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ff-
>' • V
GESCHICHTE
VON
BRHCHWEIG iD UOVi.
VON
Dß OTTO VON HEINEMANN,
HBBZOOt. OBEBBIBLIOTUEKAB ZU WOLFEKBOTTEL
DRITTER BAND.
GOTHA.
FRIEDRICH ANDREAS PERTHES.
1892.
Alle Itechte vorbehalten.
INHALT.
Erstes Buch.
Die Zeiten des grofsen deat9chen Krieges.
Seit«
Erster Abschnitt. Am Vorabende des Krieges 3
Zweiter Abschnitt. Der dreifsigjährige Krieg 51
Dritter Abschnitt. Die Nachwehen des Krieges .... 102
Vierter Abschnitt. Kulturgeschichtlicher Überblick . . . 151
Zweites Buch.
Das Jahrhundert des Ahsolntlsmus und der
Anfklftrung.
Erster Abschnitt. Der fürstliche Absolutismus auf seiner
Höhe 207
Zweiter Abschnitt. Die Zeit der Aufklärung 251
Dritter Abschnitt. Fremdherrschaft nnd Befreiung . . . 311
Vierter Abschnitt Kulturgeschichtlicher Überblick . . 364
Drittes Buch.
Die neuere Zelt.
Erster Abschnitt. Vor 1848 406
Zweiter Abschnitt. Nach 1848 444
Erstes Buch.
Die Zeiten des grofsen deut-
schen Krieges.
Ue]]i«ia«Aji, BnonBehw.-huoa6v. a«scliiclile. Hl.
Als ^;egen Ende des 16. Jahrhunderts die Vertreter dex-
beiden Hauptlinien des welfiachen Hauses, Herzog Julius
von Wolfen büttel-Calcüberg und Wilhelm von Lüneburg, fast
zu der nämlichen Zeit aus dem Leben schieden, nahm jenes
Haus eine die übrigen FürsteugesclileclUer Norddeutächlauds
mehr oder minder überragende und verdunkelnde Stellung
ein. Seine politische Macht und sein Ansehen im Heiche
waren damals in entschiedenem Aufsteigen begriffen und
Bchicncn ihm iür die Zukuni^ ein bleibendes Übergewicht
in den nicdcrsächsischcn Gegenden zu sichern. Bedeutende
Ländererwerbungen waren von beiden Linien gemacht wor-
den, andere uiclit minder bedeutende standen allem mensch-
lichen Ermessen nach in der nächsten Zeit bevor. Beide
Fürstentümer hatten sich unter einer längeren, friedlichen,
sparsamen und verständigen Regierung im Inneren befestigt,
die religiösen Gegensätze uberwimden, auf dem Gebiete der
Rochtspfloge und Verwaltung nouo Ordnungen goächaffen
und mit der Grundlage einer besseren Finanzwirtachait sich
die Aussicht auf eine gedeihliche materielle Entwickelung
eröffnet. Am meisten war dies der Fall mit dem Hcrzog-
tume Wollenbüttel und den mit ihm vereinigten Gebieten,
wo die Fürsorge und musterhafte Regierung des Herzogs
Julius seinem Nachfolger ein wohlgcorduetea, blühcndea Staats-
wesen und einen gefüllton Schatz hinterHcfs.
Dieser Nachfolger, der bei seinem Regierungsantritte im
fUnfundzwanzigsten Lebensjahre stehende Heinrich Julius,
hatte, wie wir gesehen, durch die Sorge des Vaters eine Er-
ziehung genossen, welche ganz dazu geeignet war, die in
ihm schlummernden Anlagen und Kräfte auszubilden und
zu schöner, reicher Entialtung zu bringen. Unter <iÄ\ ^^V-
tung seines Hofmeisters Heinrich von der Luhe, später des
cLenau verständigen wie fein gebildeten Kurt von Öchwicheldt
von geachickteu Lehi'eru , wie dem Theologen Heimbei-t
Oppechin und dem llechtagelehrten Heinrich Grünteld,
unterrichtet, erwarb ßich der junge Prinz eine m grimdliche
Bildung, daJ's er sclion in jungen Jahren das Staunen seiner
Zeitgenossen erregte. Das durch diesen Unterricht in ihm
rege geraachte Interesse erstreckte sich auf die verschieden-
sten Gebiete der Kunst wie der Wissenschaft. Aber mit be-
sonderer Vorliebe hat er Zeit seines Lebens das Studium
des römiflchen Rechtes betrieben, in welchem er später so
sehr bewandert war, daiV er als Rechtslehrer ohne Zweifel
einer jeden deutschen Universität zur Zierde gereicht habeal
würde. „Abgesehen von der heiligen Schrift" — so bezeugt"]
eine der auf ihn gehaltenen Leichenreden — „ bildeten Justi-i
niuns Institutionen sein LiebUngsstudium, über alle Freuden
der Welt ging ihm die Beschäftigung mit den Pandekten,
und der Codex übte auf ihn eine gröfsere Anziehungekraft
aus als alle Unterhaltungsachriften." Was ihn aber nach
dieser Richtung hin so mächtig fesselte , war neben der
wissenschaftlichen Freude an dem scharfsinnigsten Rechts-
systeme, welches je von einem Volke ausgebildet wordea
ist, ohne Zweifel auch die Überzeugung, dafs dict^cs Rechtsri
sjstera, indem es dem Streben nach fürstlicher MachtvoU-
kommeuheit, von dem er in einem Maise wie keiner seiner]
Vorfahren erfüllt war, eine durch die Tradition von mehrj
als einem Jahrtausend gewissermafsen geweihete Grundlage!
zu geben schien, ihm iubezug aiü' seine politischen Pläne]
die wichtigsten Dienste zu leisten versprach. Mit dieser*
Auffassung fand er bei niemandem ein bereitwilligeres und
verständnisvolleres Entgegenkommen als bei dem Manne, der
während der ersten Hallte seiner Regierung die eigentliche
Seele der letzteren gewesen ist und einen allmächtigen Ein-
flufs im Laude ausgeübt hat. Johann Jageiuann, aus Hei-
ligenstadt auf dem Eichsfelde gebürtig und seit 157I> Pro-
fessor der Rechte an der Universität Helmstedt, war wegen
seiner Gelehrsamkeit, Geschäftskenntnis und Thatkrat't be-
reits von dem Herzoge Julius zum Vizekanzler ernannt
worden und dann nameutlicli in den beim Anfalle von Ca-I
lenberg- Gottingen als notwendig sich herausstellenden Ge-
BchäJten und Reformen mit überraüchendem Erfolge thätig
gewesen. Eine dem Herzoge Heinrich Julius kongenialei
Natur, sah er sich von diesem bald nach dessen Regierung»- j
Antritte zum Kanzler und Direktor der rUrstlichcn Ratsstubo j
berufen^ in welchem Amte er, als der erklärte Günstling des
^
Heinrich Jnlius in d(sr Jugend. 5
juDgen Fürsten und mit ihm auf gleicher Hiihe geistiger Bo-
fabung stehend, in der Folge eine umfassende, fruchtreiche,
"eilich sich nicht immer von Eigenmacht und Gewaltthätig-
keiten fern haltende Wirksamkeit entfaltet liat.
Aber nicht allein durch Lehre und Erziehung war Hein-
rich JiiHuB zu dem Regenten berufe, der ihn erwartete, auf
das sorglUltigRtc vorbereitet worden: er hatte auch, lange
bevor der l'od des Vaters ihn diesem Jleinife zuwies, viel-
fach Gelegenheit gefunden, sich praktisch und selbstthätig in
ihm zu versuchen. Schon als zweijähriger Knabe war er
nach dem Tode des Bischofs Sigismund durch die Wahl des
Domkapitels auf den bischöflichen Stuhl von Ilaiberatadt
erhoben worden und, nachdem er im Jahre 1578 ftir voll-
jährig erklärt worden war, liatto er noch in demselben Jahre
selbständig die Verwaltung des flochstiftes übernommen.
In dieser Stellung gab er sich zunächst, dem Beispiele seines
Vaters folgend, einer gemeinnützigen Thätigkeit von grofs-
artigem Umfang und segensreichem Erfolge hin, indem er
die von eineni seiner Vorgänger begonnene Entwässerung
des grof&en Bruches zwischen Oschersleben und Hornburg
durch die Anlage eines SchifFsgrabens vollendete, in Gro-
ningen, seiner gewöhnlichen Residenz, ein pracht^-olles, viel
bewundertes Schlofs erbauete und in Halberstadt das weit-
läufige Gebäude tiir die dort von ihm eingerichtete Kommisse
erstehen liefs. Später hat er dann hier in milder, schonen-
der Weise der evangelischen Lehre zum Siege verholfen.
Denn wenn auch im Jahre 159t die beiden Hauptkirchen
der Stadt, der Dom und die Liebfrauenkirche, ihre Pforten
den lutherischen Predigern öffnen raufüten, so hat der Her-
zog doch den Anhängern der alten Kirche auch in der Folge
weder eine grofsherzige Duldung versagt noch selbst die Er-
langung von kirchlichen Pfründen verwehrt.
Während aber Heinrich Julius auch nach Übernahme
der Regienmg des ihm von seinem Vater vererbten Länder-
gebietes die Verwaltung des Hochstifts Halberstadt als dessen
postulierter Bischof in der Hand behielt, hatte er bereits im
Jahre 1585 auf diejenige des Bistums Minden, wo er nach
dem Rücktritt Hennanns von Holstein - Schauenburg gleich-
falls zum Bischof erkoren worden war, Verzicht geleistet.
Es geschah dies infolge der letztwilligen Verfügungen seines
Vaters, der ihn als den Erstgeborenen seiner Söhne zwar
zum alleinigen Erben seiner sämtlichen Länder, auch des
erst kürzlich angefallenen FürstenturaB Calenberg-Göttingen
eingesetzt, daran aber die Bedingung geknüpft hatte, dafs
er zugunsten seiner Brüder auf die Bistümev: H»^^awc^^aA.v
Erstes Buch. Erster Abschnitt.
und Minden verzichte. Die Absicht, einem der jüngeren
Prinzen des Hauses das letztgenannte Hochstift zuzuwenden,
schlug indes fehl. Nacli einer längeren Sedisvakanz (lft82
bis 1587) wählte das dortige Domkapitel nicht einen der
Söhne des Herzogs Julius, Sündern den Graten Anton von
Schauenburg. Dies machte Heinrich Jidiua bedenklich, dem
Wunsche seines Vaters aucli inbezug auf llalberatadt za-,
entsprechen. Im Interesse seines Hausos zog er es vor, auch]
ferner im Besitze des Hochstiites zu verbleiben. Als Ent»]
Schädigung räumte er dagegen seinem im Jahre lü8G zuokl
Bischöfe von Verden püstulierten Bruder Philipp Sigismund;]
die Häuser und Amter Syke, Wüipe und Diepcnau zu erb-j
Uchem Besitz ein, „nicht aus Pflicht, sondern aus brüder^J
lieber Zuneigung", wie es in der betreffenden Urkunde vom
6. Juni 1689 heilst. Diese Ämter und Schlösser solltea
indes ohne seine und seiner Nachfolger Einwilligung nichij
verpiändet werden und inbezug auf Erbhuldigung , Land' f
folge, Schätzung und sonstige Holieitsr echte nach wie vorj
unter dem regierenden Landesberrn stehen. Die jüngereaf
Brüder erkannten dagegen die Gültigkeit des väterUchea
Testamentes feierlich an und begaben sich zugleich aller An-
sprüche auf die dem horzogliclien Hause bevorstehenden '
Erbschaften, namentlich auch inbezug auf den etwaigen An-|
fall des Fürstentums Grubenhagen.
Solche Erwerbungen , welche die von Heinrich Julit
seinen Brüdern gebrachten Opfer reichlich aufwogen, sollten''
ibm denn auch schon während des ersten Jalirzehnts seiner j
Regierung wiederholt zuteil werden. Zunächst der bedeu^l
tendstö Teil der Grafschaft Hohnstein. Gleich so vielen ur-
sprünglich i*eich begüterten und mächtigen Dynastenhäusern
hatte das altberühmte thüriugische Geschlecht der Hohusteiner
in den späteren Jalirhunderten des Mittelalters den Wechsel
des Glücks in reichlichem Mafae erfahren. Häufige Fehden
und mehiTnalige Teilungen hatten es geschwächt, ao dafa
bereits z« Anfang des 15. Jahrhunderts das Amt Hohnsteia
mit dem jetzt in malerischen Trümmern liegenden titamm-
schloBse an die Grafen von Stolberg und Schwarzburg ver-l
äufsert werden mufstc. Von den beiden Linien, in welche]
sich das Geschlecht seit dem Jahre 1372 gespalten hatts
verkaufte die heldrungische Linie nach und nach ihre Be-
sitzungen bis auf einen kleinen Rest an die Grafen voi
Mansfcld, Schwarzburg und Stolberg, und indem Graf Je
bann 11. in branden burgische Dienste trat, fand sie in ganaJ
anderen, ferngelegenen Gegenden ein Feld für ihi*e Wirk-'
samkeit, bis sie im Jahre 1609 mit dem Grafen Martin, Or-
Ländererwerbuu geu .
densmeister der Jobanniterritter, aasstarb. Die andere Linie,
welche im Laute der Z<iii die Grafschaft Lolira und die
Herrschaft Klettenberg erworl»en hatte, auch in den Ptaud-
beaitz der Grafschaft Lauterberg gekommen war, erlosch
mit dem Grafen Ernst VIL, der am 8. Juli 1593 auf dem
Schlosse Lohra verschied und in Walkcnriod, dessen Schutz-
vogt und Administrator er war, bestattet ward. Obachoi:
nun die Grafen von Schwarzburg und Stolberg unter Be-'
rufung auf eine im Jahre 1433 mit den Grafen Heinrich,
Ernst und Eilger von Hahnstein abgeßchlussene Erbvor-
brüderung die erledigten Laude in Anspruch und die Häuser
Lohra und Klettenberg iu Besitz nahuiou, so bemächtigte
flieh doch Heinrich Julius derselben mit gowaffheter Hand
und liefs die dort befindlichen gräflichen Diener gefangen
nach Braunsebweig abluhreu. Ei* bestlitt, imi diesen Schritt
zu rechtfertigen, die Rechts Verbindlichkeit jener Erbver-
brüderung, da Lohra so gut wie Klettenberg halbers tiid tische
Lehen seien und weder das Domkapitel noch auch der Kai-
ser zu derselben ihre Einwilligung gegeben hätten : vielmehr
habe er schon am 25. Mai 1583 als Bischof von Halberstadt
seinem Vater die Anwartschatt auf die streitigen Gebiete er-
teilt und nach dessen Tode auf die Kunde von dem llin-
Bcheiden des Grafen Ernst sieb selbst am 13. August 1593
damit belehnt. Dagegen erhoben die beiden Grafenhäuser
Einspruch und Klage beim Reichskammergenchte, indem sie
zugleich, auf derselben Ei' b Verbrüderung tiifsend, die Her-
ausgabe der von den Herzögen von Grubenhagen lehns-
rübrigen Grafschaften Lauterberg und Scharzfold verlangten.
Dieser Prozefe ist erst während der Regierung des Herzogs
Friedlich Ulrich durch einen Vergleich beigelegt worden,
die Grafschaft Lohra-Klettenberg aber ging durch die Er-
eignisse des dreifsigjährigon Krieges dem Hause Braun-
schweig wieder verloren.
In demselben Jahre, in welchem Heinrich Julius diese
Erwerbung machte, ward er auch zum Administrator der
reichen Abtei Walkenried erwählt, indem er auch hier dem
letzten Graten von Hobnsteiu aus der Lohra- Kleltenberger
Linie folgte. Drei Jahre daraxxf erlosch am 4. April 1596
mit Philipp H. die Grubenhagener Linie des braunschweig-
lüneburgischen Gesamthauses (H. G8). Sogleich nahm Hein-
rich Julius, der für diesen £'all bereits früher mit Eimbeck
und Ostorrodc, den bedeutendsten Städten des Landes, bin-
dende Verabredungen getroffen, ja sich des Schlusses Scharz-
fold durch Beeidigung der dortigen Besatzung' schon vor
dem Hinscheiden des Herzogs Phüipp versichert hatte, daa
Fürstentum in Besitz. Vergebens machten die Vertreter
der LUnebiirger Linie, Otto 11. von Harburg, Heinrich von
Danncnbcrg und Ernst 11. von Celle, auf Grund einer gröise-
ren Nähe des Verwandtachaftsgradea (nach der Sippzalil) ihre
unzweifelhaft besser begründeten Ansprüche geltend und er-
hoben, da die von beiden Seiten lebhaft betriebenen Unter-
handlungen einen gütlichen Ausgleich nicht herbeizuführen
vermochteo, Klage bei dem Reichahofrate in Wien. Der
weitläufige und langwierige Prozofs, der sich damit entspann,
fand erst nach dem Tode des Herzogs Heinrich Julius seine
Entscheidung. So lange er am Leben war, hat er sich trotz
eines im Jahre lö09 abgegebenen, der Gegenpartei günsti-
gen Erkenntnisses und trotz der Mahnungen des Kaisers,
wegen der grubenhagen sehen Succession sich mit seinen
Vettern abzuünden, im Besitze des Landes behauptet. Das
Ableben des letzten Herzogs von Grubenhagen ward die
Veranlassung, dafs Heinrich Julius auch mit Amt und Schlofs
ElbiDgerode von der Abtei Gandersheim belehnt ward.
Dieser bedeutende Zuwachs an Land und Leuten er-
hielt, wiederum drei Jahre später, durch den Heimfall der
Grafschaft Blankenburg-Regenstein seinen Äbschlufs. Das
alte von dem Grafen Poppe abstammende GeschlecLt dieser
Harzgrafen hatte sich schon mit dessen Sühnen Siegfried
und Konrad in die Linien Regenstein und Blaukenburg ge-
spalten und später war diese Teilung durch Siegfrieda Sühne,
Heinrich und Siegfried H., erneuert worden. Von der Regen-
steiner Linie zweigte sich im ersten Viertel des 13. Jahr-
hunderts die Linie der Grafen von Heimburg (die jüngeren
Regensteiuer) ab, welche, während die beiden anderen Linien
des Hauses um die Mitte des 14. Jahrhunderts ausstarben,
gerade damals zu höchster politischer Bedeutung emporstieg,
indem sie längere Zeit nicht ohne Erfolg den Bischöten von
Halberstadt die HeiTschaft über den Harzgau streitig machte
(H. 87). Dann aber kam rasch und unaufhaltsam der
wirtschafthche Niedergang des Geschlechtes. Verpfändungen
und Gebietsveräufaerungen häuften sich, die Grafen gerieten
zuletzt in eine unerschwingliche Schuldenlast, der Neubau
des Blankenburger SolUosses durch den Grafen Ulrich
(t 15Ö1) verschlang grofse Summen, so dafs das Geschlecht,
als es im Jahre 1599 am 4. Juli mit dem jungen, noch
unter Vormimdschaft stehenden Grafen Johann Ernst erlosch,
völlig verarmt uud überschuldet war. Den vom Hause
Braunschweig lehnsrührigen Teil der eröffneten Erbschaft,
zu welchem namentlich aufser dem Flecken Hasselfelde die
Schlösser Blankeuburg, Heimburg und Stiege gehörten, zog
Bauten.
Heinrich Julius ein, ohne sich um die Ansprüche der Grafen
von Stolberg zu kümmern, welche im Jahre 1491 von scinea
Vorfahren, den Herzögen Heinrich d. A. und Erich d. A.,
damit ilh* den jetzt eingetretenen Fall belehnt wurden waren.
Der andere Teil des blftnUenhurgf-regensteiuschen Erbes war
Halberstädter Lehen. Auf diesen hatte Heinrich Julius in
seiner Eigenschait als Bischof von Halberstadt 1583 seiuem
Vater die Anwartflchaft erteilt, in dessen Hechte er selbst
nach dessen Tode getreten war. Demgemftfs empfing sein
Kanzler Johann Jagemann am 12. September 1600 im Na-
men und im Auftrage des Herzogs für diesen vom Dom-
kapitel zu Halberstadt auul» inhezug auf diese Gebiete die
Belehnung. Nur die Herrschaft Derenburg, welche ganders*
heimisches Lcheu war, tiel an Brandenburg.
So bedeutend nun aber diese Erwerbungen auch erscheinen
mochten, so lag in ihnen für die Folge doch die Quelle vieler
Widerwärtigkeiten und schHefsIicb selbst grofser Verluste.
Sie alle wurden in ihrer Ilechtsgültigkeit angefochten, und
es entspannen sich darüber langwierige Prozesse, die, bei
den Reichsgerichten anhängig gemacht, grofse Summen Gel-
dos verschlangen und endlich gröfstenteils, wenn auch erst
nach des Herzogs Tode, zum Nachteile der Wollenbüttler
Linie, ja selbst des Gesamthauses ßraunscbweig entschieden
wurden. Schon dieses war dazu angethan, die Finanzen,
welche Herzog Julius in so glänzendem Stande hinterlassen
hatte, zu zerrütten und einem allmählichen Verfalle ent-
gegenzuiuhren. Dazu kam die Neigunc des Herzogs, dem
der haushälterische Sinn des Vaters völlig abging, für die
Entfaltung einer aufsergewöhnlichen, die Kräfte des Landes
weit übersteigenden fürstlichen Pracht. Diese zeigte sich
zunächst in seiner Bauluat, der er schon als junger Prinz
im Stitte Halberstadt mehr, als seinen Mitteln zuträglich war,
fehuldigt hatte. Die von Heinrich d. J. in Wolfenbüttel
egonnene Marienkirche liefs er dnrch seinen Baumeister
Paul Francke zu einem grofsartigen Gotteshause umge-
stalten, zu welchem sein Bruder Julius August, Abt zu Mi-
chaelstein, im Jahre 1604 feierlich den Grundstein legte.
Zu dem Baue wurden Sammlungen in allen Teilen des Lan-
des veranstaltet, die Hintersassen njufsten dazu Dienste, der
Adel Fuhren leisten, Kirchen und Klöster wurden zu Bei-
trägen herangezogen. Kaum weniger kostspielig war der
Bau des schönen, in reichem deutschen Renaissancestil teil-
weise nach des Herzogs eigenen Plänen aufgeführten neuen
Universitätsgchäudes zu Helmstedt, welches, im Jahre 1594
begonnen und gegen Ende des Jahres 1612 voUftud'it^ -ua.
Ehren des Begründers der UaiverBität den Namen „Juleum"
erhielt. Mit Eiier und grofsea Kosten wurde auc}i an der
Erweiterung und Ver voll stand ig uug der Festungswerke von
Wo]fenbüttel gearbeitet. Das nacli Süden führende Ilarzthor
und der Pliilippaberg, ehemals das stärkste und höchste Boll-
werk der Stadt, verdankten ihre Entstehung dem Herzoge
Heinrich Julius.
Aber auch abgesehen von dieser kostspieligen Lust am Bauen
mehrten sich die Ausgaben des Herzogs in erschreckender Weise.
Heinrich Julius hat es nie verstanden, eine weise Sparsam-
keit zu üben oder auch nur eine geregelte Finanzverwaltung
zu ttlhren. Hoch begabt und fein gebildet, war er im Gegen-
satz zu seinem Vater eine Natur, auf welche neben den
Aulregungen der groison Politik der äufsere Olanz des Le-
bens eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Wenn
er nicht — wie das in den späteren Jahren seiner Regierung
häutig geschah — aufsor Landes weilte, folgten sich an
seinem Hofe in buntem Weclisel jene Vergnügungen und
Lustbarkeiten, au denen die damalige Zeit ihre Freude hatte:
Cnrou83ell8,Bankettc,Ringch'enncn, Ritterspiele und allegorische
Darstelkingen. Dazu gesellten sich , einen veränderten Ge-
schmack der Zeit anbahnend und den Anfang wenigstens
einer auf ieincren Lebenagenufs abzielenden Richtung be-
kundend, dramatische Aufführungen, die er hiiufig, bald
regelmäf8ig an seinem Hofe veranstaltete. Diese Bestrebungen
des Herzogs für die Ifebung des deutschen Theaters sind
höchst merkwürdig. Von regem Sinn für die Kunst be-
seelt und selbst Dichter auf dem dramatischen Gebiete, war
er einer der ersten deutschon Fürsten, die an ihrem Hofe
eine besoldete Schauspielertmppe (., bestallte Komödianten")
unterhielten und eine ständige Bühne einrichteten. Englische
ScbauBpielei-, die damals, um ihre Kunst auszuüben, Deutsch-
land wandernd durchzogen, begegnen uns in Wollen büttel
und haben, wie beispielsweise Thoraas Sackville, längere
oder kürzere Zeit in des Herzogs Diensten gestanden. Unter
den von ihnen in WoUbnbUttel zur Aufführung gebrachten
StUcken befanden sich ohne Zweifel auch die von Heinrich
Julius seibat herrührenden Dichtungen, wie man denn na-
mentlich angenommen hat, dafs, als dieser nach dem früh-
zeitigen Tode seiner ersten Gemahlin Dorothea von Sachsen
mit Ehaabeth, der Tochter des Königs Friedrich IL von
Dänemark, im Jahre 15flO eine zweite Ehe schlofs, zur Ver-
herrlichung dieses Ereignisses das wahrscheinlich älteste Stück
des Herzogs, die Susanna, über die Wolleubüttler Bühne ge-
gangen ist.
Hofhiihnü in Wo'feitbuttel.
u
Diese kunstäinriigeo Bestrebungen des Herzogs^ der Olanz
seiner Hothaltung, die unbeschränkte Oastt'reundschatt , die
er übte, daa alleä vereinigte sich, um seine Residenz Wol-
i'enblittel zu dem Mittelpunkte eines bowegton Treibens za
machen, au welchem sich Kiuheimiechc wie Fremde in glei-
chem Malse beteiligten. Aber sie erforderten auch einen
grolficn Autwand und verschlangen zusammen mit den üb-
rigen kostspieligen Liebhabereien des Herzogs, der Vermeh-
rung der Dienerschaft, der teilweiaen Umgestaltung der Re-
giei-ungskoUegien, bedeutende Summen. Auch die Verpflich-
tungen gegen das Reich stiegen damals zu einer trüber nicht
gekannten Höhe. Kcicha- imd Kreissteuern folgton sich
rasch und mul'sten aufgebracht werden. Öo kam es, dafa
der Schatz, welchen Herzog Julius angesammelt hatte, binnen
kurzern zusammenschmolz und bald ganz dahinschwand, ja
dafs trotz gesteigerter Auflagen, Schätzungen imd Steuern
fegen Ende der Regierung des Herzogs eine drückende Schul-
enlast von über einer Million Thaler auf dem Kammergut&
lag. „Die Einkünfte des Herzogs Heinrich Julius" — so
äufsert sich eine wenige Monate nach dos letzteren Tode
niedergeschriebene Denkschrift — „waren so bedeutend, dafs
mit ihnen fünf regierende Landesherren ihre atattlichen Höfo
liätten halten können. Jetzt aber ist der angeerbte Vorrat
vergriffen, Amter und Bergwerke sind mit Schulden, Zinsen
und verordneten iiirstlichen Hufhaltungen beschwert, und
die Schulden und rückstiiudigen Besoldungen belaufen sich
auf viele Tonnen Goldes. Denn der verbtorbeue Herr wollte
die Kammerrechnungen niemals nachsehen, noch die inbezug^
aul die Verwaltung eingeschickten Berichte einer Prüfung
unterziehen, sondern begnügte sich damit, Ausgaben zu be-
fehlen. So konnte man mit den laufenden Einkünften die
ftotliche Hofhaltung und Regierung samt den ungewöhn-
lichen Ausgaben und Zehrun^en im Auslande nicht be-
streiten, sondern raufste von Jalu' zu Jahr btjrgcn."
£s leuclitet ein, dafs diese sich mit der Zeit mehr und
mehr steigernden finanziellen Verlegenheiten des Herzogs-
einem guten Verhältnis desselben zu den Landständen nicht
förderlich sein konnten. Aber selbst wenn sie nicht vor-
banden gewesen wären, würde doch bei der herrischen und
eigenwilligen Persönlichkeit des Herzogs, bei der übertriebe-
nen Vorstellung, die sich bei ihm unter dem Einflüsse der
Anschauungen und Grundsätze des römischen Rechtes von
seiner fürstlichen Würde auegebildet hatte, ein früherer oder
späterer Bruch mit den Vertretern des Landes kaum aus-
geblieben sein. Schon auf dem ersten Landta^^ de^v H^W
, Erstes Buch. Erster Äbscbnitt.
rieh Julius, nachdem er dieHuIdigung des Landes eingenommen
hatte, auf den 17. August 1590 nach SalzdahJum ausschrieb,
erhoben sich iStreitigkeiten mit der Stadt Braunschweig, welche
»ich weigerte, die Huldigung zu leisten, bevor nicht die mit
der Herrschaft noch schwebenden Irrungen beigelegt wären,
und sich energisch dagegen verwahrte, dafs sie in dem Land-
tagsauasch reiben des Herzogs als dessen Erb- und Land-
stadt bezeichnet worden sei. Als dann wenige Jahre später
(159-1) ein abermaliger Landtag nach Salzdahlum berufen
wurde, kam ea hier zwischen Johann Jagemann, dem Kanzler
des Herzogs, und dem Abgesandten der Stadt Brnunschweig,
Christoph Hogreve^ zu einer sehr unliebsamen Scene. Kaum
hatte letzterer begonnen, in voller Versammlung die Gründe
darzulegen , weshalb Rat und Bürgerschaft es ablehnen
mufsten, den Landtag zu beschicken, als Jageraann ihn mit
harten Worten anfuhr und dem Wolfenbüttler Amtmann
den Befehl erteilte, ihn mit Gewalt zu giciien und in das
Geßingnis zu schleppen : ein unerhörtes Beginnen , welches
auch die übrigen Landatände so aufbrachte, dal's Hildebrand
von SaJder den Amtmann zurückstiefs und die übrigen Ab-
geordneten der Ritterschaft, vor allen die von Salder, sich des
Bedroheten annahmen, ihn in einen Wagen setzten und sicher
nach Braunschwejg zurückgeleiteten. Infolge dieaes Aul'trittea
richtete ein Teil der Ritterschaft auf Betreiben derer von Salder
an den Hei'zog eine Beschwerde über dessen Räte, die sie
ihm durch einen Notar auf freiem Felde in der Gegend von
Holzminden zustellen liefsen. In dieser Schrift wird bittere
Klage geführt über das hochmütige und rücksichtslose Ver-
fahren des Kanzlers und der Räte, von jenem behauptet,
„dafs einzig seine Sinne dahin gerichtet seien, wie er die
Landschaft sich zum Fufsachemel machen möge", diesen
vorgeworfen , „dals sie mit Ver schlief sung der Thür der
Landschaft; Abgesandten nicht h&tten hören wollen, sondern
fiie schimpflich abgewiesen hätten ". Der Herzog beschied
darauf die Klageführenden nach Wolfenbüttel, wo die Sache
im Beisein seines Kanzlers verhandelt werden sollte. Allein
die von Salder blieben aus und liefsen sich nur durch Mel-
chior Steigmann, ihren Notar, vertreten. Dieser war nicht
einmal mit Instruktion versehen, erklärte aber trotzdem, dafs
seine Aufitraggeber , welche nicht unter dem Herzoge, son-
dern „im Stift Hildesheim und Land Lüneburg mit Leib,
Hab und Gütern , mit Weib und Kind häuslich gesessen,
auch daselhst ihren Rauch und Feuer und sonsten nii^nd
hätten", flir den Fall, dafs man ihren berechtigten Klagen
nicht abhelfe, entschlossen seien, ihre Sache bei dem Kammer-
4
SUe!t mit der Kitterscbafl.
18
gerichte in Speier auhängig su luacUen. Als daoQ die vud
Salder einer abonnaliguu Vorladung des Herzogs ebenso
wenig entsprachen, erfolgte nach „einbelligeui Rat der dazu
erforderten unparteiischen Land-, llofrüte und Stände*' im
Februar d. J. l&t)5 der Uechtspruch, der die Gebrüder
Kurt und Hildebrand von Salder ,, wegen ilirer hochstraf-
baren Excesäen und Verbrechung " zu einer Stiafe von 9000
Goldgulden, „ zu milden Sachen anzuwenden oder dem Fisco
zu appliciren", verurteilte. Sie aber machten ihre Drohung
zur Wahrheit und wandten sich mit ihren Genossen, denen
von Walmoden, Stöckheim, üldershausen und Steinberg, kla-
gend an dnö Keichi^kammergericht, indem sie sich zugleich
über die Schandthaler beschwerten, die der Herzog um
diese Zeit ihnen zu Spott und Hohn habe auf sie Bcldagea
lassen. Der letztere antwortete auf diesen Schritt der ti'otzigen
Junker damit, dafs er ihre in seinem Lande gelegenen
Häuser uud Güter einzog und von seinen Truppen be-
setzen iiefä.
Obßchon diese Vorgänge zunächst nur einige Mitglieder
der Rittei*schal't betrafen, da sich an der Beschwerde gegen
Jagemann weder die Geistlichkeit noch die Städte beteiligt
hatten, so bekunden sie doch schon eine bedenkliche Span-
nung zwischen dem Herzoge tind den Laudslanden, wefche,
durch die sich hier schroff einander entgegenstehenden An-
schauungen verstärkt, bidd zu allgemeinerem Umfang und
gröfaerer Bedeutung heranwachsen sollte. So wenig Heinrich
Julius im V'ollgefuhle seiner fürstlichen Würde gesonnen
war, in gewissenhafter Wahrung der landständischen Rechte
und in ängstlicher Beobachtung der Formen, welche sich in
den Verhandlungen der Stände mit dem Herzoge im Ver-
laufe der Zeit ausgebildet hatten, seinen sei bat herrlichen Nei-
gungen einen Zügel anzulegen, so hartnäckig und zähe
kielten die LandstUnde ihrerseits an jenen Rechten und die-
sen Formen fest. Kine fast ununterbrochene Folge von Rei-
bungen, Streitigkeiten und Zerwürfnissen war das natürliche
Ergebnis solcher unansgleichbaren Gegensätze. Der Herzog
verlangte für seine Forderungen schnellen und pünktlichen
Gehorsam und setzte sich unbedenklich über die weitschwei-
figen', die Geschäfte mehr als billig verzögernden Formali-
täten hinweg: die Stände dagegen waren in ihrer Erbitte-
rung über ein derartiges unerhörtes Vorgehen nur allzu
geneigt, auch den gerechtfertigten Wünschen des FiU-sten
einen nicht immer sachgemäfscn und ruhigen Widerspruch
entgegenzusetzen, mit starrer Rechthaberei auf ihren Privi-
legien zu beharren und schliefsüch den Gehorsam, den sie
14
Erstes Buch. Erster Äbsclmitt.
der Herrschaft schuldeten, geradezu zu verweigorn. Als die
Seele der herzoglichen Regierung aber, als den StÖrenfi*ied,
,, welcher das jus priucipis et stiperioiitatis in seinen öffent-
lichen ausgelassenen Schriften sehr weit extendiret und das
monstruui, sonsten von den Italienern ragion di stato ge-
nannt, welches Land und Leute verwüste und ^iel Übclea
ßtiflftc, trefflich l'omentiret und gestercket", betrachtete raan
den Kanzler Jageraann. Von heiligem, rücksichtslosem Cha-
rakter und erlullt von den Vorstellungen eines unbeechränkton
Hen-SL-hei-tums, die er aus dem Studium des römischen Recht»
geschöpft hatte, wollte dieser Günstling des Herzogs von
einer Beschränkung der unveräuiserlichen Hoheitsrechte seines
Herrn durch veraltete Reveraalicn und Privilegien nichts
wissen. „Ohne eigene Kenntnis der alten herr- und land-
Bchal"tlichen Verträge" — so äulsert sich Spittler über ihn —
„ohne von alten Zeiten und alter Verfassung zu wissen,
sprach er blofa als römischer -Rechtsgelehrter, und so er-
staunt er war« dafs man dem hohen iuratlichen Imperiam
Frenzen setzen wollte, so erstaunt waren die Stände, dafs
man nach so viel Reversen , die ihnen ehedem ausgestellt
und von den alten Kanzlern konti'asigniert waren, erst durch
die Weisheit neuester Zeit entdecke, wie unbegrenzt das hohe
fürstliche Impei'ium sei."
Man wird sich nicht wundern, dafs unter solchen Um-
stäuden die meisten Landtage stürmisch verlieten, dafs es
bei den immer häufiger werdenden Anträgen des Herzogs
auf Steuern und sonatige Geldbewilligungen zu argen Zer-
würfnissen kam, dafs Klagen des Adels und der iitände an
die Reichsgerichte gingen und bei so gänzlich voa einander
abweichenden Grundanschauungen, ao schroff sich gegen-
überstehenden Ansichten die Möglichkeit eines Verständnisses
auf beiden Seiten mehr und mehr dahinzuschwinden schien.
Auf dem Landtage, der im August des Jahres 159-1 für das
Fürstentum Calenberg zu Elze abgehalten wiirdo , war es
durch gegenseitiges Nachgeben noch zu einem Ausgleiche
gekonmien. Die Stände übernahmen hier, freilich nicht
ohne den Widerspruch der vier grüfseren Städte, die 21G000
Thaler fürstlicher Schulden, die sich noch aus den Zeiten
Erichs des Jüngeren herschrieben, wogegen der Herzog
ihnen die freie Wahl der Schatzräte zugestand, welche die
öffentlichen Gelder zu verwalten hatten, und versprach, sich
fortan mit der Oberaufsicht über die Schatztruhe begnügen
zu wollen. Aber schon wenige Wochen später entstand auf
dem gegen Ende September nach Gandersheim berufenen
LandtAge zwischen den Calenberger Ständen und dem Her-
Hader mit den Landständen.
15
zöge ein neues schwcrca Zerwürfnis. Es erhob sich ein
Streit darüber, ob die Stande verbunden seien, die Kreis-
steuern zu befahlen oder üb es dazu einer besonderen aus-
drücklichen Bewilligung bedürJ'e. Die iStünJe machten tür
diese letztere Ansicht geltend, daCö sich der Herzog in dem
Abschiede des erst vor sechs Wochen gesclUossenen Land-
tages aufser lür den Fall eines feindlichen AngriÖfs von
aufsen nur Fräuleinsteueni, allgemeine Reichs- und TUrken-
autlagen vorbehalten habe, die fürstHchen Rftte aber be-
standen darauf, dafs der Herzog „krot^ habender Uognlien
und gemeiner geschriebener Rechte" auch ohne Bewilligung
und Zustimmung der Stände diese Steuern zu erheben be-
rechtigt sei. Nach langem Ilader einigte man sich endlich
dahin, dafs das Land zwar die Steuern aufzubringeu habe,
die Art und Weise ihrer Erhebung aber mit den Stftnden
vorher verabredet werden sollte, auch der etwaige Uber-
schufs der verwiliigten Gelder in die Laudcskasse abzuführen
sei. Kiclit besser als mit den Oalenberger Landstiinden ge-
staltete sich von vornherein das Verli^tuis des Herzogs zu
denjenigen des Fürstentiuns Wolfenbüttel. Hier war noch
zu Zeiten des Herzogs Julius, um die Irrungeu zwischen
Landesherrn und Ständen auszugleiclien, eine aus t*ÜrstIicheu
Räten und Abgeordneten der Stände gemischte Kommission
eingesetzt worden. Aber erst im Jab-e 1597 waren die
Verhandlungen dei*selben soweit gediehen, dafs sie eine Ent-
scheidung abgeben konnte. Diese bemühete sich vornehm-
lich, die Hintersassen der Landstände vor den gesteigerten,
oft übertriebenen Forderungen des Landesherrn zu schlitzen,
setzte inbezug auf die dem letzteren zu leistenden persön-
lichen Dienste nach dem alten Herkommen da» Erl'ortferliche
test, gewährleistete den Kirchen- und Pfari-gütern Befreiung
vom Scheffel- und Schafachatze und den Pfarrern für die
von ihnen selbst iinter den Pting genommenen Acker auch
Befreiung vom Dienstgclde und bestimmte, dafs durchweg
bei den nofgerichten, falls diesem nicht eine besondere Ord-
nung im I^nde entgegenstehe, statt des früheren Sachsen-
rechtes das geschriebene Kaiserreeht Geltung haben solle.
Gegen die Bewilligung von 200000 Goldgulden, die zur
Tilgung der Landesschulden erforderlich schienen, verzich-
tete der Herzog von nun an auf jede Schätzung mit alleiniger
Ausnahme der Fräuleinsteuer, der ßeichsumlagen und sulehor
Leistungen, die ein im Lande geführter Krieg erheische.
Auch die Verhähnisse des LandschatzkaBtens wuxden bei
dieser Gelegenheit den Wünschen der Stände entsprechend
geordnet. Allein schon zwei Jahre später (1599) mulsten
16
Erstes Buch. Erster Abschnitt.
sich die Landutände sowohl des Wolfenbüttler wie des Calen-
berger AüteUs, um die Kosten der gegen die in Westfalen
hausenden Spanier erforderliche d Werbungen zu bestreiten,
zu abermalig^er Bewilligung von je 100 000 Goldgulden ver-
stehen lind die Streitigkeiten über die beiderseitigen Rechte
dauerten auch in der Folge fort. Erst auf dem Landtage
zu Gaßdersheim kam im Oktober dea Jahres IGOl nach
mühsamen und langjährigen Verbandlungen zwischen dem
Herzoge und den Ötänden eine Einigung zustande. Der
Herzog bequemte sich zur Anerkennung der alten Reverse
und Abschiede, jedoch nur insoweit, als diese von aitersher
in allgemein gültigem und unzweilelhaftem Gebrauche ge-
wesen seien. Wohl im Hinblick auf die ü-üheren unlieb-
samen Auftritte mit seinem Kanzler gab er die feierhche
Erklärung ab, Prälaten» Ritterschaft und Städten, ohne dereu
Gegenrede gehört zu haben, nicht seine Unguade füiilen
lassen zu wollen, auch solche, die auf den Landtagen oder
im AusschulB „ihre Notdurft reden würden", nicht mit ver-
driefslichen Worten oder gar mit seiner Ungnade zu strafen.
Dem Adel wurde das Recht gewährleistet, Ungeburlichkciteii
seiner Hintersassen, wenn diese auf seinen Ritterböfen be-
gangen würden, durch Gefängnis oder Geld zu ahudeu, und
ihm wie den Prälaten für das Bedürfnis der eigenen Haus-
haltung ZolÜrcihcit zugesichert. Eine schnelle und unpar-
teiische Rechtspflege wurde versprochen, aber inbezug auf
das derselben ziigrunde zu legende Recht die schwankende
und vieldeutige Entscheidung getroffen, dafs zwar der Genufs
aller alten gerichtlichen Rechte, soweit sich diese aus dem
Bäclisischeu Landrechte hersehriehen, bestehen bleiben solle,
der Besitz derselben aber von aitersher bis aut die damalige
Zeit erwiesen werden müsse. Dieser Gandersheimer Vertrag
machte daher wohl für den Augenblick den Streitigkeiten
zwischen dem Herzoge und den Landstanden ein Ende,
konnte aber bei dem Mangel an Bestimmtheit, der in ein-
zelnen seiner Abmachungen hervortritt, für die Folge das
Wiederaufleben jener Zwiatigkeiten nicht völlig verhindern.
Spittler bezeichnet ihn treffend als „ einen Grenzberichtigungs-
traktat zwischen Fürsten und Ständen, der beiderseitige
Liebe zum Frieden bewies, aber auch hie und da ganz die
Zweideutigkeit und das künstliche Stillschweigen hatte, wo-
mit man sich bei völlig verschiedenen Grundsätzen und
beiderseitigem Wunsche zur Eintracht endlich vergleicht".
Wenige Jahre nach dem Zustandekommen dieses Vertrages,
an dem er noch mitgearbeit^.t hatte, trat Jagemann von
seiner eindufsreichen Stellung zurlick und überhaupt aus
Zwi«t mit Braunfiohweig.
IT
des Herzog Diensten, dessen Vertrauen er nicht mehr be-
Bafs. Kurze Zeit darauf ist er am 7. Januar 1 604 auf
seineni Rittergute Werurode in der Grafschaft Ilohnstcin ge-
storben.
Eine ausgeprägt feindselige Sonderstellung bei diesen
vieltachen Streitigkeiten der Stände mit dem Herzoge nahm
dem letzteren gegenüber von vumhcrcin die Stadt Braun-
scbweig ein. fleinrich Julius brachte ihr schon aus den
Eriuneruugen seiuer Jagend (S. II. 432) eine nicht eben
geneigte und gnädige Gesinnung entgegen. Er hatte dann
den plumpen Trotz^ mit dem der Rat nach dem Tode seines
Vaters aowolil das Glockengeläut wie eine Teilnahme bei
den Beerdigungsfeierlichkeiten verweigerte , als eine bittere
I Kränkung cmpfuudcu. Die feindselige Stimmung des Her-
zogs gegen die Stadt wuchs, als diese, wie bereits erwiihut^
die von ihr verlaugte Huldigung entschieden zurückwies,
gegen die Bezeichnung als „ Krb- und Landstadt" des Fler-
I aogs Protest einlegte, die Landtage nicht beschickte und die
Türkensteuer verweigei-te. Immer gespannter und gehässiger
gestaltete sich infolge dieser widerspänstigen Haltung der
Stadt das gegenseitige Verbältnie. Als die Stadt 60üO Zentner
Blei, welche dem Herzoge geliörteu und als solche steuerfrei
waren^ anhielt und mit Beschlag belegte, verbot dieser allen
seinen Unterthanen, Waren oder Lebensmittel nach Bi-aun-
schweig zu bringen, und als trotzdem von Celle und Halber-
1 Stadt aus solche unter kriegerischer Bedeckung der Stadt
'»ugeftihrt wurden, Hefs der Herzog alle naeh Braunschweig
Hihrenden Pässe besetzen, sperrte die Zufuhr ab und erklärte
Rat und Bürgerschaft lür rcbelUsche Unterthanen. Die
Stadt wandte sich jetzt an das Reichskammergericht und
erwirkte im Jahre 1 BOO ein kaiserliches Mandat , welches
dem Horaoge befahl, die gesperrten Pässe freizugeben und
den Zugang zur Stadt nicht länger zu hindern. Dies blieb
aber ohne allen Erfolg. Schon kam es zu offenen Feind-
seligkeiten. Alle Bemühungen des Kaisers, der Wollen büttler
Landscliaft, befreundeter Fürsten und Städte, den drohenden
Krieg abzuwenden, erwiesen sich als vergeblich. Die Brauu-
schweiger verwüsteten in wiederholten AustUllen weitbin die
WoUenbüttler Amter, Jagemann seinerseits Hefa den rück-
ständigen Beitrag zur Türkensteuer mit Gewalt in den der
Stadt gehörigen Dürlem eintreiben. Abennals schiitt der
Kaiser mit einem Mandate ein, welches beideu Parteien, dem
Herzoge wie den Bürgern, die Waffen niederzulegen und die
Feindseligkeiten einzustellen befahl. Zugleich kündigte er
R8ii6iD»Dii. BniQDicfaw.-bBnndT. Oc««hiel)t«. UI. 3
18
Erstes Buch Erster Abschnitt.
die AbordöUDg einer Cresaiidtschaft an, die eine billige Ver
mittluag der gegenseitigen Auspiüche versuclien sollte.]
Aber obschon man antangs liübcu und drüben Miene machte J
abzurÜBten, wollte docb schliefsHch keiner damit beginnen,]
um sich nicht wehrlos in die Gewalt des anderen Teiles zu]
geben . AU dann die kaiserlichen A bgcäandten ChristopK i
von ächleinitz imd Felix Rüdiger in Woltenbüttel erschienen,!
stieisen sie hier wie in Braunschweig auf dieselbe mifs-J
trauische Starrköpfigkeit, so dal'u sie trotz eifriger Bemühungen,.]
den Frieden zu erlialteu, nach mehrwöchentlicbeu Vcrliand-f
lungen unverrichteter Sache heimkebi*ten (Februar 16U1).
Bei dieser Lage der Dinge mag Heinrich Jnlius seine
HoÖTiung, die trotzige Stadt zu demütigen, auch auf die
innere Zwietracht gesetzt haben, die gerade damak in
Braunachweig zum Ausbrucli kam. Es war dem Herzoge
nicht unbekannt, dala hier seit längerer Zeit eine gehäaaige
Stimmung gegen Fiat und Geechlechter herrschte. Diese
Stimmung änfserte sich unverhohlenin einer anonymen Schritt,
welche zwar erst im April 1G()4 im ßuchiiandet erschien,
aber als der Ausdruck einer schon längst unter der Bürger-
schaft verbreiteten Gesinnung betrachtet sein will. Sie rich-
tete »ich zunächst nur gegeu einzelne Patrizier, welche sich
von dem Herzoge ohne allen Vorbehalt ihre Lehen hatten
reichen lassen, aber sie eifert zugleich gegen die Gesamtheit
des Kfttes, ja greiit die bisherige Verfassung der Stadt in
schonungsloser Weise an. „Es sei soweit gekommen** —
helTst es darin — „dafs die Patricii und gerühmten groiaen
Geschlechter einer dem anderen den Ehrenstaud deti Con-
sulatus und auch gemeiaer Stadt Amter also zuwUii'eu als
man einer dem anderen im Ballspiele den Ball ptlege zu-
zuwerfen, so dafs fast keine oder nur wenig Hoffnung vor-
handen, dafs andere gute ehrbare Leute auch in den Ehren-
stand der Herrn Conaulum und Camerariorum hiulüro könn-
ten gesetzet werden, alles nach der Art und Weise, wie von
der Stadt Venedig und deroselben Kegimente uud liatstuhl
geschrieben und gelesen werde. Die Patricii seien von Hof-
fahrt aufgeblasene Junker, voller Verachtung gegen andere
gute und elirliche Biederleute, die nicht gleich ihnen von
Jugend auf das Pflaster in der Stadt treten könnten: sie
wollten keine Domocratiara mehr in der Stadt diddeu noch
gestatten, dafs alle Stände sollten zu gebieten uud einzu-
bewilligen haben, sondern vielmehr aus aufgeblasener llut-
fahrt eine Oligarchiam vel Aristocratiam , da allein sie, die
Patricii, zu regieren und einzuwilUgeu hätten. J* Zu solchen
Klagen tmd Beschwerden gesellte sich zum ÜherEuTs noch
Hennig Brabiiut.
19
Mifstrauen gegen die patriotische Gesinnung des Rjites. Er
etand in dem Verdachte, es mit dem Ilerzoge zu halten, da
er diesem ohne Vurbehalt den Lehnseid lur seine auiserhalb
der Stadt gelegenen Guter geleistet hatte. Ks kommt wenig
darauf an, ob dieser Verdacht begründet war oder nicht.
Genug, die Bürger beliaupteten , daU bei dem feindseligen,
von Tage zu Tage bedenklicher sich gestuitenden Verhältnis
des Herzogs zur Stadt diejenigen Patrizier, welche jenem
den Eid geleistet hätten, nicht im Rate bleiben dürlten, da
niemand Kweeu Herren dienen könne. Nachdem man lange
darüber hin- und h ergestritten , auch die Patrizier aich von
verschiedenen Universitäten, von Leipzig, Marburg und Jena,
darüber bejahende Gutachten eingeholt hatten, ob sie ihrer
Lehenspdicht obnerachtet sich der Stadt gegen den Laudes-
fürsten annehmen könnten, hielten es die bei der Sache be-
teiligton Hatsherrcn, als sich auch die Geistlichkeit in der
Stadt gegen sie erklärte, für ratsam, von ihrem Amte zu-
rückzutreten. Am 7. Januar 1602 legten achtundzwanzig
Mitglieder des Rates ihre Stelleu freiwiUig nieder, und für
sie traten Büjger ein, deren Treue gegen die Stadt über
ollem Zweifel erhaben zu sein schien. Zugleich wurde durch
den gogeuanuten „neuen Rezefs '^ der EinHul's des Magistrates
weaentUch beschränkt und die Verfassung der Stadt in demo-
kratischem Sinne umgestaltet.
Der Hauptträger dieser ganzen Bewegimg war einer der
Stadthauptleute , Hennig Brabant , ein Mann von seltener
Gelehrsamkeit und von grofser Gewandtheit in den Ge-
schäften, dabei von thatkräitigem und edelem Charakter.
Er hatte früher der Stadt wichtige Dienste geleistet: jetzt,
zu Ende März 1602, schickte ihn der Rat mit anderen
Gesandten nach Prag, um hier an dem Kaiaerhofe die Sache
der Stadt gegenüber den Klagen und Beechwerden des Her-
zogs zu führen, ein Auftrag, dessen er sich mit vielem Ge-
schick entledigte. Heinrich Julius hielt es für notwendig,
sich gleichlaUs nach Prag zu begeben (Mai 1602) , um
den Bemühungen Brabants persönlich entgegenzuwirken.
Dieser stand damals auf dem Gipfel seiner Popularität. Auf
Verlangen der Bürgerschaft ward ihm aus den öflfentlichen
Geldern der Stadt ein Ehrengeschenk von lÜOO Gulden be-
willigt Wenn er sprach, lauschte alles seinen Worten, sein
Wille schien in der Bürgcrschalt allmächtig zu sein. Die
Stimme des Volkes schrieb ihm jene oben erwähnte energische
Gegenschrift zu, welche auf die von den Universitäten ab-
gegebenen Gutachten im Druck erschien: man nannte ihn
schlechthin „den guten Mann". Aber, wie es mit der Volka-
ao
Erstes Bach. Erster Äbaclinitt.
war
gunst zu geschehen pflegt,
langer Dauer. Es war natürlich
der patrizlöchen Ratsherreu sich der Hafs der Geschlechter
vorzugsweise gegen diesen Mann richtete, dessen Einflula
sie aus dem Kcgiment und den einträghchen Stellen ver-
drängt hatte Man fing damit an, ihu beim Volke zu ver-
dächtigen. Die Geistlichkeit, nunmehr im Bunde mit den
Patriziern, richtete von den Kanzeln herab gegen die Stadi-
hauptleute, vor alleu gegen Brabaut, die heftigsten AusiUlle.
Man scIüoCs sie sämtlich von der Kirchengenieinschatt aus
und beschuldigte Brabant der Zauberei und des Bündnisses
mit dem Teuiel. Er werde — so sprengte man aus —
stets von einem Raben verfolgt, der niemaud anders sei als
der Gottseibeiuns. Vergebens verteidigte sich Brahant in
zwei eigens zu diesem Zwecke vertalsten Schritten gegen
dergleichen abgeschmackte Beschuldigungen. Sie iiaiidcn bei
dem Pöbel um so bereitwilligeren Glauben, als die Patrizier
ihrerseits nicht unterlicfsen, die Verleumdung zu verbreiten,
dafs Brabant, welcher im Auftrage der Stadt mehrmala mit
den Räten des Herzogs in WoU'enbüttel über die Ilerstellung
des Friedens verhandelt hatte, damit umgehe, die Stadt an
den Landeaherrn zu verraten. Diese Mittel verfehlten ihre
Wirkung nicht. Die Gunst, ia welcher der Tribun bisher
beim Volke gestanden, fing an dahinzuschwinden. Und als
nun ein aus der Stadt verbannter und eigenmächtig dahin
zurückgekehrter Bürger , Autor Eimecke , wegen auf-
rüJirerischer Reden gegen Syndikus und Rat verstrickt ward
und auf der Folter bekannts^ dafs er von Brabant und seinen
Genossen zu seinem ungebülirlichen Auftreten angestiftet sei,
kam es gegen diese zu wiederholten Strafseoanfläutien. Am
3. September 1604 rottete sich ein Pöbelhaufe vor dem Gast-
hofe zum Einhorn zusammen, wohin sich Brabant mit einigen
seiner Freunde geflüchtet hatte. Man wollte die „Schelme
und Stadtverräter" dingfest machen. Zwar gelang es Bra-
bant und einem anderen Stadthauptmann, Heinrich Depenau,
sich durch einen Sprung von der Stadtmauer herab ins Freie
zu retten, allein jener brach beim Hcrabapringen ein Bein
und konnte nur mit Mühe von seinem Freunde und einem
Leinweber, den sie vor den Thoren trafen, bis nach Broitzen
geschleppt werden. Hier verliefs ihn Depenau, nachdem er
ihn unter einem Busche verborgen hatte, mit dem Ver-
sprechen, ihm einen Wagen senden zu wollen, auf welchem
er nach Wolfenbüttel entkommen könnte. Aber statt des retten-
den Fuhrwerks erschienen am anderen Morgen die Häscher
des Rates, denen jener Leinweber inzwischen das Versteck
Hinrichtung Bnibants.
«1
des tJnglücklicbcn Terraten hatte. Unter dem Geschrei der
wütenden Menge brachte man ihn nach Braunsehweigr zu-
rück, wo alsbald gegen ihn und seine Genossen die hocli-
notpeinliche Prozedur begann. Mit unmensoFilicher . aus-
gesuchter Grausamkeit vertubr man gegen die Angeklagten..
Nach heldenmütigem Widerstände erprefste die unerträgliche
Qnal der Tortur zueret Brabant das (ieetändnis alles dessen,
was man von ihm verlangte. Dann kam die Reihe an die
übrigen Oetangenen. „Ura der Wunden Jesu willen", bat
Zaeharias Drösemann der Kämmerer, ihn nur auf einen Au-
genblick aus den Händen der Marterknechte zu befreien.
Als die Richteherreu, die wAhrcnd diofies Auftritts in einem
oberen Gemache zechten und sehinauaten, halbtrunken herab-
kamen, war Drösemann nntcr den Folterqualen verschieden.
Er kcmnte Mch glücklieh preisen , denn ein ntjch furcht-
bareres Los wartete seines Leiden t^iährten. Das gegen
ihn gefällte Urteil lautete dahin, dafs er „als Meineidiger,
Aufruhrer, Stadtvenäter und des Tetifels Bundesverwandtor"
swei Finger der rechten Hand verlieren , viennal mit glü-
henden Zangeu angegriffen und alsdann gevierteilt , seine
Eingeweide aber verbrannt werden sollten. Am 17. Sep-
tember 1604 schleppte man den Unglücklichen zur Richt-
fiiatt nach dem Hagenmarktc. Seine Glieder waren der-
oiafsen zerbrochen, dafs er auf einem Stuhle dahingetragea
werden raufste. Er starb mit bewunderungswürdiger Fas-
sung und Uulie unter den grausamsten Schmerzen, im letzten
Augenblicke noch seine Unschuld beteuernd. Sieben andere
Stadthauptlcutc starben durch das Schwert, viele Personen
wui'den eingekerkert oder aus der Stadt verwiesen. Der
neue Rezefs nebet Brabants Schritten, namentlich seine Ver-
teidigung wegen der Rabeugescbiehte , wurden öffentlich
durch Henkersband verbrannt. In dem neu erwählten Rate
nahmen die Patrizier ihre verlorenen Stelleu wieder ein.
Diese Vorgänge in Braunschweig konnten auf den Herzog
Heinrich Julius nicht wohl eine andere Wirkung ausüben,
als dafs sie ihn uoch mehr gegen die Stadt aut brachten.
Sein Name war auf eine mehr als zweideutige M'^eise in
den Prozefs gegen Brabant gemischt worden. Vergebens
hatte er sich bei den städtischen Behörden tiir den Unglück-
lichen verwandt, vergebens eine Konfrontation dcfisclben mit
denjenigen seiner Räte verlangt, die mit ihm den ver-
räterischen Plan gegen die Stadt geschmiedet haben sollten.
Mit Entrüstung wies er alle Friedens vorschlage zurück, welche
der neue Hat ihm macheu Uefs, und betrieb nunmehr aufs
eifrigste die begonneneu Rüstungen. Bei Hannover musterte
22
Erstes ßach. Erster Äbscbnitl.
er gegen Ende September IG05 eine Streitmacht von 72
Fahnen. 16 000 Mann zu Fufs und 1500 Reiter. Da griffen
auch die Bürger zu den Waffen und setzten im Vertrauen
auf ihre gelullten Kassen und den Beistand der Hansa ihre
Mauern und Thiirme in Verteidigiingsstand. „Mächtig sei
Brauuschweig durch den Bund der hansischen Städte",
sprach damals ein Bürgermeister vor versammeltem Rate,
Indem er gleich jenem athenischen Staatämaune den Mut
seiner Mitbürger durch Autzählung der der Stadt zugebote
stehenden Hiligraittel zu beleben suchte, „mächtig durch
jenen Bund und so reich, dafs die Braunschweiger vor je-
dem ihrer Stadtthore eine Braupfanne mit Goldstücken auf-
stellen kr>nn1en: sei dieses Geld durch den Krieg verzehrt,
so könne die Bürgerschaft die zurückgelegten Rosenobel
hervorholen, und selbst wenn diese ausgegeben wären, bleibe
doch noch Geld genug übrig, um den Krieg fürtzuaetzen."
Die wachsende Erbitterung gab sich auf beiden Seiten durch
zahlreiche Spott- und Schelmenliedor kund, in denen ein
trotziger herausfordernder Ton angeschlagen ward. Ehe der
Hei-zog jedoch eine regelrechte Belagerung begann, machte
er einen Versuch , sich der Stadt durch einen plötzlichen
Überfall zu bemächtigen.
Am 16. Oktober, in der Nachmittagastunde, als man in
Braunschweig gerade die Frau des Bürgermeisters Gerecke
begrub und viel V^olks diesem Leichenbegängnisse folgte, er-
schien vor dem Egidienthore ein Zug von Frachtwagen,
denen zwei Kutschen mit Kautleuten vorauffuhren. Die
Thorwache, die nichts Arges ahnte, Uefa sie ungehindert
durch das aufgezogene Thorgatter fahren. Alsbald sprangen
die angeblichen Kaufleute, welche verkleidete Offiziere des
Herzogs waren, von ihren Wagen, stiefsen die Wache nieder
und gaben den in den Fracht wagen versteckten Soldaten
das verabredete Zeichen. Diese bemächtigen sich, von den
Offizieren geführt, ohne auf weiteren Widerstand zu stofsen,
des Kgidien- und Magniwalles und richten das Geschütz,
das sie hier vorfinden , gegen die Stadt. Kaum dafs die
Bürger Zeit fanden, den Steinthorwall und die innere Ring-
mauer zu besetzen und so den Feind von weiterem Vor-
dringen abzuhalten. Dieser, der sich durch Zuzug von
Wolfenbüttel her stündlich verstärkte, fing an sich auf den
eroberten Wällen zu verschanzen und ein wohlgenährtes
Feuer auf die Bürger zu unterhalten. Mehr als 200 Feuer-
kugeln wurden während der Nacht in die Stadt geworfen.
Schon entsank den Braunschweigern der Mut, schon hielt
der Rat die Stadt für verloren und verbargen sich seine
Belagerung
MitjE^lieder in ihren Häusern, schon dachte man daran, mit
dem Feinde we^en der Übergabt* zu unterhandeln, als ein
Zufall der Sache eine andere Wendung gab. Der Stadt-
trorapeter nämlich, der vom Walle herab den Bürgern das
Signal zum Einstellen der Feindseligkeiten geben sollte, blies,
durch eine in der Nähe einschlagende Kugel aufser Fassung
gebracht, statt dessen das Lärnizcichen. Die Herzoglichen,
welche durch die Anstrengungen des Kampfes ermüdet und
durch den berabströmeuden Kegen durchnUfst waren, liefaen
in der Meinung , man blase zum Angriff gegen sie, von
ihrem Vordringen ab und zogen sich auf das Egidienthor
zurück. Zu gleicher Zeit sammelte Jürgen von der SchuJen-
burg, ein siebenzig jähriger im Kriege ergrauter Greiß, die ver-
zagenden Bürger, welche, ihrerseits durch das Lärmzeichen
erschreckt, zu fliehen begannen und führte sie von neuem
gegen den Feind. Dieser widerstand dem Angriffe nicht
lange und zog, an der Eroberung der Stadt verzweifelnd,
nach Wolfenbüttel ab, indem or viele der Seinigen, welchen
das zufallig niederstürzende Thorgatter das Entkommen un-
möglich machte, als Gefangene in den Händen der Bürger
zurückliefe.
