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Full text of "Geschichte von Braunschweig und Hannover"

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ff- 


>'      •      V 


GESCHICHTE 


VON 


BRHCHWEIG  iD  UOVi. 


VON 


Dß   OTTO  VON  HEINEMANN, 

HBBZOOt.  OBEBBIBLIOTUEKAB  ZU  WOLFEKBOTTEL 


DRITTER  BAND. 


GOTHA. 

FRIEDRICH  ANDREAS  PERTHES. 

1892. 


Alle  Itechte  vorbehalten. 


INHALT. 
Erstes  Buch. 

Die  Zeiten  des  grofsen  deat9chen  Krieges. 

Seit« 

Erster  Abschnitt.     Am  Vorabende  des  Krieges 3 

Zweiter  Abschnitt.     Der  dreifsigjährige  Krieg 51 

Dritter  Abschnitt.    Die  Nachwehen  des  Krieges   ....  102 

Vierter  Abschnitt.    Kulturgeschichtlicher  Überblick  .     .     .  151 


Zweites  Buch. 

Das  Jahrhundert  des  Ahsolntlsmus  und  der 

Anfklftrung. 

Erster  Abschnitt.    Der  fürstliche  Absolutismus  auf  seiner 

Höhe 207 

Zweiter  Abschnitt.    Die  Zeit  der  Aufklärung 251 

Dritter  Abschnitt.    Fremdherrschaft  nnd  Befreiung   .     .     .  311 

Vierter  Abschnitt    Kulturgeschichtlicher  Überblick      .    .  364 


Drittes  Buch. 
Die  neuere  Zelt. 

Erster  Abschnitt.    Vor  1848 406 

Zweiter  Abschnitt.    Nach  1848 444 


Erstes  Buch. 

Die  Zeiten  des  grofsen  deut- 
schen Krieges. 


Ue]]i«ia«Aji,  BnonBehw.-huoa6v.  a«scliiclile.    Hl. 


Als  ^;egen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  die  Vertreter  dex- 
beiden  Hauptlinien  des  welfiachen  Hauses,  Herzog  Julius 
von  Wolfen büttel-Calcüberg  und  Wilhelm  von  Lüneburg,  fast 
zu  der  nämlichen  Zeit  aus  dem  Leben  schieden,  nahm  jenes 
Haus  eine  die  übrigen  FürsteugesclileclUer  Norddeutächlauds 
mehr  oder  minder  überragende  und  verdunkelnde  Stellung 
ein.  Seine  politische  Macht  und  sein  Ansehen  im  Heiche 
waren  damals  in  entschiedenem  Aufsteigen  begriffen  und 
Bchicncn  ihm  iür  die  Zukuni^  ein  bleibendes  Übergewicht 
in  den  nicdcrsächsischcn  Gegenden  zu  sichern.  Bedeutende 
Ländererwerbungen  waren  von  beiden  Linien  gemacht  wor- 
den, andere  uiclit  minder  bedeutende  standen  allem  mensch- 
lichen Ermessen  nach  in  der  nächsten  Zeit  bevor.  Beide 
Fürstentümer  hatten  sich  unter  einer  längeren,  friedlichen, 
sparsamen  und  verständigen  Regierung  im  Inneren  befestigt, 
die  religiösen  Gegensätze  uberwimden,  auf  dem  Gebiete  der 
Rochtspfloge  und  Verwaltung  nouo  Ordnungen  goächaffen 
und  mit  der  Grundlage  einer  besseren  Finanzwirtachait  sich 
die  Aussicht  auf  eine  gedeihliche  materielle  Entwickelung 
eröffnet.  Am  meisten  war  dies  der  Fall  mit  dem  Hcrzog- 
tume  Wollenbüttel  und  den  mit  ihm  vereinigten  Gebieten, 
wo  die  Fürsorge  und  musterhafte  Regierung  des  Herzogs 
Julius  seinem  Nachfolger  ein  wohlgcorduetea,  blühcndea  Staats- 
wesen und  einen  gefüllton  Schatz  hinterHcfs. 

Dieser  Nachfolger,  der  bei  seinem  Regierungsantritte  im 
fUnfundzwanzigsten  Lebensjahre  stehende  Heinrich  Julius, 
hatte,  wie  wir  gesehen,  durch  die  Sorge  des  Vaters  eine  Er- 
ziehung genossen,  welche  ganz  dazu  geeignet  war,  die  in 
ihm  schlummernden  Anlagen  und  Kräfte  auszubilden  und 
zu  schöner,  reicher  Entialtung   zu   bringen.    Unter   <iÄ\  ^^V- 


tung  seines  Hofmeisters  Heinrich  von  der  Luhe,  später  des 
cLenau  verständigen  wie  fein  gebildeten  Kurt  von  Öchwicheldt 
von    geachickteu    Lehi'eru ,    wie    dem    Theologen    Heimbei-t 
Oppechin    und     dem    llechtagelehrten     Heinrich     Grünteld, 
unterrichtet,  erwarb  ßich  der  junge  Prinz  eine  m  grimdliche 
Bildung,  daJ's  er  sclion  in  jungen  Jahren  das  Staunen  seiner 
Zeitgenossen  erregte.     Das  durch   diesen   Unterricht   in   ihm 
rege  geraachte  Interesse  erstreckte  sich  auf  die  verschieden- 
sten Gebiete  der  Kunst  wie  der  Wissenschaft.    Aber  mit  be- 
sonderer Vorliebe   hat   er   Zeit    seines   Lebens   das   Studium 
des  römiflchen  Rechtes  betrieben,  in  welchem    er   später   so 
sehr  bewandert  war,  daiV  er   als  Rechtslehrer   ohne  Zweifel 
einer  jeden  deutschen  Universität  zur  Zierde  gereicht  habeal 
würde.    „Abgesehen  von  der  heiligen  Schrift"   —  so  bezeugt"] 
eine  der  auf  ihn  gehaltenen  Leichenreden  —  „  bildeten  Justi-i 
niuns  Institutionen  sein  LiebUngsstudium,  über  alle  Freuden 
der  Welt  ging   ihm  die   Beschäftigung   mit   den    Pandekten, 
und  der  Codex  übte  auf  ihn    eine   gröfsere  Anziehungekraft 
aus   als  alle   Unterhaltungsachriften."     Was   ihn   aber   nach 
dieser   Richtung    hin    so   mächtig   fesselte ,  war    neben    der 
wissenschaftlichen    Freude    an    dem   scharfsinnigsten    Rechts- 
systeme, welches  je   von   einem   Volke   ausgebildet    wordea 
ist,  ohne  Zweifel  auch  die  Überzeugung,  dafs  dict^cs  Rechtsri 
sjstera,  indem  es   dem    Streben   nach    fürstlicher  MachtvoU- 
kommeuheit,  von  dem  er  in  einem  Maise   wie  keiner  seiner] 
Vorfahren  erfüllt  war,  eine   durch   die  Tradition    von   mehrj 
als  einem  Jahrtausend   gewissermafsen   geweihete  Grundlage! 
zu  geben  schien,  ihm   iubezug  aiü'  seine  politischen   Pläne] 
die    wichtigsten   Dienste    zu   leisten   versprach.      Mit   dieser* 
Auffassung  fand  er  bei  niemandem  ein   bereitwilligeres    und 
verständnisvolleres  Entgegenkommen  als  bei  dem  Manne,  der 
während  der  ersten  Hallte   seiner  Regierung   die  eigentliche 
Seele  der  letzteren  gewesen  ist  und  einen  allmächtigen  Ein- 
flufs  im  Laude  ausgeübt  hat.     Johann  Jageiuann,    aus  Hei- 
ligenstadt auf  dem  Eichsfelde  gebürtig  und   seit    157I>    Pro- 
fessor der  Rechte  an  der  Universität  Helmstedt,  war  wegen 
seiner   Gelehrsamkeit,  Geschäftskenntnis   und  Thatkrat't    be- 
reits   von    dem    Herzoge    Julius    zum    Vizekanzler    ernannt 
worden  und  dann  nameutlicli  in  den  beim  Anfalle   von  Ca-I 
lenberg- Gottingen   als   notwendig   sich   herausstellenden  Ge- 
BchäJten    und  Reformen    mit    überraüchendem  Erfolge    thätig 
gewesen.     Eine    dem    Herzoge    Heinrich    Julius    kongenialei 
Natur,  sah  er  sich  von  diesem  bald  nach  dessen  Regierung»- j 
Antritte  zum  Kanzler  und  Direktor  der  rUrstlichcn  Ratsstubo  j 
berufen^  in  welchem  Amte  er,  als  der  erklärte  Günstling  des 


^ 


Heinrich  Jnlius  in  d(sr  Jugend.  5 

juDgen  Fürsten  und  mit  ihm  auf  gleicher  Hiihe  geistiger  Bo- 

fabung  stehend,  in  der  Folge  eine  umfassende,  fruchtreiche, 
"eilich  sich  nicht  immer  von  Eigenmacht  und  Gewaltthätig- 
keiten  fern  haltende  Wirksamkeit  entfaltet  liat. 

Aber  nicht  allein  durch  Lehre  und  Erziehung  war  Hein- 
rich JiiHuB  zu  dem  Regenten  berufe,  der  ihn  erwartete,  auf 
das  sorglUltigRtc  vorbereitet  worden:  er  hatte  auch,  lange 
bevor  der  l'od  des  Vaters  ihn  diesem  Jleinife  zuwies,  viel- 
fach Gelegenheit  gefunden,  sich  praktisch  und  selbstthätig  in 
ihm  zu  versuchen.  Schon  als  zweijähriger  Knabe  war  er 
nach  dem  Tode  des  Bischofs  Sigismund  durch  die  Wahl  des 
Domkapitels  auf  den  bischöflichen  Stuhl  von  Ilaiberatadt 
erhoben  worden  und,  nachdem  er  im  Jahre  1578  ftir  voll- 
jährig erklärt  worden  war,  liatto  er  noch  in  demselben  Jahre 
selbständig  die  Verwaltung  des  flochstiftes  übernommen. 
In  dieser  Stellung  gab  er  sich  zunächst,  dem  Beispiele  seines 
Vaters  folgend,  einer  gemeinnützigen  Thätigkeit  von  grofs- 
artigem  Umfang  und  segensreichem  Erfolge  hin,  indem  er 
die  von  eineni  seiner  Vorgänger  begonnene  Entwässerung 
des  grof&en  Bruches  zwischen  Oschersleben  und  Hornburg 
durch  die  Anlage  eines  SchifFsgrabens  vollendete,  in  Gro- 
ningen, seiner  gewöhnlichen  Residenz,  ein  pracht^-olles,  viel 
bewundertes  Schlofs  erbauete  und  in  Halberstadt  das  weit- 
läufige Gebäude  tiir  die  dort  von  ihm  eingerichtete  Kommisse 
erstehen  liefs.  Später  hat  er  dann  hier  in  milder,  schonen- 
der Weise  der  evangelischen  Lehre  zum  Siege  verholfen. 
Denn  wenn  auch  im  Jahre  159t  die  beiden  Hauptkirchen 
der  Stadt,  der  Dom  und  die  Liebfrauenkirche,  ihre  Pforten 
den  lutherischen  Predigern  öffnen  raufüten,  so  hat  der  Her- 
zog doch  den  Anhängern  der  alten  Kirche  auch  in  der  Folge 
weder  eine  grofsherzige  Duldung  versagt  noch  selbst  die  Er- 
langung von  kirchlichen  Pfründen  verwehrt. 

Während  aber  Heinrich  Julius  auch  nach  Übernahme 
der  Regienmg  des  ihm  von  seinem  Vater  vererbten  Länder- 
gebietes die  Verwaltung  des  Hochstifts  Halberstadt  als  dessen 
postulierter  Bischof  in  der  Hand  behielt,  hatte  er  bereits  im 
Jahre  1585  auf  diejenige  des  Bistums  Minden,  wo  er  nach 
dem  Rücktritt  Hennanns  von  Holstein  -  Schauenburg  gleich- 
falls zum  Bischof  erkoren  worden  war,  Verzicht  geleistet. 
Es  geschah  dies  infolge  der  letztwilligen  Verfügungen  seines 
Vaters,  der  ihn  als  den  Erstgeborenen  seiner  Söhne  zwar 
zum  alleinigen  Erben  seiner  sämtlichen  Länder,  auch  des 
erst  kürzlich  angefallenen  FürstenturaB  Calenberg-Göttingen 
eingesetzt,  daran  aber  die  Bedingung  geknüpft  hatte,  dafs 
er   zugunsten   seiner  Brüder   auf    die    Bistümev:    H»^^awc^^aA.v 


Erstes  Buch.     Erster  Abschnitt. 


und  Minden   verzichte.      Die   Absicht,    einem   der  jüngeren 
Prinzen  des  Hauses  das  letztgenannte  Hochstift  zuzuwenden, 
schlug  indes  fehl.     Nacli  einer   längeren  Sedisvakanz  (lft82 
bis  1587)    wählte   das    dortige  Domkapitel   nicht    einen   der 
Söhne  des  Herzogs  Julius,  Sündern   den  Graten  Anton   von 
Schauenburg.    Dies  machte  Heinrich  Jidiua  bedenklich,  dem 
Wunsche    seines   Vaters    aucli   inbezug  auf  llalberatadt  za-, 
entsprechen.    Im  Interesse  seines  Hausos  zog  er  es  vor,  auch] 
ferner  im  Besitze   des  Hochstiites   zu   verbleiben.     Als  Ent»] 
Schädigung  räumte  er  dagegen  seinem   im  Jahre  lü8G    zuokl 
Bischöfe  von  Verden  püstulierten  Bruder  Philipp  Sigismund;] 
die  Häuser  und  Amter  Syke,  Wüipe  und  Diepcnau  zu  erb-j 
Uchem  Besitz  ein,  „nicht   aus  Pflicht,   sondern   aus  brüder^J 
lieber  Zuneigung",  wie  es  in  der  betreffenden  Urkunde  vom 
6.    Juni    1689    heilst.      Diese   Ämter    und    Schlösser    solltea 
indes  ohne  seine   und   seiner   Nachfolger  Einwilligung    nichij 
verpiändet  werden   und   inbezug   auf  Erbhuldigung ,   Land'  f 
folge,  Schätzung   und    sonstige    Holieitsr echte    nach   wie   vorj 
unter  dem   regierenden   Landesberrn   stehen.     Die  jüngereaf 
Brüder   erkannten    dagegen    die   Gültigkeit    des    väterUchea 
Testamentes  feierlich  an  und  begaben  sich  zugleich  aller  An- 
sprüche auf   die    dem    horzogliclien    Hause    bevorstehenden ' 
Erbschaften,  namentlich  auch  inbezug  auf  den  etwaigen  An-| 
fall  des  Fürstentums  Grubenhagen. 

Solche  Erwerbungen ,    welche   die    von   Heinrich   Julit 
seinen  Brüdern  gebrachten  Opfer  reichlich  aufwogen,  sollten'' 
ibm  denn  auch  schon  während  des  ersten  Jalirzehnts  seiner  j 
Regierung  wiederholt  zuteil   werden.      Zunächst   der    bedeu^l 
tendstö  Teil  der  Grafschaft  Hohnstein.    Gleich  so  vielen   ur- 
sprünglich i*eich  begüterten  und  mächtigen  Dynastenhäusern 
hatte  das  altberühmte  thüriugische  Geschlecht  der  Hohusteiner 
in  den  späteren  Jalirhunderten  des  Mittelalters  den  Wechsel 
des  Glücks  in  reichlichem  Mafae  erfahren.     Häufige  Fehden 
und    mehiTnalige   Teilungen   hatten   es   geschwächt,    ao    dafa 
bereits  z«  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  das  Amt  Hohnsteia 
mit  dem  jetzt   in   malerischen  Trümmern    liegenden  titamm- 
schloBse  an  die  Grafen  von  Stolberg    und  Schwarzburg  ver-l 
äufsert  werden  mufstc.     Von  den  beiden  Linien,   in   welche] 
sich  das  Geschlecht  seit  dem   Jahre    1372   gespalten   hatts 
verkaufte   die    heldrungische  Linie  nach  und  nach  ihre  Be- 
sitzungen   bis   auf   einen    kleinen    Rest   an    die   Grafen   voi 
Mansfcld,  Schwarzburg  und   Stolberg,   und   indem  Graf  Je 
bann  11.  in  branden  burgische  Dienste  trat,  fand  sie  in  ganaJ 
anderen,  ferngelegenen  Gegenden  ein  Feld   für  ihi*e  Wirk-' 
samkeit,  bis  sie  im  Jahre  1609  mit  dem  Grafen  Martin,  Or- 


Ländererwerbuu  geu . 

densmeister  der  Jobanniterritter,  aasstarb.  Die  andere  Linie, 
welche  im  Laute  der  Z<iii  die  Grafschaft  Lolira  und  die 
Herrschaft  Klettenberg  erworl»en  hatte,  auch  in  den  Ptaud- 
beaitz  der  Grafschaft  Lauterberg  gekommen  war,  erlosch 
mit  dem  Grafen  Ernst  VIL,  der  am  8.  Juli  1593  auf  dem 
Schlosse  Lohra  verschied  und  in  Walkcnriod,  dessen  Schutz- 
vogt und  Administrator  er  war,  bestattet  ward.  Obachoi: 
nun  die  Grafen  von  Schwarzburg  und  Stolberg  unter  Be-' 
rufung  auf  eine  im  Jahre  1433  mit  den  Grafen  Heinrich, 
Ernst  und  Eilger  von  Hahnstein  abgeßchlussene  Erbvor- 
brüderung  die  erledigten  Laude  in  Anspruch  und  die  Häuser 
Lohra  und  Klettenberg  iu  Besitz  nahuiou,  so  bemächtigte 
flieh  doch  Heinrich  Julius  derselben  mit  gowaffheter  Hand 
und  liefs  die  dort  befindlichen  gräflichen  Diener  gefangen 
nach  Braunsebweig  abluhreu.  Ei*  bestlitt,  imi  diesen  Schritt 
zu  rechtfertigen,  die  Rechts  Verbindlichkeit  jener  Erbver- 
brüderung, da  Lohra  so  gut  wie  Klettenberg  halbers tiid tische 
Lehen  seien  und  weder  das  Domkapitel  noch  auch  der  Kai- 
ser zu  derselben  ihre  Einwilligung  gegeben  hätten :  vielmehr 
habe  er  schon  am  25.  Mai  1583  als  Bischof  von  Halberstadt 
seinem  Vater  die  Anwartschatt  auf  die  streitigen  Gebiete  er- 
teilt und  nach  dessen  Tode  auf  die  Kunde  von  dem  llin- 
Bcheiden  des  Grafen  Ernst  sieb  selbst  am  13.  August  1593 
damit  belehnt.  Dagegen  erhoben  die  beiden  Grafenhäuser 
Einspruch  und  Klage  beim  Reichskammergenchte,  indem  sie 
zugleich,  auf  derselben  Ei' b Verbrüderung  tiifsend,  die  Her- 
ausgabe der  von  den  Herzögen  von  Grubenhagen  lehns- 
rübrigen  Grafschaften  Lauterberg  und  Scharzfold  verlangten. 
Dieser  Prozefe  ist  erst  während  der  Regierung  des  Herzogs 
Friedlich  Ulrich  durch  einen  Vergleich  beigelegt  worden, 
die  Grafschaft  Lohra-Klettenberg  aber  ging  durch  die  Er- 
eignisse des  dreifsigjährigon  Krieges  dem  Hause  Braun- 
schweig wieder  verloren. 

In  demselben  Jahre,  in  welchem  Heinrich  Julius  diese 
Erwerbung  machte,  ward  er  auch  zum  Administrator  der 
reichen  Abtei  Walkenried  erwählt,  indem  er  auch  hier  dem 
letzten  Graten  von  Hobnsteiu  aus  der  Lohra- Kleltenberger 
Linie  folgte.  Drei  Jahre  daraxxf  erlosch  am  4.  April  1596 
mit  Philipp  H.  die  Grubenhagener  Linie  des  braunschweig- 
lüneburgischen  Gesamthauses  (H.  G8).  Sogleich  nahm  Hein- 
rich Julius,  der  für  diesen  £'all  bereits  früher  mit  Eimbeck 
und  Ostorrodc,  den  bedeutendsten  Städten  des  Landes,  bin- 
dende Verabredungen  getroffen,  ja  sich  des  Schlusses  Scharz- 
fold durch  Beeidigung  der  dortigen  Besatzung'  schon  vor 
dem  Hinscheiden  des  Herzogs  Phüipp  versichert  hatte,  daa 


Fürstentum  in  Besitz.  Vergebens  machten  die  Vertreter 
der  LUnebiirger  Linie,  Otto  11.  von  Harburg,  Heinrich  von 
Danncnbcrg  und  Ernst  11.  von  Celle,  auf  Grund  einer  gröise- 
ren  Nähe  des  Verwandtachaftsgradea  (nach  der  Sippzalil)  ihre 
unzweifelhaft  besser  begründeten  Ansprüche  geltend  und  er- 
hoben, da  die  von  beiden  Seiten  lebhaft  betriebenen  Unter- 
handlungen einen  gütlichen  Ausgleich  nicht  herbeizuführen 
vermochteo,  Klage  bei  dem  Reichahofrate  in  Wien.  Der 
weitläufige  und  langwierige  Prozofs,  der  sich  damit  entspann, 
fand  erst  nach  dem  Tode  des  Herzogs  Heinrich  Julius  seine 
Entscheidung.  So  lange  er  am  Leben  war,  hat  er  sich  trotz 
eines  im  Jahre  lö09  abgegebenen,  der  Gegenpartei  günsti- 
gen Erkenntnisses  und  trotz  der  Mahnungen  des  Kaisers, 
wegen  der  grubenhagen sehen  Succession  sich  mit  seinen 
Vettern  abzuünden,  im  Besitze  des  Landes  behauptet.  Das 
Ableben  des  letzten  Herzogs  von  Grubenhagen  ward  die 
Veranlassung,  dafs  Heinrich  Julius  auch  mit  Amt  und  Schlofs 
ElbiDgerode  von  der  Abtei  Gandersheim  belehnt  ward. 

Dieser  bedeutende  Zuwachs  an  Land  und  Leuten  er- 
hielt, wiederum  drei  Jahre  später,  durch  den  Heimfall  der 
Grafschaft  Blankenburg-Regenstein  seinen  Äbschlufs.  Das 
alte  von  dem  Grafen  Poppe  abstammende  GeschlecLt  dieser 
Harzgrafen  hatte  sich  schon  mit  dessen  Sühnen  Siegfried 
und  Konrad  in  die  Linien  Regenstein  und  Blaukenburg  ge- 
spalten und  später  war  diese  Teilung  durch  Siegfrieda  Sühne, 
Heinrich  und  Siegfried  H.,  erneuert  worden.  Von  der  Regen- 
steiner Linie  zweigte  sich  im  ersten  Viertel  des  13.  Jahr- 
hunderts die  Linie  der  Grafen  von  Heimburg  (die  jüngeren 
Regensteiuer)  ab,  welche,  während  die  beiden  anderen  Linien 
des  Hauses  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  ausstarben, 
gerade  damals  zu  höchster  politischer  Bedeutung  emporstieg, 
indem  sie  längere  Zeit  nicht  ohne  Erfolg  den  Bischöten  von 
Halberstadt  die  HeiTschaft  über  den  Harzgau  streitig  machte 
(H.  87).  Dann  aber  kam  rasch  und  unaufhaltsam  der 
wirtschafthche  Niedergang  des  Geschlechtes.  Verpfändungen 
und  Gebietsveräufaerungen  häuften  sich,  die  Grafen  gerieten 
zuletzt  in  eine  unerschwingliche  Schuldenlast,  der  Neubau 
des  Blankenburger  SolUosses  durch  den  Grafen  Ulrich 
(t  15Ö1)  verschlang  grofse  Summen,  so  dafs  das  Geschlecht, 
als  es  im  Jahre  1599  am  4.  Juli  mit  dem  jungen,  noch 
unter  Vormimdschaft  stehenden  Grafen  Johann  Ernst  erlosch, 
völlig  verarmt  uud  überschuldet  war.  Den  vom  Hause 
Braunschweig  lehnsrührigen  Teil  der  eröffneten  Erbschaft, 
zu  welchem  namentlich  aufser  dem  Flecken  Hasselfelde  die 
Schlösser  Blankeuburg,  Heimburg  und  Stiege  gehörten,  zog 


Bauten. 


Heinrich  Julius  ein,  ohne  sich  um  die  Ansprüche  der  Grafen 
von  Stolberg  zu  kümmern,  welche  im  Jahre  1491  von  scinea 
Vorfahren,  den  Herzögen  Heinrich  d.  A.  und  Erich  d.  A., 
damit  ilh*  den  jetzt  eingetretenen  Fall  belehnt  wurden  waren. 
Der  andere  Teil  des  blftnUenhurgf-regensteiuschen  Erbes  war 
Halberstädter  Lehen.  Auf  diesen  hatte  Heinrich  Julius  in 
seiner  Eigenschait  als  Bischof  von  Halberstadt  1583  seiuem 
Vater  die  Anwartflchaft  erteilt,  in  dessen  Hechte  er  selbst 
nach  dessen  Tode  getreten  war.  Demgemftfs  empfing  sein 
Kanzler  Johann  Jagemann  am  12.  September  1600  im  Na- 
men und  im  Auftrage  des  Herzogs  für  diesen  vom  Dom- 
kapitel zu  Halberstadt  auul»  inhezug  auf  diese  Gebiete  die 
Belehnung.  Nur  die  Herrschaft  Derenburg,  welche  ganders* 
heimisches  Lcheu  war,  tiel  an  Brandenburg. 

So  bedeutend  nun  aber  diese  Erwerbungen  auch  erscheinen 
mochten,  so  lag  in  ihnen  für  die  Folge  doch  die  Quelle  vieler 
Widerwärtigkeiten  und  schHefsIicb  selbst  grofser  Verluste. 
Sie  alle  wurden  in  ihrer  Ilechtsgültigkeit  angefochten,  und 
es  entspannen  sich  darüber  langwierige  Prozesse,  die,  bei 
den  Reichsgerichten  anhängig  gemacht,  grofse  Summen  Gel- 
dos verschlangen  und  endlich  gröfstenteils,  wenn  auch  erst 
nach  des  Herzogs  Tode,  zum  Nachteile  der  Wollenbüttler 
Linie,  ja  selbst  des  Gesamthauses  ßraunscbweig  entschieden 
wurden.  Schon  dieses  war  dazu  angethan,  die  Finanzen, 
welche  Herzog  Julius  in  so  glänzendem  Stande  hinterlassen 
hatte,  zu  zerrütten  und  einem  allmählichen  Verfalle  ent- 
gegenzuiuhren.  Dazu  kam  die  Neigunc  des  Herzogs,  dem 
der  haushälterische  Sinn  des  Vaters  völlig  abging,  für  die 
Entfaltung  einer  aufsergewöhnlichen,  die  Kräfte  des  Landes 
weit  übersteigenden  fürstlichen  Pracht.  Diese  zeigte  sich 
zunächst  in  seiner  Bauluat,  der  er  schon  als  junger  Prinz 
im  Stitte  Halberstadt  mehr,  als  seinen  Mitteln  zuträglich  war, 

fehuldigt  hatte.  Die  von  Heinrich  d.  J.  in  Wolfenbüttel 
egonnene  Marienkirche  liefs  er  dnrch  seinen  Baumeister 
Paul  Francke  zu  einem  grofsartigen  Gotteshause  umge- 
stalten, zu  welchem  sein  Bruder  Julius  August,  Abt  zu  Mi- 
chaelstein,  im  Jahre  1604  feierlich  den  Grundstein  legte. 
Zu  dem  Baue  wurden  Sammlungen  in  allen  Teilen  des  Lan- 
des veranstaltet,  die  Hintersassen  njufsten  dazu  Dienste,  der 
Adel  Fuhren  leisten,  Kirchen  und  Klöster  wurden  zu  Bei- 
trägen herangezogen.  Kaum  weniger  kostspielig  war  der 
Bau  des  schönen,  in  reichem  deutschen  Renaissancestil  teil- 
weise nach  des  Herzogs  eigenen  Plänen  aufgeführten  neuen 
Universitätsgchäudes  zu  Helmstedt,  welches,  im  Jahre  1594 
begonnen  und    gegen  Ende   des  Jahres    1612   voUftud'it^  -ua. 


Ehren  des  Begründers  der  UaiverBität  den  Namen  „Juleum" 
erhielt.  Mit  Eiier  und  grofsea  Kosten  wurde  auc}i  an  der 
Erweiterung  und  Ver  voll  stand  ig  uug  der  Festungswerke  von 
Wo]fenbüttel  gearbeitet.  Das  nacli  Süden  führende  Ilarzthor 
und  der  Pliilippaberg,  ehemals  das  stärkste  und  höchste  Boll- 
werk der  Stadt,  verdankten  ihre  Entstehung  dem  Herzoge 
Heinrich  Julius. 

Aber  auch  abgesehen  von  dieser  kostspieligen  Lust  am  Bauen 
mehrten  sich  die  Ausgaben  des  Herzogs  in  erschreckender  Weise. 
Heinrich  Julius  hat  es  nie  verstanden,  eine  weise  Sparsam- 
keit zu  üben  oder  auch  nur  eine  geregelte  Finanzverwaltung 
zu  ttlhren.  Hoch  begabt  und  fein  gebildet,  war  er  im  Gegen- 
satz zu  seinem  Vater  eine  Natur,  auf  welche  neben  den 
Aulregungen  der  groison  Politik  der  äufsere  Olanz  des  Le- 
bens eine  unwiderstehliche  Anziehungskraft  ausübte.  Wenn 
er  nicht  —  wie  das  in  den  späteren  Jahren  seiner  Regierung 
häutig  geschah  —  aufsor  Landes  weilte,  folgten  sich  an 
seinem  Hofe  in  buntem  Weclisel  jene  Vergnügungen  und 
Lustbarkeiten,  au  denen  die  damalige  Zeit  ihre  Freude  hatte: 
Cnrou83ell8,Bankettc,Ringch'enncn,  Ritterspiele  und  allegorische 
Darstelkingen.  Dazu  gesellten  sich ,  einen  veränderten  Ge- 
schmack der  Zeit  anbahnend  und  den  Anfang  wenigstens 
einer  auf  ieincren  Lebenagenufs  abzielenden  Richtung  be- 
kundend, dramatische  Aufführungen,  die  er  hiiufig,  bald 
regelmäf8ig  an  seinem  Hofe  veranstaltete.  Diese  Bestrebungen 
des  Herzogs  für  die  Ifebung  des  deutschen  Theaters  sind 
höchst  merkwürdig.  Von  regem  Sinn  für  die  Kunst  be- 
seelt und  selbst  Dichter  auf  dem  dramatischen  Gebiete,  war 
er  einer  der  ersten  deutschon  Fürsten,  die  an  ihrem  Hofe 
eine  besoldete  Schauspielertmppe  (., bestallte  Komödianten") 
unterhielten  und  eine  ständige  Bühne  einrichteten.  Englische 
ScbauBpielei-,  die  damals,  um  ihre  Kunst  auszuüben,  Deutsch- 
land wandernd  durchzogen,  begegnen  uns  in  Wollen büttel 
und  haben,  wie  beispielsweise  Thoraas  Sackville,  längere 
oder  kürzere  Zeit  in  des  Herzogs  Diensten  gestanden.  Unter 
den  von  ihnen  in  WoUbnbUttel  zur  Aufführung  gebrachten 
StUcken  befanden  sich  ohne  Zweifel  auch  die  von  Heinrich 
Julius  seibat  herrührenden  Dichtungen,  wie  man  denn  na- 
mentlich angenommen  hat,  dafs,  als  dieser  nach  dem  früh- 
zeitigen Tode  seiner  ersten  Gemahlin  Dorothea  von  Sachsen 
mit  Ehaabeth,  der  Tochter  des  Königs  Friedrich  IL  von 
Dänemark,  im  Jahre  15flO  eine  zweite  Ehe  schlofs,  zur  Ver- 
herrlichung dieses  Ereignisses  das  wahrscheinlich  älteste  Stück 
des  Herzogs,  die  Susanna,  über  die  Wolleubüttler  Bühne  ge- 
gangen ist. 


Hofhiihnü  in  Wo'feitbuttel. 


u 


Diese  kunstäinriigeo  Bestrebungen  des  Herzogs^  der  Olanz 
seiner  Hothaltung,  die  unbeschränkte  Oastt'reundschatt ,  die 
er  übte,  daa  alleä  vereinigte  sich,  um  seine  Residenz  Wol- 
i'enblittel  zu  dem  Mittelpunkte  eines  bowegton  Treibens  za 
machen,  au  welchem  sich  Kiuheimiechc  wie  Fremde  in  glei- 
chem Malse  beteiligten.  Aber  sie  erforderten  auch  einen 
grolficn  Autwand  und  verschlangen  zusammen  mit  den  üb- 
rigen kostspieligen  Liebhabereien  des  Herzogs,  der  Vermeh- 
rung der  Dienerschaft,  der  teilweiaen  Umgestaltung  der  Re- 
giei-ungskoUegien,  bedeutende  Summen.  Auch  die  Verpflich- 
tungen gegen  das  Reich  stiegen  damals  zu  einer  trüber  nicht 
gekannten  Höhe.  Kcicha-  imd  Kreissteuern  folgton  sich 
rasch  und  mul'sten  aufgebracht  werden.  Öo  kam  es,  dafa 
der  Schatz,  welchen  Herzog  Julius  angesammelt  hatte,  binnen 
kurzern  zusammenschmolz  und  bald  ganz  dahinschwand,  ja 
dafs  trotz   gesteigerter    Auflagen,   Schätzungen   imd  Steuern 

fegen  Ende  der  Regierung  des  Herzogs  eine  drückende  Schul- 
enlast von  über  einer  Million  Thaler  auf  dem  Kammergut& 
lag.  „Die  Einkünfte  des  Herzogs  Heinrich  Julius"  —  so 
äufsert  sich  eine  wenige  Monate  nach  dos  letzteren  Tode 
niedergeschriebene  Denkschrift  —  „waren  so  bedeutend,  dafs 
mit  ihnen  fünf  regierende  Landesherren  ihre  atattlichen  Höfo 
liätten  halten  können.  Jetzt  aber  ist  der  angeerbte  Vorrat 
vergriffen,  Amter  und  Bergwerke  sind  mit  Schulden,  Zinsen 
und  verordneten  iiirstlichen  Hufhaltungen  beschwert,  und 
die  Schulden  und  rückstiiudigen  Besoldungen  belaufen  sich 
auf  viele  Tonnen  Goldes.  Denn  der  verbtorbeue  Herr  wollte 
die  Kammerrechnungen  niemals  nachsehen,  noch  die  inbezug^ 
aul  die  Verwaltung  eingeschickten  Berichte  einer  Prüfung 
unterziehen,  sondern  begnügte  sich  damit,  Ausgaben  zu  be- 
fehlen. So  konnte  man  mit  den  laufenden  Einkünften  die 
ftotliche  Hofhaltung  und  Regierung  samt  den  ungewöhn- 
lichen Ausgaben  und  Zehrun^en  im  Auslande  nicht  be- 
streiten, sondern  raufste  von  Jalu'  zu  Jahr  btjrgcn." 

£s  leuclitet  ein,  dafs  diese  sich  mit  der  Zeit  mehr  und 
mehr  steigernden  finanziellen  Verlegenheiten  des  Herzogs- 
einem  guten  Verhältnis  desselben  zu  den  Landständen  nicht 
förderlich  sein  konnten.  Aber  selbst  wenn  sie  nicht  vor- 
banden gewesen  wären,  würde  doch  bei  der  herrischen  und 
eigenwilligen  Persönlichkeit  des  Herzogs,  bei  der  übertriebe- 
nen Vorstellung,  die  sich  bei  ihm  unter  dem  Einflüsse  der 
Anschauungen  und  Grundsätze  des  römischen  Rechtes  von 
seiner  fürstlichen  Würde  auegebildet  hatte,  ein  früherer  oder 
späterer  Bruch  mit  den  Vertretern  des  Landes  kaum  aus- 
geblieben sein.     Schon  auf  dem  ersten  Landta^^  de^v  H^W 


,  Erstes  Buch.    Erster  Äbscbnitt. 


rieh  Julius,  nachdem  er  dieHuIdigung  des  Landes  eingenommen 
hatte,  auf  den  17.  August  1590  nach  SalzdahJum  ausschrieb, 
erhoben  sich  iStreitigkeiten  mit  der  Stadt  Braunschweig,  welche 
»ich  weigerte,  die  Huldigung  zu  leisten,  bevor  nicht  die  mit 
der  Herrschaft  noch  schwebenden  Irrungen  beigelegt  wären, 
und  sich  energisch  dagegen  verwahrte,  dafs  sie  in  dem  Land- 
tagsauasch reiben  des  Herzogs  als  dessen  Erb-  und  Land- 
stadt bezeichnet  worden  sei.  Als  dann  wenige  Jahre  später 
(159-1)  ein  abermaliger  Landtag  nach  Salzdahlum  berufen 
wurde,  kam  ea  hier  zwischen  Johann  Jagemann,  dem  Kanzler 
des  Herzogs,  und  dem  Abgesandten  der  Stadt  Brnunschweig, 
Christoph  Hogreve^  zu  einer  sehr  unliebsamen  Scene.  Kaum 
hatte  letzterer  begonnen,  in  voller  Versammlung  die  Gründe 
darzulegen  ,  weshalb  Rat  und  Bürgerschaft  es  ablehnen 
mufsten,  den  Landtag  zu  beschicken,  als  Jageraann  ihn  mit 
harten  Worten  anfuhr  und  dem  Wolfenbüttler  Amtmann 
den  Befehl  erteilte,  ihn  mit  Gewalt  zu  giciien  und  in  das 
Geßingnis  zu  schleppen :  ein  unerhörtes  Beginnen ,  welches 
auch  die  übrigen  Landatände  so  aufbrachte,  dal's  Hildebrand 
von  SaJder  den  Amtmann  zurückstiefs  und  die  übrigen  Ab- 
geordneten der  Ritterschaft,  vor  allen  die  von  Salder,  sich  des 
Bedroheten  annahmen,  ihn  in  einen  Wagen  setzten  und  sicher 
nach  Braunschwejg  zurückgeleiteten.  Infolge  dieaes  Aul'trittea 
richtete  ein  Teil  der  Ritterschaft  auf  Betreiben  derer  von  Salder 
an  den  Hei'zog  eine  Beschwerde  über  dessen  Räte,  die  sie 
ihm  durch  einen  Notar  auf  freiem  Felde  in  der  Gegend  von 
Holzminden  zustellen  liefsen.  In  dieser  Schrift  wird  bittere 
Klage  geführt  über  das  hochmütige  und  rücksichtslose  Ver- 
fahren des  Kanzlers  und  der  Räte,  von  jenem  behauptet, 
„dafs  einzig  seine  Sinne  dahin  gerichtet  seien,  wie  er  die 
Landschaft  sich  zum  Fufsachemel  machen  möge",  diesen 
vorgeworfen ,  „dals  sie  mit  Ver schlief sung  der  Thür  der 
Landschaft;  Abgesandten  nicht  h&tten  hören  wollen,  sondern 
fiie  schimpflich  abgewiesen  hätten ".  Der  Herzog  beschied 
darauf  die  Klageführenden  nach  Wolfenbüttel,  wo  die  Sache 
im  Beisein  seines  Kanzlers  verhandelt  werden  sollte.  Allein 
die  von  Salder  blieben  aus  und  liefsen  sich  nur  durch  Mel- 
chior Steigmann,  ihren  Notar,  vertreten.  Dieser  war  nicht 
einmal  mit  Instruktion  versehen,  erklärte  aber  trotzdem,  dafs 
seine  Aufitraggeber ,  welche  nicht  unter  dem  Herzoge,  son- 
dern „im  Stift  Hildesheim  und  Land  Lüneburg  mit  Leib, 
Hab  und  Gütern ,  mit  Weib  und  Kind  häuslich  gesessen, 
auch  daselhst  ihren  Rauch  und  Feuer  und  sonsten  nii^nd 
hätten",  flir  den  Fall,  dafs  man  ihren  berechtigten  Klagen 
nicht  abhelfe,  entschlossen  seien,  ihre  Sache  bei  dem  Kammer- 


4 


SUe!t  mit  der  Kitterscbafl. 


18 


gerichte  in  Speier  auhängig  su  luacUen.  Als  daoQ  die  vud 
Salder  einer  abonnaliguu  Vorladung  des  Herzogs  ebenso 
wenig  entsprachen,  erfolgte  nach  „einbelligeui  Rat  der  dazu 
erforderten  unparteiischen  Land-,  llofrüte  und  Stände*'  im 
Februar  d.  J.  l&t)5  der  Uechtspruch,  der  die  Gebrüder 
Kurt  und  Hildebrand  von  Salder  ,,  wegen  ilirer  hochstraf- 
baren Excesäen  und  Verbrechung "  zu  einer  Stiafe  von  9000 
Goldgulden,  „  zu  milden  Sachen  anzuwenden  oder  dem  Fisco 
zu  appliciren",  verurteilte.  Sie  aber  machten  ihre  Drohung 
zur  Wahrheit  und  wandten  sich  mit  ihren  Genossen,  denen 
von  Walmoden,  Stöckheim,  üldershausen  und  Steinberg,  kla- 
gend an  dnö  Keichi^kammergericht,  indem  sie  sich  zugleich 
über  die  Schandthaler  beschwerten,  die  der  Herzog  um 
diese  Zeit  ihnen  zu  Spott  und  Hohn  habe  auf  sie  Bcldagea 
lassen.  Der  letztere  antwortete  auf  diesen  Schritt  der  ti'otzigen 
Junker  damit,  dafs  er  ihre  in  seinem  Lande  gelegenen 
Häuser  uud  Güter  einzog  und  von  seinen  Truppen  be- 
setzen iiefä. 

Obßchon  diese  Vorgänge  zunächst  nur  einige  Mitglieder 
der  Rittei*schal't  betrafen,  da  sich  an  der  Beschwerde  gegen 
Jagemann  weder  die  Geistlichkeit  noch  die  Städte  beteiligt 
hatten,  so  bekunden  sie  doch  schon  eine  bedenkliche  Span- 
nung zwischen  dem  Herzoge  tind  den  Laudslanden,  wefche, 
durch  die  sich  hier  schroff  einander  entgegenstehenden  An- 
schauungen verstärkt,  bidd  zu  allgemeinerem  Umfang  und 
gröfaerer  Bedeutung  heranwachsen  sollte.  So  wenig  Heinrich 
Julius  im  V'ollgefuhle  seiner  fürstlichen  Würde  gesonnen 
war,  in  gewissenhafter  Wahrung  der  landständischen  Rechte 
und  in  ängstlicher  Beobachtung  der  Formen,  welche  sich  in 
den  Verhandlungen  der  Stände  mit  dem  Herzoge  im  Ver- 
laufe der  Zeit  ausgebildet  hatten,  seinen  sei  bat  herrlichen  Nei- 
gungen einen  Zügel  anzulegen,  so  hartnäckig  und  zähe 
kielten  die  LandstUnde  ihrerseits  an  jenen  Rechten  und  die- 
sen Formen  fest.  Kine  fast  ununterbrochene  Folge  von  Rei- 
bungen, Streitigkeiten  und  Zerwürfnissen  war  das  natürliche 
Ergebnis  solcher  unansgleichbaren  Gegensätze.  Der  Herzog 
verlangte  für  seine  Forderungen  schnellen  und  pünktlichen 
Gehorsam  und  setzte  sich  unbedenklich  über  die  weitschwei- 
figen', die  Geschäfte  mehr  als  billig  verzögernden  Formali- 
täten hinweg:  die  Stände  dagegen  waren  in  ihrer  Erbitte- 
rung über  ein  derartiges  unerhörtes  Vorgehen  nur  allzu 
geneigt,  auch  den  gerechtfertigten  Wünschen  des  FiU-sten 
einen  nicht  immer  sachgemäfscn  und  ruhigen  Widerspruch 
entgegenzusetzen,  mit  starrer  Rechthaberei  auf  ihren  Privi- 
legien zu  beharren  und  schliefsüch  den  Gehorsam,   den  sie 


14 


Erstes  Buch.    Erster  Äbsclmitt. 


der  Herrschaft  schuldeten,  geradezu  zu  verweigorn.  Als  die 
Seele  der  herzoglichen  Regierung  aber,  als  den  StÖrenfi*ied, 
,,  welcher  das  jus  priucipis  et  stiperioiitatis  in  seinen  öffent- 
lichen ausgelassenen  Schriften  sehr  weit  extendiret  und  das 
monstruui,  sonsten  von  den  Italienern  ragion  di  stato  ge- 
nannt, welches  Land  und  Leute  verwüste  und  ^iel  Übclea 
ßtiflftc,  trefflich  l'omentiret  und  gestercket",  betrachtete  raan 
den  Kanzler  Jageraann.  Von  heiligem,  rücksichtslosem  Cha- 
rakter und  erlullt  von  den  Vorstellungen  eines  unbeechränkton 
Hen-SL-hei-tums,  die  er  aus  dem  Studium  des  römischen  Recht» 
geschöpft  hatte,  wollte  dieser  Günstling  des  Herzogs  von 
einer  Beschränkung  der  unveräuiserlichen  Hoheitsrechte  seines 
Herrn  durch  veraltete  Reveraalicn  und  Privilegien  nichts 
wissen.  „Ohne  eigene  Kenntnis  der  alten  herr-  und  land- 
Bchal"tlichen  Verträge"  —  so  äulsert  sich  Spittler  über  ihn  — 
„ohne  von  alten  Zeiten  und  alter  Verfassung  zu  wissen, 
sprach  er  blofa  als  römischer  -Rechtsgelehrter,  und  so  er- 
staunt er  war«  dafs  man  dem  hohen  iuratlichen  Imperiam 
Frenzen  setzen  wollte,  so  erstaunt  waren  die  Stände,  dafs 
man  nach  so  viel  Reversen ,  die  ihnen  ehedem  ausgestellt 
und  von  den  alten  Kanzlern  konti'asigniert  waren,  erst  durch 
die  Weisheit  neuester  Zeit  entdecke,  wie  unbegrenzt  das  hohe 
fürstliche  Impei'ium  sei." 

Man  wird  sich  nicht  wundern,  dafs  unter  solchen  Um- 
stäuden  die  meisten  Landtage  stürmisch  verlieten,  dafs  es 
bei  den  immer  häufiger  werdenden  Anträgen  des  Herzogs 
auf  Steuern  und  sonatige  Geldbewilligungen  zu  argen  Zer- 
würfnissen kam,  dafs  Klagen  des  Adels  und  der  iitände  an 
die  Reichsgerichte  gingen  und  bei  so  gänzlich  voa  einander 
abweichenden  Grundanschauungen,  ao  schroff  sich  gegen- 
überstehenden Ansichten  die  Möglichkeit  eines  Verständnisses 
auf  beiden  Seiten  mehr  und  mehr  dahinzuschwinden  schien. 
Auf  dem  Landtage,  der  im  August  des  Jahres  159-1  für  das 
Fürstentum  Calenberg  zu  Elze  abgehalten  wiirdo ,  war  es 
durch  gegenseitiges  Nachgeben  noch  zu  einem  Ausgleiche 
gekonmien.  Die  Stände  übernahmen  hier,  freilich  nicht 
ohne  den  Widerspruch  der  vier  grüfseren  Städte,  die  21G000 
Thaler  fürstlicher  Schulden,  die  sich  noch  aus  den  Zeiten 
Erichs  des  Jüngeren  herschrieben,  wogegen  der  Herzog 
ihnen  die  freie  Wahl  der  Schatzräte  zugestand,  welche  die 
öffentlichen  Gelder  zu  verwalten  hatten,  und  versprach,  sich 
fortan  mit  der  Oberaufsicht  über  die  Schatztruhe  begnügen 
zu  wollen.  Aber  schon  wenige  Wochen  später  entstand  auf 
dem  gegen  Ende  September  nach  Gandersheim  berufenen 
LandtAge  zwischen  den  Calenberger  Ständen  und  dem  Her- 


Hader  mit  den  Landständen. 


15 


zöge  ein  neues  schwcrca  Zerwürfnis.  Es  erhob  sich  ein 
Streit  darüber,  ob  die  Stande  verbunden  seien,  die  Kreis- 
steuern zu  befahlen  oder  üb  es  dazu  einer  besonderen  aus- 
drücklichen Bewilligung  bedürJ'e.  Die  iStünJe  machten  tür 
diese  letztere  Ansicht  geltend,  daCö  sich  der  Herzog  in  dem 
Abschiede  des  erst  vor  sechs  Wochen  gesclUossenen  Land- 
tages aufser  lür  den  Fall  eines  feindlichen  AngriÖfs  von 
aufsen  nur  Fräuleinsteueni,  allgemeine  Reichs-  und  TUrken- 
autlagen  vorbehalten  habe,  die  fürstHchen  Rftte  aber  be- 
standen darauf,  dafs  der  Herzog  „krot^  habender  Uognlien 
und  gemeiner  geschriebener  Rechte"  auch  ohne  Bewilligung 
und  Zustimmung  der  Stände  diese  Steuern  zu  erheben  be- 
rechtigt sei.  Nach  langem  Ilader  einigte  man  sich  endlich 
dahin,  dafs  das  Land  zwar  die  Steuern  aufzubringeu  habe, 
die  Art  und  Weise  ihrer  Erhebung  aber  mit  den  Stftnden 
vorher  verabredet  werden  sollte,  auch  der  etwaige  Uber- 
schufs  der  verwiliigten  Gelder  in  die  Laudcskasse  abzuführen 
sei.  Kiclit  besser  als  mit  den  Oalenberger  Landstiinden  ge- 
staltete sich  von  vornherein  das  Verli^tuis  des  Herzogs  zu 
denjenigen  des  Fürstentiuns  Wolfenbüttel.  Hier  war  noch 
zu  Zeiten  des  Herzogs  Julius,  um  die  Irrungeu  zwischen 
Landesherrn  und  Ständen  auszugleiclien,  eine  aus  t*ÜrstIicheu 
Räten  und  Abgeordneten  der  Stände  gemischte  Kommission 
eingesetzt  worden.  Aber  erst  im  Jab-e  1597  waren  die 
Verhandlungen  dei*selben  soweit  gediehen,  dafs  sie  eine  Ent- 
scheidung abgeben  konnte.  Diese  bemühete  sich  vornehm- 
lich, die  Hintersassen  der  Landstände  vor  den  gesteigerten, 
oft  übertriebenen  Forderungen  des  Landesherrn  zu  schlitzen, 
setzte  inbezug  auf  die  dem  letzteren  zu  leistenden  persön- 
lichen Dienste  nach  dem  alten  Herkommen  da»  Erl'ortferliche 
test,  gewährleistete  den  Kirchen-  und  Pfari-gütern  Befreiung 
vom  Scheffel-  und  Schafachatze  und  den  Pfarrern  für  die 
von  ihnen  selbst  iinter  den  Pting  genommenen  Acker  auch 
Befreiung  vom  Dienstgclde  und  bestimmte,  dafs  durchweg 
bei  den  nofgerichten,  falls  diesem  nicht  eine  besondere  Ord- 
nung im  I^nde  entgegenstehe,  statt  des  früheren  Sachsen- 
rechtes  das  geschriebene  Kaiserreeht  Geltung  haben  solle. 
Gegen  die  Bewilligung  von  200000  Goldgulden,  die  zur 
Tilgung  der  Landesschulden  erforderlich  schienen,  verzich- 
tete der  Herzog  von  nun  an  auf  jede  Schätzung  mit  alleiniger 
Ausnahme  der  Fräuleinsteuer,  der  ßeichsumlagen  und  sulehor 
Leistungen,  die  ein  im  Lande  geführter  Krieg  erheische. 
Auch  die  Verhähnisse  des  LandschatzkaBtens  wuxden  bei 
dieser  Gelegenheit  den  Wünschen  der  Stände  entsprechend 
geordnet.     Allein   schon   zwei  Jahre    später   (1599)   mulsten 


16 


Erstes  Buch.     Erster  Abschnitt. 


sich  die  Landutände  sowohl  des  Wolfenbüttler  wie  des  Calen- 
berger  AüteUs,  um  die  Kosten  der  gegen  die  in  Westfalen 
hausenden  Spanier  erforderliche d  Werbungen  zu  bestreiten, 
zu  abermalig^er  Bewilligung  von  je  100  000  Goldgulden  ver- 
stehen lind  die  Streitigkeiten  über  die  beiderseitigen  Rechte 
dauerten  auch  in  der  Folge  fort.  Erst  auf  dem  Landtage 
zu  Gaßdersheim  kam  im  Oktober  dea  Jahres  IGOl  nach 
mühsamen  und  langjährigen  Verbandlungen  zwischen  dem 
Herzoge  und  den  Ötänden  eine  Einigung  zustande.  Der 
Herzog  bequemte  sich  zur  Anerkennung  der  alten  Reverse 
und  Abschiede,  jedoch  nur  insoweit,  als  diese  von  aitersher 
in  allgemein  gültigem  und  unzweilelhaftem  Gebrauche  ge- 
wesen seien.  Wohl  im  Hinblick  auf  die  ü-üheren  unlieb- 
samen Auftritte  mit  seinem  Kanzler  gab  er  die  feierhche 
Erklärung  ab,  Prälaten»  Ritterschaft  und  Städten,  ohne  dereu 
Gegenrede  gehört  zu  haben,  nicht  seine  Unguade  füiilen 
lassen  zu  wollen,  auch  solche,  die  auf  den  Landtagen  oder 
im  AusschulB  „ihre  Notdurft  reden  würden",  nicht  mit  ver- 
driefslichen  Worten  oder  gar  mit  seiner  Ungnade  zu  strafen. 
Dem  Adel  wurde  das  Recht  gewährleistet,  Ungeburlichkciteii 
seiner  Hintersassen,  wenn  diese  auf  seinen  Ritterböfen  be- 
gangen würden,  durch  Gefängnis  oder  Geld  zu  ahudeu,  und 
ihm  wie  den  Prälaten  für  das  Bedürfnis  der  eigenen  Haus- 
haltung ZolÜrcihcit  zugesichert.  Eine  schnelle  und  unpar- 
teiische Rechtspflege  wurde  versprochen,  aber  inbezug  auf 
das  derselben  ziigrunde  zu  legende  Recht  die  schwankende 
und  vieldeutige  Entscheidung  getroffen,  dafs  zwar  der  Genufs 
aller  alten  gerichtlichen  Rechte,  soweit  sich  diese  aus  dem 
Bäclisischeu  Landrechte  hersehriehen,  bestehen  bleiben  solle, 
der  Besitz  derselben  aber  von  aitersher  bis  aut  die  damalige 
Zeit  erwiesen  werden  müsse.  Dieser  Gandersheimer  Vertrag 
machte  daher  wohl  für  den  Augenblick  den  Streitigkeiten 
zwischen  dem  Herzoge  und  den  Landstanden  ein  Ende, 
konnte  aber  bei  dem  Mangel  an  Bestimmtheit,  der  in  ein- 
zelnen seiner  Abmachungen  hervortritt,  für  die  Folge  das 
Wiederaufleben  jener  Zwiatigkeiten  nicht  völlig  verhindern. 
Spittler  bezeichnet  ihn  treffend  als  „  einen  Grenzberichtigungs- 
traktat  zwischen  Fürsten  und  Ständen,  der  beiderseitige 
Liebe  zum  Frieden  bewies,  aber  auch  hie  und  da  ganz  die 
Zweideutigkeit  und  das  künstliche  Stillschweigen  hatte,  wo- 
mit man  sich  bei  völlig  verschiedenen  Grundsätzen  und 
beiderseitigem  Wunsche  zur  Eintracht  endlich  vergleicht". 
Wenige  Jahre  nach  dem  Zustandekommen  dieses  Vertrages, 
an  dem  er  noch  mitgearbeit^.t  hatte,  trat  Jagemann  von 
seiner  eindufsreichen  Stellung    zurlick  und    überhaupt    aus 


Zwi«t  mit  Braunfiohweig. 


IT 


des  Herzog  Diensten,  dessen  Vertrauen  er  nicht  mehr  be- 
Bafs.  Kurze  Zeit  darauf  ist  er  am  7.  Januar  1 604  auf 
seineni  Rittergute  Werurode  in  der  Grafschaft  Ilohnstcin  ge- 
storben. 

Eine  ausgeprägt  feindselige  Sonderstellung  bei  diesen 
vieltachen  Streitigkeiten  der  Stände  mit  dem  Herzoge  nahm 
dem  letzteren  gegenüber  von  vumhcrcin  die  Stadt  Braun- 
scbweig  ein.  fleinrich  Julius  brachte  ihr  schon  aus  den 
Eriuneruugen  seiuer  Jagend  (S.  II.  432)  eine  nicht  eben 
geneigte  und  gnädige  Gesinnung  entgegen.  Er  hatte  dann 
den  plumpen  Trotz^  mit  dem  der  Rat  nach  dem  Tode  seines 
Vaters  aowolil  das  Glockengeläut  wie  eine  Teilnahme  bei 
den  Beerdigungsfeierlichkeiten    verweigerte ,   als   eine    bittere 

I  Kränkung  cmpfuudcu.  Die  feindselige  Stimmung  des  Her- 
zogs gegen  die  Stadt  wuchs,  als  diese,  wie  bereits  erwiihut^ 
die  von  ihr  verlaugte  Huldigung  entschieden  zurückwies, 
gegen  die  Bezeichnung  als  „  Krb-  und  Landstadt"  des  Fler- 

I  aogs  Protest  einlegte,  die  Landtage  nicht  beschickte  und  die 
Türkensteuer  verweigei-te.  Immer  gespannter  und  gehässiger 
gestaltete  sich  infolge  dieser  widerspänstigen  Haltung  der 
Stadt  das  gegenseitige  Verbältnie.  Als  die  Stadt  60üO  Zentner 
Blei,  welche  dem  Herzoge  geliörteu  und  als  solche  steuerfrei 
waren^  anhielt  und  mit  Beschlag  belegte,  verbot  dieser  allen 
seinen  Unterthanen,  Waren  oder  Lebensmittel  nach  Bi-aun- 
schweig  zu  bringen,  und  als  trotzdem  von  Celle  und  Halber- 

1  Stadt   aus   solche   unter   kriegerischer   Bedeckung   der   Stadt 

'»ugeftihrt  wurden,  Hefs  der  Herzog  alle  naeh  Braunschweig 
Hihrenden  Pässe  besetzen,  sperrte  die  Zufuhr  ab  und  erklärte 
Rat  und  Bürgerschaft  lür  rcbelUsche  Unterthanen.  Die 
Stadt  wandte  sich  jetzt  an  das  Reichskammergericht  und 
erwirkte  im  Jahre  1 BOO  ein  kaiserliches  Mandat ,  welches 
dem  Horaoge  befahl,  die  gesperrten  Pässe  freizugeben  und 
den  Zugang  zur  Stadt  nicht  länger  zu  hindern.  Dies  blieb 
aber  ohne  allen  Erfolg.  Schon  kam  es  zu  offenen  Feind- 
seligkeiten. Alle  Bemühungen  des  Kaisers,  der  Wollen büttler 
Landscliaft,  befreundeter  Fürsten  und  Städte,  den  drohenden 
Krieg  abzuwenden,  erwiesen  sich  als  vergeblich.  Die  Brauu- 
schweiger  verwüsteten  in  wiederholten  AustUllen  weitbin  die 
WoUenbüttler  Amter,  Jagemann  seinerseits  Hefa  den  rück- 
ständigen Beitrag  zur  Türkensteuer  mit  Gewalt  in  den  der 
Stadt  gehörigen  Dürlem  eintreiben.  Abennals  schiitt  der 
Kaiser  mit  einem  Mandate  ein,  welches  beideu  Parteien,  dem 
Herzoge  wie  den  Bürgern,  die  Waffen  niederzulegen  und  die 
Feindseligkeiten  einzustellen    befahl.      Zugleich   kündigte    er 

R8ii6iD»Dii.  BniQDicfaw.-bBnndT.  Oc««hiel)t«.     UI.  3 


18 


Erstes  Buch     Erster  Abschnitt. 


die  AbordöUDg  einer  Cresaiidtschaft  an,  die  eine  billige  Ver 

mittluag  der  gegenseitigen  Auspiüche  versuclien  sollte.] 
Aber  obschon  man  antangs  liübcu  und  drüben  Miene  machte  J 
abzurÜBten,  wollte  docb  schliefsHch  keiner  damit  beginnen,] 
um  sich  nicht  wehrlos  in  die  Gewalt  des  anderen  Teiles  zu] 
geben .  AU  dann  die  kaiserlichen  A  bgcäandten  ChristopK  i 
von  ächleinitz  imd  Felix  Rüdiger  in  Woltenbüttel  erschienen,! 
stieisen  sie  hier  wie  in  Braunschweig  auf  dieselbe  mifs-J 
trauische Starrköpfigkeit,  so  dal'u  sie  trotz  eifriger  Bemühungen,.] 
den  Frieden  zu  erlialteu,  nach  mehrwöchentlicbeu  Vcrliand-f 
lungen  unverrichteter  Sache  heimkebi*ten  (Februar  16U1). 

Bei  dieser  Lage  der  Dinge  mag  Heinrich  Jnlius  seine 
HoÖTiung,  die  trotzige  Stadt  zu  demütigen,  auch  auf  die 
innere  Zwietracht  gesetzt  haben,  die  gerade  damak  in 
Braunachweig  zum  Ausbrucli  kam.  Es  war  dem  Herzoge 
nicht  unbekannt,  dala  hier  seit  längerer  Zeit  eine  gehäaaige 
Stimmung  gegen  Fiat  und  Geechlechter  herrschte.  Diese 
Stimmung  änfserte  sich  unverhohlenin  einer  anonymen  Schritt, 
welche  zwar  erst  im  April  1G()4  im  ßuchiiandet  erschien, 
aber  als  der  Ausdruck  einer  schon  längst  unter  der  Bürger- 
schaft verbreiteten  Gesinnung  betrachtet  sein  will.  Sie  rich- 
tete »ich  zunächst  nur  gegeu  einzelne  Patrizier,  welche  sich 
von  dem  Herzoge  ohne  allen  Vorbehalt  ihre  Lehen  hatten 
reichen  lassen,  aber  sie  eifert  zugleich  gegen  die  Gesamtheit 
des  Kfttes,  ja  greiit  die  bisherige  Verfassung  der  Stadt  in 
schonungsloser  Weise  an.  „Es  sei  soweit  gekommen**  — 
helTst  es  darin  —  „dafs  die  Patricii  und  gerühmten  groiaen 
Geschlechter  einer  dem  anderen  den  Ehrenstaud  deti  Con- 
sulatus  und  auch  gemeiaer  Stadt  Amter  also  zuwUii'eu  als 
man  einer  dem  anderen  im  Ballspiele  den  Ball  ptlege  zu- 
zuwerfen, so  dafs  fast  keine  oder  nur  wenig  Hoffnung  vor- 
handen, dafs  andere  gute  ehrbare  Leute  auch  in  den  Ehren- 
stand  der  Herrn  Conaulum  und  Camerariorum  hiulüro  könn- 
ten gesetzet  werden,  alles  nach  der  Art  und  Weise,  wie  von 
der  Stadt  Venedig  und  deroselben  Kegimente  uud  liatstuhl 
geschrieben  und  gelesen  werde.  Die  Patricii  seien  von  Hof- 
fahrt aufgeblasene  Junker,  voller  Verachtung  gegen  andere 
gute  und  elirliche  Biederleute,  die  nicht  gleich  ihnen  von 
Jugend  auf  das  Pflaster  in  der  Stadt  treten  könnten:  sie 
wollten  keine  Domocratiara  mehr  in  der  Stadt  diddeu  noch 
gestatten,  dafs  alle  Stände  sollten  zu  gebieten  uud  einzu- 
bewilligen  haben,  sondern  vielmehr  aus  aufgeblasener  llut- 
fahrt  eine  Oligarchiam  vel  Aristocratiam ,  da  allein  sie,  die 
Patricii,  zu  regieren  und  einzuwilUgeu  hätten. J*  Zu  solchen 
Klagen  tmd  Beschwerden   gesellte  sich  zum  ÜherEuTs   noch 


Hennig  Brabiiut. 


19 


Mifstrauen  gegen  die  patriotische  Gesinnung  des  Rjites.  Er 
etand  in  dem  Verdachte,  es  mit  dem  Ilerzoge  zu  halten,  da 
er  diesem  ohne  Vurbehalt  den  Lehnseid  lur  seine  auiserhalb 
der  Stadt  gelegenen  Guter  geleistet  hatte.  Ks  kommt  wenig 
darauf  an,  ob  dieser  Verdacht  begründet  war  oder  nicht. 
Genug,  die  Bürger  beliaupteten ,  daU  bei  dem  feindseligen, 
von  Tage  zu  Tage  bedenklicher  sich  gestuitenden  Verhältnis 
des  Herzogs  zur  Stadt  diejenigen  Patrizier,  welche  jenem 
den  Eid  geleistet  hätten,  nicht  im  Rate  bleiben  dürlten,  da 
niemand  Kweeu  Herren  dienen  könne.  Nachdem  man  lange 
darüber  hin-  und  h  ergestritten ,  auch  die  Patrizier  aich  von 
verschiedenen  Universitäten,  von  Leipzig,  Marburg  und  Jena, 
darüber  bejahende  Gutachten  eingeholt  hatten,  ob  sie  ihrer 
Lehenspdicht  obnerachtet  sich  der  Stadt  gegen  den  Laudes- 
fürsten  annehmen  könnten,  hielten  es  die  bei  der  Sache  be- 
teiligton Hatsherrcn,  als  sich  auch  die  Geistlichkeit  in  der 
Stadt  gegen  sie  erklärte,  für  ratsam,  von  ihrem  Amte  zu- 
rückzutreten. Am  7.  Januar  1602  legten  achtundzwanzig 
Mitglieder  des  Rates  ihre  Stelleu  freiwiUig  nieder,  und  für 
sie  traten  Büjger  ein,  deren  Treue  gegen  die  Stadt  über 
ollem  Zweifel  erhaben  zu  sein  schien.  Zugleich  wurde  durch 
den  gogeuanuten  „neuen  Rezefs '^  der  EinHul's  des  Magistrates 
weaentUch  beschränkt  und  die  Verfassung  der  Stadt  in  demo- 
kratischem Sinne  umgestaltet. 

Der  Hauptträger  dieser  ganzen  Bewegimg  war  einer  der 
Stadthauptleute ,  Hennig  Brabant ,  ein  Mann  von  seltener 
Gelehrsamkeit  und  von  grofser  Gewandtheit  in  den  Ge- 
schäften, dabei  von  thatkräitigem  und  edelem  Charakter. 
Er  hatte  früher  der  Stadt  wichtige  Dienste  geleistet:  jetzt, 
zu  Ende  März  1602,  schickte  ihn  der  Rat  mit  anderen 
Gesandten  nach  Prag,  um  hier  an  dem  Kaiaerhofe  die  Sache 
der  Stadt  gegenüber  den  Klagen  und  Beechwerden  des  Her- 
zogs zu  führen,  ein  Auftrag,  dessen  er  sich  mit  vielem  Ge- 
schick entledigte.  Heinrich  Julius  hielt  es  für  notwendig, 
sich  gleichlaUs  nach  Prag  zu  begeben  (Mai  1602) ,  um 
den  Bemühungen  Brabants  persönlich  entgegenzuwirken. 
Dieser  stand  damals  auf  dem  Gipfel  seiner  Popularität.  Auf 
Verlangen  der  Bürgerschaft  ward  ihm  aus  den  öflfentlichen 
Geldern  der  Stadt  ein  Ehrengeschenk  von  lÜOO  Gulden  be- 
willigt Wenn  er  sprach,  lauschte  alles  seinen  Worten,  sein 
Wille  schien  in  der  Bürgcrschalt  allmächtig  zu  sein.  Die 
Stimme  des  Volkes  schrieb  ihm  jene  oben  erwähnte  energische 
Gegenschrift  zu,  welche  auf  die  von  den  Universitäten  ab- 
gegebenen Gutachten  im  Druck  erschien:  man  nannte  ihn 
schlechthin  „den  guten  Mann".    Aber,  wie  es  mit  der  Volka- 


ao 


Erstes  Bach.     Erster  Äbaclinitt. 


war 


gunst  zu  geschehen  pflegt, 
langer  Dauer.  Es  war  natürlich 
der  patrizlöchen  Ratsherreu  sich  der  Hafs  der  Geschlechter 
vorzugsweise  gegen  diesen  Mann  richtete,  dessen  Einflula 
sie  aus  dem  Kcgiment  und  den  einträghchen  Stellen  ver- 
drängt hatte  Man  fing  damit  an,  ihu  beim  Volke  zu  ver- 
dächtigen. Die  Geistlichkeit,  nunmehr  im  Bunde  mit  den 
Patriziern,  richtete  von  den  Kanzeln  herab  gegen  die  Stadi- 
hauptleute, vor  alleu  gegen  Brabaut,  die  heftigsten  AusiUlle. 
Man  scIüoCs  sie  sämtlich  von  der  Kirchengenieinschatt  aus 
und  beschuldigte  Brabant  der  Zauberei  und  des  Bündnisses 
mit  dem  Teuiel.  Er  werde  —  so  sprengte  man  aus  — 
stets  von  einem  Raben  verfolgt,  der  niemaud  anders  sei  als 
der  Gottseibeiuns.  Vergebens  verteidigte  sich  Brahant  in 
zwei  eigens  zu  diesem  Zwecke  vertalsten  Schritten  gegen 
dergleichen  abgeschmackte  Beschuldigungen.  Sie  iiaiidcn  bei 
dem  Pöbel  um  so  bereitwilligeren  Glauben,  als  die  Patrizier 
ihrerseits  nicht  unterlicfsen,  die  Verleumdung  zu  verbreiten, 
dafs  Brabant,  welcher  im  Auftrage  der  Stadt  mehrmala  mit 
den  Räten  des  Herzogs  in  WoU'enbüttel  über  die  Ilerstellung 
des  Friedens  verhandelt  hatte,  damit  umgehe,  die  Stadt  an 
den  Landeaherrn  zu  verraten.  Diese  Mittel  verfehlten  ihre 
Wirkung  nicht.  Die  Gunst,  ia  welcher  der  Tribun  bisher 
beim  Volke  gestanden,  fing  an  dahinzuschwinden.  Und  als 
nun  ein  aus  der  Stadt  verbannter  und  eigenmächtig  dahin 
zurückgekehrter  Bürger ,  Autor  Eimecke ,  wegen  auf- 
rüJirerischer  Reden  gegen  Syndikus  und  Rat  verstrickt  ward 
und  auf  der  Folter  bekannts^  dafs  er  von  Brabant  und  seinen 
Genossen  zu  seinem  ungebülirlichen  Auftreten  angestiftet  sei, 
kam  es  gegen  diese  zu  wiederholten  Strafseoanfläutien.  Am 
3.  September  1604  rottete  sich  ein  Pöbelhaufe  vor  dem  Gast- 
hofe zum  Einhorn  zusammen,  wohin  sich  Brabant  mit  einigen 
seiner  Freunde  geflüchtet  hatte.  Man  wollte  die  „Schelme 
und  Stadtverräter"  dingfest  machen.  Zwar  gelang  es  Bra- 
bant und  einem  anderen  Stadthauptmann,  Heinrich  Depenau, 
sich  durch  einen  Sprung  von  der  Stadtmauer  herab  ins  Freie 
zu  retten,  allein  jener  brach  beim  Hcrabapringen  ein  Bein 
und  konnte  nur  mit  Mühe  von  seinem  Freunde  und  einem 
Leinweber,  den  sie  vor  den  Thoren  trafen,  bis  nach  Broitzen 
geschleppt  werden.  Hier  verliefs  ihn  Depenau,  nachdem  er 
ihn  unter  einem  Busche  verborgen  hatte,  mit  dem  Ver- 
sprechen, ihm  einen  Wagen  senden  zu  wollen,  auf  welchem 
er  nach  Wolfenbüttel  entkommen  könnte.  Aber  statt  des  retten- 
den Fuhrwerks  erschienen  am  anderen  Morgen  die  Häscher 
des  Rates,   denen  jener  Leinweber  inzwischen  das  Versteck 


Hinrichtung  Bnibants. 


«1 


des  tJnglücklicbcn  Terraten  hatte.  Unter  dem  Geschrei  der 
wütenden  Menge  brachte  man  ihn  nach  Braunsehweigr  zu- 
rück, wo  alsbald  gegen  ihn  und  seine  Genossen  die  hocli- 
notpeinliche  Prozedur  begann.  Mit  unmensoFilicher .  aus- 
gesuchter Grausamkeit  vertubr  man  gegen  die  Angeklagten.. 
Nach  heldenmütigem  Widerstände  erprefste  die  unerträgliche 
Qnal  der  Tortur  zueret  Brabant  das  (ieetändnis  alles  dessen, 
was  man  von  ihm  verlangte.  Dann  kam  die  Reihe  an  die 
übrigen  Oetangenen.  „Ura  der  Wunden  Jesu  willen",  bat 
Zaeharias  Drösemann  der  Kämmerer,  ihn  nur  auf  einen  Au- 
genblick aus  den  Händen  der  Marterknechte  zu  befreien. 
Als  die  Richteherreu,  die  wAhrcnd  diofies  Auftritts  in  einem 
oberen  Gemache  zechten  und  sehinauaten,  halbtrunken  herab- 
kamen, war  Drösemann  nntcr  den  Folterqualen  verschieden. 
Er  kcmnte  Mch  glücklieh  preisen ,  denn  ein  ntjch  furcht- 
bareres Los  wartete  seines  Leiden t^iährten.  Das  gegen 
ihn  gefällte  Urteil  lautete  dahin,  dafs  er  „als  Meineidiger, 
Aufruhrer,  Stadtvenäter  und  des  Tetifels  Bundesverwandtor" 
swei  Finger  der  rechten  Hand  verlieren ,  viennal  mit  glü- 
henden Zangeu  angegriffen  und  alsdann  gevierteilt ,  seine 
Eingeweide  aber  verbrannt  werden  sollten.  Am  17.  Sep- 
tember 1604  schleppte  man  den  Unglücklichen  zur  Richt- 
fiiatt  nach  dem  Hagenmarktc.  Seine  Glieder  waren  der- 
oiafsen  zerbrochen,  dafs  er  auf  einem  Stuhle  dahingetragea 
werden  raufste.  Er  starb  mit  bewunderungswürdiger  Fas- 
sung und  Uulie  unter  den  grausamsten  Schmerzen,  im  letzten 
Augenblicke  noch  seine  Unschuld  beteuernd.  Sieben  andere 
Stadthauptlcutc  starben  durch  das  Schwert,  viele  Personen 
wui'den  eingekerkert  oder  aus  der  Stadt  verwiesen.  Der 
neue  Rezefs  nebet  Brabants  Schritten,  namentlich  seine  Ver- 
teidigung wegen  der  Rabeugescbiehte ,  wurden  öffentlich 
durch  Henkersband  verbrannt.  In  dem  neu  erwählten  Rate 
nahmen  die  Patrizier  ihre  verlorenen  Stelleu  wieder  ein. 

Diese  Vorgänge  in  Braunschweig  konnten  auf  den  Herzog 
Heinrich  Julius  nicht  wohl  eine  andere  Wirkung  ausüben, 
als  dafs  sie  ihn  uoch  mehr  gegen  die  Stadt  aut  brachten. 
Sein  Name  war  auf  eine  mehr  als  zweideutige  M'^eise  in 
den  Prozefs  gegen  Brabant  gemischt  worden.  Vergebens 
hatte  er  sich  bei  den  städtischen  Behörden  tiir  den  Unglück- 
lichen verwandt,  vergebens  eine  Konfrontation  dcfisclben  mit 
denjenigen  seiner  Räte  verlangt,  die  mit  ihm  den  ver- 
räterischen Plan  gegen  die  Stadt  geschmiedet  haben  sollten. 
Mit  Entrüstung  wies  er  alle  Friedens  vorschlage  zurück,  welche 
der  neue  Hat  ihm  macheu  Uefs,  und  betrieb  nunmehr  aufs 
eifrigste  die  begonneneu  Rüstungen.     Bei  Hannover  musterte 


22 


Erstes  ßach.    Erster  Äbscbnitl. 


er  gegen  Ende  September  IG05  eine  Streitmacht  von  72 
Fahnen.  16  000  Mann  zu  Fufs  und  1500  Reiter.  Da  griffen 
auch  die  Bürger  zu  den  Waffen  und  setzten  im  Vertrauen 
auf  ihre  gelullten  Kassen  und  den  Beistand  der  Hansa  ihre 
Mauern  und  Thiirme  in  Verteidigiingsstand.  „Mächtig  sei 
Brauuschweig  durch  den  Bund  der  hansischen  Städte", 
sprach  damals  ein  Bürgermeister  vor  versammeltem  Rate, 
Indem  er  gleich  jenem  athenischen  Staatämaune  den  Mut 
seiner  Mitbürger  durch  Autzählung  der  der  Stadt  zugebote 
stehenden  Hiligraittel  zu  beleben  suchte,  „mächtig  durch 
jenen  Bund  und  so  reich,  dafs  die  Braunschweiger  vor  je- 
dem ihrer  Stadtthore  eine  Braupfanne  mit  Goldstücken  auf- 
stellen kr>nn1en:  sei  dieses  Geld  durch  den  Krieg  verzehrt, 
so  könne  die  Bürgerschaft  die  zurückgelegten  Rosenobel 
hervorholen,  und  selbst  wenn  diese  ausgegeben  wären,  bleibe 
doch  noch  Geld  genug  übrig,  um  den  Krieg  fürtzuaetzen." 
Die  wachsende  Erbitterung  gab  sich  auf  beiden  Seiten  durch 
zahlreiche  Spott-  und  Schelmenliedor  kund,  in  denen  ein 
trotziger  herausfordernder  Ton  angeschlagen  ward.  Ehe  der 
Hei-zog  jedoch  eine  regelrechte  Belagerung  begann,  machte 
er  einen  Versuch ,  sich  der  Stadt  durch  einen  plötzlichen 
Überfall  zu  bemächtigen. 

Am  16.  Oktober,  in  der  Nachmittagastunde,  als  man  in 
Braunschweig  gerade  die  Frau  des  Bürgermeisters  Gerecke 
begrub  und  viel  V^olks  diesem  Leichenbegängnisse  folgte,  er- 
schien vor  dem  Egidienthore  ein  Zug  von  Frachtwagen, 
denen  zwei  Kutschen  mit  Kautleuten  vorauffuhren.  Die 
Thorwache,  die  nichts  Arges  ahnte,  Uefa  sie  ungehindert 
durch  das  aufgezogene  Thorgatter  fahren.  Alsbald  sprangen 
die  angeblichen  Kaufleute,  welche  verkleidete  Offiziere  des 
Herzogs  waren,  von  ihren  Wagen,  stiefsen  die  Wache  nieder 
und  gaben  den  in  den  Fracht  wagen  versteckten  Soldaten 
das  verabredete  Zeichen.  Diese  bemächtigen  sich,  von  den 
Offizieren  geführt,  ohne  auf  weiteren  Widerstand  zu  stofsen, 
des  Kgidien-  und  Magniwalles  und  richten  das  Geschütz, 
das  sie  hier  vorfinden ,  gegen  die  Stadt.  Kaum  dafs  die 
Bürger  Zeit  fanden,  den  Steinthorwall  und  die  innere  Ring- 
mauer zu  besetzen  und  so  den  Feind  von  weiterem  Vor- 
dringen abzuhalten.  Dieser,  der  sich  durch  Zuzug  von 
Wolfenbüttel  her  stündlich  verstärkte,  fing  an  sich  auf  den 
eroberten  Wällen  zu  verschanzen  und  ein  wohlgenährtes 
Feuer  auf  die  Bürger  zu  unterhalten.  Mehr  als  200  Feuer- 
kugeln wurden  während  der  Nacht  in  die  Stadt  geworfen. 
Schon  entsank  den  Braunschweigern  der  Mut,  schon  hielt 
der   Rat   die   Stadt   für   verloren    und   verbargen   sich    seine 


Belagerung 

MitjE^lieder  in  ihren  Häusern,  schon  dachte  man  daran,  mit 
dem  Feinde  we^en  der  Übergabt*  zu  unterhandeln,  als  ein 
Zufall  der  Sache  eine  andere  Wendung  gab.  Der  Stadt- 
trorapeter  nämlich,  der  vom  Walle  herab  den  Bürgern  das 
Signal  zum  Einstellen  der  Feindseligkeiten  geben  sollte,  blies, 
durch  eine  in  der  Nähe  einschlagende  Kugel  aufser  Fassung 
gebracht,  statt  dessen  das  Lärnizcichen.  Die  Herzoglichen, 
welche  durch  die  Anstrengungen  des  Kampfes  ermüdet  und 
durch  den  berabströmeuden  Kegen  durchnUfst  waren,  liefaen 
in  der  Meinung ,  man  blase  zum  Angriff  gegen  sie,  von 
ihrem  Vordringen  ab  und  zogen  sich  auf  das  Egidienthor 
zurück.  Zu  gleicher  Zeit  sammelte  Jürgen  von  der  SchuJen- 
burg,  ein  siebenzig jähriger  im  Kriege  ergrauter  Greiß,  die  ver- 
zagenden Bürger,  welche,  ihrerseits  durch  das  Lärmzeichen 
erschreckt,  zu  fliehen  begannen  und  führte  sie  von  neuem 
gegen  den  Feind.  Dieser  widerstand  dem  Angriffe  nicht 
lange  und  zog,  an  der  Eroberung  der  Stadt  verzweifelnd, 
nach  Wolfenbüttel  ab,  indem  or  viele  der  Seinigen,  welchen 
das  zufallig  niederstürzende  Thorgatter  das  Entkommen  un- 
möglich machte,  als  Gefangene  in  den  Händen  der  Bürger 
zurückliefe. 

Nun  begann  Heinrich  Julius  allen  Ernstes  die  Belage- 
rung der  Stadt.  Zwei  Tage  nach  dem  mifsglückten  Überfall 
(18.  Oktober)  besetzte  er  sämtliche  Strafseu,  welche  zu  den 
verschiedenen  Thoren  führten,  und  liefs  vor  jedem  der  letz- 
teren eine  Schanze  aufttihren.  Bald  folgte  diesen  Mafs- 
r^eln  die  Beschiefstmg  der  Stadt  aus  des  Herzogs  zahl* 
reichem  Geschütz.  Allein  der  geringe  Ertblg,  der  dadurch 
erzielt  ward,  steigerte  nur  den  Übermut  der  Bürger.  „  Wäre 
Bronswiek  Waters  rike,  so  wäre  nicht  sines  gUke",  sang 
man  damals  in  der  Stadt.  Möglich,  dafs  dieser  Hohn  den 
Herzog  auf  den  Gedanken  brachte,  den  er,  als  die  Belage- 
rung nur  langsam  fortschritt ,  zur  Äusluhrung  zu  bringen 
beschlofs-  Unterhalb  Braun  schweig»,  in  der  Nähe  des  Doriea 
Ölper,  verengt  sich  da«  Thal  der  Ocker  so  sehr,  dals  ea 
möglich  schien,  den  Flufa  an  dieser  Stelle  abzudämmen  und 
80  die  Stadt  durch  die  Wassersnot ,  die  daraus  entstehen 
mufate,  zur  Unterwerfung  zu  nötigen.  Sobald  der  Herzog 
sich  von  der  Auslülubarkeit  dieses  Planes  überzeugt  hatte, 
befahl  er  die  Arbeit  in  Angriff  zu  nehmen.  Nach  sechs 
Wochen  war  der  Damm  vollendet,  der,  in  der  Mitte  mit 
^er  Schleuse  versehen,  die  Fluten  der  Ocker  aufstauete  und 
in  kurzer  Zeit  die  Stadt  unter  "Wasser  setzte.  Mit  jeder 
Stunde  wuchs  in  Braunschweig  die  Not.  Bald  waren  alle 
Kuhlen  in  der  Stadt  zerstört,  so  dafs  das  Brot  ungeheuer  im 


a 


Erstes  Buch.     Erster  Abschnitt 


Preise  stieg.  Notbinicken  mursten  gebauet,  durch  Kähne  der 
tägliche  Verkehr  vermittelt  werden.  Da  Bchien  sich  endlich 
die  Stadt  dcmütigeu  zu  wollen.  Aber  kuuni  hatte  sie  durch 
Vermittlung  dos  Königs  von  Dänemark,  der  in  diesen  Tagen 
bei  dem  Heimzöge,  seinem  Schwager,  in  Wolfenbüttel  weilte, 
einen  WaffenstillstAud  erlangt  und  kaum  war  infolge  davon 
durch  Aui'ziehen  der  Öchleuse  bei  Olper  dem  Wasser  ein 
Abfiuts  eröffnet,  als  sie  wieder  den  alten  Trotz  zeigte.  Noch 
einmal  brachten  dann  die  aufgestaueten  Fluten  Not  und  Ge- 
fahr über  die  Bürger,  diesmal  in  so  hohem  Mafae,  dafs  letz- 
tere den  widersti'ebenden  Kai  nötigten,  mit  dem  Herzoge 
Unterhandlungen  wegen  der  Unterwerfung  der  Stadt  anzu- 
knüpfen. Zugleich  erschienen  zwei  kaiserliche  Kommisaarien, 
um  zwischen  den  beiden  Parteien  den  Frieden  zu  vennitteSn. 
Voreihg  ging  der  Herzog,  der  Ehrlichkeit  der  Bürger  ver- 
trauend, auf  ihre  Vorschläge  ein.  Er  gab  Befehl,  die  Damm- 
schleiiee  zu  zerhauen  und  die  Schanzen  vor  der  Stadt  zu  ^J 
räumen.  Aber  kaum  war  dieses  geschehen,  kaum  hatte  ^M 
Heinrich  Julius  die  von  ihm  geworbenen  Truppen  bis  auf  ^* 
zwei  Kompagnieen  Leibgarde  in  Schöningen  entlassen,  als  der 
Rat,  indem  er  einen  grofsen  Teil  dieser  abgelohnten  Söldner 
in  Dienst  nahm,  die  Feindseligkeiten  von  neuem  eröffnete. 
Ja  er  machte  den  Versuch,  den  Herzog  durch  verräterischen 
Überfall  „tot  oder  lebendig"  in  seine  Gewalt  zu  bekommen. 
Bei  Dettum  unter  der  Asse  lieia  er  ihm  von  zweitausend 
Fufsknechten  und  acht  Fähnlein  Reitern  auilauern.  Nur 
ein  Zufall  und  die  Ausdauer  seines  Pferdes  retteten  den  be- 
droheten  Fürsten  vor  schmähhcher  Gefangenschaft.  Einige 
seiner  Begleiter,  darunter  sein  Geheimschreiber,  wurden  von 
den  nachsetzenden  Braunschweigern  erschossen.  Der  Rat 
liefs  sich  zwar  entschuldigen:  „seine  Reiter  hätten  nur  ein- 
mal einen  Spazierritt  machen  wollen",  allein  Heinrich  Julius, 
dem  zugleich  die  Kunde  kam,  dafs  die  Stadt  mit  den  mäch- 
tigsten niederdeutschen  Städten ,  mit  Lübeck ,  Hamburg, 
Magdeburg,  Bremen,  Lüneburg  und  Hildesbeim,  sowie  mit 
den  Lüneburger  Herzögen  Ernst  IL  und  August  neue  Bünd- 
nisse abgeschlossen  liabe,  wandte  sich  nunmehr  an  den  Kai- 
ser, der  infolge  davon  am  22.  Mai  1006  die  Reichsacht 
über  Braunschweig  verhängte  und  durch  kaiserliche  Mandate 
die  mit  ihm  verbündeten  Städte  von  einer  weiteren  Unter- 
Btützmig  der  rebellischeu  Stadt  abmahnen  liels.  Aber  so 
wenig  vermochten  dic«e  Schritte  die  trotzigen  Bürger  zu 
schrecken,  dafs  sie  den  kaisedichen  Herold,  welcher  die 
Ac htaer kläruug  überbrachte,  gröbHch  beleidigten  und  ver- 
höhnten.    Heinrich  Julius   begab  sich  jetzt  an   den  kaiser- 


Heinrich  Julius  w  Prag. 


25 


liehen  Hof  nach  Prag,  wo  er  von  nun  an  die  Vollstreckung 
der  Acht  gegen  die  widerspänstige  Stadt  personlich  iiiii"  das 
eifrigate  und  mit  allen  Älittelu  betrieb,  ohne  doch  ihre  völlige 
Demütigung,  diesen  innigsten  Wunsch  seines  Lebens,  er- 
reichen zu  können. 

in  Prag  sah  sich  der  Herzog  abermals  in  eine  lebhafte 
und  aufregende  politische  Thätigkeit  hineingezogen.  Gerade 
damals  schien  das  deutsche  Reich  bereits  einer  grofsen  un- 
heilvollen Katastrophe  entgegenzutreiben.  Seit  dem  Tode 
Maximilians  II.  war  der  kummerliche  Fnedensetand,  den  der 
Vertrag  von  Augsburg  geschaffen  hatte,  von  Jahr  zu  Jahr 
mehr  in  Frage  gestellt,  zuletzt  iu  vielen  Punkten  durch- 
löchert worden.  Mit  steigendem  Mil'straucn  standen  sich 
Katholiken  und  Lutheraner,  die  beiden  grofscn  Kehgions- 
parteien,  zwischen  denen  jener  Friede  geschlosBen  wurden 
war,  gegenüber,  während  die  Rel'ormierten  die  Schwäche  des 
Kaisers^  die  zunelimende  Verwirrung  im  Reiche  und  das 
bald  in  dem  österreichischen  Hause  selbst  ausbrechende  Zer- 
würftiis  zu  benutzen  suchten,  ura  ihrer  l'arfcei  eine  teste 
straffe  Organisation  zu  geben  und  ihr  damit  eine  ähnliche 
sichere,  vom  Reiche  anerkannte  Stellung  zu  erobern,  wie  sie 
den  Lutljeranem  durch  den  Friedensschlufs  von  Augsburg 
zuteil  geworden  war.  Eine  Menge  kleiner  Lokalstreitig- 
keiten ertullte  allerorten  das  deutsehe  Reich,  in  denen  sich 
zugleich  fast  ausnahmslos  die  grofsen  Gegensätze  der  kirch- 
lichen Parteien ,  in  die  es  zerklüftet  war,  bemerklich 
machten.  Eine  hervorragende  Rolle  spielte  dabei  die  Wie- 
dorbesctzung  der  ledig  werdenden  Bistümer,  da  man  auf 
beiden  Seiten  mit  allen  Mitteln  danach  strebte ,  Anhänger 
der  eigenen  Partei  auf  die  erledigten  Hitze  zu  bringen. 
Über  die  Wiederbesetzung  des  Bistums  Strafsburg  und  den 
Versuch  Gebhards  Trucbsefs  von  Waldburg,  das  Erzstift 
Köln  zu  reformieren,  kam  es  zu  offenem  Kriege,  der  hier 
wie  dort  zugunsten  der  mit  den  Spaniern  verbtindeten  ka- 
tholischen Partei  ausschlug.  Das  Schlimmste  war,  dafs  die 
Kämpfe,  welche  zwischen  den  Parteien  zu  der  nämlichen 
Zeit  in  den  Nachbarländern,  namentlich  in  Frankreich  und 
den  Niederlanden  tobten,  auch  über  die  deutsche  Grenze 
herUbergriffen ,  dafa  Calviuisten  wie  Katholiken  beflissen 
waren,  für  den  schon  damals  unvermeidlich  scheinenden 
grofsen  Krieg  sich  fremder  Hilfe  zu  versichern,  dafs  sich  die 
auswärtigen  Mächte  demgemäfa  daran  gewöhnten,  durch  Ein- 
mischuug  in  die  Angelegenheiten  des  Reiches  die  letzteren 
noch  mehr  zu  verwirren,  die  wachsende  Verwilderung  zu 
ihrem  Vorteil  auszubeuten,  das  deutsche  Land  zum  Tummel- 


2S 


Erstes  Baefa.    Enter  Alweliiiitt 


pJatz  ihrer  raubsüchtigen  Soldateska  zu  machen  und  die 
Hoheit  dea  cinrt  *>  stolzen  und  gefiirctteten  Reiches  röck- 
ncbtfllo8  in  den  Staub  zu  treten.  Schon  sah  man  in  dunkler 
Vorahnung  daa  drohende  Unwetter  langsam  aber  unabwend- 
bar am  politiachen  Horizonte  emporzieben,  das  dann  wenige 
Dezennien  ep&ter  über  Deutschland  losbrechen  und  die 
Kulturarbeit  Ton  Jahrhunderten  erbarmungslos  vernichten 
sollte. 

Diesen  trüben  Anzeichen  gegenüber  oabm  Heinrich  Ju- 
lius unter  den  protestantischen  Fürsten  eine  Termittelnde, 
inbezug  auf  die  Übergriffe  des  Auslandes  aber  eine  patrio- 
tische, entschiedene,  ja  selbst  kriegerische  ätellnng  ein.  „Er 
gehörte",  sagt  ein  neuerer  Geschichtschreiber  dieser  Zeil, 
,,EU  den  Wenigen,  die  mit  warmem  Gefühle  iür  des  Reiches 
Wohl  und  üLhre  Opferwilligkeit  und  Mut  verbanden.'*  Als 
nach  dem  Frieden  von  Vervins  ein  spanisches  Heer  von 
über  20iK>0  Mann  unter  Mendoza  von  den  Niederlanden 
aus  die  unterrheinischcn  Gebiete,  das  Erzstiil  Köln  sowie 
die  Herzogtümer  Jülich  und  Cleve,  Überschweramte  und  hier 
ganz  wie  in  Feindesland  hauste,  verlangte  er  aui'  dem 
Kreistage  zu  Köln  und  dem  Dcputationstage  zu  Franldurt, 
dafs  man  die  unehrenhaften  Verhandlungen  mit  den  kri^- 
fUhrenden  Mächten  abbreche  und  daiUr  die  Verteidigung  des 
deutschen  Landes  mit  einem  Heere  von  12000  Mann  in 
die  Hand  nehme.  Als  dies,  wie  vorherzusehen,  ohne  Krtblg 
blieb,  schlug  or  zum  Zweck  der  Verti'eibung  der  Fremden 
aus  dem  Reiche  die  Gründung  einer  protestantischen  Union 
vor,  und  als  sich  die  Verhandlungen  darüber  in  die  Länge 
zogen,  die  Spanier  sich  inzwischen  in  Westfalen  weiter  aus- 
breiteten, auch  die  Reichsstadt  Aachen  bedroheten,  griff  der 
Herzog  auf  eigene  Hand  zu  den  Waffen,  warb,  ohne  die 
Bcflchluläfassung  der  korrespondierenden  Fürsten  abzuwarten 
als  Oberster  des  niedersächsischen  Kreises  4500  Mann  zu 
Fufa  und  1600  Reiter  und  gab  dadurch  den  Anstofs,  dafs 
wirklich  trotz  des  Kleinmutes  und  der  Bedenken  mancher 
der  Fürsten  das  Defensionswerk  zustande  kam.  Allein  nun 
erhoben  sich  Zwistigkeiten  wegen  des  Oberbefehles,  auf  wel- 
chen sowohl  Heinrich  Julius  wie  auch  der  Landgraf  Moriz 
von  Hessen  gerechnet  hatte,  und  als  man  endlich,  um  keinen 
der  beiden  Fürsten  zu  beleidigen,  die  Leitung  des  Heeres 
dem  Grafen  Simon  zur  Lippe  anvertrauete  und  dieser 
08  um  die  Mitte  dos  Juni  1599  an  den  Rhein  tiihrte, 
waren  die  Eriolge  äufserst  gering.  Einige  wenige  Plätze, 
namentlich  Gennep  und  Emmerich ,  wurden  den  Spaniern 
entrissen,  dann  aber   übten    der  Mangel  an  Proviant,   der 


I 


« 


VerMicb  einer  protestantischeD  Union. 


27 


ausbleibende  Sold^  sclilierslich  die  UugUDst  der  Jahreszeit 
ihre  verderblicJbe  Wirkung  auf  die  Trupi)en  aus,  so  dafa 
sich  diese  iu  oöener  Meuterei  erhuboo.  ^ur  mit  Muhe  ge- 
lang es  dem  Graten  Philipp  von  Hobenlohe,  der  Empörung 
der  von  dem  ITerzoge  geworbenen  Truppen  llerr  zu  werden. 
Sie  wurden  entwaffnet  und  die  Rüdelsiührer  vor  ein  Kriegs- 
gericht gestellt,  welches  sie  sämtlich  zum  Tode  verurteilte. 
Doch  wurden  nur  vierundzwanzig  derselben  aufgehiiiigt,  die 
übrigen  unter  der  Bedingung  begnadigt,  dals  sie  sich  auf 
einige  Jahre  gegen  die  Türken  in  Ungarn  anwerben  liefsen. 
Der  ganze  Peldzug  war  mifBlungen  und  hatte  nur  dazu  ge- 
führt, die  Schuldenlast  des  Herzogs  bedeutend  zu  vermehren, 
<ler  Plan,  im  Gegensatze  zu  Spanien  wenigstens  einen  T<m1 
der  deutscheu  protestantischen  Mächte  zu  einem  festen  Bünd- 
nis zusammenzufassen,  kläglich  gescheitert. 

Hatte  Heinrich  Julius  in  diesen  Reichswirren  eine  ent- 
schlossene Haltung  angenommen,  welche  gegen  die  von  ka- 
tholischer Seite  her  drohende  Keaktion  entschieden  Front 
machte  und  dadurch  auch  mit  der  von  der  letzteren  völlig 
beeiuflufaten  Politik  des  Kaisers  in  Gegensatz  trat^  so  änderte 
sich  dies  jetzt  infolge  der  schlimmen  Erfahrungen,  die  ihm 
im  Kriege  gegen  die  Spanier  mit  seinen  protestantischen 
Bundesgenossen  nicht  erspart  geblieben  waren.  Zu  derselben 
Zeit  schien  ihn  sein  Streit  mit  Braunschweig,  welcher  gerade 
damals  eine  schroffe  Wendung  erhielt  und  eine  drohendere 
Gestalt  annahm,  auf  ein  gutes  Verhältnis  zu  dem  kaiserlichen 
Hofe  dringend  hinzuweisen.  Im  Frühlinge  des  Jahres  1602 
finden  wir  ihn  daher  in  Prag,  um  hier  peraönHch  den  Ge- 
sandten der  Stadt  entgegenzuwirken  und  die  zu  ihren 
Gunsten  erlassenen  Mandate  des  kaiserlichen  Hofrats   rück- 

fängig  zu  macheu.  Die  darüber  geführten  Verhandlungen 
amen  im  November  1602  zum  Abschlufs.  Statt  der  rück- 
ständigen Reichssteuern  verpflichtete  sich  der  Herzog,  2000 
Musketiere  und  1000  Reiter  zum  Kriege  gegen  die  Türken 
zu  stellen,  für  welche  „Devotion"  ihm  der  Kaiser  in  Aus- 
sicht stellte,  dafe  er  von  ihm  und  seinem  Hause  sich  alles 
Guten  versehen  dürfe.  Die  veränderte  Stimmung  am  kaiser- 
lichen Hofe  machte  sich  sofort  bemerkbar.  Noch  im  Jahre 
1600  hatte  der  Hofrat  trotz  der  Einrede  des  Herzogs,  dafs 
sein  Rechtsstreit  mit  Braunschweig  bereits  am  Karamer- 
gerichte  anhängig  gemacht  sei,  wiederholte  Mandate  erlassen, 
weiche  den  Streitenden  die  Abdankung  ihrer  Truppen  und 
die  Einstellung  aller  gegenseitigen  Feindseligkeiten  anbe- 
fahlen. Jetzt ,  nachdem  sich  der  Herzog  mit  dem  Kaiser 
verständigt  und  jene  Hilfstruppen   gegen   die  Türken   zuge- 


Krstes  Buch.     Erster  Abschnitt. 


sagt  hatte,  sah  sich  die  Stadt  alsbald  in  der  I*age,  bam 
Kaiser  zu  klagen ,  data  die  zu  ihren  Gunsten  ergangenen 
Mandate  ungestraft  verachtet  würden.  Ein  Jahr  später 
fl604)  hatte  der  kaiaerliche  Hofrat  bereits  seine  bisterigo 
Ansicht  dahin  geändert,  dafs  jene  Mandate,  weil  sie  sich 
teils  auf  falsche  ßcriohte  gründeten^  teils  in  die  beim  Kam- 
mergerichte  schwebenden  Prozesse  eingi'iflFen,  völlig  zn  ver- 
nichten seien  Von  nun  an  konnte  der  Herzog  eich  der 
kaiserlichen  Unterstützung  gegen  seine  rebellische  Stadt  ver- 
sichert halten.  Wir  haben  den  weiteren  Verlauf  dieser  An- 
gelegenheit dargelegt:  der  hartnäckige  Widerstand,  dem  er 
bei  der  Belagerung  der  Stadt  begegnete,  veraulafate  ihn, 
wie  wir  gesehen,  im  Jahre  1GÜ6  abermals  nach  Prag  za 
reisen. 

Als  er  hier  ankam,  war  das  feindselige  Verhältnis,  wel- 
ches schon  seit  geraumer  Zeit  infolge  der  Mifsregierung 
Rudolfs  zwischen  diesem  und  seinem  Bruder  bestand,  eben 
zu  offenem  Bruche  gediehen.  Der  Verlaul"  dieser  unglück- 
lichen Händel,  welche  um  ein  Haar  einen  Bruderkrieg  ent- 
zündet hätten  und  dazu  führten,  in  Böhmen,  Osterreich - 
und  Schlesien  die  Rechte  der  Stände  auf  Kosten  der 
Herrschaft  in  ungebührlicher  Weise  zu  erweitern ,  ist  aus 
der  allgemeinen  deutschen  Geschichte  bekannt.  Heinrich 
Julius,  der  bald  das  volle  Vertrauen  des  sonst  so  argwöh- 
nischen, menschenscheuen  Kaisers  gewann,  ist  in  diesen  Wir- 
ren, welche  schon  damals  einen  aUgemeinen  europilischeu 
Kriegsbrand  zu  entfachen  droheten,  mit  rühmlichem  Eifer 
und  nicht  ohne  Erfolg  bemüht  gewesen,  zwischen  den  ha- 
dernden Parteien  zu  vermitteln  und  das  Aufaerste  abzu- 
wenden. Seine  Persönlichkeit ,  seine  Geschäftegewandtheit 
und  politische  Erfahrung,  selbst  der  kirchliche  Standpunkt, 
den  er  einnahm,  befähigten  ihn  in  gleichem  Mal'sc  zu  dieser 
Rolle.  Es  ist  geradezu  bewunderungswürdig,  wie  er  die 
Zuneigung  des  mifstrauischen  Kaisers,  der  in  seinem  schwer- 
mütigen ,  an  Wahnsinn  grenzenden  Zustande  sich  gegen, 
jedeiinann  absclilofs,  seine  eigenen  Minister  zu  sehen  ver- 
weigerte ,  wichtige  Gesandtschaften  oft  viertel  jahrelang  auf 
Audienz  warten  liefs,  zu  erwerben  und  zu  bewahren  ver- 
stand. Seinen  Bemühungen  war  es  hauptaäL-hlich  zu  danken, 
dafs  der  Krieg  zwischen  den  beiden  Brüdern,  zu  dem  man 
dort  wie  hier  eitrig  rüstete  und  für  den  in  Prag  alles  bereit 
zu  sein  schien,  nicht  zum  Ausbruch  kam.  UnerraUdUch  hin- 
und  herreisend,  in  rastloser,  aufreibender  Thätigkeit  hat  er 
damals  Gesundheit  und  Leben  aufs  Spiel  gesetzt  Seinen 
Anstrengungen    gelang    es,    den    Abachlufa    des   Bündnisses, 


Des  Heno^  vejtnitteiDde  Tkätigkeit  io  Tng. 


2i 


welches  der  lutherische  Kurfürst  von  Sachsen  mit  der  katho- 

'üschen  Liga  gegen  die  in    der  Union    vereinigten    meist   re- 
formierten Reichsstände  plante,  zu  verhindern.     Er   war   as, 
der,  als  der  Bruderzwist  im  Jahre  1610  von  neuem  empor- 
Iflammte^  kein  Opfer  au  Geld   und  Muhe   scheuete,   um   den 
[Frieden  aufrecht  su  erhalten.     Auf  der  Präger  FUrstenver- 
[«ammlung  war  er  die  Seele  der  Verhandlungen,  welche  eine 
jAussühnung   zwischen    Rudoh'  II.   und   Matthias   anstrebten. 
I  In  Begleitung  des  Erzherzogs  Ferdinand  und  des  Kurfitrsten 
von  Köln  begah  er  sicii    im  Juni  zu   diesem   Zwecke    nach 
[Wien,    wo    eä    ihm    nacli    endlosen    Miihen    gelaug,    Mat- 
thias    zu     entgc^n  kommen  den     Schritten     seinem     Bruder 
gegenüber  zu  bewegen.    Mit  dem  hier  vereinbarten  Vertrag«- 
entwurle  1^^  er  um  die  Mitte  des  Juli  den  Weg  von  Wien 
nach  Prag   in   sechsunddreifsig    Stunden    zurück ,    trat   aber 
beim  Kaiser  auf  neue  Schwierigkeiten.    RuJoll"  hatte  einmal 
wieder   seine   Wutaiiialle,   schrie   und   tobte  über   die   Ver- 
mittler, die   ihm   viel   GeW   kosteten    und    doch    nur   ihren 
eigenen  Vorteil  bedächten.    Erst  nach  viei-zehu  Tagen  konnte 
Heinrich    Julius    mit     einem    veränderten    Vertragscntwuri'e 
.  nach    Wien    zurückkehren.     Aber    als    nun    Matthias    nach 
'  längerem  Sträuben    sich   eudlich   im    weaeutlichen    mit   dem- 
selbeu  einverstanden  erklärte,  hatte  beim  Kaiser  inzwischen 
die  kriegerische  Stimmung  wieder  die  Oberhand   gewonnen. 
Er  vertrauete  auf  die  Ti-uppen,  die  er  im  Hochstifte  Paasau 
durch  den  Erzherzog  Leopold  hatte  anwerben  lassen.    Allein 
von  diesem  Passauer  Kricgsvolkc  liefen  damals  die  sclilimm- 
fiten    Nachrichten   ein.      Ohne    Sold   gelassen,   der   Kot  und 
dem   Hunger   preisgegeben ,   befunden   sich    die   Truppen  in 
ibellem  Aufstande  und  schickten  sich  au,  durch   eine  Unter- 
^  nehmuug  auf  eigene  Faust  sich  für  die  von  ilmcu  erlittenen 
|£ntbchrungen  schadlos  zu  halten.    Am  lü.  August  überfielen 
I  sie  zehn    numbergische  ScJtiffe,    nahmen   die  Besatzung   ge- 
l&ngen  und  die  Waren    in  Besclilng.     Zugleich   rückten   sie 
drohend  an   die   österreichische  Grunze.     GauK  Ungiirn   und 
C^terreich  geriet  in  Angst  und  Schi-ecken,    die    grüfsto  Bo- 
stürzimg  aber  bemächtigte  sieb  der  vermittelnden  Fürsten  in 
Prag,  die  jetzt,  kurz  vor  dem  Gelingen,  alle  ihre  Anstreng- 
langen  tur  gescheitert  ansehen  mui'sten.      Längst    seiner  un- 
fruchtbaren  Rolle   müde,    hatte   der   Kurliirst    von   Sachsen 
bereits  die  Stadt  verlassen.     Die  IJbrigen  beschlossen,  einen 
letzten  Versuch  bei  dem  Kaiser  zu  wagen.    Am  5.  Septem- 
ber begaben  sie   sich  aut  das   Schlofs.     Aber  Rudolf  hielt 
sich  verriegelt  in   seinen  Gemächera    und   wollte  niemanden 
vor  Mch    lassen.     Darauf   droheten  die  Fürsten  mit   ihrer 


so 


Entea  Bach.    Enter  Äbcdwitt. 


Abreise  und  exkUrten,  sie  seien  entscUoeeen,  falls  man  sie 
nicht  höre,  den  Kaiser  eeicem  Schicksale  zu  überlassen. 
Das  brach  endlich  den  Widerstand  des  unglücklichen  Man- 
nes: er  nahm  den  früheren  Vertragscntwurt' an,  doch  roufsten 
rieh  «Ämtliche  Füraten  tÜT  seine  ehrlii-iie  Ausführung  ver- 
bürgen. Mit  des  Kaisers  UntersohrÜt  unter  dem  Vertrage 
«ilte  Heinrich  Julius  nach  Dresden^  um  sich  der  Bürgschal't 
des  Kuriursten  Ton  Sachsen  zu  rersichem.  Kaum  hatte  er 
Prag  verlassen,  als  Rudolf  erklärte,  er  wolle  seine  Unter- 
schrilt  wieder  zurückziehen.  Glücklicherweise  war  es  zu 
spät.  Denn  inzwischen  hatte  der  Herzog,  der  von  Dresden 
nach  Wien  gegangen  war,  den  Erzherzog  Matthias  zur  An- 
nahme des  Vertrages  bewogen ,  nachdem  er  eich  mit  den 
übrigen  vermittelnden  Fürsten  für  die  alsbaldige  Abdankung 
des  Passauer  Kriegsvolks  verbürgt  hatte. 

Damit  war  dem  unermüdlichen  Herzoge  eine  neue,  kaimi 
weniger  dornenvolle  Aufgabe  gestellt:  die  Ablehnung  und 
AullöBung  des  meuterischen  Kriegsvolkes  durchzuführen. 
Ohne  grofse  Qeldmittel  war  dies  eine  UnraügUchkeit ,  und 
der  Kaiser  weigerte  sich  hartnäckig,  seine  Truhen  zu 
Öffnen  und  den  bis  auf  500  000  Gulden  aufgelaufenen  rück- 
ständigen Sold  vorzustrecken.  Vergebens  erklärten  sich  die 
böhmischen  Stände  bereit,  ihro  Mitwirkung  zu  leihen,  ver- 
gebens erbot  sich  Heinrich  Julius  aufser  einem  vierzehn- 
monatlichen Vonchufs  auf  die  Keichssteucr  zu  einem  wei- 
teren Darlehn  bis  zu  100000  Thalern.  Der  Kaiser  war  zu 
nichts  zu  bewegen.  Mitten  im  Winter,  über  Schnee  und 
Eis,  reiste  der  Herzog  zwischen  Prag  und  den  Passauern 
hin  und  her,  hier  beschwichtigetid,  durt  treibend  und  bittend, 
immer  in  rastloser,  anstrengender  Thatigkeit.  Endlich  gegen 
Weihnachten,  als  die  Truppen,  noch  9U00  Fufsknechte  und 
4000  Pferde,  sich  auBchickten,  längs  der  Donau  nach  Ober- 
österreich vorzudringen,  gelang  ea  dem  Herzoge,  vom  Kaiser 
eine  ansehnliche  Summe  aus  den  Schatzgewölben  zu  er- 
halten ,  anderes  gegen  Bürgschaft  aufzutreiben  und  ao 
600000  Gulden  autzuhringen,  mit  denen  er  die  Abdankung 
zu  bewerkstelligen  hoffte.  Allein  jetzt  kam  er  damit  zu  spät, 
denn  schon  war  das  herrenlose  Volk  in  das  Land  ob  der  Ena 
eingebrochen,  wo  es  bis  Ende  Januar  1611  in  roLester  AVeise 
hauste  und  die  greulichsten  Gewaltthaten  beging.  Dann 
brach  es  gegen  die  ausdrücklichen  Befehle  des  Kaisers  nach 
Böhmen  auf,  lagerte  sich  vor  Prag,  besetzte  den  weifsen 
Berg  und  die  Kleinseite  und  bedrohete  von  hier  die  Altstadt 
und  den  Hradschiu.  Wochenlang  stand  man  sich  hier,  zum 
Kampfe  gerüstet,  gegenüber.    Da  brachte  endlich  ein  Schritt 


Abdankung  des  Passauer  Kriegavolks. 


ti 


der  böhmischen  Stände  die  Kntscheiduog.  Sie  wandten  sich 
den  früheren  Verfräßen  geniäfs  an  Matthias  und  baten  die- 
sen um  Hilfe.  Dies  bewirkte  bei  dem  Kaiser  mehr  als  alle 
verui'uiltigeu  Vorstellungen.  Kr  bequemte  sich  dazu ,  eine 
Abschlagszahlung  von  300  000  Gulden  zu  leisten,  und  da 
auch  den  meuterischen  Truppen  ihre  Lage  unheimlich  zu 
•werden  begann,  zogen  sie  am  11.  März  in  aller  JStille  ab. 
Auf  ihrem  Rückzuge  wurden  manche  erschlagen,  einen  Teii 
nahm  Matthias  in  seinen  Dieikst,  die  übrigen  zerstreueten 
sich,  nachdem  der  Kaiser  noch  einmal  200  OUO  Gulden  iür 
sie  gespendet  hatte. 

Heinrich  Julius  war  auch  währeud  dieser  letzten  Er- 
eignisse in  gewohnter  aufopfernder  Weise  thätig  gewesen. 
Er  ward  nicht  müde,  zu  warnen,  zu  raten,  zu  vermitteln. 
Mehr  als  einmal  ist  er  pert-ünlich  mit  Lebensgefahr  imter 
die  Aulruhrer  gegangen,  um  mit  ihnen  zu  verhandeln  und 
aie  von  Ausschweifungen  und  Gewaltthaten  abzuhalten.  Der 
Kaiser,  der  ihn  zu  seinem  „Geheimen  Kat  und  bestailteu 
obersten  Direktor*'  ernannt  hatte,  bewahrte  ihm  nach  wie 
vor  seine  Gunst.  Dieser  hatte  es  der  Herzog  zu  danken, 
dafs  die  bereits  im  Jahre  1606  gegen  die  iiitadt  Braun- 
schweig ergangene  Achtserklärung  unterm  19.  März  IGIO 
erneuert,  im  folgenden  Jahre  auf  dem  niedersächsi sehen 
Kreistage  zu  Haiberstadt  Öffentlich  verkündigt  und  ihm  selbst 
die  Vollstreckung  derselben  aui'getrageu  wai-d.  Ei-  kehrte 
daher  im  Herbste  des  Jahres  lüll  nach  mehrjähi-iger  Ab- 
wesenheit in  die  Heimat  zurück.  Aber  kaum  in  Wolfen- 
büttel angekommen ,  traf  ihn  die  Kachricht  von  dem  am 
10/^0.  Januar  lül2  ertolgten  Tode  des  Kaisers  Rudolf. 
Wollte  er  nicht  die  Frucht  jahrelanger  Anstrengungen  ver- 
lieren, so  mufste  er  jetzt  den  Erzherzog  Matthias,  der  am 
3.  Juni  1612  in  Frankturt  zum  Kaiser  erkoren  ward,  iur 
sich  zu  gewinnen  suchen.  In  dieser  Absicht  eilte  Heinrich 
Julius  im  Herbst  abermals  nach  Prag.  Hier  erki'ankte  er 
im  tolgeuden  Sommer  ( 1613)  nacli  einem  Zechgelage,  welches 
Wilhelm  Slavata ,  das  bekannte  Haupt  der  katholischen 
Partei,  im  kaiserlichen  Garten  veranstaltete  uud  au  welchem 
er  sich  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  beteiligte.  Da  er  weder 
Nahrung  noch  Arznei  zu  sich  nehmen  wollte,  verschlim- 
merte^ sich  sein  Zustand  binnen  wenigen  Tagen  so  eehr,  dafs 
das  Aufserste  zu  beiiii-chten  stand.  Am  20/30.  Juli  war 
er  eine  Leiche :  er  war  noch  nicht  neun  undvi  orzig  Jahre  alt. 
Seine  sterblichen  Überreste  wurden  über  Dresden  und 
Haiberstadt  nach  Groningen  und  von  da  nach  Wolieubüttel 
übergeführt,  wo  aie  unter  Entlaltung  eines  grofseu  Pompes 


Erstes  Buch.     Erster  Abschnitt. 


in  der  noch  unvollendeten  Maiientircha  zur  letzten  Ruhe 
bestattet  wurden. 

Mit  Heinrich  Julius  aank  ein  Mnnn  von  hoher  Be- 
gabung, seltener  Geiatcsbildung  und  ebenso  ungewohnliL'hem 
Charakter  in  das  Grab,  ein  Fürst,  dorn,  sila  der  Tod  ihn  in 
den  besten  Lebenäjuhren  hinwegnahiu,  noch  eine  groise  Zu- 
kunft beschieden  zu  Hein  Bcliien.  So  wenig  er  sich  in  dem 
letzten  Jahrzehnt  seiner  liegiei-ung  um  die  Angelegenheiten 
des  ihm  angestammten  Landes  persönlicli  und  unmittelbar 
bekümmert  haben  mag,  so  schmerzlich  erapi'uiid  man  hier 
doch  seinen  Tod,  „Der  Vater  des  Vaterlandes"  —  so  klagt 
eine  der  zahlreichen  ihm  gewidmeten  Leichenreden  —  „ist 
gestorben,  billig  beweinen  wir's  als  Kinder :  der  Hirt  ist  ge- 
schlagen y  billig  beklagen  wir's  als  Schäflein :  der  grofse 
Baum  des  Lebens  ist  gefallen ,  billig  betrauern  wir's  als 
solche,  welche  Nahrung,  Schatten  und  Ruhe  darunter  gehabt 
haben."  Es  schien  in  der  That,  als  ob  ein  banges  Vorgo- 
lUhl  von  den  furchtbaren  Zeiten,  die  bevorstanden,  die  G^e- 
müter  der  Menschen  bewegte  und  sie  doppelt  schwer  den 
Heimgang  eines  Fürsten  empfinden  liefs,  der,  neben  Moriz 
von  Hessen  unter  den  protestantischen  Herrschern  des  da- 
maligen Deutscliland  ohne  Zweifel  der  bedeutendste  ^  alle 
Hilfsmittel  seines  reichen  Geistes  ungewandt  hatte,  um  das 
seit  lange  drohende  Unheil  eines  allgemeinen  Krieges  von 
Deutschland  und  Europa  abzuwenden.  Für  die  seiner  Ob- 
hut anvertraueten  Länder  ist  seine  Regierung  bei  vielver- 
sprechenden Anfängen  und  Anläufen  doch  schüefslich  wenig 
erfolgreich  gewesen  und  an  dem  Unheil  und  der  Verwimmg, 
die  bald  nach  seinem  Tode,  noch  vor  dem  Ausbruche  des 
grofscn  Krieges,  über  sie  hereinbrachen,  ist  er  nicht  als  völlig 
schuldlos  zu  erachten.  „Sein  Unglück",  sagt  Spittler,  „war, 
bei  halbvollendeten  Planen  zu  sterben,  und  sein  vielleicht 
noch  gröfseres  Unglück,  einen  achwachen  Nachfolger  zu 
haben,  der  keinen  seiner  angefangenen  Entwürfe  forttuhj-en 
und  der  Nachwelt,  die  so  oft  aus  dem  Erfolge  schliefst,  in 
seiner  heirlichen  Vollendung  zeigen  konnte,  was  nach  dem 
Anfang,  den  Heinrich  Julius  machte,  oft  romantisch  unter- 
nommen, oft  bei  den  besten  Abzweckungen ,  wozu  es  end- 
lich geführt  hätte,  blofs  despotisch  versucht  zu  sein  schien.*' 

Als  ältester  von  den  vier  Söhnen,  die  Heinrich  Julius 
hinterlassen  hatte,  trat  Friedrich  Ulrich,  beim  Tode  des 
Vaters  zweiundzwanzigjähiig ,  die  Regierung  an.  Auch  er 
verdankte  einer  sorgfältigen  Erziehung  und  einem  geregelten 
Unterrichte  mancherlei  Kenntnisse,  die  er  dann  durch  den 
Besuch  der  Hochschalen  zu  Helmstedt  und  Tübingen,  sowio 


Anftage  Friedrich  Ulrichs. 


3S 


durch  eine  Reise  nach  Frankreich,  England  und  den  Nie- 
derlanden TervoUatändigte  und  vennehrte.  An  den  Höfen 
von  St  Gennain  und  St.  James  von  Heinrich  IV.  und 
seinem  Oheime  Jakob  I.  von  England  in  zuvorkommendster 
Weise  empfangen,  schlofe  er  mit  Heinrich  Friedrich^  dem 
hochsinnigen  ,  zu  den  schönsten  Hof&angen  berechtigenden 
Prinzen  von  Wales,  die  innigste  Freundschaft.  Er  halte  die 
Absicht,  von  England  nach  Italien  zu  gehen,  aber  Jakob  1., 
welcher  die  Einflüsse  der  katholischen  Propaganda  auf  das 
Gemüt  des  wenig  selbständigen,  leicht  zu  bestimmenden 
Prinzen  fürchtete,  bewog  dessen  Vater,  ihn  in  die  Heimat 
zurückzurufen.  Über  Vlie-^ingen,  Brüssel  und  den  Haag 
erreichte  er  diese  im  August  1610  Von  diesem  Aufentliaite 
an  fremden  Höfen,  auf  der  schwäbischen  Universität  und  im 
Auslände  brachte  Friedrich  Ulrich  ohne  Zweifel  eine  Be- 
reicherung seines  Wissens  und  eine  Erweiterung  seines  gei- 
stigen  Horizontes  heim,  nicht  aber,  was  ihm  am  meisten  not 
gethan  hätte,  eine  Festigung  seines  Charakters.  Die  schwäch- 
liche Gutmütigkeit,  die  ihm  schon  als  Knaben  eigen  war  und 
die  ihn  dem  Einflüsse  seiner  Umgebung  fast  wiUenlos  unter- 
warf, blieb  auch  ferner  der  charakteristische  Zug  seines 
Wesens,  was  um  ro  bedenklicher  und  bedauernswerter  war, 
als  die  unerspriefs liehen  Zustände,  die  ihn  nach  des  Vaters 
Tode  beim  Antritt  seiner  Regierung  erwarteten ,  zu  ihrer 
Beseitigung  die  geistige  Thatkraft  eines  ganzen  Mannes  zu 
erfordern  schienen.  Denn  eine  dreifache  imheilvoUe  Erb- 
schaft war  dem  jungen  Fürsten  von  seinem  Vater  über- 
kommen: die  tiefe,  täglich  wachsende  ZeiTüttung  im  Staats- 
haushalte, eine  Anzahl  kostspieliger,  in  ihrem  Ausgange 
höchst  zweifelhafter  Prozesse  bei  den  Reichsgerichten,  end- 
lich der  noch  immer  ungesehlichtete  Streit  mit  der  Stadt 
Braunschweig. 

Der  letztere  flammte,  nachdem  es  einen  Augenblick  den 
Anschein  gehabt,  als  ob  es  zu  einem  Ausgleich  mit  dem 
Herzoge  kommen  sollte ,  alsbald  noch  einmal  imd  zwar 
heftiger  als  früher  auf  Noch  immer  schwebte  die  im  Jahre 
1606  verkündete  Reichsacht  über  der  widerspänstigen  Stadt, 
ja  sie  war  1610  in  ernsterer  Weise  erneuert  worden.  Die 
schlimmen  Folgen  davon  machten  sich  doch  schHerslich  fiir 
die  Bürger  in  empflndlicher  Ausdehnung  geltend.  Handel 
und  Wandel  lagen  gänzlich  darnieder  und  die  städtischen 
Kassen  waren  durch  den  langen  Krieg  der  Erschöpfung  nahe 
gebracht  Noch  bedenklicher  war  der  Mangel  an  Eintracht, 
der   eben  jetzt   wieder    einmal    zwischen    Hat    und   Bürger- 

HstaeiDftnB,  BrannRcliw.-binnST.  Goichicht«.    UL  ^ 


S4 


Erstes  Bacb.    Erster  Abschnitt. 


Bcbafl  hervortrat  Ein  Privathader  zwischen  dem  Bürger- 
meUter  Kart  Döring  und  dem  Stadtäycdikus  Röerhand^  der 
als  ein  Kacbball  des  giausamen  Verfahrpns  gegen  Brabant 
erscheint,  gab  die  Veraidassung  zu  Unruhen,  welche,  durch 
die  Hetzpredigteu  des  Pastors  an  St  Katharincn  Jakob 
Gilbert  gesteigert,  schÜelslicb  zu  einer  V(illigen  Umwäbung 
im  Regimente  der  Stadt  fiihrten.  Der  gesamte  Magistrat, 
dem  man  allerlei  Ungesetzlichkeiten  inbezug  aut'  die  Ver- 
waltung der  öffentlichen  Gelder  vorwarf,  ward  am  13.  Sep- 
tember 1614  Inr  untauglich  erklärt  und  abgesetzt.  Zwei 
Tage  darauf  wählten  die  Gemeinden  ein  neues  Regiment, 
von  welchem  PÜmtliche  irUhertju  Ratshenen  fiusgeschlussen 
worden. 

Der  neue  Piat  knüpfte  in  der  Hoffnung,  einen  billigen 
Frieden  zu  erlangen,  sogleich  Vorhandlangen  mit  dem  Her- 
zoge Friedrich  Ulrich  an.  Allein  diese  zerschlugen  sich  an 
der  Forderung  des  letzteren,  die  Sladt  solle  ihm  zwei  Tonnen 
Goldes  zahlen,  sich  zu  einer  jährlichen  Abgabe  von  20000 
Thalern  verstehen  und  ihm  eines  ihrer  Thore  einräumen.  AU 
man  in  Brauuschweig  darauf  nicht  einging,  sondern  sich  nur 
zu  einer  einmaligen  Bufse  von  200000  Thalern  herbeilassen, 
allenfalls  noch  die  Erbauung  eines  Schlosses  innerhalb  der 
Stadtmauern  durch  den  Herzog  gestatten  wollte,  begannen 
die  Feindseligkeiten  aufs  neue.  Unter  dem  Einflüsse  seines 
Feldobersten  und  Statthalters  von  Wolfenbüttel  Michael 
Viktor  von  Wustrow  betrieb  der  Herzog  mit  allem  Kifcr 
seine  Rüstungen ,  so  dafs  er  gegen  Ende  Juli  1615  eine 
Streitmacht  von  mehr  als  8000  Mann  mit  sechs  und  vierzig 
Belagerun gegefmhützen  zusammen  hatte.  Die  Stadt  suchte 
sich  solchen  Vorbereitungen  gegenüber  durch  ein  Bündnis 
zu  schützen,  welches  der  erwähnte  Syndicus  Röerhand  be- 
reits im  Jahre  1613  mit  den  Hansestädten  Deutschlands  und 
der  Niederlande  verhandelt  und  zum  Abschlufs  gebracht 
hatte.  Allein  der  Einfall  von  etaatischem  Volke,  der  infolge 
davon  im  Jalire  1614  das  Fürstentum  Caleuberg  verheerte, 
steigerte  die  gegenseitige  Erbitterung  nur  noch  mehr,  so 
dafs  die  Vermittlung,  welche  Brandenburg,  Dänemark,  ja 
selbst  die  Städte  Hamburg  und  Lübeck  in  letzter  Stunde 
versuchten,  fehlschlug.  Nun  besetzte  der  Herzog  die  nach 
Braunachweig  führenden  Strafsen ,  bemächtigte  sich  der 
Landwehren,  waH  bei  Melverode,  Riddagshausen  und  Glies- 
marode  Schanzen  auf  und  eröffnete  nach  Vollendung  der 
Laufgräben  eine  rogclmäfsige  Beschiefsung  der  Stadt  Die 
Bürger  ihrerseits  unternahmen  wiederholt  Ausi^lle,  durch 
welche  sie  den  Belagerom  nicht  unbedeutenden  Schaden  zu- 


Krieg  mit  Bniunschweig.    Belagerang  der  StadL 


S& 


fügten.  So  WHrde  auf  herzoglicher  Seite  bei  einem  Schar- 
mützel am  3.  August  Wolf  Christoph  von  Rauchhaupt,  ein 
tapferer  Offizier,  getötet  und  ein  Ausfall,  deu  die  Bürger 
am  ersten  (11 .)  September  wagten ,  kostete  dem  Wolfen- 
büttler  Statthalter  Viktor  von  Wuatrow,  der  den  Herzog  un- 
ablässig zu  diesem  Kriege  angetiiebeu  hatte^  das  Leben.  Er 
war  der  letzte  seines  im  haouüvrischen  AVendlaude  ange- 
sessenen Geschlechtes  und  ward  auf  dem  Martinikirclihofe 
nach  dem  Altstadtmarktc  zu  begraben. 

Inzwischen  nahm  die  Beschiefsung  der  Stadt  unter  argen 
Beschädigungen  der  letzteren  und  schweren  Verlusten  der  Bür- 
ger ihren  Fortgang.  Huus  Hüle  der  Bürgermeister  wurde 
mit  zwei  Genossen  auf  dem  St.  Magniwalle  durch  das  her- 
zogliche Geschütz  getötet,  dasselbe  Schicksal  liatteii  bei  einem 
Ausfalle  der  Stadthauptmann  Thomas  Villier  und  viele  junge 
Bürger  und  Bürgorssohne.  Von  allen  Weichbilden  litt  am 
meisten  die  alte  Wiek  mit  ihren  Gotteshäusern  von  St  I^i- 
dien  und  St.  Magnus.  Der  Turm  des  letzteren  stürzte  am 
16.  September  unter  dem  Feuer  der  Belagerer  zusammen. 
Dennoch  waren  alle  gerade  hier  unternorameuen  Stürme 
vergebens  Und  als  der  bereits  im  Dahinschwinden  be- 
griffene Mut  der  Bürgerschaft  durch  Zuzug  hansischer  Hilfa- 
vöiker,  mit  welchen  sich  Graf  Friedricli  von  Solms  nach 
heftigen  Kämpfen  bis  in  die  Stadt  durchschlug,  neu  belebt 
ward,  mufstc  sich  Friedrich  Ulrich  wohl  von  der  Unmög- 
lichkeit überzeugen ,  sie  mit  Gewalt  zu  unterwerfen.  Auf 
Zureden  der  kaiserhchen  Gesandten  und  auf  den  Rat  be- 
freundeter Fürsten  Iiob  er  am  2/12.  November  die  Belagerung 
auf  und  zog  nach  dreimonatlicher  Beschielsung  der  Stadt 
sein  Heer  auf  Wolfenbüttcl  zurück.  Es  war  das  letzte  Mal, 
dafs  Braunachweig  den  Landesherm  mit  Erfolg  zurückge- 
wiesen und  seine  stolze  SondersteUung  siegreich  behauptet 
hatte.  Bald  darauf  kam  es  unter  Vermittlung  der  Nieder- 
länder und  einiger  Hansestädte  zu  einem  Vergleiche,  der 
am  Tage  des  heiligen  Apostels  Thomas  (21/31.  Dezember) 
zu  Steterburg  abgeschlossen  ward.  Die  Stadt  leistete  dem 
Herzoge  die  Huldigung,  wogegen  dieser  sie  bei  ihren  alten 
Freiheiten  zu  belassen  versprach,  auch  sich  zu  einer  Ent- 
schädigung im  Betrage  von  100000  Thalern  an  diejenigen 
in  der  Stadt  angesessenen  Gutsherren  verstand,  deren  Güter 
von  ihm  eingezogen  worden  waren.  Die  übrigen  streitigen 
Punkte  wurden  nach  Bilhgkeit  verglichen  oder  auf  den  Weg 
des  Rechtes  verwiesen:  das  beiderseitige  Kriegsvolk  sollte 
abgedankt  werden  und  der  Herzog  seine  Klage  gegen  die 
Stadt  bei  den  Reichsgerichten   zurücknehmen.     Sobald  d\£;% 


m 


Erstes  Buch.    Erster  Abschnitt. 


geschehen,  erfolgte  die  Aufhebung  der  Heichsacfati  und  nach- 
dem der  Kaiser  den  Vertrag  bestätigt  hatte,  erteilte  Fried- 
rich Uh'ich  der  Stadt  den  grofeen  und  kleineu  Huldebriei. 

Schlimmer  nuch  als  dieser  kostspielige  und  trotzdem  er- 
folglose Kampf  gegen  die  erste  Stadt  des  Landes  war 
die  tinanzielle  Hinterlassenschaft  des  verstorbenen  Herzogs. 
Gleich  nach  seinem  Tode  richtete  der  Kammerraeister 
Lorenz  Berkehnanu^  einer  seiner  treueeten  und  bewahr- 
testen Diener,  an  den  jungen  Herzog  Friedrich  Ulrich 
dieserhalb  eine  Vorstellung,  in  welcher  er  mit  freimütigen 
Worten  die  Zerrüttung  des  Staatshaushaltes  darlegt  und  zu- 
gleich Mittel  und  Wege  zu  ihrer  Abhilfe  angiebt.  Die  Er- 
träge der  einst  vom  Herzog  Julius  so  sehr  gepflegten  und 
geförderten  Bergwerke  waren  seit  lange  den  fürstlichen  Gläu- 
bigem verpfändet  und  schon  jetzt  auf  vier  bis  fünf  Jahre 
mit  Beschlag  belegt.  Schwer  autzubringende  Jahrgelder  für 
die  Brüder  und  Schwestern  des  verstorbenen  Herzogs,  sowie 
das  Leibgedinge  l\ir  die  gräflich  regensteinische  Witwe 
lasteten  auf  dem  Lande,  eine  bedeutende  Abfindung  für  die 
herzoglichen  Brüder ,  hinsichtlich  welcher  es  ratsamer  er- 
schien ,  sie  auf  G^eld  zurückzuführen,  als  Land  und 
Leute  hinzugeben,  war  zu  leisten.  Dabei  waren  die  türst- 
lichen  Schulden  zu  einer  schwindelhaften  Höhe  —  man  be- 
rechnete sie  auf  zwölf  Tonnen  Gold  oder  1  2n0  0(>0  Thaler  — 
empoi^wach&en ,  so  dafs  jeder  weitere  Versuch,  neue  An- 
leihen aufzunehmen,  versagen  mufste.  Nur  die  gröfste  Spar- 
samkeit \md  eine  völlige  Umgestaltung  des  bisher  herr- 
schenden Steuersystems  schien  hier  Abhilfe  schaffen  zu 
können.  ,;Die  Beseitigimg  der  Schulden'*  —  so  heifst  es 
in  der  erwähnten  Vorstellung  oder  Denkschrift  —  „beruht 
nicht  weniger  auf  der  getreuen  Zusteuer  der  Landschaft  und 
Unterthnnen,  wobei  die  alten  Mängel  der  Schätzung  nach 
Möglichkeit  zu  vermeiden  sind,  als  auf  Bestellung  brauch- 
barer Räte  und  Beamte  bei  Hofe  und  auf  dem  Lande,  denn 
durch  des  Herrn  Auge  wird  der  Acker  fruchtbar,  das  Pferd 
feist,  das  Unrecht  beseitigt." 

Soweit  sich  diese  Ratschläge  auf  die  ständische  Beihilfe 
zur  Tilgung  der  Laudesscbiilden  bezogen,  war  der  junge 
Heraog  selbstverständlich  befliaseu,  ihnen  in  vollem  Umfange 
zu  entsprechen.  Auf  den  beiden  ersten  von  ihm  im  Ok- 
tober 1614  zusammen  berufenen  Landtagen,  zu  Alfeld  für 
Wolfenbüttel  und  zu  Elze  für  Calenberg,  ward  lebhaft  da- 
rüber verhandelt,  wie  man  die  Landesschulden  abtragen  konnte 
und  bis  zu  welcher  Hohe  die  Landschaft  der  beiden  Fürsten- 
tümer dazu   heranzuziehen    sei.     Die   Wolfenbüttler  Stände 


KmporkomiDCn  Antons  von  der  Streithorat 


ST 


übernahmen  nach  dem  Land tagsub schiede  vom  12.  Oktüber, 
„zur  Elleich terung  der  Se.  Fürstlichen  Gnaden  obliegenden 
Beschwerden  denselben  mit  fünf  Tonnen  Goldes  oder  mit 
lunönal  hunderttausead  Thalem  Muntze  uuterthänig  beizu- 
springen", während  die  Caleaberger  ölünde,  ohächou  wider- 
wiUig,  sich  zu  noch  gröfaeren  Geldoptern  verstehen  mufsten. 
Sie  fanden  sich  endlich  bereit,  fast  den  ganzen  Rest  der  herzog- 
lichen Schulden  (sechs  Tonnen  Goldes  oder  600  000  Thaler) 
in  der  Weise  zu  übcrnclimeu,  dato  diese  nach  Ablauf  von 
25  Jahren  völlig  getilgt  seiu  sollten.  Auch  die  Vorstellungen 
des  ehrlichen  Berkelmann,  welche  auf  eine  Änderung  in  der 
Beamtenhierarcbie  hinausliefen,  sollten  nicht  unbeachtet  blei- 
ben: nur  dafs  dieser  Wechsel,  als  er  erfolgte,  schwerlich  im 
Sinne  des  treuen  Katgebers  ausJtoL 

Die  eigenen  nächsten  Verwandten  des  Herzogs,  seine 
Mutter  Elisabeth  und  deren  Bruder  König  Christian  IV. 
von  Dänemark,  konnten  sich  der  Einsicht  nicht  verschliefsou, 
dafs  seine  Fälligkeiten  den  schwierigen  Aufgaben,  die  ihm 
die  Lage  des  Landes  stellte,  kaum  gewacliseu  seien.  Es 
schien  ihnen  dah^  erwünscht,  jemand  zu  ermitteln,  der,  mit 
der  nötigen  Begabung  ausgestattet  und  im  vollen  "Vertrauen 
des  Herzogs  stehend,  diesem  die  Sorge  für  die  Regierung 
abnähme,  fiir  ihn  handeln  und  dem  Lande  wie  den  Ständen 
gegenüber  die  Verantwortung  für  die  Mafsnahmon  der  Re- 
gierung trage.  Einen  aolchen  Mann  glaubten  sie  in  Anton 
von  der  Streithorst  aui  ScLliestedt  gefuoden  zu  haben.  Er  war 
der  Sohn  Christophs  von  der  Streithorat,  welcher  zur  Zeit  Hein- 
richs d.  J.  das  Amt  eines  Statthalters  zu  allgemeiner  Zu- 
friedenheit verwaltet  hatte.  Von  gewandtem,  einschmeicheln- 
dem Benehmen,  schien  er  zu  einer  persönlichen  Vertrauens- 
stellung in  unmittelbarster  Umgebung  und  als  Stell veilretcr 
des  Fürsten  ganz  besonders  geeignet.  Es  wurde  der  Her- 
zogin-Mutter und  ihrem  königlichen  Bruder  leicht,  Friedrich 
Ulrich  zu  einem  Schritte  zu  bestimmen,  der  eine  völUge  Um- 
gestaltung der  bisherigen  Staatsverwaltung  bedeutete.  Auf 
ihren  „Rat  und  Beliebung"  geschah  es,  dafs  der  Herzog  am 
31-  Oktober  1615  einen  Revers  ausstelltej  worin  er  erkläi'te, 
keine  Briefe  oder  Schriften  von  einiger  Wichtigkeit  unter- 
schreiben oder  vollziehen  zu  wollen,  bevor  dieselben  von 
seinem  geheimsten  Rate  und  ObürsthofmeiBter  sowie  von  dessen 
Beigeordneten  durchlesen  und  erwogen  seien.  Und  nun  er- 
folgte wenige  Monate  später,  am  1.  Februar  1616,  ein  hor- 
zogliches  Patent,  welches  Anton  von  der  Streithoi-st  zum  Ober- 
hofmeister, Geheimrat  und  Hofrichter  ernannte  und  ihm  vier 
andere  Edelleute,  Jobst  von   Weyhe,   Uans  von  Mützefahl^ 


Das  Regiment  der  Laaddroatoa. 


39 


und  des  Herzogs  Oheim,  Bischof  Philipp  Sigismund  voo 
Verden  und  Osnubrüeki  aus  IriUieron  Förderern  in  erbitterte 
Gegner  umgewandelt  ^rurden.  Es  waren  dies  Joachim  von 
der  Ötreithorst,  Antons  Bruder,  Henning  von  Rheden,  Bartold 
von  Ratenburg  und  Arnd  von  Woboranau.  Von  dem  letz- 
teren sagt  das  „Erinner-  und  Vermahnuugsscbreiben ",  wel- 
ches der  König  von  Dänemark  in  der  Folge  unter  dem 
Titel  „Königlicher  Wecker"  an  seinen  Neffen  richtete:  „Grofs- 
aprechen  und  Prahlen  sei  das  Beste  an  ihm  und  zu  der  Re- 
gierung, welclie  wahrlich  kein  schlecht  Ding  sei  und  ohne 
Redlichkeit  und  Tugend  nicht  geführt  werden  könne,  sei  er 
wegen  seines  tJalschen,  lasterhaften  und  boshaften  GemUtes, 
eigennützigen  und  jüdischen  Gewerbes  nicht  tüchtiger  und 
nützlicher  als  der  Wolf  zum  Schafhirten".  Die  Schilderungen, 
welche  dieselbe  Schrift  von  den  Persönlichkeiten  Joachims 
von  der  Streithorst  und  Henninga  von  Rheden  entwirft,  sind 
nicht  um  ein  Haar  schmeichelhafter:  , Jener  sei  von  Zwitter- 
art  und  auch  bei  geringem  Wesen  bei  den  Bauern,  mafsen 
seine  Sitten  dies  genugsam  auswiesen,  erzogen  worden  der- 
gestalt, dafs  er  einen  Pflug  besser  stellen  und  den  Flegel 
besser  als  das  Regiment  zu  Hofe  und  im  Felde  fuhren  könne, 
Rheden  habe  von  seinem  Patrimonio  anderes  nichts  als  lauter 
Schulden  zu  erwarten  gehabt,  woraus  er  sich  durch  ungebühr- 
liche Mittel  loszuwirken  vielfältig  bemühet  sei,  gelernt  habe 
er  trotz  seines  angeblichen  Studierena  nichts  als  Leuteschin- 
den,  Ungerechtigkeit  und  Tyrannei." 

Unter  einem  solchen  Regiment,  das  der  leichtsinnige  und 
unbedeutende  Fürst  ruhig  gewähren  Hefa ,  vollendete  steh 
bald  der  Ruin  des  Landes.  Mit  beredten  Worten  schildert 
die  üben  angezogene  Mahnschrift  das  landca verderbliche  Trei- 
ben dieser  Leute:  wie  sie  jedem  anderen  den  Zutritt  zum 
Herzoge  versperrten  und  „diesen  zu  ihrer  Sicherheit  in  ste- 
tiger und  solchor  Völlerei  hielten,  dafs  er  schwerlich  zu  sich 
selbst  kommen  und  vernünftige  Gcdankon  sammeln  könne", 
wie  sie  das  Recht  beugten  und  die  Thätigeit  der  Gerichts- 
höfe und  Justizkollegicn  hemmten ,  wie  sie  Kammer-  und 
Klostei^üter  angriffen  und  veräufserten ,  zum  Nachteil  spä- 
terer Geschlechter  die  Wälder  des  Landes  verwüsteten  und 
wie  sie  „steifer  und  fester  aneinander  haltend  als  ein  Kart- 
häuserraönch  an  seinem  Orden  es  über  die  Mafsen  artig  ver- 
stünden ,  sich  einander  den  Ball  zuzuwerfen."  Nicht  nur 
die  Bedrückung,  Ausbeutung  und  Schätzung  der  Unterthanen, 
die  Plünderung  und  Ausraubung  der  Kirchen,  Klöster  und 
geistlichen  Stiltungen  war  damals  im  Lande  Braunschweig 
an  der  Tagesordnung,  sondern  die  Un8iclierKe\l  Äat  ^t«.Ssk^, 


die  offene  und  ungescheuete  Wegelageruug  stand  wieder  in 
heller  Blüte  wie  in  den  rohesten  und  dunkelsten  Zeiten  des 
Mittelalter»,  „dergestalt,  dafe  das  Braun  seh  weiger  Land,  worin 
man  unter  der  Regierung  des  Herzogs  üeinrieh  Julius  blursee 
Geld  auf  dem  Haupte  hätte  über  Weg  tragen  können,  nun- 
mehr zu  einer  rechten  Mord-  und  Käubergrube  geworden 
war''.  Keine  Seite  aber  dieöer  unbeilvoUen  I*anddrosten- 
wirtschaft  erwies  sich  von  einem  ejo  allgemein  verderblichen 
Einflufs  wie  die  systematische  Verschlechterung  des  umlau- 
fenden Geldes,  „das  verfluchte  Münzweaen*',  wie  sich  der 
königliche  Wecker  darüber  ausdrückt. 

Schon  seit  Beginn  des  17.  Jalirhunderts  hatte  sich,  durch 
das  Zusammen  wirken  der  verschiedensten  Uruachen  veran- 
lafat,  langsam  eine  Geldkrisis  von  solcher  Ausdehnung  und 
Tiefe  vorbereitet,  wie  sie  die  vergangenen  Jahrhunderte  nie- 
mals gekannt  hatten.  Seit  längerer  Zeit  war  der  Nominal- 
wert der  Edelmetalle  in  beständigem,  unaul haltsamen  Sinken 
begriffen.  Dazu  kam,  dafs  die  Territorialregierungen  in  trau- 
riger und  verblendeter  Selbstsucht  anfingen,  sich  über  die 
Bestimmungen  der  Reich smünzgesetzgebuug  hinwegzusetzen 
und  minderwertige  Münzen  zu  prägen  als  nach  dieser  zu- 
lässig war.  Bald  machte  sich  der  Unterschied  zwischon  den 
alten  vollgultigeu  und  den  neuen  leichten  Münzen  in  unan- 
genehmer Weiae  bemerkbar  und  trat  namentlich  bei  den 
kleinen  Sorten,  den  sogenannten  Schrecken bergern,  im  Geld- 
handel dm'ch  die  grofse  Verschiedenheit  des  Aufgeldes  (Agios) 
entsitthcbend  und  unheilvoll,  zumal  für  das  niedere  Volk, 
hervor.  Die  Spekulation  bemächtigte  sich  dieser  Verhältniöse 
und  begann  sie  in  unverschämtester  Weiae  auszubeuten. 
Eine  fieberhafte  Begier,  durch  glücklichen  Geldhandel  in 
kurzer  Zeit  zu  grofaem  Keiclitum  zu  gelangen  j  bemächtigte 
flieh  aller,  auch  der  unteren  Stände.  Es  entwickelte  sich 
ein  Geldhandel,  welcher  binnen  kurzem  die  einzelnen  Terri- 
torien, mochten  sich  diese  auch  nach  Möglichkeit  dagegen 
abzuspeiTen  suchen,  mit  leichtem  und  geringwertigem  Gdde 
überschwemmte.  Auch  die  gewaltigen  Rüstungen,  welche 
infolge  des  böhmischen  Aufatandes  und  des  damit  beginnen- 
den Krieges  überall  im  deutschen  Lande  betrieben  wurden 
und  dm*ch  die  im  Umlaufe  befindliche  Geldmenge  kaum  ge- 
deckt werden  konnten,  trugen  das  ihrige  dazu  bei,  um  eine 
überstürzende  Vermehrung  des  geprägten  Geldes  herbeizu- 
führen. Der  Unfug  wuchs  trotz  der  harten  Strafen  und 
Wafsnahmen,  welche  über  Spekulanten  und  Geldmakler  ver- 
hängt wurden,  und  bald  blieb  den  Kegierungen  kaum  etwas 
anderes    übrig   als  dies  ganze   Unwesen   der  „Kipper    und 


i 


Der  Kipper-  und  Wipperuofug. 


41 


Wipper"  nicht  nur  zu  dulden  sondern  es  selbst  mit- 
zumachen und  ihrerseits  Schrot  und  Korn  der  geprägten 
Münzen  zu  vermindern.  Damit  betraten  aie  aber  einen  W^^ 
der  sie  dem  imausbleiblicheu  Verderben  eotgegeatuhrcD 
raurste. 

So  allgemein  diese  Seuche  der  Münzverfälachung  und  de& 
unredlichen  Münzhandels  damals  verbreitet  war,  so  bat  sie 
sich  doch  knum  in  irgend  einem  deutschen  Lande  zu  so 
verhängniBvoller  Ausdehnung  entwickelt  wie  in  den  unter 
der  Herrschuft  Friedrich  Ulrichs  vereinigten  Fürstentümern. 
Schüu  zur  Zeit  von  des  letzteren  Vater  hatte  sich,  zum  Teil 
infolge  der  Ausprägung  des  vom  Ilei'zoge  Julius  hinterlassenen 
Schatzes,  die  Menge  des  im  Lande  umlaufenden  Geldes  ge- 
waltig vermehrt,  aber  diese  Vermehrung  nahm  während  der 
Regierung  Friedrich  Ulriclia  einen  immer  mehr  sich  er- 
weiternden Umfang  au.  Mit  besonderem  Eifer  warf  man 
sich  aul  die  Ausprägung  der  geringeren  Geldsorten ,  na- 
mentlich der  kleinen  Silbermunzen,  bei  denen  auächeiueud 
das  beste  Geschäft  zu  macheu  war,  und  vermehrte  zu  diesem 
Zweck  die  Zahl  der  Münzstätten  in  ganz  unkluger  und  un- 
gerechtfertigter Weise.  Schon  i.  J.  162U  bestanden  im  Lande 
17  Münzstätten,  die  mit  der  Zeit  bis  auf  40  vermehrt  wur- 
den. Bei  dieser  alles  verständige  Mafs  überschreitenden 
Münzthätigkeit  reichten  die  im  Lande  selbst  gewonnenen 
Bdelmetalle,  obschon  es  auiser  Sachsen  kaum  ein  anderes 
an  solchen  so  reiches  Gebiet  in  Deutschland  gab,  nicht  hin, 
lun  den  Bedarf  zu  decken.  Friedrich  Ulrich  bezog  daher 
einen  greisen  Teil  des  auszuprägenden  Silbers  von  Juden  in 
Süddeutiicliland.  Es  ist  vorgekommen,  dafa  dergleichen  Sen- 
dungen von  anderen  Regierungen  angehalten  und  konäsziert 
wurden,  wie  16:^1  im  Hessischen  unweit  Eachwege.  Trotz- 
dem aber  ward  das  Geschäft  eifrig  fortgesetzt :  mit  welchem 
wenigstens  augenbhcklichen  Vorteil  fiir  den  herzoglichen 
Schatz,  erhellt  daraus,  dafa  an  der  in  Thalern  ausgeprägten 
Summe  von  100  Mark  nicht  weniger  als  fast  22  Stück  fehl- 
ten, gar  nicht  gerechnet,  dafs  mau  zugleich  den  Feingehalt 
hatte  verringern  lassen.  Es  kam  dahin,  dafs  nacti  dem  amt- 
lichen Zeugnis  des  Dechanten  von  St.  Blasien  zu  Braun- 
schweig  während  der  Jahre  IG  17  bis  1621  im  Lande  kein 
einziger  vollwichtiger  Sil bergro sehen  autzutreibcu  war.  Be- 
hauptete doch  auch  ein  an  deu  Herzog,  seine  Landdrosten 
und  deren  Münzmeister  gerichtetes  Inhibitorialmandat  des 
Reichskammergerichts  vom  26-  Juni  1620,  dafs  die  Mark 
Silbers  bis  über  300  Mark  ausgebracht,  alle  richtige  Münze 
im  Lande  eingeschmolzen  und  an  vielen  Orten  des  letzteren 


42  Erstes  Bach.    Erster  Abschnitt. 

Gehilfen  und  Unternehmer  zur  Betreibung  der  Münzverft,!- 
schung  eigens  von  der  Regierung  angestellt  seien. 

Die  eigentlichen  Betreiber  dieses  schmachvollen  und 
acbamlüsen  Gewerbea  waren  der  ätatthalter  und  seine  Land- 
droaten,  um  welche  sieh  ein  Kreis  von  gleicbgesinnten  Männern, 
zum  Teil  aus  den  ersten  Gescblechtern  des  Landes,  gesam- 
melt hatte.  Denn  wie  sehr  mau  auch  berechtigt  sein  mochte, 
för  solche  heillosen  und  unerhörten  Zustände  in  letzter  Instanz 
den  Fürsten  verantwortlich  zu  machen,  der  zu  schwach  und 
unselbständig  war,  den  Bann  zu  brechen,  den  habgierige  und 
ungetreue  Diener  um  ihn  gezogen  hatten:  die  Hauptschuld 
iUllt  doch  auf  diese  Diener  selbst.  Ihr  selbstsuchtiges  und 
gewissenloses  Treiben  erregte  endlich  eine  allgemeine  und 
grenzenlose  Erbitterung  im  Lande.  Namentlich  war  es  Wo- 
bcrsnau,  welcher  oÖfen  und  ungescbeuet  die  Münzverfölschung 
zu  seinen  Gunsten  in  grofsartigster  Weise  betrieb.  Er  hatte 
auf  dem  Schlosse  Calenberg  und  in  den  alten  ehrwürdigen 
Klosterräuraen  von  AmelungsbornMünzätätten  errichten  lassen, 
welche  über  100  000  Tbaler  kosteten  und  von  denen  die 
letztere  zwischen  300  und  400  Menschen  beschäftigte.  Hier 
war  eine  Hauptstätte  der  Münzverfilschung,  von  wo  die 
leichten  Geldsorten  maasenhatt  in  dem  Herzogtum  und  den 
benachbarten  Landschaften  verbreitet  wurden,  ohne  dafs 
Fürst  und  Regierung  den  mindesten  Vorteil  davon  gehabt 
hätten,  da  der  ihnen  zustehende  ,Prägeacliatz  fast  gänzlich 
unterschlagen  zu  werden  pflegte.  Ahnlich  verfuhren  Rheden, 
der  Vogt  Molinus  in  der  Neustadt  Hannover  und  Andere. 
Friedrich  Ulrich  stand  diesem  Treiben  seiner  höchsten  Be- 
amten, diesem  unverschämten  das  ganze  Land  umspannenden 
xmd  selbst  seine  eigene  Person  nicht  schonenden  Ausbeutungs- 
aysteme  anscheinend  unwissend,  jedenfalls  aber  vollkommen 
uuthätig  gegenüber,  Die  herrschende  Partei  sorgte  ängst- 
lich dafür,  ihn  in  möglichster  Unkenntnis  über  den  wahren 
Zustand  der  Dinge  zu  erhalten.  Durch  schriftliche  Abrede 
hatten  die  Landdrosteu  alle  einträglichen  uud  einfl ufereichen 
Amter  unter  sich  und  ihren  Anhang  verteilt.  Wer  es  hätte 
wagen  wollen,  dem  gutmütigen  Fürsten  über  die  Mifsregie- 
rung  in  seinem  Lande  die  Augen  zu  Öifnen,  den  würde  die 
Rache  der  eng  unter  sich  verbündeten  Machthaber  getroffen 
haben.  Freilich  vermochten  die  letzteren  nicht  zu  verhindern, 
dafs  sich  eine  starke,  durch  die  nächsten  Verwandten  dea 
Herzogs  vertretene  Gegenpartei  bildete,  die  mit  allen  Mitteln 
Auf  iliren  Sturz  hinarbeitete,  aber  trotz  derselben  haben  sie 
eich  jahrelang  in  ihrer  beherrschenden  und  unnahbaren 
Stellung  zu  behaupten  gewufat.    Vergebens  waren  die  durch 


Sturz  der  Btrettliortiscbcn  Partei. 


48 


^e  Klagen  der  Landstände  veranlafsten  Verfügungen  and 
Münztnandate,  vergebens  die  mit  dem  autoritativen  Gewichte 
eines  lierzoglichen  Seelisoi^rs  und  Beichtvater«  an  den  Für- 
sten und  seine  Vertraute  gerichteten  Mahnungen  des  greiaen 
Hofpredigers  ßasiliua  Satlor,  der  fast  vierzig  Jahre  lang  in 
-dieser  Stellung  gewirkt  hatte,  vergebens  die  dringenden  und 
bewegten  Voratellungen  der  Herzogin-Mutter  und  des  Bischofs 
Philipp  Sigismund  von  Verden ,  vergebens  selbst  die  bered- 
ten uad  warnenden  Worte,  mit  denen  Chrißtian  IV.  von 
Dänemark  in  dem  schon  oben  öfter  angeitihrten  „künig- 
Üchen  Wecker**  das  Ohr  des  lässigen  und  verblendeten 
Neffen  bestürmte.  Endlich  gelang  es  doch  dem  einmütigen, 
klugen  und  thatkrüftigen  Zusammenwirken  einiger  hervor- 
ragender Mitglieder  der  Landstände  und  der  Verwandten 
des  Herzogs,  den  TerhängnisvoUen  Bann  zu  brechen,  wel- 
cher auf  Fürst  und  Land  mit  gleich  beängstigender  und 
unheimlicher  Wirkung  lastete. 

Ka  lag  ohne  Zweifel  nicht  nur  in  den  Befugnisaen  son- 
dern auch  in  den  Pflichten  der  Landstände,  so  heillosen 
Zuständen,  wie  sie  das  Landdrosten- Regiment  geschaffen 
hatte,  mit  aller  Entschiedenheit  entgegenzutreten.  Dieser 
ihrer  Befugnisse  und  Pflichten  sind  die  Stände  auch  ein- 
gedenk gewesen.  Auf  verschiedenen  Landtagen,  besondere 
zu  Bockenem,  kam  die  herrschende  Mifsregierung  zu  leb- 
hafter Erörterung.  Man  beschlofs  dieserhalb  Eingaben  an 
^ien  Herzog  zu  richten,  die  indes  ohne  Erfolg  blieben,  teils 
wegen  der  Absperrung,  in  der  die  streithorstsclio  Paitei  den 
Fürsten  hielt,  teils  wegen  des  Verdachtes,  den  man  ihm  bei- 
gebracht hatte,  die  Stände  strebten  nach  einem  Kondominat 
oder  gar  nach  einer  Vormundschaft  über  ihn.  Die  Frucht- 
losigkeit dieser  Schritte  lähmte  den  EÜ'er  der  Stände,  die 
herausfordernde  Haltung  der  Regierung  wirkte  auf  den  gröfaten 
Teil  derselben  entmutigend  und  einschüchternd  zurück.  Aber 
eine  Anzahl  von  Mitgliedern  der  Stände  —  Edelleute,  Geist- 
liche und  Bürger  —  liefsen  sich  in  ihrem  pflichtraäfeigen 
Bemühen  nicht  irre  machen.  Sie  traten  zusammen  und  im 
Vertrauen  auf  ihre  gerechte  Sache  und  den  ursprünglich 
gutgeurteten,  wenn  auch  jetzt  mifsleiteten  Fürbten  ent- 
warfen sie  eine  Auklagcschrift  gegen  die  streitborstsche  Par- 
tei, in  welcher  deren  Gewaltrcgierung  und  Missethaten  aus- 
fllhrhch  und  mit  dem  gehörigen  Nachdruck  geschildert  und 
dringend  dagegen  Abhilte  verlangt  wurde.  Durch  die  be- 
reitwillige Vermittlung  der  Herzogin- Mutter  gelang  es  ihnen 
dann  wirklich,  bis  zu  dem  Herzoge  vorzudringen,  diesem 
ihre    Bcachwerdeschiift    zu    übeneiehen    und    ihm    zugleich 


4i 


Erstes  Buch.    Erster  Absctmilt. 


müiidlich  die  üble  Lage  des  Landes  vürzudtellen.  Es  war 
am  lü.  September  1622,  dafa  diese  entscheidenden  Verhand- 
lungen auf  dem  Schlosse  zu  Hessen  stattfanden.  Nachdem 
der  Herzog  in  Abwesenheit  der  Gebrüder  von  der  Streithorst, 
die  in  einem  Nebenzimmer  des  Ausganges  der  Dinge  harren 
mufaten,  von  dem  Inhalte  des  stäudiBchen  Sclweibens  Kennt- 
nis genommen  hatte  und  von  seiner  Mutter  sowohl  wie  von 
den  jetzt  zur  Audienz  zugelassenen  Abgeordneten  die  Rich- 
tigkeit der  darin  enthaltenen  Beschuldigungen  feierlich  be- 
teuert worden  war,  gab  er  Befehl,  die  beiden  IStreithorsts, 
Anton  und  Joachim,  zu  verhaften,  in  Ketten  zu  legen  und 
nach  Wolfenbüttel  abzuführen.  Henning  von  Rheden  hatte 
noch  rechtzeitig  die  Flucht  ergriffen,  Arnd  von  Wobersnau, 
der  Habsüchtigste  und  Gewiasenloseate  von  allen,  war  be- 
reits nicht  mehr  unter  den  Lebenden:  ein  frühzeitiger  Tod 
hatte  ihn  noch  vor  dem  Ausbruch  der  Katastrophe  dahin- 
gerafft. An  die  Stelle  Antons  von  der  Streithorst  trat  der 
ehrliche  und  zuverlässige  Enist  von  Steinberg  auf  Boden- 
burg, zu  allgemeiner  Genugthuung  wmden  die  ehemaligen 
von  den  Landdrosteu  beseitigten  Behörden  wieder  eingesetzt, 
die  verderblichen  Münzeinrichtungen  und  der  damit  ver- 
knüpfte Unfug  der  Geldmakler  abgeschafft  und  bei  strenger 
Strafe  verboten.  Gegen  die  streithorstschen  Brüder  aber 
wurde  im  iblgeuden  Jahre  (1623)  der  peinliche  Prozefs  er- 
öffnet, indessen  zog  sich  derselbe  su  lange  hin,  dafs  Anton 
im  Gefängnisse  starb  (17.  September  1626),  worauf  Joachim 
begnadigt  ward. 

Das  Regiment  der  ungetreuen  Landdrosten,  welches 
auf  solche  Weise  zu  Ende  ging,  nachdem  es  aechs  Jahre 
lang  an  dem  Marke  des  Landes  gezehrt  hatte,  war  für  letz- 
teres in  jeder  Hinsicht  eine  schwere  Heimeuchung,  aber  am 
verhängniavüilateii  erwies  es  sich  doch  auf  finanziellem  Ge- 
biete, indem  durch  seine  Mifawirtaehait  das  so  schon  unter 
arger  Geldbedrängnis  leidende  Land  vollends  zugrunde 
gerichtet  ward.  Es  kam  hinzu,  dafa  zu  der  nämlichen  Zeit, 
da  jenes  Regiment  begann,  der  langjährige  Rechtshandel,  der 
um  den  Besitz  des  Fürstenttmis  Grubeuhagen  mit  der  Lüne- 
burger Linie  geführt  ward,  trotz  der  aui  denselben  ver- 
wandten grofsen  Kosten  einen  für  Friedrich  Ulrich  unglück- 
lichen Ausgang  nahm,  während  die  übrigen  bei  den  Reichs- 
gerichten wegen  der  Grafschaften  Hohustein  und  Blankenburg- 
Regenstein  scliwebenden  Prozesse  nach  wie  vorgrofse  Summen 
versclilangeu.  Nach  wiederholten,  teils  von  Würtemberg  teil» 
von  Dänemark  ausgehenden,  aber  völlig  vergeblichen  Ver- 
suchen, zwischen  den  beiden  hadernden  Linien  einen  Vergleich 


4 


Veritut  ron  GrubenlageiL.  4 

zastandezu  bringeo,  erfolgte  endlich  zu  Ende  des  Jahres  1616 
die  Publikation  des  kaiserticbeu  Urteils,  demzufolge  das  Für- 
Btentuni  Grubenhageii  in  dem  nämlichen  Zustande,  wie  es  der- 
einst der  letzte  Herzog  Philipp  II.  besessen  und  hinterlassen 
hatte,  an  die  Lünebnrger  Linie  abgetreten  werden  sollte,  Ee 
blieb  dem  Herzoge  Friedrich  Ulrich  nichts  anderes  übrig  als 
sich  dieser  kaiserUchen  Entscheidung  zm  fügen  und  auf  den  Be- 
sitz des  Landes  zu  verzichten,  welches  »ein  Vater  einst  im 
Vertrauen  auf  seine  Macht,  ohne  die  berechtigten  Ansprüche 
seiner  Vettern  zu  berücksichtigen,  in  Besitz  genommen,  be- 
hauptet und  schliefslich  auf  den  Sohn  vererbt  hatte.  Dieser 
mnlVtc  früh  sein ,  dafs  die  Lüneburger  Linie  die  ihr  gleich- 
falls zuerkannten  Rechte  auf  Wiedererstattung  der  seit  dem 
Jahre  1596  aus  dem  Lande  gezt^nen  Nutzungen  fallen 
Ijefs  und  sich  mit  der  einfachen  Restttution  desselben  be- 
gnügte. 

So  schwere  Verluste  zu  verschmerzen,  die  wirtschaftliche 
und  änanzielle  Krisis,  die  bald  darauf  über  das  Land  herein- 
brach, zu  überwinden,  den  tief  gesunkenen  Kredit  wieder 
zu  heben,  die  dem  Lande  noch  immer  gebliebenen  Hilfs- 
quellen neu  zu  erschliefsen :  zu  diesem  allen  hätte  es  aufser 
einer  andere  gearteten  Persönlichkeit,  als  Friedrich  Ulrich 
war ,  einer  festen  und  zugleich  mafsvollen  Politik  in  den 
Angelegenheiten  des  Reiches,  eines  entschlossenen  Nieder- 
haltens aller  unruhigen  Elemente,  vor  allem  einer  Fortdauer 
de»  Friedens  in  deutschen  Landen  bedurft.  Aber  Friedrich 
Ulrich  vermochte  nach  der  Schlacht  am  weifsen  Berge  nicht 
die  Waflenerhebung  seines  Bruders,  des  unruhigen  imd 
abenteuernden  Administrators  von  Halbersladt,  gegen  den 
Kaiser  und  die  siegreiche  Liga  zu  verhindern,  und  so  ward 
das  80  hartgeprüftc  Herzogtum  Wolfenbüttcl-Calenberg  früher 
noch  als  andere  deutsche  Länder  in  den  Strudel  des  groi'sen 
Krieges  hineingezogen,  der  bald  ganz  Dentschland  von  einem 
bis  zum  anderen  Ende  überfluten,  die  Kulturarbeit  von 
Jahrhunderten  vernichten  und  das  deutsche  Reich  in  eine 
Wüste  verwandelt  zurücklassen  sollte. 


Während  die  Blüte  des  Wohlstandes  und  des  politischen 
Ansehens,  zu  welcher  die  segensreiche  Regierung  des  Her- 
zogs Julius  die  Fürstentümer  Wolfenbüttel  und  Caleuberg 
erhoben  hatte,  unter  seinen  beiden  Nachfolgern,  noch  ehe 
sie  die  Feuertaufe  des  drcifsigjährigon  Krieges  bestandeuj 
langsam  dahin  welkte,  bietet  die  andere  Hälfte  des  weifischen 
Ländergebietes,  das  Fürstentum  Lüneburg,   ein  von  dlescxsv 


46 


Erstes  Buch.    Enter  Abschnitt. 


traurigen  Anblicke  völlig  veracliiedeneö  Bild  dar.  Hier  warett 
iniolge  der  Armut  des  Landes  und  der  uocli  aus  früherer 
Zeit  stammenden  Geldnöte  das  regierende  Uaua  und  die 
Landatände  zu  treuem  Zusammenhalten  und  zu  liansbäl- 
terißcber  Sparsamkeit  genötigt.  Gegenüber  der  weit  über 
die  Grenzen  seines  Länderbesttzes  und  seiner  Machtsphäre 
hinausgebenden  politischen  Tbätigkeit^  welche  Heinrich  Julius 
entfaltet  hatte,  und  der  thorichten,  sorg-  und  gewisäsenlosen 
Verschwendung,  welche  die  Regierung  seines  Sohnes  kenn- 
zeichnet, bietet  das  Regiment  der  Söhne  Wilhelms  von  Lüne- 
burg ein  seltenes  und  rühmliches  Beispiel  dar  von  treuer, 
unter  Selbötentsagung  und  treiwiUig  übernommener  Beschrän- 
kung ausgeübter  Sorge  für  die  Wohliahrt  des  Landes.  Die 
brüderÜche  Eintracht  und  die  selbstlose  Hingabe,  mit  welcher 
die  jungen  Prinzen,  nur  auf  die  Stärkung  des  Ansehens  ihres 
Geschlechtes  und  das  Heil  des  Landes  bedacht,  jede  Regung 
von  Eü'eraucht  oder  Neid  von  sich  fem  hielten;  wird  stets 
eines  der  schönsten  Ruhmesblätter  in  der  Geachichtc  des 
weifischen  Hauses  bleiben. 

Es  war  eine  au fserge wohnlich  zahlreiche  Nachkomroen- 
scbaJt,  welche  Hei-zog  Wilhelm  bei  seinem  Tode  hinter- 
lassen hatte.  Abgesehen  von  den  acht  Töchtern,  weiche 
sich  mit  Ausnahme  von  Anna  Ursula  und  Marie  sämt- 
lich staudesgemäfs  vermählten^  waren  es  nicht  weniger  als 
sieben  Söhne ,  von  denen  der  älteste ,  Ernst ,  beim  Tode 
des  Vaters  bereits  im  achtundzwanzigsten  Lebensjahi'e  stand. 
Man  konnte  kaum  darüber  zweifelhaft  sein,  dafs  es  für  das 
noch  immer  mit  Schulden  belastete  Land  einer  Unmöglich- 
keit gleichkomme,  die  Bestreitung  so  vieler  Hofhaltungen  in 
gleichmäfsig  ausgiebiger  Weise  zu  übernehmen,  zumal  wenn 
sich  sämtliche  Brüder  oder  aucli  nur  die  Mehrzahl  derselben 
verheiraten  sollten.  Bei  der  Krankheit,  welche  den  Gteist 
des  verstorbenen  Herzogs  während  der  letzten  elt  Jahre 
seiner  Regierung  umnachtet  hatte  {U.  465),  war  weder  ein 
Testament  vorhanden,  welches  über  die  vermögensrechtliche 
Auseinandersetzung  unter  den  Brüdern  etwas  bestimmte,  noch 
gab  es  ein  klares  und  bündiges  Hausgesetz ,  welches  die 
Nachfolge  in  dem  Fürstentume  im  allgemeinen  geregelt  hätte. 
Wollte  man  daher  bei  dem  Mangel  eines  solchen  Gesetzes 
eine  vöUigo  Zersphtterung  des  Herzogtums,  die  mit  dem 
Untergange  des  fürstlichen  Hauses  gleichbedeutend  gewesen 
wäre,  vermeiden,  so  bheb  nichts  anderes  übrig,  als  daCs  sich 
die  Brüder  in  wohlverstandenem  Gesamtinteresse  zu  einer 
freiwiUigeu  Vereinbarung  über  die  Nachfolge  und  über  die 
den  Einzelnen  zu  leistenden  Abfindungen  verstanden.     Dies 


Die  Söhne  WilhfilmR  von  Lüneburg. 


47 


ah  denn  auch  bereits  liinl'  Wucheo  nach  dem  Tode 
Vaters.  Am  27.  September  1592  ward  ein  Vertrag 
von  ihnen  unterzeichnet,  dcmzuibige  der  älteste ^  Ernst  II., 
vorläufig  auf  acht  Jahre  die  Regierung  des  Herzogtum«  allein 
übernahm,  während  die  übrigen  Brüder  mit  Jahrgehaltcn 
sich  ahtindcn  liefsen.  Wie  bescheiden  diese  bcnicsacn  waren, 
erhellt  aus  dem  Umstände,  dafs  die  Prinzen  Christian  imd 
August,  welche  dem  Alter  nach  unmittelbar  auf  Ernst  folg- 
ten, sich  —  abgesehen  von  Kleidung  und  Kost  bei  Qote 
für  sich  und  ihre  Dienerschait  sowie  von  zwölf  „Pferden 
unter  eigenem  Sattel"  für  einen  jeden  —  je  mit  einer  Leib- 
rente von  jährlich  2000  Thalern  begnügten.  Der  den  jün- 
geren Brüdern  ausgeworfene  Unterhalt  war  entsprechend 
geringer,  ja  die  ledigen  Fräulein  —  es  waien  deren  damals 
noch  vier  —  soüten  ein  jedes  aus  der  Uentnerei  als  „  Hand- 
pfennig  und  Zierrat"  nicht  melu*  als  200  Gulden  jährhch 
zu  beanspruchen  haben.  Herzog  Ernst  dagegen  mufste  bei 
der  Uebernahme  der  Regierung  versprechen,  ohne  Wissen 
und  W^illen  seiner  Brüder,  der  Räte  imd  der  Landschalt 
weder  eine  Fehde  anzufangen  noch  ein  Bündnis  zu  schliefsen, 
in  allen  wichtigen  Landeeangelegenheitcn  die  Zustimmung 
des  Statthalters  und  der  Landräte  einzuholen,  sich  auch  ohne 
die  letztere  nicht  zu  verheiraten  und  nach  Möglichkeit  die 
Besoldungen  und  den  Unterhalt  am  Hofe  einzuschränken, 
endlich  die  Zahl  der  Ilofdioncrschait  und  des  Gesindes  auf 
das  Notwendigste  herabzumindern. 

Achtzehn  Jahre  —  bis  zu  seinem  am  2.  März  1611  er- 
folgten Tode  —  hat  Ernst  H.  die  ihm  solchergestalt  über- 
wiesene Regierung  geführt.  Die  Vorteile,  welche  der  Vertrag 
von  1592  dem  Lande  gewährte,  waren  so  grofs,  dafs  sie 
einem  jeden,  selbst  den  übrigen  Söhnen  des  Herzogs  Wilhelm, 
einleuchten  raursten.  Er  ward  daher  nach  Ablauf  der  acht 
Jahre,  für  welche  er  ursprünglich  abgeschlossen  war,  still- 
schweigend verlängert,  bis  —  nur  wenige  Monate  vor  dem 
Ableben  Ernsts  —  eine  neue,  nun  endgültige  Vereinbarung 
der  Bruder  unter  aich,  mit  ihren  Räten  und  dem  AuBSchufs 
der  Stände  inbetreff  der  Erbfolge  und  der  Regierung  zustande 
kam  Nach  dieser  zu  Celle  am  3.  Dezember  1610  ab- 
geschlossenen Uebcreinkuntt  sollte  „das  Fürstentum  Lüne- 
burg mit  den  dazu  gehörigen  Grafschaften  und  mit  allen 
Landen,  die  etwa  später  noch  dazu  kommen  würden,  un- 
I  getrennt  und  ungeteilt  bei  Herzog  Ernst  und  dessen  etwaigen 
Kachkommen  in  der  Regierung  und  also  steta  und  alle  Zeit 
bei  einem  regierenden  Herren  verbleiben".  So  wai*d  genau 
75  Jahre   später,  als  dies   in   der  WolfenbUttler  Linie  ge- 


4» 


Erstes  Bncb     Enter  Abschnitt. 


Hchehen  war,  die  Unteilbarkeit  des  Fiir^tentumes  und  das 
EratgebnrtBrecbt  aucb  in  dem  Luneburger  Zweige  des  wel- 
fischen  Hauses  eingeführt.  Aber  während  das  Pactam  Hen- 
rico- Wilhehninnm,  welches  dort  diese  neue  Ordnung  der 
Dinge  begründete  (IL  H36),  dem  einen  Bruder  durch  den 
anderen  in  brutaler  Weise,  mit  List  und  Gewalt  aufgezwungen 
ward,  kam  der  Celler  Vertrag  von  1610  auf  friedlichem 
Wege  durch  die  preiswürdige  freiwillige  Übereinstimmung 
von  sieben  Berechtigten  zustande,  von  denen  nicht  ein 
einziger  g^en  diesen  wohlthätigen,  ja  notwendigen  Primo- 
genitur Rezela  Einsprache  erhob. 

Die  Regiemng  Emsts  II.  stand  vorwiegend  unter  dem 
Einflüsse ,  welchen  die  noch  immer  ungünstigen  Finanz- 
Verhältnisse  des  Landes  ausübten.  Der  kostspielige  Prozefs 
mit  Woli'enbüttel  wegen  des  Fürstentums  Grubenhagen 
dauerte  während  der  ganzen  Zeit  seiner  Regierung  fort  und 
ward  erst  nach  eeinem  Tode  zugunsten  der  Lüneburger 
Linie  entschieden.  Dazu  kamen  die  gesteigerten  For- 
derungen und  Ansprüche,  welche  Emsts  und  seiner  Briider 
Oheim,  Heinrich  von  Dannenbei^,  iubezug  auf  die  ihm  zu- 
stehende Abfindung  erhob.  Seit  dem  Vertrage,  zu  welchem 
er  sich  im  Jahre  1569  mit  seinem  Bruder  Wilhelm  geeinigt 
hatte  (II.  462),  war  von  den  Fällen,  iur  welche  Heinrich 
sich  damals  seine  Kechte  vorbehalten  hatte,  wenigstens  einer 
eingetreten:  der  Anfall  eines  Teiles  der  Grafschaft  Hoya 
und  der  ganzen  Grafschaft  Diepholz.  Wilhelm  hatte  sich  in 
jenem  Vertrage  verpflichtet,  bei  Eintritt  dieser  EventuaUtät 
seinen  älteren  Bruder  oder  dessen  Erben  durch  Auszahlung 
von  10000  Thalern  für  ihre  Ansprüche  zu  entschädigen. 
La  dem  nämlichen  Jahre,  in  welchem  dieser  Vertrag  zustande 
kam,  hatte  sich  Heinrich  mit  Ursula,  einer  Tochter  des 
Herzogs  Franz  I.  von  flachsen- Lauenburg,  vermählt  und  bald 
liefsen  ihn  die  aus  dieser  Ehe  hervorgehenden  Kinder,  die 
doch  eine  standesgemäfse  Versorgung  beanspruchten,  bereuen, 
dafs  er,  der  ältere  Bruder,  einst  so  leichten  Kaufes  seine 
Anrechte  auf  das  Land  und  die  Regierung  dahing^e^eben 
hatte.  Denn  er  erhob  trotz  der  früheren  Abmachungen  mit 
seinem  Bruder  alsbald  Ansprüche  auf  eine  gleichmäfsige 
Teilung  des  Fürstentums  und  der  angefallenen  Grafschatten 
Hoya  und  Diepholz.  Hin  und  her  ward  darüber  verhandelt. 
Zweimal  traten  infolge  der  von  ihm  in  Wien  erhobenen 
Klagen  kaiserliche  Kominissarien  zu  Salzwedel  mit  den  Ab- 
geordneton der  Lüneburger  Regierung,  Statthaltern,  Räten 
und  Mitgliedern  der  Landachait,  zusammen :  beidemale  ohne 
einen  endgültigen  Ausgleich  herbeiführen  ku  können.    Doch 


4 

I 


Uertog  ErDst  II.  49 

wurden  auf  dem  letzten  dieser  Salz  wedeler  Tage,  welcher 
noch  KU  Lebzeiten  des  Herzogs  Wilhelm  (im  Mai  des  Jahres 
1591)  stattfand,  wenigstens  die  Grundlagen  tür  einen  soichon 
Ausgleich  gewonnen.  Und  als  nun  Kmst  II.  die  Regierung 
angetreten  hatte,  war  es  fast  mit  sein  erütes  Geschält,  dafa 
er  die  damals  nicht  zum  AbschluTs  gekommenen  Verhand- 
lungen wieder  aufnahm  und  zu  einem  gedeihlichen  Ende 
zu  fuhren  suchte.  Dies  gelang  ihm.  Noch  in  den  letzten 
Monaten  des  Jahres  1592  wurden  neue  Verhandlungen  mit 
seinem  Oheime  augeknüjjft,  die  endlich  zum  Ziele  führten. 
Heinrich  von  Dannenberg  erhielt  zu  den  ihm  echon  früher 
überwiesenen  Amtern  Dannenberg,  Scharnebeuk  und  Göhrde 
noch  die  Amter  Hitzacker,  Lüchow  und  Wai*pke  hinzu. 
Statt  der  ihm  zum  Zweck  der  Einlösung  der  verpfändeten 
öalzgüter  zu  Öchamebeck  angebotenen  200(tO  Thaler  hatte 
er  die  Einräumung  von  Stadt  und  Hans  Blekede  verlangt, 
da  aber  Ernst  erklärte,  dafs  ., solch  HauB  und  Amt  von 
der  Regierung  nicht  zu  entraten  noch  mit  abgeteilt  werden 
könne",  begnügte  er  sich  echlielslich  mit  dem  Hause  Gümbse, 
zu  dessen  Einlösung  von  dem  bisherigen  Pfandinhaher  Her- 
zog Emet  die  8umme  von  öOütiO  Thalern  hergab,  zu  wel- 
cher allerdings  das  Kapital  der  an  Heinrich  zu  zahlenden 
jährlichen  Rente  (BOO  Thaler)  zu  10000  Thaler  mit  ver- 
reclmet  war.  Aufserdem  wurde  ihm  die  Fräuleinsteuer,  an 
der  er  hartnäckig  t'estliielt ,  im  allgemeinen  zugestanden : 
sollten  jedoch  inbezug  darauf  die  Landstände  in  einem  Falle 
einmal  Schwierigkeiten  erheben,  so  versprach  Ernst,  „aus 
gutem  vetterÜchen  GemUthe  und  Willen  mit  5  oder  6000 
Thalor  darzu  thun  und  leisten  zu  wollen".  Endlich  erlangte 
Heinrich  noch  die  Zugeständnisse,  dafs  der  Adel  in  seinem 
kleinen  Läudergebiete  sich  zur  Aufwartung  bei  ihm  bereit 
finden  liefe,  dafs  seine  Untertlianen  von  der  Berufung  an 
das  Luneburger  Hofgericht  befreiet  und  mit  ihren  Appellationen 
an  ihn,  ihren  Herrn  und  Fürsten,  gewiesen  wurden  und  dafs 
ihm  ein  Mitbesetzungsrecht  inbezug  auf  die  Pfi-ünden  von 
St.  Blasien  und  St  Cvriacus  in  Braimschweig,  sowie  bei  den 
Stiftern  Bardowiek  und  Ramelslo  eingeräumt  ward. 

Von  der  Regierung  des  Herzogs  Ernst  IL  ist  im  übrigen 
nicht  viel  zu  sagen.  Er  war  ein  verständiger,  haushälteri- 
echer  und  wohlwollender  Herr.  Die  Häuser  Blekede  und 
Lüdershaiuien  löste  er  von  der  Stadt  Lüneburg  ein,  in  deren 
Pfandbesitze  sie  seit  länger  als  zwei  Jahrhuuderten  sich  be- 
fanden. Kleine  Irrungen  mit  Lüneburg  wufste  er  in  kluger 
und  gescliickter  Weise  beizulegen  oder  ihnen  auszuweichen. 
Handel  und  Wandel  suchte  er  nach  Kräften  zu  heben.    Auch 

Ufli  aemAnn,  BrnuaBoIiw.-luaiiär.  Gctic'kiic\ite.    IVl.  \. 


50 


Erstes  Bach      Erster  Abscliajtt. 


verdankte  das  Land  ihm  eine  neue  HotgeriuhUordnung,  die 
manchen  früheren  Kfin^stand  inbezug  auf  die  KechUpflege 
nbätellte.  £r  starb  am  2.  März  1611,  uud  ihm  fol^  in  der 
Regierung  Bcia  um  zwei  Jahre  jüngerer  Bruder  Christian, 
der  seit  dem  Jahre  1599  das  Hoehstitt  Minden  als  Admini- 
strator verwaltete. 

Christian  erneuerte  alsbald  nach  seinem  Re^erungs- 
antritte  am  15.  April  Itill  den  mit  seinen  Brüdern  abge- 
schlossenen  Vertrag,  der  jede  Krbteilung  des  Landes  zu  ver- 
hindern und  die  volle  landi'slierrhche  Gewalt  nur  in  die  Hand 
eines  Einzigen  zu  legen  bestimmt  war,  und  im  iolgenden 
Jahre  (1612)  am  ^9.  Oktober  erhielt  dieser  Vertrag  noch 
zum  Überflufs  die  Bestätigung  des  Kaisers.  Trotzdem  schien 
den  Brüdern  die  zwi&chen  ihnen  in  seltener  Kintracht  ge- 
troffene Ubereiukunft  von  so  hoher  Wiclitigkeit  zu  sein, 
dafs  sie  sich  nach  weitereu  Garautieen  für  dieselbe  umsahen. 
Sie  mochten  immerhin  erwägen ,  dafs,  so  voilkomraen  die 
uuter  ihnen  herrschende  einmütige  Gesinnung  im  Augenblick 
war,  doch  die  Geschichte  gelehrt  hatte,  wie  leicht  ein  solche» 
Band  der  Eiiitiacht  namentlich  sjiüteren  Generationen  ver- 
loren gebt  oder  unter  dem  Einflüsse  widerstrebender  Inter- 
essen und  aufgestachelter  LeidensehaiteD  zerreii'sL  Sie  be- 
schlossen daher,  noch  einen  Schritt  weiter  zu  gehen.  Um 
den  Fortbestand  der  von  ihnen  als  unbedingt  notwendig  er- 
kannten Unteilbarkeil  des  Fürstentums  unter  allen  Umstän- 
den zu  sichern,  verbanden  sie  sich  gegenseitig  in  feierÜchom 
Gelübde,  dafs  nur  einer  von  ihnen  sich  vermählen  und  den 
rutimreichen  Stamm,  dem  sie  entsprossön  waren,  fortpflanzen 
sollte,  indem  sie  über  die  Person  dieses  zuküuitigen  Ahn- 
herrn der  folgenden  Geschlecliter  diia  Los  entscheiden  liefsen. 
Dieses  fiel  auf  Georg,  den  zweitjüagsten  der  Brüder,  der, 
am  17.  Februar  1582  zu  Celle  geboren,  zu  der  Zeit,  da 
diese  folgenschwere  Entscheidung  getroffen  ward,  in  der 
Vollbllite  der  Manneskraft  stand.  Bald  darauf,  am  l'l.  Sep- 
tember IUI  7,  scblüf»  er  mit  Anna  Eleonore,  einer  Tochter 
des  Landgrafen  Ludwig  V.  von  Hessen,  den  ehelichen  Bund 
und  bezog  mit  seiner  anmutigen  Gemahlin  das  am  Sudwest- 
rande des  Harzes  gelegene  Schlofs  Herzberg,  welches  soeben 
mit  dem  übrigen  Grubeuhagenur  Erbe  an  die  Lüneburger 
Linie  abgetreten  und  ihm  von  seinen  Brüdern  mit  dem  dazu 
gehörigen  Amte  zum  Wohnsitz  uud  Unterhalt  eingeräumt 
worden  war.  Hier  hat  Herzog  Georg,  der  Stammvater  der 
flpäteren  Eonige  von  England  imd  Hannover^  in  stiller  länd- 
licher Zurückgezogenheit  Jahre  des  scfaimeten  Glücks  ver- 
lebt, bis  ihn  die  Drangsale  und  Gefahren  des  grofsen  Krieges, 


I 


Georg,  Stammbalter  des  Haaaes  Lttncbnrg. 


51 


der  die  Existenz  seines  Geschlechtes  und  die  lutherische 
Lehre  in  Kiedersacbsen  mit  UBVermeidlicliera  Untergang  ru 
bedrohen  schien,  hinausriefen  auf  das  blutige  Feld,  wo  über 
Deutschlands  und  Europas  Geschick  die  entscheidenden  Würfel 
geworfen  wurden. 


Zweiter   AbBclinitt. 
Der  dreffsIgjSliri^e  Krieg. 


Die  ersten  Stürme  des  furchtbai-en  Krieges ,  der  über 
Deutschland  dreifsig  Ja!ire  unsägÜcbcn  Elendes  heraufbe- 
schwören und  innerhalb  dieser  vergleichsweise  kurzen  Zeit 
aUcs  das  so  gut  wie  vernichten  sollte;,  was  deutscher  Fleifs 
und  deutsche  Arbeit  auf  geistigem  wie  i^-irtschafthchem  Ge- 
biete in  Jalirh  und  orten  geschahen,  hatten  sich  in  Böhmen 
entladen.  Mit  Hilfe  der  katbolisclicn  Liga  und  begünstigt 
von  Kursachsen  war  es  dem  Kaiser  Ferdinand  II.  gelungen, 
die  böhmische  Erhebung  nach  kurzem  Kample  niederzuwerfen. 
Die  Schlacht  am  weif»en  Berge  vor  Prag  zertrümmerte  mit 
einem  Schlage  die  ephemere  Herrschaft  des  „Winterkönigs" 
und  brachte  über  das  unglückliche  Land  der  Libussa  und 
des  heiligen  Wenzel  alle  Schrecken  einer  gewaltsamen,  blu- 
tigen und  erbarmungslosen  Bcaktion.  Dem  nach  Schlesien 
geÜoheucD,  bald  unstät  im  Reiche  umherirrenden  Friedrich 
von  der  Pfalz  folgte  aui  dem  Fufse  die  Achtserklürung  des 
Kaisers,  die  wenige  Wochen  nach  der  Prager  Niederlage, 
am  29.  Januar  1621,  über  ihn  verhängt  wurde,  ohne  dafs 
irgend  ein  rcichsgerichtliches  Verfahren  gegen  ihn  stattgefunden 
oder  man  ihm  auch  nm-  zu  seiner  Rechtfertigung  eine  Vor- 
ladung hätte  zugeheu  lassen.  Zugleich  brachen,  während 
TilJy  die  noch  von  Mausfeld  besetzt  gehaltenen  Teile  Böh- 
mens imd  die  Oberpfalz  von  dessen  zuchtlosen  Kriegsbanden 
säuberte,  die  Spanier  unter  Spinola  und  Cordova  in  die 
Rhein pfalz  ein,  eroberten  einige  feste  Plätze  und  bedroheten 
Heidelberg,  den  Sitz  der  kurfürstlichen  Regierung  imd  den 
Hauptort  des  Landes.  Die  protestantische  Union ,  welche 
diesen  Ereiguis&eu  gegenüber  eine  grenzenlose  Schwäche  ge- 


Grates  Buch. 


zeigt  und  ihre  völlige  UnfUhigkeit  aller  Welt  vor  Augen 
gestellt  hatte,  löste  sich,  nauhdem  zuerst  die  iu  ihr  vertre- 
tenen Städte,  dann  der  Lundgraf"  Moriz  von  Hesseu,  der 
Markgraf  von  Anabach  und  der  Herzog  von  Würtemberg 
sich  von  ihr  losgesagt  hatten,  ohne  den  geringsten  Verßuch 
eines  Widerstandes  auf,  indem  eie  in  dem  Vertrage  von 
Mainz  (12.  April  1621)  dem  pfälzischen  Bündnisse  bedin- 
gungslos entsagte  und  sich  verpflichtete,  ihre  Truppen  nicht 
gegen  die  Spanier  zu  verwenden,  die  Pfalz  gänzlich  zu 
räumen  und  dem  Kurfürsten  fürderhiu  keine  Unterstützung 
zukommen  zu  lassen.  In  der  kurzen  Zeit  von  wenigen  Mo- 
naten hatte  sich  die  Lage  der  Dinge  in  Deutschland  von 
Grund  aus  umgestaltet.  Neu  gefestet  und  siegcsgewifs,  von 
einem  beispiellüsen  Erfolge  getragen,  stand  die  eben  noch 
von  allen  Seiten  bedrohete  habshurgische  Macht  den  ihr  feind- 
seligen Strömungen  im  Reiche  und  aufeerhalb  desselben  ge- 
genüber. Ihie  Gegner  waren  entweder  niedergeworfen  oder 
eingeschüchtert,  Kleinmut  und  Furcht  hatten  sich  der  aka- 
tholischen  Reiohsstände  bemächtigt,  und  je  ausschweifender 
und  mafsloser  die  Pläne  gewesen  waren,  die  wenigstens  ein 
grofser  Teil  von  ihnen  gegen  den  Bestand  der  österreichischen 
Monarchie  geschmiedet  hatte,  desto  tiefer  und  nachhaltiger 
machte  sich  jetzt  der  Ruckschlag  geltend.  Der  Kaiser  aber, 
im  Vollgefühl  seines  Sieges  und  im  Bunde  mit  der  kathoU- 
ßchen  Reaktion,  schien  entschlossen,  die  Gunst  der  augen- 
blicklichen Lage  auszubeuten  und  die  vollen  Konseqnenz^en 
seiner  kriegerischen  und  diplomatischen  Erfolge  zu  ziehen. 

Dem  niedersächsischen  Lande  und  insbesondere  den  Für- 
stentümern des  welfiachen  Hauses  machte  sich  dieser  Um- 
schlag, der  sich  in  der  politischen  Lage  Süddeutschlands 
vollzogen  hatte,  vorerst  kaum  in  unmittelbar  beunruhigender 
W'eiso  fühlbar.  Trotzdem  warfen  die  Ereignisse  in  Böhmen 
und  in  der  Pfalz  schon  damals  von  fern  ihre  dunkeln 
Schatten  auch  nach  dem  Norden  Deutschlands  hinüber.  Be- 
reits im  Herbst  des  Jahres  1619  hatte  der  niedersäcbsische 
Kreis  auf  dem  Tage  zu  Braunschweig  beschlossen,  sich  auf 
alle  Fälle  in  Verteidigungsstand  zu  setzen,  ohne  dafs  man 
freilich  ernsthafte  Rüstungen  begonnen  hätte.  Als  aber  dann 
der  flüchtige  Pfalzgraf  auf  seiner  Irrfalirt  durch  die  deut- 
schen Lande  im  Januar  1621  auch  nach  Wolfenbüttel  kam, 
fand  er  hier  eine  sehr  kühle  Aufnahme.  Im  Einverständnis 
mit  Kursacheen  legte  ihm  Friedrich  Ulrich  als  einzigen  Aua- 
w^  aus  den  von  ihm  heraufbeschworenen  Wirren  eine  rück- 
haltlose Verzichtleiatung  auf  Böhmen  nahe,  um  sich  so 
wenigstens    seine   Erblande    zu   erhalten.     Allein    trotz    an- 


Bedrängte  Lage  des  aiederaächäischeti  Kreises. 


53 


fäDglichem  teüweisen  Entgegenkoramea  vonseiten  Friedrich» 
zerscblunfcn  sich  Uöch  schlierslich  die  VürUaudlungen.  Einen 
Augenblick  schien  es  dann,  als  ob  des  Herzugs  Oheim,  König 
Christiuu  IV'.  von  Dänemark,  w^en  HoUteius  Mitglied  de« 
niederBächeischeu  Kreises,  sich  an  die  Spitae  des  letzteren 
stcUeu^  im  Bunde  mit  England  und  Holland  sich  der  be- 
droheten  evangelischen  Sache  annehmen  und  ein  umfaasendeB 
nordischem  Bündnis  gegen  den  Kaiser  and  dessen  etwaige 
weitere  Angriöapläne  zustande  bringen  würde.  Aber  der  zu 
diesem  Zwecke  im  MiLrz  1621  zu  Segeberg  abgehaltene  Kun- 
grefs  verliel'  in  kläglicher  Weiee.  Von  den  eingeladenen 
Fürsten  Niedersacheens  waren  auPser  Christian  IV.  nur  die 
Herzöge  von  Braunschweig,  Lüneburg  und  Sachsen  -  Lauen- 
burg persönlieh  erschienen,  Jakob  von  England  war  durch 
seinen  Gesandten  Robert  Anstruther,  der  obersachsische  Kreis 
nur  durch  einen  Brandenburger  Bevolhuuuhtigteu  und  durch 
den  Herzog  Johann  Ernst  von  Sachsen -Weimar  vertreten. 
Der  dänische  König  mufste  sich  überzeugen,  dafs  er  weder 
auf  allseitige  Zustimmung  noch  aui'  grolse  Üpter Willigkeit 
inbezug  aul'  seine  poUtischeii  Pläne  zählen  diiric.  Man  be- 
gnügte sich  schlicl>Hch  damit,  neue  Uüstimgen  in  Aussicht 
zu  nehmen,  die  dann  ebenso  wenig  verwirkliclit  wurden  wie 
die  früher  beschlossenen,  und  an  Spinola  eine  gutgemeinte, 
aber  völlig  wirkungslose  Aufforderung  zu  richten,  zur  Her- 
beiführung eines  allgemeinen  Friedens  die  von  ihm  gemachten 
Eroberungen  am  Khein  und  in  der  Pfalz  herauszugeben. 

L>ieso  schwächliche  Haltung  der  evangelibchün  Fürsten 
Korddeutschlands  gegenüber  der  beginnenden  kii-chUchen  Re- 
aktion und  den  begehrlichen  Absichten  des  Kaisers  auf  die 
Wiedergewinnung  der  säkularisierten  Erzstifter  und  Stifter, 
die  mit  Ausnahme  eines  kleinen  Teiles  von  Hildesheim  gerade 
in  dem  niedersächsischen  Kreise  sich  sämtlich  in  den  Händen 
von  Mitgliedern  der  regierenden  protestantischen  Fürsten- 
bäusc:*  befanden,  könnte  betremden,  wenn  sie  nicht  in  der 
Zerfahi-enheit  und  dem  beschränkten  Egoismus  dieser  Fm*- 
Bten  ihre  Erklärung  t^äude,  welche,  nur  von  der  allen  ge- 
meinsamen Furcht  vor  dem  siegreich  vordringenden  Katbo- 
licismus  zusammengehalten  j  sich  in  allen  übrigen  Dingen 
mit  dem  ausgesprochensten  Mifstrauen  gegenüberstanden. 
Wir  haben  die  Zerrüttung ,  in  der  sich  dank  dem  Mifs- 
regimente  der  ungetreuen  Landdrosten  das  bisher  mächtigste 
tmd  einäufgreichste  der  welfiachen  Fürstentümer  befand, 
kennen  gelernt.  Friedrich  Ulrich  zeigte  sich,  auch  naciidem 
er  den  Bann  dieser  von  ihm  selbst  eingesetzten  imd  grois- 
gezügenen  Willkür berrschaft  gebrochen  hatte,  in  keiner  Weiae 


als  ein  kräftigerer  and  einsichtsvollerer  Regent  als  früher. 
Zudem  konnte  er  immer  noch  nicht  den  Verlust  dea  Fürsten- 
tums Grubenhagen  verschmerzen  ,  das  er  gemäfs  der  kaiser- 
lichen Entscheidung  an  das  Lüneburger  Ilaus  hatte  abtreten 
müssen.  Dieses  selbst  war  in  die  drei  Linien  Celle,  Dannen- 
berg  und  Harburg  gespalten,  welche,  wie  wir  gesehen,  nicht 
immer  einträchtig  zusammenhielten  und  von  denen  die  weit- 
aus bedeutendste,  die  celliache  Linie,  wiederum  durch  die 
grofse  Zahl  ihrer  Mitglieder  und  durch  tinanzielle  Nöte  ge- 
hemmt und  in  der  Geltendmachung  ihre.s  Einäusses  beein* 
träcbtigt  wurde.  Der  mächtigste  FOrst  des  ganzen  nieder- 
sächsischen  Kreises,  König  Christian  von  Dänemark,  ward, 
obächon  ihn  verwandtschaftliche  Bande  mit  dorn  woltenbüttel- 
schcn  Hause  verknüpften ,  doch  als  Ausländer  mit  unver- 
hehltem  Milstrauen  angesehen.  Man  argwöhnte,  dafs  er  die 
Absiebt  habe,  sich  inmitten  der  allgemeinen  Verwirrung  der 
Hansestädte,  namentlich  Hamburgs,  zu  bemächtigen,  und 
fürchtete  aufserdem,  dals  auch  er  danach  strebe,  die  Prinzen 
seines  Hauses  als  Administratoren  in  den  Besitz  der  nieder- 
päcbsischen  Stiftei*  zu  bringen.  So  erklärt  sich  die  Schwäche, 
Zerialirenheit  und  völlige  Mutlosigkeit,  die  sich  schon  nach 
den  ersten  Erfolgen  des  Kaisers  der  niederdeutschen  Fürsten 
bemäuhtigt  hatten. 

Nur  einer  unter  ihnen  machte  von  dieser  allgemeinen 
Verzagtheit  eine  glänzende  Ausnahme,  und  das  war  der 
jüngere  Bruder  Friedrich  Ulrichs ,  der  zum  Bischote  von 
Halberstadt  postulierte  Christian,  der  Lieblingssohn  seiner 
Mutter  Elisabeth  von  Dänemark.  Am  20.  September  1599 
auf  Schlofs  Groningen  geboren,  nahm  Christian  in  der  langen 
Reihe  der  Kinder,  welche  Elisabeth  ihrem  Gemahle  geschenkt 
hatte,  zwar  erst  die  achte  Stelle  ein,  da  aber  seine  älteren 
Geschwister  bis  auf  den  späteren  Herzog  Friedrich  Ulrich 
und  den  im  Knabenalter  verstorbenen  Heinricii  Julius  sämt- 
lich Prinzessinnen  waren,  so  beruhete,  als  Friedrich  Ulricbs 
Ehe  mit  Anna  Sophia  von  Brandenburg  kinderlos  blieb,  zu- 
nächst auf  ihm  die  HoflFnung  für  den  Fortbestand  seines 
Hauses.  Wie  allen  Kindern  meines  Vaters  ist  ihm  eine  soi^- 
fältige  Erziehung  zuteil  geworden,  die  er  dann  durch  Reisen 
nach  Holland  und  Dänemark  sowie  durch  den  Besuch  der 
von  seinem  Grofavater  gestifteten  Universität  Helmstedt  zu 
vervollständigen  suchte.  Aber  obschon  er  sich  so  eine  filr 
jene  Zeit  nicht  ganz  gewöhnliche  Bildung  erwarb ,  durch 
welche  er  die  meisten  seiner  fiirstlichen  Standesgenossen 
überragte ,  fühlte  er  sich  doch  schon  als  Knabe  mehr  zu 
dem    Waßen  band  werke   und    zu    ritterlichen    Übungen    hin- 


CfaräliBii  der  Halbentidter. 


geEogen  als  xa  den  Büchern,  und  imter  den  roo  ihm  mit 
Vof&he  belrifbffnen  Suadien  Dahm  duieni^  d«  Politik  und 
Ooacbidite  den  ersten  PUlx  ein,  t61%  eataprecfaend  dar 
«ffinnB  Hofinebtem  erteilten  Instruktion,  welche  diese  anwie% 
ihn  „sa  T^irferkest  und  beroiaclien  Sechen,  sonderiich  >a 
dem  hoc  age  oder  w&s  sonst  xa  seiner  Vocntion  gehörig,  na* 
sohalten"  and  welche  ror  jeder  anderen  Lektüre  „das  Leeot 
förtrefflicher  Historien,  wie  Gominei,  Gniccardini,  Schlednni 
de  qQAttuor  monarcbüs,  Thucidides  ond  andere  dergleichen" 
dringend  empfahl.  Bei  alle  dem  war  ee  fUr  die  Ana^estal- 
tung  von  Christians  Cbamkter  ein  verhängnisvoller  MiTs* 
stand,  dafs  sein  Vater  gerade  in  den  eJitscbeidenden  Jahren 
intblge  seiner  last  stetigen  Abwesenheit  von  Prag  aich  nicht 
personlich  um  seine  Erziehung  kununem  konnte,  sondern 
diese  der  nur  alhcu  zärtlichen  und  nachsichtigen  Mutter  über- 
lassen mufste.  So  entwickelte  sich  in  der  ehrgeizigen  und 
lebhatiten  äeele  des  Jünglings  jener  trotzige,  rechts  verachtende 
und  doch  von  einem  Schimmer  romantischer  Ritterlichkeit 
getragene  Sinn,  der  bald,  die  Sprossen  edler  Kräh  über- 
wachemd,  sein  ganzes  Sein  ond  Denken  beherrschen  und 
sein  Geschick  bestimmen  sollte. 

Zu  Aot'aug  des  Jahres  1617  worde  der  damals  noch 
nicht  achtzehnjährige  Prinz,  nachdem  zwei  seiner  jüngeren 
Brudei*.  Heinrich  Karl  und  Rudolf,  welche  seine  unmittel- 
baren Vorgänger  auf  dem  bischöflichen  Stuhle  gewesen 
waren,  bald  hintereinander  in  noch  jugendlichem  Alter  ge- 
storben waren,  zum  Administrator  des  Bistums  Halberstadt 
erwählt  Trotz  der  Hofinungen,  die  man  anfangs  von  ihm 
h^te,  wie  man  denn  selbst  auf  katholischer  Seite  glaubte, 
dafs  der  junge  begabte  Fürst  „nach  dem  Laufe  der  Natur 
von  oben  her  und  durch  Schicksalsspruch*'  zum  Heile  der 
Unterthauen  auf  den  bischöilicben  Stuhl  berufen  worden  sei, 
ist  seine  Verwaltung  weder  für  das  Stift  Halberatadt  noch 
für  die  ihm  kurze  Zeit  daraul'  gleichfalls  überwiesene  ehe- 
malige Cistercienaerabtei  Walkenried  eine  s^cnsreiche  ge- 
wesen. Streit  und  Hader  mit  dem  Domkapitel,  mehr  noch 
das  traurige  Unwesen  der  Kipper  und  Wippor,  welches  das 
Hochstitt  zu  einer  weithin  verrufenen  Räuberhöhle  machtej 
die  Milsregicrung  seines  uaiahigcn  und  habgierigen  Kanzlers 
Anton  von  Wietersheim,  des  würdigen  Genossen  eines  Anton 
von  der  Streithorst,  stürzten  das  Land  in  die  äufserste  Verwir- 
rung. Den  nach  Kriegsthaten  und  Schlachtcnlärm  verlangen- 
den jungen  protestantischen  Bischof  kümmerte  das  wenig. 
£r  halte  schon  im  Jahre  1610  mit  den  böhmischen  Ständen 
über  bei  ihnen  zu  nehmende  Kriegsdienste  unterhandelt  und 


56 


Erstes  Qucb.     Zweiter  Abüchnitt. 


nach  Friedrichs  Walil  zum  Könige  von  Böhmen  diesem 
wiederholte  Anträge  in  ähnlichem  Sinne  gemacht.  Im  Som* 
mer  1C21  finden  wir  ihn  dann  bei  dem  Piinzen  von  Oranieu 
in  den  Niederlanden.  „Er  wolle  sich  vorbereiten",  aclirieb 
er  bei  seiner  Abreise  von  Schöningen  aus  an  seinen  Oheim, 
den  König  von  Dänemark,  j,anf  allen  Notfall  f*iir  daa  Heil, 
die  Wohlfahrt  und  unschätzbare  Freiheit  seines  lieben  Vater- 
landes als  ein  rechtschaffener  Ritlersmann  durch  die  gnädige 
Hilfe  und  den  Beistand  des  AUerhuchsten  mit  Ruhm  und 
Ehren  ritterlich  zu  fechten".  Woliin  dies  zielte,  sollte  sich 
bald  zeigen.  Er  machte  hier,  in  Araheim,  dem  Oranier 
und  dem  geächteten  Friedrich  von  der  Pialz  das  Anerbie- 
ten, für  den  letzteren  1000  Reiter  zu  werben,  und  eÜte,  als 
sein  Anerbieten  angenommen  wurde,  alsbald  in  die  Heimat, 
um  seine  Rüstungen  zu  beginnen. 

Die  Beweggründe,  welche  den  feurigen  und  thatendur- 
stigen  Welienlürsten  veranlafsten,  sich  ungeachtet  der  Ab- 
mahnungen seiner  Mutter  und  seiner  Verwandten  kopfüber 
in  den  Strudel  eines  unabsehbaren  Kampfes  zu  stürzen, 
waren  sicherlich  sehr  gemischter  Natur.  Es  läfst  sich  an- 
nehmen, dafe  die  Verwaltung  eines  kleinen  Landes,  wie  das 
Stift Halberatadt  war,  seinem  hochstrebeuden,  ritterlichen  Geiste 
nicht  genügte  und  dafs  die  Lust  zu  Abenteuern  imd  das 
Verlangen  nach  kriegerischem  Ruhme  das  ihrige  dazu  ge- 
than  haben,  ihm  das  Schwert  in  die  Hand  zu  drucken.  Hat 
er  doch  später  seiner  Mutter,  die  nicht  müde  wurde,  ihn 
von  seinem  verzweifelten  Beginnen  zurückzubringen ,  er- 
widert: „Angehend  dafs  ich  Lust  zum  Kriege  habe,  muis 
ich  bekennen,  dafs  ich  es  habe,  denn  es  ist  mir  angeboren, 
auch  wohl  haben  werde  bis  an  mein  Ende.''  Dazu  kam 
der  Anteil,  den  er  an  der  Wendung  der  böhmischen  Frage 
imd  an  dem  Schicksale  des  unglücklichen  Pfatzgrafen  nahm. 
„Er  sei",  schreibt  er  an  den  Künig  von  Dänemark,  „durch 
Mitleid  der  betrübten  Drangsalen,  darin  seine  nächsten  Bluts- 
freunde von  Römisch  Kaiserlicher  Majestät  gesetzet  und  gar 
aufs  äufsei-ste  verfolget  würden,  bewogen  worden,  einen 
Rciterdienst  dem  Könige  von  Böhmen  zu  leisten  und  wie 
ein  junger  Kavalier  seine  Dienste  zu  präsentiren."  Ja  es 
ist  eine  bekannte  Überlieftirung,  dafs  ihm  vor  allem  die 
heftige  Leidenschaft,  die  er  für  Friedrichs  GemaliKu  EU- 
Babcth,  seine  schöne  und  unglückhche  Base,  gefafst  hatte, 
bewogen  habe,  die  Waffen  zu  ergreifen  und  seine  ganze 
Existenz  in  dem  verzweifelten  Spiele  mit  dem  Kaiser  und 
dessen  Verbündeten  einzusetzen.  „Tout  pour  Dien  et  ponr 
eile"   lautete  der  Wahlsj^ruch,  den  er  auf  seinen  Fahnen 


Seine  VVaSeoerbebang. 


St 


führte,  und  man  erzählt,  dafs  er  ihren  Handsctiuh  aU  £r- 
innemngs-  und  Mnhnzeicheu  stets  an  seinem  Helme  gc- 
txagcB  Labe.  Mit  diesem  ideal  -  romantisohcn  Anfluge  und 
den  einzelnen  Zügen  von  Grofsmut  und  füratlicher  Gesinnung, 
die  von  ihm  überliefert  sind,  steht  nun  aber  die  Art  uud 
Weise,  wie  er  den  Krieg  zu  führen  gedachte  und  dann 
wirklich  geführt  hat,  in  schroffstem  Widerspruche.  Bei  seinen 
■vergleichsweise  nur  schwachen  Mitteln  sollte  der  Krieg  selbst 
ihm  die  Mittel  gewähren,  seine  Söldner  zu  unterhalten  und 
weitere  Truppen  anzuwerben.  Öo  ist  er  neben  seinem 
Waffenbruder  Mansfeld  der  Erfinder  und  erste  Ausüber 
jener  schrecklichen,  landverwilsteuden  und  volksverderbenden 
Kriegfiilirung  geworden,  die  dann  Tilly  und  Wallenstein 
sich  aneigneten  und  zu  einem  berechneten  Ausbeutungs-  und 
Pliinderungssystcme  ausbildeten.  Bezeichnend  in  dieser  Hin- 
sicht ist  die  Aiifserung,  die  man  ihm  in  den  Mund  legt: 
„Kr  wolle  sich  mehr  durch  Schaden  als  durch  Gutesthua 
einen  Namen  macheu".  Kein  Wunder,  dafs  er  noch  heute 
in  Westfalen  unter  dem  Namen  „  der  tolle  Christian "  be- 
kannt ist. 

Zu  Ende  September  Ki'il  hatte  Christian  zwölf  Fähn- 
lein Fufsvülk  und  zwei  Keitercorneta,  eine  Streitmacht  von 
im  ganzen  4000  Mann,  beisammen,  die  er  in  Niedersacheeu 
nod  Westfalen  zumeist  mit  holländischem  Gelde  geworben 
hatte.  Mit  diesen  brach  er  nach  Kaftsel  auf,  wo  die  Ver- 
einigung mit  den  übrigen  Abteilungen  des  Üeei'ea,  zu  dessen 
Oberfeldherru  ihn  Friedrich  von  der  Pfalz  bestellt  hatte,  er- 
folgen sollte.  Allein  das  unter  Achatz  von  Dohna  voraui- 
gesandtc  Fufsvolk  wurde  teils  von  den  inzwischen  durch 
den  nieder  sächsischen  Kreis  aufgebrachten  Truppen  zer- 
sprengt, teils  verlief  es  sich  auf  dem  Marsche.  Mit  seinen 
Reitern  wandte  sich  Christian  nach  Bielefeld ,  wo  er  die 
Nachricht  von  der  Auflösung  seiue«  Fufsvolkes  erhielt  und 
wo  er  die  gelichteten  Reihen  seines  Heeres  durch  erneuete 
Werbungen  zu  ergänzen  suchte  Als  er  dann  von  hier 
gegen  den  Main  zog,  offenbar  in  der  Absicht,  sich  mit  Mans- 
feld, der  sich  noch  immer  in  der  Rheiupfalz  behauptete,  zu 
vereinigen,  vertiaten  ihm  die  auf  die  dringenden  Hiliegeauche 
de»  Landgrafen  Ludwig  von  1  lesscn-Darmstadt  herbeieilenden 
Truppen  der  Liga  tmter  Jakob  von  Anholt  den  Weg  und 
nötigten  ihn,  nach  Westfalen  zurückzuweichen,  wo  er  zu 
Ausgang  des  Jahres  IGül,  sicher,  dafs  die  Gegner  ihm  nicht 
dahin  folgen  würden,  in  das  wehrlose  Bistum  Paderborn 
einbrach.  Am  2.  Januar  1622  bemächtigte  er  sich  Lipp- 
stadts  durch  einen  Handstreich,  am  '21.  Januar  ward  Soest  mit 


&H 


Entsa  Bach.    Zweiter  Abschnitt. 


Sturm  genommen^  und  acht  Tage  später  öffiaeto  Ihm  der 
Verrat  der  grorsenteils  protestantisch  gesinnten  Einwohner- 
schaft die  Thore  von  Paderborn.  Das  unglückliche  Land 
muCste  nun  eine  Ausraubung  ohnegleiclien  über  sich  ergeben 
ias»en.  Galt  es  doch  die  durch  MärBche  und  Gefechte  zu- 
flammen  geschmolzenen  Truppen  wieder  aut'  eine  achtung- 
gebietende Stärke  zu  bringen.  In  Soest  wurde  —  abge- 
sehen von  den  Kontributionen,  welche  die  Stadt  aufzubringen 
hatte  —  der  Paderborner  Domschatz  im  Werte  von  330  000 
Thalem,  im  Kloster  Orlinghausen  der  gewaltige  Erbscbatz 
des  verstorbenen  Bischofs  Dietrich  von  Fürstenberg,  fünfzig 
Zentner  Silbers,  dreiuiidsechzig  Säcke  mit  Gold,  ein  jeder 
ira  Werte  von  500  Reicliathalem,  und  viele  wertvolle  Kuust- 
gegenstände  aus  Gold  und  Silber,  geraubt,  der  Äbtissin 
von  Neuenheei-se  die  ungeheuere  öurarae  von  80UQ0  Tha- 
lern abgeprefst.  Schlimmer  noch  hausten  die  „  Landstörzer  " 
in  Paderborn,  der  Hauptstadt  des  Landes.  Hier  wurde 
nicht  nur  der  katholisch  gesinnte  Teil  der  Bürgerschaft  um 
3000Ü  Thaler  gebrandschatzt,  die  Judenschaft  geplündert 
und  das  Jesuitenkolleg  zur  Erlegung  von  1 0  000  Thalem 
gezwungen,  sondern  alle  Kirchen  dor  Stadt,  in  erster  lieihe 
die  dem  heiligen  Liborius  geweihete  Kathedrale,  in  scham- 
losester Weise  ihres  Kirchenschmuckes  beraubt.  Der  silberne 
Schrein  des  Heiligen ,  an  dessen  Seiten  die  Bildnisse  der 
Apostel  aufgestellt  waren,  wanderte  in  die  Münze,  um  hier 
in  Geldstücke  umgeprägt  zu  werden,  welche  die  UmschrÜlt 
trugen :  „Gottes  Freund  und  der  Piafifen  Feind ".  Unter 
dem  Hochaltare  fand  man  eine  mit  8000  Goldstücken,  ein 
jedes  aochs  Tbnler  an  Wert,  gefüllte  Kiste,  im  Kapitelhauae 
raubte  man  8000  Thaler.  Das  kostbare  Taielgcschirr  und 
der  sonstige  Hausrat  des  Erzbischofa  von  Köln,  der  zugleich 
Bischof  von  Paderborn  war  —  man  schätzte  es  auf  über 
lOUüO  Thaler  —  wurde  mit  Beschlag  belegt.  Nicht  einmal 
das  Grab  des  ehemahgen  Bischofs  Dietrich  von  Fürstenberg 
ward  verschont  sondern  erbrochen  und  daraus  King  und 
Stab,  die  Symbole  der  bischöflichen  Würde,  entführt. 

Mit  den  auf  diese  Weise  zusammengoplünderten  Schätzen 
und  den  Brand  schatzungsgeldern,  die  er  dem  benachbarten 
Hochstilt  Münster  abprefste,  wurde  es  Christian  Tiicht  schwer 
sein  Heer  binnen  kurzem  so  zu  verstärken,  dafs  er  zu  An- 
fang März  —  ungerechnet  den  Trofs  von  Knechten,  Wei- 
bern und  Bändern  —  eine  Tnippenmacht  von  über  20  000 
Mann  mustern  konnte.  Mit  dieser  brach  er,  nachdem  er 
vergebens  versucht  hatte,  das  kleine  Ugistische  Heer,  da8 
ihm  unter  Anholt  nach  dem  Paderbornschen  gefolgt  war,  zu 


Ausraubung  von  Paderborn.    Schlacht  bei  Höchst. 


59 


verdrängen,  Mitte  Mai  aus  dem  völlig  ausgesogenen  Lande 
auf  und  wandtf'-  sich  südwärts  gegen  die  Wetterau,  um  einen 
zweiten  Versuch  der  Vereinigung  mit  dem  ptlilzischen  Heere 
unter  Mansfeld  zu  machen.  Hier  aber  erreichten  Um  (am 
20.  Juni)  hei  Höchst  in  der  Nähe  von  Frankfurt,  als  er 
eben  sich  anschickte,  über  den  Main  zu  setzen,  die  uber- 
l<^ncu  Streitkräfte,  welche  Tilly  und  Cordova  von  8Uden 
her  heranführten.  Vor  der  T 'hermacht  der  ligistischcn  und 
Bpaniscbeu  Artillerie  vermochten  die  Braunschweiger  nicht 
standzuhalten.  lu  wilder  Flucht  löste  sich  das  Heer  nach 
kurzem  Kampfe  auf.  Fast  die  Hälfte  deckte  das  Schlachtfeld, 
während  Tausende  unter  den  Tiümmem  der  zusammen- 
brechenden Mainbrücke  begraben  wurden  und  in  den  Wellen 
des  Flusses  ihren  Tod  fanden.  Mit  nur  wenigen  Iteitem 
rettete  steh  Christian  selbst  über  Darmstadt.  I^i  der  Bei^- 
strafse  stiefs  er  zu  dem  ihn  erwartenden  Mansfeld. 

Damit  war  die  kriegerische  Rolle  des  Halberstädtera  zu- 
nächst in  Deutschland  ausgespielt.  Denn  als  er  jetzt  im 
Verein  mit  Mansfeld  die  Belagerung  von  Zabern  im  Elsafs 
unternahm,  erreichte  ihn  wenige  Wochen  nach  der  Nieder- 
lage bei  Höchst  eine  Botschaft  des  Pfalzgrafen,  welche  die 
beiden  Heerführer  aus  dessen  Dienst  entliefs.  Die  Friedens- 
verhandlungen, welche  zwischen  dem  Kaiser  und  Friedrich 
unter  Englands  und  Dänemarks  Vermittlung  nie  waren 
ganz  abgebrochen  worden,  schienen  eben  damaU  zu  einem 
Abschlüsse  zu  gelangen.  Der  Pfalzgraf  lief»  sich  bestimmen, 
voreilig  die  Waffen  aus  der  Hand  zu  geben.  Er  entliefs  die 
beiden  Männer,  welche  allein  für  sein  l^cht  und  seinen  Be- 
sitz eingetreten  und  heldenmütig  gefochten  liatten,  um  dann 
zu  spät  einzusehen,  dafs  ihn  die  habsburgische  PoUtik  über- 
listet und  betrogen  hatte.  Christian  von  Braunschweig  und 
Mausteld  wandten  sich  jetzt  nach  Lothringen  und  traten 
echliefslich  in  die  Dienste  der  General  Staaten.  Bei  Fleurus 
trafen  sie  auf  das  spanische  Heer  unter  Coi*dova  und  Ver- 
äugo.  Mit  glänzender  Tapferkeit ,  wenn  auch  nicht  ohne 
schwere  Verluste,  schlugen  sie  sich  durch  die  überlegenen 
Feinde.  Chri.stian,  der  in  dieser  Schlacht  am  linken  Arme 
verwundet  ward,  so  dofs  er  sich  einer  Amputation  desselben 
unterwerfen  raufste,  bewährte  sich  hier  als  verwegener  Reiter- 
fuhrer,  dem  man  die  Durchbrechung  des  kriegsgehärteten 
Boanischen  Fufsvolks  verdankte.  Ein  damals  entstandenes 
Volkslied  singt  von  ihm,  wie  er  „mit  blofeen  Armen"  kühn 
in  den  Feind  gesprengt  sei,  „sein  Schwert  in  der  einen, 
Bein  Pistol  in  der  anderen   Hand ''. 

Inzwischen  vollendete  Tilly  die  Eroberung  der  Pfalz,  die 


«0 


Erstes  Buch.     Zweiter  Abschnitt, 


von  den  ciuheimiächeu  Streitkräften  nur  schwach  verteidigt 
wurde.  Der  Fall  von  Heidelberg,  Mannheim  und  Frankenthal 
besiegelte  die  Unterwerfung  des  Landes  unter  den  Willen 
und  dnä  Gebot  des  Kaisers^  der  jetzt  dazu  achritt,  sein 
Maximilian  von  Bayern  gegebeues  Wort  inbeaug  auf  die 
Verleihung  der  ptalziachen  Kurwürdo  einzulösen.  Aul'  dem 
fast  nur  von  katholischen  Heichsständen  besuchten  FUrsten- 
tage  zu  Uegensburg  (Dezember  lü22  bis  Februar  1G23)  er- 
folgte nach  sechöwöciientlichen  Verbandlungen  trotz  des 
Widerspruches  der  brandenburgischon  und  sächsischen  Ge- 
sandten die  Übertragung  der  Kur  auf  Bayern.  Es  war 
ein  Gewaltsti-eich,  der,  indem  er  das  bisherige  Verhältnis 
der  protestantischen  und  kaLholischon  Stimmen  im  Kurfürstea- 
koUegium  zugunsten  der  Katholiken  verschob  und  die  Reichs- 
verfassung  in  einem  ihrer  wesentlicliaten  Punkte  verletzte, 
in  allen  protestantischen  Ländern  als  schwere  Drohung  em- 
pfanden werden  mufste  und  überall  die  bange  Besorgnis 
vor  ähühcher  Vergewaltigung  erweckte,  wie  sie  soeben  dem 
ländorloseu  Böhmenkönige  widerfahren  war.  Auch  die  Stände 
des  niedersächaiöcben  Kreises  sahen  sich  davon  auf  das  pein- 
lichste berührt,  um  so  pcinhchor,  als  es  schien,  dafs  gerade 
ihr  Gebiet  zum  Kampfplatz  für  die  feindlichen,  noch  immer 
im  Felde  stehenden  Heere  worden  würde.  Denn  während 
ringsum  die  kaiaerÜchen  Armeen  in  bedrohlicher  Nähe  stan- 
den, erschienen,  von  den  Niederlanden  heranziehend,  auch 
Chi-istian  von  Halberstadt  und  Mansield  wieder  an  den  Gren- 
zen des  Kreises.  Jener  betrieb  in  den  Bistümern  Paderborn 
und  Münstei*,  dem  Schauplatze  seiner  früheien  Brand- 
schatzungeu  und  Erpressungen,  von  neuem  seine  Werbungen, 
während  Mansfeld  im  Einverständnis  mit  den  Niederländern 
sich  im  Fürstentum  Ostfrieslaud  einlagerte,  wo  er  durch  be?- 
spielloBü  Bedrückung  das  Volk  zur  Verzweiilung  brachte, 
durch  den  von  ihm  selbst  herbeigeführten  Mangel  au  Nah- 
rungsmitteln und  verheerende  Krankheiten  aber  auch  die 
Hälite  seines  Heeres  einbüfste.  Unter  diesen  Umständen 
schien  sich  selbst  der  bisher  so  zügeiude  und  schwankende 
niedersächsische  Ki'eis  zu  einiger  Eoergie  aulztiraffen.  Auf 
dem  Kreistage  zu  Braunschweig  (Februar  1633)  beschlofe 
mau  nicht  nur  die  Truppen,  welche  Herzog  Wilhelm  von 
Weimar  geworben  hatte,  6000  Mann  zu  F^ufs  und  2000  Rei- 
ter, in  Dienst  zu  nehmen,  sondern  noch  weitere  7000  Mann 
zu  Fufs  und  3000  zu  Kola  aufzustellen.  Den  Oberbefehl 
über  diese  ^tieitraacht  sollte  Georg  von  Lüneburg  führen, 
der  sich  seine  Sporen  in  den  Niederlanden  unter  Moriz 
TOD  Oranicu  und  Spinola  verdient,  dann  im  dänischen  Ilecre 


ChristwD  rm  CHenste  des  niedenüchsisebeD  KrdMft. 


«t 


ernste  Kriogsscimle  durchgomacbt  hatte  und  hier  tarn 
erstenmale  bedeutsam  in  die  politischen  und  kriegeriachen 
■Wirren  der  Zeit  eingreift 

DioGC  MaTsregeLn  eut  Aufrechterhaltung  einer  Iwwaffiieten 
r^2^eutralität  seitens  des  niedersächsichen  Kreise»  »ehienen  in- 
les  ihren  Zweck  zu  verfehlen.  Gerade  zu  der  Zeit,  da  die 
Stünde  in  Braunschweig  tagten,  machte  sich  Christian  von 
Balberstadt  durch  die  Besetzung  der  Übergangspunkte 
fiber  die  Weser,  namentlich  Höxters  und  Hinteins,  zum 
Herrn  dieses  FJassee  und  seine  Tnippen  breiteten  sich  in 
den  Gratschaflen  Hoya  und  Diepholz  aus.  Ein  Zusammen- 
stofs  mit  den  Kreistruppen  unter  Herzog  Georg  schien  un- 
vermeidlich. Da  gtlang  es  der  Slutter  des  Halberstädters, 
eine  Verständigimg  des  letzteren  mit  seinem  Bruder,  dem 
regierenden  Herzoge  Friedrich  L'irich,  herbcizufiihron  und 
den  kriegslustigen  Sohn  für  die  Bestrebungen  des  Kreises 
zu  gewinnen.  Auf  dem  Calenberge  kamen  beide  Brüder 
zusammen,  und  hier  versprach  Christian,  von  seinem  Bünd- 
nisse mit  dem  ,, Könige  Friedrich"  und  dem  Grafen  von 
Mansfeld  abzulassen,  mit  seinen  Truppen  in  den  Dienst 
seines  Bruders  zu  treten  und  dem  niwlersächsi sehen  Kreis- 
obersten —  ohne  indes  seinem  Befehl  untei^ordnet  zo  sein  — 
getreulich  Assistenz  zu  leisten.  Ziigleich  betrieb  Friedrich 
Ulrich  im  Verein  mit  dem  Könige  von  Dänemark  Christians 
völlige  Aussöhnung  mit  dem  Kaiser.  Sie  bericliteten  ihm 
über  den  Caleuberger  Veitrag,  hobeji  hervor,  dals  nun,  da 
er  sich  von  Mansfeld  getrennt  habe,  der  Kaiser  und  die 
katholische  Partei  nichts  mehr  von  ihm  zu  besorgen  hätten, 
versprachen  die  allmäldiche  Ablohnung  seiner  Truppen  und 
erbaten  Ferdinands  Verzeihung  iür  ihn  und  seine  Belasaung 
im  Besitze  von  Halberstadt. 

Allein  dieser  Versuch,  durch  einen  Ausgleich  zwischen 
dem  Kaiser  und  dem  trotzigen  Baudeniuhrer  die  Kriegs- 
gefahr von  den  Grenzen  des  Kreises  fernzuhalten,  scheiterte 
an  der  Unbotmäfsigkeit  und  dem  Mifstrauen  des  letzteren. 
Bald  sollte  sich  zeigen,  wie  wenig  ernst  seine  Vers]>rechungen 
gemeint  waren.  Kaum  in  den  niedcrsäcbsischen  Kreis  auf- 
genommen, kaum  mit  seinen  Truppen  in  den  Stiftern  Hildes- 
heim und  Halberstadt  eingelagert,  begann  er  jene  durch  er- 
neuete  Werbungen  zu  verstärken.  Zu  ihm  ßtiefscn  die 
Banden  der  kriegslustigen  Herzöge  Wilhelm  von  Weimar 
und  Friedrich  von  Altenbui^.  Bald  liatte  er  wieder  ein 
stattliches  Heer ,  dessen  Bestand  wohl  Htwas  zu  hoch  auf 
20  OOO  Mann  angegeben  wird ,  unter  seinen  Fahnen  ver- 
einigt   Die  Einlageining  so  bedeutender  Truppenmassen  und 


Ences  B«cli.     ZvciMr  Afcttliiiitt. 


die  zweideutige  Haitung  ihres  Fähren  crf&Utea  die  nieder- 
•ifcchaUcben  Kreiaetäode  mit  Argwohn  «uid  Beeorenia.  Bei 
der  Zeriahrenbeit  und  Uneinigkeit,  die  unter  ihnen  nerrscHte, 
■ftben  lie  sich  durch  die  Macht  der  Verhällniaie  zu  einer 
£ntBcbeiduog  gedrängt,  die  sie  doch  unter  allen  Umstüuden 
veruiieden  sehen  wollten.  Ein  am  die  Mitte  Mai  nach 
Oardelegen  beruiener  Kreistag  diente  nur  dazu,  die  unter, 
ihnen  herracfaendc  Koptli^sigkeit  und  ATerzagtheit  aller  Welt 
sni  ofTcnbai  en.  Man  glaubte  durch  Abmachungen .  Bitten 
und  Vorstellungen  nach  beiden  Seiten  hin,  an  den  ver- 
wegenen Heerluhrer  und  den  Kaiser,  den  drohenden  Sturm 
beschwören  uud  die  Gefahr  eines  Zusammeustolses  der  teind- 
lichen  Mächte  innerhalb  des  Kreises  abwenden  zu  können. 
Denn  inzwischen  hatte  auch  Tilly^  durch  Christians  Rüstun- 
gen beonnihigt,  seine  Truppen  von  der  Wetterau  her  durch 
Hessen  gegen  die  Grenzen  des  niedersächsischen  Kreises 
vorgeschübeu.  Der  letztere  sah  sich  jetzt,  ohne  selbst  über 
nennenswerte  Streitkräfte  zu  verfügen,  vor  die  "Wahl  ge- 
stellt, i>b  er  den  drohenden  Forderungen  des  Kaisers  uud, 
des  iigistischen  Generals  sich  fügen*  oder  Land  und  Leute ' 
für  das  ßüuduis  mit  einem  abenteuernden,  in  offener  Auf- 
lehnung g^'gen  die  kaiserliche  Autorität  verharrenden,  von 
seiner  eigenen  Familie  preisgegebenen  Fürsten  einsetzen 
wollte.  Auf  dem  in  Lüneburg  im  Juni  und  Juli  abgehal* 
tenen  Kreistage  wurde  diese  Frage  noch  einmal  gründlich 
erwogen.  Ganz  in  dem  Sinne  früherer  Verhandlungen 
glaubte  man  einen  Ausweg  gefunden  zu  haben,  indem  man 
einerseits  von  Christian  verlangte,  er  solle  unverzüglich 
sein  Heer  abdanken  oder  den  Kreis  verlassen,  andererseits 
an  Tilly  die  Forderung  stellte,  die  Grenze  Niedersachsens 
nicht  zu  überschreiteu  und  die  Drohung  hinzuiügte,  im  Fall 
des  Widere trcbens  vun  einer  Seite  die  Krcistruppcu  mit 
dem  betretenden  Gegner  zu  gemeinsamer  Abwehr  vereinigen] 
KU  wollen. 

Christian  hatte,  noch  ehe  diese  Aufforderung  der  Kreis- 1 
stände  an  ihn  gelangte,  beschlossen,  seine  bisherigen  Stand- 
quartiere zu  verlassen.  Er  scheint  einen  Augenblick  daran 
gedacht  zu  liaben,  nach  Böhmen  durchzubrechen,  das  sich 
noch  immer  in  einem  Zustande  gährender  Unzufi-iedenheit 
befand.  Als  ihm  aber  der  Kurliirst  von  Sachsen  den  un- 
gehinderten Durchmarsch  durch  sein  Land  über  Dresden 
verweigerte,  wandte  er  sich  südwärts,  überstieg  den  Harz 
und  lagerte  sich  zwischen  Gieboldehausen  und  Nordheim. 
Über  Wanfried,  Treffurt,  Elschwege  und  AUendorf  zog  Tilly 
mit  seinem  Heere   heran   und  nahm  sein  Hauptquartier  m  < 


Schlacht  bei  Stadtlohn. 


