1 Capitel. K. Wenzel IV.
1410 digte dem Volke das ernſte Ereigniß. !” Zwei Tage dar—
18 Juli auf, am 18 Juli, ſprach er eben fo feierlich über M. Jo—
hann Hus und deſſen Freunde den Kirchenbann aus, und
befahl ihn in allen Kirchen feiner Diöceſe feierlich zu vers
kündigen.“
Die Folgen dieſes ſtrengen Verfahrens entſprachen
leider nicht den Wünſchen und Hoffnungen des Erzbiſchofs;
die getroffenen Maßregeln ſchreckten das Volk nicht ab,
ſondern reizten es noch mehr auf, und ſetzten die gähren—
den Gemüther in eine noch heftigere Bewegung, welche
nunmehr auch den niedern Ständen ſich mittheilte. 37 Die
ganze Stadt ſpaltete ſich in zwei ungleiche Parteien, die
ſich durch Streit, Schmähungen und Spottlieder gegen—
335) Cron. universit. Prag. Marchione nondum veniente, archi-
episcopus XVI die mensis Julii repositos libros Wiklef in
medio archiepiscopalis curiae, in praesentia Pragensis capituli,
praelatorum ac multitudine cleri, cremari praecepit. Et sic
ibidem pluribus combustis libris, melioribus ut creditur reser-
vatis, membranas et registra ab antiquo reservata igni sub-
jecerunt, psallentes et laudantes clamore valido Te deum lau-
damus, pulsatisque campanis quasi pro mortuis, sperantes se
jam habere omnium tribulationum finem, cum tamen primo
initium deo justo judice permittente sumserunt.
336) Cron. idem. M. Johannes Hus et D. Zdislaus de Zwieretic
cum sibi adhaerentibus appellaverunt; quorum appellationi non
deferens, omnes appellantes cum adhaerentibus Zbynko archi-
episcopus excommunicavit cum omnibus, qui libros non repo-
suerunt. Ein Originalexemplar des Bannſpruchs vom 18 Juli
1410 befindet ſich im Wittingauer Archive.
337) Si letopisom (in Scriptt. rer. Boh. III, 12, 13). To byla
welikä bürka a ruoznice. Nekteri prawili, ze jest mnoho jinych
kneh späleno, nezli Wiklefowych; a proto se lide bürili w
ty &asy, a najwiece kralowi dworane na kanowniky a na knöZie,
a s nimi obeen® wsickni lide w Praze. Neb jedni drzeli s ka-
nowniky a druzi s M. Husi, takze mezi sebü pisne hanèiwe
sklädali jedni o druhych etc.
Heftige Gährung in Prag. 253
feitig noch mehr erbitterten, und deshalb ſehr bald zu 1410
Thätlichkeiten übergingen. Denn ſchon als am 22 Juli 22 Juli
der Erzbiſchof, von etwa 40 Geiſtlichen und Clerikern um—
geben, den Bannſpruch in der Kirche feierlich erneuern
wollte, zwang ihn ein offener Aufruhr in derſelben ſich zu—
rückzuziehen; und an demſelben Tage wurde ein Prediger
in der Kirche zu St. Stephan in der Neuſtadt aus glei—
chem Anlaß von ſechs bewaffneten Männern überfallen und
beinahe umgebracht.“? Die Gegenpartei ließ es an Ne
preſſalien nicht fehlen: kam irgend ein bekannter Huſſit in
die Nähe der Domkirche, ſo ergriffen ihn die zahlreichen
Cleriker, ſchleppten ihn in ihre Gemeinſtube, und prügelten
ihn unbarmherzig durch.“? Obgleich K. Wenzel, gleich
allen feinen Hofleuten, dem Erzbiſchof und deſſen Gapitel
jetzt feindlich geſinnt war, ſo erkannte er doch die Noth—
wendigkeit kräftigen Einſchreitens, um noch größeres Unheil
zu verhüten; er verbot jede fernere Aufreizung, insbeſon—
dere das Singen von Spottliedern, unter Todesſtrafe;““
aber auch den kirchlichen Bannſtrahlen ſollte keine Folge
mehr gegeben werden, und dem Erzbiſchof wurde aufge—
tragen, die Eigenthümer der verbrannten Bücher für die
erlittenen Verluſte zu entſchädigen. Als er ſich deſſen wei—
gerte, befahl der König, ihm eben ſo, wie andern Geiſt—
lichen, welche an der Bücherverbrennung und Excommuni—
cation mit Rath und That Theil genommen, ihre Ein—
künfte zu fperren. 3
338) Chron. univers. Prag. L. c. erzählt das und ſchließt mit den
Worten: Hic timor prostravit omnes plebanos, quod peram-
plius ab excommunicatione — cessaverunt.
339) Start letopisomwe I. c.
340) Stephani prior. Cartus. Antihussus in Bern, Pez Thes. anec
dot. tom. IV, parte II, pag. 417 sqq.
341) Chron. universü. Prag. Post combustionem librorum et excom-
municationem appellantium et libros non reponentium rex Wen-
ceslaus arrestavit census clericorum.
254 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1410 Das Benehmen des M. Hus in dieſen ſtürmiſchen
Tagen läßt ſich von ſeinem eigenen Standpunct aus leich—
ter erklären, als rechtfertigen. Daß ſein Eifer gegen die
Verdorbenheit des Clerus eben ſo wohl begründet als gut
gemeint geweſen, darf man nickt bezweifeln; aber es iſt
nicht minder wahr, daß ſeine Lehre den geſammten Bau
der Kirche zu untergraben drohte. Indem er fortfuhr, die
Mißbräuche und Fehltritte der kirchlichen Oberen einer öf—
fentlichen Rüge zu unterziehen, vergaß er gar leicht, daß
Beſcheidenheit und Gehorſam gleichfalls unter die chriſt—
lichen Tugenden gehören; und während er ſo die Ge—
brechen der Hierarchie vor dem Volke aufdeckte, bedachte
er nicht, daß er an der Vernichtung einer Auctorität ar—
beitete, deren fortgeſetzte Überlieferung für den Beſtand
der römiſchen Kirche weſentlich war. Als er daher in
einer während dieſer Tage gehaltenen Predigt ſeinen Zu—
hörern erklärte, wie er dem ihm zugekommenen Befehle,
nicht mehr zu predigen, nicht folgen könne, indem er Gott
mehr als den Menſchen gehorchen müſſe; als er den zwiſchen
ihm und den kirchlichen Auctoritäten erfolgten Bruch ſelbſt
als ſolchen bezeichnete, und die Zuhörer fragte, ob ſie ih m
beizuſtehen geſonnen ſeien? — und gleichwohl den Vor—
wurf, ſich vom Kirchenverbande getrennt zu haben, mit
Entrüſtung von ſich wies: ſo läßt ſich dieſer Widerſpruch
nur durch den Mangel an Orientirung erklären, indem die
Zeit noch nicht alle Conſequenzen ſeiner Lehre ans Tages—
licht gezogen hatte. Die von ihm und ſeinen Freunden
gegen Ende des Julimonats an der Univerſität zu Gun—
ſten Wiklefs gehaltenen öffentlichen Vorträge, in welchen
er den Tractat De winitate, M. Jacobell von Mies den
Dialogus, M. Prokop von Pilſen De ideis, M. Zdislaw
von Wartenberg und Zwiretic (aus dem Herrengeſchlechte
dieſes Namens) De universalibus realibus, M. Simon
von Tisnow De probatione propositionum, M. Johann
Huſſens Benehmen; er wird vom k. Hofe gefhätt. 255
von Siein De materia et forma u. f. w. gegen die Vor- 1410
würfe von Ketzerei vertheidigten, hatten für den ferneren
Gang der Ereigniſſe keine Bedeutung.“
Es waren in denſelben Tagen zwei Doctoren von
Bologna als päpſtliche Nuntien in Prag angekommen, und
hatten von Johann XXIII Briefe an den König und an
die Univerſität mitgebracht, in welchen der neue Papſt ihnen
ſeine am 17 Mai erfolgte Erhebung bekannt machte, und
die Nuntien bevollmächtigte, auch über einige Kirchen—
angelegenheiten zu verhandeln. An dieſe wendeten ſich
daher der König, die Königin und viele böhmiſchen Großen
mit der Bitte um Zurücknahme und Aufhebung der oft
erwähnten Bulle Alexanders V. Als dieſelben am 16 Sept.
ihre Rückreiſe antraten, gab ihnen der König ein Geleite
und eigenhändige Briefe an den Papſt und an die Car—
dinäle mit. Er beſchwerte ſich darin in ziemlich heftigen
Ausdrücken über das Verbot, daß außerhalb der Stifts—
und Pfarrkirchen nirgends mehr gepredigt werden ſollte.“
342) Die Mehrzahl dieſer Vorträge hat ſich in einer Handſchrift der
k. k. Hofbibliothek (Nr. 4002, vom J. 1412) erhalten. Der
von der Univerſität über dieſe Arte ergangene öffentliche An—
ſchlag iſt in das oft genannte Chronicon universit. Prag. auf—
genommen worden. Nach der Invectiva contra Hussitas MS.
ſoll einer der Defendenten mit dem von ihm vertheidigten
Buche, zur Ergötzung ſeiner Zuhörer, folgendes drollige Ge—
ſpräch geführt haben: »Die, quaeso, mi tractatule, ob quam
condemmatus es causam? num propter avaritiam, simoniam,
luxuriam aut superbiam, quam in clero arguebas’?« Et mox
huic stultae quaestioni propriam subjungendo responsionem,
ajebat: »Certe non in me hoc, sed dialogo et trialogo conti-
netur libris; — et plures huic similes quaestiones et solu-
tiones stultas, blasphemas et derisorias vomuit.
343) »Praefata jubet sententia, quod libri singuli M. Johannis Wiklef
comburantur, — causam sed falsam subjicientes, quia in regno
Bohemiae et in eivitate Pragensi multorum corda ex eis hae-
resi sunt infecta. O quam detractione perfida nostrum regnum
16 Sept.
256 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1410 Auch Königin Sophie verwendete ſich mit Eifer für die
Aufrechthaltung der Privilegien der Bethlehemscapelle; “
und der Oberſtburggraf Lacek von Krawar ſtellte in feinem
Schreiben insbeſondere die Nachtheile vor, wenn jener
Bulle zufolge fortan auf keiner Burg, in keinem Feldlager
mehr gepredigt werden dürfte. Da auch viele andere Ba—
rone, ſo wie die Magiſtrate der drei Prager Städte, mit
gleicher Bitte ſich an den Papſt gewendet hatten, ſo zwei—
felte man nicht an dem Erfolg derfelben.
Alle dieſe Bemühungen hatte jedoch der Erzbiſchof im
voraus vereitelt, indem er der von Hus eingelegten Ap—
pellation ſchon vor Ende Juni ſeinerſeits auch eine Ge—
ſandtſchaft an Johann XXIII nach Bologna hatte folgen,
ihn über den Stand der Dinge unterrichten und den Ap—
pellanten als den eigentlichen Urheber alles Übels bezeich—
nen laſſen. Der Papſt trug dem Cardinal Otto von Co—
lonna (dem nachmaligen Papſt Martin V) die Unterſuchung
und Entſcheidung des Proceſſes auf, und dieſer fällte (trotz
dem, daß die Univerſität von Bologna die Verbrennung
der Bücher Wiklefs mißbilligte s“) feinen Spruch ſchon am
hoc dicto offenditur et sine demerito aemulorum invidia la-
ceratur! Quapropter Vestram in domino hortamur Sanctita-
tem, quatenus hujusmodi praetensam dignaretur tollere sen-
tentiam, ut verbum dei praedicetur libere, honor servetur nostri
regni, et perfidi aemuli, nisi probaverint, meritorie castigentur.«
344) »Pro singulari Vestram Sanctitatem humillime rogamus gratia,
quatenus capellam Bethlehem, quam nobis et nostris regnicolis
ad audiendum verbum dei reputamus perutilem, confirmare
perpetuis temporibus dignaretur. Vestrae enim Sanctitati hoc
scribimus pro primariis precibus, cupientes certitudinaliter ex-
audiri« etc. Beide Briefe, des Königs und der Königin, find
neben andern Briefen gleichen Inhalts in der Handſchrift der
k. k. Hofbibliothek Nr. 4902 erhalten worden.
345) Vgl. Monum. histor. universit. Prag. tom. III, pag. 428.
M. Hus vor die römiſche Curie geladen. 257
25 Auguſt dahin,“ daß das ganze Verfahren des Erz
1410
biſchofs beftätigt, ihm darin fortzufahren befohlen, M. Hus Aug.
aber vorgeladen wurde, innerhalb beſtimmter Friſt perſön-
lich am päpſtlichen Hofe zu erſcheinen und ſich daſelbſt zu
verantworten. |
Als die Nachricht von dieſer Entſcheidung nach Prag
gelangte und dem Erzbiſchof den Muth gab, am 24 Sep—
tember zur Aggravation ſeines Strafurtheils zu ſchreiten,
vermehrte dies noch die ſchon ſeit lange beſtehende Aufregung
und Erbitterung. Huſſens zahlreiche Freunde wollten von
deſſen Reiſe an den römiſchen Hof nichts hören. ug:
beſondere nahm ſich die Königin Sophie alſogleich ihres
Beichtvaters an, damit er von der Nothwendigkeit, ſich
perſönlich zu ſtellen, entbunden werde; denn bei dem in
vielen deutſchen Ländern gegen ihn rege gewordenen Haſſe
beſorgten ſeine Landsleute, daß er ſeinen erbitterten Feinden
unterwegs in die Hände fallen, und nicht lebend bis nach
Bologna gelangen würde. Auch K. Wenzel fühlte ſich
durch dieſe über ſein Land ergangenen neuen Cenſuren em—
pfindlich verletzt. Er äußerte daher in einem am 30 Sept.
neuerdings dem Papſte geſchriebenen Briefe ſein Befrem—
den darüber, und verlangte um ſo mehr eine Aufhebung
des Proceſſes, als alle Klagen über vermeinte Ketzereien
in Böhmen eben fo unbegründet als ehrenrührig ſeien.
Den Streit über die verbrannten Bücher wolle er zur Ruhe
bringen, verlange aber, daß die Rechte der Bethlehems—
capelle unangetaſtet bleiben, und die perſönliche Vorladung
des M. Hus zurückgenommen werde; denn es ſei dem
Staate nicht zuträglich, einen ſo erſprießlich wirkenden Pre—
diger ſeinen Feinden Preis zu geben und ein ganzes Volk
in Unruhe zu verſetzen; habe Jemand gegen ihn zu klagen,
346) Wir haben dieſen noch unbekannten Spruch in einer (nicht
ſignirten) gleichzeitigen Handſchrift * Prager Domcapitels
aufgefunden.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 17
24 Sept.
30 Sept.
258 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1410 fo ſolle er dies vor der Prager Univerſität oder einem
andern competenten Richter innerhalb des Landes thun.“
Mit dieſem Briefe ſandte er den Dr. Johann Nas und
347) Da dieſer, zufolge der Unterſchrift (Rex per sec), vom Kö—
nige unmittelbar herrührende Brief, ſowohl für den Stand
der Dinge, als für die Geſinnung des Königs bezeichnend iſt,
ſo ſetzen wir ihn ganz hieher: Post recommendationem humi-
lem, Sanctitati reverentiam debitam exhibere. Pater beatis-
sime! Pridem Sanct. Vestrae direximus literas, sublationem
cujusdam praetensae sententiae, quae honori nostro derogat,
postulantes; et ecce tempore medio quidam novi processus
pro dicta in parte confirmanda sententia cum eitatione perso-
nali M. Johannis Hus, s. theol. baccalaurei formati, capellani
nostri fidelis devoti dilecti, ad inquietationem nostram et regni
nostri nescimus quomodo emanarunt; etiam ut audimus, parti
postulanti audientiam, ipsa penitus non admissa. Quapropter
Sanct. Vestrae ex animo supplicamus, quatenus dignetur pro-
cessus hujusmodi cum sententia tollere, et partes contenden-
tium ad perpetuum silentium revocare. Volumus etenim, quod
lis ratione librorum exorta sopiatur totaliter, ut cesset in nostro
regno disturbium, quod pati nolumus, cum procurante omni-
potenti domino, ratione librorum hujusmodi nullus noster re-
gnicola in errore vel haeresi est compertus. Volumus etiam,
quod capella Bethlehem, quam pro honore dei et salute po-
puli, pro praedicatione evangelii libertavimus, in suo stet vi-
gore et confirmetur, sic quod ejus collatores jure collationis
non priventur, et M. Johannes Hus, capellanus noster fidelis
devotus dilectus, ad eandem capellam confirmatus, pacifice
praedicet verbum dei. Ceterum volumus, pater beatissime!
quod citatio personalis ejusdem magistri cassetur; et si quis
voluerit ei aliquid objicere, in regno nostro objieiat, coram
Universitate studii Pragensis vel judice alio competente. Nam
nostro regno non congruit, virum in praedicatione tam utilem
in inimicorum discrimen exponere et totam multitudinem po-
puli conturbare. De his autem et aliis honorabiles viri Dr.
Naso et Mr. Joh. Cardinalis, fideles nostri devoti dilecti, Sanct,
Vestrae clementiam plenius informabunt. Dat. Pragae, 30 mensis
Sept. etc. (MS. Nr. 4902 der k. k. Hofbibliothek.)
M. Hus vor die römische Curie geladen. 259
den Mr. Johann Cardinal von Reinſtein zu Johann XXIII, 1410
und gab ihnen auch den Auftrag, dahin zu arbeiten, daß
zu Beilegung ſämmtlicher Streitigkeiten ein päpſtlicher Legat
auf Koſten des Königs nach Böhmen komme. Dem
Dr. Nas, den der Papſt perſönlich kannte, befahl er, Letz—
terem noch überdies zu ſagen, daß er nur aus Achtung
vor ihm ſich enthalte, die verdiente Züchtigung der Unruh—
ſtifter und Verläumder ſeines Volkes ſelbſt vorzunehmen.
Dann ſchrieb er auch an den Cardinal Otto von Colonna,
und lud ihn ein, ſich nach Prag zu begeben, um an Ort
und Stelle eine eigene Anſicht von der Lage der Dinge
ſich zu bilden.“ M. Hus aber fertigte zu gleicher Zeit
ſeinen Freund, M. Johann von Jeſenic, nebſt zwei andern
Theologen, als ſeine Sachwalter an den päpſtlichen Hof
ab, um ihn bei Führung des Proceſſes zu vertreten.
Das Gewicht dieſer Scenen, der Anfänge und Vor—
boten eines noch ungewohnten großen Kampfes um In—
tereſſen des Geiſtes und der Gedanken, drängte im öffent—
lichen Leben Böhmens ſchon jetzt alle gleichzeitigen politiſchen
Ereigniſſe gleichſam in den Hintergrund. Über dem kirch—
lichen und gelehrten Streit erregte der inzwiſchen am 18
Mai 1410 erfolgte Tod des Gegenkönigs Ruprecht, und
die unter den Kurfürſten verhandelte Frage, ob und wer
als ſein Nachfolger zu wählen ſei, nur geringe Aufmerk—
ſamkeit in Prag. Darüber waren jetzt in Deutſchland alle
Stimmen einig, daß nur ein Mitglied des Hauſes Luxen—
348) In dieſem Briefe heißt es: Quia a Nicolao regni nostri Bo-
hemiae protonotario, nostro fidelissimo consiliario, et ab honor.
viro Johanne Naso utriusque juris doctore, nobis dilectis, sumus
informati multiplictier, quod Vestra Paternitas nobis suis af-
ſectibus sit singulariter inclinata: ideo ipsam hortamur, exau-
diri utique sperantes, quod propter honoris nostri et Lotius
regni nostri quietem et commodum, processus hujusmodi cas-
sare dignabitur ete.
7 *
4
—
260 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1410 burg römiſcher König ſein ſollte. Solche gab es nur noch
drei, die letzten ihres Stammes: K. Wenzel, K. Sigmund
von Ungarn und Markgraf Joſt von Mähren; und ſon—
derbar! bevor das Jahr 1410 zu Ende ging, ſchmückten
ſchon alle drei zugleich ſich mit den Titeln der Cäſaren.
Da Böhmen, Brandenburg und Sachſen Ruprecht gar
nicht als König anerkannt hatten, ſo konnte bei ihnen von
der Erledigung des römiſchen Reichs und von einer neuen
Wahl gar nicht die Rede ſein; die übrigen vier Kurfürſten
waren aber unter einander ſchon deshalb uneinig, weil
Pfalz und Trier noch immer Gregor XII anhingen, wäh—
rend Mainz und Köln das Piſaner Concilium und deſſen
Päpſte anerkannt hatten. Die damals noch fortdauernde
gleiche Anhänglichkeit Sigmunds an Gregor XII beſtimmte
die gleichgeſinnten zwei Kurfürſten, ihm ihre Stimme an—
zutragen; wogegen die anderen zwei, wollten ſie nicht zu
Wenzels Gehorſam zurückkehren, ſich nothwendig zu Markgraf
Joſt hinneigen mußten. Beide, ſowohl Joſt als Sigmund,
ſuchten die Wahl auf ſich zu lenken; beide ſtritten ſich um
die Kurſtimme von Brandenburg. Als K. Wenzel merkte,
daß eine neue Wahl nicht zu hindern ſei, verſtändigte er
ſich mit dem Markgrafen, und verſprach ihm auch ſeine
Stimme zu geben, wenn Joſt dabei ihn als älteren römi—
ſchen König und künftigen Kaiſer anerkennen wollte. Joſt
willigte in die Bedingung ein, und gewann mit der Kur—
ſtimme Böhmens zugleich auch die von Sachſen. Nach
langen Umtrieben beſchloß Sigmunds Partei, ihren Geg—
nern zuvorzukommen, und wählte ihren Candidaten auf
dem Kirchhofe zu Frankfurt am 20 Sept. 1410 mit nur
drei Stimmen, indem Sigmund durch ſeinen Bevollmäch—
tigten, den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, ſich die
brandenburgiſche Stimme ſelbſt geben ließ. Am 1 Octo—
ber darauf wurde aber von allen übrigen Kurſtimmen in
derſelben Stadt wieder Joſt als römiſcher König gewählt.
Drei römiſche Könige. Joſtens Tod. 261
So erlebte die damalige Welt das vorhin und nach—
her nimmermehr geſehene Schauſpiel von drei römiſchen
Päpſten und drei römiſchen Königen zugleich! Bis zu die—
ſem Zerrbilde mußte Karls des Großen einſt fruchtbare
Idee von dem einigen Papſt und Kaiſer in der Chriſten—
heit — dieſe Grundidee des chriſtlichen Mittelalters — ſich
verirren, um ſich ihres letzten Zaubers zu entkleiden und
die Welt zu überzeugen, daß ſie ſich endlich überlebt hatte,
und daß die Fortſchritte des Zeitgeiſtes neue Schöpfungen
forderten! In der That, tiefer als damals konnte das
Anſehen, ſo wie die Macht und Würde der genannten
Häupter der Chriſtenheit unmöglich mehr ſinken!
Lange beſtand dieſer Zuſtand freilich nicht, — denn
ſchon am 17 Januar 1411 ſtarb Joſt, vierthalb Monate
nach ſeiner Wahl, ohne noch die Krone getragen zu haben.
Man ſagte, es ſei ihm in einer Breiſpeiſe Gift beigebracht
worden, und der Unglückliche, den man dieſes Verbrechens
beſchuldigte, wurde nachher zu Böhmiſch-Brod in Gegen—
wart vieler königlichen Burggrafen und Abgeordneten böh—
miſcher Städte gefoltert und lebendig geviertheilt.“ Die
näheren Umſtände jenes unvermutheten Todes ſind jedoch
349) Breve chron. Boem. M. Anno dom. 1411, in die S. Antonii,
mortuus est D. Jodocus marchio Moraviae, cum quibusdam
pulveribus in pulmento cocto de pomis, ex inductione quorum-
dam, super quos fassus est unus, qui tortus est in Broda bo-
hemicali sabbato ante Invocavit coram consulibus Montis Chut-
nac, et de Grecz Reginae, Coloniensibus, Numburgensibus, de
Kurim, de Czaslavia et pluribus castellanis D. Regis, aliisque
quam pluribus fide dignis militibus et elientibus eircum Bro-
dam sedentibus, qui omnes praesentes fuerunt circa fassionem
illius nequam, qui fer. II post dominicam Invocavit, videl. 2a
die Martii, ibidem in Broda bohem. est in quatuor partes tal-
liatus, et partes illae sunt suspensae in valvis civitatis. Alter
vero nequam est rotatus in Tyn Horssoviensi fer. V ante do-
minicam Esto mihi.
1410
1411
17 San.
1411
262 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
der Nachwelt nicht überliefert worden. Da Joſt kinderlos
ſtarb, ſo wurden ſeine Vettern Wenzel und Sigmund die
einzigen Erben des reichen Nachlaſſes. Ob bei dem Un—
willen, den beide königlichen Brüder noch immer gegen
einander hegten, es darüber nicht zu einem Streite kam,
wiſſen wir nicht; denn die Zeitgenoſſen, nur mit dem kirch—
lichen Streit beſchäftigt, unterließen es, dieſe Vorgänge .
aufzuzeichnen. Die Gewalt der Dinge nöthigte aber beide
Könige, aus dem bisherigen Zuſtande herauszutreten, und
ſich gegenſeitig zu thätiger Freundſchaft oder Feindſchaft
zu entſcheiden. Da es dem Einen zu ſolcher Feindſchaft
an Thatkraft gebrach, der Andere aber auf friedlichem Wege
noch mehr zu erlangen hoffte, ſo boten ſie beide am Ende
die Hand zur Ausſöhnung. Joſtens Beſitzungen aber wur—
den in der Art getheilt, daß die Mark Brandenburg an
Sigmund, die Niederlauſitz aber und Mähren an König
Wenzel und an Böhmen zurückfielen. Sigmund verpfän⸗
dete Brandenburg alsbald, mit Wenzels Zuſtimmung, an
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg. Das Stamm—
land Luxenburg behielt der Gemahl der Eliſabeth von
Görlitz, Herzog Anton von Brabant aus dem Hauſe Bur—
gund, zu Pfand als böhmiſches Kronlehen.
Joſt war der letzte Markgraf von Mähren geweſen,
den, als ſolchen, die Geſchichte kennt; mit ſeinem Tode
ſchloß die Reihe dieſer beſonderen Herrſcher, und die Kö—
nige von Böhmen vereinigten fortan, wie die Herrſchaft,
ſo auch die Titel der Markgrafſchaft, mit denen des Haupt—
landes, bis auf den heutigen Tag. Schon zu Anfange
Februars 1411 erſchienen die mähriſchen Barone, Lacek
von Krawar, Hanus von Lichtenſtein, Wilhelm von Pern—
ſtein, Erhard von Kunſtat auf Skal, Erhard von Kunſtat
auf Kunſtat, Johann von Krawar auf Leipnik, Peter von
Krawar auf Straznic und andere, und leiſteten, im Namen
ihres Landes, dem Könige, als ihrem natürlichen Erbherrn,
Mährens Heimfall an die Krone. 263
die gewöhnliche Huldigung; worauf Letzterer durch einen
am 16 Februar ausgeſtellten Majeſtätsbrief alle alten Pri—
vilegien der Markgrafſchaft beſtätigte, und den bei ihm
vorzugsweiſe beliebten Herrn Lacek von Krawar, der feit
1408 ſchon die Amter eines oberſten Burggrafen zu Prag
und oberſten Landeshofmeiſters zugleich verſehen hatte, zum
mähriſchen Landeshauptmann beſtellte. Am 22 Februar
ertheilte Wenzel auch den Ständen der Niederlauſitz die
urkundliche Verſicherung, daß ſie von nun an nimmermehr
von der Krone getrennt und nie unter eine andere Herrſchaft,
als die des Königs von Böhmen, gebracht werden ſollen.
Der neue Landeshauptmann von Mähren, Herr Lacek
von Krawar, hatte ſich von jeher als Huſſens beſonderer
Freund und eifriger Anhänger ſeiner Lehre erwieſen. Bei
der Identität des Volkes in Böhmen und Mähren, hatten
huſſitiſche Regungen ſich bereits auch im letzteren Lande
verbreitet; durch den Herrn Lacek von Krawaf, und deſſen
gleichgeſinnten Bruder Peter auf Straznic, fanden ſie nicht
nur bei dem höheren Adel Mährens Eingang, ſondern ge—
wannen in Kurzem ſo ſehr die Oberhand, daß Mähren
bald (mit Ausnahme ſeiner erſten Städte, wo die Deut—
ſchen noch vorherrſchten) im Eifer für den Huſſitismus
ſelbſt Böhmen übertraf.
Die oben erzählte wiederholte Verwendung König
Wenzels, um Johann XXIII zur Niederſchlagung des
gegen Hus geführten Proceſſes zu vermögen, hatte fürs
Erſte keinen andern Erfolg, als daß der Papſt den
Proceß aus Colonna's Händen nahm,“ und anderen
Cardinälen anvertraute. Es wurde von Bologna nach
350) Colonna hatte noch im Februar 1411 Hus in den Kirchenbann
gethan: Idem D. Cardinalis commissarius, servatis servandis,
de mense Februarii anni 1411 eundem M. Joh. Hus contuma-
cem et non comparentem ac inobedientem in seriptis excom-
municavit et excommunicatum fecit denuntiari etc. (MS.)
1411
16 Febr.
1411
15 März
261 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
Prag berichtet, neue Geſandten des Erzbifchofs hätten es
ſich großes Geld koſten laſſen, um die Zurücknahme der
perſönlichen Vorladung Huffens zu hintertreiben. s'! Be—
dauern muß man, daß dem Wunſche des Königs, es möchte
ein Cardinal mit päpſtlicher Vollmacht zur Beilegung des
Kirchenſtreits nach Böhmen geſchickt werden, keine Folge
geleiſtet wurde. Hätte dieſe Sendung etwa den rechtſchaf—
fenen und aufgeklärten Florentiner Cardinal, Franz Zaba—
rella, getroffen, ſo hätte der beginnende Bruch vielleicht
noch geheilt werden können. Er und Cardinal Ludwig
Brancas waren die bedeutendſten Mitglieder der neuen
Commiſſion, welche Huſſens Proceß zu unterſuchen und zu
entſcheiden bekam. Zabarella ging darin mit großer Umſicht
und Mäßigung zu Werke: aber plötzlich wurde, aus un—
bekannter Veranlaſſung, das Geſchäft auch ſeinem Einfluß
entzogen, und dem Cardinal Brancas allein übergeben,
der trotz allen Bemühungen der Sachwalter Huſſens, es
gegen anderthalb Jahre lang liegen ließ, ohne Colonna's
Spruch zurückzunehmen oder zu beſtätigen. s'? So konnte
es geſchehen, daß in Folge jenes Spruchs in Prag noch
am 15 März 1411 Hus in allen Kirchen excommunicirt
wurde; nur der Pfarrer zu St. Michael auf der Altſtadt,
M. Chriſtann von Prachatic, und der damalige Hofpfarrer
bei St. Benedict weigerten ſich, den Bann in ihren Kirchen
verkündigen zu laſſen. 's Da indeß dieſe Excommunication
351) Chron. universü. Prag. MS. »Zdenko Longus canonicus et
Kunczo doctor, equos, scyphos et annulos papae Johanni de-
derunt Bononiae, et etiam dominis cardinali de Ursinis et car-
dinali de Columna publice annulos pretiosos donaverunt, ut
appellantes pro libris non audirentur, nec citatio relaxaretur
M. Johannis Hus; procuratoribus ac adyocatis solarium etiam
copiosum dederunt« ete.
52) Opp. Huss. I, pag. 1 er 110. Vgl. ebendaſelbſt pag. 416.
353) Breve chron. boem. MS. »Die dominico, quo canitur Oculi,
videlicet XV die Martii, denuntiatus est M. Johannes Hus in
Huſſens Proceß. Wenzels Streit mit d. Clerus. 265
keinen Eindruck machte, und auch die dem Erzbiſchof und 1411
einigen Geiſtlichen auf Befehl des Königs vom Prager
Magiſtrate entzogenen Einkünfte und Güter nach den an
den Letztern ergangenen Mahnungen nicht zurückgeſtellt wur—
den: ſo entſchloß ſich der Erzbiſchof, nach dem Antrag ſeiner
geiſtlichen Räthe, die ganze Stadt Prag mit dem Inter—
dict zu belegen. 3%
Dieſes conſequent ſtrenge Verfahren mag in den Kirchen—
geſetzen vollkommen begründet geweſen ſein: doch war es
jedenfalls ſchon aus dem Grunde weniger erfolgreich, weil
es an Mitteln gebrach, die Vollziehung der kirchlichen De—
crete zu ſichern; unter den damaligen Umſtänden konnte
der Streit dadurch nicht beſeitigt, ſondern mußte nur noch
vermehrt und verbittert werden. Ein offener Krieg der
weltlichen mit der geiſtlichen Macht in Böhmen war die
Folge davon. König Wenzel fühlte ſich dadurch perſönlich
gereizt, und ergriff um ſo ſchärfere Maßregeln gegen den
Erzbiſchof und die Prager Pfarrer; mehre der Letzteren
wurden aus der Stadt und dem Lande verbannt, andere
ausgeplündert. 9 Am 6 Mai kam er ſelbſt unerwartet 6 Mai
in die Domkirche, rief die Domherren zu ſich und ließ ſich
von ihnen alle Kirchenſchätze vorweiſen; dann befahl er
dem Karlſteiner Burggrafen Kunes von Olbramowiec und
omnibus ecclesiis Pragae, praeterquam in ecclesiis S. Michae-
lis et S. Benedieti majoris civitatis Pragensis.« Mit dieſem
Datum ſchließt dieſes von uns oft angeführte, mit dem J. 1344
beginnende Breve chronicon Boemiae, in einer Handſchrift der
Leipziger Univerſitätsbibliothek.
354) Chronicon universitatis Pragensis l. c.
355) Anuo etc. XI rex Wenceslaus Boemiae coepit agere contra
archiepiscopum et canonicos, spoliare et expellere, ex infor-
matione et praedicatione Hus, immediate post ostensionem re-
liquiarum in Praga; ubi plebani S. Aegidii et S. Nicolai magna
damna perceperunt, et etiam alii plures sacerdotes. Nota coaeva
in cod. MS. archivi Trebon. A. 10.
1411
5 Juni
266 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
den Prager Rathsherren, dieſelben nach Karlſtein abzu—
führen, — wahrſcheinlich um zu verhüten, daß der Erz—
biſchof nicht, wie im gleichen Streite vor zwei Jahren, ſich
dieſer Schätze wieder bemächtige, und ſie, wie damals,
nach Raudnic übertrage. So wurden dieſe Schätze am
7 Mai in Karlſtein untergebracht. 3° Für Wenzels pers
ſönlichen Ernſt in dieſen Angelegenheiten ſpricht auch der
ſeltene Umſtand, daß er am 5 Juni einmal im oberſten
Landesgerichtshofe präſidirte und von den zahlreich ver—
ſammelten Baronen das Geſetz faſſen ließ, daß Niemand
es wagen dürfe, irgend Jemanden in einer weltlichen An—
gelegenheit vor ein geiſtliches Gericht zu laden; wer es
dennoch thue, deſſen Beneficium oder Einkünfte ſollten von
den königlichen Beamten auf ſo lange in Beſchlag genom—
men werden, bis dem gekränkten Theile volle Entſchädigung
geleiſtet ſei.?? Der beſondere Anlaß zu dieſem Geſetze
iſt uns nicht bekannt.
Endlich im Sommer 1411 ſchien der trübe Zuſtand
der böhmiſchen Kirche ſich wieder aufheitern zu wollen;
Erzbiſchof Zbynek erwies ſich nachgiebiger, indem er die
Fruchtloſigkeit des von huſſitiſchen Geiſtlichen unzähligemal
gebrochenen Interdicts einſah, und ſich auch überzeugte,
daß er jetzt bei Johann XXIII keine Unterſtützung zu ge—
wärtigen habe. Es gab allerdings mehre Gründe, welche
den Papſt bewogen haben können, gegen K. Wenzel Nach—
ſicht zu üben. Dahin gehörte der Umſtand, daß nach Jo—
ſtens Tode K. Sigmund die gewiſſe Ausſicht erhielt, eini—
ger römiſcher König zu werden; er, der ſeine fortwährende
Anhänglichkeit an Gregor XII noch am 5 Auguſt 1410 ur⸗
356) Bohuslai Balbini Epitome historica regni Bohemiae, pag. 421
(nach einer gleichzeitigen Handfchrift). Stari letopisowé in
Seriptt. rer. Boh. III, pag. 13, num. 38.
357) Archiv Cesky II, 376 s.
Wenzels Ausſöhnung mit Sigmund u. d. Clerus. 267
kundlich zugeſichert hatte.? Wenn Johann auch nicht be- 1411
ſorgen mochte, daß ſein aus Anlaß des Hus'ſchen Proceſ—
ſes etwa erfolgender Bruch mit Wenzel, Letzteren wieder
auf Gregors XII Seite zurück treiben könnte, ſo ſah er
doch ein, wie wichtig es war, Sigmund für ſeine Obedienz
zu gewinnen, und wie ſehr ihm Wenzel dazu behilflich ſein
konnte. Es unterliegt eben ſo wenig einem Zweifel, daß
in den damals zur Ausſöhnung Sigmunds mit Wenzel
eingeleiteten Unterhandlungen auch jene Obedienz mit zur
Sprache gebracht wurde, als es gewiß iſt, daß auch Sig—
mund ſchon damals zur Beilegung der böhmiſchen Kirchen—
ſtreitigkeiten beitrug; wie denn Wenzel zu gleicher Zeit
und unter Vermittlung derſelben Perſonen ſowohl mit ſei—
nem Bruder als mit dem Erzbiſchof und dem Clerus feines
Reichs ausgeſöhnt wurde. Darum wäre auch die Ver—
muthung nicht ungegründet, daß Johann XXIII ſelbſt den
Erzbiſchof Zbynek zu einiger Nachgiebigkeit mitveranlaßt
habe.““
Die völlige Ausſöhnung der beiden königlichen Brüder
des Hauſes Luxenburg kam in Prag erft zu Ende Juni 360
1411, vorzüglich durch die Verwendung des tapferen Gra—
358) S. Wenker Apparatus Archivorum pag. 302.
359) Wir nehmen keinen Anſtand, dieſe Vermuthung zu äußern,
trotz den Worten des Biſchofs Johann von Leitomysl bei Coch—
läus p. 35: tractare et compromittere non poterant, Sede apo-
stolica dissentiente. Schon damals kannte die Diplomatie den
Unterſchied zwiſchen ämtlichen und vertraulichen Mittheilungen,
zwiſchen offener Zurücknahme eines Veto und zwiſchen Ge—
ſchehenlaſſen durch Ignorirung ꝛc. Erzbiſchof Zbynef war aber
nicht der Mann, der gegen den Willen der Curie offen ge—
handelt hätte.
360) Die in Pelzels Urkk. Buche Nr. 229 gedruckte Urkunde Sig—
munds iſt zwar erſt vom 9 Juli datirt: der eigentliche Schluß
der Verhandlungen muß aber in Prag, daher um etwa 10
Tage früher, Statt gefunden haben.
1411
3 Suli
268 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
fen Stibor von Stiboric, Wojwoden von Siebenbürgen,
zu Stande. K. Wenzel verſprach, dem Bruder ſeine Stimme
zum römiſchen Reich ebenſo zu geben, wie er ſie vorhin
dem Markgrafen Joſt gegeben hatte; wogegen Sigmund
ſich verpflichtete, Wenzeln zur Erlangung der Kaiſerkrone
behilflich zu ſein und bei Lebzeiten desſelben nicht ſelbſt
nach ihr zu ſtreben; beide Brüder machten ſich anheiſchig,
die übrigen Kurfürſten zur Genehmigung dieſes Vertrags
zu ſtimmen, und auf jeden Fall dafür zu ſorgen, daß das
römiſche Reich ihrem Hauſe nicht entzogen werde. Die
Reichseinkünfte und die heimgefallenen Güter verſprach Sig—
mund mit Wenzel zu theilen, ihm die Reichskleinode auf
Lebenszeit zu überlaſſen, und ihn im Beſitze der Krone
Böhmen und der zu ihr gehörigen Lande zu Luxenburg,
Mähren, Schleſien und der Ober- und Nieder-Lauſitz nicht
zu kränken u. ſ. w. Hierauf wurde Sigmund am 21 Juli
1411 zu Frankfurt am Main nochmals einſtimmig zum
römiſchen Könige gewählt, und bekannte ſich fortan zur
Obedienz Papſt Johanns XXIII.
Der Ausſöhnung Wenzels mit ſeinem Bruder folgte,
wie geſagt, die Ausſöhnung mit dem Clerus ſeines Reichs
auf dem Fuße nach, indem ſchon am 3 Juli 1411 einer⸗
ſeits der Erzbiſchof mit ſeiner Geiſtlichkeit, anderſeits Hus
mit ſeinem Anhang, auf den König und deſſen Räthe, ferner
auf den Kurfürſten Rudolf von Sachſen, den Grafen Sti—
bor von Stiboric und den Herrn Lacek von Krawar uns
bedingt compromittirten. Durch dieſe, nämlich durch die
drei letztgenannten Herren, welche eben damals in Prag
ſich befanden, und die nachſtehenden Räthe des Königs:
Wenzel Patriarchen von Antiochien, Konrad Biſchof von
Olmütz, Sulek Propſt von Chotésau, Wenzel von Donin,
Bohus Landcomthur zu Manetin, Peter Zmrzlik von Swoj—
sin auf Worlik, kön. Münzmeiſter, und Nicolaus von
6 Juli Okor auf Wozic, wurde am 6 Juli folgender Spruch ge—
Wenzels Ausführung mit dem böhm. Clerus. 269
fällt: 1 Der Erzbiſchof ſoll vor dem Könige, als vor 1411
ſeinem Herrn, ſich demüthigen, und um deſſen Huld nach—
ſuchen; er ſoll ferner an den Papſt ſchreiben und melden,
daß er von Ketzereien und Irrthümern in Böhmen nichts
wiſſe, ee und wegen der mit M. Hus und andern Mit—
gliedern der Univerfität erhobenen Streitpuncte durch den
König und deſſen Räthe vollſtändig ausgeſöhnt ſei, wes—
halb dann alle am römiſchen Hofe begonnenen Proceſſe
aufzuhören hätten, alle Bannſprüche aufgehoben werden
ſollten; dagegen ſoll der König nach dem Rath der Bi—
ſchöfe, Doctoren, Magiſter, Prälaten, Fürſten und Herren
alle bei Weltlichen und Geiſtlichen auftauchenden Irrthü—
mer hindern und ſtrafen, alle eingezogenen Kirchenbeneficien
zurückſtellen und die deshalb Verhafteten wieder in Frei—
heit ſetzen laſſen; ferner ſoll man alle bisherigen Miß—
helligkeiten, Zwiſte und Kränkungen beiderſeits verzeihen
und vergeſſen, und dagegen vollkommene Ruhe und Ein—
tracht bewahren; endlich ſoll ſowohl der Clerus, als die
Univerſität und die Landesbarone, bei ihren hergebrachten
Rechten und Privilegien geſchützt und keine gegenſeitigen
Eingriffe in fremde Jurisdictionen geſtattet werden. Der
Erzbiſchof erkannte die bindende Kraft dieſes Spruchs an,
und that bei dem Könige alſogleich die nöthigen Schritte,
um ihn zu verſöhnen; das gebotene Schreiben an den
Papſt hielt er jedoch noch zurück, bis die übrigen Puncte
des Vertrags erfüllt ſein würden.
361) Gedruckt in Pelzels Urkk. Buche zu Wenceslaus, Nr. 222,
aus dem Original (in böhm. Sprache). Vgl. Opp. Huss. I,
pag. 111.
362) Der Erzbiſchof war nämlich von den Schiedsrichtern aufgefor—
dert worden, die Ketzereien des Hus ſchriftlich anzugeben, und
war hierauf von der Klage der Ketzerei gegen ihn abgeſtan—
den: recognovit in scripto, — quod nullum sciret errorem vel
haeresim in regno Bohemiae etc. Opp. Huss L. c. et pag. 419.
1411
1 Sept.
5 Sept.
270 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV. |
Diefer Vertrag gab ohne Zweifel die Veranlaſſung,
daß M. Johann Hus in einer großen Verſammlung der
Mitglieder der Univerſität im Karolin am 1 Sept. 1411
eine Art öffentliches Glaubensbekenntniß ablegte und an
den Papſt die Bitte richtete, ihn der Nothwendigkeit des
perſönlichen Erſcheinens am römiſchen Hofe zu entbinden.
Er betheuerte insbeſondere feierlich, man habe ihn vieler
falſchen Lehrſätze beſchuldigt, die er nie gelehrt, 's und habe
ihm Ereigniſſe zur Laſt gelegt, an denen er ganz unſchuldig
geweſen; auch erklärte er die Gründe ſeines Benehmens,
gleich wie ſeine Bereitwilligkeit, dem apoſtoliſchen Stuhle
zu gehorchen.
Dagegen glaubte der Erzbiſchof bald gegründete Kla—
gen über Verletzungen des geſchloſſenen Vertrags genug
zu haben, um ſeinerſeits der Nothwendigkeit ſich entziehen
zu können, den vertragsmäßigen Brief an den Papſt ab—
zuſenden. Da ſeine Stellung zum Könige, ungeachtet der
Ausſöhnung, nicht günſtiger geworden war, ſo faßte er
den Entſchluß, ſich an K. Sigmund zu wenden, und deſſen
Vermittelung anzuſprechen. Er ſchrieb darüber von Leito—
mysl aus am 5 Sept. an K. Wenzel einen Brief, in wel—
chem er ſeine Klagen und die Gründe ſeines Verfahrens
auseinander legte. Fünf Wochen lang, ſo ſchrieb er, habe
363) Fidenter, veraciter et constanter assero, quod a veritatis aemu-
lis sinistre Sedi Apostolicae sum delatus: false siquidem de-
tulerunt et deferunt, quod docuerim populum, quod in sacra-
mento altaris remanet substantia panis materialis; false, quod
quando elevatur hostia, tune est corpus Christi, et quando
ponitur, tune non est; false, quod sacerdos in peccato mortali
non conficit; false, quod domini a clero auferant temporalia,
quod decimas non solvant; false, quod indulgentiae nihil sunt;
false, quod gladio materiali suaserim clerum percutere« etc.
Das ganze Notariats:Inftrument über diefen Act iſt aus dem
im Prager Univerſitäts-Archiv noch vorhandenen Original ab—
gedruckt in Pelzels Urkk. Buch Nr. 230, pag. 144 fg.
Neue Klagen des Erzbiſchofs. 271
er in der Nähe des königlichen Hofes ſich aufgehalten, und 1411
alle Mittel vergebens angewendet, um nur einmal eine
Audienz bei Seiner Majeſtät zu erlangen, während die—
ſelbe doch feinen Feinden immer gewährt werde, jo oft fie -
darum nachſuchen. Er habe berichten wollen, wie wenig
ihm der Vertrag gehalten werde: denn es gebe abermals
Geiſtliche, welche offenbare Irrlehren und Schmähungen
der heiligen Kirche dem Volke predigten, und ihm werde
nicht gejtattet, feine Amtsgewalt gegen ſie auszuüben. So
habe neulich das Volk, und mit ihm auch einige Hofleute
des Königs, ſich in Waffen zuſammengerottet und zur Wehr
geſetzt, als er den Unfug des Prager Dompropſtes “ habe
ſtrafen wollen. Mehren Pfarrern, die ſich ihm gehorſam
erwieſen hätten, würden ihre Pfründen noch immer vor—
enthalten, andere ſeien dagegen neuerdings wieder geplün—
dert worden. Schmähzettel gegen ihn, den Erzbifchof,
würden nach wie vor ungehindert öffentlich angeſchlagen
und verbreitet; auch erſännen ſeine Gegner täglich neue
Mittel, den König gegen ihn aufzureizen, wie z. B. durch
Verbreitung falſcher päpſtlicher Interdictbriefe über das
ganze Königreich, die er ſollte haben anſchlagen laſſen. Auch
ſei es ihm unmöglich, dem Papſte mit gutem Gewiſſen zu
ſchreiben, daß diejenigen Geiſtlichen, die das Interdict ge—
brochen, nicht geſündigt hätten. Da er unter dieſen Um—
ſtänden keine andere Hilfe vor ſich ſehe, ſo habe er ſich
entſchloſſen, nach Ungarn zu dem Bruder Sr. Majeſtät
zu gehen, und ihn zu bitten, daß er ſich ſeiner annehme,
und ihm die Gnade Sr. Majeſtät wieder zu gewinnen
helfe. Schließlich bat er den König, ihm dieſen Schritt
364) Prager Dompropſt in den Jahren 1399 — 1423 war Georg von
Janowic, aus dem böhmiſchen Herrengeſchlechte dieſes Na—
mens, wahrſcheinlich ein Sohn des im J. 1397 auf dem Karl:
ſtein ermordeten königlichen Günſtlings Burkhard Strnad von
Janowic. Was dieſer Propſt verbrochen, iſt uns nicht bekannt.
1411
28 Sept.
272 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
nicht zu verdenken, und ſeinem Clerus diejenige Huld wie—
der zu ſchenken, die er von feinem Vater Kaiſer Karl IV
ſeligen Andenkens erblich überkommen habe, damit man
ihm fortan um fo eifriger dienen und für ihn zu Gptt
beten könne. ““
Als Zbynek dieſes ſchrieb, ahnete er wohl kaum, daß
es ihm nicht beſchieden war, irgend eine Hilfe hienieden
mehr zu finden. Denn ſchon unterwegs in Mähren ver:
fiel er in eine ſchwere Krankheit, die ſeinem Leben endlich
in Preßburg am 28 Sept. 1411 ein frühes Ziel ſetzte,
noch bevor er zu Sigmund hatte gelangen können. Sein
Leichnam wurde nach Prag zurückgebracht und hier unter
vieler Trauer feierlich beigeſetzt. In der That ſprach ſich
bei ſeinem Tode eine allgemeinere Theilnahme aus, als
man erwartet hatte: denn auch ſeine Gegner gaben ihm
das Zeugniß eines untadelhaften Lebenswandels und guten
Willens; Hus ſelbſt verhehlte ſeine perſönliche Hochachtung
für ihn niemals, und bedauerte nur ſeinen Mangel an ge—
lehrter Bildung und eigener Einſicht in die Bedeutung der
damaligen Streitfragen, welcher ihn von der Leitung min—
der ehrwürdiger Rathgeber abhängig gemacht habe. “s
365) Wir haben dieſen böhmiſch geſchriebenen Brief, nach einer
gleichzeitigen Copie im Wittingauer Archive, im Casopis Cesk.
Museum, 1830, I, 91, und Archiv Cesky III,. 292 abdrucken laſſen.
366) Sey ſiani prioris Carthus. Dolan. Antihussus in B. Pez Thesauro
anecdot. tom IV, parte II, pag. 418 sq. et apud Cochlacum
pag. 20. »Qui reverendus pater (Zbynko) etsi aetate satis ju-
venis, morum tamen honestate canus et gravis, — pro tem-
poris congruenia furori cedens persequentium, affectus non
confectus taedio, — dimissa sui episcopatus pontiſicali cathe-
dra, exivit de terra et dioecesi propria Bohemia, et peregrinus
ellectus, peragrata terra Moraviae, ut venisset in Hungariam,
visitaturus — regem Sigismundum, antequam ad illius per-
venisset conspectum, pracoccupatus et visitatus prior ipse di-
vina providentia, ut sui certaminis optimae retributionis reci-
Tod des Erzb. Zbynek u. Wahl d. Albicus. 273
Zbynsks Nachfolger im Erzbisthum wurde Albicus von 1412
Unicow, Doctor der Rechte und der Medicin und Ma—
giſter der freien Künſte, König Wenzels Leibarzt und Schrift—
ſteller im mediciniſchen Fache, ein damals ſchon bejahrter
Mann. Es hatte zwar Johann XXIII die Beſetzung des
Prager erzbiſchöflichen Stuhles nach Zbynéks Tode ſich
ſelbſt vorbehalten: gleichwohl war das Capitel zu der be—
ſagten Wahl geſchritten, und der Papſt ließ ſich dann auch
bewegen, dieſelbe am 25 Januar 1412 gutzuheißen. Es
gab Stimmen, die da behaupteten, Albicus habe ſich die
Wahl und die Confirmation viel Geld koſten laſſen, da er
ſehr reich geweſen ſei: es iſt aber geſtattet, dieſe Angabe
wenigſtens um des Capitels wegen in Zweifel zu ziehen,
da dem Letzteren jetzt viel daran lag, einen bei dem Kö—
nige gern geſehenen Erzbiſchof zu bekommen, und Albicus
in dieſer Hinſicht vor Andern dazu ſich eignete, obgleich er
bis dahin nur die niederen Weihen erhalten hatte. Der
neue Erzbiſchof bewies aber, daß ihm an einer höheren Stel—
lung keineswegs viel gelegen war. Der Gemächlichkeit des
Privatlebens in hohem Alter entriſſen, in einen ungewohn—
ten Wirkungskreis eingetreten und den Stürmen einer tief
bewegten Zeit ausgeſetzt, fand er gar bald Urſache, ſich
wieder nach ſeiner früheren Ruhe zurückzuſehnen.