Nun begann Heinrich Julius allen Ernstes die Belage-
rung der Stadt. Zwei Tage nach dem mifsglückten Überfall
(18. Oktober) besetzte er sämtliche Strafseu, welche zu den
verschiedenen Thoren führten, und liefs vor jedem der letz-
teren eine Schanze aufttihren. Bald folgte diesen Mafs-
r^eln die Beschiefstmg der Stadt aus des Herzogs zahl*
reichem Geschütz. Allein der geringe Ertblg, der dadurch
erzielt ward, steigerte nur den Übermut der Bürger. „ Wäre
Bronswiek Waters rike, so wäre nicht sines gUke", sang
man damals in der Stadt. Möglich, dafs dieser Hohn den
Herzog auf den Gedanken brachte, den er, als die Belage-
rung nur langsam fortschritt , zur Äusluhrung zu bringen
beschlofs- Unterhalb Braun schweig», in der Nähe des Doriea
Ölper, verengt sich da« Thal der Ocker so sehr, dals ea
möglich schien, den Flufa an dieser Stelle abzudämmen und
80 die Stadt durch die Wassersnot , die daraus entstehen
mufate, zur Unterwerfung zu nötigen. Sobald der Herzog
sich von der Auslülubarkeit dieses Planes überzeugt hatte,
befahl er die Arbeit in Angriff zu nehmen. Nach sechs
Wochen war der Damm vollendet, der, in der Mitte mit
^er Schleuse versehen, die Fluten der Ocker aufstauete und
in kurzer Zeit die Stadt unter "Wasser setzte. Mit jeder
Stunde wuchs in Braunschweig die Not. Bald waren alle
Kuhlen in der Stadt zerstört, so dafs das Brot ungeheuer im
a
Erstes Buch. Erster Abschnitt
Preise stieg. Notbinicken mursten gebauet, durch Kähne der
tägliche Verkehr vermittelt werden. Da Bchien sich endlich
die Stadt dcmütigeu zu wollen. Aber kuuni hatte sie durch
Vermittlung dos Königs von Dänemark, der in diesen Tagen
bei dem Heimzöge, seinem Schwager, in Wolfenbüttel weilte,
einen WaffenstillstAud erlangt und kaum war infolge davon
durch Aui'ziehen der Öchleuse bei Olper dem Wasser ein
Abfiuts eröffnet, als sie wieder den alten Trotz zeigte. Noch
einmal brachten dann die aufgestaueten Fluten Not und Ge-
fahr über die Bürger, diesmal in so hohem Mafae, dafs letz-
tere den widersti'ebenden Kai nötigten, mit dem Herzoge
Unterhandlungen wegen der Unterwerfung der Stadt anzu-
knüpfen. Zugleich erschienen zwei kaiserliche Kommisaarien,
um zwischen den beiden Parteien den Frieden zu vennitteSn.
Voreihg ging der Herzog, der Ehrlichkeit der Bürger ver-
trauend, auf ihre Vorschläge ein. Er gab Befehl, die Damm-
schleiiee zu zerhauen und die Schanzen vor der Stadt zu ^J
räumen. Aber kaum war dieses geschehen, kaum hatte ^M
Heinrich Julius die von ihm geworbenen Truppen bis auf ^*
zwei Kompagnieen Leibgarde in Schöningen entlassen, als der
Rat, indem er einen grofsen Teil dieser abgelohnten Söldner
in Dienst nahm, die Feindseligkeiten von neuem eröffnete.
Ja er machte den Versuch, den Herzog durch verräterischen
Überfall „tot oder lebendig" in seine Gewalt zu bekommen.
Bei Dettum unter der Asse lieia er ihm von zweitausend
Fufsknechten und acht Fähnlein Reitern auilauern. Nur
ein Zufall und die Ausdauer seines Pferdes retteten den be-
droheten Fürsten vor schmähhcher Gefangenschaft. Einige
seiner Begleiter, darunter sein Geheimschreiber, wurden von
den nachsetzenden Braunschweigern erschossen. Der Rat
liefs sich zwar entschuldigen: „seine Reiter hätten nur ein-
mal einen Spazierritt machen wollen", allein Heinrich Julius,
dem zugleich die Kunde kam, dafs die Stadt mit den mäch-
tigsten niederdeutschen Städten , mit Lübeck , Hamburg,
Magdeburg, Bremen, Lüneburg und Hildesbeim, sowie mit
den Lüneburger Herzögen Ernst IL und August neue Bünd-
nisse abgeschlossen liabe, wandte sich nunmehr an den Kai-
ser, der infolge davon am 22. Mai 1006 die Reichsacht
über Braunschweig verhängte und durch kaiserliche Mandate
die mit ihm verbündeten Städte von einer weiteren Unter-
Btützmig der rebellischeu Stadt abmahnen liels. Aber so
wenig vermochten dic«e Schritte die trotzigen Bürger zu
schrecken, dafs sie den kaisedichen Herold, welcher die
Ac htaer kläruug überbrachte, gröbHch beleidigten und ver-
höhnten. Heinrich Julius begab sich jetzt an den kaiser-
Heinrich Julius w Prag.
25
liehen Hof nach Prag, wo er von nun an die Vollstreckung
der Acht gegen die widerspänstige Stadt personlich iiiii" das
eifrigate und mit allen Älittelu betrieb, ohne doch ihre völlige
Demütigung, diesen innigsten Wunsch seines Lebens, er-
reichen zu können.
in Prag sah sich der Herzog abermals in eine lebhafte
und aufregende politische Thätigkeit hineingezogen. Gerade
damals schien das deutsche Reich bereits einer grofsen un-
heilvollen Katastrophe entgegenzutreiben. Seit dem Tode
Maximilians II. war der kummerliche Fnedensetand, den der
Vertrag von Augsburg geschaffen hatte, von Jahr zu Jahr
mehr in Frage gestellt, zuletzt iu vielen Punkten durch-
löchert worden. Mit steigendem Mil'straucn standen sich
Katholiken und Lutheraner, die beiden grofscn Kehgions-
parteien, zwischen denen jener Friede geschlosBen wurden
war, gegenüber, während die Rel'ormierten die Schwäche des
Kaisers^ die zunelimende Verwirrung im Reiche und das
bald in dem österreichischen Hause selbst ausbrechende Zer-
würftiis zu benutzen suchten, ura ihrer l'arfcei eine teste
straffe Organisation zu geben und ihr damit eine ähnliche
sichere, vom Reiche anerkannte Stellung zu erobern, wie sie
den Lutljeranem durch den Friedensschlufs von Augsburg
zuteil geworden war. Eine Menge kleiner Lokalstreitig-
keiten ertullte allerorten das deutsehe Reich, in denen sich
zugleich fast ausnahmslos die grofsen Gegensätze der kirch-
lichen Parteien , in die es zerklüftet war, bemerklich
machten. Eine hervorragende Rolle spielte dabei die Wie-
dorbesctzung der ledig werdenden Bistümer, da man auf
beiden Seiten mit allen Mitteln danach strebte , Anhänger
der eigenen Partei auf die erledigten Hitze zu bringen.
Über die Wiederbesetzung des Bistums Strafsburg und den
Versuch Gebhards Trucbsefs von Waldburg, das Erzstift
Köln zu reformieren, kam es zu offenem Kriege, der hier
wie dort zugunsten der mit den Spaniern verbtindeten ka-
tholischen Partei ausschlug. Das Schlimmste war, dafs die
Kämpfe, welche zwischen den Parteien zu der nämlichen
Zeit in den Nachbarländern, namentlich in Frankreich und
den Niederlanden tobten, auch über die deutsche Grenze
herUbergriffen , dafa Calviuisten wie Katholiken beflissen
waren, für den schon damals unvermeidlich scheinenden
grofsen Krieg sich fremder Hilfe zu versichern, dafs sich die
auswärtigen Mächte demgemäfa daran gewöhnten, durch Ein-
mischuug in die Angelegenheiten des Reiches die letzteren
noch mehr zu verwirren, die wachsende Verwilderung zu
ihrem Vorteil auszubeuten, das deutsche Land zum Tummel-
2S
Erstes Baefa. Enter Alweliiiitt
pJatz ihrer raubsüchtigen Soldateska zu machen und die
Hoheit dea cinrt *> stolzen und gefiirctteten Reiches röck-
ncbtfllo8 in den Staub zu treten. Schon sah man in dunkler
Vorahnung daa drohende Unwetter langsam aber unabwend-
bar am politiachen Horizonte emporzieben, das dann wenige
Dezennien ep&ter über Deutschland losbrechen und die
Kulturarbeit Ton Jahrhunderten erbarmungslos vernichten
sollte.
Diesen trüben Anzeichen gegenüber oabm Heinrich Ju-
lius unter den protestantischen Fürsten eine Termittelnde,
inbezug auf die Übergriffe des Auslandes aber eine patrio-
tische, entschiedene, ja selbst kriegerische ätellnng ein. „Er
gehörte", sagt ein neuerer Geschichtschreiber dieser Zeil,
,,EU den Wenigen, die mit warmem Gefühle iür des Reiches
Wohl und üLhre Opferwilligkeit und Mut verbanden.'* Als
nach dem Frieden von Vervins ein spanisches Heer von
über 20iK>0 Mann unter Mendoza von den Niederlanden
aus die unterrheinischcn Gebiete, das Erzstiil Köln sowie
die Herzogtümer Jülich und Cleve, Überschweramte und hier
ganz wie in Feindesland hauste, verlangte er aui' dem
Kreistage zu Köln und dem Dcputationstage zu Franldurt,
dafs man die unehrenhaften Verhandlungen mit den kri^-
fUhrenden Mächten abbreche und daiUr die Verteidigung des
deutschen Landes mit einem Heere von 12000 Mann in
die Hand nehme. Als dies, wie vorherzusehen, ohne Krtblg
blieb, schlug or zum Zweck der Verti'eibung der Fremden
aus dem Reiche die Gründung einer protestantischen Union
vor, und als sich die Verhandlungen darüber in die Länge
zogen, die Spanier sich inzwischen in Westfalen weiter aus-
breiteten, auch die Reichsstadt Aachen bedroheten, griff der
Herzog auf eigene Hand zu den Waffen, warb, ohne die
Bcflchluläfassung der korrespondierenden Fürsten abzuwarten
als Oberster des niedersächsischen Kreises 4500 Mann zu
Fufa und 1600 Reiter und gab dadurch den Anstofs, dafs
wirklich trotz des Kleinmutes und der Bedenken mancher
der Fürsten das Defensionswerk zustande kam. Allein nun
erhoben sich Zwistigkeiten wegen des Oberbefehles, auf wel-
chen sowohl Heinrich Julius wie auch der Landgraf Moriz
von Hessen gerechnet hatte, und als man endlich, um keinen
der beiden Fürsten zu beleidigen, die Leitung des Heeres
dem Grafen Simon zur Lippe anvertrauete und dieser
08 um die Mitte dos Juni 1599 an den Rhein tiihrte,
waren die Eriolge äufserst gering. Einige wenige Plätze,
namentlich Gennep und Emmerich , wurden den Spaniern
entrissen, dann aber übten der Mangel an Proviant, der
I
«
VerMicb einer protestantischeD Union.
27
ausbleibende Sold^ sclilierslich die UugUDst der Jahreszeit
ihre verderblicJbe Wirkung auf die Trupi)en aus, so dafa
sich diese iu oöener Meuterei erhuboo. ^ur mit Muhe ge-
lang es dem Graten Philipp von Hobenlohe, der Empörung
der von dem ITerzoge geworbenen Truppen llerr zu werden.
Sie wurden entwaffnet und die Rüdelsiührer vor ein Kriegs-
gericht gestellt, welches sie sämtlich zum Tode verurteilte.
Doch wurden nur vierundzwanzig derselben aufgehiiiigt, die
übrigen unter der Bedingung begnadigt, dals sie sich auf
einige Jahre gegen die Türken in Ungarn anwerben liefsen.
Der ganze Peldzug war mifBlungen und hatte nur dazu ge-
führt, die Schuldenlast des Herzogs bedeutend zu vermehren,
<ler Plan, im Gegensatze zu Spanien wenigstens einen T<m1
der deutscheu protestantischen Mächte zu einem festen Bünd-
nis zusammenzufassen, kläglich gescheitert.
Hatte Heinrich Julius in diesen Reichswirren eine ent-
schlossene Haltung angenommen, welche gegen die von ka-
tholischer Seite her drohende Keaktion entschieden Front
machte und dadurch auch mit der von der letzteren völlig
beeiuflufaten Politik des Kaisers in Gegensatz trat^ so änderte
sich dies jetzt infolge der schlimmen Erfahrungen, die ihm
im Kriege gegen die Spanier mit seinen protestantischen
Bundesgenossen nicht erspart geblieben waren. Zu derselben
Zeit schien ihn sein Streit mit Braunschweig, welcher gerade
damals eine schroffe Wendung erhielt und eine drohendere
Gestalt annahm, auf ein gutes Verhältnis zu dem kaiserlichen
Hofe dringend hinzuweisen. Im Frühlinge des Jahres 1602
finden wir ihn daher in Prag, um hier peraönHch den Ge-
sandten der Stadt entgegenzuwirken und die zu ihren
Gunsten erlassenen Mandate des kaiserlichen Hofrats rück-
fängig zu macheu. Die darüber geführten Verhandlungen
amen im November 1602 zum Abschlufs. Statt der rück-
ständigen Reichssteuern verpflichtete sich der Herzog, 2000
Musketiere und 1000 Reiter zum Kriege gegen die Türken
zu stellen, für welche „Devotion" ihm der Kaiser in Aus-
sicht stellte, dafe er von ihm und seinem Hause sich alles
Guten versehen dürfe. Die veränderte Stimmung am kaiser-
lichen Hofe machte sich sofort bemerkbar. Noch im Jahre
1600 hatte der Hofrat trotz der Einrede des Herzogs, dafs
sein Rechtsstreit mit Braunschweig bereits am Karamer-
gerichte anhängig gemacht sei, wiederholte Mandate erlassen,
weiche den Streitenden die Abdankung ihrer Truppen und
die Einstellung aller gegenseitigen Feindseligkeiten anbe-
fahlen. Jetzt , nachdem sich der Herzog mit dem Kaiser
verständigt und jene Hilfstruppen gegen die Türken zuge-
Krstes Buch. Erster Abschnitt.
sagt hatte, sah sich die Stadt alsbald in der I*age, bam
Kaiser zu klagen , data die zu ihren Gunsten ergangenen
Mandate ungestraft verachtet würden. Ein Jahr später
fl604) hatte der kaiaerliche Hofrat bereits seine bisterigo
Ansicht dahin geändert, dafs jene Mandate, weil sie sich
teils auf falsche ßcriohte gründeten^ teils in die beim Kam-
mergerichte schwebenden Prozesse eingi'iflFen, völlig zn ver-
nichten seien Von nun an konnte der Herzog eich der
kaiserlichen Unterstützung gegen seine rebellische Stadt ver-
sichert halten. Wir haben den weiteren Verlauf dieser An-
gelegenheit dargelegt: der hartnäckige Widerstand, dem er
bei der Belagerung der Stadt begegnete, veraulafate ihn,
wie wir gesehen, im Jahre 1GÜ6 abermals nach Prag za
reisen.
Als er hier ankam, war das feindselige Verhältnis, wel-
ches schon seit geraumer Zeit infolge der Mifsregierung
Rudolfs zwischen diesem und seinem Bruder bestand, eben
zu offenem Bruche gediehen. Der Verlaul" dieser unglück-
lichen Händel, welche um ein Haar einen Bruderkrieg ent-
zündet hätten und dazu führten, in Böhmen, Osterreich -
und Schlesien die Rechte der Stände auf Kosten der
Herrschaft in ungebührlicher Weise zu erweitern , ist aus
der allgemeinen deutschen Geschichte bekannt. Heinrich
Julius, der bald das volle Vertrauen des sonst so argwöh-
nischen, menschenscheuen Kaisers gewann, ist in diesen Wir-
ren, welche schon damals einen aUgemeinen europilischeu
Kriegsbrand zu entfachen droheten, mit rühmlichem Eifer
und nicht ohne Erfolg bemüht gewesen, zwischen den ha-
dernden Parteien zu vermitteln und das Aufaerste abzu-
wenden. Seine Persönlichkeit , seine Geschäftegewandtheit
und politische Erfahrung, selbst der kirchliche Standpunkt,
den er einnahm, befähigten ihn in gleichem Mal'sc zu dieser
Rolle. Es ist geradezu bewunderungswürdig, wie er die
Zuneigung des mifstrauischen Kaisers, der in seinem schwer-
mütigen , an Wahnsinn grenzenden Zustande sich gegen,
jedeiinann absclilofs, seine eigenen Minister zu sehen ver-
weigerte , wichtige Gesandtschaften oft viertel jahrelang auf
Audienz warten liefs, zu erwerben und zu bewahren ver-
stand. Seinen Bemühungen war es hauptaäL-hlich zu danken,
dafs der Krieg zwischen den beiden Brüdern, zu dem man
dort wie hier eitrig rüstete und für den in Prag alles bereit
zu sein schien, nicht zum Ausbruch kam. UnerraUdUch hin-
und herreisend, in rastloser, aufreibender Thätigkeit hat er
damals Gesundheit und Leben aufs Spiel gesetzt Seinen
Anstrengungen gelang es, den Abachlufa des Bündnisses,
Des Heno^ vejtnitteiDde Tkätigkeit io Tng.
2i
welches der lutherische Kurfürst von Sachsen mit der katho-
'üschen Liga gegen die in der Union vereinigten meist re-
formierten Reichsstände plante, zu verhindern. Er war as,
der, als der Bruderzwist im Jahre 1610 von neuem empor-
Iflammte^ kein Opfer au Geld und Muhe scheuete, um den
[Frieden aufrecht su erhalten. Auf der Präger FUrstenver-
[«ammlung war er die Seele der Verhandlungen, welche eine
jAussühnung zwischen Rudoh' II. und Matthias anstrebten.
I In Begleitung des Erzherzogs Ferdinand und des Kurfitrsten
von Köln begah er sicii im Juni zu diesem Zwecke nach
[Wien, wo eä ihm nacli endlosen Miihen gelaug, Mat-
thias zu entgc^n kommen den Schritten seinem Bruder
gegenüber zu bewegen. Mit dem hier vereinbarten Vertrag«-
entwurle 1^^ er um die Mitte des Juli den Weg von Wien
nach Prag in sechsunddreifsig Stunden zurück , trat aber
beim Kaiser auf neue Schwierigkeiten. RuJoll" hatte einmal
wieder seine Wutaiiialle, schrie und tobte über die Ver-
mittler, die ihm viel GeW kosteten und doch nur ihren
eigenen Vorteil bedächten. Erst nach viei-zehu Tagen konnte
Heinrich Julius mit einem veränderten Vertragscntwuri'e
. nach Wien zurückkehren. Aber als nun Matthias nach
' längerem Sträuben sich eudlich im weaeutlichen mit dem-
selbeu einverstanden erklärte, hatte beim Kaiser inzwischen
die kriegerische Stimmung wieder die Oberhand gewonnen.
Er vertrauete auf die Ti-uppen, die er im Hochstifte Paasau
durch den Erzherzog Leopold hatte anwerben lassen. Allein
von diesem Passauer Kricgsvolkc liefen damals die sclilimm-
fiten Nachrichten ein. Ohne Sold gelassen, der Kot und
dem Hunger preisgegeben , befunden sich die Truppen in
ibellem Aufstande und schickten sich au, durch eine Unter-
^ nehmuug auf eigene Faust sich für die von ilmcu erlittenen
|£ntbchrungen schadlos zu halten. Am lü. August überfielen
I sie zehn numbergische ScJtiffe, nahmen die Besatzung ge-
l&ngen und die Waren in Besclilng. Zugleich rückten sie
drohend an die österreichische Grunze. GauK Ungiirn und
C^terreich geriet in Angst und Schi-ecken, die grüfsto Bo-
stürzimg aber bemächtigte sieb der vermittelnden Fürsten in
Prag, die jetzt, kurz vor dem Gelingen, alle ihre Anstreng-
langen tur gescheitert ansehen mui'sten. Längst seiner un-
fruchtbaren Rolle müde, hatte der Kurliirst von Sachsen
bereits die Stadt verlassen. Die IJbrigen beschlossen, einen
letzten Versuch bei dem Kaiser zu wagen. Am 5. Septem-
ber begaben sie sich aut das Schlofs. Aber Rudolf hielt
sich verriegelt in seinen Gemächera und wollte niemanden
vor Mch lassen. Darauf droheten die Fürsten mit ihrer
so
Entea Bach. Enter Äbcdwitt.
Abreise und exkUrten, sie seien entscUoeeen, falls man sie
nicht höre, den Kaiser eeicem Schicksale zu überlassen.
Das brach endlich den Widerstand des unglücklichen Man-
nes: er nahm den früheren Vertragscntwurt' an, doch roufsten
rieh «Ämtliche Füraten tÜT seine ehrlii-iie Ausführung ver-
bürgen. Mit des Kaisers UntersohrÜt unter dem Vertrage
«ilte Heinrich Julius nach Dresden^ um sich der Bürgschal't
des Kuriursten Ton Sachsen zu rersichem. Kaum hatte er
Prag verlassen, als Rudolf erklärte, er wolle seine Unter-
schrilt wieder zurückziehen. Glücklicherweise war es zu
spät. Denn inzwischen hatte der Herzog, der von Dresden
nach Wien gegangen war, den Erzherzog Matthias zur An-
nahme des Vertrages bewogen , nachdem er eich mit den
übrigen vermittelnden Fürsten für die alsbaldige Abdankung
des Passauer Kriegsvolks verbürgt hatte.
Damit war dem unermüdlichen Herzoge eine neue, kaimi
weniger dornenvolle Aufgabe gestellt: die Ablehnung und
AullöBung des meuterischen Kriegsvolkes durchzuführen.
Ohne grofse Qeldmittel war dies eine UnraügUchkeit , und
der Kaiser weigerte sich hartnäckig, seine Truhen zu
Öffnen und den bis auf 500 000 Gulden aufgelaufenen rück-
ständigen Sold vorzustrecken. Vergebens erklärten sich die
böhmischen Stände bereit, ihro Mitwirkung zu leihen, ver-
gebens erbot sich Heinrich Julius aufser einem vierzehn-
monatlichen Vonchufs auf die Keichssteucr zu einem wei-
teren Darlehn bis zu 100000 Thalern. Der Kaiser war zu
nichts zu bewegen. Mitten im Winter, über Schnee und
Eis, reiste der Herzog zwischen Prag und den Passauern
hin und her, hier beschwichtigetid, durt treibend und bittend,
immer in rastloser, anstrengender Thatigkeit. Endlich gegen
Weihnachten, als die Truppen, noch 9U00 Fufsknechte und
4000 Pferde, sich auBchickten, längs der Donau nach Ober-
österreich vorzudringen, gelang ea dem Herzoge, vom Kaiser
eine ansehnliche Summe aus den Schatzgewölben zu er-
halten , anderes gegen Bürgschaft aufzutreiben und ao
600000 Gulden autzuhringen, mit denen er die Abdankung
zu bewerkstelligen hoffte. Allein jetzt kam er damit zu spät,
denn schon war das herrenlose Volk in das Land ob der Ena
eingebrochen, wo es bis Ende Januar 1611 in roLester AVeise
hauste und die greulichsten Gewaltthaten beging. Dann
brach es gegen die ausdrücklichen Befehle des Kaisers nach
Böhmen auf, lagerte sich vor Prag, besetzte den weifsen
Berg und die Kleinseite und bedrohete von hier die Altstadt
und den Hradschiu. Wochenlang stand man sich hier, zum
Kampfe gerüstet, gegenüber. Da brachte endlich ein Schritt
Abdankung des Passauer Kriegavolks.
ti
der böhmischen Stände die Kntscheiduog. Sie wandten sich
den früheren Verfräßen geniäfs an Matthias und baten die-
sen um Hilfe. Dies bewirkte bei dem Kaiser mehr als alle
verui'uiltigeu Vorstellungen. Kr bequemte sich dazu , eine
Abschlagszahlung von 300 000 Gulden zu leisten, und da
auch den meuterischen Truppen ihre Lage unheimlich zu
•werden begann, zogen sie am 11. März in aller JStille ab.
Auf ihrem Rückzuge wurden manche erschlagen, einen Teii
nahm Matthias in seinen Dieikst, die übrigen zerstreueten
sich, nachdem der Kaiser noch einmal 200 OUO Gulden iür
sie gespendet hatte.
Heinrich Julius war auch währeud dieser letzten Er-
eignisse in gewohnter aufopfernder Weise thätig gewesen.
Er ward nicht müde, zu warnen, zu raten, zu vermitteln.
Mehr als einmal ist er pert-ünlich mit Lebensgefahr imter
die Aulruhrer gegangen, um mit ihnen zu verhandeln und
aie von Ausschweifungen und Gewaltthaten abzuhalten. Der
Kaiser, der ihn zu seinem „Geheimen Kat und bestailteu
obersten Direktor*' ernannt hatte, bewahrte ihm nach wie
vor seine Gunst. Dieser hatte es der Herzog zu danken,
dafs die bereits im Jahre 1606 gegen die iiitadt Braun-
schweig ergangene Achtserklärung unterm 19. März IGIO
erneuert, im folgenden Jahre auf dem niedersächsi sehen
Kreistage zu Haiberstadt Öffentlich verkündigt und ihm selbst
die Vollstreckung derselben aui'getrageu wai-d. Ei- kehrte
daher im Herbste des Jahres lüll nach mehrjähi-iger Ab-
wesenheit in die Heimat zurück. Aber kaum in Wolfen-
büttel angekommen , traf ihn die Kachricht von dem am
10/^0. Januar lül2 ertolgten Tode des Kaisers Rudolf.
Wollte er nicht die Frucht jahrelanger Anstrengungen ver-
lieren, so mufste er jetzt den Erzherzog Matthias, der am
3. Juni 1612 in Frankturt zum Kaiser erkoren ward, iur
sich zu gewinnen suchen. In dieser Absicht eilte Heinrich
Julius im Herbst abermals nach Prag. Hier erki'ankte er
im tolgeuden Sommer ( 1613) nacli einem Zechgelage, welches
Wilhelm Slavata , das bekannte Haupt der katholischen
Partei, im kaiserlichen Garten veranstaltete uud au welchem
er sich bis tief in die Nacht hinein beteiligte. Da er weder
Nahrung noch Arznei zu sich nehmen wollte, verschlim-
merte^ sich sein Zustand binnen wenigen Tagen so eehr, dafs
das Aufserste zu beiiii-chten stand. Am 20/30. Juli war
er eine Leiche : er war noch nicht neun undvi orzig Jahre alt.
Seine sterblichen Überreste wurden über Dresden und
Haiberstadt nach Groningen und von da nach Wolieubüttel
übergeführt, wo aie unter Entlaltung eines grofseu Pompes
Erstes Buch. Erster Abschnitt.
in der noch unvollendeten Maiientircha zur letzten Ruhe
bestattet wurden.
Mit Heinrich Julius aank ein Mnnn von hoher Be-
gabung, seltener Geiatcsbildung und ebenso ungewohnliL'hem
Charakter in das Grab, ein Fürst, dorn, sila der Tod ihn in
den besten Lebenäjuhren hinwegnahiu, noch eine groise Zu-
kunft beschieden zu Hein Bcliien. So wenig er sich in dem
letzten Jahrzehnt seiner liegiei-ung um die Angelegenheiten
des ihm angestammten Landes persönlicli und unmittelbar
bekümmert haben mag, so schmerzlich erapi'uiid man hier
doch seinen Tod, „Der Vater des Vaterlandes" — so klagt
eine der zahlreichen ihm gewidmeten Leichenreden — „ist
gestorben, billig beweinen wir's als Kinder : der Hirt ist ge-
schlagen y billig beklagen wir's als Schäflein : der grofse
Baum des Lebens ist gefallen , billig betrauern wir's als
solche, welche Nahrung, Schatten und Ruhe darunter gehabt
haben." Es schien in der That, als ob ein banges Vorgo-
lUhl von den furchtbaren Zeiten, die bevorstanden, die G^e-
müter der Menschen bewegte und sie doppelt schwer den
Heimgang eines Fürsten empfinden liefs, der, neben Moriz
von Hessen unter den protestantischen Herrschern des da-
maligen Deutscliland ohne Zweifel der bedeutendste ^ alle
Hilfsmittel seines reichen Geistes ungewandt hatte, um das
seit lange drohende Unheil eines allgemeinen Krieges von
Deutschland und Europa abzuwenden. Für die seiner Ob-
hut anvertraueten Länder ist seine Regierung bei vielver-
sprechenden Anfängen und Anläufen doch schüefslich wenig
erfolgreich gewesen und an dem Unheil und der Verwimmg,
die bald nach seinem Tode, noch vor dem Ausbruche des
grofscn Krieges, über sie hereinbrachen, ist er nicht als völlig
schuldlos zu erachten. „Sein Unglück", sagt Spittler, „war,
bei halbvollendeten Planen zu sterben, und sein vielleicht
noch gröfseres Unglück, einen achwachen Nachfolger zu
haben, der keinen seiner angefangenen Entwürfe forttuhj-en
und der Nachwelt, die so oft aus dem Erfolge schliefst, in
seiner heirlichen Vollendung zeigen konnte, was nach dem
Anfang, den Heinrich Julius machte, oft romantisch unter-
nommen, oft bei den besten Abzweckungen , wozu es end-
lich geführt hätte, blofs despotisch versucht zu sein schien.*'
Als ältester von den vier Söhnen, die Heinrich Julius
hinterlassen hatte, trat Friedrich Ulrich, beim Tode des
Vaters zweiundzwanzigjähiig , die Regierung an. Auch er
verdankte einer sorgfältigen Erziehung und einem geregelten
Unterrichte mancherlei Kenntnisse, die er dann durch den
Besuch der Hochschalen zu Helmstedt und Tübingen, sowio
Anftage Friedrich Ulrichs.
3S
durch eine Reise nach Frankreich, England und den Nie-
derlanden TervoUatändigte und vennehrte. An den Höfen
von St Gennain und St. James von Heinrich IV. und
seinem Oheime Jakob I. von England in zuvorkommendster
Weise empfangen, schlofe er mit Heinrich Friedrich^ dem
hochsinnigen , zu den schönsten Hof&angen berechtigenden
Prinzen von Wales, die innigste Freundschaft. Er halte die
Absicht, von England nach Italien zu gehen, aber Jakob 1.,
welcher die Einflüsse der katholischen Propaganda auf das
Gemüt des wenig selbständigen, leicht zu bestimmenden
Prinzen fürchtete, bewog dessen Vater, ihn in die Heimat
zurückzurufen. Über Vlie-^ingen, Brüssel und den Haag
erreichte er diese im August 1610 Von diesem Aufentliaite
an fremden Höfen, auf der schwäbischen Universität und im
Auslände brachte Friedrich Ulrich ohne Zweifel eine Be-
reicherung seines Wissens und eine Erweiterung seines gei-
stigen Horizontes heim, nicht aber, was ihm am meisten not
gethan hätte, eine Festigung seines Charakters. Die schwäch-
liche Gutmütigkeit, die ihm schon als Knaben eigen war und
die ihn dem Einflüsse seiner Umgebung fast wiUenlos unter-
warf, blieb auch ferner der charakteristische Zug seines
Wesens, was um ro bedenklicher und bedauernswerter war,
als die unerspriefs liehen Zustände, die ihn nach des Vaters
Tode beim Antritt seiner Regierung erwarteten , zu ihrer
Beseitigung die geistige Thatkraft eines ganzen Mannes zu
erfordern schienen. Denn eine dreifache imheilvoUe Erb-
schaft war dem jungen Fürsten von seinem Vater über-
kommen: die tiefe, täglich wachsende ZeiTüttung im Staats-
haushalte, eine Anzahl kostspieliger, in ihrem Ausgange
höchst zweifelhafter Prozesse bei den Reichsgerichten, end-
lich der noch immer ungesehlichtete Streit mit der Stadt
Braunschweig.
Der letztere flammte, nachdem es einen Augenblick den
Anschein gehabt, als ob es zu einem Ausgleich mit dem
Herzoge kommen sollte , alsbald noch einmal imd zwar
heftiger als früher auf Noch immer schwebte die im Jahre
1606 verkündete Reichsacht über der widerspänstigen Stadt,
ja sie war 1610 in ernsterer Weise erneuert worden. Die
schlimmen Folgen davon machten sich doch schHerslich fiir
die Bürger in empflndlicher Ausdehnung geltend. Handel
und Wandel lagen gänzlich darnieder und die städtischen
Kassen waren durch den langen Krieg der Erschöpfung nahe
gebracht Noch bedenklicher war der Mangel an Eintracht,
der eben jetzt wieder einmal zwischen Hat und Bürger-
HstaeiDftnB, BrannRcliw.-binnST. Goichicht«. UL ^
S4
Erstes Bacb. Erster Abschnitt.
Bcbafl hervortrat Ein Privathader zwischen dem Bürger-
meUter Kart Döring und dem Stadtäycdikus Röerhand^ der
als ein Kacbball des giausamen Verfahrpns gegen Brabant
erscheint, gab die Veraidassung zu Unruhen, welche, durch
die Hetzpredigteu des Pastors an St Katharincn Jakob
Gilbert gesteigert, schÜelslicb zu einer V(illigen Umwäbung
im Regimente der Stadt fiihrten. Der gesamte Magistrat,
dem man allerlei Ungesetzlichkeiten inbezug aut' die Ver-
waltung der öffentlichen Gelder vorwarf, ward am 13. Sep-
tember 1614 Inr untauglich erklärt und abgesetzt. Zwei
Tage darauf wählten die Gemeinden ein neues Regiment,
von welchem PÜmtliche irUhertju Ratshenen fiusgeschlussen
worden.
Der neue Piat knüpfte in der Hoffnung, einen billigen
Frieden zu erlangen, sogleich Vorhandlangen mit dem Her-
zoge Friedrich Ulrich an. Allein diese zerschlugen sich an
der Forderung des letzteren, die Sladt solle ihm zwei Tonnen
Goldes zahlen, sich zu einer jährlichen Abgabe von 20000
Thalern verstehen und ihm eines ihrer Thore einräumen. AU
man in Brauuschweig darauf nicht einging, sondern sich nur
zu einer einmaligen Bufse von 200000 Thalern herbeilassen,
allenfalls noch die Erbauung eines Schlosses innerhalb der
Stadtmauern durch den Herzog gestatten wollte, begannen
die Feindseligkeiten aufs neue. Unter dem Einflüsse seines
Feldobersten und Statthalters von Wolfenbüttel Michael
Viktor von Wustrow betrieb der Herzog mit allem Kifcr
seine Rüstungen , so dafs er gegen Ende Juli 1615 eine
Streitmacht von mehr als 8000 Mann mit sechs und vierzig
Belagerun gegefmhützen zusammen hatte. Die Stadt suchte
sich solchen Vorbereitungen gegenüber durch ein Bündnis
zu schützen, welches der erwähnte Syndicus Röerhand be-
reits im Jahre 1613 mit den Hansestädten Deutschlands und
der Niederlande verhandelt und zum Abschlufs gebracht
hatte. Allein der Einfall von etaatischem Volke, der infolge
davon im Jalire 1614 das Fürstentum Caleuberg verheerte,
steigerte die gegenseitige Erbitterung nur noch mehr, so
dafs die Vermittlung, welche Brandenburg, Dänemark, ja
selbst die Städte Hamburg und Lübeck in letzter Stunde
versuchten, fehlschlug. Nun besetzte der Herzog die nach
Braunachweig führenden Strafsen , bemächtigte sich der
Landwehren, waH bei Melverode, Riddagshausen und Glies-
marode Schanzen auf und eröffnete nach Vollendung der
Laufgräben eine rogclmäfsige Beschiefsung der Stadt Die
Bürger ihrerseits unternahmen wiederholt Ausi^lle, durch
welche sie den Belagerom nicht unbedeutenden Schaden zu-
Krieg mit Bniunschweig. Belagerang der StadL
S&
fügten. So WHrde auf herzoglicher Seite bei einem Schar-
mützel am 3. August Wolf Christoph von Rauchhaupt, ein
tapferer Offizier, getötet und ein Ausfall, deu die Bürger
am ersten (11 .) September wagten , kostete dem Wolfen-
büttler Statthalter Viktor von Wuatrow, der den Herzog un-
ablässig zu diesem Kriege angetiiebeu hatte^ das Leben. Er
war der letzte seines im haouüvrischen AVendlaude ange-
sessenen Geschlechtes und ward auf dem Martinikirclihofe
nach dem Altstadtmarktc zu begraben.
Inzwischen nahm die Beschiefsung der Stadt unter argen
Beschädigungen der letzteren und schweren Verlusten der Bür-
ger ihren Fortgang. Huus Hüle der Bürgermeister wurde
mit zwei Genossen auf dem St. Magniwalle durch das her-
zogliche Geschütz getötet, dasselbe Schicksal liatteii bei einem
Ausfalle der Stadthauptmann Thomas Villier und viele junge
Bürger und Bürgorssohne. Von allen Weichbilden litt am
meisten die alte Wiek mit ihren Gotteshäusern von St I^i-
dien und St. Magnus. Der Turm des letzteren stürzte am
16. September unter dem Feuer der Belagerer zusammen.
Dennoch waren alle gerade hier unternorameuen Stürme
vergebens Und als der bereits im Dahinschwinden be-
griffene Mut der Bürgerschaft durch Zuzug hansischer Hilfa-
vöiker, mit welchen sich Graf Friedricli von Solms nach
heftigen Kämpfen bis in die Stadt durchschlug, neu belebt
ward, mufstc sich Friedrich Ulrich wohl von der Unmög-
lichkeit überzeugen , sie mit Gewalt zu unterwerfen. Auf
Zureden der kaiserhchen Gesandten und auf den Rat be-
freundeter Fürsten Iiob er am 2/12. November die Belagerung
auf und zog nach dreimonatlicher Beschielsung der Stadt
sein Heer auf Wolfenbüttcl zurück. Es war das letzte Mal,
dafs Braunachweig den Landesherm mit Erfolg zurückge-
wiesen und seine stolze SondersteUung siegreich behauptet
hatte. Bald darauf kam es unter Vermittlung der Nieder-
länder und einiger Hansestädte zu einem Vergleiche, der
am Tage des heiligen Apostels Thomas (21/31. Dezember)
zu Steterburg abgeschlossen ward. Die Stadt leistete dem
Herzoge die Huldigung, wogegen dieser sie bei ihren alten
Freiheiten zu belassen versprach, auch sich zu einer Ent-
schädigung im Betrage von 100000 Thalern an diejenigen
in der Stadt angesessenen Gutsherren verstand, deren Güter
von ihm eingezogen worden waren. Die übrigen streitigen
Punkte wurden nach Bilhgkeit verglichen oder auf den Weg
des Rechtes verwiesen: das beiderseitige Kriegsvolk sollte
abgedankt werden und der Herzog seine Klage gegen die
Stadt bei den Reichsgerichten zurücknehmen. Sobald d\£;%
m
Erstes Buch. Erster Abschnitt.
geschehen, erfolgte die Aufhebung der Heichsacfati und nach-
dem der Kaiser den Vertrag bestätigt hatte, erteilte Fried-
rich Uh'ich der Stadt den grofeen und kleineu Huldebriei.
Schlimmer nuch als dieser kostspielige und trotzdem er-
folglose Kampf gegen die erste Stadt des Landes war
die tinanzielle Hinterlassenschaft des verstorbenen Herzogs.
Gleich nach seinem Tode richtete der Kammerraeister
Lorenz Berkehnanu^ einer seiner treueeten und bewahr-
testen Diener, an den jungen Herzog Friedrich Ulrich
dieserhalb eine Vorstellung, in welcher er mit freimütigen
Worten die Zerrüttung des Staatshaushaltes darlegt und zu-
gleich Mittel und Wege zu ihrer Abhilfe angiebt. Die Er-
träge der einst vom Herzog Julius so sehr gepflegten und
geförderten Bergwerke waren seit lange den fürstlichen Gläu-
bigem verpfändet und schon jetzt auf vier bis fünf Jahre
mit Beschlag belegt. Schwer autzubringende Jahrgelder für
die Brüder und Schwestern des verstorbenen Herzogs, sowie
das Leibgedinge l\ir die gräflich regensteinische Witwe
lasteten auf dem Lande, eine bedeutende Abfindung für die
herzoglichen Brüder , hinsichtlich welcher es ratsamer er-
schien , sie auf G^eld zurückzuführen, als Land und
Leute hinzugeben, war zu leisten. Dabei waren die türst-
lichen Schulden zu einer schwindelhaften Höhe — man be-
rechnete sie auf zwölf Tonnen Gold oder 1 2n0 0(>0 Thaler —
empoi^wach&en , so dafs jeder weitere Versuch, neue An-
leihen aufzunehmen, versagen mufste. Nur die gröfste Spar-
samkeit \md eine völlige Umgestaltung des bisher herr-
schenden Steuersystems schien hier Abhilfe schaffen zu
können. ,;Die Beseitigimg der Schulden'* — so heifst es
in der erwähnten Vorstellung oder Denkschrift — „beruht
nicht weniger auf der getreuen Zusteuer der Landschaft und
Unterthnnen, wobei die alten Mängel der Schätzung nach
Möglichkeit zu vermeiden sind, als auf Bestellung brauch-
barer Räte und Beamte bei Hofe und auf dem Lande, denn
durch des Herrn Auge wird der Acker fruchtbar, das Pferd
feist, das Unrecht beseitigt."
Soweit sich diese Ratschläge auf die ständische Beihilfe
zur Tilgung der Laudesscbiilden bezogen, war der junge
Heraog selbstverständlich befliaseu, ihnen in vollem Umfange
zu entsprechen. Auf den beiden ersten von ihm im Ok-
tober 1614 zusammen berufenen Landtagen, zu Alfeld für
Wolfenbüttel und zu Elze für Calenberg, ward lebhaft da-
rüber verhandelt, wie man die Landesschulden abtragen konnte
und bis zu welcher Hohe die Landschaft der beiden Fürsten-
tümer dazu heranzuziehen sei. Die Wolfenbüttler Stände
KmporkomiDCn Antons von der Streithorat
ST
übernahmen nach dem Land tagsub schiede vom 12. Oktüber,
„zur Elleich terung der Se. Fürstlichen Gnaden obliegenden
Beschwerden denselben mit fünf Tonnen Goldes oder mit
lunönal hunderttausead Thalem Muntze uuterthänig beizu-
springen", während die Caleaberger ölünde, ohächou wider-
wiUig, sich zu noch gröfaeren Geldoptern verstehen mufsten.
Sie fanden sich endlich bereit, fast den ganzen Rest der herzog-
lichen Schulden (sechs Tonnen Goldes oder 600 000 Thaler)
in der Weise zu übcrnclimeu, dato diese nach Ablauf von
25 Jahren völlig getilgt seiu sollten. Auch die Vorstellungen
des ehrlichen Berkelmann, welche auf eine Änderung in der
Beamtenhierarcbie hinausliefen, sollten nicht unbeachtet blei-
ben: nur dafs dieser Wechsel, als er erfolgte, schwerlich im
Sinne des treuen Katgebers ausJtoL
Die eigenen nächsten Verwandten des Herzogs, seine
Mutter Elisabeth und deren Bruder König Christian IV.
von Dänemark, konnten sich der Einsicht nicht verschliefsou,
dafs seine Fälligkeiten den schwierigen Aufgaben, die ihm
die Lage des Landes stellte, kaum gewacliseu seien. Es
schien ihnen dah^ erwünscht, jemand zu ermitteln, der, mit
der nötigen Begabung ausgestattet und im vollen "Vertrauen
des Herzogs stehend, diesem die Sorge für die Regierung
abnähme, fiir ihn handeln und dem Lande wie den Ständen
gegenüber die Verantwortung für die Mafsnahmon der Re-
gierung trage. Einen aolchen Mann glaubten sie in Anton
von der Streithorst aui ScLliestedt gefuoden zu haben. Er war
der Sohn Christophs von der Streithorat, welcher zur Zeit Hein-
richs d. J. das Amt eines Statthalters zu allgemeiner Zu-
friedenheit verwaltet hatte. Von gewandtem, einschmeicheln-
dem Benehmen, schien er zu einer persönlichen Vertrauens-
stellung in unmittelbarster Umgebung und als Stell veilretcr
des Fürsten ganz besonders geeignet. Es wurde der Her-
zogin-Mutter und ihrem königlichen Bruder leicht, Friedrich
Ulrich zu einem Schritte zu bestimmen, der eine völUge Um-
gestaltung der bisherigen Staatsverwaltung bedeutete. Auf
ihren „Rat und Beliebung" geschah es, dafs der Herzog am
31- Oktober 1615 einen Revers ausstelltej worin er erkläi'te,
keine Briefe oder Schriften von einiger Wichtigkeit unter-
schreiben oder vollziehen zu wollen, bevor dieselben von
seinem geheimsten Rate und ObürsthofmeiBter sowie von dessen
Beigeordneten durchlesen und erwogen seien. Und nun er-
folgte wenige Monate später, am 1. Februar 1616, ein hor-
zogliches Patent, welches Anton von der Streithoi-st zum Ober-
hofmeister, Geheimrat und Hofrichter ernannte und ihm vier
andere Edelleute, Jobst von Weyhe, Uans von Mützefahl^
Das Regiment der Laaddroatoa.
39
und des Herzogs Oheim, Bischof Philipp Sigismund voo
Verden und Osnubrüeki aus IriUieron Förderern in erbitterte
Gegner umgewandelt ^rurden. Es waren dies Joachim von
der Ötreithorst, Antons Bruder, Henning von Rheden, Bartold
von Ratenburg und Arnd von Woboranau. Von dem letz-
teren sagt das „Erinner- und Vermahnuugsscbreiben ", wel-
ches der König von Dänemark in der Folge unter dem
Titel „Königlicher Wecker" an seinen Neffen richtete: „Grofs-
aprechen und Prahlen sei das Beste an ihm und zu der Re-
gierung, welclie wahrlich kein schlecht Ding sei und ohne
Redlichkeit und Tugend nicht geführt werden könne, sei er
wegen seines tJalschen, lasterhaften und boshaften GemUtes,
eigennützigen und jüdischen Gewerbes nicht tüchtiger und
nützlicher als der Wolf zum Schafhirten". Die Schilderungen,
welche dieselbe Schrift von den Persönlichkeiten Joachims
von der Streithorst und Henninga von Rheden entwirft, sind
nicht um ein Haar schmeichelhafter: , Jener sei von Zwitter-
art und auch bei geringem Wesen bei den Bauern, mafsen
seine Sitten dies genugsam auswiesen, erzogen worden der-
gestalt, dafs er einen Pflug besser stellen und den Flegel
besser als das Regiment zu Hofe und im Felde fuhren könne,
Rheden habe von seinem Patrimonio anderes nichts als lauter
Schulden zu erwarten gehabt, woraus er sich durch ungebühr-
liche Mittel loszuwirken vielfältig bemühet sei, gelernt habe
er trotz seines angeblichen Studierena nichts als Leuteschin-
den, Ungerechtigkeit und Tyrannei."
Unter einem solchen Regiment, das der leichtsinnige und
unbedeutende Fürst ruhig gewähren Hefa , vollendete steh
bald der Ruin des Landes. Mit beredten Worten schildert
die üben angezogene Mahnschrift das landca verderbliche Trei-
ben dieser Leute: wie sie jedem anderen den Zutritt zum
Herzoge versperrten und „diesen zu ihrer Sicherheit in ste-
tiger und solchor Völlerei hielten, dafs er schwerlich zu sich
selbst kommen und vernünftige Gcdankon sammeln könne",
wie sie das Recht beugten und die Thätigeit der Gerichts-
höfe und Justizkollegicn hemmten , wie sie Kammer- und
Klostei^üter angriffen und veräufserten , zum Nachteil spä-
terer Geschlechter die Wälder des Landes verwüsteten und
wie sie „steifer und fester aneinander haltend als ein Kart-
häuserraönch an seinem Orden es über die Mafsen artig ver-
stünden , sich einander den Ball zuzuwerfen." Nicht nur
die Bedrückung, Ausbeutung und Schätzung der Unterthanen,
die Plünderung und Ausraubung der Kirchen, Klöster und
geistlichen Stiltungen war damals im Lande Braunschweig
an der Tagesordnung, sondern die Un8iclierKe\l Äat ^t«.Ssk^,
die offene und ungescheuete Wegelageruug stand wieder in
heller Blüte wie in den rohesten und dunkelsten Zeiten des
Mittelalter», „dergestalt, dafe das Braun seh weiger Land, worin
man unter der Regierung des Herzogs üeinrieh Julius blursee
Geld auf dem Haupte hätte über Weg tragen können, nun-
mehr zu einer rechten Mord- und Käubergrube geworden
war''. Keine Seite aber dieöer unbeilvoUen I*anddrosten-
wirtschaft erwies sich von einem ejo allgemein verderblichen
Einflufs wie die systematische Verschlechterung des umlau-
fenden Geldes, „das verfluchte Münzweaen*', wie sich der
königliche Wecker darüber ausdrückt.
Schon seit Beginn des 17. Jalirhunderts hatte sich, durch
das Zusammen wirken der verschiedensten Uruachen veran-
lafat, langsam eine Geldkrisis von solcher Ausdehnung und
Tiefe vorbereitet, wie sie die vergangenen Jahrhunderte nie-
mals gekannt hatten. Seit längerer Zeit war der Nominal-
wert der Edelmetalle in beständigem, unaul haltsamen Sinken
begriffen. Dazu kam, dafs die Territorialregierungen in trau-
riger und verblendeter Selbstsucht anfingen, sich über die
Bestimmungen der Reich smünzgesetzgebuug hinwegzusetzen
und minderwertige Münzen zu prägen als nach dieser zu-
lässig war. Bald machte sich der Unterschied zwischon den
alten vollgultigeu und den neuen leichten Münzen in unan-
genehmer Weiae bemerkbar und trat namentlich bei den
kleinen Sorten, den sogenannten Schrecken bergern, im Geld-
handel dm'ch die grofse Verschiedenheit des Aufgeldes (Agios)
entsitthcbend und unheilvoll, zumal für das niedere Volk,
hervor. Die Spekulation bemächtigte sich dieser Verhältniöse
und begann sie in unverschämtester Weiae auszubeuten.
Eine fieberhafte Begier, durch glücklichen Geldhandel in
kurzer Zeit zu grofaem Keiclitum zu gelangen j bemächtigte
flieh aller, auch der unteren Stände. Es entwickelte sich
ein Geldhandel, welcher binnen kurzem die einzelnen Terri-
torien, mochten sich diese auch nach Möglichkeit dagegen
abzuspeiTen suchen, mit leichtem und geringwertigem Gdde
überschwemmte. Auch die gewaltigen Rüstungen, welche
infolge des böhmischen Aufatandes und des damit beginnen-
den Krieges überall im deutschen Lande betrieben wurden
und dm*ch die im Umlaufe befindliche Geldmenge kaum ge-
deckt werden konnten, trugen das ihrige dazu bei, um eine
überstürzende Vermehrung des geprägten Geldes herbeizu-
führen. Der Unfug wuchs trotz der harten Strafen und
Wafsnahmen, welche über Spekulanten und Geldmakler ver-
hängt wurden, und bald blieb den Kegierungen kaum etwas
anderes übrig als dies ganze Unwesen der „Kipper und
i
Der Kipper- und Wipperuofug.
41
Wipper" nicht nur zu dulden sondern es selbst mit-
zumachen und ihrerseits Schrot und Korn der geprägten
Münzen zu vermindern. Damit betraten aie aber einen W^^
der sie dem imausbleiblicheu Verderben eotgegeatuhrcD
raurste.
So allgemein diese Seuche der Münzverfälachung und de&
unredlichen Münzhandels damals verbreitet war, so bat sie
sich doch knum in irgend einem deutschen Lande zu so
verhängniBvoller Ausdehnung entwickelt wie in den unter
der Herrschuft Friedrich Ulrichs vereinigten Fürstentümern.
Schüu zur Zeit von des letzteren Vater hatte sich, zum Teil
infolge der Ausprägung des vom Ilei'zoge Julius hinterlassenen
Schatzes, die Menge des im Lande umlaufenden Geldes ge-
waltig vermehrt, aber diese Vermehrung nahm während der
Regierung Friedrich Ulriclia einen immer mehr sich er-
weiternden Umfang au. Mit besonderem Eifer warf man
sich aul die Ausprägung der geringeren Geldsorten , na-
mentlich der kleinen Silbermunzen, bei denen auächeiueud
das beste Geschäft zu macheu war, und vermehrte zu diesem
Zweck die Zahl der Münzstätten in ganz unkluger und un-
gerechtfertigter Weise. Schon i. J. 162U bestanden im Lande
17 Münzstätten, die mit der Zeit bis auf 40 vermehrt wur-
den. Bei dieser alles verständige Mafs überschreitenden
Münzthätigkeit reichten die im Lande selbst gewonnenen
Bdelmetalle, obschon es auiser Sachsen kaum ein anderes
an solchen so reiches Gebiet in Deutschland gab, nicht hin,
lun den Bedarf zu decken. Friedrich Ulrich bezog daher
einen greisen Teil des auszuprägenden Silbers von Juden in
Süddeutiicliland. Es ist vorgekommen, dafa dergleichen Sen-
dungen von anderen Regierungen angehalten und konäsziert
wurden, wie 16:^1 im Hessischen unweit Eachwege. Trotz-
dem aber ward das Geschäft eifrig fortgesetzt : mit welchem
wenigstens augenbhcklichen Vorteil fiir den herzoglichen
Schatz, erhellt daraus, dafa an der in Thalern ausgeprägten
Summe von 100 Mark nicht weniger als fast 22 Stück fehl-
ten, gar nicht gerechnet, dafs mau zugleich den Feingehalt
hatte verringern lassen. Es kam dahin, dafs nacti dem amt-
lichen Zeugnis des Dechanten von St. Blasien zu Braun-
schweig während der Jahre IG 17 bis 1621 im Lande kein
einziger vollwichtiger Sil bergro sehen autzutreibcu war. Be-
hauptete doch auch ein an deu Herzog, seine Landdrosten
und deren Münzmeister gerichtetes Inhibitorialmandat des
Reichskammergerichts vom 26- Juni 1620, dafs die Mark
Silbers bis über 300 Mark ausgebracht, alle richtige Münze
im Lande eingeschmolzen und an vielen Orten des letzteren
42 Erstes Bach. Erster Abschnitt.
Gehilfen und Unternehmer zur Betreibung der Münzverft,!-
schung eigens von der Regierung angestellt seien.
Die eigentlichen Betreiber dieses schmachvollen und
acbamlüsen Gewerbea waren der ätatthalter und seine Land-
droaten, um welche sieh ein Kreis von gleicbgesinnten Männern,
zum Teil aus den ersten Gescblechtern des Landes, gesam-
melt hatte. Denn wie sehr mau auch berechtigt sein mochte,
för solche heillosen und unerhörten Zustände in letzter Instanz
den Fürsten verantwortlich zu machen, der zu schwach und
unselbständig war, den Bann zu brechen, den habgierige und
ungetreue Diener um ihn gezogen hatten: die Hauptschuld
iUllt doch auf diese Diener selbst. Ihr selbstsuchtiges und
gewissenloses Treiben erregte endlich eine allgemeine und
grenzenlose Erbitterung im Lande. Namentlich war es Wo-
bcrsnau, welcher oÖfen und ungescbeuet die Münzverfölschung
zu seinen Gunsten in grofsartigster Weise betrieb. Er hatte
auf dem Schlosse Calenberg und in den alten ehrwürdigen
Klosterräuraen von AmelungsbornMünzätätten errichten lassen,
welche über 100 000 Tbaler kosteten und von denen die
letztere zwischen 300 und 400 Menschen beschäftigte. Hier
war eine Hauptstätte der Münzverfilschung, von wo die
leichten Geldsorten maasenhatt in dem Herzogtum und den
benachbarten Landschaften verbreitet wurden, ohne dafs
Fürst und Regierung den mindesten Vorteil davon gehabt
hätten, da der ihnen zustehende ,Prägeacliatz fast gänzlich
unterschlagen zu werden pflegte. Ahnlich verfuhren Rheden,
der Vogt Molinus in der Neustadt Hannover und Andere.
Friedrich Ulrich stand diesem Treiben seiner höchsten Be-
amten, diesem unverschämten das ganze Land umspannenden
xmd selbst seine eigene Person nicht schonenden Ausbeutungs-
aysteme anscheinend unwissend, jedenfalls aber vollkommen
uuthätig gegenüber, Die herrschende Partei sorgte ängst-
lich dafür, ihn in möglichster Unkenntnis über den wahren
Zustand der Dinge zu erhalten. Durch schriftliche Abrede
hatten die Landdrosteu alle einträglichen uud einfl ufereichen
Amter unter sich und ihren Anhang verteilt. Wer es hätte
wagen wollen, dem gutmütigen Fürsten über die Mifsregie-
rung in seinem Lande die Augen zu Öifnen, den würde die
Rache der eng unter sich verbündeten Machthaber getroffen
haben. Freilich vermochten die letzteren nicht zu verhindern,
dafs sich eine starke, durch die nächsten Verwandten dea
Herzogs vertretene Gegenpartei bildete, die mit allen Mitteln
Auf iliren Sturz hinarbeitete, aber trotz derselben haben sie
eich jahrelang in ihrer beherrschenden und unnahbaren
Stellung zu behaupten gewufat. Vergebens waren die durch
Sturz der Btrettliortiscbcn Partei.
48
^e Klagen der Landstände veranlafsten Verfügungen and
Münztnandate, vergebens die mit dem autoritativen Gewichte
eines lierzoglichen Seelisoi^rs und Beichtvater« an den Für-
sten und seine Vertraute gerichteten Mahnungen des greiaen
Hofpredigers ßasiliua Satlor, der fast vierzig Jahre lang in
-dieser Stellung gewirkt hatte, vergebens die dringenden und
bewegten Voratellungen der Herzogin-Mutter und des Bischofs
Philipp Sigismund von Verden , vergebens selbst die bered-
ten uad warnenden Worte, mit denen Chrißtian IV. von
Dänemark in dem schon oben öfter angeitihrten „künig-
Üchen Wecker** das Ohr des lässigen und verblendeten
Neffen bestürmte. Endlich gelang es doch dem einmütigen,
klugen und thatkrüftigen Zusammenwirken einiger hervor-
ragender Mitglieder der Landstände und der Verwandten
des Herzogs, den TerhängnisvoUen Bann zu brechen, wel-
cher auf Fürst und Land mit gleich beängstigender und
unheimlicher Wirkung lastete.
Ka lag ohne Zweifel nicht nur in den Befugnisaen son-
dern auch in den Pflichten der Landstände, so heillosen
Zuständen, wie sie das Landdrosten- Regiment geschaffen
hatte, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Dieser
ihrer Befugnisse und Pflichten sind die Stände auch ein-
gedenk gewesen. Auf verschiedenen Landtagen, besondere
zu Bockenem, kam die herrschende Mifsregierung zu leb-
hafter Erörterung. Man beschlofs dieserhalb Eingaben an
^ien Herzog zu richten, die indes ohne Erfolg blieben, teils
wegen der Absperrung, in der die streithorstsclio Paitei den
Fürsten hielt, teils wegen des Verdachtes, den man ihm bei-
gebracht hatte, die Stände strebten nach einem Kondominat
oder gar nach einer Vormundschaft über ihn. Die Frucht-
losigkeit dieser Schritte lähmte den EÜ'er der Stände, die
herausfordernde Haltung der Regierung wirkte auf den gröfaten
Teil derselben entmutigend und einschüchternd zurück. Aber
eine Anzahl von Mitgliedern der Stände — Edelleute, Geist-
liche und Bürger — liefsen sich in ihrem pflichtraäfeigen
Bemühen nicht irre machen. Sie traten zusammen und im
Vertrauen auf ihre gerechte Sache und den ursprünglich
gutgeurteten, wenn auch jetzt mifsleiteten Fürbten ent-
warfen sie eine Auklagcschrift gegen die streitborstsche Par-
tei, in welcher deren Gewaltrcgierung und Missethaten aus-
fllhrhch und mit dem gehörigen Nachdruck geschildert und
dringend dagegen Abhilte verlangt wurde. Durch die be-
reitwillige Vermittlung der Herzogin- Mutter gelang es ihnen
dann wirklich, bis zu dem Herzoge vorzudringen, diesem
ihre Bcachwerdeschiift zu übeneiehen und ihm zugleich
4i
Erstes Buch. Erster Absctmilt.
müiidlich die üble Lage des Landes vürzudtellen. Es war
am lü. September 1622, dafa diese entscheidenden Verhand-
lungen auf dem Schlosse zu Hessen stattfanden. Nachdem
der Herzog in Abwesenheit der Gebrüder von der Streithorst,
die in einem Nebenzimmer des Ausganges der Dinge harren
mufaten, von dem Inhalte des stäudiBchen Sclweibens Kennt-
nis genommen hatte und von seiner Mutter sowohl wie von
den jetzt zur Audienz zugelassenen Abgeordneten die Rich-
tigkeit der darin enthaltenen Beschuldigungen feierlich be-
teuert worden war, gab er Befehl, die beiden IStreithorsts,
Anton und Joachim, zu verhaften, in Ketten zu legen und
nach Wolfenbüttel abzuführen. Henning von Rheden hatte
noch rechtzeitig die Flucht ergriffen, Arnd von Wobersnau,
der Habsüchtigste und Gewiasenloseate von allen, war be-
reits nicht mehr unter den Lebenden: ein frühzeitiger Tod
hatte ihn noch vor dem Ausbruch der Katastrophe dahin-
gerafft. An die Stelle Antons von der Streithorst trat der
ehrliche und zuverlässige Enist von Steinberg auf Boden-
burg, zu allgemeiner Genugthuung wmden die ehemaligen
von den Landdrosteu beseitigten Behörden wieder eingesetzt,
die verderblichen Münzeinrichtungen und der damit ver-
knüpfte Unfug der Geldmakler abgeschafft und bei strenger
Strafe verboten. Gegen die streithorstschen Brüder aber
wurde im iblgeuden Jahre (1623) der peinliche Prozefs er-
öffnet, indessen zog sich derselbe su lange hin, dafs Anton
im Gefängnisse starb (17. September 1626), worauf Joachim
begnadigt ward.