(;ä 


Duderstadt  auf  dem  Eichst'elde.  Längere  Zeit  standen  sich 
60  die  beiden  Heere  beobachtend  gegenüber.  Es  kam  zu 
verschiedenen  Scharmützeln,  in  dienen  der  Vorteil  bald  auf 
die&er,  bald  auf  jener  Seite  war.  Am  Fufse  der  Pleaae 
sprengte  der  Uerzog  eine  ligi»tii§cho  Keiterabteilung  unter 
Franz  Albrecht  von  Sachsen-  Lauenburg  auseinander  und 
erbeutete  sieben  Fahnen ,  wiihi-end  Tilly  sich  vei^ebens 
Mündens  zu  benijichtigen  suchte,  dagegen  das  von  zwei 
Koiupagnieen  brauuschweigiacher  Dragoner  verteidigte  Suhlors 
Friedlaud  zur  llbergabe  uütigte.  Eben  jetzt  eröohienon  die 
Abgesandten  der  niodersachaiachen  Stände  in  dem  Lager 
beider  Heenuhrer,  um  ihnen  die  Beschlüsse  des  Lüneburger 
Tages  mitzuteilen.  Dies  bestimmte  Cliristian,  die  bisher  be- 
hauptete Stellung  aufzugeben  und  sich  nach  \\'estialeu  zu 
wenden,  nicht  ohne  vorher  in  einem  vom  II.  Juli  datierten 
Schreiben  dea  uiedereäcbsischen  Kreisstäuden  in  beredten 
Worten  ihren  Kleinmut  vorgehallen  und  warnend  auf  die 
unausbleiblichen  Folgen  desselben  hingewiesen  zu  haben: 
,ySo  niufs  ich  es  Gott  und  der  Zeit  empfehlen^  dafä  man 
mich  hilllos  läfst,  meine  Regimenter  niederlegt  und,  unbe- 
kümmert um  die  Verheeruug  des  bra mi sc hweigi sehen  Landes, 
alles  einem  feigen  Frieden  für  den  Kreis  opfert" 

In  der  ersten  Hälfte  des  Juli,  wenige  Tage  nach  diesem 
Schreiben,  brach  er  auf.  Seine  Absicht  ging  dahin,  sich 
entweder  mit  Manslcld  zu  vereinigen  oder  abermals  bei  den 
Qeneral Staaten  Dienste  zu  suchen.  Bei  Bodenwerder  über- 
schritt er  die  Weser.  In  Lemgo  erliefs  er  am  18.  Juli  eine 
Kundgebung ,  in  wchdier  er,  um  das  Bistum  Halberstadt 
vor  der  Hache  der  Kaiserlichen  zu  schützen,  feierUch  auf 
den  Besitz  desselben  zugunsten  seines  Vetters  Friedrich  von 
Dänemark  verzichtete.  Schon  war  ihm  Tilly,  der  zwei 
Tage  später  seine  Stellung  verlaaseu,  die  Umgegend  von 
Göttingen  verheert  und  dann  bei  Corvey  über  die  Weser 
gegangen  war,  auf  den  Fersen.  Im  Münsterlande  bewerk- 
stelligte er  seine  Vereinigung  mit  Anholt,  wodurch  er  eine 
dem  Halberstädter  weit  überlegene  Sireitmacht  zusammen- 
brachte. Nachdem  er  dann  den  Übergang  über  die  Ems 
erzwungen  hatte,  traf  seine  Vorhut  bei  Steinfurt  zuerst  auf 
die  abziehenden  Halberstädter.  Von  hier  bis  Stadtlohn  ward 
das  Heer  Christians  in  einer  Reihe  von  Scharmützeln  und 
Rückzugsgefechten  vollständig  zersprengt.  Der  letzte  und 
bedeutendste  dieser  Kämpfe  fand  bei  Stadttohn  statt.  Hier 
ward  der  Rest  des  protestantischen  Heeres  überwältigt: 
6Ü0O  fieleo  fechtend,  4000  gerieten  in  Gefangenschat t.  Alles 
Geschütz,  neunzehn  grobe  Stücke  mit  ihrer  Munition,  3000 


«4 


Erstes  Bucb.     Zweiter  Abschnitt 


Pferde,  zwei  Silberwagen,  fünfmidachtzlg  Fähnlein  und  Beck- 
zehn  Cornets  wurden  eine  Beute  der  Sieger.  Mit  kaiuu  2000 
Mann  entkam  der  Herzog  äolbat  dem  Gemetzel.  In  Be- 
gleitung einiger  seiner  WaffengenosBen,  unter  denen  sich  der 
später  ao  berühmt  gewordene  Bernhard  von  Weimar  be- ' 
fand,  rettete  er  sich  nach  Amheim  auf  holländisches  Gebiet 

Nach  dem  Abzüge  Christians  aus  dem  uiedersächsischen 
Kreise  gestaltete  sich  hier  die  Lage  der  Dingo  nur  noch 
trostloser  und  zerfahrener.  Zu  spät  sollten  jetzt  seine 
Mitglieder  erkennen ,  dafs  die  schwächliclie  Politik  der 
Neutralität,  der  sie  huldigten,  sie  nicht  vor  den  Lasten  und 
Greueln  des  Krieges  schützen  und  nach  der  Vernichtung  des 
einzigen  Heeres,  welches  Norddeutachland  gegen  die  Keaktions- 
gelUßte  des  Kaisers  und  der  Liga  hätte  verteidigen  können, 
ihnen  knura  etwas  anderes  übrig  bleiben  würde,  als  sich 
bedingungslos  der  Gnade  der  Sieger  zu  unterwerfen.  Es 
trat  sofort  zutage,  dafs  weder  der  Kaiser  noch  der  ligistische 
Feldherr  gesonnen  sei ,  die  Neutralität  des  Kreises  an- 
zuerkennen. Drohend  stand  Tilly  in  Westfalen,  wo  seine 
Regimenter  die  gröfseren  Städte  besetzt  hielten.  Jetzt  brachte 
er  die  wichtigen  Weser  Übergänge  bei  PoUe  und  Minden  in 
seine  Gewalt  und  schob  seine  Truppen  bis  an  die  untere  ^J 
Elbe  vor,  wo  er  sich  unter  arger  Verwüstung  des  unaliegen-  ^| 
den  Landes  der  stax'ken  Festung  Stade  bemächtigte.  Es  ging  ^^ 
das  Gerücht,  dafs  in  Paderborn  bereits  die  Wappen  gemalt 
würden,  durch  deren  Anheftung  der  Kurfünst  von  Köln  von 
dem  seit  der  Stiftsfehde  gr^ifstenteils  out  dem  Fürstentuuie 
Wollenbüttel  -  Calenberg  vereinigten  Hochstiite  Hlldesheim 
Besitz  zu  ergreifen  gewillt  sei.  Die  Mannschaften  des  tilly- 
schen  Heeres  machten  kein  Hehl  daraus,  dafs  sie  zur  Be- 
setzung der  Bistümer  Magdeburg,  Hildeaheim  und  Halber- 
atadt  bestimmt  seien  und  im  Fürstentume  Wolfeubüttel  die 
Winterquartiere  zu  nehmen  gedächten.  Der  ligistische  Ge- 
neral selbst  verlangte  tür  die  Verstärkungen ,  die  ihm  aus  ^J 
Süddeutschland  zugeführt  wurden,  namentlich  iur  ein  Re-  ^H 
giment  von  3000  oberdeutschen  Knechten  unter  Colalto,  ^1 
freien  Durchzug  durch  das  Gebiet  des  niedereächsischen 
Kreises,  ja  er  stellte  geradezu  die  Forderung,  dafs  der  letz- 
tere die  von  ihm  geworbenen  Truppen  zur  Vcrti-eibung 
Mansfelds  aus  Ostfriesland  und  zur  endgültigen  Niederwerfung 
der  Holländer,  die  noch  immer  gegen  die  Spanier  in  WaflFen 
standen,  ihm  zur  Verfügung  stellen  sollte.  Die  Klagen  und 
Vorstellungen ,  welche  die  niedersächsischeu  Stände  im  ligi- 
stischen  Feldlager  erhoben,  erwiesen  sich  als  ebenso  fruchtlos 
wie  die  diplomatischen  Versuche,  Karsachsen  für  ein  gemein- 


Wachsende  Drangsale  des  fdedersächsischea  Kreises. 


«Ö 


eames  Vorgehen  zur  Verteidigung  der  Reicbslibertät  und  des 
evangelischen  Glaubens  zu  beatiramen,  und  wie  die  Abordnung 
einer  Geaandtscbail  an  den  kaiserlichen  Huf.  Wohl  nahm 
Ferdinand  IL  die  Versicherungen  der  T  reue ,  Ei^benheit 
und  inediertigen  Gesinnung,  welche  ihm  diese  Leute  über- 
mitteln sollten,  gnädig  entgegen,  aber  eine  wirklich  beruhi- 
gende Eiklärung  vermochten  die  Abgesandten  weder  inbezug 
auf  die  dem  Kaiser  zngeschncbene  Absicht,  die  in  den 
Händen  der  Protestanten  beKndlichen  BiatUmer  zurUck- 
zuturdern^  noch  auch  über  den  baldigen  Abmarsch  der  kaiser- 
lichen Truppen  aus  den  von  ihnen  besetzt  gehaltenen  Ge- 
bietsteilen dea  niedersächsischen  Kreises  und  von  dessen 
Grenzen  zu  erlangen.  Die  emeueten  Kriegsrüstungen,  welche 
die  Stände  im  August  1623^  bald  nach  dem  Treffen  von 
titadtlohn,  aui  einem  Kreistage  zu  Uraunschweig  beschloBsea 
hatten,  blieben  völlig  anzureichend  Es  fehlte  ebenso 
sehr  an  Geld  wie  an  gutem  Willen,  vor  allem  aber  an 
einem  einmütigen  Handeln.  So  wenig  bewährte  sich  jetzt, 
zumal  gegenüber  solchen  kriegerischen  Verwickelungen,  das 
unbehili  liehe  Institut  der  von  Maximilian  l.  geschaffenen 
Kreis  Verfassung,  dals  die  nicdersäehsischen  Stände,  schLiefa- 
lich  an  allem  verzweifelnd,  beschlossen,  die  Rüstungen  ganz 
einzustellen  und  die  unbedeutende  Kriegsmacht,  welche  sie 
zusammengebracht  hatten  aber  nicht  zu  ernähren  ver- 
mochten, zu  entlassen.  Mifsmutig  legte  Herzog  Christian 
von  Lüneburg  das  ihm  anvertrnuete  Amt  eines  Kreisobersten 
nieder,  wahrend  sein  Bruder  Georg ,  der  bisherige  Ober- 
befehlshaber der  Kreistruppen,  den  Mahnungen  seines  gut 
kaiserlich  gesinnten  Schwiegervaters,  des  Landgrafen  Ludwig 
von  Hes-sen,  folgend  sich  wieder  nach  Schlofs  Herzberg  in 
sein  früheres  Stillloben  zurückzog. 

Noch  war  der  Kriegsstunn  nicht  über  Niedersachsea 
hereingebrochen,  und  schon  machten  sich  hier,  namentlich 
auch  in  den  weifischen  Gebietsteilen,  Zustände  geltend,  die 
beim  wirklichen  Ausbniche  des  Krieges  kaum  hätten 
schlimmer  sein  können.  Eine  erschreckende  Mutlosigkeit 
hatte  sich  der  Bevölkerung  bemächtigt.  Das  Schicksiil  Ost- 
fricslands,  wo  Hunger  und  Pest  die  Bürger  und  Bauern 
schareuweis  zur  Auswanderung  trieben  und  wo  eine  secha- 
monatliche  Einlagerung  der  Mansfeldischen  Soldateska  genügt 
hatte,  die  Zahl  der  Einwohner  auf  ein  Fünfteil  dea  früheren 
Bestandes  herabzumindern,  schien  auch  den  niedersächsischen 
Landschaften  bevonsustehen.  Der  schon  arg  geschädigte 
Wohlstand  des  Volkes  schmolz  unter  dem  schweren  Drucke, 
den  der  Unterhalt  der  &omden  Kriegsbanden  ausübte  ULudL 

BafBCBKBo,  Bnaaseliv.-huBAT.  GwcbUhi«.    m.  ^ 


60 


Erstes  Buch.     Zureiter  Abschnitt. 


der  lähmecd  auf  jede  Gewerbatbätigkeit  zurückwirkte,  völlig 
dahin.  „Bei  jetzigem  zerrütteten  Zustande",  scbrieb  Chri- 
stian von  Celle  im  Mai  1624  an  den  Kaiser,  „sind  Kur- 
fürsten, Füi'sten  und  Stände,  die  kathüliächen  wie  diejenigen 
Augsburger  Konfession,  bis  auf  den  Grund  erschöpft:  die 
Kommerzien  sind  gesperrt,  Handel  und  Wandel  lalim  gelegt, 
der  Herrschaften  und  yntei*thaneu  Inlradeu  und  Veruaögen 
zeiTüttet."  Vierzehn  Amter  waren  im  Fürstentume  Lüne- 
burg völlig  öde  und  verwüstet:  die  Felder  lagen  unbestellt, 
ihi"e  BevölkeiTing  hatte  sich  verlauten.  Jenseits  der  Weser 
war  schon  im  Beginn  des  Jahres  1624  alles  aufgezehrt.  In- 
folge der  Kontributionen,  welche  Tilly  nach  anlanglicJier 
Selbstverpflegung  seiner  Truppen  eintrieb,  bei  den  noch 
immer  sich  iüblbar  macheuden  Nachwehen  der  Müuzwirren 
stiegen  die  Getreideprcise  zu  unerschwinglicher  Hübe.  Die 
Unsicherheit  im  Lande  wuchs  in  erschreckender  Weise.  Viele 
Bauern  verliefsen,  zur  Verzweiflung  getrieben,  Haus  und 
Hof  und  irrten  wegolagernd  im  Lande  umher.  In  dem  Adel 
lebte  die  alte,  kaum  gebändigte  Raublust  wieder  auf.  Es 
half  nichts ,  dafs  man  einzelne  dieser  „  Streiter "  fing  und 
aufs  Rad  flocht.  Oft  raufsten  ganze  Dörfer  durch  Glocken- 
schlag zur  Verfolgung  dieses  verwegenen  Raubgesindels  auf- 
geboten werden.  Schon  damals  wurden  Klagen  über  die  ia 
früher  unbekanntem  Mafse  zunehmenden  öelbstinorde  laut 
„Die  Unterthanen ",  sagt  derselbe  Herzog  von  Celle,  „stui-zen 
sich  ins  Wasser,  verJasscn  Haus  und  Hof  und  wandern  mit 
Weib  und  Kind  hinaus  ins  Elend." 

Und  doch  sollte  dies  alles  nur  ein  Vorspiel  gröfseren 
£llendea  und  heilloserer  Zerrüttung  sein.  Eben  damals  kam 
das  grofse  nordische  Bündnis  gegen  das  Haus  Osterreich 
und  den  Kalholizismug  zustande,  an  dessen  Herstellung  die 
dem  letzteren  feindlichen  Mächte  seit  dem  Segeberger  Kon- 
grosse unablässig,  wenn  auch  bislang  mit  geringem  Ertblge, 
gearbeitet  und  zu  dessen  Herbeiiiibrung  so  viele  Unter- 
handlungen, Korrespondenzen  und  Beratungen  stattgefunden 
hatten,  Englarid  trat  jetzt  nach  dem  Tode  Jakobs  l.  und 
nach  dem  Scheitern  der  Unterhandlungen  über  eine  Heirat 
seines  Nachfolgers  Karls  1.  mit  der  Infantin  von  Spanien, 
von  welcher  man  längere  Zeit  eine  Wiederherstellung  des 
Pfalzgrafon  auf  friedlichem  W^ege  erhofft  hatte,  aus  seiner 
bisherigen  Zurückhaltung  heraus.  Am  6.  Dezember  1625 
kam  im  Haag  ein  Bündnis  zwischen  England,  Dänemark 
und  den  General  Staaten  zur  Abwehr  der  kaisorHchen  Über- 
macht in  Norddeutschland  und  zur  Verteidigung  des  nieder- 
eächsichen  Kreises  zustande.     £önig  Ohi'istian    von  Däne- 


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mark,  auch  von  Frankreich  zu  diesem  Kampfe  ermutigt, 
von  Holland  und  England  mJt  Geld  unterstützt ,  iiberualim 
e»,  ein  Heer  zu  werben,  welches  die  Truppen  Tillys  aus 
Niedersachsen  vertreiben,  Norddeutschland  befreien  und  die 
bedrohliche  Übermacht  des  Kaisers  und  seiner  Verbündeten 
niedenverfeu  sollte.  Er  hatte  sich  bereits  früher  einen  be- 
stimmendt^n  Einflufs  auf  die  niedersächsi sehen  Stände  zu 
sicliera  gewufst.  Auf  dem  Kreistage  von  Lüneburg  war  er 
im  Mars  1G25  statt  des  zurilckgetreteueu  Chi-istiau  von  Cello 
zum  Ki'eisobersten  erwäldt  worden,  doch  erst,  nachdem 
Friedrich  Ulrich  von  Wolfenbüttel  aus  Rücksicht  auf  den 
Kaiser,  der  ihm  seit  der  WafFenerhebung  seines  Bruders  mit 
seinem  Mifwüiiuen  verfolgte,  abgelehnt  hatte.  Zwei  Monate 
später,  im  Mai,  bescldofa  man  dann  auf  einem  weiteren 
Kreistage  zu  Braunschweig  die  Aufstellung  einer  Kreisarmee 
von  10  000  Mann  zu-Fufa  und  3000  Reitern,  deren  Unter- 
haltuug  die  Stände  übernahmen  luid  deren  Führung  d«m 
Könige  von  Dänemark  übertragen  ward.  Ein  Schreiben 
Tillys,  in  welchem  er  betonte,  dals  laut  dem  Reichsabsclnede 
zu  Öpeier  im  Jahre  1570  alle  dergleichen  Rüstungen  der 
Genehmigung  des  Kaisers  bedürften ,  bHeb  unbeantwortet 
Den  letzteren  selbst  suchte  man  durch  die  Versicherung  zu 
beruhigen ,  dafs  die  beschlosseneu  Werbungen  nur  ein  Ver- 
teidigungswerk seien  und  ledigUch  die  Beschützung  des 
Kreises  sowie  die  Aufrechthaltung  des  Religionsfiiedens  zum 
Zwecke  hätten. 

Unbeirrt  durch  diesen  Schein  friedlicher  Absichten,  ant- 
wortete Kaiser  Ferdinand  auf  das  „  Defensionswerk "  der 
niedersächeischen  Stände  mit  einer  kriegerischen  Mafsregcl 
von  weit  gröfserem  Umfange  und  Gewicht.  Was  er  bisher 
erreicht  hatte,  verdankte  er  im  wesentlichen  den  kriegerischen 
Erfolgen  des  bayerisch-ligistischen  Heeres  unter  Tilly.  Jetzt 
schien  es  ihm  der  sich  bildenden  nordisch  -  protestantischen 
Koalition  gegenüber  an  der  Zeit,  ein  eigenes,  in  seinem 
Namen  kämpfendes  Heer  aufzustellen.  Diese  Aufgabe  über- 
nahm Wallenstein,  ein  in  seinen  Diensten  stehender  böh- 
mischer Edelmann,  der  vom  ProtestantiHmus  zur  alten  Kirche 
zurückgetreten  war  und  sich  im  böhmischen  Feldzuge  gegen 
Friedrich  von  der  Pfalz  sowie  gegen  Bethlen  Gabor  in 
Ungarn  und  in  Schlesien  gegen  den  Markgrafen  von  Jägem- 
dorf  ausgezeichnet  hatte.  Nach  vier  Wochen  waren  20000 
Mann  unter  seinem  Oberbefehl  beisammen ,  ein  iurcht- 
erregendes  Volk,  zum  gi-öfsten  Teil  altgediente  Kriegsknechte, 
bereit,  ihm  zu  folgen,  wohin  der  Kaiser  sie  schicken  würde. 
So   trat  die  katholische  Partei,  an  ihrer  Spitze  das  Haupt 

5* 


68  Erstei  Huch.    Zweiter  AI 

de«  deutschen  ReiL-hes^  in  den  !*ich  vorbereiteudeu  Kainjjt 
mit  zwei  mäcbtigen  Heeren  ein,  von  denen  rlaa  lig^stisebe 
von  der  inittiereu  \\'eM;r  g^'o^'*  ^^*^  Nürüaee,  das  kaiserliche 
dagegen  unter  Wallen&lein  von  der  mittleren  Klbe,  als  rechter 
Flügel  der  grofsen  kriegerischen  Gesamt kombination ,  gegen 
die  Ostsee  vordringen  sollte.  Solchen  gewaltigen  Hiistungen 
gegenüber  waren  indes  auch  Christian  von  Dänemark  und 
dessen  Verbündete  nicht  miiisig.  Sie  suchten  sich  durch  die 
Scharen  Manstclds  und  Ohriiitiaaä  von  Brauuschweig,  welche 
eben  damals  im  Dienste  der  Geueralstauten  das  von  Spinola 
belagerte  Breda  vergebens  zu  entsetzen  bemühet  waren,  zu 
verstärken,  lu  der  Mitte  des  ÖümiuerB  waren  die  beiden 
Bauden Itihrer  wieder  auf  deutschem  Boden.  Vom  Nieder- 
rhein  her,  an  Münster  vorbei,  erreichten  sie,  von  dem  li- 
gistischen  Obersten  Anholt  gedrängt,  glucklieft  die  Grat"s4^-l»aft 
Diepholz,  wo  sie  ilire  Verbindung  mit  dem  dänischen  Heere 
herstellten.  Hier  trennten  «ie  sich.  Christian  stellte  sich  mit 
den  Reitern,  die  er  noch  beisammen  hatte,  unter  den  Ober- 
betehl  seines  Oheims,  des  Däueukönigs,  Mausl'eld  dagegen 
lagerte  sich  mit  seinem  Volke  in  dem  ürzstift  Bremen  ein. 
Damit  fiel  ihm  die  Aufgabe  zu,  ^^'"allenstein  und  dessen 
Heer  zu  beschäftigen  und  von  einem  operativen  Zusammen- 
wirken mit  Tilly  abzithalten.  In  geschickter  Weise  hat  er 
sich  dieser  Aufgabe  entledigt.  Von  Wallenstein  an  der  Eib- 
brücke bei  Dessau  zurückgewiesen,  wandte  er  sich  nach  der 
Mark  Brandenburg  und  brach  vun  da  in  die  kaiserliehen 
ErbUnde  ein,  um  sich  in  Ungarn  mit  Betblen  Gabor  zu. 
vereinigen.  Dahin  mufste  ilim  der  kaiserliche  General  wider- 
willig folgen.  Er  hat  au  den  entscheidenden  Ereignissen  in 
Niedersachseu  keiueu  Anteil  mehr  nehmen  können. 

Hier  war  inzwisclieo  das  dänische  Heer,  von  dem  Könige 
in  Person  geführt,  eingerückt.  Mitte  Juni  (1625)  überschritt 
Q8  bei  Stade  die  Elbe  und  wandte  sich  über  Verden  nach 
Hoya^  von  wo  ea  über  Nieubui'g  und  Stolzenau  die  Weser 
aufwärts  zog.  Beim  Kloster  Lokkum  auf  der  Heide,  wo 
7000  Kreistruppeu  zu  ihm  stiefsen,  musterte  Chrietian  seine 
Sti-eitmacht.  Am  24.  Juli  hielt  er  seinen  Einzug  in  Hameln. 
Vier  Tage  darauf  (28.  Juli)  ging  auch  Tilly,  der  entschlossen 
war,  die  wichtigen  Weserpäase  nicht  in  die  Hände  der  Dänen 
fallen  zu  lassen,  bei  Höxter  über  den  Flufa  und  nahm  sein 
Hauptquartier  zu  Holzminden  im  Herzogtume  Wolfenbüttel, 
auf  nie  der  sächsischem  Boden.  Damit  war  der  Krieg  erklärt, 
der  alsbald  über  die  weifischen  Lande  alle  Schrecken  einer 
unerhörten  Verwüstung  ergiefaeu  sollte.  Gleich  im  Beginn 
kündigte  sich  dieser  Charakter  desselben  an.     Vor  den  U- 


Der  nledenScbBisclie  Krieg. 


69 


gistischen  Scharen,  den  „papistischen  Bluthumieo",  die  eicli 
von  Iluster  aus  in  kleinen  Abteilungen  über  das  Land  ver- 
breiteten, flohen  die  Bauern,  ihre  Habe  mit  Rieh  »rhlcppond, 
in  die  Wälder.  Auf"  die  beweglichen  Bitten  Friedrich  Ul- 
richs, sein  Land  mit  unerschwinglichen  Schätzungen  zu  vcr- 
schonen,  hatte  der  h'^^istische  Feldherr  geantwortet:  „seine 
Soldaten  könnten  nicht  gleich  Vögeln  über  ein  Land  hin- 
wegfliegen". Über  den  SoUing  vordringend,  tieleu  die 
erbanuungalosen  Feinde  in  die  Ämter  Erichsburg  und 
Wickensen.  Alle  Dörfer  dort  und  am  Vogler  wurden  ver- 
wüstet und  ausgeplündert,  nicht  nur  wer  sich  zur  Wehre 
setzte,  sondern  auch  harmlose  Flüchtlinge  erschossen.  Wie 
die  ganze  Umgegend  ward  aucli  das  ehrwürdige  Kloster 
Amelnngsborn  ausgeraubt  und  verderbt,  Dassel  im  Fölling 
verwüstet,  Hathaus,  Kirchen  und  Wohnhäuser  zerstört.  Im 
Amte  Springe  gingen  sieben,  im  Amte  Wölpe  elt"  Dorfer 
gröfatenteiU  in  Flammen  auf.  Bisperode,  Hilwardshausen  im 
Amte  Erichsburg,  der  Flecken  Kodenberg  im  Amte  Neu- 
ßtadt,  der  letztere  mit  16H  Wohnhäusern,  sanken  in  Asche. 
„Es  sind"  —  so  schreibt  der  Fürst  des  unglücklichen  Lan- 
des über  diese  Vorkommnisse  an  den  Kaiser  —  »die  wehr- 
losen Leute  in  ihren  Häusern,  auf  "Wegen,  im  Walde  und 
im  Felde  überfallen  und  mit  Weib  und  Kind  erbärmlich 
niedergehauen  worden,  weder  Kindbetterinnen  noch  Säug- 
linge haben  Öchouung  gefunden,  Pfarrer  hat  man  erschlagen, 
Insassen  von  Siechenhäusem  gemordet,  Fi*auen  die  Zunge 
ausgerissen  oder  aulgespalten ,  Männern  härene  Stricke  um 
die  Köpfe  gewunden  und  mächtig  zugezogen,  um  das  Ge- 
Ifltändnis  des  Versteckes  von  Schätzen  zu  erpressen.  Amter 
^  und  Klöster ,  Städte ,  Schlösser ,  Flecken  und  Dörfer  sind 
ausgeplündert,  die  Kirchen  geschändet,  Kelche  und  Mon- 
Btrauzen  gestohlen,  Taufsteine  und  Altarbibeln  mit  Unflat 
beschmutzt,  Bibliotheken  verbrannt,  Frauen  und  Jungfrauen 
auf  offener  Strafse  geschändet.  Ein  Teil  meines  Fürsten- 
tums, zwölf  Meilen  in  der  Länge,  sieben  in  der  Breite,  liegt 
gänzlich  verheert."  Ilie  und  da  fanden  die  Truppen  Tillys 
bei  diesem  barbai'ischen  W^üten  wohl  ^Videl'8tand,  wie  in 
liemmendorf ,  Poppenburg ,  Bodenwerder  und  Elze ,  allein 
die«  blieben  nur  vereinzelte,  aus  dem  Volke  selbst  hervor- 
gegangene Versuche,  sich  der  fremden  Soldbanden  zu  er- 
I  wehren,  Friedrich  Ulrich  und  seine  liegierung  verharrten 
in  der  von  ihnen  angenommenen  Politik,  welche  halt-  und 
ratlos  zwischen  den  zum  Kampfe  gerüsteten  Gegensätzen 
hin-  imd  herschwonkte,  weil  sie  der  Schwäche  und  C^tv'c^- 
inacht  ihrer  Natur   entsprach.     Man  \&V\.ti   <it^«.\Ve.\\.  'e^wi. 


70 


Erstes  Buch.     Zweiter  Abscbnitt 


dafs  Chnstian  von  Dänemark  zum  Schutze  des  seiner  Obhut 
an  vertrau  eten  Landes  das  Wagnis  einer  Feldschlacht  nicht 
scheuen  würde.  Aber  ein  Zufall  verhinderte,  dafs  es  dazu 
kam.  Wenige  Tage  nach  seiner  Ankunit  in  Hameln  (30.  Juli) 
stürzte  der  König  bei  Besichtigung  der  Wülle  mit  seinem 
Pferde  in  eine  tiefe  Grube,  aus  der  man  ihn  sprach-  und 
bewufstloä  hervorzog.  Der  Uufail  hatte  Itir  ihn  keine  wei- 
teren persönlichen  Folgen,  aber  er  lähmte  die  Operationen 
seineä  Heeres,  welches  jetzt  auf  demselben  Wege,  auf  dem 
es  gekommen  war ,  den  Rückzug  antrat.  Sogleich  ging 
Tilly  zum  Angriff  über,  besetzte  Hameln  und  Stolzenau 
und  lagerte  sich  vor  Nienburg,  welches  indes  von  dem  in 
dänischen  Diensten  stehenden  Herzoge  Johann  Ernst  von 
Weimar  entsetzt  ward.  Das  Land  sah  sich  zugleich  durch 
die  Banden  Wallensteins  bedrohet,  denn  noch  machte  sich 
der  Kinduis  von  Mansfelda  Operationen  auf  diesen  nicht 
geltend.  Über  das  Eichslbld  zog  der  kaiserliche  Feldherr 
heran,  ging  bei  AUendort  über  die  Werra,  verwüstete  das 
Amt  Friediand  und  breitete  sich,  Göttingen  und  Kirabeck 
beiseite  lassend,  im  Leincthale  aus.  Bald  jedoch  wandte  er 
sich  ostwärts,  um  sich  der  Hochetitter  Halberstadt  und 
Magdeburg  zu  versichern,  und  iiberliefs  dem  ligistischen  Ge- 
nerale allein  die  Weiterfiilirung  des  Kampfes.  Dieser  be- 
mächtigte sich  darauf  nach  kurzer  Belagerung  der  Feste  Ca- 
lenberg,  sprengte  bei  Seelze  eine  ieindliche  Abteilung  unter 
Fi-iediich  von  Ältenburg  und  übentraut  auseinander  und  be- 
di'ohete  Hannover,  in  dessen  Besetzung  ihm  aber  die  Dänen 
zuvorkamen. 

Da  die  Nähe  des  Winters  für  den  Augenblick  jede 
weitere  gröfsere  Truppenbewegung  verbot,  trat  ein  Waffen- 
ßtillstand  ein,  welchen  die  niedersächsischen  Kreisstände  zu 
einem  letzten  Versuche  benutzten,  durch  Verhandlungen  mit 
dem  Kaiser  und  dem  dänischen  Könige,  den  beiden  Mäch- 
ten, zwischen  denen  sie  hilf-  und  ratlos  eingekeilt  erschienen, 
den  Frieden  herzustellen.  Man  rief  die  Vermittlung  Kur- 
sachsens  an  und  lud  den  kaiserlichen  und  ligistischen  Feld- 
herrn ein,  sich  bei  den  Verhandlungen  durch  Abgeordnete 
vertreten  zu  lassen.  In  Brnimschweig  trat  um  die  Mitte 
des  November  der  Friede nskongrefs  zusammen.  Er  führte 
zu  keinem  Ergebnis.  Bei  der  Schroffheit,  mit  der  sich  die 
Meinungen  gegenüberstanden,  und  da  niemand  mit  der  in 
den  Vordergrund  gestellten  Abrüstung  beginnen  wollte,  zer- 
BclUugen  sieh  die  Verhandlungen,  Abgesehen  von  dem 
Herzoge  Friedrich  von  Holstein  war  auf  diesem  Tage  von 
.MÜea  Ständen   des  Kreises  die  Lüneburger  Linie   des   wel- 


Ohnmacht  Friedrich  Ulrichs. 


n 


tischen  Hauses  allein  nnvertreten  geblieben.  Ihr  Oberhaupt 
Herzog  Christinn  von  Celle,  wai*  überhaupt  mit  dem  Vor- 
gehen des  Kreises  nicht  ein  versta  nden .  Er  sah  i  n  einer 
strenge  aufrecht  zu  erhaltenden  Neutralität  das  einzige  Heil 
flir  denselben.  Schon  gegen  die  frlüier  in  Braunschweiß  be- 
schlossenen Defensivmarsregeln  (ö.  67)  und  die  Wahl  de« 
Dänenkönigs  zum  Kreisobersten  hatte  er  mit  seinen  Brüdern 
Verwahrung  eingelegt.  Die  Lüneburger  Herzöge,  welche 
bei  der  Kinderlosigkeit  Friedrich  Ulrichs  und  seines  Bruders 
Clu'istian  wohl  stJiun  daumls  den  einstigen  Anfall  des  Für- 
stentums Wolfen büttel-Calenberg  in  Betracht  zogen  ^  waren 
der  Ansicht,  und  Christian  sprach  dies  in  einem  an  die 
Räte  und  lütterschaft  seines  Landes  gerichteten  Schreiben 
(Januar  1626)  unverhohlen  aus:  „dafs  nur  bei  dem  Kaiser 
als  der  höchsten  Obrigkeit  Schutz  und  Rettung  zu  suchen 
sei  und  man  sich  seines  starken  Beistandes  vertrösten 
müsse".  Demgemäis  kündigte  Herzog  Georg,  der  durch 
seine  Persönlichkeit  und  die  ihm  zugewiesene  Stellung  be- 
deutendste der  Brüder,  seine  bisherige  Bestallung  und  trat 
in  die  Dienste  des  Kaisers,  für  den  er  3000  Mann  zu  Fuft 
und  ein  Keiterregimcnt  von  1000  Pferden  aufzustellen  ge- 
dachte. Der  König  von  Dänemark  drohete  dai-auf ,  das 
Lüneburger  Land  als  ein  feindliches  zu  behandeln,  erklärte 
dessen  Neutralität  nicht  anzuerkennen  und  verbot  allen 
lüneburgischen  Unterthanen  bei  Verlust  ihi-er  Erbgüter  und 
Lehen  den  Eintritt  in  den  kaiserlichen  Dienst,  Dies  bewog 
den  jetzt  um  seine  persönliche  Sicherheit  besorgten  Herzog 
Georg,  seine  bisherige  Residenz  Herzberg  mit  dem  festereu 
Scharzfeld  zu  vertauschen  und  Weib  und  Kind  dem  Schutze 
seines  Schwiegervaters  in  Darmstadt  anzuvertrauen. 

In  eine  von  dieser  Politik  seiner  Lüneburger  Stanunes- 
vettem  völlig  verschiedene  Stellung  sah  sich  Friedrich  Ulrich 
von  Wolfenbüttel  gedrängt.  Sein  unglücklicher,  schwanken- 
der und  unselbständiger  Charakter  machte  ihn  in  dieser  ge- 
fahrvollen Lage  zum  Spielball  seiner  Umgebung  imd  trieb 
ihn  und  sein  Land  unabwendbar  dem  Strudel  eines  ver- 
hängnisvollen Krieges  entgegen.  Seine  Landstäude  waren  für 
eine  ähnliche  neutrale  Haltung,  wie  man  sie  in  Lüneburg 
beobachtete,  und  hofften  dadurch  das  drohende  Verderben 
von  dem  Lande  abzuwenden.  Aber  sein  ehrgeiziger  Oheim, 
der  Däneukünig,  und  sein  leidenschaftlicher  Bruder,  der  ge- 
ächtete Bischof  von  Halberstadt,  suchten  ihn  dui'ch  alle 
Mittel  zum  Anschlüsse  an  das  Haager  Bündnis  zu  bewegen, 
welches  eben  zustande  gekommen  war.  Die  Meinung  seiner 
RÄte  war  geteilt:  einige  von  ihnen  waren  von   dem  Dänen- 


ri 


Erstes  Bucfa.    Zweiter  Atncbnitt. 


könige  geradezu  durch  Geld  und  ÖCBchenke  erkauft.  Von 
der  anderen  Seite  forderte  der  Kaiser,  nachdem  jenes  Bünd- 
nis bekannt  geworden  war,  von  dem  Herzoge  eine  unzwei- 
deutige Erklärung  über  dessen  Absichten.  Er  verlangte  die 
Abdankung  der  geworbenen  Truppen  oder  ihren  AnBcblufs 
un  die  kaiserUche  Streitmacht,  vor  allem  aber,  dafs  keine 
weiteren  Werbungen,  Bestalluugeu  und  Kotticrungen  in  den 
Fürstentümern  Wolfenbüttel  und  Calenberg  geduldet  wür- 
den Unentschlossen,  seiner  Natur  gemäfs,  schwankte  Ulrich 
zwischen  diesen  verschiedenen,  mit  gleichraäfsiger  Macht 
auf  ihn  einwirkenden  EiuHUssen  hin  und  her.  Da  beächlor» 
die  dänische  Partei,  seiner  Zaghaftigkeit  durch  einen  Ge- 
waltatreich  ein  Ende  zu  machen.  Man  beredete  ihn  nebst 
seiner  Mutter  zu  einer  Reise  nach  Rotenburg,  angeblich  um 
den  Dänenkönig,  der  sich  damals  dort  aufhielt,  zum  Frie- 
den zu  bewegen.  Hier  aber  machte  sich  im  Bunde  mit  den 
V^orstellungen  der  verräterischen  Räte  das  geistige  Über- 
gewicht des  Königs  auf  den  unselbstäadigen  Fürsten  un- 
widerstehlich geltend.  Das  Nähere  inbezug  auf  diese  Vor- 
gänge ist  nicht  bekannt,  ihr  Ergebnis  aber  liegt  klar  zutage. 
Einer  der  herzoglichen  Räte,  Rutenberg,  kehrte  mit  Voll- 
machten nach  Wolfenbüttel  zurück ,  durch  welche  er  sich 
fUr  ermächtigt  hielt,  den  dortigen  Kommandanten  von  seiner 
Stellung  zu  entfernen  und  die  starke  Festung ,  das  Haupt- 
bollwerk des  ganzen  Landes,  an  die  Dänen  auszulieiem,  die 
alsbald  eine  Besatzung  hineinlegten.  Zugleich  wurden  die- 
jenigen der  fürstlichen  Räte,  welche  iür  kaiserlich  gesinnt 
galten,  abgesetzt  und  der  lieifsblütige  Cliristian  zum  Statt- 
halter über  das  Land  bestellt.  Dos  ganze  Verfaliren  sah 
einer  erzwungenen  Abdankung  aufs  Haar  ähnlich.  Vergeb- 
lich wai'  eSj  dafs  die  Stände  des  Landes  feieilieh  dagegen 
Protest  erhoben,  vergeblich  auch,  dals  Friedrich  Ulrich  selbst 
erklärte,  „er  habe  seinem  Bruder  wohl  eine  Vollmacht  zu- 
gefertigt, in  seiner  Abwesenheit  mit  der  Landschaft,  Statt- 
halter, Kanzler  und  Räten  zu  traktieren ,  nicht  aber  eine 
freie  Pienipotenz  aufgetragen,  noch  viel  weniger  die  Regie- 
rung gar  abgetreten,  wie  an  vielen  Orten  und  bei  Ihrer 
Kaiserliehen  Majestät  selbst  ausgesprengt  worden  sei". 

Jetzt  schalteten  die  Dänen  als  unbeschränkte  Gebieter 
indem  ihnen  preisgegebenen  Lande.  Alle  wichtigen  Ortschaften 
und  festen  Plätze  befanden  sich  in  ihren  Händen:  Wolten- 
büttel,  Hannover,  Neustadt  am  Rübenberge^  Stolzenau,  Stein- 
brück ,  Schöningen ,  Erichsburg ,  Münden ,  Nordheim  und 
Pattensen.  König  Christian  eilte  selbst  nach  Wolfenbüttel, 
uzn   eich   der   wichtigen   Festung   zu    versichern ,    und    sein 


Ausbrach  des  Krieges. 


7Ä 


l^effe,  der  nnnmchrige  Statthalter,  begann  aoin  unruhiges, 
hastigeß ,  gewaltthatiges  li/^iment  V^on  den  Ständen  er- 
prefste  er  trotz  ihres  lebhaften  Widerspruches  eine  ansehn- 
üche  Steuer  (die  dreifache  Tripelhilfe,! ,  die  er  dann  zur 
VervoÜBtändi^ng  seiner  Rüstungen  verwandte.  Mit  seinen 
Reitern  durchstreift  er  unermüdlich  die  südlichen  ^  von  den 
Ligisten  besetzten  Gegenden  des  Landes.  Von  ihm  aufge- 
regt, erhebt  sich  teilweise  die  Bevölkerung  des  Harzes.  Es 
bilden  sich  zahlreiche  Banden ,  die  gegen  die  kleinei*en  Ab- 
teilungen des  ligistischen  Heeres  einen  unerbittlichen  Krieg 
führen.  Die  Bergstadt  Grund  ist  der  Sammelplatz  dieser 
jjHarzschützeu",  bis  sie  von  Tilly  überfallen  und  in  einen 
Aschenhaufen  verwandelt  wird.  Gegen  die  freie  Keichsstadt 
Goslai'  versucht  Herzog  Christian  selbst  einen  nächtlichen 
Sturm,  der  aber  raifshngt.  Überall  lodern  die  Flammen 
brennender  Dörfer  empor  und  verkünden  die  wachsende 
liohbejt  lind  Verwilderung  der  beiderseitigen  Truppen.  So 
entzündete  sich,  noch  ehe  die  grofsen  Kriegsojierationcn  be- 
gannen, in  dem  unglücklichen  Lande  ein  Pnrteikrieg,  der 
dasselbe  schon  damals  mit  Trümmern  bedeckte  und  die 
friedliche  Bevölkerung  zw  Verawoiflung  ti'ieb. 

Im  Frühjahr  16*26  drängten  die  Dinge  zu  einer  raschen 
Entscheidung.  Durch  Wallensteins  Abzug  aus  dem  nieder- 
sächsischen  Kreise  der  Besorgnis  enthoben,  zwischen  den 
beiden  grofsen  katholischen  Heeren  zermalmt  zu  werden, 
entschlol's  sich  der  Dänenkönig  zu  einer  AngriÖsbewegung 
g^en  Süden ,  um  durch  Thüringen  nach  Franken  vorzu- 
dringen. Zn  der  nämlichen  Zeit  begann  Tilly,  nachdem  er 
die  Vortruppen  seines  Gegners  unter  Christian  von  Braun- 
sciiweig  aus  Hessen  zurückgedrängt  hatte,  seinen  Einmarsch 
in  das  Fiü'Bleutum  Göttingen.  Am  9.  Juni  n.  St.  crstüimte 
er  unter  grofsera  Biutvergiefsen  das  tapier  verteidigte  Mün- 
den und  nötigte  dann  Göttingen  nach  einer  sechswöcheut- 
llchen  Belagerung  zur  Übergabe.  Den  Herzog  Chi-istian 
traf  dieser  Unheil  verkündende  Anfang  des  grofsen  ent- 
scheidenden Kampfes  nicht  mehr  imter  den  Lebendigen.  Er 
war  am  6/16.  Juni,  erst  sieben  un  dz  wanzig  Jahre  alt,  einem 
hitzigen  Fieber  erlegen,  welches  ilm  in  Wolfenbüttel,  woliin 
er  sich  hatte  bringen  lassen,  nach  kurzem  Siechtum  dahin- 
raflFte.  Es  blieb  ihm  erspart,  die  alle  fiüheren  an  Gröfse 
und  Bedeutung  üben*agende  Niederlage  der  Sache,  der  er 
seinen  Degen  geweihet  hatte,  zu  erleben.  In  der  Gruft 
seiner  Ahnen  unter  der  Marionkirche  zu  Wolfenbüttel  hat 
sein  stürmisches,  leidenschaftlich  bewegtes  Herz  die  ersehnte 
Huhe  gefunden. 


74 


Erstes  Bach.     Zweiter  Abschnitt. 


Mit  Oöttingen  hielt  Tilly  den  Schlüssel  zum  Leinethal 
in  Beiner  Hand,  in  welchem  er  weiter  unterhalb  schon  in 
früherer  Zeit  den  Calenberg  besetzt  hatte.  Vergebens  hat- 
ten die  Dänen  während  der  Belagerung  Güttingens  versucht, 
der  bedrängten  Stadt  durch  einen  Angriff  auf  jenes  Schlofs 
Luft  zu  machen.  Sie  erUtten  am  27.  Juli  bei  Rössing  durch 
die  Reiterei  des  Grrafen  von  Furstenberg  eine  empfindliche 
Niederlage.  Dem  ligistischen  Feldherrn  war  jetzt,  seit  Göt- 
tingen gefallen ,  seine  Operationslinie  gewissermafsen  durch 
die  Natur  vorgezeichnet.  Er  mufste  versuchen,  sich  Nord- 
heiros  zu  bemächtigen:  damit  würde  er  das  ganze  Leinothal 
bis  nach  Hannover  a])wärt8  in  seine  Gewalt  gebracht  haben. 
Demgcmäfs  brach  er  unverweilt  gegen  den  Ort  auf.  Allein 
der  Dänenkonigj  der  von  Norden  heranrückte,  kam  ihm  zu- 
vor und  brachte  Lebensmittel  uod  Mannschaft  in  die  Stadt, 
ohne  dafs  sein  Goguer,  der  gerade  an  einem  Unwohlsein 
litt,  dies  zu  hindern  vermochte.  Tilly  wich  jetzt  bis  hinter 
Göttingen  zurück,  wo  sich  bei  Geianiar  die  zwei  Infanterie- 
und  vier  Reiterregimenter  unter  dem  Obersten  de  Fours  mit 
ihm  vereinigten,  welche  Wallcnstein  vor  seinem  Abmärsche 
ihm  zurückgelassen  hatte.  So  verstärkt,  sah  er  sich  im- 
stande, die  Absicht  des  Königs,  über  das  Eichsfeld  nach 
Thüringen  und  Franken  durchzubrechen,  zu  vereiteln.  Zu- 
gleich nötigte  er  durch  die  Flankenstollung,  die  er  dem 
bis  Duderatadt  vorgerückten  Könige  gegenüber  einnahm, 
diesen  dazu,  seinen  Rückzug  nach  Wolienbüttel  anza- 
treben.  Auf  diesem  Rückzuge  nun  sah  sich  Christian,  voa^J 
dem  verfolgenden  ligistischen  Heere  unablässig  gedrängt,  ^^ 
am  1727.  August  bei  dem  Dorfe  Hahausen,  eine  Wegstunde  ^* 
südwestlich  von  Lutter  ara  ßarenberge ,  gezwungen ,  die 
Schlacht,  die  er  vermeiden  wollte,  anzunehmen.  Sie  dauerte 
von  Mittag  bis  gegen  Abend  und  endete  mit  der  Niederlage 
des  däniscli-niedorsächsischen  Heeres,  das  völUg  zersprengt 
ward.  Das  gesarate  Geschütz,  sieben  Koruets  und  sechzig 
Fahnen  fielen  dem  Sieger  in  die  Häudo.  König  Christian, 
welcher  nach  dem  Zeugnis  seines  Gegners  alles  gcthan  hatte, 
um  die  Schlacht  zu  seinen  Gunsten  zu  wenden,  entging 
mit  genauer  Not  der  Gefangenschaft.  Ohne  Hut,  bis  zum 
Tode  abgehetzt,  eri*eichte  er  am  späten  Abend  auf  dem 
Pferde  seines  ötallmeiatera  mit  wenigen  Begleitern  Wolfen- 
büttel. j^Äch,  wie  wii-d  mein  liebes  armes  Volk  nieder- 
gehauen werden",  mit  diesen  Worten  ritt  er  in  das  Thor 
der  rettenden  Festung. 

Die    Niederlage    bei    Lutter   a.   B.    war   für    die    ganze 
protestantische  Partei  ein  betäubender  Schlag,  aber  mit  fast 


Schlacht  bei  Lutter  a.  B. 


75 


vernicbtender  Wucht  traf  sie  die  DiedersüchBischen  Gebiete 
uad  hier  wieder  in  erster  Reihe  die  welfiscbea  Lande.  Be- 
reits vier  Tage  vor  der  ScUacht  hatte  Herzog  Friedrich 
Ulrich  seine  Truppen  von  dem  dänischen  Heere  abberufen. 
Jetzt  scblois  er  am  8.  September  n.  St  mit  dem  Kaiser 
einen  förmlichen  Veitrag,  wonach  er  von  dem  Bündnis  mit 
Dänemark  zurücktrat  und  den  Kaiserlichen  sein  Land  mit 
Städten  und  Festen  zu  ihrem  Durchzuge  offen  zu  halten 
verspracli.  Er  erreichte  damit  nichts  anderes,  als  dafs  jetzt 
Bein  Herzogtum  von  den  Dänen,  die  sich  weigerten,  die  von 
ihnen  besetzten  Plätze  zu  räumen,  als  feindliches  Gebiet  be- 
handelt ward.  Kach  kurzer  Zeit  befand  es  sich  mit  Aus- 
nahme weniger  Festungen  iu  der  Gewalt  des  ligistischen 
Heeres.  In  Hannover  drängten  die  Bürger  selbst  die  dä- 
nische Besatzung  aus  der  Stadt.  Braunschweig  wies  Tillys 
Aufforderung,  ligistische  Truppen  aufzunehmen,  nach  kur- 
zem Schwanken  zurück.  Wolfenbüttel ,  neben  ihm  der 
stärkste  Platz  des  Landes,  konnte  erst  im  folgenden 
Jabre  (1627)  nach  einer  viermonatlichen  Belagerung,  wäh- 
rend welcher  der  dänisehe  Kommandant  Graf  Solms  das 
im  dortigen  Schlosse  verwahrte  herzogliche  Silbergeschirr  in 
die  Münze  schickte,  durch  Pappenheim  zur  Ergebung  ge- 
zwungen werden.  Vor  allem  mulete  das  platte  Land  mit 
seinen  Bewohnern  den  Wankelmut  und  die  Unlahigkcit 
seines  Fürsten  avif  da^  bittei-ste  büfsen.  Eine  unerschwing- 
liche KriegsBteuer  von  monatlich  80000  Thalern  legte  TÜly 

;  den  Landstäuden  auf  Dazu  kamen  die  Gewalttliaten  und 
Verwüstungen  der  beiderseitigen  zügellosen  Soldateska.  Schon 
zu  Anfang  des  Jahres  1G27  klagte  der  unglückliche  Fürst 
des  Landes ,  welcher  fiir  seine  Person  eine  Zuflucht  in 
Braunschweig  gefunden  hatte,   wo   er,    wie    er   sagte,    „um 

j  seinen  haaren  Pfennig  zehren  mufste",  dafs  aufaer  einer 
Anzahl  von  Amtern,  reichen  Klöstern  und  blühenden  Städten 
dreihundert  Dörfer  seines  Herzogtums  in  Asche  lägen,  dafs 
der  dritte  Teil  seiner  Uaterthaneu  ums  Leben  gekommen 
und  der  Rest  gröfstenteils  völlig  aufaerstande  sei,  seinen  not- 
dürftigen Unterhalt  zu  gewinnen. 

Und  zu  dieser  allgemeinen  Kalamität  gesellten  sich  bald 
noch  andere  Gefahren.  Je  bedeutender  nach  der  Schlacht 
bei  Lutter  der  Fortschritt  des  kaiserlichen  und  ligistischen 
Heeres  war,  je  weiter  sie,  die  Dänen  zui'ückdrängend  und 
das  niodersächaiache  Land  überschwemmend,  nordwärts  vor- 
drangen, desto  unverhülltcr   traten  die  hoch  fliegenden  Pläne 

,  des   Kaisers   und   seines   Generalissimus  hervor.     Die  Dinge 

Usabmen   bald    eine   Wendung,    die   den    VetÄacV\V  «.wösg^-tt. 


76 


Erstes  Buch.     Zweiter  Abechoitt 


mufste,  dafü  os  aul'  eine  völlige  Beraubung  des  weltiBciiCQ 
Hauses  abgesehen  sei.  Schon  hatte  der  Kaiser  die  Qraf- 
Bchaftcn  Hohnstein  und  Regenstein,  jene  dem  Grafen  Thun, 
diese  deu  Grafen  Maximilinn  von  AValleiiäteiu  ala  Pi'and- 
Bchaften  für  die  ihm  vuu  ihnen  vorgestreektori  Geldsummen 
angewiesen.  Der  Oberst  Broker,  der  den  Aultiag  erhielt, 
sie  zu  beaetÄen,  bemächtigte  sich  zu  gleicher  Zeit  der  be- 
nachbarten Ämter  Blankenburg,  Heimburg  und  Stiege  sowie 
der  Abtei  Michaelstein,  ohne  dem  Herzoge  Friedrich  Ulrich 
Zeit  zu  lassen,  in  Wien  gegen  diese  Vergewaltigung  Ver- 
wahrung einzulegen.  Aber  noch  Sclilimmeres  und  für  das 
braunscbweigische  Haus  X' erderblicheres  bereitete  sich  vor. 
Seit  längerer  Zeit  schuldete  Friedrich  Ulrich  dem  Könige 
von  Dänemark  4(jOOOÜ  Thaler,  deren  grüfseren  Teil  ihm 
seine  Grofemuttev,  die  Königin  Sophie,  im  Jahre  161-1  ge- 
liehen hatte,  eine  Schuld tordcrung,  die  nach  ihrem  Tode  aut 
ihren  Sohn  Christian  IV.  übergehen  mufste.  Für  die  Haupt- 
masse dieser  Schuld  hatten  die  Calenberger  Stände  die 
Bürgschaft  übernommen,  für  den  Rest  der  Herzog  das  Amt 
Syke  verpfiindet.  Diese  Umstände  gewährten  Wallenstein 
die  Handhabe  zu  einer  mit  grofsem  Geschick  angelegten  und 
mit  Hartnäckigkeit  verfolgten  Zcttelung.  Da  der  Kaiser 
genau  dieselbe  Summe  zur  Belohnung  liir  Tillys  Dienste 
bestimmt  liatte,  dieser  aber  eine  Dotation  in  Grundbesitz 
vorzog,  so  sollte  Tilly  mit  Calenberg  belehnt  worden,  wäh- 
rend man  in  dem  bereits  in  Aussicht  genommenen  Frieden 
den  Dänenkünig  zum  Verzicht  auf  die  Calenberger  Schuld 
zugunsten  des  Kaisers  zu  bewegen  gedachte.  In  ähnlicher 
Weise  bestimmte  man  das  Fürstentum  Wolfenbüttel  tür 
Pappenheini,  so  dafs  sich  diese  beiden  hervorragendsten  Feld- 
herren der  Liga  in  die  Länder  des  Herzogs  Friedrich  Ulrich 
geteilt  haben  würden,  wären  diese  Pläne  zur  Ausführung 
gekommen.  Sie  scheiterten  indes  an  dem  entschiedenen 
Wideräpriiche  des  Kurtlirsten  Maximilian  von  Bayern  und 
an  Tillys  eigener  Abneigung,  zu  einer  so  schnöden  Beraubung 
eines  hilllosen ,  unglücklichen  deutschen  Fürsten  die  Hand 
zu  bieten.  Maximilian,  welcher  damals  bereits  die  vielfachen 
Ubergriife  \VallensLein3,  des  böhmischen  Emporkömmlings, 
mit  unverhohlenem  Mifstrauen  ansah,  verwies  nicht  nur  dem 
in  seinen  Diensten  stehenden  Pappenheim  die  gegen  den 
Braunscbweiger  Hoi-zog  unternommenen  Praktiken  auf  das 
uachdrückhchsie,  sondern  er  richtete  auch  in  dieser  An- 
gelegenheit an  den  Kaiser  selbst  ein  Mahnschreiben,  in 
welchem  er  mit  sehr  bestimmten  Worten  ,,der  Hoffnung  und 
Zuversicht"  Ausdruck   gab,  „dafs   die  wider   So.   Liebdea 


n 


Plane  zur  Rprenbnn^  des  wdfisdien  Ilsaies. 


77 


(den  Herzog)  voiwisseiidc  beschwerliche  Int|uiditioa  eiii- 
gesteüt;  dießelben  bei  Dero  Land  iind  Leuten  geschützt  werde 
und  ÖC-  Liebden  in  Üero  landüirstlicher  Regierung  keiue 
Eintracht  geschehe". 

\A'ilhrend  diese  den  Besitzstand  des  weltiächen  Ilauftea 
schwer  bedrohenden  Pläne  tjeschmiedet  wurden ,  hatten  in 
dem  Kriege  gegen  den  Däueukönig  die  ligiötlechen  und  kaiacr- 
lichen  Waflfon  einen  Erfolg  nach  dem  anderen  zu  verzeichnen. 
Schon  zu  Ende  dea  Jahres  l(i'27  war  die  ganze  jütiache 
Halbinsel  in  der  Gewalt  'J'illys,  während  Wallenateina  Trup- 
pGn,  nachdem  sie  durch  den  Tod  Mansi'elds  und  die  völlige 
Auflösung  seines  Heeres  frei  geworden  waren,  Hrandeuburg 
und  Puraraern  überschwemmten  und  selbst  die  Insel  Rügen 
besetzten.  Am  2il'2.  Mai  Ißiy  kam  zu  Lübeck  der  Friede 
mit  dem  Däuenkönige  zustande.  Wallenstein  verhandelte  ihn 
iin  Auftrage  des  Kaisers.  Üie  Bedingungen ,  die  er  dem 
gedemütigteu  Könige  gewährtCj  waien  tür  dieseu  über  alle 
Erwartungen  günstig.  Gegen  den  Verzieht  iiui  die  in  seinen 
Händen  betindliehen  niedersäehsischen  Stifter  sowie  aui'  jede 
fernere  Einmischung  in  die  deutschen  Angelegenheiten  er- 
hielt Christian  IV.  eämtÜche,  ihm  durch  Waffengewalt  ent- 
riE^ene  Länder,  Holstein,  Schleewigj  Jütland,  imentgellUeh 
zurück.  V^on  irgend  einem  Ersatz  für  die  fmchtbaren  N'^er- 
luate  und  Schäden,  welche  der  Krieg  über  die  Länder  der 
evangelischen  Fürsten  in  Nurddeutscliland  gebracht  hatte, 
war  ebenso  wenig  die  Kede  vde  von  einer  wirksamen  Mafs- 
regol  zum  Schutze  der  dmrch  die  katholische  Reaktion  be- 
droheten  hitherischen  Kirche.  Nächst  den  Herzögen  von 
Mecklenburg,  die  zugunsten  \\'allen8tein8  ihres  Erbes  ver- 
lustig gingen,  ward  kein  deutsches  Fürstenhaus  von  diesem 
Frieden  schwerer  betroffen  als  das  weifische.  Zwar  kam 
seine  Beraubung  in  dem  Umfange,  wie  sie  geplant  worden 
war,  nicht  zur  Ausführung,  aber  nicht  unbedeutende  Gebiete 
auch  der  braunschweiglsehen  Lande  waren  von  dem  Kaiser 
seinen  Generalen  überwiesen  worden,  und  alle  Bemühungen, 
sie  zurückzuer langen,  blieben  erfolglos.  Auf  lange  Zeit  hinaus 
war  der  Wohlstand  des  Landes  vernichtet.  Hunderte  von 
Dörfern  waren  verwüstet,  die  Städte,  so  weit  sie  nicht  das- 
selbe Schicksal  erfahren  hatten,  gänzhch  verarmt,  die  HÜfe- 
quellen  dea  Landes  völlig  versiegt.  Herzog  Christian  von 
Celle,  obschon  er  in  diesem  Kriege  auf  der  Seite  des  Kaisers 
gestanden,  obschon  sein  jüngerer  Bruder  Georg  sogar  unter 
den  kaiserlichen  Fahnen  mit  gefochten  und  an  den  Erfolgen 
des  Feldzuges  einen  rühmUchcn  Anteil  genommen ,  ver- 
anschlagte den  Schaden,  den  allein  sein  Fürstentum  erlitten 


hatte,  auf  nicLt  weniger  ala  acht  Millionen  Thaler.  Heine 
EntacbUdigungtäforderuiigen  blieben  iniV>]ge  von  Wallenstöinö 
Machtgeboten  unberuckeichtigt 

Und  echon  bedroheten  weitere,  noch  schlimmere  Verluste 
den  Bestand  der  weifischen  Territorien j  Verluste,  welche, 
wenn  sie  nicht  durch  die  spateren  Ereignisse,  teilweise  wenig- 
stens abgewandt  wiiren,  die  Nachkommen  Heinrichs  dea 
Löwen  vollends  zu  kleineu,  unbedeutenden  Laudeslierren 
herabgedrückt  haben  würden.  Zwei  Monate  schon  vor  dorn 
Lübecker  Frieden  hatte  der  Kaiser,  von  den  katholischen 
Ständen  gedrängt,  am  ü.  März  n.  St,  das  Restitutionsedikt 
erlasaen.  Diese  kaiRerliche  Verordnung  bestimmte,  dafs 
sämtliche  mittelbare  Klöster  und  geiötlich'i  Güter,  welche  von 
den  Evangelischen  seit  dem  Passauer  Vertrage  eingezogen 
waren,  den  Katholiken  zurückgegeben  werden ,  die  Augs- 
bui^er  Religionsverwandten  aber ,  welche  Bistümer  oder 
reich Bunmittelbare  Prälaturen  innehatten ,  weder  Sitz  und 
Stimme  auf  den  Reichstagen  haben  noch  auch  die  mit  jeuen 
verbimdenen  Regalien  und  Lehen  empfangen  sollten.  Es 
war  die  einschneidendste  Mafsregel,  die  seit  den  ersten  Re- 
gungen des  retormatorischen  Gedankens  gegen  die  Anhänger 
der  neuen  Lehre  ins  Werk  gesetzt  ward.  Was  seit  drei 
Menschenaltern  ala  vertragsmäfsiges  Recht  galt,  was  man  als 
den  geschichtlich  gewordenen  Zustand  des  Reiches  betrach- 
tete, die  ganze  nationale  Eutwickelung  eines  halben  Jahr- 
hunderts mit  ihren  das  Leben  nach  allen  Richtungen  durch- 
dringenden Rechtflbildungen  und  Beaitzzuständen  ward  da- 
durch in  Frage  gestellt.  Für  das  bi-aunschweigische  Haus 
bedeutete  das  Restitutionsedikt  nicht  nur  die  Herausgabe  der 
sämtlichen  im  Lande  zerstreneten,  ehemals  katlioli sehen  Klöster 
mit  dem  dazu  gehörigen  reichen  Grundbesitze,  nicht  nur 
den  Verlust  einer  grofsen  Menge  von  anderen  ursprünglich 
der  katholischen  Kirche  gehörigen  Gütern,  Einkünften  und 
G^talleu,  sondern  auch  die  Schmälerung  der  bisherigen  Rechte 
zweier  seiner  Mitglieder,  des  regierenden  Herzogs  Christian 
von  Lüneburg  imd  seines  Bruders  August,  von  denen  jener 
seit  1599  Koadjutor,  d.  b.  protestantischer  Bischof  von  Min- 
den war,  während  dieser  in  gleicher  Eigenschaft  seit  dem 
Jahre  159G  das  Bistum  Ratzeburg  verwaltete.  Zugleich  aber 
geschah  vonseiten  der  katholischen  Partei  und  des  kaiser- 
lichen Hofes  ein  weiterer  Schritt^,  der  sich  nicht,  wie  das 
Restitutionsedikt,  gegen  die  Gesamtheit  der  evangelischen 
Stände  sondern  ausschliefslich  gegen  die  FUi'sten  des  wei- 
fischen Hauses  richtete.  Am  7/17.  Dezember  1629  bestätigte 
und  verkündete   der   Kaiser   das   LTrteil  des  Reichskammer-^ 


RcstitutioDsedikt  und  Verlust  von  Uildeshelm. 


79 


gerichtes  in  dem  aul'  Hetreiben  des  Kurftlreten  Maximilian 
von  Bayern  durch  dessen  Bruder,  den  auch  zum  Bischöfe 
von  Hildesheim  erwählton  Fei-dinand  von  Kötu,  erneuerten 
ProzesBC  wegen  Zurückgabe  des  einst  von  den  Herzögen 
Erich  I.  und  Heinrich  d.  .1.  erworbenen  sogenannten  grofsen 
Stiftes  Hildesheim.  Die  Entscheidung  des  Gerichtes  war 
für  Braunachweig  &ü  ungünstig  wie  mügUch  auagefaUen. 
Friedrich  Ulrich  sollte  nicht  nur  das  gesamte  grofse  Ötitl  an 
nUdesheim  zurückgeben  sondera  auch  alle  Einkünlte  den 
Bischöfen  wiedörerstitten  .  die  den  Hi^rzögen  während 
eines  mehr  als  hundertjährigen  Besitzes  daraus  zugeflossen 
waren.  Die  letztere  Forderung  erschien  so  ungeheuerlich, 
dafs  seibat  der  schwache  Friedrich  Ulrich  sich  entschieden 
weigerte,  sie  zu  erliilleu.  Aber  in  der  trostlosen  Lage^  in 
der  er  sich  befand,  konnte  er  die  Ausführung  des  kaiser- 
lichen Mandates  nicht  verhindern.  Von  Tilly  fast  wie  ein 
Gefangener  bebandelt,  niufyte  er  es  nihig  gesclichen  lassen, 
dafs  sich  Bischof  Ferdinand  mit  Hilfe  der  ligistisehon  Trup- 
pen der  ehemaligen  bildesheiiuischen  Amter  bemächtigte. 
Alle  Pi*otestationeü  dagegen  halfen  nichts.  Wenige  Tage 
nach  Verkündigung  des  kaiaerÜchen  Erlasses  traten  in  Hil- 
desheim drei  aus  Domherren,  Notaren  und  bischöflichen 
Beamten  gebildete  Kommisgioneti  zusammen,  welche  in  den 
Ämtern,  Schlösseru,  Städten  und  Dörfern  des  grofsen  Stiftes 
die  Huldigung  der  Bewohner  ttir  den  Bischof  entgegen- 
nahmen, sich  in  die  von  Tillys  Truppen  besetzten  Ortschaften 
einweisen  liefsen,  die  herzoglichen  Wappen  entfernten  und 
diejenigen  ihres  bischoflichen  Herrn  an  ihre  Stelle  setzten. 

Wenn  im  Veriaulb  dieses  langen,  verwüstenden  Krieges 
bei  irgend  einer  Gelegenheit  die  rücksichtslose,  gewaltthätige 
Schroffheit  der  kaiserlichen  Politik  unverhüHt  zu  Tage  trat, 
so  geschah  das  in  diesen  Vorgängen.  Ohne  der  treuen  An- 
hänglichkeit und  Hingabe  der  braunschweigischen  Fürsten 
an  das  habsburgischc  Haus,  welche  sich  seit  einem  Jahr- 
hundert —  den  schwächlichen  Friedrich  Ulrich  nicht  aus- 
geschlossen —  unverrückt  bewährt  hatte,  auch  nur  die 
geringste  Kechnung  zu  tragen,  wurden  hier  langjährige,  wohl- 
erworbene Rechte  in  brutaler  Weise  mit  Füfsen  getreten, 
wurde  eines  der  ältesten,  edelsten,  reichatreuesten  deutschen 
Fürstenhäuser  mit  völUgem  Ruin  bedroht.  Denn  einem  sol- 
chen kam  unter  den  damals  obwaltenden  Umständen  der 
Verlust  des  hildesheimischen  Landes  für  die  Braunscliweiger 
Herzöge  gleich.  Vergebens  beantragte  Friedrich  Ulrich  in 
Wien  die  Revision  des  unzweifelhaft  mit  ungerechter  Partei- 
lichkeit geführten  Prozesses,  vergebens  liefs  er  durch  seinen 


80 


Erstem  Buch.     Zweiter  Abschnitt- 


Agenten  Engelbrecht  am  kaiserlichen  Hofe  geltend  machen, 
dafa  die  von  den  Brau uachwei gor  Fürsten  genossenen  Ein- 
nahmen kaum  die  Kriegskosten  deckton ,  welche  die  von 
dem  Kaiser  einst  den  Ilorzögen  fleinrich  von  AVolfen- 
biittcl  und  Ericli  von  Calenberg  aufgetragene  Kxekution 
gegen  den  Biachof  von  Hildesheim  veranlalst  hatte,  vergebens 
»teilte  er  vor,  dafs  sein  Vater  und  Örofavater  von  vier 
Kaisern  hintereinander  die  Belehnung  mit  den  hildea- 
heinxischen  Landschai'teu  ühue  joden  Vorbehalt  erlangt,  dafa 
Kaliber  Ferdinand  vor  vier  Jahren  ihm  selbst  diese  Belehnnng 
anstandslos  erteilt  Imbe.  Unbewegt  und  ohne  die  geringsten 
Zugeständnisse  zu  machen,  beharrten  der  Kaiser  und  seine 
Räte  auf  den  getal'stcn  Entsehlüssen.  Bei  der  Exekution 
solbfit  verfuhr  man  »u  willkürlich  wie  nur  immer  möglich. 
Faßt  schien  es^  ala  handele  es  sich  lediglich  um  die  Frage, 
was  man  dem  braunachweigiBchcn  Hause  noch  zu  lassc^n 
geueigt  sei. 

Niemand  empfand  das  Vorgc^hen  des  Kaisers  so  tief  und 
schmerzlich  wie  Georg  von  Lüneburg.  Von  allen  damaligen 
Mitghedem  de«  weifischen  Hauses  war  er  ohne  Frage  das 
rUlirigste  und  begabteste,  ebenso  unÄhnÜch  seinem  trägen, 
gleichgültigen  Bruder  Christian  von  Celle  wie  dem  unselb- 
ständigen, kläglich  verkommenen  Friedrich  Ulrich.  Bereits 
über  das  kräitigäte  Mauuesulter  hinaus  —  er  zählte  damals 
48  Jahre  —  hatte  er  sich  Zeit  seines  Lebens  in  den  schwie- 
rigsten Verhältnissen  zu  bewegen  gelernt,  sich  als  tüchtiger 
Truppen  tu  hrer  und  gewandter  Staatsmann  gleich  sehr  be- 
währt. Der  Angelpunkt  seiner  Politik,  das  Ziel  seines  Stre- 
bens,  das  er  sein  ganzes  Leben  unverrückt  im  Auge  behielt, 
war  die  Erhaltung  und  Wiederherstellung  der  weifischen 
Macht.  Dies  sah  er  als  die  erste  und  vornehmste  Mission 
an,  die  ihm  zuteil  geworden  war.  Durch  den  irüher  er- 
wähnten Vertrag  (S.  50)  hatten  ihn  seine  Brüder  zum  all- 
einigen Stammhalter  seines  und  ihres  Hauses  bestimmt,  in 
Anbetracht  der  unglücklichen  und  kinderlosen  Ehe  seines 
Stamm  es  Vetters  Friedrich  Ulrich  durfte  er  nach  dem  Tode 
von  dessen  jüngerem  Bruder  Christian  von  Ralberstadt 
hoffen,  dereinst  das  gesamte  welfischo  Erbe  in  seiner  Hand 
zu  vereinigen.  Die  Rücksicht  darauf  hatte  ihn  nach  Aus- 
bruch des  Krieges  bestimmt,  eine  kaiserliche  Bestallung  an- 
zunehmen. In  dem  nieder&ächsischen  Kj-iege  sowohl  wie 
vor  Mantiia,  in  dem  italienischen  Feldzügen  von  1628  und 
1629,  hatte  er  dem  Kaiser  hervorragende  Dienste  geleistet, 
sich  in  der  schwierigen  Stellung  zwischen  Tilly  und  Wallen- 
stein,  den  rivalisierenden  Feldherren  der  Liga  and  des  Koi- 


[fti-  ^H 


Georg  von  LUnebnrg. 


81 


sera,  mit  groffHäm  Geschick  zu  beaehmon  verstAnden.  Jetzt 
Bah  er  zum  Dank  für  so  viel  Ergebenheit  durch  das  Vor^ 
gehen  dea  Kaisers  die  ganze  Existenz  seines  Ilauäcs  in  Frage 
gestellt.  Mit  Schmerz  und  Trauer  eHiillt  es  ibn  zu  erleben, 
wie  mit  der  Fortdauer  des  sclireck liehen  Krieges  das  deutsche 
Land  mehr  imd  mehr  zum  Tummelplatz  der  Heere  von 
halb  Europa  wurde.  Je  lebhafter  er  dies  beklag^te,  desto 
mehr  erweiterten  sich  seine  ursprünglich  nur  auf  die  Er- 
haltung des  welfischon  Land  erb  esitzes  gerichteten  Bestre- 
bungen zu  einer  im  besten  Sinno  deutschen,  echt  vaterlÄn- 
dischen  Politik,  welche  darauf  hinauslief,  die  deutsche  und 
die  evangelische  Freiheit  aus  dem  Wirrsal  widerstrebender 
und  begehrlicher  Gewalten  zu  erretten,  die  zudringliche  Ein- 
mischung des  Auslandes  in  die  deutschen  Angelegenheiten 
zurückzuweisen.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  mufs  man  die 
Bestrebungen  seiner  letzten  Lebensjahre  beurteilen.  Rasttos, 
durch  keine  Hindemisse  abgeschreckt,  hat  er  daran  gear- 
beitet, die  protestantischen  Füllten  Norddeutschlands  zu  einem 
neutralen  Bunde  zu  vereinigen,  welcher  den  Schweden  und 
Franzosen  sowohl  wie  dem  Kaiser  die  Spitze  zu  bieten  im- 
Stande  wäre.  Bei  der  schwierigen  Lage,  in  der  er  sich  be- 
iand,  hat  er  sich  mehr  als  einmal  zu  einem  Wechsel  der  Pai-tei 
genötigt  gesehen,  aber  nie  liat  er  das  eigentliche  Ziel  seiner 
Politik  aus  den  Augen  verloren.  Man  hat  ihm  deshalb  wohl 
den  Vorwurl*  der  Treulosigkeit  und  Unbeständigkeit  gemacht, 
aber  es  gehört  wenig  Scharfsinn  dazu,  um  hinter  diesem 
scheinbaren  Wechsel  den  stetigen  Gedanken  zu  erkennen, 
welcher  sein  Handeln  bestimmte. 

Bei  eiuem  kurzen  Besuche,  welcher  den  Herzog  Georg 
im  Jahre  1629  von  Italien  in  die  Heimat  zurückführte,  war 
ihm  Gelegenheit  geworden,  einen  tieferen  Einblick  in  die 
feindseligen  Pläne  des  kaiserlichen  Hofes  gegen  das  braim- 
Bchweigische  Haus  zu  gewinnen.  Gerade  damals  hatten  die 
Umtrieoe,  die  in  dem  Lübecker  Frieden  an  den  Kaiser  ab- 
getretene und  von  diesem  an  Tilly  überlassene  dänische 
Öchuldforderuug  zu  benutzen,  um  dem  ligistischea  Feldlierrn 
das  Fürstentxmi  Calenberg  in  die  Hände  zu  spielen,  von 
neuem  begonnen,  die  Verkündigung  des  kaiserlichen  Man- 
dates über  die  Zurückgabe  der  Uildesheimer  Stiftsguter 
stand  unmittelbar  bevor.  Georg  hatte  sich  aufserdem  über 
die  Vorenthaltung  des  rückständigen  Soldes  seiner  für  den 
Kaiser  geworbenen  Regimenter,  sowie  über  vielfache  Zurück- 
setzung im  Dienste  zu  beklagen.  So  beachlofs  er  den  kai- 
serlichen Kriegsdienst  zu  verlassen,  seine  Bestallung  zu  kün- 
digen. Am  35.  Juni  1630  richtete  er  von  Herzberg  aus 
□  •loflnina,  Bniuucbw.-liuiDAT.  aeictaloht«.    111.  ^ 


88 


Eretei  Boeh.    Zweiter  Abschnitt. 


die  betreffendeD  Gesuche  an  den  Kaiser  und  au  W&Uen- 
stein.  Sein  Wunsch  wurde  ihm  ohne  Anstand  gewährt.  £» 
war  einer  der  letzten  Akte,  die  Wallcnstcin  vor  der  Nieder- 
Icgung  seines  Oberbefehls  vollzog.  Wenige  Monate  später 
(26.  Oktober)  trat  Georg,  einer  der  ersten  deutsehen  Für- 
sten, unter  dem  Vorbehalte,  da(s  er  nicht  verpflichtet  sein 
sollte,  gegen  das  römische  Üeich  deutscher  Nation  zu  lechten, 
in  die  Dienste  des  Schwedenkönigs,  der  soeben  seine  Lan- 
dung in  Porameni  bewerkstelligt  hatte.  Gegen  einen  jähr- 
lichen Sold  von  5000  Thalem  verpflichtete  sich  der  Herzog, 
wenn  der  König  von  Schweden  mit  einer  oder  mehreren 
der  benachbarten  Mächte  in  einen  Kri^  verwickelt  werden 
sollte,  etliche  Regimenter  iur  den  schwedischen  Dienst  zu 
werben  und  auch  mit  seiner  Person  der  Krone  Schweden 
in  diesem  Falle  Kriegsdienste  zu  leisten. 

Es  ist  bekannt,  wie  Gustav  Adolts  Eingreilen  in  die 
deutschen  Kriegswirrcn ,  seine  Landung  in  Pommern,  seine 
anfangs  zaudernde  und  äufserst  vorsichtige,  dann  aber  nach 
dem  Falle  Magdeburgs  und  dem  Anschlüsse  von  Kursachsen 
um  80  entschlossenere  Kriegführung  einen  ebenso  uner- 
warteten wie  vollständigen  Umschwung  in  den  kriegerischen 
und  politischen  Verhältnissen  Deutschlands  hervorbrachten. 
Auch  in  den  niedersächsiachen  Gegenden  mufste  sich  dieser 
Umschwung  bald  geltend  machen.  Nach  dem  grofsen  Siege 
der  Schweden  land  Sachsen  bei  Breitenfeld  wichen  die  ka- 
tholischen Pfaffen  und  die  Jesuiten,  welche  sich  infolge  des 
Bestitutionsedikts  überall  in  den  alten  Klöstern  imd  Stif- 
tungen wieder  eingenistet  hatten,  aus  dem  Lande.  Der  klein- 
mütige Friedrich  Ulrich,  der  jetzt  in  Wolfeubüttel  von  der 
kaiserlichen  Besatzung  wie  ein  Gefangener  bewacht  und  be- 
handelt wurde,  raffle  sich  zu  dem  Entschlüsse  empor,  die 
Festung  unter  einem  leicht  gefundenen  Vorwande  zu  ver- 
lassen. Er  begab  sich  zuerst  nach  Celle  imd  nahm  dann  -^vieder 
Beinen  Aufenthalt  in  dem  festen,  gesicherten  Braunschweig. 
Herzog  Georg  aber  begann  alsbald  im  Grubenhagenschen 
und  auf  dem  Eicbsfelde  seine  Werbungen.  Dann  eilte  er 
Anfang  November  1631  zu  Gustav  Adolf  nach  Würzburg, 
wo  er  mit  diesem  einen  Vertrag  schlofa,  demzufolge  er  »ich 
verpflichtete,  mindestens  vier  Regimenter  in  den  weifischen 
Ländern  und  im  HochstiÜt  Hildesheim  zu  errichten,  diese 
Länder  gänzlich  von  den  Kaiserlichen  zu  säubern,  Wolfen- 
büttel ihnen  zu  entreifsen  und  die  zum  Unterhalt  der  schwe- 
dischen Truppen  bestimmten  Städte  Braunschweig  und  Han- 
nover zu  dieser  Verptlichtung  zu  nötigen.  Dafür  versprach 
ihm   der  König  den   Erwerb  des  Bistums  Minden  una  des 


Sein  Anschluls  an  dJe  Schweden. 


83 


Kicbsfeldes  oder  doch  wenigetens  der  dazu  gehörigen  Mark 
Duderstadt. 

Nach  Niedersachsen  zurückgekehrt,  begegnete  Georg 
freilich  bei  Ansfilhrung  der  getroflfenen  Verabredungen  deu 
allergröfsesten  Schwierigkeiten.  Nicht  nur  dals  die  übrigen 
Stände  des  Kreises,  die  er  in  seine  Waffenerhebung  mit 
binein2:uziehen  hoffte,  sich  durclmus  ablehnend  verhielten, 
auch  seine  eigenen  Verwandten,  die  übrigen  Mitglieder  des 
wolfischen  Hauses,  zeigton  sich  ihr  wenig  geneigt.  Christian 
von  Celle,  der  eigene  Bruder,  und  seine  Landstände  ver- 
wahrten sich  gegen  die  beabsichtigten  AVerbungen,  Friedrich 
Ulrich  von  Wolfenbüttel  untersagte  sie  geradezu  in  seinen 
Gebieten.  Noch  lastete  der  Druck  der  kaiserlichen  Gewalt- 
herrscluift  auf  den  Gemütern,  noch  hielten  die  kaiserlichen 
Truppen,  deren  Oberbefehl  nach  Tillys  und  Pappenheims 
Abzüge  Graf  Gronsfeld  tibemommen  hatte,  die  wichtigsten 
und  stärksten  Plätze  des  J.<andes  besetzt,  von  denen  aus  sie 
weite  Strecken  desselben  beherrschten.  So  sah  sich  Georg 
auf  allen  Seiten  von  schwer  zu  überwindenden  Hemmnissen 
umgeben.  Als  er  endlich  nach  Überwindung  der  Bedcnk- 
lichkeiten  seines  Bruders  drei  Reiter-  und  ebenso  viele  In- 
fanterieregiraenter  auf  die  Beine  gebracht  hatte,  mufste  er 
sich  in  Rücksicht  auf  diese  geringen  Streitkräfte  zunächst 
auf  einen  kleinen  Kiieg,  auf  die  Belagerung  untei^eordneter 
Festen  beschränken.  Schlofs  Steinbrück  ward  von  ihm  ge- 
nommen, der  Calenberg  eingeschlossen.  Ein  Versuch  Grons- 
felds,  ihn  zu  entsetzen,  schlug  fehl,  und  als  dann  Pappen- 
heim von  Hameln  aus  mit  grölserer  Truppenmacht  diesen 
Verfluch  erneuerte,  hatte  er  zwar  einen  vorübergehenden  Er- 
folg, wagte  aber  nicht,  die  ihm  von  Georg  bei  Hildeaheim 
angebotene  Schlacht  anzimehmen,  sondern  zog  sich  nach 
Westfalen  zurück.  Nun  wandte  sich  der  Herzog,  nachdem 
er  Duderstadt  eingenommen  und  hier  reiches  Kriegsmaterial 
erbeutet  hatte,  auf  die  dringenden  Vorstellungen  Friedrich 
Ulrichs  zur  Belagerung  Wolteubüttels,  der  stärksten  Feste 
des  Landes.  Allein  es  gelang  Gronsfeld,  sie  zu  entsetzen. 
Zu  gleicher  Zeit  bemächtigte  sich  Pappenhoim  Hildesheims 
und  bedrohete  Hannover.  Diese  Ereignisse  fallen  in  die 
Zeit,  als  Gustav  Adolf  durch  Wallensteins  Einfall  in  Sach- 
sen sich  genötigt  sah,  von  Nürnberg  aufzubrechen  und  ihm 
in  dieses  Land  zu  folgen.  Dahin  wurde  jetzt  auch  Pappen- 
heim beordert.  Ihm  nach  zog  Georg  von  Lüneburg,  der 
sich  zu  dieser  Zeit  enge  an  Kursachsen  angeächlossen  zu 
haben  scheint.  Er  war  auf  seinem  Marsche  bis  Torgau  ge- 
langt, da  erhielt  er  die  Nachricht,  dafa  bei  Lützen  eine  ^otfia 


84 


Erstes  Bach.     Zweiter  Abschnitt. 


Scblacht  geschlagen  soi,   die    dem  Könige    von   Schweden,* 
aber  auch  dem  gefürchteten  Pappenhcim  das  Leben  geko»tet 
babe. 

Der  Tod  Gustav  Adolfs  war  ein  Ei'eignis  von  allgemeiner] 
und  einschneidendster  Bedeutung.  Nun  erwachte  die  alte 
Eiiersucht  der  grofsen  protestantischea  ßeichafdrsteu  gegen 
Schweden  aufs  neue,  imd  in  höherem  und  ausgedehnterem 
Mafde  noch  wie  früljer  griff  eine  schwankende,  kleinliche, 
ohnmächtige  Politik  wuchernd  bei  ihnen  um  sich.  Auch  bei 
den  Fürsten  des  braunschweigißchen  Hauses  war  dies  der 
Fall.  „Man  ist  allluer  sehi-  verwirrt  und  ungewifa",  heifst 
es  in  einem  Schreiben  aus  Brauuschweig  wenige  Wochen 
nach  der  Lützener  Schlacht,  j,Gä!d  und  Gut  ist  weg,  joder- 
mann spielt  in  »einen  Beutel. "  Friedrich  Ulrich ,  der  noch 
am  6.  Februar  dieses  Jahres  mit  dem  Könige  von  Schweden 
ein  Bündnis  geschlossen,  ihn  lür  seinen  Öchutzherrn  erklärt 
und  gelobt  hatte,  keinen  Separatfrieden  zu  schliefsen,  suchte 
sich  jetzt  diesen  Verpflichtungen  wieder  zu  entziehen.  Auf 
einem  Kreistage  zu  Lüneburg  machte  er  den  niedersächsischen 
Ständen  den  Vorschlag,  zur  Behauptung  ihrer  Neutralität 
ein  eigenes  Heer  aufzustellen.  Inzwischen  war  auch  Herzog 
Georg;  nachdem  er  Leipzig  besetzt  und  die  kaiserlichen 
Truppen  aus  Chemnitz  und  Grimma  vertrieben  hatte,  nach 
Kiedersachsen  zurückgekehrt.  Ihm  übertrug  der  von  dem 
schwedischen  Reichsrate  zum  „Legaten  im  römischen  Reiche" 
bestellte  Axel  Oxenstiema  den  Oberbefehl  über  das  schwe- 
disch-deutsche Heer  in  Niedersachsen  und  Westfalen.  In 
dieser  Stellung  nahm  er  abbatd  den  Krieg  gegen  die  Kaiser- 
lichen wieder  auf.  Er  führte  ihn  mit  bestem  Erfolge  trotz 
der  Schwierigkeiten,  welclie  ihm  Friedrich  Uhich  fortwährend 
bereitete.  Vor  allem  war  er  bemüht,  durch  Eroberung  der 
festen  Ubergangspunkto  an  der  Weser  den  KinlUllen  zu 
eteuem,  mit  welchen  die  Kaiserlichen  von  den  westialischen 
Stiftern  aus  das  Land  diesseits  des  Flusses  zu  bedrohen  nicht 
abhefsen.  Zu  diesem  Zwecke  unternahm  er  im  März  1633 
die  Belagerung  von  Hameln.  Als  die  vereinigten  kaiserlichen 
Streitkrätte  in  Westfalen  unter  Gronsfeld,  Morode  und  Bönnig- 
haus  die  Weser  überschritten,  um  die  Aufhebung  der  Be- 
lagerung zu  erzwingen,  ex-focht  er  am  28.  Juni  bei  Hessisch- 
Oldendorf  über  den  weit  stärkeren  Feind  einen  glänzenden 
Sieg,  infolge  dessen  sich  ihm  Hameln  wenige  Tage  später 
(3.  Juli)  ergab  und  die  Bürger  trotz  der  Einsprache  Fried- 
rich Ulricha  ihm  den  Huldigungseid  leisteten.  Aber  die  herr-. 
liehe  Waffenthat  von  Heasisch-Oldendorf  hatte  nicht  den  Er- ' 
folg,  den  man  von  ihr  erwarten  konnte.     Georg  hätte  sich 


Bein  Sieg  bei  HessiEcli-Oldeiidorf.  85 

jetzt  am  liebsten  gegen  Minden  gewandt,  zumal  ihm  Oxen- 
stierna  gerade  damals  die  Zusage  dea  gefallenen  tsehweden- 
königs  inbezng  auf  diese  Stadt  und  das  Bistum  enieuerte. 
Aliein  die  Eifersucht  seines  Wolienbiittler  Vettere  uud  die 
Mifägunst  des  schwedischen  Hcichskanzlcrä  führten  alsbald 
nach  errungenem  Si^e  zu  einer  Auflösung  des  siegreichen 
Heeres.  Die  Schweden  zogen  auf  Oxenstiemas  Befehl  in  das 
Stift  Osnabrück,  die  hessischen  üilfstruppen  nach  Westfalen, 
wälirend  sich  der  General  Tliilo  Albrecht  von  Uslar  mit 
den  Wolfenbüttler  Regimentern  zur  Belagerung  von  Peine 
anacliickte  und  diese  Stadt  nach  kurzer  Belagerung  zur  Ka- 
pitulation zwang  (3.  August).  Mit  den  ihm  gebliebeuea 
unzureichenden  Strcitkrätten  konnte  Georg  nicht  an  eine  so 
schwierige  Unternehmung  denken,  wie  die  Belagerung  von 
Minden  gewesen  sein  würde. 

Der  kurze  Zeit  nach  diesen  Vorgängen  am  8.  November 
1633  erfolgende  Tod  seines  Bruders,  des  regierenden  Her- 
zogs Christian  von  Celle,  war  nicht  geeignet,  den  Druck 
hemmender  und  ungünstiger  Einflüsse  zu  mildem,  der  auf 
dem  Erben, .des  weltischcn  Ocsumthanses  lastete,  flerzog 
August  d.  A-,  der  niichstäl teste  8ohn  Wilhehns  von  Lüne- 
burg, der  dem  Gestorbenen  in  der  Regierung  folgte,  da- 
mals schon  65  Jahre  alt,  war  den  schwiengen  Verhält- 
nissen noch  weniger  gewachsen  als  sein  Vorgänger,  dem  er 
an  beschränktem,  kleinlichem  Egoismus  gleiclikam,  den  er 
aber  an  Liebe  zur  Bequemlichkeit  noch  übertraf.  Von  ihm 
war  eine  opferfreudige  Unterstützung  von  Georgs  kriegerischer 
und  politischer  Tbätigkeit  erst  recht  nicht  zu  erwarten.  Auch 
geriet  er  gleich  nach  seinem  Regierungsantritt  mit  dem 
Bruder  wegen  der  Verpflegung  von  dessen  Truppen  in  hef- 
tige Zwistigkeiten.  Dagegen  ging  von  schwediacher  Seite 
damals  der  Vereuch  aus,  die  Stände  des  niedersächsischen 
Kreises  in  engem  Anschlufs  an  Schweden  zu  einer  ein- 
mütigen und  entschlossenen  Kortlührung  dos  Krieges  bis  zur 
gänzlichen  Vertreibung  dor  kaiserlichen  Truppen  aus  dem- 
selben zu  vereinigen.  Unter  Hinweis  auf  die  unzuverlässige 
Haltung  von  Sachsen  und  Brandenburg  war  es  Oxenstierna 
gelungen,  die  vier  oberdeutschen  Kreise,  den  scliwäbischen, 
fränkischen  und  die  beiden  rheinischen,  zu  einer  Verbindung 
zu  ähnlichen  Zwecken,  dem  sogenannten  Ileilbronuer  Bunde, 
zu  gewinnen,  und  er  hoffte  nun,  dasselbe  bei  dem  nieder- 
Ȁchftischen  Kreise  zu  erreichen.  Er  berief  daher  auf  den 
27.  Januar  1634  die  Stünde  dieses  Kreises  nach  Halberatadt. 
Aber  hier  traten  wiederum  die  Uneinigkeit  und  der  Zwie- 
spalt der  Interesson   der  einzelnen   Mitglieder  lähmend  und 


jeden  Erfolg  Teratdod  za  T»ee-  Der  Beichskaiizler  rer- 
mochte  seine  Abaieht  nicht  dsrawaaetMO,  da  die  Stände  sich 
nicht  zu  einer  gieiduidiä^es  Vettrihiug  d&  notwendigen 
Opier  fmtirhlirfacn  ^^■■^l*"  und  fautnackig  an  der  alten 
ff riftp  1 1 II  fiimiing  des  KiüaeB  feitlnellBn,  ofaocbon  sich  diese 
aberiebt  und  aü  TöUig  onbraachbar  wfieiieu  hatte.  Nur  eu 
einem  in  Beinen  Folgen  sehr  sweifelhaAeQ  Zugeständnis 
vermochte  er  sie  sa  beiregen:  sie  fibemahmen  nach  Mafs- 
gabe  der  alten  Kreismatrikel  die  Elr^änzung  and  Ver- 
pAegnng  des  vom  Herzog  Georg  befehligten  Heeres.  Aber 
zugleich  fugten  sie  eine  Slaisregel  hinzu,  die  gicherlicb  nicht 
im  Sinne  des  schwediBchen  Reichskanzlers  war,  da  sich  in 
ihr  ein  nur  schwach  verhülltes  HiTstraaen  gegen  das  schwe- 
dische Übergewicht  in  der  Leitung  der  Kriegsoperationen 
aussprach.  Georg  von  Lüneburg  wurde  durch  einstimmigen 
BeschluTs  zum  General  der  niedersächsischen  Kreisarmee 
bestellt  Um  diesem  Beschlüsse  die  Spitze  abzubrechen,  be- 
w<^  dann  Oxenstierna  wiederum  die  Stände  zur  Ernennung 
des  schwedischen  Generals  Baoer  zum  niedersächaischen 
Feldmarschall,  wodurch  die  alte  heillose  Zwietracht  in  der 
Kriegführung  erneuert  ward.  Trotzdem  machten  die  VVaflFen 
der  Verbündeten  im  Jahre  1634  nicht  unwesentliche  Fort- 
schritte. Hilde^heim  muTste  sich,  nachdem  ein  durch  die 
Kaiserlichen  von  Minden  aus  unternommener  Versuch,  die 
Stadt  zu  entsetzen,  durch  ihre  Niederlage  bei  Sarstcdt  ver- 
eitelt  worden  war,  am  17.  Juli  an  den  General  vou  Uslar 
ergeben,  während  Georg  selbst  nach  der  Einnahme  von 
Höxter  in  Westfalen  einbrach.  Noch  im  Spätherbst  (l(>.  No- 
vember) gelang  es  ihm  sogar,  das  heirsbegehiie  Minden  zu 
.erobern.  Im  folgenden  Jahre  (1635)  fielen  dann  auch  Nien- 
burg, Stolzenau  und  Neustadt  am  Rübenberge  in  seine  Gewalt, 
so  dafs  er  die  ganze  Unterweser  bis  nach  Bremen  hinab 
beherrschte.  Nienburg  mufste  er  freilich  bald  darauf  den 
Schweden  Überlassen. 

Am  11.  August  1634  starb  zu  Braunschweig  im  Alter 
von  43  Jahren  Herzog  Friedrich  Ulrich.  Mit  ihm  erlosch 
das  mittlere  Haus  Braunschweig,  welches  dem  Lande  eine 
lange  Reihe  hervorragender  Regenten  gegeben  hatte  und  nun 
mit  diesem  schwächlichen  Letztling  zu  Grabe  ging.  Seine 
Ehe  mit  Anna  Sophia,  einer  Tochter  des  Kurfürsten  Johann 
Sigismund  von  Brandenburg,  war  kinderlos  geblieben.  Infolge 
eines  Liebeshandels  der  Herzogin  mit  dem  Herzoge  Julius 
Ernst  von  Lauenburg  lebten  die  beiden  Ehegatten  seit  dem 
Jahre  1623  getrennt.  So  hatte  der  unglückliche  Fürst  mit 
dem  Ruin  seines  Landes  auch  die  Zerrüttung  seines  bäus- 


4 
4 


Erlöschen  des  mittlerea  Hauses  Brauuschweig.  87 

liehen  Lebens  und  den  Makel  an  seiner  Ehre  zn  beklagen 
gehabt  Bei  der  Nachricht  von  der  Eroberung  Hildesheim» 
durch  seine  Truppen  war  das  verglimmende  Leben  in  ihin 
noch  einmal  autgellaL-kert,  dann  aber  endete  es  plötzlich  in- 
folge eines  UDglücklichen  Falles ,  den  er  in  seinem  Zimmer 
that.  Abgesehen  von  den  Ansprüchen,  welche  Kursachsen 
auf  Grund  einer  ihm  im  Jahre  1625  erteilten  Anwartschaft 
auf  diejenigen  Landesteile  erhob,  die  nicht  in  die  Geaarat- 
belehnung  des  Braunschweiger  Hauses  einbegriffen  waren, 
blieb  das  Erbfolgerecht  des  Lüuebiirger  Zweiges  unangefochten. 
Aber  innerhalb  des  letzteren  selbst  machten  sich  verschiedene, 
einander  vriderstreitende  Ansprüche  geltend.  Aufser  der  durch 
die  herzoglichen  BrUder  August  d.  A-,  BViedrich  und 
Georg  vertretenen  cellischen  Linie  erhoben  auch  die  früher 
abgetundenen  Nebenlinien  von  Harburg  und  Dannenborg 
(S.  II.  440-  462)  Anspruch.  Von  jener  verlangten  Wil- 
helm und  Otto,  die  beiden  kinderlosen  Enkel  Ottos  I., 
wenigstens  eine  Abßndung  auf  Lebenszeit,  während  diese 
aus  dem  Umstände,  dafs  sie  von  Heinrich,  dem  ältesten 
Sohne  Emsts  des  Bekenners  abstammte,  einen  Vorzug 
vor  den  Nachkomraen  von  dessen  jüngerem  Sohne  Wil- 
helm herzuleiten  suchte.  Auch  verlaugten  die  Mitglieder 
der  cellischen  Linie  eine  Teilung  nach  Köpfen,  August  d.  J. 
aber ,  nach  dem  Verzicht  seines  älteren  Bruders  der  Ver- 
treter der  Dannenberger  Linie,  wollte  die  durch  das 
Pactum  Henrico-Wilhelrainum  (IL  33ii)  festgesetzte  Unteil- 
barkeit des  Landes  und  das  Pri möge nit urrecht  ausschliefslich 
an  seine  Person  geknüpft  wissen.  Durch  Anlehnung  an  den 
Kaiser  hoffte  er  das  ganze  Erbe  fiir  sich  allein  davonzu- 
tragen, während  Georg,  welcher  als  Stammhalter  der  Geller 
Linie  von  den  Mitgliedern  der  letzteren  bei  der  schwebenden 
Frage  am  meisten  beteiligt  war,  seinen  Zweck  dui'ch  die 
Unterstützung  der  Schweden  und  ihrer  Verbündeten  zu  er- 
reichen gedachte.  Beide  Teile  ergriffen  Besitz  vom  Lande, 
und  wenn  mau  es  auch  zunächst  bei  achriftlichen  Deduk- 
tionen iiir  und  wider  bewenden  liefs,  so  stand  doch  zu  be- 
fürchten, dafs  man  schiiefslich  zu  wirksameren  thatkräftigen 
Mitteln  greifen  und  so  die  bereits  im  Lande  herrschende 
grenzenlose  Verwirrung  noch  steigern  würde.  Da  trat  plötz- 
lich der  in  Wolfenbüttel  befehligende  Oberst  Freiherr  von 
Ruischenberg  mit  einem  kaiserlichen  Mandate  hervor,  welches 
das  Erbe  Friedrich  Ulrichs  für  eröffnetes  Reichslehen  er- 
klärte und  jeden  mit  schwerer  Strafe  bedrohete,  der  bis 
zum  Austrag  der  Sache  nicht  ihm,  dem  kaiserlichen  Befehls- 
haber in  Wolfenbnttel,  gehorchen  würde.    Dieser  Schritt,  der 


88 


Erstes  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 


eine  kalBerliche  Sequestration  des  Herzogtums  Woitenbuttel- 
Calenberg  in  Aussicht  stelJtG,  Öffiiete  den  Hadernden  die 
Augen.  In  dem  Vei-trage  zu  Meinersen  (5.  September  1634) 
verständigten  sie  sich  zu  einer  Besitzergreifung  zur  ge- 
samten Hand.  Die  Regierung  des  Landes  sollte  mit  Aus- 
nahme der  an  Hildeaheim  verpfändeten  homburg-eberateini- 
acben  Güter  einstweilen  ,,im  Namen  und  zu  Behuf  des 
gantzeu  hochlöblicheu  Hauses  Brauoschweig  •  Lünebmgk " 
durch  Kanzler  und  Käte  des  verstorbenen  Friedrich  Ulrich 
geführt  werden.  Zugleich  wurden  die  Truppen  des  letzteren 
als  nunmehr  im  Dienste  des  Oesamthauses  stehend  dem 
Herzoge  Georg  von  Lüneburg  unterstellt. 

An  demselben  Tage,  an  welchem  dieser  Vertrag  zustande 
kam,  ertbchten  die  kaiserlichen  Truppen  den  grofaen  Sieg 
von  Nördlingen.  Dieses  Ereignis  mufste,  wie  es  die  ganze 
Lage  im  Reiche  veränderte,  auch  auf  den  weiteren  Verlauf 
des  Braunach weiger  Erbstreitea  einen  bestimmenden  EinÜufs 
ausüben.  Der  schwedische  Reichskanzler  verbündete  sich  jetzt 
mit  Frankreich,  Kursachsen  aber  schlofa  am  30.  Mai  16^5 
mit  dem  Kaiser  den  Frieden  von  Prag,  welchem  beizutreten 
es  auch  die  übrigen  protestantischen  Füi*aten  auftbrderte. 
August  von  Dannenberg  hatte  sich  längst  dem  Kaiser  ge- 
nähert. Die  übrigen  weifischen  Fürsten,  welche  die  Er- 
neuerung der  kaiserlichen  Einmischung  in  ihi"e  Erbstreitig- 
keiten fürchteten,  folgten  einer  nach  dem  andei'en  seinem 
Beispiele  und  nahmen  den  Prager  Frieden  an.  Am  längsten 
hielt  Georg  zurück ,  obgleich  er  von  allen  Seiten  bestürmt 
ward.  Es  schien  ihm  noch  nicht  an  der  Zeit,  die  Waffen 
aus  der  Hand  zu  legen,  viehnehr  meinte  er,  „man  müsse 
alle  Kräfte  aufbieten,  seine  Armee  in  die  möglichst  stärkste 
Verfassung  zu  setzen:  dies  sei  das  sicherste  und  einzige 
Mittel,  dem  Vaterlande  sowie  dem  ganzen  Deutschland  einen 
guten  und  bleibenden  Frieden  zu  verschaffen".  Als  aber 
das  Mifstrauen  der  Schweden  ihm  Überall  hemmend  in  den 
Weg  trat,  als  Oxenatierna  Anstalten  machte,  ihm  das  Kom- 
mando über  das  von  ihm  befehligte  deutsch  *  schwedische 
Heer  zu  eutzieheu,  als  der  schwedische  General  öpeiTCuter 
gar  eine  Anzahl  seiner  Regimenter  zum  Abfall  von  ihm 
verleitete,  da  war  sein  Entschlufs  gefafet.  Am  29.  Juli  1635 
kündigte  er  in  einem  an  den  Reichskanzler  gerichteten 
Schreiben  der  Krone  Schweden  den  Dienst  auf,  und 
Tage  später  (31.  Juli)  erklärte  er  seinen  Beitritt  zum  Prager 
Frieden,  nicht  ohne  der  zuversichtlichen  Hoffnung  Ausdruck 
zu  geben,  „der  Kaiser  wurde  ilm  und  sein  ganzes  turstUcliea 
Haus  bei  den  ihnen  zustehenden  Juribus  und  Gerechtigkeiten; 


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Erb-  und  TeiluDgarezcPs  von  1635.  M 

auch  gemeinen  Rechten  oud  RcichskoDstitutionen  oUergnk- 
digst  scbüfzeii  und  daneben  in  keinerlei  Wege  beschweren 
lassen".  Nun  betrieb  er  auch  mit  idlem  Eifer  die  Bei- 
legung der  noch  immer  schwebenden  Erbstreitigkeiten,  be- 
weg seine  Brüder  zum  Verzicht  auf  die  Teilung  nach  Kopien 
und  wufste  dagegen  einen  heilsamen  Druck  auf  den  Daunen- 
berger  Vetter  auszuüben.  So  kam  denn  am  14.  Dezember 
1635  zu  Braunschweig  der  wichtige  Erbvergleich  zustande, 
welcher  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  die  Grundlage  für 
die  territoriale  Crestaltung  der  weltischen  Laude  gebildet  hat 
Die  Harburger  Linie  ward  mit  der  Grafschaft  Blaukenburg- 
Regenstein,  dem  Woll'enbüttler  Anteil  an  der  Grafschaft  Iloya 
und  einer  Rente  von  7600  Thalern  abgefunden.  Das  übrige 
Erbe  wurde  in  zwei  Teile  zerlegt,  sodai's  im  wesentlichen 
jedes  der  beiden  vun  Friedrich  Ulrich  besessenen  Füi-sten- 
tümer  seinen  alten  Bestand  behielt.  Von  ihnen  wurde  daa 
Fürstentum  Calenberg- Göttingen  nebst  den  an  Hildesheim 
verpfändeten  Stücken  der  Gralschaft  Eversteiu  und  der  Herr- 
schalt Homburg  den  Luneburgei*  Brüdern  zuteil.  Herzog 
August  d.  J.  von  Danneuberg  endlich  erhielt  das  Fürsten- 
tum Wolfenbüttel,  ziemlieh  in  denselben  Grenzen,  wie  es 
noch  jetzt  als  Herzogtum  Brauuschweig  fortbesteht.  Die 
Rechte  an  der  Stadt  Braunschweig,  der  Harz,  soweit  er 
nicht  zu  Grrubenhagen  gehörte,  und  die  Universität  Helm- 
stedt blieben  gemeinschaftlich:  das  Direktorium  über  die 
letztere  sollte  jährUch  zwischen  den  drei  Linien  wechseln. 
Manches  blieb  freilich  noclt  streitig  oder  zweifelhaft.  Des 
Stittes  Hildesheim  geschah  in  dem  Vertrage  überhaupt  nicht 
Erwähnung.  Man  Tiefs  es  stillschweigend  in  der  Hand  Ge- 
orgs, der  es  den  Kaiserlichen  cutrissen  und  dessen  Regimenter 
es  besetzt  hielten.  Anderes  Untergeordnetere  blieb  späterer 
Vereinbarung  vorbehalten.  Man  war  froh,  eine  notdürftige 
Einigung  erzielt,  den  drohenden  Schiedsspruch  des  Kaisers 
glücklich  abgewandt  zu  haben. 

Nach  dem  Abschlüsse  dieses  Vertrages  blieb  ea  den 
Celler  Brüdeni  überlassen ,  das  Verhfiltnis  der  ihnen  kraft 
desselben  zugefallenen  Landesteile  zu  dem  schon  trüber  von 
ihnen  besessenen  Füratentume  Lüneburg  durch  ein  ent- 
sprechendes Separatabkummeu  zu  regeln.  Gemäfs  dem  frü- 
her (S.  47)  berührten  Hausvertrage  vom  3.  Dezember  1610 
hätten  sie  das  neuerworbene  Gebiet,  die  Fürstentümer  Calen- 
berg und  Göttingen,  mit  Lüneburg  zu  einem  „ungetrennten 
und  ungeteilten"  Besitze  vereinigen  müssen.  Nach  dieser 
Richtung  hin  trafen  sie  jedoch  auf  eine  ausgesprochene  Ab- 
neigung der  beiderseitigen  Stände.     Sowohl  die  Stände  von 


M 


Erstes  Buch.    Zneitcr  Abschnitt. 


Oalenberg-GötÜQgen  wie  auch  diejeuigen  von  Lüaeburg 
wideratrebten,  wenn  auch  aus  verschiedenen  Beweggründen, 
doch  beide  gleich  sehr  einer  Bolcheu  Vcreiuigutig.  Oios  war  ^j 
der  Gnmd ,  weshalb  August  d.  A.  von  Gelte  jenem  Haua-  ^H 
vertrage  schnurstracks  zuwider  durch  Rezels  vom  27.  Ja-  ^^ 
nuar  1636  seinem  jüngsten  Bruder  Georg  das  Fürstentum 
Calenberg  -  Oöttingen  als  ein  selbständiges ,  vou  Lüneburg 
durchaus  geti-enntes  Land  abtrat.  Nur  die  Amter  Wolpe 
und  Neustadt  am  Rubenbergo  sowie  die  Amter  und  Vog- 
teien  Polle,  Langeahagen,  Nienover  und  Leuthoi-st  wurden 
davon  ausgeachlosaen ,  jene  au  August  d.  A.,  diese  aber  an 
den  Herzog  Friedrich  gewiesen.  Die  Calenberger  Stände 
aber,  in  der  Besorgnis,  dafs  bei  deni  hohen  Alter  und  der 
vcrtragsmäl'sigen  Ehelosigkeit  der  beiden  älteren  Brüder 
August  und  Friedrich  nach  deren  Tode  die  getrennten  Lan- 
destöile  dennoch  ihren  Wünschen  zuwider  unter  einer  Herr- 
schaft vereinigt  werden  könnten,  verweigerten  ihrem  neuen 
Fürsten^  dem  Herzoge  Georg,  so  lange  die  Hiddigung,  bis 
er  sich  am  18.  Februar  1636  zu  einem  Reverse  verstand, 
wonach  Calenberg  nicht  nur  nie  geteilt  werden  sondern  ^ 
auch  stets  von  Lüneburg  getrennt  bleiben  sollte.  ^H 

Es  leuchtet  ein,  wie  sehr  Georgs  Eiuflufa  auf  die  weitere  ^^ 
Gestaltung  der  Dinge  in  Nieder&achsen  durch  diese  seine 
Erhebung  zum  selbständigen  Reichsfüreten  wachsen  mufste. 
Zwar  das  Land,  dessen  Huldigung  er  soeben  entgegen- 
genommen hatte,  war  durch  den  Krieg  völlig  ausgesogen 
und  mit  Schulden  überlastet,  aber  es  bot  ihm  immerhin  eine 
gesichertere  und  festere  Grundlage  für  den  Verfolg  seiner 
politischen  Pläne  als  ihm  seine  bisherige,  von  den  verschie- 
densten Faktoren  abhängige  Stellung  als  Befehlshaber  der 
niedersächsischen  Kreistrnppen  hatte  gewähi'en  können.  Das 
erste,  was  er  that,  war,  dais  er  trotz  des  Widerstrebe ns, 
welches  der  Rat  und  die  Bürgerschaft  zeigten,  das  ver- 
gleichsweise feste  Hannover  zu  seiner  Residenz  erhob,  dahin 
das  fürstliche  Konsistorium  und  die  fürstliche  Kanzlei  ver- 
legte und  die  Verteidiguugswerke  der  ötadt  zu  verstärken 
begann.  Schon  im  Mai  1636  wurden  die  entsprechenden 
Bauten,  auch  die  Auffuhrung  eines  neuen  flirsüichen  Schlosses 
in  Angriff  genommen.  Es  mochte  ihm  dies  um  so  notwen- 
diger erscheinen,  als  kurze  Zeit  vorher  (26.  April)  Minden 
durch  die  Verräterei  eines  seiner  Offiziere  in  die  Gewalt  der 
Schweden  gefallen  war.  Dann  betrieb  er,  soweit  ihm  dies 
seine  eigenen,  karg  bemessenen  Mittel  und  die  wirtschaft- 
liche Zerriittung  des  Landes  gestatteten,  mit  regstem  Eifer 
seine  kriegerischen  Rüstungen.     Nicht  nur  dafs  er  seine  zu- 


Fortdauer  des  Krieges. 


91 


satnmengcschmolzenen  Regimenter  durch  Werbungen  zu  er- 
gänzen bemühet  war,  er  suchte  auch  die  veralteten  Kriega- 
fonnationen  des  Landau fgebotea  und  der  Lehnsmannschaft 
durch  Reformen  neu  zu  beleben  und  wenigstens  zum  Ver- 
teidigungskriege brauchbar  zu  machen.  Es  iat  nicht  zu  viel 
behauptet,  wenn  man  ihn  als  den  eigentlichen  Schöpfer  dea 
späteren  hannövrischen  und  braunschweigiechen  Kriegswesens 
bezeichnet.  Das  teindlicho  Vorgehen  der  Schweden,  ihre 
Überrumpelung  von  Minden,  ihre  Truppenzusammen Ziehungen 
an  der  Ostgrenze  des  weliischen  Ländergebietes,  gewährte 
ihm  die  willkommene  Handhabe,  die  Bedenken  seiner  Brü- 
der und  des  Herzogs  August  von  Wolfeubüttel  gegen  ein 
entschlossenes  gemeinsames  Handeln  zu  überwinden.  Als 
Baner  von  der  Altmark  her  das  Lüneburgische  bedrohte, 
kamen  auf  Georgs  dringende  Vorstellungen  die  celUschen 
und  woli'enbüttelschen  Räte  mit  ihm  in  Peine  zusammen 
und  schlössen  hier  am  11.  Mai  (1636)  einen  Recefs,  welcher 
die  Idee  einer  einheitlichen  Politik  des  gesamten  welfischeu 
Hauses  zunächst  wenigstens  auf  dem  Gebiete  des  Kriegs- 
wesens zu  realem  Ausdruck  brachte.  Es  ward  bestimmt, 
dafs  die  damals  zur  Verfügung  stehenden  sechs  Regimenter 
als  gemeinsame  Kriegemacht  des  Oesamthauses  betrachlet, 
aus  allen  drei  Herzogtümern  ergänzt  und  von  ihnen  unter 
gleichraäfsiger  Verteilung  der  Lasten  unterhalten  werden 
soLten.  Der  Oberbefehl  über  diese  Truppen  ward  dem  Her- 
zoge Georg  übertragen,  der  auch  ilire  weitere  Oi-gauisation 
zu  leiten  und  die  Kriegaartikel  für  sie  zu  entwerfen  hatte. 
Freilich  vermochte  man  damit  nicht  zu  verhindern  ^  dafs 
Baner  jetzt  seine  Drohungen  zur  That  machte.  Gegen  die 
Älitte  des  August  brach  er  in  das  Fürstentum  Lüneburg 
ein,  besetzte  eine  Anzahl  von  Ortschaften  und  nötigte  die 
bedeutendste  Stiidt  desselben,  Lüneburg,  eine  schwedische 
Besatzung  aufzunehmen  (21.  August).  Und  obschon  er  bald 
darauf  durch  das  Vordringen  des  vereinigten  kaiserlichen 
und  kursächäi sehen  Heeres  zum  Rückzüge  über  die  Elbe  ge- 
zwungen ward,  so  setzte  ihn  doch  der  Sieg,  den  er  am 
24.  September  über  die  Gegner  bei  Wittstock  errang,  in 
den  Stand,  auch  für  die  Folge  das  lünebnrgiache  Gebiet  zu 
brandschatzen  und  teilweise  zu  behaupten.  Die  Bedrängnis, 
welche  daraus  den  weifischen  Fürsten  abermals  erwuchs, 
führte  endlich  zu  einem  vollständigen  Triumphe  der  von 
Georg  schon  seit  lange  vertretenen  und  angestrebten  Neu- 
tralitätspolitik innerhalb  des  brauneehweigisehen  Hauses  Am 
10.  Dezember  KiäS  schlössen  die  Verti-eter  der  drei  welti- 
scheu  Fürstentümer,  August  d.  J.  von  Wolfenbüttel,  Georg 


Erstes  Bach.     Zweiter  Abschnitt. 


Ton  Calenberg  und  Herzog  Friedrich,  welcher  wänt 
1.  Oktober  gestorbenen  Bruder  August  d.  A.  soeben  in  der 
Kegierung  von  Lüneburg  gefolgt  wrt,  einen  denkwürdigen 
nnd  wichtigen  Hausvertrag,  dessen  anagesprocbene  Tendens 
dabin  ging,  inbezug  auf  die  inneren  Angelegenheiten  ihrer 
Länder,  Regierung,  Verwaltung,  Kirche  und  Schule,  gewisse 
getneinftame  Grundpfitze  zu  gewinnen  und  testzusteUen ,  und 
der  lür  die  äufeere  Politik  das  einhellige  Zurückweisen  jeder 
„Allianz,  Conioderation  und  Verbundnifs  mit  ausländischen 
Potentaten ''  zur  Richtschnur  ihres  Handebis  erhob.  ,,Si& 
wollen"  —  BO  erklären  sie  —  „in  wichtigen  Sachen,  &kr- 
nemblicb  Conföderationen  und  Kriegsverf'assnngen,  wie  auch 
in  schweren  vorfallenden  Reichs-  Kreis-  und  anderen  Con- 
sultationen  nichts  statuieren  und  willigen,  sondern  gleich  wie 
sie  Gott  zu  Herren  eines  Vaterlandes  gesetzet  und  von 
einem  Grofsvater  eutspriefseu  lassen,  sich  sambt  und  sonders 
äufserst  angelegen  sein  lassen,  dafs  alles  wohl  gegründeter 
Mafsen,  gleich  aus  einem  Herzen  herihefsend,  aus  einem 
Mtmde  geredet,  mit  einer  Feder  geschrieben  dahergehen 
werde.'*  Zu  kräftiger  Betbätigung  und  besserer  Erhaltung 
dieser  unter  den  obwaltenden  Umständen  doppelt  bedeut- 
samen Einung  sollten  alle  Räte  und  Diener  von  ihren  be- 
treffenden Herren  auf  dieselbe  in  Eid  und  Pflicht  genommen 
werden. 

Es  fehlte  freilich  viel,  dafs  die  in  dieser  Vereinbarung 
ausgesprochenen  politischen  Grundsätze  zu  voller  Geltung 
gelangt  wären.  Nicht  einmal  in  den  nächstfolgenden 
Jahren  war  dies  der  Fall.  Dazu  erwies  sich  in  dieser 
parte izerwijhlten  Zeit,  unter  den  täglich  wechselnden  Kriegs- 
ereignissen, der  Zwang  der  V^erhältnisse  zu  mächtig.  Nur 
zu  bald  nötigte  er  den  Herzog  Georg  und  die  übrigen 
Braunschweiger  Fürsten,  sich  von  neuem  den  Schweden  za 
nähern  und  ßich  schliefslich  mit  ihnen  zu  verbünden,  also 
einem  der  Hauptartikel  jenes  Vertrages  zuwiderzuliandeln.  Es 
geschah  dies  infolge  der  fortgesetzt  feindlichen  Haltung  des 
kaiserlichen  Hofes,  hauptsächlich  inbezug  auf  die  Restitution 
des  Stittea  Hildesheim.  Georg,  der  alsbald  nach  dem  Celler 
Vertrage  seine  Truppen  vermehrt,  seine  Festungen  verpro- 
viantiert und  die  Landsassen  zur  Verteidigung  des  heimi- 
schen Bodens  aufgerufen  hatte,  war  entschlossen,  in  dieser 
Frage  nur  der  äufsersten  Gewalt  zu  weichen.  Er  glaubt» 
imstande  zu  sein,  die  bewaffnete  Neutralität  allen  Parteien 
gegenüber  aufrecht  zu  erhalten,  und  hoffte  den  gesamten 
nJederi'JiciialBchen  Kreis  für  diese  Politik  zu  gewinnen.  Auf 
£frei  Kreiaiägea,  in  Stade  und  in  LüaeWr^,  \s.\.  ^%r>i\Kt 


1 


r 


VerhuudltingCD  über  HildesbeJm. 


-J&fare  1638  verhandelt  worden,  doch  entsprach  der  Erfolg 
nur  teilweise  seinen  Erwai-tungen.  Öein  nächstes  Ziel  blieh 
daraul'  gerichtet,  das  Land  von  den  fremden  Truppen  zu 
säubern,  seine  militärische  Stellung  im  Hildeaheimischen  zu 
verstärken.  Schon  gegen  Ende  des  Jahres  1636  hatte  er, 
obgleich  ohne  Erfolg,  versucht,  den  Schweden  die  Festung 
Minden  wieder  zu  entreifsen.  Besser  gelaug  im  iülgenden 
Jahre  sein  Augriff  auf  Lüncbui^,  das  sie  noch  immer  be- 
setzt hielten.  Am  3/13.  September  beraUchtigte  er  sieh  der 
Stadt,  kurze  Zeit  darauf  auch  des  sie  beherrschenden  Kalk- 
bergcs  und  des  Schlosses  Winsen  an  der  Luhe.  8o  machte 
die  Befreiung  des  Landes  erfreuliche  Fortschritte.  Zugleich 
suchte  Georg  im  Sinne  des  Celler  Vertrages  eine  Verstän- 
digung mit  dem  Kaiser  herbeizuTühren.  Sein  und  der  üb- 
rigen Fürsten  AnschJufa  an  den  Prager  Frieden  hatte  Fer- 
dinand II.  nicht  günstiger  tiir  das  wcltischc  Haus  gestimmt. 
Der  Calenberger  Rat  Justus  Kipius,  den  Georg  im  Oktober 
1636  nach  R^ensburg  an  den  dort  tagenden  Reichstag  ab- 
sandte, um  womöglich  einen  günstigen  ßeschlufs  wegen  der 
Hildesheimer  Sache  zu  bewirken ,  kelirte  von  da  enttäuscht 
und  ohne  das  Geringste  ermcht  zu  hüben,  zurück.  „Es  sei 
ihm"  —  berichtete  er  —  ug^uiz  uumüglich  gewesen,  mit 
seinen  Anträgen  durchzudringen,  weil  die  Kurlui*sten  von 
Köln  und  Bayern,  denen  der  Kaiser  bei  der  Wahl  seines 
Sohnes  zum  römischen  Könige  grolae  VerbindHchkeiten  ge- 
habt, sich  in  I'crson  in  Regensburg  befunden  liätten:  ihrem 
Einflüsse  schreibe  er  den  ihm  gewordenen  Bescheid  zu,  das 
Stift  Hildesheim  müsse  vor  allen  Dingen  erst  restituiert  wer- 
den ,  ehe  von  gütlichen  Unterhandlungen  die  Rede  sein 
könne." 

An  dieser  Sachlage  änderte  auch  der  Tod  Ferdinands  IL 
nichts,  welcher  fast  zu  der  nämlichen  Zeit  (16.  Februar 
1637)  erfolgte  Vorgebens  hatte  man  von  der  milderen  Per- 
sönlichkeit seines  Sohnes  und  Nachfolgers  gröfseres  Ent- 
gegenkommen erwartet  Wie  im  allgemeinen,  so  behairtc 
Ferdinands  III.  Politik  auch  gegenüber  dem  weifischen 
Hause  in  der  von  seinem  Vater  eingeacMagenen  Richtung. 
Alle  Versuche,  mit  ihm  zu  einer  VerBtändigung  über  die 
schwebenden  Streitfragen  zu  gelangen,  blieben  fruchtlos. 
Selbst  der  persönlich  dem  Kaisorhauso  treu  ergebene  August 
von  Wolfenbüttel  hatte  darin  keinen  besseren  Erfolg.  Noch 
immer  hielten  die  Kaiserlichen  die  Hauptstadt  seines  Landes 
besetzt  und  verhinderten  ihn,  dort  seineu  Aufenthalt  zu 
nehmen.  Nicht  wie  der  Fürst  des  Landes,  aoudara  ■^\a  ^vaa 
gedMete  Priratperaon  wohnte   er  in  BtawTa^cW'iv^,  vvv  ^sx 


I 


M 


Erstes  Bucb.     Zweiter  Abschnitt 


dürftig  hergestellten  Burg  seiner  Ahnen.  Braunschweig 
selbst  ward  iu  seinem  unbotmäl'sigcn  Trotze  gegen  das 
lürBtliche  Haus  voü  dem  Kaiser  auf  alle  Weise  bestärkt^ 
jeder  Edelmann,  der  sich  der  WiedereinlÖsung  der  ver- 
pföndcten  Kammergüter  widersetzte,  iand  bei  dem  Hofrate 
zu  Wien  geneigtes  Gehör.  Längst  verjähi'te  Fordei-ungen 
und  neuerdings  erhübene  Ansprüche  wurden  vom  kaiser- 
lichen Hofe  mit  parteiischem  Eifer  vertreten  und  verfolgt, 
eine  alte  vergessene  Forderung  des  lothringischen  Hauses 
wieder  hervorgesucht,  einem  holsteinischen  Prinzen  auf  einen 
höchst  zweifelhaften  Rechtstitel  hin  die  Belohnung  mit  dem 
Fürstentum  Griibenhagen  iu  Aussicht  gestellt,  die  tillysche 
Geldtorderung  von  dessen  Erben  aiiia  neue  geltend  gemacht, 
dem  kaiserlichen  General  Grälen  HatzfelJ  der  geheime  Be- 
fehl erteilt,  den  Krieg  in  die  schon  längst  durcb  ihn  ver- 
wüsteten und  verarmten  braunschweigi sehen  Lande  zu  spie- 
len. In  der  Hildesbeimer  Angelegenheit  endlich  erfolgten 
Mandate  liber  Mandate,  welche  die  sofortige  Herausgabe  der 
Stadt  und  des  Stiftes  forderten  und  im  Weigerungsfälle  mit 
der  Exekution  des  Kaiserö  uud  des  Reiches  droheten. 

Trotz  dieser  wenig  ermutigenden,  ja  geradezu  feindseligen 
Haltung  des  kaiserlichen  Hofes  gab  sieh  Georg  noch  immer 
der  Hoffnung  hin,  einem  offenen  Zerwürfnis  mit  dem  Kaiser 
ausweichen  und  die  beschlossene  Neuü'alität  aufrecht  er- 
halten zu  können.  Er  lehnte  das  wiederholt  ihm  gemachte 
Anerbieten  ah ,  den  Oberbefehl  über  die  gesamten  kaiser- 
lichen Streitkräfte  zu  übernehmen ,  aber  ebenso  standhaft 
wies  er  die  Zumutung  zurück,  seine  Truppen  einem  der 
kaiserÜeheu  Generale  zu  unterstellen:  „er  bedürfe  sie",  so 
lautete  seine  Antwort ,  „  notwendig  zur  Verteidigung  des 
eigenen  Landes".  Auf  dem  Kreistage,  der  zu  Anfang  No- 
vember 1637  in  Lünebm'g  zusammentrat,  drang  er  um  so 
entschiedener  auf  eine  allgemeine  Bewaffnung  des  Kreises 
zum  Zweck  der  Bewahrung  der  Neutralität,  als  gerade  da- 
mals Bauer  sich  anschickte,  abermals  die  Elbe  zu  über- 
schreiten und  das  brauuschweigisehe  Land  zu  überschwem- 
men. Sein  Verhältais  zum  Kaiser  wui'de  mit  jedem  Ta^e 
gespannter.  Selbst  wenn  die  Absiebten,  die  Ferdinand  III. 
nach  dem  Zeugnis  des  Herzogs  von  Lauenburg  gehegt 
haben  soll,  das  Fürstentum  Calenberg  den  Erben  Tülys  ein- 
zuräumen, Wolfenbüttel  für  sich  zu  behalten  und  mit  der 
Auslieferung  des  Lüneburger  Landes  an  Dänemark  ein 
Offensivbündnis  mit  dieser  Macht  zu  erkaufen,  nicht  emst- 
Uch  bestanden  haben  sollten,  begroiil  man  doch  das  auf  bei- 
den Seiten  wachsende  Mifsti'auen.    Was  blieb  dem  Herzoge, 


Qcorg  ofibort  aicb  wieder  den  Schweden.  fö 

wollte  er  mit  aamt  seiDem  Hause  nicht  zwischen  den  beiden 
über  mächtigen  Gegnern  zerriel>en  werden,  in  dieser  Lage 
anderes  übrig,  als  die  alteu  Beziehungen  zu  seinen  früheren 
Buudeßgenossen,  den  Schweden,  wieder  aufzunehmen  V  Beide 
Heere,  das  scbwediache  wie  das  kaißerUche,  standen  damals 
drohend  an  den  Grenzen  des  Landes,  aber  die  gröfsere  Ge- 
fahr schien  doch  im  Gefolge  des  letzteren  zu  nahen.  Schon 
trafen  die  Kaiserlichen  Anstalten,  die  Winterquartiere  im 
Lüueburgi sehen  zu  beziehen,  schon  hatte  der  Kommandant 
von  "Wolfeübüttel  Befehl  erhalten,  die  üestitutiou  Hildoa- 
heims  mit  AVaflfengewalt  zu  erawingen.  Unter  diesen  Um- 
ständen entschlofs  sich  Georg,  mit  Baner  und  Torstenson, 
den  schwedischen  Ileerftihrern,  Unterhandlungen  anzuknüpfen. 
Koch  meinte  er,  an  seiner  alten  Politik  festhaltend,  sie  durch 
Zusicherung  einer  strengen  NeutraUtät  gewinnen  zu  können. 
Als  er  sich  überzeugte,  dal's  dies  eine  trügerische  Hoffnung 
sei,  dafß  nur  ein  offenes  Bündnis  mit  den  Schweden  das 
Verderben  von  seinem  Hause  abwenden  könne,  scheuete  er 
sich  nicht,  auch  diesen  Schritt  zu  thun  und  alles  daran  zu 
setzen,  den  zögernden  Bruder  und  den  verdiichtigen  Wolfen- 
büttler  Vetter  zum  Anschlufs  zu  bewegen.  „Bei  dieser 
äufsersteu  Gefahr,  die  unserer  Religion  und  unseren  Staaten 
drohet"  —  so  schrieb  er  damals  an  den  letzteren  —  „habe 
ich  den  Entschlufs  gefafst,  Ueber  zu  sterben  als  mich  unter 
die  Fufsc  treten  zu  lassen." 

So  entschieden  er  sich  jedoch  jetzt,  um  die  gefürchtete 
Vergewaltigung  durch  den  Kaiser  abzuwenden,  für  das  Bünd- 
nis mit  Schweden  aussprach ,  so  wenig  war  er  gesonnen, 
seine  Selbständigkeit  aufzugeben  und  sich  zum  Vasallen  der 
nordischen  Macht  herabwürdigen  zu  lassen.  Er  hatte  die 
Bitternis  einer  solchen  Stellung  in  früheren  Jaliren  schwer 
genug  empfunden.  Nicht  zur  Befriedigung  fremder  Er- 
oberungssucht, sondern  zur  Befreiung  des  mifshandelten, 
niedergetretenen  Vaterlandes  sollte  ihm  das  beabsichtigte 
Bündnis  den  Weg  bahnen.  In  diesem  Sinne  hatte  er  bereits 
im  Jahre  1639  die  notwendigen  Schritte  gethan,  um  sich 
durch  einen  engen  Anschlufs  an  das  benachbarte  Hessen 
des  schwedischen  Übergewichtes  zu  erwehren  und  sich  neben 
den  schwedischen  Generalen  eine  gleichberechtigte  Stellung 
zu  sichern.  Jn  drei  Verträgen  mit  der  klugen  und  mutigen 
Landgräfin  Amalie  Elisabeth,  der  Witwe  Wilhelms  V.,  welche 
nach  dem  Tode  ihres  Gemahles  (f  21.  Sept.  1637)  mit  der 
Vonnuudschatt  über  dessen  Kinder  auch  die  Regierung  des 
Landes  führte,  kam  das  Bündnis  zum  Abschlufs.  Man  ver- 
sprach sich  gegenseitig  Schutz  und  Hilfe  imd  beachlols  zum 


M 


Eratea  Buch.    Zweiter  Äbschoitt. 


Zweck  der  Verteidigung  gegen  jedermann  ein  Heer  in  der 
Gesanitätärko  vuu  9000  Manu  aufzuateilen  j  dessen  Aus- 
rüstung und  Unterhalt  zur  grrifaerea  Hälfte  (5000  Mann) 
den  weifischen  Herzogen  zufiel  und  das  mau  im  folgenden 
Jahre  bia  auf  12  000  Mann  verstärkte.  Gestützt  auf  eine 
solche  Kriegsmacht,  konnte  man  hoflFcn,  den  Schweden  Acli- 
timg  einzunöfscn  und  den  auagesproc heuen  Endzweck  zu  er- 
reichen, die  nerbeiführung  eines  bilUgen  Friedens  lur  da» 
Reich  und  die  Aufrechterhaltung  der  alten  Ueich&ordnungeo. 
iSuUteü  aber  die  Örhwedeu  oder  ihre  Verbündete,  die  Fran- 
zosen, bei  den  Friedensverhandluugeu  ihre  Ansprüche  zu 
hoch  spannen,  so  wollte  man  solchen  Versuchen  einmütig 
und  mit  vereinter  Macht  entgegentreten.  Diese  Abmachungen 
mit  Hessen  -  Kassel  erhiehen  dann  durch  den  Vertrag  von 
Peine,  welclien  die  drei  weifischen  Herzöge  am  21.  April 
1640  abschlössen,  ihre  gesicherte  Grundlage.  Sie  erklärten 
in  demselben,  „dafs  sie  sich  durch  die  fortwährenden  Kriegs- 
unruheu  bewogen  sähen,  in  eine  nähere  Verbindung  wie  bis- 
her zu  treten  und  demnach  beschlosseu  hätten,  fest  bei  ein- 
ander zu  beharren  und  zur  Erhaltung  ihrer  gegenseitigen 
Länder  tüi"  einen  Mann  zu  stehen:  da  aber  das  fürstliche 
Haua  allein  einer  solchen  Aufgabe  nicht  gewachsen  sei, 
Bo  wolle  es  die  mit  Schweden  ubsch webende  Allianz  per- 
fektionieren, dann  auch  die  mit  Hessen  getroffeue  Verfassung 
in  völligen  Effekt  setzen  und  endlich  die  mit  der  Direktion 
der  franzüBiach  -  weimarischen  Truppen  angelaugene  Unter- 
handlung zum  Schlüsse  zu  bringen  suchen." 

Man  konnte  nach  diesen  Vorgängen  iiir  das  Jahr  1640 
entscheidenden  Ereignissen  auf  dem  mittel  •  und  nieder- 
deutschen Kriegsschauplätze  entgegensehen.  In  der  That 
war  das  Heer  der  Verbündeten,  nachdem  es  im  Mal  seine 
Vereinigung  bewerkstelHgt  hatte,  eines  der  zahlreichsten, 
welche  dieser  mörderische  Krieg  gesehen  hat.  Aber  der 
Erfolg  entsprach  nicht  den  gehegten  Erwartungen.  Vier 
Wochen  lang  standen  sich  die  beiden  grofsen  Heere,  das 
kaiserliche  unter  dem  Erzherzoge  Leopold  und  Piccolomini, 
das  der  Verbündeten  unter  Bauer,  dem  Hessen  Holzapfel 
(Meknder) ,  dem  Herzoge  von  Longueville  und  dem  in 
braunschweigische  Dienste  getretenen  GeiieraUieutenant  von 
Klitzing,  bei  Saalfeld  und  Erhurt  gegenüber.  Dann  lösten 
die  Zwietracht  unter  den  Pühreni  und  die  Schwierigkeit  der 
Verpflegung  das  bündnerische  Heer  auf,  ohne  dafs  es  einen 
Schwertschlag  gethan  hatte.  In  planloser  ZerspÜtterung  wi- 
chen die  einzelnen  Abteilungen,  von  den  Kaiserlichen  ge- 
folgt, nach  Hessen,  Braunschweig  und  Kiedersachsen  zurück» 


Tod  Georgs  von  Liineburg. 


«7 


Wieder  Hcliieuen  diese  Bclion  so  hart  mitgcnommonon  Län- 
der ziun  Tummelplatz  eines  verwüstendi^n,  jetzt  mit  doppelter 
Erbitterung  geiiibiien  Krieges  werden  zu  sollen.  Um  die 
Mittel  zur  Abweiir  zu  beraten,  die  zwischen  ihucu  bestellen- 
den Milsheliigkeiteu  auszugleichen,  den  Feldzugsplan  fiir  das 
kommende  Jahr  festzustellen,  traten  die  Ueertührer  iiu  Ok- 
tober in  nildesheim  zusammen.  Baner  und  Georg  von 
Lüneburg  hatten  hier  mehrere  geheime  Unterredungen.  Was 
von  ihnen  beraten  und  beschlossen  ward,  ist  nicht  bekannt 
geworden  Vielleicht  bildete  der  tollkühne  und  abcnteuer- 
Hche  Zug,  den  der  schwedische  Feldherr  wenige  Wochen 
später  unternahm,  um  den  iu  Kegeusburg  tagenden  lleicbstag 
zu  zersprengen,  sich  womöglich  der  Person  des  Kaisera  seibat 
zu  hemächtigen,  jedenfalls  aber  den  Krieg  wieder  in  die  ka- 
tholischen Länder  zu  tragen,  den  Hauptgegcnstand  ilurer 
Verhandlungen.  Das  Unternehmen  scheiterte  vollständig. 
Baner  gelangte  zwar  trotz  der  Winterkältc  mit  seinen  Trup- 
pen bis  unter  die  Mauern  von  Regenabui-g,  er  schreckte  und 
ängstigte  die  Versanmdung  durch  einige  hundert  Kanoneu- 
Bchüsso,  dann  aber  sah  er  sich  genötigt,  den  verlustvoUeu 
Rückzug  anzutreten,  auf  welchem  ihn  am  lütiO.  Mai  1(^41 
ein  frühzeitiger  Tod  ereilte.  Wenige  Wochen  vorher 
(2/12.  April)  war  auch  Herzog  Georg  zu  Hildesheim  der 
schleichenden  Krankheit  erlegen,  die  ihn  seit  jenen  Ver- 
handlungen mit  Baner  befallen  halte  und  nach  einer  kurzen 
Zeit  anseheinender  Besserung  seinen  Tod  herbeifiihrte.  In 
der  Fürstengrul't  zu  Celle  wurden  seine  sterblichen  Über- 
reste bestattet  Getreu  dem  einst  mit  den  Ötänden  seines 
Landes  vereinbarten  Vertrage  (S.  [iO)  hatte  er  iu  seinem 
Tcßtameutc  bestimmt,  dal's,  so  lange  noch  zwei  seiner  männ- 
lichen Nachkommen  am  Leben  wären ,  die  Fürstentümer 
Celle  und  Calenberg- Göttingen  nie  unter  einer  Regierung 
sollten  vereinigt  werden:  dem  ältesten  seiner  Erben  sollte 
stets  zwischen  beiden  Landesteiten  die  Wald  freistehen,  doch 
sollte  in  den  also  getrennten,  von  nun  ab  aber  unteilbaren 
Fürstentümern  das  Recht  der  Primogenitur  zur  Geltung  ge- 
langen und  unweigerlich  beobachtet  werden. 

iJer  Tod  Georgi?  entrifs  dem  Braunschweiger  Lande  und 
dem  weifischen  Fürstenhauso  den  einzigen  Mann,  welcher  bei 
längerem  Leben  des  letzteren  Hechte  und  Ansprüche  in  den  bald 
darauf  beginnenden  Friedensverhandlungen  mit  Nachdruck 
und  Erlolg  hätte  vertreten  können.  Seiner  Einsicht,  Ge- 
wandtheit und  Kiiegstilchtigkeit  allein  verdankte  man  die 
immerhin  nicht  zu   verachtende   Machtstellung,   welche  das 

Uelucmtn*-,  Brtuscbw.-bftiiaSr.  Ovicklel.'«.    IU.  7 


«5 


Erstea  Buch.    Zweitor  Abschnitt 


brauD  schweif  sehe  Hans  in  den  letztverflossenen  Jahrea 
mühsam  wieder  errungen  hatte.  Sein  politische»  Geschick 
hatte  das  Band  geknüplt,  welches  die  aus  einander  strebenden 
Neigungen  und  Interessen  der  einzelnen  Linien  notdürftig 
Kusammeulilelt  und  sie  zu  gemeinsamem  Uaudelu  verband,  ^J 
an  seiner  BntscUlusscnheit  war  bisher  jeder  Gedanke,  durch  ^H 
Preisgebung  des  Stiftes  llildesheim  einen  schmählichen  Frie-  ^i 
den  von  dem  Kaiser  zu  erkaufen,  gescheitert.  Unter  den 
schwierigsten  VerhültnisBen  hatte  er  das  Ansehen  seines 
Hauses  wenigstens  cinigermafsen  aufrecht  zu  erhalten  ver- 
standen, im  Felde  wie  im  Rate  unablässig  an  der  Wieder- 
herstellung seiner  früheren  Bedeutung  gearbeitet.  Gerade 
in  dem  Augenblicke,  wo  er  die  Früchte  dieser  Thktigkeit 
ernten  zu  dürfen  schien,  ward  er  aus  diesem  Leben  hinweg- 
genommen.  Sein  Tod  liinterlieis  eine  Lücke,  die  keines 
der  übrigen  Mitglieder  des  Geschlechtes  auszufüllen  imstande 
war,  weder  der  alte,  friedliebende  und  bequeme  Friedrich 
von  Celle,  noch  der  mit  allen  seinen  Gedanken  sich  dem 
Habsburger  Hause  zuneigende  August  d.  J. ,  noch  endlich 
der  wenig  begabte,  unter  dem  Einflüsse  seiner  ängstlichen 
Käte  stehende  Christian  Ludwig,  welcher  als  der  erstge- 
borene Sohn,  damals  kaum  neunzehn  Jahre  alt,  dem  dahin- 
goachiedeneu  Vater  in  dem  Fi'irstentume  Calenbej-g  folgte. 
fcäcUen  hat  eich  der  Verlust  eines  bedeutenden  Mannes  iUr 
sein  Haus  und  sein  Land  so  unmittelbar  und  so  unheilvoll 
fühlbar  gemacht  wie  hier.  Wenige  Monate  nach  seinem 
Tode,  am  19.  Juni  lß41,  erlitt  das  Heer  des  Erzherzogs 
Leupold,  als  es  vom  Magdeburgischen  her  den  Entsatz  des 
noch  immer  von  den  Kaiserlichen  behaupteten  Wolfcnbüttel 
unternahm,  vor  den  Wällen  dieser  Festung,  nach  dem  Oder 
zu,  bei  der  sogenannten  weifsen  Schanze  durch  die  ver- 
einigten Schweden  und  Braimschweiger  unter  Wrangel, 
Königsmark  und  Klitzing  eine  vernichtende  Niederlage.  Die- 
ser Sieg  hätte  für  die  ßetreiung  des  Landes  entscheidend 
werden  können,  aber  man  versäumte  es,  ihn  zu  verfolgen 
und  auszubeuten,  nicht  einmal  die  Belagerung  von  AVolfen- 
büttel  wui'de  dadurch  gefördert.  Und  wenn  so  in  der  Krieg- 
fuhrung  eine  beklagenswerte  Schwäche  Platz  griff,  so  war 
dies  nicht  weniger  der  Fall  auf  dem  Gebiete  der  Politik, 
Herzog  August  von  Woltenbüttel  hatte  schon  vor  Georgs 
Tode  mit  dem  Kaiser  Friedensverhandlungen  angeknüpft, 
durch  die  er  am  leichtesten  in  den  Besitz  seiner  Haupt- 
festung zu  gelangen  lioffte,  und  Friedrich  von  Celle  hatte 
sich  ihm  darin  angeschlossen,  von  dem  eben  zur  Regierung 
gekommenen  Christian  Ludwig  aber  war  keine  selbständige 


Friede  von  Goslar. 


99 


Haltung  zu  erwarten.  So  gaben  denn  die  Herzöge,  als  sieb 
über  Georgs  Leiche  die  Gruft  noch  nicht  ein  Jahr  geschlossen 
hatte,  einen  reichen,  wohlerworbenen  Besitz  auf,  der  hundert- 
zweiundzwanzig  Jahre  hindurch  in  ilu*eu  Händen  gewesen 
war  und  den  zu  erhalten  jenei*  sein  ganzes  Leben  lang  ge- 
rungen hatte.  Am  16.  Januar  1642  machten  sie  zu  Goelar 
mit  dem  Kaiser  ihren  SeparatlVieden,  der  im  April  des  ibl- 
gcndcn  Jftlires  durch  einen  in  Braunechweig  abgeschlossenen 
Kezel»  erweitert  und  bestiitigt  ward.  Das  Stü"t  Hildesheim 
wurde  an  den  Bischof  Ferdinand,  einen  bayerischen  Prinzen, 
der  auch  das  Erzbistum  Köln  und  die  Bistiuner  Paderborn 
und  LütticU  verwaltete,  in  seinem  ganzen  Umfange  zurück- 
gegeben, mit  einziger  Ausnalime  der  Schlösser  und  Amter 
Lutter  a.  B.,  Coldiugeu,  Westerhof  und  Dachtmissen,  sämt- 
lich ursprünglich  weltisches  ätammgut  und  nur  durch 
Pfandschaft  in  Besitz  des  Stiftes  gelangt.  Von  ihnen  tielen 
Coldingen  und  Westerhof  an  die  Calenbcrger,  Dachtmissen 
an  die  cellische  und  Lutter  an  die  Wulfenhüttlcr  Linie. 
Dagegen  verzichtete  der  Bischof  auf  die  Wiedererstattung  der 
auf  30  Millionen  Gulden  geschätzten  Einkünfte,  welclie  die 
Herzöge  während  der  braunschweigischen  Herrschalt  aus 
dem  grofsen  Stifte  bezogen  hatten,  sowie  auf  die  everstein- 
homburgischen  Pfandachaften  ohne  UückzaLlung  des  darauf 
ruhenden  Pfand scliillmgs.  Die  Räumung  Wolfenbüttels  und 
der  übrigen  noch  von  kaiscrUchcn  Truppen  besetzten  Plätze 
wurde  kaiserlicherseits  versprochen,  die  übrigens  nie  von 
weifischer  Seite  anerkaionte  Forderung  der  Erben  Tillys  an 
das  Fürstentum  Calenberg  im  Betrage  von  400000  Thalem 
erlassen  und  endlich  dem  braunschweigischen  Hause  die  so 
heifs  beehrte  Neutralität  während  des  noch  immer  fort- 
dauei'nden  Krieges  zugestanden.  Aufserdem  wurde  den 
evangelischen  Bewohnern  des  Stiftes  Hildeaheini  auf  vierzig 
Jalue,  dem  Adel  auf  siebenzig  Jahre  freie  Keligionsübung  ge» 
währt.  Dieser  dem  weifischen  Hause  so  nachteilige  Friede 
erhielt  dann  dadui'ch  noch  seine  vielleicht  schlimmste  und 
verhiingni  SV  ollste  Bedeutung,  dafs  die  Herzöge  sich  auf  des 
Kaisers  Drängen  dazu  entschlüSäen ,  den  Bestand  der  von 
Georg  geworbenen  und  hinterlassenen  Regimenter  wesentlich 
zu  verringern,  den  zwischen  ihnen  bestehenden  Militärver- 
band aufzulösen  und  sich  damit  der  einzig  wirksamen  Waffe 
zu  berauben,  die  ihnen  ziigebote  stand,  um  bei  dem  künf- 
tigen allgemeinen  Friedensschlüsse  ihre  Entschädigungsan- 
sprüche durchzusetzen. 

Ein  wie  schwerer  politischer  Fehler  dies  war,  zeigte  sich 
alsbald  nach  dem  Abschlüsse  des  Vertrages.     Zögerad  nur. 


IM 


Ente«  Bacii.    Zveher  Abschnitt. 


fadt  widerwillig  ^rtUllte  der  Kaiser  die  dem  wedfischen  liaxt&e 
geroacbten  Zasagen.  Längw  als  ein  Jahr  üher  die  verein- 
barte Frist  hinaus  hielt  Ruiscbenberg ,  der  kaiserliche  ße- 
fehlahaber  in  Wolfenbüttel,  diese  Festang  noch  besetzt 
Statt  am  27.  Augnst  lt>42  räumte  er  sie  erst  am  13.  Sep- 
tember 1643,  nicht  ohne  im  letzten  Au^nblicke,  gleich  als 
ob  er  seinen  Abzug  bereue,  noch  den  Versuch  einer  Wie- 
derbesetzung gemacht  zu  haben  Erst  am  3o.  Januar  164:4 
konnte  Herzog  August  seinen  Einzug  in  die  verwüstete,  ent- 
völkerte, fast  ganz  in  Trümmern  liegende  Stadt  halten, 
welche  sechszehn  Jahre  hindurch  in  den  Händen  eines  er- 
barmungslosen Feindes  gewesen  war  und  ihm  zum  Zentral- 
pimkt  seiner  Erpressungen  und  Ausraubnngen  ringsum  im 
Lande  hatte  dienen  müssen.  Auch  sonst  hatte  dieses  in  den 
nächsten  Jahren  vonseiten  der  krieglührcnden  Parteien  trotz 
der  ihm  zugesicherten  NeutraHtät  noch  manche  Drangsale 
und  Schädigungen  zu  erdulden  Aber  das  Schlimmste  war 
doch  vorüber,  namentlich  seitdem  im  April  1645  nach  lan- 
gen Verhandlungen  endlich  in  den  westfölischen  Bischofs- 
städten Osnabrück  und  Alünster  der  grofse  Friedenskongrefo 
zusamroengeti'eten,  der  den  Abgrund  dieses  endlos  scheinen- 
den Krieges  zu  sclilielsen  bestimmt  war.  Noch  bedurt^e  es 
einer  viertehalbjährigen  Thätigkeit,  bis  das  Friedens  werk 
2ustande  kam.  Das  Braun  Schweiger  Haus  ward  in  Osna- 
brück, wo  der  Kaiser  mit  der  Krone  Schweden  und  den 
protestantischen  Ständen  Deutschlands  verhandelte,  durch 
den  Kanzler  Langenbeck  filr  Celle,  den  Rat  Köhler  lur 
Wolfenbüttel  und  durch  Jakob  Lampadius  fttr  Caleuberg- 
GKittingen  vertreten.  Von  ihnen  war  Lampadius  weitaus 
die  bedeutendste  Persönlichkeit,  vielleicht  der  gewandteste, 
rührigste  und  beredteste  WortTührer  der  evangelischen  Sache 
überhaupt.  Eines  Calenberger  Bauern  Sohn ,  früher  Pro- 
fessor des  Staatsrechtes  in  Helmstedt,  ein  gelehrter  und 
scharisinniger  Jurist,  ein  geschickter  Diplomat,  hartnäckig 
und,  wo  es  die  Umstände  erforderten,  wiederum  in  kluger 
Selbstzucht  nachgiebig  und  entgegenkommend,  wulste  er 
sich  von  vornherein  eine  geachtete  Stellung  zu  sichern,  sich 
bald  zum  eigentlichen  Mittelpunkt  der  Verhandlungen  zu 
machen  und  schliofsHch  selbst  das  Vertrauen  der  schwe- 
dischen Unterhändler  zu  gewinnen.  Freilich  die  Aufgabe, 
die  er  zu  erlallen  hatte,  war  dornenvoll  genug ,  und  die 
Sache,  die  er  verfocht,  erschien  so  gut  wie  hoffnungslos. 
Die  voreilige  Abrüstung  der  weifischen  Fürsten  entzog  ihm 
das  wirkungsvollste  ^Vrgument,  das  er  für  ihre  Kechte  und 
Ansprüche  hatte  geltend  machen  können ,  und  von  dem  Kaiser 


Der  ireatiBligche  Friede. 


101 


enhersieh,  ungeachtet  der  von  diosem  gegen  das  Braunschweiger 
Haus  übernommenen  Verpflichtungen,  echmUhlich  im  Stich 
gelassen.  BiUd  inufste  er  aicli  Überzeugen,  dals  der  Krwerb 
der  niedersächsischon  Stifter,  welche  vor  dem  Kriege  längere 
oder  kürzere  Zeit  unter  der  Administratiun  braunschweigi- 
echer  Fiu-sten  gestanden  hatten  und  bereits  als  ein  ge- 
sicherter Besitz  des  Hauses  galten,  nicht  zu  erreichen  sein 
würde.  Es  war  bewunderuugswert ,  wie  wenig  sein  Eifer 
dadurch  erkaltete,  wie  standiiatt  er  fortfuhr,  für  die  Keclito 
seiner  Auftraggeber  einzutreten.  Allein  mit  papiernen  Grün- 
den war  hier  wenig  auszurichten,  alle  gelehrten  Deduktionen 
erwiesen  sich  als  wirkungslos,  alle  Hinweise  auf  Billigkeit 
und  Gerechtigkeit  vei-mochten  an  jener  Thatsache  nichts  zu 
ändern.  Hildeshtim  hielt  die  katholische  Partei  fest,  Bremen 
und  Verden  inufsten  zur  Abfindung  der  Schweden,  Halber- 
etadt  und  Minden  zur  Befriedigung  der  Ansprüche  von 
Brandenburg  dienen,  welches  sich  besser  vorgesehen  und, 
statt  zu  entwaffnen,  in  den  letzten  Jahren  des  Krieges  seine 
Truppen  ansehnUch  veiinehrt  hatte.  Lampadius  mufste  am 
Ende  froh  sein,  durch  die  Vermittlung  seiner  eigentlichen 
Gegner,  der  schwedischen  Gesandten  Salvius  und  Oxen- 
sticrna ,  einige  d ürftige  Zugcstiindiiissc  zu  erreichen.  Mit 
Mühe  gelang  es  ilim,  die  erneueten  Forderungen  der  tilly- 
schen  Erben  inbezug  auf  Calenberg  zurückzuweisen,  die 
Absicht,  Hoya  und  Diepholz  .';tatt  Pommerns  als  Tausch- 
objekt zu  behandeln,  zu  vereiteln.  Als  alleiniger  Ersatz  lür 
so  viele  geltend  gemachte  Ansprüche,  für  so  viele  ge- 
täuschte HofFuungen  ward  dem  braunschweigischeu  Hause 
das  Recht,  den  Bischofsstuhl  von  Osnabrück  nach  dem  Tode 
des  äugen bhckli eben  Inhabers  alternierend  mit  einem  seiner 
Prinzen  zu  besetzen,  sowie  die  Abtei  Walkenried  mit  dem 
dazu  gehörigen  Hofe  Schauen  zugesprochen.  Dem  Herzoge 
August  von  W'olfenbüttel  wurde  aufserdem  die  Verleihung 
der  zwei  ersten  zur  Erledigung  kommenden  Präbenden  beim 
Straf:*burger  Domkapitel  für  seine  beiden  jüngsten  Söhne  in 

Vussicht  gestellt. 

Das  war   der  ganze  Gewinn,  den    das   Braunscliweiger 

lau?  aus  dem  heillosen  Kriege  davontrug^  die  einzige  Ent- 
schädigung für  deu  üamculosen  Druck,  der  vierundzwanzig 
Jahre  hindurch  auf  dem  unglückliclien  Lande  gelastet  hatte. 
Die  Verwüstung  seiner  Städte,  die  Verödimg  des  platten 
Landes,  die  Verarmung  der  woldhabenden  Bovölkerung,  die 
Not  endlich,  die  Verwilderung  und  stumpfsinnige  Gleich- 
gültigkeit, die  sich  des  gemeinen  Mannes  bemächtigt  hatten: 
alles  war  nicht  imstande  gewesen,  einen   anderen,  ge- 


Die  Donner  des  längsten,  furchtbarBten  und  verheerend- 
sten Krieges,  den  die  neuere  europäische  Geschichte  kennt, 
waren  endlich  verstummt.  Jetzt  erst,  nachdem  der  von 
Millionen  herheigesohnte  Friede  feierlich  verkündet  war,  ver- 
mochte man  den  vollen  Umfang  der  Verluste  zu  übersehen, 
die  er  venarsaclit,  die  Tiefe  der  Wunden  zu  ermessen,  die 
er  dem  M'ohlstande  der  deutschen  Länder,  dem  wirtschaft- 
liehen, geistigen  und  nationalen  Leben  des  deutschen  Volkes 
gesehlagen  hakte.  Es  ist  kaum  eine  Übertreibung,  wenn 
man  behauptet  hat,  dafa  durch  diesen  Krieg  Deutschland 
um  zwei  Jahrhunderte  in  seiner  Geaamtent Wickelung  zurück- 
geworfen Bei.  In  vielen  Gegenden  war  der  Viehbestand  auf 
die  Hälfte,  ja  auf  ein  Drittoü  herabgesunken,  weite  Land- 
striche lagen  völlig  wüst  und  hatten  fast  ihre  gesamte  frühere 
Bevölkerung  eingebüfst,  die  entweder  umgekommen  oder  in 
die  benachbarten  Wälder  geflohen  wai*.  In  der  ehemals  so  ge- 
segneten und  lachenden  Uheinpfalz  soll  der  Krieg  nur  den 
fünfzigsten  Teil  der  Bewohner  übrig  gelassen  haben.  Hun- 
derte und  aber  Hunderte  von  Dörfeni  waren  vom  Erdboden 
verschwunden,  die  einst  so  blühenden  und  gewerbreicheu 
Städte  verannt  und  vei*ödet,  die  Wälder  verhauen,  die  Fel- 
der von  Düruengesü'üpp  überwucliei*t  und  mit  Trümmern 
bedeckt.  Dos  Volkes  aocr  hatte  sich,  soweit  es  nicht  in  dem 
wüsten,  lasterhaften  Kriegslcben  verwildert  oder  dem  Druck 
der  Zeiten  erlegen  war,  eine  stumpfe  Mut-  imd  Uuffnungs- 
losigkeit  bemächtigt,  die  jede  Möglichkeit  eines  Erapor- 
rafTens ,  jede  Aussicht  auf  ein  künftiges  Wiedererwachen 
nationaler  Kraft  und  stolzen  öelbätgetulils  auszuachliefsen 
achien. 

Auch  die  welfiBcheu  Landschalten  waren,  wie  wir  wissen, 
von  dem  grausigen  Verhängnis,  das  im  Gefolge  dieses  Krie- 


I 
I 


Zuätaad  des  Landes  nach  dem  Kriege. 


103 


gea  daherschritt,  nicht  vorschont  gebliobou,  hatten  vielmehr 
fast  webrloä  seine  Schrecknisse  und  Leiden  über  sich  er- 
gehen lassen  müssen.  Alle  TeÜü  des  Landes  ^  alle  Klassen 
der  Bevölkerung,  Städte  wie  Dörfer  waren  davon  in  gleichem 
MaTse  betrolTen  worden.  Von  den  Städten  waren  Münden, 
Hameln,  Nordbeim,  Göttingen  und  vor  allen  Wolfenbtittel 
nur  noch  Trümmer  hauten,  andere,  wie  Lüneburg,  Helmstedt, 
Eimbeck  und  Dnderstadt,  hatten  unter  der  wecbseLoden  Be- 
setzung und  Ausraubung  seitens  der  kriegführenden  Mächte 
wenigstens  schwer  gelitten  und  nur  Braunsthwcig  und  Han- 
nover waren  dank  ihrer  müchtigen  Verteidigungswerke  vor 
den  actilimmsten  Unbilden  des  Krieges  bewahrt  gcbÜcben. 
Und  zu  dieser  Verwüstung  und  Verarmung  des  Landes  ge- 
sellten sich  der  finanzielle  Kuin  und  die  politische  Ohnmacnt, 
unter  deren  niederdrückendem  Gewicht  das  fürstÜclie  Haus 
aus  dem  Kriege  hervorgegangen  war.  Seine  Verluste  au 
Gut,  Einkommen,  Macht«  Eindula  und  Ansehen  waren  un- 
ermefslich.  Welch  ein  Abstand  gegen  die  glücklichen,  ver- 
hei Isungs vollen  Zeiten  der  Herzoge  Julius,  Heinrich  Julius 
und  Ernst  des  ßekonnera.  Kaum  dafs  man  den  uralten 
Besitzstand  notdürftig  behauptet  hatte.  Alle  noch  so  be- 
rechtigten Ansprüche  auf  Land ei-zu wachs  Latten  aufgegeben, 
das  reiche  Stift  Hildesheim,  das  länger  als  hundert  Jahre  im 
Besitze  des  Hauses  gewesen  war,  hatte  abgetreten  werden 
müssen.  Inmitten  der  benachbarten,  aus  seinem  früheren 
Machtgebiet  bereicherten  protestantischen  Staaten  und  dem 
neu  gekräiftigton  Katholizismus  drohete  dem  Braunschweiger 
Hause  die  Gefahr,  wenn  nicht  völlig  zerdrückt,  so  doch  auf 
das  geringste  Mafs  von  Ansehen  und  Macht  herabgemindert 
zu  werden. 

Die  Aufgabe,  ein  so  herabgekommenes  Land  der  Ver- 
armung zu  cntreifsen,  ein  so  niedergetretenes  und  mifshandel- 
tes  Volk  aus  dem  materiellen  Elend  und  der  geistigen  Ver- 
kommenheit wieder  emporzuheben,  zugleich  aber  dem  wei- 
teren Verfalle  und  der  drohenden  schliefslichen  Machtlosig- 
keit des  Rcgeuteohausea  zu  wehren,  war  sicherlich  eine  der 
schwierigsten,  aber  aueh  eine  der  schönsten  und  lohnendsten 
Autgaben,  die  einem  Politiker  gestellt  werden  konnte.  Die 
welfiachen  Fürsten  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
sind  sich  der  Gröfsc  itnd  Bedeutung  dieser  Auigabe  wohl 
bewufst  gewesen  und  haben,  ein  jeder  nach  dem  Malse  seiner 
Begabung,  ihr  gerecht  zu  werden  gesucht:  zunächst  der 
treffliche  Herzog  August  d.  J.  von  Wolfenbüttel. 

August  war  ohne  Zweifel  einer  der  merkwürdigsten 
Männer  seiner   Zeit:    ein    leidenschafdicher   Büchersammler, 


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£rflt«t  Bach.    Dritter  Abschnitt. 


eio  Qdekrter  tod  erstaunlicher  Vielseitigkeit,  ean  Staat»- 
mann  ucd  Kegenl  von  rastloser,  unermädlicber  Thitigkeit, 
Kfclit  mit  Unrecht  hat  man  ilm  in  einen  direkten  G^eosatz 
tm  winem  verstorbenen  Vetter  Georg  von  Lüneburg  ge- 
itellt  In  der  Tbat  war  ihm,  während  dieser  in  dreiund- 
drcif'aig  KeldzUf^n,  in  Deutdchland,  Italien  und  Dänemark^ 
«to  wechuel volle«,  unruhige«  Kricgerleben  iuhite,  der  Krieg 
terhüUt.  Nie  bat  er,  obgleich  in  einer  von  Waffen  klirrenden 
Zctt  Ifibend,  ein  Heer  befehligt,  nie  eine  Schlacht  geschlagen. 
Scioe  Keiffungen  lagen  auf  einem  anderen  Felde.  Auf  den 
Univertitüten  von  Rostock,  Tübingen  und  Straßsburg  hatte 
er  «ich  eine  au fsergewühn liehe  Bildung  erworben,  diese  durch 
Reuten  in  Italien,  Frankreich,  Holland  und  England  er- 
weitert und  vertieft.  Drei  feig  Jahre  safä  er  dann  nach  seiner 
ICUc'kkchr  auf  dem  bcBcheidencn  Herrensitze,  der  ihm,  dem 
JtlngBtea  «einer  Brüder,  zugefallen  war,  auf  dem  Schlosse 
llitsacker,  fent  von  den  Wirren  der  Welt,  in  »eine  Studien 
vertieft,  mit  der  Abfassung  seines  berühmten  Buches  über 
da«  Schachi^piel  beschäftigt,  einen  ausgebreiteten  gelehrten 
Brieiwechsel  untejhaltend,  vor  allem  aber  darauf  bedacht, 
»eine  Bibliothek,  die  er  Bchon  in  den  Tagen  seiner  Jugend 
ssu  Hammeln  begonnen  hatte,  zu  vermehien,  zu  ordnen  und 
zu  verzeichnen.  Ala  er  von  diesem  seinem  „Ithaka",  aus 
dieser  glücklichen  Mufse  und  weiten tlremdeten  Stille  sich 
unerwartet  inmitten  der  Drangsale  des  endlos  sich  hin- 
sclJepfMjnden  Krieges  zur  Regiening  des  gröfseren  Landes 
berufen  sali,  wufste  er  sich  mit  jener  spontanen  Leichtigkeit, 
wie  flie  aufsorgewühnlichen  Menschen  eigen  ist,  in  die  er- 
weiterten Verhältnisse  und  die  veränderten  Umstände  zu 
finden.  Statt  der  gelehrten  Studien,  die  ihn  bisher  liast  ai;s- 
scbliefslich  beschäftigt  hatten ,  mufste  er  jetzt  mit  seinen 
Lüneburger  Vettern  Ilechtsdeduktionen  tauschen ,  mit  dem 
Wiener  Hofe  diplomatisclie  Noten  wechseln,  mit  den  kaiser- 
lichen Christen  über  die  Räumung  seines  Landes  verhandeln. 
Und  ala  dann  endlich  die  unliebsamen  Gäste  aus  dem  letz- 
teren gewichen  waren,  als  er  seinen  Einzug  in  AVoÜeubüttel, 
seine  jämmerlich  zugerichtete  Haupt-  und  Residenzstadt,  ge- 
lialtcn  hatte,  da  galt  es,  die  Hände  zu  regen,  um  das  ver- 
wüstete und  ausgeraubte  Schiofs  wieder  in  einen  leidlich 
wohnlichen  Zustand  zu  versetzen,  die  von  den  Fluten  der 
aufgestaueten  ücker  unterwUblten,  von  den  Geschossen  der 
Belagerer  zertrümmerten  Strafsen  und  Häuser  wieder  aufzu- 
bauen, kurz  die  Spuren  des  entsetzlichen  Krieges  nur  erst 
innerhalb  seiner  nächsten  Umgebung  einigermalsen  zu  ver- 
H'/sc/ien.    Dann  Aamcn  die  gröfseren  und  acWierigeren  Auf- 


4 


^ 


I 


Uenog  August  d.  J. 


105 


gaben:  die  Wiederbelebung  und  Reorganisation  der  Kirche, 
die  Neuordnung  des  völlig  dai'niederliegcnden  Schulwesens, 
die  Hebung  der  Finanzen  und  des  Landeskredits,  dej  Wie- 
deraufbau der  zerRtörten  Dörier  mit  ihren  Gotteshäusern,. 
die  Wiederherstellung  endlich  einer  gcurdneten  ßcchtapfloge 
und  Verwaltung. 

Herzog  August  hat  sich  dieser  Riesenaufgabe  mit  jener 
ruliigen  Stetigkeit  und  jenem  pflichttreuen,  durch  nichts  zu 
beirrenden  Eifer  entledigt,  welche  vor  allen  anderen  Cbarak- 
tereigen schatten  seiner  Persönlichkeit  ihr  eigentümliches  Ge- 
präge geben.  Es  ist  geradezu  staunenswert,  was  er,  damals 
schon  ein  siebenzigjähriger  Greia,  mit  seinem  Walilspruche 
„Expende  (alles  mit  Bedacht)*'  auf  den  verschiedenen  Ge- 
bieten menschlicher  Thätigkcit  noch  geleistet  hat.  Denn 
auch  seinen  klmstlerisclLen  und  wissenschaftlichen  Neigungen, 
seinen  gelehrten  Forschungen  und  Arbeiten  blieb  er  nach 
wie  vor  treu,  vor  allem  dem  Bestreben,  seine  Bibliothek  zu 
bereichern  und  zu  vormehren,  die  er  als  die  damals  be- 
deutendste Sammlung  dieser  Art  in  Europa  bei  seinem  Tude 
hinterliefs.  Und  dies  alleg  hinderte  nicht,  dafs  er  nicht  auch 
zuweilen  am  lustigen  Ringelreanen  und  Ritlerspiel  sich  er- 
götzt, zur  Herbstzeit  den  Hirsch  oder  Eber  gejagt,  bis  in 
sein  hohes  Alter  sich  im  Annhrustschiefaen  geübt,  ja  jedes 
Pferd,  das  er  besteigen  wollte,  selbst  zugeritten  hätte.  So 
blieb  er  auch  noch  im  Alter  der  vielbewunderte  Mann,  an 
dem  die  Jahre  machtlos  voriiberzugleiten  schienen,  der  j,divua 
senex",  wie  ihn  seine  Zeitgenossen  nannton,  „der  nndächtig 
mit  GeistÜchen,  mit  Juristen  rechtfertig,  mit  Ärzten  hoilsara- 
licb,  mit  Weltweisen  vernünftig,  mit  Künstlern  kunstmäfsig 
zu  reden  verstand ".  Wie  ein  Wunder  des  Jahrhunderts, 
das  in  der  Welt  seinesgleichen  nicht  habe,  erschien  er  noch 
in  seinem  dreiundachtzigsten  Jahre  seiner  Base,  der  geist- 
reichen und  spottsüchtigen  Herzogin  Sophie  von  Calenberg. 
„Seine  Diener",  sagt  sie,  „haben  nichts  zu  t!mn,  er  besorgt 
alle  ö£fcntUchen  und  häuslichen  Angelegenheiten  selbst  und 
thut  in  einem  Tage  mehr  als  vielleicht  ein  Dutzend  Per- 
sonen in  acht  Tagen  zustande  bringen  würden." 

Das  Nächste  und  Notwendigste,  was  August  in  die  Hand 
nahm,  sobald  er,  dem  Beispiele  seiner  Vorgänger  in  der 
Regierung  folgend  nach  Wolfenbuttcl  seine  Residenz  verlegt 
hatte,  war  die  von  ihm  möglichst  beschleunigte  Herstellung 
des  Schlosses,  der  Stadt  und  der  Festangs  werke.  Ei-  fand 
dies  alles  in  dem  traurigsten  Zustande  de«  Verfalls  und  der 
Zerstörung.  „Ich  vermeine",  schrieb  er  am  ^ä.  'Äc'^Vitt^x 
1643  afl  Johann    Valentin  Andrea,   „m\t  GüUää  N^*^«ft.  '^"ö- 


f06 


Erstes  Buch.     Dritter  Abscbnitt. 


vier  oder  sechs  Wochen  mit  der  Ilofatatt  mich  in  mein  Ilaus  i 
zu  bep;eben,  ziehe  jetzt  ab  und  zu,  um  reparieren  zu  lassen, 
was  die  Devaatatoros  so  unverantwortlich  ruiniert,  Gott  ver- 
gelte ea  ihnen  auf  ihren  Kopf."  In  der  That  bot  daa 
Schlofs  einen  trostlosen  Anblick  dar.  In  seinem  Aufsorn 
durch  die  Kugeln  des  Belagerungageächiitzea  arg  beschädigt, 
war  03  im  Innern  infolge  der  Rohheit  und  Zerstörungslust 
seiner  Verteidiger  gänzlich  verwüstet.  Nicht  besser  aah  ea 
in  der  Stadt  aus.  Sie  gKch  einer  Trüram erstatte.  Mehrere 
Hundert  Häuser  waren  ganz  zerstört,  viele  andere  droheten 
den  Einsturz.  Die  Bürgerschaft  war  von  1200  Familien 
auf  150  herabgesunken,  fast  alle  an  den  Bettelstab  gebracht, 
unfähig  die  Lasten,  die  „ihi*er  blutigen  Armut"  autgewiüzt 
worden,  länger  zu  tragen.  Das  Strafsenpflaater  war  durch 
die  wiederholten  Aufstauungen  der  Ocker  völlig  ruiniert, 
die  Festungswerke  überall  schwer  beschädigt.  Der  Herzog 
begann  mit  der  Herstellung  des  Schlosses,  dann  ward  die 
Marienkirche  wieder  in  Stand  gesetzt  und  später  (seit 
dem  Jahre  1655)  neu  fundamentiert.  Zugleich  wurden  die 
Festungswerke  ausgebessert  und  nach  Osten  zu  erweitert, 
der  Marstall  wieder  eingerichtet  und  in  der  über  ihm  ge- 
legenen Rüstkammer  die  Bibliothek,  die  dem  Herzoge  nach 
WolfenbiUtel  gefolgt  war,  nntorgebracht.  Mit  der  thatkr&i- 
tigen  Beharrlichkeit,  die  ihm  eigen  war,  ging  der  Herzog 
dabei  zuwerke,  nichts  überstürzend,  aber  auch  nichts  ohne 
zwingende  Nötigung  verzügcrnd  oder  aufschiebend.  So  ge- 
lang ea  ihm  in  vergleichsweise  kurzer  Zeit  in  das  Chaos  von 
Schutt  und  Trümmern,  das  Wolfenbüttel  nach  dem  Abzug 
der  Kaiserlichen  darbot,  Halt  und  Ordnung  zu  bringen. 
Schon  ein  Jalu*  nach  seiner  TJbersiedelung  war  das  Sclilois 
80  ziemlich  in  dem  alten  Zustande  wiederhergestellt  und  zur 
Aufnahme  des  Herzogs,  seiner  FamiHc  und  Beines  Hofes  ein- 
gerichtet. Zclm  Jahre  später  (1653)  hatte  die  Bevölkerung 
der  Stadt  bereits  wieder  so  zugenommen,  dafs  unter  des 
Herzogs  Auspizien  eine  neue  Vorstadt,  die  nach  ihm  be- 
nannte Auguststadt,  entstand,  für  die  er  dann,  wieder  ein 
Jahrzehnt  darauf,  aiich  eine  eigene  Kirche  erbauen  liefs. 

Aber  nicht  allein  auf  Wolieubüttel,  sondern  auch  auf  die 
übrigen  Städte  und  Ortschaften  des  Landes  erstreckte  sich 
die  Fürsorge  und  angestrengte  Thätigkeit  des  Herzogs.  Um 
nur  einige  Beispiele  herauszugreifen,  so  Uefs  er  zu  Neustadt 
unter  der  Harzburg  und  an  anderen  Orten  neue  Kirchen  er- 
stehen, stellte  die  im  Knege  eingeäscherten  und  völlig  zer- 
störten Gebäude  des  Junglrauenklosters  Stetorburg  wieder 
her,    erneuerte    und   verbesserte    das    dortige   evangelische 


Seine  v!e.1seiti((G  Sorge  für  rlas  Land. 


107 


Frauenstiit  und  besetzte  ea  wiederum  mit  Konventuaünnen. 
Wie  e«  Beine  Natur  war,  so  sehen  wir  iLn  übenill  aelbst- 
tliätig  eingreifen^  Weisungen  erteUeu,  Brieiu  schreiben,  sich 
um  die  geringsten,  oft  gleichgültig  erecheinenden  Einzelheiten 
kümmern.  So  kam  durch  seine  energische  Initiative  nach 
und  nach  alles  wieder  in  besseren  Stand,  langsam  freilich 
und  nicht  ohne  mancherlei  Stockung,  aber  im  grofsen  und 
ganzen  doch  einen  stetigen  Fortschritt  zeigend.  Die  schlimm- 
sten und  offenkundigsten  Spuren  des  unseligen  Krieges  ver- 
schwanden allmählich,  langsam  hob  sich  der  Wohlstand  des 
niedergetretenen  Landes,  Vertrauen  und  Lebensmut  kehrten 
in  die  Gemüter  zurück,  befreiet  von  unerträglichem  Druck 
atmete  die  Bevölkerung  auf 

Und  neben  dieser  Sorge  flir  die  allgemeine  Hebung  des 
Landes,  neben  dieser  Förderung  der  materiellen  Interessen 
vernachliissigte  der  Herzog  keineswegs  die  Pflege  der  geisti- 
gen und  sittlichen  Faktoren,  ohne  welche  jene  doch  nie  von 
dauerndem  Bestände  zu  sein  pdegen.  Auf  sämtliche  Gebiete 
des  öffeullicben  Lebens  erstreckte  sich  ordnend  und  frucht- 
bringend seine  landesväterliche  Fürsorge.  Kirche  und  Schule, 
Verwaltung,  Rechtspflege,  Armenpflege,  Gewerbe  und  Handel, 
dies  alles  hat  fast  in  gleichem  Mafse  seine  (ordernde  Ein- 
wirkung erfahren.  An  der  Leitung  der  Kirche  nahm  er 
den  persönlichsten  Anteil.  Je  sicherer  er  sich  dank  seinen 
theologischen  Studien  auf  diesem  Gebiete  fUhlto,  um  so  we- 
niger tnig  er  Bedenken,  im  Bewulstsein  seiner  Würde  als 
oberster  Bischof  nicht  nur  in  kirchliche  Rechts-  und  Ver- 
fasaungsfragen,  sondern  auch  inbezug  auf  Lehre  und  Kultus 
unmittelbar,  bisweilen  in  herrischer  Weise  einzugreifen.  Als- 
bald nach  seiner  Übersiedelung  nach  Wolfenbüttel  erhielt 
auch  das  Konsistorium  liier  wieder  seinen  Sitz,  nachdem  es 
unter  Mitwirkung  der  Landstände  neu  geoi-dnet  oder  eigent- 
lich ganz  neu  geschaffen  worden  war.  An  Stelle  des  1648 
▼erstorbenen  Wideburg  berief  er  den  Rostocker  Professor 
und  Archidiakonua  Joachim  Lütkemann  als  ersten  Hot- 
prediger  und  Generalsuperintendenten  nach  Wolfenbüttel, 
den  er  dann  mit  einer  Visitation  der  Kirche  im  ganzen 
Lande  bcaultragto,  au  die  Spitze  des  Konsistoriums  stellte 
und  zum  Abt  von  Riddagsbauaen  ernannte.  Mit  seiner  Hilte 
kamen  zum  Teil  die  kirchlichen  ^Ordnungen  zustande,  die 
der  Herzog  nach  einander  erliels.  Eine  ßufs- ,  Bct-  und 
Festtagsordnung  war  schon  1636  erschienen.  Jetzt  folgten  ihr 
1653  eine  Verordnung  „wegen  des  Obenansitzens  und  Zu- 
dräugens  in  den  Kirchenstünleu",  1655  die  Klosterordnung, 
1657  die  Agenda  oder  Kirche norduung,   1660  eine  Hospital- 


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Erstes  Buch.    Dritter  Ab^chDitt. 


und  Armenordnung  für  die  „Rosidenss- Veste  WolIcnbüttel"-| 
Daneben  erschien  1650  daä  „  Corpus  doctrinae  catecheticae 
Auguatuin,  d.  i.  Aiileitung  zur  Katecliismuslelu'o,  auf  Her- 
zog Augusti  gnädige  Verordnung  aufgeaetÄCt  von  Joachim 
Lütkemann " ,  woran  sich  1661  die  ,,  Katechismuslehre  in 
Frag  und  Antwort  und  mit  HauptepriicIieQ  der  heiligen 
Sclirift  erklärt"  vom  Generalsuperintendenten  Erasmus  Uanne- 
manu  aitschlorti.  ' 

Eine  aufserordentliche  Fürsorge  wandte  der  Herzog  dem 
Schulwesen  zu.  Schon  im  Jahre  lf>3(>,  unmittelbar  nach 
seinem  RegierungBantritt,  hatten  die  Landstände  Bich  ge- 
Uufsert:  „ßie  Zukunft  beruhet  auf  einer  guten  Unterweisung 
der  heranwachsenden  Jugend",  hatten  den  Erlafts  einer 
Schulordnung,  jährliche  Visitationen  der  Schulen  durch  das 
KoDBiötorium  und  die  Landesuniversität  in  Anregung  ge- 
bracht, auf  die  Dürftigkeit  der  Gehalte  und  den  daraus  ent- 
springenden Mangel  an  guten  Lehrern  hingewiesen.  Seitdem 
hatte  der  Krieg  auch  iu  diesen  Verhältnissen  seinen  unheil- 
vollen Einflula  geltend  gemacht.  Die  Schulhäuser  waren 
verlallen,  oft  in  rohester  "Weise  zu  militärischen  Zwecken 
verwandt  worden.  Viele  Lehrer,  ohne  Besoldung  und  ohne 
alle  anderen  Mittel,  das  Leben  zu  fristen,  waren  auf-  und 
davongegangen.  Bei  der  allgemein  eingeria:^enen  Rohheit  und 
Verwilderung  der  Sitten  schien  es,  als  ob  man  erst  von  der 
kommenden  Generation  eine  geistige  und  sittliche  Wieder- 
geburt erhoffen  dürfe.  Um  so  dringUcher,  als  eine  ganz 
unabweisliclie  Regentenpilicht  mufate  es  dem  Herzog  er- 
scheinen, hier  Wandel  zu  schaffen.  Sobald  es  die  Umstände 
nur  einigermafsen  gestatteten,  ging  er  ans  Werk.  Im  Jahre 
1648  wurde  der  gelehrte  Professor  der  Eloquenz  Christoph 
Schradcr  zum  Generahnspektor  sämtlicher  Schulen  de» 
Herzogtums  ernannt,  ein  Jalir  später  für  die  Dorfschulen 
eine  feste  Grundlage  geschaffen  und  die  nötigen  Ürd- 
nuugen  erlassen.  Auch  mit  der  Auf  besserung  der  Lehrer- 
gehalte wurde  ein  Antang  gemacht.  Aber  erst  im  Jahre 
1651  kam  unter  den  Auspizien  Schraders,  wohl  auch  unter 
Mitwii'kuug  Lutkemanns  und  anderer  Männer  die  neue 
Schulordnung  zustande,  welche  dann  für  das  Schulwesen 
im  Herzogtmno  auf  lange  Zeit  mafsgebend  gewesen  ist. 

Auf  dem  Gebiete  des  Unterrichtswesens  erforderte  aeben 
den  Schulen  auf  dem  Lande,  den  Mittelschulen  iu  den  klei- 
neren Städten  und  den  vier  „grofsen  Schulen'*  zu  Wolfea- 
büttel,  Helrastedtj  Gandersheim  und  Schöningen  eine  beson- 
dere Pflege  die  Juliusuiiiversität  zu  Helmstedt,  welche  die 
bereits  erwähnten  Bedenken  und  Gravamina  der  Landstände 


Die  HelmcrteJter  Uin\er8ität. 


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Tom  Jahre  1636  mit  Recht  als  j^oin  fu^ndcrbareii ,  hoehan- 
gelegenes  Kleinod  des  Fürstentnms*'  dem  Herzoge  ans  Herz 
gelegt  hatten.  ,, Schleunigst",  meinten  sie,  „seien  die  Mittel 
zu  beraten,  um  ihrem  Untergange  vorzubeugen  und  damit 
die  Pruieasoren  nicht  gezwungen  würden,  ihren  Unterhalt 
auf  anderen  Wegen  zu  suchen."  Wirklich  war  die  Zahl 
der  Studenten,  die  im  Jahre  1B24  noch  über  384  betragen 
hatte,  Hi26  vtillig  eingegangen,  1627  auf  zwei  herabgesunken, 
dann  hob  sie  sich  freilieh  wieder,  aber  sehr  langsam.  So 
lange  indes  der  Krieg  dauerte,  konnte  hier  wenig  geholfen 
werden.  Abgesehen  von  den  wiederholten  Drangsalen  durch 
die  Truppen  der  kriegführenden  Mächte  und  durch  pest- 
artige verheerende  Seuchen,  hatte  sich  der  Studenten  eine 
wüste  Rauf-  und  Abenteuerluat  bemächtigt,  die  keine  ernsten 
Studien  aui'kommcn  lieft.  Viele  nahmen  bei  den  Kaiser- 
lichen oder  Schweden  Kriegsdienste  und  plünderten  sich  so 
viel  zusammen,  dafs  sie  im  Winter  ein  tolles,  lustiges  Stu- 
dentenleben  fUliren  konnten.  Die  Profeäsoreu  litten  aus 
Mangel  an  Besoldung  bitteren  Mangel  und  hatten  deshalb 
auch  meistenteils  die  Stadt  verlassen.  Im  Jahre  1043,  als 
der  vielbewunderte  Georg  Calixt  das  Prorektorat  verwaltete, 
waren  von  den  dreiundzwanzig  Männern ,  die  zu  Aniang 
dieser  Kot  einen  Lehrstuhl  innehatten,  nur  noch  drei  übrig. 
Nach  dem  Tode  Friedrich  Ulrichs  hatten  seine  Erben,  da 
sie  sich  gerade  über  dieson  Teil  der  Erbschaft  nicht  zu 
einigen  vermochten ,  die  Ifochschulc  zur  Gesamtxiniversität 
fiir  ihre  Länder  erklärt  und  ein  jährlich  unter  den  einzelnen 
Linien  wcchaelades  Direktorium  eingeführt.  Damit  waren 
ordentliche  und  aufserordentliche  Visitationen  verbunden,  von 
denen  die  erste  nach  den»  Kriege  doch  erst  im  Jahre  1G50 
durch  drei  Räte  des  Herzogs  Auguät  ötattfand.  Dieser  war 
dann  mehr  noch  als  seine  türatlichen  Vettern  darauf  bedacht, 
die  heruntergekommene  Hochgcliule  wieder  zu  ihi-er  irühereu 
Blüte  zu  erheben,  was  ihm  schließlich  so  wohl  gelaug,  dafs 
sie  noch  unter  seiner  Regierung  die  höchste  Frequenz  (2C'O0 
Studenten)  en*eichte,  die  sie  je  gehabt  hat.  Er  vermehrte 
nicht  nur  die  Zahl  der  Professoren  sondern  auch  die  Ein- 
ktinfte  der  Universität,  liels  ihre  Gebäude,  soweit  sie  durch 
den  Krieg  gelitten  hatten  oder  ganz  zerstört  waren ,  her- 
stellen und  neue  weite  und  zweckmäfsige  Hörsäle  einrichten. 
Auch  zur  Aufrechterhaltung  dtr  durch  den  Krieg  aus  Rand 
imd  Band  geratenen  Disziplin  unter  den  Studenten  wurden 
die  geeigneten  Mafsregeln  getroffen. 

Es  war  aber  nicht  allein  das  geistige  Leben ,  nicht   nur 
Schule,  Wissenschaft  und  Kultur,  welche  die  fordernde  Ein- 


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Ente«  Bach.    DriSta  ftWhwtt 


Wirkung  des  Herzogs  in  reichem  M&Jse  erfahren:  er  sachte 
auch  der  Anregung  der  Stände  inbezag  auf  die  Jastiz,  die 
Verwaltung,  die  Fiuamen,  sowie  auf  die  Hebung  von 
Handel  und  Wandel  gerecht  zu  werden  und  der  selbst  in 
diesen  traurigen  Zeiten  um  sich  greifenden  Üppigkeit,  Pracht- 
liebe und  Schwelgerei  zu  steuern.  Zeugnis  daliir  legt  eine 
ganze  Reihe  von  Verordnungen  ab,  die  er  nach  diesen 
Richtungen  hin  erlassen  hat  Die  wichtigste  davon  iüt  die 
Allgemeine  Landeeverordnung  von  1647,  in  welcher  der  Ver- 
such gemacht  wird,  die  Gesamtheit  der  Verhältnisse  des 
bürgerhchen  Lehens  gewissen  festen  und  bestimmten  Normen 
zu  unterwerfen.  Ihr  srhiiefscu  sich  die  Verlöbnis-,  Hochzdt- 
und  Begräbnisordnung  von  1646,  die  Eanzleiordnung  von 
1651,  die  Hüfgerichtsordnung  von  1663,  sowie  endUch  eine 
Anzahl  von  Erlassen  über  ^luikontrakte,  gegen  rohe  Aus- 
schreitungen  und  namentlich  über  das  Miinzwesen  an. 

Die  Bedeutung  des  Herzogs  August  lag  überhaupt  vor- 
wiegend aut  dem  Gebiete  der  inneren  Landes  Verwaltung.  An 
den  Bestrebungen  seiner  liineburgischen  Vettern,  unter  Heran- 
ziehung auch  anderer  Reichsstiinde  und  selbst  Schwedens 
und  Fraukreicha  der  noch  immer  getürchteten  Übermacht 
des  Kaisers  durch  Separatbündnisse  entgegenzutreten ,  hat 
er  sich  wohl  beteiligt,  aber  doch  nur  in  der  vorsichtigen, 
fast  zaghaften  Weise,  die  seiner  Natur  entsprach  und  welche 
die  damals  noch  ganz  unsicheren  Verhältnisse  des  Reiches 
zu  erfordern  schienen.  Wie  schwankend  diese  waren,  zeigte 
sich  unter  andurem  in  dem  Vei*suche  des  Abtes  von  Corvey, 
seine  protestantische  Stadt  Höxter  zu  der  alten  Kirche  wie- 
der zurückzutühren.  Die  Stadt  rief  den  Schutz  des  Herzogs 
August  an,  welchem  die  Vogtei  über  dieselbe  zustand.  La 
kam  darüber  beinahe  zum  Kriege:  dann  wurde  die  Ange- 
legenheit (1653)  an  den  Reichstag  gebracht,  der  Bie  indes 
unerledigt  liefs.  Man  sieht,  wie  die  Gegensätze  des  gi'ofsen 
Ki'iegtiB  noch  immer  unter  der  Aäche  fortglimmten. 

Durch  einige  Gebietserwerbungen  wurde  das  Fürsten- 
tum Wolfenbüttel  während  der  Regierung  Augusts  d.  J. 
vergrüfsert.  Schon  ein  Jahr  nach  seinem  Regierungsantritt 
fielen  ihm  durch  den  Tod  seines  älteren  Bruders  Julius  Ernst 
(f  26-  Oktober  1636),  der  keine  männliche  Nachkommen 
tinterliofa,  die  duuncnbergischen  Besitzungen  und  ein  zweites 
Siebeutcil  des  Ertrages  von  den  hai'zischen  Bergwerken  zu. 
Im  Jahre  1642,  am  30.  Mäi'z,  erlosch  dann  mit  dem  Herzoge 
Wilhelm  auch  der  Mannsstamm  der  Harburger  Nebenlinie, 
welche  sich  einst  (H.  440)  durch  Heinrichs  des  Mittleren 
ältesten  Sohn  Otto  von  dem  Lüneburger  Hauptstamme  abge- 


Augitfits  d.  J.  Tod. 


in 


zweigt  und  nach  dem  Ableben  Friedrich  Ub-icha  von  Wol- 
fen büttel-Calenberg  (s.  IS.  89)  zu  ihren  ursprünglichen  Be- 
sitzungen noch  die  Graischai't  Blankcnbarg-IiUsgcustein  sowie 
einen  Teil  der  Grafächaft  Hoya  hinzuerworben  hatte.  Nach 
längcrcui  Streit  über  das  erledigte  Harhurger  Erbe  schlössen 
am  17.  Hai  1051  Herzog  August  und  seine  Lüneburger 
Vettern  einen  Vei-gleich,  wonach  jenem  die  Grafschaft  Blau- 
kenburg  und  die  Hoheit  über  die  regensteinischen  Gebiete, 
sowie  ein  drittes  Siebenteil  an  den  Einkünften  aus  den 
Gruben  des  Harzes  abgetreten,  auch  sein  Beitrag  zu  der 
dem  Herzoge  Wilhelm  von  Harburg  in  dem  Vertrage  vom 
14.  Dezember  1G35  zugestandenen  Kcute  erlassen  ward.  Die 
übrigen  Besitzungen  dei'  Harburger  Linie  £elen  au  Christian 
Ludwig  von  Cello.  Zu  diesen  Erwerbungen  kam  eudhch 
noch  die  Herrschaft  Warberg  am  Elme,  welche  August  dem 
letzten  ganz  verarmten  ^Sprossen  dieses  edelfreien  Geachlcchtes 
gegen  eine  jährliche  licute  abkaufte  und  dann  als  eröffnetes 
Lehen  einzog. 

AugUBt  starb  am  17.  September  l66tJ  in  Wolfenbüttel, 
wo  er  in  der  neuen  Fürstengruft  unter  der  Marienkirche 
begraben  liegt.  Er  hatte  beinahe  das  acht  und  achtzigste 
Lebensjalir  vollendet,  ein  Normalmensch ,  der  nie  in  seinem 
Leben  Ikrank  gewesen  und  daher  bisweilen,  wenn  von  Krank- 
heiten die  Rede  war,  geilufsert  hat,  „er  wüfste  nicht,  wie 
man  von  einem  unrechten  Bissen  bald  etwas  fühlen  könne, 
man  müsse  alles  gewöhnen."  Dreimal  vermählt,  hinterliefs 
er  eine  zahlreiche  NaclikommoDSchaft,  von  welcher  die  bei- 
den ältesten  Söhne,  Rudolf  August  und  Anton  Ulrich  ,  aus 
seiner  zweiten  Ehe  mit  Dorothea  von  Anhalt- Zerbsi,  Ferdi- 
nand Albrecht  aber  aus  seiner  dritten  Ehe  mit  Sophie  Eli- 
sabeth von  Mecklenburg  entsprossen  waren.  Es  waren 
Brüder  von  sehr  verschiedener  Artung  und  Lehensrichtuug, 
der  begabteste  unter  ihnen  ohne  Zweifel  der  mittlere,  Anton 
Ulrich.  Von  lebhaftem  Temperament  und  schneller  Fassungs- 
gäbe,  dabei  beseelt  von  einem  glühenden,  frühreiien  Lern- 
eifer, machte  er  als  Knabe  und  Jüngling  staunenswerte  Fort- 
schritte. Man  hatte  Mühe,  seine  Lerabegierde  zu  zügeln, 
seinen  xmersiittlichen  Wissensdrang  in  die  rechten  Bahnen 
zu  leiten.  Sein  Lelirer,  der  berühmte  deutsche  Sprach- 
forscher Justus  Georg  Schottelius,  mufste  ihm  oft  die  Bücher 
aus  der  Hand  nehmen,  in  die  er  sich  allzu  eifrig  vei*tiefte. 
Er  wollte  alles  ergründen,  alles  lesen  und  treiben,  was  er 
den  Lehrer  treiben  und  studieren  sah.  Unter  dem  Einflufs 
der  frommen^  gelehrt-theologischen  Umgebung,  in  der  er  am 
Hofe  seines  Vaters  aufwuchs,   regte  eich  in  ihm   frühzeitig 


412 


Erstes  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


der  Drang  nach  äufserer  Qeetalttmg  des  ihn  erfüllenden 
geistigen  Lebens.  Dieser  Drang  wies  ihn  zunächst  auf  die 
religiöse  Dichtung  bin.  Schon  als  Jungling  hat  er  geistliche 
Lieder  gedichtet,  von  denen  einige  den  Weg  in  unsere  Ge- 
6angbü<^er  geiunden  haben.  Er  hat  sie  später  (1667)  unter 
dem  Titel  „  Christ  -  Fürstliches  Davids  -  Harfeospiel  "  im 
Druck  erscheinen  lassen.  Dann  aber  erhielt  seine  Art  zu 
denkea  und  zu  empfinden  infolge  eines  einjährigen  Äufeut- 
haltes  in  Frankreich  eine  völlig  veränderte  Richtung.  Hier 
tbat  sich  ihm  eine  neue  glänzende  Welt  auf.  Die  Macht- 
fülle,  zu  der  das  fianzoaische  Königtum  gelangt  war,  der 
Glanz  des  Hofes,  die  üppige  Anmut  des  Lebens  übten  eine 
bezaubernde  Wirkung  auf  sein  leicht  bewegliches  Gemüt 
aus.  Statt  der  frommen  i-eligiöseu  Lieder  hat  er  in  späteren 
Jahren  langatmige  Hofromane  geschrieben,  in  denen  sich  die 
steife  Pracht,  die  Unnatur  und  die  vornehme  Ode  dieser 
Kreise  widerspiegeln.  Er  kehi-te  nach  Deutschland  zurück, 
erfüllt  von  Bewunderung  für  den  französischen  „Sonnen- 
könig", der  ilim  als  das  Ideal  eines  echten  und  wahren 
Herrschers  erschien  und  den  er  sich  gleich  so  vielen 
seiner  fiirstlichen  Zeitgenossen  von  nun  an  zum  Vorbilde 
nahm. 

Ganz  anders  geartet  war  der  jüngste  der  Brüder,  Fer- 
dinand Albi-echt,  der,  obschon  nach  des  Vaters  Tode  nur 
mit  einer  kärglichen  Dotation  abgefunden,  der  Stammvater 
der  späteren  Herzöge  von  Biaunschweig  werden  sollte:  in 
seinen  gelehrten  Neigungen,  im  Sammeln  von  Büchern  und 
Raritäten  das  Ebenbild  des  Vaters,  aber  milstrauisch,  ver- 
einsamt und  verbittert  im  Gefühl  wirklich  erfahrener  oder 
eingebildeter  VemacMäasigung  und  Benachteiligung  seitens 
seiner  Brüder.  Ein  menschenscheuer  Sonderling ,  safa  er 
—  abgesehen  von  einigen  gröfseren  Reisen  —  Zeit  seines 
Lebens  auf*  seinem  abgelegenen  Schlosse  Bevern ,  mit  den 
seltsamsten  Dingen  beschäftigt,  Kuustschätze  von  unge- 
wöhnlichem Wert  und  unbedeutende  Spielereien  mit  gleichem 
Eifer  in  seiner  Kunstkammer  aufhäufend,  grübelnd  über  den 
Rätseln  des  Lebens,  von  dem  er  sich  in  seine  Einsamkeit 
zurückgezogen  hatte  und  dessen  Glanz  und  Freude  er  doch 
schmerzlich  entbehrte.  „Den  Wunderlichen"  nannte  man 
ihn  in  dem  Kreise  der  „Fruchtbringenden  Gesellschaft", 
und  unter  diesem  Namen  hat  er  ein  Buch  geschrieben, 
seltsam  und  wunderlich  wie  er  selbst,  in  welchem  er  sein 
eigenes  Leben  schildert  und  das  in  der  von  ihm  in  Bevern 
begründeten  ßuehdruckerei  hergestellt  ward :  „  Wunderliche 
JBegcbnusse    und   wunderlicher  Zustand    in   dieser   wunder- 


Dio  Söhne  AuguaU  d.  J. 


113 


liehen  verkehrten  Welt  dui-ch  den  Wunderlichen  im  Frucht* 
bringen/' 

Neben  diese  beiden  so  verschieden  veranlagten  und  so 
verschieden  sicli  entwickelnden  Brüder  »teilt  sich  endlich 
Rudolf  Aug^uat,  der  älteate  von  des  Herzogs  August  Söhnen 
und  als  solcher  der  Regieningsnach folger  des  Vaters,  von 
dem  er  zwar  den  eiiifultigen  fromiuun  Siun,  nicht  aber  das 
Selbstgefühl,  die  Schaffenslust  und  den  Trieb  zu  praktisch- 
politischer  Thätigkeit  geerbt  hatte.  Vielleicht  wai-  es  die 
peinliche  Sorge,  mit  der  der  Vater  seine  Erziehung  über- 
wachte, deren  einschüchternder  Einäufs  in  dem  Knaben  ein 
Gefiihl  der  Unsicherheit,  des  Mifstrauens  in  seine  Kräfte 
and  eine  Blödigkeit  erzeugte,  die  er  nie  völlig  losgeworden 
ist.  Er  sollte  durchaus,  ohne  dafa  er  dazu  Neigung  oder 
Beruf  fühlte,  ein  ebenso  gelehrter,  vielseitiger  Mann  werden, 
wie  der  Vater  dies  war.  Wiederholt  richtete  er  an  diesen 
die  Bitte,  ihm  mehr  Freiheit  des  Handelns  und  der  Be- 
wegung zu  gestatten.  „  Es  sei  ihm  ",  schreibt  or,  „  als  einem 
jungen  Menschen,  der  eines  adolescentis  Jahre  erreicht,  nicht 
möglich,  so  sehr  eingeschlossen  ohne  alle  Ergötzlichkeit  und 
nützliche  Gescllscliaft  zu  leben."  Als  er  darauf  die  Ant- 
wort erhält,  „er  solle  den  Studien  etwas  fleifsiger  obliegen", 
bemächtigt  sich  seiner  eine  Schwennut,  deren  Anwandlungen 
er  auch  spater  noch  öfter  erfahren  hat:  „Wenn  ich  bedenke", 
meint  er,  ,;Wie  schlecht  ich  meine  Zeit  ziihringe,  wie  ich  in  un- 
ruhigen melancholischen  Gedanken  immer  hinlebe,  so  weifs  ich 
solches  vor  Gott  und  Menschen  nicht  zu  verantworten."  Mehr 
als  tür  einen  künftigen  regierenden  HeiTU  erspriefalich  war, 
mufste  eine  solche  Erziehung  ihn  auf  sein  Inneres  zurück- 
drängen ,  in  ihm  zugleich  die  Neigung  zu  geistlichen  Stu- 
dien und  Meditationen  steigern  wie  die  Unlust  an  den  Re- 
gierungsgeschälten  erhöhen,  die  er  später  als  eine  Last  em- 
ptaud  und  daher  ohne  Neid  seinem  jüngeren  Binider,  dem 
glänzenden,  ehrgeizigen  und  lebensfrohen  Anton  Ulrich,  übcr- 
liefB.  Und  doch  war  er  dessen  französischem  Wesen  durch- 
aus abgeneigt:  eine  im  innersten  Kern  deutsche  Natur,  mit 
einem  Anfluge  von  pietistischer  Frömmigkeit,  den  Schein 
und  den  prunkenden  Flitter  verachtend,  ein  Manu,  der  sich 
am  wohlsteu  fühlte,  wenn  er  sich  in  seiner  alten  ehrlichen 
plattdeutschen  Sprache  mit  seiner  Umgebung  unterhalten 
konnte.  Auch  er  hat  eine  Anzahl  erbaulicher  Schriften  ver- 
fafst,  von  denen  namentlich  die  erst  nach  seinem  Tode  er- 
schienenen „  Gedanken  einer  andächtigen  Seele  von  Gott, 
zu  Gott  und  in  Gutt"  einen  Einblick  in  die  Wärme  und 
Tiefe  seines  religiösen  Empfindens  gestatten. 


K 


BbIqcib&db.  UrftDngcbv.-baonflv.  GMcUcht«.    Ul. 


% 


»4 


Erstes  Buch.    Dritter  Absclmitt. 


Gleich  bei  dem  Antritt  seiner  Regierung  sah  sich  Rudolf 
August  seinen  Brüderu  gegenüber  in  eine  peinliche  Lage 
versetzt.  Man  wuIste,  dafc  Herzog  August  tUnt'  Jaiue  vor 
seinem  Tode  (l6fJl)  ein  TestÄment  verl'alst  habe.  Alan 
kannte  auch  im  alWmeinen  dessen  Inhalt,  namentlich  war  ^ 
nicht  unbekannt  geblieben,  dal's  der  verstorbene  Herzog  ohne  fl 
Berücksichtigung  des  durch  das  Pactum  Henrico-Wilhclminura 
(11.  336)  zum  Gesetz  erhobenen  Krstgebur tsrechtes  seinem 
ältesten  Sohne  zwar  das  Fürstentum  ^^'üIt*e^buttel ,  dem 
zweiten  aber  die  Grafschaft  Dannenberg  und  dem  dritten  ^^ 
die  Grafschaft  Blankenburg  mit  allen  Hoheitsrechten  uudfl 
aU  selbständige  Fürstentümer  bestimmt  hatte.  Das  Original 
dieses  Testamentes  konnte  bei  der  Entsiegelung  der  herzog- 
lichen Gemächer  nicht  aufgefunden  werden  und  ist  auch  nie 
zu  Tage  gekommen.  Es  war  und  blieb  verschwunden;  man 
fand  nur  das  Konzept  zu  demselben ,  und  dieses  konnte 
selbstverständlich  keine  Gesetzeskraft  erlangen.  Kudoll' 
August  erkannte  zwar  die  übrigen  auf  das  bewegliche  Ver- 
mögen bezüglichen  Bestimmungen  der  letztwilligen  väter- 
lichen Verfügung  an,  aber  zu  der  vun  ihm  beabsichtigten 
Landesteil  uug  wollte  er  sich  in  Rücksicht  auf  die  bestehen- 
den Hausgesetze  nicht  herbeilassen.  Er  schlofs  vielmehr  mit  ^ 
Anton  Ulrich  am  30.  Mai  ItiGT  einen  Erbvergleich,  derfl 
später  (2-1.  Dezember  1674)  erneuert  und  ei'weitert  ward. 
Ihm  zufolge  wurden  dem  jüngeren  Bruder  die  Schlösser  und 
Amter  Schöniugen,  Jerxheim  imd  Kalvörde  zu  seinem  Unter- 
halte angewiesen,  ihm  auch  iüi-  den  Fall,  dafe  er  durch  die 
Geburt  eines  Erbprinzen  seiner  Aussicht  aui*  die  Nachfolge 
im  Fürstentume  Wolfenbüttel  verlustig  gehen  sollte,  die 
Grafschaft  Dannenberg,  jedoch  ohne  Landeshoheit,  in  Aus- 
sicht gestellt  und  bis  zu  deren  Anfall  eine  jährhche  Dota- 
tion von  l-tOoO  Tlialern  zugesichert.  Zu  einem  ähuhchen 
Vertrage  hatte  sich  bereits  acht  Tage  früher  (2Ö.  Mai  IGüV) 
Ferdinand  Albrecht,  obschon  zögernd  und  widerwillig,  be- 
quemt. Ihm  wurde  das  unweit  Holzminden  am  Soliing  ge- 
legene Schlofs  Bevern  mit  dem  dazu  gehürigen  Untergerichte 
in  Dorf  und  Feld  nebst  einer  jährlichen  Apanage  von  ÖUOÜ 
Thalem  überwiesen.  Als  Rudolf  August  den  älteren  seiner 
Brüder  später  zum  Mitregenten  annahm,  drang  Ferdinand 
Albrecht  auf  Erhöhung  seiner  Apanage  und  setzte  es  durch, 
dal's  ihm  selbst  während  seiner  Lebenszeit  die  Smume  von 
12  000  Thalern  jährlich  und  nach  seinem  Tode  seinen  Kin- 
dern 4Ü00  Thaler  jährHch  ausgeworfen,  auch  das  Dekanat 
bei  St.  Blasien  in  Braunschweig  überti*agen  und  zweieu 
seiner    Sohne    die    dem    Brauuschweiger   Hause   am    Dom-] 


Rudolf  August.    Streit  um  Kogeastein. 


m 


kapitel  zu  Strafsburg  zastehenden  KanoBikate  überlaesen 
■wurden. 

Bei  der  Persönlichkeit  Rudolf  Augusts,  bei  der  Ab- 
neig:ung,  die  er  iür  die  Regierungsgeschäfte  empfand,  der 
Unlust,  die  ihn  vor  aller  fürstlichen  Repräsentation  erfüllte, 
ist  CS  nicht  auffallend,  dafs  er  sich  alsbuld  uuch  der  Über- 
nähme  der  Regierung  nach  eiuer  Ilihc  umsah^  nach  einer 
Stütze,  auf  deren  Schullern  er  die  ihm  unbequemen  Auf- 
gaben des  Regenten  abwälzen  konnte.  Er  fand  diese  in  dem 
begabteren  jüngeren  Bruder ,  dessen  Überlegouheit  er  als 
Knabe  und  Jüngling  so  häutig  gefühlt  und  bereitwillig  an- 
erkannt hatte.  Schon  16ti7  ernannte  er  Anton  Ulrich  zum 
Statthalter  und  feierte  diese  Ernennung  durch  die  Prägung 
mehrerer  Medaillen.  Seit  dieser  Zeit  war  der  Kintluls,  den 
der  unruhige,  ehrgeizige,  dem  älteren  Bruder  an  Geist  und 
"Willenskraft  überlegene  Auton  Ulrich  auf  die  Regierung  ge- 
wann, in  stetem  Wachsen  begriffen,  und  es  war  nur  der 
äufsere  Ausdruck  dieses  Verhältnisses,  dafs  er  im  Jahre 
1085  in  aller  Form  zum  Mitregeuten  von  seinem  Bruder 
erhoben  wurde.  Über  fünfzehn  Jahre  lang  blieb  er  die 
eigentliche  Seele  der  Regierung,  und  selbst  als  dann  infolge 
der  Übertragung  der  neunten  Kur  auf  die  Liineburger  Linie 
und  anderer  Ereignisse  die  Wege  beider  Brüder  sich  trenn- 
ten, vermochte  der  ältere  sich  niclit  dem  beherrschenden 
Einflüsse  des  jüngeren  völÜg  zu  entziehen. 

Im  Jahre  1671  ward  die  Burg  Regenatein  am  Harze  mit 
den  dazu  gehörigeja  Dörfern,  welche  wäluend  der  Wirren 
des  dreifsigj ährigen  Krieges  von  dem  Erzherzoge  Leopold 
Wilhelm  in  seiner  Eigenschaft  als  Bischof  von  Ualbcrstadt 
dem  Grafen  von  Tättenbach  verliehen  worden  war,  dadurch 
erledigt,  dafs  dessen  Nefle  Johann  Erasmus  von  Tättenbach 
als  Hoch  Verräter  und  Verschwörer  gegen  den  Kaiser  zu 
Graz  auf  dem  Blutgerüste  endete.  Die  Herzöge  von  Braun- 
Bchweig,  als  die  rechtmäfsigen  Lehnsherren,  hatten  im  Jahre 
1644  jene  Belehnnng  zwar  anerkannt,  sich  aber  die  Lehns- 
hoheit  über  diese  rogeusteinscheu  Stücke  ausdrücklich  vor- 
behalten und  diese  war  auch  durch  den  westfälischen  Frie- 
den, der  das  Hochstil't  Halberstadt  dem  KuHursten  von 
Brandenburg  zusprach,  bestätigt  worden.  Trotzdem  nahm 
jetzt  Brandenburg  von  dem  regenstein  sehen  Erbe  mit  Gewalt 
Besitz  und  wufste  sich  in  diesem  ungeachtet  des  Wider- 
ijjniches  des  Braunschweiger  Hauses  und  eines  zu  dessen 
Gunsten  im  Jahre  1697  gefällten  Urteils  des  Reichskammer- 
gerichtes zu  behaupten.  Daftir  gelang  den  Herzögen  in  dem 
nämlichen  Jahre,  in  welchem  jener  Heimfall  stattfand,  eine 


116 


Erste§  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


andere  Unternehmung,  an  der  die  Macht  ihrer  kriegerißch- 
sten  Vorfahren  bislang  gescheitert  war.  Efi  ist  dies  für  die 
innere  Geschichte  des  Landes  das  wichtigste  Ereignis  der 
Regier ungaz ei t  Rudolf  Augusts:  die  Unterwerfung  der  Stadt 
Braunschweig  unter  die  landesherrliche  Gewalt. 

F^raunschweig  war  noch  immer  im  Geearatbesitze  dea 
ftlrstiichen  Hauses.  Herzog  August  d.  J.  hatte  zwar  bei 
den  Verhandlungen  über  die  Teilung  def»  Erbes  von  Eried- 
rieh  Ulrich  den  Alleinbesitz  der  Stadt  für  sich  in  Anspruch 
genommen,  jedoch  nur  erreichen  können,  dais  ihm  die  eine 
Hälfte  abgetreten  ward,  während  die  andere  in  der  Hand 
seiner  Lüneburger  Vettern  verblieb.  Nicht  allein  während 
seineb  gezwungenen  Aufentlialtes  in  Braunschweig,  sondern 
auch  späterj  als  er  sein  Hoflager  nach  WolfenbUttel  verlegt 
hatte,  ist  er  redlich  bemüht  gewesen,  mit  der  Stadt  ein  er- 
trägliches Verhältoia  herzustellen.  Aber  noch  lebte  in  ihr 
der  alte,  störrige  Troiz.  Hartnackig  verweigerte  sie  ihm  die 
Huldigung,  und  ao  milde  und  nachgiebig  er  sich  auch  in 
seinen  Ansprüchen  zeigte,  so  hochfahrend  und  herausfordernd 
traten  ihm  Rat  und  Bürgerschaft  entgegen.  Er  starb,  ohne 
dafs  sich  die  Stadt  zur  Huldigung  bequemt  hätte.  Sein 
Nachtolger  Rudolf  August  trat  von  vornherein  entschiedener 
gegen  sie  auf,  verweigerte  ihr  namentlich  die  Belehnung  mit 
den  Gerichten  Eich  und  Wendhausen.  Dann  knüpfte  er, 
wohl  auf  Antrieb  seines  Bi*üders  Anton  Ulrich,  mit  den 
übrigen  Stammes  vettern  Unterhandlungen  an.  Zu  Burgwedel 
kam  man  zusammen  und  einigte  sich  zu  einem  gemein- 
samen Vorgehen  gegen  die  Stadt.  Diesmal  handelten  die  so  oft 
zwieträcbtigen  und  auf  einander  eifersüchtigen  MitgUeder  des 
Fürstenhauses  mit  merkwürdiger  Einigkeit.  Hannover  so- 
wohl wie  Celle  verzichteten  auf  den  Anteil  an  der  Stadt, 
den  sie  zu  fordern  hatten,  und  überliefsen  ihre  Ansprüche 
der  Wolfenblittler  Linie.  Nachdem  man  sich  so  über  die 
Beute  geeinigt  hatte,  galt  es  sie  zu  machen.  Denn  noch 
war  die  Stadt  weit  davon  ontiemt,  sich  zu  unterwerfen.  Die 
Aiülordenmg  der  Fürsten,  eine  Besatzung  aufzunehmen  und 
dem  Wolfenblittler  Herzoge  die  Huldigung  zu  leisten,  wies 
sie  entschieden  zurück.  Da  erschien  in  den  letzten  Tagen 
des  Mai  1671  das  Heer  der  verbündeten  Fürsten,  20000  Mann 
stark,  unter  dem  Oberbefehl  des  Lüneburger  Feldmarschalls 
Grafen  Georg  Friedrich  von  Waldeck  vor  den  Wällen  der 
Stadt.  Der  Rat  erschrak,  als  er  den  Ernst  der  Sache  er- 
kannte. Die  ganze  Besatzung  bestand  aus  220  Mann  unter 
dem  Major  Beckmann,  die  Zeughäuser  standen  leer,  es  fehlte 
selbst  an  der  notwendigen  Munition.    Völlig  ungerüstet  hatte 


Uuterirerfuiig  Braun^cbnoigs 


117 


man  sich  überraschen  lassen.  Dazu  kam  das  Milstrauen 
und  tler  Hals  der  Bürgei*schaft  gegen  den  Rat,  der  die 
Stadt  durch  seine  liederliche  Verwaltung  tief  in  Schulden 
gestürzt  hatte.  Von  einem  Aufschwung  patriotischer  Ge- 
sinnung, wie  er  bei  trüberen  Belagerungen  sich  geltend  ge- 
macht hatte,  zeigte  sich  nicht  die  geringste  Spur.  Die  liilte, 
die  mau  in  aller  Eile  von  dem  Kaiser,  von  Schweden,  den 
Hansestädten  und  von  Holland  erbat,  mufstCj  weuu  sie  über- 
haupt gewährt  ward,  unter  diesen  Umständen  jedenfalls  zu 
E)ät  kommen. 

Am  31.  Mai  a.  St.  begann,  als  der  Rat  noch  immer 
kcOgerte,  sich  und  die  Stadt  zu  unterwerfen,  die  Beschiefsung 
der  letzteren  durch  das  zahlreiche,  bis  nahe  an  die  Wälle 
herangeschobene  Geschütz  der  Herzoglichen.  Einem  sol- 
chen Angriffe  gegenüber  und  bei  der  geachildcrten  Lage  der 
Dinge  konnte  die  Verteidigung  nur  matt  sein.  Sie  ward 
dui'ch  die  jetzt  oÖfen  ausbrecliende  Zwietracht  im  Inuern 
der  Stadt  noch  mehr  gescliwächt.  Bald  forderte  die  Bürger- 
schaft Ergebung  und  drohete,  falls  der  Rat  länger  auf  der 
Verteidigung  der  Stadt  bestände,  auf  eigene  Hand  mit  dem 
Herzoge  zu  verhandeln.  „Dies  war  der  letzte  Stofs",  sagt 
der  Bürgermeister  Gerecke  in  seiner  Chronik  der  Stadt 
Braunschweig,  „durch  welchen  Senatua  bewogen  wurde, 
Hand,  Mund  und  Herz  sinken  zu  lassen."  Am  6.  Juni  er- 
schienen im  herzogbchen  Lager  zu  Riddagshausen  Abge- 
ordnete des  R^iteä,  der  Gilden  und  der  Bürgerschaft,  um 
mit  den  Fürsten  wegen  der  Übergabe  der  Stadt  zu  unter- 
handeln. Nach  viertägigem  Hin-  und  Herreden  kam  am 
10.  Juni  eine  Kapitulation  zustande,  durch  welche  sich  die 
Stadt  dem  fürstlichen  Hause  Braunschweig  -  Wollenbüttel 
unterwarf  Der  Herzog  versprAch  ihr  die  Erhaltung  der 
lutherischen  Religion,  machte  ihr  einige  unbedeutende  Zuge- 
ständnisse inbezug  auf  die  Münzgerechtigkeit j  die  Jagd 
innerhalb  des  Stadtgebietes,  die  Besetzung  der  städtischen 
PfaiTCu,  sowie  die  ZoUfreiheit  im  Lande  und  gewährte  eine 
allgemeine  Amnestie.  Dann  rückte  am  12.  Juni  das  Regi- 
ment Stauffeji,  3  000  Mann  stark,  in  das  Eallersleber  Thor 
und  besetzte  die  Wälle,  ihm  iolgten  fünf  andere  Kogimenter, 
und  drei  Tage  später  nahm  der  Herzog  die  Huldigung  der 
Stadt  entgegen.  Alsbald  wurden  die  übrigen  Streitpunkte,  über 
welche  sich  die  Kapitidation  nur  in  unbestimmten  Aus- 
drücken äufsertc,  geregelt.  Was  den  Güterbesitz  der  Stadt 
aulangt,  so  wurde  die  Verwaltung  des  sogenannten  grofaen 
Arars,  worunter  mau  aufser  den  Mühleu,  den  Thor-  und 
Brückengeldern  und  anderen  städtischen  Einnahmeu  das  Gut 


m 


Erstes  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


Wcndhauscn ,  das  Gericht  Eich,  Schandeiah  und  Vecheldo 
verstiiud ,  einer  StadtkomiiiisßioD  üljergeben,  welche  unter 
dem  HerKoge  stand  und  später  (l7:il)  mit  der  herzoglichen 
Kammer  vereinigt  worden  ist  Die  Regierung  übernahm 
damit  die  Regelung  des  sUldtischen  Finanzweeens  und  die 
Tilgung  der  bedeutenden  städtischen  Schulden.  Durch- 
greifender noch  als  diese  Mafsregcl  war  die  von  dem  Jler- 
zoge  vorgenommene  Umgeetaltung  des  Stadtregimeuts.  Die 
Stadtmagistrate  der  fünf  Weichbilder  wurden  in  einen  zu- 
sammengezogen, die  Zahl  der  Burgermeister  von  vierzehn 
auf  vier,  der  Kämmerer  von  elf  aut  vier,  der  Ratsherren 
von  einunddreifsig  auf  acht  verringert.  Die  Belugnisse 
dieses  neuen  Magistrats  waren  selbalvorständlich  äulaerst  be- 
schränkt. Sie  erstreckten  sich  wesentlich  nur  auf  die 
Verwaltung  des  kleinen  Arars  und  auf  die  niedere  Gerichts- 
barkeit in  weltlichen  Sachen.  Denn  die  geistliche  Gerichts- 
barkeit ward  dem  herzoglichen  Konsistorium  in  Wolfeu- 
büttel  übertragen.  Vier  Jahre  endlich  nach  der  Unter- 1 
werfung  der  Stadt  geschah  die  Aulbebung  des  Sachsen- 
rechtes  und  aller  sicli  darauf  gründenden  Statute  und  Ge- 
wohnheiten. Damit  war  die  Vernichtung  der  bisherigen 
Sonderstellung  Braunschweigs  den  übrigen  Städten  des  Lan- 
des gegenüber  vollendet,  W&a  vor  beinahe  zwei  Jahr- 
hunderten Herzog  Ileinrieh  d.  A.  begonnen  hatte,  ein  Unter- 
nehmen, woran  die  grofsen  Eigenschaften  der  iUliigstcn  und 
hervorragendsten  Fürsten  des  welfischon  Hauses  sich  ver- 
gebens versucht  hatten  j  das  gelang  dem  keineswegs  ii 
durch  bedeutende  Herrsch  ergaben  ausgezeichneten  Rudolf  ^M 
August  fast  ohne  Muhe.  Indern  die  Stadt  ihre  Selbständig-  ^^ 
keit  verlor,  hatte  sie  den  Kreislauf  ihrer  eigentümlichen  ge- 
schichtlichen Entwickelung  vollendet-  Sie  war  unter  die 
Botmäfaigkeit  des  Fürstenhauses  zurückgekehrt,  dem  sie  ihr 
erstes  Aufblühen  verdankte,  dem  sie  dann  später  ein  Recht 
nach  dem  anderen  abgetrutzt  hatte,  ohne  es  jedoch  daliin 
bringen  zu  können,  dals  ihre  Unabhängigkeit  von  ihm  an- 
erkannt und  das  Ziel,  wonach  sie  strebte,  die  Retcbstreiheit,  ^^ 
erreicht  worden  wäre.  ^M 

Nach  der  Unterwerfung  Braunschweigs  erfolgte  gemäla  ^" 
den  früher  unter  den  Siegern  getroffenen  Verabredungen 
der  Ausgleich  inbezug  auf  ihre  verschiedenen  Ansprüche 
auf  die  gedemütigle  Stadt.  Sie  ward  nebst  den  Stiftern 
St.  Blasii  und  St.  Cyriaci,  welche  bisher  als  gemeinsames 
Eigentum  des  fürstlichen  Hauses  betrachtet  waren ,  dem 
I^erzoge  Rudolf  August  zu  alleinigem  Besitze  überlassen, 
welchem  nufserdezn  von  den  Stammesvettcrcv  d\e  Witev  Wal- 


ReichspoUtik  des  Broun scliweJger  HaoM*. 


119 


cenried  abgetreten  ward.  Dagegen  verziebtctc  er  zugun- 
l^en  Georg  Williolms  von  Celle  auf  die  fünf  dannenbergischcn 
Imter  (Dannenberg,  Hit/^icker,  Lüchow ,  Wustrow  und 
Ißchamebcck)  und  überlief«  an  Jobann  Friedrieb  von  Han- 
lnovcr  den  reichen  Kirchenschatz  von  St.  Blaaienj  welchen 
leinrieh  der  Lowe  gröfstenteila  einst  aus  dem  heiligen 
IXande  nach  Brauuacliweig  gebracht  hatte.  Für  seine  An- 
laprüche  auT  die  danneubergischen  Amter  wurde  Johann 
liFriedrich  aufserdem  von  seinem  Bruder  Georg  Wilhelm 
iurch  die  Abtretung  der  Vogtei  Ilten  (des  kleinen  Freien), 
I.  h-  der  Dörfer  Wülfel,  Döhren  und  Lätzen  schadlos  ge- 
ilten. 

Die  Einmütigkeit,  welche  die   verschiedenen  Linien   des 
l3raun Schweiger  Hauses,  ja   seine   sämtlichen  Mitglieder   bei 
'der  Niederwerfung  und  Demütigung   der  einst   so    ti*otaigen 
Hansestadt  gezeigt    hatten,   war    die  Frucht   einer   wohler- 
wogenen Politik,  die  sich  nicht  nur  bei  dieser   inneren  An- 
kgciegenlieit  als  erfolgreich  erwies,  sondern  sich  auch  in  den 
lAllgemeinenj    so   vielfach    verflcMiingenen   Verhältnissen    des 
flteiches    und    seiner  Beziehungen    zum    Auslande   bewährte. 
l'TV'ir  wissen,  in  welchem  Zustande  politischer  Ohnmacht  und 
[wirtschaftlicher  Erschöpfung  der  Krieg   das  Braunschweiger 
l^aus  zurückgelassen  hatte.    Nur  wenn  seine  einzelnen  Zweige 
Vden  alten  Hader,   der   sie   so   oft    entzweiet    hatte,    beiseite 
liegten ,  wenn  sie  gute  Beziehungen  zu  einander  ptiegten  und 
Iwenn  sie  namentlich   in    den  Reichsangelegenheiten   eich    au 
üncr    genieiiiBaraen    Politik   vereimgtea ,    durften  sie   hotien, 
sich  aus  dieser  Schwäche  wieder  emporzuai'beiten  und   ihre 
Stellung  den  Nachbaren ,   dem   Reiche    und    dem    Auslande 

tegenüoer  wieder  zu  Ehren  zu  briugcn.  Es  war  im  Grunde 
erselbe  Gedanke,  den  schon  Geoi^  von  Lüneburg  verfolgt 
und  zu  seinem  politischen  Programm  erhoben  hatte:  Zu- 
sammeuschluis  aller  Linien  des  Hauses,  um  durch  einmütiges 
Handeln  eine  achtunggebietende  Stellung  im  Reiche  und 
selbst  einen  gewissen  Eioäufs  auf  dessen  Beziehungen  zu 
den  nichtdeutschen  Mächten  zu  gewinnen.  Alle  Bemühungen 
der  Staatsmänner  in  Wolfenbüttel,  Celle  und  Hannover  sehen 
wir  nach  dem  Kriege  auf  dieses  Ziel  gerichtet.  Das  Ergeb- 
nis dieser  ebenso  mafsvollen  wie  verständigen  Politik  war 
zunächst  das  am  14.  Februar  1652  zwischen  den  wellischen 
l_^erzögen,  dem  Landgrafen  von  Hessen  -  Kassel  und  den 
Bchwedischen  Herzogtümern  Bremen  und  Verden  abge- 
schlossene Hildesheimer  Bündnis,  welches  den  Zweck  ver- 
( folgte,  zur  Durcliiuhruog  der  Bestimmungen  des  wci^tfök^^R.^üi'ft. 
Friedens  den  gesamten   niedersächsisckeu  ^tcas   -cw    ^^vösmx- 


120 


Eratee  BacK.     Dritter  Abschnitt 


samem  Handeln  zu  vereinigen.  Dieser  Versuch  ^  die  alte 
Form  der  Kreiaeiming  neu  zu  beleben,  hatte  freilich  keinen 
nennenswerten  Erfolg ,  aber  es  war  doch  nicht  olme  Be- 
deutung ,  dals  nicht  allein  hei  dieser  Gelegenheit^  sondern 
auch  bei  den  folgenden  Bemühungen  einzelner  protestan* 
tischer  wie  kathol^cher  Reichsstände,  die  Grundlage  für  eine 
neue  Organisation  der  Reichsverfassung  zu  schaffen ,  das 
Brauuscliweiger  Haus  in  geschlossener  Einmütigkeit  stimmte 
und  handelte.  Es  geschah  dies  auch  bei  den  Verhand- 
lungen über  den  sogenannten  rheinischen  Bund  (Dezember 
1G57),  welchem  die  sämtlichen  Braun  Schweiger  Fürsten  bei- 
traten. Dieser  bereits  von  seinem  Vater  befulgten  Politik  hat 
auch  Rudolf  August  während  der  ersten  Jahrzehnte  seiner 
Regierung  gehuldigt,  freilich  mit  derselben  Vorsicht  und 
Zurückballimg,  die  schon  der  Vater  beobachtet  hatte.  Der 
Grundgedanke  seines  politischen  Handelns  war  die  Aulrecht- 
erhaltuDg  des  westtäJiachen  Friedens,  die  Sicherung  des 
Kelches  vor  jeder  fremden  Einmischung,  die  Zurückweisung 
aller  gegen  seinen  Bestand  gerichtetca  Eroberungsgel üste. 
Von  diesem  Gedanken  erl^ilt,  schlofa  er  in  Gemeinschait 
mit  seinen  Lüneburger  Stammesvettem ,  als  Ludwig  XIV. 
von  Frankreich  1672  der  Republik  Holland  den  Krieg  er- 
klärte, mit  dem  Kaiser,  Dänemark,  Brandenburg  und  Hessen- 
Kassel  in  Braunschweig  zur  Abwehr  des  frevelhaften  fran- 
züsiBchen  Angriffs  ein  Bündnis,  wonach  er  sich  verpÜichtete, 
1000  Mann  Infanterie  und  400  Reiter  zu  dem  Feldzuge 
gegen  Frankreich  zu  stellen.  Diese  Truppen  lochten  unter 
dem  Befehle  von  RudoJf  Augusts  Eidam,  dem  Herzoge  von 
Holstein- Ploen,  gegen  Tureaue  mit  Auszeichnung  in  dem 
Treffen  von  Enzheim  (4.  Oktober  1674)  und  halfen  unter 
Georg  Wilhelm  von  Celle  am  11.  August  1675  an  der  Conzer 
Brücke  den  Sieg  über  den  Hwschall  Crequi  erringen,  der 
den  Fall  von  Trier  zur  Folge  hatte.  In  den  folgenden 
Jahren  lt)76  und  1677  beteiligten  sie  sich  au  dem  Feldzuge 
gegen  die  Schweden,  die  Bundesgenossen  Frankreichs,  und 
wirkten  mit  bei  der  Eroberung  von  Stade  und  Stettin.  In 
dem  am  5.  Februar  1(170  zu  Celle  geschlossenen  Frieden 
mulste  Schweden  gegen  die  Zurückgabe  der  ihm  entrisseaen 
Plerzogtümer  Bremen  und  Verden  das  Amt  Thedinghausen 
und  die  Vogtei  Dörverden  an  die  Braunschweiger  Herzöge 
abtreten  und  auf  die  Einkünfte,  die  es  bisher  aus  den 
Grafschaften  Hoya  tmd  Diepholz  gezogen  hatte,  verzichten. 
Rudolf  August  trug  als  Gewinn  aus  diesem  Kriege  einen 
Teil  des  Amtes  Thedinghausen  davon.  Auch  an  dem  Feld- 
augo  gegen  die  Türken  im  Jahre  1685,  an  dera  glänzenden 


Imugen  wegen  Lauenburgs  und  der  neunsten  Kur. 


121 


Siege  bei  Gran  und  der  Bezwingung  von  Neuhäusel,  sowie 
an  dex  Belagerung  und  Eroberung  von  Mainz  im  Jahre 
1689  nahmen   Woli'enbiittler  l'ruppen  teil. 