Kaum hatte nämlich Albicus von ſeinem Erzbisthum
Beſitz genommen, ſo brach, durch den Zuſammenſtoß der
neuen Lehren mit alten Gewohnheiten, ein noch heftigerer
Sturm als je zuvor, in der böhmiſchen Hauptſtadt los.
peret praemia, carnis soluto debito, — est mortuus.« Vgl.
Stari letopisowé pag. 13, 14. In letzterer Quelle wird ſein
Tod einem angeblich von ſeinem Koch erhaltenen Gift zuge—
ſchrieben, jedoch unter offenbarer Verwechslung mit der oben
erwähnten Vergiftung des Markgrafen Joſt. Wäre die An—
gabe bei Zbynék gegründet geweſen, fo hätte der jo gut un—
terrichtete Dolaner Prior fie gewiß nicht verſchwiegen.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 18
274 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1412 Johann XXIII war wohl am wenigſten geeignet und geſonnen,
die von der ganzen Chriſtenheit verlangte Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern zu unternehmen oder aus
zuführen. Um ſo thätiger erwies er ſich, als weltlicher
Fürſt, in den mannigfach verworrenen Händeln Italiens,
vorzüglich zur Hemmung der ehrgeizigen Pläne K. Ladis—
laws von Neapel, der nach nichts Geringerem, als der
Herrſchaft über ganz Italien ſtrebte, und überdies des ab—
geſetzten Gregor XII feſteſte Stütze bildete. Durch zwei
am 9 Sept. und 2 Dec. 1411 erlaffene Bullen ?67 befahl
Johann XXIII einen Kreuzzug gegen Ladislaw in allen
Ländern ſeiner Obedienz zu predigen, und verſprach darin
allen Gläubigen, die entweder in Perſon das Kreuz an—
nehmen, oder Bewaffnete ſtellen, oder aber Geldbeiträge
zur Führung des Krieges gegen ihn leiſten würden, die
gleiche Vergebung der Sünden, wie ſie den Kreuzfahrern
zur Befreiung des Grabes Chriſti von Alters her zuge—
ſichert worden war. Ein päpſtlicher Legat, der Paſſauer
Dechant Wenzel Tiem, brachte dieſe Bullen, zugleich mit
Mai dem Pallium für den Erzbiſchof Albicus, im Mai 1412
nach Prag. König und Erzbiſchof nahmen keinen Anſtand,
die Kundmachung derſelben und die Sammlung von Geld—
beiträgen zu dem angegebenen Zwecke zu geſtatten. Die
Kreuz- und Ablaßprediger traten daher öffentlich jedesmal
unter Trommelſchlag auf den Märkten auf, und ermahnten
das Volk zu Beiträgen, ſei es in Geld, ſei es in Waaren;
auch wurden drei Kaſſen ausgeſtellt, in der Domkirche, am
Teyn und auf dem Wysehrad, um die eingehenden Gelder
zu ſammeln. 36°
367) Abgedruckt in Opp. Huss. I, pag. 212 — 215.
368) Pelzel im Wenceslaus (II, 604, 607, nach einem gleichzeitigen
böhm. Volksliede). Letopisowé I. c. Hus läßt ſich darüber
in einem noch ungedruckten Aufſatze folgendermaßen verneh—
men: Videbatur mihi etiam ipsius cruciatae executio multum
Päpſtliche Kreuz- u. Ablaßbullen in Prag. 275
Dieſer Vorgang brachte in Prag neuerdings die tiefſte
Aufregung hervor. Hus und ſeine Anhänger fingen alſo—
gleich an, öffentlich von der Kanzel und der Katheder
herab dagegen zu eifern, das Verfahren des Papſtes als
unchriſtlich, und ihn ſelbſt als den leibhaften Antichriſt dar—
zuſtellen, deſſen Erſcheinung in den letzten Tagen der Welt
vorhergeſagt worden. Vergebens hatte der Erzbiſchof, bei
Kundmachung der Bullen, jeden Anſtoß dadurch in vor—
hinein zu beſeitigen geſucht, daß er verbot, das Volk in
der Beichte zu tariren; “e vergebens erhob ſich die theo—
logiſche Facultät unter ihrem damaligen Decan, Stephan
von Paleé, um darzuthun, daß die Verkündigung von Kreuz
und Ablaß zum Schutz der Kirche weder neu noch außer—
ordentlich ſei, und daß es den Gläubigen nicht zukomme,
ſich zu Richtern des Papſtes aufzuwerfen: Hus behauptete
laut, dieſer Ablaß ſei eitel Lug und Trug, und verkün—
digte, zu Vertheidigung ſeines Satzes, durch viele Mauer—
anſchläge in der Stadt, eine öffentliche Disputation dar—
über am 7 Juni im großen Karolinſaal an.““ Obgleich
disconveniens: 1) ex eo, quia (M. Wenceslaus Tiem) forma-
vit quosdam articulos, quos tradidit praedicatoribus ad publi-
candum, quos etiam articulos M. Stephanus Palecz dedit mihi
dicens, quod in ipsis continentur errores manu palpabiles;
2) ex eo, quod praefatus M. Wenceslaus conveniebat sub certis
pecuniis archidiaconatus, decanatus et ecclesias, sicut solet con-
venire pater familias domos vel tabernas tabernariis vel pin-
cernis; et conveniebat sacerdotibus ignaris, discolis, concubi-
nariis et lusoribus, qui multa commiserunt scandala, et popu-
lum taxarunt mirabiliter in confessionibus, ut pactatam con-
quirerent pecuniam et lucrum abundantius obtinerent ete. Vgl.
Opp. Huss. I, 283, 330.
369) Quod populus in confessionibus non taxetur — nach gleichzei—
tigen noch ungedruckten Streitſchriften.
370) Das Thema der Disputation war in folgende Worte gefaßt:
Utrum secundum legem Jesu Christi licet et expedit, pro ho-
nore dei et salute populi Christiani, et pro commodo regni,
18*
1412
7 Juni
276 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1412 die theologiſche Faeultät ſich dagegen erklärte und durch
zwei Mitglieder auch den Erzbiſchof, als Kanzler der Unis
verſität, aufforderte, dieſe Disputation nicht zuzulaſſen: ſo
kam dieſelbe dennoch, und zwar bei ſehr zahlreicher Ver—
ſammlung von Profeſſoren, Magiſtern und Studenten, und
darunter auch von Doctoren der Theologie, unter dem Vor—
ſitze des Univerſitätsrectors Marcus von Königgrätz, zu
Stande. Sie wurde, wie vorauszuſehen war, äußerſt ſtür—
miſch. Nachdem Hus ſich dagegen verwahrt hatte, daß er
weder für König Ladislaw oder Gregor XII Partei zu er—
greifen, noch die dem Papſt von Gott verliehene Gewalt
an ſich bekämpfen, ſondern nur einen Mißbrauch derſelben
hindern wolle, unterwarf er alle Clauſeln der Kreuzbullen
einer ſcharfen Kritik, ſuchte den Beweis zu führen, daß
der ſo verkündigte Ablaß, weil in der heil. Schrift nicht
begründet, auch keine Kraft haben könne, hob das Grau—
ſame hervor, das in der Aufforderung zum Blutvergießen
unter ſolchen Mitchriſten liege, die keine andere Schuld
treffe, als ihrem Könige CELadislaw) gehorſam zu fein, und
erinnerte an das Beiſpiel Chriſti, der ſeinen Jüngern ver—
boten habe, das Schwert zur Vertheidigung ſeiner eigenen
Perſon, wie viel weniger denn der Beſitzungen ſeiner Nach—
folger, zu ziehen. Er fand bei den Mitgliedern der theo—
logiſchen Facultät lebhaften Widerſpruch, die dagegen be—
haupteten, daß nicht alle althergebrachten Kirchengebräuche,
deren Grund in der heil. Schrift nicht unmittelbar nach—
zuweiſen iſt, deshalb als verwerflich zu gelten haben. Mag.
bullas papae de erectione crucis contra Ladislaum regem Apu-
liae et suos complices, Christi fidelibus approbare? Vgl. Opp.
Huss. I, 215— 237. Stari letopisowe pag. 15 sq. An letzterem
Orte lieſt man die lebendige Schilderung des ganzen Actes
von einem Augenzeugen, der gleichwohl darin irrt, daß er unter
Huſſens Opponenten auch den alten Doctor Wlk (Wolf, Bla-
sius Lupus) nennt, der ſchon im Auguſt 1410 geſtorben war.
Hus eifert gegen die Ablafbullen. 277
Hieronymus von Prag kam aber ſeinem Freunde zu Hilfe, 1412
indem er in langer feuriger Rede vorzüglich auf das Ge—
fühl der jüngeren Zuhörer einzuwirken ſuchte, und eine
Aufregung hervorbrachte, die der Univerſitätsrector kaum
mehr zu beſchwichtigen vermochte. Darum wurde auch von
den Studenten »die Ehre des Tages“ nicht dem gemeſſen
raiſonnirenden Hus, ſondern dem feurigen Redner zuge—
ſprochen, und dies durch eine gleichſam triumphirende Be—
gleitung desſelben bis zu ſeiner Wohnung bethätigt. 31
Dieſen Scenen folgte, zu Schmähung des Papſtes,
ein noch aufreizenderes öffentliches Schauſpiel. Einer der
königlichen Günſtlinge, Herr Wokſa von Waldſtein, ““ ver—
anſtaltete im Einverſtändniß mit M. Hieronymus von Prag
371) Hi letopisowe pag. 16: M. Jeronym — welmi dluho ree
swü rozsiril a wymluwn® wyprawowal. Az té reci zchopiw
se z sweho miesta a powstaw, a chtiese ihned jiti na rathus
pred konsely, chté pred nimi stäti o to, Ze jsü to falesnı od-
pustei. S nimz mnozstwie weliké studentöw wstalo a ji s
nim chtelo: a sotnü tühü Rector Universitatis to uklidi peknü
reti. Wsak M. Jeronym toto slowo k M. Markowi rete.Cesky:
»Slysisli M. Marku! Wsak ty za mé sweho hrdla nedäs, jat sam
za se swü siji dam. Po tomto slowu ihned zase wekeé la-
tinskü uderi: „Nonne S. Paulus dixit: Scio cui credidi, et
certus sum, quia potens est depositum meum servare in illum
diem? Kdyz pak bylo dokonäno to aktum, ten den mno-
hem wiece studentéw Slo za M. Jeronymem nez za M. Husı:
neb se jim libiese re&, kterüz jest na tom hädani u£inil.
372) Daß nicht Hieronymus von Prag (wie die bei Von der Hardt,
IV, 672 gedruckten Arxticuli etc. andeuten, und nach ihnen bis
jetzt alle Hiftorifer glaubten), ſondern der ſchon einmal ge:
nannte Herr Wok von Waldſtein, der Haupturheber und Leiter
des Aufzugs geweſen, geht aus den noch ungedruckten Klage:
artikeln hervor, welche hernach (1416) gegen K. Wenzel bei dem
Conſtanzer Concilium eingereicht wurden. (S. unten.) Hinſicht—
lich der Zeitangaben in den obigen Articuli (bei V. d. Hardt)
müſſen wir ein- für allemal bemerken, daß ſie in unbegreif—
ſicher Weiſe faſt alle erweislich vergriffen ſind.
1412
278 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
und anderen gleichgeſinnten Magiſtern, einen ſatyriſchen
Aufzug, als Parodie der vor zwei Jahren geſchehenen
Bücherverbrennung, — welcher zuerſt vor den erzbiſchöflichen
Palaſt auf der Kleinſeite, dann über die Brücke und die
ganze Altſtadt, neben dem Königshofe vorbei, bis auf den
Graben der Neuſtadt geführt wurde; hier errichtete man
unter dem Pranger einen Scheiterhaufen, legte päpſtliche
Bullen darauf und zündete das Ganze an; — alles unter
großem Volkszulauf und mannigfachen Kundgebungen einer
dem Act entſprechenden Stimmung.“
K. Wenzel erkannte es wohl, daß er ſolchen Mani—
feſtationen nicht länger gleichgiltig zuſehen durfte, wenn
er es nicht mit Rom und mit der ganzen Chriſtenheit für
immer verderben wollte. Er berief daher die Rathsherren
und Gemeindälteſten aller drei Prager Städte zu ſich nach
Zebrak, und befahl ihnen, jede öffentliche Schmähung des
Papſtes, ſo wie jede Widerſetzlichkeit gegen die von ihm
genehmigten päpſtlichen Bullen, fortan Jedermann ohne
Ausnahme unter Todesſtrafe zu verbieten, und dafür zu
ſorgen, daß jede gegenſeitige Aufreizung vermieden und die
Ruhe und Ordnung in der Stadt kräftig gehandhabt
werde.“ Gleichwohl hatte er ſich nicht entſchließen kön—
nen, den Herrn von Waldſtein oder die Magiſter Hus und
Hieronymus für das, was geſchehen war, zur Strafe zu
ziehen; Herr Wokſa blieb fein Hofmann (familiaris), nach
wie vor, und Huſſens Predigten in der Bethlehemscapelle
wurden auch jetzt noch häufig von der Königin ſelbſt beſucht.
373) Die umſtändliche Schilderung des ganzen Aufzugs hat uns der
bekannte M. Martin Lupac (+ 1468) hinterlaſſen (MS.), der
als Student ſelbſt daran Theil genommen hatte.
374) Pelzel (im Wenceslaus, Bd. II, S. 607 fg.) gibt unrichtige
kachrichten über dieſe Vorgänge, indem er das undatirte Schrei—
ben K. Wenzels (Urkk. Buch Nr. 234) hieher zieht, das er—
weislich nicht in dieſe, ſondern in eine viel frühere Zeit gehört
Tumulte wegen der Ablaßbullen. 279
In Folge jener Befehle, mit welchen die Mehrzahl
der Rathsherren ſympathiſirte, kam es bald auch zu blu—
tigen Auftritten in Prag. Sonntag den 10 Juli unter
ſtanden ſich in verſchiedenen Kirchen drei junge Leute aus
der niederen Volksclaſſe, mit Namen Martin, Stasek und
Johann, ihren Predigern laut zu widerſprechen und zu be—
haupten, daß der Ablaß ein Betrug ſei. Sie wurden ver—
haftet und in die Gefängniſſe des Altſtädter Rathhauſes
gebracht, wo man ſie vergebens zum Widerruf und zur
Buße aufforderte. Die Rathsherren verurtheilten ſie daher
den folgenden Tag zum Tode, und da ſie ihre Strafe für
das Volk recht abſchreckend machen wollten, ſo ließen ſie
die ganze Gemeinde berufen, der Hinrichtung beizuwohnen.
Als Hus Solches erfuhr, ging er, von mehren Magiſtern
und etwa zwei tauſend Studenten begleitet, auf das Rath—
haus, und wurde, nach langer Bemühung, endlich vor den
Senat gelaſſen; er bat um Schonung für die jungen Leute,
indem er, als Urheber ihrer Schuld, dieſelbe auf ſich zu
nehmen und für ſie zu büßen bereit ſei. Bei der inzwiſchen
durch die ganze Stadt verbreiteten großen Bewegung, er—
kannten die Rathsherren die Nothwendigkeit, den jeden
Augenblick wachſenden Volksſturm zu beſchwichtigen. Sie
gaben dem Magiſter gute Worte, und baten ihn, nicht nur
ruhig nach Hauſe zu gehen, ſondern auch Andere zur Ruhe
und zum Auseinandergehen zu ermahnen. Einige Stun—
den darauf aber, nachdem das Volk ſich größtentheils ver—
laufen hatte, befahlen ſie die Hinrichtung ungeſäumt vor—
zunehmen. Die drei Verurtheilten wurden von einer großen
Schaar von Bewaffneten aus dem Rathhauſe über den
Galliplatz auf den Graben geführt, um dort auf der Neu—
ſtädter Richtſtätte enthauptet zu werden. Bevor jedoch der
Zug dort anlangen konnte, ſchwollen die von allen Seiten
herbei ſich drängenden Volksmaſſen dergeſtalt an, daß man,
um jedem unverhofften Fall zuvorzukommen, ſich entſchloß,
1412
10 Juli
11 Juli
1412
280 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
die Hinrichtung ſchon am Eingange vom Brückel zum Gra—
ben vorzunehmen. Gleichwohl waren die Anweſenden nicht
geſtimmt, gegen die Juſtiz Gewalt zu brauchen; im Gegen—
theile, als der Büttel rief, daß »Jeder, der ein Gleiches
thue, die gleiche Strafe zu gewärtigen habe«, erklärten
Mehre auf der Stelle, daß ſie Dasſelbe zu thun und zu
leiden bereit ſeien, und ließen ſich ohne Widerſtand ver—
haften. Eine Frau bot weiße Leintücher an, um die Lei—
chen einzuhüllen. Da eilte M. Johann von Jiein mit
einer Schaar Studenten herbei, bemächtigte ſich der Lei—
chen, ſtimmte alfogleich den feierlichen Kirchengeſang »Isti
sunt sancti« aus voller Kehle an, und trug feine März
tyrer in großer Proceſſion in die Bethlehemscapelle, wo
M. Hus ſie mit ſo vielen andächtigen Ceremonien begrub,
daß deſſen Gegner die Capelle fortan ſpottweiſe zu den
drei Heiligen“ benannten.“
Die hochgeſtiegene Gährung brauchte mehre Tage, um
unter kluger Zurückhaltung der Behörden ſich wieder zu
legen; der Magiſtrat enthielt ſich ſeitdem jeder ſcharfen
Maßregel, und ließ auch Diejenigen, welche bei den letzten
Tumulten verhaftet worden waren und ſich auf ein eben
ſo glorreiches Marterthum gefaßt machten, gegen ihren
Willen ins Freie treiben. Dagegen ſetzte man eine andere
Maßregel ins Werk. Die theologiſche Facultät 7% hatte
während der Streitigkeiten über den Ablaß nicht nur die
375) Stari letopisowé p. 15 — 18. Cochlaeus p. 39 — 40.
376) Hus ſpottete darüber, daß ſeine Gegner ſich den Namen der
theologiſchen Facultät angemaßt hätten, während fie nur aus
acht Perſonen beſtanden: Est autem illa Facultas Theologica,
quae aciem contra nos dirigit, magistrorum theologiae octona-
rius, qui taliter nominatur: Stephanus Palecz, Stanislaus de
Znoyma, Petrus de Zuoyma, Joannes Heliae, Joannes Hildis-
sen, Andreas Broda, Hermannus frater Eremita, Matthaeus mo-
nachus de Aula Regia. Opp. Huss. I, pag. 331.
Tumulte in Prag. Hus u. die theolog. Facultät. 281
45 Wiklef'ſchen Lehrſätze neuerdings verdammt, ſondern 1412
auch aus Anlaß der letzten Controverſen ſechs neue Artikel
aufgeſetzt, die ſie als irrthümlich bezeichnete. Da der Weg
der, ihrer Mehrzahl nach, bereits huſſitiſchen Univerſität,
ihr verſchloſſen blieb, 37° fo wendete fie ſich durch das Mittel
des Prager Magiſtrats an K. Wenzel mit der Bitte, das
Lehren und Verbreiten jener Artikel durch königliche Be—
fehle zu hindern, und allen jenen Männern, von welchen
der Streit und Zwieſpalt ausgegangen, das Predigen
ſchlechterdings zu verbieten. Nachdem Wenzel ſein Miß—
fallen über den Widerſtand gegen die Kreuzbullen bereits
offen ausgeſprochen hatte, hofften die Doctoren, daß er
ihre die Sicherung der öffentlichen Ruhe bezweckende Bitte
genehmigen werde. Auch geſtattete er am 10 Juli zu
Zebrak wirklich, daß jene Artikel unter der Strafe der
Landesverweiſung verboten würden, ließ jedoch zugleich den
Doctoren ſagen, daß ſie ſich mehr um die Widerlegung,
als um das Verbot der Irrlehren kümmern ſollten, 37° und
verweigerte den das Unterdrücken des freien Predigens be—
zweckenden Theil der Bitte. Daher verſammelte der Ma—
giſtrat am 16 Juli die Doctoren und Magiſter beider Par—
teien auf dem Rathhauſe, und verbot, im Namen des Kö—
nigs, das Lehren nicht nur der oft genannten Wiklef'ſchen,
fondern auch der neuen Artikel.“ Hus aber ließ ſich da—
377) Vgl. Opp. Huss. I, pag. 332 — 333.
378) Wir kennen dieſe Weiſung des Königs nur aus der von den
Doctoren darauf gegebenen Antwort: »quod non stat per ma-
gistros theologiae, quod nihil seribitur et non est scriptum
contra dicta M. Johannis Hus de bullis papae, quia saepius
requisitus, dietorum suorum non dedit copiam, nee hucusque
dare voluit, magistris supradietis.« M..
379) Da dieſe noch ungedruckten Artikel für den damaligen Ent:
wickelungsſtand der Huſſiſchen Lehre bezeichnend ſind, ſo führen
wir ſie hier vollſtändig an:
10 Juli
16 Juli
282 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1412 durch nicht hindern, im theologiſchen Hörſaal des Carolins
eben jetzt öffentliche Vorträge zu Erklärung und Verthei—
digung der Wiklef'ſchen Lehrſätze zu halten.“ Eines Tags
mit ſeinen acht Gegnern vor den Rath des Königs nach
Zebrak zum Verhör geladen, entgegnete er auf die Beſchul—
digung, ſeine Lehrſätze dem theologiſchen Decan, trotz wie—
derholter Ermahnung, nicht ſchriftlich überreicht zu haben,
daß er ja nichts insgeheim, ſondern alles öffentlich gelehrt
habe, daher ſeine Anſichten kein Geheimniß ſeien; er ſei
jedoch bereit, ſeine Lehre ſchriftlich von ſich zu geben, wenn
1) Qui aliter sentit de sacramentis et clavibus ecclesiae,
quam Romana ecclesia, censetur haereticus.
2) Quod his diebus sit ille magnus Antichristus et regnet,
qui secundum fidem ecclesiae et secundum scripturam sacram
et sanctos doctores in fine seculi est venturus: est error evi-
dens secundum experientiam,
3) Dicere, quod constitutiones sanctorum patrum et con-
suetudines laudabiles in ecclesia non sint tenendae, quia in
scriptura bibliae non continentur, est error,
4) Quod reliquiae et ossa sanctorum, et similiter vestes et
habitus corum, non sunt venerandae vel venerandi a Christi
fidelibus, est error.
5) Quod sacerdotes non absolvunt a peccatis et dimittunt
peccata ministerialiter conferendo et applicando sacramentum
poenitentiae, sed quod solum denuntient confitentem absolu-
tum, est error.
6) Quod papa non possit in necessitate evocare personas Christi
fidelium, aut subsidia ab eis temporalia petere ad defenden-
dum Sedem Apostolicam, statum S. Romanae ecclesiae et
urbis, et ad compescendum et revocandum adversarios et ini-
micos Christianos, largiendo Christi fidelibus fideliter sub-
venienübus, vere poenitentibus, confessis et contritis plenam
remissionem omnium peccatorum, est error.
380) Siehe Opp. Huss. I, pag. 139 — 167. (Das Datum pag. 156
»post festum S. Viti« iſt entweder unrichtig, oder es ſetzt. eine
uns unbekannte Conferenz dieſer Art auf dem Rathhauſe ſchon
vor dem 16 Juli voraus.)
Hus und feine Gegner. Stephan von Palek. 283
die Gegner, die ihn der Ketzerei beſchuldigen, ſich verpflich- 1412
ten, den Beweis für ſeine Ketzerei unter der Strafe der
Wiedervergeltung (poena talionis), und zwar der Verbren—
nung als Ketzer, zu führen. Die über einen ſolchen Vor—
ſchlag betroffenen Doctoren antworteten nach kurzer Be—
rathung, ſie wollten einen aus ihrer Mitte dazu beſtim—
men; als aber Hus darauf beſtand, daß die Solidarität
Aller bei der Strafe eben ſo wie beim Angriff Statt finden
müſſe, hoben die königlichen Räthe die Verhandlungen mit
der eben ſo unbeſtimmten als erfolgloſen Mahnung auf,
daß man ſich in Frieden zu vereinigen ſuchen ſollte. “!
Durch alle dieſe Vorgänge war der Bruch zwiſchen den
Parteien nicht nur erweitert, ſondern vollends unheilbar
gemacht worden. Hus und ſeine Freunde hatten in ihrem
Eifer für die Kirchenreform bereits auf einer Grundlage
zu bauen angefangen, die ſie dem Gebiete der römiſch—
katholiſchen Kirche entrückte. Indem ſie den geſammten
Organismus dieſer Kirche auf den Maßſtab der bloßen
Bibel zurückzuführen ſuchten, und der Überlieferung ſowohl
als den ſpäteren Entwickelungen und Inſtitutionen, die
zu dieſem Maßſtab nicht paßten, alle Geltung abſprachen,
wurden fie, ohne ſich deſſen zu verſehen, dem Begriffe und
der That nach Proteſtanten. Dies fühlten und erkannten
auch mehre Männer ihrer Partei ſo ſehr, daß ſie eben bei
dieſer Gelegenheit von Hus ſich trennten und ſogar deſſen
Gegner und Feinde wurden. Der bedeutendſte unter ihnen
war der ſchon genannte und noch oft zu nennende M.
Stephan von Palec. “? Einſt eifriger Wiklefiſt und Huſ—
381) Opp. Huss. I, 366%.
382) Hus berichtet ſelbſt über feinen Bruch mit Paleè: Indulgen-
Harum venditio et crucis adversus Christianos erectio me ab
isto doctore (Palee) primum separavit. Si enim vult verita-
tem fateri, recognoscet, quia articulos absolutionum, quos ipse
mihi primum manu sua praesentaverat, dicebat esse errores
1412
281 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
ſens Jugendfreund, brach er mit ihm jetzt eben ſo, wie es
ſchon früher M. Stanislaus von Znaim gethan hatte; und
alſogleich erfuhr es Hus, daß er an dieſen beiden aus—
gezeichneten Gelehrten gefährlichere Feinde bekommen, als
er bis dahin noch gehabt. Aber auch die Prager Pfarrer
blieben nicht unthätig, um ſich ihres verhaßten Gegners
zu entledigen. Bei der Schwäche des neuen Erzbiſchofs
wendeten ſie ſich durch das Mittel ihres Procurators in
Rom, Michaels von Deutſchbrod, 33 an den Papſt Jo-
hann XXIII ſelbſt, und klagten in heftigem Tone über Hus,
wie dieſer Sohn der Ruchloſigkeit (iniquitatis filius), jede
Kirchengewalt verachtend, ſchon über zwei Jahre lang im
Kirchenbann verharre, und die oft verdammten Lehrſätze
des Erzketzers Wiklef zu vertheidigen, den Haß gegen den
Clerus zu predigen, nicht aufhöre; neuerdings habe er es
gewagt, auch gegen den von Sr. Heiligkeit verkündigten
Kreuzzug und Ablaß öffentlich zu belfern (oblatrare) und
manu palpabiles, quos usque hodie reservo in testimonium.
Postea cum alio collega accepto consilio, in oppositum decli-
navit; cui ultimo dixi, et numquam sum sibi amplius voca-
liter collocutus: »Amicus Paleè, amica veritas; utrisque ami-
cis existentibus, sanctum est praehonorare veritatem.«
383) Bekannter unter dem Namen Michael de Causis. Eine gleich—
zeitige Handſchrift im böhm. Muſeum gibt von ihm folgende
Notiz: Dietus Michael erat olim plebanus S. Adalberti Novae
civitatis Pragensis. Et cum se exhibuisset scientem in refor-
matione aurifodinarum (er war ein Sohn deutſcher Bergleute
in Deutſchbrod) rex Boemiae Wenceslaus magnam pecuniae
summam ei dedit pro reformatione aurifodinarum in Jilowy
(Eule); et sic dimissa plebe et acceptis pecuniis, dictas auri-
fodinas conatus est reformare. Cum autem nihil posset effi-
cere, cum dietis pecuniis clam fugit de regno ad curiam Ro-
manam; cum quibus pecuniis et aliis, sibi per adversarios Ma-
gistri Hus exhibitis, contra ipsum M. Hus et adhaerentes ejus
processus et eitationes procurabat etc. Vgl. Opp. Huss. I, 6.
Er jtarb erſt auf dem Basler Concil.
Hus im päpftlichen Bann. 285
ſeine peſtilenzialiſchen Schriften darüber in verſchiedenen
Gegenden von Böhmen, Mähren, Polen und Ungarn zu
verbreiten, ſo daß ſchon eine große Menge chriſtlicher See—
len davon angeſteckt ſei. Es ſei hohe Zeit, daß der Papſt
ſich der Sache thätig annehme und ſeine Heerde vor dem
reißenden Wolf ſchütze. Anderſeits wurde Johann XXIII
auch noch gebeten, zu Verhütung geiſtlicher und leiblicher
Gefahren in Böhmen, mehre böhmiſche Hofleute, und dar—
unter namentlich Herrn Wok von Waldſtein, Herrn Hein—
rich Lefl von Lazan, Johann Sadlo von Smilkow und An—
dere, deren ſtarre Anhänglichkeit an die Ketzer notoriſch
bekannt ſei, perſönlich vor die römiſche Curie zu laden.
Es bedurfte wohl nicht ſo vieler Mittel, um Jo—
hann XXIII gegen Hus in Harniſch zu bringen. Kaum
hatte er das Vorgefallene vernommen, ſo nahm er den
Proceß Huſſens auch aus den Händen des Cardinals Bran—
cas, verbot die Sachwalter des neuen Ketzers noch ferner
anzuhören, und trug dem Cardinal Peter S. Angeli auf,
gegen Letzteren zu den äußerſten Rechtsmitteln zu ſchreiten.
Da die Sachwalter auch dagegen, und zwar an das künf—
tige allgemeine Concilium, appellirten, ſo wurden einige
von ihnen eingekerkert, M. Johann von Jeſenic aber, der
nach Böhmen entkam, auf Michaels de Cauſis Andringen
auch ſelbſt excommunicirt. ““ Cardinal Peter verhängte
über Hus den Kirchenbann in ſeiner erſchreckendſten Ge—
ſtalt, und befahl ihn in allen Kirchen Prags zu verkün—
digen: kein gläubiger Chriſt dürfe fortan mit ihm Umgang
pflegen; und wenn er zwanzig Tage nach Kundmachung
dieſes Spruchs in feinem Ungehorſam beharre, ſo ſollte an
den Sonn- und Feiertagen in allen Kirchen, unter feier—
lichem Geläute und Löſchen aller Lichter, der Fluch über
384) Opp- Huss. I, 110. Ein Exemplar der Excommunicationsbulle
des M. Jeſenic vom J. 1413 befindet ſich im Archiv des Pra—
ger Domcapitels.
1412
Juli
1412
286 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
ihn ausgeſprochen werden; dann dürfe Niemand mehr, unter
der Strafe gleichen Bannes, ihm Speiſe oder Trank oder
Obdach bieten; wo er weile, wohin er immer komme, müſſe
aller öffentliche Gottesdienſt aufhören; ſterbe er, ſo dürfe
er nicht kirchlich begraben werden u. ſ. w. 8's Durch an⸗
dere Decrete wurden bald darauf noch die Gläubigen auf—
gefordert, ſich der Perſon des M. Hus zu bemächtigen und
ihn dem Erzbifchof von Prag oder dem Biſchof von Leito—
2 Oct.
mysl auszuliefern, die Bethlehemscapelle aber von Grund
aus zu zerſtören. 356
K. Wenzel widerſetzte ſich nicht der Verkündigung des
Kirchenbannes in ſeinem Reiche, wie unangenehm er ihn
auch berührt haben mag. Seine Zuſtimmung gab aber
allen Feinden Huſſens den Muth, ſich um ſo thätiger zu
erweiſen. Die Rathsherren auf der Altſtadt waren noch
damals ihrer Mehrzahl nach Deutſche, und dem Huſſitis—
mus abgeneigt. Mit ihrer Zuſtimmung ſammelten ſich am
Prager Kirchweihfeſte, noch vor erfolgter Verkündigung des
Interdicts, viele deutſche Bürger in Waffen, und zogen,
385) Die Forma processus moderni dati contra M. Joh. Hus per
D. Petrum cardinalem S. Angeli findet ſich undatirt in meh—
ren Handſchriften, im Chron. universit. Prag. ſogar unrichtig
zum J. 1410. Daß ſie in dieſe Zeit (1412) gehört, erſieht
man wie aus dem Inhalt, fo auch aus Huſſens Worten in
Opp. I, 393, und aus ſpäteren Proceßacten (MS.), wo es heißt:
Processus praedicti de anno 1412 et de mense Julii, propter
contumaciam et inobedientiiam ejusdem M. Joh. Hus, fuerunt
per Rmum patrem D. Petrum cardinalem S. Angeli, tunc ad
hoc commissarium, — servatis servandis, aggravati et reag
gravali,
386) Cron. universü. Prag. Primo mandatur, quod ulterius in hae-
resi M. Joh. Hus non foveant, sed ipsum capiant vel capi pro-
curent, et archiepiscopo praesentent vel Lutomysslensi, vel soli
judicent secundum canones et comburant; item mandatur,
quod capella Bethlehem destruatur et usque terram prosterna
tur, ne ibidem haeretici nidificent etc.
Hus im päpſtl. Bann. Reactionsverſuche in Prag. 287
unter Anführung eines Böhmen, Namens Bernard Chotek, 1412
gegen die Bethlehemscapelle, wo Hus eben predigte, um
die Zuhörer mit Gewalt auseinander zu treiben und den
Prediger zu fangen. Da aber die Zuhörer ihnen beherzt
ſich entgegenſtellten, und ein Blutbad in der Kirche nicht
in ihren Abſichten gelegen haben kann, ſo zogen ſie ſich
unverrichteter Dinge wieder zurück. Dann beſchloſſen ſie
auf dem Rathhauſe, wenigſtens die von Rom aus befoh—
lene Zerſtörung der Bethlehemscapelle ins Werk zu ſetzen,
und fanden damit wieder bei einigen Böhmen Beifall: als
aber der Beſchluß ruchbar wurde, brachte er ſo viel Auf—
regung hervor und fand ſo heftigen Widerſtand, daß man
auch davon abſtehen mußte. 3°” Um ſo ſtrenger erwies ſich
dann die Mehrzahl der Prager Pfarrer in der Beobach—
tung des mittlerweile verkündigten Interdicts. In den
meiſten Kirchen hörte aller Gottesdienſt auf, die Spendung
der heiligen Sacramente wurde allen Pfarrkindern ohne
Unterſchied verweigert, eben ſo das kirchliche Begräbniß
der Todten, ſo lange Hus in Prag ſich aufhielt. Das
wurde dem König gar bald zu arg: aber ſeine Befehle
wurden nicht beachtet. Auch Huſſens eingelegte Appella—
tion an Chriſtus, als das wahre Haupt der Kirche, fand
eben ſo wenig Berückſichtigung, wie die von ſeinem rechts—
gelehrten Procurator, M. Johann von Jeſenic, bei der
Univerfität am 18 Dec. 1412 verſuchte Beweisführung,
387) Dieſe Vorfälle erzählt Hus ſelbſt in ſeiner böhmiſchen Poſtille,
und knüpft daran folgende Reflexion: Patt smelosti Nömecke!
nesmeliby süsedu oboriti peci aneb chlewce bez krälowy wöle:
a pak smeli sü sé pokusiti o chram bozi! Die Invectiva con-
tra Hussitas berichtet darüber: It. ingressum armatorum quon
dam Bethlehem — indigne ferentes, more furiosi, inermes ar-
matos invaserunt, et in opprobrium et contumeliam illis cane-
bant: Nömei sü zufali na Betlem béhali, w nedeli na poswie-
cenie, priprawiwse sé w odenie, jakZto na Jezise etc.
1412
288 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
daß die Bannſprüche rechtsunkräftig feien. 39 Die im Volk
deshalb wachſende Unruhe bewog am Ende den König,
daß er Hus ſelbſt auffordern ließ, ſich auf einige Zeit von
Prag zu entfernen; er verſprach, für ſeine Ausſöhnung
mit dem Clerus Sorge zu tragen, damit die Zeit ſeines
Exils abgekürzt werde. Dem Wunſche des Königs 3° wi—
derſtand Hus nicht länger, und verließ Prag (im Dec. 1412),
obgleich er die Hoffnung einer baldigen Ausgleichung ſeines
Streites nicht theilte.
Von dem Benehmen des Erzbiſchofs Albicus bei allen
dieſen Ereigniſſen iſt nur das bekannt, daß er gegen Hus
und deſſen Freunde keinen Ernſt bewies; wahrſcheinlich
ſuchte er durch ſchwache Mittel nur beide Parteien zu be—
ſchwichtigen, und verdarb es dadurch mit dem Papſt und
dem Clerus eben ſo, wie er durch ſeine beſcheidene Haus—
haltung es bereits auch mit ſeinen zahlreichen Vaſallen
verdorben hatte. Denn da er nicht nach der Sitte ſeiner
Vorgänger einen glänzenden Hof halten und mit einer
Schaar adeliger Mannen ſich umgeben wollte, ſo ſchalt
man ihn einen Geizhals, der Niemanden neben ſich leben
laſſen wolle. Dies Alles verleidete ihm ſeine neue Stel—
lung ſo ſehr, daß er noch vor dem Verlauf des Jahres
1412 ſie zu verlaſſen ſuchte. Er ſchloß mit dem Biſchof
von Olmütz, Konrad von Vechta, einen Vertrag, kraft
deſſen er ihm ſein Erzbisthum abtrat, und bis zu deſſen
Genehmigung durch den Papſt auch fehon die Verwaltung
ſämmtlicher erzbiſchöflichen Beſitzungen übertrug.“ Konz
388) Opp. Huss. I, 408 sq. 309 sq.
389) In einem aus ſeinem Exil an M. Chriſtann von Pracatic
geſchriebenen Briefe äußerte er ſich ſelbſt darüber: Aestimo,
quod peccavi, ad voluntatem regis praedicationem dimittens;
et ergo jam nolo sic peccare.
390) Seriptt. rer. Bohem. II, 446, it. III, 14. Konrad nannte ſich
ſeitdem gubernator et administrator in spiritualibus et tempo
ralibus archiepiscopatus Pragensis.
Hus verläßt Prag. Konrad v. Vechta wird Erzbiſchof. 289
rad von Vechta war aus Weſtphalen gebuͤrtig, und hatte 1412
von jeher eines beſondern Wohlwollens von Seite König
Wenzels ſich zu erfreuen, an deſſen Hofe er die Amter
eines oberſten Münzmeiſters 1403 — 5, dann eines Landes—
unterkämmerers 1405 — 12 begleitete, obgleich der König
ihn ſchon 1395 zum Bisthum von Werden, 1408 zu dem
von Olmütz befördert hatte. Da man mit ſeiner neueſten
Beförderung einen vielfachen Tauſch der höchſten kirchlichen
Beneficien in der Art in Verbindung brachte, daß der oft
genannte erſte Rath und oberſte Kanzler des Königs,
Wenzel Patriarch von Antiochien, der zugleich Wysehra—
der Propſt geweſen, das Olmützer Bisthum zur Commende
erhalten, und dafür die Wysehrader Propſtei dem Erz—
biſchof Albicus abtreten ſollte: ſo ließ die päpſtliche Ge—
nehmigung aller dieſer Veränderungen lange auf ſich war—
ten, und erſt am 17 Juli 1413 wurde Konrad in ſeiner
neuen Würde inſtallirt. Albicus führte dann bis zu ſei—
nem Tode CH 1427) den Titel eines Erzbiſchofs von Cä—
ſarea und Commendatars der Wysehrader Propſtei.
Durch die in Folge des Interdicts verbreitete Auf—
regung des Volks, und durch die Ausweiſung des M. Hus
aus Prag, war der kirchliche Streit zu ſolcher Höhe ge—
ſtiegen, daß auch die höchſte Regierungsbehörde in Böh—
men, das Collegium der oberſten Reichsbeamten und der
zwölf Landeskmeten, davon Kenntniß nehmen und ſich ämt—
lich damit beſchäftigen mußte. In den vor Weihnachten
1412 gehaltenen Sitzungen dieſes Collegiums wurde, einem
Auftrag des Königs zu Folge, die Frage verhandelt, wie
dem ſeit lange im böhmiſchen Clerus herrſchenden Streit
ein Ziel zu ſetzen, der im Auslande über Böhmen verbrei—
tete böſe Ruf zu tilgen und im Lande wieder Ruhe und
Eintracht herzuſtellen ſei. Die Biſchöfe Konrad von Olmütz
und Johann von Leitomysl nahmen an dieſen Berathungen
Theil, und ſowohl Hus als deſſen Gegner reichten ihre
19
1412
1413
3 San.
6 Febr.
290 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
Vorſtellungen ſchriftlich ein. ! Der gefaßte Beſchluß lau—
tete dahin, daß unter dem Vorſitze dieſer beiden Biſchöfe
eine Provincialſynode abgehalten und der Streit des Cle—
rus auf derſelben ausgeglichen werden ſollte. K. Wenzel
genehmigte dies, und ließ am 3 Januar 1413 Patente an
den geſammten Clerus ſeines Reichs ausfertigen, daß man
ſich am nächſtkommenden 2 Februar in der Stadt Böhmiſch—
Brod zu obigem Zwecke verſammeln ſollte. Eine gleiche
Kundmachung erließ auch Biſchof Konrad, als Adminiſtra—
tor des Prager Erzbisthums. ??? Man hat wahrſcheinlich
darum eine damals dem Erzbiſchof gehörig geweſene kleine
Stadt zu der Synode beſtimmt, damit auch M. Hus dabei
erſcheinen könne, ohne durch ſeine Gegenwart und das an
ſie geknüpfte Interdict allzuviel Anſtoß im Volke zu erregen.
Die gedachte Synode kam auch richtig zu Stande,
jedoch nicht in Böhmiſch-Brod, ſondern in Prag, im erz—
biſchöflichen Palaſt ſelbſt, am 6 Februar 1413; auch hat
weder Hus, noch der Leitomysler Biſchof ihr perſönlich
beigewohnt; des Erſteren Stelle vertrat ſein Procurator
M. Johann von Jeſenic. Über die Art, wie die Verhand—
lungen geführt wurden, ſind wir völlig im Dunkeln; nur
die von beiden Seiten gewechſelten Streitſchriften haben
ſich erhalten, die es wahrſcheinlich machen, daß man es
zu offenen Debatten in voller Verſammlung gar nicht kom—
391) Huſſens in böhm. Sprache gerichtetes Schreiben an die »Päni
mili, dedicowe swatého krälowstwie Ceskeho« (wie er fie an—
ſpricht) iſt noch ungedruckt. Die Vorſchläge der Doctoren
findet man bei Cochläus pag. 29 8.
392) In beiden Patenten wird der Zweck der Synode gleichlautend
angegeben: Ad hoc, ut pestifera dissensionis materia, in clero
regni nostri Boemiae dudum suborta (cujus practextu ipsum
regnum et ejus incolae, quod dolenter referimus, in diversis
prineipatibus coronae regni Boemiae adjacentibus, prout ac-
cepimus, graviter infamantur), deleatur et radicitus exstirpetur.
Verhandlungen der Prager Synode. 291
men ließ. Beide Parteien reichten zuerſt, nach des Königs
Befehle, ſchriftlich ihre Anſichten über die Art ein, wie der
Friede im Lande herzuſtellen ſein möchte. Die katholiſchen
Doctoren, jetzt unter der Leitung von Stephan Paleé und
Stanislaw von Znaim, erklärten ſich zuerſt über den Ur—
ſprung des Streits. Dieſen fanden ſie in der Abweichung
einiger Mitglieder des böhmiſchen Clerus von den Grund—
ſätzen der allgemeinen Kirche in drei Hauptpuncten: 1) im
Dogma von den ſieben Sacramenten, von der Kirchen—
gewalt, von den heil. Gebräuchen und Ceremonien, von
Reliquien und Abläſſen u. dgl.; denn während die An—
ſichten der Einen darüber mit denen der römiſchen Kirche
übereinſtimmten, deren nothwendiges Haupt der Papſt und
die Cardinäle der Körper ſeien, gebe es Andere, welche
ſich darin widerſetzen und lieber den bereits verdammten
Grundſätzen Wiklefs folgen; Y in der Glaubensregel:
denn die Einen behaupteten, daß man in allen den Chriſten—
glauben betreffenden Fragen ſich dem Ausſpruche des apo—
ſtoliſchen Stuhles und der römiſchen Kirche unbedingt zu
fügen habe, indem der Papſt als Haupt und die Cardi—
näle als Körper dieſer Kirche, die wahren und nothwen—
digen Nachfolger Petri und der Apoftel, “ ſomit auch die
393) Die Replik der Huſſiten (bei Cochläus pag. 52) ſchließt mit
den Worten: alibi dictum et scriptum est, et datum D. Epi-
scopo Olomucensi; et adhuc deduceretur et ostenderetur, si
audientia in publico daretur coram omnibus doctoribus.
394) »Cujus Romanae ecclesiae papa est caput, corpus vero colle-
gium cardinalium.« — »Nee possunt inveniri vel dari super
terram alii tales successores (Christi et apostolorum), quam
papa, existens caput, et collegium cardinalium, existens corpus
ecclesiae Romanae supradietae.« Über dieſe Sätze ſpottete hernach
Hus; er habe, fagte er, feinem ehemaligen Lehrer M. Stanis—
law doch mehr Logik zugetraut. Denn wenn der Papſt das
Haupt, die Cardinäle der Körper der Kirche ſeien, ſo ſeien beide
zuſammen die ganze Kirche: und wohin gehöre dann die
19 *
1413
294 . Buch, 4 Capitel. K Wenzel IV.
1413 vollkommen competenten Richter in ſolchen Fragen ſeien;
Andere wollten dagegen nicht dem Papſte und den Car—
dinälen, ſondern nur der heiligen Schrift allein das An—
ſehen in dieſer Sache zugeſtehen, und ſuchten die Schrift
nach ihrem eigenen Gutdünken zu erklären; 3) in der
Kirchendisciplin: denn während die Einen predigten, daß
dem apoſtoliſchen Stuhl, der römiſchen Kirche und den
kirchlichen Vorgeſetzten in Allem, wo nichts an ſich Böſes
anbefohlen, nichts an ſich Gutes verboten wird, ſchlechter—
dings gehorcht werden müſſe, ſuchten Andere dagegen den
Gehorſam und die Achtung für den Papſt, die Biſchöfe
und Prieſter bei dem Volke zu untergraben. Das Mittel,
den Streit zu heben und den einſt unbefleckten Ruf des
Landes wiederherzuſtellen, ſei daher eben ſo leicht als ſicher
zu finden: man befehle, daß hinſichtlich jener drei Puncte
Jedermann in Böhmen ſich mit den Grundſätzen der all—
gemeinen Kirche in Übereinſtimmung ſetze; wer darin durch—
aus nicht gehorchen wolle, den verweiſe man des Lan—
des. Die Maßregeln, welche Huſſens Partei dagegen
in Vorſchlag brachte, beſtanden in Folgendem: Man laſſe
den am 6 Juli 1411 zwiſchen dem Erzbiſchof Zbynef und
der Prager Univerſität nebſt dem M. Hus getroffenen Ver—
gleich wieder gelten, und erhalte Böhmen bei denſelben
Rechten und Gebräuchen hinſichtlich der allgemeinen Kirche,
welche auch in anderen Ländern üblich find; 8's man er—
laube dem M. Hus, auf der Synode zu erſcheinen und
ſich von dem Verdacht der Ketzerei zu reinigen; man ver—
übrige Chriſtenheit? »Si posuissent, quod non potest deus
dare alios pejores successores suae ecelesiae, quam est papa
cum cardinalibus, haberent majorem evidentiam diecti.«
395) Dieſe wichtige Schrift ift ganz, aber mit auffallenden Inter:
polationen und Auslaſſungen, abgedruckt bei Cochläus pag.
44 — 49.
396) Dies bezieht ſich ohne Zweifel auf das Recht, im eigenen Lande
gerichtet (daher nicht nach Rom citirt) zu werden.
Verhandlungen der Prager Synode. 293
kündige, daß alle Diejenigen, welche ihn der Ketzerei be- 1413
zichtigen, ſich gleichfalls einſtellen und ſich zur Beweis—
führung unter der Strafe der Wiedervergeltung verpflich—
ten; findet ſich dazu Niemand, ſo fordere man Diejenigen
auf, welche bei dem Papſte Klagen über Ketzereien in
Böhmen eingereicht haben, anzugeben, wer dieſe Ketzer
ſeien; bekennt ſich Niemand zu einer ſolchen Klage, fo
möge ein öffentliches Zeugniß darüber aufgeſetzt, von König
und Erzbiſchof alle Verketzerungen unter Strafe verboten,
und auf Koſten des Clerus eine Geſandtſchaft, zur Rei—
nigung des Landes, an die römifche Curie abgeordnet
werden; auch ſolle man wegen Hus keine Interdicte mehr
verfündigen laſſen.“? Nur M. Jacobellus von Mies gab
ſeine beſondere Meinung dahin ab, daß man bei den Be—
mühungen zu Herſtellung des Friedens erſt wiſſen müſſe,
welchen Frieden man herſtellen wolle: ob den mit der
Welt, oder den mit Gott; der letztere hänge von der Be—
obachtung der göttlichen Gebote ab. Der Streit in Böh—
men komme daher, daß die Anſtrengungen einiger Männer
des Clerus zu Herſtellung dieſes göttlichen Friedens bei
ihren Collegen auf einen eben ſo heftigen als unlauteren
Widerſtand geſtoßen ſeien. Und doch ſei der weltliche Friede
ohne den chriſtlichen und göttlichen eben ſo unſicher, wie
werthlos. Der König möge daher zuerſt auf dieſen ſein
Augenmerk richten, dann werde jener ihm von ſelbſt kom—
men u. ſ. w.“ —Praktiſcher und eingreifender waren die
Vorſchläge, welche Biſchof Johann der Eiferne von Leito—
mysl am 10 Februar einſandte: er trug auf die Ernen-10 Febr.
nung eines mit Polizeigewalt bekleideten Vicekanzlers bei
der Univerſität an, ferner auf ein Verbot des Predigens
397) Gedruckt bei Cochläus pag. 32 — 33.
398) Dieſes noch ungedruckte »Consilium M Jacobelli, devoti theo-
logi, de pacificando regno« ſteht in einer Handſchrift der Pra—
ger Univerſitätsbibliothek (III, G. 6, fol. 10 sq.).
1413
294 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
an das Volk über Fragen, welche nur vor die hohe Schule
gehören, auf Entziehung des Predigeramtes bei Hus und
deſſen Anhängern, endlich auf Verdammung und Wegräu—
mung aller von den Letzteren in böhmiſcher Sprache ge—
ſchriebenen Bücher u. dgl. 9° Der durch dieſe verſchieden—
artigen Anträge neu verwickelte Streit wurde dann unter
den Hauptperſonen, einerſeits M. Paleé und Stanislaw,
andererſeits M. Hus und Jeſenie, ſchriftlich durch Repli⸗
ken und Dupliken ohne Ende fortgeſetzt;““ die Prager
Synode aber löſte ſich ohne irgend ein ſichtbares Reſultat
wieder auf. 8
Das Mißlingen dieſes Verſuchs ſchreckte den König
nicht ab, noch einen andern zu wagen. Er ſetzte eine Com—
miſſion von vier Mitgliedern, dem Erzbiſchof Albicus, dem
Propſt bei Allerheiligen M. Zdenef von Labaun, dem Wy⸗
sehrader Dechant Jacob und dem Univerſitätsrector M.
Chriſtann von Prachatice zuſammen, und bevollmächtigte
ſie, alle Mittel zu Herſtellung der Eintracht und Ruhe zu
ergreifen. Dieſe Commiſſion brachte es zuerſt dahin, daß
beide Parteien, unter der Geldbuße von tauſend Schock
Prager Groſchen und der Strafe der Landesverweiſung,
auf ihren Ausſpruch compromittirten. Dann pflog ſie in
der Altſtädter Pfarrei bei S. Michael, in der Wohnung M.
Chriſtanns, mehrtägige Verhandlungen mit den Parteien;
M. Zdenef von Labaun leitete die Debatten. Aber ſchon
bei Formulirung des erſten Satzes der beiderſeitigen Erklä—
rung, »von der Übereinftimmung des Glaubens beider Par—
teien, rückſichtlich der heil. Sacramente und der Kirchengewalt,
mit dem Glauben der Kirchen, ſtieß man auf nicht zu lö—
ſende Schwierigkeiten. Erſtens proteſtirte M. Paleé gegen
399) Bei Cochläus pag. 34 — 36.