Das Regiment der ungetreuen Landdrosten, welches
auf solche Weise zu Ende ging, nachdem es aechs Jahre
lang an dem Marke des Landes gezehrt hatte, war für letz-
teres in jeder Hinsicht eine schwere Heimeuchung, aber am
verhängniavüilateii erwies es sich doch auf finanziellem Ge-
biete, indem durch seine Mifawirtaehait das so schon unter
arger Geldbedrängnis leidende Land vollends zugrunde
gerichtet ward. Es kam hinzu, dafa zu der nämlichen Zeit,
da jenes Regiment begann, der langjährige Rechtshandel, der
um den Besitz des Fürstenttmis Grubeuhagen mit der Lüne-
burger Linie geführt ward, trotz der aui denselben ver-
wandten grofsen Kosten einen für Friedrich Ulrich unglück-
lichen Ausgang nahm, während die übrigen bei den Reichs-
gerichten wegen der Grafschaften Hohustein und Blankenburg-
Regenstein scliwebenden Prozesse nach wie vorgrofse Summen
versclilangeu. Nach wiederholten, teils von Würtemberg teil»
von Dänemark ausgehenden, aber völlig vergeblichen Ver-
suchen, zwischen den beiden hadernden Linien einen Vergleich
4
Veritut ron GrubenlageiL. 4
zastandezu bringeo, erfolgte endlich zu Ende des Jahres 1616
die Publikation des kaiserticbeu Urteils, demzufolge das Für-
Btentuni Grubenhageii in dem nämlichen Zustande, wie es der-
einst der letzte Herzog Philipp II. besessen und hinterlassen
hatte, an die Lünebnrger Linie abgetreten werden sollte, Ee
blieb dem Herzoge Friedrich Ulrich nichts anderes übrig als
sich dieser kaiserUchen Entscheidung zm fügen und auf den Be-
sitz des Landes zu verzichten, welches »ein Vater einst im
Vertrauen auf seine Macht, ohne die berechtigten Ansprüche
seiner Vettern zu berücksichtigen, in Besitz genommen, be-
hauptet und schliefslich auf den Sohn vererbt hatte. Dieser
mnlVtc früh sein , dafs die Lüneburger Linie die ihr gleich-
falls zuerkannten Rechte auf Wiedererstattung der seit dem
Jahre 1596 aus dem Lande gezt^nen Nutzungen fallen
Ijefs und sich mit der einfachen Restttution desselben be-
gnügte.
So schwere Verluste zu verschmerzen, die wirtschaftliche
und änanzielle Krisis, die bald darauf über das Land herein-
brach, zu überwinden, den tief gesunkenen Kredit wieder
zu heben, die dem Lande noch immer gebliebenen Hilfs-
quellen neu zu erschliefsen : zu diesem allen hätte es aufser
einer andere gearteten Persönlichkeit, als Friedrich Ulrich
war , einer festen und zugleich mafsvollen Politik in den
Angelegenheiten des Reiches, eines entschlossenen Nieder-
haltens aller unruhigen Elemente, vor allem einer Fortdauer
de» Friedens in deutschen Landen bedurft. Aber Friedrich
Ulrich vermochte nach der Schlacht am weifsen Berge nicht
die Waflenerhebung seines Bruders, des unruhigen imd
abenteuernden Administrators von Halbersladt, gegen den
Kaiser und die siegreiche Liga zu verhindern, und so ward
das 80 hartgeprüftc Herzogtum Wolfenbüttcl-Calenberg früher
noch als andere deutsche Länder in den Strudel des groi'sen
Krieges hineingezogen, der bald ganz Dentschland von einem
bis zum anderen Ende überfluten, die Kulturarbeit von
Jahrhunderten vernichten und das deutsche Reich in eine
Wüste verwandelt zurücklassen sollte.
Während die Blüte des Wohlstandes und des politischen
Ansehens, zu welcher die segensreiche Regierung des Her-
zogs Julius die Fürstentümer Wolfenbüttel und Caleuberg
erhoben hatte, unter seinen beiden Nachfolgern, noch ehe
sie die Feuertaufe des drcifsigjährigon Krieges bestandeuj
langsam dahin welkte, bietet die andere Hälfte des weifischen
Ländergebietes, das Fürstentum Lüneburg, ein von dlescxsv
46
Erstes Buch. Enter Abschnitt.
traurigen Anblicke völlig veracliiedeneö Bild dar. Hier warett
iniolge der Armut des Landes und der uocli aus früherer
Zeit stammenden Geldnöte das regierende Uaua und die
Landatände zu treuem Zusammenhalten und zu liansbäl-
terißcber Sparsamkeit genötigt. Gegenüber der weit über
die Grenzen seines Länderbesttzes und seiner Machtsphäre
hinausgebenden politischen Tbätigkeit^ welche Heinrich Julius
entfaltet hatte, und der thorichten, sorg- und gewisäsenlosen
Verschwendung, welche die Regierung seines Sohnes kenn-
zeichnet, bietet das Regiment der Söhne Wilhelms von Lüne-
burg ein seltenes und rühmliches Beispiel dar von treuer,
unter Selbötentsagung und treiwiUig übernommener Beschrän-
kung ausgeübter Sorge für die Wohliahrt des Landes. Die
brüderÜche Eintracht und die selbstlose Hingabe, mit welcher
die jungen Prinzen, nur auf die Stärkung des Ansehens ihres
Geschlechtes und das Heil des Landes bedacht, jede Regung
von Eü'eraucht oder Neid von sich fem hielten; wird stets
eines der schönsten Ruhmesblätter in der Geachichtc des
weifischen Hauses bleiben.
Es war eine au fserge wohnlich zahlreiche Nachkomroen-
scbaJt, welche Hei-zog Wilhelm bei seinem Tode hinter-
lassen hatte. Abgesehen von den acht Töchtern, weiche
sich mit Ausnahme von Anna Ursula und Marie sämt-
lich staudesgemäfs vermählten^ waren es nicht weniger als
sieben Söhne , von denen der älteste , Ernst , beim Tode
des Vaters bereits im achtundzwanzigsten Lebensjahi'e stand.
Man konnte kaum darüber zweifelhaft sein, dafs es für das
noch immer mit Schulden belastete Land einer Unmöglich-
keit gleichkomme, die Bestreitung so vieler Hofhaltungen in
gleichmäfsig ausgiebiger Weise zu übernehmen, zumal wenn
sich sämtliche Brüder oder aucli nur die Mehrzahl derselben
verheiraten sollten. Bei der Krankheit, welche den Gteist
des verstorbenen Herzogs während der letzten elt Jahre
seiner Regierung umnachtet hatte {U. 465), war weder ein
Testament vorhanden, welches über die vermögensrechtliche
Auseinandersetzung unter den Brüdern etwas bestimmte, noch
gab es ein klares und bündiges Hausgesetz , welches die
Nachfolge in dem Fürstentume im allgemeinen geregelt hätte.
Wollte man daher bei dem Mangel eines solchen Gesetzes
eine vöUigo Zersphtterung des Herzogtums, die mit dem
Untergange des fürstlichen Hauses gleichbedeutend gewesen
wäre, vermeiden, so bheb nichts anderes übrig, als daCs sich
die Brüder in wohlverstandenem Gesamtinteresse zu einer
freiwiUigeu Vereinbarung über die Nachfolge und über die
den Einzelnen zu leistenden Abfindungen verstanden. Dies
Die Söhne WilhfilmR von Lüneburg.
47
ah denn auch bereits liinl' Wucheo nach dem Tode
Vaters. Am 27. September 1592 ward ein Vertrag
von ihnen unterzeichnet, dcmzuibige der älteste ^ Ernst II.,
vorläufig auf acht Jahre die Regierung des Herzogtum« allein
übernahm, während die übrigen Brüder mit Jahrgehaltcn
sich ahtindcn liefsen. Wie bescheiden diese bcnicsacn waren,
erhellt aus dem Umstände, dafs die Prinzen Christian imd
August, welche dem Alter nach unmittelbar auf Ernst folg-
ten, sich — abgesehen von Kleidung und Kost bei Qote
für sich und ihre Dienerschait sowie von zwölf „Pferden
unter eigenem Sattel" für einen jeden — je mit einer Leib-
rente von jährlich 2000 Thalern begnügten. Der den jün-
geren Brüdern ausgeworfene Unterhalt war entsprechend
geringer, ja die ledigen Fräulein — es waien deren damals
noch vier — soüten ein jedes aus der Uentnerei als „ Hand-
pfennig und Zierrat" nicht melu* als 200 Gulden jährhch
zu beanspruchen haben. Herzog Ernst dagegen mufste bei
der Uebernahme der Regierung versprechen, ohne Wissen
und W^illen seiner Brüder, der Räte imd der Landschalt
weder eine Fehde anzufangen noch ein Bündnis zu schliefsen,
in allen wichtigen Landeeangelegenheitcn die Zustimmung
des Statthalters und der Landräte einzuholen, sich auch ohne
die letztere nicht zu verheiraten und nach Möglichkeit die
Besoldungen und den Unterhalt am Hofe einzuschränken,
endlich die Zahl der Ilofdioncrschait und des Gesindes auf
das Notwendigste herabzumindern.
Achtzehn Jahre — bis zu seinem am 2. März 1611 er-
folgten Tode — hat Ernst H. die ihm solchergestalt über-
wiesene Regierung geführt. Die Vorteile, welche der Vertrag
von 1592 dem Lande gewährte, waren so grofs, dafs sie
einem jeden, selbst den übrigen Söhnen des Herzogs Wilhelm,
einleuchten raursten. Er ward daher nach Ablauf der acht
Jahre, für welche er ursprünglich abgeschlossen war, still-
schweigend verlängert, bis — nur wenige Monate vor dem
Ableben Ernsts — eine neue, nun endgültige Vereinbarung
der Bruder unter aich, mit ihren Räten und dem AuBSchufs
der Stände inbetreff der Erbfolge und der Regierung zustande
kam Nach dieser zu Celle am 3. Dezember 1610 ab-
geschlossenen Uebcreinkuntt sollte „das Fürstentum Lüne-
burg mit den dazu gehörigen Grafschaften und mit allen
Landen, die etwa später noch dazu kommen würden, un-
I getrennt und ungeteilt bei Herzog Ernst und dessen etwaigen
Kachkommen in der Regierung und also steta und alle Zeit
bei einem regierenden Herren verbleiben". So wai*d genau
75 Jahre später, als dies in der WolfenbUttler Linie ge-
4»
Erstes Bncb Enter Abschnitt.
Hchehen war, die Unteilbarkeit des Fiir^tentumes und das
EratgebnrtBrecbt aucb in dem Luneburger Zweige des wel-
fischen Hauses eingeführt. Aber während das Pactam Hen-
rico- Wilhehninnm, welches dort diese neue Ordnung der
Dinge begründete (IL H36), dem einen Bruder durch den
anderen in brutaler Weise, mit List und Gewalt aufgezwungen
ward, kam der Celler Vertrag von 1610 auf friedlichem
Wege durch die preiswürdige freiwillige Übereinstimmung
von sieben Berechtigten zustande, von denen nicht ein
einziger g^en diesen wohlthätigen, ja notwendigen Primo-
genitur Rezela Einsprache erhob.
Die Regiemng Emsts II. stand vorwiegend unter dem
Einflüsse , welchen die noch immer ungünstigen Finanz-
Verhältnisse des Landes ausübten. Der kostspielige Prozefs
mit Woli'enbüttel wegen des Fürstentums Grubenhagen
dauerte während der ganzen Zeit seiner Regierung fort und
ward erst nach eeinem Tode zugunsten der Lüneburger
Linie entschieden. Dazu kamen die gesteigerten For-
derungen und Ansprüche, welche Emsts und seiner Briider
Oheim, Heinrich von Dannenbei^, iubezug auf die ihm zu-
stehende Abfindung erhob. Seit dem Vertrage, zu welchem
er sich im Jahre 1569 mit seinem Bruder Wilhelm geeinigt
hatte (II. 462), war von den Fällen, iur welche Heinrich
sich damals seine Kechte vorbehalten hatte, wenigstens einer
eingetreten: der Anfall eines Teiles der Grafschaft Hoya
und der ganzen Grafschaft Diepholz. Wilhelm hatte sich in
jenem Vertrage verpflichtet, bei Eintritt dieser EventuaUtät
seinen älteren Bruder oder dessen Erben durch Auszahlung
von 10000 Thalern für ihre Ansprüche zu entschädigen.
La dem nämlichen Jahre, in welchem dieser Vertrag zustande
kam, hatte sich Heinrich mit Ursula, einer Tochter des
Herzogs Franz I. von flachsen- Lauenburg, vermählt und bald
liefsen ihn die aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder, die
doch eine standesgemäfse Versorgung beanspruchten, bereuen,
dafs er, der ältere Bruder, einst so leichten Kaufes seine
Anrechte auf das Land und die Regierung dahing^e^eben
hatte. Denn er erhob trotz der früheren Abmachungen mit
seinem Bruder alsbald Ansprüche auf eine gleichmäfsige
Teilung des Fürstentums und der angefallenen Grafschatten
Hoya und Diepholz. Hin und her ward darüber verhandelt.
Zweimal traten infolge der von ihm in Wien erhobenen
Klagen kaiserliche Kominissarien zu Salzwedel mit den Ab-
geordneton der Lüneburger Regierung, Statthaltern, Räten
und Mitgliedern der Landachait, zusammen : beidemale ohne
einen endgültigen Ausgleich herbeiführen ku können. Doch
4
I
Uertog ErDst II. 49
wurden auf dem letzten dieser Salz wedeler Tage, welcher
noch KU Lebzeiten des Herzogs Wilhelm (im Mai des Jahres
1591) stattfand, wenigstens die Grundlagen tür einen soichon
Ausgleich gewonnen. Und als nun Kmst II. die Regierung
angetreten hatte, war es fast mit sein erütes Geschält, dafa
er die damals nicht zum AbschluTs gekommenen Verhand-
lungen wieder aufnahm und zu einem gedeihlichen Ende
zu fuhren suchte. Dies gelang ihm. Noch in den letzten
Monaten des Jahres 1592 wurden neue Verhandlungen mit
seinem Oheime augeknüjjft, die endlich zum Ziele führten.
Heinrich von Dannenberg erhielt zu den ihm echon früher
überwiesenen Amtern Dannenberg, Scharnebeuk und Göhrde
noch die Amter Hitzacker, Lüchow und Wai*pke hinzu.
Statt der ihm zum Zweck der Einlösung der verpfändeten
öalzgüter zu Öchamebeck angebotenen 200(tO Thaler hatte
er die Einräumung von Stadt und Hans Blekede verlangt,
da aber Ernst erklärte, dafs ., solch HauB und Amt von
der Regierung nicht zu entraten noch mit abgeteilt werden
könne", begnügte er sich echlielslich mit dem Hause Gümbse,
zu dessen Einlösung von dem bisherigen Pfandinhaher Her-
zog Emet die 8umme von öOütiO Thalern hergab, zu wel-
cher allerdings das Kapital der an Heinrich zu zahlenden
jährlichen Rente (BOO Thaler) zu 10000 Thaler mit ver-
reclmet war. Aufserdem wurde ihm die Fräuleinsteuer, an
der er hartnäckig t'estliielt , im allgemeinen zugestanden :
sollten jedoch inbezug darauf die Landstände in einem Falle
einmal Schwierigkeiten erheben, so versprach Ernst, „aus
gutem vetterÜchen GemUthe und Willen mit 5 oder 6000
Thalor darzu thun und leisten zu wollen". Endlich erlangte
Heinrich noch die Zugeständnisse, dafs der Adel in seinem
kleinen Läudergebiete sich zur Aufwartung bei ihm bereit
finden liefe, dafs seine Untertlianen von der Berufung an
das Luneburger Hofgericht befreiet und mit ihren Appellationen
an ihn, ihren Herrn und Fürsten, gewiesen wurden und dafs
ihm ein Mitbesetzungsrecht inbezug auf die Pfi-ünden von
St. Blasien und St Cvriacus in Braimschweig, sowie bei den
Stiftern Bardowiek und Ramelslo eingeräumt ward.
Von der Regierung des Herzogs Ernst IL ist im übrigen
nicht viel zu sagen. Er war ein verständiger, haushälteri-
echer und wohlwollender Herr. Die Häuser Blekede und
Lüdershaiuien löste er von der Stadt Lüneburg ein, in deren
Pfandbesitze sie seit länger als zwei Jahrhuuderten sich be-
fanden. Kleine Irrungen mit Lüneburg wufste er in kluger
und gescliickter Weise beizulegen oder ihnen auszuweichen.
Handel und Wandel suchte er nach Kräften zu heben. Auch
Ufli aemAnn, BrnuaBoIiw.-luaiiär. Gctic'kiic\ite. IVl. \.
50
Erstes Bach Erster Abscliajtt.
verdankte das Land ihm eine neue HotgeriuhUordnung, die
manchen früheren Kfin^stand inbezug auf die KechUpflege
nbätellte. £r starb am 2. März 1611, uud ihm fol^ in der
Regierung Bcia um zwei Jahre jüngerer Bruder Christian,
der seit dem Jahre 1599 das Hoehstitt Minden als Admini-
strator verwaltete.
Christian erneuerte alsbald nach seinem Re^erungs-
antritte am 15. April Itill den mit seinen Brüdern abge-
schlossenen Vertrag, der jede Krbteilung des Landes zu ver-
hindern und die volle landi'slierrhche Gewalt nur in die Hand
eines Einzigen zu legen bestimmt war, und im iolgenden
Jahre (1612) am ^9. Oktober erhielt dieser Vertrag noch
zum Überflufs die Bestätigung des Kaisers. Trotzdem schien
den Brüdern die zwi&chen ihnen in seltener Kintracht ge-
troffene Ubereiukunft von so hoher Wiclitigkeit zu sein,
dafs sie sich nach weitereu Garautieen für dieselbe umsahen.
Sie mochten immerhin erwägen , dafs, so voilkomraen die
uuter ihnen herrschende einmütige Gesinnung im Augenblick
war, doch die Geschichte gelehrt hatte, wie leicht ein solche»
Band der Eiiitiacht namentlich sjiüteren Generationen ver-
loren gebt oder unter dem Einflüsse widerstrebender Inter-
essen und aufgestachelter LeidensehaiteD zerreii'sL Sie be-
schlossen daher, noch einen Schritt weiter zu gehen. Um
den Fortbestand der von ihnen als unbedingt notwendig er-
kannten Unteilbarkeil des Fürstentums unter allen Umstän-
den zu sichern, verbanden sie sich gegenseitig in feierÜchom
Gelübde, dafs nur einer von ihnen sich vermählen und den
rutimreichen Stamm, dem sie entsprossön waren, fortpflanzen
sollte, indem sie über die Person dieses zuküuitigen Ahn-
herrn der folgenden Geschlecliter diia Los entscheiden liefsen.
Dieses fiel auf Georg, den zweitjüagsten der Brüder, der,
am 17. Februar 1582 zu Celle geboren, zu der Zeit, da
diese folgenschwere Entscheidung getroffen ward, in der
Vollbllite der Manneskraft stand. Bald darauf, am l'l. Sep-
tember IUI 7, scblüf» er mit Anna Eleonore, einer Tochter
des Landgrafen Ludwig V. von Hessen, den ehelichen Bund
und bezog mit seiner anmutigen Gemahlin das am Sudwest-
rande des Harzes gelegene Schlofs Herzberg, welches soeben
mit dem übrigen Grubeuhagenur Erbe an die Lüneburger
Linie abgetreten und ihm von seinen Brüdern mit dem dazu
gehörigen Amte zum Wohnsitz uud Unterhalt eingeräumt
worden war. Hier hat Herzog Georg, der Stammvater der
flpäteren Eonige von England imd Hannover^ in stiller länd-
licher Zurückgezogenheit Jahre des scfaimeten Glücks ver-
lebt, bis ihn die Drangsale und Gefahren des grofsen Krieges,
I
Georg, Stammbalter des Haaaes Lttncbnrg.
51
der die Existenz seines Geschlechtes und die lutherische
Lehre in Kiedersacbsen mit UBVermeidlicliera Untergang ru
bedrohen schien, hinausriefen auf das blutige Feld, wo über
Deutschlands und Europas Geschick die entscheidenden Würfel
geworfen wurden.
Zweiter AbBclinitt.
Der dreffsIgjSliri^e Krieg.
Die ersten Stürme des furchtbai-en Krieges , der über
Deutschland dreifsig Ja!ire unsägÜcbcn Elendes heraufbe-
schwören und innerhalb dieser vergleichsweise kurzen Zeit
aUcs das so gut wie vernichten sollte;, was deutscher Fleifs
und deutsche Arbeit auf geistigem wie i^-irtschafthchem Ge-
biete in Jalirh und orten geschahen, hatten sich in Böhmen
entladen. Mit Hilfe der katbolisclicn Liga und begünstigt
von Kursachsen war es dem Kaiser Ferdinand II. gelungen,
die böhmische Erhebung nach kurzem Kample niederzuwerfen.
Die Schlacht am weif»en Berge vor Prag zertrümmerte mit
einem Schlage die ephemere Herrschaft des „Winterkönigs"
und brachte über das unglückliche Land der Libussa und
des heiligen Wenzel alle Schrecken einer gewaltsamen, blu-
tigen und erbarmungslosen Bcaktion. Dem nach Schlesien
geÜoheucD, bald unstät im Reiche umherirrenden Friedrich
von der Pfalz folgte aui dem Fufse die Achtserklürung des
Kaisers, die wenige Wochen nach der Prager Niederlage,
am 29. Januar 1621, über ihn verhängt wurde, ohne dafs
irgend ein rcichsgerichtliches Verfahren gegen ihn stattgefunden
oder man ihm auch nm- zu seiner Rechtfertigung eine Vor-
ladung hätte zugeheu lassen. Zugleich brachen, während
TilJy die noch von Mausfeld besetzt gehaltenen Teile Böh-
mens imd die Oberpfalz von dessen zuchtlosen Kriegsbanden
säuberte, die Spanier unter Spinola und Cordova in die
Rhein pfalz ein, eroberten einige feste Plätze und bedroheten
Heidelberg, den Sitz der kurfürstlichen Regierung imd den
Hauptort des Landes. Die protestantische Union , welche
diesen Ereiguis&eu gegenüber eine grenzenlose Schwäche ge-
Grates Buch.
zeigt und ihre völlige UnfUhigkeit aller Welt vor Augen
gestellt hatte, löste sich, nauhdem zuerst die iu ihr vertre-
tenen Städte, dann der Lundgraf" Moriz von Hesseu, der
Markgraf von Anabach und der Herzog von Würtemberg
sich von ihr losgesagt hatten, ohne den geringsten Verßuch
eines Widerstandes auf, indem eie in dem Vertrage von
Mainz (12. April 1621) dem pfälzischen Bündnisse bedin-
gungslos entsagte und sich verpflichtete, ihre Truppen nicht
gegen die Spanier zu verwenden, die Pfalz gänzlich zu
räumen und dem Kurfürsten fürderhiu keine Unterstützung
zukommen zu lassen. In der kurzen Zeit von wenigen Mo-
naten hatte sich die Lage der Dinge in Deutschland von
Grund aus umgestaltet. Neu gefestet und siegcsgewifs, von
einem beispiellüsen Erfolge getragen, stand die eben noch
von allen Seiten bedrohete habshurgische Macht den ihr feind-
seligen Strömungen im Reiche und aufeerhalb desselben ge-
genüber. Ihie Gegner waren entweder niedergeworfen oder
eingeschüchtert, Kleinmut und Furcht hatten sich der aka-
tholischen Reiohsstände bemächtigt, und je ausschweifender
und mafsloser die Pläne gewesen waren, die wenigstens ein
grofser Teil von ihnen gegen den Bestand der österreichischen
Monarchie geschmiedet hatte, desto tiefer und nachhaltiger
machte sich jetzt der Ruckschlag geltend. Der Kaiser aber,
im Vollgefühl seines Sieges und im Bunde mit der kathoU-
ßchen Reaktion, schien entschlossen, die Gunst der augen-
blicklichen Lage auszubeuten und die vollen Konseqnenz^en
seiner kriegerischen und diplomatischen Erfolge zu ziehen.
Dem niedersächsischen Lande und insbesondere den Für-
stentümern des welfiachen Hauses machte sich dieser Um-
schlag, der sich in der politischen Lage Süddeutschlands
vollzogen hatte, vorerst kaum in unmittelbar beunruhigender
W'eiso fühlbar. Trotzdem warfen die Ereignisse in Böhmen
und in der Pfalz schon damals von fern ihre dunkeln
Schatten auch nach dem Norden Deutschlands hinüber. Be-
reits im Herbst des Jahres 1619 hatte der niedersäcbsische
Kreis auf dem Tage zu Braunschweig beschlossen, sich auf
alle Fälle in Verteidigungsstand zu setzen, ohne dafs man
freilich ernsthafte Rüstungen begonnen hätte. Als aber dann
der flüchtige Pfalzgraf auf seiner Irrfalirt durch die deut-
schen Lande im Januar 1621 auch nach Wolfenbüttel kam,
fand er hier eine sehr kühle Aufnahme. Im Einverständnis
mit Kursacheen legte ihm Friedrich Ulrich als einzigen Aua-
w^ aus den von ihm heraufbeschworenen Wirren eine rück-
haltlose Verzichtleiatung auf Böhmen nahe, um sich so
wenigstens seine Erblande zu erhalten. Allein trotz an-
Bedrängte Lage des aiederaächäischeti Kreises.
53
fäDglichem teüweisen Entgegenkoramea vonseiten Friedrich»
zerscblunfcn sich Uöch schlierslich die VürUaudlungen. Einen
Augenblick schien es dann, als ob des Herzugs Oheim, König
Christiuu IV'. von Dänemark, w^en HoUteius Mitglied de«
niederBächeischeu Kreises, sich an die Spitae des letzteren
stcUeu^ im Bunde mit England und Holland sich der be-
droheten evangelischen Sache annehmen und ein umfaasendeB
nordischem Bündnis gegen den Kaiser and dessen etwaige
weitere Angriöapläne zustande bringen würde. Aber der zu
diesem Zwecke im MiLrz 1621 zu Segeberg abgehaltene Kun-
grefs verliel' in kläglicher Weiee. Von den eingeladenen
Fürsten Niedersacheens waren auPser Christian IV. nur die
Herzöge von Braunschweig, Lüneburg und Sachsen - Lauen-
burg persönlieh erschienen, Jakob von England war durch
seinen Gesandten Robert Anstruther, der obersachsische Kreis
nur durch einen Brandenburger Bevolhuuuhtigteu und durch
den Herzog Johann Ernst von Sachsen -Weimar vertreten.
Der dänische König mufste sich überzeugen, dafs er weder
auf allseitige Zustimmung noch aui' grolse Üpter Willigkeit
inbezug aul' seine poUtischeii Pläne zählen diiric. Man be-
gnügte sich schlicl>Hch damit, neue Uüstimgen in Aussicht
zu nehmen, die dann ebenso wenig verwirkliclit wurden wie
die früher beschlossenen, und an Spinola eine gutgemeinte,
aber völlig wirkungslose Aufforderung zu richten, zur Her-
beiführung eines allgemeinen Friedens die von ihm gemachten
Eroberungen am Khein und in der Pfalz herauszugeben.
L>ieso schwächliche Haltung der evangelibchün Fürsten
Korddeutschlands gegenüber der beginnenden kii-chUchen Re-
aktion und den begehrlichen Absichten des Kaisers auf die
Wiedergewinnung der säkularisierten Erzstifter und Stifter,
die mit Ausnahme eines kleinen Teiles von Hildesheim gerade
in dem niedersächsischen Kreise sich sämtlich in den Händen
von Mitgliedern der regierenden protestantischen Fürsten-
bäusc:* befanden, könnte betremden, wenn sie nicht in der
Zerfahi-enheit und dem beschränkten Egoismus dieser Fm*-
Bten ihre Erklärung t^äude, welche, nur von der allen ge-
meinsamen Furcht vor dem siegreich vordringenden Katbo-
licismus zusammengehalten j sich in allen übrigen Dingen
mit dem ausgesprochensten Mifstrauen gegenüberstanden.
Wir haben die Zerrüttung , in der sich dank dem Mifs-
regimente der ungetreuen Landdrosten das bisher mächtigste
tmd einäufgreichste der welfiachen Fürstentümer befand,
kennen gelernt. Friedrich Ulrich zeigte sich, auch naciidem
er den Bann dieser von ihm selbst eingesetzten imd grois-
gezügenen Willkür berrschaft gebrochen hatte, in keiner Weiae
als ein kräftigerer and einsichtsvollerer Regent als früher.
Zudem konnte er immer noch nicht den Verlust dea Fürsten-
tums Grubenhagen verschmerzen , das er gemäfs der kaiser-
lichen Entscheidung an das Lüneburger Ilaus hatte abtreten
müssen. Dieses selbst war in die drei Linien Celle, Dannen-
berg und Harburg gespalten, welche, wie wir gesehen, nicht
immer einträchtig zusammenhielten und von denen die weit-
aus bedeutendste, die celliache Linie, wiederum durch die
grofse Zahl ihrer Mitglieder und durch tinanzielle Nöte ge-
hemmt und in der Geltendmachung ihre.s Einäusses beein*
träcbtigt wurde. Der mächtigste FOrst des ganzen nieder-
sächsischen Kreises, König Christian von Dänemark, ward,
obächon ihn verwandtschaftliche Bande mit dorn woltenbüttel-
schcn Hause verknüpften , doch als Ausländer mit unver-
hehltem Milstrauen angesehen. Man argwöhnte, dafs er die
Absiebt habe, sich inmitten der allgemeinen Verwirrung der
Hansestädte, namentlich Hamburgs, zu bemächtigen, und
fürchtete aufserdem, dals auch er danach strebe, die Prinzen
seines Hauses als Administratoren in den Besitz der nieder-
päcbsischen Stiftei* zu bringen. So erklärt sich die Schwäche,
Zerialirenheit und völlige Mutlosigkeit, die sich schon nach
den ersten Erfolgen des Kaisers der niederdeutschen Fürsten
bemäuhtigt hatten.
Nur einer unter ihnen machte von dieser allgemeinen
Verzagtheit eine glänzende Ausnahme, und das war der
jüngere Bruder Friedrich Ulrichs , der zum Bischote von
Halberstadt postulierte Christian, der Lieblingssohn seiner
Mutter Elisabeth von Dänemark. Am 20. September 1599
auf Schlofs Groningen geboren, nahm Christian in der langen
Reihe der Kinder, welche Elisabeth ihrem Gemahle geschenkt
hatte, zwar erst die achte Stelle ein, da aber seine älteren
Geschwister bis auf den späteren Herzog Friedrich Ulrich
und den im Knabenalter verstorbenen Heinricii Julius sämt-
lich Prinzessinnen waren, so beruhete, als Friedrich Ulricbs
Ehe mit Anna Sophia von Brandenburg kinderlos blieb, zu-
nächst auf ihm die HoflFnung für den Fortbestand seines
Hauses. Wie allen Kindern meines Vaters ist ihm eine soi^-
fältige Erziehung zuteil geworden, die er dann durch Reisen
nach Holland und Dänemark sowie durch den Besuch der
von seinem Grofavater gestifteten Universität Helmstedt zu
vervollständigen suchte. Aber obschon er sich so eine filr
jene Zeit nicht ganz gewöhnliche Bildung erwarb , durch
welche er die meisten seiner fiirstlichen Standesgenossen
überragte , fühlte er sich doch schon als Knabe mehr zu
dem Waßen band werke und zu ritterlichen Übungen hin-
CfaräliBii der Halbentidter.
geEogen als xa den Büchern, und imter den roo ihm mit
Vof&he belrifbffnen Suadien Dahm duieni^ d« Politik und
Ooacbidite den ersten PUlx ein, t61% eataprecfaend dar
«ffinnB Hofinebtem erteilten Instruktion, welche diese anwie%
ihn „sa T^irferkest und beroiaclien Sechen, sonderiich >a
dem hoc age oder w&s sonst xa seiner Vocntion gehörig, na*
sohalten" and welche ror jeder anderen Lektüre „das Leeot
förtrefflicher Historien, wie Gominei, Gniccardini, Schlednni
de qQAttuor monarcbüs, Thucidides ond andere dergleichen"
dringend empfahl. Bei alle dem war ee fUr die Ana^estal-
tung von Christians Cbamkter ein verhängnisvoller MiTs*
stand, dafs sein Vater gerade in den eJitscbeidenden Jahren
intblge seiner last stetigen Abwesenheit von Prag aich nicht
personlich um seine Erziehung kununem konnte, sondern
diese der nur alhcu zärtlichen und nachsichtigen Mutter über-
lassen mufste. So entwickelte sich in der ehrgeizigen und
lebhatiten äeele des Jünglings jener trotzige, rechts verachtende
und doch von einem Schimmer romantischer Ritterlichkeit
getragene Sinn, der bald, die Sprossen edler Kräh über-
wachemd, sein ganzes Sein ond Denken beherrschen und
sein Geschick bestimmen sollte.
Zu Aot'aug des Jahres 1617 worde der damals noch
nicht achtzehnjährige Prinz, nachdem zwei seiner jüngeren
Brudei*. Heinrich Karl und Rudolf, welche seine unmittel-
baren Vorgänger auf dem bischöflichen Stuhle gewesen
waren, bald hintereinander in noch jugendlichem Alter ge-
storben waren, zum Administrator des Bistums Halberstadt
erwählt Trotz der Hofinungen, die man anfangs von ihm
h^te, wie man denn selbst auf katholischer Seite glaubte,
dafs der junge begabte Fürst „nach dem Laufe der Natur
von oben her und durch Schicksalsspruch*' zum Heile der
Unterthauen auf den bischöilicben Stuhl berufen worden sei,
ist seine Verwaltung weder für das Stift Halberatadt noch
für die ihm kurze Zeit daraul' gleichfalls überwiesene ehe-
malige Cistercienaerabtei Walkenried eine s^cnsreiche ge-
wesen. Streit und Hader mit dem Domkapitel, mehr noch
das traurige Unwesen der Kipper und Wippor, welches das
Hochstitt zu einer weithin verrufenen Räuberhöhle machtej
die Milsregicrung seines uaiahigcn und habgierigen Kanzlers
Anton von Wietersheim, des würdigen Genossen eines Anton
von der Streithorst, stürzten das Land in die äufserste Verwir-
rung. Den nach Kriegsthaten und Schlachtcnlärm verlangen-
den jungen protestantischen Bischof kümmerte das wenig.
£r halte schon im Jahre 1610 mit den böhmischen Ständen
über bei ihnen zu nehmende Kriegsdienste unterhandelt und
56
Erstes Qucb. Zweiter Abüchnitt.
nach Friedrichs Walil zum Könige von Böhmen diesem
wiederholte Anträge in ähnlichem Sinne gemacht. Im Som*
mer 1C21 finden wir ihn dann bei dem Piinzen von Oranieu
in den Niederlanden. „Er wolle sich vorbereiten", aclirieb
er bei seiner Abreise von Schöningen aus an seinen Oheim,
den König von Dänemark, j,anf allen Notfall f*iir daa Heil,
die Wohlfahrt und unschätzbare Freiheit seines lieben Vater-
landes als ein rechtschaffener Ritlersmann durch die gnädige
Hilfe und den Beistand des AUerhuchsten mit Ruhm und
Ehren ritterlich zu fechten". Woliin dies zielte, sollte sich
bald zeigen. Er machte hier, in Araheim, dem Oranier
und dem geächteten Friedrich von der Pialz das Anerbie-
ten, für den letzteren 1000 Reiter zu werben, und eÜte, als
sein Anerbieten angenommen wurde, alsbald in die Heimat,
um seine Rüstungen zu beginnen.
Die Beweggründe, welche den feurigen und thatendur-
stigen Welienlürsten veranlafsten, sich ungeachtet der Ab-
mahnungen seiner Mutter und seiner Verwandten kopfüber
in den Strudel eines unabsehbaren Kampfes zu stürzen,
waren sicherlich sehr gemischter Natur. Es läfst sich an-
nehmen, dafe die Verwaltung eines kleinen Landes, wie das
Stift Halberatadt war, seinem hochstrebeuden, ritterlichen Geiste
nicht genügte und dafs die Lust zu Abenteuern imd das
Verlangen nach kriegerischem Ruhme das ihrige dazu ge-
than haben, ihm das Schwert in die Hand zu drucken. Hat
er doch später seiner Mutter, die nicht müde wurde, ihn
von seinem verzweifelten Beginnen zurückzubringen , er-
widert: „Angehend dafs ich Lust zum Kriege habe, muis
ich bekennen, dafs ich es habe, denn es ist mir angeboren,
auch wohl haben werde bis an mein Ende.'' Dazu kam
der Anteil, den er an der Wendung der böhmischen Frage
imd an dem Schicksale des unglücklichen Pfatzgrafen nahm.
„Er sei", schreibt er an den Künig von Dänemark, „durch
Mitleid der betrübten Drangsalen, darin seine nächsten Bluts-
freunde von Römisch Kaiserlicher Majestät gesetzet und gar
aufs äufsei-ste verfolget würden, bewogen worden, einen
Rciterdienst dem Könige von Böhmen zu leisten und wie
ein junger Kavalier seine Dienste zu präsentiren." Ja es
ist eine bekannte Überlieftirung, dafs ihm vor allem die
heftige Leidenschaft, die er für Friedrichs GemaliKu EU-
Babcth, seine schöne und unglückhche Base, gefafst hatte,
bewogen habe, die Waffen zu ergreifen und seine ganze
Existenz in dem verzweifelten Spiele mit dem Kaiser und
dessen Verbündeten einzusetzen. „Tout pour Dien et ponr
eile" lautete der Wahlsj^ruch, den er auf seinen Fahnen
Seine VVaSeoerbebang.
St
führte, und man erzählt, dafs er ihren Handsctiuh aU £r-
innemngs- und Mnhnzeicheu stets an seinem Helme gc-
txagcB Labe. Mit diesem ideal - romantisohcn Anfluge und
den einzelnen Zügen von Grofsmut und füratlicher Gesinnung,
die von ihm überliefert sind, steht nun aber die Art uud
Weise, wie er den Krieg zu führen gedachte und dann
wirklich geführt hat, in schroffstem Widerspruche. Bei seinen
■vergleichsweise nur schwachen Mitteln sollte der Krieg selbst
ihm die Mittel gewähren, seine Söldner zu unterhalten und
weitere Truppen anzuwerben. Öo ist er neben seinem
Waffenbruder Mansfeld der Erfinder und erste Ausüber
jener schrecklichen, landverwilsteuden und volksverderbenden
Kriegfiilirung geworden, die dann Tilly und Wallenstein
sich aneigneten und zu einem berechneten Ausbeutungs- und
Pliinderungssystcme ausbildeten. Bezeichnend in dieser Hin-
sicht ist die Aiifserung, die man ihm in den Mund legt:
„Kr wolle sich mehr durch Schaden als durch Gutesthua
einen Namen macheu". Kein Wunder, dafs er noch heute
in Westfalen unter dem Namen „ der tolle Christian " be-
kannt ist.
Zu Ende September Ki'il hatte Christian zwölf Fähn-
lein Fufsvülk und zwei Keitercorneta, eine Streitmacht von
im ganzen 4000 Mann, beisammen, die er in Niedersacheeu
nod Westfalen zumeist mit holländischem Gelde geworben
hatte. Mit diesen brach er nach Kaftsel auf, wo die Ver-
einigung mit den übrigen Abteilungen des Üeei'ea, zu dessen
Oberfeldherru ihn Friedrich von der Pfalz bestellt hatte, er-
folgen sollte. Allein das unter Achatz von Dohna voraui-
gesandtc Fufsvolk wurde teils von den inzwischen durch
den nieder sächsischen Kreis aufgebrachten Truppen zer-
sprengt, teils verlief es sich auf dem Marsche. Mit seinen
Reitern wandte sich Christian nach Bielefeld , wo er die
Nachricht von der Auflösung seiue« Fufsvolkes erhielt und
wo er die gelichteten Reihen seines Heeres durch erneuete
Werbungen zu ergänzen suchte Als er dann von hier
gegen den Main zog, offenbar in der Absicht, sich mit Mans-
feld, der sich noch immer in der Rheiupfalz behauptete, zu
vereinigen, vertiaten ihm die auf die dringenden Hiliegeauche
de» Landgrafen Ludwig von 1 lesscn-Darmstadt herbeieilenden
Truppen der Liga tmter Jakob von Anholt den Weg und
nötigten ihn, nach Westfalen zurückzuweichen, wo er zu
Ausgang des Jahres IGül, sicher, dafs die Gegner ihm nicht
dahin folgen würden, in das wehrlose Bistum Paderborn
einbrach. Am 2. Januar 1622 bemächtigte er sich Lipp-
stadts durch einen Handstreich, am '21. Januar ward Soest mit
&H
Entsa Bach. Zweiter Abschnitt.
Sturm genommen^ und acht Tage später öffiaeto Ihm der
Verrat der grorsenteils protestantisch gesinnten Einwohner-
schaft die Thore von Paderborn. Das unglückliche Land
muCste nun eine Ausraubung ohnegleiclien über sich ergeben
ias»en. Galt es doch die durch MärBche und Gefechte zu-
flammen geschmolzenen Truppen wieder aut' eine achtung-
gebietende Stärke zu bringen. In Soest wurde — abge-
sehen von den Kontributionen, welche die Stadt aufzubringen
hatte — der Paderborner Domschatz im Werte von 330 000
Thalem, im Kloster Orlinghausen der gewaltige Erbscbatz
des verstorbenen Bischofs Dietrich von Fürstenberg, fünfzig
Zentner Silbers, dreiuiidsechzig Säcke mit Gold, ein jeder
ira Werte von 500 Reicliathalem, und viele wertvolle Kuust-
gegenstände aus Gold und Silber, geraubt, der Äbtissin
von Neuenheei-se die ungeheuere öurarae von 80UQ0 Tha-
lern abgeprefst. Schlimmer noch hausten die „ Landstörzer "
in Paderborn, der Hauptstadt des Landes. Hier wurde
nicht nur der katholisch gesinnte Teil der Bürgerschaft um
3000Ü Thaler gebrandschatzt, die Judenschaft geplündert
und das Jesuitenkolleg zur Erlegung von 1 0 000 Thalem
gezwungen, sondern alle Kirchen dor Stadt, in erster lieihe
die dem heiligen Liborius geweihete Kathedrale, in scham-
losester Weise ihres Kirchenschmuckes beraubt. Der silberne
Schrein des Heiligen , an dessen Seiten die Bildnisse der
Apostel aufgestellt waren, wanderte in die Münze, um hier
in Geldstücke umgeprägt zu werden, welche die UmschrÜlt
trugen : „Gottes Freund und der Piafifen Feind ". Unter
dem Hochaltare fand man eine mit 8000 Goldstücken, ein
jedes aochs Tbnler an Wert, gefüllte Kiste, im Kapitelhauae
raubte man 8000 Thaler. Das kostbare Taielgcschirr und
der sonstige Hausrat des Erzbischofa von Köln, der zugleich
Bischof von Paderborn war — man schätzte es auf über
lOUüO Thaler — wurde mit Beschlag belegt. Nicht einmal
das Grab des ehemahgen Bischofs Dietrich von Fürstenberg
ward verschont sondern erbrochen und daraus King und
Stab, die Symbole der bischöflichen Würde, entführt.
Mit den auf diese Weise zusammengoplünderten Schätzen
und den Brand schatzungsgeldern, die er dem benachbarten
Hochstilt Münster abprefste, wurde es Christian Tiicht schwer
sein Heer binnen kurzem so zu verstärken, dafs er zu An-
fang März — ungerechnet den Trofs von Knechten, Wei-
bern und Bändern — eine Tnippenmacht von über 20 000
Mann mustern konnte. Mit dieser brach er, nachdem er
vergebens versucht hatte, das kleine Ugistische Heer, da8
ihm unter Anholt nach dem Paderbornschen gefolgt war, zu
Ausraubung von Paderborn. Schlacht bei Höchst.
59
verdrängen, Mitte Mai aus dem völlig ausgesogenen Lande
auf und wandtf'- sich südwärts gegen die Wetterau, um einen
zweiten Versuch der Vereinigung mit dem ptlilzischen Heere
unter Mansfeld zu machen. Hier aber erreichten Um (am
20. Juni) hei Höchst in der Nähe von Frankfurt, als er
eben sich anschickte, über den Main zu setzen, die uber-
l<^ncu Streitkräfte, welche Tilly und Cordova von 8Uden
her heranführten. Vor der T 'hermacht der ligistischcn und
Bpaniscbeu Artillerie vermochten die Braunschweiger nicht
standzuhalten. lu wilder Flucht löste sich das Heer nach
kurzem Kampfe auf. Fast die Hälfte deckte das Schlachtfeld,
während Tausende unter den Tiümmem der zusammen-
brechenden Mainbrücke begraben wurden und in den Wellen
des Flusses ihren Tod fanden. Mit nur wenigen Iteitem
rettete steh Christian selbst über Darmstadt. I^i der Bei^-
strafse stiefs er zu dem ihn erwartenden Mansfeld.
Damit war die kriegerische Rolle des Halberstädtera zu-
nächst in Deutschland ausgespielt. Denn als er jetzt im
Verein mit Mansfeld die Belagerung von Zabern im Elsafs
unternahm, erreichte ihn wenige Wochen nach der Nieder-
lage bei Höchst eine Botschaft des Pfalzgrafen, welche die
beiden Heerführer aus dessen Dienst entliefs. Die Friedens-
verhandlungen, welche zwischen dem Kaiser und Friedrich
unter Englands und Dänemarks Vermittlung nie waren
ganz abgebrochen worden, schienen eben damaU zu einem
Abschlüsse zu gelangen. Der Pfalzgraf lief» sich bestimmen,
voreilig die Waffen aus der Hand zu geben. Er entliefs die
beiden Männer, welche allein für sein l^cht und seinen Be-
sitz eingetreten und heldenmütig gefochten liatten, um dann
zu spät einzusehen, dafs ihn die habsburgische PoUtik über-
listet und betrogen hatte. Christian von Braunschweig und
Mausteld wandten sich jetzt nach Lothringen und traten
echliefslich in die Dienste der General Staaten. Bei Fleurus
trafen sie auf das spanische Heer unter Coi*dova und Ver-
äugo. Mit glänzender Tapferkeit , wenn auch nicht ohne
schwere Verluste, schlugen sie sich durch die überlegenen
Feinde. Chri.stian, der in dieser Schlacht am linken Arme
verwundet ward, so dofs er sich einer Amputation desselben
unterwerfen raufste, bewährte sich hier als verwegener Reiter-
fuhrer, dem man die Durchbrechung des kriegsgehärteten
Boanischen Fufsvolks verdankte. Ein damals entstandenes
Volkslied singt von ihm, wie er „mit blofeen Armen" kühn
in den Feind gesprengt sei, „sein Schwert in der einen,
Bein Pistol in der anderen Hand ''.
Inzwischen vollendete Tilly die Eroberung der Pfalz, die
«0
Erstes Buch. Zweiter Abschnitt,
von den ciuheimiächeu Streitkräften nur schwach verteidigt
wurde. Der Fall von Heidelberg, Mannheim und Frankenthal
besiegelte die Unterwerfung des Landes unter den Willen
und dnä Gebot des Kaisers^ der jetzt dazu achritt, sein
Maximilian von Bayern gegebeues Wort inbeaug auf die
Verleihung der ptalziachen Kurwürdo einzulösen. Aul' dem
fast nur von katholischen Heichsständen besuchten FUrsten-
tage zu Uegensburg (Dezember lü22 bis Februar 1G23) er-
folgte nach sechöwöciientlichen Verbandlungen trotz des
Widerspruches der brandenburgischon und sächsischen Ge-
sandten die Übertragung der Kur auf Bayern. Es war
ein Gewaltsti-eich, der, indem er das bisherige Verhältnis
der protestantischen und kaLholischon Stimmen im Kurfürstea-
koUegium zugunsten der Katholiken verschob und die Reichs-
verfassung in einem ihrer wesentlicliaten Punkte verletzte,
in allen protestantischen Ländern als schwere Drohung em-
pfanden werden mufste und überall die bange Besorgnis
vor ähühcher Vergewaltigung erweckte, wie sie soeben dem
ländorloseu Böhmenkönige widerfahren war. Auch die Stände
des niedersächaiöcben Kreises sahen sich davon auf das pein-
lichste berührt, um so pcinhchor, als es schien, dafs gerade
ihr Gebiet zum Kampfplatz für die feindlichen, noch immer
im Felde stehenden Heere worden würde. Denn während
ringsum die kaiaerÜchen Armeen in bedrohlicher Nähe stan-
den, erschienen, von den Niederlanden heranziehend, auch
Chi-istian von Halberstadt und Mansield wieder an den Gren-
zen des Kreises. Jener betrieb in den Bistümern Paderborn
und Münstei*, dem Schauplatze seiner früheien Brand-
schatzungeu und Erpressungen, von neuem seine Werbungen,
während Mansfeld im Einverständnis mit den Niederländern
sich im Fürstentum Ostfrieslaud einlagerte, wo er durch be?-
spielloBü Bedrückung das Volk zur Verzweiilung brachte,
durch den von ihm selbst herbeigeführten Mangel au Nah-
rungsmitteln und verheerende Krankheiten aber auch die
Hälite seines Heeres einbüfste. Unter diesen Umständen
schien sich selbst der bisher so zügeiude und schwankende
niedersächsische Ki'eis zu einiger Eoergie aulztiraffen. Auf
dem Kreistage zu Braunschweig (Februar 1633) beschlofe
mau nicht nur die Truppen, welche Herzog Wilhelm von
Weimar geworben hatte, 6000 Mann zu F^ufs und 2000 Rei-
ter, in Dienst zu nehmen, sondern noch weitere 7000 Mann
zu Fufs und 3000 zu Kola aufzustellen. Den Oberbefehl
über diese ^tieitraacht sollte Georg von Lüneburg führen,
der sich seine Sporen in den Niederlanden unter Moriz
TOD Oranicu und Spinola verdient, dann im dänischen Ilecre
ChristwD rm CHenste des niedenüchsisebeD KrdMft.
«t
ernste Kriogsscimle durchgomacbt hatte und hier tarn
erstenmale bedeutsam in die politischen und kriegeriachen
■Wirren der Zeit eingreift
DioGC MaTsregeLn eut Aufrechterhaltung einer Iwwaffiieten
r^2^eutralität seitens des niedersächsichen Kreise» »ehienen in-
les ihren Zweck zu verfehlen. Gerade zu der Zeit, da die
Stünde in Braunschweig tagten, machte sich Christian von
Balberstadt durch die Besetzung der Übergangspunkte
fiber die Weser, namentlich Höxters und Hinteins, zum
Herrn dieses FJassee und seine Tnippen breiteten sich in
den Gratschaflen Hoya und Diepholz aus. Ein Zusammen-
stofs mit den Kreistruppen unter Herzog Georg schien un-
vermeidlich. Da gtlang es der Slutter des Halberstädters,
eine Verständigimg des letzteren mit seinem Bruder, dem
regierenden Herzoge Friedrich L'irich, herbcizufiihron und
den kriegslustigen Sohn für die Bestrebungen des Kreises
zu gewinnen. Auf dem Calenberge kamen beide Brüder
zusammen, und hier versprach Christian, von seinem Bünd-
nisse mit dem ,, Könige Friedrich" und dem Grafen von
Mansfeld abzulassen, mit seinen Truppen in den Dienst
seines Bruders zu treten und dem niwlersächsi sehen Kreis-
obersten — ohne indes seinem Befehl untei^ordnet zo sein —
getreulich Assistenz zu leisten. Ziigleich betrieb Friedrich
Ulrich im Verein mit dem Könige von Dänemark Christians
völlige Aussöhnung mit dem Kaiser. Sie bericliteten ihm
über den Caleuberger Veitrag, hobeji hervor, dals nun, da
er sich von Mansfeld getrennt habe, der Kaiser und die
katholische Partei nichts mehr von ihm zu besorgen hätten,
versprachen die allmäldiche Ablohnung seiner Truppen und
erbaten Ferdinands Verzeihung iür ihn und seine Belasaung
im Besitze von Halberstadt.
Allein dieser Versuch, durch einen Ausgleich zwischen
dem Kaiser und dem trotzigen Baudeniuhrer die Kriegs-
gefahr von den Grenzen des Kreises fernzuhalten, scheiterte
an der Unbotmäfsigkeit und dem Mifstrauen des letzteren.
Bald sollte sich zeigen, wie wenig ernst seine Vers]>rechungen
gemeint waren. Kaum in den niedcrsäcbsischen Kreis auf-
genommen, kaum mit seinen Truppen in den Stiftern Hildes-
heim und Halberstadt eingelagert, begann er jene durch er-
neuete Werbungen zu verstärken. Zu ihm ßtiefscn die
Banden der kriegslustigen Herzöge Wilhelm von Weimar
und Friedrich von Altenbui^. Bald liatte er wieder ein
stattliches Heer , dessen Bestand wohl Htwas zu hoch auf
20 OOO Mann angegeben wird , unter seinen Fahnen ver-
einigt Die Einlageining so bedeutender Truppenmassen und
Ences B«cli. ZvciMr Afcttliiiitt.
die zweideutige Haitung ihres Fähren crf&Utea die nieder-
•ifcchaUcben Kreiaetäode mit Argwohn «uid Beeorenia. Bei
der Zeriahrenbeit und Uneinigkeit, die unter ihnen nerrscHte,
■ftben lie sich durch die Macht der Verhällniaie zu einer
£ntBcbeiduog gedrängt, die sie doch unter allen Umstüuden
veruiieden sehen wollten. Ein am die Mitte Mai nach
Oardelegen beruiener Kreistag diente nur dazu, die unter,
ihnen herracfaendc Koptli^sigkeit und ATerzagtheit aller Welt
sni ofTcnbai en. Man glaubte durch Abmachungen . Bitten
und Vorstellungen nach beiden Seiten hin, an den ver-
wegenen Heerluhrer und den Kaiser, den drohenden Sturm
beschwören uud die Gefahr eines Zusammeustolses der teind-
lichen Mächte innerhalb des Kreises abwenden zu können.
Denn inzwischen hatte auch Tilly^ durch Christians Rüstun-
gen beonnihigt, seine Truppen von der Wetterau her durch
Hessen gegen die Grenzen des niedersächsischen Kreises
vorgeschübeu. Der letztere sah sich jetzt, ohne selbst über
nennenswerte Streitkräfte zu verfügen, vor die "Wahl ge-
stellt, i>b er den drohenden Forderungen des Kaisers uud,
des iigistischen Generals sich fügen* oder Land und Leute '
für das ßüuduis mit einem abenteuernden, in offener Auf-
lehnung g^'gen die kaiserliche Autorität verharrenden, von
seiner eigenen Familie preisgegebenen Fürsten einsetzen
wollte. Auf dem in Lüneburg im Juni und Juli abgehal*
tenen Kreistage wurde diese Frage noch einmal gründlich
erwogen. Ganz in dem Sinne früherer Verhandlungen
glaubte man einen Ausweg gefunden zu haben, indem man
einerseits von Christian verlangte, er solle unverzüglich
sein Heer abdanken oder den Kreis verlassen, andererseits
an Tilly die Forderung stellte, die Grenze Niedersachsens
nicht zu überschreiteu und die Drohung hinzuiügte, im Fall
des Widere trcbens vun einer Seite die Krcistruppcu mit
dem betretenden Gegner zu gemeinsamer Abwehr vereinigen]
KU wollen.
Christian hatte, noch ehe diese Aufforderung der Kreis- 1
stände an ihn gelangte, beschlossen, seine bisherigen Stand-
quartiere zu verlassen. Er scheint einen Augenblick daran
gedacht zu liaben, nach Böhmen durchzubrechen, das sich
noch immer in einem Zustande gährender Unzufi-iedenheit
befand. Als ihm aber der Kurliirst von Sachsen den un-
gehinderten Durchmarsch durch sein Land über Dresden
verweigerte, wandte er sich südwärts, überstieg den Harz
und lagerte sich zwischen Gieboldehausen und Nordheim.
Über Wanfried, Treffurt, Elschwege und AUendorf zog Tilly
mit seinem Heere heran und nahm sein Hauptquartier m <
Schlacht bei Stadtlohn.
(;ä
Duderstadt auf dem Eichst'elde. Längere Zeit standen sich
60 die beiden Heere beobachtend gegenüber. Es kam zu
verschiedenen Scharmützeln, in dienen der Vorteil bald auf
die&er, bald auf jener Seite war. Am Fufse der Pleaae
sprengte der Uerzog eine ligi»tii§cho Keiterabteilung unter
Franz Albrecht von Sachsen- Lauenburg auseinander und
erbeutete sieben Fahnen , wiihi-end Tilly sich vei^ebens
Mündens zu benijichtigen suchte, dagegen das von zwei
Koiupagnieen brauuschweigiacher Dragoner verteidigte Suhlors
Friedlaud zur llbergabe uütigte. Eben jetzt eröohienon die
Abgesandten der niodersachaiachen Stände in dem Lager
beider Heenuhrer, um ihnen die Beschlüsse des Lüneburger
Tages mitzuteilen. Dies bestimmte Cliristian, die bisher be-
hauptete Stellung aufzugeben und sich nach \\'estialeu zu
wenden, nicht ohne vorher in einem vom II. Juli datierten
Schreiben dea uiedereäcbsischen Kreisstäuden in beredten
Worten ihren Kleinmut vorgehallen und warnend auf die
unausbleiblichen Folgen desselben hingewiesen zu haben:
,ySo niufs ich es Gott und der Zeit empfehlen^ dafä man
mich hilllos läfst, meine Regimenter niederlegt und, unbe-
kümmert um die Verheeruug des bra mi sc hweigi sehen Landes,
alles einem feigen Frieden für den Kreis opfert"
In der ersten Hälfte des Juli, wenige Tage nach diesem
Schreiben, brach er auf. Seine Absicht ging dahin, sich
entweder mit Manslcld zu vereinigen oder abermals bei den
Qeneral Staaten Dienste zu suchen. Bei Bodenwerder über-
schritt er die Weser. In Lemgo erliefs er am 18. Juli eine
Kundgebung , in wchdier er, um das Bistum Halberstadt
vor der Hache der Kaiserlichen zu schützen, feierUch auf
den Besitz desselben zugunsten seines Vetters Friedrich von
Dänemark verzichtete. Schon war ihm Tilly, der zwei
Tage später seine Stellung verlaaseu, die Umgegend von
Göttingen verheert und dann bei Corvey über die Weser
gegangen war, auf den Fersen. Im Münsterlande bewerk-
stelligte er seine Vereinigung mit Anholt, wodurch er eine
dem Halberstädter weit überlegene Sireitmacht zusammen-
brachte. Nachdem er dann den Übergang über die Ems
erzwungen hatte, traf seine Vorhut bei Steinfurt zuerst auf
die abziehenden Halberstädter. Von hier bis Stadtlohn ward
das Heer Christians in einer Reihe von Scharmützeln und
Rückzugsgefechten vollständig zersprengt. Der letzte und
bedeutendste dieser Kämpfe fand bei Stadttohn statt. Hier
ward der Rest des protestantischen Heeres überwältigt:
6Ü0O fieleo fechtend, 4000 gerieten in Gefangenschat t. Alles
Geschütz, neunzehn grobe Stücke mit ihrer Munition, 3000
«4
Erstes Bucb. Zweiter Abschnitt
Pferde, zwei Silberwagen, fünfmidachtzlg Fähnlein und Beck-
zehn Cornets wurden eine Beute der Sieger. Mit kaiuu 2000
Mann entkam der Herzog äolbat dem Gemetzel. In Be-
gleitung einiger seiner WaffengenosBen, unter denen sich der
später ao berühmt gewordene Bernhard von Weimar be- '
fand, rettete er sich nach Amheim auf holländisches Gebiet
Nach dem Abzüge Christians aus dem uiedersächsischen
Kreise gestaltete sich hier die Lage der Dingo nur noch
trostloser und zerfahrener. Zu spät sollten jetzt seine
Mitglieder erkennen , dafs die schwächliclie Politik der
Neutralität, der sie huldigten, sie nicht vor den Lasten und
Greueln des Krieges schützen und nach der Vernichtung des
einzigen Heeres, welches Norddeutachland gegen die Keaktions-
gelUßte des Kaisers und der Liga hätte verteidigen können,
ihnen knura etwas anderes übrig bleiben würde, als sich
bedingungslos der Gnade der Sieger zu unterwerfen. Es
trat sofort zutage, dafs weder der Kaiser noch der ligistische
Feldherr gesonnen sei , die Neutralität des Kreises an-
zuerkennen. Drohend stand Tilly in Westfalen, wo seine
Regimenter die gröfseren Städte besetzt hielten. Jetzt brachte
er die wichtigen Weser Übergänge bei PoUe und Minden in
seine Gewalt und schob seine Truppen bis an die untere ^J
Elbe vor, wo er sich unter arger Verwüstung des unaliegen- ^|
den Landes der stax'ken Festung Stade bemächtigte. Es ging ^^
das Gerücht, dafs in Paderborn bereits die Wappen gemalt
würden, durch deren Anheftung der Kurfünst von Köln von
dem seit der Stiftsfehde gr^ifstenteils out dem Fürstentuuie
Wollenbüttel - Calenberg vereinigten Hochstiite Hlldesheim
Besitz zu ergreifen gewillt sei. Die Mannschaften des tilly-
schen Heeres machten kein Hehl daraus, dafs sie zur Be-
setzung der Bistümer Magdeburg, Hildeaheim und Halber-
atadt bestimmt seien und im Fürstentume Wolfeubüttel die
Winterquartiere zu nehmen gedächten. Der ligistische Ge-
neral selbst verlangte tür die Verstärkungen , die ihm aus ^J
Süddeutschland zugeführt wurden, namentlich iur ein Re- ^H
giment von 3000 oberdeutschen Knechten unter Colalto, ^1
freien Durchzug durch das Gebiet des niedereächsischen
Kreises, ja er stellte geradezu die Forderung, dafs der letz-
tere die von ihm geworbenen Truppen zur Vcrti-eibung
Mansfelds aus Ostfriesland und zur endgültigen Niederwerfung
der Holländer, die noch immer gegen die Spanier in WaflFen
standen, ihm zur Verfügung stellen sollte. Die Klagen und
Vorstellungen , welche die niedersächsischeu Stände im ligi-
stischen Feldlager erhoben, erwiesen sich als ebenso fruchtlos
wie die diplomatischen Versuche, Karsachsen für ein gemein-
Wachsende Drangsale des fdedersächsischea Kreises.
«Ö
eames Vorgehen zur Verteidigung der Reicbslibertät und des
evangelischen Glaubens zu beatiramen, und wie die Abordnung
einer Geaandtscbail an den kaiserlichen Huf. Wohl nahm
Ferdinand IL die Versicherungen der T reue , Ei^benheit
und inediertigen Gesinnung, welche ihm diese Leute über-
mitteln sollten, gnädig entgegen, aber eine wirklich beruhi-
gende Eiklärung vermochten die Abgesandten weder inbezug
auf die dem Kaiser zngeschncbene Absicht, die in den
Händen der Protestanten beKndlichen BiatUmer zurUck-
zuturdern^ noch auch über den baldigen Abmarsch der kaiser-
lichen Truppen aus den von ihnen besetzt gehaltenen Ge-
bietsteilen dea niedersächsischen Kreises und von dessen
Grenzen zu erlangen. Die emeueten Kriegsrüstungen, welche
die Stände im August 1623^ bald nach dem Treffen von
titadtlohn, aui einem Kreistage zu Uraunschweig beschloBsea
hatten, blieben völlig anzureichend Es fehlte ebenso
sehr an Geld wie an gutem Willen, vor allem aber an
einem einmütigen Handeln. So wenig bewährte sich jetzt,
zumal gegenüber solchen kriegerischen Verwickelungen, das
unbehili liehe Institut der von Maximilian l. geschaffenen
Kreis Verfassung, dals die nicdersäehsischen Stände, schLiefa-
lich an allem verzweifelnd, beschlossen, die Rüstungen ganz
einzustellen und die unbedeutende Kriegsmacht, welche sie
zusammengebracht hatten aber nicht zu ernähren ver-
mochten, zu entlassen. Mifsmutig legte Herzog Christian
von Lüneburg das ihm anvertrnuete Amt eines Kreisobersten
nieder, wahrend sein Bruder Georg , der bisherige Ober-
befehlshaber der Kreistruppen, den Mahnungen seines gut
kaiserlich gesinnten Schwiegervaters, des Landgrafen Ludwig
von Hes-sen, folgend sich wieder nach Schlofs Herzberg in
sein früheres Stillloben zurückzog.