Das  gute  Verhältnis,  welches  bislang  unter  den  Fürsten 
des  braunschweigischen  liauses  —  mit  einziger  zeitweiliger 
Ausnahme  des  Herzogs  Johann  Friedrich  von  Hannover  — 
bestanden  hatte ,  erfuhr  während  der  letzten  Regierungs- 
jahre Rudolf  Augusts  eine  unliebsame  Trübung.  Die  Er- 
werbung des  Herzogtums  Lauenburg  durch  Celle  sowie  die 
Erlangung  der  Kurwiirde  durch  Hannover  führten  zu  ernst- 
haiten  Zwistigkeiten  zwischen  der  älteren  Wolfenbüttler  und 
der  jüngeren  Lüneburger  Linie.  Es  war  weniger  der  ruhige, 
bescheidene  Rudolf  August,  der  sich  durch  das  Glück  und  die 
Erhebung  des  jüngeren  Hauses  gekränkt  und  zurückgesetzt 
fUbltc,  als  der  ehrgeizige,  hochsd-ebende  Anton  Ulrich.  Er 
Uefa  nicht  ab ,  gegen  die  Verleihung  der  Kur  an  Ernst 
August  bei  dem  Kaiser,  den  Reichsstitnden,  ja  bei  den  aus- 
wärtigen Mächten  Protest  zu  erheben  und  wufstc  den  älteren 
Bruder,  den  er  vollständig  beherrschte,  aut'  der  gefährlichen 
Bahn  mit  fortzureifsen,  die  or  ia  seiner  unbesonnenen  Lei- 
denschatl  betrat  AU  zu  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts 
sich  der  grofso  Krieg  vorbereitete,  der  über  das  Schicksal 
der  spanischen  Monarchie  entscheiden  sollte,  vermehrten  die 
Brüder  mit  französischer  Unterstützung  ihr  Heer  in  so  auf- 
fallender Weise,  dafs  der  Verdacht  einer  beabsichtigten  kriege- 
rischen Unternehmung  gegen  die  celle  -  hannövrischen  Län- 
der, sobald  der  Krieg  ausgebrochen  sein  würde,  nahe  lag. 
Vergebens  waren  die  Warnungen  und  Abmahnungen  des 
Kaisers,  Wilhelms  von  England  und  des  Brandenburger 
Hofes.  Da  erfolgte  nm  18.  Februar  17Ü2  ein  kaiserliches 
Mandat,  das  den  Herzog  Anton  Ulrich  seiner  Mitregent- 
öchaft  entsetzte,  und  wenige  Wochen  später  (Ende  März) 
rückten  hannövrische  und  cellische  Truppen  in  das  Herzog- 
tum Wolfenbüttel  ein,  entwaffneten  die  in  verzettelten  Stand- 
lagern zcrstrcneteo  Wolfenbüttler  Regimenter  und  schlössen 
die  Städte  Braunschweig  und  Wolfenbüttel  ein.  Anton  Ul- 
rich floh  aus  dem  Lande  nach  Gotlia,  Rudolf  August  aber 
mufste  sich  am  1 9.  April  17u2  zu  Braunschweig  einem 
Vergleiche  fügen,  in  welchem  er  seinen  Vettern  in  Celle  und 
Hannover  eineu  Teil  seiner  Truppen  überlief»,  eine  baldige 
Beilegung  der  schwebenden  Streitigkeiten  zusagte  und  die 
Entfernung  seines  Bruders  als  Mili*egent  versprach,  falls 
dieser  dem  Vertrage  seine  Anerkennung  versagen  sollte. 
Diese  erfolgte  bereits  am  J6.  Mai  1702.  Ein  Jahr  darauf 
82.   April    1703)   wurden   dann   durch   den   Celler   Vertrag 


t^ 


Ersten  Buch.     Dritter  Abschnitt 


bliese  Irrungen  dabin  beigelegt,  dafs  die  Wollenbüttler  Brü- 
der die  bevorstcbende  Vereinigung  der  Fürstentümer  Celle 
nnd  Hannover  zu  einem  nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt 
eicb  vererbenden  Lande  samt  der  darauf  ruhenden  Kur- 
würde anerkannten.  Ihre  Ansprüche  auf  das  Herzogtum 
JLauenburg  wurden  durch  die  Abtretung  des  Amtes  Campen 
■abgefunden.  ^m 

So  wenig  sich  Rudolf  Auguät  der  Erkenntnis  vei-schliefsea  ^B 
konnte ,  dafa  er  diese  politische  Niederlage  wesentlich  den  ^ 
Ratschlägen  des  jüngeren  Bruders  zu  danken  habe,  so 
wenig  vermochte  er  selbst  jetzt  sieh  dem  Bann  zu  entziehen, 
den  dessen  geistige  Überlegenheit  auf  ihn  ausübte.  Wohl 
bezeichnete  er  ihn  als  den  Urheber  des  Unglücks,  welches 
das  Land  betroffen,  aber  auch  für  den  Rest  seiner  Regie- 
rungBzeit  blieb  Anton  Ulrichs  Einflufs  für  ihn  mafsgebend, 
wie  er  dies  bislang  gewesen  war.  Selbst  auf  dem  kirch- 
lichen und  religiösen  Gebiete  trat  dies  hervor.  Der  fromme 
ficldiehte  Sinn  Rudolf  Augusts  neigte  sieh  dem  Pietismus  zu. 
Mit  einem  der  Hauptvertreter  dieser  Richtung,  mit  Philipp 
Jakob  Spener,  hat  er  gute  Beziehungen  gepflegt  uud  mehr- 
fach Briefe  gewechselt.  Trotzdem  Hefa  er  sich  von  dem 
anders  gesinnten  Bruder  bestimmen,  gegen  die  „Sektareyen" 
ein  scharfes  Edikt  zu  erlassen,  infolge  dessen  eine  Anzahl 
pietistischer  Geistlichen  ihre  Stellen  verloren.  Immer  mehr 
zog  er  sich  von  den  Hegierungsgeschäften  zurück  and  über- 
liefe diese  dem  vielgeachiiftigen  Bruder.  Sein  Licblings- 
auienthalt  während  der  letzten  Jahre  seines  Lebens  war 
das  abseit  von  dem  Treiben  der  Welt  gelegene  Lustschlofs 
Hedwigsburg.  Hier  Tühi-te  er  ein  stilles,  den  Studien  ge- 
widmetes Leben,  das  nur  bisweilen  durch  eine  fröhliche 
Jagd  unterbrochen  ward,  die  er  leidenschaftlich  liebte.  Hier 
ist  er  auch  am  26.  Januar  1704,  fast  siebenundsiebenzigjährig^ 
gestorben ,  fromm  und  gottei^hen ,  „  gar  sanH:  uud  ohne 
Zuckung  einiges  Gliedes".  Wie  er  es  angeordnet,  ward  er 
in  einem  schlichten  taunenen  Sarge  zu  St.  Blasien  in  Braun- 
echweig  begraben.  Zweimal  ist  er  vermahlt  gewesen,  zuerst 
mit  Christiane  EUsabeth,  einer  Tochter  des  Grafen  Albrecht 
Friedrich  von  Barby,  dann  iu  morgauatischer  Ehe  mit  Ro- 
ßine Elisabeth  Meuthe  (Madame  Rodolphiue),  der  Tochter 
eines  ehrlichen  Mindener  Bürgers.  Da  er  aus  jener  Ehe 
nur  Töchter,  aus  dieser  aber  gar  keine  Nachkommenschaft 
binterliefs,  so  hatte  er  den  ältesten  Sohn  seines  Bruders  Anton 
Ulrich,  August  Wilhelm,  adoptiert,  der  sich  mit  seiner  zwei- 
ten Tochter  Christine  Sophie,  bisher  Äbtissin  von  Ganders- 
heim    im  Jahre  1681  vermählte.    Zunächst  folgte  ihm  jedoch 


Das  Lüneburger  H&ma. 


123 


in  der  Regierung  sein  bereits  einundsieben  zig  Jahre  alter  Bru* 
der  Anton  Ulrich. 


Wenn  der  ältere  Zw«g  des  braunschweieischen  Fürston- 
hauses  Mittel  und  W^:e  fand,  sich  innerhalb  der  nächsten 
fonizig  Jahre,  welche  dem  grofsen  deutschen  Kriege  folgten, 
in  langsamem  aber  stetigem  Fortschritt  wieder  zu  grüfseiem 
An.sehen  emporzuheben  und  den  Wohlstand  des  ihm  zuge- 
fallenen Landes  einigermaläen  wieder  herzustellen,  so  gelang 
der  jüngeren  Lüneburger  Linie  in  diesem  Zeiträume  Grüfae- 
res.  Nicht  nur  dafa  sie  den  Zutritt  zu  den  mächtigsten 
mid  bevorzugtesten  Fürstengeschlechtem  des  Reiches  er- 
langte, sie  gewann  auch  durch  eine  gllickUche  Heirat  die 
Aussicht  aul  eine  kUntHgo  weltbeherrscheude  Stellung.  Zu- 
nächst zwar  drängten  auch  hier,  in  den  Landschaften  Lüne- 
burg und  Calenberg,  die  augenblickUche  Not  und  das  herr- 
schende Elend  alle  weitergehenden  ZukuntUpläne  in  den 
Dintcrgrund.  Nicht  minder  schrecklich  als  im  Fürstentume 
Wolfenbüttel  hatte  der  Krieg  auch  in  diesen  Gegenden  ge- 
haust, und  es  bedurfte  einer  harten,  angestrengten  Arbeit, 
um  nur  erst  die  offenbarsten  und  verderblichsten  Folgen 
desselben  zu  beseitigen.  Aber  es  war  doch  schon  für  die 
künftige  Machtstellung  des  regierenden  Hauses  ein  glück- 
verheifsender  Anfang,  dafs  in  demselben  Jahre,  da  der  west- 
ialische  Friede  den  Abgrund  des  Krieges  schlofs,  die  Wie- 
dervereinigung der  beiden  Fürstentümer  erfolgte.  Am 
10.  Dezember  16-48  starb  der  letzte  der  sieben  Brüder,  die 
einst  jenen  denkwürdigen  Vertrag  über  die  Unteilbarkeit 
ihres  väterlichen  Erbes  geschlossen  hatten  (S.  50),  Herzog 
Friedrich  von  Lüneburg.  Unvermühit,  wie  er  gleich  seinen 
sämtlichen  Brüdern  mit  Ausnahme  Georgs  dem  vereinbarten 
Vertrage  zufolge  geblieben  war,  hinterliefs  er  keine  Nach- 
kommenschaft Das  Land  Lüneburg  fiel  demgemäfs  den 
Söhnen  des  Herzogs  Georg  zu,  von  denen  der  älteste,  Chri- 
stian Ludwig,  seit  164J  dem  Vater  bereits  in  Calenberg  ge- 
folgt war.  Einer  Vereinigung  aber  der  beiden  Fürsten- 
tümer standen  die  früher  (S.  97)  erwähnten  testamentarischen 
Bestimmungen  des  Herzogs  Georg  entgegen,  und  diese  Be- 
stimmungen hatten  vor  zwei  Jahren  erst  durch  einen  zwi- 
schen seinen  beiden  ältesten  iSohnen,  Christian  Ludwig  und 
dem  freilich  noch  minderjährigen  Georg  Wilhehn,  abge- 
schlossenen Vertrag  (10.  Juni  1646)  eine  feierliche  Aner- 
kennung und  Bestätigung  gefunden.  Ihm  gemäfa  sollte  nach 
dem    Anfall    des    Fürstentums   Lüneburg   (Ceüe)    Christian 


124 


Ente»  Buch      Dritter  Abschnitt 


Ludwig  binnen  vierzehn  Tagen  seine  Wahl  zwischen  den 
beiden  Fiirsteutüiuern  treffen,  Georg  Wilhelm  aber  sofort 
die  Regierung  des  uichtgewählteQ  von  ihnen  übernehmen. 
Cbristian  Lndwig  wählte  Lüneburg  und  traf  bereits  am 
23.  Dezember  1618  in  seiner  neuen  Residenzstadt  Celle  ein. 
Die  siebenzehn  Jahre  der  Regierung  Cbristian  Ludwigs 
waren  vorwiegend  der  Sorge  gewidmet,  das  Land  dem  traa- 
rigcn  Zustande  zu  entreifsen,  in  den  es  der  Krieg  gestürzt 
hatte,  den  Handel  wieder  zu  beleben,  die  damiederliegenden 
Gewerbe  zu  heben,  kura  die  traurigen  Spuren  einer  langen 
verwildernden  Kritzelt  zu  tilgen.  Er  ist  in  diesem  Be- 
streben durch  seine  Räte,  von  denen  er  den  Statthalter 
Schenk  von  Winteretedt  und  den  Hofmarschall  von  Lenthe 
aus  Hannover  mit  nach  Celle  brachte,  treulich  unterstützt 
worden.  Seine  Wirksamkeit  war  eine  solche ,  von  der  ^i 
wenig  zu  berichten  ist,  die  sich  aber  als  in  hohem  Grade  ^H 
segensreich  erwies.  Nach  und  nach  gelang  es,  die  scfawe-  ^^ 
dischen  Besatzungen,  die  noch  immer  einige  Ortschaften^  na- 
mentlich Nieuburg,  festhielten,  loszuwerden,  nicht  ohne  ver- 
gleichsweise bedeutende  Geldopfer,  die  nach  den  Bestimmungen 
des  westfälischen  Friedens  für  die  Räumung  des  Landes  an 
Schweden  gezahlt  werden  niulsten.  Die  äufserste  Sparsam- 
keit in  dem  fürstlichen  Haushalte  schien  vonnöton,  um  den 
vielfachen  Ansprüchen,  welche  die  Wiederaufrichtung  des 
Landes  erforderte,  gerecht  zu  werden.  Dennoch  fanden  sich 
die  Mittel ,  Harburg  ausgiebig  zu  befestigen  und  dadurch 
das  Land  nach  einer  Seite  hin  zu  sichern,  wo  es  jetzt  durch 
die  Nachbarschaft  des  auf  der  Höhe  seines  kriegerischen 
Ruhmes  stehenden  Schwedens  am  meisten  gefährdet  ersclüen. 
Ohne  Mühe  und  im  Gegensatze  zu  den  ßraunsehweiger 
Herzugen  August  und  Rudolf  August  gelang  es  Ciiristian 
Ludwig,  die  bedeutendste  Handelsstadt  seines  Fürstentums, 
das  einst  so  mächtige  und  blühende  Lüneburg,  zur  Leistung 
der  Huldigung  zu  bewegen.  Der  böse  Kj*ieg  hatte  eben  dio, 
Widerstandsfähigkeit  dieser  alten  kampfesfrohen  HansestiLdt 
gründlich  gebrochen,  und  dies  kam  doch  nun  ^vieder  der  lang- 
sam erstarkenden  Füi'stcnmacht  zugute.  Die  Lüueburgei 
traten  ihm  sogar  nach  einigem  Stj'äub«n  den  ihre  Stadt  be- 
herrschenden Kalkborg  ab,  den  sie  einst  in  heifsen  Kämpfea 
seinen  Vorfahren  entrissen  hatten  und  der  nun  \vieder  vom 
Herzoge  befestigt  ward.  Die  Verminderung  der  SoMtruppen, 
die  er  den  Landatiinden  hatte  zugestehen  müssen  ^  die  ihm 
aber  doch  nicht  gefahrlos  für  das  Land  zu  sein  schien,  ver- 
anlafste  ihn,  eine  Mihz  zu  errichten,  die  er  in  drei  Reviere^ 
das  cellische,  gifhornsehe  und  lünebiirgische,  einteilte.    Spä- 


ChriBtiaa  Ludwig  und  Goorg  WiÜiclm. 


125 


ter  hat  er  dann  doch  seine  Truppenm&cht  wieder  vermehrt 
und  Bchliefslich  auf  4000  Mann  gebracht.  Mit  Vorliebe 
nahm  er  aa  ihren  Übungen  per8(>nlich  teil,  Überwachte  ihre 
Ausbiidun;;  and  unterhielt  mit  dem  Kurfürsten  von  Bran- 
denburg, den  er  sich  in  dicflen  militärischen  Bestrebungen 
Äum  Vorbilde  genommen  zu  haben  scheint»  einen  lebhaften 
Briefwechsel.  Auch  darin  folgte  er  dessen  Beispiele,  dafs 
er  die  lieclite  der  LandstUnde  möglichst  zu  beschränken  be- 
strebt war  und  so  dem  iUr&tHcbeu  Absolutismus  die  Bahn 
brach. 

Christian  Ludwig  starb  am  15.  März  1665.  Seine  Ge- 
mahlin, Dorothea  von  Uolstein-Glückaburg,  die  sich  später 
in  zweiter  Ehe  an  den  Kurfürsten  Friedrich  Wilhelm  von 
Brandenburg  verheiratete,  hatte  ihm  keine  Kinder  geschenkt. 
Er  wa.T  von  den  Söhnen  seines  Vaters  der  nm  wenigsten 
begabte»  aufgewachsen  noch  unter  den  Wirrsalca  des  Krie- 
ges, in  seinen  Sitten  und  Anschauungen  nicht  frei  von  der 
Rohheit,  die  dieser  bei  Hoch  und  Kiedrig  gezeitigt  hatte.  In 
der  ersten  Zeit  seiner  Regierung,  als  er  noch  in  Hannover 
Hof  hielt ,  hat  er  in  jugendlichem  Übermute  öfter  bei 
Nacht  und  Tag  Strafsen  und  Wälle  unsicher  gemacht  und 
bei  den  ehrsamen  Bürgern  der  Stadt  mancherlei  Ärgernis 
erregt  Später,  in  Celle,  ist  er  zwar  von  diesem  wüsten 
Treiben  mehr  und  mehr  zurückgekommen,  die  Pflichten  und 
Sorgen  der  Regierung  weckten  den  Ernst  in  seiner  Seele, 
trotzdem  bot  auch  dann  noch  sein  Hof  im  Gegensatze  zu 
demjenigen  seiner  Brüder  und  seiner  Wolfen büttler  Vettern 
das  Bild  einer  rohen,  verwilderten,  glücklicherweise  im  Ver- 
schwinden begriflfenen  Zeit  dar. 

Durch  die  Wahl  seines  älteren  Bruders  war  der  zweite 
Sohn  des  Herzogs  Georg,  Georg  Wilhelm,  im  Jahre  1G48 
in  den  Besitz  des  Fürstentums  CaJenberg-Göttingen  gelangt. 
In  ihm  kündigt  sich  von  allen  Fürsten  des  weifischen  Hauses 
zuerst  die  moderne  romanische  Lebensrichtung  an,  welche 
das  alte  treuherzige  und  setilichte,  freilich  auch  oft  rohe  und 
ungeschlachte  deutsche  Wesen  bald  völlig  verdrängen  und 
zu  unbeschränkter  Herrschaft  gelangen  sollte.  Georg  Wil- 
helm war  erst  zwanzig  Jahre  alt,  als  er  die  Regierung  des 
Landes  übernahm,  eine  frohgemute  Natur,  lieben swüi'dig, 
offen  und  leicht  sich  anschlielsend,  trotzdem  von  bemerkens- 
werter Treue  gegen  seine  Freunde  und  Verbündete  und  in 
seinen  Worten  von  unverbrüchlicher  Zuverlässigkeit.  Die 
fast  ununterbrochenen  Reisen,  auf  denen  er  seine  Jugend- 
jahre verbrachte  und  die  ihn  durch  alle  Länder  des  west- 
lichen und   südlichen  Europa   führten,    hatten   ihn   vor  den 


12« 


Erstes  Buch.    Dritter  Abacboitt. 


Eindrücken  dea  verwildernden  Kriege»  und  der  Rohheit  der 
Sitten,  die  ihn  begleitete,  bewahrt.  Von  diesen  Reisen  ist 
ihm  Zeit  seines  Lebens  eine  unbezwingliche  Sehnsucht  nach 
den  iarben prächtigen  Reizen  Italiens,  seinen  geselligen  und 
künstlerischen  Genüssen  zurückgeblieben.  Mehr  als  dem 
Lande  frommen  mochte,  dessen  Wohl  und  Wehe  in  sdne 
tiand  gelegt  war,  hat  er  eich  von  dieser  Leidenschaft  be- 
herrschen lassen,  die  Regierung  oft  jahrelang  seinen  Rjtfen 
und  Dienern  überantwortet,  um  in  Mailand  oder  Venedig 
seinen  Vergnügungeu  nachzugehen,  sich  in  dem  bunten,  aus- 
gelusseneu  Leben  der  Lagunenstadt  zu  berauschen,  f,  Ve- 
nedig*', schrieb  er  seinem  zur  Heimkehr  mahnenden  Hof- 
roarschall,  „Bteht  mir  je  länger  je  hesser  an,  ich  möchte 
wünschen,  dafs  ich  dem  Marschalk  könnte  Lust  machen  hier 
zu  kommen,  damit  er  mir  von  so  vielem  Wiedcrnachhause- 
zukommcn  nicht  schreibe."  Trotzdem  verdankt  ihm  neben 
seinem  jüngeren  Bruder  Ernst  August  Hannover  gröfsten- 
teils  seine  spätere  Alacht  und  Gröfae. 

Zu  Anfang  seiner  Regierung  beteiligte  sich  Georg  Wilhelm, 
rührig  und  aufgeweckt  wie  er  war,  lebhaft  an  den  Geschäften 
und  Beratungen  seines  Geheimen  Rates,  einer  Behörde,  die  er 
von  seinem  Vorgänger  in  dem  Kegimecte  übernommen  hatte 
und  deren  Seele  der  erfahrene  und  bewährte  Kanzler  Justua 
Kipius  war,  der  schon  seinem  Vater  mit  Auszeichnung  ge- 
dient hatte.  Allein  nur  zu  bald  wurden  ihm  diese  Regie- 
ruugsgeschäfte  mit  ihrem  oft  ermüdenden  Eingehen  auf  un- 
bedeutend erscheinende  Einzelheiten  verleidet,  die  Enge,  Be- 
schränktheit und  Einfiirmigkeit  dea  Lebens  in  der  kleinen 
Residenz  vermochte  seinen  leichtbeweglichen  Geist  nicht  zu 
fesseln,  seinem  verwöhnten  Geschmack  nicht  zu  genügen. 
Es  erwachte  in  ihm  mit  unwideratelilicher  Macht  die  Sehn- 
sucht nach  dem  schönen,  genui'sreichen  Süden.  Schon  im 
dritten  Jahre  seiner  Regierung  (l6öl)  ging  er,  unbekümmert 
um  die  Bitten  seiner  Mutter  und  die  Vorstellungen  seiner 
Räte,  nach  Italien.  Und  diese  wie  ähnUche  Reisen  in  das 
Ausland  wiederholten  sich  seitdem  in  kurzen  Zwischen- 
räumen, so  dafs  das  Land  bei  der  häufigen  Abwesenheit  des 
Herrschers  allzu  sehr  der  Waltung  der  iürstÜchen  Räte 
überlassen  blieb,  von  denen  später  der  Kammerpräsident 
von  Bülow  und  der  Geheime  KammeiTat  von  Gramm  als 
die  Hen*en  in  Blannover  schalteten.  Dafs  unter  solchen 
Umständen  die  Geschäfte  sich  nicht  immer  glatt  abwickelten, 
dafs  Stockungen  eintraten,  dafs  manches  geschah^  was  unter- 
bheben  wäre,  wenn  der  junge  Fürst  am  Platze  gewesen, 
leuchtet  ein.    Auch  fügte  sich  sein  herrischer  Sinn  trotz  der  i 


Sbuüästr^cli  Johann  Friedrichs. 


127 


Bcinen  Räten  erteilten  Vollmachten  nur  so  weit  ihren  An- 
ordnungen, als  sie  seinem  verschwenderischen  und  sorglosea 
Lehen  auL'serhalb  Landes  nicht  hemmend  in  den  Weg  tra- 
ten. Das  tichlimudte  aber  war,  dals  er  infolge  seiner  häu- 
figen Äbwesenlieit  und  seines  ausschlielalich  auf  die  Ver- 
gnügungen des  Tages  gerichteten  Sinnes  die  innigen  Be- 
KiehuDRen  zur  Heimat  verlor,  die  ihm  tatst  nur  noch  als  die 
Spenderin  der  Mittel  zur  Fortsetzung  sciucö  troiiÜcheu  Lebeu& 
von  Wert  zu  sein  schien.  So  konnte  es  kommen,  daFs  er 
durch  einen  von  seinem  Bruder  Johann  Friedrich  gcgeu  ihn 
geplanten  und  in  Scene  gesetzten  Staatsstreich  völHg  über- 
raucht ward. 

Georg  Wilhelm  weilte  wieder  einmal  im  Auslände.  Er 
hatte  längere  Zeit  in  seinem  geliebten  Italien  verbracht  und 
befand  sich  auf  der  Kückreiae  im  Haag,  als  er  die  Nach- 
richt von  der  bedenklichen  Erkrankung  seines  älteren  Bru- 
ders Christian  Ludwig  erhielt.  In  Holland  war  er  einer 
jungen  Französin  begegnet,  die  schon  früher  durch  ihre 
Schönheit,  Anmut  und  Liebenswürdigkeit  auf  ihn  den  leb- 
haftesten Eindruck  gemacht  hatte  und  die  iJm  jetzt  in  län- 
gerem Verkehre  vollends  bezauberte.  Es  war  Eleonore 
d'Ülbreuze,  die  Tochter  des  Marquis  Alexander  Deamier, 
Herrn  von  Obroire  und  Olbreuze,  aus  einem  alten  im  Poitou 
ansessigen  Adelsgeschlcchte.  Sie  fesselte  ihn  bald  so  sehr, 
dafs  ihn  weder  die  Bitten  des  kranken  Bruders  noch  die 
Mahnungen  seiner  liäte,  seine  Erbauspröcho  auf  das  Her- 
zogtum Celle  zu  sichern,  zu  einer  beschleunigten  Heimkehr 
zu  bewegen  vermochten.  Zögernd  ti'at  er  endlich  die  Rück- 
reise nach  Hannover  an,  wo  er  am  23.  März  abends,  acht 
Tage  nach  dem  Ableben  des  Bruders,  eintjai.  Er  fand  hier 
alles  in  äufserster  Verwirrung  und  Aufregung.  Denn  als- 
bald nach  Christiau  Ludwigs  Tode  hatte  der  jüngere  Bruder 
Johann  Friedrich,  Herzogs  Georg  dritter  Sohn,  der  bisher 
nui"  eine  bescheidene,  auf  die  iVmter  Ebstorf  und  Neustadt 
fundierte  jährÜche  liente  bezogen  hatte,  die  Gunst  des 
Augenblicks  benutzt,  sich  mit-  Beihilfe  der  von  ihm  ge- 
wonnenen Käte  seines  verstorbenen  Bruders  der  Stadt  und 
des  Schlosses  Celle  versichert,  sich  von  den  OHizieren  und 
Beamten  huldigen  lassen  und  durch  Anschlag  von  Patenten 
von  den  Fürstentümern  Lüneburg  und  Grubenhagen  sowifr 
von  den  Grafschaften  Hoya  und  Diepholz  Besitz  ergriffen. 
Sofort  nachdem  der  Staatsstreich  gelungen,  zeigte  er  dem 
Kaiser  imd  den  übrigen  katholischen  Ständen,  auch  dem 
Könige  Ludwig  XIV.  von  Frankreich  seine  Thronbe- 
steigung an  und  erlangte  von  ihnen  die  Anerkennung   de» 


128 


Erstes  Buch.     Dritter  ÄbschoiU. 


Oe&cbehenen  und  die  Zusicherung  ihres  Schutzes  in  dem  ge- 
wonnenen Besitzstände. 

Er  berief  sieb  in  diesen  Schreiben  auf  aein  Erbrecht, 
kraft  dessen  er  die  Regierung  der  durch  Christian  Ludwige 
Tod  eröffneten  Lande  angetreten  habe.  Aber  diesem  Erb- 
reclite  standen  die  Bestimmungen  des  väterlichen  Testamente» 
entgegen  ,  wonach  zwar  die  Fürstentümer  Celle  und  Calen- 
berg'Göttingcn  nie  uoter  einem  Hen-scher  vereinigt  werden, 
aber  in  einem  Falle  wie  dem  vorli^cndcn  dem  ältesten  be- 
rechtigten Erben  die  Wald  zwischen  den  beiden  Fürsten- 
tümern zustehen  sollte  (S.  97).  Oestützt  auf  diese  Bestimmung 
des  Testamentes,  war  Georg  Wilhelm  als  der  ältere  Bruder 
nicht  gesonnen,  sich  sein  Wahlrecht  verkürzen  zu  lassen. 
Er  bestand  unweigerlich  auf  der  Ausübung  desselben.  Es 
entbrannte  darüber  der  heftigste  Zwist ,  der  zunächst  von 
beiden  Seiten  mit  Streitschriften  und  Rechtsgutachten  ge- 
führt ward ,  der  aber  schliefslich  zu  dem  verderblichsten 
Bniderkriege,  ja  zu  einem  Konflikte  von  gröfserer  Bedeutung 
insofern  auszuarten  drohete,  als  für  den  bereits  zur  katho- 
lischen Kirche  übergetretenen  Johann  Friedrich  die  katho- 
lischen Mächte  Partei  nahmen,  während  Georg  Wilhelm  auf 
den  Beistand  Schwedens  und  der  übrigen  protestantischen 
Staaten  rechnen  zu  können  scKien.  Kein  Wunder,  dafs  die 
friedensbedüritigen  Länder ,  um  die  es  sich  handelte ^  ihr 
Möglichstes  thatcn,  um  ein  solches  Unheil  abzuwenden.  Die 
Calenberger  Stande  erboten  sich ,  i  hrem  bisherigen  Herrn, 
dem  Herzoge  Georg  Wilhelm,  200 OÜO  Thaler  ab  Ent- 
schädigung zu  zahlen.  Er  verlangte  aber  aufserden  noch  eine 
monatliche  Reute  von  1600  Thalem.  Endlich  traten  am 
17.  April  die  Bevollmächtigten  der  beiden  Brüder  in 
Brauaschweig  zu  einer  Konferenz  zusammen,  um  die 
Grundlagen  eines  Ausgleichs  zu  beraten.  Bis  zum  2.  Juni 
dauerten  die  Verhandlungen,  ohne  zu  einem  befriedigenden 
Ergebnis  zu  führen.  Erat  eine  weitere  Konferenz  zu  Hil- 
desheim  hatte  besseren  Erfolg.  Man  einigte  sich  hier  über 
einen  Entwurf  von  fünfzehn  Artikeln,  der  dann  mit  einigen 
Modifikationen  und  genaueren  ßestimniungen  unter  der  Ver- 
mittlung von  Frankreich  und  Schweden  von  den  Brüdern 
angenommen  und  am  2.  September  von  ihnen  vollzogen 
ward.  Danach  erlangte  Georg  Wilhelm  seiner  Wahl  ent- 
sprechend das  Fürstentum  Lüneburg  nebst  der  Ober-  und 
Untergrafschaft  Uoya,  der  Grafschaft  Diepholz,  der  Abtei 
Walkenricd  und  dem  zu  letzterer  gehörigen  Hofe  Schauen. 
Johann  Friedrich  dagegen  erhielt  aufser  dem  Fürstentume 
Calcnberg-Göttingen  noch  Grubenhageu.    Zugleich  versprach 


Herzog  Johauii  Friedrieb. 


129 


der  letztere,  die  noch  in  den  Händen  von  Gläubigem  be- 
BndlicbeQ  Ämter  und  Stücke  des  Liineburger  Anteils  ein- 
zulösen  und  sämtliche  auf  den  Calenbergcr  Amtern  ruhenden 
Lasten  zu  Übernehmen,  vvol^  ihm  oder  seinen  Erben  uoch 
des  Bruders  Tode  ein  Kapital  von  300  000  Thalern  ausge- 
zahlt und  dieses  bis  dahin  mit  15000  Thalern  verzinst  wer- 
den soUie.  Zugleich  ward  unter  allseitiger  Zu^limmung  lest- 
gestellt,  dafö  das  Optionsrecht  von  nun  an  abgeschafft  und 
ferner  keine  „Division  und  Option"  mehr  zu  Recht  bestehen 
sollte.  In  der  Thal  ist  dies  die  letzte  Länderteilung  ge- 
wesen, die  in  dem  jüngeren  Hause  Braunschweig  stattge- 
funden hat.  Auch  sollte  sie  bald  durch  eine  günstige  Heirat 
wieder  wett  gemacht  werden. 

Der  nunmehrige  Erbe  der  Fürstentümer  Calenbei^, 
Göttingen  und  Grubenhagen  war  bereits  ein  fertiger  Mann, 
als  ihm  dieser  Besitz  zufiel.  Geboren  am  '2b.  April  1625, 
stand  er  auf  der  Höhe  des  Lebens,  ein  feiugebilueter  Herr 
von  durchdringendem  Veratande  und  schneller  Fassungsgabe, 
mit  vollem  Verstäudnis  für  die  siaathchen  Aufgaben  jener 
Zeit,  die  HersteJlung  eines  festen  geordneten  Gemeinwesens 
und  eines  schlagfertigen  Heeres,  aber  doch  mehr  hingezogen 
zu  den  feineren  Genüssen  des  Lebens,  von  einer  ausgespro- 
chenen Vorliebe  fiir  künstlerische  Bestrebungen  und  subtile 
wissenschaftliche  Untersuehungea.  Sein  Briefwechsel  mit 
Leibniz,  den  er  später  nach  Hannover  zog  und  in  seinen 
Dienst  nahm ,  ist  datür  ein  beredtes  Zeugnis.  In  seiner 
Jugend  hatte  er  gleich  seineu  -Brüdern  im  Lager  des  Prin- 
zen Friedrich  Heinrich  von  Uranien  eine  kurze  Kriegsschule 
durchgemacht,  dann  aber  —  angewiesen  auf  das  dürftige  und 
eint^rmige  Leben  in  Cello  bei  seinem  Bruder  Christian 
Ludwig,  der  es  übernommen  halte,  für  seinen  Unterhalt  und 
seine  Apanage  zu  sorgen  —  trieb  es  ihn  mit  um  so  stärkerer 
Macht  in  die  Ferne,  als  er  zu  diesem  seinem  Bruder  nie 
ein  näheres  Verhältnis  gewonnen  hat,  überhaupt  unter  seinen 
Geschwistern  sich  fast  ganz  vereinsamt  fühlte.  Er  durch- 
streilite  Europa,  lebte  in  Paris,  Orleans,  am  liebsten  in  Ita- 
lien, das  es  auch  ihm  angetban  hatte,  wo  ihn  aber  weniger 
das  lebensfrohe  Venedig  als  das  ernste  Rom  mit  seiner 
untergegangenen  Herrlichkeit  und  seiner  kirchlichen  Pracht 
fesselte.  Hier  vollzog  sich  die  bedeutsamste  Wendung  seines 
Lebens.  Er,  der  Enkel  glaubenstreuer  Lutheraner,  der  Sohn 
eines  Vaters,  der  unablässig  für  die  Freiheit  der  evange- 
Üschen  Lehre  gekämpft  hatte,  trat  zur  römischen  Kirche 
über.     Die   Geschichte    seiner  Bekehrung   lassen    wir    hier 

Bai&en»no,  firAonsobw.-lunitdr.  OeHobUlit«.    III.  ^ 


180 


Krstea  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


boiseite.  Sie  ist  im  Grunde  dieselbe,  wie  bei  »o  vielen  to 
nehmen  Personen  diesor  Zeit.  Obgieicli  er  sich  in  der  Folge 
unter  Vermittlung  acinor  Freunde  citrig  um  einen  Kardinals- 
hut bemühRte  j  steht  doch  aufser  Zweifel ,  da}»  ihn  nicht 
sowohl  die  Suclit  nach  äulserer  Ehre  wie  innere  t'berzeugung 
zu  dem  auftalienden  Schritte  bewogen  hat.  Auch  mag  der 
Glanz  und  Pomp  der  kirchlichen  Umgebung,  in  der  er 
lebte,  seinen  EiuHufs  geltend  gemacht  haben.  Sein  Freund, 
Christoph  von  Kautzau,  ein  anderer  Konvei'tit,  ebnete  den 
Boden,  der  gelchi'te  Lukas  Ilolstenius»  der  Vorsteher  der 
vatikanischen  Bibliothek,  vollendete  das  Werk  seiner  Be- 
kehrung. Zu  spät  eriubr  man  iu  der  Heimat  von  diesen 
Vorgängen,  zu  spät  machte  man  von  den  verschiedensten 
Seiten  Versuche,  ihn  bei  der  lutheriachen  Kirche  iestzuhalten. 
Es  war  vergebens,  dals  man  den  übriBtlieutenaut  von  Schlitz 
genannt  von  Görtz  in  Begleitung  des  Helmutedtor  Prol'esaors 
Heinrich  Julius  Blume  an  ihn  absandte,  vergebens,  dafs  ibn 
Mutter  und  Brüder  in  beweglichen  Schreiben  abmahnten, 
vergebens  auch,  dnfa  letztere  ihn  persönlich  in  Italien  auf- 
suchten und  in  mehrtägiger  Unterredung  zu  Perugia  ihn 
umzustimmen  versuchten.  Man  mufste  sich  endlich  über- 
zeugen, dais  sein  Übertritt  eine  vollendete  Thatsache  war. 
So  blieb  nur  noch  die  Ordnung  seiner  übrigen  Beziehungen 
zu  den  Brüdern  und  dem  Laude  übrig.  Kurze  Zeit  nach 
jener  Zusamracnkuni't  in  Perugia  zeigte  Johann  Friedrich 
in  Celle  seine  Absicht  an,  nach  Hause  zurückzukehren ,  aber 
nur  für  den  Fall,  dal's  ihm  hier  freie  Ausübung  des  katho< 
lischen  Kultus  und  die  trübere  Rente  gewährt  würden.  Die 
Angelegenheit  kam  vor  die  Konsistorien,  die  theologische 
Fakiütät  in  Flebntjtedt,  selbst  vor  den  ständischen  Ausschufs. 
Sie  fiel  zu  Ungunsten  des  Herzogs  aus.  Er  erhielt  unterm 
21.  Juni  1052  den  Bescheid,  dafs  inl'olge  des  Erbvergleichs 
von  1636;  dos  väterlichen  Testamentes  von  1641  und  dea 
brüderlichen  Erb  Vertrags  von  1045  keinem  Mitgliede  der 
füratlichen  Familie  die  Ausübung  der  katholischen  Beligioa 
im  eigenen  Laude  gewährt  werden  könne.  Er  machte  noch 
einen  Versuch,  diesen  Heschluls  durch  persönliches  Er-^i 
scheinen  in  Celle  zu  ändern.  Als  dies  ohne  Ert'olg  war^^J 
ging  er  wieder  ins  Ausland,  erhob  nun  aber  Anaprucb  au^^^ 
eine  Erhöhung  seiner  Dotation.  Nach  längeren  Verhand- 
lungen einigte  man  sich  dahin,  dafs  ihm  gegen  ausdrück- 
liche Anerkennung  Jener  Verträge  und  des  väterlichen  Te- 
stamentes, 80  lauge  er  im  Auslände  weilen  würde,  seine  Apa- 
nage um  3500  Thaler  jährlich  erhübet  werden  sollte.  Nun 
lebte  er  meistens  wieder  im  Auslände,  bald  an  katholischen 


Sein  Übertritt  sur  römischen  Kirche. 


18t 


Höfen,  namentlich  in  Wien,  bald  bei  seiner  Schwester,  der 
Königin  Sophie  Amalie  von  Dänemark,  der  einzigen  seiner 
Gesciiwister,  mit  der  ihn  ein  wirklich  herzliches  Verhältnis 
verband-  Ea  war  ein  unatütes,  ruheloses  Treiben,  wähi-cnd 
dessen  er  die  verschiedensten  Pläne  verfolgte ,  um  seine  be- 
deutenden Graben  zur  Geltung  zu  bringen.  £ndl  ich  warf 
ihm,  worauf  er  kaum  noch  gehofft  haben  mochte,  der  kinder- 
lose Tod  aeined  ältesten  Bruders  das  um  Grubenhagen  ver- 
gröfsertö  Füi*stentum  seines  Vaters  in  den  Schofs. 

Als  er  jetzt  von  dem  ihm  zugefallenen  Lande  Besitz 
nahm,  war  von  dem  früher  gegen  ihn  erlassenen  Verbote 
jeder  Heligionsübung  nach  römisch-katholischem  Kitus  natür- 
lich nicht  mehr  die  Rede.  Man  duilte  selbst  als  Vergeltimg 
für  so  unduldsame  Strenge  trotz  der  von  ihm  erteilten 
„Religions-Assocuranz"  von  seinem  jungen  Qlaubenseifer 
eine  energische  Bekehrongsthätigkoit  im  Sinne  des  Katho- 
Ücisraus  erwarten.  Allein  es  wurde  nicht  so  schlimm.  Wohl 
ti'aten  einige  Kavaliei-e  de.=?  Hofes,  ^vie  das  unter  ähnlichen 
Verhältnissen  zu  geschehen  pflegt,  zu  der  Kirche  ihres  Herrn 
über ,  Jesuiten  und  Kapuziner ,  in  Hannover  seit  lange 
fremdartige  Erscheinungen,  kamen  von  Hildesheim  herbei, 
ea  bildete  sich  eine  kleine  katholische  Gemeinde,  und  die 
Schlofskirche  prangte  wieder  wie  in  vorlutherischen  Zeiten 
im  Schmuck  der  Heiligenbilder  uad  Keliquien,  zu  denen 
sich  bald  der  ixil'olge  von  Braunschweigs  Unterwerfung  er- 
worbene prachtvolle  Domschatz  von  St.  Blasien  gesellte, 
aber  ein  weiteres  Umsichgreifen  des  KathoHcismus  wufste 
die  feste  Haltung  des  Generalsuperintendenten  von  Hannover, 
Gerhai'd  Molanus,  und  die  Gewandtheit  und  Charakterfestig- 
keit des  Ministers  Otto  Grote  zu  verliindern.  Dieser  treff- 
liche Manu,  im  Besitze  des  vollen  Vertrauens  seines  fürst- 
lichen Herrn,  verstand  es  in  bewunderungswürdiger  Weise, 
durch  Nachgeben  in  kleinen  unwesentlichen  Dingen  gröfse- 
rem  Unheil  vorzubeugen.  Er  hatte  nichts  dagegen  einzu- 
wenden, dals  der  Fürst  zu  seiner  unmittelbaren  Umgebung 
vorzugsweiäe  Glaubensgenossen  erkor,  dals  katholische  Edcl- 
leute  zu  den  Hulamtern  gelangten ,  katholische  Offiziere 
Hauptleute  und  Obristen  wurden,  aber  er  duldete  nicht,  dals 
ein  einziger  Katholik  in  den  Geheimen  Rat  kam  oder  dals  der 
Beichtvater  des  Fürsten  und  seine  GeistHclien  sich  in  die 
Staatsangelegenheiten  einmischten. 

Johann  Friedrich  ist  unter  den  Filrsten  des  braun- 
achweigischen  Hauses  neben  seinem  Bruder  Georg  Wilhelm 
der  erste  gewesen,  der  das  Staatsideal,  wie  es  in  den  ro- 
manischen Ländern,  zumal  in  Frankreich,  nach  langen  hart- 


i. 


182 


Erstes  Bncb.    Dritter  Abschnitt. 


näckigeo  Kampfes  Ober  die  unbotmäfsigeii  Gewalten  des 
Mittelalters  triumphiert  hatte  und  zu  gebietender  Geltung 
gelangt  war,  auf  die  freilich  engen  und  beschränkten  Ver- 
näitnisse  des  eigenen  Landes  übertrug.  Mit  ihm  begann  in 
dem  Füratentume  Hannover,  wie  der  in  seiner  Hand  ver- 
einigte Ländcrküuiplex  nunmehr  genannt  ward ,  die  Herr- 
schatt  des  fUrsthclien  Abaolutismus.  Schon  sein  Aufseres 
schien  ihn  zu  einer  solchen  gebietenden  Stellung  zu  berech- 
tigen. Er  war  ein  stattlicher  Mann  mit  vornehm  -  herab- 
laascndcr    Haltung,   gemessen    und     würdig    in    seinen    Be- 


wegungen, in  späteren  Jahren  freilich  zu  einer  nniormlichen 
Dicke  hinneigend.  Die  Überlegenheit  seines  Geistes ,  sein 
BcharfcB    Urteil,    sein   gutes   Gedächtnis,    seine   rasche   Auf- 


fassung, das  alles  befalligte  ihn  dazu,  die  Regienmg  bis  in 
die  Einzelheiten  hinein  im  persönlichsten  Sinne  des  Wortes 
zu  führen.  Die  gesamte  Lande 9 Verwaltung  wurde  durch  ihn 
in  vier  Abteilungen  oder  Departements  gegliedert  und  unter 
einer  gemeinsamen  Leitimg,  derjenigen  des  Geheimen  Rates, 
zusammengefafst.  Aber  der  Herzog  war  und  blieb  der 
eigentliche  Motor  dieser  Regierungsmaschine.  Alle  Berichte 
gingen  durch  seine  Hand,  allen  Beratungen  wohnte  er  per- 
ßtinlich  beij  in  allen  zweifelhaften  Fragen  gab  er  selbst  die 
Entscheidung.  Die  Landstände  bufstcn  jetzt  völlig  ihren 
schon  längst  erschütterten  Einflufa  ein.  Als  eine  veraltete 
Institution,  die  sich  nicht  in  die  veränderten  Staatsverhält- 
nisse  einzufügen  vermochte,  schob  er  sie  rücksichtslos  bei- 
seite. Einen  Versu  ch ,  den  sie  machten ,  sich  aus  eigener 
Machtvollkommenheit  zu  versammeln,  vereitelte  ein  einfaches 
Verbot  des  Herzogs.  Und  nicht  nur  in  der  Behandlung 
dieser  ernsten,  schwerwiegenden  Angelegenheiten  des  Staates, 
sondern  auch  in  der  Gestaltung  seines  privaten  Lebens,  in  der 
Einrichtung  seines  Hofes,  in  der  Wahl  seiner  Genüsse  nahm 
er  sich  den  französischen  Monarchen  zum  Muster,  der  da- 
mals mit  seinem  Glänze,  seiner  Machtfülle  und  seinen  krie-  B 
gerischen  Erfolgen  alle  Fürsten  Europas  überstrahlte.  Jo-  S 
bann  Friedrich  schuf  sich  in  Hannover  eine  Residenz,  wo 
neben  der  heiteren  Kunst  auch  die  ernste  Wissenschaft  eine  ^ 
eifrige  Pflege  fand,  eine  Stätte,  die  eine  Zeit  lang  einer  ■ 
der  Brennpunkte  des  geistigen  Lebens  in  Deutschland  war.  " 
Er  gründete  jene  Bibliothek,  nn  deren  Spitze  er  Leibniz, 
den  gelehrtesten  Mann  seiner  Zeit,  stellte,  er  richtete  eine 
Oper  imd  ein  Schauspiel  ein,  wo  freilich  fast  nur  italienische 
Musik  gehört  und  französische  Stücke  gespielt  wurden,  die 
aber  doch  bei  den  trostlosen  Zuständen,  in  denen  sich  da- 
jnflla  die  deutsche  dramatische  Kunst  befand,  nicht  ohne  be- 


Seiae  auswürtige  Politik. 


183 


buchtenden  EiufluTs  auf  den  Gesckmack  und  die  Kunat- 
bildung  unseres  Volkes  gewesen  sind.  Das  heitere,  bewegte 
und  glänzende  Leben  am  hannövrischen  Hofe  erreichte 
seinen  Höhepunkt,  seitdem  Johann  Friedrich  im  Jahre  1668 
Benediktu  Henriette  von  der  Pl'aU,  die  Tochter  des  gleich- 
falls zur  katholischen  Kirche  übergetreteneu  Pfalzgrafon 
Eduard  und  eine  Base  der  bekannten  Herzogin  Elisabeth 
Charlotte  von  Orleans,  beimffeführt  hatte.  Diese  Verbindung, 
bei  der  der  französische  Einttufs  matsgebeud  gewesen,  kettete 
ihn  noch  mehr  an  die  katlmltsehe  Kirche  und  an  die  Politik 
des  französischen  Königs.  Diese  Beziehungen  haben  denn 
auch  die  Wege  seiner  äulseren  Kügierungsmafsnahmeu  be- 
stimmt. 

Um  hier  eine  einigermafscn  bedeutende  Rolle  zu  spielen, 
bedurite  er  —  dieser  Einsicht  konnte  er  sieh  nicht  ver- 
schliefsen  —  eines  ausehnHchen,  stets  schlagfertigen  Heeres, 
das  ihm  zugleich  als  Werkzeug  dienen  sollte,  seine  unbe- 
schrankte Herrschaft  im  Inneren  zu  sichera  und  zu  be- 
festigen. Aber  die  Errichtung  und  Erhaltung  einer  solchen 
stehenden  Hoercsmacht  war  ohne  grofse,  die  Kräfte  des 
Landes  übersteigende  Geldmittel  unmöghch.  An  ihrem 
Mangel  waren  alle  früheren  Versuche  des  Lüneburger  Hauses 
nach  dieser  Richtung  hin  gescheitert.  Johann  Friedrich  ge- 
wann diese  Mittel  dadurch,  dals  er  teils  den  Veuetianera  zu 
ihrem  Kriege  gegen  die  Osmanen  Truppen  in  Sold  gab,  teils 
von  Frankreich  die  Zahlung  von  Subsidien  erlangte,  wofür 
er  die  Unterstützung  der  französischen  Interessen  in  Deutsch- 
land versprach.  So  sah  er  sich  imataade,  ein  Heer  von 
14  000  Mann  auizustellen  und  bleibend  zu  unterhalten.  Es  ist 
dies  vielleicb  t  die  wichtigste  Thatsache  seiner  Regierung, 
aber  sie  wirll  kein  günstiges  Licht  auf  seine  patriotische  Ge- 
sinnung. Doth  mul's  man  eich  erinnern,  dals  damals  viele 
deutsche  Fürsten  ähnlich  handelten,  dafa  das  vaterländische 
Ehrgetuhl  infolge  der  jahrelangen  Not  des  Eu^ogC3  bei  Hoch 
und  Niedrig  erstii-kt  war,  dafa  überall,  nicht  nur  bei  den 
Fürsten ,  Seibatsucht  und  Eigennutz  die  edleren  Kegungen 
verdrängt  hatten.  Die  besten  deutschen  Fürsten  dieser  Zeit 
waren  von  solcher  Gesinnung  nicht  frei,  und  selbst  die  Brü- 
der Johann  Friedrichs  haben,  obschon  sie  im  Gegensätze  zu 
ihm  ihre  militärischen  Kräfte  in  den  Dienst  des  öster- 
reichischen Hauses  stellton,  doch  in  Wahrheit  gleich  ihm  nur 
rein  egoistische  Ziele  verfolgt.  Auch  war  Johaim  Friedrich 
weit  davon  entfernt,  sich  durch  seine  Beziehungen  zu  Frank- 
reich ernsten  Gefahren  auszusetzen.  Sein  Strebeu  ging 
lediglich  auf  die  Erhöhung  seiner  Macht  und  die  Erweiterung 


iU 


Erstes  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


seines  Ländergebietes.  Mit  grofser  Gewandtheit  wufste 
die  Vorteile  eines  Bündnisses  mit  Frankreich  auszabeuten, 
ohne  doch  seine  Verpflichtungen  als  Rcicbsfüi*st  in  auffallen- 
der Weise  zu  verletzen.  So  handelte  er  namentUch  in  dem 
BOgenannten  zweiten  Itaubkriege  (1672 — lü79),  in  welchem 
er  zwischen  den  Parteien  eine  mehr  als  zweideutige  Ualtuug 
einnahm.  Als  dann  dieser  Krieg  durch  die  Frieden  esc  MiÄsse 
von  Nymwegen  iind  St.  Germain  beendet  war,  begab  er 
sich  -wieder  auf  Reisen.  Es  zog  ihn  nach  dem  hcifsgeiiebten 
Italien,  wo  er  einst,  wie  er  meinte,  seine  Versöhnung  mit 
Gott  gefunden  hatte.  Auf  der  Reise  erkrankte  er  in  Augs- 
burg, wo  ihn  am  28.  Dezember  1679  der  Tod  ereilte.  Da 
er  keinen  Sohn  sondern  nur  vier  Tochter  hiaterliefs , 
fiel  das  Fürstentum  Hannover  jetzt  an  seinen  jüngsten  Bru- 
der Ernst  Augiist,  und  da  dieser  damals  bereits  zum  Nach- 
Iblger  des  gleichfalls  söhnelosen  Georg  Wilhelm  von  Celle 
bestimmt  war,  so  eröffnete  sich  damit  die  Aussicht  auf  den 
demnächstigen  Zuaammenfall  der  beiden  Hauptgruppen  defl 
Lüneburger  Lande. 

Ernst  August,  der  jüngste  von  den  Söhnen  des  Herzogs 
Georg  von  Lüneburg,  hatte  sich  bislang  mit  der  Regierung 
und  Verwaltung  des  Bistums  Osnabrück  begnügen  müssen, 
das  ihm  gemäfs  den  Bestimm  imgen  des  westläüschen  Frie- 
dens (S.  101)  im  Jahi-e  1662  nach  dem  Tode  des  Bischofs 
Franz  Wilhelm,  Grafen  von  Wartenberg,  überwiesen  worden 
war.  Als  sein  Vater  starb,  hatte  er  eben  das  elfte  Jahr 
vollendet.  Er  lebte  dann  später  in  Hannover  bei  seinem 
Bruder  Georg  Wilhelm,  welcher  in  dem  Vertrage  mit  Chri- 
stian Ludwig  vom  16.  Februar  1G49  es  übernommen  hatte, 
für  seine  Residenz  und  sein  Deputat  Sorge  zu  tragen.  Zwi- 
schen ihnen  knüpfte  sich  iniolge  dieses  Zusammenseins  ein 
enges  brüderliches  Verhältnis.  Beide  waren  jung,  lebcna-  . 
fron,  in  ihrer  Lebhaftigkeit  fUr  jeden  Eindruck  empiänglich.^B 
Übereinstimmung  in  den  Neigungen  und  Charakteren  führte^H 
sie  zusammen,  erweckte  und  förderte  eine  gegenseitige  Hin- 
gebung, welche  später  die  stärksten  Proben  bestanden  hat. 
Auch  die  äufseren  Vorzüge,  die  den  Bruder  auszeichneten , 
teilte  Ernst  August  mit  diesem.  „Er  hat",  schreibt  irn^H 
Jahre  1651  seine  spätere  Gemahlin,  „ein  schönes  Äufsertf^H 
lind  gelallt  aller  Welt."  Aber  er  war  doch  nicht  der  aus- 
schliefsliche  Lebemann  wie  joner,  dem  Bulle,  Opern,  Wei- 
ber und  Karten  über  alles  gingen  und  von  dem  die  eigene 
Schwägerin  urteilt,  „dafa  man  mit  ihm  keine  Staatsgeschärt© 
berühren  dürfe,  da  er  zwar  viel  Geist  und  Urteil  besitze, 
aber  dies©  nur  an  Nichtigkeiten   und  frivole  Vergnügungen 


Georg  WUbelni  uoU  Ernst  Aug^nst. 


1d& 


verschwende".  Ernst  August  war  von  den  Öolinen  Georgs 
der  einzige,  in  dem  trotz  seiner  schillerndea  Aufsenseite  ein 
Staataiuann  steckte.  Klug  und  berechnend ,  geschickt  und 
wenig  wühlerisch  in  den  Mitteln,  verfolgte  er  die  Ziele,  die 
er  sieb  gesteckt  hatte,  mit  merkwürdiger  Zähigkeit,  Alan 
kann  sich  nicht  wundem,  dafs  er  sie  meistens  erreichte  und 
dafa  er  namentlich  auf  den  älteren  Bruder  mit  der  Zeit 
einen  diesen  völlig  beherrschenden  Eiiiflufs  fjewann.  Dies 
zeigte  sich  schon  bei  seiner  Vermählung,  die  für  die  weiteren 
Geschicke  des  Luneburger  Hauses,  tvir  seine  spätere  Gröfse 
und  Macht  von  so  grundlegender  Bedeutung  werden  sollte. 

Georg  Wilhelm  hatte  sich  endlich  auf  den  Wunsch  seiner 
Landstande  entschlossen,  eine  Ehe  einzugehen.  Man  hoffte, 
ihn  dadurch  seinem  unstäten,  au ascli weifenden  Leben  zu  ent- 
ziehen und  zufi^leich  den  Fortbestand  des  tUratlichen  Hauües 
zu  sichern.  Seine  W^ahi  Hei  auf  die  Prinzessin  Sophie  von 
der  Ptalz,  die  Schwester  des  regierenden  Kurfürsten  Karl 
Ludwig  und  die  jüngste  von  den  Töchtern  jenes  Friedrich  V., 
der  einst  durch  die  Schlacht  bei  Prag  die  böhmische  Königs- 
ki'one  und  den  Kurhut  zugleich  eingebUfst  hatte,  aus  dessen 
Ehe  mit  Elisabeth  Stuart,  der  Tochter  Jakobs  I.  vun  Grofs- 
britanuien.  Die  Verlobung  fand  im  Jahre  165G  statt  und 
wurde  anfangs  geheim  gehalten:  nxu'  Ernst  August  wufste 
darum.  Er  hatte  den  Bruder  auf  seiner  Brautfahrt  nach 
Heidelberg  begleitet  und  ging  nun  von  da  mit  ihm  nach 
Venedig.  Hier  aber  erlag  Geoxg  Wilhelm  den  Verführungen 
des  lockeren  Lebens,  an  das  er  gewohnt  war.  Ein  neues 
Liebesverhältnis,  das  übele  Folgen  für  ihn  hatte,  entfremdete 
ihn  seiner  Braut,  er  konnte  sich  nicht  entachliefsen,  zu  ihr 
nach  Heidelberg  zurückzukehren.  Er  war  ein  zu  ritter- 
licher Mann,  um  nicht  die  Unehrenliaftigkeit  eines  solchen 
Bruches  tief  zu  empfinden.  Deshalb  machte  er  jetzt  dem 
Bruder  den  Vorschlag,  an  seine  Stelle  zu  treten.  Er  wollte 
ihm  sein  Land  überlassen  und  sich  mit  einer  liente,  die  ilim 
die  Möglichkeit  ziu-  Fortführung  seines  bisherigen  Lebens 
ewähren  würde,  begnügen,  ja  er  versprach  In  feierlichster 
/eise,  falls  Ernst  August  auf  seinen  Vorschlag  eingehe,  Zeit 
seines  Lebens  nnverchlicht  zu  bleiben.  Dieser  liefs  sich 
nicht  lange  erbitten.  Die  Prinzessin ,  um  die  es  sich  han- 
delte, war  nicht  nur  von  erlauchtester  Abkunft,  sondern  ein 
Wesen  ^  das  durch  Liebreiz .  vor  allem  aber  durch  Geist, 
Munterkeit  und  überlegene  Charakterbildung  wohl  geeignet 
war,  den  Sinn  eines  selbst  Üatterhuften  Mannes  dauernd  zu 
fesseln.  So  kam  der  seltsame  Handel  zustande.  Am 
^.  Juni  1658  wurden  die  Ehepakten  unterzeiclinet,  und  im 


196 


Erstes  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


September  erfolgte  zu  Heidelberg  die  Hochzeit  mit  dem  ge- 
bräuchlichen Glänze  und  dem  altüberlieferten  G-eprange. 
Nun  aber  zeigte  sich  erst  recht  die  Unbeständigkeit  von 
Georg  Wilhelms  Herzen.  Jetzt,  da  er  die  üraut  verloren 
hatte,  fafste  er  zu  ihr  eine  heftige  Leidenschatit,  die  das 
junge  Eheglück  der  Gatten  in  Gefahr  brachte  und  das  lang- 
jährige gute  Verhältnis  der  beiden  Brüder  für  immer  zu 
zerstören  drohete.  Unter  diesen  Umstäuden  empfand  es 
Sophie,  die  sich  zwischen  der  Liebe  des  öchwagers  und  der 
Eitei*sucht  des  Gatten  eine  bewunderungswerte  Sicherheit 
und  Freiheit  dea  Gei&tes  zu  bewahren  wufste,  als  eine  Er- 
lösung, dafs  wenige  Jahre  nach  ihrer  V^erheiratung  die  Er- 
öffnung des  Hochstiftes  Osnabrück  dem  engen  Zusammen- 
leben mit  dem  Schwager  in  Hannover  ein  Ziel  setzte.  Sie 
siedelte  mit  ihrem  Gatten  und  den  beiden  Söhnen,  die  sie 
ihm  inzwischen  geboren,  nach  Osnabrück  über,  und  Georg 
"Wilhelm  wufsto  sich  bald  dm-ch  neue  Liebesabenteuer  zu 
trösten. 

Gerade  in  diese  Zeit  tUlIt  seine  erste  Begegnung  mit 
Eleonore  d'Olbreuze,  deren  wir  bereits  gedacht  haben.  Die 
Neigung  zu  ihr  drängte  bald  alle  früheren  zärtlichen  Regungen 
seines  Herzens  in  den  Hintergrund  und  steigerte  sich  mit 
der  Zeit  zu  einer  unwiderstehlichen  Leidenschaft.  Er  dachte 
an  eine  eheliche  Verbindung  mit  ihr.  Einer  solchen  stellten 
sich  aber  die  verachiedensten  Rücksichten ,  vor  allem  sein 
früher  dem  Bruder  mündlich  imd  schriftlich  in  bindendster 
Foini  gegebenes  Versprechen  entgegen,  sich  nie  verheh'aten 
zu  wollen.  In  der  Besorgnis,  Georg  Wilhelm  würde  sieb 
zu  einem  Schritte  hinreifsen  lassen,  der  diese  Abmachungen 
und  mit  ihnen  die  an  sie  geknüpften  Hoffnungen  auf  die 
Erbfolge  in  seinem  Lande  vernichte ,  boten  Ernst  August 
und  Sophie  die  Hand  zu  einem  Abkommen^  das  sie  nach 
dieser  Richtung  hin  sicher  zu  stellen  schien.  Sopliie  lud  die 
schöne  Französin  nach  Schlofs  Iburg,  ihi^er  und  ihres  Ge- 
mahles Residenz.  Hier  bestürmte  man  sie  so  lange,  bis  sie 
einwilligte,  dem  Geliebten  auch  ohne  das  Band  der  Ehe  au- 
zugehöien.  In  Celle,  wohin  man  sie  führte  und  wo  eben 
das  Leichenbegängnis  Cliristian  Ludwigs  stattfand,  vollzog 
Georg  Wilhelm  am  11.  November  1665  einen  von  aeinera 
Bruder  imd  seiner  Schwägerin  mit  unterzeichneten  Rezefs, 
in  welchem  er  diesen  sein  Irüheres  Versprecheu  steter  Ehe- 
losigkeit erneuerte,  Eleonoren  aber  ewige  Treue  gelobte  und 
ihr  eine  Jahresrente  von  2000  Thalern  auswaH",  die  nach 
seinem  etwaigen  Tode  verdreitacht  werden  sollte.  Seitdem 
lebte  sie  am  Hofe  zu  Celle  als  »eine  „Freundin",  mit  dem 


VormähluDg  Georg  WiUielmB  mit  Eleonore  d'Olbraiue.        137 

ihr  von  ihm  verliehenen  Titel  einer  „Frau  von  Harburg". 
Allein  sie  gewann  in  der  Folge  auf  den  einst  so  unbeatäu- 
digen  Mann  einen  unbeschränkten  EinfliiTs,  der  noch  dadurch 
gesteigert  ward,  dals  sie  ihm  am  15.  Öcptomher  1666  eine 
Tochter  schenkte,  die  in  der  Taufe  den  Naiuen  Sophie  Do- 
rothea erhielt.  Das  früher  so  gehalste  und  gemiedene  Schlofs 
von  Celle,  das  Oeorg  Wilhelm  in  dem  pomphaiten  Geschmack 
der  Zeit  ilir  zuUebe  umbauen  liefa,  erlebte  jetzt  das  Schau- 
spiel eines  fast  idyllischen  Familienglücks,  Es  ist  begreif- 
lich, dafs  der  Herzog  ebenso  eifiig  darauf  sauu,  die  Zukunft 
der  Mutter  zu  sichern,  wie  seinem  Kinde  eine  entsprechende 
Stellung  in  der  Welt  zu  geben.  Er  erstand  von  der  Fa- 
milie Grote  eine  Anzahl  von  Gütern  an  der  Elbo,  bildete 
daraus  die  Herrschaft  Wilbelmsburg  imd  bestimmte  sie  zu 
Eleonorens  Wittum.  Zugleich  erlangte  er  lß74  vom  Kaiser 
ihre  Erhebung  zur  Reichsgräfin  von  Harbm'g  und  W^ilhehua- 
burg  sowie  die  Legitimation  seiner  Tochter  und  die  Be- 
rechtigung, für  den  Fall  ihrer  Verheiratung  mit  dem  Mit- 
gliede  eines  fürstUcben  Hauses  Titel  und  Wappen  von 
Brauuschweig  lülircu  zu  dürfen.  Sie  ward  bereits  am 
21.  Dezember  ltJ75,  ein  elijähri/^ea  Kind,  mit  dem  Erbprinzen 
August  Friedrich  von  W'oltenbüttel  verlobt ,  der  ein  Jahr 
dftrauf  vor  Philippsburg  fiel.  Als  nun  aber  Georg  Wilhelm 
mit  der  Absicht  hervortrat,  seine  geliebte  Eleonore  zu  seiner 
rechtraäfsigen  Gemahlin  zu  erheben,  da  traten  ihm  nicht  nur 
die  politischen  Bedenken  seines  Bruders  enlgegeu,  der  durch 
einen  solchen  Schritt  die  ihm  in  Ausaiclit  gestellte  Nach- 
folge im  Fürstentum  Celle  als  geliiljrdet  betrachten  mufste, 
sondern  heftiger  und  unveraöhuficher  noch  der  Hafs  und 
die  Eilersucht,  mit  denen  die  Plerzogin  Sophie  schon  längst 
die  französische  Favoritin  vertoJglo.  Es  kam  darüber  zu 
lebhaften  Auseinandersetzungen.  Erst  als  Georg  Wiliielm 
in  einem  besonderen  Rezesse  die  Erbfolge  seines  Bruders 
und  dessen  Naclikouimen  in  seinem  Fiiratentume  auch  füi* 
den  Fall  anerkannt  hatte,  dafs  ihm  in  seiner  Ehe  noch 
Söhne  zuteil  werden  sollten,  erst  nachdem  die  Stände  des 
Landes  diesen  Vertrag  bestätigt  und  die  lüneburgischen 
Bäte,  Beamten  und  Ofliziere  den  eventuellen  Iluldiguugseid 
fUr  Ernst  August  geleistet  hatten,  gab  dieser  seinen  Wider- 
epruch  gegen  die  Verheiratung  des  Bruders  auf  Zu  ^Vniang 
April  1676  waren  die  letzten  Hindernisse  derselben  beseitigt. 
In  Gegenwart  des  Herzogs  Anton  Ulrich  von  Wolfeobüttel 
und  des  Kanzlers  Schütz  fand  zu  Celle  in  aller  Stille  die 
kirchhche  Trauung  statt.  Sechs  Jahi-e  später  erfolgte,  nach- 
dem durch  den  Vertrag  von  Engensen  vom    13.  Juli   lUBO 


k 


188  Entea  Bnch.    Dritter  Abschnitt. 

die  AnerkenouDg  Eleonorens  als  Herzogia  and  ihrer  Tochter 
als  Prinzessiii  von  Braunsc'bweig  uud  Lüneburg  seitens  der 
ganzen  weliiachen  Familie  ausgesprochen  war,  die  Vermäh- 
hing  der  letzteren  mit  Georg  Ludwig,  dem  ältesten  Soline 
Ernst  August»  und  Sophiens  von  der  Pfalz.  Damit  war 
auch  der  letzten  Gefahr  einer  Entfremdimg  der  Lüneburger 
Erbschaft  vorgebengt,  freilich  auch  eine  Ehe  geselilossen, 
die  einen  traurigen  Verlauf  und  ein  uuBeliges  Ende  nehmen 
sollte. 

So  sehr  auch  die  hier  dargelegten  Verhältmsee,  die  gegen- 
seitig  80  zarten  und  schwierigen  Beziehungen  der  Bruder 
zu  einander  geeignet  schienen,  ihr  gutes  Einvernehmen  zu 
stören  und  es  zeit^veilig  auch  wohl  in  Frage  gesteilt  haben, 
so  wenig  haben  sie  vermocht ,  es  aut'  die  Dauer  zu  er- 
schüttern. In  treuer  Eintracht  hielten  Georg  Wilhelm  und 
Ernst  August  zusammen,  vmd  die  innige  brüderliche  Zu- 
neigung, die  sie  schon  in  den  Tagen  ihrer  Jugend  verbunden 
hatte,  bewährte  sich  für  die  Dauer  ihres  Lebens.  Am 
schärfsten  tritt  dies  in  ihrer  äufsern  Politik  hervor,  in  der  sie 
stets  mit  bemerkenswerter  Einmütigkeit,  gewissermafsen  wie 
aus  einem  Gedanken  heraus  handelten.  Als  itn  Jahre  Hj65 
der  unnihige  und  kriegerische  Bischof  von  Münster,  Ohri-  ^ 
stoph  Bernhard  von  Galen,  im  Bunde  mit  England  die  Ge-fl 
neralstaaten  der  vereinigten  Niederlande  mit  Krieg  überzog, 
schlössen  die  beiden  Herzöge  mit  diesen  ein  Bündnis,  wo- 
nach sie  gegen  beträchtliche  Subsidiengelder  ein  Heer  in  der 
Gesamtstärke  von  12Ü00  Älann  unter  dem  Oberbefehl  des 
Grafen  von  Wflldeck  ihnen  zur  Verfügung  stellten.  Gegen 
Ende  des  Jahi'es  standen  10  000  lüneburgische  Truppen 
schlagfertig  an  der  niünsterschen  Grenze-  Es  kam  aber  zu 
keiner  gröiseren  kriegerischen  Unternehmung,  und  schon 
am  18.  April  16Gß  machte  der  unter  Vermittlung  des  Kur- 
fürsten von  Brandenburg  und  des  Herzogs  August  d.  J.H 
von  Braunschweig  abgeschlossene  Friede  von  Clove  diesem™ 
kurzen  Feldzuge  ein  Ende.  Auch  bei  den  wiederholten 
Verhandlungen,  welche  unter  den  versL-hiedenen  Linien  des 
fürstlichen  Hauses  im  Jahre  IG^I  zu  Braunschweig  statt- 
fanden, um  einen  engeren  MilitiLrverband  zwischen  ihnea^ 
herzustellen,  Verhandlungen,  durch  welche  man  eine  schon™ 
früher  von  Georg  von  Lüneburg  verfolgte  Idee  wiederauf- 
nahm imd  weiter  auszubilden  suchte,  schon  wr  Georg  Wil- 
helm und  Ernst  August  stets  in  völliger  IJbereinstimmung 
vorgehen.  Im  folgenden  Jahre  (ir.fiS)  gaben  die  Herzöge 
—  diesesma)  schlofe  sich  ihnen  auch  Johann  Friedrich  an  — 
schtandzwanzig  Compagnieen  InVanlerw  m  Öl«t  Gi^*aM\tatyLrke 


J 


Lüneburger  und  Wolfrubüttler  Truppen  im  Rcichskriege.      189 

von  2700  Mann  in  die  Dienste  der  Republik  Venedig,  weiche 
yWa  der  tapferen  Verteidigung  Candias   einen   »o    ruhmvollen 
l^nteil    nahmen ,    dal's    der    Name    Brauneehweig  -  Lüneburg 
1  überall  mit  Ehren  genannt    ward.      Je   offener   und   bedroh- 
Lficher    dann    die   elirgeizigen    und   erober ungshistigen    Pläne 
[Ludwigs  XIV.    von   Frankreich    hervortraten,   um    so  enU 
JBcInedener  stellte  sich  die  Politik  der  beiden  Brüder  —  hier 
I  freilich  in  geradem  Gegensatze  zu  Johann  Friedrich    —  auf 
die  Weite    der  Mächte,   welche    die    Freiheit  Europas    ver- 
I  teidigteu  und  die  IJbermacht  Frankreichs  bekäropttcn.    Georg 
[Wilhelm  iiihrte  im  Jahre  1674  persönlich  ein  aus  cellischen 
und  wolfenbilttelschen  Truppen  oeBtehendeB  Heer  von  12000 
Mann  an  den  Rhein,  wo    sie    unter    seinem    Befehl    sich   in 
der     Schlacht    bei     Enzheim     tapter     schlugen.      Im    Jahre 
■  darauf  folgte  ihm  dahin  Ernst  August,  begleitet  von  aeinem 
damals  erat  vierzehnjährigen   ältesten  Sohne  Georg  Ludwig, 
der  durch   Intelb'genz    und  UnerBchrockenheit   die  Autinerk- 
samkeit  des  ganzen  Heeres  erregte.    Man  schritt  am  4.  August 
zur  Belagerung  des  von  den  Franzosen  beset2ten  Trier.    AU 
der  Marschall  von  Crequi  herbeieilte,  um  die  Stadt   zu  ent- 
setzen, kam  es  am  11.  August  zu  der  Schlacht  an  derConzer 
Brücke ,   welche    durch    die   Tapferkeit  der   Braunschwoiger 
Herzöge  zugunsten  der  Verbündeten  entschieden  ward:  6000 
Franzosen  bedeckten  das  Schlachtfeld,  1500,  darunter  viele 
Oftiziere ,    fielen    in    die    Gefangenschaft ,    8o    Fahnen    und 
Standarten,  das  sämtliche  Geschütz,  Zelte  und  Gepäck  blie- 
ben in  den  Händen  der  Sieger.    Bald  darauf  ertolgte,  nach- 
dem Crequi  bei   einem    Ausfalle   trotz   verzweifeher   Gegen- 
wehr zum  Gefangenen  gemacht  worden  war,  die  Einnahme 
von  Trier.     Inzwischen  hatten    die   mit  Frankreich   verbün- 
deten Schweden  einen  Einfall  in  die  Mark  Brandeuburg  ge- 
macht, waren  aber  am   18.  Januar  1675  von   dem    aus  den 
Rheinlandeu    herbeieilenden    Kurfürsten    Friedrich    Wilhelm 
bei  Fehrbeliin  aufa  Haupt  geschlagen    worden.     An  Schwe- 
den wurde  jetzt   auch   vonseiten   des   Reichs   der    Krieg   er- 
klärt, und  die  den  schwedischen  Besitzungen  in  Deutschland 
benachbarten  Staaten,  Dänemark,  Brandenburg  und  Munster, 
rüsteten  sich  mit  den  Braunschweiger  Fürsten  und  im  Bunde  mit 
dem  Kaiser,  dem  Könige  Karl  XI.  jene  Besitzungen  zu  eut- 
reifsen.     Nur  Johann  Friedrich  von   Hannover  hatte    bereits 
früher  mit  Frankreich   und  Scliweden   sich    verbündet,   sah 
sich  jetzt  aber,  von  allen  Seiten  bedi*ohet,  genötigt  von  die- 
sem Bündnisse   zurückzutreten    und   am   21,  September   mit 
Dänemark,  Brandenburg    und   Münster    eVrieti  ^&v!A.tvtoO*X*j- 
vertn^  zu  schlJefsen.     Ein    kurzer  Fe\4i\x^  \ixa.^\ft  ^-bää. 


140  Kntes  Bueh.    Dritter  Abachoitt. 

einen  guten  Teil  der  Heraogtümer  Bremen  und  Verden  in 
die  Gewalt  der  Verbündeten.  Wildeghauaen ,  Laugwedel, 
Verden  und  Rotenbui^  raufaten  kapitulieren,  Ottersburg 
ward  mit  Sturai  genommen.  Und  als  nun  Geoi*g  Wilhelm 
von  den  Rlieinlandeu  auf  dem  Kriegsschauplatze  erschien  und 
als  Oberster  des  niedersächaischen  Krcigeä  den  Oberbefehl 
über  das  12  OOO  Mann  starke  Bundesbeer  übernahm,  fiel 
auch  Buxtehude  und  Bremervörde,  ao  dafs  die  Schweden 
nur  noch  Karlsburg  und  Stade  behaupteten.  Älit  der  Er- 
oberung dieser  beiden  Plätze  im  iolgeoden  Jalire  (1676), 
waren  die  Verbündeten  Herren  der  gesamten  schwedischen 
Besitzungen  westlich  der  Elbe.  Allein  nach  dem  Siege  be- 
gannen erst  die  Schwierigkeiten.  Auf  einem  zu  Bremen  ge- 
haltenen Kongresse  vermochte  man  nicht  sich  über  die  gemach- 
ten Eroberungen  zu  verständigen,  und  aucli  der  von  den 
sämtlichen  Fürsten  des  Braunscliweiger  Hauses  im  Januar 
1676  in  Burgdürf  zu  gemeinsamem  Handeln  in  dieser  Sache 
abgeschlossene  Rexels  vermochte  nicht  ein  ftir  sie  vorteil- 
hal'tea  Ergebnis  herbeizuführen.  Wie  der  ganze  Handel 
dann  im  Jahre  1679  dmch  Zurückgabe  der  Herzogtümer 
an  Schwedeu,  mit  Aus.schlul3  des  Amtes  Thedinghausen  und 
der  Vogtei  Dörverden,  seineu  Absehluls  erreichte,  ist  schon 
berichtet  worden. 

Um  dieselbe  Zeit  (167S>)  gelangte,  wie  wir  gesehen,  Ernat 
August  nach  dem  Tode  Joliaun  Friedrichs  in  den  Besitz  von 
Caleuberg.  Seitdem  wuchs  der  bestimmende  EinÜufd,  den 
er  ant"  den  älteren  Bruder  ausübte,  von  Jahr  zu  Jahr.  Mehr 
und  mehr  erscheint  er  als  der  eigentliche  Träger  der  Lüue- 
burger  Politik,  mehr  und  mehr  üvtt  Ocorg  Wilhelm  gegen 
ihn  in  den  Hintergrund.  Dies  erklärt  sich  schon  aus  der 
Staats  männischen  Überlegenheit  Ernst  Augusts,  allein  es 
kamen  noch  andere  Gründe  hinzu.  Im  Besitze  von  Osna- 
brück,  Caienberg,  Güttingen  imd  Grubonhagen,  war  er  nach 
den  wiederholten  Abmachungen  mit  seinem  Bruder  auch  der 
einstige  Besitzer  von  Lüneburg.  Es  stand  ihm  damit  in 
Aussicht,  das  gesamt©  Erbe  des  jüngeren  Hauses  Braun- 
schweig unter  seiner  Herrschaft  zu  vereinigen,  und  wie  diese 
Aussicht  seineu  W^orten  und  Katachlägen  ein  grül'seres  Ge- 
wicht verleihen  mufste,  so  war  sie  zugleich  geeignet,  seiner 
Politik  eine  bestimmte  Richtung  zu  geben,  ihr  ein  greif- 
bares Ziel  zu  stecken  und  ihr  dazu  die  einzuschlagenden 
Wege  zu  weisen.  Hier  ist  der  Punkt,  wo  die  grofae  Be- 
deutung Ernat  Augusts  für  die  Geschichte  Hannovers  liegt, 
von  wo  es  ihm  gelungen  ist,  die  spätere  Gröfse  seines  Hauses 
Jiazubahaenf    die  Grundlagen   seiner  k^infti^w  Weltstelluug 


J 


Primogeniturgeselz  für  Celle- H«nnover. 


141 


BU  legen.  Es  waren  hauptsächlich  zwei  Dinge,  auf  die  er 
Bein  Streben  richtete  und  die  er  mit  dem  Aufgebote  aller 
seiner  Kraft  zu  veri-virklichcn  suchte:  die  Einführung  eines 
strengen  Primogeniturrcchtcs  in  seiner  Familie  und  die  Er- 
langung der  Kurwürdc  für  eich  und  seine  demnächstigon 
Nachfolger  im  Regiment.  Beides  stand  in  dem  cngstcu  Zu- 
sammenhang, ja  man  kann  sagen,  dafs  das  eine  das  andere 
bedingte.  Üenn  wie  die  goldene  Bulle  die  gesicherte  Un- 
teilbarkeit des  Gebietes,  auf  dem  die  Kur  ruhete,  vorschrieb, 
so  wai*  anderseits  au  dio  Errichtung  einer  neuen,  der  neun- 
ten Kur  flU'  Hannover  ohne  eine  Ilauamacht,  welche  der- 
jenigen der  übrigen  weltliclien  Kurflirsten  gleich-  oder  nahe- 
kam, nicht  zu  denken.  Dies  war  die  unumgängliche  Vor- 
bedingung für  die  V^erwirklichung  jenes  Planes,  und  sie 
konnte  nur  erfüllt  werden,  wenn  die  beiden  Fürstentümer 
Celle  und  Hannover,  deren  künftige  Vereinigung  gesichert 
erschien ,  unter  ein  unantastbares  Erstgeburtsgesetz  gestellt 
wurden,  das  jede  Wiederkehr  einer  Landesteilung  ausachlols. 
Diese  Erwägungen  erklären  auch  die  nachgiebige  Haltung, 
welche  Ernst  August  gegenüber  den  Wünschen  seines  Bru- 
ders inbezug  auf  dessen  Verheiratung  und  auf  die  Standos- 
erhühung  seiner  Gemahlin  einnahm,  und  in  der  er  sich  durch 
nichts,  auch  nicht  durch  den  Widerspnich  der  sonst  so  ein- 
flufsreichen  Herzogin  Soplue  beiiren  liefs.  Zuerst  und  vor 
allem  mulste  die  Zustimmung  Georg  Wilhelms  zu  dem  be- 
absichtigten Gesetze  gewonnen  wei*den  y  und  sie  war  der 
Preis,  um  welchen  der  jüngere  Bruder  in  den  schon  er- 
wähnten Vertrag  von  Engensen  (S.  137)  willigte,  der  die 
Standeserhohung  Eleonoren^  von  Olbreuze  nur  unter  der 
Bedingung  anerkannte ,  dafs  dadurch  die  Nachfolge  Ernst 
Augusts  im  Fürstentum  Lüneburg  und  dessen  Vererbung 
nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt  nicht  beeinträchtigt  würde. 
Um  jede  Zweideutigkeit  zu  beseitigen,  gab  dann  Georg 
Wilhelm  bei  Gelegenheit  der  Verhandlungen  über  die  Ver- 
heiratung seiner  Tochter  mit  dem  Erbprinzen  Georg  Ludwig 
von  Hannover  am  17.  Oktober  1682  noch  einmal  seine  Zu- 
stimmung zur  Primogenitur  in  den  vereinigten  Ländern 
Haimover  und  Celle.  Und  nun  that  Ernst  August  den 
entscheidenden  Schritt.  Er  errichtete  am  21.  Oktober  1682 
unter  Beistimmung  seines  Bruders  ein  Testament ,  welches 
am  1.  Juli  des  iolgenden  Jahres  die  Bestätigung  des  Kai- 
sers erhielt ,  obschon  ea  genau  das  Gegenteil  von  dem  fest- 
setzte, was  einst  in   dem    Testamente   seines   Vaters   Georg 


(S.    97) 
ordnen  " 


k 


verordnet    worden    war. 
—  so  heifat   es   darin  — 


Ui 


Erstes  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


tümer  Calenberg,  Güttingen  und  Grubenhagen  samt  den  hom- 
burgischen, eversteinischen  und  schauenburgischen  Stücken, 
wie  wir  solche  jetzt  besitzen ,  dßsgleichcn  die  GrafachaÜ 
Diepholz  und  die  oberhoyaischen  Amter,  und  nach  Unseres 
Bruders  Tode  das  Fürstentum  Celle  )nit  der  unteren  Graf- 
öc'hal't  Hoya,  mit  allen  Rechten  und  Zubehorungeu,  unter 
einer  fürptliehcn  Kogioruug  immerhin  verhleiben  und  keines- 
wegs wiederum  veiteilet  werden ,  sondern  in  deren  Besitz 
und  Regierung  unsere  Descendenten  nach  der  Ordnung  und 
drm  Rechte  der  Erstgeburt  nachfolgen  aollen."  So  ward 
jetzt  endlich  auch  für  das  Lünebuiger  Haus  erreicht,  was 
in  dem  mittleren  Hause  Braunschweig  bereits  seit  fast  andert- 
halb Jahrhunderten  Gesftzeslii'nl't  erlangt  hatte ,  hier  aber 
noch  vur  kuraom  durcli  don  Herzog  August  d.  J.  für  die 
neue  Braunachweiger  Linie  wieder  in  Frage  gestellt  worden 
war:  die  Unteilbarkeit  des  Landes  und  seine  Bewalu'ung  vor 
jenen  thürichten  Zersplitterungen,  unter  denen  es  früher  so 
schwer  gelitten  hatte. 

Noch  galt  es  den  Widerstand  in  der  eigenen  Familie 
gegen  das  neue  Gesetz  zu  brechen  imd  die  Einwilligung  der 
Agnaten  der  älteren  Braunschweiger  Linie  zu  erlangen. 
Beides  wurde  dem  Ilei-zoge  Ernst  August  nicht  leicht.  Er 
hielt  zwar  anfangs  die  getroffenen  Abmachungen  noch  ge- 
heim und  liefs  .sie  später  (im  Jahre  1Ü89)  in  erweiterter 
Form  noch  einmal  von  dem  Kaiser  bestätigen,  al>er  seiner 
näheren  Umgebung  und  selbst  den  ferner  stehenden  Agnaten 
konnten  sie  auf  die  Länge  nicht  vorborgen  bleiben.  Da 
mufste  er  nun  zunächst  den  Widerspruch  der  eigenen  Ge- 
mahlin erfahren,  die  in  Üirer  zärtlichen  Liebe  für  die  nach- 
geboreuen  Söhne  in  der  Mafsregel  des  Gatten  eine  Be- 
raubung derselben  erblickte.  „Ich  schi'eie  die  ganze  Nacht 
hierüber",  schrieb  sie  am  1  Dezember  lü85  nach  Wolfen- 
büttel, „denn  ein  Kind  ist  mir  ebenso  lieb  als  das  andere: 
ich  habe  sie  alle  unter  mein  Hertz  getragen,  imd  die  un- 
glücklich seien,  jammern  mich  am  meisten."  Auch  der 
Zweitälteste  Sohn,  Friedrich  August,  legte  Verwahrung  ein, 
weigerte  sich  den  von  ihm  geforderten  Eid  auf  das  Statut 
zu  leisten,  beriet  sich  auf  das  alte  Herkommen  und  das 
grofs  Väter  liehe  Testament  und  wufste  die  Unterstützung  seiner 
Ansprüche  seitens  des  Herzogs  Anton  Ulrich  von  WoUon- 
büttel  zu  erlangen.  Vergebens  machte  Ernst  August  im 
Jahre  lfi8fi  den  Versuch,  die  Woltenbüttler  Agnaten  für  ein 
umfassenderes,  alle  Linien  des  wölfischen  Hauses  einschUefsen- 
dea  Primogenitnrgeaetz  zu  gewinnen.  Um  so  entschiedener 
hielt  er  dann  aber  an  dem   von   ihm    für    die  Lünoburger 


4 


ler    ^j 


Widerepruch  dagegen 


14.3 


Linie  oxiassenen  Stutut  fest.  Auf  das  bostinirotcetc  wies  er 
die  Eintnischung  Anton  Ulrifhs  in  diese  FHmiliensachc  zu- 
rück. Dennocli  vermochte  er  nicht  die  gegneriafhen  Ötira- 
meu  in  der  eigenen  Familie  zum  Schweigen  zu  bringen. 
Als  der  inzwisciicu  in  üäterrcichische  Dienste  getretene 
Friedrich  Augnst  an  der  Spitze  seines  Keitorregimentea  bei 
bt.  Georgen  in  Siebenbürgen  gegen  die  Türben  gefallen 
war  (10.  Januar  1691),  nahm  der  nun  Zweitälteste  seiner 
■Söhne,  Maximilian  Wilhelm,  der  Liebling  seiner  Mutter,  den 
Widerstand  gegen  die  Pläne  des  Vaters  mit  noch  gi'öf?«rer 
Lebhaftigkeit  auf.  Einen  Augenblick  schien  es,  als  sollten 
diese  Wirren  mit  einem  ernsten  Familien drama  endigen. 
Maximilian  Wilhelm  war  durch  nichts  zu  bewegen,  seine 
urkundliche  Zustimmung  zu  den  Pliiuen  seines  Vaters  zu 
erteilen.  Er  fand  dabei  Verbündete  au  seiner  Mutter  und 
weiter  an  den  regierenden  Herzögen  von  Wolf'enbüttel,  an 
die  er  sich  wandte  und  die  ihn  in  seinen  angebUchen  Erb- 
ansprüchen  zu  achützen  vcrepracheu.  Man  verhandelte  dar- 
über mit  Dänemark  und  Brandenburg,  selbst  mit  Frankreich, 
und  meinte,  der  Zustimmung  aller  derjenigen  Staaten  sicher 
zu  sein,  welche  der  schon  damals  von  Ernst  August  be- 
triebenen Erwerbung  der  Kurwürde  widerstrebten.  Der 
Leiter  dieser  gauzen  politischen  Zettelang  war  der  hannövrische 
Oberl'orst-  und  Jägermeister  von  Moltke,  von  dem  mau 
wissen  wollte,  dafs  er  selbst  feindselige  Absichten  gegen  die 
Personen  Ernst  Augusts  und  des  Erbprinzen  gehegt  liabe. 
Die  Verschwörung  ward  entdeckt,  man  sagt  infolge  einer 
Warnung,  die  dem  hannövrischen  Hofe  vonseiten  Sophie 
Charlottens,  der  au  den  Kui'füraten  von  Brandeubui'g  ver- 
mählten Tochter  Ernst  Augusts,  zuging.  Moltko  ward  ver- 
haftet und  büfste  nach  peinlichem  Prüzefs  sein  unbesonnenes 
Unternehmen  am  15.  Juli  169ü  auf  dem  Blutgerüste.  Sein 
Verwandter ,  der  Obristlieutenant  von  Molike ,  der  mit  in 
die  Sache  verwickelt  war,  ward  des  Landes  verwiesen,  und 
der  W^olfeubüttler  Geheirasekretär  Blmue,  der  sich  zu  den 
Verhandlungen  mit  seinen  Herren  und  dem  Kurfürsten  von 
Brandenburg  hatte  gebrauchen  lassen,  sieben  Monate  lang 
auf  dem  Calenbergc  in  Haft  gehalten,  endlich  aber  infolge 
der  drohenden  Haltung,  welche  die  Herzöge  von  Woh'en- 
büttel,  gestutzt  auf  ein  mit  Brandenburg  am  21.  April 
J692  abgeschlossenes  Bündnis,  annahmen,  in  Freiheit  ge- 
setzt. Auch  der  Urheber  des  ganzen  Handels,  Prinz  Maxi- 
milian W^ilhelni,  wurde  in  Verwahrsam  genommen,  verdankte 
aber  der  Fürsprache  seines  Oheims  Georg  Wilhelm  von 
Celle    eine    mildere   Behandlung.     Unter   die    Aufsicht   des 


144 


Erstes  Bach.    Dritter  Abschnitt. 


Grafen  von  Platen  gestellt,  erhielt  er  erst  seine  völlige  Frei- 
heit zugleiL'h  mit  dem  Versprechen  einer  Verdoppelung  seiner 
Apanage  nach  seines  Vaters  Tode  zurück,  nachdem  er  das 
gcthan ,  wogegen  er  sich  so  lange  gesträubt ,  nämlich  auf 
seine  angeblichen  Ansprüche  auf  eines  der  beiden  Fürsten- 
tumer Celle  oder  Hannover  verzichtet  iind  die  Anerkennung 
des  vftlerlichen  Primogeniturstatuts  durch  feierlichen  Eid  be- 
kräftigt hatte.  Später  ging  er  in  österreichische  Dienste, 
soll  dann  zur  katholischen  Kirche  übergetreten  sein  und  ist 
am  27.  Juli  17*26  als  kaiserlicher  General  gestorben,  nicht 
ohne  noch  einmal  den  Versuch  gemacht  zu  haben^  seine  ab- 
geschworonen  Ansprüche  zur  Geltung  zu  hriiigen. 

Wahrend  sich  diese  uuliehsaraen  Ereignisse  am  Hofe  zu 
Hannover  abspielten,  war  es  Georg  WUlielm  von  Celle  ge- 
lungen, seinem  Länderbesitzc  eine  wichtige  und  bedeutende 
Erwerbung  hinzuzufügen.  Am  29.  September  1 689  starb 
zu  ReicLbtadt  in  Böhmen  Julius  Franz  von  Lauenburg,  der 
letzte  inäuuliche  Sprofs  des  alten  Geschlechts  der  askanischeu 
Herzöge  von  Sachsen.  Vier  deutsche  Fürstenhäuser,  Mecklen- 
burg, Sachsen  in  seinen  beiden  HauptHnien,  das  Gesamthaus 
Braunschweig  und  Anhalt,  erhoben  Ansprüche  auf  das  er- 
ledigte Herzogtum  und  das  damit  verbundene  Land  Hadeln. 
Von  ihnen  standen  dem  Hause  Anhalt  wohl  die  gewichtig- 
sten Rechtsgrüude  zur  Seite,  allein  Georg  Wilheln»  besetzte 
als  Vertreter  der  Rraunschweiger  Fürsten  und  als  Oberster 
des  niedersächsischen  Kreises,  um  dem  Sequester  des  Kaisers 
zuvorzukommen,  das  Land  und  behauptete  sich  in  dessen 
Besitze.  Hadeln  dagegen  wurde  durch  den  kaiserlichen  Ge- 
sandten in  Hamburg  unter  Sequester  gestellt  und  verblieb 
in  dieser  Lage  bis  zum  Jahre  1731.  Kursachsen  trat  seine 
Ansprüche  an  Lauenhurg  durch  Vergleich  vom  19.  Juni 
1697  gegen  die  Zahlung  von  IIOÜCKJU  Gulden  an  Braun- 
schweig ab  und  einen  ähnlichen  Vergleich  schlosaen  später 
(22.  September  1732)  die  ernestinischen  Häuser,  indem  sie 
auf  ihre  angeblichen  Rechte  gegen  6Ü00Ü  Thaler  verzich- 
teten. Zwischen  Braunschweig  und  Anhalt  aber  kam  es  zu 
einem  Besitzprozois  vor  dem  Reichshofrat,  der  in  dein  von 
anhaltibcher  Seite  beantragten  Veri'ahren  wegen  Herausgabe 
des  lauenburgi sehen  Arcliivs  liegen  geblieben  ist. 

Inzwischen  hatten  die  weiteren  ehrgeizigen  Pläne,  welche 
den  Geist  Ernst  Augusts  beschäftigten,  keinen  Augenblick 
geruhet.  Die  Einführung  der  Primogenitur  in  den  Fürsten- 
tümern Gelle  und  Hannover  war  dazu  nur  der  erste  vor- 
berejtenäe  »Schritt  gewesen.  Nebenher  gingen  und  enge  damit 
verbanden  w&j-en  die  Bemühungen ,  SSxs   äsä  äö  vcv  ZwV\iaft 


Teilnahme  Ernst  Augusts  am  Kriege  gegen  Osmanen  u.  Franzosen.  145 


und  iür  ewige  Zeiten  vereiuig:te  Ländergebiet  die  KurwUrde 
zu  erlangen.  Diesem  Bestreben  stellten  sich  aber  fp-ofse, 
kaum  zu  überwindende  Schwierigkeiten  entgegen.  Der  Ver- 
such, die  protestantischen  Kurfürsten  durch  den  Hinweis  auf 
die  Vorteile  zu  gewinnen,  welche  ihnen  und  der  evangelischen 
Religion  erwachsen  raülsten,  wenn  das  Corpus  Evangeli- 
coitun  des  Kuriurstenkollegiums  um  eine  Stimme  vermehrt 
würde,  hatte  keinen  Erfolg.  Zwar  zeigte  sich  Brandenburg 
nicht  abgeneigt ,  seine  Unterstützung  zu  gewähren ,  aber 
um  so  weniger  williahrjg  war  Kursachsen,  namentlich  seit- 
dem infolge  der  Laaenbui'ger  Erbfolgefrage  das  irühere  gute 
Verhältnis  mit  dem  Lüneburger  Hause  sich  merklich  ge- 
trübt hatte.  Da  von  den  katLolischen  KurlUrsteu  nicht  nur 
keine  Förderung,  sondern  eine  entschiedene  Bekämpfung 
seines  Planes  zu  erwarten  stand,  so  blieb  Ernst  August  nur 
der  eine  Weg,  sich  immittelbar  an  den  Kaiser  zu  wenden 
und  diesen  durch  grofsG  Zugeständnisse,  durch  bereit^Wlligate 
ünteratützung  der  österreichischen  Politik  flir  seine  Absichten 
zu  gewinnen.  Er  liefs  durch  den  Graten  Platen,  den  hannö- 
vrischen  Gesandten  in  Wien,  dem  Kaiser  Leopold  erklären, 
dals,  falls  er  eines  ähnlichen  Entgegenkommens  versichert 
sein  könnte,  ihm  kein  Opfer  zu  grofs  scheinen  würde,  um 
die  Interessen  des  Kaiserhauses  zu  fordern.  Und  bei  solchen 
Versicherungen  liefe  er  es  keineswegs  bewenden.  Er  zeigte 
auch  durch  die  That,  dafa  es  ihm  mit  ihnen  Ernst  war. 
Bereite  im  Jahre  1683  hatte  er  in  dem  Augenblicke,  als 
die  Türken  unter  dem  Grofsvezier  Kara  Mustafa  die  unga- 
rische Grenze  überschritten ,  in  Unterösterreich  einbrachen 
und  durch  die  Belagerung  von  Wien  die  ganze  abend- 
ländische Welt  in  »Schrecken  und  Bestürzung  versetzten, 
deni  Kaiser  ein  Hilfsheer  von  10  000  Mann  angeboten.  Der 
Vertrag  darüber  kam  damals  aber  nicht  zustande.  Kur 
zweien  seinei*  Sühne ,  dem  Erbprinzen  und  dem  Prinzen 
Friedlich  August,  die  nach  Wien  eilten,  war  es  mit  einer 
Hand  voll  Brauasch weiger  Truppen  vergönnt,  sich  persön- 
lich an  dem  ruhmreichen  Entsätze  der  Stadt  zu  beteiligen. 
Zwei  Jahre  darauf  (1685)  ward  dann  zu  Linz  zwischen 
dem  Kaiser,  Venedig  und  der  Krone  Polen  ein  Offenaiv- 
bündnis  gegen  die  Pforte  geschlossen,  weichem  auch  sämt- 
liche Braimschweiger  Herzöge,  vor  allen  Ernst  August,  bei- 
traten. Sie  stellten  zusammen  12000  Mann,  welche  unter 
der  teilweisen  Führung  des  Erbpnuzen  Georg  Ludwig  in 
dem  ungarischen  Feldzuge  von  1685  (S.  120)  ao  ta^fo: 
lochten,  dala  der  Kaiser   an   den  Herzog  ^xuat  ^wg«a&\.  «m. 


ilaiaaamaa,  Bnaaschw.-ixMiuöv.  Q«»chiGbt«.     lU. 


\0 


146 


Erstes  Bncli.     Dritter  Abschnitt. 


eigenhändigee  Glückwunsch-  und  Dankachreiben  richtete,  ii 
welchem  er  hervorhob,  „wie  stattlich  sich  Se.  Liebdeu  und 
die  fürstlichen  Prinzen  tun  die  Sicherheit  des  chriBtlicben 
Wesens  verdient  gemacht  hätten".  Und  während  diese 
Truppen  in  Ungarn  gegen  die  Türken  tmverwelkliche  Lor- 
beeren erwarben,  kämpften  ein  anderes  hannövrisches  Korps 
und  der  dritte  Sohn  Ernst  Augusts,  Maximilian  Wilhelm, 
nicht  minder  ruhmvoll  in  venetianiBchen  Diensten  gegen 
denselben  Feind,  siegten  unter  Morosinis  Führung  mit  bei 
Kalamata ,  unter  Künigsmark  bei  Argos  und  Patras ,  er- 
oberten Korou.  Navariuo,  Modon,  Napoli  di  Komania  und 
Athen  und   halfen  den  Osmanen  ganz  Morea  entreifsen,  ^ 

Aber  nicht  nur  gegen  die  Türken  an  den  Ostmarkem  de»V 
Reiches  und  aui  den  Schlachüeldem  dos  Peloponnes  bewähr- 
ten   damals    hannövrische    und    braun schweigisc he   Truppen 
ihi-en  alten   Kriegsruhm,    sondera  auch    an   der    deutschen 
Westgrenze,  in  den  Niederlanden  und  am  Rhein,  gegenüber 
den    weit    geiUhr lieberen  ,  kriegsknndigen    und    überlegenen 
Franzosen ,    deren    König    in    seinem    Ubermute  und  seiner 
Erober ungöl Übt   nicht    abiiefs,  den   Frieden   Europas   zu    be- 
drohen.    Als  Ludwig   XIV.   ira    Jahre    1688   seinen    dritten 
Raubkrieg  mit  jener  erbarmungslosen  Verwüstung  der  Pfalz 
einleitete ,  die   seinem  Namen   auf  ewige   Zeiten   ein   unaus- 
löschlichea  Brandmal  angeheftet  hat,  war  es  wiederum  Ernst 
August  von  Hannover,  der   im  Verein   mit   den  Kurlursten 
von  Sachsen    imd  Brandenburg  sowie  mit   dem  LandgrafenH 
von   Hessen-Kassel    tiii*   die   Verteidigung    des   Reiches  ent-  ^ 
schlössen  einti-at  und  ihr  nicht  unbedeutende  Opfer  brachte. 
Er  ttihrte  in  eigener  Person  ein  Korps   von  80QÜ  Mann  an^fl 
den    Mittelrhein ,     wo     es     noch     rechtzeitig    eintraf,     um  ^ 
Köln,  Frankfurt  und  Koblenz  zu   sichern.      In  dem  folgen- 
den Jahre  erweiterte  sich    dann   der  Krieg   durch   den   Bei-  ^ 
tritt    Englands ,    Spaniens ,      Hollands     und     Savoyens     zu  fl 
einem  europäischen  und  ward   bis   zum   Ry&wicker   Frieden 
(1697)  vorzugsweise  am  Rhein  und  in  den  Niederlanden  mit 
wechselndem  Erfolge   gelührt.    Während  dieser   ganzen  Zeit 
fochten  braun  schweigisc  he  und    hannövrische  Truppen  unter 
persönlicher  Teilnalime  Ernst  Augusts^  besonders  aber  seines^M 
ältesten  Suhnes  des  Erbprinzen  Georg   Ludwig   mit   grofser  ™ 
Tapferkeit,  wenn  auch  nicht  immer  glücklich,  gegen  die  be- 
währtesten französischen  Marschälle,  namentlich  den  Herzog 
von  Luxemburg ,    halfen    Mainz    und   Bonn    zurückerobern, 
schlugen   die   Schlachten    von   Fleurus    (l.  Juli    l<i90)   und 
Sieenkerken   (3.  August    16^ '2)    und    bluteten    in    der  mör- 
derlacbea,  ver/ustvoUen   Schlacht  von  "iSeÄr^mÖLftXi  ^^.  i%!ii 


VerLandluugeu  wegeu  der  aeiiuten  Kur. 


147 


1693).     Erst  nach  Abschlufs  des  Friedens  kehrten  sie  in 
die  Heimat  zurilck. 

Die  V^erhandlungrn  wegen  der  Verleihung  der  Kiirwürde 
waren  in  den  ersten  Jahren  des  Krieges  eitrig  ibrtgetlihrt 
worden,  ohne  dafs  sie  zu  dem  gewünschten  Ergebnia  ge- 
führt hätten.  In  Wien,  wo  jetzt  der  Schwerpunkt  derselben 
iftg,  vermied  man  unter  den  wechselnden  EinflüBsen  wider- 
streitender Interessen  jede  bindende  Zusage,  obschon  der 
Gesandte,  Graf  PJaton,  nicht  müde  ward,  an  der  Hand 
der  MilitHrlisten  der  Jahre  1G85  bis  l(i9()  anf  die  gro&en 
Verdienste  hinzuweisen ,  die  sich  da»  Haus  Hannover 
ura  Kaiser  und  Reich  en^'orben  habe.  Die  entschieden- 
sten und  hartnäckigsten  Gegner  der  erstrebten  Würde 
hatte  man  in  den  Wolienbüttler  Stammesvettern ,  den  Her- 
zögen Rudolf  August  und  vorzüglich  Anton  Ulrich,  zu  be- 
kämpfen, die  von  einer  ausschliefslich  für  die  jüngere  Linie 
des  Braun  Schweiger  Hauses  bestimmten  Kur  nichts  wissen 
wollten  und  sich  höchstens  bereit  erklärten,  um  eine  solche 
fiir  das  Gesamthaus  und  zwar  nnr  unter  der  Bedingung 
nachzusuchen ,  dafs  dessen  älterem  Zweige  die  Kurstimme 
mit  den  daran  haftenden  Rechten  vorbehalten  bliebe.  So 
kam  man  in  der  Angelegenheit  nicht  weiter.  Rechts- 
deduktionen, weitläufig  Tind  voll  schwülstiger  Gelehrsamkeit, 
wie  es  die  Zeit  mit  sich  brachte,  wurden  von  beiden  Seiten 
veröffentlicht,  Proteste  wiederholt  von  Wolfenbiittler  Seite 
eingelegt,  ohne  dafs  auch  nur  ein  Schritt  in  der  Sache  vor- 
wärts gethan  wäre.  Endlieh  war  mau  in  Hannover  dieser 
doppelzilngigen  Politik,  die,  ohne  zu  gewähren,  doch  die 
Hoffnung  immer  von  neuem  anregte,  müde.  Im  Jahre  1690 
sandte  Ernst  August  seinen  Kammerpräsidenten  und  Geheimen- 
rat  Otto  Grote,  der  in  auswärtigen  Angelegenheiten  seine 
rechte  Hand  war,  nach  Wien.  Er  nahm  seinen  Weg  über 
Dresden,  angeblich  um  mit  dem  kursächsi sehen  Hofe  über 
die  immer  noch  unausgeglichene  Lauenburger  Erbfolgefrage 
zu  verhandeln,  in  Wahrheit  aber  um  den  Kurfürsten  zur 
Einwilligung  in  die  Errichtung  der  neunten  Kur  für  Han- 
nover und  zu  einem  eventuellen  Neutrali tätabündnisse  der 
beiden  Staaten  zu  bewegen.  Die  Sendung  Grotes,  die  von 
dem  hannövrischen  G^neraladjutänten  von  Uten  und  durch 
reichliche  Geldspenden  unterstützt  ward,  war  von  Erfolg 
gekrönt.  Es  gelang,  den  in  Dresden  allmächtigen  Feld- 
marschall von  Schöning  von  der  ErsprielsÜchkeit  der  vorge- 
schlagenen Neutralität  zu  überzeugen  und  für  die  ka.Ur 
növrischen  Pläne  hinsichtlich  der  Kur^^üx^e  "vx  ^e.'m'WöÄSi.. 
Der  Entwurf  eines   Neutrali täts Vertrages  vmi^fe  ■vet««^«s\^ 


148 


Erstes  Buch.    Dritter  AbBchnilt 


UDcL  mit  diGficm   eilte  Grote  jetzt  nach  Wien,  um   ihn 
letzten  und  wirksamsten  Hebel  zur  endlichen  Erlangung  der 
seit  so  langer  Zeit  verfolgten  Ziele  des  hannövriachen  Hofes 
einzusetzen.     Der  Kaiser  und  seine  Räte  sahen  eich  vor  die 
Wahl  gestellt,  entweder  in  dem  eben  ausgebrochenen  Kriege 
mit  Frankreich  die  Uilfe  der  sächsischen  und  hannövrischeu 
Truppen    zu   entbehi*en   oder    aber    den    Wünschen    Krnst- 
Augusts  uud  seines  Bruders  Georg  Wilhelm  endlich  gerecht 
zu   werden.      Die   Wahl   war   unter   den   obwaltenden   Um- 
ständen nicht  schwer,    und  es   hätte   kaum  der    dringenden 
Vorstellungen     der    verbündeten     Mächte ,    Englands     und 
Hollands,  bedurft,  um  sie  zugunsten  Hannovers  zu   entschei- 
den.    Am  22.  März  llj92  gelang  es  Grote,  mit  dem  Kaiser 
den  wichtigen  Vertrag   abzuschliefsen ,   In   welchem   die  Er- 
richtung   einer    neunten   Kur   und   deren   Übertragung    aui 
Hannover  feieHich  versprochen  und   verbürgt   ward.     j^Witfl 
erklären",  heifst   es  darin,  ,.uns    allorgnädigst  hiemit  unc^* 
versprechen,  dals,   nachdem  des  Herzogen   Georg   Wilhelm 
Liebden    sich    gegen    uns    erkläret,   Dtiro    Bruders    Ernsta 
Augusti  (Liebden)  zu  Braunschweig  Lüneburg  für  sich  und 
Dero  Descendenten  männlichen    Geschlechts  juxta   ordinem 
primogeniturae  die  Chur-Würde  würcklich  erlangen   und 
die  Zahl  unserer  imd  des  Reichs  Churfürsten  auf-   und   au-5 
genommen  werde.     Zu  dieser  neunten  Chur  sollen  des  Her 
zogthunis  Brauuscbweig  -  Lüneburg  Fürstenthumer  Zell,  Ca 
lenberg  und  Grubeiihagen  samt  denen  dazu  gehörigen  Graf- 
schaften Hüya  und  Diepholten,  auch  übnge  gedachter  beider 
Brüder  Liebden  zugehörige  Landen,  Ämter,  Städte  und  Per-Ä 
tinentjen   ewig    und    unzerti-ennlich ,    so  lange  eine   ehliche^ 
männliche    Descendenz    von    Sr.    Liebden    Herzogs    Emsts 
Augusti  vorhanden,  gehören  und  unter  denen  Landen  dieser^ 
neunten  CLur  samt  und  sonders  begriffen  sein."     Mit  dieserB 
Kur  sollte  das  Reichserzbanneramt  oder,  falls  die  durch  den 
westialischen  Frieden  errichtete  achte  Kur  dermaleinst  „aua-^^^ 
gehen"  würde,    das   Erz&chatzmeisteramt  des  Reiches  ver-^B 
Kunden   sein.     Die   beiden   braunschweigischen  Brüder  ver- 
pilichteten    sich    dagegen     nicht    nur    zur    Fortsetzung    des 
Türkenkrieges  dem  Kaiser  die  Summe  von  500000  Thalem 
in  zwei  Raten  als  Beihilfe  zu  zahlen,  sondern  auch  fiir  die- 
sen £jieg  während  der  zwei  nächsten  Feldzüge  GOOO  Mann 
„ihrer  alten  geübten  Truppen,  4500  zu  Fufs   und   1500  zu 
Pferde  au  Reutern  und  Dragonern"  zu  stellen   und  solche 
auf  eigene  Kosten  zu  unterhalten,  auch  wenn  der  Krieg  mit 
den   beiden   nächsten  Feldzügen  nicht  sein  Ende  ei'reicheu 
BOÜtCf  während,  seiner  ganzen  Dauer  'iOOOl&Wifi  iei&^SÄ\»Ät 


Errichtiing  der  neunten  Kor. 


149 


zur  Verfugung  zu  stellen.  In  einem  Neben-,  dem  soge- 
nannten Unionsrezefs  versprach  man  sich  ewige  Freundschaft 
und  gegenseitige  Unteretützimg,  sicherte  auch  seitens  der 
Lüneburger  Herzüge  die  Gewissensfreiheit  und  den  unge- 
hinderten Gottesdienst  den  in  ihren  Landen  ansessigen  Ka- 
tholiken zu. 

Ernst  August  sah  sich  am  Ziel  seiner  Wunsche.  Frei- 
lich fehlte  zum  formalen  Abschlufs  der  ganzen  Angelegen- 
heit noch  die  „Investitur  und  förderliche  Introduction  in 
das  Churfurstliche  CoUegium",  sowie  „die  Approbation  des 
gesamten  Reiches",  die  der  Kaisei*  nur  zu  erwirken  ver- 
sprochen hatte.  Allein  über  diese  Schwierigkeiten  kam  mau 
schliclslich  auch  hinweg.  Brandenbui-g  und  Sachsen  wurden 
durch  neue  Vertrüge  gewonnen  und  selbst  das  lange  wider- 
strebende Kurmainz  durch  Abtretung  des  zwischen  ihm  und 
Hannover  streitigen  Obereicbsfeldes  und  der  Mark  Duder- 
Btadt,  sowie  dm'ch  Zahlung  von  20  000  iSpociesthalern  be- 
stimmt, seinen  Widerspruch  aufzugeben.  So  blieben  denn 
die  nach  wie  vor  eingelegten  Proteste  der  Wolfenbüttler 
Brüder  unberücksichtigt^  und  am  9.  Dezember  1692  erfolgtCj 
nachdem  die  Mehrheit  des  KurfürstenkoUegiuma  sich  am 
17.  Oktober  zu  Regensburg  für  die  Errichtung  der  neunten 
Kur  und  ihre  Übciiragung  aul'  Hannover  erklärt  hatte ,  in 
der  Hofburg  zu  Wien  die  feierliche  Belohnung  mit  der 
neuen  Würde.  Otto  Grote,  der  glückliche  Unterhändler, 
leistete  im  Namen  seines  Herrn  den  Huldigungseid  und 
empfing  darauf  aus  den  Händen  des  Kaisers  den  Kurhut 

Die  Wolfenbüttler  Stammes  vettern  gaben  sich  freilich 
auch  dann  noch  nit^t  zur  Ruhe.  Namentlich  setzte  Anton 
Ulrich  alles  in  Bewegung,  um  die  Anerkennung  der  neuen 
Würde  durch  die  übrigen  Staude  des  Reiches  zu  verhindern 
und  den  letzten  formellen  Akt ,  die  Einfüliruug  Ernst 
Augusts  in  das  Kurfür stenkollegi um,  zu  hintertreiben.  Vor- 
nehmlich infolge  seiner  Bemühungen  ßchlofs  am  14.  März 
169S  eine  grol'sc  Anzahl  von  Reichsständen,  daninter  Mün- 
ster,  Bamberg,  Hessen -Kassel,  Saclisen-Gotha  und  Dänemark, 
mit  den  Wolfenbüttler  Brüdern  den  sogenannten  Bund  der 
korrespondiei-endeu  Fürsten,  der  den  Zweck  hatte,  die  Er- 
hebimg des  hannövrischen  Hauses  trotz  allem,  was  bisher 
geschehen  war,  doch  noch  zu  vereiteln.  Man  wandte  sich 
sogar  an  Schweden  und  Frankreich  und  rief  ihr  Einschrei- 
ten in  dieser  Angelegenheit  als  Garanten  des  westtalischen 
Friedens  an.  Karl  XI.  vun  Schweden  wies  das  Ansinnen 
zurück ,  nicht  so  Ludwig  XIV. ,  dem  \)ei\  ?Ä\weu  ^^"«isJ«. 
achoB  geilsten  Absichten  auf  die  spaniacW  "Nlo^a-TÄüe.  ^v^fc». 


150 


Erstes  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


Zerwürtnis  im  Keiche  die  Handhabe  zu  weiteren  Zettelungon 
darbot.  Als  im  Jahre  1697  der  Ryswicker  Friede  ver- 
handelt wurde,  liefs  Hannover  durch  seinen  Gesandten  den 
Versuch  machen,  bei  dem  bevorstehenden  Friedensschi lUa  die 
Anerkennung  der  hannövri sehen  Kur  seitens  aller  bei  den 
Verhandlungen  beteiligten  europiiiacheu  Grofsmächte  zu  er-fl 
langen,  was  selbatvorständlich  auch  diejenige  des  Raiches^ 
nach  sich  gezogen  haben  würde.  Allein  auch  dieser  Ver- 
such scheiterte  an  dem  Widerstände  Frankreichs. 

So  sollte  Ernst  August  den  endgültigen  Abschlula  dieser 
Angelegenheit,  der  er  den  besten  Teil  der  politischen  Arbeit 
seines  Lebens  gewidmet  hatte,  doch  nicht  erleben.  Er  starb 
am  23.  Januar  lii98  im  Schlosse  zu  Herrnhauscn  bei  Hon-fl 
nover,  der  Schöpfung  seines  Bruders  Johann  Friedrich.  Die 
Vollendung  seines  Werkes  mufste  er  seinem  Solme  und 
Nachfolger  Georg  Ludwig  überlassen^  der  denn  auch,  nach- 
dem der  letzte  Widerstand  der  Wolfenbuttler  Linie  in  der 
früher  (S.  122)  berührten  Weise  gebrochen  imd  der  Zu- 
sammentall  der  Fürstentümer  Celle  und  Hannover  erfolgt^ 
war,  die  leierUche  Einführung  seines  Gesandten  in  das  Kur*  H 
fürstenkoUegium  am  7.  September  17ü8  und  damit  die  all-  " 
aeitige  Anerkennung  des  Reiches  als  Kurfürst  von  Hannover 
erreichte.  Sieben  Jahre  nach  seines  Bruders  Tode,  am 
28.  August  1705,  schied  auch  Georg  Wilhelm  von  Celle  aus 
diesem  Leben.  Er,  der  einst  so  Unruhige  und  Reiselustige, 
hatte  die  letzten  Jahre  desselben,  niedergedrückt  durch  das 
traurige  Geschick  seiner  Tochter,  unter  dem  ihn  jetzt  völÜg 
behen'ßcheuden  EinÜasac  seines  Bruders  und  mehi-  noch 
seiner  Schwägerin;  fast  wie  ein  Privatmann  verbracht,  die 
Sorgen  der  Regierung  seinem  allmächtigen  Minister  Bern-fl 
storflf  überlassend,  ab  und  zu  mit  den  Verwandten  in  Haa-™ 
nover,  nie  mehr  mit  der  verbannten  und  verstofsenen  Toch- 
ter verkehrend,  Trost  in  dem  Umgänge  mit  der  noch  immer 
geUebteu  Eleonore,  Zerstreuung  in  den  aufregenden  Freuden 
der  Jagd  suchend,  die  Zeit  seines  Lebens  eine  Lieblings- 
beschäftigung für  ihn  gewesen  ist.  In  Wienhauseu,  auf  dem 
dortigen  Jagdschlosse,  wo  er  iu  früheren  Jahren  so  manche 
fröhliche  und  glückliche  Stunde  mit  Weib  und  E-ind  verlebt 
hatte,  ist  er  gestorben.  Eleonore  d'Olbreuze,  welche  durch 
ihre  unglüoldiche  Tochter  Sophie  Dorothea  die  Staramuiutter 
dreier  Königshäuser,  der  Häuser  von  England,  Hannover  und 
Preufsen,  werden  sollte,  hat  ihren  Gatten  fast  noch  siebenzehn 
Jahre  überlebt.  Sie  starb  am  5.  Februar  1722  verlasaeaj 
und  vereiuaamt  auf  ihrem  Witwensitze  zu  Celle. 


Die  An^Uige  des  fürstlichen  Absolutismus. 


Iftl 


Vierter  Abschnitt. 
Eulturgeschlt'htÜcher  Überblick. 


Wenn  es  wahr  ist,  dafs  die  Lebensftliiffkeit  eines  Volkes 
die  üim  iunewohnende  geistige  und  sittlicne  Kraft  Hich  erst 
in  Not,  Bedrän^B  und  Trübsal  zu  Lewähren  pflegen,  dann 
hat  daa  deutsche  Volk  dieae  Probe  seiner  Tüchtigkeit  in 
den  Zeiten,  denen  die  letzten  Abschnitte  dieses  Buches  ge- 
widmet waren,  glänzend  be&tanden.  In  ihnen  kamen  die 
schroffen  Gegensätze,  die  das  Reformationszeitalter  nicht  nur 
auf  kirchlichem  und  religiösem  sondern  aul"  allen  Gebieten 
des  öffentlichen  Lebens  hervorgerufen  batte,  äufserlich  wenig- 
stens zu  einem  friedlichen  Ausgleich.  Allein  dies  geschah 
erst  nach  einem  Kriege  von  der  Dauer  eines  diu*chschnitt- 
liehen  Menschenaltei's  ^  dessen  Ende  wenige  von  denen  er- 
lebten j  die  seineu  Anfang  gesehen ,  nach  einem  Kriege, 
der  Deutschland  in  eine  Wüste  verwandelte  und  die  Nation, 
auf  deren  Kosten  er  geführt  ward,  zu  ewiger  Schwäche  imd 
Ohnmacht  zu  verdammen  schien.  Der  dreÜsigj ährige  Krieg 
bildet  den  Mittolpimkt  dieser  uubeilvoUsten  Zeit  unserer 
vaterländischen  Geschichte,  aber  wie  sich  lange  vor  seinem 
Ausbruche  bereits  die  drohenden  Anzeichen  des  herauf- 
ziehenden Unwetters  bemerkbar  machten ,  ao  hat  es  viele 
Jahre  gedauert  nud  groiser  Anstrengungen  bedurft,  bis  die 
Schäden  und  Verluste  nur  einigcrmal'son  ausgeglichen  waren, 
die  er  über  Land  und  Leute  gebracht  hat.  Dafs  dies  über- 
haupt gelungen  ist,  dafs  es  möglich  war,  den  nach  dem 
Kriege  gänzlich  darniederliegenden  Ackerbau  neu  zu  beleben, 
den  zerrütteten  Wohlstand  der  Städte,  wenn  auch  auf  ver- 
änderter Grundlage,  wiederherzustellen,  die  Verwildening 
und  Zuchtiosigkeit  zu  überwinden ,  die  sich  des  Volkes  be- 
mächtigt hatte,  und  in  den  folgenden  gefälhrlichen  Zeiten  den 
begehrfichen  Gelüsten  des  Auslandes  gegenüber  das  Reich 
im  grofsen  und  ganzen  vor  weiteren  Verlusten  und  Gebiets- 
abtretungen zu  bewahren,  ist  ein  Beweis  von  der  unver- 
wüstlichen Lebenskraft  des  deutschen  Volkes,  zum  grofsen 
Teil  aber  auch  das  Verdienst  des  deutschen  Fürstentums, 
das  sich  jetzt  auf  den  Trümmern  der  alten  Lebensordnungen 
ungehindert  erhebt  und  zu  einer  den  Staat  und  in  den  pro- 
testantiachen  Ländern  auch  die  Kirche  absolut  beherrschen- 
den Stellung  gelangt. 


168 


Erstes  Buch.    Vierter  Abschnitt. 


Die  Ansätze  zu  diesem  alle  anderen  Faktoren  des  Staats- 
lebens überragenden  und  in  Beinen  Dienst  zwingenden  Für- 
stentum und  damit  die  Anfänge  des  modenien  Staates  über- 
haupt finden  sieb  freilicb  schon  in  der  Zeit  der  Reformation, 
und  ea  ist  früher  (II.  S.  470  ff.)  kurz  daraufhingewiesen  wor- 
den.     Aber    erst    inmitten    der    Zerrüttungen ,    welche    das 
17.  Jahrhundert   über   Deutschland   verhängte,   und   infolge 
des  Niederganges  aller   übrigen   selbständigen  Gewalten   des 
durch  den  grofsen  Krieg   aufgelockerten  Staatsverbandes  ist 
der  iiirstliebe  Absolutismu.s  zu  unbestrittener  Herrschaft  ge- 
langt     Aus    dem   reinen   Lehnsstaate   des    früheren    Mittel- 
alters hatte   sich   in    der    zweiten   Hälfte    des    letzteren    die 
ständische   Lehnsmonarchie   herausgebildet,   eine  Staatsform, 
die   auf  dem   Zusammenwirken    des   Landesherm    und    der 
Landstände,  d.  h.   einer   aus   den   Abgeordneten   der   Geist- 
lichkeit, der  Ritterschaft   und   der  Städte   bestehenden  Kor- 
poration beruhete.    Wir  haben  in  einem  früheren  Abschnitte 
(11.   236 — 240)    die   allmähliche   Entwickelung   dieser   land- 
ständischen Verfassung  in  den  weifischen  Gebieten  dargelegt. 
Sie  bestand  noch  in  voller  Kraft,   als   das   16-  Jahrhundert 
2U  Ende  ging,   aber   das   frühere   Machtverhältnia   zwischen 
den  Ständen  imd  dem  Landesherm  hatte  sich   doch   bereits 
zugunsten    des    letzteren    versi^bobcn.     Ea   ist   ein    ziemlich 
verworrenes  Bild,  das  diese  Landstände  in  ihrer  Zusammen- 
setzung und  in  den    unbestimmten,   schwankenden  Grenzen 
ihrer  Rechtsbefugnisse  darbieten.    Die  Einteilung  in  die  drei 
allein    zur  Vertretung   des   Landes   berechtigten  Kurien    der 
Prälaten,   der   Ritter   und    der   Abgeordneten    der  gröfseren 
Städte  ist  überall  dieselbe,  aber  das  Mafs   ihrer  Rechte  und 
Freiheiten   ist   in    den    einzelnen   Ländergebieten    sehr   ver- 
schieden.    Die  seit   der  Regierung   des  Herzogs  Julius   ver- 
einigten Fürstentümer  Wolienbüttel  ujid  Colenberg- Göttingen 
hatten  ein  jedes  ihre  besondere  Landschaft,  von  denen  die- 
jenige des  zuletzt  genannten  Fürstentums   ursprünglich  wie- 
der nach  den  beiden  in   ihm  vertretenen  Gebietsteilen   aus- 
einanderfiel.   Die  Calen bergische  Landschaft  hatte  das  Recht, 
wenn  sie  es  für  das  Wohl  des  Landes  notwendig  hielt,  sich 
eigenmächtige    auch    ohne    des   Herzogs   Berufung,   zu    ver- 
sammeln.     Von  altershcr   stand  ihr   die  Befugnis  zu,  Beden 
oder  Steuern  zu  bewilligen,  wozu   es   der  Übereinstimmung 
aller    drei   Kurien    bedurfte,    imd    inbezug   auf  die   Gesetz- 
gebung, über  Krieg  und  Frieden,   sowie   bei  Rechtshändeln 
zwischen   der  Herrschaft   imd   ihren  Untertbaaen   gehört  zu 
werden.     Die  ner  gröfseren  Städte  des  Landes,  Hannover, 
Göttingen,  Hameln  und  ^ordheim,    hielten   sich   unter  Um- 


Die  Laadstünde. 


153 


ständen  geflissentlich  abßeit  und  beanspruchten  in  dem  land- 
st^disoKen  Verbände  eine  eelbständige.  abgesonderte  Stellung, 
ohne  dafa  es  ihnen  doch  gelang,  diese  zur  Anerkennung  zu 
bringen.  Eine  ^'iel  anspruchsvollere  Haltung  nahm  gegen- 
über den  Wülfeubüttler  ätünden  Braunschweig  ein.  Die 
Stadt  verwahrte  sich  nicht  nur  gegen  die  Verpflichtung,  zu 
den  Reichs-  und  Kreissteuem  herangezogen  zu  werden,  son- 
dern weigerte  sich  auch,  den  Landtag  zu  beöchicken.  Sie 
wollte  durchaus  nicht  als  eine  Landstadt  des  Herzogs  ange- 
sehen werden.  Wenn  man  die  Verhandlungen  der  einzelnen 
Landtage  durchgeht,  so  springt  in  die  Augen,  wie  tief  der 
mittelalterliche  Individualismus,  der  Hang  nach  Abson- 
derung, das  Mifstrauen  gegen  den  Fürsten  und  seine  Räte, 
das  krankhafte  Festhalten  an  wirklichen  oder  angemafsteu 
Rechten,  die  Abneigung  endlich,  dem  Wohle  des  Ganzen  auf 
Kosten  des  ständischen  Partikiilari&mus  das  geringste  Opfer 
zu  bringen,  noch  tief  im  Volke  steckte.  Stets  sich  wieder- 
holende Streitigkeiten  zwischen  Hen'schai't  und  Ständen  über 
ihre  gegenseitigen  Rechte,  über  das  Mals  der  Verpflichtimg 
zum  Roikdienst,  zum  Ablager  und  zum  Landschatz,  ein 
Älarkten  und  Feilschen  inbezug  auf  die  zu  leistenden  Ab- 
gaben, auf  die  Reichs-  Türken-  und  Kreissteuera ,  den 
Pflug-  Schaf-  und  SchefiFclsatz,  Anträge  der  Fürsten  auf 
teilweise  oder  gänzliche  Übernahme  der  fürstlichen  oder 
Landesschulden:    das   weren    die   wesentlichen   Gegenstände, 

die  sich  die  Verhandlungen  auf  den  Landtagen  dreheten. 

war  ein  fortgesetzter  Kampf  um  die  Boachafliing  der 
Mittel,  die  zur  Führung  eines  ordnungsmäfsigen  Regimentes 
erforderlich  schienen,  ein  Kampf,  der  nie  endgültig  zum 
Austrag  kam,  dessen  Ergebnis  sich  nur  als  eine  Reihe  von 
Kompromissen  darstellt.  Mit  jeder  Landschaft  —  und  es 
gab  deren  im  Umfange  des  welflschen  Ländergebietes  aufser 
der  Wolfenbüttler  und  Calenbei^er  last  noch  so  viele  ,  wie 
es  früher  selbständige  Herrschatten  gegeben  hatte  —  mufste 
der  Fürst  gesondert  verhandeln :  jede  Kurie  innerhalb  des- 
selben Landtages  beriet  und  beschlofs  wiederum  lur  sieh, 
ohne  in  gemeinsame  Beratungen  mit  den  übrigen  Kurien 
einzutreten.  Man  begreift,  welche  Mühe  es  kostete,  einen 
Laudtagsabßchied  zustande  zu  bringen,  und  dafs  diesei'  dann 
meistens  weder  den  einen  noch  den  anderen  Teil  beftiedigte. 
Ein  solcher  Zustand  mufste,  je  länger  er  dauerte  und  je 
mehr  er  sich  befestigte ,  als  desto  unerträglicher  von  den 
Fürsten  empfunden  werden ,  zumal  in  unruhigen ,  gefahr- 
lichen und  kriegerischen  Zeiten,  in  denen,  wie  während  des 
grofsen  Krieges,  rasches  und  eatschiedenea  Handeln  geboten  war. 


Lai 
HEs 


k 


154 


Erstes  Bach.    Vierier  AbBchnltt. 


Sobald  Bicb  das  deutsche  Füratentam  nur  einigermarBen 
aus  seiner  mittelalterlichen  Ohnmacht  herauszuwinden  be- 
gann, hat  es  den  Kampf  gegen  die  hemmenden  Einschrän- 
kungen aufgenummen^  wumit  es  sich  durch  das  8tändiäche<^l 
Wesen  eingeschnürt  sah.  Der  ganze  Zug  der  Zeit,  die  Auä-^B 
breitung  dma  römischen  Rechtes  ^  die  abstrakten  Staatsrecht- 
liehen  Fulgeruugen,  welche  die  gelehrten  Romanisten  daraus 
herleiteten  und  welche  sie  dem  auf  die  geschichtliche  Eut- 
wickeluug  gegründeten  ständischen  Rechte  schroff  entgegen- 
stellten, kam  ihnen  dabei  ztistatten.  Der  erste  von  den 
Füi'sten  des  Braunschweiger  Hauses,  der  seinen  i:)tänden 
gegenüber  von  diesen  Waffen  Gebrauch  machte,  war  Hein- 
rich Julius.  Durch  seine  genaue  Kenntnis  des  römischen 
Rechtes  persönlich  dazu  in  hervorragender  Weise  aus- 
gerüstet, ward  er  von  seinem  Kanzler  Jagemanu,  einem  der 
ausgezeichnetsten  Romanisten  jener  Zeit,  auf  das  lebhafteste 
unterstützt.  Allein  trotz  aller  gelehrten  Rechtsdeduktioneu 
seitens  des  Herzogs  und  seiner  Regierung  endete  der  zehn- 
jährige Kampf,  dessen  Verlauf  früher  bereits  dargelegt  ist, 
wiederum  mit  einem  Kompromifa,  der  eher  einer  Niederlage 
des  Herzogs  aäs  der  St&nde  glich.  Noch  weniger  glücklich 
in  dem  Beatreben,  sich  dem  Einflüsse  der  letzteren  zu  ent- 
ziehen, war  Friedrich  Ubich.  Indem  er  die  Landesregierung 
in  die  Hände  völlig  unwürdiger  Männer  legte,  gab  er  den 
Stauden  Veranlassung,  gegen  dieses,  Regiment  „der  unge- 
treuen Landdrosten "  einzuschreiten  und  dadurch  ihren  fSn-, 
flufs  erst  recht  zu  befestigen. 

Die   Not    des    dreil'sig jährigen   Krieges   hat   nicht   wenig 
dazu  beigeti-agen,  diesen  EinHufs  der  Landstände  zu  schwä- 
chen  und  dem  Füratentume  den  Weg  zu  einer  unbeschränk- 
ten Herrschaft   zu   bahnen.      Der   Krieg,   der   mit   gleichem  ^J 
Druck  auf  allen  Klassen  des  Volkes  lastete,    brach  die  irü-  ^M 
here  Selbständigkeit  und  den  früheren  Trotz  der  ständischea 
Vertretung  nieder.     Man    hatte    nicht   mehr,    wie   vor   dem-        i 
selben,  Zeit  und  Mufse,   wochen-   und   monatelang   in    end-  ^| 
losen  Debatten  über  die   zweifelhalten  Rechte  frülierer  Zeit  ^^ 
zu    streiten.      Dazu    waren    die    unmittelbai-en    Sorgen    des 
Tages  zu  gi'ofs  uud  zu    dringend.     So   kam   man    zunächst 
dazu,   einen    Teil   der   Geschäfte   der  Landtage   ständischen 
Ausschüssen  zu  übertragen,  die  wegen  der  unruhigen  Zeiten 
und  in  Rücksicht  auf  den    bequemeren  Geschäftsgang  meist  ^_ 
ihren  Sitz  in  der  Residenz  des  betreffenden  Fürsten  nahmen.  H 
Schon  Friedrich  Ulrich  verglich  sich  mit   den  Landschaften  ^^ 
von  Wolfenbüttel  und  Calenberg  dahin,  dafs  jede  von  ihnen 
eiaea  naa  einem  Prälaten,  zwei  Rittern  und  einem  städtischen 


I 


EinflulJf  des  Krieges  aof  das  ständische  Wesen. 


155 


Abgeordneten  bestehenden  Ausschufs  erwählte,  der  die  lau- 
fenden st&ndischen  Geschäfte  zu  besorgen  hatte.  Bald  ward 
es  Sitte,  eine  Berufung  des  gesamten  Landtages  nur  bei  be- 
sonders wichtigen  AnliisÄen  eintreten  zu  Lassen.  Gleich  nach 
Beinern  Hcgierungsuntritt  beriet"  August  d.  J.  die  Wolt'en- 
büttler  Stände  nach  Braunschweig,  indem  er  ihnen  verhieis, 
sobald  die  Zeit  Verhältnisse  sich  gebessert,  die  Stral^en  wie- 
der sicherer  geworden  wären,  die  Versammlungen  auch 
wieder  in  Salzdablum  stattfinden  zu  laäseu,  wo  der  Landtag 
von  altersher  zu  t«igen  pflegte.  Es  ist  eine  lauge  Reihe  von 
Klagen  und  Forderungen,  die  hier  an  den  neuen  Herrscher 
gerichtet  wurden.  Neben  wohl  berechtigte ,  im  allgemeinen 
Interesse  begründete  Wünsche,  wie  man  solche  in  dem  Ver- 
langen noch  einer  Schulordnung  und  einer  neuen  Polizei- 
ordnung, nach  regelmiilstgen  Visitationen  der  Univemitüt  und 
der  fürstlichen  Kammcrgütor  erkennen  muTs,  stellen  sich 
Forderungen,  die  entweder  auf  die  Schmälerung  der  Turst- 
licheu  Hechte  abzwecken  oder  aus  der  Selbstsucht  der  ein- 
zelnen Stände  hervorgehen.  Die  ber/ogUchen  Räte,  so  ver- 
langen die  Stände,  sollen  unter  niÖgÜchster  Berücksichtigung 
I  ihrer  eigenen  Mitglieder  nur  aus  den  Laudeskindern  ge- 
nommen werden.  Auch  die  alte,  stets  aber  von  den  Her- 
zögen zurückgewiesene  Forderung  wird  erneuert,  wonach 
die  Landständo  auch  zu  Reichs-  Kreis-  und  Fräuleinsteuern 
sowie  zu  solchen  Leistungen  ihre  Genehmigung  erteilen 
Süllen,  welche  zur  Verteidigung  des  Landes  notwendig  er- 
scheinen. Und  neben  diesen  aligemeinen  Forderungen  hatte 
|ed*v  einzelne  Stand  noch  seine  besonderen  Klagen  und 
Wünsche  vora  üb  ringen.  Die  Geistlichkeit  beschwerte  sich 
über  die  oft  jahrelange  Nichtbesetzung  der  Prälaturen  und 
dafs  ihr  die  freie  Verwaltung  ihrer  Güter  beeinträchtigt 
werde,  die  Ritter  begehrten  Befreiung  der  in  ihrer  eigenen 
Bewirtscliaftung  stehenden  Güter  von  den  Landeskollekten 
und  andere  Steuererleichterungen,  die  Städte  endlich  be- 
klagten sich,  dafs  durch  die  Anlage  von  Brauereien  in  den 
kleineren  Ortschaften  die  städtische  Nahrung  geschmälert 
werde.  Wenn  mau  die  furchtbare  Not  erwägt,  die  damals 
auf  dem  Lande  lag  und  der  man  doch  nur  durch  einträch- 
tiges Zusanmienhalten  zu  begegnen  hoffen  durfte,  ao  wird 
man  sich  kaum  der  Erkenntnis  verachliefsen,  dafs  dieses 
Ständewesen ,  oiust  der  Grundpfeiler  der  mittelalterlichen 
Rechtsordnung  und  eine  Schutzwehi*  gegen  fürstliche  Ver- 
unrechtung  imd  Gewaltthat,  sich  überlebt  hatte ,  dafs  es 
mehr  und  mehr  in  einem  kleinlichen,  bea(i\iväTikX<ii^  ^^äsää»- 
ego23wu8  verknöcherte.     Jeder   Stand  wo\\\ä  wi  vieotv^  "wv^ 


k. 


IM 


Erstes  Buch.     Vierter  Abscbniit. 


möglich  zu  den  allgeraeinen  Lasten  beitragen,  jeder  für  sich 
BO  viel  wie  möglich  herausschlagen.  Noch  mehr  trat  dies 
auf  dem  braunBchweigist-hcn  Landtage  von  t(>39  hervor. 
Hier  verlangten  Prälaten  und  Städte,  dafs  der  Adel  und 
Ritterstand,  „der  bisher  an  den  Kontributionen  nicht  de  ^J 
propriis  teilgenommen  habe,  sich  bei  der  allgemeinen  Not^| 
nicht  minder  angi-eifen  und  das  commime  periculum  eusti-  ^t 
niren  helfen  müsse " ,  wogegen  der  Adel  wiederum  seine 
alten  Privilegien  geltend  machte,  wonach  er  zwar  mit  Knech- 
ten und  Pferden  der  Herrschaft  und  dem  Lande  zu  dienen 
verpflichtet  sei ,  nicht  aber  zu  den  geforderten  Leistungen 
herangezogen  werden  könne.  Auch  gegen  die  Stadt  Braun- 
Bchweig  erhohen  sich  lebhafte  Klagen  darüber,  dafs  sie  im 
BewuTstsein  ihrer  eigenen  Sicherheit  vor  der  das  Land 
ringsum  bedrängenden  Kriegsnot  sich  weigere,  zu  den  Kon- 
tributionen beizutragen,  so  dafs  sich  der  von  ihr  zu  ent- 
richtende Anteil  daran  bereits  auf  über  70  OÜO  Thaler  be- 
laufe. 

Durch  solche  und  ähnliche  Zwistigkeiten  unter  einander, 
die  sich  auch  auf"  den  Versammlungen  der  übrigen  Land- 
schaften wiederholten,  gaben  die  Stünde  selbst  dem  Fürsten 
die  wirksamsten  Waffen  in  die  Hand,  ihren  Einflufa  Uhm 
zu  legen,  sie  als  mitwirkende  Faktoren  im  ätaat^leben  zu 
beseitigen.  Dazu  kam  der  weitere  Verlauf  des  dreifsig- 
jährigen  Krieges,  der  sich  mit  der  Zeit  immer  drohender 
und  gefahrlicher  fiir  den  Fortbestand  der  welfischen  Lande 
gestaltete.  In  den  letzten  Zeiten  des  Krieges,  wo  es  sich 
lür  die  Nachkommen  Heinrichs  des  Löwen  um  die  Rettung 
ihrer  reichsfli rätlichen  Stellung  handelte,  wo  nur  eine  scldag- 
fertige  Kriegsmacht  und  geschickte  Unterhandlung  das 
völlige  Verderben  von  dem  Ftirstenhause  und  von  dem  Lande 
abwenden  zu  können  schien,  war  die  Beisei teachiebung  der 
Stände  ein  Gebot  der  Notwendigkeit.  Ein  Mann  wie  Georg 
von  Lüneburg  konnte  sich  in  seiner  kriegerischen  und  po- 
litischen Wirksamkeit ,  wie  wir  sie  zu  schildern  versucht 
haben,  unmöglich  von  den  schwerfUlligen  und  zeitraubeudeu 
Verhandlungen  der  Stände,  selbst  wenn  er  sich  von  ihnen  . 
ein  günstiges  Ergebnis  hätte  verspreclien  dürfen,  abhängig ^^H 
machen.  Der  herkömmliche  Rofsdienst  der  Ritterschaft,  der  ^H 
übrigens  in  Calenberg  zum  letztenmale  im  Jahre  1639  ge- 
leistet ward,  war  nicht  imstande,  das  Land  vor  der  Über- 
flutung durch  einen  raub-  und  heutelustigen  Feind  zu  schützen. 
So  sanken  die  Landstknde  schon  während  des  Krieges  von 
der  Bedeutung  iierab,  die  sie  so  lan^e  behauptet  hatten. 
Äe/a  au/reg'ender  politischer  Kam\>£  laV  m  Öäti  Yrtwwx-wAswftv- 


Verkümmening  der  laudstandischen  Verfassung. 


157 


git^chen  Landschaften  um  ibre  Existenz  geführt  worden. 
Formeil  bestanden  sie  fort,  aber  sie  büfsten  mehr  und  mehr 
ilireu  früliereu  EinÜafs  ein.  Schon  Christian  Ludwig  liefs 
bei  seinem  Regierungsantritt  dem  Ausschufa  der  Calenberger 
Landächaft  erklären,  dafa  er  zwar  gewillt  sei,  ,,  der  getreuen 
Landätäude  dcsideria  zu  vernehmen ,  aber  sich  vorbehalte, 
bei  Bestellung  des  Kegitneuts  seine  ihm  zustehenden  landcs- 
fiirstlichen  jura  frei  zu  üben".  Und  im  Jahre  1651  waren 
die  diingendsten  Bitten  der  Landschail  nicht  einuml  imstande, 
den  Herzog  Georg  Wilhelm  zu  bewegen^  seine  Vergnügungs- 
reise nach  Italien  in  einer  eehi*  kritischen  Zeit  auch  nur 
aui  kurze  Zeit  zu  verschieben.  Pei*sünlich  verkelu'te  der 
Landesherr  um  diese  Zeit  nur  noch  in  den  seltensten  Füllen 
mit  den  Landständen :  er  liel's  sich  meist  durch  seineu  Kanz- 
ler vertreten.  Fast  mit  absichtlicher  Geringschätzung  ver- 
mied er  es,  den  Hat  der  LaudaUinde  einzuholen  oder  auch 
nur  ihre  Meinung  zu  hören.  Bündnisse  und  wichtige  ätaats- 
verträge  wurden  ihnen  erst,  nachdem  sie  zum  Abschlufs  ge- 
kommen waren,  mitgeteilt,  und  seit  dem  Jahre  lfi51  traten 
in  den  Fürstentümern  Lüneburg,  Calenborg,  Göttingen  und 
Grubenhagen  an  die  Stelle  der  früheren  Land  tagsabschiede 
einiacb  die  Beschlüsse  und  Mandate  der  herzoglichen  lic- 
gierung.  Die  lange  behauptete  Freiheit  und  Selbständigkeit 
der  Stände  war  dahin.  Trotz;  ihres  hartnäckigen  Wider- 
spruches wurde  das  Fundament  ihrer  Rechte,  das  Ötouer- 
bewiUigimgsrecht,  entweder  gebrochen  oder  umgangen.  Die 
mehrtachen  Subaidien vertrage,  welche  die  braunscbweigischen 
Fürsten  mit  fremden  Mächten  schlössen ,  ermöglichten  es 
ihnen ,  auch  ohne  ständische  VerwilJigungen  eine  stehende 
Kriegsmacht  zu  bilden,  zu  erhalten  und  je  nach  den  Um- 
ständen zu  vermelireu.  Ohne  sich  um  die  Stände  zu  küm- 
mern, führten  Johann  Friedrich  das  Branntweins -Monopol, 
Ernst  August  die  Licentsteuer  ein,  und  als  im  Jahre  1G74 
die  Calenberger  Landstände,  eingedenk  ihres  alten  Versamm- 
lungsrechtes, einen  „Convent"  abhalten  wollten,  verlangte 
der  Herzog,  vorher  den  Zweck  desselben  zu  erfahren,  und 
verbot  schliefslich,  irgend  einen  Besclilule  zu  lassen.  Bald 
war  das  ganze  ständische  Wesen  nur  noch  eine  Form  ohne 
lebendigen  Inhalt,  die  aus  einer  untergegangenen  Zeit  fremd- 
artig und  unverstanden  in  die  Gegenwart  hineinragte. 

An  seine  Stelle  trat  das   unbeschränkte  persönliche  Re- 
giment, der  fürstliche  Absolutismus.    Nicht  mit  einem  male, 
etwa  durch  eine  gewaltsame  Umwälzung  von  oben,  sondern 
in  langsamer  Erstarkung,  Schritt  für  ScVintt,  W\  «vOo.  $ii?sfc 
Staatsform,  welche  die  nächsten  anderÜiaWi  JaXaVviÄ^'e.^'i  \ife- 


168 


Erstes  Buch.     Vierter  Abschnitt. 


herrseben  sollte^  erboben.  Seitdem  die  Reformation  zuerst 
auf  dem  kirchlicbeo  Gebiete  die  alten  Lebeusfomien  er- 
schüttert und  teilweise  zerbrochen  butte,  kamen  diese  auch 
auf  dem  staatlichen  Gebiete  ins  Wanken,  und  der  grofse 
Krieg  mit  seinen  Folgen  vollendete  jetzt  die  Auflösung  der 
mittelalterlichen  Staatsordnung.  Hatten  in  den  evangelischen 
Litndem  die  Kirche  durch  die  Sakularisatiün  de»  Kirchen- 
gutes ihren  beheiTschenden  Einflufs,  die  Geistlichkeit  durch 
die  Übertragung  des  Summepiskopates  auf  die  Fürsten  ihre 
Unabhängigkeit  schon  vor  dem  Kriege  verloren,  so  wurde 
jetzt  auch  der  Adel  infolge  der  veränderten  Kriegführung 
sowie  der  grolsen  Verluste,  die  er  durch  die  Verwüstung 
Beines  Besitifstandes  erlitt,  aus  seiner  Irüheren  mächtigen 
Stellung  verdrängt.  Die  autonome  Selbständigkeit  der  grofsen 
Städte  aber  befand  sich  in  vollem  Niedergänge,  seit  der  Krieg 
und  die  stete  Kriegsbereitschaft  von  dem  stildtischen  Regi- 
ment unerhörte  Opfer  verlangten.  Wenig  mehr  als  zwanzig 
Jahre  nach  dem  FriedensBchlusse  fiel  das  trotzige  ßraun- 
schweig,  das  sieben  Belagerungen  der  Fürsten  mit  Erfolg 
widerstanden  hatte,  fast  ohne  Gegenwehr  in  ihre  Gewalt. 
Auf  diesem  Boden  erwuchs,  wie  anderwärts,  so  auch  in  den 
weifischen  Landen  die  Ünumschränktbeit  der  fiirstlichen 
Macht,  in  ilirem  Wesen  wie  in  ihrer  äufseren  Erscheinung 
bald  nur  allzu  sehr  beeinflufst  durch  welsches  Vorbild,  vor 
allem  durch  das  Beispiel,  das  der  französische  Staat  Lud- 
wigs XIV.  imd  der  Hof  von  Versailles  gaben.  Die  jüngeren 
Söhne  Georgs  von  Lüneburg  und  Anton  Ulrich  von  ßraun- 
schweig  stehen  bereits  so  sein*  unter  französischem  Einflüsse, 
dafs  sich  dieser  in  ihrer  Bildung  und  in  ihi*en  Anschauungen, 
in  den  Sitten  an  ihrem  Hofe  wie  in  ihrer  ganzen  Hegierungs- 
weise  widerspiegelt.  Denn  nicht  das  ist  das  Verhängnisvolle 
dieses  grausamen  Krieges  gewesen,  dafs  er  die  fi*üliere  Staats- 
ordnung verändert,  der  schon  vor  seinem  Ausbruche  im 
Aufsteigen  begriffenen  Fiirstenmacht  zum  Siege  über  die 
anderen  staatlichen  Gewalten  verhelfen  und  ihr  den  Weg  zu 
unbeschränkter  Herrschaft  gebahnt  hat,  sondern  dafs  das 
gesamte  geistige  Leben  der  Nation,  ihre  Art  zu  denken  und 
zu  empfinden,  seinem  bestimmenden  und  ~  man  darf  hin- 
zufügen —  seinem  verderblichen  Einilusse  anheimfiel.  Mit 
ihm  drang  ausländisches  Wesen,  welsche  Bildung,  Sprache, 
Kleidung  und  Sitte,  unauthaltsam  in  das  deutsche  Volk  ein, 
schwanden  vaterländischer  Sinn  und  deutschnationalea  Bewufst- 
sein  immer  mehr  dahin.  Die  Blüten,  welche  deutsche  Kunst 
und  Wissenschaft  in  früheren  Zeiten  getrieben  hatten,  er- 
Btarrten  unter  dem  eisigen  Hauche  des  Krieges,  die  Ansätze 


Höfiscber  Einflurs.    Heinrieb  Julias. 


I&9 


^ner  volksmäfsigen  Litteratur,  welche  die  religiöse  Be- 
egung  des  16.  Jahrliiinderts  hervorgelockt  hatte,  wurden 
[urch  fremdländische  Einwirkung  überwuchert  und  erstickt 
Das  Schlimmste  war  vielleicht,  daffi  diese  Einwirkung  gerade 
von  einer  Kation  ausging,  deren  Geist  zu  dem  innersten 
Wesen  des  deutschen  Volkes  iu  ausgesprochenem  Gegensatze 
steht.  An  die  Stelle  des  itaUeuiBoheu  und  spanischen  Ein- 
flusses, der  sich  den  iVUheren  politischen  Verhältnissen  ent- 
sprechend wold  schon  vor  dem  Kriege  geltend  gemacht  hatte, 
trat  jetzt  der  tranzösische.  Gewinnend  und  verführerisch  in 
seiner  Form,  hat  er  in  seinem  Wesen  auflösend  und  zer- 
setzend auf  das  deutsche  Volkstum  eingewirkt. 

Am  frühesten  hat  wich  diese  das  ganze  üffenfliche  und 
private  Leben  umgestaltende  Veränderung  naturgemäfs  in 
den  höheren  Ständen,  au  den  Höfen  der  Fürsten  vollzogen, 
von  woaus  sie  dann  auch  die  übrigen  Volksschichten  ergriff 
und  durchdrang,  mit  Ausnahme  allein  des  Bauernstandes, 
der  in  seiner  abgeschlossenen  sozialen  Stellung  und  in  seiner 
unüberwindlichen  Abneigung  gegen  alles  Neue  und  Fremd- 
ländische noch  am  meisten  seine  alto  Eigenart  bewahrte. 
Wie  im  übrigen  Deutschland ,  so  haben  auch  in  den  Län- 
dern des  weifischen  Hauses  die  Fürsten  das  Beispiel  für  die 
neue  Lebensrichtuug  gegeben.  Heinrich  Julius  freilich  steht 
noch  ganz  auf  dem  geistigen  Boden,  den  das  Reformations- 
zeitalter geschaffen  hatte.  Edelleute  von  altem  Schlage  hat- 
ten seine  Erziehung  überwacht,  Männer  mehr  van  gediegener 
Gründlichkeit  als  von  vielseitigem  aber  oberÜächH ehern  Wis- 
sen waren  seine  Lehrer  gewesen.  Auch  seine  pohtisehen 
Beziehungen  wiesen  ihn  nicht  nach  Frankreich  hin,  sondern 
verbanden  ihn  auf  das  engste  mit  dem  Kaiserhofo  in  Wien, 
dessen  altüberlieferte,  steile  und  gemessene  Formen  ihm  lUr 
die  Einrichtung  des  eigenen  Hofes  als  Muster  galten.  So 
reich  und  stattlich  sich  auch  zu  seiner  Zeit  die  Hofhaltung 
in  Wolfenbütte],  namentlich  im  Vergleich  zu  derjenigen  sei- 
nes haushälterischen  Vaters,  gestaltete,  so  sehr  trug  sie  doch 
den  germanischen  Typus.  Und  wenn  er,  wie  erwähnt  wor- 
den ist,  die  etwas  ui'wüchsige  GeaeUigkeit  dieses  Hofes  und 
die  Derbheit  seiner  Sitten  durch  immerhin  edlere  Genüsse 
zu  verfeinem,  den  Lärm  der  Trinkgelage  und  Schmausereien 
durch  Emchtung  einer  Hofbühne  und  sogar  durch  Auf- 
tuhrung  von  selbst vertalsten  Dichtungen  zu  unterbrechen  be- 
mühet war,  so  zeigen  auch  diese  letzteren,  dafs  er  in  seinem 
iunersteu  Wesen  noch  der  alten ,  im  Dahinschwinden  be- 
griffenen Zeit  angehüi-te.  Keine  Spur  eines  französischen 
EinÜusses  vermag  man  in  diesen  Tragödien,  Komödien  und 


k. 


A 


m 


Erstes  Buch.     Vierter  Almchnitt. 


Tragico-Komödien  zu  entdecken.  Sie  folgen  in  der  Über- 
,  treibung  des  (Grausigen,  in  der  Derbheit  ihrer  Komik,  in  der 
^Haiiöbackeuheit  ihrer  Moral  durchaus  der  Richtung  ^  welche 
das  bürgerliche  Völksraäfsige  Drama  seit  Hans  Sachs  bei 
uns  genommoD  hatte.  Eines  dieser  herzoglichen  Stücke,  der 
„  V^incentiuH  Ladislaus ",  ist  von  Gervinua  für  die  eigentüm- 
lichste und  originellste  di-amatische  Dichtung  erklärt  wor- 
den, welche  die  deutsche  Litteratm-  in  damaliger  Zeit  auf- 
zuweiaen  habe.  Wenn  von  einem  tremden  EinMui'a  bei  ihnen 
die  Rede  Bein  kann,  &o  ist  dies  nicht  der  tranzösi.sche  ^u- 
dem  der  englische,  wie  denn  die  stehende  Figur  derselben, 
der  stets  plattdeutsch  redende  Narr,  offenbar  den  englischen 
Schauspielen  entlehnt  ist.  Aber  nicht  allein  in  seinen  Dich- 
tungen, sondern  auch  in  seinen  Leben  sgewohuheiten  zeigte 
sich  Heinrich  Julius  olmgeachtet  der  hohen  Meinung,  die 
er  von  seiner  tui-stlichen  Würde  hegte,  als  ein  echt  volks- 
tümlicher Fürst.  Gern  und  leutselig  verkehrte  er  mit  dem 
gemeinen  Mann  in  Stadt  und  Land,  fiir  seine  Bedüi'tuisse 
hatte  er  ein  Verständnis,  für  seine  Leiden  und  Freuden  ein 
Herz.  In  dieser  Hinsieht  war  er  der  echte  Sohn  seines 
Vaters.  Er  konnte  wohl,  um  unerkannt  zu  bleiben ,  in 
Bauerulracht  und  ohne  Begleitung  von  Woltenbüttel  uach 
Braunschweig  wandern ,  um  seinen  Unterthanen  persönlich 
niÜier  zu  treten.  Von  seiner  Brautwerbung  um  seine  zweite 
Gemalüin,  Elisabeth  von  Däuemark ,  hat  sich  die  Über- 
lieferung erhalten,  dafs  er  ihr  in  der  Verkleidung  eines  hau- 
sierenden Tabuletkrämers  sich  genahet  und  sie  um  ihre 
Gimst  gebeten  habe.  Ein  Freund  vaterländischer  Dichtung, 
war  er  auch  Kenner  und  Förderer  alter  guter  deutscher 
Musik.  Während  seiner  Regierimg  und  darüber  hinaus 
stand  der  berühmte  Michael  Prätorius  an  der  Spitze  der 
Wolfenbüttler  Hot'kapelle.  Von  seinen  grol'sartigen  und 
kostspieligen  Bauten  ist  schon  die  Kede  gewesen.  Er  hat  zu 
ihnen  nicht  nur  die  Aui-egung  gegeben,  sondern  sie  sind  auch 
zum  Teil  nach  seinen  eigenen  Plänen  oder  doch  unter  seiner 
speziellen  Aufsicht  ausgeführt  worden. 

Fünfzig  Jahre  etwa  nach  des  Herzogs  Heinrich  Julius 
Tode  bot  der  Hof  zu  Wolfenbüttel  bereits  ein  wesentlich 
verändertes  Bild  dar.  Eine  schwere,  unheilvolle  Zeit  lag 
zwiachcn  dem  damals  und  jetzt  Die  traurige  Regierung 
Friedlich  Ulriche  und  der  Krieg  hatten  das  Land  nieder- 
getreten und  zerrüttet.  Älit  dem  Erlöschen  des  mittleren 
Hauses  Braunschweig  war  das  Fürstentum  Calenberg  von 
dem  Ländcrgebiote  getrennt  worden,  das  einst  Herzog  Julius 
unter  seiner  Waltung  vereinigt  hatte.     August   d.   J.,  der 


August  d.  J.  und  »ein  Hof. 


161 


Erbe  von  Wolfenbüttel,  hatte  erst  nach  Jahren  banger  Sorge 
und  endlosen  Verhandlungen  von  dem  ihm  zugeiallenen 
Lande  Besitz  nehmen  können.  Man  weifs,  wie  es  ihm  durch 
umsichtige^  ausdauernde  und  rastlose  Thutigkeit  geUog,  das 
Land  dem  januuervoUou  Zustande  zu  entreilsen,  iu  welchem 
er  es  überkommen  hatte.  Sobald  die  ersten  Jahi'e  der  Kot 
und  Verlegenheit  glücklich  überwunden  waren,  gewann  aucb 
das  Leben  an  dem  Hole  des  gelehrten  aber  den  GeuüBsen 
der  Welt  keineswegs  abholden  Fäi*sten  wieder  einen  heite- 
ren Anstrich.  Er  selbst,  damals  schon  hochbetagt ,  hatte 
nach  der  Sitte  seiner  Zeit  eine  durchaus  gelehrte  Ersüehung 
erhalten.  Schon  an  seinem  sechzehnten  Geburtstage  konnte 
er  die  Univei'sität  Rostock  beziehen.  Hier  imd  in  Tübingen 
bat  man  ihn  dann  zum  Rektor  gewählt,  ein  Amt,  das  er  in 
würdigster  Weise  verwaltete.  Aucb  später  bis  iu  die  letzten 
Jahre  seinea  Lebens  hinein  ist  er  diesen  streng  gelehrten 
Neigungen  treu  geblieben.  Wir  kennen  seine  Liebe  zu  den 
Büchern  und  den  seltenen  Sammeleifer,  den  er  ihnen  wid- 
mete :  den  ersten  ^Herbändigen  Katalog  seiner  Bibliothek 
hat  er  mit  eigener  Hand  geschrieben.  Er  hat  sich  aber 
auch  selbst  in  gelehrten ,  wissen  schalUichen  Arbeiten  ver- 
sucht, aufser  seinem  grundlegenden  Werke  über  das  Schach- 
spiel eine  Kryptomenytik,  ein  Leben  Jesu  und  die  in  secha 
Auflagen  erschienene  „Evangelische  Kirchenharmonie"  ge- 
schrieben. So  sehr  indes  in  ihm  die  gelehrt  -  theologische 
Riclitimg  der  älteren  Zeit  noch  vorherrschte,  so  wenig  konnte 
er  verhindern,  dafs  seine  Söhne  und  seine  Umgebung  sich 
von  der  neumodischen  Strömung  hinreifsen  liefsen,  welche 
von  Frankreich  aus  mit  überwältigender  Macht  sich  Bahn 
brach  und  in  Kunst ,  Leben  und  Sitte  die  alte  schHcbte 
treuherzige  deutsche  Art  und  Gewohnheit  zu  verdrängen 
begann.  In  den  späteren  Jahien  seiner  Kegienmg  sah  man 
schon  jene  gestelzten  Öchiilerapiele,  Ballette  und  Singspiele 
auch  über  die  Wollenbüttler  Bülinc  gehen,  welche  durch  die 
Leere  ihres  Inhaltes  und  durch  die  Geziertheit  ihrer  Sprache 
gleich  sehr  ermüden.  Am  aiebenundsiebenzigsten  Geburts- 
tage des  Herzogs  überraschte  man  ihn  mit  einem  „  Mi- 
ner\'abanquet",  in  welchem  seine  Gemahlin,  die  Herzogin 
Sophie  Elisabeth,  „die  glückwünschende  Freudendarstellung" 
agierte.  Bei  derselben  Veranlassung  tanzten  die  Sohne,  Anton 
Ulrich  und  Ferdinand  Albrecht,  in  «inem  Ballott,  welches 
den  Titel  „die  Zeit"  führte,  jener  die  „PoHtia",  dieser  die 
„Eruditio".  Im  folgenden  Jahre  ward  der  Geburtstag  des 
hohen   Herrn  in   ähnlicher  Weise   begangen.     „  Seine  ainn- 

H«lB«naaD,  Ihrftnasclifr.-lMUUiGT.  0««cliiobl«.    IIL  11 


i«e 


Erstes  Bach.    Vierter  Abschnitt. 


reiche  Gemahlin",  heifst  ee,  „überreichete  ihrem  so  hoch-' 
gehebten  Herrn  an  diesem  Tage  eine  glückwtinschende 
Wahrsagung  und  Ankunft  der  Königin  Nicaulä  und  deren 
bey  sich  habenden  zwölt  Sibyllen  benebenst  vier  benach- 
barten Königen,  in  die  weltberühmte  Guelfenburg  und  stellete 
solche  den  1.  May  in  einem  Freudeuspiele  dar".  Wenige 
Monate  sfmter  feierte  des  Herzogs  zweiter  Sohn  Anton  Ulrich 
seine  Vemiähluug  mit  KUsabeth  Juliane  von  Holstein.  Bei 
dieser  Gelegenheit  ward  „ein  Frühlingsballett  oder  die  Ver- 
mählung des  Phöbus  und  der  Flora"  aufgeführt,  dessen 
leitende  Tanzrullcn  das  junge  Paar  selbst  übernahm.  Als 
dann  der  Herzog  im  folgenden  Jahre  abennals  seinen  Ge- 
burtstag beging,  erfreuete  ihn  Anton  Ulrich  mit  einem  rüh- 
renden ,  von  ihm  selbst  gedichteten  Singspiele  „  Amehnde 
oder  die  triumphierende  Seele,  wy  ay  nach  mancherley  An- 
fechtii  ngeu  überwindet  und  göttiicher  Gnade  tiihig  wird." 
In  der  Woli'eubüttler  Bibliothek  hat  sich  eine  lange  Keihe 
dieser  sonderbaren  poetischen  Erzeugnisse  erhalten,  alle  zu 
Wolfenbüttel  an  Geburtstagen  oder  bei  anderen  festlichen 
Gelegenheiten  von  den  Kavalieren  und  Damen  des  Hofes 
aufgetUhrt.  Bisweilen  freilich  hat  man  damals  noch  das  Be- 
dürfnis gefühlt,  diese  steife,  staiTe  und  stiunpfe  Welt  der 
Kmphndungslosigkeit  durch  einen  Laut  ungekünstelter  Natur 
zu  unterbrechen.  Dann  erschienen  wohl  die  HofheiTCn  und 
Hofdamen  unter  der  Maeke  und  in  der  Kleidung  vou  Bauern 
und  Bäuerinnen ,  um  sich  in  ehrlichem  Plattdeutäch  aUer- 
hand  derbe  Schei*ze  und  nichts  weniger  als  hoffähige  An- 
züglichkeiten zu  sagen. 

Nun  aber  kam  die  Regieiungszeit  Rudolf  Augusts  und 
Anton  UU'ichs ,  in  der  die  Nachahmung  frenuiiändischen 
Wesens ,  die  Herrschaft  namentlich  des  französischen  Ge- 
schmacks vollends  die  alten  deutschen  Lebenagewohnheiten 
überwucherte,  die  früheren  einlachen  und  schlichten  Sitten 
verdrängte.  In  allen  Dingen,  in  der  Bau-  und  Gartenkunst, 
in  dem  Hausrate  und  der  Küche,  den  Sitten  und  dei*  täg- 
lichen Lebensweise,  der  Musik,  Dichtkunst  und  Litteratur 
machte  sich  das  französische  Vorbild  geltend.  Selbst  die 
kleineren  deutschen  Hofe  suchten  es  an  Glanz  und  äul'seror 
Prachtentfaltung  dem  grofsen  Ludwig  XIV,  gleichzuthun, 
und  Wolfenbüttel  blieb  in  diesem  Streben  hinter  keiner 
anderen  deutschen  Fürstenresidenz  zuiiick.  Besonders  neigte 
sich  Anton  Ulrich,  der  jüngere  aber  geistig  bedeutendere 
der  Brüder,  dieser  Richtung  zu.  In  sklavischer  Nachahmung 
des  von  ihm  bewanderten  Vorbildes  in  Versailles  suchte  er 
durch  koatspiehge  Bauten,  glänzende  Feste,  eine  bislang  un- 


Hofhaltnug  Anton  Ulrichs. 


ItiS 


erhörte  Schaustellung  von  mafsloser  Pracht  und  steifer  Hot- 
etikette  die  Welt    in  Staunen   zu    setzen.     Diesen    Aufwand 
hatte  offenbar  ein  Berichterstatter  vor  Augen,  der  iin  Jahre 
1Ö69   über  die  hrauuschweigischen  Höfe  sclirieb;  „Wann  die 
Hertzogen  von  Brauuschweig  und  Lüneburg  ein  gantz  mar- 
tialisches und  heroisches  Gemüt  haben,   so    ist   dasselbe   ge- 
"wifßlich  auch  sehr  erhaben,  prächtig  und  heri'Üch,  und  leben 
also^  dafs  ein  Freiubder,  der  an  ihren  Hof  kompt,  ilim  ein- 
bilden sollte,  er  wäre  an  dem  Hofe  des  Königs  von  Frank- 
reich."    In    dem   „  kleinen   Schlosse "    zu    Wolfenbüttel ,   wo 
der  Herzog  anfangs  residierte,   folgten   sich  Theater,    Bälle, 
Maskeraden  und  gesellige  Spiele  in   ununterbrochener  Reihe 
und    verschlangen    zusammen    mit   der   zahlreichen   Diener- 
schaft,  den   französischen   Scliauspi eiern   und  Tänzern,   den 
italienisclieu  Musikern  und  Sängern  Summen,  die  das  Land 
auf  die   Lauge    nicht    aulzubringen   vermochte.      Die    kost- 
spieligen Liebhabereien  des  Herzogs,  die  übrigens   oft   auch 
auf  ediere  Zwecke  gerichtet  waren,  steigerton  sich  mit  seinem 
aunebmenden  Alter.    Noch  im  Jahre  1681  hatten  die  beiden 
Brüder,  durch  das  Anwachsen   der  Karamerschulden   beun- 
ruhigt,   sich    gegenseitig     „bei     fürstlicher    Parole    und    aii' 
Eidesstatt"  verpflichtet^  alle  Ausgaben  nach  der  unentbehr- 
lichen  Notdurft    sparsam    einzurichten ,    Kutschen ,    Bauten, 
Jägerei,  unnötige  Reisen,  Schmuck,  Ballett,  Theater,  kostbare 
Bankette  imd  dergleichen  geldfressende  Anstalten  abzustellen. 
Aber  der   ehrgeizige   und    prachtliebende   Anton    Ulrich   hat 
sich  nicht  allzu  lange  an   dieses    Versprechen   gehalten,   be- 
sonders seitdem  ihm  die   im  Jahre    1G85   zugestandene  Mit- 
regentschaft   reichlichere    Mittel    zur    Verfügung    stellte    als 
»einem  älteren  aber  bescheideneren  Bruder.    Schon  im  Jahre 
1687  ward   dm*ch   ilm    die   Ritterakademie   in   Wolfeubüttel 
gegründet,    der  indes   nur   eine   kurze   Existenz   beschieden 
sein  sollte,  und  ein  Jahr  später   richtete   er   dort   die   itaÜe- 
nische  Oper  ein.     „Wir  haben",  schrieb    der  Herzog   1692 
an  die  Gräfin  Königsmark  in  Hannover,  „allhier  ein   so  ar- 
tiges  Theater    und    etliche    gute   italienische   Stimmen,    mit 
denen  wir  uns  ebenso    lustig    machen,    als   wenn    wir   die 
Marguereti  und  die  Clementia   hörten,  die   wir   denen   Kur- 
fürstlichen gerne  gönnen."     Dann  folgte  (1690)   die  Erbau- 
ung   des   für   seine   Zeit   sehr   stattliehen ,   erst    1864    abge- 
brochenen Schauspielhauses  auf  der  Stelle  des  alten  Hägener 
Rathauses  zu  Braunschweig  und   1706   der  Neubau  der  hor- 
zogüchen  Bibliothek  in  Wolfeubüttel,  die  lange  Zeit  für  das 
Muster   eines  Bibliothekbaues   in   Deutsehland   gegolten,   hat. 
Die  berühmteste  Schöpfung  des  Heraoga  a\>er,  wi  x«ic^\.  %Kai. 

VI* 


161 


Erstes  Buch.    Vierter  Abschnitt. 


eigenstes  Werk,  war  das  Lustscblols  Salzdahlum,  eioe  Weg- 
stunde von  WoIi'enbUttel  gelegen,  von  seinem  Bauvogt  Her^ 
mann  Korb  nach  dem  Vorbilde  von  Marly  erbauet ,  ein 
kleines  Versailles  mit  weitläufigem  tVunzösischon  Park,  viel 
bewunderten  Wasserkünsten,  einem  kleineren  und  einem 
gröfseren  Theater,  einem  Miuenberge,  auf  dem  das  Bi-aun- 
schweiger  Rofs  als  Pegasus  thronte,  und  mit  herrlichen,  jetzt 
nur  noch  in  Trüuunern  vorliandenen  Kunstsammlungen. 
Seit  seiner  Vollendung  im  Jahre  1697  ein  bevorzugter  Lieb- 
lingssitz Anton  Ulrichs  und  seiner  NBchfolgor,  war  dies  iiirat- 
IJche  Tuskuliim  ganz  dazu  geeignet,  das  altertümliche,  we- 
niger Raum  und  BequemUchkeit  bietende  Schlofs  zu  Wol- 
fenbüttel  zu  überflügeln  und  in  Schatten  zu  stellen.  Hier 
in  Woifenbüttel  waltete  inzwischen,  so  oft  er  nicht  in  dem 
benaclibarten  Hedwigsburg,  in  Braunschweig  oder  im  Aus- 
lande verweilte.  Rudolf  August,  einlacher,  bescheidener,  we- 
niger geräuschvoll  als  der  jüngere  Bruder,  welchem  er  seit 
seiner  Verheiratung  mit  der  büi^erlichen  Madame  Rodol- 
phine  die  Uegieruug  des  Herzogtums  ganz  überlief». 

Weit  dürftiger  und  bescheidener  als  in  dem  wohlhaben- 
den, unter  der  Regierung  des  Herzogs  Julius  zu  hoher  wirt- 
Bchaftlicher  Blüte  gelangten  Fürstentume  Wolfenbüttel- Calen- 
berg  stellt  sich  in  der  ersten  HaltYe  dieses  Zeitraumes  die 
Hofhaltung  der  Lünebui^r  Herzöge  dar.  Teils  die  Armut 
dos  Landes,  teils  der  reiche  Kindersegen,  der  dem  Herzoge 
Wilhelm  beschieden  war,  machten  hier  eine  ähnliche  Pracht- 
entfaltung wie  am  Wolienbüttler  Hofe  unter  Heinrich  Julius 
zur  Unmöglichkeit.  Selbst  der  Verzicht  der  jüngeren  Söhne 
Wilhelms  auf  die  Regierung  vermochte  dem  ältesten  nicht 
die  Mittel  zu  einer  üppigeren  Lebensweise  und  zu  grölserein 
Aufwände  zu  gewähreu.  Kine  fast  bürgerliche  Emfuchheit, 
ein  ängstliches  Bestreben ,  alle  nicht  durchaus  notwendigen 
Ausgaben  zu  vermeiden,  waren  für  Ernst  II.  mafsgebend 
und  blieben  es  auch  für  den  LUneburger  Hof  in  Celle,  als 
ihm  in  der  .Regierung  nach  einander  seine  Brüder  Christian, 
August  d.  A.  und  Kriadrich  folgten.  Unter  dem  Waffenlärm 
und  den  Krieg.^greueln,  die  zur  Zeit  dieser  Forsten  das  nie- 
dersächsischc  Land  erfüllten,  verbot  sich  eine  glänzende  oder 
auch  nur  ausgiebige  Hofhaltung  von  selbst.  Herzog  Georg 
von  Calenberg  namentlich,  der  fast  sein  ganzes  Leben  im 
Kriegslager  verbracht  hat,  mufste  die  dürftigen  Geldmittel, 
die  ihm  zugebote  standen,  ausschhefslich  verwenden,  nin  die 
von  ihm  geworbenen  Truppen  zu  erhalten-  Aber  alsbald 
nach  dem  Kriege  trat  aucli  an  den  Höfen  von  Hannover 
und  Celle  die  neumodische  Lebensrichtung  hervor  und   er- 


HofordnuDg  Christians  von  Lünebarg. 


165 


forderte  einen  fipüher  unerhörten  Aulwand.  Wie  einfach 
war  nach  der  Hotordnung  von  1612  noch  der  Haushalt 
des  Her/.ogfl  Christian  eingerichtet.  AVenn  der  Türmer 
—  heilst  es  da  —  geblasen  hat,  d.  h.  morgens  neun,  abends 
vier  L'hr,  soll  jeder  aul'  die  Mahlzeit  warten  und  der  Säu- 
mige leer  ausgehen.  Keiner  von  der  Dienerschaft,  es  Bei 
denn,  dafe  ein  Knecht  habe  au.sreiteu  uiü&äeu,  soll  sich  in 
Küche  uder  Keller  sättigen  und  niemand  ohne  erlialtene 
Erlaubnis  aul'  iürstliche  Kosten  Pferde  lüttem.  AVenn  in 
der  Hotstube  das  Ksseo  auigetragen  ist,  soll  ein  Junge 
(Page),  80  dazu  verordnet,  beten,  ein  jeder  sich  still  und 
bescheiden  aufführen,  nicht  schelten,  fluchen  oder  schwören, 
noch  einen  dritten  mit  Fleisch,  Brot^  Knochen  oder  Braten 
werfen  oder  mit  den  verabreichten  Speisen  seine  Taschen 
tiillen.  Sieben  Uhr  sollen  die  Junker  ihre  Morgensuppe  er- 
halten aui'ser  am  Freitag  (wo  Wochenpredigt  stattfand),  da- 
mit man  um  so  geschickter  zum  Gottesdienst  seL  Der 
Weiuschenk  soll  weder  „Kdel  noch  Unedel"  in  den  Keiler 
gehen  lassen,  und  der  Wein  soll  nur  an  dem  iurstUchen 
Tische  und  demjeuigen  der  lüite  verabreicht  werden.  Wie 
verechieden  von  diesen  schHchten  und  einfachen  Lebena- 
gewohnheiten  ist  der  Ton,  der  uns  dreifsig  Jahre  später  aus 
den  Berichten  über  das  Hofleben  in  Hannover  entgegen- 
khngt.  Hier  wie  später  in  Celle  verschmolz  zur  Zeit  Chri- 
Rtian  Ludwigs  die  roIie  Völlerei,  die  das  Lagerleben  zur 
Blüte  gebracht  hatte,  in  sonderbarer  Weise  mit  dem  Hoch- 
mut und  den  Ansprüchen  des  selbstherrlichen  Fürstoutumä. 
Dreifsig  Edelleute  und  darüber  mufsten  dem  Herzoge  bei 
Tische  aufwarten,  seine  Leistungen  im  Trinken  bewundem 
und  erhielten  dafür  reiche  Geschenke.  Wer  sich  bei  ihm 
zum  Kriegsdienst  meldete,  den  nahm  er  an,  gewährte  diesen 
Leuten  aus  allen  Lebensstellungen  den  Tisch  bei  Hofe  und 
zu  ihrem  Unterhalt  eine  entsprechende  Pension.  Seine  eigene 
Mutter  schreibt,  „das  Geschwitrm  und  Gesöff  sei  Wasser 
auf  des  Herzogs  Mühle  gewesen",  und  sein  jüngerer  Bruder 
Ernst  August  nahm  keinen  Anstand,  diesen  Hof  als  „une 
horrible  cour  de  iSauf  brüder "  zu  bezeichnen.  Es  war  nichts 
Seltenes,  dafs  Christian  Ludwig  und  seine  Zechgenüssen  sich 
nächtUcherweile  in  den  Strafsen  der  Stadt  umhertrieben, 
allerhand  Unfug  verübten,  Fenster  einschlugen,  die  friod- 
hchen  Bürger  raifshandelten  und  durch  Werten  von  Baketen 
ersciireckteu.  Erst  unter  seinen  Nachfolgern  Georg  Wilhelm, 
Johann  Friedrich  und  Ernst  August  kam  die  teinere  zier- 
liche h-anziisische  Sitte,  treilich  auch  mit  all  ihrer  Unnatur, 
ihrer  steilen  Etikette  und  ihrer  überti-iebenen   Prachtliebe, 


166 


Erstes  Buch.    Vierter  Absohoitt. 


an  den  Höfen  der  Lüneburgcr  Herzöge  zur  HoiTschal't. 
Wir  kennen  die  Einflüsse,  welche  aui'  diese  jüngeren  Söhne 
Georgs  von  Lüneburg  gleichmüfßig  eingewirkt  hatten,  ihre 
Reiselust,  ihre  Vorliebe  für  daa  firerad ländische ,  ihre  Ab- 
neigung gegen  das  einheimische,  in  den  langweiligen  Formen 
einer  absterbenden  Zeit  sich  bewegende  Wesen.  Franzö- 
sische Bildung  und  italienischer  LebeusgenuTs,  die  sie  auf 
ihren  häufigen  Reisen  kennen  und  über  alles  schützen  ge- 
lernt hatten,  galten  ihnen  mehr  als  die  alton^  von  Vater  und 
Mutter  überkommenen  Lebensgewohnheiten,  übten  auf  sie 
einen  unwiderstehlichen  Reiz  aus.  Bei  allen  dreien  kam 
dann,  sie  in  dieser  Richtung  bestärkend,  die  Einwirkung 
der  Frauen  hinzu,  die  sie  sich  zu  Geiahrtinnen  ihres  Lebens 
en\äldten.  Zwei  von  ihnen  gehörten  dem  pialzischen  Hause 
an,  das  seit  der  Reformationszeit  die  lebhafteäteu  Bezieliungen 
zu  Frankreich  unterhalten  hatte  und  in  welchem  französische 
Sitte  und  französisches  Wesen  längst  einheimisch  geworden 
waren.  Die  dritte  aber  war  nach  Geburt  und  Erziehung 
selbst  ein  Kind  der  französischen  Nation,  welches  jetzt  die 
in  der  Heimat  empfangene  Lebensrichtung  an  den  nord- 
deutschen Hof  ihres  Geliebten  und  späteren  Gemahles  ver- 
pflanzte. 

Der  Hof  in  Hannover  zur  Zeit  Johann  Friedrichs  wim- 
melte von  Ausländem.  Zu  den  „Monsignorea^',  die  er  in- 
folge seines  Übertritts  zu  der  katholischen  Kirche  mit  aus 
Italien  gebracht  hatte  oder  die  sieh  später  bei  ihm  ein- 
fanden, geaellte  sich  seit  seiner  Verheiratung  (1668)  eine 
grofse  Anzahl  von  Franzosen.  Sie  bildeten  zum  Teil  die 
Begleitung  seiner  Gemahlin,  die,  eine  Tochter  des  Pfabi- 
grafen  Eduard  von  Simraern  und  eine  Enkelin  des  Herzogs 
Karl  von  Navarra,  in  Piu-is  erzogen  war  und  dort  ihre  Bil- 
dimg erhalten  hatte.  Zu  der  Brautwerbung  hatte  der  Her- 
zog seinen  Geheimenrat  Otto  Grote  nach  Paria  geschickt 
Die  Heimholung  der  Prinzessin  vollzog  sich  mit  aul'ser- 
ordentlicher  Pracht.  Ein  ganzer  Trofs  von  Hofbediensleten, 
ein  Geistlicher ,  Pagen ,  Lakaien ,  Silberdiener ,  Reiseköche, 
Hoüouriere,  Mägde  und  Jungen,  ein  Gefolge  von  über  liiufzig 
Personen  in  einem  Dutzend  Wagen,  begleitete  sie  auf  ihrer 
Reise  über  Frankiurt  nach  Hannover.  Am  5.  November  er- 
folgte hier  der  feierliche  Einzug.  Mit  dem  Herzoge  Rudolf 
August  von  Braunschweig  und  dem  Landgrafen  von  Hessen- 
Homburg  war  der  Herzog  seiner  Braut  eine  Strecke  Weges 
entgegen  geritten.  Der  Wagen ,  den  sie  hier  bestieg ,  ward 
auf  mehr  als  20000  Thaler  geschätzt.  Eine  lange  Reihe  von 
Staatswagen,  darunter  allein  siebenzehn  herzogliche,  die  vor- 


nehmsten  Hof kavaliere ,  die  Leibgarde  und  eine  Truppen- 
abteilung folgten  dem  statllicbeD  Zu^.  Nach  der  Einsegnung 
in  der  Schlofakii-chc  durch  den  apostolischen  Vikar  achlols  ein 
Tedeum  unter  Salven  und  Kanonfinschüssen  die  Feier  des  Ta- 
ees.  Über  eine  Woche  dauerten  die  Festlichkeiten  :  offene  Tafel 
bei  Hofe,  Ballett  und  französische  Komödie,  Violinkonzert 
und  prächtiges  Feuerwerk.  Das  rürstliche  Selbstbewufstsein 
Johann  Friedrichs  wurde  durch  diese  Heirat,  die  ihn  mit  dem 
französischen  Runigsluiusß  in  verwandtschaftliche  Beziehungen 
brachte,  nicht  wenig  gesteigert.  Mehr  noch  als  zuvor  sachte 
er  jetzt  in  dem  Glänze  seiner  Hofhaltung  dem  französischen 
Monarchen  nachzueifern ,  auch  als  Protektor  der  Wisaen- 
schatt  und  als  Mäccn  der  Künste.  Er  führte  die  italienische 
Oper  lind  das  französische  Schauspiel  in  Hannover  ein,  hielt 
an  der  Sclalofskirche  einen  Chor  von  italienischen  Sängern, 
der  selbst  den  biederen,  durch  seine  plattdeutschen  Predigten 
bekannten  Pastor  Sackmann  als  Knaben  entzückte,  und  be- 
gann im  Jahre  1665  auf  einem  Vorwerke  bei  der  Stadt  den 
Bau  des  Lustschlosses  Herrnhausen,  das  dann  später  (1698) 
durch  den  italienischen  Architekten  Quirini  vollendet  wurde 
und  im  wesentlichen  seine  jetzige  Gestalt  erhielt.  Von  Lud- 
wig XIV.  bezog  er  eine  .Jahresrente  von  240000  Thalern. 
Durch  den  General  Heinrich  von  Podewils,  einen  geborenen 
Pomraer,  der  aber  französischer  Unterthan  geworden  und 
seine  Kriegsschule  in  französischem  Dienste  gemacht  hatte, 
liefs  er  seine  Truppen,  die  er,  wie  erwähnt,  bedeutend  ver- 
mehrte, ganz  nach  französischem  Muster  kleiden,  bewaffnen 
und  einüben.  Fast  seine  gesamte  Hofdienerschaft  bestand 
aus  Italienern  und  Franzosen,  Leuten  von  oft  zweifelhaftem 
Rufe,  Abenteurern,  die  ihre  Stellung  zu  ihrem  Vorteil  nach 
Kräften  auszubeuten  wufstnn.  In  seinem  kleinen  Staate 
fiihite  er  sich  ganz  wie  ein  zweiter  Ludwig  XIV.  „  Ich 
bin  Kaiser  in  meinem  Lande",  hörte  man  ihn  im  Bewufst- 
aein  seiner  Machttulle  wohl  sagen.  Bei  seinem  Leichen- 
begängnisse wui'de  eine  selbst  für  diese  Zeit  ungewöhnliche 
Schaustellung  entfaltet.  Acht  Generale,  begleitet  von  fünfzig 
Offizieren  mit  Hpllebarden,  trugen  die  Ziptel  des  Sargtuches, 
vierzehn  Herolde  mit  den  Einzelschilden  des  Braunach weiger 
Wappens,  dem  Gesamtwappen  und  dem  das  alte  sächsische 
Kriegsemblem  darstellenden  weifsenEofa  folgten,  derGeneral- 
iieutenant  von  Podewils  trug  die  kostbare,  mit  Diamanten 
und  Perlen  besetzte  Herzogskrone,  der  Hofmarschall  von 
Moltke  das  „souveräne  Schwert'%  andere  Hofbeamte  und 
Offiziere  die  übrigen  Symbole  der  Herrschait.  Zwischen  ilmen 
ward  das   ganz   weifse  „Freudenpferd"  und  das  völlig  in 


m 


Erstes  Baeh.    Vierter  Abschnitt. 


schwarz  gehüllte  „Trauerpferd",  jenes  von  dem  Kittmeister 
von  Medera  in  vergoldetem  Harnisch,  geritten.  Eine  imab- 
Bchbare  Menge  von  Leidtragenden  folgte  der  Bahre,  voran 
der  Erbe  des  Dahingeschiedenen,  Ernst  August  Bischot'  von 
Osnabrück,  mit  seinen  beiden  ältesten  Söhnen ,  dann  die 
Deputierten  der  Städte,  Rittei-schaft  und  Prälaten,  Abge- 
ordnete der  Universität  Helmstedt,  Beamte,  Geistliche,  Schul- 
kinder mit  ihren  Lehrern  und  Rektoren,  die  üotdienersc-haft 
und  endlich,  den  Zug  be  sc  hl  i  eisend,  die  füretliche  Leibgarde 
und  zwei  Schwadronen  Eisenreiter,  „überaus  hen'lich  wohl 
montiert",  ganz  in  Trauer  gehüllt,  anl'  weilsen  Pl'erden. 

Bei  einer  ähnlichen  GS-rundnchtung,  die  ja  nun  einmal 
immer  mehr  zur  allgemeinen  Signatui'  dieser  Zeit  wurde, 
zeigt  der  Hot*  zu  Celle  während  der  Regierung  Georg  Wil- 
helms doch  ein  in  mancher  Hinsicht  abweichendes  Bild. 
Von  Haus  aus  teilte  Georg  Wilhelm  mit  seinen  Brüdern  in 
Hannover  und  Osnabrück  die  Freude  an  Pracht  und  Auf- 
wand, aber  er  ist  in  seinen  späteren  Lebensjahren  ein  spai*- 
samer  Fürst  und  ein  guter  Hanshalter  gewesen.  Dazu  be- 
stimmte ihn  offenbar  sein  Verhältnis  zu  Eleonore  d'Olbreuze. 
Namentlich  seit  seiner  Verheiratung  mit  ihr  richtete  sich 
sein  Streben  darauf,  durch  Ankaut  von  Gütern  und  An- 
sammlung von  barem  Geide  ihr  Schicksal  und  die  Zukunft 
der  Tochter,  die  sie  ihm  geschenkt  hatte,  sicher  zu  stellen. 
Der  einzige  Aufwand,  den  er  sich  auch  jetzt  noch  gestattete, 
war  der  für  das  Militär,  wie  denn  die  von  ihm  errichtet© 
Kriegsschule  mit  ihren  Fechtmeistern  und  Keitlehrern  sich 
seiner  besonderen  Förderung  und  Vorliebe  zu  erfreuen 
hatte.  Die  liebenswürdige  und  fcingebildete  Französin  gab 
überhaupt  an  dem  Hofe  zu  Celle  den  Ton  an.  Sie  ent- 
ßtaramte  einer  Hugenottenfamilie  deaPoitou:  einer  ilu*er  Vor- 
fahren hatte  wacker  unter  der  Fahne  Heinrichs  von  Na- 
van-a  tür  die  Glaubensfreiheit  gekämpft,  sich  dann  aber 
nach  dessen  Überti'itt  zur  katholischen  Kirche  von  ihm  ge- 
trennt und  auf  seine  Güter  zurückgezogen.  Auch  in  ilir  lebte, 
von  weibEcher  Anmut  gemildert ,  der  alte  hugenottische 
Geist  Der  Kurfürst  Karl  Ludwig  von  der  Ptälz  rühmt  in 
einem  Briete  an  seine  Schwester,  die  Herzogin  Sophie,  ihr 
natürliches,  gewinnendes  Wesen  und  ihre  gute  Erziehung, 
und  derselben  Sophie,  die  in  der  Folge  ihre  bitterste  Feindin 
wurde,  hat  sie  bei  ihrer  ersten  Begegimng  das  Bekenntnis 
abgerungen,  dals  sie  nicht,  wie  man  sie  geschildert,  leicht- 
fertig und  gefallsüchtig  sei,  sondern  ernsthaft,  von  guter 
Contenance,  angenehmer  Unt erhalt ungsgabe,  schon  und  von 
hohem    Wuchs.     Das    beste    Zeugnis    für   die   Üacht   ihrer 


Eleonore  d'Olbreuz«. 


169 


Rmze    ist,    dafs    sie    den    Flatterhaftesten    der   Männer  Zeit 

eines  Lebens  in  dem  Banne  ihrer  Persönlichkeit  festzuhalten 
^Termocht  hat  Ihrer  Einwirkung  ist  es  hauptRächlich  zuzu- 
schreiben ,  wenn  die  ^ofsen  prunkhaften  Festlichkeiten  in 
Celle  seltener  begegnen  als  in  Hannover  und  VVolfenbuttel, 
wenn  der  Herzog  sich  mehr  in  der  Intimität  einer  kleinen, 
geistig  angeregten  Gesellschaft  geliel  als  in  dem  Wirbel  rau- 
schender Vergnügungen,  die  er  früher  so  sehr  geliebt  hatte, 
die  aber  jetzt  nur  bei  besonderen  Veranlassungen ,  wie  im 
Winter  1667  bei  Gelegenheit  eines  Aufenthaltes  seiner  Neften 
Georg  Ludwig  und  Friedrich  August  in  Celle  stattfanden. 
„Von  dem  CeUer  Hofe",  berichtet  die  Herzogin  Sophie  im 
Älärz  1666,  „ist  nichts  zu  vermelden^  als  dals  man  dort 
tttne  gute  Tafel  führt  und  Frau  von  Harburg  sich  guter 
'Boffnung  befindet.*'  Die  letztere  aber  schreibt  zu  dei*selbeu 
Zeit  an  einen  Freund  ihrer  Familie:  „Sie  würden  Ihre  helle 
Freude  über  unsere  Häu&hchkeit  haben :  es  giebt  keine 
schönere  auf  der  Welt"  Sie  Hefa  es  sich  angelegen  sein, 
das  Schlofs ,  welches  ihr  Freund  und  späterer  Gemahl  in 
den  Jahren  1670  bis  1675  durch  den  Italiener  Lorenzo  Be- 
dogni  zu  einer  der  geschmackvollsten  deutschen  Residenzen 
der  damaligen  Zeit  hatte  umschalfen  lassen,  ihm  zu  einem 
Aufenthalte  zu  machen,  wo  er  die  Reize  Italiens  und  Frank- 
reichs, in  denen  er  als  Jüngling  geschwelgt  hatte,  völlig  ver- 
gaCs.  Mit  bewunderungswüi'diger  Annmt  wufste  sie  die  ihr 
■  obliegenden  Pflichten  lurstücher  Repräsentation  zu  erliUleu 
ond  zugleich  der  gesamten  Hofhaltung  Ordnung  und  Be- 
haglichkeit zu  verleiben.  Ihre  Sorge  ei*streckte  sich  auf 
alles,  auch  auf  die  imbedeutendsten  Dinge.  Die  Tafel,  der 
Hausrat,  die  Wäsche,  die  Dienerschaft  haben  sie  in  gleichem 
Mafse  erfahren.  Selbst  in  den  Jahren  nach  der  traurigen 
Katasti'ophe  ihrer  Tochter  hat  sich  ilu-  die  ruhige  Gloich- 
Imäfsigkeit  ihres  Temperamentes  bewühii:,  ihr  und  ihrem 
'  Oatten  das  schwere  Unglück  tragen  hellen,  das  sie  in  ihrem 
Kinde  betraf. 

ilber  den  Hof  Ernst  Augusts  in  Osnabrück  und  später 
in  Hannover  haben  wir  von  verschiedenen  Seiten  zeitge- 
nössische Berichte.  Einer  von  ihnen  bezeichnet  ihn  im 
Gegensat:&  zu  dem  ,, ernsthaften "  Wolfcnbüttler,  dem  „lusti- 
gen" Celler,  dem  „regulierten"  hanaüvrischen  (unter  Johann 
Friedrich)  als  den  „galantesten":  alle  aber  seien  insgemein 
Bcbön  und  präclitig.  In  der  That  liebto  Ernst  August  neben 
einer  guten  soliden  Tafel,  dem  Wein  und  der  Jagd  nichts 
mehr  als  die  Frauen.  Ein  stattHcher ,  schöner  Maun  mit 
verbindlichen  Formen,  die  ihn   „bei   der  ganzen   Welt  be- 


170 


liebt  machten",  war  er  mehr  noch  wie  seine  älteren  Bruder 
ein  Bewunderer  tranzösischer  BilduQ"^,  in  seinen  Sitten  und 
Lebensge  wohn  hei  ten  ein  gelehriger  äcnüler  and  eifriger  Nach- 
ahmer französischer  Frivolität  „Der  Hof  von  Hannover", 
beifst  es  im  Jahre  l^HA-,  ,« richtet  sich  in  allem  nach  dem 
Muster  des  französischen  Hofes,  eifert  ihm  namentlich  auch 
in  seinen  Vergnügungen  (divertiB^ements)  nach.**  Als  er 
noch  allein  das  Hochstift  Oanabriick  verwaltete,  unterhielt 
Ernst  August  zusammen  mit  seinem  Bruder  Georg  Wilhelm 
eine  Seh  au  spiel  orgesellBchaft  von  vi  erund  zwanzig  Personen,  die 
abwechselnd  in  Osnabrück,  Celle  und  Hannover  spielte.  Sie  be- 
stand fast  durchweg  aus  Franzosen,  „  von  den  besten  Meibteru 
dieser  Profession".  Später  erbauete  er  ia  Hamiover  neben 
dem  älteren  Romödiennause ,  das  sich  zu  klein  erwies^  für 
die  von  ihm  lt}88  eingerichtete  italieniaclie  Oper  ein  neues 
prächtiges  Haus,  das  nach  Lady  Montagues  Ansicht  schöner 
war  a!s  dasjenige  in  Wien.  Die  Leitung  der  Oper  wurde 
dem  aus  München  berufenen  Agofitino  öteffani  übertragen, 
als  Hauptstem  glänzte  an  ilir  die  von  Dresden  verschriebene 
Signora  Margarita,  „Margherita  bella'%  wie  sie  in  Italien 
hiefs,  die  den  heimlichen  Neid  des  Herzogs  Anton  Ulrich 
voQ  Wolfenbüttel  erregte.  Jn  den  späteren  Jahren  seiner 
Regierung,  nachdem  er  die  Kurwürde  erlangt  hatte,  nahm 
au  Ernst  Augusts  Hole  fürstliche  Pracht  und  übertriebener 
Lu^us  überhand,  aber  es  lierrschte  dabei  nach  dem  Zeug- 
nisse des  Freiherm  von  PöUnitz  ein  leichter  Ton  und  eine 
Höflichkeit,  wie  sie  damals  in  Deutschland  noch  wenig  be- 
kannt waren.  Aus  dieser  Zeit  entwirft  der  bekannte  eng- 
lische Freidenker  Johann  Toland  folgende  Schilderung  von 
dem  Leben  in  Hannover:  „Alles  ist  hier  bei  Hofe  in  gutem 
Zustande.  Die  Zimmer  im  Schlosse  sind  sehr  sauber  imd 
reich  möbliert.  Es  ist  allda  ein  nettes  Theatruin  mit  schünen 
Logen  vor  Leute  von  allerhand  Condition,  und  zahlet  allda 
kein  Mensch,  der  in  die  Comödie  gehet,  sondern  der  Chur- 
ftirst  thut  alles  auf  seine  Kosten,  sowohl  denen  Leuten  aus 
der  St4kdt  als  denen  bei  Hofe  ein  Vergnügen  zu  machen. 
Das  Opernhaus  aber  in  der  Stadt  wird  von  allen  Reisenden 
billig  als  eine  Rarität  besehen,  »intemabl  dasselbe  sowohl  der 
Malerei  als  der  Einrichtung  wegen  das  beste  in  Europa. 
Der  Hof  ist  durohgehends  sehr  polit  und  wnrd  in  Teutsch- 
land selbst  wegen  seiner  CiviÜtat  und  übrigen  Woldstands 
in  allen  Dingen  vor  den  besten  gehalten.  Die  von  hohem 
Stande  sein  und  sonsten  Figur  machen,  ladet  man  gemein- 
lich zur  ChurtÜrstlichen  Tafel,  da  sie  dann  in  Verwunderung 
gebracht  werden,  wie  man   so  fein   und   ungezwungen   hier  i 


Der  Hof  in  Hannover.    Kurfiirstin  Sophie. 


17t 


umzugehen  wcifs  und  wie  man  ihnen  allda  alle  Fi*etheit  zu- 
läffitj  derer  sich  doch  niemand  zu  mifsbrauchen  erkühnen 
wird.  Zu  gewohnlicher  Hofzeit  gehet  jedermann  von  Fa^x>n 
dahin  olme  den  geringsten  Zwang,  und  wenn  sie  nur  anders 
wissen,  was  zwischen  Leuten  und  gewissen  Dingen  vor  ein 
Unterschied  zu  machen  sei.  so  können  sie  von  allerhand 
Sachen  sein  und  auch  mit  der  Cliurfiirstin  selbst  reden.  Die 
Damen  sind  vollkommen  wohl  erzogen,  hötlich  und  meisten- 
theiU  schön  von  Gestalt.  Der  Churfurstin  Staatsdamen  be- 
kleiden alle  ihre  Stellen  sehr  wohl.  Alle  CavaÜere,  welche 
bei  Ihro  HoheitRn  in  Diensten  sich  befinden,  sind  insgesnmt 
sehr  wackere  und  geschickte  Personen.** 

Das  belebende  geistige  Element  an  diesem  Hofe,  seine 
eigentliche  Seele  war  die  Herzogin  und  nachmalige  Kur- 
flirstin  Sophie.  Sie  gehört  ohne  Frage  zu  den  merkwürdig- 
sten Frauen  dieser  Zeit.  Am  14.  Oktober  1630  als  zwölttcs 
Kind  ihrer  Eltern  im  Haag  geboren,  wo  diese  endlich  eine 
Zuflucht  getiinden  hatten,  verlebte  sie  die  Jahre  der  Kind- 
heit mit  ihren  Geschwistern  in  Leyden ,  iern  von  ihrer 
Mutter,  unter  dem  Druck  einer  steifen,  pedantischen  Er- 
ziehung, die  aber  weder  ihre  muntere  Laune  noch  die  Ela- 
stizität ihres  jugendlichen  Geistes  zu  unterjochen  vermochte. 
Als  sie,  zehnjährig,  zu  ihrer  Mutter  zurückkehrte,  —  ihren 
Vater  hatte  sie  sclion  im  zweiten  Jahre  ihres  Lebens  ver- 
loren —  f^ewanncn  die  Lebhaftigkeit  ihres  Temperamentes, 
ihre  schnelle  Fassungsgabo,  ihr  schlagiertiger  AYitz,  vor  allem 
ihre  heitere  Frohnatur  ihr  ohne  Mühe  die  Herzen  ihrer  Um- 
gebung. Aus  einem  unschönen  und  wenig  anmutigen  Kinde 
zur  lieblichen  Jungfrau  erblühet,  fehlte  es  ihr  später  nicht 
an  Bewerbern  mn  ihre  Hand.  Eine  Zeit  lung  bestand  in 
den  Kreisen  der  englischen  Flüchtlinge  in  Holland  der  Plan, 
sie  mit  ihrem  Vetter  Karl  Stuart ,  dem  späteren  Könige 
Karl  JI.  von  England,  zu  vermählen.  Als  sich  dann  nach 
ihrer  Übersiedelung  nach  Heidelberg  der  portugiesische  Her- 
zog von  Alveiro  um  ihre  Hand  bewarb,  konnte  sie  sich 
nicht,  wie  sie  in  ihren  Denkwürdigkeiten  berichtet,  „dazu 
entschliel'sen,  nachdem  sie  einmal  an  die  Vermählung  mit 
einem  Könige  gedacht  hatte,  sich  zu  einem  Unterthauen  her- 
abzulassen". Eine  Verbindung  mit  dem  römischen  Könige 
Ferdinand  Franz,  dem  älteren  Bruder  Leopolds  I.,  vereitelte 
dessen  frühzeitiger  Tod,  und  der  Bewerbung  des  Prinzen 
Adoll'  von  Schweden  kam  diejenige  des  Herzogs  Georg  Wil- 
helm zuvor,  mit  dem  sich  die  Prinzessin  im  Jabre  1656 
verlobte.  Allein  es  ist  bekannt,  wie  dieser  in  dem  Wirbel 
der  Zerstreuungen  und  Vergnügungen,  die   ihn  in  Venedig 


i 


m 


EtsteB  Bucfa.    Vierter  Abschnitt. 


erwarteten ,  seiner  verlobteu  Braut  vergaf»  und  dann  der 
sonderbare  Ausgleich  getroffen  ward ,  wonach  Sophie  statt 
dem  Herzoge  Georg  Wilhelm  dessen  Bruder  Ernst  August 
ihre  Band  reichte.  Es  ward  ihr  nicht  leicht,  ilir  Herz  zum 
Schweigen  zu  bringeu^  aber  ,,sie  war" ,  wie  sie  selbst 
schreibt,  „zu  fttolz,  um  sich  niederbeugen  zu  lassen".  Die 
so  geschlossene  Ehe  hat  sich  ihr  dann  als  eine  reichlich 
dornenvolleerwiesen.  Schwere  Demütigungen  und  Kiänkungen, 
harte  Kämpfe  sind  ihr  nicht  erspart  geblieben.  Aus  den 
von  ihr  hinterlassenen  Denkwürdigkeiten  und  aus  ihren 
zahlreichen  Brieten  bricht  unter  der  Hülle  harmloser  und 
geistreicher  Plauderei  doch  das  Leid  über  die  spätere  Trü- 
bung ihrer  antiangs  so  glücklichen  Ehe,  die  verzweifelte 
Stimmung  über  ihre  Stellung  zwischen  den  Brüdern,  inehr 
als  alles  andere  aber  der  Ilafe  und  die  Verachtung  gegen 
die  Frau  hex'vor,  die  später  das  Herz  ihres  einstigen  Ver- 
lobten zu  gewinnen  und  dauernd  zu  fesseln  verstand.  Aliein 
in  solchen  Seelenkämpfeu  erstarkte  ihr  Geist  zu  der  männ- 
lichen Festigkeit  und  klärte  sich  ihr  Gemüt  zu  der  milden 
Heiterkeit  ab ,  welche  den  spätei-en  Lebensjahren  dieser 
deutschen  Fürstin  ein  so  anziehendes  Gepräge  gaben.  Der 
langweiligen  Pi-acht  des  Hoflebens  mit  seiner  steifen  Etikette 
wufste  sie  doch  ein  genufsreiches  Dasein  abzugewinnen. 
Gern  vergegenwärtigt  man  sich  die  uoch  immer  lebenstnache 
Greisin,  wie  sie  in  ihrer  Urangerio,  fern  von  dem  frivolen 
Treiben  des  Hofes,  mit  Leibniz,  ihrem  bevorzugten  Gesell- 
echafter,  die  tiefsten  Probleme  menschlicher  Erkenntnis  er- 
örtert, dabei  aber  keineswegs  die  sehr  realen  und  weltlichen 
Pläne  zu  besprechen  und  in  Erwägung  zu  ziehen  versclmiäbet, 
mit  denen  sich  ihr  Ehrgeiz  wähi-end  der  letzten  Zeit  ihres 
Lebens  vorwiegend  beschält  igte.  Denn  auch  tUr  diese 
Dinge,  iur  ihre  Mafsnahmen  insbesondere  inbezug  auf  die  be- 
anspruchte und  erstrebte  Nachfolge  auf  dem  Throne  ihrer 
schottischen  Vorfahren ,  war  ihr  der  grofae  Philosoph 
Freund  und  Berater.  Mit  ihm  bespracli  sie  alles,  was 
ihren  lebhaften  Geist  oder  ihr  Gemüt  erregte,  ihre  häus- 
lichen Sorgen,  Leid  und  Freud,  das  sie  in  ihren  Familienbe- 
ziehuugen  betraf",  aber  auch  die  wiasenschaJtlichen  und  litte- 
rarischen Erzeugnisse  der  Zeit,  die  religiösen  Fragen,  die 
damals  die  Welt  bewegten,  die  auch  von  Leibniz  eifrig  und 
lebhatt  verteidigte  Idee  einer  Wiedervereinigung  der  beiden 
grofsen  christlichen  Kirchen,  ihre  poUtischun  Pläne,  Hoff- 
nungen und  BetürchtuTigen.  Es  war  ein  schönes  und  sel- 
tenes Verhältnis,  an  welchem  als  dritte  im  Buude,  so  oft  sie 
von  Potsdam  oder  Berlin  zum  Besuch  nach  Hannover  her- 


Der  absolute  Staat. 


173 


überkam,  auch  die  geist-  und  gedankenreiche  Tochter,  Sophie 
Charlotte  von  Prenfsen,  die  Gemahlin  Friedrichs  I.,  ,,die 
philosophische  Königin",  wie  man  sie  genannt  hat,  teil- 
nahm. 

Neben  den  Fürsten,  welche  in  dieser  Zeit  des  mehr  und 
mehr  ziw  Auebildung  gelangenden  Abäolutismus  mit  ihrer 
nUtihsteu  Umgebung  auuh  die  allein  beatimmenden  und  be- 
hen"3chendeu  Faktoren  de»  geistigen  und  geselligon  Lebcna 
wui*den,  nehmen  die  Orgaue,  die  sich  dieser  müdem -absolute 
Staat  iiür  die  Verwaltung,  die  Jtechtsptlege,  das  Kriegswoäeu 
und  die  übrigen  Zweige  der  Uegierungsniaßchiene  schui^ 
unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Nach  den  Anschau- 
ungen, welche,  von  Frankreich  ausgehend,  während  dieser 
Zeit  allmählich  auch  in  Deutschland  allgemein  mafsgebetid 
wurden,  ist  die  alleinige  Quelle  aller  ätaatsgewalt  in  der 
Person  des  Fürsten  zu  suchen.  Wie  sich  um  ihn  und  um 
seinen  Hot'  das  ganze  öffentliche  Leben  drehet,  so  findet  in 
Wim  auch  die  Summe  der  Regierungsbelugnisse,  die  Macht, 
Hoheit  und  Majestät  der  Herrschaft,  ihi-e  Vereinigung.  Aber 
bei  der  hochentwickelten  Genulasucht  dieser  Tage  ist  der 
Monarch  weit  davon  entfernt,  sich  persönlich  um  die  Re- 
gierungsgeschäfte zu  kummern ,  wie  dies  doch  zur  Refor- 
mationszeit  noch  allgemeine  Sitte  war.  Schon  Heinrich  Ju- 
lius hat,  freilich  aus  anderen  Beweggründen  als  seine  spateren 
Nachfolger,  wenigätens  die  letzten  sieben  Jahre  seines  Lebens 
die  Regierung  des  Landes  last  auaschliefslich  seinen  Räten 
überlassen,  uad  zu  welchen  heillosen  Zuständen  unter  seinem 
Sohne  Friedrich  Ulrich  dann  das  Regiment  der  ungetreuen 
Landdrosten  führte ,  ist  bereits  geschildeit  worden.  Nach 
dem  dreifsigjährigen  Kriege  kam  nun  aber  die  neue  Staats- 
theorie  erst  zu  ihrer  vollkommenen  konsequenten  Ausgestal- 
tung. Die  drei  jüngeren  Öühne  Georgs  von  Lüneburg  und 
Anton  Ulrich  von  Wotfenbüttel  haben  in  den  weltischen 
Ländern  den  modernen  Absolutismus  begründet  Sie  alle 
betrachteten  sich  als  die  unumschränkten  Herrscher  inner- 
halb des  ihnen  vererbten  Staatsgebietes,  sie  alle  strebten  mit 
rücksichtsloser  Energie  danach,  jeden  ihre  Allgewalt  hem- 
menden Kindufs,  namentlich  denjenigen  der  Laudstände,  zu 
heaeitigen.  Fast  noch  mehr  aber  als  zu  herrsichen  lag  die- 
sem modernen  Fürstehtume  daran,  die  Freuden  des  Lebens 
zu  geniefsen.  Das  alte  patriarchale  Regiment,  wie  es  in 
dem  Herzoge  Julius  gewissermatsen  verkörpert  erscheint  und 
wie  es  zum  Teil  noch  in  Heinrich  Julius  und  August  d.  J. 
lebendig  war,  verblafst  albnähüch  vor  dem  Ideale  der  neuen 
Auöassung  vom  Staate,  wonach  von  dem  Fürsten   als   dem 


174 


Erstes  Bach.    Vierter  Äbschmtt. 


Staatsoberliaupte  zwar  alle  Regierungsgewalt  ausgeht,  er' 
aber  diese  uicLt  selbst  persönlich  ausübt  Bondem  durch  von 
ihm  zu  diesem  Zwecke  frei  gewühlte  Organe  verwalten 
läfst.  Wir  haben  gesehen,  wie  die  jüngeren  Sohne  Georgs, 
wie  namentlich  Georg  Wilhelm  und  Ernst  August  jahr- 
ein jahraus  in  den  üppigen  Städten  Italiens  und  Frank- 
reichs einem  trivolen  Lebensgenüsse  nachjagten,  ohne  sich 
um  die  WohÜahrt  iluer  Länder  im  geringsten  zu  bekümmern, 
die  Regieruugsgeschäfte  vielmehr  völlig  ihren  Räten  über- 
liefsen,  wenn  diese  nur  datUr  sorgten,  daj's  ihnen  die  Mittel 
zu  iiu'em  verschwenderischen  Leben  im  Auslände  nicht  ver- 
siegten. 

Was  nach  den  Anschauungeu  dieser  Zeit  zu  der  regel- 
und  ordnungsmilfsigen  Verwaltung  eines  Landes  erforderlich 
war,  darüber  giebt  die  Aulico-Poütica  Georg  Kugelhards 
von  Löhneysen  Auskunft,  ein  damals  berühmtes  Buch,  das 
auch  deshalb  hier  eine  Erwähnung  verdient,  weil  dieser 
mächtige  Foliant  in  der  von  dem  Verfasser  aut"  seinem  Gute 
Romlingen  bei  Wolfenbüttel  eingerichteten  Druckerei  (162ä) 
hergestellt  wurde.  Das  Buch  ist  dem  Herzoge  Friedrich 
Uh'ich  gewidmet  und  behandelt  in  unverkennbarem  Hinblick 
auf  die  damaligen  Verhältnisse  des  Herzogtums  WolfenbUttel- 
CaJenberg  die  allgemeinen  Grundsätze  der  „Hof-,  Staats-: 
und  Regierkunet".  In  dem  dritten  umfangreichsten  Kapitel 
beschäftigt  sich  der  Verfasser  mit  den  notwendigen  Staats- 
behörden oder  Konzilien,  wie  er  sie  nennt,  von  denen  zwölf 
eingehend  besprochen  werden:  das  Konsistorium  oder  der^U 
geistliche  Rat,  das  Provinciale  oder  der  Landrat,  das  Quae^^H 
storium  oder  der  Amptrat,  das  Oeconomicum  oder  der  Hof- ^fl 
und  Hausrat,  das  Arcanum  oder  der  Geheime  Kammerrat, 
das  Concilium  justitiac  oder  der  Kanzleirat,  das  Judiciale 
oder  das  Hofgericlit,  der  Appellationsrat,  das  Criminale  oder 
der  peinliche  Rat,  das  Civicum  oder  der  Stadtrat,  das  Me- 
tallicum  oder  der  Bergrat  und  endlich  das  Militare  oder  der 
Kriegerat.  Man  würde  indes  irren,  wollte  man  annehmen, 
dafs  alle  diese  verschiedenen  Zweige  der  Verwaltung  oder 
auch  nur  der  grufsere  Teil  derselben  damals  schon  in  einem 
der  welöschen  Fürstentümer  bestanden  hätten.  Die  Staats- 
verwaltung der  damaligen  Zeit  stellt  sich  vielmehr  noch  in 
weit  einfacherer  Form  dar.  Langsam  nur  und  allmählich 
hat  sie  sich  aus  den  früheren  mittelalterlichen  Zuständen  zu 
reicherer  Gliederung  und  grösserer  Selbständigkeit  entwickelt 
Aus  dem  Grundbesitz  der  grofsen  Geschlechter,  mochte  dieser 
nun  aus  freiem  Eigentume  oder  aus  Reichs-  und  anderen 
Lehen  besteben,  waren  die  Staaten  des  späteren  Mittelalters 


Die  fürstlichen  Regierungsbehörden - 


175 


erwachsen.  Als  Gruridherr  oder  Lehnsträger  übte  der  Fürst 
die  allein  in  seiner  Hand  beruhende  Staatsgewall  aus.  Er 
that  dies  durch  eigens  zu  diesem  Zweck  bestellte  Diener, 
die  ihn  innerhalb  eines  bestiniiDten  Bezirkes  in  seiner  vollen 
Eigenschaft  als  Oberhaupt  des  Staates  vertraten.  Von  Re- 
gieiiingwbehörden,  ueiclic  eiueiu  einzelnen  Zweige  der  Ver- 
waltung für  das  ganze  Staatsgebiet  vorgestanden  hätten,  ist 
ebenso  wenig  eine  Spur  zu  finden  wie  überhaupt  von  einer 
Zerlegung  der  als  unti'ctiubar  gedachten  Kegierungsgewalt 
in  ihre  einzelnen  Zweige.  Erst  gegen  Ende  des  lö.  Jahr- 
hunderts iing  dies  an  sich  zu  ändern  (vgl.  II.  240  ff.).  Neben 
den  Ständen,  mit  denen  die  Liindeslierren  die  wichtigsten 
Regierungs-  und  Verwaltungasacbcn  verhandeln ,  erscheinen 
bereits  von  ihnen  besoldete  Räte,  anfangs  freilich  in  geringer 
Zahl  und  meist  unter  dem  Namen  eines  Kanzlers  oder  Grofs- 
vogtes.  Später  kommen  dami  als  erste  Landbedienstete 
auch  Statthalter  und  als  Räte  Doktoren  vor,  aber  ordnungs- 
mäfsig  gebildete  Regierungsbehörden  sind  auch  in  den  braun- 
schwcig-lünc burgischen  Landen  nicht  vor  der  Zeit  der  Re- 
formation nachzuweisen.  Ob  unter  Heinrich  d.  J.  bereits  in 
Wolfenbüttel  die  Ratstube  als  ein  wirkliches  Regieruogs- 
kollegium  bestanden  habe ,  steht  dahin:  wohl  aber  dürfen 
wir  annehmen,  dafs  die  Landesregierung  unter  Herzog  Ju- 
lius schon  in  eine  Anzahl  von  Behörden  aus  einander  ging, 
wonach  Regierungs-j  Kammer-,  Justiz-  und  namentlich  Kon- 
sistorialsachen  getrennt  von  einander  behandelt  wurden. 
Deutlicher  und  bestimiuter  tritt  dies  nun  aber  in  der  hier 
behandelten  Zeit,  mit  der  Regierung  des  Heraogs  Heinrich 
Julius  hervor.  Öchon  der  Umstand,  dafs  in  jenem  Buche 
Löhneyaens  eine  so  grofse  Anzahl  von  Regier uugskollegien 
theoretisch  besprochen  und  als  für  eine  gute  Staatsverwaltung 
nnerläfslich  gefordert  werden,  luhrt  zu  der  Annahme,  dafs 
zu  der  Zeit  und  in  dem  Lande,  wo  das  Buch  entstand, 
wenigstens  einige  davon  bereits  wirklich  vorhanden  und  in 
Thätigkeit  waren.  Auch  die  öftere  und  längere  Abwesen- 
heit des  Herzogs  aufser  Landes  läfst  vermuten ,  dafs  eine 
orduuugsmäfsige  Regierung  eingerichtet  war,  welche  während 
dieser  Zeit  an  seiner  Statt  die  Rogierungsgeschälte  mit  einer 
gewissen  Selbständigkeit  zu  besorgen  hatte.  Zudem  ergeben 
fürstliche  Mandate  unzweifelhaft,  dafs  neben  dem  schon  von 
Heinricli  d.  J.  errichteten  Hofgerichte  eine  Regierung  oder 
Katstuhe  bestand,  die  mit  jenem  in  der  Rechtssprech- 
ung konkurrierte,  lliie  Mitglieder  werden  in  dem  Salz- 
dahlumer  Landtagsabschiede  von  1597  als  solche  bezeichnet, 
welche    iui*    der    iuretlichen   Regierung    zu    thun   haben". 


i. 


176 


Erste«  Buch.     Vierter  Abschnitt. 


Friedrtcb  Ulricli  gab  dano,  wie  bereits  dargelegt  ist,  diesem 
obersten  LandeskoUegiuni  eine  veränderte  Gestalt  und  räumte 
ihm  ganz  aufserordeulliclie  Betiiguibse  ein.  ladem  er  au 
die  Spitze  der  aus  Tier  Geheimenräten  bestehenden  obersten 
KegieruDgsbehörde ,  zu  welcher  auch  der  Grofsvogt  und 
Kanzler  zu  rechnen  sind,  einen  J^ann  stellte,  der  das  Amt 
eines  Oberhot'raeisters,  Geheimenmts  und  Hoi'richters  in  einer 
Person  vereinigte,  und  dieser  Behörde  sämtliche  Regierungs- 
geschäfte mit  einziger  Ausnahme  der  Justiz-  und  Kanzlet- 
Bachen  übertrug,  ftchuf  er  dne  neue  bald  allmächtige  Re- 
gieningsgewalt,  deren  Willkür  und  Schlechtigkeit  das  Land 
dann  au  deu  Rand  des  Verderbeos  führten.  Über  den  Sturz 
dieses  schmachvollen  ,,Landdro6tenregimentes"  ist  früher  das 
Nötige  berichtet  worden.  Mit  dem  Regierungsantritt  des 
Herzogs  August  d.  J.  begann  auch  inbezug  anf  die  Verwal- 
tung des  Landes  tur  das  Fürstentum  Wolfenbüttel  eine  neue 
Epoche.  August  war  ein  viel  zu  rühriger,  selbstbewufster 
und  thatkräftiger  Herr ,  als  dafs  er  nicht  wieder  zu  der 
älteren  Praxis  der  Selb&tregienmg  hätte  zurückkehren  sollen. 
Kr  hatte  es  schou  als  junger  Mensch  bei  Gelegenheit  seines 
Rektora tantritta  in  Rostock  ausgesprochen,  „dafs  ein  guier 
Fürst  sich  wenig  oder  gar  nicht  von  einem  guten  Haas- 
halter unterscheide".  Und  danach  hat  er,  als  er  zur  Re- 
gierung gelaugte,  gehandelt.  Wohl  liefs  er  die  trüberen  Re- 
gie rungskoUogien,  wie  sie  nach  dem  verunglückten  Versuche 
mit  den  Landdrosten  wieder  hergestellt  waren,  bestehen, 
aber  nicht  diese  hatten  das  Heft  des  Regimeutes  in  der 
Hand,  sondern  er  selbst  Alle  Regierungs-  Kriegs-  Kameral- 
und  Justizsachen  wurden  unter  seinem  Vorsitze  von  dem 
Kanzler  und  sieben  bis  acht  Räten  besorgt,  von  denen  die 
drei  ersten  zugleich  Hofmai'Bchall  (später  Statt lialter),  Ober- 
bergrat und  Vizekanzler  waren.  Bis  an  sein  Ende  blieb  er 
die  Seele  der  Verwaltung,  um  die  er  sich  bis  in  ihre  kleinsten 
Einzelheiten  hinein  auf  das  eitrigste  bekümmerte.  Daher 
hat  auch,  abgesehen  etwa  von  seinem  Kanzler  Hans  Schwartz- 
köpf,  keiner  seiner  Räte  neben  ihm  irgend  eine  Bedeutung 
erlangt,  niemand  von  ihnen  je  auf  die  Regierung  einen  be- 
stimmenden Einflufs  ausgeübt.  Und  dieses  stolze  Selbst- 
^fühl  laudesheiTlicher  Würde  und  Pflicht  hat  er  auf  seine 
Söhne  und  Nachfolger  vererbt,  die  freilich  dasselbe,  nament- 
lich Antou  Ulrich,  mit  dem  neumodischen  französischeu  Sou- 
veränitätsdünkel verquickten  und  1699  eine  Trennung  der 
Regierungs  -  von  dea  Kammer  -  und  Justizsachen  vor- 
itahmen. 

Fiar  das  Fürstentum  Lüneburg  oder  Celle  erliefs  Herzog 


Die  Lüneburger  (Celler)  Regierung. 


177 


Christian,  der  zweite  Sohn  Wilhelms  von  Lfinebui^,  im 
Jahre  1616  eine  „Regimentsordnung",  die  bereits  eine  Tei- 
lung der  Regicrungsgcwalt  iu  versciuedene  Zweige  der  Ver- 
waltung anbahnte.  „Es  aei",  heifst  ea  in  dem  Eingänge  zu 
deräelbeu,  ,,hoch  uöthig,  dal's  nicht  allea  iu  eiuem  Rathe 
oder  durch  einerlei  Personen  pro  qualitato  causarum,  viel- 
mehr in  unterschiedenen  Rathsstubon  und  durch  unterschie- 
dene dazu  qualilicierte  Personen  respective  propouiret,  be- 
ratliächlaget  und  verrichtet  werde."  Oomgemäfs  wurden 
iülgende  Regierungs-  und  Vorwaltuugsbehörden  (Ratstuben) 
von  einander  gesondert  eingerichtet:  das  Konsistorium,  der 
Geheimerat,  der  Kammerrat,  der  Ökonomie  -  oder  Haus* 
haltsrat ,  das  j>eiuliche  Gericht ,  die  Huf kauzlei  und  der 
Kriegsvat.  Dazu  kam  dann  noch  das  bereits  durch  Ernst 
den  Bekeuner  aus  dem  Laudesgerichte  Ülzen  errichtete 
Hot'gericht.  Der  notwendige  Zusammenhang  zwischen  die- 
sen Einzel behürdeu  wurde  dadurch  erreicht ,  data  fast  in 
ihnen  allen  der  Statthalter,  der  Grofsvogt  und  der 
Kauzler  als  erste  Mitglieder  sarseu,  beziehentlich  den  Vor- 
sitz führten.  Öo  bestand  beispielsweise  der  Geheimerat,  dazu 
bestimmt,  diejenigen  Sachen  zu  behandeln,  „welche  nicht 
jedem  ins  Maul  gehängt  werden  müssen",  aulser  aus  zwei 
Doktorou  der  Rechte  lediglich  aus  jenen  drei  hohen  Wiir- 
denträgem  und  war  angewiesen,  dals,  falls  Sachen  zur  Ver- 
handlung ständen ,  welche  Land  und  Leute  beträfen  und 
von  grufser  Wichtigkeit  wären,  auch  die  Landräte  um  ihr 
Gutachten  befragt  werden  sollten.  Im  wesentlichen  haben 
diese  Einrichtuagen  l>is  zum  Erloschen  der  Ocller  Linie  im 
Jahre  1705  fortbeslaudeu,  nur  dafs  seit  1659  die  Stelle  de« 
Statthalters  nicht  wieder  besetzt  ward  und  die  Justizbehi irden, 
nämlich  das  peinHchc  Gericht  imd  die  Hof  kauzlei,  insofern 
enger  mit  der  fürstlichen  ßatatube  oder  dem  Geheimenrate 
vorknüpft  wurden,  als  MitgUeder  dieser  letzteren  Behörde 
jLUch,  in  jenen  Kollegien  Sitz  und  Stimme  hatten, 

Über  die  Regierungs Verfassung  iu  dem  Fürstentume  Grru- 
enhagen,  das  während  dieser  Zeit  öfters  seinen  Herrn  ge- 
wechselt hat,  sind  wir  nur  sehr  unvollkommen  unterrichtet, 
besonders  in  den  zwanzig  Jahren,  da  es  mit  Wolienbüttel 
vereinigt  war.  Seitdem  es  1617  an  Lüneburg  abgetreten 
worden,  hatte  es  einen  besonderen  Kanzler,  der  die  ganze 
Verwaltuug  leitete,  sowohl  die  Justiz  -  und  eigentlichen  Re- 
gie ruugssachen  wie  auch,  unter  Zuziehung  von  Geistlichen, 
die  sonst  dem  Konsistorium  zustehenden  Kirchenangelcgen- 
heiten   handhabte.     Diese  gruben hageusche  Kauzlei   bestand 


m 


Erstes  Bucli.     Viertpr  Abschnitt. 


auchj  freilich  nicht  mehr  unter  dem  Vorsitze  eines  KAnzlers, ' 
wohl  aber  unter  demjenigen  eines  Landdrosten,  fort,  als  das 
Land  nach  der  Auseinander&etzung  zwischen    den  Herzögen 
Georg  Wilhelm    und  Johann  Friedrieb   im  Jahre    1665    mit 
dem    Fürstentume    Caleuberg    vereinigt    ward.      Erst    1689 
wurde  sie  aufgehoben  und   ihre   Geschälte  den  Regierungs- 
kollegien in  Hannover  übertragen.  md 
Am  Bpfitesten  hat  die  Einsetzung  eines  Regiei-ungskoUe-  ^ 
giume    inuorhaJb    des    welfischen    Ländergebietes     in     dem     "  '" 
Fürstentume  Calenberg-Göttingen  stattgefunden.    Es  geschah 
dies  im   Jahre   1636   durch   Herzog  Georg,   kurz  nachdem 
diesem  die  beiden  Länder  von  seinem  Bruder  August  d.  Ä.   h 
waren    abgetreten   worden    (S.    90).      Georg    wählte    damals  ^ 
zu  seiner  Residenz  die  Stadt  Hannover   nnd   verlegte   dahin 
sowohl    das  Konsistonum    wie   die   (lirsdiche   Kanzlei.     Von 
der  dort  errichteten  Regierung  wissen  wir  nur,  dal's  an  ihrer  ^M 
Spitze  anfangs  der  Kanzler,  später  ein  Statthalter  stand  und  ^^ 
dafs  diesei'  auch    zugleich   den  Vorsitz   in   der   Justizkanzlei 
geführt  hat.    Bald  nach  des  Herzogs  Tode  wurde  von  seinem 
ältesten  Sohne  und  Nachfolger  Christian  Ludwig   eine   neue 
Oi'dnung  von  achtundzwanzig  Artikeln   für   die   oberste  Re- 
gierungsbehörde entworfen.     Danach  sollte   sie  nur  aus  tUni" 
Personen    bestehen,    dem   Kammerpräsidenten    Schenk    von 
Winterstedtj    dem  Kanzler  Kipius,   dem  Ilofraarscliall  Bodo 
von  Hodenberg,  Hans  Joachim   von   Bülow   imd   dem  Vize- 
kanzler Lampadius.     Ihr  Charakter  war   ein  kollegialisciier, 
wie  denn  der  Grundsatz  überhaupt  festgehalten   ward,   dafs  ^j 
die  Geschäfte  des  Geheim  eurates  niemals  einem   einzigen  zu  ^M 
übertragen,  sondern  in   gemeinsamer  Beratung   zu   erledigen  ^^ 
seien.     I)er  Kauzler  führte   den  Vorsitz,  bestimmte  die   täg- 
lichen   Sitzungen,    verteilte    die    zu    Iiehandelnden     Gegen- 
stände (puncta  delibcranda),  schlug  die  Vota  vor   und  redi- 
gierte nach  vorhergegangener  Abstimmung,  meist  unter  Bei- 
hilfe der  übrigen  Ritte,  den  Beschlufa,  der  dann    durch  Ge- 
nehmigung und  Unterschrift   des  Fürsten  Gesetzeskraft  er- 
langte.    Der  Herzog  behielt  sich   die  Erüfftiung    aller    von 
Kaiser  imd  Reich,  von  Kurfürsten  und  Fiii*sten  einlaufenden 
Schreiben  vor,  während  dem  Kanzler  die  Relation    über   alle 
Rechtssachen  und  Bittschi-iften  überlassen  blieb.    Bei  Gleich- 
heit der  Stimmen  kann  der  Herzog,  um   eine  Mehrheit  der- 
selben zu  erzielen,  nach  Belieben  aus   seinen    übrigen  Räten 
oder  den  Landständon  andere  Mitglieder  de»  Geheimcnrates 
zuziehen.     Durch  den  Herzog  Ernst  August   erhielten    diese 
Gepflogenheiten  wiederum  eine  Neugestaltung.    Er  erhefs  im 
Jahre  168Q    für    die  Staatsdiener    und  Beamten   eine   um- 


Die  Beg^icroDg  iu  Caleuberg-USttingtiu. 


17» 


t'a&aende  Verurdimng,  durch  welche  die  Verwaltung  der  Gte- 
schätlte  und  ihre  Verteilung  auf  die  einzelnen  Behörden  ge- 
ordnet ward.  Danach  sollte  die  Regierung  in  vier  Kol- 
legien zcriällen:  die  Gehciniei-atatube ,  die  Kammer,  die 
.rnstizkanzlei  und  das  KonsiHtorium.  Für  die  AlUitärsachen 
ward  keine  besondere  Behörde  en'ichtet,  sondern  sie  wurden 
der  Oeheimeuratstube  mit  überwiesen.  Diese  hatte  dem- 
nach alle  Ötaats-  und  JlÜitärsachen,  alle  Univei*sitätBange- 
legenheiten ,  alle  Polizei-  Privilegien-  und  Gnadensachen 
zu  bearbeiten.  Von  den  seclis  üeheiraenräten ,  die  diese* 
Kollegium  bildeten,  waren  vier  zugleich  Kamraerräte,  der 
tUnfte  zugleich  Vizekanzler  und  der  sechste  Landdrost  oder 
Berghauptmann  auf  dem  Harze.  Sie  waren  zugleich  die 
Direktoren  der  übrigen  Regierungsbehörden,  wodurch  ein 
enger  Zusauiraenliang  zwischen  diesen  und  der  Geheimen- 
ratätube  als  der  eigentlichen  Trägerin  der  Regierung  herge- 
stellt ward.  Dem  ersten  Geheimenrate  war.  das  Direktorium 
in  der  Geheim enratstube  selbst,  dem  zweiten,  der  zugleich 
Landdrost  tiir  Grubenbagen  war,  dasjenige  in  militaribus, 
dem  dritten  im  Konsistorio ,  dem  vierten  in  der  Kammer, 
dem  füoften  in  der  Jusüzkanzlei,  dem  sechsten  endlich  in 
ßergsachen  übertragen.  Sachen ,  die  „  von  keiner  sonder- 
baren Importanz"  sind,  sollen  in  den  einzelnen  Kollegien 
durch  den  betreffenden  Direktor  zum  Schlufs  gebracht  wer- 
den, Angelegenheiten  dagegen  von  gröfserer  Wichtigkeit 
zuvor  in  den  Geheimenrat  kommen,  um  vor  Fassung  eines 
Beschlusses  darüber  zu  berichten. 

Dieses  Regier  ungskoUegium,  an  dessen  Spitze  bei  seiner 
Errichtung  zwei  ausgezeichnete  Staatsmäuner,  der  später 
zum  Reichsgrafen  erhobene  Franz  Ernst  Platen  als  erster 
und  der  bekannte  Otto  Grote  als  zweiter  Geheimerat,  zu- 
gleich auch  als  Dii'ektor  für  alle  Militärangelegenheiteu,  ge- 
stellt wm-den,  hat  sich  in  der  Folge  zwar  vielfach  vorändert 
und  erweitert,  aber  aus  ihm  ist  doch  in  wesentlich  ununter- 
brochener Kontinuität  die  spätere  oberste  Regierungsbehörde 
fiir  das  Kurfürstentum  Hannover  erwachsen,  jenes  Kollegium 
„der  königlich  grofabritannischen ,  zur  kurfürstlich  braun- 
schweig-lüueburgiöchen  Regierung  verordneten  Rathe",  wel- 
ches erst  durch  die  infolge  der  französischen  Revolution  ein- 
tretenden Ereignisse  beseitigt  ward. 

Auf  dem  Gebiete  des  Rechtslebens  kam  während  dieser 
i^it  das  römische  Recht,  welches  seit  seinem  ersten  Ein- 
dringen in  Deutschland  (11.  241  ff.)  langsame  aber  unauf- 
haltsame Fortschritte  gemacht  hatte ,  fast  zu  allgemeiner 
Cg;.     Es  pafste  zu  gut  zu  der  modernen  Theorie  vom 


180 


Erstes  Budi.     Vierter  Abschnitt. 


Staate,  als  dafs  es  nicht  achlielUich  dea  Öi^  über  das  vater* 
Undis^he  alteächaifichc  Recht  hätte  davon  tra^n  sollen.    An 
der    Landeauniveraität    llehustedt    von    berähmten    licehts- 
lehrem  eifrig  gepflegt,  ward  es  in  den  Fürstentümern  Wol- 
fenbüttel   und  Caleiioerg   bereits   von  Heinrich  Julius,    dem 
begeisterten    Bewunderer    altrömischer    Gesetzgebung ,    und 
ron  dessen  Kanzler   Jagemann   darchgetuhrt     Seine   Rezep- 
tion kam  auf  dem  Landtage  von  Salzdahlum  im  Jahre  1d97 
durch  den  Artikel  32  des  LandtagsabsehiedH   vom  3ü.  Juni 
Kum  Abschlufs,  doch  suchte   der  Herzog   durch   die  ArtikeL 
19  und  2Ü  wenigstens  den  Bauernstand  vor  den  Nachteilen^ 
die  da»  römische  Pachtveri'ahren  mit  sich  bringt,  zu  schützen - 
Daneben  beharrte  die  Stadt  Braunschweig,  auch  nach  dieser' 
Richtung   hin   eiferaüchtig   aul'  üirer  Selbständigkeit    und   in 
altgewohntem  Trotze   gegen  das   Fürstenhaus,    bis   zu    ihrer 
Unterwerfung  unter  das  letztere  bei  dem  Sachseurechte.    Es 
bedurfte   vier  Jahre  nach    ihrer    Demütigxmg   (1675)    einer 
strengen  Verordnung  des   Herzogs  Rudolf  August ,.  um  sio 
zur  Abschaffung  des  sächsischen  Prozcfsverfahrens   zu   nöti- 
gen.    Auch    in   einzelneu    anderen   Gebieten   des   weifischen 
Länderkomplexes  behaui)teteu  sich  noch  später  Rechtsgewohn- 
heiten, die  auf  dem   sächsischen  Rechte  fufsten:   so   in  den 
Städten  Lüneburg,  Celle  und  Ulzen.    Im  Herzogtume  Lauen- 
burg aber  blieb  es  nach  dessen  Erwerbung  auch  ferner  iu 
voller  Kraft.     Für  das  peinliche  Recht  galt  die  vom  Kaiser 
Karl  V.  im  Jahre  1532  erlassene  Hals-  und  Gerichtsordnung, 
(Ue  Carolina,  welche    tür   das   Fürstentum  Wolfenbüttel   be- 
reits durch  Heinrich   d.  J.  im  Jahre    1568    eingeführt   wor- 
den war. 