400) Die Zahl der aus Anlaß dieſer Synode geſchriebenen, meiſt
noch ungedruckten Tractate, iſt ſehr groß; ſelbſt Huſſens be—
kannter Tractatus de ceclesia gehört dazu.
Verbannung kathol. Profeſſoren aus Böhmen. 295
2
die Benennung Partei“ für ſich und die Seinigen; dann
wollte er den Ausdruck „Kirche« in folgender Weiſe näher
beſtimmt wiſſen: »die heil. römiſche Kirche, deren Haupt
für jetzt Papſt Johann XXIII, und deren Körper die Car—
dinäle ſind.« Nach langen Ausflüchten ließ M. Sefenic
dieſe Beſtimmung endlich ſich gefallen, verlangte dann aber
auch ſeinerſeits den Zuſatz: daß er und die Seinigen ꝛdie
Entſcheidungen und Ausſprüche dieſer Kirche ſo annehmen,
wie jeder wahre und treue Chriſt dieſelben annehmen
müſſe.« Der Commiſſion ſchien auch dieſer Zuſatz billig
und unverfänglich; Paleé und Stanislaw proteſtirten da—
gegen aus allen Kräften. Das ſei nur eine Hinterthür,
ſagten fie, um Willkür und Ungehorſam dadurch zu ver—
ſtecken. Zwei Tage ſtritt man vergebens über dieſe An—
fände; am dritten blieb Paleè mit den Doctoren bei den
Verhandlungen gänzlich aus, indem er die Commiſſion der
Schwäche und Parteilichkeit beſchuldigte. König Wenzel
aber gerieth darüber in den höchſten Unwillen; er ſetzte
die vier Profeſſoren der Theologie an der Univerſität ab,
und verbannte ſie durch ein Patent für immer aus ſeinem
Lande.“! M. Stanislaw von Znaim ſtarb bald darauf
zu Neuhaus, wo er den Schutz des Herrn Johann des
jüngeren von Neuhaus genoſſen hatte; Stephan von Paleé
401) In dem königlichen Patente heißt es darüber: Stanislaus et
Petrus de Znoyma, Stephanus Palecz, Johannes Heliae, sacrae
paginae professores, utpote dietarum dissensionum patratores'
se ab hujusmodi nostris conceptibus et mandatis absentarunt,
se super hujusmodi dissensionum materiis notabiliter partem
facientes. Propter quod ipsorum notabilem malitiam, dignam
animadversione, refrenare volentes, ipsos et eorum quemlibet
de regno nostro et ejus pertinentiis sine spe restitutionis ban-
nivimus etc. Das Chronicon universit. Prag. enthält dieſes
Patent nebſt umſtändlichen Notizen über den Gang dieſer
Verhandlungen.
296 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1413 trat erſt zu Conſtanz wieder öffentlich auf, durfte aber ſein
21 Oct.
2 Nov.
Vaterland nicht mehr wiederſehen.
Durch die Verbannung der vier bedeutendſten Pro—
feſſoren erlitt die katholiſche Partei in Prag einen uner—
ſetzlichen Verluſt; und ihr folgte bald ein anderer, der
nicht minder empfindlich war. Das deutſche Element hatte
vom Ende des XIII Jahrhunderts bis auf dieſe Zeit herab
auf dem Rathhauſe der Altſtadt Prag vorgeherrſcht,“ un—
geachtet die Klagen der Böhmen darüber ſeit Karl IV je
länger je lauter wurden. Die Mehrzahl der Rathsherren
waren Deutſche, folglich Gegner des Huſſitismus; unter
ihnen hatte in den letzten Jahren ein Johann Ortel das
meiſte Anſehen behauptet. Am 21 October 1413 änderte
jedoch K. Wenzel das Verhältniß in der Art, daß er befahl,
künftig je 25 Böhmen und 25 Deutſche in Vorſchlag zu
bringen, wovon er 18, nämlich von jeder Nation zu 9,
als Rathsherren ſetzen und beſtätigen wolle.“? Am 2 No—
vember darauf ließ er Johann Ortel, und einen Tuch—
händler Namens Genef, auf dem Rathhauſe enthaupten. 4%
Die nähere Veranlaſſung zu beiden Vorfällen iſt uns un—
bekannt; aber um ſo unzweifelhafter iſt die Folge, daß
402) Der Neuſtädter Rath war dagegen ſchon im XIV Jahrh. vor—
wiegend böhmiſch, die Kleinſeite utraquiſtiſch.
403) Bei Von der Hardt, IV, 758, wird die Sache ſo dargeſtellt:
M. Hieronymus et J. Hus deduxerunt materiam illam cum ad-
jutorio Bohemorum nobilium et aliorum, quod ubi sedecim
Teutonici fuerunt in consilio civitatis Pragensis, fuerint positi
sedecim Bohemi, et loco duorum Bohemorum fuerunt positi
duo Teutonici; womit Stari letopisowe pag. 15, 17 übereinſtim⸗
men. Gleichwohl ſcheint die obige urkundliche Angabe glaub:
würdiger. Vgl. Pelzel im Wenceslaus pag. 622.
404) In einem gleichzeitigen MS. der Krumauer Propſtei findet ſich
die Nachricht von Ortels Hinrichtung. Ortel und Cenék waren
die vorzüglichſten Rathsherren geweſen, welche den oft genann—
ten Günſtling und Secretär des Königs, M. Zdenék von La—
baun, am 24 Januar 1410 aus unbekanntem Grunde in Prag
Anderung d. Altſtädter Raths. Hus auf d. Lande. 297
auch fie zu Schwächung des Katholicismus in Böhmen 1413
beitrugen.
Die Ruhe war in Prag, durch die Entfernung der
beiderſeitigen Vorkämpfer, äußerlich allerdings hergeſtellt,
aber keineswegs für die Dauer geſichert. Unter den da—
maligen Verhältniſſen trug ſelbſt Huſſens Exil zur weite—
ren Entwickelung und Verbreitung ſeiner Lehren bei. Er
hatte ſich zuerſt unter den Schutz der Herren von Auſtie
begeben, und brachte die meiſte Zeit auf der Veſte Kozi
hrädek bei Auſtie zu: gerade an der Stelle, wo einige
Jahre ſpäter die Stadt Tabor ſich erhob. In der daſelbſt
gewonnenen Muße ſchrieb er ſeine meiſten und bedeutend—
ſten Werke in lateiniſcher und böhmiſcher Sprache. Hier
entſtand fein Tractatus de ecelesia, mit den damit in Vers
bindung ſtehenden Streitſchriften gegen Palec und Stani—
ſlaw; hier ſeine böhmiſche Poſtille, ſein Werk über die Si—
monie (o swatokupectwi) und viele andere Schriftchen.
Von dem benachbarten Austi ift die kurzgefaßte Chriſten—
lehre datirt, welche er zum Frommen ſeiner ehemaligen
Zuhörer an die Wände der Bethlehemscapelle ſchreiben
ließ, wo überdies ſein geliebter Schüler Hawlik ſeine Stelle
als Prediger vertrat. Auch unterhielt er einen lebhaften
Briefwechſel mit ſeinen Freunden, zumal während der Dauer
der oben erwähnten Verhandlungen zu Herſtellung des
Friedens. Die in jener Zeit an den Univerſitätsrector
M. Chriſtann von Prachatic geſchriebenen Briefe find für
feine Denkweiſe vorzüglich bezeichnend.“ ? Überdies ließ
hatten öffentlich verhaften laſſen, wofür ſie dann, ſo wie der
ganze Magiſtrat, in einen langen Proceß verwickelt wurden.
Vielleicht hängt dieſe dunkle Geſchichte mit ihrer Hinrichtung
zuſammen.
405) Da dieſe Briefe, mit Aus nahme eines einzigen, noch ungedruckt
find, fo wollen wir einige Stellen daraus hier anführen. Con-
silium facultatis theologicae, ſchreibt Hus, si starem ante ignem
298 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1413 er ſich eben ſo wenig abhalten, dem Volke, das aus der
Umgegend zu ihm häufig zuſammenſtrömte, zu predigen,
als das Volk ſelbſt des Verbots, ihn zu hören, nicht ach—
tete. Seine lange Anweſenheit in der Gegend von Tabor
hat ohne Zweifel weſentlich dazu beigetragen, daß daſelbſt
ein eigenes, von Prag unabhängiges, Centrum des Huſſi—
tismus, und in ihm der Keim der beſonderen Secte der
Taboriten ſich bildete, wie Solches aus dem Verfolg der
Geſchichte ſich herausſtellen wird.
Es dürfte hier der Ort ſein, auch der Bemühungen
Huſſens um die höhere Bildung der böhmiſchen Sprache
und Literatur zu gedenken. Seine Oppoſition gegen die
mihi praeparatum, juvante Christo domino non acceptabo; et
spero, quod mors prius vel me, vel duos aversos a veritate
ad coelum vel ad infernum diriget, antequam eorum senten-
tiae consentiam. Cognovi enim ambos, quod prius vere fate-
bantur secundum legem Christi veritatem, sed timore percussi,
in adulationem papae et in mendacium sunt conversi. — Et
si ego non possum libertare veritatem per omnia, saltim nolo
esse inimicus veritatis et per mortem obsistere consensui. Cur-
rat mundus, sicut deus eum permiserit currere; melius est
bene mori, quam male vivere; propter mortis supplicium non
est peccandum; praesentem vitam finire in gratia, est exire
de miseria; qui addit scientiam, addit laborem; qui veritatem
loquitur, caput sibi concutitur; qui mortem metuit, amittit
gaudia vitae; super omnia vineit veritas; vineit qui oceiditur,
quia nulla ei nocet adversitas, si nulla ei dominatur iniquitas;
beati estis, cum maledixerint vobis homines, ait Veritas
Haec sunt mea fundamenta et fercula, quibus refieitur spiritus
meus, ut sit fortis contra omnes adversarios veritatis. — De
infamia regis et regni, si rex erit bonus et regnicolae saltim
quidam dum erunt boni, quid nobis? cum Christus per maxi-
mam viavit infamiam cum suis electis, quibus dixit: absque
synagogis facient vos et morte afficient ex vobis, eredentes se
obsequium praestare deo, et eritis odio omnibus hominibus
propter nomen meum, trademini a parentibus et cognatis;
quod est plus, quam pati a Stanislao vel Paleé.
Hus und die böhmiſche Sprache und Literatur. 299
Deutſchen iſt durch den Streit über die drei Stimmen an 1413
der Univerſität weltkundig geworden; ſie äußerte ſich auch
in ſeinen Schriften, jedoch nicht angriffsweiſe, ſondern nur
zum Schutz und zur Vertheidigung. Insbeſondere eiferte
er gegen den inneren Verfall der böhmiſchen Sprache, zumal
bei den Pragern, durch die Mengung beider Sprachen in ein—
ander, und gegen die damit zuſammenhängende Halbheit und
Charakterloſigkeit, wie der Gedanken, fo der Geſinnung. “s
Als böhmiſcher Schriftſteller hielt er daher viel auf Puris—
mus, und ſuchte nicht nur die Sprache durch feſte Regeln
zu binden, ſondern erſann auch ein neues Syſtem der Or—
thographie, welches ſich durch Einfachkeit, Präciſion und
Folgerichtigkeit ſo ſehr empfahl, daß es ſchon im XVI Jahr—
hunderte im Bücherdruck angenommen wurde, und ſeitdem
bis heute noch allgemein befolgt wird. #7 Seine böhmi—
406) Charakteriſtiſch ſind in dieſer Hinſicht folgende Worte im 40ſten
Capitel feines größeren »Wyklad na päteres: Také kniezata,
päni, rytieri, wladyky, mestöne — majie se postawiti, aby
&eskä re& nehynula; puojmeli Cech Nemkyni, aby det ihned
tesky uèili a nedwojili rei; neb feèi dwojenie jest hotowe
zawidönie, roztrzenie, popüzenie a swär. Protok swaté pameti
Karel ciesar kräl Cesky prikäzal jest byl Prazanöm, aby swe
deti &esky uèili, a na radnem domu, jemuz nömecky rikajı
rathüs, aby @esky mluwili a zalowali. A werne, jako Neemias
slysaw, ano dietky zidowské mluwie odpolu azotsky a ne-
umöjie zidowsky, proto je mrskal a bil: tes nynie hodniby byli
mrskänie Prazanè i jini Cechowes, jen2 mluwie odpolu èesky
a odpolu némecky. A ktoby mohl wse wypsati, co sü rel
ji2 Ceskü zmietli; tak ze kdy prawy Cech slysi, ani jinak
mluwie, nerozumie jim co mluwie etc.
407) Seine lateinifhe Abhandlung über die Grundſätze der böhmi—
ſchen Orthographie iſt in vielfacher Hinſicht intereſſant, aber
noch ungedruckt. Seinen größeren Schriften pflegte er auch
Vorreden grammatiſchen und orthographiſchen Inhalts beizu—
legen, und darin die Abſchreiber derſelben zu ermahnen, daß
ſie ja nicht in den gewöhnlichen Schlendrian zurück verfallen.
300 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1413 ſchen Schriften, 15 an der Zahl, ſind nicht allein durch
eigenthümlichen kernigen Vortrag ausgezeichnet, ſondern auch
an der beſonderen Orthographie leicht zu erkennen. Die
ganze Bibel war zwar von einem Ungenannten ſchon im
XIV Jahrhunderte ins Böhmiſche überſetzt worden; Hus
unternahm aber eine neue Reviſtion derſelben, “s wie es die
noch erhaltenen, mit ſeiner Orthographie im erſten Viertel
des XV Jahrhunderts geſchriebenen Exemplare darthun.
Auch als Dichter verſuchte er ſich, ſowohl in frommen
Kirchenliedern, als in didaktiſchen Hexametern; “ in bei—
den jedoch ohne poetiſche Weihe.
In der gleichen Zeit, wo Hus gezwungen worden war,
Prag zu verlaſſen, entfernte ſich auch ſein Freund, M.
Hieronymus, von dort; wahrſcheinlich aus freiem Ent—
ſchluſſe, ſowohl um ſeine Reiſeluſt zu befriedigen, als um
die neue kirchliche Lehre in die Nachbarländer verbreiten
zu helfen,“ obgleich er wegen feiner Vorliebe für Wiklef
(Man vergleiche ſeine Poſtille, dann die beiden Bautzner Hand—
ſchriften u. a. m.) Dennoch drang er bei ſeinen Zeitgenoſſen
nicht durch; ſeine Orthographie wurde erſt von den Taboriten,
dann nach ihnen von den böhmiſchen Brüdern angenommen;
Letztere verſchafften ihr erſt im XVI Jahrhunderte die allge—
meine Aufnahme, obgleich mit kleinen Inconſequenzen, die erſt
in der neueſten Zeit beſeitigt worden ſind.
408) Namentlich rührt die von Dobrowſky zuerſt beſtimmte zweite
Recenſion der böhm. Bibelüberſetzung von Hus her.
409) In dem Verſuche, die böhmiſche Sprache in Hexameter ein—
zuzwängen, war ihm ſchon Stitnb im 3. 1374 mit einem Bei—
ſpiel vorangegangen. Doch ſind beide Verſuche ziemlich hol—
pericht ausgefallen. b
410) Wenigſtens ſind nachſtehende, vom Dolaner Prior Stephan in
ſeinem Antiwiklef im J. 1408 geſchriebenen Worte, ſichtbar auf
M. Hieronymus gemeint: Quidam insani magistri et homi-
nes pestiferi Wiklefitiei ordinis et schismatis — post discur-
sum peregrinarum nobis terrarum et distrietuum, etiam in terris
nostris Bohemiae et Moraviae aulas principum, collegia et ca-
M. Hieronymus in Ungarn, Wien, Polen u. Rußland. 301
faſt allenthalben mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatte. 1413
Schon früher hatte er deshalb aus Paris und Heidelberg
ſich flüchten müſſen; auch am Hofe K. Sigmunds von
Ungarn, in Ofen, hatte ihn im J. 1410 die Klage des
Erzbiſchofs Zbynek aus Prag ereilt, in deren Folge er,
auf Veranlaſſung des Königs, von dem Erzbiſchof von
Gran 14 Tage lang in Haft gehalten wurde. Von dort
zurückkehrend, war er auch in Wien angehalten, und auf
Verlangen der Univerſität von dem Official des Paſſauer
Biſchofs über feine Rechtgläubigkeit ins Verhör genommen
worden; er mußte angeloben, die Stadt nicht zu verlaſ—
ſen, bis er ſich von dem Verdacht der Ketzerei gereinigt
haben würde, ergriff aber bei der erſten Gelegenheit die
Flucht (zu Anfang Sept. 1410) und entſchuldigte ſich dann
damit, daß man nicht den Rechtsformen gemäß, ſondern
gewaltthätig ſich gegen ihn benommen habe. *! Die letzte
größere Reiſe dieſer Art unternahm er, wie er ſagte, auf
den Wunſch K. Wladiſlaws und des Großfürſten Witold,
nach Polen und Rußland im Jahre 1413. Er trat am
königlichen Hofe in Krakau bald als Edelmann, bald als
Gelehrter auf, und brachte in den wenigen Tagen ſeines
dortigen Verweilens die Gemüther des Clerus und des
Volkes in größere Gährung, als man ſie ſeit Menſchen—
gedenken dort geſehen.“? Dann begleitete er den Groß—
thedras sacerdotum, scholas studentium, promiscui sexus po-
pularem tumultum fidelium — tuba ipsorum ululans et pesti-
fera — replevit. (Pez Thesaur. Anecdot. I. c. pag. 157 sq.)
411) »Violenter arrestatus fui, nec quidquam mecum juridice, sed
violenter actum est; nec habebant quidquam jurisdictionis
super me, quia de alia eram dioecesi.« — Nec furtive, nec
contumaciter recessi, sed violentiam mihi ab eis infligendam
exspectare non volui, prout nec tenebar, nec debui.« Go äu:
ßerte er ſich darüber fpäter in Conſtanz (bei Von der Hardt,
IV, pag. 638).
412) Der Krakauer Biſchof Albert ſchrieb über ihn am 2 April 1413
302 VI Buch, 4 Eapitel, K. Wenzel IV.
1413 fürſten Witold nach Litthauen und Rußland, und erregte
insbeſondere bei den Minoritenbrüdern in Witepfk großen
Anſtoß dadurch, daß er die dortigen griechiſch-gläubigen
Ruſſen für gute Chriſten erklärte, ihre Kirchen beſuchte
und ihre Ceremonien mitmachte; das Gleiche ließ er ſich
auch in Pleſkow zu Schulden kommen, und achtete nicht
der Ermahnungen, welche der Biſchof von Wilna deshalb
an ihn richtete. Der Großfürſt ſcheint ihn gerade in den
Angelegenheiten der beiden ſtreitenden Kirchen zu Rathe
gezogen zu haben; doch iſt uns nichts Näheres davon be—
kannt geworden. #13 |
Die Sympathien und wechfelfeitigen Verbindungen
des Volkes in Böhmen und Polen ſcheinen zu Anfange
des XV Jahrhunderts überhaupt eine Höhe und Innigkeit
erreicht zu haben, wie niemals zuvor oder nachher. Sehr
viele Böhmen wanderten damals aus, um an der Weichſel
ein beſſeres Fortkommen zu ſuchen, und nicht wenige Polen
hielten ſich ſtets in Prag auf, vorzüglich um der Bildung
willen. Die böhmiſche Sprache war damals auf dem Wege,
nicht nur die Hofſprache der Jagellonen, ſondern die all—
an den Patriarchen Wenzel von Antiochien Folgendes: Venit
huc personaliter, et prima die barbatus apparuit, secunda vero
imberbis stolatus, tunica rubra et caputio foderato, pellibus
griseis, se gloriosum ostendebat, coram ipso rege, regina, prin-
cipum, baronum ac procerum frequentia. Qui tamen licet hie
paucis diebus moraretur, majores in clero et populo fecit com-
motiones, quam fuere factae a memoria hominum in dioecesi
ista etc. — Terra nostra (ſpricht der Biſchof mit bitterem Spott
weiter) ad semen suum videtur esse arida capiendum et fruc-
tum afferendum, eo quod simplex plebicula tanti philosophi
dogmata comprehendere non valet, et multo minus terrae Li-
tuanorum et Rusiae ete. (Beide Sätze ſcheinen doch mit ein:
ander im Widerſpruch zu ſtehen.)
413) Man vergleiche die Angaben bei Von der Hardt, IV, pag. 643,
677 — 79 etc.
Böhmens Verhältniſſe zu Polen. 303
gemeine Bildungsſprache der römiſchgläubigen Slawen über—
haupt zu werden, wenn nicht der in Böhmen begonnene
Huſſitismus den Clerus in Polen, Ungarn und Kroatien
gezwungen hätte, bei Zeiten auf ſeiner Hut zu ſein und
fortan allen geiſtigen Einflüſſen aus Böhmen entgegenzu—
wirken.!“ Wie verbreitet und tief gewurzelt in Böhmen
die Neigung für die Polen war, zeigte ſich insbeſondere
in dem bekannten großen Kriege der Letzteren gegen den
deutſchen Orden in Preußen im J. 1410. K. Wenzel
war damals, zu Gunſten des Ordens, ſeinem vieljährigen
Freunde Wladiſlaw Jagjel untreu geworden, weil Letzterer
ſich geweigert hatte, ſeinem Schiedſpruche im Streit mit
dem Orden Folge zu leiſten. Wenzel nahm für den Orden
Partei und machte ſich zu deſſen Unterſtützung anheiſchig:
gleichwohl zog die Mehrzahl ſeiner Unterthanen freiwillig
den Polen zu Hilfe, und wenn wir ſpäteren Chroniſten
glauben dürfen, ſo trugen insbeſondere die böhmiſchen Feld—
herren Johann Sokol von Lamberg, Johann Zijfa von
Trocnow und Andere, nicht wenig dazu bei, daß die ent—
ſcheidende blutige Schlacht bei Tannenberg am 15 Juli
1410 für den Orden ſo unglücklich ausfiel. K. Wenzel
414) Der diplomatiſche Gebrauch der böhmiſchen Sprache in Polen
und Litthauen, der ſich zuletzt nur in häufigen Bohemismen
bis gegen den Anfang des XVII Jahrhunderts erhielt, ver—
diente eine nähere Unterſuchung. Man vergl. Casopis Lesk.
Museum, 1830, pag. 293 fg. 1831, 280 fg. Auffallend iſt ins
beſondere das ſtarke Bohemiſiren z. B. in dem Landtagſchluſſe
von Wilna vom 19 Juni 1563, wie man ihn im Statut Li-
tewski 1841, pag. 528 fg. lieſt, ſo wie in den litthauiſch-ruſſi—
ſchen Acten des XVI Jahrh., wie fie in Muchanows Zbornik
(1836) zu finden ſind. Die böhmiſche Sprache war unter
Wladiſlaw Jagjel und deſſen nächſten Nachfolgern die Hof—
ſprache in Polen. Unter den Südſlawen hatte ein Dominicus
de Zagrabia ſchon 1413 den Huſſitismus zu predigen angefan—
gen; er wurde aber eingezogen und zum Widerruf gebracht.
1413
304 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1413 rief hierauf alle ſeine Unterthanen zu den Waffen, und
ſprach noch zu Anfang Septembers von ſeinem Entſchluſſe,
ſich perſönlich an die Spitze ſeines Heeres zu ſtellen, um
der neuen »Tatareninvafion« zu wehren: 6 allein feine
Stimme machte um ſo weniger Eindruck, als auch Wla—
diſlaw den Böhmen und Mährern die Überzeugung beizu—
bringen wußte, daß ſie nichts von ihm zu beſorgen hätten.
Darum fand ſich K. Sigmund noch am 2 Dec. 1411 be—
wogen, bei ſeinem Bruder nachdrücklich darauf zu dringen,
daß alle Böhmen, Mähren und Schleſier, welche ſich im
Solde des Königs von Polen befanden, zurückgerufen, und
die Widerſpenſtigen ernſtlich geſtraft werden.““ Wenn
man weiß, daß auch Hus in dieſen Jahren mit K. Wla⸗
diſlaw in brieflicher Verbindung ftand, *7 und wenn man
das Intereſſe erwägt, welches polniſche Herren bald darauf
an dem Schickſal des böhmiſchen Reformators nahmen: ſo
wird man die Anſicht kaum zurückweiſen, daß auch der
Huſſitismus in ſeinem Beginne ein neues Bindungsmittel
zwiſchen Polen und Böhmen gebildet hat.
Es ſcheint, daß Hus aus ſeinem Exil im Laufe des
Jahres 1413 einigemal incognito nach Prag zurückkehrte,
ſich aber immer wieder entfernte, ſobald ſeine Anweſenheit
daſelbſt entdeckt wurde. Um feinen Freunden näher zu
415) Er ſchrieb am 4 Sept. einen Landtag auf den 14 Sept. zu
dem Zwecke aus: »pro tractando, — qualiter saevissimis Tar-
taris et ipsorum adhaerentibus, qui regna et terras nostras, imo
et dominia vestra, nituntur manu tyrannica invadere, obviare
realiter valeamus; — und dankte noch am 11 Sept. 1410 dem
Herrn Heinrich von Roſenberg dafür, quod ad eorundem in-
fidelium et paganorum ferocitatem conculcandam nobiscum pro-
fieisci decrevisti ete. (Orig. im Wittingauer Archive.)
416) J. Aſchbach, Geſchichte Kaiſer Sigmunds, Bd. L S. 42629.
417) Ein von Hus im J. 1412, in die Barnabae, dem Könige ge—
ſchriebener Brief (de malitia cleri) ſteht in der Handſchrift
Nr. 4902 der k. k. Hofbibliothek in Wien.
Hus auf der Burg Krakowec. 305
ſein, nahm er dann das Anerbieten des königlichen Günſt—
lings, Herrn Heinrich von Lazan, an, auf deſſen anſehn—
licher Burg Krakowec im Rakonitzer Kreiſe zu wohnen.“
Von da pflegte er häufig in die benachbarten Märkte und
Dörfer ſich zu begeben, um überall, wo es eine Volks—
verſammlung gab, als Prediger aufzutreten, und das Volk
firömte, nach dem Zeugniß eines gleichzeitigen Chroniſten,
ihm ſchaarenweiſe allenthalben nach. So trug auch ſein
Exil zur Verbreitung ſeiner Lehre auf dem Lande bei.
Auf einem kleinen Concilium, welches Papſt Jo—
hann XXIII zu Anfange des Jahres 1413 in Rom hielt,
wurden die 45 Wiklef'ſchen Artikel neuerdings durch eine
vom 2 Febr. 1413 datirte Bulle verdammt, welche her—
nach in Böhmen einer kurzen, aber ſehr beißenden Kritik
unterworfen wurde.“!“ Am 30 Oct. 1413 kam aber König
Sigmund mit den Bevollmächtigten des Papſtes zu Viglud
bei Lodi überein, ein allgemeines großes Concilium auf
418) πν letopisomé p. 19. Die Burg Krafowec hatte Herr Hein—
rich von Lazan, zugenannt Lefl (Ahnherr der heutigen Frei—
herren Bechyns von Laßan), von dem Herrn Jira von Roztok
und deſſen Sohne Peter an ſich gebracht (Archiv Cesky I, 166
etc.); an die Kolowrate gelangte fie erſt ſeit 1443. Daß Hus
während ſeines Exils ſich in Huſinec aufgehalten habe (apud
villam, unde sibi origo fuit ac cognomen, permittente loci do-
mino), iſt eine der unzähligen Unrichtigkeiten des Aeneas
Sylvius, mit deren Widerlegung wir uns nicht einzeln befaſ—
fen können. Der »loci dominus« in Hufinec war der König
ſelbſt; der königliche Günſtling Nicolaus von Pieſtna, den
man gewöhnlich dafür anſieht, war nur ein auf Lebenszeit er—
nannter königlicher Burggraf der Burg Hus, zu welcher die
Hälfte des Marktes Huſinec damals gehörte, wie ſchon oben
geſagt worden iſt.
419) Die Bulle ſteht bei Raynaldi zum J. 1413, §. 1 sq. Die
Kritik darüber kommt in Handſchriften unter Huſſens Namen
vor, obgleich er bekanntlich ihre Autorſchaft läugnete und ſie
ſeinem Freunde M. Jeſenie zuſchrieb.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 20
306 VI Buch, 4 Capitel. K. Wenzel IV.
1413 den 1 November 1414 nach Conſtanz am Bodenſee zu—
ſammenzuberufen. Er ließ alſogleich Einladungsſchreiben
dazu in ſeinem Namen an die ganze Chriſtenheit ergehen,
und brachte den ſchwankenden Johann XXIII bei einer per—
ſönlichen Zuſammenkunft mit ihm zu Lodi endlich dahin,
daß auch er am 9 Dec. 1413 die Einladungsbulle voll—
zog und zugleich perſönlich in Conſtanz ſich einzufinden
verſprach. Bei dem Ernſte, mit welchem K. Sigmund ſich
dieſem Geſchäfte widmete, um die von Allen gewünſchte
Union und Reformation der Kirche an Haupt und Glie—
dern endlich ins Werk zu ſetzen, mußten nothwendig auch
die kirchlichen Wirren von Böhmen zur Sprache und zur
Entſcheidung kommen; zumal dieſe Wirren eben in einem
vorlauten Streben nach der Kirchenreform ſelbſt ihren Ur—
ſprung hatten. Sigmund ließ ſich deßhalb in directe Ver—
handlungen mit Hus ein, und forderte ihn auf, ſich per—
ſönlich in Conſtanz einzufinden; er bot ihm nicht nur ein
freies Geleite dahin, ſondern auch ſeine Mitwirkung an,
um ſeine Sache daſelbſt einem erwünſchten Schluſſe ent—
gegenzuführen. Die zwei königlichen Hofleute, Heinrich
Lefl von Lazan und Mikes Diwoͤcek von Jemnist, beide
Freunde Huſſens, vermittelten dieſe Mittheilungen. Dieſer
erklärte ſich alſogleich bereit, der hohen Einladung zu fol—
gen, und ſein Entſchluß bildete nicht nur einen neuen
Wendepunct in ſeinem Leben, ſondern es trat damit auch
eine neue Reihe von Ereigniſſen in der Geſchichte von Böh—
men überhaupt ein.
Fünftes Capitel.
M. Johann Hus und das Conſtanzer Concilium.
Das Concilium und ſeine Hauptzwecke; K. Sigmunds Ver—
dienſte um dasſelbe. Huſſens Vorbereitung und Reiſe nach
Conſtanz; ſeine Gegner, ſeine Verhaftung daſelbſt. Papſt
Johann XXIII. K. Sigmunds erſtes Auftreten in Con—
ſtanz. Proceß gegen Hus. Beginn der utraquiſtiſchen Com—
munion in Böhmen. Johanns XXIII Flucht von Gone
ſtanz. M. Hieronymus von Prag wird gefangen einge—
bracht. Verwendungen zu Gunſten Huſſens. Deſſen drei—
maliges Verhör. K. Sigmunds Urtheil über ihn. Be—
ſchluß des Conciliums gegen die Communion unter beider—
lei Geſtalten. Vergebliche Bemuͤhungen, Hus zum Wider—
ruf zu ſtimmen. Seine Verurtheilung und Hinrichtung.
(Jahr 1414 — 1415.)
Das in der Stadt Conſtanz am Bodenſee in den
Jahren 1414 bis 1418 abgehaltene allgemeine Con—
cilium war unter allen Kirchenverſammlungen des Mit—
telalters die größte und feierlichſte, und hinſichtlich der Be—
deutſamkeit ihrer Verhandlungen auch gewiß eine der wich—
tichſten und denkwürdigſten. Zahlreicher hat man die Väter
der Kirche aus den verſchiedenſten Ländern Europa's nie—
mals beiſammen geſehen, und nie war deren Anſehen durch
einen glänzenderen Kreis weltlicher Fürſten und Herren
gehoben worden?“; und während fie, mit Letzteren ver:
420) Man zählte in Conſtanz, außer dem römiſchen Könige und
dem Papſte, 30 Cardinäle, 4 Patriarchen, 33 Erzbiſchöfe, 150
Biſchöfe, mehre hundert andere Prälaten, Doctoren u. ſ. w.
i 20 *
1414
1414
308 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
eint, zugleich den erſten großen Fürſtencongreß bildeten,
den die neuere Geſchichte kennt, ſetzten ſie ſich über Päpſte,
Fürſten und Völker zu Gericht, und entſchieden in letzter
Inſtanz Fragen, welche die Chriſtenheit in verſchiedenen
Ländern tief aufgeregt und hie und da auch ſchon zu blu—
tigem Streit getrieben hatten. Ein vollſtändiges, gedräng—
tes und lebendiges Bild aller Verhandlungen dieſes Con—
ciliums, ſo wie aller Verhältniſſe, in welche es eingegrif—
fen hat, gäbe nicht nur einen treuen Spiegel des Geſammt⸗
lebens jener Zeit, ſondern auch denkwürdige Aufſchlüſſe
über des Menſchen Geiſt und Sitte, ſeine Herrlichkeit und
Niedrigkeit, den Streit des Göttlichen und des Thieriſchen
in ſeiner Natur überhaupt. Wir haben jedoch die Auf—
gabe, nur eine Seite dieſes Gemäldes, welche auf die
böhmiſche Geſchichte Bezug hat, hier aufzurollen. Und dieſe
iſt allerdings eine der bedeutſamſten und intereſſanteſten.
Die Hauptzwecke des Conciliums waren: 1) die Be—
ſeitigung des großen päpſtlichen Schisma; 2) die Refor—
mation der Kirche an Haupt und Gliedern; und 3) die
Unterdrückung der Wiklef'ſchen und Hus'ſchen Lehren, welche
das ganze Gebäude der chriſtlichen Hierarchie zu erſchüt—
tern drohten. Letzteres bildet den Geſichtspunct, unter
welchem wir das Concilium vorzugsweiſe zu betrachten
haben. Es iſt wahr, auch Hus hatte in ſeinen Lehren zu—
nächſt nichts als eine Reformation der Kirche an Haupt
Ferner waren 4 Kurfürften, 24 Herzoge und Fürſten, 78 Gra—
fen, 676 Barone und Edle aus allen Ländern perſönlich an—
weſend; auch gab es kaum einen Souverain, kaum eine ſich
ſelbſt verwaltende Stadt oder Corporation in der katholiſchen
Welt, die nicht ihre Abgeordneten da gehabt hätten; und die
Zahl des Gefolges der Hohen und Vornehmen, ſo wie der
Induſtrie-Männer und = Frauen jeder Art war fo groß, daß
beſtändig über 50,000 Fremde beiderlei Geſchlechts in *
ftanz ſich aufgehalten haben ſollen. 5 n
9
Das Concilium und feine Hauptzwecke. 309
und Gliedern beadfichtigt: der Unterſchied zwiſchen feinen 1414
Beſtrebungen und denen des Conciliums lag aber ſchon
im Ausgangspuncte, dann auch in der Art und Weiſe der
Ausführung, im Maßhalten und Nachdruck. Das Concil
ging von einer poſitiven Grundlage aus, nämlich von der
überlieferten höchſten Auctorität der Kirche, als eines Ganz
zen, dem in Lehre und Glauben alles Individuelle ſich un—
bedingt unterzuordnen und zu fügen habe: Hus ſchlug
dagegen einen rationellen Weg ein, und nahm gegen jene
Auctorität das Recht der freien Forſchung und Kritik in
Anſpruch. Die Kirche ſollte, nach der Anſicht der Väter,
in organiſcher Weiſe aus und durch ſich ſelbſt ſich refor—
miren: Hus wollte dagegen die Reform nach einer be—
ſtimmten Idee (nach dem Bilde des kirchlich noch nicht aus—
gebildeten Ur-Chriſtenthums) ihr aufdringen. Was daher
jene von oben herab langſam, bedächtig, mit Schonung
aller beſtehenden Verhältniſſe ins Werk zu ſetzen beabſich—
tigte, das hatte Dieſer von unten hinauf bereits in ſtür—
miſchem Anlauf rückſichtslos durchzuführen begonnen. Bei
Heilung der beiderſeits anerkannten Gebrechen im kirch—
lichen Organismus wollten die Einen jedes ſeiner Glieder
ſorgfältig erhalten wiſſen: der Andere unternahm das Ex—
periment auf die Gefahr hin, daß einzelne Glieder dar—
über auch zu Grunde gehen. Das Verfahren der Einen
war, in der Sprache der Neuzeit zu reden, monarchiſch—
ariſtokratiſch und confervativ, das des Anderen demokra—
tiſch, radical und revolutionär. Welche von beiden Re—
formarten für die ganze Chriſtenheit heilſamer und darum
wünſchenswerther geweſen, darüber kann unter Unbefange—
nen kaum die Frage fein. Das Unglück wollte aber, daß
die Väter, trotz aller ernſten Bemühungen, nie recht an's
Werk und zum Ziel gelangen konnten.
Das größte Verdienſt um das Conſtanzer Concilium
hat unſtreitig König Sigmund ſich erworben. Ohne ſeine
„
1414
310 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
eben ſo verſtändigen als beharrlichen Bemühungen wäre
dasſelbe wohl nie zu Stande gekommen, und hätte auch
lange nicht ſo erſprießliche Folgen gehabt. Es iſt zwar
an ſich nicht zu läugnen, daß Sigmunds Geiſtesgaben in
keiner Hinſicht ausgezeichnet waren; die höhere Weihe des
Herrſchers, ſelbſt die Organiſirungs-Ideen eines Karl IV.
fehlten ihm, gleichwie ſeinem Bruder Wenzel, und er be—
wies ſogar mehr Egoismus und weniger Rechtsgefühl als
dieſer: aber er beſaß Muth, Entſchloſſenheit und Thätig—
keit, und hatte dabei etwas von dem ritterlichen Schwung
ſeines Großvaters; auch zeigte er nicht nur Verſtand genug,
die Wichtigkeit ſeiner Stellung als römiſcher König dem
zerrütteten Zuſtande der Kirche gegenüber zu begreifen,
ſondern auch Herz genug, ſich dem Rufe der Zeit mit
voller Hingebung, mit Hintanſetzung aller übrigen Ange—
legenheiten, und nicht ohne kluge Umſicht zu weihen. Das
Conſtanzer Concilium bildet den höchſten Glanzpunct feines
vielbewegten langen Lebens.
So war Sigmund es auch geweſen, der zuerſt, wie
wir bereits erzählten, an M. Johann Hus den Antrag
ſtellte, ſich zu Schlichtung des kirchlichen Streits und zu
Herſtellung des guten Rufes der Böhmen, nach Con—
ſtanz zu begeben, indem er ihm zugleich ſeinen Schutz und
ein ſicheres Geleite dahin anbot. Einer ſolchen Aufforde—
rung hätte ein Hus in feiner Weiſe entſtehen konnen; er
ſagte ſeine Reiſe alſogleich unbedingt zu, und ſäumte auch
nicht, die nöthigen Anſtalten und Vorbereitungen dazu zu
treffen.
Huſſens erſte Sorge war darauf gerichtet, die Frage,
ob er rechtgläubig oder Ketzer ſei, von Hauſe aus ſicher
zu ſtellen. Da Erzbiſchof Konrad auf den 27 Auguſt
1414 eine Synode ſeines Diöceſanclerus nach Prag be— |
rufen hatte, ſo begab auch er ſich dahin. Schon den Tag
zuvor, am 26 Auguſt, verkündete er durch viele Mauer—
*
Huſſens Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 311
anſchläge in lateiniſcher, böhmiſcher und deutſcher Sprache,
daß er bereit ſei, vor dem Erzbiſchof und der Synode zu
Rede und Antwort zu ſtehen, und wenn er einer Irrlehre
überwieſen werde, die gehörige Strafe zu erleiden; er fo—
derte daher Jedermann auf, der ihn der Ketzerei bezich—
tige, ſeine Klage daſelbſt in rechtlicher Form vorzutragen.
Als er aber am folgenden Tage in Begleitung ſeiner
Freunde, der Magiſter Johann von Jeſenic, Simon von
Tisnowic, Prokop von Pilſen, Johann von Pribram und
Anderer, vor dem erzbiſchöflichen Palaſt erſchien und Ein—
laß begehrte, wurde er vom Marſchall des Erzbifchofg,
Ritter Ulrich Swab von Swabenic, an der Pforte mit
dem Bedeuten abgewieſen, daß die hochwürdige Verſamm—
lung ſo eben über einen königlichen Auftrag verhandle und
darin nicht geſtört werden dürfe. Beſſer erging es ihm
bei dem vom Papſte beſtellten böhmiſchen Inquiſitor, Ni—
colaus Biſchof von Nazareth. Dieſer nahm keinen An—
ſtand, in einer anſehnlichen Verſammlung bei dem könig—
lichen Oberſtmünzmeiſter Herrn Peter Zmrzlik von Swoj—
sin “et am 30 Auguſt nicht nur laut zu erklären, daß er
M. Johann Hus kenne und von aller Schuld der Ketzerei
frei wiſſe, ſondern auch eine Urkunde darüber auszufer—
tigen. *? Auf Huſſens Verlangen foderten dann mehre
421) Dem Notariats-Inſtrument (in Opp. Hus. I, pag. 34) zu Folge
waren damals in dem Zmrzlik'ſchen, jetzt Stupart'ſchen Haufe
(in der Stupartsgaſſe auf der Altſtadt Nr. 647) unter Ande—
ren gegenwärtig: die Barone Wilhelm von Wartenberg und
Zwiretic nebſt feinem Sohne Peter, Hlawac von Ronow und
Wenzel von Lnar, die Ritter Ones von Mukowic, kön. Burg:
graf von Lichtenburg, Ctibor von Bohdanee, Wilhelm von
Daupow u. A. m.
422) Seine Worte ſind: »Ego multis et pluribus vieibus M. Joanni
Hus conversatus sum, secum comedendo et bibendo, et ser-
monibus suis saepe interfui, ac collationes plures de diversis
sacrae scripturae materiis faciendo, numquam aliquem in ipso
1414
312 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 Barone auch den Erzbiſchof Konrad auf, E A — N
ren, ob er den Magiſter einer Ketzerei beſchuldige? was
Konrad mit dem Zuſatz verneinte, daß Hus es nicht mit
ihm, ſondern mit dem Papſte zu thun habe. Über alle
dieſe Vorgänge ließ ſich Hus urkundliche Zeugniſſe aus—
ſtellen, und berichtete darüber in einem am 1 September
an K. Sigmund geſchriebenen Briefe, worin er für die
ihm bewieſene königliche Huld dankte, und nur die Bitte
ſtellte, dafür zu ſorgen, daß er in Conſtanz nicht ins—
geheim gerichtet, ſondern in öffentlicher Audienz gehört
und geprüft, und daß es ihm geſtattet werde, ſeine Lehr—
ſätze daſelbſt friedlich und ungeſtört vorzutragen; er wiſſe
wohl, daß ihm von ſeinen bitteren Feinden ſchwere Prü—
fungen bevorſtehen, doch ſei er auch bereit für das, was
er als Wahrheit erkannte, wo nöthig, ſelbſt den Tod zu
erleiden.“
a u un
inveni errorem vel haeresim, sed in omnibus verbis et operi-
bus suis ipsum semper verum et catholicum hominem reperi.
(Opp. Huss I, 39.)
423) Einige bedeutendere Stellen aus dieſem noch unbekannten Briefe
müſſen wir hier wörtlich anführen: Vestrae benignitatis fa-
vorem, quo me pauperculum gratiosissime respieit, toto cordis
revolvens animo, non quovis modo sufficio respondere, sed
obligor omnipotentis domini, qui quemlibet digne remunerat,
pro Vestrae Majestatis regiae felici regimine misericordiam
implorare, Nuper per Stephanum Harnsmeister Vestrae Sere-
nitati direxeram responsum, quia juxta relationem domini Hen-
rici Lefl de Lazan, juxta Maj. Vestrae vota, intendo humili-
ter collum subjicere, et sub protectionis Vestrae salvo con-
ductu in proximo Constantiensi concilio praestante altissimo
domino comparere. — Vestram Maj. deprecor, supplicando
humiliter in domino, — quatenus erga mei personam sie gra-
tiam suam dignaretur extendere, ut in pace veniens, in ipso
generali concilio valeam fidem, quam teneo, publice profiteri.
Nam sicut nihil in occulto docui, — sie opto non in secreto,
sed in publica audientia audiri, examinari, praedicare, et om-
—
r
*
*
u
Huſſens Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 313
.
* a:
Wie lange ſich Hus dieſes letzte Mal in Prag auf- 1414
gehalten habe, iſt uns nicht bekannt; ſeine Anweſenheit
wurde vom Clerus um ſo mehr ignorirt, als er beſcheiden
genug war, nicht mehr öffentlich zu predigen. König Wen—
zel, Königin Sophie und der ganze königliche Hof in Böh—
men waren ſeinen Lehren jetzt mehr als je geneigt: um
ſo auffallender iſt es, daß uns von ihrem Benehmen gegen
den Magiſter in dieſen letzten Tagen keine nähere Kunde
geblieben iſt. Beide königlichen Brüder, Wenzel und Sig—
mund, übergaben ihn dem Schutze dreier böhmiſchen Ba—
rone, die über die Sicherheit ſeiner Perſon ſowohl auf
der Reiſe nach Conſtanz, als auch auf dem Concilium ſelbſt,
wachen ſollten. Der vorzüglichſte unter ihnen war Herr
Johann von Chlum, zugenannt Kepka, aus dem Hauſe
der nachmals berühmt gewordenen Grafen Slawata; ““
nibus, quotquot arguere voluerint, juvante spiritu domini re-
spondere. Nec spero verebor confiteri Christum dominum, et
pro ejus lege verissima, si oportuerit, mortem pati. — Con-
solatus denique sum de his, quae nobilis et strenuus D. Mikes
Diwoky, Vestrae Maj. nuntius praeclarus, retulit, quod tam
pie et intente mei Vestra Celsitudo gerit memoriam, volens
ad finem laudabilem factum meum deducere; quod et faciet,
ad honorem et gloriam regis regum. Scripsi manu mea, in
die S. Aegidü etc. (MS. der k. k. Hofbibliothef, Nr. 5097,
fol. 96.)
424) Er war der älteſte unter vier Brüdern (Johann, Wilhelm,
Benes und Diwis), welche ihr väterliches Erbe (nach dem
Vater Jesek, den Vatersbrüdern Diwis, Mitiflam und Sla—
wata, und dem Großvater Diwis), nämlich die Burgen Chlum
und Kosumberg im Chrudimer Kreiſe, die Ritterfeſten Smr—
cany, Podmokly, Okreſanec, Radonow und Podhoran, dann
die Städtchen Luje und Jenikau, und etwa 30 Dörfer, erſt
im Jahre 1417 untereinander theilten. Die nachmaligen Gra—
fen Slawata ſtammten von dem zweitgebornen Bruder Wil:
helm (+ 1434) ab, dem bei der Theilung die Burg Kosum—
berg zugefallen war. Beiläufig geſagt, ſind alle von Balbin
2
314 VI Buch, 5 Kapitel, K. Wenzel IV.
1414 der zweite war Herr Wenzel von Duba auf Lestno, Neffe
des von uns oft genannten Oberſtlandrichters Andreas
von Duba; !“ der dritte, Herr Heinrich von Chlum auf
Latzenbock, gewöhnlich nur Latzenbock genannt. Gleichwohl
unternahm Hus ſeinerſeits die ganze Reiſe auf eigene,
nicht auf königliche oder Landeskoſten; er wurde bloß durch
freiwillige Beiträge ſeiner Freunde und Verehrer unter—
ſtützt, die ihm freilich ſo reichlich zufloſſen, als er nur
immer wünſchen mochte.
Huſſens Gegner, die Mehrzahl des böhmiſchen Clerus,
blieben auch nicht unthätig. Da Hus ſie ſelbſt aufgefor—
dert hatte, ihre Klagen gegen ihn vor das Concilium zu
bringen, ſo ſäumten ſie nicht, alles zur Inſtruction des
Proceſſes Nöthige einzuleiten. Alle, die gegen den neuen
Ketzer irgend ein Zeugniß abzugeben hatten, wurden vor—
geladen, beeidigt und ihre Ausſagen zu Protokoll genom—
men, welches den Grund zur Anklage bilden ſollte. Hus
erlangte, durch die Hilfe eines Gönners, noch während
ſeines Verweilens auf der Burg Krakowec, eine Abſchrift
dieſes Protokolls, und hatte noch Zeit, ſeine Gloſſen und
Bemerkungen dagegen aufzuſetzen.“““ Zur Beſtreitung der
bevorſtehenden Proceßkoſten legte ſich der Clerus in Böh—
men und Mähren eine eigene Collecte auf, deren Ertrag
dem perſönlich nach Conſtanz ziehenden Leitomysler Bi—
in feinen Miscellaneen über die älteſte Geſchichte der Sla—
wata's angeführten Daten, fo weit fie über das Ende des
XV Jahrh. hinaufgehen, rein aus der Luft gegriffen.
425) Die Herren Johann von Chlum und Wenzel von Duba hat—
ten in dem venetianiſchen Kriege 1413 für Sigmund mitgefoch—
ten. Als ſie 1414 nach Böhmen zurückkehrten, gab ihnen Sig—
mund perſönlich den oben genannten Auftrag.
426) Es find die von uns oben häufig genannten Depositiones te-
stium in einer Handſchrift des böhm. Muſeums, und vollſtän—
diger noch und richtiger in einem MS. der v. Gersdorf'ſchen
Bibliothek in Bauzen—
4
Huſſeus Vorbereitungen zur Reiſe nach Conſtanz. 315
ſchof, Johann dem Eiſernen von Prag, überantwortet wurde.
Den Biſchof begleiteten die Herren Pota von Caſtolowie,
Peter von Sternberg auf Konopist, Albrecht von Raben—
ſtein, Rubin von Rieſenburg, M. Stephan von Palec und
noch drei andere Doctoren der Theologie aus Böhmen.
Unmittelbar vor ſeiner Abreiſe richtete Hus am 10
Oct. von der Burg Krakowec aus ein Abſchiedsſchreiben
an die Böhmen. Er habe gewünſcht, ſagte er darin, ihnen
noch einmal vor ſeinem Scheiden zu predigen, um ſie mit
den einzelnen Klagen und Zeugniſſen, die gegen ihn er—
hoben werden ſollen, und deren Abſchrift er bereits beſitze,
vorläufig bekannt zu machen, damit, wenn er etwa in Con—
ſtanz verurtheilt werde, ſie im voraus wiſſen, auf welchen
Grund hin ſolches geſchieht. Nun werde er ſie wohl nim—
mer wieder ſehen; denn er begebe ſich bereits, obgleich
noch ohne Geleitsbrief, ? in die Mitte feiner Feinde,
deren Zahl größer ſei, als welche einſt gegen Chriſtus auf—
geſtanden; und unter ihnen ſeien die eigenen Landsleute
die ſchlimmſten. Doch hoffe er, es werde ihnen nicht ge—
lingen, ihn auf einen Abweg zu führen. Er empfehle ſich
den Gebeten ſeiner Freunde, damit Gott ihm die Geiſtes—
ſtärke verleihe, den Tod, wenn er unvermeidlich ſei, furcht—
los zu beſtehen; wenn er aber noch etwa zurückkehren
ſollte, daß ſolches mit Ehren geſchehe, ohne Verrath an
427) Im Original heißt es: A jitt wyprawil sem se na cestu, bez
kleitu, mezi welmi weliké a mezi mnohe neprätely, — was in
der lateiniſchen Überſetzung (in Opp. Huss. I, 72 b) ganz ver:
kehrt lautet: Ego profieiscar nunc cum literis publicae fidei
a Rege mihi datis ad multos et magnos inimicos meos. Über—
haupt müſſen wir ein- für allemal bemerken, daß die vielen
urſprünglich böhmiſch geſchriebenen Briefe Huſſens, die man
a. a. O. lateiniſch gedruckt findet, dem Überſetzer des XVI
Jahrh. äußert ſchlecht gerathen find, und nicht allein häufigen
Unſinn, ſondern mitunter auch ganz das Gegentheil von dem
geben, was Hus fagen wollte.
1414
1414
316 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
der Wahrheit, damit er das Geſetz Chriſti noch ferner ſtu—
diren und die begonnenen Riſſe in den Netzen des Anti—
chriſts noch erweitern könne u. ſ. w. Zugleich hinterließ
er eine Art Teſtament, in einem an ſeinen geliebteſten
Zögling Martin gerichteten verſchloſſenen Briefe, der erſt
nach erlangter Gewißheit ſeines Todes eröffnet werden ſollte.