Noch war der Kriegsstunn nicht über Niedersachsea
hereingebrochen, und schon machten sich hier, namentlich
auch in den weifischen Gebietsteilen, Zustände geltend, die
beim wirklichen Ausbniche des Krieges kaum hätten
schlimmer sein können. Eine erschreckende Mutlosigkeit
hatte sich der Bevölkerung bemächtigt. Das Schicksiil Ost-
fricslands, wo Hunger und Pest die Bürger und Bauern
schareuweis zur Auswanderung trieben und wo eine secha-
monatliche Einlagerung der Mansfeldischen Soldateska genügt
hatte, die Zahl der Einwohner auf ein Fünfteil dea früheren
Bestandes herabzumindern, schien auch den niedersächsischen
Landschaften bevonsustehen. Der schon arg geschädigte
Wohlstand des Volkes schmolz unter dem schweren Drucke,
den der Unterhalt der &omden Kriegsbanden ausübte ULudL
BafBCBKBo, Bnaaseliv.-huBAT. GwcbUhi«. m. ^
60
Erstes Buch. Zureiter Abschnitt.
der lähmecd auf jede Gewerbatbätigkeit zurückwirkte, völlig
dahin. „Bei jetzigem zerrütteten Zustande", scbrieb Chri-
stian von Celle im Mai 1624 an den Kaiser, „sind Kur-
fürsten, Füi'sten und Stände, die kathüliächen wie diejenigen
Augsburger Konfession, bis auf den Grund erschöpft: die
Kommerzien sind gesperrt, Handel und Wandel lalim gelegt,
der Herrschaften und yntei*thaneu Inlradeu und Veruaögen
zeiTüttet." Vierzehn Amter waren im Fürstentume Lüne-
burg völlig öde und verwüstet: die Felder lagen unbestellt,
ihi"e BevölkeiTing hatte sich verlauten. Jenseits der Weser
war schon im Beginn des Jahres 1624 alles aufgezehrt. In-
folge der Kontributionen, welche Tilly nach anlanglicJier
Selbstverpflegung seiner Truppen eintrieb, bei den noch
immer sich iüblbar macheuden Nachwehen der Müuzwirren
stiegen die Getreideprcise zu unerschwinglicher Hübe. Die
Unsicherheit im Lande wuchs in erschreckender Weise. Viele
Bauern verliefsen, zur Verzweiflung getrieben, Haus und
Hof und irrten wegolagernd im Lande umher. In dem Adel
lebte die alte, kaum gebändigte Raublust wieder auf. Es
half nichts , dafs man einzelne dieser „ Streiter " fing und
aufs Rad flocht. Oft raufsten ganze Dörfer durch Glocken-
schlag zur Verfolgung dieses verwegenen Raubgesindels auf-
geboten werden. Schon damals wurden Klagen über die ia
früher unbekanntem Mafse zunehmenden öelbstinorde laut
„Die Unterthanen ", sagt derselbe Herzog von Celle, „stui-zen
sich ins Wasser, verJasscn Haus und Hof und wandern mit
Weib und Kind hinaus ins Elend."
Und doch sollte dies alles nur ein Vorspiel gröfseren
£llendea und heilloserer Zerrüttung sein. Eben damals kam
das grofse nordische Bündnis gegen das Haus Osterreich
und den Kalholizismug zustande, an dessen Herstellung die
dem letzteren feindlichen Mächte seit dem Segeberger Kon-
grosse unablässig, wenn auch bislang mit geringem Ertblge,
gearbeitet und zu dessen Herbeiiiibrung so viele Unter-
handlungen, Korrespondenzen und Beratungen stattgefunden
hatten, Englarid trat jetzt nach dem Tode Jakobs l. und
nach dem Scheitern der Unterhandlungen über eine Heirat
seines Nachfolgers Karls 1. mit der Infantin von Spanien,
von welcher man längere Zeit eine Wiederherstellung des
Pfalzgrafon auf friedlichem W^ege erhofft hatte, aus seiner
bisherigen Zurückhaltung heraus. Am 6. Dezember 1625
kam im Haag ein Bündnis zwischen England, Dänemark
und den General Staaten zur Abwehr der kaisorHchen Über-
macht in Norddeutschland und zur Verteidigung des nieder-
eächsichen Kreises zustande. £önig Ohi'istian von Däne-
i
J
mark, auch von Frankreich zu diesem Kampfe ermutigt,
von Holland und England mJt Geld unterstützt , iiberualim
e», ein Heer zu werben, welches die Truppen Tillys aus
Niedersachsen vertreiben, Norddeutschland befreien und die
bedrohliche Übermacht des Kaisers und seiner Verbündeten
niedenverfeu sollte. Er hatte sich bereits früher einen be-
stimmendt^n Einflufs auf die niedersächsi sehen Stände zu
sicliera gewufst. Auf dem Kreistage von Lüneburg war er
im Mars 1G25 statt des zurilckgetreteueu Chi-istiau von Cello
zum Ki'eisobersten erwäldt worden, doch erst, nachdem
Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel aus Rücksicht auf den
Kaiser, der ihm seit der WafFenerhebung seines Bruders mit
seinem Mifwüiiuen verfolgte, abgelehnt hatte. Zwei Monate
später, im Mai, bescldofa man dann auf einem weiteren
Kreistage zu Braunschweig die Aufstellung einer Kreisarmee
von 10 000 Mann zu-Fufa und 3000 Reitern, deren Unter-
haltuug die Stände übernahmen luid deren Führung d«m
Könige von Dänemark übertragen ward. Ein Schreiben
Tillys, in welchem er betonte, dals laut dem Reichsabsclnede
zu Öpeier im Jahre 1570 alle dergleichen Rüstungen der
Genehmigung des Kaisers bedürften , bHeb unbeantwortet
Den letzteren selbst suchte man durch die Versicherung zu
beruhigen , dafs die beschlosseneu Werbungen nur ein Ver-
teidigungswerk seien und ledigUch die Beschützung des
Kreises sowie die Aufrechthaltung des Religionsfiiedens zum
Zwecke hätten.
Unbeirrt durch diesen Schein friedlicher Absichten, ant-
wortete Kaiser Ferdinand auf das „ Defensionswerk " der
niedersächeischen Stände mit einer kriegerischen Mafsregcl
von weit gröfserem Umfange und Gewicht. Was er bisher
erreicht hatte, verdankte er im wesentlichen den kriegerischen
Erfolgen des bayerisch-ligistischen Heeres unter Tilly. Jetzt
schien es ihm der sich bildenden nordisch - protestantischen
Koalition gegenüber an der Zeit, ein eigenes, in seinem
Namen kämpfendes Heer aufzustellen. Diese Aufgabe über-
nahm Wallenstein, ein in seinen Diensten stehender böh-
mischer Edelmann, der vom ProtestantiHmus zur alten Kirche
zurückgetreten war und sich im böhmischen Feldzuge gegen
Friedrich von der Pfalz sowie gegen Bethlen Gabor in
Ungarn und in Schlesien gegen den Markgrafen von Jägem-
dorf ausgezeichnet hatte. Nach vier Wochen waren 20000
Mann unter seinem Oberbefehl beisammen , ein iurcht-
erregendes Volk, zum gi-öfsten Teil altgediente Kriegsknechte,
bereit, ihm zu folgen, wohin der Kaiser sie schicken würde.
So trat die katholische Partei, an ihrer Spitze das Haupt
5*
68 Erstei Huch. Zweiter AI
de« deutschen ReiL-hes^ in den !*ich vorbereiteudeu Kainjjt
mit zwei mäcbtigen Heeren ein, von denen rlaa lig^stisebe
von der inittiereu \\'eM;r g^'o^'* ^^*^ Nürüaee, das kaiserliche
dagegen unter Wallen&lein von der mittleren Klbe, als rechter
Flügel der grofsen kriegerischen Gesamt kombination , gegen
die Ostsee vordringen sollte. Solchen gewaltigen Hiistungen
gegenüber waren indes auch Christian von Dänemark und
dessen Verbündete nicht miiisig. Sie suchten sich durch die
Scharen Manstclds und Ohriiitiaaä von Brauuschweig, welche
eben damals im Dienste der Geueralstauten das von Spinola
belagerte Breda vergebens zu entsetzen bemühet waren, zu
verstärken, lu der Mitte des ÖümiuerB waren die beiden
Bauden Itihrer wieder auf deutschem Boden. Vom Nieder-
rhein her, an Münster vorbei, erreichten sie, von dem li-
gistischen Obersten Anholt gedrängt, glucklieft die Grat"s4^-l»aft
Diepholz, wo sie ilire Verbindung mit dem dänischen Heere
herstellten. Hier trennten «ie sich. Christian stellte sich mit
den Reitern, die er noch beisammen hatte, unter den Ober-
betehl seines Oheims, des Däueukönigs, Mausl'eld dagegen
lagerte sich mit seinem Volke in dem ürzstift Bremen ein.
Damit fiel ihm die Aufgabe zu, ^^'"allenstein und dessen
Heer zu beschäftigen und von einem operativen Zusammen-
wirken mit Tilly abzithalten. In geschickter Weise hat er
sich dieser Aufgabe entledigt. Von Wallenstein an der Eib-
brücke bei Dessau zurückgewiesen, wandte er sich nach der
Mark Brandenburg und brach vun da in die kaiserliehen
ErbUnde ein, um sich in Ungarn mit Betblen Gabor zu.
vereinigen. Dahin mufste ilim der kaiserliche General wider-
willig folgen. Er hat au den entscheidenden Ereignissen in
Niedersachseu keiueu Anteil mehr nehmen können.
Hier war inzwisclieo das dänische Heer, von dem Könige
in Person geführt, eingerückt. Mitte Juni (1625) überschritt
Q8 bei Stade die Elbe und wandte sich über Verden nach
Hoya^ von wo ea über Nieubui'g und Stolzenau die Weser
aufwärts zog. Beim Kloster Lokkum auf der Heide, wo
7000 Kreistruppeu zu ihm stiefsen, musterte Chrietian seine
Sti-eitmacht. Am 24. Juli hielt er seinen Einzug in Hameln.
Vier Tage darauf (28. Juli) ging auch Tilly, der entschlossen
war, die wichtigen Weserpäase nicht in die Hände der Dänen
fallen zu lassen, bei Höxter über den Flufa und nahm sein
Hauptquartier zu Holzminden im Herzogtume Wolfenbüttel,
auf nie der sächsischem Boden. Damit war der Krieg erklärt,
der alsbald über die weifischen Lande alle Schrecken einer
unerhörten Verwüstung ergiefaeu sollte. Gleich im Beginn
kündigte sich dieser Charakter desselben an. Vor den U-
Der nledenScbBisclie Krieg.
69
gistischen Scharen, den „papistischen Bluthumieo", die eicli
von Iluster aus in kleinen Abteilungen über das Land ver-
breiteten, flohen die Bauern, ihre Habe mit Rieh »rhlcppond,
in die Wälder. Auf" die beweglichen Bitten Friedrich Ul-
richs, sein Land mit unerschwinglichen Schätzungen zu vcr-
schonen, hatte der h'^^istische Feldherr geantwortet: „seine
Soldaten könnten nicht gleich Vögeln über ein Land hin-
wegfliegen". Über den SoUing vordringend, tieleu die
erbanuungalosen Feinde in die Ämter Erichsburg und
Wickensen. Alle Dörfer dort und am Vogler wurden ver-
wüstet und ausgeplündert, nicht nur wer sich zur Wehre
setzte, sondern auch harmlose Flüchtlinge erschossen. Wie
die ganze Umgegend ward aucli das ehrwürdige Kloster
Amelnngsborn ausgeraubt und verderbt, Dassel im Fölling
verwüstet, Hathaus, Kirchen und Wohnhäuser zerstört. Im
Amte Springe gingen sieben, im Amte Wölpe elt" Dorfer
gröfatenteiU in Flammen auf. Bisperode, Hilwardshausen im
Amte Erichsburg, der Flecken Kodenberg im Amte Neu-
ßtadt, der letztere mit 16H Wohnhäusern, sanken in Asche.
„Es sind" — so schreibt der Fürst des unglücklichen Lan-
des über diese Vorkommnisse an den Kaiser — »die wehr-
losen Leute in ihren Häusern, auf "Wegen, im Walde und
im Felde überfallen und mit Weib und Kind erbärmlich
niedergehauen worden, weder Kindbetterinnen noch Säug-
linge haben Öchouung gefunden, Pfarrer hat man erschlagen,
Insassen von Siechenhäusem gemordet, Fi*auen die Zunge
ausgerissen oder aulgespalten , Männern härene Stricke um
die Köpfe gewunden und mächtig zugezogen, um das Ge-
Ifltändnis des Versteckes von Schätzen zu erpressen. Amter
^ und Klöster , Städte , Schlösser , Flecken und Dörfer sind
ausgeplündert, die Kirchen geschändet, Kelche und Mon-
Btrauzen gestohlen, Taufsteine und Altarbibeln mit Unflat
beschmutzt, Bibliotheken verbrannt, Frauen und Jungfrauen
auf offener Strafse geschändet. Ein Teil meines Fürsten-
tums, zwölf Meilen in der Länge, sieben in der Breite, liegt
gänzlich verheert." Ilie und da fanden die Truppen Tillys
bei diesem barbai'ischen W^üten wohl ^Videl'8tand, wie in
liemmendorf , Poppenburg , Bodenwerder und Elze , allein
die« blieben nur vereinzelte, aus dem Volke selbst hervor-
gegangene Versuche, sich der fremden Soldbanden zu er-
I wehren, Friedrich Ulrich und seine liegierung verharrten
in der von ihnen angenommenen Politik, welche halt- und
ratlos zwischen den zum Kampfe gerüsteten Gegensätzen
hin- imd herschwonkte, weil sie der Schwäche und C^tv'c^-
inacht ihrer Natur entsprach. Man \&V\.ti <it^«.\Ve.\\. 'e^wi.
70
Erstes Buch. Zweiter Abscbnitt
dafs Chnstian von Dänemark zum Schutze des seiner Obhut
an vertrau eten Landes das Wagnis einer Feldschlacht nicht
scheuen würde. Aber ein Zufall verhinderte, dafs es dazu
kam. Wenige Tage nach seiner Ankunit in Hameln (30. Juli)
stürzte der König bei Besichtigung der Wülle mit seinem
Pferde in eine tiefe Grube, aus der man ihn sprach- und
bewufstloä hervorzog. Der Uufail hatte Itir ihn keine wei-
teren persönlichen Folgen, aber er lähmte die Operationen
seineä Heeres, welches jetzt auf demselben Wege, auf dem
es gekommen war , den Rückzug antrat. Sogleich ging
Tilly zum Angriff über, besetzte Hameln und Stolzenau
und lagerte sich vor Nienburg, welches indes von dem in
dänischen Diensten stehenden Herzoge Johann Ernst von
Weimar entsetzt ward. Das Land sah sich zugleich durch
die Banden Wallensteins bedrohet, denn noch machte sich
der Kinduis von Mansfelda Operationen auf diesen nicht
geltend. Über das Eichslbld zog der kaiserliche Feldherr
heran, ging bei AUendort über die Werra, verwüstete das
Amt Friediand und breitete sich, Göttingen und Kirabeck
beiseite lassend, im Leincthale aus. Bald jedoch wandte er
sich ostwärts, um sich der Hochetitter Halberstadt und
Magdeburg zu versichern, und iiberliefs dem ligistischen Ge-
nerale allein die Weiterfiilirung des Kampfes. Dieser be-
mächtigte sich darauf nach kurzer Belagerung der Feste Ca-
lenberg, sprengte bei Seelze eine ieindliche Abteilung unter
Fi-iediich von Ältenburg und übentraut auseinander und be-
di'ohete Hannover, in dessen Besetzung ihm aber die Dänen
zuvorkamen.
Da die Nähe des Winters für den Augenblick jede
weitere gröfsere Truppenbewegung verbot, trat ein Waffen-
ßtillstand ein, welchen die niedersächsischen Kreisstände zu
einem letzten Versuche benutzten, durch Verhandlungen mit
dem Kaiser und dem dänischen Könige, den beiden Mäch-
ten, zwischen denen sie hilf- und ratlos eingekeilt erschienen,
den Frieden herzustellen. Man rief die Vermittlung Kur-
sachsens an und lud den kaiserlichen und ligistischen Feld-
herrn ein, sich bei den Verhandlungen durch Abgeordnete
vertreten zu lassen. In Brnimschweig trat um die Mitte
des November der Friede nskongrefs zusammen. Er führte
zu keinem Ergebnis. Bei der Schroffheit, mit der sich die
Meinungen gegenüberstanden, und da niemand mit der in
den Vordergrund gestellten Abrüstung beginnen wollte, zer-
BclUugen sieh die Verhandlungen, Abgesehen von dem
Herzoge Friedrich von Holstein war auf diesem Tage von
.MÜea Ständen des Kreises die Lüneburger Linie des wel-
Ohnmacht Friedrich Ulrichs.
n
tischen Hauses allein nnvertreten geblieben. Ihr Oberhaupt
Herzog Christinn von Celle, wai* überhaupt mit dem Vor-
gehen des Kreises nicht ein versta nden . Er sah i n einer
strenge aufrecht zu erhaltenden Neutralität das einzige Heil
flir denselben. Schon gegen die frlüier in Braunschweiß be-
schlossenen Defensivmarsregeln (ö. 67) und die Wahl de«
Dänenkönigs zum Kreisobersten hatte er mit seinen Brüdern
Verwahrung eingelegt. Die Lüneburger Herzöge, welche
bei der Kinderlosigkeit Friedrich Ulrichs und seines Bruders
Clu'istian wohl stJiun daumls den einstigen Anfall des Für-
stentums Wolfen büttel-Calenberg in Betracht zogen ^ waren
der Ansicht, und Christian sprach dies in einem an die
Räte und lütterschaft seines Landes gerichteten Schreiben
(Januar 1626) unverhohlen aus: „dafs nur bei dem Kaiser
als der höchsten Obrigkeit Schutz und Rettung zu suchen
sei und man sich seines starken Beistandes vertrösten
müsse". Demgemäis kündigte Herzog Georg, der durch
seine Persönlichkeit und die ihm zugewiesene Stellung be-
deutendste der Brüder, seine bisherige Bestallung und trat
in die Dienste des Kaisers, für den er 3000 Mann zu Fuft
und ein Keiterregimcnt von 1000 Pferden aufzustellen ge-
dachte. Der König von Dänemark drohete dai-auf , das
Lüneburger Land als ein feindliches zu behandeln, erklärte
dessen Neutralität nicht anzuerkennen und verbot allen
lüneburgischen Unterthanen bei Verlust ihi-er Erbgüter und
Lehen den Eintritt in den kaiserlichen Dienst, Dies bewog
den jetzt um seine persönliche Sicherheit besorgten Herzog
Georg, seine bisherige Residenz Herzberg mit dem festereu
Scharzfeld zu vertauschen und Weib und Kind dem Schutze
seines Schwiegervaters in Darmstadt anzuvertrauen.
In eine von dieser Politik seiner Lüneburger Stanunes-
vettem völlig verschiedene Stellung sah sich Friedrich Ulrich
von Wolfenbüttel gedrängt. Sein unglücklicher, schwanken-
der und unselbständiger Charakter machte ihn in dieser ge-
fahrvollen Lage zum Spielball seiner Umgebung imd trieb
ihn und sein Land unabwendbar dem Strudel eines ver-
hängnisvollen Krieges entgegen. Seine Landstäude waren für
eine ähnliche neutrale Haltung, wie man sie in Lüneburg
beobachtete, und hofften dadurch das drohende Verderben
von dem Lande abzuwenden. Aber sein ehrgeiziger Oheim,
der Däneukünig, und sein leidenschaftlicher Bruder, der ge-
ächtete Bischof von Halberstadt, suchten ihn dui'ch alle
Mittel zum Anschlüsse an das Haager Bündnis zu bewegen,
welches eben zustande gekommen war. Die Meinung seiner
RÄte war geteilt: einige von ihnen waren von dem Dänen-
ri
Erstes Bucfa. Zweiter Atncbnitt.
könige geradezu durch Geld und ÖCBchenke erkauft. Von
der anderen Seite forderte der Kaiser, nachdem jenes Bünd-
nis bekannt geworden war, von dem Herzoge eine unzwei-
deutige Erklärung über dessen Absichten. Er verlangte die
Abdankung der geworbenen Truppen oder ihren AnBcblufs
un die kaiserUche Streitmacht, vor allem aber, dafs keine
weiteren Werbungen, Bestalluugeu und Kotticrungen in den
Fürstentümern Wolfenbüttel und Calenberg geduldet wür-
den Unentschlossen, seiner Natur gemäfs, schwankte Ulrich
zwischen diesen verschiedenen, mit gleichraäfsiger Macht
auf ihn einwirkenden EiuHUssen hin und her. Da beächlor»
die dänische Partei, seiner Zaghaftigkeit durch einen Ge-
waltatreich ein Ende zu machen. Man beredete ihn nebst
seiner Mutter zu einer Reise nach Rotenburg, angeblich um
den Dänenkönig, der sich damals dort aufhielt, zum Frie-
den zu bewegen. Hier aber machte sich im Bunde mit den
V^orstellungen der verräterischen Räte das geistige Über-
gewicht des Königs auf den unselbstäadigen Fürsten un-
widerstehlich geltend. Das Nähere inbezug auf diese Vor-
gänge ist nicht bekannt, ihr Ergebnis aber liegt klar zutage.
Einer der herzoglichen Räte, Rutenberg, kehrte mit Voll-
machten nach Wolfenbüttel zurück , durch welche er sich
fUr ermächtigt hielt, den dortigen Kommandanten von seiner
Stellung zu entfernen und die starke Festung , das Haupt-
bollwerk des ganzen Landes, an die Dänen auszulieiem, die
alsbald eine Besatzung hineinlegten. Zugleich wurden die-
jenigen der fürstlichen Räte, welche iür kaiserlich gesinnt
galten, abgesetzt und der lieifsblütige Cliristian zum Statt-
halter über das Land bestellt. Dos ganze Verfaliren sah
einer erzwungenen Abdankung aufs Haar ähnlich. Vergeb-
lich wai' eSj dafs die Stände des Landes feieilieh dagegen
Protest erhoben, vergeblich auch, dals Friedrich Ulrich selbst
erklärte, „er habe seinem Bruder wohl eine Vollmacht zu-
gefertigt, in seiner Abwesenheit mit der Landschaft, Statt-
halter, Kanzler und Räten zu traktieren , nicht aber eine
freie Pienipotenz aufgetragen, noch viel weniger die Regie-
rung gar abgetreten, wie an vielen Orten und bei Ihrer
Kaiserliehen Majestät selbst ausgesprengt worden sei".
Jetzt schalteten die Dänen als unbeschränkte Gebieter
indem ihnen preisgegebenen Lande. Alle wichtigen Ortschaften
und festen Plätze befanden sich in ihren Händen: Wolten-
büttel, Hannover, Neustadt am Rübenberge^ Stolzenau, Stein-
brück , Schöningen , Erichsburg , Münden , Nordheim und
Pattensen. König Christian eilte selbst nach Wolfenbüttel,
uzn eich der wichtigen Festung zu versichern , und sein
Ausbrach des Krieges.
7Ä
l^effe, der nnnmchrige Statthalter, begann aoin unruhiges,
hastigeß , gewaltthatiges li/^iment V^on den Ständen er-
prefste er trotz ihres lebhaften Widerspruches eine ansehn-
üche Steuer (die dreifache Tripelhilfe,! , die er dann zur
VervoÜBtändi^ng seiner Rüstungen verwandte. Mit seinen
Reitern durchstreift er unermüdlich die südlichen ^ von den
Ligisten besetzten Gegenden des Landes. Von ihm aufge-
regt, erhebt sich teilweise die Bevölkerung des Harzes. Es
bilden sich zahlreiche Banden , die gegen die kleinei*en Ab-
teilungen des ligistischen Heeres einen unerbittlichen Krieg
führen. Die Bergstadt Grund ist der Sammelplatz dieser
jjHarzschützeu", bis sie von Tilly überfallen und in einen
Aschenhaufen verwandelt wird. Gegen die freie Keichsstadt
Goslai' versucht Herzog Christian selbst einen nächtlichen
Sturm, der aber raifshngt. Überall lodern die Flammen
brennender Dörfer empor und verkünden die wachsende
liohbejt lind Verwilderung der beiderseitigen Truppen. So
entzündete sich, noch ehe die grofsen Kriegsojierationcn be-
gannen, in dem unglücklichen Lande ein Pnrteikrieg, der
dasselbe schon damals mit Trümmern bedeckte und die
friedliche Bevölkerung zw Verawoiflung ti'ieb.
Im Frühjahr 16*26 drängten die Dinge zu einer raschen
Entscheidung. Durch Wallensteins Abzug aus dem nieder-
sächsischen Kreise der Besorgnis enthoben, zwischen den
beiden grofsen katholischen Heeren zermalmt zu werden,
entschlol's sich der Dänenkönig zu einer AngriÖsbewegung
g^en Süden , um durch Thüringen nach Franken vorzu-
dringen. Zn der nämlichen Zeit begann Tilly, nachdem er
die Vortruppen seines Gegners unter Christian von Braun-
sciiweig aus Hessen zurückgedrängt hatte, seinen Einmarsch
in das Fiü'Bleutum Göttingen. Am 9. Juni n. St. crstüimte
er unter grofsera Biutvergiefsen das tapier verteidigte Mün-
den und nötigte dann Göttingen nach einer sechswöcheut-
llchen Belagerung zur Übergabe. Den Herzog Chi-istian
traf dieser Unheil verkündende Anfang des grofsen ent-
scheidenden Kampfes nicht mehr imter den Lebendigen. Er
war am 6/16. Juni, erst sieben un dz wanzig Jahre alt, einem
hitzigen Fieber erlegen, welches ilm in Wolfenbüttel, woliin
er sich hatte bringen lassen, nach kurzem Siechtum dahin-
raflFte. Es blieb ihm erspart, die alle fiüheren an Gröfse
und Bedeutung üben*agende Niederlage der Sache, der er
seinen Degen geweihet hatte, zu erleben. In der Gruft
seiner Ahnen unter der Marionkirche zu Wolfenbüttel hat
sein stürmisches, leidenschaftlich bewegtes Herz die ersehnte
Huhe gefunden.
74
Erstes Bach. Zweiter Abschnitt.
Mit Oöttingen hielt Tilly den Schlüssel zum Leinethal
in Beiner Hand, in welchem er weiter unterhalb schon in
früherer Zeit den Calenberg besetzt hatte. Vergebens hat-
ten die Dänen während der Belagerung Güttingens versucht,
der bedrängten Stadt durch einen Angriff auf jenes Schlofs
Luft zu machen. Sie erUtten am 27. Juli bei Rössing durch
die Reiterei des Grrafen von Furstenberg eine empfindliche
Niederlage. Dem ligistischen Feldherrn war jetzt, seit Göt-
tingen gefallen , seine Operationslinie gewissermafsen durch
die Natur vorgezeichnet. Er mufste versuchen, sich Nord-
heiros zu bemächtigen: damit würde er das ganze Leinothal
bis nach Hannover a])wärt8 in seine Gewalt gebracht haben.
Demgcmäfs brach er unverweilt gegen den Ort auf. Allein
der Dänenkonigj der von Norden heranrückte, kam ihm zu-
vor und brachte Lebensmittel uod Mannschaft in die Stadt,
ohne dafs sein Goguer, der gerade an einem Unwohlsein
litt, dies zu hindern vermochte. Tilly wich jetzt bis hinter
Göttingen zurück, wo sich bei Geianiar die zwei Infanterie-
und vier Reiterregimenter unter dem Obersten de Fours mit
ihm vereinigten, welche Wallcnstein vor seinem Abmärsche
ihm zurückgelassen hatte. So verstärkt, sah er sich im-
stande, die Absicht des Königs, über das Eichsfeld nach
Thüringen und Franken durchzubrechen, zu vereiteln. Zu-
gleich nötigte er durch die Flankenstollung, die er dem
bis Duderatadt vorgerückten Könige gegenüber einnahm,
diesen dazu, seinen Rückzug nach Wolienbüttel anza-
treben. Auf diesem Rückzuge nun sah sich Christian, voa^J
dem verfolgenden ligistischen Heere unablässig gedrängt, ^^
am 1727. August bei dem Dorfe Hahausen, eine Wegstunde ^*
südwestlich von Lutter ara ßarenberge , gezwungen , die
Schlacht, die er vermeiden wollte, anzunehmen. Sie dauerte
von Mittag bis gegen Abend und endete mit der Niederlage
des däniscli-niedorsächsischen Heeres, das völUg zersprengt
ward. Das gesarate Geschütz, sieben Koruets und sechzig
Fahnen fielen dem Sieger in die Häudo. König Christian,
welcher nach dem Zeugnis seines Gegners alles gcthan hatte,
um die Schlacht zu seinen Gunsten zu wenden, entging
mit genauer Not der Gefangenschaft. Ohne Hut, bis zum
Tode abgehetzt, eri*eichte er am späten Abend auf dem
Pferde seines ötallmeiatera mit wenigen Begleitern Wolfen-
büttel. j^Äch, wie wii-d mein liebes armes Volk nieder-
gehauen werden", mit diesen Worten ritt er in das Thor
der rettenden Festung.
Die Niederlage bei Lutter a. B. war für die ganze
protestantische Partei ein betäubender Schlag, aber mit fast
Schlacht bei Lutter a. B.
75
vernicbtender Wucht traf sie die DiedersüchBischen Gebiete
uad hier wieder in erster Reihe die welfiscbea Lande. Be-
reits vier Tage vor der ScUacht hatte Herzog Friedrich
Ulrich seine Truppen von dem dänischen Heere abberufen.
Jetzt scblois er am 8. September n. St mit dem Kaiser
einen förmlichen Veitrag, wonach er von dem Bündnis mit
Dänemark zurücktrat und den Kaiserlichen sein Land mit
Städten und Festen zu ihrem Durchzuge offen zu halten
verspracli. Er erreichte damit nichts anderes, als dafs jetzt
Bein Herzogtum von den Dänen, die sich weigerten, die von
ihnen besetzten Plätze zu räumen, als feindliches Gebiet be-
handelt ward. Kach kurzer Zeit befand es sich mit Aus-
nahme weniger Festungen iu der Gewalt des ligistischen
Heeres. In Hannover drängten die Bürger selbst die dä-
nische Besatzung aus der Stadt. Braunschweig wies Tillys
Aufforderung, ligistische Truppen aufzunehmen, nach kur-
zem Schwanken zurück. Wolfenbüttel , neben ihm der
stärkste Platz des Landes, konnte erst im folgenden
Jabre (1627) nach einer viermonatlichen Belagerung, wäh-
rend welcher der dänisehe Kommandant Graf Solms das
im dortigen Schlosse verwahrte herzogliche Silbergeschirr in
die Münze schickte, durch Pappenheim zur Ergebung ge-
zwungen werden. Vor allem mulete das platte Land mit
seinen Bewohnern den Wankelmut und die Unlahigkcit
seines Fürsten avif da^ bittei-ste büfsen. Eine unerschwing-
liche KriegsBteuer von monatlich 80000 Thalern legte TÜly
; den Landstäuden auf Dazu kamen die Gewalttliaten und
Verwüstungen der beiderseitigen zügellosen Soldateska. Schon
zu Anfang des Jahres 1G27 klagte der unglückliche Fürst
des Landes , welcher fiir seine Person eine Zuflucht in
Braunschweig gefunden hatte, wo er, wie er sagte, „um
j seinen haaren Pfennig zehren mufste", dafs aufaer einer
Anzahl von Amtern, reichen Klöstern und blühenden Städten
dreihundert Dörfer seines Herzogtums in Asche lägen, dafs
der dritte Teil seiner Uaterthaneu ums Leben gekommen
und der Rest gröfstenteils völlig aufaerstande sei, seinen not-
dürftigen Unterhalt zu gewinnen.
Und zu dieser allgemeinen Kalamität gesellten sich bald
noch andere Gefahren. Je bedeutender nach der Schlacht
bei Lutter der Fortschritt des kaiserlichen und ligistischen
Heeres war, je weiter sie, die Dänen zui'ückdrängend und
das niodersächaiache Land überschwemmend, nordwärts vor-
drangen, desto unverhülltcr traten die hoch fliegenden Pläne
, des Kaisers und seines Generalissimus hervor. Die Dinge
Usabmen bald eine Wendung, die den VetÄacV\V «.wösg^-tt.
76
Erstes Buch. Zweiter Abechoitt
mufste, dafü os aul' eine völlige Beraubung des weltiBciiCQ
Hauses abgesehen sei. Schon hatte der Kaiser die Qraf-
Bchaftcn Hohnstein und Regenstein, jene dem Grafen Thun,
diese deu Grafen Maximilinn von AValleiiäteiu ala Pi'and-
Bchaften für die ihm vuu ihnen vorgestreektori Geldsummen
angewiesen. Der Oberst Broker, der den Aultiag erhielt,
sie zu beaetÄen, bemächtigte sich zu gleicher Zeit der be-
nachbarten Ämter Blankenburg, Heimburg und Stiege sowie
der Abtei Michaelstein, ohne dem Herzoge Friedrich Ulrich
Zeit zu lassen, in Wien gegen diese Vergewaltigung Ver-
wahrung einzulegen. Aber noch Sclilimmeres und für das
braunscbweigische Haus X' erderblicheres bereitete sich vor.
Seit längerer Zeit schuldete Friedrich Ulrich dem Könige
von Dänemark 4(jOOOÜ Thaler, deren grüfseren Teil ihm
seine Grofemuttev, die Königin Sophie, im Jahre 161-1 ge-
liehen hatte, eine Schuld tordcrung, die nach ihrem Tode aut
ihren Sohn Christian IV. übergehen mufste. Für die Haupt-
masse dieser Schuld hatten die Calenberger Stände die
Bürgschaft übernommen, für den Rest der Herzog das Amt
Syke verpfiindet. Diese Umstände gewährten Wallenstein
die Handhabe zu einer mit grofsem Geschick angelegten und
mit Hartnäckigkeit verfolgten Zcttelung. Da der Kaiser
genau dieselbe Summe zur Belohnung liir Tillys Dienste
bestimmt liatte, dieser aber eine Dotation in Grundbesitz
vorzog, so sollte Tilly mit Calenberg belehnt worden, wäh-
rend man in dem bereits in Aussicht genommenen Frieden
den Dänenkünig zum Verzicht auf die Calenberger Schuld
zugunsten des Kaisers zu bewegen gedachte. In ähnlicher
Weise bestimmte man das Fürstentum Wolfenbüttel tür
Pappenheini, so dafs sich diese beiden hervorragendsten Feld-
herren der Liga in die Länder des Herzogs Friedrich Ulrich
geteilt haben würden, wären diese Pläne zur Ausführung
gekommen. Sie scheiterten indes an dem entschiedenen
Wideräpriiche des Kurtlirsten Maximilian von Bayern und
an Tillys eigener Abneigung, zu einer so schnöden Beraubung
eines hilllosen , unglücklichen deutschen Fürsten die Hand
zu bieten. Maximilian, welcher damals bereits die vielfachen
Ubergriife \VallensLein3, des böhmischen Emporkömmlings,
mit unverhohlenem Mifstrauen ansah, verwies nicht nur dem
in seinen Diensten stehenden Pappenheim die gegen den
Braunscbweiger Hoi-zog unternommenen Praktiken auf das
uachdrückhchsie, sondern er richtete auch in dieser An-
gelegenheit an den Kaiser selbst ein Mahnschreiben, in
welchem er mit sehr bestimmten Worten ,,der Hoffnung und
Zuversicht" Ausdruck gab, „dafs die wider So. Liebdea
n
Plane zur Rprenbnn^ des wdfisdien Ilsaies.
77
(den Herzog) voiwisseiidc beschwerliche Int|uiditioa eiii-
gesteüt; dießelben bei Dero Land iind Leuten geschützt werde
und ÖC- Liebden in Üero landüirstlicher Regierung keiue
Eintracht geschehe".
\A'ilhrend diese den Besitzstand des weltiächen Ilauftea
schwer bedrohenden Pläne tjeschmiedet wurden , hatten in
dem Kriege gegen den Däueukönig die ligiötlechen und kaiacr-
lichen Waflfon einen Erfolg nach dem anderen zu verzeichnen.
Schon zu Ende dea Jahres l(i'27 war die ganze jütiache
Halbinsel in der Gewalt 'J'illys, während Wallenateina Trup-
pGn, nachdem sie durch den Tod Mansi'elds und die völlige
Auflösung seines Heeres frei geworden waren, Hrandeuburg
und Puraraern überschwemmten und selbst die Insel Rügen
besetzten. Am 2il'2. Mai Ißiy kam zu Lübeck der Friede
mit dem Däuenkönige zustande. Wallenstein verhandelte ihn
iin Auftrage des Kaisers. Üie Bedingungen , die er dem
gedemütigteu Könige gewährtCj waien tür dieseu über alle
Erwartungen günstig. Gegen den Verzieht iiui die in seinen
Händen betindliehen niedersäehsischen Stifter sowie aui' jede
fernere Einmischung in die deutschen Angelegenheiten er-
hielt Christian IV. eämtÜche, ihm durch Waffengewalt ent-
riE^ene Länder, Holstein, Schleewigj Jütland, imentgellUeh
zurück. V^on irgend einem Ersatz für die fmchtbaren N'^er-
luate und Schäden, welche der Krieg über die Länder der
evangelischen Fürsten in Nurddeutscliland gebracht hatte,
war ebenso wenig die Kede vde von einer wirksamen Mafs-
regol zum Schutze der dmrch die katholische Reaktion be-
droheten hitherischen Kirche. Nächst den Herzögen von
Mecklenburg, die zugunsten \\'allen8tein8 ihres Erbes ver-
lustig gingen, ward kein deutsches Fürstenhaus von diesem
Frieden schwerer betroffen als das weifische. Zwar kam
seine Beraubung in dem Umfange, wie sie geplant worden
war, nicht zur Ausführung, aber nicht unbedeutende Gebiete
auch der braunschweiglsehen Lande waren von dem Kaiser
seinen Generalen überwiesen worden, und alle Bemühungen,
sie zurückzuer langen, blieben erfolglos. Auf lange Zeit hinaus
war der Wohlstand des Landes vernichtet. Hunderte von
Dörfern waren verwüstet, die Städte, so weit sie nicht das-
selbe Schicksal erfahren hatten, gänzhch verarmt, die HÜfe-
quellen dea Landes völlig versiegt. Herzog Christian von
Celle, obschon er in diesem Kriege auf der Seite des Kaisers
gestanden, obschon sein jüngerer Bruder Georg sogar unter
den kaiserlichen Fahnen mit gefochten und an den Erfolgen
des Feldzuges einen rühmUchcn Anteil genommen , ver-
anschlagte den Schaden, den allein sein Fürstentum erlitten
hatte, auf nicLt weniger ala acht Millionen Thaler. Heine
EntacbUdigungtäforderuiigen blieben iniV>]ge von Wallenstöinö
Machtgeboten unberuckeichtigt
Und echon bedroheten weitere, noch schlimmere Verluste
den Bestand der weifischen Territorien j Verluste, welche,
wenn sie nicht durch die spateren Ereignisse, teilweise wenig-
stens abgewandt wiiren, die Nachkommen Heinrichs dea
Löwen vollends zu kleineu, unbedeutenden Laudeslierren
herabgedrückt haben würden. Zwei Monate schon vor dorn
Lübecker Frieden hatte der Kaiser, von den katholischen
Ständen gedrängt, am ü. März n. St, das Restitutionsedikt
erlasaen. Diese kaiRerliche Verordnung bestimmte, dafs
sämtliche mittelbare Klöster und geiötlich'i Güter, welche von
den Evangelischen seit dem Passauer Vertrage eingezogen
waren, den Katholiken zurückgegeben werden , die Augs-
bui^er Religionsverwandten aber , welche Bistümer oder
reich Bunmittelbare Prälaturen innehatten , weder Sitz und
Stimme auf den Reichstagen haben noch auch die mit jeuen
verbimdenen Regalien und Lehen empfangen sollten. Es
war die einschneidendste Mafsregel, die seit den ersten Re-
gungen des retormatorischen Gedankens gegen die Anhänger
der neuen Lehre ins Werk gesetzt ward. Was seit drei
Menschenaltern ala vertragsmäfsiges Recht galt, was man als
den geschichtlich gewordenen Zustand des Reiches betrach-
tete, die ganze nationale Eutwickelung eines halben Jahr-
hunderts mit ihren das Leben nach allen Richtungen durch-
dringenden Rechtflbildungen und Beaitzzuständen ward da-
durch in Frage gestellt. Für das bi-aunschweigische Haus
bedeutete das Restitutionsedikt nicht nur die Herausgabe der
sämtlichen im Lande zerstreneten, ehemals katlioli sehen Klöster
mit dem dazu gehörigen reichen Grundbesitze, nicht nur
den Verlust einer grofsen Menge von anderen ursprünglich
der katholischen Kirche gehörigen Gütern, Einkünften und
G^talleu, sondern auch die Schmälerung der bisherigen Rechte
zweier seiner Mitglieder, des regierenden Herzogs Christian
von Lüneburg imd seines Bruders August, von denen jener
seit 1599 Koadjutor, d. b. protestantischer Bischof von Min-
den war, während dieser in gleicher Eigenschaft seit dem
Jahre 159G das Bistum Ratzeburg verwaltete. Zugleich aber
geschah vonseiten der katholischen Partei und des kaiser-
lichen Hofes ein weiterer Schritt^, der sich nicht, wie das
Restitutionsedikt, gegen die Gesamtheit der evangelischen
Stände sondern ausschliefslich gegen die FUi'sten des wei-
fischen Hauses richtete. Am 7/17. Dezember 1629 bestätigte
und verkündete der Kaiser das LTrteil des Reichskammer-^
RcstitutioDsedikt und Verlust von Uildeshelm.
79
gerichtes in dem aul' Hetreiben des Kurftlreten Maximilian
von Bayern durch dessen Bruder, den auch zum Bischöfe
von Hildesheim erwählton Fei-dinand von Kötu, erneuerten
ProzesBC wegen Zurückgabe des einst von den Herzögen
Erich I. und Heinrich d. .1. erworbenen sogenannten grofsen
Stiftes Hildesheim. Die Entscheidung des Gerichtes war
für Braunachweig &ü ungünstig wie mügUch auagefaUen.
Friedrich Ulrich sollte nicht nur das gesamte grofse Ötitl an
nUdesheim zurückgeben sondera auch alle Einkünlte den
Bischöfen wiedörerstitten . die den Hi^rzögen während
eines mehr als hundertjährigen Besitzes daraus zugeflossen
waren. Die letztere Forderung erschien so ungeheuerlich,
dafs seibat der schwache Friedrich Ulrich sich entschieden
weigerte, sie zu erliilleu. Aber in der trostlosen Lage^ in
der er sich befand, konnte er die Ausführung des kaiser-
lichen Mandates nicht verhindern. Von Tilly fast wie ein
Gefangener bebandelt, niufyte er es nihig gesclichen lassen,
dafs sich Bischof Ferdinand mit Hilfe der ligistisehon Trup-
pen der ehemaligen bildesheiiuischen Amter bemächtigte.
Alle Pi*otestationeü dagegen halfen nichts. Wenige Tage
nach Verkündigung des kaiaerÜchen Erlasses traten in Hil-
desheim drei aus Domherren, Notaren und bischöflichen
Beamten gebildete Kommisgioneti zusammen, welche in den
Ämtern, Schlösseru, Städten und Dörfern des grofsen Stiftes
die Huldigung der Bewohner ttir den Bischof entgegen-
nahmen, sich in die von Tillys Truppen besetzten Ortschaften
einweisen liefsen, die herzoglichen Wappen entfernten und
diejenigen ihres bischoflichen Herrn an ihre Stelle setzten.
Wenn im Veriaulb dieses langen, verwüstenden Krieges
bei irgend einer Gelegenheit die rücksichtslose, gewaltthätige
Schroffheit der kaiserlichen Politik unverhüHt zu Tage trat,
so geschah das in diesen Vorgängen. Ohne der treuen An-
hänglichkeit und Hingabe der braunschweigischen Fürsten
an das habsburgischc Haus, welche sich seit einem Jahr-
hundert — den schwächlichen Friedrich Ulrich nicht aus-
geschlossen — unverrückt bewährt hatte, auch nur die
geringste Kechnung zu tragen, wurden hier langjährige, wohl-
erworbene Rechte in brutaler Weise mit Füfsen getreten,
wurde eines der ältesten, edelsten, reichatreuesten deutschen
Fürstenhäuser mit völUgem Ruin bedroht. Denn einem sol-
chen kam unter den damals obwaltenden Umständen der
Verlust des hildesheimischen Landes für die Braunscliweiger
Herzöge gleich. Vergebens beantragte Friedrich Ulrich in
Wien die Revision des unzweifelhaft mit ungerechter Partei-
lichkeit geführten Prozesses, vergebens liefs er durch seinen
80
Erstem Buch. Zweiter Abschnitt-
Agenten Engelbrecht am kaiserlichen Hofe geltend machen,
dafa die von den Brau uachwei gor Fürsten genossenen Ein-
nahmen kaum die Kriegskosten deckton , welche die von
dem Kaiser einst den Ilorzögen fleinrich von AVolfen-
biittcl und Ericli von Calenberg aufgetragene Kxekution
gegen den Biachof von Hildesheim veranlalst hatte, vergebens
»teilte er vor, dafs sein Vater und Örofavater von vier
Kaisern hintereinander die Belehnung mit den hildea-
heinxischen Landschai'teu ühue joden Vorbehalt erlangt, dafa
Kaliber Ferdinand vor vier Jahren ihm selbst diese Belehnnng
anstandslos erteilt Imbe. Unbewegt und ohne die geringsten
Zugeständnisse zu machen, beharrten der Kaiser und seine
Räte auf den getal'stcn Entsehlüssen. Bei der Exekution
solbfit verfuhr man »u willkürlich wie nur immer möglich.
Faßt schien es^ ala handele es sich lediglich um die Frage,
was man dem braunachweigiBchcn Hause noch zu lassc^n
geueigt sei.
Niemand empfand das Vorgc^hen des Kaisers so tief und
schmerzlich wie Georg von Lüneburg. Von allen damaligen
Mitghedem de« weifischen Hauses war er ohne Frage das
rUlirigste und begabteste, ebenso unÄhnÜch seinem trägen,
gleichgültigen Bruder Christian von Celle wie dem unselb-
ständigen, kläglich verkommenen Friedrich Ulrich. Bereits
über das kräitigäte Mauuesulter hinaus — er zählte damals
48 Jahre — hatte er sich Zeit seines Lebens in den schwie-
rigsten Verhältnissen zu bewegen gelernt, sich als tüchtiger
Truppen tu hrer und gewandter Staatsmann gleich sehr be-
währt. Der Angelpunkt seiner Politik, das Ziel seines Stre-
bens, das er sein ganzes Leben unverrückt im Auge behielt,
war die Erhaltung und Wiederherstellung der weifischen
Macht. Dies sah er als die erste und vornehmste Mission
an, die ihm zuteil geworden war. Durch den irüher er-
wähnten Vertrag (S. 50) hatten ihn seine Brüder zum all-
einigen Stammhalter seines und ihres Hauses bestimmt, in
Anbetracht der unglücklichen und kinderlosen Ehe seines
Stamm es Vetters Friedrich Ulrich durfte er nach dem Tode
von dessen jüngerem Bruder Christian von Ralberstadt
hoffen, dereinst das gesamte welfischo Erbe in seiner Hand
zu vereinigen. Die Rücksicht darauf hatte ihn nach Aus-
bruch des Krieges bestimmt, eine kaiserliche Bestallung an-
zunehmen. In dem nieder&ächsischen Kj-iege sowohl wie
vor Mantiia, in dem italienischen Feldzügen von 1628 und
1629, hatte er dem Kaiser hervorragende Dienste geleistet,
sich in der schwierigen Stellung zwischen Tilly und Wallen-
stein, den rivalisierenden Feldherren der Liga and des Koi-
[fti- ^H
Georg von LUnebnrg.
81
sera, mit groffHäm Geschick zu beaehmon verstAnden. Jetzt
Bah er zum Dank für so viel Ergebenheit durch das Vor^
gehen dea Kaisers die ganze Existenz seines Ilauäcs in Frage
gestellt. Mit Schmerz und Trauer eHiillt es ibn zu erleben,
wie mit der Fortdauer des sclireck liehen Krieges das deutsche
Land mehr imd mehr zum Tummelplatz der Heere von
halb Europa wurde. Je lebhafter er dies beklag^te, desto
mehr erweiterten sich seine ursprünglich nur auf die Er-
haltung des welfischon Land erb esitzes gerichteten Bestre-
bungen zu einer im besten Sinno deutschen, echt vaterlÄn-
dischen Politik, welche darauf hinauslief, die deutsche und
die evangelische Freiheit aus dem Wirrsal widerstrebender
und begehrlicher Gewalten zu erretten, die zudringliche Ein-
mischung des Auslandes in die deutschen Angelegenheiten
zurückzuweisen. Aus diesem Gesichtspunkte mufs man die
Bestrebungen seiner letzten Lebensjahre beurteilen. Rasttos,
durch keine Hindemisse abgeschreckt, hat er daran gear-
beitet, die protestantischen Füllten Norddeutschlands zu einem
neutralen Bunde zu vereinigen, welcher den Schweden und
Franzosen sowohl wie dem Kaiser die Spitze zu bieten im-
Stande wäre. Bei der schwierigen Lage, in der er sich be-
iand, hat er sich mehr als einmal zu einem Wechsel der Pai-tei
genötigt gesehen, aber nie liat er das eigentliche Ziel seiner
Politik aus den Augen verloren. Man hat ihm deshalb wohl
den Vorwurl* der Treulosigkeit und Unbeständigkeit gemacht,
aber es gehört wenig Scharfsinn dazu, um hinter diesem
scheinbaren Wechsel den stetigen Gedanken zu erkennen,
welcher sein Handeln bestimmte.
Bei eiuem kurzen Besuche, welcher den Herzog Georg
im Jahre 1629 von Italien in die Heimat zurückführte, war
ihm Gelegenheit geworden, einen tieferen Einblick in die
feindseligen Pläne des kaiserlichen Hofes gegen das braim-
Bchweigische Haus zu gewinnen. Gerade damals hatten die
Umtrieoe, die in dem Lübecker Frieden an den Kaiser ab-
getretene und von diesem an Tilly überlassene dänische
Öchuldforderuug zu benutzen, um dem ligistischea Feldlierrn
das Fürstentxmi Calenberg in die Hände zu spielen, von
neuem begonnen, die Verkündigung des kaiserlichen Man-
dates über die Zurückgabe der Uildesheimer Stiftsguter
stand unmittelbar bevor. Georg hatte sich aufserdem über
die Vorenthaltung des rückständigen Soldes seiner für den
Kaiser geworbenen Regimenter, sowie über vielfache Zurück-
setzung im Dienste zu beklagen. So beachlofs er den kai-
serlichen Kriegsdienst zu verlassen, seine Bestallung zu kün-
digen. Am 35. Juni 1630 richtete er von Herzberg aus
□ •loflnina, Bniuucbw.-liuiDAT. aeictaloht«. 111. ^
88
Eretei Boeh. Zweiter Abschnitt.
die betreffendeD Gesuche an den Kaiser und au W&Uen-
stein. Sein Wunsch wurde ihm ohne Anstand gewährt. £»
war einer der letzten Akte, die Wallcnstcin vor der Nieder-
Icgung seines Oberbefehls vollzog. Wenige Monate später
(26. Oktober) trat Georg, einer der ersten deutsehen Für-
sten, unter dem Vorbehalte, da(s er nicht verpflichtet sein
sollte, gegen das römische Üeich deutscher Nation zu lechten,
in die Dienste des Schwedenkönigs, der soeben seine Lan-
dung in Porameni bewerkstelligt hatte. Gegen einen jähr-
lichen Sold von 5000 Thalem verpflichtete sich der Herzog,
wenn der König von Schweden mit einer oder mehreren
der benachbarten Mächte in einen Kri^ verwickelt werden
sollte, etliche Regimenter iur den schwedischen Dienst zu
werben und auch mit seiner Person der Krone Schweden
in diesem Falle Kriegsdienste zu leisten.
Es ist bekannt, wie Gustav Adolts Eingreilen in die
deutschen Kriegswirrcn , seine Landung in Pommern, seine
anfangs zaudernde und äufserst vorsichtige, dann aber nach
dem Falle Magdeburgs und dem Anschlüsse von Kursachsen
um 80 entschlossenere Kriegführung einen ebenso uner-
warteten wie vollständigen Umschwung in den kriegerischen
und politischen Verhältnissen Deutschlands hervorbrachten.
Auch in den niedersächsiachen Gegenden mufste sich dieser
Umschwung bald geltend machen. Nach dem grofsen Siege
der Schweden land Sachsen bei Breitenfeld wichen die ka-
tholischen Pfaffen und die Jesuiten, welche sich infolge des
Bestitutionsedikts überall in den alten Klöstern imd Stif-
tungen wieder eingenistet hatten, aus dem Lande. Der klein-
mütige Friedrich Ulrich, der jetzt in Wolfeubüttel von der
kaiserlichen Besatzung wie ein Gefangener bewacht und be-
handelt wurde, raffle sich zu dem Entschlüsse empor, die
Festung unter einem leicht gefundenen Vorwande zu ver-
lassen. Er begab sich zuerst nach Celle imd nahm dann -^vieder
Beinen Aufenthalt in dem festen, gesicherten Braunschweig.
Herzog Georg aber begann alsbald im Grubenhagenschen
und auf dem Eicbsfelde seine Werbungen. Dann eilte er
Anfang November 1631 zu Gustav Adolf nach Würzburg,
wo er mit diesem einen Vertrag schlofa, demzufolge er »ich
verpflichtete, mindestens vier Regimenter in den weifischen
Ländern und im HochstiÜt Hildesheim zu errichten, diese
Länder gänzlich von den Kaiserlichen zu säubern, Wolfen-
büttel ihnen zu entreifsen und die zum Unterhalt der schwe-
dischen Truppen bestimmten Städte Braunschweig und Han-
nover zu dieser Verptlichtung zu nötigen. Dafür versprach
ihm der König den Erwerb des Bistums Minden una des
Sein Anschluls an dJe Schweden.
83
Kicbsfeldes oder doch wenigetens der dazu gehörigen Mark
Duderstadt.
Nach Niedersachsen zurückgekehrt, begegnete Georg
freilich bei Ansfilhrung der getroflfenen Verabredungen deu
allergröfsesten Schwierigkeiten. Nicht nur dals die übrigen
Stände des Kreises, die er in seine Waffenerhebung mit
binein2:uziehen hoffte, sich durclmus ablehnend verhielten,
auch seine eigenen Verwandten, die übrigen Mitglieder des
wolfischen Hauses, zeigton sich ihr wenig geneigt. Christian
von Celle, der eigene Bruder, und seine Landstände ver-
wahrten sich gegen die beabsichtigten AVerbungen, Friedrich
Ulrich von Wolfenbüttel untersagte sie geradezu in seinen
Gebieten. Noch lastete der Druck der kaiserlichen Gewalt-
herrscluift auf den Gemütern, noch hielten die kaiserlichen
Truppen, deren Oberbefehl nach Tillys und Pappenheims
Abzüge Graf Gronsfeld tibemommen hatte, die wichtigsten
und stärksten Plätze des J.<andes besetzt, von denen aus sie
weite Strecken desselben beherrschten. So sah sich Georg
auf allen Seiten von schwer zu überwindenden Hemmnissen
umgeben. Als er endlich nach Überwindung der Bedcnk-
lichkeiten seines Bruders drei Reiter- und ebenso viele In-
fanterieregiraenter auf die Beine gebracht hatte, mufste er
sich in Rücksicht auf diese geringen Streitkräfte zunächst
auf einen kleinen Kiieg, auf die Belagerung untei^eordneter
Festen beschränken. Schlofs Steinbrück ward von ihm ge-
nommen, der Calenberg eingeschlossen. Ein Versuch Grons-
felds, ihn zu entsetzen, schlug fehl, und als dann Pappen-
heim von Hameln aus mit grölserer Truppenmacht diesen
Verfluch erneuerte, hatte er zwar einen vorübergehenden Er-
folg, wagte aber nicht, die ihm von Georg bei Hildeaheim
angebotene Schlacht anzimehmen, sondern zog sich nach
Westfalen zurück. Nun wandte sich der Herzog, nachdem
er Duderstadt eingenommen und hier reiches Kriegsmaterial
erbeutet hatte, auf die dringenden Vorstellungen Friedrich
Ulrichs zur Belagerung Wolteubüttels, der stärksten Feste
des Landes. Allein es gelang Gronsfeld, sie zu entsetzen.
Zu gleicher Zeit bemächtigte sich Pappenhoim Hildesheims
und bedrohete Hannover. Diese Ereignisse fallen in die
Zeit, als Gustav Adolf durch Wallensteins Einfall in Sach-
sen sich genötigt sah, von Nürnberg aufzubrechen und ihm
in dieses Land zu folgen. Dahin wurde jetzt auch Pappen-
heim beordert. Ihm nach zog Georg von Lüneburg, der
sich zu dieser Zeit enge an Kursachsen angeächlossen zu
haben scheint. Er war auf seinem Marsche bis Torgau ge-
langt, da erhielt er die Nachricht, dafa bei Lützen eine ^otfia
84
Erstes Bach. Zweiter Abschnitt.
Scblacht geschlagen soi, die dem Könige von Schweden,*
aber auch dem gefürchteten Pappenhcim das Leben geko»tet
babe.
Der Tod Gustav Adolfs war ein Ei'eignis von allgemeiner]
und einschneidendster Bedeutung. Nun erwachte die alte
Eiiersucht der grofsen protestantischea ßeichafdrsteu gegen
Schweden aufs neue, imd in höherem und ausgedehnterem
Mafde noch wie früljer griff eine schwankende, kleinliche,
ohnmächtige Politik wuchernd bei ihnen um sich. Auch bei
den Fürsten des braunschweigißchen Hauses war dies der
Fall. „Man ist allluer sehi- verwirrt und ungewifa", heifst
es in einem Schreiben aus Brauuschweig wenige Wochen
nach der Lützener Schlacht, j,Gä!d und Gut ist weg, joder-
mann spielt in »einen Beutel. " Friedrich Ulrich , der noch
am 6. Februar dieses Jahres mit dem Könige von Schweden
ein Bündnis geschlossen, ihn lür seinen Öchutzherrn erklärt
und gelobt hatte, keinen Separatfrieden zu schliefsen, suchte
sich jetzt diesen Verpflichtungen wieder zu entziehen. Auf
einem Kreistage zu Lüneburg machte er den niedersächsischen
Ständen den Vorschlag, zur Behauptung ihrer Neutralität
ein eigenes Heer aufzustellen. Inzwischen war auch Herzog
Georg; nachdem er Leipzig besetzt und die kaiserlichen
Truppen aus Chemnitz und Grimma vertrieben hatte, nach
Kiedersachsen zurückgekehrt. Ihm übertrug der von dem
schwedischen Reichsrate zum „Legaten im römischen Reiche"
bestellte Axel Oxenstiema den Oberbefehl über das schwe-
disch-deutsche Heer in Niedersachsen und Westfalen. In
dieser Stellung nahm er abbatd den Krieg gegen die Kaiser-
lichen wieder auf. Er führte ihn mit bestem Erfolge trotz
der Schwierigkeiten, welclie ihm Friedrich Uhich fortwährend
bereitete. Vor allem war er bemüht, durch Eroberung der
festen Ubergangspunkto an der Weser den KinlUllen zu
eteuem, mit welchen die Kaiserlichen von den westialischen
Stiftern aus das Land diesseits des Flusses zu bedrohen nicht
abhefsen. Zu diesem Zwecke unternahm er im März 1633
die Belagerung von Hameln. Als die vereinigten kaiserlichen
Streitkrätte in Westfalen unter Gronsfeld, Morode und Bönnig-
haus die Weser überschritten, um die Aufhebung der Be-
lagerung zu erzwingen, ex-focht er am 28. Juni bei Hessisch-
Oldendorf über den weit stärkeren Feind einen glänzenden
Sieg, infolge dessen sich ihm Hameln wenige Tage später
(3. Juli) ergab und die Bürger trotz der Einsprache Fried-
rich Ulricha ihm den Huldigungseid leisteten. Aber die herr-.
liehe Waffenthat von Heasisch-Oldendorf hatte nicht den Er- '
folg, den man von ihr erwarten konnte. Georg hätte sich
Bein Sieg bei HessiEcli-Oldeiidorf. 85
jetzt am liebsten gegen Minden gewandt, zumal ihm Oxen-
stierna gerade damals die Zusage dea gefallenen tsehweden-
königs inbezng auf diese Stadt und das Bistum enieuerte.
Aliein die Eifersucht seines Wolienbiittler Vettere uud die
Mifägunst des schwedischen Hcichskanzlcrä führten alsbald
nach errungenem Si^e zu einer Auflösung des siegreichen
Heeres. Die Schweden zogen auf Oxenstiemas Befehl in das
Stift Osnabrück, die hessischen üilfstruppen nach Westfalen,
wälirend sich der General Tliilo Albrecht von Uslar mit
den Wolfenbüttler Regimentern zur Belagerung von Peine
anacliickte und diese Stadt nach kurzer Belagerung zur Ka-
pitulation zwang (3. August). Mit den ihm gebliebeuea
unzureichenden Strcitkrätten konnte Georg nicht an eine so
schwierige Unternehmung denken, wie die Belagerung von
Minden gewesen sein würde.