Die  höchsten  Landesgerichte  waren  im  Herzogtume 
Braunschweig  die  Justizkanzloi  und  das  Holgericht.  Jene 
war  nach  dem  Muster  des  Reichshoirates  eingerichtet  und 
hatte  in  Zivilsachen  mit  dem  Hofgerichte  konkurrierende 
Gerichtsbarkeit  Sic  war  mit  einem  l'i-äsidonten,  einem  Di- 
rektor und  vier  Räten  besetzt.  Das  Holgericht,  aus  einem 
Hofricbter,  vier  ordentlichen  Hofgerichtsassessoreu,  drei  or-^J 
deutlichen  Assessoren  aus  den  Kurien  der  Landschaft,  ver-^^^ 
Bchiedenen  aufser ordentlichen  Assessoren  und  zwei  Sekretären  ^^ 
bestehend,  war  die  zweithöchste  Gerichtsbehörde  des  Landes 
und  dem  Reichskanimergerichte  nachgebildet  Alle  Be- 
rufungen in  weltlichen  Sachen  gingen  an  diese  beiden  Ge- 
richtshöfe, deren  Kompetenz  inbezug  auf  die  einzelnen  Gegen* 
stände  streng  geschieden  war.  Ihnen  entsprach  in  den  han- 
növrischon  Landen  bis  zur  Einrichtung  des  Oberappellations- 
gerichtes  in   Celle  das  Hofgericht   zu  Hannover,   das  vom 


Gericht  und  Verwaltung. 


181 


Herzoge  Georg  durcb  Gesetz  vom  a.  Dezember  1639  ge- 
scbaf^en  wurden  war.  Als  liüt:hstes  Landesgericht  war  es  Itir 
alle,  die  den  Ämtern  und  Studtgerichten  unterworlen  waren, 
letzte  Instanz,  doch  konnte  man  in  Sachen  im  Betrage  von 
mehr  als  lOOO  Goldgulden  Wert  beim  Keichsgerichte  gegen 
seine  Entscheidungen  Beruftmg  einlegen.  Für  Grafen,  Ritter 
imd  Herren,  sowie  Itir  Räte,  Richter  und  Landesvasallen 
bildete  es  die  erste  Instanz.  Der  Präsident  de&selbeu  sollte 
von  der  Ritterschaft  gewillilt  werden:  neben  ihm  saffien  ttinf 
Richter,  davon  vier  Doktoren  und  einer  vom  Ade! ,  sowie 
zwei  aufBerordeDtliche  Mitglieder  in  dem  Kollegium. 

Die  gesamte  Verwaltung  des  ftU'stlichen  Grundbesitzes 
und  der  daraus  Hielsenden  Einnahmen  und  Gefälle  lag  In 
der  Hand  der  herzoglichen  Kammer,  einer  Behörde,  die  ur- 
sprünglich nur  einen  Zweig  der  Gcsamtverwaltung  bildete 
und  erat  später  zu  einem  selbständigen  Regierimgskollegium 
ausgestaltet  ward.  Schon  die  Regiraentsordnung  des  Herzogs 
Christian  von  Lünebmg  vom  2.  Februar  1616  ordnet  einen 
Kammerrat  an,  allein  dieser,  aus  dem  Statthalter,  Grofsvogt, 
Kanzler  und  zeitweilig  dem  Rentmeister  bestehend,  war  nur 
eine  Abteilung  der  Geheimenratstube.  Ahnlich  war  es 
noch  unter  Friedrich  Ulrich  im  Flirstentume  Wolfenbüttel 
und  unter  Georg  in  Calenberg.  Auch  nach  dem  von  Georg 
Wilhelm  im  Jahre  1(>63  erlassenen  Kammerreglement  und 
nach  der  Amtsordnung  Johann  Frietirichs  von  1674  Bcheinen 
damals  Slitglieder  des  Geheimenrates  nur  zu  Kammersacben 
deputiert  und  verordnet  worden  zu  sein.  Es  gab  also  zu 
dieser  Zeit  schwerlich  schon  ein  für  die  Verwaltung  der 
herrschaftlichen  Domänen  eigens  eingerichtetes ,  Bclbstundig 
fungierendes  Kollegium.  Ein  solches  scheint  erst  im  Jahre 
1697  durch  den  Herzog  Ernst  August  zugleich  mit  der 
Kriegskanzlei  eingerichtet  worden  zu  sein,  und  ihm  folgte 
darin  sein  Bruder  Georg  Wilhelm  von  Celle,  nach  dessen 
Tode  (1705)  die  Celler  Kammer  dann  aber  mit  der  han- 
növrischen  vereinigt  ward. 

Unter  der  Oberaufsicht  der  Kammer  standen  als  niedere 
Organe  der  Verwaltung  die  Amter.  Sie  bildeten  die  klei- 
neren Mittelpunkte,  an  welche  inbezug  auf  die  untere  Justiz, 
die  Polizei  und  die  Erhebung  der  herrschaftlichen  GetttUe 
ihre  nächste  Umgebung  gewiesen  war.  Jedem  Amte  stand 
ein  Amtmann  vor,  der,  da  es  in  den  früheren  Zeiten  noch 
keine  andere  Art  der  Besoldung  als  durcli  Überweisung  von 
Grundbesitz  gab,  zugleich  der  Nutzniefser  eines  entsprechen- 
den Teiles  des  Domanialgutes  sein  mul'ste.  Daher  wurdeu 
zu  Amtssitzen  gemeiniglich   nur   solche  Ortschaften  erkoren. 


MS 


Wrtn-  Abttctmjtt 


WO  der  Landeiberr  esn  Um  ziig«börigea  Got  bettb.  £m 
loleliei  Out  mh  dem  danaf  hafiendeo  Amte  wurde  daon, 
wie  enut  in  alten  Zeiten  die  Lefaeo,  nicht  seltea  in  der  be- 
treffenden F&milie  «rblichr  eo  dafa  »cfa,  wenigstens  in  den 
hannövmcbcQ  Landesteilen,  nach  und  nach  eine  fönnliche 
BeamtenariBtokratic  ausbildete,  der  mit  der  AoKiutzux^  dee 
f^irvtlichen  Domanialbeaitzes  mgleicfa  wichtige«  wenn  aaeli 
niedrigere  Amtsbefugnisse  fibettnigen  waren.  Denn  aofaer  ^j 
der  Erhebung  der  aehr  mannigfachen  herrachafUichen  Gefalle  ^H 
und  des  X>ienstgelde8,  d.  h.  des  Geldbetrages,  den  die  mei-  ^V 
»ten  der  zu  äpann-  und  Uanddiennten  verpflichteten  Meier 
der  Hcrrschftfit  statt  dieser  Dienste  zu  entrichten  pflegten, 
stand  den  Amtleuten  auch  die  Jurisdiktion  und  die  Hand- 
habung der  Polizei  innerhalb  ihres  Amtsbezirkes  zu,  wäh- 
rend die  eigentlichen  Gern  ein  desachen  aut  den  Vogtei-  und 
Oogerichten  zur  Verhandlung  und  Entscheidung  kamen. 

FUr  die  Autrechtcrhaltung  der  kirchlichen  Verfassung 
in  den  einzelnen  weltischen  Ländergebieteo  hatten  nach 
wie  vor  die  vcrschiodenen  Konsistorien  zu  sorgen.  Ihnen 
war  die  Bewahrung  der  reinen  lutherischen  Lehre,  die 
Ein  und  Absetzung  der  Kirchen-  und  Öchuldiener,  die  Ver- 
waltung der  Kirchengüter,  die  Aufsicht  über  die  Stit^er, 
Klöster  und  Schulen  übertragen.  Von  den  grundlegenden 
Kircheuordnungen  der  Herzöge  Julius  von  WoIt'enbUttel  und 
Wilhelm  von  Lüneburg,  dem  Corpus  doctrinae  Julium  und 
dem  Corpus  doctrinae  Wilhelmiimni  — jenes  für  die  Fürsten- 
tümer Wolienbuttel  und  Calenbcrg,  dieses  tiir  das  Fürstentum 
Lüneburg  —  ist  imher  die  Rede  gewesen.  Nach  der  Regi- 
mentsnrdnung  von  1616  und  der  Kirchenordnuug  von  IGIU 
besetiste  Herzog  Christian  das  Lünebuiger  Kunsiätoriuni  mit 
dem  HtaLthalter,  dem  Kanzler,  den  Geheimen  Uofräten,  dem 
Gonoralfiuperintendcnten,  dem  Hot-  und  drei  8tadtpredigern. 
fcjo  bestand  es  auch  unter  seinen  Nachfolgern,  im  wesentlichen 
unverändert,  bis  zum  Tode  des  Herzogs  Georg  Wilhelm, 
nicht  nur  für  Lüneburg,  sondern  auch  für  die  dazu  gehörigen 
Grafschaften.  Das  Fürstentum  Grubenhagen  dagegen  hatte 
bis  zum  Jaliro  1689  sein  eigenes  Konsistorium,  dessen  Ge- 
schäfte von  Mitgliedern  der  Regierung  und  der  Kanzlei  unter 
Zuziehung  einiger  Geistlicher  besorgt  wurden.  Für  die 
Fürstentümer  Wolfenbüttel  und  Calenberg  galt  das  von  dem 
Herzoge  Julius  löBD  eingesetzte  Konsistorium,  eo  lange  beide 
LHndcr  unter  einer  Herrschaft  vereinigt  waren,  als  die  für 
beide  gemeinsame  höchste  Kirchen  beb  örde.  Seine  Zusamraen- 
Botzung  ist  bereits  früher  (H.  403)  berührt  worden.  Da- 
nach   stellt  auch  dieses  Kollegium  sich   zuerst  nur   als   eine 


Bputation  der  fürstÜchen  Ratatiibe  dar,  deren  Sitz  von 
föTG  bis  1589  in  Helmstedt,  von  IGJO  bis  1628  und  dann 
wieder  vun  1  (J3l*  bia  1 643  zu  Brauu:tohweig  war.  Nach 
der  Trennung  der  beideu  Länder  errichtete  Herzog  Georg 
fiü'  Calenberg  ein  besonderes  Konsistorium  ia  Hannover,  mit 
welchem  dann  die  Konsistorien  zu  üäterrode  für  Gruben- 
liagen  168it  und  zu  Celle  \\\r  Lüneburg  1705  vereinigt 
wurden.  Herzog  August  d.  J.  aber  verlegte  das  Konsisto- 
rium tlir  das  Herzogtum  Wolt'enbüttel  im  Jahre  lti43  blei- 
bend nacli  Wullenbüttel. 

Das  eigentliche  Fundament,  „  der  eherne  Fels" ,  auf 
welchem  das  ab»olute  Regiment  des  modernen  Staates  sich 
aufbauete,  waren  die  stehenden  Heere.  Eine  Schöpfung 
dieser  Zeit,  sind  sie  aus  der  Not  und  den  Wirrsalen  des 
dreii'sigjälu'igcn  Krieges  herausgeboren  worden.  Wohl  liatten 
einzelne  Fürsten  auch  des  Braun  Schweiger  Hauses  schon 
früher  versucht,  die  uu behilflichen  und  von  der  Zeit  über- 
holten Kriegäformationon  des  IVlittelalters  umzugestalten  und 
sie  den  Fortschritten,  welche  die  Kriegskunst  inawiacbeu  ge- 
macht hatte,  auzupa{i.-ien.  Der  merkwürdigen  BemUhuugeu 
des  Herzogs  Jiüius  nach  dieser  Richtung  hin  ist  an  einer 
anderen  Stelle  dieses  Buches  (H.  410)  gedacht  wor- 
den. Seiner  Zeit  vorauseilend,  hatte  er  siclk  schon  mit  dem 
Gedanken  einer  einheitlichen  Bewaffnung  dos  gesamten 
ßeichshoeres  und  der  Einführung  eines  gleich  mit  l'sigen  Ka- 
libers seiner  SchnfswatFon  geti'ageu.  Einige  Jahrzehnte  später, 
kurz  vor  liegiim  des  grofsea  Krieges,  di-ängte  sich  aucli 
dem  Herzoge  Christian  d.  A.  von  Lünebui'g  die  Unzuläng- 
lichkeit der  mittelalterlichen  Lehnsmiliz  und  des  alten  Heer- 
banns auf.  In  den  Jahren  1617  bis  1(}2()  hat  er  versucht, 
ihnen  eine  bessere  zcitgeraälsere  Einrichtung  zu  geben.  Aber 
diese  schwachen,  nur  zögernd  unternommenen  Reformver- 
suche erwiesen  sich  als  völlig  erfolglos,  sobald  nun  rück- 
sichtS'  und  erbarmungslos  der  grofse  Kampf  auch  über  das 
niedersächäische  Land  hereinbrach j  der  die  Existenz  alles 
historisch  Gewordcuen  mit  Vernichtung  bedrohete,  das 
Schicksal  der  Fürsteuhäuser  und  ihrer  Unterthanen  auf  die 
Spitze  dos  Schwertes  stellte  und  allein  demjenigen  die  Palme 
des  Sieges  zu  verheil'seu  schien,  der  die  zahlreichsten  und 
kriegstüchtigsten  Söldnerscharen  zu  werben  imstande  war. 
In  diesen  Kriegswirren  bildete  sich  auch  in  den  weifischen 
Landen  der  erste  Stamm,  sozusagen  der  Keim  der  späteren 
stehenden  Kriegsmacht  heraus.  Als  der  eigentUche  Orga- 
nisator desselben  ist  Georg  von  Lünebui-g  anzusehen.  Wel- 
chen Schwierigkeiten  er  dabei  begegnete,  wie  er  nicht  nur 


184 


Erstes  Buch.    Vierter  Abschnitt 


eise  ängstliche  Rücksicht  auf  den  Wechsel  der  Kriegs- 
ereignisse  und  der  politischen  Parteistelluiig  zu  nebinen,  son- 
dern auch  den  Kleinmut  und  die  Engherzigkeit  seiner  eigenen 
Brüder  und  ätammesvettern  zu  bekämpfen  hatte,  davon  ist 
bereits  die  Rede  gewesen.  In  den  letzten  Jahi*en  seines 
Lebens,  als  ihm  das  Fürstentum  Calcnberg  von  seinem  Bru- 
der überlassen  wai*  und  seine  Bemühungen,  nach  dem  l*rager 
Frieden  die  verschiedenen  Zweige  des  Braun  Schweiger  Hauses 
zur  Errichtung  eines  geraeinsaraen  Defensionswerkes  zu  ver- 
einigen, einigen  Erfolg  hatten,  sah  er  sich  doch  an  der 
Spitze  einer  nicht  unbeträchtlichen  ätreitmacht,  deren  ätärke 
ireilich  vielfacli  gewechselt  hat.  Nach  dem  Etat  vom  Jahre 
1640  wareu  es  sechs  Reiterregimenter  nebst  einer  Frei- 
kompagnie in  der  Gesamtstärke  von  4500  Mann  und  sieben 
Infanteriereginienter,  insgesamt  10  000  Mann.  Dazu  kamen 
noch  die  Artillerie  und  der  Ponton- Train,  der  so  vollständig 
war,  dafs  der  Herzog  die  Weser  an  zwei  verschiedenen 
Stellen  zu  gleicher  Zeit  überbrücken  konnte.  In  ihrem 
Kerne  bestand  diese  Kriegsmacht  noch  aus  geworbenen  Trup- 
pen, aber  daneben  errichtete  der  Herzog  auch  eine  Miliz, 
indem  er  die  grofse  Masse  der  dienstfähigen  Landbewohner 
zu  sogenannten  Ansschufskompagnieen  vereinigte ,  die  de» 
Sonntags  zu  militärischen  Übungen  zusammengezogen  wur- 
den, von  ihi'en  Gutsherren  oder  Gemeinden  mit  Waffen  ver- 
sehen werden  mui'sten,  aber  weder  militärische  Kleidung 
noch  Sold  erhielten.  Neben  diesem  Miliz  tu  lavolke  bildete  er 
aus  den  Söhnen  der  Besitzer  grolser  Bauernhöfe  und  dem- 
jenigen Teile  seiner  Dienerschaft,  der  entweder  Pferde  hal- 
ten mufste  oder  doch  dazu  vermöge  seines  Einkommens 
imstande  war,  ein  Dragonerkorps,  das  er  fUr  den  Dienst 
im  Innern  des  Landes  tmd  in  den  Festungen  bestimmte, 
wenn  seine  regelrechte  Reiterei  im  Felde  stand.  Georg  hat 
auch  mancherlei  taktische  Verbesserungen  bei  seinen  Trup- 
pen durchgeführt.  Abweichend  von  der  geringeren  Kopf- 
zahl der  schwedischen  Regimenter  bestimmte  er,  dafs  aie 
Stärke  eines  Reiterregimentes  nicht  unter  1000  Pferden,  die- 
jenige eines  Regimentes  von  Fufstruppen  nicht  unter  2000 
Mann  betragen  sollte.  Zu  sofortiger  Ergänzung  und  zum 
Dienste  im  Lande  sollten  in  den  Garnisonen  bedeutende 
Depots  gebildet  werden.  Der  Etat  seiner  Regimenter  an 
Offizieren  war  dagegen  weit  schwächer  als  in  den  schwe- 
dischen Heeren.  Für  die  Generalolfiziere  war  nur  der  Ge- 
halt eines  Generallieutenants  und  eines  Generalmajors  aus- 
geworfen. Zu  der  Besetzung  der  Stellen  von  dem  Major 
aufwärts  zog  er  mit  Vorliebe  Offiziere  heran,  die  sich  achon 


Georgs  von  Oiuebutu  Heerescinrichtmigen. 


186 


in  anderen  Heeren  bewährt ,  womögUcli  einen  Namen  ge- 
macbt  hatten.  Die  Offiziere  der  niederen  Grade,  zu  denen 
vor  allem  pereönliche  Tapferkeit  empfahl ,  rUckten  in  dor 
Regel  biß  zum  Hauptmann  oder  Kompagniechef  innerhalb 
ihrer  Kompagnieen  auf.  lioi  der  Reiterei,  der  er  vor  der 
Infanterie  den  V'orzug  gab ,  legte  er  wen  iger  Wert  auf 
Lanze ,  Pistole  und  Karabiner  als  auf  den  Degen.  Ohne 
sich  lange  mit  Feucni  aufzuhalten,  sollte  sich  der  gehar- 
nischte Reiter,  den  er  mehr  als  den  Dragoner  schätzte,  auf 
den  Feind  stiu'zen.  Daher  galt  seine  Reiterei  für  besonders 
tüchtig  und  war  ob  ihrer  Angritfskraft  hochgefichützt.  Bei 
der  Infanterie  schaffte  er  die  in  den  schwedischen  Meeren 
gebräuchliche  Aufstollimg,  namentlich  die  Verteilung  der- 
selben zwischen  die  Rcitergeschwader,  ab  und  näherte  sie 
mehr  dem  französischen  Muster,  vorzugsweise  inbezug  auf 
die  Art  uud  Weise  des  Feuerus.  Die  Feldartillerie,  die  zum 
Generalstab  gerechnet  wurde,  bestand  aus  drei  ßatterieeu, 
eine  jede  zu  sechs  Geschützen:  zwei  von  ihnen  führten 
Achtptünder,  die  dritte  Sechspfünder.  Mangelhai'l  und  we- 
lliger diensttauglich  war  der  Artilleriepark,  der  anfangs  in 
Hameln,  später  in  Hildcshcira  seinen  Standort  hatte,  dümt- 
liehe  Regimenter  des  eigentlichen  Heeres  waren  uniformiert, 
was  in  den  brau nschweigi sehen  Ländern  zuerst  Heinrich  Ju- 
lius, aber  nur  teilweise,  eingeführt  hatte.  Sie  trugen  ihre 
Namen  von  der  Hauptfarbe  ihrer  Uniformen:  ein  blaues  und 
rotes  Reiterregiment,  sowie  ein  weifses,  rotes  und  gelbes  Infan- 
terieregiment werden  in  dem  Heere  des  Herzogs  ausdrück- 
lich genannt. 

Auf  den  hier  skizzierten  Grundlagen  von  Georgs  Heeres- 
einrichtungen weiter  bauend  haben  seine  Nachfolger  dann 
die  spätere  hannövrische  Armee  geschaffen.  Auch  für  die 
braunschweig-wolfenbüttler  Truppen  scheinen  sie  in  mancher 
Hinsicht  zum  Muster  gedient  zu  haben.  Nach  dem  Tode 
des  Herzogs  und  nach  dem  mit  dem  Kaiser  zu  Goslar  ge- 
schlossenen Fi-ieden  erfolgte  freilich  zunächst  eine  allge- 
meine Abrüstung  der  braunschwoigischen  Fürsten  uud  eine 
Verminderung  ihrer  Heeresmacht,  die  sich,  wie  wir  wissen, 
bei  den  Verhandhingen  des  westtlUischen  Friedens  schwer 
rächen  sollte.  Zuerst  schied  Herzog  Friedrich  von  Celle 
aas  dem  bisherigen  gemeinsamen  Kriegsverbande  aus  und 
traf  am  2ö.  April  IC42  mit  dem  Ausschusse  seiner  Land- 
schaft ein  Abkommen,  wonach  die  lüneburgische  Reiterei 
auf  vier,  höchstens  sechs,  die  Infanterie  aber  auf  acht  Kom- 
pagnieen, je  zu  200  Alann,  herabgemindert  werden  sollte, 
und  diesem  Beispiele  folgten,  einer  nach  dem   anderen,  die 


m 


Erstes  Buch,     ^'ie^te^  Äbschoitt. 


übrigen  regiercndon  Herren  des  Uhusob.  £s  blieb  aber 
liberall  ein  wenn  auch  nur  kleiner  Stamm  von  stehenden 
Truppen  übng,  der  bald  wieder  ansehnlich  vermehrt  wer- 
den Bolitc.  Dies  geschah  schon  im  Jahre  Iti&'i  lufolge  des 
Hildesheimer  Bündnisses  (S.  111^).  Bei  dieser  Gelegenheit^ 
beschlossen  die  Herzöge  von  Wolfenbiittel,  Calenberg  undfl 
Lüneburg  nicht  nur  den  früheren  Militär  verband  unter  sich 
zu  erneuern,  sondern  auch  die  Aui'stelluug  eines  Heeres  in 
der  Gesamtstärke  von  45()0  Mann.  Nicht  olino  hettigen 
Widerspruch  der  Landstäude ,  besonders  im  FUratentume 
Caleuberg,  wurde  diese  Truppen  Vermehrung  ins  Werk  ge- 
setzt. Die  Herzöge  mul'sten  dabei  die  Erfahnmg  machen, 
dafs  es  ihnen  eeliweriich  je  geUno;en  würde,  von  den  Stän- 
den die  zur  Erhaltung  einer  grülseren  Militärmacht  nötigen 
Mittel  zu  erlangen.  80  kamen  sie  denn  aui'  den  Gedanken, 
sich  diese  Mittel  durch  Abschliefsung  von  Subsi  dien  vertrügen 
mit  fremden  Mächten  zu  verschaffen  Georg  Wilhelm,  der^ 
als  Herzog  in  Calenberg  nur  eine  vergleichsweise  geringflÄ 
Truppenmacht  unterhalten  hatte,  vennehrte  diese  uicnt  nn- 
weBenllich,  als  er  im  Jahre  IGijö  nach  dem  Vergleiche  mit 
seinem  Bruder  Johann  Friedrich  die  Regierung  des  Fursten- 
tuiua  Celle  anti*at.  Sein  Militäretat  hestaud  damals  (1665) 
aus  vier  Reiterregimentern  und  drei  Regimentern  FuTsvolk, 
wozu  noch  die  entsprechende  Aitillene  und  eine  Anzahl 
von  Einzeicompaguieen  kamen.  Eine  Streitmacht  von 
ziemlich  derselben  Höhe  unterhielt  Johann  Friedrich  in 
Hannover  Einen  Teil  dieser  Truppen  gaben  die  beiden  Her- 
zöge, wie  trüber  erwähnt,  1668,  in  Übereinstimmung  mit 
ihrem  Bruder  Ernst  August  in  die  Dienste  der  Republik 
Venedig:  Johann  Friedrich  :-iO0  Fufaknechte  in  vier  Kom- 
pagnieen  unter  dem  Obristen  von  Palland ,  die  beiden  an- 
deren Brüder  di'ei  Regimentor  je  zu  acht  Kompagnieen  und 
in  einer  Gesamtstärke  von  2100  Mann  unter  dem  General- 
major Graten  Josias  von  Waldeck.  Subsidien  wurden  datlir 
nicht  gezahlt,  aber  indem  die  Republik  den  gröfsteu  Teil 
dieser  Truppen  ein  Jahr  lang  aui*  ihre  Kosten  in  Dienst 
nahm,  wurde  der  Zweck  der  Herzöge  erreicht,  ihr  Heer  in 
der  bisherigen  Stärke  ohne  zu  groC^e  Belastung  ihrer  Unter- 
tbanen  erhalten  zu  können.  Als  dann  wenige  Jahre  später 
Ludwig  XIV.  von  Frankreich  seinen  Rachekrieg  gegen 
Holland  vorbereitete,  schlofs  Johann  Friedrich  von  Hanno- 
ver mit  ihm  am  10.  Dezember  11)72  einen  anfangs  geheim 
gehaltenen  S üb sidien vertrag,  wonach  er  sich  verpflichtete,  ein 
Heer  von  lUOOO  Mann,  eOOt)  zu  Fuls,  3000  Reiter  und 
JOOO  Dragoner,  anfzuatelLen.     Durch  die  ihm  vom   Könige 


I 


Wechselu^ie  Heeress^ürke  in  dtw  Braunschweiger  Landoa.      187 

gezahlten  Subsidicn-  und  Werbegeldor  —  sie  betragen  in 
den  Jahren  1672  bia  HJ74  1700000  Livree  —  sah  er  sich 
in  den  Stand  gesetzt,  seine  Truppen  bis  fast  auf  15  000 
Mann  zu  erhüben,  eine  Streitmacht,  die  Samuel  Puiendori' 
zu  der  Bemerkung  veranlafate,  dafs  es  dem  CireBamthause 
Braunachweig  nicht  allzu  schwer  werden  würde,  ein  Heer 
vun  40  000  Mann  auf  die  Beine  zu  bringen.  Johann  Fiied- 
richs  Bruder  aber  und  die  Uerzöge  von  Wolfenbüttel  ver- 
bttndeten  sich  nicht  mit  Frankreich,  sondern  traten  auf  die 
Seite  des  von  ihm  bedroheten  Holland.  Nach  dem  von  ihnen 
im  Jalire  1074  mit  den  Generalstaaten  abgeschlossenen  Ver- 
trage versprachen  sie  zusaiumen  1 5  000  Mann  in  deren 
Dienst  zu  geben  und  zwai-  gegen  reiche  Subsidien,  die  teils 
in  Anwerbegeldern  (achtzig  Gulden  für  den  Reiter  und 
vierzig  Gulden  für  den  Infanteristen),  teils  in  monatlich  ge- 
zahlten Unterhaltungskosten  bestanden.  So  gaben  die  gi'olsen 
europliischen  Vei'wickelungen  den  Braunschweiger  Herzögen 
Gelegenheit,  ilue  Kriegsmacht  zu  vergröfaern  und  sie  auf 
einer  Höhe  zu  erhalten,  zu  der  die  Mittel  des  eigenen  Landes 
nicht  ausgereicht  haben  würden.  „  Die  Herzoge  von  Braun- 
schweig-Lüneburg "  —  so  schreibt  der  damalige  Gesandte 
im  Haag  —  „  sind  jetzt  die  konsiderabelsten  Fürston  in 
Deutschland.  Sie  besitzen  all  den  Kredit,  den  Irüher  die 
Schweden  besafsen.  Selbst  wenn  sie  30  uoo  Mann  aufstellen 
wollten,  würden  sie  es  binnen  einem  Monat  vermögen.  Ich 
kenne  verschiedene  tüchtige  Offiziere,  die  den  schwedischen 
Dienst  quittiert  haben,  um  bei  den  Herscogon  einzutreten. 
Im  ganzen  giebt  es  keinen  König  und  Fürsten ,  der  seine 
Trupjjen  so  pünktlich  bezahlt,  wie  sie  es  thun.  Sie  haben 
jetzt  13  000  Mann,  die  besten  Leute,  die  man  sehen  kann, 
und  eine  Menge  altgedienter  OlKziere."  Nach  den  Friedens- 
schlüssen von  Nymwegen  und  Celle  (Hi79)  erfolgte  dann 
zwar  in  allen  Ländern  des  brauuschweigischen  Hauses  eine 
gleichmäfsige  Keduktion  des  stehenden  Heeres,  allein  wieder- 
um gaben  die  kriegerischen  Ereignisse  der  beiden  letzten 
Jahrzehnte  des  Jahrhunderts  ,  der  türkisch  -  venetianische 
Krieg  in  Morea,  der  im  Jahre  1G85  zu  einem  abenualigen 
Subsidien  vertrage  mit  der  Kep  u  bh  k  iuhrte ,  der  t  ür  k  iscb- 
ungarische  Krieg  der  Jahre  10fe3  bis  169'J,  endlich  der  da- 
mit zum  Teil  gleichzeitige  dritte  Raubkrieg  gegen  Frank- 
reich am  Rhein  und  in  den  Niederlanden,  Veranlassung,  die 
hannövrisch  -  braunschweigische  Truppenmacht  wieder  aui 
eine  achtunggebietende  Stärke  zu  bringen.  Im  Jahre  1705, 
als  nach  dem  Tode  Georg  Wilhelms  die  Fürstentümer  Celle 
Hd  Hannover  in  einer  Hand  vereinigt  wurden,  bestand  die 


]8<4 


Enctci  BocL    Vierter 


iMSBÖTrifldte  Annee 


mAt  Kater-  vod 


IflAnteno- 


rcpmenlent,  die  CdliBclie  ms  n^  Bester-  ud  adrt  In- 
fimteneregmwBtern  f  eise  SCRttmacht  rm  Im  giaseo  52^6 
Maxih  KaTB.Dene  atkd  14  137  Mnim  lofiuiterie,  die,  fortan 
za  einem  fi«cre>kdrperveneliiiiiobeB,  wioU  «rgnniäert  ond 
anter  Ifididgai  Ofluicim,  fir  dfie  dnnaQge  Z«it  and  im 
Vef^gleich  m  der  Gi€6e  der  betevSeoden  Linder  ah  eine 
mIu-  anaehnficbe  beniebneC  werden  mafi. 

Ohne  den  RücUttk,  den  eine  solclie  stelwode,  jeden 
Ai^enbBck  marsdibereite  Kiwgpnwhl  Üirer  PoGlä  gewährte, 
werden  die  Bnianschwe^er  FQnten  sich  sohwerBch  ans  der 
Ohnmacht  vieder  erhoben  hAben,  m  «dicher  ne  der  dreifiig- 
^dnic«  Krieg  Terdamnit  an  babca  schsen,  ohne,  ein  aolebea 
Heer  würde  es  iHmen  kaam  gelungen  setn,  den  Übentrat  and 
die  UabodnSfttgkeit  der  Stedt  Brumscbweig  niedenvwerfen, 
den  EinäuA  der  Sdiwedea  in  Nieder«achsen  sorü^zodriLDgen, 
ihre  Ansprüche  aal  Lanenbui^  dorchzTZBetzOi  oder  selbst 
dem  Kaiser  die  flrricbtimg  der  nennten  Knr  zognncfeen  ihm 
FTaoses  absogewinrien.  Aber  der  grofee  AaTwand,  den  trotz 
aller  Sabsidienrertri^  das  stehende  Heer  ei forderte,  ver- 
hinderte ia  Verbindnng  mit  dem  nchsenden  Lnxus  and  der 
übertriebeDeD  Pracht  der  Hofhahnngen  eine  90  gründliche 
und  rasche  Wiederherstellong  des  VolkswoHUtandes .  wie 
diese  wohl  roögiich  gewesen  wäre,  wenn  nach  dem  Kriege 
jene  kostspieligen  Bestrebungen  und  Nei^;ticgen  der  Forsten 
nicht  die  än&nzielleu  Kräite  des  Landes  täst  aasschltefelich 
in  Anspruch  genomraen  hätten.  Die  mittleren  und  niederen 
Stftnde  litten  noch  lange  noter  dem  torchtbaren  Drucke,  mit 
dem  der  Krieg  auf  ihnen  gelastet  hatte.  Dies  gilt  zunt&chst 
von  der  ßevrUkerung  des  platten  Landes,  die,  soweit  der 
Krieg  sie  nicht  vernichtet  hatte,  gfinzlich  verarmt  und  zum 
grofeen  Teile  sittlich  verwildert  aas  ihm  hervorgegangen 
war.  In  den  Fürstentümern  Wolfenbüttel  und  Calenberg 
war  während  der  Regierungszeit  der  Herzöge  Julius  und 
Heinrich  Julius  manches  geschehen,  die  Lage  der  IftndKcben 
Bevölkerung  zu  verbessern  und  damit  den  Ackerhau  zu 
heben  (IL  489).  D^  letztere  vereinbarte  namentlich  mit 
den  Landätänden  nach  längeren  Verhandlungen  ein  Meier- 
gesetz f  das  in  den  Salzdahlamer  Landtagsab^'hied  vom 
3.  Juni  1597  autgenommen  ward  und  die  Beziehungen  der 
Meier  zu  ihren  Grundherren  in  angeraeseener  Weise  regelte. 
Es  wurden  dadurch  der  willkürlichen  Abmeierung  seitens 
der  Gutsherren  gewisse  gesetzliche  Scliranken  gezojren,  die 
Fälle,  wo  diese  zulässig  war»  und  die  Modalitäten,  unter 
denen  sie  geschehen  durftej  genau  bestimmt    Manches  blieb 


Die  Lagß  der  lüitdltclicu  Bevölkeruuj;. 


180 


froiliuh  noch  der  künftigen  Gesetzgebung  Überlassen.  Aber 
unter  Friedrieh  Ulrichs  unheilvoller  Waltung  geriet  dieso 
ins  Stockeu.  Nur  drei  Verurdnungen  unwesentlichen  In- 
haltes sind  aus  seiner  Zeit  inbezug  auf  das  Meier wesen  be- 
kuunt.  Im  Fürstentuoie  Lüuebui'g  herrschte  darin  keine 
gröfsere  Ilegsainkeit,  wie  aus  den  beti-effenden  Laadtags- 
abschieden  dieses  Zeitabschnittes  hervorgeht.  Dann  aber 
kam  der  grausame  Krieg,  der  alles  niedertrat,  nirgends  aber 
SC)  ai^e  Verwüstungen  anrichtete  wie  auf  dem  platten  Lande. 
Gleich  zu  Anfang,  als  das  ligistischc  Heer  in  das  Fürsten- 
tum  Göttiugeu  einbrach^  kündigte  sieh  sein  landverderbendei* 
^£harakter  an.  Über  zwanzig  Dörfer  wurden  damals  in  der 
fuchsten  Umgebung  Guttingen^  iJi  Asche  gelegt:  „nicht  ein 
einstandiges  Haus"  bhcb  uuabgebranut.  Und  nun  fulgteu 
noch  sechszchn  Jahre  unsäglicher  Kriegagreuel,  welche  das 
Land  zwischen  Weser  und  Elbe,  namenthch  die  blühenden, 
^^uchlbareu  Fürstentümer  \\'olfeDbüttel  und  Caleuberg,  iu 
^^«ine  schauervolle  grofse  Brandstätte "  verwandelten.  Gerade 
^^ie  reichsten,  von  der  Natur  am  meisten  gesegneten  Oegea- 
den  wui"den  am  schwersten  heiiugesucht.  Katholiken  und 
Protestanten,  Schweden,  Kaiaerhche,  Ligisten,  ja  die  Truppen 
der  eigenen  Landesherren  wetteiferten  mit  einander ,  den 
Bauern  zu  schinden,  seine  Acker  zu  verwüsten,  seinen  Vieh- 
stand  zu  vernichten,  auf  seine  Wohnungen  und  Stallungen 
den  roten  Hahn  zu  setzen.  _,  Im  VVolfenbüttelschen  lagen  die 
ergiebigsten  Acker  in  den  Amteru  ScliÖuingeu,  Hessen,  Jerx- 
heim,  Salder,  Lichtenberg  bracli,  im  Hans-  und  Weserdistrikte 
sah  es  in  dem  fruchtbaren  Leinetlial ,  dem  Odfelde ,  der 
Wickenser  Aue  oder  Börde  kaum  besser  aus.  Am  (nrcht- 
barstcn  hatte  der  Ki'ieg  in  der  uiimittclbai'cn  Nähe  von 
Woifenbüttel  selbst  gehaust  Die  lange  Einschlicfsung  der 
Festung,  die  AustUUe  der  Besatzung,  die  Schlacht  am  Oder 
(iG'll)  hatten  sie  zur  Wüste  gemacht.  Die  beuachbarlen 
Ortacbalten  Thiede,  Stückheim  und  Fümmelso,  daa  Frauen- 
klostor  Steterburg  waren  verbrannt,  ihre  Kirchen  lagen  in 
Trümmern.  Im  Füratenturae  Caleuberg  war  der  Waidbau, 
der  früher  dem  Bauer  eine  ergiebige  Kinnahmequelle  er- 
schlossen hatte,  vernichtet.  Er  hat  sich  nie  zu  seiner  früheren 
Blüte  wieder  emporzuheben  vermocht  Auch  das  ärmere 
Lüneburger  Land  hatte  grausam  gelitten,  obschon  hier  eine 
gleich  reiche  Kultur  nicht  vernichtet  werden  konnte.  Überall 
im  Lande  waren  Dörfer  zerstört,  Einzelhöfe  niedergebrannt, 
die  Felder  uubebauet  Hegen  geblieben.  Wüstes  Gestrüpp, 
Domen  imd  Disteln  wucherten  auf  öden  Brandstätten,  eine 
Kultur,  an  der  Jahrhunderte  gearbeitet,  schien  niit  der  Wut- 


190 


Erstes  Bucb,    Vierter  Absohuitt. 


zel  ausgerottet  und  auf  ewig  der  Vernichtung  geweihet  zu 
sein.  Der  Bauer  hatte  in  den  ersten  Jahren  der  Kriegsnot 
wohl  noch  den  Pflug  geführt,  den  Auker  bestellt,  aU  er 
aber  bei  der  Fortdauer  der  Kriegswirren  iune  wurde,  dafs 
er  «ein  Getreide  nur  schnitt  und  mühsam  einscheueiie,  da- 
mit 68  der  verwilderten  Soldateska  zui*  Beute  fiel,  aU  ihm 
sein  Vieh  jahrein  jahraus  aus  den  Ställen  geraubt  und  von 
der  Weide  getrieben  ward,  da  bemächtigte  eich  seiner  wilde 
Verzweiflung  oder  stumpfe  Gleichgültigkeit.  Nahm  er  nicht 
selbfr  Handgeld  und  ging  unter  die  Soldaten,  so  verzichtete 
er  doch  aui'  die  Arbeit,  die  ihm  keinen  Gewinn  brachte, 
liefs  er  die  Felder  unbebauet  liegen,  verschwand  auch  wohl 
aus  seiuBm  Imlbverwuateten  Dürfe  und  trieb  sich  bettelnd 
oder  stehlend  im  Lande  umher.  \'iele  flohen  auch  in  die 
Wälder,  wo  sie  sich  zu  grölseren  oder  kicinoren  Räuber- 
banden zusammen thaten,  olt  auch  gegen  ihre  Peiniger  einen 
zwar  ohnmächtigen  aber  unerbittlichen  Bä-ieg  führten.  Jahre- 
lang noch  nach  dem  Friedensschlüsse  wimmelte  das  Land 
von  solchen  Banden,  von  abgelohnten  Soldaten,  von  Zigeunern 
und  anderen  Landstreichern.  Justiz  und  Polizei  hatten  zu 
thun,  um  sich  ihrer  zu  entledigen  oder  eie  unschädlich  zu 
machen. 

Die  Folgen  dieser  heillosen  Zustände  dauerten  überhaupt 
noch  lange  fort.  Als  die  Glocken  längst  den  heifsersehuten 
Frieden  eingeläutet  liatten,  machten  sich  ihre  Nachwirkungen 
noch  fühlbar.  In  den  ersten  Friedensjahren  fehlte  es  ebenso 
sehr  an  Saatkorn  wie  an  Arbeitern.  Bei  dem  gewaltigen 
Rückgänge,  den  die  Bevölkerungszahl  durch  den  Krieg  er- 
fahren hatte,  waren  Arbeitei-,  Gesinde,  Knechte  und  Mägde 
selbst  liir  hohen  Lohn  nicht  zu  haben,  bei  dem  herraehen- 
den  Mangel  an  barem  Gelde  mufste  die  Beschaffung  selbst 
der  notwendigsten  Gegenstände  nur  allzu  oft  durch  die 
übertriebensten  Wucherzinsen  erkauit  werden.  Die  Ver- 
suche einzelner  Herzöge,  durch  Heranziehung  wohlbabeudor 
Einwanderer  Landbau  und  Industrie  wieder  zu  hoben]  hat- 
ten entweder  gar  keinen  oder  nur  einen  geringen  Erfolg. 
Die  Verhandlungen,  welche  Georg  Wilhelm  dieserhalb  mit 
englischen  Flüchtlingeu  im  Haag  anknüpfte  und  welche 
die  Niederlassung  von  mindestens  hundert  adeligen  Familien 
im  Fürstcntume  Calenberg  in  Aussicht  zu  stellen  schienen, 
zerschlugen  sich,  als  Karl  LI.  auf  den  Thron  seiner  Väter 
zurückkehrte.  Die  älmlichen  Bemühungen  Anton  Ulrichs, 
2000  französische  Refugics,  die  in  Frankfurt  eine  vorläufige 
ZuHucbt  gefunden  hatten ,  zur  Übersiedelung  nach  Braun- 
schweig  zu  bestimmen,  scheiterten  aa  ieit  \jTv^\Ä.^?a.^5:ÄsÄ\^ 


BÜuerliche  Gesetzgebung. 


191 


und  engherzigen  Gesinnung  der  dortigen  Geistlichkeit  und 
Bürgei-schalt,  welche  diese  L-alvinistischen  Ketzer  nicht  unter 
sich  dukleu  wüllten.  Etwas  best^ereii  Ert'olg  hatten  die  Be- 
strebungen Qeorg  AN'ilhelnis  und  Ernst  Augusts,  ptiilzische 
Einwanderer  in  den  entvölkerten  Gegenden  ihrer  Länder 
anzusiedeln.  Aber  wie  unzuJünglich  war  doch  dies  alles  und 
wie  schwer  wurde  es  dem  Ifeuer,  bei  der  völligen  rit()ckung 
des  Handels,  der  verminderten  Zahl  der  Konsumenten  und 
dem  dadurch  herbeigctührten  Sinken  der  Getreide  -  und 
Fruchtpreise  nur  einigernmlsen  wieder  zu  einem  leidlichen 
Wohlstande  zu  gelangen. 

An  Bemühungen  der  Fürsten,  ihm  dies  zu  erleichtern, 
hat  ea  nicht  gel'ehlt,  namentlich  nicht  in  dem  FUrsteutuaie 
Wolienbüttel.  l'nter  dem  Drucke  der  Kriegsnot  verweigerte 
hier  der  Bauer  dem  Gutsherrn  die  Meierainsen.  Herzog 
August  erUefs  daher  im  Jahre  16;(ß  eine  Verordnung,  wo- 
nach zwar  da,  wo  die  Güter  noch  uotdüritig  bebauet  wur- 
den ,  diese  Abgaben  entrichtet  werden  sollten,  aber  auch 
die  Grundherreu  enistlich  ermahnt  wurden,  „auf  den  Zu- 
stand eines  jeden  ürtes  und  Meiers  christliche  und  billige 
Rücksicht  zu  nehmen*'.  Kräftigere  und  erfolgreichere  Mafs- 
regeln  zur  Hebung  der  Landwirtschaft  ermöglichte  erst  der 
Abschluis  des  Friedens.  Jetzt  wurden  schärfei'G  Mandate 
erlassen  gegen  den  Wucher,  der  bei  Überlassung  von  Brot- 
ußd  Saatkorn  an  den  Bauer  in  schamloser  Weise  getrieben 
ward,  gegen  die  Zerstitckcluug  der  Hufe,  gegen  die  ubei*- 
iriebenen  Preise  der  deau  Bauer  uuentbehrÜchen  Hand- 
werkerarbeiteu.  Feste  Bestimmungen  zur  Kegelmig  des 
Gesiudelolmes  wurden  iu  Aussicht  genommen,  genaue  Flur- 
karten nach  Anleitung  der  Krbregister  sollten  entworfen 
werden.  Namentlich  aber  galt  es,  die  imzähUgen  wüst  ge- 
woidenen  HvUe  wieder  unter  den  Pflng  zu  nehmen,  sie  wie- 
der mit  Meiern  zu  besetzen.  Mit  allen  dioseo  Diageu  be- 
schäftigte sich  der  Braunschweiger  Land  tagsabschied  vom 
22.  November  1643.  Auch  im  CaJeubergischen  und  Lüne- 
burgischen beschlofs  man,  die  Gutsherren  zur  Wiederbesetzung 
der  noch  bewohnten  Höfe  mit  Meiern  anzuhalten.  Andere 
Mafsnahmeu  zur  Regelimg  der  bäuerlichen  Verhältnisse 
folgten :  Landesordnungen ,  Taxordnuugeu ,  Kludtaufs  -  Be- 
gräbnis -  Feuer  -  uud  Kommifsordnungen.  Die  braun- 
schweigische  Landesordnung  vom  7.  März  1647  bestimmte, 
„  dafs  alle  Kaufbriefe,  Ehestiftuugen,  Verträge  und  Kontrakte 
der  Bauern  gegen  hergebrachte  billige  und  nicht  über- 
mäfsige  Gebühr  gei-ichtÜch  bestätigt  wetdcu  %ö^\fc\i*^-  ^v& 
gestattete  zwar  die  Zerlegung    eines    "voWeu    X.c^ft\Völ<as»  "vo. 


m 


Erstes  Buch.     Vierter  Äbschuitt. 


zwei  Halbspäunerhöl'e^  wenn  dem  Dienst-  und  Gutsherrn  der 
beiden  letaleren  dasselbe  von  ihnen  geleistet  werde,  wa? 
ihnen  von  dem  ganzen  Ackerlioi'e  gebülirte,  aber  sie  ver- 
bot, ohne  BewilBgiing  des  Gutsherrn  irgend  welche  Meicr- 
gUter  zu  versetzen,  zu  vertauschen,  zu  verkaufen,  zu  ver- 
aftermeiern,  einzuthun  oder  son3t  zu  veräufaern.  Kein  Mor- 
gen dienstpflichtigen  Landes  sollte  von  einer  Feldmark  zur 
anderen  gelegt,  kein  Acker  eines  Dorfes  als  solcher  geduldet 
werden,  der  nicht  in  das  Erbregister  eingetragen  wäi*e.  Zu- 
gleich wurde  die  Aussteuer  der  Kiuder  aus  den  Höfen  nä- 
her bestimmt  und  verordnet,  dafs  jede  reraon,  sie  sei  männ- 
lichen oder  weiblichen  Geschlechts,  welche  heiraten  wollte, 
dieses  zuvor  dem  fürstlichen  Amte  oder  dem  Geiichtsherrn 
anzuzeigen,  den  Bedemuud  zu  bezahlen  und  darüber  einen 
Amts-  oder  Gerichtsschein  zu  nehmen  liabe. 

Diese  und  ähnliche  Verordnungen  und  Erlasse  ver- 
mocbteu  freilich  die  tiefen  Wunden  nicht  zu  heilen,  welche 
der  Krieg  dem  Landbaue  und  dem  Wohlstände  des  Bauern 
gesehlagen  hatte,  aber  sie  bahnten  doch  eine  allmähliche 
Besserung  an  und  gaben  der  verarmten  und  niedergedrück- 
ten Landbevölkerung  Mut,  Hoffnung  und  den  Glauben  an 
bessere  kommende  Zeiten  zurück.  In  den  nüchsten  Jahren 
nach  dem  Kriege  blieb  ihre  Lage  noch  so  verzweifelt,  dafs 
der  Ötaat  sich  ihrer  wiederholt  annehmen,  den  Bauern  gegen 
ihre  Gutsherren  Schutz  gewähren,  ihnen  die  Meierzineen  teil- 
weise erlassen  raufste.  fcwlche  Erlasse  erfolgten  in  dem  Her- 
zogtume  Wolfeubüttel  wälirend  eines  einzigen  Jalirzelmtes 
(von  165G  bis  1666)  in  acht  von  diesen  zehn  Jahren.  Aber 
allmählich  Hng  doch  der  Bauernstand  an^  sich  von  den  aus- 
gestandenen Drangsalen  zu  erholen,  wieder  vermögender  und 
leistungstahiger  zu  werden.  Die  Bevölkerung  wuchs,  der 
Erwerbfleifs  nahm  zu,  der  Anbau  tilgte  die  Spuren  der  Ver- 
wiUtung,  die  Landschalt  zeigte  annährend  wieder  das  Bild 
der  Kultur  und  der  menschlichen  Arbeit  Bald  schien  den 
Landständeu  kein  Grund  mehr  vorzuliegen,  jene  Erlasse  zu 
gewähren.  Auf  dem  Landtage  von  Salzdaldum  im  Jahre 
168*J  steliten  sie  den  Antrag,  dafs  der  vön  den  Bauern  er- 
hobene Anspruch  auf  Zahlung  nur  des  halben  Meierzinses 
für  nichtig  erklärt  und  sie  angewiesen  würden,  ihren  Guts- 
herreu;  falls  nicht  gänzlicher  Mifswachs  einträte,  wieder  den 
vollen  Zins  zu  entrichten.  Sie  drangen  auch  mit  diesem 
Antrage  durch,  und  so  wui*den  die  alten  Verhältnisse  der 
Meier  zu  den  Grundherren,  wie  sie  vor  dem  Kriege  be- 
ataaden  f  im  wesentlichen  wiederhergestellt.  Daran  ver- 
mochtea     auch     andere    wohWoUouie    Vctot^vmä^wx    mslA 


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4 


f 


Xiedergaa^  der  Stüdte.     Brauu»cbweig. 


19» 


Mafsnalimen  der  Fürsten  aus  späterer  Zeit  kaum  etwas  zu 
ändern  ,  weder  die  Eintuhrung  einer  festen  Taxe  fUr 
die  Amtsgcbübren  und  Gerichtaspoi'teln,  nucb  auch  die  Ein- 
richtung eines  Magiizina  in  WoJienbüttel,  aus  welchem  der 
Bauer ,  um  ihn  vor  den  wucherischen  Feldbestell ungs- 
koutrakteu  zu  schützen,  zu  billigen  legten  Preisen  mit  lr>aut- 
korn  versorgt  werden  sollto. 

Nicht  weniger  schwer  als  die  Landbevölkerung  hat   der 
unheilvolle    Krieg   das    deutsche    Bür^rtum   betroffen.      Er 
hat   nicht    nur    aeu    Wohlstand    der    deutschen   Städte    auf 
lange    Zeit    hinaus    vernichtet,    Handel    und   Gewerbe,    die 
Quellen  dieses  Woldstandes,  verstopft,  den  städtischen  Haus- 
halt zerrüttet,  sondern   auch    die    letzten    Pfeiler   des   li*eien 
bürgerlichen  Gemeinwesens  zerbrochen,  die  frühere  Autono- 
mie der  Stadtgemeinden  beseitigt  und  sie  wehr-  und  hilflos 
der  Gnade  des  aufstrebenden  Fürstentums  überliefert.    Das 
Band,  welches  die  nicdersüchsischcn  Binnenstädte   einst   mit 
der  Hause  verknüpfte,    wurde   für   immer   zerrissen.      Kurz 
vor  dem  Kriege   hatte  Brnunschweig   noch,  unterstützt    von 
den  verbaudeten  Städteu,  den  gewaltigen  AugrÜT  abgewehrt, 
den  Friedrich    Ulrich   gegen  seine  Unabhängigkeit   richtete, 
zwei    Jahrzehnte    nach     dem    Friedensschlüsse     gelang     es 
dou    Herzögen    ohne    grofse   Anstnuigungeu    und   faat   ohne 
Kampf  sich    zu  Meistern   der   einat    so   unbotmäfsigen  Stadt 
zu  machen.     Zwar  war  sie  innerhalb  des  ganzen  weifischen 
Ländergebietos  der  einzige  Ort,  der  sich  während  des  Krie- 
ges,  wenn  auch  nicht  ohne  Geldopfer,  völlig  frei    von  frem- 
der   Besatzung   zu   erhalten    wufste,   zwar  zog   sie   aus   den 
langen   Kriegswin-en    insufern    sogar    manchen    Vorteil,    als 
sich  viele  begüterte  Leute  der  Umgegend  dorthin  flüchteten 
imd  selbst   die  Herzöge  Friedrich   Ulrich    und  August  d.  J. 
zeitweilig  hinter  ihren   Mauern  Schutz   suchten  und   fanden, 
aber  was  wollte  das  bedeuten  gegen  die  langjährige  völlige 
Unterbrechung  ihrer  Ilandelsheziehungen,  gegen  die  Sperrung 
der  Absatzgebiete  für    die    Erzeugnisse    ihres  Gewerbtieifses, 
gegen  die  nameuloaen  Verluste,  die  der  sie  rings  imitüaende 
Krieg  mit  sich  brachte  r*     Die   Unterwerfung  unter  die  Her- 
zöge,  ihre   Einverleibung    in   das   Fürstentum    Wolfenbüttel 
vollendeten  dann   ihren  Verfall.     Viele   der   reichsten  Kauf- 
leute   zogen    damals  ^  mit    ihrem    VennÖgen    nach    Lübeck, 
Hamburg  und  anderen  Städten,  Handel  und  Wandel  stock- 
ten, eine  grofse  Anzahl  Häuser   stand    leer,  die  öffeudichen 
Gebäude,  die  zum  Teil  ilu-eu  Zweck   verloren  hatten,   ver- 
fielen.    Rudoll' August  (liat  das  seinige,  un\  iVvft&«ü. '^v^^- 

//(•/nffMÄOo.  l'nuanfhr.-bvtoJ'V.  Geschieht«.    HI.  »Ä 


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Erstes  Buch.     Vierter  Abachuitt. 


gang  zu  hemmen ,  aber  die  ungünstigen  VerhältJii&äe  er- 
wieBen  sich  zunächst  stärker  als  seine  Älafsregeln  der  Ab- 
wehr. Er  erneuerte  und  retbvuiierte  die  Jahnnärkte,  welche 
in  der  Stadt  schon  seit  I49S  bestanden^  und  erhob  aie  dui'ch 
den  Erlafti  einer  neuen  Marktgericbtsordnung  und  durch  die 
Gewährung  der  Zollireiheit  nut'  dreil'sig  Jahre  zu  McÄsen. 
Er  beseitigte  (\ic  alte  den  Vorkehr  hemmende  Bestimmung, 
dafs  kein  Fremder  mit  einem  Fremden  handeln  dUri'e,  ver- 
gröfserte  und  verschönerte  den  „grauen  Hot",  die  spätere 
herzogliche  Residenz,  und  begann  den  Neubau  der  alten, 
schadbalt  gewordenen  Festungswerke. 

Neben  Braimschweig  war  von  den  grörsereii  Städten  des 
Landes  Hannover  am  meisten  vor  den  unmittelbaren  Ver- 
lusten und  Gefahren,  die  der  Krieg  in  seinem  Gefolge  hatte, 
verschont  geblieben.  Im  Jahre  1625  mul'ste  die  Stadt  ßiuh 
zwar  zur  Aufnahme  einer  danischen  Besatzung  verstehen, 
die  mutige  Bürgerschaft  entledigte  sich  ihrer  aber  bald  nach 
der  Schlacht  bei  Lutter  a.  B.  wieder  durch  eigene  Kraft. 
Tillys  Forderung,  die  Kaiserlichen  in  die  Stadt  zu  lassen, 
wulate  man  durch  die  Zahlung  von  12  0UU  Thalern  und 
bedeutende  Naturallieferungen  zu  beschwichtigen.  Seit  lüä3 
war  die  Stadt  dann  von  herzoglichen  Truppen  besetzt  und 
beschützt.  Wir  wissen,  dnfs  sie  tierzog  Georg  zu  seiner 
Residenz  erhob  und  die  obersten  Kegicrungsbehörden  tiir 
das  Fürstentum  Calenberg  dahin  verlegte.  Damals  hatte 
sich  ein  grofser  Teil  des  Calenberger  Adels  iu  die  Stadt  ge- 
flüchtet, und  das  Landvolk  war  seinem  Beispiele  gefolgt:  in 
manchem  Hause  hatten  mehr  als  hundert  Menschen  unter- 
gebracht werden  müssen.  Denn  die  Umgegend  der  Stadt 
war  furchtbar  verwüstet,  scharenweise  liefen  die  Wölfe  um- 
her, und  Banditen  und  Mörder  machten  die  Strafsen  unsicher. 
Georg  noch  erweiterte  die  Festungswerke  der  Stadt,  und 
bald  emptand  diese  die  heilsamen  Wirkungen  des  wieder- 
hergestellten Friedens.  AVährend  der  letzten  Hälfte  des 
17.  Jahrhundei-ts  war  sie  die  glänzende  Residenz  der  vier 
in  der  Kegienmg  des  Landes  auf  einander  folgenden  Söhne 
Georgs ,  der  Mittelpunkt  eines  zwar  vielfach  wcchselndea, 
aber  stets  glänzenden  und  bewegten  Hoilebens.  Mochten 
die  französischen  Sitten,  die  an  diesem  Hofe  herrschten,  die 
Ansammlung  fremder  Abenteurer  und^  Glücksritter,  die  oft 
leichtfertigen  itahenischen  Opern  und  Schauspiele,  die  Ver- 
mehrung des  Hofstaates  und  des  Militärs  auch  nachteilig  auf 
die  alten  ehrbaren  Gewohnheiten  der  Stadt  einwirken,  so  hat 
dJeae  doch  auch  grofse  und  manmg&AU^e  Vorteile  von  dem 
neaen,  bunten  und  bewegten  Leben  geVaXjV,  vaÄ  %%  Ss,\.  xsüm 


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i 


« 


Hauüover.     Lüueborg.    Die  kleiuereu  Städte. 


190 


KU  begi'eü'lich ,  dafs  von  allen  Städten  des  Landes  gerade 
Hannover  die  steh reokli eben  Leiden  und  Drangsale  des 
grofsen  Krieges  um  ehesten  verschmerzte  und  vergafa.  Lüue- 
btu^  Bah  dagegen  über  ein  Jahr  lang  (31.  August  lt>3C  bi» 
7.  September  1637)  die  Schweden  als  unwillkouiineue  Gäste  in 
seinen  Mauern^  mufetc  ihnen  60  000  Thaler  Brauddchatzungs- 
gelder  zahlen  und  die  Verptiegung  der  fremden  Truppen 
übernehmen.  Noch  während  des  Krieges  ed'olgte  dann 
(21.  Mai  1639)  eine  Umgestaltung  der  Stadt vertiwsung, 
welche  zusammen  mit  den  auf  dem  Kalkberge  angelegten 
und  von  dein  LandeBhemi  besetzten  Befestigungen  die  frü- 
here aelbstüiidige  Stellung  der  Stadt  beseitigte.  Auch  hier 
hörten  die  alten  Ilaudelsbeziehuugen  zu  tlen  Hansestädten 
fast  völlig  auf,  ohne  dais  die  Stadt  durch  einen  ähnlidien 
Hrsatz  entschädigt  ward,  wie  er  im  Calen bergischen  Han- 
nover und  im  Ftiratentume  Lüneburg  Celle  aus  der  Ver- 
legung der  Residenz  und  des  iiirstUchen  Hofes  dahin  er- 
wnchs. 

Weit  schlimmer  als  diesen  gröfseren  Städten  des  Landes, 
die  in  ihren  zum  Teil  uoch  immer  mächdgeu  and  selbst 
der  neueren  Kriegskunst  gewachsenen  Bewehrungen  einen 
ausreichenden  Schutz  gegen  die  Vergewaltigung  durch  die 
fremden  Heere  fanden,  erging  es  den  kleineren  Städten  und 
Ortschaften,  deren  Befestigungen  sich  entweder  datür  als  zu 
schwach  erwiesen  oder  die  ihrer  ganz  entbehrten.  Abgesehen 
von  dem  platten  Lande ,  hatten  sie  am  meisten  zu  leiden^ 
die  schhmmsten  Greuel  des  Krieges  zu  erdulden,  die  grüfsten 
Verluste  an  Geld  und  Gut  zu  beklagen.  Besonders  schwer 
wurden  die  Städte  des  Fürstentums  Göttingen  betroffen. 
Münden,  vor  dem  Kriege  eine  blühende,  gewerbreiche  Stadt 
in  dem  heblichen  Thale,  wo  sich  Werra  und  Fulda  zur 
Weser  vereinigen,  sah  diesen  Wohlstand  an  einem  Tage 
dahinsinken.  Am  Dienstag  nach  dem  Pfingstfeste  1626  von 
den  ligistischeu  Truppen  unter  TÜly  und  Füratenberg  mit 
Stimn  erobert,  mufste  die  Stadt  die  ganze  bestialiBche  Koh- 
heit  der  damaligen  Kriegsbanden  erfahren  und  eine  mehr- 
tÄgige  Plünderung  über  sieh  ergehen  lassen.  Was  von  der 
Einwohnerschaft  nicht  geflohen  war,  ward  unbannherzig 
niedergemetzelt,  Frauen  und  Kinder  nicht  verschont:  2260 
meist  wehrlose  Menschen  fanden  dabei  ihren  Tod,  mehr  als 
die  Hälfte  der  Bewohner,  darunter  die  meisten  Mitglieder 
des  Rates  und  die  beiden  Prediger  der  Stadt  Aui"  313  698 
Thaler  schätzt  ein  Bericht  an  den  Herzog  Friedi-ich  Ulrich 
den  Schaden,  den  die  Stadt  durch  PiünierxxQ^ ,  ^ä.\3Jö  \»A 
BrtkTidscJmtziwg  binnen  wenigen  Tagen  erWU.    ^\c^^.  ^^ax*^^ 

Vi* 


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EnCet  Bwh.     Viert«  Abschnitt. 


cioe  SO  gew&ltaame  Katastrophe,  aber  dtzrch  den  infolge 
wedwebuien  Kriegsgi  ücka  stätttindenden  Übergang  aoa  «ner 
Haad  in  die  andere  ward  Nordbeim  ein  äbnüehcs  Schicksal 
bereitet.     iScbon  im  Jahre    1637    war    die   Zahl   der  Bürger 
auf'   bundertiindfünfzig   zosammengeschmolzen,    dreibundert- 
undzwanzig  Häuser  standen  leer.    Sie  wurden  zum   grofateu 
Teile  abgebrochen  und,  soweit    dies  anginge   als   Brennholz 
▼erbrancht    Gegen  Ende  des  Krieges  glich  die  Stadt  einem 
Scbutthaufenf  in  dessen  Kellern  die  kümmerlichen  Reste  der 
früheren  Einwohnerscbait  —  e»  waren  noch  siebenzcbn  kon- 
tributionspflichti^e  Familien  —  hausten  und  ein  elendes  Da 
sein    führten.      Selbst    die    bedeutendste     und    widerstand»* 
l^igste  Stadt  des  Fürstentums^    von  der  diet^s  den  Namen 
führt;  war  nicht  besser  daran      Viermal  ward  Göttingeu  im 
Verlauie    des    Kriege«    belagert,    zweimal    hart    beschossen^ 
einmal  mit  Sturm  genommen    und   gründlich   ausgeplüodert. 
Es  geschah  dies  im  Jahre  163'2  durch  die  Schweden    tintei~ 
dem  Herzoge  Wilhelm    von  Weimar,   bei    welcher  Gelegen- 
heit auch  ein  grofser  Teil  des  städtischen  Archivs  vernichtet 
ward.      Allein    an    die    Kaiserlichen    mufate   die    Stadt    eine 
Brandschatzungssumme    von    373000   Reichsthalem    zahlen, 
und  bereits  im  Jahre  1639  war  die  Bürgerschaft  infolge  von 
Seuchen  und  durch  die  Drangsale  des  Krieges  auf  die  Hälfte 
ihres    früheren    Bestandes    zusammengeschmolzen.     Die    der 
Stadt  gehörigen  Dörfer  und  Güter  waren  entweder  verkauil 
oder  verpikndet,  alle  städtische  Nahi-ung  stockte,   jedes   Ge- 
werbe lag  darnieder.    Fast  die  Hälfte   der  Häuser   war  zer- 
trümmert, ein  grofser  Teil  der  noch  vorhandenen  nichts  als 
elende  Strohhütten.    Die  monatlichen  Steuern  mufsten  häu£g 
bei  verschlossenen  Tliuren  durch   militärische  Gewalt   einge- 
trieben werden.    Von  der  reichen,  auf  ihre  Freiheiten  stolzen 
Genossin  des  hanseatischen  Bundes  war  nur  noch  ein  Schat* 
ten  übrig  geblieben. 

Mochten  die  Stä-dte  in  den  übrigen  Landesteilen  auch 
nicht  in  demselben  Mafse  heimgesucht  werden  wie  im  Göt- 
tingischen,  ho  war  doch  keine  unter  ihnen,  deren  Blüte  uud 
Wohlstand  durch  den  Krieg  nicht  auf  lange  Jahre  ver- 
nichtet worden  wären.  HamcJn  hatte  eine  zweimaHge  längere 
Belagerung  auezuhaltcn  und  blieb  von  1625  bis  1633  in 
der  Gewalt  der  Kaiserlichen,  die  hier  eine  rücksichtslose 
kathoÜBühc  Reaktion  durchführten.  Eimbeck  ward  lt^32 
von  PicL'ülümiui  eingenommen  und  eine  Zeit  lang  besetzt 
gehalten.  Im  Jahre  1640  mufste  es  braunschweig  -  lüne- 
hargischc  Truppen  unter  dem  Major  Gottfried  Friedrich  von 
ÖÖrtzgen  aiif'nohmen,  aber  sclaoii  m  fol^eudeu  Jahre   legte 


QBttißgen.    Hameln.    ElmLeck.    HeTinstedt. 


197 


sich  ein  kaiserliches  Heer  iinter  dem  Erzherzoge  Leopold 
Wilhelm  und  Piccolomini  vor  die  Stadt  und  erzwang  nach 
einer  lebhaften  Beschiefsung ,  die  dreihundert  Gebäude  in 
Aeche  iegte,  ihre  Kapitulation.  Erst  nach  drei  Jahren  rüumte 
ilie  kaieerhche  Besatzung  (I20ü  Mann  zu  Fufs  und  4üO 
Reiter)  intolge  des  Vergleiches  von  Gualar  den  schwer  heiin - 
gesuchten  Ort ,  der  nun  in  den  Besitz  des  rechtmäfaigen 
Landeäherru  zurückkehrte.  Die  kleineren  Ortochat^en  des 
Fiürsteutunis  Grubeuhageii,  namentlich  die  in  der  Nähe  des 
Haizes  gelegenen,  litten  fast  mehr  noch  als  durch  die  Heere 
der  knegi'ührenden  Parteien  durch  das  herrenlose  Gesindel  der 
Harzschützen,  die,  durch  Mangel  und  Not  zur  Verzweillung 
getrieben,  zu  den  Waffen  griffen,  jeden,  der  sich  in  das  Ge- 
birge wagte,  erschlugen  und  die  Gegend  weithin  brand- 
schatzten. Ein  solcher  Buschklepper,  der  weit  und  breit 
gei'ürchtete  Hans  Warnecke ,  genannt  von  Eisdorf,  ward 
endlicli  in  Osterrode,  das  er  jahrelang  belehdet  hatte,  ding- 
test gemacht,  in  Celle  gerichtet  und  gevierieilt. 

Von  den  Drangsalen,  welche  der  Krieg  über  die  Stiidte 
des  Fürstentum»  Wolt'enbüttel  verhängte,  ist  bereits  früher 
einiges  hervorgehoben  worden.  Neben  Wolfenhüttel  selbst 
ist  keine  davon  haiter  betroffen  worden  als  Helmstedt ,  der 
Sitz  der  Lande9univei*sität,  welche  infolge  des  Krieges  ver- 
wilderte und  zeitweilig  völlig  vei'ödete.  Im  Sommer  des 
Jahres  1625  brach  die  Pest  in  der  Stadt  aus,  die  nur  die 
V'^orläuferin  schlimmerer  und  verderblicherer  Ereignisse  sein 
sollte.  Seitdem  hörten  die  Durchzüge  und  Einquartierungen 
bis  zum  Absclilufs  des  Fiiodens  nicht  mehr  auf.  Zuerat 
kamen  Völker  dos  Herzogs  Christian  von  Braunschweig, 
dann  Dänen,  welchen  im  Jahre  1626  kaiserliche  Truppen 
unter  dem  Obristen  Altringer  folgten,  die  Helmstedt  längere 
Zeit  besetzt  hielten.  Im  folgenden  JaJire  hausten  aujanga 
die  Völker  des  Hei-zog»  von  Friedland  in  der  Stadt,  dann 
sab  sie  Tilly  in  ihren  Mauern  und  blieb  während  der  gan- 
zen Zeit  bis  zur  Zerstörung  Magdeburgs  in  der  Gewalt  der 
Ligiftten.  Nach  Gustav  Adolfs  Siege  bei  Leipzig  wichen 
nun  zwar  diese  Übelen  Gesellen  aus  der  Stadt,  aber  an 
ihrer  Stelle  erschienen  andere.  Die  Schweden  verfuhren  in 
dem  Jahre  1636  noch  ärger  als  ihre  Vorgänger.  Pest, 
Hunger  und  Not  trieben  die  Bürger  fast  zui-  Verzweiflung, 
imd  der  Separatirieden,  den  Herzog  August  im  Jahre  1641 
mit  dem  Kaiser  schlofs,  vennehrte  nur  die  Erbitterung  und 
Wut  der  übermütigen  Fremdlinge ,  die  unter  Torstenson 
1643  und  in  den  nächstfolgenden  Jahren  noch  vR«.\veTOÄ\% 
»itsdt   und  Umgegend    schrecklich   W\mw\c\\\.'w\.    "S^vä   ^\t 


h. 


m 


Erstes  Bucb     Vierter  Abschnitt. 


ätadt  unter  diesen  stets   sich   wieder  ho  Ii^ndcu  Bodrängnisacu 
gelitten  haben  mufs,  das   ersieht   man   aus   einem    Berichte, 
den  Georg  Calixt  im  Jahre  1625,  zu  Anfang  derselben,  und 
zwar    nicht    über    das   Verfahren    der   teindlicheu   Truppen, 
sondern  der  eigenen  Landestmppen    unter  Herzog  Ciiristiau      ti 
an  den  Statthalter  vün  Steinberg  ertitatiet  hat.     ,t^i^  Dritt- ^H 
teil   der   unglückliühen  Bürger"   —    so    heifst    es    darin    — ^^ 
jjoder  wenigstens  ein  Vierteil   ist  im  letzten  Sommer   und 
Herbat  von  der  Pest  weggerafft.    Von  da  an  hat  der  Handel, 
die  Getreideeintuhr    in   die   Stadt   aufgehört.      Dennoch    hat 
man  den  Bürgern    betbhlen,    500    Mann   zu   Fufs    und    lUO 
Reiter  aufzunehmen  und   zu   ernähren.      Dabei   ist   es   nicht 
geblieben,  denn  jetzt    sind   in   der   Stadt    1200   Heiter   und 
Soldaten  oder  mehr.    Ein  Ziel  und  Mafs  ist  nicht  abzusehen : 
ea  kummcu  täglich  fünfzig,  tsechzig  und  mehr,  und    fordern 
luit  Soldateurohheit  tur  sich  Quartier  und  Essen,  Futter  fuTi 
die  Pferde.     Es  wird    nicht   anders   verfahren   wie   in    einei 
mit  den  Waffen  genommenen  Stadt.    Obersten  und  Offizier 
erpressen  wöchentlich  der  eine  dreifeig,  der  andere  zwanzig, 
Thaler,  einige  mehr,  andere  weniger.  Sie  geben  kostbare  Gast- 
mähler auf  Kosten  der  arnoen  Bürger.    Was  in  den  Häusern 
ist,   das    erklären    sie    für    ihr   Eigentum.     Ja    die    Häuser 
selbst ,   welche   die   Bürger   vor   Änaut   und    Einquartierung 
verlassen  haben,  wollen  sie,  wie  sie  .sagen,  verkaufen,  sobald 
sie  einen  ICäufer  tiuden." 

Fassen  wir  die  Folgen  des  dreifaigj ährigen  Ki'ieges  iür 
die  städtischen  Gemeinwesen  und  das  deutsche  Bürgertum 
noch  einmal  kurz  zusammen,  so  bedeutete  der  Krieg  tür 
sie  Kiedergang  ihres  Handels,  durch  den  sie  doch  trüber 
reich  geworden  waren,  Verkümmenmg  und  Verknocherung 
der  Zünfte,  in  denen  docli  trüber  das  Handwerk  seine  er-  ^JA 
folgreiche  Organisation  gefunden  hatte,  Rückgang  und  Ver-^H 
armung  ihrer  Bevölkerung,  aui"  deren  Stärke  und  Leifituugs-  ^^ 
fiihigkeit  doch  ihre  politische  Macht  beruhete,  ZeiTüttung 
ihres  Haushaltes  und  völlige  Erschöpfung  Uirer  Finanzki-at^. 
Aber  er  bedeutete  für  sie  noch  Schlimmeres:  die  Vernich- 
tung ihi-er  Selbständigkeit  in  Verwaltung  und  Hechtapdegc, , 
soweit  sich  diese  aus  den  tVUheien  Zeiten  erhalten  hatte. 
Fast  überall  erfolgte  in  den  grüfseren  Städleu  des  Landes 
entweder  noch  während  dos  Krieges  oder  bald  nach  »eiuein 
Ende  eine  Umgestaltung  der  städtischen  V'^erfasaung  in  der 
Richtung  einer  Beschränkung  ihi*er  früheren  Autonomie: 
zuerst  in  Lüneburg,  dann  in  Braunschweig  und  Göttingen, 
2088  auch  in  Hameln.  In  Hannover  dauerten  die  Streitig- 
keJten  über  die  Befugnisse  des  \iet2.o^\G\ieQ  Xq^iä*!  ms«ä 


Eiumischung  in  die  peinliche  Gerichtsbarkeit  die  ganze 
Kriegazeit  hindurch  fort  Schliefslich  siegte  auch  hier,  wie 
das  niciit  anders  zu  erwarten  stand,  die  fürstliche  Gewalt. 
Mit  der  Selbstregierung  schwand  aber  in  den  Städten  der 
alte  unabhängige  Burgersinn,  die  freudige  Teilualinje  an 
den  Geschäften  der  Verwaltung,  die  selbstloBe  Hingabe  an 
das  Gemeinwesen  dahin.  An  die  Stelle  des  stolzen  öelbat- 
gefiihis,  das  der  Besitz  bürgerlicher  Freiheiten  gewährte,  trat 
die  ängstliche  Itücksicht  auf  die  Wünsche  und  Befehle  der 
Heri-ßchaft,  der  frische  Unternehmungsgeist  wich  einer  eng- 
hensigen  Zagliaftigkeit ,  die  Teilnahme  an  den  ötfentlichen 
Angelegen hcitcn  sah  sich  durch  die  Kingriffe  iVii-ätlicher 
Bftte  beschränkt  und  gehemmt  und  zog  sich  iniblge  deseen 
von  ihnen  zurück.  So  verkümmerte  das  einst  so  stolze  und 
mächtige  Bürgertum,  das  drei  Jahrhunderte  lang  der  Träger 
der  deutschen  Kultur  gewesen  war ,  zu  einem  kleinlichen, 
selbstBUchtigcu  und  schwilchlichen  Philistertum. 

Von  einer  Zeit  so  grausamer  Heimsuchung  auf  dem  Ge- 
biete des  politischen  und  wirtschaftlichen  Lebens  wird  man 
keine  neuucnswerte  Förderung  der  idealen  Güter  des  V^olkes, 
der  Kunst,  Wissenschaft  und  Litteratur,  erwarten  dürfen. 
In  der  That  bewahrheitet  sich  hier  das  alte  Wort,  „wonach 
^.der  Lärm  der  Waffen  die  Älusen  zum  Scliweigea  bringt". 
Das  17.  Jahrhundert  gehört  zu  den  sterilsten  Zeiten  in  der 
ganzen  Gei.steaeutwicfceluug  unseres  Volkes.  Das  zeigt  sich 
schon  in  der  wachsenden  Verwilderung  unserer  Sprache. 
Der  Krieg  mit  seinen  aus  allen  Ländern  Europas  zusammen- 
gewürfelten Siildnerbanden  überschwemmte  Deutachlaud  mit 
einer  wahren  Sintflut  von  Fremdwörtern  und  die  dann  in 
Mode  kommende,  von  den  Füi-stenhöien  ausgehende  Be- 
wunderung und  Nachahmung  der  französischen  Bildung  und 
Litteratur  vollendete  die  Verwelschung  der  deutschen  Sprache. 
Von  dieser  Zeit  her  schi-eibt  sich  ihre  Durchsetzung  und 
Vemiengung  mit  ausländischen  Sprachbrocken,  die  wir  bis 
auf  den  heutigen  Tag  nicht  wieder  losgeworden  sind. 
Wohl  hat  es  schon  damals,  als  dieser  Unfug  begann,  nicht 
An  patriotischen  Männern  gefehlt,  die  ihm  mit  den  Waffen 
des  Witzes,  des  Spottes  oder  der  ernsten  Rede  entg^en- 
traten,  ihre  Bemühungen  haben  aber  nur  geringen  oder  gar 
keinen  Erfolg  gehabt.  Es  bildeten  sich  auch  schon  Vereine, 
sogenannte  Sprachgeaellscliaften,  welche  die  Reinerhaitung 
unserer  Sprache  von  dem  Uberraafs  der  Fremdwüiier  .sich 
zur  Aufgabe  stellten,  aber  auch  sie  vermochten  dem  Übel 
keiner)  haltbaren  Damm  entgegenzu8etz.ea.  Dftt  Vi^sVLiacox&SÄX.^ 
~"  eer  Spracbvereinef  die  von  dem  If  ürsteAi\j\)Ä.'*«"v^  "^wl  fe^Ä.- 


halt  gekündete  „fruchtbringende  üesellscKaft",  ziLliIte  auch 
viele  vornehme  ^  gelehrte  und  wackere  Männer  ans  den 
braunschweig-lüneburgischen  Gebieten  zu  »einen  ÄLtgliedern. 
Selbst  das  Fürstenhaus  war  zahlreich  darin  vertreten,  und 
seine  Angehörigen  beteiligten  sich  lebhaft  au  den  Bestre- 
bungen und  Arbeiten  der  Gesellschaft.  iSo  uamentliuh 
August  d.  J.  von  Wollenbiittcl ,  der  den  GeseUschattsuameu 
„der  Befreiende"  führte,  und  seine  sämtlichen  Söhne  Rudolf 
August  (der  Nachsinnende),  Anton  Ulrich  (der  Siegprangende) 
und  Ferdinand  Albrecht  (der  Wunderliche  im  Frucht- 
bringen), aber  auch  Friedrich  Ulrich  (der  Dauerhafte), 
Christian  Ludwig  (der  Reinherzige)  und  Georg  von  Lüne- 
burg (der  Fangende).  Eines  der  ausgezeichnetsten  und  ver- 
dienstvollsten Älitglieder  der  Gesellgchai't  war  Justua  Georg 
Schottelius  aus  Eimbeck,  geboren  1612,  vom  Herzoge 
August  d.  J.  zum  Lehrer  und  Erzieher  seiner  KJnder,  na- 
mentlich Aüton  Ulrichs,  nach  Wolfenbüttel  berufen,  wo  er 
1676  als  Konsistorial-  Huf-  und  Eammerrat  gestorben  ist. 
Ursprünglich  Jurist,  wandte  er  sich  später  mit  besonderem 
Eifer  und  gutem  Erfolge  dem  Studium  der  deutschen  Sprache 
zu.  Nicht  mit  Unrecht  hat  man  iliu  „den  Jakob  Grimm 
des  17.  Jahrhunderts"  genannt:  in  der  fruchtbringenden 
Gesellschaft  hiels  er  „der  Suchende".  Er  regte  bereits  den 
Gedanken  eines  vollstäudigen  deutschen  Wörterbuches  an, 
das  nach  seinen  Vorschlägen  „unter  etzliche  Gelehrte  aus- 
getheilet  werden  sollte",  fieferte  den  Text  zu  den  meisten 
Aufzügen  und  Singspielen  am  Wolfenbüttler  Hofe  und  ver- 
faiste  eine  „deutsclie  Verskunst",  die  lange  Zeit  für  die 
Poeten  und  Vei-sschmiede  mafsgebend  blieb.  Seine  bedeu- 
tendsten W^erke  aber  sind  die  „Teutsche  Sprachkunst"  und 
die  1665  erschienene  „Ausführliche  Arbeit  von  der  Teutschen 
Haubtsprache",  in  welcher  er  von  dieser  rühmt:  „Wir  ha- 
ben ja  unsere  so  herrliche,  prächtige  Sprache,  reich  an 
Milde,  reich  an  Güte,  voll  Donner,  voll  Blitzens,  voll  La- 
chens ,  voll  Weinens,  voll  Grausens  und  Brausens ,  voll 
lieblicher  Härte ,  männlichen  Geläutes ,  fliefsender  Gütig- 
keit." 

Auf  die  Einwirkung  von  Schottelius  ist  es  wohl  zurück- 
zuführen, dafs  fast  die  ganze  FamiÜe  des  Herzogs  August 
sich  mit  dichterischen  und  schriftstellerischen  Versuchen  be- 
schäftigt hat.  Seine  dritte  Gemahlin  Sophie  Elisabeth  von 
Meckäenbui-g  hat  die  Geschichte  der  von  mehreren  Lieb- 
habern verlassenen  Dorinde,  eine  Episode  des  französischen 
Schäferromans  Astrea,  „zu  Nutzen  allen  sowohl  fürstlichen 
als   Adhchen   Damen,    so    der    französischen    Sprache  nicht 


Litteratur.     Geistliche  Diclituugeu  und  Romane. 


201 


mäcltÜg",  deutsch  bearbeitet.    Sie  »clirieb  auch   dioliteriscLe 
Betrachtungen  nieder,  „wie  man  sich  die  heiligen  Schriften 
also  zu  Nutzen    raaohon  kann,   dafs   unsem   Herrn   Heiland 
uad  Heligmacher  Jesum  Christum  man  in  jedem  Kapitel  der- 
selben zu  finden    habe."     Des   Herzogs  iilteste  Tochter,  Si- 
bylla  Ursula,  die   sich   mit   Christian    von    Holstein -Giücks- 
hiii^  vermählte,  klug  und  gelehrt  wie  ihr  Vater,  hat  unter 
dem  Titel  „Seufzer"  und    „Himmlisches  Kleeblatt"    Gebete 
und  erbauliche  Betrachtungen  vertafst,  von  denen  das  letztere 
Werk   1674  im  Druck  erschien.    Von  den  Utterai'ischen  Be- 
strebungen und  Arbeiten  der  Söhne  Augusts  ist  schon  kurz 
die   Rede  gewesen.     Den  gröfsteu   Erfolg  hatte  von   ihnen 
Anton  Ulrich  und  zwar  nicht  mit  den  religiösen  Dichtungen 
seiner  Jugend,  sondern  mit   den   sjiiiter   von    ihm    verfafsten 
Horaanen    „die   durchlauchtige   Syrerin   Aramena"    und   die 
„römische  Oetavia".    Namentlich  wurde  der  letztere  Roman, 
■welcher  in  dem  Rahmen  der  römischen  Kaisergeschichte  von 
Claudius  bis   auf  Vespasian    eine    Menge    pikanter    Hofge- 
schichten und  Anekdoten  der  damaligen  Zeit  beliandelt  und, 
fiir  den  Leser  leicht  erkennbar,  in  die  Erzählung  einHicht, 
eben  wegen  dieses  Umstandes  zu    einer  Lieblingslektlire  der 
vornehmen    Welt.      Neben    dem    ftirstlichen    Roman  Schreiber 
ist  als  solcher  allenfalls   noch   zu    nennen    Andreas  Heinrich 
Buchholz ,    geboren     1 007    zu    Schöningen    und    als    Stadt- 
Buperintcndent    von    Braunscliweig     1671    gestorben.      Seine 
beiden  Romane  „des  christlichen  teutsclien  Grofsfursteii  Her- 
kules   und    der    böhmischen    königlichen    Fräulein    Valiska 
Wundergeschichte"  und  „der  christlichen   königlichen   Für- 
sten Herkulisku?  und  Herkucladisla  Wundergeschichte"  lassen 
an  Breite  und  Weitschweifigkeit  alles  hinter  sich,   was   diese 
wort-  und  phrasen reiche  Zeit   hervorgebracht   hat,   erhielten 
eich  aber  trotzdem  lange  Jahre  in    der  Gunst   des   lesenden 
Publikums. 

Am  Ausgange  dieser  litterarisch  so  armseligen,  von  der 
AualUnderei  angekränkelten  Epoche  steht  wie  die  Verheifsung 
einer  besseren  Zukunft  die  hehre  Gestalt  eines  Mannes,  der 
eine  durch  und  durch  vaterländische  Gesinnung  in  wunder- 
barer Weise  mit  einer  universellen  Bildung  vereinigte,  eines 
Mannes,  der  zu  den  bedeutendsten  und  umfassendsten  Gei- 
stern zählt,  die  Deutschland  überhaupt  hervorgebracht  hat 
Leibniz  war  kein  Sohn  des  niedersächsi sehen  Landes,  aber 
er  hat  die  gröfscre  Hälfte  seines  Lebens  hier  verbracht  und 
eine  ungemein  fruchtbare  und  vielseitige  Thätigkeit  hier  ent- 
faltet. Im  Jahre  1070  von  dem  Herzoge  Johann  Friedrich_^ 
als  Bibliothekar  nach  Hannover  berufen,  ist  er  bis  zu  seine 


am  14.  November  1716    erfolgten   Tode   nicht   nur   in   reli- 
giösen und  wiMenschaltlichen  Fragen,  sondern  auch  in  der 
Politik   der    treue  Katgeber    des  welfiacben  Hauses  gewesen. 
Dreien  Fürsten  der  jüngeren  Linie  hat  er  mit  Hingebung  ge- 
dient und  den  beiden  durch  Geist  und  Bildung   ausgezeich- 
netsten Frauen  des  Hauses  hat    er   als  Freund    und    Lehrer 
nahe    gestanden,      ^ine   grolsartige,   fast   alle   Gebiete   um- 
fossende  geiatige  Thätigkeit,  die  ihm  die  Bewunderung  seiner 
Zeitgenossen  und  der  Nachwelt  gewann,  kann  hier  in  ihrer 
Gesamtheit  nicht  geschildert  werden,  wühl  aber  verdienen  die 
hervorragenden  Verdienäte,   die  er   sich   um    die  Geschichte 
des  bruuuschweigiöcheu  Lande»   und   des   welÜM-^hen  Hauses 
erwarb,  eine  kunse  Erwähnung.    Jm  Einverständnis  mit  dem 
Herzoge  Ernst  August  entwarf  er  den  Plan  j,2u  einer  kur- 
zen   aber    gründlichen    Histori    dieses    tUrstlichen    Hauses, 
welche  überall  mit  genügsamen   Dokumenten   zu   besterken 
sei".     Jahrelang  ist  er  dann    mit  unermüdlichem    Eifer   be- 
strebt gewesen,  in  den  Bibliotheken  und  Archiven  Deutsch- 
lands   und   Italiens   die   Quellen    dazu   aufzuspüren    und    zu 
sammeln,    Die  Frucht  dieser  Studien  war  zunächst  die  Her- 
ausgabe  der   „  Scriptores    rerum     Bruns^icensiuni  *'    in    drei 
Bändeuj  welche  in  den   Jahren    1707   bis   1711    im   Druck 
erschienen.     Es  ist  das  ein  Quellenwerk  ersten  llanges,  von 
dem  man  mit  vollem  Recht  gesagt  hat,  dafs  es  als  das  be- 
deutendste   und    gehaltreichste   Unternehmen    dieser   Art   in 
jener   Zeit    bezeichnet    werden    müsse.     Nicht  nur  lür  die 
mittelalterliche  Geschichte  Niedei^sachsens,  sondern   auch  iür 
die    allgemeine   Reichsgeschichte    wui*de    hier   ein    Reichtum 
von  Quellen  erschlossen,  die  entweder  bislier  gar   iuch#  be- 
kannt oder  in  sehr  maiigelhiifter  Weise  ediert  waren.    Nach 
Leibnizens    Plänen    sollte    dies    grorsungelegte   tjammelwerk 
aber  nur  eine  Vorarbeit    iur    die  Geschichte   des   welfischeu 
Fürstenhauses  und  der  von   ihm  beherrschten   Länder  sein, 
die  er  zu  schreiben  beabsichtigte-    Er  gedachte,  das  Fürsten- 
haus in  allen  seinen  Abzweigungen    zu    verfolgen,    da   aber 
diese  Einzeldarstellungen  ohne  die  Geschichte  des  doutscheu 
Reiches,  in  der  sie  wurzeln,  nicht  zu   verstehen   waren,   so 
erweiterte  eich  das  Werk  unter  seiner  Hand   zu   einer   um- 
fassenden Reichsgeschichte,  freilich  unter   vorwiegender  Be- 
rücksichtigung des  braunschweigischen  Hauses   und  Landes. 
So    entstanden    die     „  ßraunschweigisehen    Jahrbücher    des 
Westreiches "   ( Anuales   iraperii   occidentalis    Bnuisviceuses), 
die   mit   Karl    dem    Grofsen    beginnen,    aber   oi^st   bis   zum 
Jahre    1005  /br^gefiilu't  waren,  als   der  Tod   dem  Verfasser 
rite  Fedor  aus    der    Haud    ualim.     ^ä%1   «.wÄ-et^BÄa   X^Vvc- 


Leibniz  und  die  vaterländische  Grescliichtsforscbung.         203 

hunderte  hat  dies  ausgezeichnete  Werk,  das,  wenn  es  früher 
bekannt  geworden  wäre,  unseren  Histonkem  manche  müh- 
same Untersuchung  erspart  haben  würde,  in  der  Bibliothek 
zu  Hannover  vergraben  gelegen,  bis  es  Pertz  aus  dem  Dun- 
kel der  Vergessenheit  hervorzog  und  im  Jahre  1843  ver- 
öffentlichte. Der  ursprüngliche  Plan  Leibnizens,  eine  ur- 
kundliche Haus-  und  Landesgeschichte  zu  schreiben,  zu  der 
er  bereits  mancherlei  Vorarbeiten  gemacht  hatte,  ist  dann 
bis  zur  Zeit  der  Errichtung  des  Herzogtums  Braunschweig- 
Lüneburg  durch  seine  Amtsnachfolger  J.  G.  Eckhart,  Hahn, 
Gruber,  Scheidt  und  Jung  durchgeiuhrt  worden  und  liegt 
in  dem  Prachtwerke  der  „  Origines  Guelficae  "  vor,  die  in  fünf 
starken  Foliobänden  gleichfalls  erst  eine  geraume  Zeit  nach 
Leibnizena  Tode  (in  den  Jahren  1750  bis  1753,  der  letzte 
Band  1780)  erschienen  sind. 


Zweites  Buch. 

Das  Jahrhundert  des  Absolu- 
tismus und  der  Aufklärung. 


Erster  Abschnitt. 
Ber  forstliche  Absolntismus  auf  .seiner  HOhe. 


Von  den  beiden  Linien  des  raittlereu  Huuscs  Lünobtirg, 
die,  von  Ernst  dem  Bekenner  abstammend,  nach  dem  Tode 
Friedricb  Ulrichs  dessen  Erbe ,  die  Fürstentümer  Wolf'en- 
büttel  und  Calenberg,  unter  sich  geteilt  hatten,  war  es  den 
Nachkommen  Heiuiichü  von  Dannenberg  zwar  gelungen^  das 
ihnen  in  jeuer  Teilung  zugefallene  Wollen biittler  Land  in 
vergleichsweise  kurzer  Zeit  dem  trauiigen  Zustünde  zu  ent- 
reil'sen»  in  welclien  ca  der  dreifsigjährigc  Krieg  geatürzt 
hatte^  allein  inbezug  auf  äulsero  Machtstellung  und  politibchea 
Ansehen  waren  sie  doch  von  der  jüngeren,  durch  die  Söhno 
Georgs  von  Lüneburg  vertretenen  Linie  weitaus  überHügelt 
worden.  Die  Erwerbung  des  Kurhutes  und  die  ihr  daraab 
sclion  eröffnete  Aussicht  auf  den  Thron  von  Gi*of8britannien 
hatten  dieser  jüngeren  Lüneburger  Linie  eiuen  Glanz  ver- 
liehen, der  die  Bedeutung  der  älteren  Stammesvettern  in 
Wollenbütte]  tief  in  den  Jrichatten  stellte.  Diese  Thatsache 
wird  es  rechtfertigen,  wenn  unsere  weitere  Darstellung  sich 
zunächst  der  jüngeren  von  den  Linien  des  Braunscbweiger 
Hauses  zuwendet. 

Wir  haben  die  Geschichte  dieses  neueren  Hauses  Lüne- 
burg bis  zu  dem  Zeitpunkte  herab  verfolgt,  wo  die  Fürsten- 
tümei-  Hannover  und  Celle  durch  den  rasch  aul'  einander 
Iblgenden  Tod  der  Herzöge  Ernst  August  und  Georg  Wil- 
helm und  gemäfs  dem  von  dem  ersteren  erlassenen  und  zu 
allgemeiner  Anerkennung  gebrachten  Erbfolgcgesetze  als 
Kui-iürstentum  Hannover  zu  einem  in  Zukuni^  untrennbaren 
Länderbesitze  vereinigt  wurden.  Der  Erbe  dieses  neuge- 
bildeten hannoverischen  Kurstaates  war  Georg  Ludwig,  der 


20« 


Zweites  Bucb      Erster  Abciehnitt. 


älteste  Sohn  Erast  Augusts  und  der  NeflFe  und  Eidam  Georg 
"Wilbelms,  der  uns  bereits  wiederholt  in  unserer  Darstellung 
begegnet  ist.  Geboren  am  28.  Mai  iGüO,  früh  in  die  Staats- 
gesehäfte  eingeführt,  als  Kronpiinz  schon  in  den  Reichs- 
kriegen gegen  Franzosen  und  Osmanen  zum  tüchtigen  Trup- 
pentührur  herangebildet,  war  Georg  Ludwig,  als  er  zur  Re- 
gierung gelangte,  ein  fertiger,  abgeschlossener  Charakter:  ein 
Mann  gleich  seinem  Vater  und  Oheime  von  rücksichtslosem 
Egoismus,  aber  im  Gegensatz  zu  ihrer  gesellig -lebensfrohen 
Art  von  strenger  ZvuUckhaltungj  wortkarg,  und,  wie  die 
Herzogin  von  Orleans  bezeugt,  von  so  unnahbarer  Kälte, 
„dafs  er  alles,  was  in  seine  Nähe  kam,  zu  Eis  verwan- 
delte'^  Selbständig  in  seinen  EntsehlUsseu ,  zäh  und  hart- 
näckig in  ihrer  Verfolgung,  kannte  er  nur  den  eigenen 
Willen,  eine  Herracheniatur,  die  abgesehen  von  ihrer  Leiden- 
schaft fiir  die  Jagd  und  für  schöne  Weiber  kaum  anderen 
Vergnügungen  zugänglich  oder  gar  einer  warmen  Ilcrzens- 
regung  fähig  schien.  Möglich,  daf»  der  unghickliche  Ver- 
lauf seiner  Ehe ,  welche ,  lediglich  aus  Staatsrücksichten 
feschlossen ,  den  Zweiimd zwanzig) übrigen  mit  einer  kaum 
en  Kiuderjahren  entwachsenen ,  ungeliebten ,  ja  ver- 
hafsten  und  verachteten  Frau  verband ,  auf  die  Bildung 
seines  Charakters  einen  ungünstigen  Einäufs  geübt,  mügüch 
auch,  dafs  die  tragische  Katastrophe,  mit  der  diese  Ehe 
endete,  später  auf  sein  Gemüt  eiucn  dunkeleu  Schatten  ge- 
worfen hat.  Üer  wirkliche  Thatbestand  dieser  Vorgänge, 
die  Beziehiuigen  der  Kurprinzesöin  Sophie  Dorothea  zu  dem 
Grafen  Philipp  Christoph  von  Königsmark,  sein  niemals  auf- 
geklärtes Verschwinden  im  Schlosse  zu  Haimover,  die  dar- 
auf folgende  Verhaftung  der  Prinzessin  und  der  gegen  sie 
eingeleitete  Ehescheidungspruzefs,  dies  alles  ist  schon  von 
den  Zeitgenossen  in  so  romanhafter,  zum  Teil  gehässiger 
Weise  ausgeschmückt  worden,  dafs  es  sich  später  zu  einer 
loiTulichen  Legende  von  scheinbar  unzei-störbarer  Dauer  ver- 
dichtet bat.  Es  ist  das  Verdienst  der  neueren  historischesi 
Forschung,  dieses  Gewebe  von  Wahrheit  und  Dichtung,  das 
in  seinem  Ursprünge  auf  die  Römische  Octaviu ,  den  be- 
kannten Roman  Anton  lllrichs  von  Wolfenbüttel,  mit  ihren 
verhüllten  Andeutungen  zurückgeht,  verniciitet  zu  haben, 
und  wenn  es  ihr  auch  nicht  gelungen  ist,  den  Schleier,  der 
diese  Ereignisse  umhüllt,  vöUig  zu  heben,  so  hat  sie  doch 
die  Haltlosigkeit  jener  Legendendichtung  in  einem  grofsen 
Teile  der  von  ihr  überlieferten  Angaben  nachgewiesen.  Die 
eheliche  Verbindung  Georg  Ludwigs  mit  seiner  Base  von 
Celle  mochte  poUtisch  ein  kluger,  glücklicher  Gedanke  sein: 


Sophie  Dorothea^  die  Prinzessin  von  Ahlden. 


209 


''▼on  ethischem  Gesichtspunkte  aus  wird  man  sie  als  schnö- 
den Schacher  mit  dem  Lebensglück  eines  unschuldigen  Kin- 
des bezeichnen  und  demnach  verurteilen  müssen.  Nicht  die 
Herzogin  Sophie,  wie  man  früher  behauptet  bat,  war  es,  die 
-diese  Verbindung  leidenschaflUch  betiieb,  sondern  die  eigenen 
Eltern,  Georg  Wilhehu  und  Eleonore  d'Olbreuze,  haben  sich 
darum  zuerst  bemühet  und  dann  jahrelang  sie  zu  verwirk- 
lichen gesucht.  Nur  mit  "Widerstreben  gab  das  hannövrische 
I^iirstenpaar  seine  Einwilligung  zu  dieser  „alliance  d'Ol- 
treuse  *',  und  niemand  sträubte  sich  länger  dagegen  als  die 
Herzogin  Sophie,  welche  ihrem  Sohne  von  früh  auf  den- 
selben bitterbösen  Hala  gegen  die  Geliebte  ihres  ehemaligen 
Verlobten  und  jetzigen  Schwagers,  sowie  gegen  das  aus 
diesem  Verhältnis  entsprossene  Kind  eingellüfst  hatte,  der 
-aie  selbst  beseelte.  Zuletzt  überwogen  in  Hannover  die 
"Vorteile,  welche  die  Heirat  verhiefs,  alle  äufseren  Bedenken, 
~wenn  auch  nicht  die  innere  Abneigung.  Die  Aussiebt  auf 
■die  sichere,  unantastbare  Nachfolge  im  Fürstentume  Celle, 
^e  reiche  Mitgift  der  Braut,  eine  von  den  Landständen  be- 
"willigte  Heiratateuer  von  150  000  Thalern,  die  Auszahlung 
-einer  Jahresrente  von  50000  Thalern  an  Ernst  August,  bo- 
-wie  endlich  die  Überlassung  der  von  Spanien  und  Holland 
3ioch  zu  fordernden  Subsidiengelder  seitens  seines  Bruders, 
-das  war  der  Pi-eis,  ftir  den  sich  Georg  Ludwig  herbeiiiefs, 
-um  die  Hand  der  secbszehnjährigen  Sophie  Dorothea  zu  wer- 
Ijen.  Am  2.  Dezember  1682  fand  in  Celle  die  Vermählung 
-des  jungen  Paares  statt,  „ohne  Glanz  und  Gepränge,  fast 
in  absichtlicher  Verschwiegenheit  vor  der  Welt".  Es  war, 
-als  ob  der  hannövrische  Hof  der  Scham  Ausdruck  geben 
wollte,  die  er  bei  dieser  Venaiihlung  empfiuden  mochte. 

Dafs  eine  unter  solchen  Umständen  geschlossene  Ehe 
nicht  zum  Segen  führen  würde,  war  xmsebwer  vorauszusehen. 
Die  Prinzessin  Sophie  Dorothea  sollte  bald  den  Druck  der 
Verhältnisse  am  Hofe  zu  Hannover  nur  allzu  schmerzlich 
■erfahren.  Ihre  Schwiegermutter,  stolz  auf  ihre  Abkunft  aus 
dem  königlichen  Hause  der  Stuarts,  behandelte  sie  mit  un- 
verhohlener Verachtung  und  liefs  sie  den  unauslöschlichen 
Hafs  empfinden,  den  sie  ihrer  Älutter  gewidmet  hatte,  seit- 
dem CS  dieser  gelungen  war,  den  Mann  dauei'nd  zu  fesseln, 
der  einst  um  ihre  Hand  geworben,  sie  dann  aber  in  schnö- 
dem Handel  seinem  Bruder  überlasseu  hatte.  Der  Kur- 
prinz teilte  diese  Gefühle.  Er  begegnete  ihr,  in  der  er  nicht 
eine  frei  gewählte  Leben3geföhi*tin,  sondern  eine  ihm  durch 
die    Verhältnisse   aufgedrängte   Last   erblickte ,    mit    eisiger 

HsinenBDB,  BmiiBiebw.'huiaftT.  GtKlilobta.    ITL 


Sit 


Kike  «nd  Wt  bttob  w  den  Enlritt  der  Kfttestiopbe 
•■■e  AbriHit  >«  etfcf  ii  yyjfa^  cok  ScUdsag-  heroed- 
miiibhteu-  Aodi  die  .riiiiwiin  hat  ihreo  Vater  «m  die  £r- 
halmk,  in  das  dtertidie  Uaiu  nirädckeiireo  xn  därfeo. 
Ab  ae  öeb  bier  nträeikgenneaen  mk,  KUo&aeadi  in  ihrer 
FcmDaBBBBg,  etkihet  tob  dem  HinrWi  dar  ilir  überall 
CB^gCMotreteodcn  fetadfinon  Ctniaiiuiig  vsd  dnicb  die  beb- 
loae  Härte  ibrea  GeanU»  aar  VcnwoiQnBg  getrieben,  en^ 
an  eine  ihrer  Eofiianeo,  EkoBors  ron  doB  n  iirarihrii  \  ^  an, 
ya  ae  zog  den  Grafen  ron  Krwij^wtarfcy  qinca.  bw'bffi'itiyii, 
fibelberöcbtigten  Raralier,  der  ais  Obnst  nn  Dienste  ibres 
Sckwiegenrataa  atand,  in  ihr  Vertnuien.  Ihr  Yeriiiltiiis  sa 
dieieiB  Masse  ist  bis  auf  des  hcotigcn  Tag  nnan%dcllrt 
geblieben:  dafs  es  ein  rnwattlicbes  gewesen^  ist  nicht  anzu- 
nehmen. £d  scheint,  dais  ea  äch  am  einen  Fluchtversuch 
nach  Wolfenbüttel  oder  Dresden  gehandelt  hat,  bei  dem  ihr 
Königsmark  behilflich  Bcin  sollte.  Bevor  er  aber  zur  Aus- 
föhrang  kam,  verschwand  jener,  als  er  eben  im  Begriff 
stand,  den  hannüvriäcben  Dienst  mit  dem  knrsfichsischen  zu 
Tcrtaoschen,  apurl'js  am  1.  Juli  lß94  in  Hannover.  Nie- 
mand hat  je  mit  Bestimmtheit  erfahren ,  was  aus  ihm  ge- 
worden,  alle  Bemühungen  seiner  Schwestern,  darunter  der 
bekannten  Marie  Aurora,  eein  Schicksal  aufzuklären,  blieben 
fruchtlos.  Die  Knesebeck  ward  verhaftet  und,  nachdem  sie 
in  einer  Reihe  von  Verhören  die  Treue  zu  ihrer  Herrin 
heldenmutig  bewährt  hatte,  als  Gefangene  nach  der  Burg 
Scharzfeld  gebracht,  wo  ihr  nach  drei  Jahren  eine  an  das 
Wunderbare  grenzende  Flucht  gelang.  Gegen  die  unglück- 
liche Kurprinzessin  aber  ward  nach  vorhergegangener 
Übereinkunft  zwischen  den  Höfen  von  Hannover  und  Celle 
ein  EliescheidimgsprozefB  eingeleitet,  der  sich  zu  einem  reinen 
Öcheinverfahren  gestaltete.    Das  aus  je  zwei  geistlichen  und 

i*e  zwei  weltlichen  Räten  aus  Hannover  und  Celle  gebildete 
Chegericht  sprach  am  28.  Dezember  1694  sein  Urteil  dahin 
aus,  „dafs,  da  die  vonseiten  der  Frau  Kronprinzessin  vor- 
goljrachte  schrill  -  imd  mündliche  Erklärung  für  eine  be- 
ständige Denegation  der  ehelichen  Treue  imd  Beiwohnung, 
mithin  ilir  eine  vorsetzliche  Desertation  zu  halten  seij  das 
eheliche  Band  als  gänzHch  dissolviert  und  aufgehoben  er- 
kUirt  werden  müsse".  Die  Kurprinzessin  wurde  nach  dem 
Amtflbauee  in  Ahlden  verwiesen,  ihr  Name  aus  dem  Kir- 
chengebete entfernt.  Ihr  Vater  hatte  gelobt,  sie  nie  wieder- 
zusehen und  hat  dieses  Versprechen  gebalten.  Man  warf 
ihr  eine  miiisigc  Apanage  aus,  überwachte  und  behandelte 
sie  im  übrigen  wie   eine  GeÜangene.     Zweiunddreifsig  Jahre 


4 


Verelnijpin^  der  fursfeattimer  HAunover  nitd  Celle. 


211 


hat  oie  60  noch  gelebt,  obue  auch  nur  ihre  Kinder  sehen  zu 
darfeD,  nicht  ganz  schuldlos  an  ihrem  Geschick,  aber  doch 
mehr  noch  die  Sunden  ihrer  Eltern  hülsend,  d&s  unglück- 
liche Opfer  ftirstlicher  Entsittlichung  und  der  unehristlichen 
Rachsucht  eines  hartherzigen  und    hochmütigen  Weibes. 

Drei  Jahre  nach  der  Trennung  von  seiner  Gemahlin 
folgte  Georg  Ludwig  seinem  Vater  im  Fürstentume  Hannover 
und  wiederum  sechs  Jahre  darauf  seinem  Oheime  und 
Schwiegervater  im  Fürstentume  Celle.  Damit  war  das  Ziel 
erreicht,  wonach  Jimst  AuguBt  jahrelang  mit  Aiü'bietung 
aller  Kräfte  gerungen,  an  dorn  er  trotz  aller  äufsereu  Hin- 
dernisse, trotz  des  AViderstandes  in  der  eigenen  Familie  un- 
beirrt und  unentwegt  festgehalten  hatte :  die  Vereinigung  doe 
gesamten  Erbes  der  jüngeren  Lüneburger  Linie  unter  einer 
Herrschal't  und  in  einer  Hand.  Mitten  in  die  Zeit  zwischen 
jenen  beiden  Ereignisaen  fällt  die  entscheidende  Wendung 
in  der  englischen  Successionsfrage,  indem  das  Parlament  am 
22.  Juni  17ui  die  lierechtigimg  der  itrotestantischen  Nach- 
kommen Jakobs  1.  zu  dem  englischen  Throne  unter  Aus- 
schlufs  der  katholischen  Prätendenten  ans  dem  Hause  Stuart 
durch  eine  feierHche  Akte  anerkannte.  Damit  erüffneten  sich 
zunächst  für  die  verwitwete  Kurftirstin  Sophie  und  weiter- 
hin für  ihren  Sohn  Georg  Ludwig  neue  glänzende  Aus- 
sichten, deren  Verwirklichung  das  Kurhaus  Hannover 
an  die  Spitze  einer  dei*  mächtigsten  Monarchieen  der  Welt 
zu  bringen  versprach.  Bei  der  ungemeinen  Bedeutung, 
welche  diese  Angelegenheit  für  die  weitere  Gestaltung  der 
Geschicke  des  Landes  Hannover  und  seines  Herrscher- 
hauses gehabt  hat,  erächeint  es  angemessen,  ihren  bisherigen 
Verlauf  hier  kurz  zusammenfassend  nachzuholen  und  bis 
zu  dem  Momente  zu  verfolgen,  wo  jene  eutscheideude  Wen- 
dung eintrat 

Die  Zurückberufung  der  Stuarts  auf  den  Thron  von 
Grofsbritannien  nach  der  grofsen  Revolution,  welche  in  Eng- 
land das  Königtum  zeitweilig  beseitigt  hatte,  führte  hier 
einen  staatlichen  Zustand  herbei ,  der  infolge  der  Mifs- 
regierung  Karls  II.  und  Jakobs  U.  nicht  von  langer  Dauer 
gewesen  ist  Diese  zweite  Herrschaft  des  schottischen  Kö- 
nigsgeschlechtes  hat  sich  nicht  einmal  zwei  Jahrzehnte  hin- 
durch zu  behaupten  vermocht  Die  Bewegung ,  die  sie 
stürzte,  trug  freilich  auch  einen  politischen  Charakter,  aber 
sie  erhielt  doch  ihren  müchligsten  Impuls  aus  den  religiösen 
Anscbauimgen  und  Geiuhlen  des  englischen  Volkes.  Die 
beiden  letzten  Stuarts  waren  die  Vertreter  des  auf  daa  Rq- 
maueDtnin  gT^grändetejo  Katholizismus  gewesen,  'lÄüoiexi  ^«i'^^"^- 


812 


Zweites  Bacb.    Elfter  Abschnitt. 


über  erscheint  Wilhelm  IIJ.  als  der  Hort  des  aus  germa- 
niachcni  Grciste  herausgeborenen  Protestantismus.  Man  be- 
greift danach,  dafs  die  „Bill  of  Rights*',  das  grundlegende 
Staatsgesetz,  welches  alsbald  nach  Jakobs  II.  Flucht  die 
neue  Rechtsordnung  im  Staate  zu  regeln  und  festzustellen 
unternahm,  die  Regierungsgewalt  wie  die  Erbfolge  von  die- 
sem Gesichtspunkte  aus  betrachtete.  Man  hielt  sicli  streng 
an  die  Grundsätze  der  Legitimität  und  des  Krbkönigturas, 
aber  mau  schlofs  die  katholische  Linie  der  Stuarts  für  immer 
von  der  Erbfolge  aus,  indem  man  Marie  und  Anna,  die 
beiden  Töchter  Jakobs  aus  dessen  erster  Ehe,  als  zunächst 
zum  Throne  berechtigt  anerkannte.  Wenn  diese  Erbfolge- 
ordnung im  Grunde  nur  soweit  neu  war,  als  sie  an  die 
Stelle  der  katholischen  Stuarts  die  protestantische  Linie  dieses 
Hauses  setzte,  so  folgt  daraus,  dafs  nach  dem  etwaigen  kin- 
derlosen Abgange  jener  beiden  Töchter  Jakobs  II.  die  üb- 
rigen protestantischen  Stuarts  gemäfa  dem  Grade  ihrer  Ver- 
wandtschaft in  deren  Rechte  eintraten,  obscbon  eine  solche 
Bestimmung  nicht  ausdrücklich  in  der  Bill  zum  Ausdruck 
gekommen  ist.  Für  den  angedeuteten  Fall  kam  dann  ohne 
Zweifel  die  Herzogin  Sophie,  die  Gemahlin  Ernst  Augusts 
von  Hannover,  zunächst  in  Betracht.  Sie  war,  wie  früher 
erwähnt,  die  Enkelin  Jakobs  I.  voa  England ,  die  jüngste 
von  den  Töchtern  Friedrichs  V.  von  der  Pfalz  und  Elisa- 
beths Stuart ,  hatte  ihre  sämtlichen  zahlreichen  Geschwi- 
ster, soweit  dieso  nicht  katholisch  gewoi'den  waren,  überlebt, 
auch  nie  auf  ihr  etwaiges  Erbfolgerecht  in  England  ver- 
zichtet hatte.  Wir  kennen  sie  bereits  als  eine  kluge,  geist- 
reiche, witzige,  aber  auch  herrschsüchtige  und  ehrgeizige 
Frau.  Sie  hat  wohl  geäufsert,  sie  werde  glücklich  sterben, 
wenn  auf  ihrem  Sarge  einst  geschrieben  stände:  „Hier 
ruhet  Sophia,  Königin  von  England."  Mit  Wilhelm  IH 
stand  sie  schon  seit  längerer  Zeit,  noch  als  dieser  nur  Prinz 
von  Oranien  war,  in  Briefwechsel.  Bei  der  bisherigen  Un- 
fruchtbarkeit seiner  Ehe  mit  der  Königin  Mario  und  bei 
der  Sterblichkeit,  welche  die  Kinder  seiner  mit  dem  Prinzen 
Geoi^  von  Dänemark  vermahlten  Schwägerin  Anna  iast 
sämtlich  bei  oder  gleich  nach  der  Geburt  dahinraffte, 
mufsten  sich  Wilhehns  Blicke,  wollte  er  den  Bestand  seines 
Werkes  in  England  sichern,  alsbald  nach  seiner  Thron- 
besteigung auf  die  Herzogin  Sophie  von  Hannover  richten. 
Schon  in  den  Jahren  1688  und  1689  ist  zwischen  ihnen 
darüber  verhandelt  worden,  ob  es  nicht  geboten  sei,  Sophiens 
©ventuoUo  Erbrechte  vor  das  Parlament  zu  bringen  und  wo- 
mögUch  von  diesem  eine  Aaerkenuvm^  d&x^VVsesL  t^x  erlangen. 


Die  englische  Succession. 


213 


Allein  obsohon  die  Herzogin  es  nicht  unterliefs,  sicli  brief- 
lich darüber  mit  einer  Anzahl  britischer  Staatsmänner  in 
Verbindung  zii  setzen,  30  waren  diese  doch  der  Ansicht, 
dals  im  Hinblick  auf  die  beiden  noch  lebenden  Tüchtcr  des 
Königs  Jakob  und  aui"  die  gerade  damals  (24.  Juli  1G89) 
erfolgte  Oeburt  eines  Sohnes  der  Prinzessin  Anna  eine 
öflfentliche  DiskusBion  der  Angelegenheit  unangemeasen,  jeden- 
falls aber  verfrühet  sein  würde.  So  liefs  man  diese  zunächst 
auf  sich  beruhen.  Der  wUrmste  Fürsprecher  der  hannöv- 
rischcn  Erbfolge  war  und  blieb  König  Wilhelm  III ,  wiih- 
rend  sich  seine  Gemahlin  ihr  gegenüber  mindestens  zurück- 
haltend, ilire  Schwester  Anna  sogar  ablehnend  verhielt.  Bei 
Gelegenheit  zweier  persönUcher  Begegnungen  Wilhelms  mit 
dem  Kurfürsten  Ernst  August,  H>96  in  Leo  und  in  dem 
folgenden  Jahre  auf  dem  Jagdhause  Göhrde  bei  Hitzacker, 
haben  zwischen  dem  englischen  Könige  und  den  Vertretern 
des  Luneburger  Hauses  eingehende  Erörterungen  über  die 
brennende  Frage  stattgefunden,  doch  konnten  diese,  wie  die 
Dinge  damals  noch  lageu ,  zu  keinem  günstigen  Ergebnis 
führen.  Dies  änderte  sich  erst,  als  am  10.  August  1700 
das  einzige  am  Leben  gebliebene  Kind  der  Prinzessin  Anna, 
der  elljährige  Herzog  Wilhelm  von  Gloucester,  starb  und 
daraus  die  Notwendigkeit  sich  ergab,  die  Lücke,  welche  die 
Beatimmungen  der  Bill  of  lÜghts  inbczug  auf  die  Erbfolge- 
frage offen  gelassen  hatten ,  durch  einen  gesetzgeberischen 
Akt  auszutullen.  Denn  indem  die  Bill  sich  damit  begnügt 
hatte,  im  aUgemeinen  die  Ausschliefsung  der  katholischen 
Nachkommen  schalt  Jakobs  IL  von  der  Thronfolge  auszu- 
sprechen, hatte  sie  es  doch  vermiedenj  lur  den  jetzt  näher 
gerückten  Fall,  dafs  die  beiden  protestantischen  Töchter  des 
KCnigs  ohne  Kinder  sterben  würden ,  bestimmte  und  un- 
zweideutige Verfügungen  zu  treffen.  Man  erkannte  in 
Hannover  wie  in  England  sehr  wohl,  dafs  jetzt  der  günstige 
Augenblick  zum  Handeln  gekommen  sei.  In  England 
fürchtete  man  erneuete  Umtriebe  der  Jakobiten  zum  Zweck 
der  Zurückberufung  des  vertriebeneu  Königs,  von  Hannover 
aus  setzte  die  Kurtiirstin  Sophie  trotz  ihres  hohen  Altera 
alle  Hebel  in  Bewegung,  um  eine  für  sie  und  ihre  Ansprüche 
günstige  Wendung  herbeiziiführen.  Am  22.  Februar  1701 
trat  das  Parlament  zusammen.  Mit  einer  nur  geringen  Mehr- 
heit (achtzelm  Stimmen)  beschlofs  es  an  den  König  eine 
Adresse  zu  richten,  welche  die  Bitte  ausspräche,  dem  Hauso 
Vorschläge  über  die  KegeLung  der  Erbfolge  im  lsv\t\%<^tÄ■ft. 
Reiche  zu  nDtcrbrnteu,  Bereitwillig  entaiptaeV  \^'^'e^'k^^^^- 
dieser  Außorderung.      Er    empfahl   dem    ivjLtGXi   öag  "^"^  ^*^ 


2U 


Zweites  Buch.     Krater  Äbscbuitt. 


Kigbts  modifizierten  Legitiniitätsrochte  entsprechend  filr  den 
Fall  des  kinderlosen  Todes  der  Prinzessin  Anna  die  Knr- 
förstin  Sophie  und  ihre  männliche  Nachkomme nschaft  als 
Kächstberechtigte  zur  Krone  anzuerkennen.  Demgemäfs  er- 
ging  am  22.  Juni  1701  das  berülinite  Throntbigegesetz  (An 
act  of  the  turther  limitation  of  thc  orown  and  better  securing 
the  rights  and  liberties  of  thc  subjects),  welches  nicht  nur 
nochmals  den  Sohn  Jakobs  II.,  zu  jener  Zeit  unter  dem  Na- 
men des  PrUteudeuten  bekaimt,  und  die  übrigen  kathoUschen 
Erben  von  der  Nachfolge  im  Reiche  ausschloi'sj  sondern  auch 
die  Krone  Grofsbritaoniens  nach  dorn  unbeerbten  Abgange 
der  Prinzessin  Anna  auf  die  KurfUrstin- Witwe  Sophie  von 
Hannover  übertrug.  Eine  Reihe  ein  scli  ranken  der  Bestim- 
mungen wurde  dem  Gesetze  hinzugefügt ,  von  denen  sich 
einige  unverkennbar  auf  das  künftige  Verhältnis  des  Landes 
zu  dem  Kurstaate  Hauuover  bezogen.  Abgesehen  davon, 
dafs  dem  künftigen  Thronfolger  die  Bedingung  der  Zuge- 
hörigkeit zui*  anglikanischen  Kirche  auterlegt  wai'd,  verbot 
ihm  das  Gesetz  auch,  ohne  Einwilligung  des  Parlaments 
die  Gebiete  von  England,  Schoitlaud  und  Irland  zu  ver- 
lassen. Vor  allem  aber  gehört  hierher  die  Bestimmung,  dafa, 
falls  der  Thronfolger  kein  Eingeborener  des  Königreichs 
England  sei,  die  Nation  nicht  verpflichtet  sein  sollte ,  sich 
ohne  Zustimmung  des  Parlaments  an  einem  Kriege  zu  be- 
teiligen, der  um  Besitzungen  und  Gebiete  gefühi*t  würde, 
welche  der  englischen  Krone  nicht  gehörten.  Diesem  Gesetze 
folgte  im  nächsten  Jahre  (1702)  ein  zweites  unmittelbar 
gegen  den  Prätendenten  gerichtetes ,  welchem  Wilhelm  III. 
wenige  Stunden  vor  seinem  Tode  die  königliche  Bestätigimg 
erteilte.  Es  war  veranlafst  worden  durch  den  Tod  des  ver- 
triebenen Königs  Jakob  II.  und  durch  den  Umstand,  dafs 
dessen  Sohn  sofort  nicht  nur  unter  dem  Namen  Jakob  III. 
den  Titel  eines  Königs  von  Grofsbritannien  annahm,  sondern 
auch  von  Ludwig  XIV.  vou  Frankreich  bereitwillig  uud^dl 
ohne  Zögern  in  dieser  AVurde  anerkannt  wurde.  ^H 

Eine    aufscrordentliche    Gesandtschaft ,    an    ihrer    Spitze 
Lord  Jlacclesöeld,  überbrachte  die  vom  Könige  Wilhelm  III.  ^j 
vollzogene  Originalurkunde  des  Thronfolg^esetzes  nach  Han-^^ 
nover,  zugleich  mit  den  lusignien   des  Hosenbandordens  für^^ 
den  Kurlursten   Georg  Ludwig.     Sie    wurde    in  feierlicher 
Audieuz    von    der   Kurfürstin   Sophie  empfangen.      Mit   Be- 
wunderung  bemerkten    die  Anwesenden,   wie   lebenskräftig 
und  geistesfrisch  die  bejahrte  Frau  noch  immer  auftrat,  wie 
gewandt  sie  sich  der  engUscben  ^ipva.<alftft  \«;diettte ,  wie  ver- 
tj-auet  a/e  sich  mit  der  Ge&cViicbto,  deT\(5i:^aa?wa^,  ^tiW^N 


rer-^y 

J 


AuerkenDung  der  bannövrischen  Thronfolge  in  EDglaud.      215 


ratur  des  Landes  zeigte,  das  ilir  als  ihrer  künftigen  Herr- 
scherin seine  Huldigungen  darbrachte.  Auch  ihi*  gelehrter 
Freund  Leibniz,  dessen  Rat  sie  bei  ihren  Schritten  und 
Verhandlungen  bezüglich  ihrer  Ansprüche  auf  den  eng- 
lischen Thron  stets  in  Anspruch  genommen  hatte,  war  zu- 
gegen. Auf  ihn  machte  die  wunderbare  Verflechtung  der 
Verhältnisse,  die  jetzt  die  Erben  Heinrichs  des  Löwen  zu 
Beherrschern  des  Landes  zu  erheben  verhiel's ,  in  welchem 
dieser  einst  als  ein  Verbannter  Zuflucht  und  Schutz  gesucht 
hatte,  den  tiefsten  Eindruck.  „Möge  nun  auch"  —  so 
äufserte  er  sich  im  Hinblick  auf  die  gi"ofse,  damals  in  un- 
mittelbarer Aussicht  stehende  Abreclmung  mit  dem  gallischen 
Ubermute  —  „möge  nun  auch  im  deutschen  Keiche  das  Er- 
forderliche geschehen,  um  die  übergreifende  Macht  zu  zügeln, 
welche  der  ganzen  M'^elt  Gesetze  vorschreiben  will'*. 

Das  hannövTische  Haus  hat  es  nicht  daran  fehlen  lassen, 
diesen  Wunsch  des  grofsen  Gelehrten  und  Philosophen  seiner 
EriüUung  entgegenzuluhren.  Soweit  dies  in  seiner  Macht 
stand,  hat  es  redlich  dazu  beigetragen,  in  dem  gewaltigen 
Kampfe,  den  man  den  spanischen  Erbfolgekrieg  nennt,  der 
SacliG  des  gegen  Frankreich  verbündeten  Europa  zum  Siege 
zu  verhelfen.  Diese  Politik  war  keine  Get'ühlspolitik,  sondern 
sie  war  dem  Fürsteuhauso  durch  seine  vitalsten  Literessen, 
ja  durch  die  zmngende  Macht  der  Verhältnisse  vorge- 
schi'ieben.  Noch  widerstrebte  der  Bund  der  korrespon- 
dierenden Fürsten  der  neunten  Kur,  und  diese  Füraten- 
einuug  stand  in  geheimem  Ein  Verständnisse  mit  Frankreich. 
Als  ihr  Bevollmächtigter  hatte  der  französische  Gesandte 
in  Regensbiirg  beim  Reichstage  gegen  die  Verleihung  dieser 
Würde  Verwahruug  eingelegt.  Koch  war  die  Einführung 
Georg  Ludwigs  in  das  Kui-kollegium  nicht  erfolgt,  und  man 
war,  um  sie  zu  erlangen,  auf  den  guten  Willen  des  Kaisers 
angewiesen.  Die  oben  dargelegten  Verhandlungen  wegen 
der  Thronfolge  in  England  hatten  soeben  ilu-en  Abschlufe 
gefunden.  Von  einer  Wahl  zwischen  einer  tranzösisclien  und 
englischen  Allianz  konnte  demgemäfs  keine  Rede  sein.  Es 
verstand  sich  vou  selbst,  dafs  die  lüneburgischen  Gesandtea 
in  Regensburg  im  Sinne  des  Kaisers  wirkten  und  dafs  die 
hannovrisclien  Truppen  in  englischem  Solde  fochten. 

Noch  ehe   die   Feindseligkeiten   auf  den   grofsen   Schau- 
plätzen dieses  Krieges  begannen,  mufsteu  die  lüneburgischen 
und  hannövrischen  Streitkräfte  zur  Niederwerfung  des  Wider- 
[      Standes  verwandt  werden,  den   die  Herzüge  Rudolf  August 
I      und    Anton    Ulrich    im   Anschlufs   an   Frankreich   den  ver- 
bündeten Mächten  bereiten  zu  wollen  acVu^nieu.  "Sv^  «tt^^jäft.- 


ten  dies  durch  einen  unblutigen  Feldzug,  der  zur  Eutr- 
waÖnung  der  Wolfenbüttler  Truppen  und  zur  Besetaung  des 
Landes  führte  (S.  121).  Dann  rückte  der  gröfsere  Teil  des 
auf  16  0ÜÜ  Mann  festgesetzten  cclle-haniiüvrischen  Hilfskorps 
an  den  Niederrhein,  um  hier  zu  dem  von  den  Seemächten 
zusammengezogenen  Heere  unter  dem  Heraoge  von  Marl- 
borough  zu  atolsen.  Die  Feldzüge  der  Jahre  1702  und  1703 
brachten  keine  grofse  Entscheidung.  Am  Rhein  zersplitterte 
man  seine  Kräfte  in  einem  Festungskriege  ohne  nennenswerte 
Resultate.  Aber  im  Jahre  1704  fafsten  die  beiden  grofsen 
Heertiihrer  der  Verbündeten,  Eugen  von  Savoyen  und  Marl* 
borough,  den  kühnen  Entschlufs ,  durch  eine  Vei'einigung 
ihrer  titreitki-äfte  in  Süddeutachland  und  einen  kombinierten 
Angriff  auf  das  französisch  -  bayerische  Heer  einen  zer- 
schmetternden Schlag  zu  tühreu.  Am  2.  Juli  wurden  die 
bayerischen  Verschanzungen  auf  dem  Schellenborge  bei 
Donauwörth  von  Marlborough  und  dem  Markgrafen  von 
Baden  unter  Beteiligung  der  braun  seh  weigischen  Truppen 
nach  hartnäckigem  Kampfe  erstürmt,  und  am  13.  August 
erfolgte  nach  Bewerkatelligung  der  Verbindung  mit  Eugen  die 
Schlacht  von  HüchstUdt,  in  welcher  die  Franzosen  und 
Bayern  unter  dem  Marschall  Tallard  und  dem  Kurfürsten 
Max  Emmanuel  von  Bayern  vollständig  aufs  Haupt  ge- 
achlagen,  zersprengt  und  gefangen  wurden.  Au  diesem  glor- 
reichen Siege,  der  seit  den  Tagen  Richelieus  dem  kriegerischen 
Übergewichte  Frankreichs  den  ersten  erschütternden  Stofs 
beibraciite,  haben  auch  die  haunövrischen  Truppen,  nament* 
lieh  die  Reiterei ,  einen  hervorragenden  Anteil  genommen, 
wie  ihre  vergleichsweise  grofsen  Verluste  und  die  von  ihnen 
erbeuteten  Trophäen  (einunddrei ftig  Fahnen  und  vier  Stan- 
darten) bezeugen.  Auch  im  weitereu  Verlaufe  des  Kriege» 
hatten  die  hannövriachen  Regimenter  noch  vielfach  Gelegen- 
heit, sich  auszuzeichnen  und  kriegerische  Lorbeeren  zu  ern- 
ten. Sie  fochten  mit  bei  Rarailliea  und  Oudenardft  und  er- 
warben sich  namentlich  in  der  mörderischen  Schlacht  von 
Malplaquet  (11.  September  1709)  unvergänglichen  Kriegs- 
ruhm. Einen  Teil  der  Feldzüge  in  den  Niederlanden  machte 
auch  der  Kurprinz  Georg  August  mit,  der  zu  dem  Heere 
geschickt  worden  war,  um  im  Hauptquartier  Marlborougha 
und  unter  dessen  persönlicher  Leitung  die  Kriegskunst  zu 
erlernen.  In  der  Sclilacht  bei  Oudenarde  (11.  Juli  1708) 
machte  er  an  der  Spitze  der  Lcibschwadron  von  Bülows 
Dragonern  einen  glänzenden  Angriff,  wobei  ihm  das  Pferd 
unter  dem  Leibe  getötet  ward  und  er  nur  durch  die  Auf- 
opferung des  Obristen  von  Lösecke  der  Oefangenschafl  ent- 


HinnoTers  Teilnähme  am  spamaohen  Erbfolgekriege.         817 

ging.  Sein  Vater,  der  Ktirtlirst  Georg  Ludwig,  hatte  sich 
nach  dem  Rücktritt  des  Markgrafen  von  Balreuth  im  Jahre 
1707  bestimmen  lassen,  als  Reicbst'eldraarschall  den  Ober- 
belelil  über  das  aus  den  Trappen  der  kleineren  Stünde  ge- 
bildete Reichsheer  zu  übernelimen,  mufste  sich  aber  bald 
tiberzeugen ,  dafs  mit  diesen  bunt  zusammengewürfelten, 
zuchtlosen  und  ungeübten  Mannschaften  keine  Eiiblge  zu 
erringen  seien.  Milsmutig  und  verstimmt ,  legte  er  daher 
schon  im  Januar  1710  sein  Kommando  nieder  und  gab  zu 
derselben  Zeit  auch  seinen  Truppen  den  Befehl  zui*  Rück- 
kehr in  die  Heimat. 

Es  war  wohl  nicht  allein  der  Unmut  über  die  mangel- 
hatte  Kriegstüchtigkeit  der  ihm  unterstellten  Armee,  was 
Georg  Ludwig  zu  diesem  Schritte  bewog.  Gerade  zu  dieser 
Zeit  begannen  die  Verlialtnisse  im  Nurden,  an  den  Grenzen 
des  Kurstaates,  sich  in  bedenklicher  ^Veise  zu  verwickeln. 
Karl  XII.  von  Schweden  hatte  nach  der  Niederlage  von 
Puitawa  in  der  Türkei  eine  Zuflucht  gefunden.  Seinen  iiinf- 
jährigen  Aufenthalt  ia  diesem  Lande,  fern  von  den  Gebieten, 
wo  doch  die  Entscheidung  des  ihm  aufgezwungenen  Krieges 
lag,  benutzten  seine  trüberen  Gegner,  um  ihr  altes,  durch 
seine  Waffenerfolge  zersprengtes  Bündnis  zu  erueuorn.  August 
der  Starke  brach  den  Altranstädter  Frieden,  fiel  in  Polen 
ein,  eroberte  Warschau  und  trieb  Stanislaus  Lesczcinski, 
den  Schützling  der  Schweden,  aus  dem  Lande.  Da  mochte 
sich  auch  Künig  Friedrich  IV.  von  Dänemark  die  günstige 
Gelegenheit  nicht  entgehen  lassen,  die  früher  erlitteue  Nie- 
derlage wett  zu  macheu.  Ein  dänisches  Heer  besetzte  die 
Herzogtümer  Bremen  und  Verden  und  rückte  iu  Pommern 
ein,  um  hier  den  verbündeten  Russen  und  Sachsen  die  Hand 
zu  reichen,  ward  aber  bei  Gadebusch  von  dem  schwedischen 
General  Stenbock  völlig  aufs  Haupt  geschlagen.  Als  dieser 
dann  aber  Altona  verbrannte  und  in  Holstein  einfiel,  ward 
er  von  den  Streitkräften  der  Verbündeten  bei  Tönningen 
umringt  und  mufste  sich  ihnen  mit  seinem  ganzen  Heere 
ergeben  (1713).  Diese  Vorgänge  haben  otfenbar  auf  den 
Entschlufs  Georg  Ludwigs,  den  Kriegsschauplatz  am  Rhein 
zu  verlassen  imd  in  seine  Länder  zurückzukehren,  mit  ein- 
gewirkt. Es  konnte  ihm  nicht  gleicligültig  sein,  wenn  an 
der  Stelle  des  entfernter  gelegenen  Schwedens  sich  die  dä- 
nische Macht  in  den  Herzogtümern  Bremen  und  Verden 
festsetzte,  Ländern,  auf  welche  niemand  bessere  und  be- 
gründetere Rechte  Iiatte  als  das  Braunscliweiger  Haus,  welche 
diesem  aber  durch  die  Uuguust  der  VerbäUriisse  zur  Zeit 
de»  westfUlischen  Friedens   verloi'engegangen   waren.     WUh- 


L 


218 


Zwdtct  Bacb.    Enter  Abschnitt. 


I 


rend   daher   die  Dänen   sich   wieder   im    Bremischen    ana- 
breiteten,  besetzte  er,  um  sich  auf  alle  Fälle  ein  Faustpf&od 
l&r  die  i^ätercn  Friedenavetbandiun^a  zu  sichern,  Verden 
und  Ottcr»berg.     Zu<i^leicb  schien  es  ihm  jetzt   an   der  Zeit,  fl 
AUS  der  neutralen  Stellung,  die   er  bislang  behauptet   hatte,  V 
herauHzutreteo.     Er  Bchlofs  sich   —   es    war  dtes   in   dem- 
wlben  Jahro,  wo  »ich  ihm  endlich  der  Weg  zum  engÜaciien 
Throne  ebnete  —    den  Gegnern   Schwedens    an,    liels  seine 
Tmitpen  zu  dem  Heere  der  Verbündeten  in  Ponunem  stoCsen 
und    suchte    durch     Verträge    und     Darlehen    auf    Pfand- 
Bchaft    aich     den    künftigen    Besitz    der    begehrten    Länder 
zu    flichero.     Diese   Verhandlungen  fanden    zu   Ende    1714 
und  zu  Anfang  1715   auf  einem  Kongrease  der    beteiligtea 
Mächte  in  ßraunschweig  statt,  wo  im  Mai  des  letztgenannten 
Jahres   zwischen  Kurhannover   und   Dänemark   ein  Bündnis 
zur  Bekriegung   und    Vertreibung   der  Schweden    aus   ihren 
aiaherigcn    dcutaclieu    Provinzen    abgeschlossen    ward.      Die 
lerzogtiimcr  Bremen  und  Verden  versprach  der  König  von 
Dänemark    dem   Kurfürsten   gegen    eine   angemessene  Geld- 
entBchädigung  einzuräumen.     Über  diese  waren  dann  freilich 
noch  lange  Verhandlungen  nötig,  doch  gelang  es  endlich  am 
26.    Juni    1715    in   der   Kopenhagener   Konvention    darüber 
eine  Einigung  Iierbeizuführen.    Danach  sollte  Dänemark  von 
Hannover  die  Summe  von    695  000  Thalern   ausgezahlt   er- 
halten und  ihm  dagegen  die  eroberten  Herzogtümer  in  ilu-em 
ganzen    Umi'augo    abtreten.      Am    14.   Oktober    erfolgte   zu 
Stade,  nachdem   der  Künig    von  Dänemark   die    Einwohner 
des  ibm  geleisteten   Eidea   entbunden    hatte,   die  Huldigung 
der  Stände,  und  hannövrische  Regimenter  nahmen  das  Land 
füi'  den  Kurturaten,  ihren  Herrn,  in  Besitz.    Schweden  legte 
freilich   hiergegen   feierlich    Verwaiu*ung   ein,    bei    dem    un- 

fünstigen    Verlaufe   aber,    den    der    Krieg    namentlich    seit 
[arla  XU.  Tode  vor  Friedcrikshall   für   diese  Macht  nahm, 
•  aali  es  aich  spiiter  im  Stockholme^r  Friedon  (1719)  genötigt, 
auf  seine  Rechte  an  den  Herzogtümern  zu  verzichten.    Gegen 
die  Zahlung  von  1  185  476  TJialern  entsagte  es  allen  seinen 
AnB]n'ücheii  an  sie  und  trat  sie  an  Hannover  ab. 

Es  war  eine  schöne  Erwerbung ,  welche  dieses  da- 
mit gemacht  hatte,  doppelt  wertvoll,  weil  es  damit  die  See- 
küBte  gewann  und  die  Müudung  von  zwei  grofsen  deutschen 
Strömen  in  seine  Gewalt  bekam.  Dies  war  von  um  so 
grölserer  Bedeutung,  als  sich  inzwischen  die  staatsrechtliche 
Verbindung  Hannovers  mit  der  ersten  Seemacht  der  Welt 
vollzogen  hatte.  Wh*  haben  den  Verlauf  der  englischen 
rArouib/g'eaagelegenheit  und  die  datüber  gepflogenen  Ver- 


I 


PartciuDgcn  im  eDgtischen  Parlamente. 

handlungeD  bis  zu  dem  Zeitpunkte  verfolgt,  wo  durch  das 
Gesetz  vom  22.  Juni  1701  der  einstige  Üborgang  der  eng- 
Hschen  Krone  auf  das  Haus  Hannover  gesichert  erschien. 
Trotzdem  liatte  sich  seit  dieser  Zeit  eine  Strömung  in  Eng- 
land geltend  gemacht,  welche  geeignet  war,  seine  Aussichten 
zu  trUben  und  seine  Hoffnungen  auf  einen  günstigen  Aus- 
gang der  Sache  herabzustimmen.  Kurz  nach  der  Verkün- 
digung jenes  Gesetzes  war  König  W^ilhelm  III.  gestorben. 
Mit  ihm  verlor  die  hannövrische  Partei  ihren  eifrigsten  und 
beredtesten  Anwalt.  Zwar  erklärte  seine  Nachfolgerin,  die 
toryistischen  Grundsätzen  sich  zuneigende  Königin  Anna,  an- 
gebUch  infolge  einer  Unterredung,  die  sie  kurz  vor  dem 
Tode  des  Könige  mit  diesem  gehabt  hatte,  sie  werde  die 
äufsere  wie  die  innere  Politik  Englands  in  dem  Geiste  dea 
grofsen  Oraniers  weiteHUhren,  und  darin  lag  zugleich  eine 
Anerkennung  und  Billigung  der  hannövrischen  Succession. 
Auch  legte  sie  die  Regierung  in  die  Hand  von  Männern, 
welche  entweder  entschiedene  Whigs  waren  oder  sich  doch, 
wie  Marlborough  und  Lord  Siduey  Godolphin,  in  ihren  An- 
eichten dieser  Partei  nälierten.  Allein  die  Königin  ver- 
mochte sich  nur  schwor  von  dem  Einflüsse  loszureifsen,  den 
die  Tories  bisher  auf  sie  ausgeübt  hatten,  ihre  hochkirch- 
liche Richtung  entfernte  sie  gleichfalls  von  den  Whigs  und 
dazu  gesellte  sich  eine  leicht  erklärliche  Abneigung  gegen 
diese  Leute,  welche  nicht  aufhörten,  von  der  Eventualität 
ihres  Todes,  vor  dem  sie  eioe  aufsergewöhn liehe  Furcht  em- 
jifand,  zu  reden  und  ihre  Nachfolgerin  schon  jetzt  als  solche 
zu  bezeichnen.  So  kam  es,  dafs  die  Tories  in  den  Jahren 
1703  und  1704  eine  allmählich  wachsende  Bedeutung  für 
die  Staatsgesc hafte  erlangten  und  den  bisher  mafsgebenden 
Eintlufs  der  Gegenpartei  zu  beseitigen  droheten.  Da  nahmen 
bei  den  Neuwahlen  zum  Parlameu  t  im  Jalire  1 705  die 
Whigs  alle  ihre  Kräfte  zusammen,  und  es  gelang  ihnen,  sich 
in  ihrer  bisherigen  Stellung  zu  behaupten.  Nun  aber  kam 
die  Gegenpartei  auf  den  verwegenen  Gedanken,  durch  einen 
ecblau  angelegten  Streich,  bei  dem  die  hannövrische  Ange- 
legenheit eine  Hauptrolle  spielte,  ihren  Wideraachem  das 
Vertrauen  der  Königin  zu  entziehen.  Am  26.  November 
1705  beantragte  ihr  Sprecher  Lord  Haversham  eine  Adresse 
an  die  Königin,  in  welcher  diese  aufgefordert  wurde,  die 
Kui-furatin  von  Hannover  als  künftige  Thronerbin  zur  Ver- 
legung ihres  Wohnsitzes  nach  England  zu  veranlassen.  So 
ward  die  wichtigste  Angelegenheit  des  Landes  zu  einer  un- 
würdigen Parteizettclung  gemacht.  Die  leicht  zu  durch- 
schauende  Absicht    ging  dahin,    durch    diesen  Antrag  die 


220 


Zweites  Buch.    Erster  Abschnitt. 


Whigs  in  die  peinliche  Lage  zu  versetzen,  entweder  ihre 
bisherigen  politischen  Grundsätze  zu  verleugnen  oder  daa 
Vertrauen  der  Königin  einziibüfseu.  Sie  wufsten  indes  mit 
vielem  Geschick  die  ihnen  gelegte  Falle  zu  vermeiden.  Sie 
stimmten  gegen  den  Antrag,  weil  er  sich  als  eiucj  Privatsache 
nicht  zur  öffentlichen  Debatte  eigne.  Der  Kurtiirstin  Sophie 
gegenüber,  die  sich  durch  diese  Abstimmung  tief  verletzt 
nihlte,  trugen  aie  Sorge,  sie  in  das  richtige  Licht  zu  setzen, 
indem  sie  ihr  in  zahlreichen  Zuschriften  vorstellten,  dafs  der 
Antrag  der  Toriea,  der  ruchbaren  Feinde  des  Hauses  Han- 
nover, nur  den  Whigs  zum  Fallstrick  und  der  Nation  zum 
Blendwerk  ersonnen  sei,  dals  er  keineswegs  die  wirkliche 
Herübcrkunf't  der  Thronerbin,  sondern  einerseits  die  Ver- 
uneinigung der  Regierungspartei,  anderaeits  die  Bethörung 
der  öffentlichen  Meinung  bezweckt  habe.  Zugleich  ergriffen 
sie  die  Gelegenheit,  um  ihrerseits  drei  weitere  Gesetze  durch- 
zubringen, welche  den  Zweck  hatten,  die  protestantische 
Thronfolge  noch  mehr  zu  sichern.  Es  waren  das  die  beiden 
Naturalisationsakte,  durch  welche  der  Kurfürstin  und  ihrer 
Nachkommenschaft  die  Kechte  von  englischen  Unterthanen 
verliehen  und  sie  von  gewissen  dabei  in  Betracht  kommen- 
den Förmlichkeiten  entbunden  wurden,  und  sodann  die 
wichtigere,  von  Lord  Wharton  beantragte  Sicherheitsbill 
(Act  ibr  security),  ein  Regentschaftsgesetz,  welches  die  sieben 
höchsten  Staatsbeamten,  die  beim  Tode  der  regierenden 
Königin  dem  britischen  Gemeinwesen  vorständen,  zu  Keichs- 
verwesem  ernannte.  Zu  ihnen  sollten  eich  noch  einige  eng- 
lische Staatsmäimer  als  Vertrauenspersonen  des  Hauses  Han* 
nover  gesellen,  deren  von  dem  Raupte  desselben  zu  bezeich- 
nende Namen  in  versiegelter  Urkunde  bis  zum  Thron- 
wechsel unter  amtlichem  Versehlufs  zu  halten  seien .  So 
schienen  die  Umtriebe  der  Tories  nicht  nur  das  beiib sichtigte 
Ziel  zu  verfohlon,  sondern  sogar  zugunsten  der  hannüvriachen 
Ansprüche  auszuschlagen.  Allein  in  der  Folge  trübten  sich 
trotz  dieser  Bestimmungen  die  Aussichten  auf  den  englischen 
Thron  noch  mehrmals,  besonders  als  infolge  des  Sturzes 
Marlboroughs  und  der  Whigs  171U  das  Ministerium  Bo- 
lingbroke  und  damit  die  Tories  aus  Ruder  kamen,  welche 
mit  allen  Kräften  den  Prätendenten  (Jakob  III.)  und  dessen 
Ansprüche  begünstigten.  Wenn  nichtsdestoweniger  sehliels- 
Hch  die  hannövrische  Succesaion  den  Sieg  davontrug,  so 
hatte  daran  die  klugo  und  verständige  Haltung,  welche  die 
in  ihrer  schwierigen  Lage  von  Leibniz  beratene  Kurfürstin 
be/}/)aptete,  einen  ganz  hei'vorragetxdtjii  Auteil.  Sie  hütete 
ÄK?A  irohl^  die  Verteidigung  ihrer  ReeVVc  awaw\Äwy^^  wossi 


1 


GeoffgUid 

^  beideo  groftca 

beflisseD,  f&r   öA 

Kilgiiedern  _vtm  bei 

die  io  der 

üir  politüches 

Freilich  war  es  tkr 

dieser  voreichtigiB 

luogsveise   za  onl^     Da- 

dermst  die  Krooe  ^v  snii 

2(1  tngen.    hSth 

^  Jtmi  1714  ans  Xi 
¥&ter  (1.  AogiBBt)  ftigl» 
<?er  Fall  ein ,  anf  wcäc 
vorbereitet   fa&tle,    dcB  ] 

Sobald  die 
■Ableben  der  I 

^*^\  noch  an   üiirä  Tatot^g, 
.4^s  Regen tachaftg^i  iriw  Ah 
^^üien   sofort   Adreneo   n   im 
^^Ichc  au&er   der  Tr«acr  tiier  des  T«4 
^^^oigin  die  lebhafte  Frca^  ftber  ifie ' 

^^=^weiteihadeD  Rechten  aaf  &  Kraw«   ■—■■■rfcHi      Z^ 

^^-eich  trat  der  durch  den  Throoerbai  naek  EIrdfinagr  der 
j^!^^  rkunde  ergänzte  RegenttdMiftHst  wummmem,  malhm  dai  G«- 
^^^mea  Rat  lur  den  neacn  Hern  ia  EU  Md  Ffliefat  «ad 
^kündete     deaoen    ThiwiT)i^ihim|i     m    ftitilM  Win    Um- 


I]^^^ge  durch  die  Stra&en  Loadoni  aod  doreh  gtdrwtkie  Pro- 

^^^^amationen.     Am  15.  Aogost  ward  dann  der  nene  Ednig 
^^;^  Georg  I.  nannte  er  sich  —  aach  in  Ediabu^  ohne  alle 

^^^törong    und    ohne    >eden    W'idervpnich  ab  solcher   aonge^ 

I^^nfen.     Während   dieaer   Vorgänge   waren   die    Augen   von 
^aaz  Kngland  nach  Hannover  gerichtet    In  der  Niicht  vom 
5.  auf  den  6.  August  trafen  drei  Eilboten  —  einer  an  den 
englischen   Gresandten   Lord    Clarendon    und    zwei    an    den 
Kui'fürsten  —  in  Hannover  ein.    Sie  überbrachten  die  Kunde 


von 

Nachricht  mit  Ruhe  und  Würde.  Er  berief  sogleich  »eine 
Minister  und  that  ihnen  seinen  Entschlufs  kund,  die  Re- 
gierung des  Kurfiiretentumes  einem  Regen tächalUrate  zu 
tibertragen  imd  sofort  die  Reise  nach  England  anzutreten. 
Sein  ältester  Sohn  Georg  August,  der  spätere  Georg  II., 
sollte  ihn  dahin  begleiten,  der  übrige  Teil  seiner  Familie 
in   wenigen    Wochen    nachfolgen ,    nur    sein    junger  Enkel, 


I 

I 


222 


Zweites  Bucb.    Erster  Abschnitt. 


Prinz  Friedrich  Ludwig,  in  Hannover  zurückbleiben.  Am 
31-  August  verliels  er  diese  seine  bisherige  Residenz.  Ea 
war  JUr  die  Bewohner  der  Stadt  und  des  Landes  ein  trau- 
riges Scheiden.  Seine  Erhebung  vermochte  die  Hannoveraner 
über  ihren  Verlust  nicht  zu  trösten.  Es^  war  nicht  blols 
die  materielle  Einbufse,  die  sie  durch  die  Übersiedelung  des 
Königs  und  des  Hofes  zu  erleiden  fürchteten,  sondern  das 
Volk  empfand  es  mit  tielbr  Bekünunernis,  dafs  nun  das 
Band  sich  lockern  würde,  welches  das  Herrscherhaus  durch 
ao  manches  Jahrhundert  in  Freud  und  Leid  mit  ihm  ver- 
bujjdcnj  beide  gewissenuaiäen  in  ihren  Schicksalen  auf  ein- 
ander angewiesen  hatte.  Der  König  forderte  die  Magistrate 
»uf,  dafs  sie  als  Abschiedsgeschenk  eine  Gunst  von  ihm  er- 
bitten möchten.  Er  hob  auf  ihre  Bitten  die  auf  den  Lebens- 
mitteln lastende  Accise  auf  und  entliefs  die  zahlungs unfähigen 
Schuldner  ilu-er  Haft. 

Bei  seiner  Ankunft  im  Haag  empfing  Georg  die  Glück- 
wünsche der  Generalstaaten  und  der  fremden  Minister^  Mit- 
teilungen nnd  Ratschläge  seiner  Freunde  in  England.  Er 
aber  war  entschlossen,  seinen  eigenen  Weg  zu  gehen,  und 
brachte  hier  im  Haag  seine  Pläne  für  die  neue  Verwaltung 
zui-  Reife.  Am  18.  September  gegen  Abend  landete  der 
König  und  seine  Umgebung,  von  der  ihm  entgegengesendeten 
englischen  Flotte  geleitet,  in  Greenwich,  wohin  der  hohe  und 
niedere  Adel  von  Grofsbritanuien  zusammengeströmt  war, 
um  ihn  bei  seiner  Ankunft  zu  bewillkommnen.  Von  da 
ging  es  nach  London.  Am  20.  Oktober  fand  hier  in  der 
altehrwürdigen  Abtei  von  Westminater  die  feierUche  Krönung 
statt. 

So  vollzog  sich,  was  eine  kluge,  weitbhckende  Staats- 
kunst seit  lange  vorbereitet  hatte:  der  Übergang  der  drei 
im  britischen  Reiche  vereinigten  Kronen  auf  das  Haus  Han- 
nover. Es  war  ein  Ereignis  von  der  grölsten  weltgeschicht- 
lichen Bedeutung,  und  trotzdem  vollzog  es  sich  in  ruhiger, 
vollkommen  gesetzmäfaiger  Weise,  ohne  die  geringste  Er- 
lächütterung  des  Friedens  in  Europa  hervorzurufen.  Für 
England  bedeutete  es  den  Sieg  rehgiöser  und  bürgerlicher 
Freiheit  über  die  Tendenzen  des  staatlichen  und  kirchlichen 
Rückschritts.  „An  der  Thronbesteigung  dieser  Familie", 
sagt  ein  neuerer,  eughscher  Geschichischreiber,  „hing,  das 
ist  meine  feste  Überzeugung,  die  Sicherheit  unserer  Gesetze, 
unserer  Gerechtsame,  unserer  Religion,  alles  dessen,  was  wir 
lieben  und  ehren;  trotz  aller  Rückfälle  war  die  Sache  des 
Hauses  Hannover  unzweifelhaft  die  Sache  der  Freiheit,  die 
Sache    der    Stuarts    dagegen    die  Sache   des  Despotismus." 


Regimen tfiordnuug  für  Httniiover. 


22» 


Kine  weniger  lichtrolle  Seite  zeigt  jenes  Ereignis  freilich  für 
das  Land,  wo  die  Wiege  dieses  Geschlechtes  gestanden  hat, 
für  HannoTer.  Wohl  iiel  von  dem  Glänze,  der  den  Thi'OD 
der  welfischen  Könige  von  Grofsbritannieu  umgab,  auch  ein 
schwacher  Schein  auf  ihr  deutsches  Geburtsland  zurück, 
aber  man  wird  doch  kaum  behaupten  können,  dafs  die  Ver- 
bindung beider  Länder  ^  mochte  sie  auch  nur  eine  ganz 
äufserliche  sein  und  ihren  Ausdruck  wesentlich  nur  in  einer 
Personalunion  Anden,  welche  das  Sonderleben  beider  Staaten, 
ihre  Rechtspflege,  ihre  Vej  waltung,  ihre  mnterielle  und  gei- 
stige Kultui-  anberührt  liefs,  für  das  deutsche  Kurfürstentum 
von  besonders  segensreichen  Folgen  gewesen  ist.  So  sehr 
die  beiden  ersten  Groorge  sich  auch  noch  als  deutsche  Für- 
sten fühlten,  mit  wie  grofser,  fast  krankhafter  Vorliebe  sie 
noch  an  dem  Lande  ihrer  Ahnen  hingen  und  wie  sehr  sie 
sich  vielleicht  selbst  als  unumschränkte  Gebieter  und  absolute 
Landesherren  in  Hannover  wohler  und  beliaglicher  fUlJen 
mochten  als  in  der  eingeengten  politischen  Stellung,  die 
ihnen  in  England  Verfassung,  Parlament  und  Lebensgewohn- 
Leiten  des  Volkes  zuwiesen :  es  war  doch  nicht  anders  zu 
erwarten,  als  dafs  sie  sich  nacli  und  nach  dem  Kurstaate, 
den  zu  besuchen  ihnen  nur  ab  und  zu  vergönnt  war,  ent- 
fremdeten,  dafs  die  Zusammengehörigkeit  von  Fürstenhaus 
und  Volk  sich  lockerte  und  dal's  namentlich  die  spUteren 
Generationen  in  ibi-en  Sitten  und  Lebensanschauungen  völlig 
zu  Engländern  wurden.  Es  ist  bezeichnend,  dafs  das  eng- 
lische Volk  die  Könige  Georg  1.  und  II.  noch  als  „reine 
Deutsche"  betrachtete  und  erst  in  Georg  III.  wieder  den 
„echt  engÜschen  Monarclien"  begrüfstCj  den  einzigen  seiner 
Herrscher,  der  abgesehen  von  der  Königin  Anna  in  dem 
Jahrhundert  von  ItidO  bis  ITöÜ  „von  der  Fremdherrschaft 
ijne  Ausnahme  gemacht  habe". 

Bevor  Georg  I.  aus  seinen  Erbländern  schied,  traf  er 
Zweck  ihrer  künftigen  Regierung  und  Verwaltung  die 
ihm  notwendig  erscheinenden  Mafsregeln.  Am  29.  August, 
zwei  Tage  vor  seiner  Abreise  von  Hannover,  erliefa  er  ein 
„Regierungs-Reglement  fiir  seine  Braunschweig-Lüneburgischen 
und  dazu  gehörigen  Lande  ",  in  welchem  er  die  Grundsätze  fest- 
stellte, wonach  hinfort  die  Regierung  des  Kurstaatea  geführt 
werden  sollte.  Dieses  Reglement  hielt  sich  in  der  Hauptsache 
in  dem  Rahmen  der  Regierungsordnungen,  welche  schon  sein 
Vater  und  vor  diesem  sein  Oheim  Johann  Friedrich  für  das 
Fürstentum  Calenberg  beliebt  hatten.  Es  ist  im  Grunde  nichts 
anderes  als  eine  Ei-weiterung  und  Ausdehnung  derselben  auf 
die  später  mit  jenem  Fürstentume  vereinigten  Landschaften,  ja 


^^jne 
^^Tiun 


1     diesp 


224 


Zweites  Buch.    Erster  Abachiiitt. 


es  gebt  in  seiuem  ersten  Faragrapbea  direkt  auf  die  am 
18.  Februar  IHSO  von  Ernst  August  erlassene  ..Reg^meata- 
Formel'^  aU  auf  seiu  ^, Fundament"  zui'ück.  Wie  dioso  und 
wie  auch  schon  die  Verordnung  Johann  Friedrichs,  hält  es 
die  strenge  Scheidung  der  Kriegssachen  von  den  übrigen 
Geschäften  aufrecht.  Während  jene  einem  besonderen 
„  Kricges-Canzley  -  Collegiura  "  tibertragen  wurden  und  sich 
der  König-Kurfürst  für  die  „pure  MiUtaria*'  nach  den  Vor- 
schlägen des  Generals  von  Bülow  die  Entscheidung  selbst 
vorbehielt,  sollten  die  „Publica",  d.  h,  ini  allgemeinen  die 
äufseren  AngelegenJieiten,  von  dem  „  Geheimen -Raths- Colle- 
gium",  die  Kirclien-  und  Schulsachen  von  dem  Conaistorium, 
die  Polizei  und  Rechtspflege  von  der  „  Justiz-Canzlcy "  be- 
sorg werden.  Der  Kammer  endlich  lag  die  Verwaltung  der 
Domänen,  der  öffentlichen  Kassen,  sowie  der  übrigen  Finanz- 
institute ob.  Man  sieht,  es  war  das  schon  eine  Verteilung 
der  Staatsgeschäfte ,  wie  sie  im  wesentlichen  derjenigen 
der  modernen  Staaten  in  die  Zweige  für  den  Krieg,  das 
Aufsere,  das  Innere,  die  Justiz,  die  Finanzen  und  den  Kultus 
entspricht.  Die  Gesandten  bei  dem  Reichstage,  dem  Kaiser, 
den  deutschen  und  auTserdeutsehen  Staaten  waren  angewiesen, 
nicht  nur  an  den  Geheimenrat  in  Hannover,  sondern  auch 
an  den  König  in  England  zu  berichten.  Jener  hatte  auch, 
80  weit  dies  noch  für  erforderlich  gehalten  wurde,  mit  den 
Ständen  zu  verhandeln,  sie  zusammenzuberufen  und  ihnen 
die  von  dem  Könige  und  der  Regierung  vereinbarten  Steuer- 
vorlagen zu  unterbreiten. 

Georgs  I.  Regierung  in  England  und  die  Politik,  die  er 
als  König  dieses  Landes  in  den  grofsen  Fragen  der  Zeit  be- 
folgte, haben  für  eine  Landesgeschichte  von  Hannover  nur 
ein  untergeordnetes  Interesse.  Im  allgemeinen  kann  man 
Bagen,  dafs,  so  lange  er  lebte,  sein  deutscher  Kiu'staat  noch 
nicht  in  dem  Mafse  der  Politik  des  gröfseren  Reiches  dienst- 
bar gemacht  wurde,  wie  das  später  unter  seinen  Nachfolgern 
geschah,  einer  Pohtik,  die  das  Land  vielfach  schweren  Ver- 
wicklungen ausgesetzt,  ihm  gi'ofse  Opfer  auferlegt  hat. 
Daher  steht  seine  Regierung,  besonders  ilire  letzte  Hälfte, 
als  eine  ruhige,  gedeihliche,  den  Wohlstand  des  Landes  för- 
dernde Zeit  noch  jetzt  bei  den  Hannoveranern  in  gutem 
Andenken.  Aufser  dem  schon  erwähnten  Erwerb  der  Her- 
zogtümer Bremen  und  Verden  gelang  es  ihm  auch  einige 
kleinere  Gebietserwerbungen  zu  machen,  von  denen  freiUch 
die  bedeutendste  nicht  von  Dauer  sein  sollte.  Im  Jahre 
1711  (20.  Juni)  verpfändete  ihm  der  König  Friedrich  IV. 
Ton  Dänemark  die   Grafschaft  Delmenhorst,   sowie   die   zur 


(JeoT^  I.  ReichspoUtik. 


225 


Grafschaft  Oldenbarg  gehörigen  Vogteien  Hatten^  Warden- 
burg,  Z^rischenahn  und  Wüstenland  auf  zwanzig  Jahre  mit 
voller  Territorialhoheit  über  diese  Gebiete.  Sie  wurden  indes 
dem  darüber  geschlossenen  Vertrage  gomäfa  nach  Ablauf 
der  Pfandzeit  (1731>  und  nach  Rückzahlung  des  Pfand- 
achillings  (712  64C  Thaler)  an  Dänemark  zurückgegeben. 
Das  Amt  Wildeshauseu  dagegen,  welches  schon  seit  dorn 
Jahre  1700  in  hannovrischem  Pfandbesitze  war,  gehörte  mit 
zu  den  Gebietsabti*etiingen ,  welche  Hannover  infolge  des 
Stockholmer  Friedens  (Ö.  2}B)  zuwuchsen. 

In  seinem  Verhältnis  zu  Kaiser  und  ReicJi  war  Georg 
als  mächtigster  Fürst  in  ganz  Niedersachfien  beRtrebt,  einer- 
seits die  guten  Beziehungen  seines  Ilauäcs  zum  Wiener  Hofe 
aufrechtzuerhalten,  anderseits  den  Ubergriflen  des  Jesuitis- 
mu3  und  der  katholischen  Reaktion  kräftig  zu  steuern,  die 
sich  damals  wieder  zu  regen  begann.  Es  war  eine  ebenso 
versöhnliche  wie  energische  ReichspoUtik,  der  er  —  auch 
später  noch  als  König  von  England  —  huldigte.  Für  die 
durch  den  westftilischen  Frieden  verbürgten  Rechte  der 
Protestanten  in  der  Pfalz  sowie  in  den  ßiatümern  Mainz 
und  Speier  trat  er  in  Regensburg  beim  Reichstage  ent- 
Bcbieden  in  die  Schranken.  Er  nötigte  in  Verbindung  mit 
Kurbrandenburg  durch  Androhung  von  Repressalien  in 
seinen  Landen  die  betreffenden  Fürsten,  ihre  Angriffe  auf 
die  Religionsfreiheit  ihrer  protestantischen  Unterthauen  ein- 
zustellen. Noch  energischer  achritt  er  gegen  den  Bischof 
Maximilian  Heinrich  von  Hildesheim  und  das  dortige  Dom- 
kapitel ein,  als  diese  den  mit  dem  braun  sc  hweigi  sehen  Hause 
abgeschlossenen  Verträgen  zuwider  die  protestantischen  Ein- 
wohner des  grofsen  Stiftes  zu  bedrängen  und  in  ihren  wohl- 
erworbenen Rechten  zu  schädigen  versuchten.  Da  alle  fried- 
lichen Vorstellungen  bei  dem  fanatischen  Kirchen fürsten 
nichts  fruchteten,  so  besetzten  im  Febmar  1710  kui-braun- 
acbweigische  und  wolfenbuttelsche  Truppen  —  denn  selbst 
der  soeben  zur  römischen  Kirche  übergetretene  Anton  Ulrich 
von  Wolfenbüttel  schlols  sieh  an  —  die  Städte  Peine  und 
Hildesheim ,  so  dafs  der  Bischof  sich  bequemen  mufste, 
seinen  evangelischen  Unterthanen  die  freie  Religionsübung 
nochmals  ausdrücklich  zu  bestätigen.  Anderseits  übernahm 
Georg  im  Jahre  1719  die  Vollstreckung  der  Reichsexekution 
g^en  den  Herzog  Karl  Leopold  von  Mecklenburg-Schwerin, 
der  mit  seinen  Ständen,  vornehmHch  der  Stadt  Rostock,  in 
heftigen  Hader  geraten  war  und  trotz  der  ^.^n  ihn  er- 
lassenen Mandate  des  Reichshotrates  in  seinem  gewaltthätigen. 

II«  i  Dfinan  Q,  Bnisoseliif,-lt»aadr.  GegcUloht«.     HI.  '•' 


Zweite« 


Enicr 


PBpWMMWr    OBO 


TCP" 


favrte  E«  lüa  darftbcr  Mgar  ra  wif  Hahi  Bcic^ 
ksic^,  iadeni  der  rtfimge  fienag  die  AmmtmahäX  tob 
fOBHMlicB  Truppen  in  miuim  Lftude  bcifUle,  im  mh  ihnok 
Bnttm&t  den  HjumoTeraneni,  die  vater  Baiov  m  «an  I^ad 
ciagerftekt  waren,  bewaffiieten  Widcntand  xa  kätan.  Bei 
WalnaflUca  lud  ob  5.  MlnE  171»  em  Utog«  Gefecht 
•tatty  m  wcUom  ■rfiKftfiJifJi  die  Basen  sv&ckeedringt  rad 
»£>%•  ^BMCB  die  SOdte  Sdbweiin,  Boeloek  tXDd  andere  Ort- 
■cbmea  dee  Ldindei  besetzt  worden.  £nt  die  Dn^uigeL 
Rigfande  bewirkten,  dafe  die  HoaKO  das  Land  r&aaiteiL 
Vtr  Hflno^  wurde  im  Jahre  1728  der  Regiemag  futhohm 
ntd  aetaain  Bruder  Christian  Ludwig  die  AdninmimtioB  de» 
Imniin  übertragen.  Bis  zum  Jahre  1734  dauerte  die  Be- 
■Otmag  des  letzteren  durch  die  haunömscben  Truppen.  Ak 
Pfand  fUr  die  Entrichtung  der  durch  die  Exekution  «r- 
waehtenen  Koeten  wurden  der  Regienii^  ron  Hannover 
neben  mecklenburgische  Amter  eingecinoit  und  die  halbe 
Einnahme  au«  dem  Zoll  bei  Boitzenburg  gberlassen.  , 

Seit  seiner  Übcrsieddimg  nach  England  mniste  Georg  1. 
die  Regierung  seiner  Erbländer  wesentlich  dem  von  ihm 
eingesetzten  Regen tschafUrate  anvertrauen.  Es  ist  anzu- 
nehmen, dafs  ihm  diea  nicht  leicht  wurde.  Denn  er  hat  sich 
in  den  neuen,  fremden  Verhältnissen,  in  die  er  sich  in  Eng- 
land gestellt  sab,  nie  wohl  gefiihlt.  Seine  Verschlossenheit, 
teine  steife  Haltung,  sein  ungewandtes  Benehmen  machten 
ihn  seinen  neuen  Unterthanen  unsympathisch,  und  er  seiner- 
seits vergalt  ihnen  dies  durch  verdoppelte  Zurückhaltung. 
Die  Abneiming,  die  er  der  Entfaltung  von  Pracht  und  Glanz 
am  englisclien  Hofe  entgegensetzte,  die  Kälte,  mit  der  er 
die  Zurufe  der  Meng«  erwiderte,  trugen  ihm  eine  nicht  ganz 
verdiente  Uupopularität  ein,  aber  selbst  Männer  von  Er- 
ziehung empfianden  es  als  einen  wesentlichen  Mangel,  dafs- 
er  fUr  Litteratur,  Wissenschaft  und  Kunst,  mit  Ausnahme 
der  Musik,  weder  Verständnis  noch  Liebe  hatte.  Man  war 
nicht  blind  gegen  seine  guten  Eigenschaften,  gegen  seine 
Arbeitskraft,  gegen  seine  Ordnungsliebe,  seine  unerschütter- 
liche Kühe,  man  freuete  sich  selbst  seiner  Friedensliebe  und 
war  stolz  auf  seine  militärischen  Kenntnisse  und  Talente,. 
aber  man  konnte  es  ihm  nicht  vergessen,  dafs  er  inmitten 
seiner  Unterthanen,  deren  Sprache  er  sogar  nur  unvollkom- 
men verstand,  ein  Deutscher  und  vor  allem  ein  Hannoveraner 
geblieben  war.  „Seine  Ansichten  und  Neigungen",  sagt  Lord 
Chtistertield,  „beschränkten  sich  einzig  auf  den  engen  Kr^ 
seines  //eimatlandes,  England  war  für  ihn  zu  grofa." 


Tod  Georgs  I.    Georgs  II.  Throubesteigimg. 


227 


der  That  waren  für  ihn  keine  Tage  so  genufsreich  wie  die- 
jenigen, die  er  in  Deutschland  verleben  konnte.  Eine  Reise 
nach  Hannover  war  ihm  die  willkommenste  Erholung.  Dies 
war  der  Qrund,  weshalb  er  die  lästige  Bestimmung  des 
Thronfolgegesetzes  von  1701  beseitigte,  wonach  er  ohne  Er- 
laubnis des  Parlaments  den  englischen  Boden  nicht  ver- 
lassen durfte.  Nicht  weniger  als  viermal  bat  er  während 
seiner  dreizehnjährigen  liegierung  in  England  von  dem  so 
erlangten  Rechte,  sein  Heimatland  nach  Beheben  besuchen 
xn  dürfen,  Gebrauch  gemacht.  Als  er  es  im  Sommer  des 
Jahres  1727  zum  vierten  Male  that,  überraschte  ihn  am 
22.  Juni  in  der  Nähe  von  Osnabrück  der  Tod  im  Reise- 
wageu.  So  war  es  ihm  vergönnt,  auf  deutscher  Erde  zu 
sterben.  Auch  das  Grab  hat  er  hier  geftmden.  Einem  von 
England  eingelaufenen  Befehle  gcmäfs  ward  er  in  der  Gruft 
unter  der  Schlofskirche  in  Hannover  bestattet  Wie  er  seine 
Doppelfltellung  in  England  und  Deutschland  aui^afste,  hat  er 
in  der  Aufserung  bekundet,  die  m^n  wiederholt  aus  seinem 
Munde  vernahm:  „er  sei  ein  Mann,  den  man  vom  unab- 
hängigen Fürsten  zum  Bettler  herabgewürdigt  habe." 

Zwei  Kinder  hatte  die  Prinzessin  von  Ahlden,  wie  man 
die  unglückliche  Sophie  Dorothea  nach  dem  Orte  nannte, 
der  ihr  seit  ihrer  Ehescheidung  fast  mehr  zu  einem  Kerker 
als  zu  einem  fürstlichen  Wohnsitz  angewiesen  war,  ihrem 
Gemahle  geboren,  einen  Sohn  und  eine  Tochter.  Die  letzter^ 
die  in  der  Taufe  dieselben  Namen  wie  ihre  Mutter  empfangen 
hatte,  ward  1706  in  einem  Alter  von  neunzehn  Jahren  mit 
dem  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  von  Preoüsen  vermählt. 
Der  Sohn,  Georg  August,  seit  1706  Herzog  von  Cumberland 
und  seit  1714  Prinz  von  Wales,  folgte  jetzt  nach  dem  Tode 
seines  Vaters  diesem  auf  dem  Throne  von  Gtrofsbritannien 
und  als  Kurfürst  von  Hannover.  Geboren  am  30.  Oktober 
1663,  hatte  er  seine  Erziehung  unter  den  Augen  seiner 
Grolsmutter,  der  Herzogin  Sophie,  in  Herrnhausen  erhalten, 
wo  zugleich  deren  anderer  Enkel,  der  Sohn  ihrer  geiat-  und 
gemütreichen  Tochter  Sophie  Charlotte,  Friedrich  Wilhelm 
von  Brandenburg,  aufwuchs.  Obgleich  die  beiden  künftigen 
Schwäger  unter  solcher  Pflege  merkwürdigerweise  eine  den 
höheren  geistigen  Genüssen  durchaus  abgeneigte  Richtung 
erhielten,  von  der  man  hätte  annehmen  sollen,  dafs  sie  die 
jugendlichen  Gemüter  zu  enger  Freundschaft  verbunden 
hätte,  60  war  doch  das  Gegenteil  der  Fall.  Schon  damals 
trat  zwischen  ihnen  eine  gegenseitige  persönliche  Abneigung 
zu  Tage,  die  sich  im  Laufe  der  Jahre  zu  ein^t  ^\i&^k!|g«^ 
Fmndßchaft  steigerte.    Aber  fast  noc\i  ievadas^Ä^fex  ^Ä\»iÄ**Ä 


Zweites  Bacb.    Enlcr  Abschnitt 


Bicb  daa  Verhältnie  des  engliscben  Thronfolgers  zu  seinem 
Vater.  Der  Hofklatsch  hat  den  Grund  dayon  in  einer 
Leidenschaft  Georgs  L  für  die  eigene  Schwiegertochter,  die 
anmutige  Wilhelmine  Karoline  von  Anspach,  gesucht,  die  sein 
Sohn  im  Jahre  1705  heimgeführt  hatte,  nachdem  ein  Ver- 
such, ihre  Hand  für  den  damaligen  König  Karl  von  Spanien 
zu  gewinnen,  an  ihrer  Weigerung,  ihren  Glauben  zu  wech- 
seln, gescheitert  war.  Andere  haben  vermutet ,  dafs  Georg 
August,  fest  von  der  Unschuld  seiner  Mutter  überzeugt,  dem 
Vater  nie  die  Hartherzigkeit  verziehen  habe,  mit  der  diese 
bis  zu  ihrem  Tode  bebandelt  wurde.  Er  soll  ihm  geradezu 
seine  Absicht  angekündigt  Iiaben,  die  Dulderin  von  Ahldea 
unmittelbar  nach  seiner  Thronbesteigung  als  Königin -Mutter 
nach  England  zu  führen.  Ist  dies  begründet,  so  hat  doch 
der  Tod  die  grofsmütige  Absicht  des  Sohnes  vereitelt. 
Sophie  Dorothea  starb  ein  halbes  Jahr  vor  jenem  Ereignisse, 
am  23.  November  1726,  auf  ihrem  einsamen  Sitze  in  Ahl- 
don, von  der  Welt  so  gut  wie  vergessen,  fast  nur  von  den 
Armen  und  Notleidenden  der  Umgegend  betrauert,  aliä  deren 
erbarmende  Helferin  sie  sich  in  den  langen  Jahren  ihrer 
Verbannung  bewährt  hatte. 

Am  25.  Juni,  zur  Mittagszeit,  kam  die  Nachricht  von 
Georgs  I.  Ableben  in  London  an.  Sogleich  verkündeten 
Proklamationen  und  Anschläge  die  Thronbesteigung  Georgs  H., 
wie  sich  der  bisherige  Prinz  von  Wales  als  König  nannte. 
Am  22.  Oktober  erfolgte  die  Krönung  und  Salbung  in  West- 
minster-Abbey.  Wie  in  England,  so  vollzog  sich  auch  in 
Hannover  der  Ilerrachaftswechsol  in  gröfster  Ruhe  und  ohne 
den  mindesten  Zwischenfall.  In  dem  letzteren  Orte  rafite 
sich  der  Gehoimerat  zu  einem  demütigen  Gesuche  an  den 
neuen  Regenten  auf,  in  welchem  um  die  ErmäCsigung  des 
bisherigen,  schwer  auf  dem  Lande  lastenden  ,, Kriegsetat" 
gebeten  ward,  ein  Geauch,  das,  obschon  es  in  so  glückver- 
heifsendcr  Stunde  gestellt  ward,  doch  abschlägUch  beschieden 
wurde. 

Die  Neigung,  Gnadenbeweise  mit  freigebiger  Hand  aus- 
zustreuen, law  überhaupt  nicht  in  Georgs  IL  Natur,  vielmehr 
war  der  hälslichBte  Zug  in  seinem  Charakter  der  Geiz,  „diese 
untUrstlichste  aller  menschlichen  Leidenschaften".  AJs  Prinz 
schon  hatte  man  ihn  oft  mit  Behagen  sein  Geld  zählen 
sehen.  „Er  würde",  schreibt  Horaco  Walpole  in  seinen 
Denkwürdigkeiten,  „eine  Guinee  sicherlich  einem  Gedichte 
von  der  Vollkommeuheit  des  Alexanderfestes  vorziehen," 
'  Seine  Kindheit  xxud  früheste  Jugend  hatte  er  in  Deutschland 
reriebt    Hier  hatte  er  die  Vorliebe  tür  ^lew^aelBeftViRäö«».  ^asüi 


Georgs  II.  Persöulichkeit. 


229 


Wesen  eingesogen,  die  ihn  gleich  seinem  Vater  erfüllte  und 
die  ihn  während  seiner  Regierungszeit  zu  zwölf  verschiedenen 
Keiseu  in  seine  haunovrischeu  Provinzen  bestinunte.  Die 
Engländer  haben  über  die  deutsche  Uesinnung  dieser  ersten 
Könige  aus  dem  hannüvrischen  Hause  bald  ihre  Entrüstung, 
bald  ihren  beifsenden  Öpott  ausgeschüttet  Wir  Deutschen 
haben  nicht  Ursache,  sie  ihnen  als  Kapitalverbrechen  vor- 
zuwerfen. Als  Staatsmann  und  Regent  war  Georg  II.  weit 
davon  entfernt,  seinem  Vater  gleichzukommen.  Eine  rein 
praktische  Natur,  ausgestattet  zwar  mit  einem  offenen  Blick 
iUr  die  Vorkommnisse  des  gewöhnlichen  Lebens,  aber  nüch- 
tern und  trocken,  pedantisch  und  steüleinen,  konnte  er  we- 
nigstens persönlichen  Mut  und  einen  ausgeprägten  Gei-ech- 
tigkeitssinn  zu  den  königlichen  Tugenden  zählen ,  die  ihm 
eigneten.  Jenen  hat  er  schon  als  junger  Mann  bei  Oudenardc 
bethäügt  und  sollte  ihn  später  als  König  an  der  Spitze  der 
pragmatischen  Armee  noch  einmal  bewähren  trotz  des  Ge- 
spöttes seiues  Neifeu,  Friedrichs  IL  von  Preulsen,  und  seiner 
Gegner,  der  Jakobiten,  die  ihn  höhnisch  wohl  „den  Haupt- 
mann" nannten.  Für  seine  Gewissenhaftigkeit  haben  wir 
das  Zeugnis  eines  seiner  bittersten  Feinde,  des  Mai'schalls 
von  Belleislo,  der  von  ihm  sagt,  „er  mache  mit  der  Recht- 
schaSenheit  ätaat  und  erfülle  die  eingegangenen  Verpflich- 
tungen und  geschlossenen  Verträge  mit  religiöser  Treue". 
Aber  er  hat  diesen  strengen  Sinn  für  das  Recht  auch  da- 
durch bewiesen,  dafs  er  in  einer  dreiondzwanzigjährigen  Re- 
gierung nie  die  Verfassung  des  Volkes  zu  schmälern,  nie 
seine  Rechte  anzutasten ,  nie  die  Macht  der  Krone  auf 
Kosten  der  Volksfreiheit  in  uugesetzUchcr  Weise  zu  erweitern 
versucht  hat 

Zwei  Jahre  schon  nach  Georgs  IL  Thronbesteigung  ver- 
wickelten sich  die  Beziehungen  Hannovers  und  Branden- 
burg-Preufseus  in  so  bedenkUcher  Weise,  dafa  sie  einen  un- 
heilvollen Konflikt  zwischen  den  beiden  Staaten,  vielleicht 
selbst  einen  allgemeinen  Krieg  heraufzubeschwöreu  droheten. 
Längst  hatten  sich  mancherlei  Reibungen  zwischen  ihnen  er- 
geben, namenthch  bei  Gelegenheit  der  mecklenburgischen 
Exekution  (S.  225fliJ  und  inbezug  auf  die  Angelegenheiten 
Ostfrieslands.  Beide  Länder  lagen  gewissermafsen  in  der 
Machtsphäre  sowohl  von  Brandenburg  wie  von  Hannover, 
und  es  war  natürlich,  dafs  dies  sich  nicht  eben  in  versöhn- 
lichem Sinne,  sondern  im  Widerstreit  der  beiderseitigen 
Interessen  geltend  machte.  Was  den  Handel  in  Mecklen- 
burg betrifft,  so  hatte  die  Übertragung  Aet  VÄv:^«Ä7i.^>ö&\w!i. 
^aJ  Hannover  in   Berh'n   böses  Bl\xt  gema^c^iV.    X^asNrx  ^csb. 


230 


Zweites  Bnch.     £rst«r  Abschnitt. 


Vorwande,  dafa  dies  der  Erbverbrüderung  widerstreite,  in 
der  Brandenburg  mit  dem  mecklenburgischen  Fürstenbause 
stand,  hatte  man  am  Kaiserhofe  dagegen  Verwahrung  ein- 
gelegt, den  widerspänstigen  Herzog  eimuiigt  und  unterstützt, 
sogar  an  offenen  Widerstand  in  Verbindung  mit  den  Russen 
gedacht.  Durch  das  kaiserliche  Mandat  vom  11.  Mai  1723 
war  dann  freilich  eine  neue  Orduung  der  Dinge  im  Lande 
geschaffen ,  die  rechtlich  der  Exekution  ein  Ende  machte. 
Es  blieben  aber  die  Kosten  zu  berichtigen,  die  sie  verur- 
sacht hatte.  Die  hannövrischen  Truppen  erhielten  die  Weisung, 
das  Land  so  lange  besetzt  zu  halten,  bis  dies  geschehen  sei. 
Dagegen  erhob  Friedrich  Willielm  I.  von  neuem  lebhaften 
Protest.  Zu  gleicher  Zeit  trafen  die  beiderseitigen  Interessen 
auch  in  Osttriesland  feindlich  aui'  einander.  Die  Angelegen- 
heiten dieses  Landes,  auf  die  wir  noch  zurückkommen  ^  be- 
fanden sich  damals  in  der  heillosesten  Verwirrung.  Es  tobte 
hier  seit  langer  Zeit  ein  erbitterter  Kampf  zwischen  den 
Ständen  xmd  den  letzten  Fürsten  des  Landes  aus  dem  Hanse 
Cirksena,  der  nach  vorübergehender  Ausgleichung  unter  dem 
Fürsten  Georg  Albrecht  (1708 — 1734),  dem  vorletzten  seines 
Geschlechts,  sich  heftiger  als  je  zuvor  von  neuem  entzündet 
hatte.  Eine  grenzenlose  Anarchie  erlullte  das  Land.  Sie 
ward  noch  gesteigert  durch  die  Einmischung  Iremder  Mächte 
und  Einflüsse,  die  sich  von  allen  Seiten  geltend  machte. 
Neben  der  Regierung  des  ohnmächtigen  Fürsten  gab  es  bald 
ein  halbes  Dutzend  anderer  Gewalton,  die  sich  die  Herr- 
schaft über  das  ganze  Land  oder  einzelne  Teile  desselben 
streitig  machten :  eine  durch  Hannover  und  Sachsen  ver- 
tretene kaiserliche  Kommission,  in  Emden  holländische,  in 
Greetsiel  brandenburgische,  in  Aurich  dänische  Truppen, 
die  Stände  unter  sicli  zwieträchtig,  Steuererhebungen  von 
jeder  Partei,  soweit  ihre  Macht  reichte,  wiederholte  Zu- 
aamraenstöfse  der  Exekutionstruppen,  kleine  Revolten  in  den 
Städten  imd  auf  dem  Lande,  dazwischen  wieder  die  Dro- 
hungen der  benachbarten  Mächte,  namentlich  der  General- 
ataaten,  das  waren  die  Zustände,  die  zu  dieser  Zeit  das  ost- 
^esische  Land  zerrütteten.  Dazu  kamen  die  Ansprüche, 
die  sowohl  Hannover  wie  Brandenburg  für  den  Fall,  der  in 
nächster  Zeit  bevorzustehen  schien,  dafs  nämlich  das  Für- 
stenhaus aussterben  sollte,  auf  das  Land  erheben  su  dürfen 
glaubten  und  die  in  der  Zukunft  mit  einem  schweren  Kon- 
flikte zu  drohen  schienen. 

In    den    so    aufgehäuften   Brennstoff    fielen    nun    gleich 

zündenden  Funken  Ereignis&e,  die  Infolge  ihrer  peinlich  auf- 

regenden  N&tux  einen  gewaltsamen  KM%\>t\xc\i  VwNsiäaAiSKiSawsa. 


FeiocUeliges  Yerliältnta  xn  PreuTseo. 


231 


und  bei  der  gegenseitigen  Abneigung  der  beiden  königUchea 
Schwäger  diesem  ein  ganz  persönliches  Gepräge  zu  geben 
geeignet  waren.  Man  kennt  den  Eifer,  mit  dem  Friedrich 
Wilhelm  »ein  Heer  zu  vermehren  und  kriegerisch  zu  schulen 
beiÜBsen  war,  seine  Vorliebe  tur  das  stattliche  AuTaere  seiner 
Truppen,  seine  LeidenBchallt  für  Grenadiere  von  schlankem 
Wuchs  und  ungewöhnlicher  Gröfee.  Diese  Leidenschaft 
kostete  ihn,  den  sparsamen  Ilaushalter,  nicht  allein  grofse 
Geldsummen,  er  brachte  ihr  auch  die  Grofsmut  und  den 
Gerechtigkeitssinn,  die  ihn  vor  anderen  Herrschern  seiner 
Zeit  auszeichneten,  zum  Opfer.  Bei  den  Anwerbungen  für 
seine  lüeseugarde  kamen  die  gröfsten  Ungerechtigkeiten,  die 
schreiendsten  Gewaltthaten  vor.  In  allen  Ländern  Europas 
liefs  er  grofsen  Leuten  heimlich  und  öffentlich  nachstellen. 
Ruhige  Bürger,  verheiratete,  oft  wohlhabende  Männer  wurden 
ihren  Familien  entrissen,  nach  Potsdam  geschleppt  und  hier 
seinen  Garderegimentern  einverleibt,  um  diese  sonderbare 
Laune  des  Königs  zu  befriedigen,  der  allen  Ernstes  be> 
hauptete,  Gott  habe  diese  grofsen  Menschen  nur  geschaffen, 
um  »ein  Leibregiment  zu  verschönem,  und  sie  gehörten  ihm 
von  Hechts  wegeu,  weil  andei'e  Fürsten  sie  nicht  zu  schätzen 
wüfsten.  Diese  unerhörte  Menschenjagd  traf  natürlich  die 
Nachbarstaaten  Preul'seus  am  schwereten,  keinen  vielleicht 
in  gleichem  Mafse  wie  Hannover,  wo  an  starken,  kräftigen 
Männern  kein  Mangel  war.  Wiederholte  Vorstellungen  und 
Beschwerden  beim  Berliner  Hofe  halfen  nichts,  kleinere 
Grenzstreitigkeiten  kamen  hinzu,  die  feindsehge  Stimmung 
zwischen  den  beiden  Schwägern  wuchs  von  Tage  zu  Tage 
und  fand  ihren  Aufdruck  selbst  in  persönUchen  Beleidigungen. 
Friedrich  Wilhelm  hielt  sich  auch  inbezug  auf  die  Erb- 
schaft seiner  Schwiegermutter,  der  Prinzessin  von  Ahiden, 
fUr  übervorteilt.  In  den  stärksten  Ausdrücken  gab  er  seinen 
Unmut  darüber  kund.  Einen  Komödianten  und  Tanz- 
meister nannte  er  seinen  Schwager,  ja  er  soll  inbezug  auf 
Jene  Erbschaft  aa  ihn  geschrieben  haben,  er  habe  die  Ga- 
leeren verdient. 

Diese  persönlichen  Gereiztheiten  erhielten  durch  die  po- 
litische Lage  Europas  einen  ernsten  Hintergrund.  Damals 
drohete  wegen  der  von  Spanien  geforderten  Rückgabe  Gi- 
braltars ein  Krieg  zwischen  dieser  Macht  und  England  aus- 
zubrechen. Der  Kaiser  sollte  in  heimlichem  Bunde  mit 
Spanien  sein.  Da  verbreitete  sich  im  März  1729  die  Nach- 
richt von  einem  geheimen  Bündnis,  zu  dem  er  den  König 
von  Proufsen  zu  bewegen  gewufst  habe.  Die  Fol^  davoa 
eine  gewaltige  Aufregung  iu  LiOndLOU.     Tia»  «so^^äRlv» 


L 


232 


Zweites  Bach.    Erster  Abschnitt. 


ParlameDt  beachlois,  aof  alle  Fälle  za  rüsteiL  Keichliche 
Subäidieugelder  wurdcD  Tür  die  be&euzideten  Staaten ,  für 
Schweden,  Dänemark,  Hessen  und  Braunschweig,  verwilÜgt, 
vierzig  Kriegsscliiffe  schieonigst  tertiggesteUt ,  Holland  ge- 
mahnt, Bein  Kontingent  an  ächi0en  bereit  zu  halten,  mit 
Frankreich  Unterhandlungen  wegen  eines  Bündnisses  ange- 
knüpft. Georg  1\.  eilte  in  Begleitung  seines  Alinisters 
Townsend  nach  Haonover,  um  hier  die  Rüstungen  persönlich 
zu  betreiben.  Die  eine  Hälite  der  Armee  wurde  bei  Han- 
nover ,  die  andere  Ilältle  bei  Lüneburg  zu^ammeDgezogen : 
12  OUO  Hessen  bezogen  ein  Lager  in  der  Nähe  von  Münden. 
In  Berlin  war  man  erstaunt  über  diese  plötzliche  Küätung 
oder  stellte  sich  doch  so.  £ine  unbedeutende  Grenzverletzung 
vonseiten  preulsischer  Reiter,  gegenseitige  Beschuldigungen 
wegen  verhalteter  preulkischer  "Werber  und  in  Preulsen  ge- 
schützter hannövriacher  FaimenÜüchtiger  steigerten  die  Er- 
bitterung. Am  12.  Juli  gab  Friedrich  AVilhelm  seinerseits 
den  Befehl  zur  Kriegsbereitschaft  eines  Teils  seiner  Truppen. 
Bei  Magdebui^  sammelte  sich  ein  preufsisches  Heer  in  der 
vorläuBgen  Stärke  von  44  (X)0  Mann,  während  der  englische 
König  seine  sämtlichen  Streitkräfte  in  ziemlich  derselben 
Stärke  bei  Qiihorn  zusammenzog.  Allein  es  sollte  nicht 
zum  Aul'sersten  kommen.  Auf  beiden  Seiten  schrak  man 
vor  dem  entscheidenden  Entschlüsse  zurück,  der,  wie  die 
Dinge  lagen,  vielleicht  einen  unabsehbaren  Krieg  entzündet 
haben  würde.  Der  Kaiser  und  andere  deutsche  Fürsten 
boten  ihre  Vermittlung  an.  Man  einigte  sich  zunächst  am 
6.  September  1729  zu  einer  Konvention,  wonach  die  ver- 
hafteten preuTsischen  Werber  gegen  die  uacii  Preufsen  ge- 
flüchteten und  in  preufsischen  Dienst  getretenen  Deserteure 
ausgewechselt,  die  übrigen  Streitpunkte  aber  auf  einem  Kon- 
^esse  in  Braimschweig  unter  Vermittlung  zweier  deutscher 
Reichslürsten  beigelegt  werden  sollten.  Letzteres  geschah 
am  20.  April  1731:  die  Vermittler  waren  die  Herzöge  von 
Wolfenbüttel  und  von  Gotha. 

Zwei  Nachspiele  sollten  diese  Ereignisse,  die  einen  Augen- 
blick die  Gemüter  in  grolse  Aufregung  versetzt  hatten,  noch 
haben.  Der  dabei  zur  Sprache  gekommene  Unfug  der 
preulsischen  Werbungen,  der  sogar  die  erste  Veranlassung 
dazu  gegeben  hatte,  bewog  eine  Anzahl  von  deutschen  und 
aufserdeutschen  Staaten,  sich  mit  lebhaften  Beschwerden  an 
den  Kaiser  und  an  den  Reichstag  zu  wenden.  Von  allen 
Seiten  Uefen  Klagen  darüber  ein,  so  dafs  der  österreicliische 
Oes&ndtc  in  Berlin  an  den  Prinzen  Eugen  berichtete,  „daT» 
dem  Könige   bei  dem  aller  Orten  ^^&'^  ?j&vGfc  \\«t\i^ia^en. 


Kouflikt  wegen  der  preaTsischcu  Werbuugeo. 


2ä3 


sieb  ereignenden  Aut'süuide  nicht  wobl  zumute  sei".  Unter 
der  Fuhrung  Hannovers  vereinigten  sich  mehrere  _  deutsche 
Hole  zu  gemeinsamen  Mal'öregeln  gegen  diese  Übergriffü. 
Kursachsen,  Hessen-Kasflel ,  Sachsen -Gotha,  Köln,  Münster 
und  selbst  die  Generalstaaten  der  vereinigten  Niederlande, 
Tur  allen  aber  Hannover  erHeffieii  scharte  Edikte  gegen  die 
preufsischen  Werber  und  ihre  Gewalttbätigkeiteu.  Der  han- 
növrische  Eriafs  ;,  gegen  die  preufsiscbeu  uud  trembden  Wer- 
bers" ist  vom  14.  Dezember  17Ö1  datiert  uud  befieblt, 
„solche  Werber  ohne  Ansehen  von  Stand  und  Würden   bo- 

fleich  2u  arretieren  und,  wenn  sie  sich  in  starker  Zahl  eiu- 
nden,  durch  Läutung  der  äturmgiocken  zu  vcriolgen,  auch 
ÄLliz  auizubieten,  wenn  solche  sich  in  der  Nilhe  betindet. 
Sie  soUeu  als  Stralsen  •  und  Menscheui-üubcr ,  Sturer  des 
Landfriedens  und  Verletzer  der  Laudesfreiheit  traktiert  und, 
wenn  sie  schuldig  befunden  werden,  am  Leben  ge&tralt  wer- 
den. Sollten  sie  sich  aber  zur  Webr  setzen,  so  mag  man 
sie  todtschlagen  oder  niGdcrachiefsen/*  Auf  die  Einbringung 
oder  Tötung  jedes  prcufsiscbcn  Werbers  ward  eine  Be- 
lohnung von  fünfzig  Thalein  gesetzt.  —  Das  zweite  Nach- 
spiel ti'ug  einen  ganz  persönUchen  Charakter.  Ks  schien  sieh 
mogUcherweise  zu  einer  Tragödie  zu  gestalten  und  endete 
doch  wie  eine  Komödie.  Die  grofse  Erbitterung  der  beiden 
Schwäger  gegen  einander,  welche  durch  die  oben  berührten 
Ereignisse  noch  gesteigert  worden  war,  tührto  zu  einer  Her- 
ausforderung zum  Zweikampf.  Er  sollte  aul  neutralem  Bo- 
den, im  Bistum  lÜldesheim,  ausgefochten  werden.  Schon 
waren  die  Sekundanten  bestimmt,  schon  hatte  sich  Frietlrich 
Wilhelm  nach  dem  Lustschlosse  Salzdahlum  hei  Wohen- 
bUttel  begeben,  als  es  den  verständigen  Vorstellungen  des 
Herzugs  August  Wilhelm  von  Brauuschweig  und  des  preufsi- 
schen Gesandten  gelang,  der  Welt  ein  Schauspiel  zu  er- 
sparen, das  selbst  im  Mittelalter  zu  den  Seltenheiteu  gebort 
haben  würde,  das  aber  den  Anschauungen  der  damaUgen 
Zeit  mehr  wie  eine  Lächerlichkeit  als  wie  ein  Heldenstück 
erscheinen  mufste. 

Um  dieselbe  Zeit,  wo  diese  unliebsamen  Vorgänge  sich 
abspielten,  fand  ein  Ereignis  stitt,  das  von  sämtlichen  Re- 
gierungshandlungen Georgs  11.  den  wohl thätigs ton  EinHufs 
nicht  nur  auf  seine  Kurlande,  sondern  weit  über  die  Gren- 
zen derselben  hinaus  aul  die  Bildung  und  Gesittung  der 
ganzen  menschlichen  Gesellschaft  ausgeübt  hat:  die  Grün- 
dung der  Universität  zu  Göttingen.  Die  Gemeinsamkeit  des 
Direktoriums  über  die  bisherige  LandeiSutvivft^c^Ä^ieA.  VC«  ^iss. 
gesamtea  Gebiete  des  welhacheu  tiauaea  m  \\<^\VÄ\fc\v  VäSää 


Zweites  ßacli.    Enter  Abschnitt. 


»eit  längerer  Zeit  zu  raanclion  Unzuti-äglichkoiten  und  Vör- 
driefelicnkeiten  geführt.  Dazu  kam,  dafa  die  Ausdehnung, 
welche  der  Kui-ataat  im  Verlaufe  der  Zeit  gewonnen  hatte, 
die  Gründung  einer  eigenen  Universität  für  den  letzteren  in 
hohem  Grade  wünschenswert  erscheinen  iiefs.  Georg  II. 
wurde  in  dieser  Angelegenheit  t'aat  auaachliefalicli  von  dem 
Preiherm  Oerlach  Adolf  von  Munchhauson  beraten,  seit  1728 
Mitglied  des  Geheimen  Katkollegiums  in  Hannover,  dessen 
Name  mit  dem  Ruiuue  der  neuen  Hochschule  iür  alle  Zeiten 
verknüpft  ist.  Er  gewann,  ala  der  König  1732  abermals 
nach  Hannover  kam,  diesen  ftir  seine  Pläne  und  ward  dann 
von  ihm  mit  den  vorbereitenden  Schritten  beauftragt.  Zu- 
nächst knra  die  Wahl  des  Ortes  in  Betracht.  Anfangs  dachte 
raau  au  Lüneburgs  entschied  sich  aber  schliefslicb  für  das 
anmutig  im  Leinethal  gelegene  Göttingen,  das  sich  noch 
immer  nicht  von  den  Unbilden  des  dreifsigjährigen  Kneges 
zu  erholen  vermochte.  Unter  Münchhausens  Leitung  erfolgte 
die  ganze  Einrichtung  der  neuen  Universität  und  der  damit 
verbundenen  wissenschaftlichen  Institute,  der  Societät  der 
"Wissenschaften  und  namentlich  auch  der  Bibliothek.  Kach 
seinen  Vorschlägen  geschah  die  Berufung  der  Lehrer  für  die 
einzelnen  Fächer,  wobei  er  sich  entsprechend  der  universellen 
Natur  der  Wissenschaft  vorwiegend  von  kosmopolitischen 
Grundsätzen  leiten  liefa,  so  dafs  unter  den  ersten  Professoren 
der  Universität  nicht  nur  fast  alle  deutschen  Länder,  sondern 
auch  die  Schweiz,  Tlollaud  und  England  vertreten  waren. 
Auch  die  künftige  Besetzung  der  Lehrstühle  wollte  er,  um 
jede  Kameraderie  und  Zunftmäfsigkeit  auszuschliefsen,  nicht 
in  die  Hand  der  Fakultäten,  sondern  in  diejenige  der  Re- 
gierung gelegt  wissen.  Dagegen  gewährte  er  der  Univer- 
sität ihre  eigene  Gerichtsbarkeit  und  den  Professoren  nicht 
nur  unbedingte  Lehrfreiheit,  sondern  auch  die  Befreiung  von 
jeder  Art  Zensur  für  alles,  was  sie  im  Druck  erscheinen 
lassen  wollten.  So  gelang  es  von  vornherein  einen  frischen, 
strebsamen  Sinn  in  die  neue  Hochschule  einzuführen  und  sie 
vor  der  Verkümmerung  zu  bewahren,  unter  der  das  wissen- 
schaftliche Leben  damals  an  manchen  anderen  deutschen 
Universitäten  litt.  Am  13.  Januar  1733  stellte  der  Kaiser 
das  erbetene  Privilegium  für  die  neue  Stiftung  aus,  so  dafs 
bereits  im  Herbste  des  folgenden  Jahres  die  Vorlesungen  be- 
^nnen  konnten.  Die  feierliche  Einweihung  erfolgte  indes 
erst  am  17.  September  1737. 

An  dem  Kriege,  der  in  den  Jahren  1733    bis  1735    um 
die  polnUche  Königskrone  getühxl  via.vd,  beteiligte  sich  Han- 
nover jnsofern,  als  ea  tiOOO  ^l&nn  v\  ÄeTa^v»ve\^"eftXft  %\a^a 


GcbietMi'werbungen.  3t& 

jfa,  welches  unter  dem  greisen  Kugen  von  Savoyen  die 
heiulande  gegen  die  Franzosen  zu  verteidigen  hatte.  Der 
rieg  ward  nur  lässig  geführt  und  endete  ohne  irgend  welche 
rfoige  schon  1735  mit  dem  Frieden  von  Wien.  Eine 
Teitigkeit  mit  Bremen ,  welche  seit  dem  Erwerb  der  Her- 
igftümer  Bremen  und  Verden  als  schwedische  Erbschaft  auf 
annover  übergegangen  war,  hatte  achon  im  Jahre  1731 
^  Erledigung  gebunden.  Schweden  und  nach  ihm  Han- 
>ver  hatten  der  alten  Hansestadt  hartnäckig  die  Eigenschaft 
id  die  Rechte  einer  freien  Reichsstadt  bestritten.  Jetzt  er- 
innte  Georg  II.  in  einer  am  25.  Mai  zu  Kichmond  aua- 
satellten  Urkunde  die  Reichsunmittelbarkeit  der  Stadt  an, 
»stand  ihr  Sitz  und  Stimme  auf  den  Reichs-  und  Kreia- 
gen  zu  und  schlofs  damit  einen  Hader,  der  Niederäachsen 
nge  Jahre  hindurch  beunruhigt  hatte.  Um  dieselbe  Zeit 
731)  ward  das  kaiserliche  Sequester,  das  noch  immer  auf 
am  Lande  Radeln  lag  (S.  t44),  aufgehoben  und  dieses  frü- 
3r  mit  dem  Herzogtmue  Lauenburg  verbundene  Gebiet 
.eichfalls  mit  Hannover  vereinigt.  Elin  unbedeutender 
wist  mit  Dänemark  wegen  des  Amtes  Steinhorst ,  eines 
ideren  Bruchteils  von  Lauenburg,  ward  1739,  als  er  eine 
3unruhigende  Wendung  zu  nehmen  drohete^  unter  Ver- 
littlung  des  Kai&ers  dahin  verglichen,  dafs  Hannover  gegen 
ahlung  von  70  000  Thalern  im  Besitz  des  Amtes  verblieb, 
wei  Jahre  darauf  erwarb  Hannover  durch  den  Stader  Ver- 
leicb  vom  23.  August  1741  von  der  fi-eien  Stadt  Bremen 
as  Amt  Blumenthal  und  das  Gericht  Neuenkii'chcn ,  indem 
)  daflir  den  Hafen  und  Flecken  Vegesack  abtrat.  Zu  die- 
m  Gebietserweiterungen  kamen  endlich  zwei  andere ,  die 
•eilich,  da  sie  nur  auf  Verpfändung  beruheten,  auch  nur 
orübergehend  gewesen  sind:  die  Grafschaft  Sternberg,  die 
n  Jahre  1732  von  dem  Grafen  zur  Lippe  wieder  käuflich 
rworben  ward,  und  die  Grafschaft  Bentheim,  welche  Graf 
^arl  Friedrich  Philipp  1753  gegen  ein  Darlehn  von  900000 
'haiem  an  Hannover  verpfändete  und  welche  bis  in  dieses 
ahrhandert  hinein  in  deasen  Pfandbe&itze  gewesen  ist. 


^Während  die  jüngere  Linie  des  Hauses  Braunschweig 
uf  dem  dargelegten  Wege  ihre  Macht  in  Deutschland  er- 
'eiterte,  ja  ihre  Stellung  und  ihr  Ansehen  zu  einer  euro- 
äischen  Bedeutung  erhob,  fiel  der  älteren  Wolfenbüttler 
jinie  ein  bescheideneres  Los.  Wir  kennen  den  zUhen 
Piderstand,  welchen  die  Wolfenbüttler  Btü'Ä.^v^vAqSS.  Ka^a&\. 
üd  Anton  Ulrich  den  auf  die  künftige  Cctölsfö  wivaftÄ  VtiÄÄ-^ft». 


286 


Zweites  Bach.    Erster  AbBcbnitt. 


4 


gerichteten  Bestrebungen  ihres  Vetters  Ernst  August  von 
Hannover  entgegensetzten.  Als  es  ihnen  nicht  gelang,  der 
Kurangelegenheit  eine  Wendung  zu  geben^  welche  auch  dem 
von  ihnen  vertretenen  Zweige  des  Gesamthauaea  einen  Teil 
der  erstrebten  Ehre  zugewendet  haben  würde,  Uefsen  sie 
sich  zu  geradezu  feindseligen  Schritten  gegen  die  jüngere 
Linie  t'ortreilsen,  die  sie  dann  hart  genug  haben  büfsen 
müssen.  Ihr  Land  ward  von  hannövrischen  Truppen  be- 
Betzt,  Anton  Ulrich  mul'ste  aufserhalb  desselben  eine  ZuAucht 
suchcDj  sein  Bruder  sich  den  BedinguDgen  des  Siegers  unter- 
werfen. Durch  den  Vertrag  von  Celle  waren  dann  diese 
Wirren  vorläufig  geordnet  worden.  Er  bedeutete  eine  Her- 
abdrUckung  der  älteren  gegen  die  jetzt  uugehiodert  empor- 
strebende jüngei-e  Linie.  Noch  war  nach  diesen  Ereig- 
nissen kein  Jahr  veräosseD^  als  Kudoli'  August  starb  und  die 
Regierung  des  Landes  seinem  inzwischen  aus  der  Verbannung 
zurückgekehrten  Bruder  hinterliefs. 

So  alt  Antou  Ulrich  damals  schon  war,  so  tief  empfand, 
er  doch  die  erlittene  Niederlage,  so  schmerzlich  war  ihm 
das  Scheitern  einer  Politik,  die  niemand  eifriger  befürwortet 
hatte  als  er,  ja  in  die  er  allein  den  unentschlossen  zaudern- 
den Bruder  hineingedrängt  hatte.  Sein  stolzer,  hochfahren-  ^J 
der  Sinn  vermochte  es  nicht  zu  ertragen ,  dafs  er  und  sem  ^U 
Haus  jetzt  verurteilt  sein  sollten,  in  dem  wemschcn  Familien-  ^* 
konzert  nur  die  zweite  Stimme  zu  spielen.  Indes  blieb  ihm 
vor  der  Hand  nichts  übrig,  als  sich  zu  fügen.  Es  ward 
ihm  schwor,  seinem  Widerspruche  zu  entsagen  und  seinen. 
Stolz  zu  beugen,  aber  bei  der  veränderten  Stellung,  die  ihm 
der  Tod  seines  Bruders  geschaffen  hatte,  und  in  Anbetracht 
der  ehrgeizigen  Heiratspläne  für  seine  Enkelin,  die  ihn  schon 
damals  beschäftigten,  konnte  er  sich  der  Notwendigkeit  nicht 
verschliefsen,  seinen  Frieden  mit  dem  hannövrischen  Vetter 
zu  machen.  Noch  am  27.  Juli  17U3  hatte  er  von  Salz- 
dahlum  aus  in  aller  Form  gegen  das  Celler  Abkommen  Ver- 
wahrung eingelegt,  jetzt  liefs  er  sich  gegen  einige  Zuge- 
ständnisse bewegen,  den  alten  Hader  ruhen  zu  lassen.  Am 
17.  Januar  1706  wurde  zu  Ohot"  von  zwei  hannövrischen 
Bevollmächtigton,  wolfcubüttlerseits  aber  von  dem  Kanzler 
Probst  von  Wendhausen  nach  längeren  Verhaudiangen  ein 
Vertrag  unterzeichnet ,  wonach  Anton  Ulrich  gegen  Ab- 
tretung des  Amtes  Campen  und  dreier  Dörfer  des  Amte» 
Gilhorn,  sowie  gegen  eine  Geldentachädigung  von  2UÜüO 
Thalern  zugunsten  Hannovers  auf  seine  Ansprüche  an  Lauen- 
biwg  verzichtete,  auch  die  neunte  Kur  und  das  von  Ernst 
August    erlassene    Primogemtur^ftieü.    ^u^xViiuuVfe.     ¥äm^ 


4 
4 


Anton  Ulrichs  von  Wolfenbüttel  ehrgeizige  Pläne. 


287 


-untergeordnete  Etikettenfragen,  sowie  der  Wechsel  des  Direk- 
toriums über  die  Universität  Ilelmstedt  und  den  Komraunion- 
harz  wurden  gleichfells  durch  gegenseitiges  Entgegen  kommen 
und  ohne  Anstand  erledigt. 

Diese  Aussöhnung  Anton  Ulrichs  mit  den  vollendeten 
Thatsachen,  die  eich  bereits  seit  dem  Jahre  1703  angekündigt 
hatte,  bezeichnet  eine  Wendung  seiner  Politik  nicht  nur 
gegenüber  der  jüngeren  Linie  seines  Hauses,  sondern  auch 
inbezug  auf  die  damalige  Geaamtlage  Europas,  liishcr  der 
eifrigste  Fürsprecher  einer  tranzösiscnen  Allianz,  trat  er  jetzt 
mit  aller  Entechiedenheit  dem  grofsen  Bunde  bei,  an  dessen 
Spitze  Osterreich  die  Übermacht  Frankreichs  und  dessen 
Versuche  bekämpfte,  durch  Erhebung  von  Ludwigs  XIV. 
Enkel  auf  den  Thron  Karls  V.  die  spanische  Monarchie  zu 
einem  Nebenreichc  des  französischen  Muttcrstoates  herab- 
zudrücken.  Der  Gnmd  dieses  plötzlichen  Wechsels  ist  in 
den  Aussichten  zu  suchen,  die  sich  damals  für  ihn  ernfliietfin 
und  die,  wenn  sie  auch  nicht  seinem  Hause  denselben  Zu- 
wachs an  Macht  und  Ansehen  verhiefsen,  welcher  der  hau- 
növrischen  Linie  zuteil  gewoi-den  war  oder  in  Auseicht 
stand,  doch  seinen  persönlichen  Ehrzeiz  In  hohem  Grade  be- 
friedigen mxifsten.  Seit  dem  Jahre  1703  waren,  von  dem 
braunscbweigischen  Bevollmächtigten  am  Wiener  Hofe,  dem 
Freiherm  Rudolf  Christian  von  Irahoff,  angeknüpft,  Unter- 
handlungen im  Gange,  die  den  Zweck  hatten,  eine  enge  Fa- 
milienverbindung zwischen  den  Häusern  Habsburg  und 
Braunschweig  •  Wolfenbüttel  anzubahnen.  Es  handelte  sich 
um  die  VormUhlung  von  Anton  Ulrichs  Enkelin  EUsabetb 
Christine  mit  dem  jüngeren  Sohne  des  Kaisers  Leopold  I., 
jenem  Karl,  dem  die  gegen  Frankreich  zustande  gekommene 
grofse  Koalition  die  Kaehfolgo  in  der  spanischen  Monarchie 
zugedacht  hatte.  Die  Prinzessin,  damals  ein  liebliches,  viel- 
versprechendes Kind,  war  die  älteste  Tochter  von  Anton 
Ulrichs  jüngstem  Sohne  Ludwig  Rudolf  aus  dessen  Ehe  mit 
Cbriatine  Luise  von  Otüngen.  Von  ihr  hoffte  der  greisen- 
hafte Ehrgeiz  des  Grofsvaters  „sie  solle  der  andere  Joseph 
werden,  seinem  Hause  aufzuhelfen  und  es  zu  versorgen". 
Dafs  von  dem  Wiener  Hofe  als  unumgängliche  Bedingung 
vorausgesetzt  wurde,  „die  Prinzessin  werde  nach  vorher- 
gegangener genügsamer  Information  den  katholischen  Glau- 
ben annehmen",  vermochte  ibn  nicht  in  seinen  Plänen  zu 
beirren.  War  doch  der  lebendige  lutherische  Glaube,  zu 
dem  er  sich  einst  in  den  Liedern  seiner  Jugend  bekannt 
hatte,  längst  zu  einem  farblosen  lndi6Fereut\ß\w3A  ■^^tVXsÄA.. 
Und  erblickten  doch  die  von  ihm  zurate  ^^iq^^täii ^V-s^va- 


2SS 


ZwtiiteB  Buch.    £nt«r  AbsohniU. 


logen    in    der   Sache    wesentlich  j^eine  durch   anscheinende 
göttliche  Provideuz  und  gute  Hoffnung  des  gemeinen  Weeena 
und  ihres   eigenen   Hauses  Wohllahit  der  Prinzessin  darge- 
botene   Gelegenheit,    wonach    sich    diese   wohl  entscMielsen. 
könne,    zur    römisch-katholischen    Kirche     überzutreten". 
Schwerer  selbst  mag  es  ihm  geworden  sein,  die  andere  von 
Wien  gestellte  Hauptbedingung  zu  erliillen,  „dafs  das  Haas 
Woltenbüttel  sich  mit  den  übrigen  braunschweigißchen  Häu- 
sern  wieder   reunieren    und   in  das  vorige    alte   Verhältnis 
treten,  mithin  von  dem   gesamten  Hause   nur   ein  Interesse 
gemachet  werde  ".   Aber  seibat  der  eingewurzelte  Groll  gegen 
die  Ötaramesvettem   in  Celle   und   Hannover  trat  vor  dem 
Glänze  in  den  Schatten,  der  aus  der  geplanten  Verbindung 
ihm  ontgegenzustrahlen  schien.     Ohne   die  Eltern   der  Prin- 
zessin,  ja  ohne  diese  selbst   zu   fragen,   beeilte   er  sich    den 
Kontessionswechsel     der     letzteren     zu     bewilligen.       Der 
Zustimmung    des    Vaters    durfte    er    freilich    gewifs    sein, 
denn   Ludwig  Rudolf  dachte  in   kirchlichen   Dlugen   kaum 
anders  wie  er  selbst,  und  auch  auf  ihn   übte  die  Aussicht, 
der    Schwiegervater    eines   Königs    von  Spanien    und    dem- 
nächstigen deutschen  Kaisers  zu  werden,  eine  berauschende- 
Wirkung    aus.      Auf   einen    um    so   kräftigeren   WiderstAni 
mufste  er  bei  der  Mutter  der  Prinzessin  gefafst  sein,   einer" 
zwar    von   weltlicher  Eitelkeit  keineswegs  freien  Frau,  aber 
einer  eitrigen  Lutheranerin,  die  ihrer  Tochter  noch  vor  kur^ 
zem  erklärt  hatte:  „Und  wenn  ich  meiner,  was  Gott    ver- 
hüte, 80  gar   vergessen   und    Dir   befehlen   sollte,   um   einer 
Heirat  willen  die  evangelische  Religion  zu  ändern,  siehe,  so 
sage  ich  dir  hiermit,  dafs  du  mir  keinen  Gehorsam,  sondern. 
Gott  mehr  zu  gehorchen  schuldig  bist  als  Menschen/'    Alleia 
auch  ihr  Wille  mufste  sich  schliefslich  der  unbedingten  Auto- 
rität beugen,  mit  welcher   Anton   Urich  die  ganze   Familie 
beherrschte.     Sie   erklärte   nach   längerem   Sträuben ,   „dafs 
sie  alles  blofs  und  lediglich  dem  gi-ofsen  Gott  anheimstelle: 
der  werde,  wo  es  sein  Werk  sei,  alles  zu  einem  guten  Ende 
bringen,  wo  aber  nicht,   es   auch   wissen  in   die   Wege  zu 
richten".     Danach  blieb   nur   noch  übrig,   die  Einwilligung 
derjenigen    zu    gewinnen ,    um    deren    Wohl   oder   Wehe   es 
sich  in  dieser  Angelegenheit  handelte.     W^ie  aber   hätte    ein 
kaum  tün^hnjährigea  Mädchen  Einflüssen  widerstehen  solleni 
denen  sich  ihre  Eltern  willig  und  unbedingt  fügten,  wie  hätte 
sie  ihren  kindÜchen  Glauben  zu  verteidigen  vermocht  gegen 
die  Vorstellungen   und  Kniffe  der  mit  ihrer  Belehrung   oe- 
auftragtcn  Holtheologen  V     Auch  sie  gab  nach  und  erluärte, 
„dafe,  wenn  Gott  der  Allmächtige  nach  seinem   unerforsch- 


4 


Yermählang  seiner  Enkelin  Elisabeth  Christtnc. 


239 


liehen  Ratschlage  es  so  schicken  werde,  dafs  sie  vor  anderen 
in  Vorechlag  gekommenen  Prinzes&innen  zur  gpanischen  Kö- 
nigin cnväMt  werden  sollte,  sie  alsdann  darunter  die  göttliche 
Providencia  erkennen,  die  Wahl  in  geistlicher  Gelassenheit 
annehmen  und  sich  von  solcher  Entschlielsung  von  keinem 
Menschen  wolle  ableiten  lassen".  Wie  es  ihr  aber  bei 
solcher  Erklärung  ums  Herz  war^  zeigt  ein  um  diese  Zeit 
an  ihre  Mutter  gerichteter  Briei',  in  dem  es  heifst:  „Ick 
kann  versichern,  dafs  gegenwärtig  mein  einziger  Trost  in 
der  Hoffnung  beruhet,  der  gütige  Gott  werde  das  tiber 
meinem  Haupte  schwebende  Unglück  abwenden." 

Nachdem  man  so  weit  gekommen ,  traten  die  Jesuiten 
auf  den  Plan,  um  die  eigentliche,  innere  Bekehrung  der 
Prinzessin  in  die  Hand  zu  nehmen.  Wie  hätte  eie  ihnen 
unter  dem  Druck,  den  Grofavater  und  Eltern  auf  sie  aus- 
übten, mit  dem  Beistande,  den  ihnen  ein  grolser  Teil  der 
GeiBtUchkeit  im  Lande,  selbst  die  theologische  Fakultät  in 
Helmstedt  leistete,  nicht  gelingen  sollen?  Freilich  gab  es  unter 
den  Geisthchen  auch  Stimmen,  die  sich  unerschrocken  und 
entschieden  gegen  diese  Seelenverkäuferei  erhüben.  Die  bei- 
den Prediger  au  der  Schlofskirche  zu  Wolfenbüttel,  Niekamp 
und  Knopf,  konnten  nicht  bewogen  werden,  „in  ihren  Pre- 
digten gehörige  Moderation  zu  brauchen".  Sie  lieisen  sich 
lieber  ihrer  Stellen  entsetzen,  was  von  dem  Herzoge  eigen- 
mächtig, ohne  vorhergegangene  gerichtliche  Untersuchung 
verfügt  ward.  Am  19.  April  1707  verÜefs  Elisabeth  Chri- 
stine in  Begleitung  eines  kleinen  Gefolges  Wolfenbüttel  und 
begab  sich  nach  Bamberg,  wo  sie  am  1.  Mai  in  dem  dor- 
tigen Dome ,  der  Gründang  des  irommen  Kaisers  Hein- 
rich Jl.f  öffentlich  ihr  Glaubensbekenntnis  ablegte  und  dann 
durch  den  Erzbischof  von  Mainz  in  die  Geni einschalt  der 
katholischen  Kirche  aufgenommen  wurde.  Viei-zehn  Tage  spä- 
ter kam  sie  in  Wien  au,  wo  ihre  kindliche  Anmut  und 
ihre  Liebenswürdigkeit  alle  Herzen  gewannen.  Nach  einem 
Jahre  (23.  April  1708)  erfolgte  ihre  Vermählung  mit  Karl 
von  Spanien  durch  Prokuration  in  der  Kirche  zu  Moria- 
Hitzing.  Kein  Geringerer  als  der  Kaiser  Joseph  war  es, 
der  ihr  als  Stellvertreter  seines  Bruders  hier  die  Hand  ziun 
Ehebunde  reichte.  Noch  einmal  sah  sie  ihre  Mutter  und 
ihre  jüngere  Schwester  Charlotte  Christine  wieder.  Dann 
iUhrte  sie  eine  Flotte  von  hundertzweiundvierzig  Segeln  unter 
dem  Oberbefehle  des  englischen  Admirals  Leake  ihrem  Ge- 
mahle  in  Spanien  zu.  Am  l,  Augnst  hielt  sie  an  seiner 
^te  ihren  feierlichen  Einzug  in  Barcelona. 
Anton  Ulrich  sah   sich   in   den   Hoffnungen,    die   er   an 


*24ö 


Zweites  Bach.    Erster  AbschDitt. 


diese  Vermählung  seiner  Grofstochter  geknüpft  habeu  mochte, 

fetäuscht.     Zwar  erhob   der  Kaiser   am   1.  November    1707 
ie  Oraiscbaft  Blankenburg  zu  einem   Flirstentume    und   er- 
öÖFnete  ihm  damit  die  Aussicht  auf  eine   zweite  Stimme   bei 
dem  Regensburger  Reichstage,    auch   erlebte   er   noch,    daPs 
nach  Josephs   I-   Tode   (1711)  seine   Enkelin   an   der   Seite 
ihres  Gemahls  den  deutpchen  Kaiserthron  bestieg,   aber  der 
Gewinn  an  Macht  und  Ehre,  den  er  für  sich  von  dieser  Ver- 
bindung erwartet  hatte,  blieb  aus.     Es  scheint,  dafs  er  sich 
mit  der  HoflFnunp:  geschmeichelt  liat,  aus  der  Aclit,   welche 
bei  dem  Beginn  des  spanischen  Erbfolgekrieges  über  die  mit 
Frankreich  verbündeten  Witteisbacher  Brüder,  die  Kurfürsten 
von  Bayern  und  Köln,  verhängt  worden  war,  für   sich   und 
sein  Haus  Voi-teil  zu  ziehen.     Durfte   er    auch   nicht    daran 
denken,  durch  Erlangung  von  einer  der   beiden  Kurwürden 
seinem  hannövrischen  Vetter  endlich  an  Rang   gleichgestellt 
äu  werden,  so  war  doch  immerhin  möglich,  dafs  der  Kaiser 
flieh  bestimmen    liefs,   durch  Verleihung   des   zu   dieser  Zeit 
unter   der  Verwaltung   des   Kurlürsten    von  Köln   stehenden 
StiftesHildesheim  an  Wolfenbüttel  das  dem  hrnunschweigiscben 
Hanse  im  drei fsig jährigen  Kriege  zugefügte  Unrecht  in  Ähn- 
licher Weise  zu  sühnen,  wie  dies  damals  mit  dem  pfälzischen 
Kurhause  durch  Zurückgabe  der  mit  Bayern   verbundenen 
Oberpfalz  geschah.     Um  dieses  oder  iUmliches  zu  erreichen, 
acheuete   sich  Anton  Ulrich    nicht,    noch    in    seinem    hohen 
Alter  —  er  zählte  bereits  siebenundsiebenzig  Lebenöjahi*e  — 
denselben    Schritt   zu    thuu,    zu    welchem    er    soeben    sein« 
Enkelin    bewogen   hatte.      Ghne    Wissen    seiner  Räte,   ohne 
auch  nur  seiner  Familie  seine  Absicht  mitgeteilt  zu   haben, 
trat  er  kurz   vor   Weihnachten    1709  in   Braunschweig   zur 
römisch-katholischen   Kirche    über.      Als   der  in   aller   Stille 
vollzogene  Übertritt    bekannt    wurde,    bemächtigte   sich   des 
Landes  eine  allgemeine  Bestürzung,  so  dafs  sich  der  Herzog 
veranlalst  fühlte,  in  einer  besonderen  Schrift  „die  bewegen- 
den Ursachen   darzulegen,   warum   er  zu   der   katholischen 
Kirche  sich  begeben  habe".     Ein  Sturm  von  Abraalmungen 
und   Vorstellungen    war   die   Folge.      Sein   Beichtvater,    die 
Räte    seiner   Regieruug,    die    Landstände,   die   Prediger   der 
Stadt  Braunschweig,   der   Erbprinz   August    Wilhelm   selbst 
erhoben  ihre   warnende  Stimme.      Es   war  alles    vergebens: 
der  Herzog  war  schon  zu  weit  gegangen.    Durch  bestimmte, 
unzweideutige  Erklärungen   inbezug  auf  die    zu  Recht  be- 
stehende Landeskirche  suchte  er  die  Erregung  der  Gemüter 
zu    beschwichtigen.     Er    versicherte    seinem   Kanzler,    dafs 
,,  weder  der  status  religionia   noch  civilis   bei    »einer   R^e- 


■th 


mzig  die  geringste  Veränderung^  noch  weniger  Gefahr  xa 
besorgen  habe ",  und  als  jener  darüber  vergewissert  zu  wer- 
den wünschte,  dafs  diese  fieligionsveränderung  sich  aut  des 
Herzugs  eigene  Person  beschriluken  werde ,  beteuerte  er 
„niit  Aufhebung  der  Finger",  „er  wolle  keine  Kircbe  ge- 
brauchen,  nicht  einmal  in  die  den  Katholiken  bestimmte 
kommen^  sondern  allein  in  seinem  kleinen  Kabinet  durch 
einen  Theatiner  namens  Hamiltou ,  welcher  sein  einiger 
Geistlicher  und  sonsten  in  einem  weltlichen  Habit  bei  ihm 
»ein  sollte,  sein«  Devotion  und  Gottesdienst  verrichten  lassen". 
Um  allen  und  jeden  Zweifel  an  seinen  Absichten  zu  zer- 
streuen, erlief»  er  unterm  24.  März  1710  an  die  höheren 
Kollegien  und  die  Landschaft  eine  Erklärung,  in  welcher 
er  öffentlich  zu  bezeugen  und  zu  deklarieren  sich  bewogen 
fand,  „dafs  er  weit  davon  entfernt  sei,  in  Ecclesiaatiois  und 
Politicis  irgend  welche  Neuerungen  zu  machen,  insonderheit 
die  römisch-katholische  Keligion  in  seinen  Braunschweigischen 
Landen  wiedereinzultihren  und  seine  Untcrthanen  zu  deren 
Bekenntnis  und  Annehmung  zu  notigen  oder  zu  veranlassen", 
er  somit  auch  nicht  daran  denke ,  „  gegen  den  Keligioos- 
frieden  einige  Reformation  oder  GewissenS'Zwang  zu  intro- 
meieren  ". 

Li  der  That  hat  Anton  Ulrich  die  hier  seinen  Unter- 
anen  gegebenen  Vei-sprechungen  wilhrend  der  kurzen  Zeit, 
die  ihm  noch  zu  herrschen  vergönnt  war,  treu  und  redlich 
^halten.  Denn  der  von  ihm  unternommene  Bau  einer  ka- 
tholischen Kirche  in  Brauuschweig  an  der  Friesenstrafse 
half  nur  einem  längst  getilhlten  BedUrüiis  ab,  und  die  freie 
ReligionsUbung,  die  er  seinen  nunmehrigen  Glaubensgenossen 
durch  Erlafa  vom  12.  März  1714  in  seinem  Lande  ge- 
wähi-te,  entsprach  nicht  nur  den  Bestimmungen  des  west- 
fälischen Friedens,  sondern  auch  dem  mehr  und  mehr  sich 
geltend  machenden  Geiste  religiöser  Duldung.  Auch  sein 
Ö^entÜcher  Übertritt  zum  Katholizismus,  der  am  Freitag 
vor  Palmarum  (11.  April)  1710  in  Bamberg  erfolgte,  änderte 
nichts  an  diesen  Gesinnungen  des  Herzogs.  Die  ehrgeizig^l 
'V  räume  aber,  die  ihn  zu  diesem  Schritte  vor  allem  anderes 
V  crmocht  hatten,  erfüllten  sich  ebenso  wenig,  wie  die  grofsen 
Erwartungen,  welche  der  Papet  und  die  römische  Kirche 
«cfa  davon  versprachen.  Die  Anstrengungen ,  welche  man 
machte ,  die  Eltern  der  Kaiserin  Elisabeth  Christine ,  be- 
Bonders  aber  ihre  mit  dem  russischen  Thronfolger  verlobte 
Schwester  Charlotte  Christine  in  den  SeUofe  der  altein- 
«eligmachenden  Kirche  zurückzuführen,  blieben  ohne  Erfolg. 


B«in«n»BB,  B»aii«e)iir,-hsiui0r,  OMcbiehte.    IIL 


36 


Zweites  Bach.    Erster  Abschnitt. 


Nur  mit  zwei  Töchtern  des  Herzogs  gelang  dies:  mit  der 
Äbüßain  Heariette  Christine  von  Gandersheim,  welche  im 
Jahre  1712,  iind  mit  der  an  den  Fürsten  Anton  Günther 
von  äcbwarzburg-Sondersbausen  verheirateten  Auguste  Doro- 
thea, weiche  nach  dem  Tode  ihres  Gemahles  im  Jahre  1716 
zur  römisch-katbohschen  Kirche  übertrat.     Das  war  alles. 

Ihm  selbst  ist  der  Abfall  vom  Glauben  seiner  Väter 
nicht  zum  Segen  geworden.  Eine  Unruhe  war  über  ihn  ge- 
kommen, die  Heine  katholischen  Beichtväter  nicht  zu  ver- 
scheuchen vermochten.  Besonders  quülte  es  ihn,  dafs  ihm 
jetzt  der  Kelch  beim  Abendmahle  entzogen  war.  Vergebens 
hat  er  sich  diesei'halb  in  wiederholten  demütigen  Gesuchen 
au  den  Papst  gewandt.  Kurz  vor  seinem  Tode  hat  er  noch 
das  Grabgewölbe  unter  der  Marienkirche  in  Wolfenbüttel 
besucht,  das  bestimmt  war,  seine  sterblichen  Reste  aufzu- 
nehmen. Es  verlangte  ihn,  „den  Ort  zu  sehen,  wohin  man 
ihn  legen  werde".  Am  2^.  März  1714  empfing  er  die 
Sterbesaki'amente,  fünf  Tage  später  (27.  März)  ist  er,  ein- 
undachtzig Jahre  alt,  auf  dem  Lustschlosae  Salzdahlum^ 
seiner  Lieblingsächöpfung,  verschieden. 

Im  Wolfenbüttler  Archive  findet  sich  das  „  Project  einer 
väterlichen  Mahnung  und  Instruction  für  den  Erbprinzen. 
August  Wilhelm",  eine  Art  von  politischem  Glaubensbekennt- 
nis, nach  Anweisung  des  verstorbenen  Heraogs  entworfen 
und  von  ihm  wenige  Tage  vor  seinem  Tode  (22.  Miirz) 
unterzeichnet  Es  ist  ein  merkwürdiges  Aktenstück ,  kein 
Testament  im  eigeutüchen  Sinne,  vielmehr  eine  Mahnung  an 
die  Söhne,  besonders  den  Erbprinzen,  nach  welchen  Grund- 
sätzen er  die  Regierung  zu  führen  habe,  voll  wohlgemeinter 
Ratschläge  und  nicht  ohne  treffende  Bemerkungen,  vor  allem 
aber  ein  Zeugnis,  wie  der  alte  Herr  seine  ehrgeizigen,  auf 
die  Erweiterung  seiner  Hausmacht  und  auf  die  Gewinnung 
einer  glänzenden  Stellung  gerichteten  Pläne  bis  zum  letzten 
Atemzuge  festgehalten  hat.  Er  leugnet  nicht,  dafs  infolge 
seiner  PoUtik  die  Schulden  des  Landes  beträchtlich  gewachsen 
seien  und  eine  ofientliche  Kalamität  zu  werden  drohen,  aber 
er  ist  noch  jetzt  von  der  Richtigkeit  dieser  PoUtik  über- 
zeugt und  rät  dem  Sohne,  wenn  ihm  „der  Etat  gezeiget 
werde,  darüber  keinen  Unmut  zu  verspüren''.  Solche  Aul- 
wendungen seien  auch  in  der  Zukunft  nötig,  „damit  man 
nur  nicht  gar  unter  die  Füfse  getjeten,  sondern  noch  einiger- 
mafsen  auirecht  erhalten  werde".  Er  erinnert  an  die  Stadt 
Braunschweig,  „deren  Eroberung  einzig  und  allein  seiner 
in  der  That  mühsamen  Unterhauung  beizumessen  sei,  da 
sein  Bruder  (Rudolf  August)  aniUnglich  durchaus  nicht  diu-an 


and  also  niclit  wenig  Kunst  Labe  gebraucht  werden 
en,  ihn  dazu  zu  disponieren".  Er  ist  ehrlich  genug 
zuzugeben,  dals  die  unglückliche  Allianz  mit  Frankreich  nach 
dem  Kyswicker  Frieden  trotz  der  Abneigung  seines  Bruders 
durch  ihn  zuBtande  gebracht  sei,  aber  er  rechnet  sich  dies 
zum  Ruhme  an  imd  bedauert  nur,  daf»  sein  kurz  vor  der 
Cellischen  Invasion  gemachter^,  Vorschlag ,  .,das  Dannen- 
bergische  nebst  den  Cellischen  Ämtern  bis  au  und  über  die 
Aller  zu  besetzen  und  somit  das  Land  bis  au  die  Elbe  zu 
erweitem",  nicht  durchgegangen  sei.  Er  wirft  auch  einen 
Blick  in  die  nächste  Zukunft  und  hoflt,  die  vor  einigen 
Jahren  geschlossene  Verbindung  seiner  zweiten  Enkelin  mit 
dem  Czarewitsch  werde  dessen  Vater  bestimmen,  bei  den  da- 
mals schwebenden  Verhandlungen  über  das  Schicksal  der 
Herzogtümer  Bremen  und  Verden  sein  ganzes  Gewicht  in 
die  Wagschale  zu  werfen ,  damit  dem  Wolfenbüttler  Hause 
das  letztere  oder  doch  die  Laudschat't  zwischen  Aller  imd 
Ocker  zuteil  werde.  Er  rät  dem  Sohne,  für  diesen  Fall 
7  bis  8000  Mann  bereit  zii  halten.  Man  sieht,  es  sind  die 
alten  Eroberungspläne,  die  ihn  noch  immer  beschUftigen  vmd 
die  einen  eigentümlichen  Kontrast  bilden  mit  den  dem  Sohne 
erteilten  Katsclilägen  inbezug  aul*  dun  durch  diesen  zu  be- 
wirkenden Aufschwung  des  Gewerbes  und  die  zu  erstrebende 
Blüte  des  „Commercium",  Diese  Vorschläge  sind  im  ganzen 
yerstÄndig,  aber  sie  beschränken  sich  doch  wesentlich  auf 
Aufserlichkeiten.  Er  empfiehlt  dem  Erbprinzen  die  Stadt 
Braunschwoig  und  warnt,  sie  mit  Auflageu  und  Neuerungen 
KU  bedrücken,  aber  zugleich  rät  er  ihm,  „die  alten  Häuser, 
die  dem  Fremden  ein  Scheusal  seien  und  ihm  von  der 
Landesökonomie  einen  schadUchen  Eindruck  machten",  nie- 
derzureifsen :  auf  dem  Burgplatze  müsse  ©in  neues  statt- 
Hcbes  Gebäude  für  die  Landschaft  errichtet  werden. 