Am 11 Oct. trat endlich Hus, in Begleitung der
Herren Wenzel von Duba und Johann von Chlum, dann
der Magiſter Johann Cardinalis von Reinſtein, Peter von
Mladenowic“' und anderer Böhmen, die Reiſe an, ohne
noch den vom römiſchen Könige längſt verſprochenen Ge—
leitsbrief erhalten zu haben; er verließ ſich auf das könig—
liche Wort, auf den Schutz der ihn begleitenden Barone,
und endlich auf die in dem Einberufungsſchreiben von Kai—
ſer und Papſt im Namen des Reichs und der Kirche ver—
kündigte Sicherheit aller Derjenigen, welche das Concilium
beſuchen würden. Auch zeigte der, wo nicht freundliche,
doch überall friedliche und zum Theil günſtige Empfang,
den er in Deutſchland fand, daß er des königlichen Schutz—
briefes auf der Reiſe nicht bedurfte. Die große Aufmerk—
ſamkeit, die das Volk ihm, wenn gleich nur aus Neugier,
erwies, überraſchte ihn, deſſen ſchwache Seite eben die
428) M. Johann Cardinalis war damals Pfarrer zu Janowie, einem
dem Herrn Johann von Chlum gehörigen Städtchen; Peter
von Mladenowic, damals noch Baccalar der freien Künſte,
ſtand als Secretär in Dienſten desſelben Barons. Mladeno—
wie ſchrieb eine umſtändliche und häufig mit Urkunden belegte
Geſchichte Huſſens auf dem Concil, welche ſich in einer gleich—
zeitigen Handſchrift des böhm. Muſeums befindet und eigent—
lich noch ungedruckt iſt; denn die Historia de actis ete., welche
die Sammlung der Opp. Huss. I, 1— 37 eröffnet, iſt eine im
XVI Jahrh. unternommene freie Überarbeitung des Werkes
von Mladenowic, mit vielfachen Interpolationen und noch häu—
figeren Weglaſſungen. Wir werden, bei wichtigeren Daten,
ſtets nur die eigenen Worte des Mladenowic anführen.
. |
Huſſens Reiſe nach Conſtanz. 317
1 Sucht nach dem Beifall der Menge war. An keinem Orte 1414
wurde während ſeines Durchzugs das Interdict beobach—
tet, ſelbſt mehre Geiſtliche nahmen ihn freundlich bei ſich
auf, das Volk eilte überall herbei, den berühmten Mann
zu ſehen, und in Nürnberg, wo ſeine Ankunft durch Kauf—
leute vorausgeſagt war, hielt er am 19 Oct. unter be—
deutendem Zulauf ſeinen Einzug. Da mehre dortige Geiſt—
liche, Bürger und Gelehrte ihm den lange gehegten Wunſch
ausdrückten, ſich mit ihm zu unterreden, ſo willfahrte er
ihnen, weigerte ſich aber in geheime Geſpräche einzugehen.
Von Nürnberg reiſte Herr Wenzel von Duba dem Könige
an den Rhein nach, um den verſprochenen Geleitsbrief für
Hus in Empfang zu nehmen, während Dieſer mit Johann
von Chlum direct nach Conſtanz ſich wendete.“ Auf die—
ſem Wege ging ein deutſcher Biſchof ihm um eine Tage—
reiſe voran, und warnte allenthalben das Volk vor ihm;
Grund genug für letzteres, um ſo neugieriger der Ankunft
des ungewöhnlichen Mannes zu harren, und ihm bei ſeiner
Annäherung entgegenzuſtrömen. Hus rühmte ſich, auch da
bei allen, mit denen er mündlich verhandelt, Beifall ge—
erntet zu haben. Als er am 3 November Conſtanz ſich
näherte, kamen Neugierige in großer Zahl vor die Stadt
ihm entgegen und geleiteten ihn unter ziemlichem Volks—
gedränge in ſeine Herberge, die er bei einer Witwe Na—
mens Fida in der Paulsſtraße nahm. Erſt am 5 No—
429) Als Probe, wie uncorrect auch die lateiniſch geſchriebenen
Briefe Huſſens edirt find, diene folgende Stelle aus dem am
20 Oct. von Nürnberg geſchriebenen Briefe: Rex (Sigismun-
dus) est in Rheno (ed. in Regno), quem sequitur D. Wence.
de Lestna; et nos de nocte pergimus Constantiam, ad quam
appropinquat papa Johannes. Judicamus enim, quod esset
inutile sequi regem forte per 60 milliaria, et reverti ad Con-
stantiam. (Hdit. Judicamus enim, quod sequatur regem forte
per 60 milliaria et revertatur Constantiam.)
1414
318 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
vember brachte Herr Wenzel von Duba nach Conſtanz den
zu Speier am 18 October ausgefertigten Geleitsbrief, ““
durch welchen K. Sigmund den zum Concilium reiſenden
M. Hus in der bei ſolchen Urkunden gewöhnlichen Form
in ſeinen und des heil. römiſchen Reiches Schutz nahm,
und allen Reichsangehörigen befahl, ihn freundlich aufzu—
nehmen, gut zu behandeln und ungehindert hin und zurück
paſſiren zu laſſen.
Mittlerweile hatte Conſtanz ſich bereits mit Gäſten
jeden Standes und Ranges von nah und fern zır füllen
angefangen. Papſt Johann XXIII war daſelbſt ſchon am
28 Oct. in Begleitung von neun Cardinälen, vieler Erz—
bifchöfe und Biſchöfe und feines ganzen Hofes, feierlich
eingezogen. Trübe Ahnungen erfüllten ſeine Seele, als
er die Stadt erblickte, in der all' ſeine Herrlichkeit ein
430) Daß der am 18 Oct. zu Speier ausgefertigte Geleitsbrief
nicht ſchon am 20 Oct. zu Nürnberg präſentirt worden ſein
kann (wie man allgemein annimmt), verſtünde ſich, bei der
Entfernung der beiden Orte und der damaligen Art zu reiſen,
von ſelbſt, wenn Hus auch nicht am 4 Nov. noch geſchrieben
hätte: stamus in Constantia, in platea prope papae hospitium,
et venimus sine salvo conductu. Zwei Tage darauf, am 6
Nov., als der inzwiſchen von K. Sigmund zurückgekommene
Herr Wenzel von Duba den Brief bereits gebracht hatte,
ſchrieb Hus: De quo (rege Sigismundo) mihi nuntiavit D. de
Lescna, quod valde fuit gavisus, quando ipse nobilis D. Wen-
ceslaus dixit sibi, quod equito directe ad Constantiam sine
salvo conductu. Mit Unrecht will man dieſe Worte auf einen
päpſtlichen Geleitsbrief deuten, da ein ſolcher weder nach—
geſucht, noch ertheilt zu werden pflegte. Die Stelle „Veni
sibi salvo conductu papae ad Constantiamæ (in demſelben
Briefe vom 6 Nov.) iſt offenbar unrichtig geleſen und ge—
ſchrieben, anſtatt »Veni sine salvo conductu ipse (d. h. von
ſelbſt, aus freien Stücken) ad Constantiam.« Man ſieht, daß
Hus es ſich zum Verdienſt anrechnete, zur Antretung der Reiſe
nicht erſt den Geleitsbrief abgewartet zu haben.
.
P. Johann XXIII und Hus in Conſtanz. 319
Ende finden ſollte. In feiner Beſorgniß hatte er bereits 1414
alle für Conſtanz getroffenen Maßregeln rückgängig machen,
und das Concilium in eine italieniſche Stadt berufen wol—
len; doch war er durch feine Cardinäle an der Ausfüͤh—
rung dieſes Plans gehindert worden. Da er das Con—
ſtanzer nur als eine Fortſetzung des Piſaner Conciliums an—
geſehen und die Aufgabe desſelben dahin verſtanden wiſſen
wollte, daß das Schisma durch gänzliche Abſetzung ſeiner zwei
Gegner zu beſeitigen, die Kirchenreformation aber durch
die Verdammung und Ausrottung der Wiklef'ſchen und
Hus'ſchen Ketzerei zu erreichen ſei, ſo gab er ſich noch der
Hoffnung hin, daß er das Concilium ohne Mißgeſchick lei—
ten und in Kurzem werde ſchließen können, wie ſehr auch
der bei den Kirchenvätern ſich kundgebende Ernſt ihn mit
banger Ahnung erfüllte. Die Eröffnung des Conciliums
ſollte am 1 November beginnen, er verſchob ſie aber zuerſt
auf den 3, dann wieder auf den 5 November; man glaubt,
er habe zu dieſer Eröffnung die Ankunft des Hus erwar—
tet, #3! deſſen Sache er vor allen anderen in Verhandlung
nehmen wollte. N
N Gleich den Tag nach Huſſens Ankunft, am 4 Novem—
ber, begaben ſich die Herren Johann von Chlum und Hein—
rich von Latzenbock zum Papſte, ihm deſſen Anweſenheit
zu melden und ihn um ſeinen Schutz zu bitten. Er ver—
ſprach kein Unrecht zufügen und Hus in keiner Weiſe be—
unruhigen zu laſſen, auch wenn Dieſer ihm den eigenen
Bruder erſchlagen hätte; doch wollte er das über ihn ver—
hängte Interdict nicht aufheben; »wie könnte ich das?
eure eigenen Leute find ja dagegen!« fagte er. Da er
aber hörte, daß K. Sigmund den Magiſter in ſeinen Schutz
genommen hatte, ſo entſchloß er ſich, deſſen Proceß auf—
431) Herm. von der Hardt, IV, pag. 11: Dilato in tertium Wien
bris coneilio, nondum visus Hussus, a tertio in quintum dif-
ferri sua mora suasisse videbitur etc.
*
320 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
zuſchieben, um nicht durch ſchnelles und ſcharfes Eingreifen
in dieſer Sache den König gegen ſich aufzubringen. Herr
Heinrich von Latzenbock reiſte daher noch am ſelben Tage
an den königlichen Hof nach Aachen ab, und hinterließ
dem Magiſter den Rath, ſich inzwiſchen ruhig zu verhal—
ten und vor Ankunft des Königs nichts in ſeiner Sache
zu beginnen. Erſt am 9 November kam, vom Papſt und
den Cardinälen geſandt, der päpſtliche Pfalzrichter mit
dem Biſchof von Conſtanz zu Hus in deſſen Wohnung,
ihm zu melden, daß in Folge des oft wiederholten An—
ſuchens,“ 2 der vom Papſt über ihn verhängte Kirchenbann
vorläufig ſuspendirt ſei, er daher die Stadt und ihre Kir—
chen frei beſuchen könne; nur um jeden Anſtoß zu vermei—
den, ſolle er ſich enthalten, den feierlichen Kirchenacten
beizuwohnen. Doch machte Hus von dieſer Erlaubniß kei—
nen Gebrauch, und blieb ſtets zu Hauſe, mit Entwürfen
zu Vorträgen beſchäftigt, die er vor dem Concilium zu
halten gedachte.
Thätiger als Hus, zeigten ſich in dieſen Tagen ſeine
Gegner. Der eifrigſte unter dieſen war der ehemalige
Pfarrer von St. Adalbert in Prag, Michael von Deutſch—
brod, der vor Kurzem vom Papft zu dem wichtigen Amt eines
»procurator de causis fidei« ernannt worden, daher man
ihn gewöhnlich nur Michael de Causis zu nennen pflegte.
Auch war jener Paſſauer Dechant, nunmehr Propſt, Wen⸗
zel Tiem, gegenwärtig, der im J. 1412 als päpſtlicher
Legat die verhängnißvollen Ablaßbullen nach Prag gebracht
hatte, und deshalb von Hus mit dem Namen eines Ab—
432) Wenn man jedoch bedenkt, daß bei ſtrenger und conſequenter
Beobachtung jenes Kirchenbanns in Conſtanz während der An—
weſenheit des gebannten Hus kein Gottesdienſt überhaupt
hätte Statt finden dürfen, ſo wird man zugeben, daß dieſe
Suspenſion auch noch andere Gründe hatte, als die Willfäh—
rigkeit gegen die Böhmen.
Hufjens Gegner in Conſtanz. 321
laßkraͤmers belegt worden war. Nicht lange darauf kam 1414
auch M. Stephan von Palecé mit dem Leitomysler Biſchof
an, und brachte die neueſten Werke Huſſens mit, die Letz—
terer aus Anlaß der Synodalverhandlungen von 1413 ver—
faßt hatte. Michael de Causis fing gleich den Tag nach
Huſſens Ankunft an, Placate gegen ihn an die Kirchen—
thüren in Conſtanz anheften zu laſſen, und ihn darin als
einen gebannten hartnäckigen Ketzer zu bezeichnen.“? Spä—
ter vereinigte ſich Palek mit ihm, um die Klageartikel
gegen Hus zu redigiren und zur Kenntniß der anweſenden
Kardinäle zu bringen. Beide zeigten ſich unermüdlich in
Verfolgung ihres Ziels; und da ſie allenthalben freien Zu—
tritt fanden, ſo gelang es ihnen leicht, die Mehrzahl der
Anweſenden gegen den gefaͤhrlichen Neuerer zu ſtimmen.
Darum durften ſie auch auf deſſen Verhaftung dringen,
damit er weder entfliehen, noch auch im freien Verkehr
mit dem Volke, demſelben ſeine Anſichten mittheilen und
es verführen könne. Den falſchen Gerüchten, die damals
in Conſtanz umliefen, als habe Hus öffentliche Predigten
angekündigt, und doch auch aus der Stadt zu entweichen
geſucht,““ blieben fie nicht fremd; da es aber zugleich nor
433) Die Beweisſtellen für alle Angaben, die wir hier nicht ſpeciell
belegen, findet man bei Von der Hardt und in Huſſens Brie—
fen gedruckt. In dem Briefe des Johann Cardinalis von
Reinſtein vom 10 Nov. (Opp. Huss. I. 73 sq.) iſt die Stelle:
»et Michael de Causis rhytmisat acta sua« nach Handſchriften
zu leſen: »et Michael de Causis ryene facit acta sua. Ryene,
d. h. mit Lärm und öffentlichem Aufſehen.
434) Von dieſem Gerücht meldet Peter von Mladenowic Folgen:
des: Cum dictus M. Joh. Hus Constantiae staret ad tres heb-
domadas cum media, famabatur per civitatem, quod M. Hus
ductus fuisset extra civitatem in curru, in quo foenum vehe-
batur vel ducebatur, sed falsum fuit. Sic enim fuit: famuli
equitantes cum dicto curru pro foeno, pannum vel tegumen-
tum, vulgariter Sperloch, de curru non deposuerunt, sed post
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 21
322 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 toriſch bekannt war, daß er in ſeiner Wohnung Meſſe zu leſen
und ſich über feine religiöſen Anſichten gegen Jedermann
auszuſprechen pflegte, ſo erlangten ſie es um ſo leichter,
daß man beſchloß, ſich ſeiner Perſon zu bemächtigen.
Mittwoch den 28 November kamen in der Mittags—
ſtunde die Bifchöfe von Augsburg und Trient, der Bürger—
meiſter von Conſtanz und Herr Hans von Baden, in die
Herberge des Hus, wo auch Herr Johann von Chlum ſich
befand; ſie erklärten, der Papſt und die Cardinäle hätten
ſie geſendet, um den Magiſter, der ſo oft ein freies Gehör
binam vel trinam ductionem primo deposuerunt, et sine tecto
illo iterum foenum duserunt. Ex illo tunc aliqui opinabau-
tur vel famabatur, quod M. Hus jam esset extra civitatem in
foeno eductus, et sic quod evasisset in foeno et extra ductus
fuisset; sed in rei veritate nec mentio aliqua de illa re fuit
aliquando, sicut post patuit et jam patet. Dieß iſt die erſte
und urſprüngliche Form einer Fabel, welche ſpäter vorzüglich
von Ulrich Reichenthal ausgeſchmückt, oft widerlegt, in neueſter
Zeit aber wieder von Aſchbach (Geſch. K. Sigmunds, II, S.
32 und 452) in Schutz genommen worden iſt. Hätte Letzterer
die Acten des Concils vom 16 und 18 Mai 1415 (bei Von
der Hardt, IV, S. 213) nur durchgeleſen, und ſomit die Über—
zeugung gewonnen, daß Hus va tempore adventus sui ad hanc
civitatem usque ad diem et tempus captivitatis suae« auch
nicht einen Fuß über die Schwelle ſeines Wohnhauſes geſetzt
hat, ſo hätte er ſich die Mühe wahrſcheinlich erſpart. In der
That wäre Huſſens Verhaftung durch ſeinen Entweichungs—
verſuch ſchon in vorhinein gerechtfertigt erſchienen: wie aber
wäre es dann gekommen, daß man unterlaſſen hätte, dieſen
Alles erklärenden Grund in den endloſen Criminationen und
Recriminationen, die da folgten, auch nur ein einziges Mal
anzuführen? (Man vergleiche unten den 16—18 Mai 1415.)
Der erſt 20 Jahre nach der Begebenheit, aus dem bloßen Ge—
dächtniſſe ſchreibende Reichenthal hat bekanntlich die Perſonen
und Schickſale von Hus und Hieronymus vielfach verwechſelt,
daher hinſichtlich Beider eine Menge unrichtiger Daten an—
geführt.
Huſſens Verhaftung, 323
verlangt habe, vor fie zu führen, da ſie nunmehr bereit 1414
ſeien, ihn zu hören. Herr von Chlum, der alſogleich den
wahren Zweck des Beſuches ahnete, gerieth darüber in hef—
tige Leidenſchaft: nicht auf ſolche Weiſe, ſagte er, dürfe
man zu Werke gehen; M. Hus ſtehe im Schutze des Kö—
nigs und des heil. römiſchen Reichs, und er, Chlum, ſei
für ſeine perſönliche Sicherheit verantwortlich; es ſei des
Königs erklärter Wille, daß in Huſſens Sache nichts vor
ſeiner Ankunft in Conſtanz vorgenommen werde; er pro—
teſtire daher im Namen Sr. Majeſtät gegen alle übereil—
ten Maßregeln und warne die Geſandten, die Ehre des
heil. römiſchen Reichs nicht bloszuſtellen. Der Biſchof von
Trient entgegnete, man habe nichts Arges im Sinne, man
ſei in friedlicher Abſicht hergekommen und wünſche alles
Aufſehen zu vermeiden. Da trat Hus vor und erklärte:
ver ſei zwar mit dem Wunſche und der Hoffnung nach
Conſtanz gekommen, ſeine Sache nicht vor dem Papſt und
den Cardinälen allein, ſondern vor dem ganzen Concilium
führen zu können; nichtsdeſtoweniger ſei er bereit, auch
den Cardinälen zu Antwort zu ſtehen, und er hoffe, daß,
wenn auch eine Mißhandlung von ihrer Seite ihm bevor—
ſtehe, ſie dennoch nicht im Stande ſein werde, ihn von
der erkannten Wahrheit abzubringen.“ Dieſe Vereitwillig—
keit ſtimmte die Geſandten zu freundlichem Benehmen gegen
Hus, obgleich mittlerweile alle benachbarten Häuſer mit
ſtädtiſchem Kriegsvolk beſetzt worden waren, um jeden Ver—
ſuch des Widerſtands zu dämpfen. Bei dem Herabſteigen
in die Hausflur trat Huſſen die Hausfrau entgegen und
nahm weinend von ihm Abſchied; da wurde ſeine Ahnung
ihm klar, er gab ihr mit ſichtbarer Rührung ſeinen Segen,
und beſtieg dann das Roß, das ihn in Begleitung der
Geſandten und des Herrn von Chlum in die Wohnung
des Papſtes trug.“
435) Peter von Mladenowic beſchreibt dieſe Scenen umſtandlich;
ſo auch die folgenden.
21 =
—
324 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 Als Hus vor die verſammelten Cardinäle trat, redete
der Vorſitzende ihn an: es ſeien dem heiligen Collegium
viele und ernſte Beſchwerden über ihn zugekommen, welche,
wenn ſie begründet ſein ſollten, durchaus nicht zu dulden
wären; von allen Seiten ertöne es, daß er in Böhmen
offenbare ſchwere Irrthümer gegen die heilige Kirche ver—
breitet habe; darum habe man ihn jetzt berufen, um aus
ſeinem eigenen Munde zu vernehmen, wie die Sache ſich
verhalte. Hus entgegnete: er verabſcheue alle Irrlehren
ſo ſehr, daß er viel lieber ſterben, als nur eine einzige,
geſchweige denn viele, für wahr halten und verbreiten
wolle; darum ſei er ganz freiwillig zum Concilium gekom—
men; werde es ſich da erweiſen, daß er dennoch geirrt
habe, ſo ſei er in aller Demuth bereit, ſich eines Beſſeren
belehren zu laſſen und Buße zu leiſten. Die Verſamm—
lung nahm dieſe Worte mit Beifall auf, und entfernte ſich
dann aus dem Saale. Nur bewaffnete Wachen blieben
darin zurück, und unter ihnen M. Hus mit dem Herrn
von Chlum, der weiteren Entwickelung harrend.
Um vier Uhr nach Mittag verſammelten ſich die Car—
dinäle abermals in der Wohnung des Papſtes, um über
Hus einen Entſchluß zu faſſen. Es kamen auch die Böh—
men hin, einerſeits Paleé, Michael de Cauſis und Bruder
Peter, Prediger bei St. Clemens an der Prager Brücke,
anderſeits Johann Cardinalis von Reinſtein, Peter von
Mladenowic und Andere. Erſtere boten neuerdings alles
auf, um einen Rückſchritt unmöglich zu machen, und wuß—
ten ihre Freude nicht zu mäßigen, als ſie die Gewißheit
ihres Erfolges erlangten. #6 Abends kam der päpſtliche
436) M. Peter von Mladenowic, dem wir hier folgen, ſagt über
dieſe Scenen: Adversarii, Michael et alii, — saltantes circa
aestuarium gaudebant dicentes: ha, ha! jam habemus eum;
non exibit nobis quousque reddat minimum quadrantem! und
fügt dann folgende Nachricht bei: Ibidem veniens Palecz, in-
Huſſens Verhaftung. 325
Hofmeifter zu Herrn von Chlum mit der Weiſung, daß er
ſich entfernen möge, M. Hus müſſe aber zurückbleiben.
Über dieſe Wendung der Sache entrüſtet, eilte Chlum alſo—
gleich zum Papſte, den er noch in der Verſammlung an—
traf; er brach in heftige Vorwürfe gegen ihn aus, bezich—
tigte ihn eines offenen Wortbruchs, und drohte alle Welt
in Bewegung zu ſetzen gegen Diejenigen, welche die Briefe
kaiſerlicher Majeſtät zu höhnen und zu brechen wagen.
Der Papft rief aber alle Anweſenden zu Zeugen auf, daß
nicht Er es geweſen, der für Huſſens Gefangenſchaft ge—
ſtimmt habe, und zog ſpäter den Herrn von Chlum mit
den Worten auf die Seite: »Ihr wißt ja, wie ich mit den
Cardinälen ſtehe; Die haben mir den Gefangenen auf—
gedrungen, ich mußte ihn übernehmen. «“ Hus wurde
venit M. Johannem Cardinalem (de Reinstein) et dixit ei: o
Magister Johannes! doleo de vobis, quod vos dedistis sedu-
cere; wzäcni (d. i. hochgeehrt) prius fuistis apud istam cu-
riam (scilicet papae), notabilior omnibus Boemis, et jam quasi
pro nihilo habent vos propter istam sectam. Cui M. Cardi-
nalis respondit: Mag. Stephane! ego plus doleo de vobis, sicut
vos, si sciretis aliquid mali in me, quod facerem, tunc de-
beretis condolere. Et statim ab invicem recesserunt. Palec
fpielte hier auf die vielen Botſchaften an, in welchen einft
M. Johann von Reinſtein von K. Wenzel von Böhmen, zumal
an den römiſchen Hof, gebraucht worden war. Seine vielen
perſönlichen Verbindungen mit den Cardinälen ſcheinen ſeinen
Zunamen »Cardinalis“ zuerſt als Spitznamen veranlaßt zu
haben, der aber bald ſo allgemein gebräuchlich wurde, daß
auch der Magiſter ſelbſt ſich ſeiner bediente.
437) Der echte Bericht des Mladenowic jagt darüber: D. Johannes
ira motus — ivit statim ad papam, praesentibus cardinalibus,
et dixit ad eum: Pater sancte, Paternitas Vestra non promisit
mihi hoc, neque patruo meo D. Henrico Lacenbok« — »Vra
Pat. dixit, quia etsi germanum Vestrum occidisset, debet esse
securus hic, et nec vult eum impedire, nec impediri permit-
tere, nec contra eum aliquid innovare: et ecce hie jam ca-
1414
1414
326 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
noch in derſelben Nacht in das Haus eines Conſtanzer Ca—
nonicus gebracht, dort acht Tage lang von Bewaffneten
gehütet, dann (6 Dec.) in das am Bodenſee gelegene Do—
minicanerkloſter übergeführt und daſelbſt in einen an eine
Cloake ſtoßenden finſtern Kerker geworfen.“
Das von Johann XXIII über fein Verhältniß zu den
Cardinaͤlen gemachte Geſtändniß bedarf einiger Aufklärung.
Schon der ihm gleichſam aufgedrungene Ort des Con—
ciliums kann zum Beweiſe dienen, daß er, im Vorgefühk
des über ihn hereinbrechenden Gerichts, nicht den Muth
hatte, ſeinen Willen gegen den des heiligen Collegiums
durchzuſetzen, indem er durch kluges Nachgeben und durch
anderweitige Mittel ſich eher behaupten zu können hoffte.
Der Geiſt der Unzufriedenheit mit ihm, der ſich ſchon in
ſeiner nächſten Nähe zu äußern gewagt hatte, erhielt aber
durch die Vereinigung entfernterer Kirchenglieder in Con—
ſtanz neue Kraft und Nahrung. Die Anſicht, daß das
Conſtanzer Concilium ſelbſtändig und nicht bloß eine Fort—
ſetzung des Piſaner ſei, und daß zum Beſten des Friedens
und der Einheit der Kirche alle drei Päpſte zugleich zur
Niederlegung ihrer Würde bewogen werden müßten, fand
je länger je zahlreichere und entſchiedenere Anhänger, ins—
beſondere nachdem am 17 November der allgemein ver—
ehrte Cardinal Ailly, der Vater der Reform, in Conſtanz
eingetroffen war. Um dieſer Anſicht, und den an ſie ge—
pitur« etc. Et papa respondit D. Johanni: »ecce hic fratres
mei aucliunt (cardinales denotans), quia ego numquam man-
davi ipsum captivare« etc. Ei posten dixit ad D. Johaunem
solum: „tamen vos scitis, quomodo stant facta mea cum ipsis;
ipsi mihi eum dederunt et oportebat me eum recipere ad cap-
tivitatem.«
438) Daß Hus nicht am 3 Jan. 1415 (wie allgemein angenommen
wird), ſondern ſchon den 6 Dec. 1414 zu den Dominicanern
gebracht wurde, jagt Mladenowiec ausdrücklich und zu wieder—
holten Malen.
Bemühungen Johanns von Chlum. 327
knüpften Reformideen, um fo ſicherer Geltung zu verſchaf- 1414
fen, wurde ſchon am 12 Nov. der Vorſchlag gemacht, das
Concilium in Nationen zu theilen, und über alle wichtiges
ren Fragen nicht nach Perſonen, ſondern nach Nationen
abſtimmen zu laſſen. Dieß fand zwar, als eine Neuerung,
vielfachen Widerſpruch, wurde aber durch Beſchluß (vom
7 Febr. 1415) endlich doch zum Geſetz erhoben. Die erſte
offene Oppoſition gegen Johann XXIII offenbarte ſich ſeit
dem 19 Nov. über die Frage, ob die Abgeſandten Gre—
gors XI, als ſolche, in Conſtanz zuzulaſſen ſeien. Es ges
lang ihm zwar, dieſe Oppoſition vorerſt noch zum Schwei—
gen zu bringen: aber ſein Benehmen, das je länger je
mehr aller Haltung und Würde ermangelte, führte ihn
dennoch dem gefürchteten Ziel immer näher entgegen.
Johann von Chlum ließ kein Mittel unverſucht, ſeinen
Schützling aus dem Gefängniſſe zu befreien. Er klagte
zu Conſtanz laut und öffentlich über den Papſt und die
Cardinäle, und wies den königlichen Geleitsbrief allen da—
mals anweſenden Biſchöfen, Grafen, Herren und den Bür—
gern von Conſtanz vor, ohne jedoch damit etwas zu er—
langen; auch meldete er den Fall ungeſäumt dem Könige,
der damals ſchon auf der Reiſe zum Concilium begriffen
war. Sigmund gerieth darüber in den höchſten Unwillen,
und ſandte alſogleich Befehle nach Conſtanz, Hus in Frei—
heit zu ſetzen; er fügte die Drohung hinzu, daß, wenn
man ihn nicht frei gebe, er die Thüren ſeines Gefäng—
niſſes mit Gewalt werde erbrechen laſſen. Da man jedoch.
Anſtand nehmen mußte, einer ſolchen Drohung Folge zu
geben, ſo nützten alle dieſe Reden eben ſo wenig, wie die
ſchriftlichen Proteſtationen, welche Chlum im Namen und
Auftrag des Königs darüber zuerſt am 15 Dec., dann am
24 Dec. in lateiniſcher und teutſcher Sprache eigenhändig
an die Thüren der Domkirche zu Conſtanz anheftete.
328 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 Endlich in der Chriſtnacht, den 25 Dec. ſpät nach
Mitternacht, hielt K. Sigmund mit ſeiner Gemahlin Bar—
bara von Cilley, vielen fürftlihen Herren und Frauen,
und einem glänzenden Gefolge von etwa tauſend Berit—
tenen, bei hellem Fackelſchein und ſchneidender Kälte, ſeinen
feſtlichen Einzug in Conſtanz. Er gönnte der Königin und
den vornehmen Damen kaum mehr als die Zeit, ſich in
geheizten Zimmern von der Reiſe zu erwärmen und ihren
Anzug zu wechſeln; dann begab er ſich noch vor Einbruch
des Tages im feierlichen Zuge unter Fackelſchein in die
hellerleuchtete Kathedrale, wo der Papſt ihn empfing, der
das Hochamt mit ungewöhnlicher Pracht perſönlich feierte.
Nach althergebrachter Sitte diente der römiſche König dabei,
als Diaconus gekleidet, mit der Krone auf dem Haupte,
am Altar, und ſang mit klangvoller Stimme das Evan—
gelium: zes erging ein Befehl vom Kaiſer aus.« Nach
der Meſſe übergab ihm der Papſt ein geweihtes Schwert
mit dem Bedeuten, es zum Schirm der Kirche zu gebrau—
chen: was Sigmund mit freudiger Bereitwilligkeit zuſagte.
Die erſten Verhandlungen Sigmunds mit den Vätern
des Conciliums waren nichts weniger als freundlicher und
erfreulicher Art; ſie betrafen Hus und deſſen Gefangen—
haltung. Der König empfand ſehr tief die Kränkung, die
für ſein Anſehen darin lag, daß ein von ihm ertheilter |
Schutzbrief gebrochen wurde; auch beſorgte er den üblen
Eindruck, den dieſer Vorfall allenthalben im Reiche, vor—
züglich aber in den Kronlanden Böhmens, deren Erbe er
zu werden hoffte, hervorbringen mußte. Da der Papſt
für ſeine Perſon ſich bei ihm darüber eben ſo, wie früher
bei dem Herrn von Chlum, entſchuldigte, ſo hatte es Sig—
mund in dieſer Hinſicht nur mit den verſammelten Cardi—
nälen, Prälaten und Doctoren zu thun. Die letzten Con—
ferenzen des Jahres 1414 waren vorzugsweiſe dieſem Ge—
genſtande gewidmet; und da die Väter ſeinem Recht,
K. Sigmunds erſtes Auftreten in Conſtanz. 329
einem Unterthan feinen Schutz zu gewähren, ihr Recht 1414
entgegenhielten, einen der Ketzerei Verdächtigen nach den
beſtehenden Kirchengeſetzen zu richten, ſo ſchied er mehre
Male in heftiger Aufwallung des Zornes aus der Ver:
ſammlung. Es kam ſo weit, daß er ſogar vom Concilium
ſich trennen und es ſich ſelbſt überlaſſen wollte; um Ernſt
zu zeigen, verließ er Conſtanz, wie es ſcheint, kurz nach
ſeiner Ankunft, in den letzten Tagen des Jahres 1414.
Eine Deputation wurde nachgeſendet, ihm zu erklären, daß
das Concilium alſogleich auseinander gehen müſſe und
werde, wenn er es in ſeiner geſetzlichen Wirkſamkeit hin—
dern und hemmen wolle.!“ Die Verantwortlichkeit für
einen ſolchen Fall zu übernehmen, konnte Sigmund nicht
wollen; ſo viel war ihm Hus nicht werth, daß wegen
ſeiner alle Hoffnungen der Chriſtenheit auf die Wieder—
herſtellung der Kircheneinheit und auf Reformation zu
nichte werden ſollten; auch tröſtete er ſich mit der Aucto—
rität der geltend gemachten Meinung, daß da nach göttlichem
439) Die Nachricht über dieſe in den gedruckten Concilienacten nicht
näher erwähnten Verhandlungen gibt uns ein Brief K. Sig—
munds an die böhmiſchen Stände (4d. Paris, 21 Mart. 1416),
worin es heißt: To böh wie, ze nam bylo jeho (Husa) welmi
zel, co s& jemu stalo, ze to nemohlo wiece byti. Jakoz pak
wsickni Cechowe, jixto pri nas byli, dobre wideli, ze smy zan
mluwili, kterak smy sè nejednü s koncilium w hn&w& rozesli,
nebr2 profi 2 Konstancie jeli, ak nam potom wzkäzali, nechce-
myli dopustiti, aby sé prawo dälo a wedeno bylo W konci-
lium, coz pak maji tu &initi? A tak smy zuamenali, ze tomu
nemöZemy nic uéiniti, ani sé nam jiz hodilo dale o tom mlu-
witi, nebby se bylo proto koncilium zrusilo. (Archiv Cesky., I, 6.)
Die Concilienacten bei Von der Hardt (IV, 32) führen zum
1 Januar 1415 nur einen Congregationsbeſchluß an »de in-
quisitione Hussi per Caesarem non amplius impedienda.« Die:
fer Ausdruck beweiſt wenigſtens, daß Sigmund bis zu diefem
Tage, alſo eine Woche lang nach ſeiner Ankunft in Conſtanz,
wegen Huſſens mit dem Concilium wirklich im Streit war.
330 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 und menſchlichem Rechte kein zum Nachtheil des katholiſchen
Glaubens gegebenes Verſprechen giltig ſein könne, er auch
nicht verpflichtet ſei, das einem Ketzer gegebene Wort zu
halten.“ Er geſtattete daher dem gegen Hus begonne—
nen Proceſſe ſeinen freien Lauf—
Der Papſt hatte ſchon am 4 Dec. zur Inſtruction
dieſes Proceſſes drei Commiſſäre ernannt, den Patriarchen
Johann von Conſtantinopel und die Biſchöfe Johann von
Lebus und Bernard von Citta di Caſtello, denen er den
Auftrag gab und die Gewalt verlieh, alle Maßregeln, die
ſie zur Ermittelung und Sicherſtellung der Wahrheit hin—
ſichtlich der gegen Hus erhobenen Beſchuldigungen für nö—
thig erachten würden, zu ergreifen; das Endurtheil wurde
ihnen ausdrücklich nicht anheimgeſtellt.““ Es muß eben
ſo anerkannt werden, daß dieſe Commiſſäre alle Formen
des Rechts gegen Hus beobachteten, wie ſich anderſeits
nicht läugnen läßt, daß dieſe Formen da, wo es ſich um
den Verdacht der Ketzerei handelte, ſtrenger als ſonſt waren.
Hus war einige Wochen nach ſeiner Einkerkerung ſchwer
erkrankt, ein heftiges Fieber brachte ihn an den Rand des
Grabes, und Papſt Johann XXIII ſah ſich genöthigt, nicht
nur zu ſeiner Pflege ſeine eigenen Leibärzte zu beordern,
ſondern auch einen geſünderen Kerker in demſelben Ge—
bäude ihm anzuweiſen (8 Januar 1415). Da eine jener
Rechtsformen es mit ſich brachte, daß der Inquiſit Dies
440) Vgl. die Beſchlüſſe vom 23 Sept. 1415, bei Von der Hardt,
IV, 521 sq-
441) In der Nennung der Namen und der Zahl dieſer Commiſ—
ſäre ſtimmt Mladenowie mit der bei Raynaldi zum J. 1414
(§. 10) gedruckten Urkunde überein; die Angaben des Cerre—
tanus bei V. d. Hardt (IV, p. 23, zum 1. Dec.) ſind daher
um ſo unrichtiger, je gewiſſer es iſt, daß Cardinal Peter von
Ailly u. A. erſt am 6 April 1415 in jene Commiſſion ge—
wählt wurde. i
Proceß gegen Hus. 331
jenigen Zeugen, die in ſeiner Sache deponiren ſollen, ſchwö—
ren ſehe, ſo wurden deren an einem Tage fünfzehn vor
ſein Gefängniß geführt und vor ſeinen Augen beeidet.
Unter ihnen werden zwei ehemals Prager, ſpäter Leipziger
Profeſſoren, Johann von Monſternberg und Peter Storch
von Zwickau, die erſten genannt; dann Stephan von
Paleè, Dr. Nicolaus Zeiſelmeiſter, einſt Official des Pra—
ger Erzbisthums, Bruder Peter, Prediger bei St. Cle—
mens in Prag, Peter Abt bei St. Ambros ebendaſelbſt,
und andere minder bekannte Perſonen. Ein Anwalt wurde
dem Angeklagten zu ſeiner Vertheidigung nicht zugeſtanden,
da es geſetzlich verboten ſei, einen der Ketzerei Verdäch—
tigen in Schutz zu nehmen.“?
Nachdem Hus ſich von ſeiner Krankheit ein wenig er—
holt hatte, wurden ihm von den Commiſſären 44 meiſt
aus feiner Schrift von der Kirche“ gezogene Lehrſätze mit
der Aufforderung vorgelegt, ſich darüber ſchriftlich zu ver—
antworten. Nun bewies er allerdings in der noch vor—
handenen Antwort, daß viele Artikel unrichtig aufgefaßt,
verſtümmelt und aus dem Zuſammenhange geriſſen, einen
andern Sinn gaben, als ihnen eigentlich zukam: aber es
blieben denn doch noch andere Artikel genug übrig, die
ſeine wirkliche Anſicht erklärten, und deren Tragweite in
der That größer war, als er ſich vorgeſtellt haben mochte,
indem ſie geeignet waren, das ganze Gebäude chriſtlicher
Hierarchie zu zerſtören. Jene Schrift war zunächſt gegen
die von den katholiſchen Doctoren auf der Prager Synode
vom 6 Febr. 1413 geltend gemachte Lehre von der Auc—
torität der Kirche überhaupt, und der Päpſte und Cardi—
näle insbeſondere, gerichtet: um gegen ſie den Beweis zu
führen, daß der Papſt nicht allein kein Haupt, ſondern
442) Dicentes hoc esse contra jura ipsorum, cum nemo debeat su-
specto de baeresi patrocinari, Mladenowic.,
1414
332 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 möglicher Weiſe ſogar kein Glied der wahren Kirche ſein
könne, hatte er neben anderen Gründen auch die craſſeſte
Anſicht von der Prädeſtination gleichſam auf die Spitze
getrieben, und dann allerdings folgerichtig geſchloſſen, daß
die chriſtliche Kirche recht wohl auch ohne Papſt und Car—
dinäle beſtehen könnte. Einmal im Kampfe gegen die be—
ſtehende Auctorität begriffen, wurde er von Folge zu Folge
immer weiter gedrängt, bis er auf einen Standpunct ge—
langte, von woher das Einlenken und die Wiedervereini—
gung unmöglich wurde.
Derſelbe Fall ereignete ſich auch bei anderen Anhän—
gern der huſſiſchen Lehre. In dem Maße, als das Be—
ſtehende aufhörte, ihnen eine heilige unverbrüchliche Regel
zu ſein, unterwarfen ſie je länger je mehre Partieen des—
ſelben einer individuellen Kritik, die ſie aus ihrer vielfach
mangelhaften Kenntniß der Urzuſtände des Chriſtenthums
ſchöpften. Der anſehnlichſte unter den Prager Magiſtern
und Theologen, nach der Entfernung des Hus, war der
von uns bereits einige Mal erwähnte M. Jakob von
Mies, den man zum Unterſchied von einem andern gleich—
namigen Magiſter, nach ſeiner kleinen Geſtalt gewöhnlich
nur M. Jacobellus (böhmiſch M. Jakübek ze Stribra)
zu nennen pflegte. Ob er nicht perſönlich ein Schüler des
Pariſer Magiſters Mathias von Janow geweſen, iſt nicht
bekannt; +3 um fo gewiſſer iſt es dagegen, daß er aus
deſſen Schriften Belehrung ſchöpfte und ſich ganz zum Erben
ſeiner Anſichten machte, bis auf den allerdings weſent—
lichen Unterſchied, daß er ſich des Gehorſams gegen die
kirchlichen Vorſtände gänzlich entſchlug. Die von Janow
443) Jacobell wurde ſchon 1393, ein Jahr vor Janows Tode, Bac—
calar der freien Künſte an der Prager Univerſität, im Jahre
1397 Magiſter.
Communion unter beiden Geſtalten. 333
wahrſcheinlich zuerſt aufgeſtellte,“ aber auf Befehl des 1414
Prager Erzbiſchofs widerrufene Anſicht von der Nothwen—
digkeit, das heilige Abendmahl auch den Laien unter bei—
den Geſtalten, des Brodes nämlich und des Weins, dar—
zureichen, faßte Jacobell kurz vor Ausgang des Jahrs
1414 mit großem Eifer auf, +? machte fie zuerſt zum Ge—
444) Das Tagebuch der boͤhmiſchen Abgeſandten bei dem Basler
Concilium führt bei den Verhandlungen des 4 März 1433
die Nachricht an: Rokyezana dixit: »ille doctor (Petrus de
Palude) est mihi ignotus, est etiam novus; sed habemus unum,
Nicolaum de Lacu, satis antiquum (non habemus eum hic,
sed est in Praga), qui dieit expresse, quod sub utraque specie
sumere est de necessitate et praecepto Christi,« denotans ple-
banum in Lacu, Mnichonem. Leider wiſſen wir von dieſem
Prager Pfarrer in Lacu (u matky bozi na Lauzi) gar nichts,
alſo auch nicht die Zeit, wann er gelebt und geſchrieben hat.
445) Die Überlieferung, der zu Folge ein von Dresden geflüchteter
M. peter den Jacobell zuerſt auf den Gedanken geführt haben
ſoll, die Communion unter beiderlei Öeftalten auszutheilen,
halten wir für unbegründet: 1) Weil, wie ſchon Von der
Hardt bemerkte, alle gleichzeitigen Streitſchriften, deren es
eine große Menge gibt, einſtimmig Jacobell als den erſten
und alleinigen Urheber dieſer Communion bezeichnen. 2) Weil
von dem Daſein eines ſolchen Peter von Dresden, der ſchon
durch dieſen Einfluß allein eine für den Huſſitismus wichtige
Perſon geworden wäre, in allen gleichzeitigen Documen—
ten und Streitſchriften auch nicht die geringſte Spur aufzu—
finden iſt. 3) Die erſte Meldung über ihn äußert ſich erſt
nach der Mitte des XV Jahrh. und zwar bloß bei antihuſ—
ſitiſchen Böhmen, die den Utraquismus als fremdes Import
zu bezeichnen ſuchten, um deſſen Popularität im Lande zu min—
dern. 4) Dieſe älteſten Nachrichten find mit einander im Wi—
derſpruch, indem ſie bald nur einen Peter, bald auch einen
Nicolaus von Dresden angeben, und zugleich auch behaupten,
die Fremden hätten erſt den M. Johann von Jiein, und durch
dieſen den Jacobell verführt. 5) Endlich, wer ſowohl Janows
als Jacobells Schriften kennt, der findet nicht allein in den
Anſichten, ſondern auch in gewiſſen Eigenthümlichkeiten des
334 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 genſtand einer akademiſchen Disputation auf der Univer—
1415
ſität, gewann dafür die Mehrzahl der Anhänger Huſſens,
und begann im Bunde mit denſelben auch ſogleich in praxi
die für Böhmen verhängnißvolle utraquiſtiſche Communion
(communio sub utraque, nämlich specie) an die Laien;
zuerſt in der St. Martinskirche an den Mauern, dann bei
St. Michael auf der Altſtadt, und bei St. Adalbert auf
der Neuſtadt. Der Prager erzbiſchöfliche Generalvicär
ſäumte keinen Augenblick, gegen dieſe Neuerung einzuſchrei—
ten; aber ſeine Bemühungen blieben ohne Erfolg. Der
vor ihn geladene Jacobell ſtellte ſich, mehr um für ſeinen
Lehrſatz zu ſtreiten, als um darüber Befehle oder Beleh—
rung anzunehmen; und die Strafe des Kirchenbanns, die
den offenen Ungehorſam nicht lange auf ſich warten ließ,
war bei der veränderten Stimmung des Volkes bereits ſo
unwirkſam geworden, daß man im Allgemeinen kaum mehr
von ihr ſprach, vielweniger ihr Folge leiſtete.
Auf dieſe Art war ein neuer Schritt auf der Bahn
der Kirchentrennung gemacht, und ein neues Element des
Streits und der Zwietracht in die Gemüther geworfen
worden. Dieſe Neuerung war aber um ſo bedeutender;
als ſie die Reformgedanken von dem Gebiete, auf welchem
ſie ſich bisher allein bewegt hatten, auf ein anderes noch
unberührtes Feld hinübertrug. Alle Beſtrebungen Huſſens
und ſeiner Freunde waren nämlich bisher nur auf eine
Reform der Kirchenverfaſſung, nicht des Lehrbegriffs, ge—
richtet geweſen; hatte er auch Lehrſätze aufgeſtellt, die von
der allgemeinen Norm abwichen, ſo war dieß doch nur
gleichſam in zweiter Linie geſchehen, um damit ſeine Dis—
ciplinartheſen zu unterſtützen. In dem Streit über die
Styls, den Einfluß des Einen auf den Andern offen darlie—
gend. Eine umſtändlichere Begründung aller dieſer Beweis—
puncte läßt ſich hier, aus Mangel an Raum, nicht geben.
Communion unter beiden Geſtalten. 335
Communio sub utraque wurde aber zuerſt eine rein dog—
matiſche Frage in die Vorderlinie geſtellt und damit ein
Anfang zu Veränderungen im chriſtlichen Lehrbegriff ſelbſt
gemacht, der ſich bald an ein äußeres Symbol, das des
Kelches, knüpfen ließ, und daher die Scheidung der Par—
teien um ſo ſichtbarer machte und feſter begründete. Es
war aber natürlich, daß nicht alle Diejenigen, welche bis—
her mit Hus gleichſam den erſten Schritt gethan hatten,
ſich geneigt erwieſen, auch den zweiten mit Jacobell zu
thun. Darum entſtand über die Frage des Kelchs unter
den Huſſiten ſelbſt gleich in vorhinein eine Spaltung; und
je uneiniger die Jünger unter einander waren, um ſo be—
gieriger waren ſie alle, die Anſicht des gemeinſchaftlichen
Meiſters darüber zu erfahren.
Als Hus davon in ſeinem Kerker Nachricht erhielt,
ſoll dieſe Neuerung, als ein in ſeinen Proceß erſchwerend
eingreifender Umſtand, ihn zuerſt unangenehm berührt haben.
Bald aber nahm er das Geſchehene als eine nicht zu än—
dernde Thatſache auf, und entſchloß ſich ſogar, das Ger
wicht ſeiner Auctorität in die Wagſchale ſeines Freundes
und Anhängers zu legen. Er verfaßte im Kerker ſelbſt
eine Abhandlung zu dieſem Zwecke, die alsbald nach Prag
gebracht und dort als die beſte Empfehlung des neuen
Ritus verbreitet wurde, obgleich es offen lag, daß Hus
dem Gebrauch des Kelches lange nicht dieſelbe Wichtigkeit
beilegte, wie Jacobell und deſſen Schüler; denn er em—
pfahl ihn mehr in der Abſicht, eine Spaltung und Zwie—
tracht unter feinen Anhängern zu verhindern. #6 Erſt ſpä—
446) Wie wenig er noch damals geſonnen war, wegen des Kelches
in eine Oppoſition gegen die Kirche zu treten, erhellt aus ſei—
nem Briefe an den Herrn von Chlum (Opp. I, 92), wo er
anräth, bei dem Concilium um die Erlaubniß zu bitten, daß
diejenigen, die es wünſchen, unter zweierlei Geſtalten commu—
niciren dürften. „Si potest fieri, attentetis, ut saltem permit-
1414
1414
336 VI Buch, s Capitel. K. Wenzel IV.
ter, als er zu ſeinem Leidweſen erfuhr, daß dieſer Zweck
nicht erreicht wurde, und daß nicht allein mehre weltliche
Herren, wie z. B. Nicolaus von Lobkowic, ſondern auch
Geiſtliche, und unter ihnen ſelbſt ſein Nachfolger in der
Bethlehemscapelle, Hawlik, aus Anlaß der Kelchfrage ſich
vom Huſſitismus zu trennen begannen, da äußerte auch
Hus mit größerem Nachdruck ſich zu Gunſten des Kelches,
indem er behauptete, daß deſſen Entziehung bei den Laien
mit dem Gebote Chriſti und der Apoſtel nicht überein—
ſtimme, und nur ein Kirchengebrauch ſei, dem man nicht
mehr zu folgen habe.““
Während die Inſtruction des gegen den gefangenen
Hus eingeleiteten Proceſſes nur langſam vorſchritt, erhob
ſich gegen Den, der ihn gefangen hielt, ein ähnlicher Sturm,
der aber einen ungleich ſchnelleren Verlauf nahm. Die
Anſicht, daß nicht allein alle drei Päpſte, ſondern daß ins—
beſondere Johann XXIII vor Allen zur Reſignation be—
wogen werden müſſe, drang bei dem Concilium entſchieden
durch, ſobald den Mitgliedern desſelben eine Denkſchrift
mitgetheilt wurde, die in 54 Klagepuncten das ganze öf—
fentliche und Privatleben dieſes Mannes von ſeiner Schat—
tenſeite her darſtellte. Um jeder anſtößigen Erörterung
darüber zuvorzukommen, erklärte Johann XXIII ſchon am
16 Februar feine Bereitwilligkeit, die päpftlihe Würde
unter gewiſſen Bedingungen niederzulegen; da jedoch die
Worte dieſer Erklärung etwas zu unbeſtimmt gefaßt waren,
ſo ließ er ſich nach vielfachen Verhandlungen bewegen,
tatur per bullam illis dari, qui ex devotione postulaverint,
circumstantiis adhibitis,« — find feine Worte, die jedoch erft
durch das Basler Concilium in Erfüllung gingen.
447) Brief an Hawlik vom 21 Juni 1415 in Opp. I, 80. Aus der
Invectiva contra Hussitas (MS.) iſt es erſichtlich, daß dieſer
Hawlik ſich wegen der Kelchfrage von den Huſſiten gänzlich
trennte, und ſpäter viele Verfolgungen deßhalb zu leiden hatte.
P. Johanns XXIII Flucht von Conſtanz. 337
am 1 März die beſtimmteſte Zuſage zu geben, daß er, 1415
um des Friedens der Kirche willen, ſeine Würde unge—
ſaͤumt niederlegen werde, ſobald auch Gregor XII und Ber
nedict XIII durch eine gleiche Ceſſion, oder durch Tod, zur
Beendigung des Schisma den gewünſchten Anlaß geben
würden. Bald aber ſchien er dieſe Zuſage zu bereuen;
er klagte über ungeſundes Clima und Mangel an perſön—
licher Sicherheit für ihn zu Conſtanz, verlangte die Ver—
legung des Concils in eine italieniſche Stadt, und brachte
ſich durch mehre Anſtalten in den Verdacht, als wolle er
Conſtanz heimlich verlaſſen und das Concilium auflöſen;
darum fand man es für nöthig, die Thore der Stadt
ſtreng zu bewachen, und König Sigmund unterließ es nicht,
ihn vor den Folgen eines übereilten Schrittes zu warnen.
Dennoch ſetzte er mit Hilfe Herzog Friedrichs von Sſter—
reich, den er ſchon im vorigen Jahre zum Generalcapitän
der römiſchen Kirche ernannt hatte, dieſe Abſicht durch.