Der kurze Zeit nach diesen Vorgängen am 8. November
1633 erfolgende Tod seines Bruders, des regierenden Her-
zogs Christian von Celle, war nicht geeignet, den Druck
hemmender und ungünstiger Einflüsse zu mildem, der auf
dem Erben, .des weltischcn Ocsumthanses lastete, flerzog
August d. A-, der niichstäl teste 8ohn Wilhehns von Lüne-
burg, der dem Gestorbenen in der Regierung folgte, da-
mals schon 65 Jahre alt, war den schwiengen Verhält-
nissen noch weniger gewachsen als sein Vorgänger, dem er
an beschränktem, kleinlichem Egoismus gleiclikam, den er
aber an Liebe zur Bequemlichkeit noch übertraf. Von ihm
war eine opferfreudige Unterstützung von Georgs kriegerischer
und politischer Tbätigkeit erst recht nicht zu erwarten. Auch
geriet er gleich nach seinem Regierungsantritt mit dem
Bruder wegen der Verpflegung von dessen Truppen in hef-
tige Zwistigkeiten. Dagegen ging von schwediacher Seite
damals der Vereuch aus, die Stände des niedersächsischen
Kreises in engem Anschlufs an Schweden zu einer ein-
mütigen und entschlossenen Kortlührung dos Krieges bis zur
gänzlichen Vertreibung dor kaiserlichen Truppen aus dem-
selben zu vereinigen. Unter Hinweis auf die unzuverlässige
Haltung von Sachsen und Brandenburg war es Oxenstierna
gelungen, die vier oberdeutschen Kreise, den scliwäbischen,
fränkischen und die beiden rheinischen, zu einer Verbindung
zu ähnlichen Zwecken, dem sogenannten Ileilbronuer Bunde,
zu gewinnen, und er hoffte nun, dasselbe bei dem nieder-
Ȁchftischen Kreise zu erreichen. Er berief daher auf den
27. Januar 1634 die Stünde dieses Kreises nach Halberatadt.
Aber hier traten wiederum die Uneinigkeit und der Zwie-
spalt der Interesson der einzelnen Mitglieder lähmend und
jeden Erfolg Teratdod za T»ee- Der Beichskaiizler rer-
mochte seine Abaieht nicht dsrawaaetMO, da die Stände sich
nicht zu einer gieiduidiä^es Vettrihiug d& notwendigen
Opier fmtirhlirfacn ^^■■^l*" und fautnackig an der alten
ff riftp 1 1 II fiimiing des KiüaeB feitlnellBn, ofaocbon sich diese
aberiebt und aü TöUig onbraachbar wfieiieu hatte. Nur eu
einem in Beinen Folgen sehr sweifelhaAeQ Zugeständnis
vermochte er sie sa beiregen: sie fibemahmen nach Mafs-
gabe der alten Kreismatrikel die Elr^änzung and Ver-
pAegnng des vom Herzog Georg befehligten Heeres. Aber
zugleich fugten sie eine Slaisregel hinzu, die gicherlicb nicht
im Sinne des schwediBchen Reichskanzlers war, da sich in
ihr ein nur schwach verhülltes HiTstraaen gegen das schwe-
dische Übergewicht in der Leitung der Kriegsoperationen
aussprach. Georg von Lüneburg wurde durch einstimmigen
BeschluTs zum General der niedersächsischen Kreisarmee
bestellt Um diesem Beschlüsse die Spitze abzubrechen, be-
w<^ dann Oxenstierna wiederum die Stände zur Ernennung
des schwedischen Generals Baoer zum niedersächaischen
Feldmarschall, wodurch die alte heillose Zwietracht in der
Kriegführung erneuert ward. Trotzdem machten die VVaflFen
der Verbündeten im Jahre 1634 nicht unwesentliche Fort-
schritte. Hilde^heim muTste sich, nachdem ein durch die
Kaiserlichen von Minden aus unternommener Versuch, die
Stadt zu entsetzen, durch ihre Niederlage bei Sarstcdt ver-
eitelt worden war, am 17. Juli an den General vou Uslar
ergeben, während Georg selbst nach der Einnahme von
Höxter in Westfalen einbrach. Noch im Spätherbst (l(>. No-
vember) gelang es ihm sogar, das heirsbegehiie Minden zu
.erobern. Im folgenden Jahre (1635) fielen dann auch Nien-
burg, Stolzenau und Neustadt am Rübenberge in seine Gewalt,
so dafs er die ganze Unterweser bis nach Bremen hinab
beherrschte. Nienburg mufste er freilich bald darauf den
Schweden Überlassen.
Am 11. August 1634 starb zu Braunschweig im Alter
von 43 Jahren Herzog Friedrich Ulrich. Mit ihm erlosch
das mittlere Haus Braunschweig, welches dem Lande eine
lange Reihe hervorragender Regenten gegeben hatte und nun
mit diesem schwächlichen Letztling zu Grabe ging. Seine
Ehe mit Anna Sophia, einer Tochter des Kurfürsten Johann
Sigismund von Brandenburg, war kinderlos geblieben. Infolge
eines Liebeshandels der Herzogin mit dem Herzoge Julius
Ernst von Lauenburg lebten die beiden Ehegatten seit dem
Jahre 1623 getrennt. So hatte der unglückliche Fürst mit
dem Ruin seines Landes auch die Zerrüttung seines bäus-
4
4
Erlöschen des mittlerea Hauses Brauuschweig. 87
liehen Lebens und den Makel an seiner Ehre zn beklagen
gehabt Bei der Nachricht von der Eroberung Hildesheim»
durch seine Truppen war das verglimmende Leben in ihin
noch einmal autgellaL-kert, dann aber endete es plötzlich in-
folge eines UDglücklichen Falles , den er in seinem Zimmer
that. Abgesehen von den Ansprüchen, welche Kursachsen
auf Grund einer ihm im Jahre 1625 erteilten Anwartschaft
auf diejenigen Landesteile erhob, die nicht in die Geaarat-
belehnung des Braunschweiger Hauses einbegriffen waren,
blieb das Erbfolgerecht des Lüuebiirger Zweiges unangefochten.
Aber innerhalb des letzteren selbst machten sich verschiedene,
einander vriderstreitende Ansprüche geltend. Aufser der durch
die herzoglichen BrUder August d. A-, BViedrich und
Georg vertretenen cellischen Linie erhoben auch die früher
abgetundenen Nebenlinien von Harburg und Dannenborg
(S. II. 440- 462) Anspruch. Von jener verlangten Wil-
helm und Otto, die beiden kinderlosen Enkel Ottos I.,
wenigstens eine Abßndung auf Lebenszeit, während diese
aus dem Umstände, dafs sie von Heinrich, dem ältesten
Sohne Emsts des Bekenners abstammte, einen Vorzug
vor den Nachkomraen von dessen jüngerem Sohne Wil-
helm herzuleiten suchte. Auch verlaugten die Mitglieder
der cellischen Linie eine Teilung nach Köpfen, August d. J.
aber , nach dem Verzicht seines älteren Bruders der Ver-
treter der Dannenberger Linie, wollte die durch das
Pactum Henrico-Wilhelrainum (IL 33ii) festgesetzte Unteil-
barkeit des Landes und das Pri möge nit urrecht ausschliefslich
an seine Person geknüpft wissen. Durch Anlehnung an den
Kaiser hoffte er das ganze Erbe fiir sich allein davonzu-
tragen, während Georg, welcher als Stammhalter der Geller
Linie von den Mitgliedern der letzteren bei der schwebenden
Frage am meisten beteiligt war, seinen Zweck dui'ch die
Unterstützung der Schweden und ihrer Verbündeten zu er-
reichen gedachte. Beide Teile ergriffen Besitz vom Lande,
und wenn mau es auch zunächst bei achriftlichen Deduk-
tionen iiir und wider bewenden liefs, so stand doch zu be-
fürchten, dafs man schiiefslich zu wirksameren thatkräftigen
Mitteln greifen und so die bereits im Lande herrschende
grenzenlose Verwirrung noch steigern würde. Da trat plötz-
lich der in Wolfenbüttel befehligende Oberst Freiherr von
Ruischenberg mit einem kaiserlichen Mandate hervor, welches
das Erbe Friedrich Ulrichs für eröffnetes Reichslehen er-
klärte und jeden mit schwerer Strafe bedrohete, der bis
zum Austrag der Sache nicht ihm, dem kaiserlichen Befehls-
haber in Wolfenbnttel, gehorchen würde. Dieser Schritt, der
88
Erstes Buch. Zweiter Abschnitt.
eine kalBerliche Sequestration des Herzogtums Woitenbuttel-
Calenberg in Aussicht stelJtG, Öffiiete den Hadernden die
Augen. In dem Vei-trage zu Meinersen (5. September 1634)
verständigten sie sich zu einer Besitzergreifung zur ge-
samten Hand. Die Regierung des Landes sollte mit Aus-
nahme der an Hildeaheim verpfändeten homburg-eberateini-
acben Güter einstweilen ,,im Namen und zu Behuf des
gantzeu hochlöblicheu Hauses Brauoschweig • Lünebmgk "
durch Kanzler und Käte des verstorbenen Friedrich Ulrich
geführt werden. Zugleich wurden die Truppen des letzteren
als nunmehr im Dienste des Oesamthauses stehend dem
Herzoge Georg von Lüneburg unterstellt.
An demselben Tage, an welchem dieser Vertrag zustande
kam, ertbchten die kaiserlichen Truppen den grofaen Sieg
von Nördlingen. Dieses Ereignis mufste, wie es die ganze
Lage im Reiche veränderte, auch auf den weiteren Verlauf
des Braunach weiger Erbstreitea einen bestimmenden EinÜufs
ausüben. Der schwedische Reichskanzler verbündete sich jetzt
mit Frankreich, Kursachsen aber schlofa am 30. Mai 16^5
mit dem Kaiser den Frieden von Prag, welchem beizutreten
es auch die übrigen protestantischen Füi*aten auftbrderte.
August von Dannenberg hatte sich längst dem Kaiser ge-
nähert. Die übrigen weifischen Fürsten, welche die Er-
neuerung der kaiserlichen Einmischung in ihi"e Erbstreitig-
keiten fürchteten, folgten einer nach dem andei'en seinem
Beispiele und nahmen den Prager Frieden an. Am längsten
hielt Georg zurück , obgleich er von allen Seiten bestürmt
ward. Es schien ihm noch nicht an der Zeit, die Waffen
aus der Hand zu legen, viehnehr meinte er, „man müsse
alle Kräfte aufbieten, seine Armee in die möglichst stärkste
Verfassung zu setzen: dies sei das sicherste und einzige
Mittel, dem Vaterlande sowie dem ganzen Deutschland einen
guten und bleibenden Frieden zu verschaffen". Als aber
das Mifstrauen der Schweden ihm Überall hemmend in den
Weg trat, als Oxenatierna Anstalten machte, ihm das Kom-
mando über das von ihm befehligte deutsch * schwedische
Heer zu eutzieheu, als der schwedische General öpeiTCuter
gar eine Anzahl seiner Regimenter zum Abfall von ihm
verleitete, da war sein Entschlufs gefafet. Am 29. Juli 1635
kündigte er in einem an den Reichskanzler gerichteten
Schreiben der Krone Schweden den Dienst auf, und
Tage später (31. Juli) erklärte er seinen Beitritt zum Prager
Frieden, nicht ohne der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck
zu geben, „der Kaiser wurde ilm und sein ganzes turstUcliea
Haus bei den ihnen zustehenden Juribus und Gerechtigkeiten;
lti3ö
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^iten, ^1
Erb- und TeiluDgarezcPs von 1635. M
auch gemeinen Rechten oud RcichskoDstitutionen oUergnk-
digst scbüfzeii und daneben in keinerlei Wege beschweren
lassen". Nun betrieb er auch mit idlem Eifer die Bei-
legung der noch immer schwebenden Erbstreitigkeiten, be-
weg seine Brüder zum Verzicht auf die Teilung nach Kopien
und wufste dagegen einen heilsamen Druck auf den Daunen-
berger Vetter auszuüben. So kam denn am 14. Dezember
1635 zu Braunschweig der wichtige Erbvergleich zustande,
welcher bis in die neueste Zeit hinein die Grundlage für
die territoriale Crestaltung der weltischen Laude gebildet hat
Die Harburger Linie ward mit der Grafschaft Blaukenburg-
Regenstein, dem Woll'enbüttler Anteil an der Grafschaft Iloya
und einer Rente von 7600 Thalern abgefunden. Das übrige
Erbe wurde in zwei Teile zerlegt, sodai's im wesentlichen
jedes der beiden vun Friedrich Ulrich besessenen Füi-sten-
tümer seinen alten Bestand behielt. Von ihnen wurde daa
Fürstentum Calenberg- Göttingen nebst den an Hildesheim
verpfändeten Stücken der Gralschaft Eversteiu und der Herr-
schalt Homburg den Luneburgei* Brüdern zuteil. Herzog
August d. J. von Danneuberg endlich erhielt das Fürsten-
tum Wolfenbüttel, ziemlieh in denselben Grenzen, wie es
noch jetzt als Herzogtum Brauuschweig fortbesteht. Die
Rechte an der Stadt Braunschweig, der Harz, soweit er
nicht zu Grrubenhagen gehörte, und die Universität Helm-
stedt blieben gemeinschaftlich: das Direktorium über die
letztere sollte jährUch zwischen den drei Linien wechseln.
Manches blieb freilich noclt streitig oder zweifelhaft. Des
Stittes Hildesheim geschah in dem Vertrage überhaupt nicht
Erwähnung. Man Tiefs es stillschweigend in der Hand Ge-
orgs, der es den Kaiserlichen cutrissen und dessen Regimenter
es besetzt hielten. Anderes Untergeordnetere blieb späterer
Vereinbarung vorbehalten. Man war froh, eine notdürftige
Einigung erzielt, den drohenden Schiedsspruch des Kaisers
glücklich abgewandt zu haben.
Nach dem Abschlüsse dieses Vertrages blieb ea den
Celler Brüdeni überlassen , das Verhfiltnis der ihnen kraft
desselben zugefallenen Landesteile zu dem schon trüber von
ihnen besessenen Füratentume Lüneburg durch ein ent-
sprechendes Separatabkummeu zu regeln. Gemäfs dem frü-
her (S. 47) berührten Hausvertrage vom 3. Dezember 1610
hätten sie das neuerworbene Gebiet, die Fürstentümer Calen-
berg und Göttingen, mit Lüneburg zu einem „ungetrennten
und ungeteilten" Besitze vereinigen müssen. Nach dieser
Richtung hin trafen sie jedoch auf eine ausgesprochene Ab-
neigung der beiderseitigen Stände. Sowohl die Stände von
M
Erstes Buch. Zneitcr Abschnitt.
Oalenberg-GötÜQgen wie auch diejeuigen von Lüaeburg
wideratrebten, wenn auch aus verschiedenen Beweggründen,
doch beide gleich sehr einer Bolcheu Vcreiuigutig. Oios war ^j
der Gnmd , weshalb August d. A. von Gelte jenem Haua- ^H
vertrage schnurstracks zuwider durch Rezels vom 27. Ja- ^^
nuar 1636 seinem jüngsten Bruder Georg das Fürstentum
Calenberg - Oöttingen als ein selbständiges , vou Lüneburg
durchaus geti-enntes Land abtrat. Nur die Amter Wolpe
und Neustadt am Rubenbergo sowie die Amter und Vog-
teien Polle, Langeahagen, Nienover und Leuthoi-st wurden
davon ausgeachlosaen , jene au August d. A., diese aber an
den Herzog Friedrich gewiesen. Die Calenberger Stände
aber, in der Besorgnis, dafs bei deni hohen Alter und der
vcrtragsmäl'sigen Ehelosigkeit der beiden älteren Brüder
August und Friedrich nach deren Tode die getrennten Lan-
destöile dennoch ihren Wünschen zuwider unter einer Herr-
schaft vereinigt werden könnten, verweigerten ihrem neuen
Fürsten^ dem Herzoge Georg, so lange die Hiddigung, bis
er sich am 18. Februar 1636 zu einem Reverse verstand,
wonach Calenberg nicht nur nie geteilt werden sondern ^
auch stets von Lüneburg getrennt bleiben sollte. ^H
Es leuchtet ein, wie sehr Georgs Eiuflufa auf die weitere ^^
Gestaltung der Dinge in Nieder&achsen durch diese seine
Erhebung zum selbständigen Reichsfüreten wachsen mufste.
Zwar das Land, dessen Huldigung er soeben entgegen-
genommen hatte, war durch den Krieg völlig ausgesogen
und mit Schulden überlastet, aber es bot ihm immerhin eine
gesichertere und festere Grundlage für den Verfolg seiner
politischen Pläne als ihm seine bisherige, von den verschie-
densten Faktoren abhängige Stellung als Befehlshaber der
niedersächsischen Kreistrnppen hatte gewähi'en können. Das
erste, was er that, war, dais er trotz des Widerstrebe ns,
welches der Rat und die Bürgerschaft zeigten, das ver-
gleichsweise feste Hannover zu seiner Residenz erhob, dahin
das fürstliche Konsistorium und die fürstliche Kanzlei ver-
legte und die Verteidiguugswerke der ötadt zu verstärken
begann. Schon im Mai 1636 wurden die entsprechenden
Bauten, auch die Auffuhrung eines neuen flirsüichen Schlosses
in Angriff genommen. Es mochte ihm dies um so notwen-
diger erscheinen, als kurze Zeit vorher (26. April) Minden
durch die Verräterei eines seiner Offiziere in die Gewalt der
Schweden gefallen war. Dann betrieb er, soweit ihm dies
seine eigenen, karg bemessenen Mittel und die wirtschaft-
liche Zerriittung des Landes gestatteten, mit regstem Eifer
seine kriegerischen Rüstungen. Nicht nur dafs er seine zu-
Fortdauer des Krieges.
91
satnmengcschmolzenen Regimenter durch Werbungen zu er-
gänzen bemühet war, er suchte auch die veralteten Kriega-
fonnationen des Landau fgebotea und der Lehnsmannschaft
durch Reformen neu zu beleben und wenigstens zum Ver-
teidigungskriege brauchbar zu machen. Es iat nicht zu viel
behauptet, wenn man ihn als den eigentlichen Schöpfer dea
späteren hannövrischen und braunschweigiechen Kriegswesens
bezeichnet. Das teindlicho Vorgehen der Schweden, ihre
Überrumpelung von Minden, ihre Truppenzusammen Ziehungen
an der Ostgrenze des weliischen Ländergebietes, gewährte
ihm die willkommene Handhabe, die Bedenken seiner Brü-
der und des Herzogs August von Wolfeubüttel gegen ein
entschlossenes gemeinsames Handeln zu überwinden. Als
Baner von der Altmark her das Lüneburgische bedrohte,
kamen auf Georgs dringende Vorstellungen die celUschen
und woli'enbüttelschen Räte mit ihm in Peine zusammen
und schlössen hier am 11. Mai (1636) einen Recefs, welcher
die Idee einer einheitlichen Politik des gesamten welfischeu
Hauses zunächst wenigstens auf dem Gebiete des Kriegs-
wesens zu realem Ausdruck brachte. Es ward bestimmt,
dafs die damals zur Verfügung stehenden sechs Regimenter
als gemeinsame Kriegemacht des Oesamthauses betrachlet,
aus allen drei Herzogtümern ergänzt und von ihnen unter
gleichraäfsiger Verteilung der Lasten unterhalten werden
soLten. Der Oberbefehl über diese Truppen ward dem Her-
zoge Georg übertragen, der auch ilire weitere Oi-gauisation
zu leiten und die Kriegaartikel für sie zu entwerfen hatte.
Freilich vermochte man damit nicht zu verhindern ^ dafs
Baner jetzt seine Drohungen zur That machte. Gegen die
Älitte des August brach er in das Fürstentum Lüneburg
ein, besetzte eine Anzahl von Ortschaften und nötigte die
bedeutendste Stiidt desselben, Lüneburg, eine schwedische
Besatzung aufzunehmen (21. August). Und obschon er bald
darauf durch das Vordringen des vereinigten kaiserlichen
und kursächäi sehen Heeres zum Rückzüge über die Elbe ge-
zwungen ward, so setzte ihn doch der Sieg, den er am
24. September über die Gegner bei Wittstock errang, in
den Stand, auch für die Folge das lünebnrgiache Gebiet zu
brandschatzen und teilweise zu behaupten. Die Bedrängnis,
welche daraus den weifischen Fürsten abermals erwuchs,
führte endlich zu einem vollständigen Triumphe der von
Georg schon seit lange vertretenen und angestrebten Neu-
tralitätspolitik innerhalb des brauneehweigisehen Hauses Am
10. Dezember KiäS schlössen die Verti-eter der drei welti-
scheu Fürstentümer, August d. J. von Wolfenbüttel, Georg
Erstes Bach. Zweiter Abschnitt.
Ton Calenberg und Herzog Friedrich, welcher wänt
1. Oktober gestorbenen Bruder August d. A. soeben in der
Kegierung von Lüneburg gefolgt wrt, einen denkwürdigen
nnd wichtigen Hausvertrag, dessen anagesprocbene Tendens
dabin ging, inbezug auf die inneren Angelegenheiten ihrer
Länder, Regierung, Verwaltung, Kirche und Schule, gewisse
getneinftame Grundpfitze zu gewinnen und testzusteUen , und
der lür die äufeere Politik das einhellige Zurückweisen jeder
„Allianz, Conioderation und Verbundnifs mit ausländischen
Potentaten '' zur Richtschnur ihres Handebis erhob. ,,Si&
wollen" — BO erklären sie — „in wichtigen Sachen, &kr-
nemblicb Conföderationen und Kriegsverf'assnngen, wie auch
in schweren vorfallenden Reichs- Kreis- und anderen Con-
sultationen nichts statuieren und willigen, sondern gleich wie
sie Gott zu Herren eines Vaterlandes gesetzet und von
einem Grofsvater eutspriefseu lassen, sich sambt und sonders
äufserst angelegen sein lassen, dafs alles wohl gegründeter
Mafsen, gleich aus einem Herzen herihefsend, aus einem
Mtmde geredet, mit einer Feder geschrieben dahergehen
werde.'* Zu kräftiger Betbätigung und besserer Erhaltung
dieser unter den obwaltenden Umständen doppelt bedeut-
samen Einung sollten alle Räte und Diener von ihren be-
treffenden Herren auf dieselbe in Eid und Pflicht genommen
werden.
Es fehlte freilich viel, dafs die in dieser Vereinbarung
ausgesprochenen politischen Grundsätze zu voller Geltung
gelangt wären. Nicht einmal in den nächstfolgenden
Jahren war dies der Fall. Dazu erwies sich in dieser
parte izerwijhlten Zeit, unter den täglich wechselnden Kriegs-
ereignissen, der Zwang der V^erhältnisse zu mächtig. Nur
zu bald nötigte er den Herzog Georg und die übrigen
Braunschweiger Fürsten, sich von neuem den Schweden za
nähern und ßich schliefslich mit ihnen zu verbünden, also
einem der Hauptartikel jenes Vertrages zuwiderzuliandeln. Es
geschah dies infolge der fortgesetzt feindlichen Haltung des
kaiserlichen Hofes, hauptsächlich inbezug auf die Restitution
des Stittea Hildesheim. Georg, der alsbald nach dem Celler
Vertrage seine Truppen vermehrt, seine Festungen verpro-
viantiert und die Landsassen zur Verteidigung des heimi-
schen Bodens aufgerufen hatte, war entschlossen, in dieser
Frage nur der äufsersten Gewalt zu weichen. Er glaubt»
imstande zu sein, die bewaffnete Neutralität allen Parteien
gegenüber aufrecht zu erhalten, und hoffte den gesamten
nJederi'JiciialBchen Kreis für diese Politik zu gewinnen. Auf
£frei Kreiaiägea, in Stade und in LüaeWr^, \s.\. ^%r>i\Kt
1
r
VerhuudltingCD über HildesbeJm.
-J&fare 1638 verhandelt worden, doch entsprach der Erfolg
nur teilweise seinen Erwai-tungen. Öein nächstes Ziel blieh
daraul' gerichtet, das Land von den fremden Truppen zu
säubern, seine militärische Stellung im Hildeaheimischen zu
verstärken. Schon gegen Ende des Jahres 1636 hatte er,
obgleich ohne Erfolg, versucht, den Schweden die Festung
Minden wieder zu entreifsen. Besser gelaug im iülgenden
Jahre sein Augriff auf Lüncbui^, das sie noch immer be-
setzt hielten. Am 3/13. September beraUchtigte er sieh der
Stadt, kurze Zeit darauf auch des sie beherrschenden Kalk-
bergcs und des Schlosses Winsen an der Luhe. 8o machte
die Befreiung des Landes erfreuliche Fortschritte. Zugleich
suchte Georg im Sinne des Celler Vertrages eine Verstän-
digung mit dem Kaiser herbeizuTühren. Sein und der üb-
rigen Fürsten AnschJufa an den Prager Frieden hatte Fer-
dinand II. nicht günstiger tiir das wcltischc Haus gestimmt.
Der Calenberger Rat Justus Kipius, den Georg im Oktober
1636 nach R^ensburg an den dort tagenden Reichstag ab-
sandte, um womöglich einen günstigen ßeschlufs wegen der
Hildesheimer Sache zu bewirken , kelirte von da enttäuscht
und ohne das Geringste ermcht zu hüben, zurück. „Es sei
ihm" — berichtete er — ug^uiz uumüglich gewesen, mit
seinen Anträgen durchzudringen, weil die Kurlui*sten von
Köln und Bayern, denen der Kaiser bei der Wahl seines
Sohnes zum römischen Könige grolae VerbindHchkeiten ge-
habt, sich in I'crson in Regensburg befunden liätten: ihrem
Einflüsse schreibe er den ihm gewordenen Bescheid zu, das
Stift Hildesheim müsse vor allen Dingen erst restituiert wer-
den , ehe von gütlichen Unterhandlungen die Rede sein
könne."
An dieser Sachlage änderte auch der Tod Ferdinands IL
nichts, welcher fast zu der nämlichen Zeit (16. Februar
1637) erfolgte Vorgebens hatte man von der milderen Per-
sönlichkeit seines Sohnes und Nachfolgers gröfseres Ent-
gegenkommen erwartet Wie im allgemeinen, so behairtc
Ferdinands III. Politik auch gegenüber dem weifischen
Hause in der von seinem Vater eingeacMagenen Richtung.
Alle Versuche, mit ihm zu einer VerBtändigung über die
schwebenden Streitfragen zu gelangen, blieben fruchtlos.
Selbst der persönlich dem Kaisorhauso treu ergebene August
von Wolfenbüttel hatte darin keinen besseren Erfolg. Noch
immer hielten die Kaiserlichen die Hauptstadt seines Landes
besetzt und verhinderten ihn, dort seineu Aufenthalt zu
nehmen. Nicht wie der Fürst des Landes, aoudara ■^\a ^vaa
gedMete Priratperaon wohnte er in BtawTa^cW'iv^, vvv ^sx
I
M
Erstes Bucb. Zweiter Abschnitt
dürftig hergestellten Burg seiner Ahnen. Braunschweig
selbst ward iu seinem unbotmäl'sigcn Trotze gegen das
lürBtliche Haus voü dem Kaiser auf alle Weise bestärkt^
jeder Edelmann, der sich der WiedereinlÖsung der ver-
pföndcten Kammergüter widersetzte, iand bei dem Hofrate
zu Wien geneigtes Gehör. Längst verjähi'te Fordei-ungen
und neuerdings erhübene Ansprüche wurden vom kaiser-
lichen Hofe mit parteiischem Eifer vertreten und verfolgt,
eine alte vergessene Forderung des lothringischen Hauses
wieder hervorgesucht, einem holsteinischen Prinzen auf einen
höchst zweifelhaften Rechtstitel hin die Belohnung mit dem
Fürstentum Griibenhagen iu Aussicht gestellt, die tillysche
Geldtorderung von dessen Erben aiiia neue geltend gemacht,
dem kaiserlichen General Grälen HatzfelJ der geheime Be-
fehl erteilt, den Krieg in die schon längst durcb ihn ver-
wüsteten und verarmten braunschweigi sehen Lande zu spie-
len. In der Hildesbeimer Angelegenheit endlich erfolgten
Mandate liber Mandate, welche die sofortige Herausgabe der
Stadt und des Stiftes forderten und im Weigerungsfälle mit
der Exekution des Kaiserö uud des Reiches droheten.
Trotz dieser wenig ermutigenden, ja geradezu feindseligen
Haltung des kaiserlichen Hofes gab sieh Georg noch immer
der Hoffnung hin, einem offenen Zerwürfnis mit dem Kaiser
ausweichen und die beschlossene Neuü'alität aufrecht er-
halten zu können. Er lehnte das wiederholt ihm gemachte
Anerbieten ah , den Oberbefehl über die gesamten kaiser-
lichen Streitkräfte zu übernehmen , aber ebenso standhaft
wies er die Zumutung zurück, seine Truppen einem der
kaiserÜeheu Generale zu unterstellen: „er bedürfe sie", so
lautete seine Antwort , „ notwendig zur Verteidigung des
eigenen Landes". Auf dem Kreistage, der zu Anfang No-
vember 1637 in Lünebm'g zusammentrat, drang er um so
entschiedener auf eine allgemeine Bewaffnung des Kreises
zum Zweck der Bewahrung der Neutralität, als gerade da-
mals Bauer sich anschickte, abermals die Elbe zu über-
schreiten und das brauuschweigisehe Land zu überschwem-
men. Sein Verhältais zum Kaiser wui'de mit jedem Ta^e
gespannter. Selbst wenn die Absiebten, die Ferdinand III.
nach dem Zeugnis des Herzogs von Lauenburg gehegt
haben soll, das Fürstentum Calenberg den Erben Tülys ein-
zuräumen, Wolfenbüttel für sich zu behalten und mit der
Auslieferung des Lüneburger Landes an Dänemark ein
Offensivbündnis mit dieser Macht zu erkaufen, nicht emst-
Uch bestanden haben sollten, begroiil man doch das auf bei-
den Seiten wachsende Mifsti'auen. Was blieb dem Herzoge,
Qcorg ofibort aicb wieder den Schweden. fö
wollte er mit aamt seiDem Hause nicht zwischen den beiden
über mächtigen Gegnern zerriel>en werden, in dieser Lage
anderes übrig, als die alteu Beziehungen zu seinen früheren
Buudeßgenossen, den Schweden, wieder aufzunehmen V Beide
Heere, das scbwediache wie das kaißerUche, standen damals
drohend an den Grenzen des Landes, aber die gröfsere Ge-
fahr schien doch im Gefolge des letzteren zu nahen. Schon
trafen die Kaiserlichen Anstalten, die Winterquartiere im
Lüueburgi sehen zu beziehen, schon hatte der Kommandant
von "Wolfeübüttel Befehl erhalten, die üestitutiou Hildoa-
heims mit AVaflfengewalt zu erawingen. Unter diesen Um-
ständen entschlofs sich Georg, mit Baner und Torstenson,
den schwedischen Ileerftihrern, Unterhandlungen anzuknüpfen.
Koch meinte er, an seiner alten Politik festhaltend, sie durch
Zusicherung einer strengen NeutraUtät gewinnen zu können.
Als er sich überzeugte, dal's dies eine trügerische Hoffnung
sei, dafß nur ein offenes Bündnis mit den Schweden das
Verderben von seinem Hause abwenden könne, scheuete er
sich nicht, auch diesen Schritt zu thun und alles daran zu
setzen, den zögernden Bruder und den verdiichtigen Wolfen-
büttler Vetter zum Anschlufs zu bewegen. „Bei dieser
äufsersteu Gefahr, die unserer Religion und unseren Staaten
drohet" — so schrieb er damals an den letzteren — „habe
ich den Entschlufs gefafst, Ueber zu sterben als mich unter
die Fufsc treten zu lassen."
So entschieden er sich jedoch jetzt, um die gefürchtete
Vergewaltigung durch den Kaiser abzuwenden, für das Bünd-
nis mit Schweden aussprach , so wenig war er gesonnen,
seine Selbständigkeit aufzugeben und sich zum Vasallen der
nordischen Macht herabwürdigen zu lassen. Er hatte die
Bitternis einer solchen Stellung in früheren Jaliren schwer
genug empfunden. Nicht zur Befriedigung fremder Er-
oberungssucht, sondern zur Befreiung des mifshandelten,
niedergetretenen Vaterlandes sollte ihm das beabsichtigte
Bündnis den Weg bahnen. In diesem Sinne hatte er bereits
im Jahre 1639 die notwendigen Schritte gethan, um sich
durch einen engen Anschlufs an das benachbarte Hessen
des schwedischen Übergewichtes zu erwehren und sich neben
den schwedischen Generalen eine gleichberechtigte Stellung
zu sichern. Jn drei Verträgen mit der klugen und mutigen
Landgräfin Amalie Elisabeth, der Witwe Wilhelms V., welche
nach dem Tode ihres Gemahles (f 21. Sept. 1637) mit der
Vonnuudschatt über dessen Kinder auch die Regierung des
Landes führte, kam das Bündnis zum Abschlufs. Man ver-
sprach sich gegenseitig Schutz und Hilfe imd beachlols zum
M
Eratea Buch. Zweiter Äbschoitt.
Zweck der Verteidigung gegen jedermann ein Heer in der
Gesanitätärko vuu 9000 Manu aufzuateilen j dessen Aus-
rüstung und Unterhalt zur grrifaerea Hälfte (5000 Mann)
den weifischen Herzogen zufiel und das mau im folgenden
Jahre bia auf 12 000 Mann verstärkte. Gestützt auf eine
solche Kriegsmacht, konnte man hoflFcn, den Schweden Acli-
timg einzunöfscn und den auagesproc heuen Endzweck zu er-
reichen, die nerbeiführung eines bilUgen Friedens lur da»
Reich und die Aufrechterhaltung der alten Ueich&ordnungeo.
iSuUteü aber die Örhwedeu oder ihre Verbündete, die Fran-
zosen, bei den Friedensverhandluugeu ihre Ansprüche zu
hoch spannen, so wollte man solchen Versuchen einmütig
und mit vereinter Macht entgegentreten. Diese Abmachungen
mit Hessen - Kassel erhiehen dann durch den Vertrag von
Peine, welclien die drei weifischen Herzöge am 21. April
1640 abschlössen, ihre gesicherte Grundlage. Sie erklärten
in demselben, „dafs sie sich durch die fortwährenden Kriegs-
unruheu bewogen sähen, in eine nähere Verbindung wie bis-
her zu treten und demnach beschlosseu hätten, fest bei ein-
ander zu beharren und zur Erhaltung ihrer gegenseitigen
Länder tüi" einen Mann zu stehen: da aber das fürstliche
Haua allein einer solchen Aufgabe nicht gewachsen sei,
Bo wolle es die mit Schweden ubsch webende Allianz per-
fektionieren, dann auch die mit Hessen getroffeue Verfassung
in völligen Effekt setzen und endlich die mit der Direktion
der franzüBiach - weimarischen Truppen angelaugene Unter-
handlung zum Schlüsse zu bringen suchen."
Man konnte nach diesen Vorgängen iiir das Jahr 1640
entscheidenden Ereignissen auf dem mittel • und nieder-
deutschen Kriegsschauplätze entgegensehen. In der That
war das Heer der Verbündeten, nachdem es im Mal seine
Vereinigung bewerkstelHgt hatte, eines der zahlreichsten,
welche dieser mörderische Krieg gesehen hat. Aber der
Erfolg entsprach nicht den gehegten Erwartungen. Vier
Wochen lang standen sich die beiden grofsen Heere, das
kaiserliche unter dem Erzherzoge Leopold und Piccolomini,
das der Verbündeten unter Bauer, dem Hessen Holzapfel
(Meknder) , dem Herzoge von Longueville und dem in
braunschweigische Dienste getretenen GeiieraUieutenant von
Klitzing, bei Saalfeld und Erhurt gegenüber. Dann lösten
die Zwietracht unter den Pühreni und die Schwierigkeit der
Verpflegung das bündnerische Heer auf, ohne dafs es einen
Schwertschlag gethan hatte. In planloser ZerspÜtterung wi-
chen die einzelnen Abteilungen, von den Kaiserlichen ge-
folgt, nach Hessen, Braunschweig und Kiedersachsen zurück»
Tod Georgs von Liineburg.
«7
Wieder Hcliieuen diese Bclion so hart mitgcnommonon Län-
der ziun Tummelplatz eines verwüstendi^n, jetzt mit doppelter
Erbitterung geiiibiien Krieges werden zu sollen. Um die
Mittel zur Abweiir zu beraten, die zwischen ihucu bestellen-
den Milsheliigkeiteu auszugleichen, den Feldzugsplan fiir das
kommende Jahr festzustellen, traten die Ueertührer iiu Ok-
tober in nildesheim zusammen. Baner und Georg von
Lüneburg hatten hier mehrere geheime Unterredungen. Was
von ihnen beraten und beschlossen ward, ist nicht bekannt
geworden Vielleicht bildete der tollkühne und abcnteuer-
Hche Zug, den der schwedische Feldherr wenige Wochen
später unternahm, um den iu Kegeusburg tagenden lleicbstag
zu zersprengen, sich womöglich der Person des Kaisera seibat
zu hemächtigen, jedenfalls aber den Krieg wieder in die ka-
tholischen Länder zu tragen, den Hauptgegcnstand ilurer
Verhandlungen. Das Unternehmen scheiterte vollständig.
Baner gelangte zwar trotz der Winterkältc mit seinen Trup-
pen bis unter die Mauern von Regenabui-g, er schreckte und
ängstigte die Versanmdung durch einige hundert Kanoneu-
Bchüsso, dann aber sah er sich genötigt, den verlustvoUeu
Rückzug anzutreten, auf welchem ihn am lütiO. Mai 1(^41
ein frühzeitiger Tod ereilte. Wenige Wochen vorher
(2/12. April) war auch Herzog Georg zu Hildesheim der
schleichenden Krankheit erlegen, die ihn seit jenen Ver-
handlungen mit Baner befallen halte und nach einer kurzen
Zeit anseheinender Besserung seinen Tod herbeifiihrte. In
der Fürstengrul't zu Celle wurden seine sterblichen Über-
reste bestattet Getreu dem einst mit den Ötänden seines
Landes vereinbarten Vertrage (S. [iO) hatte er iu seinem
Tcßtameutc bestimmt, dal's, so lange noch zwei seiner männ-
lichen Nachkommen am Leben wären , die Fürstentümer
Celle und Calenberg- Göttingen nie unter einer Regierung
sollten vereinigt werden: dem ältesten seiner Erben sollte
stets zwischen beiden Landesteiten die Wald freistehen, doch
sollte in den also getrennten, von nun ab aber unteilbaren
Fürstentümern das Recht der Primogenitur zur Geltung ge-
langen und unweigerlich beobachtet werden.
iJer Tod Georgi? entrifs dem Braunschweiger Lande und
dem weifischen Fürstenhauso den einzigen Mann, welcher bei
längerem Leben des letzteren Hechte und Ansprüche in den bald
darauf beginnenden Friedensverhandlungen mit Nachdruck
und Erlolg hätte vertreten können. Seiner Einsicht, Ge-
wandtheit und Kiiegstilchtigkeit allein verdankte man die
immerhin nicht zu verachtende Machtstellung, welche das
Uelucmtn*-, Brtuscbw.-bftiiaSr. Ovicklel.'«. IU. 7
«5
Erstea Buch. Zweitor Abschnitt
brauD schweif sehe Hans in den letztverflossenen Jahrea
mühsam wieder errungen hatte. Sein politische» Geschick
hatte das Band geknüplt, welches die aus einander strebenden
Neigungen und Interessen der einzelnen Linien notdürftig
Kusammeulilelt und sie zu gemeinsamem Uaudelu verband, ^J
an seiner BntscUlusscnheit war bisher jeder Gedanke, durch ^H
Preisgebung des Stiftes llildesheim einen schmählichen Frie- ^i
den von dem Kaiser zu erkaufen, gescheitert. Unter den
schwierigsten VerhültnisBen hatte er das Ansehen seines
Hauses wenigstens cinigermafsen aufrecht zu erhalten ver-
standen, im Felde wie im Rate unablässig an der Wieder-
herstellung seiner früheren Bedeutung gearbeitet. Gerade
in dem Augenblicke, wo er die Früchte dieser Thktigkeit
ernten zu dürfen schien, ward er aus diesem Leben hinweg-
genommen. Sein Tod liinterlieis eine Lücke, die keines
der übrigen Mitglieder des Geschlechtes auszufüllen imstande
war, weder der alte, friedliebende und bequeme Friedrich
von Celle, noch der mit allen seinen Gedanken sich dem
Habsburger Hause zuneigende August d. J. , noch endlich
der wenig begabte, unter dem Einflüsse seiner ängstlichen
Käte stehende Christian Ludwig, welcher als der erstge-
borene Sohn, damals kaum neunzehn Jahre alt, dem dahin-
goachiedeneu Vater in dem Fi'irstentume Calenbej-g folgte.
fcäcUen hat eich der Verlust eines bedeutenden Mannes iUr
sein Haus und sein Land so unmittelbar und so unheilvoll
fühlbar gemacht wie hier. Wenige Monate nach seinem
Tode, am 19. Juni lß41, erlitt das Heer des Erzherzogs
Leupold, als es vom Magdeburgischen her den Entsatz des
noch immer von den Kaiserlichen behaupteten Wolfcnbüttel
unternahm, vor den Wällen dieser Festung, nach dem Oder
zu, bei der sogenannten weifsen Schanze durch die ver-
einigten Schweden und Braimschweiger unter Wrangel,
Königsmark und Klitzing eine vernichtende Niederlage. Die-
ser Sieg hätte für die ßetreiung des Landes entscheidend
werden können, aber man versäumte es, ihn zu verfolgen
und auszubeuten, nicht einmal die Belagerung von AVolfen-
büttel wui'de dadurch gefördert. Und wenn so in der Krieg-
fuhrung eine beklagenswerte Schwäche Platz griff, so war
dies nicht weniger der Fall auf dem Gebiete der Politik,
Herzog August von Woltenbüttel hatte schon vor Georgs
Tode mit dem Kaiser Friedensverhandlungen angeknüpft,
durch die er am leichtesten in den Besitz seiner Haupt-
festung zu gelangen lioffte, und Friedrich von Celle hatte
sich ihm darin angeschlossen, von dem eben zur Regierung
gekommenen Christian Ludwig aber war keine selbständige
Friede von Goslar.
99
Haltung zu erwarten. So gaben denn die Herzöge, als sieb
über Georgs Leiche die Gruft noch nicht ein Jahr geschlossen
hatte, einen reichen, wohlerworbenen Besitz auf, der hundert-
zweiundzwanzig Jahre hindurch in ilu*eu Händen gewesen
war und den zu erhalten jenei* sein ganzes Leben lang ge-
rungen hatte. Am 16. Januar 1642 machten sie zu Goelar
mit dem Kaiser ihren SeparatlVieden, der im April des ibl-
gcndcn Jftlires durch einen in Braunechweig abgeschlossenen
Kezel» erweitert und bestiitigt ward. Das Stü"t Hildesheim
wurde an den Bischof Ferdinand, einen bayerischen Prinzen,
der auch das Erzbistum Köln und die Bistiuner Paderborn
und LütticU verwaltete, in seinem ganzen Umfange zurück-
gegeben, mit einziger Ausnalime der Schlösser und Amter
Lutter a. B., Coldiugeu, Westerhof und Dachtmissen, sämt-
lich ursprünglich weltisches ätammgut und nur durch
Pfandschaft in Besitz des Stiftes gelangt. Von ihnen tielen
Coldingen und Westerhof an die Calenbcrger, Dachtmissen
an die cellische und Lutter an die Wulfenhüttlcr Linie.
Dagegen verzichtete der Bischof auf die Wiedererstattung der
auf 30 Millionen Gulden geschätzten Einkünfte, welclie die
Herzöge während der braunschweigischen Herrschalt aus
dem grofsen Stifte bezogen hatten, sowie auf die everstein-
homburgischen Pfandachaften ohne UückzaLlung des darauf
ruhenden Pfand scliillmgs. Die Räumung Wolfenbüttels und
der übrigen noch von kaiscrUchcn Truppen besetzten Plätze
wurde kaiserlicherseits versprochen, die übrigens nie von
weifischer Seite anerkaionte Forderung der Erben Tillys an
das Fürstentum Calenberg im Betrage von 400000 Thalem
erlassen und endlich dem braunschweigischen Hause die so
heifs beehrte Neutralität während des noch immer fort-
dauei'nden Krieges zugestanden. Aufserdem wurde den
evangelischen Bewohnern des Stiftes Hildeaheini auf vierzig
Jalue, dem Adel auf siebenzig Jahre freie Keligionsübung ge»
währt. Dieser dem weifischen Hause so nachteilige Friede
erhielt dann dadui'ch noch seine vielleicht schlimmste und
verhiingni SV ollste Bedeutung, dafs die Herzöge sich auf des
Kaisers Drängen dazu entschlüSäen , den Bestand der von
Georg geworbenen und hinterlassenen Regimenter wesentlich
zu verringern, den zwischen ihnen bestehenden Militärver-
band aufzulösen und sich damit der einzig wirksamen Waffe
zu berauben, die ihnen ziigebote stand, um bei dem künf-
tigen allgemeinen Friedensschlüsse ihre Entschädigungsan-
sprüche durchzusetzen.
Ein wie schwerer politischer Fehler dies war, zeigte sich
alsbald nach dem Abschlüsse des Vertrages. Zögerad nur.
IM
Ente« Bacii. Zveher Abschnitt.
fadt widerwillig ^rtUllte der Kaiser die dem wedfischen liaxt&e
geroacbten Zasagen. Längw als ein Jahr üher die verein-
barte Frist hinaus hielt Ruiscbenberg , der kaiserliche ße-
fehlahaber in Wolfenbüttel, diese Festang noch besetzt
Statt am 27. Augnst lt>42 räumte er sie erst am 13. Sep-
tember 1643, nicht ohne im letzten Au^nblicke, gleich als
ob er seinen Abzug bereue, noch den Versuch einer Wie-
derbesetzung gemacht zu haben Erst am 3o. Januar 164:4
konnte Herzog August seinen Einzug in die verwüstete, ent-
völkerte, fast ganz in Trümmern liegende Stadt halten,
welche sechszehn Jahre hindurch in den Händen eines er-
barmungslosen Feindes gewesen war und ihm zum Zentral-
pimkt seiner Erpressungen und Ausraubnngen ringsum im
Lande hatte dienen müssen. Auch sonst hatte dieses in den
nächsten Jahren vonseiten der krieglührcnden Parteien trotz
der ihm zugesicherten NeutraHtät noch manche Drangsale
und Schädigungen zu erdulden Aber das Schlimmste war
doch vorüber, namentlich seitdem im April 1645 nach lan-
gen Verhandlungen endlich in den westfölischen Bischofs-
städten Osnabrück und Alünster der grofse Friedenskongrefo
zusamroengeti'eten, der den Abgrund dieses endlos scheinen-
den Krieges zu sclilielsen bestimmt war. Noch bedurt^e es
einer viertehalbjährigen Thätigkeit, bis das Friedens werk
2ustande kam. Das Braun Schweiger Haus ward in Osna-
brück, wo der Kaiser mit der Krone Schweden und den
protestantischen Ständen Deutschlands verhandelte, durch
den Kanzler Langenbeck filr Celle, den Rat Köhler lur
Wolfenbüttel und durch Jakob Lampadius fttr Caleuberg-
GKittingen vertreten. Von ihnen war Lampadius weitaus
die bedeutendste Persönlichkeit, vielleicht der gewandteste,
rührigste und beredteste WortTührer der evangelischen Sache
überhaupt. Eines Calenberger Bauern Sohn , früher Pro-
fessor des Staatsrechtes in Helmstedt, ein gelehrter und
scharisinniger Jurist, ein geschickter Diplomat, hartnäckig
und, wo es die Umstände erforderten, wiederum in kluger
Selbstzucht nachgiebig und entgegenkommend, wulste er
sich von vornherein eine geachtete Stellung zu sichern, sich
bald zum eigentlichen Mittelpunkt der Verhandlungen zu
machen und schliofsHch selbst das Vertrauen der schwe-
dischen Unterhändler zu gewinnen. Freilich die Aufgabe,
die er zu erlallen hatte, war dornenvoll genug , und die
Sache, die er verfocht, erschien so gut wie hoffnungslos.
Die voreilige Abrüstung der weifischen Fürsten entzog ihm
das wirkungsvollste ^Vrgument, das er für ihre Kechte und
Ansprüche hatte geltend machen können , und von dem Kaiser
Der ireatiBligche Friede.
101
enhersieh, ungeachtet der von diosem gegen das Braunschweiger
Haus übernommenen Verpflichtungen, echmUhlich im Stich
gelassen. BiUd inufste er aicli Überzeugen, dals der Krwerb
der niedersächsischon Stifter, welche vor dem Kriege längere
oder kürzere Zeit unter der Administratiun braunschweigi-
echer Fiu-sten gestanden hatten und bereits als ein ge-
sicherter Besitz des Hauses galten, nicht zu erreichen sein
würde. Es war bewunderuugswert , wie wenig sein Eifer
dadurch erkaltete, wie standiiatt er fortfuhr, für die Keclito
seiner Auftraggeber einzutreten. Allein mit papiernen Grün-
den war hier wenig auszurichten, alle gelehrten Deduktionen
erwiesen sich als wirkungslos, alle Hinweise auf Billigkeit
und Gerechtigkeit vei-mochten an jener Thatsache nichts zu
ändern. Hildeshtim hielt die katholische Partei fest, Bremen
und Verden inufsten zur Abfindung der Schweden, Halber-
etadt und Minden zur Befriedigung der Ansprüche von
Brandenburg dienen, welches sich besser vorgesehen und,
statt zu entwaffnen, in den letzten Jahren des Krieges seine
Truppen ansehnUch veiinehrt hatte. Lampadius mufste am
Ende froh sein, durch die Vermittlung seiner eigentlichen
Gegner, der schwedischen Gesandten Salvius und Oxen-
sticrna , einige d ürftige Zugcstiindiiissc zu erreichen. Mit
Mühe gelang es ilim, die erneueten Forderungen der tilly-
schen Erben inbezug auf Calenberg zurückzuweisen, die
Absicht, Hoya und Diepholz .';tatt Pommerns als Tausch-
objekt zu behandeln, zu vereiteln. Als alleiniger Ersatz lür
so viele geltend gemachte Ansprüche, für so viele ge-
täuschte HofFuungen ward dem braunschweigischeu Hause
das Recht, den Bischofsstuhl von Osnabrück nach dem Tode
des äugen bhckli eben Inhabers alternierend mit einem seiner
Prinzen zu besetzen, sowie die Abtei Walkenried mit dem
dazu gehörigen Hofe Schauen zugesprochen. Dem Herzoge
August von W'olfenbüttel wurde aufserdem die Verleihung
der zwei ersten zur Erledigung kommenden Präbenden beim
Straf:*burger Domkapitel für seine beiden jüngsten Söhne in
Vussicht gestellt.
Das war der ganze Gewinn, den das Braunscliweiger
lau? aus dem heillosen Kriege davontrug^ die einzige Ent-
schädigung für deu üamculosen Druck, der vierundzwanzig
Jahre hindurch auf dem unglückliclien Lande gelastet hatte.
Die Verwüstung seiner Städte, die Verödimg des platten
Landes, die Verarmung der woldhabenden Bovölkerung, die
Not endlich, die Verwilderung und stumpfsinnige Gleich-
gültigkeit, die sich des gemeinen Mannes bemächtigt hatten:
alles war nicht imstande gewesen, einen anderen, ge-
Die Donner des längsten, furchtbarBten und verheerend-
sten Krieges, den die neuere europäische Geschichte kennt,
waren endlich verstummt. Jetzt erst, nachdem der von
Millionen herheigesohnte Friede feierlich verkündet war, ver-
mochte man den vollen Umfang der Verluste zu übersehen,
die er venarsaclit, die Tiefe der Wunden zu ermessen, die
er dem M'ohlstande der deutschen Länder, dem wirtschaft-
liehen, geistigen und nationalen Leben des deutschen Volkes
gesehlagen hakte. Es ist kaum eine Übertreibung, wenn
man behauptet hat, dafa durch diesen Krieg Deutschland
um zwei Jahrhunderte in seiner Geaamtent Wickelung zurück-
geworfen Bei. In vielen Gegenden war der Viehbestand auf
die Hälfte, ja auf ein Drittoü herabgesunken, weite Land-
striche lagen völlig wüst und hatten fast ihre gesamte frühere
Bevölkerung eingebüfst, die entweder umgekommen oder in
die benachbarten Wälder geflohen wai*. In der ehemals so ge-
segneten und lachenden Uheinpfalz soll der Krieg nur den
fünfzigsten Teil der Bewohner übrig gelassen haben. Hun-
derte und aber Hunderte von Dörfeni waren vom Erdboden
verschwunden, die einst so blühenden und gewerbreicheu
Städte verannt und vei*ödet, die Wälder verhauen, die Fel-
der von Düruengesü'üpp überwucliei*t und mit Trümmern
bedeckt. Dos Volkes aocr hatte sich, soweit es nicht in dem
wüsten, lasterhaften Kriegslcben verwildert oder dem Druck
der Zeiten erlegen war, eine stumpfe Mut- imd Uuffnungs-
losigkeit bemächtigt, die jede Möglichkeit eines Erapor-
rafTens , jede Aussicht auf ein künftiges Wiedererwachen
nationaler Kraft und stolzen öelbätgetulils auszuachliefsen
achien.
Auch die welfiBcheu Landschalten waren, wie wir wissen,
von dem grausigen Verhängnis, das im Gefolge dieses Krie-
I
I
Zuätaad des Landes nach dem Kriege.
103
gea daherschritt, nicht vorschont gebliobou, hatten vielmehr
fast webrloä seine Schrecknisse und Leiden über sich er-
gehen lassen müssen. Alle TeÜü des Landes ^ alle Klassen
der Bevölkerung, Städte wie Dörfer waren davon in gleichem
MaTse betrolTen worden. Von den Städten waren Münden,
Hameln, Nordbeim, Göttingen und vor allen Wolfenbtittel
nur noch Trümmer hauten, andere, wie Lüneburg, Helmstedt,
Eimbeck und Dnderstadt, hatten unter der wecbseLoden Be-
setzung und Ausraubung seitens der kriegführenden Mächte
wenigstens schwer gelitten und nur Braunsthwcig und Han-
nover waren dank ihrer müchtigen Verteidigungswerke vor
den actilimmsten Unbilden des Krieges bewahrt gcbÜcben.
Und zu dieser Verwüstung und Verarmung des Landes ge-
sellten sich der finanzielle Kuin und die politische Ohnmacnt,
unter deren niederdrückendem Gewicht das fürstÜclie Haus
aus dem Kriege hervorgegangen war. Seine Verluste au
Gut, Einkommen, Macht« Eindula und Ansehen waren un-
ermefslich. Welch ein Abstand gegen die glücklichen, ver-
hei Isungs vollen Zeiten der Herzoge Julius, Heinrich Julius
und Ernst des ßekonnera. Kaum dafs man den uralten
Besitzstand notdürftig behauptet hatte. Alle noch so be-
rechtigten Ansprüche auf Land ei-zu wachs Latten aufgegeben,
das reiche Stift Hildesheim, das länger als hundert Jahre im
Besitze des Hauses gewesen war, hatte abgetreten werden
müssen. Inmitten der benachbarten, aus seinem früheren
Machtgebiet bereicherten protestantischen Staaten und dem
neu gekräiftigton Katholizismus drohete dem Braunschweiger
Hause die Gefahr, wenn nicht völlig zerdrückt, so doch auf
das geringste Mafs von Ansehen und Macht herabgemindert
zu werden.
Die Aufgabe, ein so herabgekommenes Land der Ver-
armung zu cntreifsen, ein so niedergetretenes und mifshandel-
tes Volk aus dem materiellen Elend und der geistigen Ver-
kommenheit wieder emporzuheben, zugleich aber dem wei-
teren Verfalle und der drohenden schliefslichen Machtlosig-
keit des Rcgeuteohausea zu wehren, war sicherlich eine der
schwierigsten, aber aueh eine der schönsten und lohnendsten
Autgaben, die einem Politiker gestellt werden konnte. Die
welfiachen Fürsten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
sind sich der Gröfsc itnd Bedeutung dieser Auigabe wohl
bewufst gewesen und haben, ein jeder nach dem Malse seiner
Begabung, ihr gerecht zu werden gesucht: zunächst der
treffliche Herzog August d. J. von Wolfenbüttel.
August war ohne Zweifel einer der merkwürdigsten
Männer seiner Zeit: ein leidenschafdicher Büchersammler,
m
£rflt«t Bach. Dritter Abschnitt.
eio Qdekrter tod erstaunlicher Vielseitigkeit, ean Staat»-
mann ucd Kegenl von rastloser, unermädlicber Thitigkeit,
Kfclit mit Unrecht hat man ilm in einen direkten G^eosatz
tm winem verstorbenen Vetter Georg von Lüneburg ge-
itellt In der Tbat war ihm, während dieser in dreiund-
drcif'aig KeldzUf^n, in Deutdchland, Italien und Dänemark^
«to wechuel volle«, unruhige« Kricgerleben iuhite, der Krieg
terhüUt. Nie bat er, obgleich in einer von Waffen klirrenden
Zctt Ifibend, ein Heer befehligt, nie eine Schlacht geschlagen.
Scioe Keiffungen lagen auf einem anderen Felde. Auf den
Univertitüten von Rostock, Tübingen und Straßsburg hatte
er «ich eine au fsergewühn liehe Bildung erworben, diese durch
Reuten in Italien, Frankreich, Holland und England er-
weitert und vertieft. Drei feig Jahre safä er dann nach seiner
ICUc'kkchr auf dem bcBcheidencn Herrensitze, der ihm, dem
JtlngBtea «einer Brüder, zugefallen war, auf dem Schlosse
llitsacker, fent von den Wirren der Welt, in »eine Studien
vertieft, mit der Abfassung seines berühmten Buches über
da« Schachi^piel beschäftigt, einen ausgebreiteten gelehrten
Brieiwechsel untejhaltend, vor allem aber darauf bedacht,
»eine Bibliothek, die er Bchon in den Tagen seiner Jugend
ssu Hammeln begonnen hatte, zu vermehien, zu ordnen und
zu verzeichnen. Ala er von diesem seinem „Ithaka", aus
dieser glücklichen Mufse und weiten tlremdeten Stille sich
unerwartet inmitten der Drangsale des endlos sich hin-
sclJepfMjnden Krieges zur Regiening des gröfseren Landes
berufen sali, wufste er sich mit jener spontanen Leichtigkeit,
wie flie aufsorgewühnlichen Menschen eigen ist, in die er-
weiterten Verhältnisse und die veränderten Umstände zu
finden. Statt der gelehrten Studien, die ihn bisher liast ai;s-
scbliefslich beschäftigt hatten , mufste er jetzt mit seinen
Lüneburger Vettern Ilechtsdeduktionen tauschen , mit dem
Wiener Hofe diplomatisclie Noten wechseln, mit den kaiser-
lichen Christen über die Räumung seines Landes verhandeln.
Und ala dann endlich die unliebsamen Gäste aus dem letz-
teren gewichen waren, als er seinen Einzug in AVoÜeubüttel,
seine jämmerlich zugerichtete Haupt- und Residenzstadt, ge-
lialtcn hatte, da galt es, die Hände zu regen, um das ver-
wüstete und ausgeraubte Schiofs wieder in einen leidlich
wohnlichen Zustand zu versetzen, die von den Fluten der
aufgestaueten ücker unterwUblten, von den Geschossen der
Belagerer zertrümmerten Strafsen und Häuser wieder aufzu-
bauen, kurz die Spuren des entsetzlichen Krieges nur erst
innerhalb seiner nächsten Umgebung einigermalsen zu ver-
H'/sc/ien. Dann Aamcn die gröfseren und acWierigeren Auf-
4
^
I
Uenog August d. J.
105
gaben: die Wiederbelebung und Reorganisation der Kirche,
die Neuordnung des völlig dai'niederliegcnden Schulwesens,
die Hebung der Finanzen und des Landeskredits, dej Wie-
deraufbau der zerRtörten Dörier mit ihren Gotteshäusern,.
die Wiederherstellung endlich einer gcurdneten ßcchtapfloge
und Verwaltung.
Herzog August hat sich dieser Riesenaufgabe mit jener
ruliigen Stetigkeit und jenem pflichttreuen, durch nichts zu
beirrenden Eifer entledigt, welche vor allen anderen Cbarak-
tereigen schatten seiner Persönlichkeit ihr eigentümliches Ge-
präge geben. Es ist geradezu staunenswert, was er, damals
schon ein siebenzigjähriger Greia, mit seinem Walilspruche
„Expende (alles mit Bedacht)*' auf den verschiedenen Ge-
bieten menschlicher Thätigkcit noch geleistet hat. Denn
auch seinen klmstlerisclLen und wissenschaftlichen Neigungen,
seinen gelehrten Forschungen und Arbeiten blieb er nach
wie vor treu, vor allem dem Bestreben, seine Bibliothek zu
bereichern und zu vormehren, die er als die damals be-
deutendste Sammlung dieser Art in Europa bei seinem Tude
hinterliefs. Und dies alleg hinderte nicht, dafs er nicht auch
zuweilen am lustigen Ringelreanen und Ritlerspiel sich er-
götzt, zur Herbstzeit den Hirsch oder Eber gejagt, bis in
sein hohes Alter sich im Annhrustschiefaen geübt, ja jedes
Pferd, das er besteigen wollte, selbst zugeritten hätte. So
blieb er auch noch im Alter der vielbewunderte Mann, an
dem die Jahre machtlos voriiberzugleiten schienen, der j,divua
senex", wie ihn seine Zeitgenossen nannton, „der nndächtig
mit GeistÜchen, mit Juristen rechtfertig, mit Ärzten hoilsara-
licb, mit Weltweisen vernünftig, mit Künstlern kunstmäfsig
zu reden verstand ". Wie ein Wunder des Jahrhunderts,
das in der Welt seinesgleichen nicht habe, erschien er noch
in seinem dreiundachtzigsten Jahre seiner Base, der geist-
reichen und spottsüchtigen Herzogin Sophie von Calenberg.
„Seine Diener", sagt sie, „haben nichts zu t!mn, er besorgt
alle ö£fcntUchen und häuslichen Angelegenheiten selbst und
thut in einem Tage mehr als vielleicht ein Dutzend Per-
sonen in acht Tagen zustande bringen würden."
Das Nächste und Notwendigste, was August in die Hand
nahm, sobald er, dem Beispiele seiner Vorgänger in der
Regierung folgend nach Wolfenbuttcl seine Residenz verlegt
hatte, war die von ihm möglichst beschleunigte Herstellung
des Schlosses, der Stadt und der Festangs werke. Ei- fand
dies alles in dem traurigsten Zustande de« Verfalls und der
Zerstörung. „Ich vermeine", schrieb er am ^ä. 'Äc'^Vitt^x
1643 afl Johann Valentin Andrea, „m\t GüUää N^*^«ft. '^"ö-
f06
Erstes Buch. Dritter Abscbnitt.
vier oder sechs Wochen mit der Ilofatatt mich in mein Ilaus i
zu bep;eben, ziehe jetzt ab und zu, um reparieren zu lassen,
was die Devaatatoros so unverantwortlich ruiniert, Gott ver-
gelte ea ihnen auf ihren Kopf." In der That bot daa
Schlofs einen trostlosen Anblick dar. In seinem Aufsorn
durch die Kugeln des Belagerungageächiitzea arg beschädigt,
war 03 im Innern infolge der Rohheit und Zerstörungslust
seiner Verteidiger gänzlich verwüstet. Nicht besser aah ea
in der Stadt aus. Sie gKch einer Trüram erstatte. Mehrere
Hundert Häuser waren ganz zerstört, viele andere droheten
den Einsturz. Die Bürgerschaft war von 1200 Familien
auf 150 herabgesunken, fast alle an den Bettelstab gebracht,
unfähig die Lasten, die „ihi*er blutigen Armut" autgewiüzt
worden, länger zu tragen. Das Strafsenpflaater war durch
die wiederholten Aufstauungen der Ocker völlig ruiniert,
die Festungswerke überall schwer beschädigt. Der Herzog
begann mit der Herstellung des Schlosses, dann ward die
Marienkirche wieder in Stand gesetzt und später (seit
dem Jahre 1655) neu fundamentiert. Zugleich wurden die
Festungswerke ausgebessert und nach Osten zu erweitert,
der Marstall wieder eingerichtet und in der über ihm ge-
legenen Rüstkammer die Bibliothek, die dem Herzoge nach
WolfenbiUtel gefolgt war, nntorgebracht. Mit der thatkr&i-
tigen Beharrlichkeit, die ihm eigen war, ging der Herzog
dabei zuwerke, nichts überstürzend, aber auch nichts ohne
zwingende Nötigung verzügcrnd oder aufschiebend. So ge-
lang ea ihm in vergleichsweise kurzer Zeit in das Chaos von
Schutt und Trümmern, das Wolfenbüttel nach dem Abzug
der Kaiserlichen darbot, Halt und Ordnung zu bringen.
Schon ein Jalu* nach seiner TJbersiedelung war das Sclilois
80 ziemlich in dem alten Zustande wiederhergestellt und zur
Aufnahme des Herzogs, seiner FamiHc und Beines Hofes ein-
gerichtet. Zclm Jahre später (1653) hatte die Bevölkerung
der Stadt bereits wieder so zugenommen, dafs unter des
Herzogs Auspizien eine neue Vorstadt, die nach ihm be-
nannte Auguststadt, entstand, für die er dann, wieder ein
Jahrzehnt darauf, aiich eine eigene Kirche erbauen liefs.