August  Wilhehu  hat  sich  diese  väterlichen  Ratschläge  nur 
zum  kleinsten  Teil  zur  liichtscbnui'  genommen.  Es  ist 
wahr,  er  eiierte  dem  Vater  an  Pracht  und  Glanz  der  Hof- 
haltung nach,  er  wurde  auch  nach  dessen  Rate  ein  eifriger 
Bauherr,  der  dieser  Leidenschaft  giofse  Sujnmen  zum  Opfer 
trachte  und  dadurch  die  Finanzen  seines  Landes  noch  mehr 
zerrüttete.  Er  verstärkte  und  enveiterte  die  Befestigungen 
Braunschweigs,  erbauete  hier  auf  dem  „grauen  Hofe",  dem 
früheren  Aufsenhofe  der  Kiddagahäuser  Mönche,  ein  neuea 
BesJdenzschlofs,  während  er  das  alte  Haus  seiner  Väter  in 
Wolfenbüttcl  einem  es  völlig  umgestaltenden  Umbau  unter- 
zog, und  hat  auch  sonst  im  Lande  eine  lebhafte  Bauthätig- 
keit  geweckt  und  gefördert,  ohne  dafs  sich  übrigens  dadurch 


Zweites  Bacb-    Enter  Abschnitt 


tu 


Handel  and  Wandel  merklich  gehoben  hütteo.  Waa  aber 
::ieine  auswärtige  Politik  und  die  kirchlichen  Angelegenheiten 
des  Landes  betritfl,  so  hat  er  hier  durchaus  andere  Wege 
eingeschlagen,  als  sie  sein  Vater  gegangen  war.  Schon  als 
Erbprinz  hatte  er  den  unruhigen  B^trebungen  seines  Vaters, 
die  hannövrische  Kur  zu  vereitein  und  sich  in  die  Erb- 
Btreitigkeiten  des  Lünebuiger  Hauses  einzumischen ,  wenig 
Verständnis  entgegengebracht,  ja  er  hatte  ihnen  gegenüber 
schliefaUch  eine  entschieden  oppositionelle  Stellung  einge- 
nommen. So  konnte  er  selbst  in  den  Verdacht  geraten,  dafs 
er  heimlich  die  Übertragung  der  Kur  aui  die  jüngere  Linie 
des  braunschweigi sehen  Hauses  anerkannt  habe.  Hielt  er  es 
damals  (1697;  auch  für  angemessen ,  gegen  eine  solche 
;,  mordliche  Calumnie"  Verwahrung  einzulegen ,  so  hat  er 
doch,  nachdem  er  zur  Regierung  gelangt  war,  nicht  nur 
jener  Thatsache  bereitwillig  sich  gefugt,  sondern  auch  seiner- 
seits den  besten  Willen  gezeigt,  mit  dem  hannoTriscbea 
Hute  gute  Beziehungen  herzustellen  und  diese  nach  Kräften 
zu  pflegen.  Ahnlich  abweichend  von  derjenigen  seines  Va- 
ters war  seine  Haltung  auf  dem  kirchlichen  Gebiete.  Per- 
sönlich war  er  weit  davon  entfernt,  den  Indifferentismus 
Anton  Ulrichs  zu  teilen.  Er  zeigte  vielmehr  ftir  das  kirch* 
liehe  Loben  eine  rege  Teilnahme  und  war  bestrebt,  der  ka- 
thülisierenden  Strömung  eutgegenzuarbeiten,  welche  sich  seit 
Anton  Ulrichs  Übertritt  in  gewissen  Kreisen  geltend  zu 
machen  suchte.  Aus  diesem  Bestreben  gingen  die  Bekenntnis- 
predigten  hervor,  die  er  sieben  Jahre  lang  jeden  Mittwoch 
an  seinem  Hofe  halten  licfs  und  zu  denen  abwechselnd  und 
nach  einander  eitratliche  Prediger  des  Landes  nach  Wolfen- 
büttel, Salzdahlum  oder  Langeloben,  wo  sich  der  Hof  gerade 
aufhielt,  befichiüdcn  wurden.  In  die  Zeit  seiner  Regierung 
fielen  auch  die  zweihundertjährigen  Jubelfeste  dreier  hir  die 
lutherische  Kirche  im  aUgemeinen  oder  für  die  Braun- 
Schweiger  Landeskirche  im  besouderea  hochbedeutsamer  Er- 
eignisse :  die  Feier  dos  Tages,  an  welchem  Luther  den  ersten 
kühnen  Schlag  gegen  die  Allgewalt  der  katholischen  Kirche 
wagte,  der  Einführung  der  Keformafcioa  in  der  Stadt  Braun- 
schweig  \md  endlich  der  Überreichung  des  lutherischen 
Glaubensbekenntnisses  auf  dem  Reichstage  zu  Augsburg. 
Alle  diese  Feste  wurden  in  Stadt  und  Land  in  würdiger,] 
zum  Teil  grofsartiger  Weise  begangen  und  trugen  ohael 
Zweifel  dazu  bei,  das  kirchliche  Bewufstsein,  das  nament-J 
lieh  in  den  höheren  Kreisen  der  Gesellschaft  vieliach  erj 
loacben  oder  doch  getrübt  war,  wieder  zu  beleben  oder  zi 
kräfUgen.     Auch  die  kircbÜcUeuBau^^^Vß  \xQ.\_.Mi!\ft  Wo 


Heraog  Angufit  AVilbelm. 


245 


he  Fürsorge  des  Herzogs  erfahren.  So  hat  er  im  Schiosse 
Vechclde,  wo  sich  der  Hof  zur  Herbstzeit  bisweilen  auf- 
hielt, eine  t^chlofskapelle  erbauet  und  eingerichtet,  so  in  Wol- 
fenbüttel die  durch  Brand  zerstörte  alte  Trinitatwkirche  wie- 
der aus  der  Asche  erstehen  lassen,  so  endlich  die  herrliche 
Klosterkirche  von  St.  Egidion  in  ßrauuschweig  vor  ganz 
liebem  Verfall  bewahrt,  indem  er  eie  ziu*  Garnisonkirche 
bestimmte  und  demgemUfs  im  Innern  ausbauen  liefs. 

Die  Diener  seines  Vaters,  welche  ihm  dieser  in  der  er- 
wähnten „väterlichen  Mahnung  und  Instruction"  warm 
empfohlen  hatte^  beliefs  August  Wilhelm  zunächst  in  ihrem 
Amte,  vor  allen  den  alten  klugen  und  gewandten  Kanzler 
Probst  von  Wendhausen,  der  in  den  ersten  Jahren  der  neuen 
Regierung  die  Geschäfte  mit  bewährter  Umsicht  leitete,  da 
der  Herzog  selbst,  durch  seine  Lieblingsbeschäftigung  mit 
mathematischen  und  mechanischen  Studien  abgezogen,  sich 
wenig  darum  kümmerte.  Als  Probst  171 H  in  hohem  Alter 
starb,  folgte  ihm  in  seinem  Amte  ürban  Dietrich  Lüdecke, 
der  gleichfalls  schon  unter  Anton  Ulrich ,  zuletzt  als  Prä- 
sident dea  Ilofgerichts  und  des  Konsistoriums,  eine  einfluis- 
reiche  Stellung  eingenommen  hatte.  Allmählich  aber  machte 
sich  der  verhängnisvolle  Einflufs  eines  Mannes,  der  zuerst 
als  Page  an  den  Wolfenbüttler  Hof  gekommen  war,  auf  den 
gutmütigen,  unselbständigen  und  indolenten  Herzog  mit  stets 
wachsender,  zuletzt  unwiderstehlicher  Macht  geltend.  Ee 
war  Konrad  Detlef  von  Dehn,  ein  geborener  Holsteiner,  der 
mit  der  Hand  der  einzigen  Enkelin  des  verstorbenen  Kanzlers 
sehr  bedeutende  Besitzungen  im  Herzogtume  erworl>en  hatte. 
Ohne  tiefere  J3ildung,  aber  geschmeidig,  gewandt  und  grund- 
eatzlos,  ein  Hofmann,  wie  deren  diese  Zeit  so  viele  grofs- 
gezogen  hat,  verstand  er  es,  durch  unbedingtes  Eingehen 
auf  die  Laune  seines  Herrn  diesen  so  iür  sich  zu  gewinnen, 
dafs  er  bald  der  erklärte,  allgewaltige  Günstling  desselben 
wurde.  Er  teilte  mit  ihm  die  Neigung  fllr  äufseren  Glanz, 
für  einen  Aufwand  und  eine  Verschwendung ,  die  weit 
über  seine  Blräfte  hinausgingen.  Zum  ,,Caj)elldirektor  des 
fürstlichen  Opernhauses  auf  dem  Hagenmarkte  in  Braun- 
schweig" ernannt,  wufste  er  für  dieses  Kuustinatitut  zwar 
Kräfte  wie  Graun  und  Hasse  zu  gewinnen,  aber  die  Pracht 
der  Ausstattung  und  die  Verschwendung,  mit  der  die  Aaf- 
fülu-ungen  geleitet  wurden,  verschlangen  gewaltige  Summen. 
Wie  er  mit  den  öffentlichen  Geldern  in  rücksichtslosester 
Weise  schaltete,  so  kannte  er  auch  in  seinem  Privataul  wände 
keine  Schranken.  Im  Haag,  in  K.opciT3,\va^<&w ,  aw  ^»!Ax  Vv^'v^^ 
zu  Paris,  London  und  Wiea,  wo\ün  et  lu  'itu^iVöt^^'«  ^v«»»^ 


246 


Zweites  Buch.    Erster  Absctaitt. 


ging,  um  die  Ausdehnung  der  hannövrischen  Kur  auch  auf 
die  ältere  LiuJe  des  braunschwcigi sehen  Hauses  zu  oi-wirken, 
trat  er  wie  der  G^esandte  einer  Orofsmacht  auf  und  suchte 
es  an  Pracht  und  Aufwand  den  Vertretern  der  ersten  Staa- 
ten zuvorzulhun.  In  Braunschwcig  bauete  er  sich  liinter  der 
Egidienkirche  ein  palastähnlichea  Haus,  und  sein  Garten  in 
der  KitterKtrafse  mit  dem  in  japanesiscliem  Stil  gehaltenen 
Gartenbauae,  einem  Haupt-  und  zwei  Nebentürraen ,  seinen  ^ 
Anlagen  und  Spielereien  in  französischem  Geschmack  er-  ^| 
regte  das  Staunen  und  die  Bewunderung  aller  Reisenden^  ^^ 
die  nach  Braunschweig  kamen.  Dehn  wurde  im  Jahre  1720 
zum  Erbachenken  von  Gandersheim  und  1726  vom  Kaiser 
in  den  Reicbsgrafenstand  erhoben.  Er  behauptete  sich  in 
seiner  alles  beherrschenden  Günatlingsßtellung  bis  zum  Tode 
des  Herzogs.  Aus  einem  Streite  mit  dem  Kammerpi-äsiden- 
ton  Hieronyrauö  von  Miincbbausen ,  der  auf  gröfsere  Spar- 1 
samkeit  imd  strengere  Ordnung  in  der  Finanz  Verwaltung 
drang,  ging  er  siegreich  hervor.  Weil  er  in  Privatbriefen 
die  Ehrfurcht  vor  seinem  Herrn  aufser  Augen  gesetzt  habe, 
wurde  Münchhausen  als  ,,  Majcstätsbeleidiger"  iu  Anklage- 
stand versetzt  und  nach  Einholung  eines  Gutachtens  der 
völlig  unter  Delms  Einflüsse  stehenden  juristischen  Fakultät 
zu  Hebnstedt  von  dem  Geheimen  Rate,  in  welchem  sein 
Gegner  den  Vorsitz  führte^  zum  Verlust  seines  Amtes  ohne 
jede  Entschädigung  verui-teilt.  Dieses  pai'teiitiche  Verfaliren, 
sowie  die  ganze  G  ünstlings Wirtschaft ,  deren  Ausdruck  es 
war,  trug  nicht  wenig  dazu  bei,  das  so  schon  untrcundliche 
Vei'hältnis  des  Herzogs  zu  seinem  jüngeren  Bruder  Ludwig 
Rudolfj  welchem  beim  Tode  des  Vaters  die  ziuu  Fürsten- 
tume  erhobene  Grafschaft  Blankenburg  zugefallen  war,  zu 
einem  geradezu  feindlichen  zu  gestalten.  Ludwig  Rudolf 
nahm  sich  des  ungerechterweise  verfolgten  Mannes,  der  auch 
in  seinen  Diensten  stand,  an.  Er  erwij*kte  von  dem  Kaiser 
Karl  VI.,  seinem  Schwiegersöhne,  anfangs  ein  mildes  und, 
als  dieses  nichts  fruchtete,  ein  schärferes  Mandat  (1729), 
wonach  der  Herzog  August  Wilhelm  angewiesen  wurde, 
Münchhausen  die  ihm  entzogene  Pension  auszahlen  zu  lassen 
und  ihm  einen  ehrenvollen  Abschied  statt  der  ihm  gewor- 
deneu schimpflichen  Entlassung  aus  dem  Amte  zu  erteilen. 
Ja,  er  ernannte  ihn  zu  seinem  eigenen  ersten  Minister  und 
gab  ihm  dadurch  die  unzweideutigste  Ehrenerklärung  gegen- 
über den  gehässigen  Mafsregeln  seines  Bruders  und  der  j 
Wolfenbüttier  Regierung.  ^H 

Zwei  Jahre  darauf  starb  Augiiat  WUbelm  am  23.  Mftrz,  ^" 
dem  Chart'reitüge  des  Jahres  nt\V.   DtcwciÄ  \ftT\Ävt»X»!^  tiä.- 


Ludwig  Rudolf. 


247 


iotzt  mit  Elisabeth  Sophie  Marie,  eiaer  Tochter  des  Herzogs 
Rudolf  Friedrich  von  Hülateiu-Norburg,  einer  frommen  und 
hochgebildeten  Frau,  hinterliefa  er  doch  keine  Kinder.  Ihm 
folgte  deragemäfs  in  der  Regienmg  des  Rerzogturas  sein 
Bruder  Ludwig  Rudolf,  wodurch  das  Fürstentum  Blankon- 
burg  nach  kurzer  Trennung  mit  jenem  wieder  vereinigt 
ward. 

Eine  der  ersten  Regier  ungshandlungen  des  neuen  Herr- 
schers war  die  Beseitigung  der  bisherigen  Giinstlingsherr- 
»chafl.  An  Dehns  Stelle,  welcher  das  Land  verliefs  und  in 
dänische  Dienste  giug,  trat  das  frühere  Opfer  seiner  Ver- 
folgungeaucht ,  der  Freiherr  llieronymus  von  Münchhausen. 
Auch  die  übrigen  Stellen  im  Geheimen  Rate  wurden  mit 
anderen  Männern  besetzt.  Ludwig  Rudolf  gab  durch  diese 
Mafsregel  von  vornlierein  zu  erkennen ,  dafs  er  nicht  ge- 
sonnen sei ,  dieselben  oder  ähnliche  Bahnen  einzuschlagen, 
wie  sie  sein  Bruder,  wenigstens  in  der  letzten  Zeit  seiner 
Regierung,  gewandelt  war.  Er  war  diesem  seinem  älteren 
Bruder  überhaupt  an  Thatkraft,  poÜtischem  Verständnis,  be- 
sonders aber  an  geistiger  Bildung  weit  überlegen.  Freilich 
trug  diese  Bildung  wesentlich  den  oberflächlichen,  frivolen, 
äufaerlich  glänzenden  Charakter,  der  die  Signatur  dieser 
unter  der  Herrschaft  französischer  Lebensrichtung  und  fran- 
zösischen Geschmackes  stehenden  Zeit  war.  Aber  es  würde 
unbillig  sein,  von  einem  Fürsten,  der  ganz  in  der  leicht- 
fertigen Atmosphäre,  wie  sie  nicht  nur  den  Hof  seines  Va- 
ters sondern  der  meisten  deutschen  Fürsten  umgab,  auf- 
gewachsen war,  eine  diesen  Anschauungen  schnurstracks 
entgegenlaufende  Eigenart  zu  erwarten.  Ludwig  Rudolf 
teUte  mit  der  ganzen  damaligen  Generation  seines  Hauses 
die  Freude  an  üppigem  Lebenagenufa,,  die  mit  der  Steifheit 
einer  prunkvollen,  auf  den  Schein  berechneten  äufaereu  Dar- 
stellung zu  einem  fremdartigen,  mit  dem  deutschen  Wesen 
in  innerem  Widerspruch  stehenden  Lebensbilde  verschmolz. 
Durch  FamiÜenvertrag  vom  30.  Januar  1690  war  ihm  dem 
Primogeniturrezer^  von  1535  zuwider  (H.  336),  aber  unter 
allseitiger  Zustimmung  der  Beteiligten  die  Grafschaft  Blan- 
kenburg  als  eine  dem  Fürstentume  Wolfenbüttel  zwar  lose 
verbundene  aber  im  übrigen  ganz  selbständige  Herrschaft 
mit  eigenen  Landständen  und  gesonderter  Verwaltung  in 
Aussicht  gestellt  worden,  und  nach  dem  Tode  seines  Vaters 
trat  er  die  Regierung  des  inzwischen  (1.  Mai  1707)  zum 
Reichsturstentume  erhobenen  Landes  an.  Er  fühlte  sich  im 
Besitz  des  kleinen,  kaum  sieben  Quadratraeilen  betra^adet^ 
Territorriunfl  durchaus  als  deutac\ieT  ^\c\ia^%\,  TassaiL  -ftRssi. 


Zweites  Bacb.    Erster  Abschnitt. 


Vetter,  der  König  Georg  I.  von  England,  ihm  die  ätimme 
beim  Keichstage,  die  mit  dem  Furätentume  Grubeuhagen 
verknüpft  war,  abti-at,  freilich  unter  der  einschränkenden 
Bedingung,  dal3  er  sie  stets  in  Übereinstimmung  mit  Kur- 
hftnnover  abgäbe.  Schon  in  Blankenburg  hatte  dann  Lud- 
•wig  Rudoli'  eine  über  seine  Verhältnisse  hinausgehende  Hoi- 
haltung  geführt,  glänzende  Feste  g^eben,  eine  der  Gröfse  ^^ 
des  Landes  nicht  entsprechende  Beamtenschaft  unterhalten,  ^| 
tmbekümmert  um  die  Schulden,  die  von  Jahr  zu  Jahr  an-  ^" 
wuchsen,  so  dafs  die  Gläubiger  mit  Klagen  droheten  und 
netie  Anleihen  kaum  noch  Aussicht  auf  Erfolg  hatten.  Ein 
Wandel  in  solchen  Lebensgewohnheiten  ti-at  selbstvei-ständ- 
lich  auch  nicht  ein,  als  der  Herzog  die  Regierung  des  gröiae- 
ren  Landes  übemalim,  vielmehr  dauerte  die  kostspielige  ge- 
sonderte Verwaltung  beider  Füi'stentümer  auch  nach  ihrer 
Vereinigung  fort  und  hat  bis  zum  Jahre  1808  bestanden. 
Aber  Ludwig  Rudolf  hat  doch  im  Gegensatze  zu  seinem 
Vorgänger  in  der  Regierung  wenigstens  das  Verdienst,  dafs 
er  mit  dem  ihm  eigenen  sicheren  Blick  für  Menschen  imd 
Verhältnisse  die  richtigen  Männer  ausfindig  zu  machen  imd 
aiii  den  ihren  Kenntnissen  und  Fähigkeiten  entsprechenden 
Platz  zu  stellen  verstand.  Abgesehen  von  dem  wackeren 
Münchhauaen,  der  während  der  Dauer  seiner  Regierung  an 
der  Spitze  der  Staategeschäfte  blieb,  hat  er  eine  Anzahl  her- 
vorragender Beamte ,  wie  namentlich  den  Hoi^ägermeister 
J.  G.  von  Langen,  einen  der  bedeutendsten  Forstieute  des 
vorigen  Jahrhunderts,  und  den  späteren  Vizekanzler  G.  S.  A. 
von  Praun,  einen  durch  Gelehrsamkeit,  Beruistreue  und  Ar- 
beitskraft gleich  ausgezeichneten  Mann ,  fui-  den  braun- 
Bchweigischen  Staatsdienst  zu  gewinnen  gewufst.  So  kam 
in  die  Verwaltung  des  Landes  immerhin  ein  anderer  heil- 
samer Zug.  Reformen  wurden  in  Aussicht  genummen,  andere 
begonnen,  einige  selbst  durchgeführt.  So  wurde  die  herzog- 
liche Kammer  nach  Braunschweig  verlegt  und  ihr  die  Ge- 
schäfte der  seit  der  Unterwerfung  dieser  Stadt  mit  der  Ver- 
waltung der  städtischen  Finanzen  beti-aueten  Stadtkommisaion 
übertragen,  so  Kriegswesen  und  Landespolizei  vorbessert, 
ein  Garnisonlazareth  in  Braunschweig  erbauet  und  die  alte 
Kirche  der  Pauliner  zum  Zeughaus  eingerichtet.  Aber  die 
Regierung  des  Herzogs  dauerte  zu  kui'ze  Zeit,  als  dafs  sie 
eine  durchgreifende  Umgestaltung  der  Staatsverwaltung  hätte 
herbeitühren  können.  Ludwig  Rudolf  starb  bereits  am  ].  März 
1735 ,  nach  kaum  vierjährigein  Regiment.  Von  den  vier 
Töchtern  aus  seiner  Ehe  mit  Christine  Luise,  der  schönen 
und  geietreichen    Tochter    de&  ¥üiiÄ\Äti   ^Ä5«^.  ^2:1^  m<wl 


• 


I 


Seine  Xacfakommeoschaft. 


249 


OttingeDj  erreichten  drei  das  niauubare  Alter.  Zwei  von 
ihnen  haben  eine  europäische  BerühmÜieit  erlangt,  diu  dritte 
wurde  die  Ötammaiutter  aller  späteru»  Herzüge  von  Braun- 
schweig. Elisabeth  Christine^  die  ültüste»  ist  uns  bei'eits  be- 
kannt. Ihres  Übertritts  zur  römisch-katholischen  Kirche  und 
ihrer  Vermählung  mit  Karl,  dem  damaligen  Könige  von 
Spanien  und  späteren  deutschen  Kaiser,  ist  in  dieser  Dar- 
stellung bei  der  Geschichte  ihres  Grofsvaters  gedacht  wor- 
den. Sie  wurde,  ausgezeichnet  durch  Schönheit,  Anmut  und 
Verstand,  die  Mutter  einer  noch  bedeutenderen  Frau,  der 
grofseu  Kaiserin  Maria  Thei*e8ia.  Chailotte  Christine  ist 
durcb  ihr  trauriges  Geschick,  dem  sie  in  einem  fremden, 
balbbarb arischen  Lande  in  der  Blüte  der  Jugend  erlag,  als 
„Prinzessin  von  Woltenbiittel"  berühmt  geworden.  Sie  war 
an  den  Czarewitsch  Alexei,  de«  Sohn  Peters  des  Grofson, 
verheiratet^  hatte  sich  aber  nicht  entschliefsen  können,  ihrem 
lutherischen  Glauben  zu  entsagen,  und  ist  inmitten  des  rus- 
sischen Lebens,  das  sie  mit  Widerwillen  imd  Absclieu  er- 
füllte, stets  eine  Fremde  geblieben.  Ihre  unglückliche  Ehe 
mit  einem  sittlich  verkommenen ,  den  niedrigsten  Lastern 
fröhnenden  Menschen  hat  sie  in  ein  frühes  Grab  gestürzt.  Sie 
wurde,  wie  sie  selbst  in  einem  ihrer  Briete  eag^  „  das  arme 
Opi'er  ihres  Hauses,  ohne  dafs  dies  letztere  davon  den  ge- 
ringsten Vorteil  gehabt  hat".  Ihr  tragiseliea  Los  ist  von 
der  Sage  in  romanhaiter  Weise  ausgeschmückt  und  der  Gegen- 
stand einer  zu  ihrer  Zeit  viel  gelesenen  Dichtung  geworden. 
Die  jüngste  Tochter  Ludwig  Rudolfs  endlich,  Antoinette 
Amalie,  vermählte  sich  am  15.  Oktober  1712  mit  dem 
Vetter  ihres  Vaters,  dem  Herzoge  Ferdinand  Albrecht  II. 
von  Beveru,  dem  Öolme  jenes  ersten  Ferdinand  Albiecht, 
der  dem  Leser  noch  als  „der  Wunderliche  im  Frucht- 
bringend' im  Gedächtnis  sein  wii'd.  Durch  diese  Verbindung 
wm'den  die  beiden  Zweige,  in  die  sich  nach  Augusts  d.  J. 
Tode  das  wolienbüttel-dannenbergische  Haus  gespalten  hatte, 
wieder  vereinigt.  Ferdinand  Albrecht  11.,  der  sich  als  Prinz 
in  dem  spanischen  Erbiblge kriege  und  in  den  Kämpfen  g^en 
die  Türken  in  Ungarn  so  ausgezeichnet  hatte,  dals  ihn  der 
Kaiser  „wegen  bekannter  KriegBeriabrenheit,  auch  Kaiser- 
licher Majestät  und  dem  römischen  Reiche  erwiesener 
Dienste"  zum  Reichageneralfeldzeugmeister  ernannte,  folgte 
jetzt  seinem  Vetter  und  Schwiegervater  in  den  Fürstentümern 
Woltenbüttel  und  Blankenburg.  Er  ist  der  Stammvater  der 
sogenannten  bevernschen  Linie  des  Hauses  Braunschweig  ge- 
worden, hat  aber  die  Regierung  nur  k\xvz.ft  '/^e\V  ^fclvilwcX,  ^ 
er  bereits  sechs  Monate  nach  AntriU  Ä^ir&ttVoe\i  «Ja  V'^.^iRs^- 


k. 


Zweites  Bach.    Erster  Abschnitt. 


tember  1735  ans  diesem  Leben  abberufen  ward.  Von  seiner 
aufserordentlicb  zahlreichen  Nachkommenschaft  (acht  Söhne 
und  sechs  Töchter)  haben  sich  einige  einen  gi'ofsen  Namen 
gemacht,  andere  sind  durch  ihre  Schicksale  bemerkenswert 
Zu  den  letzteren  gehört  der  zweite  Sohn,  Anton  Ulrich,  der 
als  Gemahl  der  Regentin  Anna  von  Rufsland  und  als  Vater 
des  unglückliclicn  Kaisers  Iwan  Antonowitsch  mit  in  das 
Unglück  verwickelt  ward,  in  welches  der  Staatsstreich  der 
Kaiserin  Elisabeth  vom  0.  Dezember  174t  seine  Gemahlin 
und  sein  noch  nicht  zweijähriges  Söhnchen  stürzte.  Er 
endete  in  der  Verbannung  zu  Cholmogory  bei  Archangel 
nach  dreiunddreifsigjährigera  Geftlngnis.  Diese  Rovolutioa 
unterbrach  auch  zeitweilig  die  glänzende  Laufbahn  dos  drit- 
ten Sohnes  von  Ferdinand  Albrecht,  Erast  Ludwig.  Von 
den  Ständen  des  Landes  zum  Herzoge  von  Kurland  gewählt, 
verlor  er  diese  Stellung  infolge  jener  russischen  Wirren,  noch 
ehe  er  sie  angetreten  hatte,  ward  dann  gleichfalls  eine  Zeit 
lang  gefangen  gehalten,  trat  später  in  holländische  Dienste, 
wo  er  während  der  Minderjährigkeit  des  Erbstatthalters 
Wilhelm  V-  als  dessen  Stellvertreter,  Vormund  und  Generai- 
kapitän  bis  zum  Jahre  1784  eine  mafsgebende ,  hervor 
ragende  Rollo  in  der  Geschichte  des  Landes  gespielt  hat 
Zwei  andere  Söhne  Ferdinand  Albrechts  starben  in  preufai- 
schen  Diensten  den  Heidontod,  Albrecht  in  der  Schlacht  bei 
Soor  in  Böhmen  und  Friedrich  Franz  bei  dem  für  Fried* 
rieh  IL  so  unglücklichen  Überfalle  von  Hochkirch.  Der 
berühmteste  aber  vou  allen  ist  Ferdinand  geworden,  in  der 
Reihe  der  Söhne  der  fünfte,  der  bekannte  Feldherr  des 
siebenjährigen  Krieges,  der  Sieger  von  Crefeld  und  Minden. 
Von  den  Töchtena  Ferdinand  Albrechts  II.  mögen  nur  zwei 
erwähnt  werden:  die  älteste,  Elisabeth  Clu*ißtine,  welche  sich 
am  12.  Juni  1733  zu  Salzdahlum  mit  dem  damahgon  Kron- 
prinzen von  Preufeen,  dem  nachherigen  Könige  Friedrich  H,  fl 
und  Luise  Amalie,  die  sich  mit  dem  Prinzen  August  Wil-  ™ 
heim  von  Preufsen  vermählte  und  die  Starammutter  des  re- 
gierenden preofsjschen  Königshauseä  wurde.  Der  älteste  von 
den  Söhnen  aber,  Karl  I.,  übernahm  nach  dem  iTode  seines 
Vaters  die  Regierung  des  Heraogtums  Braunschweig- Wolfen- 
büttel. 


Maria  Theresia  und  dio  pragmatische  Sanktion. 


2ai 


Zweiter   Abschnitt. 
Die  Zeit  der  Aufklärung. 


Das  Jahr  1740  bezeichnet  einen  bedeutungsvollen  Wende- 
punkt in  der  europäischen  Staatengeschiehte.  Nach  einer 
längeren  Zeit  wesentlich  friedlicher  Entvrickelung  entbrannte 
um  das  Erbe  des  deutsch- östeiTeichischen  Hauses  ITabsburg 
ein  Krieg  von  ähnlicher  Dauer,  ähnlichem  Umfang  und  ähn- 
licher Tendenz,  wie  er  zu  Anfang  dea  Jahrhunderts  um  die 
spanische  Monarchie,  das  Erbe  des  anderen  Zweiges  des- 
selben habsburgischen  Hauses  geführt  worden  war.  Ein 
Kampf  bereitete  sich  vor,  der,  heraufbeschworen  durch  den 
Tod  des  letzten  habsbui'gischen  Kaisers  in  Deutschland,  den 
Erdteil  in  z^'ei  Heerlager  spalten  sollte  und  in  welchem 
sich  so  ziemlich  dieselben  Staateng ruppen  feindlich  ent- 
gegentraten, die  nach  dem  Tode  jenes  anderen  gleichnamigen 
Habsburgers,  Karls  H.  von  Spanien,  ihre  Waffen  gegen  ein- 
ander gekehrt  liatten :  aut  der  einen  Seite  —  verbündet  mit 
Bayern  und  dem  unter  der  Regierung  des  eben  zum  Throne 
gelangten  Friedrich  H.  mächtig  emporsti'ebenden  Preufscn  — 
die  bourbonischen  Höffi  von  Frankreich  und  Spanien,  auf 
der  anderen  England,  Osterreich  und  der  weitaus  gröfsere 
Teil  der  deutschen  Reichsfürsten. 

Kaiser  Karl  VI.  hatte  für  die  Anerkennung  der  »,  prag- 
matischen Sanktion",  jenes  Hauagesotzes,  welches  den  Be- 
stand der  Österreichischen  Monarchie  und  zugleich  die  Nach- 
folge seiner  einzigen  Tochter  Maria  Theresia  zu  sichern  be- 
stimmt war,  grofse  Opfer  gebracht.  Es  war  ihm  gelungen, 
datur  die  Zustimmung  der  europäischen  Mächte  nicht  nur, 
sondern  auch  derjenigen  deutschen  Fürsten  zu  gewinnen,  die 
durch  ilu-o  Vermählung  mit  Töchtern  seines  älteren  Bruders, 
dea  Kaisers  Joseph  I.,  mit  dem  östeiTeichischon  Kaiserhause 
nahe  vorwandt  waren  und  möglicherweise  aus  dieser  Ver- 
wandtschaft nähere  Ansprüche  auf  die  Erbfolge  herleiten 
konnten.  Es  waren  dies  die  Kurfürsten  August  HI.  von 
Sachsen,  König  von  Polen,  und  Karl  Albrecht  von  Bayern, 
welche  beide  in  durchaus  bindender  Form  das  neue  Öster- 
reicliische  Hausgesetz  anerkannt  hatten.  Allein  nach  ilires 
Vaters  Tode  sollte  Maria  Theresia  die  Erfahrung  machen, 
wie  weni^  in  jener  Zeit  auf  solche  paL^vfcmfc  Giftx^'ßÄÄWi.  tä 
bauen   war.     Der  Kui'fiirst   von   Bayern  ev\vQ\>   ^>a&  ^^^v^aß^^ 


Zweites  Bach.     Zweiter  Abschnitt. 


einer  testamentariscLen  Bestiimnimg  des  Kaisers  Ferdinand  L^ 
wonach  bei  etwaigem  Erlüscheu  des  babsburgischen  Mann»- 
stammes  in  Deutschland  die  Nachkommen  seiner  nach  Bayern 
verheirateten  Tochter  Anna  das  Erzherzogtum  Österreich 
und  das  Königreich  Böhmen  erben  sollten,  Anspruch  auf 
diese  Länder  Er  schlofs  mit  Frankreich  und  Spanien  das 
Bilndnis  von  Nyraphenburg,  und  während  Friedrich  IL  von 
Preufsen,  der  sich  diese  Gelegenheit  zur  Vergi'üfserung  seiner 
Macht  nicht  entgehen  lassen  raochtej  in  Schlesien  einbrach  und 
nach  seinem  Siege  bei  Moll  witz  der  Allianz  gegen  Maria  Theresia 
beitrat,  überschwemmte  ein  bayrisch- tranzosischea  Heer  unter 
der  Führung  des  Kurfürsten  und  des  AlarschalU  Belleisle  die 
österreichischen  Erblaude,  bemächtigte  sich  des  Landes  ob 
und  unter  der  Ens  und  eroberte  Böhmen  mit  der  Haupt- 
stadt Prag,  wo  sich  Karl  Albrecht  als  König  des  Landes 
krönen  lief».  Dann  eilte  er  nach  Frankfurt,  um  sich  hier  ' 
von  den  durch  Belleisle  zu  seinen  Gunsten  bearbeiteten  Kur- 
i'tirsten  zum  deutschen  Kaiser  wählen  zu  lassen.  Einstimmig  ] 
wurde  er,  da  mau  Böhmen  von  der  Walilhandlung  auaschlofs, 
als  Karl  VIL  erkoren.  Selbst  der  Kurftirst  vou  Hannover, 
König  Georg  II.  von  England,  gab  ihm  —  wir  werden 
gleich  sehen,  aus  welchen  Gründen  —  seine  Stimme,  ^Ji 

Georg  war  unter  den  Garanten  der  pragmatischen  Sank-^B 
tion  der  einzige,  der  seinem  Worte  nnd  dem  von  ihm  über-  ' 
norameueu  Verpflichtungen  treu  blieb.  Neun  Tage  nach  der 
Schlacht  bei  Mollwitz,  am  11».  April  17-11,  machte  er  im 
Parlamente  die  Mitteilung  von  dem  Hilfegesuche,  welche» 
die  bedrängte  Maria  Theresia  an  ihn  gerichtet  habe,  und 
gab  .seinen  Entschluis  kund,  diesem  Gesuche  zu  entsprechen: 
er  habe  »ich  bereits  an  die  Höi'e  von  Kopenhagen  und 
Kassel  gewandt  mit  der  Älabnung,  den  lui*  diesen  Fall  mit 
England  abgeschlossenen  Verträgen  geuiäfs  ihre  HÜlstruppcn, 
6000  Dänen  und  ebensoviete  Hessen,  marschbereit  zu  halten. 
Er  selbst  ging  nach  Schluis  des  Parlaments  nach  Deutsch- 
land, wo  er  die  hannövriachen  Truppen  in  zwei  Lagern,  bei 
Nienburg  und  Hameln  zusammenzog.  Sobald  die  hessischen 
und  dänischen  Korps  eingetroffen  wären,  gedachte  er  mit 
der  gesamten  Streitmacht  nach  Öiiddeutschland  autzubrechen, 
um  hier  ihr  Gewicht  zugunsten  seiner  Bundesgenossin  in  die 
Wagschale  zu  werlen.  Allein  inzwischen  war  am  4.  Juni 
das  Bündnis  zwischen  Frankreich  und  Preufsen  in  Breslau 
unterzeichnet  worden.  Ein  französisches  Heer  unter  Maillebois 
iiberschntt  den  Khein  und  bedrohete  von  Westen  her  die 
JjHijuÖvriacben  Lande,  wäbretvÄ  eÄWG  Y'fe\\^%\?.vW  llfieresab- 
teilang  unter  dem  Fürsten  LaopoVd  -vtju  Kx^islA  w^\ife\^iK»^vi- 


Der  ÖGterreiclmcfae  Krbfolgekrieg, 


*J5S 


bürg  aamiuelte.  So  roa  zwei  Seiten  bedrohet ,  sah  sich 
Oeor^  genötigt  ^  seinen  An^rifiTdpkn  aufzu^ben  und  am 
27.  September  einen  NeatralitätsYerlrag  einzugeben,  in  wel- 
chem er  sich  verpHichtete,  die  Königin  von  Ungarn  in  keiner 
Weise  zu  unterstützen,  Bayern  und  dessen  Verbündete  ge- 
währen zu  lassen  und  bei  der  bevorstehenden  Raiserwahl 
nicht  für  Franz  Stephan  von  Lothringen,  den  Oemahl  Maria 
Theresias ,  zu  stimraen.  Was  blieb  ihm  in  dieser  Lage 
übrig,  als  seine  Stimme  nun  auch  dem  Kurftirsten  von  Bayern 
zu  geben y 

Aber  zu  der  nämÜcben  Zeit  war  in  dem  Kriege,  der 
über  das  Schicksal  der  österreichischen  Monarchie  entscheiden 
sollte,  die  überraschendste  Wendung  eingetreten.  Von  allen 
verlassen,  war  Mai'ia  Theresia  nach  Ungarn  geeilt  Hin- 
gerissen von  ihrer  Schönheit,  ihrer  Beredsamkeit  und  ihrem 
Unglück,  erhob  sich  die  ritterliche  Nation  für  sie  in  Waffen. 
lu  kurzer  Zeit  war  Ober-  und  Unter  Österreich  den  bay- 
rischen und  iranzösischen  Heeren  wieder  entrissen,  Linz  ge- 
nommen, nach  dem  Siege  bei  Sch&rdiug  Passau  zurück- 
erobert. Unaufhaltsam  ergo&sen  sich  die  Truppen  der  Königin 
von  Ungarn  über  Bayern.  Zu  derselben  Zeit,  da  Karl 
Albrecht  in  Frankfurt  xmter  dem  Protektorate  des  tVanzÖ- 
sischen  Marschalls  Bclleisle  mit  grotsem  Gepränge  zum  Kaiser 
gekrönt  ward,  zogen  sie  siegi'cich  in  seine  Hauptstadt  Mün- 
chen ein  und  besetzten  Landshut.  Schon  streiften  ihre  leich- 
ten Reiterscharcn  bis  an  den  Lech.  Nun  ward  auch  Böhmen 
wieder  bewältigt,  Belleisle  mit  der  iranzösischen  Armee  in 
Prag  eingeschlossen,  von  wo  er  dann,  die  Hauptstadt  Böh- 
mens ihrem  Schicksale  überlassend,  in  den  letzten  Wochen 
des  Jahres  1742  mitten  im  Winter  jenen  berühmten,  aber 
furchtbar  verlustvollen  Rückzug  bewerkstelligte,  der  ihn  über 
die  Hälfte  seines  Heeres  kostete. 

Diese  Ereignisse  brachten  auch  in  England ,  welches 
schon  1739  den  Krieg  an  Spanien  erklärt  hatte,  einen  Um- 
schwung in  der  Öffentlichen  Meinung  hervor.  Lange  hatte 
man  sich  hier  zu  keinem  unmittelbaren  Eingreifen  in  den 
Krieg  auf  dem  Festlande  entschliefsen  können.  Zwar  nahm  die 
Mehrheit  der  englischen  Nation  entschieden  für  die  bedrängte 
Maria  Theresia  Partei,  aber  Regiei-ung  wie  Parlament  be- 
gnügten sich  damit ,  dem  Könige  durch  Geldbewilligungen 
die  notdürftige  Hut  seiner  deutschen  Erblande  gegen  die 
ihnen  drohenden  Gefahren  zu  ermöglichen  und  die  Königin 
von  Ungarn  indirekt  dm-ch  Zahlung  von  Subsidien  zu  unter- 
stützen. Dies  änderte  sich  erst  mit  dem  ß.\i.*ito\\.\.\^i3\'>^v\^ÄT 
der  im  Februar  1 742  erfolgte.     In  dem  tx«»äu  "^MovaaV  %■«• 


2M 


Zweitfis  Buch.    Zweiter  Absclmitt. 


hielt  der  unruhige  und  entschlussene  Carteret  (später  Graf 
Granville)  einen  überwiegenden  Einflufa.  Er  bewirkte,  daf» 
daa  Parlament  tjotz  des  Wideratandes  der  Opj>osiitioo  und 
trotz  der  glänzendeu  Reden  Pitts  beträchtliche  Summen  be- 
willigte, teils  zu  Hiltagcldom  fiir  Maria  Theresia,  teils  zur 
Werbung  deutscher  Truppen,  welche  in  den  Niederlanden 
und  am  Rhein  zu  den  Österreichern  stol'sen  sollten.  Zu  den 
bereits  in  englischem  Solde  stehenden  6000  Hessen  wurden 
noch  ICOOO  Hanno\-eraner  in  Sold  genommen.  Diese  Streit- 
macht vereinigte  sich  im  Frühling  1743  mit  17  000  Eng- 
ländern und  10000  üaterreichem  unter  dem  Oberbefehl  von 
Lord  Stairs  zu  einer  Armee,  die  man,  weil  sie  tUr  die  Auf- 
rechterhält ung  der  pragmatischen  Sanktion  in  den  Kampf 
zog,  die  pragmatische  Armee  nannte.  Sie  nahm  ihren  Weg 
die  Maas  und  den  lihein  aufwärts  gegen  die  Mainünie  imd 
bezog  echliefslich  am  rechten  Ufer  dieses  Flusses  zwischen 
Klein  -  Ostheim  und  Aachaffenburg  ein  Lager.  Gegenüber 
am  linken  Ufer  des  Main  stand  das  auf  60000  Mann  ge- 
schätzte Heer  der  Franzosen  unter  dem  kriegserfahrenen 
Herzoge  von  Noailles. 

Lord  Stairs  entschlofs  sich  jetzt,  den  Main  aufwärts 
marschierend,  nach  Franken  vorzudringen,  um  hier  den 
OsteiTcicbern  die  Hand  zu  reichen.  Li  der  Absicht,  diese 
Vereinigung  zu  verhindern,  schlug  Noailles  dieselbe  Richtung 
ein.  Am  16.  Juni  war  das  Heer  der  Verbündeten  bei 
AßcbafTenburg  versammelt,  sah  sich  indes  am  Weitermarsche 
verhindert,  da  der  französische  Marschall  ihm  in  der  Be- 
setzimg des  Passes  von  Grofs-Ostheim  zuvorgekommen  war. 
Es  war  eine  schwierige  Lage.  Von  ihren  Magazinen  in 
Hanau  abgeschnitten,  im  Rücken  bedrohet,  in  ihrem  Vor- - 
marsch  nach  Franken  gehemmt,  eingekeilt  in  dem  engen 
Thale  zwischen  dem  rechten  Mainiifer  und  den  Abhängen 
dcH  Spessart,  Utten  Menschen  und  Pierde  den  bittersten 
Mangel.  Fast  schien  es,  als  werde  Lord  Stairs  sich  genötigt 
sehen ,  mit  seinem  bereits  auf  37  OUO  Mann  zusammen- 
geschmolzenen Heere  vor  dem  überlegenen  Feinde,  der  sich 
aller  Übergänge  über  den  Main  bemächtigt  hatte,  ruhmlos 
die  Waffen  zu  strecken.  In  diesem  Augenblicke  traf  König 
Georg  von  Hannover  her  mit  seinem  Sohne,  dem  Herzoge 
von  Cumberland,  imd  dem  englischen  Staatssekretär  Car- 
teret beim  Heere  ein  und  übernahm  den  Oberbefehl.  So- 
gleich rief  er  einen  Kriegsrat  zusammen.  Man  bcschlofs  den 
Rückzug  mainabwärts  nach  Hanau,  um  sich  mit  den  hier 
£Uj-ückgelasseneD,  Reserven  (den  Hessen  und  6000  Hanno- 
veraneru)  z\x   vereinigen;  ein   wiWÄetS^eÄ  uiA  ^^t'wisiU.tibeB 


Schlacht  b^  Dettingeii. 


255 


Unternehmen.  Denn  inzwischen  war  der  Herzoe  von  Gra- 
inont  mit  einem  TeiJe  des  französischen  Heeres  bei  Seligen- 
stadt  über  den  Main  gegangen  und  hatte  sich  durch  die  Be- 
setzung und  Veracbanzuug  des  Defilees  bei  Dettingen  zum 
Herrn  der  einzigen  Rückzugslime  gemacht,  die  den  Ver- 
bündeten zugebote  stand.  Ea  blieb  lur  die  so  eingeschnürte 
pragmatische  Armee  nichts  übrig  als  der  verzweifelte  Ver- 
such, eich  unter  den  ungunstigsten  Umständen  den  Kückzug 
mit  der  blanken  Waffe  in  der  Faust  zu  erkämpfen.  Er  ge- 
lang über  alle  Erwartung,  ja  verwandelte  den  getXhj'deten 
Kückzug  in  einen  glUuzeudeu  Sieg.  Frühmorgens  am 
27.  Juni  brachen  die  Truppen  in  zwei  Heersäulen  gegen 
Dettingen  auf.  Hier  entspann  sich  um  das  durcli  eine 
sumpfige  Niederung  geschützte  Dorf  ein  stundenlanger,  er- 
bitterter Kampf,  in  welchem  König  Georg ,  dessen  Pferd 
durch  den  {Schlachtlärm  scheu  gemacht,  jeden  Dienst  ver- 
weigerte, zu  Fufs  an  der  Spitze  seiner  Truppen,  diese  an- 
spornend und  ins  Feuer  führend,  heldenmütig  focht  und  in 
welchem  endlich  englische  und  deutsche  Zähigkeit  über 
französisches  Ungestüm  triumphierte.  Der  Feind  wurde  über 
den  Main  zurückgeworfen,  Dettingen  mit  stürmender  Hand 
genommen,  der  ungehinderte  Weitermai'sch  dureli  den  Eng- 
paTs  in  die  Ebene  zwischen  Gi*oJji*  Welzheim  und  Seligen- 
stadt  erkämpft.  Es  war  ein  ebenso  unerwarteter  wie  schöner, 
freilich  auch  völlig  fruchtloser  Sieg.  Denn  obschon  man 
jetzt  beschlofs,  in  Frankreich  selbst  einzufallen,  Elsafs  und 
Lothringen  zurückzuerobern,  so  kam  es  doch  in  diesem 
Jahre  zu  keiner  bedeutenderen  Unternehmung  mehr.  Georg  11. 
sah  sich  durch  die  Weigerung  der  österreichischen  Heer- 
fuhrur,  sich  mit  ihm  zu  vereinigen,  zu  einer  mehrvvöchent- 
licben  Unthätigkeit  bei  Hanau  verurteilt,  imd  als  er  dann 
im  Herbst  eich  endlich  nach  Worms  in  Bewegung  setzte, 
um  dem  österreichischen  Heere  unter  dem  Prinzen  Karl  von 
Lothringen  am  Oberrheiu  die  Hand  zu  reichen,  war  die 
Jahreszeit  bereits  zu  weit  vorgeschritten,  um  noch  einen 
neuen  Feldzug  beginnen  zu  können.  Man  gab  den  Angriff 
auf  das  Elsa/s  auf,  begnügte  sich  mit  Proklamationen  an 
die  Bevölkerung,  „das  unerträgliche  französische  Joch"  ab- 
zuwerfen und  Hefa  endlich  die  Truppen  die  Winterquartiere 
beziehen.  Mifsmutig  übei*  den  im  Grunde  verfehlten  Feld- 
zug, kehrte  der  englische  König  über  Hannover  nach  London 
zurück. 

Neue  Überraschungen,  mehr  noch  auf  dem  diplomati.schen 
als  kriegerischen  Gebiete,  brachte  das  folgende  JaAa:  VVÄWV 
^önjg'  Friedrich  von  Preulsen,  beunrubigX  tec^  ^eo.'äv^i^^- 


i. 


Znätea  Bwh.    Zweiter  Abtchnht 


Uuf  der  öeterreichiscfaen  Heere  und  erföUt  von  der  Beeoi^- 
nift,  dafft  er  bei  der  Fortdauer  desselben  h-uher  oder   später 
seinen  Überfall  von  Schlesien  werde  entgelten  nin«^n.  brach 
den   Fneden  von  Breslau  und  griff,  nachdem  er  mit  Frank* 
reich    ein    Offensivbtindnis    gescblossen   hatte,    abermals   zu 
den  Waffen.    Während  die  Niederlande  und  Hannover  seinen 
Bundesgenossen  zum  Angriffsobjekte  zugewiesen  wurden,  rückte 
er  selbflt  in  Böhmen  ein,  besetzte  Prag,  Tabor^  Budweis  und 
Frauenberg,    mufste   dann    aber   infolge    der   lauen    Unter- 
stützung seiner  Operationen  seitens  der  Franzosen   vor  den 
überlegenen    Streitkräften     der    Österreicher    einen    verlust- 
vollen Rückzug  nach  Schlesien  antreten.    Erbittert  über  seine 
Verbündeten,    die   ihn    durch   ihre    schlaffe   und   saumselige 
Kriegführung  in  gnjfse  Not  gebracht  hatten,  kehrte   er   ans 
diesem   ersten    unglücklichen    und   ruhmlosen   Feldzuge    des 
zweiten  »chleaischen  Krieges  heim.    Die  Folge  war  eine  fast 
feindselige  Spannung  zwischen   ihm    und   Frankreich.     Wu- 
chernd   griff    ein    gegenseitiges    Mifstrauen    der    bisherigen 
Bundesgenossen  um  sich,  das  jedes  gemeinsame  erfolgreiche 
Handeln   der    beiden   trotzdem   auf  einander    angewiesenen 
Müchte   unmöglich    zu   machen    schien.      Es    zu    zerstreuen, 
neue  Vereinbarungen  mit  dem  preufaischen  Könige  zu  treffen, 
auch  wohl    den    Kriegsplan   fiir    den    nächsten    Feldzug   züj 
verabreden,  machte  sich   der  Marschall  Belleisle,  die   eigent* 
liehe  Seele  aller  Machinationen   gegen    das  Haus  Österreich, 
in  den  letzten   Tagen   des   Jahres    1744    zu   einer    diploma- 
tischen Sendung  nach  Berlin  auf.     Unklugerweise   nahm   er  ^j 
von  Kassel  seinen  Weg  über  den   verschneieten  Harz   und'^^ 
berührte  auf  diesem  mühseligen  Wege  am  20.  Dezember  das  ^^ 
hoch   auf   dem    Gebirge    gelegene    hannövrische    Städtchen 
ElLiugerode.     Hier  liefs  ihn   der  dortige  Amtmann  Johann 
Hermann   Meyer    verhaften    und   unter    sicherer    Begleitung 
erst  nach  Scbarzfeld  und  dann  weiter  nach  Osterrode  brin- 
gen.   Alle  Protestationen,  alle  Drohungen  des  Ränkeschmiedes 
halfen  nichts.     Fast  vier  Wochen  ward  er  in  Osterrode  auf 
inzwischen  eingetroffene  Weisungen   des    Geheimen    Rata   in 
Hannover  festgehalten,  bis  von  London  aus   der  Befehl  ein- 
traf, ihn  nach  Stade  und  von  da  nach  England  zu  schaffen. 
Diese  Verhaftung  des  französischen  Botschafters  machte  da-^j 
mala  das  gewaltigste  Aufsehen.     Eine  ganze  Litteratur  voar^^ 
Schriften  und  Gegenschriften  wurde   darüber  veröffentlicht,  ^1 
Die  hannövrische  Regierung  und  König  Georg  H.  kümmerten 
sich   aber   wenig    darum.     Sic  beriefen    sich    auf   ihr    gutes 
liechtf    den    Marschall   und   Geaaudtßn  einer   mit   ihnen   im 
KrJegszast&nde  befiudlicbcn  'M.ac\it,  öi&t^  säää  w^jq. '^«Sa  la 


Gefangennahme  BrlleiMleä.    Friedensverhandlungpen. 


257 


besitzen,  sich  erdreistete  dui'ch  ihr  Land  zu  reisen,  um  neue 
Zetteluneren  gegen  dessen  Sicherheit  zu  betreiben^  unschäd- 
lich zu  inacheu.  Selbst  Friedrich  II.  wagte  nicht  die  Fi-ei- 
lassnng  des  Gefangenen  omsUich  zu  verlangen,  der  erst  im 
Herbste  des  folgenden  Jahres  (1745)  seiner  Uaft  in  Windsor 
ledig  wurde. 

Den  schwersten  Sclilag  erfuhren  die  g^en  Osterreich 
verbündeten  Mächte  durch  den  plötzlichen  Tod  des  von 
ihnen  auf  den  Schild  gehobenen  Kaisers  Karl  VII.,  der  am 
20.  Januar  1745  erfolgte.  So  unbedeutend  seine  Persön- 
lichkeit war  und  so  sehr  er  lediglich  als  das  willenlose 
Werkzeug  Ireniden  Ehrgeizes  erschien,  so  brach  doch  damit 
das  äufsere  Band  auseinander,  welches  bisher  die  antioster- 
reichische  Koalition  notdürftig  zusammengehalten  hatte.  Die 
Versuche,  ihm  in  der  Person  des  Kurtiirsten  August  III. 
von  Sachsen  einen  Nachfolger  zu  geben ,  schlugen  fohl. 
Schon  am  2.  Mai  bequemte  sich  Maximihan  Joseph,  der 
Sohn  und  Nachfolger  des  verstorbenen  Kaisers,  zu  dem  Se- 
paratfrieden von  Füfsen,  in  welchem  er  gegen  die  Zurück- 
gabe des  von  den  Österreichern  grofsenteila  eroberten  bay- 
rischen Gebiets  die  pragmatische  Sanktion  anerkannte  und 
bei  der  bevorstehenden  Kaiserwahl  dem  Grofsherzoge  Franz 
Stephan  von  Toscana ,  Maria  Theresias  Gemahle ,  seine 
Stimme  zu  geben  versprach.  Preufsen  und  Frankreich  setz- 
ten freilich  den  Krieg  fort.  Friedrich  siegte  bei  Hohenfried- 
berg,  Soor  und  Kesselsdorf  und  der  Marschall  von  Sachsen 
gewann  am  11.  Mai  1745  mit  der  französischen  Armee  in 
den  Niederlaiiden  die  grofse  Schlacht  bei  Fontenoy,  an  wel- 
cher neben  Österreichern,  Engländern  und  Holländern  auch 
8000  Hannoveraner  unter  dem  Herzoge  von  Cumberland 
teilnahmen^  indem  sie  sich  gleich  ihrem  Führer  durch  hel- 
denmütige Tapferkeit  hervorthiiten.  Bald  darauf  wurden 
diese  Truppen  infolge  des  Einfalls,  den  der  englische  Prä- 
tendent Karl  Eduard  Stuart  mit  französischer  Unterstützung 
in  Schottland  unternahm,  von  dem  niederländischen  Kriegs- 
schauplätze zurückgezogen. 

In  England  wie  in  Preufsen  neigte  man  jetzt  zum  Frie- 
den. König  Georg  II.  übernahm  die  Vermittlung.  Er  ging 
in  Begleitung  von  Lord  Hnrrington  nach  Hannover,  und  hier 
ward  am  26.  August  1745  auf  der  Grundlage  des  Breslauer 
Friedens  ein  Präliminarverti'ag  unterzeichnet,  dessen  An- 
nahme Georg  bei  den  mit  ihm  verbündeten  Höfen  von 
Wien  und  Dresden  durchzusetzen  versprach.  Nach  längerem 
Sträuben  fügte  sich  Maria  Theresia,  mehr  ucitVi  ^ws's.V.  ^«^ 

aeinemMBa,  Bratnurcbw.-hftuOv.  Q«K\iU\Lte.    \VL  ^ 


M 


Zweite«  Bach.    Zwetter  Absdtaitt 


inzwiscben  mfoleten  inederiagea  ▼on  Soor  and  KesKlsdorf  be- 
stimmt als  durch  die  VorstelloDgen  Ei^aods.  Am  2c.  De- 
zemher  1745  kam  zwischen  Preoiäeii  auf  der  einen  und 
Osterreich-SacbseD  auf  der  anderen  Seite  der  Friede  von 
Dresden  zustande,  der  dem  zweiten  schlesischesi  Kne^  ein 
Ende  machte.  Aber  die  Franzoeen  setzten  den  Krieg  noch 
drei  Jahre  fort.  Erst  der  Friede  ron  Aachen  (7.  November 
HAH)  führte  eine  allgemeine  Beruhigung  dieser  nun  seit 
acht  Jahren  dauernden  Krit^wirren  herbei 

In  seinen  aul"  die  Wiederherstellung  des  allgemeinen  Frie- 
dens gerichteten  Bestrebungen  wurde  Georg  LI.  auch  nicht 
durch  den  Umstand  beirrt,  dafs  gerade  zu  dieser  Zeit  ein 
schon  lange  unter  der  Asche  glimmender  Hader  mit  Preufeen 
sich  zu  einer  brennenden  politischen  Frage  gestaltete.  Es 
handelte  sich  uro  das  Schicksal  Ustfrieslands,  dessen  Fiirsten- 
ban»  damals  im  Mannsstamme  erlosch.  Lange  haben  die 
friesischen  Gemeinden  um  die  Mündung  der  Ems  herum, 
in  dem  Beider-,  Ledinger-,  Moermer-,  Ems-,  Brockmer-, 
Auricher-  und  Harlingerlande ,  ihre  alte  Freiheit  behauptet 
und  nach  ihrem  in  dem  As^abuche  niedergelegten  Land- 
rechte  gelebt.  Während  die  Westfriesen  schon  im  zehnten 
Jahrhundert  die  Oberhoheit  der  Grafen  von  Holland  aner- 
kannten, wufsten  sich  die  „sieben  Seelande"  jeder  Landes- 
herrschaft  mit  Erfolg  zu  erwehren.  Am  Upstabboom  unweit 
Aurich  trat  alljährlich  die  allgemeine  Volksversammlung, 
von  allen  Gemeinden  nach  freier  Wahl  erkoren,  zusammen, 
um  die  gemeinsamen  Angelegenheiten  des  Landes  zu  be- 
raten. Burgen  und  steinerne  Häuser  im  Lande  aufzuführen, 
war  als  freiheitsgetahrlich  verboten.  Jede  Gemeinde  regierte 
sich  selber  und  wählte  aul  ein  Jahr  ihre  Richter  und  Tale- 
männer  (Sprecher),  Aber  seit  dem  Ausgange  des  13.  Jahr- 
hunderts erhielt  die  Einheit  und  Selbständigkeit  dieser  frie- 
sischen Republiken  infolge  der  grofsen  Deichbrüche  und  der 
me  begleitenden  Wasserfluten,  die  sich  verheerend  über  das 
Land  ergossen ,  einen  harten  Stofs.  Der  Zerstörung  der 
Deiche  tbigte  ein  unheilvoller  Wechsel  des  Eigenturas  und 
eine  politische  Verwirrung,  welche  einzelneu  Geschlechtem 
den  Weg  zur  Herrschalt  im  Lande  ebnete.  In  langen  blu- 
tigen FamiUenfehdcn  haben  sie  darum  gekämpll.  Nachdem 
Focke  Ukena  das  Übergewicht  der  Ten  Brocks  durch  die 
Schlacht  „auf  den  wilden  Ackern"  zwischen  Venhusen  und 
Üpgant  (28.  Oktober  1427)  gebrochen  hatte,  war  er  nahe 
daran,  das  von  ihm  erstrebte  Ziel,  die  Oberherrschaft  über 
ganz  Oetfrieel&nd ,  zu  erreicWu.  Allein  noch  einmal  er- 
Hchte   der   alte    trotzige    FrexheVtsäHn    iVet  "^tääsäi.     ^\ej 


Rückblick  auf  die  ältere  Geschichte  Ostfneelauds. 


259 


schlössen  im  Jahre  1430  zur  Auirechterhaltung  der  Unab- 
häugigkcit  des  Landes  einen  Bund,  an  dessen  Spitze  das 
Haus  Cirkäeua  in  Greetsiel  trat,  das  nun  bald  einen  über- 
wiegenden Einflura  erlangen  sollte.  Schon  Edzard  Oirksena 
(tl44l)  ward  durch  seine  Verbindung  mit  Hamburg,  das 
ihm  auf  eechszehn  Jahre  Emden  überliefs,  sehr  mächtig. 
Sein  Bruder  und  Nachfolger  Uliich,  welchei*  sich  mit  der 
Enkelin  Focke  Ukenas  verheiratete,  liel's  sich  im  Jahre 
1454  vom  Kaiser  FricM^rich  III.  mit  Oatfriealand  als  einer 
Reichsgrafschaft  belehnen.  Ulrichs  zweiter  Nachfolger,  Ed- 
zard der  Grofae  (1491  — 1628),  mufste  zwar  infolge  eines 
hingen  Krieges  mit  Braunschweig  und  Oldenburg  Butjadingen 
an  letzteres  abtreten,  doch  en'eichte  er  die  endgültige  Über- 
lassung Emdens  vonseiten  Hamburgs.  Er  aamnielte  das 
Landrecht  und  luhrte  die  Reformation  sowie  das  E>8t- 
geburtsrecht  ein.  Allein  unter  seinen  schwachen  Naclüolgem 
ward  das  Land  nicht  nur  durch  Streitigkeiten  der  Refor- 
noierten  und  Lutheraner,  sondern  auch  duich  die  Auflehnung 
der  Stünde  gegen  das  Herrscherhaus  tief  zerrüttet  und  in 
beständiger  Verwirrung  gehalten.  Emden,  mächtig  durch 
die  Verbindung  mit  Holland,  stand  an  der  Spitze  dieser 
Opposition.  Enno  HI.  vereinigte  zwar  durch  Heirat  das 
HarÜngerland  mit  seiner  Grafschaft,  verlor  aber  an  Olden- 
burg die  Herrachaft  Jever,  und  ^venn  auch  durch  den  Ver- 
trag von  Oaterbauaen  (21.  Mai  1611)  die  Streitigkeiten  mit 
den  Ständen  beigelegt  imd  die  gegenseitigen  Rechte  be- 
stimmt wurden,  so  Utt  doch  das  Land  unter  aeiner  und 
seiner  beiden  Söhne  Regierang  unsäglich  unter  den  Ver- 
heerungen des  dreifaigjährigen  Krieges,  von  denen  nur  das 
feste  Emden  verschont  blieb.  Enno  Ludwig  ward  im  Jahre 
1654  vom  Kaiser  Ferdinand  III.  zum  Reichafiirsten  er- 
hoben, allein  der  Hader  mit  den  Ständen  und  besonders 
mit  dem  trotzigen  Emden  dauerte  fort  und  das  Elend  des 
I^andes  ward  durch  die  grofae  Sturmilut  des  Jahres  1717 
noch  gesteigert.  Wir  haben  bereits  gesehen,  welche  heil- 
losen Zustände  wälirend  der  Regierung  der  letzten  Cirksenas 
in  dem  unglücklichen  Lande  herrschten,  welche  namenlose 
Verwirrung  dasselbe  erfüllte.  Sie  stand  noch  in  voller 
Blüte,  als  am  25.  Mai  1744  Karl  Edzard,  der  letzte  männ- 
liche Sprofs  des  Hauses  Greetsiel,  die  Augen  für  immer 
schlofs. 

Sogleich  erhoben  sich  von  den  verschiedensten  Seiten 
Erbansprüche  auf  das  herrenlos  gewordene  Land.  Abge- 
sehen von  einer  Anzahl  Prätendenten,  welche ^  ^^  \ia5SlÄ■Q^r 
Jich  der  Omf  von   Wied-Runkel,   weW    wß  notx  ^«Mäs^^^s. 


Zweitee  Buch,    Zweiter  Abschnitt. 


liehen  Mitglicderu  des  Geschlechtes  abätammtexif  das  er- 
ledigte Fürateutuiu  nicht  als  ein  Reichamanulehen  Bondern 
alß  ein  Weiberlohen  betrachtet  wissen  wollten ,  waren  es 
hauptsächlich  zwei  mächtige  Keichsfürsten,  die,  schon  längst 
durch  persönliche  Ahneigimg  und  politische  Eifersucht  mit 
einander  verfeindet,  hier  wieder  als  Nebenbuhler  auf  etn- 
anderstiefsen :  Friedrich  II.  von  Preufsen  und  Gooi-g  von 
Hannovei",  König  von  Ilnglaud.  Der  letztere  stützte  seine 
Ansprüche  auf  die  Ei'b Verbrüderung,  welche  sein  Vorfahr 
Plrnst  August  am  29.  Sfärz  1691  mit  Christian  Eberhard, 
dem  Groisvater  des  letzten  Fürsten  von  Ostfriesland,  ge- 
schlossen hatte.  Dieser  Vertrag  bestimmte,  daüs,  „im  Fall 
der  iüratlich  ostfrieaiache  Mannesstamm  über  kurz  oder  lang 
ausgehen  werde,  das  Fürstentum  Ostfriealand  mit  den  dazu 
gehörigen  Herr-  uud  Lehenschalteu,  Hoheiten,  Herrlichkeiten, 
Rechten  und  Zubohorungen  als  ein  Krb  -  Mannlehen  an  das 
t^irsthche  Haus  Rraunschweig  und  Lüneburg  kommen  und 
fallen  aoUe :  falls  aber  der  ganze  Mannesatamm  der  Herzöge 
von  Braunschweig  und  Lüneburg  zuerst  ausgehe,  den  über- 
lebenden Fürsten  oder  aucli  Grafen  und  Herren  von  Ost- 
frieslaud  die  Grafschaften  Hoya  und  Diepholz  mit  allen 
dazu  gehörigen  Rechten,  Hoheiten,  HenUchkeiten  und  Ge- 
rechtigkeiten, wie  selbige  das  fürstliche  Haus  Braunschweig 
und  Lüneburg  von  Kaiser  und  Reich  au  Lehen  trage,  heim- 
failen  sollten.'*  Dagegen  machte  Preufsen  die  Anwartschaft 
geltend,  die  ihm  von  drei  deutschen  Kaisern,  zuletzt  von 
dem  soeben  verstorbenen  Karl  VH. ,  dem  Schützlinge  des 
Königs  von  Preufsen,  auf  Ostfriesland  erteilt  worden  war. 
Schon  dem  Kurfürsten  Friedrich  Wilhelm  war  eine  solche  ^J 
für  seine  in  den  Reichskriegen  geleisteten  Dienste  in  Aus-  ^M 
sieht  gestellt,  und  am  10.  Dezember  ltj94  hatte  sie  sein  ^1 
Sohn  und  Nachfolger  Friedrich  I.  vom  Kaiser  Leopold 
wirklich  erlangt.  Als  sie  im  Jahre  1732  von  Kail  VI.  dem 
Könige  Friedrich  Wilhelm  I.  bestätigt  und  erneuert  ward,  ^j 
nalim  dieser  am  12.  August  des  genannten  Jahres  trotz  der  ^M 
Proteatation  des  damals  regierenden  Fürsten  Georg  Albrecht  ^^ 
Titel  und  Wappen  von  Ostfricsland  an.  Freilich  war  die 
nach  Reicbarecht  erforderliche  Zustimmung  des  Kurkollc- 
giuma  zu  dieser  Expektanz  nie  erfolgt,  und  so  mochte  die 
Rechtsfrage  immerhin  zweifelhaft  sein. 

Kaum  hatte  sich  das  Gerücht  von  dem  Tode  Karl  ^J 
Edzards  im  Lande  verbreitet,  so  erfolgte  auch  dessen  Be-  ^M 
sitzergreifung  durch  die  Krone  Preufsen.  Schon  seit  Jahren  ^^ 
lagen  zu  diesem  Zweck  Wappen  und  Patente  in  der  Woh- 
nung des  proufaiachen  Majors  von  Kaikreuth  in  Emden  bc- 


Der  oBtfriesiwlie  Erbfolgestreit. 


^m 


_  ät     Noch  an  dem  Todestage  dea  Fürsten  wurden,   zuerst 

in  Emden,  dann  überall  im  Lande  zum  Befremden  uud  Er- 
staunen der  biederen  Ostfriesen  die  prcufsiscbcn  Adler  an 
den  öffentlichen  Gebiiuden  angeschlagen.  Zugleich  rückten 
prenfsische  Truppen  in  das  Land  und  besetzten  die  mili- 
tärisch wichtigen  Punkte  desselben.  So  wurde  eine  voll- 
endete Tbatsache  geschaiFen,  noch  ehe  man  in  Hannover 
sich  zu  irgend  einem  Schritte  hatte  entschUefsen  künnen. 
Als  wenige  Tage  später  der  hannövrische  Abgesandte  von 
Voigt  in  Aurich  eintrat',  um  im  Namen  seines  Herrn  von 
dem  Lande  Besitz  zu  nehmen,  befand  sich  dieses  bereits 
in  der  Gewalt  Preufsens.  Vergebens  waren  jetzt  die  Pro- 
testationen Hannovers,  vergebens  auch  der  Prozefs,  den  es 
im  Jahre  1761  bei  dem  Keichshofrate  anstrengte.  Fried- 
rich II.  weigerte  sich  entschieden,  in  dieser  Sache  die  Zu- 
ständigkeit dieses  Gerichtshofes  anzuerkennen:  nicht  vor  den 
Reichsbofrat  gehörten  —  so  behauptete  er  —  die  Streitig- 
keiten über  die  Keichslehen,  sondern  dem  Kaiser,  den  Kur- 
fiirsten  und  den  Ständen  stehe  die  Entscheidung  darüber 
zu.  Wer  aber  hätte  ihn  zwingen  sollen  ?  So  blieb  die  Sache 
liegen  j  und  als  dann  wenige  Jahre  später  die  pohtischen 
Gesamt  Verhältnisse  von  Europa  das  Bündnis  von  Westminster 
zwischen  England,  Hannover  und  Preul'sen  herbeiführten, 
konnte  von  einer  weiteren  Verfolgung  des  Prozesses  um  so 
weniger  die  Kede  sein,  als  in  dem  Bündnisvertrage  König 
Georg  auch  die  Garantie  lür  den  geeamten  preulsischen  Staat 
übernahm,  zu  dessen  l^tando  ja  thatsächlich  seit  1741  auch 
Ostfriesland  gehörte. 

Während  das  Kurfürstentum  H  annover  infolge  seiner 
wenn  aucli  nur  lockeren  V^erbindung  mit  England  doch  in 
eine  gewisse  Älitleidenschaft  an  den  kriegeriBchen  Verwick- 
lungen hineingezogen  ward,  welche  der  Tod  des  Kaisers 
Karl  VI.  in  Europa  hervorrief,  genofe  dagegen  das  Hei*zog- 
tum  Braunschweig  während  dieser  Zeit  voll  und  ganz  die 
Segnungen  dea  Friedens  und  einer  wohlwollenden,  auf  ver- 
ständige Reformen  bedachten  Regierung.  Hier  war  nach  der 
kurzen  Waltung  Ferdinand  Albrechts  II.,  des  ersten  Her- 
zogs aus  dem  bevernschen  Hause,  dessen  ältester  Sohn 
Karl  I.  in  der  Regierung  des  Landes  gefolgt.  Am  1.  August 
1713  geboren  und  seit  1733  mit  Philippine  Charlotte,  der 
klugen  und  geistreichen  Schwester  Friedrichs  des  Grofsen 
vermählt,  übernahm  der  gutmütige,  wohlwollende,  aber  auch 
leichtlebige  xmd  gcnuissüchtige  Fürst  in  dem  jugendlichen 
Alter  von  zweiundzwanzig  Jahren  die  Regierung.  Er  fand 
ein  Ötaatsleben  vor,  welches  in  seiner  Unbehohenheit,  seinem 


h 


* 


2U 


Zweitos  BaA.    Zweiter  Ahiriigy 


H&Qgel  an  Eiclachbieit  tmd  Überacbt,  in  den  remrickettea 
Besiehuiigen  der  einzelnen  TeiÜe  zu  einander  den  Forde- 
rungen der  Zeit  nicht  mehr  zu  entsprechen  schien  und  da- 
her die  refonnatorifiche  Thätigkcit  eines  jungen,  lebhat^en, 
von  den  beeten  Absichten  beseelten  Re^^enten,  wie  er  war, 
herausforderte.  Mit  jugendlicher  SchaffeaBlnst  ging  der  Her- 
zog  an  diese  Aui^be,  die  freilich  nicht  so  Idcht  zu  lösen 
war,  wie  sie  ihm  sein  rasches  Temperament  encheinea  lassen 
mochte.  V'or  allem  anderen  verlangte  das  Finanz  -  und 
Steuerwesen  eine  gründliche  Umgestaltung-  Das  Land  war, 
nachdem  es  die  Nachwehen  des  drcüsägjährigen  Krit^es 
unter  der  Terständigen  Regierung  Augusts  d.  J.  glücklich 
tiberwunden  hatte,  durch  die  Sorglosigkeit  seiner  Nach- 
folger, namentlich  aber  auch  dorcii  die  Prachtliebe  und 
Verschwendungssucht  Anton  Ulrichs  und  August  Wilhelms 
wieder  in  eine  ungünstige,  ja  bedrängte  finanzielle  Lage  ge- 
raten. Hier  galt  es  zunächst  Hand  anzulegen.  Die  Ent- 
wicklung des  autokraten  Fürstentums  hatte  den  früher  auf 
diesem  Gebiete  maßgebenden  Kinflafs  der  Stände  fast  gana 
beiseite  geschoben.  Man  hatte  sich  daran  gewöhnt,  nicht 
mehr  wie  ehedem  mit  den  Ständen  gemeinsam  einen  ord- 
nujigsmäfsigen  \'oranschlag  für  den  Staatshaushalt  festza- 
steUen,  vielmehr  blieb  es  dem  Fürsten  überlassen,  die  £osten 
der  Verwaltung,  soweit  diese  nicht  von  der  Landrenteikasse 
getragen  wurden,  aus  dem  Kamniervermc^n  zu  bestreiten. 
Bei  einer  energischen  Spai'samkeit  hätte  sich  wohl  das  Gleich- 
gewicht von  Einnahme  und  Ausgabe  mit  der  Zeit  herstellen 
lassen.  Eine  solche  Sparsamkeit  war  aber  nicht  nach  dem 
Geschmack  des  jungen  Fürsten.  Er  war  in  einer  Zeit  auf- 
gewachsen, in  der  man  auf  äulseren  Glanz,  auf  eine  selbst 
über  das  Mals  der  vorhandenen  Kräfte  weit  hinau^ehende 
Repräsentation  einen  ganz  aufser ordentlichen  Wert  legte. 
Ifan  hätte  den  Nimbus,  der  das  Fürstentum  umgab,  zu  zer- 
stören gemeint,  wenn  man  hierin  etwas  würde  nachg^eben 
haben.  Dazu  kam  das  an  sich  lobenswerte  Interesse,  das 
den  Herzog  für  Knnst  und  Wissenschaft,  für  alle  die  In- 
stitute beseelte,  welche  bestimmt  siud,  den  Menschen  aus  der 
Alltäglichkeit  des  Lebens  hinaufzuhcben  in  das  Heieh  des 
Idealen  und  Schönen.  Ging  bei  ihm  selbst  dieses  Interesse 
auch  nicht  allzu  tief,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dais 
in  der  geistigen  Atmosphäre,  die  Hensog  Karl  um  sich  zu 
verbreiten  wufate,  seine  Tochter  Anna  Amalia  jene  Lebens- 
richtung  erhalten  hat ,  die  ihr  als  Förderin ,  um  nicht  zu 
sageu  als  Urheberin  des  wemvar\sft\i«u\3vi\xVfttWife&  einen  un- 
rergäagUchcn  Platz    in    der   Q«ac\ätiA<ft  ää«  ^«i^aitt.■^\^.  ^äV 


Begicrung  des  Herzogs  Karl  I.  von  Braunscliweig.  26S 

Wicklung  unseres  Volkes  gesichert  hat  Wie  die  Dinge 
lagen  und  wie  sie  weiterhin  durch  den  Charakter  des  Her- 
zogs bedingt  wurden,  blieben  seine  Bemühungen,  auf  dem 
iinauziellen  Gebiete  ge<>rdnete  und  erspriefsliche  Zustände 
herzustellen,  in  den  ersten  Anläufen  stecken.  Sie  trafen  das 
Übel  nicht  an  der  Wurzel.  Er  verschlois  sich  nicht  der 
Einsicht,  dafs  der  Aufwand,  den  die  glänzende  Hofhaltung, 
die  stehende  Kriegamacht,  kostspielige  Reisen,  Opor  und 
Theater  erforderten,  den  Kräften  des  Landes  nicht  entsprach, 
noch  weniger  der  Überzeugung ,  dafs  die  Verteilung  der 
Steuern  eine  ungerechte  war,  die  schwer  auf  dem  Bürger 
und  Bauern  lastete,  während  die  höheren  Stände  davon 
kaum  geLi*offeu  wurden.  Aber  ilmi  fehlte  die  nachhaltige 
Kraft,  liier  durch  eingreifende  Relormon  Wandel  zu  schaifeo. 
Unter  dem  Eintlusse  der  iur  diese  Zeit  mafsgobendcn  na- 
tional-ökonomischen Richtung  suchte  er  vielmehr  die  bache 
bei  einem  anderen  Ende  anzufassen.  In  allgemein  gut  ge- 
meinter Absicht,  aber  doch  auch  wohl  um  dadurch  die 
Steuerkrnft  seiner  Unterthanen  zu  stärken,  begann  er  eine 
Keihe  von  Mafsregeln  durchzuführen,  welche  den  Zweck 
liatteu ,  die  natürlichen  Hilfsquellen  des  Landes  in  aus- 
giebigerer Weise  als  bisher  zu  erschliefsen,  die  materielle 
Lage  seiner  Bewuhner  zu  verbessern,  iiire  sittlichen  und 
geistigen  Kiäfte  zu  heben.  Mag  er  sich  dabei  auch  hie  und 
da  vergriffen  haben,  so  ist  doch  der  unermüdliche  Eifer  an- 
zuerkennen, mit  dem  er  die  Staatsverwaltung  bis  in  die 
Einzelheiten  hinein  fiberwachte  und  sich  selbst  um  die  ge- 
ringsten Vorkommnisse  bekümmerte.  Wie  er  dabei  ein 
merkwürdiges  Verständnis  für  die  in  Betracht  kommenden 
Oegenstände  zeigte,  so  wnifste  er  auch  mit  grofsem  Geschick 
seine  Ratgeber  und  Mithelfer  zu  wählen.  Als  erster  Rat  in 
der  Regierung  hatte  er  von  seinen  Vorgängern  im  Regiment 
den  uns  schon  bekannten  Freiherm  von  MüQchhausen  über- 
nommen, einen  Staatemanu  alten  Schlages,  zuverlässig  und 
ehrlich,  aber  ohne  schöpferische  Ideen.  Nach  Münchhausen« 
Abgang  (1710)  und  nach  der  nur  vierjährigen  Amtsfiilirung 
seines  Nachfolgers,  des  Gehoimenrats  von  Gramm,  fand  der 
Herzog  dann  in  der  Person  des  genialen  Heinrich  Borohard 
Schraaer  (später  von  Schliestädt)  einen  Staats  minister  nach 
seinem  Sinne.  Schrader  wurde  bald  die  Seele  aller  von 
dem  Herzoge  erstrebten  oder  unternommenen  Reiormon,  der 
allmächtige  Manu,  „dui'ch  den",  wie  Lessing  sich  später 
ftufserto,  „alles  und  jedes,  was  geschehen  sollte,  geschah". 
Aber  schon  vor  seinem  Eintritt  in  das  Ministerium ,  tiocK 
Hjjter  der  Verwaltung  von  Gramms  \iat.  ex  wcäxi  \a«Sa^ws^- 


^ 


» 


264  Zweites  Buch.    Zweiter  Absclmitt. 

den  Einflufs  außgeUbt.  Bereite  im  Jahre  1740  ward  dorcb 
Reglement  vom  25.  Juni  iWr  die  Stadt  Braunschweig  eine 
zweckmälsige  Armenorduung  erlassen,  welche  dem  Unwesen 
des  Betteins  zu  steuern  bestimmt  war  und  die  dann,  nach- 
dem sie  sich  bewährt  hatte,  auch  in  den  kleineren  Städten, 
sowie  auf  dem  platten  Lande  eingeführt  wurde.  Dann  folgte 
(174,'i)  die  Gründung  einer  Witwenkasse  für  die  Hinter- 
bliebenen der  Zivil-  uüd  Militärbeamten ,  die  Errichtung 
einer  Brandkaa&e,  um  den  Verlusten  bei  Feuerschäden  zu 
begegnen,  sowie  die  Einrichtung  eines  Leihhauses,  um  dem 
Wucher  zu  wehren  und  der  Bevölkerung  die  sichere  und 
nntzbare  Anlage  von  gröfseren  und  kleineren  Kapitalien  zu 
ermöglichen.  Der  Land-  und  Forstwirtschaft  widmeten  der 
Herzog  und  sein  Minister  die  gröfste  Sorgfalt.  Um  iur  die 
bisher  ganz  mangelhaften  Steuerkataster  eine  sichere  Grund- 
lage zu  gewinnen,  wurde  eine  allgemeine  genaue  Landes- 
vermessung befohlen  und  neue  zuverlässige  Orts-  und  Fluren- 
beschreibungen ausgearbeitet.  Der  Bedrückung  und  Aus- 
beutung des  Bauernstandes  durch  die  Gutsherren  ward 
durch  ei  nen  Erlafs  gesteuert ,  wonach  in  die  Meierbriefe 
keine  neuen  beschränkenden  Bedingungen  auigenommen  wer- 
den durften.  Die  Verwaltung  der  Forsten  nahm  unter  der 
trefflichen  Leitung  des  schon  erwähnten  Hot  Jägermeisters 
von  Langen  einen  eriVeulichen  Aufschwung  und  lieferte  im 
Vergleich  zu  den  früheren  Zeiten  sehr  ansehnliche  Erträge. 
Auch  auf  die  Hebung  der  Industrie  ei-streckte  sich  diu  Für- 
sorge der  Regierung.  Abgesehen  von  der  Förderung  der 
Leinentabrikation  verdient  hier  die  auf  Langens  Anregung  er- 
folgte Anlage  der  Porzellanfabrik  zu  Fürstenberg  erwähnt 
zu  werden,  die  sich  bald  eine  geachtete  Stellung  neben  ihren 
älteren  Schwestern  zu  erringen  wufste. 

Bedeutender  vielleicht  noch  als  alles  dieses  waren  die 
Verdienste,  welche  die  Regieining  des  Herzogs  Karl  sich  um 
das  Medizinalwesen  und  auf  dem  Gebiete  des  Kultus  er- 
warb. In  Braunachweig  wurde  eine  anatomisch-chirurgische 
Lehranstalt,  das  Theatrum  anatomicum,  errichtet,  die  in  der 
Folge  eine  segensreiche  Wirksamkeit  entfaltete.  Das  ge- 
samte Gesundheitswesen  des  Landes  aber  wurde  im  Jahre 
1747  einer  beaufsichtigenden  Behörde,  dem  Collegiuin  me- 
dicum,  unterstellt  und  ihr  unter  anderem  zur  Pflicht  ge- 
macht, den  gewöhnlichen  abergläubischen  Kuren  entgegen- 
zuwirken, die  betrüglichen  Okulisten;  Steinschneider  und 
Wunderdoktoren  zur  Uechenscbaft  zu  ziehen  und  womöglich 
jeden  djis  Leben  und  die  Gesundheit  der  Bevölkerung  be- 
drohenden  ärztlichen  "Unfug  auttiuroUevi.    ^Aät  WL^eosK^aRW 


Reform  des  Unterrichts w^sens. 


265 


noch  als  diese  Sorge  fiSr  die  leibliche  Wohli'ahrt  seiner 
Unterthanen  erwies  sich  das,  was  unter  Karls  Regierung 
fUr  ihre  geistige  Ausbildung  geschah.  Hier,  nui"  dem  Gebiete 
der  irichule  und  Volkserziehung,  liegt  offenbar  der  Schwer- 
punkt seiner  schüpieri sehen  Wirksamkeit.  Kr  wurde  der 
Ketbrmator  des  braun  sc  hweigi.schen  Unterrichtsweseng,  nicht 
nur  des  höheren,  soweit  es  durch  die  lateinischen  Schulen 
und  die  Universität  vertreten  war,  sondern  auch  des  Volks- 
schulwesens. Seine  Berater  hierbei  waren  zwei  ausgezeich- 
nete Geistliche,  für  das  letztere  der  Abt  Hassel,  für  jenes 
der  bekannte  Abt  Johann  Friedrich  Wilhelm  Jerusalem. 
Für  die  Schulen  auf  dem  Lande  erschien  1753  eine  für 
jene  Zeit  vortreffliche  Schulordnung,  der  dann  andere  ähn- 
liche Ordnungen  für  die  niederen  städtischen  Scliulen  folg- 
ten. In  Braunschweig  allein  wurden  nicht  weniger  als  sechs 
Armenachulen  gegründet,  zur  Heranbildung  tüchtiger  Lehrer 
zu  den  schon  bestehenden  Seminaren  in  Woäfenbüttcl  und 
Braunschweig  noch  ein  drittes  in  Marienthal  hinzugefügt,  für 
passende  Lernmittel  durch  den  Druck  guter  Schulbücher 
gesorgt.  Zum  Zweck  der  Hebung  der  durch  eine  Reihe 
widriger  Umstände  herabgekumraeuen  Universität  in  Helm- 
stedt brachte  der  Herzog  um  so  bereitwilliger  grofse 
Opfer,  ab  sie  namenthch  infolge  der  Gründung  von  Göt- 
tingeu  an  ihrer  früheren  Bedeutung  verloren  hatte  und  auch 
sonst  hinter  den  Antoi'derungen  der  Zeit  zurückgeblieben 
war.  Der  Herzog  that  sein  Möglichstes,  um  sie  auf  der 
Höbe  ihrer  Aufgabe  zu  erhalten.  Die  Lehrstühle  wurden 
vermehrt,  die  Gehalte  verbessert,  der  wissenschaftliche  Ap- 
parat reicher  ausgestattet.  Im  Jahre  1749  wurde  ,,die 
deutsche  Gesellschaft " ,  eine  Art  Akademie ,  mit  ihr  ver- 
bunden, ein  Jahr  darauf  ein  Seminar  iür  Studierende  der 
Theologie  an  ihr  gegründet.  Neben  dem  Namen  ihres 
Stifters  erhielt  sie  von  jetzt  an  auch  denjenigen  ihres  Er- 
neuerers. Dieser  Doppelname  (Julia-Carolina)  ist  ihr  bis  zti 
ihrer  Aufhebung  geblieben. 

Das  bevorzugte  Werk  des  Herzogs  aber,  zu  welchem 
Jerusalem  den  Plan  eutwaH  und  dessen  ganze  Einrichtung 
er  geleitet  hat,  war  das  Collegium  Carolinum  in  Braun- 
schweig, eine  Anstalt  in  der  Art  der  berühmten  Karlsschule 
zu  Stuttgart,  zur  Vermittlung  des  Überganges  von  den  da- 
maligen Lateinschulen  zur  Universität,  aber  zugleich  auch 
bestimmt,  denjenigen  Gesellschaftsklassen,  die  sich  eine  hö- 
here Bildung  erwerben  wollton,  ohne  die  Universität  zu  be- 
suchen, eine  solche  in  vollem  Umfat\g;e  zw  ^'ä^'öXw'i.'u.  K"c&. 
b.  Juli  1 745  wurde  die  neue  AnstaU  etöÄwel.    K\Ä*a.\iS£Jäi  ^"^^ 


2M  Zweites  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 

Bchwach  besucht,  erwarb  üe  sich  spttter  einen  wohl  ver- 
dienten Ruf  und  zog  von  nah  und  fem  Zöglinge,  beson- 
ders vornehme  Aualänder^  nach  Braunschweig.  Durch  nq 
erwachte  hier  ein  geistiges  Leben,  wie  es  die  alte  Hanse- 
stadt vorher  nie  gekannt  hatte.  Die  Anregung^  welche  von 
Männern  wie  Gärtner ,  Zachariä ,  £beH ,  Konrad  Arnold 
Schmid  und  Kacbeuburg  ausgiog,  ist  selbst  nicht  ohne  be- 
fruchtende Einwirkung  auf  die  Entwicklung  unserer  natio- 
nalen Littcratur  geblieben.  Und  wie  durch  des  Herzogs 
regen  Sinn  fiir  das  geistige  Bedürfois  der  Zeit  diese  Lehr- 
anstalt ins  Leben  gerufen  wurde ^  die  den  Kamen,  welchea 
sie  von  ihm  trug,  im  In-  und  Auslande  zu  Ehren  brachte, 
so  sorgte  er  auch  nach  Kräften  für  die  älteren  wissen- 
schaftlichen Institute,  die  ihm  von  seinen  Vorgängern  im 
Regiment  überlietert  worden  waren.  Von  der  Landes- 
universität ist  schon  die  Kede  gewesen.  Aber  auch  die  gro&e 
Schöpfung  seines  Ahnherrn  Augusts  d.  J.,  die  Wolfenbüttler 
BibÜothek,  hat  seine  Huld  und  Förderung  in  reichem  Mafse 
erfahren.  Mit  Recht  bezeichnet  ihn  Lessing  als  „ihren 
zweiten  Begründer".  Eine  ganze  Reihe  von  Elnzelbiblio- 
theken  wurde  unter  seiner  Regierung  mit  ihr  vereinigt, 
welche  die  seit  Augusts  Tode  entstandenen  Lücken  in  will- 
kommener Weise  ergänzten,  und  gegen  Ende  derselben  be- 
rief er  zu  ihrem  Vorsteher  den  grölsten  Kritiker  und  Dichter 
Deutschlands ,  dessen  Name  sie  für  alle  Zeit  verherrlicht 
hat.  Endlich  möge  auch  noch  der  mannigfachen  Förderung 
gedacht  werden,  welche  der  Herzog  der  Kunst  zuteil  wer- 
den hefs  Er  begrüudete  in  Braunschweig,  wohin  er  im 
Jahre  J753  von  Wolfenbüttel  seine  Residenz  verlegte,  da» 
Kunst-  und  Naturalienkabinet ,  aus  welchem  später  das 
herzogliche  Museum  erwachsen  ist.  Besonderer  Fürsorge 
aber  hatte  sich  das  Theater  zu  erfreuen,  sowohl  die  italienische 
Oper,  zu  deren  Leiter  er  den  Impresario  Nicolini  berief,  wie 
das  deutsche  Theater,  an  welchem  zeitweilig  die  ersten  schau- 
spielerischen Krütte  der  damaligen  Zeit,  wie  Kckhof  und 
Schröder,  mitwirkten 

Dafs  alle  diese  Veranstaltungen  bedeutende  Geldauf- 
wendungen erforderten,  liegt  auf  der  Hand,  und  da  der 
Herzog  sich  weder  in  seiner  Hufhaltung  irgend  welche  Be- 
schränkung auferlegte,  noch  auch  die  für  die  Kräi'to  dea 
Landes  viel  zu  grofse  Militärraaclit  verringerte,  so  war  es 
unausbieibUch ,  dafs  die  auf  dem  Kammergute  lastenden 
Schulden  von  Jahr  zu  Jahr  wuchsen  und  bereita  um  die 
Mitte  des  Jahrhunderts,  noch  bevor  der  verderbliche  aieben- 
Jähn'ge  Krieg  ausbrach,  eine  WÄenWäcV«  "Si^V^  ftT5^^!Äx^w^* 


j 


Die  Lag«  Europas  ror  dem  sieben j£hn gm  Kriege. 


w 


WÄre  der  Friede,  der  den  österreichischen  Erbfolgekrieg 
beendet  hatte,  von  längerer  Dauer  gewesen,  so  hätte  viel- 
leicht infolge  der  begonnenen  Reformen ,  der  Weiterent- 
wicklung der  in  Angriff  genommenen  gewerblichen  Unter- 
nehmungen  und  der  wachsenden  Steuerkrai^  des  Landes  mit 
der  Zeit  da«  Gleichgewicht  von  Einnahme  und  Ausgabe  her- 
gestellt werden  mögen.  Allein  acht  Jahre  nach  dem  Frie- 
den von  Aachen  brach  über  Deutschland  und  Europa  der 
verheerende  Krieg  herein ,  der  auch  in  Hannover  und 
Brannschweig  den  aufblühenden  Wohlstand  vernichten  und 
das  letztere  Land  dem  Staatsbanken) tte  nahe  bringen  sollte. 
Maria  Theresia  konnte  den  Verlust  ihres  geliebten  Schlo- 
siens,  das  ihr  in  der  Zeit  ihrer  höchsten  Bedrängnis  ent- 
rissen worden  war,  nicht  verschmerzen.  Noch  während  der 
Dauer  des  zweiten  schlesischen  Krieges  hatte  man  in  Wien 
bei  den  Verhandlungen  über  die  Kaiserwahl  Franz  Stephans 
erklärt,  „die  Kaiserkrone  ohne  Schlesien  sei  nicht  des  Tra- 
gens wert*^  Es  ist  allgemein  bekannt^  wie  es  dann  den 
BemühuDgen  der  Kaiserin  und  ihres  giofsen  Ministers  Kau- 
nitz,  »des  Kutschers  von  Europa",  gelang,  gegen  Preulsen 
die  furchtbarste  Koalition  zustande  zu  bringen,  welche  je  in 
neuerer  Zeit  die  Existenz  eines  Staates  bedrohet  hat.  Mit 
Jtufsland  hatte  das  Wiener  Kabinet  bereits  im  Jahre  1746 
einen  Vertrag  geschlossen,  der  in  seinen  geheimen  Artikeln 
der  Kaiserin  Maria  Tlieresia  die  Wiedererwerbung  Schlesiens 
zusicherte  und  die  Stärke  der  von  beiden  Seiten  zu  stellen- 
den Streitkräfte  bestimmte.  Eine  schwierigere  Aufgabe  aber 
setzte  sich  die  Österreich  isclie  Diplomatie  während  der  näch- 
sten Jahre  nach  dem  Frieden  von  Aachen,  indem  sie  äch 
bemühete,  eine  Annäherung  an  Frankreich  herbeizuführen 
und  diese  bisher  mit  dem  Preufsenköcige  verbündete  Macht 
von  ihm  zu  trennen  und  für  ihre  Pläne  zu  gewinnen.  Die 
Folge  davon  war  freilich,  dafs  nun  anderseits  zwischen  den 
bislang  so  eng  verbundenen  Höfen  von  Wien  und  St.  Jaraea 
eine  Eutireradung  und  bald  eine  wachsende  Spannung  ein- 
trat, da  gerade  zu  dieser  Zeit  die  Nebenbuhlerschaft  der 
beiden  Westmächte  in  den  weiten  Kolonialgebieton  Nord- 
amerikas neue,  auch  für  Europa  verhängnisvolle  Verwick- 
lungen hei-vorzurufen  droheten.  Unter  diesen  Umständen 
verschoben  sich  allmählich  die  gegenseitigen  Beziehungen  der 
europäischen  Grofamächte,  so  sehr  diese,  wenigstens  teilweise, 
dureh  altüberlieferte  Traditionen  gefestigt  erscheinen  moch- 
ten. Indem  die  österreichische  Staatskunst  es  jetzt  in  Ruck- 
sicht auf  Frankreich  von  der  Hand  wies,  sich  zum  Schutz 
der  Niederlande,  Englands   und  Hanwovew  xu  N(st^'^vila\Ko.^ 


ZwoMs  Bvdh.    Zivcsler  Abrcninttt 


trat  die  ETentuatität  emer  Aafl5«iiiie  des  firterreicb-engUschen 
Zoflacnmenwirkece  hervor,  aaf  welcbem  «o  Uage  <i&s  Gleich- 
gewicht EaropAA  berahet  hatte.  Es  beieitEte  nch  dne  völlige 
Umgeataltang  der  Gesichtsponkte  vor,  weiche  bislang  ^r 
die  grofae  Politik  des  ErdteÜs  maikgebend  gewesen  waren, 
eine  Veränderung,  weiche  za  ganz  neuen  ParteisteUtingen 
fuhren  sollte. 

Man  wird  sich  nicht  wundem,  dafs  der  stets  um  diel 
Sicherheit  seiner  Erbl&nde  besorgte  Georg  11.  gleichtalls  Toaj 
diesen  Vorgängen  beeinflalst  wurde.  Hatte  er  in  den  frü- 
heren Verwicklungen  gegen  die  wirklichen  oder  eingebil- 
deten Bedrohaogen  des  Karstaates  durch  Prankreich  und 
Preufsen  den  sichersten  Schutz  in  einem  engen  Anschlüsse 
an  Osterreich  gesucht,  so  ward  ein  solcher  jetzt  hinläUig, 
seitdem  es  kein  Geheimnis  mehr  war ,  dafs  der  Wiener  Hof 
die  gröfsten  Anstrengungen  machte,  um  zu  einem  Bündnis 
mit  Frankreich  zu  gelangen.  Als  Kurftirst  von  Hannover 
sah  dich  Georg  durch  die  Macht  der  Verhältnisse  zu  einer 
Annäherung  an  Friedrich  II.  gedrängt,  gegen  den  sich  die 
Spitze  der  französisch-österreichischen  Verhandlungen  richtete, 
aU  König  von  England  halte  er  kaum  eine  andere  Wahl, 
seitdem  der  Krieg  zwischen  Frankreich  und  England  in 
Amerika  zum  Ausbmch  gekommen  war  und  nun  seine  Kon- 
sequenzen auch  in  Europa  geltend  zu  machen  drohete.  Die 
Vermittlung  übernahm  Herzog  Karl  von  Braunschweig,  der,j 
ein  doppelter  Schwager  Friedrichs  II.  und  ein  Staramesvet 
des  Königs  von  England,  als  die  dazu  geeignete  Person-^ 
lichkeit  erschien.  So  erlebte  denn  die  Welt  das  über- 
raschende Schauspiel,  dals  die  beiden  Könige,  deren  Politik 
bisher  in  schroffem  Gegensatze  sieh  bewegt  hatte  und  die 
aufserdcm  durcli  die  bitterste  persönliche  Feindschaft  von 
einander  getrennt  waren,  sich  zu  gemeinsamem  Handeln  die 
Hand  reichten.  Am  16.  Januar  1756  wui-de  zu  AVestrain- 
ster  von  den  Bevollmächtigten  Englands  und  Preufsens  ein 
NeutrftlitHt«verti*ag  abgeschlossen,  in  welchem  man  sich  den 
Bestand  der  beiderseitigen  Staaten  in  Deutschland  verbürgte 
und  sich  verpflichtete,  jedem  VerBuehe  einer  fremden  Macht, 
mit  gewaffneter  Hand  sich  in  die  Angelegenheiten  Deutsch- 
lands einzumischen,  gemeinsam  entgegenzutreten^^  Wenige 
Monate  später  erfolgte  vonseiten  Frankreichs  und  Oäterreichs 
der  Gegen  «cJilag.  Zu  Versailles  ward  am  1.  Mai  von  die- 
sen Mächten  ein  Doppolvertrag  unterzeichnet,  einmal  eine 
Nenfrnlitätskonvcntion,  wonach  die  Kaiserin  versprach,  sich 
in  keiner  Weise  an  den  en^\\%c\\-^xaTi7.w\w,Wv  Uändelu  zu 
beteiligen,  und  sodann  einlinw-nv  \inÄ.¥'t%\mftÄ^\34.l\Ks^s^\si6^, 


Begino  des  aiebcnjühngen  Krieges. 


269 


in  welchem  beide  Teile  die  gegenseitige  Garantie  fiir  ihre 
Staaten  übernahmen  und^ich  verpdichteten,  bei  jedem  et* 
waigen  Angriffe  einer  dritten  Macht  auf  eine  von  ihnen 
sich  einander  mit  je  24  000  Mann  Iliife  zu  leisten.  Die 
Österreichische  Politik  feierte  einen  glänzenden  Triumph. 
Diejenige  Macht,  die  seit  zwei  Jahrhunderten  kein  anderes 
Streben  gekannt  hatte  als  die  Schwächung  und  womöglich 
die  Zertrümmerung  der  habsburgi sehen  Monarchie,  Üels  sich 
jetzt  herbei,  der  Erbin  des  hahsburgi sehen  Hauses  Vasallcn- 
dienste  zu  It^isten. 

Aufserlich  trugen  die  Verträge  von  Westminater  und 
Versailles  keinen  offensiven  Charakter.  Beide  uauaten  sich 
Keutralitäts vertrage,  und  geflissentlich  hatte  man  in  ihnen 
jede  Bestimmung  vermieden,  der  man  eine  Angriffs tendenz 
unterlegen  konnte.  Trotzdem  barg  sich  in  ihren  Kalten  der 
Krieg  und  zwar  ein  Krieg,  der,  weil  er  ein  allgemeiner  zu 
werden  drohete,  sich  wie  schon  so  oft  im  Herzen  des  Erd- 
teils, in  Deutschland,  entladen  mufste.  Noch  war  kein 
Schufs  gefallen,  aber  in  ganz  Europa  roch  es  nach  Pulver. 
Der  erste,  der  die  unheimliche  Stille  unterbrach  und  das 
Signal  zu  dem  grofseu  Waffentanze  gab,  war  wiederum 
Friedlich  IL  von  Preufaen.  In  der  wirklichen  oder  _  vor- 
geschützten Überzeugung,  dafs  im  nächsten  Frühjahr  Öster- 
reich und  Rufäland  sich  mit  ganzer  Macht  auf  ihn  stürzen 
würden  und  dafs  dann  der  Beitritt  Frankreichs  zu  dem 
Offensivbunde  sich  von  selbst  verstehe,  falste  er  den  Be- 
Bchlufs,  seinen  Gegnenx,  die  in  ihren  Rüstungen  noch  zu- 
rückwaren, zuvorzukommen.  Er  hoffte  durch  eiueu  raschen 
unvermuteten  Angriff  auf  Osterreich,  die  in  der  Bildung  be- 
griffene KoaUtion  zu  zersprengen  und  sich  zum  Herrn  der 
Lage  zu  machen.  Zu  diesem  Zwecke  sollte  erst  Sachsen, 
das  im  Vertrauen  auf  seine  Neutralität,  aber  in  unbegreif- 
licher Verblendung  über  die  sich  vollziehenden  Thatsachen 
sein  Heer  bis  auf  22  000  Mann  verringert  hatte,  übergerannt 
und  dann  das  Kui'JVurstentmu  zur  weiteren  Basis  der  Ope- 
rationen gegen  Osterreich  gemacht  werden.  Aber  trotz  an- 
züglicher Erfolge  scheiterte  dieser  Plan  vollständig,  und 
statt  den  grofsen  Bund,  dessen  Zustandekommen  der  König 
vereiteln  wollte,  zu  verhindern,  fühi'ten  der  Einfall  in  Sach- 
sen und  die  Vergewaltigung  dieses  Landes  gerade  den  Ab- 
schlufs  dieses  Bundes  herbei. 

Ohne  Kriegserklärung  brach  Friedrich  gegen  Ende  August 
1756  mit   einem  Heere  von    70000    Mann   in   Sachsen    ein. 
Er  fand  nicht  den  geringsten  Widerstand.   OVoift  ^^äovi^'v  Xii^- 
mächtigte  er  sich  des  Landea  bis  au  fc  "böV-cmaÄ^^  Qoc^öiä. 


m 


Zweites  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 


bin  und  zwang  die  vor  ihm  zurückweichende  säcbsische 
Armee,  nachdem  er  bei  Lowositz  einen  Versuch  der  Öster- 
reicher, ihr  Hüte  zu  bringen,  zurückgewiesen  hatte,  zur  Er- 
gebung. Dieser  Gewaltstreicii  beechleunigte  den  AbschluTs 
der  OffensivbündniBe«  ÖBterreichs  mit  Rulsland  und  Frank- ^^ 
reich.  Leicht  gelang  es  jetzt,  die  Kabinette  von  St.  Peters-^H 
bürg  und  Versailles  dafür  zu  gewinnen.  Während  ein  kai-  ^^ 
serliches  Mandat  „ den  Kuri'iiraten  von  Brandenburg"  fUr 
einen  Rebellen  und  Reicbsteind  erklärte  und  der  Reichstag 
in  Regeneburg  den  Reichskrieg  gegen  ihn  beschlois,  wurden 
die  alten  Verträge  mit  Ruisland  und  Frankreich  nicht  nur 
erneuert,  sondern  in  offensivem  Sinne  umgestaltet  Der  Ver- 
trag mit  Rufsland  ('2.  Februar  1757)  machte  zur  Vorbe- 
dingung jedes  mit  Preufsen  zu  schlielsenden  Friedens  die 
Zurückgabe  Schlesiens,  der  rait  Frankreich  forderte  aufser- 
dem  die  Abtretung  anderer  Gebietsteile  des  preufaischeu 
Staates,  nameutUch  des  Herzogtums  Magdeburg,  dos  Bistums 
Halberstadt  imd  des  ehemals  schwedischen  Pommerns.  Die 
Aussicht  auf  die  Wiedererwerbung  des  letzteren  bestimmte 
auch  Schweden,  sich  dem  grofsen  Bunde  gegen  Preufsen 
anzuschliefscu.  Und  während  so  der  eiserne  Ring  um  den 
Preufsenkonig  sich  schlofs,  niifslang  der  Vorstofs,  mit  wel- 
chem er  Osterreich  in  seinem  Lebensnerv  zu  treffen  gemeint 
hatte.  Auf  den  Sieg  bei  Prag  folgte  die  Niederlage  von  Ko- 
lin (18.  Juni  1757)  und  der  verluatvoUe  Rückzug  aus  Böh- 
men. Aus  dem  Angriff  sah  sich  Friedrich  in  die  Vertei- 
digimg zurückgedrängt.  Jetzt  erst  gestaltete  sich  der  Krieg 
zu  dem  gigantischen  und  heroischen  Ringen,  das  ihm  die 
Bewunderung  der  Mit-  und  Nachweit  erworben  hat 

Es  kann  nicht  imeere  Absicht  sein,  den  Verlauf  dieses 
Krieges  auf  den  verschiedenen  Schauplätzen,  auf  denen  er  ge- 
fuhrt wurde,  zu  vetfolgen.  Fiir  imsere  Darstellung  genügt 
es,  diejenigen  Momente  und  Ereignisse  dem  Leser  zu  ver- 
gegenwärtigen, welche  die  haunövrischen  und  hraunschwei- 
gischen  Gebiete  unmittelbar  berührten.  Schon  im  K 
1757  hatte  sich  ein  grofses  franzööisches  Heer  in  der  St^ke 
von  llOüOO  Mann  unter  dem  Oberbefehl  des  alten  bedäch- 
tigen Marschalls  d'Eströes  gegen  die  deutsche  Westgrenze 
in  Bewegung  gesetzt.  Ohne  auf  Widerstand  zu  stofsen, 
breitete  es  sich  in  den  lijiksrheinischen  Gebieten,  den  Län- 
dern der  Kuriiirsten  von  der  Pfalz  und  von  Köln,  der  Ver- 
bündeten Maria  Theresias,  aus,  besetzte  Köln,  Jülich  und 
Düsseldorf  und  machte  diese  Städte  zu  den  Au^angspunkten 
Boiner  weiteren  kriegeriiBcheu  Unternehmungen.  Von  hier 
üuB    überschritten    die   Franzo^u    wiv^\<ivc!Äs^  &*env  Bluain^ 


Ein&H  der  Fraiuosen  m  Weitfal«n. 


271 


überschwemmten  zugleich  das  Herzogtum  Cleve,  bemächtigten 
sich  der  von  den  Preufsen  verlassenen  Festung  Wesel  und 
bedroheten  von  Westfalen  aus  Ostiriesland  und  die  Land- 
schaften des  hannövrischen  Kurstaates.  Dadurch  wurde  dem 
Schwanken  Georgs  II.,  der  noch  im  Herbst  1756  wegen 
der  Neutralitiit  Hannovers  rait  dem  Wiener  Hofe  verhandelt 
hatte,  ein  Ende  gemacht.  Ihm  war  alles  daran  gelegen,  die 
fremden  Truppen  von  seinen  Stammlanden  fern  zu  halten. 
Daher  wies  er  die  Zumutung  der  Kaiserin,  den  mit  ihr  ver- 
bündeten Franzosen  den  „unschädlichen  Durchzug'*  durch 
Hannover  zu  gestatten,  zurück.  In  einer  Botschaft  an  das 
Parlament  verlangte  er  am  17.  Februar  1757  die  nötigen 
Mittel,  um  zum  Schutze  seines  Landes  ein  Beobachtungs- 
heer aufzustellen  und  seiner  in  dem  Vertrage  von  West- 
minster  übernommenen  Bundespflicht  gegen  Preufsen  ge- 
nügen zu  können.  Er  hatte  sich  bisher  den  Anträgen  Fried- 
richs n.  g^enüber ,  welche  auf  eine  gemeinsame  Krieg- 
fuhrung  hinausliefen,  kühl  und  ablehnend  verhalten,  nament- 
lich den  Vorschlag  des  jireufsischen  Abgesandten  Grafen  von 
Schmettau,  durch  Aufstellung  eines  ßeobachtuogsheeres  zwi- 
schen Wesel  und  Lippstadt  die  Rheinlinie  zu  decken,  zurück- 
gewiesen. Man  hatte  in  Hannover  geantwortet,  es  genüge 
die  Weserlinie  festzuhalten:  ein  Vorrücken  über  die  Weser 
würde  Hannover  als  angreifenden  Teil  erscheinen  lassen. 
Jetzt  kamen  die  Anstalten  zur  Verteidigung  des  Landes  in 
rascheren  Zug.  Mit  Braunschweig,  Hessen  und  Sachsen- 
Gotha  wurden  die  Subsi  dien  vertrage  erneuert,  die  im  eng- 
lischen Solde  stehenden,  noch  in  England  befindlichen  han- 
nÖvrisohen  und  hessischen  Truppen  von  dort  nach  Nord- 
deutschlaud  herübergeachafft  und  aus  ihnen  mit  anderen 
hannövrischen  und  braun  sc  hweigischen ,  gothaischen  und 
böckeburgischen  Regimentern  eine  „  Observationsarmee ''  ge- 
bildet, die  sich  mit  Einschlufs  der  aus  Wesel  zurückgezogenen 
preuJsisehen  Besatzung  auf  etwa  52  000  Mann  belief.  Der 
Oberbefehl  wurde  auf  Wunsch  Friedrichs  H.  dem  Herzoge 
Wilhelm  August  von  Cumberland  übertragen,  eine  nicht  eben 
glückJiche  Wahl,  da  dieser  sich  zwar  bei  Dettingen  und 
Culloden  durch  persönliche  Tapferkeit  hervorgethan ,  aber 
weder  dort  noch  hier  Beweise  von  grofser  militfirischer  Be- 
gftbung  gegeben  hatte.  Am  27-  April  traf  der  Herzog  in 
Hannover  ein  und  übernahm  den  Oberbefehl  über  daa  Bun- 
desheer.  Einen  nochmaligen  Antrag  seines  Gegners,  gegen 
freien  Durchzug  durch  Hannover  dem  Lande  jede  mögliche 
Schonung  angedeihen  zu  lassen,  wies  er  z\iTyick.  K^  iäa 
J^üchrieh^  Jä/s  der  Feind  sich  im  M.üTiftlet\a.vA%  «.m^x^wN»,, 


2ii 


owoter  AMoMitt- 


sog  er  die  Uoga  der  Weser  zerstreaeten  Trappen  zusammen, 
bewerkstelligte  aeiDen  Übergang  über  diesen  Flals  and  nabm 
an  den  Abhängen  de«  Hppiscbea  Waldes  bei  Bielefeld  und 
Brackwede  eine  feste  Stellung,  in  der  er  den  Angriff  des 
überlegenen  Feindes  erwarten  zu  wollen  schien.  Beim  An- 
mancb  desselben  aber  gab  er  diese  Stellung  auf  und  sog 
sich  in  eilfertigem  Rückzuge  wieder  über  die  Weeer  zurück 
wo  er  bei  Minden  auf  dem  rechten  Ufer  des  Fhisses  Halt 
machte.  Damit  war  Hessen  dem  Feinde  preisgegeben.  Der 
alte  Landgraf  Wilhelm  VlIL^  gegen  den  jetzt  auch  die 
Reichsexekution  verfügt  ward,  verliefs  Kassel  und  ätiehtete 
nach  Hamburg.  Das  Land  ward  von  den  Franzosen  be- 
setzt,  die  es  mit  Requisitionen  und  Kriegssteuem  alier  Art 
bedrückten.  Zu  derselben  Zeit  drang  ein  anderes  feind- 
liches Korps  in  Ostfriesland  ein  und  bemächtigte  sich  Em- 
dens. So  sah  sich  der  Herzog  von  Cuniberland  auf  seiner 
rechten  und  linken  Flanke  bedrohet,  während  die  Haupt- 
macht der  Franzosen  sich  anschickte,  ihn  in  der  Front  an- 
zugreifen. 

Diesen  Angriff  beschlois  der  Herzog  bei  Hameln ,  ge- 
stützt aut  diese  Festung,  zu  erwarten.  Er  nahm  bei  dem 
Dürfe  Hastenbeck  südöstlich  von  Hameln  eine  Verteidigungs- 
stellung,  welche  ihren  rechten  Flügel  an  einen  morastigen 
Anger,  den  linken  an  die  bewaldete  Obensburg  lehnte  und 
im  Zentrum  durch  eine  starke  Bfitterie  von  schwerem  Ge- 
schütz gedeckt  war.  Hier  erfolgte  am  26.  Juli  die  Schlacht, 
welche  das  hannövrische  Land  bis  an  die  Elbe  wehrlos  den 
übermütigen  Frauzoaen  in  die  Hand  liefern  mWiß.  Es  war 
ein  geschenkter  Sieg,  den  sie  hier  davonü'ugen.  Wohl  be- 
mächtigten sie  sich  nach  tapferer  und  hartnäckiger  Gcgen- 
wehi-  der  Obensburger  Höhe,  wohl  ging  auch  Hastenbeck  und 
die  bei  dem  DoH'e  aufgestellte  Batterie  verloren,  aber  wäh- 
rend der  Herzog  voreilig  den  Rückzug  befahl,  eutrifa  der 
tapfei*e  Oberst  von  Breidenbach  die  Obensburg  dem  Feinde 
wieder  und  trieb  ihn  in  völliger  Auflösung  die  Höhe  hinab. 
Zu  gleicher  Zeit  stellte  sich  der  einundzwanzigjährige  Erb- 
prinz Karl  Wilhelm  Ferdinand  von  Braunscbweig  an  die 
Spitze  des  Flügel bataillons  vojn  braunschweigisclien  Leib- 
regiment und  eroberte  die  verlassene  Batterie  im  Zentrum 
durch  einen  kühnen  Bajonettangriff  zui'ück.  Die  Schlacht 
war  gewonnen,  die  Franzosen  in  vollem  Rückzuge,  den  sie 
erst  hemmten,  als  wiederholte  Meldungen  ihnen  die  fast  un- 
glaubliche Gewilsheit  gaben,  dafs  der  Sieger  das  Treffen  für 
verloren  halte.  Der  Herzog  hatte  vollständig  den  Kopf  ver- 
Jorea.      Unwillig  gehorc\iten   6ie  tru^^eu  w\nffitti  liefeble. 


Trefieu  bei  Ila£tenbeck  und  dessen  Folgen. 


278 


den  Rückzug  fortzusetzen.  Kein  Feldzeichen,  fast  kein  Ge- 
schütz hatteu  sie  verloren.  Dagegen  hatte  Bi-eidenbach  drei- 
Imndort  Gefangene  gemacht  und  zweinndzwauzig  Geschiitze 
erobert,  von  denen  er  freilich  die  Hälfte  wegen  Mangels  an 
Bespannung  auf  dem  Schlachtfelde  zurücklassen  mufste. 

Da«  Treffen  bei  Hastenbeck  entschied  tUr  die  nächste 
Zeit  das  Schicksal  Hannovers  und  Braunschwelgs.  Anstatt 
mit  dem  wenig  geschwächten  und  noch  immer  kamptlustigen 
Heere  und  mit  Hilfe  des  treuergebenen  Volkes  dem  Feiade 
jeden  Schritt  streitig  zu  machen ,  setzte  der  Herzog  ohne 
Aufenthalt  seinen  Kückzug  die  Weser  abwärts  fort,  ging 
oberhalb  Verden  über  die  Aller  und  verfolgte  dann  seinen 
Weg  weiter  über  die  Wümme  und  selbst  über  die  Oste 
gegen  Bremer^'örde  und  Stade,  ohne  auch  nur  einen  Augen- 
blick daran  zu  denken ,  die  natürlichen  Verteidigungaab- 
schnitte,  die  der  Lauf  jener  Flüsse  dai*bot,  zu  entschlossener 
Abwehr  und  zum  Schutz  des  dahinter  liegenden  Landes  aus- 
zunutzen. Es  scheint  bei  ihm  von  vornherein  beschlossene 
Sache  gewesen  zu  sein,  im  Fall  einer  Niederlage  von  der 
mittleren  Weser  das  Heer  iu  den  Zwickel  zwischen  Oste  und 
Klbe  zu  führen,  wo  ihm  die  Festung  Stade  einen  Stützpunkt 
verhiefa  und  die  Nähe  des  Meeres  die  Verbindung  mit  Eng- 
land offen  hielt  So  sah  sich  das  Land  bis  an  die  untere 
Klbe  der  Gnade  des  Feindes  preisgegeben,  der  nicht  säumte, 
dem  zurückweichenden  Herzoge  zu  folgen.  Von  seiner  Zag- 
haftigkeit angesteckt,  dachte  man  nirgend  an  Widerstand. 
Die  Festungen,  darunter  das  wichtige  Hameln,  ergaben  sich 
aut  die  erste  Aufforderung,  die  Städte,  auch  die  Haupt- 
stadt Hannover ,  wetteiferten ,  dem  Sieger  ihre  Schlüssel 
zu  überreichen.  Der  Hof  von  Braunschweig  beeilte  sich, 
itm  seine  Unterwerinng  anzuzeigen  und  ihm  seine  beiden 
■wichtigsten  Plätze,  Braunsehweig  und  Wolfenbüttel,  auszu- 
liefern. Dafür  erlangte  er  von  dem  Herzoge  von  Richelieu, 
der  den  Marschall  d'Eströes  mittlerweile  im  Oberbefehl 
des  französischen  Heeres  abgelöst  hatte ,  eine  Konvention 
(13.  August) ,  wonach  dem  Fürstentume  Blankonburg  die 
Neutralität  zugestanden  und  dem  Herzoge  Karl  gestattet 
v^'ard,  sich  mit  seinem  Hofe  nach  Blankcnburg  zurückzu- 
ziehen und  hier  die  weitere  Entwicklung  der  Ereignisse 
abzuwarten. 

Diese  gestaltete  sich,  wie  vorauszusehen  war,  zu  einer 
unerhörten  Bedrückung  und  Aussaugung  des  Landes.  Nach 
seiner  Besitznahme  galt  es  nunmehr,  die  Hilfsmittel,  die  es 
darbot,  nach  Kräften  auszubeuten.     Der  neue  OberbefehU- 

H6iB«w«eo,  BnnBscbw.-buuör.  GeBcVichU.    Ul.  V& 


geMnui. 

«od  sei- 

wA  der  Her- 

Sieben  eioer 
1  y^i^/^gMaffimif  der  er  waA  i^ner  fi^lute, 
Hib^er.  die  er  jetst 
batte  «ad  in  da*  sttne  Untts^ 
Dm  prädbkige  LoidBBi^  das  er 
■fitoTy  aadi  der  EaActeag  roa  sfliaeBi  Konmanda^  aicli  er- 
l—pte,  lami'TTi  &  FMser  ipattsäw  «den  Fmlkm  too 
Dnoorer''.  Im  PialaMgr  des  g.*^"»"  Taitdr»  vurden  die 
fffr**1^**-**-"  ffiwrn  snl  Itrarhlir  fadc^,  adiwcre  Koctri- 
llmtioneD  and  imefBclnrii^^clke  LaJLiau^eB  «Der  Art  aos- 
ceadui^yeiL  In  Btaansdtwc^^,  wx>  er  eine  Zeit  Uzig  seiix 
Hauptquartier  auiscltlt^  erfcaitrtp  er  mit  der  bnataiea  Back- 
mchtdo^Aeät  tma  tttifctsdieii  Paae^  BlOe,  Maskeraden, 
Opern,  Konzerte  aad  PantomaiMii  ftlgteo  äca  in  ananter- 
brochner  Reibe.  Vergebens  sncbte  Herzog  Kari  ihn  durch 
ansdmlicbe  Geldgeschenke  zu  einer  wiiM«^  Behandlung  des 
f  Ande»  zu  bestimmen.  Er  nahm  sie  als  einen  ihm  gebüh- 
renden Tribut  en^egen  und  fuhr  fort ,  sich  die  ärgsten 
Graosamkeiteo  und  Ausschweifungen  zu  erlauben.  Dörfer 
und  kleinere  Städte  wurden  ausgeraubt  und  Terheert,  Brand- 
Mhatzongcn  unerbittlich  eingetrieben,  angesehene  und  wohl- 
habende Personen  ohne  Grund  verhaftet  und  oft  den  gröb- 
sten Mifehandlungen  unterworfen.  So  hausten  damals  die 
Franzosen,  die  Tonangeber  des  guten  Geschmacks  und  der 
feinen  Sitte,  in  dem  braunschweigischen  und  hannövrischen 
Lande. 

Inzwischen  war  der  Herzog  von  Cimiberland  bis  nach 
Bremervörde,  wenige  Wegstunden  südwestlich  von  Stadf^ 
zurückgewichen.  Einen  Augenblick  schwankte  er,  ob  er 
hier  eine  Schlacht  annehmen  solle.  Aber  schon  bedroheten 
die  Franzosen  ihn  im  Rücken  und  trafen  Anstalten,  ihn 
völlig  zu  umzingeln.  Am  3.  September  hatten  sie  sich  durch 
einen  Haudätreicb  Harburgs  bemächtigt  und  sich  damit  an 
der  Niederelbe  festgesetzt.  Damit  war  die  Lage  des  Bundea- 
hceres  eine  verzweifelte  geworden.  Es  achien  ihm  nur  die 
Wahl  zwischen  Untergang  oder  schimpflicher  Kapitulation 
SU  bleiben.  Unter  diesen  Umständen  bot  der  König  Fricd- 
ricli  V.  von  DUncmark  seine  Vermittlung  an.  Nach  längeren 
Vcrhuiidlungc'u  wurde  diese  von  beiden  Seiten  angenommen, 
un<l  am  4.  Jsopteniber  erschien  der  dänische  Statthalter  in 
Oldenburg    und    Delmenhorst,   Rochuft    Friedrich   Graf  zu 


4 


KoDTention  tüd  Kloster  Zeven. 


275 


Lynar,  im  Lager  von  Bremei-vorde ,  um  zunächst  einen 
Waffenstillstand  zu  vereinbaren.  Seinen  Bemühungen  ge- 
lang es  wenige  Tage  später  eine  Ubereinkuni't  zustande  zu 
bringen,  welche  ara  8.  September  von  Cuniberland  und  am 
1 0.  von  Richelieu  in  dessen  Hauptquartier ,  dem  Kluater 
Zeven,  unterzeichnet  ward  und  daher  als  die  Konvention 
—  die  Bezeichnung  Kapitulation  hatte  der  Herzog  von 
Oumberland  entschieden  abgelehnt  —  von  Kloster  Zeveu 
bekannt  ist  Dieses  Übereinkommen  verfügte  auf  Grundlage 
eines  vorher  angenommenen  Waffenstillstandes  die  Aus- 
scheidung der  braunschweigiftchen ,  hessischen,  gothaischen 
und  büekeburgischen  Truppen  aus  dem  Verbände  der  Armee 
Cumberlatids  und  ilire  Entlassung  in  die  Heiniat.  Den  Hau- 
novcranem  wurden  Stade  nebst  dem  immittelbareu  Bezirke 
um  diese  Festung,  sowie  das  Herzogtum  Lauenburg  einge- 
räumt, im  Besitz  der  Franzosen  dagegen  sollten  die  von 
ihnen  eroberten  und  besetzten  Landstriche,  auch  die  Her- 
zogtümer Bremen  und  Verden,  verbleiben.  Die  Konvention 
überlieferte  also  fast  den  ganzen  Kurstaat  und  das  Herzog- 
tum Braunschweig  der  Willkür  der  Franzosen.  In  beson- 
deren Artikeln,  die  eine  Ergänzung  zu  dem  Hauptvertrage 
bildeten ,  ward  die  Verteilung  der  hannövrischen  Trappen 
diesseits  und  jenseits  der  Elbe  genauer  bestimmt  und  die 
Ausscheidung  und  Verlegung  der  Hilfatruppen,  die  nicht  als 
kriegsgefangen  gelten  sollten,  späteren  Verhandlungen  mit 
den  beti'effenden  Höfen  vorbehalten.  Eine  weitere  Verein- 
barung vom  16.  September  bestimmte  die  Auslieferung  der 
gegenseitigen  GefaDgenen. 

Sogleich  nach  Abschlufs  der  Konvention  erhoben  sieb 
gegen  dieselbe  Bedenken  und  Schwierigkeiten  ,  welche  sieb 
aus  der  Eilfertigkeit,  mit  der  sie  zustande  gekommen  war, 
erklären.  Die  Dislokation  der  hannövrischen  Truppen  nach 
Lauenburg  atiefs  auf  Hindernisse,  lüchelieu  forderte  die  Ent- 
•wafiiiuüg  der  hesBJschen  und  braunschweigischen  Regimenter 
unter  dem  Vorwande,  dafs  er  unmÖgHch  in  einem  eroberten 
Lande  eine  Streitmacht  von  12000  Mann  in  seinem  Kücken 
dulden  könne.  Anderseits  zögerte  auch  Georg  II.  mit  der 
Ratifikation  des  Zevener  Vertrages,  Er  war  in  hohem  Grade 
aulgebracht  über  die  Kriegführung  seines  Sohnes  und  be- 
zeichnete die  Konvention  als  ein  ,,  mifstalliges  imd  unglück- 
liches Ereignis".  Wohl  würde  er  geneigt  gewesen  sein,  ihr 
seine  Zustimmung  zu  erteilen,  wenn  er  damit  die  Räumung 
seiner  Erbataaten  durch  die  Iranzösische  Armee  hätte  er- 
kaufen können.  Denn  die  Neutralität  l\aniüiy7^x%  "vifts  "vsaA 
blieb   der  Scb  werp  unk  t    seine  r    deutscYiea    Y  o\k?ä& .     Qt\Ä.Osv 


276 


Zweitos  Buch.    Zweiter  Abscliaitt. 


nach  dem  Gefechte  bei  Hastenbeck  hatte  er,  uneingedenk 
der  gegen  Preufsen  übernommenen  Verpflichtungen,  in  Wien 
und  Versailles  Anstrengungen  gemacht,  um  sie  zu  oriangcn. 
Sift  waren  indes  gescheitert ,  da  Frankreich  unter  keinen 
Umständen  in  eine  solche  Ti*enniing  der  iiannövrischen  Frage 
von  der  Kriegsfrage  mit  England  wilUgen  wollte,  vielmehr 
durch  die  Besetzimg  des  Km*8taates  einen  Druck  auf  die 
Politik  des  englischen  Kabinettes  auszuüben  gedachte.  In 
England  hatte  man  dann  einen  Augenblick  daran  gedacht, 
den  Herzog  von  Cimiberland  durch  Zusendung  von  eng- 
lischen TruiJpen  zu  verstärken.  Aber  Pitt^  dei-  eben  in  das 
Ministerium  getreten  war,  widersprach  und  wollte  nur  neue 
ISubsidieu  füi*  die  bedrohcte  Armee  bewilligen.  Nun  kam 
noch  hinzu,  dafs  der  Herzog  Karl  von  Braunschweig,  au& 
äuJserste  gebracht  durch  die  Bedrückungen,  die  sein  Land 
von  den  Franzosen  zu  erdulden  hatte,  mit  diesen  eine  Kon- 
vention abßchlois,  wonach  er  nicht  nur  seine  IVuppcn  von 
der  Armee  des  Herzogs  von  Curaberland  abzuberui'cn,  sondern 
sie  auch  mit  der  Reichsarmee  zu  vereinigen  versprach  und 
sein  Land ,  seine  Festungen  Braunach  weig  und  Woli'eu- 
büttelj  seine  gesamte  Artillerie,  seine  Vorräte  an  Waffen  und 
Munition  dem  Iranzusischen  Hauptquartiere  zu  unbedingter 
Verfügung  stellte. 

Nicht  nur  bei  dem  Könige  Georg,  sondern  in  ganz  Eng- 
land, bei  der  Regierung  und  im  Volke,  hatte  die  Konven- 
tion von  Kloster  Zeven  Unwillen  und  Entrüstung  hervor- 
gerufen. Der  Ausdinick  dieser  allgemeinen  Stimmung  war 
die  Zurückberufung  des  Herzogs  von  Cumberland.  In  Eng- 
Uind  empfing  ihn  Georg  II,  mit  den  Worten:  „Das  ist  mein 
Sohn,  der  mich  zugrunde  gerichtet  und  sich  entehrt  hat" 
Cumberlands  Abberufung  bedeutete  nichts  anderes  als  das 
Verlassen  der  bisherigen  Schaukelpolitik  Hannovers  und  den 
ersten  Schritt  zur  Aufhebung  der  Konvention  von  Zeven. 
Denn  König  Georg  sowohl,  wie  seine  hannövrischen  Räte 
konnten  sich  nach  allem,  was  geschehen  war,  nicht  läng^ 
der  Einsicht  verachUefaen ,  dafs  ihre  bisherige  Politik  das 
Land,  auf  dessen  Bewahnmg  vor  fremder  Invasion  alle  ihre 
Anstrengungen  gerichtet  gewesen  waren,  ins  Verderben  ge- 
führt hatte  und  dafs  jetzt  nur  ein  ehrlicher  Anschiuls  an 
Preufsen  es  von  dem  Drucke  der  Fremdherrschaft  befreien 
konnte,  der  schwer  auf  ihm  lastete.  Um  Gründe,  die  von 
den  beiderseitigen  Heerführern  vereinbarte  Konvention  zu 
ven^'erfen,  konnte  man  nicht  verlegen  sein.  Abgesehen  da- 
von, dafs  auch  der  französische  Hof  ihre  Ratihkation  bean- 
standete^ hatten  französische   Truppen  den  Waffenstillstaud 


Kündigung  der  Konvention, 


277 


gebrochen,  indem  sie  ilas  Scbloi's  Scharzfeld  um  Harze  er- 
stiegen, es  ausjtlünderten  und  die  aus  Invaliden  bestehende 
Besatzung  zu  Gefangenen  machten.  Die  unerhörten  Be- 
drückungen und  Oewaltthiitigkeiten ,  welche  sich  die  Fran- 
zosen im  ganzen  Lande  erlaubten,  hatten  seit  dem  Vertrage 
von  Zeven  nicht  abgenommen,  sondern  sich  zu  einer  solchen 
Höhe  gesteigert,  dafs  Georg  II.  sich  veranlal'st  sah,  sie  in 
einer  energischen,  an  den  Wiener  Hot'  gerichteten  Denk- 
schrift zu  brandmarken.  Dazu  kam  das  wiederholte  Ver- 
langen RicheUeus,  dafs  die  hessischen  Truppen,  ungeachtet 
sie  nach  den  Bestimmungen  des  Waffenstillstandes  nicht  als 
Gefangene  anzusehen  waren,  sogleich  nach  ihrer  Ankuntt 
in  Hessen  die  Waffen  abgeben  sollten.  So  fal'ste  man  denn 
in  London  den  Kntschlufe,  die  Konvention  von  Zeven  nicht 
zu  bestätigen,  sondern  zu  verwerfen.  An  die  Regierung  in 
Hannover  erging  der  Befehl,  alle  Unterhandlung  mit  dem 
französischen  Marschall,  der  inzwischen  einen  Teil  seines 
Heeres  in  das  Fürstentum  Halberstadt  geschickt  hatte,  ab- 
zubrechen und  mit  dem  in  Hamburg  weilenden  Landgrafen 
von  Hessen  die  nötigen  Schritte  zur  Wiederautiiahme  der 
kinegerischen  Operationen  zu  verabreden.  Zugleich  sandte 
Georg  11.  den  Generalmajor  Grafen  von  der  Schulenburg 
an  König  Friedrich  von  Preufsen,  um  zum  Oberbefehlshaber 
der  verbündeten  Armee  den  Herzog  Ferdinand  von  Braun- 
Bchweig  zu  erbitten. 

Diese  Wahl  hätte  keinen  geeigneteren  Mann  treffen 
können.  Ferdinand,  ein  jimgerer  Bruder  des  regierenden 
Herzogs  Karl  von  Braunschweig ,  damals  secheunddreifsig 
Jahre  alt,  war  1740  als  Obrist  eines  gröfstenteUs  aus 
Braunschweigem  errichteten  Regimentes  in  preufsische  Dienste 
getreten,  hatte  sich  in  der  strengen  Ki'iegsschule  Fxiedricha  U. 
zu  einem  ausgezeichneten  OiKzier  ausgebildet  und  an  sämt- 
lichen Feldzugen  des  grofsen  Königs  einen  ruhmvollen,  her- 
vorragenden Anteil  genommen.  Bei  Soor  erstürmte  er  an 
der  Spitze  seiner  Brigade,  obschon  verwundet,  eine  vom 
Feinde  hartnäckig  verteidigte  Anhöhe,  und  in  der  Schlacht 
von  Prag  trug  er  durch  Umsicht  und  Entschlossenheit  we- 
sentlich zu  dem  hartbestritteuen  Siege  bei.  Friedrich  JJ. 
schätzte  ihn  ungemein  hoch  und  ziLhlte  ihn  zu  seinen  besten 
Generälen.  Bei  der  Nachricht  von  der  Zeveuer  Konvention 
schrieb  er  ihm:  „Dans  notre  Situation  il  taut  se  persuader, 
mon  eher,  qu'un  de  nous  en  vaut  quatre  autres."  Was 
aber  neben  seinen  railitänschen  Eigenschaften  den  Herzog 
vorzugsweise  zu  dur  Stellung  befähigte,  die  man  ihm  zu- 
dachte, war,  dafs  er  mit  jenen   und  mit  seiner  fUrstlichen 


Zweites  Bucli.    Zweiter  Äbschiittt. 


Geburt  alle  die  Eigeni^chaflen  verband,  welche  imstande 
waren,  ein  aus  so  verschiedenen  Truppenteilen  zusammeu- 
ffewüri'cltes  Heer  zu  einer  einheitlichen,  von  demselben  Geiste 
beseelten  Streitmacht  umzugestalten.  Seine  Leutseligkeit, 
seine  humane  Gesinnung,  seine  verbindUchen  Formen,  unter 
denen  sich  ein  fester  zieibewuföter  Wille  verbarg,  befähigten 
ihn  in  gleichem  Mafse  zu  den  Verhandlungen  mit  den  ver- 
schiedenen Regierungen  und  Behörden,  mit  denen  ihn  die 
ihm  gestellte  Aulgabe  in  Verbindung  brachte,  wie  sie  ihn 
die  unbedingte  Hingabe  der  von  ihm  befehligten  Truppen 
erwarben. 

Zwei  Tage  nach  der  si^reichen  Schlacht  bei  Roisbach 
traf  Schulenburg  im  preufsischen  Hauptquartiere  zu  Leipzig 
ein.  Friedrich  IL  gab  mit  Freuden  seine  Zustimmung,  und 
schon  am  16.  November  befand  sich  der  Herzog  auf  dem 
Wege  nach  Stade,  wo  er  am  23.  November  das  Kommando 
über  das  verbündete  Heer  übernahm.  Es  geschab  unter 
den  schwierigsten  Umständen.  Noch  waren  etwa  .  32  000 
Mann  beisammen,  aber  während  der  Landgraf  von  Hessen 
Beine  Truppen  ohne  weiteres  dem  neu  eruaunten  Ober- 
befehlshaber unterstellte,  hielt  der  Herzog  Karl  von  Braun- 
Bchweig  an  dem  mit  Frankreich  abgeschlossenen  Vertrage 
fest  und  erteilte  dem  General  Imhof  den  Befehl,  nach  Braun- 
Bchweig  abzumai-schieren.  Mit  Gewalt  mufste  die  Ausführung 
dieses  Befehles  verhindert  werden.  In  diesem  Augen  bUche 
traf  Herzog  Ferdinand  beim  Heere  ein.  In  einem  beweg- 
lichen Schreiben  bestürmte  er  jetzt  seinen  Bruder ,  seine 
Truppen  bei  dem  Heere  zu  belassen,  den  Befehl  zu  ihrem 
Abmarsch  zurückzunehmen.  Der  Erbprinz ,  der  sich  ihm 
auf  der  Reise  angescblosseu,  teilte  durchaus  seine  Gesinnung, 
allein  er  erhielt  von  seinem  Vater  die  wiederholte  Weisung, 
nach  ßraunschweig  zurückzukehren.  In  dieser  peinlichen 
Lage  erklärte  er,  seine  Pflicht  als  preufsischer  Offizier  ge- 
biete ihm,  selbst  wider  den  Willen  seines  Vaters  auf  seinem 
Posten  zu  bleiben.  Zugleich  wufate  sein  Oheim  durch  eine 
begeisternde  Anrede  an  die  Truppen  diese  zu  dem  näm- 
lichen Entschlüsse  zu  bestimmen.  Herzog  Karl  war  freilich 
in  hohem  Grade  aufgebracht  über  den  Ungehorsam  seines 
Sohnes  und  die  Mifeachtung  seiner  Befehle.  Ganz  in  der 
Gewalt  der  Franzosen ,  naiim  er  vielleiclit  auch  nur  zum 
Scheine  diese  Miene  an.  Als  aber  die  ersten  Operationen 
seines  Bruders  einen  glänzenden  Verlauf  nalmien  und  die 
baldige  Befreiung  auch  seines  Landes  verhiefsen  und  als 
bald  darauf  zu  der  Nachricht  von  dem  Siege  von  Kofsbach 
ßich    diejenige   ^'on    dem   nocYi   gto^&M^\i»jCWi'Q.  YxCal^e   von 


I 


Herzog  FerdiDaod  Oberbefbhlshaber  des  Heeres.  279 

Leuthen  gesellte^  beruhigte  er  sich  und  liels  die  Dinge  ge- 
währen. 

Raum  der  ihm  untergebenen  Truppen  mächtig,  fUhrte 
Ferdinand  sie  dem  zwar  durch  Krankheiten  und  Fahnen- 
flucht geschwächten  aber  noch  immer  überlegenen  Felude 
entgegen.  Er  war  der  Ansicht,  dafs  durch  einen  kühnen 
Vormarsch  ihr  Vertrauen  in  die  eigene  Kraft  am  sicherstea 
und  schnellsten  wiederhergestellt  werde.  Am  28.  November 
benachrichtigte  er  Richelieu,  der  inzwischen,  um  die  Auf- 
lösung der  hannövrischen  Armee  mit  Gewalt  zu  erzwingen, 
von  Braunschweig  auigobrochen  und  sein  Haupt{|uartier  in 
I/üneburg  genommen  hatte,  dala  er  zum  Befehlshaber  eben 
dieser  Armee  ernannt  sei  und  die  Weisung  erhalten  habe,  die 
Operationen  wieder  zu  beginnen.  Schon  am  folgenden  Tage 
forderte  er  Harburg  zur  Ergebung  auf  und  liefs,  als  eine 
nbachlägige  Antwort  ert'ulgte,  die  Beschielsung  des  Platzes 
eröflhen.  Zugleich  besetzte  er  Buxtehude  und  wandte  sich 
von  da  über  Jesteburg,  Sahrendorf,  Amelinghausen  und  Eb- 
etorf  gegen  Celle,  wo  Richelieu  sein  Heer  hinter  der  Aller 
zusammengezogen  hatte.  So  war  ein  grofser  Teil  des  han- 
n<j\Ti8chen  Gebietes  vom  Feinde  gesäubert.  Da  aber  die 
"V^'interkälte  alle  weiteren  Unternehmungen  verbot,  auch  be- 
deutende Verstärkungen  der  Franzosen  eintrafen,  so  be- 
ßchlofs  Ferdinand,  nachdem  am  30.  Dezember  noch  Har- 
buTff  gefallen,  sein  Heer  in  die  Winterquartiere  zu  legen. 
Es  bezog  längs  der  Ilmenau  zwischen  Eostorf  und  Boden- 
ieich,  mit  dem  Zentrum  in  Ülzen,  ein  Lager,  um  in  dieser 
Stellung  das  Herannahen  der  besseren  Jahreszeit  zu  er- 
warten. 

Inz^-ischen  beschleunigte  der  ungewöhnlich  harte  Winter 
das  Zusammenschmelzen  der  grofsen  französischen  Armee, 
welche  von  Bremen,  das  Richelieu  am  17.  Januar  1758 
hatte  besetzen  lassen,  bis  an  den  Harz  hin  in  weiten  Kan- 
tonnements  verzettelt  war.  Des  rauhen  Klimas  ungewohnt, 
verloren  die  Franzosen  viele  Leute  durch  ansteckende  Krank- 
heiten, zumal  ihre  Hospitäler  sich  in  dem  traurigsten  Zu- 
stande befanden.  Wälu-end  des  Januar  allein  starben  10  000 
Mann.  Solche  Verluste  vermochten  auch  die  Nachschübe 
aus  Frankreich  nicht  auszugleichen.  Von  den  1 34  000 
Mann,  welche  die  beiden  Heere  von  d'Estrdea  und  Soubiae 
gezählt  hatten,  war  bald  wenig  mehr  als  die  Hälfle  noch 
diensttauglich.  Dazu  kam  die  völlige  Unfähigkeit  des  Ober- 
kommandos und  die  im  Hauptquartiere  lüchelieus  herr- 
schende Ratlosigkeit,  welche  selbst  den  Pariser  Hof  veran- 
iste, dea  Marschall  abzuberufen  und  ihn  ivixc\i.  öäxv  ^s^^v^ 


J 


280 


Zweites  Bucli.    Zweiter  Äbsclmitt. 


ebenso  nnfHhigen  Prinzen  von  Boarbon  -  Cond^-,  Gb-afen  von 
ClennoDt,  zu  ereetzen.  Demgegenüber  war  Ferdinand  von 
Braunscbweig  ■während  des  Winters  unablässig  darauf  be- 
dacht, die  Tüchtigkeit  und  Operutionsiahigkoit  seiner  Trup- 
pen zu  erhöhen.  Er  sorgte  nach  Kräften  für  ihre  Ver- 
pflegung, verbeaaerte  das  Fuhrwesen,  ward  durch  König 
Friedrich  reichlich  mit  Geschütz  und  Munition  versehen  und 
erhielt  die  Zusage,  dafs  eine  preufsische  Heeresa bteüung  unter 
dem  Prinzen  Heinrich  ihm  beim  Wiedfrboginn  der  Feind- 
seligkeiten durch  Vormarsch  in  das  HUdesheimsche  die  linke 
Flanke  decken  solle.  So  konnte  er  dem  Feldzuge  von 
1758  mit  Vertrauen  und  den  besten  Hoffnungen  entgegen- 
sehen. 

Dieser  vollendete  denn  auch  binnen  kurzem  die  Be- 
freiung des  hannövrischen  und  braunschweigischen  Landes. 
Am  15.  Februar  stand  Ferdinands  Armee  auf  den  ihr  an- 
gewiesenen Sammelplätzen  zum  Aufbruch  bereit.  Während 
Prinz  Heinrich  die  von  den  Franzosen  besetzte  Felsenfeste 
Regenstein  am  Harz  zurückeroberte,  wandte  sich  der  Her- 
zog, durch  liinizehn  preufsische  Schwadronen  verstärkt,  geg 
die  untere  AVeser  und  Aller.  Dorthin  sandte  er  zwei  kleinere 
Abteilungen,  während  er  selbst  mit  der  Hauptmacht  gegen 
Verden  und  Nienburg  vori'ückte.  Diese  Bewegung  genügte, 
die  Franzosen  zum  schleunigen  Hückzuge  über  die  Weser 
zu  bestimmen.  Nicht  einmal  den  wichtigen  Übergangs- 
punkt über  die  Aller  bei  Verden  wagten  sie  zu  verteidigen. 
Am  23.  Februar  setzten  die  Verbündeten  hier  und  bei  Ahl- 
den  über  den  Fluls.  Wahrend  bei  Ahlden  ein  französisches 
Husarenregiment  nach  kurzem  Kampfe  zersprengt  imd  fast 
völlig  aulgerieben  wurde ,  ging  der  Erbprinz  von  Braun- 
sehweig  mit  einigen  Bataillonen  zwischen  Verden  und  Nien- 
burg über  die  Weser  und  bemächtigte  sich  mit  Btürmeuder 
Hand  des  von  dem  Grafen  von  Chabot  verteidigten  Fleckens 
Hoya,  was  zur  Folge  hatte,  dafs  die  Franzosen  nun  auch 
Bremen  räumten.  Die  ganze  Weserlinie,  mit  Ausnahme  von 
Minden,  wurde  jetzt  von  ihnen  aufgegeben,  ja  Clermont 
sandte  an  die  in  Westfalen  stehenden  Truppenteile  schon 
den  Befehl,  sich  über  den  Rhein  zurückzuziehen.  Am 
26.  Februar  zogen  die  französischen  Besatzungen  aus  Celle, 
Braunschweig ,  Wolfenbuttel  und  GosJar  ab.  In  Wolfen- 
büttel liefs  der  dortige  Kommandant,  der  wegen  seiner  Roh- 
heit und  Habsucht  berüchtigte  Marquis  Voyer  d'Argenson, 
der  noch  vor  kurzem  Halberstadt  in  unerhörter  Weise  ge- 
brandschatzt  hatte,  die  hier  lagernden  Vorräte  in  die  Ocker 
schütten    und    alles    Geschütz   \etna^\w.    '^\m    -mäx  ^lüho 


Befreiung  des  Landes  ron  den  Fraozoseti. 


281 


koDute  er  durch  einen  wackeren  Offizier  seiner  Umgebung 
abgebalten  werdeu,  durch  AnzUndung  der  in  nächster  Nähe 
der  Bibliothek  gelegeueu  Stroh  -  und  Heumagazine  diese 
und  ihre  unersetzhchen  Schütze  der  Vernichtung  preiszu- 
geben. Nachdem  er  am  28.  Februar  auch  Hannover  ge- 
räumt hatte,  verlegte  Clerraont  sein  Hauptquartier  nach  Min- 
den. Aber  auch  diese  Festung,  von  der  die  Franzosen 
hofften,  sie  werde  wenigstens  so  lange  widerstehen,  bis  ihr 
GeschUtzpark,  ihre  Munition  und  ihr  Übriges  Heergerilt  den 
Rhein  erreicht  haben  würden,  ergab  sich  nach  neuntägiger 
Beschiefsung  am  14,  März  dem  hannövrischen  Generale  von 
Oberg.  Damit  war  in  der  kiuzen  Zeit  von  mu'  zwei  Mo- 
naten der  üherraütige  und  übermächtige  Feind  völlig  aus 
dem  weifischen  Ländergebiete  verdrUngt.  Das  Land  atmete 
auf.  Herzog  Karl  kehrte  nach  seiner  Hauptstadt  zurück. 
Überall  traten  die  ordnungsmäfsigen  Behörden  wieder  in 
Thätigkeit,  mit  Jubel  begrüfste  man  die  erbeuteten  Fahnen 
und  Standarten  des  Feindes,  die  Herzog  Ferdinand  als  ße- 
Tveise  und  Unterpfänder  der  glücklich  gelungenen  Befreiung 
nach  Hannover  sandte. 

Audi  in  den  l'olgenden  Kriegsjahren  ist  Ferdinand  seiner 
Auigabe,  das  westliche  Deutschland,  Westfalen,  Hessen,  vor 
allem  Hannover  und  Braunschweig,  gegen  die  französischen 
Heere  zu  verteidigen  und  damit  dem  Könige  Fiiedrich  H. 
die  glorreiche  Durchführung  und  glückliche  Beendigung  des 
gewaltigen  Kampfes  mit  halb  Europa  zu  ermöglichen,  in 
gUlnzender  Weise  gerecht  geworden.  Fünf  französischen 
Marschällen  an  der  Spitze  von  Heeren,  die  dem  seinigen  oft 
um  die  Hälfte  überlegen  waren,  hat  er  nach  einander  kühn 
und  mit  Erfolg  die  Stirn  geboten.  Unermüdlich ,  stets  auf 
dem  Platze,  ein  Feldherr,  der  gleich  seinem  groi'sen  Lebi-- 
meister  in  der  Kriegskunst  den  Angriff  der  Verteidigimg 
vorzog,  dabei  wohlwollend,  offen  und  von   seltener  Herzens- 

füte,  ein  Mann,  der  in  seiner  echten  Bescheidenheit  stets 
as  allgemeine  Wohl  höher  stellte  ab  seinen  persönlichen 
Huhm,  so  steht  er  in  der  Geschichte  jener  Jahi'e  und  dieses 
Kj'ieges  da.  Für  unsere  Dai-stellung  wäre  es  zwecklos,  ihn 
auf  seiner  Siegeslaufbahn  weiter  zu  begleiten,  die  Feldzüge 
im  einzelnen  zu  verlblgen,  durch  die  ea  ihm  gelang,  die 
französischen  Heertührer  auch  ferner  in  Schach  zu  halten 
und  Niedersachsen,  das  Land,  das  ihn  geboren  hatte,  mit 
Ausnahme  kleiner  unbedeutender  Streifzüge  vor  dem  un- 
glücklieben Lose  zu  bewahren,  noch  einmal  die  Beute  eines 
rftublustigen,  übermütigen  und  siegestrunkenen.  FexTÄss.  tä 
werden.     In  vieler  Hiusicht  sein  veryüngtes  Yi\iCT:^^^,V*{ÜKö-,  a 


Zirtttas  Buch.    Zweiter  AbachoUt. 


feurig ,  unorra  üdlich  und  ausdauernd  wie  er  selbst ,  stand 
ihm  in  diesen  Feldzügen  sein  Noffe,  der  Ei-bprinz  Karl 
Wilhelm  Ferdinand  von  Brannschweig ,  zur  Seite,  deaaen 
jugeüdliche  Heldenkraft  der  grofae  Friedrich  iu  einer  seiner 
Odou  verherrlicht  hat.  Bei  Creleld  zeiehuete  er  sieh  so 
sehr  aus,  dafa  sein  Oheira  in  seinem  Schlachtborichte  rühmte, 
„die  Energie,  Tapferkeit  und  Klugheit,  die  er  bewiesen,  sei 
über  alles  Lob  erhaben".  Und  wenn  es  ihm  auch  nicht 
vergönnt  war,  an  dem  grofsen  Siege  bei  Minden,  dem  schön- 
flten  und  ruhmvollsten,  den  die  Armee  errungen  hat,  per- 
sönlich teilzunehmeu,  so  hat  er  doch  au  demselben  Tage 
(1.  August  1759)  durch  die  Zersprengung  eines  feindlichen 
Korps  unter  dem  Herzog  von  Brissac  bei  der  Brücke  von 
Gohfeld  den  von  seinem  Oheime  erfochtenen  Sieg  vervoll- 
fltiindigt  und  ihm  erst  den  nachhaltigen  Erfolg  gesichert. 

Die  hannövrisch-braunschweigischen  Lande  blieben,  wie 
schon  bemerkt,  in  den  späteren  Jahren  des  Krieges  im 
grofsen  und  ganzen  vou  weiteren  feindlichen  Angriöfen  und 
namentlich  Einfällen  vencbont.  Wohl  drangen  die  frau- 
zöaischen  Heere  von  Hessen  aus  mehi"mals  bis  in  die  Bild- 
lichen Teile  des  Landes  vor,  sie  wAirdcn  aber  ulsbald  wie- 
der aus  den  von  ihnen  eingenommenen  Stellungen  ver- 1 
trieben  und  zum  Rückzuge  genötigt.  Einen  solchen  Vor- 1 
stofs  unternahm  Öoubise  im  Herbst  des  Jahres  1758.  Nach- 
dem er  das  kleine  Heer  des  Prinzen  von  Ysenburg  am 
21.  Juli  bei  Sandersluiusen  unweit  Kassel  geschlagen  hatte, 
rückte  er  zu  Anfang  September  in  das  Fürstentum  Göttingen 
ein,  besetzte  Münde»,  Göttingeti  und  Nordheim  und  sandte 
vou  hier  Streif  korps  in  den  SoUiug  und  bis  in  den  hohen 
Harz.  Er  erfocht  auch  über  die  weit  schwächere  Hcercs- 
abteilung,  mit  welcher  ihn  General  von  Oberg  bis  gegen 
Kassel  zurückdrängte,  zwischen  dieser  Stadt  und  Münden, 
bei  Lutt»5rnberg  einen  Sieg,  worauf  Münden  noch  einmal  in 
seine  Gewalt  fiel.  Allein  das  Heranunheu  dos  Herzogs  Fer- 
dinand, der  kurz  vorher  durch  englische  Hitfstruppeu  ver- 
stärkt worden  war,  genügte,  ihn  bis  nach  Hanau  und  gegoa 
den  Main  hin  zur ückzu scheuchen.  Auch  im  Jahre  1 7  60 
machten  die  Franzosen  den  Städten  Münden  und  Göttingen 
einen  Besuch  und  behaupteten  sich  in  ihnen  längere  Zeit. 
Eine  gröfsere  Unternehmung  aber»  die  das  Herz  des  wel- 
fischen  Ländergebietes  treffen  sollte ,  setzten  sie  1761  ins 
Werk.  Sie  waren  in  diesem  Jajire  mit  zwei  mächtigen 
Armeen  ins  Feld  gerückt.  Die  eine  derselben  unter  dem 
Herzoge  von  Soubise,  über  100000  Mann  stark,  sollte  ia| 
IVestfalen  eindringen,  sich  des  LÄniea  \ieTttucKtigen,  Münster 


Fortdauer  dea  Krieg««, 


28:{ 


und  Lippätadt  erobern,  die  andere  dagegen  unter  dem  Mar- 
schall Broglie  ward  angewiesen,  Hessen  zu  behaupten  und 
von  hier  die  Bewegungen  Soublses  zu  uutereliUzen.  Als 
Endziel  des  ganzes  Feldzuges  wai"d  eine  abermalige  Invasion 
Hannovers  und  Braunschweigs  ins  Auge  getalat  Allein 
Herzog  Ferdinand  wufste  den  Plan  in  geschickter  Weise 
zu  vereiteln,  was  ihm  bei  der  gegenseitigen  Eiferaucht  der 
französiäcbeu  Feldherren  und  der  Üntahigkeit  Soubises  nicht 
allzu  schwer  ward.  Es  gelang  zwar  Broglie,  sich  init  einem 
Teil  seiner  Sti*eitkräfte  bei  Soest  mit  Soubiöe  zu  vereinigen, 
als  sie  dann  aber  gegen  Lippstadt  vordrangen,  warf'  Fer- 
dinand am  1 5.  und  16.  Juli  bei  Vellinghausen ,  während 
der  Erbprinz  von  Braunschweig  Soubise  beschäftigte,  Broglie 
in  einem  siegreichen  TreÖfen  zurück.  Die  Folge  war, 
dafs  die  französische  Anuee  sich  wieder  trennte.  Nun 
suchte  sich  Broglie,  nachdem  er  bedeutende  Verstärkungen 
herangezogen  hatte,  an  der  Weser  festzusetzen  und  be- 
drohete  von  hier  aus  das  von  Truppen  fast  gänzlich  cnt- 
blölste  hannövrische  Land.  Er  hatte  nur  die  kleinen  abge- 
sonderten Korps  des  Generals  Luckner  und  des  Obristen 
Freytag  sich  gegenüber.  Am  20.  August  ging  er  bei  Höxter 
über  die  Weser,  drängte  Luckner  und  Freytag  zui'ück,  be- 
setzte am  II.  September  Einibock  und  bezog  auf  der  nord- 
östlich von  der  Stadt  gelegeneu  Hube  eine  verschanzte  Stel- 
lung. Von  hier  schob  er  Abteilungen  seines  Heeres  nach 
Gandcrshcim,  Seesen  und  Klausthal  vor. 

Herzog  Ferdinand  war  der  Ansiclit,  da(s  er  dieser  nur 
unsicher  und  tastend  unternommenen  Bewegung  dea  Feinde« 
am  bestea  begegnen  würde,  wenn  er  durch  einen  Einmarsch 
in  Hessen  dessen  Rückzugslinie  bedj'olie.  Für  alle  P'älle 
verstärkte  er  die  Besatzung  Hannovers  durch  zwei  Ba- 
taillone, ernannte  seinen  Neffen  Friedrich  August,  den  jün- 
geren Bruder  dos  Erbprinzen,  zum  Kommandanten  der  Stadt 
und  liefs  den  General  Wangenheim,  mit  8  bis  91)00  Mann 
bei  PTöxter  zur  Beobachtung  des  Feindes  zurück.  Während 
er  sich  aber  gegen  Kassel  wandte ,  bescblofs  Marschall 
Broghe,  den  lauge  geplanten  Schlag  gegen  Brauuschweig 
auszuführen.  Er  bestimmte  dazu  ein  Korps  von  8000  Mann 
unter  dem  General  Closen  und  dem  Prinzen  Xaver  von 
Sachsen.  Am  24.  September  erreichten  diese  Truppen  dio 
Gegend  von  Braunschweig  und  W^olfenbüttel.  Von  dort  war 
Herzog  Karl  mit  seiner  Familie  nach  Celle  und  dann  weiter 
nach  Lüneburg  geflüchtet.  Nach  fruchtloser  Beschiefsung 
Wollenbüttels,  wo  General  Stammer  befehligte,  gingen  sie 
indes  nach  dem  Harze  zurück ,  Vfo  sie    ä.aa  'Svc^c^ö^ä  "^sp^öart.- 


281 


Zweites  Buch.    Zweiter  ÄbBchnitt. 


feld  eroberten  und  in  die  Luft  sprengten.     Wenige  "Wochen 
später  unternahmen   sie   einen   zweiten   Vorstofs.     Diesesmal 
ergab   »ich    Wolfenbüttel    nach    einer    lahmen   Verteidigung 
am    10.   Oktober.     Dann   wandte  sich   Prinz   Xaver   gegen 
Braunschweig ,    dessen    Verteidigungs werke    verfallen    waren  ^J 
und  dessen  Besatzung  nur   aas    1800   Mann   unter   Greneral  ^| 
Iinhof    bestand.      Die    Franzosen     meinten     ihres    Erfolges    ^H 
sicher  zu  sein.     „Wenn   Sie*'  —   achrieb   damals   der   Her- 
zog   von   Ohoiseul   an   Broghe    —   „sich   zum  Meister    von 
Braunschweig  gemacht  haben,  so  rechnet  der  König  darauf, 
dals  Sie  diese  Ötadt   ohne   die   aller-raindeste   Schonung   be- 
handeln worden,   weil   sie   einem    Fürsten    gehört,    der    ein 
Feind  des  Königs  und  mit  dessen  Feinden   enge   verbündet 
ist.     Sie    müssen    die    stUrksten   Kriegssteuern    ausschreiben 
und    sie    mit    der    gröfsten    Härte    und    Strenge    eintreiben   ^i 
lassen."     Diesen  Weisungen  entsprach  es,  dafa  Prinz  Xaver  ^H 
drohete,  die  Stadt  mit  glühenden  Kugeln  zu  beachielsen  tind  ^fl 
sie  der   Vernichtung  preiszugeben.     Allein   es    sollte    dazu 
nicht  kommen.      Von    allen   Seiten    setzten    sieb    die  Heercs- 
abteilungen  der  Verbündeten  in  Bewegung,  um  der  bedrängten 
Stadt   Hilfe   zu   bringen.      Herzog   Ferdinand    verliels   aeine 
Stellung  bei  Kassel  und  wandte  sich  nordwärts  gegen  Brake!, 
Wangenheim  ging  bei  Hameln  über  die  Weser  \ind  näherte 
sich  in  Eilmärachen  Hannover,  während  Luckner,  nachdem  ^H 
er  die  ihm  gegenüberstehenden   feindlichen  Abteilungen    bei  ^K 
Kscberahauaen ,  Halle   und  Stadt -Üldendorf  zurückgewori'en  ^" 
hatte,  von  Süden  her  zum  Entsätze  der  Stadt  heranzog.    In 
der   Nähe    von    Peine    vereinigte   er   sich   mit   dem    Prinzen 
Friedricii  August,  der  seinerseits   von  Hannover   herbeieilte,  ^^ 
um  die  Residenz    seines  Vaters    vor   dem    ihr   angedroheten  ^H 
I  Schicksale    zu    bewahren.      Mit    den     jetzt    zur    Verfügung 
•  fitehcndcn  aeehs  Bataillonen   und  zwölf  Schwadronen  ging  es     ' 
lim  Eilmarsche  nach  Braunschweig.    Spät  abends  am  13.  Ok- 
'  tober  langte  man    nördlich    der   Stadt    an    der  alten   Land- 
|wehr   bei   Olper  an.     Noch  in   der  nämlichen   Nacht  ward 
der  hier  aufgestellte   französische  Posten   in   seinen    mit  Ge- 
schütz  reichlich    versehenen   Verschanz ungen   mit  Ungestüm 
angegriffen    und    nach    kiu-zem    Kampfe    überwältigt.      Um 
vier    Uhr    morgens,    noch     ehe    der    Tag    zu    grauen    be- 
gann, zog  Prinz  Friedrich  August  an  der  Spitze   seiner  In- 
fanterie unter  dem  Jubel  der  Bevölkerung   in  das  llohethor 
ein,  wäiirend  Luckner  die  Reiterei  nach  Peine  zurücktülirte. 
Der  Feind  wagte  keinen  weiteren  Kampt*.     Er   verliefa   mit 
dem  Äubruche  des  Tages  sein  Lager  bei  Riddagsliansen  und 
xoff    ßjch    nach    W^olfenbütlel   zurüciW.     \\i  ^wv  ^ÄxÄ^räiieti 


EaUata  von  Braunscliweig. 


2tö 


ikod  man  die  Braodkugela,  mit  denen  ei*  die  Stadt  zu  zer- 
Ören  gedacht  liatte.  Aber  auch  in  Wulfenbüttel  war  sei- 
les  Bleibens  nicht  mehr.  Auf  den  Befehl  Broglies,  der 
fürchtete,  dafs  das  ganze  Streif korps  abgeschnitten  werden 
^•ürde,  rÄurate  Prinz  Xaver  auch  diese  Stadt  und  trat  den 
ückmarsch  nach  Süden  an.  Das  war  der  letzte  Versuch, 
den  die  Franzosen  während  des  Krieges  weniger  zur  Er- 
oberung als  zur  BruudschatzuDg  des  hannövrischeu  und 
brau Q seh weigisc heu  Landes  unternahmen,  zugleich  die  letzte 
Belagerung,  welche  Braunschweig  und  Wolfenbüttel  auazu- 
halten  gehabt  haben.  Kurze  Zeit  darauf  nötigte  Ferdinand 
durch  einen  geschickten  Flankenmaräch  den  JMarscliall  Broghe, 
seine  feste  Stellung  bei  Kirabeck  zu  verlassen  und  sich 
nach  Hessen  zurückzuziehen.  Von  allen  Städten  des  Lan- 
des blieben  nui-  Göttingen  und  Minden  in  der  Gewalt  der 
Franzogen.  Aber  auch  diese  wurden  am  17.  August  des 
folgenden  Jahi'es  (1762)  von  ihnen  geräumt. 

Inzwischen  waren  in  Fontainebleau  zwischen  England  und 
Frankreich  die  Friedensverhaudlungeu  erülFuet  worden.  Sie 
führten  am  3.  November  17b:J  zu  den  Präliminaiien  von 
Fontainebleau,  welchen  am  10.  Februar  116'd  der  Friede  von 
Paiia  folgte.     Er  bestimmte  inbezug  auf  die   deutschen  An- 

fclegenheiten  die  liäumung  der  deutschen  Gebiete  von  den 
eideraeitigen  Truppen  und  zwar  sollte  diese  ,,mit  aller 
Beschleunigung  geschehen,  welche  die  Umstände  gestatteten". 
Vergebens  hatte  die  englische  Regierung  den  \'ersuch  ge- 
macht, diesen  Artikel  dahin  zu  erweitern ,  dafs  Hessen^ 
Braunschweig  und  Hannover  in  demselben  Zustande  zurück- 
gegeben werden  sollten,  ^\-ie  sie  sich  vor  der  ersten  fran- 
zösischen Erobenmg  befunden  hatten.  Schon  vor  dem  Ab- 
»clilufö  des  definitiven  Friedens  hatten  die  Truppen  des  ver- 
bündeten Heeres  auf  Grund  eines  zwischen  den  beider- 
seitigen Oberbefehlshabern  abgeschlossenen  Waffenstillstandes 
den  Marsch  in  die  Heimat  angetreten,  die  Hannoveraner 
nach  Hameln,  die  Engländer  nach  Holland,  wo  sie  sicli  nach 
England  einschifften.  Noch  vor  dem  Ablauf  des  Jahres 
1762  legte  Ferdinand  von  Braunschweig  den  Oberbefehl 
nieder  und  verliefa  das  Heer,  das  er  so  ruhmvoll  geführt 
hatte.  An  seine  Stelle  trat  der  zum  Feldmai-scball  ernannte 
General  von  Spörcke. 

Georg  II.  hatte  das  Ende  des  Krieges,  in  den   er   halb 
gegen  seinen   Willen  duich   die   Macht  der  Umstände  hin- 
eingedrängt worden  war,  nicht  mehi*  erlebt.     Er   starb   am 
25.    Oktober    1760    in   Kensington   \)lützlvcb.  avvv  ^VAä^xä*. 
jiu  Alter  von  s/efcenuüdöiebenzig  JaWeti.   TAil'^rv&^vOsi.Yiv^-j 


L 


Zweites  Buch.     Zweiter  Abschnitt. 


wig,  seinem  ältesteu  Sobne,  dem  mntni aislichen  Thronfolger, 
hatte  er  lange  Jahre  in  einem  ähnlichen  gespannten,  ja 
feindseligen  Verhältnis  gelebt,  wie  ein  solches  einst  zwischen 
ihm  als  Kronprinz  und  seinem  Vater  bestanden  hatte.  Der 
Grund  daKu  ward  durch  eine  Neigung  des  Prinzen  zu  der 
Prinzessin  "Wilhehnine  von  Preufsen,  einer  Schwester  Fried- 
richs II. ,  gelegt ,  die  der  Vater  aus  persönlichen  und 
politisclion  Rücksichten  mifsbilligte.  Dazu  kam  später,  als 
sich  Friedrich  Ludwig  1736  mit  Auguste,  der  Tochter  dea 
Herzogs  Friedrich  von  Sacbsen-Gotha  vermHidte,  die  Wei- 
gerung des  Königs,  den  berechtigten  Wünschen  seines  Sohnes  ' 
iubezug  auf  eine  Erhöhung  der  ihm  ausgeworfenen  Apanage 
zu  entsprechen.  Die  beiden  grofsen  Pai-teien,  die  sich  in 
England  die  Regierung  streitig  machten ,  trugen  kein  Be- 
denken, dieses  leindaehge  Verhältnis  zwischen  Vater  und 
Sohn  eine  jede  in  ihrem  Interesse  auszubeuten  und  dadurch 
den  Gegensatz  noch  mehr  zu  vei-achärfen.  Obschon  im  Jahre 
1741  eine  auleere  Versöhnung  zustinde  kam,  blieb  das  gegen- 
seitige Verhältnis  doch  ein  äufsei-st  kaltes,  und  als  zehn 
Jahre  später,  am  20.  März  1751,  der  Prinz  von  Wales  vor 
Beinem  Vater  starb,  schied  er  ans  dem  Leben,  ohne  den 
inneren  Groll  überwunden  zu  haben ,  der  ihn  von  diesem 
seit  der  Zeit  seiner  Volljährigkeit  getrennt  liatte. 

So  folgte  nun  in  England  wie  in  Hannover  dem  ver- 
storbenen Könige  dessen  Enkel,  der  damals  zweiujidzwanzig- 
jährigc  Georg  Wilhelm  Friedrich,  als  König  Georg  UI.,  der 
erste  von  den  Herrschern  der  hannövriachen  Dynastie,  der 
seine  Erziehung  ausschliefBlich  in  England  erhalten  hatte 
und  der  demgeiaäfs  ganz  als  Engländer  dachte,  fühlte  und 
handelte.  In  dieser  Hinsicht  sind  die  Worte  bezeichnend, 
mit  denen  er  nach  seiner  Krönung  sich  gewissermafsen  dem 
Parlamente  vorstellte;  „Geboren  und  erzogen  in  diesem 
Lande,  rühme  ich  mich  dea  Namens  eines  Briten."  Es  war 
nicht  allein  der  Ausdruck  seiner  persönlichen  Gesinnungen 
und  Geliihle,  soadern  auch  ein  politisches  Programm,  das 
er  damit  aufstellte.  Unter  der  Regierung  seiner  Vorgänger 
hatte  trotz  der  staatsrechtlichen  Trennung  von  Hannover 
und  England  doch  ein  enges  Verhältnis  zwischen  beiden 
Ländern  bestanden,  das  in  dem  warmen  Interesse  der  bei- 
den ersten  George  für  das  Heimatland  ihres  Hauses  seinen 
naturgemäfsen  Ausdruck  fand.  Sowohl  Georg  I.  wie  Georg  H, 
waren  in  Hannover  geboren  und  aufgewachsen.  Sie  kann* 
ten  das  Land,  schätzten  seine  Bewohner  und  waren  voll- 
kommen mit  den  eigentümlichen  Verhältnissen  des  ersteren, 
mit  den  Neigungen,  Bedürfnissen  und  Wünschen   der  letz-, 


Köaig  Georg  III.  tod  England. 


2S7 


n  vertrauet  Ihre  häutige  Anwesenheit  in  Hannover 
liielt  die  Bcziebimgen  zwischen  ihnen  und  ihren  deutechen 
Unterthanen  lebendig  und  frisch  und  hatte  aut'  den  Oang 
der  Geschäfte,  aul'  den  Zustand  der  Landesangelegenheiten, 
auf  die  Entschlüsse  und  Malsnahraen  der  Regierung  den 
wohlthätigsten  EinHufs.  Gerade  weil  in  Hannover  die  Re- 
gierungsgewalt in  der  Hand  weniger,  grofaeuteüa  aus  den 
bevorrechtigten  Stünden  hervorgegangener  MUnner  ruhete, 
schien  es  notwendig,  durch  persönliches  Eingreifen  des  Re- 
genten den  Unzuträglichkoiten  vorzubeugen ,  welche  infolg© 
eines  solchen  aristokratisch-burcÄukratisohen  Kcgimentes  sich 
einzuschleichen  pflegen.  In  England  erapfand  man  diese 
rege  Teilnahme  der  ersten  Könige  aus  dem  bi-aunschweigi- 
schen  Hause  tur  das  Land  ihrer  Geburt,  diese  lebhafte  Sorge 
für  die  Sicherheit  und  Wohlfahrt  ihrer  haunövrischen  Unter- 
thanen vielfach  als  eine  kleinliche,  beschränkte  und  unge- 
rechtfertigte Vorliebo  ttir  ein  Staatswesen,  auf  dessen  ver- 
gleichsweise Unbedeutendheit  die  Engländer  im  Gefühl  ihrer 
Weltstelluüg  hochmütig  herabsahen,  dessen  Lebensbedingungen 
von  deueu  des  Inselreiches  grundverschieden  waren,  dessen 
äufsere  Politik  namentlich  nicht  überall  mit  der  englischen 
zusammenfallen  konnte,  ja  ihr  bisweilen  schnurstracks  ent- 
gegenlaufen mufste.  Wir  haben  gesehen,  wie  vorzugsweise 
Georg  II,  sich  in  seiner  üufseren  Politik  mehr,  als  vielleicht 
gerechtfertigt  und  erspricfslich  war,  durch  die  Rücksicht- 
nahme auf  Hannover  bestimmen  liefs.  Dies  änderte  sich 
alsbald  nach  dem  R^ierungsan tritt  Georgs  III.  Schon  der 
Pariser  Friede  zeigte,  dafs  jetzt  eine  andere  Luft  in  London 
wehete,  dafs  der  König  und  sein  Minister  Bute  wenig  ge- 
neigt waren,  den  partikularen  Interessen  des  Kurstaatea 
Rechnung  zu  tragen.  Hannover  hatte  infolge  seiner  Ver- 
bindung mit  England  in  dem  eben  beendeten  Ki'iege  schwere 
Opfer  bringen  müssen.  Es  war  zeitweilig  einer  feindlichen 
Invasion  ausgesetzt  gewesen,  die  das  Land  auf  unerhörte 
Weise  ausgesogen  und  seinen  Wohlstand  auf  lange  zugrunde 
gerichtet  hatte.  In  dem  Kriege,  der  den  Zweck  verfolgte, 
den  Verbündeten  Englands  den  Rücken  freizuhalten  und 
mit  dem  übrigen  Westdeutschland  auch  die  preufsischen 
Besitzungen  am  Rhein  und  in  Westialen  vor  französischer 
Vergewaltigung  zu  schützen,  hatten  seine  Truppen  das  Beste 
gethan  und  in  zahlreichen  Schlachten  und  Gefechten  ge- 
blutet. Man  hätte  erwarten  sollen,  dafs  England  bei  dem 
Friedensschlüsse  nicht  ausschliefslich  seinen  Vorteil  im  Auge 
haben,  sondern  auch  für  eine  Entschädigung  Hannovers  ent- 
schieden eintreten  würde,  aber  abgesehen  von  der  schon  er- 


k 


Zveitca  Bach.    Zweiter  Abschnitt. 


wäbnteu,  wohl  nur  der  Form  wegen  erhobenen  Forderutig 
der  Restitution  des  Landes  in  dessen  Zustande  vor  dem 
Kriege  geschah  nichts  dergleichen.  Und  in  der  Folge  mufste 
sich  der  Kurstaat  niehi*  und  mehr  daran  gewöhnen,  in  den 
VcrwicklungCD  de»  eoropäiacheD  ätaatslebena  sich  üIs  ein  ^J 
Annex,  ein  Anhäugael  des  britischen  Reiches  betrachtet  zu  ^H 
sehen,  das  auf  eine  jede  selbatÄndige  Politik  zu  vendchten  ^^ 
und  nur  im  englischen  Fahrwasser  zu  segelu  habe. 

Auch  inbezxjg  auf  die  inneren  Angelegenheiten  erwies 
sich  der  durch  Georgs  JII.  Thronbesteigung  herboigeluhrte 
Wechsel  für  Hannover  als  nicht  günstig.  Da  der  König 
nie  nach  Deutschland  kam ,  also  auch  die  Verhältnisse  des  ^J 
Kurat;iates  nicht  aus  eigener  Anschauung  kennen  lernte,  so  ^H 
muLste  er  die  Regierung  im  wesentlichen  dem  Geheimen-  ^i 
ratskollegium  überlassen.  Zwar  richtete  er  in  London  die 
sogenannte  „deutsche  Kanzlei"  ein,  welche  ihm  über  die  wich- 
tigsten Vorgänge  in  Hannover  Bericht  zu  erstatten  hatte, 
aber  da  er  nicht  mehr  imstande  war,  aus  eigener  Kenntnis 
heruud  seine  Entscheidung  zu  treffen,  so  fiel  der  Schwer- 
punkt der  gesamten  inneren  Landesvei*waltung  notwendig 
nach  Hannover.  Es  bildete  sich  hier  thatsächlich  eine  pa- 
triarchale  Aristokratie  aus,  als  deren  tipitze  das  Geheime-  ^^ 
ratskollegium  oder  die  Gesamtheit  dei*,  wie  die  offizielle  Be-  ^| 
Zeichnung  lautete ,  „  königlich  grofsbri tannischen  zur  ktu*-  ^^ 
fürstlich  braunschweigisch  -  lüneburgischen  Iteierung  ver- 
ordneten Räte"  erscheint.  Dieses  Regierungskollegium  setzte 
sich  fast  ausschliefslich  aus  Mitgliedern  des  hannövrischen 
hohen  Adels  zusammen,  mit  denen  auch  die  wichtigsten  und 
ei  ü  träglichs  ten  Stellen  in  den  verschiedenen  Z  weigcn  der 
Justiz  und  Verwaltung  besetzt  waren.  Daneben  stand  ein 
aus  den  mittleren  Klassen  der  Gesellschaft  hervorgegangenes 
Beamtentum  von  anerkannter  Tüchtigkeit  und  Berufstroue, 
iu  dessen  Händen  sich  zumeist  die  niederen  Stellen  der  Vor- 
waltung befanden  und  das  mit  seinen  Kenntnissen  und  seinem 
FleiTse  dem  Regiment  der  hohen  Herren  zur  Stütze  und  zur 
Folie  diente.  Es  war  im  grofsen  und  ganzen  ein  Regiment, 
wie  es  für  den  Charakter  der  Bevölkening  und  iür  ihre  da- 
malige Bildungastute  nicht  unangemessen  erschien,  wohl- 
wollend und  gerecht ,  aber  auch  umständlich  und  schwer- 
ßUUg.  Es  legte  dem  Lande  keine  schweren  Steuern  auf, 
regierte  deu  Gesetzen  und  dem  alten  Herkommen  gemäfs, 
entfremdete  sich  die  Bevölkerung  weder  durch  Härte  noch 
durch  GewalttliUügkeit,  aber  es  gab  ihi*  auch  keine  neuen 
Imptihe,  wufste  die  Ililtsmittel  des  Landes  nicht  zu  ent- 
keltij  bedeutende  und  aelba^iciöÄg&*V»\si'ß.\a%ß,\tei\  auf  den 


Hannover  naeb  dem  siebenjfilirigen  Kriege. 


289 


richtigen  Platz  zu  stellen,  den  ÖffentlicheD  Gfeiat  nicht  su 
wecken  und  auszubilden,  kurz  es  teilte  mit  allen  ähnlichen 
Kastenregierungen  den  Mangel  an  frischer  Initiative  und 
schöpferischer  Thatkraft.  Schlimmer  vielleicht  noch  war, 
dafs  sich  unter  einer  solchen  Regierung  notwendigerweise 
ein  verderbhcher  Nepotismus  ausbilden  mufste ,  der  alle 
Stautsämter  von  irgend  einiger  Bedeutimg  in  der  Hand  we- 
niger bevorzugter,  enge  unter  sich  zusammenhängender  Fa- 
milien vereinigte.  Neben  die  Ariatokratie  der  Geburt  stellte 
sich  bald  eine  bürgerliche  Aristokratie ,  welche,  während 
jene  die  Hof-  und  höchsten  Ötaatswürden  außschlieralich 
fHr  sich  in  Anspruch  nahm,  so  ihrerseits  die  meist  sehr  ein- 
träglichen „Amter",  in  denen  den  patriarchalischen  Zustän- 
den jener  Zeit  gemäfs  Justiz  und  Verwaltung  verbunden 
waren,  zu  Monopolen  machte,  so  dafs  sie  oft  in  einer  Fa- 
milie geradezu  erblich  wurden. 

Nach  dem  Ende  des  siebenjährigen  Krieges  genossen 
beide  Länder,  Hannover  wie  Brauuschweig ,  die  Segnungen 
eines  dreifsigjährigeu  uaunterbroclieuen  Friedens.  Aber 
während  Hannover  allmählich  sich  von  den  Drangsalen  und 
Verlusten,  welche  der  BLrieg  über  das  Land  gebracht  hatte, 
erholte,  ging  das  Herzogtum  Braunachweig  einer  von  Jahr 
zu  Jahr  wachsenden  fiuanzielleu  Bedrängnis  entgegen.  Beide 
Lander  hatten  durch  den  Krieg  und  die  französische  In- 
vasion gleich  sehr  gelitten.  Hier  wie  dort  waren  die  öffent- 
lichen Kassen  leer,  die  Steuerkraft  des  Landes  erschöpft. 
Aber  nach  Hannover  waren  doch  während  der  Dauer  des 
Krieges  von  England  her  reichlichere  Subsidiengelder  ge- 
flossen als  nach  Brauuschweig,  und  nach  der  Wiederher- 
stellung des  Friedens  kam  seinen  Staatsfinanzen  der  Um- 
stand zugute,  dafs  Georg  lU.  Zeit  seines  Lebens  in  England 
residierte  und  in  Hannover  daher  kein  eigentlicher  Hofstaat 
mit  allen  den  damit  verbundenen  Ausgaben  zu  bestreiten 
war.  Zwar  bestanden  im  Lande  einige  Hoiamter ,  denen 
ausBcliliefslich  Mitglieder  des  hannövrischen  Adels  vorstanden, 
aber  was  wollte  das  bedeuten  gegenüber  dem  ungeheuren  Auf- 
wände, der  damals  an  den  Höfen  anderer  deutscher  Fürsten, 
auch  in  Braunachweig,  getrieben  wurde  und  der,  wenn  er 
einerseits  die  bürgerliche  Nahrung  förderte,  doch  anderseits 
die  Staatsfinanzen  erschöpfte?  Man  mufs  sich  vergegen- 
wärtigen, dafs  zu  dieser  Zeit  eine  Trennung  des  fürstlichen 
Kammergutes  und  des  Staatsvermögens  noch  nirgends  in 
Deutschland  durchgefiihrt  war,  dafs  also  der  fürstliche  Ab- 
solutismus nach  Belieben   und  Willkür   auch,  dia   Ä\5Kö.\.'eswv- 


BtfDtmaüa,  Brattaacbw.-iuaalr,  OcbcMc^I«.    VX. 


Vh 


m 


Zweites  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 


künile  verwenden  konnte ,  um  seinen  verschwenden  Beben 
Neigungen  und  Liebhabereien  zu  fröhnenj  prachtvolle  Schlösser 
£u  bauen  und  sie  mit  übertriebenem  Luxus  auszuBtattcn, 
wüstes  Unland  mit  grofsen  Kosten  in  Zauber-  und  Wunder- 
gärten zu  verwandeln,  für  Theater,  Oper  und  Ballet  fabel- 
batte  Summen  auszugeben,  mit  einem  Worte  jede  türstlich© 
Laune  und  LeideuBchaft  zu  befriedigen.  Ein  solcher  Mifs- 
brauch  der  türstlichen  Allgewalt  ist  Hannover  infolge  der 
Abwesenheit  dos  Landesherm  und  seines  Hofes  währeud  der 
letzten  Hällle  des  18.  Jahrhunderts  erspart  geblieben,  und 
dies  hat  wesentlich  mit  dazu  beigetragen^  dal's  das  Land  die 
schweren  Folgen  des  Krieges  leichter  überwunden  hat  als 
das  kleinere,  wenn  auch  von  der  Natur  besser  bedachte  Nach- 
barland. Von  allen  Landschatlen  des  Kurstaates  hatte  der 
Krieg  dem  Fürstenturae  Oottingcn  am  schlimmsten  mitge- 
spielt Abgesehen  von  den  Verlusten  der  einzelnen  Be- 
wohner hatte  er  es  mit  einer  Staatsschuld  von  fast  andert- 
halb Millionen  Rcichsthalern  belastet.  Um  für  diese  die 
Zinsen  aufzubringen,  mufste  man  zu  einer  allgemeinen  Steuer 
greifen,  zu  welcher  nicht  blöfs  Güttingen,  sondern  aufser 
diesem  auch  die  anderen  beiden  Quartiere  von  Catenberg- 
GöttingeUj  das  hannovrische  und  hamelnsche,  herangezogen 
wurden.  Die  Landschatt  einigte  sich  im  Jahre  1766  dahin, 
ein  allgemeines  Kopfgeld  einzuführen,  eine  Steuer,  welche, 
da  sie  zwischen  Reich  und  Arm  keinerlei  Unterschied  machte, 
mit  besonderer  Härte  die  niederen  Blassen  des  Volkes  traf 
und,  obgleich  im  Jahre  1775  etwas  herabgesetzt,  doch  bis  I79ä 
bestanden  hat,  in  welchem  Jahre  sie  durch  eine  klassifizierte 
Personalsteuer  ersetzt  ward. 

Aber  weit  schlimmer  sah  es  doch  während  dieser  Zeit 
im  Herzogtume  Braunschweig  aus.  Wir  kennen  bereits  die 
ungünstige  finanzielle  Lage,  in  welcher  sich  das  Land  be- 
fand, als  Herzog  Karl  die  Regierung  antrat  Auch  derJ 
wenig  erfolgreichen  Mafsregeln,  mit  welchen  er  anfangs  da» 
Übel  der  stets  wachsenden  Schuldenlast  zu  bekämpfen  suchte, 
ist  früher  gedacht  worden.  Wenn  es  auch  gelang ,  die 
Staatseinkünfte  durch  Befi>lgung  verständigerer  Grundsätze 
in  einzelnen  Zweigen  der  Verwaltung  zu  erhöhen,  so  ver- 
schlangen doch  die  Reformen,  welche  der  Herzog  auf  den 
verschiedenen  Gebieten  des  öffentlichen  Lebens  durchführte, 
noch  gröfsere  Summen.  War  Buirl  L  auch  nicht  der  ge- 
dankenlose Verschwender,  als  den  man  ihn  oft  verschrieen 
hat,  so  widerstrebte  doch  seine  leichtlebige  Natur  dem  Zwange, 
dem  er  sich  persönlich  häUe  unterwerfen  müssen,  sollten 
'vuBtb&fterG  und  durchgreifende  \eTj\ieÄ?.eria^'KQ.'v&.  issai  Fi- 


Finanzielle  Beilräognisse  in  Braunscbweig. 


291 


nanzwesen  und  namentiicli  die  notweodig  erscheinenden  Er- 
sparnisse durchgeführt  werden.  Das  Schlimmste  war  ohne 
Zweifel,  dafs  es  an  jeder  ordnungsraUfsigen  Kontrole  fehlte. 
Es  gab  im  Lande  keine  Behörde,  die  rait  einer  solchen  be- 
trauet gewesen  wäre.  So  herrschte  denn  bei  den  Landes- 
kassea  die  gröfste  Regellosigkeit.  Der  Herzog  entnahm  bald 
aus  dieser,  bald  aus  jeuer  beträchtliche  Summen ,  um  seine 
Privatbedürüiiaae  zu  bcstreiteu.  Und  diese  waren  zu  Zeiten 
sehr  grofa  und  hatten  mit  dem  Wohle  des  Landes  wenig 
oder  nichts  zu  thun.  Auiser  der  Bestreitung  des  auf  grofsem 
Fufse  eingerichteten  Hotstaates  mufsten  drei  herzogliche  Wit- 
wen standesgemäfs  erhalten,  bei  dem  Kinderreichtum  des 
Herzogs  zahlreiche  Prinzen  und  Prinzessinnen  ausgestattet 
werden.  Die  Vermählung  von  des  Herzogs  jüngerem  Bru- 
der Anton  Ulrich  mit  der  Regentin  Anna  von  Rufsland 
(1739),  an  die  der  Brauuschweiger  Hof  ausschweifende  Hoff- 
nungen knüpfte,  kostete  gewaltige  Summen  und  endete  mit 
einer  traurigen  Katastrophe,  ohne  dafs  sich  jene  Hofihungeo 
auch  nur  im  bescheidensten  Mafse  erfüllt  hätten.  Unter 
solchen  Umständen  wird  man  sich  nicht  wundern,  dafs  die 
Zeri'üttung  der  Finanzen  in  stetiger  Zunahme  begriflen  war 
und  dafs  man  dem  jährlichen  Fehlbetrage  in  dem  Staats- 
haushalte ratlos  gegenüberstand.  Und  nun  kam  der  Krieg 
mit  seinem  Gefolge  von  Not,  Jammer  und  Ausbeutung,  ein 
Krieg,  der  sieben  lange  Jahre  gedauert  hat  uud  in  welchem 
es  bei  der  geographischen  Lage  des  Landes  eine  Unmög- 
lichkeit war,  auch  nur  den  Versuch  zur  Behauptung  einer 
neutralen  Stellung  zwischen  den  kriegluhrenden  Parteien  zu 
machen.  Nicht  nur  seine  engen  FamiHen verbind imgen  mit 
dem  preufsischen  Königshause,  eonderu  auch  ein  richtiger 
Blick  und  ein  zutreffendes  Urteil  über  die  politische  Lage 
bestimmten  den  Herzog  in  der  Wahl,  die  er  zu  treffen 
hatte.  Er  schlofs  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  an  Fried- 
rich U.  an,  aber  diese  Wahl  fülirte  nicht  blofs  nach  dem 
Treffen  von  Hastenbeck  zu  der  freilich  nur  vorübergehenden 
aber  nichtsdestoweniger  das  Land  erschöptenden  Okkupation 
durch  die  Franzosen,  sondern  einforderte  auch  nach  dem 
Ende  der  letzteren  und  im  weiteren  Verlaufe  des  Krieges 
einen  militärischen  Aufwand ,  der  den  finanziellen  Ruin  des 
Landes  vollenden  mufate.  Beim  Ausbruche  des  Krieges  hatte 
der  Herzog  6000  Mann  zu  dem  Heere  der  Verbündeten  ge- 
stellt, später  aber  wurde  diese  Truppenmacht  auf  das  Dop- 
pelte und  zuletzt  auf  über  16  00O  Mann  gebracht.  Es  ist 
einleuchtend,  dafs  ein  Land  mit  einer  Bevölkerung  ^<«i. 
weni^  über  i  66  000  SeeJen  eine  solche  Be\8Ä\AX"vv^  m^2vA  Nasu^ 


Zweites  Buch.     Zweiter  Abschnitt. 


tragen  konnte.  Zwar  wurden  Itir  die  Unterhaltung  dieser 
Truppen  auch  englische  Subsidiengelder  gezahlt,  diese  reich- 
ten aber  bei  weitem  nicht  aus,  die  erforderlichen  Kosten  zu 
decken,  und  hörten  in  der  letzten  Zeit  des  Krieges  ganz 
auf.  So  wurde  die  Lage  des  Landes  eine  geradezu  ver- 
zweifelte. Die  Kassen  waren  leer,  die  Schuldenlast  allmäh- 
lich bis  nahezu  auf  zwülf  Millionen  Thaler  angeacliwollen, 
die  man  in  llollaud,  in  Genua  und  bei  der  preulsischen 
Bank  in  Berlin  autgonommen  hatte  und  natürlich  sehr  hoch 
verziü&eo  mufste.  Um  80000  Thaler  blieben  die  Einnahmen 
dea  Landes  jährlich  hinter  dessen  Ausgaben  zurück.  Und 
dabei  lagen  Handel  und  Wandel  völlig  darnieder  und  keine 
Hoffnung  war  vorhanden,  sie  wieder  zu  beleben. 

Nach  dem  Kriege  konnte  sich  Herzog  Karl  der  Not- 
wendigkeit nicht  länger  verachliefsen ,  einen  Teil  wenigstens 
der  drückenden  Schulden  zu  tilgen,  wenn  nicht  der  ätaats- 
bankerott  ausbrechen  sollte.  Schon  drohete  dem  Lande  eine 
kaberliche  Debit-KommisBion ,  welche  es  vollends  finanziell 
verderbt  haben  würde,  schon  war  der  ganze  braunschwei- 
gische  Harz  an  Hannover  fiü'  zwei  Millionen  Thaler  ver- 
pfändet. Aber  zu  gründlichen ,  wirkliche  und  bleibende 
Abhilfe  schaffenden  Mafsregeln  konnte  man  sich  auch  jetzt 
noch  nicht  entschliefsen.  Die  Truppen  wurden  nach  Ab- 
schluls  des  Friedens  in  nur  sehr  unzureichendem  Mafse  ver-  ^^ 
ringert,  der  Hofstaat  in  der  früheren  glänzenden  Weise  fort-  ^H 
geführt,  die  Ausgaben  für  Theater  und  Kapelle  so  gut  wie  ^^ 
gar  nicht  eiugeschräukt.  Man  half  sich  mit  allerhand  Pal- 
liativ mittein,  die  zum  Teil  das  Übel  noch  verschlimmerten, 
mit  Ausprägung  minderwertigen  Geldes,  mit  Eintuhrung  dea 
Lotto,  ja  der  Herzog  und  seine  Berater  vermeinten  in  einer 
Zeit,  die  sich  mit  Stolz  als  die  aufgeklärte  bezeichnete,  der 
allgemeinen  Kalamität  dadurch  begegnen  zu  können,  dafa 
sie  zu  alchymistiöcben  ülxperinienten  ihre  Zuflucht  nahmen, 
wie  solche  in  den  Tagen  der  Unwissenheit  und  der  Bar- 
barei im  Schwange  gewesen  waren.  Als  alles  nichts  half, 
entschlofa  man  sich  schweren  Herzens  zu  dem  einzigen 
Mittel,  welches  in  dieser  Not  noch  Abhilfe  verhiefs,  zu  der 
Berufung  der  Landstände,  die  seit  dem  Jahre  1730,  also 
während  der  ganzen  Regierung  des  Herzogs,  nicht  zosammen- 
getreten  waren. 

Am  2.  Dezember  1768  erfolgte  zu  Braunschweig  die  Er- 
öffnung   des    Landtages.      Ein    feierlicher    Gottesdienst    im 
Dome,  bei   welchem  die  gajize    etwas  verschlissene  Pracht 
eiüer  dem  Untergänge  geweiheton  Zeit  entfaltet  wurde,  ging 
ihr  vorauf.    Die  herzogÜcbe  Tfamsüe,  wx<^  ÖL\fe"?L«TÄi^v(x  uad 


Berufung  des  Landtages. 


293 


bprinzesBin ,  der  gesamte  üotstaat,  die  höchsten  vStaats- 
amten  wohnten  der  Feierlichkeit  hei.  Unter  Glocken- 
Igeltiut  wurden  die  Abgeordneten  durch  den  Hofmarschail 
on  Campen  am  Portal  mit  erhobenem  Marsch allätabe  em- 
pfangen,  jeder  Kurie  —  den  Prälaten,  den  Herren  von  der 
Kitterechalt,  endlich  den  Deputierten  der  Städte  —  die  ihr 
zukommenden  Plätze  angewiesen.  Ks  war  wie  ein  aller- 
dings ganz  winziges  MiniaturbÜd  jener  groiäen  Versammlung 
in  Versailles^  von  der  zwanzig  Jahre  später  die  Umgestaltung 
der  Welt  ausgehen  sollte.  Auch  in  dem  kleinen  dexitschen 
Lande  waren  die  Hoffnungen,  die  man  auf  diese  Veraamm- 
lung  setzte ,  hochgespannt ,  auch  hier  sollte  dem  Staats- 
bankerotte vorgebeugt  werden,  auch  hier  hatte  man  reich- 
lichen Grund,  über  Milsbräuche  und  Standesvorrechte  zu 
klagen.  Hel'tige  Reden  wurden  gegen  die  Regierung  ge- 
halten, ein  wahrer  Sturm  der  Entrüstimg  erhob  sich  gegen 
die  bisherige  Finanzwirtschaft,  selbst  solche  Mafsnahmen  des 
Herzogs  und  seiner  Käte,  welche  dem  Lande  zu  offenbarem 
Segen  gereichten ,  entgingen  nicht  dem  bittersten  Tadel. 
Nach  dem  Anlaul'e,  den  die  Versammlung  nahm,  hätte  mau 
grofsCj  durchgreifende  Reformen  von  ihi'  erwarten  sollen. 
Aber  das  Ergebnis  entsprach  nicht  den  gehegten  Erwar- 
tungen. Anderthalb  Jahre,  bis  zum  April  1770,  blieb  der 
Landtag  beisammen ,  dauerten  die  Verhandlungen.  Der 
Staatsniiniater  Schrader  von  Schliesledt  hatte  eiuen  schweren 
Stand.  Er  getraucte  sich  nicht,  die  Höhe  der  Schuld  offen 
anzugeben.  Rei  solchem  gegenseitigen  Milstrauen  konnte  es 
nicht  überraschen ,  dafs  der  Land  tagsabschied ,  der  am 
y,  April  1770  zustande  kam ,  keine  gründliche  Abhilfe 
brachte.  Die  Landschaft  übernahm  einen  beträchtlichen 
Teil  der  fürstlichen  Kammerschulden,  wälzte  diese  Last  aber 
wieder  auf  die  niederen  Stände  des  Volkes  ab,  indem  sie 
aufser  einer  ganzen  Anzahl  kleinerer  Steuern  und  der  Ver- 
längerung der  aufserordentiichen  Kontribution  eine  drückende 
Kopfsteuer  einführte.  Der  Herzog  seinerseits  versprach  Ein- 
schränkungen in  der  Hofhaltung  und  eine  Verringerung  des 
Militärs.  Wirklich  wurden  von  den  bisherigen  tünf  Infan- 
terieregimentem  zwei  aufgelöst,  die  Gardes  du  Corps  ent- 
'  lassen,  die  Artillerie  auf  ein  Vierteil  ihres  vorigen  Bestandes 
herabgesetzt,  eine  Anzald  von  Offizieren  verabschiedet  oder 
aui'  Wartegeld  gesetzt  und  auch  sonst  die  Ausgaben  für 
die  Truppen  möglichst  eingeschränkt.  Bei  der  Hofhaltung 
imd    dem    Theater    wurden    ähnliche    Ersparnisse   durchge- 

k führt.    Nicolini;  der  einen  sehr  hohen  öelaaVt  \iftTÄ>^"e.\v  V^XNä, 
Vrhielt  BeJDen  Abschied,  die  KapeWe  "wvirtVe  \>\%  »3Ä.  ni^-um^s. 


2M 


Zweitos  Buch.    Zweiter  Abschnitt 


hervorragende  Küustier  entlassen,  manche  namentlich  der 
niederen  Hofatcllen  als  entbehrlich  eingezo^^n.  Auch  Honat 
zeigten  sich  der  Herzog  und  die  Kcgierung  redlich  be- 
miinet,  durch  grüfsere  Sparsamkeit  die  Finanzen  des  Landes 
zu  entlasten.  Allein  das  Übel  war  bereits  zu  tief  einge- 
wurzelt Alle  diese  Mafsregeln,  welche  vielleicht  früber  ihre 
heilsame  Wirkung  nicht  verfehlt  haben  würden,  erwiesen 
sich  jetzt  als  uiizureiclieDd.  Sie  vermochten  der  sdigemeinen 
Not  im  Lande  um  so  weniger  abzuhelfen,  als  die  privi- 
legierten Stände,  vorzüglich  die  Ritterschaft,  in  dem  Land- 
tagsabschiede von  1770  die  Bestätigung  ihrer  Vorrechte, 
ihre  Befreiung  von  einer  Anzahl  der  drückendsten  Steuern 
erlangt  hatte  und  nun  die  Mifsernte  des  Jahi'c«  1771  eine 
solche  Verteuerung  der  notwendigsten  LebensbedUrftiisse  her- 
beilühi*tej  dafs  sich  das  Land  von  einer  Hungersnot  ernst- 
lich bedi-ohet  sah. 

Da  starb  im  Jahre  1773  der  bisher  allmächtige  Minister 
von  Schliestodt,  der  sich  die  Gunst  und  das  Vertrauen  seines 
fürstlichen  Herrn  bis  zu  seinem  JEnde  zu  bewahren  gewufat 
hatte.  Damit  gewann  der  klar  und  nüchtern  denkende  Erb- 
prinK  Karl  Wilhelm  Ferdinand  einen  bestimmenden  Kinflufs 
auf  die  Regierung.  Mit  jugendlicher  Kraft  und  Entschlossen- 
heit, unbeirrt  durch  die  Abneigung  und  den  passiven  Wider- 
stand, den  er  bei  dem  alternden,  an  seinen  bJBherigen  Lebens- 
gewohnheiten hängeuilen  Vater  zu  bekämpfen  hatte,  ging  er 
an  sein  schwieriges  Werk,  für  das  er  an  dem  eifrigen  und 
geschickten  Geheimeurate  Förouce  von  Rotenkreutz  (seit 
177;J  Finanzminister)  einen  getreuen  Helfer  und  erfahrenen 
Ratgeber  gewann.  Die  erste  Mafsregel,  die  er  vorschlug 
imd  trotz  der  widerstrebenden  Strömungen  bei  Hofe  und  in 
den  BeAmtenkreisen  durchtühitc,  war  die  Einsetzung  des 
Finanzkollegiuras,  einer  Oberrechnungskammer  zum  Zweck 
der  Kontrole  über  die  sämtlichen  Einnahmen  und  Ausgaben 
des  Staates.  Mit  beredten  Worten  stellte  er  seinem  Vater 
die  Notwendigkeit  einer  solchen  Behörde  vor,  durch  die 
Allein  der  bisherigen  Willkür  und  Unordnung  in  den  öffent- 
lichen Kassen  gesteuert  werden  könne.  Lange  sti-äubte  sich 
der  alte  Heraog,  seiner  bisherigen  Allgewalt  über  die  Ver- 
iugung  der  Staatsmittel  zu  entsagen.  Eudhch  gab  er  doch 
nach^  die  neue  Behörde  trat  ins  Leben  und  begann  ihre 
aegensreiche  Wirksamkeit.  Es  glückte,  bei  der  königlichea 
Bank  in  BerJin  unter  nicht  allzu  ungünstigen  Bedingungen 
eine  Anleihe  von  einer  halben  Million  Thalern  aufzunehmen, 
die  zur  Tilgaug  der  dringeudateu  Schulden  verwandt  wurde. 
2m  Stoateiiauahalte  wua'de  die  strcTiga^  ^i^?a\s^^\Vj  \xv  dar 


* 


Ttuanzroformeo. 


295 


Finauzverwaltung  die  peinlichste  Ordnung  eingeiUbrt.  Ohne 
Bewilligung  des  Finanzkollegiums,  ohne  Namensunterschrift 
des  Erbprinzen  durfte  von  den  Kassen  im  Lande  nicht  die 
geringste  Zahlung  geleistet  werden.  In  edler  Einlachheit  des 
Lebens,  in  der  Verschmähung  jedes  äurseren  Prunkes  und 
Scheins  ging  der  Erbprinz  allen  mit  leuchtendem  Beispiele 
voran.  Da  die  Einkünfte  seiner  Gemahlin,  einer  Schwester 
■Georgs  Iir.  von  England,  zur  Bestreitung  seiner  bescheidenen 
Hofhaltung  ausreichten,  »o  beanspruchte  er  keinerlei  Apa- 
nage seitens  des  Landes,  ja  als  ihm  die  Stände  des  letzteren 
bei  seiner  Throubesteif^uug  ein  nicht  unbedeutendes  frei- 
williges Geschenk  darbrachten,  überwies  er  dieses  dem  Kran- 
kenhaufie  in  Braunschweig.  Nun  begann  sich  der  Kredit 
des  Landes  langsam  wieder  zu  heben.  Man  hoffte  von  der 
ganzen  Schuldonmasse  in  der  Folge  jährlich  100  000  Thaler 
abzutragen.  Da  kündigte  die  hannövrische  Itegierung  den 
Vertrag,  wonach  im  Jahre  1756  das  Fürstentum  Blanken* 
bürg  au  Georg  11.  für  zwei  Millionen  Tbaler  auf  zwanzig 
Jahre  verp  landet  worden  war.  Die  E  iuzelbestinun  ungen 
dieses  Vertrages  waren  braunschweigischerseits  nie  erfüllt, 
die  darin  vorgesehenen  ratenweisen  Abzahlungen  der  Pfand- 
summe nie  geleistet  worden.  Jetzt  sollte  die  letztere  bei 
Vermeidung  des  Verlustes  der  Grafschaft  auf  einmal  gezahlt 
werden.  Das  war,  wie  die  Dinge  ira  Herzogtume  lagen,  eine 
Unmöglichkeit.  Die  ganze  mühsam  angebahnte  Reform 
schien  auis  neue  bedrohet,  das  eben  zurückkehrende  Ver- 
trauen schwerer  erschüttert  als  je  zuvor.  Eilends  sandte 
man  den  Finanzrainister  F^ronce  nach  London,  wo  es  ihm 
gelang,  den  König  zu  einem  billigen  Abkommen  zu  be- 
atinimen,  wouach  die  Zurückzahlung  der  Schuld  an  Hannover 
allmählich  in  bestimmten  Zeiträumen  geschehen  sollte. 

Vielleicht  würde  der  braunschweigiscbe  Abgesandte  trotz 
»einer  Geschicklichkeit  ein  so  günstiges  Kcsultat  nicht  er- 
zielt haben,  wenn  er  nicht  in  der  Lage  gewesen  wäre,  den 
Wünschen  der  englischen  liegierung  um  Überlassung  eines 
Hilfakorps  entgegenzukommen,  das  gegen  die  im  Aufstände 
begriffenen  englischen  Kolonieen  in  Nordamerika  verwandt 
werden  sollte.  Am  9.  Januar  1776  wurde  zu  Braunschweig 
von  F^ronce  und  von  dem  zu  diesem  Zweck  nach  Deutsch- 
land geschickten  eugli«chen  Obristen  William  Faucit  der 
betreffende  Subsidien vertrag  unterzeichnet,  welcher   fast   die 

fesamte  braun schweigische  Heeresmacht,  zwei  Divisionen  in 
er  Stärke  von  1330  Mann,  der  Krone  Grofsbritannien 
zu  beliebiger  Verwendung  in  Europa  oder  in  Amerika  zur 
Verfiigung  stellte.    England  verpfiic\ilel&  %\c\\  ^^aj^'a^ca.  'a.>Ä*Kt 


t 


nt 


Zweites  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 


dem  Werbegclde  iür  jeden  einzelnen  Mann  und  der  ent- 
sprechenden Entschädigimg  für  ira  Kampfe  Gefallene  oder 
Verwundete  zu  einer  jähi*lichen  Zahlung  von  G4  600  Thalern, 
80  lange  die  Truppen  in  seinem  Solde  stehen  würden :  nach 
Wegfall  des  letzteren  sollte  die  Subsidie  verdoppelt,  alao  auf 
129  000  Thaler  jährlich  erhöhet,  diese  Summe  auch  noch 
zwei  Jahre  lang  nach  der  Rückkehr  der  Truppen  fortgezahlt 
werden.  Dieser  Vertrag,  infolge  dessen  es  gelang,  einen  be- 
deutenden Teil  der  im  Verhältnis  zu  den  Kräften  des  Lan- 
des geradezu  ungeheueren  Staatsschuld  zu  tilgen  und  das 
Land  selbst,  sowie  seine  Gläubiger  vor  dem  unermefslichen 
Unglück  eines  Staatabankerotts  zu  bewahren,  hat  von  den 
verschiedensten  Seiten  die  härteste  Beurteilung  gefunden. 
Mau  hat  keinen  Anstand  genommen,  ihn  als  „Men&chen- 
schacher " ,  „  Seelen  verkäuferei "  und  mit  ähnhchen  hoch- 
töneuden  Schlagwörtern  zu  bezeichnen.  Wenn  mau  sich 
aber  in  die  Anschauungsweise  der  damaligen  Zeit  versetzt 
und  nicht  unser  modernes  ßewufstsein  willkürlich  in  sie  hin- 
einträgt, wird  man  geneigt  sein,  milder  darüber  zu  denken 
und  zu  urteilen.  Solche  Subsidienverträge  waren  damals 
nichts  Ungewöhnliches  und  erregten  keineswegs  den  Ab- 
scheu, den  man  ihnen  später  hat  zuschreiben  wollen.  Die 
Trupj>en  und  ihre  Fühier  —  und  unter  den  letzteren  waren 
ausgezeichnete  und  ehrenwerte  Männer,  die  sich  im  sieben- 
jährigen Kriege  einen  Namen  gemacht  hatten  —  sahen  sie 
nicht  als  etwas  Entehrendes,  Schmachvolles  an,  sondern 
freueten  sich  der  Aussicht  aut  kriegerische  Thätigkeit  und 
Beloi'deruug,  die  ihnen  dadurch  eröffnet  ward.  Man  darf 
auch  nicht  vergessen ,  dafa  die  Heere  jener  Zeit  nicht  aus 
„Landeskindern"  bestanden,  welche  zimi  Dienste  des  Vater- 
landes ausgehoben  wurden,  sondern  eine  Soldtruppe  bildeten, 
die  aus  Leuten  der  verschiedensten  Länder,  von  oft  zweifel- 
hafter Herkunft  und  Vergangenheit,  zusammengewürfelt  war, 
Leuten,  denen  die  Gesinnungen  und  Gefühle,  die  man  ihnen 
zuschreibt,  durchaus  fern  lageu.  Ebenso  gaben  die  Aus- 
Bchüsse  der  Landschaft  zu  dem  Vertrage  ihre  Zustimmung, 
ohne  dafs  sich  eine  Stimme  erhob,  die  ihn  als  unmenschlich 
oder  auch  nur  als  unstatthaft  bezeichnet  hätte.  Die  An- 
werbung der  später  nachgesandten  Ersatzmannsehaften  be- 
ßchränkte  man  auf  des  Uei-zogs  ausdrücklichen  Befelil  auf 
Leute,  meist  Ausländer  und  Landstreicher,  die  sich  frei- 
willig zum  Dienste  meldeten.  Die  gezahlten  Subsidiengelder 
aber  sind  einzig  und  allein  im  Interesse  deü  Laude»,  uament- 
Jich  zur  Abwälzung  der  erdrückenden  Landesschidd  ver- 
^endet  worden.    Nichts  ißt  davon,  ao  N\ftV  xeiwei  N^eU».,  in  die 


Die  BraoQBchweiger  m  Amerika. 


2»7 


herzoglichen  Kassen  gefiosseu.  Diese  Thatsachen  sind  wohl 
geeignet,  die  so  sehr  verschrieene  Mafsregel  in  einem  luil- 
aeren  Lichte  zu  zeigen.  Die  braunachweigischcn  Truppen 
aber  haben  auch  in  diesem  Feldzuge,  fem  von  der  Heimat, 
in  einem  fremden  Erdteile,  inmitten  von  Mühen,  Gefalireu 
und  Kämpfen,  unter  ihrem  wackeren  Führer,  dem  Obristen 
von  Riedeael,  ihren  alten  Ruhm  der  Tapferkeit,  Ausdauer 
mid  guten  Älannszucht  bewährt.  Erat  im  September  des 
Jahres  17i>3  kehrten  sie  nach  siebenjähriger  Abwesenheit 
nach  Deutschland  zurück,  ohne  Trophäen,  durch  Kämpfe, 
Strapazen ,  Drangsale  aller  Art  arg  zusammengeschmolzen, 
aber  im  ßewufstsein,  ihre  Pflicht  gethan  zu  haben,  und  im 
Besitz  einer  unbefleckten  Waffi^nehre. 

Herzog  Karl  befand  sich,  als  die  Rückkehr  der  braun- 
Bchweigischen  Truppen  aus  Amerika  erfolgte,  nicht  mehr  am 
Leben.  Die  letzten  Jahre  seiner  Regierung  waren  für  ihn 
wenig  erireulich  gewesen.  Schon  seit  dem  eiebenjährigen 
Kri^e,  der  seine  iriodliche  Wirksamkeit  so  rauh  unterbrach, 
so  viel  Bedrängnis  und  Not  über  sein  Land  brachte,  war 
seine  alte  Scbaflensfreude  dahin.  Seine  gutmütige  aber 
wenig  thatkräftige  Natur  war  den  Schwierigkeiten,  die  nach 
dem  Kriege  eintraten,  nicht  gewachsen.  Seit  dem  Tode 
Schliestedts,  des  langjährigen  Genossen  seiner  wohlwollenden, 
gutgemeinten  Bestrebungen,  stand  er  ihnen  vollends  rat- 
und  hiltlos  gegenüber.  Dafs  er  in  seinen  letzten  Lebens- 
jahren dem  Erbprinzen  halb  widerwillig  eine  Art  Mitregent- 
schatl  einräumen  malst«,  gereichte  dem  Lande  ohne  Zweifel 
zum  Segen,   er  selbst   aber   mulste   es   im   Bewulstscin    der 

futen  Absichten,  die  ihn  beseelten,  als  eine  tiefe  Demütigung 
etrachten.  Die  Not  des  Landes,  die  er  freilich  zu  einem 
guten  Teile  selbst  verschuldet  hatte ,  drückte  ihn  nieder, 
und  schmerzlich  wird  er  die  Undankbarkeit  und  Rücksichts- 
losigkeit der  Laudständc  empfunden  haben,  die  selbst  die 
bestgemeinten  und  edelsten  seiner  Bestrebungen  als  „unnütz 
und  schädlich"  bezeiclmeten,  Ungex'n  nur  hatte  er  auf  seine 
früheren  sorglos  verschwenderischen  Lebensgewohnheiteu  ver- 
zichtet, den  übergrofsen  Aufwand  der  Hofhaltung  einge- 
schränkt, den  künstlerischen  Genüssen  entsagt,  die  ein  auf 
der  Höhe  der  Zeit  stehendes  Theater  gewährte.  Ohne  es 
hindern  zu  können,  hatte  er  die  Regierungsgewalt,  au  der 
er  so  sehr  hing,  noch  bei  Lebzeiten  grofseuteila  seinen  Hän- 
den entgleiten  sehen.  Nach  einer  iünfundvierzigjährigen 
Regierung,  die  in  ihren  Anfängen  die  schönsten  Hoffnungen 
erweckte,  dann  aber  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  d^Ysi  Väoää 
manche  bittei-e  Enttäuschung  mckt  era^ax\ß,  %c!tüß^  tx   *so. 


h, 


m 


Zweites  BucK    Zweiter  AbBchnitt 


36.  März  1780  aus  diesem  Leben:  ein  Mann,  ausgezeichnet 
durch  treffliche  Eigenschaften  des  Gemütes  und  Charakters, 
dem  aber  die  erste  aller  fürstlichea  Tugenden  fehlte,  die 
Fähigkeit,  seine  eigenen  pcrsünllchen  Neigungen  selbstlus  dem 
allgemeinen  Wohle  untferzuordnen,  ein  Ilegent,  der  sich  un- 
leugbar grofse  Verdienste  um  das  Land  erworben  und  doch 
nicht  vermocht  hat,  es  auf  der  abschüssigen  Bahn,  auf  die 
es  geraten  war,  aufzuhalten. 

Dies  bUeb  seinem  ältesten  Sohne  und  Nachfolger,  dem 
bisherigen  Erbprinzen  Karl  Wilhelm  Ferdinand,  rorbebaiten, 
der  bereits  während  der  letzten  Regierungsjahre  seines  Va- 
ters einen  malsgebenden  Eintlufs  auf  die  Staatsgeschäfto  ge- 
wonnen hatte.  Ihm  war  jetzt  als  Herzog  und  Regenten  die 
Aufgabe  gestellt,  das  zu  glücklichem  Ziele  zu  führen,  was 
er  mit  so  giinatigem  Erfolge  als  Ei'bprinz  begonnen  hatte, 
die  wirtschaftliche  und  finanzielle  Wiedergeburt  des  Landes 
zu  vollenden.  Karl  Wilhelm  Ferdinand  war  durchaus  der 
]^Iann  dazu.  In  demselben  Jahre  geboren,  in  welchem  sein 
Vater  zur  Regierung  gelangte,  stand  er  bereits  in  dem  rei- 
fen Alter  von  fiinfund vierzig  Jahren.  Auf  keinem  Gebiete 
des  öffentlichen  Lebens  war  er  ein  Neuling.  Im  Kriege  wie 
im  Frieden  hatte  er  Proben  einei*  aufeergewöhnlichen  Be- 
gabung abgelegt.  Wir  wissen ,  wie  ruhmreich  der  Anteil 
war,  den  er  am  siebenjährigen  Kriege  genommen  hatte. 
Kein  Geringerer  als  der  Sieger  von  Rofäbach  und  Leuthen 
hatte  sich  zu  seinem  Lobredner  gemacbt,  seinen  kriegerischen 
Talenten  und  Verdiensten  eine  rückhaltlose  Bewunderung 
gezollt.  Einem  Manne  von  so  scharfer  Beobachtungsgabe 
wie  Mirabeau  erschien  er  wie  ein  modemer  Alcibiodeä.  Er 
versichert,  dafs  er  in  dem  ganzen  Gebiete  der  Verwaltungs- 
wissenschaft  keinen  Punkt  habe  aushndig  machen  können, 
über  den  der  Herzog  nicht  nur  theoretisch,  sondern  bis  in 
die  kleinsten  Einzelheiten  hinein  vollkommen  unterrichtet 
gewesen  sei.  Auf  seine  Bildung  hatte  die  geistige  Richtung 
der  Zeit  den  entschiedensten  EinHufs  ausgeübt  Öein  eigent- 
licher Erzieher  war  der  würdige  Abt  Jerusalem  gewesen. 
Ihm  ist  es  wohl  zuzuschreiben,  dafs  der  Herzog  sich  trots 
der  iiursorlichen  Vorliebe  für  die  von  Frankreich  ausgehende 
Aufklärung  Zeit  seines  Lebens  einen  imerschütterlichen 
Grund  christUchen  Glaubens  bewalut  hat.  Dies  hielt  ihn 
indes  nicht  ab,  mit  den  französischen  Öchriftstellem  jener 
Zeit,  selbst  mit  den  Philosophen  aus  der  Schule  d'.iVlembertB 
und  Diderots  die  innigsten  Beziehungen  zu  unterhalten. 
Voltaire  hat  er  in  seiner  Zurückgezogenheit  in  Vemey  per- 
BönJicii  auigeaucht,  vor  aüeü  a^iet  ftdiäA^Xa  « "^&3MrBvftn.tel,  von 


Herzog  Karl  Wilhelm  Ferdiaand. 


i 


dem  er  stets  mit  der  ^öfsten  Verehrung  sprach.  Spätere 
Keisen  haben  seine  Bildung  erweitert  und  vertieft.  In 
Frankreich,  das  ei*  wenige  Jahre  nach  dem  Hubertus  burger 
Frieden  besuchte,  fand  er  in  allen  Kreisen  der  Gesellschaft, 
bei  Hofe,  der  Aristokratie  und  in  der  Gelehrtenwelt,  die 
nämliche  glänzende  Aufnahn»e.  Man  bewunderte  sein  echt 
fürstliches  Auftreten,  seine  feinen,  verblndhchen  und  doch 
würdigen  Leböhsformen ,  sein  reiches,  umfassendes  Wissen. 
In  Rom  war  er  unemiüdlich,  unter  Winkelnianne  kundiger 
Fuhrung  die  Kunstschätze  der  Stadt  zu  besichtigen,  ihre 
trümmerreiche  Umgebung  zu  durchwandern  und  zu  durch- 
lorschen.  Von  dieser  Reise  zurückgekehrt,  fand  er  dann  in 
der  Heimat  eine  harte,  mühevolle  Arbeit.  Es  galt,  das  Land 
durch  euergisches  Eingreifen  vor  einer  unheilvollen  Kata- 
strophe zu  bewahren,  den  drohenden  Staatsbankerott  abzu- 
wenden. Bei  dem  fast  krankliaften  Ehrgefühl,  das  ein  her- 
vorragender Zuj,'  seines  Wesens  war  und  ihn  einen  oft  über- 
triebenen Wert  auf  das  Urteil  der  Menschen  legen  liefs,  er- 
blickte er  darin  nicht  allein  eine  heilige  J^egentonpflicht, 
sondern  auch  eine  unabweisbare  Forderung  fürstlicher  und 
persönlicher  Ehre.  Wie  er  sich  dieser  Aufgabe  noch  bei 
Lebzeiten  seines  Vaters  unterzog,  unbeiiTt  durch  die  schwie- 
rigen Umstände,  durch  die  äufseren  Hommnisae,  durch  das 
Widerstreben  selbst,  das  er  bei  dem  eigenen  Vater  und  in 
den  höheren  Beanitenk reisen  fand,  davon  ist  schon  berichtet 
worden.  Noch  aber  war  die  Arbeit  nicht  halb  getban,  die 
grofse  öcbuldenla&t  erst  zum  kleinsten  Teile  von  dem  Lande 
abgewälzt,  als  er  sich  zur  Regierung  berufen  und  damit  in 
den  .Stand  gesetzt  sah,  die  schon  lange  gehegten  ßeiorra- 
plane  nicht  nur  auf  diesem,  sondern  auch  auf  anderen  Ge- 
bieten des  Staatswesens  selbständig  und  ungehemmt  durch- 
zutuhren. 

Er  hat  denn  auch  sogleich  den  regsten  Eifer  gezeigt  und 
die  rührigste  Thätigkeit  entfaltet.  Es  lag  in  seiner  Natur, 
wenigstens  so  lauge  er  in  der  Vollkraft  des  Mannesaltera 
stand,  das  als  notwendig  oder  auch  nur  als  wünschenswert 
Erkannte  rasch  und  thatkräftig  ins  Leben  zu  rufen.  Was 
er  begann,  wollte  er  auch  bald  vollendet  sehen.  Gleich- 
gültig gegen  die  Liebhabereien  und  Zerstreuungen,  denen 
ein  grofser  Teil  seiner  Standesgenossen  huldigte,  gegen  das 
Spiel  wie  gegen  die  Jagd,  gegen  die  Freuden  der  Tafel  wie 
gegen  die  banalen  Ergötzlichkeiten  des  Hofes,  wandte  er 
seinen  unruhigen  Thätigkeitssinn  ausschliefslich  den  öffent- 
lichen Geschäften  zu ,  für  die  ihn  sein  uxi%'av«<SV\\v\isJöRä« 
Scharfblick,  seine  echnelle  Fa8suugaga\>e ,  ^va   Ä.\)Ä^'i^'c«i&Rr 


808 


Zweites  Buch.    Zweiter  Abschnitt. 


tes  Wissen  gleich  sehr  heÄhigten.  Pünktlich  in  der  Ein- 
teilung seiner  Zeit,  war  er  nnennudlicii  in  ihrer  Ausbeutung, 
haushälterisch  in  ihrer  Verwendung.  Hierin  wie  in  manchem 
anderen,  in  seiner  Vorh'ebe  fiir  welsches  Wesen  und  fran- 
zösische Bildung,  seinem  Sinn  tur  strenge  Sparsamkeit,  seiner 
Liebe  zur  Musik,  glich  er  seinem  Olieime,  dem  grolaen 
Friedrich,  an  den  Äui'f^rlich  schon  der  Glanz  seiner  grofsen 
strahlenden  Augen  erinnerte.  Was  er  aber  vor  allem  mit 
ihm  gemein  hatte,  der  Kardinalpunkt,  welcher  dem  Wollen 
und  Handeln  beider  erst  die  rechte  W^eihe  gab,  das  war  die 
hohe  Auffassung,  die  sie  von  ihrer  Regeutenpflicht  hegten, 
der  ideale  Sinn,  in  welchem  sie  ihres  fiirstlichen  Amtes 
walteten.  So  grofs  auch  der  Abstand  zwischen  der 
preuTsischen  Monarchie  und  dem  kleinen  Hcrzogtume  sein 
und  80  sehr  auch  Friedrich  seinen  Neffen  an  genialer  Gei- 
steskraft überragen  mochte,  auch  von  dem  letzteren  kann 
man  sagen,  dafs  er  seine  Person  völlig  in  den  Dienst  des 
Gemeinwesens  stellte,  dafs  auch  er  nicbtä  andere«  sein  wollte 
als  „der  erste  Diener  des  Staates".  „Die  Ehre  seines  Lan- 
des und  seiner  Regierung"  —  sagt  sein  Biograph  —  jjwar 
ihm  besonders  wichtig  und  wert:  es  war  sein  bleibender | 
WiuiBch ,  sein  Land  immer  mehr  zu  heben,  den  Ruhm 
seines  Handels  und  seiner  Institute  zu  vergröfsern  und 
ihm  durch  eine  gebildetere  Staatskunst  einen  Namen  zaj 
machen." 

Mit  dem  Antritt  der  Regierung  Karl  Wilhelm  Ferdinands 
begann  iur  das  Herzogtum  eine  neue,  vielversprechende  Zeit. 
In  alle  Zweige  der  Verwaltung  kam  ein  frischer,  reforma- 
torischer Zug.  Man  spürte  bald  den  festen  Willen ,  die 
sichere  Hand  iu  der  Leitung  der  gesamten  Staatsangelegen- 
heiten, das  Walten  eines  überlegenen  Geistes,  der  sich  weder 
durch  die  Trägheit  der  Gewohnlieitsmenschen  noch  durch 
die  Tadelsucht  der  Besserwisser  and  Überklugen  in  den  von 
ihm  verfolgten  Zielen  beirren  liefs.  Die  nächste  und  vor- 
nehmste Sorge  war  und  blieb  für  den  Herzog  noch  auf  lange 
die  gründliche  Ordnung  des  zerrütteten  Staatshaushaltes,  die 
Tilgung  oder  doch  wenigstens  Verminderung  der  noch 
immer  übergrofsen  und  drückenden  Landesschuld.  Dies  za 
erreichen,  scheuete  er  kein  Mittel  und  brachte  er  selbst  dio^ 
grölsten  persönlichen  Opfer.  Wie  er  seinen  Hofstaat  auf 
das  Allernot  wendigste  einschränkte,  so  wurde  in  der  ge- 
samten Staatsverwaltung  die  äuXserste  Sparsamkeit  eingeführt. 
An  die  Stelle  der  h'üheren  Sorglosigkeit  und  Verwimnig  in 
den  öiJentJicheii  Kassen  trat  eine  strenge,  durch  häufige  Re- 
vjeionea  ermöglichte  Ordnung.    "Daa  ^uta  "?Ä0Kwa»n3wfc*Ka 


Seine  Regiorung. 


301 


k 


wurde  allmählich  nach  zeitgomälseren  QruudäUtzeu  umge- 
staltet. Unredliche  Beamte ,  denen  man  früher  mehr  als 
billig  durch  die  Finger  gesehen_hatte,  wurden  entlassen  und 
nach  den  Umständen  bestraft.  Über  jeden  Zweig  des  Finanz- 
wesens iiefs  sich  der  Herzog  genaue  Berichte  erstatten,  jeder 
Unregelraälsigkeit  in  der  Verwaltung  der  Staatsgelder  sachte 
er  durch  strenge  Verordnungen  auch  für  die  Zukunft  vor- 
zubeugen. Seinen  Beamten,  die  er  entsprechend  der  Lage 
der  Dinge  zwar  mäl'sig  aber  doch  auskömmlich  besoldete, 
machte  er  eine  einfache  Lebensweise  zur  Pflicht.  Er  selbst 
ging  ihnen  darin  mit  schönem  Beispiel  voran.  Jene  ver- 
schwenderischen und  doch  grofsonteüa  geistesarmen  Feste, 
welche  zui*  Zeit  der  vorigen  Uegierung  zu  den  glänzendsten 
in  ganz  Deutschland  gezählt  hatten,  wurden  vereinfacht  und 
gewannen  in  dieser  bescheidenen  Darstellung  doch  an  inne- 
rem Gehalt.  Selbst  in  der  Militärverwaltung  suchte  der 
Herzog  nach  Kräften  Ersparnisse  und  Eiuachiänkungen 
durchzufuhren. 

Auf  diese  Weise  gelang  es  ihm ,  die  Staatsschuld  fort- 
gesetzt zu  verringern,  so  dals  »ie  gegen  Ende  seiner  Re- 
gierung fast  ganz  getilgt  war.  Er  hatte  die  Freude  zu 
sehen,  wie  das  von  ihm  eingeführte  Finanzsystera  sich  be- 
währte, wie  die  von  ihm  befolgten  Grundsätze  in  der  Staata- 
wirtachaft  sogar  anderwärts  zum  Muster  und  Vorbild  ge- 
nommen wurden.  Freilich  hatte  die  strenge  Sparsamkeit  dea 
Herzogs,  so  sehr  sie  durch  die  Lage  des  Landes  gerecht- 
fertigt, ja  geboten  erschien,  auch  ihre  bedenklichen  Seiten. 
Indem  sie  sich  mit  dem  nüchternen ,  unhiatorlschea  Sinne 
verband,  der  diese  Zeit  der  sogenannten  Aufklärung  be- 
herrschte, ist  ihr  manches  Schöne  und  Erbaltungswerte  zum 
Opfer  gefallen.  Die  im  Lande  voi'handenen  Schlösser,  an. 
die  sich  bedeutungsvolle  geschichtliche  Erinnerungen  knüpf- 
ten, wurden  einer  bedenkUchen  Vernachlässigung  preis- 
gegeben, manche  von  ihnen  Beamten  zur  Wohnung  ange- 
wiesen, damit  sie  doch  zu  etwas  nützten.  Das  Schiolg  zu 
Wolfenbüttel,  die  Wiege  und  die  langjährige  Kcsidenz  seiner 
Ahuen,  durfte  eine  französische  Emigrantenfamilie  zu  einer 
Tapetenfabrik  einrichten  und  teilweise  umbauen,  wodurch 
die  schönen  Säle  mit  ihren  wertvollen  Gobelins  arg  verwüstet 
wurden,  Die  Sammlung  alter  kostbarer  Waffen  und 
Rüstungen  im  Wolfenbüttler  Zcugbause,  die  zum  Teil  die 
Vorfahren  des  Herzogs  im  Kampfe  geführt  oder  in  Turnieren 
getragen  hatten,  wurde  unter  den  Auktionshammer  gebracht. 
Gegen  die  Abtragung  der  überflussig  gewordenen  alti&o. 
Festungswälle  von  Braunschweig  und  &vö  V^vivr^-vA^nsä^  ^». 


K 


Zweites  Bacb.    Zweiter  AbscbniU. 


anmutige  Spaziergänge  liefs  neb  Tom  ^Standpunkte  der  Nütz- 
lichkeitfltheorie  nichts  einwenden,  obechon  dabei  das  statt- 
liche mittelalterliche  Ansehen  der  Ötadt,  wie  sieh  Nürnberg, 
Lübeck,  Goalar,  Rothenburg  und  andere  deutsche  Städte  ein 
solches  bewahrt  haben.  Terloreu  ging.  Ohne  Not  aber  wurde 
durch  Abbruch  mancher  interessanter  Baudenkmäler  der  alten 
Zeit  der  historische  Charakter  der  Stadt  geschmälert.  Für 
die  Krhaltung  und  Vermehrung  der  Runstanstalten  und 
wissenschaftlichen  SammlungeQ  des  Landes,  namentlich  für 
die  berühmte  Gemäldegalerie  in  Sahdahlum  und  das  von 
Karl  L  begründete  Kunst-  imd  Naturalien  kabinet,  das  jetzige 
Museum ,  wurden  niir  die  winzigsten  Summen  verausgabt, 
fUr  letzteres  jährlich  etwa  zwanzig  Thaler,  „wolür  man  kaum 
den  Spiritus  zur  KonÄcrvation  ausländischer  Tiere  anschaffeu 
konnte".  Der  ganze  jährliche  Etat  iur  die  Vermehrung  der 
Wolfeubüttler  Bibliothek  betrug  nicht  mehr  ala  zweihundert 
Thaler. 