Am 20 März nach Mittag veranſtaltete der Herzog ein
feierliches Turnier in Conſtanz; und während deſſen Pomp
die öffentlihe Aufmerkſamkeit auf ſich zog, gelang es dem
Papſte, in der Kleidung eines gemeinen Reiters, unerkannt
zum Thore hinaus zu kommen, und von den Leuten des
Herzogs unterſtützt, in der Nacht noch vor Einbruch des
Tags nach Schaffhauſen, einer dem Herzoge Friedrich ge—
hörigen Stadt, zu gelangen. Als daher in der Nacht und
am folgenden Tage früh Morgens die Flucht des Papſtes
in Conſtanz ruchbar wurde, gerieth Alles in einen paniſchen
Schrecken: während die leeren Wohnungen vom Pöbel ge—
plündert wurden, eilten die Italiener und Oſterreicher
ihren Herren nach, der Bürgermeiſter von Conſtanz rief
die Bürger unter die Waffen, Alles rannte angſtvoll hin
und her, das Ende des Conciliums ſchien plötzlich einge—
brochen, Ordnung und Gehorfam löften ſich auf, die Wechs—
ler und Kaufleute ſchloſſen ihre Gewölbe, die Krämer
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 22
1415
338 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
packten auf den Straßen eilig ihre Waaren zuſammen, um
einer allgemeinen Plünderung zu entgehen u. ſ. w. In
dieſer unbeſchreiblichen Verwirrung ſchwang K. Sigmund
ſich eiligſt aufs Pferd, und durchritt, unter Trompeten—
ſchall, in Begleitung des Pfalzgrafen Ludwig und anderer
Herren, die Straßen der Stadt, allenthalben zur Ruhe
ermahnend, den Zaghaften Muth zuſprechend, Schutz und
Hilfe anbietend; es ſtehe Jedermann frei, den Flüchtigen
zu folgen, ſprach er, man werde ſchon Mittel finden, ſie
wieder zurückzubringen, das Concilium aber ſtehe feſt und
ſei unauflösbar. Auch die verſammelten Väter tröſtete er,
daß er ſie mit all ſeiner Macht und mit ſeinem Leben
ſchützen werde. So gelang es ihm, durch ſchnelles und
kräftiges Einſchreiten, alle üblen Folgen dieſes entſcheiden—
den Ereigniſſes für das Concilium zu verhüten. Alles
Unheil, welches daraus floß, kam nur über Diejenigen,
welche die Flucht veranſtaltet hatten. Herzog Friedrich
fiel in die Reichsacht, verlor in dem gegen ihn erhobenen
Kriege einen Theil ſeiner Länder, und erlangte die Gnade
des Königs nur gegen die Zuſage wieder, den Papft zu—
rückzubringen. Letzterem wurde vom Concil der Proceß
gemacht, und er zuerſt in ſeiner Würde ſuspendirt, dann
aber (29 Mai) vollends und förmlich abgeſetzt.
Die Flucht des Papſtes änderte auch die Lage des
gefangenen Hus. Da Johann XXIII von Schaffhauſen
aus allen ſeinen in Conſtanz noch zurückgebliebenen Die—
nern befahl, ihm nachzufolgen, ſo übergaben Huſſens Wär—
ter am Palmſonntag, den 24 März, die Schlüſſel ſeines
Gefängniſſes dem Könige, und verließen die Stadt. Nun
rechneten die in Conſtanz anweſenden Böhmen darauf, daß
Sigmund den in ſeine Gewalt gegebenen Gefangenen um
ſo eher in Freiheit ſetzen werde, je nachdrücklicher er deß—
halb bereits von den böhmiſchen und mähriſchen Ständen
angegangen worden war. Er berieth ſich jedoch in der
Hus im Kerker zu Gottlieben. 339
Sache mit den Vätern des Conciliums, und übergab in 1415
deſſen Folge Hus in die Gewalt des Biſchofs von Con—
ſtanz, der ihn bei Nacht auf einem Kahn in ſeine nahe
Burg Gottlieben am Bodenſee abführen ließ.““ Dort ver—
ſchlimmerte ſich Huſſens Lage bedeutend. Im Dominicaner—
kloſter waren ſeine Wärter, insbeſondere ein gewiſſer Ro—
bert, in die Länge, theils durch ſeinen Umgang, theils
durch eifriges Zuthun der böhmiſchen Herren, ſo weit für
ihn gewonnen worden, daß ſie ihm nicht nur zu ſchreiben
erlaubten, was und wem er wollte, ſondern auch manch—
mal ſeinen Freunden den Zutritt in ſeinen Kerker geſtat—
teten: in Gottlieben aber wurde er in einen einſamen
hohen Thurm geſperrt, an den Füßen in Feſſeln geſchla—
gen, bei Nacht ſelbſt mit den Händen an die Wand an—
gekettet, und von aller Verbindung mit den Freunden gänz—
lich abgeſchloſſen.
Unter den Beſuchen, die den Gefangenen noch im Do—
minicanerkloſter überraſcht hatten, war auch der des M.
Chriſtann von Prachatic; Hus brach in Thränen aus, als
er den fern geglaubten alten Freund und Wohlthäter vor
ſich erblickte.!“ In Erwägung der Gefahr aber, welcher
448) Ein nach Böhmen geſchriebener noch ungedruckter Brief mel:
det darüber: De Hus fuit periculum, ne eriperetur de carce-
ribus ordinis Praedicatorum, situati ultra muros civitatis, quia
custodes jam erant pauci et remissi; sed ex diligentia facta
et clamore zelatorum fidei, ex decreto concilii, praesentatus
est ad quoddam castrum et ad carceres domini episcopi Con-
stantiensis; qui Dominica ne longe hora quasi IVa noctis, cum
170 fere armatis ad unum castrum eum extra civitatem de-
duxit, ubi bene custoditur et compedibus die noctuque vin-
culatur etc.
449) Accuso me (ſchreibt er am 4 März, S. 93), quod videns M.
Christianum ex abrupto, non potui a lachrymis, quae erum-
pebant, me continere, fidelem magistrum meum et specialem
benefactorem videns.
2
340 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 ſich ſolche Beſucher ausſetzten,““ wollte er, daß fie davon
lieber abſtehen möchten; insbeſondere ließ er den Magiſtern
Jeſenic und Hieronymus ſagen, daß ſie auf keinen Fall
ſich nach Conſtanz hineinwagen ſollten. Den Letzteren ver—
leitete ſein feuriges Temperament, die Warnung unbeach—
tet zu laſſen; er glaubte, ſeinem Freunde dennoch zu Hilfe
eilen zu müſſen. Am 4 April kam er unerkannt und un⸗
bemerkt in Conſtanz an; nur die Herren von Chlum und
von Duba erfuhren ſeine Anweſenheit, und riethen ſogleich
zur ſchleunigſten Rückkehr. Er entſchloß ſich dagegen am
7 April an die Rathhaus- und Kirchenthüren von Con—⸗
ſtanz Ankündigungen in lateiniſcher, deutſcher und boͤhmi-
ſcher Sprache anheften zu laſſen, worin er dem Könige
und dem Concilium den Zweck ſeiner Ankunft meldete, und
um Ertheilung eines ſicheren Geleitbriefes bat, damit er
ſich öffentlich ſtellen könne; inzwiſchen zog er ſich, noch
immer unerkannt, in eine der benachbarten Städte zurück.
Das Concilium ertheilte ihm erſt am 17 April eine Zu—
ſicherung, die ihn nur vor Gewalt, nicht vor Recht ſchützen
ſollte, und erklärte zugleich, daß es gegen ihn in geſetz—
licher Form einſchreiten werde, ob er ſich ſtelle, oder nicht;
darum erließ es auch gleich am folgenden Tage die erſte
öffentliche Vorladung gegen ihn. Hieronymus hatte in—
zwiſchen auch dieſe nicht mehr abgewartet, ſondern ſich be—
reits früher auf die Flucht nach Böhmen zurück begeben.
Doch unfern den Gränzen ſeines Vaterlandes, zu Hirſchau,
450) Chriſtann von Prachatic wurde in Conſtanz, auf Michaels de
Causis Andringen, wirklich verhaftet, und wegen 30 Artikeln,
die ihm zur Laſt gelegt wurden, vor den Patriarchen von Con—
ſtantinopel zur Verantwortung gezogen; da jedoch K. Sig—
mund ſich für dieſen in Böhmen hochgeachteten Gelehrten (ſein
Hauptfach war die Aſtronomie) eifrig verwendete, und er ſich
ſehr beſcheiden benahm, ſo ſetzte man ihn am 15 März 1415
wieder in Freiheit. MS.) .
M. Hieronymus wird dem Conc. eingeliefert. 341
wurde er am 25 April von einigen Geiſtlichen erkannt,
von dem dortigen Pfleger des Pfalzgrafen Johann ver—
haftet und nach Sulzbach zu dem Letzteren, einem Bruder des
Pfalzgrafen Ludwig, gebracht, der das Concilium alſogleich
von dem Vorfall benachrichtigte. Dieſes verlangte die Ein—
lieferung des Gefangenen; dem zu Folge er, mit ſchweren
Ketten belaſtet, nach Conſtanz gebracht und am 23 Mai
in die Gewalt des Conciliums übergeben wurde, ohne ſeinen
Freund Hus, vor oder nach, auch nur geſehen zu haben.
Es konnte nicht fehlen, daß die Böhmen und Mährer,
die den von Hus und Hieronymus verbreiteten Lehren be—
reits größtentheils anhingen, die Gefangennehmung ihrer
Lehrer übel nahmen und darüber Beſchwerde führten; ſelbſt
in Polen, wo die böhmiſchen Reformatoren, zumal am
königlichen Hofe, auch viele Freunde zählten, regte ſich die
Sympathie für ſie. In Prag, Brünn und mehren Land—
ſtädten hielt der Adel Verſammlungen, um an den römi—
ſchen König, als den künftigen Erben des Landes, ſchrift—
liche Vorſtellungen über den Bruch ſeines Geleitsbriefes
durch die Gefangennehmung und harte Behandlung des
Hus zu richten. Man nahm übrigens in dieſen Schrei—
ben keine Immunität für Hus in Anſpruch, und wollte ihn
weder dem Recht noch ſeinen Richtern entziehen: man ver—
langte nur, daß er weder ungehört verdammt, noch auch
insgeheim gerichtet, ſondern daß ihm Gelegenheit gegeben
werde, ſich frei und öffentlich zu vertheidigen. 1 Ein ähn—
liches Geſuch überreichten am 13 Mai!“ nach Mittag den
bei den Minoriten (Franciscanern) verſammelten Vätern
1415
die in Conſtanz anweſenden böhmischen und polnischen Her:
ren: namentlich von Seite der Polen die beiden Abgeſand—
451) Vier ſolche Briefe find abgedruckt im Archiv Cesky, III, 182 8g.
452) Das Datum bei V. d. Hardt (14 Mai, S. 187 — 189) ift
unrichtig, und muß aus dem umſtändlichen Bericht des Mla—
denowie verbeſſert werden.
342 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 ten K. Wladiſlaws, Hanus von Tuliskowo, Caſtellan von
Kalis, und Zawisa Gerny von Garbow; ferner ein Herr
Borota, ein Donin, ein Balick)h und Andere; von den
Böhmen und Mährern Wenzel von Duba, drei Herren
von Chlum Johann, Heinrich und Kunes), Pota von
Ilburg, Wenzel Myska von Hradek, Bohuflaw von Dau—
pow, ein Skala von Libee, Schrank Vater und Sohn, ein
Bieskowec u. a. m. In dem vom M. Peter von Mla—
denowic, Secretär des Herrn Johann von Chlum, redigir—
ten und geleſenen Geſuche wurde zuerſt die Art und Weiſe,
wie Hus nach Conſtanz gebracht und hier ohne voraus—
gegangenes Verhör eingekerkert worden,“ “ kurz dargeſtellt,
und dann um ſo mehr darüber geklagt, als ſonſt andere
Männer, die das Piſaner Concilium offen für Ketzer er—
klärt hatte, in Conſtanz unbehelligt geblieben wären. Nun
würden ſie, die in Conſtanz anweſenden Herren, von ihren
Landsleuten deßhalb gedrängt und beſchuldigt, als wäre
ſolches durch ihre Nachläſſigkeit geſchehen. Daher baten
ſie die Väter inſtändig, nicht nur auf ein Volk Rückſicht
zu nehmen, das ſich durch alle dieſe Vorgänge gekränkt
fühle, ſondern auch die Ehre des römiſchen Königs und
die eigene dadurch zu bedenken, daß ſie dem beſagten Hus
ſein Recht nach göttlicher Gerechtigkeit ohne längeren Auf—
ſchub widerfahren laſſen. Weiter klagten die böhmiſchen
Herren allein (denn die Polen erklärten, dieſem Theil der
Klage fremd bleiben zu wollen) über Verläumder und
Feinde der böhmiſchen Nation, die unter den Vätern des
453) Cum Constantiam sub dicto salvo conductu libere pervenisset,
captus est et graviter nulla audientia praevia carceratus, et
hucusque tam compedibus, quam fame et siti angustiatur. —
Citra hoc tam graviter detinetur, compedibus et dieta levis-
sima attenuatus; unde timendum est, ne viribus consumptus
ratione periclitetur. — Schon aus dieſen Stellen iſt zu ſehen,
daß der Abdruck bei V. d. Hardt (IV, 189) nicht ganz genau iſt.
Verwendungen zu Gunſten Huſſens. 343
Concils allerhand falſche Gerüchte ausgeſtreut hätten, wie 1415
z. B. daß in Böhmen das Sacrament des Blutes Chriſti
in gemeinen Flaſchen herumgetragen werde, daß ſelbſt
Schuſter ſich zu Beichtvätern und zu Spendern der Sa-
cramente eigenmächtig aufwerfen u. dgl. Sie verlangten,
daß ſolche Verläumder genannt und zur Verantwortung
gezogen werden, indem die böhmiſchen Herren bereit ſeien,
dieſelben Lügen zu ſtrafen und nach Gebühr zu befehämen. **
Als der letztere Theil der Klage vorgeleſen wurde,
ſtand der in der Verſammlung anweſende Biſchof Johann
von Leitomysl auf und ſprach: dieſe Klage gehe ihn und
die Seinigen an, und er nehme die Verantwortlichkeit für
ſeine Reden auf ſich; denn allerdings habe er mehre Un—
ordnungen, die in neueſter Zeit in Böhmen, in Folge der
überhand nehmenden Communion unter beiderlei Geſtalten,
eingeriſſen, ſo wie ſie ihm aus Böhmen glaubwürdig be—
richtet worden, zur Kenntniß des Conciliums gebracht;
ſoolches ſei jedoch nicht in der Abſicht geſchehen, die Ehre
ſeines Vaterlandes und ſeines Volkes zu kränken; im
Gegentheil liege dieſe Ehre ihm mehr am Herzen, als
ſeinen Gegnern, die ſie eben durch ſo anſtößige Neuerungen
bloßzuſtellen keine Scheu trügen. Um jedoch auf die Klage
eine begründetere Antwort ertheilen zu können, bat er ſich
die nöthige Friſt aus, die ihm auch ertheilt wurde.
454) Der Schluß dieſes Actenſtückes iſt bei V. d. Hardt (IV, 189)
nicht richtig angegeben; er lautet bei Mladenowic, wie folgt:
Propter quod rogant domini de Boemia hie praesentes, qua
teuus talibus falsis delatoribus non ceredatis, cum tamquam
iniqui infamatores regni praedieti falsum dieant; quin potius
petunt attentius Vras Pattes, quatenus tales infamatores regni
praedieti nominentur; et D. Rex praedictus, similiter et Vrae
Pattes videre debebunt, quod domini de Boemia talium in-
famatorum delationes falsas et frivolas taliter studebunt refel-
lere, unde ipsi infamatores coram D. Rege et Vris Patbus ve-
rebuntur.
344 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 Am 16 Mai erhielten die böhmiſchen und polnischen
Herren ſowohl vom Concilium als vom Biſchof von Lei—
tomysl Antwort. Letzterer wiederholte jetzt ſchriftlich ſeine
neulich gegebene Erklärung, leugnete, jemals etwas von
einer Spendung der Sacramente durch Schuſter vorge—
bracht zu haben, äußerte aber auch die Beſorgniß, daß
ein ſolches Scandal in die Länge auch noch zum Vorſchein
kommen könnte, da er unterrichtet ſei, daß jüngſt eine Pra—
ger Frau das einem Prieſter gewaltſam abgedrungene Sa—
crament eigenmächtig genoſſen und zu Entſchuldigung dieſes
Frevels viele Irrthümer behauptet und vertheidigt habe.““
Darum bat er wiederholt die Väter des Conciliums, zu
Unterdrückung ſolcher Unordnungen unverzüglich geeignete
Maßregeln zu ergreifen. Von Seite des Conciliums gab
der Biſchof von Carcaſſonne den Herren mündlich die Ant—
wort: durch Huſſens Gefangennehmung könne der könig—
liche Geleitsbrief um ſo weniger gebrochen worden ſein,
als man ſo eben erfahre, daß Hus dieſen Brief erſt 15
Tage nach ſeiner Gefangennehmung erhalten habe; auch
ſei es unrichtig, daß er ohne vorläufige Unterſuchung ein-
gekerkert worden, da es bekannt ſei, daß er nach Rom
citirt, wegen Nichterſcheinens in contumaciam verurtheilt
und excommunicirt, keine Abſolution geſucht und erhalten
habe, daher er füglich als Erzketzer (haeresiarcha) gelten
könne, zumal er unter ſolchen Umſtänden auch in Conſtanz
N
455) Ohne Zweifel iſt hier dieſelbe Frau gemeint, welche nach des
Priors Stephan von Dolan Epistola ad Hussitas (vom Jahre
1417) noch vor Huſſens Tode auch eine böhmiſche Schutz—
ſchrift für die Huffiten verfaßt hatte, deren Inhalt und An—
fang der Prior in lateiniſcher Überſetzung mittheilt (in Pez
Thesaur. Anecdot. tom. IV, parte II, pag. 520 sq.). Dieſes lite:
D
rariſche Curioſum (»cujus continentiam vix quinque arcus pa-
pyri possent comprehendere) hat ſich noch nicht wieder auf—
finden laſſen. Dieſelbe Frau ſoll im J. 1416 auch öffentlich —
in einer Kirche gepredigt haben.
Verhandlungen wegen Huſſens. 345
öffentlich zu predigen ſich unterſtanden hätte. Zwei Tage
ſpäter (18 Mai) replicirten die Herren: das Concilium
ſei hinſichtlich des Datums in Huſſens Geleitsbriefe in Irr—
thum und kränke die Ehre der königl. Reichskanzlei, indem
es die Möglichkeit vorausſetze, daß dieſelbe eine Urkunde um
volle zwei Monate zurückdatiren und ſomit fälſchen könne;
ſie beriefen ſich auf den König ſelbſt, der die Ausfertigung
angeordnet, auf die Fürſten und Herren, die dabei gegen—
wärtig geweſen; es ſei nicht der Herren Schuld, daß am
Tage jener Gefangennehmung Niemand den Brief habe
ſehen wollen; auch ſei es unwahr, daß Hus in Conſtanz
jemals öffentlich gepredigt habe, da er ſogar nie über die
Schwelle des von ihm bewohnten Hauſes gekommen ſei
u. ſ. w. #6 Solche Reden und Gegenreden wurden dann
an den folgenden Tagen noch fortgeſetzt, und arteten zuletzt
in bittere Perſönlichkeiten zwiſchen dem Biſchofe von Leito—
mysl und den Baronen aus. Endlich auf die Bitte der
Letzteren um Freilaſſung des Gefangenen, damit er ſich an
Körper und Geiſt erholen könne, indem die Herren jede
gewünſchte Bürgſchaft leiſten wollten, daß er dieſe Frei—
heit nicht mißbrauchen werde, antwortete am 31 Mai der
Patriarch von Antiochien im Namen des Concils, daß man
456) De praedicatione vero, qua ipsum M. Joh. Hus sui aemuli in
hac civitate retulerunt publice praedicasse, respondent domini,
et specialiter D. Joh. de Chlum, hic praesens, qui in Con-
stantia hic cum dicto M. Joh. Hus continuo est hospitatus,
quod quicunque hoc ausi sunt vel audent dicere, quod ipse
M. Joh. Hus, ut praemittitur, praedicasset, vel quod minus
est, a tempore adventus sui ad hane civitatem usque ad diem
et tempus captivitatis suae unum passum extra domum hospitü
exüsset, quod dictus D. Joh. de Chlum se sub quacumque
poena, sive pecuniali sive alia, cum quolibet tali vult obli-
gare, quod id quod Vris Patbus tam sinistre retulit, numquam
juste et veraciter deducere poterit et probare.« (Von der
Hardt, IV, 213.)
1415
316 VI Buch, 5 Capitel. K Wenzel IV.
1415 zwar Hus auch gegen tauſend Bürgſchaften nicht auf freien
Fuß ſetzen könne, daß aber das Concilium den Bitten der
Barone hinſichtlich ſeines öffentlichen Verhörs Folge geben
und den Gefangenen am nächſtkünftigen 5 Juni in einer
öffentlichen Verſammlung hören wolle.
Mit der Flucht Johanns XXIII war auch die von ihm
den obengenannten drei Commiſſären zur Unterſuchung des
M. Hus gegebene Vollmacht erloſchen; das Concilium er—
nannte dazu am 6 April 1415 vier neue Commiſſäre, die
Cardinäle Peter von Ailly und Wilhelm von Cordiano,
den Biſchof von Dole und den Abt von Gifterz, welche
mit Zuziehung anderer Prälaten und Doctoren nicht allein
die Lehren des Hus, ſondern auch die des Wiklef prüfen
ſollten. Dieſelben ſtellten mit dem Gefangenen in Gott—
lieben wiederholte Privatverhöre an, über deren Ergeb—
niſſe keine Nachrichten vorhanden ſind; jedenfalls war die
bereits in der achten Generalſeſſion am 4 Mai 1415 er—
folgte feierliche Verdammung der 45 Wiklef'ſchen Lehrſätze
von übler Vorbedeutung; war Wiklef einmal für einen
Erzketzer erklärt worden, ſo konnte es auch Hus am Ende
nicht viel beſſer ergehen. Als die Zeit ſeines erſten öffent—
lichen Verhörs am 5 Juni heranrückte, wurde er von der
Burg Gottlieben in das Kloſter der Franciscaner oder
Barfüßermönche in Conſtanz übergeführt; und am ſelben
Tage nahm feine Stelle in Gottlieben der abgeſetzte Jo—
hann XXIII, nun Balthaſar Coſſa, als Gefangener des
Concils ein.
Am beſagten 5 Juni verſammelten ſich im Refecto—
rium des Franciscanerkloſters faſt alle bei dem Concilium
anweſenden geiſtlichen Notabilitäten, Cardinäle, Erzbiſchöfe,
Biſchöfe, Prälaten, Doctoren, Magiſter und viele andere
Leute. Bevor der Gefangene eingeführt wurde, las man
den Bericht über die Ergebniſſe der bisher in ſeiner Sache
gepflogenen Unterſuchungen vor. Ein Böhme, der ſich
Huſſens erſtes Verhör vor dem Concil. 347
hinter den Vorleſer geſchlichen hatte, #7 erblickte unter den 415
zum Vortrag beſtimmten Stücken auch das bereits fertige
Verdammungsurtheil des Hus; er ſetzte den gleichfalls an—
weſenden Peter von Mladenowic, und dieſer die Herren
von Chlum und von Duba in Kenntniß davon, welche
augenblicklich zu K. Sigmund eilten, um ihn zu beſchwö—
ren, daß er die Vorleſung jenes Urtheils hindere, indem
die Klagepuncte, auf welche es gegründet worden, unrich—
tig ſeien. Und da einige Hauptartikel darin aus Huſſens
Tractat über die Kirche und aus den Schriften gegen
Paleé und Staniſlaw von Znaim geſchöpft waren, fo über—
gaben ſie dem Könige ein von Huſſens eigener Hand ge—
ſchriebenes Exemplar dieſer Werke, damit es zur Con—
trole der daraus geſchöpften Sätze dienen könne. Der
König ſäumte nicht, durch den Pfalzgrafen Ludwig und
den Burggrafen Friedrich von Nürnberg die verſammelten
Väter vor einer übereilten Entſcheidung in der Sache zu
warnen; er ſtellte durch dieſe Fürſten das förmliche Ver—
langen an das Concilium, Hus vor allem geduldig anzu—
hören, und dann das über ihn zu fällende Urtheil vor—
läufig zu ſeiner, des Königs, Kenntniß zu bringen. Auch
ließ er den Vätern alſogleich die genannten Autographe
Huſſens, jedoch nur zur Einſicht und gegen Zurückerſtat—
tung, zuſtellen.
Nachdem Hus in die Verſammlung eingeführt worden
und die Fürſten ſie verlaſſen hatten, wurden ihm die ſo
eben genannten Handſchriften ſeiner Werke mit der Frage
vorgelegt, ob er ſie als die ſeinigen anerkenne? Er be—
jahte das, und erklärte zugleich feine Bereitwilligkeit, wenn
457) Mladenowic berichtet darüber: Quod cum cognovisset U., qui
exterius prope pronuntiantem stabat, cucurrit et dixit P., et
P. cucurrit ad dominos W. et Joh., ut ista regi dicerent, qui
continuo ipsum accedentes, eidem singula enarrabant seriose
etc. Wer diefer U. (Ulrich?) geweſen, ift nicht zu errathen.
348 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 man ihn belehre, daß darin Irrthümer enthalten ſind,
dieſelben zu widerrufen. Schon bei den erſten Debatten
ergab es ſich aber, daß er mit dem Worte »Belehrung«
einen ganz andern Begriff verband, als das Concilium;
denn er verlangte, man ſolle ihn aus der heiligen Schrift
und aus den Werken der älteſten Kirchenväter überführen,
daß er Unrecht habe; ein Geſchäft, zu welchem ſich ein
die geſammte Kirche repräſentirender, im heiligen Geiſte
gehörig verſammelter, in Glaubens- und Kirchenſachen ab—
ſolut richtender und geſetzgebender Körper unmöglich her—
beilaſſen konnte. Wäre daher auch eine Verſtändigung und
Verſöhnung hinſichtlich mancher einzelnen Klagepuncte noch
möglich geweſen, ſo war ſie es doch nimmermehr hinſicht—
lich der Competenz der Richter, die Hus, wenn auch nicht
dem Worte, ſo doch der That nach beſtritt, daher er den
Vätern auch in vorhinein ſchon als widerſpenſtig erſcheinen
mußte. Dieß erklärt zum Theil die große Reizbarkeit und
Bitterkeit der Letzteren, die ſich gleich in der erſten Au—
dienz gegen Hus kund gab. Die von ihm nachgeſuchte Er—
laubniß, ſein ganzes Glaubensbekenntniß erſt im Zuſammen—
hange vorzutragen, wurde ihm verweigert, und er auf die
bloße Beantwortung der an ihn zu richtenden Fragen an—
gewieſen. Als er aber ſeine Sätze zu vertheidigen anfing,
rief man ihm gleich von allen Seiten ſtürmiſch zu, daß er
ſeine Sophiſterei fahren laſſen und einfach nur mit Ja
oder Nein antworten ſollte. Er ließ ſich dadurch nicht ein—
ſchüchtern, und erlaubte ſich, ſobald er nur zu Worte
kam, ſogar die laute Bemerkung, daß er gehofft habe, in
einer ſolchen Verſammlung mehr Ruhe, Anſtand und Ord—
nung zu finden.“ Bei ſolcher gegenſeitigen Stimmung
458) Huſſens Worte darüber (bei V. d. Hardt, IV, 307 und in?
Opp. I, 77 sq.) find aus dem Böhmiſchen überſetzt: Equidem
credidi majorem honestatem, bonitatem et disciplinam melio-
rem esse in hoc concilio, atque est. Tune supremus cardi-
Huſſens zweites Verhör. 349
konnten alle dieſe Audienzen zu keinem günſtigen Ende
führen, wenn gleich Hus in einem gleich nach dieſem erſten
Verhör geſchriebenen Briefe ſich dazu Glück wünſchte, daß
es ihm bereits gelungen, zwei Artikel von der Klageliſte
ſtreichen zu machen, und ſich mit der Hoffnung ſchmeichelte,
daß es auch bei anderen noch gelingen werde.“
Bei dem zweiten Verhör, welches am 7 Juni, kurz
nach einer beinahe totalen Sonnenfinſterniß, Statt fand,
und welchem auch K. Sigmund beiwohnte, ging es bereits
viel ruhiger und ordentlicher zu; denn es war an dieſem
Tage von Seite des Königs und des Conciliums kund
gemacht worden, daß jeder Schreiende aus der Verſamm—
lung hinausgewieſen werden ſolle. Um ſo auffallender
zeigte ſich dann die Animoſität, welche insbeſondere der
ſonſt mit Recht hochverehrte Cardinal Peter von Ailly, der
erſte Wecker und Träger der Kirchenreform-Ideen in Frank—
reich, gegen den böhmiſchen Reformator an den Tag legte.
Sie läßt ſich nur durch die Beſorgniß erklären, daß die
Reform, wie der Cardinal ſie verſtand, ihm durch die Art
und Weiſe, wie der Magiſter ſie herbeizuführen ſuchte, an
ſich ſelbſt gefährdet erſchien; daher rührte wohl auch ſein ſicht—
bares Beſtreben, die Unterſuchung von den Disciplinar—
fragen ab in das Gebiet der Dogmen zu ziehen, wo er
und das ganze Concilium jede Anderung für unzuläſſig
hielten. Dieſe ſeine Stimmung offenbarte ſich gleich bei
nalis (Ostiensis) respondit: Siccine loqueris? in arce mo-
destius verba fecisti. Cui ego: nam in arce nemo contra me
vociferabatur, nunc vero vociferamini omnes. (Vgl. auch den
Brief Num. 15, in Opp. I. 80.)
459) Er ſchrieb: Deus omnipotens dedit mihi hodie cor animosum
et forte; deleti sunt jam articuli duo; spero de gratia dei,
quod plures delebuntur. Clamabant quasi omnes adversum
me etc. Non consideravi, quod haberem in tota multitudine
» eleri amicum, praeter Patrem et unum doctorem Polonum,
quem nosco etc. ö
1415
7 Suni
350 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 der erſten Frage, welche an dieſem Tage verhandelt wurde:
über die Transſubſtantiation. Als Hus zu wiederholten
Malen betheuerte, daß er es in dieſem Puncte nicht mit
Wiklef, ſondern mit der Kirche halte, ſuchte Ailly als No—
minaliſt ihn als Realiſten ſogar durch Folgerungen aus
ſeinem philoſophiſchen Syſteme der Unwahrheit und ſomit
der Ketzerei zu überführen; was ihm jedoch, nach dem
Geſtändniß der Verſammlung ſelbſt, nicht gelang.“ Den
Gegenſtand des heutigen Verhörs bildete überhaupt Huſ—
ſens Verhältniß zu den vom Concilium bereits verdamm—
ten Wiklef'ſchen Lehren, und ſein Benehmen in den ſtür—
miſchen Scenen, welche ſeit ſechs Jahren in Prag vor—
gefallen waren. Er geſtand, daß er mehre der 45 Artikel
für wahr halte, daher er nicht habe für deren Verdam—
mung ſtimmen können; auch bekannte er, Wiklef als einen
frommen Mann geſchätzt und den Wunſch geäußert zu
haben, daß ſeine Seele einſt ebendahin gelange, wo deſſen
Seele ſich befinde. Als er aber mehre Zeugenausſagen
geradezu für falſch und nur aus bitterer Feindſchaft er—
dichtet erklärte, und ſich dagegen auf Gott und ſein Ge—
wiſſen berief, bemerkten ihm die Cardinäle Zabarella und
Peter von Ailly, das Concilium könne auf die Beſchaffen—
460) Dieſe Einmiſchung einer ſcholaſtiſch-philoſophiſchen Frage im
kirchlichen Streit durch Peter von Ailly iſt der erſte und ein—
zige Fall dieſer Art in der Geſchichte Huſſens, den die gleich—
zeitigen Quellen uns überliefert haben. Mladenowic ſagt dar—
über: Multa ibi impertinentia de materia universalium im-
miscebantur, et Anglicus ille, qui de materia prima instabat,
dixit: »Ad quid illa impertinentia immiscentur, quae nihil fa-
eiunt ad factum fidei? ipse (Hus) bene sentit de sacramento
altaris, ut hie confitetur.« Darnach bemeſſe man, ob dieſer
Schulſtreit der Nominaliſten und Realiſten einen fo großen
Einfluß auf den ganzen Verlauf des Huſſitismus hat haben
können, wie es in der neueſten Zeit von mehren Seiten iſt
behauptet worden.
bu
.
Huſſens zweites Verhör. 351
heit ſeines Gewiſſens nicht eingehen, ſondern müſſe noth> 1415
wendig nur nach den vorhandenen Ausſagen beeideter Zeu—
gen urtheilen; auch ſcheine er im Perhorresciren dieſer Zeu—
gen zu weit zu gehen, da er auch den Pariſer Kanzler
Gerſon für verdächtig halte, einen Mann, der nach dem
Urtheil der ganzen Welt über jeden Verdacht erhaben ſei.
Nachdem viele Klagen und Antworten waren vernommen
worden, konnte Ailly nicht unterlaſſen, es am Ende auch
zu rügen, wie Hus bei ſeinem erſten Verhöre in eitler
Prahlerei behauptet habe, daß, wenn er nicht freiwillig
nach Conſtanz gekommen wäre, Niemand die Macht gehabt
hätte, ihn dazu zu zwingen. Hus wiederholte dieſe Be—
hauptung auch jetzt, indem er verſicherte, daß er in ſeinem
Vaterlande viele und mächtige Gönner beſitze, die da willig
und im Stande geweſen wären, ihn in ihren Schlöſſern
gegen jede Gewalt zu ſchützen. Welche Vermeſſenheit! rief
der Cardinal in ſichtbarer Entrüſtung aus; doch ſtand
gegen ihn Herr Johann von Chlum auf, und beſtätigte
Huſſens Worte; denn er, Chlum, ſei nur einer der ärme—
ren Edelleute Böhmens, und doch hätte er ſich allein ge—
traut, Hus ein Jahr lang gegen welche Macht immer zu
ſchirmen; es gebe aber mächtige Barone in ſeinem Lande,
die ihn auf ihren Burgen nöthigenfalls gegen die vereinten
Heere des böhmiſchen und römiſchen Reichs zu vertheidigen
unternommen hätten. Am Schluſſe der Sitzung nahm danu
auch K. Sigmund noch das Wort, um ſich über ſein per—
ſönliches Verhältniß zu Hus zu erklären. Er berichtigte
zuerſt den Irrthum hinſichtlich des Datums in dem viel—
verſprochenen Geleitsbriefe. Dieſen Brief und ſeinen könig—
lichen Schutz habe er Huſſen allerdings noch vor deſſen
Abreiſe aus Böhmen zugeſichert und ihm auch öffentliches
Gehör zu verſchaffen verſprochen;“ ! darum habe er ihn
461) Man vergleiche hierüber, was oben zum 1 Sept. 1414 iſt bei—
gebracht worden.
1415
8 Juni
352 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
auch dem beſonderen Schutze der Herren von Chlum und
von Duba empfohlen, obgleich man behaupte, daß er einen
der Ketzerei Verdächtigen in ſeinen Schutz zu nehmen nicht
befugt geweſen. Nun ſei Hus ein ruhiges öffentliches Ge—
hör zugeftanden und damit das königliche Verſprechen gelöſt
worden. »Es erübrigt nur,“ fuhr der König gegen Hus
gewendet fort, »nichts mehr, als mich den Ermahnungen
der Cardinäle anzuſchließen, daß Du nicht auf Deinem
Eigenſinne beſteheſt, ſondern Dich gänzlich der Gnade des
Conciliums anvertraueſt; es wird mir, meinem Bruder
und dem Königreiche Böhmen zu Liebe Dich gnädig auf—
nehmen und Dir keine ſchwere Buße auferlegen. Wollteſt
Du aber auf Deinem Eigenſinn beharren, ſo werden die
Väter ſchon wiſſen, wie fie Dich zu behandeln haben. Ich
habe ihnen zugeſagt, daß ich keinem Ketzer zum Schutze
dienen werde; ja wollte Jemand hartnäckig auf ſeiner
Ketzerei beſtehen, ſo wäre ich der Erſte, der ihn auf den
Scheiterhaufen führte. Darum rathe ich Dir nochmals,
ergib Dich in die Gnade des Concils, und zwar je eher,
je beſſer, damit Du nicht in noch tiefere Schuld verfalleſt.“
Hus, ſichtbar angegriffen und durch die lange Anſtrengung
bereits erſchöpft, entgegnete nur mit kurzem Danke für den
empfangenen königlichen Schutz- und Geleitsbrief und mit
der wiederholten vagen Betheuerung, daß er ſich gerne
eines Beſſeren belehren laſſen wolle. Der Erzbiſchof von
Riga führte ihn darauf in ſeinen Kerker zurück.
Das dritte und letzte ordentliche Verhör, das am 8 Juni
Statt fand, war auch das wichtigſte und entſcheidendſte:
es betraf zuerſt die in den Schriften Huſſens vorkommenden
anſtößigen Lehrſätze. Man las an dieſem Tage 26 Artikel
vor, die aus ſeinem Tractat von der Kirche, 7 die aus
der Streitſchrift gegen Paleè, 6 die aus der gleichen
Schrift gegen Stanislaus von Znaim gezogen waren. Da
dieſe Tractate insgeſammt gegen die von den katholiſchen
uch
Huſſens drittes Verhör. 353
Doctoren auf der Synode vom 6 Februar 1413 geltend 1415
gemachten Grundſätze gerichtet waren, ſo drehten ſich die
heutigen Unterſuchungen überhaupt um das Anſehen, die Ver—
faſſung und Auctorität der geſammten chriſtlichen Hierarchie.
Um ſich von der Richtigkeit der gemachten Auszüge zu über—
zeugen, las man die einzelnen Artikel in Huſſens Hand—
ſchrift nach; wobei der Cardinal von Ailly wiederholt
darauf aufmerkſam machte, daß dieſe Lehrſätze in ihrem
Zuſammenhange einen noch ſchlimmeren Sinn liefern, als
ihnen einzeln zukömmt. Huſſens Berufung auf die Aucto—
rität des heil. Auguſtinus konnte ſeine craſſe Prädeſtina—
tionslehre nicht ſchützen; auch konnte er ſich gegen den Vor—
wurf nicht gehörig rechtfertigen, Beſchuldigungen gegen die
Häupter der Kirche und den Clerus überhaupt vor unge—
eignetem Auditorium und an ſolchen Orten erhoben zu
haben, wo die abweſenden Beklagten ſich nicht verantwor—
ten konnten. Eben ſo wenig konnte es ihm zur Empfeh—
lung dienen, daß er den Papſt und die Cardinäle als nicht
nothwendig zum Regiment der Kirche erklärte, das Anſehen
und die Macht der Päpſte ein Geſchenk und Geſchöpf der
Kaiſer nannte, den Fürſten eine Controlgewalt über die
Prälaten einräumte, die Rechtsgiltigkeit mancher Kirchen—
ſtrafen in Zweifel zog, das damals gewöhnliche Verfahren
gegen die Ketzer als phariſäiſch bezeichnete u. dgl. m. Gro—
ßes Aufſehen machte insbeſondere der Satz, daß ein Papſt,
Prälat oder Prieſter, der da tödtlich ſündigt, kein Papſt,
Prälat und Prieſter ſei. Als Hus ihn durch die Erklärung
zu rechtfertigen ſuchte, daß er es wohl dem Amte nach
(quoad officium), nicht aber dem Begriff und Weſen nach
(quoad meritum) fein könne, und beiſpielweiſe hinzufügte,
daß auch ein König da, wo er tödtlich ſündigt, kein wirk—
licher König ſei, rief man nach König Sigmund, der ſo
eben mit dem Pfalzgrafen und dem Nürnberger Burggrafen
ſich zum Fenſter des Refectoriums hinaus gelehnt und mit
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 23
354 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1414 ihnen Geſpräche über die Gefährlichkeit dieſer Lehren ange—
knüpft hatte; Hus mußte ſeinen Satz vor dem Könige
wiederholen, worauf dieſer nur erwiederte, daß wohl Nie—
mand ſündlos ſei; der Cardinal Ailly aber in den Vorwurf
ausbrach, daß Hus, nicht zufrieden, das Anfehen des Clerus
zu kränken, auch die weltliche Macht zu untergraben geſucht
habe. Nach beendigter Vorleſung dieſer anſtößigen Artikel
nahm derſelbe wieder das Wort und ſprach zu Hus: er
habe nun zweierlei Wege vor ſich, entweder ſich der Ge—
walt und Gnade des Conciliums zu vertrauen und ſeiner
Entſcheidung ſchlechterdings zu unterwerfen, oder wenn er
auf ſeinen Meinungen beharre, den Rechtsweg noch weiter
zu verfolgen; er rathe ihm wohlmeinend zu dem erſten,
damit er durch fortgeſetzten Eigenſinn nicht eine noch ſchwe—
rere Schuld auf ſich lade; und in gleichem Sinne ließen
auch andere Prälaten ſich vernehmen. Hus entgegnete
mit der Bitte um ein Gehör, damit er ſeine Meinung
hinſichtlich der vorgeleſenen Lehrſätze deutlicher erklären
könne; wenn, nachdem man ſeinen eigentlichen Sinn ver—
ſtanden und ſeine Gründe angehört, dieſelben dennoch nicht
ſtichhältig befunden werden, ſo ſei er bereit, ſich vom Con—
cilium eines Beſſeren belehren zu laſſen. »Welche ver—
fängliche Rede! er will nur Belehrung, keine Zurechtwei—
fung, keinen Urtheilsſpruch!« riefen mehre Anweſende.
Auf die Entgegnung, daß er ſich nicht nur belehren, ſon—
dern auch zurechtweiſen laſſen und jeder Entſcheidung des
Concils unterwerfen wolle, erklärte dann der Cardinal von
Cambray: die von nahebei 60 Doctoren, im Auftrag des
Conciliums, hinſichtlich ſeiner gefaßte Entſcheidung laute
dahin, daß er erſtens ſeinen bei Behauptung jener Artikel
begangenen Irrthum demüthig anerkenne; zweitens, daß er
ſchwöre, dieſen Lehrſätzen für immer zu entſagen, und ſie
nimmermehr zu behaupten oder zu verbreiten; drittens,
daß er dieſelben öffentlich widerrufe, und viertens, daß
Huſſens drittes Verhör. 355
er ſich verpflichte „fortan die Gegenſätze feiner irrigen Ar- 1415
tikel anzunehmen, zu behaupten und zu verkündigen. Hus
bat, man möchte ihn nicht nöthigen, Lehrſätze abzuſchwören,
die er niemals gelehrt oder für wahr gehalten habe; und
in Betreff ſeiner eingeſtandenen Lehren erneuerte er die
Bitte um die Erlaubniß, ſeine Anſichten umſtändlicher zu
entwickeln, e da er ja ſonſt nicht gegen feine Überzeugung
und ſein Gewiſſen handeln könne. Nach vielen Reden und
Ermahnungen, in welche auch K. Sigmund ſich miſchte,
erklärte Cardinal Zabarella: man werde ihm eine umſichtig
und gemäßigt abgefaßte Abſchwörungsformel ſchriftlich vor—
legen; er möge dann reiflich überlegen und ſich entſcheiden,
was er thun wolle. Stephan Palecé lenkte hierauf die
Aufmerkſamkeit der Verſammlung nochmals auf die Prager
Ereigniſſe des Jahres 1412, welche wieder umſtändlich
beſprochen wurden, und verwahrte ſich am Schluſſe der
Sitzung öffentlich, daß er nicht aus Groll gegen Hus,
ſondern aus bloßem Pflichtgefühl die Klagen gegen ihn
erhoben habe; er erhielt darauf aus dem Munde des Car—
dinals Ailly die lobende Anerkennung, daß er ſich in Allem
gemäßigt und human benommen. Als auch Michael de
Causis ſich der Proteſtation ſeines Freundes anſchloß, ent—
gegnete Hus zuletzt: Gott werde zwiſchen ihm und ihnen
ein gerechter Richter ſein. Hierauf führte der Erzbiſchof
von Riga den Gefangenen abermals in ſeinen Kerker
zurück.
462) Et etiam rogo, quod solum mihi detur audientia ad tantum,
quod possim meam intentionem declarare in certis punctis et
articulis mihi objectis, et specialiter de papa, capitibus et
membris ecclesiae, in quibus mecum aequivocant, quod meam
intentionem concipiant; quia ego concedo et dico, quod papa,
episcopi, praelati etc., si sint praesciti et in peccatis mortali-
bus, non sunt vere tales quoad merita, nec digne coram deo
pro tunc, sunt tamen quoad officia tales, scil. papae, episcopi,
praelati« etc. (Rach dem Bericht Peters von Mladenowic.)
23 *
1415
356 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
Nach aufgehobener Sitzung, als bereits der größte
Theil der Verſammlung den Saal verlaſſen hatte, ereignete
ſich darin eine ſcheinbar unbedeutende, doch leider folgen—
reiche Scene. König Sigmund ließ ſich mit denjenigen
Cardinälen und Prälaten, die zurückgeblieben waren und
ihn umſtanden, in eine vertrauliche Converſation über Hus
ein, und ſprach zu ihnen ohngefähr folgende Worte: »Ehr—
würdige Väter! Ihr habt nun Hus gehört und ſeine Lehren
kennen gelernt. Unter den vielen Artikeln, zu welchen er
ſich ſelbſt bekannt hat, reicht wohl ſchon jeder einzelne hin,
ſeine Verurtheilung zu begründen; will er daher dieſelben
nicht abſchwören, jo verbrennet ihn oder verfahret mit ihm
ſonſt nach Eueren Geſetzen. Doch rathe ich, daß wenn er
auch widerrufet, Ihr ihm nicht trauet, wie auch ich ihm nicht
trauen würde; nach Böhmen zurückgekehrt, würde er nur
noch größeres Unheil ſtiften, als zuvor. Darum ſchicket
die hier verdammten Artikel zu meinem Bruder, und auch
nach Polen und in andere Länder, wo er leider zahlreiche
Anhänger hat; und traget nicht nur ſämmtlichen Biſchöfen,
ſondern auch den Königen und Fürſten auf, dieſe Anhänger
zu ſtrafen, damit die Aſte zugleich mit dem Stamm aus—
gerottet werden. Wahrlich, ich war noch jung, als dieſe
Secte in Böhmen begann: und zu welcher Stärke iſt ſie
nicht ſeitdem emporgewachſen 143 Ich werde nun das Con—
cilium bald verlaffen müſſen, darum ſäumet nicht in dieſer
Sache, und machet auch ſobald als möglich mit ſeinen
Schülern ein Ende, namentlich mit dem, der da gefangen
ſitzt — wie heißt er doch?« — Hieronymus!“ entgeg—
463) Et rex iterum: »pro certo! ego adhuc eram juvenis, quando
ista secta orta est et incepit in Boemia; et ecce, ad quan-
tum crevit et multiplicata est.« Bedeutſam iſt dieſe Auße⸗
rung durch den Umſtand, daß ſchon Sigmund den Huſſitis—
mus mit den Beſtrebungen eines Milic, Mathias von Janow
u. a. in Verbindung ſetzte.
K. Sigmunds Urtheil über Hus. 357
neten die Umſtehenden; »Der wird uns keine Schwierig— 1415
keiten bereiten; iſt nur erſt dem Meiſter ſein Recht wider—
fahren, dann werden wir mit dem Schüler wohl in Einem
Tage fertig werden!“ Nach dieſen Worten gingen fie ins—
geſammt in heiterer Stimmung auseinander. So berichtet
Peter von Mladenowic, der mit den Herren von Chlum
und von Duba auf den König wartend, aber von ihm un—
bemerkt dem Geſpräche gelauſcht hatte. Dieſe böhmiſchen
Herren, welche bis dahin noch gehofft, daß Sigmund ſich
des Hus annehmen würde, fanden ſich durch dieſen Vor—
fall gänzlich enttäuſcht; ſie berichteten darüber nicht allein
an Hus, der deshalb gegen Sigmund bitter wurde 6
ſondern auch an ihre Landsleute; die in einer Ecke eines
Barfüſſer⸗Refectoriums geſprochenen Worte hallten bald in
ganz Böhmen nach, und koſteten dem Redner nicht viel
weniger, als die Erbſchaft eines Königreichs. “““
464) Man leſe feinen 34ten Brief (Opp. I, pag. 87 sq.): Existima-
bam, quod saperet sibi lex dei et veritas, modo concipio, quod
non multum sibi sapiat; prius me condemnavit, quam inimici
mei. Si saltem tenuisset modum gentilis Pilati, qui auditis
accusationibus dixit: »Nullam causam invenio in hoc homine«;
vel saltem dixisset: »Ecce, ego dedi ei salvum conductum;
si ergo ipse non vult pati deeisionem concilii, ego remittam
eum regi Bohemiae cum sententia vestra et attestationibus, ut
ipse cum suo clero ipsum dijudicet.« Quia sic mihi intima-
vit per Henricum Lefl, et per alios, quod vellet mihi ordinare
sufficientem audientiam; et si me non submitterem judicio,
quod vellet me salvum dirigere vice versa. Es ſcheint kaum
glaublich, daß Sigmund letzteres Verſprechen geleiftet habe;
that er es aber wirklich, ſo hätte man auf ſo unbedachte Reden
um ſo weniger bauen ſollen, je mehr ſie nicht nur ſeine Rechte
und Befugniſſe, ſondern auch ſeine Macht überſtiegen.
435) Nicht das nahmen die Böhmen Sigmund übel, daß er Hus
nicht gegen Verurtheilung und Hinrichtung als Ketzer ſchützte;
dieſen Sinn hat ſein vielbeſprochener Geleitsbrief niemals ge—
habt, daher auch von einem Bruch desſelben durch ihn nicht
1415
358 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
Bei dieſer Übereinſtimmung Sigmunds und der ver—
ſammelten Kirchenväter hinſichtlich der Strafbarkeit des Hus,
konnte deſſen endliche Verurtheilung weder zweifelhaft ſein,
noch auch lange ausbleiben; er ſelbſt erwartete ſeine Hin—
richtung faſt mit jedem kommenden Tage. Dennoch ließ
man ihn noch volle vier Wochen lang am Leben. Ob dieſer
Aufſchub nicht zunächſt durch neue, um dieſe Zeit zu Huſſens
Gunſten in Conſtanz eingelaufene Briefe mit veranlaßt
worden ſei, mögen wir nicht entſcheiden. In einer Ver—
ſammlung der vier Nationen am 12 Juni wurde ein ſolcher
Brief vorgeleſen, an welchem 250 Sigille böhmiſcher und
mähriſcher Herren und Ritter hingen. Da zu dem Eindruck,
den ihre mit Vorwürfen gemiſchten freien Worte hervor—
brachten, bei vielen Zuhörern auch Entrüſtung ſich paarte,
ſo unterließen es der Biſchof von Leitomysl und M. Ste—
phan Palecé nicht, zu Beſchwichtigung der Gemüther den
Umſtand hervorzuheben und darauf aufmerkſam zu machen,
daß wenigſtens K. Wenzel an dieſen Demonſtrationen ſeiner
Unterthanen keinen Theil genommen, und auch ſonſt nicht
den geringſten Schritt zu Huſſens Gunſten gemacht habe.
Die Thatſache war richtig; obgleich ihr Grund nicht fo ſehr
in einem Mangel an Theilnahme, als vielmehr in den
Launen eiferſüchtiger Politik zu ſuchen war. Die im J.
1411 erfolgte Ausſöhnung der Könige Wenzel und Sig—
mund hatte ſich nämlich weder vollkommen, noch auch nach—
haltig erwieſen. Schon bei Eröffnung des Conſtanzer Con—
ciliums fand zwiſchen ihnen kein brüderlicher Verkehr mehr
Statt, ſie verſagten einander gegenſeitig den römiſchen
Königstitel, und Wenzel nahm von dem Conſtanzer Con—
cilium, das unter ſeines Bruders Einfluß ſtand, ämtlick
eben ſo wenig Kenntniß, wie früher Sigmund von dem
die Rede ſein konnte; das aber konnten ſie ihm nie vergeſ—
fen, daß er, anſtatt ein Fürſprecher für Hus zu fein, die Väter
vielmehr zu ſeiner Verdammung angeeifert hatte.
Verbot der Communion unter beiden Geftalten. 359
Concilium zu Piſa. Beide Könige vermieden es zwar, 1415
den gegenſeitigen Streit und Groll, der ihnen ſo wenig
zur Ehre gereichte, vor der Welt zur Schau zu ſtellen,
und man machte ſich daher in Conſtanz noch immer Hoff—
nung, daß Wenzel endlich das Beiſpiel aller Könige der
Chriſtenheit nachahmen, und das Concilium durch Abgeord—
nete beſchicken werde: doch konnten über den eigentlichen
Grund ſeines zurückhaltenden Benehmens nur Unkundige
ſich täuſchen.