Aber nicht allein auf Wolieubüttel, sondern auch auf die
übrigen Städte und Ortschaften des Landes erstreckte sich
die Fürsorge und angestrengte Thätigkeit des Herzogs. Um
nur einige Beispiele herauszugreifen, so Uefs er zu Neustadt
unter der Harzburg und an anderen Orten neue Kirchen er-
stehen, stellte die im Knege eingeäscherten und völlig zer-
störten Gebäude des Junglrauenklosters Stetorburg wieder
her, erneuerte und verbesserte das dortige evangelische
Seine v!e.1seiti((G Sorge für rlas Land.
107
Frauenstiit und besetzte ea wiederum mit Konventuaünnen.
Wie e« Beine Natur war, so sehen wir iLn übenill aelbst-
tliätig eingreifen^ Weisungen erteUeu, Brieiu schreiben, sich
um die geringsten, oft gleichgültig erecheinenden Einzelheiten
kümmern. So kam durch seine energische Initiative nach
und nach alles wieder in besseren Stand, langsam freilich
und nicht ohne mancherlei Stockung, aber im grofsen und
ganzen doch einen stetigen Fortschritt zeigend. Die schlimm-
sten und offenkundigsten Spuren des unseligen Krieges ver-
schwanden allmählich, langsam hob sich der Wohlstand des
niedergetretenen Landes, Vertrauen und Lebensmut kehrten
in die Gemüter zurück, befreiet von unerträglichem Druck
atmete die Bevölkerung auf
Und neben dieser Sorge flir die allgemeine Hebung des
Landes, neben dieser Förderung der materiellen Interessen
vernachliissigte der Herzog keineswegs die Pflege der geisti-
gen und sittlichen Faktoren, ohne welche jene doch nie von
dauerndem Bestände zu sein pdegen. Auf sämtliche Gebiete
des öffeullicben Lebens erstreckte sich ordnend und frucht-
bringend seine landesväterliche Fürsorge. Kirche und Schule,
Verwaltung, Rechtspflege, Armenpflege, Gewerbe und Handel,
dies alles hat fast in gleichem Mafse seine (ordernde Ein-
wirkung erfahren. An der Leitung der Kirche nahm er
den persönlichsten Anteil. Je sicherer er sich dank seinen
theologischen Studien auf diesem Gebiete fUhlto, um so we-
niger tnig er Bedenken, im Bewulstsein seiner Würde als
oberster Bischof nicht nur in kirchliche Rechts- und Ver-
fasaungsfragen, sondern auch inbezug auf Lehre und Kultus
unmittelbar, bisweilen in herrischer Weise einzugreifen. Als-
bald nach seiner Übersiedelung nach Wolfenbüttel erhielt
auch das Konsistorium liier wieder seinen Sitz, nachdem es
unter Mitwirkung der Landstände neu geoi-dnet oder eigent-
lich ganz neu geschaffen worden war. An Stelle des 1648
▼erstorbenen Wideburg berief er den Rostocker Professor
und Archidiakonua Joachim Lütkemann als ersten Hot-
prediger und Generalsuperintendenten nach Wolfenbüttel,
den er dann mit einer Visitation der Kirche im ganzen
Lande bcaultragto, au die Spitze des Konsistoriums stellte
und zum Abt von Riddagsbauaen ernannte. Mit seiner Hilte
kamen zum Teil die kirchlichen ^Ordnungen zustande, die
der Herzog nach einander erliels. Eine ßufs- , Bct- und
Festtagsordnung war schon 1636 erschienen. Jetzt folgten ihr
1653 eine Verordnung „wegen des Obenansitzens und Zu-
dräugens in den Kirchenstünleu", 1655 die Klosterordnung,
1657 die Agenda oder Kirche norduung, 1660 eine Hospital-
m
Erstes Buch. Dritter Ab^chDitt.
und Armenordnung für die „Rosidenss- Veste WolIcnbüttel"-|
Daneben erschien 1650 daä „ Corpus doctrinae catecheticae
Auguatuin, d. i. Aiileitung zur Katecliismuslelu'o, auf Her-
zog Augusti gnädige Verordnung aufgeaetÄCt von Joachim
Lütkemann " , woran sich 1661 die ,, Katechismuslehre in
Frag und Antwort und mit HauptepriicIieQ der heiligen
Sclirift erklärt" vom Generalsuperintendenten Erasmus Uanne-
manu aitschlorti. '
Eine aufserordentliche Fürsorge wandte der Herzog dem
Schulwesen zu. Schon im Jahre lf>3(>, unmittelbar nach
seinem RegierungBantritt, hatten die Landstände Bich ge-
Uufsert: „ßie Zukunft beruhet auf einer guten Unterweisung
der heranwachsenden Jugend", hatten den Erlafts einer
Schulordnung, jährliche Visitationen der Schulen durch das
KoDBiötorium und die Landesuniversität in Anregung ge-
bracht, auf die Dürftigkeit der Gehalte und den daraus ent-
springenden Mangel an guten Lehrern hingewiesen. Seitdem
hatte der Krieg auch iu diesen Verhältnissen seinen unheil-
vollen Einflula geltend gemacht. Die Schulhäuser waren
verlallen, oft in rohester "Weise zu militärischen Zwecken
verwandt worden. Viele Lehrer, ohne Besoldung und ohne
alle anderen Mittel, das Leben zu fristen, waren auf- und
davongegangen. Bei der allgemein eingeria:^enen Rohheit und
Verwilderung der Sitten schien es, als ob man erst von der
kommenden Generation eine geistige und sittliche Wieder-
geburt erhoffen dürfe. Um so dringUcher, als eine ganz
unabweisliclie Regentenpilicht mufate es dem Herzog er-
scheinen, hier Wandel zu schaffen. Sobald es die Umstände
nur einigermafsen gestatteten, ging er ans Werk. Im Jahre
1648 wurde der gelehrte Professor der Eloquenz Christoph
Schradcr zum Generahnspektor sämtlicher Schulen de»
Herzogtums ernannt, ein Jalir später für die Dorfschulen
eine feste Grundlage geschaffen und die nötigen Ürd-
nuugen erlassen. Auch mit der Auf besserung der Lehrer-
gehalte wurde ein Antang gemacht. Aber erst im Jahre
1651 kam unter den Auspizien Schraders, wohl auch unter
Mitwii'kuug Lutkemanns und anderer Männer die neue
Schulordnung zustande, welche dann für das Schulwesen
im Herzogtmno auf lange Zeit mafsgebend gewesen ist.
Auf dem Gebiete des Unterrichtswesens erforderte aeben
den Schulen auf dem Lande, den Mittelschulen iu den klei-
neren Städten und den vier „grofsen Schulen'* zu Wolfea-
büttel, Helrastedtj Gandersheim und Schöningen eine beson-
dere Pflege die Juliusuiiiversität zu Helmstedt, welche die
bereits erwähnten Bedenken und Gravamina der Landstände
Die HelmcrteJter Uin\er8ität.
m
Tom Jahre 1636 mit Recht als j^oin fu^ndcrbareii , hoehan-
gelegenes Kleinod des Fürstentnms*' dem Herzoge ans Herz
gelegt hatten. ,, Schleunigst", meinten sie, „seien die Mittel
zu beraten, um ihrem Untergange vorzubeugen und damit
die Pruieasoren nicht gezwungen würden, ihren Unterhalt
auf anderen Wegen zu suchen." Wirklich war die Zahl
der Studenten, die im Jahre 1B24 noch über 384 betragen
hatte, Hi26 vtillig eingegangen, 1627 auf zwei herabgesunken,
dann hob sie sich freilieh wieder, aber sehr langsam. So
lange indes der Krieg dauerte, konnte hier wenig geholfen
werden. Abgesehen von den wiederholten Drangsalen durch
die Truppen der kriegführenden Mächte und durch pest-
artige verheerende Seuchen, hatte sich der Studenten eine
wüste Rauf- und Abenteuerluat bemächtigt, die keine ernsten
Studien aui'kommcn lieft. Viele nahmen bei den Kaiser-
lichen oder Schweden Kriegsdienste und plünderten sich so
viel zusammen, dafs sie im Winter ein tolles, lustiges Stu-
dentenleben fUliren konnten. Die Profeäsoreu litten aus
Mangel an Besoldung bitteren Mangel und hatten deshalb
auch meistenteils die Stadt verlassen. Im Jahre 1043, als
der vielbewunderte Georg Calixt das Prorektorat verwaltete,
waren von den dreiundzwanzig Männern , die zu Aniang
dieser Kot einen Lehrstuhl innehatten, nur noch drei übrig.
Nach dem Tode Friedrich Ulrichs hatten seine Erben, da
sie sich gerade über dieson Teil der Erbschaft nicht zu
einigen vermochten , die Ifochschulc zur Gesamtxiniversität
fiir ihre Länder erklärt und ein jährlich unter den einzelnen
Linien wcchaelades Direktorium eingeführt. Damit waren
ordentliche und aufserordentliche Visitationen verbunden, von
denen die erste nach den» Kriege doch erst im Jahre 1G50
durch drei Räte des Herzogs Auguät ötattfand. Dieser war
dann mehr noch als seine türatlichen Vettern darauf bedacht,
die heruntergekommene Hochgcliule wieder zu ihi-er irühereu
Blüte zu erheben, was ihm schließlich so wohl gelaug, dafs
sie noch unter seiner Regierung die höchste Frequenz (2C'O0
Studenten) en*eichte, die sie je gehabt hat. Er vermehrte
nicht nur die Zahl der Professoren sondern auch die Ein-
ktinfte der Universität, liels ihre Gebäude, soweit sie durch
den Krieg gelitten hatten oder ganz zerstört waren , her-
stellen und neue weite und zweckmäfsige Hörsäle einrichten.
Auch zur Aufrechterhaltung dtr durch den Krieg aus Rand
imd Band geratenen Disziplin unter den Studenten wurden
die geeigneten Mafsregeln getroffen.
Es war aber nicht allein das geistige Leben , nicht nur
Schule, Wissenschaft und Kultur, welche die fordernde Ein-
w
Ente« Bach. DriSta ftWhwtt
Wirkung des Herzogs in reichem M&Jse erfahren: er sachte
auch der Anregung der Stände inbezag auf die Jastiz, die
Verwaltung, die Fiuamen, sowie auf die Hebung von
Handel und Wandel gerecht zu werden und der selbst in
diesen traurigen Zeiten um sich greifenden Üppigkeit, Pracht-
liebe und Schwelgerei zu steuern. Zeugnis daliir legt eine
ganze Reihe von Verordnungen ab, die er nach diesen
Richtungen hin erlassen hat Die wichtigste davon iüt die
Allgemeine Landeeverordnung von 1647, in welcher der Ver-
such gemacht wird, die Gesamtheit der Verhältnisse des
bürgerhchen Lehens gewissen festen und bestimmten Normen
zu unterwerfen. Ihr srhiiefscu sich die Verlöbnis-, Hochzdt-
und Begräbnisordnung von 1646, die Eanzleiordnung von
1651, die Hüfgerichtsordnung von 1663, sowie endUch eine
Anzahl von Erlassen über ^luikontrakte, gegen rohe Aus-
schreitungen und namentlich über das Miinzwesen an.
Die Bedeutung des Herzogs August lag überhaupt vor-
wiegend aut dem Gebiete der inneren Landes Verwaltung. An
den Bestrebungen seiner liineburgischen Vettern, unter Heran-
ziehung auch anderer Reichsstiinde und selbst Schwedens
und Fraukreicha der noch immer getürchteten Übermacht
des Kaisers durch Separatbündnisse entgegenzutreten , hat
er sich wohl beteiligt, aber doch nur in der vorsichtigen,
fast zaghaften Weise, die seiner Natur entsprach und welche
die damals noch ganz unsicheren Verhältnisse des Reiches
zu erfordern schienen. Wie schwankend diese waren, zeigte
sich unter andurem in dem Vei*suche des Abtes von Corvey,
seine protestantische Stadt Höxter zu der alten Kirche wie-
der zurückzutühren. Die Stadt rief den Schutz des Herzogs
August an, welchem die Vogtei über dieselbe zustand. La
kam darüber beinahe zum Kriege: dann wurde die Ange-
legenheit (1653) an den Reichstag gebracht, der Bie indes
unerledigt liefs. Man sieht, wie die Gegensätze des gi'ofsen
Ki'iegtiB noch immer unter der Aäche fortglimmten.
Durch einige Gebietserwerbungen wurde das Fürsten-
tum Wolfenbüttel während der Regierung Augusts d. J.
vergrüfsert. Schon ein Jahr nach seinem Regierungsantritt
fielen ihm durch den Tod seines älteren Bruders Julius Ernst
(f 26- Oktober 1636), der keine männliche Nachkommen
tinterliofa, die duuncnbergischen Besitzungen und ein zweites
Siebeutcil des Ertrages von den hai'zischen Bergwerken zu.
Im Jahre 1642, am 30. Mäi'z, erlosch dann mit dem Herzoge
Wilhelm auch der Mannsstamm der Harburger Nebenlinie,
welche sich einst (H. 440) durch Heinrichs des Mittleren
ältesten Sohn Otto von dem Lüneburger Hauptstamme abge-
Augitfits d. J. Tod.
in
zweigt und nach dem Ableben Friedrich Ub-icha von Wol-
fen büttel-Calenberg (s. IS. 89) zu ihren ursprünglichen Be-
sitzungen noch die Graischai't Blankcnbarg-IiUsgcustein sowie
einen Teil der Grafächaft Hoya hinzuerworben hatte. Nach
längcrcui Streit über das erledigte Harhurger Erbe schlössen
am 17. Hai 1051 Herzog August und seine Lüneburger
Vettern einen Vei-gleich, wonach jenem die Grafschaft Blau-
kenburg und die Hoheit über die regensteinischen Gebiete,
sowie ein drittes Siebenteil an den Einkünften aus den
Gruben des Harzes abgetreten, auch sein Beitrag zu der
dem Herzoge Wilhelm von Harburg in dem Vertrage vom
14. Dezember 1G35 zugestandenen Kcute erlassen ward. Die
übrigen Besitzungen dei' Harburger Linie £elen au Christian
Ludwig von Cello. Zu diesen Erwerbungen kam eudhch
noch die Herrschaft Warberg am Elme, welche August dem
letzten ganz verarmten ^Sprossen dieses edelfreien Geachlcchtes
gegen eine jährliche licute abkaufte und dann als eröffnetes
Lehen einzog.
AugUBt starb am 17. September l66tJ in Wolfenbüttel,
wo er in der neuen Fürstengruft unter der Marienkirche
begraben liegt. Er hatte beinahe das acht und achtzigste
Lebensjalir vollendet, ein Normalmensch , der nie in seinem
Leben Ikrank gewesen und daher bisweilen, wenn von Krank-
heiten die Rede war, geilufsert hat, „er wüfste nicht, wie
man von einem unrechten Bissen bald etwas fühlen könne,
man müsse alles gewöhnen." Dreimal vermählt, hinterliefs
er eine zahlreiche NaclikommoDSchaft, von welcher die bei-
den ältesten Söhne, Rudolf August und Anton Ulrich , aus
seiner zweiten Ehe mit Dorothea von Anhalt- Zerbsi, Ferdi-
nand Albrecht aber aus seiner dritten Ehe mit Sophie Eli-
sabeth von Mecklenburg entsprossen waren. Es waren
Brüder von sehr verschiedener Artung und Lehensrichtuug,
der begabteste unter ihnen ohne Zweifel der mittlere, Anton
Ulrich. Von lebhaftem Temperament und schneller Fassungs-
gäbe, dabei beseelt von einem glühenden, frühreiien Lern-
eifer, machte er als Knabe und Jüngling staunenswerte Fort-
schritte. Man hatte Mühe, seine Lerabegierde zu zügeln,
seinen xmersiittlichen Wissensdrang in die rechten Bahnen
zu leiten. Sein Lelirer, der berühmte deutsche Sprach-
forscher Justus Georg Schottelius, mufste ihm oft die Bücher
aus der Hand nehmen, in die er sich allzu eifrig vei*tiefte.
Er wollte alles ergründen, alles lesen und treiben, was er
den Lehrer treiben und studieren sah. Unter dem Einflufs
der frommen^ gelehrt-theologischen Umgebung, in der er am
Hofe seines Vaters aufwuchs, regte eich in ihm frühzeitig
412
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
der Drang nach äufserer Qeetalttmg des ihn erfüllenden
geistigen Lebens. Dieser Drang wies ihn zunächst auf die
religiöse Dichtung bin. Schon als Jungling hat er geistliche
Lieder gedichtet, von denen einige den Weg in unsere Ge-
6angbü<^er geiunden haben. Er hat sie später (1667) unter
dem Titel „ Christ - Fürstliches Davids - Harfeospiel " im
Druck erscheinen lassen. Dann aber erhielt seine Art zu
denkea und zu empfinden infolge eines einjährigen Äufeut-
haltes in Frankreich eine völlig veränderte Richtung. Hier
tbat sich ihm eine neue glänzende Welt auf. Die Macht-
fülle, zu der das fianzoaische Königtum gelangt war, der
Glanz des Hofes, die üppige Anmut des Lebens übten eine
bezaubernde Wirkung auf sein leicht bewegliches Gemüt
aus. Statt der frommen i-eligiöseu Lieder hat er in späteren
Jahren langatmige Hofromane geschrieben, in denen sich die
steife Pracht, die Unnatur und die vornehme Ode dieser
Kreise widerspiegeln. Er kehi-te nach Deutschland zurück,
erfüllt von Bewunderung für den französischen „Sonnen-
könig", der ilim als das Ideal eines echten und wahren
Herrschers erschien und den er sich gleich so vielen
seiner fiirstlichen Zeitgenossen von nun an zum Vorbilde
nahm.
Ganz anders geartet war der jüngste der Brüder, Fer-
dinand Albi-echt, der, obschon nach des Vaters Tode nur
mit einer kärglichen Dotation abgefunden, der Stammvater
der späteren Herzöge von Biaunschweig werden sollte: in
seinen gelehrten Neigungen, im Sammeln von Büchern und
Raritäten das Ebenbild des Vaters, aber milstrauisch, ver-
einsamt und verbittert im Gefühl wirklich erfahrener oder
eingebildeter VemacMäasigung und Benachteiligung seitens
seiner Brüder. Ein menschenscheuer Sonderling , safa er
— abgesehen von einigen gröfseren Reisen — Zeit seines
Lebens auf* seinem abgelegenen Schlosse Bevern , mit den
seltsamsten Dingen beschäftigt, Kuustschätze von unge-
wöhnlichem Wert und unbedeutende Spielereien mit gleichem
Eifer in seiner Kunstkammer aufhäufend, grübelnd über den
Rätseln des Lebens, von dem er sich in seine Einsamkeit
zurückgezogen hatte und dessen Glanz und Freude er doch
schmerzlich entbehrte. „Den Wunderlichen" nannte man
ihn in dem Kreise der „Fruchtbringenden Gesellschaft",
und unter diesem Namen hat er ein Buch geschrieben,
seltsam und wunderlich wie er selbst, in welchem er sein
eigenes Leben schildert und das in der von ihm in Bevern
begründeten ßuehdruckerei hergestellt ward : „ Wunderliche
JBegcbnusse und wunderlicher Zustand in dieser wunder-
Dio Söhne AuguaU d. J.
113
liehen verkehrten Welt dui-ch den Wunderlichen im Frucht*
bringen/'
Neben diese beiden so verschieden veranlagten und so
verschieden sicli entwickelnden Brüder »teilt sich endlich
Rudolf Aug^uat, der älteate von des Herzogs August Söhnen
und als solcher der Regieningsnach folger des Vaters, von
dem er zwar den eiiifultigen fromiuun Siun, nicht aber das
Selbstgefühl, die Schaffenslust und den Trieb zu praktisch-
politischer Thätigkeit geerbt hatte. Vielleicht wai- es die
peinliche Sorge, mit der der Vater seine Erziehung über-
wachte, deren einschüchternder Einäufs in dem Knaben ein
Gefiihl der Unsicherheit, des Mifstrauens in seine Kräfte
and eine Blödigkeit erzeugte, die er nie völlig losgeworden
ist. Er sollte durchaus, ohne dafa er dazu Neigung oder
Beruf fühlte, ein ebenso gelehrter, vielseitiger Mann werden,
wie der Vater dies war. Wiederholt richtete er an diesen
die Bitte, ihm mehr Freiheit des Handelns und der Be-
wegung zu gestatten. „ Es sei ihm ", schreibt or, „ als einem
jungen Menschen, der eines adolescentis Jahre erreicht, nicht
möglich, so sehr eingeschlossen ohne alle Ergötzlichkeit und
nützliche Gescllscliaft zu leben." Als er darauf die Ant-
wort erhält, „er solle den Studien etwas fleifsiger obliegen",
bemächtigt sich seiner eine Schwennut, deren Anwandlungen
er auch spater noch öfter erfahren hat: „Wenn ich bedenke",
meint er, ,;Wie schlecht ich meine Zeit ziihringe, wie ich in un-
ruhigen melancholischen Gedanken immer hinlebe, so weifs ich
solches vor Gott und Menschen nicht zu verantworten." Mehr
als tür einen künftigen regierenden HeiTU erspriefalich war,
mufste eine solche Erziehung ihn auf sein Inneres zurück-
drängen , in ihm zugleich die Neigung zu geistlichen Stu-
dien und Meditationen steigern wie die Unlust an den Re-
gierungsgeschälten erhöhen, die er später als eine Last em-
ptaud und daher ohne Neid seinem jüngeren Binider, dem
glänzenden, ehrgeizigen und lebensfrohen Anton Ulrich, übcr-
liefB. Und doch war er dessen französischem Wesen durch-
aus abgeneigt: eine im innersten Kern deutsche Natur, mit
einem Anfluge von pietistischer Frömmigkeit, den Schein
und den prunkenden Flitter verachtend, ein Manu, der sich
am wohlsteu fühlte, wenn er sich in seiner alten ehrlichen
plattdeutschen Sprache mit seiner Umgebung unterhalten
konnte. Auch er hat eine Anzahl erbaulicher Schriften ver-
fafst, von denen namentlich die erst nach seinem Tode er-
schienenen „ Gedanken einer andächtigen Seele von Gott,
zu Gott und in Gutt" einen Einblick in die Wärme und
Tiefe seines religiösen Empfindens gestatten.
K
BbIqcib&db. UrftDngcbv.-baonflv. GMcUcht«. Ul.
%
»4
Erstes Buch. Dritter Absclmitt.
Gleich bei dem Antritt seiner Regierung sah sich Rudolf
August seinen Brüderu gegenüber in eine peinliche Lage
versetzt. Man wuIste, dafc Herzog August tUnt' Jaiue vor
seinem Tode (l6fJl) ein TestÄment verl'alst habe. Alan
kannte auch im alWmeinen dessen Inhalt, namentlich war ^
nicht unbekannt geblieben, dal's der verstorbene Herzog ohne fl
Berücksichtigung des durch das Pactum Henrico-Wilhclminura
(11. 336) zum Gesetz erhobenen Krstgebur tsrechtes seinem
ältesten Sohne zwar das Fürstentum ^^'üIt*e^buttel , dem
zweiten aber die Grafschaft Dannenberg und dem dritten ^^
die Grafschaft Blankenburg mit allen Hoheitsrechten uudfl
aU selbständige Fürstentümer bestimmt hatte. Das Original
dieses Testamentes konnte bei der Entsiegelung der herzog-
lichen Gemächer nicht aufgefunden werden und ist auch nie
zu Tage gekommen. Es war und blieb verschwunden; man
fand nur das Konzept zu demselben , und dieses konnte
selbstverständlich keine Gesetzeskraft erlangen. Kudoll'
August erkannte zwar die übrigen auf das bewegliche Ver-
mögen bezüglichen Bestimmungen der letztwilligen väter-
lichen Verfügung an, aber zu der vun ihm beabsichtigten
Landesteil uug wollte er sich in Rücksicht auf die bestehen-
den Hausgesetze nicht herbeilassen. Er schlofs vielmehr mit ^
Anton Ulrich am 30. Mai ItiGT einen Erbvergleich, derfl
später (2-1. Dezember 1674) erneuert und ei'weitert ward.
Ihm zufolge wurden dem jüngeren Bruder die Schlösser und
Amter Schöniugen, Jerxheim imd Kalvörde zu seinem Unter-
halte angewiesen, ihm auch iüi- den Fall, dafe er durch die
Geburt eines Erbprinzen seiner Aussicht aui* die Nachfolge
im Fürstentume Wolfenbüttel verlustig gehen sollte, die
Grafschaft Dannenberg, jedoch ohne Landeshoheit, in Aus-
sicht gestellt und bis zu deren Anfall eine jährhche Dota-
tion von l-tOoO Tlialern zugesichert. Zu einem ähuhchen
Vertrage hatte sich bereits acht Tage früher (2Ö. Mai IGüV)
Ferdinand Albrecht, obschon zögernd und widerwillig, be-
quemt. Ihm wurde das unweit Holzminden am Soliing ge-
legene Schlofs Bevern mit dem dazu gehürigen Untergerichte
in Dorf und Feld nebst einer jährlichen Apanage von ÖUOÜ
Thalem überwiesen. Als Rudolf August den älteren seiner
Brüder später zum Mitregenten annahm, drang Ferdinand
Albrecht auf Erhöhung seiner Apanage und setzte es durch,
dal's ihm selbst während seiner Lebenszeit die Smume von
12 000 Thalern jährlich und nach seinem Tode seinen Kin-
dern 4Ü00 Thaler jährHch ausgeworfen, auch das Dekanat
bei St. Blasien in Braunschweig überti*agen und zweieu
seiner Sohne die dem Brauuschweiger Hause am Dom-]
Rudolf August. Streit um Kogeastein.
m
kapitel zu Strafsburg zastehenden KanoBikate überlaesen
■wurden.
Bei der Persönlichkeit Rudolf Augusts, bei der Ab-
neig:ung, die er iür die Regierungsgeschäfte empfand, der
Unlust, die ihn vor aller fürstlichen Repräsentation erfüllte,
ist CS nicht auffallend, dafs er sich alsbuld uuch der Über-
nähme der Regierung nach eiuer Ilihc umsah^ nach einer
Stütze, auf deren Schullern er die ihm unbequemen Auf-
gaben des Regenten abwälzen konnte. Er fand diese in dem
begabteren jüngeren Bruder , dessen Überlegouheit er als
Knabe und Jüngling so häutig gefühlt und bereitwillig an-
erkannt hatte. Schon 16ti7 ernannte er Anton Ulrich zum
Statthalter und feierte diese Ernennung durch die Prägung
mehrerer Medaillen. Seit dieser Zeit war der Kintluls, den
der unruhige, ehrgeizige, dem älteren Bruder an Geist und
"Willenskraft überlegene Auton Ulrich auf die Regierung ge-
wann, in stetem Wachsen begriffen, und es war nur der
äufsere Ausdruck dieses Verhältnisses, dafs er im Jahre
1085 in aller Form zum Mitregeuten von seinem Bruder
erhoben wurde. Über fünfzehn Jahre lang blieb er die
eigentliche Seele der Regierung, und selbst als dann infolge
der Übertragung der neunten Kur auf die Liineburger Linie
und anderer Ereignisse die Wege beider Brüder sich trenn-
ten, vermochte der ältere sich niclit dem beherrschenden
Einflüsse des jüngeren völÜg zu entziehen.
Im Jahre 1671 ward die Burg Regenatein am Harze mit
den dazu gehörigeja Dörfern, welche wäluend der Wirren
des dreifsigj ährigen Krieges von dem Erzherzoge Leopold
Wilhelm in seiner Eigenschaft als Bischof von Ualbcrstadt
dem Grafen von Tättenbach verliehen worden war, dadurch
erledigt, dafs dessen Nefle Johann Erasmus von Tättenbach
als Hoch Verräter und Verschwörer gegen den Kaiser zu
Graz auf dem Blutgerüste endete. Die Herzöge von Braun-
Bchweig, als die rechtmäfsigen Lehnsherren, hatten im Jahre
1644 jene Belehnnng zwar anerkannt, sich aber die Lehns-
hoheit über diese rogeusteinscheu Stücke ausdrücklich vor-
behalten und diese war auch durch den westfälischen Frie-
den, der das Hochstil't Halberstadt dem KuHursten von
Brandenburg zusprach, bestätigt worden. Trotzdem nahm
jetzt Brandenburg von dem regenstein sehen Erbe mit Gewalt
Besitz und wufste sich in diesem ungeachtet des Wider-
ijjniches des Braunschweiger Hauses und eines zu dessen
Gunsten im Jahre 1697 gefällten Urteils des Reichskammer-
gerichtes zu behaupten. Daftir gelang den Herzögen in dem
nämlichen Jahre, in welchem jener Heimfall stattfand, eine
116
Erste§ Buch. Dritter Abschnitt.
andere Unternehmung, an der die Macht ihrer kriegerißch-
sten Vorfahren bislang gescheitert war. Efi ist dies für die
innere Geschichte des Landes das wichtigste Ereignis der
Regier ungaz ei t Rudolf Augusts: die Unterwerfung der Stadt
Braunschweig unter die landesherrliche Gewalt.
F^raunschweig war noch immer im Geearatbesitze dea
ftlrstiichen Hauses. Herzog August d. J. hatte zwar bei
den Verhandlungen über die Teilung def» Erbes von Eried-
rieh Ulrich den Alleinbesitz der Stadt für sich in Anspruch
genommen, jedoch nur erreichen können, dais ihm die eine
Hälfte abgetreten ward, während die andere in der Hand
seiner Lüneburger Vettern verblieb. Nicht allein während
seineb gezwungenen Aufentlialtes in Braunschweig, sondern
auch späterj als er sein Hoflager nach WolfenbUttel verlegt
hatte, ist er redlich bemüht gewesen, mit der Stadt ein er-
trägliches Verhältoia herzustellen. Aber noch lebte in ihr
der alte, störrige Troiz. Hartnackig verweigerte sie ihm die
Huldigung, und ao milde und nachgiebig er sich auch in
seinen Ansprüchen zeigte, so hochfahrend und herausfordernd
traten ihm Rat und Bürgerschaft entgegen. Er starb, ohne
dafs sich die Stadt zur Huldigung bequemt hätte. Sein
Nachtolger Rudolf August trat von vornherein entschiedener
gegen sie auf, verweigerte ihr namentlich die Belehnung mit
den Gerichten Eich und Wendhausen. Dann knüpfte er,
wohl auf Antrieb seines Bi*üders Anton Ulrich, mit den
übrigen Stammes vettern Unterhandlungen an. Zu Burgwedel
kam man zusammen und einigte sich zu einem gemein-
samen Vorgehen gegen die Stadt. Diesmal handelten die so oft
zwieträcbtigen und auf einander eifersüchtigen MitgUeder des
Fürstenhauses mit merkwürdiger Einigkeit. Hannover so-
wohl wie Celle verzichteten auf den Anteil an der Stadt,
den sie zu fordern hatten, und überliefsen ihre Ansprüche
der Wolfenblittler Linie. Nachdem man sich so über die
Beute geeinigt hatte, galt es sie zu machen. Denn noch
war die Stadt weit davon ontiemt, sich zu unterwerfen. Die
Aiülordenmg der Fürsten, eine Besatzung aufzunehmen und
dem Wolfenblittler Herzoge die Huldigung zu leisten, wies
sie entschieden zurück. Da erschien in den letzten Tagen
des Mai 1671 das Heer der verbündeten Fürsten, 20000 Mann
stark, unter dem Oberbefehl des Lüneburger Feldmarschalls
Grafen Georg Friedrich von Waldeck vor den Wällen der
Stadt. Der Rat erschrak, als er den Ernst der Sache er-
kannte. Die ganze Besatzung bestand aus 220 Mann unter
dem Major Beckmann, die Zeughäuser standen leer, es fehlte
selbst an der notwendigen Munition. Völlig ungerüstet hatte
Uuterirerfuiig Braun^cbnoigs
117
man sich überraschen lassen. Dazu kam das Milstrauen
und tler Hals der Bürgei*schaft gegen den Rat, der die
Stadt durch seine liederliche Verwaltung tief in Schulden
gestürzt hatte. Von einem Aufschwung patriotischer Ge-
sinnung, wie er bei trüberen Belagerungen sich geltend ge-
macht hatte, zeigte sich nicht die geringste Spur. Die liilte,
die mau in aller Eile von dem Kaiser, von Schweden, den
Hansestädten und von Holland erbat, mufstCj weuu sie über-
haupt gewährt ward, unter diesen Umständen jedenfalls zu
E)ät kommen.
Am 31. Mai a. St. begann, als der Rat noch immer
kcOgerte, sich und die Stadt zu unterwerfen, die Beschiefsung
der letzteren durch das zahlreiche, bis nahe an die Wälle
herangeschobene Geschütz der Herzoglichen. Einem sol-
chen Angriffe gegenüber und bei der geachildcrten Lage der
Dinge konnte die Verteidigung nur matt sein. Sie ward
dui'ch die jetzt oÖfen ausbrecliende Zwietracht im Inuern
der Stadt noch mehr gescliwächt. Bald forderte die Bürger-
schaft Ergebung und drohete, falls der Rat länger auf der
Verteidigung der Stadt bestände, auf eigene Hand mit dem
Herzoge zu verhandeln. „Dies war der letzte Stofs", sagt
der Bürgermeister Gerecke in seiner Chronik der Stadt
Braunschweig, „durch welchen Senatua bewogen wurde,
Hand, Mund und Herz sinken zu lassen." Am 6. Juni er-
schienen im herzogbchen Lager zu Riddagshausen Abge-
ordnete des R^iteä, der Gilden und der Bürgerschaft, um
mit den Fürsten wegen der Übergabe der Stadt zu unter-
handeln. Nach viertägigem Hin- und Herreden kam am
10. Juni eine Kapitulation zustande, durch welche sich die
Stadt dem fürstlichen Hause Braunschweig - Wollenbüttel
unterwarf Der Herzog versprAch ihr die Erhaltung der
lutherischen Religion, machte ihr einige unbedeutende Zuge-
ständnisse inbezug auf die Münzgerechtigkeit j die Jagd
innerhalb des Stadtgebietes, die Besetzung der städtischen
PfaiTCu, sowie die ZoUfreiheit im Lande und gewährte eine
allgemeine Amnestie. Dann rückte am 12. Juni das Regi-
ment Stauffeji, 3 000 Mann stark, in das Eallersleber Thor
und besetzte die Wälle, ihm iolgten fünf andere Kogimenter,
und drei Tage später nahm der Herzog die Huldigung der
Stadt entgegen. Alsbald wurden die übrigen Streitpunkte, über
welche sich die Kapitidation nur in unbestimmten Aus-
drücken äufsertc, geregelt. Was den Güterbesitz der Stadt
aulangt, so wurde die Verwaltung des sogenannten grofaen
Arars, worunter mau aufser den Mühleu, den Thor- und
Brückengeldern und anderen städtischen Einnahmeu das Gut
m
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
Wcndhauscn , das Gericht Eich, Schandeiah und Vecheldo
verstiiud , einer StadtkomiiiisßioD üljergeben, welche unter
dem HerKoge stand und später (l7:il) mit der herzoglichen
Kammer vereinigt worden ist Die Regierung übernahm
damit die Regelung des sUldtischen Finanzweeens und die
Tilgung der bedeutenden städtischen Schulden. Durch-
greifender noch als diese Mafsregcl war die von dem Jler-
zoge vorgenommene Umgeetaltung des Stadtregimeuts. Die
Stadtmagistrate der fünf Weichbilder wurden in einen zu-
sammengezogen, die Zahl der Burgermeister von vierzehn
auf vier, der Kämmerer von elf aut vier, der Ratsherren
von einunddreifsig auf acht verringert. Die Belugnisse
dieses neuen Magistrats waren selbalvorständlich äulaerst be-
schränkt. Sie erstreckten sich wesentlich nur auf die
Verwaltung des kleinen Arars und auf die niedere Gerichts-
barkeit in weltlichen Sachen. Denn die geistliche Gerichts-
barkeit ward dem herzoglichen Konsistorium in Wolfeu-
büttel übertragen. Vier Jahre endlich nach der Unter- 1
werfung der Stadt geschah die Aulbebung des Sachsen-
rechtes und aller sicli darauf gründenden Statute und Ge-
wohnheiten. Damit war die Vernichtung der bisherigen
Sonderstellung Braunschweigs den übrigen Städten des Lan-
des gegenüber vollendet, W&a vor beinahe zwei Jahr-
hunderten Herzog Ileinrieh d. A. begonnen hatte, ein Unter-
nehmen, woran die grofsen Eigenschaften der iUliigstcn und
hervorragendsten Fürsten des welfischon Hauses sich ver-
gebens versucht hatten j das gelang dem keineswegs ii
durch bedeutende Herrsch ergaben ausgezeichneten Rudolf ^M
August fast ohne Muhe. Indern die Stadt ihre Selbständig- ^^
keit verlor, hatte sie den Kreislauf ihrer eigentümlichen ge-
schichtlichen Entwickelung vollendet- Sie war unter die
Botmäfaigkeit des Fürstenhauses zurückgekehrt, dem sie ihr
erstes Aufblühen verdankte, dem sie dann später ein Recht
nach dem anderen abgetrutzt hatte, ohne es jedoch daliin
bringen zu können, dals ihre Unabhängigkeit von ihm an-
erkannt und das Ziel, wonach sie strebte, die Retcbstreiheit, ^^
erreicht worden wäre. ^M
Nach der Unterwerfung Braunschweigs erfolgte gemäla ^"
den früher unter den Siegern getroffenen Verabredungen
der Ausgleich inbezug auf ihre verschiedenen Ansprüche
auf die gedemütigle Stadt. Sie ward nebst den Stiftern
St. Blasii und St. Cyriaci, welche bisher als gemeinsames
Eigentum des fürstlichen Hauses betrachtet waren , dem
I^erzoge Rudolf August zu alleinigem Besitze überlassen,
welchem nufserdezn von den Stammesvettcrcv d\e Witev Wal-
ReichspoUtik des Broun scliweJger HaoM*.
119
cenried abgetreten ward. Dagegen verziebtctc er zugun-
l^en Georg Williolms von Celle auf die fünf dannenbergischcn
Imter (Dannenberg, Hit/^icker, Lüchow , Wustrow und
Ißchamebcck) und überlief« an Jobann Friedrieb von Han-
lnovcr den reichen Kirchenschatz von St. Blaaienj welchen
leinrieh der Lowe gröfstenteila einst aus dem heiligen
IXande nach Brauuacliweig gebracht hatte. Für seine An-
laprüche auT die danneubergischen Amter wurde Johann
liFriedrich aufserdem von seinem Bruder Georg Wilhelm
iurch die Abtretung der Vogtei Ilten (des kleinen Freien),
I. h- der Dörfer Wülfel, Döhren und Lätzen schadlos ge-
ilten.
Die Einmütigkeit, welche die verschiedenen Linien des
l3raun Schweiger Hauses, ja seine sämtlichen Mitglieder bei
'der Niederwerfung und Demütigung der einst so ti*otaigen
Hansestadt gezeigt hatten, war die Frucht einer wohler-
wogenen Politik, die sich nicht nur bei dieser inneren An-
kgciegenlieit als erfolgreich erwies, sondern sich auch in den
lAllgemeinenj so vielfach verflcMiingenen Verhältnissen des
flteiches und seiner Beziehungen zum Auslande bewährte.
l'TV'ir wissen, in welchem Zustande politischer Ohnmacht und
[wirtschaftlicher Erschöpfung der Krieg das Braunschweiger
l^aus zurückgelassen hatte. Nur wenn seine einzelnen Zweige
Vden alten Hader, der sie so oft entzweiet hatte, beiseite
liegten , wenn sie gute Beziehungen zu einander ptiegten und
Iwenn sie namentlich in den Reichsangelegenheiten eich au
üncr genieiiiBaraen Politik vereimgtea , durften sie hotien,
sich aus dieser Schwäche wieder emporzuai'beiten und ihre
Stellung den Nachbaren , dem Reiche und dem Auslande
tegenüoer wieder zu Ehren zu briugcn. Es war im Grunde
erselbe Gedanke, den schon Geoi^ von Lüneburg verfolgt
und zu seinem politischen Programm erhoben hatte: Zu-
sammeuschluis aller Linien des Hauses, um durch einmütiges
Handeln eine achtunggebietende Stellung im Reiche und
selbst einen gewissen Eioäufs auf dessen Beziehungen zu
den nichtdeutschen Mächten zu gewinnen. Alle Bemühungen
der Staatsmänner in Wolfenbüttel, Celle und Hannover sehen
wir nach dem Kriege auf dieses Ziel gerichtet. Das Ergeb-
nis dieser ebenso mafsvollen wie verständigen Politik war
zunächst das am 14. Februar 1652 zwischen den wellischen
l_^erzögen, dem Landgrafen von Hessen - Kassel und den
Bchwedischen Herzogtümern Bremen und Verden abge-
schlossene Hildesheimer Bündnis, welches den Zweck ver-
( folgte, zur Durcliiuhruog der Bestimmungen des wci^tfök^^R.^üi'ft.
Friedens den gesamten niedersächsisckeu ^tcas -cw ^^vösmx-
120
Eratee BacK. Dritter Abschnitt
samem Handeln zu vereinigen. Dieser Versuch ^ die alte
Form der Kreiaeiming neu zu beleben, hatte freilich keinen
nennenswerten Erfolg , aber es war doch nicht olme Be-
deutung , dals nicht allein hei dieser Gelegenheit^ sondern
auch bei den folgenden Bemühungen einzelner protestan*
tischer wie kathol^cher Reichsstände, die Grundlage für eine
neue Organisation der Reichsverfassung zu schaffen , das
Brauuscliweiger Haus in geschlossener Einmütigkeit stimmte
und handelte. Es geschah dies auch bei den Verhand-
lungen über den sogenannten rheinischen Bund (Dezember
1G57), welchem die sämtlichen Braun Schweiger Fürsten bei-
traten. Dieser bereits von seinem Vater befulgten Politik hat
auch Rudolf August während der ersten Jahrzehnte seiner
Regierung gehuldigt, freilich mit derselben Vorsicht und
Zurückballimg, die schon der Vater beobachtet hatte. Der
Grundgedanke seines politischen Handelns war die Aulrecht-
erhaltuDg des westtäJiachen Friedens, die Sicherung des
Kelches vor jeder fremden Einmischung, die Zurückweisung
aller gegen seinen Bestand gerichtetca Eroberungsgel üste.
Von diesem Gedanken erl^ilt, schlofa er in Gemeinschait
mit seinen Lüneburger Stammesvettem , als Ludwig XIV.
von Frankreich 1672 der Republik Holland den Krieg er-
klärte, mit dem Kaiser, Dänemark, Brandenburg und Hessen-
Kassel in Braunschweig zur Abwehr des frevelhaften fran-
züsiBchen Angriffs ein Bündnis, wonach er sich verpÜichtete,
1000 Mann Infanterie und 400 Reiter zu dem Feldzuge
gegen Frankreich zu stellen. Diese Truppen lochten unter
dem Befehle von RudoJf Augusts Eidam, dem Herzoge von
Holstein- Ploen, gegen Tureaue mit Auszeichnung in dem
Treffen von Enzheim (4. Oktober 1674) und halfen unter
Georg Wilhelm von Celle am 11. August 1675 an der Conzer
Brücke den Sieg über den Hwschall Crequi erringen, der
den Fall von Trier zur Folge hatte. In den folgenden
Jahren lt)76 und 1677 beteiligten sie sich au dem Feldzuge
gegen die Schweden, die Bundesgenossen Frankreichs, und
wirkten mit bei der Eroberung von Stade und Stettin. In
dem am 5. Februar 1(170 zu Celle geschlossenen Frieden
mulste Schweden gegen die Zurückgabe der ihm entrisseaen
Plerzogtümer Bremen und Verden das Amt Thedinghausen
und die Vogtei Dörverden an die Braunschweiger Herzöge
abtreten und auf die Einkünfte, die es bisher aus den
Grafschaften Hoya tmd Diepholz gezogen hatte, verzichten.
Rudolf August trug als Gewinn aus diesem Kriege einen
Teil des Amtes Thedinghausen davon. Auch an dem Feld-
augo gegen die Türken im Jahre 1685, an dera glänzenden
Imugen wegen Lauenburgs und der neunsten Kur.
121
Siege bei Gran und der Bezwingung von Neuhäusel, sowie
an dex Belagerung und Eroberung von Mainz im Jahre
1689 nahmen Woli'enbiittler l'ruppen teil.
Das gute Verhältnis, welches bislang unter den Fürsten
des braunschweigischen liauses — mit einziger zeitweiliger
Ausnahme des Herzogs Johann Friedrich von Hannover —
bestanden hatte , erfuhr während der letzten Regierungs-
jahre Rudolf Augusts eine unliebsame Trübung. Die Er-
werbung des Herzogtums Lauenburg durch Celle sowie die
Erlangung der Kurwiirde durch Hannover führten zu ernst-
haiten Zwistigkeiten zwischen der älteren Wolfenbüttler und
der jüngeren Lüneburger Linie. Es war weniger der ruhige,
bescheidene Rudolf August, der sich durch das Glück und die
Erhebung des jüngeren Hauses gekränkt und zurückgesetzt
fUbltc, als der ehrgeizige, hochsd-ebende Anton Ulrich. Er
Uefa nicht ab , gegen die Verleihung der Kur an Ernst
August bei dem Kaiser, den Reichsstitnden, ja bei den aus-
wärtigen Mächten Protest zu erheben und wufstc den älteren
Bruder, den er vollständig beherrschte, aut' der gefährlichen
Bahn mit fortzureifsen, die or ia seiner unbesonnenen Lei-
denschatl betrat AU zu Anfang des neuen Jahrhunderts
sich der grofso Krieg vorbereitete, der über das Schicksal
der spanischen Monarchie entscheiden sollte, vermehrten die
Brüder mit französischer Unterstützung ihr Heer in so auf-
fallender Weise, dafs der Verdacht einer beabsichtigten kriege-
rischen Unternehmung gegen die celle - hannövrischen Län-
der, sobald der Krieg ausgebrochen sein würde, nahe lag.
Vergebens waren die Warnungen und Abmahnungen des
Kaisers, Wilhelms von England und des Brandenburger
Hofes. Da erfolgte nm 18. Februar 17Ü2 ein kaiserliches
Mandat, das den Herzog Anton Ulrich seiner Mitregent-
öchaft entsetzte, und wenige Wochen später (Ende März)
rückten hannövrische und cellische Truppen in das Herzog-
tum Wolfenbüttel ein, entwaffneten die in verzettelten Stand-
lagern zcrstrcneteo Wolfenbüttler Regimenter und schlössen
die Städte Braunschweig und Wolfenbüttel ein. Anton Ul-
rich floh aus dem Lande nach Gotlia, Rudolf August aber
mufste sich am 1 9. April 17u2 zu Braunschweig einem
Vergleiche fügen, in welchem er seinen Vettern in Celle und
Hannover eineu Teil seiner Truppen überlief», eine baldige
Beilegung der schwebenden Streitigkeiten zusagte und die
Entfernung seines Bruders als Mili*egent versprach, falls
dieser dem Vertrage seine Anerkennung versagen sollte.
Diese erfolgte bereits am J6. Mai 1702. Ein Jahr darauf
82. April 1703) wurden dann durch den Celler Vertrag
t^
Ersten Buch. Dritter Abschnitt
bliese Irrungen dabin beigelegt, dafs die Wollenbüttler Brü-
der die bevorstcbende Vereinigung der Fürstentümer Celle
nnd Hannover zu einem nach dem Rechte der Erstgeburt
eicb vererbenden Lande samt der darauf ruhenden Kur-
würde anerkannten. Ihre Ansprüche auf das Herzogtum
JLauenburg wurden durch die Abtretung des Amtes Campen
■abgefunden. ^m
So wenig sich Rudolf Auguät der Erkenntnis vei-schliefsea ^B
konnte , dafa er diese politische Niederlage wesentlich den ^
Ratschlägen des jüngeren Bruders zu danken habe, so
wenig vermochte er selbst jetzt sieh dem Bann zu entziehen,
den dessen geistige Überlegenheit auf ihn ausübte. Wohl
bezeichnete er ihn als den Urheber des Unglücks, welches
das Land betroffen, aber auch für den Rest seiner Regie-
rungBzeit blieb Anton Ulrichs Einflufs für ihn mafsgebend,
wie er dies bislang gewesen war. Selbst auf dem kirch-
lichen und religiösen Gebiete trat dies hervor. Der fromme
ficldiehte Sinn Rudolf Augusts neigte sieh dem Pietismus zu.
Mit einem der Hauptvertreter dieser Richtung, mit Philipp
Jakob Spener, hat er gute Beziehungen gepflegt uud mehr-
fach Briefe gewechselt. Trotzdem Hefa er sich von dem
anders gesinnten Bruder bestimmen, gegen die „Sektareyen"
ein scharfes Edikt zu erlassen, infolge dessen eine Anzahl
pietistischer Geistlichen ihre Stellen verloren. Immer mehr
zog er sich von den Hegierungsgeschäften zurück and über-
liefe diese dem vielgeachiiftigen Bruder. Sein Licblings-
auienthalt während der letzten Jahre seines Lebens war
das abseit von dem Treiben der Welt gelegene Lustschlofs
Hedwigsburg. Hier Tühi-te er ein stilles, den Studien ge-
widmetes Leben, das nur bisweilen durch eine fröhliche
Jagd unterbrochen ward, die er leidenschaftlich liebte. Hier
ist er auch am 26. Januar 1704, fast siebenundsiebenzigjährig^
gestorben , fromm und gottei^hen , „ gar sanH: uud ohne
Zuckung einiges Gliedes". Wie er es angeordnet, ward er
in einem schlichten taunenen Sarge zu St. Blasien in Braun-
echweig begraben. Zweimal ist er vermahlt gewesen, zuerst
mit Christiane EUsabeth, einer Tochter des Grafen Albrecht
Friedrich von Barby, dann iu morgauatischer Ehe mit Ro-
ßine Elisabeth Meuthe (Madame Rodolphiue), der Tochter
eines ehrlichen Mindener Bürgers. Da er aus jener Ehe
nur Töchter, aus dieser aber gar keine Nachkommenschaft
binterliefs, so hatte er den ältesten Sohn seines Bruders Anton
Ulrich, August Wilhelm, adoptiert, der sich mit seiner zwei-
ten Tochter Christine Sophie, bisher Äbtissin von Ganders-
heim im Jahre 1681 vermählte. Zunächst folgte ihm jedoch
Das Lüneburger H&ma.
123
in der Regierung sein bereits einundsieben zig Jahre alter Bru*
der Anton Ulrich.
Wenn der ältere Zw«g des braunschweieischen Fürston-
hauses Mittel und W^:e fand, sich innerhalb der nächsten
fonizig Jahre, welche dem grofsen deutschen Kriege folgten,
in langsamem aber stetigem Fortschritt wieder zu grüfseiem
An.sehen emporzuheben und den Wohlstand des ihm zuge-
fallenen Landes einigermaläen wieder herzustellen, so gelang
der jüngeren Lüneburger Linie in diesem Zeiträume Grüfae-
res. Nicht nur dafa sie den Zutritt zu den mächtigsten
mid bevorzugtesten Fürstengeschlechtem des Reiches er-
langte, sie gewann auch durch eine gllickUche Heirat die
Aussicht aul eine kUntHgo weltbeherrscheude Stellung. Zu-
nächst zwar drängten auch hier, in den Landschaften Lüne-
burg und Calenberg, die augenblickUche Not und das herr-
schende Elend alle weitergehenden ZukuntUpläne in den
Dintcrgrund. Nicht minder schrecklich als im Fürstentume
Wolfenbüttel hatte der Krieg auch in diesen Gegenden ge-
haust, und es bedurfte einer harten, angestrengten Arbeit,
um nur erst die offenbarsten und verderblichsten Folgen
desselben zu beseitigen. Aber es war doch schon für die
künftige Machtstellung des regierenden Hauses ein glück-
verheifsender Anfang, dafs in demselben Jahre, da der west-
ialische Friede den Abgrund des Krieges schlofs, die Wie-
dervereinigung der beiden Fürstentümer erfolgte. Am
10. Dezember 16-48 starb der letzte der sieben Brüder, die
einst jenen denkwürdigen Vertrag über die Unteilbarkeit
ihres väterlichen Erbes geschlossen hatten (S. 50), Herzog
Friedrich von Lüneburg. Unvermühit, wie er gleich seinen
sämtlichen Brüdern mit Ausnahme Georgs dem vereinbarten
Vertrage zufolge geblieben war, hinterliefs er keine Nach-
kommenschaft Das Land Lüneburg fiel demgemäfs den
Söhnen des Herzogs Georg zu, von denen der älteste, Chri-
stian Ludwig, seit 164J dem Vater bereits in Calenberg ge-
folgt war. Einer Vereinigung aber der beiden Fürsten-
tümer standen die früher (S. 97) erwähnten testamentarischen
Bestimmungen des Herzogs Georg entgegen, und diese Be-
stimmungen hatten vor zwei Jahren erst durch einen zwi-
schen seinen beiden ältesten iSohnen, Christian Ludwig und
dem freilich noch minderjährigen Georg Wilhehn, abge-
schlossenen Vertrag (10. Juni 1646) eine feierliche Aner-
kennung und Bestätigung gefunden. Ihm gemäfa sollte nach
dem Anfall des Fürstentums Lüneburg (Ceüe) Christian
124
Ente» Buch Dritter Abschnitt
Ludwig binnen vierzehn Tagen seine Wahl zwischen den
beiden Fiirsteutüiuern treffen, Georg Wilhelm aber sofort
die Regierung des uichtgewählteQ von ihnen übernehmen.
Cbristian Lndwig wählte Lüneburg und traf bereits am
23. Dezember 1618 in seiner neuen Residenzstadt Celle ein.
Die siebenzehn Jahre der Regierung Cbristian Ludwigs
waren vorwiegend der Sorge gewidmet, das Land dem traa-
rigcn Zustande zu entreifsen, in den es der Krieg gestürzt
hatte, den Handel wieder zu beleben, die damiederliegenden
Gewerbe zu heben, kura die traurigen Spuren einer langen
verwildernden Kritzelt zu tilgen. Er ist in diesem Be-
streben durch seine Räte, von denen er den Statthalter
Schenk von Winteretedt und den Hofmarschall von Lenthe
aus Hannover mit nach Celle brachte, treulich unterstützt
worden. Seine Wirksamkeit war eine solche , von der ^i
wenig zu berichten ist, die sich aber als in hohem Grade ^H
segensreich erwies. Nach und nach gelang es, die scfawe- ^^
dischen Besatzungen, die noch immer einige Ortschaften^ na-
mentlich Nieuburg, festhielten, loszuwerden, nicht ohne ver-
gleichsweise bedeutende Geldopfer, die nach den Bestimmungen
des westfälischen Friedens für die Räumung des Landes an
Schweden gezahlt werden niulsten. Die äufserste Sparsam-
keit in dem fürstlichen Haushalte schien vonnöton, um den
vielfachen Ansprüchen, welche die Wiederaufrichtung des
Landes erforderte, gerecht zu werden. Dennoch fanden sich
die Mittel , Harburg ausgiebig zu befestigen und dadurch
das Land nach einer Seite hin zu sichern, wo es jetzt durch
die Nachbarschaft des auf der Höhe seines kriegerischen
Ruhmes stehenden Schwedens am meisten gefährdet ersclüen.
Ohne Mühe und im Gegensatze zu den ßraunsehweiger
Herzugen August und Rudolf August gelang es Ciiristian
Ludwig, die bedeutendste Handelsstadt seines Fürstentums,
das einst so mächtige und blühende Lüneburg, zur Leistung
der Huldigung zu bewegen. Der böse Kj*ieg hatte eben dio,
Widerstandsfähigkeit dieser alten kampfesfrohen HansestiLdt
gründlich gebrochen, und dies kam doch nun ^vieder der lang-
sam erstarkenden Füi'stcnmacht zugute. Die Lüueburgei
traten ihm sogar nach einigem Stj'äub«n den ihre Stadt be-
herrschenden Kalkborg ab, den sie einst in heifsen Kämpfea
seinen Vorfahren entrissen hatten und der nun \vieder vom
Herzoge befestigt ward. Die Verminderung der SoMtruppen,
die er den Landatiinden hatte zugestehen müssen ^ die ihm
aber doch nicht gefahrlos für das Land zu sein schien, ver-
anlafste ihn, eine Mihz zu errichten, die er in drei Reviere^
das cellische, gifhornsehe und lünebiirgische, einteilte. Spä-
ChriBtiaa Ludwig und Goorg WiÜiclm.
125
ter hat er dann doch seine Truppenm&cht wieder vermehrt
und Bchliefslich auf 4000 Mann gebracht. Mit Vorliebe
nahm er aa ihren Übungen per8(>nlich teil, Überwachte ihre
Ausbiidun;; and unterhielt mit dem Kurfürsten von Bran-
denburg, den er sich in dicflen militärischen Bestrebungen
Äum Vorbilde genommen zu haben scheint» einen lebhaften
Briefwechsel. Auch darin folgte er dessen Beispiele, dafs
er die lieclite der LandstUnde möglichst zu beschränken be-
strebt war und so dem iUr&tHcbeu Absolutismus die Bahn
brach.
Christian Ludwig starb am 15. März 1665. Seine Ge-
mahlin, Dorothea von Uolstein-Glückaburg, die sich später
in zweiter Ehe an den Kurfürsten Friedrich Wilhelm von
Brandenburg verheiratete, hatte ihm keine Kinder geschenkt.
Er wa.T von den Söhnen seines Vaters der nm wenigsten
begabte» aufgewachsen noch unter den Wirrsalca des Krie-
ges, in seinen Sitten und Anschauungen nicht frei von der
Rohheit, die dieser bei Hoch und Kiedrig gezeitigt hatte. In
der ersten Zeit seiner Regierung, als er noch in Hannover
Hof hielt , hat er in jugendlichem Übermute öfter bei
Nacht und Tag Strafsen und Wälle unsicher gemacht und
bei den ehrsamen Bürgern der Stadt mancherlei Ärgernis
erregt Später, in Celle, ist er zwar von diesem wüsten
Treiben mehr und mehr zurückgekommen, die Pflichten und
Sorgen der Regierung weckten den Ernst in seiner Seele,
trotzdem bot auch dann noch sein Hof im Gegensatze zu
demjenigen seiner Brüder und seiner Wolfen büttler Vettern
das Bild einer rohen, verwilderten, glücklicherweise im Ver-
schwinden begriflfenen Zeit dar.
Durch die Wahl seines älteren Bruders war der zweite
Sohn des Herzogs Georg, Georg Wilhelm, im Jahre 1G48
in den Besitz des Fürstentums CaJenberg-Göttingen gelangt.
In ihm kündigt sich von allen Fürsten des weifischen Hauses
zuerst die moderne romanische Lebensrichtung an, welche
das alte treuherzige und setilichte, freilich auch oft rohe und
ungeschlachte deutsche Wesen bald völlig verdrängen und
zu unbeschränkter Herrschaft gelangen sollte. Georg Wil-
helm war erst zwanzig Jahre alt, als er die Regierung des
Landes übernahm, eine frohgemute Natur, lieben swüi'dig,
offen und leicht sich anschlielsend, trotzdem von bemerkens-
werter Treue gegen seine Freunde und Verbündete und in
seinen Worten von unverbrüchlicher Zuverlässigkeit. Die
fast ununterbrochenen Reisen, auf denen er seine Jugend-
jahre verbrachte und die ihn durch alle Länder des west-
lichen und südlichen Europa führten, hatten ihn vor den
12«
Erstes Buch. Dritter Abacboitt.
Eindrücken dea verwildernden Kriege» und der Rohheit der
Sitten, die ihn begleitete, bewahrt. Von diesen Reisen ist
ihm Zeit seines Lebens eine unbezwingliche Sehnsucht nach
den iarben prächtigen Reizen Italiens, seinen geselligen und
künstlerischen Genüssen zurückgeblieben. Mehr als dem
Lande frommen mochte, dessen Wohl und Wehe in sdne
tiand gelegt war, hat er eich von dieser Leidenschaft be-
herrschen lassen, die Regierung oft jahrelang seinen Rjtfen
und Dienern überantwortet, um in Mailand oder Venedig
seinen Vergnügungeu nachzugehen, sich in dem bunten, aus-
gelusseneu Leben der Lagunenstadt zu berauschen, f, Ve-
nedig*', schrieb er seinem zur Heimkehr mahnenden Hof-
roarschall, „Bteht mir je länger je hesser an, ich möchte
wünschen, dafs ich dem Marschalk könnte Lust machen hier
zu kommen, damit er mir von so vielem Wiedcrnachhause-
zukommcn nicht schreibe." Trotzdem verdankt ihm neben
seinem jüngeren Bruder Ernst August Hannover gröfsten-
teils seine spätere Alacht und Gröfae.
Zu Anfang seiner Regierung beteiligte sich Georg Wilhelm,
rührig und aufgeweckt wie er war, lebhaft an den Geschäften
und Beratungen seines Geheimen Rates, einer Behörde, die er
von seinem Vorgänger in dem Kegimecte übernommen hatte
und deren Seele der erfahrene und bewährte Kanzler Justua
Kipius war, der schon seinem Vater mit Auszeichnung ge-
dient hatte. Allein nur zu bald wurden ihm diese Regie-
ruugsgeschäfte mit ihrem oft ermüdenden Eingehen auf un-
bedeutend erscheinende Einzelheiten verleidet, die Enge, Be-
schränktheit und Einfiirmigkeit dea Lebens in der kleinen
Residenz vermochte seinen leichtbeweglichen Geist nicht zu
fesseln, seinem verwöhnten Geschmack nicht zu genügen.
Es erwachte in ihm mit unwideratelilicher Macht die Sehn-
sucht nach dem schönen, genui'sreichen Süden. Schon im
dritten Jahre seiner Regierung (l6öl) ging er, unbekümmert
um die Bitten seiner Mutter und die Vorstellungen seiner
Räte, nach Italien. Und diese wie ähnUche Reisen in das
Ausland wiederholten sich seitdem in kurzen Zwischen-
räumen, so dafs das Land bei der häufigen Abwesenheit des
Herrschers allzu sehr der Waltung der iürstÜchen Räte
überlassen blieb, von denen später der Kammerpräsident
von Bülow und der Geheime KammeiTat von Gramm als
die Hen*en in Blannover schalteten. Dafs unter solchen
Umständen die Geschäfte sich nicht immer glatt abwickelten,
dafs Stockungen eintraten, dafs manches geschah^ was unter-
bheben wäre, wenn der junge Fürst am Platze gewesen,
leuchtet ein. Auch fügte sich sein herrischer Sinn trotz der i
Sbuüästr^cli Johann Friedrichs.
127
Bcinen Räten erteilten Vollmachten nur so weit ihren An-
ordnungen, als sie seinem verschwenderischen und sorglosea
Lehen auL'serhalb Landes nicht hemmend in den Weg tra-
ten. Das tichlimudte aber war, dals er infolge seiner häu-
figen Äbwesenlieit und seines ausschlielalich auf die Ver-
gnügungen des Tages gerichteten Sinnes die innigen Be-
KiehuDRen zur Heimat verlor, die ihm tatst nur noch als die
Spenderin der Mittel zur Fortsetzung sciucö troiiÜcheu Lebeu&
von Wert zu sein schien. So konnte es kommen, daFs er
durch einen von seinem Bruder Johann Friedrich gcgeu ihn
geplanten und in Scene gesetzten Staatsstreich völHg über-
raucht ward.