Die  wohlthiitigen  Folgen  von  des  Herzogs  Finanzreiormen 
und  von  seiner  Sparsamkeit  liefsen  nicht  lange  auf  sich 
warten.  Schon  in  seinem  ersten  Kegicrungsjahre  konnte  die 
lästige  und  ungerechte  Kopfsteuer  abgeschaffi  werden.  Andere 
Steuererleichterungen,  die  Ermäfsigung  der  aui serordentlichen 
Kontribution  und  der  Akzise^  folgten  später.  Von  Jahr  zu 
Jahr  befestigte  sich  das  Vertrauen  in  die  Leistungsfähigkeit 
des  Landes,  hob  sich  der  trüber  so  tief  gesunkene  Kredit 
Wunderbar  fast  erschienen  die  Erfolge,  welche  die  geräusch- 
lose Wirksamkeit  des  Herzogs  binnen  wenigen  Jabreu  auf 
diesem  Felde  errang.  Aber  er  war  auch  bemühet,  durch 
entsprechende  Mafsregeln  das  Land  vor  der  Wiederkehr 
ähnlicher  Zustände  zu  bewahren,  eine  finanzielle  Kalamität, 
wie  er  sie  bei  seinem  Regierungsantritte  vorgefunden  hatte, 
fiir  die  Zukunft  unmöglich  zu  machen.  In  diesem  Simie 
ist  das  von  ihm  am  1.  Mai  1794  aus  freien  Stücken  er- 
lassene Schuldenedikt  zu  verstehen,  ein  seltenes  Beispiel 
fürstlicher  Selbstlosigkeit.  Er  erklärt  darin,  „dafs  es  eins 
der  wirksamsten  Büttel  sein  werde,  keine  neue  Schulden  zu 
machon  und  besonders  das  fürstliche  Kammervermügen  zu 
sichern,  wenn  er  sich  die  Hände  binde  **,  und  bestimmt  dem- 
gemäfs,  dafa  hinfort  ohne  die  Einwilligung  der  Landstände 
weder  eine  Veräufserung  noch  eine  Verpfändung  von  Do-] 
manialgnt  stattfioden  solle.  In  der  späteren  Zeit  seiner  Re- 
gierung war  es  ihm  sogar  vergönnt,  das  Kammergut  durch 
einige  nicht  unbedeutende  Erwerbungen  zu  vergröfsem.  Der 
.Böichsdeputationshauptäcldufs  vom  25.  Februar  1803  über- 
wißs  dem  Herzogtume  die  \»i&\ier  TeVaWxnasa^Xj^^iiäÄ  Kiwater 


Teiluogsrezers  über  den  Oberharz. 


ä03 


St  Ludgeri  vor  Helmstedt  iind  Gandersheim  mit  den  dem 
letzteren  zugehörigen  Klöstern  Klus  und  Brunahausen,  sowie 
die  Stilter  8t.  Blasii  und  St.  Cyriaci  in  Braunschweig,  welche 
nun  mit  ihren  reichen  Einkünften  und  Besitzungen  dein  Do- 
roanium  einverleibt  wurdeu.  AU  einen  Gewinn  iiir  die  Fi- 
nanzen und  einen  Erfolg  der  Bestrebungen  des  Herzogs, 
überall  leichter  zu  überblickende  Zustände  zu  schafifeu,  mufa 
man  auch  den  am  4.  Oktober  178ö  mit  Kurhannover  ab- 
geschlossenen Rezefs  über  den  Oberharz,  sowie  über  die 
Bei^werke  und  Forsten  des  Unterharzes  betrachten.  Durch 
den  Erbvertrag  vom  14.  Dezember  1635  waren  diese  An- 
lagen und  Besitzungen  im  ungeteilten  Besitze  dos  Braun- 
Bchweiger  Gesamthauses  geblieben  (S.  89).  Zwar  hatten 
dann  spätere  Verträge  den  hierauf  bezüglichen  Teil  jenes 
Erbvergleiches  näher  bestimmt,  aber  es  war  erklärlich  und 
natürlich,  dafs  sich  in  der  Folge  doch  mancherlei  Unzu- 
träglichkeiten, Irrungen  und  Milsstände  bei  einer  solchen 
gemeinsamen  Verwaltung  ergaben.  Jetzt  wurde  dieser  har- 
zische  Besitz  unter  die  beiden  Linien  derart  verteilt,  dais 
Hannover  vier  Siebentel,  d.  h.  im  wesentlichen  die  Städte 
Zellerfeld,  Grund,  Wildemann  und  Lautenthal  mit  dem  dort 
betriebenen  Bergbau,  Braunschweig  dagegen  drei  Siebentel, 
meist  herrlichen  und  wertvollen  Waldbestand,  erhielt  Nur 
der  Unterharz,  d.  h.  das  ganze  Bergregal  im  Rammeisberge, 
die  Silber-  und  Eisenhütten,  sowie  die  Saline  Juliushall, 
blieb  unter  der  Bezeichnung  Kommunionharz  im  Geaamt- 
besitz  und  in  gemeinsamer  Verwaltung  der  beiden  Linien. 

Hand  in  Hand  mit  diesen  erfolgreichen  I^estrebungen 
für  die  Aufbesserung  und  Organisation  des  gesamten  Staats- 
haushaltes ging  nun  eine  ganze  Keihe  von  Versuchen  zur 
Hebung  der  einzelnen  Gesellscliaftak lassen ,  zur  Föi-derung 
ihrer  wirtschaftlichen  Lage,  zu  ihrer  geistigen  und  sittlichen 
Fortbildung.  In  diesen  Bestrebungen  stand  dem  Herzoge 
neben  dem  Dichter  Leisewitz  fUr  das  Armen-  und  neben 
dem  Schulmanne  und  Pädagogen  Campe  für  das  Unter- 
richtswesen vorzügHch  der  Freiherr  Karl  August  von  Har- 
denberg ,  der  spätere  preufsische  Staatskanzler ,  zur  Seite, 
den  er  im  Jahre  1782  aus  dem  hannövrischen  in  den  braun- 
Bchweigischen  Dienst  berufen  hatte  und  der  bis  zu  seinem 
Ausscheiden  aus  dem  letzteren  im  Jahre  1790  mit  alleiniger 
Ausnahme  der  Finanzangelegenheiten  alle  Zweige  der  Staats- 
verwaltung unter  seiner  Leitung  vereinigt  hat.  Der  Bauern- 
stand, dessen  Hebung  dem  Herzoge  besonders  am  Herzen 
lag,  wurde  durch  Verminderung  der  Zehnten  und  Rcrtsssx- 
dienjBte,  durch  l/nierstützung    aua   äer  ^Ltft^-öüKß.  ^ÄOiXStfÄ^ 


M4 


Zweites  Buch.    Zweiter  Äbschmtt. 


durch  Anweisung  und  Belehrung  in  der  Bewirtschaftung  der ' 
Höfe  in  eine  Lage  gebracht,  die  als  der  Grundpfeiler  seiner 
jetzigen  Wohlhabenheit  zu  betrachten  ist.  Das  Armenwesen, 
vorzüglich  in  der  Hauptstadt  des  Landes,  erfuhr  nach  den 
Ratschlägen  und  unter  aufopfernder  Mitwirkung  von  Leise- 
wiiz  eine  gründliche  Umgestaltung  und  eine  für  jene  Zeit 
mustergültige  Einriclitung.  Gewerbliche  Unternehmungen  der 
verschiedensten  Art  wurden  vom  Herzoge  entweder  ins 
Leben  gerufen  oder  erfreueten  sich  seiner  Unterstützung, 
das  verderbliche  Lottospiel  auf  Hardenbergs  Betrieb  abge- 
schafft, mit  dem  Bau  guter  und  solider  Landstrafsen  be- 
gonnen. Eine  besondere  Aufmerksamkeit  wandte  der  Her- 
zog dem  gesamten  UnteiTicbts  -  und  Erziehungswesen  des 
Landes  zu.  Angeregt  durch  Campe  und  beraten  durch 
Hardenberg,  fafste  er  den  Plan,  die  Schule  unter  Lö.eiung 
ihres  Zusammenhanges  mit  der  Kirche  zu  einer  ausschliefs- 
lichen  Staatsanstalt  nach  philanthropischem  Muster  umzuge- 
stalten. Dieser  Plan  scheitci-te  jedoch  teils  an  dem  Wider- 
stände der  Geistlichkeit,  teils  an  der  Unwilliahrigkeit  der 
Stände.  Auch  die  eine  Zeit  lang  von  ihm  in  Erwägung 
gezogene  und  hauptsächlich  von  Hardenberg  befürwortete  Ver- 
legung der  Universität  Helmstedt  nach  Braunschweig  oder 
Wolfeubüttcl  kam  nicht  zur  Ausführung. 

Der  hier  in  grofsen  Zügen  geschilderten  I^ierungs- 
thätigkeit  des  Herzogs  Karl  Wilhelm  Ferdinand  stellt  sich 
ergänzend  die  immerhin  hervorragende  Rolle  zur  Seite,  die 
er  in  den  Fragen  der  grofsen  PoUtik,  besonders  aber  in  den 
kriegerischen  Verwicklungen  seiner  Zeit  gespielt  hat  Alan 
wird  es  begreifen,  dafs  ein  so  bedeutender  Mann,  ein  so 
lebhafter  Geist  sich  nach  einem  gröfseren ,  umfassenderen 
Felde  für  seine  Wirksamkeit  sehnte.     Seinem  Ehrgeize  und 


Thatendrange  konnte  das  kleine  Heraogtum,  das  er  im  Ge- 
spräch  öfters    als   winzigen  Punkt  auf  der  Landkarte   be-j 
zeichnete,  nicht  genügen.     Seiner  ganzen  Vergangenheit  und 


seinen  Familienverbindungen  gemäls  sah  er  sich  auf  das 
benachbarte  Preufaen  hingewiesen.  Mit  dem  preufsischen 
Königshause  verknüpften  ihn  die  engsten  verwandtschaftlichen 
Baude,  unter  preufsischer  Fahne,  wenn  auch  streng  genommen 
nicht  in  preulsiacbera  Dienste  hatte  er  seine  ersten  kriege- 
rischen Lorbeeren  geerntet,  für  die  Erhaltung  der  preufsischen 
Monarchie  im  siebenjährigen  Kriege  gefochten.  Er  selbst 
hat  sich  in  einem  späteren  Gespräche  mit  dem  jüngeren 
Custine  darüber  geäufsert.  „Seit  dem  Tode  meines  Vaters", 
sagte  er,  ,;habe  ich  das  unabweisliche  Bedürfnis  geföhlt^ 
mich  an  den  Berliner  H.o£  miäi  mi  9l«ii  \;tw3i««döKü.  ^taaJt 


Karl  Wilhelm  Ferdiuaud  iu  preuTsiscbeD  Diensten. 


805 


anzuschliefsen.  Gezwungen,  dort  zu  erscheinen,  habe  ich 
mich  doch  nicht  überwinden  können,  die  traurige  Rolle  eines 
unhedeutenden  MenBchen  ohne  nützlichen  Lebeuazweck  zu 
spielen:  ich  fühlte,  dafa  ein  bervorragendei*  Kanc;  in  der 
preufaischen  Armee  mir  allein  eine  SteJUiug  sichern  würde, 
wie  ich  sie  beanspruchen  zu  dürfen  glaube/'  Schon  im  Jahre 
1773  war  er  demgemäfs  in  preuTsische  Dienste  getreten,  zum 
General  der  Infanterie  und  Inhaber  des  in  Halberstadt  ste- 
henden magdeburgischen  Regimentes  ernannt  worden,  wel- 
ches er  zu  einer  Älustertruppe  des  Heeres  auszubilden  be- 
flissen war.  Später,  seit  1786,  bekleidete  er  den  Rang  eines 
preu&ischen    Generalfeldmarsciialla.      Nach    dem    Tode    des 

frofaen  Königs  stieg  sein  politischer  und  militärischer  Ein- 
ufs  in  Berlin.  Mirabeau  trauete  ihm  zu,  dafs  sein  ganzer 
persönlicher  Ehrgeiz  aich  in  dem  Wunsche  zusammendränge, 
den  preufaischen  Staat  zu  regieren.  Vorsichtig  und  mifa- 
trauisch,  war  er  zugleich  darauf  bedacht,  das  Geschick  seines 
Landes  und  Hauses  nicht  unauflöslich  an  die  Zukunft  des 
Landes  zu  knüpfen,  dem  er  doch  seine  persönlicheu  Dienste 
weihete,  sich  vielmehr  seine  Unabhängigkeit  als  Reichsfürst 
möglichst  zu  wahren.  Dies  zeigte  sich  noch  bei  Lebzeiten 
Friedrichs  H.,  als  dieser  gegenüber  den  Vergi-öfserungs- 
plänen  des  Kaisers  Joseph  den  bekannten  Füi-atenbund 
stiftete.  Der  Herzog  konnte  seinen  Beitritt  zu  diesem  Bünd- 
nisse tun  so  weniger  verweigern,  als  auch  Hannover  sich 
ihm  nach  einigem  Zügern  auschlofä,  aber  er  machte  unter 
dem  Verwände  der  ungünstigen  Finanzlage  seines  Landes 
den  Vorbehalt ,  dafa  die  Zahl  der  von  Braunschweig  zu 
stellenden  Truppen  lediglich  seinem  Ermessen  überlassen 
bleibe.  Auch  später,  in  den  Kriegen  gegen  die  französische 
Republik  und  Napoleon,  hielt  er  die  Fiktion  fest,  dafs  seinem 
Lande  eine  Neutralität  zugestanden  werden  würde,  während 
er  selbst  das  gegnerische  Heer  befehligte. 

In  den  nächsten  Jahicn  nach  Friedrichs  des  Grofsen  Tode 
stand  Karl  Wilhelm  Ferdinand  auf  der  Höhe  militärischen 
Ruhmes  und  politischer  Eifolge.  Er  galt  in  ganz  Europa 
filr  den  ausgezeichnetsten  Feldherm  und  für  einen  genialen 
Staatsmann.  Regierte  er  auch  nicht  den  prcufsiBchen  Staat, 
so  suchte  man  doch  in  Berlin  in  allen  kritischen  Fällen 
seinen  Rat,  nahm  seine  kriegerischen  Dienste  in  Anspruch. 
Sein  Ansehen  als  Heeriührer  wuchs  durch  die  mühelose,  fast 
spielend  durchgeführte  Pazt£kation  von  Holland  im  Jahre 
1787.  An  der  Spitze  eines  mäfsigen  preufsischen  Heeres  von 
wenig  über  20000  Maim  rückte  er,   um   den  von  der  Pßr 


80tS 


Zweite«  Bucli.    Zweiter  Abficbnitt. 


triotenpartei  verjagtea  Erltstatthalter  wieder  einzusetzen,  in 
das  Land,  sprengte  W  Amatelveeu  am  1.  Oktober  die  Bür- 
gerwehren und  Freischaren  der  „Patriüteu'J,  auseinander, 
nötigte  Gorkum,  Utrecht  und  Amsterdam  zur  Übergabe  und 
führte  den  fluchtigen  Erb  Statthalter  nach  dem  Haag  zurück. 
In  der  kurzen  Zeit  von  wenig  Wochen  war  ihm  mit  be- 
scheidenen Streitkräften  eine  Aufgabe  gelungen,  an  der  einst 
die  ganze  Macht  Ludwigs  XiV.  und  die  Knegskunst  seiner 
besten  Generale  gescheitert  wai*.  Einen  »o  grofsen  Nimbus 
hatte  dieser  kmze ,  glückhclie  Feldzug  um  seinen  Namen 
verbreitet,  dals  ilim  die  iioUäudiBchen  Patrioten  zwei  Jahre 
später  die  Herrschaft  über  ein  aus  den  Landschaften  Lira- 
burg, Geldern  und  Luxemburg  zu  bildendes  Gebiet  anboten. 
Auch  andere  ähnliche  Anerbietungen  wurden  ilun  gemacht. 
Er  sollte  König  von  Polen  werden,  und  zu  iVni'ang  des  Jah- 
1792,  kura  vor  dem  Ausbruche  des  Krieges  der  beiden 


res 


deutschen  Grolömächte  gegen  Fraukreich,  in  welchem  er 
dann  den  Oberbefehl  über  das  preuTsische  Ueer  übernahm, 
erging  an  ihn  seitens  der  französischen  Itegierung  die  Auf- 
forderung, die  durch  die  revolutionäre  Bewegung  in  Frank- 
reich zerrüttete  Armee  zu  reorganisieren ,  die  Regimenter 
wieder  mit  dem  Geiste  der  Zuclit  und  Ordnung  zu  be- 
seelen und  sie  dann  in  dem  schon  damals  drohenden  Kriege 
g^en  Osterreich  zu  führen.  Karl  Wilhelm  Ferdinand  stand 
allen  diesen  Versuchen,  ihn  auf  die  Bahn  eines  politischen  { 
Abenteurers  zu  verlocken,  mit  der  nüchternen  Skepsis  des 
zunehmenden  Alters  gegenüber.  Sie  schmeichelten  seiner 
Eitelkeit,  aber  er  war  bei  seiner  Art,  die  Wahrscheinlichkeit 
des  Erfolges  zögernd  und  zweifelnd  zu  erwägen,  weit  davon 
entfernt,  ihnen  Folge  zu  geben.  Dom  jüngeren  Custinc,  der 
im  Auftrage  der  französischen  Regierung  jene  Verhandlimgen 
mit  ilnu  liihrte,  erklärte  er:  „Ich  bin  niemals  in  meinem 
Leben  vor  grofsen  Eutscbeidungeu  und  Thateu  zurüek- 
geaclu'eckt,  und  ich  weiXs  die  Grüfso  der  Rolle,  die  man  mir 
auf  dem  ersten  Theater  Europas  zudenkt,  nach  Gebühr  zu 
schätzen,  aber  ich  müfste  sehr  eingebildet  oder  sein-  ein- 
i^tig  sein,  wollte  ich  nicht  die  Unmöglichkeit  des  Erfolgen 
emphnden,  und  obschon  ich  völlig  davon  überzeugt  bin!,  dafs 
ich  die  Tnippen,  welche  man  mir  anvertrauen  will,  so  gut 
wie  jeder  andere  führen  würde,  besitze  ich  doch  zu  viel 
Einsicht,  um  meinen  Kuf  in  einer  so  unsichern  und  ge- 
iUhrlichen  Unternehmung  aufs  Spiel  setzen  zu  wollen." 

Wenige  Monate  nachdem  diese  Worte  gesprochen,  er- 
Jebte  die  Welt  das  Schauspiel,  dafs  dei*  Herzog  als  Ober- 
beJehlsImber  der  preul'äscben  Armee  vQ.\CT\ä\xvd\wv^  mit  deaj 


Feldxug  von  1792. 


807 


Österreichern  die  Greazen  Frankreichs  überschritt  und  in 
das  Land  einhracli,  das  nuch  eben  die  Wiederherstellung 
seiufH  Heerwesens,  ja  seine  politische  Wiedergeburt  von  ihm 
erhofft  hatte.  Dieser  Feldzug  in  die  Champagne  bezeichnet 
den  Wendepunkt  in  des  Herzogs  kriegerischer  Laufbahn. 
Man  kennt  seinen  unglücklichen  Verlauf.  Die  Prahlereien 
der  Emigranten,  welche  ihn  zu  jenem  berüchtigten,  Paris 
mit  völliger  Zerstörung  bedrohenden  Manifeste  vom  25.  Juli 
1792  veranlafst  hatten,  erwiesen  sich  als  trügoriscli.  Nach 
dem  Fall  der  Festungen  Longwy  und  Verdun  setzte  die 
unnlitze  Kanonade  von  Vabny  dem  Vordringen  der  Ver- 
bündeten gegen  die  iranzösische  Hauptstadt  ein  Ziel.  Der 
relative  Frfolg,  den  die  Franzosen  hier  errangen,  ist  allein 
der  Zaghaftigkeit  und  Unentachlossenheit  dea  Herzogs  in 
dem  entscheidenden  Augenblicke  zuzuschreiben.  Das  Urteil 
der  berufenen  Militürschriltst eller  ist  darüber  einig,  und 
frauzüaische  CJenerale,  wie  GouWon  de  St.  Cyr  und  sogar 
der  mitbeteiligte  Kellerraann  gebeu  es  selbst  zu^  dafs,  wenn 
der  Herzog  nach  der  Erschütterung  und  Verwirrung,  welche 
die  mehrstündige  Kanonade  in  den  Reihen  der  jungen  fran- 
zösischen TrupjKjn  verbreitet  hatte,  zum  herzhatten  Angriff 
geschritten  wäre,  Kellerraann  auf  Dumourioz  geworfen,  beide 
von  den  Höhen  hinter  Valray  in  das  Thal  der  Aisne  ge- 
stürzt und  die  französische  Armee  zweifellos  in  eine  unheil- 
volle Katastrophe  verwickelt  worden  wäre.  Bei  den  Ver- 
handlungen, die  dem  Tage  von  Valmy  folgten,  versagte  dem 
Herzoge  auch  das  diplomatische  Geschick,  das  sich  ihm  so 
oft  bewähi't  hatte.  Er  liefs  sich  von  Dumouriez  täuschen 
und  so  lange  hinhalten,  bis  die  Uerhstregen  die  Wege 
gründlich  verdorben  hatten.  Dann  aber  erfolgte  jener  ver- 
tust volle  Rückzug,  der  dem  treffÜchen,  imbesiegten  Heere 
über  ein  Drittteil  seinea  Bestandes  kostete  und  der  erst  hinter 
den  deutscheu  Festungen  am  Rhein  zum  Stehen  kam. 

Glücklicher  gestaltete  sich  der  Feldzug  dos  folgenden 
Jahres,  aber  grofse  entscheidende  Erfolge  brachte  auch  er 
nicht.  Diese  wurden  ebenso  sehr  durch  die  vorsichtige, 
pedantisch- methodische  Kriegtuhrung  des  Herzogs  ivio  durch 
das  gegenseitige  Mifstrauen  der  deutstdien  Grofsmächte  und 
den  Hader  ihrer  Genorale  und  Diplonrnten  verhindert.  Wohl 
eroberten  die  Österreicher  unter  dem  Prinzen  von  Coburg 
und  Clerfait  das  iliuen  gegen  Ende  dea  vorigen  Jahres  ent- 
rissene Belgien  zurück,  xind  auch  auf  dem  Kriegsschauplatze 
am  Mittelrhein,  welcher  dem  Herzoge  und  den  Preufsen  zu- 
gewiesen war,  machten  die  Waffen  der  Verbtindete,\i  F*«:^ 
schritte.     Frankiiirt  ward   von.  preufe\ac\xft^  avöä.  Vcaäs^^j»- 


806 


Zweites  Buch.    Zweiter  ÄbBcbuitt 


Truppen  mit  Sturm  genommen ,  und  Maiius ,  dessen  sich 
Custine  durch  Überfall  bemächtigt  Latte,  nach  längerem 
tapferen  Widerstünde  genötigt,  sicli  am  •22.  Juli  zu  ergeben. 
Dann  aber  geriet  der  Krieg  hier  wie  dort  ins  Stocken.  Eb 
fehlte  im  österreichischen  wie  im  preufsischen  Hauptquartiere 
an  frischem  kriegerischem  Unternehmungsgeist  An  ein  ein- 
mütiges Zusammenwirken  der  Verbündeten,  zu  denen  sich 
seit  dem  1.  Februar  auch  England  gesellt  hatte,  war  bei 
dem  Auseinandergehen  ihrer  politischen  Pläne  nicht  zu  denken. 
Die  Österreicher  hatten  die  Absicht,  sich  in  dem  französischen 
Flandern  festzusetzen,  die  Engländer  unter  dem  Herzoge 
von  York  dachten  Dünkirchen  zu  erobern,  die  Preul'sen 
richteten  ihi*e  begehrlichen  Blicke  gar  auf  Gebietserweiterungen 
in  Polen.  In  den  Niederlanden  gelang  es  den  Osterreicbern 
zwar,  die  französischen  Festungen  Conde  und  Valenciennes 
zu  erobern,  aber  diese  Erfolge  wurden  reichlich  aufgewogen 
durch  die  Niederlage,  welche  ein  Teil  des  verbündeten 
Heeres  —  es  waren  hauptsächlich  die  15000  Hannoveraner, 
welche  unter  dem  Feldmarschall  von  Freytag  zu  der  Armee 
gestofsen  waren  —  in  einer  Reihe  von  Gefochten  am  6. 
7.  und  8.  September  erlitten.  Das  lebhafteste  dieser  Ge- 
fechte fand  am  letztgenannten  Tage  bei  Handscoten  statt 
Die  Hannoveraner  zeigten  sich  hier  ihres  alten  Waffcnruhmee 
würdig.  Trotz  der  fast  dreifachen  Übermacht  des  Feindes 
und  der  Ungunst  des  Terrains,  auf  dem  sich  ihre  Reiterei 
nicht  zu  entwickeln  vermochte,  achlugen  sie  sich  vier  Stun- 
den lang  in  verzweifeltem  Kampfe,  betreieten  ihren  gefangen 
genommenen  General  und  wichen  keinen  Fufs  breit,  bis  die 
letzte  Patrone  verschossen  war.  Dann  erst  traten  sie,  von 
dem  Feinde  unvcrfolgt ,  den  Rückzug  an .  Das  Ergebnis 
dieser  blutigen  Kiiuipfe  war  der  Entsatz  von  Dünkirchen. 
Fast  zu  der  nämlichen  Zeit  ward  in  der  Pfalz  bei  Pirma- 
sens (14.  September) ,  bei  den  Weifsenbm^er  Schanzen 
(13.  Oktober)  und  bei  Kaiserslautern  (28 — 30.  November) 
zwischen  dem  Herzoge  von  Braunachweig  und  den  Fran- 
zosen unter  Pichegru  und  Hocho  heftig  gefochten.  In  allen 
diesen  Treften  bewährten  die  Preufsen  ihre  taktische  Über- 
legenheit gegenüber  den  neuen  ungcBchulten  Truppen  der 
Feinde,  aber  der  Feldzug  endete  doch  mit  einem  Rückzüge 
der  verbündeten  Heere  über  den  Rhein. 

Karl  Wilhelm  Ferdinand  war  tiber  den  Verlauf  des  Krie- 
ges tief  verstimmt.      Zögernd   nur   und   nicht   ohne   Wider- 
streben hatte  er  den  ihm  angetragenen  Oberbefehl  übernom- 
men.   Jetzt  sah  er  seine  schlimmsten  Befürchtungen  gerecht- 
fertjgt,  seine  quälende  Sorge,  Aieaftt  "Krya^  ^»^"Sö^  ^  tävo- 


Der  Herzog  legt  den  Oberbefehl  nieder. 


309 


lutionäre  Frankreich  werde  ihm  die  Lorbeeren  seiner  jungen 
Jahre,  seinen  Ruf  als  Feldherr  kosten,  erfiillt.  Sicaerlich 
war  der  Mifeerfülg  zum  groftien  Teil  seiner  eigenen  über- 
ängstlichen, allzu  methodiBchen  Führung  zuzuschreiben ,  aber 
anderseits  hatte  er  mit  den  Eingriffen  des  Königs,  init  der 
Zwietracht  und  dem  Mifstrauen  der  Verbündeten,  mit  dem 
Ungehorsam  einzelner  Untergebener  einen  schweren  Stand. 
Der  ihm  unterstellte  österreichische  General  Wurmaer  führte 
im  Elaafs  den  Krieg  aut  eigene  Faust,  unbekümmert  um  die 
Befehle,  die  ihm  der  Herzog  zugehen  liels,  und  in  der  Not 
doch  wieder  auf  seine  Hilfe  sich  verlassend.  In  solchen 
Momenten  der  Gefahr  zeigte  der  Herzog  noch  immer  das 
Feuer  seiner  Jugend,  eineu  zutreffenden  strategischen  Blick, 
die  Eutschlossenheit  des  Feldherrn.  So  bei  Pirmasens,  wo 
er  Moreau  unter  den  ungünstigsten  Verhältnissen  die  Stirn 
bot^  die  überlegene  feindliche  Kanonade  ruhig  aushiclt  und 
die  Sturmkolüniien  des  Feindes  durch  einen  gUlnzenden 
Gegenangri^  zurückwarf.  Um  so  schmerzlicher  war  es  ihm, 
dafs  der  Feldzug  unter  dem  Einflüsse  von  Umständen,  die 
zu  beseitigen  niclit  in  seiner  Macht  lagen,  ein  so  kläghches 
Ende  nahm.  Ein  Meister  in  der  Kunst  sich  zu  belierracheu, 
lieh  er  doch  jetzt  dem  bitteren  Unmute,  der  ihn  erfüllte, 
Worte,  die  selbst  den  Künig,  von  dem  er  sich  zurückgesetzt 
und  beleidigt  fühlte,  nicht  verschonteu.  Mitte  Dezember, 
nachdem  er  das  Heer  hinter  den  Rbeiu  zurückgefulu*t,  for- 
derte er  seine  Entlas.sung.  Er  machte  geltend,  dala  Mangel 
an  Einheit,  Miistrauen,  Selbstsucht  und  der  Geist  der  Kabale 
seit  zwei  Feldzügen  alle  Mafsregeln  hätten  scheitern  machen. 
„Moralisch  krank",  wie  er  sich  selbst  bezeichnete,  machte 
er  aus  seinem  Unmute  gegen  die  diplomatischen  Katgeber 
des  Königs  kein  Hehl,  deren  klügelnde  Berechnungen  die 
rasche  militärische  Aktion  geJähnit  und  durchkreuzt  hatten. 
Der  Knnig  lehnte  das  Entlassungsgesuch  ab,  aber  der  Her- 
zog wiederiiolto  es  in  den  ersten  Tagen  des  folgenden  Jah- 
res. Nun  ward  es  angenommen,  und  der  Feldmarschall  von 
Möllendorf  übernahm  den  Oberbefehl.  Mit  Thiänen  in  den 
Augen  schied  der  Herzog  von  dem  Heere.  „  Meine  Herren ", 
sagte  er  zu  den  Generalen  bei  der  letzten  Parole,  „ich  bin 
grau  geworden  mit  Ehre,  aber  in  dieser  jetzigen  Lage  ist 
keine  mehr  zu  erwarten."  Er  ging  nach  Braunschwcig  und 
übernahm,  um  eine  Lebenserfahi-ung  reicher,  hier  wieder 
persöuUch  die  Regierung  des  kleinen  Landes. 

Der  Feldzug  des  Jahres  1794  vollendete  die  Niederlage 
der  Verblmdeten  und  führte  die  Auflösung  der  Koalition 
gegen  Frankreich  herbei.   Das  ganze  WbSsä  ^ö^«vksä«ä  -wocÄa. 


i. 


310 


Zweites  Bucfa.     Zweiter  Abschnitt. 


aulgegeben,  die  reichen  Niederlande  den  Bedriickungen  und 
Aussaugungen  der  franztisiscben  Völkerbeglücker  überant- 
wortet. In  diesen  trüben  Tagen  der  aügemcincn  Verwirrung, 
Zaghaitigkeit  und  Mutlosigkeit  war  die  Verteidigung  von 
Menin  durch  eine  Hand  voll  Emigranten,  Hessen,  haupt- 
sächlich aber  Hannoveraner  ein  lichter  Punkt,  ihr  Durchbruch 
dui'ch  einen  zehnfach  überlegenen  Feind  ein  Vorgang,  un- 
bedeutend in  Vergleich  mit  den  gi'ofsen  Kreignissen,  die  sich 
ringsum  vollzogen,  aber,  an  sich  betrachtet,  eine  Waffenthat 
ei*3tcn  Ranges.  Nach  der  Niederlage  Clerfaits  durch  die 
Divisionen  von  Souhara  und  Moroau  bei  Mouscron  warf 
flieh  der  gröfste  Teil  des  französischen  Heeres  auf  die  kleine, 
verfallene,  nur  von  *200(»  Mann  beBCtzte  Festung.  Der  Platz 
schien  sich  auf  die  erste  AufVordening  ergeben  zu  inüsscn. 
Aber  drinnen  befehligte  der  hannövrische  General  von  Uam- 
merstein,  ein  Mann  von  ehernem  8toff,  ein  alter  Soldat  von 
unbezwinglichem  Mut  und  eisernem  Willen,  und  unter  ihm 
leitete  die  BefestigungBarbeiten  der  damalige  Hauptmann 
Scharnhorst,  später  der  Schöpfer  des  modernen  preufsischen 
Heeres.  „  Wir  sind  gewohnt,  unsere  Pflicht  zu  thun  und 
wei'den  uns  nicht  ergeben",  mit  diesen  Worten  wies  Ham- 
merstein Moreaus  Auffordenuig^  zu  kapitulieren,  zurück. 
Fünf  Tage  lang  hielt  er  sieh  in  dem  halb  uffonen  Orte 
gegen  die  erdrückende  Übermacht  des  Feindes.  Als  das 
französiche  Feuer  seinen  Pulvervorrat  in  die  Luft  sprengte, 
rief  er  am  Abend  seine  Oftizicre  zusammen  und  erklärte 
ihnen  seine  Absicht,  sich  mit  der  Besatzung  durch  die  dich- 
ten feindlichen  Reihen  —  2000  gegen  20000  — =  durchzu- 
schlagen. In  der  Nacht  auf  den  1.  Mai  ward  das  kühne 
Unternehmen  nach  den  musterhaften  Dispositionen  Scharn- 
borßta  ins  Werk  gesetzt  Es  gelang  vollständig.  Bald  nach 
MitterHacht  brach  man  in  zwei  Kolonneu  aus  dem  Kortryker 
und  ßrügger  Thore.  Es  entbrannte  ein  wildes  Handgeraenge, 
ein  Gemetzel,  dessen  Schrecken  durch  die  Dunkelheil  der 
Nacht  noch  vermehrt  wurden.  Von  allen  Seiten  drängten 
die  Gegner  heran,  eigenes  und  fremdes  Geschütz  sperrte  die 
enge  ytrafse ,  unter  den  Lafetten  ihrer  eigenen  Kanonen 
mulsten  sich  die  braven  hamiövrischen  Grenadiere  einzeln 
hindurchwinden,  um  eich  zum  Angriff  zu  ordnen.  Dann 
warfen  sie  sich,  ohne  einen  Öchufs  zu  thnn,  auf  den  Feind, 
brachen  sich  unter  persönlicher  Fühning  ihres  Generals 
Bahn  und  erreichten  glücklich  Brügge,  „eine  Truppe  so 
brav,  wie  irgend  eine  in  der  Welt". 

Eh' Monate  später  trat  Preufsen,  das  sich  innerlich  schoa 
Jüngst   von  der  Koalition   abgevjaai^  W\.\.q,  wiJ^  ^>Äßwu:Uch 


< 


1 


4 


Der  Friede  von  Basel. 


811 


und  öffentlich  von  dieser  zurück.  Ära  5.  April  1796  schlofs 
es  mit  der  französischen  Rejmblik  den  Separatfrieden  von 
Basel.  Wir  haben  hier  nicht  die  Gründe  abzuwägen,  die 
es  dazu  bestimmten.  Es  gab  damit  das  ganze  Linke  Rhein- 
ufer preis,  bedang  sich  aber  für  seine  eigenen  Unksrheinischea 
Gebiete  eine  entsprechende  Entschädigung  aus,  die  selbat- 
verstiindlich  nur  auf  Kosten  der  kleineren  Reichsstände, 
seiner  bisherigen  Verbündeten,  erfolgen  konnte.  Dem  nörd- 
lichen Deutschland  bis  gegen  den  Main  hin  wurde  hinter 
einer  noch  näher  zu  bestimmenden  Demarkationslinie  unter 
Preufsens  Ägide  Neutralität  zugestanden:  für  den  Fall,  dafs 
Hannover,  welches  dabei  am  meisten  in  Betracht  kam,  sich 
der  Neutralität  nicht  fügen  würde,  sollte  Preufsen  das  Land 
in  Verwahrung  nehmen.  Dieser  Friede  trug  nicht  die  Ge- 
währ langer  Dauer,  sondern  neue  Verwicklungen  in  seinem 
Schofse.  Srit  ihm  begann  die  Auflösung  des  deutschen 
Reiches.  Durch  ihn  fiel  Deutschland  schon  damals  in  drei 
Gruppen  auseinander,  von  denen  die  nördliche  dem  preufsi- 
schen ,  die  östliche  dem  österreichischen ,  der  Westen  und 
Süden  aber  dem  EinHusse  einer  fremden  Macht,  demjenigen 
Frankreichs,  überliefert  ward.  Auch  die  nächste  Zukunft 
der  weifischen  Lande,  besonders  Hannovers,  zeichnete  sich 
bereits  in  schwachen  aber  doch  erkennbaren  Linien  in  die- 
sem Vertrage  ab.  Wir  werden  in  dem  folgenden  Abschnitte 
das  au.sgeiilhrte  Bild  zu  betrachten  haben,  zu  dem  sie  sich 
gestaltete. 


Dritter  Abschnitt. 
Frenidlierr.sehaft  und  Bcfrcinn^. 


Der  Friede  von  Basel  führte  zunächst  den  Zerfall  des 
grofsen  Bündnisses  herbei ,  welches  bisher  fast  das  ganze 
monarchische  Europa  gegen  die  junge  französische  Re- 
publik vereinigt  hatte.  Die  zweite  Macht  Deutachlands, 
die  Monarchie  des  grofsen  Friedrich,  die  vor  allen  «Avifix^xs- 
Staaten  zum  Kriege  gegen  die  Ma.c\xtVa^iet  «av  %ß^  'icj^soÄ  i^ 


J 


812 


Zweites  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


drängt  und  dieses  Bündnis  betlieben  hatte,  sagte  sich  nicht 
nur  zuerst  von  ihm  los,  sondern  suchte  auch  andere  deutsche 
Staaten  zu  demselben  Schritte  zu  bestimmen.  In  Berlin 
scheint  man  damals  an  eine  Erneuerung  des  von  Friedrich  IL 
gegründeten  Fürstenbundes  gedacht  zu  haben,  wenigstens 
enthielt  der  Vertrag  von  Basel  eine  Klausel,  wonach  es  allen 
Keichsatänden  freistehen  sollte,  sich  innerhalb  der  nächsten 
drei  Monate  ihm  anzuschhelsen.  Doch  hatten  diese  Ver- 
suche so  gut  wie  gar  keinen  Erlolg.  So  klüglich  und  ver- 
worren die  Zustände  im  Kelche  damals  auch  sein  mochteti, 
die  öffentliche  Meinung  sprach  sich  überwiegend  mit  Ent- 
rüstung über  diesen  einseitigen  Frieden sschlufs  aus,  welcher, 
indem  er  Österreich  isolierte  und  den  französischen  Waffen 
das  Übergewicht  am  liheine  vorschaffte,  Deutschland  toir  die 
Zukunft  mit  unabsehbaren  Getahren  zu  bedrohen  schien  und 
in  der  Thai  die  zwanzigjälunge  Vorherrschal't  Frankreichs 
angebahnt  und  die  Knechtung  Deutschlands  herbeige-  ^J 
fuhrt  hat.  M 

Der  AbschluTs  des  Friedens  fiel  gerade  in   die  Zeit,  wo  ^t 
die  französische  Kepublik  nach  dem  Sturze  des  Terrorismus 
und    der  Bewältigung  der  royalistischen  Aul'stände   in  den 
Provinzen  sich    'm\   Innern   zu   befestigen   begann   und    nun   ^j 
das  Direktorium   unter  Carnots   KinflupR  erneuete   Anstren-  ^M 

fungen    machte,     den    Krieg    mit    Eriblg     weiterzutiihren.   ^1 
eine   ganze  Wucht   fiel  jetzt    auf  Österreich,  das   infolge 
der  unglücklichen  Feldzüge  von  179G  und  1797  sich  seiner-  ^H 
seits  genötigt  sah,  die  AVaffen  niederzulegen   und   den  Frie-  ^H 
den  von  Campo  Formio  zu  scliliefseu,  welcher  in  einem  ge- 
heimen Artikel  Frankreich  die  Abtretimg  des  ganzen  linken 
Kheinuiers,  soweit  dies  zum  deutschen  Reiche  gehörte,  mit 
Ausnahme  der  preulsischen  Gebiete  Cleve,  Meurs  und  Gel-  ^^ 
dem  zusicherte.     So  war  die  alte  seit  Ludwigs  XIV.  Tagen  ^M 
behauptete  Westgreiize  des  deutschen  Reiches  von   den  bei- 
den  deutschen   Gro(smächten    schon    preisg^eben ,    als   am 
9.  Dezember  1797    in  Rastatt  der  Kongrefs  zusammentrat, 
welchem   neben   den   Verhandlungen    des   Friedens   für   das 
deutsche  Reich  hauptsächlich  die  Aufgabe  zufiel,  für  die  an 
Frankreich  durch  die  geheimen  Artikel  der  Friedensschlüsse 
von  Basel  und  Campo  Formio  abgetretenen  linksrheinischen  ^t 
Gebiete  den   betreffenden   Staaten    eine   Entschädigung   auB-  ^H 
zumitteln  und  zuzuweisen.     Indem  man  zu  liastatt  die  Aus-  ^fl 
Schlachtung  und  Beraubung  der  kleineren  Reichsstände  und 
der  geiöthchon  Territorien  zum  Prinzip  erhob,  gestaltete  sich 
der  KoDgrel'a   zu  einer  Leichenfeier   des  heiligen   römischen 
Meicbes,   wie   man   ihn   gcnauat  \\ftX.     V\«o.Wu,  Ää»  uord- 


ZostSode  im  Reiche. 


31S 


L 


deutsche  OrofsiDocht,  segelte  seit  dem  Frieden  von  Basel 
ganz  in  dein  Fahrwasser  der  französischen  Hepubük.  Schon 
179*1  hatte  es  sich  von  dieser  Vergrölserungon  zusichern 
lassen.  £9  war  natürlich,  dafs  die  schwächeren  Staaten 
Norddeutachlands,  dals  auch  Hannover  eine  solche  Politik 
mit  niifstrauischen  Augen  ansahen.  Ein  niedersächsischer, 
zu  Hildesheim  gehaltener  Kreistag  beschlofs  damals,  um  die 
in  Basel  vereinbarte  Deraarkationelinie  vor  iranzösischen 
Übergriffen  zu  sichern,  eine  Truppenaui'stelhing  am  Unter- 
rhein,  an  der  sich  auch  Hannover  beteiligte.  Es  ist  bekannt, 
wie  der  Kongrefa  von  Rastatt,  noch  ehe  man  zu  irgend  einer 
Vereinigung  gekommen  war,  sich  inl'olge  der  neuen  Koa- 
Utiun,  zu  der  sich  inzwischen  Osterreich,  Hufsland,  England 
und  Neapel  verbündet  hatten,  auflöste,  wie  der  dann  aus- 
brechende Krieg  von  1799  in  Italien,  der  Schweiz  und  am 
Oberrhein  den  Verbündeten  anfangs  grofee  Eirfolgc  ein- 
brachte, die  aber  im  folgenden  Jahre,  nach  dem  Rücktritte 
Rufslands  von  der  Koalition,  durch  den  Sieg  Napoleon  Buo- 
napartes  bei  Marengo  und  denjenigen  Moreaus  bei  Hohen- 
linden  so  vollständig  aufgewogen  wurden,  dafa  Osterreich 
aich  dazu  bequemen  mufate,  am  9.  Februar  1801  den  Frie- 
den von  Luneville  zu  schliefsen ,  der  im  wesentlichen  die 
Abmachungen  von  Campe  Formio  bestätigte  und  der  von- 
seiten des  Kaisera  auch  für  das  deutsche  Reich  geschlossen 
ward.  Ein  Jahr  später  (27.  März  1«02)  machte  dann  Eng- 
land, bisher  die  Seele  der  gegen  Frankreich  gerichteten 
Bündnisse,  zu  Amiens  gleichtalls  seinen  Frieden  mit  dieser 
Macht  oder  vielmehr  mit  Buonaparte,  der  damals  bereits 
der  Revolution  den  Fufs  auf  den  Nacken  gesetzt  und 
das  Erbe  der  Jakobiner  und  des  Direktoriums  angetreten 
hatte. 

Während  diese  die  alte  Ordnung  Europas,  vor  allem 
aber  Deutschlands  mit  völligem  Umaturz  bedrohenden  Er- 
eignisse sich  vollzogen,  befand  sich  das  Kui-fürstentum  Han- 
nover in  einer  eigentümlichen,  keineswegs  beneidenswerten 
Lage.  Mit  dem  grofsbri tannischen  Reiche  unter  demselben 
Herrscher  zu  einer  Personalunion  verbunden,  war  es  zugleich 
ein  Mitglied  des  deutschen  Reiches.  Die  hannövrische  Re- 
gierung war  unter  Zustimmung  des  Königs  Georg  IH.  dem 
Baseler  Frieden  beigetreten  oder  hatte  sich  doch  —  wie  die 
Dinge  lagen  —  diesen  Frieden  gefallen  lassen  müssen,  wäh- 
rend England  den  Ki'ieg  gegen  Frankreich  mit  uugeschwach- 
ten  Kräften  fortsetzte.  Als  Mitglied  des  hinter  der  Demar- 
kationslinie gelegenen  Staatenbundes  hatte  Hannover  arafia. 
verbal tniÄmä/ei^  sehr  bedeutenden  TeiX  Ä.exl^Q%\ftti.TÄ  \x^^c^i 


Sil 


Zweites  Buch.    Dritter  Abgclintti. 


welche  die  Besetzung  jener  Linie  verursachte.  Diese  Koster 
hetrugen  wühread  der  sechs  Jahre  vom  Frieden  zu  Basel 
bis  zu  demjenigen  von  Luneville  nicht  weniger  iila  acbt 
Millionen  Thaier.  War  dies  schon  eine  schwere  Last  für 
das  Land,  so  gestaltete  sich  die  politische  Lage  der  Dinge 
iür  dasselhe  noch  bedenkUcher,  ja  geradezu  gefahrdrohend, 
als  Kaiser  Paul  von  Rulsland;  durch  den  Ausgang  des  Koa- 
litionskrieges bitter  enttäuscht  und  plötzlich  aus  einem  hef- 
tigen Gegner  des  ersten  Konsuls  zu  seinem  lebhaften  Be- 
wunderer umgeschlagen  ,  mit  den  benachbarten  See- 
und  Küsten  Staaten  zweiten  Ranges  g^en  England  die 
„nordische  Seeneutratität"  zustande  brachte,  die  sich  gegen 
die  von  England  rücksichtslos  gehandhabte  Durchsuchung 
neutraler  Schiffe  richtete.  Diesem  Bündnis  trat  aufser  Schwe- 
den und  Dänemark  auch  PrenJsen  bei.  Trotzdem  die  Engüln- 
der  gegen  das  letztere  weit  weniger  raach  und  gewaltthätig 
verfuhren,  liefö  sich  König  Friedrich  Wilhelm  111.  teils 
durch  das  Ungestüm  seines  russischen  Bundesgenossen ,  der 
von  ihm  die  Schliefaung  der  Elbe-  Weser-  und  EmsmünduDg 
verlangte,  teils  wohl  auch  schon  durch  eigene  Hegehrlichkeit 
bestimmen ,  ohne  vorhergegangene  Kriegserklärung  seine 
Truppen  in  Hannover  einrücken  zu  lassen  und  den  Kur- 
Staat  in  preufsische  Verwaltung  zu  nehmen. 

Bei  diesem  Gewaltstreiche  haben  offenbar  die  Verlock-' 
ungen  Buonapartea,  der  dadurch  England  und  Preulsen 
tödlich  zu  entzweien  gedachte,  eine  Rolle  gespielt.  Trotz  des 
in  Hannover  schon  längst  bestehenden  Mifstraueus  gegen  die 
Pläne  der  preufsischen  Politik  hatte  man  hier  keine  Vor- 
sieh tsmafsregeln  getroffen.  Das  von  dem  Grafen  von  Wall- 
moden-Gimbom  befehligte  Heer  war  über  das  ganze  Land 
zerstreuet  und  konnte  nicht  daran  denken,  einen  aussichts- 
vollen  Widerstand  zu  leisten.  Während  das  preufsische 
Koips,  welches  bisher  in  Westfalen  gestanden  und  die  De- 
markationslinie besetzt  gehalten  hatte,  24  000  Mann  stark, 
unter  dem  General  von  Kleist  in  das  Land  einrückte  und 
auch  Oldenburg  und  Bremen  besetzte,  erschien  am  2.  April 
1801  der  preulaischc  Minister  Graf  von  der  Öchulenbui^ 
Kehnert  in  Hannover,  um  von  dem  Lande  namens  seiner 
Regierung  Besitz  zu  ergreifen.  Er  brachte  eine  von  dem 
Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten  in  Berlin,  dem| 
Grafen  von  Ilaugwitz,  unterfertigte  ., Deklaration "  mit,  die 
er  noch  an  demselben  Tage  dem  Geheimenrate  in  Hannover 
mitteilte.  „Zur  Handhabung  des  angefochtenen  Bündnisses", 
hieta  es  m  diesem  Schriftstücke,  „und  zur  Wieder  Vergeltung 
des   dagegen    unternommetven    ieVnäXvcVcw  ^ifisa.^öm&T&  «ehe 


Besetsong  HannoTers  durch  die  Preufsen. 


S15 


sich  Preufsen  genötigt,  nicht  nur  die  Mündungen  der  Elbe, 
Weser  und  Ems  zu  sperren,  sondern  auch  alle  in  Deutsch- 
land gelegenen  iStaaten  Sr.  britischen  Majestät  in  Besitz  zu 
nehmen."  Demgemärs  wurde  der  Adoiinistrationsnoxus  zwi- 
schen den  Lundeskollegien  und  dem  Könige  von  Kngland 
für  aufgehoben  erklärt  und  das  Ministerium  in  Hannover 
bedeutet,  es  habe  sich  in  allem  den  preulsischen  Anordnungen 
nicht  nur  inbezug  auf  die  einrückenden  Truppen,  sondern 
auch  auf  die  Landesaneelcgcnheiten  zu  fügen:  das  han- 
növrische  Korps,  das  die  Demarkationslinie  mit  besetzt  hielt, 
solle  „demobilisiert,  von  den  übrigen  Truppen  ein  verhält- 
nismälsiger  Teil  beurlaubt  werden".  Die  Verpflegung  der 
preufsischen  Beßatzungstruppen  wurde  in  ihrem  vollen  Um- 
fange dem  Lande  aufgebürdet.  Man  war  preufsischerseits 
bemühet,  diesem  ganzen  unerhörten  Verfahren  den  Anschein 
eines  Aktes  der  Notwehr  zu  geben  und  der  Meinung  ent- 
gegenzutreten, als  ob  es  sich  um  eine  bleibende  Eroberung 
handele.  Allein  wie  richtig  eine  solche  Annahme  war,  zeigte 
sich,  als  durch  den  plötzlichen  Tod  dos  Kaisers  Paul  von 
Rufsland  (in  der  Nacht  vom  23.  auf  den  24.  März  1801) 
ganz  veränderte  politische  Verhältnisse  geschaffen  wurden, 
welche  dem  Vorgehen  des  Berliner  Hofes  jeden  Grund  und 
Boden  entzogen.  Kaiser  Alexander  beeilte  eich,  das  durch 
die  Seeneutrahtät  gestörte  gute  Einvernehmen  mit  England 
wiederherzustellen,  gab  sogleich  Befehl,  das  auf  die  eng- 
lischen Schiffe  in  den  russischen  Häfen  gelegte  Embargo 
aufzuheben  und  wufste  auch  die  Höfe  von  Stockholm  und 
Kopenhagen  für  eine  Ansicht  über  die  Grundsätze  der  Be- 
handhmg  neutraler  Schiffe  zu  gewinnen,  welche  den  ganzen 
Streit  mit  England  beseitigte.  Damit  fiel  jeder  Grund  iur 
die  Verlängerung  der  Okkupation  des  Kurstaates  durch  die 
preufsischen  Truppen  fort.  Trotzdem  und  trotz  der  wieder- 
holten Vorstellungen  Georgs  HI.  wichen  diese  nicht  aus  dem 
Lande.  Zwar  erklärte  der  prexifsischo  Gesandte  Baron  Ja- 
kobi  schon  im  April,  dafs  sein  König  bei  den  jetzigen  ganz 
Teränderten  Umstäaden  seine  Streitigkeiten  mit  der  Krone 
England  gütlich  beizulegen  wünsche,  aber  die  Besetzung  des 
Landes  müsse  fortdauern.  Erst  gegen  Ende  Oktobers,  als 
bereits  die  Friedenspräliminarien  zwischen  England  und 
Frankreich,  die  dann  zu  dem  Frieden  von  Amiens  iuhrten, 
begonnen  hatten ,  scliickte  sich  das  praulsische  Besatzungs- 
heer an,  den  Kurstaat  zu  räumen.  Slan  mochte  in  Berhn 
zu  der  Erkenntnis  gekommen  sein,  dafs  es  doch  nicht  ohne 
Gefahr  sei,  sich  mit  England,  ohne  auf  irgend  welche  R\w\.- 
deagenosscn    rechnen    zu    können ,    iti   evaeu   ^a^Ei^l    «s^ät»-- 


BI6 


Zweites  Bucb.    Dritter  Abschnitt 


lassen.  Im  Kovember  sah  sich  das  Land  seinem  recht- 
mäfsigen  Herrscher  zurückgegeben,  und  die  hannövrischen 
Behörden  traten  überall  wieder  in  Tliätigkeit. 

Diese  ungerechte,  unnötige  und  iruchtlose  Besetzung 
HannoverSj  die  dem  Lande  während  ihrer  halbjährigen  Dauer 
die  Summe  von  mehr  als  1 2üO  OÜO  Thalern  gekostet  hat, 
liefö  trotz  der  guten  Mannäzucht,  welche  die  preufsischen 
Truppen  gehalten,  und  trotz  der  schonenden  Rücksicht,  die 
ihr  Befehlshaber  hatte  walten  lassen,  in  Hannover  eine  tiefe 
Verstimmung  gegen  den  grüi'aeren  Nachbarstaat  zurück  und 
hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  im  hannövrischen  Volke 
die  Erinnerung  an  die  frühere  Waflengenosaenscliai't  und  die 
gemeinsam  ertochteocn  Siege  gegen  FrauzosoU;  Dänen  und 
Schweden  zw  verwischen.  Man  gewöhnte  sich  in  Hannover 
dai-au,  Preulsen  als  den  begehrlichen,  nach  dem  Besitze  de» 
Landes  lüsternen  Nachbar  zu  betrachten,  der  die  erste  gün- 
stige Gelegenheit  benutzen  werde,  um  durch  die  Einver- 
leibung des  Kurstaates  die  geographische  Lücke  auszufüllen, 
welche  die  gröfsere  Osthälfie  der  Monarchie  von  ihrer  klei- 
neren Westhälfte  trennte.  Und  in  der  That  sollten  die  Er-  , 
eignisse  schon  der  nächsten  Jahre  diese  Befürchtungen  nue^H 
allzu  sehr  bestätigen.  ^^ 

Nach    dem    Frieden   von   Luneville   war   in   Kegensburg       I 
der  Beschlufä  gefafst,  durch  eine  besondere  Reichs dep Uta tion       ' 
die  Verhandlungen  wegen    der  Entschädigung    der    früheren 
Besitzer    der    linksrheinischen ,    an   Frankreich  abgetretenen 
Gebiete,  die  der   zweite  KoaÜtionakrieg   unterbrochen    hatte, 
wieder   autzunehmen   und   zum  Abschlufs  zu  führeu.      Die       | 
Beschlüsse  dieser    völlig   unter   Frankreichs    und  Rul'slands       1 
Einflüsse   stehenden   Reichsdeputation ,  die  gegen  Ende   des       I 
Jahres    1801    zusammentrat,    vollendete    die   Auflösung   des       j 
alten  Reichskörpers.    Man  weiis,  ein  wie  schmählicher  Scha-       ■ 
eher  hier  mit  den  Temtorien  des  ehemals  heiligen  römischen       | 
Reiches    getrieben    ward.      Selbst    die    gröiseren    deutschea 
Staaten,  die  sich   noch   immer   als   europäische   Grofsmäch 
fühlten,  entblödeten  sich  nicht,  sich  wetteifernd  um  die  Gunst 
bald  des  ersten  Konsuls  in  Paris,  bald  des  Czaren  in  Peters- 
burg zu  bewerben,  um  aus  den  Spoiien  des  einst   so  mäch-i 
tigen  Gennaniens  so  viel  Länderhesitz  wie   nur  immer  mög- 
lich herauszuschlagen.     Preufseu  achlofs  bereits   am  23.  Mai 
180ti  mit   ßuonaparte   eine   Übereinkunft,   wonach   ihm   die 
Bistümer  Paderborn  und  Uildesheim,  ein  Teil  von  Münster, 
das    bisher   mainzische   Eichsfeld,    Erfurt    und   die   Abteien 
Elteiij  Essen    und  Werden  als  Entschädigung  für   die  weit 
weniger  umfengreichen  GeViiete  "^CTvm\&  Öl^*  ^itfÄßSÄ  ui  Aus- 


RdchsdepatatioDshaaptschlars. 


sieht  gestellt  wurden.  Ein  königliches  Patent  vom  6.  Juni 
verkündete  der  Welt  diese  Abmachungen,  und  am  3.  Auß^ust, 
während  die  Verhandlungen  in  liegensburg  noch  fortdauer- 
ten, sechs  Monate  vor  ihrem  Absclilurs^  rückten  preufRisclie 
Truppen  in  die  oben  genannten  Gebiete  und  nahmen  überall 
für  ihren  Kriegsherrn  die  Uuldigoug  der  Bevölkerung  ein. 
Vergebens  machte  der  König  Georg  III.  die  alteren  Rechte 
geltend,  die  Hannover  an  HildesLeim  hatte  und  die  in  der 
auch  jetzt  noch  ihm  zustehenden  Schutzherrechaft  über  das 
Stift  ihren  Ausdruck  fanden.  Das  preui'siache  Kabinet 
wofste  es  namentlich  bei  Ruialand  durchzusetzen,  dafs  diese 
Macht  ihren  anlanglichen  Widerspruch  gegen  die  Erwerbung 
Hildeäbeims  aufgab.  So  sprach  denn  der  Heichsdeputations- 
hauptßchlufa,  der  nach  langen  Verhandlungen  am  25.  Fe- 
bruar 1803  zustande  kam,  Preulsen  die  von  ihm  bereits  in 
Besitz  genommenen  Gebiete,  also  auch  das  Hochstift  Hildes- 
heim zu,  indem  er  noch  die  Abteien  Herford,  Quedlinburg 
und  Kappenberg,  sowie  die  Reichsstfidte  Mühlhausen,  Nord- 
hausen und  Goslar  hinzufügte,  ein  LUnderkomplex,  der  das 
von  ihm  Aufgegebene  vierfach  ersetzte.  Hannover  erlangte 
dagegen  nur  die  Einverleibung  des  Hochstiftes  Osnabrück, 
dessen  alteruierende  Besetzung  mit  einem  Prinzen  seinefl 
Hauses  ihm  seit  dem  westTälischen  Frieden  zustand,  wogegen 
es  das  Amt  Wildeshausen  an  Oldenburg  abtrat,  auf  seine 
Ansprüche  an  die  Grafschaft  Sayn-Altenkii-chen  zugunsten 
Nassaus  verzichtete  und  seine  Rechte  und  Einkünfte  in  den 
Städten  und  Gebieten  von  Hamburg  und  Bremen,  sowie  seine 
Schutzherrschaft  über  Ilildesheim ,  Corvey  und  Höxter  auf- 
gab. Dem  Herzogtume  Braunschweig  wurden  die  bisher 
reichsfreien  Abteien  Gandersheim  und  St.  Ludgeri  bei  Helm- 
stedt einverleibt. 

Die  Hartnäckigkeit,  mit  derPreufsen  auf  der  Erwerbung 
des  Stiftes  Hildesheim  bestanden,  und  die  Mittel,  deren  es 
sich,  um  sie  zu  erlangen,  bedient  hatte,  namentlich  sein  enger 
Anschlufs  an  Frankreich,  waren  geeignet,  dem  Argwohne, 
als  strebe  es  noch  immer  nach  dem  Besitze  des  ganzen  Kur- 
staates, in  dessen  Ländergebiet  oa  sich  jetzt  nach  der  Ein- 
verleibung Hildesheims  mitten  hineinschob,  neue  Nahrung 
zu  geben,  öehou  die  nächsten  Jahre  erhoben  diesen  Arg- 
wohn zur  Gewifsheit.  Zunächst  freilich  sollte  das  Land  der 
unersättlichen  Erober ungsgier  des  ersten  französischen  Kon- 
suls zur  Beute  werden  und  alle  Drangsale  und  Schrecken 
einer  brutalen  Fremdherrschaft  erfahren.  Der  Friede  von 
Amiens  erwies  sich  nach  kaum  einjähriger  Dauer  als  unKidl- 
bar.    Am  18.  Mai  J803  erklärte  E.ng\a.Tidi,  ^<avt\i.\.  ^>ax^  ^ä» 


81S 


Zweitea  Buch.     Dritter  Abscbnitt. 


4 


Übergriffe  BuoEaparteSj  von  neuem  den  Krieg  an  Frank- 
reich, um  von  nun  an  die  Waffen  nicht  wieder  ruhen  zu 
lassen^  bis  das  bald  darauf  erstandene  frauzösisehe  Cäsaren- 
tum  zerschmettert  am  Boden  lag.  Es  trat  diesesmal  in  den 
Kampf  allein,  ohne  alle  l'estländiache  Bundeegenossen ,  ein. 
Dadurch  wurde  fUr  die  beiden  kriegführenden  Mächte  eine 
eigentümhche  Lage  geschaffen:  ein  Kampf  für  beide  Teile 
ohne  greifbare  Angriffsobjekte.  Weder  vermochte  die  kon- 
tinentale Übermacht  Buonapartea  das  seebe herrschende  Grofa- 
britaimien  zu  troffen,  noch  auch  das  maritime  Übergewicht 
des  letzteren  Frankreichs  Machtätellung  auf  dem  Festlande 
bleibend  oder  auch  nur  momentan  zu  erschüttern.  Da  bot 
sich  dem  französischen  Tbatondrauge  das  durch  die  preulsische 
Besetzung  finanziell  geschwächte  und  militflrisch  zerrüttete 
Kurfürstentum  Hannover  als  willkommene  Beute  dar.  Ge- 
niäfs  seinem  Grundsatze,  „man  müsse  den  Feind  überall  da 
suchen,  wo  inan  ihn  zu  fabsen  vermöchte",  beschlufs  Buo-  ^J 
naparte  die  Überrumpelung  Hannovers.  Er  sammelte  bei  ^| 
Kymwegen  in  aller  Stille  eine  Truppenmacht,  angeblich  zu  ^^ 
einer  Expedition  nach  Louisiana,  in  Wahrheit  aber,  wie  der 
Käme  „Armee  d'Hanovre*'  der  Welt  bald  verkünden  sollte, 
zur  Eroberung  des  Kurstaates  bestimmt,  und  atelite  einen 
seiner  bewährtesten  Heerführer,  den  General  Mortier,  an 
ihre  Spitze.  Nach  Berlin  sandte  er  den  Obristen  Duroc,  um 
hier  die  bevorstehende  Besetzung  Hannovers  zur  Kenntnis 
des  Königs  zu  bringen.  Preufsen  hätte,  da  sich  der  Kur- 
staat  dem  Frieden  von  Basel  und  der  damals  vereinbarten 
Neutralität  des  nördhchen  Deutschland  angeschlossen  hatte, 
die  Verpflichtung  gehabt,  der  Absicht  der  Franzosen  nötigen- 
falls mit  den  Waffen  in  der  Hand  entgegenzutreten.  Seine 
Ehre  und  seine  eigene  Sicherheit  schienen  dies  aufserdem 
zu  fordern.  So  dachte  auch  König  Georg  III.,  welcher,  als  die 
Gefalir  näher  rückte,  seinem  Sohne,  dem  Herzuge  von  Cam- 
bridge, der,  ohne  Mitglied  der  Regierung  zu  sein,  im  han- 
növriöchen  Heere  eine  hohe  BofehUhaberstelle  bekleidete ,  riet, 
sich  zuerst  an  Preufsen  um  Beistand  zu  wenden  und  erst, 
wenn  dies  erfolglos  und  jeder  wirksame  Widerstand  un- 
möglich sei,  das  Heer  nach  Stade  zu  Jühren,  um  es  von  da 
nach  England  in  Sicherheit  zu  bringen.  Aber  in  Berlin 
konnte  man  sich  zu  einem  solchen  Schritte,  der  die  Freund- 
schaft Buouapartes  verscherzt  haben  würde,  nicht  entschliefsen. 
Man  machte  zwar  den  Versuch,  durch  das  Angebot  einer 
Besetzung  des  Landes  durch  preufsische  Truppen  von  Eng- 
land die  Befreiung  der  preufsischen  Schiffe  von  dem  Durch- 
suchüugsrechte  zu  erpreBsen  uaÄ,  »\ä  ä!\c%  HrivJsRJtixjL^,  dia  bri- 


I 


Bedrohung  Uatmovers  durch  die  Fraasoaen. 


819 


tische  Regierung  selbst  zu  einer  Okkupation  Hannovers  zu 
veranlassen.  Allein  England  lehnte  auch  diese  Zumutung 
ab.  Die  ganz  uazeitgemäi'sen  Bemühungen,  spater,  als  Han- 
nover bereits  in  den  Händen  der  Franzosen  war,  dem  ersten 
Konsul  durch  gütliche  Vorstellungen  das  Land  wieder  zu 
entwinden,  wurden  in  schroffer  Weise  von  ihm  zurück- 
gewiesen. Auch  von  Englands  Seite,  wo  man  die  Ver- 
bindung mit  den  Erbstaaten  des  Königs  stets  als  eine 
drückende  Last  empfunden  hat,  geschah  nichts,  um  jene  vor 
der  Vergewaltigung  durch  einen  übermütigen  und  über- 
mächtigen Feind  zu  schirmen.  Herr  von  Lenthe,  der  Staats- 
imd  Kabinetsminister  üeoi'gs  Hl.  l'ür  die  deutsche  Kanzlei, 
erteilte  am  13.  Mai  von  London  aus  den  zweideutigen  Rat: 
„wenn  man  das  Land  vor  einer  Invasion  glaube  schützen 
zu  könneuj  so  sei  alles  daran  zu  setzen,  andernfalls  die  zu 
ergreifenden  Mafsregeln  danach  einzurichten ,  die  unglilck- 
liche  Lage  desselben  nicht  noch  durch  unnütze  Opfer  zu 
steigern  ". 

So  eah  sich  Hannover  dem  drohenden  feindlichen  Ein- 
brüche gegenüber  auf  seine  eigenen  Kräfte  augewiesen,  und 
diese  waren  damals  unzulänglicher  und  geringer  als  je  zu 
einer  anderen  Zeit.  Die  Verwaltung  lag  in  den  Händen 
zaghafter,  zum  Teil  untUhiger  Männer,  von  denen  man 
aufserdem  bei  der  eigen t um Uchen,  unglücklichen  Stellung  des 
Kurstaates  zu  England,  bei  seiner  ungünstigen  geographi- 
schen Lage  kaum  einen  heldenhaften  Entschlufs  zu  erwarten 
berechtigt  war.  Die  StaatskaBse  war  infolge  der  vorauf- 
gegangenen  preufsischen  Okkupation  leer,  das  Heer ,  auf 
9000  Mann  vci-mindert,  litt  Mangel  an  den  nötigsten 
Ausrüstnngsgegenständen,  namentlich  fehlte  es  der  Reiterei 
und  Artillerie  m  dem  Lande  einer  ausgedehnten  Pferdezucht 
an  brauchbarem  Reit-  und  Bespannungsmaterial.  Der  Feld- 
marschail  von  Wallmoden,  ein  Mann  aus  der  Kriegsschule 
des  Herzogs  Ferdioand  von  Braunschweig,  der  sich  während 
des  Feldzuges  in  Flandern  als  braver  Ofüzier  bewährt  hatte, 
jetzt  aber  unter  dem  Drucke  einer  schwerwiegenden  Ver- 
antwortung, aufserdem  von  London  aus  angewiesen,  gemein- 
schaftlich mit  dem  Ministerium  zu  liandeln  und  nichts  ohne 
dessen  Zustimmung  zu  imternchmen ,  sah  sich  in  die  pein- 
lichste Lage  versetzt.  Er  hatte  schon  früher  bei  seinen  Be- 
mühungen, das  Heer  zu  ergänzen  und  neu  zu  organisieren, 
die  Unbehilflichkeit  der  schleppenden  Reglerungamaschlno 
in  Hannover  erfahren,  deren  Seele  der  geheime  Kabinets- 
rat  Rudioff  war,  ein  lahiger  und  in  den  Geschäften  gewandter 
aber  rechthaberischer  Beamter,  der  Bi<iV  tc<i\z  ^^s^x  wa&  Vääv- 


Zweites  Bach.    Dritter  Abschnitt. 


don  einlaufenden  Warnungen  in  den  Gredanken  verrannt 
hatte,  dafa  keine  Gefahr  vonseiten  Prankreichs  zu  befürch- 
ten sei.  Wallmoden  wandte  sich  am  20.  April  mit  der  An- 
frage nach  Hannover,  ob  man  die  Weser  ernstüch  zu  ver- 
teidigen gedenke,  wo  er  die  Truppen  zusammenziehen  solle 
und  bis  wie  weit  die  Mittel  der  Gegenwehr  auszudehnen 
seien.  Er  erhielt  die  berühmt  gewordene  Weisimg  zur  Ant- 
wort: „alles  zu  vermeiden,  waa  Ömbrage  und  Aufsehen  er- 
regen könne  und  dadurch  etwas  zu  attiriereu  vermögend 
wäre ,  vielmehr  waa  möglich  und  dienlich  sei,  zu  veran- 
stalten und  vorzubereiten,  um  die  Willenam einung  des  Königs 
zu  erfüllen".  Kurze  Zeit  darauf  soll  ihm  sogar  der  Befehl 
erteilt  sein,  „den  Truppen  das  Feuern  zu  untersagen  und 
nur  im  dringendsten  Notfall  das  lUyonett  mit  Moderation 
zu  gebrauchen ".  Darauf  legte  Wallmoden  in  mehreren  Be- 
richten den  regierenden  Herren  in  Hannover  die  Sachlage 
dar.  Er  drang  auf  eine  schleunige  Vermehrung  des  Heeres, 
das  man  leicht  auf  28  bis  30000  Mann  bringen  könne,  eine 
Truppenmacht,  mit  der  man  schon  eine  wirksame  Ver- 
teidigung fuhren  oder  im  Fall  eines  ungünstigen  Ausganges 
wenigstens  eine  ehi'envoUe  Kapitulation  erzwingen  könne. 
Die  Folge  war  eine  ganz  thörichte  Mafsregel.  In  einem  Er- 
lafs  vom  16.  Mai  wurden  sämtliche  Landesimterthanen  auf- 
gefordert, „  zur  Rettung  des  Vaterlandes  sich  unweigerlich 
zu  stellen",  die  Renitenten  und  Säumigen  mit  dem  Verlust 
ihres  Vermögens  und  ihres  zu  erhoflfenden  Erbteiles  bedrohet. 
Es  war  eine  kindische  Wiederholung  der  levöe  en  nm8B6| 
die  einst  nach  der  französischen  Legende  Frankreich  ge- 
rettet hatte,  die  aber  bei  dem  Charakter  des  niedersäcbsischen 
Volkes  jede  Wirkung  verl'ehite.  Schon  acht  Tage  später 
sah  sich  das  Ministerium  genötigt ,  diesem  Manifeste  eine 
Erklärung  folgen  zu  lassen,  welche  einer  Zurücknahme  des- 
selben gleichkam.  Während  die  Franzosen,  teilweise  durch 
preuisisches  Gebiet  marschierend,  sich  dem  Lande  näherten, 
wuchsen  hier  Verwirrung  und  Ratlosigkeit.  Man  beschlofa 
jetzt,  dem  bereits  bis  gegen  Diepholz  vorgerückten  Feinde 
eine  Deputation  entgegenzusenden,  um  von  ihm  unter  Be- 
rufung auf  das  Völkerrecht  und  die  V^erträge  von  Basel  und 
Luneville  die  Anerkennung  der  NeutraHtilt  des  Landes  zu 
erlangen.  Während  diese  sich  aufmachte,  um  das  Haupt- 
quartier des  Feindes  aufzusuchen,  erschienen  die  französischen 
Vortruppen  auf  der  Strafse,  die  von  Diepholz  über  Suh- 
Hngen  zur  Weser  führt.  Hier  standen,  von  dem  Herzoge 
voa  Cambridge  über  die  Weser  vorgeschoben,  vier  Bataillone 
J^ufarolkj  zwei  Reiterregimenter  \mi  evafe"Ä^ttssna  >uiter  de 


Konvention  von  Suhliugen. 


sn 


Oeneral  von  Hammerstein,  dem  Verteidiger  von  Menin.  Bei 
dem  Dorfe  Borstel  kam  es  am  2.  Juni  zu  einem  Gefechte, 
in  welchem  die  Franzosen  zurückgewiesen  wurden ,  dem 
einzigen  teindlichen  Zusammentreffen  in  diesem  absonder- 
lichen Kriege.  Denn  alsbald  erliielt  Hammeratein  die  Woi- 
8img,  hinter  die  Weser  zurückzugehen,  da  inzwischen  die 
Deputation  aus  Hannover  angelangt  war:  „es  sei  wegen  der 
entamirten  Unterhandlung  mit  den  Franzosen  der  Grundsatz 
etablirt ,  keine  Feindseligkeiten  zu  erwidern ,  sondern  sol- 
chen möglichst  auszuweichen". 

Die  eingeleitete  Unterhandlung  fiihrte  zu  der  Kapitulation 
von  Suhlingen.  Der  französische  General  verlangte,  dafs 
sich  die  ganze  hannövinsche  Armee  kriegsge fangen  ergebe, 
damit  Frankreich  ein  Äquivalent  lur  seine  in  englische  Ge- 
fangenschaft gefallenen  Landeskinder  erhalte.  Mit  diesem 
Bescheide  kehrte  die  Deputation  nach  Hannover  zurück,  wo 
die  Itegierung,  eingeschüchtert  durch  die  von  Mortier  hinzu- 
gefügte Drohung,  dafs  er  nach  tberschreitung  der  Weser 
sich  nicht  mehr  an  die  von  ihm  zugestandenen  Kapitulations- 
bedingungen gebunden  eracJiten  werde,  beachlolä,  die  For- 
derungen des  Feindes  zu  erfüllen  und  seine  Gebote  über 
sich,  das  Land  und  das  Heer  ergehen  zu  lassen.  Am  3.  Juni, 
einen  Tag  nach  jenem  siegreichen  TrefiFen,  ward  die  Kon- 
vention unterzeichnet.  Sie  bestimmte  die  ZurückfUhrung 
der  hannövrischen  Truppen  hinter  die  Elbe  und,  falls  sie 
nicht  gegen  cngLsche  Gefangene  ausgewechselt  würden,  ihre 
Verpflichtung  auf  Ehrenwort,  während  des  Krieges  nicht 
gegen  Frankreich  zu  dienen.  Alles  Kriegsgerät,  Geschütze, 
Waffen,  Vorräte,  wurden  den  Franzosen  ausgeliefert,  die 
Landeseinkünfte,  die  Domänen ,  selbst  das  Privateigentum 
des  Königs  und  seiner  Familie  zu  seiner  Verfügung  gestellt 
Das  Land  hatte  aufserdem  für  Sold,  Bekleidung,  Unterhalt 
dos  französischen  Heeres  zu  sorgen,  seine  Reiterregimenter 
mit  brauchbaren  und  tüchtigen  Pferden  zu  versehen.  Der 
Befehlshaber  der  Okkupationsarmee  behielt  sich  vor,  die  ihm 
als  zweckraäfsig  erscheinenden  Veränderungen  in  dem  Be- 
staude  und  der  Zusammensetzung  der  Landesbehörden  zu 
treffen,  sowie  die  zurBetiiedigung  der  Bedürfnisse  seiner  Trup- 
pen  für   notwendig  erachteten  Kontributionen  zu  erheben. 

Das  ist  die  berüchtigte  Konvention  von  Suhlingen,  ein 
Seitenstück  zu  derjenigen  von  Kloster  Zeven  (S.  275),  der 
de  in  ihren  Einzelbostammungen  beinahe  aufs  Haar  glich: 
nur  dafs  diese  das  notwendige  Ergebnis  einer  kläglichen  und 
kopflosen  Heertührung  gewesen  war,  während   das  Abkomr 

H9in«Baiin,  Braansoliw.-htnnfir.  GeftcUicWt.    lU.  ^V 


Zweites  Bach.    Dritter  Abscbaitt. 


meD  von  Subliogen  die  ganze  Zerfahrenheit  und  Unlahigkeit 
einer  Regierungsmaschine  enthüllte,  die  sich  vollkommen 
überlebt  hatte.  Dem  von  dem  Geheimen  Rate  in  Hannover 
bei  diesem  Unglück  bethätigten  Verfahren  entspricht  es  voil- 
kommen,  dafs  von  seinen  MitgUedem  nur  eines,  der  Minister 
von  der  Decken,  den  Mut  hatte,  an  seinem  Platze  auszu- 
harren, während  die  anderen  beiden,  Graf  Kiclmannsegge 
und  von  Arnswaldt,  mit  dem  geheimen  Kabinetsrate  Rudioff 
eich  nach  Schwerin  retteten,  wohin  sie  die  Kostbarkeiten  und 
das  Barverniögen  des  küuiglichen  Hauses  in  Sicherheit 
brachten. 

Indessen  sollte  die  Katastrophe  des  Kurstaates  infolge! 
der  Jämmerlichkeit  dieser  Regierung  noch  ein  traurige» 
Nachspiel  erhalten,  welches  vor  allen  anderen  die  brave 
Ai'mee  traf.  Man  hatte,  wie  es  scheint  mit  Absicht,  dem 
Feldmarschall  von  Wallmoden  die  wichtige  Schlufsbestimmung 
der  Konvention  verschwiegen ,  wonach  sich  Buonaparte 
ihre  Genehmigung  vorbehielt.  Wailmoden  war  demgemäTs 
der  Meinung ,  einen  vollgültigen  Vertrag  vor  sich  zu 
haben,  und  traf  seine  Anstalten,  diesen  mit  gewisseuhat^er 
Treue  zur  Ausführung  zu  bringen.  Er  liefs  die  Festung 
Hameln  räumen  und  übergab  sie  mit  allem  ihren  Geschütz 
und  ihren  Vorräten  den  Franzosen,  ja  er  lieferte  ihnen  das 
bereits  über  die  Elbe  geschaffte  Kriegsmaterial  aus  dea 
Zeughäusern  von  Stade  und  Harburg  aus.  Dann  begana 
er  den  Marsch  quer  durch  die  Lüneburger  Heide  nach  der 
Klbe,  um  den  Bestimmungen  der  Konvention  gemäfs  jenseits 
derselben  seine  Truppen  im  Herzogtume  Lauenburg  unter- 
zubringen.  Unter  mannigfachen  Entbehrungen  vollzog  sich 
dieser  Alarsch.  Aber  nicht  nur  die  schlechte  Verpflegung, 
mehr  noch  der  zornige  Unmut  über  den  schimpflichen  Ver- 
trag äulserten  ihre  nachteilige  Wirkung  auf  die  Haltung  und 
Mannszucht  der  Truppen.  Am  9.  Juni  begannen  gie  den 
Übergang  über  die  Elbe ,  der  Feldmarschall  nahm  sein 
Hauptquartier  in  Lauenburg.  Nun  aber,  da  die  Abdankung 
erfolgen  soUto,  erfuhr  er  erst,  d&l's  der  erste  Konsui  niu" 
unter  der  Bedingung  der  Konvention  seine  Genehmigung 
erteilen  wolle,  wenn  Georg  HI.  in  seiner  Eigenschaft  als 
König  von  England  dasselbe  thue  und  sich  bereit  erkläre, 
gegen  die  Entlassung  der  hannövrischcn  Truppen  in  ihre 
Heimat  die  in  die  Hände  der  Engländer  gefallenen  fran- 
zösischen Matrosen  und  Seesoldaten  auf  ireien  Fufs  zu  setzen. 
Eine  solche  Zumutung  lehnte  das  englische  Kabinet  unter 
BeruiuDg  auf  die  von  ihm  stets  festgehaltene  politische 
Trennung  von   GrofabritauiiieTi   \xai  ^msäks^   wAwihieden 


Die  ElbkouveutJOD. 


323 


ab.  Und  nim  verlaiigte  Mortier  den  Abschlafs  eines  neuen 
Abkommens  binnen  vierundzwanzig  Stunden.  Die  hannöv- 
risciie  Armee  sollte  kriegsgefaugeu  nach  Frankreich  abgeiiihrt 
werden,  nur  den  Offizieren  die  AVahl  ihres  Aufenthaltsortes 
auf  dem  Kontinente  freistehen.  Mit  gebührender  V^erachtung 
wies  WaJImoden  solche  Forderungen  zurück.  Einstimmig 
erklärte  das  Oifizierkorpa ,  sich  lieber  bis  auf  den  letzton 
Mann  schlagen  zu  wollen,  als  so  Ächimpfliches  ohne  Wider- 
stand über  sich  ergehen  zu  lassen.  Mau  machte  sich  zum 
Kampfe  bereit  und  traf  demgemäfs  seine  Anstalten.  Kun 
aber  erschienen  wiederum  Unterhändler.  Dieeesmai  waren 
es  hociiadelige  Mitglieder  der  Calenberger  Stände,  welche 
den  Truppen  erklärteu^  dafs,  wenn  sie  sich  den  französischen 
Forderungen  fügten,  die  Landschaft  für  ihren  Unterhalt  sor- 
gen, andernfalls  sie  aber  vom  Lande  nichts  zu  erwarten 
haben  wüi-den.  Unter  dem  Hin  und  Her  der  Verhand- 
lungen begannen  die  Truppen  schwierig  zu  werden.  In 
einzelnen  Kegimentem  trat  der  Geist  des  Ungehorsams  offen 
zutage.  Wallmoden  mufste  erfahren,  dafs  er  seine  Mann- 
schaften niclit  mehr  fest  in  der  Hand  habe.  Mit  schwerem 
Herzen  entschlofs  er  sich,  den  französischen  Fordeinzngen, 
welche  zwar  in  der  Form  gemildert  wurden,  im  wesentlichen 
zu  entsprechen.  Auf  einem  in  der  Nähe  von  Artlenburg 
in  der  Elbe  festgeankerten  Bote  ward  die  neue  Konrention, 
die  „Eibkonvention",  wie  man  sie  nannte,  am  ö-  Juli  unter- 
zeichnet. Nach  derselben  unterzog  sich  die  hannuvriache 
liegierung  selbst  dem  Geschäfte,  die  Entwaffnung  der  Trup- 
pen durchzuführen,  Pferde,  Waffen  und  Geschütze  auszu- 
liefern. Die  Soldaten  wurden  gegen  das  Versprechen,  in 
dem  Kriege  nicht  weiter  zu  dienen,  in  ihre  Heimat  ent- 
lassen, die  Oifiziere  durften  Pferde,  Gepäck  und  Degen  be- 
balten, doch  mufsten  sie  sich  verpflichten,  das  Festland  nicht 
zu  verlassen.  Diese  traurige,  einerseits  durch  die  List  und 
Heimtücke  des  Feindes,  anderseits  durch  die  Feigheit  imd 
Verkommenheit  der  hannovrischen  Behörden  herbeigeführte 
Konvention  wurde  aber  nicht  in  ihrem  ganzen  Umfange 
durchgeführt.  In  der  Verwirrung  und  Ußst,  mit  der  man 
die  Entwaffnung  vollzog,  hatte  man  den  Truppen  die  Ein- 
zelbestimmungen des  Vertrages  nicht  einmal  mitgeteilt,  noch 
viel  weniger  den  Oflizieren  das  Ehrenwort  abgenommen. 
König  Georg  III.  erklärte  zudem  in  einem  Manifeste  die 
Abmachungen  des  Vertrages,  welchem  die  königliche  Ge- 
nehmigung fehle,  für  unverbindlich-  Der  Obristlleutenant 
von  der  Decken  und  der  Major  Halkett  errichteten  an  den. 
Mündungen  der  Elbe  und  Weser  wvter   ett^'tfäiÄ"ni  "^s^äKa^afc. 


824 


Zweites  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


Werbcstellen,  wohin  bald  hunderte  der  entlassenen  Soldatea 
strömteu^  um,  wenn  auch  in  anderen  Ländern,  den  Kampf 
gegen  die  Vergewaltiger  und  Bedrücker  ihrer  Heimat  auf- 
zunehmen, der  ihnen  hier  durch  ^vidrige  Umstände  versagt 
geblieben  war.  In  England  errichtete  man  aus  diesen  Offi- 
zieren und  Mannschaften  noch  in  demselben  Jahre  die  ,,  kö- 
niglich deutsche  Legion " ,  anfangs  aus  zwei  Bataillonen, 
zwei  Regimentern  Reiter  und  einer  Batterie  bestehend,  zu- 
sammen :{000  Mann,  die  sich  in  den  späteren  Kämpfen 
gegen  den  korsischen  Imperator,  vornehmlich  in  dem  Penin- 
sularkriege, unverwelkliche  Lorbeeren  errungen  hat. 

Inzwischen  hatten  die  Franzosen  die  Aussaugung  und 
Ausplünderung  des  unglücklichen,  ihi-or  Gnade  preisgegebenen 
Landes  mit  dem  ihnen  darin  eigenen  Geschick  begonnen. 
Mortier  setzte  zu  diesem  Zweck  eine  Exekutivkommission 
von  fünf  Mitgliedern  ein,  die  lediglich  nach  seinen  Weisungen 
zu  handeln  hatte.  Daneben  bestand  als  eine  neue,  von 
der  alten  Regierung  vor  ihrem  Rücktritte  noch  gebildete  Be- 
hörde das  Laudesdeputationskollegium ,  das  sich  aus  Mit- 
gliedern der  Stände  und  Bevollmächtigten  der  R^erung  zu- 
sammensetzte. Im  übrigen  liefs  man  die  früheren  kuifürst- 
lichen  Kollegien  weiter  schalten,  weil  diese  am  bequemsten 
den  Verkehr  mit  dem  Bürger  und  Bauer  vermittelten.  Zu- 
nächst galt  es,  die  abgerissenen  und  verhungerten  ft*anzösi- 
schen  Ti*uppcn  neu  zu  bekleiden  und  gut  zu  verpflegen.  In 
der  kui'zeu  Zeit  eines  halben  Jahres  (5.  Juli  bis  '23.  De- 
zember I80a)  wurde  allein  für  Sold,  Pferde,  Lieferungen 
und  Equipierung  der  h-emden  Truppen  die  öumme  von 
17  500ÜÜÜ  Franken  dem  Laude  abgeprofst.  Dazu  kamen 
die  Einquartierungslast  und  die  damit  verbundene,  nament- 
lich für  die  Olfiziere  sehr  kostspielige  Verpflegung.  Allein 
diese  Dingo  mag,  wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade, 
der  Kriegsbrauch  entschuldigen.  Aber  die  Franzosen  raub- 
ten auch  nach  dem  von  ihrem  bewxinderten  Buonajwirte  in 
Italien  gegebenen  Beispiele  Schlüsser,  Zeughäuser,  Museen 
und  wissenschaftliche  Anstalten  in  unerhörter  Weise  aus. 
Die  Marmorbüsten  im  Gartensaale  von  Herrnbausen  und 
die  bemerken8wei*te8ten  llaudschriften  Leibuizeus  fanden 
ebenso  unvermeidlich  ihren  Weg  nach  Paris,  wie  die  Tro- 
phäen aus  den  Reichskriegen  mit  Frankreich,  die  weifs- 
geborenen  Racepferde  aus  dem  kurfürstlichen  Marstalle 
und  selbst  die  schönsten  Edelhii-suhe  aus  den  Wäldern  des 
Deisler  und  Solling.  Fünfzig  sechsspännige  Wagen  waren 
erforderlich}  um  das  prachtvolle  Jagdgerät  Georgs  II.  nach 
St  Cioud  zu  schaffen.    Ebenso  Vie\e  iaJtit^Vsjiowö.  Wuu  ver- 


Ausplünderang  HaunoTers  doreh  die  Fraazoseo. 


S2fi 


\ 


niocht,  den  Schaden  wieder  auszugleichen,  den  ein  einziger 
Holzschlag  im  SolÜng  dem  dortigen  Forstbestande  ziilligte. 
Alles  in  allem  hat  man  die  Kosten,  die  diese  etwas  molu* 
als  zweijährige  Okkupation  dem  Lande,  dessen  jährliche 
Binnahmen  sich  auf  höchstens  fiint*  Millionen  Thaler  be- 
liei'en,  verursachte,  zu  secbsuudzwauzig  Miliioueu  Thaler  be- 
rechnet. 

Und  zu  diesen  ungeheuren  Verlusten  an  üffentÜchem  und 
privatem  Vermögen,  diesen  EinbuTsen  an  Gut  und  Eigen- 
tum gesellte  sich  der  Druck  der  Fremdherrechait,  die  das 
Land  mit  geltcimen  Polizeispionen  überschwemmte,  jede  frei- 
mütige Meinungsäufserung  verfolgte,  das  militärische  Stand- 
recht  au  die  Stelle  der  ordentlichen  Gerichte  setzte  und  mit 
ihren  frechen  neumodischen  Sitten  selbst  den  häuslichen 
Frieden  nicht  achtete.  Über  all  diesem  Elend  aber  schwebte 
einer  dunkelen  Wolke  vergleichbar  die  Unsicherheit  der  Zu- 
kimft,  da  Buonaparte  das  von  seinen  Truppen  besetzte  Land 
nur  als  ein  passendes  Tauschobjekt  zur  Erreichung  seiner 
selbstsüchtigen  politischen  Pläne  betrachtete.  Es  lag  ihm 
damals  daran ,  die  Bundesgenossenschaft  Preufsena  zu  er- 
langen, und  dieses,  mit  dem  Hintergedanken,  doch  schliefa- 
lich  sich  den  Besitz  des  Landes  zu  sichern,  trat  bereitwillig 
in  die  daraut"  gerichteten  Verhandlungen  ein,  ohne  doch  den 
Mut  zn  haben,  offen  zu  seinen  Absichten  sich  zu  bekennen. 
Knde  Juli  1803  ging  der  Kabinetarat  Lombard  im  Auftrage 
der  Berliner  Kegieruug  nach  Brüssel,  um  hier  von  Buona- 
parte Freigebung  der  Klbgebiete  und  Erleichterung  Han- 
novers, d.  h.  die  fernere  l.Jkkupation  des  letzteren  durch 
Preufaen  zu  erlangen.  Allein  der  erste  Konsul  wollte  dies 
nur  um  den  Preis  eines  offenen  und  ehrlichen  Bündnisses 
der  beiden  Mächte  zugestehen.  Nur  zu  einer  Ermäfsigung 
der  Besatzangütiuppeu  um  7000  Mann  liefs  er  eich  teils 
durch  die  Vorstellungen  des  hannüvrischen  Landtagsabge- 
ordneten von  Rauidühr,  teils  durch  Preufsens  wiederholtes 
Drängen  bewegen.  Ein  abermaliger  Versuch,  den  PreufBen 
durch  seinen  Gesandten  Lucchesini  in  Paris  nach  der  ange- 
deuteten Richtung  machen  licfs,  hatte  keinen  besseren  Er- 
folg. Am  23.  November  fragte  dieser  bei  dem  ersten  Kon- 
sul an,  ob  Frankreich  geneigt  wäre,  Hannover  an  Preufaen 
auszuliefeiTi ,  wenn  das  letztere  ihm  während  der  ganzen 
Dauer  dos  Krieges  mit  England  die  Neutralität  Deutschlands 
verbürge.  Aber  wieder  lautete  die  Antwort,  dafs  Hannover 
nur  gegen  eine  offene  Allianz,  nicht  für  eine  versteckte  Neu- 
tralität zu  haben  sei.  Als  sich  dann  im  Beginu  d^^  J%!ca%% 
1804    die  politische  Lage    des  K.ont\sx6u\Ä    'wva^'erasa  Vtä- 


ass 


Zweites  Bach.    Dritter  Abschnitt 


g«risch  zu  gestalten  begann,  Rufsland  sich  England  näherte, 
das  zweite  Älinisterinra  Pitt  (hcH  dem  12.  Äfai)  Anstrengungen 
inachte,  eine  neue  Koalition  der  Mächte  des  Festlandes  zu- 
stande zu  bringen,  für  die  man  auch  Österreich  zu  ge- 
winnen hofile,  drohete  Buonaparte,  der  sich  soeben  hatte 
zum  Kaiser  der  Franzoseu  erwählen  lassen,  sogar  die  Trup- 
pen in  Hannover  mehr  als  zu  verdoppeln ,  wenn  Preufaen 
sich  nicht  verpflichte,  jeder  russischen  Armee  den  Durchzug 
durch  preuCsisches  Gebiet  zu  verwehren.  Da  schien  man 
sich  in  BeHin  zu  einem  kräftigen  Entschlüsse  autraflfen  zu 
wollen.  Am  24.  Mai  tauschten  Rolsland  und  Prcui'sen  eine 
Deklaration  aus,  wonach  sie  sich  gegenseitig  verpflichteten, 
weiteren  Übergi'iffcn  Frankreichs  in  NorddeuUcMand  mit 
geeinten  Kräften  entgegenzutreten.  Aber  acht  Tage  später 
schon  sclilofs  Friedrich  Wilhelm  111.  mit  dem  französischen 
Kaiser  einen  Vertrag,  der  diesen  Abmachungen  schnurstracks 
widersprach,  indem  Preufsen  gegen  das  Versprechen  Frank- 
reichs, die  Okkupationsarmee  in  Hannover  nicht  zu  ver- 
stärken, sich  vei-pflichtete,  die  norddeutschen  Häfen  und  Ge- 
biete den  Gegnern  Frankreichs  zu  vei*scUliefsen.  Es  war 
nicht  zu  verwundern,  dafs  eine  so  traurige  Schaukelpolitik 
den  Staat  Friedrichs  des  Grofsen  schliefalich  um  alle  Ach- 
tung brachte.  Am  meisten  erbitterte  sie  den  fränkischen 
Imperator,  der  in  seiner  rachsüchtigen  Gemütsart  damals 
schon  die  Abrechnung  mit  Preufsen  auf  sein  Programm 
setzte  und  seine  gi*ündlicho  Demütigung  beschlofs.  Waa  er 
eich  der  Berliner  Geduld  gegenüber  glaubte  erlauben  zu  ^ 
dürfen,  erhellt  aus  dem  Gewaltstreiche,  den  er  noch  in  dem-  fl 
selben  Jahre  in  einer  der  preufsischen  Grenze  ganz  nahe 
gelegenen  deutsc!ieu  Stadt  in  Scene  setzen  liefs.  In  der 
Nacht  vom  22.  auf  den  23.  Oktober  wurde  Rmnbold,  der 
engliHche  Geschäftsträger  beim  niedersächsischen  Kreise,  in 
seinem  Landhause  bei  Hamburg  von  französischen  Truppen 
aufgehoben  und  über  Holland  nach  Paria  geschleppt.  Ein© 
Zeit  lang  fürchtete  man  für  ihn  das  Schicksal  des  Herzogs 
von  Enghien.  Der  König  von  Preufsen  mufste  als  Vorstand 
des  niedersächsischen  Kreises  die  geschehene  Gewaltthat  als 
eine  persönKche  Beleidigung,  die  Verletzung  des  Hamburger  ^H 
Gebietes  als  eine  seinem  eigenen  Lande  widerfahrene  Her-  ^B 
ausforderung  empfinden.  Aber  er  lief»  nicht  in  Paris  eine 
Genugthuung  fordernde  Note  überreichen,  sondern  richtete 
an  den  Kaiser  einen  eigenhändigen  Brief,  der  in  mildester 
Form  Vorstellungen  gegen  die  erfahrene  MÜsachtung  erhob. 
\  J^hseBmalj  in  einem  AugctvViVvcke ,  da  sich  schon  die  neue 
Koalition   gegen    ihn   zuaammenac\:Äo^% ,  ^ia^  'Ä%:^Kj^fe»'&.i 


Preufsena  Politik. 


827 


nicht  die  Zahl  seiner  Gegner  zu  vermehren,  nach  und  liefa 
den  GeiangeDen  in  Freiheit  setzen.  Zugleich  wurden  die 
darüber  gepflogenen  Verhandlungen  von  Preufscn  benutzt, 
um  in  Paris  nochmaU  eine  Uberlasaung  Hannovera  in  An- 
regung zu  bringeu.  Es  bot  dagegen  seine  Ghirantie  au,  dafs 
Frankreich  voa  Hannover  her,  falls  dieaes  in  preufsischen 
Besitz  käme,  nie  von  den  Engläudem  oder  deren  Bundes- 
genossen werde  angegriffen  werden.  Bei  einem  etwaigen 
Friedensschlüsse  sollte  das  Land  den  Franzosen  als  Kom- 
penaationsobjekt  zur  Verttigting  stehen.  Aber  auch  diese 
Anträge  wurden  von  Napoleon  kurz  von  der  Hand  ge- 
Tfiesen. 

Während  auf  diese  Weise  zwischen  dein  Erben  der  Re- 
volution und  dem  Naclifolger  des  grofsen  Friedrich  um  das 
Schicksal  dos  unglilckliclien  Landes  gefeilscht  ward ,  hatte 
dieses  Land  selbst  alle  Drangsale  und  Unbilden  einer  bru- 
talen Fremdherrschaft  zu  erdulden.  Da  die  regelmälsigen 
Kinnahmen  bei  weitem  nicht  ausreichten,  um  die  Kosten  der 
Okkupation  zu  bestreiten,  mufste  man  sich  schweren  Her- 
zens zu  Anleihen  bequemen.  Bei  dem  Kurfürsten  von  Hessen 
wurden  500000,  bei  den  drei  Hansestädten  Hamburg,  Bre- 
men und  Lübeck  zusammen  1  535  000  Thaler  aufgenommen. 
Ein  Versuch,  England  zu  einem  Darlehen  auf  das  fürst- 
liche Karamergut  zu  bewegen,  schlug  fehl.  So  wuchs  die 
Geldverlegenheit  der  Regierung  von  Tage  zu  Tage  und  die 
»chliefaiich  durch  viele  Vorstellungen  eiTeichte  Verminderung 
dos  Besatz ungsheeres  konnte  unter  den  obwaltenden  Um- 
etänden  nur  eine  geringe  Erleichterung  gewähren.  Zu  An- 
fang 1804  ward  Mortier  von  seinem  Posten  ab  Oberbelehls- 
haber  abberufen,  und  ihm  folgte  nach  einem  kurzen  Zwi- 
schen komm  ando  des  Generals  Deasolles  Bernadotte,  der  eine 
etwas  mildere  Praxis  in  der  Handhabung  seiner  Gewalt- 
stellung eintreten  liefs,  ohne  dafs  eine  wesentliche  Veränderung 
in  dem  auf  dem  Lande  lastenden  Drucke  zu  verspüren  ge- 
wesen wäre. 

Zwei  Jahre  und  zwei  Monate  hatte  dieser  Druck  ge- 
dauert. Da  führte  der  Ausbruch  des  dritten  Koahtionskrieges 
die  Befreiung  des  Landes  herbei,  eine  Wandlung,  die  frei- 
lich nur  von  kurzer  Dauer  seiu  und  die  den  Hannoveranern 
fltatt  der  Herrschaft  der  Franzosen  die  ihnen  kaum  minder 
verbalste  Herrschaft  der  Preufsen  bringen  sollte.  An  der 
Schwelle  des  Krieges  noch  dauerten  die  geheimen  Verhand- 
lungen zwischen  den  Kabinetten  von  Öt.  Cloud  und  Berlin 
fort.  Die  äufsersten  Anstrengungen  wurden  von  \ener  Seite 
gemacht,  um  Preulsen  zu   einem   AuaeVÄMfe  «Ci.  l£\^Ti*s*iv^ 


L 


828 


Zweites  Bach.    Dritter  Abschnitt. 


ZU  bewegen.  Jetzt  endlich  Hefs  Kapoleon  durch  Daroc  in 
Berlin  die  Abtretiing  Hannovers  anbieten,  verlanp;te  aber 
dagegen  einen  hinterhaltlosen,  offenen  Anachlula  au  Frank- 
reich. Friedrich  Wilhehn  111.  war  dazu  bereit ,  aber  er 
fitellte  die  Gegenforderung  der  Unabhängigkeit  lloUanda,  der 
ßchweiz  und  Neapels,  sowie  der  Trennung  der  italienischen 
von  der  iranzösischen  Krone.  Davon  wollte  Napoli^on  nichts 
wissen.  Er  meinte,  diese  Dinge  hätten  mit  der  Überlassung 
Hannovers  nichts  zu  thnn,  der  angebotene  Preis  sei  i\ir  die 
preufsische  Allian:&  hoch  genug.  So  kehrte  man  denn  zu 
Berlin  in  einem  Äugenblicke,  wo  der  AnschluTs  an  die  eine 
oder  andere  Paitei  Preufsen  leicht  die  Entscheidung  in  dem 
grofsen  sich  vorbereitenden  Kampfe  hätte  in  die  Hand  geben 
können,  zu  der  alten  bequemen  KeutraUtUtspoUtik  zurück, 
deren  ganze  Weisheit  darin  bestand,  abzuwarten  und  es  mit 
niemandem  zu  verderben. 

Da  kam  eine  Nachricht,  die  mit  einemmale  gleich  einem 
grellen  Blitze  die  Situation  in  ihrem  wabreji  Lichte  zeigte 
und  auf  die  ängstlichen  Gemüter  in  Berlin  wie  ein  Donner- 
schlag wirkte.  Bernadotte  hatte  dem  Befehle  seines  Kaisers 
gemäfs  das  ihm  unterstellte  Koi'ps  in  Hannover  mitten  durch 
preufsisches  neutrales  Gebiet,  durch  die  Fürstentümer  Aus- 
bach und  Bayreuth  geführt,  um  den  eisernen  King  zu  schliefsen, 
mit  dem  Napoleon  das  inzwischen,  nach  dem  Aasbruche  des 
Krieges,  bis  an  die  liier  vorgedrungene  Heer  der  Oster- 
reicher  unter  Mack  zu  umzingeln  gedachte.  Diese  Ver- 
letzung des  Völkerrechtes  war  für  den  König  imd  die  Staats- 
männer Preulsens  eine  um  so  gröfsere  Beleidigung,  als  kurz 
vorher  das  Ansinnen  des  russischen  Kaisers,  seinen  Truppen 
den  Dui'chmarsch  durch  Südpi-eufsen  und  Schlesien  zu  ge- 
statten, in  Berlin  kurzer  Hand  zurückgewiesen  war.  Hier 
bemächtigte  sich  jetzt  eine  kriegerische  Auü-eguug  der  lei-  . 
tenden  Kreise.  Der  König  erklärte  in  einer  Note  au  Duroc,  ^H 
^,dars  er  sich  als  vollkommen  frei  von  allen  gegen  Frank-  ^H 
reich  übernommenen  Verpflichtungen  betrachte " ,  gab  den 
Befehl  bei  Hildeaheim,  in  Franken  und  in  Westlaleu  je  ein 
Heer  zusammenzuziehen  und  hatte  in  Berlin  mit  dem  Czaren 
Alexander  und  dem  Erzherzoge  Anton ,  dem  Bruder  de» 
Österreichischen  Kaisers,  eine  Zusammenkunft,  auf  welcher 
sich  Preuisen  verpHichtete.  die  bewaflnete  Vermittelung  zwi- 
schen den  kriegführenden  Mächten  zu  übernehmen  und,  falls 
binnen  vier  Wochen  keine  Grundlage  iür  den  Frieden  fest- 
gestellt sein  sollte,  mit  180  000  Wann  sofort  in  den  Kampf 
gegen  Napoleon  einzutreten.  Aber  auch  in  diesem  kritischen 
AugenhiickG    machte   Bich    viVeiifcE    ö^ää  "Ws^^iäsa^v».  "^x^i^ilsÄUs 


BcBet2UDg  Hanuovera  durch  Preurscn. 


329 


nach  dem  Besitze  von  Hannover  geltend.  Nicht  nur,  dafe 
es  bei  dem  hanüövriacben  Gesandten  im  tiefsten  GebeimniB 
anlragte^  ob  es  genehm  sei,  wenn  daa  von  den  Franzosen 
geräumte  Kurfürstentum  von  preufsiechen  IVuppen  besetzt 
werde,  es  liel's  sich  auch  von  Rufsland  in  einem  geheimen 
Artikel  versprechen ,  dahin  wirken  zu  wollen ,  dafs  König 
Georg  III.  in  den  Tausch  oder  die  Abtretung  seiner  deut- 
schen Länder  an  Preufaen  willige. 

Sobald  Bernadotte  mit  seinen  Truppen  das  Land  ver- 
lassen hatte,  waren  preufaiache  Regimenter  in  dasselbe  ein- 
gerückt. Am  26.  Oktober,  wenige  Tage  nach  der  Kata- 
strophe von  Ulm,  besetzten  sie  die  Hauptstadt.  Zu  der 
nämlichen  Zeit  aber  überschritt  ein  Korps  von  20  000  Russen 
\inter  Ostermann-Tolstoy,  das  in  Stralaujid  gelandet  war,  die 
Lauenburger  Grenze.  Ihm  folgten  10000  Schweden  unter 
ihrem  Könige.  Im  November  bewerkstelligten  diese  Trup- 
pen bei  Lauenburg  den  Übergang  über  die  Elbe  imd  be- 
gannen sich  im  Lüneburgischeu  auszubreiten,  wälurend  Lord 
Catbcart  einige  englische  Regimenter  und  die  deutsche  Le- 
gion unweit  Ötade  ans  Land  setzte,  um  von  Norden  her  die 
Bewegungen  der  Russen  und  Schweden  zu  unterstützen. 
Man  gedachte  nach  der  Besitznahme  des  hannÖ\Tifichen 
Landes  sich  gegen  Hameln  zu  wenden  und  diese  Festung, 
welche  die  Franzosen  noch  immer  festhielten,  ihnen  zu  ent- 
reifsen.  Zugleich  traf  im  Auftrage  des  Königs  Georg  Graf 
Münster  in  Hannover  ein,  die  vun  den  FranKosen  eingesetzte 
Sxekutivkommission  ward  aulgelüst,  und  am  4.  Dezem- 
ber verkündete  ein  Manifest  des  Königs  Georg,  dafs  er 
wieder  Besitz  von  dem  Lande  seiner  \'^äter  ergreife  und 
Beinen  Sohn,  den  Hei*zog  von  Cambridge,  zum  (_)berbetehl8- 
haber  des  hannövriscbeu  Heeres  ernenne. 

Inzwischen  waren  auf  dem  Kriegsschauplatze  in  Süd- 
deutÄchland  die  zerschmetternden  Schläge  gefallen ,  welche, 
indem  sie  die  Koalition  zersprengten,  eine  völlig  veränderte 
Lage  schufen.  Mack  hatte  am  20.  Oktober  mit  seinem 
ganzen  Heere  bei  Ulm  die  Waffen  strecken  müssen,  Bayern 
war  von  den  zurückweichenden  Österreichern  geräumt  wor- 
den, Wien  Hei  am  13.  November  in  die  Gewalt  der  Fran- 
zosen, und  diese  schickten  sich  an ,  die  innerösterreichischen 
Provinzen  zu  überschwemmen.  Am  "2.  Dezember  erfolgte 
dann  jene  berühmte  Dreikai serschla cht  von  Austerlitz,  welche 
die  verbündeten  Österreicher  und  Russen  vollends  nieder- 
warf und  zu  dem  B^rieden  von  Prefsburg  tührte.  Wenige 
Tage  vor  der  Schlacht  war  Graf  Haugwitz,  d^v  IJVi^^Vi-räi'^x 
des  uns  bekannten  preufsiscben  \i\\ima.VvxKVÄ  va.  "^'(rücöft  ■,  ^"^^^ 


88» 


Zweites  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


Hauptquartiere  des  tranzösiBchen  Kaisers,  angekommen.  Es 
iat  bekannt,  wie  er  sich  von  Napoleon  bethoren  lieis.  Dieser 
hieU  ihn  so  lange  hin,  bis  diis  Schicksal  der  Koalition  durch 
die  Niederlage  ihrer  Heere  besiegelt  war.  Noch  vor  dem 
AbschluTs  der  Prefsburger  Verhandlungen  unterzeichnete  der 
Bevollmächtigte  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  HI.  am 
15.  Dezember  zu  Schönbrunn  die  Unterwerfung  Preufsens 
tinter  die  Machtgebote  des  fränkischen  Imperators.  Ea 
muJste  mit  diesem  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  eingehen, 
an  Frankreich  NeuenbuJ^  und  an  Bayern  Ansbach  abtreten, 
w<^gen  ihm  der  souveräne  Besitz  von  Hannover  zugesichert 
ward.  In  Berlin  sträubte  man  sich  zwixr  anfangs,  diesem 
Vertrage  die  Bestätigung  zu  erteilen ,  aber  zwischen  die 
Wahl  seiner  Annahme  und  eines  Krieges  ohne  Bundesge- 
nossen mit  dem  siegreichen  Frankreich  gestellt,  fugte  man  sich 
der  Notwendigkeit,  zumal  die  langjährige  Sehnsucht  nach 
dem  Besitze  Hannovers  durch  ihn  gestillt  ward.  Ja  man 
liefs  sich  noch  einen  späteren  Zusatznrtikel  gefallen,  wonach 
Preufsen  sich  verpflichtete,  seine  Seehäfen  söwie  die  Mün- 
dungen der  Weser  und  Elbe  den  britischen  Schiffen  zu 
sperren.  Dies  raufste  unfehlbar  zu  einem  Bruche  mit  Eng- 
land führen,  den  man  doch  mit  zagimfter  Bedissenheit  zu 
vermeiden  suchte.  Infolge  dieser  Vorgänge  und  da  Napoleon 
in  den  Niederlanden  ein  Heer  zusammenzog,  um  im  Not- 
falle die  Räumung  Hannovers  durch  die  verbündeten  Truppen 
zu  erzwingen,  verÜefsen  diese  zu  Ende  Januar  1806  daa 
Land.  Die  Küssen  zogen  sich  über  die  Elbe,  die  Schweden 
nach  Stralsund  zurück,  während  die  englischen  Truppen  und 
die  deutsche  Legion  sich  an  der  Mundung  der  Weser  ein- 
schiflFten. 

Ihnen  folgten  die  Preufsen  auf  dem  Fufse.  Am  27.  Ja- 
nuar rückten  dreiundzwanzig  Bataillone,  fünfundzwanzig 
Schwadronen  und  hieben  Batterieen  unter  dem  Grafen  Schulen- 
burg-Kehuert  in  Hannover  ein.  An  demselben  Tage  erschien 
eine  Proklamation  Friedrich  Wilhelms  HL,  welche  erklärte, 
dafs  Preufsen  im  Einverständnis  mit  Frankreich  und  ledig- 
lich um  dem  Ausbruche  eines  Krieges  in  Norddeutscldand 
vorzubeugen,  das  Land  „in  Verwahning  und  Administration" 
nehme  und  es  bis  zum  Abachlufs  eines  allgemeinen  Frie- 
dens besetzt  halten  werde.  Zugleich  wurde  Schulenburg 
zum  Administrationskommmissarius  ernannt,  die  Aufrecht- 
erhaltung der  Verfassung  und  der  Fortbestand  der  Landes- 
behorden  in  Aussicht  gestellt,  aber  jeder  „auswärtige  Nexus" 
derselben  untersagt  und  beseitigt.  Dagegen  erhob  Graf 
Münster  feierlich  Protest,   indem  et  a.\Ä  SriilwÄ^,  ^kkl  an- 


Die  PreaÜKn  id  Haanover. 


38l 


dera  lautende  Erklärungen  der  preufsiachen  Regierung  hin- 
wies und  die  in  dem  preufsisehen  Erlasae  geforderte  Aner- 
kennung dei"  Okkupation  als  Aufkündigung  des  Gehorsams 
gegen  den  Landesherm  und  einen  Bruch  heschworener  Eide 
bezeichnete.  Darauf  verhefa  er  da»  Land,  nachdem  er  die 
Beamten  ermahnt  hatte,  in  ihrer  Treue  gegen  den  recht- 
mäfsigen  Herrn  des  Landes  auszuharreu  aber  sich  jedes 
Widerstandes  gegen  die  preufsische  Verwaltung  zu  enthalten. 
Diese  wurde  dann  in  der  Weise  geordnet,  dafs  ein  Admini- 
strationskollegium eingesetzt  und  der  Kammerpräsident  von 
Ingeraleben  zu  dessen  Vorsitzenden  ernannt  ward. 

So  trat  an  die  Stelle  der  franzüsischen  Vergewaltigung 
die  preufsische.  Bald  sollte  es  sich  zeigen,  dafs  die  preufsi- 
scheu  Pläne  weit  über  die  in  dem  Beaitzergreifungspatente 
vorgeschützten  Absichten  hinausgingen,  fcjchon  am  1.  April 
verkündete  ein  Manifest  Schulenburgs,  dafs  sein  König  von 
Hannover  nicht  blofs  provisorisch,  sondern  endgültig  Besitz 
ergreife:  ein  mit  dera  Kaiser  der  Franzosen  abgeschlossener 
Vertrag  habe  das  von  diesem  durch  das  Recht  des  Eroberers 
erworbene  Land  an  Preufsen  abgetreten  und  damit  sei  das- 
selbe in  den  rechtlichen  Besitz  dieser  Macht  übergegangen. 
Abermals  protestierte  Münster  gegeu  eine  solche  Auttassung 
in  einer  an  alle  europäischen  Mächte  gerichteten  Note,  in 
der  er  die  Nichtigkeit  der  preufsischen  Uecbtsgründe  und 
die  Zweideutigkeit  der  prenfaischen  Politik  achlagond  nach- 
wies, wahrend  Georg  HJ.  in  einem  Manifeste  an  seine  Unter- 
thanen  diesen  riet,  lÜr  den  Augenblick  das  Unvermeidliche 
über  sich  ergchen  zu  bissen  und  sich  den  härtesten  Mafs- 
regeln  der  neuen  Gewalthaber  zu  lügen.  Und  solche  Mafa- 
regeln  liefsen  denn  iiuch  nicht  auf  sicli  warten.  Die  preufsi- 
sche Okkupiitiün  vollendete  jetzt  den  Kuin  des  Landes. 
Schulenburg  und  Ingeraleben  schalteten  mit  unumschriinkter 
Gewalt.  Schon  am  8.  April  ward  das  Staatsmintsterium  in 
Hannover  aufgehoben.  Alle  Zweige  der  Verwaltung  erlitten 
eine  vöUige  Umwandlung  nach  prcufsischem  Muster.  Über- 
aJl  im  Lande  wurden  die  kurhannövrischen  Wappen  abge- 
nommen und  durch  preufaiache  ersetzt.  Alle  diese  Anord- 
nungen geschahen  mit  der  herausfordernden  Rücksichtslosig- 
keit, die  das  alte  preufsische  Wesen  keunzeichuete,  bei  ihrer 
Durchführung  verfuhr  mau  mit  jenem  steifen,  herrischen 
Hochmate,  den  der  Militirismus  in  Preufscn  grofsgezogen 
hatte  und  der  ganz  dazu  geeignet  war ,  die  Sympathieea 
der  Bevölkerung  zurückzustofsen.  Selbst  das  Verfaliron  der 
früheren  tranzüsischen  Machthaber  erechien ,  Uvcvvö.\V  '^«t- 
glichen^  in  mUdei-em  Lichte.     Dazu  VaiQCß.  öHa  vcäsJv^  ^^st 


tSwtttes  Buch.    Dritter  ÄtxBchmtt. 


abermaligen  Besetzung  des  Landes  sich  erneuernden  Ein-' 
qu.'irtieningslasten.  Requisitionen  wurden  ausgeRch  rieben, 
die  öffentlichen  Kassen  versiegelt,  selbst  das  Privatvermögen 
des  Königs  nicht  verscbont.  Die  Abgaben  wuchsen,  das 
minderwertig«  preufsische  Geld  überflutete  das  Land  und 
verdrängte  die  alte  schwere  Landesmünze.  Staatsmonopole, 
wie  namentlich  das  Salzmouopol,  lasteten  schwer  auf  den 
ärmeren  Kirt.'^sen.  Handel  und  Verkehr  aber  erlagen  unter 
der  strengen  Sperre,  die  aiii*  Befehl  Napolöons  gegen  Eng- 
land auf  den  Flüssen  und  in  den  Haien  des  Landes  gefaand- 
habt  werden  mufste. 

Preufaeu  hatte  das  Ziel  seiner  Wünsche  erreicht  Durch 
die  Erwerbung  Hannovers  war  der  Zusammenbang  seiner 
östlichen  Provinzen  mit  denen  im  Westen  hergestellt.  Aber 
dieser  so  heifs  begehrte,  mit  allen  Mitteln  erstrebte  und  end- 
lich in  so  schmählicher  Weise  erlangte  Besitz  sollte  ihm  zu 
einem  Nesausgewande  werden.  Nur  zu  bald  erntete  es  jetzt 
die  Früchte  seiner  schwankenden,  selbstsüchtigen  und  treu- 
losen Politik.  Von  Napoleon  zu  einem  Bündnisse  gezwungen, 
das  ea_ira  Herzen  verabscbeuete  und  das  infolge  des  bru- 
talen Übermutes  des  fränkischen  Kaisers  bald  wie  ein© 
drückende  Fessel  und  eine  schwere  Demütigung  empfunden 
ward,  mit  England  verfeindet  und  in  einen  Krieg  verwickelt, 
der  seinen  Handel  vernichtete  und  dessen  Schädigungen  es 
widerstandslos  über  sich  ergehen  lassen  mufstc ,  von  den 
kleineren  deutschen  Staaten  mit  wachsendem  Müsti-auen  be- 
trachtet, scJbst  von  ßufsland  mit  ungewohnter  Kälte  behan- 
delt, sah  es  sich  einer  trostlosen  getUhrlichen  Isolierung 
preisgegeben.  Als  König  Gustav  von  Schweden,  dem  Bei- 
spiele Englands  folgend,  die  preufsischen  Häten  an  der 
Ostsee  blokieren  und  die  preufsischen  Schifie  fortnehmen 
liefs,  wagte  mim  iu  Berlin  nicht  einmal  daiür  an  Pommern 
Vergeltung  zu  üben.  Der  französi sehe _ Kaiser  aber  zeigte 
alsbald  eine  Nichtachtung  und  einen  Übermut  gegen  den 
Bundesgenossen  wider  Willen,  der  diesen  endlich  aus  seiner 
pasäiven  Haltung  aufrütteln  raufaie.  Zu  der  nämlichen  Zeit, 
da  er  gewissermafsen  als  Gegengewicht  gegen  den  eben 
unter  seinen  Auspizien  zustande  gekommeneu  Rheinbund 
Preufaen  aufforderte,  einen  ähnlichen  norddeutschen  Bund 
unter  seinem  Protektorate  zu  bilden,  unterhandelte  er  mit 
Kulsland  tmd  England,  wo  am  24.  Januar  1806  William 
Pitt,  sein  unversöhnlichster  Gegner,  gestorben  war,  um  den 
allgemeinen  Frieden.  Am  7.  August  erfuhr  man  in  Berlin 
durch  eine  Depesche  Lucchesims,  des  preufsischen  Gesandten 
&m  /raazößiaclien  Hofe,  dafe  "Sa^oVi^Ti.  \sei  ^«ß.  ^■t^RÄÄtÄs^tic- 


Ämbrach  des  Krieges  von  180$. 


333 


handlungea  den  Engländern  die  Zurückgabe  Hauaover»,  das 
er  doch  eben  erat  an  Preufaen  in  l'eierlichater  Form  abge- 
treten hatte,  iü  bestimmte  Aussiebt  gestellt  habo.  Auf  die 
von  dem  enghachen  Unterbäudler  Lord  Yarraouth  geäufaerten 
Zweifel  hatte  er  erwidert,  „man  werde  Preufsen  durcli  Ab- 
tretung von  Fulda,  Iloya  und  einigen  anderen  Gebietstöilen 
schon  zufrieden  stellea".  Aber  nicht  dies  allein.  Rufsland, 
welches  damals  der  in  aufserordentlicher  Mission  nach  St. 
Petersburg  gesandte  Herzog  Karl  Wilhelm  Ferdinand  von 
Braunschweig  im  Auftrage  des  Berliner  Kabinetts  flir  den 
Frieden  zu  bestiuuueu  suchte,  war  französischerseits  der  Er- 
werb eines  Teiles  von  Preufsisch- Polen  zugesichert  worden. 
Diese  Nachrichten  brachten  in  Berlin  eine  unbeschreibliche 
Aufregung  hervor.  Jetzt  durehachauete  man  endlich  die 
ganze  Treulosigkeit  des  fränkischen  Imperators.  Die  Kriegs- 
partei ,  bisher  in  der  Minderzahl ,  gewann  die  Ubci-hand. 
Zwei  Tage  schon  nach  dem  Eintreffen  jener  Botschaft 
(9.  August)  befahl  der  König  die  Mobilmachung  der  ganzen 
preufsischen  Armee. 

Der  Verlauf  des  für  Preufsen  so  verhängnisvollen  Krie- 
ges, der  sich  damit  vorbereitete,  ist  allgemein  bekannt.  Bei 
der  Wahl  des  Mannes,  in  dessen  Hände  man  mit  dem  Ober- 
befehl über  das  Heer  das  Geschick  des  Staates  legte,  er- 
innerte man  sich  in  Berlin  des  Herzogs  von  Braunschweig, 
der,  seitdem  er  im  Feldzuge  von  1793  seinen  Abschied  ge- 
nommen, in  Brauuschweig  sich  der  Verwaltung  seines  Landes 
gewidmet  hatte,  fern  von  dem  Treiben  der  grofsen  I'olitik 
und  nur  bisweilen  von  dem  Berliner  Uofe  um  seinen  Kat 
befragt,  auch  wohl  zu  einzelnen  diplomatischen  Sendungen 
verwandt.  Er  war  damals  ein  ei nundsiebenzig jähriger  Greis, 
noch  immer  körperlich  rüstig  und  von  ungeschwächter  Geistes- 
kraft, aber  man  begreift,  dafs  der  Mimgel  an  Entschlossen- 
heit, das  zaghafte  Mifstrauen  in  die  eigene  Kj-aft,  das  allzu 
vorsichtige  Abwägen  jeder  überhaupt  denkbaren  Möglich- 
keit, Charaktereigenschaften,  die  schon  früher  seine  kriegeri- 
schen Erfolge  beeinträchtigt  hatten,  bei  ihm  mit  den  Jahren 
eher  zu-  als  abgenommen  hatten.  Die  fast  krankhafte  Be- 
sorgnis, den  einst  in  seiner  Jugend  erworbenen  Kriegsruhm 
am  Ende  seiner  .Tage  wieder  cinzuhüfsen ,  sträubte  sich  in 
ihm  gegen  die  Übernahme  der  ihm  zugedachten  verantwor- 
tungsvollen Stellung.  Es  bedurlte  der  dringendsten  wieder- 
holten Vorstellungen,  um  seine  Abneigung  zu  überwinden, 
seinen  Widei*staud  zu  brechen.  Es  hat  sich  die  Tradition 
erhalten,  dafs  keiue  Geringere  endlich  den  Ausschlag  gegeben 
habe  als  die  bezaubernde,   im  Übert^eo.  Mss.Vv^.^t'iiy^^^^oRi 


«M 


Zweite»  Buch.    Dritter  AbscliniU. 


Künigin  Luise.  Im  Forsthanse  vor  Wolfenbüttel  soll  sie  im 
tiefsten  Geheimnis  mit  dem  Herzoge  zusammengetroffen  sein 
und  ihm  »eine  Einwilligung  entrissen  haben.  Wie  dem 
auch  sei,  Karl  Wilhelm  Ferdinand  liefs  sieh  endlich  über- 
reden und  übernahm  den  Oberbelehl  über  die  grolse  preu- 
fsiebhe  Armee,  die  gich  gegen  Ende  August  in  den  nörd- 
lichen Vorlanden  des  Thüringer  Walde«  sammelte.  ^M 
Die  schlimmen  Ahnungen,  die  des  Herzogs  Seele  er-  ^H 
füllten  und  den  Rest  seiner  trüberen  Thatkraft  lähmten,  ' 
sollten  sich  nur  allzu  sehr  erfüllen.  Die  Laugsamkeit,  mit 
der  sich  die  Konzentration  des  Heeres  vollzog,  durchkreuzte 
von  vornherein  seinen  Plan,  angriflsweise  zu  verfahren,  über 
den  Thüringer  Wald  vorzubrechen,  mit  ganzer  Macht  auf 
die  in  getrennten  Heerteilen  heranziehenden  Franzosen  zu 
fallen  und  sie  in  ihrer  Mitte  auseinanderzureifsen.  Die 
Bewegung  ward  zwar  begonnen,  aber  sie  geriet  alsbald  ins 
Stocken.  Schon  waren  die  franzöräschen  Heersäulen,  von 
ihrem  Cä«ar  selbst  getTihrt  und  zur  Eile  getrieben,  im  Be- 
sitz der  Übergänge  über  den  Wald,  schon  lief  die  Kunde 
von  der  Niederlage  ein,  die  am  10.  Oktober  die  preufsiache 
Vorhut  bei  Saalfeld  erUtten  hatte  und  die  dem  heldenmütigen 
Prinzen  Louis  Ferdinand  das  Leben  kostete.  Am  14.  Ok- 
tober sah  sich  die  preuJsische  Armee,  die  in  zwei  Haupt- 
korpa  getrennt  im  Saalthale  bei  Jena  und  ^ige  Meilen 
nordwärts  davon  bei  Has&enhausen  und  Auerstädt  stand, 
zu  gleicher  Zeit  von  überlegenen  Streitkräften  angegriffen. 
Dort  überwältigte  Napolöon  selbst  an  der  Spitze  der  Korps 
von  Ney,  Lannes,  Soult  und  Augereau  nach  tapferem  Wider- 
stände den  preufsischen  linken  Flügel:  hier,  wo  der  Herzog 
von  Braunschweig  befehligte  und  sich  auch  der  König  be- 
fand, entbrannte  gegen  die  vom  Marschall  Davoust  geführten 
französischen  Heerteile  ein  hitziger  Kampi,  der  gleichfalls  mit 
einer  vollständigen  Niederlage  der  Preufsen  endete.  Der 
Herzog,  der  in  dem  Gewühle  der  Schlacht  seine  alte  Kalt- 
blütigkeit wiederfand  und  sich  unerschrocken  dem  mörderi- 
schen Feuer  der  französischen  Schartschützen  aussetzte,  er- 
hielt in  dem  Augenblicke,  als  er  das  Grenadierbataillon  von 
Hanstein  zum  Vorgehen  antrieb,  eine  feindliche  Kugel,  die 
ihn  in  der  rechten  Schläfe  traf  und  ihn  der  Sehkraft  beider 
Augen  beraubte.  Man  hob  ihn  auf  ein  Pferd  und  brachte 
ihn  glücklich  aus  dem  Gefecht  nach  Auerstädt,  wo  dem 
tödlich  Getroffenen  der  erste  Verband  angelegt  ward.  >;Ich 
bin  ein  armer  blinder  Mann",  horte  man  ihn  zu  seiner 
Umgebung  sagen.  Seine  Verwundung  in  einem  Moment, 
wo  die  £iit6cheidiuig  unxmtteWietx  ^ävqt^äiä,  'ä.^  %cfawftr  zu 


Scblftcht  bei  Jena-Aueratädt. 


sab 


Ungunsten  der  preufBischen  Waflfen  in  die  Waeschale.  Mit 
üiT  hörte  joder  einheitliche  Oberbefehl  aui*.  Jeder  Führer, 
jeder  Batiiillouschet'  handelte  jetzt  auf  eigene  Hand,  jeder 
Adjutant  traf  Anordnungen  und  erteilte  Befehle.  Die  Ver- 
wirrung wuchs,  je  mehr  der  siegestrunkene  Feind  »ich  ver- 
stärkte und  herandrängte.  Man  mulste  sich  endlich  2um 
verlustvollen  Rückzug  auf  Weimar  entschliefBen.  Erst  hier, 
wo  raan  mit  den  Trümmern  der  bei  Jena  unterlegenen  Armee 
zusammentraf,  vollendete  sich  die  Aullösung  auch  der  bei 
Auerstädt  geschlagenen  Truppen. 

Schlimm  w.ir  der  Verlust  der  Doppelachlacht  von  Auer- 
fitädt  und  Jena,  der  mit  einem  Schlage  den  bis  dahin 
noch  immer  die  preuisiöchen  Fahnen  umachwebenden  Zau- 
ber der  Unbesiegbarkeit  zerstörte,  aber  schlimmer  war, 
was  folgte.  Die  erlittene  Niederlage  sollte  den  völligen  Zu- 
sammenbruch der  Monarchie  Friedrichs  des  Orofsen  bedeuten. 
Drei  Tage  nach  der  Schlacht  wurde  die  Reserve  unter  dem 
Prinzen  Eugen  von  Würtemberg  bei  Halle  auseinander- 
gesprengt, zehn  Tage  später  streckten  die  Reste  des  hohen- 
loheschen  Korps  bei  Prenzlau  die  Waffen.  Nur  Blücher 
fiihrte  den  ihm  anvertraueten  Heerteil  glücklich  über  die 
Elbe  nach  Lübeck,  wo  er  treiÜch,  von  überlegenen  feind- 
lichen Massen  umstellt,  nach  tapferer  Gegenwehr  gleichfalls 
zur  Kapitulation  gezwungen  ward.  Im  ganzen  Lande  aber 
begann  jene  feige  und  kopflose  Hast  der  Unter weriung 
anter  die  Gebote  des  Siegers,  welche  in  weiten  Kreisen 
selbst  den  Verdacht  des  Verrates  erweckte.  Mit  wenigen 
rühmlichen  Ausnahmen  wetteiferten  die  Festungen,  dem 
Feinde  ilu"e  Thor«  zu  öffnen,  ihm  das  in  ihnen  aufgehäufte 
ELriegsmaterial  auszuUefern.  Ks  zeigte  sich  jetzt,  dafs  die 
frieden  dänische  Zucht  in  Preufsen  kein  entachlosseneres 
imd  gehärteteres  Geschlecht  herangezogen  hatte  als  in  Han- 
nover die  milde  Regierung  der  George.  Die  Proklamation 
des  Grafen  Schulenburg  an  die  Berliner  mit  der  berüch- 
tigten Phrase  „Ruhe  ist  die  erste  Bürgerpflicht"  war  ein 
würdiges  Seitenstück  zu  jener  Besorgnis  der  geheimen  Räte 
in  Hannover,   „Ombrage  zu  erregen". 

Den  unglücklichen  todwunden  Führer  des  geschlagenen 
Heeres  hatte  man  von  dem  Schlachtfelde  von  Auerstädt  zu- 
nächst zu  Wagen  nach  Cölleda  gebracht,  bald  aber  mufste  man 
ihn  wegen  der  Schraerzenj  die  die  Wunde  verursachte,  auf 
einem  Tragbette  weiterschaffen.  So  ging  der  traurige  Trans- 
port über  Heldrungen,  Mansfeld,  Meisdorf,  Ballenstedt  nach 
Blankenburg.  Indefa  war  auch  hier  seines  BleihenÄ  ^<i.V<.j 
da  einzelne  feindh'che  Abteilungen  laaOa  ^WKA^x^EÄ-oa^ 


5S6 


Zweites  Buch.    Dritter  Absclmitt. 


Harzes  schou  im  Norden  desselben  erBchienen.  So  mufste 
denn  die  Flucht  fortgesetzt  werden.  Am  2Ü.  Oktober  spät 
Abends  kam  man  in  Braunschweig  an,  wo  der  Herzog 
einige  Ruhe  zu  finden  hoffte-  Er  wandte  sich  von  hier  in 
einem  beweglichen  Schreiben  an  die  GrofBraut  des  Siegers, 
indem  er  um  Schonung  seines  Landes  und  um  Sicherheit 
seiner  Person  bat.  Aber  er  kannte  die  liachaucht  dieser 
korsischen  Natur  nicht,  die  jetzt  noch  durch  den  lausch 
des  Sieges  gesteigert  ward.  Wenige  Tage  schon  nach  der 
Katastrophe  von  Jena  hatte  der  Kaiser  in  einer  Unterredung 
mit  dem  weimarischen  Gesandten  von  Müller  seinem  Grolle 
gegen  den  ungllieklicheu  Gegner  und  sein  ganzes  Haus  Luft 
gemacht.  „Ihr  sehet,  wie  ich  es  mit  dem  Herzoge  von 
Braunschweig  gemacht  habe*',  sagte  er,  „ich  will  diese 
Weifen  in  die  Sümpfe  Italiens  zurück  sc  heue  hen ,  aus  denen 
sie  her vorgekro eben  sind".  Und  indem  er  den  Hut,  den  er 
in  der  Hand  lüelt,  zu  Boden  warf,  fügte  er  zornig  hinzu: 
„Wie  diesen  Hut  will  ich  sie  zei-treten  und  vernichten,  dafs 
ihrer  in  Deutschland  nicht  mehr  gedacht  werde."  Auf  das 
flehende  Gesuch  des  Herzogs  um  Gewährung  der  Neutralität 
für  sein  Land  erfolgte  die  Antwort:  „Das  Haus  Braunschweig 
hat  aufgehört  zu  regieren".  Und  das  sechszehnte  Bulletin  ver- 
kündete unter  der  Form  einer  lingierten  Unterredung  mit 
einem  Abgesandten  des  Herzogs  den  unwiderruflichen  Be- 
Bchlufs  des  erbarmungslosen  Siegers:  „Wenn  ich  die  Stadt 
Braunschweig  zerstörte  tmd  keinen  Stein  auf  dem  anderen 
liefse,  was  würde  euer  Fürst  sagen  V  Erlaubt  mir  nicht  das 
Vergeltungsrecht,  an  Braunschweig  dasselbe  zu  üben,  was 
er  einst  meiner  Hauptstadt  hat  anthun  wollen'?  Sagt  dem 
General  Braunschweig,  er  werde  mit  aller  Kück»cht  beban- 
delt werden,  die  man  einem  preufsischen  General  schuldet, 
aber  für  einen  Souverän  kann  ich  einen  preufsischen  Gene- 
ral nicht  ansehen.  An  ihn,  den  Urheber  zweier  Kriege, 
mag  sich  das  Haus  Braunschweig  halten,  wenn  es  den 
Thron  seiner  Väter  verliert." 

Nach  solchen  Erklärungen  blieb  dem  auf  den  Tod  ver- 
wundeten Greise  nichts  anderes  übrig  als  seine  schmerzens- 
reiche Flucht  fortzusetzen.  Die  Ruhe  der  wenigen  Tage, 
die  er  in  Braunschweig  hatte  verbringen  düifen,  hatte,, ihm 
wohlgethau.  Seine  Wunde  fing  an  zu  heilen,  die  Arzte 
gaben  selbst  Hotfnung,  ihn  am  Leben,  zu  erhalten.  Jetzt 
scheuchten  ihn  die  Drohungen  seines  Uberwinders  und  das 
Herannahen  ü^nzüsischer  Truppen  von  neuem  auf.  Am 
2ö.  Oktober  vcrliefs  er  auf  einem  Tragbette  Braimschweig, 
um   Hut'  däniscliera  Gebiet  emö  Tasäxk^V  tä  «qäiK^wx.    Tau- 


Tod  Karl  WUhelra  Feniinands. 


337 


k. 


sende  von  Menschen  gaben  ihm  das  Geleit  Es  war,  als 
wenn  man  einem  schon  Gestorbenen  die  letzte  Ehre  er- 
weise. Glücklich  erreichte  er  Hambui*g  und  von  da  den 
Sicherheit  bietenden  dUniächen  Boden.  Aber  die  Unruhe 
und  die  Unbequemlichkeiten  dos  Transportes  hatten  seinen 
Zustand  wesentlich  verachlimmert.  Das  Aufsersto  war  nicht 
mehr  abzuwenden.  Während  sein  Sohn  und  Erbe  sich 
unter  Blücher  tapfer  mit  bei  Lübeck  schlug,  trat  der  Todes- 
kampf ein.  Am  10.  November  starb  Karl  Wilhelm  Ferdi- 
nand in  Ottensen  bei  Altonn.  In  einem  Gewölbe  der  dor- 
tigen Dorikirchc  ist  er  bestattet  worden,  bis  vier  Jahre  nach 
der  BelVeiung  des  Vaterlandes  seine  sterblichen  Reste  nach 
Braunschweig  gebracht  und  hier  in  der  Gruft  seiner  Ahnen 
unter  dem  Dome  von  St.  Blasien  ihre  letzte  Ruhestätte 
fanden. 

An  demselben  Tage,  an  welchem  der  Herzog  Brauuschweig 
verÜels,  waren  die  französischen  Vortruppen  bis  wenige  Weg- 
stunden von  der  Stadt  gelangt.  Am  26.  Oktober  besetzten 
sie  Wolfenbüttel  und  gegen  Abend  rückte  Gonoral  Bisson 
in  die  Hauptstadt  ein.  Die  immer  noch  von  den  Einwoh- 
nern gehegte  Hoffnung,  man  werde  das  Land  als  neuti-al 
ansehen,  da  die  Braun  Schweiger  Truppen  nicht  an  dera 
Exiege  teilgenoramon  hatten,  erwies  sich  als  trügerisch. 
Zwar  brachte  der  den  Franzosen  ontgegengesandte  General 
von  Griesheim  die  Nachricht  zurück,  diese  kämen  ihrer  Ver- 
sicherung nach  „als  Freunde".  Aber  kaum  war  das  fünf- 
zehnte ü*anzösischo  Dragonerregiment  in  das  Steinthor  ein- 
gezogen, so  wurden  die  Braunschweiger  Truppen  entwaffnet, 
die  Wachtparade  mufste  das  Gewehi*  sti-ecken,  alles  Kriegs- 
material in  das  Zeughaus  abgeliefert  werden:  nur  den  Offi- 
zieren liefs  man  ihre  Degen.  Zwei  Tage  darauf  (28.  Ok- 
tober) erklärte  der  französische  Kommissariua  Alalraison, 
sein  Kaiser  nähme  von  dem  Lande  Braunschweig  als  einer 
mit  den  Waffen  gewonnenen  Eroberung  Besitz,  und  liefa 
die  herzoglichen  Wappen  von  den  Öffentlichen  Gebäuden 
entfernen.  Alsbald  folgten  die  unausbloibHchen  Bogleiter  sol- 
cher Okkupation:  drückende  Requisitionen,  Einquartierungen 
und  schiieislich  die  Ausschreibung  einer  Kriegskoutribution 
von  anderthalb  MiUiünen  Tlmlern,  teils  in  barem  Geld,  teils 
in  Naturallieferungen ,  mit  der  Androhung  der  sti^ougsten 
Strafen,  sobald  die  geforderto  Summe  nicht  pünktlich  ein- 
ginge. Die  bisherigen  Behörden  blieben  vorläufig  noch  in 
Kraft,  aber  sie  fungierten  nur  als  Werkzeuge  der  fremden  Ge- 
walthaber.     Die    Offiziere   des   aufgelösten    Heeres    wurden,^ 

HelnenftBo,  Rraanicbir.-hanQäT.  0«tcVie'h\#.    \\1.  ^f^ 


Zweites  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


soweit  sie  nicht  in  {ranzöBische  Dienste  zu  treten  oder  sich 
als  Invaliden  zu  erklären  bereit  waren,  als  Kriegapefangene , 
nach  Metz  abgetührt.  Naciidera  diese  dringendsten  Maia- 
nalinien  getroffen  waren,  begann  die  Bystematische  Ausrau- 
bung  des  Landes,  wie  sie  damals  einer  französischen  Okku- 
pation stets  zu  folgen  pflegte.  Im  Auftrage  NapoMonB>| 
erschien  Denen ,  sein  kunstverstÜDdiger  Amanuensis ,  in 
Braunschweig,  um  die  Beute  an  Kostbarkeiten  und  Kunst- 
werken auszusondern  j  die  fortan  die  Khre  haben  sollten,  in 
den  Pariser  Sammlungen  zu  prangen.  Die  wertvollsten 
Gegenstände  in  dem  Kunst-  und  Na tui*alieuk abinet  zu 
Braunacliweig ,  die  schönsten  Gemälde  der  Galerie  von 
Salzdalilum,  die  seltensten  Handschriften  und  Drucke  der 
Wolfen biittler  Bibliothek  und  was  sonst  Begehrenswertes 
der  Kunstsinn  und  Sammeleifer  der  Braunschweiger  Für- 
sten in  ihren  Schlössern  aul'gehäuft  hatte,  das  alles  wurde 
von  den  „heillosen  Weltplünderern"  entlUhi*t  und  nach  Paris, 
geschleppt. 

Kein  besseres  Los  als  dem  mifshandelten  und  ausgepltin-^ 
derten  Braunschweig  fiel  nach  der  Katastrophe  von  Jena  dem 
Kurfürsten  tum  0  Hannover:  nur  dafs  es  infolge  der  voraufge- 
gangenen Besetzungen  durch  Franzosen  und  Preufsen  lüer 
nicht  mehr  so  viel  zu  rauhen  und  zu  erpressen  gab.  Auch  in 
Hannover  hatte  man  sich  anfange  mit  der  IloShung  geschmei- 
chelt, von  den  Drangsalen  des  Krieges  verschont  zu  bleiben. 
Das  Ministerium  hatte  die  prcufsischcn  Adler  abnehmen  lassen 
und  sie  durch  Plakate  ersetzt,  auf  denen  in  iranzösischer  und 
deutscher  Sprache  zu  lesen  war:  „Neutrales  Land".  Aber 
was  kümmerte  die  Franzosen  solche  papierno  Erklärung?  ^J 
Der  am  21.  Oktober  abziehenden  preulsischen  Administra-  ^H 
tionakommission  folgten  ihre  Beamte  und  Truppen  auf  dem  ^^ 
Fufse.  Derselbe  General,  der  schon  einiual  eine  ähnliche 
Rolle  in  Hannover  gespielt  hatte,  war  auch  jetzt  ausersehen, 
sich  des  Landes  zu  versichern.  Am  4.  Kovember  erklärte 
Mortier  den  hannövrischen  Ständen,  dafs  er  das  Land  für 
den  Kaiser  der  Franzosen  in  Besitz  nähme.  Eine  neue 
Exekutivkommlsaion,  bestehend  aus  den  Landräten  vonMünch- 
hausen  und  von  Meding  sowie  aus  dem  Hofrat  Patje,  ward 
eingesetzt.  Noch  standen  preufsische  Besatzungen  in  den 
Festungen  Hameln  und  Nienburg,  ein  kleines  Korps  unter 
dem  General  Lecocq  lagerte  z^nschen  beiden  Festungen  an 
der  Weser.  Als  nun  aber  der  Feind  sich  näherte  und  sii 
an  beiden  Ufern  des  Flusses  ausbreitete,  kam  es  auch  hier 
zu  ähnlichen  schmählichen  Ereignissen,  wie  auf  dem  Haupt- 
hriegsBch&upl&tze.     Hameln  ka^iVvÄiet^a  tmX.  «määt  ^«aatzuiig 


Das  KÖnigrcicb  Weetfiden. 


339 


Ton  10000  Mann  vor  einer  franaösischen  Truppenmacht 
Ton  kaum  mehr  als  der  halben  Stärke,  und  diesem  Bei- 
spiele folgte  am  26.  November  auch  das  unbedeutendere 
Nienburg.  Damit  befand  sich  das  ganze  Land  in  der  Ge- 
walt  der  Franzosen,  die  nicht  zögerten,  sich  wiederum  häus- 
lich in  ihm  einzurichten. 

Das  Schicksal  der  beiden  Länder  sollte  sich  nun  bald 
erfüllen.  Am  9.  Juli  1807  hatte  sich  Preulsen  in  Tilsit 
den  Friedensbedingungen  unterwerfen  müssen,  die  der  Kaiser 
der  Franzosen  ihm  vorschrieb.  Es  verlor  fast  die  Hälfte 
seines  bisherigen  Ländergebietes.  Alle  seine  Provinzen  west- 
lich der  Elbe  mufste  es  an  Frankreich  abtreten.  Aus  einem 
Teil  dieser  Kriegsbeute,  femer  dem  Kurilirstentum  Hessen, 
der  Oraiachaft  Kaunitz-Rittberg,  der  Abtei  Corvey,  endlich 
dem  ganzen  Herzogturae  Braunschweig  und  den  hannövri- 
scben  Fürstentümern  Grubeuhagen,  Gottingen  und  Osnabrück 
nebst  dem  hanuüvri&chen  Harze  schuf  Napoleon  durch  kaiser- 
liches Dekret  vom  18.  August  1807  das  Königreich  West- 
falen, diiH  er  filr  seinen  jüngsten  Bruder  Hieronymus  Buona- 
pai'te  bestimmte.  Alle  übrigen  Provinzen  des  Kurfürstentums 
Hannover  blieben  zunächst  lüs  Kriegsbcsitz  in  der  Hand 
des  französischen  Kaisers.  Für  das  neugebildete  bunt  zu- 
sammengewürfelte Königreich  wurde  noch  im  Laufe  des- 
selben Jahres  am  15.  November  eine  Verfassung  gegeben, 
die  der  Form  nach  von  einem  Ausscfausse  der  nach  Paris 
berufenen  Abgeordneten  aus  den  verschiedenen  Teilen  des 
Landes  beraten,  in  Wirklichkeit  von  dem  Kaiser  vorge- 
schrieben wurde  und  ganz  nach  französischem  Muster  zuge- 
schnitten war.  Es  waren  die  bekannten  liberalen  Grund- 
sätze, wie  sie  sich  infolge  der  französischen  Staatsumwälzung 
ausgebildet  hatten  imd  die  man  jetzt  auf  deutschen  Boden 
übertrug :  Gleichheit  vor  dem  Gesetze,  Aufhebung  aller  Vor- 
recbte  einzelner  Klassen,  Beseitigung  der  Leibeigenschaft; 
Freiheit  des  Kultus  tiii'  alle  Keligionsgesellschat^on,  gleiches 
Steuersystem  nnd  eine  Vertretung  durch  Reichsatände,  Die 
letzteren  sollten  aus  hundert  Älitgliedem  bestehen,  von  denen 
fast  drei  Vierteile  von  dem  Grimdbesitze  zu  wählen  waren. 
Im  schroffsten  Widerspruch  mit  diesem  liberalen  Schein- 
wesen stand  aber  die  gesamte  Verwaltungsmaschine,  das  Sol- 
datenregiment, die  Poüzei-  und  Spionen  Wirtschaft,  das  ganze 
Öebahren  und  Treiben  der  zahllosen  französischen  Glücks- 
ritter und  Abenteurer  am  Hofe  zn  Kassel,  die  gleicbfalis  von 
der  Seine  und  Loire  an  die  Ufer  der  Fulda  und  Weser 
verpflanzt  wurden.  Das  Land  wurde  nach  den  bekannten.^ 
iede  historische    Entwicklung    negietetidfeXi   ^T^x!Äs;4.\.TjasR  \&. 


840 


Zweites  Buch-    Dritter  Abschnitt. 


acht  möglichst  gicichgrorse  DepartementB  zerschnitten,  diese 
in  Distrikte,  Kantone,  Muuicipalitiiten  geteilt,  kurz  die  ganze 
französische  Regienings-  und  Verwaltungst'orm  auf  das  deut- 
sche Land  übertragen.  Auch  das  fi*aDzösl8chc  Recht  wurde 
gleichmäfsig  unter  Aufhebuug  aller  bisherigen  Provinzial- 
rechte  den  einzelnen  Landesteilen  aufgedrängt,  der  Code 
Napoleon  als  einzige  Quelle  der  Rechtsprechung  überall 
eingeführt.  Westfalen  mul'ste  —  dies  war  die  erste,  unum- 
gängliche Bedingung  bei  der  Errichtung  des  neuen  König- 
reiches gewesen  —  dem  Rheinbunde  beitreten  und  sich  ver- 
pflichten, zur  Aufrechterhaltung  der  französischen  Universal- 
nerrschaft  in  Europa  ein  Heer  von  25  000  Mann  zu  erhalten, 
das  selbstverständlich  nach  französischem  Muster  organisiert 
und  bewaffnet  ward.  Mit  rüeksichtsloBcater  Selbstsucht  hat 
Napolfion  die  Abhängigkeit  dieser  seiner  politischen  Schö- 
pfung ausgebeutet.  Auf  allen  Schlachtfeldern  Europas  haben 
westfälische  Regimenter  in  den  näclisten  Jahren  lur  seine 
ehrgeizigen  Pläne  geblutet.  Auch  fmanziell  hat  er  das  Land 
auf  seine  bekannte  Weise  ausgesogen.  Die  Hälfte  aller 
fürstlichen  Domänen  hatte  er  sich  von  vornhei*ein  zur  Be- 
lohnung seiner  Offiziere  vorbehalten,  auch  befohlen,  dafa  die 
Bezahlung  der  von  ihm  während  des  Krieges  den  einzelnen 
Ländern  auferlegten  Kriegssteuern  in  die  Verfassung  aiifgo- 
nommeu  werde.  Es  war  völlig  vei^ebens  gewesen,  dafs 
die  nach  Paris  berufenen  Abgeordneten  bei  der  Beratung 
der  Verfassung  dagegen  Vorstellungen  gemacht  hatten.  So 
war  in  der  That  das  neugeschaffene  Königreich  nichts  an- 
deres als  ein  Vasallenstaat  Frankreichs.  Aber  nicht  das 
war  das  Schlimmste  der  neuen  Ordnung  der  Dinge.  Un- 
heilvoller noch  und  verderblicher  wirkten  der  Leichtsinn,  die 
Verschwendungssucht  und  die  Frivolität  des  Königs ,  die 
Sittenlüsigkeit  und  die  veriulirerische  Pracht  seines  Hofes, 
die  Habsucht  und  die  Bestechlichkeit  seiner  nächsten  Um- 
gebung. Es  war,  als  wenn  eine  Ahnung  diese  ganze  Ge- 
aellschafl  erfüllte,  dafs  die  Tage  des  KomödiantenkÖnigtiuns 
mit  ihrem  hohlen  Schein  und  Flitter  gezählt  seien,  dafs  der 
Pfuhl  von  Schlechtigkeit,  Leichtsinn  und  frivoler  Genufs- 
sucht  nach  kürzester  Frist  mit  eisernem  Besen  werde  aus- 
gekehrt werden  und  dafs  man  daher,  so  lange  der  lustige 
Traiun  dauere,  den  Becher  der  Freude  in  um  so  rascheren 
Zügen  leeren  müsse. 

Inzwischen  lastete  auf  den  ehemals  hannövrischen  Land- 
schaften ,  welche  nicht ,  wie  die  südlichen  Teile  des  Kur- 
ßtaüteSj   mit  dem   Königreiche  Westfalen  vereinigt  worden 

en,  ungemindert  und  unmWte^ai  ^^t  ^\äffinÄ  \ir4R.W  der 


4 


n 


Jl 


Französische  Gewaltherrschaft  in  Hannover. 


S4] 


Knechtschaft.  An  die  Stelle  der  früheren  Landesdeputation, 
welche  bei  der  ersten  französischen  Besetzung  des  Landes 
den  fremden  Machthabern  erBprielUiche  Dienste  geleistet 
halte,  nun  aber  zur  Beschaffung  neuer  Geldmittel  nicht  mehr 
auszureichen  schien,  trat  im  Frühjahr  1807  eine  kaiserliche 
Regierungskomraission,  welche  die  Befehle  Napoleons  einfach 
zu  volistrecken  hatte.  Denn  bei  der  Erschöpfung  des  Lan- 
des waren  aufeer ordentliche  Mafsregelu  erforderhch,  um  die 
ihm  bei  aeiuer  Wiederbesetzung  von  neuem  aufgebürdete 
aufserordeutlicLe  Kriegsteuer  von  1 600  000  Frauken  und 
die  gewöhnliche  Kontribution  von  120000  Franken  monat- 
lich zu  erpressen.  Die  Absendnng  einer  Deputation  an  Daru, 
den  damaligen  Gewalthaber  in  Hannover,  nm  eine  Vermin- 
derung dieser  uuerschwinghchen  Summe  zu  erlangen ,  war 
völlig  erfolglos.  Auch  hiei-  raufsten  dann  die  kuriurstliclien 
Domänen  und  die  Stifter  im  Laude  dazu  dienen,  um  tran- 
zösische  Generäle  und  Zivilbearate  mit  Dotationen  auszu- 
statten. Ein  eigener  Domftnendii*ektor  ward  dazu  ernannt. 
Die  Summe,  die  allein  im  Jahro  1808  an  Mortier,  Bema- 
dotte ,  Berthier ,  Ney ,  Massena ,  Caulincourt ,  Davonst  und 
andere  aus  den  Domänen  angewiesen  wurde,  betrug 
2  324000  Franken,  wozu  dann  im  folgenden  Jahre  noch 
eine  abermalige  Dotation  im  Betrage  von  2104000  Franken 
kam. 

Das  Jahr  1808,  in  welchem  zu  Ende  September  der 
Kongrefs  von  Erfurt  zusammentrat,  wo  die  beiden  grofsen 
Kaiser  des  Westens  und  Ostens,  Napolt^on  und  Alexander 
von  Rufsland,  gewissermal'sen  die  gebildete  Welt  unter  sich 
verteilten,  schien  den  durch  die  letzten  Ereignisse  geechaflFe- 
nen  Zuständen  in  Europa  die  Gewähr  der  Dauer  zu  geben 
und  das  zerrissene,  gedemUtigte  Deutschland  auf  immer  der 
französischen  Herrachaft  oder  doch  wenigstens  dem  französi- 
schen Einflufse  zu  überliefeni.  Voa  allen  Gegnern  des  mo- 
dernen Imperatorentums  stand  allein  England  noch  aufrecht 
und  setzte  den  Krieg»  den  es  mit  kurzer  Unterbrechung  nun 
schon  seit  dem  Jahre  1793  gegen  Frankreich  führte,  un- 
gebeugten Mutes  fort.  Zugleich  Latte  sich  auf  der  pyrenäi- 
schen  Halbinsel  jeuer  gewaltige  Volkskrieg  gegen  französi- 
sche Gewaltthat  und  Bedrückung  entzündet,  der,  unterstützt 
von  den  Engländern,  bald  ein  feindliches  Heer  nach  dem 
anderen  verschlingen  und  nach  Napoleons  eigenem  Ge- 
ständnis sein  Bchliefslicbes  Verderben  herbeiführen  sollte. 
Au  diesem  Penineularkriege  nahm  auch  die  deutsch- engh sehe 
Legion  einen  hervorragenden  und  ruhmvollen  Anteil.  Jene. 
Männer,  die  einst  infolge  der  l]ni'&\ü^ti\\.  ^^t  \va.Tcc;<iN^'&^to5so^ 


B42 


Zweites  Bucb.    Dritter  Abecbnitt 


KegieruDg  an  der  Elbe  die  Waffen  ohne  Kam  pt*  hatten 
strecken  müssen,  bekämpften  hier  auf  fremdem  Boden  den 
Bedrücker  und  ßerauher  ihres  Vaterlandes  und  erwarben 
sich  in  den  Schlachten  von  Talavera,  Albuera,  Salamanca 
imd  Vittoria  sowie  in  nngezäiilten  kleineren  Gefechten  den 
Dank  ihre»  Feldherrn  und  die  Bewunderung  der  Mit-  und 
Nachwelt.  In  Mitteleuropa  aber  erhob  »ich  noch  einmal  das 
alte,  „an  Ehren  und  nn  Siegen  reiche"  Osterreich,  um  die 
drückende  VorheiTschaft  Frankreichs  über  den  Erdteil  zu 
zerbrechen  und  seine  frühere  Machtstellung  zurückzuorobem. 
So  entbrannte  der  Krieg  von  18Ü9,  der  nach  den  Absichten 
der  österreiclnschen  Staatsmänner  eine  Befreiung  JDeutsch- 
landsj  vielleicht  eine  Wiederherstellung  des  seit  der  Abdan- 
kung Franz'  II.  auch  formell  aufgelösten  römischen  ßolches 
deutscher  Nation  herbeiiuhreu  sollte. 

Zu  Ende  des  März  stand  die  österreichische  Hauptmacht 
unter  dem  Erzherzoge  Karl  schlagfertig  am  Inn  zwischen 
Braunau  und  Scbärding.  Ein  rascher  Vormarsch  würde  ihr 
ohne  Zweifel  grofse  Erfolge  gesichert  haben,  da  die  Rhein- 
bundfürsten Siiddeutschlands  leicht  überwältigt  werden 
konnten  und  die  französischen  Heerteile  noch  nicht  zur  Stelle 
waren.  Aber  der  Erzherzog  verlor  eine  kostbare  2ieit. 
Und  als  er  sich  dann  am  10.  April  in  Bewegung  setzte,  er- 
litten seine  getrennt  vordringenden  Korps  eine  Keihe  von  Nieder- 
lagen,  die  dem  Verluste  einer  grofsen  Schlacht  gleichkamen, 
die  österreichische  Armee  in  zwei  Teile  zerrissen  und  diese 
zu  einem  verlustvollen  Rückzüge  auf  den  beiden  Ufern  der 
Donau  nötigten.  Nur  mit  Mühe  gelang  es  ihnen,  nach  der 
Besetzung  Wiens  durch  die  Franzosen  rückwärts  dieser  Stadt 
ihi*e  Vereinigung  herzustellen.  Der  erste  Akt  des  Feldzuges 
war  völlig  raifsglückt,  die  österreichische  Offensive  gescheitert. 
Wohl  warf  dann  der  gloiTeiche  Sieg,  den  der  Erzherzog 
am  21.  und  22,  Mai  in  der  Schlacht  von  Aspern  crfoch^ 
einen  hellen  Sti-ahl  der  Hotfiiung  in  die  Herzen  der  Pa- 
trioten. Der  Zauber  der  Unbesiegbarkeit  des  fränkischen 
Kaisers  war  gebrochen,  jubelnd  verkündete  Th.  Körner,  dafs 
„Germanien  nicht  gesunken  sei,  dafs  es  noch  einen  Tag 
und  einen  Mann  habe".  Einen  Augenblick  seinen  es,  als 
wenn  Preufsen  sich  anschliefsen,  das  französische  Joch  ab- 
schütteln wüi-de.  Aber  in  BerUn  machte  man  dies  von 
einem  zweiten  Siege  der  österreichischen  Waffen  abhängig. 
Statt  dessen  kam  die  Nachricht  von  dem  Verlust  der  Schlacht 
bei  Wagram,  von  dem  Rückzuge  des  Erzherzogs  nach  Mähren, 
voa  dem  WaffenatilUtaude  von  Znaira,  dem  bald  der  Wiener 
Friede  folgen  ßollte,     DVeaet  V'TiaÖLe  \Ää\s;^^'us.  -swi  \u&uöm 


* 


4 


Der  Krieg  Toa  1809. 


848 


die  Unterwerfung  Deutschlands  unter  die  Machtgebote  des 
französischen  Kaisers,  ja  schmiedete  die  Fesseln,  mit  denen 
■er  es  umstrickt  hielt,  noch  fester. 

Osterreich  hatte  den  Krieg  in  der  Hoffnung  begonnen, 
dafa  nicht  blofs  Preufsen  su  gemeinsamem  Handeln  sich 
ihm  auschliefsen,  sondern  dafs  aucb  sein  ,,  Aufruf  an  die 
deutsche  Nation"  in  den  Herzen  der  Patrioten  lauten  Wicdor- 
hall  linden  und  zu  mutigen  Thaten  begeistern  würde.  Der 
Erfolg  entsprach  indes  diesen  Hoffnungen  nur  in  geringem 
llafse.  Zwar  erhob  sich  das  treue  Tyrol  in  Waffen  und 
feierte,  dreimal  von  der  bayerisch -franzüsischen  Übermacht 
niedergeworfen,  dreimal  seine  Auferstehung ,  bis  es  endlich, 
von  Österreich  verlassen  und  von  seinen  Feinden  übor- 
Bchwemrat,  sich  unterwerfen  mufstc.  Zwar  wurden  auch  in 
Norddeutscliland  einige  Aufstandsversuche  gewagt,  aber  sie 
scheiterten  teils  in  ihren  Anilingen  wie  die  Unternehmungen 
von  Dörnberg  und  Katte,  oder  sie  erlagen  nach  kurzem  heroi- 
echeu  Kampfe,  wie  der  Versuch  Schills  und  seiner  Genossen. 
Einen  glücklicheren  Ausgang  hatte  die  Waffenerhebung  des 
Erben  von  Braimschweig,  und  wenn  sein  kühner  Zug  von 
den  Grenzen  Böhmens  bis  zu  den  Gestaden  der  Nordsee 
■auch  an  den  traurigen  Ergebnissen  des  unglücklichen  Feld- 
zuges nichts  zu  ändern  vermochte,  so  zeigte  er  doch,  was 
tapferen  Männern  gelingen  kann ,  so  stärkte  er  doch  das 
nationale  Selbstbewufötöein,  so  entlachte  er  doch  die  Hoff- 
nung auf  eine  bessere  glückgesegnete  Zukunft. 

Von  den  vier  Söhnen  des  durch  Napoleon  geächteten 
und  seines  Thrones  beraubten  Herzogs  Karl  Wilhelm  Fer- 
dinand war  der  älteste,  der  mit  einer  Prinzessin  von  Nas&au- 
Oranien  vermählte  Erbprinz  Karl  Georg  August,  wenige 
Wochen  vor  der  Katastrophe  von  Jena  (20.  September  1806) 
in  jungen  Jahren  gestorben.  Da  die  beiden  folgenden, 
Georg  Willielm  Christian  und  August,  au  körperlichen  und 
geistigen  Schwächen  litten,  die  sie  zur  Übernahme  der  Ke- 
gierung  wenig  geeignet  erscheinen  liefsen,  so  glaubte  der 
Vater,  als  er  schwer  verwundet  imd  erblindet  damals  eine 
kui'ee  Rast  in  Brauntichweig  fand,  die  umwölkte  Zukunft 
seines  Landes  dadurch  am  ehesten  zu  sichern,  dafs  er  diese 
beiden  Söhne  zum  Verzicht  auf  die  Erbfolge  bewog  und 
seinen  vierten  Sohn  Friedrich  Wilhelm,  der  ihm  am  y.  Fe- 
bruar 1771  geboren  war,  zum  Nachfolger  an  der  Regierung 
bestimmte.  Dieser  hatte  durch  die  Vermittlung  seines 
Oheims  Friedrich  August  bereits  im  Jahre  1785  die  An- 
wartschaft auf  das  von  der  Krone  Preuiseu  lehnsrührige 
Fürstentum  Öls  in  Schleaiea  erlaug^    1f  tVÄi  va.  '^■«'»aSß^s»S>ö!^ 


344 


Zwcitte  Buch.    Dritter  Abschuitt. 


Dienste  getreteu,  wurde  er  neimzehnjälirig  zum  M»jor  be- 
fördert und  maolite  den  Feldzug  von  1792  gegen  Frank- 
reich mit,  aus  dem  er  eine  ehrenvolle  Niirbe  heimbrachte. 
Nach  dem  Frieden  von  Basel  wai'd  er  zum  Obristen  und 
Inhaber  eines  Regimentes  ernannt,  und  im  September  1802 
vermählte  er  sich  mit  Marie  KUeabeth  WiDielminej  der 
Tochter  des  Erbprinzen  Kax-l  von  Baden.  Drei  Jahre.später 
fiel  ihm  durch  den  Tod  des  Oheims  das  Fürstentum  Oh  zu- 
Das  Jahr  1806  mit  seinen  unheilvollen  Kiiegsereignissen 
warf  auch  ihn  aus  der  Bahn  eines  i*uhigen  Garn isun leb ens, 
dessen  Einförmigkeit  sein  feuriges  Naturell  schwer  ertrug, 
sodafs  mau  sich  öfters  über  sein  unbändiges  und  trotzlgcfl 
Wesen  zu  beschweren  hatte.  Aber  die  Schicksalsschl^ge, 
die  nun  über  sein  Haus  bereinbrachenj  schmiedeten  ihn  zum 
Manne.  Von  Lübeck  eilte  er  nach  der  Kapitulation  des 
blücherschen  Korps  an  das  Sterbebett  des  Vaters  nach 
Ottensen.  Er  war  jetzt,  durch  das  Machtwort  Napoleons 
des  Krbes  seiner  Ahnen  beraubt,  ein  länderloser  Flüchtling, 
der  bald  hier,  bald  dort,  meistens  in  Bruchsal  bei  seinem 
Schwieger\'ater  lebte.  Das  Jalir  1808  entril's  ihm  die  ge- 
liebte Qattin,  ein  schwerer  Verlust,  der  seine  Stimmung 
noch  mehr  verdüsterte,  seine  Unrast  steigerte.  Seine  beiden 
Söhne,  damals  Knaben  von  vier  und  zwei  Jahren,  liefs  er 
unter  der  Obhut  der  Grofsmutter,  später  brachte  er  sie  nach 
England.  Kr  selbst  liefs  nicht  ab,  nach  den  politischen 
"Wetterz eichen  auszuspähen,  die  ihm  die  Gelegenheit  bieten 
könnten,  seinen  Degen  für  die  Befreiung  Deutschlands  und 
der  eigenen  Heimat  zu  ziehen.  Als  (Österreich  in  den  ersten 
Tagen  des  Jahres  1809  seine  Rüstungen  begann,  schien  ihm 
diese  Gelegenheit  gekommen.  Er  eilte  nach  Wien  und 
Bchlofs  hier  im  Februar  einen  Vertrag  mit  Osterreich,  wo- 
nach er  sich  verbindlich  machte,  ein  Korps  von  2000  Mann, 
Reiterei,  Fufavolk  und  Geschütz,  auf  eigene  Kosten  zu  er- 
richten, nicht  in  österreichischen  Diensten,  sondern  als 
„deutscher  Reichsfurst"  und  als  freiwiUiger  Verbündeter  des 
Kaiserhauses.  Sein  Plan  ging  dahin,  nach  Korddeutschland 
vorzudringen,  im  Rücken  des  Feindes,  besonders  in  den 
weifischen  Landen,  einen  Aufstand  gegen  die  frauzösischen 
Bedrücker  zu  entfachen.  Alsbald  begann  er  seine  Wer- 
bungen ,  zuerst  in  seinem  Fürstentume  Ols ,  dann  an  der 
sächsisch- böhmischen  Grenze.  Oflfizlcre  und  Mannschaften, 
viele  aus  der  alten,  auf  Kapoieons  Gebot  verringerten  preu- 
fsischen  Armee,  traten  in  seineu  Dienst.  Am  1 .  April  hatte 
er  die  vereinbarte  Zahl  so  ziemlich  beisammen.  Er  glie~ 
vierte  sie  in  ein  leichtes  Infautene-,  isoi  "ÖMAwreßs^^gimeut  und 


Herzog  Friedrich  Wilhelm  von  Braonschweig. 


345 


eine  reitende  Batterie.  Die  Uniform .  die  er  den  Truppen 
gab,  der  schwarze  Schnürenrock ,  der  Tschacko  mit  dem 
Totenkopf  und  dem  wehenden  Rolsschweif.  pai'ste  gut  zu 
seinen  Intentionen.  Sie  sollte  auch  äufeerlich  andeuten,  dafa 
es  einen  Kampf  auf  Tod  und  Leben  f3;egen  fremde  Gewalt- 
herrschaft und  Bedrückung  gelte.  Er  stand  damals  im 
neununddreifsigsteu  Lebensjahre,  ein  Mann  von  unbeugsamem 
Willen,  ein  uuerschi'ockener  Soldat,  stark  in  seiner  Liebe 
zu  seiner  Heimat  und  noch  stärker  in  seinem  Uafs  gegen 
den  Unterdrücker  aller,  den  Berauber  seines  Hauses,  den 
ungrofsmütigen  Überwinder  seines  Vaters. 

El*  liefs  sich  auch  durch  den  uuglückÜchen  Beginn  des 
Feldzugea  nicht  entmutigen.  Am  Tage  vor  dem  siegreiuhen 
Einzüge  NapoMone  in  Wien  (12.  Mai)  brach  er  von  Braunau  in 
Böhmen  aui,  am  21.  Mai,  dem  ersten  Schlachttage  von  Aspem, 
überschritt  er  die  böhmisch-sächsische  Grenze  und  besetzte 
Zittau.  Eine  Proklamation,  an  „seine  Landsleute"  gerichtet, 
rief  alle  Deutschen  zu  den  Waffen.  „Lafst  uns  zeigen", 
hiefs  es  darin,  „dafa  wir  Deutsche  sind,  die  für  Gesetze, 
Verfassung  und  gegen  Bedrückung  kämpfen."  Sie  hatte 
nicht  den  geringsten  Erfolg.  Viebnehr  gelang  es  dem  säch- 
sischen Obristen  Thielmann,  die  kleine  Reiterabteilung,  die 
der  Herzog  in  Zittau  zurückgelassen  hatte,  in  der  Nacht 
des  30.  Mai  zu  überfallen  und  völlig  zu  zersprengen.  So 
begann  das  Unternehmen  nicht  eben  unter  glücklichen  Ge- 
stirnen. Aber  schon  in  der  folgenden  Nacht  liefs  der  Her- 
zog die  Sachsen  in  der  Stadt  durch  Major  von  Reichmoister 
angreifen,  der  sich  nach  heitigem  Kample  abermals  in  ihren 
Besitz  setzte.  Nun  kamen  aucli  die  Österreicher  in  Be- 
wegung. Ein  Korps  von  nahezu  7000  Mann  nnter  dem 
General  Am-Ende  vereinigte  sich  mit  den  Truppen  des 
Herzogs,  und  am  11.  Juni  rückte  man,  die  schwachen  säch- 
sischen Abteilungen  vor  sich  herti-oibend ,  in  Dresden  ein. 
Friedlich  Wilhelm  drängte  jetzt  zu  einem  raschen,  ent- 
scldossenen  Vorgehen  nach  Westi'alen,  wo  er  meinte  das 
luftige  Königreich  des  Komödiantenkönigs  mülielos  über  den 
Haufen  zu  werfen.  Aber  der  Österreichische  General  war 
zu  so  kühnem  Wagen  nicht  zu  gewinnen.  Mau  liefs  den 
Sachsen  Zeit,  ihre  Ersatzmannschaften  zu  sammeln  und  sich 
auf  das  frauzösisch-westlalische  Korps  zurückzuziehen ,  das 
König  Hjeronynma  in  eigener  Person  gegen  den  Bedroher 
seiner  Herrschatt  heranführte.  Dieser  war  inzwischen,  im- 
mer den  Österreichern  vorauf,  bis  Leipzig  vorgedrungen. 
Am  22.  Juni  zog  er  in  die  Stadt  ein.  Aber  sein  Vorschl»:^, 
die  Sachsen   vor  ihrer   Vereinigung   tö\\   «^^^la  "^^yiä.^ 


■J-VV 


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Zweites  Buch.    Dritter  Abacbuitt 


Westfalen  anzugreifen,  scheiterte  an  der  Zaghattigkeit  Am- 
Endes.  Dieser  zog  sicL  vor  der  ieiudlichen  Übermaclit  zu- 
rück und  gab  Dresden  den  nacUriickenden  Feinden  preis. 
Bei  Übermarbach  bestand  der  Iloraog  ein  glückliches  Uück- 
zugßgetecht,  das  ihm  und  seinen  Verbündeten  den  Abmarsch 
nach  Franken  ermöglichte,  wo  unter  dem  General  Radi- 
vojevich  ein  kleines  österreichisches  Korps  den  Franzosen 
unter  Junot  gegen überstaud.  Euer  übernahm  Kienmayer 
den  Oberbefehl  über  die  verbündeten  Streitkräfte.  Er  zog 
sogleich  liadi vojevich  an  sich  und  lieferte,  noch  bevoraich  Junot 
mit  den  Sachsen  und  Westfalen  vereinigen  konnte,  diesem 
am  7.  Juli  bei  Berneck  ein  siegreiches  Treffen,  welches  die 
Franzosen  auf  Bayreuth  zurückwarf  und  dessen  glücklichen 
Ausgang  mau  hauptäiichlicli  dem  geschickten  imd  energischen 
Eingreifen  der  Brauuschweiger  Freiscbar  verdankte.  Noch 
einmal  wurde  dann  Dresden  zurückgewonnen,  und  noch  ein- 
mal belebten  aich  die  lioffnimgen  des  Herzogs,  durch  einen 
Einbruch  in  Norddeutschland  die  französische  Herrschaft 
hier  zu  stürzen  und  eine  allgemeine  Erhebung  des  Volke» 
herbeizuführen.  Allein  die  Kunde  von  dem  Abschlufs  des 
Waffenstillstandes  von  Znaim  machte  diesen  Hofihungen  mit 
einem  Schlage  ein  Ende.  Jetzt  galt  es  für  seine  eigene 
Sicherheit,  vor  allem  aber  für  diejenige  seiner  braven 
Schwarzen  zu  sorgen,  die  ihr  Schicksal  in  seine  Uand  ge- 
legt hatten  imd  die  von  dem  Feinde  als  erklärte  Brigands, 
wenn  sie  in  seine  Hände  fielen,  das  Schlimmste  zu  befürc-hten 
hatten.  Freilich  hätte  der  Herzog  sie  vor  aller  Gefahr  sicher 
stellen  können,  wenn  er  geneigt  gewesen  wäre,  sich  den 
Bedingungen  des  Waffenstillstandes  zu  unterwerfen.  Er 
hätte  dann  entweder  seine  schwarze  Schar  auflösen  oder  mit 
ihr  in  österreichischen  Kriegsdienst  treten  müssen.  Dazu 
konnte  er,  der  als  Bundesgenosse  des  Kaisera  und  als  Koichs- 
Airst  in  den  Kampf  eingetreten  war,  sich  nicht  cntschlicfson. 
Sü  kläglich  sollte  ein  Unternehmen,  das  in  so  patriotischem 
Sinn  gewagt  war,  mit  so  stolzen  Hoffnungen  begonnen  hatte, 
nicht  enden.  Lieber  woDte  er  versuchen,  mit  seinen  Ge- 
treuen durch  die  umdrängenden  Feinde  hindurch  sich  Bahn 
zu  brechen  bis  zum  rettenden  Meere,  um  auf  dem  freien 
Boden  Englands  bessere  Zeiten  und  eine  verheil'sungsvolle 
Schicksalswendung  zu  erwarten.  Am  24.  Juli  versammelte 
er  sein  Korps  bei  Zwickau.  Hier  machte  er  ihm  seinen 
Entschlufs  bekannt.  Er  stellte  allen  Offizieren  und  Mann- 
schaften frei,  wenn  sie  Bedenken  hegten,  ihren  Abschied  zu 
nehmen.  Gegen  dreifsig  Ofli:dere  und  zweihundert  Soldaten 
Bmchtea   von  dem  AnerVieten.  ^3^e^>^:a.^iR^\.   ^wi  'öiivx^en  er- 


Sein  Krir^^ug.    Gefecht  bei  Ölpcr. 


847 


kl 


klärten  unter  lautem  Zuruf,    sie   wollten  bei  dem  Herzoge 
bleiben,  mit  ihm  leben  oder  sterben. 

Damit  begann  jener  denkwürdige  Zug,  der  unter  den 
Kriegsthaten  dieser  Zeit  einen  der  ersteu  Plätze  einnimmt 
und  scbon  damals  auf  die  in  ernevieter  Glorie  orstrablendo 
Kaisermaeht  des  grofaen  Sclilachteuraeistera  von  Europa 
«inen  diuiklen,  unheilverkündenden  Schatten  wiu't'.  An 
demselben  Tage  nocb  brach  der  Herzog  auf,  en*eichte  über 
Altenburg  in  der  Morgenfrühe  des  26.  Juli  Leipzig,  nach- 
dem die  Bäcbeischen  !Schwadronen,  die  Bich  bei  Connewitz 
entgegenstellten,  zurückgeworfen  waren.  Dann  ging  es  in  be- 
schleunigten Mäi-Rchen  nach  Halle  und  von  da  über  Qued- 
linburg nach  Halberstadt.  Hier  ßtiefs  der  Heraog  unerwartet 
auf  den  Feind.  Das  fünfte  westiUlisehe  Infanterieregiment 
unter  dem  Obnsten  Meyronnet  Gml'ea  von  Welligerode, 
welches  von  Magdeburg  ausgerückt  war,  um  den  nach  Han- 
nover entsandten  General  Heubel  zu  verstärken,  hielt  die 
Stadt  besetzt.  Sie  wurde  in  einem  kühnen  AngritFe  erstürmt, 
das  ganze  feindliehe  Regiment  niedergemacht  oder  gefangen. 
Den  feiudlichen  Obriätcn  holten  clie  beiden  Lieutenants 
von  Girsewald  mitten  aus  seinen  Leuten  heraus.  Am 
31.  Juli  erreichte  das  Korps,  nachdem  es  sich  durch  diesen 
blutigen,  haitbestrittenen  Sieg  den  Weg  frei  gemacht  hatte, 
Wolfenbüttel,  und  am  Abend  des  nämlichen  Tages  zog  der 
Herzog  in  die  Kcsidcnz  seiner  Väter,  in  Braunschweig,  ein, 
hier  wie  dort  von  dem  unendlichen  Jubel  der  Bevölkerung 
empfangen.  In  Braunschweig  aber  war  seines  Bleibens  nicht 
lange.  Schon  zog  sich  gleich  schweren  Wetterwolken  die 
leindliche  Übermacht  um  das  Häuflein  seiner  Getreuen  zu- 
sammen. Von  Süden  her  nahcte  die  holländische  Division 
Gratien,  deren  Spitze  schon  Wolteubüttel  eri'eiehte,  während 
Reubel  mit  seinen  5000  Mann  und  seinen  zehn  Geschützea 
sich  anschickte,  ihm  den  W^eitermaisch  nach  Norden  zu  ver- 
legen. Friedrich  Wilhelm  verbrachte  die  Nacht,  die  ihm  in 
Braunschweig  zu  rasten  vergönnt  war  und  die  er  benutzte, 
um  in  einer  Proklamation  leierlich  von  dem  Laude  Besitz 
zu  nehmen,  nicht  in  dem  Schlosöe  seiner  Ahnen,  sondern  er 
lagerte  am  Petrithore  inmitten  seiner  schwarzen  Genossen. 
Am  1.  August  um  Mittag  brach  er  mit  ihnen  gen  Norden 
auf^  um  sich  den  Durchbruch  durchdie  dreifache  Übermacht 
des  Feindes  zu  erkämpfen.  Bei  Olper,  eine  Stunde  von 
Braunschweig,  bestand  er  gegen  Reubel  ein  siegreiches  Ge- 
fecht, in  welchem  ihm  ein  Pferd  unter  dem  Leibe  erechossen 
ward.  An  seiner  gefährdeten  Lage,  an  der  Wabv^ÄKQ.vB.\iR)&.- 
keit,  zwischen  zwei  übermächtigen  Gtegnetu  fetÖLririffA-TÄ^^t^-o-» 


S18 


Zweitem  Buch.     Dritter  Abschnitt. 


vermochte  dieser  Erfolg  nichts  za  ändern.  Unter  diesen 
Umständen  rieten  mehrere  Offiziere  dem  Herzoge,  seine  Per- 
son nach  Kngland  in  Sicherheit  zu  bringen,  den  Christen 
von  Bernewitz  aber  als  den  ältesten  Otlmer  mit  dem  Ab- 
schtufs  einer  Kapitulation  liir  die  Truppen  zu  beauftragen. 
Mit  Entrüstung  wies  Friedrich  Wilhelm  eine  solche  Zttmutung 
zurück.  Lieber  wollte  er  das  Auleerste  wagen ,  sich  dui'ch 
einen  Überfall  Reubels  Bahn  brechen.  Da  Uef  die  Nach- 
richt ein,  dafß  dieser  bei  ISchwüJper  über  die  Ocker  gegangen 
sei,  um  seine  Vereinigung  mit  dem  von  Süden  heranziehen- 
den Gratien  zu  bewerkstelligen.  So  war  der  Weg  nach 
Norden  momentan  frei.  Diesen  günstigen  Augenblick  ergriff 
der  Herzog,  um  seinen  Kopf  aus  der  Schlinge  zu  ziehen. 
In  Elhnäaschen  ging  es  jetzt  über  Peine  nach  Hannover, 
von  da  nach  Nienburg,  wo  man  die  Weser  erreichte.  Zu  der- 
selben Zeit,  wo  die  Yortruppen  des  langsam  folgenden  Fein- 
des  auf  dem  rechten  Flufsufer  beJ  Nienburg  und  Hoya  er- 
schienen, iiela  der  Herzog  die  dortigen  Brücken  abwerfen. 
Durch  Entsendung  einer  kleinen  Abteilung  unter  dem  Major 
Korfea  wufate  er  die  Feinde  irre  zu  führen.  Über  Delmen- 
horst erreichte  er  mit  dem  Rest  des  Korps  glücklich  E1&- 
fleth.  Hier  und  in  dem  etwas  nördlicher  gelegenen  Brake 
fand  am  7.  August  die  Einscliiffung  statt.  Die  Pferde  mufs- 
ten  zurückgelassen  werden.  Der  Herzog  selbst  leitete  die 
Unterbringung  der  Mannscliaftcn  in  den  mit  Mühe  zusammen- 
gebrachten Schiffen.  Er  war  der  letzte,  der  das  Land  ver- 
Eefs.  Glücklich  schwammen  die  Fahrzeuge  die  Weser  ab- 
wärts, zwar  von  den  Dänen  am  Ufer  beschossen  aber  ohne 
nanihal'teu  Verlust.  Nur  zwei  Kähne  mit  Gepäck,  Vorräten 
imd  einigen  Leuten  gerieten  durch  die  Schuld  der  Schiffer 
auf  den  Strand  und  wurden  von  den  Dänen  genommen. 
Der  Herzog  war  schon  bei  Bremerlehe  an  Bord  der  ame- 
rikanischen Bngg  „the  Shepherdess"  gegangen.  Als  er  mit 
seiner  tapferen  Schar  die  Mündung  der  Weser  erreichte, 
nahm  ihn  ein  kleines  englisches  Geschwader  auf,  das  der 
Gouverneur  von  Helgoland  ihm  entgegengeschickt  hatte. 
Unter  dem  Donner  der  Salutschüsse  bestiegen  die  wackeren 
wegemüden  Streiter  die  Rettung  bringenden  Schiffe,  die 
sie  zunächst  nach  Helgoland,  von  da  nach  kurzer  Rast  den 
britischen  Gestaden  zufüLrten.  Fünfzehn  Tage  hatte  der 
Harsch  von  der  bühmischen  Grenze  gedauert,  mitten  durch 
vom  Feinde  l)esetztes  Land,  in  der  heifsen  Sonne  des  Juli 
und  August,  unter  beßtändigeu  Scharmützeln,  Gefechten  und 
Kämpfen,  die  meist  gegen  eine  bedeutende  Übermacht  be- 
Bt^ndeu  werden  mufsten.    ^e\V>%l  di«m  'M«V(Ä(i\v'S*MiÄfc,  dessen 


Bedeutung  sciiMs  Zuges. 


349 


feile  Presse  den  Herzog  als  Haupt  einer  Räubei'bande  zu 
brandmarken  suchte,  hat  er  eine  halb  widerwillige  Aner- 
kennung abgeprefst.  ,,Daa  ist  ein  tapferer  Kriegsmann ", 
soll  Napoleon  in  Schönbrunn  zu  seiner  Umgebung  gciiufsert 
haben.  Der  bleibende  Gewinn  aber  dieses  heldenhaften 
Zuges  war,  dafs  er  die  morschen  Grundlagen  aufdeckte,  auf 
denen  der  Kaiser  der  Franzosen  in  Deutschland  seine  und 
seiner  Vasallen  Macht  aufgerichtet  hatte,  dafa  er  zeigte,  was 
Entschlossenheit  und  männlicher  Sinn  selbst  gegen_  die 
drückendste  Übermacht  vermögen,  dafa  er  die  durch  Öster- 
reichs Niederlage  schwer  geti*offenen  Herzen  wieder  mit  Ver- 
trauen, HoflFnung  und  mit  der  Zuversicht  der  endlichen  Be- 
freiung des  deutschen  Volkes  ei-füllte. 

Dies  letztere  war  namentlich  auch  in  den  welfischen 
Landen  der  Fall:  in  Brauixschweig,  wo  man  den  reeht- 
Diäfsigen  Erben  des  Herzogtums  wiedergesehen  Iiatte,  wo  er 
an  der  Spitze  seiner  tapferen  Krieger,  umbraust  von  dem 
Zujauchzen  des  Volkes,  eingeritten  war,  wo  die  Bürger  wäh- 
rend der  bangen  Stunden  der  Nacht  auf  den  1.  August  an 
den  Thoren  und  auf  den  Wällen  den  Wachtdienst  über- 
nommen, manche  auch  an  dem  Kampfe  des  folgenden  Tages 
sich  mutvoll  beteiligt  hatten,  in  Hannover,  wo  man,  wenn- 
schon die  Truppen  hier  nicht  mit  derselben  Begeisterung 
aufgenommen  wurden,  doch  eifrig  bemühet  gewesen  war,  sie 
auf  ihrem  sechstingigen  Marsche  durch  das  Land  zu  fördern, 
sie  mit  Nahrungsmitteln  zu  versehen,  den  verfolgenden  Feind 
durch  falsche  Nachrichten  irrezuluhren.  Es  war,  zumeist 
in  Braunschweig,  wie  ein  kurzer  Traum  der  Befreiung  ge- 
wesen, der  leuchtend  vor  den  Augen  der  Bewohner  autatieg, 
um  ebenso  schnell  in  nichts  zu  zerrinnen.  Nach  dem  Ab- 
züge des  Herzogs  lag  die  Besox'gnis  nahe,  dafs  man  diesen 
Traum  schwer  werde  büfsen  müssen,  dafs  man  die  Rache 
der  Machthaber  in  Kassel  werde  zu  empfinden  haben. 
Allein  —  war  es  das  Getuhl  der  noch  fortdauernden  Un- 
sicherheit oder  eine  Anwandlung  von  Grolsmut  —  nichts 
davon  geschah.  Vielmehr  richtete  der  westfäÜsche  Minister 
von  Wülffradt  am  5.  August  im  Auftrage  des  Königs  ein 
verbindliches  Schi*eibcn  an  den  Präfekten  des  Ockerdopar- 
tementSj  Henneberg,  der  sich  energisch  dem  Befehle  der 
beiden  feindlichen  Generale  widersetzt  hatte,  wonach  die 
Stadt  der  Plünderung  der  westfälischen  und  holländischen 
Truppen  verfallen  sollte.  Zugleich  ward  ein  Dekret  des 
Königs  veröffentlicht,  in  welchem  „Se.  Majestät  dem  Un- 
willen Ausdruck  lieh  über  das  unwürdige  Veramr^cV-MiL  ^  4a». 
man  Jlireii  Truppen  gegeben  habe".     3a,  ^ifc 'öNäA.'v. "^^«»»3^.- 


Zweites  Buch.    Di-itter  Abschuiti 


schweig  hatte  durch  den  EmpfaBg,  den   aie  dem   Uerzoge 

und  seinen  Schwarzen  bereitete,  die  Gunst  des  Königs  von 
Westfalen  so  wenig  verscherzt,  dai's  er  ihr  zwei  Jahre  später 
(2.  August  1811)  das  seiner  tViiheren  Kunstschätze  beraubte 
Lustschlors  Salzdahlum  zum  Geschenk  machte,  worauf*  dann 
diese  Schöpfung  Anton  Uhichs,  einst  der  Stolz  und  die  Zierde 
des  ganzen  Landes,  von  der  Stadt  auf  den  Abbruch  ver- 
kauft und  leider  in  einer  unsagbar  vandalischen  Weise  ver- 
wüstet ward. 

Inzwischen  war  zwischen  Frankreich  und  Osterreich  am 
14.  Oktober  1809  der  Friede  von  Wien  geschlossen  worden, 
der  auch  iür  die  zu  dem  Rheinbünde  gehörigen  Staaten 
mancherlei  Gebiets  Veränderungen  herbeilübrte.  Kiue  der 
wichtigsten  war,  dafs  die  bisher  unter  die  unmittelbare  fran- 
zösische Kriegs  Verwaltung  gestellten  nördlichen  Landschaften 
des  ehemaligen  Kurstaates  Hannover,  mit  einziger  Ausnahme 
des  Herzogtums  Lauenburg,  mit  dem  Königreiche  Westfalen 
vereinigt  wurden.  Es  geschah  dies  durch  kaiserliches  Dekret 
vom  14.  Januar  IftlO,  und  am  1.  März  erfolgte  im  Schlosse 
zu  Hannover  die  Übergabe  jener  Provinzen  an  die  Bevoll- 
mächtigten des  Königs  von  Westfalen.  So  sehr  der  Druck 
der  militärischen  Verwaltung  mit  ihren  Kontributionen,  Ein- 
quartierungen ,  Liefenmgen ,  kurz  dem  ganzen  bekannten 
Außbeutungssystem  auf  dem  Lande  gelastet  hatte,  so  wenig 
war  man  doch  in  Hannover  von  dieser  Veränderung  be- 
friedigt. Gerade  die  militärische  Okkupation  hatte  dem  Laude 
in  vielen  Dingen  seine  früheren  Einrichtungen,  seine  Unter- 
behöi*den,  die  Art  der  Verwaltung,  sein  altheimiaches  üecht, 
eine  Menge  althannövrischer  Gepflogen  hei  teu  gelassen,  an 
denen  das  plötzlichen  Veränderungen  abgeneigte  Volk  hing 
und  deren  Bestand  den  französischen  Gewalthabern  ihre 
Stellung  im  Lande  erleichterte.  Jetzt  mufste  man  die  Be- 
sorgnis hegen,  dafs  die  moderne  abstrakte  Staatskunst  in 
Kassel  rasch  und  gründlich  mit  diesem  „  alten  Plunder " 
aufrilumen,  die  neuerworbenen  Provinzen  in  die  westtaUsche 
Zwangsjacke  stecken  werde,  ohne  doch  eine  gröfsere  Schonung 
des  Landes,  eine  materielle  Ei-leichterung  desselben  von  Na- 
poleon erwirken  zu  können.  Und  so  geschah  es.  Die  neuen 
Landesteile  wurden  in  drei  Departements,  das  Nord-  Nie- 
derelbe- und  Allerdepartement,  zerschnitten,  Präfekten  an 
ihre  Spitze  gestellt,  der  Code  Napoleon  eingelUhrt,  kurz  der 
gründliche  Umsturz  alles  Bestehenden  in  Scene  gesetzt,  den 
wir  schon  bei  der  Errichtung  des  Königreichs  Westfalen 
kennea  gelernt  haben.  Dazu  kam  die  Konskription,  von 
der  Hannover  bislang  verBc\\QTi\  ^«E^^^^ai  ■ww,  >iaÄw  ^  Er- 


Einverleibung  hannjirrischer  Landesteile  in  Fraukrclcb.       3Ö1 


richtuxig  eines  ganzen  Heeres  von  Zollbeamten  an  den  Gren- 
zen. Nicht  nur  daC&  die  alten  Lasten  blieben,  eti  kamen 
infolge  der  völligen  Abhängigkeit  Westi'alena  von  der  Will- 
kür des  franzüaischen  Kaisers  noch  neue  hinzu.  Schon  im 
Oktober  erklärte  Napoleon,  als  der  Sold  für  die  französischen 
Truppen  nicht  pünktlich  gezahlt  ward,  ,,er  erblicke  darin 
einen  Bruch  des  Vertrages  mit  seinem  jüngsten  Bruder,  durch 
den  diesem  der  Besitz  der  haunövrischen  Lande  zugewiesen 
wäre".  Und  wenige  Wochen  später  (l 3.  Dezember)  erschien 
im  Moniteur  ein  kaißcriiohes  Dekret,  welches  mit  der  Be- 
gründung, dals  man  die  Mündungen  der  Scheide,  Maas,  Ems, 
"Weser  und  Elbe  nur  dann  mit  Erfolg  dem  englischen  Handel 
verschliefsen  könne,  wenn  sie  in  der  unmittelbaren  Gewalt 
des  Kaisers  seien,  aui'ser  Holland,  Üstfrlealand,  Oldenburg 
und  den  Hansestädten  Hamburg,  Bremen  und  Lübeck  auch 
die  ehemals  hannövri sehen  Landschaften  Osnabrück,  Bremen. 
Verden ,  Lauenbui'g,  das  nördliche  Lüneburg ,  Hoya  und 
Diepholz  nebst  dem  Amte  Wüdeshausen  dem  ii'anzösischen 
Reiche  einverleibte.  Aus  diesen  Gebieten,  soweit  sie  deutsch 
■waren,  wurden  drei  Departements,  das  der  Oberems,  der 
"Weser-  und  der  Eibmündung  gebildet,  deren  Hauptorte 
Bremen,  Hamburg  und  Osnabrück  wai*Gn.  Füi*  sie  ward  in 
der  oeuerrichteten  „Regierungskommission"  eine  allmächtige 
Oberbebörde  geschaffen,  an  deren  Spitze  Napoleon  in  der 
Person  des  Marschalls  Davoust,  Fürsten  von  Eckmühl,  eines 
seiner  rücksichtslosesten,  gcwaltthätigsten  Werkzeuge  stellte. 
Nun  begann  auch  hier  in  überstürzter  Eile  die  Umgestaltung 
der  bisherigen  Verhältnisse  nach  franzjisischem  Muster.  Schon 
zu  Anfang  des  Jahres  1811  trat  die  Regierungskommission 
in  Thätigkeit.  Das  bisherige  Gerichtsverfahren  mulste  dem 
französischen  weichen,  der  Code  Kapolöon  trat  an  die  Stelle 
des  heimischen  Rechtes,  in  Hamburg  wurde  als  oberster  Ge- 
richtshof die  Cour  imperiale  errichtet,  das  Französische  als 
eigentliche  Geschäftsaprache  eingeführt,  wennschon  der  Gte- 
braucb  des  Deutschen  daneben  gestattet  blieb.  Einschnei- 
dender noch  waren  bei  den  bisherigen  überseeischen  Be- 
ziehungen dieser  Länder  die  zur  strengsten  Durchiiibrung 
dei-  Kontinentalspen-e  ergi'iifenen  Maiarcgeln,  Eine  Unzahl 
von  meist  französischen  Zollbeamten  bewachte  die  Küste  und 
liefs  keine  eugUschen  Waren  passieren.  Eine  Menge  von 
Genu&mitteln,  an  welche  die  Bevölkerung  gewöhnt  war, 
ward  ihr  damit  entzogen  oder  stieg  zu  luierschwing- 
licher  Preisböhe.  Die  Folge  davon  war  das  Emi>orkommen 
und  beständige  Wachsen  des  entsittlichenden  8chlclchhaudft.W^ 
der  bald  eine  Ausdehnung  gewonii,  "wift  ^\ft  m  'avüüß 


Tjär. 


«KS 


Zweites  Quch.    Dritter  Abschtutt. 


ten  unerhört  gewrcsen  war.    Zwischen  der  an  kühnes  Wagen 
gewöhnten  Küstenbevölkening  und  den   firanzösi sehen  Trup- 
pen und  Douaniors    ward   ein    nie   ruhender    Krieg   geluhrt, 
der  zwar  alle  Gefahren  eines  wirklichen  Krieges  im  Gefolge 
hatte,  aber  auch  aller  jener  edleren  Faktoren  entbelirte,  die 
einen  solchen   unter  Umständen  zu  adehi   vermögen.      Und 
zu    diesem    Unwesen   gesellten    sich   noch    die   gewöhnlichen 
Begleiter  Napoleoni scher  Vülkcrbeglückung:  die  Konskription, 
der  sich  ein  jeder   nach  Kräften   zu   entziehen   suchte,    Ab- 
gaben aller  Art,  wie  man  sie  nie  vorher  gekannt  hatte,  ein  ^^ 
Polizei-  und  Spionsy&tem,  das  mit  seinen  Polypenarmen  das  ^M 
Land  luuklammert  hielt  und  nicht  nur  auf  Schmuggler  und  ^^ 
AuHrcifser  fahndete,  sondern  mit  seinen  Organen  in  die  harm- 
losesten geaelligeu  Vereinigungen,  ja   in    das  Heiligtum    der 
Häuser  und  Familien  drang.    Die  dürftigen  Reste  ehemaligen 
Wohlstandes,    welche    die    voraufgegangenen   Okkupationen 
noch   verschont    hatten,   schwanden  jetzt   unter   dem    neuen 
Gewaltdruck  schnell  dahin.    Der  Handel  war  vernichtet,  die 
Schifffahrt  stockte,  die  Fabriken  standen  still  und   mufsten 
geschlossen    werden.      Zu    keiner   Zeit ,    kaum    selbst    im      i, 
drei fäigj ährigen  Kriege,  hatte  das  Land  so  Bitteres  zu  loiden^Hj 
gehabt.  ^H 

Das  hannovriache  Volk  ertrug  alle  diese  Leiden  und 
Drangsale  mit  jener  unverwüstlichen  Passivität ,  die  ein 
Grundzug  seines  Charakters  ist.  Die  neuen  Einrichtungen 
und  Gesetze  vermochten  weder  den  spröden  niedersfichöischen 
Sinn  im  Volke  zu  ändern,  noch  seine  Anhänglichkeit  au 
das  angestammte  Fürstenhaus  zu  erschüttern.  Mochte  man 
den  Hannoveranern  und  Braunschweigem  auch  vorschreiben, 
die  Geburtstage  ihrer  neuen  Landesherren,  des  Kaisers  in 
Paris  und  des  Königs  in  Kassel,  pomphaft  zu  feiern,  ihre 
Treue  gegen  das  entthronte  Weli'enhaus  blieb  davon  unbe- 
rührt. In  Wolfenbüttel  hat  damals  ein  Prediger  zu  einer 
von  ihm  am  Geburtstage  des  Königs  Hieron3'mus  zu  halten- 
den Predigt  bemerkt,  dafa  er  sie  nicht  habe  halten  können, 
weil  niemand  in  der  Kirche  gewesen  sei.  Schon  bei  der 
ersten  Besetzung  Hannovera  durch  die  Franzosen  hatte  einer 
von  ihnen  auf  seine  verwunderte  Frage,  wie  es  komme, 
dafs  die  Leute  mit  solcher  Liebe  an  einem  Landesherrn 
hingen,  den  sie  doch  niemals  gesehen,  zur  Antwort  erhalten: 
„  es  sei  damit  wie  mit  dem  lieben  Gott,  den  man  auch  nicht 
zu  sehen  bekomme".  Darin  änderte  sich  auch  nichts,  als 
die  G^raütskrankheit,  die,  langsam  beginnend  und  öfter  zum 
SüÜBtAnde  gebracht,  im  Jahre  1810  den  Geist  des  Königs 
Georg  UI.  so  völlig  umnacVitete,  ^fe  ^fe  "^^isftäavro^  einer 


Dentscblauda  Erhebung. 


858 


Kegentsehaft  für  ihn  nötig  erscliien  und  diese  nun  durch 
Parlamentsakte  vom  5.  Februar  1811  dem  bisherigen  Prin- 
zen von  Wales  Georg  Friedrich  Angusfr  übertragen  ward. 
Geboren  am  12.  August  1762,  ergriff  dieser,  als  sich  nach 
Verlauf  eines  Jahres  die  Unhetlbarkei't  des  Vaters  heraus- 
stellte ,  alle  Hüfl&iung  auf  Genesung  dahinschwand,  am 
18.  Februar  1812  völlig  selbständig  die  Zügel  der  Regierung, 
vertauschte  das  bisherige  whigistische  mit  einem  Torymini- 
sterium  und  legte  die  Geschähe  der  auswärtigen  Angelegen- 
heiten in  die  Hand  des  Lord  Costlereagh,  der  sie  indes  ganz 
in  dem  Sinne  seines  Vorgängers  weitertührte  imd  gleich  die- 
sem den  fortgesetzten  Krieg  mit  Frankreich  und  die  Be- 
freiung Europas  von  napoleonischer  Gewaltherrschaft  auf 
seine  Fahnen  schrieb. 

Endlich  sollten  die  Ereignisse,  die  sich  im  Jahre  1B12 
im  Osten  des  Erdteils  vollzogen,  diese  ersehnte  Befreiung 
herbeiiühren  und  dem  modernen  Cäsarismus  sein  Ende  be- 
reiten. Auf  den  Eisfeldern  und  in  den  Schueewirbelu  eines 
ungewöhnlich  strengen  Winters  erlag  die  „grofse  Armee", 
mit  welcher  Napoleon  die  letzte  selbständige  Macht  des  Fest- 
landes niederzuwerfen  gemeint  hatte,  dem  Ilunger,  den  Stra- 
pazen, der  KüUe  und  dem  russischen  Schwerte.  Von  der 
halben  Million  Krieger,  mit  denen  er  Ende  Juni  die  russische 
Grenze  überschritten  hatte,  kehrte  nur  ein  kleines  Häuf- 
lein und  dieses  im  kiäglicbsten  Zustande,  zerlumpt,  erstarrt, 
krank  und  halbverhungert,  zurück.  Die  deutacbon  Truppen 
hatten  sich  den  unsäglichen  Anstrengungen  und  Entbehrungen 
gegenüber  noch  am  widerstandstähigsten  bewiesen,  aber  selbst 
von  den  23C!Ü0  Westfalen,  die  mit  ausgezogen,  sah  kaum 
der  zwölfte  Teil  die  Heimat  wieder.  Es  war  wie  ein  Got- 
tesgericht, desgleichen  die  Welt  noch  niemals  gesehen ,  das 
mit  Donnerstimme  die  Völker  aus  ihrer  feigen  und  selbst- 
süchtigen Ruhe  aufrütteln  zu  müssen  schien.  Wenn  man 
jetzt  das  Eisen  nicht  scJimiedete,  so  war  man  der  Knecht- 
schaft wert,  die  so  lange  mit  ehernem  Druck  auf  Fürsten 
und  Völkern  gelastet  hatte.  Zuerst  erhob  sich  Preufsen, 
nicht  mehr  das  Preufsen  der  Lxicchesini ,  Lombard  und 
Haugwitz,  sondern  das  Preufsen  der  Stein,  Gneiseuau,  Blü- 
cher und  Scharnlioröt ,  geläutert  in  Trübsal  und  Unglück 
und  gestählt  in  dem  Gedanken,  die  verlorene  Stellung  ent- 
weder kämpfend  wiederzugewinnen  oder  mit  Ehren  unter- 
zugehen. Mit  wunderbarer  Schnelligkeit  folgten  sich  die  ent- 
scheidenden Malsregeln,  vollzogen  sich  die  Rüstungen,  Am 
30.  Dezember  1812  hatte  York  mit  Diebitsch  und  W\,i\^^\v- 

llriaemaua.  ßrati8»cli**.-hann5v.  G«8cUicUle.    UL,  ^ 


854 


Zweites  Buch.    Dritter  Abschnitt 


Btein  die  berühmte  Konvention  von  Tauroggen  geechlossen, 
am  5.  Februar  beschlofs  der  Landtag  in  Königsberg  die 
Bewaffnung  der  Provinz  Preulaen,  am  17.  März  crliel's  der 
König  von  Breslau  aus  den  Aufinaf  „an  mein  Volk'*,  der 
in  beredter,  hinreifsender  Sprache  alle  Stünde  aufforderte^ 
7.U  den  Waffen  zu  greifen.  Der  Erfolg  ist  allgemein  be- 
kannt. Kfirner  hat  ihn  in  den  jubelnden  Woiten  zusammen- 
gefnföt:  „Das  Volk  steht  auf,  der  fcJturni  bricbt  los." 

In  den  übrigen  Teilen  Norddeutschlands  bh'eb  man  hinter 
dem  von  Proufsen  gegebenen  Beispiele  nicht  zurück.  Wo 
sich  russische  Vortruppen  zeigten,  da  erhob  sich  das  Volk 
und  schlofs  sich  ihnen  an.  Am  15,  Jlärz  ei-schieu  Obriat' 
Tettcnborn  mit  1500  Reitern,  Kosaken,  Dragonern  und  Hu- 
saren, sowie  mit  ein  Paar  leichten  Geschützen  in  Laiien- 
bure.  Es  war  die  erste  zum  französischen  Reiche  gehörige 
Stadt,  die  die  verbündeten  Truppen  betraten.  Mit  Jnbel 
wurden  sie  empfangen,  die  i'ranzösisehon  Adler  herab- 
gerisseUj  die  niten  Landeszeichen  wiedflrherge stellt.  Am  fol- 
genden Tage  bestanden  die  Russen  ein  siegreiches  Gefecht 
mit  dem  General  Moraud,  das  ilmen  den  Weg  nach  Ham- 
burg i)ffhete.  Am  17.  März  zogen  sie  hier  ein  unter  Glocken- 
gelüute,  Freudeiiscliüeiüen  und  den  begeisterten  Zurufen  der 
Bevölkerung.  Nacli  allen  Seiten  breitete  sich  in  dem  Lande, 
das  so  viel  gelitten,  die  Bewegung  aus,  an  vielen  Orten 
freiwillig  und  ohne  dafs  die  fremden  Truppen  dazu  den  un- 
mittelbai-en  Anstofs  gaben.  In  Lübeck,  in  Harburg,  in 
Stade  wtirdon  die  alten  Behörden  wieder  eingesetzt.  Die 
Ritterschaft  der  Herzogtümer  Bremen  und  Verden  trat  zu- 
sammen, um  eine  provisorisclic  Regierung  zu  bilden  und 
eine  VolkKwehr  zu  organisieren.  In  Lauenburg  emchtete 
Major  von  ßerger,  ein  Veteran  aus  dem  Peninsularkriege, 
ein  Bataillon  von  Freiwilligen ,  andere  hannüvrische  Edel- 
leute,  Graf  Kielmannsegge,  von  Estorf,  von  Beaulieu,  folgten 
diesem  Beispiele.  Von  allen  Seiten  strömte  die  kampilustige 
Jugend  herbei,  England  lieferte  die  Ausrüstungsgegeustände 
und  Waffen. 

Auch  in  Lüneburg  hatte  mau  die  iranzösi sehen  Ve: 
waltungsorgane  beseitigt,  die  früheren  Behörden  wiederher 
gestellt  und  sich  mit  Hilfe  eines  Trupps  von  Kosaken  der 
Angriffe  einzelner  französischer  Reiterabteilungen  erwehrt 
Dafür  sollte  die  Stadt  jetzt  gezüchtigt  werden.  General 
Morand  setzte  sich  zu  diesem  Zwecke  mit  250U  Mann  und 
einigem  Geschütz  in  Bewegung.  Am  1.  April  erschien  er 
vor  der  Stadt,  die  keinen  Widexßtand  wagte.  Er  Hei's  so 
gleich    nach    seinem  Kinauge  2.a\A\cvcVft  N  wWÄxw^^m.  ^<v 


ie 


Die  Ereignisse  in  Lüaebarg. 


ä&5 


nehmen.  Eine  Aozakt  der  davon  Betroffenen  sollte  am  fol- 
genden Tage  ei"8ciios8en  werden.  Aber  am  Morien  dieses 
Tages  sah  er  sicli  selbst  durch  den  Obristcn  von  Düraberg, 
dem  der  Bei'ehl  über  einige  prcufsische  und  russische  Trup- 
penteile übertragen  war,  angegriffen.  In  der  Morgenfrühe 
begann  der  Sturm  aut"  die  noch  ganz  in  mittelalterlicher 
Weise  befestigte  Stadt.  Das  preufsische  Füsiliorbataillon 
unter  Major  Borke  bemächtigte  sicli  nach  liartem  Kampfe 
des  Lüner  Tliores  und  diang  zuerst  in  die  Stadt  ein.  In 
einem  mörderischen  Strafaengef echte  wurde  dann  der  Feind 
aus  der  Stadt  hinansgetrieben.  Draufsen  von  russischen 
Reitern  empfangen ,  sah  er  sich  g<^en  die  Stadt  zurück- 
gedrängt, und  nachdem  Morand  selbst  tiidlich  verwundet  in 
die  Hände  der  Sieger  gefallen,  ward  der  Kcst  seiner  Leute 
fast  völlig  niedergemacht  oder  gefangen.  Drei  Fahnen,  zehn 
Geschütze  und  eine  Bienge  Geiangener  waren  die  Trophäen 
dieses  ersten  Sieges,  den  die  Verbündeten  auf  deutschem 
Boden  erfochten.  Allein  es  war  nur  eine  kurze,  rasch  vor- 
übergehende Beti'einng  der  Stadt.  Schon  am  Tage  nach 
dem  Gefechte  näherte  sich  unter  General  Montbrun  der  Vor- 
trab des  französischen  Korps,  mit  welchem  der  Marschall 
Davoust  von  Magdeburg  autgebrochen  war.  Es  blieb  Döm- 
berg  nichts  übrig,  als  sich  nach  Boitzenburg  zurückzuziehen 
und  hinter  der  Eibe  vor  der  überlegenen  Macht  des  Feindes 
Schutz  zu  suchen.  Am  4.  April  rückten  die  Franzosen  in 
die  jetzt  ganz  wehrlose  Stadt.  Hundert  der  augeseheusten 
Bürger  wurden  sogleicli  eingezogen  und  je  der  Zehnte  von 
ihnen  sollte  als  Rebell  mit  dem  Tode  bülsen.  Doch  wandte 
Dörnberg  durch  die  Drohung,  an  den  französischen  Ge- 
fangenen Vergeltung  üben  zu  wollen ,  dies  Aufserate  ab. 
Schon  am  dritten  Tage  wurden  die  Geiingsteten  ihi'er  Haft 
entlassen.  Nach  Montbnins  Abzüge  erschienen  die  Fran- 
zosen unter  Sebastiani  noch  einmal  in  Lüneburg,  und  wäh- 
rend der  folgenden  Sommermonate,  in  denen  sich  die  Kata- 
strophe von  Hamburg  abspielte,  behaupteten  sich  die  Heere 
Napoleons  in  den  umliegenden  niedersächsischeii  landen. 
Erst  als  im  September  die  schlesische  Armee  unter  Blücher 
sich  anschickte,  über  die  Elbe  zu  gehen,  brach  auch  für 
diese  Gebiete,  mit  Ausnahme  von  Hamburg,  das  Davoust 
noch  bis  zum  Abschlufe  des  Friedens  festhielt,  der  Tilg  der 
Befreiung  an.  Am  rechten  Ufer  der  unteren  Elbe  stand 
unter  dem  Grafen  Wnllmoden-Gimborn  ein  aus  den  ver- 
schiedensten Truppenteilen,  darunter  fünt  hannövrischen  Ba- 
taillonen, gebildetes  Heer,  das  zwar  zu  schwach  wax.,  >»s*. 
das  von  den  Franzosen  stark  Wes\Ag,\j&  ^avc^iwx^  ^■^■cä^^xöSx 


S&6 


Zweites  Buch.    Dritter  Abschnitt. 


KU  bedrohen,  aber  der  von  Davoust  nach  Mfigdebui^  ent- 
sendeten Division  Pecheax  am  Ifi.  September  bei  der  Göhrde, 
einem  Walde  westlich  von  Dannenberg,  eine  veminhtendo 
Kicderlage  beibrachte.  Mit  Mühe  rettete  aich  der  französiecbe 
General  zu  Fufs  nach  Lüneburg,  von  wo  er  mit  der  dor- 
tigen ßesatzung  abzog.  Dieser  Sieg  führte  zur  Be&eiung 
Bremens  und  beschränkte  die  Unternehmungen  Davousts  atif 
die  nächste  Umgebung  von  Hamburg. 

Vier  Wochen  später  eriochten  die  Verbündeten  den  grofeen 
Sieg  bei  Leipzig,  der  Napohions  Hcrrschait  in  Dcutäcbland 
auf  immer  zertrümmerte.  Nun  vollzog  sich  auch  (Ende 
Oktober)  der  Umsturz  des  wesUaUscben  R^ments  in  Kassel, 
aus  welcher  Stadt  bereits  einige  Wochen  zuvor  ein  kühner 
Streifzug  Tscher nitßcheÖFs  den  König  Hieronymus  mit  seinem 
Hofe  vorübergehend  verjagt  halte.  Gleich  einem  Karten- 
hause fiel  auf  die  Kunde  von  der  Leipziger  Schlacht  die 
ganze  westfälisch-buonapartische  Herrlichkeit  über  den  Hau- 
fen. Glücklich  aus  ihrem  Zusamraenbmche  auf  zahlreichen 
Wiigen  die  dem  Lande  abgeprelste  Beate  an  Geld  und  Klei- 
nodien retten  zu  können,  entwich  der  Jüngste  der  Kapo- 
leoniden  zum  zweitenmale,  diesesmal  auf  Nimmerwiedei-seheu 
über  den  Rhein.  Jetzt  kehrten  die  von  Napoleon  verjagten 
Fürsten  in  ihre  Länder  zurück  oder  ergriffen  durch  Bevoll- 
mächtigte wieder  von  ihnen  Besitz.  Am  5.  Oktober  hatte 
der  Prinz-Regent  von  Etjgland  einen  Aufruf  zui*  allgemeinen 
Bewaflfhnng  an  seine  deutschen  Untertlianen  erlassen.  Zu- 
gleich erschien  sein  Bruder  der  Herzog  Ernst  August  von 
Cumberland  in  Hannover,  um  die  Leitung  der  militärischen 
Organisationen  uud  Rüstungen  in  die  Hand  zu  nehmen. 
Er  ward  dabei  durch  das  seit  dem  4.  November  wieder  ins 
Amt  getretene  Ministerium  kräftig  unterstützt.  Man  errichtete 
eine  Landwehr  und  einen  Landsturm.  Bald  waren  etwa 
dreiisig  Bataillone  beisammen,  deren  militärische  Ausbildung 
indes  nur  langsam  vonsfcatten  ging,  so  dafs  sie  an  den  Kriegs- 
erejgnissen  des  Jahres  1814  nicht  mehr  teilzunehmen  ver- 
mochten. In  Braunschweig  sah  man  die  ersten,  jubelnd  al» 
Befreier  begrüfsten  Preufaen  am  25.  September.  Es  waren 
Lanzenreiter  der  Landwehr  unter  von  der  Marwitz.  Am 
22.  Dezember  kam  dann  Herzog  Friedrich  Wilhelm  in  der 
Stadt  an.  Er  war  sclion  im  Frühjahr  von  England  nach 
Norddeutachland  geeilt,  hatte  sich  aber  im  Hauptquartier 
der  Verbündeten  vergebens  um  ein  Kommando  bemühet 
Dann  war  er  nach  England  zurückgekehrt  und  erschien 
jetzt  in  der  Hauptäladt  seiuea  Landes,  um  wieder  von  die- 
sem  Besitz  zu  nehmen.    Mit  \m\>G%tV\ft-^i\v;^esa^NMt  -^wrd  er 


Fcldzug  von  1814. 


l&l 


empfangen.     Er  tiatte   ziinächst  nur   den   einen  Gedanken, 
sobald  wie   möglich    eine   den  Kräften   des  Landes    entspre- 
chende Ötrcitiuaclit  aufzustellenj  um  an  dem   letzten  Kampfe 
gegen    den    verliarsten    Frankenkaiser     teilzunehraeu.       Der 
"Winterfeldzug  in  Frankreich  hatte   mit  Blüchers  Übergange 
über  den  Rhein  in  der  Nenjahrs nacht   vqn    1814    begonnen. 
Der   Herzog   mochte   dabei    nicht   fehlen.     Sein    sehnlichster 
Wunsch  war,  den  noch  immer  Gewaltigen  im  eigenen  Lande 
zu  bekämpfen.    Mit  fieberhafter  Eile  betrieb  er  die  Rüstungen. 
Schon  in  den  letzten  Tagen  des  Februar  konnte  das  Braun- 
chweiger  Korps  in  der  Stärke  von  9000  Mann  den  Marsch 
iurch  We&tfalen  nach  den  Niederlanden  antreten.     Aber  es 
tarn  zu  apät.    Am  ao.  März  war  Paria  gefallen,  am  folgen- 
ien  Tage  die   verbündeten  Monarchen   an   der  Spitze   ihrer 
Truppen  in  die  Stadt  eingezugen.    Die  Friedensverhandlungen 
tiatten  begonnen.    Trotzdem  setzte  Friedrich  Wilhelm  seinen 
larsch  fort.      Am    27.   April   war   Düsseldorf  erreicht,    am 
13.  Mai  begann    der  Vormarsch   gegen   die  Maas   trotz   der 
Torstellungen  der  Engländer  und  Osterreiclier  und  ti'otzdem 
lie  Heere   der  Verbündeten   bereits   auf  dem    Rückmarsche 
lus  Frankreich  waren.     Vom  23.  Mai  bis  zum  5.  Juni  stan- 
ien  die  brau nschweigi sehen  Truppen  in  Kantonnements  zwi- 
chen  Mecheln,  Löwen  und  Brüssel.    Erst  nachdem  sich  der 
lerzog  durch    einen    kurzen    Aufenthalt   in  Paris   von   dem 
inzwischen  erfolgten  Abschlüsse  des  Friedens  überzeugt  hatte, 
gab  er   den  Truppen   den   Befehl    zum   Rückmarsch   in    die 
Heimat.    8o  war  es  von  Braunschweigern  allein  dem  schwar- 
zen Korps,  das  Friedrich  Wilhelm  einst  glücklich  von  Böh- 
men bis  Elsdeth  geführt  hatte,  vergönnt,  an  dem  Befreiungs- 
kriege gegen  NapoMon  teilzunehmen.     Seit  dem  Jahre   IHIO 
kämpfte  dieses   Korps,    ein    Jnl'anteric-    und    ein    Husareu- 
r^mcnt,  unter  englischer   Fahne   und   wetteifernd   mit   der 
englisch  •  deutschen    Legion   auf  der    pyrenäischen   Halbinsel 
gegen    die    ausgezeichnetsten   Marschälle    Napoleons,    gegen 
MasB^na,  Ney,  Marraont   und  Soult,    blutete   in   einer  Reihe 
von  Gefechten,  half  Badajoz  erstürmen,  die  Siege  von  Ara- 
pilen  (Salamiinca),  Vittoria   und  Ortliez    und  endlich,   nach 
völliger  Räumung  der  Halbinsel  seitens  der  Franzosen,  den- 
jenigen von  Toulouse  im  südlichen  Frankreich  erfechten,  zu 
einer   Zeit,  als    die    Heere    der    Verbündeten  Paris    bereits 
genommen    hatten    und     auf    den    elyaeischen    Feldern    la- 
gerten. 

Der  erste  Pariser  Friede,  der  Napoleon  nach  Elba  ver- 
bannte, die  Bourbonen  in  der  Person  Ludwigs  XVIH.  auf  den 
französischen  Thron  zurücktWbrte  vvnöiVTwc^xfcvÄx  ^\vä.  Sx^- 


k. 


358 


Zweites  Buch.    Dritter  Abscfauttt. 


heren  Grenzen  vom  1.  Januar  1702  mit  einer  unbedeuten- 
den Gebietserweiterung  tm  Osten  bewilligte,  wsir  am  30.  Mai 
1814  uuterzeiclinet.  worden.  Üie  übrigen  Angelegenheiten 
Europas  zu  ordnen ,  namentlich  über  die  Neugestaltung 
Deutschlands  Bcsclduis  zu  lassen  ^  blieb  dem  grol'sen  allge- 
meinen Kongresse  vorbehalten ,  welcher  am  1.  November 
1814  in  Wien  zusammentrat.  Hannover  war  auf  dieser 
Versammlung,  welche  das  Schicksal  Deutschlands  fUr  das 
nächste  halbe  Jahrhundert  entscheiden  süüte,  durch  den 
Gnit'en  Münster,  Braunschweig  durch  den  Gelieinienrat  von 
Schmidt  -  Phiseldeek  vertreten.  Zwischen  Eugland  und 
Preufseu  war  noch  während  der  Dauer  des  Krieges,  am 
14.  Juni,  zu  Reichenbach  ein  Vertrag  abgeschlossen  worden, 
wonach  die  letztere  Macht  sich  gegen  die  Wiederhei-stellung 
in  ihrem  alten  Umfange  verpflichtete,  an  Hannover  das  Stifi 
Hildesheim  zu  überlassen  und  ihm  aufserdem  noch  Gebiets- 
erweiterungen mit  einer  Bevölkerung  von  insgesamt  250  bis 
300000  Seelen  verbürgte.  Dieser  Vertrag  ward  dann  am 
9.  September  zu  Tepljtz  durch  neue  Abmachungen,  denen 
auch  Uuft^land  und  Österreich  beitraten,  bestätigt  und  inso- 
fern auch  auf  das  Herzogtum  Braunschweig  ausgedehnt,  als 
in  ihnen  dem  ilause  Braunschweig- Lüneburg  die  Kückgabe 
Hannovers  sowohl  wie  die  Wiedereinsetzung  in  alle  seine 
früheren  deutschen  Besitzungen  in  feierlicher  Weise  ver- 
heifsen  wurde.  Unter  diesen  Umständen  und  in  Rücksicht 
Ruf  die  langjährige  Aussaugung  des  Landes,  an  der  sich 
doch  auch  Pieufsen  beteihgt  hatte,  ward  es  jetzt  auf  dem 
Wiener  Kongresse  Haimover  nicht  allzu  schwer,  seine  An- 
sprüche auf  Kntschädigung  durch  eine  entsprechende  Ge- 
bietserweiterung im  wesentlichen  durchzusetzen.  Nacli  den 
Artikeln  2(5  und  a4  ward  es  gegen  Abtretung  des  Herzog- 
tums Lauenburg  mit  Ausnahme  des  Amtes  Neuhaus,  ferner 
der  Enklaven  Klötze  und  Reckenberg  an  Preuisen  durch 
das  Stiit  IliMesheini,  die  ehemals  münstcrschen  Amter  Mep- 
pen und  EmsbUhren,  die  Nieder-Grafschal^  Lingen ,  ferner 
durch  die  Stadt  Ooshir  mit  ihrem  Gebiete,  das  Fürstentum 
Ostfriesland  nebat  dem  Harlingerlande,  endlich  dui-ch  den 
herzoglich  loozischea  Anteil  au  Rhcina  und  Wolbeck  ver- 
gröfsert.  Dazu  kamen  noch  die  ehemals  inainzischon  Rechte 
an  dem  Petersstifte  in  Nörten ,  die  eichsteldischen  Amter 
Lindau  und  Gieboldehausen  mit  dem  Gerichte  Duderstadt, 
endlich  als  abrundende  Erwerbungen  die  früher  hessischen 
Amter  Ucbte,  Freudenberg  und  Auburg  nebst  der  Herr- 
schnft  Piesse  mit  Neucugleichen  und  dem  Kloster  Höckel- 
heim.     Diese   Landschaften  verTttftVt^.feTci    (!i\&  YÄwKQWarRahl 


VerhaudluDgen  über  die  Neugestalttmg  Deutschlands.        H59 

Hauiiüvera  um  2;:tOU(tO  Seelen.  Dagegea  ward  das  Hereog- 
tum  Braimachweig  genau  iu  seinen  alten  Grenzen  wieder- 
bergestellr,  da  Friedrich  Wilhelm  sich  zu  einem  Gebietsaus- 
tausch nicht  zu  fcntachliefsen  vermochte.  Schon  vor  der  Er- 
ött'nung  des  Kongreasea  hiitte  am  12.  Oktober  Graf  Münster 
in  einer  Note  erklärt,  dafö,  da  nach  Aufhebung  der  :dten 
Beichöverl'aerjuug  der  Titel  eines  Kurfiirsten  seine  Bedeutung 
verloren,  der  Prinz-llegent  von  England  seine  deutschen  Ge- 
biete zu  einem  Königreiche  erhoben  habe.  Am  26-  Oktober 
ward  dies  durch  Patent  den  Einwohnern  flimnovers  zur 
Kenntnis  gebracht.  Demgegenüber  erklärte  der  Heraog 
Friedrich  Wilhelm  mit  wohl  berechtigtem  Fürstenstolze,  dals 
er  niclit  gesonnen  sei,  „seinen  uralten  Familien-  und  Ke- 
gententttel  zu  ändern". 

Was  die  deutsche  Fi-age  anlangt,  so  entwickelte  der  Ver- 
treter Braunschweigs  eine  lebhafte  und  lobenswerte  Thittig- 
keit,  um  sie  im  Sinne  einer  Wiederherstellung  der  Kaiser- 
wUrde  zu  lösen.  Zusammen  mit  den  Gesandten  von  acht- 
undzwanzig  anderen  souveränen  Fürsten  und  Städten  über- 
gab er  am  16.  November  den  beiden  deutsehen  Grofsmächtea 
eine  Note,  welche  für  Deutschland  einen  Bundesstaat  mit 
kaiserlicher  Spitze  verluugte  und  zugleich  die  Forderung  er- 
hob, dals  wie  lür  das  Ganze  durch  die  Bundesakte,  so  t^r 
die  einzelnen  Staaten  durch  landötäudische  Veriaasangen  jeder 
Willkür  vorgebeugt  werde:  den  Ständen  müsse  das  Steuer- 
bewilligungsrecht, die  Mitwirkung  bei  der  Gesetzgebung, 
eine  Kontroie  über  die  Verwaltung  und  das  Hecht  der  Be- 
schwerde! ührung  über  ungetreue  oder  sonät  stratbare  Be- 
amte zugestanden  werden.  Für  diese  Ideen ,  die  also  auf 
die  Herstellung  eines  Bundesstaates  hinausliefen,  dessen  Mit- 
glieder aus  konstitutionellen  Staaten  bestehen  und  durch  eine 
kräftige  Zentralgewalt  zusannnengehalten  werden  soMten, 
suchte  der  braunschweigische  Staatsmann  auch  die  Mit- 
wirkung und  Unterstützung  des  Vertreters  von  Hannover 
zu  gewinnen.  Er  übergab  dem  Grafen  Münster  eine  in 
diesem  Sinne  gehaltene  Denkschrift,  und  als  dieser,  bevor  er 
sich  über  die  gemachten  Vorsehläge  äufsere,  erst  vor  allem 
zu  erfahren  wünschte,  welche  Kechte  man  dem  in  Aussicht 
genommenen  Kaiser  beizulegen  gedenke,  bezeichnete  Schmidt- 
Phiseldeck  in  seiner  Antwort  als  solche  die  Aufsicht  über  die 
Ausführung  der  Bun de sbe Schlüsse,  den  Vorsitz  in  der  Bundes- 
versammlung, die  Überwachung  der  Justizverfassung,  die 
Leitung  des  Bundesmilitärwesens  und  endlich  den  Oberbefehl 
in  einem  etwaigen  Reichskriege.  Die  Sache  hatte  indea 
keinen  weiteren  Erfolg.    Trotz  der  Syvtt^atUvtfca,  Äift  "^t^  ■ö-'^n.- 


k 


itt« 


fange  wenigstenB,  Hannover  entgegenbrachte,   trotzdem    dafs 
auch  Stein  sich  im  wesentlichen  einrerstanden  erklärte,  schei- 
terte 816  an  der  geringen   Neigung  Österreichs  und   an   der 
geradezu  ablehnenden  Haltung  Preufsens  und  der  deutschen  ^^ 
Mittelstaaten.  ^H 

Mit  diesen  Verhandlungen  über  die  künftige  politische 
Gestaltung  Deutschlands  verschlang  sich  der  Hader  über 
das  Schicksal  Sachsens,  der  zu  Anfang  des  Jahres  1815 
eine  so  drohende  Wendung  nahm,  dafs  unter  den  bisherigen 
Verbündeten  der  Ausbruch  eines  abermaligen  europäischen 
Krieges  zu  befürchten  stand.  Allein  es  sollte  dazu  nicht 
kommen.  Am  7.  März  ti*af  in  Wien  die  Nachricht  ein,  dafs 
Napoleon  Elba  heimlich  verlassen  habe,  imd  bald  folgten 
sich  Schlag  auf  Schlag  die  Hiobsposten  von  seiner  glück- 
lichen Landung  in  Frankreich ,  von  seinem  Triumphzuge 
durch  die  Provinzen,  der  Flucht  Ludwigs  XVIU.,  der  Ein- 
nahme von  Paris,  dem  Sturz  der  Bourbouen.  Ein  neuer 
Krieg  stand  bevorj  aber  nicht  unter  den  bisher  mit  einander 
verbündeten  Mächten,  sondern  von  ganz  Europa  gegen  den 
geraeinsamen  Feind,  den  abennafigen  frevelhaften  Bedroher 
des  Weltfriedens.  Schon  am  13.  März  erliefsen  die  in 
Wien  versammelten  B^ürsten  ein  gemeinsames  Manifest,  wel- 
ches Napoleon  Buonaparte  als  Feind  und  Störer  der  Ruhe 
der  Welt  bezeichnete  und  erklärte,  dal's  er  sich  als  solcher 
aufserholb  aller  bürgerlichen  und  sozialen  Rechte  gestellt, 
die  üSentliche  Strafe,  die  Rache  des  Erdteils  auf  sein  schul-  ^_ 
diges  Haupt  herabgerufen  habe:  sie  seien  entschlossen,  den  ^H 
Pariser  Frieden  unter  allen  Umständen  aufrecht  zu  halten,  ^^ 
die  neue  Ordnimg  gegen  jeden  Angriff  zu  schützen ,  der 
sie  umzustürzen  und  dio  Völker  in  das  Unglück  der  Re- 
volutionen zurückzuwerfen  drohe.  Zugleich  erging  nach  ^j 
allen  Seiten  hin  der  Befehl,  die  Rüstungen  zu  beschleuni-  ^H 
gen,  die  Mobilisienmg  der  Heere  zu  volleoden.  Über  eine  ^^ 
halbe  Million  Krieger  setzte  sicli  zu  Anfang  Juni  g^eu 
die  frauzÖBJsche  Grenze  in  Bewegung,  Noch  standen  in  den 
Niederlanden  und  ara  UnteiThein  nicht  unbedeutende  Streit-  ^j 
kräfte  der  Verbündeten:  ein  preufsisches  Heer  unter  Blücher,  ^B 
Engländer,  Hannoveraner,  Niederländer,  Braunschweiger  und  ^^ 
Nassauer  unter  dem  Herzoge  von  Wellington,  dem  Sieger 
von  Talavera  und  Vittoria.  Sie  mufste  der  erste  Stols 
treffen,  den  der  Kriegsgewaltfge  an  der  Seine  in  flitgender 
Hast  vorbereitete.  Denn  für  ihn  lag  das  einzige  Heil  darin, 
diese  vorgeschobenen  Heeresuiassen  der  Verbündeten  zu 
scblfligcn,  womöglich  zu  vernichten,  ehe  die  grofseu  auf  dem 
Marsche  nach  Frankreicli  ^egdfieaeu  Ksmteo.  tÄ.Ya,nkamen 


en  ^J 


Gefecht  bei  Quatrebras. 


3rtl 


und  in  den  gigantiHchcn  Kampf  einzugreit'eu  vennochten. 
Dempemlirs  brach  er  in  der  Nacht  vom  \2.  auf  den  13.  Juni 
von  Paris  auf,  und  schon  am  15,  überschritten  seine  Vor- 
truppen die  belgische  Orenzc. 