In der am 15 Juni gehaltenen dreizehnten General—
Seſſion faßte das Concilium einen für die geſammte Ent—
wickelung der böhmiſchen Zuſtände folgenreichen Beſchluß:
es erließ ein förmliches Verbot gegen die von Jacobell von
Mies wieder eingeführte Communion unter beiderlei Ge—
ſtalten. In der darüber kundgemachten Bulle wird geſagt,
daß, obgleich das heilige Sacrament von Chriſtus den Apo—
ſteln insbeſondere, und dann den Gläubigen in der urſprüng—
lichen Kirche überhaupt, unter zwei Geſtalten, des Brodes
und des Weines, gereicht worden ſei, dennoch der hinten—
nach von der Kirche zu Verhütung gewiſſer Gefahren und
Anſtöße vernünftigerweiſe eingeführte und ſeit lange beob—
achtete Gebrauch, es den Laien unter der Geſtalt des Bro—
des allein darzureichen, als ein untadelhaftes und unab—
änderliches Geſetz anzunehmen ſei, zumal es keinem Zwei—
fel unterliege, daß unter der einzelnen Geſtalt ſowohl des
Brodes als des Weines jedesmal der ganze Chriſtus ent—
halten iſt. Der Tadel dieſes Gebrauchs und Geſetzes ſei
daher als ein Irrthum zurückzuweiſen, und ein hartnäckiges
Beharren in demſelben involvire eine Ketzerei, die von den
Diöceſanen und Inquiſitoren nach den gegen die Retzer
geltenden canoniſchen Satzungen zu richten und zu ſtrafen
komme. Dieſe Bulle wurde, zur Belehrung der Gläubigen,
ſogleich nach Böhmen befördert, wo ſie jedoch keine andere
Folge hatte, als eine neue Anregung des zwiſchen den Par—
15 Juni
1415
360 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
teien ſchwebenden Streits, zumal zwiſchen den zwei gelehr—
ten Gegnern, Jacobell von Mies und Andreas von Broda—
Während aber das Concilium in dieſem Decrete die
altüberlieferte Auctorität und Autonomie der Kirche gel—
tend machte, konnte Hus, gleichſam um den Gegenſatz des
von ihm vertretenen proteſtantiſchen Princips deſto ſtärker
hervorzuheben, ſich nicht enthalten, in Briefen, die er in
dieſen letzten Tagen an ſeine Anhänger in Böhmen ſchrieb,
wie dem Concilium, ſo auch der kirchlichen Überlieferung
überhaupt, jede Auctorität in Glaubensſachen abzuſpre—
chen.“ Daß bei ſolchen Geſinnungen er in den verſam—
melten Kirchenvätern nicht mehr ſeine Richter, ſondern nur
ſeine Feinde ſah, über deren Benehmen er ſich oft die bit—
terſte Rüge erlaubte, kann uns nicht ſo ſehr Wunder neh—
men, als der Umſtand, daß er dennoch fortfuhr, die Hoff—
nung zu äußern, ſich mit dem Concilium zu verſtändigen,
wenn man ihn nur erſt frei ſich ausſprechen ließe. Die
verſammelten Väter erkannten aber beſſer die unausfüll—
bare Kluft, die ſich zwiſchen ihnen und dem neuen Ketzer
gebildet hatte; obgleich ſie noch am 18 und 23 Juni mit
der Prüfung ſeiner Lehrſätze ſich beſchäftigten, und in deren
Folge ſeine Schriften alle zum Feuer verdammten, fanden
ſie es dennoch zweckwidrig, den Mann, deſſen unbeugſamen
Sinn ſie bereits hinlänglich kennen gelernt hatten, noch
466) In dem bereits oben erwähnten Briefe vom 21 Juni an Haw—
lik ſagt er: Noli resistere sacramento calicis domini, quem
Christus per se et per suum apestolum instituit; quia nulla
scriptura est in oppositum, sed sola consuetudo, quae ut
aestimo ex negligentia inolevit. Jam non debemus consuetu-
dinem sequi, sed Christi exemplum et veritatem. Modo con-
cilium, allegans consuetudinem, damnavit communionem cali-
cis quoad laicos ut errorem, et qui practisaverit, nisi resi-
piscat, tamquam haereticus puniatur. Eece malitia, Christi
institulionem jam ut errorem damnat! etc.
Bemühungen, Hus zum Widerruf zu ſtimmen. 361
einmal anzuhören. Ihre Mittheilungen an ihn beſchränk—
ten ſich fortan auf die Vorlegung einer Formel, nach wel—
cher er ſeine irrigen Lehrſätze widerrufen und abſchwören
ſollte. Es kann aber nicht geläugnet werden, daß das
Concilium auch dann noch nichts unterließ, was es nach
ſeiner Stellung nur immer thun konnte, um es nicht bis
zum Außerſten kommen laſſen zu müſſen. Wege der Güte
und Strenge, Überredungen und Drohungen, wurden noch—
mals verſucht, um Hus in den Schooß der Kirche zurück—
zuführen. Mit freundlicher Theilnahme und Beſorgniß be—
mühte ſich insbeſondere dasjenige ungenannte Mitglied des
Conciliums, das vor allen anderen Huſſens Vertrauen ge—
wonnen hatte,“ ihn von feinem Wege abzuziehen und
zum Widerruf zu ſtimmen. Auch Stephan von Palec,
einſt ſein Jugendfreund, nun heftiger Gegner, kam in den
Kerker, und verſuchte die alten Saiten wieder anzuſchla—
gen; der Ernſt des Augenblicks, die Hinblicke auf die Ver—
gangenheit und Zukunft, ſtimmten beide weich; ſie weinten
zuſammen und leiſteten einander Abbitte, ohne hinſichtlich
der Streitfragen zu einer Verſtändigung kommen zu kön—
nen. Die wiederholten Deputationen des Conciliums, wel—
chen ſich ſelbſt die vornehmſten Mitglieder, wie Ailly und
Zabarella, anzuſchließen nicht verſchmähten, ließen am Ende
ſie ſelbſt als den bittenden Theil Hus gegenüber erſchei—
nen. Dieſer gab am 1 Juli ſchriftlich die Erklärung von
ſich, daß er nicht abſchwören könne noch wolle; und am
467) Man iſt (ſeit Luthers Zeiten) gewohnt, in dieſem Unbekann—
ten, den Hus in ſeinen Briefen ſtets nur »den Vater“ nennt,
den damaligen Präſidenten des Conciliums ſelbſt, Johann von
Brogni, Cardinalbiſchof von Oſtia, zu ſehen, obgleich ſchon
Lenfant den Ungrund dieſer Meinung nachgewieſen, und da—
gegen viel richtiger auf einen unbekannten Ordensprälaten
hingedeutet hat. Peter von Mladenowic gibt auch nichts Nä—
heres über ihn an.
1415
362 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 5 Juli, als zum letzten Mal, außer den Abgeordneten des
6 Juli
Conciliums, auf K. Sigmunds Befehl auch die böhmiſchen
Herren zu ihm kamen, und Johann von Chlum ihn bat,
ſich ja nicht etwa durch falſche Scham von einem heilſamen
Schritte abhalten zu laſſen, jedenfalls aber den Eingebungen
ſeines Gewiſſens zu folgen: da wiederholte er nochmals
feine alte Behauptung, daß er nur in dem Falle wider-
rufen werde, wenn man ihn aus der Schrift eines Beſ—
ſeren belehre. ““ Wollte das Concilium ihm nicht Recht
geben und ſich am Ende von ihm noch meiſtern laſſen, ſo
mußte es endlich, den hergebrachten Kirchengeſetzen gemäß,
zu ſeiner Verurtheilung ſchreiten.
Sonnabend den 6 Juli hielt das Concilium in der
Kathedralkirche zu Conſtanz feine fünfzehnte General-Sef-
ſion, eine der feierlichſten und wichtigſten. Auf dem Throne
ſitzend, von den Zeichen ſeiner Majeſtät umgeben, wohnte
auch K. Sigmund ihr bei; an ſeiner Seite hielten Pfalz—
graf Ludwig den Reichsapfel, der Nürnberger Burggraf
Friedrich den Scepter, Herzog Heinrich von Bayern die
Krone, ein ungriſcher Magnat das Schwert. Die Cardi—
näle und Prälaten waren unter dem Vorſitze des Cardi—
468) Seine Worte ſind, nach dem eigentlichen Bericht des Mlade—
nowic: Ipse M. Joh. Hus flens respondit humiliter: »Domine
Johannes! seitote, quod si scirem me aliqua contra legem et
contra sanctam matrem ecclesiam scripsisse vel praedicasse,
quod sint erronea, vellem ea humiliter revocare, deus mihi
testis est; sed semper desidero, quod ostendant mihi seriptu-
ras meliores et probabiliores, quam sint ea, quae seripsi et
docui; et si ostensae mihi fuerint, volo paratissime revocare.
Ad quae dieta unus assistens episcoporum M. Johanni respon-
dit: numquid tu vis esse sapientior toto concilio? At ma-
gister dixit illi: »Ego nolo esse sapientior toto concilio, sed
rogo, date mihi minimum de concilio, qui melioribus seriptu-
ris et efficacioribus me informet, et paratus sum conlinuo
revocare.«
Huſſens Verurtheilung. 363
nals von Brogni vollſtändig verſammelt. Inmitten der 1415
Kirche erhob ſich ein kleines Gerüſt, und darauf ein mit
dem Meßornat umhängter Holzſtock. Während der vom
Erzbiſchof von Gneſen geleſenen feierlichen Meſſe mußte
Hus, von Bewaffneten umgeben, an der Kirchenthüre ſtehen
bleiben; erſt als der Biſchof von Lodi über die Worte
des Apoſtels Paulus, »daß der fündhafte Leib zerſtört
werder, eine Predigt hielt, wurde der Gefangene einge—
führt, der vor dem Gerüſte auf den Knieen im Gebete
lag, während der Prediger die Verſammlung und den
König insbeſondere, an ihre Pflicht mahnte, jedwede Ketze—
rei aus dem Schooße der chriſtlichen Kirche auszurotten.
Bei Beginn der Verhandlungen wurde im Namen des
Conciliums das Verbot verkündigt, daß bei Strafe der
Excommunication und zweimonatlicher Einſperrung Nie—
mand, wes Standes und Ranges er auch ſei, die Verhand—
lungen durch Zwiſchenrede, Widerſpruch, Beifalls- oder Miß—
fallsäußerungen ſtören oder unterbrechen dürfe. Dann wur—
den zuerſt einige der 260 irrigen Lehrſätze vorgeleſen, welche
die Univerſität von Oxford aus den Schriften Wiklefs
ausgezogen hatte, und nachträglich noch vom Concilium
verdammt. Hierauf kam Huſſens Sache an die Reihe.
Der päpſtliche Auditor Berthold von Wildungen las zuerſt
30 aus ſeinen Schriften gezogene Artikel, dann die durch
Zeugenausſagen unterſtützten Klagen und den ganzen Ver—
lauf des gegen ihn geführten Proceſſes vor. Hus wollte
gleich Anfangs Einſprache thun und ſich rechtfertigen, dieß
wurde ihm aber nicht mehr geſtattet; da er dennoch zu
reden verſuchte, ſo befahl Cardinal Zabarella den Wachen,
ihn zum Schweigen zu bringen. Er fiel nun auf die Knie,
und ſchien gen Himmel blickend, eine Zeit lang ſtill zu
beten. Als aber nicht nur ſolche Klageſätze wieder vor—
gebracht wurden, die er längſt widerlegt zu haben glaubte,
ſondern auch neue, vorhin unerhörte Beſchuldigungen, wie
1415
364 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
3. B. daß er ſich ſelbſt für die vierte Perſon in der heil.
Dreifaltigkeit ausgegeben habe,“ da ließ er ſich nicht ab—
halten, neuerdings laut und zum Theil bitter zu wider—
ſprechen. Auch wiederholte er die ſchon oft gemachte Be—
merkung, daß er ja, im Vertrauen auf das ihm vom rö—
miſchen Könige angetragene ſichere Geleit, freiwillig zum
Concilium gekommen ſei, um da ſeine Unſchuld zu bewei—
ſen. Eine Röthe überflog Sigmunds Wangen, als Hus
bei dieſen Worten feine Augen auf ihn heftete.““ Der
Biſchof von Concordia las dann das Verdammungsurtheil,
zuerſt über die Bücher und Lehrſätze Huſſens, dann über
ihn ſelbſt vor; jene wurden zum Feuer verurtheilt, er aber
für einen offenbaren hartnäckigen Ketzer erklärt, der irrige,
anſtößige und aufrühreriſche Lehren gepredigt, viel Volk
verführt, das Anſehen des apoſtoliſchen Stuhls und der
Kirche gehöhnt, und ſich als unverbeſſerlich erwieſen; darum
ſei er des Prieſterthums zu entſetzen, aller empfangenen
Weihen zu berauben und dem weltlichen Arm zu über—
geben, da die Kirche nichts mehr mit ihm zu thun habe.
469) In den gedruckten Concilienacten G. B. Pariſer Ausgabe von
1714, Bd. VIII, S. 416, bei V. d. Hardt IV, 418) iſt dieſer
Artikel fo formulirt: »quod M. Joh. Hus concessit istam (pro-
positionem), quod Joh. Hus esset persona in divinis, et quod
plures essent personae in divinis, quam tres; (probatur) simi-
liter per unum doctorem in theologia, fore verum, ex com-
muni voce et fama; per unum abbatem ex communi fama; per
unum vicarium cujusdam ecclesiae Pragensis, qui dicit, se au-
divisse ab ore ipsius Joh. Hus, prout articulatur« etc.
470) Die Nachricht von Sigmunds Erröthen gibt Mladenowie nicht
in feinem großen lateinifchen, ſondern nur im kurzen böhmi—
ſchen Bericht, deſſen Überſetzung in Opp. Hussi tom. II, 515
— 520 zu leſen iſt. Durch Überlieferung kannte ſie auch Kai—
ſer Karl V, der, als er auf dem Reichstag zu Worms auf—
gefordert wurde, ſeinem Geleitsbrief entgegen, Luther gefangen
zu nehmen, geantwortet haben ſoll: »ich will nicht, gleich mei—
nem Vorgänger Sigmund, erröthen.“
Huſſens Verurtheilung. 365
Der Erzbifchof von Mailand wurde mit ſechs ande—
ren Biſchöfen beordert, die Degradirung Huſſens auf der
Stelle vorzunehmen. Man ließ auf dem in der Mitte
ſtehenden Gerüſt ihn vollſtändig als Meßprieſter anziehen,
gab ihm einen Kelch in die Hand, und forderte ihn noch—
mals auf, ſeine Irrlehren zu widerrufen. Da erklärte er
neuerdings unter Thränen an die Umſtehenden, daß er
aus Furcht, ſein Gewiſſen zu kränken, als Lügner vor
Gott zu erſcheinen und ſeinen Anhängern Argerniß zu
geben, ſeine Lehren und Schriften nicht abſchwören noch
widerrufen könne. Die Biſchöfe ſchritten daher zu ſeiner
Degradation, indem ſie zuerſt den Kelch, dann alle Prieſter—
kleider nacheinander, unter den in ſolchen Fällen üblichen
furchtbaren Verwünſchungen, ihm abnahmen. Zuletzt wurde
ihm auch die Prieſtertonſur zerſtört. Nach Beendigung dieſer
peinlichen Ceremonie ſetzte man ihm eine ellenhohe pyramidale
Papiermütze auf den Kopf, worauf drei an einer Sünder—
ſeele zerrende Teufel abgebildet waren, mit der Inſchrift:
»hic est haeresiarcha« ; und die Biſchöfe ſprachen folgende
letzten Worte über ihn: »Die Kirche hat nun nichts mehr
mit Dir zu ſchaffen, ſie übergibt deinen Leib dem weltlichen
Arm, deine Seele dem Teufel!« Hus ließ es nicht an
Gegenreden fehlen, in welchen er ſeine Bereitwilligkeit er—
klärte, das Marterthum nach dem Beiſpiele Chriſti und der
Apoſtel, wie er behauptete, zu beſtehen. Auf K. Sig—
munds Befehl legte nunmehr Pfalzgraf Ludwig die Reichs—
inſignien ab, nahm den Gefangenen in ſeine Gewalt und
überlieferte ihn dem Conſtanzer Stadtmagiſtrate mit den
Worten: »Nehmet hin den Johann Hus, der nach des
Königs, unſers allergnädigſten Herrn, Urtheil und unſerm
eigenen Befehl als ein Ketzer verbrannt werden ſoll.“
Unmittelbar darauf folgte die Vollziehung des Ur—
theils. Während das Concilium ſeine Sitzung fortſetzte,
führte man, nach des Pfalzgrafen Befehle, Hus aus der
1415
366 VI Buch, s Capitel, K. Wenzel IV.
1415 Kirche und der Stadt hinaus auf die Richtſtätte; eine
Schaar von etwa tauſend Bewaffneten geleitete ihn, unter
ungeheurem Zuſtrömen ſchauluſtigen Volkes. Er lächelte,
als er beim Austritt aus der Kirche, auf deren Hofe ſeine
Bücher im Feuer auflodern ſah; dann ging er feſten Schrit—
tes, ohne Zeichen von Furcht oder Reue, ſingend und be—
tend, dem Tode entgegen. Wegen des unmäßigen Volks—
andrangs bewegte ſich der Zug nur langſam, und mußte
einige Male anhalten; in ſolchen Augenblicken verſuchte Hus,
ſich über ſeine Sache an die Umſtehenden zu erklären.
Endlich auf dem Richtplatze vor dem für ihn bereiteten
Scheiterhaufen angelangt, ſchien er an Geiſt noch heiterer
zu werden. Er warf ſich vor dem Pfahl, an den er an—
gebunden werden ſollte, auf die Kniee und betete laut; da
fiel die papierene Teufelsmütze von ſeinem Haupte, bei
deren Anblick er lächelte. Einige Umſtehenden erinnerten,
ob er nicht noch beichten wolle? was er zwar bejahte,
aber, als der herbeigetretene Prieſter den Widerruf ſeiner
Lehren als Bedingung der Abſolution aufſtellte, wieder
zurückwies. Er machte dann abermals einen Verſuch, das
Volk anzureden, was jedoch der anweſende Pfalzgraf hin—
derte, indem er ihn ſofort an den Pfahl zu binden befahl;
nur das wurde ihm noch geſtattet, daß er ſeinen Kerker—
wächtern für ihr ſchonendes Benehmen gegen ihn dankte
und von ihnen Abſchied nahm. Hierauf entkleideten ihn!“!
471) Reichenthal beſchreibt ſeinen damaligen Anzug mit Folgendem:
Er hatte zwei gut ſchwarz Röck an, von gutem Tuch, und ein
Gürtel was ein klein Beſchlag von vergültem Silber, und in
einer Scheide zwei gute Beimeſſer und ein ledern Seckel, da
wohl Pfennig in mochten ſeyn. Und hätte eine hohe weiße
Infel auf feinem Haupt, die was von Papier gemacht« ꝛc.
Nach dem damaligen Gebrauch fiel das, was ein Delinquent
bei ſeiner Hinrichtung Brauchbares an ſich trug, dem Nach—
richter als Eigenthum zu.
| Huſſens Himichtung. 367
die Nachrichter, und banden ihn mit Stricken und Ketten 1415
an den Pfahl; da er aber mit dem Geſichte gegen Sonnen—
aufgang gekehrt war, und einige Zuſchauer das bei einem
Ketzer unſchicklich fanden, ſo wendete man ihn gegen Sonnen—
untergang um. Zwei Fuhren Holz wurden, mit Stroh
untermiſcht, in der Art um ihn aufgeſchichtet, daß ſie ihn
bis an den Hals bedeckten. Im letzten Augenblicke kam,
vom Könige geſendet, der Reichsmarſchall Haupt von
Pappenheim herbei, und forderte, im Beiſein des Pfalz—
grafen Ludwig, Hus nochmals auf, durch Widerruf ſein
Leben und ſeine Seele zu retten. Dieſer antwortete, er
fühle ſich in ſeinem Gewiſſen unſchuldig und ſterbe nun
mit Freuden für die von ihm erkannte und verkündigte
Wahrheit. Da ſchlugen beide Herren die Hände zuſam—
men und entfernten ſich, der Nachrichter aber zündete den
Holzſtoß an. Der ſchauerliche Todeskampf dauerte nicht
lange; Hymnen ſingend und gen Himmel ſchauend, war
der Sterbende bald von auflodernden Flammen umrungen;
ein Windſtoß ſchlug ihm dieſelben ins Geſicht, daß er bin—
nen wenigen Augenblicken lautlos erſtickte.“?
472) Welchen Grund die bekannte Sage habe, welche ein altes
Mütterchen unmittelbar vor Anzündung des Scheiterhaufens
noch eifrig Holz herbeitragen und Hus bei ihrem Anblick
vo heilige Einfalt!“ ausrufen läßt, — wiſſen wir nicht; es
erſcheint wenig glaubwürdig, daß ein ſchwaches Weib im Stande
geweſen wäre, durch das dichte Gedränge der unzähligen Zu—
ſchauer mit ihrer Bürde durchzudringen. Entſchieden falſch iſt
aber die Anecdote von der angeblichen Proteſtation Kaspar
Schlicks, als kaiſerlichen Kanzlers, — was er damals noch gar
nicht geweſen; und eben ſo wenig Grund hat die Sage von
der Prophezeihung, daß in hundert Jahren ein Schwan kom—
men werde (Luther), den man nicht ſo, wie jetzt die Gans
(Hus), werde verbrennen können. Dagegen iſt es allerdings
richtig, daß Hus bei mehren Gelegenheiten die Ahnung aus—
ſprach, es würden nach ihm Männer kommen, die das von
1415
368 VI Buch, 5 Capitel. K. Wenzel IV.
Als der Pfalzgraf Huſſens Kleider in den Händen
eines Nachrichters erblickte, befahl er ihm, dieſelben gleich—
falls in den noch brennenden Holzſtoß hineinzuwerfen, indem
er ihm dafür eine Entſchädigung zu geben verſprach. Aber
auch ſämmtliche zurückgebliebene Aſche mußte auf der Richt—
ſtätte fleißig aufgeleſen und in den nahen Rhein ausge—
ſchüttet werden, damit von dem Todten nicht etwas übrig
bleibe, was ſeine Anhänger ſammeln, nach Böhmen tragen
und dort als Reliquie eines Märtyrers zur Verehrung
ausſtellen könnten.
ihm begonnene Werk vollſtändiger durchführen würden. Man
vergleiche ſeinen Brief N. 44, S. 90 mit den Worten im
Briefe VI, S. 121: anser, animal cicur, avis domestica, su-
premo volatu suo non perlingens etc.
Sechstes Capitel.
König Wenzels letzte Regierungsperiode.
Sonderung der kirchlichen Parteien in Böhmen und K. Wen—
zels ſchwankende Haltung dabei. Großer Landtag in Prag
und deſſen drohender Brief an das Concilium. Huſſitiſcher
und katholiſcher Herrenbund. Das lange Interdict von
Prag. Des M. Hieronymus von Prag Widerruf und
Rückfall, letzte Verhöre und Hinrichtung in Conſtanz. Fol—
gen davon in Böhmen. Weitere ſtrenge Maßregeln des
Concils. Der Huſſiten beginnende Spaltung in Calixtiner
und Taboriten. Die Prager Univerſität und die utraqui—
ſtiſche Communion. Papſt Martin V und die Kirchen—
reform. Schluß des Concils von Conſtanz. K. Wenzels
zweideutiges Benehmen. Er entſcheidet ſich endlich gegen
die Huſſiten. Beginn innerer Unruhen. Die Volksführer
Nicolaus von Piſtna und Johann Zizka von Trocnow.
Volksverſammlungen am Taborberge. Fenſterſturz der Neu—
ſtädter Rathsherren. K. Wenzel ſtirbt. Schlußbemerkungen.
(Jahr 1415 — 1419.)
Groß, allgemein und langanhaltend war der Ein—
druck, den die Nachricht von Huſſens Verbrennung in Con—
ſtanz auf das Volk von Böhmen und Mähren machte;
alle Stände und Parteien, jedes Alter und Geſchlecht fühl—
ten ſich davon wie von einem entſcheidenden Schlag ge—
troffen. In dem Streit, welcher ſeit zwölf Jahren in
immer ſteigendem Maße die Gemüther aufregte, welcher
die höchſten Intereſſen des Menſchen, Religion und Ge—
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 24
1415
370 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 wiſſen, Wahrheit und Sitte, Freiheit und Geſetz betraf,
und bei welchem ſelbſt die Ehre der Nation betheiligt
ſchien, hatte nach ſo vielen vergeblichen Verhandlungen und
Eutſcheidungen endlich der letzte Richter, die oberſte Auc—
torität auf Erden, ihr feierliches unwiderrufliches Urtheil
geſprochen; die in ſeltener Vollzahl verſammelte Kirche
hatte die neuen Beſtrebungen der böhmiſchen Reformato—
ren entſchieden verworfen und verdammt, fie für irrig, an—
ſtößig, aufrühreriſch und ketzeriſch erklärt. Nun durfte es
in der übrigen Chriſtenheit keinen Zweifel, kein Schwanken
mehr geben; man mußte entweder unbedingt dem Urtheil
ſich fügen, oder in offene Oppoſition gegen die Kirche und
deren geſammte Auctorität ſich ſetzen. Auch war wirklich
eine ſcharfe Abſonderung der Parteien in Böhmen, Katho—
liken und Huſſiten, gleichſam in zwei feindliche Lager, die
nächſte Folge des großen Auto da fe zu Conſtanz. Nur
ſehr klein war die Zahl derjenigen Perſonen, welche, ohne
die Competenz des Richters zu beſtreiten, deſſen Benehmen
nur in dieſem einen Falle mißbilligten, indem ſie ihn durch
falſche Zeugniſſe irregeleitet ſich vorſtellten; und auch dieſe
ſahen ſich in kurzer Zeit alle genöthigt, ihre vermittelnde
Stellung zu verlaſſen und ſich der einen oder der anderen
Partei gänzlich anzuſchließen.
Unruhige Bewegungen, das Vorſpiel der DEREN die
da kommen ſollten, brachen in ganz Böhmen und Mähren
aus, ſobald jene Nachricht im Volke ſich verbreitete; ſie
richteten ſich zunächſt gegen den Clerus und die Mönche,
welchen man Huſſens Hinrichtung und die vermeintlich
darin enthaltene Ehrenkränkung der Nation Schuld gab.
In Prag insbeſondere entſtanden arge Tumulte, in wel—
chen die Wohnungen derjenigen Pfarrer, die als Huſſens
Feinde vorzugsweiſe bekannt waren, geplündert und zum
Theil ganz zerſtört wurden; viele Geiſtliche, die nicht zeit—
lich ſich geflüchtet hatten, erlitten perſönliche Mißhand—
Kirchliche Parteiung in Böhmen, 371
lungen, einige ſollen gar umgebracht und in die Moldau
geworfen worden fein; ““ der erzbiſchöfliche Hof auf der
Kleinſeite wurde förmlich belagert, und nur mit Mühe ge—
lang es dem Erzbiſchof, ſich zu retten. Nicht beſſer erging
es dem Clerus auf dem Lande, wo huſſitiſch geſinnte Pa—
trone ihre katholiſchen Pfarrer zu verjagen und ihre Be—
neficien huſſitiſchen Geiſtlichen einzuräumen anfingen. Die
größte Erbitterung wendete ſich aber gegen den Biſchof
von Leitomysl, der in Conſtanz den Proceß gegen Hus
von Seite des böhmiſchen und mähriſchen Clerus eigentlich
geleitet hatte; ſeine Güterverwalter in Böhmen erhielten
in ſeiner Abweſenheit eine Menge Abſagebriefe von böh—
miſchen Herren und Rittern, die da nicht zögerten, mit be—
473) Theodor. de Niem ap. d. Hardt, II, p. 410: Audientes
hoc alii haeretici in civitate Pragensi, — ut apud nos fama
est, — illico insimul irruentes, domos quamplures catholico-
rum presbyterorum Pragae et opinionibus eorum contrariorum
impetuose destruxerunt, ipsorum aliquos gladio peremerunt,
et quosdam in flumen Muldae, quod penetrat Pragam, sub-
merserunt, domum archiepiscopi Pragensis circumvallarunt;
tamen dictus archiepiscopus manus eorum, sed vix, evasit.
Niem fchrieb dieſes noch vor dem 10 Sept. 1415. Da von
einer fo bedeutenden Thatſache, wie der Mord mehrer Geiſt—
lichen bei dieſer Gelegenheit, in allen übrigen Quellen, ſogar
auch in den Verhandlungen über das Prager Interdict vom
J. 1415, keine Rede iſt, ſo müſſen wir die Nachricht hievon
auf ſich beruhen laſſen. Unwahrſcheinlich iſt ſie aber dennoch
nicht, wenn man die hochgeſtiegene gegenſeitige Erbitterung
der Parteien erwägt, der zu Folge z. B. die Olmützer ſchon
am 29 Juni 1415 einen Prager Studenten, der in ihre Stadt
gekommen, als Ketzer verbrannten. Johannes olim universi-
tatis nostrae studii, — in civitate eorum (Olomue.) cum socio
suo captus, in spatio quasi unius mediae diei naturalis tortus,
judicatus et ignis voragini traditus est combustus tamquam
haereticus, — fo Flagte die Prager Univerfität in einem am
8 Juli 1415 an den Landeshauptmann Lacek von Krawar ge:
richteten Briefe.
24 *
1415
372 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 waffneter Macht ſich in ſein Beſitzthum zu theilen und ihn
vorläufig aller Sorgen um die Verwaltung ſeiner irdiſchen
Güter zu überheben. König Wenzel, der allem ſolchen
Unfug eigentlich hätte ſteuern ſollen, erwies ſich gerade in
dieſem Falle wieder ſo unſchlüſſig und charakterlos, wie
ſonſt überhaupt. Er ſtellte ſich über Huſſens Ausgang in
Conſtanz perſönlich entrüſtet, und ließ es an lauten Auße—
rungen ſeines Unmuths darüber nicht fehlen; der Grund
lag aber bei ihm nicht ſo ſehr in der Theilnahme am
Schickſal jenes Mannes, der ihm in ſeinem Leben ohnehin
viel Ungemach bereitet hatte, als vielmehr in dem Groll
gegen ſeinen Bruder K. Sigmund; Wenzel fand eine Ge—
nugthuung darin, daß er dieſen Bruder eines an Hus be—
gangenen Wortbruchs beſchuldigen konnte. Darum ſah er
auch Huſſens ehemaligen Freund und Sachwalter, M. Jo—
hann von Jeſenic, der das Unrechtmäßige in dem gegen
Hus beobachteten Proceßverfahren darzuthun ſich bemühte,
nicht ungern an ſeinem Hofe. Es iſt nur einem Reſte von
Schicklichkeitsgefühl und von Pietät gegen das verklärte
Andenken ſeines Vaters zuzuſchreiben, daß Wenzel, der
ſich noch immer als den wahren römiſchen König anſah,
bei dieſer Gelegenheit nicht ſogar offen gegen jene Kirche,
deren oberſter Schirmherr er zu ſein vorgab, ſich erklärte.
Die Königin Sophie aber kränkte ſich aufrichtig über das
Schickſal ihres ehemaligen Beichtvaters; ſie hielt ſich voll—
kommen überzeugt von ſeiner Unſchuld, nahm offen Partei
für ihn und wurde die mächtigſte Stütze ſeiner Anhänger
bei ihrem Gemahl, ſo wenig ſie auch ſonſt gewohnt war,
ſich in die öffentlichen Geſchäfte zu miſchen. Ihr zur Seite
ſtanden gleichgeſinnte Frauen des höheren Adels in Böh—
men, wie die Witwe einſt Heinrichs von Roſenberg, Eliſa—
beth von Krawar; die Gemahlin des kön, oberſten Münz—
meiſters Peter Zmrzlik von Swojsin auf Worlik, Anna
von Frimburg, eine Frau von aufſtrebendem Geiſte, die
Großer Landtag in Prag. 373
auf K. Wenzel viel Einfluß ausgeübt haben fol; 7* dann 1415
Anna von Mochow Mutter des jungen Herrn von Kult,
und andere mehr.
Es kam vorzüglich auf die Geſinnung und das Be—
nehmen der an der Spitze der Landesregierung ſtehenden
Perſonen an, ob und wie die öffentliche Ruhe in Böhmen
und Mähren bewahrt werden ſollte. Die wichtigſten Amter
aber befanden ſich damals in den Händen erklärter Huſ—
ſiten; insbeſondere gingen die eigentlichen Häupter der Re—
gierung, der oberſte Burggraf in Böhmen, Ceneék von
Wartenberg, und der königliche Landeshauptmann in Mäh—
ren, Lacek von Krawar, im Eifer für den Huſſitismus
ihren Landsleuten voran. Sie verſtändigten ſich unter
einander und verabredeten gemeinſchaftliche Maßregeln,
um das Volk von weiteren Ausſchweifungen der Selbſt—
hilfe zurückzuhalten und ſeinen Gefühlen, Anſichten und
Wüuſchen einen geſetzlichen Ausdruck zu verſchaffen. Ein
großer Landtag war auf den Anfang Septembers 1415
nach Prag zuſammenberufen, und nicht allein von böh—
miſchen, ſondern auch von mähriſchen Ständen ungewöhn—
lich zahlreich beſucht. Wir müſſen uns begnügen, nur ei—
nige der vornehmſten Männer, die ihm beiwohnten, hier
anzuführen. Es waren a) aus Böhmen, außer dem be—
reits genannten Oberſtburggrafen, der zugleich die Vor—
mundſchaft über das Haus von Roſenberg führte, die Her—
ren Hanus von Lipa, Oberſtlandmarſchall des Königreichs,
Bocek der ältere und der jüngere von Kunſtat auf Po—
474) In einer gleichzeitigen Handſchrift finden wir eine undatirte,
jedoch aus dieſen Jahren herrührende »Litera regi seripta, ut
adhaereat senum consilio, non Mrzlikonissae.« Ahnliche Be—
ſchwerden, nur noch heftigerer Art, werden in einem Gedichte
auch über die Frau von Mochow, »saevissima Jesabel«, ge:
führt. Die Verfaſſer beider Aufſätze zeigen eine ſtark aus:
geſprochene antihuſſitiſche Geſinnung.
374 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV. .
1415 debrad, Johann der ältere und Ulrich von Neuhaus, Wil—
2 Sept.
helm, Zdislaw, Wenzel und Peter von Zwiretie, Heinrich
und Stephan von Wartenberg, Heinrich Skopek von Duba,
Mikes, Bawor und Wilhelm von Potenſtein, Pota von
Caſtolowic, Hynek Krusina von Lichtenburg, Smil von
Sternberg, Wok, Nicolaus und Heinrich von Waldſtein,
Johann und Zdenek von Rozmital und viele andere; b) aus
Mähren, außer dem Landeshauptmann, die Herren Peter
und Milota von Krawar, Ales, Johann Puska und Er—
hart der jüngere von Kunſtat, Heinrich von Lipa, Johann
von Lomnic, Wilhelm von Pernſtein, Jaroslaw von Stern—
berg, Wanek und Johann Ozor von Boskowie, Johann
von Lichtenburg und Vöttau, Dobes von Cimburg u. a. m.
Schon am 2 Sept. 1415 einigte ſich die Verſamm—
lung über Inhalt und Form eines Schreibens voll Vor—
würfe und Drohungen, welche man an das Concilium
zu richten beſchloſſen hatte. Gleich im Eingange brachten
die Herren und Ritter den Vätern zu Conſtanz, anſtatt
des üblichen Grußes, nur den Wunſch ihres Eifers zum
Guten und ihres Feſthaltens an den Geboten Chriſti dar.
Dann fuhren ſie fort: »Aus reiner, von Gott befohlener
eächſtenliebe haben wir Euch, ehrwürdige Väter, fo wie
dem allerdurchlauchtigſten Könige Sigmund, unſerm fünf
tigen Herrn, mehre Briefe über unſern geliebten Prediger
und Lehrer M. Johann Hus zugeſendet, welche auch in
Eurer Verſammlung vorgeleſen worden ſind: Ihr aber
habt, wie wir hören, dieſe Briefe ins Feuer werfen laſſen,
und den ehrwürdigen Magiſter, ohne daß er eines Irr—
thums überführt worden, blos auf boshafte Angaben ſeiner
und unſerer Feinde und Verräther, verdammt und auf die
grauſamſte Weiſe ums Leben gebracht, alles zu unſerer,
des Königreichs Böhmen und Markgrafthums Mähren,
ewigen Kränkung und Schmach. Außerdem habt Ihr den
achtungswerthen M. Hieronymus von Prag, einen Mann
Drohender Brief an das Concilium. 375
von lieblicher Beredſamkeit und ausgezeichneten Philo—
ſophen, ohne ihn vorher geſehen und gehört zu haben,
auf Antrieb einiger Verläumder fangen und unbarmherzig
feſſeln, ja vielleicht auch ſchon, wie Hus, grauſam um—
bringen laſſen. Endlich hören wir zu unſerm größten
Schmerz, und entnehmen es auch aus Euren Briefen, wie
wir und unſer allerchriſtlichſtes Königreich und Markgraf—
thum auf dem Concilium beſchuldiget werden, daß unter
uns verſchiedene ſchwere Irrthümer aufkeimten und die Herzen
vieler Gläubigen in dem Maße gefährdeten, daß ihnen
ein ſchnelles Heilmittel Noth thue. Wie können wir ſo
entſetzliche Beleidigungen ertragen? da es doch weltbekannt
iſt, und Ihr es auch ſelbſt zugeben müſſet, daß unſer Land
und Volk, von der Zeit ſeiner Bekehrung zum Chriſten—
thume an, inmitten aller Stürme und Zerwürfniſſe, in
welche die meiſten Reiche auf Erden durch kirchliche Schis—
men und Gegenpäpſte geriethen, feſt und unbeweglich bei
der heiligen römiſchen Kirche beharrte, und immer bereit
war, zu ihrer Verherrlichung die größten Opfer darzu—
bringen. Um daher unſere Ehre und unſer Gewiſſen zu
wahren, erklären wir hiemit vor Euch und vor aller Welt,
daͤß M. Johann Hus allerdings ein Mann von reinen
Sitten und unbeſcholtenem Rufe geweſen, der die Gebote
des Evangeliums nach den Satzungen der heiligen Väter
und der Kirche lehrte, alle Irrthümer und Ketzereien ver—
abſcheute, und uns und alle Gläubigen zum Frieden und
zur Nächſtenliebe ſowohl mit Wort, Schrift und That eifrig
ermahnte, als auch durch ſeinen ſtillen und erbaulichen
Lebenswandel ſelbſt anleitete. Wir erklären ferner, daß
wer immer behauptet, es gebe Ketzereien in Böhmen, gleich—
viel welchem Stande er angehöre und welchen Rang er
begleite, — mit einziger Ausnahme des römiſchen Königs,
unſeres künftigen Herrn, dem wir es zutrauen, daß er ſich
in dieſer Hinſicht keine Schuld zukommen laſſen werde, —
1415
1415
5 Sept.
376 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
daß er ein Lügner, ein Verräther und Feind unſeres Lan—
des und Volks, ja ſelbſt ein arger Ketzer und ein Sohn
des Teufels iſt, des Vaters der Lüge. Doch wollen wir
dieſe Kränkungen für jetzt Gottes gerechter Vergeltung an—
heimſtellen, und unſere Klagen darüber erſt bei dem künf—
tigen einigen Papſt, den der Herr ſeiner Kirche verleihen
wird, anbringen, dem wir auch wie getreue Söhne, ſo
Gott will, in Allem, was gerecht und gut, der Vernunft
und dem Geſetze Gottes gemäß iſt, gehorchen werden; un—
beſchadet jedoch dem, daß wir die Gebote Chriſti und deren
fromme, beſcheidene und ftandhafte Prediger, jedenfalls,
mit Hintanſetzung aller Furcht und Verachtung, aller menſch—
lichen Satzungen, bis zu Vergießung des eigenen Blutes
zu vertheidigen und zu ſchirmen gedenken. «*
Drei Tage ſpäter, am 5 September, traten dieſelben
böhmiſchen und mähriſchen Herren, in Form eines Land—
tagsſchluſſes, in einen Bund, durch welchen ſie ſich ver—
pflichteten, nach dem Gutachten der drei gewählten Häup—
ter, Cenek von Wartenberg, Lacek von Krawar und Bocek
des älteren von Podebrad, “é in allem gemeinſchaftlich zu
handeln, auf allen ihren Gütern und Beſitzungen die Frei—
heit des Predigens zu ſchirmen, der ordentlichen biſchöf—
lichen Gewalt nur da Folge zu leiſten, wo ſie der heiligen
Schrift gemäß verfährt, ſonſt aber ſich an die Ausſprüche
der Prager Univerſität zu halten, ungerechten Bannſprüchen
ſich zu widerſetzen, ſie mögen von welcher weltlichen Ge—
walt immer unterſtützt werden, und dergleichen mehr. Die
Dauer dieſes Bundes wurde vorläufig auf ſechs Jahre
475) Gedruckt, in lateinifcher Sprache, bei V. d. Hardt IV, 495 8.
Vgl. ibid. p. 829. Opp. Hus I, 98 sq. Böhmiſch im Archiv
Cesky III, 187.
476) Großvater des nachmaligen Königs Georg von Böhmen.
Huſſitiſcher Herrenbund. 377
beſtimmt.“ Durch ihn wurde alſo, den Grundſätzen der 1415
katholiſchen Kirche zuwider, die Prager Univerſität zum
erſten Mal als oberſter Richter in allen Religions- und
Kirchenfragen aufgeſtellt.
Die verſammelten Herren hatten ſich alle Mühe ge—
geben, ihren König dahin zu bereden, daß auch er ihrem
Bunde beitrete und ihre Beſchlüſſe durch königliche Sanc—
tion zu einem Landesgeſetze erhebe. Allein wie ſehr ihn
auch ſeine eigene Neigung, ſo wie der Geiſt und Einfluß
ſeiner nächſten Umgebung, eben dahin zog, ſo hatte er
diesmal doch Tact und Feſtigkeit genug, allen Lockungen
zu widerſtehen, und ſich nicht, durch einen falſchen Schritt,
mit der ganzen Chriſtenheit zu überwerfen. Dagegen ließ
er es geſchehen, daß in denjenigen Kreiſen von Böhmen
und Mähren, in welchen huſſitiſche Barone ein unbeſtrit—
tenes Übergewicht hatten, beſondere Kreistage gehalten
und die Adeligen auf dem Lande eingeladen wurden, den
in Prag aufgeſetzten Urkunden, durch Beifügung ihrer Sie—
gel, beizutreten. So erhielt namentlich das Schreiben an
die Väter des Conciliums, in acht Exemplaren ausgefer—
tigt, nicht weniger als 452 hängende GSigille, 78
Bei ſolcher Rührigkeit der huſſitiſchen Partei konnte
es nicht lange anſtehen, daß auch die Gegenpartei ſich in
Bewegung ſetzte. Sie war zwar viel geringer an Zahl,
keineswegs aber an anſehnlichen und vornehmen Namen.
An ihrer Spitze ſtand, unter den Baronen, der königliche
Oberſthofmeiſter Johann der jüngere von Neuhaus; nächſt
ihm der Oberſtlandkämmerer Ales Skopek von Duba auf
Drazie, der Oberſtlandrichter Hynek Berka von Duba auf
477) Gedruckt, böhmiſch, im Archiv Cesky III. 193; in lateinifcher
Überſetzung in Opp. Hus I, 98.
478) Vgl. Casopis desk. Museum 1834, 325. Theodoric. de Niem
apud V. d. Hardt, II, 425.
378 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 Hohenſtein, und der Hoflehenrichter Albrecht von Koldie
auf Bilin; weiter gehörten dazu die Herren Johann von
Michalowie, Johann Chudoba von Wartenberg auf Ralſko,
Peter von Sternberg auf Konopist, Burkhard von Jano—
wie auf Petersburg, Otto von Bergow, die ſämmtlichen
Mitglieder des Hauſes Haſenburg und noch einige minder
bekannte Herren, im Ganzen 14 Barone.“ Am 1 Octo—
ber 1415 hielten fie eine Verſammlung bei dem Erzbiſchof
Konrad in Böhmiſch-Brod, und ſetzten gleichfalls eine
Bundesurkunde auf, von deren Inhalt jedoch nichts mehr
bekannt iſt, als daß ſie ſich verpflichteten, ihrem Könige,
der römiſchen Kirche und dem Concilium, nach der Weiſe
ihrer Väter, in allem ſtets treu und gehorſam zu fein.
König Wenzel erklärte hintennach zwar nur mündlich, jedoch
öffentlich, dieſem Bunde gleichfalls angehören zu wollen;
welche Erklärung, als die Kunde davon nach Conſtanz ge—
479) Johann der jüngere von Neuhaus und jener Ulrich (Wawak),
den wir unter den huſſitiſchen Baronen genannt haben, waren
Brüder; Johann der ältere von Neuhaus war ein Bruder
des Strakonicer Grandpriors Heinrich, eines eifrigen Katho—
liken, und Vater des nachmals berühmten Herrn Meinhard
von Neuhaus. Heinrich Skopek von Duba, Huſſens einſt innig—
ſter Freund und Gönner, war des katholiſch geſinnten Ales
jüngerer Bruder. Der huſſitiſche Heinrich von Wartenberg
auf Waldſtein, Burggraf zu Königgrätz, und der katholiſche
Johann auf Ralſko und Wartenberg, ſcheinen gleichfalls Brü—
der geweſen zu ſein. Schon dieſe Beiſpiele dürften hinreichen,
zu zeigen, wie tief der religiöſe Zwieſpalt ſelbſt in den Schooß
einzelner Familien eindrang. Eine noch ungedruückte Chronik
ſagt darüber: Erat omnis civitas in se, imo omnis domus di-
visa; uxor contra virum et e converso pater contra filium, fa-
milia contra hospitem. Cantabant enim Wiclefistae, compo-
nentes cantiones novas contra ecclesiam et ritus catholicos,
seducentes populum simplicem, et e converso catholici contra
eos, de quibus est potius silendum. Rex vero dissimulabat,
utramque partem tamquam gladius anceps tolerando etc.
Katholiſcher Herrenbund. 379
langte, daſelbſt große Freudenbezeugungen veranlaßt haben 1415
ſoll. 450
Das Concilium hatte zuerſt am 26 Juli, fünf Tage
nach K. Sigmunds Abreiſe von Conſtanz, in mehren nach
Böhmen, Mähren und Schleſien erlaſſenen Schreiben ſein
gegen Hus beobachtetes Verfahren gerechtfertigt, vor deſſen
Lehren Jedermann gewarnt und die Ungehorſamen mit
kirchlichen Strafen bedroht. Am 25 Auguſt, als es von
der in Böhmen gegen den Clerus ausgebrochenen Ver—
folgung Kenntniß bekam, entließ es den Biſchof von Lei—
tomysl, zugenannt den Eiſernen, in ſein Vaterland, mit
der Vollmacht eines außerordentlichen apoſtoliſchen Legaten,
und mit Briefen, worin es ihn dem Schutz aller treuen
Söhne der Kirche, insbeſondere aber des königl. Oberſt—
hofmeiſters Johann von Neuhaus, nachdrücklich empfahl.
Der eben ſo waffenkühne als kirchlicheifrige Biſchof fand
aber bei ſeiner Rückkehr die Stimmung ſeiner Landsleute
ſo ſehr verändert und ſo feindſelig, daß er ſich kaum öffent—
lich zu zeigen und ſelbſt vor den König und deſſen Räthe
480) In einem im Oct. 1415 aus Conſtanz datirten Briefe lieſt
man die Nachricht: Venerunt novitates, quomodo D. Cenko
met sextus (?) baro vellet esse cum Wiklefistis, et D. Rex
Wenceslaus cum 14 baronibus vellet esse e contra; de quo
maximum gaudium Constantiae factum. Bald darauf heißt
es: In Broda bohemicali in die S. Remigii congregati sunt ad
archiepiscopum Pragensem Conradum domini terrae contra
Hussitas, — qui nolunt se proseribere cum aliis dominis op-
positam partem tenentibus ete. (MS. im böhmischen Mufeum.)
Über beide Parteien vergl. auch K. Sigmunds Briefe von
Paris 21 und 30 März 1416, im Archiv Gesky I, 6 fg. III,
299. Ferner die noch ungedruckte »Invectio satyrica in regem
et proceres viam Wiklef tenentes«, vom J. 1417, die in meh:
ren gleichzeitigen Handſchriften zu finden ift, und über beide
Parteien manche willkommene Auskunft darbietet; fie fängt
an: Quamquam mihi soli exilis ingenioli constat imperitia etc.
1415
380 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
nicht ohne ſicheres Geleite zu treten ſich getrante. #1 Was
ihn aber mehr als alles andere kränkte, war das laue, ja
beinahe zweideutige Benehmen ſeiner zwei Collegen, des
Erzbiſchofs Konrad von Prag und des Biſchofs Wenzel
von Olmütz. Beide ſchienen ihren König ſich zum Muſter
genommen zu haben; denn wie entrüſtet ſie ſich auch zeig—
ten, ſo unternahmen ſie doch nichts Ernſtes, um den über⸗
griffen des Huſſitismus Einhalt zu thun, ihren Clerus zu
ſchützen und die an ihm begangenen Unbilden zu rächen.
Nur bei dem erzbiſchöflichen Generalvicar und den Mit—
gliedern des Prager Domcapitels fand der Biſchof jene
Entſchloſſenheit und Energie, welche er wünſchte. Dieſe
hatten ſchon vor ſeiner Ankunft durch ſcharfe, in die ganze
Diöceſe erlaſſene Decrete, dem Umſichgreifen der utraqui—
ſtiſchen Communion und des freien Predigens von nicht
481) K. Wenzels Brief vom 31 Oct. 1415 an den Oberſtburggra—
fen Cenék von Wartenberg, im Archiv Cesky III, 298. Theo-
doric. de Niem ap. Hardt II, 425: Episcopus Lutomyslensis,
licet sit magnus, nobilis et etiam potens-opere et sermone in
regno praedicto, et alias fuerit per ipsum concilium ad dic-
tum regnum destinatus ad exstirpandum haereses hujusmodi
de illo, et illic veniens cum literis multis dicti concilü, nec
non adhibita per eum omni diligentia, — verumtamen in hoc
usque perficere non potuit nee potest. Sunt enim adeo dieti
haeretici contra cum sibique adhaerentes pertinaeiter coadu-
nati in eorum perfidia, quod vix audet exire, et satis dubi-
tat(ur) de persona et bonis ipsius. Et sic modieum profeci-
mus, mittendo ipsum ad procurandam salutem in natione per-
versa, quae ipsum Joannem Hus praedicat et concelebrat quasi
pro apostolo seu martyre glorioso ete. Pelzels Nachricht (S.
644 und 649), daß der Biſchof bei dieſer Gelegenheit ſich gegen
den König empört und einen offenen Krieg begonnen habe,
beruht auf einem Mißverſtändniſſe; denn die undatirte Ur—
kunde (N. 240), auf welche er ſich dabei beruft, gehört er—
weislich nicht in dieſes Jahr, ſondern in die Zeiten des älte—
ren Herrenbundes (um 1399).
i
Das lange Interdict von Prag. 381
dazu berufenen Geiſtlichen auf dem Lande zu ſteuern ge—
ſucht; am 1 November belegten ſie, aus delegirter apoſto—
liſcher Macht, ganz Prag mit dem Interdict, zunächſt wegen
des dortigen Aufenthalts des M. Johann von Jeſenic,
der ſeit mehren Jahren im päpſtlichen Bann beharrte, ohne
ſich darum zu kümmern oder ſeine Geſinnungen zu ändern.
Nun hatte zwar dieſe Maßregel gar viel von ihrer Furcht—
barkeit verloren, da bereits die beſten Prager Pfarreien
im Beſitze buffi ischer Prieſter ſich befanden, die von dem
Interdicte keine Kenntniß nahmen; auch brachte ſie dem
Clerus abermals nur Schaden, indem allen Pfarrern, die
das Verbot beobachteten, wenn nicht auf Befehl, doch gewiß
mit Nachſicht des Königs, ihre Einkünfte wieder geſperrt
wurden. Dennoch beharrte das Capitel bei ſeiner Strenge,
und hielt das Interdict in allen ihm noch ergebenen Kir—
chen und Klöſtern mehre Jahre lang aufrecht, ungeachtet
K. Wenzel den M. Jeſenic ſchon zu Anfange 1416 Prag
zu verlaſſen bewogen hatte. Wohin unter dieſen Umſtän—
den die ſchon ſeit Karl IV bei der Prager Domkirche
allein angeſtellten 300 Geiſtlichen ſich wendeten und womit
ſie ſich beſchäftigten, wiſſen wir nicht. Nur an den höch—
ſten Feſttagen, Oſtern, Pfingſten und Weihnachten, durfte
in den katholiſchen Kirchen Gottesdienſt gehalten werden;
die übrige Zeit hindurch mußten alle nichthuſſitiſchen Prager
den Wysehrad oder die zunächſtgelegenen Dorfkirchen zu
Pfar, Bubna und Bubenec beſuchen, wenn fie einer Meſſe
beiwohnen wollten; wofür ſie von ihren Gegnern mit Spott
verfolgt und »Mahometiſten“ geſcholten wurden.“?