Georg Wilhelm weilte wieder einmal im Auslände. Er
hatte längere Zeit in seinem geliebten Italien verbracht und
befand sich auf der Kückreiae im Haag, als er die Nach-
richt von der bedenklichen Erkrankung seines älteren Bru-
ders Christian Ludwig erhielt. In Holland war er einer
jungen Französin begegnet, die schon früher durch ihre
Schönheit, Anmut und Liebenswürdigkeit auf ihn den leb-
haftesten Eindruck gemacht hatte und die iJm jetzt in län-
gerem Verkehre vollends bezauberte. Es war Eleonore
d'Ülbreuze, die Tochter des Marquis Alexander Deamier,
Herrn von Obroire und Olbreuze, aus einem alten im Poitou
ansessigen Adelsgeschlcchte. Sie fesselte ihn bald so sehr,
dafs ihn weder die Bitten des kranken Bruders noch die
Mahnungen seiner liäte, seine Erbauspröcho auf das Her-
zogtum Celle zu sichern, zu einer beschleunigten Heimkehr
zu bewegen vermochten. Zögernd ti'at er endlich die Rück-
reise nach Hannover an, wo er am 23. März abends, acht
Tage nach dem Ableben des Bruders, eintjai. Er fand hier
alles in äufserster Verwirrung und Aufregung. Denn als-
bald nach Christiau Ludwigs Tode hatte der jüngere Bruder
Johann Friedrich, Herzogs Georg dritter Sohn, der bisher
nui" eine bescheidene, auf die iVmter Ebstorf und Neustadt
fundierte jährÜche liente bezogen hatte, die Gunst des
Augenblicks benutzt, sich mit- Beihilfe der von ihm ge-
wonnenen Käte seines verstorbenen Bruders der Stadt und
des Schlosses Celle versichert, sich von den OHizieren und
Beamten huldigen lassen und durch Anschlag von Patenten
von den Fürstentümern Lüneburg und Grubenhagen sowifr
von den Grafschaften Hoya und Diepholz Besitz ergriffen.
Sofort nachdem der Staatsstreich gelungen, zeigte er dem
Kaiser imd den übrigen katholischen Ständen, auch dem
Könige Ludwig XIV. von Frankreich seine Thronbe-
steigung an und erlangte von ihnen die Anerkennung de»
128
Erstes Buch. Dritter ÄbschoiU.
Oe&cbehenen und die Zusicherung ihres Schutzes in dem ge-
wonnenen Besitzstände.
Er berief sieb in diesen Schreiben auf aein Erbrecht,
kraft dessen er die Regierung der durch Christian Ludwige
Tod eröffneten Lande angetreten habe. Aber diesem Erb-
reclite standen die Bestimmungen des väterlichen Testamente»
entgegen , wonach zwar die Fürstentümer Celle und Calen-
berg'Göttingcn nie uoter einem Hen-scher vereinigt werden,
aber in einem Falle wie dem vorli^cndcn dem ältesten be-
rechtigten Erben die Wald zwischen den beiden Fürsten-
tümern zustehen sollte (S. 97). Oestützt auf diese Bestimmung
des Testamentes, war Georg Wilhelm als der ältere Bruder
nicht gesonnen, sich sein Wahlrecht verkürzen zu lassen.
Er bestand unweigerlich auf der Ausübung desselben. Es
entbrannte darüber der heftigste Zwist , der zunächst von
beiden Seiten mit Streitschriften und Rechtsgutachten ge-
führt ward , der aber schliefslich zu dem verderblichsten
Bniderkriege, ja zu einem Konflikte von gröfserer Bedeutung
insofern auszuarten drohete, als für den bereits zur katho-
lischen Kirche übergetretenen Johann Friedrich die katho-
lischen Mächte Partei nahmen, während Georg Wilhelm auf
den Beistand Schwedens und der übrigen protestantischen
Staaten rechnen zu können scKien. Kein Wunder, dafs die
friedensbedüritigen Länder , um die es sich handelte ^ ihr
Möglichstes thatcn, um ein solches Unheil abzuwenden. Die
Calenberger Stande erboten sich , i hrem bisherigen Herrn,
dem Herzoge Georg Wilhelm, 200 OÜO Thaler ab Ent-
schädigung zu zahlen. Er verlangte aber aufserden noch eine
monatliche Reute von 1600 Thalem. Endlich traten am
17. April die Bevollmächtigten der beiden Brüder in
Brauaschweig zu einer Konferenz zusammen, um die
Grundlagen eines Ausgleichs zu beraten. Bis zum 2. Juni
dauerten die Verhandlungen, ohne zu einem befriedigenden
Ergebnis zu führen. Erat eine weitere Konferenz zu Hil-
desheim hatte besseren Erfolg. Man einigte sich hier über
einen Entwurf von fünfzehn Artikeln, der dann mit einigen
Modifikationen und genaueren ßestimniungen unter der Ver-
mittlung von Frankreich und Schweden von den Brüdern
angenommen und am 2. September von ihnen vollzogen
ward. Danach erlangte Georg Wilhelm seiner Wahl ent-
sprechend das Fürstentum Lüneburg nebst der Ober- und
Untergrafschaft Uoya, der Grafschaft Diepholz, der Abtei
Walkenricd und dem zu letzterer gehörigen Hofe Schauen.
Johann Friedrich dagegen erhielt aufser dem Fürstentume
Calcnberg-Göttingen noch Grubenhageu. Zugleich versprach
Herzog Johauii Friedrieb.
129
der letztere, die noch in den Händen von Gläubigem be-
BndlicbeQ Ämter und Stücke des Liineburger Anteils ein-
zulösen und sämtliche auf den Calenbergcr Amtern ruhenden
Lasten zu Übernehmen, vvol^ ihm oder seinen Erben uoch
des Bruders Tode ein Kapital von 300 000 Thalern ausge-
zahlt und dieses bis dahin mit 15000 Thalern verzinst wer-
den soUie. Zugleich ward unter allseitiger Zu^limmung lest-
gestellt, dafö das Optionsrecht von nun an abgeschafft und
ferner keine „Division und Option" mehr zu Recht bestehen
sollte. In der Thal ist dies die letzte Länderteilung ge-
wesen, die in dem jüngeren Hause Braunschweig stattge-
funden hat. Auch sollte sie bald durch eine günstige Heirat
wieder wett gemacht werden.
Der nunmehrige Erbe der Fürstentümer Calenbei^,
Göttingen und Grubenhagen war bereits ein fertiger Mann,
als ihm dieser Besitz zufiel. Geboren am '2b. April 1625,
stand er auf der Höhe des Lebens, ein feiugebilueter Herr
von durchdringendem Veratande und schneller Fassungsgabe,
mit vollem Verstäudnis für die siaathchen Aufgaben jener
Zeit, die HersteJlung eines festen geordneten Gemeinwesens
und eines schlagfertigen Heeres, aber doch mehr hingezogen
zu den feineren Genüssen des Lebens, von einer ausgespro-
chenen Vorliebe fiir künstlerische Bestrebungen und subtile
wissenschaftliche Untersuehungea. Sein Briefwechsel mit
Leibniz, den er später nach Hannover zog und in seinen
Dienst nahm , ist datür ein beredtes Zeugnis. In seiner
Jugend hatte er gleich seineu -Brüdern im Lager des Prin-
zen Friedrich Heinrich von Uranien eine kurze Kriegsschule
durchgemacht, dann aber — angewiesen auf das dürftige und
eint^rmige Leben in Cello bei seinem Bruder Christian
Ludwig, der es übernommen halte, für seinen Unterhalt und
seine Apanage zu sorgen — trieb es ihn mit um so stärkerer
Macht in die Ferne, als er zu diesem seinem Bruder nie
ein näheres Verhältnis gewonnen hat, überhaupt unter seinen
Geschwistern sich fast ganz vereinsamt fühlte. Er durch-
streilite Europa, lebte in Paris, Orleans, am liebsten in Ita-
lien, das es auch ihm angetban hatte, wo ihn aber weniger
das lebensfrohe Venedig als das ernste Rom mit seiner
untergegangenen Herrlichkeit und seiner kirchlichen Pracht
fesselte. Hier vollzog sich die bedeutsamste Wendung seines
Lebens. Er, der Enkel glaubenstreuer Lutheraner, der Sohn
eines Vaters, der unablässig für die Freiheit der evange-
Üschen Lehre gekämpft hatte, trat zur römischen Kirche
über. Die Geschichte seiner Bekehrung lassen wir hier
Bai&en»no, firAonsobw.-lunitdr. OeHobUlit«. III. ^
180
Krstea Buch. Dritter Abschnitt.
boiseite. Sie ist im Grunde dieselbe, wie bei »o vielen to
nehmen Personen diesor Zeit. Obgieicli er sich in der Folge
unter Vermittlung acinor Freunde citrig um einen Kardinals-
hut bemühRte j steht doch aufser Zweifel , da}» ihn nicht
sowohl die Suclit nach äulserer Ehre wie innere t'berzeugung
zu dem auftalienden Schritte bewogen hat. Auch mag der
Glanz und Pomp der kirchlichen Umgebung, in der er
lebte, seinen EiuHufs geltend gemacht haben. Sein Freund,
Christoph von Kautzau, ein anderer Konvei'tit, ebnete den
Boden, der gelchi'te Lukas Ilolstenius» der Vorsteher der
vatikanischen Bibliothek, vollendete das Werk seiner Be-
kehrung. Zu spät eriubr man iu der Heimat von diesen
Vorgängen, zu spät machte man von den verschiedensten
Seiten Versuche, ihn bei der lutheriachen Kirche iestzuhalten.
Es war vergebens, dals man den übriBtlieutenaut von Schlitz
genannt von Görtz in Begleitung des Helmutedtor Prol'esaors
Heinrich Julius Blume an ihn absandte, vergebens, dafs ibn
Mutter und Brüder in beweglichen Schreiben abmahnten,
vergebens auch, dnfa letztere ihn persönlich in Italien auf-
suchten und in mehrtägiger Unterredung zu Perugia ihn
umzustimmen versuchten. Man mufste sich endlich über-
zeugen, dais sein Übertritt eine vollendete Thatsache war.
So blieb nur noch die Ordnung seiner übrigen Beziehungen
zu den Brüdern und dem Laude übrig. Kurze Zeit nach
jener Zusamracnkuni't in Perugia zeigte Johann Friedrich
in Celle seine Absicht an, nach Hause zurückzukehren , aber
nur für den Fall, dal's ihm hier freie Ausübung des katho<
lischen Kultus und die trübere Rente gewährt würden. Die
Angelegenheit kam vor die Konsistorien, die theologische
Fakiütät in Flebntjtedt, selbst vor den ständischen Ausschufs.
Sie fiel zu Ungunsten des Herzogs aus. Er erhielt unterm
21. Juni 1052 den Bescheid, dafs inl'olge des Erbvergleichs
von 1636; dos väterlichen Testamentes von 1641 und dea
brüderlichen Erb Vertrags von 1045 keinem Mitgliede der
füratlichen Familie die Ausübung der katholischen Beligioa
im eigenen Laude gewährt werden könne. Er machte noch
einen Versuch, diesen Heschluls durch persönliches Er-^i
scheinen in Celle zu ändern. Als dies ohne Ert'olg war^^J
ging er wieder ins Ausland, erhob nun aber Anaprucb au^^^
eine Erhöhung seiner Dotation. Nach längeren Verhand-
lungen einigte man sich dahin, dafs ihm gegen ausdrück-
liche Anerkennung Jener Verträge und des väterlichen Te-
stamentes, 80 lauge er im Auslände weilen würde, seine Apa-
nage um 3500 Thaler jährlich erhübet werden sollte. Nun
lebte er meistens wieder im Auslände, bald an katholischen
Sein Übertritt sur römischen Kirche.
18t
Höfen, namentlich in Wien, bald bei seiner Schwester, der
Königin Sophie Amalie von Dänemark, der einzigen seiner
Gesciiwister, mit der ihn ein wirklich herzliches Verhältnis
verband- Ea war ein unatütes, ruheloses Treiben, wähi-cnd
dessen er die verschiedensten Pläne verfolgte , um seine be-
deutenden Graben zur Geltung zu bringen. £ndl ich warf
ihm, worauf er kaum noch gehofft haben mochte, der kinder-
lose Tod aeined ältesten Bruders das um Grubenhagen ver-
gröfsertö Füi*stentum seines Vaters in den Schofs.
Als er jetzt von dem ihm zugefallenen Lande Besitz
nahm, war von dem früher gegen ihn erlassenen Verbote
jeder Heligionsübung nach römisch-katholischem Kitus natür-
lich nicht mehr die Rede. Man duilte selbst als Vergeltimg
für so unduldsame Strenge trotz der von ihm erteilten
„Religions-Assocuranz" von seinem jungen Qlaubenseifer
eine energische Bekehrongsthätigkoit im Sinne des Katho-
Ücisraus erwarten. Allein es wurde nicht so schlimm. Wohl
ti'aten einige Kavaliei-e de.=? Hofes, ^vie das unter ähnlichen
Verhältnissen zu geschehen pflegt, zu der Kirche ihres Herrn
über , Jesuiten und Kapuziner , in Hannover seit lange
fremdartige Erscheinungen, kamen von Hildesheim herbei,
ea bildete sich eine kleine katholische Gemeinde, und die
Schlofskirche prangte wieder wie in vorlutherischen Zeiten
im Schmuck der Heiligenbilder uad Keliquien, zu denen
sich bald der ixil'olge von Braunschweigs Unterwerfung er-
worbene prachtvolle Domschatz von St. Blasien gesellte,
aber ein weiteres Umsichgreifen des KathoHcismus wufste
die feste Haltung des Generalsuperintendenten von Hannover,
Gerhai'd Molanus, und die Gewandtheit und Charakterfestig-
keit des Ministers Otto Grote zu verliindern. Dieser treff-
liche Manu, im Besitze des vollen Vertrauens seines fürst-
lichen Herrn, verstand es in bewunderungswürdiger Weise,
durch Nachgeben in kleinen unwesentlichen Dingen gröfse-
rem Unheil vorzubeugen. Er hatte nichts dagegen einzu-
wenden, dals der Fürst zu seiner unmittelbaren Umgebung
vorzugsweiäe Glaubensgenossen erkor, dals katholische Edcl-
leute zu den Hulamtern gelangten , katholische Offiziere
Hauptleute und Obristen wurden, aber er duldete nicht, dals
ein einziger Katholik in den Geheimen Rat kam oder dals der
Beichtvater des Fürsten und seine GeistHclien sich in die
Staatsangelegenheiten einmischten.
Johann Friedrich ist unter den Filrsten des braun-
achweigischen Hauses neben seinem Bruder Georg Wilhelm
der erste gewesen, der das Staatsideal, wie es in den ro-
manischen Ländern, zumal in Frankreich, nach langen hart-
i.
182
Erstes Bncb. Dritter Abschnitt.
näckigeo Kampfes Ober die unbotmäfsigeii Gewalten des
Mittelalters triumphiert hatte und zu gebietender Geltung
gelangt war, auf die freilich engen und beschränkten Ver-
näitnisse des eigenen Landes übertrug. Mit ihm begann in
dem Füratentume Hannover, wie der in seiner Hand ver-
einigte Ländcrküuiplex nunmehr genannt ward , die Herr-
schatt des fUrsthclien Abaolutismus. Schon sein Aufseres
schien ihn zu einer solchen gebietenden Stellung zu berech-
tigen. Er war ein stattlicher Mann mit vornehm - herab-
laascndcr Haltung, gemessen und würdig in seinen Be-
wegungen, in späteren Jahren freilich zu einer nniormlichen
Dicke hinneigend. Die Überlegenheit seines Geistes , sein
BcharfcB Urteil, sein gutes Gedächtnis, seine rasche Auf-
fassung, das alles befalligte ihn dazu, die Regienmg bis in
die Einzelheiten hinein im persönlichsten Sinne des Wortes
zu führen. Die gesamte Lande 9 Verwaltung wurde durch ihn
in vier Abteilungen oder Departements gegliedert und unter
einer gemeinsamen Leitimg, derjenigen des Geheimen Rates,
zusammengefafst. Aber der Herzog war und blieb der
eigentliche Motor dieser Regierungsmaschine. Alle Berichte
gingen durch seine Hand, allen Beratungen wohnte er per-
ßtinlich beij in allen zweifelhaften Fragen gab er selbst die
Entscheidung. Die Landstände bufstcn jetzt völlig ihren
schon längst erschütterten Einflufa ein. Als eine veraltete
Institution, die sich nicht in die veränderten Staatsverhält-
nisse einzufügen vermochte, schob er sie rücksichtslos bei-
seite. Einen Versu ch , den sie machten , sich aus eigener
Machtvollkommenheit zu versammeln, vereitelte ein einfaches
Verbot des Herzogs. Und nicht nur in der Behandlung
dieser ernsten, schwerwiegenden Angelegenheiten des Staates,
sondern auch in der Gestaltung seines privaten Lebens, in der
Einrichtung seines Hofes, in der Wahl seiner Genüsse nahm
er sich den französischen Monarchen zum Muster, der da-
mals mit seinem Glänze, seiner Machtfülle und seinen krie- B
gerischen Erfolgen alle Fürsten Europas überstrahlte. Jo- S
bann Friedrich schuf sich in Hannover eine Residenz, wo
neben der heiteren Kunst auch die ernste Wissenschaft eine ^
eifrige Pflege fand, eine Stätte, die eine Zeit lang einer ■
der Brennpunkte des geistigen Lebens in Deutschland war. "
Er gründete jene Bibliothek, nn deren Spitze er Leibniz,
den gelehrtesten Mann seiner Zeit, stellte, er richtete eine
Oper imd ein Schauspiel ein, wo freilich fast nur italienische
Musik gehört und französische Stücke gespielt wurden, die
aber doch bei den trostlosen Zuständen, in denen sich da-
jnflla die deutsche dramatische Kunst befand, nicht ohne be-
Seiae auswürtige Politik.
183
buchtenden EiufluTs auf den Gesckmack und die Kunat-
bildung unseres Volkes gewesen sind. Das heitere, bewegte
und glänzende Leben am hannövrischen Hofe erreichte
seinen Höhepunkt, seitdem Johann Friedrich im Jahre 1668
Benediktu Henriette von der Pl'aU, die Tochter des gleich-
falls zur katholischen Kirche übergetreteneu Pfalzgrafon
Eduard und eine Base der bekannten Herzogin Elisabeth
Charlotte von Orleans, beimffeführt hatte. Diese Verbindung,
bei der der französische Einttufs matsgebeud gewesen, kettete
ihn noch mehr an die katlmltsehe Kirche und an die Politik
des französischen Königs. Diese Beziehungen haben denn
auch die Wege seiner äulseren Kügierungsmafsnahmeu be-
stimmt.
Um hier eine einigermafscn bedeutende Rolle zu spielen,
bedurite er — dieser Einsicht konnte er sieh nicht ver-
schliefsen — eines ausehnHchen, stets schlagfertigen Heeres,
das ihm zugleich als Werkzeug dienen sollte, seine unbe-
schrankte Herrschaft im Inneren zu sichera und zu be-
festigen. Aber die Errichtung und Erhaltung einer solchen
stehenden Hoercsmacht war ohne grofse, die Kräfte des
Landes übersteigende Geldmittel unmöghch. An ihrem
Mangel waren alle früheren Versuche des Lüneburger Hauses
nach dieser Richtung hin gescheitert. Johann Friedrich ge-
wann diese Mittel dadurch, dals er teils den Veuetianera zu
ihrem Kriege gegen die Osmanen Truppen in Sold gab, teils
von Frankreich die Zahlung von Subsidien erlangte, wofür
er die Unterstützung der französischen Interessen in Deutsch-
land versprach. So sah er sich imataade, ein Heer von
14 000 Mann auizustellen und bleibend zu unterhalten. Es ist
dies vielleicb t die wichtigste Thatsache seiner Regierung,
aber sie wirll kein günstiges Licht auf seine patriotische Ge-
sinnung. Doth mul's man eich erinnern, dals damals viele
deutsche Fürsten ähnlich handelten, dafa das vaterländische
Ehrgetuhl infolge der jahrelangen Not des Eu^ogC3 bei Hoch
und Niedrig erstii-kt war, dafa überall, nicht nur bei den
Fürsten , Seibatsucht und Eigennutz die edleren Kegungen
verdrängt hatten. Die besten deutschen Fürsten dieser Zeit
waren von solcher Gesinnung nicht frei, und selbst die Brü-
der Johann Friedrichs haben, obschon sie im Gegensätze zu
ihm ihre militärischen Kräfte in den Dienst des öster-
reichischen Hauses stellton, doch in Wahrheit gleich ihm nur
rein egoistische Ziele verfolgt. Auch war Johaim Friedrich
weit davon entfernt, sich durch seine Beziehungen zu Frank-
reich ernsten Gefahren auszusetzen. Sein Strebeu ging
lediglich auf die Erhöhung seiner Macht und die Erweiterung
iU
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
seines Ländergebietes. Mit grofser Gewandtheit wufste
die Vorteile eines Bündnisses mit Frankreich auszabeuten,
ohne doch seine Verpflichtungen als Rcicbsfüi*st in auffallen-
der Weise zu verletzen. So handelte er namentUch in dem
BOgenannten zweiten Itaubkriege (1672 — lü79), in welchem
er zwischen den Parteien eine mehr als zweideutige Ualtuug
einnahm. Als dann dieser Krieg durch die Frieden esc MiÄsse
von Nymwegen iind St. Germain beendet war, begab er
sich -wieder auf Reisen. Es zog ihn nach dem hcifsgeiiebten
Italien, wo er einst, wie er meinte, seine Versöhnung mit
Gott gefunden hatte. Auf der Reise erkrankte er in Augs-
burg, wo ihn am 28. Dezember 1679 der Tod ereilte. Da
er keinen Sohn sondern nur vier Tochter hiaterliefs ,
fiel das Fürstentum Hannover jetzt an seinen jüngsten Bru-
der Ernst Augiist, und da dieser damals bereits zum Nach-
Iblger des gleichfalls söhnelosen Georg Wilhelm von Celle
bestimmt war, so eröffnete sich damit die Aussicht auf den
demnächstigen Zuaammenfall der beiden Hauptgruppen defl
Lüneburger Lande.
Ernst August, der jüngste von den Söhnen des Herzogs
Georg von Lüneburg, hatte sich bislang mit der Regierung
und Verwaltung des Bistums Osnabrück begnügen müssen,
das ihm gemäfs den Bestimm imgen des westläüschen Frie-
dens (S. 101) im Jahi-e 1662 nach dem Tode des Bischofs
Franz Wilhelm, Grafen von Wartenberg, überwiesen worden
war. Als sein Vater starb, hatte er eben das elfte Jahr
vollendet. Er lebte dann später in Hannover bei seinem
Bruder Georg Wilhelm, welcher in dem Vertrage mit Chri-
stian Ludwig vom 16. Februar 1G49 es übernommen hatte,
für seine Residenz und sein Deputat Sorge zu tragen. Zwi-
schen ihnen knüpfte sich iniolge dieses Zusammenseins ein
enges brüderliches Verhältnis. Beide waren jung, lebcna- .
fron, in ihrer Lebhaftigkeit fUr jeden Eindruck empiänglich.^B
Übereinstimmung in den Neigungen und Charakteren führte^H
sie zusammen, erweckte und förderte eine gegenseitige Hin-
gebung, welche später die stärksten Proben bestanden hat.
Auch die äufseren Vorzüge, die den Bruder auszeichneten ,
teilte Ernst August mit diesem. „Er hat", schreibt irn^H
Jahre 1651 seine spätere Gemahlin, „ein schönes Äufsertf^H
lind gelallt aller Welt." Aber er war doch nicht der aus-
schliefsliche Lebemann wie joner, dem Bulle, Opern, Wei-
ber und Karten über alles gingen und von dem die eigene
Schwägerin urteilt, „dafa man mit ihm keine Staatsgeschärt©
berühren dürfe, da er zwar viel Geist und Urteil besitze,
aber dies© nur an Nichtigkeiten und frivole Vergnügungen
Georg WUbelni uoU Ernst Aug^nst.
1d&
verschwende". Ernst August war von den Öolinen Georgs
der einzige, in dem trotz seiner schillerndea Aufsenseite ein
Staataiuann steckte. Klug und berechnend , geschickt und
wenig wühlerisch in den Mitteln, verfolgte er die Ziele, die
er sieb gesteckt hatte, mit merkwürdiger Zähigkeit, Alan
kann sich nicht wundem, dafs er sie meistens erreichte und
dafa er namentlich auf den älteren Bruder mit der Zeit
einen diesen völlig beherrschenden Eiiiflufs fjewann. Dies
zeigte sich schon bei seiner Vermählung, die für die weiteren
Geschicke des Luneburger Hauses, tvir seine spätere Gröfse
und Macht von so grundlegender Bedeutung werden sollte.
Georg Wilhelm hatte sich endlich auf den Wunsch seiner
Landstande entschlossen, eine Ehe einzugehen. Man hoffte,
ihn dadurch seinem unstäten, au ascli weifenden Leben zu ent-
ziehen und zufi^leich den Fortbestand des tUratlichen Hauües
zu sichern. Seine W^ahi Hei auf die Prinzessin Sophie von
der Ptalz, die Schwester des regierenden Kurfürsten Karl
Ludwig und die jüngste von den Töchtern jenes Friedrich V.,
der einst durch die Schlacht bei Prag die böhmische Königs-
ki'one und den Kurhut zugleich eingebUfst hatte, aus dessen
Ehe mit Elisabeth Stuart, der Tochter Jakobs I. vun Grofs-
britanuien. Die Verlobung fand im Jahre 165G statt und
wurde anfangs geheim gehalten: nxu' Ernst August wufste
darum. Er hatte den Bruder auf seiner Brautfahrt nach
Heidelberg begleitet und ging nun von da mit ihm nach
Venedig. Hier aber erlag Geoxg Wilhelm den Verführungen
des lockeren Lebens, an das er gewohnt war. Ein neues
Liebesverhältnis, das übele Folgen für ihn hatte, entfremdete
ihn seiner Braut, er konnte sich nicht entachliefsen, zu ihr
nach Heidelberg zurückzukehren. Er war ein zu ritter-
licher Mann, um nicht die Unehrenliaftigkeit eines solchen
Bruches tief zu empfinden. Deshalb machte er jetzt dem
Bruder den Vorschlag, an seine Stelle zu treten. Er wollte
ihm sein Land überlassen und sich mit einer liente, die ilim
die Möglichkeit ziu- Fortführung seines bisherigen Lebens
ewähren würde, begnügen, ja er versprach In feierlichster
/eise, falls Ernst August auf seinen Vorschlag eingehe, Zeit
seines Lebens nnverchlicht zu bleiben. Dieser liefs sich
nicht lange erbitten. Die Prinzessin , um die es sich han-
delte, war nicht nur von erlauchtester Abkunft, sondern ein
Wesen ^ das durch Liebreiz . vor allem aber durch Geist,
Munterkeit und überlegene Charakterbildung wohl geeignet
war, den Sinn eines selbst Üatterhuften Mannes dauernd zu
fesseln. So kam der seltsame Handel zustande. Am
^. Juni 1658 wurden die Ehepakten unterzeiclinet, und im
196
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
September erfolgte zu Heidelberg die Hochzeit mit dem ge-
bräuchlichen Glänze und dem altüberlieferten G-eprange.
Nun aber zeigte sich erst recht die Unbeständigkeit von
Georg Wilhelms Herzen. Jetzt, da er die üraut verloren
hatte, fafste er zu ihr eine heftige Leidenschatit, die das
junge Eheglück der Gatten in Gefahr brachte und das lang-
jährige gute Verhältnis der beiden Brüder für immer zu
zerstören drohete. Unter diesen Umstäuden empfand es
Sophie, die sich zwischen der Liebe des öchwagers und der
Eitei*sucht des Gatten eine bewunderungswerte Sicherheit
und Freiheit dea Gei&tes zu bewahren wufste, als eine Er-
lösung, dafs wenige Jahre nach ihrer V^erheiratung die Er-
öffnung des Hochstiftes Osnabrück dem engen Zusammen-
leben mit dem Schwager in Hannover ein Ziel setzte. Sie
siedelte mit ihrem Gatten und den beiden Söhnen, die sie
ihm inzwischen geboren, nach Osnabrück über, und Georg
"Wilhelm wufsto sich bald dm-ch neue Liebesabenteuer zu
trösten.
Gerade in diese Zeit tUlIt seine erste Begegnung mit
Eleonore d'Olbreuze, deren wir bereits gedacht haben. Die
Neigung zu ihr drängte bald alle früheren zärtlichen Regungen
seines Herzens in den Hintergrund und steigerte sich mit
der Zeit zu einer unwiderstehlichen Leidenschaft. Er dachte
an eine eheliche Verbindung mit ihr. Einer solchen stellten
sich aber die verachiedensten Rücksichten , vor allem sein
früher dem Bruder mündlich imd schriftlich in bindendster
Foini gegebenes Versprechen entgegen, sich nie verheh'aten
zu wollen. In der Besorgnis, Georg Wilhelm würde sieb
zu einem Schritte hinreifsen lassen, der diese Abmachungen
und mit ihnen die an sie geknüpften Hoffnungen auf die
Erbfolge in seinem Lande vernichte , boten Ernst August
und Sophie die Hand zu einem Abkommen^ das sie nach
dieser Richtung hin sicher zu stellen schien. Sopliie lud die
schöne Französin nach Schlofs Iburg, ihi^er und ihres Ge-
mahles Residenz. Hier bestürmte man sie so lange, bis sie
einwilligte, dem Geliebten auch ohne das Band der Ehe au-
zugehöien. In Celle, wohin man sie führte und wo eben
das Leichenbegängnis Cliristian Ludwigs stattfand, vollzog
Georg Wilhelm am 11. November 1665 einen von aeinera
Bruder imd seiner Schwägerin mit unterzeichneten Rezefs,
in welchem er diesen sein Irüheres Versprecheu steter Ehe-
losigkeit erneuerte, Eleonoren aber ewige Treue gelobte und
ihr eine Jahresrente von 2000 Thalern auswaH", die nach
seinem etwaigen Tode verdreitacht werden sollte. Seitdem
lebte sie am Hofe zu Celle als »eine „Freundin", mit dem
VormähluDg Georg WiUielmB mit Eleonore d'Olbraiue. 137
ihr von ihm verliehenen Titel einer „Frau von Harburg".
Allein sie gewann in der Folge auf den einst so unbeatäu-
digen Mann einen unbeschränkten EinfliiTs, der noch dadurch
gesteigert ward, dals sie ihm am 15. Öcptomher 1666 eine
Tochter schenkte, die in der Taufe den Naiuen Sophie Do-
rothea erhielt. Das früher so gehalste und gemiedene Schlofs
von Celle, das Oeorg Wilhelm in dem pomphaiten Geschmack
der Zeit ilir zuUebe umbauen liefa, erlebte jetzt das Schau-
spiel eines fast idyllischen Familienglücks, Es ist begreif-
lich, dafs der Herzog ebenso eifiig darauf sauu, die Zukunft
der Mutter zu sichern, wie seinem Kinde eine entsprechende
Stellung in der Welt zu geben. Er erstand von der Fa-
milie Grote eine Anzahl von Gütern an der Elbo, bildete
daraus die Herrschaft Wilbelmsburg imd bestimmte sie zu
Eleonorens Wittum. Zugleich erlangte er lß74 vom Kaiser
ihre Erhebung zur Reichsgräfin von Harbm'g und W^ilhehua-
burg sowie die Legitimation seiner Tochter und die Be-
rechtigung, für den Fall ihrer Verheiratung mit dem Mit-
gliede eines fürstUcben Hauses Titel und Wappen von
Brauuschweig lülircu zu dürfen. Sie ward bereits am
21. Dezember ltJ75, ein elijähri/^ea Kind, mit dem Erbprinzen
August Friedrich von W'oltenbüttel verlobt , der ein Jahr
dftrauf vor Philippsburg fiel. Als nun aber Georg Wilhelm
mit der Absicht hervortrat, seine geliebte Eleonore zu seiner
rechtraäfsigen Gemahlin zu erheben, da traten ihm nicht nur
die politischen Bedenken seines Bruders enlgegeu, der durch
einen solchen Schritt die ihm in Ausaiclit gestellte Nach-
folge im Fürstentum Celle als geliiljrdet betrachten mufste,
sondern heftiger und unveraöhuficher noch der Hafs und
die Eilersucht, mit denen die Plerzogin Sophie schon längst
die französische Favoritin vertoJglo. Es kam darüber zu
lebhaften Auseinandersetzungen. Erst als Georg Wiliielm
in einem besonderen Rezesse die Erbfolge seines Bruders
und dessen Naclikouimen in seinem Fiiratentume auch füi*
den Fall anerkannt hatte, dafs ihm in seiner Ehe noch
Söhne zuteil werden sollten, erst nachdem die Stände des
Landes diesen Vertrag bestätigt und die lüneburgischen
Bäte, Beamten und Ofliziere den eventuellen Iluldiguugseid
fUr Ernst August geleistet hatten, gab dieser seinen Wider-
epruch gegen die Verheiratung des Bruders auf Zu ^Vniang
April 1676 waren die letzten Hindernisse derselben beseitigt.
In Gegenwart des Herzogs Anton Ulrich von Wolfeobüttel
und des Kanzlers Schütz fand zu Celle in aller Stille die
kirchhche Trauung statt. Sechs Jahi-e später erfolgte, nach-
dem durch den Vertrag von Engensen vom 13. Juli lUBO
k
188 Entea Bnch. Dritter Abschnitt.
die AnerkenouDg Eleonorens als Herzogia and ihrer Tochter
als Prinzessiii von Braunsc'bweig uud Lüneburg seitens der
ganzen weliiachen Familie ausgesprochen war, die Vermäh-
hing der letzteren mit Georg Ludwig, dem ältesten Soline
Ernst August» und Sophiens von der Pfalz. Damit war
auch der letzten Gefahr einer Entfremdimg der Lüneburger
Erbschaft vorgebengt, freilich auch eine Ehe geselilossen,
die einen traurigen Verlauf und ein uuBeliges Ende nehmen
sollte.
So sehr auch die hier dargelegten Verhältmsee, die gegen-
seitig 80 zarten und schwierigen Beziehungen der Bruder
zu einander geeignet schienen, ihr gutes Einvernehmen zu
stören und es zeit^veilig auch wohl in Frage gesteilt haben,
so wenig haben sie vermocht , es aut' die Dauer zu er-
schüttern. In treuer Eintracht hielten Georg Wilhelm und
Ernst August zusammen, vmd die innige brüderliche Zu-
neigung, die sie schon in den Tagen ihrer Jugend verbunden
hatte, bewährte sich für die Dauer ihres Lebens. Am
schärfsten tritt dies in ihrer äufsern Politik hervor, in der sie
stets mit bemerkenswerter Einmütigkeit, gewissermafsen wie
aus einem Gedanken heraus handelten. Als itn Jahre Hj65
der unnihige und kriegerische Bischof von Münster, Ohri- ^
stoph Bernhard von Galen, im Bunde mit England die Ge-fl
neralstaaten der vereinigten Niederlande mit Krieg überzog,
schlössen die beiden Herzöge mit diesen ein Bündnis, wo-
nach sie gegen beträchtliche Subsidiengelder ein Heer in der
Gesamtstärke von 12Ü00 Älann unter dem Oberbefehl des
Grafen von Wflldeck ihnen zur Verfügung stellten. Gegen
Ende des Jahi'es standen 10 000 lüneburgische Truppen
schlagfertig an der niünsterschen Grenze- Es kam aber zu
keiner gröiseren kriegerischen Unternehmung, und schon
am 18. April 16Gß machte der unter Vermittlung des Kur-
fürsten von Brandenburg und des Herzogs August d. J.H
von Braunschweig abgeschlossene Friede von Clove diesem™
kurzen Feldzuge ein Ende. Auch bei den wiederholten
Verhandlungen, welche unter den versL-hiedenen Linien des
fürstlichen Hauses im Jahre IG^I zu Braunschweig statt-
fanden, um einen engeren MilitiLrverband zwischen ihnea^
herzustellen, Verhandlungen, durch welche man eine schon™
früher von Georg von Lüneburg verfolgte Idee wiederauf-
nahm imd weiter auszubilden suchte, schon wr Georg Wil-
helm und Ernst August stets in völliger IJbereinstimmung
vorgehen. Im folgenden Jahre (ir.fiS) gaben die Herzöge
— diesesma) schlofe sich ihnen auch Johann Friedrich an —
schtandzwanzig Compagnieen InVanlerw m Öl«t Gi^*aM\tatyLrke
J
Lüneburger und Wolfrubüttler Truppen im Rcichskriege. 189
von 2700 Mann in die Dienste der Republik Venedig, weiche
yWa der tapferen Verteidigung Candias einen »o ruhmvollen
l^nteil nahmen , dal's der Name Brauneehweig - Lüneburg
1 überall mit Ehren genannt ward. Je offener und bedroh-
Lficher dann die elirgeizigen und erober ungshistigen Pläne
[Ludwigs XIV. von Frankreich hervortraten, um so enU
JBcInedener stellte sich die Politik der beiden Brüder — hier
I freilich in geradem Gegensatze zu Johann Friedrich — auf
die Weite der Mächte, welche die Freiheit Europas ver-
I teidigteu und die IJbermacht Frankreichs bekäropttcn. Georg
[Wilhelm iiihrte im Jahre 1674 persönlich ein aus cellischen
und wolfenbilttelschen Truppen oeBtehendeB Heer von 12000
Mann an den Rhein, wo sie unter seinem Befehl sich in
der Schlacht bei Enzheim tapter schlugen. Im Jahre
■ darauf folgte ihm dahin Ernst August, begleitet von aeinem
damals erat vierzehnjährigen ältesten Sohne Georg Ludwig,
der durch Intelb'genz und UnerBchrockenheit die Autinerk-
samkeit des ganzen Heeres erregte. Man schritt am 4. August
zur Belagerung des von den Franzosen beset2ten Trier. AU
der Marschall von Crequi herbeieilte, um die Stadt zu ent-
setzen, kam es am 11. August zu der Schlacht an derConzer
Brücke , welche durch die Tapferkeit der Braunschwoiger
Herzöge zugunsten der Verbündeten entschieden ward: 6000
Franzosen bedeckten das Schlachtfeld, 1500, darunter viele
Oftiziere , fielen in die Gefangenschaft , 8o Fahnen und
Standarten, das sämtliche Geschütz, Zelte und Gepäck blie-
ben in den Händen der Sieger. Bald darauf ertolgte, nach-
dem Crequi bei einem Ausfalle trotz verzweifeher Gegen-
wehr zum Gefangenen gemacht worden war, die Einnahme
von Trier. Inzwischen hatten die mit Frankreich verbün-
deten Schweden einen Einfall in die Mark Brandeuburg ge-
macht, waren aber am 18. Januar 1675 von dem aus den
Rheinlandeu herbeieilenden Kurfürsten Friedrich Wilhelm
bei Fehrbeliin aufa Haupt geschlagen worden. An Schwe-
den wurde jetzt auch vonseiten des Reichs der Krieg er-
klärt, und die den schwedischen Besitzungen in Deutschland
benachbarten Staaten, Dänemark, Brandenburg und Munster,
rüsteten sich mit den Braunschweiger Fürsten und im Bunde mit
dem Kaiser, dem Könige Karl XI. jene Besitzungen zu eut-
reifsen. Nur Johann Friedrich von Hannover hatte bereits
früher mit Frankreich und Scliweden sich verbündet, sah
sich jetzt aber, von allen Seiten bedi*ohet, genötigt von die-
sem Bündnisse zurückzutreten und am 21, September mit
Dänemark, Brandenburg und Münster eVrieti ^&v!A.tvtoO*X*j-
vertn^ zu schlJefsen. Ein kurzer Fe\4i\x^ \ixa.^\ft ^-bää.
140 Kntes Bueh. Dritter Abachoitt.
einen guten Teil der Heraogtümer Bremen und Verden in
die Gewalt der Verbündeten. Wildeghauaen , Laugwedel,
Verden und Rotenbui^ raufaten kapitulieren, Ottersburg
ward mit Sturai genommen. Und als nun Geoi*g Wilhelm
von den Rlieinlandeu auf dem Kriegsschauplatze erschien und
als Oberster des niedersächaischen Krcigeä den Oberbefehl
über das 12 OOO Mann starke Bundesbeer übernahm, fiel
auch Buxtehude und Bremervörde, ao dafs die Schweden
nur noch Karlsburg und Stade behaupteten. Älit der Er-
oberung dieser beiden Plätze im iolgeoden Jalire (1676),
waren die Verbündeten Herren der gesamten schwedischen
Besitzungen westlich der Elbe. Allein nach dem Siege be-
gannen erst die Schwierigkeiten. Auf einem zu Bremen ge-
haltenen Kongresse vermochte man nicht sich über die gemach-
ten Eroberungen zu verständigen, und aucli der von den
sämtlichen Fürsten des Braunscliweiger Hauses im Januar
1676 in Burgdürf zu gemeinsamem Handeln in dieser Sache
abgeschlossene Rexels vermochte nicht ein ftir sie vorteil-
hal'tea Ergebnis herbeizuführen. Wie der ganze Handel
dann im Jahre 1679 dmch Zurückgabe der Herzogtümer
an Schwedeu, mit Aus.schlul3 des Amtes Thedinghausen und
der Vogtei Dörverden, seineu Absehluls erreichte, ist schon
berichtet worden.
Um dieselbe Zeit (167S>) gelangte, wie wir gesehen, Ernat
August nach dem Tode Joliaun Friedrichs in den Besitz von
Caleuberg. Seitdem wuchs der bestimmende EinÜufd, den
er ant" den älteren Bruder ausübte, von Jahr zu Jahr. Mehr
und mehr erscheint er als der eigentliche Träger der Lüue-
burger Politik, mehr und mehr üvtt Ocorg Wilhelm gegen
ihn in den Hintergrund. Dies erklärt sich schon aus der
Staats männischen Überlegenheit Ernst Augusts, allein es
kamen noch andere Gründe hinzu. Im Besitze von Osna-
brück, Caienberg, Güttingen imd Grubonhagen, war er nach
den wiederholten Abmachungen mit seinem Bruder auch der
einstige Besitzer von Lüneburg. Es stand ihm damit in
Aussicht, das gesamt© Erbe des jüngeren Hauses Braun-
schweig unter seiner Herrschaft zu vereinigen, und wie diese
Aussicht seineu W^orten und Katachlägen ein grül'seres Ge-
wicht verleihen mufste, so war sie zugleich geeignet, seiner
Politik eine bestimmte Richtung zu geben, ihr ein greif-
bares Ziel zu stecken und ihr dazu die einzuschlagenden
Wege zu weisen. Hier ist der Punkt, wo die grofae Be-
deutung Ernat Augusts für die Geschichte Hannovers liegt,
von wo es ihm gelungen ist, die spätere Gröfse seines Hauses
Jiazubahaenf die Grundlagen seiner k^infti^w Weltstelluug
J
Primogeniturgeselz für Celle- H«nnover.
141
BU legen. Es waren hauptsächlich zwei Dinge, auf die er
Bein Streben richtete und die er mit dem Aufgebote aller
seiner Kraft zu veri-virklichcn suchte: die Einführung eines
strengen Primogeniturrcchtcs in seiner Familie und die Er-
langung der Kurwürdc für eich und seine demnächstigon
Nachfolger im Regiment. Beides stand in dem cngstcu Zu-
sammenhang, ja man kann sagen, dafs das eine das andere
bedingte. Üenn wie die goldene Bulle die gesicherte Un-
teilbarkeit des Gebietes, auf dem die Kur ruhete, vorschrieb,
so wai* anderseits au dio Errichtung einer neuen, der neun-
ten Kur flU' Hannover ohne eine Ilauamacht, welche der-
jenigen der übrigen weltliclien Kurflirsten gleich- oder nahe-
kam, nicht zu denken. Dies war die unumgängliche Vor-
bedingung für die V^erwirklichung jenes Planes, und sie
konnte nur erfüllt werden, wenn die beiden Fürstentümer
Celle und Hannover, deren künftige Vereinigung gesichert
erschien , unter ein unantastbares Erstgeburtsgesetz gestellt
wurden, das jede Wiederkehr einer Landesteilung ausachlols.
Diese Erwägungen erklären auch die nachgiebige Haltung,
welche Ernst August gegenüber den Wünschen seines Bru-
ders inbezug auf dessen Verheiratung und auf die Standos-
erhühung seiner Gemahlin einnahm, und in der er sich durch
nichts, auch nicht durch den Widerspnich der sonst so ein-
flufsreichen Herzogin Soplue beiiren liefs. Zuerst und vor
allem mulste die Zustimmung Georg Wilhelms zu dem be-
absichtigten Gesetze gewonnen wei*den y und sie war der
Preis, um welchen der jüngere Bruder in den schon er-
wähnten Vertrag von Engensen (S. 137) willigte, der die
Standeserhohung Eleonoren^ von Olbreuze nur unter der
Bedingung anerkannte , dafs dadurch die Nachfolge Ernst
Augusts im Fürstentum Lüneburg und dessen Vererbung
nach dem Rechte der Erstgeburt nicht beeinträchtigt würde.
Um jede Zweideutigkeit zu beseitigen, gab dann Georg
Wilhelm bei Gelegenheit der Verhandlungen über die Ver-
heiratung seiner Tochter mit dem Erbprinzen Georg Ludwig
von Hannover am 17. Oktober 1682 noch einmal seine Zu-
stimmung zur Primogenitur in den vereinigten Ländern
Haimover und Celle. Und nun that Ernst August den
entscheidenden Schritt. Er errichtete am 21. Oktober 1682
unter Beistimmung seines Bruders ein Testament , welches
am 1. Juli des iolgenden Jahres die Bestätigung des Kai-
sers erhielt , obschon ea genau das Gegenteil von dem fest-
setzte, was einst in dem Testamente seines Vaters Georg
(S. 97)
ordnen "
k
verordnet worden war.
— so heifat es darin —
Ui
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
tümer Calenberg, Güttingen und Grubenhagen samt den hom-
burgischen, eversteinischen und schauenburgischen Stücken,
wie wir solche jetzt besitzen , dßsgleichcn die GrafachaÜ
Diepholz und die oberhoyaischen Amter, und nach Unseres
Bruders Tode das Fürstentum Celle )nit der unteren Graf-
öc'hal't Hoya, mit allen Rechten und Zubehorungeu, unter
einer fürptliehcn Kogioruug immerhin verhleiben und keines-
wegs wiederum veiteilet werden , sondern in deren Besitz
und Regierung unsere Descendenten nach der Ordnung und
drm Rechte der Erstgeburt nachfolgen aollen." So ward
jetzt endlich auch für das Lünebuiger Haus erreicht, was
in dem mittleren Hause Braunschweig bereits seit fast andert-
halb Jahrhunderten Gesftzeslii'nl't erlangt hatte , hier aber
noch vur kuraom durcli don Herzog August d. J. für die
neue Braunachweiger Linie wieder in Frage gestellt worden
war: die Unteilbarkeit des Landes und seine Bewalu'ung vor
jenen thürichten Zersplitterungen, unter denen es früher so
schwer gelitten hatte.
Noch galt es den Widerstand in der eigenen Familie
gegen das neue Gesetz zu brechen imd die Einwilligung der
Agnaten der älteren Braunschweiger Linie zu erlangen.
Beides wurde dem Ilei-zoge Ernst August nicht leicht. Er
hielt zwar anfangs die getroffenen Abmachungen noch ge-
heim und liefs .sie später (im Jahre 1Ü89) in erweiterter
Form noch einmal von dem Kaiser bestätigen, al>er seiner
näheren Umgebung und selbst den ferner stehenden Agnaten
konnten sie auf die Länge nicht vorborgen bleiben. Da
mufste er nun zunächst den Widerspruch der eigenen Ge-
mahlin erfahren, die in Üirer zärtlichen Liebe für die nach-
geboreuen Söhne in der Mafsregel des Gatten eine Be-
raubung derselben erblickte. „Ich schi'eie die ganze Nacht
hierüber", schrieb sie am 1 Dezember lü85 nach Wolfen-
büttel, „denn ein Kind ist mir ebenso lieb als das andere:
ich habe sie alle unter mein Hertz getragen, imd die un-
glücklich seien, jammern mich am meisten." Auch der
Zweitälteste Sohn, Friedrich August, legte Verwahrung ein,
weigerte sich den von ihm geforderten Eid auf das Statut
zu leisten, beriet sich auf das alte Herkommen und das
grofs Väter liehe Testament und wufste die Unterstützung seiner
Ansprüche seitens des Herzogs Anton Ulrich von WoUon-
büttel zu erlangen. Vergebens machte Ernst August im
Jahre lfi8fi den Versuch, die Woltenbüttler Agnaten für ein
umfassenderes, alle Linien des wölfischen Hauses einschUefsen-
dea Primogenitnrgeaetz zu gewinnen. Um so entschiedener
hielt er dann aber an dem von ihm für die Lünoburger
4
ler ^j
Widerepruch dagegen
14.3
Linie oxiassenen Stutut fest. Auf das bostinirotcetc wies er
die Eintnischung Anton Ulrifhs in diese FHmiliensachc zu-
rück. Dennocli vermochte er nicht die gegneriafhen Ötira-
meu in der eigenen Familie zum Schweigen zu bringen.
Als der inzwisciicu in üäterrcichische Dienste getretene
Friedrich Augnst an der Spitze seines Keitorregimentea bei
bt. Georgen in Siebenbürgen gegen die Türben gefallen
war (10. Januar 1691), nahm der nun Zweitälteste seiner
■Söhne, Maximilian Wilhelm, der Liebling seiner Mutter, den
Widerstand gegen die Pläne des Vaters mit noch gi'öf?«rer
Lebhaftigkeit auf. Einen Augenblick schien es, als sollten
diese Wirren mit einem ernsten Familien drama endigen.
Maximilian Wilhelm war durch nichts zu bewegen, seine
urkundliche Zustimmung zu den Pliiuen seines Vaters zu
erteilen. Er fand dabei Verbündete au seiner Mutter und
weiter an den regierenden Herzögen von Wolf'enbüttel, an
die er sich wandte und die ihn in seinen angebUchen Erb-
ansprüchen zu achützen vcrepracheu. Man verhandelte dar-
über mit Dänemark und Brandenburg, selbst mit Frankreich,
und meinte, der Zustimmung aller derjenigen Staaten sicher
zu sein, welche der schon damals von Ernst August be-
triebenen Erwerbung der Kurwürde widerstrebten. Der
Leiter dieser gauzen politischen Zettelang war der hannövrische
Oberl'orst- und Jägermeister von Moltke, von dem mau
wissen wollte, dafs er selbst feindselige Absichten gegen die
Personen Ernst Augusts und des Erbprinzen gehegt liabe.
Die Verschwörung ward entdeckt, man sagt infolge einer
Warnung, die dem hannövrischen Hofe vonseiten Sophie
Charlottens, der au den Kui'füraten von Brandeubui'g ver-
mählten Tochter Ernst Augusts, zuging. Moltko ward ver-
haftet und büfste nach peinlichem Prüzefs sein unbesonnenes
Unternehmen am 15. Juli 169ü auf dem Blutgerüste. Sein
Verwandter , der Obristlieutenant von Molike , der mit in
die Sache verwickelt war, ward des Landes verwiesen, und
der W^olfeubüttler Geheirasekretär Blmue, der sich zu den
Verhandlungen mit seinen Herren und dem Kurfürsten von
Brandenburg hatte gebrauchen lassen, sieben Monate lang
auf dem Calenbergc in Haft gehalten, endlich aber infolge
der drohenden Haltung, welche die Herzöge von Woh'en-
büttel, gestutzt auf ein mit Brandenburg am 21. April
J692 abgeschlossenes Bündnis, annahmen, in Freiheit ge-
setzt. Auch der Urheber des ganzen Handels, Prinz Maxi-
milian W^ilhelni, wurde in Verwahrsam genommen, verdankte
aber der Fürsprache seines Oheims Georg Wilhelm von
Celle eine mildere Behandlung. Unter die Aufsicht des
144
Erstes Bach. Dritter Abschnitt.
Grafen von Platen gestellt, erhielt er erst seine völlige Frei-
heit zugleiL'h mit dem Versprechen einer Verdoppelung seiner
Apanage nach seines Vaters Tode zurück, nachdem er das
gcthan , wogegen er sich so lange gesträubt , nämlich auf
seine angeblichen Ansprüche auf eines der beiden Fürsten-
tumer Celle oder Hannover verzichtet iind die Anerkennung
des vftlerlichen Primogeniturstatuts durch feierlichen Eid be-
kräftigt hatte. Später ging er in österreichische Dienste,
soll dann zur katholischen Kirche übergetreten sein und ist
am 27. Juli 17*26 als kaiserlicher General gestorben, nicht
ohne noch einmal den Versuch gemacht zu haben^ seine ab-
geschworonen Ansprüche zur Geltung zu hriiigen.
Wahrend sich diese uuliehsaraen Ereignisse am Hofe zu
Hannover abspielten, war es Georg WUlielm von Celle ge-
lungen, seinem Länderbesitzc eine wichtige und bedeutende
Erwerbung hinzuzufügen. Am 29. September 1 689 starb
zu ReicLbtadt in Böhmen Julius Franz von Lauenburg, der
letzte inäuuliche Sprofs des alten Geschlechts der askanischeu
Herzöge von Sachsen. Vier deutsche Fürstenhäuser, Mecklen-
burg, Sachsen in seinen beiden HauptHnien, das Gesamthaus
Braunschweig und Anhalt, erhoben Ansprüche auf das er-
ledigte Herzogtum und das damit verbundene Land Hadeln.
Von ihnen standen dem Hause Anhalt wohl die gewichtig-
sten Rechtsgrüude zur Seite, allein Georg Wilheln» besetzte
als Vertreter der Rraunschweiger Fürsten und als Oberster
des niedersächsischen Kreises, um dem Sequester des Kaisers
zuvorzukommen, das Land und behauptete sich in dessen
Besitze. Hadeln dagegen wurde durch den kaiserlichen Ge-
sandten in Hamburg unter Sequester gestellt und verblieb
in dieser Lage bis zum Jahre 1731. Kursachsen trat seine
Ansprüche an Lauenhurg durch Vergleich vom 19. Juni
1697 gegen die Zahlung von IIOÜCKJU Gulden an Braun-
schweig ab und einen ähnlichen Vergleich schlosaen später
(22. September 1732) die ernestinischen Häuser, indem sie
auf ihre angeblichen Rechte gegen 6Ü00Ü Thaler verzich-
teten. Zwischen Braunschweig und Anhalt aber kam es zu
einem Besitzprozois vor dem Reichshofrat, der in dein von
anhaltibcher Seite beantragten Veri'ahren wegen Herausgabe
des lauenburgi sehen Arcliivs liegen geblieben ist.
Inzwischen hatten die weiteren ehrgeizigen Pläne, welche
den Geist Ernst Augusts beschäftigten, keinen Augenblick
geruhet. Die Einführung der Primogenitur in den Fürsten-
tümern Gelle und Hannover war dazu nur der erste vor-
berejtenäe »Schritt gewesen. Nebenher gingen und enge damit
verbanden w&j-en die Bemühungen , SSxs äsä äö vcv ZwV\iaft
Teilnahme Ernst Augusts am Kriege gegen Osmanen u. Franzosen. 145
und iür ewige Zeiten vereiuig:te Ländergebiet die KurwUrde
zu erlangen. Diesem Bestreben stellten sich aber fp-ofse,
kaum zu überwindende Schwierigkeiten entgegen. Der Ver-
such, die protestantischen Kurfürsten durch den Hinweis auf
die Vorteile zu gewinnen, welche ihnen und der evangelischen
Religion erwachsen raülsten, wenn das Corpus Evangeli-
coitun des Kuriurstenkollegiums um eine Stimme vermehrt
würde, hatte keinen Erfolg. Zwar zeigte sich Brandenburg
nicht abgeneigt , seine Unterstützung zu gewähren , aber
um so weniger williahrjg war Kursachsen, namentlich seit-
dem infolge der Laaenbui'ger Erbfolgefrage das irühere gute
Verhältnis mit dem Lüneburger Hause sich merklich ge-
trübt hatte. Da von den katLolischen KurlUrsteu nicht nur
keine Förderung, sondern eine entschiedene Bekämpfung
seines Planes zu erwarten stand, so blieb Ernst August nur
der eine Weg, sich immittelbar an den Kaiser zu wenden
und diesen durch grofsG Zugeständnisse, durch bereit^Wlligate
ünteratützung der österreichischen Politik flir seine Absichten
zu gewinnen. Er liefs durch den Graten Platen, den hannö-
vrischen Gesandten in Wien, dem Kaiser Leopold erklären,
dals, falls er eines ähnlichen Entgegenkommens versichert
sein könnte, ihm kein Opfer zu grofs scheinen würde, um
die Interessen des Kaiserhauses zu fordern. Und bei solchen
Versicherungen liefe er es keineswegs bewenden. Er zeigte
auch durch die That, dafa es ihm mit ihnen Ernst war.
Bereite im Jahre 1683 hatte er in dem Augenblicke, als
die Türken unter dem Grofsvezier Kara Mustafa die unga-
rische Grenze überschritten , in Unterösterreich einbrachen
und durch die Belagerung von Wien die ganze abend-
ländische Welt in »Schrecken und Bestürzung versetzten,
deni Kaiser ein Hilfsheer von 10 000 Mann angeboten. Der
Vertrag darüber kam damals aber nicht zustande. Kur
zweien seinei* Sühne , dem Erbprinzen und dem Prinzen
Friedlich August, die nach Wien eilten, war es mit einer
Hand voll Brauasch weiger Truppen vergönnt, sich persön-
lich an dem ruhmreichen Entsätze der Stadt zu beteiligen.
Zwei Jahre darauf (1685) ward dann zu Linz zwischen
dem Kaiser, Venedig und der Krone Polen ein Offenaiv-
bündnis gegen die Pforte geschlossen, weichem auch sämt-
liche Braimschweiger Herzöge, vor allen Ernst August, bei-
traten. Sie stellten zusammen 12000 Mann, welche unter
der teilweisen Führung des Erbpnuzen Georg Ludwig in
dem ungarischen Feldzuge von 1685 (S. 120) ao ta^fo:
lochten, dala der Kaiser an den Herzog ^xuat ^wg«a&\. «m.
ilaiaaamaa, Bnaaschw.-ixMiuöv. Q«»chiGbt«. lU.
\0
146
Erstes Bncli. Dritter Abschnitt.
eigenhändigee Glückwunsch- und Dankachreiben richtete, ii
welchem er hervorhob, „wie stattlich sich Se. Liebdeu und
die fürstlichen Prinzen tun die Sicherheit des chriBtlicben
Wesens verdient gemacht hätten". Und während diese
Truppen in Ungarn gegen die Türken tmverwelkliche Lor-
beeren erwarben, kämpften ein anderes hannövrisches Korps
und der dritte Sohn Ernst Augusts, Maximilian Wilhelm,
nicht minder ruhmvoll in venetianiBchen Diensten gegen
denselben Feind, siegten unter Morosinis Führung mit bei
Kalamata , unter Künigsmark bei Argos und Patras , er-
oberten Korou. Navariuo, Modon, Napoli di Komania und
Athen und halfen den Osmanen ganz Morea entreifsen, ^
Aber nicht nur gegen die Türken an den Ostmarkem de»V
Reiches und aui den Schlachüeldem dos Peloponnes bewähr-
ten damals hannövrische und braun schweigisc he Truppen
ihi-en alten Kriegsruhm, sondera auch an der deutschen
Westgrenze, in den Niederlanden und am Rhein, gegenüber
den weit geiUhr lieberen , kriegsknndigen und überlegenen
Franzosen , deren König in seinem Ubermute und seiner
Erober ungöl Übt nicht abiiefs, den Frieden Europas zu be-
drohen. Als Ludwig XIV. ira Jahre 1688 seinen dritten
Raubkrieg mit jener erbarmungslosen Verwüstung der Pfalz
einleitete , die seinem Namen auf ewige Zeiten ein unaus-
löschlichea Brandmal angeheftet hat, war es wiederum Ernst
August von Hannover, der im Verein mit den Kurlursten
von Sachsen imd Brandenburg sowie mit dem LandgrafenH
von Hessen-Kassel tiii* die Verteidigung des Reiches ent- ^
schlössen einti-at und ihr nicht unbedeutende Opfer brachte.
Er ttihrte in eigener Person ein Korps von 80QÜ Mann an^fl
den Mittelrhein , wo es noch rechtzeitig eintraf, um ^
Köln, Frankfurt und Koblenz zu sichern. In dem folgen-
den Jahre erweiterte sich dann der Krieg durch den Bei- ^
tritt Englands , Spaniens , Hollands und Savoyens zu fl
einem europäischen und ward bis zum Ry&wicker Frieden
(1697) vorzugsweise am Rhein und in den Niederlanden mit
wechselndem Erfolge gelührt. Während dieser ganzen Zeit
fochten braun schweigisc he und hannövrische Truppen unter
persönlicher Teilnalime Ernst Augusts^ besonders aber seines^M
ältesten Suhnes des Erbprinzen Georg Ludwig mit grofser ™
Tapferkeit, wenn auch nicht immer glücklich, gegen die be-
währtesten französischen Marschälle, namentlich den Herzog
von Luxemburg , halfen Mainz und Bonn zurückerobern,
schlugen die Schlachten von Fleurus (l. Juli l<i90) und
Sieenkerken (3. August 16^ '2) und bluteten in der mör-
derlacbea, ver/ustvoUen Schlacht von "iSeÄr^mÖLftXi ^^. i%!ii
VerLandluugeu wegeu der aeiiuten Kur.
147
1693). Erst nach Abschlufs des Friedens kehrten sie in
die Heimat zurilck.
Die V^erhandlungrn wegen der Verleihung der Kiirwürde
waren in den ersten Jahren des Krieges eitrig ibrtgetlihrt
worden, ohne dafs sie zu dem gewünschten Ergebnia ge-
führt hätten. In Wien, wo jetzt der Schwerpunkt derselben
iftg, vermied man unter den wechselnden EinflüBsen wider-
streitender Interessen jede bindende Zusage, obschon der
Gesandte, Graf PJaton, nicht müde ward, an der Hand
der MilitHrlisten der Jahre 1G85 bis l(i9() anf die gro&en
Verdienste hinzuweisen , die sich da» Haus Hannover
ura Kaiser und Reich en^'orben habe. Die entschieden-
sten und hartnäckigsten Gegner der erstrebten Würde
hatte man in den Wolienbüttler Stammesvettern , den Her-
zögen Rudolf August und vorzüglich Anton Ulrich, zu be-
kämpfen, die von einer ausschliefslich für die jüngere Linie
des Braun Schweiger Hauses bestimmten Kur nichts wissen
wollten und sich höchstens bereit erklärten, um eine solche
fiir das Gesamthaus und zwar nnr unter der Bedingung
nachzusuchen , dafs dessen älterem Zweige die Kurstimme
mit den daran haftenden Rechten vorbehalten bliebe. So
kam man in der Angelegenheit nicht weiter. Rechts-
deduktionen, weitläufig Tind voll schwülstiger Gelehrsamkeit,
wie es die Zeit mit sich brachte, wurden von beiden Seiten
veröffentlicht, Proteste wiederholt von Wolfenbiittler Seite
eingelegt, ohne dafs auch nur ein Schritt in der Sache vor-
wärts gethan wäre. Endlieh war mau in Hannover dieser
doppelzilngigen Politik, die, ohne zu gewähren, doch die
Hoffnung immer von neuem anregte, müde. Im Jahre 1690
sandte Ernst August seinen Kammerpräsidenten und Geheimen-
rat Otto Grote, der in auswärtigen Angelegenheiten seine
rechte Hand war, nach Wien. Er nahm seinen Weg über
Dresden, angeblich um mit dem kursächsi sehen Hofe über
die immer noch unausgeglichene Lauenburger Erbfolgefrage
zu verhandeln, in Wahrheit aber um den Kurfürsten zur
Einwilligung in die Errichtung der neunten Kur für Han-
nover und zu einem eventuellen Neutrali tätabündnisse der
beiden Staaten zu bewegen. Die Sendung Grotes, die von
dem hannövrischen G^neraladjutänten von Uten und durch
reichliche Geldspenden unterstützt ward, war von Erfolg
gekrönt. Es gelang, den in Dresden allmächtigen Feld-
marschall von Schöning von der ErsprielsÜchkeit der vorge-
schlagenen Neutralität zu überzeugen und für die ka.Ur
növrischen Pläne hinsichtlich der Kur^^üx^e "vx ^e.'m'WöÄSi..