Man  weifs,  dafs  das  rasche  Vordringen  Napoleons  die 
Feldherren  der  verbündeten  Heere  überraschte,  dafs  nament- 
lich Wellington  Mühe  hatte,  die  in  weitlitufigen  Lagerungen 
verzettelten  Truppen  rechtzeitig  zu  versammeln,  um  die  aui 
die  Trennung  seines  Heeres  von  den  weiter  ostwärts  stehen- 
den Preufsen  unter  ßUicher  abzielenden  Angrifife  des  fran- 
EÖaiechen  Kaisers  abzuwehren.  An  demselben  Tage  (16.  Juni), 
wo  dieser  mit  der  franzüsiscben  Hauptmacht  sieh  auf  Blü- 
cher warf  und  das  preufsische  Heer  nach  heldenhaftem 
Widerstände  bei  Ligny  und  Öt.  Amand  überwültigte ,  ent- 
spann sich  bei  Quatrebras,  an  dem  Durchkreuzungspunkte 
der  Strafsen,  von  denen  die  eine  von  Charleroi  nach  Brüssel, 
die  andere  von  Niveües  nach  Namur  fiibrt,  ein  hartnäckiges 
und  blutiges  Treffen  zwischen  der  Vorhut  des  englisch- 
deutschen  Heeres  und  dem  Marschall  Ney^  wodurch  Wel- 
lington verhindert  wurde,  sein  dem  preul'sischen  Heerführer 
gegebenes  Versprechen  bundestreuer  Hilfe  einzulöücn.  Aber 
Napoleons  Absicht,  die  beiden  verbündeten  Heere  ausein- 
anderzureifsen ,  wurde  durch  den  Kampf  bei  Quatrebras 
glücklich  vei-eitelt.  Seit  dem  frühen  Morgen  stand  hier  der 
Prinz  von  Oi-anieu  mit  7fK>0  Niederländern  und  Nassauern 
gegen  eine  erdrückende  Übermacht  im  Gefecht.  Erst  nach 
und  nach  kamen  die  von  Wellington  abgesandten  Verstär- 
kungen heran:  zuerst  zwei  Brigaden  von  der  britischen  Di- 
vision Picton,  dann  die  hannövrieche  Brigade  Best  und  der 
gröfste  Teil  des  braunschweigischen  Korps,  welches  der  Her- 
zog Friedrich  W'ilhelm  persönlich  in  den  Kampf  lührte.  So 
verstärkt,  gelang  eä  Wellington  ,  der  jetzt  das  Kommando 
übernahm,  die  Stellung  bei  Quatrebras,  freiÜcli  unter  schwe- 
ren Verlusten,  zu  behaupten,  bis  gegen  Abend  frische  Streit- 
kräfte, Hannoveraner  und  Briten  von  den  Brigaden  Sir 
Colin  Halketts  und  Kielmannscgges,  endlich  auch  die  eng- 
lische GardediviBion  und  der  Kcst  der  Braunachweiger  mit 
ihrer  Artillerie  eintrafen.  Das  entschied  den  Tag  zugunsten 
der  Verbündeten.  Aber  er  hatte  schmerzliche  Opfer  ge- 
kostet, kein  schmerzliclieres  als  den  unerschrockenen  Herzog 
von  Braunschweig,  der  bei  dem  ersten  Alurmrufe  herbei- 
geeilt war,  um  auch  hier  wieder  unter  den  Ersten  gegen  den 
verhaföten  Korsen  zu  kämpfen.  Als  in  dem  AugenbÜckö 
der  gröfsten  Bedrängnis  die  Franzosen  aus  dem  Ci^yi^i.  ^«^ 
Bossa   hervorbraclien,  ihr   überlegfeuea  Qte^cXvvvVt  ^^  Sjosisgi^ 


i 


mi*2 


Zweites  Buch.    Dritter  Abschoitt. 


zum ' 


h 


brflunschweigisflicu  Truppen  nieder^dimetterte  und 
Weichen  brachte,  war  Fiiedrick  Wilhelm  hurbeigeeik  um 
sie  wieder  zu  sammeln,  ihren  Mut  anzufeuern,  sie  von  neuem 
gegen  den  Feind  zu  fuhren.  Hier  traf  ihn  die  tödliche 
Kugel:  8ie  durchbohrte  ihm  das  rechte  Handgelenk  und 
drang  in  den  Unterleib.  So  sank  „  Braunschweigs  schick- 
salsverfolgter Fürst".  Keiner  von  seinen  Offizieren  war  in 
der  Nähe.  Ein  Korporal  und  ein  Jäger  trugen  den  Schwer- 
getruflFenen  auf  ihren  Büchsen  hinter  die  Front.  Noch  ver- 
langte er  nach  Wasser  und  fragte  mit  schwacher  Stimme 
nach  dem  Christen  Oliermann.  Dann  war  seine  Heldenaeele 
entflohen. 

Wellington  lagerte  die  Nacht,  die  dem  Kample  folgte,  in 
den  behaupteten  Ötolluugeu.  Noch  am  Abend  der  Schlacht 
hatte  er  die  Nachricht  von  der  Niederlage  Blüchers  bei  Ligny 
erhalten,  am  anderen  Morgen  kam  die  bestimmte  Kunde  von 
der  Hichtung,  in  der  dieser  den  Rückzug  angetreten  hatte. 
Auf  seine  Anfrage  im  preufsischen  Hauptquartier,  ob  er  auf 
die  Unterstützung  wenigstens  eines  der  preulsischen  Korps 
rechnen  könne,  erhielt  er  die  Antwort,  nicht  mehr  im  Laufe 
des  Tages,  aber  am  18.  würde  das  ganze  Heer  zur  Stelle 
sein.  Der  englische  Feldherr  entschlofs  sich  nun,  nordwärts 
gegen  Brüssel  zurückzugehen ,  in  der  Stellung  bei  Moni 
St.  tlean,  eine  kurze  Strecke  südlich  dieser  Stadt,  alle  ver- 
lügbaren  Truppen  zu  vereinigen  imd  hier  eine  Defensiv- 
sclilacht  anzuuehmcu,  von  der  er  hofl'te,  dafs  das  rechtzeitige 
Erseheinen  der  Preufsen  sie  zum  Vorteil  der  verbündeten 
Heere  entscheiden  werde.  So  entbramite  um  Mittag  des 
18.  Juni  die  Schlacht  von  Waterloo,  die  dem  kurzen  Traume 
der  hundert  Tage  ein  jähes  Ende  bereiten  und  die  Herr- 
schalt des  französischen  Soldatenbaisers  füi*  immer  beseitigen 
sollte.  Sie  ist  in  ihrem  Verlaufe  unzähligeraalo  beschrieben 
und  geschildert  woi-den.  Wohl  um  sich  noch  einmal  in  sei- 
ner alten  Scidachteuglorie  zu  sonnen,  gestaltete  sie  Napoleon  zu 
einer  Frontalschlacht  in  grofsartigem  Sinne  und  mit  stobsestem 
Aufmarsch.  Vor  den  englischen  Linien  lagen  gleich  vorge- 
schobenen Aufsenwerken  links  das  Gehört  Fapelotte,  auf  dem 
rechten  Flügel  das  Schlülachen  Hougomont,  im  Zentrum  der 
Pachthof  La  Have  Sainte.  Hier  stand  unter  Major  Baring 
Bataillon   der    deutsclien    Legion,    wälurend   Hougomont 


em 


von  englischen  Garden,  einem  Bataillon  Nassauer  und  einer 
Abteilung  Hannoveraner  verteidig  ward.  Stundenlang  wogte 
um  diese  in  der  Eile  zur  Abwehr  eingerichteten  Stellungen 
ein  /nörderischer,  erbiltertfiv  Kam^f,  in  welchem  französisches 
Ungestüm    und    britisch  -  deutacW   k\3ÄÄA.\iKt  >Ma.  4ä.^  Palme 


I 
I 

1 


Schlacht  vou  Wateric». 


363 


k 


rangen^  nur  zeitweilig  durch  die  gewaltigen  lieiter.ingiiSe 
unterbrochen,  die  Napolöon  zwischen  den  Gehöften  hindurch 
gegen  die  englisclie  Autstellung  schleuderte  und  die,  su  oft 
sie  auch  die  Höhen  von  Mont  Irit.  Jean  hinaufHuteten,  ebenso 
oft  in  die  davor  liegende  Thalinuldo  wieder  herabgestürat 
vrurden.  Endlich  gelang  es  gegen  sechs  Uhr  Abends  dem 
erlonschen  Korps,  eich  des  Gehöftes  von  La  Haye  Sainte 
zu  bemächtigen.  Nachdem  er  die  letzte  Patrone  veraohossen, 
muißte  es  Baring  mit  seinem  gelichteten  IlUuflein  der  fran- 
zösischen Übermacht  preisgeben.  Es  trat  die  Krisia  der 
Schlacht  ein.  Wellingtons  Truppen  waren  furchtbar  zu- 
sammengeschmolzen, seine  letzten  Kräfte  erschöpft.  Aber 
schon  liefsen  sich  auch  seit  halb  fünf  Uhr  die  ersten  preufsi- 
echen  Geschütze  auf  den  Höhen  von  Frischcrraout  vernehmen, 
üud  oben  Jetzt  rangen  die  nach  einander  eintreffenden  Bri- 
gaden des  bülowechen  Korps  mit  den  französischen  Garden 
um  den  Besitz  des  fast  im  Riiclvcu  dt-r  französischen  Ötelluug 
gelegenen  Dorfes  Planchenois.  Da  entschliefst  sich  Napoldon, 
auf  seiner  rechten  Flanke  umklammert  und  schon  in  seinem 
Rücken  bedrohet,  Alles  auf  eine  Karte  zu  setzen.  Vier  Ba- 
taillone seiner  Garde  unter  der  persönlichen  Führung  von 
Ney  und  eine  Divi.'iiun  von  Erlons  Korps  richtet  er  zu 
einem  letzten  mächtigen  SturraangritF  gegen  die  Mitte  der 
feindlichen  Schlachtordnung.  Unerschüttert  von  dem  Kugel- 
regen, der  sie  empfängt,  steigen  diese  sieggewohnten  Krieger 
die  Hohen  hinauf.  Aber  oben  augelaugt,  wirft  sich  ihuen, 
von  Wellington  selbst  angefeuert,  die  englische  Gardebrigade 
Älaitland  entgegen :  Hannoveraner,  Braunschweiger^  Nassauer, 
der  Kest  der  deutschen  Legion  schÜefseu  sich  an,  AVellington 
giebt,  indem  er  den  Hut  hocli  erhebt  und  das  einzige  Wort 
„Charge"  ausrntt,  das  Zeichen  zum  allgemeinen  Vorgehen, 
und  in  blutigem  Gemetzel  werden  die  Trümmer  der  stolzen 
Armee  den  Abhang  hinabgetrieben,  den  prcufsischen  Waffen- 
brüdern entgegen,  die  inzwischen  Plachenois  erstürmt  und 
damit  Rücken  und  Flanke  des  Gegners  eingedrückt  hatten. 
Der  herrlichste  8ieg  war  erfochten,  den  eine  unvergleich- 
liche Verfolgung  durch  die  Prcufsen  vervollatändigte.  Es 
ist  ein  thörichtcs  Beginnen,  dariiber  zu  streiten,  welchem 
von  den  beiden  Heeren  der  gröfsere  Anteil  an  ihm 
gebührt.  So  gewifs  es  ist,  dafs  ohne  den  heroischen  Wider- 
stand Wellingtons  und  seines  tapferen  Heeres  die  Prcufsen 
zu  spät  gekommen  sein  würde«,  so  gewiCa  ist  es,  dafs  ohne 
ihr  Eintreffen  das  englisch-deutsche  Heer,  ermattet  und  de- 
zimiert wie  es  war,  überwältigt  und  in  eine  uicvtÄ\lNt)VJÄ^^S&- 
derUge  vej-wickeit  worden  wäre.     Der  KvÄwft  ^i^NjNs«^.  ^'«ä- 


m 


Zweites  Bach.     Vierter  Abschnitt 


Teilen^  auch,  wie  ihre  starken  Verluste  bezeugen,  den  Han- 
noveranern, der  deutsch  -  englischen  Legion  und  dem  zwar 
kleinen  aber  braven  Braunscliweiger  Korps,  dem  ea  ver- 
gönnt war,  den  Tod  seines  angebeteten  Führers  und  Her- 
zogs zwei  Tage  nachher  in  so  glorreichem  Kampfe  2 
rtchen. 


Vierter   Abschnitt. 
KulturgesekiehtUcher  Überblick. 


Wir  haben  den  Zeitraum,  dessen  äufsere  Geschichte  in 
den  vorhergehenden  Abschnitten  behandelt  worden  ist ,  als 
das  Jahrhundert  des  Absolutismus  und  der  Aufklärung  be- 
zeichnet. In  der  That  sind  es  diese  beiden  geschicbtlicheu 
Faktoren,  die  dem  stafitlichea,  gesellschaftlichen  und  geistigen 
Leben  des  18.  Jahrhunderts  das  ihm  eigentümliche  Gepräge 
verleihen.  Während  auf  dem  politischen  Gebiete  der  fürst- 
liche Absolutismus  jetzt  erst  zu  voller  Ausbildung  und  un- 
beschränkter Herrschaft  gelangt,  erfüllt  sich  das  Geistesleben 
der  Nation,  ihr  Denken  und  Fühlen  allmählich  mit  den  von 
England,  namentlich  aber  von  Frankreich  ausgehenden  Ideen 
der  Aui  klärung  und  wird  schliefslich  völlig  mit  ihnen  durch- 
tränkt. Nicht  nur  die  Gesellschaft  hat  den  allinachtigeD 
Einflufs  dieser  Zeitstrümung  erfahren,  sondern  auch  ihre 
äufsere  Form,  der  Staat,  hat  sich  auf  die  Dauer  ihr  nicht 
zu  entziehen  vermocht,  ist  vielmehr  von  ilir  mit  ergriffen  und 
teilweise  nach  ihren  Anschauungen  umgestaltet  worden.  In- 
dem aber  das  selbstherrliche,  unbeschränkte  Fürstentum  auch 
in  deutschen  Landen  die  Lehren  und  Lebensansichten  der 
englischen  Dcisten  und  französischen  Freidenker  in  seinen 
Dienst  stellte,  indem  es  Kirche  und  ächule  davon  durch- 
dringen hefs  und  ihm  selbst  auf  die  staatlichen  Einrichtungen 
einen  gewissen  Einlhifs  verstattete,  untergrub  es  mit  selbst- 
mörderischer Hand  die  Fundamente  der  eigenen  Existenz 
und  bahnte  der  alles  vimatüYicxid^Ti  Revolution  den  Weg,  die 
BJch  gegen  Ende  des  JaWWxvtievXÄ  -votv  YTcw^tw^  «aa  über 


4 


4 


I       die  t 


Das  achtzehnte  Jahrhundert. 


305 


die  benAchbarten  Gebiete  ergofs  und  in  Deutschland  auf  den 
Trümmern  des  tausendjährigen  röniiachen  Reiches  die  Herr- 
schaft des  modenien  französischen  Cäsarentums  begründete. 
Des  Druckes  und  der  Schmach  einer  aolchen  Freradberrschaft 
hat  es  bedurft ,  um  in  den  deutseben  Ötärainen  dos  alte, 
halbverdunkelte  Bewufstsein  der  Zusammengeliörigkeit  neu 
zu  beleben,  mit  der  Liebe  zu  dem  grofsen  gemoitisamen 
Vaterlande  auch  die  Freude  an  deutscher  Vergangenheit, 
an  deutscher  Kunst  und  deutschem  Öchriitontum  wieder  zu 
erwecken  und  in  unserem  Volke  der  Überzeugung  zum  Singe 
zu  verhelfen,  dafa  nicht  ein  veracbwommenes  Weltbürger- 
tum, wie  es  die  Aufklärer  predigten,  sondern  die  Hingabe 
an  das  eigene  Volk  der  feste  Grtmd  ist,  auf  dem  sich  das 
Heil  der  Nationen  aufbauet.  Dies  war  der  uuscliätzbare 
Gewinn,  den  das  deutsche  Volk  aus  den  Kriegswettern  des 
gewaltigen  Kampfes  gegen  den  französischen  Älilttärcäsaris' 
mu8  davontrug  und  der  ihm  trotz  des  Scheiterns  seiner  po- 
litischen Neugestaltung  nach  dem  Kriege  als  imvcräufser- 
liches  Vermächtnis  bis  zu  den  grofsen  Wandlungen  der  aller- 
neueston  Zeit  geblieben  ist. 

Während  der  ersten  Jahrzehnte  des  l8.  JabrbundortÄ 
traten  weder  in  dem  Ößentlicben  Leben  noch  in  den  über- 
lieferten Sitten  und  Verhältnissen  der  Bevölkerung  der  braun- 
Bcbweighaunövrischen  Lande  bemerkenswerte  oder  gar  tief 
eingreifende  Veränderungen  ein.  In  den  Ansichten  und  der 
Lebensgewohnlieit  der  Fürsten  wirkten  zu  dieser  Zeit  noch 
die  politische  Herrlichkeit,  der  Glanz  und  die  MachtiUlie 
Ludwige  XIV.  nach.  Der  Hof 
MDpfingen  für  ihre  Denk-  und 
Mafs  und  Richtschnur  von  dem 
der  tonangebenden  Gesellschaft 

stand  Anton  Ulrich,  dessen  Regierung  noch  in  diese  Zeit 
hineinragt,  völlig  auf  diesem  Boden  und  seine  unmittelbaren 
Nachfolger  am  Regiment,  August  Wilhelm  uud  Ludwig  Ru- 
dolf, wandelten  in  denselben  Bahnen.  Die  Regierung  Fer- 
dinand Albrechta  IL  aber  konnte  bei  ihrer  kurzen  Dauer 
darin  keine  Änderung  herbeiführen.  Unter  diesen  Um- 
st&nden  ist  es  begreiflich,  dafs  die  bisher  auf  die  höheren 
8tände  beschränkte  Verwelschung  allmählich  auch  die  mitt- 
leren Gesell Bcbaftsklassen  ergriff  und  selbst  in  die  breiteren 
iächicbten  des  Volkes  eindrang,  die  bisher,  zwar  in  ärmlichen 
Verhältnissen  aber  arbeit-  und  genügsam,  sich  mit  der  treu- 
herzigen Gottesfui'cht,  die  sie  erlulUe,  die  ADhnnglichkeit  an 
das  angestammte  Fürstenhaus  und  den  Respekt  vor  der  vcv'r. 
Gott  ein^setzten   Obrigkeit  bewaWt  \ia.\\.e.xi.     Viex  i\TLÄs«fc 


und  die  vornehmen  Kreise 
Lebensweise  nach  wie  vor 
Hofe  in  Versailles  uud  von 
Paris.     In  ßraunschweig 


in 


SM 


Zweites  Bucli.     Vierter  Abschnitt. 


Aufwand  des  Hofes,  der  Luxus  und  die  Verscbwendungs- 
fiucht  der  bevorzugten  Gesell  sehn  ftsk  lassen  tnuisten,  wie  auf 
das  ganze  öffentliche  Leben ,  so  namentlich  auf  die  Sitten 
und  die  Anschauungsweise  der  mittleren  und  niederen  Stände 
einen  entsittlichenden  Einfluls  ausüben.  Krregte  docli  die 
Lebensweise  des  Keichsgrafen  von  Dehn,  des  aus  beschei* 
denen  Verhältnissen  emporgekommenen  OOnstlings^  selbst  in 
diesen  Zeiten,  die  an  solche  Extravaganzen  gewöhnt  waren, 
in  und  aufser  Landes  das  g^'ljl&te  Aufsehen. 

Jlit  dem  R^ierimgsant ritte  des  Herzogs  Karl  I.  ver- 
änderte sich  allmählich  die  Physiognomie  des  Hofes  und  der 
ihm  nahestehenden  Kreise  Nicht  als  ob  Pracht  und  Ver- 
schwendung der  früheren  Zeit  abgenommen  hätten.  Diese 
wurden  vielmehr  unter  dem  neuen  Herrscher  fast  noch  über- 
boten und  führten,  wie  wir  gesehen  haben,  Land  und  Für- 
stenhaus bis  nahe  an  den  Abgrund  des  Bankerotts.  Auch 
das  fremdländische  Wesen ,  die  Vorliebe  für  franzöeiscbe 
Sitten,  Sprache  und  Litteratur  behaupteten  ihre  Herrschaft 
und  gewannen  sogar  noch  an  Ausdehnung.  Aber  gerade 
sie  führten  jetzt  eine  wesentliche  Veränderung  in  den  An- 
schauungen und  selbst  in  den  Leben sgewobnheiten  am  Hofe 
herbei.  Denn  mit  ilmen  drangen  damals  mit  überwältigender 
Macltt  alle  jene  geistigen  Richtungen  ein,  die  man  unter 
dem  Namen  der  „  Aufklärung "  zusaimnenzufassen  pÜegt 
In  Kirche  und  Schule,  auf  künstlerischem  wie  auf  litterari- 
scheni  Gebiete,  in  den  Angelegenheiten  des  praktischen  Le- 
bens wie  in  den  Tlieorieen  über  Staat  imd  GesoUsclxaft 
machten  sie  sich  in  gleicher  Weise  geltend  und  gaben  den 
Anschauungen  und  Bestrebungen  der  Zeitgenossen  bis  zu 
den  Jiöchäten  Machthabern  hinauf  ein  verändertes  Gepräge. 
Die  gesamte  Nachkommenschaft  Ferdinand  Albrechts  ]I., 
nicht  nur  sein  jugendlicher  liegierungsnacbfolger,  suudem 
auch  dessen  übrige  Geschwister,  Avurden  von  diesen  Ideen 
mehr  oder  minder  beeinHufst,  waren  von  ihnen  in  höherem 
oder  geringerem  Mafse  erfüllt.  Herzog  Karl  selbst,  lebhaften 
Geistes,  wohlwotlender  Gesinnung  und  von  ungewöhnlicher 
Bildung,  mit  Friedrich  dem  Grofsen,  dem  Hauptvertreter 
dieser  Kiclitung  in  Deutschland,  dopjielt  verschwägert,  ver- 
mochte sich  dem  bestimmenden  EinHusse  des  Philosophen  von 
Saussouci  um  so  weniger  zu  entziehen,  als  er  bei  allen  seinen 
guten  Eigenschaften  doch  im  Grunde  ein  schwacher,  nach- 
giebiger Charakter  war.  Am  vollkommensten  meinte  er 
seinen  fürstlichen  Beruf  zu  erfüllen,  wenn  er,  ohne  die 
ßchweren  Steuern  zu  erVeicUtertv,  die  aui  dem  geraeinen 
Manne   Jaßteten,    »ich  iDemuW^e ,   «ßvae  V.'8jg&  ^^adö.  ^qM- 


Der  Brau  lisch  wcigur  Hof. 


867 


^ 


wollende  Belelirung:  zn  verbessern,  seinen  Kopl*  von  alten 
"verjährten  Vüvujteilen  zu  befreien^  iltn  über  seine  Pflicht  der 
Regierung  gegenüber  autzukläronj  ihn  zu  einem  denkenden 
aber  aüxeit  gehorsamen  Staatsbürger  heranzuziehen.  Dies 
war  der  Grundgcdaukef  von  dem  die  Reformpläne  und  He- 
formversuche  seiner  Regierung ,  deren  wir  früher  gedacht 
haben,  getragen  wurden.  Es  waren  die  Bestrebungen  eines 
wohlmeinenden ,  aber  in  Einseitigkeit  belangeneti  Despotis- 
Merkwiirdig,  aber  durchaus  erklärbar,  dals   sich   da- 


mus 


bei,  wenigstens  soweit  sie  die  finanziellen  Bedrängnisse  seiner 
späteren  Jahre  betrafen,  der  gröblichste  Aberglaube  und  der 
rücksichtsloseste  Egoismus  mit  den  Anschauungen  de.«  fort- 
geschrittensten Frcidenkertums  paarten.  ^Vuch  Pliilippine 
Charlotte,  Karls  (lemahUn ,  die  Schwester  Friedrichs  des 
Grofsen,  lebte  und  webte  ganz  in  der  geistigen  Atmosphäre 
ihres  Bruders,  deni  sie  von  idlen  seinen  Oeschwistera  auch 
äufserlich  am  ähnlichsten  war.  Sie  unterhielt  einen  regen 
geistigen  Verkehr  mit  den  litterariach  hervorragenden  Män- 
nern des  Landes,  mit  denen  sie  in  gcistreicli-witziger  Weise 
zu  verkehj-en  pflegte.  Es  ist  selbetverständlich,  dafs  man 
Leute  wie  Eschenburg,  Zachariä,  Ebert  und  die  übrigen 
Professoren  des  neugegründeten  Collegium  Carolinum  häu- 
figer damals  bei  Iloie  sah  al^i  die  Lehrer  der  Ilelmstedter 
Hochschule,  die  Vertreter  einer  soliden  aber  etwas  schw^er- 
föihgen  und  steifleinenen  Wissenschai't.  Noch  jetzt  steht  die 
originelle  und  dabei  freundlich  herablassende  PersiinHchkeit 
der  Herzogin,  „der  alten  Hoheit",  wie  man  sie  nannte,  bei 
der  Bevölkerung  des  Landes  iu  gutem  Andenken. 

Von  allen  Mitgliedern  aber  der  herzoglichen  Familie  zeigt 
weh  keines  in  so  hohem  Grade  von  dem  Geiste  dieser  human- 
freidenkerischen  Zeit  durchdrungen  wie  der  vierte  Bruder 
des  regierenden  Herzogs,  der  uns  schon  als  berühmter  Heer- 
führer des  siebenjährigen  Krieges  bekannte  Prinz  oder  Her- 
zog Ferdinand.  Er  war  lange  Jahre  ein  Liebling  seines 
Oheims,  des  grofsen  Friedrich,  und  stand  ihm  inbezug  auf 
kriegerische  Talente  von  allen  seinen  Generalen  wohl  am 
nächsten.  Gleich  allen  seinen  Geschwistern  hatte  er  eine 
Borgtältige  und  gediegene  Erziehung  genossen,  die  sich  frei- 
lich vorwiegend  in  den  Anschauungen  und  Ideen  des  herr- 
schenden Franzosentams  bewegte.  Er  liebte  die  französische 
Litteratur  der  Zeit  über  Alles  und  war  ein  begeisterter  Freund 
I  und  Gönner  der  Encyklopädisten ,  vor  allen  Diderots,  des 
^K  bedeutendsten  unter  ihnen.  Man  erzählt,  dafs  er  sich  bei 
^V  diesem  Wortführer  des  frauzüsischen  Aufklä.tc'irl.vww?,  ^  ^^s^ 
r       nicht  gern  neugierige  reisende  Füv&lexi  oöiwc  Vvvwictv  t-Kv^'öÄsjj;^ 


^ 


SOS 


Zweites  Buch.     Vierter  Äbachuitc. 


unter  falschem  Namen  als  einen  einfachen  „  reisenden  Deut- 
schen" habe  einführen  lassen  und  ohne  Mühe  in  einem  dt-ei- 
atündigen  Gespräfh  dessen  Freundschatt  j^wonnen  und  seine 
Bewunderung  en-egt  habe.  Aber  der  Geschmack,  den  er 
an  der  fremden  Sprache  und  Litteratur  fand,  vermocltte  we- 
der seiner  Liebe  zw  dem  deutschen  Vaterlande  Abbruch  zu 
thun  noch  auch  die  in  früher  Jugend  eingesogenen  religiösen 
Grundsätze  zu  erschüttern.  Er  war  ein  eifriger  Freund  und 
Förderer  des  Freimaurerordens  und  trat  später  selbst  dem 
Illuminatenorden  bei.  Als  Grofsmeiater  sämtlicher  deutscher 
Maurer  hat  er  in  der  Geschichte  des  ürdeus  eine  bemerkeuft- 
werte  Rullo  gespielt.  Es  ist  hekannt,  dafs  Lessiug  seine 
„Ernät  und  Falk"  betitelten  Gespräche  über  Freimaurer 
ihm  widmete.  Die  bedeutenden  Einkünfte,  die  ihm,  nament- 
lich auch  aus  England,  zuflössen,  ermöglicliten  ihm,  eine 
raenschcnfreundhuho ,  wohlwollende  Freigebigkeit  in  ausge- 
dehntestem Sinne  zu  üben.  So  hat  er  den  alten  Forster,  den 
Gelahrten  des  Kapitän  Cook  auf  dessen  Entdeckerfahrten, 
in  hochherziger  Weise  unterstützt.  In  späteren  Jahren  ward 
seine  Bereitwilligkeit,  zu  helfen,  häufig  von  Schwindlern  imd 
Heuchlern  ausgebeutet.  Drei  Jahre  nach  der  Beendigung 
des  siebenjährigen  Krieges  (1766)  zog  sich  der  Herzog,  durch 
die  ihm  wiederholt  widerfahrenen  Kränkungen  bewogen,  in 
das  Privatleben  zurück.  Er  legte  die  Stelle  eines  Gouver- 
neurs von  Magdeburg,  die  er  zuletzt  bekleidet  hatte,  nieder 
und  entsagte  iur  immer  jeder  anderweitigen  militärischen 
Befehlshaberrolle.  Vergeblich  bot  ihm  Georg  III.  auf  des 
älteren  Pitt  Vorschlag  beim  Ausbruch  des  nordamerikani- 
achen  Krieges  deu  Oberbefehl  über  das  englisch  -  deutsche 
Heer  an.  Herzog  Ferdinand  lehnte  ab.  Er  lebte  seitdem 
bald  aut'  seinem  Schlosse  Vechelde,  bald  in  Braunsehweig, 
wo  für  ihn  der  eine  Flügel  der  alten  Burg  Tliankwarderode 
umgebauet  und  eingerichtet  worden  war,  ausseid iefsltch  seinen 
Studien  und  Lieblingsbeschäftigungen.  In  Vechelde  ist  er 
am  3.  Juli  1792  gestorben.  Ein  einfacher  Stein  mit  frommer 
Inschrift  bezeichnete  im  dortigen  Sclilofsgai-ten  den  Platz, 
wo  seiner  Bestimmung  gemäfs  unter  dem  Laubdachc  schöner 
Linden  seine  sterblichen  Überreste  bestattet  waren.  Später 
sind  sie  in  die  Gruit  seiner  Ahnen  unter  dem  Dome  von 
St.  Blasien  zu  Braunschweig  übergefühi-t  worden. 

Eine  lange  Reihe  von  Kindern  (sieben  Söhne  imd  sechs 

Tijchter)  war  aus  der  Ehe  des  Herzogs  Karl  mit  Philippine 

Charlotte  von  Preufsen  hervorgegangen.     \'on  den  Töchtern 

ist  die  mit  dem  Herzoge  &niät  xow  Sachsen  -  Weimar  ver- 

tnählte    Anna  Amalie,    die   "NluVtev  vta^  \toi^\ft  ^^iisc^  Vsä- 


I 


Herzog  Maximiliau  Julius  Leopold.  M9 

durch  die  Vormiiaderiu  Karl  Augusts  von  Weimar,  die  be- 
,  kanateate.  Sie  ward  die  eigeutlicbe  Begründerin  des  Musen- 
hofes in  der  kleinen  thiii-ingiscbeu  ße^ideuz  und  bat  aU  die 
Freundin  Wielands  j  Herders  und  Goetbes  einen  gewissen 
i  Einflais  aul"  die  Entwicldungsgeschichte  unserer  neueren  Lit- 
I  teratur  ausgeübt  Von  den  Söbnen  bat  neben  dem  Erb- 
prinzen, dem  nacbberigen  Herzoge  Karl  Wilbelm  Ferdinand, 
keiner  eine  tiefere  Teilnahme  bei  den  Zeitgenossen  erweckt 
>  «Is  der  jüngste,  Maximilian  Julius  Leopold.  In  seiner  ju- 
gendlichen, früh  der  Welt  entrissenen  Gestalt  sjih  man  den 
I  die  damalige  Zeit  erfüllenden  Humanitätsgedankon  gewiaser- 
malsen  verkörpert  Eine  vielseitige  und  gediegene  Erziehung, 
ein  sorgfUltigor  Unterricht  durcli  hervorragende  Männer,  wie 
Jerusalem,  Ebert,  Gärtner  und  andere,  hatten  die  glück- 
lichen Anlagen  seines  Geistes  und  Gemütes  zu  reicber  Ent- 
faltung gebracht.  Später  (1775)  genofs  er  auf  einei*  Reise 
durch  ItaUen  fast  ein  JaJir  laug  den  bildenden  und  beleh- 
renden Umgang  Leasings.  In  die  Heimat  zurückgekehrt, 
ward  er  von  seinem  königUchen  Oheime  zum  Befehlshaber 
eines  in  Frankfurt  a.  d.  O.  garnisonierenden  Regimentes  er- 
nannt Hier  gewann  er  in  den  zehn  Jahren,  die  ihm  noch 
zu  leben  vergönnt  waren,  durch  seine  Menschenfreimdlich- 
keit,  den  Adel  seiner  Gesinnung  und  den  männlichen  Ernst 
seiner  Lehenstuhrung  Aller  Herzen.  Als  nach  einem  stren- 
gen und  schneereichen  Winter  der  Frühling  des  Jahres  1785 
über  die  Stadt  die  Verheerungen  einer  aufsergewÖbnHchen 
Wassernot  brachte,  beteiUgte  sich  der  Prinz  in  unerschrocken- 
ster und  hochherzigster  Weise  an  der  Rettung  der  von  dem 
wütenden  Elemente  bedrolictcn  Menschen.  Bei  diesem  Liebea- 
werke  fand  er  seinen  Tod.  „Auch  jene  Leben  sind  kost- 
bar ",  mit  diesen  Worten  wies  er  die  inständigen  Bitten  seines 
nfliUtäi'ischen  Begleitei-s ,  sein  kostbares  Leben  zu  schonen, 
zurück,  wagte  sich  mit  ein  paar  Ruderknechten  in  einem 
gebrechlichen  Nachen  in  den  Strom.  Der  Kahn  sclilug  um, 
und  der  Pi*inz  ertrank.  Es  war  am  27-  April.  Erst  sechs 
Tage  später  vermochte  man  seinen  entseelten  Körper  dem 
Wasser  zu  entreifsen.  Der  Sieger  von  Leuthen  hatte  für 
einen  solchen  Opfertod  nur  das  schnöde  Wort:  „Wie  ge- 
liebt, 80  gestorben.  Was  hatte  der  Mensch  sich  um  das 
jXrobzeug  zu  kümmern?" 

Unter    der    Regierung   Karls   I.  behauptete    der   Braun- 

echweiger  Hof  seinen  alten  Ruf,   einer  der  glänzendsten  in 

Deutschland   zu  sein,  aber  an  die  Stelle  einer  rohen,  osten- 

itativen  Verschwendung  trat  doch  in  vieler  Hinsicht   ein   auf 


Uoi  u«iuaDii,  ßmoschir.-liuiiDAf.  OescVtckt«.    \V\. 


*iA 


4 
4 


edlere  Ziele  geriebtoter  Sinn.  Es  ist  wahr,  der  Herzog  b&t, 
leichtsinnig  und  sorgloa  wie  er  war,  grofse  Suinineu  in  fri- 
volen Vergnügungen  vergeudet,  Millionen  zerrannen  unter 
Beinen  Händen,  aber  ein  bedeutender  Teil  von  ihnen  ist  doch 
den  idealen  und  menschenfreundlichen  Bestrebungen  zugute 
gekommen,  durch  die  sich  seine  Hegierung  vor  derjenigen 
seiner  unmittelbaren  Vorgänger  auszeichnet.  Schon  in  den 
Jahren,  aU  er  noch  in  WoU'ünblittel  Hot  hielt,  konnte  man 
meinen,  die  glänzenden  Zeiten  Anton  Ulrichs  seien  wieder- 
gekehrt, und  später  iibertral'  der  Herzog  seinen  Grofsoheim 
noch  an  Pracht  und  Verschwendung.  Namentlich  hat  ihn 
seine  Leidenschaft  für  das  Theater  ganz  bedeutende  Summen 
gekostet ,  das  zeitweilig  einen  Jahreszuschuls  von  70  000 
Thalern  erlorderte. 

Im  Jahre   1753    wurde  die   Residenz   aus   dem   mit   der 
Zeit   mehr    und    mehr    verkümmernden   WolienbUttel    nach 
Braunachweig  verlegt.     Diese   Mafsregel   bedeutete   liir  die 
bisherige  zweite  Stadt  des  Landes  einen  Ruckgang,  den  sie 
niemals  hat  wieder  auszugleichen  vennocht.  Nahezu  dreitausend 
der  vermögendsten  Einwohner  siedelten   mit  Fürst  und  Hot* 
nach  der  bevorzugten  alten  Hansestadt  über.     Seitdem  stan* 
den  die  einst  so  glänzend    und    heiter    belebten    Räume   des 
Wolfeubüttter  Schlosses   üdo   und  verlassen:  nur  dals  später 
einige  Zimmer  in   ihm  Lessing   nach    dessen  Berufung   zum 
Vorstande  der  BibÜothek  zur  Wohnung  angewiesen  wurden. 
Braunschweig   dagegen    nalim    seit    der  Übersiedelung    des 
Hofes  einen   neuen  Autschwung.      Es    wurde   ein  Lieblings- 
aufenthalt vornehmer  Fremden,  die  der  Hof,  die  vom  Herz(^ 
Karl  dort  begründeten  Kunstaamralungen ,   später  auch    das 
von   ihm    eingerichtete   Collegium    Carolinuin   anzogen.     Be- 
sonders aber  strömten  zur  Zeit   der   zweimal   im  Jahre   ab- 
gehaltenen Messen,  von  den  mit   diesen    verbundenen  Lust- 
barkeiten und  Schaustellungen  angelockt,  von    nah  und   fern 
Fremde  in  die  Stadt    Das  bunte  und  bewegte  Treiben  einer  ^B 
Sommermesse   in   Braunschweig   hat   der   bekannte   Freiherr  ^H 
von    Knigge    in    seinem    Romane    „  Die   Reise   nach   Braun-  ^% 
schweig**  anschaulich  geschildert.     Zu  der  Zeit,   in   welcher 
dieser  Roman  spielt  —  es   war   im  Jalure    1788   —    verlieh 
die    Aulfahrt    des    berühmten    Luftachiffers    Blanchard    den 
Belustigungen  in  Braunschweig  ein  besonderes  Interesse.    Pttr 
gewöhnliche    Zeiten    boten    die   in    dem  Redouteusaale   des 
grofsen   Opernhauses   am   Hagenmarkte  veranstalteten  Bälle 
und  Maskeraden,  an  denen  sich  auch  der  Hof  beteiligte,  den 
ifarjptanziehungspunkt   tür   Kmtveimlache   imd   Fremde   dar. 
Dazu  kam  dann  das  HoftVeaAfct,  iä  -wftVdöeav  «cSswi^  \^i^- 


Beeiehim^n  des  Hofes  r.\x  der  Utleratnr. 


871 


■c: 


roälsig  ausländische  Schauspielcrgesellschaiien  herangezogen 
wurden,  bis  sich  die  stehende  Hoibühne  iu  Braunsohweig 
herausbildete.  Bei  allen  mit  den  Messen  verbundenen  Lust- 
barkeiten war  es  Sitte,  dafs  die  hüben  Herrscbailen  durch 
ihre  Auweaenheit  ihre  Teilnahme  zeigten.  Bann  hatte  jeder- 
mann Gelegenheit,  in  den  geüfiiieten  glänzenden  Sälen  die 
Pracht  der  Hofhaltung  anzustaunen  und  sich  in  dem  Be- 
wufstsein  zu  sonnen,  dafs  wenigstens  zu  Zeiten  die  Götter 
dieser  Welt  zu  den  gewöhnlichen  Sterblichen,  dem  ucblichteu 
Bürger  und  Landmann^  herniederstiegen. 

In  der  That  waren  im  vorigen  Jahrhundert  die  Schrau- 
ten  zwischen  dem  Fürsten  und  dem  Volke  bei  weitem  nicht 
HO  achi'off  gezogen  wie  jetzt.  Bei  dem  jjatriarchaleu  Kegi- 
mente  ergaben  sich  weit  häutigere  persönliche  Berührungs- 
punkte zwischen  jenem  und  seinen  Unterthanen  als  heutzu- 
tage. Davon  legen  unzählige  Anekdoten  Zcu^is  ab,  die 
sich  aus  jenen  Tagen  über  den  Verkehr  des  Fürsten  und 
seiner  Angehörigen  mit  Leuten  selbst  aus  den  niedrigsten 
Ständen  im  Volksmunde  erhalten  haben.  So  streng  dem 
steilen  Zeremoniell  der  früheren  Zeit  gemäi's  bei  grolsen 
Festlichkeiten  noch  immer  die  Etikette  bei  Hole  sein  mochte, 
so  heiTschte  doch  dort  in  kleineren  Kreisen  ein  leichter  und 
ungezwungener  Ton.  Dies  war  schon  der  Fall  zur  Zeit  der 
Regierung  des  Herzogs  Karl,  noch  mehr  aber,  seitdem  sein 
Sohn  ihm  gefolgt  war.  Es  machte  sich  ein  Zug  der  An- 
näherung zwischen  den  höheren  Ständen  und  den  luittleren 
gebildeten  Klaäscn  der  Geaeilschait  geltend,  der  sich  in  dem 
gemeinsamen  Interesse  an  den  Ütterariscben  Bestrebungen  der 
Zeit  bekundet  An  die  Stelle  der  Ilolprediger,  welche  früher 
fast  die  einzigen  Personen  des  Mittelstandes  gewesen  waren, 
die  bei  Hofe  erschienen  und  hier  einen  gewissen  geistigen 
Kinflufö  ausübten,  traten  mehr  und  mehr  die  Lehrer  an  den 
höhereu  Bildungsanstalten  des  Landes,  deren  vielseitiges, 
aufgeklärtes  Wissen  man  dort  zu  schätzen  wufste.  Nament- 
lich haben  manche  von  den  Professoren  des  CoUegium  Ca- 
rolinum  zu  den  Mitgliedern  des  herzoglichen  Hauses  in 
nahen,  selbst  intimen  Beziehungen  gestanden,  wozu  sie  nicht 
nur  ihre  ausgebreiteten  Kenntnisse,  sondern  auch  ihre  welt- 
männische Bildung  zu  berechtigen  schienen.  Von  nieman- 
dem gilt  dies  mehr  als  von  Johann  Arnold  Ebert,  der,  ein 
geborener  Hambiirger,  im  Jahre  1748  an  die  drei  Jahre 
vorher  gegründete  Lehranstalt  berufen  ward  und  in  der 
Folge  nicht   nur   die  Gunst   der   regierenden  Herzogin  Phi- 

IUppine  Charlotte,  sondern  auch  ihrer  sämtlichen  Kinder  in. 
hohem  Mafse  gewann.     Von  Zeit  zu  "LeA  TiWkl«X&  «t  %ö5wti^ 


Zweites  Buch.    Vierter  Absohnitl. 


den  dringenden  Kinladuugen  der  Herzogin  Atma  Amalia 
nach  Weimftr  folgen,  wo  man  sich,  wie  in  Braunschweig, 
seiner  stets  rosigen  Laune,  seines  ti'efienden  Wltzea  und  sei- 
ner Vorlesekunst  erfreuete.  Freilich  ein  so  ungezwungener 
genialischer  Ton  wie  in  der  thüringischen  JElesidenz  war  iu^ 
Braunachweig  nicht  an  der  Tagesordnung.  Obschon  dia 
LebenBiichtungcn  an  beiden  Uöfeu  in  mancher  Hinsicht  zu-^ 
sammenti'ai'en,  so  hielt  man  in  Braunschweig  doch  mehr  an 
den  überlieferten  strengen  Formen  der  Etikette  fest.  Man 
bogreift  daher,  dafs  Qoethe,  als  er  im  Sommer  des  Jahres 
1 781  seinen  fürstlichen  Herrn  zu  einem  Besuche  ^ch  Braun- 
schweig begleitete,  sich  ebenso  wenig  von  dem  Leben  und 
Treiben  am  dortigen  Hofe  angezogen  fühlte  wie  dieser.  ] 
„Seinerseits"  —  so  schreibt  er  an  Frau  von  Stein  —  ;; lang- 
weilt sich  unser  guter  Herzog  hier  erschrecklich.  Er  sucht 
nach  einem  Interesse,  er  möchte  nicht  gern  für  nichts  gel- 
ten, aber  der  wohl  abgemessene  Gang,  den  alles  hier  nimmt^ 
beengt  ihn.  Er  mufs  auf  seine  geliebte  Pfeife  verzichten, 
und  eine  Fee  könnte  ihm  keinen  angenehmei'en  Dienst  er- 
weisen, als  wenn  sie  diesen  Palaat  in  eine  Köhlerhütte  ver- 
wandelte. Ich  meinerseits  befinde  mich  sehr  wohl,  ich  amli- 
siere  mich  sogar,  weil  ich  mich  ohne  Ansprüche,  ohne 
Wünsche  weifs  und  weil  so  viele  neue  Gogenatäude  tau- 
send Gedanken  in  mir  erregen." 

Ebert  war  es  auch,  der  seinen  früheren  Schüler,  den 
Erbprinzen,  und  durch  diesen  dessen  Vater,  den  regierenden 
Herzog  KarJ,  betitimmte,  Leasing,  der  damals  auf  der  Höhe 
seines  Ruhmes  stand,  aber  in  sehr  bedrängten  Umständen 
lebte,  als  Vorsteher  an  die  Wolfenbüttler  Bibliothek  zu  be- 
rufen. Diese  Berufung  war  eine  dem  Genius  des  grofsen 
Mannes  dargebrachte  Huldigung.  Die  Stelle  mufste  eigens 
für  ihn  leer  gemacht  werden  und  der  —  später  übrigens 
erhöhete  —  Gehalt,  der  damit  verbunden  war,  erscheint  uns 
freilich  sehr  bescheiden,  war  aber,  wenn  man  den  damaligen 
Wert  des  Geldes  erwägt  und  die  Besoldung  der  Staatsdiener 
zu  jener  Zeit  überhaupt  in  Betracht  zieht,  in  Wirklichkeit 
keineswegs  so  kummerlich,  wie  man  ihn  darzustellen  behebt 
hat.  Eigentliche  Amtsgeschäfte  wurden,  wie  Leasing  selbst 
schreibt,  dabei  von  ihm  keine  andere  verlangt,  als  die  er 
sich  selbst  machen  wollte.  Die  Absicht  bei  seiner  Berufung 
war  lediglich  darauf  gerichtet,  dafs  durch  seine  gelehrten 
Arbeiten,  die  übrigens  ganz  in  sein  Belieben  gestellt  waren, 
der  Ruhm  der  ihm  unterstellten  Anstalt  gemehrt  und  ver- 
streitet werde.  Leasing  hat  die  Annehmlichkeiten  dieser  ersten 
und  einzigen   sicheren  SteWun^,   öä^  "^^ei  "aa.  VäWl  zuteil 


I 


I 


LessiDg  und  sein  Verhiiltnis  ram  Hofe.  878 

■wurde,  anfangs  auch  als  eine  grofBe  Wohlthat  empfunden 
und  sie  init  beredten  Worten  gepriesen.  Wenn  er  trotzdem 
in  den  späteren  Jahren  seines  Lcoena  in  dieser  Stellung  sich 
unhehagUch,  ja  tief  unglücklich  fühlte,  so  lag  die  Ursache 
davon  in  ganz  anderen  Dingen  als  in  der  Natur  Beines 
Amtes.  Indem  man  einzelnen  in  seinen  Briefen  begegnenden 
Aufserungen  augenblicklichen  Unmutes  eine  Bedeutung  boi- 
1^,  die  sie  nicht  haben,  hat  der  grtifsere  Teil  seiner  Lebens- 
beschreibcr  aus  Reinem  Verhältnis  zum  Hofe  einen  Mythue 
geschmiedet,  der  ihn  zum  Älärtyrcr  eines  nichtswürdigen  und 
raJänierten  fürstlichen  Egoismus  stempelt,  der  aber  der  hi- 
storischeu Walirheit  nicht  entspricht.  Der  alte  Herzog  Karl 
hat  sich  gegen  seinen  BibhotheKarius,  dessen  gelehrte  Kennt- 
nisse er  bei  mehr  als  einer  Gelegenheit  iiir  seine  antiquari- 
schen Liebhabereien  in  Anspruch  nahm,  eteta  wohlwollend 
und  gnädig  bewiesen,  und  der  Erbprinz,  dem  er  seine  Stel- 
lung verdankte,  hat  ihn  weder  als  solcher  noch  später  als 
Herzog  mit  dem  kleinlichen,  heuchlerischen  Hasse  verfolgt, 
den  man  ihm  meistens  andichtet  und  dessen  Grund  in  der 
abgeschmackten  Annahme  gesucht  wird,  dafs  zu  Lessluga 
Charakterschilderung  der  Gräün  Orsina  die  Marchesa  Bi-an- 
coni,  die  schöne  und  geistvolle  Geliebte  des  Erbprinzen,  Mo- 
dell gestanden  habe.  Das  spätere  Verhältnis  beider  Männer 
war  allerdings  ein  sehr  kühles.  Das  erklärt  sich  aber  ein- 
fach daraus,  dafs  ihre  beiden  Charaktere  sicii  abstiefsen  und 
Lesslng  eine  viel  ssu  stolze  und  selbständige  Natur  war,  als 
dafs  er  zum  Hofmann  sich  geeignet  hätte.  Noch  in  dem 
leidigen,  so  vielen  Staub  aufwirbelnden  Fragmentenstreite 
ist  der  Herzog  am  Regenaburger  Reichstage  in  freilich  vor- 
Mchtiger,  aber  durchaus  loyaler  Weise  iür  Lessing  einge- 
treten. 

Die  Regierung  des  Landes  lag  zu  Karls  I.  Zeit  tast  aua- 
achJiefßlicIi  in  der  Hand  des  Ministers  Schrader  von  Schlie- 
atedt,  eines  Mannes,  reich  an  schöpferischen  Ideen,  aber,  wie 
es  bei  solchen  Naturen  zu  sein  ptlegt,  ohne  die  zähe  Krat\, 
sie  durchzuilihreu.  Wir  haben  der  mancherlei  Reformen 
früher  gedacht,  die  durch  ihn  ins  Leben  gerufen  wurden 
tind  deren  Seele  er  war.  Man  rauJs  aber  nicht  meinen,  dafs 
er  unumschränkt  und  allmächtig  regiert  hätte.  Der  Herzog 
Belbst,  80  leichtlebig  und  sorglos  er  war,  bekümmerte  sich 
bis  in  sein  Alter  hinein  in  anerkennenswerter  Weise  selbst 
um  die  gröfsten  Kleinigkeiten  der  Verwaltung.  Alles  mufste 
ihm  vorgetragen  werden,  und  es  ist  zu  bewundern,  mit  wel- 
cher Gewissenhaftigkeit  er  sich  nach  jeder  Richtung  hin 
»einer  Keg-ierungsautgabe  unterzog.   Üeit  ■w«ä&'Vnv:v^\.  «ixöSK 


874 


Zweites  Buch.     Vierter  Abschnitt. 


Thätigkeit  war,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Finanzverwalhmg, 
aber  selbst  diese  würde  sehwerlich  ein  so  dunkeles  Blatt  in 
der  GeHchiclite  seines  Lebens  füllen ,  wenn  nicht  der  ver- 
heerende siebenjährige  Krieg  seine aufanf^lichen  Anstrengungen, 
die  Steuerkrai't  des  Landes  zu  erhöhen  und  den  ötaatshaughalt 
KU  ordnen,  vereitelt  hätte.  Infolge  der  kriegerischen  Ver- 
wicklungen, die  von  seinem  Lande  fern  zu  halten  nicht 
in  des  Herzogs  Macht  stand,  erwiesen  sich  alle  auf  die 
Hebung  des  Wohlstandes  seiner  Unterthanen  gerichteten  Ent- 
würfe, so  zahli'eich  sie  auch  aus  dem  schöpteriscben  Kopfe 
Schliestedts  hervorgehen  mochten,  als  wonig  erfolgreich  und 
vermochten  den  fortschreitenden  Verfall  der  Kinanzeu  nicht 
aufzuhalten.  Man  würde  indes  ungerecht  urteilen,  wollte 
man,  wie  die  Zeitgenossen  dies  zum  Teil  thaten,  die  Schuld 
daran  lediglich  dem  leitenden  Staatsmann  zuschreiben.  Dieser 
war  ohne  allen  Zweifel  eine  hochbegabte  Natur  und  würde, 
wenn  die  uufseren  Umstände  ihm  günstiger  gewesen  wären, 
zu  den  ausgezeichnetsten  Politikern  gezählt  werden  müssen, 
die  das  Herzogtum  je  hervorgebracht  hat. 

Neben  Schliestedt  stellt  sich  eine  Anzahl  von  Staats- 
beamten, die  ihm  vielleicht  an  natürhcher  Begabung  nicht 
gleichkamen,  die  aber  nichtsdestoweniger  einen  ehrenvollen 
Platz  in  der  Reglern ugsgesc hieb te  des  Herzogs  Karl  behaup- 
ten. Sie  sind  grofsenteils  bereits  erwähnt  worden.  Nur  eines 
von  ihnen  möge  hier  noch  etwas  eingehender  gedacht  wer- 
den, schon  um  des  Umstände»  willen ,  weil  er  nach  dem 
Tode  Schliestedts  als  leitender  Minister  an  dessen  Stelle  trat 
Es  ist  dies  Georg  Septiraus  Andreas  von  Praun,  der,  einem 
alten  österreichischen  Ädelsgeschlechte  entstammend,  zuerst 
(1727)  in  die  Dienste  Ludwig  Rudolfs  zu  Blankenburg  trat 
und  dann  von  diesem  bei  dessen  Übernahme  der  Rogienmg 
in  Braunschweig  mit  nach  Wolfenbüttel  gebracht  wurde.  Er 
war  das  Muster  eines  Beamten  alten  Stiles.  Von  ausge- 
breiteter Gelehrsamkeit,  seltener  Berufstreue  und  flecken- 
losem Charakter,  hat  er  in  seinem  langen  Leben  in  dem 
Justiz-  und  Verwaltungsfach  die  verschiedensten  Ämter  mit 
gleich  grofser  Auszeichnung  bekleidet,  auch  aufserhalb  des 
Landes  bei  der  Führung  der  seinem  lurstUchen  Herrn  über- 
tragenen Ohervormundachaft  über  den  Erbstatthalter  von 
Holland  (1751  bis  176ii)  und  über  die  Söhne  des  Herzogs 
Ernst  August  Oonstantin  von  Sachsen -Weimar  crspriclslichG 
Dienste  geleistet.  Besondere  Anerkennung  aber  erwarb  er 
sich  als  Oberaufseher  und  Vorstand  sämtlicher  im  Lande 
^e/indifchen  Archive  uud  Registraturen.  Das  Landeshaupt- 
nrchiv  in  WolfenbütteV  ^at  er  ^ou^^xuqä.  w4.%  'oavi^  ^"»«4^Ät^ 


n 


4 


I 


L 


und  als  ihm  im  Jahre  1751  auch  die  Oberleitung  der  dor- 
tigen Bibliothek  übertragen  ward,  hat  er  sich  auch  in  dieser 
Stellung  als  einsichtsvoller,  unermüdlicher  Beamter  bewährt. 
Am  7.  Mai  1770  ward  von  ihm  Lesaiug  in  sein  neues  Amt 
eingeführt.  Auch  iu  den  dreizehn  letzten  Jahren  seines 
Lebens ,  während  welcher  er  als  Oeheimerrat  und  Staate- 
minister  an  der  Spitze  der  Uegierung  stand,  bUeb  er  der 
treue,  arbeitsame,  bescheidene  Beamte,  als  welcher  er  sich 
von  Jugend  aufgezeigt  hatte.  So  konnte  er  der  Wahrheit  ge- 
mäfs  am  Ende  seiner  Tage  von  sich  selbst  sagen :  „  Mein  ganzes 
Leben  habe  ich  keinen  anderen  Ehrgeiz  gehabt,  als  nach 
meinen  schwachen  Kräften  und  Fähigkeiten  meine  Pflicht 
gegen  meinen  Herrn,  gegen  meine  Vorgesetzten  und  gegen 
mir  gleiche  oder  geringere  Menschen  zu  erfüllen." 

Unter  Karl  Wilhelm  Ferdinaud  trat  neben  dem  Herzoge 
selbst,  welcher  der  Staatsleitung  überall  den  Stempel  seiner 
eigenen  bedeutenden  Persönlichkeit  aufzudrücken  veretand, 
niemand  in  den  Regiorungskreisen  so  sehr  hervor  wie  der 
Freihon-  Karl  August  von  Hardenberg,  der  sich  später  als 
preufsischer  Staatskanzler  einen  so  berühmten  Namen  ge- 
macht hat.  Hardenberg,  der  im  Jahre  1782  aus  den  Dien- 
sten seines  engeren  Vaterlandes  Hannover  zuerst  als  Kloster- 
rat und  Mitglied  des  Geheimeoratskollegiums  in  braunschwei- 
gische  Dieuste  überging,  wurde  nach  von  Prauns  Tode  (1786) 
an  dessen  Stelle  zum  ersten  Minister  ernannt.  Er  ist  als  sol- 
cher eine  kurze  Zeit  lang  im  Herzogtunie  mit  jugendlicher 
Lebhaftigkeit  tJiätig  gewesen.  Gleich  seinem  fürstlichen  Herrn 
zeigte  er  sich  dabei  ganz  von  den  Tendenzen  der  herrschen- 
den Aufklärung  erfüllt,  als  ein  warraer  Freund  und  För- 
derer der  liberalen  Ideen,  die  er  auf  allen  Gebieten  des 
Staatswesens^  besonders  aber  im  Kirchen-  und  Schulwesen 
durchzutlihrön  bemühet  war.  Ein  Gegner  des  Adelsregi- 
raentes  und  der  fendalen  Ordnungen,  deren  Schattenseiten 
er  als  junger  strebsamer  Beamter  in  Hannover  zur  Genüge 
kennen  gelernt  hatte,  ebenso  abgeneigt  dem  ortliodoxen  Kir- 
chentume  wie  den  jedem  Fortschritte  widerstrebenden  land- 
ständischen  Institutionen,  war  er  begeistert  für  die  Idee  dea 
ordnenden,  gemeinnützigen,  seine  Fürsorge  auf  alle  Stände 
gleichmäfsig  erstreckenden  Staates,  dessen  Vorbild  er  iu  der 
absoluten  Monarchie  Friedrichs  II.  von  PreuTsen  gerade  da- 
mals verwirklicht  sah.  Ihm  galt  gleich  so  vielen  seiner  Zeit- 
genoasen eine  wohlwollende,  möglichst  unumschränkte  landes- 
lUrsthche  Gewalt  als  das  Ideal  aller  Regienmgaformen.  Ob- 
schon  an  der  Schwelle  der  gi'ofaen  französischen  Staatsum- 
wälzuDg  stehend,  hatte  er  keino  A\vnun!^  ^-a^MOiw,  ^^  \wäc&. 


^ 


S76 


Zwotes  Buch.    Vierter  Abschnift. 


eine  solche  elneame,  auf  keine  hiBtoriscli  festgewurzelte  In- 
stitutionen sich  stützende  Staatsgewalt  von  den  Wogen  einer 
demokratisch-revolutionären  Bewegung  fortgeschwemmt  wer- 
den kann.  Dafa  er  auch  in  seinem  Privatleben  den  laxen 
Grundsätzen  seiner  Zeit  huldigte,  hat  sein  längeres  Verblei- 
ben in  seiner  Stellung  in  Braunachweig  unmöglich  gemacht 
Die  skandalöse  Geschichte  seiner  ersten  Ehe,  dann  seine 
rasche  Wiederverheiratung  mit  einer  Frau,  die  sich  deshalb 
von  ihrem  ersten  Gemahle  scheiden  liefs,  führten  hauptsäch- 
lich sein  Ausscheiden  aus  dem  braunschweigischen  Staats- 
dienste herbei.  Aufser  ihm  ist  unter  den  Staatsmännern  aus 
der  Zeit  der  Regienmg  Karls  I.  und  Karl  Wilhelm  Ferdi- 
nands noch  der  bereits  erwähnte  Föronce  von  Rotenkreutz 
hervorzuheben,  der  neben  der  Energie  und  Festigkeit  des 
letzteren  durch  seine  geschickte  Finanzvorwaltung  die  Til- 
gung der  auf  dera  Lande  lastenden  ungeheueren  Staatsschuld 
ermöglichte.  F^ronce  trat  1748  in  braunschweigische  Dienste, 
wurde  zwei  Jahre  später  iniolge  seiner  erspriefalichen  Thä- 
tigkeit  bei  den  Friedensverhandlungen  von  Aachen  zum 
Legationsrat  ernannt,  1761  in  den  Keichsadelsstand  erhoben 
und  nach  dem  Tode  Scliliestedts  zum  Geheimenrat  und  Fi- 
nanzminister befördert.  Er  war  es  hauptsächlich ,  der  die 
verschiedenen  Subsidien vertrage  zu  Karls  I.  und  seines  Sohnes 
Zeit  vei*mittclte  und  abschlofs:  so  denjenigen  mit  England 
im  Jahre  1759,  welcher  die  Unterhaltimg  der  braunschwei-, 
gischen  Truppen  während  der  letzten  Hälfte  des  sieben- 
jährigen Krieges  ermögUchte,  so  den  schon  früher  erwähnten 
vielgeschmäheten  Vertrag  mit  derselben  Macht  von  1 776 
und  endlich  den  Traktat  von  1788  mit  den  Generalstaaten 
der  Niederlande,  wonach  ein  braunschweigisches  Korps  von 
3000  Mann  zur  Bewachung  und  im  Notfall  zur  Verteidigung 
der  Grenze  den  Holländern  auf  einige  Zeit  überlassen  ward. 
Fdronce  starb  am  19.  JuH  1799  als  Geheimerrat  und  Prä- 
sident des  Kriegs-   und  Finanzkollegiums. 

Das  Wirken  dieser  Staatsmänner  in  Braunschweig  reicht 
teils  bis  nahe  an  den  Ausbruch  der  französischen  Kevolution 
heran,  teils  sind  sie  selbst  noch  während  der  ersten  Jahre 
der  grofsen  Bewegung  im  Amte  gewesen.  Anders  wie  in 
Hannover,  wo  der  englische  Eintlufs  dem  widerstrebte,  fan- 
den die  Anfange  dieser  Bewegung,  in  weicher  die  Jünger 
der  Aufklärung  die  Verwirklichung  ihrer  politischen  Ideale 
zu  erbücken  meinten,  in  Braunschweig  bei  Hoch  und  Niedrig 
den  begeistertsten  Wiederhall.  Mehr  als  anderswo  in  nord- 
deutschen  Landen  hatten  die  Ideen  und  Bestrebungen  der 
Freidenker  und  Weltbeglücker  \m  WetTÄs^VvcoÄ  kxWi»^  ^ 


I 


I 


FraDBOsciifreundliche  Stimtnung  in  Braunschweig. 


377 


funden,  und  es  war  nur  die  natürliche  Tolge,  dafs  man  jetzt 
die  Versuche,  die  Welt  nach  ihnen  umzugestalten;  mit  Be- 
friedigung, teilweise  seibat  mit  Jubel  begrül'ste.  Die  herzog- 
liche Familie  huldigte,  wie  wir  gesehen  haben,  in  allen  ihren 
Mitgliedern  der  neuen  Geistesrichtung.  Vor  allen  gab  sich 
der  Herzog  Karl  Wilhelm  B'erdinand,  der  Neffe  Friedrichs 
des  Grofsen,  der  Zögling  Jemsalems,  als  ein  echter  Solm  der 
Aufklärungszeit,  der  er  doch  wieder  mit  einer  gewissen 
Skepsis  gegenüberstand.  Bei  den  Franzosen  selbst  genofa 
er  einer  Popularität,  wie  sie  Auslandern  eine  solche  nicht 
leicht  entgegenzubringen  pflegen.  Männer  wie  Condoi-cet 
und  Dumouriez  sprachen  von  ihm  in  Ausdrücken  höchster 
Bewunderung.  Man  hielt  ihn  fUhig  und  dazu  bestimmt,  der 
Wiederhera teller  von  Europas  Freiheit  zu  werden.  Noch  in 
dem  Augenblicke,  da  der  Herzog  an  der  Spitze  der  verbün- 
deten  Armeen  von  Osterreich  und  Preufsen  in  Frankreich 
einbrach  und  jenes  berüchtigte  Manifest  erliefs ,  schrieb 
Carra,  der  Journalist  der  girondistischen  Partei:  „Wenn  er 
nach  Paria  kommt,  so  wette  ich,  sein  erster  Gang  wird  zu 
den  Jakobinern  sein,  um  sich  die  rote  Mutze  aufs  Haupt 
zu  setzen."  So  sehr  man  sich  mit  dieser  Annahme  auch  in 
dem  Charakter  und  den  Gesinnungen  des  Herzogs  täuschte, 
so  begreift  man  sie  doch  im  Hinblick  auf  die  Thatsache, 
dafg  damalö  selbst  in  den  Berliner  mafsgebcnden  Kreisen 
das  Wort  laut  wurde:  „ Braimschweig  sei  zum  Herde  der 
Revolution  in  Deutschland  geworden".  In  der  Tbat  gab  es 
unter  den  bevorzugten  Günstlingen  des  Herzogs  Männer, 
welche  fUr  die  Thateu  und  die  Helden  der  französischen 
Umwälzung  nicht  genug  bewundernde  Worte  linden  konn- 
ten. Einer  ihrer  Wortführer  war  Campe,  der  im  Sommer 
1789  sich  in  Begleitung  Wilhelms  von  Humboldt  nach  Paris 
begeben  hatte  und  dann  nach  seiner  Rückkehr  über  seine 
dortigen  Erlebnisse  Briefe  veröffentlichte,  die  an  überschweng- 
licher Begeisterung  für  die  jenseits  des  Rheins  durch  die 
revolutionäre  Bewegung  geschaffenen  Zustande  nichts  zu 
wünschen  übrig  lassen.  Kein  Geringerer  als  Mirabeau,  der 
grofse  Tribun,  hatte  ihn  in  die  Nationalversammlung  zu 
VeraaiUes  eingeführt.  Der  sonst  so  nüchterne  vmd  trockene 
Pädagoge,  „der  feste  und  unachwärmeriache  Manu",  wie 
ihn  Leasing  einmal  nennt,  wird  dxu-ch  das  Schauspiel,  das 
sich  ihm  darbietet,  über  alle  Schranken  eines  besonnenen 
Urteils  fortgerissen,  llmi,  der  längst  verlernt  hat,  an  Wun- 
der zu  glauben,  treten  mit  einemmale  in  den  kleinen  Ort- 
schaften der  Provinz  wie  in  der  Hauptstadt,  va  <i^\  ^•a.>äjOTjs\- 
versammJuDg  wie  in   den   politiaieteniVeu  N  <^%^r«^\fev».  ^*!*» 


378 


Zweites  Buch.    Vierter  Abflcbnitt. 


Palais  Royal,  in  der  Bevölkerung,  die  eben  noch  eine  Herde 
von  Sklaven  war  und  nun  plötzlich  frei g'e worden  sich  als 
ein  dankendes,  sein  eigenes  WoLI  beatiinmcndca  Volk  er- 
weist, greifbare  Wunder  entgegen,  Wxmder,  für  die  ihm  nur 
die  in  allen  Schichten  des  Volkes  verbreitete  Aufklärung 
das  Verständnis  crschiiefst.  Ein  Tedeum  möchte  er  die 
ganze  Menschheit  anstimmen  lassen  ob  dieser  Staatsaui- 
wälzung,  in  der  er  seit  Luthers  lieformation  die  gröfste 
Woblthat  des  Himmels  erblickt.  Andere  litterarische  Gröfeon 
des  damaligen  Braunschweig  haben  freilich  nicht  mit  gleich  jüj 
beredten  Worten  die  S^nungen  der  französischen  RevoIutioi^H 
gepriesen  wie  Campe,  der  denn  auch  unter  den  auserlesenen^^ 
Deutschen  war,  die  von  der  neu  gegründeten  Republik  das 
Ehi'endiplom  eines  französischen  Bürgers  erhielten  ^  aber  sie 
waren  von  denselben  Gesinnungen  und  Anschauungen  be- 
seelt. So  Ernst  Christian  Trapp,  früher  Professor  in  Halle, 
und  Johann  8tuve  aus  Hamm,  beide  in  das  von  Harden- 
berg geplante  ,j  Schuldirektorium  "  berufen,  vornehmlich  aber 
Jakob  Mauvillon,  Professor  der  Mathematik  am  Collegium 
Carolinum,  der  langjährige  Freund  Mirabeaus,  dem  er  bei 
Abfassung  seines  berühmten  Buches  „Über  die  preufsische 
Monarchie"  wesentliche  Dienste  leistete,  und  Karl  Heinrich 
Georg  Veuturiui^  dür  Verfasser  der  „natürlichen  Geschichte 
des  grofsen  Propheten  von  Nazareth",  der  sich  in  späteren 
Lebensjahren  mit  den  verschiedensten  historischen  Arbeiten 
befafste  und  unter  anderem  auch  ein  „  Handbuch  der  vater- 
ländischen (d.  li.  der  brauuschweig  -  lüneburgischen)  Ge-^^ 
schiclite^'  geschrieben  hat.  h|| 

Die  Vorliebe,  welche  Karl  Wilhelm  Ferdinand  für  Frank-™f 
reich,  die  Franzosen  und  französisches  Wesen  hegte,  blieb 
sich  auch  während  der  letzten  zehn  Jahre  aeines  Lebens 
gleich,  obschon  er  in  den  Ki'iegajahren ,  während  des  Feld- 
zuges iu  der  Champagne  und  am  Rhein,  wohl  hätte  Anlala 
finden  können,  seine  Ansichten  in  dieser  Hinsicht  zu  andern. 
Als  der  Friede  von  Basel  den  französischen  Emigranten 
ihren  früheren  Aufenthalt  in  den  rheinischen  Fürstentümern 
verbot,  tJanden  sie  nirgend  bereitwilligere  imd  entgegen- 
kommendere Aufnahme  als  in  Braunschweig ,  wo  sie  jahre- 
lang, bis  zu  der  Katastrophe  von  Jena  ein  eigentümliches, 
fremdartiges  Element  der  Gesellschaft  bildeten.  Abgesehen 
von  der  grofsen  Menge  der  Verbannten  geringerer  Bedeutung 
waren  darunter  die  vornehmsten  und  gefeiertsten  Namen  des 
alten  Frankreich  vertreten.  In  Wolfenbüttel  liefsen  sich  der 
Herzog  von  Castres  und  der  Erzbischof  von  Rheims  nieder, 
Braunschweig  gewährte  den  Marschällen  Bouille  und  Piij"- 1 


Die  französiBche  Emigratiou  in  Braun schivcig. 

s4gwr  so  wie  dem  Erzhischofe  von  Bourges,  dem  Bruder 
des  letzteren,  eine  Freistalt,  und  das  Blankenburger  Schiefe 
wurde  so^r  dem  i'ranzösischen  Prätendenten ,  dem  Grafen 
von  Provence,  dem  nachheiigen  Ludwig  XVIII.,  eingeräumt, 
der  hier  mit  zahlreichem  Gefotge  Hof  hielt,  bis  im  Jahre 
1798  die  energischen  Vorstellungen  der  frauzosischea  Re- 
gierung seine  Übersiedelung  nach  Hafslaud  erzwangen.  Lauge 
noch  erinnerte  man  sich  in  ßlankeuburg  des  kleinen,  kor- 
pulenten, unbehilf liehen  Herrn,  der  keinen  Augenblick  still 
zu  stehen  vermochte  ,  sondern  bestandig  hin  und  her  trip- 
pelte, stets  von  der  eingebildeten  Furcht  vor  gedungenen 
Mördern  gepeinigt,  auf  seinen  Spaziergängen  von  einem 
Schwärm  von  Herzögen,  Marquis  und  Grafen  umgeben,  selbst 
in  diesen  Tagen  der  Verbannung  und  des  Eleudcs  ängstlich 
darauf  bedacht,  die  steifen  Formen  der  französischen  Hof- 
etikette  zu  wahren. 

Für  das  Kurfürstentum  Hannover  war  seit  dem  Anfange 
des  18.  Jaiirhundcrts  durch  seine  Verbindung  mit  England 
eine  politische  Lage  geschaften,  welche  seiner  inneren  Ent- 
wicklung eine  von  derjenigen  des  stammverwandten  Braun- 
schweiger Landes  doch  in  vieler  Hinsicht  abweichende  Rich- 
tung gab.  Während  hier  das  fürstliche  Haus,  von  dem  all- 
gemeineu  Zuge  der  Zeit  getragen,  auf  den  Trümmern  des 
alten  ständischen  Staates  zu  unbeschränkter  Macht  empor- 
stieg und  ein  Htaatsweaen  begründete,  in  welchem  die  stän- 
dischen Korporationen  nur  noch  dem  Namen  nach  fortbe- 
standen ,  wurden  in  Hannover  die  Anfange  einer  ähn- 
lichen Entwicklung ,  wie  sie  bereits  durch  die  Ööhne  de» 
Herzogs  Georg,  besonders  durch  den  jüngsten,  ins  Leben 
gerufen  waren,  infolge  der  trbcraicdelung  des  HeiTschorhauses 
nach  England  unterbrochen.  An  eine  Weiterbildung  der 
monarchischen  Einheit  im  Sinne  Ernst  Augusts  war  nicht 
mehr  zu  denken,  seitdem  sein  Sohn  als  erster  König  von 
Grofsbritannien  aus  weltischcm  Hause  seinen  Fufs  auf  eng- 
lischen Boden  gesetzt  hatte.  Die  Abwesenheit  des  Fürsten 
mufste  notwendigerweise  das  Regiment  in  die  Hand  einer 
allmächtigen  Adels aristokratie  legen  und  den  Einiiuls  der 
Landstände,  statt  ihn  zu  schwächen  oder  gar  zu  beseitigen, 
verstärken.  Mit  wachsender  Eifersucht  hütete  jetzt  jeder 
der  sechs  Landtage,  welche  die  verschiedenen  Provinzen  des 
Kurataatcs  vertraten,  seine  alten  Freiheiten  und  Privilegien. 
Erst  nach  langen  Verhandlungen,  dio  fast  fünfzig  Jahre 
dauerten,  wilUgten  die  Stände  des  Fürstentums  Calenberg  ia 
die  Vereinigung  mit  den  Grubenhagener  Ständen  zu  einer 
beide   Landschaften   umfassenden  Korporation.      So   best 


st-         j 


Zweites  Bach.    Vierter  Abschoitt 


der  Kurafjiat  auch  fürder  fast  aus  ebenso  vielen  gesonderten^ 
ihre  inneren  Angelegenheiten    aelbständig  verwaltenden  Pro- 
vinzen, wie  es  ehedem  Territorien  gegeben   hatte.     Für   die^^ 
gemcinHamen  Angelegenheiten,  die  äufsere  Politik,  das  Kriegs*^^ 
wesen  nnd  teilweise  auch  die  Finanzen,  bildete  das  Geheime-  ^H 
ratBkollegium  in  Hannover  den  einigenden  Mittelpunkt,  doch 
hatte   sich   der  König   fiir   wichtige    Fälle    seine    persönliche 
Entscheidung  vorhelialten,  zu  welchem  Zwecke  seit  Georg  UI. 
in  London  die  deutsche  Kanzlei  bestand.     Dafs   ein   solches 
Regiment  seine  grofaen  Nachteile   hatte,    leuchtet   ein.     Es 
hinderte  das  Zusammenwachsen  der  einzelnen  Landschaften 
zu    einem    geschlossenen   Staatswesen,    beförderte    in    ihnen 
einen  kleinlichen,  verkümmernden  Partikularismua,  zog  eine 
engherzige    und    selbstslichtige    Aristokratie    grofs    und    er- 
schwerte  bei   etwaigen  auswärtigen  Verwicklungen   den   oft 
notwendigen  raschen  Kutschlufs  und  die  zugreifende  Initiative. 
Das  Bedenklichste  war  vielleicht  die  Abwesenheit  des  Monar- 
chen.    Zwar  besuchten  die  beiden  ersten    englischen  Könige 
aus  dem  Hause  Hannover  noch  öfter  ihr  Staramland,  hielten 
sich  auch  wohl  längere  Zeit  dort   auf,  aber   seit  Georg  HL 
ging  die  lebendige  Kraft  des  monarchischen  Willens  hier  60 1 
gut  wie  völlig  verloren.     Obschon   in  Wahrheit  eine  Adeb-' 
aristokratie  das  Land  regierte,  hielt  man  doch   ängstlid»  an 
den  monarchischen  Tra<litionen   lest.     War  der  Landesfürst 
auch  iern,   kam   er   auch    in    der   ersten    Hälfte    des    Jahr- 
hunderts nur  ab  und  zu  in  sein   deutsches  Heimatland,    be- 
trat er  auch  in  der   letzten  Hälfte    desselben   nie   mehr    den 
deutschen  Boden,  so  wurde   doch   ein  vollständiger  Hofstaat 
mit  zahlreichen  Sinekuren,  gleich  als  wenn  er  im  Laude  re-  ^H 
sidiert    hätte ,    für    ihn    gehalten.      An    gewiesen    Oalatagen  ^H 
pflegte  der  Adel  zu  feierlicher  Kour  bei  dem  doch  abweaen-    ^ 
den    Könige    sich    in   Herrnhausen    zu    versammeln.      Aber 
von  einer  eigentlichen  Hofhaltung  oder  gar  von  einem  Ein- 
flüsse des  Hofes  auf   die  höheren   iind   mittleren  Kreise   der 
Gesellschaft,  wie   in  Braunschweig,    kann    keine  Rede   sein. 
Dennoch  hat  die  politische  Verbindung  Hannovers  mit  Eng-  ^M 
land  auf  diese  Kreise  eine   gewisse  Rückwirkung   geäufaert  ^K 
Die  Hannoveraner  empfanden  es  mit  einer  Art   von    patrio- 
tischem Ötolze,  dafs  ihr  KurfUrst  auch  den  Thron  einer  der 
ersten   Weltmächte    innehatte,    sie    Itihlten    sich  durch   das 
Band,  welches  sie  mit  dem  britischen  insellando  verknüpfte, 
gehoben,  ein  Abglanz  von  der  Macht,   der  Gröfse   und    der 
politischen   Freiheit  des    englischen  Volkes    schien   auch    auf 
sie    zurückzustralilen,    und    m\\.    Wwuudernder     Verehrung 
wandten    aie   ihre  BUcVe  \m\ü\ieY  ^äOcv  Äicki  »ft.wfjVi^^lÄi^a 


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I 


Kelche,  dem  aie  eine  llerrscberfamilic  gegeben  hatten.  Sol- 
chea  Einflüssen  vermochten  sich  selbst  Leute  nicht  zu  ent- 
ziehen, deren  kerndeutsche  Gutiinnung  auCscr  allem  Zweifel 
steht.  So  kam  es,  dafä  im  Gegensatze  zu  den  übrigen 
deutäcben  Ländern,  uamentlich  auch  zu  dem  Ilerzogtume 
Braunschweig,  in  Hannover  statt  der  Bewunderung  und  Nach- 
ahmung des  ti-anzüsischon  eine  ebenso  starke  Vorliebe  für 
engUaches  Wesen  Platz  griff.  Nicht  nur  in  der  hannöv- 
rischen  Aristokratie,  sondern  auelx  in  den  Kreisen  der  Be- 
amten- und  Gclehrtenwelt  machte  sich  diese  Anglomanie 
geltend.  In  den  höheren  Schulen  des  Landes  ward  neben 
der  französischen  auch  die  englische  Sprache  als  Unterrichts- 
gegenstaud  eingeführt,  englische  Sitten  und  Lebensgewohn- 
heiten drangen  vielfach  auch  in  das  Privatloben  ein,  und 
selbst  die  Historiker  und  Ötaatsrechtelehrer  der  Göttinger 
Hochschule  konnten  sich  dem  von  England  ausgehenden  Ein- 
flüsse nicht  entziehen.  „Wir  sind  ja  hier",  sagte  Spittler, 
„so  gerne  Halb -Engländer,  und  gcwifs  nicht  blois  in  Klei- 
dung, Sitte  und  Mode,  sondern  auch  im  Charakter." 

Zum  Teil  ist  in  den  liier  angedeuteten  Verhältnissen  der 
Grund  zu  suchen,  weshalb  die  moderne  Aufkläi-ung,  wie  sie 
sich  namentlich  während  der  letzten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
über  Deutschland  verbreitete,  in  Hannover  bei  weitem  nicht 
in  demselben  Umfange  einzudringen  und  die  herrschende 
geistige  Macht  zu  werden  vermochte,  wie  dies  anderwärts 
geschah.  Aber  auch  andere  Momente  haben  dazu  mitge- 
wirkt,  dies  zu  verhindern.  Es  fehlte  hier  mit  dem  Füisteu' 
hause  der  geistige  Mittelpunkt,  durch  dessen  Beispiel  und 
Einwirkung  sich,  wie  in  Braunschweig,  die  neue  Richtung 
hätte  verbreiten  können.  Auch  der  nüchterne,  verständige, 
vorwiegend  auf  das  Praktische  gerichtete  Sinn  des  Volkes 
widerstrebte  den  fantastischen,  windigen  Beglückungsplänen 
der  Aufklärer.  Diesen  staatserhaltenden  Sinn  des  hannöv- 
Hscheu  Volkes  hat  selbst  ein  ]\[ann ,  dem  man  sicherlich 
keine  Voreingenommenheit  fii  r  die  damaligen  Zustände  in 
den  deutschen  Kleinstaaten  zuschreiben  wird,  mit  beredten 
Worten  anerkannt.  „Alles",  sagt  er,  „was  ein  Volk  ttir 
die  Kämpfe  des  Staatslebens  ausrüstet,  strenges  Kechtageiuhl 
und  ausdauernde  Wülenski-aft,  Tapferkeit  und  Freimut,  ge- 
sunder Menschenverstand  und  ein  sicherer  Blick  für  das 
Wirkliche,  war  dem  Niedersachsen  in  die  Wiege  gebunden." 
Dazu  kam,  wie  bereits  bemerkt  worden  ist,  die  langjährige 
Verbindung  Hannovers  mit  England,  die  in  den  fähigeren 
Köpfen  des  deutschen  Kurlandes  doch  eine  reifere  Anschau- 
ung  von   den   politischen   Dingen   eTTteu^e,  «Iä  %v^  "vö-  ^«sö- 


L      ung   von   den   politischen   Dingen   eTTteu^e,  ää  %v^  vö-  wo-     , 


8S2 


Zweites  Bach.     Vierter  Abschnitt 


meisten  übrigen  deutschen  Ländern  zu  finden  war.     Unter 
den  Wortführern   der  Aul'klärung   waren   freilich   auch   ein- 
zelne Hannoveraner,  wie  der  schon  erwähnte  Freiherr  Adolf 
von  Knigge,  der  Veri'asser  des  bekannten  Buches  „  Über  den 
Umgang  mit  Menschen '*,  ein  überaus  fruchtbarer   und    rüh- 
riger   Vielschreiber,    der   abgesehen    von   anderen   Schriften 
ähnlicher  Tendenz  in  „Benjamin  Nordmanns  Geschichte  der 
Aufklärung  in  Abyssinien"  den  Versuch  gemacht  hat,  eine 
Art  von  Musterstaat  aus  reinen  Naturrechts-  und  nüchternen 
Zweckmäfsigkeitaprinzipien  zu  konstruieren,  aufgebauet   auf 
urwüchsigem,  von  allem   historischen  Gestrüpp   gesäuberten 
Boden,  ein  Phantasiebild ,  ganz  und   gar  gedacht   im  Geiste   ^J 
der  seichten  modernen  Aufklärerei.     Aber  nirgend   in  deut-   ^M 
sehen  Landen  haben  die  MUnner  dieses  Schlages   einen  ent-    ^n 
ßchiedeneren    und   gewichtigeren   Widerspruch   getünden   als 
in    Hannover.      Trotz    der    auch    hier   vielfach   verbreiteten 
aufklärerischen  Ansichten   regte  sich  in  vielen    ruhigen   und 
klar  denkenden  Köpfen  eine  entschiedene  Opposition   gegen 
die  von   den   Dichtern   und  Philosophen   vertretenen  Ideen 
und  fand  ihren  Ausdruck  in  einer  Anzahl  von  Schriften,  die 
mit  geringerem  oder  gröfserem  Krfolge   namentlich   die  An- 
wendung   der    neuen    freidenkerischen    Ansicliten    auf    die 
staatlichen   Verhältnisse   bekämpften.    Gegen  Knigge  schrieb 
der  berühmte   königliche  Leibarzt   in   Hannover  Ritter    von 
Zimmermann.    Er  nannte  ihn  einen  der  schlauesten  und  ge- 
ßlbrlichsten    Volksaufwiegler    in    Deutscliland.      Unberufene 
Federn    mischten    sich    in    diesen    litterarischen  Streit ,    der 
schliefölich    zu    einem    mehrjährigen,   iui*   Zimmermann    un- 
günstig   verlauienden    Prozesse    führte.     Von    grofserer    Bc-  ^J 
deutung  war  eine  Anzahl  von   hannövrischen  Scbriftstellernf  ^H 
die,  an  eine  methodische  Behandlung  staatsrechtlicher  Gegen-  ^^ 
stände  gewöhnt,  den  Schönrednern  und  Schwärmern   in  der 
vollen  Küstung  einer  zwar  etwas  schwerf^gen  aber  darum 
nicht  weniger  gewichtigen  Wissenschaft  entgegentraten.     Es  ^j 
waren  das  zum  Teil  recht  eigentlich   die  Vertreter   des   alt-  ^M 
hannövrischen  bürgerlichen  Beamtentums.    Zu  ihnen  gehörten  ^^ 
der  Geheime  Kabinetssekretär  Ernst  Brandes,  der,  ein  jün- 
gerer  Freund   Edmund    Burkes   und   von   diesem   angeregt, 
die  neumodischen  staatsrcclitlichen  Lehren   hauptsächlich   in 
der    Schrift   „Über   einige    Folgen    der   französischen   Revo- 
lution mit  besonderer  Rücksicht  auf  Deutschland"  erfolgreich 
bekämpfte,  sowie  der   spätere  Kabinetsrat  A.   W.   Rehberg, 
der   unermüdlich   war,   in   zahlreichen  Bücherbesprechungen 
ein  konservativ- fceisinnigea  System  von  politischen  Ansichten 
zu  entwickeln  und  den  geTpT\eae\ifeti.  koÄOaa»».'a^'&  der  frftn-| 


Verscluedene  geistige  and  poliüsche  Strömungen  in  Hannover.  88B 


r 

I  zösischen  Vylkerbeglücker  gegenüber  zu  verteidigen.  Nir- 
I  gend  aber  l'and  man  während  der  Jahrzehnte,  die  der  tran- 
r  zÖRischen  Revolution  unmittelbar  vorhergingen,  entschiedenere 
Wortluhrer  dieser  konservativen  Richtung  als  in  Göttingen. 
Die  dortige  Universität  erwies  sich  als  die  Hochburg  eines 
besonnenen  staatserhaltendcn  Geistes  iind  seiner  wissenschaft- 
lichen Vertretung.  Nicht  mit  Unrecht  hat  man  gesagt,  dafa 
von  hier  ans  damals  das  Beste  geschah,  um  die  Deutschen 
über  Staats-  und  Regierungsweseu  der  Gegenwart,  über  den 
Wert  staatsbürgerlicher  Freiheit,  sowie  über  die  Bedeutung 
derjenigen  Macht  die  Augen  zu  Öffitien,  iiir  welche  dann 
später  der  Ausdruck  „öffentliche  Meinung"  aufkam.  Um 
dÖcs  nicht  übertrieben  zu  finden,  braucht  man  nur  an  Scblö- 
zer  und  Öpittler  zu  denken ,  welche  beide  damals  in  der 
Vollkraft  ihres  Wirkens  standen,  jener  mit  Recht  als  der 
Vater  der  deutschen  Publizistik  gepriesen,  dieser  Historiker 
und  Politiker  zugleich,  ein  ächriltsteller,  der  die  Ereignisse 
der  Vergangenheit  mit  ebenso  sicherem  Blick  zu  erfassen 
wufste,  wie  er  mit  Verständnis  und  seltener  Unbefangenheit 
die  Zustände  der  Gegenwai't  beurteilte. 

Aber  nicht  nur  durch  Wort  und  Schrift  suchte  man  in 
Hannover  dem  Eindringen  der  neuli-auzösischen  staatsum- 
I  stürzenden  Lehren  zu  begegnen,  auch  auf  dem  rein  prak- 
I  tischen  Gebiete  trat  man  ihnen  mit  Entschiedenheit  ent- 
I  gegen.  Namentlich  ist  hier  gegen  Ende  des  IH.  Jahrhunderts 
der  immerhin  bemerkenswerte  Versuch  gemacht  worden,  den 
Bestrebungen  zu  wehren,  welche  die  Treue  und  Zuver- 
lässigkeit der  deutschen  Truppen  zu  untergraben  suchten. 
Die  Freunde  des  Umstui-zes  sahen  in  ihnen  die  Hauptstützen 
der  bestehenden  Ordnung  und  waren  daher  beflissen,  sie 
ihren  geschworenen  Eiden  abtrünnig  zu  machen,  sie  zu  Ab- 
fall und  Verrat  zu  verlocken  und  nach  dem  in  Frankreich 
gegebenen  Beispiele  mit  ihrer  Hilfe  die  staatliche  Ordnung 
in  ihrem  Sinne  umzuwandeln.  Diesen  Bestrebungen  entgegen 
zu  wirken,  war  der  Zweck  eines  von  dem  General  von 
Freytag,  einem  Veteranen  aus  dem  siebenjährigen  Kriege,  ins 
Leben  gerutbnen  militärischen  Vereins.  Mit  Bewilligung  des 
Königs  und  Kurfürsten  wurden  sämtliche  Offiziere  des  Lan- 
des aufgefordert,  dieser  Vereinigung  beizutreten,  als  deren 
Aufgabe  es  bezeichnet  ward,  die  deutschen  Heere  vor  der 
Zersetzung  durch  die  revolutionäre  Propaganda  zu  bewahren, 
den  Aufwieglern,  Aufklärern  und  Verführern  der  Truppen 
entgegenzutreten  und  jene  namentlich  auch  durch  schrift- 
stellerische Thätigkeit  der  Offiziere  über  ihre  soldatiacUeu 
Pflichten  zu  belehren  und  sie  in  Wiueia  lu  ftNäxV^tv.  ^^ä  ^>üäc&j£. 


ZbuIm  Baek.    Titrier  Ahachutt. 


den  Veraoe  aogv  «De  grölsere  AsadeKnoiig  so  gebeu^  ihn 
über  gans  DestBehlsDd  nad  die  ■■rfcrtoipqtiAm'  Kronliiida 
Oaterracfas  aa  -vcrfaraten.  Ein  daattb  vki  gdiesenes  Wener 
Blatt  i'-T^"  din  nk  den  Woctn,  „  dals  die  humörrischea 
Offiaiere  den  benfiduten  Lohn  ikrer  Bemäbuugen  darin  er-  ^y 
blicken  warden,  wenn  aUe  ibre  Kameraden  in  ganz  Deutsch-  ^M 
land,  Ungarn  und  dea  Kiederianden  aie  mit  ihrem  Beitritt  ^^ 
beehren  und  ihnen  heirtchen  volUen,  die  Hordbrenner  an  1 
VMnicbten."  ! 

Unter  den  hannÖTziadkcn  StaatamäaDcni  nimmt  in  der  j 
ersten  Zeit  dieser  Periode  Andreas  Gottbeb  ron  Bemstorff 
eine  hervorragende  Steile  ein.  Er  sUnunte  aus  einer  mecklen-  I 
bnzgiacheu  Familie,  trat  dann  aber  in  die  Dienste  des  Herzogs  | 
Georg  Wilhelm  von  Celle  und  kam  nach  dessen  Tode  an  || 
den  Hof  von  Hannover,  wo  er  nach  dem  Ableben  dea  Gra- 
fen Platen  (1709)  zum  leitenden  MiniatpT  erhoben  ward. 
£r  wttiste  sich  bald  das  Vertrauen  des  Kortiirsten  Georg 
Ludwig  in  so  hohem  Grade  zu  gewinnen ,  da&  alle  wich- 
tigen Regiernngsgeschäfte  durch  seine  Hand  gingen.  Der 
kalte  und  verschlosaene  Fürst  ^tand  inbezug  auf  politische 
Dinge  völlig  unter  seinem  üinllusse.  „Obschon  er  von  Zeit 
zu  Zeit  Widerstand  ertahrt"  —  so  äuisert  eicli  der  Feld- 
marschall von  der  Schulenburg  über  ihn  — ^  „kommt  er 
doch  immer  zum  Ziele,  imd  der  KuHurst  mols  thun,  was  er 
wilL"  Als  Georg  Ludwig  Hannover  verlieü,  um  den  eng- 
lischen Thron  zu  besteigen,  begleitete  ihn  Bemstorff  nach 
London,  von  wo  aus  er  die  ganze  R^ening  des  Kurtursien- 
tums  leitete.  Hier  ist  er  auch  1726,  ein  Jahr  vor  seinem 
königlichen  Herrn,  in  hohem  Alter  gestorben.  Neben  ihm 
verdient  von  den  geheimen  Räten  in  Hannover  Johann  Kaspar 
von  Bothmer  erwähnt  zu  werden.  Er  hatte  dem  kurfürat- 
lichen  Hause  schon  bei  den  Mheren  Verhandlungen  über 
die  Thronfolge  in  England  die  wichtigsten  Dienste  geleistet 
und  hatte  dann  nach  dem  Tode  der  Kurfiirstin  Öoplue  aufs 
neue  Gelegenheit,  seinen  politischen  Takt  und  seine  Um- 
sicht zu  bewähren.  Die  Königin  Anna  und  Bolingbroko 
machten  damals  erneuete  Anstrengungen  zugunsten  des  Prä- 
tendenten. Den  Whigs  schien  die  Gefahr,  welche  infolge 
dieser  Zettelungen  die  ii-üheren  Beschlüsse  des  Parlamentes 
und  damit  die  hannövrische  Succession  bedrohote,  so  grofs, 
dafs  der  Herzog  von  Marlborough,  der  sich  zu  dieser  Zeit 
in  Antwerpen  aufhielt,  daran  dachte,  mit  holländischen  und 
hannövrischen  Truppen  in  England  zu  landen,  um  die  Kö- 
nigin Anna  zu  formeller  Anerkennung  der  Nachfolge  Georg 
Ludwiga  zu  nötigen.    Bo\\vTQeT,  ^et  ^ftQ.feli^K  <i\'a»%  solchen 


Die  haDnö%Tis<:faeu  Staatsmänner  de»  18.  Jahrhunderts. 

gewaltsamen  Vorgehens  richtig  erkannte  und  nur  von  dem 
Verharren  auf  dem  gesetzlichen  Wege  die  Erfüllung  der 
hannövrischen  Hoffnungen  erwartete,  wufste  dies  zu  ver- 
hindern. Als  dann  noch  in  demselben  Jahre  die  Königin 
Anna  starb,  eilte  er,  der  erste  von  den  hannövrischen  Staats- 
männern ,  mit  unumschränkter  Vollmacht  verschon ,  nach 
London.  Er  benahm  sich  bei  dieser  Sendung  mit  Umsicht 
und  Mafsigung.  Bolingbroko  wurden  die  Staatssiegel  abge- 
nommen f  sein  K'ablnet  vere^iegelt  und  er  selbst  durch  den 
Grafen  Oxford  in  Anklagestand  vei*setzt,  ein  Verfahren,  dem 
er  sich  durch  schleimige  Flucht  nach  Frankreich  entzog. 
So  sicherte  Botlimer  die  ruhige  und  ungestörte  Thronbe- 
steigung seines  Herrn  in  England.  Für  solche  Verdienste 
sah  er  sich  durch  seine  Erhebung  in  den  Reichsgrafenstand 
belohnt,  die  im  Jahre  1715  erfolgte  und  mit  der  eine  be- 
deutende Dotation  verbunden  war.  Später  ward  er  zum 
ersten  Minister  der  kur hannövrischen  Lande  ernannt  und  ist 
im  Jahre  1732  in  London  gestorben.  Auch  unter  den  üb- 
rigen geheimen  Räten  in  Hannover  gab  es  zur  Zeit  Georgs  L 
tüchtige,  in  hohem  Grade  geschäl'takundige  Männer,  wie  den 
Vizekanzler  Ludolf  Hugo  (f  1704),  der  in  der  Lauonburger 
Erbfolgefrage  den  „Bericht  von  dem  Rechte  des  Hauses 
ßraunschweig  und  Lüneburg  an  deren  laucnburgiachen  Lan- 
den" verfafst  hat,  wie  ferner  den  Präsidenten  der  Kriegskanzlei 
Friedrich  Wilhelm  von  Schlitz-Oörz  und  den  Hofrichter  und 
Bei^hauptmann  Friedrieh  Aehatz  von  der  Schulouborg.  Sie 
rUo  wurden  aber  au  geistiger  Bedeutung  weit  überragt  von 
einem  Manne,  der  aehio  Stiwitsl  auf  bahn  zwar  noch  unter 
Georg  I.  begonnen,  aber  erst  unter  den  beiden  Nachfolgern 
desselben  seine  staatsmäiini sehen  Fähigkeiten  voll  hat  zur 
Geltung  bringen  können.  Es  ist  dies  der  Freiherr  Gerlach 
Adolf  von  Miinchhausen,  der  uua  bereits  als  der  eigentliche 
Gründer  der  Universität  Göttingen  begegnet  ist.  ^H 

Münchhausen  entstammte  einer  althannövri sehen ,  ur-^^ 
sprünglich  in  der  Umgegend  des  Klosters  Lokkura  begüter- 
ten; dana  aber  auch  nach  anderen  deutschen  Ländern ,  na- 
mentlich nach  Thüringen  und  Sachsen  verzweigten  Familie. 
Am  14.  Oktober  168H  in  Berhn  geboren,  trat  er,  nachdem 
er  die  Universitäten  Jena,  Halle  und  Utrecht  besucht  hatte, 
1716  in  hannövrischc  Dienste.  Georg  I.  übertrug  ihm  eine 
der  Ratöstellen  bei  dem  kurz  vorher  (1711)  gegründeten 
Oberappellationsgerichte  in  Celle.  Aber  die  richteriiche  Thä- 
tigkeit  sagte  ihm  auf  die  Dauer  nicht  zu,  und  so  ward  er, 
seinen  Wünschen  entsprechend,  im  Jahre  172G  als  Geaandtec 


I 


Zweilea  Buch.    Vierter  Abschnitt. 


Kurhannovers  bei  dem  ReichstAge  in  Regensburg  beglaubigt 
Im  folgenden  Jabrc  scbon,  als  Georg  IT.  den  Thron  bestieg, 
berief  ihn  dieser  in  das  Oeheimeratsküllegium ,  wo  er  bald 
die  einflufsreicbste  Persönlichkeit  wurde.  Während  der 
ganzen  Regierang  Georgs  11.,  der  ihn  ubei-aus  hochschätzte, 
hat  er  der  äufsercn  wie  der  inneren  Politik  des  Kurstaates 
Ziel  und  Richtung  gewiesen.  Jene  ward  freilich,  wie  wir 
wissen,  damals  noch  mehr  als  zu  .inderer  Zeit  durch  die 
Interessen  Englands,  denen  auch  Miinchhauscn  nicht  zuwider 
zu  handeln  vermochte,  bestimmt.  Er  war,  wie  die  meisten 
hannövrischen  Staatsmänner,  durchaus  reichsfreoudlicb  gesinnt 
und  neigte  sich  daher  in  den  kriegeriscLen  Wirren,  die  das 
Jahr  1740  einleitete,  auf  die  Seite  Österreichs  und  seiner 
jugendlichen  Beherrscherin,  deren  Gunst  er  eich  in  hohem 
Grade  erfreuete.  Als  dann  nach  dem  Beginn  des  sieben- 
jährigen Krieges  der  Kurstaat  vor  die  Wahl  eines  Bünd- 
nisses mit  Preufsen  oder  mit  dessen  Gegnern  gestellt  ward, 
hielt  er  anfangs  an  der  Meinung  fest,  es  wäre  möglich,  die 
kriegführenden  Mächte,  namentlich  auch  Frankreich,  zur 
Achtung  der  hannövrischen  Neuti'alität  zu  bestimmen.  Auch 
er  meinte  im  Vertrauen  auf  die  Macht  staatfirechtlicher  For- 
men Hannover  vor  dem  Kriege  und  damit  vor  den  Gefahren 
einer  feindlichen  Invasion  bewahren  zu  können.  Ala  er 
sich  überzeugen  rauTste ,  dafs  dies  ein  Irrtum  sei ,  hat  er 
mutig  den  Ereignissen  die  Stirn  geboten.  Während  die  Mehr- 
jiahl  der  geheimen  Räte  nach  der  Schlacht  bei  Hastenbeck 
die  Hauptstadt  veriiefs  und  sich  nach  Stade  flüchtete,  blieb 
er  auf  seinem  Posten  und  suchte  nach  Kräi'ten  die  dem  Lande 
aufgebürdeten  Lasten  zu  erleichtern.  Georg  IL  erkannte  die 
grofsen  Dienste,  die  Münchhausen  während  des  siebenjährigen 
Krieges  dem  Lande  lei&tete,  an,  indem  er  ihm  bei  seinem 
Tode  die  Summe  von  20  000  Thalern  vermachte.  Nach  dem 
Kriege  und  in  der  langen  Friedenszeit,  die  diesem  folgte,. 
war  ihm  während  des  ersten  Jahrzehnts  der  Regierung 
Georgs  III.  noch  vergönnt,  sich  eifrig  an  dem  Friedena- 
werke  mit  zu  beteiligen,  welches  die  Spuren  des  Krieges  zu 
verwischen  bemühet  war.  Als  Kammerpräsident,  wozu  er 
schon  im  Jahre  1753  ernannt  wai',  stand  er  an  der  Spitze 
der  ganzen  inneren  Verwaltimg.  Seiner  geschickten  tmd 
gewissenhaften  Aratslulirung  hatte  man  es  zu  danken,  dal» 
die  Verpachtung  der  Kammergüter  um  100000  Thaler  mehr 
einbrachte  als  früher.  Der  Hebung  der  für  Hannover  so 
wichtigen  Landwirtschaft  widmete  er  eine  besondere  Auf- 
merksamkeit. Das  im  Jahre  1735  errichtete  Landgeatüt  in 
CW/e,    das   den  Ruhm    dev   \i&tiiiki"»iT\adfts&  '^Ifct^'Ki.ViQ.ht 


ierhannoTriecB 


egreniDg. 


gründet  hat,  erü-euete  sich  eeiner  besonderen  Fürsorge:  nach 
den  ersten  dreileig  Jahren  seines  Bestehens  war  die  Zahl 
der  Beecbäler  bereits  auf  das  Vieriache  gestiegen.  Auch  die 
Weserschleuse  bei  Hameln,  ein  für  die  damalige  Zeit  grofs- 
artiges  Werk,  ist  unter  seiner  Leitung  erbauet  worden.  Für 
die  Hebung  und  Ausbildung  des  Beamtenstandes,  der  von 
jeher  mit  Recht  der  Stob  des  Hannoveraners  gewesen  ist, 
für  die  Forderung  des  Schul-  und  Kirchenwesens  ist  er  mit 
rühmlichem  Erfolge  thätig  gewesen.  Das  schönste  Denkmal 
aber  hat  aich  aoiu  vielseitiger,  reichbegabter  Geist  in  dem 
Anteüe  errichtet,  den  er  an  der  Gründung  der  Universität 
Göttingen  genommen  hat,  von  der  in  der  Tbat  das  Wort 
gilt,  dafs  sie  seine  ureigenste  Schöpfung  ist 

Fast  während  eines  ganzen  Jahrhunderts,  von  der  Thron- 
besteigung Georgs  I.  in  England  bis  zur  Eroberung  des 
Kurstaates  durch  die  Franzosen  im  Jahre  1803,  ist  weder 
in  der  Organisation  der  Regierung  noch  in  dei-  Verfassung 
des  Landes  eine  wesentliche  Veränderung  erfolgt  Mit  der 
dem  Niedersachseu  augeboi'encn  Zähigkeit  hielt  man  in  Han- 
nover an  dem  fest,  was  man  von  den  Vätern  überkommen 
hatte.  Weder  das  Beispiel  des  grofsen  Friedrich  in  Preufsen 
noch  die  Lehren  und  Forderungen  der  zahlreichen  Jünger 
der  Aufklärung  vermochten  daran  etwas  zu  ändern.  Im 
Vollbesitz  einer  unbestechlichen  Rechtspflege  und  stolz  auf 
die  Unbescholtenheit  seines  Beamte nstandes,  setzte  der  Han- 
noveraner allen  aufdringlichen  Neuerungen  ein  unbezwing- 
liches  Mifstrauen  oder  selbst  eine  entschiedene  Abneigung 
entgegen.  Dieser  stark  hervortretende  konservative  Zug, 
noch  mehr  die  SchweriHlIigkeit  und  Unbeholfenheit  der  Re- 
gierungsmaschiuc  haben  vielfach  die  Hpottlust  und  den  Tadel 
dei*  Zeitgenossen  und  der  Kachwelt  erregt  Man  gefiel 
sich  darin,  das  hanuövrische  Volk  als  weit  hinter  den  be- 
rechtigten Anforderungen  der  Zeit  zurückgeblieben,  seine  Re- 
gierung, —  „ces  maudites  perruques  d'Hannovre",  wie  Fried- 
rich der  Grofse  sich  auszudrücken  liebte  —  als  eine  ver- 
knöcherte, in  den  starren  Formen  der  Vergangenheit  stecken- 
gebliebene Gesellschaft  zu  bezeichnen.  Aber  diese  Urteile, 
obechon  sie  nicht  ganz  unbegründet  waren,  tragen  doch  den 
Stempel  der  Übertreibung  an  der  Stirn.  Das  Volk  hing 
mit  treuer  Liebe  an  seinem  Herrscherhauses  mochten  dessen 
Mitglieder  aach  nicht  mehr  in  seiner  Mitte  Hof  halten.  Es 
fühlte  sich  nicht  durch  unerschwingliche  Steuern  bedrückt 
und  erfreuete  sich  einer  wohlwollenden,  gerechten  und  mit 
seinen  Bedürfnissen  vertraueten  Regierung.  Auch  ist  zur 
Förderung  der  Laudeskultur,  zur  Hebung  von  ludustrift  ^i3QÄ. 


k. 


Werter 


Gewerbe  wähi-encl  des  18.  Jahrhunderts  manches  geschehen, 
mancher  erfreuliche  Fortschritt  auf  diesen  Gebieten  zu  ver- 
zeichnen. Die  so  wichtige  WegebesFcrung  fing  erat  jetzt 
an,  einige  Bedeutung  zu  erlangen.  Die  ält*»te  Wegeordnung 
vom  Jahre  lti9l  wurde  durch  eine  neue  verbesserte  vom 
18.  März  1738  aufgehoben,  und  seitdem  wurden  noch  meh- 
rere andere  ergänzende  Ordnungen  in  den  Jahren  1751, 
1754  und  1763  erlassen.  Alle  diese  Verordnungen  beziehen 
sich  nur  auf  Anlegung  und  Besserung  der  Heer-  und  Land- 
strafson.  Ihre  Kosten  fielen  den  Gemeinden,  durch  deren 
Gemarkungen  sie  sich  hinzogen,  zm*  Last.  Erst  einige  Jahre 
nach  dem  siebenjährigen  Kriege  (1768)  begann  man  auch 
wirkliche  Kunststrafsen  (Chausseen)  zu  baueu.  Die  beiden 
erstcu  von  ihnen,  die  im  Laude  angelegt  wurden,  verbanden  ^j 
die  Hauptstadt  einerseits  mit  Hameln,  anderseits  mit  Göt-^H 
fingen.  Auch  für  das  Deichwesen,  das  für  ein  Land  wie^B 
Hannover  kaum  von  geringerer  Wichtigkeit  ist  als  tUe  An- 
lage und  Besserung  von  Verkehrswegen,  hat  diese  Zeit  eine 
Reihe  von  neuen  zweckmäisigeren  Ordnungen  geschaffen. 
Das  Fürstentum  Lüneburg  erhielt  1748  eine  verbesserte 
Deichordnung  und  1785  in  Rücksicht  auf  die  Doichstrafen 
an  der  Oberelbe  ein  neues  Regulativ.  Ebenso  wurden  für 
das  Herzogtum  Bremen  im  Jahre  1743,  für  Lauenburg  im 
Jahre  1753,  für  die  Grafschait  Hoya  endlich  im  Jahre  1775  »i 
neue  zweckmäfsige  Deich  Ordnungen  erlassen.  ^H 

Die  Landwirtschaft  machte  in  dem  hannövrischen  Knr-^H 
Staate  w&lirend  dieser  Periode  wohl  einige  Fortachritte,  doch 
waren  diese  bei  der  ihr  gerade  nicht  günstigen  Bodenbe- 
schaflPenheit  eines  grofsen  Teiles  des  Landes  nicht  bedeutend. 
Wohl  verschwanden  jetzt  die  letzten  Spuren  der  Verheerung, 
welche  der  dreifsigjührige  Krieg  angerichtet  hatte,  wohl  ho- 
ben sich  in  den  von  der  Natur  begünstigteren  Gegen- 
den Ackerbau  und  Viehzucht,  aber  in  anderen  weitgedehnten 
Lands tiichen,  wie  in  der  Lüneburger  Heide,  mufste  man  sich 
im  wesentlichen  nach  wie  vor  mit  dem  genügen  lassen,  was 
die  Katur  aus  freiem  Willen  spendete.  Anders  war  es  mit 
den  ausgedehnten  Mooren,  die  einen  grofsen  Teil  des  Lan- 
des erfüllen.  Hier  erofinete  sich  der  Arbeit  des  Menschen 
ein  weites,  flir  die  Zukunft  vielversprechendes  Feld.  Schon 
zur  Zeit  Georgs  H.  richtete  sich  die  Aufmerksamkeit  der 
Regierung  auf  diese  Gegenden.  Im  Jahre  1750  nahm  die 
Moorkultur  im  Herzogtume  Bremen  ihren  Anfang,  sie  ward 
dann  aber  nach  kurzem  Betriebe  durch  den  Ausbi*ucb  des 
siebenjährigen  Krieges  wieder  brachgel^t.  Indes  begana 
man  schon  im  Jahre  \Tt>^  voti  ivewam  mit  dem  Anbau  der 


Landeskultur.    Moorkolouieu. 


38» 


breiniacUen  Moore.  Der  Erfolg  war  so  günstig,  dal's  nach 
dreiundzwauzig  Jahren  mehr  ajs  38  000  Morgen  Moorland 
angewiesen  werden  konnten,  so  dafs  sechsunddreifsig  Dörfer 
acgelegt  wurden  und  fast  dreitausend  Menschen  hier  ihren 
Lebensunterhalt  fanden.  Diese  Kultur  hat  dann  in  kurzer 
Zeit  rasche  und  bedeutende  Fortsctiritte  gemacht.  Öehon 
sieben  Jahre  später  (17«9)  betrug  die  Zahl  der  angewiescüen 
Morgen  51868  und  die  in  den  Moorkolonien  angesiedelte 
Bevölkerung  hatte  sich  auf  4671  Köpfe  gehoben.  Und  so 
ging  es  auch  in  den  folgenden  Jahrzehnten,  welche  einen 
zwar  nicht  in  demselben  Mafse  aber  doch  stetig  fortschrei- 
tenden Zuwachs  des  dem  Moore  abgerungenen  Kulturlandes 
und  eine  ilim  entsprechende  Zunahme  der  Bevölkerung  in 
den  bremischen  Amtern  Ottei-sberg,  Osterholz,  Lilieathal  und 
Bremervörde  ausweisen. 

Eine  weit  wichtigere  und  umfassendere  Mafsregel  zur 
Hebung  und  Verbesserung  der  Landwirtächaft,  die  nicht  ein- 
zelne noch  unbcbauetu  und  wenig  genutzte  Landstriche  be- 
traf, sondern  die  Gesamtheit  des  Kurötautes  ins  Auge  fafste, 
war  die  Gründung  der  „  königÜch-kurfürstUch  braunschweig- 
lUneburgischeu  landwirtschaftlichen  Gesellschaft"  in  Celle. 
Sie  entstand  nach  dem  Muster  ähnlicher  Vereine  in  England, 
und  König  Georg  III.  gab  persönlich  die  Anregung  zu  ihrer 
Begründung.  Ihre  Einweihung  erfolgte  am  4.  Juni  ITOi, 
dem  Geburtstage  ihres  königlichen  Protektors.  Auf  die  Ver- 
besserung nicht  nur  der  gesamten  Landwirtschaft,  sondern 
auch  auf  eine  rationelle  Bewirtschaftung  der  Forsten,  sowie 
auf  die  Hebung  der  Manufakturen ,  der  Künste  und  des 
Handels  waren  ihre  Bestrebungen  gerichtet.  Diese  Gesell- 
schaft hat  in  der  Folge  eine  aufserordentlicli  segen^^reiche 
Wirksamkeit  entfaltet,  nicht  sowohl  durcli  theoretische  Er- 
örterungen und  Untersuchungen  als  durch  Versuchsstationen, 
die  sie  für  alle  Zweige  der  Landwirtschaft  ins  Leben  rief. 
Sie  verstand  es  durch  ihre  Berichte ,  durcli  die  zur  Be- 
lehrung des  Bauern3tandes  von  Zeit  zu  Zeit  herausgegebenen 
Hefte,  diuch  Ausschreiben  vun  Preisfrageu  über  den  Nutzen 
der  Gemeinheitsteiluiigen  und  Verkuppelungen  im  Lande 
einen  allgemeinen  rühmlichen  Wetteifer  zu  erwecken,  dei- 
den  günstigsten  Einflufs  auf  die  wirtschaftUche  Entwicklung 
der  hannövrischen  Landbevölkerung  geäufsert  hat.  Männer 
wie  Weatfeld  und  Albrecht  Thaer,  der  Herausgeber  „der 
Annalen  der  niedersächsischen  Landwirtschaft",  haben  von 
dieser  Gesellschaft  die  fruchtbarste  Anregung  für  ilu-e  Thä- 
tigkeit  empfangen.  Was  sie  von  ihren  zum  Z»vjeO*.  ^«äx^^- 
reicherung  ihrer    theoretischen  nud  ^TaV^wi\iSiM  "^«yKCÄsiöÄfc 


890 


Zweites  Buch.    Vierter  Abschnitt 


nach  England  unternommenen  Reisen  heimbrachten ,  das ' 
snchten  sie  zu  Nutz  und  Frommen  der  Landwirtschaft  ihres 
Vaterlandes  auszubeuten  und  zu  verwei-ten.  So  kam  es,  dafs 
der  von  der  Natur  in  vielen  seiner  Landschaften  nur  sehr 
stlöfraütterlich  bedachte  Kurstaat  damals  inbeaug  auf  die 
Entwicklung  und  den  Stand  der  Landwirtschaft  in  gana 
Deutschland  für  eine  Art  von  Musterstaat  galt  und  dafs  die 
hier  bestehenden  Einrichtungen  in  manchen  anderen  deut- 
schen Staaten  zum  Vorbilde  genommen  wurden.  Auch  die 
Viehzucht  nahm  im  Lande  einen  erfreulichen  Aufschwung. 
Man  suchte  die  auf  dem  Harze  einheimische  Race  von 
Rindvieh  durch  Kreuzung  mit  schweizerischem  Vieh  zu  ver- 
edeln, die  Schatzucht  durch  Ankauf  von  Böcken  apanischer 
Race  zu  heben.  Die  gröfste  Sorgfalt  aber  wandte  man  der 
Pferdezucht  zu.  Auch  hier  hat  das  Beispiel  und  der  Ein- 
flufs  Englands  sich  geltend  gemacht.  Von  der  Errichtung 
des  Landgestüts  in  Celle  ist  schon  die  Rede  gewesen.  Man 
züchtete  hier  bald  so  edele,  ausgezeichnete  Pferde,  dafs,  als 
Miinchhausen  bei  den  Ki-Önungen  der  Kaiser  Karl  VH. 
(1742)  und  Franz  I.  (1745)  in  Frankiurt  seine  Regierung 
zu  vertreten  hatte  ^  er  nicht  blofs  durch  den  Glanz  seines 
Auftretens,  sondern  noch  mehr  durch  die  hannövrischen  Pferde 
allgemeines  Aufsehen  erregte.  ^j. 

Auch  die  Gemein deteiiungen,  von  deren  Nutzen  tUr  die  ^H 
Landwirtschaft  man  sich  mit  der  Zeit  mehr  und  mehr  Über-  ^^ 
zeugte,  wurden  damals  bereits  von  der  Regierung  ernstlich 
ins  Auge  gefafat  und  erwogen.  Im  Jahre  1767  geschah 
dazu  der  erste  vorbereitende  Schritt,  Die  Regierung  erliefs 
am  17.  Oktober  eine  Verordnung,  welche  den  Beamten  des 
Landes  anempfahl,  die  Vorteile  der  beabsichtigten  Teilung 
der  Gemarkungen  allen  Amtseingesessenen  ausführlich  und 
eindringlich  vorzustellen.  Allein  bis  zur  Durchführung  der 
geplanten  Mafsregol  war  noch  ein  langer  Weg.  Man  ging 
in  Hannover  in  dieser  für  die  Lage  der  ländlichen  BeviÜ- 
kerung  so  wichtigen  Angelegenheit  doch  nur  sehr  langsam 
und  bedächtig  vor.  Erst  mufsten  vor  allem  die  gesetzlichen 
Bestimmungen  geschaffen  werden,  nach  denen  die  Teilung 
geschehen  sollte.  Einer  für  alle  Landscbaflen  des  Kurstaates 
gültigen  Verordnung  stellte  sich  aber  die  grofse  Verschieden- 
neit  der  Verfassung  und  Rechtsgewohnheiten  dieser  Land- 
schaften entgegen,  die  doch  eine  Berücksichtigung  verlangta 
Nicht  mit  Unrecht  turchtete  man  aus  dem  Erlafs  einer  aU- 
^meinen  Verordnung  tiir  das  ganze  Land  eine  Unzahl  von 
Äjchtssti-eiten  erwacUaeu  %\x  aeVie\i.  Äo  Warn  ea,  dafa  von 
einer  generellen  Ordnuiig  Itüt   Aw  Q(*imwK^^v\Ä\K^SÄÄ^Ti.  'li^ 


Denkschrift  Hardenbergfl. 

geeehen  vnirde  und  man  sich  zunächst  nur  mit  einer  solchen 
Hir  das  Fürstentum  Lüneburg  begnügte.  Aber  auch  diese 
kam  erst  zu  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts  (1802)  zustande. 
Zugleich  wurde  eine  eigene  Behörde,  das  Landes- Okonomie- 
KoUegium ,  zur  Ordnung  and  Überwachung  aller  bei  der 
beabsichtigten  Mafsregel  inbetracht  kommenden  Angelegen- 
heiten errichtet  und  nahm  ihrou  Sitz  in  Celle,  dem  alten 
Mittelpunkte  der  Regierung  für  das  Lüneburgor  Land. 
Allein  die  schon  im  folgenden  Jahre  den  Kurstaat  über- 
flutende französische  Okkupation  verhinderte,  dafs  die  neue 
Behörde  in  Wirksamkeit  trat,  und  die  dann  folgenden  un- 
ruhigen und  wechselvollen  Zeiten  waren  vollends  nicht 
dazu  geeignet,  die  hochwichtige  Angelegenheit  zu  fördern 
und  in  erfreulicher  Weise  weiterzuluhren. 

Mancherlei  Bestrebungen  zur  Förderung  gemeinnütziger 
Anstalten  sind  aufserdem  während  der  Regierangszeit  der 
drei  George  zu  verzeichnen.  Die  FUrsorge  der  Regierung 
erstreckte  sich  auf  die  verschiedensten  Gebiete.  Sie  zeigte 
sich  in  der  Anlegung  von  Landeskornmagazinen ,  durch 
welche  man  den  damals  noch  häu&g  eintretenden  Kotständen 
zu  wehren  suchte^  in  der  Errichtung  von  Brandkassen  gegen 
Feuerschäden,  in  der  1790  ins  Leben  gerufenen  Kreditan- 
stalt, in  den  seit  1774  an  zahlreichen  Orten  zum  Zweck  der 
Förderung  des  Leinenhandels  und  der  Leinen industrie  ein- 
gerichteten Leggeanstalten.  Um  gröfsere,  tiefer  greifende 
Reformen,  zumal  auf  dem  Verfasaungsgebiete,  durchzuführen, 
war  diese  Zeit  nicht  angethan.  Die  herrschenden,  bevor- 
rechteten Klassen  widorsti-ebten  ihnen,  das  Volk  war,  soweit 
seine  matoriellon  Interessen  nicht  in  Betracht  kamen,  gleich- 
gültige und  dem  fern  in  England  weilenden  Könige  fehlte 
dafür  jedes  Verständnis.  Gegen  Ende  des  Jahrhunderts  gab 
es  unter  der  jüngeren  Generation  wolil  Männer,  die  von  der 
Reformbedürftigkeit  der  öffentlichen  Zustände  in  Hannover 
durchdrungen  waren  und  dieser  ihrer  Überzeugung  auch 
Worte  liehen,  aber  wie  hätten  sie  erwarten  können,  dafs 
man  ihren  Mahnungen  Gehör  schenke?  Im  Jahre  17S1  legte 
der  damals  noch  im  hannövrischen  Staatsdienste  stehende 
Hardenberg  der  kurfürstlichen  Kammer  eine  Denkschrift 
vor,  in  der  er  die  grofsen  und  zahlreichen  Mängel  der  da- 
maligen Verwaltung  in  beredten  Worten  schilderte  und  die 
Mittel  zu  ihrer  Abhilfe  nachzuweisen  sich  bemühote.  Er 
wendet  siel»  darin  gegen  die  Unzweckmäfsigkeit  der  be- 
stehenden Steuern,  rügt,  dafs  die  Landoskassen  höchstens 
leidlich,  die  herrschaftlichen  geradezu  schlecht  verwaltet  wür- 
den,  dafs  die  Karamerkasse  immer  tiefet  xw^jdtw^Ässo.  ^väSä^ 


dafs  die  Ersparnisse,  die  mnn  mache,  zumeist  itir  die  un- 
entbehrlichsten Diuge  angeordnet  würden,  dafs  es  auf  dem 
Lande  an  guten  Schulen  für  das  Volk  mangele  und  selbst 
der  Adel  auf  den  von  ihm  besuchten  Anstalten  nur  eine  un- 
genügende Vorbildung  für  die  UniversitÄt  erhalte,  dafs  end- 
lich die  ganze  Landcaverwaltung  zu  schleppend  sei  und  dem 
guten  Beamten  in  der  Kegel  so  wenig  ennunternden  Dank 
wie  dem  schlechten  die  verdiente  Strafe  eintrage.  Er  fordert^ 
dals  sich  die  Regierung  vor  müfaiger  Vielgeschät'tigkeit  liüte, 
namentlich  vor  unnötigen  Sclueibereien,  dafs  sie  desto  häu- 
tiger die  erforderlichen  Untersuchungen  an  Ort  und  Stelle 
vornehmen  lasse,  dafs  die  Ausgaben  der  kurfürstlichen  Kassen 
den  Einnahmen  angopafst,  diese  Kassen  aber  durch  eine 
verbesserte  Nutzung  der  Doniänen,  durch  eine  sorgsamere 
Pflege  des  Bodens,  durch  Belebung  des  Handels  und  Fabrik- 
weseus,  verbesserte  Einrichtung  der  Marställe  und  Land- 
gestüte,  durch  Verbindung  des  Bauwesens  mit  dem  Inge- 
nieurkoi-ps,  sowie  durch  Einschränkungen  im  Hofstaate  ver- 
mehrt würden.  Dadurch  hofft  er  einen  ansehnlichen  Uber- 
schufs  zu  erzielen,  der  nach  Feststellung  der  einzelnen  Etats 
und  bei  guter  Staatswirtschaft  am  zweckraäfsigsten  zur  Er- 
richtung einer  Landesbank,  zu  einträglichen  Darlehen  und 
Ahnhcliera  zu  verwenden  sein  würde. 

Gröfseres  Aufsehen  als  diese  in  den  Akten  der  Kammer 
vergrabene  Denkschriit  Hardenbergs  erregte  etwas  über  ein 
Jahrzehnt  spUter  das  Auftreten  des  llolrichters  und  Land- 
rats Friedrich  Ludwig  von  Berlepsch  in  den  Calenberger 
Ständen.  Auch  Berlepsch  gehörte  zu  jener  jüngeren  Gene- 
ration des  hannövrischen  Adels,  die  durch  Bekämpfung  der 
Standesvorrechte,  durch  Beseitigung  jeder  Willkürherrschaft, 
durch  eine  allgemeinere  Teilnahme  des  Volkes  an  der  Staats- 
\'erwaltung  bessere  Zustände  in  der  Gesellschaft  und  eine 
glückhchere  Zeit  herbeizuführen  meinte.  In  weiteren  Krei- 
sen ward  sein  Name  bekannt,  als  im  Jabre  1794  alle  An- 
zeichen ani'  einen  baldigen  Rücktritt  Preufsens  von  der  Koa- 
lition gegen  Frankreich  zu  deuten  schienen.  Damals  steUte 
er  in  dem  Calenberger  Landtage  den  Antrag,  „die  von  dem 
Könige  von  England  als  Kuriürsten  von  Hannover  in  dein 
Kriege  gegen  Frankreich  ergriffenen  Mafsregeln  als  ver- 
fassungswidrig zu  mifsbilhgeu  und  die  Erklärung  abzugeben, 
dafs  die  Einwohner  der  Provinzen  Calenberg  und  Gruben- 
hagen keinen  Anteil  weiter  an  dem  Keicbskriege  nehmen 
wollten  ".  Ja  er  verlangte  sogar,  dafs  der  Kurfürst  für  die 
^^ Calenbcrgsche  Nation"  eine  Seutraiitätserklärung  an  Frank 
Teich   senden   Bolle :   vndiigeii^aWft  ^t\ÄT\  i\c\\  %cWv  %«nöti^ 


I 


I 


1 


Stimmungen  iu  der  BcvöUEerang 


3»'J 


L 


sehen  werde,  mit  Frankreich  zum  eigenen  Schutze  über  einen 
Neutral itäts vertrag  zu  unterhandeln.  Als  der  Antrag  nicht 
zur  Abstimmung  gelangte,  auch  die  Regierung  von  ihm 
weiter  keine  Notiz  nahm,  veröffentlichte  ihn  Berlepsch  nebst 
einer  Motivierung  und  Verteidigung  in  den  Blättern.  Darauf 
erfolgte  im  Jahre  1795  seitens  dos  Ministeriums  seine  Ent- 
hebung aus  seinem  doppelten  Amte.  Er  aber  klagte  bei 
dem  Keichskammergerichte  in  Wetzlar  und  erlangte  eiu  Er- 
kenntnis, weiches  der  hannövrischen  Regierung  aufgab,  ihn 
unter  Erstattung  der  Kosten  und  bei  Vermeidung  der^  Exe- 
kutionsvollstreckung durch  Preufsen  in  alle  seine  Amter, 
Würden  und  Rechte  wiedereinzusetzen.  In  Hannover  küm- 
merte man  sich  nicht  darum,  sondern  brachte  die  Sache  an 
den  Reichstag.  Zugleich  ward  Berlepsch  als  Agitator  gegen 
seinen  Landesherrn  aus  dem  Kurstaate  ausgewiesen  Nun 
griff  er  erst  recht  zur  Feder,  und  es  entspann  sich  ein  publi- 
zistischer Streit,  der  damals  ganz  Deutschland  erregte,  eine 
Flut  von  Schriften  und  Gegenschritten  hervorrief  und  erst 
mit  der  Okkupation  Hannovers  duich  die  Franzosen  sein 
Ende  erreichte. 

Ahnliche  Stimmungen,  wie  sie  hier  hervortreten,  machten 
sieh  zu  dieser  Zeit  auch  sonst  hie  und  da  bei  der  Bevöl- 
kerung des  Kurstaates  bemerkbar.  So  grofs  bishei-  ihr  Ver- 
trauen in  die  Mafsi'egeln  der  Regierung  gewesen  war  und 
wie  sehr  man  bei  der  abgeschlossenen  Lage  des  Landes  und 
der  Art  dieser  Regierung  einem  erklärlichen  Quietisraus  in 
politischen  Dingen  huldigte,  ganz  unberührt  von  dem  Ein- 
flüsse der  Ereignisse;  die  sich  jenseit  des  Rheins  Vollzügen, 
konnte  man  doch  auch  in  Hannover  nicht  bleiben.  Selbst 
unter  der  Göttinger  Studentenschaft  kamen  nach  der  Er- 
oberung von  Mainz  dxirch  Cusüne  französisch- demokratische 
Regungen  zutage,  die  an  das  Treiben  der  Mainzer  Pati-ioten 
hätten  erinnern  können,  wenn  sie  nicht  gjir  zu  harmlos  ge- 
wesen wären.  Die  von  imzUhligen  Schriftstellern  auch  in 
Deutscliland  verbreiteten  Ideen  von  Freiheit,  Gleicliheit  und 
BrüderÜchkeit  waren  zu  verführerisch,  als  dafs  sie  nicht  auch 
schliefslieli  bei  dem  sonst  so  nüchternen  uiedersächsischeu 
Volke  Eingang  gefunden  hätten,  und  je  einfacher  und  fafa- 
licher  die  abstrakte  Lehre  von  den  idlgemeiuen  Menschen- 
rechten erschien ,  desto  bereitwilliger  fand  sie  unter  den 
Halbgebildeten  Glauben.  Dazu  kam,  dafs  die  Jünger  der 
Aufklärung,  die  man  ja  im  wesentlichen  gleichfalls  Frank- 
reich verdankte,  längst  den  Boden  iür  die  Aufnahme  solcher 
Jdeen  vorbereitet  halten ,  dafs  der  Ciedanke  und  dve.  Ka.- 
hänghchkeit  an  das  Vaterland  meVr  vunöi  t&^vc  \s«s.\Kt   ^'so. 


8M 


Zweites  Buch.     Vierter  Abschnitt 


neuen  Evangeliiun    dea  Weltbürgertums  zurücktrat,  wonach 
der  Mensch  seine  Beatimmung  nur  losgelöst  von  den  natür- 
lichen Bedingungen  seiner  Existenz,  nur   frei   von   den  An- 
wandlungen   eines    beschränkten    Patriotismus    zu     erfüllea 
vermöge.     Als  eine  natürliche  Folge  ergab  sich   daraus   die 
wachsende  Gleichgültigkeit  gegen  die  deutsche  Volksart,  die 
Unter  Schätzung    des    eigenen  Wertes,    das   Dahinschwinden 
des   vaterländischen   Sinnes.     Hatte  man   ü'üher   die   Fran- 
zosen wegen  ihrer  feineren  Bildung,  wegen  ihrer  gewandte- 
ren  Gesellschaftsformen,    wegen    der   Sicherheit  ihres   Auf-^j 
tretena  bewundert,  so  lernte  man  sie  jetzt   als   die  Vorkäm-^^ 
pfer  bürgerlicher  Freiheit,  ab  die  Verkünder  der  allen  Men-^^ 
sehen  angeborenen  Rechte,  als  die  geachwoi-enen  Feinde  aller 
Knechtung    und    tyrannischen    Willkür    kenneu.      Wie    die 
Apostel  eines  neuen   beglückenden  Zeitalters   erschienen    sie  ^j 
der  nur  aUzu  glauben sseligeu  Menge.  ^M 

Wenige  deutsche  Länder  sind  dann  durch  die  folgenden  ^^ 
Ereignisse  in  diesem  Glauben  so  grausam  enttäuscht  worden 
wie  Hannover  und  Braunschweig.  Nirgend  in  unserem  Va- 
terlande ist  die  Fremdherrschaft  liärter,  rücksichtsloser  und 
raubsüchtiger  aufgetreten  als  hier,  nirgend  auch  hat  sie 
—  abgesehen  von  den  linksrheinischen  Gebieten  —  länger 
gedauert  als  in  Hannover.  Wir  haben  die  schweren  Lasten, 
die  sie  beiden  Ländern  auferlegte,  den  radikalen  Umsturz 
der  früheren  staatlichen  Verhältnisse,  den  sie  herbeiführte^ 
die  Neubildungen,  die  sie  au  ihre  Stelle  setzte,  bereits  in 
den  wesentlichen  Zügen  dargelegt.  Die  letzteren  waren  nur 
von  kurzem  Bestände  und  wurden  nach  Deutschlands  Be- 
freiung fast  gänzlich  wieder  beseitigt.  Es  ist  daher  nicht 
nötig,  hier  nochmals  darauf  zurückzukommen.  Die  Bevöl- 
kerung beider  Länder  hatte  jetzt  Gelegenheit,  Vergleiche  an- 
zustellen zwischen  der  alten  Regiermig,  die,  mochte  sie  auch 
in  mancLer  Rücksicht  hinter  den  berechtigten  Forderungen 
der  Neuzeit  zurückgeblieben  sein,  doch  in  väterlich  wohl- 
wollender Weise  fUr  die  Bedürfnisse  des  Landes  und  Volkes 
gesorgt  hatte,  und  zwischen  dem  Regimente  der  fremden 
Gewalthaber  mit  seinen  hastigen ,  überstürzenden ,  in  fest- 
gewurzelte und  zum  Teil  liebgewonnene  Gewohnheiten 
sohonungetos  eingreifenden  Reformen.  Niemand  wird  be- 
streiten, dafa  manche  dieser  reformatorischen  Mafsr^^eln  mit 
schreienden  Mifebräuchen  aufräumten,  dafs  sie  geeignet  wa- 
ren ,  langgehegte  Wünsche  selbst  verständiger  und  patrio- 
tischer Männer  zu  erfüllen.  Wenn  in  dem  neugeschaffenen 
Ä^Önigreiche  Westfalen  der  KastßTLgeist,  in  dem  der  Erb- 
adel  erstarrt  war,  gebrocVien,  ÖAe  N  eK.um^tüa'^ ,  \a.  dia  das 


Daa  fremde  Regiment  in  Kassel. 


895 


^ 


Iiutitut  der  Landstände  versunken  war,  beseitigt  ward,  wenn 
die  biaherige  Zerstücklung  der  Justiz  abgeschafft,  durch 
Ablösung  der  Zehnten  und  Feudallaaten  dem  Ackerbau  neue 
Wege  eröffnet  und  durch  Aufhebung  der  Monopole  und 
Privilegien  die  Fesseln  gesprengt  wurden ,  die  bislang 
Industrie  und  Gewerbe  eingeschnürt  hatten,  so  waren 
das,  an  sich  betrachtet,  auch  für  die  alten  weltischen  Qe- 
bietsteile  unzweifelhafte  Verbesserungen  des  öffentlichen  Le- 
bens, deren  tio%reifende  Bedeutung  nicht  hoch  genug  ver- 
anschlagt werden  kann.  Aber  diese  Reformen  wurden  mit 
schonungsloser  Strenge  durchgeführt,  sie  nahmen  weder  auf 
den  Charakter  des  Volkes  noch  auf  dessen  geschichtliche 
Entwicklung  die  geringste  Rücksicht,  sie  räumten  in  der 
Weise  eines  schroffen  Radikalismus  mit  Einrichtungen,  die 
sich  überlebt  hatten,  auch  solche  aus  dem  Wege,  an  denen 
die  Bevölkerung  lüng  und  die  ihr  durch  lange  Gewöhnung 
lieb  und  wert  geworden  waren.  Und,  was  dabei  vielleicht 
als  das  Üemütigendste  und  Schmerzlichste  empfunden  ward, 
die  Männer ,  welche  diese  Reformen  durchzuführen  hatten, 
waren  entweder  Fremdlinge  oder  solche  Landesangehörige, 
die  das  Volk  als  Abtrünnige  und  Verräter  an  ihrem  Vater- 
lande ansah.  In  das  Ministerium,  welches  von  dem  Könige 
noch  am  Tage  seiner  Ankunft  in  Kassel  gebildet  ward, 
sahen  sich  nufaer  einem  einzigen  Deutschen,  dem  berühmten 
Geschichtschreiber  Johannes  von  Müller,  der  sich  vom  bitter- 
sten Franzosen hasser  zu  einem  begeisterten  Bewunderer  buo- 
napartischer  Völkerbeglückung  bekehrt  hatte,  nur  Männer 
französischer  Nationalität  berufen,  die,  mochten  sie  auch,  wie 
Simeon,  der  Minister  des  Innern  und  der  Justiz,  tüchtige 
Beamte  sein,  weder  den  Bedürfnissen  des  Landes  noch  der 
Eigenart  der  Bevölkerung  das  geringste  Veratändnis  ent- 
gegenbrachten. Andere ,  wie  der  Kriegami  uister  Lagrange, 
standen  im  übelsten  Rufe  feiler  Bestechlichkeit  und  sclmautziger 
Habgier.  An  dieser  Zusammensetzung  und  an  dieser  Natur 
der  obersten  Staatsbehörde  änderten  auch  die  später  mit  ihr 
vorgenommenen  Verschiebungen  wenig.  Als  der  Finanz- 
und  Handelsminister  Beugnot  im  Frühjahre  1808  nach 
Frankreich  zui'ückkehrte,  trat  zwar  an  seine  Stelle  ein  Deut- 
scher, von  Bölow,  der  frühere  Präsident  der  Domänenkammer 
in  Magdeburg,  ein  Neffe  Hardenbergs,  er  ward  indes  be- 
reits zu  Anfang  des  Jahres  1811  als  angoHiches  Haupt  der 
deutschen  Partei  entlassen  und  durch  Malchus  ersetzt.  Auch 
Joliannes  von  Müller  hat  sich  nicht  lange  in  seiner  anfäng- 
lichen Stellung  als  Staatssekretär  und  Miui&lfet  Ars»  kx&NCTea. 
zn    bebHUpten    vermocht.      Im  "Fobru&T    \%Q%   \iJci«TO.^vai.  ^a^ 


das  Oeneraldirektorium  des  öffentlicbeQ  Unterrichts  und 
an  seine  Stelle  trat  der  Franzose  Le  Camus,  der,  zu  der 
uänilicheu  Zeit  zum  Grai'en  von  Fürstenstein  erhoben,  als 
eine  der  elendesten  Kreatureu  buonaparti&cher  Willkürherr- 
schai't  Tcrhalst  war.  Während  sich  qber  selbst  in  diesem 
Ministerium  noch  einige  wohlgesinnte  und  treffliclie  AlUnner 
befanden,  wimmelte  dagegen  der  Hof  des  leichtfertigen  und 
verschwenderischen  Königs  von  französischen  Abenteurern 
und  Glücksrittern  der  schlimmsten  Art  Alte  Bekannte  aus 
der  Zeit  seines  Seodienstes,  wie  der  zum  GrofsmarschaJI  und 
zum  Grafen  von  VVeUigerode  erhobene  Kapitüu  Meyronnet, 
derselbe  untäbigc  Of^ier,  der  bei  dem  Sturme  auf  Halber- 
stadt  in  die  Hände  des  Herzogs  Fnedrich  AVilhelm  von 
BraimechweJg  fiel,  lustige  Genossen  seiner  früheren  Liebes- 
abenteuer und  Zechgelage ,  wie  der  Seh  rifts toller  Pigault 
Lebrun,  geldgierige  Geschäftaleute,  wie  der  Banquier  Laflöche 
aus  Genua,  Schauspieler  und  Schauspielerinnen,  der  jüdische 
Arzt  Abraham  Zadig,  solche  und  ähnliche  Leute  waren  die 
bevorzugten,  täglichen  Gesellschafter  des  Königs.  Sie  dräng- 
ten sich  zu  den  ersten  und  wichtigsten  Plätzen  am  Hofe  und 
bei  der  Verwaltung  und  vergifteten  mit  der  ihrer  Nation 
eigentümlichen  frivolen  Lebeusanschauung  die  schlichten, 
einfachen ,  treuherzigen  Sitten ,  die  sich  in  weiten  Kreisen 
des  deutschen  Volkes,  nicht  nui-  aui"  dem  Laude  sondern 
auch  in  den  Städten,  damals  noch  erhalten  hatten.  Hanno- 
ver und  Braunschweig  litten  selbstverständlich  nicht  in  60 
hohem  Grade  wie  die  Residenzstadt  Kassel  von  dieser  mo- 
ralischen Pest,  die  sich  wie  ein  schleichendes  Gut  im  Lande 
verbreitete.  Aber  auch  sie  blieben  von  den  schlimmen  Ein- 
flüssen, die  das  Beispiel  des  Königs  und  seiner  französischen 
Umgebung  ausübte,  nicht  verschont.  Die  Sittlichkeit  iu 
den  Städten  litt  vor  allem  durch  die  französischen  Garnisonen 
und  durch  den  infolge  der  Handelssperre  emporgekommenen 
Schmuggel,  der  kirchliche  Sinn,  der  schon  längst  durch  die 
immer  mehr  um  sich  gi-eifende  Aufkläruug  uulergi-aben  war^ 
schwand  in  diesen  Jahren  dc8  stetigen  Wechsels,  der  frivolen 
Genufssucht,  der  stets  wachsenden  Verarmung  dahin.  Im 
schreienden  Gegensatze  zu  der  Not  der  Zeit  stand  die  wilde 
Lust  und  die  prahlende  Üppigkeit  des  Hofes,  au  dem  sich 
Gastgelage,  verschwenderische  Feste,  Maskeraden,  iranzö- 
sische  Komödien  und  ähnliche  Vergnügungen  in  ununter- 
brochener Keihe  folgten.  Eine  Dirnen-  und  Mätresaenwirt- 
fichaJ't,  wie  sie  bislang  selbst  an  den  verrufensten  deutschon 
liöt'en  unerhört  gewesen  war,  u\a.v\ile  ?,\c\v  \n  tVecher,  scham- 
loeer  Weise  breit.     Dazu.  geßcWxc  eX^^V  öäim\  ^'«  ssärtNi-^; 


Zu»täude  im  Königreiche  Westfalen. 


897 


liehe  Despotismus  eines  fremden  Volkes,  das  anders  sprach 
und  anders  dachte,  und  in  der  hochmütigen  Meinung,  allein 
ira  Besitze  der  Zivilisation  zu  sein,  mit  wegwerfender  Ver- 
achtung auf  die  Bevölkerung  des  Landes  herabsah.  Sprache 
und  Sitten  der  biederen  Hessen,  Westfalen  und  Nieder&achseu 
eracbienen  diesen  eitlen  und  eingebildeten  Fremdlingen  als 
barbarisch.  Sie  hielten  es  unter  ihrer  Würde,  jene  unbe- 
fangen zu  würdigen  oder  gar  zur  Krlernuug  der  letzteren 
die  geringste  Anstrengung  zu  machen.  Wurden  doch  die 
Angelegenheiten  des  Landes  in  französischer  Sprache  ver- 
handelt und  entschieden,  und  schien  es  doch  in  der  Ord- 
nung, dafs  die  geduldigen  Deutschen  die  gebildete  Sprache 
der  grül'sen  Nation  sich  aneigneten,  wozu  sich  französische 
Sprachmeiater  in  Menge  erboten.  Es  war  eine  harte,  bitter- 
böse Zeit,  die  in  diesen  Jahren  auf  dem  niedersächsischen 
Volke  lastete.  Die  materielle  Not  wiichs  von  Jahr  zu  Jahr, 
von  Monat  zu  Monat  Handel  und  Industrie  Jageu  voll- 
ständig darnieder,  und  mit  eisernem  Druck  zermalmte  die 
andauernde  französische  Einquartierung  den  letzten  Rest  des 
früheren  Wohlstandos  im  Lande.  Wie  weit  dieser  in  der 
Stadt  Hannover  zurückgegangen  war,  kann  man  daraus  er- 
sehen, dafs  nach  einem  Berichte;  Reinhards,  des  vertrauten 
ü'anzösischen  Geschäftsträgers  am  Hofe  von  Kassel,  Leute, 
die  vorher  ein  Vermögen  von  400  000  Franks  besessen  hatten, 
sich  jetzt  genötigt  sahen,  ihr  Leinen  und  ihre  Bettwäsche 
zu  verkaufen,  um  sich  nur  den  kärglichsten  Lebensunterhalt 
zu  beschaffen.  Ein  nur  einigermafsen  wohlhabender  Bürger 
in  Hannover  raufste  für  den  Unterhalt  der  ihm  zugewiesenen 
Soldaten  allein  300  bis  400  Franks  monatlich  aufwenden. 
In  Braunschweig  wurden  die  einst  so  lebhaften  Messen  so 
gut  wie  gar  nicht  mehr  besucht  Bei  den  hohen  Steuern, 
der  auch  hier  fast  ununterbrochenen  Einquartienuig  und  den 
starken  Truppendurchmärschen  griff  die  Verarmung  in  der 
Burgerschaft  in  erschreckender  Weise  um  sich.  Die  wohl- 
habenden Ausländer  hatten  die  Stadt  bald  nach  der  Kata- 
sti'ophe  des  fürstlichen  Hauses  verlassen.  Infolge  davon  sanken 
die  Mietpreise,  viele  Häuser  wurden  fast  wertlos,  der  Hand- 
werkerstand verlor  seine  Nahrung.  Im  Jahre  1808  schon 
gab  es  einzelne  Hausbesitzer,  welche,  da  aie  die  auf  ihrem 
Besifztume  i-uhenden  Lasten  nicht  zu  tragen  vermochten,  die 
Schlüs&el  zu  ihren  Häusern  zur  Verfügung  des  Maires  stellten. 
König  Hieronymus  selbst  schildert  im  Dezember  1811  den 
Zustand  seines  Königreiches,  also  auch  der  ehemals  welfiachen 
Länder,  mit  folgenden  Worten:  „Die  Gährung  ist  auf  den 
Höhepunkt   gestiegen:   man   hegt  die  küWAtSö.  Ws'Sxoaxv^^'o. 


Zwdtes  Bacb.    Vierter  Abschnitt. 


und  hegt  üe  mit  £egeist«nuig.  Mau  hält  sich  das  B^piel 
öpantens  vor,  und  wenn  der  Krieg  aoabricht,  werden  alle 
Gegenden  zwischen  Kbein  und  Oder  den  Herd  eines  aUge- 
roeinen  Anfatandea  bilden.  Die  Hauptarsachen  aber  dieser 
gefährlichen  Bewegungen  sind  nicht  allein  der  H&Ts  gegen 
die  Frauzoäen  und  der  Unwille  gegen  das  Joch  der  Fremd- 
herrschaft, sie  liegen  noch  weit  mehr  in  den  unglücklichen 
Zeiten,  in  dem  gänzlichen  Ktiin  alier  Klaaaeu,  in  dem  über- 
mÄfsigen  Druck,  den  die  Abgaben,  die  Kriegskontributionen, 
der  Unterhalt  der  Truppen,  die  Durchzüge  der  Soldaten  und 
die  unauBgeaetzt  sich  wiederholenden  Beläaügungen  aller  Art 
ausüben." 

Im  Frühjahr  1808,  kurz  vor  der  Eröfifeung  des  ersten 
„Reichstages'*,  unternahm  der  König  mit  seiner  Clemahlin 
eine  Rundreise  durch  einen  Teil  der  ihio  zugewiesenen  Länder. 
Sie  ging  über  Münden,  Güttingen,  Nordheim  nach  Braun- 
schweig, wo  er  vom  16.  bis  zum  21.  Mai  verweilte.  Er  selbst 
schrieb  von  hier  darüber  an  seinen  kaiserlichen  Bruder:  „Ich 
kann  Ew.  Majestät  nicht  sclüldem,  mit  welcher  Begeisterung 
ich  in  allen  btädten  und  Dörfern  empfangen  worden  bin,  am 
meisten  aber  in  dieser."  Pomphafter  noch  lauteten  die  amt- 
licheu  Berichte  in  dem  „Westlaliachen  Mooiteur".  In  Wirk- 
lichkeit aber  hatte  er,  abgesehen  von  den  erzwungenen  Em- 
pfangsfeierlichkeiten, überall  oder  doch  in  den  meisten  Ort- 
schal  ten  eine  kühle,  zurückhaltende  Au&ahme  gefunden.  Inj 
Göttingen  hielt  es  schwer,  eine  Ehrengarde  zusammenzu« 
bringen,  wie  sie  doch  zu  dem  vorgeschriebenen  offiziellen  Em-l 
pfangszcremoniell  gehörte.  Sie  mufste  schliefslich  aus  „der  in- 
teressanten Jugend  aller  Nationen,  die  dort  studierte",  genom- 
men werden.  Auch  in  Brauuschweig  war  der  Empfang  keines- 
wegä  so  euthusiastiäch,  wie  man  glauben  machen  wollte.  Die 
Lebehochs,  die  erschollen,  gingen  vorwiegend  von  dem  Jan- 
hagel und  der  Ötrafsenjugend  aus.  Die  rechtlichen  Bürger 
blieben  stumm  oder  hielten  sich  in  ihren  Häusern.  JDie 
Strafsenbeleuclitung,  die  am  Abende  des  Einzugstagee  statt- 
fand, war  auf  höheren  Befelil  in  Scene  gesetzt.  Die  kleine^ 
hagere,  unbedeutende  Gestalt  des  Königs  mit  ihrem  auslän- 
dischen Typus  machte  inmitten  der  zwar  glänzenden,  aber 
theatralischen  Umgebung  eher  einen  komischen  als  imponie- 
renden Eindruck.  An  Guadenbe weisen  gegen  Braunschweig, 
die  „zweite  Residenz  seines  Landes",  liels  es  der  Konig  we- 
der damals  noch  später  fehlen,  aber  sie  waren,  wie  dies  sedne 
Gewohnheit  mit  sich  brachte,  höchst  zweifelhafter  Art.  Aus 
der  bereits  von  Denou  ausgeplünderten  Bildergallerie  in  Salz- 
d&blam    wurden    dem  BTo^uivbcV^^^i  \&MAföasn.  zweihundert 


I 


Königliche  Reisen  im  Lande. 


3«0 


Qemälde  überwiesen,  aber  sie  wanderten  schliefslicb  auf  Ver- 
aolasaimg  des  Intendanten  des  königlichen  Palastes  nicht  nach 
Braun&chweig)  soudem  nach  Kassel.  Einige  Jahre  später 
schenkte  der  König  dann  das  Lustschlofs  Salzdahlum  der 
Stadt  Braimschweig,  „um  —  wie  es  in  der  Schenkungsur- 
kunde  vom  2.  August  1811  heilst  —  der  Stadt  einen  er- 
neueten  Beweis  seiner  AfiFektion  zu  geben  und  um  ihr  eine 
Beihilfe  zu  den  Ausgaben  zu  gewähren,  welche  die  Arbeiten 
an  dem  königlichen  Paläste  (dem  ehemaligen  herzoglichen 
Schlosse)  in  Braunschweig  erforderten." 

Nach  der  Einverleibung  auch  der  nördlichen  hannövri- 
sehen  Landschaften  in  das  Königreich  Westfalen  führte  den 
König  in  den  ersten  Tagen  des  August  1810  eine  ähnliche 
Huldigungsreise  in  die  neuerworbenen  Provinzen.  Hier  aber 
war  die  Stimmung  noch  ungünstiger  als  in  Göttingen  und 
Braunschweig.  Dem  Kabinetsrate  Palje,  der  schon  im  Fe- 
bruar nach  Kassel  geeilt  war,  um  l^lannover  dem  Könige  zu 
Füssen  zu  legen,  wurden  nach  seiner  Rückkehr  die  Fenster 
eingeworfen.  Bei  der  Huldigung  am  15.  August  zeigte  sich 
nur  ein  sehr  gedämpfter  Enthusiasmus.  Die  städtische  Be- 
völkerung, die  schon  früher  ihre  franzosenfeindliche  Gesin- 
nung bekundet  hatte,  trug  eine  grofse  Kälte  zur  Schau.  Alle 
Versuche  des  Königs,  den  hannövrischen  Adel  in  seine  Dienste 
zu  ziehen,  waren  vergeblich.  Graf  Hardenberg,  obschon  ein 
Bruder  des  Grofsjilgermeisters  am  westßLlischen  Hofe,  lehnte 
die  Ernennung  zum  ^Staatsrat  ab,  und  ebenso  wenig  konnten 
die  früheren  kiirh an növri sehen  Minister  von  Arnswald  und 
von  der  Decken  vermocht  werden,  die  ihnen  ungebotenen 
Amter  anzunehmen.  Der  König  selbst  setzte  damals  mit 
prunkenden  Worten  seinen  neuen  Unterthanen  die  Segnungen 
einer  Verbindung  mit  seinem  Königreiche  auseinander  und 
vcrhiefs  ihnen  eine  neue  glückliehe,  goldene  Zeit,  ebenso  wie 
er  es  zwei  Jahre  vorher  in  Braunschweig  gethan  hatte.  Aber 
als  er,  wiederum  zwei  Jahre  später,  zu  einer  Zeit,  da  die 
Verbündeten  eben  den  Waffenstillstand  von  Poischwitz  ein- 
gegangen waren,  zum  letztenraale  eine  Heise  durch  die  De- 
partements der  Ocker,  Elbe  und  Saide  unternahm,  mufste  er 
seinem  kaiserhcheu  Bruder  am  16.  Juni  1813  von  Braun- 
schweig aus  schreiben:  „Ich  bin  genötigt,  auf  die  Beitreibung 
der  Kontributionen  von  den  Einwohnern  zu  verzichten,  denn 
diese  verlassen  ihre  Wohnungen  und  töten  sich  selbst,  da 
sie  aufaerstande  sind,  für  ihre  eigenen  notdürftigen  Bedürf- 
nisse zu  sorgen."  So  .  weit  war  es  also  damals  mit  den  ver- 
heifsenen  Segnungen  der  westtUlischen  Regierung  gekommen. 

Das  Jahr  180»  weckte,  wie  in  ani&r^u  ^<i^'wA<ä^tl^it^i^a^- 


400 


Zweites  Buch.    \'ierter  Abschnitt. 


Unda,  auch  in  den  ehemals  welfischeu  Landen  verfrtlhete  Hoff- 
nungen aul  die  Bei'reiuug  von  dem  mehr  und  mehr  verhafsten 
und  unerträglich  erscheinenden  Joche  der  FremdheiTSchalt. 
Namentlich  in  Braunschweig  bemächtigte  sich  der  G-emiiter 
eine  tieie  Bewegtmg,  die  auf  die  Kunde  von  dem  Heran- 
nahen des  berechtigten  Erben  des  Landes  zu  fieberhafter  Auf- 
regung wuchs.  Die  Regierung  verdoppelte  demgegenüber 
ilire  Vorsichtsmafsrcgcln.  Zu  keiner  Zeit  machte  sich  der 
Polizeidruek  in  eo  gehässiger  Weise  geltend,  umspannte  ein 
50  dichtes  Netz  von  Spionen  und  Angebern  das  Land.  We- 
nige Wochen  vor  dem  mefceorgl eichen  Erscheinen  des  Her- 
zogs Friedrich  Wilhelm  in  Braunschweig  erlebte  die  Stadt 
ein  Schauspiel,  das  jedem  Patrioten  das  Herz  zusammen- 
schnüren mufste.  Am  16.  Juni  wurden  die  Überbleibsel  des 
achillschen  Korps,  soweit  sie  bei  dem  Strafsenkampfe  in  Stral- 
sund iu  Gelangcuöchaft  gefallen  waren,  nach  ßraunschweig 
geechaft't.  Die  elf  Offiziere,  die  sich  unter  ihnen  befanden, 
brachte  man  weiter  nach  Kassel  und  von  da  nach  Wesel, 
wo  sie,  als  „zur  Bande  Schills  gehörig",  unter  Bezugnahme 
auf  ein  französisches  Gesetz,  das  auf  den  Diebstahl  mit  Ein- 
bruch oder  den  Strafeenraub  die  Todesstrafe  setzte,  erschossen 
wurden.  Diejenigen  Teilnehmer  an  dem  Zuge  aber,  welche 
Unterthanen  des  Königreichs  Westfalen  waren,  wurden  in- 
folge eines  von  Kassel  eingelaufenen  Befehles  in  Braunschweig 
zurückgehalten  und  vor  ein  Kriegsgericht  gestellt,  das  sie 
sämtlich  —  vierzehn  an  der  Zahl  —  zum  Tode  verurteilte. 
Am  18.  Juli  ward  das  Urteil  zu  Bramischweig  vor  dem 
Steinthorc  au  ihnen  durch  Ersehiefsen  vollstreckt.  Wie  wenig 
aber  eine  solche  Strenge  imstande  war,  den  erwachenden 
Geist  des  Widerstandes  gegen  die  fremde  Knechtschaft  zu 
unterdrücken,  zeigte  sich,  als  zwei  Wochen  nach  diesem 
Blutgerichte  Herzog  Friedrich  Wilhelm  mit  seiner  schwarzen 
Schar  in  die  Stadt  einzog.  Trotz  der  dringenden  Abmah- 
nungen des  Herzogs  beteih'gte  sich  damals  eine  Anzahl  junger 
Bürgersölme  an  dem  ruhmvollen  Gefechte  bei  Ülper.  Manche 
schlössen  sich  auch  dem  Korps  bei  dessen  Weitcnn  arsche  an,  ^J 
begierig,  die  Gefahren,  die  des  gellebten  Fürsten  noch  war-^H 
teten,  mit  ihm  zu  teilen.  ^^ 

Die  Herrschaft  der  Napoldoniden  sollte  nicht  zu  Ende 
gehn,  ohne  auch  auf  die  hölieren  Bi Münzanstalten  des  Lan- 
des, das  schönste  Vermächtnis  des  vertriebenen  Füratenhausftj, 
ihre  unheilvolle  oder  selbst  vernichtende  Einwirkung  zu 
äufsem.  Das  einst  von  Rudolf  August  uud  Anton  Ulrich 
gegründete  Prediger  semin  ar  in  Riddagshausen,  das  dem  Lande 
eine  lange  Reihe  von  wUTÄ\gftTv  Oft\s.>X\«^«Q.  %«i3wÄssa\V.t  hatte, 


ÄufbebuDg  der  ITniversität  Helmstedt. 


m 


wurde  auTgehobeu,  das  CoUegium  Carolinum,  die  bevorzugte 
Schöpfung  des  Herzogs  Karl  and  des  Abtee  Jeiniaalem,  in 
eine  MiÜtärschuio  verwandelt.  Der  härteste  Schlag  aber  traf 
das  Braunachwoiger  Land  durch  die  Beseitigung  seiner  älte- 
sten, weitaus  bedeutendsten  und  berühmtesten  Ditdungsan- 
fitalt,  der  Helraatedter  Hochschule.  Sie  war  init  unter  den 
deutscheu  Universitäten,  die  trotz  der  warmen  Fürsprache 
Johannes  von  Müllers  während  der  westläliscben  Herrschaft 
aufgehoben  wiu'den.  Die  Universität,  die  freilich  seit  der 
Gründung  GöULugens  in  ihrer  Frequenz  bedeutend  zui-ück- 
gegangen  war,  hatte  sich  in  den  leteten  Jahrzehnten  wieder 
gehoben.  Aber  weder  dies  noch  die  dringenden  Vorstellungen 
ihi'er  damals  bedeutendsten  Lehrer,  eines  Henke,  Häberlin, 
Grell  und  Bruna,  die  den  König  Hieronymus  bei  dessen  Auf- 
enthalte in  Braunschweig  im  Jahi'e  18ü8  umzustimmen  ver- 
euchten,  noch  endlich  die  flehenden  Bitten  der  durch  die  Ver- 
nichtung der  Universität  mit  dem  wirtschaftlichen  Ruin  be- 
droheten  Bürgerschaft  vermochten  das  drohende  Unheil  ab- 
zuwenden. In  Kassel  war  die  Krwäg^ung  mafsgebend,  „  dal's 
eine  zu  grofse  Anzahl  von  Universitäten  und  anderen  Unter- 
richtsanstalten,  welche  in  einem  Mifsverhältnis  zu  der  Be- 
völkerung und  den  Ilillsmittclu  des  Königreichs  stehen  wür- 
den, in  vielfacher  Hinsicht  für  die  Wissenschaften  und  das 
wahre  Interesse  des  Ganzen  eher  nachteilig  aU  vorteilhaft 
sei".  Es  haben  ohne  Zweifel  aber  auch  politische  Rück- 
sichten, der  Hals  Napoleons  gegen  die  deutschen  Ideologen, 
die  Besorgnis  vor  dem  Geiste,  der  sich  auf  den  deutschen 
Hochschulen  zu  regen  begann,  bei  dem  Beschlüsse  mitgewirkt. 
So  erging  denn  unteim  10.  Dezember  180Ö  ein  königUches 
Dekret,  das  die  Universität  tur  aufgehoben  erklärte  und  ihre 
Schliefsung  zu  Ende  des  laufenden  Wintersemesters  anord- 
nete.  Am  14.  März  1810  fand  die  letzte  feierliche  Versamm- 
lung der  Lehrer  und  Studierenden  in  der  grofeen  Aula  des 
Juleums  statt.  Su  äel  die  einst  sü  berühmte  Uoclischule, 
nachdem  sie  über  233  Jahre  bestanden  hatte,  der  welschen 
Habsucht,  Frivolität  und  Zerstürungsaucht  zum  Opfer.  ,,Die 
Stiftung  des  edlen  und  frommen  Herzogs  Julius"  —  in  diesen 
Worten  fafst  ein  neuerer  Kirchenhistoriker  sein  Urteil  über 
die  Bedeutung  der  Helmstedter  Universität  zusammen  —  „ist 
untergegangen,  aber  die  Früchte,  die  sie  der  Wi&aenschaft 
und  dem  Leben  getragen,  sind  nicht  vergangen,  noch  ver- 
gessen. Helmstedt  war  eine  der  kleinsten  unter  den  kleinen 
Universitäten  Deutschlands.  Mit  beBchraukten  l^Iitteln  in  klei- 
nem Lande  und  kleiner  Stadt,  unter  wechselnden  und  viehach 
ungünstigen  äufseren  Verhältmssen   hat  die  J\YV\.v\s»XÄN^"t<'*ÄSv. 


UeinamMaa,  BnaBS«hfr.-b»tui&v.  ü««c^\cM«.    \U. 


^i-^^ 


402  Zweites  Bach.    Vierter  Absdmitt 

dexmocli  durch  den  in  ihr  waltenden  Geeist  der  Freiheit,  des 
Friedens  and  des  ernsten  wissenschaf^üchen  Strebens,  ge- 
pflegt und  geschützt  und  in  ihrer  Besonderheit  erhalten  durch 
die  Liberalität  einsichtsvoller  Regenten ,  ihre  eigentümliche 
Aufgabe  erfüllt  und  an  dem  gemeinsamen  Aufbau  protestan- 
tischer Wissenschaft  und  deutschen  Lebens,  insbesondere  an 
der  Entwicklung  der  protestantischen  Theol(^e  und  Kirche^ 
treu  und  erfolgreich  mitgearbeitet." 


Drittes  Buch. 
Die  neuere  Zeit. 


«iS,» 


Srster  Abschnitt 
Vor  184S. 


L 


Acht  Jahrzehnte  fast  sind  seit  den  grofsen  welterschüU 
temden  Ereignissen,  welebe  die  Herrschaft  des  ersten  Na- 
poleon umstürzten  und  eine  neue  Ordnung  der  Dinge  in 
Europa  schufen,  dahingeecbwunden :  eine  Spanne  Zeit  nur 
in  der  Aufeinanderfolge  der  Jahrhunderte,  aber  von  tief  ein- 
sclmeidendcr  Bedeutung  für  die  politischen  und  sozialen 
Verhältnisse  des  Erdteüs.  Trotz  des  langen  Friedens,  der 
zunächst  auf  die  Freiheitskriege  folgte,  hat  das  Jahrhundert, 
welches  jetzt  zur  Neige  geht,  die  Welt  umgestaltet,  wie  dies 
in  gleichem  Maisc  kaum  zu  irgend  einer  frülieren  Zeit  von 
derselben  Dauer  geschehen  ist.  Liegen  auch  diese  Verände- 
rungen vorzugsweise  auf  den  naturwissenschaftlichen  Gebieten 
und  haben  sie  sich  auch  hauptsächlich  infolge  der  wunder- 
baren Erfolge  vollzogen,  welche  die  exakten  Wissenschaften 
Hand  in  Hand  mit  der  Entwicklung  der  Technik  errangen, 
so  ist  doch  durch  ihre  Einwirkung  auch  das  politische,  mehr 
noch  das  soziale  Leben  der  Völker  in  Bahnen  geleitet,  von 
denen  niemand  zu  alinen,  geschweige  denn  zu  sagen  ver- 
mag j  wohin  sie  fiihren  werden.  Deutschland  hat  sich  in 
dieser  Zeit  aus  dem  lockeren  Staatenbunde,  zu  welchem  es 
die  Bundesakte^ vom  y.  Juni  1815  verurteilt  hatte,  unter 
Ausschlicfsung  Österreichs  zu  dem  neuen  deutschen  Reiche 
zuäaramengfiBchlosson.  Nach  achwereu  Kämpfen  im  Innern 
und  endlich  nach  einem  Kriege,  der  noch  einmal  der  Welt 
das  ti-aurige  Öchauspiel  eines  blutigen  Waffcngangea  von 
Deutschen  gegen  Deutsche  geben  sollte,  hat  es  unter 
Preufsens  geschickter  und  kräftiger  Fühnmg  eine  Macht- 
stellung in  Europa  sich  erobert,  feo  gssssB^kSi^  "«jA  s^N^äKssä.^ 


406 


Drittes  Buch.     Erster  AbBchnttt 


wie  sie  sich  die  kühnsten  Ho£bungen  der  Patrioten  schwear- 
lich  je  haben  träumen  lassen.  Freilich  hat  die  Nation  damit 
auch  schwere,  früher  unerhörte  Lasten  auf  sich  genommen, 
und  aus  ihrem  Scholse  selbst  ist  eine  soziale  Bewegung  ge- 
boren worden,  die,  sollte  sie  einmal  zur  Herrschaft  gelangen, 
mit  der  Vernichtung  alles  historisch  Gewordenen  auch  die 
Grundlagen  jeder  menschlichen  Kultur  und  Gesittung  zer- 
stören und  mit  eiserner  Folgerichtigkeit  die  Barbarei  and 
den  Despotismus  der  Massen  —  den  schlimmsten,  den  ea 
giebt  —  unserem  Vaterlande  auferlegen  würde. 

Auch  die  beiden  deutschen  Länder,  deren  geschichtUcher 
Entwicklung  unsere  Darstellung  gewidmet  ist,  haben  die 
hier  angedeutete  Umwälzung  auf  das  tiefste  erfahren.  Das 
Königreich  Hannover  ist  infolge  der  Ereignisse  von  1866 
aus  der  Reihe  der  selbständigen  Staaten  verschwunden:  so- 
weit menschliches  Ermessen  reicht,  ist  sein  Sonderleben  da- 
mit auf  ewig  zu  Grabe  getragen.  Und  wenn  auch  dem 
Herzogtume  Bramischweig,  dieser  „letzten  Scholle  weliischer 
Erde",  wie  es  ein  fanatischer  Schwärmer  für  den  deutscheu 
Einheitsstaat  genannt  hat,  nach  dem  Tode  seines  letzten  Her- 
zogs nicht  dasselbe  Schicksal  widerfahren  ist,  so  weifs  doch 
niemand,  ob  in  dem  Streite  der  MeiuuDgen  über  seine  Zu- 
kunft die  Rücksicht  aui'  das  historische  Recht  oder  die  For- 
derung der  auf  Zentralisation  des  Reiches  drängenden  Par- 
teien schliefslich  siegen  wird.  Unsere  Absicht  kann  es  nicht 
Bein,  die  Schicksale  beider  Länder  von  der  Zeit  der  Befreiung 
Deutschlands  bis  auf  die  Gegenwart  in  derselben  Ausführ- 
lichkeit zu  belmndeln,  wie  dies  mit  den  früheren  Perioden 
ihrer  GJeschichte  geschehen  ist.  Die  Ereignisse,  die  hier  in 
Betracht  kommen,  sind,  wenigstens  zum  Teil,  noch  so  fri- 
Bcheu  Datums,  sie  haben  in  breiten  Schichten  der  Bevölke- 
rung ein  HO  schmerzliches  Gefühl  zurückgelassen,  ihre  Be- 
urteilung ist  noch  80  überwiegend  von  der  Heftigkeit  poli- 
tischer Parteileidenscbaft  beeinliufst,  dafs  es  kaum  möglich 
ist,  sich  ihnen  gegenüber  den  ruhigen,  unbofangenen  Stand- 
punkt zu  wahren,  den  der  Öeachichtschreiber  einnehmen  soll 
Erst  eine  spätere  Zeit,  welche  den  ganzen  Verlauf  der  Ent- 
wicklung, in  deren  Mitte  wir  noch  stehen,  zu  überblicken 
vermag,  wird  imstande  sein,  diesen  unparteiischen,  wahrhaft 
historischen  Standpunkt  zu  behaupten.  Ihr  müssen  wir  die 
dereinstige  richtige  Würdiguug  dieser  Ereignisse  überlassen. 
Unsere  Aufgabe  kann  höchstens  sein,  durch  eine  ganz  knapp 
gehaltene  Skizze  der  Thateachen  die  Geschichte  der  einst- 
mals welüschen  Länder  abztirunden  imd  zu  einem  wenigstens 
äaTserUchea  Abschlüsse  zu  \)ii\xgd\L. 


4 
4 


i 


Der  deatsclie  Bund.    Neuordaungen. 


407 


^ 


Das  Verhältnis  der  beiden  Länder  zu  dem  auf  dem  Wiener 
Kongresse  geschaffenen  deutachen  Bunde  war  durch  die 
Bundesakte  geordnet  worden.  Nach  dieser  sollten  sie,  un- 
beschadet der  Souveränität  ihrer  Kegenten,  Bestandteile  des 
Bundes  bilden.  Das  nunmehrige  Königreich  Hannover^  des- 
sen Verbindung  mit  England  vollkommen  bestehen  bliebe  er- 
hielt nach  der  Zeitordnung,  in  welcher  die  deutscben  Fürsten- 
häuser die  Kurwürde  erlangt  hatten,  in  der  Reihe  der  Bundes- 
länder den  Platz  unmittelbar  nach  Bayern ,  während  dem 
Herzogtume  Braunschweig  zusammen  mit  Nassau  die  drei- 
zehnte Stelle  in  der  Bundesversammlung  zugewiesen  ward. 
Im  Plenum  sollten  Hannover  gleich  allen  anderen  deatschea 
Königreichen  vier  Stimmen,  in  der  engeren  Versammlung 
aber  eine  Virilstimme  zustehen.  Braunschweig  fUhrte  dagegen 
im  Plenum  zwei  Stimmen  und  in  der  engeren  Versammlung 
mit  Nassau  eine  Kuriatstimme.  Da  die  beiden  Söhne  des 
bei  Quatrebras  gefallenen  Herzogs  Friedrich  Wilhelm  noch 
minderjähi'ig  waren,  so  übernahm  gemäfs  den  zwischen  den 
beiden  Linien  des  weifischen  Hauses  bestehenden  Hauaver- 
trägen  der  damahge  Frinzregent  von  Grorsbritanoien ,  der 
nachmalige  König  Georg  IV.,  die  Vormundschaft  über  sie 
und  damit  die  vorläufige  Regierung  des  Herzogtums  Braun- 
schweig. 

Wichtiger  noch  und  bedeutungsvoller  als  diese  sich  aus 
den  äuiseren  Verhältnissen  ergebenden  Neuordnungen  war 
für  beide  Länder  die  Entwicklung ,  welche  nach  der  Be- 
seitigung der  iremden  Willkürherrschaft  und  nach  der  Wieder- 
herstellung der  legitimen  Regierungen  die  inneren  Zustände 
nahmen.  Hier  war  in  der  That  so  gut  wie  Alles  neu  zu  ge- 
stalten. Besonders  gilt  dies  von  Hannover,  das  während 
eines  Zeitraums  von  zehn  Jahren  fünimal  den  Herrn  gewech- 
selt hatte,  als  Tauschobjekt  aus  einer  Hand  in  die  andere 
gegangen  war,  bald  französische,  bald  preuleische,  bald  west- 
fälische und  dann  wieder  französische  Verwaltung  über  sich 
hatte  ergehen  lassen  müssen.  £s  ist  begreiflich,  dafs  die 
Regierung  trotz  der  in  weiten  Kreisen  anerkannten  Reform- 
bedürftigkeit  der  althannövri sehen  Zustände  zunächst  wieder 
auf  diese  zurückgrifif,  dals  sie  an  die  staathchen  Institutionen 
wieder  anzuknüpfen  suchte,  wie  sie  vor  der  französischen  In- 
vasion von  1803  bestanden  hatten.  Dazu  kam,  dafs  nicht 
nur  in  den  Regierungakreisen ,  sondern  auch  im  Volke  die 
Anschauung  lebendig  war,  wonach  die  zehn  Jahre  der  Fremd- 
beiTschaft,  deren  Rechtsbeständigkeit  nie  durch  einen  Frie- 
densschlufs  der  Krone  anerkannt  worden  war  und  während 
welcher  die  besten  Söhne  des  Lanier,  ■^eüSi.*M«2ö.^M^KtSsssöi.- 


h 


der  Fahne,  den  Kampf  gegen  den  französischen  Usurpator 
fortgesetzt  hatten ,  die  Kontinuität  des  historischen  Keehtefr 
nicht  unterbrochen  hatten.  Anderseits  waren  dem  König- 
reiche Provinzen  und  Landesteile  einverleibt  worden,  die 
früher  nicht  zu  ihm  gehört  hatten  und  die  nun  inbezug 
auf  Verwaltung  uhd  Rechtspflege  mit  ihm  verschmolzen  wer- 
den mufsten:  OHttViesland,  das  seit  Friedrichs  des  Grolsen 
Zeit  eine  preufsische  Provinz  gewesen  war  und  wo  sich  seit- 
dem noch  ein  gut  Teil  Sympathie  für  die  früheren  Zustände 
erhalten  hatte,  [lildesheim  und  Goslar,  die  gleichfalls,  wenn 
auch  nur  wenige  Jahre ,  unter  preufsischem  Regiment  ge- 
standen hatten  und  deren  Besitz  zusammen  mit  dem  Lande 
an  der  oberen  Ems  dem  vorwiegend  lutherischen  Königreiche 
eine  kompakte  katholische  Bevolkerimg  zuführte,  Osnabrück 
endlich,  wo  die  seit  hundertund fünfzig  Jahren  abwechselnde 
Regierung  eines  katholischen  Bischofs  und  eines  lutherischen 
Landesfiirsten  ganz  absonderHche,  eigentümlicJie  Zustände 
geschaffen  hatte.  Was  die  alten  Provinzen  anlangt,  so  hatten 
diese  zwar  manche  Einrichtungen,  wie  die  Kriegskanzlei^  die 
Kammer,  das  OherappcUationsgericht  in  Celle,  gemeinsam, 
aber  in  anderer  Hinsicht  erschienen  sie  noch  immer  wie  tast 
unabhängige  Landschaften,  die  einzig  oder  doch  wosenthch 
in  dem  Füi*Btenhau8e  ihre  Vereinigung  fanden.  Diese  selb- 
ständige Stellung  der  einzelnen  Landesteile  fand  ihren  Aus- 
druck Tomehmlich  in  den  ivlten  Landständen^  deren  hübere 
Bedeutung  infolge  der  Ausbildung  der  souveränen  Fürsten- 
macht freilich  sehr  beschränkt  worden  war,  die  aber  doch 
noch  im  Besitz  von  mancherlei  Privilegien  und  Rechten  sich 
befanden.  Namentlich  gehörte  die  Belbütändige  und  von  den 
übrigen  Provinzen  völlig  getrennte  Verwaltung  der  provin- 
zialen  Steuern  und  Finanaeu  zu  diesen  Privilegien.  Sie  lag 
in  jeder  der  einzelnen  Landschaften  in  den  Händen  eines 
besonderen  Schatzkoilegiums,  dessen  Mitglieder  von  den  Stän- 
den der  betreffenden  Provinz  oder  Landschaft  gewählt  wur- 
den, so  dafs  sich  in  jeder  Provinz  ein  eigenes  Abgaben-  imd 
Schuldenwesen  ausgebildet  hatte.  Die  Zusammenactzimg  der 
ProvinziaUtände  war  im  wesentlichen  noch  dieselbe  geblieben 
wie  in  alter  Zeit.  Sie  hatten  aber,  da  jedes  in  die  ritter- 
schaftliche Matrikel  eingetragene  Gut  Sitz  und  Stimme  in 
der  Landschaft  gewährte,  mit  der  Zeit  eine  Zusammensetzung 
erhalten,  die  der  Ritterschaft  einen  überwiegenden  Einflufs 
in  ihnen  sicherte. 

Die  Autgabe,  dieses  krause,  zerstückelte  und  verwickelte 
Staatswesen  neu  zu  ordnen,  es  einigermafsen  mit  den  For- 
deruiigen  der  Zeit,  welche,  dwrcV  Äie  vQxVfex^OwCTÄssci  Erei^ 


n 


4 

4 


Die  provisorisclie  Ständereraammliiiig  von  Hannover. 


409 


nisse  geweckt,  eich  auch  in  Hannover  geltend  macbten,  in 
Einklang  zu  bringen,  fiel  dem  zum  hnnnövrischen  Süiats- 
mintster  ernannten  Graten  Münster  zu.  Mehr  Diplomfit  als 
Staatsmann,  mit  den  Verhältnissen  in  seiner  deutschen  Hei- 
mat nur  oberflächlich  verti*auet,  zudem  beeinflufal  durch  die 
politischen  Aneichton,  die  er  in  England  eingesogen,  hat  er 
sich  dieser  Aufgabe  in  nicht  eben  glücklicher  Weise  ent- 
ledigt, obächon  er  dabei  von  dem  klugen,  geschäftskundigen 
und  praktischen  Kabinetsrate  Rehberg,  dem  Muster  eines 
altliannövrischen  Beamten,  unterstützt  ward.  Schon  am 
19.  August  1814  waren  durch  königliches  Patent  die  Land- 
atände  aus  allen  hannövrischeu  Provinzen  zu  einer  allge- 
meinen Ständeversammlung  nach  Hannover  benit'en  worden. 
Am  15.  Dezember  wurde  dieser  Landtag  durcii  den  Herzog 
von  Cambridge,  den  jüngsten  Sohn  Georgs  IH.,  j_m  könig- 
lichen Schlosse  eröffnet.  Er  bestand  aus  den  Abten  von 
Lokkum  und  St.  Michaelis  zu  Hildeaheim,  dem  Kloster- 
direktor von  Neuenwalde,  ferner  aus  sieben  Abgeordneten 
der  geistlichen  Stifter  und  KJ-iater,  drei  und  vierzig  der  Kitter- 
Bchflft,  neuuundzwanzig  der  Städte  und  drei  Vertretern  des 
freien,  nicht  adeligen  Grundbesitzes  der  bremischen  Marsch- 
länder, des  Landes  Hadeln  und  der  Grafschaft  Hoya.  Als 
deine  Aufgabe  ward  in  der  Thronrede  bezeichnet,  „auf  dem 
sicheren  Gnmde  altei',  rechtmüfsiger  Verhäiltnisse  ein  neues, 
den  Umstanden  augemesseiies  Gebäude  aufzulühreu".  Wäh- 
rend ihres  iuuJjahrigün  Bestehens  entsprach  indes  diese 
,,  provisorische  Ständevei-samrahmg "  den  von  ihr  gehegten 
Erwartungen  nur  in  sehr  geringem  Mafse.  Sie  begnügte 
sieh  im  allgemeinen  damit,  die  staatlichen  Zustände,  wie  sie 
vor  der  französischen  Okkupation  bestanden  hatten,  im  we- 
sentlichen wieder  hei'zustellen.  Eine  einzige  gröfsere  und 
wichtigere  Reform  kam  allerdings  zustande.  Durch  einen 
Bescblufs  der  Ver:>ammking  vom  17.  Januar  1815  wurden 
sämtliche  Schulden  iind  Steuern  der  einzelnen  Landschaften 
in  eine  Masse  zwsammengewori'ea ,  wodurch  erst  ein  ge- 
regelter Haushalt  liir  den  ganzen  Staat  ermöglicht  ward. 
Neben  dieser  neuen  ständischen  Generalsteuerkasse,  zu  wel- 
cher die  Schatzräte  teils  von  der  Krone,  teils  vim  dem  all- 
gemeinen Landtage,  teils  endlich  von  den  Priunnzialständen 
ernannt,  beziehentlich  gewählt  wurden,  verwaltete  die  könig- 
liche DomUncnkassc  unter  königlichen  Beamten  und  in 
völlig  selbständiger  Stellung  das  überaus  reiche  Domauium 
des  fürstlichen  Hauses,  das  von  dem  gesamten  Grundbesitze 
im  Königreiche  etwa  ein  Füufteil  betrug.  Es  leucUbat  ava., 
dafs  ein  solcher  Dualismus  in  deT  ^\naiv?.\et'««\VMa\^  i."ä  -kssccw- 


410 


Drittes  Buch.    Erster  Abschnitt. 


eben  unliebsamen  Zwistigkeitoa  zwischen  der  Krone  und 
dem  Landtage  führen  mulste.  Dennoch  bedeutete  die 
Finanz  -  und  Steuerreform  einen  unzweifelhaften  Fort- 
Bchritt  in  dem  öffentlichen  Leben  and  den  politischen 
Zuständen  des  Landes.  Im  übrigen  kamen  die  Arbeiten 
des  Landtags  nicht  vom  Fleck,  auch  nicht  seitdem  der 
Prinz-Regent  am  24.  Oktober  1816  den  Herzog  von  Cam- 
bridge zum  Goneraktatthalter  des  Königreichs  ernannt  und 
dieser  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Hannover  genommen 
hatte.  In  endlos  schleppender  Langsamkeit  zogen  sich  die 
Verhandlungen  des  Landtags  hin.  Verstimmt  nahm  Rehberg 
im  Jahre  1819  seinen  Abschied.  Er  muTste  der  mächtigen 
Adelspartei  weichen,  die  er  durch  seine  bescheidenen  Re- 
formbestrebungen gegen  sich  aufgebracht  hatte  und  die  sich 
selbst  nicht  scheuete,  die  Redlichkeit  des  ausgezeichneten 
und  durchaus  rechtschaffenen  Mannes  zu  verdächtigen.  Nun 
hatte  die  Adelspartei  freie  Hand.  Der  von  Rehberg  ausge- 
arbeitete Entwurf  einer  Landschaftsordnung,  der  zwar 
den  Wünschen  der  Regierang  inbezug  auf  die  Einrühruug 
von  zwei  Kammern  entsprach  aber  zugleich  dem  Über- 
gewichte des  Adels  zu  wehren  suchte,  fand  nicht  den  Bei- 
fall des  Königs  und  des  leitenden  Staatsmanns  in  London. 
Vielmehr  ward  jetzt  durch  königliches  Patent  vom  7.  De- 
zember 1819  die  endgültige  Zusammensetzung  und  Gliede- 
rung des  Landtages  bestimmt.  Danach  sollte  die  erste  Kam- 
mer sich,  abgesehen  von  den  vornehmsten  Prälaten,  nur  aus 
den  Standesherren  und  den  Vertretern  der  Ritterschaft  zu- 
sammensetzen, in  der  zweiten  Kammer  dagegen  neben  den 
Abgeordneten  der  Städte  auch  der  freie  ländliche  Grund- 
besitz durch  zwanzig  von  ihm  zu  wählende  Deputierte  seine 
Vertretung  iinden.  Die  so  von  der  Regierung  nicht  ohne  den 
Widerspruch  der  Stände  einseitig  diu-chgeführte  Verfassung 
■ward  in  ihrer  Wirksamkeit  nocli  durch  die  Provinzialstünde  be- 
einträchtigt, welche  bereits  früher  (19.  Oktober  1818)  wieder 
hergestellt  worden  waren  und  neben  der  allgemeinen  iStände- 
versamralung  auch  künftighin  ihre  Thättgkeit  fortsetzen  soll- 
ten. Unter  diesen  Umständen  ist  es  begreiflich,  dafs  der 
■eue  „definitive"  Landtag  in  keiner  Weise  eine  rührigere 
Thätigkeit  entfaltete  als  der  bisherige  provisorische.  Sieine 
Verhandlungen  waren  ebenso  schleppend,  ebenso  wenig 
fruchtbar,  ebenso  wenig  von  der  Teilnahme  des  Volkes  ge- 
tragen. Die  wenigen  bescheidenen  Reformen,  die  er  trots 
des  Widerstrebens  der  >^delskammer  durchsetzte,  die  dem 
neuen  Zeitgeiste  mebt  eula^vwitLcnde  Neuordnung  der  Be- 
Amtenhierarchie,  die  ^lAnteüvm^  Aea  YjaxA"«»  Sa.  ws3iä  Land- 


Der  defioitire  Landtag  in  Hannover. 


411 


drosteien  und  eine  Berghauptmannscfaaft,  die  Einsetzung  von 
Mittelbehörden,  die  gesetzlich©  Regelung  der  Wehrpflicht,  die 
Beseitigung  endlich  der  Folter,  die  im  Herzogturae  Braun- 
Bchweig  schon  unter  der  Regiemng  KarU  1.  abgeschaflFt 
worden  war,  da»  alles  entsprach  nur  in  sehr  dürftigem 
Ma&e  den  Erwartungen ,  mit  denen  man  nach  der  Be- 
freiung des  Landes  den  kommenden  Zeiten  entgegen- 
gesehen hatte.  Die  Unzufriedenheit,  die  sich  über  einen 
solchen  Verlauf  der  Öffentlichen  Angelegenheiten  in  manchen 
Kreisen  der  Bevölkerung,  namentlich  in  einigen  Städten  und 
hie  und  da  auch  auf  dem  Lande  anzusammeln  begann, 
wurde  auch  durch  den  Besuch ,  den  der  frühere  Prinz* 
Regent  nach  seiner  Thi-onbesteigimg  seinen  deutschen  Lan- 
den abstattete,  nicht  zerstreuet,  die  Stimmung  im  Lande 
kaum  gebessert.  Seit  den  Tagen  Georgs  IL  war  dies  das 
erste  Mal,  dafa  ein  König  von  England  wieder  den  Boden 
des  Landes  betrat,  wo  die  Wiege  seines  Geschlechtes  ge- 
standen. Am  29.  Januar  1820  hatte  ein  sanfter  Tod  den 
König  Georg  ETI.  von  seinen  Leiden  erlöst,  ohne  dafs  ihm 
die  Freiheit  des  Geistes  wiedergekehrt  wäre.  Nun  folgte 
ihm  auf  dem  Throne  von  Grofsbritannion  und  von  Hanno- 
▼er  sein  ältester  Sohn  Georg  IV.,  der  bisherige  Prinz-Regent, 
Im  folgenden  Jahre  (1821)  kam  er  von  England  nach  seinen 
deutschen  Staaten  herüber,  um  die  Huldigung  seiner  han- 
növrischen  Unterthanon  en^egenzunehmen.  Glänzende  Feste 
wurden  damals  im  ganzen  Lande  gefeiert,  die  Hauptstadt 
namentlich  war  entzückt,  wieder  einmal  nach  so  langer  Zeit 
der  Mittelpunkt  eines  bewegten,  an  äuTscrer  Prachtentfaltung 
hervorragenden  Hofes  zu  sein ,  dem  Monarchen  entgegen- 
jubeln zu  können,  der  sich  in  seiner  Jugend  den  Namen 
„des  ersten  Gentleman  von  England"  erworben  hatte.  Aber 
diese  Festfreude  ging  rasch  genug  vorüber,  und  die  Mifs- 
stiramung  gegen  die  Regierung  blieb,  ja  wurde  namentlich 
in  den  bäuerlichen  Kreisen  noch  allgemeiner  und  intensiver, 
seitdem  diese  für  ihre  Forderungen  in  dem  Abgeordneten 
Karl  Stüve  aus  Osnabrück,  einem  echten  Kinde  der  roten 
Erde,  einen  ebenso  tUhigen  und  beredten  wie  zähen  und 
unermüdlichen  Anwalt  gefunden  hatten.  In  der  Ständever- 
sammlung  war  man  eben  so  weit  gelangt,  durch  eine  Neu- 
ordnung der  Grundsteuer  den  schreiendsten  und  härtesten 
Ungleichheiten  in  der  Besteuerung  abzuhelfen.  Damit  aber 
war  Stüve  durchaus  nicht  zufrieden  gestellt.  Er  wies  auf 
die  Notwendigkeit  hin,  den  Bauernstand  aus  den  unwürdigen 
Fesseln  zu  befreien,  in  welche  ihn  die  soziale  E\itwRWc«B% 
des  J&xitelülters   geschmiedet  liattß   \uiÄ.*v&  ^^«o.  «t  «a.«^ 


4IS 


Drittes  BocK     Enter  AbecfaDoht. 


während  der  Zeit  des  fürstHcbeo  Absolntismas  festgekettet 
geblieben  war:  nur  die  Ablösung  der  Herrendienste,  Zehn- 
ten txnd  Meiergelälle  künne  dem  Bauernstände  die  Stellung 
zurückgeben,  die  ihm  in  dem  ätaatsver bände  zukomme^  nur 
sie  ihn  bei^igen,  die  breite  Grundlage  abzugeben,  auf  der 
Gesellschaft  und  iStaat  sieb  aufzubauen  hätten.  In  der  zwei- 
ten Kammer  fanden  die  Anträge  Stüves  lebbafic  Zu- 
stimmung und  eitrige  Unterstätzong.  Desto  entschiedener 
widerstrebte  ihnen  die  nur  aus  Bevorrechteten  zusammen- 
geaetzte  erbte  Kammer.  Aber  immer  wieder  kam  der  tapfere 
Oanabrücker  auf  seine  Forderungen  zurück,  für  die  er  auch 
aufserhalb  der  Versammimig  durcb  Wort  und  Schrift  zu 
wirken  bemühet  war.  Im  Jahre  1829  erschien  seine  auf 
gründlichen  Studien  beruhende  und  eindringlich  geschriebene 
Abhandlung  „über  die  Lasten  des  Grundeigentums  in  Ilan* 
Dover'^  Endlich  war  im  Beginn  des  Jahres  1830  so  viel 
erreicht,  dafs  die  erste  Kammer  sich  wenigstens  bereit  er- 
klärte, in  Verhandlungen  über  die  hochwichtige  Frage  ein- 
zutreten. Da  brachten  zwei  Ereignisse  die  stockenden  Be- 
ratungen der  Stände  in  rascheren  Flufs  und  tuhrtcn  zu 
einer  durchgreifenden  Veränderung  der  bi«herigen  Ver- 
fasäungsverhiiltnisge  des  Königreichs:  der  Tod  des  Königs 
Georg  IV. y  der  am  '/6.  Juni  1830,  nnd  der  Ausbruch  der 
Revolution  in  Frankreich,  der  wenige  Wochen  später,  in  den 
letzten  Julitagen,  erfolgte. 

Man  weifs,  wie  diese  Julitage  auch  in  einzelnen  Ländern 
Deutschlands  ihren  Widerhall  landen,  wie  die  in  Paris  auf- 
flammende revolutionäre  Bewegung  auch  diesseits  des  KheinSj 
in  Hessen,  Sachsen  und  Braunschweig,  in  leise  uadizittem- 
den  Schwingtmgen  sich  bemerkbar  machte.  Selbst  ein  im 
Grunde  so  ruhiges  und  an  dem  Überlieferten  hängendes 
Land  wie  Hannover  blieb  davon  nicht  unberührt.  An  ver- 
schiedenen Orten  des  Königreichs  kam  es  zu  Unruhen,  die 
zwar  ohne  alle  Bedeutung  waren  nnd  zum  Teil  ein  recht 
kindisches  Gepräge  trugen,  die  aber  doch  Zeugnis  von  der 
Unzufriedenheit  ablegten,  die  in  weiten  Kreisen  der  Bevöl- 
kerung über  die  bestehenden  Zustände  herrschte:  zuerst 
unter  der  verarmten  Bevölkerung  in  Lüneburg,  Ülzen  und 
Ilildesheim,  dann  in  Osterrode  am  Harz,  wo  der  Advokat 
König  mit  einigen  Genossen  eine  iMiniaturnachahmung  der 
Pariser  Ereignisse  in  Öcene  zu  setzen  versuchte.  Aus  seiner 
Feder  stammte  wahrscheinlich  eine  um  Weihnachten  1830 
erschienene  Schmähschrit^ ,  die  sich  in  plumpen ,  lächerlich 
Übertreibenden  Plivusen  ^^^w  die  bisherige  Regierung  rich- 
tete und  deD  Titel  trug;   „Anik\Btgfe  ie»'^\\SÄ%\vxvNasÄ  Künster 


Unruhen  in  Hannover. 


413 


fvor  der  öffentlichen  Meinung".  Damit  nicht  zufrieden,  setzten 
König  und  seine  Freunde  am  5.  Januar  1831  in  Osterrode 
einen  revolutionären  G^raeinderat  ein,  errichteten  nach  dem 
Muster  der  französischen  Staataraäoner  eine  Biii-gergarde 
und  erliefien  ein  in  schwülstigem  Stile  gehaltenes  Manilest, 
das  den  5.  Januar  als  ein  „  heiliges  Vermächtnis  den  Enkehi 
und  Urenkeln"  für  alle  Zeiten  empfahl.  Ohne  Mühe  und 
Anstrengung  ward  die  Regierung  djeser  mit  vielen  Worten 
rund  wenigem  Verstände  unternommenen  Bewegung  Meister. 
Nicht  besser  erging  es  dem  allerdings  sich  drohender  an- 
lassenden Aufstande,  der  wenige  Tage  später  (8.  Januar)  in 
der  Mnsenstadt  Göttingen  ausbrach.  Unter  der  Führung 
zweier  Advokaten  und  eines  Dozenten  an  der  Universität 
bemächtigte  man  sich  hier  des  ünthauscs,  nötigte  den  Polizoi- 
Kommiflsär  zur  Flucht,  bildete  einen  aus  Bürgern  und  jun- 
gen Leuten,  Doktoren  und  Studenten  bestehenden  Gemeinde- 
rat  und  bewog  die  schwache,  nur  aus  achtzig  Jägern  be- 
istehende Besatzung  der  Stadt  zum  Abzüge.  Nun  bewaffne- 
ten sich  die  Studenten  mit  ihren  Schlägern,  die  Bürger  mit 
ihren  Schutzengewebren,  eine  akademische  und  eine  Burger- 
legion  wurde  gebildet,  welche  die  Verbarrikadierung  der 
Thore  und  die  Bewachung  der  Wälle  übernahmen.  Die 
meisten  Professoren  wagten  nicht,  dem  toUeu  Treiben,  das 
sich  des  Nachts  namentlich  um  die  auf  dem  Markte  ange- 
zündeten Wachtfeuer  im  jugendlichon  Übermute  und  in  ein- 
gebildetem Freiheitsrauache  abspielte,  entgegen  zu  treten. 
Die  Stimmen  einiger  besonnenen  oder  konservativen  Män- 
ner ,  wie  Dahlmann  und  Gaufs ,  verhallten  ungehört.  So 
dauei*te  der  lustige  Fasching,  dieses  „dürren  und  wider- 
wärtigen Aufstandea",  wie  ihn  Jakob  Grimm,  der  berühmte 
Germanist,  nannte,  eine  ganze  W^oche  hindurch,  um  dann 
beim  Anrucken  der  von  der  Regierung  entsandten  Truppen 
ebenso  kläglich  imd  widerstandslos^  zusammenzubrechen,  wie 
er  imbesonnen  und  in  kindischem  Übermute  angezettelt  und 
begonnen  war. 

Indessen  blieben  diese  Unruhen  und  vereinzelten  Auf- 
stau ds  versuche  doch  nicht  ohne  poÜtische  Folgen.  Ein  hal- 
bes Jahr  vor  diesen  Ereignissen  war,  wie  bereits  erwähnt, 
König  Georg  IV.  gestorben  und  ihm  auf  dem  Throne  von 
Grofsbritannien  und  Hannover  sein  ältester  Bruder,  der  bis- 
herige Herzog  von  Clarence,  als  König  Wilhelm  IV.  ge- 
folgt, ein  gutmütiger ,  wohlmeinender ,  treilich  auch  wenig 
begabter  und  unselbständiger  Fürst.  Er  verschlofs  sich  der 
Notwendigkeit  poHtischer  Reformen  um  so  weniger,  als  auch 
l'Beia  Bruder,  der  Generalstatthalter  •^oti  B.axö&öN%\.i  %\0o.  ■^«sx 


4U 


Drittes  Bueh.    Erster  Abschnitt. 


solche  aussprach  und  selbst  in  dem  MiniBterium  sich  einzelne 
Stimmen  dafür  erhoben.  Schon  hatte  man  hier  beschlosaen, 
eine  Abordnung  mit  Vorstellungen  in  dieser  Richtimg  nach 
London  zu  entsenden,  als  in  Hannover  die  Kunde  eintraf, 
daCs  der  König  am  1 2.  Februar  den  Vorstand  der  deutschen 
Kanzlei  La  London  und  den  Leiter  der  bisherigen  Regierung 
in  Haimover,  den  Graten  Ernst  Friedrich  Herbert  Münster, 
aus  seinem  Amte  entlassen  und  zehn  Tage  darauf  (22.  Fe- 
bruar) seinen  Bruder,  den  Generalstatthalter  Herzog  Adoli 
von  Cambridge,  zum  Vizekönig  von  Hannover  mit  erwei- 
terten Vollmachten  ernannt  habe.  An  Münsters  Stelle,  der 
sich  nach  seinem  Gute  Derneburg  im  Hiidesheimischen  zu- 
rückzog und  ganz  in  das  Privatleben  trat,  übernahm  der  in 
schwerer  Zeit  erprobte  Ludwig  von  Ompteda  die  Vermitt- 
lung der  hannövrischen  Angelegenheiten  gegenüber  dem 
Könige  in  London.  Fortan  lag  der  Schwerpunkt  der 
Regierung,  wenn  auch  die  alten  Beziehungen  zu  England 
uuveräudei-t  blieben,  nicht  mehr  hier,  sondern  in  Han- 
nover. 

Bald  darauf,  im  März  1631,  trat  dann  der  Landtag 
zusammen.  Er  zeigte  zum  Teil  eine  veränderte  Phy- 
siognomie, da  namentlich  die  Städte  vorwiegend  liberale  Abge- 
ordnete gewählt  hatten.  Gleich  in  den  ersten  Wochen  seiner 
Verhandlungen  stellte  Stüve  den  Antrag  auf  Vereinbarung 
einer  neuen  Verfassung  mit  der  Krone,  die  zwar  auf  der 
Grundlage  der  bestehenden  Rechte  sich  aufbauen  aber  doch 
mehr  den  veränderten  Verhältnissen  der  Zeit  Rechnung  tra- 
gen sollte.  Die  Regierung  ging  bereitwillig  darauf  ein,  ve> 
sprach  die  Bearbeitung  und  deranächstige  Vorlage  eines  ent- 
sprechenden Eutwurfea  und  vertagte  dann  die  Stände  bis 
zur  Fertigstellung  des  letzteren.  In  die  bedeutungsvolle 
Arbeit  teilten  sich  der  Kabinetsrat  Rose  und  Dahlmann,  der 
bekannte  Staatsrechtslehrer  und  Historiker.  Als  der  Land- 
tag sich  dann  am  30.  Mai  1832,  schon  nach  der  inzwischen 
erweiterten  Wahlordnung  um  fünfzehn  Vertreter  des  Bauern- 
standes vermehrt,  wieder  versammelte,  konnte  ihm  der  voll- 
endete Entwurf  zu  dem  neuen  Staatsgrundgesetze  zur  Be- 
ratung und  Beschlufsfassung  vorgelegt  werden.  Fast  ein 
Jahr  lang,  bis  zum  13.  Mai  1833,  haben  die  Vorhandlungen 
darüber  gedauert.  War  es  auf  der  einen  Seite  nicht  leioh^ 
den  Widerstand  des  privilegierten  Adels  gegen  die  beab- 
sichtigte Verfa8Bung8verS.ndenmg  zu  beseitigen,  so  sahen  sich 
die  besonnenen  Politiker  in  der  Versammlung  ebenso  oft 
geDÖtigt,  gegen  die  Phrasen  und  Schlagwörter  des  neu- 
i^aozöaischen  Liberaliam^ia  Frou^  zvl  i&&&\tssa^  in.  denen  sich 


Das  Staatsgruudgeaots  vod  1833. 


4I& 


ein  Teil  der  städtischen  Vertreter  ei^ng  und  von  deren 
Durchführung  er  das  Heil  des  Staates  erw&rtete.  Im  ^ofsen 
tmd  ganzen  kam  doch  ein  Staatsgrundgesets  znatande,  wel- 
ches den  historisch  gewordenen  Verhältnissen  entsprach  und 
zugleich  den  Terändcrten  Zeitforderungen  in  mafsvoiler  Weise 
Rechnung  trug,  eine  Verfassung,  von  der  man  nicht  mit 
Unrecht  rühmte,  dafa  sie,  ruhend  auf  dem  Grunde  des  be- 
stehenden Rechtes,  dieses  ergänze,  dem  Bedurl'nis  gemäfa 
verbessere  und  durch  klare  Gesetzesworte  vor  Zweüel  und 
Angriffen  sicher  stelle. 

Am  116.  September  1833  erhielt  das  eo  von  den  Ständen 
vereinbarte  neue  Staatagrundgesetz,  nachdem  noch  eine  Keihe 
von  unwesentlichen  Bestimmungen  in  London  aus  ihm  ent- 
fernt oder  abgeändert  waren,  die  Unterschrift  des  Königs 
und  erlangte  damit  Gesetzeskraft.  Von  irgend  einer  Ver- 
wahrung gegen  dasselbe  seitens  eines  AliigHedes  des  küuig- 
lichen  Hauses  verlautete  damals  nichts,  auch  nicht  vonseiten 
des  nächsten  Thronerben,  des  Herzogs  von  Cumberland. 
Nach  den  Bestimmungen  der  neuen  Verfassun^urkunde 
blieb  das  Zweikammersystem  in  Kraft.  Beide  Kammern 
waren  in  ähnlicher  Weise,  wie  das  Patent  von  1819  vor- 
Bchriob,  zusammengesetzt,  die  zweite  Kammer  jedoch  unter 
Erweiterung  der  Vertretung  des  Bauern-  und  Bürgers tandes, 
so  dafs  fortan  auisor  den  zehn  Prälaten  siebe nunddreifsig 
städtische  und  achtunddi-eifsig  bäuerliche  Abgeordnete  in 
ihr  Sitz  und  Stimme  haben  sollten.  Die  Stände  erlangten 
Teilnahme  an  der  Gesetzgebung  und  das  Recht,  das  jähr- 
lich vorzulegende  Budget  zu  prüfen  und  die  Steuern  2u 
bewilligen,  ohne  indes  die  zur  Führung  des  Staatshaushalts 
erforderlichen  Mittel  verweigern  zu  dürfen.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  waren  die  Bestimmungen  über  das  Staatsver- 
mögen und  dasjenige  des  königlichen  Hauses.  Die  bisherige 
ständische  General steuerkasse  ward  mit  der  königlichen  Do- 
mäuoukasse  vereinigt,  das  stäudiuche  Schatzkollegium,  das 
die  Steuerkasse  bis  dahin  zu  vern'alten  hatte  und  sich  in 
beständigem  Kriege  mit  der  Domanialkasse  befand,  aufge- 
Jioben.  Das  Domanialgut  ward  zum  Krongute  erklärt,  dem 
Könige  daraus  füi*  die  Hofhaltung  und  den  Unterhalt  der 
königÜchen  Familie  —  neben  den  Zinsen  von  einem  aus 
den  Einkünften  der  Kammer  in  englischen  Stocks  belegten 
Kapitale  von  600000  Pfund  Sterling  —  eine  jährliche 
Summe  von  BüüOOO  Keichathalem  ausgesetzt,  die  jedoch,  so 
lange  der  König  als  Inhaber  einer  anderen  Krone  im  Aus- 
lände residieren  würde,  jährlich  um  löOOOO  Keichsthaler 
verringert  werden   sollte.     Dem   Königfc   ■^\ii^'fe  1x^\^^sä\^ä!is 


416 


Drittes  Buch.    Erster  Absclmitt 


atatt  dieser  Summe  einen  in  seinem  Ertrage  Ihr  gleichkom- 
menden Domaniidkpmplex  als  Krüngut  auszuscheiden.  Der 
alsdann  bleibende  Übersclmf»  der  Einnahmen  aus  dem  Kron- 
gutc  sollte  in  die  allgemeine  Landeskasse  fliefsen,  Veräiüae- 
ningen  des  Krongutes  aber  inakünt'tige  von  der  Zustimmung 
der  SUlüde  abhängig  sein.  Das  Recht  der  Miniateranklage 
wurde  den  letzteren  uui*  für  den  Fall  absichtlicher  Ver- 
faasungsverletzungen  zugestanden:  für  untergeordnete  Strei- 
tigkeiten mit  den  iiäten  der  Krone  sollte  ihnen  der  Weg^B 
der  Beschwerde  an  den  König  uffen  stehen.  Endlich  wurd^B 
die  von  Stüve  mit  unermüdetera  Eifer  betriebene  Ablösung 
der  bäuerlichen  Zehnten,  Dienste  und  MeiergetUIle  im  Prin- 
zipe  angenommen  und  ihre  baldige  Durchluhrung  in  Aus- 
sicht gestellt.  Es  verging  freilich  noch  manches  Jahr,  bis 
sie  in   vollem  Umfange  zur  Ausführung  kam. 

Während  in  Uannover  auf  diese  Weise  die  Veri'asaungs- 
kiimpfe  zu  einem  vorläufigen  Abschlufs  gebracht  wurden, 
war  im  Herzogtume  Braunschweig  ein  Umsturz  der  bis- 
herigen staatlichen  Ordnung  erfolgt,  so  gewaltsam  und  so 
durchaus  revolutionärer  Natur,  wie  er  bisher  wohl  nie  in 
einem  so  kleinen  Staate  war  erlebt  worden,  ein  Umsturz, 
der,  weil  er  selbst  das  für  geheiligt  geltende  Legitimitäts- 
recht  über  den  Haufen  warf,  weithin  das  grölste  Aufsehen 
erregte  und  dem  Bundestage,  dem  höchsten  Üüter  der  öffent* 
liehen  Ordnung  in  Deutschland,  die  peinlichste  Verlegenheit 
bereitete.  Es  ist  bereits  erwähnt  worden,  dafs  nach  dem 
Tode  des  Herzogs  Friedrich  Wilhelm  im  Jahi-e  1815  der 
damalige  Prinz- Regent  von  England  die  Regentschaft  des 
Herzogtums  und  zugleich  die  Vomiundschatt  über  die  bei- 
den hinterlassenen  Prinzen  Karl  und  Wilhelm  übemommen 
hatte,  von  denen  jener  (geboren  am  30.  Oktober  1804)  noch 
nicht  elf,  dieser  (geboren  am  25.  April  180G)  noch  nicht 
neun  Jahre  zählte,  als  den  Vater  ein  jäher  Tod  hinweg- 
raflFte.  Diese  Übernahme  geschah  einerseits  auf  Grund  der 
bestehenden  Hausverträge,  anderseits  kraft  eines  Te«ta.mente«, 
in  welchem  der  Vater  der  beiden  Prinzen  ftir  den  einge- 
tretenen Fall  diese  Vertrag  als  seinem  persönlichen  Willen 
durchaus  entsprechend  bezeichnet  und  dem  Grafen  Münster, 
dem  damaligen  leitenden  Staatsmanne  in  Hannover,  sein 
Land  und  seine  Kinder  noch  besonders  ans  Herz  gelegt 
hatte.  Aber  weder  dieser  noch  der  Prina-Regent  vermochte 
sich  eingebender  mit  den  Angelegenheiten  des  Landes  zu 
beschäftigen.  Sie  safsen  fem  von  seinen  Grenzen  iu  Eng- 
Jand  and  überUefsen  die  Sorge  für  die  Regierung  und  Ver- 
waltung des  Landes  äem  Wctö^vOcär  QftWvatatakoll^um. 


Die  neue  Lands chaftsordnuug  für  Braunschwcig. 


417 


Die  Seele  des  letzteren  war  der  Geheimerat  von  Schmidt- 
Pliiscldeck,  ein  Mann  von  grofsor  Arbeitskralt,  etwas  nücb- 
tern^  aber  mit  einem  scharfen  Blick  für  alles  Praktisebe  und 
einer  bemerken  si^erten  Qeschäftskenntnia.  Kr  hatte  aich 
bon  des  Vertrauens  des  verstorbenen  Herzogs  erfreuet,  der, 
ie  erwiihnt,  die  Vertretung  der  Interessen  seines  Hauses 
^und  seines  Herzogtums  beim  Wiener  Kongreis  in  seine 
Hände  gelegt  hatte.  Auch  in  Braunschweig  wurden  nach 
dem  Sturze  Napoleons  die  alten  »taatliehen  Verhältnisse,  wie 
sie  vor  der  Fremdherrschaft  bestanden  hatten,  im  wesent- 
lichen wieder  hergestellt.  Einen  Augenblick  hat  man  auch 
wohl  an  die  Wiedereinrichtung  der  Helmstedtcr  Hochschule 
gedacht  Allein  schon  die  Lage  der  Landesänanzen ,  die 
grofse  Sparsamkeit  erheischte ,  verbot ,  diesen  Gedanken 
auszuführen.  Dagegen  wuide  die  alte  laud ständische  Ver- 
fassung, welche  auf  Verträgen  der  Regierung  mit  der  Land- 
schaft beruhete,  wieder  ins  Leben  gerufen.  Man  ging  da- 
mit auf  die  Zeiten  des  Herzogs  Karl  I.  zurück.  Diese  Ver- 
fassung gewährte  der  Landschaft,  deren  Zusammensetzung 
frülier  (II.  237)  dargelegt  worden  ist,  ausgedehnte  Rechte, 
die  noch  im  Jahre  1770  von  der  Regierung  bestätigt  worden 
waren,  darunter  das  Recht  des  ungebotenen  Zusammentritts. 
In  „der  gesamten  Landschaft  Privilegien  und  Befugnissen 
vom  9.  April  1770"  heifst  es  inbezug  hierauf:  „Gletreuer 
Landschaft  ist  gestattet,  sich  zur  Beratung  der  Landesnot- 
durft vermöge  hergebrachter  alter  Fi*eiheit  in  zugelassenen 
Fällen  zusanimeuzubescheiden,  welches  für  keine  verbotene 
Conventicula  und  Consplrationes  gehalten  werden  soll."  Die- 
ser alte  Landtag  ward  nun  auf  Antrag  der  Ritterschaft  im 
Jahre  1819  unter  Zuziehung  auch  der  bis  dahin  selbstän- 
digen Landschaft  des  Füräteutums  Blankenburg  zusammen- 
berufen, um  eine  neue,  den  Ansprüchen  der  Zeit  entgegen- 
kommende Landscbaftsordnung  zu  beraten.  So  kam  die 
„Erneuerte  Landschaftsordnvmg"  zustande,  die  am  25.  April 
1820  von  dem  Obervormunde  in  London  bestätigt  ward. 
Sie  führte  zwei  völlig  gleichberechtigte  Kammern  ein,  von 
denen  die  erste  durch  sechs  Prälaten  und  die  Ritterschaft 
des  Landes  gebildet,  die  zweite  aber  aus  sieben  Prälaten, 
neunzehn  städtischen  xmd  ebenso  vielen  Abgeordneten  des 
bisher  noch  unvertretenen  Standes  der  bäuerlichen  Grund- 
eigentumer zusammengesetzt  sein  sollte.  Man  erkennt  un- 
schwer, dafs  dieser  Verfassung  diejenige  von  Hannover  aus 
dem  Jahre  1819  zum  Vorbilde  gedient  hat.  Die  früheren 
Rechte  der  Stände  wurden  durch   sie   in   keiner   Weise   ge- 


418 


Drittes  Buch.     Erster  Abschnitt. 


BcLmälert^  namentlich  jenes  Kecht  des  ungebotenen  Zasam- 
meutritta  durch  folgende  Worte  der  erneuerten  Lt^ndschai^- 
Ordnung  ausdrucklich  bestätigt :  „  Dergleichen  Zusammen* 
trctnngßu  können  auch  von  den  Mitgliedern  der  Laud&chail 
selbst  eingeleitet  worden ,  wenn  sie  eine  besondere  Vei-an- 
lassuug  zu  haben  glauben,  über  Gegenstände  von  gemein- 
saiiieni  Interesse  sich  zu  beratschlagen,  jedoch  mufs  vor  der 
wirkliclien  Versammlung  sulhnt  davon  und  von  dem  Zweck 
der  Versammlung  der  Landesherrschaf't  gehörig  Anzeige  ge- 
macht werden."  Die  erste  Stäudeversammlung,  welche  nach 
dieser  neuen  Landschaftsordnuiig  zusammentrat,  zeigte,  dafs 
sie  sich  nicht  der  Notwendigkeit  zeitgemäJ'ser  Reformen  ver- 
Bchlofs.  Sie  sprach  den  Grundsatz  der  Treimung  der  Rechts- 
pflege von  der  Vorwaltung  aus,  höh  die  Patrimonialgerichte 
auf  und  beseitigte  jede  Befreiung  von  den  öffcntHcheu  Ab-  ^^ 
gaben.  Es  suhlen^  als  ob  das  Land  schon  jetzt  in  eine  Ära  ^H 
friedlicher  und  besonnener  Stuatsreformen  eintreten  wüide.    ^jfl 

Inzwischen  war  der  Zeitpunkt  hei*angenahetj  wo  der  Erbe 
des  Landes  nach  den  bestehenden  Ilausgesetzen  das  Alter 
der  Vollj&hriglceit  erreichte  und  somit  die  Regierung  selb- 
ständig  in  die  Hund  nebraen  raufste.  Der  junge  Prinz  hatte 
mit  seinem  Binder  eine  freudlose ,  von  den  Stürmen  der 
Zeit  unheilvoll  beeintlurste  Kindlieit  verlebt.  Ihre  Mutter 
hatten  sie  iriili  verloren,  der  Vutcr  führte,  von  seinen  poU* 
tischüu  Plänen  beherrscht  und  von  Kachedurst  gegen  den 
Usurpator  seines  Landes  oHüllt,  ein  unstetes  Leben.  An 
eine  sorgfältige  Erziehung,  einen  geoi'^nelen  Unterricht  war 
bei  ihrem  stets  wechschiden  Aufenthalte;  bald  in  England, 
bald  in  Schweden  oder  in  Bruclisal  bei  der  ehrwürdigen  ^^ 
aber  schwachen  Orofsmutter ,  der  Markgrätin  Amalie  voa^H 
Baden,  nicht  zu  denken.  Ihr  frühester  Erzieher  war  ein^W 
hcöchrüukter  und  hochmütiger  englischer  GeiätUcher  namens 
Prince,  der  spiitcr  im  Irrenhause  vun  Bediam  gestorben  ist 
Es  wurde  nicht  viel  besser,  als  nach  dem  Tode  Friedrich 
Wilhelms  die  englische  Vormundaehalt  eintrat  und  die  Prin- 
zen zunächst  ihren  Aufenthalt  in  Braunuchweig  nahmen.  Abt 
HofTmeister,  der  jetzt,  noch  von  dem  Hei-zoge  damit  be- 
trauet, die  Leitung  ihrer  Erziehung  übernahm,  klagt  in 
eeiuen  „Tagebuchblättern"  wiederholt  über  den  Mangel  an 
Lerneifer,  über  die  Gleichgültigkeit  und  Trägheit,  welche 
beide  Prinzen  zeigten.  Aber  wäbiend  bei  dem  jüngeren 
neben  einem  ausgesprochenen  Leichtsiim  doch  eine  grolse 
Gutmütigkeit  hervortrat,  cnegte  der  ältere  durch  seine  Ver- 
stocktiieit,  seinen  Hochmut  \md  Trutz  ebenso  sehr  die  Be- 
ßorgDiB   des   würdigen  Lictvete»   ■wVe  Ä.\aO&  %föv&.%  HkiC^^r^juast 


JA 


KegieruiigmauLrJtl  det>  Herzogs  Karl  II. 


419 


und  durch  seiDen  schon  im  Kindesatter  in  hurglicher  Weise 
sich  geltend  machenden  Geiz  Mit  den  Jahren  entwickelten 
»ich  diese  schliionieu  Charakterei^ens ehalten  zu  einem  Des- 
potennaturell  au  böser  und  zugleich  so  kleinlicher  Art,  wie 
es  in  der  neueren  Geschichte  wohl  schwerlich  zum  zweiten 
Male  begegnet.  NamentUch  wuchs  der  Souveränitätsdünkel 
des  jungen  Fürsten  zu  echwiDdclnder  Hohe  und  mit  ihm  die 
Ungeduld;  mit  der  er  der  Stunde  entgegensah,  wo  mit  dem 
Aufhören  der  Vormundschaft  die  hitehste  Gewalt  im  Lande 
in  seineu  Händen  ruhen  wurde.  Vielleicht  waa-  es  der  rich- 
tige Kiu  blick  in  die  dümonischeii  Tiefen  dieses  Charakters, 
der  den  Künig  Georg  bewog,  entgegen  den  Bestimmungen 
des  öfters  erwälinteu  Pactum  Henrico  -  Wilhehuiuuiii  sein 
vormundschal'tliches  Amt  nuch  ein  Jahr  über  den  baus- 
gesctzlich  erlaubten  Termin  auszudehnen.  Erat  zu  Knde 
Oktobers  1823  trat  Karl  IL  nach  vollendetem  neunzehnten 
Lebensjahre  die  vun  ihm  so  heils  ersehnte  Regierung  des 
Herzogtums  au. 

Sogleich  liefe  sieb ,  als  der  Kinzugsjubel  vorüber  war, 
ahnend  voraussagen,  was  das  letztere  von  diesem  Für- 
sten zu  ei-wai'ten  habe.  Absichtlich  vermied  es  der  Herzog, 
die  gebräuchlichen  Keversalien  zu  orteilen,  die  neue  während 
seiner  Minderjährigkeit  vereinbarte  Landschatilsordnung  zu 
beschwören  oder  gar  den  auf  ihr  beruhenden  Landtag  ein- 
zubexufeu.  Drei  Jahre  laug  suclue  er  auf  Reisen,  zumeist 
in  den  grofsen  üppigen  Hauptatädteu  Europas,  sich  für  die 
Einschränkung  zu  entschädigen,  in  der  ihn  die  Vonuund- 
Bchaft  des  Oheims  gehalten  hatte.  Um  die  Regierung  des 
Landes  kümmerte  er  sich  in  dieser  Zeit  nicht.  Übersättigt 
von  Ausschweifungen  und  Genüssen,  ärmer  an  Geist  und 
Gemüt,  als  er  gegangen  war,  kehrte  er  nach  Braunschweig 
zurück.  Alsbald  erklärte  er  (10.  Mai  1827)  die  Verord- 
nungen und  Erlasse  aus  der  Zeit  seiner  Vormundschaft  als 
fUr  ihn  unverbindlich:  namentlich  habe  alles  das,  was  in 
dem  Jahre  der  verlängerten  Regentschaft  geschehen^  keine 
Gültigkeit,  soweit  es  nicht  uocli  nachträglich  seine  Geneh- 
migung erhalte.  Diese  Erklärung  war  eine  persönliche  Be- 
schimpfung seines  Oheims  und  früheren  Vormundes,  des  Kö- 
nigs von  England,  und  mulste  als  solche  von  diesem  em- 
plunden  werden.  Zugleich  ward  der  Geheimerat  von  Schmidt- 
Phiseldeck  entlassen  imd  durch  Drohungen  und  Vorwürfe 
seitens  des  Herzogs  so  eingeschüchtert,  dals  er,  fdi*  seine 
personhche  Sicherheit  besorgt,  heimlich  aus  dem  Lande  ent- 
wich xmd  nach  Hannover  ging,  um  hier  Schutz  tä  ««äW».. 
Und  nun  entspaun  sich  zwiacheu  dem. ^«.xiQ^ft  \vcA.  ^«t  ^^^*sir 


4» 


Drittes  Buch.     Erster  AbschDJtt. 


növrischen  Regierung  ein  Federkri^  so  heiliger,  bitterböser 
Art,  dnfs  er,  wenu  nicht  in  der  Form,  »o  doch  seinem  Wesen 
nach  an  die  Schmähschriften  erinnern  könnte ,  die  einst 
Heinrich  d.  J.  und  die  Schmal kaldener  Fürsten  mit  einander 
ausgetauscht  hatten  (II.  353).  Der  Herzog  liefs  durch 
seine  Kreaturen,  die  er  zum  Teil  erst  ins  Land  gezogen 
hatte,  einen  Wit  von  Döriog,  einen  Klindworth  und  andere, 
verschiedene  Schrifteu  verfassen ,  in  denen  nicht  nur 
Schmidt-Phiseideck,  sondern  auch  die  ganze  vormundscbail- 
liche  Regierung,  namentlich  Grat*  Münster,  in  heftigster  Weise 
angegrifTen  und  die  Beschuldigimg  erhoben  wurde,  man  habe 
die  Absicht  verfolgt,  ihn  durch  seine  Ei-ziehung  körperhch 
und  geistig  zum  Regieren  unfähig  zu  machen.  Darauf  ant- 
wortete Münster  mit  einer  „Widerlegung  der  ehren riihrjgen 
Beschuldigungen,  welche  sich  Se.  Durchlaucht  der  Herzog 
von  Braunschweig  gegen  Ihren  erhabenen  Vormund  erlaubt 
haben",  einer  Schrot,  die  in  ihrer  schroffen  Form  und  mit 
ihrer  höhnischen  Sprache  den  jähzornigen  Fürsten  so  in 
Harnisch  brachte,  dafa  er  den  Grafen  auf  Pistolen  forderte 
und,  als  dieaer  ablehnte,  diese  Fordemng  durch  seinen  Ober- 
botjägormeiater  in  dessen  Namen  wiederholen  liefs.  Die  , 
Sache  nahm  ein  bedenkliches  Ansehn  an.  Schon  sammelten 
sich  hannövrische  Truppen  an  der  braun  seh  weigiachen  Grenze. 
Der  Bundesfriode  schien  bedrohet,  der  Skandal  wuchs.  Ee 
echien  die  höchste  Zeit,  dafs  der  Bund,  an  den  sich  inzwi- 
schen beide  Teile  gewandt  hatten ,  sich  ins  Mittel  legte. 
Aber  hier  wurde  die  Eutscheidung  durch  die  Nachsicht  ver- 
zögert, welche  Mettemieh  und  Osterreich  dem  Herzoge  an- 
gcdcihen  liefscn.  Kret  nach  fast  zweijährigen  Verhandlungen 
erfolgte  am  20.  Aup;ust  1829  der  MehrheitsbeschluTs,  wonach 
der  Herzog  die  Erklärung  vom  10.  Mai  1827  zurücknehmen, 
au  den  König  Georg  IV.  ein  Entschuldigungsschreibeo  rich- 
ten und  Herrn  von  Praun,  steinen  Kartollträger  und  den 
Herausforderer  des  Grafen  Münster,  bestrafen  »^llte.  Als 
der  Herzog  allerhand  Austlüchte  machte,  um  diesen  Boschlufs 
hinauszuschieben,  womöglich  ganz  zu  umgehen,  wurde  ihm 
endlich  die  Bundesexekution  in  Aussicht  gestellt,  worauf  er 
sich  grollend  und  widerwillig  fügte  und  am  'Ji.  April  1830 
die  anstöfsige  Verordnung  aufhob,  freilich  in  einer  Form, 
die  von  den  energischeren  Bundesgliedem ,  namentUch  von 
Preufsen,  fast  wie  eine  Verhöhnung  des  Bundestages  em- 
pfunden ward. 

Zu  diesem  ärgerÜchen  Handel  mit  England  und  dem 
deutschen  Bunde,  der  \\im  die  Femdachaft  des  eratereu  zu- 
zog  und  die  SympatVueen.  der  m^\&\»[vV'aT^wsti  ^sobVja^sxon 


Beine  MUsregiernng.  421 

raubte,  gesellte  sich  zu  der  nämlichen  Zeit  ein  Verfassungs- 
konflikt mit  Beinen  Ständen,  welclier  deren  Aubängliclikeit 
erschütterte,  und  schliefslich  eine  brutale  und  kindi&che 
Alireregieruug  im  Inneren,  welche  die  Treue  seines  Beamten- 
Standes  ertutete  und  selbst  die  Zuverlässigkeit  der  Truppen 
untergrub.  Nachdem  er  mit  dem  Au&^chusae  der  Land»tändc 
bisher  ohne  Anstand  verkehrt  hatte,  erklärte  der  Herzog 
plötzlich,  dafs  er  die  aui'  Grund  der  erneuerten  Landschafts- 
ordnung gewählten  Abgeordneten  nicht  als  Vertreter  des 
Landes  anerkenne,  da  für  ihn  nur  die  Verfassung  von  1770 
rechtsverbindlich  sei.  Die  Folge  war,  dafs  sich  die  Ötände 
mit  einer  Klage  an  den  Bundestag  wandten  ^  während  der 
Herzog  eine  Gegenbesch werde  einreichte ,  so  dafs  die  hohe 
Bvmdesversammluug  sich  schon  wieder  mit  dem  halsstarrigen 
Fürsten  beschäftigen  mufste,  noch  ehe  der  Span  mit  der 
hannövrificfaen  und  englischen  Regierung  geschlichtet  war. 
Ja  er  scheuete  sich  nicht,  mit  ruchloser  Hand  in  den  Gimg 
der  Rechtspflege  seines  Landes  einzugreifen,  indem  er  ein 
zugunsten  seines  ehemaligen  Oberjägermeisters  Freiherru  von 
Sierstorpff,  den  er  des  Landes  verwiesen  hatte,  rechtskräftig 
ergangenes  Urteil  des  herzoglichen  Landesgerichtes  durch 
eine  seiner  Kreaturen,  den  Hofrnt  Fricke,  kassieren  und  in 
voller  Sitzung  des  Gerichtshofes  zerreüsen  liels.  Neben  die- 
sen Akten  fürstlicher  Willkür  in  Staatssachen  entwickelte 
sich  ein  förmliches  System  klein liclister  und  boshaftester 
Quälereien  gegen  Beamte  und  Privatpersonen,  die  sich 
auf  irgend  eine  Weise  des  Herzogs  Ungnade  zugezogen 
hatten.  Urlaubsgesuche  von  verdienten  Beamten  zimi  Zweck 
der  Herstellung  ihrer  Gesundheit  wurden  rundweg  abge- 
schlagen, allen  Beamten  der  Umgaog  mit  Herrn  von  Gramm, 
dem  Bevollmächtigten  der  Stände  in  Frankfurt,  untersagt, 
ja  den  Ärzten  des  Landes  verboten,  bei  der  bevoi'stehenden 
Entbindung  von  dessen  Gemahlin  Hilie  zu  leisten.  Die 
Abte  Lentz  und  HofiPmeister,  beide  bochan gesehene  Geistliche, 
der  letztere  zudem  der  irUhere  Erzieher  des  Herzogs,  mufsten, 
als  sie  bei  Gelegenheit  der  drei  hundertjährigen  Jubelfeier  der 
Reformation  Braunachweiga  von  der  theologischen  Fakultät 
in  Güttingen  zu  Doktoren  der  Theologie  ernannt  wurden, 
ihre  Diplome  zurückschicken.  Einen  anderen  »einer  Lehrer» 
den  Hofrat  Eigener,  der  mit  dem  hannövrischen  Kammer- 
herrn von  Linsingen  seine  spätere  Erziehung  geleitet  hatte 
und  den  der  Herzog  tödlich  halste,  versetzte  er  wider  dessen 
Willen  von  Braunschweig  an  die  Bibliotliek  zu  Wolfen- 
büttcl,  wo  er  in  einer  Art  von  Intemierung  gehalten  wurde. 
,n  trauete  ihm  zuletzt  Alles  zu,  selbst  das  Bösartigste  undL 


^U 


d 


422 


ScheupHlichste.  AU  der  Oberstallmeister  von  Oeynhausen 
plötzlich  starb,  verbreitete  sich  das  Gerücht  und  iViud  bereit- 
willigen Glauben,  er  sei  von  dem  Herzoge  vergiftet  worden. 
Manches  von  dem  Gerede,  das  über  ihn  umlief,  war  ohne 
Zweiiel  grundlos,  aber  schon  das,  was  davon  völlig  be- 
glaubigt ist,  reicht  hin,  um  diese  Hen'schaft  des  zweiten  Karl 
zu  einer  der  ärgsten  und  gehässigsten  Mifaregierungen  zu 
stempeln,  welche  die  neuere  europäische  Geschichte  kennt 

So  standen  die  Dinge  in  Braunschweig,  als  jenseits  dea 
Kbeina  die  Bewegung  ausbrach,  die  den  Thron  des  älte- 
ren Zweiges  der  ßourbonen  zum  drittenmale  über  den  Hau- 
fen werfen  sollte.  Der  Herzog  verlebte  diese  stürmischen 
Tage  in  Paris,  wo  er  sich  im  Sommer  1830  aufhielt.  Sie 
machten  auf  ihn  einen  betäubenden  Eindruck.  Um  seine 
persönliche  Sicherheit  besorgt,  verÜels  er  heimlich  die  Haupt- 
stadt Frankreichs,  legte  deu  Weg  bis  zur  belgischen  Grenze 
verkleidet  und  zum  Teil  zu  Fufs  zurück.  Am  Morgen  des 
13.  August  traf  er  in  Braunschweig  ein,  nur  begleitet  von 
einem  französischen  Abenteurer  Aloard,  der  sich  ihm  unter- 
wegs angeschlossen  hatte.  Kr  fand  einen  solir  kühlen  Em- 
pfang. Nur  eine  kleine  Zahl  von  Unterbeamten  und  Hof- 
bedienäteten  begrüfste  ihn  mit  einem  Fackelzuge.  Die  Masse 
der  Bürger  hielt  sich  fern,  unter  den  höheren  Ständen,  na- 
mentlich dem  Adel,  herrsi^hte  schon  längst  eine  feindliche 
Stimmung  gegen  ihn.  Schon  im  Februar  1830  hatte  der 
Bevollmächtigte  der  Landschaft  in  Frankfurt  die  Zustände 
in  Braanschweig  als  völlig  unhaltbar  bezeichnet.  Höchstens 
bei  dem  Bauer,  der  bei  den  \-om  Herzoge  willkürlich  vor- 
genommenen Ablösungen  seiner  Leistungen  auf  den  Kara- 
mergutcrn  Vorteil  fand ,  und  bei  dem  gemeinen  Soldaten, 
der  in  ihm  den  Sohn  des  bei  Quatrebraa  gefallenen  Helden 
verehrte,  konnte  der  Herzog  auf  einen  Schimmer  von  An- 
hänglichkeit zählen.  Die  unteren  Volksschichten  in  der 
Stadt  Braunschweig  selbst  waren  aufserdera  durch  die  Not, 
welche  der  letzte  strenge  Winter  und  die  Hohe  der  Bntt- 
preiae  erzeugt  hatten,  in  eine  Stimmung  versetzt,  die  auch 
ohne  politische  Motive  leicht  zu  Ausschreitungen  fühmn 
konnte.  Der  Herzog  setzte  diesen  drohendeti  Anzeichen,  die 
ihn  hätten  bedenklich  machen  sollen,  den  horausfordemden 
Trotz  entgegen,  den  wir  an  ihm  kennen.  Man  hörte  ihn 
Hufsem,  er  werde  sich  das  Schicksiil  Karls  X.  nicht  bereiten 
lassen.  Als  ihm  das  Gerücht  mitgeteilt  wurde,  dafs  HeiT 
von  Sieretorpff  nach  Braunschweig  zurückzukehren  gedenke 
und  einige  seiner  Mitbürger  beabsichtigten,  ihm  einen  frennd- 
h'cben  Empfang   zu  bereUen,   ÄroVveXa  ftt,  mit   Kartätschen 


tscuen  ^^ 


unter  das  Gesindel  schiefsen  zu  lapsen.  Ea  hatte  sieb  öeiner 
doch  eine  nervöse  Unruhe  beoiächtigt.  Manche  Anzeichen 
deuten  darauf  hin,  dafs  er  eine  Ahnung  von  den  kommen- 
den Ereignissen  hatte.  Er  suchte  so  viel  Geld,  wie  möglich, 
zusammenzubringen,  nahm  einzelne  der  kostbarsten  Gegen- 
stände, darunter  den  bekannten  Mantuanischeu  Onyx,  aus 
dem  herzoglichen  Museum  in  persönliche  Verwahrung  und 
bereitete   unter    dem    Vorwande   einer   demnilchatigen   Reise 

.  jiach  England  für  den  Notfall  Alles  zu  einer  plötzlichen 
"Flucht  vor. 

Am   1   September  empfing  er  eine  Bürgerdeputation  unter 

^Führung  des  Magiatratsdirektors  Bode,  die  ihm  die  Not  der 
unteren  Klassen  vorstellte,  um  die  Einberufung  der  Laud- 
stände  bat  und  ihn  auf  „die  Unheil  verkündende  Stimmimg 
im  Volke"  aufmerksam  machte.  Der  Herzog  gab  eine  aus- 
weichende Antwort,  erteilte  aber  den  Befehl,  die  Beurlaubten 
einzuziehen,  die  Wachen  zu  verstärken,  scharfe  Patronen  au 

Idie  Truppen  zu  verteilen,  und  Hefs  sogar  sechszehn  Kanonen 
vor  einer  der  Kasernen  auffalu-en. 
.  »Am  Abend  desselben  Tages,  an  welchem  dies  geschah 
jTö.  September),  erfolgte  der  Ausbruch  der  ersten  Unruhen. 
Als  der  Herzog  vor  dem  Schlüsse  der  Vorstellung  das  Theater 
verliefö,  ward  er  beim  Einsteigen  in  den  Wagen  von  einem 
Volkshaufen  mit  Pfeifen  und  wüstem  Geschrei  empfangen. 
Ein  Hagel  von  Steinen  folgte  dem  davon  eilenden  Wagen. 
Als  dieser  vor  dem  Schlosse  ankam,  stund  auch  hier  eine 
Schar  von  Gaffern  und  Schreiern,  die  dann  durch  eine  Ab- 
^B  tetlnng  von  Husaren  mühelos  auseinandergetrieben  ward. 
^■Der  Herzog  hat  spiiter  behauptet,  ea  sei  die  Absicht  ge- 
^^  weaen,  den  Wagen  durcli  über  die  Strafse  gespannte  Stricke 
aufzuhalten,  ihn  aus  demselben  herauszureifsen  und  ihn  zu 
ermorden:  Edelleute^  in  weiisen  Masken  und  mit  Dolchen 
bewaffnet,  seien  die  Häupter  dieser  Verschwörung  und  die 
Leiter  des  Pöbels  gewesen.  Während  der  Nacht  blieb  Alle» 
ruhig.  Trotzdem  liefs  der  Herzog  einen  bedeutenden  Vor- 
rat von  Pulver  aus  dem  aufserhalb  der  Stadt  gelegenen 
Pulverturme  in  die  damals  als  Torfmagazin  dienende  Egi- 
dienkirche  schaffet!,  und  zugleich  verbreitete  sich  die  Nach- 
richt, er  habe  den  Bewohnern  der  dem  Schlosse  gegenüber 
gelegenen  Häuser  eine  warnende  Nachricht  inbezug  der  zu 
erwartenden  Wirkung  etwaigen  Geschützfeuers  zugehen 
lassen.  Dies  steigerte  natürlich  die  herrschende  Aufregung. 
Am  7.  September  mittags  begab  sieh  abermals  eine  Depu- 
tation der  Stadtverordneten  mit  dem  Magistratsdirektor  Bode 
an   ihrer   Spitze   auf  das   Schlofa.      Wie   der    Herzog  achoo- 


^^an 


frtbcr  das  mlMfldrohflBde  FiÜTer  wieder  ans  der  Siadt  hatte 
«BtimiMB  Uasen,  to  gewihrte  er  jelzt  för  die  liuieieu  TTIarwui 
eiDon  Steuererlafii  and  bewilligte  f&r  die  Notleideodea  der 
.Stadt  eine  entsprechende  Summe  Ja  er  gab  selbst  seiiie 
Ztutimmung  zu  der  Krrichtung  einer  B&^erwefar,  die  frei- 
lich nnr  mit  Piken  und  Lanzen  bewaffnet  wciidea  boUIb. 
Dagegen  lehnte  er  die  Beruiung  des  Landtages  auch  jetxt 
ani  das  bestimmteste  ab. 