M. Hieronymus von Prag befand ſich, wie wir be—
reits berichteten, ſchon ſeit dem 23 Mai 1415 in der Ge—
walt des Conciliums. Noch am ſelben Tage in die Ver—
482) Laurentii de Brezowa chronicon MS. Archiv Cesky III, 195
— 19.
1415
1 Nov.
1415
382 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
ſammlung der Väter im Refectorium des Minoritenkloſters
zum Verhör geführt, wurde er von ſeinen ehemaligen Leh—
rern in Paris, Köln und Heidelberg, darunter auch von
dem berühmten Gerſon, wieder erkannt, und als ein von
jeher zur NHeterodorie ſich hinneigender Kopf bezeichnet.
Man feste ihn in einen Thurm am Kirchhofe bei St. Paul,
an Händen und Füßen gefeſſelt und in ſo peinlicher Weiſe
gebunden, daß er trotz feinem robuſten Körperbau ſchon
am eilften Tage todtkrank wurde, und man gezwungen
war, ihm ſeine Lage einigermaßen zu erleichtern, um ihn
nur am Leben zu erhalten. Erſt nachdem Hus verbrannt
war, fing das Concilium an, ſich auch mit ihm näher zu
beſchäftigen. Er wurde häufig ins Verhör genommen, und
viele Mitglieder des Conciliums hielten beſondere Unter—
redungen mit ihm, nicht ſo ſehr zu dem Zwecke, ſeine Straf—
barkeit zu ermitteln und feſtzuſtellen, als vielmehr ihn von
ſeinen Meinungen abzubringen; denn nachdem man die Er—
fahrung gemacht hatte, daß die Todesſtrafe weder auf Hus,
noch auf deſſen Anhänger eine abſchreckende Wirkung ge—
äußert, wünſchte das Concilium noch weniger, als zuvor,
ſie in Anwendung bringen zu müſſen. Auch verſprachen
dieſe Bemühungen einen um ſo glücklicheren Erfolg, je mehr
Wohlwollen die Väter dem durch Kränklichkeit und unge—
wohnten Mangel gebeugten und geſchwächten Gefangenen
erwieſen. Von Todesfurcht gepeinigt und von Sehnſucht
nach Freiheit ergriffen, widerſtand er den freundlichen Vor—
ſtellungen vieler frommen und gelehrten Männer, zumal
des würdigen Cardinals Franz Zabarella, nicht lange:
ſchon am 10 Sept. 1415 erklärte er feine Bereitwilligkeit,
Wiklefs und Huſſens Anſichten zu entſagen und ſie öffent—
lich zu widerrufen, was er auch am folgenden Tage, in
einer großen Verſammlung der vier Nationen in der biſchöf—
lichen Kirche zu Conſtanz, wirklich that. Aus Briefen, die
er über dieſe ſeine Bekehrung an ſeine und Huſſens ehe—
Des M. Hieronymus Widerruf. 383
malige Freunde nach Böhmen fchrieb, #3 läßt ſich ſchließen, 1415
daß ſein Benehmen dabei, für den Augenblick wenigſtens,
aufrichtig war, und daß ſeine Überzeugung mit ſeinen Wor—
ten nicht im Widerſpruch ſtand. Das Concilium wünſchte
dieſem erfreulichen Ereigniſſe die größte Publicität zu geben;
darum veranlaßte es ihn, in der am 23 Sept. gehaltenen
neunzehnten Generalſeſſion den Widerruf feierlich zu wieder—
holen. Er that es, ſchwur ſeine bisherigen Meinungen
ab, ſagte ſich von ſeinem ehemaligen Freunde Hus los,
und unterwarf ſich unbedingt den Anordnungen des Con—
ciliums. Auch das ſprach für ſeine Aufrichtigkeit, daß er
die Nothwendigkeit, ſeine früheren Vergehen abzubüßen,
freiwillig und laut vor der Verſammlung anerkannte, und
daher wiederholt erklärte, daß er nicht verlange in Frei—
heit geſetzt zu werden. Er wurde in ſeinen Kerker zurück—
geführt, daſelbſt aber fortan milder gehalten. Bald jedoch
entſtand unter den Mitgliedern des Conciliums ein Streit
über die Frage, ob man ihn noch ferner gefangen halten,
oder entlaſſen ſolle? Die geachtetſten Cardinäle, Peter
von Ailly, Franz Zabarella, Jordan Orſini und andere,
drangen auf ſeine Freilaſſung; dagegen proteſtirten aber
die böhmiſchen auf dem Concilium anweſenden Doctoren
mit aller Heftigkeit, indem ſie ſeine Aufrichtigkeit in vor—
hinein in Zweifel zogen; und ſie fanden unter anderen
auch bei Gerſon Unterſtützung. Doctor Johann Nas ſcheute
ſich ſogar nicht, öffentlich zu jagen, jene Cardinäle müßten
von K. Wenzel oder von den böhmiſchen Ketzern beſtochen
ſein, da ſie ſich eines ſo gefährlichen Menſchen ſo lebhaft
annähmen. So kam es, daß die gemäßigten Männer auch
hier den Heftigen und Verfolgungsſüchtigen das Feld räum—
ten, und Hieronymus ſeinem Schickſal überließen. Nach
483) Seinen Brief an Herrn Lacek von Kramar, dd. 12 Sept.
1415, haben wir im Archiv Cesky III, 297 abdrucken laſſen.
384 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1416 der Ankunft einiger Carmeliter-Mönche aus Prag wurde
gegen ihn ein neuer Proceß eingeleitet, und das Concilium
ernannte am 24 Februar 1416 den Patriarchen Johann
von Conſtantinopel und Doctor Niklas von Dinkelsbühl
zu ſeinen Unterſuchungscommiſſären.
M. Hieronymus war zwar ein für ſeine Zeit großer
Gelehrter, aber kein Schriftſteller; außer einigen böhmi—
ſchen Kirchenliedern, die er verfaßte, ſcheint er nichts Schrift—
liches hinterlaſſen zu haben; auch hatte er keine eigenthüm—
lichen Lehrſätze aufgeſtellt oder erfunden, ſondern ſich be—
gnügt, den Lehren Wiklefs und Huſſens als Herold zu
dienen. Die ganze gegen ihn geführte Unterſuchung mußte
ſich daher auf das Einſammeln von Zeugenausſagen be—
ſchränken, auf bloße Berichte über ſeine ehemaligen Hand—
lungen und Reden. Wer dieſe Zeugen geweſen, weiß man
nicht; doch ſpielten Michael de Cauſis und Stephan von
Paleé auch gegen ihn jedenfalls die Hauptrolle. In 107
Klageartikeln wurde ſein ganzer Lebenslauf, freilich nur
von einer Seite her, beleuchtet: wie er ſchon in früher
Jugend nach England gezogen, um Wiklefs Gift an Ort
und Stelle einzuſaugen; wie er von dort deſſen Bücher
zurückgebracht und in Böhmen zu verbreiten geſucht habe;
ihn habe er bei jeder Gelegenheit über alle Philoſophen
ſeiner Zeit geprieſen, und ſeine beſondere Verehrung für
ihn auch dadurch an den Tag gelegt, daß er unter mehren
großen Männern, deren Portraits er in ſeiner Wohnung
an die Wand malen ließ, auch ihn, mit der Glorie der
Heiligen umgeben, hingeſtellt habe; nicht zufrieden, die
Böhmen und Mährer mit dem Wiklefismus angeſteckt zu
haben, bemühte er ſich, ihn auch den Nachbarländern ein—
zuimpfen; die tumultuariſchen Auftritte in Prag in den
Jahren 1409 — 1414, und feine Theilnahme daran, wur⸗
den nicht vergeſſen, aber auch andere Beweiſe ſeines ver—
kehrten Zelotenthums angeführt, wie er z. B. in dem Kar—
Neuer Proceß gegen M. Hieronymus. 385
meliterkloſter bei Maria Schnee in Prag einſt gewaltthätig
einen Reliquienkaſten umwarf und die Mönche mißhan—
delte, die Verehrung von Heiligenbildern als abgöttiſch
läſterte, Schmähſchriften gegen den Papſt und den Erz—
biſchof von Prag verbreitete, ſeine Landsleute zu Ver—
folgung der Geiſtlichkeit aufmunterte, u. dgl. m. Endlich
wurden auch notoriſch bekannte Thatſachen, ſein dem ketze—
riſchen Hus in allen Dingen geleiſteter Beiſtand, und ſein
Trotz der kirchlichen Strafgewalt gegenüber, gegen ihn gel—
tend gemacht.
Als ihm zuerſt 41 ſolche Artikel zur Verantwortung
vorgelegt wurden, dictirte er zwar kurze Bemerkungen
dazu, weigerte ſich aber, in weitere Erklärungen einzu—
gehen; er verlangte, das Concilium ſollte ihn zuvor an—
hören, dann erſt wolle er zu ſeiner Rechtfertigung ſchrei—
ten; die in ſeiner Sache delegirten Richter wollte er nicht
als ſolche anerkennen. Endlich wurde der Jahrestag ſeiner
Conſtanzer Haft, der 23 Mai 1416, zu ſeinem öffentlichen
Verhör beſtimmt. Unter den Männern, welche an dieſem
und den folgenden Tagen auf der Bank ſeiner Richter
ſaßen, befand ſich auch einer jener ausgezeichneten Männer
des XV Jahrhunderts, denen Europa die Wiedererweckung
der claſſiſchen Studien des Alterthums verdankt, der Flo—
rentiner Poggio Bracciolini.““ Dieſer hochbegabte Geiſt,
der, bei dem Anblick eines für ſeine Überzeugung ſterben—
den Redners, über der philoſophiſchen Würdigung des—
ſelben den Theologen vergaß, entwarf und hinterließ eine
484) Giovanni Francesco Poggio Bracciolini, geboren 1380, diente
als päpſtlicher Secretär bis 1452, und ſtarb als florentiniſcher
Kanzler am 30 Oct. 1459. Bekanntlich war er während des
Conſtanzer Conciliums ſo glücklich, in St. Gallen die verloren
geglaubten Werke Quintilians u. a. m. zu entdecken. Seine
vielen Werke, darunter eine ſchätzbare Geſchichte von Florenz
in acht Büchern, ſind ſeit 1471 oft gedruckt worden.
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 25
1416
1416
23 Mai
386 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
lebendige Schilderung dieſer Vorgänge, die den Darfteller
nicht minder als den Gegenſtand ſeiner Darſtellung ehrt,
und allerdings in vielen Zügen an die großen Männer
des Alterthums erinnert. Wir haben uns deshalb im Fol—
genden ganz nur an ſeinen Bericht gehalten.
Nachdem Hieronymus in die Verſammlung geführt
worden war, wurde er vor Allem aufgefordert, auf die
Angaben ſeiner Gegner zu antworten. Lange Zeit wei—
gerte er ſich deſſen, indem er behauptete, daß man ihn
erſt in ſeiner eigenen Sache ſich erklären laſſen ſollte, um
nicht von ſeinen Verfolgern im Voraus gegen ihn, als einen
Feind des Glaubens und der Geiſtlichkeit, eingenommen zu
werden. Es wurde endlich beſchloſſen, daß er zuvor auf
die gegen ihn vorgebrachten Klagen antworten, und dann
erſt die Freiheit haben ſollte, zu reden, was ihm beliebte.
Man las alſo von der Kanzel herab die einzelnen Artikel
vor, fragte ihn, was er dagegen vorzubringen habe, und
führte dann die Zeugniſſe gegen ihn an. Poggio Braccio—
lini bewundert die Gelehrſamkeit, die ausgebreiteten Kennt—
niſſe, die Beredſamkeit und den Scharfſinn, welchen Hie⸗
ronymus in ſeinen Antworten entwickelte, wie nicht minder
ſein bewundernswerthes Gedächtniß, welches er bewies,
indem er nach einer 360tägigen Haft in einem ſtinkenden
und finſtern Thurme, wo er weder zu leſen, noch etwas
zu ſehen vermochte, und überdieß von täglicher Angſt be—
unruhigt werden mußte, dennoch ſo viele gelehrte Männer
zu Bekräftigung ſeiner Anſichten anführte, ſo viele kirch—
liche Auctoritäten für feine Meinungen citirte, daß es über
und über genug geweſen wäre, wenn er dieſe ganze Zeit
hindurch in voller Ruhe und Muße den Studien obgelegen
hätte. Er behauptete, daß alle gegen ihn vorgebrachten
Klagen falſch, alle Beſchuldigungen von ſeinen Feinden
erdichtet ſeien, und bediente ſich aller Waffen des Verſtan—
des und Witzes, um die Ankläger und Zeugen als Ver—
Des M. Hieronymus letzte Verhöre. 387
läumder darzuſtellen. Da die Unterſuchung wegen der Zahl
und Wichtigkeit der Beſchuldigungen an einem Tage nicht
beendet werden konnte, ſo vertagte man ſie auf den drit—
ten Tag. ̃
Lachdem an dieſem Tage (26 Mai) der Inhalt aller
noch übrigen Anſchuldigungen vorgeleſen worden war, ſtand
Hieronymus auf, und bat, nun ſelbſt von dem Concilium
gehört zu werden. Als ihm, ungeachtet des Widerſpruchs
Vieler dagegen, die Erlaubniß zu reden gegeben wurde,
ſetzte er in einer langen, wiewohl öfter unterbrochenen
Rede, nochmals auseinander, wie gefährlich es ſei, den
gegen ihn geführten Zeugen Glauben zu ſchenken, indem
dieſe nicht aus Liebe zur Wahrheit, ſondern aus Haß,
böſem Willen und Neid gegen ihn deponirt hätten. Er
zeigte in einer Reihe von Beiſpielen aus dem heidniſchen
Alterthum und der bibliſchen Geſchichte, wie haufig Män—
ner von unbeſcholtenem Lebenswandel und hoher Weisheit
von ihren Zeitgenoſſen verkannt, und auf falſche Beſchul—
digungen ihrer Feinde hin verurtheilt worden ſind. Die
Urfachen des Haſſes feiner Ankläger wußte er in der Art
zu erklären, daß zur völligen Überzeugung der Richter
wenig gefehlt haben ſoll. Alle waren im Innerſten be—
wegt und zum Mitgefühl geſtimmt; doch erwarteten ſie,
in dem Wunſche, ihn zu erhalten, daß er entweder durch
Widerruf ſich reinigen, oder für ſeine Irrthümer um Ver—
zeihung bitten werde. Allein er behauptete nun, weder
geirrt zu haben, noch zum Widerruf fremder falſcher Be—
ſchuldigungen aufgelegt zu ſein, und ging vielmehr zum
Lobe des zum Feuer verdammten Johann Hus über, wel—
chen er einen guten, gerechten und heiligen Mann nannte,
der einen ſolchen Tod keineswegs verdient habe. Daß er
ihn aus Todesfurcht einmal verläugnet habe, das erkenne
er jetzt als ſeine größte Sünde an, und ſei bereit, jeder
peinlichen Strafe muthig und ſtandhaft ſich zu unterziehen
RR:
25 *
1416
26 Mai
1416
388 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
und ſeinen Feinden zu weichen. Da er feſt auf ſeiner
Meinung beſtand, und ſo den Tod ſelbſt herbeizuwünſchen
ſchien, wurden ihm nochmals einige Tage Bedenkzeit ge—
geben. Indeſſen beſuchten ihn viele gelehrte Männer, um
ihn von ſeinen Irrthümern abzubringen; unter ihnen auch
der Florentiner Cardinal Zabarelli, dem es ſchon früher
gelungen war, ihn zu bekehren. Er blieb jedoch hartnäckig
bei ſeinen Anſichten; daher wurde er endlich in der 21 Ge—
neralſeſſion, am 30 Mai, als rückfälliger Ketzer verdammt
und zum Feuer verurtheilt. So wie Hus, ging auch
er mit heiterer Stirn und fröhlicher Miene dem Tod ent—
gegen. Als er auf der Richtſtätte ankam, zog er ſelbſt
ſeine Kleider aus, warf ſich auf die Kniee, und küßte den
Pfahl, an den er gebunden wurde. Dann legte man
Scheitholz, mit Stroh untermiſcht, bis an die Bruſt um
ihn her. Als der Scharfrichter den Holzſtoß hinter ſeinem
Rücken anzünden wollte, rief er ihm zu: Zünde nur vor
meinen Augen an; hätte ich dein Feuer gefürchtet, ich wäre
nie an dieſen Ort gekommen!“ Bei Anzündung des Hol—
zes fing er einen Hymnengeſang an, den erſt Rauch und
Flamme unterbrachen.
Wenn ſchon dieſer Bericht es andeutet, wie ungern
die verſammelten Väter den Scheiterhaufen abermals er—
richten ſahen, ſo ließen ſich auch noch andere Gründe zum
Beweiſe anführen, daß ſie nur der Nothwendigkeit wichen,
die bedrohte Auctorität der Kirche, das Anſehen der gel—
tenden Geſetze und ihre eigene Conſequenz aufrecht zu hal—
ten.“ Um fo mehr muß man bedauern, daß die Geſetze
und der Geiſt jener Zeit überhaupt ſolche Flammenopfer
485) Auch der Augenzeuge Dietrich Vrie (Frey) bemerkt in ſeiner
Historia concilii Constant., es habe alle Anweſenden des Hiero—
nymus erbarmt, nur ihn ſelbſt nicht. Omnibus erat miseran-
dus, eo demto, quod sui ipsius noluerit misereri. V d. Hardt,
J. parte I, pag. 202.
Des M. Hieronymus Hinrichtung. 389
nicht nur zuließen, ſondern auch forderten. Es iſt kaum 1416
zu zweifeln, daß, wenn Hus und Hieronymus nicht ver—
brannt, ſondern nur etwa zu ewigem Kerker verdammt
worden wären, der Huſſitismus in Böhmen niemals die
überwiegende Macht erlangt hätte; er wäre wahrſcheinlich
nur auf einen Theil der gebildeteren Claſſen beſchränkt
geblieben, die Maſſen des Volkes aber wären von ihm nur
wenig berührt worden. Es iſt allerdings gewiß, daß die
huſſitiſch Geſinnten ſpäterhin keineswegs um dieſer zwei
Perſonen willen, ſondern aus anderer Veranlaſſung, zu den
Waffen griffen; aber eben ſo gewiß iſt es, daß ſie ſich
nicht erhoben, wenn ſie die hergebrachte Achtung vor dem
Concilium und den kirchlichen Auctoritäten überhaupt be—
wahrt hätten. Dieſe aber hatte der irre geleitete Haufe
verloren, weil er in ſeiner Einfalt es mit ſeinen Anſichten
und Gefühlen von Recht und Billigkeit nicht zu vereinen
wußte, daß dieſe Männer zum furchtbarſten Tod verdammt
wurden, während er ihre erbitterten Gegner, deren Leben
ihm auch ſo manche Schattenſeite zeigte, über ſie trium—
phiren ſah; und die Gegner des Conciliums und der Kirche
unterließen es dann nicht, dieſen offenen Zwieſpalt in ſeiner
Bruſt zu ihrem Vortheil zu wenden und auszubeuten.
Doch wenn auch das Concilium nicht anders als mit
Bedauern und mit Widerwillen die Scheiterhaufen wieder—
holt auflodern ſah, ſo war es dagegen um ſo feſter ent—
ſchloſſen, dem Geiſte des Ungehorſams, der unter den
Böhmen und Mähren in ſo befremdlicher Weiſe um ſich
griff, alle mögliche Strenge entgegenzuſetzen. Schon am
24 Februar 1416 hatte es beſchloſſen, alle jene 452 böh—
miſchen und mähriſchen Barone und Ritter, die an den
Drohbrief vom 2 Sept. 1415 ihre Siegel angehängt, und
ſich ſomit der Ketzerei verdächtig gemacht hatten, vor ſein
Gericht zu laden und den Proceß gegen ſie zu eröffnen.
Die Vorladungsbullen wurden am 3 Mai zu Paſſau, 5
390 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 Mai zu Conſtanz, 10 Mai an der St. Stephanskirche in
Wien und am 14 Juni zu Regensburg publicirt und an—
geheftet, und ſpäter beſondere vier Commiſſäre, aus jeder
Nation einer, zu Führung des neuen Proceſſes ernannt. “s
Aber auch den Prager Erzbiſchof, Konrad von Vechta, und
den Olmützer Biſchof, Wenzel Kralik von Butenic, gedach—
ten die Väter zur Verantwortung zu ziehen, daß ſie den
Verfolgungen des Clerus in ihren Diöcefen gleichgiltig zu—
ſahen, ſomit der Ketzerei Vorſchub leiſteten, und überdieß
mit den ihnen anvertrauten Kirchengütern verſchwenderiſch
umgingen, ſie verſetzten und verpfändeten. Und obgleich
dieſelben auch ihre eifrigen Vertheidiger bei dem Concilium
hatten, wie denn die beiden Capitel von Prag und Wyse—
hrad gleichfalls nachdrücklich zu ihren Gunſten ſprachen,
ſo wäre das Concilium dennoch gegen ſie förmlich ein—
gefehritten, #7 wenn nicht König Sigmund, der um dieſe
486) Vgl. die Acten bei Hardt IV, 829 — 852.
487) Ein von Conſtanz nach Prag im Mai 1416 geſchriebener noch
ungedruckter Brief ſagt darüber: Scitote, quod contra D. Con-
radum archiepiscopum Pragensem primo fuit petita citatio per-
sonalis in natione Germanica et aliis nationibus; quibus op-
posuerunt se domini Kunczo de Zwola auditor et Albertus
Warintrop, nullo modo consentiendo, dicentes, quod darentur
in scriptis causae, quare citari deberet personaliter. Demum
fuerunt diversi et multi articuli dati et lecti publice in natione
Germanica coram omnibus praelatis, ambasiatoribus et docto-
ribus; qualiter dictus D. Conradus archiepiscopus fuit nigro-
manticus, alchimista, simoniacus, negligens in officio et dila-
pidator omnium bonorum; et sic habuit magnam verecundiam ;
et credo quod oportebit eum venire et facere rationem villi-
cationis suae.... Et miror, quod domini canoniei et tota
capella ecelesiarum Pragensis et S. Petri Wyssegradensis ausi
fuerunt scribere cum authenticis literis, qualiter dictus D. Con-
radus archiepiscopus rexerit et nullam negligentiam fecerit ...
Nam constat de contrario, quia idem archiepiscopus in nullo
defendit clerum, et alienavit bona; et sie similiter dieitur de
D. Wenceslao’ patriarcha Antiochensi ete.
Schritte des Conciliums gegen die Huffiten. 391
Zeit in Frankreich und England verweilte, es dringend
aufgefordert hätte, alle wichtigeren Schritte dieſer Art bis
zu ſeiner Rückkehr nach Conſtanz aufzuſchieben. Inzwiſchen
ſtarb am 12 Sept. 1416 der oft genannte Olmützer Bi—
ſchof Wenzel, zugleich Patriarch von Antiochien, ſeines
Königs von jeher vertrauteſter Rath und Diener, der, wie
es ſcheint, nur darum groß geworden war, weil er nichts
durch ſich ſelbſt, alles nur durch ſeinen Herrn ſein wollte.
Der König beförderte an ſeine Stelle einen ſonſt unbekann—
ten Wysehrader Canonicus Ales, und ließ ihm, da der
päpſtliche Stuhl noch unbeſetzt war, nicht allein durch den
Erzbiſchof Konrad die Beſtätigung ertheilen, ſondern ihn
auch durch ſeinen erſten Günſtling und Secretär, Johann
von Smilkau auf Koſtelec, in den wirklichen Beſitz des
Olmützer Bisthums einführen. Mit dieſem Verfahren war
jedoch das Concilium nichts weniger als einverſtaͤnden.
Es caſſirte die Wahl und Beförderung des Ales, und er—
nannte ſeinerſeits am 14. Dec. den Leitomysler Biſchof
Johann den Eiſernen zugleich zum Biſchof von Olmütz.“
Darauf, daß König Wenzel durch dieſe Verfügung aufs
empfindlichſte verletzt wurde, nahm es um ſo weniger Rück—
ſicht, je mehr es endlich entſchloſſen war, auch gegen ihn
ſelbſt und ſeine Gemahlin, als Ketzerbeſchützer, nach aller
Strenge der Kirchengeſetze zu verfahren. Nachdem es
nämlich keine der Hoffnungen, welche es aus Wenzels Bei—
trittserklärung zu dem oben genannten katholiſchen Bunde
vom 1 Oct. 1415 geſchöpft hatte, in Erfüllung gehen,
588) Vgl. Augustini Olomucensis episcoporum Olomucensium series,
ed. F. X. Richter, Olomuc. 1831, pag. 145 sq. Stephani prio-
ris Cartus. epist. ad Hussitas in Bern. Pez Thesaur. Anecdot.,
tom. IV, parte II, pag. 597. In einer Handſchrift der k. k.
Wiener Hofbibliothek (Num. 3934, fol. 148) findet man auch
ein Olomucensis episcopi Alsonis juramentum Conrad archi-
episcopo Pragensi praestitum in Abſchrift.
1416
392 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
vielmehr die Kirche in Böhmen je länger in um fo tiefe
ren Fall gerathen ſah, lieh es auch den über ihn klagen—
den Stimmen ein geneigteres Gehör, und ließ ſich die—
ſelben, in herkömmlicher Weiſe articulirt, auch öffentlich
vortragen. Dieſe Klageartikel holten über die bekannten
Ereigniſſe ziemlich weit aus, und beſchuldigten den König
nicht nur der Neigung zum Huſſitismus und der Beſchützung
ſeiner Anhänger überhaupt, ſondern auch einer directen
Theilnahme an der Plünderung der Geiſtlichkeit in ſeinen
Ländern insbeſondere. Gegen die Königin Sophie wurde
geklagt, daß fie, wie vorhin Hus, fo jetzt den M. Jeſenic
ſchütze und in ſeiner Hartnäckigkeit ſtärke, den apoſtoliſchen
Decreten mit offener Verachtung begegne und auf allen
ihren Beſitzungen katholiſche Pfarrer zu vertreiben, huſ—
ſitiſche einzuführen ſich bemühe.““ Nur der wiederholten
Dazwiſchenkunft K. Sigmunds hat man es zu verdanken,
daß das Concilium dieſen bereits begonnenen Proceß wieder
fallen ließ.““ Wenzel aber achtete die Conſtanzer De—
crete jo wenig, daß er Biſchof Johann dem Eiſernen fortan
ſogar den Eintritt in ſein Land wehrte, ſeinen Biſchof Ales
dagegen nicht allein im Beſitze des Olmützer, ſondern auch
im Genuſſe des Leitomysler Bisthums, zeitlebens mit of—
fener Macht beſchützte. “!
Es hatte in dieſer Zeit unter den zwei königlichen
Brüdern zwar keine Ausſöhnung und Verſtändigung, aber
doch eine Annäherung wieder Statt gefunden. Nachdem
Eliſabethens von Görlitz Gemahl, Herzog Anton von Bra—
bant und Luxenburg aus dem Hauſe Burgund, in der
489) Dieſe noch ungedruckten Klageartikel find in einer Handſchrift
der k. k. Hofbibliothek (Num. 4902, fol. 112 fg.) uns aufbe—
wahrt worden.
490) Vgl. K. Sigmunds Schreiben vom 4 Dec. 1418 im Archiv
Cesky I, p. 11, und vom 4 Sept. 1417 bei V. d. Hardt IV, 1409.
491) Vgl. Dobner Monumenta histor. Boem. IV, 412.
K. Wenzels Annäherung an Sigmund. 393
Schlacht bei Azincourt am 25 Oct. 1415 gefallen war, 1416
entſtanden in Luxenburg je länger je größere Unruhen, da
die junge Witwe zu deren Bändigung weder die Macht,
noch das Geſchick beſaß. König Sigmund, der während
ſeines Verweilens in Frankreich und England im Jahre
1416 dieſe Vorfälle in der Nähe zu beobachten Gelegen—
heit hatte, wünſchte dem Verderben ſeines Stammlandes
zu ſteuern, und verlangte ſchon darum, daß K. Wenzel
ihm ſeine oberherrlichen Rechte über dieſes Herzogthum,
wenigſtens zeitweilig, abtrete. Dieß führte zu Unterhand—
lungen, in deren Folge Wenzel ſeinem Bruder am 13 Juli
1416 die Vollmacht ertheilte, nicht allein in Luxenburg
und Brabant die Rechte der böhmiſchen Krone geltend zu
machen, ſondern auch die einſt vom Gegenkönige Ruprecht
abgeriſſenen pfälziſchen Diſtricte und Städte wieder zu
Böhmen zu bringen. Auch hinſichtlich der von Sigmund
ſchon am 30 April 1415, ohne Wenzels Beiſtimmung, ge—
ſchehenen Übertragung der Kurwürde von Brandenburg
an den Burggrafen Friedrich von Nürnberg (Ahnherrn des
jetzigen königl. preußiſchen Hauſes), wurde in dieſer Zeit
verhandelt,“? und K. Wenzel erwies ſich auch in dieſer
Angelegenheit nicht ſchwierig, obgleich eine gänzliche Ver—
zichtleiſtung auf jene Markgrafſchaft von ſeiner Seite nicht
vorliegt. Dagegen verlangte und erwartete er von Sig—
mund, daß dieſer ſeine und ſeines Landes Ehre bei dem
Concilium nicht werde kränken laſſen, indem nach ſeiner
Meinung von wirklichen Ketzereien in Böhmen ohnehin
keine Rede ſein konnte.
492) Da in dieſen Verhandlungen die beiden Burggrafen von Nürn—
berg, Friedrich, der neue Markgraf von Brandenburg, und
Johann, Wenzels und Sigmunds Schwager, die Vermittler:
rolle ſpielten, ſo unterliegt obige Angabe keinem Zweifel. S.
pelzels Wenceslaus II, 650 — 52, und Urk. Buch Nr. 244,
245. Über Luxenburg vergl. auch Archiv Cesky J. 9.
1416
394 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV.
Die religiböſe Bewegung, welche die Anhänger Huſ—
ſens ergriffen hatte und ſich zunächſt durch die in Anſpruch
genommene freie Forſchung und Kritik des hergebrachten
Glaubensſyſtems (nach dem Maßſtabe der heiligen Schrift).
kund gab, entwickelte ſich auch von innen mehr und mehr,
und ſchlug faſt mit jedem Jahre weitere Bahnen ein.
Nachdem man ſich überzeugt hatte, daß das Überlieferte
und Beſtehende gebeſſert werden müſſe, blieb auch der
Streit über die Frage, wie man es beſſern ſoll, nicht lange
aus; hatte man ſich einmal von der Auctorität und ihren
poſitiven Satzungen losgeſagt, ſo konnte die neu gewon—
nene Freiheit nicht eher zur Ruhe führen, als bis ſie alle
Stadien ihrer zeitgemäßen Entwickelung durchlaufen hatte.
In der chaotiſchen Fluth der Meinungen bildeten ſich jedoch
frühzeitig zwei Gravitationspuncte, welche jene irren Be—
wegungen in ihre beſonderen Kreiſe hineinriſſen, und ſich
fortan gegenſeitig ſowohl anzogen als abſtießen. Der eine
dieſer Puncte war Prag, der andere das einſtige Städt—
chen Auſti an der Luznic, die Mutter von Tabor. Im
erſteren kam der Antrieb zu Neuerungen und Reformen
von der gelehrten Zunft der Univerſität, alſo gleichſam von
oben herab; im letzteren ging er vom Volke ſelbſt aus,
alſo von unten hinauf. Dort äußerte er ſich gemäßigt,
conſervativ und gleichſam ariſtokratiſch; hier maßlos fort—
ſchreitend, radical und demokratiſch. Ein reicher Tuchmacher
und Tuchhändler in Auſti, Namens Pytel, einſt eifriger
Zuhörer Huſſens in deſſen Exil, gewährte ſchon ſeit 1415
ſolchen überſpannten Köpfen, die wegen ihrer allzukühnen
Neuerungen bei den übrigen Böhmen Anſtoß erregten, in
ſeinem Haus ein Aſyl; der durch die Ereigniſſe von 1412
bekannt gewordene Prager Magiſter Johann von Jiein,
die Prieſter Wenék, Bydlin, Kanis, Psenicka und andere
nachmalige Koryphäen der Taboriten, wurden von ihm
lange Zeit hindurch freigebig mit Koſt und anderen Be—
Spaltung in Prager und Taboriten. 395
dürfniſſen verſehen,““ und bildeten, im Gegenſatz zur Pra—
ger Univerſität, eine beſondere Art Akademie, deren Lehren
weit über die Decrete der Prager Magiſter hinausſchweiften.
Die Parteien erhielten ſpäter, nach ihrer vollen Ausbil—
dung, den Namen der Calixtiner oder Prager, und
der Taboriten. Doch war weder die Hauptſtadt jemals
ausschließlich calixtiniſch, noch Auſti ausſchließlich tabo—
ritiſch; denn letztere Partei zählte von jeher in Prag,
zumal auf der Neuſtadt, zahlreiche Anhänger, ſo wie in
Auſti mehre Einwohner den Pragern anhingen; und da
an beiden Orten ein Theil der Bevölkerung auch dem
Glauben der Väter treu blieb, ſo fehlte es nie an Anläſſen
zu Streit und Unruhen, welche in dem ſchwächeren Auſti
zuletzt mit dem gänzlichen Ruin der Stadt endeten.
Die fortſchreitende Entwickelung der von einander ab—
weichenden huſſitiſchen Lehrſyſteme läßt ſich am ſicherſten
aus den Decreten erkennen, welche die Prager Univerſität,
als leitende Behörde, zu Lob wie zu Tadel an das Volk
zu erlaſſen pflegte. Die bedeutendſten Männer dieſer Uni—
verſität waren in dieſen Jahren die zum Theil ſchon oft
genannten Magiſter Johann von Jeſenic, Jacobell von
Mies, Chriſtann von Prachatic, Johann Cardinalis von
Reinſtein, Simon von Tisnowic, Simon von Rokycan,
Zdenek von Labaun Propſt bei Allerheiligen, Marcus von
Königingrätz, der Baron Zdislaw von Zwirxetic und Michael
Cizek von Malenic. Unter dem Rectorat des von Con—
ſtanz zurückgekehrten M. Johann Cardinalis von Reinſtein
erließ dieſer gelehrte Körper ſchon am 25 Januar 1417
eine Erklärung,“ worin über die bereits überhand neh—
menden allzu freien und ſomit irrigen Anſichten geklagt
wurde. Der Teufel, heißt es, pflege oft auch den Schein
493) Seriptores rer. Boh. tom. HI, pag. 471, 472.
494) Gedruckt in Pelzels Urk. Buche zu K. Wenceslaus, Nr. 246,
pag. 163.
1417
396 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1417 der Heiligkeit auf ſich zu nehmen, um auf dieſe Art Brüder—
zwiſt und Verachtung der göttlichen Gebote deſto wirk—
ſamer verbreiten zu können. Mit Schmerz höre man, wie
in einigen Communitäten des Landes gelehret und geglaubt 1
werde, daß es kein Fegefeuer gebe, und daß folglich Ge— i
bete und Almoſen für Verſtorbene unnütz ſeien; daß das |
Halten und Verehren von Heiligenbildern mit der heiligen
Schrift im Widerſpruche ſtehe; daß Kirchenceremonien, wie
das Weihen von Salz und Waſſer, Palmen, Oſtereiern
u. dgl. überflüſſig und irrig ſeien. Die Magiſter ermah—
nen daher und bitten, ſolchen Stimmen kein Gehör zu
geben, ſondern in Allem die Richtſchnur zu befolgen, daß
hinſichtlich derjenigen Gegenſtände, über welche die heilige
Schrift nichts Beſtimmtes ausſagt, der althergebrachte
Kirchengebrauch als Geſetz zu gelten habe.““ Wie wenig
Erfolg jedoch dieſe Ermahnung hatte, kann man ſchon aus
dem Umſtande abnehmen, daß dieſelbe Behörde ſich ge—
nöthigt ſah, ſie nicht allein ſchon am 7 Febr. 1418 zu
wiederholen, ſondern auch eine Art Synode nach Prag
zum St. Wenceſlaitage (28 Sept. 1418) zu berufen, um
neue Decrete gegen die ſich mehrenden Neuerungen zu
erlaſſen. Die hierauf in 23 Artikel gefaßten Beſchlüſſe “
lauteten im Weſentlichen dahin, daß 1) Niemand einen neuen
495) Seientes-juxta sanctorum canones, quod in hiis rebus, de qui-
bus nil certi divina scriptura statuit, mos populi dei et in-
stituta majorum pro lege tenenda sunt; et sicut praevaricato-
res legum dominicarum, ita contemtores ecclesiasticarum con-
suetudinem sunt coörcendi. Durch Fefthalten an dieſem katho—
liſchen Grundſatze unterſchieden ſich die Calixtiner nicht allein
von den Taboriten und den ſpäteren böhmiſchen Brüdern,
ſondern auch zum Theil von J. Hus ſelbſt, und machten damit
ihre ſpätere Wiedervereinigung mit der römiſchen Kirche (durch
das Basler Concilium) möglich.
496) Man findet ſie in der Handſchrift der k. k. Hofbibliothek in
Wien, Nr. 4937, fol. 143 fgg.
Decrete der Prager Univerfität. 397
Lehrſatz öffentlich verkündigen folle, wenn er ihm auch noch 1417
ſo wahr und nützlich ſcheine, ohne ihn vorher den Ma—
giſtern zur Prüfung vorgelegt zu haben; 2) Niemand dürfe
behaupten, daß man nur Dasjenige glauben müſſe, was
in der heiligen Schrift kundgemacht iſt; denn viele Wahr—
heiten ſtehen darin, wenn auch nicht dem Worte nach, doch
dem Geiſte nach, und das Verſtändniß dieſes Geiſtes liege
nicht für Jedermann offen; *” 3) die Kinder ſoll man,
wo es thunlich iſt, gleich nach der Taufe communiciren; ““
4) das Fegefeuer fol man nicht läugnen, 5) die Seelen—
meſſen nicht verwerfen, 6) Gebete für Verſtorbene und
7) die Anrufung der Heiligen nicht verdammen; 8) der
Eid ſei in wichtigen Angelegenheiten zuläſſig, eben ſo 9) die
Todesſtrafe bei unverbeſſerlichen Verbrechern; 10) kein noch
ſo frommer Laie, ſondern nur Prieſter allein können das
Sacrament der Euchariſtie vollziehen; 11) die Beichte und
das Sacrament der letzten Blung ſeien zu beobachten,
eben ſo 12) heilſame Kirchengebräuche, wie Bilder der
Heiligen in den Kirchen, Faſten, Feſte der Heiligen u. dgl.
13) bei der Meſſe ſei nur das Evangelium und die Epiſtel
in der Volksſprache, alles übrige aber im Latein vorzu—
tragen!“ u ſ. w. Dieſe Decrete und Verbote zeigen deut—
497) »Quamvis enim omnis veritas utilis saluti nostrae sit in sacra
scriptura posita radicaliter, occulte vel expresse: non tamen
omnia exprimit vel plane ponit, ut est illud, quod spiritus
sanctus sit deus aequalis filio et patri, quod nullibi reperitur
in scripturis, quamvis sit ibi secundum rei veritatem. Sic
dicendum est de aliis veritatibus multis, quas aliqui clarius,
aliqui obscurius eliciunt: verumtamen omnia intelligere, quae
in sacra scriptura clauduntur, nemo potest, nec ipsi apostoli
sermonem dei quandoque intellexerunt.« — 4
498) »Tunc minima petia primi sacramenti est ei in os ponenda,
et concluso ore ejus ad modicum, post hoc una stilla sangui-
nis Christi capta super digito de patena, et delata super pa-
tenam, est ori ejus semel vel bis immittenda.«
499) Daß man ſchon 1417 die Meſſe böhmiſch zu leſen anfing, ſagt
398 VI Buch, 6 Eapitel.. K. Wenzel IV.
1417 lich, wie raſch der taboritiſche Lehrbegriff, noch vor der
Gründung der Stadt Tabor, ſich entwickelte und bildete;
daß aber auch ſie dieſe Entwickelung zu hindern oder auf—
zuhalten unvermögend waren, wird der Verfolg der Ge—
ſchichte nachweiſen.
Iſt in dieſen Beſchlüſſen der Prager Univerſität einer
ſeits die Sorgfalt unverkennbar, ſich von der poſitiven
Grundlage des Chriſtenthums und der kirchlichen Über:
lieferungen nicht zu entfernen, ſo ließen doch die Magifter
einerſeits es auch an ſolchen Decreten nicht fehlen, welche
eine Scheidewand zwiſchen ihnen und den Vätern des Con—
ſtanzer Conciliums aufzurichten geeignet waren. Dahin
gehörte die zunächſt auf Verlangen mehrer Barone am
10 März 1417 abgegebene Erklärung der Univerſität über
die Communion unter beiderlei Geſtalten; ſie ſprachen ſich
darin zwar mit unverkennbarer Mäßigung und Umſicht,
aber auch mit voller Entſchiedenheit aus. Sie erkannten
es an, daß nicht erſt collectiv in beiden, ſondern ſchon in
jeder einzelnen Geſtalt Chriſtus ganz enthalten ſei; man
könne daher mit Denjenigen, die aus Unwiſſenheit oder
andern Gründen das heil. Abendmahl nur unter einer Ge—
ſtalt empfangen, immerhin Nachſicht haben: da dasſelbe
jedoch von Chriſtus urſprünglich unter zwei Geſtalten ein—
geſetzt und in der älteſten Kirche auch ſo ausgetheilt wor—
den ſei, ſo müſſe man dieſes Verfahren für das richtigere
erklären, und die Böhmen ſollten ſich darin nicht irre machen
laſſen, ſelbſt wenn ein Engel vom Himmel herabſteigen
und ſie eines andern zu belehren ſuchen follte.°” In
der Dolaner Prior Stephan in feiner Zpistola ad Hussitas
von dieſem Jahre (bei Bern. Pez, I. c. pag. 556): Adhue
nova et inaudita ribaldia missas in boemico sermone cantatis
et legitis, juvantibus vos concantare Begutis et Rebeceis mu-
lieribus.
500) Das Decret vom 10 März 1417 findet man gedruckt, in lat.
Die utraquiſtiſche Communion. 399
Folge dieſer Erklärung faßte der Utraquismus erſt feſte 1417
Wurzel in Böhmen und Mähren. Auch ſolche Barone,
welche bis jetzt Anſtand genommen hatten, ihre anders—
geſinnten Pfarrer auf dem Lande zu beunruhigen, glaub—
ten ſich fortan berechtigt und verpflichtet, den Kelch zur
Bedingung des ferneren Beneficien-Genuſſes zu machen.
So ließ Herr Cencék von Wartenberg, als Vormund des
jungen Herrn Ulrich von Roſenberg, am 17 Juni 1417
auf allen den weitläufigen Roſenberg'ſchen Herrſchaften
verkünden, daß jeder Pfarrer, der die Communion unter
beiden Geſtalten auszutheilen ſich weigert, binnen beſtimm—
ter Friſt ſeine Stelle einem ſolchen einzuräumen habe, der
dazu willig fei.?°! Die mähriſchen Herren Lacek und Peter
von Krawar, Erhard von Kunſtat auf Skal und Johann
Towacowſky von Cimburg beriefen zu gleichem Zwecke
huſſitiſche Prieſter aus Böhmen in Menge nach Mähren.
Und da die Zahl der ordinirten Geiſtlichen dieſer Partei
nicht groß genug war, um alle Pfarreien mit ihnen be—
ſetzen zu können, ſo brachte Herr Cenék von Wartenberg
den Prager Suffragan und Generalvicar, Hermann Biſchof
von Nikopolis, halb mit Gewalt, halb mit Überredung
dazu, daß Dieſer auf ſeiner Burg Lipnic im Caslauer
Kreiſe einer Menge huſſitiſcher Cleriker die Prieſterweihe
ertheilte. ““?
Das Concilium unterließ es nicht, den Decreten der
Prager Univerſität die ſeinigen entgegenzuſetzen. Erſtens
ſuspendirte es alle Befugniſſe dieſer Univerſität auf ſo
Sprache bei Von d. Hardt III, 762, in böhm. Sprache im
Archiv Cesky IH, 203.
501) Script. rer. Bohem. tom. III, pag. 23.
502) Seriptt. rer. Bohem. III, 473— 74. Cochlaei historia Hussita-
rum pag. 169. Der Erzbiſchof Konrad nahm deshalb, durch
ein von Raudnitz am 15 März 1417 datirtes Patent, dem
Biſchof das Generalvicariat ab.
400 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1417 lange, als ihre Adminiſtration in den Händen von Irr—
gläubigen und Ketzereibeſchützern verbleiben würde, hob
für dieſe Zeit ihre Privilegien auf, erklärte alle ihre Uni—
verſitätsacte, Wahlen und Promotionen für ungiltig, und
verbot den Gläubigen daſelbſt ferner noch zu ſtudiren. >03
Zweitens trug es mehren in Conſtanz anweſenden Theo—
logen auf, die Meinungen der Böhmen hinſichtlich der
Communion unter beiden Geſtalten auch durch gelehrte Ab—
handlungen zu widerlegen. Der erſte, der ſolches that,
war der ſchon oft genannte Kanzler der Pariſer Univer—
ſität, Johann Gerſon; er beleuchtete die ganze Streitfrage
zwar nur kurz, jedoch, wie es von einem Gelehrten feiner
Art zu erwarten ſtand, klar, gründlich und erſchöpfend;
im Übrigen aber nahm er keinen Anſtand, zu erklären,
daß es ihm geeigneter ſcheine, mit weltlichem Arm als mit
geiſtlichen Mitteln gegen die Huſſiten einzuſchreiten. ““ Um—
ſtändlicher ließ ſich der ehemalige Prager Profeſſor Mau—
ritius, zugenannt Rwacka, vernehmen, indem er in die
Widerlegung aller einzelnen Behauptungen ſeines Lands—
manns Jacobell von Mies einging. Sein Werk wurde
vom Concilium gebilligt. Aber auch andere Gelehrte in
Menge ſetzten ſich die gleiche Aufgabe und kämpften in
beinahe zahl- und endloſen Tractaten gegen die böhmiſchen
Neuerungen an. 90
Das Concilium war nach vielen Bemühungen endlich
ſo glücklich, dem langen Schisma der abendländiſchen Kirche
503) Das (undatirte) Decret darüber vom J. 1417 findet ſich in
einer Handſchrift des Wittingauer Archivs, A, 16, fol. 188.
504) »Debet potius hoc sacrum generale concilium invocare auxi-
lium brachii secularis, si opus fuerit, quam per ratiocinationes
contra tales, attenta sua determinatione, quae jam transüt in
rem judicatam.« Bei V. d. Hardt III 771:
505) Von der Hardt hat einige von dieſen Streitſchriften in ſeinem
dritten Bande, Seite 338 — 932 bekannt gemacht.
Ende des Kirchenſchisma. 401
ein Ziel zu ſetzen. Gregor XII hatte freiwillig abgedankt
(4 Juli 1415), Johann XXIII war abgeſetzt und ſchmach—
tete in der Gefangenſchaft zu Mannheim; Benedict XIII.
der ſich am ſtarrſinnigſten erwieſen, wurde in Folge der
von K. Sigmund mit den Abgeſandten der ſpaniſchen Kos
nige zu Narbonne am 13 Dec. 1415 geſchloſſenen Con—
vention nach und nach von allen ſeinen Anhängern ver—
laſſen, und nachdem auch die Spanier, als fünfte Nation,
im Oct. 1416 ſich dem Concilium angeſchloſſen, durch feier
lichen Urtheilſpruch am 26 Juli 1417 feiner Würde voll—
ends entſetzt. Zwiſchen den Abſetzungen des Piſaner und
des Conſtanzer Conciliums gab es glücklicher Weiſe den
Unterſchied, daß die letzteren bei allen Fürſten und Völ—
kern des Abendlandes einſtimmige Anerkennung, Beifall
und Gehorſam fanden; ein Erfolg, zu welchem Sigmunds
vielfältige Reiſen und perſönliche Bemühungen weſentlich
beigetragen hatten. Nach hergeſtellter vollſtändigen Union
der Kirche blieben daher dem Concilium nur noch zwei
wichtige Geſchäfte: die Wahl eines neuen einigen Pap—
ſtes für die ganze Chriſtenheit, und die Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern. Die Nothwendigkeit und
Dringlichkeit von beiden verkannte Niemand: aber über
die Frage, welches zuerſt vorgenommen werden ſollte, gab
es widerſprechende Anſichten, die zu ſo heftiger Entzweiung
führten, daß man darüber eine Auflöfung des Conciliums
befürchtete. K. Sigmund wünſchte die Grundſätze der Re—
formation zuerſt feſtgeſetzt und angenommen zu ſehen, um
dann auch dem zu wählenden Papſt ihre Annahme und
Vollziehung zur Pflicht machen zu können; die Mehrzahl
der Cardinäle behauptete dagegen, die Kirche müſſe zuerſt
ihr Oberhaupt wieder haben, deſſen Mitwirkung das Werk
der Reformation nicht allein erleichtern und befeſtigen, ſon—
dern auch in ſeiner Ausführung ſichern ſoll. Den Cardi—
nälen ſtimmten die italieniſche, franzöſiſche und ſpaniſche,
Geſch. v. Böhm. 3 Bd. 26
1417
402 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1417 dem römiſchen Könige die deutſche und engliſche Nation
bei. Am eifrigſten wurde Sigmund von der deutſchen Na—
tion unterſtützt, zu welcher man auch die Böhmen, Ungarn,
Polen und Skandinavier rechnete; und hier waren es wie—
der die katholiſchen Böhmen, welche im Eifer für die un—
geſäumte Vornahme des Reformationswerks vorangingen.
M. Mauritius von Prag hatte es ſchon in feiner am 9
Mai 1417 an das Concilium gehaltenen Rede nicht unter—
laſſen, auch den Grund hervorzuheben, daß man die Huſ—
ſiten nur dadurch werde zum Schweigen bringen und un—
ſchädlich machen können.““ Ein eigenes Reformations—
Collegium war ſchon ſeit 1415 aus Mitgliedern aller Na—
tionen ernannt worden, um Vorſchläge zu dem gedachten
Zwecke zu bearbeiten; im Auguſt 1417 ſetzte es K. Sig—
mund durch, daß das ſeitdem vertagte Werk wieder vor—
genommen wurde: doch machte es keine Fortſchritte, da
ſelbſt die älteſten und größten Eiferer für die Reform,
Peter von Ailly und Johann Gerſon, der Anſicht waren,
daß die Reformation vor Allem mit der Wahl eines Pap—
ſtes beginnen müſſe. K. Sigmund dagegen ſchien, in Vor⸗
ausſicht der Zukunft, die ganze Wichtigkeit des Momentes
gefühlt und begriffen zu haben; er beharrte unerſchütter—
lich auf ſeinem Vorſatze, obgleich die Zahl ſeiner Anhänger,
zumal nach dem am 4 Sept. 1417 erfolgten Tode des
Erzbiſchofs von Canterbury, Robert Hallam, täglich ſich
minderte. Die Spannung ſtieg ſo hoch, daß am 9 Sept.,
als er in höchſter Aufwallung des Zorns plötzlich aus der
Verſammlung der Väter ſich entfernte, einige nachrufende
506) Seine Rede iſt gedruckt bei V. d. Hardt I, 860 — 874; die
betreffende Stelle ſteht p. 870. Auch Stephans von VPalec
Rede in derſelben Angelegenheit vom 27 Juni 1417 ließ Hardt
I, 823 — 847 unter dem Titel Stephani de Praga Oratio de
maturanda ecclesiae emendatione abdrucken.
Papſt Martin V. 403
Stimmen ihn und die Seinigen „Ketzer“ ſchalten, “ die 1415
Cardinäle Conſtanz zu verlaſſen ſich anſchickten, und er
eine Zeit lang wirklich mit dem Gedanken umging, ſie mit
Gewalt zum Bleiben zu zwingen. Sein ſichtbarer Eifer,
und die bittere Stimmung der Gegenpartei, verſchafften
der Meinung, daß der weltliche Arm ſich da einen unge—
bührlichen Einfluß auf Kirchenſachen anmaße, eine zuneh—
mende Verbreitung, bis Sigmund, mit wenig Treugeblie—
benen dem ganzen Concilium gegenüber ſtehend, endlich
nachzugeben ſich gezwungen ſah. Er ließ daher die Papſt—
wahl vor ſich gehen, nachdem in der 40ten Generalſeſſion
beſchloſſen und zugeſichert worden, daß der künftige Papſt
das Concilium weder auflöſen noch verlaſſen dürfe, bevor
die gewünſchte Reformation zu Stande gekommen fein werde.