D&rtlber  war  es  Abend  geworden.  Beim  Anbruch  der 
Dunkelheit  sammelte  eich  wieder  Tor  dem  Gitter ^  das  den 
ÖcblofHplats;  vom  Bohlwege  trennt,  eine  grofse  Menge  von 
Manschen;  darunter  Hauten  von  Gesindel,  das  an&ngs  sieb 
mit  Hfiulen,  Schreien  und  Pfeifen  begnügte,  ab  es  aber  die 
Unthätigkeit  wahrnahm,  in  der  die  vor  dem  Schlosse  auf- 
gesleUten  Truppen  verharrten ,  zu  roher  Gewaltthat  fort- 
schritt.  Schon  begannen  einige  Männer  aus  den  arbeitenden 
Klassen  die  in  dem  eisernen  Gitter  des  Schlofshofes  ange- 
brachten Namenszüge  des  Herzoga  mit  Äxten  zu  bearbeiten, 
andere  inüheten  sich  ab ,  den  in  den  rechten  Flügel  des 
Schlosse»  führenden  Tborweg,  sowie  die  Fenster  der  hier 
im  Erdgcschofs  befindlichen  herzoglichen  Kanzlei  zu  er- 
brechen. Die  Truppen  sahen  dem  allen  in  stumpfer  Teil- 
nahmlüsigkeit  zu.  Und  doch  hätte  ein  krähiger  Angriff 
zweifellos  genügt,  die  Unruhstifter  zu  zersprengen,  die  Ötralse 
zu  säubern,  dem  ganzen  Spektiikel  ein  schmähliches  Ende 
Äu  bereiten.  Jetzt  aber  zeigte  sich  die  Haltlosigkeit  des  Herz(^. 
So  sehr  er  früher  geprahlt,  so  schwach  und  mutlos  war  sein 
Benehmen,  als  die  Gefahr  da  war.  Von  seiner  Umgebung 
bcfitüriot,  das  Aulserste  zu  vermeiden,  stieg  er  zu  Pferde, 
aber  nicbt  um  sich  den  Empörern  entgegenzuwerfen,  sondern 
um  in  Bügleitung  von  zwei  Schwadronen  Husaren  die  Stadt 
zu  verlassen  und  vor  dem  Petrithoi*e  den  lieisewageu  zu 
besteigen,  der  seiner  hier  wartete  und  ihn  aufser  Gefahr 
bringen  sollte.  Den  Befehl  über  die  Truppen  hatte  er  dem 
General  von  Herzberg  anvertrauet,  von  dem  er  spSter  be- 
hauptet hat,  er  habe  an  ihm  wie  Judas  an  seinem  Herrn 
und  Meister  gehandelt,  indem  er  dem  Herzoge  beim  Ab- 
schiede das  feierliche  Hand  versprechen  gegeben,  „dafs  er 
mit  seinem  Kopfe  tiir  Alles  einstehe  und  der  Herzog  ohne 
die  geringste  Besorgnis  seine  Heise  selbst  bis  nach  England 
fortsetzen  könne". 

Herzberg  ist  diesem  Versprechen,  falls  es  wirklich  ge- 
geben  wurde,  nicht  nachgekommen.  Ruhig j  Gewehr  bei 
Fufs,  standen  die  Truppen  vor  dem  Schlosse,  ohne  dafs  auch 
aar  der  Versuch  einer  AW^  d^t  iv\m  bereinbrecbend^ 


n 


^1 


Aufruhr  in  Braonacbweig'. 


4'2b 


Verwüstung  gemacht  worden  wäre.  Denn  inzwLsclien  hatte 
das  Gesindel  sich  gewaltsam  den  Eingang  in  die  Kanzlei 
gebahnt  und  verbreitete  sich  von  hier  über  die  andei-en 
Teile  des  Schlosses.  Ks  begann  eine  Plünderung  und  Ver- 
wüstang  des  letzteren,  die  jeder  Beschreibung  spottet.  Und 
während  man  Thüren  zertrümmerte,  Schränke  und  Schreine 
erbrach,  Kleider,  Wäsche,  Kostbarkeiten  aller  Art  raubte, 
schlugen  aus  den  zersprengten  Fenstern  der  Kanzlei  die 
Vorboten  des  zerstörenden  Elementes  heraus,  das  man  hier 
entles&elt  hatte.  Mit  rasender  Schnelligkeit,  von  niemand 
bekämpft,  von  den  Plünderern  geflissentlich  gescbtlrt,  ver- 
breitete sich  das  Feuer  über  alle  Teile  des  Gebäudes.  Im 
Nu  war  das  ganze  Schlofs  ein  einzages  Flammenmeer,  das 
Alles,  was  nicht  vorher  hinweggeschleppt  war,  verzehrte  und 
verschlang.  Hier  ging  auch  ein  Teil  von  dem  Archive  des 
braunschweig-lüneburgi  scheu  Gesamthauses  zugrunde,  das  der 
Herzog  kurz  vorher  aus  dem  St.  Blasienstifte  hatte  in  das 
Schlofs  überiuhren  lassen:  was  von  diesen  unersetzlichen  Zeug- 
nissen der  Vergangenheit  nicht  verbraunte,  ward  von  dea 
Meuterern  zerstreut  und  verschleppt.  Mit  Mühe  und  nur 
durch  einen  Zufall  gelang  es,  den  Inhalt  des  Schatzgewölbes 
und  der  Silberkammer,  sowie  einen  Teil  wenigstens  der 
Schriftstücke  und  Kunatschiltze  zu  bergen.  Es  ward  dies 
ermögliclit  durch  einige  Schüsse ,  die  plötzlich  hinten  im 
Schlofsgarten  fielen  und  die  genügten,  um  die  Plünderer  und 
Verwüster  zeitweise  aus  dem  Schlosse  und  selbst  aus  dem 
Schlofshüfe  zu  verscheuchen.  Als  der  Morgen  des  8.  Sep- 
tembers anbrach,  war  das  schöne  Gebäude,  das  seit  fast 
einem  Jahrhundert  die  Residenz  des  i^lrsteuhauaes  gewesen, 
nur  noch  ein  wüster  Trümmerhaufen.  Der  rechte  Flügel 
lag  vöUig,  der  linke  halb  in  Asche,  das  sie  verbindende 
Hauptgebäude  war  bis  aui"  die  äufseren  Mauern  ausge- 
brannt. 

Der  Aufruhr  hatte  sein  Ziel  erreicht.  Der  Herzog  war 
foil,  das  Schlofs  geplündert,  Stadt  und  Land  befanden  sich 
in  der  Gewalt  dea  souveränen  Volkes.  Wie  diese  merk- 
würdige Revolution  gelingen  ,  wie  ein  seinem  Fürstenhause 
mit  seltener  Liebe  anhangendes  Volk  sich  zu  solchen  rohen 
und  vandalischen  Ausschreitungen  fortreifsen,  eine  durch 
Mut  und  Treue  gleich  ausgezeichnete  Truppe  sich  zu  so 
verhängnisvoller  Passivität  dem  Aufstande  gegenüber  be- 
stimmen lassen  konnte,  erscheint  heute  noch  wie  ein  unge- 
löstes Rätsel.  Der  vertriebene  Herzog  hat  stets  behauptet, 
dafs  er  das  Opfer  einer  von  langer  Hand  angesponnenen 
und  aorgtUltig  vorbereiteten  VeiBC-Vi'wÖTM\i^  ^(cwot^'a.  -aä-^  'Ä& 


k 


426 


Drittes  ßucb.    Erster  Abschmtt- 


deren  Mitglieder  er  eine  Anzahl  Lervoiragender  Edelleute 
und  höherer  Beamte  ansah,  als  deren  eiß;eutliche8  Haupt  er 
aber  den  Herzog  Wilhelm,  seinen  jüngeren  Bruder,  bezeich- 
nete, dem  das  Fürstentum  <)Is  in  Schlesien  bei  der  Erb- 
teilung zugefjilleti  war  und  der  damals  bei  den  Garde-Ulanen 
in  Berlin  im  proufsischen  Heere  diente.  Das  letztere  ist 
entschieden  eine  Verleumdung,  die  durch  des  Prinzen  Cha- 
rakter cbonsü  bestimmt  widerlegt  wird,  wie  der  weitere  Ver- 
lauf der  Ereignisse  ihre  Unwahrheit  darthut  Heraog  Wil- 
helm eilte  allerdings  auf  die  Kunde  des  Gesiihehenen  Bofort 
von  Berlin  nach  Braunschweig,  wo  er  schon  am  dritten 
Tage  nach  der  Katastrophe  eintraf,  um  weiteren  Ausschrei- 
tungen vorzubeugen  und  für  die  Herstellung  der  Ordnung 
zu  aorgen.  Aber  er  hatte  sich  zu  diesem  Schritte  wesenüich 
durch  die  dringenden  Vorstellungen  des  Königs  Friedrich 
Wilhelm  HI.  von  Preufsen  bestimmen  lassen.  Es  gelang 
ohne  zu  grufse  Mühe,  die  Ruhe  und  äufsere  Ordnung  her- 
zustellen und  aufrecht  zu  erhalten.  Eine  Bürgerwehr  ward 
errichtet,  die  im  Verein  mit  den  Truppen  jeden  wei-, 
teren  Tumult  verhinderte.  Am  27.  September  träte 
die  Landstände  zusammen  und  richteten  an  den  Herzog 
Wilhelm  die  Bitte,  als  Statthalter  und  im  Namen  deines' 
Bruders  die  Regierung  zu  überuehmen,  welche  dieser  „nach 
den  Grundsätzen  des  allgemeinen  Staatsrechtes"  nicht  tbrt-^i 
zuführen  vermöge.  Da  der  nach  London  gefllichtote  Karl^^^H 
von  den  englischen  Ministem  gedrängt,  sich  inzwischen  her-^^ 
beigelassen  hatte,  eine  Vollmacht  auszustellen,  welche  seinem 
Bruder  als  Generalgouverneur  vorläufig  die  Regierung  des 
Herzogtums  übertrug,  so  ging  dieser  unbedenklich  auf  die 
Vorstellungen  der  Stände  ein.  Er  erklärte  am  28.  Septem- 
ber, dafs  er  „sich  veranlafat  gefunden,  die  liegierung  bis 
auf  weiteres  zu  UbBrnehmen".  Nun  aber  begannen  erst  die 
Schwierigkeiten.  Die  Hijfe  von  Berlin  und  London,  an 
welche  sich  die  Stände  und  der  neue  Regeut  um  Rat  in- 
bezug  auf  die  weitere  Ordnung  der  Angelegenheit  wandten, 
zeigten  sich  doch  in  hohem  Grade  zurückhaltend.  Man  kam, 
da  man  sich  der  Unmöglichkeit  der  Rückkehr  des  vertrie- 
benen Herzogs  nicht  wohl  verschliefsen  konnte,  dahin  über- 
ein, ihn  womöglich  zu  einem  freiwilligen  Verzicht  auf  die 
Krone  zu  bewegen.  In  England,  wo  soeben  der  Thron- 
wechsel stattgefunden  hatte,  verhandelte  der  neue  König 
Wilhelm  IV.  dieserhalb  durch  seine  Minister  und  persönlich 
mit  seinem  Neffen.  Allein  dieser  erklärte  sich  zwar  nach 
längerem  Sträuben  bereit,  seinem  Recht  auf  den  Thron  za 
entsagen^  erhob  dann  a\>er  ao  \L\i^ic\s\ftV>eiÄ  (ie^nforderungen, 


Einfall  deR  Herzo;;8  in  das  Land. 


4i7 


dafs  sich  die  Sache  zersclilug.  Nun  liefs  Preufsen  in  Lon- 
don den  Vorsclilüg  machen,  die  Angelegenheit  in  der  Weise 
zu  ordnen,  dafs  die  Agnaten  des  Brunn  seh  weiter  Hauses  mit 
Genehmigung  des  Bundestages  einen  rechtsgültigen  Zustand 
im  Lande  herstellten.  Den  Weg  dazu  erkannte  man  in 
einer  von  den  Agnaten  zu  erlassenden  Erklitrung,  wonach 
dem  Herzoge  Karl  in  Anbetracht  »eines  hinreichend  bekun- 
deten Geistes-  und  Gemütszustandea  die  Regieruugsiahigkeit 
abgesprochen  würde.  In  der  That  hatte  dieser  nicht  nur 
durch  seine  offenkundige  Mifsregierung,  souderu  auch  dui-ch 
sein  freches,  trotziges  und  herausforderndes  Gebahreu  nach 
seiner  Vertreibung  die  Sympathieen  selbst  seiner  letzten  und 
beharrlichsten  Freunde  verscherzt.  Er  wagte  jetzt  ein  Unter- 
nehmen, das  ihn  durch  die  Art  und  Weise,  wie  es  ausge- 
führt ward,  um  den  Rest  der  ihm  noch  immer  bewiesenen 
Rücksicht  der  Grorsniaclite  bringen  und  diesen  zugleich  die 
Notwendigkeit  darthun  mufste,  so  bald  wie  irgend  möglich 
durch  eine  endgültige  Entscheidung  der  Wiederkehr  ähn- 
licher Versuche  vorzubeugen  uud  die  Zukunft  des  Braun- 
Bchweiger  Landes  vor  weiteren  gcwaltsaniun  Erschütterungen 
sicher  zu  stellen. 

Ära  9.  November  vcrliefs  der  Herzog  Karl  in  aller  Stille 
England.  Zehn  l^age  später  tauchte  er  in  Frankfurt  auf, 
von  wo  er  die  seinem  Bruder  erteilte  Bestallang  als  General- 
gouverneur dets  Herzogturas  widerrief.  Reiclilich  mit  Gelde 
versehen,  hatte  er  den  Entachlufa  gefafst,  die  Wiederge- 
winnung seines  Landes  durch  einen  Eintiall  in  dasselbe  zu 
versuchen.  In  seiner  Begleitung  befand  sich  aufser  einem 
altbraunachweigischen  Otitiziere  namens  von  Garssen  der 
frühere  bayerisiche  Lieutenant  Bender  von  Bienenthal.  Mit 
ilmen  reiste  er  zureichst  nach  Fulda,  von  wo  er  den  Lieu- 
tenant von  Garssen  an  seinen  Bruder  Wilhelm  nach  Braun- 
schweig, Beudci'  aber  nach  dem  Harze  voraussandte,  um 
unter  der  armen  Bevölkerung  des  Gebirges  durch  Austeilung 
von  Geld  und  Versprechungen  Anhänger  für  ihn  zu  werben. 
Er  selbst  folgte  dem  letzteren  nach  einigen  Tagen.  Aber  in 
Gotha  erhielt  er  die  Nachricht,  dafs  sein  Enjisf^är,  sobald  er 
die  brauuachweigisehe  Grenze  überscln'itten  hatte ,  in  Haft 
genommen  und  auch  Lieutenant  von  Garssen  samt  dem 
schon  von  London  aus  nach  Braunschweig  geschickten  Haupt- 
mann Sommer  angehalten  und  in  Gewahrsam  gebracht  sei. 
Nichtsdestoweniger  setzte  er  seine  Reise  fort  uud  langte  am 
29-  November  in  der  prcufaischen ,  nahe  der  braunschweig- 
ischen  Grenze  gelegenen  Stadt  Ellrich  an.  Hier  sammelte 
»ich  um  ihn  ein  Haufen  armen  Volke*  ^  Tftft\%\.feVÄ  ?oi&  ^-wx 


b 


&B  Drittes  Buch.    Erster  Abschnitt. 

Harzdorfe   HohegoÜB,    welcher,   die   aus   Frankreich   mitge- 
brachten Kokarden  mit  den  roToIutionären  franzüsisuhon  Far-  ^m 
ben  an  Mützen  und  Pfuten,  mit  ihm  über  die   braunsehwei-  ^| 
giache  Grenze  vorzudringen  versuchte.    Aber  bei  Zorge  trat 
üim  eine  Abteilung  der  schwarzen  Jäger    unter   dem  Bel'ehl 
des   Hauptmanns   lierner   entgegen   und    nütigte   ihn^  unter 
Zurückla69ung  der  mitgebrachten  Kokarden  und  der   dema- 
gogisch verführerischen  Aufrufe,  in  denen  er  dem  Volke  alle 
Herrlichkeiten   der   französischen   Verfuösung,    selbst  Steuer- 
freiheit für  die   ärmeren  Klassen,    versprach,    den   KUckzug 
anzutreten.      Er   wandte   sich   nach   Osterrodc,    von    wo   er, 
durch  einen  Volkshaui'eu   verhöhnt  und   bedrohet,   heimlich  ji 
zu   Ful's   entfloh,  bia    er   die   nächste  Poststation    erreichtc^H 
Über  Gotha,  Mainz  und  Metz  ging  er  nach  Paris  ^B 

Dieser  thörichte,  mit  dem  Aufputz  revolutiouiii'en*L>emA- 
gogeutums  in  Scene  gesetzte  Putsch  brachte  in  die  üoer  die 
Braunschweiger  Angelegenheit  schwebenden  Verhandlungen 
der  BundesveiTsammlung  einen  rascheren  Zug.  Selbst  Oster- 
reich, das  bisher  noch  hartnäckig  die  legitimen  Kechte  de» 
Herzogs  verteidigt  hatte,  schlofs  sich  jetzt  den  preufaischen 
und  bannüvi'i sehen  Anträgen  an.  Der  ßundestag  einigte 
sich  am  2.  Dezember  1K30  zu  einem  taut  einstimmigen  Be- 
schlüsse, der  den  Herzog  Karl  lür  regieriuigsunlahig  erklärte, 
den  Herzog  Wilhelm  zur  vorläufigen  Weiterfiihrung  der  Re- 
^erung  ermächtigte  und  den  Agnaten  anheimgab,  „die  de- 
finitive Anordnung  der  Angelegenheit  für  die  Zukunft  zu 
erwirken ".  Damit  war  freilich  die  Sache  immer  erat  ftir 
den  Augenblick  geregelt :  für  die  Zukunft  standen  noch  liarte 
Kämpto  bevor.  Vor  allem  erregte  die  doreinstige  Erbfolge- 
frage  allerseits  grofse  Bedenken:  man  konnte  doch  mit  der 
Regierungsuniähigkeitserklärung  des  Herzogs  nicht  zugleich 
diejenige  seiner  etwaigen  späteren  Kinder  aus  einer  standes- 
gemäfsen  Ehe  ausspreclien.  Von  den  deutschen  Grofsmachten 
betrieb  Preulsen  mit  aller  Energie  die  wirkliche  Einsetzung 
des  Herzogs  Wilhelm  auf  den  Thron  seiner  Väter,  Öster- 
reich seinerseits  setzte  dagegen  alle  Hebel  in  Beweguug. 
Jenes  liels  sich  von  politischen  Opportunitätsgründcn  leiten, 
dieses  verteidigte  die  Grundsätze  der  Legitimität.  Endlich 
wagte  Herzog  W^ilhelm,  von  Preuisen  ermutigt,  eine  Art 
von  ÖtiuitßBtreich.  Am  20.  April  IHil  erliefs  er  eine  Be- 
kanntmachung ,  in  der  er  dem  Lande  seinen  Regierungs- 
antritt kundthat,  diesen  Schritt  mit  dem  Hinweise  auf  die 
offenkundigen  Thatsachen  nnd  aul"  den  ergangenen  Buudes- 
tagsbeschluis  rechtfertigte  und  erklärte,  dals  er  nach  Er- 
teiliiug  der  Reversaiien  und  nach  Aalhebong  des  bisherigen 


Hetiog  Wilhelm  übernimmt  die  Regierung. 


ii» 


Unterthanenverbandes  die  Huldigung  des  Landes  entgegen- 
nehmen  werde.  Diese  ert'olgie  dann  fünf  Tage  darauf,  am 
Geburtstage  des  Herzogs,  unter  allgemeiner  Teilnahme  und 
dem  Jubel  der  Bevölkerung.  Die  gegen  diese  Mafsnabmeu 
eingelegten  Proteste  des  Herzogs  Karl  blieben  ebenso  er- 
folglos wie  das  Widerstreben  Osterreicbs  und  seiner  Partei- 
genossen beim  Bundestage  Kachdem  die  Agnaten  des 
brauuschweigischea  Hauses  dem  früheren  Bundestagübeschlusae 
gemäfä  am  24.  Oktober  1831  ein  auch  von  sämtlichen  eng- 
lischen Prinzen  unterzeichnetes  Hausgeaetz  vereinbart  hatten, 
kraft  dessen  sämtliche  Mitglieder  des  Hauses  vor  Eingehung 
einer  Ehe  fortan  die  Zustimmung  des  regierenden  Herrn 
der  betreffenden  Linie  einholen  sollten,  fand  die  Angelegen- 
heit, die  so  vielen  Staub  aufgewirbelt  hatte,  damit  ihren 
endgültigen  Abschluß,  dafs  am  12.  Juli  1832  der  vom  Her- 
BOge  Wilhelm  mit  der  Vertretung  Braunschweigs  am  Bunde 
beauftragte  Herr  von  Marschall  als  solcher  einstimmig  zu- 
gelassen und  von  der  Versammlung  als  berechtigtes  stimm- 
führendes  Mitglied  feierlichst  anerkannt  ward.  Herzog  Karl 
hat  nach  diesen  Ei-eiguisäea  noch  zweiund vierzig  Jahre  im 
Auslande  gelebt,  bald  in  London,  bald  und  zumeist  in  Paris, 
und  durch  Exzentricitäten  aller  Art  viel  von  sich  reden 
gemacht.  Eine  von  ihm  angebHch  im  Jahre  1832  auge- 
zettclte  Verschwörung  zum  Umsturz  der  bestehenden  Re- 
gierung, deren  iSeele  die  Gräfin  Görtz-Wrisberg  sein  sollte, 
ergab  doch  in  der  Untersuchung  darüber  ein  sehr  zweitel- 
hat'tes  Resultat  Karl  erlebte  noch  den  frauzösisch-deutschen 
Krieg  von  1870  und  1871,  die  Belagerung  von  Paris,  die 
Gründung  des  neuen  deutschen  Reiches,  den  Aufstand  der 
Kommune.  Entsetzt  über  die  Greuel,  die  damals  Paris  in 
Blut  und  Flammen  tauchten,  floh  er,  wie  einst  nach  den 
Julitagen,  aus  der  Stadt,  aber  nicht  nach  Braunschweig, 
sondern  nach  Genf,  wo  er  bald  darauf  starb  (l8.  August 
1873),  indem  er  die  Stadt  zur  Univcrsalerbiu  seiaos  kolossalen 
Vermögens  einsetzte. 

Über  die  ersten  achtzehn  Jahre  der  Regierung  des  Her- 
zogs Wilhelm  können  wir  mit  wenigen  Worten  hinweg- 
gehen. So  arm  sie  an  äufaeren  bedeutenden  Ereignissen 
waren,  so  Begensreich  erwiesen  sie  sich  für  die  innere  Ent- 
wicklung des  Landes.  Durch  die  jüngsten  Ereignisse  hatte 
sich  die  ReformbedUrftigkeit  der  von  dem  Bundestage  eben 
erst  (4.  November  1 830)  als  zu  Recht  beatehenden  Ver- 
fassung von  1820  herausgestellt.  Man  ging  deshalb  noch 
in  demselben  Jahre,  in  welchem  Herzog  Wilhelm  die  Re- 
gierung übernahm,  an  eine  Revision   und  Umgestaltung  der 


4;;0  Drittes  Buch.     Erster  Alucbaitt. 

orneuerteti  Landschaitsordnung.  Nach  längeren  Verhand- 
Imigea  der  von  der  Landschaft  zu  diesem  Zweck  gewählten 
KomtniflÄJon  mit  der  Regierung  kam  am  12.  Oktober  1Ö32 
auf  vcM-tragsinülrtigem  Wege  ein  neues  Staatsgrundgesetz  zu- 
gleich mit  den  damit  zusammeubängenden  Veiändcrujagen 
im  StaatftOJ'gani'iinus  zustande,  das  eine  angenieaseuere  Wahl- 
ordnung einttilirtf:  und  überhaupt  den  Fordeningen  der  neueren 
Zeit  entspreelieiid  Rechnung  trug.  Und  nun  begann  auf 
allen  Gebieten  des  Staatölebeiis  eine  rege  Rcf'ormthätigkeit, 
bei  welcher  Regierung  und  Stände  meist  in  erireulicher 
Weiße  Hand  in  Hand  gingen.  Die  erste  nach  dem  neuen 
Wuhlj^ewtze  zusammentretende  LandesA-ersanimlung  tagte 
vom  30.  Juli  lH3:i  biK  in  den  Mai  18^5.  Von  der  greisen 
Aiiy.uhl  mmer  Gesetze,  die  von  diesem  Landtage  mit  der 
Regierung  vereinbart  wurden,  war  keines  von  gi'ölserer  Be- 
deutung als  die  Ablösungsordnungj  durch  welclie  endlich 
der  Grund  zu  der  liefreiung  des  Bauernstandes  von  den  ihn 
in  seiner  wirtsc  halt  lieben  Entwicklung  hemmenden  Lasten 
und  Abgaben  g'iegt  ward.  Daneben  verdient  die  Städte- 
ordnung hervorgehoben  zu  werden,  die  für  die  Ausgestaltimg 
des  kommunalen  Lebens  eine  ähnliche  Bedeutung  hatte  wie 
jene  tiir  die  Forderung  und  das  AufbUüien  der  Landwirt- 
schaft. Am  meisten  umstritten  waren  während  dieses  Land- 
tages die  Vorschlilge  der  Regierung  inbezug  auf  die  Er- 
richtung eines  dem  ijs-eufsischeu  Zollvereine  entgegeuzusetzen- 
dou  Stcuervereit]s  mit  Hannover^  der  bereits  durch  vor- 
läufigen Vertrug  vom  1.  Mai  1834  ins  Leben  trat.  Mit 
nur  geringer  Mehrheit  ward  diesej*  Vertrag  sebliefslich  von 
den  Ständen  angenommen.  Nach  Schlufs  der  Verhand- 
lungen traten  ihm  noch  Oldenburg  und  Schaumburg- Lippe 
bei,  so  dafa  diese  nordwestliche  Gruppe  der  deutschen  Staa- 
ten fm'tttu  ein  eigenes  abgeschlossenes  Zollgebiet  bildete. 

Weniger  bedeutend  und  folgenreich  wa]*en  die  Verhand- 
lungen des  zweiten  ordentlichen  Landtages  von  1 83G  bis 
1837-  Abgesehen  von  der  Bewilligung  der  zu  dem  B:iu  der 
Eisenbahn  von  Braunschweig  nach  Harzburg  erforderlichen 
Summe  kam  auf  ihm  nur  das  Gesetz  über  die  AUodiiikation 
(Aufhebung)  der  Foudalrcchte  zustande.  Dagegen  beschenkte 
dei*  dritte  ordentliche  Landtag  (1Ö3Ü  — 1812)  das  Land  mit 
einem  neuen  vortrefflichen ,  von  dem  Staatsrainister  von 
Schleinitz  bearbeiteten  Kriminalgesetzbnche,  das  mit  dem 
1.  Oktober  1M4U  in  Kraft  trat.  Auch  bewilligten  die  Stände 
zimi  Bau  der  Eisenbahn  von  AA'olfenbüttel  nach  Oschers- 
kheD,  deren  Fortsetzung  U*  MÄ^d&buvg  dann  eine  Aktien- 
geseUschüft  übernahm,  die  Ä-Axnwxt  n^u  \?»VftVis*i '^WWta. 


I 


Staudeversaoiuiluugeu  iu  Brauuachweig. 


431 


ie  bedeutsamsten  Vei'handlungen  abor  dieses  Landtagcti 
drelieten  sich  um  die  Zoll-  und  JSteuerPcrhUituißse  des  Lan- 
des. Öclion  im  Jakre  1837  hatte  eine  auiäcrordentlichc  Ver- 
sammlung der  ätäude  den  Auaehlufa  des  fast  ganz  von 
preafsischem  Gebiet  umgebenen  ehemaligen  FUrbteatums 
Blaiikeuburg  und  der  Enklave  Kalvörde  an  den  preufaißch- 
'.eutscheu  Zollverein  beschliel'sen  müssen,  da  dicöcn  Land- 
baHen  anderufalla  eine  baldige  völlige  Verarmung  bevor- 
ustehcn  schien.  Nun  lief  mit  dem  £nde  des  Jahres  ltJ41 
[er  mit  Hannover  geschlofseue  Vertrag  über  den  Steuer- 
■ercin  ab,  imd  es  fragte  eich,  ob  es  im  Interesse  des  Her- 
zogtums liege,  ihn  zu  erneuern.  Die  darüber  mit  der  liau- 
novrischen  Regierung  angeknüpften  Vcrhandlungeu  luhrten 
zu  keinem  Ziele.  Ka  ergaben  sich  zwiÄclicn  hier  und  dort 
so  abweichende  Ansichten,  dai'a  sie  abgcbrnchen  werden 
muJsteu.  Die  herzogliche  Regierung  wandte  sich  infolge 
davon  an  den  preiUsiscb  -  deutscheu  Zollverein  und  sehlolä 
mit  der  preulsischen  Jtegierung  am  VJ.  Oktober  1841  ein 
Abkommen,  wonach  die  Angliederung   des  Herzogtums  mit 

P Ausnahme  seines  südwestlichen  Teils  an  den  preufsischen 
Zollverein  eriblgte.  Der  Ansehluls  auch  dieser  südwestUchen 
Gebietsteile,  die  vorläufig  noch  in  der  alten  Ötcuerver  bin  düng 
mit  Hannover  blieben,  land  dann  mit  Genehmigung  des 
vierten  Landtages,  der  im  November  J842  zusammentrat, 
am  1.  Jauuru'  1844  statt.  Im  übrigen  brachte  dieser  Land- 
tag nicht  eben  viel  Erapriefsliches  zustande,  mit  Ausnahme 
einiger  neuen  Eiseubuhnbauteu,  namentUch  derjenigen  nach 
Hannover,  si)weit  sie  auf  braun  seh  weigischem  Gebiete  ange- 
legt wurden.  Ein  AutJ'ag  auf  Oflcnthchkeit  der  stäudischen 
Verhandlungen  ward  von  ihm  abgelehnt  und  auch  das  Zu- 
standekommen der  längst  in  Aussicht  genommenen  Land- 
gemeinde Ordnung  scheiterte  an  der  leuweiao  ablehnenden 
Haltung  der  Regiemng.  Als  dann  im  November  184&  der 
fünfte  ordentliche  Landtag  sich  versammelte,  kam  es  zwischen 
den  Ständen  und  der  Regierung  über  das  Staatsbudget  zu 
unerquickhchen  Auseinandersetzungen.  Jene  wollten  dui'ch- 
aus  die  Ausgaben  für  das  Mihtär  einschränken,  wählend  die 
Regierung  sich  nach  dieser  Richtung  hin  auf  nichts  eüiliels. 
So  kam  diesesmal  kein  ordnungsmüfaiger  Etat  zustande. 
Dennoch  hielt  sich  die  Rcgierimg  für  berechtigt,  die  Steuern 
fiir  die  laufende  Fiiinnzpcriode  zu  erheben.  Es  drobeteu 
mithin  \\'eiteriingcn  zwischen  den  verfassungsmäCsigeu  Fak- 
toren auszubrechen,  als  die  Ereignisse  des  Jahres  1848  der 
Regierung  wie  den  Ständen  ganz  andere  Aufgaben  zu  atÄUavL 
und  andei-e  Ziele  zu  weisen  acbxcweu. 


432  Drittes  Buch.     Erster  Abschnitt. 

Zu  derselben  Zeit,  wo  m  Brauuscbwelg  nacb  dem  Sturme 
von  1830  die  öffentlichen  Angelegenheiten  wieder  in  ruhi- 
gere Bahnen  geleitet  wurden  und  dann  unter  der  verstäti- 
digen  und  mal'avoUen  Regierung  dea  Herzogs  Wilhelm  eine 
Epoche  wohlthätiger,  namentlich  die  raateriellen  Kräfte  dea 
Landes  entieöselader  Retormen  begatm,  hatte  das  stamm- 
verwandte Nachbailaud  üchwere  und  aufregende  Verfasaungs- 
kämpfe  durchzumachen.  Diese  Kämpfe  knüpfen  sich  an 
den  Thronwechael,  der  1837  in  Hannover  erfolgte  und  auch 
abgesehen  von  jenen  Kämpfen,  die  er  hervorrief^  deshalb 
für  das  Land  von  so  weittragender  Bedeutung  wurde,  weil 
er  die  Verbindung  löste,  welche  seit  mehr  als  hundert  Jah- 
ren zwischen  dem  britischen  Reiche  und  dem  deutschen 
Kui'fürstentume  und  späteren  Königreiche  beat^inden  hatte. 
Am  20.  Juni  des  genannten  Jahres  starb  König  Wilhelm  IV. 
Ihm  folgte  auf  dem  Throne  von  Grofsbritannion  und  Irland 
seine  Nichte  Viktoria,  die  Tochter  seines  ihm  im  Alter  am 
nächsten  stehenden  Bruders  Eduard  August,  Herzogs  von 
Kent,  wäbrendj  da  nach  deutachem  Rechte  der  Mannastamm 
den  Weibern  vorging,  in  Hannover  Kmst  August,  Herzog 
von  Cumberland,  der  tunfte  Sohn  Georgs  III.,  den  Thron 
bestieg.  Damit  zerrifs  das  unnatürliche  Band,  das  bisher, 
wenn  auch  nur  in  lockerer  Verbindung,  die  beiden  Länder 
verknüpft  und  sich  mehr  als  einmal  für  Hannover  hIs  ver- 
hängnisvoll erwiesen  hatte.  Beide  Länder  empfanden  die 
neue  Ordnung  der  Dinge  als  eine  Wohlthat.  In  England 
war  die  Verbindung  mit  dem  Süimnilande  seiner  Könige  nie 
populär  gewesen,  obschoo  der  englische  Egoismus  aus  dieser 
Verbindung  zu  Zeiten  doch  seinen  Vorteil  herauszuschlagen 
verstanden  hatte.  In  Hannover  aber,  wo  man  seit  lauger 
Zeit  daran  gewöhnt  war,  die  persönliche  Gegenwart  des 
Herrschers  zu  entbehren  und  ihn  nur  aus  der  Ferae  zu 
vorehren,  begriifste  man,  so  sehr  die  milde  Regiening  des 
Herzogs  von  Cambridge  sich  im  Lande  Freunde  erworben 
hatte,  den  Wechsel  mit  aufrichtiger  Freude,  da  er  eine  neue 
selbständige  Entwicklung  der  staatUchen  Verhältnisse  in 
Aussicht  zu  stellen  schien.  Ernst  August  war  freilich  _  eine 
Persönlichkeit,  von  der  man  sich  mancher  politischer  Über- 
raschungen, jedenfalls  eines  stranmien  persönlichen  Regi- 
mentes versehen  durfte.  Von  den  sieben  Löhnen  Georgs  lll. 
war  er  in  England  der  unbeliebteste,  ja  er  galt  hier  als 
„der  unpopulärste  Fürst  der  ganzen  modernen  Zeit".  Die 
zügellose  englische  Presse,  zumal  diejenige  der  whigistischen 
Partei,  hat  ihn,  den  emgeftevächten  Hochtory,  mit  einer 
wahren   Flut    von   AiMageia,  SftWiäWa%fe\i.  >jäuI  Verleum- 


Ernst  August,  Köuip;  voa  HanDorer. 


Am 


düngen  überschüttet.  „  Mit  einziger  Ausnahme  des  Selbst- 
mordes" —  80  durfte  ein  radikales  enghschea  Blatt  schrei- 
ben —  „hat  der  Herzog  von  CumboHand  bereits  alle 
menschlichen  Verbrechen  begangen."  In  den  Jahren  1786 
bis  1791  hatte  er  als  heranwachsender  Jüngling  mit  seinen 
Brüdern  August  Friedrich  und  Adolf  Friedrich,  den  späte- 
ren Herzögen  von  Sussex  und  Cambridge,  in  Oöttingen  ge- 
lebt, das  damals  auf  der  Höhe  seinea  Ruhmes  stand.  Aber 
die  Vorträge  der  akademischen  Lehrer,  die  er  hörte,  ver- 
mochten ihn  nicht  zu  iesseiu.  Er  hat  auch  später  nie  eine 
Neigung  für  wissenschatitliche  Dinge  bekundet ,  vielmehr 
«.einer  Verachtung  der  Professoren  und  ,,  Tinteklek.'ier"  wie- 
derholt in  spöttischen  oder  drastischen  Worten  Ausdi*uck 
gegeben.  Ura  so  lebhal^erea  Interesse  zeigte  er  für  das  Mi- 
Utär,  namentlich  die  Kavallerie,  wie  er  denn  selbst  ein  aus- 
nehmend kühner  und  gewandter  Reiter  war.  Nach  Be- 
endigung seiner  Studienzeit  widmete  er  sich  dcmzuibige  zu- 
nächst dem  Waffendienste,  machte  als  Obrist  des  neunten 
hannöviischen  Reiterregimentes  1 793  den  Feldzng  in  den 
Niederlanden  mit,  wo  er  sich  in  der  Schlacht  bei  Famars 
(28.  Mai),  besonders  aber  in  dem  Marschgefechte  bei  Avesnes 
le  See  (6.  August)  durch  persönliche  Tapferkeit  rühm- 
lich hcrvorthat.  In  England  von  den  empfangenen  Wunden 
geheilt,  übernahm  er  1794  wiederum  die  Führung  seines 
Regimentes,  kämpfte  mit  beim  Austall  aus  Nymwegen  und 
befehligte  auf  dem  Rückzuge  die  Nachhut  des  hannövrischen 
Heeres,  bis  auch  seiner  kriegerischen  Thätigkeit  der  Friede 
von  Basel  ein  Ziel  setzte.  Er  nahm  jetzt  seinen  Wohnsitz 
in  Hannover,  wurde  17*J8  zimi  GeneralHeutenant  beturdeit, 
gehörte  aber  der  hannövrischen  Armee  nur  noch  dem  Na- 
men nach  an. 

Vielmehr  begann  nun,  nachdem  er  im  Jahre  1799  zum 
Herzog  von  Cumberland  ernannt  und  damit  in  die  Reihe 
der  Peers  von  Örofsbritaunieu  und  Irland  eingetreten  war, 
seine  politische  Thätigkeit  in  England.  Sie  ist  für  unsere 
Zwecke  nur  von  untergeordnetem  Belang.  Es  genügt  her- 
voi-zidieben,  dafs  er  sich  im  Ül>erhause  als  ein  rücksichts- 
loser, entschiedener  V^>rkänlpler  toryistischer  Grundsätze  und 
als  ein  eifriger  Anhänger  der  liochkirchlichen  Partei  zeigte. 
Aus  dieser  Zeit  stammt  der  Hafs,  mit  dem  man  ihn  in 
England  verfolgte.  Im  Jahre  1 « 1 3  schiofs  er  sich  dem 
Hauptquartiere  der  Verbündeten  an  und  wurde  dann  nach 
der  Vertreibung  der  Franzosen  mit  der  militärischen  Reor- 
ganisation    Haunovera    betrauet.      Trotzdem     fiel    b^v   ässc 


k. 


4M 


Drittes  Bach.    Erster  Abschnitt 


Wahl  eines  Generals tattbaltera  fUr  das  neue  Königreich  diese 
mcht  auf  ihn,  sondern  auf  seinen  jüngeren  Bruder,  den  Her- 
zog  von  Cambridge.  Verstiramt  darüber  und  über  die  Be- 
handlung, die  er  inbezug  aul'  die  Erhöhung  seiner  Apanage 
seitens  des  englischen  Parlamentes  erfuhr,  zog  er  sich  jetzt 
von  dem  öffentlichen  Leben  zurück,  wohnte  seit  1819  meist 
in  Berlin,  zeitweilig  auch  in  London  und  auf  seinem  Land- 
sitze Kew  in  Kngtaud.  In  Berlin  schlols  er  sich  enge  an 
die  streng  konigUche  Partei  und  deren  dainahgea  Haupt, 
den  Herzog  Karl  von  Mecklenbui^-Ötrelitz,  an,  mit  dessen 
Schwester  Friederike,  der  Witwe  des  Prinzen  Ludwig 
Friedrich  Karl  von  Preufsen  und  dann  des  Prinzen  Fried- 
rich Wilhelm  von  Solms- Braunfels,  er  sich  am  29.  Mai  1816 
vermählt  hatte.  Durch  diese  Heirat  trat  er  auch  dem 
preufsischen  Königshaiise  näherj  da  seine  Gemalilin  eine  ^m 
jüngere  Schwester  der  unvergefalichen  Königm  Luise  war.  H| 
In  diesen  Berliner  Kreisen  bildete  sich  der  Herzog  seine  ^^ 
AufTassung  von  den  deutschen  pohtischen  Verhältnissen  und 
bestärkte  sich  in  seiner  reaktionären  Gesinnung.  Auch  mit 
den  Häuptern  der  Torypartei  in  England  blieb  er  fortwäh- 
rend in  engster  Verbindung.  Er  war  ein  Hauptgegner  der 
KatbüUkenemanzipatiou^  die  damals  alle  Schichten  des  eng* 
lischen  Volkes  mächtig  aufregte,  und  stand  mehrere  Jahro 
lang  als  Grofsmeister  an  der  Spitze  der  Orangelogen,  einer 
freimaurerischen  Vei'bindung  von  Klubs  hochkonservativen 
Charakters,  der  man  nichtsdestoweniger  heiraUche  Zettel  ungen 
zuschrieb,  um  die  gosetzraälsige  Thronfolge  zugunsten  ihre»  ii 
Grofsmeisters  zu  beseitigen.  ^M 

Ernst  August  hatte,  so  lange  er  nur  Prinz  des  könig-  ^^ 
liehen  Hauses  war,  nie  eine  offene  unzweideutige  Erklärung 
inbezug  auf  die  von  seinem  Bruder  mit  den  Ständen  ver- 
einbarte Verfassung  abgegeben,  die  seit  dem  Jahre  1833, 
also  bei  seiner  Thronbesteigung  vier  Jahre  in  Kraft  war. 
Er  hatte  ihr  weder  je  seine  Zustimmung  erteilt  noch  auch 
öffentlich  dagegen  Verwahrimg  eingelegt,  aber  man  wufete 
aus  Privat  unterhalt  ungen  und  Korrespondenzen ,  dafs  er 
ihr  nicht  gunstig  gesinnt  sei.  Als  er  jetzt  am  Nachmittage 
des  28.  Jimi  in  Hannover  eintraf,  um  von  dem  Lande  seiner 
Väter  Besitz  zu  ergreifen,  durfte  man  gespannt  darauf  sein, 
wie  er  sieb  zu  dieser  nächsten  und  dringendsten  Frage 
stellen  werde.  Der  städtischen  Abordnung^  die  ihn  bei  seiner 
Ankunft  empfing,  verhicfs  er,  dem  Lande  ein  gorechter  und 
gnädiger  König  zu  sein.  Aber  schon  während  des  ersten 
AbendSj  als  die  Stadt  zui-  Feier  seiner  Ankunft  in  dem 
Gl&nze  von   tausend   und  8A>ct  V&mäkcA  YIv^XfcviL  «c%trahJte,        i 


Änfhebnug  des  Staatsgmndgeseizea  roD  1833, 


48& 


^deE 


hatte  er  mit  Herrn  von  ScheJe,  dem  Haupte  der  Adelspartei 
;pnd  dem  Führer  der  äu&ersten  Rechten  ira  Landtage,  eine 

nge  Besprechung.  Am  fülgenden  Tage  ward  statt  des  er- 
warteten verfassungsmäfsigen  Patentes,    mit  dem    der  König 

,en    Antritt    seiner   Regierimg    den    Ständen   hätte  anzeigen 

nd    die    AulVechterhaltung    der    VerfasBüng    hätte    geloben 
.j   eine  königliche  Verordnung   verlesen,  _  welche    die 

täude  auf  unbestimmte  Zeit  vertagte.  Die  Überraschung 
war  80  grofs,  dafs  man  mechanisch  gehorchte,  niemand  eine 
Bemerkung  zu  dem  verlesenen  Aktenstück  zu  machen  sich 
getrauete.  Nur  Stiive  bracJite  einige  unzusammeuhängende 
Worte  hervor.     Noch  an   demselben    Tage   erlolgte   die   Er- 

,ennung  von  Scheles  zum  Staats-  und  Kabineteminister,  und 
man  sagt,  der  König  habe  mit  eigener  Hand  in  der  von 
ihm  zu  schwörenden  Eidesformel  die  darin  enthaltene  Ver- 
pflichtung auf  das  Staatsgrundgesetz  durchstrichen.  Damit 
war  unzweideutig  auegesprochen,  wie  er  über  das  letztere 
dachte.  Zum  Uberflufg  enthielt  das  am  5.  Juh  erlassene 
Patent  über  den  Antritt  seiner  Regierung  die  Erklärung, 
dafs  er  sich  weder  formell  noch  materiell  au  die  Verfassung 
von  1833  gebunden  und  es  in  Anbetracht  der  Bedenken, 
die  sie  errege,  für  geboten  erachte,  eine  Prüfung  darüber 
eintreten  zu  lassen,  ob  sie  einer  Revision  zu  unterziehen  sei 
oder  man  auf  die  alte  angeerbte  Landesverfassung  zurück- 
greifen müsse,  wie  sie  nach  Abschüttelung  der  Fremdherr- 
schaft im  Jahre  1819  wiederhergestellt  war.  Eine  Zeit 
lang  blieb  nun  Alles  in  der  Schwebe,  bis  dann  zu  Ende 
Oktober  rasch  hintereinander  die  entscheidenden  Schritte  er- 
folgten, weiche  das  Stuntsgrundgesetz  beseitigten  und  die 
ihende  Rechtsordnung  im  Lande  vernichteten.  Ein  Pa^ 
tent  vom  30.  Oktober  verfügte  die  Auflösung  der  Stände, 
ein  anderes  vom  31.  entzog  den  Ministem  aufser  von  Schele 
ihre  bisherige  Stellung  und  setzte  sie  zu  Departementsräten 
herab,  ein  drittes  endlich  vom  1.  November  hob  das  Staats- 
grundgesetz auf  und  stellte  die  alte  Verfassung  von  1819 
wieder  her.  Zugleich  wurden  sämtliche  Beamte  ihres  auf 
die  Verfassung  geleisteten  Eides  entbunden  und  von  den 
direkten  Steuern  eine  jährliche  Summe  von  100000  Thalem 
erlassen. 

Diese  Mafsregeln  des  Königs  wirkten  in  Hannover  wie 
ein  betäubender  Schlag  und  erregten  weit  über  die  Grenzen 
desselben  hinaus,  in  dem  übrigen  Deutschland  tmd  selbst  in 
den  aulserdeutschen  Ländern,  das  peinlichste  und  gerechteste 
Aufsehen.  In  England  waren  so^r  die  politischen  Freunde 
"es  Königs    darüber  entrüstet.     Indeaaeu  "^»t   ^e«  "^x^et- 


I» 


Dritt«  Buch.     Erster  Abschnitt 


stand,  welchem  der  VerfassuDgäumsturz  in  Hannover  l>e- 
gt^ete,  nur  schwach  und  vereinselt  Zuerst  erbob  er  sich 
in  den  von  dem  Könige  so  tief  verachteten  Kreisen  der 
Professoren  in  Göttingen.  Sieben  der  hervorragendsten  Lehrer 
der  berühmten  Hochschule,  an  ihrer  Spitze  Dahlraaun  und 
der  ausgezeichnete  Jurist  AJbrecLt ,  veröffentlichten  einen 
Protest,  den  sie  an  das  Kuratorium  der  Universität  richteten 
and  in  dem  sie  erklärten,  dafs  sie  sich  auch  nach  dem 
königlichen  Erlasse  noch  an  den  von  ihnen  geleisteten  Ver- 
fassuni^aeid  lUr  gebunden  erachteten.  „Sobald  wir",  biefs  es 
darin,  .,  vor  der  studierenden  Jugend  als  Männer  erscheinen, 
die  mit  ihren  Eiden  ein  leichtfertiges  Spiel  treiben ,  ebenso 
bald  ist  der  Segen  unserer  Wirksamkeit  dahin."  Man  sieht, 
es  war  in  erster  Reihe  das  Getühl  sittlicher  Verpflichtung, 
nicht  politische  Parteinahme ,  die  aus  dieser  Kundgebung 
redete,  wie  denn  die  überwiegende  Mehrheit  dieser  Älänner 
dem  politischen  Leben  bisher  völlig  fremd  gegenüber  ge- 
standen hatte.  Um  so  heftiger  vielleicht  war  der  Zorn  des 
Königs.  Ohne  Hüeksichten  auf  die  Bestimmungen  der 
von  ihm  beseitigten  Verfassung,  ja  ohne  sich  an  seine  eigenen 
Erlasse  zu  binden,  verfügte  er  die  Entfernung  der  Sieben 
aus  ihrem  Amte  und  verhängte  über  drei  von  ihnen,  DahU 
mann,  Jakob  Grimm  und  Gervinus,  weil  sie  die  Erklärung 
einigen  Freunden  mitgeteilt  hatten ,  die  sofortige  Landes- 
verweisung, Als  die  ilmen  gewährte  kurze  Frist  von  drei 
Tagen  abgelaufen  war ,  verliefsen  sie ,  von  einem  grofsen 
Teile  der  Studentenschaft  geleitet,  Göttingen  und  begaben 
sich  zunächst  nach  Witzenhauseu  auf  hessisches  Gebiet. 
Diitiiit  war  aber  des  Königs  Zorn  g^en  sie  keineswegs  be- 
Bänftigt.  Er  hat  sie  auch  noch  über  die  Grenzen  seines 
Landes  verfolgt,  ihre  Berul'ung  an  andere  deutsche  Univer- 
sitäten au  hintertreiben  gesucht,  ohne  dies  bei  der  wissen- 
schaftlichen Bedeutung  der  Männer  doch  auf  die  Länge  ver- 
hindern zu  können.  In  allen  Gauen  Deutschlands  aber  er- 
weckte die  tapfere  und  ehrenhafte  Haltung  der  „sieben 
Göttinger  Professoren ''  begeisterte  Zustimmung ,  die  sich 
natui^mäfs  in  ebenso  stürmischen  Angriffen  auf  den  Kö- 
nig und  das  Verfahren  äufserte,  das  zu  ihrer  Mafsregelung 
geführt  hatte.  In  der  stillen  mattherzigen  Zeit  regte  sie  die 
Geniütor  auf,  sdiärfte  sie  die  Gewissen  und  hat,  als  der 
Bundestag  sich  scliliefslich  solcher  Rechtsverletzung  gegen- 
über als  völlig  machtlos  erwies,  nicht  wenig  dazu  beige- 
tt*ageb,  ihn  seines  letzten  Ansehens  in  den  Augen  des  Volkes 
zh  berauben,  ''■'"'i 
-i-jiiWfenn  die -Tbat-'der  sieben  Göttinger  Professoren  mehr 


Wiilerutaud  da^^cgcn.    Die  aietea  GöttJDger  Professoren.      487 

aus  ethischen  ala  aus  politischeo  Erwägungen  hervorgegangen 
war,  so  wäre  es  Sache  dea  ganzen  Volkes,  vor  allen  aber 
der  Ständeverriaiumlung  gewesen,  mit  allen  erlaubten  Mitteln 
für  die  Uli  Zweifel  Haft  zu  Uecht  bestehende  und  nun  in  so 
einseitiger  und  gewaltsamer  Weise  beseitigte  Verfassung  ein- 
zutreten. Indes  geschah  dies  doch  nur  in  sehr  beschränktem 
Umfange  und ,  wo  es  geschah ,  mit  so  ausgesprochener 
Schwäche,  dafs  es  der  Regierung  nicht  schwer  ward,  diesen 
Widerstand  im  Ijinde  zu  bewältigen.  Sie  war  auch  keines- 
wegs wählerisch  in  ihren  Mitteln  und  setzte  nach  dem  Wahl- 
spruche ihres  Herrn  und  Königs  (Suscipere  et  tmire)  alle 
Hebel  in  Bewegung,  um  ihren  Zweck  zu  erreichen.  Das 
einst  so  allmächtige  Beamtentum  in  Hannover  erwies  sich  in 
dieser  Krise  al.s  wenig  widerstaudstUhig  gegen  den  ener- 
gisch und  rücksichtslos  ausgeübten  Druck  von  oben.  Bei 
manchen  war  ea  ohne  Zweite!  politische  Überzeugung,  wenn 
sie  sich  dem  Machtgebote  dea  Königs  beugten,  die  meisten 
aber  wurden  durch  das  rasche  und  gewaltthätige  Verfahren 
eingeschüchtert,  das  gegen  die  Göttinger  Hcmonstranlen  ein- 
getreten war.  Der  Uegiemng  war  vor  allem  daran  gelegen, 
die  Ständeversammlung,  die  sie  nach  der  alten  Wahlordnung 
von  iyi9  einberief,  zustande  zu  bringen  und  in  der  zweiten 
Kammer  eine  gefügige  Mehi'lieit  zu  erzielen.  Das  erste  ge- 
lang ilu*.  In  der  zweiten  Kammer  fanden  sich ,  nachdem 
die  Regierung  die  mit  Vorbehalt  geschehenen  Wahlen  für 
nichtig  erklärt  hatte,  siebenundvierzig  Abgeordnete  zusammen: 
die  Kammer  war  also  beschlufsfähig.  Allein  sie  verlangte, 
als  nach  langen  Vorberatungen  endlich  die  Verhandlung 
über  die  neue  Verfassung  begann,  dafs  diese  dem  noch  zu 
Recht  bestehenden  früheren  Landtage  vorgelegt  werde  ^  da 
„keine  Hwudlung  der  gegenwärtig  versammelten  Deputierten 
etwas  zu  bewirken  imstande  sei ,  was  rechtUch  Oültigkeit 
habe".  Die  Folge  war  eine  sofortige  Vertagung  der  Stände, 
denen  nunmehr  eine  Bcschw^erde  beim  Bundestage  als  der 
einzige  Weg  erscheinen  mufste,  um  aus  diesen  Wirren  her- 
auszuküramen.  Daliir  waren  aber  nur  die  Stimmen  von 
achtundzwanzig  Mitgliedern  zu  gewinnen,  eine  Minderheit, 
die  sich  mnuöglich  als  Vertreterin  der  gesamten  Stände  an- 
sehen und  danach  handeln  konnte. 

Neben  diesem  zahmen  und  niclits  weniger  als  einhelligen 
W^iderstando  der  Stände  regte  sich  auch  in  den  gröfseren 
Städten  des  Landes  eine  Opposition  gegen  die  Mafsrcgeln 
der  Regierung.  An  ihrer  Spitze  stand  Stüve,  der  Bürger- 
meister von  Osnabrück,  den  die  Regierung  mit  Hecht  fürchtete 
und  den  sie  deshalb  von  den  ständischen  Beratungen  wider- 


1 


Drittes  Buch.    Erster  Abschnitt. 


rechtlich  auszafHihliersen  gewafst  hatte.  Er  dachte  selbst 
daran,  den  V'ert'assungsbruch  durch  die  Verweigerung  der 
noch  nicht  bewilligton  Steuern  zu  beantworten  und  erbat  zu 
diesem  Zwecke  von  verschiedenen  juristischen  Fakultäten 
Rechtagutachten.  Ks  kam  aber  nicht  dazu,  vielmehr  be- 
gnügte mau  sich  scbiiefslich  damitj  in  Adressen  gegen  die 
Aul'hebuDg  des  Staatagrundgesetzes  Verwahruug  einzulegen 
und  eich  für  dessen  Uechtsbeständigkelt  auszusprechen. 
Solche  Schriftstücke  wurden  von  einer  ganzen  Reihe  von 
Städten,  von  Osnabrück,  Lüneburg,  Hildesheim,  Celle,  Har- 
bui^,  Stade,  Münden,  selbst  von  der  Haupt-  und  Residenz- 
stadt Hannover,  erlassen.  Sie  änderten  aber  an  der  Sach- 
lage nichts,  da  die  Regierung  sie  einfach  zu  den  Akten 
legte.  Es  ward  für  jeden  Einsichtigen  immer  klarer,  dafs 
das  Land  nicht  imstande  sei,  den  Willen  der  Regierung 
oder  viehueln:  des  Königs  zu  brechen ,  dafs  nur  die  Ein- 
mischung  des  Bundes  vielleicht  ein  solches  Ergebnis  herbei- 
zuführen vermöge.  Deshalb  hatte  es  Stüvo  in  Osnabrück 
durchgesetzt,  dafs  die  Stadt  sich  mit  einer  Klage  über  Ver- 
fassungsv^erletzuug  an  den  Bundestag  wandte,  und  andere 
Städte  waren  diesem  Beispiele  gefolgt.  So  wurde  der  Schwer- 
und  Angelpunkt  der  ganzen  Angelegenheit  nunmehr  aus 
Hannover  nach  Frankfurt  verlegt. 

L>a  k»m  es  nun  vor  allem  darauf  an,  wie  sich  die  bei- 
den deutschen  Grofsmachte  zu  der  Sache  stellen  würden. 
Von  <.>stetTeieh  war  nach  der  ganzen  Richtung  seiner  Bun- 
despolitik nicht  anzunehmen,  dafs  es  sich  des  verletzten 
Rechtes  annehmen  werde.  Desto  eher  durfte  mau  von 
Preufsen,  das  ja  stets  seine  besondere  Machtsphäre  in  Nord- 
deutschiand  gesucht  hat,  erwaiten,  dafs  es  seinen  Einflufs 
zum  Schutz  der  veriässuugsmäl'sigen  Rechte  des  Nachbar- 
landes werde  geltend  machen.  AUein  diese  Erwartung  sollte 
nicht  erfüllt  werden.  König  Ernst  August  war  vom  ersten 
Augenblick  seiner  Regierung  an  eitrig  bemühet  gewesen,  sich 
die  Gunst  und,  wenn  ea  nötig  sei,  die  Unterstützung  des 
Berliner  Hofes  zu  sichern.  Seine  alten  Beziehungen  zu  dem 
letzteren,  sein  langjähriger  Aufenthalt  in  Berlin,  seine  nahe 
Verwaadtschall  mit  dem  Königahauae,  die  frühereu  Fartei- 
genossea  ia  den  leitenden  Kreisen  der  proulsischen  Haupt- 
stadt, das  alles  kam  ihm  dabei  zuhilfe.  Wiederholte  Besuche 
am  Berliner  Hofe  dienten  dazu,  diese  Irüheren  Beziehungen 
aufzufrischen  und  neu  zu  beleben.  Sein  Schwager,  König 
Friedrich  Wilhelm  HI.,  sowie  der  Kronprinz  waren  in  der 
FeWäsaungssache  bald  iür  \W  ^"Wö^ixieii  und  verliiefsen  ihm 
ihre  ünterstätzung.      Die    kWekgvun^  %'^^'a.  ^^ä  -msÄsxwjÄv 


AuagftDg  des  YerfasäuugBkouflikts. 


499 


Konstitutionalismus  hatte  ohne  Zweifel  ihi'en  Anteil  an  dieser 
Haltung  des  preufsischeu  Hofes,  aber  man  scheuete  sich 
auch,  durch  Parteinahme  tur  die  verfasaungstreuen  Elemente 
in  Hannover  einen  Konflikt  heraufzubeschwören,  der  bei  dem 
bekannten  Starrsinn  des  König&  und  bei  den  eigentümlichen 
Verhültnissen  innerhalb  des  königlichen  Hauses  zu  einer  un- 
abaehbaren  Verwicklung  führen  konnte.  So  ging  denn 
Preufsen  in  dieser  hochwichtigen  Angelegenheit  auönahma- 
jWeise  Hand  in  Hand  mit  Österreich.  Schon  zu  Ende  August 
lö3U  hatte  Ernst  August  die  Gewifeheit  erlangt,  dafs  er 
beim  Bunde  obsiegen  würde.  Die  Beschwerde  der  Oana- 
brücker  wurde  am  5.  September  durch  einen  Beschlufs  der 
Bundes  Versammlung  abgelehnt ,  in  dem  zugleich  die  Er- 
waitung  ausgesprochen  ward,  dafs  es  dem  Könige  gelingen 
werde,  mit  den  Stauden  eine  Vcreinbai-img  herbeizuführen. 
Man  erwartete  demgemäfs  noch  eine  Erklärung  der  han- 
növrischen  Regierung  über  die  Verfassungsverhältnisse.  Diese 
ti*af  denn  auch,  freilich  sehr  verspätet  und  in  einem  Augen- 
bhcke  ein,  wo  der  Bundestag  im  Begritl"  stand,  eich  auf 
einige  Monate  zu  vertagen.  Sie  war  auch  nicht  an  die  Ver- 
sammlung, ftoodern  au  die  Vertreter  der  einzelnen  Staaten 
bei  der  letzteren  gerichtet.  So  wurde  die  endgültige  Ent- 
scheidung bis  in  den  Herbst  des  folgenden  Jahres  (l840) 
verschleppt.  Erst  am  5.  September  ortolgte  über  den  bereits 
vor  fiinf  Monaten  (26.  April)  vun  Bayern  gestellten  Antrag, 
wonach  die  hannüvrische  Regierung  aufgefordert  werden 
sollte,  den  Kechtazu stand  im  Lande  aufrecht  zu  erhalten  und 
Änderungen  desselben  nur  auf  vertassungsraäfsigem  Wege 
vorzunehmen,  die  Schlufsabstimmung.  Er  wurde  mit  zehn 
g^;en  sechs  Stimmen  abgelehnt,  dagegen  die  Erwartung  wie- 
derholt, dafs  der  König  Ernst  August  das  seinige  thun 
werde,  um  zu  einem  Einverständnisse  mit  seinen  Ständen  zu 
gelaugen. 

Inzwischen  waren  diese  am  19.  März  in  Hannover  er- 
öflhet  worden.  Die  Regierung  legte  ihnen  noch  au  dem- 
selben Tage  den  Entwarf  zu  einer  neuen  Verfassung  vor. 
Als  die  Kammern  sich  bereit  fanden ,  in  die  Beratung 
über  ihn  einzutreten,  erklärte  der  König,  „dafs  ihm  da- 
durch ein  Stein  vum  Herzen  genommen  werde".  Am 
fi.  August  1840  wurde  das  neue  Landesgrundgesetz,  nach- 
dem es  von  den  Ständen  durchberaten  und  vom  Könige 
genehmigt  worden  war,  veröffentlicht.  Die  Regierung  er- 
reichte darin  alles  Wesentliche,  worauf  es  ihr  ankam:  zu- 
nächst und  vor  allem  die  Wiederherstellung  der  früheren 
Trennung    der    königlichen    Don\amaiWft»aei   \wv   ^t    '^Näa.- 


Buch.     Erster  Absebaitt. 


difichen  Oeneralsteuerkaäse,  aber  aach  eine  wesentiiche  Be- 
schränkung der  leginlatonBchen  Befugnisse  der  Stände  ^  die 
UnVerantwortlichkeit  der  MiniBter  den  letzteren  gegenüber 
und  insofern  eine  Änderung  der  Bestimmungen  über  die 
Throni'olge  und  Regentschai't ,  als  in  der  neuen  Ver- 
ÜMBnngHordnung  ausgesprochen  war,  dalB  „eine  solche  Regent- 
schaft nur  eintreten  solle,  wenn  der  König  minderjährig  eiä 
oder  in  einem  solchen  Zustande  sich  befinde,  welcher  ihn 
zur  Führung  der  Regierung  unfähig  mache".    Bei  dem  kör- 

{>erUchen  Gebrechen,  an  dem  der  Kronprinz  litt,  war  diese 
etztere  Bestimmung  für  die  Zukunft  von  besonderer  Be- 
deutung. So  endete  dieser  Verfasaungskampf,  nachdem  er 
drei  Jahre  lang  gedauert  und  während  dieser  Zeit  nicht 
allein  die  Gemüter  in  Hannover  erhitzt,  sondern  auch  ganz 
Deutschland  aufgeregt  hatte.  Er  hatte  aufs  neue  gezeigt, 
"wie  wenig  tief  die  Wurzeln  des  neuen  Verfassungslebens 
noch  in  den  deutschen  Staaten,  zimial  Norddeutacblunds, 
lagen,  wie  leicht  es  fürstUcher  Willkür  noch  ward,  aner- 
kannte Rechtsordnungen  über  den  Haufen  zu  werfen  und 
die  Schöpfungen  eigenen  Gutdünkens  an  ihre  Stelle  zu  setzen. 
Er  hatte  aber  auch  dargothan,  wie  wenig  der  deutsche  Bund 
imstande  war,  die  Bevölkerung  der  einzelnen  deutschen 
Länder  vor  solcher  Vergewaltigung  zu  schützen  und  Insti- 
tutionen aufrecht  zu  erhalten,  doren  Kechtsbeständigkeit  doch 
aufser  aller  Frage  stand.  Es  ist  die  grofse  geschichtliche 
Bedeutung  der  hier  kurz  geschilderten  hannövrischen  Ver- 
£assungskämpfe,  dafs  sie  diese  Erkenntnis  in  den  weitesten 
Kaeisen  des  Volkes  verbreiteten,  dafs  sie  jedermann,  der 
sich  nicht  absichtlich  verblenden  wollte,  klar  vor  Augen 
ßtelltcn,  dafs  jene  Schöpfung  des  Wiener  Kongresses  eine 
Mifsgeburt  gewesen,  dafa  sie  ebenso  wenig  imstande  sei, 
die  Ehre  der  Nation  nach  aufseu  wirksam  zu  vertreten,  wie 
hu  Innern  gletchmafsig  messende  Gerechtigkeit  zu  üben. 
Wer  wird  sich  wundern,  dafs  nach  kaum  acht  Jahren,  bei 
dem  Ausbruch  des  ersten  grofsen  europäischen  Sturmes,  der 
ganze  moreche  Bau  des  deutschen  Bundes  laut-  und  wider- 
standslos in  sich  zusammenbrach  V 

Sicht  man  von  diesen  Verfassnngsw irren  ab,  welche  die 
ersten  Regieningsjahre  Ernst  August»  erfüllten,  von  dem 
Umsturz  der  eben  erst  mUhsara  autgerichteten  Rechtsordnung, 
von  der  Rücksichtslosigkeit  und  Gewaltsamkeit  der  dabei 
angewandten  Mittel,  so  wird  man  die  Wattung  dieses  ersten 
faannövrischeu  Herrschers,  der  seit  langen  Jahren  wieder  seinen 
JSit2  im  Lande  nahm,  als  eine  tiir  das  letztere  in  vieler 
JJjnsicht   erspriefsliche ,  ja   fte^eaat^ivtVft  \iWÄ\'iV.\Äa  müssen. 


J 


Ernet  Aagaats  FcrsÖuLichkeit. 


441 


Schon  das  war  für  das  Land  ein  nicht  hoch  genug  zu  veran- 
schlagender Gewinn,  dafa  die  Verbindung  mit  und  damit  in 
vieler  Hinsicht  die  Abhängigkeit  von  einem  fremden,  autaer- 
deut^chcn  Reiche  gelöst  ward,  welches  zum  grofsen  Teil 
ganz  anderen  Interessen  huldigte,  welclies  in  seinem  sprich- 
wörthch  gewordenen  Egoismus  mehi"  ala  einmal  das  deutsche 
Nebenland  auf  das  schnödeste  ausgebeutet  hat,  dessen  ge- 
waltige Weltstellung  beherrschend  und  niederdrückend  auf 
ihm  lastete  und  dui'ch  dessen  Politik  es  so  oft  zu  seinem 
unermefslichen  Schaden  in  die  grofsen  europäischen  Kon- 
flikte war  verstrickt  worden.  Jetzt  war  die  Zeit  vorüber, 
wo  von  London  aus  eine  „  deutsche  Kanzlei "  über  das  Meer 
hinweg  die  Angelegenheiten  des  fernen  Landes  leitete,  wo 
ein  zu  diesem  Zweck  eigens  angestellter  Ministor  dasselbe 
nach  den  Anschauungen  und  Grundsätzen  regierte,  die  er 
sich  in  England,  unter  einem  zwar  stammverwandten  aber 
in  seineu  Lebensgewühnheiten  doch  sehr  verschiedenen  Volke 
gebildet  hatte.  Der  König  selbst  war  am  Platze.  Er  schwebte 
nicht  mehr  wie  ein  unbentimniter  ßegrifif  der  Souveränität 
in  weiter  Ferne,  sondern  er  wollte  selbst  sehen,  prüfen,  an- 
ordnen  und  in  persönlichstem  Sinne  die  Kegieruug  beein- 
flussen. Und  Ernst  August  war  durchaus  der  Mann  dazu. 
Auch  er  war  unter  Engländern  auigewachsen  und  nach 
enghschen  Grundsiitzen  erzogen  worden,  er  blieb  auch  Zeit 
seines  Lebens  in  seinem  Auftreten,  seiner  äufseren  Eracheinimg, 
seinem  inneren  Wesen  ein  Engländer,  nicht  einmal  die  deutsche 
Sprache  hat  er  je  einigeruiafseu  zu  beherrschen  gelernt.  Aber 
er  hatte  aus  seinem  Geburtslande  eine  bei  Fürstensübnen 
nicht  gerade  häufige  Kenntnis  und  Beherrschung  politischer 
VerhältniBse  mit  nach  Hannover  gebracht,  und  dazu  gesell- 
ten sich  Charaktereigenschaften,  die  ihn  in  hervorragendem 
Mafse  zum  Herrschen  befähigten:  ein  scharfer  Blick,  ein 
eiserner  Wille,  eine  erstaunliche  Arbeitskraft,  eine  seltene, 
freihch  stark  pessimistisch  geiarbte  Menschenkenntnis.  Er 
war  eine  durchaus  selbständige,  unter  Umständen  zu  Eigen- 
willen und  Starrsinn  geneigte  Natur  ^  aber  ehrHch  beniilhet, 
mit  eigenen  Augen  zu  sehen,  sich  von  dem  Einflüsse  anderer 
frei  zu  erhalten,  sich  ein  unabhängiges  Urteil  zu  bilden. 
Man  wird  auch  nicht  verkennen,  dafs  er  mit  der  Zeit,  je 
mehr  er  sich  in  die  deutschen  Verhältnisse  einlebte,  milder 
wurde ,  dafs  die  Schroffheit  seiner  antangUchen  Ansichten 
sich  abschwächte.  Schon  elie  die  Ereignisse  von  1848  ihn 
veranlafsten,  in  versöhnlichere  Bahnen  einziüenken,  nament- 
lich schon  seit  Schclea  Tode  (1844)  hat  sich  dies  gezeigt. 
AJa  im  Jahre   1843   der  Prozefo   gegesu  ^\ft  "^\\^'t\*Ä  ^^^ 


m 


DrittM  Buch.    Erster  Abaohnitt. 


MagJBtrata  von  Hanuover  zu  deren  Ungunsten  entachieden 
ward,  hat  er  sie  sämtlich  begnadigt,  dem  von  ihm  gemafs- 
regelten  Stadtdirektor  Kumann  aus  der  königlichen  Kasse 
eine  Pension  gewährt.  Eine  G uns tlings Wirtschaft  liat  nie  an 
seinem  Hofe  geherrscht.  Die  liohe  Meinung,  die  er  von 
seiner  königlichen  WUrde  hatte,  liefs  es  nicht  zu,  dafs  er 
sich  vor  einem  fremden  Einflüsse,  auch  nicht  demjenigen 
Englands,  beugte.  In  dieser  Hinsicht  steht  er,  der  englische 
Hochtory,  in  einem  ausgesprochenen  Gegensatze  zu  der  An- 
glomanie  seiner  unmittelbaren  Vorgänger.  Er  schaffte  so- 
gleich nach  seiner  Thronbesteigung  die  alten  voten  Unilbrms- 
röcke  der  Truppen ,  die  in  so  vielen  Schlachten  geglänzt 
hatten,  ab  und  ersetzte  sie  durch  andere,  die  in  Schnitt  und 
Farbe  sich  an  die  preufsischen  Uniformen  anschlössen.  Auch 
in  manchen  anderen  Dingen  nahm  er  sich  die  preufsischen 
Armeeeinrichtungen  zum  Muster  Dem  Heere  widmete  er 
überhaupt  eine  besondere  Sorgialt.  Die  alten  militärischen 
Erinnerungen  seiner  Jugend  lebten  da  wieder  in  ihm  au£ 
Die  Roitereij  auf  die  der  Hannoveraner  besonders  stolz  war, 
>vurdc  durch  ihn  vermehrt.  Selbst  persön  liebe  Opfer  hat 
er  nicht  gescheuet,  um  die  Erhöhung  des  Kavallerieetats  zu  er- 
reichen. Eh  geschah  vornehmlich  auf  seinen  Betrieb,  dafs 
im  Herbst  1843  das  zehnte  Bundesarmeekorps,  dessen  Haupt- 
bestandteil die  hannövrischen  Truppen  bildeten,  bei  Lüne- 
burg zu  grölseren  militärischen  Übungen  zusammengezogen 
ward.  Auch  auf  anderen  Gebieten  des  Staatswesens  liefe 
sich  das  Bestreben,  Verbesserungen  zu  schaffen,  nicht  ver- 
kennen. Vor  allem  hatten  die  materiellen  Interessen  sich 
einer  wohlwollenden  Förderung  seitens  der  llegierung  zu  er- 
freuen. Ftir  Deichbau  und  Wegebesserung  wurde  nach 
Kräften  gesorgt,  der  Bau  von  Eisenbahnen  enei'gisch  in  die 
Hand  genommen  und  auf  Stjuitskosten  durchgeführt.  Am 
meisten  kam  das  neue  Regiment  der  Hauptstadt  des  Landes 
zugute.  Hannover  war  bis  zum  Regierungsantritte  Ernst 
Augusts  im  wesentlichen  noch  eine  wenig  bedeutende,  wink- 
lige und  altertümliche  Stadt.  Unter  seiner  Regierung  er- 
wuchs sie  schnell  zu  einer  der  schönsten  Residenzstädte 
Deutschlands.  Binnen  ktirzer  Zeit  ward  ein  ganz  neuer 
Stadtteil,  die  Ernst-Auguststadt,  geschaffen,  der  an  Schönheit 
und  Regelmäfsigkeit  seines  gleichen  sucht  und  sich  durch 
prachtvolle  Neubauten,  wie  das  neue  Tbeater,  auszeichnet, 
das  in  den  ersten  Jahren  von  Ernst  Augusts  Regiment  ent- 
standen ist. 

Die  grofsen    geselzgebeTvaeben  Auiigabeo,    welche  ihrer 
.töauDg  harrten ,  gerieten  oiletdva^«.  vca  ^W^txv.    Oit  neue 


I 


4 

i 


Seine  ßegierungätbStigkeit. 


443 


Verfassung  war  nicht  geeignet,  sie  in  rascheren  Fluf»  zu 
bringen.  Lcbbalt  klagte  man  im  Lande  über  die  fortgesetzte 
Bevorzugung  des  Adels,  über  die  ZurUckaetzuug  der  bör- 
gerlichen  Elemente  in  dem  Beamtenatande,  über  die  Willkür 
der  Polizeiverwaltung,  die  Schädigung,  die  namentlich  der 
Bauernstand  durch  den  Mangel  eines  humanen  Jagdgesetzes 
zu  erleiden  hatte.  Aus  der  Verfassungsänderung  war  der 
Krono  im  Grunde  mehr  Nachteil  als  Vorteil  erwachsen.  Die 
Trennung  der  beiden  Hauptkassen  des  Landes  erwies  sich 
keines w^8  als  tur  sie  so  günstig,  wie  der  König  gehofft 
haben  mochte.  Ein  königüches  Patent  vom  1.  Juli  1841 
hatte  auch  das  ehemalige  Schatzkollegium,  das  mit  der  alten 
Verfassung  von  1619  unzer ti*e unlieb  erschien,  wieder  herge- 
stellt. Es  geriet  aber  alsbald  wegen  der  Verwendung  der 
Überschüsse  des  Staatshaushaltes  in  einen  Gegensatz  zu  der 
Regierung  und  hat  diese  oppositionelle  Haltung  auch  wäh- 
rend der  nÄchsteu  Jaln*e  aufrecht  erhalten.  Die  königliche 
Kasse  sah  sich  am  Ende  vor  einen  nicht  unbedeutenden 
Fehlbetrag  gestellt.  Auch  die  erste  Kammer  zeigte  sich 
nicht  80  fügsam,  wie  man  wohl  erwartet  hatte.  Sie  machte 
der  Regierung  bald  ebenso  viel  zu  schaffen  wie  die  zweite 
Kammer,  so  dafs  jene  infolge  der  von  ihr  mit  so  grofsen 
Anstrengungen  durchgeführten  Verfassungsänderung  von  den 
Stünden  teilweise  in  gröfsere  Abhängigkeit  geriet  als  vordem. 
Alles  in  allem  war  gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  in 
Hannover  die  Lage  der  Dinge  derart,  dafs  zu  befürchten 
stand,  die  bestehenden  Staatsordnungen  wüi-den  einem  von 
aufaerbalb  kommenden  Anatofse  nicht  standzuhalten  ver- 
mögen, das  Land  in  einem  solchen  Falle  vor  neuen  schwe- 
ren Erschütterungen  nicht  bewahrt  bleiben.  Dieser  Anstofs 
erfolgte  aber  schon,  noch  bevor  die  erste  Hälfte  des  Jahr- 
Jiunderts  abgelaufen  war. 


m 


Drittes  Bach.    Zweiter  Abschnitt 


Zweiter   Abschnitt. 
Nach    184g. 


Die  revolutioDäre  Bewegung,  die  in  der  letzten  Woche 
des  Februar  1848  in  Paris  ausbrach  und  eich  von  dort, 
einer  ra&ch  wachsenden  Fenerabrunst  vergleichbar,  über  einen 
großen  Teil  Europa»  verbreitete,  trug  in  ihren  Anlangen 
und  an  der  Stätte  ihres  Ursprung;»  lediglich  einen  politischen 
Charakter,  sie  nahm  aber,  sobald  sie  die  Grenzen  Frank- 
reichs überschritt,  vorwiegend  eine  nationale  Färbung  an, 
die  dann  in  den  von  ihr  ergriffeneu  Ländern  mit  jeuer  an- 
Anglichen  Tendenz  zu  einem  Bilde  von  den  bizarrsten  Um- 
rissen und  der  sonderbarsten  Farbenmischung  verschmolz.  | 
So  geschali  es  in  Italien,  so  in  Ungarn  und  in  Polen,  so: 
namentlich  in  Deutschland.  Man  bezeichnet  noch  heute 
dieses  Jahr  mit  einiger  Berechtigung  als  ^^das  tolle  Jahr". 
Konnte  doch  damals  in  dem  Landtage  eines  der  deutschen 
Kleinstaaten  allen  Ernstes  der  Antrag  auf  Proklamierung 
der  Republik,  vorbehaltlich  der  Beibehaltung  des  Herzogs, 
gestellt  werden.  Bei  uns  in  Deutschland  verband  sieh  die 
schwärmerische  Begeisterung  fiir  die  untergegangene  Herr- 
lichkeit des  heiligen  römischen  Reiches  mit  einem  wilden 
Demagogentum  und  einer  geradezu  verblüffenden  politischen 
Unreile,  um  das  Land  von  den  Alpen  bis  zum  Meere  in 
den  Zustand  einer  unbeschi-eiblichen  Anarchie  und  einer 
grenzeclosen  Verwirrung  zu  versetzen. 

Von  allen  Mitgliedern  des  deutschen  Bundes  waren  es 
aulfallenderweise  die  beiden  ihm  angehörigen  Qrofsmächte, 
welche  am  frühesten  und  am  gründlichsten  diesem  iimstUrz- 
lerischen  Anstürme  erlagen.  Die  Märztage  warfen  in  Wien 
und  Berlin  die  bisherigen  Staatsordnungen  über  den  Haufen,  i 
Während  in  der  preufsischen  Hauptstadt  monatelang  Zu- ' 
stände  herrschten,  die  einer  völligen  Anarchie  gleichkamen, 
konnte  es  scheinen^  als  wenn  der  alte,  aus  so  vielen  ver- 
Bchiedenen  Nationalitäten  bestehende  Habsburger  Staat  sich 
in  seine  Bestandteile  auilöecn  und  gänzlich  auseinanderf allen 
werde  Alle  Verfassungsfragen  aber  in  den  einzelnen  deut- 
schen Ländern  traten  alsbald  vor  der  grofsen,  von  den  süd- 
deutschen Liijeraleu  angeregten  HaupItVagc,  der  Neugestaltung 
des  deutschen  Bundes,  in  dciv  Kvwter^rund.  Während  der 
Däciietfolgenden  Zeit  fiel  Äer  fec\vv(ftT^\H^^  ^«a.  lössamLNsso.  \q- 


Das  Jahr  lä4d  nnd  die  deutsche  Vcr&saungfi&agc.  41& 

titischen  Lebens  in  Deut&ebland  nicht  nach  Wien  oder  Ber- 
lin, sondern  nach  Frankfurt.  Schon  am  5.  März  hatte  eine 
Anzahl  deutscher  Männer,  meist  Ftlhi'er  der  liberalen  Oppo- 
sition in  den  Ständekammern  des  siidlichcn  und  westlichen 
Deutschland ,  eine  Beratung  ,,  über  die  dringendsten  Mafs- 
regeln  für  das  Vaterland"  gehalten  und  eine  gröfsere  Ver- 
sammlung von  Landtagsabgeordneten  und  anderen  bekannten 
Politikern  in  Frankfurt  a.  M.  in  Aussicht  genommen.  Dies 
genügte,  um  selbst  den  Bundestag  zum  Einlenken  in  die 
Bahn  der  Reformen  zu  bestimmen.  Den  Einzelregiernngeu 
wurde  die  Aufhebung  der  Zensur  froigeBtellt  und  zugleich 
„eine  Revision  der  Bundes vertaasung  auf  wahrhaft  zeitge- 
noäfsen  nationalen  Grundlagen"  verheifsen.  Kurz  darauf 
besclilofs  die  Versammlung  die  Einberufung  von  Vertrauens- 
männern zur  Beratung  der  Veriiassungsrevision.  Allein  die 
Ereignisse  überstüraten  sich.  Schon  kam  es  in  einzelnen 
Gegenden,  in  Sachsen  wie  am  Neckar,  im  Odenwalde  wie 
im  Main-  und  Taubergrunde,  zu  republikanischen,  freilich 
verzettelten  Schilderhebungen,  und  zu  Anfang  April  ver- 
einigte sich  zu  Frankfurt  eine  aus  liberalen  Abgeordneten, 
Protessoren ,  JournaUaten  und  politischen  Flüchtlingen  be- 
stehende Versammlung  zu  dem  sogenannten  Vorparlamente, 
das  den  Grundsatis  der  Volkssouveränität  aufstellte  und 
die  Berufung  einer  freien,  ohne  Rücksicht  auf  Stand,  Ver- 
mögen und  Glaubensbekenntnis  zu  erwählenden  National- 
versammlung zum  Zweck  der  Beratung  und  Beöcliluiöfa&aung 
über  die  küjjftige  politische  Organisation  des  deutschen  Vol- 
kes forderte.  So  kam  die  deutsche  Verfasaungsfrage  in 
Flufs,  nnd  am  18.  Mai  wurden  in  Frankfurt  die  Sitzungen 
des  „Parlamentes'',  der  ersten  aus  freier  Volkswahl  hervor- 
gegangenen deutschen  Nationalversammlung,  eröffnet. 

Es  ist  selbstverständlich,  dafs  auch  die  beiden  weifischen 
Länder,  das  Königreich  Hannover  und  das  Herzogtum 
Braunschweig,  von  der  damit  eingeleiteten  gewaltigen  Be- 
wegung nicht  unberührt  blieben,  welche  alle  Schichten  des 
deutschen  Volkes  bis  in  ilkre  Tiefen  aufregte,  die  früheren 
staatlichen  Zustände  fast  überall  in  deutschen  Landen  von 
Grund  aus  veränderte  und  eine  völlige  Umgestaltung  der 
bisherigen  Gesamtverfassuug  Deutschlands  in  die  Hand 
nahm.  In  Braunschweig  fanden  die  auf  die  Einheit  und 
Freiheit  Deutschlands  gerichteten  Bestrebungen  von  vorn- 
herein und  bei  der  ganzen  Bevölkerung  den  begeistei-taten 
Widerhall.  Li  der  richtigen  Erkenntnis ,  dafs  hier  doch 
jeder  Widerstand  vergeblich  sein  würde,  schlofs  sich  das 
im  grofsen   und   ganzen   liberal   ge^iwA&  ^Ymi\.tTv\iSö.  ^i:^'^.- 


i 


m 


Drittes  Buch.    Zweiter  Abschnitt 


dingt  der  Bewegung  an,  und  der  Herzog  fügte  sieb.    Schon 
in  den  ersten  Tagen  des  März  wurden    unter   dem   frischen 
Eindrucke  der  Nachrichten   aus  Frankreich   die  Aulhebung 
der  Zensur   und   die   Offentiiclikeit   der  Verhandlungen    von 
den  Landständen  beschloäfien.     Am  31.  März   ertolgte   dann 
die  Berufung  eines  aiifserordentlichen  Landtages,  mit  welchem 
die   Regierung    eine    ganze   Reihe   der    wichtigsten   Gesetze^ 
über  die  Freiheit  der  Presse  und  des  Buchhandels,  die  F.in- 1 
fiihrung  von  Geschworenengerichten,   die  (,)ffentlichkeit   und 
MüiitUichkeit    des    Gerichtsverfahrens,    die    Aufhebung    des 
Eheverbotes  zwischen  Chriaten  und  Juden,  sowie    über   das 
Vereinsrecht,  die  vorläufige  Krrichtung  einer  Volkswehr,  die 
Aufhebung  des  .Jagdrechtes,   endlich   ein   vorläufiges  Gesetz 
über   die    Wahlen    und   die   künftige   Zusammensetzung  des 
Landtages  vereinbarte.    Diese  Ereiguissu  vollzogen  sich  indes 
nicht,  ohne  eine  wesentliche  Veränderung  des  Staatsmi niste- , 
riums  herbeizuführen.     Von   den    bisherigen  Ministern    blieb] 
nur  der  Justizminister    von  Schleinttz   im  Amte,   während] 
Graf  Werner  von  Veitheim  und   einige  Zeit  später   der  Ge- ' 
heimerat  Schulz  zurücktraten   und   durch   den  Kreisdirektor 
von  Geyso,  sowie  durch  den  Obristen  Morgenstern  (für 
militärischen  Angelegenheiten)  ersetzt  wurden. 

Ähnlich,  wenn  auch  nicht  ganz  so  glatt,  entw^ickelten 
sich  die  Dinge  in  Hannover.  Hier  suchte  der  König  Ernst 
August  zunächst  der  Bewegung  mit  den  Mitteln  entgegen- 
zutreten, die  sich  ihm  früher  bewährt  hatten.  Auch  war  die 
Erregung  des  Volkes  hier  bei  weitem  nicht  so  allgemein 
und  mächtig  wie  in  Braunschweig.  Von  einer  hannövrischen 
Presse,  die  einige  Bedeutung  gehabt  hätte,  war  damals  nicht  ^j 
die  Rede,  und  ein  grofser  Teil  der  Landbevölkerung,  ua-^| 
menthch  die  Bauern  der  Geest,  stand  den  Fragen,  um  die^^ 
es  sich  handelte,  ohne  alles  Verständnis,  zum  Teil  mit  aus- 
gesprochenem Mifstrauen  gegenüber.  Die  Gesetzgebung  hatte 
die  materielle  Lage  des  Bauern  in  Hannover  seit  dem  Jahre 
183Ö  wesentlich  gebessert  Sie  hatte  ihm  grofse  Erleicli- 
terungen  gewährt,  die  Ablösungsordnung  endlich  geschaffen, 
die  Ackerbausteuer  herabgesetzt,  die  Naturallieferungen  bei 
Einquartierung  auf  die  Landeskasse  übernommen,  die  Dienste 
iUr  Wegebau  abgeschafll  und  andere  unwesentlichere  Re- 
formen durchgeführt  Die  politischen  Angelegenheiten  küm- 
merten den  hannövrischen  Bauer  wenig.  Von  der  Be- 
deutung der  deutschen  Frage,  einer  Volksvertretung  beim 
Bundestage  hatte  er  keinen  Begriff,  ja  nicht  einmal  eine 
Ahnung.  So  beschränkte  sich  die  Bewegung  hier  zunächst 
auf  wenige  ländliche  Gebiete,  hauptsächlich   aber   ergriff  sie 


Ginflara  der  Bewegung  mit  Braunschweig  und  Hannover.      447 

die  StÄdte.  Wie  überall,  that  »ie  sich  auch  hier  in  Peti- 
tionen und  Adressen  kund,  die  indes  teilweise  einen  sehr 
gemäfejgten  Ton  anschlugen.  Auf  die  erste  dieser  Petitionen, 
die  voo  dem  Magistrate  und  den  Bürgervorstehern  der  Haupt- 
stadt ausging,  um  Gewährung  der  Prefsfreilieit  und  um  Ver- 
tretung des  deutschen  Volkes  bei  der  ßaudcsversanimlung 
bat,  erfolgte  aeitcns  des  Königs  eine  abschlägige  Antwort. 
Als  sich  dann  der  Adreßsensturm  verstärkte,  erlieJs  Ernst 
Auguat  am  14.  März  eine  von  ihm  selbst  verialöto  Prokla- 
mation, in  welcher  die  Forderung  einer  Volksvertretung  bei 
dem  deuteehen  Bunde  entschieden  zurückgewiesen  ward,  der 
König  da*^egen  versprach,  „alle  seine  Kräfte  aufbieten  zu 
wollen,  damit  die  deutsche  Bundesversammlung  mit  mehr 
Fleifs  imd  gi-öfserer  Energie  in  den  deutschen  Angelegen- 
heiten handele,  als  bisher  geschehen  sei".  Darauf  kam  es 
am  17.  März,  demselben  Tage,  an  dom  der  Aufruhr  in  Ber- 
lin begann,  zu  «iner  grolsen  Vulksdemoustratiou  vor  dem 
königlichen  Schloase  in  Hannover,  infolge  deren  von  den 
zwölf  aufgestellten  imd  dem  Könige  übermittelten  Forderungen 
wenigsteus  ein  Teil  gewährt,  auch  die  schleunige  Zusammen- 
berufuiig  der  Stände  in  Aussicht  geBtellt  ward.  Als  dann 
aber  rasch  hintereinander  die  Kunde  von  den  Ereignissen 
in  Wien  und  Bei-lin  eintraf,  änderte  der  König,  klug  und 
entschlossen  wie  er  war,  sofort  seine  Haltung,  warf  das  bis- 
herige Regierungssystem  über  Bord  und  leukte  ohne  Zan- 
dern in  die  neue,  unwiderstehlich  gewordene  Strömung  ein. 
Schon  am  2U.  März  verkündete  eine  weitere,  den  eigensten 
Eutschlicfsungen  des  Königs  entsprungene  Bekanntmachung, 
er  werde  die  Anträge  auf  Abänderung  der  Landesverfassung, 
auf  Ministerverantwortlichkeit  und  auf  die  Vereinigung  der 
königlichen  mit  der  Landeskasse  den  bereits  von  ihm  be- 
rufenen Ständen  vorlegen.  Zugleich  erhielt  das  bisherige 
Ministerium  Falcke  seine  Entlassung,  und  noch  an  deraaelben 
Tage  erging  eine  Botschaft  an  Stüve  in  Osnabrück  mit  der 
Aulforderung,  ein  neues  Ministerium  zu  bilden  und  in  die- 
sem die  Verwaltung  des  Innern  zu  ubernehmeu.  Es  war 
ein  kühner  aber  glückUcher  Griff,  der  die  politische  Be- 
gabung des  Königs  bekundete,  dafs  er  seine  persönliche  Ab- 
neigung gegen  den  begabtesten  Vertreter  der  Opposition, 
den  unermüdlichen  Verteidiger  des  Staatsgi'undgeaetzes  von 
1833,  überwand  und  in  den  damaligen  drohenden  und  ge- 
fährlichen Zeitläuften  die  Leitung  des  Staates  in  so  bewährte 
Hände  legte.  Dem  Lande  wurden  dadurch  weitere  schwere 
Erschütterungen  erspart  und  die  innere  Politik  in  die  Wege 
einer  besonnenen,  mafsvolleu,  von  den   radikalen  Ausschrei- 


i 


44» 


Drittes  Buch.    Zweiter  Abschiütt. 


timgen  jener  Zeit  »ich  fern  haltenden  Reform  geleitet.  Ohne 
weiteren  Vorbehalt  als  den,  dafs  der  veri'assungsmä feige  W^ 
nicht  verlassen  werde,  gab  der  Ki'mig  dem  frcisiunigen  Pro- 
gramm, welches  ihm  daa  neue  Ministerium  vorlegte,  seine 
Zustimmung.  Es  enthielt  neben  den  sclion  von  dem  Könige 
genehmigten  Punkten,  der  Aufhebung  der  Zensur,  einer 
Amnestie  tUr  politische  Verbrechen,  der  Öffentlichkeit  der 
ständischen  V^erhandlungen,  der  Kassenvereinigung  und  der 
Minister  voran  twoitlichkeitj  noch  eine  Keihe  hochwichtiger  Re- 
formen auf  dem  Gebiete  der  licciitspflege  und  der  Ver- 
waltung. ZtL  jenen  gehörten  namentlich  die  in  Aussicht  ge- 
norameue  Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltxing,  die 
Aufhebung  des  befreieten  Gerichtsstandes,  die  KinlUlirang 
von  irichwurgerichton,  sowie  die  Öffentlichkeit  und  Münd- 
lichkeit des  Verfahrens  in  bUi'geriiclien  und  peinlichen  Sa- 
chen, zu  diesen  die  Aufhebung  aller  Befreiungen  von  Qa- 
meindelastcn ,  grüfsore  Selbständigkeit  der-  Landgemeinden, 
Erlafs  einer  freisinnigen  Städteordnung  und  Beschränkung 
des  staatlichen  <.>beraufsiehtBrcchteä  in  städtischen  Ange- 
legenheiten. Was  die  deutsche  Verfassuugsfrage  anlangt,  so 
wurden  „Maffti-egoln  aur  Kinigung  Deutschlands  und  zur  Er- 
reichung einer  Vertretimg  des  Volkes  beim  Bundcj  jedoch 
nur  in  vertassungsmäfaigem  Wege",  verheiüien. 

Am  28.  Mära  wurden  die  Stände  eröflFnet  Die  Thron- 
rede, die  im  wesentlichen  eine  Imschreibung  des  Minister- 
programms  war,  hob  hervor,  dafs  der  König  aus  freiem  Ent- 
schlüsse und  ohne  Zögern  dasjenige  gewährt  habe,  was  zur 
Begründung  eines  neuen  kräitigen  Lebens  nötig  erscheinen 
könne,  betonte  aber  mit  besonderem  Nachdruck  die  Not- 
wendigkeit, die  gesetzlichen,  durch  die  Verfassung  vorge- 
zeichneten Wege  nicht  zu  verlassen.  Dero  hat  denn  auch 
die  Versammlung  ohngeachtct  aller  Versuche  der  radikalen 
Partei,  sie  von  diesen  Wegen  abzudrängen,  im  grofsen  und 
ganzen  entsprochen.  Sie  verschmähete  es,  sich  als  konsti- 
tuierende Versammlung  anzusehen,  und  wie  sie  noch  dem 
Wahlgesetze  von  1840  zusaramenbcruien  war ,  so  knüpfte 
sie  auch  sonst  an  die  Verfassung  an,  von  der  dieses  Wahl- 
gesetz einen  wesentlichen  Teil  bildete.  Man  kann  behaup- 
ten, dafs  unter  den  vielen  Vertassungen,  die  das  Jahi'  1848 
in  deutschen  Landen  hervorrief,  kaum  eine  einzige  auf  so 
streng  verfassungsmäfsigem  Wege  zustande  gekommen  ist, 
wie  die  hannovrische,  die  unter  dem  Zusammenwirken  aller 
berechtigten  Faktoren ,  unter  möglichster  Wahrung  der 
i?ec/jtsfcontinuhät,  sowie  untar  voller  und  rückhaltloser  Zu- 
stirnmnng  des  Königs  und  söVaefe  "t\vf oult^i^^xt  ^'satViWraten, 


Beratungen  und  Beschlüsse  des  Frankfurter  Parlamentfifl.     449 

beschlossen  and  vollendet  wurde.  Bei  dieser  Lage  der 
Dinge  kam  man  Über  die  sich  darbietenden  Schwierig:keiten 
leicht  hinweg  und  in  vergleichsweise  kui-zer  Zeit  zum  Ziele. 
Am  8.  Juli  konnten  die  Kammern  vertagt  werden,  nachdem 
sie  nicht  um*  das  Verlassmigsgesetz  zustande  gebracht,  son- 
dern auch  eine  grofse  Menge  anderer,  zum  Teil  tief  ein- 
schneidender Vorlagen  erledigt  hatten,  und  am  5.  September 
erhielt  die  neue  Veri'asaung  die  königliche  Bestätigung.  Sie 
bedeutete  im  wesentlichen  eine  Wiederherstellung  des  einat 
(1837)  von  Ernst  August  einseitig  aufgehobenen  Staats- 
grundgesetzes von  1833,  nur  dafs  diesem  eine  Anzahl  neuer 
Öarantieen  hinzugetiigt  und  damit  das  Vertrauen  auf  seinen 
Fortbestand  verstärkt  ward. 

Inzwischen  hatten  in  Frankfurt  die  Beratungen  über  die 
künftige  Vertiassung  des  deutschen  Reiches  begonnen.  Die 
Versammlung  kam  damit  nur  langsam  vorwärts,  in  heftigster 
Weise  wurden  die  Debatten  darüber  geführt.  Endlich  wagte 
Oagom  seinen  bekannten  „kühnen  Griff",  der  die  Her- 
stellung einer  provisorischen  Zentralgewalt  und  weiterhin  die 
Wahl  des  Erzherzogs  Johann  von  Osterreich  zum  Reichs* 
Verweser  zur  Folge  hatte.  Aber  dieser  kühne  Griff  war 
insofern  ein  schwerer  politischer  Fehler,  als  er  in  den  Ein- 
zeUtaaten  die  ersten  Regungen  des  Widerstandes  gegen  die 
Nationalversammlung  wachrief  und  dem  i'Ur  volÜg  beseitigt 
erachteten  Partikularismua  neues  Leben  eiiiflölate.  Nirgend 
war  dies  in  höherem  Grade  der  Fall  als  in  Hannover.  Der 
König  widerstrebte  seiner  ganzen  Gesinnung  nach  jeder 
ycbniälerung  seiner  Souveraniültsrechte.  Seine  alten  toryisti- 
Bchen  Grundsätze  und  sein  monarchisches  Irielbstgefühl  lehn- 
ten sich  dagegen  in  gleicher  Weise  auf  Überhaupt  traf 
bei  ihm  Alles,  was  von  Frankfm't  ausging,  auf  die  entflcliie- 
denete  Abneigung.  Mit  der  ihm  zur  Gewohnheit  gewordenen 
Geriügschätzung  aller  politischen  Träumer  und  ideologischen 
Schwärmer  sah  er  auf  diese  Versammlung  von  Professoren, 
Advokaten,  Schriltstellem  und  Poeten  herab.  Sein  Wider- 
streben gegen  Alles,  was  nur  im  entferntesten  die  Möglich- 
keit einer  Modiatisiorung  anzudeuten  schien,  fand  nicht  nur 
bei  seinen  Räten ,  sondern  auch  bei  einem  grofsen  Teile 
seines  Volkes  lebhaften  Widerhall.  Schon  im  Apnl  hatte 
er  die  Absicht  gcäufsert,  lieber  das  Land  zu  verlassen,  als 
sich  einer  Beschränkung  seiner  königlichen  Machtvollkommen- 
heit zu  unterwei-tien,  und  diese  Drohung  ward  jetzt  von  ihm 
wiederholt  Es  geschah  dies  in  einem  Schreiben  des  Ge- 
samtministeriums   vom    7.    Juli ,    das    kurz    vor    der  Ver- 

HalnemaDii.  ilriunsoliw.-banr&T.  QMcUahto.    WV.  ^^ 


4M 


I>ritte8  Bach.    Zweiter  Ab«chnitt 


4 
I 


tagung  der  Stände  diesen  zur  Kenntnis  gebracht  ward.    Hier 
war  aU   die  unwandelbare  l '  berzeufjung  des  Königs   ausge- 
eprochen,  „dalö  der  gesamte  Zustand  iJeut^chtands  die  Her- 
flteUung    einer   »olchen  Zontralregierung ,    welche    auch   die 
inneren  Angelegenheiten  des  Landes  ordnen  und  die  Fürsten 
lediglich  als  Untergebene  eines  anderen  Monarchen  erscheinen 
lassen  würde,  nicht  zulafiRC   und    daTs   so    wenig    das   Wohl 
und  die  Freiheit  der  Völker  wie  die  eigene   t'üi-stlinhe  Ehre 
des  Königs  es  gestatten  würde,  einer  Verfassung  zuzustiinmen, 
welche   der  Sflbständigkeit   der  Staaten  Deutsclilauds   nicht 
die  notwendige  Geltung  sichere".     Diese  Erklärung  errate, 
als  sie  in  Frankfurt  bekannt  wurde,  einen  gewaltigen  Sturm, 
in  welchem  noch  einmal  der  ganze  frühere  Hafs  der  liberalen 
Partei  gegen  den    rücksichtslosen  Freimut   des  Königs   zum 
Ausdruck  kam.     Aber  schon    trat   in    dieser   ersten   offenen 
Auflehnung    gegen    die    eingebildete  Allmacht    des    Fi*ank- 
furter  Parlumentes  die  Schwäche   und  Machtlosigkeit   dieser 
Versammlung    zutage.      Die    Deklamationen    der  Redner  in 
der   Paulpkirche    machten   weder   auf  den   König   noch   auf 
seine  Minister   den    geringsten  EindnicU   und   fanden    kaum 
einen  sfhwachen  Widtirhal]  in  einigen  Kreisen  des  haunövri- 
schen  Volkes.     Eine   partikularistische  Strömung   fing   lang- 
sam   nn   sich   des   letzteren   zu    bemächtigen   und   wuchs  in 
domselben   Mafae ,    wie    die   Verwirrung    in   Frankfurt    sich 
steigerte,  anderseits  die  hannövrische  Regierung  Entschlossen- 
heit  und   Thatkrait   zfligte.      Der   offene   Widerstand   gegen 
die  Beschlüsse  des  Parlamentes  trat   schon   zutage,   als    das 
RcichsminiHterium    IVir  den    Ü.  August   eine   allgemeine  Hul- 
digung dos  deutschen  Militärs   für  den  Reichsverweser   und  ^J 
die  Anlegung  der  deut&clien  Farben  an  der  Kopfbedeckung^  ^H 
der  Truppen,  sowie  an  ihren  Fabneu  anordnete.    Dem  han-  ^i 
növrischon  Militär  wurde  an  diesem  Tage  nur  durch  könig- 
lichen  Befehl  bekannt  gemacht,  dafs  der  Erzherzog  Johann 
zum  Reichsvorwosor  erwählt  sei,  wozu  der  König  seine  Zu- 
stimmung  erteilt   habe,   und   dafs    zu   den    Befugnissen   des 
Reichfi Verwesers  auch  die  Oberleitung   der   deutschen  Heere 
zu  rechnen   sei ,   wie   diese   bisher    der   Bundesversammlung 
zugestanden  habe.     „  Sobald   es   zum   Schutze    Deutschlands 
erfordorlieb  ist"   —    so  hiefs   es   weiter  in   der   königlichen 
Pruktamation  —  „werde  ich   Euch  befehlen,    Euro    Heeres- 
abteiluugcn  denen  der  übrigeu  deutschen  Staaten  unter  Ober- 
leitung des  Reichs  Verwesers   anzuscbliefsen."     Wie  hier   der 
eigentliche   Keni    der    reichsministeriellen    Verordnung    um- 
gangen ward,  ao  war  von  einem  Anlegen  der  deutschen  Ko- 
karden und  Fahnenbänder  anstatt  der  h&nnÖTrischen  nicht 


4 


Das  Dreikönigsbündnis. 


461 


die  Rede.  Ala  dann  später  nach  langen,  Bchleppenden  Be- 
ratungen die  deutschen  Grundrechte  in  Frankfurt  aDgenommen 
nnd  veröffentlicht  wurden,  wenige  Wochen  später  (23.  Ja- 
nuar 1849^  auch  die  Reich sverta saun g  zustande  kam,  landen 
weder  jene  noch  diese  in  Hannover  Anerkennung. 

Bei  der  Weiterentwicklung  der  Geaamtangelegenheiten 
Deutschlands  und  bei  der  Rückwirkung,  die  sie  auf  Han- 
nover äufserte,  kam  hauptsächlich  das  Verhältnis  des  letz- 
teren Staates  zu  dem  benachbarten  norddeutschen  Grofs- 
staate  in  Betracht.  Ernst  August  hatte  bis  dahin  für  Proufsen 
und  das  preufsische  Königshaus,  mit  dem  ihn  enge  ver* 
wandtschaftliche  Bande  verknüpften,  eine  ausgesprochene 
Hinneigung  gezeigt.  Gern  erinnerte  er  sicli  der  Zeiten,  da 
er  seinen  Wohnsitz  in  Berlin  gehabt  hatte.  Namentlich  hegte 
er  für  das  preufsische  Militärwesen  eine  grofse  Vorliebe  und 
hatte  nach  seinem  Regierungsantritt,  wie  wir  gesehen  haben, 
davon  Zeugnis  abgelegt.  Aber  das  Verhalten  Friedrich 
Wilhelms  in  den  Märztagen  1848  hatte  ihn  tief  verstiromt 
Die  damalige  Erklärung  des  Königs,  er  werde  sich  zur 
Rettung  des  Gesamtvaterlandes  an  die  Spitze  Deutschlands 
steilen  und  wolle  als  neuer  konstitutioneller  König  der  fi-eien 
wiedergeborenen  Nation  B^iihrer  sein,  erschien  seiner  ener- 
gischen Natur  als  klägliche  Schwäche,  weckte  aber  auch 
sein  Mifstrauen  und  verstiers  gegen  die  hoho  Meinnng,  die 
er  von  seiner  eigenen  königlichen  Wtlrde  hegte.  In  Han- 
nover fürchtete  man  seitdem,  dafs  Preufsen  die  deutsche 
Bewegung  zur  Herstellung  einer  Hegemonie  über  Deutsch- 
land ausnützen  würde  und  dafs  es  auf  die  Mediati sierung  der 
übrigen  deutschen  Staaten,  abo  auch  Hannovers,  abgesehen 
sei  Aber  diese  Befürchtungen  schienen  sich  in  nichts  auf- 
zulösen, als  König  Friedrich  Wilhelm  die  ihm  im  April 
1849  von  der  Frankfurter  Nationalversammlung  angebotene 
Kaiserkrone  nach  einigem  Zögern  ablehnte.  So  ti*at  denn 
auch  Hannover  dem  Dreikönigöbunde  bei,  durch  welchen 
Preuläen  jetzt  (26.  Mai  1849)  den  Versuch  machte,  wenig- 
stens einen  Teil  Deutschlands  auch  ohne  die  Nationalver- 
sammlung und  ohne  die  Anerkennung  der  Reichsverfassung 
um  sich  zu  scharen  und  zu  einem  engeren  Verbände  zu 
einigen.  In  dem  Verfassungsentwürfe,  den  dieser  von  Preu- 
fsen,  Sachsen  und  Hannover  geschlossene  Bund,  einem  künf- 
tigen Reichstage  zur  Annahme  vorzulegen  gedachte,  waren 
freilich  die  Grundlagen  des  Frankfurter  Verfassungswerkes 
festgehalten,  aber  durch  wesentliche  Änderungen  war  ihm 
doch  ein  anderer  Charakter  aufgedrückt  worden,  ohne  den 
Ernst  August  auch   schwerlich  der  Vex^vsÄ^^vi^  ^ife\^Äx^^KQ. 


Drittea  BikIi.    Zweiter  AhwriMai 


aem  wfirde.  Dies  kjun  besonder«  in  den  Artikeln  aber  die 
Reicfaigewmlt  und  6ab  Ueenresen  zon  Ansdrock.  Jene  aoUfee 
EWU-  die  TölketrecbtUcbe  Vertretmig  OeatodiUnds  bei  den 
fremden  Staaten  ao&übeo,  jedocfa  nur  iofoige  öner  frei- 
willigen  Ubertragimg  des  Geeaodtscb&ttsrecbtes  der  Einzel- 
staaten, wodurch  wenigstens  der  Schein  der  ^Selbständigkeit 
der  leteteren  gewahrt  ward.  Die  Einrichtang  ihres  Heer- 
wesens blieb  aber  den  Einzclregicrungen  völ%  äberlassen, 
and  die  Vertagong  über  ihre  Beere  sollte  dem  Reichsober- 
baapti?  als  Bandest'eldherm  nur  im  Kriege  oder  in  Fällen, 
wo  notwendige  Sicherhatsnm&i^eln  za  ergreifen  sein  wür- 
den, zastehen. 

Der  weitere  Verlaof,  den  die  deutsche  Fer&smngs&age 
nahm,  '\»t  bekannt  Nach  Niederwerlimg  der  AafRt&nde,  die 
in  einzelnen  deutschen  Ladern,  in  Sachsen,  Baden  und  der 
bayerischen  Pfalz ,  zugunsten  der  Eeichsvert'asaung  auf- 
flackerten, nahm  jetzt  Preur8en,  gestützt  auf  seine  Abmach- 
ungen mit  Sachsen  nnd  Hannover,  die  Bundeereform  in  die 
Hand,  berief  zur  Beratung  des  unter  seiner  Führung  zu 
schaffenden  Bundesstaates  das  Parlament  von  Erfurt,  rauTste 
sich  aber  bald  von  der  Unmöglichkeit  überzeugen,  das  be- 
gonnene Werk  zu  gedeihlichem  Ende  zu  führen.  Die  Er 
iurter  Versammlung  ward  aufser  von  Preufsen  nur  von  einer 
Anzahl  der  deutschen  Kleinstaaten  beschickt  Die  Mittel- 
staaten, auch  Hannover,  hielten  sich  fem.  Letzteres  hatte 
bereits  am  20.  Oktober  1849  zugleich  mit  Sachsen  seinen 
Rücktritt  von  dem  Dreikönigsbündnis&e  erklärt.  König  Ernst 
August  hat  sich  nicht  leichten  Herzens  zu  diesem  Schritte 
cntächlüssen.  Man  sa^t,  er  habe  sich  an  den  greisen  Her-  ^J 
zog  von  Wellington  um  Rat  gewandt  Aber  die  Warnung  ^B 
des  Herzogs,  nicht  zu  sehr  auf  das  ferne  Österreich  zu  ver-  ^1 
trauen,  vermochte  die  Besorgnis  vor  dem  Ehrgeize  und  den 
Vergröfeerungspiänen  Preufsens  nicht  zu  übenvinden.  Der 
von  Preuf&en  verfolgte  Unions})lan  scheiterte  infolge  des  Ab- 
falls seiner  Bunde^enossen  und  der  von  Tage  zu  Tage 
feindseliger  werdenden  Haltung  Österreichs.  Im  hannö-^^ 
vrischen  Volke  fand  dies  Preisgeben  eines  engeren  ßundr>s^H 
unter  Preufsens  Führung  keinen  Widerspruch,  eher  Zustim-  ^H 
mung.  So  sehr  war  hier,  abgesehen  von  dem  Milstrauen 
»ind  der  Abneigung  gegen  Preofoen,  der  Parti kxJarismus  be- 
reits wieder  erstarkt.  Die  Entscheidung  in  diesen  deutschen 
Verfassungs wirren,  die  schon  damals  zu  einem  Kriege  von 
Deutscheu  gegen  Deutsche  zu  führen  droheten,  gab  schliefs- 
lich  der  Konflikt  des  Kurfürsten  von  Hessen  mit  seineu 
Ständen,  der  von  der  österreichischen  Diplomatie  mit  grofser 


Agitation  für  die  Annalime  der  RcicbsTerfasäung. 


4;)3 


Geschicklichkeit  und  vollständigem  Erfolge  benutzt  ward, 
um  die  „Union  von  innen  heraus  zu  sprengen".  Es  er- 
folgte die  Sendung  des  preufsiselien  Ministerpräsidenten  Gra- 
fen Brandenburg  nach  Warschau  und  mit  der  Demütigung 
Preufsens  in  Ülmütz  die  Preisgabe  aller  bisher  von  ihm  er- 
strebten Reformpläne.  Die  österreichische  Politik  hatte  im 
Bunde  mit  den  deutschen  Mittelstaaten  den  entscheidendsten 
Sieg  davon  getragen.  Die  Folge  war  die  eijit'ache  Wieder- 
herstellung des  alten  deutschen  Bundes. 

Dais  dieses  klägliche  Scheitern  der  Bundesreform,  die 
den  eigenthchen  Kernpunkt  der  ganzen  deutschen  Bewegung 
von  1H4Ö  bildete,  überall  in  Deutachland  die  gewaltigste 
Aufregung  hervorrief,  dafa  es  in  einzelnen  deutschen  Län- 
dern selbst  zu  blutigen  Aufständen  kam,  die  mit  Waffen- 
gewalt unterdrückt  werden  mufstcn,  wird  niemand  wundern, 
der  sich  die  ausschweifenden  Hoffnungen  vergegenwärtigt, 
die  an  die  Franklurter  Nationalversammlung  geknüpft  wor- 
den waren.  Auch  in  Hannover  gingen  damals  die  Wogen 
politischer  Leidenschaft  hoch,  auch  hier  hatte  sicli  der  sonst 
so  ruhigen  und  besonnenen  Bevölkerung  in  diesen  Tagen 
der  Eulscheidung  eine  hochgradige  Aufregung  bemächtigt. 
W^ühl  gab  es  ira  Lande  eine  starke  rückschrittliche  und  zu- 
gleich parlikularistisch  gesinnte  Partei,  aber  sie  verschwand 
völlig  in  dem  Wirbel  der  augenblicklichen  Tagesströmung. 
So  unausrottbar  auch  Abneigung  und  Mifstrauen  gegen 
Preulsen  noch  immer  in  dem  gröfsten  Teile  der  Bevölkerung 
wurzeiteu  und  so  sehr  man  ßich  auch  sträubte,  gerade  von 
einer  PeraonUchkeit ,  wie  Friedrich  Wilhelm  IV.  war,  das 
Heil  und  die  Rettung  des  Vaterlandes  zu  erwarten,  so  rifs 
doch  die  Bewegung,  als  die  Sache  zur  Entscheidung  stand, 
Alles  mit  sich  fort.  Das  M'ort,  das  man  noch  vor  nicht 
allzu  langer  Zeit  Dahhnann  bei  dessen  Heise  nach  Frank- 
furt zugerufen  hatte:  „Macht  was  Ihr  wollt,  nur  keine  preu- 
fsische  Uegenioüie'*,  schien  völlig  vergessen  zu  seiu.  Die 
Kaiserdeputaliou  wurde,  als  sie  am  30.  März  durch  Hanno- 
ver kam,  hier  mit  lautem  Enthusiasmus  begrüfst.  Nur  der 
Magistrat  hielt  sich  von  dem  feierlichen  Empfange  fern.  Die 
Vertreter  sämtlicher  hannövrischen  Vereine  beschlossen,  eine 
gemeinsame  Adresse  an  den  König  von  Preufaen  zu  richten, 
in  der  er  beschworen  ward,  „die  erbliche  Würde  eines 
deutschen  Kaisers  anzunehmen  und  damit  ein  Band  zu 
knüpfen,  das  alle  deutschen  Herzen  auf  ewig  verbinden,  das 
Deutschland  zu  dauernder  Einheit,  Macht  und  Ehre  erheben 
werde".  Am  4-  April  trat  dann  in  Celle  ein  von  siebenzig 
hannövrischen  Vereinen  beschickter  Parteitag  zusammen,  um 


4H  DrittM  Baeh.    Zweiter  Abwkutt. 

die  bei  der  Lage  der  Dinge  xa  eigietfeuden  Maiarc^efai  so 
beratea.  Du  Efgebais  war  die  AlimdiiDe  einer  DepnUtioo 
an  deo  König^,  tun  die  EiiIImwii^  des  lljnisleriaina  Stüve- 
BeorngseD  za  fordern,  ijmwen  aadeotacfaeSr  partikolaristiecbei 
and  onkoostitattooeAes  BeDehmeu  Sun  dM  Yertnmea  des  Lau- 
des  gänzlich  entzogen  habe.  Zo^eich  wurden  Adressen  an 
die  y»yion*|y*'r'"^f*>T»l"'*g,  an  die  <t*'*»#l»  Tertagten  hanndT- 
riachen  Stände  und  an  die  Abgeordnetenkammer  in  Berlin 
beachloseeo,  welche  sämtlich  den  Zweck  verfolgten,  da«  Mi- 
niateriam  und  den  König  zur  Uoberwerfung  unter  die  Be- 
■cblüne  der  Nationalversammlung  und  zur  Annahme  der 
Beicbsverfiusang  zu  nötigen. 

EniAt  Au^st  und  seine  Bäte  liefsen  sich  dadurch  nicht 
einechüchterc.  Sic  antworteten  mit  der  Aut'lusung  der  zwei- 
ten Kammer,  deren  Mitglieder  sich  in  grofser  Anzahl  bei 
der  Celler  V'^-Bammlnng  and  an  den  von  ihr  getafsten  Be- 
schlüäsea  beteiligt  hatten.  „Die  Kammer '%  so  hie&  es  in 
der  königlichen  Botschaft,  ,,habe  sich  auf  eine  Bahn  leiten 
la&Ben,  welche  sie  von  dem  obersten  Grandeatze  des  ver- 
&B8ang«mälsigen  Wirkens  gänzlich  eotiemt  habe"  Auch 
der  Adressen-  und  Petitionensturm,  der  nun  folgte,  sowie 
die  anderen,  damals  freilich  &chon  etwas  verbrauchten  Agi- 
tationsmittel, die  man  in  Scene  setzte,  vermochten  weder 
den  König  noch  die  Regierung  in  ihrer  festen,  entschlossenen 
Haltung  zu  erschüttern.  Einer  Deputation  aus  Osttriesland 
gegenüber  betonte  der  König  damals,  dafa  er  volles  Ver- 
trauen in  seine  Räte  setze:  „er  sei  überzeugt,  dafs  in  keinem 
Lande  Männer  au  der  Spitze  ständen,  die  es  so  redlich  mit 
ihrem  Lande  und  mit  Deutschland  meinten".  Zugleich 
wurden  Neuwahlen  zur  zweiten  Kammer  ausgeschrieben,  die 
indes  ihre  trübere  Zusammensetzung  so  gut  wie  gar  nicht 
veränderten.  Am  8.  November  1849  traten  die  Stände  wie- 
der zusammen.  Die  Thronrede  wies  darauf  hin,  dafs  in 
den  meisten  Staaten  Europas  die  Ordnung,  freilich  nicht 
ohne  Waffengewalt,  hergestellt  sei,  beteuerte  den  entschie- 
denen Willen  des  Königs,  die  Einiguüg  Deutschlands  and 
eine  Gesamtvertretung  des  deutschen  Volkes  auf  verfassung»- 
mälsigem  Wege  zu  verwirklichen,  betonte  aber  als  die  nächst- 
liegende und  hauptsächlichste  Autgabe  der  Stände  die  inno- 
ren  hannövrischen  Angelegenheiten  und  in  erster  Reihe  den 
Ausbau  des  Veifaasungsgesetzes  vom  &.  September  1843. 
Noch  einmal  fand  in  den  Tagen  vom  5.  bis  9.  Januar  1850 
über  die  deutsche  Frage  eine  grofse  Debatte  statt,  die  aber, 
wie  unter  den  obwaltenden  umständen  vorauszusehen  war, 
ohne   weitere   Ergebnisse    blieb.      Dann    wandten    sich   die , 


EntUssimg  des  Mimaterlums  Stüre-Bcimigsea. 


455 


L 


Stände  nach  einer  kurzen  Vertagung  mit  Eiier  und  Erfolg 
der  ihr  von  der  liegierung  gestellten  Autgabe  zu,  der  Durch- 
beratung der  groisen,  einschneidenden  Neuorganisationen  auf 
den  Oesomtgobieten  der  Justiz  und  Verwaltung,  die  sie  noch 
wälirend  der  ersten  Hälfte  des  Öommers  vollendeten.  Es 
war  daa  eigenste  Werk  Stiivea,  der  in  diesen  Gesetzentwürfen 
die  Ergebnisse  einer  angestrengten  Gedankenarbeit  und  einer 
langjährigen  praktischen  Erfahrung  niedergelegt  hatte.  £a 
ward  ihm  noch  die  Genugthuung  zuteil,  dafs  diese  grund- 
legenden legislatoriBchen  Vorlagen  von  den  Ständen  mit  un- 
wesentlichen Abänderungen  angenommeD  wurden  und  der  König 
den  Kammern  dafür  seinen  Dank  aussprach.  Dann  aber  erfolgte 
in  der  ätimmung  des  Königs  ein  Umschlags  der  schliefslich 
zum  Sturze  des  Märzmiuiflteriums  führte.  Nachdem  die  Ge- 
fahr, die  eine  Zeit  lang  auch  in  Hannover  Thron  und 
Veriassung  mit  dem  Umstürze  bedrohet  hatte,  vorüber  war, 
gewannen  die  alten  8chrof(«n  Ansichten  seiner  früheren  Jahre 
wieder  einen  bestimmenden  Einflufs  auf  die  Entschliefsungen 
des  Königs.  In  demselben  Maise,  wie  die  Beruhigung  der 
Gemüter  Fortschritte  machte,  die  leiden  sc  baftUcbe  Aufregung 
eich  legte,  neigte  er  sich  auch  in  der  inneren  Politik  einer 
umkehi-enden  Richtung  zu.  Darin  ward  er  nicht  nur  durch 
die  Ereignisse,  die  er  eben  durchlebt  hatte  und  die  noch 
frisch  in  seinem  Gedächtnisse  hatieten,  bestärkt,  sondern  ea 
kamen  noch  andere  Einflüsse  hinzu.  Es  ward  ihm  nicht 
leicht  sich  von  einem  Ministerium  zu  trennen,  mit  dessen 
Hilfe  er  das  Staataschiff  durch  diu  stunngepeitschten  Wogen 
der  letzten  Jahre  glücklich  hindurchgesteuert  hatte.  Für  die 
Tüchtigkeit  dieser  Männer  fehlte  ihm  keineswegs  ein  leb- 
hatites  GetUhl.  Namentlich  hatte  das  schlichte,  einfache  und 
doch  so  sichere  Wesen  Ötüves  ihm  unwillkürliche  Ächtung 
abgenötigt.  Aber  er  verkannte  doch  wieder  diesen  Mann 
vollatändig,  wenn  er  vermeinte ,  ihn  jetzt  in  vertraulichen 
Unterredungen  zu  gewinnen  und  von  seinen  Amtsgenossen 
zu  trennen.  Schon  war  die  Stellung  des  Ministeriums  infolge 
des  Umstandes,  dafs  der  König  die  eben  noch  von  ihm 
dankbar  anerkannten,  jetzt  aber  ihm  allzu  demokratisch  er- 
Bcheinenden  Neuorganisationen  zu  bestätigen  zögerte,  unsicher 
geworden.  Die  Abstimmung  des  hannövrischen  Bundestags- 
gesandten,  der  ohne  Anweisung  des  Ministeriums  sich  am 
21.  September  in  der  hessischen  V er fassungs frage  dem  An- 
trage des  Kurfürsten  gemäfs  erklärte,  gab  den  Ausschlag. 
Das  wiederholte  Entlassungsgesuch  des  Gesamtministeriums 
wurde  endlich  am  28.  Oktober  vom  Könige  angenommen. 
Das  neue  Mimsterium,  an  dessen  Spitze  der  Kammerrat 


«ft 


Orittci  Biicn.    Zweiter  ADscfainttt 


von  Mlinchhaii&eu  trat  und  dem  mehrere  von  Stüves  Part«- 
genosscD  angehörten ,    wollte    keineswegs   als   rückschrittlich 
angeschen    wra^en.      In   der   königlichen   Kundgebung ,   die 
seine  Ernennung  begleitete,  war   ausdräcklicb   erklärt,   daTs  ^d 
ea  nicht  in  der  Absicht  der  Regiening  liege,  „den  bisherigen  ^M 
Gang  dersclbeu   zu   verändern'*.      Dem   entsprach    auch  im 
allgemeinen    der    weitere   Veriaut   der    Dinge.      Die   grofsen 
Organisationsgesetze,  die  bisher  noch  nicht   die  Zustimmung 
des  Königs  erhalten   hatten,  wurden  jetzt,   wenigstens   zum  ^^ 
Teil,  von  ihm  genehmigt,  einige  allerdings  erst,  nachdem  sie  ^M 
einer  Revision  unterworfen  worden    waren.     Selbst   das  Ge-    " 
setz   Über   die  Provinzialbtände    fand  nach   einigem   Zögern 
die  Bestätigung   des   Königs.      Kur   iUr   die   Laadgemeiude- 
ordnung  und  die  damit  zusammenhängenden  Gesetze  war  die 
königliche  Sanktion   nicht   zu   erlangen.     Ein    Ergebnis   der 
wieder  angeknüpften  besseren  Beziehungen  zu  Prenfsen  war 
der   Anschlul's   Hannovers    an    den   preuisischen    Züilverein, 
der  am  7.  September   1851   erfolgte.     Am  5.  Juni  hatte  der 
König  seinen  achtzigsten  Geburtstag  gefeiert.    Das  Fest  ward 
durch  die  Anwesenheit  vieler  Fürsten  in  Hannover  verherr*   fl 
licht:  auch  Friedrich  Wilhelm  IV.  hatte  dabei   nicht  fehlen    " 
wollen.      Aber    die    körperlichen    und  geistigen   Krälte    des 
greisen  Königs,  die  sich   so  lange  in  wunderbarer  Frische 
erhalten  hatten,  waren  bereits  in   raschem  Sinken    hegrifieu. 
Dennoch  hielt  er  sich  aufrecht     Bis  in   den  November  liin- 
ein   lieÜB  er    sich    noch    die   gewöhnlichen   Vorträge    halten. 
Allein  die  Schwäche  nahm  von  Tage  zu  Tage  zu,  und  am 
18.  November   morgens   erfolgte   sein   Tod,    ohne   dafa  eine  ^^ 
eigentliche  Krankheit  vorausgegangen  war.  ^M 

Es  giebt  wenige  Fürsten,  über  die  das  Urteil  der  Men-  *' 
scheu  so  sehr  gewechselt  bat  wie  über  Ernst  August  von 
Hannover.  Nicht  nur  zu  der  Zeit,  da  er  in  England  einer 
der  Führer  der  Torypartei  war,  sondern  auch  während  der 
ersten  Hälfte  seiner  Regierung  in  Hannover  war  er  einer 
der  am  meibtcu  gehafsten  und  —  man  darf  hinzufugen  — 
der  bestverleumdeten  Männer  Europas.  Die  Festigkeit  und 
kluge  Nachgiebigkeit,  mit  der  er  in  den  Jahren  der  Revo- 
lution sein  Land  durch  die  Stürme  der  Zeit  hindurchzulühroa 
verstand,  die  Ehrlichkeit,  mit  der  er,  nachdem  die  Gefahr 
vorüber  gegangen  war,  die  dem  Lande  gewährten  Freiheiten 
ihrem  we&entliehen  Inhalte  nach  ungeschmälert  erhielt,  haben 
mit  der  Zeit  eine  günstigere  Beurteilung  seiner  Persönlich- 
keit und  eine  gerechtere  Würdigung  seiner  Regierungsthätig- 
keit  angebahnt-  Wenige  Tage  schon  nach  seinem  Tode 
kündigte  sich   dieser   Umschwung   der   öffentlichen   Meinung 


Tod  und  ikartcilung  Ernst  Augusts. 


457 


in  dem  Kachrufe  an,  den  ihm  das  gröfste  politische  Blatt 
Englands  widmete.  „Der  Mut"  —  so  heilst  es  in  den  Times 
vom  27.  November  — ,  »Kiit  dem  der  König  von  Han- 
nover dem  Sturme  begegnete,  wird  im  Gegensatze  zu  dem, 
was  sich  anderwärts  zutrag,  in  ehrenvollem  Gedächtnis  blei- 
ben. Er  machte  seinen  Unterthanen  grofse  Zugeständnisse, 
aber  nocli  bei  guter  Zeit,  aus  eigener  Bewegung  und  indem 
er  erklärte:  so  weit  gehe  er  und  nicht  weiter,  sei  man  da- 
mit nicht  zufi*iedeu,  so  wäre  er  bereit  sein  Königreich  zu 
verlassen.  So  war  König  Ernst  von  Hannover.  Wenn  er 
in  jüngeren  Jahren  heftigen  Lcideuschaiteu  nachgab  und  in 
schwere  Fehler  verfiel,  wenn  er  hie  und  da  Mangel  an  Ur- 
teil und  pohtischer  Vorausgicht  zeigte,  so  hat  er  diese  Mängel 
später  durch  seine  Verwaltung  der  hannovrischen  Angelegen- 
heiten gesühnt,  und  wenige  Männer  des  Kontinents  sind  in 
neuerer  Zeit  so  aulrichtig  betrauert  aus  dem  Leben  ge- 
schieden." Das  sind  in  der  That  Worte  hoher  Anerkennung 
und  von  um  so  schwererem  Gewichte,  als  sie  von  gegne- 
rischer Seite  kamen.  Wie  wenig  aber  der  hier  gerügte 
Mangel  politischer  Voraussicht  bei  dem  Könige  zutrifft,  er- 
hellt aus  der  Aufserung,  die  er  im  Jahre  1848  that  und 
die  wie  ein  prophetischer  Blick  in  die  Zukuntt  erscheint: 
„  Was  die  Deutschen  glauben,  sie  können  die  Einheit  machen 
aul'  dem  Papier,  wenn  sie  wollen,  haben  sie  die  Einheit: 
dann  müssen  sie  gehen  durch  Blut  bis  an  die  Brust.^' 

Inzwischen  war  auch  das  Herzogtum  Braunschweig  von 
den  Erschütterungen,  welche  die  Ilevolutionsjahre  mit  sich 
brachten,  nicht  völlig  verschont  geblieben,  doch  nalimen  in 
dem  kleineren  Lande,  das  sich  seit  dem  ßegieruagsantiitte 
des  Herzogs  Wilhelm  einer  nicht  nur  wohlwollenden,  son- 
dern auch  bis  zu  einem  gewissen  Gx*ade  treisinriigen  Ko- 
gierung  zu  orfreuen  gehabt  hatte ,  die  Ereignisse  einen 
immerhin  mbigeren  Verlauf  als  in  dem  benachbarten  Han- 
nover. Neben  dem  Herzoge,  der  in  den  ersten  Monaten  der 
Bewegung  eich  ihr  auirichtigen  Herzens  anzuschliefsen  schien, 
der  schon  am  22.  März,  der  erste  deutsche  Füi-st  nach  dem 
Könige  Friedrich  Wilhelm  IV.,  seine  Truppen  die  deutschen 
Farben  hatte  anlegen  lassen  und  dann,  ihnen  folgend,  auf 
den  Kriegsschauplatz  nach  Holstein  geeilt  war,  verdankte 
das  Land  dies  hauptaächlich  der  geschickten  Leitung  des 
Geheimenrates  von  Öchleinitz,  der  durch  Nachgiebigkeit  in 
kleinen  Dingen  und  durch  Festigkeit  in  Angelegenlieiten 
von  gröfaerer  Bedeutung  das  Staatsschifif  durch  die  Sturm' 
flut  der  Bewegungsjahre  glücklich  hindurclizulühren  ver- 
stand, der  einzige  vormärzUche  Minister  in  Deutschland,  der 


IM 


Drittel  Bncb.    Zweiter  AbscLmtt 


«nse  Stellung  biä  ku  seinem  Tode  (3.  November  1866)  behauptet 
hat.  In  der  inneren  Politik  folgte  die  Regierung  bereit- 
willig der  liberalen  Zeitstrümong,  ohne  doch  der  radikalen 
Partei,  die  auch  hier  nicht  fehlte,  bedenkliche  Zugeständ- 
uiaae  zu  machen.  So  kam  iu  den  Jahren  l84tf  bis  1852 
eine  Reihe  hochwichtiger  Neuordnungen  im  Staats-  und 
Volksleben  zustande.  Zunächst  wurden  durch  das  provi- 
sorische Gesetz  vom  11.  September  1848  die  Bestiramangen 
der  Verfassung  über  die  Zusammensetzung  der  Ständever- 
gammlung  und  des  ständischen  Ausschusses  aul'gcbobcuj  das 
bisherige  Wahlgesetz  in  fi-eisinnigem  Sinne  umgestaltet  und 
dem  auf  Grund  dieses  pro visori scheu  Wahlgesetzes  berufenen 
Landtage  die  binnen  drei  Jahren  zu  vollendende  Revision 
der  Landesverfassung ,  die  Reorganisation  der  Staats  -  und 
Gbmeindeverwaltung,  sowie  die  Beratung  undBeschlufsfasaung 
über  ein  endgültiges  Wahlgesetz  zur  Aufgabe  gestellt  Die- 
ser Aufgabe  ist  der  Landtag  denn  auch  in  der  ihm  gegönn- 
ten Zeit  gerecht  geworden.  Eine  grofse  Anzahl  von  Ge- 
setzen, die  unter  seiner  Mitwirkung  ins  Leben  traten,  lefi;t 
davon  Zeugnis  ab.  Der  blaherige  Lehensverband  vmroe 
gänzlich  aufgehoben  und  die  neue  Gerichtsverfassung  ins 
Leben  gerufen.  Dann  folgte  im  Jahre  1860  eine  Advokaten- 
und  Notariatsordnung,  die  nävidierte  Städteordnung  und  die 
Landgemeindeordnung,  welche  beide,  jene  den  städtischen, 
diese  den  bäuerlichen  Gemeinwesen,  ein  so  grofses  Mafs  von 
Selbstverwaltung  gaben,  wie  es  in  anderen  deutschen  Staaten 
damals  nur  ausnahmsweise  begegnet.  Im  folgenden  Jahre 
kamen  die  Gesetze  über  Errichtung  eines  Handelsgerichtes 
in  der  Stadt  Braunschweig,  über  die  allgemeine  Wehrpflicht, 
über  Barchen  vorstände  und  Gemeindeschulen,  endlich  dos 
wichtige  Gesetz  über  die  künftige  Zusammensetzung  der 
Landesversammlung  und  über  das  Walilrecht  zustande,  das 
am  22.  November  1851  veröffentlicht  ward. 

Was  die  deuttäche  Frage  betrifi^,  so  war  die  Regierung 
vom  Anfang  der  Bewegung  an  bemühet,  völlig  in  Überein- 
stimmung mit  den  Beschlüssen  der  Nationalversammlung  zu 
handehQ  und  später  seit  der  Herstellung  der  Zentralgewalt 
sich  den  Weisungen  der  letzteren  zu  fügen.  Bei  der  Elein- 
heit  des  Landes,  der  hochgradigen  Aufregung  der  Bevöl- 
kerung und  der  Abwesenheit  der  nach  Holstein  abgerückten 
Truppen  blieb  ihr  in  dieser  Hinsicht  keine  Wahl.  In  ein- 
zelnen Momenten  ward  wohl  regierungsseitig  der  Versuch 
gemacht,  die  Selbständigkeit  des  Landes  der  Frankfurter 
liegierang  g«^enüber  zu  wahren,  aber,  wie  damals  die  Dinge 
i^geUf   mu/ftte  ein  jeder  VeTBttc,\\    öiesfix    Nsi  a-Ubald   wie- 


Das  Herzogtum  BrauDRchweig  in  den  SturmjabraD. 


46tf 


der  aufgegeben  werden.  Das  Verlangen  der  Zentralgewalt, 
dafs  die  Truppen  der  Einzelstaaten  dem  Reicbsverweser  hul- 
digen sollten,  wirbelte  auch  in  Braunschweig  viel  Staub 
auf.  Der  Herzog,  aufgebracht  woniger  über  die  Forderung 
Belbst  als  über  die  rücksichtslose  Form,  in  der  sie  gestellt 
war,  weigerte  sich  anfangs  entschieden,  ihr  zu  entsprechen. 
Das  genügte,  um  die  Stadt  Braunscbweig  in  eine  ungeheuere 
Aufregung  zu  versetzen.  Eine  grofse,  allgemeine  Volksver- 
sammlung wurde  berufen,  unter  deren  Drucke  die  Regiemng 
nachgab,  zumal  sie  die  Gewifsheit  erlangt  hatte,  dafs  im 
Faile  ernstlicher  Unruhen  weder  von  Hannover  noch  von 
Preufsen  Unterstützung  zu  erwarten  war.  Am  Ö.  August 
fand  auf  dem  grofeen  Exerzierplatze  vor  Braunscbweig  die 
Huldigung  der  in  der  Stadt  zurückgebliebenen  Truppen  in 
der  von  dem  Reich skriegsminißter  vorgeschriebenen  Form 
statt  Im  weiteren  Verlaufe  der  Ereignisse  schlössen  sich 
der  Herzog  und  seine  Regierung,  wie  das  ja  durch  die  all- 
gemeinen Verhältnisse  und  die  Lage  des  Landes  bedingt 
war,  eng  an  Preufsen  an.  Als  das  preufiuBche  Erbkaiser- 
tum au  dem  Widerstreben  des  Königs,  die  Kaiserkrone  aus 
solchen  Iliiiiden  zu  empfangen,  gescheitert  war,  ti'at  Braun- 
Bcliweig  dem  üreikönigsbündnisse,  später  auch  der  Union 
bei.  Auch  wohnte  der  Herzog  dem  im  Mai  1850  in  Berlin 
tagenden  Fürstenkongresse  an.  Nach  den  OlmUtzer  Tagen 
aber  und  dem  vollständigen  Siege  Osterreich»  ti'at  auch 
Braunschweig  wieder  von  der  Union  zurück.  Am  27.  Mai 
1851  zeigte  der  brauufichweigische  Bevoll i nächtigte  in  Frank- 
furt die  Rückkelir  des  Horzüga,  seines  Herrn,  zur  Bundes- 
verfassung und  seinen  Wiedereintritt  in  die  Bundesver- 
sammlung an. 

Mit  der  Wiederherstellung  des  alten  vielgeschmälieten 
und  für  ewige  Zeiten  abgeschafften  deutschen  Bundes  be- 
gann last  in  allen  deutschen  Einzelatfiaten  eine  rückläufige 
Bewegung,  die  darauf  hinauslief,  die  „Errungenschaften''  der 
voraut'gegangenen  stürmiachon  Jahi*e  entweder  ganz  wieder 
zu  beseitigen  oder  doch  wesentlich  abzuschwäcben.  Ein  all- 
gemeiner Zug,  zu  den  früheren  Einrichtungen  und  Zustän- 
den zurückzukehren j  hatte  sich  der  Regierungen  und  selbst 
eines  ^rofsen  Teiles  der  Bevölkerung  bemächtigt  und  machte 
sich  jetzt  beinahe  mit  ebenso  unwiderstehlicher  Macht  geltend, 
wie  bisher  die  fortschrittlichen  und  revolutionären  Ötrömungon 
Alles  mit  sich  fortgerissen  hatten.  Der  natürliche  Rück- 
schlag gegen  die  bislang  allmächtige  Umsturzbewegung, 
die  einen  grofsen  Teil  der  europäischen  Staaten  bis  in 
ihre  Gh^ndfesten   erschüttert   hatte,  «oVVXß  xaidcÄ-  ^^as^^fc^sRÄ.. 


m 


Drittes  Buch.     Zweiter  Absobnitt. 


Es  folgten  die  Jahre  der  Reaktion,  die  namentlich  auch  in 
Deutschland  nur  wenigen  Ländern  erspart  blieb.  Unter 
dioßen  wenigen  Ländern  war  da»  Herzogtum  Braunschweig. 
Wie  es  hier  dem  einmütigen  Zusammenwirken  der  Stände 
und  der  Regierung  gelungen  war,  während  der  Sturm-  und 
Drangjahre  jeden  Verlaasungabruch  zu  vermeiden  uud  die 
Bewegung  in  gcsetzmäfBigcn  Bahnen  zu  erhalten,  so  blieb 
auch  in  den  folgenden  Jahren  die  ruhige  Weiterentwicklung 
der  staatlichen  Zustände  gewahrt.  Diese  Entwicklung  be- 
ruhete vorzugsweise  auf  der  rückhaltlosen  Anerkennung  des 
Grundsatzes  der  Selbstverwaltiuig  und  des  i'reien  Vereins- 
wesens. Dem  Wahlgesetze  von  1851  lag  das  Bestreben 
zugrunde,  den  bisher  überwiegenden  Einflurs  der  Beamten 
einzuschränken  und  allen  im  Staate  vertretenen  Interessen 
zu  der  ihnen  zukommenden  Geltung  zu  verhelfen.  Diese 
Absicht  ist  zwar  durch  das  Gesetz  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  erreicht  worden,  aber  die  künstliche  und  verwickelte 
Grundlage  der  W^ahlordnung  legte  die  Gefahr  nahe,  dafs  es 
über  kurz  oder  lang  zu  einer  ausgesprochenen  Interessen- 
vertretung der  einzelnen  Berufskreise  iühren  würde.  Trotz- 
dem haben  sich  die  Öffentlichen  Zustände  des  Landes  seit- 
dem bis  auf  die  Gegenwart  herab  in  erfreulicher  Weise 
weiter  entwickelt,  Ackerbau  imd  Industrie  sind  zu  hoher 
Blüte  gelangt,  der  Wohlstand  hat  sich  zu  einer  früher  nie 
erreichten  Uiihe  gehoben^  die  Staatsfinanzen  lassen  nichts  zu 
wünschen  übrig.  Bei  dem  Bedürfnis  einer  ruhigen  Entwick- 
lung nach  der  Aufregung  der  Jahre  1848  bis  1851  ist  es 
begreiflich,  dafs  die  vier  nächsten  ordentlichen  Landtage  von 
1852,  1855,  1858  und  1861  keine  bedeutenden  Ergebnisse 
fiir  die  Gesetzgebung  brachten.  Doch  wurde  nach  dem  Be- 
Bchlnase  des  dritten  dieser  Landtage  das  braunschweigiache 
Bisen  bahn  netz,  inbezug  auf  dessen  Umiang  und  Ausdehnung 
das  Land  schon  längst  den  meisten  deutschen  Ländern  vor- 
aus war,  durch  Anlage  einer  Bahnlinie  von  Jcrxheim  nach 
Helmstedt  erweitert.  Auch  beachlofs  der  Landtag  von  1861 
den  Bau  einer  Landesirren  ans  talt  in  Königslutter,  die  Er- 
richtung eines  neuen  Gymnasialgebäudea  in  Braunschweig 
und  die  Umwandlung  des  bereits  schon  mehrfach  verän- 
derten CoUegium  Carolinum  in  eine  vollständige  und 
ausschliefslich  polytechnische  Lehranstalt.  Auf  dem  elften 
ordentlichen  Landtage  (1 068/61)  gelangten  verschiedene 
wichtige  Gesetze ,  so  namentlich  ein  neues  Gewerbe-  und 
Personalsteuergesetz ,  auch  ein  Postgesetz  zur  Annahme, 
währeod  das  allgemeine  deutsche  Handelsgesetz  im  Novem- 
ber 1863  in  Kraft  trat 


^. 


Thronbesteigung  und  Persönlichkeit  Greorgs  V. 


m\ 


£me  gleich  ruhige  und  stetige  Fortentwicklung  seiner 
verfasaungsmäfsigen  Zustände  war  dem  Königreiche  Han- 
nover nicht  bfiBchieden.  Hier  folgte  nach  dem  Tode  tarnst 
Augusts  dessen  einziger  Sohn  aus  seiner  Ehe  mit  der  Prin- 
zessin Friederike  Kiirüline  von  Mccklenburg-Streütz,  der  ara 
27.  Mai  1819  zu  Berlin  geborene  Georg  V.  Er  hatte  be- 
reits in  jungen  Jahren  die  Sehkraft  des  einen  Auges  ver- 
loren und  dann  im  Jahre  1833  das  Unglück  gehabt,  sich 
durch  Unvorsichtigkeit  auch  das  andere  Auge  so  schwer  zu 
verletzen,  dafs  völlige  Blindheit  eintrat.  Nach  dem  Ötnats- 
grundgesetze  von  1833  wtirde  er  danach  regierungsuntähig 
gewesen  sein,  aber  die  Authebuug  jenes  (jesetzes  im  Jahre 
1837  hatte  alle  Zweifel  an  seinem  Thronfoigerechte  beseitigt, 
da  das  Landesverfassungegesetz  von  1840  eine  Kegentschaft 
nur  wegen  Minderjührigkeit  oder  geistiger  Unföhigkeit  an- 
ordnete. So  bestieg  denn  Georg,  ohne  dal's  sich  irgend  ein 
Widerspruch  dagegen  erhoben  hätte,  den  Thron  seiner  Väter. 
Die  erste  Erziehung,  bis  zu  seinem  sechsten  Jahre,  hatte  er 
in  Deutschland  unter  den  Augen  seiner  Mutter  erhalten, 
einer  in  ihrer  Jugend  lebcnsl'roheu  Frau,  die  sich  aber  in 
späteren  Jahren  einer  streng  kirchlichen  und  politischen 
Richtung  zuneigte.  Auch  sein  mütterlicher  Oheim,  Pnnz 
E^l  von  Mecklenburg,  ist  wohl  uicht  ohne  Eiuflula  auf  die 
ideale,  an  das  Mystische  streitende  Vorstellung  gewesen,  die 
er  in  der  Folge  von  der  Würde  und  Hoheit  des  gottbe- 
gnadeten Königtums  hegte.  Seine  Bildung  lur  das  Leben 
und  den  ihn  erwartenden  Berat  vollendete  sich  in  England, 
wohin  sein  Vater  im  Jahre  18^8  zurückkehrte.  Bei  rcicheu 
Anlagen  des  Geistes  und  Gemütes,  die  ihn  auszeichneten, 
mufste  deren  Entwicklung  infolge  seines  körperlichen  Go- 
bi-echens  doch  vielfach  gehemmt  oder  in  getährliche  Bahnen 
geleitet  werden,  so  dafs  sich  schlielUich  in  ihm  eine  Ge- 
dankenwelt ausbildete,  die  mit  der  Wirkliciikcit  der  Dinge 
nicht  immer  in  Einklang  stand.  Schon  in  der  Jugend  hatte 
er  neben  der  Musik,  für  die  er  eine  besondere  Begabung 
zeigte,  mit  grofsem  Eifer  historische  Studien  betrieben,  na- 
mentlich aber  iiir  die  Geschichte  seines  Hauses  eine  aus- 
gesprochene Vorliebe  gezeigt.  Das  uralte  Geschlecht,  dem 
er  entstammte,  das  in  früheren  Zeiten  eine  so  bedeutungs- 
volle Stellung  behauptet  hatte,  schien  ihm  auch  für  die  Zu- 
kunft noch  zu  grofsen  Dingen  beruien.  Phantastische  Träume 
von  der  Gröfse  der  welfischen  Macht,  wie  sie  einst  unter 
Heinrich  dem  Löwen  bestanden  hatte,  mögen  bisweilen  seinen 
jugendlichen,  weltunkundigen  Sinn  bescbäftigt  haben.  Das 
rein  innere  Leben,  auf  <^  qc  6\cW  Väsm^^^'v«««^  "«äq..,  *scX- 


wickelte  in  ihm  neben  dner  aUrk  hBumtietwIfii,  ntystiich 
«u^iliiHihliii  BffiigiflMgmt  ein  &A  aoeli  atid»«»  SÜiTOft- 
miatageSOkif  das  näi  ■pWer,  ak  er  war  Begierung  geUogte^ 
TOD  Jaiir  zu  J&hr  Bteigerte.  £r  hatte  tmi  der  Bedeuttuig 
aeiiKs  Land»,  von  der  htstonfcben  lÜHioa  eetDes  Hauses, 
Ton  der  etgenen  käoiglKhen  Würde  die  b&chste  Meinong. 
Im  Liuügen  ÖffeatBoheD  An^mcheo  oad  Beden,  die  er  mit 
fcgniglirliWD  Anatandft  m  haltao  »fiiriaml,  hat  er  während 
•eiiMr  Begienm^  Ton  dieeen  AaBrhiiiiiiifSfui  Zeugnis  abgelegt 
Bei  aUedem  nntlate  Mine  ErWbidnng,  wie  sie  in  firfihereo 
Jahren  die  gieächmifioge  Aasbildnng  seiner  geütigen  KräiW 
enchwert  and  selbst  gehindert  hatte,  jetast,  da  er  xor  Herr- 
gcbait  gelangt  war.  ihm  die  voUe  Äos&bang  sünes  könig- 
Heben  Berafea  onmögiich  und  ihn  dem  Kinflniwe  seiner  Um- 
gebung, auf  deren  L'rteii  er  in  vielen  Dingen  angewiesen 
war,  mehr  als  beiUam  und  ersprierslich,  zugänglich  machen 
Dies  trat  natargem&Ts  am  bedenklichsten  in  achwierigeo 
Lagen  and  Verwicklungen ,  in  jenen  entacbeidenden  Krisen 
zutage,  von  denen  kein  gtaat&leoen  verschont  bleibt  und  an 
denen  es  denn  auch  seiner  He^enmg  nicht  gefehlt  hat 
Ohne  diese  verhängnisvollen  Einflüaee  würde  wohl  auch  die 
letzte  grofse  Katasti'ophe,  in  die  er  sich  hineingerissen  sah 
und  bei  der  es  sich  um  Sein  oder  Nichtsein  handelte,  anders 
verlaufen  sein  und  nicht  mit  der  Vernichtung  von  Hannovers 
staatlicher  Selbständigkeit  geendet  haben. 

Georg  trat  seine  Ke^crung  durch  £rlais  eines  könig- 
lichen Patentes  vom  18.  November  1851  an,  in  welchem  er 
unter  anderem  ,,bei  seinem  königlichen  Worte  die  unver- 
brüchliche Festhaltung  der  Landesverfassung  versprach ''. 
Zwei  Tage  darauf  nahm  er  die  Huldigung  des  Magistrats 
seiner  Residenz  entgegen.  Bei  dieser  Gelegenheit  sprach  er 
die  schönen  Worte:  „Ich  erflehe  täglich  von  Gott  tuid 
wünsche  nichts  melir,  als  dafs  alle  meine  Unterthanen  ihre 
€lebeie  mit  den  meinigen  vereinigen,  damit  er  mir  Kraft 
und  Licht  gebe,  mein  schweres  Amt  zum  S^en  meines 
Volkes  zu  verwalten.  Es  wird  mein  Bestreben  sein,  mein 
Volk  imd  mein  Land,  soweit  es  an  mir  ist,  glücklich  zu 
machen/'  £r  hatte  in  dem  erwähnten  Patent  mit  den 
übrigen  ,, Dienern  geistlichen  und  weltHcben  Standes"  auch 
das  erst  vor  einem  Jahre  von  seinem  Vater  berufene  Mini- 
sterium Münchbausen  im  Amte  bestätigt  Aber  bereits  am 
22.  November  erhielt  dieses  Ministerium,  an  dem  noch  eine 
Erinnerung  an  die  letztverdoäsenen  stürmischen  Jahre  haftete, 
seine  iiJitlassungf  und  der  bi^eri^e  Bundestagsgesandtc,  Frei- 
iierr  von   Schele,  ward  mit  djex  ^^i^mx^^  «uuix  Ti^oftn.  Be- 


Miiiiat»rwechwl  in  Hannover. 


463 


fierung  beauftragt.  Schon  machten  »ich  unter  dem  Adel 
es  Landes  Bestrebungen  geltend,  durch  Beseitigung  des 
am  ].  August  1651  zustande  gekommenen  und  zu  Anfang 
des  Septembers  von  dem  verstorbenen  Könige  [bestätigten 
Gesetzes  über  die  Provinzialstände  seine  früheren  provin- 
ziellen Hechte  und  damit  seinen  politischen  Einfluls  zurück- 
»ugewinuen.  Dies  führte  im  April  1852  zu  einer  Spaltung 
des  Ministeriums.  Die  Minister  von  Bornes  und  von  der 
Decken,  die  jenen  Bestrebungen  des  Adels  cntge^ukommen 
wollten,  traten  zurück  und  wurden  dvu'ch  Wiudthorat  und 
den  Freiherm  von  Hammerstein  ersetzt  Der  König  ver- 
hielt sich  diesen  Zettelungen  des  Adels  gegenüber  ablehnend. 
Er  wollte  nicht  die  Machtbefugnisse  des  Königtums  dui'ch 
Rückkehr  zu  der  alten  ritterschattlichen  Herrlichkeit  acbmä- 
lern  lassen.  Allmählich  bereitete  sich  aber  doch  ein  Um- 
schlag in  seiner  Gesinnung  vor.  Die  in  ganz  Deutschland 
damals  ti'iumpbierend  1  ortschrei teude  Reaktion,  mancherlei 
persönliche  Einflüsse,  vielleicht  auch  eine  Zusammenkunft, 
die  er  um  diese  Zeit  mit  dem  Kaiser  von  Österreich  tmd 
den  Königen  von  Bayern  und  Würtemberg  hatte,  scheinen 
diese  ümstimmung  bewirkt  oder  doch  betÖrdert  zu  haben. 
Am  25.  April  1853  wurde  den  Ständen  von  der  Regierung 
©ine  Vorlage  unterbreitet,  welche  eine  abermalige  Ver- 
fassungsiinderung  in  Aussicht  nahm.  Sie  beantragte  die 
Aufbebung  jenes  Gesetzes  über  die  Provinziallandschaftea 
vom  1,  August  1851,  wodurch  man  hoflte,  die  Beschwerden 
der  Ritterschaft,  die  diese  beim  Bundestage  erhoben  hatte, 
aus  dem  Wege  zu  räumen  und  dem  Bunde  jeden  Vorwand 
zur  Einmischung  in  die  inneren  Angelegenheiten  des  Landes 
zu  entziehen.  Zugleich  ging  ein  Antrag  auf  Umgestaltung 
der  ersten  Kammer  in  reaktionärem  Sinne  den  Ständen  zu. 
Als  diese  Anträge  an  dem  Widerstände  der  zweiten  Kammer 
scheiterten ,  ertblgtc  ein  abermaliger  Ministerwecbsel.  Aq 
Stelle  Schelea  trat  von  Lütcken,  und  auch  die  übrigen  Räte 
der  Krone  wurden  durch  andere  Personen  ersetzt:  nur  der 
Kriegsminister,  Generalmajor  von  Brandis,  blieb  im  Amte. 
Neben  den  neuemannton  Ministem  gewann  aber  zu  dieser 
Zeit  der  frühere  Archivsekretär  G.  Zimmermann ,  der  jetzt 
aus  dänischen  Diensten  als  Oberregierungsrat  und  Referent 
im  Gesamtministerium  nach  Hannover  zurückberufen  war, 
einen  bestimmenden  EinBufs  auf  den  König.  Die  Berufung 
dieses  Mannes,  der  im  Jahre  1851  ein  Buch  gegen  das  in 
den  meisten  kontinentalen  Staaten  Europas  herrschende  kon- 
stitutionelle System  geschrieben  hatte,  erregte  schon  damals 
in  den  vcrfassimgstreueii  Kreiaeti.  det  B^N<iVE.ft'rK&,^  "^«Sskc*?;«^- 


4M 


Drittes  Bacli.    Zweiter  Abrnhiütt. 


tongeo,  daffl  es  der  Adelspartei  geUngeD  werde,  den  König 
und  dio  Regierung  zu  einem  entschiedenen  Vorgehen  zu- 
gunsten der  ritterschattlicfaen  Ansprüche  zu  gewinnen.  Diese 
Beftirchtungen  wurden  noch  gesteigert  durch  eine  von  Zim- 
mermann verfafate  Deoktfchrilt,  welche  die  Bestimmungen 
des  Staatsgruudgeaetses  von  1848  über  die  Provinzialstände 
und  die  Aufhebung  der  Landstandschaft  ritterscbattlioher 
Abgeordneten  zur  ersten  Kammer^  ja  überhaupt  die  ganze 
Verfaseung  ale  bundeswidrig  darzustellen  suchte. 

Inzwischen  hatte  sich  der  Bundestag  über  die  Beschwerde 
der  hannövrischen  Ritterschaft  schlüssig  gemacht.  Am  1 2.  April 
1855  forderte  er  die  hannövrische  Regierung  auf,  „den 
Ritterschaften  wiederum  eine  ihren  althergebrachten  Rechten 
entsprechende  wirksame  Vertretung  in  der  ersten  Kammer 
der  allgemeinen  »StändeversarnrnJung  einzuräumen",  uud  acht 
Tage  später  ()9.  April)  eriolgte  noch  ein  weiterer,  jenen 
ersten  ergänzender  Beschluß,  wonach  die  Vcrtasaung  und 
Gesetzgebung  des  Königreichs  einer  sorgtaltigen  Prüfung  zu 
UDterwerlen  sei,  ob  und  wie  weit  sie  mit  den  Qrundj^esetzen 
des  deutschen  Bundes  in  Einklang  stehe  Es  war  vei^bens» 
dafs  unter  Mitwirkung  Ötüves  eine  ,.  Beleuchtung*'  der  Zim* 
mermannschrm  Denkschrift  erschien^  welche  diese  einer  schar- 
fen Kritik  unterzog,  vergebens,  dafs  zahlreiche  Bittschriften 
den  König  unter  Hinweis  auf  sein  für  Autrechtcrhaltung  der 
Verfassung  veqjfändetes  Wort  bestürmten,  die  Einmischung 
des  Bundes  in  die  inneren  Angelegenlieiten  des  Landes  zu* 
rückzuweisen,  vergebens,  dafs  die  Stände  eine  Adresse  an 
ihn  richteten ,  in  der  er  um  Ma  fsregeln  zur  Sicherheit 
seiner  ÖouveränitÄt,  sowie  der  Öelb.-iUSndigkeit  des  Landes 
gebeten  ward.  Merkwürdig,  wie  sich  seit  wenigen  Jahren 
die  staatsrechtlichen  Anschauungen  der  früheren  politischen 
Worttiihrer  verschoben  hatten.  Dieselben  Männer,  die  vor 
kurzem  nocli  die  unbedingte  Unterwerfung  der  Regierung 
unter  die  Beschlüsse  der  Frankfurter  National  Versammlung 
als  selbstverständlich  angesehen  und  den  leisesten  Wider- 
stand dagegen  als  kleinlichen  und  engherzigen  Partikularia- 
mus  verschrieen  hatten,  forderten  jetzt  die  Regierung  zu 
offener  Auflehnung  gegen  die  doch  unzweifelhatt  damals  zu 
Recht  bestellende  Bundesversammlung  auf  und  geberdeten 
sich  als  die  Vorkämpfer  für  die  Öouvoränitätsrechte  des  Kö- 
nigs und  die  staatliche  Selbständigkeit  des  Landes. 

Am   31.  Juli   wurden,   da   der   König  entschlossen   w&r, 

den  Anordnungen  des  Bundestages  gemäfo  zu  verfahren,  die 

Stände   auigelüst,  das  bisherige  Ministerium   entlassen   und 

ein  Deues  gebildet,  an  dessen.  "iä^V^Ä  "ft^Tt  ^ovi  ^«»-rnftA  trat. 


Das  Ministerium  Börnes  and  die  Verfassungsunderang.         4d& 


* 


^ 


Schon  am  4.  August  brachte  die  amtliche  Zeitung  eine  vom 
1.  August  datierte  königliche  Kundgebung,  weiche  erklärte, 
dafs  nunmehr,  da  eine  Vereinbarung  mit  den  Ständen  über 
die  beiden  Bundesbeschlüsse  nicht  geglückt  sei,  diese  nach 
Mafsgabe  der  Bestimmungen  der  Verfassung  zur  Ausführung 
zu  bringen  seien.  Demgemäfs  wiirden  die  jenen  Beschlüssen 
zuwiderlaufenden  Bestimmungen  der  Verfassung  aufgehoben 
und  zugleich  eine  Anzalü  anderer  Paragrapheu  im  reak- 
.tionären  Sinne  verändert,  wodurch  das  Ötaatsgrundgesetz  in 
vielen  wesentlichen  Punkten  wieder  der  Verfassung  von 
1840  angenähert  ward.  Es  war  zu  erwarten,  dafa  gegen 
diese  einseilige  Umgestaltung  der  Verfassung  ein  lebhafter 
Widerstand  sich  geltend  machen  würde.  Um  ihn  zu  bre- 
chen, um  mit  flilfe  des  gleichfalls  veränderten  Wahlgesetzes 
eine  gefügige  zweite  Kammer  zu  erhalten,  scheuete  die  Re- 
gierung kein  Mittel.  Die  Beamten  wurden  angewiesen,  die 
Verordnung  vom  1.  August  möglichst  rasch  ins  Leben  zu 
fuhren,  gegen  die  oppositionolle  Presse  wurde  mit  aller 
Strenge  vorgegangen,  den  Schwurgerichten  die  Aburteilung 
politischer  Verbrechen  entzogen,  den  Abgeordneten  zur  zwei- 
ten Kammer,  soweit  sie  Staats-  oder  Gemeiudebeamte  waren, 
vielfach,  wenn  man  ihnen  eine  der  Regierung  abholde  Ge- 
sinnung zutrauete,  der  Urlaub  verweigert.  Den  zum  1.  No- 
vember berufenen  Ständen  wurde  ein  Finanzkapitel  vor- 
gelegt, das  aufscr  bedeutenden  Mehrausgaben  für  das 
Militär  und  iür  die  Zivildienerschaft  eine  Ausscheidung  der 
Krundotation  in  Domanialgrundstücken  und  eine  Erhöhung 
der  Bedaifssumrae  um  100  000  Thaler  verlangte.  Die  Stände 
waren  geneigt,  diesen  Anträgen  zu  entsprechen.  Sie  ge- 
standen namentlich  die  Forderungen  für  die  Krone  im  Prin- 
zipe  zu,  da  sie  sich  aber  über  ihren  Modus  nicht  zu  einigen 
vermochten,  wurden  Rie,  nachdem  die  Regierung  am  7.  Sep- 
tember das  Finanzkapitel  von  1R40  teilweise  einseitig  wie- 
der bci'getitellt  hatte,  am  8.  November  aufgelöst.  Am  10.  Fe- 
bruar lß57  traten  die  Stände  wieder  zusammen.  Die  Neu- 
waiden hatten  in  der  zweiten  Kammer  eine  Mehrheit  zustande 
gebracht,  die  sich  don  Anti-ägen  dor  Regierung  gegenüber 
durchaus  willfährig  zeigte.  Vor  allem  wurde  jetzt  ihren 
Wünschen  inbezug  auf  die  Dotation  der  Krone  entsprochen, 
60  dafs  der  König  zu  erklären  Veranlassung  nahm.  ,jder 
Raub,  den  die  frevelnde  Hand  der  Revolution  schon  einmal 
und  leider  abermals  1848  an  dem  Eigentume  des  Herrscher- 
hauses geübt  habe,  sei  nunmehr  gesühnt."  Jn  derselben 
Session  wurde  die  Städte  Ordnung  einer  Revision  unterzogen, 
die  Staatsdiener  in  königliche  Diöt\eic  >\«\^'i'to.\ÄN. ,  ^'ä  "^"^^SJ^- 


ITtioemauu,  BrauoBchw -banno'v,  <jeAcV\c\i^«.    \W-. 


■?Jä 


eucbung  und  Aburteilung  von  Polizei  vergehen  wieder  den 
Verwaltungsbehörden  tiberwießen  und  eine  Reihe  anderer 
Gesetze  durchberaten  und  genehmigt,  die  sämtlich  mehr 
oder  weniger  das  Bestreben  zeigten,  zu  den  alten  Zuständea 
zurückzukehren,  wie  sie  vor  dem  Jahre  1846  bestanden 
halten. 

In  ähnlicher  Weise  wie  auf  dem  staatlichen  suchte  Georg 
auch  auf  dem  kirchlichen  Gebiete  seine  persönlichen  An- 
schauungen und  Neigungen  zur  Richtschnur  für  seine  Unter- 
thanen  zu  machen.  Er  selbst  war  in  kirchlichen  Dingen 
ein  Anhänger  der  strengen  lutherischen  Richtung,  was  iude» 
nicht  hinderte,  dafs  er  in  auffallender  Weise  Katholiken  in 
seine  nächste  Umgebung  zog  oder  in  einflufareicho  Stellungen 
berief.  Als  oboreter  Bischof  der  Landeskirche  tuhlte  er  sich 
verpflichtet  und  gewissermafsen  von  Gott  aufgefordert,  auch 
hier  seinen  königlichen  Willen  ohne  Rücksicht  auf  die  ab- 
weichenden Überzeugungen  anderer  zur  Geltung  zu  bringen. 
Auch  sonst  schrieb  er  sich,  seinem  Hause,  selbst  seinem 
Lande  eine  besondere  göttliche  Mission  zu.  So  erklärte  er 
im  Jahre  1867,  »die  Lage  seines  Landes  bekunde  den 
Willen  Gottes,  dafs  das  weLtische  Haus  und  I>and  mit  voller 
Kraft  thätig  sei,  sein  göttliches  Wort  in  fremden  Erdteilen 
auszubreiten".  Hier  aber  fand  er  zuerst  einen  Widerstand, 
den  er  nicht  zu  brechen  vermochte.  Als  im  Jahre  1862 
eine  schon  länger  erwogene  und  vorbereitete  königliche  Ver- 
ordnung erschien,  welche  die  Einführung  des  einst  von 
JuHtus  Gesenius  (f  1673)  verlafsten,  dann  aufser  Gebrauch 
gekommenen  Katechismus  befahl,  entstand  in  einem  grofsen 
Teile  der  Bevölkerung  eine  Bewegung,  an  deren  Spitze  der 
Pastor  Bauerschmidt  in  Lüchow  trat  und  die  sich  als  sa 
mächtig  erwies,  dafs  der  König  für  gut  fand,  teilweise  nach- 
zugeben und  die  Verordnung  zwar  nicht  zu  widerrufen,  aber 
doch  wesentlich  abzuschwächen.  Er  erklärte  am  21.  August, 
dafs  der  Katechismus  nicht  allgemeine  Geltung  haben,  son- 
dern nur  da  gebraucht  werden  solle,  wo  er  mit  Bereitwillig- 
keit Aufnahme  t^ndc.  Zugleich  trat  das  Ministerium,  nach- 
dem Herr  von  Borries ,  sein  Leiter  und  seine  cigentHcho 
Seele,  bereits  im  August  entlassen  worden  war,  am  10.  De- 
zember in  seiner  Gesamtheit  zurück,  mit  Ausnahme  wie- 
derum des  Kriegsministers  und  des  Grafen  Platen,  des  Mi- 
nisters für  die  auswärtigen  Angelegenheiten.  Das  neue  Mi- 
nisterium von  Hammerstein  berief  dann  eine  Vorsynode,  mit 
der  eine  auf  Vermittlung  der  kirchlichen  Gegensätze  gerichtete 
Synodalveriassung  und  eine  ihr  entsprechende  Kirchenvor- 
standsordnung vereinbart  ward. 


4 


Der  EatcchiBinusstreit.    Zastände  m  Deutschland. 


M7 


■ 


Inzwischen  hatten  sich  in  der  Geaamtluge  Europas  Ver- 
änderungen von  unübersehbarer  Tragweite  vollzogen.  Er- 
eignisse waren  eingetreten ,  die  notwendigerweise  auch  auf 
die  innorfn  Zustände  Deutschlands  eine  starke  Kückwirkung 
ausüben  mufsten  Die  Bestrebungen,  dem  deutschen  ätaatfi- 
leben  eine  straffere,  einheitlichere  Form  zu  geben,  waren 
kläglich  gescheitert,  aber  die  Überzeugung  von  ihrer  Not- 
wendigkeit hatte  sich  nur  noch  melir  helestigt  und  erhielt 
durch  die  Zeitereignisse  eine  stets  wachsende,  zuletzt  un- 
widerstehliche Kratt.  Der  orientalische  Krieg,  mehr  noch 
der  Krieg  in  Italien  von  1859  legten  die  Gefahr,  die  bei 
der  Unbehilflichkeit  der  Bundes  Verfassung  jede  gröfsere 
europäische  Verwicklung  für  Deutschtand  in  ihrem  Schofse 
trug,  vor  Aller  Augen.  Die  Einigung  Italiens,  die  sich  da- 
mals mit  Frankreichs  Beiliilie  unter  dem  Hause  Savoyen 
anbahnte,  mufsto  auch  in  dcutsclicn  Herzen  die  von  der 
Reaktion  zurückgedrängten  aber  niemals  erloschenen  Hoff- 
nungen auf  eine  Neugestaltung  des  nationalen  Lebens,  auf 
eine  engere  Vereinigung  der  deutschen  Stämme  wieder  an- 
fachen. Selbst  die  Regierungen  vermochten  sich  dem  mit 
verdoppelter  Stärke  erwachenden  Verlangen  nach  einer  Re- 
form des  Bundes  nicht  völlig  zu  entziehen.  Aber  während 
die  Alittelstaaten  unter  der  Führung  von  Sachsen  den  aus- 
Bichtslosen  Versuch  machteu,  durch  die  Triaaidee  diesem 
Verlangen  anscheinend  zu  entsprechen,  in  Wahrheit  aber  ein 
Gleichgewicht  gegen  den  Einfluls  der  beiden  deutschen 
Grüfsmüchte  herzustellen,  standen  sich  Osterreich  und  Preufsen 
mit  der  alten  Eileraucht  miratramsoh  gegenüber  und  trafen 
nur  in  dem  einen  Punkte  zusammen,  jene  Besti-ebungen  der 
Mittelstaaten  unter  allen  Umständen  zu  vereiteln.  In  Preufsen 
war  mit  der  Thronbesteigung  des  Königs  Wilhelm  I,  ( 2.  Ja- 
nuar 1Ö61)  ein  krältigerer  und  freisinnigerer  Zug  in  die 
Regierung  gekommen ,  zugleich  aber  führte  die  von  dem 
Könige  ins  Leben  gerufene  Heeresreorganisation  zu  einem 
schweren,  aufregenden,  das  Land  in  zwei  feindliclie  Lager 
spaltenden  Konflikte  mit  dem  Abgeordneten hauee.  Als  dieses 
Bchliefslich    so   weit    ging,    das    vorgelegte   Budget   zu   ver- 

t weigern,  erfolgte  seine  Auflösung,  und  nachdem  das  bis- 
herige liberale  Miuistenum  zurückgetreten  war,  berief  der 
König  Otto  von  Bismarck,  den  früheren  Bevollmächtigten 
Preufsens  beim  deutschen  Bunde  und  damaligen  Gesandten 
am  französischen  Hofe,  an  die  Spitze  der  Regierung.  Das 
aber  gofs  Ol  ins  Feuer.  Der  Manu,  der  später  die  deutsche 
Einheit  hergestellt  und  das  deutsche  Reich  gegründet  hat, 
den  man  damals  aber  nur  als  den  junkerhchen  Reaktionär 
■ ^ 


* 


4fi8 


Drittes  Bach.    Zweiter  AbschnlK. 


von  1848  kannte,  galt  der  ganzen  liberalen  und  nationalen 
Partei  als  die  Verkörperung  des  BchroSsteu  Altpreufsentums, 
aU  der  abgesagteste  Feind  aller  fortschrittlichen,  freiheit- 
lichen, auf  die  Reform  der  Bundesverfassung  gerichteten 
Bestrebungen.  Die  eifrigsten  und  entschiedensten  Verteidiger 
der  preufßischen  Hegemonie  wurden  jetzt  an  dem  Berufe 
der  Monarchie  Friedrichs  des  Grofsen,  die  deutsclien  Stämme 
zu  einigeuj  iiTe.  Selbst  der  National  verein,  der  nach  dem 
Ausgange  des  italiemscheu  Krieges  gestiftet  worden  war,  um 
ilir  die  Einigung  Deutschlands  unter  Proufsens  Führung  zu 
wirken,  und  der  nicht  ermüdete,  überall  in  deutscheu  Lan- 
den, vorzügiich  aber  in  den  Mittelstaatcn  für  dieses  politisch© 
Programm  zu  wühlen,  erklärte  jetzt,  „er  halte  den  schonungs- 
losen, tmversühnlichen  Kampf  gegen  die  Träger  der  preulai- 
scheu  Politik  für  die  erste  bürgerliche  Pflicht".  Osterreich 
sah  sich  durch  solche  Stimmungen  ermutigt,  seinerseits  mit 
einem  Bundeareform plane  hervorzutreten.  Der  Kaiser  berief 
im  August  1863  sämtliche  deutsche  Fürsten  zu  einem  mit 
grofsem  Pomp  in  Scene  gesetzten  Fürstentage  nach  Frank- 
furt. Die  Beratungen  hatten  aber  nicht  den  gewünschten 
Erfolg  und  scheiterten  einfach  an  dem  Widerspruche  Preufaens 
und  dem  Fernbleiben  des  Königs  Wilhelm. 

Die  Haltung  der  hannövrischen  Regierung  gegenüber 
diesen  Verwicklungen,  in  denen  die  kommenden  Ei*eigni^e 
schon  ihre  dunkeln  Schatten  vorauswarfen,  war  weaentlich 
durch  das  hohe  Selbstgeluhl  des  Königs  und  seine  ent- 
schiedene Abneigung  bestimmt,  von  den  Rechten  seiner  sou- 
veränen Krone  auch  nur  den  geringsten  Teil  zu  opfern. 
Trotz  der  gut  deutschen  Gesinnung,  die  man  ihm  nicht  wird 
absprechen  können,  beherrschte  ihn  diese  Abneigung  voll- 
ständig. Wie  sich  seine  Regierung  demgeraäfs  der  Politik 
der  übrigen  Mittelataaten  anacblofs,  so  wurden  auch  in  Han- 
nover strenge,  oft  kleinliche  Mafsregela  gegen  die  Ausbrei- 
tung des  National  Vereins  und  die  von  ihm  verfolgten  Be- 
strebungen ergriffen.  Ea  kam  dazu,  dafs  einer  der  Haupt- 
vertreter des  Vereins,  ja  sein  eigentlicher  Begründer  Rudolf 
von  Benuigsen  war,  der  als  Führer  der  Opposition  in  der 
Imnnövrischon  zweiten  Kammer  bereits  früher  den  Unwillen 
der  Regierung  und  die  Ungnade  des  Königs  sich  zugezogen 
hatte.  Am  I.  Mai  1860  gab  bei  Gelegenheit  einer  Petition 
der  Stadt  Harburg  der  leitende  Minister  von  Borne«  die  Er- 
klärung ab,  dafs  die  Bestrebungen  des  Nationalvereins  nach 
der  Überzeugung  der  Regierung  auf  eine  völlige  Mediati- 
sieraug  der  übrigen  doutscUen  Fürsten  zugunsten  Prcufaena 
hinauaiiefenf  dals  aber  zur  A\i'wii\\ÖÄYi^  «vu^x  wMä-cl  Gven- 


Die  Schleswig- holateiDÜcbe  Frage. 


tualität  die  gröfseren  Fürsten  im  Notfalle  vur  einem  Bünd- 
nis unter  einander  und  selbst  rait  auswärtigen  Mächten  nieht 
zurUcksclirecken  würden.  Dieses  unüberlegte  Wort  erregte 
damals  einen  wahren  Sturm  der  Entrüstung ,  der  sich  in 
ganz  Deutschland  in  zahlreichen  Protesten  und  Gegen- 
erklärungen kundgab.  Man  ahnte  damals  noch  nicht,  dafs 
Preufeen  selbst  sich  dereinst  zur  Durcht'iihrung  aeiner  Re- 
formpläne  mit  einer  auswärtigen  Macht  zu  gemeinsamer  Be- 
kämpfung der  übrigen  deutschen  Staaten  verbünden  würde. 
Die  Krisis  dieser  inneren  deutsclien  Wirren  wai-d  durch 
den  Tod  des  Küuigg  Friedrich  VII.  von  Dänemark  hcrbei- 
getührtj  der  am  15-  November  1863  erfolgte.  Nun  trat  die 
Schleswig  holsfeiuische  Frage,  welche  der  Bund  bei  seiner 
WiederherateUung  ungelöst  gelasäen ,  die  aber  seitdem  nie 
ganz  geruhet  hatte,  in  den  Vordergrund  der  politischen  Er- 
wägungen ,  bald  auch  der  geschichtlichen  Ereignisse.  Das 
Schicksal  der  beiden  durch  alle  Verträge  unteilbar  mit  ein- 
ander verbundenen  Herzogtümer,  das  schon  während  der 
Jahre  184H  bis  I8ö2  alle  Klassen  des  deutschen  Volkes 
fieberhalt  erregt  hatte,  wurde  jetzt  der  Ausgangspunkt,  von 
dem  aus  unter  schweren  Kämpfen  sich  endlich  die  Neu- 
gestaltung Deutachlands  vollziehen  sollte.  Das  Londoner 
Protokoll  vom  H.  Mai  1852,  dem  auch  die  beiden  deutschen 
Orofämächte,  sowie  von  den  übrigen  deutschen  Staaten  Wür- 
teraberg,  Sachsen  und  Hannover,  nicht  aber  der  deutsche 
Bund  als  solcher  zugestimmt  hatten ,  erkannte  die  Integrität 
der  däüischeu  Monarchie  an  und  bestimmte  zimi  Nachfolger 
des  kinderlüBCu  Friedrich  VII.  den  Prinzen  Christian  von 
Sonderburg-Glücköburgj  aber  es  hatte  weder  eine  brutale 
Gewaltherrschaft  der  Dänen  in  den  Herzogtümern  noch  auch 
den  Erlafs  der  Gesamtvei-fassung  vom  2.  Oktober  1055  zu 
verhindern  vermocht,  wodurch  die  in  dem  Londoner  Pro- 
tokolle vorbehaltene  Sonderstellung  der  Herzogtümer  beseitigt 
wai'd.  Die  darüber  beim  Bunde  erhobene  Beschwerde  der 
holsteinischen  und  schleswigschen  Stände  führte  von  dänischer 
Seite  zu  dem  Versuche,  Holstein  aus  der  bisher  featgehaltenea 
Gemeinsamkeit  mit  den  übrigen  Teilen  der  Monarchie  aus- 
Äusonderu  und  damit  das  von  der  eid erdänischen  Partei 
aufgestellte  Programm  durchzuführen.  Darauf  forderte  der 
deatsche  Bund  die  Zurücknahme  dieses  Verfaaaungsgesetzea 
und  die  Aufrechterhaltung  der  durch  dasselbe  verletzten 
Kechte  Holsteins,  widrigenfalls  das  bereits  am  12.  August  1858 
durch  Bundesbeschlufa  angedrohete  Exekutioua verfahren  zur 
Austiihrung  kommen  werde.  Als  trotzdem  die  Kopenhagener 
liegierung  auf  ihrem  Vorhaben  belva.T^\&,  Ȋsift  ^^is^a.  ^iia^'^Kss.- 


470 


Drittes  Bock.    Zwetta-  Ahsffhmtt 


miscliiiDg  de«  Bundes  in  die  iDoeren  dfinischen  Angelegen- 
heiten protestiere nde  Zirkularnote  erliefs,  auch  die  Gtesamt- 
▼er&88ung  dem  Keicbstage  zur  Annahme  vorlegte»  erfolgte 
am  1.  Oktober  1863  der  Beschlnfs  der  Bundesexekution 
eegoa  Dänemark,  zu  dessen  Durchführung  Österreich,  Prea- 
Isen,  Sachsen  und  Hannover  ersucht  worden,  je  ein  Korps 
von  3000  Mann  bereit  zu  stellen.  Inzwischen  hatte  in 
Dänemark  der  Thronwechsel  stattgefunden.  Der  neue  König 
Christian  sah  ^ich  vor  die  Wahl  gestellt,  entweder  dem 
Drucke  der  ciderdäoischen  Part«  weichend  die  Vereinigung 
Schleswigs  mit  Dänemark  unter  einer  Verfassung  aufrecht- 
zuerhalten und  damit  die  Bundesexekution  herbeiz  utühren 
oder  die  Sympathieen  &st  des  ganzen  Landes,  dessen  Thron 
er  soeben  bestiegen  hatte  ^  einzubufseu.  Er  entschied  sich 
für  das  erstere  und  gab  damit  den  äulseren  Anstols  zu  einer 
Verwicklung,  welche  in  ihren  weiteren  Folgen  eine  wesent- 
liche Verschiebung  der  Maclitverhältnisse  in  Europa  hcrb^- 
filhrte  und  die  jetzigen  Zustände  des  Krdteils  geschaffen  bat. 
Unsere  Darstellung  mufs  darauf  verzichten,  auf  diese 
Ereignisse,  die  zudem  noch  in  Aller  Gedächtnis  aind,  näher 
einzugehen.  Nur  ihre  verhängnisvolle  Einwirkung  auf  die 
weltischen  Ländergebiete,  namentlich  auf  Hannover,  welches 
durch  sie  seine  staathche  Selbständigkeit  verlor,  dem  gröfse- 
ren  Nachbarstaate  einverleibt  und  in  eine  preuläische  Pro- 
vinz verwandelt  wurde,  soll  hier  noch  kurz  berührt  wprden. 
Der  widerstandslosen  Besetzung  Holsteins  durch  die  auf  die 
doppelte  Zahl  gebrachten  Bundeskontingente  von  Hannover 
und  Sachsen,  zu  deren  Oberbefehls  ha  l>or  der  sachsische  Gte- 
neral  von  Hake  ernannt  worden  war,  folgten  alsbald  die  Kriegs- 
erklärung der  beiden  deutschen  Qrofsmächte  an  Dänemark, 
der  siegreiche  Feldzug  in  Schleswig  und  Jütland,  der  Wiener 
Friede  (30.  Oktober  1864),  der  die  beiden  Herzogtümer 
Holstein  und  Schleswig  an  die  deutschen  Grofsmächte  ab- 
trat, endlich  der  von  Prcoisen  erzwungene  Abzug  der  säch- 
sischen und  hannövrischen  Bundestruppen  aus  Holstein. 
Damit  war  die  Lostrennung  der  Herzogtümer  von  Dänemark 
erreicht,  ihre  Befreiung  von  einem  langjährigen,  unerträglichea 
Joche  vollendet.  Das  Land  von  der  Elbe  bis  zur  KOuigsaa 
befand  sich  in  den  Händen  der  Sieger,  die  hier  wie  in  dem 
gleichfalls  ihnen  von  Dänemark  ilberlasseiien  Laueuburg  zu- 
nächst eine  gemeinsame  llcgicrung  einsetzten.  Bald  aber  er^ 
hüben  sich  neue  Schwierigkeiten.  Anfangs  freilich  traten 
die  beiden  Mächte  den  Erbansprüchen  des  Herzogs  Friedrich 
ron  Holsteia  •  Auguatenburg  uud  der  zu  ihren  Gunsten  in 
Hohtejn   und    weiterlun   in.   gaia  \>«oA.w^fi^a3A  wÄi.  ^sltÄüd 


4 


I 


4 


Der  dänische  Krieg.     La^  Hannorers. 


471 


machenden  Agitation  einmütig  entgegen,  allein  mit  der  Zeit 
ergaben  sich  zwischen  den  Kabinetten  von  Wien  und  Berlin 
Bo  verschiedene  Anschauungen  und  Bestrebungen,  dafs  das 
bisherige  Kondominat  eine  Unmöglichkeit  wüi-de.  Schon 
nahm  das  beiderseitige  VerEiältniä  eine  solche  Gereiztheit  au, 
dafö  ein  gewaltsamer  Bruch  zu  befürchten  stand.  Noch 
einmal  machte  der  Vertrag  von  Gastein  (14.  August  1865), 
4er  die  gemeinsame  Kegierung  auflöste  und  Schleswig,  dem 
alleinigen  preui'sischen  Einäusse,  Holstein  dagegen  den  Öster- 
reichern zuwies,  den  Versuch,  dieses  Aulserste  abzuwenden. 
Da  es  aber  immer  deutlicher  hervortrat,  dafs  Preufsen  nach 
der  Einverleibung  beider  Herzogtümer  in  den  eigenen  StaatA- 
verband  strebte,  was  Österreich  unter  allen  ürast&nden  su 
verhindern  entschlossen  war,  so  bereitete  sich  das  grofse, 
von  Bismarck  wiederholt  als  unverraeidhch  angokündigto 
y, Duell "  zwischen  Osterreich  nnd  Preufsen  vor,  das  zu- 
gleich über  das  Schicksal  des  deutschen  Bundes  entscheiden 
mufste. 

Von  allen  deutschen  Mittelstaaten  befand  sich  Hannover, 
falls  der  Krieg  wirklich  zum  Ausbruch  kam,  offenbai'  in 
der  gefahrdetsten  Lage.  Die  Regierung  war  daher  bei  den 
taglich  drohender  werdenden  Anzeichen,  bei  der  ringsum  in 
Deutschland  wachsenden  Aufregung,  bei  der  sich  in  allen 
Staaten  und  in  allen  Ständen  mehrenden  Erbitterung  gegen 
Preufsen  und  das  bismarckacho  Regiment  darauf  bedacht, 
eine  durch  die  Umstände  gebotene  vorsichtige,  äufserst  zu- 
rückhaltende Haltung  anzunehitien.  Die  geographische  Lage 
des  Landes  schien  für  einen  Anschlufs  an  Preufsen  zu 
sprechen,  der  König  und  der  gröfsere  Teil  der  Bevölkerung, 
bei  der  die  Zweideutigkeit  und  ISegehi-lichkeit  der  preufsischen 
Politik  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  noch  unvergessen  waren, 
neigten  mit  ihren  Sjmpathieen  zu  Österreich  hin.  Aber  mit 
ängstlicher  Gewissenhaftigkeit  suchte  man  selbst  den  Schein 
irgend  einer  Parteinahme  nach  beiden  Seiten  zu  vermeiden, 
vor  allem  aber  Preufsen  gegenüber  keinen  gegründeten  An- 
lais  zur  Beschwerde  zu  geben.  Bis  in  den  Anfang  dos  Jahres 
1866  hinein  waren  die  Beziehungen  der  beiderseitigen  Re- 
^m  gierungen  zu  einander  durchaus  befriedigend  und  das  freund- 
^^H  nachbarliche  Verhältnis  ungetrübt.  Das  erkennt  selbst  eine 
^^H  unter  preufsischeui  EinEufs  und  mit  Benutzung  der  Akten- 
^^H  stücke  des  auswärtigen  Amtes  iu  Berlin  vcrfafste  Schi'iit  an. 
^^H  „Zwischen  den  Kabinetten  von  Berlin  und  Hannover"  — 
1^™  sagt  sie  —  „herrschte  lange  Zeit  über  diese  Angelegenheit 
m  der  Eibherzogtümer  ein  ziemlich  gutes  Einvornehmen,    wel- 

I  cheö  auch  durch  die  AffUre  von  RendsbAii'^  (^fi^sagMäv.  "SÄR?^ 


tuid    die    Verdrftogung   der   BftcbAtflcfa  -  hrinnitTiilhiB 
Jcationstrnppen ,    bü    aekr    dieae  MachtiUtiäemBgeii  Pig^ 
verdroMcn,  nicht  sebr  und  nicht  aof  die  Oaaer  beetntrSak^l 
ti|;^  wurde,"     Erst  aU  in  Fraukfart  durch  den  prmfaiw-hcBl 
Antrag  vom  9.  April  1866  die  BuDdesreformaof  Onnidli^  der] 
m^e^linu^  eincH  deutschen  Parlam^ntea  in  Anr^ong  gebrmchfcl 
[tr*rd    —    ein   Antrag,   der    lediglich    die  Lahmlegnng   des 
^|>stcrreichiiM:hen   KinHuMes  in  der  Bundesversunmlong  zam 
jSweck  zu  haben   schien  —  vollzog  sich  ta  Haanover  eio 
Umschlag.     Man  kennt  die  Abneigung  des  Köoiga,  von  dea^ 
,  §4^;uverän«j  Kediten   »einer  Krone,  die  er   seiner  religiöeea 
XCi^htung  gcmäfs   aU   ein    ihm    unmittelbar   von   Gott    vefwj 
liebeoe*  Out  anitah,  auch  nur  dajt  Geringste  zu  opfern,  lua^i 
yrei(»j  wie  er  jede  dahin  zielende  Andeutung   als  einen   fre- 
veliiaftcn  Angriff  aui  seine  königliche  Würde,   als   den  An- 
fang der  McdiatiaicruDg   betrachtete.      Um    so   krampt'hafter 
klammerte  er  sich  jetzt    an   die   noch   immer  zu  Recht    be- 
Btehendc  iJundesverl'a&Bung,  welche   allen   deutachen  Fürsten 
ihre  Souveränität  gewährleistete  und  jeden  kriegerischen  Aus- 
trag   eines   Zwiespaltes    von    bundesmltgliedem    ausschlofa. 
I>urch  das  Festhalten  am  Bundesrechto  meinte  er  den  dro* 
hendcn  Konflikt  mit  seinen  unabsehbaren  Folgen   abwenden 
isu  küuuen.     Für  den  Fall  aber,  dafs  der  einst  als  „unauf* 
löslich"    geschloi^sene    Bund    thatsächlich   zersprengt    würde, 
beanspruchte  er  in   dem   dann    entbrennenden   Bürgerkriege 
für  sein   Land   die   Neutralität.      Preufaischerseits   war   man 
bereit,  dieser  Forderung  zu  entsprechen  imd  für  den  Kriegs- 
fall die  Neutrulitüt  Hannovers  anzuerkennen,  aber  nur  unter 
der  in  einer  Uepeache  Bismarcks  vom  9.  Mai  ausgesprochenen 
VorauHBctzuüg,  „dafs  diese  Neutialität  keine   bewaffnete   sei 
und  dafn  die  hannovrische  Regierung  für  ihre  friedliche  Hal- 
tung   ausreichende  Bürgschaft    gebe".      Einen   Augenblick 
konnte   («s    scheinen,   ala   ob   die   nun   zwischen   Berlin    and 
Hatuiover  angeknüpften  NoutraUtätsverhandlungen  zu  einem 
befriedigenden  Ergebnisse  fuhren  würden.     Aber  die  gegen- 
seitigen Verhältnisse  waren  zu  gespannt,    die   bestimmenden 
Persönlichkeiten    gingen    von  Anschauungen,   Bestrebungen 
und  Wünschen  aus,   die   sich   allzu   sehr   widerstrebten,   als 
dafs  eine  aufrichtige,    hiuterhaltloae  Einigung  hätte   erfolgen 
können.     In  Hannover  nahm  man  zum  Ausgangspunkte  der 
zu  befolgenden  Politik  die  Tliatsaciho,   dafs  der  Bund   noch 
bestund,    und    die    Hoffnung,    dafs   er   auch    in   der  Folgoi 
bestehen  bleiben  werde.    Man  hielt  sich  demgemäfs  für  ver- 
pßichtet  und  berechtigt,   etwaigen   Bundesbeschlüssen   nach- 
ÄuJtoinmen.     Bismarck  dagegen  -««t^  ^^  ^Ät  VvA^  ^szeigt 


Die  Erei^sse  von  I8l>ft. 


m 


hat,  damals  schon  fest  entächlossen,  den  Bund  zu  sprengen 
und  auf  seinen  Trümmern  die  Hegemonie  Preufsens  über 
Deutschland  oder  wenigstens  über  die  norddeutschen  Staaten 
zu  begründen.  In  einer  entgegenkommenden  Depesche  vom 
20.  Mai  hatte  er  noch  feierlichst  erklärt,  „es  Hege  nicht  in 
Preufsens  Absichtj  der  Souveränität  Sr.  Majestät  des  Königs 
von  Hannover  zu  nahe  zu  treten".  Ala  dann  aber  Oster- 
reich infolge  des  Einmarsches  der  Preufsen  in  Holstein  seinen 
bekannten  Antrag  auf  M()bilmachimg  aller  uichtpreufsischen 
Buudeskorps  in  Fraukluj't  einbrachte,  legte  er  dem  Könige 
Wilhelm  am  12.  Juni  eine  Denkschrift  vor,  in  welcher  er 
empfahl  „tür  Hannover  die  Erhaltung  der  Souveränität  und 
Integrität  an  die  Bedingung  der  Annahme  des  Bundesreform- 
projektes  und  sofortiger  Entlassung  der  Truppen  zu  knü- 
pfen*'. Er  wufste  nur*  allzu  gut,  dafa  König  Georg  mit 
Bülcheo  Bedingungen  sicherlich  die  Neutralität  seines  Landes 
nicht  erkaufen  würde. 

Inzwischen  waren  bereits  die  Würfel  ins  Rollen  gekom- 
men. Am  14.  Juni  fand  die  Abstimmung  über  den  Öster- 
reichischen Antrag  in  Frankfurt  statt.  Hannover  hat  au 
diesem  Tage  nicht,  wie  unzähligemale  behauptet  worden  ist, 
für  den  Antrag  Österreichs  gestimmt,  sondern  es  achlofs  sieb 
dem  vermittelnden  Antrage  Bayerns  an,  wonach  die  von 
jenem  geforderte  Kriegsbereitschaft  der  nichtpreufsischen 
Buudestruppen  auf  die  Mittel-  und  Kleinstiiaten  sich  be- 
schränken sollte,  „da  der  Bund  bei  den  drohenden  Ver- 
hältnissen Vorkehrungen  treffen  müsse,  um  etwaige  StÜruiigen 
des  Bundesft'icdens  zu  verhindern".  Auch  lehnte  es  die 
Motivierung  des  Österreichischen  Antrages  durcli  den  Bruch 
des  Gasteiner  Vertrages  ab,  da  dieser  Vertrag  mit  dem 
Bunde  und  dem  Bundesrechte  nichts  zu  tlmn  habe.  Zugleich 
glaubte  es  seine  friedlichen  Absichten  dadurclt  zu  bethätigen, 
dals  es  keinen  Versuch  machte,  die  österreichische  Brigade 
Kalik,  die  in  diesen  Tagen  durch  Hannover  zog,  zum 
Schutz  des  Landes  zurückzubehalten  oder  dem  ihr  auf 
dem  Fiilse  folgenden  preufsischen  Korps  des  Generals  von 
Manteufiel  beim  Überschreiten  der  Elbe  Schwierigkeiten  zu 
bereiten. 

Am  Tage  schon  nach  der  verhängnisvollen  Sitzung  des 
Bundesrates  (l5.  Juni)  überreichte  Prinz  Vsenburg,  der 
preufsischc  Gesandte  in  Hannover,  der  dortigen  Regierung 
eine  Drohnote,  welche  die  Zurück flihrung  der  hannövrischeu 
Truppen  auf  den  Friedensstand  vor  dem  1.  März,  die  Zu- 
stimmung des  Königs  Georg  zu  der  Berufung  eines  dcutscheq 
Parlamentes,  endlich   die  AuÄschievUwa^  öäx  ^äo».  ^'d.^yÄaÖ 


474 


Drittes  Buch.    Zweiter  AbschnEtt. 


liehen  Wahlen  verlangte,  sobald  dies  von  Preuisen  geschehen 
würde.  Auf  dieser  Grundlage  wurde  HauDuver  ein  Bilndnia 
mit  Preulsen  angeboten,  das  sein  Gebiet  und  seine  iSou- 
veräüitätsr echte  nach  Malsgabe  der  preulsiöchen  ßeform- 
vorschläge  bezüglich  des  Bundes  gewährleisten  sollte.  Im 
Fall  der  Ablehnung  wurde  die  sofortige  Kriegserklärung  in 
Aussicht  gestellt.  Noch  an  demselben  Tage  hatte  der  preu- 
fslBcfae  Gesandte  in  Hermhausen  eine  Audienz  beim  Künige, 
in  der  er  sich  vergeblich  bemühete,  diesen  zur  Annahme  der 
preufsischen  Forderungen  zu  bewegen,  und  in  der  er  nachdrück- 
lich und  freimütig  den  Ernst  der  Lage  betonte.  König 
Georg  seinerseits  erklärte,  den  Bundesrelbrroplänen  Preuisena 
nicht  zustimmen  zu  können :  sie  hätten  vielmehr  seine  vollste 
Mifsbilligung  gefunden,  die  Parlamentsberufung  sei  ihm  ein 
unerträglicher  Gedanke  und  komme  einer  Mediatisierung 
gleich,  der  er  einen  ehrenvollen  Untergang  vorziehe.  Der 
alsbald  nach  der  Audienz  zusainmenbcrul'ene,  durch  höhere 
Offiziere  verstärkte  Ministerrat  sprach  sich  nach  eingehender 
Erwägung  der  Sachlage  in  demaelben  Sinne  aus.  Zugleich 
wurde  beschlossen,  den  hannövrischen  Tiiippen,  die  gi'ofsen- 
teils  bereits  auf  dem  Marscbe  nach  Hannover  waren,  die 
Weisung  zu  erteilen,  sich  gegen  Süden  zu  wenden  und  ihre 
Vereinigung  bei  Göttingen  zu  bewerkstelligen ,  wohin  sich 
auch  der  König  mit  dem  Kronprinzen  zu  begeben  gedachte. 
Als  dies  gegen  Abend  in  der  Stadt  bekannt  ward,  berief 
der  Stadtdirektor  Rasch  die  Mitglieder  der  städtischen  Kol- 
legien zu  einer  aufserurdentlicheu  Sitzung  zusammen.  Man 
beachlofs,  „an  Se.  Majestät  die  Bitte  zu  richten,  die  Stadt 
und  das  Land  nicht  zu  verlassen,  dagegen  Malsregeln  zu 
ergreifen,  welche  Se.  Majestät  das  vielleicht  in  Frage  ge- 
stellte Verbleiben  im  Lande  zu  ermöglichen  und  dem  letz- 
teren die  Segnungen  des  Friedens  zu  bewaliren  geeignet 
wäi-en".  König  Georg  empfing  die  DeputÄtion,  die  ihm 
diese  Beschlüsse  Überbrachte,  gegen  Mitternacht  im  Schlosse 
zu  Hermhausen,  umgeben  von  seiner  Familie.  Es  war  ein 
feierlicher  Moment,  das  letzte  Mal,  dafs  er  den  Verti'etem 
seiner  Haupt*  und  Residenzstadt  Audienz  erteilte,  dafs  er 
zu  ihnen  bewegte  Worte  sprach.  Er  beharrte  auf  aeinum 
verhängnisvollen  Beschlüsse,  bezeichnete  die  ihm  gestellten 
Bedingungen  als  unvereinbar  mit  seiner  königlichen  Ehre 
und  Pflicht,  erinnerte  an  die  so  oft  erprobte  Treue  der  Han- 
noveraner gegen  ihr  Fürsteobaus  und  schlofs  seine  Rede  mit 
der  Erklärung,  „als  Christ,  Monarch  und  Weif  nicht  anders 
handeln  zu  können".  Genau  um  die  nämliche  Stunde,  wo 
diese  Audienz  in  Hermhausen  stattfand,  erschien  Graf  Platen, 


rlot 


KriegMrkliiruDg  Preufsf^ns  an  Uannorcr. 


47Ö 


der  Miniater  de»  Auswärtigen,  in  der  Wohnung:  des  preufsi- 
schen  Gesandten,  um  diesem  mündlich  mitzuteilen,  dafs  Kö- 
nig Georg  den  Bündnisvertrag  wegen  der  ilm  begleitenden 
Bedingungen  ablehne,  worauf  Prinz  Ysenburg  erwiderte,  dafs 
er  aut  dieses  Nein  boautVagt  sei,  im  Namea  seines  Königs 
an  Hannover  den  Krieg  zu  erklären.  Die  schrii^liche  Ab- 
lehnung der  preufsiachen  Anträge  wurde  erst  um  ein  Uhr 
nach  Mitternacht  vom  Könige  unterzeichnet. 

Nim  waren  die  Würfel  gefallen.  Am  16.  Juni,  vier  Uhr 
morgens,  verlicfa  der  König  in  Begleitung  des  Kronprinzen 
Hannover  imd  begab  eich  nach  Ööttingen,  das  er  den  Trup- 
pen zum  Sammelplatz  angewiesen  hatte.  Es  zeigte  sich 
jetzt,  wie  umi'aascnd,  schlagfertig  und  wohlerwogen  die  preu- 
fsiachen Mafsnahmen  iiir  den  eingetretenen  Fall ,  wie  un- 
fertig und  mangelhaft  dagegen  die  iiannövrischen  Rüstungen 
waren,  die  trotzdem  der  preufsischcn  Regierung  den  eigent- 
lichen Vorvraud  zu  ilirem  Verfahren  hatten  leüieu  müssen. 
Aber  wie  das  hannövrische  Volk  in  dieser  plötzlich  herein- 
brechenden Katastrophe  das  Vertrauen  seines  Königs  nicht 
getäuscht  liat,  so  zeigte  sich  die  Aimee  ihres  alten  Ruhmes 
würdig.  Die  filobihnachung  ward  ernt  am  17.  Juni,  am 
Tage  uacli  der  preuföischen  Kriegserklärung,  befohlen.  Die 
Truppen  wurden  demgcuiäfü  in  völlig  unfertigem  Zustande 
von  einem  langst  auf  Kriegsfufs  gesetzten  Feinde,  der  in 
drei  Kolonnen  von  verschiedenen  Seiten  heranrückte  und  in 
das  Land  einbrach,  überrascht.  Trotzdem  gelang  c»  unter 
ziuu  Teil  sehr  groiacn  Anstrengungen,  die  ganze  Armee  bis 
auf  wenige  kleine  Abteilungen  am  18.  Juni  um  Oöttiugen 
zu  vereiuigen.  Hier  aber  waren  einige  Tage  erforderlich, 
um  die  Tiuppen,  deren  Abmarsch  nach  dem  Süden  in 
gröister  Kile  stattgefunden  hatte  und  denen  es  inlolge  davon 
an  der  notwendigen  Kriegsausrüstung  fehlte,  operationstähig 
zu  machen,  namentlich  die  erst  in  letzter  Stunde  einberufenen 
Beurlaubten,  die  sich  trotzdem  fast  vullzählig,  80UU  Mann, 
in  Göttingen  einstellten,  einzukleiden  und  zu  bewafliien. 
Dafs  dies  in  der  kurzen  Zeit,  die  dazu  vergönnt  war,  ge- 
laug, legt  von  der  Opfer wiUigkeit  der  Mannschaften,  von 
dem  Eifer  und  der  Hingebung  der  OiÜziere  ein  glänzendes 
Zeugnis  ab.  Leider  entsprach  die  oberste  Führung,  die  der 
König  in  die  Hand  des  Generals  von  Arents-child  legte, 
diesen  treulichen  Eigenschaften  der  Truppen  niclit  völhg. 
Auch  der  Umstand,  dafs  sich  der  König  selbst  beim  Heere 
befand,  hinderte  und  vermrrte  teilweise  die  Bewegungen. 
Bei  sichei-er  und  energiacher  Führung  wäre  der  Durchbruch 
nach  Süden  und  die  Vereinigung  mit  dou  Bayern,  der,  wie 


47A  Dcittn  Back    Z«eiN 

die  lluge  lagen,  der  ena^e  Bettaagsir^  war,  msweife&aft 

Am  2i.  Juni  wu*  mui  nit  dea  iirt»yili|ti  ii  VorW 
lertig,  die  Annee  BanekbaciL 
Tage  bnch  ne  ittch  dem  KehdiMe  ao^  «bendiritt 
die  prewWidie  Orenae  in  der  Ridtfaa^  am£  Ho^geaatadt 
und  aetxte  aa  des  beiden  Ugendan  Tagea  ihren  Muradi 
VBaoe^bdtten  &ber  MfthlhaTttm  und  La^eaaeka  aaf  Ootha 
and  Eueoach  fori  Am  24.  atandwi  die  kaaufiiiiaclien  Vbr- 
trvppen  nur  wenige  SCondeo  too  dea  beidea  t^faitg^i»«!«*»« 
Städten  entfernt.  Eine  Aaakandadiaft  flvigabr  da&  Fiiiriiiili 
gar  nicht,  Gotha  nar  scliwaeli  Tom  Femde  faesefixt  war. 
Man  brauchte  nnr  vco^ärta  sa  marschieren,  and  die  Armee 
war  gerettet.  Da  machten  sich,  als  der  Br^ade  Balow  be- 
reita  der  Befehl  erteilt  war,  gegen  Fiwuarh  Torzagebea, 
imdere  Einflfiiwe  geltend,  die  dai  unwiderbringlichen  Mo- 
Dient  Teraftiimen  liefäen  und  das  tapfere  Heer  einem  unab- 
wendbaren Verderben  entgegenlUhren  sollten.  Am  2J.  Juni 
war  im  hannövriflchen  Hauptquartiere,  während  eich  die 
Vortmppcn  der  Armee  bereits  Langensalza  näherten,  der 
Sachsen -coburginche  Hauptmann  von  Ziehlberg  eingetroffen. 
Er  überbrachte  ein  an  den  Kummandeor  des  Regiments 
Gotha  Christ  von  Fabeck  gerichtetes  Telegramm  aas  Ber- 
lin,  welches  die  hannövrische  Armee,  da  sie  rings  von  preu- 
IkiBchen  Truppen  umstellt  sei,  aufforderte,  die  Waffen  zu 
strecken.  Infolge  davon  entsandte  König  Geoi^  den  Major 
Jacffh'i  nach  Gotha^  um  von  dort  mit  dem  Chef  des  groäen 
Geueralstabes  in  Berlin  weiter  zu  verhandeln  und  zugleich 
sich  zu  überzeugen,  wie  weit  die  Angaben  jenes  Telegramms 
inbezag  auf  die  Umzingelang  der  Hannoveraner  der  Wahr- 
heit entsprächen.  Dies  ilihrte  zu  Verhandlangen ,  gegen- 
seitigen Sendungen  und  Besprechungen,  die  den  Weiter- 
roarsch  der  hannüvrischen  Truppen  um  zwei  volle  Tage 
verzögerten.  Über  diese  Vorgange  hat  sich  später  eine  heif- 
tige  Polemik  zwischen  den  dabei  Beteiligten  entsponnen. 
Wir  gehen  darauf  nicht  ein.  Thatsache  ist,  dafs  der  da- 
durch veranlafßte  Verzug,  indem  er  dem  G*^ner  die  nötige 
Zeit  verschaffte,  die  von  ihm  heim  Beginn  der  Verhand- 
lungen iäUchlich  behauptete  Umzingelung  der  hannovrischen 
Armen  wirklich  durchzuführen,  das  Schicksal  dieser  Armee 
besiegelt  hat. 

Am  27.  Juni,  morgens  gegen  zehn  Uhr,   sahen  sich  die 

Hannoveraner  in    ihren  Stellungen  nordöstlich    von  Langen- 

ßäJza  am   linken  Ufer   der  Unetrut    von    dem    Genoral    von 

PJiea  angegriffen,  der  über  etvia.  \ÜWQ  ■^ra«v  -^«s^ij;^  und 


k 


Schlacht  von  LaiigeQsaI:ea. 


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in  der  Meinung,  die  Gegner  beabsichtigten  nach  Osten  bin 
auszuweichen,  dies  zu  verhindern  suchte  Es  war  fast  genau 
dasselbe  Schlachtield,  wo  vor  800  Jahren  die  rebelHschcn 
Sachsen  vor  dem  Könige  Heinricli  IV.  erlegen  waren  (I. 
I33ff.j.  General  von  Arentsschild  hatte,  da  er  die  Stärke 
der  Preufsen  anfangs  überschätzte,  unter  Verziehtleistung  &\xi 
seinen  ursprünglichen  Plan,  Langensalza  zu  behaupten,  diese 
Stellung  gewählt,  um  eine  Vcrteidigungsschlacht  zu  schlagen. 
Als  er  aber  im  Laute  des  Gefechtes  die  Schwäche  des 
Gegners  erkannte,  ging  er,  nachdem  er  vier  Stunden  lang 
alle  Versuche  der  Preufsen ,  die  Unstrut  zu  überschreiten, 
vereitelt  hatte,  gegen  zwei  Uhr  zum  Angriff  über.  Trotz  hel- 
denmütiger Gegenwehr  wurden  dem  Feinde  Langensalza  und 
die  Hulien  des  Judenbügols  und  Erbsberges  entrissen  und 
er  genötigt,  den  Rückzug  auf  Gotha  anzutreten.  Nun  ging 
die  hannövi-ische  Reiterei  zur  Verfolgung  vor.  In  glänzen- 
den, furchtbar  verlustvollcn  Angriffen  bestürmte  sie  —  Cam- 
bridge-Dragoner, Gardekürassiere,  Königin-  und  Garde- 
husaren —  den  langsam  zui-ückweichenden ,  sich  in  feuer- 
speiende Vierecke  zusammenballenden  Feind,  bis  die  allge- 
meino  Erschöpfung  dem  Kampfe  eine  Meile  vor  Gotha  ein 
Ende  machte.  Er  hatte  auf  beiden  Seiten  schwere  Opfer 
gekostet  Die  Preufsen  zählten  8O0  Tote  und  Verwundete 
und  lialsen  900  Gefangene  in  den  Händen  ihrer  Gegner. 
Gh*Öf8er  noch  war  der  Verlust  der  Hannoveraner.  Er  be- 
lief sich  auf  1400  Tote  und  Verwundete.  Die  hannüvrisehe 
Armee  hatte  sich  mit  ausgezeichneter,  bewunderungswürdiger 
Tapferkeit  geschlagen  und  selbst  in  der  schwierigen  Lage, 
in  der  sie  sich  befand,  ihren  alten  Kiiegsruhm  bewährt.  Es 
war  die  einzige  Niederlage ,  welche  die  Preufsen  im  Ver- 
laufe des  ganzen  Krieges  erlitten,  und  wenn  sie  hier  gegen 
eine  nicht  unbodeuteride  Übermacht  fochten,  so  wurde  dieser 
Nachteil  durch  die  Überlegenheit  ihrer  SchufswafFen  reich- 
lich wett  gemacht.  Aber  es  war  ein  völlig  nutzloser  Sieg, 
der  das  Geschick  Hannovers  nicht  mehr  zu  wenden  vor- 
mochte, es  im  Gegenteil  eher  beschleunigt  hat.  Noch  am 
Abende  des  Schlachttages  vollzog  sieh  thatsiichlich  die  preu- 
fsischerseits  in  Aussicht  genoraraene  Umzingelung  des  lian- 
növrischen  Heeres  und  schlols  sich  der  eiserne  Ring,  au3 
dem  kein  Entrinnen  mehr  möglich  war.  Am  Morgen  des 
28.  Juni  setzten  sich  von  allen  Seiten  her  die  prcufaiachen 
Heersäulen  gegen  Langen.'talza  in  Marsch.  General  von 
Göben  rückte  mit  1*2  000  Mann  nach  Grofs-Behringen;  Mau- 
teuffel  erreichte  mit  8000  von  Mühlhausen  her  Grufs-Gottern 
und  General  Flies  versperrte  mVt  aamcö.  X^'ä'ö^'^'KMaT  wä^sä 


478 


Drittes  Bach.    Zweiter  Abschnitt. 


er  nach  dem  Treffen  bei  Langensalza  »eine  Streitmacht  wieder 
gebracht  hatte,  die  Straffte  uacli  Gotha.  Jeder  weitere  Wider- 
stand der  Hannoveraner  erschien  als  hoffnungslos.  Öie  hatten, 
von  einer  doppelten  Übei*macht  umringt,  nur  noch  itir  einen 
Tag  Lebensmittel,  kaum  noch  für  ein  ernstes  Gefecht  Schiefs- 
bedarf. Die  Kapitulation  war  unvei'meidlicb  geworden.  Sie 
wurde,  nachdem  König  Geor^  schweren  Herzens  seine  Zu- 
stimmung erteilt  hatte,  in  der  Frühe  des  29.  Juni  zwischen 
dem  preufaiscLeu  GenenU  Vogel  von  Falckenatein  und  dem 
Oberhefehlahaber  der  Hannoveraner  General  von  Arenta- 
schild  unterzeichnet.  Der  endgültige  Äbscblufa  erfolgte 
preufaischerseits  durch  den  damit  von  Berliu  aus  auf  tele- 
graphischem Wege  beauftragten  General  von  Manteuffel. 

Die  Kapitulation  von  Langensalza  verbürgte  dem  Könige 
Georg  den  ungesclimälerten  Besitz  seines  Privat  vermögen» 
und  gewüiirtc  ihm  und  dem  Kronprinzen  für  sich  und  ihr 
Gefolge  unbeschränkte  Freiheit  in  der  Wahl  ihres  Wohn- 
ortes aufserlialb  des  Königreichs  Hannover.  Den  Offizieren 
wurden  gegen  das  Versprechen,  niclit  gegen  Preufsen  käm- 
pfen zu  wollen ,  die  Beibehaltung  ilirer  Waffen  und  der 
Fortbezug  ihres  Gehaltes  zugesichert.  Die  Truppen  sollten 
nach  Ablieferung  ihrer  Waffen  in  ihre  Heimat  befördert, 
alles  Kriegsmaterial  mit  Fahnen  und  Standarten  den  Preui'sen 
übergeben  werden.  Es  war  das  lediglich  eine  militärische 
Konvention,  kein  iStaa tsvertrag,  noch  weniger  ein  Friedena- 
achlufs.  So  blieb  das  Schicksal  Hannovers  zunächst  in  der 
schwebe.  König  Georg  mochte  immerhin  noch  auf  eine  iiir 
Seine  Dynastie  und  die  Selbständigkeit  seines  Landes  gün- 
stige Wendung  lioffen,  sei  es  infolge  der  noch  ausstehenden 
Waffenentacheidimg  mit  Österreich,  sei  es  dm'ch  grofsmutigen 
Kntschlufs  des  seinem  Hause  durch  Famihenbeziehungcn  eo 
enge  verbundenen  Siegers.  Er  sollte  sich  darin  bitter  ge- 
täuscht sehen.  Die  Schlacht  von  Königgrätz  raubte  ihm 
jede  Aussicht,  durch  einen  Umschwung  in  den  kriegerischen 
Ereignissen  wieder  nacli  Hannover  zurückgeführt  zu  wer- 
den, und  die  Verhandlungen  von  Nikolsbiu-g,  in  denen  Oster- 
reich Kurhessen,  Nassau,  Frankfurt  und  Hannover  der  Gnade 
des  siegreichen  Preufsene  überlieferte,  veniichteten  die  letzte 
Hoffnung ,  durch  einen  Friedensachlufs  zu  einer  Verstän- 
digung mit  dieser  Macht  zu  gelangen.  Als  während  dieser 
Verhandlungen  ein  Adjutant  des  Königs  Georg  mit  einem 
Schreiben  des  letzteren  an  den  König  Wilhelm  erschien  ^  in 
welchem  unter  Anerkennung  aller  früheren  Forderungen 
Preufaens  um  Mitteilung  der  Fried ensbedinguugen  iur  Han- 
nover gebeten  ward,  wies  man  das  Schreiben  als  unannehm- 


Einverleibnug  Hannovers  in  ProuTsen. 


47» 


bar  zurück.  In  Frcufson  hielt  der  leitende  Staatsmann  seit- 
dem  hartnäckig  die  Fiktion  fest,  dafs  der  entthronte  König 
von  Hannover  sich  nach  wie  vor  im  Kriege  mit  der  Krone 
Preufscn  befinde,  dafs  sein  Starrsinn  den  Äbschlufs  eine» 
Friedens  unmöglich  mache.  Das  hinderte  freilich  nicht,  dafa 
Bismarck  am  29.  September  1867  mit  dem  ehemaligen  han- 
növrischen  Minister  Windthoi-st  einen  Vertrag  sclilof»,  wo- 
nach gegen  Auslieferung  der  während  des  Krieges  nach 
England  geflüchteten  öflFentlichen  Gelder  dem  Könige  Georg 
die  Zinsen  eines  KapitaU  von  aechazehn  Milliimon  Thnlei-n 
zugesichert  wurden,  ohne  dafs  man  deshalb  von  ihm  einen 
Verzicht  auf  seine  Krone  verlangt  hätte.  Dieser  Vertrag 
ist  bekanntlich  nicht  zur  Ausführung  gekomraeu.  Au  dem- 
selben Tage  (2.  März  18  68),  an  welchem  er  in  dem  Ber- 
liner Amtsblatte  veröffentlicht  ward,  erfolgte,  nachdem  die 
Bedingungen  des  Vertrages  vom  Könige  Georg  ertüllt  waren, 
preufsischerseita  die  Beschlagnahme  der  sechszehn  Millionen 
Thaler,  eine  Malsregelj  die  dann  dm'ch  Bescldufs  des  Abge- 
ordncteubanses  vom  29.  Januar  lb69  gesetzliche  Kratt  er- 
hielt. 

Das  Geschick  Hannovers  hatte  sich  damals  bereits  er- 
Mlt.  Am  20.  September  186G,  vier  Wochen  nach  dem 
Frieden  von  Prag,  kam  im  preuCaischen  Abgeordneten  hause 
die  Einverleibung  der  eroberten  norddeutschen  Staaten,  also 
auch  Hannovers,  zur  Verliandhing.  Nur  ein  einziger  Ab- 
geordneter katholischer  Konfession  hat  dagegen  geredet. 
Mit  überwältigender  Mehrheit  wurde  der  Antrag  der  Regie- 
rung angenommen,  das  bisherige  Königreich  Hannover  zu 
einer  preuföiaclien  Provinz  erklärt.  Am  3.  Oktober  erfolgte 
die  formelle  Besitzergreifung  des  Landes  und  genau  ein 
Jahr  darauf  (2.  Oktober  1867)  trat  auch  für  Hannover  die 
preufsiache  Veriassung  in  Kraft. 


Wir  sind  mit  unserer  Darstellung  zu  Ende.  Es  erübrigt 
nur  noch,  einen  flüchtigen  Blick  auf  die  „letzte  Scholle  wel- 
ßscher  Erde'*,  auf  das  Herzogtum  Braunschweig  zu  werfen 
und  uns  die  Entwicklung  kurz  zu  vergegenwärtigen,  welche 
die  öffentlichen  Angelegenheiten  hier  seit  der  Auflösung  des 
deutsclien  Bundes  genommen  haben.  Glücklicher  oder 
—  wenn  mau  lieber  will  —  mit  richtigerer  Erkenntnis  und 
weiterem  politischen  Blick  als  in  Hannover  hat  die  Braun- 
schweiger Kegierung  den  Gefabren  zu  begegnen  gewufst, 
mit  denen  das  Zerwürfnis  der  deutschen  Grofsmächte  im 
Jahre  1866  die  übrigen  deutschon  Staaten  mehr   oder  ^ 


480 


Drittes  Buch.    Zweiter  Abschoitt. 


der  in  ihrer  Fortexiatenz  bedrohete.  Man  wird  kaum  an- 
nehmen dürfen ,  dafa  Herzog  Wilhelm  inbezug  aul*  die 
Schmälerung  Reiner  bisherigen  souveränen  UecJite  anders 
dachte  als  sein  Vetter,  der  König  von  Hannover.  Aber  die 
Kleinheit  des  Landes,  seine  geographische  Lage,  vor  allem 
die  Gesinnung  seiner  Bevölkerung  machten  hier  jede  Wahl 
unmöglieh  und  lielsen  die  Regierung  den  Weg  einschlagen, 
der  sich  in  der  Folge  als  der  einzig  richtige  und  Air  das 
Landeswohl  erBpriefsliche  erwiesen  hat.  Braunscbweig  stimmte 
im  Gegenaatae  zu  Nassau,  das  mit  ihm  zusammen  die  drei- 
zehnte Kurie  bildete,  am  14.  Juni  1866  in  Frankfurt  gegen 
den  ü&terreiclii sehen  Antrag  auf  Kriegsbereitschaft  des  Bun* 
deshecres  und  stellte  beim  Ausbruch  der  Feindseligkeiten 
dem  Könige  von  Preufsen  seine  Truppen  zur  Veriiigung. 
Doch  kamen  diese  nicht  zu  kriegerisclier  Aktion.  Ihre 
Thätigkeit  beschränkte  sich  auf  einen  unblutigen  Feldzug 
nach  Franken,  wo  sie  bis  Nürnberg  gekommen  waren ,  als 
der  Friedenssclilufs  mit  Bayern  den  Operationen  gegen  die 
süddeutschen  Staaten  ein  Ende  machte.  Am  4.  August  er- 
klärte daim  das  Herzogtum  seinen  Austritt  aus  dem 
deutschen  Bunde  und  am  18.  August  seinen  Kintritt  in  den 
neuzubiUienden  norddeutschen  Bund.  Vier  Jahre  später' 
führte  die  vom  Zaune  gebrochene  Kriegserklärung  Frank- 
reichs an  Preufsen  den  grofsen  französisch  -  deutschen  Krieg 
herbei,  der  die  Einigung  Deutschlands  vollendete  und  dieses 
Werk  der  Einigung  durch  die  WiGderherstelUing  des  deutschen 
Ueiches  krönte.  Auch  die  dem  zehnten  deutschen  Armee- 
korps eingereilieten  Bramisehweiger  Truppen  haben  an  die- 
sem Kriege  einen  ruhmvollen  Anteil  genommen.  In  dem 
mörderischen  Reitergefechte  bei  Rezonville  hatten  die  Braua- 
schweiger  Husaren  Gelegenheit,  sich  neben  den  bewährtesten 
preufsisclien  Uciterrogimcntcrn  auszuzeichnen.  Sie  drangen 
Iiior  in  die  Gardebatterio  ein,  in  deren  Mitte  sich  der  iran- 
zösische  Oberbefehlshaber  Marscliall  Bäzaine  selbst  befand, 
hieben  die  Fahrkanoniere  nieder,  kaum  dafs  der  Marschall 
der  Gefangenschaft  entging.  Iflit  dem  übrigen  zehnten 
Armeekorps  dem  Heere  des  Prinzen  Friedrich  Karl  zuge- 
teilt, nahmen  die  Braunschweiger  dann  an  der  Belagerung 
von  Metz  und  nach  dem  Italic  der  „jungfräulichen  Festung" 
an  den  Kämpfen  vor  Orleans  (.'J.  und  4.  Dezember  1870) 
sowie  vor  Le  Maus  (9.  bis  12.  Januar  1871)  teil.  Am 
14.  Januar  erstürmte  das  braunachweigische  FüsIlier-(Liinb-) 
Bataillon  unter  dem  iMajor  von  Münchhauson  das  von  einer 
ganzen  franzö.siHchcn  Brigade  verteidigte  Dorf  Chassillie. 
Zwei  Wochen  später  (28.  Januar]   ert'olgte  die  Kapitulation 


I 


I 


I 


Die  leisten  Jahre  Herzog  Wilhelms. 


4Ht 


b 


L 


von  Paris,  und  am  10.  Mai  setzte  der  Friede  von  Frank- 
furt dem  Kriege  ein  Ziel. 

Seitdem  hat  ein  zwauzjgjälu*iger  Friede  wie  dem  gesamten 
deutseben  so  auch  dem  Braunschwoiger  Lande  seine  Seg- 
nungen gespendet.  Er  hat  es  ermöglicht,!  die  IliltsqueUen 
des  letzteren  zu  reicher  Fnitaltung  zu  bringen ,  so  dafs 
Zahl  und  Wohlstand  der  Bevölkerung  in  stetem  Wachsen 
begriffen  sind.  Die  glänzende  Finanzlage  des  Landes,  an 
welcher  dem  rechtzeitigen  Verkaufe  der  ötaatseisenbahuen 
ein  Hauptanteil  gebührt,  hat  die  Regierung  iu  den  Stand 
gesetzt,  den  staatlichen,  kirchlichen  und  kommunalen  Be- 
dürfnissen in  ausgiebiger  Weise  iteehnung  zu  tragen ,  und 
der  Landtag  ist  ihr  dabei  meistens  boi-oitwÜIig  entgegen- 
gekommen. Eine  lange  Ucihe  wichtiger  und  bedeutsamer 
Gesetze  ist  durch  das  einträclittge  Zusammenwirken  von 
Kegicrune  und  Laudständen  zustande  gebracht,  Wir  er- 
wänueu  davon  nur  die  Errichtung  von  Kommunal  verbänden 
und  ihre  Dotierung  mit  zwei  Millionen  Thatem,  die  Gesetze 
über  die  VerhiUtuisse  der  Dissidenten,  die  Aufhebung  der 
Chaus^e-,  Damm-  vmd  Brückengelder,  die  Ablösung  der 
Stülgcbühren ,  die  Beseitigung  der  Geschlossenheit  der 
Bauerngüter  unter  Beibehaltung  des  Anerbenrecbts,  den  Er- 
lafs  einer  Bauordnung  und  eines  Wassergcsetzes ,  das  neue 
Gesetz  über  die  staatliche  Beauisichtigimg  der  Unterrichts- 
anstalten, das  Gesetz  über  die  Erbschaftssteuer,  endlich  die 
Durchführung  der  Keichsjustizverfassung  und  den  Erlafs  der 
dazu  erfonlerlicheu  (Tcseize.  Die  Kirchen voriasaung,  deren' 
Gi*undlage  das  bereits  im  Jahre  iHöl  erlassene,  1873  ab- 
geänderte Gesetz  über  die  Wahl  der  Kirchenvoratände  bildet, 
erhielt  durcb  das  Synodalgesetz  vom  Jahre  1871  ihren 
weiteren  Ausbau.  Aus  den  Beratungen  der  verschiedenen 
ordentlichen  und  aulserordontliclien  Synoden  sind  die  Gesetze 
über  die  kirchliche  und  bürgerliehe  Trauung ,  sowie  über 
die  Abhaltung  von  Inspektionsaynoden ,  femer  eine  neue 
Kirchen visitatiuns  •  und  eine  neue  Gottesdienstordnung  ber- 
vorgegangen. 

Der  steigende  Wohlstand  des  Landes  bekundete  sich 
auch  in  der  Zunahme  der  öffentlichen  und  privaten  Bau- 
tbätigkeit.  Auf  dem  Lande  verschwanden  die  alten ,  mit 
Stroh  gedeckten  Häuser  fast  ganz  und  machten  massiven 
Wohn-  und  Wirtschaftsgebäuden  Platz,  die  oft  schon  äulser- 
licii  eine  früher  nie  gekannte  Wohlhabenheit  der  Bevöl- 
kerung verkünden .  1  n  vielen  Döriern  sind  geräumige, 
stattUcIie  Schulhäuser,  in  manchen  auch    neue   stdvöUfi.  0.«s<.- 


482 


Drittes  Buch.    Zweiter  Abschmtt 


i 


tesbäuser  eratanden.  Koch  mehr  tritt  diese  die  Physio- 
gnomie von  Stadt  und  Land  allmählicK  veränderiide  Uin- 
waudiung  in  den  Städten  hervor.  BrauDsehwetg  namcat- 
lich  ist  während  der  letzten  Jahrzehnte  fast  zur  Hallte 
umgehauet  worden.  Die  alten,  merkwürdigen  Privatbäueer, 
die  der  Stadt  ihr  eigentümliches  Gepräge  gaben,  sind  mehr 
und  mehr  un  Verschwinden  begriffen,  doch  thut  der  wie- 
dererwachte Sinn  für  die  Vergangenheit  unseres  Volkes 
dos  Beine^  um  dasjenige,  was  von  ihnen  noch  übrig  ist,  zu 
erhalten  und  in  dem  alten  Glänze  wiederherzustellen.  Fast 
sämtliche  ältere  Kirchen  des  Landes,  die  einige  Bedeutung 
zu  beanspruchen  haben,  sind,  oft  mit  grofsen  Kosten,  oft 
auch  unter  BeihiU'e  der  Regierung,  einer  umfassenden  Re- 
stauration unterzogen  worden.  Dies  gut  auch  von  ande- 
ren merkwürdigen  öffentlichen  Oebäuden.  Dazu  gesellen 
sich  die  zum  grofsen  Teil  prachtvollen  monumentalen  Neu- 
bauten in  den  Städten,  namentlich  in  der  Hauptstadt.  Für 
sämtliche  höhere  Bildungsanstalten  des  Landes  sind  neue, 
acböne,  ausgiebige  lieimstätten  geschaffen  worden:  für  das 
Lehrerseminar  in  VVolfenbUttel ,  ftlr  die  Gymnasien,  denen 
in  Braunschweig  durch  das  „neue  Gymnasium"  eine  neu- 
begründete Anstalt  hinzugefiigt  ward,  für  das  ehemalige,  zu 
einer  technischen  Hochschule  umgestaltete  Collogium  Caro- 
linum.  Neben  dem  Justiz  ~  und  dem  Polizeigebäude  in 
Braunscltweig  sind  endlich  die  Prachtgebäude  zu  nennen, 
welche  der  gesicherten  und  würdigen  Aufbewahrung  der 
grofsen  wisseuscliaftlicheu  und  Kunstsammlungen  des  Landes 
galten:  das  neue  Museum  in  Braunscbweig  und  die  neue 
Bibliothek  in  Wolfenbüttel. 

So  kann  man  von  der  Regierung  des  Herzogs  Wilhelm 
sagen ,  dafs  sie  zu  den  glücklichsten  und  segensreichsten 
Epochen  der  braunschweigischen  Geschichte  zu  zählen  ist. 
Auch  die  Zukuul^  des  Landes  hat  der  Herzog  noch  wenige 
Jahre  vor  seinem  Hinscheiden,  so  viel  an  ihm  war,  durch 
das  mit  den  Ständen  vereinbarte,  vom  Bundesrate  aner- 
kannte und  bestätigte  „  Regentscbaftsgesetz "  sicher  gestellt. 
Die  Anhänglichkeit  und  dankbare  Gesinnung  seines  Volkes 
bekundete  sich  in  glänzender  Weise  am  2  5.  April  1881 
bei  der  Feier  seines  fÜBfeigjUhrigen  Kcgierungsjubiläums, 
die  sich  zu  einem  grofsartigen  Feste  für  das  ganze  Land 
gestaltete  Wenige  Jahre  später  wai'd  auch  er,  der  letzte 
einer  Reihe  ausgezeichneter  und  ruhmreicher  Fürsten,  zu 
seinen  Vätern  versamraelt.  Am  18.  Oktober  1884,  morgens 
ein  Uhr,  verschied  er  nach  kurzer  Krankheit  auf  seinem 
Lustscbloase  Sibyllenort  in  Schlesien,  wo  er  einen  Teil   des 


Tod  des  Herzogs  WUhelm.  483 

JahreB  zuzubringen  pflegte.  ,,  Braunschweig ,  mein  Braun- 
schweig", das  waren  seine  letzten  Worte.  Seine  Leiche 
wurde  nach  Braunschweig  übergeführt,  wo  am  25.  Oktober 
die  feierliche  Beisetzung  stattfand.  Noch  einmal  Öffneten 
sich  die  Pforten  der  Füratengruft  unter  dem  Dome  von 
St.  Blasien,  um  die  sterblichen  Reste  des  letzten  Sprossen 
aufzunehmen,  den  der  ältere  Zweig  des  Welfenstammes  ge- 
trieben hatte. 


Dniek  von  Fiisdr.  Indr.  PsrtbeB  in  Gotha. 


Berichtiguiiffeii, 


S.    43  in  dem  Kolumnentitel  st.  strcithortiscbcn  1.  streithorsti* 

sehen. 
S.    55,  Z.  13  V.  o.  st.  von  Prag  l.  in  Prag:. 
S.     56,  Z.  7  V.  u.  st.  ihm  1.  Ihn. 

S.  199,  Z.  22  V.  o.  tilge  die  Auführungszeicheu  vor  wonach. 
S.  201,  Z.  17  V.  u.  St.  Hercucladisla  1.  Herciiladlsla. 
S.  308,  Z.  22  V.  o.  St.  Ilandscoten  1.  Hahdscoteu. 
S.  363.  Z.  12  V.  u.  8t.  Plachnois  1.  Planchnois. 


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