Am 8 Nov. 1417 gingen die 23 in Conſtanz anweſen—
den Cardinäle mit 30 Deputirten ſämmtlicher Nationen in
das Conclave, und wählten am Martinstage, den 11 Nov.,
mit Einſtimmigkeit den Cardinal Otto von Colonna zum
Papſt, der zum Andenken an den Tag ſeiner Erhebung
ſich Martin V nannte. K. Sigmund war einer der
Erſten, die aus Freude über die ſo bald und ſo einmüthig
getroffene Wahl, dem neuen Papſte den Fuß küßten; wofür
er von ihm unter herzlicher Dankſagung umarmt wurde.
Man pries allgemein des Neugewählten Kenntniſſe und
Beſcheidenheit, Gerechtigkeitsliebe und Thätigkeit; daher
denn Jedermann von ihm das Beſte erwartete. Am 21
November ging deſſen Krönung zu Conſtanz unter vielen
Feierlichkeiten vor ſich. Für das Reformationsgeſchäft jedoch
ſchien es von übler Bedeutung zu fein, daß er ſchon den
Tag nach ſeiner Wahl demjenigen Cardinal, der einſt die
507) Als nämlich der Patriarch Johann von Antiochien und Andere
dem Könige unter großer Aufregung folgten, erſcholl der Ruf:
„laßt fie nur gehen, die Ketzer!« (recedant haeretici.) V. d.
Hardt IV, 1415 fg. nach Schelſtrate p. 266.
28
1417
1418
404 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
Kanzleiregeln für Johann XXIII entworfen hatte, den Auf—
trag gab, ſie auch für ihn nach der bisherigen Weiſe auf—
zuſetzen. Und obgleich er gleich nach ſeiner Krönung ſechs
Cardinäle ernannte, die mit Zuziehung von Bevollmäch—
tigten aller Nationen an dem Reformationszwecke arbeiten
ſollten, ſo wurden doch nicht allein die Deutſchen, ſondern
auch zumal die Franzoſen ungeduldig, da ſie Monate ver—
gehen ſahen, ohne daß in der Sache ein wirklicher Schritt
vorwärts gemacht wurde. Letztere drangen nicht allein in
den Papſt, ſondern auch in den König, das Werk zu be—
ſchleunigen; Sigmund aber wies ſie jetzt, mit Vorwürfen
über ihr früheres Benehmen, zurück. s Als endlich am
18 Januar 1418 Martin V einen’ Entwurf der Reforma—
tion dem Concilium vorlegen ließ, fand man ihn den Er—
wartungen ſo wenig entſprechend, daß die Unzufriedenheit
dadurch nur noch vermehrt wurde. Bei den ſo abweichen—
den Anſichten, was und wie zu reformiren ſei, fand es
daher der Papſt am beſten, die allgemeine Reformation
noch aufzuſchieben, 59 und inzwiſchen über die dringendſten
Puncte mit jeder Nation beſondere Concordate abzuſchlie—
508) Sigmunds Worte waren: »Als wir darauf beftanden, die Re—
form der Kirche vor der Papſtwahl vorzunehmen, waret ihr
anderer Meinung, und wolltet erſt einen Papſt haben. Sehet,
jetzt habt ihr einen: gehet zu ihm hin, und bittet ihn um die
Reformen. Wir können jetzt nicht mehr ſo viel bei der Sache
thun, als da der päpſtliche Stuhl noch erledigt war.« Aſch—
bach im Leben K. Sigmunds II, 329 fg. nach Gobelinus Per
fona und einem von Conſtanz am 15 Febr. 1418 datirten Briefe.
509) Der Biograph der Päpſte, Platina, ſpricht darüber in Vita
Martini M Folgendes: De componendis moribus nimia licentia
jam labefactatis, tam laicorum quam clericorum, mentio ha-
beri coepta est. Verum quia quadriennio Constantiense con-
cilium jam duraverat, cum magno praelatorum et ecclesiarum
incommodo, Martino placuit, approbante concilio, rem tantam
in aliud tempus magis idoneum transferre. Dicebat enim, rem
Aufſchub der Kirchenreform. 405
ßen. Nachdem dieſes geſchehen, wurde am 19 April Pavia
zum Ort des nächſten Conciliums beſtimmt, und drei Tage
darauf, in der am 22 April 1418 gehaltenen 45ten und
letzten Generalſeſſion, das Conſtanzer Concilium gänzlich
aufgelöſt.
Noch vor Auflöſung des Conciliums war Martin V
auch in die böhmiſchen Angelegenheiten eingegangen. Er
erließ am 22 Februar 1418 zu Conſtanz mehre Bullen
und Briefe, in welchen er das Entſtehen und den ganzen
Hergang des Huſſitismus klagend beſchrieb, alle gegen ihn
vom Concilium ergriffenen Maßregeln beſtätigte, die ab—
trünnigen Böhmen und Mähren zur Rückkehr in den Schooß
der Kirche ermahnte, die Ungehorſamen und Hartnäckigen
mit dem päpſtlichen Bann belegte, und nicht allein die
Kirchenprälaten, ſondern auch alle weltlichen Auctoritäten
aufforderte, mit den geſetzlichen Strafen gegen ſie einzu—
ſchreiten.!“ Auch war er Willens geweſen, den gegen
König Wenzel ſowohl als gegen die verbündeten Barone
begonnenen Proceſſen Folge zu geben, und den Bann über
ſie auszuſprechen, wenn Sigmund nicht, auf die zweideu—
tigen Erklärungen des Bruders ſich ſtützend, andere Wege
angerathen und die Zurückführung der Böhmen durch mil—
dere Mittel in Ausſicht geſtellt hätte. Der römiſche König
war nämlich der Meinung, es fehle ſeinem Bruder we—
niger an gutem Willen, als an kräftigem Entſchluſſe, ſeine
huſſitiſchen Unterthanen zum Gehorſam zu bringen; und
ipsam maturitate et consilio indigere: quia ex Hieronymi sen-
tentia, unaquaeque provincia suos habeat mores, suos sensus,
qui tolli sine perturbatione rerum subito non possunt.
510) Die Bullen find gedruckt bei Hardt IV, 1518 1531. Em.
Schelstrate Acta Constantiensis concilii p. 274. Das Schrei⸗
ben an die böhm. und mähr. Barone bei Cochläus p. 173
(dd. Constantiae, VIII Kal. Aprilis) ſcheint auch zu demſelben
Datum (VIII Kal. Martii) zu gehören.
1418
406 VI Buch, 6 Capitel. K Wenzel IV.
1418 da Wenzel ihm jetzt mehre Male den Wunſch nach per—
ſönlicher Zuſammenkunft mit ihm vortragen ließ, wo er
ſich auch von ihm in Allem belehren zu laſſen verſprach,
ſo zweifelte er nicht an dem Erfolg ſeiner Bemühungen.
Es wurde daher nach ſeinem Wunſche vom Concilium in
24 Artikeln vorläufig nur die Art und Weiſe vorgeſchrie—
ben, wie bei Zurückführung der Huſſiten zum kirchlichen
Gehorſam zu verfahren ſei. K. Wenzel ſollte ſich eidlich
verpflichten, die römiſche Kirche mit ihren Immunitäten in
ſeinem Reiche unverſehrt aufrecht zu erhalten und nicht
durch die Huſſiten beeinträchtigen zu laſſen; alle Huffiten
ſollten zur Abſchwörung ihrer Irrthümer gezwungen und
die Hartnäckigen ernſtlich geſtraft werden; alles den Kir⸗—
chen Weggenommene ſollte man ihnen zurückerſtatten, die
Reliquien und Schätze der Prager Domkirche zurückgeben,
die vertriebenen Geiſtlichen in ihre Beneficien wieder ein—
ſetzen und entſchädigen, die Prager Univerſität müſſe re—
formirt werden, die vorzüglichſten huſſitiſchen Lehrer vor
dem päpſtlichen Stuhl ſich ſtellen, gleichwie auch die auf
der Burg Lipnic ordinirten Geiſtlichen; endlich ſollten alle
huſſitiſchen Schriften verbrannt, das Singen huſſitiſcher
Lieder an allen Orten ſtreng verboten, das freie Predigen
fremder Geiſtlichen nirgends geftattet, die ordentlichen Kir—
chenſtrafen von Niemanden gehindert, die huſſitiſchen Bünd—
niſſe aufgelöſt, und jeder, der Hus oder Hieronymus für
heilig erklärt, als rückfälliger Ketzer zum Feuer verdammt
werden u. ſ. w. 1 Wie wenig aber K. Wenzel noch
immer geneigt war, ſolchen Anordnungen Folge zu leiſten,
läßt ſich ſchon aus dem Umſtande abnehmen, daß er um
dieſelbe Zeit (9 Juni 1418) das Geſetz neu publiciren
ließ, das jede Vorladung böhmiſcher Unterthanen welt—
511) Die 24 Artikel find vollſtändig abgedruckt bei Cochläus p. 165,
V. d. Hardt IV, 1514 u. a. m.
K. Wenzels zweideutiges Benehmen. 407
lichen Standes vor ein außerhalb der Landesgränzen be- 1418
findliches geiſtliches Gericht für unſtatthaft und nichtig er—
klärte. ie Daher konnte auch der von Martin V am 10
Juli 1418 zur Ausrottung der Ketzerei nach Böhmen mit
voller Macht abgeſandte Cardinal Johann Dominici 53 vor-
erſt nichts ausrichten.
Wenzels zweideutiges Benehmen hatte für ihn einſt—
weilen wenigſtens die angenehme Folge, daß das Land im
Ganzen ziemlich ruhig blieb, daß keine großen Bündniſſe
und Verſchwörungen, wie vor zwanzig Jahren, gegen ihn
mehr ſich bildeten und ſeine Befehle faſt allenthalben raſche
Vollziehung fanden. An einzelnen Ungehorſamen und Wider—
ſpenſtigen fehlte es freilich, wie vorhin, ſo auch jetzt nicht.
Wir kennen dieſe jedoch faſt nur durch die vom König
ihnen ertheilten Geleits- und Gnadenbriefe. Er verlieh
ſolche am 18 Auguſt 1416 an Herrn Heinrich von Nachod
auf Adersbach; am 17 Sept. 1417 an die Barone Hynek von
Rothenberg, Sigmund von Wartenberg auf Tetſchen, Veit
von Schönburg und Glauchau und Johann Chudoba von
Wartenberg auf Ralſko; am 25 Sept. an Johann von
Boskowic auf Brandeys, Hynek Krusina von Lichtenburg,
Johann und Benes Kosik von Lomnic; am 4 Oct. 1417
an Wenzel von Jenſtein, Pota von Caſtolowic, Hynek von
Waldſtein auf Stepanic und Burkhard von Janowie; am
13 April 1418 an Marquard von Potenſtein und Zam—
pach; endlich am 30 Juli 1418 an die Herren Bores von
Rieſenburg il und ihre achtzig ritterlichen Mannen und
512) Pelzel Urkk. Buch Nr. 248, Seite 166.
513) Er heißt in Urkunden Cardinalis S. Sisi, war Dominicaner
und ehemals Erzbiſchof von Raguſa. Vgl. Raynaldi ad ann.
1418, $. 9, it ann. 1408, ©. 8, 1414, ©. 1.
514) Der urkundlich nicht vorkommende berüchtigte Name Tiſta ſcheint
ein im Volk üblicher Zuname des jüngeren Herrn Bores
von Rieſenburg geweſen zu fein, jo wie man den älteren Hrab&
408 VI Buch, 6 Kapitel. K. Wenzel IV.
1418 Verbündeten. Außerdem wiſſen wir, daß Herr Heinrich
der jüngere Reuß von Plauen auf Königswart, den Herren
von Rieſenburg zu Hilfe, einen Krieg gegen Wenzel er—
hoben hatte, aber nach Verluſt zweier Burgen, Haſſenſtein
und Stedrä, ſich dem Könige auf Gnade ergab. Der
Krieg der Rieſenburge, von der hohen Burg Pfrimberg
herab, dauerte über zwei Jahre, zu großem Schaden der
Umgegend und der Kaufleute auf den Straßen, die ge—
plündert wurden; es war das letzte aber keineswegs wür—
dige Auftreten dieſes einſt mächtigen Geſchlechtes in Böh—
men, das vielleicht durch dieſe Anſtrengung erſchöpft, fortan
in Armuth und Vergeſſenheit fiel. K. Wenzel nahm dieſe b
Herren nur unter der Bedingung wieder zu Gnaden auf,
daß ſie die zu Pfand beſeſſene königliche Burg Pfrimberg,
gegen Empfang der Pfandſumme, dem Oberſtlandſchreiber
Nicolaus von Lobkowic abtraten, dem er auch die Burg
Haſſenſtein verſchrieben hatte.“? Der eigentliche Grund
des ſo verderblichen und langen Krieges iſt aber ſo wenig
bekannt, wie die Anläſſe zu Mißhelligkeiten mit den übrigen
genannten Baronen; denn war auch ihre Mehrzahl ent—
ſchieden katholiſch geſinnt, ſo berechtigt doch nichts zu der
Annahme, daß ſie ſich aus Gründen des kirchlichen Zwie—
ſpalts gegen den König aufgelehnt hätten. 516
Als K. Sigmund zu Ende des Jahres 1418, in Be—
gleitung des Cardinals Johann Dominici, nach Ungarn
wieder zurückkehrte, ſchrieb er am 4 Dec. von Paſſau aus
(Graf, auch Rechen) benannte. Im Böhmiſchen hießen die
Herren von Rieſenburg »päni z Oscka.
515) Pelzel, Wenceslaus II, 652, 659, 673, 674. Scriptt. rer. Bohem.
III, 23, 24. Archiv Cesky I, 538. III, 279. Paprocky o stawu
panském p. 120.
516) Wir haben bereits oben (Note 374) bemerkt, daß Pelzels An—
gaben und Combinationen dießfalls auf einem Mißverſtänd—
niſſe beruhen.
Sigmunds Brief an K. Wenzel. 409
an ſeinen Bruder einen offenen Brief, den man paſſender 1418
noch ein Manifeſt nennen könnte, da er ihn alſogleich in
vielen Exemplaren nach Böhmen hin verbreiten ließ; >17
ſein Zweck war, Wenzel noch einmal auf die verderblichen
Folgen ſeines Schwankens und ſeiner Nachſicht gegen die
in ſeinem Lande wachſenden Parteiungen aufmerkſam zu
machen, und zugleich auf die ſtrengen Maßregeln, die des—
halb gegen Böhmen ergriffen werden ſollten, drohend hin—
zudeuten. Er erinnerte ihn an ſeine wiederholten Ver—
ſprechungen, bei den Seinigen keine Ketzereien zu dulden;
ihnen trauend, habe Sigmund den wiederholt beabſichtig—
ten Bannſpruch von König und Land noch abgewendet;
jetzt aber könne und wolle er nicht länger mehr für ihn
ſprechen, damit die Welt nicht glaube, daß er ſein nächſtes
Blut höher achte als den chriſtlichen Glauben. Er wolle
ihn auch nicht mehr als ſeinen Bruder betrachten, wenn
er nicht bei dem Glauben der glorreichen Ahnen verbleiben
und ſein Land von Irrthümern nicht ſäubern wolle. Wenn
daher die ganze Chriſtenheit gegen Böhmen aufſtehen, Wenzel
ſeiner königlichen Würde verluſtig erklären, alle ſeine Va—
fallen und Unterthanen ihrer Eide und ihres Gehorſams
gegen ihn entbinden, und in einem Kreuzzuge das einſt
blühende Land zu Grunde richten werde: ſo verwahre er
517) Wir ſchließen Letzteres nicht allein aus dem Inhalt, ſondern
auch aus folgendem Poſtſcript, das wir allen Exemplaren die—
ſes Briefes in alten Handſchriften angehängt fanden: Take
kräl Sigmund wece: »Wez kazdy Cech, Nemec i Latinik, ze
jedwa te radosti a èasu docekäm, kdyz budu Wiklefy Husy
topiti.« Ale biskup Pasowsky stoje pred krälem, wece: »Mäme
je päliti, jako kaciere.« Tehdy kräl Sigmund odpowede: „Ne,
ne tak; nebo Cechowe nejsü jest prawı kacieri, jedne ze jsu
na wiere pochybili. Proto knözie Wiklefi a Husi majı topeni
byti, ale swötskym pänom i mestaköm i sedläkem ma s& mi-
lostiwé stati; neb su mneli, by je Husie dobre wedli.«
1418
1419
410 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
ſich im voraus, daß er an all dem Unglück nicht Schuld ſein,
ſondern nur ſeiner Pflicht nachkommen und Diejenigen
dafür verantwortlich machen wolle, deren Starrſinn und
Ungehorſam ihn in die peinliche Nothwendigkeit werde ver—
ſetzt haben. is In gleichem Sinne erklärte er ſich auch,
als am 19 Januar 1419 Abgeſandte von K. Wenzel zu
ihm nach Linz kamen, und in deſſen Namen noch immer
behaupteten, daß ihm von Ketzern und Irrgläubigen in
Böhmen nichts bekannt ſei, er daher nicht wiſſe, was und
wen er ſtrafen und ausrotten ſollte. Sigmund entgegnete,
er könne nicht begreifen, wie ſein Bruder allein nicht wiſſe,
was Jedermann bekannt ſei, und was ſeine Ehre, ſeinen
guten Ruf vor aller Welt blosſtelle. Er fordere jetzt die
Erfüllung der ihm nach Conſtanz wiederholt geſendeten
Verſprechungen. Namentlich verlange er auch, daß Wenzel
zu dem den katholiſchen Baronen Böhmens nach Skalic
in Ungarn auf den 9 Febr. 1419 angeſetzten Tage, zur
Berathung über die Unterdrückung der böhmiſchen Ketzerei,
nachſtehende Räthe mit Vollmacht abſende: Wilhelm von
Haſenburg, Albrecht von Koldie, Johann von Choteémie,
Heinrich von Lazan, Johann von Smilkow, Niklas von
Lobkowic, Philipp Lauta von Dedic, und wen er ſonſt
noch beifügen wolle; wenn dieſe Räthe kommen und in
die nothwendig gewordenen Maßregeln eingehen, ſo hoffe
er noch einiges für des Bruders Ehre und für das Beſte
des Landes thun zu können; außerdem aber wolle er in
kein Geſchäft, in keine Verhandlung mit ihnen ſich ein—
laſſen, ſo lange in dem Stand der Dinge keine Verände—
rung vorgenommen werde. >?
Dieſe nachdrückliche Sprache, von angemeſſenen Vor—
ſtellungen und Ermahnungen des Cardinallegaten unter—
518) Den Brief haben wir abdrucken laſſen im Archiv Cesky I, 10 fg.
519) Pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, Nr. 250, pag. 169.
K. Wenzels Maßregeln gegen die Huſſiten. 411
ſtützt, verfehlte endlich ihre Wirkung nicht; e Wenzel ent—
ſchloß ſich, dem Huſſitismus thätig entgegenzutreten, ſei es
aus bloßer Furcht vor dem drohenden Krieg mit dem ge—
ſammten Auslande, ſei es aus veränderter Überzeugung.
Ob er den Skalicer Tag beſchickte, iſt unbekannt; um ſo
gewiſſer dagegen, daß er ſchon zu Anfange des Monats
Februar 1419 Maßregeln ergriff, deren Zweck die Ein—
ſchränkung des Huſſitismus war. Nicht nur wurde M.
Johann Jeſenic, der nächſte Anlaß des mehrjährigen Prager
Interdicts, für immer aus Prag verbannt, ſondern Wenzel
befahl auch, die von ihren Pfarreien vertriebenen katho—
liſchen Prieſter allenthalben wieder einzuführen. Dieſe An—
ordnungen, vom Prager Magiſtrat in Vollzug geſetzt, brach—
ten im Volke die außerordentlichſte Aufregung hervor. Man
hatte ſich in den letzten Jahren ſo ſehr gewöhnt, die be—
deutendſten Pfarreien von Huſſiten adminiſtrirt zu ſehen,
daß deren gezwungene Zurückgabe an die früheren Beſitzer
jetzt Vielen als eine Gewaltthat, ja als Raub erſchien,
dem man wehren müſſe. Nicht weniger Argerniß nahmen
viele Pfarrkinder an dem Umſtand, daß die zurückgekehr—
ten Pfarrer alle von ihren Vorgängern gebrauchten hei—
ligen Gefäße verwarfen, die Kirchen bei geſchloſſenen Thü—
ren neu ausweihten, die Altäre reinigten, vielen Bürgern
den Eintritt wehrten, den Kranken die Sacramente nur
nach Abſchwörung des Kelches reichten u. dgl. m. Dieß
veranlaßte Volksaufläufe in der Stadt, in deren Folge
am 25 Februar 1419 Deputirte der Bürgerſchaft vor des
520) Notandum, quod rex Bohemiae ad instantiam cujusdam seripti
Regis Romanorum, et cujusdam legati apostoliei, jussit exclu-
dere de eivitate Pragensi exsecratum quendam Johannem Je-
senicz, — plebanos quoque, qui repulsi fuerunt, ad eorum
dotes introducere; et sic resumtum est dominicum ofſicium in
Pragensi ecelesia et in aliis ecclesiis dominica Esto mihi anno
dom. 1419 MS. Incidentia, in der k. k. Hofbibliothek, Nr. 7288.
1419
412 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1419 Königs Räthe beſchieden und ihnen bekannt gemacht wurde,
daß Seine Majeſtät den Utraquiſten drei Prager Kirchen
zu ihrem Gottesdienſt anweiſen laſſe: die Kloſterkirchen bei
Maria Schnee und bei St. Ambroſius auf der Neuſtadt,
und die Pfarrkirche bei St. Benedict auf der Altſtadt; *.
man ſolle daher, unter ſtrengſter Ahndung, keine Tumulte
mehr veranlaſſen oder dulden. Tags darauf, den 26 Fe—
bruar, wurde endlich das vieljährige Prager Interdiet
förmlich aufgehoben, und der ordentliche Gottesdienſt be—
gann wieder, wie in der Kathedrale, ſo auch in den übri—
gen Kirchen der Stadt.
Damit war jedoch die Ruhe noch lange nicht her—
geſtellt; im Gegentheil nahm die Gährung der Gemüther
je länger, je heftiger zu. Da die Mehrzahl der Prager
bereits utraquiſtiſch geſinnt war, ſo genügten die ihnen
angewieſenen drei Kirchen nicht einmal ihren wirklichen 0
Bedürfniſſen, geſchweige denn ihren Wünſchen; daher ihre N
ftet3 erneuerten Verſuche, durch Bitten, Drohungen und 3
Gewalt mehr und mehr Kirchen an ſich zu ziehen. Welche
Reibungen Statt gefunden haben müſſen, läßt ſich ſchon
aus der Nachricht entnehmen, daß an vielen Orten die
Eingepfarrten zwar die Abtretung der Kirchen, deren Pa—
tronat dem Könige gebührte, nicht aber die der Schulen
geftatteten, indem fie behaupteten, daß dieſe von ihnen
unterhalten würden, daher auch ſie allein und nicht die
Pfarrer darüber zu verfügen hätten; da jedoch die Pfar—
rer nicht ohne Schüler bleiben konnten, ſo riefen ſie deren
Andere herbei, und wieſen ihnen die Kirchen- und Glocken—
thürme zu ihren Schulübungen an; folglich gab es bei den
meiſten Pfarreien zweierlei Schüler, katholiſche und utra—
quiſtiſche, die einander gegenſeitig aufreizten, und in ihren
oft blutigen Streit auch Bürger beider Parteien hineinzu—
521) pelzels Urkk. Buch zu Wenceslaus, Nr. 251, Seite 171 fgg.
Beginn innerer Unruhen. 413
ziehen pflegten. s'? Am 18 Juni 1419, dem Kirchweihfeſte 1419
der St. Niklaskirche auf der Altſtadt, bemächtigten ſich
ihrer die Utraquiſten mit Gewalt; was nicht ohne Blut—
vergießen und andere vielfache Entweihung derſelben zu
Stande kommen konnte. >? Andere Schlägereien und ein—
zelne Morde kamen bei der Erbitterung der Parteien auch
nicht ſelten vor.
K. Wenzels nächſte Umgebung, ſeine Hofleute und
erklärten Günſtlinge, waren von jeher die entſchiedenſten
und eifrigſten Anhänger der religibſen Neuerung geweſen;
ſie blieben, ungeachtet des nicht ſeltenen Wechſels der Per—
ſonen, auch nach Huſſens Verbrennung die mächtigſten
Stützen und Förderer des Huſſitismus. Als aber Wenzel
522) Das unvollendete Concept der Chronica D. Procopii, notarii
Novae civitatis Pragensis 1476, in einer Handſchrift des Wit—
tingauer Archivs, berichtet darüber: Rex mandat, ut sacerdo-
tes legitimi ad proprias parochias reducantur, quod factum
est; sed parochiales scholas nolebant condescendere, dicentes:
Scholae nostrae sunt, nos scholares fovemus, non plebani; et
sic plebani legitimi receperunt sibi suos alios scholares, qui
in turribus et campanilibus gymnasium habuere. — Et sic du-
plices scholares circa unam ecclesiam, — hi latine circa suos
fideles, hi bohemice circa Wiklefistas cantantes, invicem con-
tendebant et alias in obviationibus; sic etiam, quod quidam
sacerdos Sigismundus in cimiterio S. Michaelis in Opatowie
in controversia sermonum quemdam laicum Wiklefistam inter-
fecit; circa S. Petrum in Porieè in dedicatione scholares de
Zderaz ibidem venientes cum Wiklefistarum scholaribus ibi-
dem de schola S. Petri lites inierunt, quos pistores persecuti
sunt ad sonitum campanae per eosdem scholares S. Petri in
subsidium; et sie unus socius Zderaziensis, nomine Krizko, fu-
giens cum alio socio suo nomine Kräl sequente, existimans
inimicum, eum cultello ad collum vulneravit et interfecit; et
mox dictus plebanus est expulsus et Wiklef introductus.
523) Eine Nachricht darüber ſteht in der Handſchrift der k. k. Hof:
bibliothek Nr. 7650, fol. 102 — 103.
*
414 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1415 um dieſe Zeit von den Huſſiten ſich abwendete, und die
beginnenden Unruhen ſein Gemüth mit ſteigender Abnei—
gung und Bitterkeit gegen fie erfüllten, blieb für diejenigen
Günſtlinge, die ihren huſſitiſchen Eifer nicht zu bändigen
wußten, kein Platz mehr am königlichen Hofe; ſie mußten
ihr Glück anderer Orten ſuchen. Dieſes Loos traf auch
zwei durch Geiſt und Thatkraft ungemein hervorragende
Männer, deren einer ſich im Rathe als Staatsmann eben
ſo tüchtig erwies, wie der andere als Feldherr im Kriege
unvergleichlich war. Sie hießen Nicolaus von Pistna,
königlicher Burggraf auf Hus und Prachatic, und Johann
Zizka von Troenow. Von Zizka, des einem bereits
ziemlich bejahrten Mann, war bis jetzt wenig die Rede
geweſen, obgleich er ſich in mehren Kriegen bemerkbar ge—
macht hatte; erſt die folgende Zeit und Noth ſollte ſeine
Talente an's volle Tageslicht bringen. Er war der erb—
liche Beſitzer nur einiger Höfe und Zinſungen in den Dör—
fern Trocnow und Cerejow (jetzt Cejrow) unweit Bud—
weis, gehörte ſomit der unterſten Stufe des böhmiſchen
Landadels an, und war von Jugend auf gezwungen, ſein
Glück in der Welt mit Waffen in der Hand zu ſuchen,
bis K. Wenzel ihn bemerkte, ihn an ſeinen Hof zog und
lieb gewann. Man erzählt, einmal ſei Dieſem die ver—
ſtörte Miene, der ungewöhnlich ſchweigſame Ernſt, das
dumpfe Hinbrüten und der ſtiere Blick des ohnehin ein—
äugigen Günſtlings aufgefallen; auf die Frage, was ihn
fo bewegt? habe er die Antwort bekommen: „Welcher
Böhme könnte noch ein ruhiges Gemüth bewahren, wenn
er ſein Volk von den Fremden allen als Ketzer geſchmäht,
gemißhandelt und verfolgt ſieht, und ſeine achtbarſten
524) Die in dem Büchlein »Diplomatiſch-hiſtoriſche Aufſätze über
Johann Zizka von Trocnow«, von Max. Millauer, Prag,
1824 in 8, enthaltenen Angaben find zwar ſehr unvollſtändig,
aber doch brauchbar und größtentheils verläßlich.
Nikolaus v. Pistna und Zizka v. Trocnow. 415
Männer im Auslande wie Miſſethäter verbrannt werden ?«
„Lieber Hans! (entgegnete der König) was ſollen wir dazu
ſagen? was iſt da zu thun? Gibt es ein Mittel, die
Sache wieder gut zu machen? Wenn Du es kennſt, ſo
wende es an; wir geben Dir gerne unſere Einwilligung
dazu.“ Von da an habe ſich Zißka für ermächtigt und
berufen gehalten, den Huſſitismus mit allen ihm zu Ge—
bote ſtehenden Mitteln zu ſchützen. Als Wenzel, zu Ver—
hütung blutiger Aufſtände, den ſtrengſten Befehl an die
Prager Bürgerſchaft erließ, alle ihre Waffenvorräthe auf
den Wysehrad zu bringen und dort niederzulegen, und die
Bürger weder zum Gehorſam, noch zum Widerſtande ſich
zu entſchließen wußten, trat Zizka unter die Zaghaften hin
und forderte ſie auf, alſogleich die Waffen anzulegen und
damit vor dem König perſönlich zu erſcheinen; er wolle
ſie ſelbſt dahin führen, und ſtehe ihnen für eine gnädige
Aufnahme gut. Den ſchnell improviſirten zahlreichen Waffen—
zug führte er dem Könige mit den Worten vor: »die ge—
treuen Prager Bürger hätten nicht ſäumen wollen, ſich mit
ihren Waffen Seiner Majeſtät gehorſamſt zu Dienſten zu
ſtellen; der König möge ihnen ſeine Befehle ertheilen und
den Feind bezeichnen, gegen den es zu ziehen gelte; denn
ſie ſeien alle bereit, Gut und Blut für ihn hinzugeben.“
Der über die unvermuthete Erſcheinung betroffene Wenzel
faßte ſich, lobte den Eifer ſeiner Bürger, und ermahnte
ſie, ruhig wieder nach Hauſe zu gehen und unter den Nach—
barn keinen Unfrieden mehr aufkommen zu laſſen. Da er
aber, auf dem Wysehrad nicht mehr ſicher genug ſich wäh—
nend, alſogleich auf das nahe bei Kunratic liegende Schloß,
das er ſelbſt erbaut und Wenzelſtein« benannt hatte, ſich
zurückzog: fo wußte Zijfa wohl, daß er ſich nicht mehr bei
Hofe ſehen laſſen durfte; er wurde jetzt ein Mann des
Volks, wie er bis dahin ein Hofmann geweſen. Dasſelbe
widerfuhr auch feinem Standesgenoſſen, dem Nicolaus von
1419
416 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1419 Pistna, auch »von Hus« oder »Hufinec« genannt. *
Dieſer von Wenzel bis dahin in vielen Staatsgeſchäften
und Geſandtſchaften gebrauchte Mann hatte es um dieſe
Zeit gewagt, den König, als er einmal bei St. Apollinaris
in Prag ſich ſehen ließ, an der Spitze eines bedeutenden
Volkshaufens um die Verleihung mehrer Kirchen für den
utraquiſtiſchen Gottesdienſt anzugehen. Wenzel, der ihn
kannte und als Gegner fürchtete, verbannte den unruhigen
Kopf alſogleich aus Prag; die Folge war, daß Nicolaus
von Hus ſeitdem ein Agitator des Landvolkes wurde.
Das königliche Gebot, die katholiſchen Geiſtlichen in
ihre alten Pfründen wieder einzuſetzen, hatte ſich nicht auf
die Hauptſtadt allein beſchränkt; auch auf dem Lande fand
die gleiche Umwandlung überall Statt, wo nicht eifrig—
huſſitiſche Barone ihr wehrten. Daß die wieder eingeführ—
ten Pfarrer gegen ihre ſeitdem auf Irrwege gerathenen
Pfarrkinder keine Milde und Nachſicht übten, war voraus—
zuſetzen, und wurde auch bald durch Klagen im ganzen
Lande offenbar. Das Volk, dem ſeine ordentlichen Seel—
ſorger den Kelch verweigerten, ſuchte andere Prieſter auf,
welche dieſem Verlangen entſprachen, und ſcheute deshalb
auch längere Wallfahrten nicht. Die endlich auch von
Auſti verdrängten huſſitiſchen Geiſtlichen ſetzten ſich auf
einem nahe gelegenen breiten Hügel an der Lußznie feſt,
der auf drei Seiten von tiefen waſſerreichen Schluchten
525) Im Jahre 1389 heißt er nur Nicolaus de Pistneho; K. Wen—
zel nennt ihn in einem Creditiv vom 16 März 1406 feinen
»burgravius in Auca.« In einer Urkunde vom 8 Januar 1408
heißt er: »famosus Nicolaus de Piestna, pro tune residens in
castro Auca« (d. i. Hus, Gans). Laurenz von Brezowa nennt
ihn immer nur Nicolaus de Hus; bei Neueren heißt er da—
gegen meiſtens »von Hufinec«, und wird für den Erb- und
Grundherrn des M. Joh. Hus ausgegeben, worüber man die
Noten 240 und 418 oben nachſehen möge.
—
Volksverſammlung am Taborberge. 417
umgeben, nur durch eine Erdzunge mit dem feften Lande 1419
zuſammenhängend, eine natürliche Feſtung bildete. Dort
campirten ſie im Sommer 1419 unter Zelten, und pfleg—
ten mit dem ſchaarenweiſe zu ihnen ſtrömenden Landvolk
unter freiem Himmel Gottesdienſt zu halten; den Ort ſelbſt
nannten ſie in der von ihnen faſt ausſchließlich gebrauchten
bibliſchen Sprache, den Berg Tabor.
Herr Nicolaus von Hus erkannte bald, wie gut dieſe
in ihrem Beginn ganz harmloſen Zuſammenkünfte zu po—
litiſchen Demonſtrationen ſich brauchen ließen. Unter ſeiner
Leitung wurde auf den Magdalenentag, 22 Juli 1419,
eine Hauptverſammlung auf dem Taborberge 6 veranſtal—
tet und von allen Volksclaſſen aus Böhmen und Mähren
außerordentlich zahlreich beſucht; über 42,000 Perſonen,
Männer, Frauen und Kinder, fanden ſich ein. Der ganze
Vorgang wurde, ſelbſt von den Gegnern, als ein großes,
Geiſt und Herz erhebendes, religiös -idylliſches Volksfeſt
geſchildert; es ging in ſchönſter Ruhe und Ordnung vor
ſich. Den von allen Seiten proceſſtonsweiſe mit Fahnen,
unter Vortragung des heil. Sacraments, heranrückenden
Pilgerſchaaren gingen die am Ort Anweſenden eben ſo
feierlich entgegen, empfingen ſie jubelnd, und wieſen ihnen
ihre Plätze auf dem Berge an; Jeder, der kam, war »Bruder«
und »Schweſter«; Standesunterſchiede wurden nicht bes
rückſichtigt. Die Geiſtlichen theilten die Arbeit des Tages
2 Die nachfolgende Darjtellung ſchöpfen wir aus den überein—
N ſtimmenden Angaben zweier von einander ſonſt ſehr abwei—
chenden Zeitgenoſſen, deren fortan oft anzuführende Werke
erſt kaum zum Theil gedruckt ſind: des M. Laurenz von
Brezowa diarium belli Hussitiei, und des Nicolaus von
Pilgram (des erſten und einzigen Biſchofs der Taboriten)
Chronica contınens causam sacerdotum Taboriensium. Vom
letzteren, noch fait ganz unbekannten Werke, befindet ſich eine
Abſchrift im böhmiſchen Muſeum.
Geſch. v. Bohm. 3 Bd. 27
1
418 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1419 unter einander: die einen predigten an beſtimmten Orten,
Männern und Frauen abgeſondert; die andern hörten
Beichte; die dritten communicirten unter beiden Geſtalten.
Das währte ſo bis Mittag. Dann ging man an die ge—
meinſchaftliche, von den Gäſten mitgebrachte und unter
einander vertheilte Mahlzeit; dem Mangel der Einen half
der Überfluß der Andern ab; den Unterſchied des Mein
und Dein kannten die Brüder und Schweſtern des Berges
Tabor nicht. Da die Gemüther der ganzen Verſammlung
von religiöſer Bewegung ergriffen waren, ſo wurde ſtrenge
Zucht und Sitte in keiner Weiſe verletzt; an Muſik, Tanz
und Spiel durfte man nicht denken; der Reſt des Tages
verging unter Geſprächen und Reden, womit man ſich zu
Eintracht, Liebe und feſter Anhänglichkeit an die Sache
des »geheiligten« Kelches wechſelſeitig aufmunterte. An
Klagen und Beſchuldigungen der Gegenpartei, an über—
ſpanntem Eifern, an Plänen, wie man »dem Worte Got—
tes« im Lande wieder Freiheit verſchaffen ſollte, konnte
es unter ſolchen Umſtänden nicht fehlen. Die Verſamm—
lung ging endlich ganz ruhig auseinander, nachdem ſelbſt
die Eigenthümer der Felder, welche an dieſem Tage ge—
litten hatten, durch eine Collecte reichlich entſchädigt wor—
den waren.
Doch wie unſchuldig auch dieſe erſte große Volks—
verſammlung von den meiſten Theilnehmern gemeint ſein
mochte: im Rathe des Königs konnte die politiſche Wich—
tigkeit und Gefährlichkeit ſo außerordentlicher Erſcheinungen
unmöglich verkannt werden. Wenzel ließ ſich ſogar ein—
reden, die Häupter dieſer Schaaren gingen bereits mit dem
Gedanken um, ihn vom Throne zu ſtürzen und an ſeine
Stelle ihren oberſten Leiter, Nicolaus von Hus, zu be—
rufen. Und er hatte dieſe Beſorgniß und Unruhe noch
nicht überwunden, als unvermuthet in ſeiner Nähe ſelbſt
Erneuerung des Neuſtädter Raths. 419
eine weit ſchrecklichere Scene ſich ereignete, die feine Ge- 1419
müthsbewegung noch höher ſpannen mußte.
| Bei der letzten Reſtauration des Prager Neuftädter
Magiſtrats (6 Juli 1419) hatte K. Wenzel durch den
Landesunterkämmerer Johann von Lazan auf Bechin alle
Stellen mit eifrigen Antihuſſiten beſetzen laſſen; was er
nach und nach auch auf der Altſtadt und der Kleinſeite
zu thun beabſichtigte. Dieſe neuen Rathsherren unter—
ließen nichts, was der huſſitiſchen Partei in irgend einer
Weiſe Abbruch thun konnte. Durch ihre geheimen Kund—
ſchafter erfuhren ſie alle Verabredungen und hinderten
recht zeitig alle beabfichtigten Bewegungen der Neuerer.
Ihre Entdeckungen wirklicher oder vermeintlicher Anſchläge
gegen die Ruhe der Hauptſtadt und des Landes veranlaß—
ten den König zu immer ſtrengeren Maßregeln, und ſie
brachten es endlich auch dahin, daß alle Pfarrſchulen auf
der Neuſtadt von huſſitiſchen Schülern mit Gewalt geſäu—
bert und den Fatholifchen überantwortet wurden.??? In
der den Huſſiten noch überlaſſenen Maria-Schnee-Kirche
auf der Neuſtadt predigte damals ein aus dem Prämon—
ſtratenſerſtifte Selau entronnener Mönch, Namens Johann;
ein Zelot und Demagog, wie ſie nur in den ſtürmiſchſten
Epochen aufzutauchen pflegen, um die in Gährung ge—
rathenen Volksmaſſen zu lenken. In dieſen Zeiten der
Noth für ſeine Partei wählte er Texte und Bilder zu
ſeinen Vorträgen aus der Apokalypſe, und erhitzte die Phan—
tafie feiner Zuhörer mit Vorſtellungen des mit der Ber
folgung der Gläubigen heranbrechenden jüngſten Tages,
wo die Schale des Zornes Gottes über die Böſen dieſer
527) Nach dem Bericht des ungenannten Verfaſſers der Incidentia
(vergl. Note 520).
528) Es iſt derſelbe, der im Jahr 1422, am 9 März, auf dem Alt—
ſtädter Rathhauſe enthauptet wurde. Es wird von ihm noch
oft die Rede ſein.
N
420 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1419 Welt ausgegoſſen werden ſollte. Sonntag den 30 Juli 1419
veranſtaltete er mit den Seinigen eine feierliche Proceſſion 4
aus feiner Kirche durch mehre Straßen bis zur St. Ste— 9
phanskirche auf der Neuſtadt, und kehrte damit über den
großen Markt zurück, an dem Neuſtädter Rathhauſe vor—
bei. Hier wurde der große Umzug von den Rathsherren
und deren Dienern gehemmt und gehöhnt; man ſagte auch, |
aus den Fenſtern des Rathhauſes fei nach dem vom Se— 5
lauer Ex-Mönch getragenen heil. Sacrament mit Steinen
geworfen worden. Darüber gerieth die fanatiſirte Menge
in offenen Aufruhr. Bewaffnete Haufen eilten von allen
Seiten herbei, und ſtürmten, von Johann Zizka angeleitet,
das Rathhaus. Bald war aller Widerſtand überwunden,
die Wüthenden drangen hinein, rannten alles nieder, und 70
warfen ſieben Rathsherren, die ſich nicht hatten flüchten 1
können, unter ihnen den Richter Niklaſek, nebſt einigen an—
dern Perſonen, zu den Fenſtern hinaus; die Herabſtürzen—
den wurden mit Lanzen und Spießen aufgefangen, und
wer dann noch athmete, auf der Stelle vollends umge—
bracht. Der Landesunterkämmerer eilte zwar mit etwa
300 Berittenen zu Hilfe herbei, er kehrte aber bei Anſicht
der ins Zahlloſe ſteigenden Volksmenge wieder um. Denn
bereits hatte das Sturmläuten in der ganzen Stadt be—
gonnen, die Sieger hatten in Eile vier Perfonen zu Bürger— 6
hauptleuten ernannt, welche auf dem Stadthauſe ihr Haupt⸗
quartier aufſchlugen, alle Bürger unter Todesſtrafe alſogleich
zu den Waffen riefen, die wichtigeren Puncte der Neuſtadt mit
Bewaffneten verſahen, und ſich in den Stand ſetzten, jedem
Angriff Trotz zu bieten. Daß ſich Niemand fand, die auf
die Straße geworfenen Leichname der unglücklichen Raths—
herren ihres zum Theil koſtbaren Kleiderſchmucks zu be—
rauben, bewies augenſcheinlich, wie ausſchließend das Volk
bei dieſen Gräuelſcenen von fanatiſchem Rachegefühl be—
herrſcht war.
Fenſterſturz der Rathsherren. 421
Als die Nachricht von dieſem Vorfall nach Wenzel 1419
ſtein gelangte, war die Beſtürzung am königlichen Hofe
groß und allgemein; Wenzel insbeſondere konnte vor Wuth
ſich nicht faſſen, er ſchwor Rache, und bezeichnete alſogleich
die Opfer derſelben, meiſt huſſitiſche Prieſter, mit Namen;
die ganze Secte ſollte bis auf den Grund vertilgt werden.
Als einer ſeiner Günſtlinge ſich die Bemerkung entſchlüpfen
ließ, daß er das, was gekommen, wohl vorausgeſehen habe,
ergriff ihn Wenzel, als vermeinten Mitſchuldigen, warf
ihn zu Boden, und hätte ihn mit ſeinem Dolche umgebracht,
wenn man ihn nicht daran gehindert hätte. Ein leichter
Schlagfluß, der zunächſt die linke Seite des Körpers er—
griff, ohne ihn in ſeinen Bewegungen gänzlich zu lähmen,
war die unmittelbare Folge dieſer außerordentlichen Auf—
wallung.
Dieſes Ereigniß erſchütterte neuerdings Wenzels Ver—
trauen zu den Menſchen; ſelbſt ſeine Gemahlin und ſeine
Günſtlinge, glaubte er, ſeien gegen ihn verſchworen, da ſie
ſich mehr oder weniger zum Huſſitismus neigten; alle Hoff—
nung baute er jetzt auf den Bruder K. Sigmund allein,
an den er alfogleich eine Botſchaft mit der Bitte um ſchleu—
nige Hilfe abgefertigt hatte. Inzwiſchen ließ er ſich ge—
fallen, daß ſeine Räthe zwiſchen ihm und den empörten
Neuſtädtern einen Vergleich vermittelten, dem zu Folge
dieſelben zu ſeinem Gehorſam zurückkehrten, ihn um Ver—
zeihung baten, und er ihnen einen neuen Magiſtrat nach
ihrem Wunſche vorſetzte. Doch erlebte er die erſehnte Ge—
nugthuung nicht mehr; ſein Geiſt war bereits der Me—
lancholie, ſein Körper den Leiden und der nahen Auflöſung
verfallen. Am Mariä-Himmelfahrtstage erholte er ſich
ein wenig, und beichtete: das heilige Sacrament konnte
er aber, wegen anhaltenden Erbrechens, nicht nehmen.
Tags darauf, Mitwoch den 16 Auguſt 1419, klagte er
zwar nur über Schmerzen im linken Arme, die ihn ſchon
422 VI Buch, 6 Kapitel, K. Wenzel IV.
1419 ſeit etwa zehn Tagen nicht verlaſſen wollten: gegen Abend
jedoch traf ihn ein neuer Blutſchlag mit ſolcher Heftigkeit,
daß er binnen wenig Stunden, unter furchtbarem Stöh—
nen, den Geiſt aufgab.??? Seine Günſtlinge umſtanden
529) Der Verfaſſer der von Pelzel (im Vorbericht zum 2ten Bande
ſeines Wenceslaus) zuerſt erwähnten Incidentia, ein eifrig anti—
huſſitiſcher Schleſier, gibt nachſtehende Detailangaben über
Wenzels Tod: Animadvertens rex, se quasi ab omnibus suis —
fore derelictum, coepit ingemiscere et de die in diem magis
ac magis anxie turbabatur, nec potuit per quempiam conso-
lari, usque ad festum Assumptionis virginis gloriosae, quod
tunc fuit feria tertia; quo die aliquantulum recreatus, suorum
fecit confessionem peccatorum; sed propter vomitum, quo
vexabatur die illo, corpus Domini sumere non potuit. — Feria
quoque quarta immediate sequente ante meridiem nullum alium
sensit dolorem, quam in sinistra manu, de quo per dies novem
aut decem querulabatur continue; et post meridiem, facto jam
prandio, hora diei XIX, ut quidam ajebant, in morbum in-
cidit apoplecticum, et circa horanı ejusdem diei XXII mor-
tuus est in dicto novo castro, ipsum circumstantium suorum
in medio dilectorum. Quidam vero asserebant, ipsum regem
per suos gratiarios seu dilectos, qui eum in modum coronae
cinxerant, suffocatum; et hoc affırmabat Johannes Bechinie,
regis Bohemiae tunc subcamerarius, dicens, sibi hoc ab uno,
qui interfuit, fuisse secrete revelatum. Et si sic, prout vehe-
mens est suspicio, quod tali modo sit extinctus, tunc -impleta
est prophetia etc. Aeneas Sylvius berichtet darüber cap. 37:
Nec mora, paralysi correptus, aegrotare coepit (30 Juli), atque
infra XVIII dies (alſo richtig 16 Auguſt) signatis nominibus
haereticorum, quos neci destinaverat, fratrem assidue vocitans
et amicorum auxilia anxius exspectans, ante vita excessit, quam
vocati principes adessent ete. Daß Wenzel am Schlagfluſſe
ſtarb, darüber iſt in allen gleichzeitigen Quellen nur eine Stimme,
und es leuchtet ſelbſt aus den obigen Worten der Ineidentia
hervor, trotz der nicht abſichtlos eingeſtreuten »vehemens su-
spieio«; da in dem ungewöhnlichen Weichmuth, dem anhal—
tenden Schmerz im linken Arme, dem wahrſcheinlich durch
Blutcongeſtionen gegen den Kopf erzeugten Erbrechen, die patho—
K. Wenzels Tod. 423
den Sterbenden im Kreiſe, wie ſie von jeher ſeine nächſte 1419
Umgebung gebildet hatten.
Königin Sophie ließ den Leichnam ihres Gemahls ein—
balſamiren und am 18 Auguſt zuerſt in der St. Peters—
kirche auf dem Wysehrad ausſtellen; wegen der furchtbaren
Stürme, die unmittelbar darauf in Prag ausbrachen, konnte
ein gewöhnlicher Leichenzug ihm zu Ehren nicht veranſtaltet
werden. In der Nacht auf den 21 Auguſt brachte man
die Leiche auf dem kürzeſten Wege in aller Stille in die
St. Wenzelscapelle der Domkirche; doch da die Tumulte
auch jetzt noch ſich nicht legten, ſo verzichtete man auf das
beabſichtigte Leichengepränge, führte die irdiſchen Reſte des
Königs am 12 Sept. 1419 in das Kloſter Königſaal, wo
der Verſtorbene ſich ſein Grab im voraus bereitet hatte,
und beſtattete ihn daſelbſt mit den gewöhnlichen Feierlich—
keiten zur Ruhe.
Der möglichſt treue Bericht, den wir über alle Hand—
lungen K. Wenzels zu liefern befliſſen waren, dürfte ge—
eignet ſein, über den vielbeſprochenen Charakter dieſes
Herrſchers hinlänglichen Aufſchluß zu geben, und uns ſomit
logiſchen Anzeichen der Apoplexie kaum zu verkennen ſind. Die
beſtimmte und mit allen übrigen Daten übereinſtimmende An—
gabe der erſten Paralyſe bei Aeneas Sylvius iſt von nicht
minderem Gewichte. Iſt denn bei einem robuſten Eſſer und
Trinker der Schlagfluß, und deſſen Wiederholung in kurzen
Zwiſchenräumen, eine ſeltene Erſcheinung? Was hätten auch
die Günſtlinge mit der Erdroſſelung ihres Herrn bezweckt und
erlangt? ihre Herrlichkeit ging ja mit ſeinem Tode zu Ende,
darüber konnten fie ſich nicht täuſchen. Und wäre die »vehe-
mens suspicio« nur einigermaßen begründet geweſen, wie wäre
es gekommen, daß weder Königin Sophie, noch K. Sigmund,
noch die böhmiſchen Katholiken, noch ſonſt irgend Jemand,
außer dem Anonymus, darüber auch nur ein Wort hätte fallen
laſſen? Aus Delicateſſe oder Furcht hätte man ſolches doch
gewiß nicht unterlaſſen.
424 VI Buch, 6 Capitel. K. Wenzel IV.
1419 der Aufgabe überheben, in eine Wiederholung und Zu⸗
ſammenſtellung ſeiner einzelnen Züge einzugehen. Der un⸗
befangene Leſer wird die Schilderungen, die von poetiſchen
und unpoetiſchen Federn in alter und neuer Zeit in Menge
über ihn geliefert wurden, nach ihrem wahren Werth zu
würdigen wiſſen. Eines iſt gewiß: bei allen geiſtigen und
ſittlichen Gebrechen, die ſein Andenken für immer trüben,
blieb dennoch ein Grundübel der Menſchennatur ihm ziem—
lich fern: die Selbſtſucht. Als kleines Kind war er König
geworden; als Kind regierte er auch im höheren Alter;
wohlmeinend und rechtliebend, ſo lange keine unzähmbare
Leidenſchaft ihn irre leitete, aber unmännlich, launiſch und
eigenfinnig, wie alle Schwächlinge, die für ſtark gehalten
werden wollen. Von ſeinem Vater ſcheint er nur eine
gute Eigenſchaft geerbt zu haben, die wir ſchließlich noch
hervorheben müſſe n!: die Ordnungsliebe in feinen Finan—
zen. Er war haushälteriſch, ohne als geizig ſich zu zeigen;
und da er keinen Ehrgeiz beſaß, der ihn zu großen Unter—
nehmungen und Ausgaben verleitet hätte, ſo fand er auch,
bei dem meiſtens geordneten Zuſtand ſeiner Kammer, keine
Veranlaſſung, ſein Volk mit ungewöhnlichen Steuern zu
belaſten. Dieſer Umſtand iſt auch ohne Zweifel der vor—
züglichſte Grund der nicht zu verkennenden Popularität,
deren der König, ungeachtet aller Mißgeſchicke feiner Res
gierung, bei der großen Maſſe ſeiner Unterthanen bis zu
ſeinem Tode ſich zu erfreuen hatte.
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