Der Entwurf eines Neutrali täts Vertrages vmi^fe ■vet««^«s\^
148
Erstes Buch. Dritter AbBchnilt
UDcL mit diGficm eilte Grote jetzt nach Wien, um ihn
letzten und wirksamsten Hebel zur endlichen Erlangung der
seit so langer Zeit verfolgten Ziele des hannövriachen Hofes
einzusetzen. Der Kaiser und seine Räte sahen eich vor die
Wahl gestellt, entweder in dem eben ausgebrochenen Kriege
mit Frankreich die Uilfe der sächsischen und hannövrischeu
Truppen zu entbehi*en oder aber den Wünschen Krnst-
Augusts uud seines Bruders Georg Wilhelm endlich gerecht
zu werden. Die Wahl war unter den obwaltenden Um-
ständen nicht schwer, und es hätte kaum der dringenden
Vorstellungen der verbündeten Mächte , Englands und
Hollands, bedurft, um sie zugunsten Hannovers zu entschei-
den. Am 22. März llj92 gelang es Grote, mit dem Kaiser
den wichtigen Vertrag abzuschliefsen , In welchem die Er-
richtung einer neunten Kur und deren Übertragung aui
Hannover feieHich versprochen und verbürgt ward. j^Witfl
erklären", heifst es darin, ,.uns allorgnädigst hiemit unc^*
versprechen, dals, nachdem des Herzogen Georg Wilhelm
Liebden sich gegen uns erkläret, Dtiro Bruders Ernsta
Augusti (Liebden) zu Braunschweig Lüneburg für sich und
Dero Descendenten männlichen Geschlechts juxta ordinem
primogeniturae die Chur-Würde würcklich erlangen und
die Zahl unserer imd des Reichs Churfürsten auf- und au-5
genommen werde. Zu dieser neunten Chur sollen des Her
zogthunis Brauuscbweig - Lüneburg Fürstenthumer Zell, Ca
lenberg und Grubeiihagen samt denen dazu gehörigen Graf-
schaften Hüya und Diepholten, auch übnge gedachter beider
Brüder Liebden zugehörige Landen, Ämter, Städte und Per-Ä
tinentjen ewig und unzerti-ennlich , so lange eine ehliche^
männliche Descendenz von Sr. Liebden Herzogs Emsts
Augusti vorhanden, gehören und unter denen Landen dieser^
neunten CLur samt und sonders begriffen sein." Mit dieserB
Kur sollte das Reichserzbanneramt oder, falls die durch den
westialischen Frieden errichtete achte Kur dermaleinst „aua-^^^
gehen" würde, das Erz&chatzmeisteramt des Reiches ver-^B
Kunden sein. Die beiden braunschweigischen Brüder ver-
pilichteten sich dagegen nicht nur zur Fortsetzung des
Türkenkrieges dem Kaiser die Summe von 500000 Thalem
in zwei Raten als Beihilfe zu zahlen, sondern auch fiir die-
sen £jieg während der zwei nächsten Feldzüge GOOO Mann
„ihrer alten geübten Truppen, 4500 zu Fufs und 1500 zu
Pferde au Reutern und Dragonern" zu stellen und solche
auf eigene Kosten zu unterhalten, auch wenn der Krieg mit
den beiden nächsten Feldzügen nicht sein Ende ei'reicheu
BOÜtCf während, seiner ganzen Dauer 'iOOOl&Wifi iei&^SÄ\»Ät
Errichtiing der neunten Kor.
149
zur Verfugung zu stellen. In einem Neben-, dem soge-
nannten Unionsrezefs versprach man sich ewige Freundschaft
und gegenseitige Unteretützimg, sicherte auch seitens der
Lüneburger Herzüge die Gewissensfreiheit und den unge-
hinderten Gottesdienst den in ihren Landen ansessigen Ka-
tholiken zu.
Ernst August sah sich am Ziel seiner Wunsche. Frei-
lich fehlte zum formalen Abschlufs der ganzen Angelegen-
heit noch die „Investitur und förderliche Introduction in
das Churfurstliche CoUegium", sowie „die Approbation des
gesamten Reiches", die der Kaisei* nur zu erwirken ver-
sprochen hatte. Allein über diese Schwierigkeiten kam mau
schliclslich auch hinweg. Brandenbui-g und Sachsen wurden
durch neue Vertrüge gewonnen und selbst das lange wider-
strebende Kurmainz durch Abtretung des zwischen ihm und
Hannover streitigen Obereicbsfeldes und der Mark Duder-
Btadt, sowie dm'ch Zahlung von 20 000 iSpociesthalern be-
stimmt, seinen Widerspruch aufzugeben. So blieben denn
die nach wie vor eingelegten Proteste der Wolfenbüttler
Brüder unberücksichtigt^ und am 9. Dezember 1692 erfolgtCj
nachdem die Mehrheit des KurfürstenkoUegiuma sich am
17. Oktober zu Regensburg für die Errichtung der neunten
Kur und ihre Übciiragung aul' Hannover erklärt hatte , in
der Hofburg zu Wien die feierliche Belohnung mit der
neuen Würde. Otto Grote, der glückliche Unterhändler,
leistete im Namen seines Herrn den Huldigungseid und
empfing darauf aus den Händen des Kaisers den Kurhut
Die Wolfenbüttler Stammes vettern gaben sich freilich
auch dann noch nit^t zur Ruhe. Namentlich setzte Anton
Ulrich alles in Bewegung, um die Anerkennung der neuen
Würde durch die übrigen Staude des Reiches zu verhindern
und den letzten formellen Akt , die Einfüliruug Ernst
Augusts in das Kurfür stenkollegi um, zu hintertreiben. Vor-
nehmlich infolge seiner Bemühungen ßchlofs am 14. März
169S eine grol'sc Anzahl von Reichsständen, daninter Mün-
ster, Bamberg, Hessen -Kassel, Saclisen-Gotha und Dänemark,
mit den Wolfenbüttler Brüdern den sogenannten Bund der
korrespondiei-endeu Fürsten, der den Zweck hatte, die Er-
hebimg des hannövrischen Hauses trotz allem, was bisher
geschehen war, doch noch zu vereiteln. Man wandte sich
sogar an Schweden und Frankreich und rief ihr Einschrei-
ten in dieser Angelegenheit als Garanten des westtalischen
Friedens an. Karl XI. vun Schweden wies das Ansinnen
zurück , nicht so Ludwig XIV. , dem \)ei\ ?Ä\weu ^^"«isJ«.
achoB geilsten Absichten auf die spaniacW "Nlo^a-TÄüe. ^v^fc».
150
Erstes Buch. Dritter Abschnitt.
Zerwürtnis im Keiche die Handhabe zu weiteren Zettelungon
darbot. Als im Jahre 1697 der Ryswicker Friede ver-
handelt wurde, liefs Hannover durch seinen Gesandten den
Versuch machen, bei dem bevorstehenden Friedensschi lUa die
Anerkennung der hannövri sehen Kur seitens aller bei den
Verhandlungen beteiligten europiiiacheu Grofsmächte zu er-fl
langen, was selbatvorständlich auch diejenige des Raiches^
nach sich gezogen haben würde. Allein auch dieser Ver-
such scheiterte an dem Widerstände Frankreichs.
So sollte Ernst August den endgültigen Abschlula dieser
Angelegenheit, der er den besten Teil der politischen Arbeit
seines Lebens gewidmet hatte, doch nicht erleben. Er starb
am 23. Januar lii98 im Schlosse zu Herrnhauscn bei Hon-fl
nover, der Schöpfung seines Bruders Johann Friedrich. Die
Vollendung seines Werkes mufste er seinem Solme und
Nachfolger Georg Ludwig überlassen^ der denn auch, nach-
dem der letzte Widerstand der Wolfenbuttler Linie in der
früher (S. 122) berührten Weise gebrochen imd der Zu-
sammentall der Fürstentümer Celle und Hannover erfolgt^
war, die leierUche Einführung seines Gesandten in das Kur* H
fürstenkoUegium am 7. September 17ü8 und damit die all- "
aeitige Anerkennung des Reiches als Kurfürst von Hannover
erreichte. Sieben Jahre nach seines Bruders Tode, am
28. August 1705, schied auch Georg Wilhelm von Celle aus
diesem Leben. Er, der einst so Unruhige und Reiselustige,
hatte die letzten Jahre desselben, niedergedrückt durch das
traurige Geschick seiner Tochter, unter dem ihn jetzt völÜg
behen'ßcheuden EinÜasac seines Bruders und mehi- noch
seiner Schwägerin; fast wie ein Privatmann verbracht, die
Sorgen der Regierung seinem allmächtigen Minister Bern-fl
storflf überlassend, ab und zu mit den Verwandten in Haa-™
nover, nie mehr mit der verbannten und verstofsenen Toch-
ter verkehrend, Trost in dem Umgänge mit der noch immer
geUebteu Eleonore, Zerstreuung in den aufregenden Freuden
der Jagd suchend, die Zeit seines Lebens eine Lieblings-
beschäftigung für ihn gewesen ist. In Wienhauseu, auf dem
dortigen Jagdschlosse, wo er iu früheren Jahren so manche
fröhliche und glückliche Stunde mit Weib und E-ind verlebt
hatte, ist er gestorben. Eleonore d'Olbreuze, welche durch
ihre unglüoldiche Tochter Sophie Dorothea die Staramuiutter
dreier Königshäuser, der Häuser von England, Hannover und
Preufsen, werden sollte, hat ihren Gatten fast noch siebenzehn
Jahre überlebt. Sie starb am 5. Februar 1722 verlasaeaj
und vereiuaamt auf ihrem Witwensitze zu Celle.
Die An^Uige des fürstlichen Absolutismus.
Iftl
Vierter Abschnitt.
Eulturgeschlt'htÜcher Überblick.
Wenn es wahr ist, dafs die Lebensftliiffkeit eines Volkes
die üim iunewohnende geistige und sittlicne Kraft Hich erst
in Not, Bedrän^B und Trübsal zu Lewähren pflegen, dann
hat daa deutsche Volk dieae Probe seiner Tüchtigkeit in
den Zeiten, denen die letzten Abschnitte dieses Buches ge-
widmet waren, glänzend be&tanden. In ihnen kamen die
schroffen Gegensätze, die das Reformationszeitalter nicht nur
auf kirchlichem und religiösem sondern aul" allen Gebieten
des öffentlichen Lebens hervorgerufen batte, äufserlich wenig-
stens zu einem friedlichen Ausgleich. Allein dies geschah
erst nach einem Kriege von der Dauer eines diu*chschnitt-
liehen Menschenaltei's ^ dessen Ende wenige von denen er-
lebten j die seineu Anfang gesehen , nach einem Kriege,
der Deutschland in eine Wüste verwandelte und die Nation,
auf deren Kosten er geführt ward, zu ewiger Schwäche imd
Ohnmacht zu verdammen schien. Der dreÜsigj ährige Krieg
bildet den Mittolpimkt dieser uubeilvoUsten Zeit unserer
vaterländischen Geschichte, aber wie sich lange vor seinem
Ausbruche bereits die drohenden Anzeichen des herauf-
ziehenden Unwetters bemerkbar machten , ao hat es viele
Jahre gedauert nud groiser Anstrengungen bedurft, bis die
Schäden und Verluste nur einigcrmal'son ausgeglichen waren,
die er über Land und Leute gebracht hat. Dafs dies über-
haupt gelungen ist, dafs es möglich war, den nach dem
Kriege gänzlich darniederliegenden Ackerbau neu zu beleben,
den zerrütteten Wohlstand der Städte, wenn auch auf ver-
änderter Grundlage, wiederherzustellen, die Verwildening
und Zuchtiosigkeit zu überwinden , die sich des Volkes be-
mächtigt hatte, und in den folgenden gefälhrlichen Zeiten den
begehrfichen Gelüsten des Auslandes gegenüber das Reich
im grofsen und ganzen vor weiteren Verlusten und Gebiets-
abtretungen zu bewahren, ist ein Beweis von der unver-
wüstlichen Lebenskraft des deutschen Volkes, zum grofsen
Teil aber auch das Verdienst des deutschen Fürstentums,
das sich jetzt auf den Trümmern der alten Lebensordnungen
ungehindert erhebt und zu einer den Staat und in den pro-
testantiachen Ländern auch die Kirche absolut beherrschen-
den Stellung gelangt.
168
Erstes Buch. Vierter Abschnitt.
Die Ansätze zu diesem alle anderen Faktoren des Staats-
lebens überragenden und in Beinen Dienst zwingenden Für-
stentum und damit die Anfänge des modenien Staates über-
haupt finden sieb freilicb schon in der Zeit der Reformation,
und ea ist früher (II. S. 470 ff.) kurz daraufhingewiesen wor-
den. Aber erst inmitten der Zerrüttungen , welche das
17. Jahrhundert über Deutschland verhängte, und infolge
des Niederganges aller übrigen selbständigen Gewalten des
durch den grofsen Krieg aufgelockerten Staatsverbandes ist
der iiirstliebe Absolutismu.s zu unbestrittener Herrschaft ge-
langt Aus dem reinen Lehnsstaate des früheren Mittel-
alters hatte sich in der zweiten Hälfte des letzteren die
ständische Lehnsmonarchie herausgebildet, eine Staatsform,
die auf dem Zusammenwirken des Landesherm und der
Landstände, d. h. einer aus den Abgeordneten der Geist-
lichkeit, der Ritterschaft und der Städte bestehenden Kor-
poration beruhete. Wir haben in einem früheren Abschnitte
(11. 236 — 240) die allmähliche Entwickelung dieser land-
ständischen Verfassung in den weifischen Gebieten dargelegt.
Sie bestand noch in voller Kraft, als das 16- Jahrhundert
2U Ende ging, aber das frühere Machtverhältnia zwischen
den Ständen imd dem Landesherm hatte sich doch bereits
zugunsten des letzteren versi^bobcn. Ea ist ein ziemlich
verworrenes Bild, das diese Landstände in ihrer Zusammen-
setzung und in den unbestimmten, schwankenden Grenzen
ihrer Rechtsbefugnisse darbieten. Die Einteilung in die drei
allein zur Vertretung des Landes berechtigten Kurien der
Prälaten, der Ritter und der Abgeordneten der gröfseren
Städte ist überall dieselbe, aber das Mafs ihrer Rechte und
Freiheiten ist in den einzelnen Ländergebieten sehr ver-
schieden. Die seit der Regierung des Herzogs Julius ver-
einigten Fürstentümer Wolienbüttel ujid Colenberg- Göttingen
hatten ein jedes ihre besondere Landschaft, von denen die-
jenige des zuletzt genannten Fürstentums ursprünglich wie-
der nach den beiden in ihm vertretenen Gebietsteilen aus-
einanderfiel. Die Calen bergische Landschaft hatte das Recht,
wenn sie es für das Wohl des Landes notwendig hielt, sich
eigenmächtige auch ohne des Herzogs Berufung, zu ver-
sammeln. Von altershcr stand ihr die Befugnis zu, Beden
oder Steuern zu bewilligen, wozu es der Übereinstimmung
aller drei Kurien bedurfte, imd inbezug auf die Gesetz-
gebung, über Krieg und Frieden, sowie bei Rechtshändeln
zwischen der Herrschaft imd ihren Untertbaaen gehört zu
werden. Die ner gröfseren Städte des Landes, Hannover,
Göttingen, Hameln und ^ordheim, hielten sich unter Um-
Die Laadstünde.
153
ständen geflissentlich abßeit und beanspruchten in dem land-
st^disoKen Verbände eine eelbständige. abgesonderte Stellung,
ohne dafa es ihnen doch gelang, diese zur Anerkennung zu
bringen. Eine ^'iel anspruchsvollere Haltung nahm gegen-
über den Wülfeubüttler ätünden Braunschweig ein. Die
Stadt verwahrte sich nicht nur gegen die Verpflichtung, zu
den Reichs- und Kreissteuem herangezogen zu werden, son-
dern weigerte sich auch, den Landtag zu beöchicken. Sie
wollte durchaus nicht als eine Landstadt des Herzogs ange-
sehen werden. Wenn man die Verhandlungen der einzelnen
Landtage durchgeht, so springt in die Augen, wie tief der
mittelalterliche Individualismus, der Hang nach Abson-
derung, das Mifstrauen gegen den Fürsten und seine Räte,
das krankhafte Festhalten an wirklichen oder angemafsteu
Rechten, die Abneigung endlich, dem Wohle des Ganzen auf
Kosten des ständischen Partikiilari&mus das geringste Opfer
zu bringen, noch tief im Volke steckte. Stets sich wieder-
holende Streitigkeiten zwischen Hen'schai't und Ständen über
ihre gegenseitigen Rechte, über das Mals der Verpflichtimg
zum Roikdienst, zum Ablager und zum Landschatz, ein
Älarkten und Feilschen inbezug auf die zu leistenden Ab-
gaben, auf die Reichs- Türken- und Kreissteuera , den
Pflug- Schaf- und SchefiFclsatz, Anträge der Fürsten auf
teilweise oder gänzliche Übernahme der fürstlichen oder
Landesschulden: das weren die wesentlichen Gegenstände,
die sich die Verhandlungen auf den Landtagen dreheten.
war ein fortgesetzter Kampf um die Boachafliing der
Mittel, die zur Führung eines ordnungsmäfsigen Regimentes
erforderlich schienen, ein Kampf, der nie endgültig zum
Austrag kam, dessen Ergebnis sich nur als eine Reihe von
Kompromissen darstellt. Mit jeder Landschaft — und es
gab deren im Umfange des welflschen Ländergebietes aufser
der Wolfenbüttler und Calenbei^er last noch so viele , wie
es früher selbständige Herrschatten gegeben hatte — mufste
der Fürst gesondert verhandeln : jede Kurie innerhalb des-
selben Landtages beriet und beschlofs wiederum lur sieh,
ohne in gemeinsame Beratungen mit den übrigen Kurien
einzutreten. Man begreift, welche Mühe es kostete, einen
Laudtagsabßchied zustande zu bringen, und dafs diesei' dann
meistens weder den einen noch den anderen Teil beftiedigte.
Ein solcher Zustand mufste, je länger er dauerte und je
mehr er sich befestigte , als desto unerträglicher von den
Fürsten empfunden werden , zumal in unruhigen , gefahr-
lichen und kriegerischen Zeiten, in denen, wie während des
grofsen Krieges, rasches und eatschiedenea Handeln geboten war.
Lai
HEs
k
154
Erstes Bach. Vierier AbBchnltt.
Sobald Bicb das deutsche Füratentam nur einigermarBen
aus seiner mittelalterlichen Ohnmacht herauszuwinden be-
gann, hat es den Kampf gegen die hemmenden Einschrän-
kungen aufgenummen^ wumit es sich durch das 8tändiäche<^l
Wesen eingeschnürt sah. Der ganze Zug der Zeit, die Auä-^B
breitung dma römischen Rechtes ^ die abstrakten Staatsrecht-
liehen Fulgeruugen, welche die gelehrten Romanisten daraus
herleiteten und welche sie dem auf die geschichtliche Eut-
wickeluug gegründeten ständischen Rechte schroff entgegen-
stellten, kam ihnen dabei ztistatten. Der erste von den
Füi'sten des Braunschweiger Hauses, der seinen i:)tänden
gegenüber von diesen Waffen Gebrauch machte, war Hein-
rich Julius. Durch seine genaue Kenntnis des römischen
Rechtes persönlich dazu in hervorragender Weise aus-
gerüstet, ward er von seinem Kanzler Jagemanu, einem der
ausgezeichnetsten Romanisten jener Zeit, auf das lebhafteste
unterstützt. Allein trotz aller gelehrten Rechtsdeduktioneu
seitens des Herzogs und seiner Regierung endete der zehn-
jährige Kampf, dessen Verlauf früher bereits dargelegt ist,
wiederum mit einem Kompromifa, der eher einer Niederlage
des Herzogs aäs der St&nde glich. Noch weniger glücklich
in dem Beatreben, sich dem Einflüsse der letzteren zu ent-
ziehen, war Friedrich Ubich. Indem er die Landesregierung
in die Hände völlig unwürdiger Männer legte, gab er den
Stauden Veranlassung, gegen dieses, Regiment „der unge-
treuen Landdrosten " einzuschreiten und dadurch ihren fSn-,
flufs erst recht zu befestigen.
Die Not des dreil'sig jährigen Krieges hat nicht wenig
dazu beigeti-agen, diesen EinHufs der Landstände zu schwä-
chen und dem Füratentume den Weg zu einer unbeschränk-
ten Herrschaft zu bahnen. Der Krieg, der mit gleichem ^J
Druck auf allen Klassen des Volkes lastete, brach die irü- ^M
here Selbständigkeit und den früheren Trotz der ständischea
Vertretung nieder. Man hatte nicht mehr, wie vor dem- i
selben, Zeit und Mufse, wochen- und monatelang in end- ^|
losen Debatten über die zweifelhalten Rechte frülierer Zeit ^^
zu streiten. Dazu waren die unmittelbai-en Sorgen des
Tages zu gi'ofs uud zu dringend. So kam man zunächst
dazu, einen Teil der Geschäfte der Landtage ständischen
Ausschüssen zu übertragen, die wegen der unruhigen Zeiten
und in Rücksicht auf den bequemeren Geschäftsgang meist ^_
ihren Sitz in der Residenz des betreffenden Fürsten nahmen. H
Schon Friedrich Ulrich verglich sich mit den Landschaften ^^
von Wolfenbüttel und Calenberg dahin, dafs jede von ihnen
eiaea naa einem Prälaten, zwei Rittern und einem städtischen
I
EinflulJf des Krieges aof das ständische Wesen.
155
Abgeordneten bestehenden Ausschufs erwählte, der die lau-
fenden st&ndischen Geschäfte zu besorgen hatte. Bald ward
es Sitte, eine Berufung des gesamten Landtages nur bei be-
sonders wichtigen AnliisÄen eintreten zu Lassen. Gleich nach
Beinern Hcgierungsuntritt beriet" August d. J. die Wolt'en-
büttler Stände nach Braunschweig, indem er ihnen verhieis,
sobald die Zeit Verhältnisse sich gebessert, die Stral^en wie-
der sicherer geworden wären, die Versammlungen auch
wieder in Salzdablum stattfinden zu laäseu, wo der Landtag
von altersher zu t«igen pflegte. Es ist eine lauge Reihe von
Klagen und Forderungen, die hier an den neuen Herrscher
gerichtet wurden. Neben wohl berechtigte , im allgemeinen
Interesse begründete Wünsche, wie man solche in dem Ver-
langen noch einer Schulordnung und einer neuen Polizei-
ordnung, nach regelmiilstgen Visitationen der Univemitüt und
der fürstlichen Kammcrgütor erkennen muTs, stellen sich
Forderungen, die entweder auf die Schmälerung der Turst-
licheu Hechte abzwecken oder aus der Selbstsucht der ein-
zelnen Stände hervorgehen. Die ber/ogUchen Räte, so ver-
langen die Stände, sollen unter niÖgÜchster Berücksichtigung
I ihrer eigenen Mitglieder nur aus den Laudeskindern ge-
nommen werden. Auch die alte, stets aber von den Her-
zögen zurückgewiesene Forderung wird erneuert, wonach
die Landständo auch zu Reichs- Kreis- und Fräuleinsteuern
sowie zu solchen Leistungen ihre Genehmigung erteilen
Süllen, welche zur Verteidigung des Landes notwendig er-
scheinen. Und neben diesen aligemeinen Forderungen hatte
|ed*v einzelne Stand noch seine besonderen Klagen und
Wünsche vora üb ringen. Die Geistlichkeit beschwerte sich
über die oft jahrelange Nichtbesetzung der Prälaturen und
dafs ihr die freie Verwaltung ihrer Güter beeinträchtigt
werde, die Ritter begehrten Befreiung der in ihrer eigenen
Bewirtscliaftung stehenden Güter von den Landeskollekten
und andere Steuererleichterungen, die Städte endlich be-
klagten sich, dafs durch die Anlage von Brauereien in den
kleineren Ortschaften die städtische Nahrung geschmälert
werde. Wenn mau die furchtbare Not erwägt, die damals
auf dem Lande lag und der man doch nur durch einträch-
tiges Zusanmienhalten zu begegnen hoffen durfte, ao wird
man sich kaum der Erkenntnis verachliefsen, dafs dieses
Ständewesen , oiust der Grundpfeiler der mittelalterlichen
Rechtsordnung und eine Schutzwehi* gegen fürstliche Ver-
unrechtung imd Gewaltthat, sich überlebt hatte , dafs es
mehr und mehr in einem kleinlichen, bea(i\iväTikX<ii^ ^^äsää»-
ego23wu8 verknöcherte. Jeder Stand wo\\\ä wi vieotv^ "wv^
k.
IM
Erstes Buch. Vierter Abscbniit.
möglich zu den allgeraeinen Lasten beitragen, jeder für sich
BO viel wie möglich herausschlagen. Noch mehr trat dies
auf dem braunBchweigist-hcn Landtage von t(>39 hervor.
Hier verlangten Prälaten und Städte, dafs der Adel und
Ritterstand, „der bisher an den Kontributionen nicht de ^J
propriis teilgenommen habe, sich bei der allgemeinen Not^|
nicht minder angi-eifen und das commime periculum eusti- ^t
niren helfen müsse " , wogegen der Adel wiederum seine
alten Privilegien geltend machte, wonach er zwar mit Knech-
ten und Pferden der Herrschaft und dem Lande zu dienen
verpflichtet sei , nicht aber zu den geforderten Leistungen
herangezogen werden könne. Auch gegen die Stadt Braun-
Bchweig erhohen sich lebhafte Klagen darüber, dafs sie im
BewuTstsein ihrer eigenen Sicherheit vor der das Land
ringsum bedrängenden Kriegsnot sich weigere, zu den Kon-
tributionen beizutragen, so dafs sich der von ihr zu ent-
richtende Anteil daran bereits auf über 70 OÜO Thaler be-
laufe.
Durch solche und ähnliche Zwistigkeiten unter einander,
die sich auch auf" den Versammlungen der übrigen Land-
schaften wiederholten, gaben die Stünde selbst dem Fürsten
die wirksamsten Waffen in die Hand, ihren Einflufa Uhm
zu legen, sie als mitwirkende Faktoren im ätaat^leben zu
beseitigen. Dazu kam der weitere Verlauf des dreifsig-
jährigen Krieges, der sich mit der Zeit immer drohender
und gefahrlicher fiir den Fortbestand der welfischen Lande
gestaltete. In den letzten Zeiten des Krieges, wo es sich
lür die Nachkommen Heinrichs des Löwen um die Rettung
ihrer reichsfli rätlichen Stellung handelte, wo nur eine scldag-
fertige Kriegsmacht und geschickte Unterhandlung das
völlige Verderben von dem Ftirstenhause und von dem Lande
abwenden zu können schien, war die Beisei teachiebung der
Stände ein Gebot der Notwendigkeit. Ein Mann wie Georg
von Lüneburg konnte sich in seiner kriegerischen und po-
litischen Wirksamkeit , wie wir sie zu schildern versucht
haben, unmöglich von den schwerfUlligen und zeitraubeudeu
Verhandlungen der Stände, selbst wenn er sich von ihnen .
ein günstiges Ergebnis hätte verspreclien dürfen, abhängig ^^H
machen. Der herkömmliche Rofsdienst der Ritterschaft, der ^H
übrigens in Calenberg zum letztenmale im Jahre 1639 ge-
leistet ward, war nicht imstande, das Land vor der Über-
flutung durch einen raub- und heutelustigen Feind zu schützen.
So sanken die Landstknde schon während des Krieges von
der Bedeutung iierab, die sie so lan^e behauptet hatten.
Äe/a au/reg'ender politischer Kam\>£ laV m Öäti Yrtwwx-wAswftv-
Verkümmening der laudstandischen Verfassung.
157
git^chen Landschaften um ibre Existenz geführt worden.
Formeil bestanden sie fort, aber sie büfsten mehr und mehr
ilireu früliereu EinÜafs ein. Schon Christian Ludwig liefs
bei seinem Regierungsantritt dem Ausschufa der Calenberger
Landächaft erklären, dafa er zwar gewillt sei, ,, der getreuen
Landätäude dcsideria zu vernehmen , aber sich vorbehalte,
bei Bestellung des Kegitneuts seine ihm zustehenden landcs-
fiirstlichen jura frei zu üben". Und im Jahre 1651 waren
die diingendsten Bitten der Landschail nicht einuml imstande,
den Herzog Georg Wilhelm zu bewegen^ seine Vergnügungs-
reise nach Italien in einer eehi* kritischen Zeit auch nur
aui kurze Zeit zu verschieben. Pei*sünlich verkelu'te der
Landesherr um diese Zeit nur noch in den seltensten Füllen
mit den Landständen : er liel's sich meist durch seineu Kanz-
ler vertreten. Fast mit absichtlicher Geringschätzung ver-
mied er es, den Hat der LaudaUinde einzuholen oder auch
nur ihre Meinung zu hören. Bündnisse und wichtige ätaats-
verträge wurden ihnen erst, nachdem sie zum Abschlufs ge-
kommen waren, mitgeteilt, und seit dem Jahre lfi51 traten
in den Fürstentümern Lüneburg, Calenborg, Göttingen und
Grubenhagen an die Stelle der früheren Land tagsabschiede
einiacb die Beschlüsse und Mandate der herzoglichen lic-
gierung. Die lange behauptete Freiheit und Selbständigkeit
der Stände war dahin. Trotz; ihres hartnäckigen Wider-
spruches wurde das Fundament ihrer Rechte, das Ötouer-
bewiUigimgsrecht, entweder gebrochen oder umgangen. Die
mehrtachen Subaidien vertrage, welche die braunscbweigischen
Fürsten mit fremden Mächten schlössen , ermöglichten es
ihnen , auch ohne ständische VerwilJigungen eine stehende
Kriegsmacht zu bilden, zu erhalten und je nach den Um-
ständen zu vermelireu. Ohne sich um die Stände zu küm-
mern, führten Johann Friedrich das Branntweins -Monopol,
Ernst August die Licentsteuer ein, und als im Jahre 1G74
die Calenberger Landstände, eingedenk ihres alten Versamm-
lungsrechtes, einen „Convent" abhalten wollten, verlangte
der Herzog, vorher den Zweck desselben zu erfahren, und
verbot schliefslich, irgend einen Besclilule zu lassen. Bald
war das ganze ständische Wesen nur noch eine Form ohne
lebendigen Inhalt, die aus einer untergegangenen Zeit fremd-
artig und unverstanden in die Gegenwart hineinragte.
An seine Stelle trat das unbeschränkte persönliche Re-
giment, der fürstliche Absolutismus. Nicht mit einem male,
etwa durch eine gewaltsame Umwälzung von oben, sondern
in langsamer Erstarkung, Schritt für ScVintt, W\ «vOo. $ii?sfc
Staatsform, welche die nächsten anderÜiaWi JaXaVviÄ^'e.^'i \ife-
168
Erstes Buch. Vierter Abschnitt.
herrseben sollte^ erboben. Seitdem die Reformation zuerst
auf dem kirchlicbeo Gebiete die alten Lebeusfomien er-
schüttert und teilweise zerbrochen butte, kamen diese auch
auf dem staatlichen Gebiete ins Wanken, und der grofse
Krieg mit seinen Folgen vollendete jetzt die Auflösung der
mittelalterlichen Staatsordnung. Hatten in den evangelischen
Litndem die Kirche durch die Sakularisatiün de» Kirchen-
gutes ihren beheiTschenden Einflufs, die Geistlichkeit durch
die Übertragung des Summepiskopates auf die Fürsten ihre
Unabhängigkeit schon vor dem Kriege verloren, so wurde
jetzt auch der Adel infolge der veränderten Kriegführung
sowie der grolsen Verluste, die er durch die Verwüstung
Beines Besitifstandes erlitt, aus seiner Irüheren mächtigen
Stellung verdrängt. Die autonome Selbständigkeit der grofsen
Städte aber befand sich in vollem Niedergänge, seit der Krieg
und die stete Kriegsbereitschaft von dem stildtischen Regi-
ment unerhörte Opfer verlangten. Wenig mehr als zwanzig
Jahre nach dem FriedensBchlusse fiel das trotzige ßraun-
schweig, das sieben Belagerungen der Fürsten mit Erfolg
widerstanden hatte, fast ohne Gegenwehr in ihre Gewalt.
Auf diesem Boden erwuchs, wie anderwärts, so auch in den
weifischen Landen die Ünumschränktbeit der fiirstlichen
Macht, in ilirem Wesen wie in ihrer äufseren Erscheinung
bald nur allzu sehr beeinflufst durch welsches Vorbild, vor
allem durch das Beispiel, das der französische Staat Lud-
wigs XIV. imd der Hof von Versailles gaben. Die jüngeren
Söhne Georgs von Lüneburg und Anton Ulrich von ßraun-
schweig stehen bereits so sein* unter französischem Einflüsse,
dafs sich dieser in ihrer Bildung und in ihi*en Anschauungen,
in den Sitten an ihrem Hofe wie in ihrer ganzen Hegierungs-
weise widerspiegelt. Denn nicht das ist das Verhängnisvolle
dieses grausamen Krieges gewesen, dafs er die fi*üliere Staats-
ordnung verändert, der schon vor seinem Ausbruche im
Aufsteigen begriffenen Fiirstenmacht zum Siege über die
anderen staatlichen Gewalten verhelfen und ihr den Weg zu
unbeschränkter Herrschaft gebahnt hat, sondern dafs das
gesamte geistige Leben der Nation, ihre Art zu denken und
zu empfinden, seinem bestimmenden und ~ man darf hin-
zufügen — seinem verderblichen Einilusse anheimfiel. Mit
ihm drang ausländisches Wesen, welsche Bildung, Sprache,
Kleidung und Sitte, unauthaltsam in das deutsche Volk ein,
schwanden vaterländischer Sinn und deutschnationalea Bewufst-
sein immer mehr dahin. Die Blüten, welche deutsche Kunst
und Wissenschaft in früheren Zeiten getrieben hatten, er-
Btarrten unter dem eisigen Hauche des Krieges, die Ansätze
Höfiscber Einflurs. Heinrieb Julias.
I&9
^ner volksmäfsigen Litteratur, welche die religiöse Be-
egung des 16. Jahrliiinderts hervorgelockt hatte, wurden
[urch fremdländische Einwirkung überwuchert und erstickt
Das Schlimmste war vielleicht, daffi diese Einwirkung gerade
von einer Kation ausging, deren Geist zu dem innersten
Wesen des deutschen Volkes iu ausgesprochenem Gegensatze
steht. An die Stelle des itaUeuiBoheu und spanischen Ein-
flusses, der sich den iVUheren politischen Verhältnissen ent-
sprechend wold schon vor dem Kriege geltend gemacht hatte,
trat jetzt der tranzösische. Gewinnend und verführerisch in
seiner Form, hat er in seinem Wesen auflösend und zer-
setzend auf das deutsche Volkstum eingewirkt.
Am frühesten hat wich diese das ganze üffenfliche und
private Leben umgestaltende Veränderung naturgemäfs in
den höheren Ständen, au den Höfen der Fürsten vollzogen,
von woaus sie dann auch die übrigen Volksschichten ergriff
und durchdrang, mit Ausnahme allein des Bauernstandes,
der in seiner abgeschlossenen sozialen Stellung und in seiner
unüberwindlichen Abneigung gegen alles Neue und Fremd-
ländische noch am meisten seine alto Eigenart bewahrte.
Wie im übrigen Deutschland , so haben auch in den Län-
dern des weifischen Hauses die Fürsten das Beispiel für die
neue Lebensrichtuug gegeben. Heinrich Julius freilich steht
noch ganz auf dem geistigen Boden, den das Reformations-
zeitalter geschaffen hatte. Edelleute von altem Schlage hat-
ten seine Erziehung überwacht, Männer mehr van gediegener
Gründlichkeit als von vielseitigem aber oberÜächH ehern Wis-
sen waren seine Lehrer gewesen. Auch seine pohtisehen
Beziehungen wiesen ihn nicht nach Frankreich hin, sondern
verbanden ihn auf das engste mit dem Kaiserhofo in Wien,
dessen altüberlieferte, steile und gemessene Formen ihm lUr
die Einrichtung des eigenen Hofes als Muster galten. So
reich und stattlich sich auch zu seiner Zeit die Hofhaltung
in Wolfenbütte], namentlich im Vergleich zu derjenigen sei-
nes haushälterischen Vaters, gestaltete, so sehr trug sie doch
den germanischen Typus. Und wenn er, wie erwähnt wor-
den ist, die etwas ui'wüchsige GeaeUigkeit dieses Hofes und
die Derbheit seiner Sitten durch immerhin edlere Genüsse
zu verfeinem, den Lärm der Trinkgelage und Schmausereien
durch Emchtung einer Hofbühne und sogar durch Auf-
tuhrung von selbst vertalsten Dichtungen zu unterbrechen be-
mühet war, so zeigen auch diese letzteren, dafs er in seinem
iunersteu Wesen noch der alten , im Dahinschwinden be-
griffenen Zeit angehüi-te. Keine Spur eines französischen
EinÜusses vermag man in diesen Tragödien, Komödien und
k.
A
m
Erstes Buch. Vierter Almchnitt.
Tragico-Komödien zu entdecken. Sie folgen in der Über-
, treibung des (Grausigen, in der Derbheit ihrer Komik, in der
^Haiiöbackeuheit ihrer Moral durchaus der Richtung ^ welche
das bürgerliche Völksraäfsige Drama seit Hans Sachs bei
uns genommoD hatte. Eines dieser herzoglichen Stücke, der
„ V^incentiuH Ladislaus ", ist von Gervinua für die eigentüm-
lichste und originellste di-amatische Dichtung erklärt wor-
den, welche die deutsche Litteratm- in damaliger Zeit auf-
zuweiaen habe. Wenn von einem tremden EinMui'a bei ihnen
die Rede Bein kann, &o ist dies nicht der tranzösi.sche ^u-
dem der englische, wie denn die stehende Figur derselben,
der stets plattdeutsch redende Narr, offenbar den englischen
Schauspielen entlehnt ist. Aber nicht allein in seinen Dich-
tungen, sondern auch in seinen Leben sgewohuheiten zeigte
sich Heinrich Julius olmgeachtet der hohen Meinung, die
er von seiner tui-stlichen Würde hegte, als ein echt volks-
tümlicher Fürst. Gern und leutselig verkehrte er mit dem
gemeinen Mann in Stadt und Land, fiir seine Bedüi'tuisse
hatte er ein Verständnis, für seine Leiden und Freuden ein
Herz. In dieser Hinsieht war er der echte Sohn seines
Vaters. Er konnte wohl, um unerkannt zu bleiben , in
Bauerulracht und ohne Begleitung von Woltenbüttel uach
Braunschweig wandern , um seinen Unterthanen persönlich
niÜier zu treten. Von seiner Brautwerbung um seine zweite
Gemalüin, Elisabeth von Däuemark , hat sich die Über-
lieferung erhalten, dafs er ihr in der Verkleidung eines hau-
sierenden Tabuletkrämers sich genahet und sie um ihre
Gimst gebeten habe. Ein Freund vaterländischer Dichtung,
war er auch Kenner und Förderer alter guter deutscher
Musik. Während seiner Regierimg und darüber hinaus
stand der berühmte Michael Prätorius an der Spitze der
Wolfenbüttler Hot'kapelle. Von seinen grol'sartigen und
kostspieligen Bauten ist schon die Kede gewesen. Er hat zu
ihnen nicht nur die Aui-egung gegeben, sondern sie sind auch
zum Teil nach seinen eigenen Plänen oder doch unter seiner
speziellen Aufsicht ausgeführt worden.
Fünfzig Jahre etwa nach des Herzogs Heinrich Julius
Tode bot der Hof zu Wolfenbüttel bereits ein wesentlich
verändertes Bild dar. Eine schwere, unheilvolle Zeit lag
zwiachcn dem damals und jetzt Die traurige Regierung
Friedlich Ulriche und der Krieg hatten das Land nieder-
getreten und zerrüttet. Älit dem Erlöschen des mittleren
Hauses Braunschweig war das Fürstentum Calenberg von
dem Ländcrgebiote getrennt worden, das einst Herzog Julius
unter seiner Waltung vereinigt hatte. August d. J., der
August d. J. und »ein Hof.
161
Erbe von Wolfenbüttel, hatte erst nach Jahren banger Sorge
und endlosen Verhandlungen von dem ihm zugeiallenen
Lande Besitz nehmen können. Man weifs, wie es ihm durch
umsichtige^ ausdauernde und rastlose Thutigkeit geUog, das
Land dem januuervoUou Zustande zu entreilsen, iu welchem
er es überkommen hatte. Sobald die ersten Jahi'e der Kot
und Verlegenheit glücklich überwunden waren, gewann aucb
das Leben an dem Hole des gelehrten aber den GeuüBsen
der Welt keineswegs abholden Fäi*sten wieder einen heite-
ren Anstrich. Er selbst, damals schon hochbetagt , hatte
nach der Sitte seiner Zeit eine durchaus gelehrte Ersüehung
erhalten. Schon an seinem sechzehnten Geburtstage konnte
er die Univei'sität Rostock beziehen. Hier imd in Tübingen
bat man ihn dann zum Rektor gewählt, ein Amt, das er in
würdigster Weise verwaltete. Aucb später bis iu die letzten
Jahre seinea Lebens hinein ist er diesen streng gelehrten
Neigungen treu geblieben. Wir kennen seine Liebe zu den
Büchern und den seltenen Sammeleifer, den er ihnen wid-
mete : den ersten ^Herbändigen Katalog seiner Bibliothek
hat er mit eigener Hand geschrieben. Er hat sich aber
auch selbst in gelehrten , wissen schalUichen Arbeiten ver-
sucht, aufser seinem grundlegenden Werke über das Schach-
spiel eine Kryptomenytik, ein Leben Jesu und die in secha
Auflagen erschienene „Evangelische Kirchenharmonie" ge-
schrieben. So sehr indes in ihm die gelehrt - theologische
Riclitimg der älteren Zeit noch vorherrschte, so wenig konnte
er verhindern, dafs seine Söhne und seine Umgebung sich
von der neumodischen Strömung hinreifsen liefsen, welche
von Frankreich aus mit überwältigender Macht sich Bahn
brach und in Kunst , Leben und Sitte die alte schHcbte
treuherzige deutsche Art und Gewohnheit zu verdrängen
begann. In den späteren Jahien seiner Kegienmg sah man
schon jene gestelzten Öchiilerapiele, Ballette und Singspiele
auch über die Wollenbüttler Bülinc gehen, welche durch die
Leere ihres Inhaltes und durch die Geziertheit ihrer Sprache
gleich sehr ermüden. Am aiebenundsiebenzigsten Geburts-
tage des Herzogs überraschte man ihn mit einem „ Mi-
ner\'abanquet", in welchem seine Gemahlin, die Herzogin
Sophie Elisabeth, „die glückwünschende Freudendarstellung"
agierte. Bei derselben Veranlassung tanzten die Sohne, Anton
Ulrich und Ferdinand Albrecht, in «inem Ballott, welches
den Titel „die Zeit" führte, jener die „PoHtia", dieser die
„Eruditio". Im folgenden Jahre ward der Geburtstag des
hohen Herrn in ähnlicher Weise begangen. „ Seine ainn-
H«lB«naaD, Ihrftnasclifr.-lMUUiGT. 0««cliiobl«. IIL 11
i«e
Erstes Bach. Vierter Abschnitt.
reiche Gemahlin", heifst ee, „überreichete ihrem so hoch-'
gehebten Herrn an diesem Tage eine glückwtinschende
Wahrsagung und Ankunft der Königin Nicaulä und deren
bey sich habenden zwölt Sibyllen benebenst vier benach-
barten Königen, in die weltberühmte Guelfenburg und stellete
solche den 1. May in einem Freudeuspiele dar". Wenige
Monate sfmter feierte des Herzogs zweiter Sohn Anton Ulrich
seine Vemiähluug mit KUsabeth Juliane von Holstein. Bei
dieser Gelegenheit ward „ein Frühlingsballett oder die Ver-
mählung des Phöbus und der Flora" aufgeführt, dessen
leitende Tanzrullcn das junge Paar selbst übernahm. Als
dann der Herzog im folgenden Jahre abennals seinen Ge-
burtstag beging, erfreuete ihn Anton Ulrich mit einem rüh-
renden , von ihm selbst gedichteten Singspiele „ Amehnde
oder die triumphierende Seele, wy ay nach mancherley An-
fechtii ngeu überwindet und göttiicher Gnade tiihig wird."
In der Woli'eubüttler Bibliothek hat sich eine lange Keihe
dieser sonderbaren poetischen Erzeugnisse erhalten, alle zu
Wolfenbüttel an Geburtstagen oder bei anderen festlichen
Gelegenheiten von den Kavalieren und Damen des Hofes
aufgetUhrt. Bisweilen freilich hat man damals noch das Be-
dürfnis gefühlt, diese steife, staiTe und stiunpfe Welt der
Kmphndungslosigkeit durch einen Laut ungekünstelter Natur
zu unterbrechen. Dann erschienen wohl die HofheiTCn und
Hofdamen unter der Maeke und in der Kleidung vou Bauern
und Bäuerinnen , um sich in ehrlichem Plattdeutäch aUer-
hand derbe Schei*ze und nichts weniger als hoffähige An-
züglichkeiten zu sagen.
Nun aber kam die Regieiungszeit Rudolf Augusts und
Anton UU'ichs , in der die Nachahmung frenuiiändischen
Wesens , die Herrschaft namentlich des französischen Ge-
schmacks vollends die alten deutschen Lebenagewohnheiten
überwucherte, die früheren einlachen und schlichten Sitten
verdrängte. In allen Dingen, in der Bau- und Gartenkunst,
in dem Hausrate und der Küche, den Sitten und dei* täg-
lichen Lebensweise, der Musik, Dichtkunst und Litteratur
machte sich das französische Vorbild geltend. Selbst die
kleineren deutschen Hofe suchten es an Glanz und äul'seror
Prachtentfaltung dem grofsen Ludwig XIV, gleichzuthun,
und Wolfenbüttel blieb in diesem Streben hinter keiner
anderen deutschen Fürstenresidenz zuiiick. Besonders neigte
sich Anton Ulrich, der jüngere aber geistig bedeutendere
der Brüder, dieser Richtung zu. In sklavischer Nachahmung
des von ihm bewanderten Vorbildes in Versailles suchte er
durch koatspiehge Bauten, glänzende Feste, eine bislang un-
Hofhaltnug Anton Ulrichs.
ItiS
erhörte Schaustellung von mafsloser Pracht und steifer Hot-
etikette die Welt in Staunen zu setzen. Diesen Aufwand
hatte offenbar ein Berichterstatter vor Augen, der iin Jahre
1Ö69 über die hrauuschweigischen Höfe sclirieb; „Wann die
Hertzogen von Brauuschweig und Lüneburg ein gantz mar-
tialisches und heroisches Gemüt haben, so ist dasselbe ge-
"wifßlich auch sehr erhaben, prächtig und heri'Üch, und leben
also^ dafs ein Freiubder, der an ihren Hof kompt, ilim ein-
bilden sollte, er wäre an dem Hofe des Königs von Frank-
reich." In dem „ kleinen Schlosse " zu Wolfenbüttel , wo
der Herzog anfangs residierte, folgten sich Theater, Bälle,
Maskeraden und gesellige Spiele in ununterbrochener Reihe
und verschlangen zusammen mit der zahlreichen Diener-
schaft, den französischen Scliauspi eiern und Tänzern, den
italienisclieu Musikern und Sängern Summen, die das Land
auf die Lauge nicht aulzubringen vermochte. Die kost-
spieligen Liebhabereien des Herzogs, die übrigens oft auch
auf ediere Zwecke gerichtet waren, steigerton sich mit seinem
aunebmenden Alter. Noch im Jahre 1681 hatten die beiden
Brüder, durch das Anwachsen der Karamerschulden beun-
ruhigt, sich gegenseitig „bei fürstlicher Parole und aii'
Eidesstatt" verpflichtet^ alle Ausgaben nach der unentbehr-
lichen Notdurft sparsam einzurichten , Kutschen , Bauten,
Jägerei, unnötige Reisen, Schmuck, Ballett, Theater, kostbare
Bankette imd dergleichen geldfressende Anstalten abzustellen.
Aber der ehrgeizige und prachtliebende Anton Ulrich hat
sich nicht allzu lange an dieses Versprechen gehalten, be-
sonders seitdem ihm die im Jahre 1G85 zugestandene Mit-
regentschaft reichlichere Mittel zur Verfügung stellte als
»einem älteren aber bescheideneren Bruder. Schon im Jahre
1687 ward dm*ch ilm die Ritterakademie in Wolfeubüttel
gegründet, der indes nur eine kurze Existenz beschieden
sein sollte, und ein Jahr später richtete er dort die itaÜe-
nische Oper ein. „Wir haben", schrieb der Herzog 1692
an die Gräfin Königsmark in Hannover, „allhier ein so ar-
tiges Theater und etliche gute italienische Stimmen, mit
denen wir uns ebenso lustig machen, als wenn wir die
Marguereti und die Clementia hörten, die wir denen Kur-
fürstlichen gerne gönnen." Dann folgte (1690) die Erbau-
ung des für seine Zeit sehr stattliehen , erst 1864 abge-
brochenen Schauspielhauses auf der Stelle des alten Hägener
Rathauses zu Braunschweig und 1706 der Neubau der hor-
zogüchen Bibliothek in Wolfeubüttel, die lange Zeit für das
Muster eines Bibliothekbaues in Deutsehland gegolten, hat.
Die berühmteste Schöpfung des Heraoga a\>er, wi x«ic^\. %Kai.
VI*
161
Erstes Buch. Vierter Abschnitt.
eigenstes Werk, war das Lustscblols Salzdahlum, eioe Weg-
stunde von WoIi'enbUttel gelegen, von seinem Bauvogt Her^
mann Korb nach dem Vorbilde von Marly erbauet , ein
kleines Versailles mit weitläufigem tVunzösischon Park, viel
bewunderten Wasserkünsten, einem kleineren und einem
gröfseren Theater, einem Miuenberge, auf dem das Bi-aun-
schweiger Rofs als Pegasus thronte, und mit herrlichen, jetzt
nur noch in Trüuunern vorliandenen Kunstsammlungen.
Seit seiner Vollendung im Jahre 1697 ein bevorzugter Lieb-
lingssitz Anton Ulrichs und seiner NBchfolgor, war dies iiirat-
IJche Tuskuliim ganz dazu geeignet, das altertümliche, we-
niger Raum und BequemUchkeit bietende Schlofs zu Wol-
fenbüttel zu überflügeln und in Schatten zu stellen. Hier
in Woifenbüttel waltete inzwischen, so oft er nicht in dem
benaclibarten Hedwigsburg, in Braunschweig oder im Aus-
lande verweilte. Rudolf August, einlacher, bescheidener, we-
niger geräuschvoll als der jüngere Bruder, welchem er seit
seiner Verheiratung mit der büi^erlichen Madame Rodol-
phine die Uegieruug des Herzogtums ganz überlief».
Weit dürftiger und bescheidener als in dem wohlhaben-
den, unter der Regierung des Herzogs Julius zu hoher wirt-
Bchaftlicher Blüte gelangten Fürstentume Wolfenbüttel- Calen-
berg stellt sich in der ersten HaltYe dieses Zeitraumes die
Hofhaltung der Lünebui^r Herzöge dar. Teils die Armut
dos Landes, teils der reiche Kindersegen, der dem Herzoge
Wilhelm beschieden war, machten hier eine ähnliche Pracht-
entfaltung wie am Wolienbüttler Hofe unter Heinrich Julius
zur Unmöglichkeit. Selbst der Verzicht der jüngeren Söhne
Wilhelms auf die Regierung vermochte dem ältesten nicht
die Mittel zu einer üppigeren Lebensweise und zu grölserein
Aufwände zu gewähreu. Kine fast bürgerliche Emfuchheit,
ein ängstliches Bestreben , alle nicht durchaus notwendigen
Ausgaben zu vermeiden, waren für Ernst II. mafsgebend
und blieben es auch für den LUneburger Hof in Celle, als
ihm in der .Regierung nach einander seine Brüder Christian,
August d. A. und Kriadrich folgten. Unter dem Waffenlärm
und den Krieg.^greueln, die zur Zeit dieser Forsten das nie-
dersächsischc Land erfüllten, verbot sich eine glänzende oder
auch nur ausgiebige Hofhaltung von selbst. Herzog Georg
von Calenberg namentlich, der fast sein ganzes Leben im
Kriegslager verbracht hat, mufste die dürftigen Geldmittel,
die ihm zugebote standen, ausschhefslich verwenden, nin die
von ihm geworbenen Truppen zu erhalten- Aber alsbald
nach dem Kriege trat aucli an den Höfen von Hannover
und Celle die neumodische Lebensrichtung hervor und er-
HofordnuDg Christians von Lünebarg.
165
forderte einen fipüher unerhörten Aulwand. Wie einfach
war nach der Hotordnung von 1612 noch der Haushalt
des Her/.ogfl Christian eingerichtet. AVenn der Türmer
— heilst es da — geblasen hat, d. h. morgens neun, abends
vier L'hr, soll jeder aul' die Mahlzeit warten und der Säu-
mige leer ausgehen. Keiner von der Dienerschaft, es Bei
denn, dafe ein Knecht habe au.sreiteu uiü&äeu, soll sich in
Küche uder Keller sättigen und niemand ohne erlialtene
Erlaubnis aul' iürstliche Kosten Pferde lüttem. AVenn in
der Hotstube das Ksseo auigetragen ist, soll ein Junge
(Page), 80 dazu verordnet, beten, ein jeder sich still und
bescheiden aufführen, nicht schelten, fluchen oder schwören,
noch einen dritten mit Fleisch, Brot^ Knochen oder Braten
werfen oder mit den verabreichten Speisen seine Taschen
tiillen. Sieben Uhr sollen die Junker ihre Morgensuppe er-
halten aui'ser am Freitag (wo Wochenpredigt stattfand), da-
mit man um so geschickter zum Gottesdienst seL Der
Weiuschenk soll weder „Kdel noch Unedel" in den Keiler
gehen lassen, und der Wein soll nur an dem iurstUchen
Tische und demjeuigen der lüite verabreicht werden. Wie
verechieden von diesen schHchten und einfachen Lebena-
gewohnheiten ist der Ton, der uns dreifsig Jahre später aus
den Berichten über das Hofleben in Hannover entgegen-
khngt. Hier wie später in Celle verschmolz zur Zeit Chri-
Rtian Ludwigs die roIie Völlerei, die das Lagerleben zur
Blüte gebracht hatte, in sonderbarer Weise mit dem Hoch-
mut und den Ansprüchen des selbstherrlichen Fürstoutumä.
Dreifsig Edelleute und darüber mufsten dem Herzoge bei
Tische aufwarten, seine Leistungen im Trinken bewundem
und erhielten dafür reiche Geschenke. Wer sich bei ihm
zum Kriegsdienst meldete, den nahm er an, gewährte diesen
Leuten aus allen Lebensstellungen den Tisch bei Hofe und
zu ihrem Unterhalt eine entsprechende Pension. Seine eigene
Mutter schreibt, „das Geschwitrm und Gesöff sei Wasser
auf des Herzogs Mühle gewesen", und sein jüngerer Bruder
Ernst August nahm keinen Anstand, diesen Hof als „une
horrible cour de iSauf brüder " zu bezeichnen. Es war nichts
Seltenes, dafs Christian Ludwig und seine Zechgenüssen sich
nächtUcherweile in den Strafsen der Stadt umhertrieben,
allerhand Unfug verübten, Fenster einschlugen, die friod-
hchen Bürger raifshandelten und durch Werten von Baketen
ersciireckteu. Erst unter seinen Nachfolgern Georg Wilhelm,
Johann Friedrich und Ernst August kam die teinere zier-
liche h-anziisische Sitte, treilich auch mit all ihrer Unnatur,
ihrer steilen Etikette und ihrer überti-iebenen Prachtliebe,
166
Erstes Buch. Vierter Absohoitt.
an den Höfen der Lüneburgcr Herzöge zur HoiTschal't.
Wir kennen die Einflüsse, welche aui' diese jüngeren Söhne
Georgs von Lüneburg gleichmüfßig eingewirkt hatten, ihre
Reiselust, ihre Vorliebe für daa firerad ländische , ihre Ab-
neigung gegen das einheimische, in den langweiligen Formen
einer absterbenden Zeit sich bewegende Wesen. Franzö-
sische Bildung und italienischer LebeusgenuTs, die sie auf
ihren häufigen Reisen kennen und über alles schützen ge-
lernt hatten, galten ihnen mehr als die alton^ von Vater und
Mutter überkommenen Lebensgewohnheiten, übten auf sie
einen unwiderstehlichen Reiz aus. Bei allen dreien kam
dann, sie in dieser Richtung bestärkend, die Einwirkung
der Frauen hinzu, die sie sich zu Geiahrtinnen ihres Lebens
en\äldten. Zwei von ihnen gehörten dem pialzischen Hause
an, das seit der Reformationszeit die lebhafteäteu Bezieliungen
zu Frankreich unterhalten hatte und in welchem französische
Sitte und französisches Wesen längst einheimisch geworden
waren. Die dritte aber war nach Geburt und Erziehung
selbst ein Kind der französischen Nation, welches jetzt die
in der Heimat empfangene Lebensrichtung an den nord-
deutschen Hof ihres Geliebten und späteren Gemahles ver-
pflanzte.
Der Hof in Hannover zur Zeit Johann Friedrichs wim-
melte von Ausländem. Zu den „Monsignorea^', die er in-
folge seines Übertritts zu der katholischen Kirche mit aus
Italien gebracht hatte oder die sieh später bei ihm ein-
fanden, geaellte sich seit seiner Verheiratung (1668) eine
grofse Anzahl von Franzosen. Sie bildeten zum Teil die
Begleitung seiner Gemahlin, die, eine Tochter des Pfabi-
grafen Eduard von Simraern und eine Enkelin des Herzogs
Karl von Navarra, in Piu-is erzogen war und dort ihre Bil-
dimg erhalten hatte. Zu der Brautwerbung hatte der Her-
zog seinen Geheimenrat Otto Grote nach Paria geschickt
Die Heimholung der Prinzessin vollzog sich mit aul'ser-
ordentlicher Pracht. Ein ganzer Trofs von Hofbediensleten,
ein Geistlicher , Pagen , Lakaien , Silberdiener , Reiseköche,
Hoüouriere, Mägde und Jungen, ein Gefolge von über liiufzig
Personen in einem Dutzend Wagen, begleitete sie auf ihrer
Reise über Frankiurt nach Hannover. Am 5. November er-
folgte hier der feierliche Einzug. Mit dem Herzoge Rudolf
August von Braunschweig und dem Landgrafen von Hessen-
Homburg war der Herzog seiner Braut eine Strecke Weges
entgegen geritten. Der Wagen , den sie hier bestieg , ward
auf mehr als 20000 Thaler geschätzt. Eine lange Reihe von
Staatswagen, darunter allein siebenzehn herzogliche, die vor-
nehmsten Hof kavaliere , die Leibgarde und eine Truppen-
abteilung folgten dem statllicbeD Zu^. Nach der Einsegnung
in der Schlofakii-chc durch den apostolischen Vikar achlols ein
Tedeum unter Salven und Kanonfinschüssen die Feier des Ta-
ees. Über eine Woche dauerten die Festlichkeiten : offene Tafel
bei Hofe, Ballett und französische Komödie, Violinkonzert
und prächtiges Feuerwerk. Das rürstliche Selbstbewufstsein
Johann Friedrichs wurde durch diese Heirat, die ihn mit dem
französischen Runigsluiusß in verwandtschaftliche Beziehungen
brachte, nicht wenig gesteigert. Mehr noch als zuvor sachte
er jetzt in dem Glänze seiner Hofhaltung dem französischen
Monarchen nachzueifern , auch als Protektor der Wisaen-
schatt und als Mäccn der Künste. Er führte die italienische
Oper lind das französische Schauspiel in Hannover ein, hielt
an der Sclalofskirche einen Chor von italienischen Sängern,
der selbst den biederen, durch seine plattdeutschen Predigten
bekannten Pastor Sackmann als Knaben entzückte, und be-
gann im Jahre 1665 auf einem Vorwerke bei der Stadt den
Bau des Lustschlosses Herrnhausen, das dann später (1698)
durch den italienischen Architekten Quirini vollendet wurde
und im wesentlichen seine jetzige Gestalt erhielt. Von Lud-
wig XIV. bezog er eine .Jahresrente von 240000 Thalern.
Durch den General Heinrich von Podewils, einen geborenen
Pomraer, der aber französischer Unterthan geworden und
seine Kriegsschule in französischem Dienste gemacht hatte,
liefs er seine Truppen, die er, wie erwähnt, bedeutend ver-
mehrte, ganz nach französischem Muster kleiden, bewaffnen
und einüben. Fast seine gesamte Hofdienerschaft bestand
aus Italienern und Franzosen, Leuten von oft zweifelhaftem
Rufe, Abenteurern, die ihre Stellung zu ihrem Vorteil nach
Kräften auszubeuten wufstnn. In seinem kleinen Staate
fiihite er sich ganz wie ein zweiter Ludwig XIV. „ Ich
bin Kaiser in meinem Lande", hörte man ihn im Bewufst-
aein seiner Machttulle wohl sagen. Bei seinem Leichen-
begängnisse wui'de eine selbst für diese Zeit ungewöhnliche
Schaustellung entfaltet. Acht Generale, begleitet von fünfzig
Offizieren mit Hpllebarden, trugen die Ziptel des Sargtuches,
vierzehn Herolde mit den Einzelschilden des Braunach weiger
Wappens, dem Gesamtwappen und dem das alte sächsische
Kriegsemblem darstellenden weifsenEofa folgten, derGeneral-
iieutenant von Podewils trug die kostbare, mit Diamanten
und Perlen besetzte Herzogskrone, der Hofmarschall von
Moltke das „souveräne Schwert'% andere Hofbeamte und
Offiziere die übrigen Symbole der Herrschait. Zwischen ilmen
ward das ganz weifse „Freudenpferd" und das völlig in
m
Erstes Baeh. Vierter Abschnitt.
schwarz gehüllte „Trauerpferd", jenes von dem Kittmeister
von Medera in vergoldetem Harnisch, geritten. Eine imab-
Bchbare Menge von Leidtragenden folgte der Bahre, voran
der Erbe des Dahingeschiedenen, Ernst August Bischot' von
Osnabrück, mit seinen beiden ältesten Söhnen , dann die
Deputierten der Städte, Rittei-schaft und Prälaten, Abge-
ordnete der Universität Helmstedt, Beamte, Geistliche, Schul-
kinder mit ihren Lehrern und Rektoren, die üotdienersc-haft
und endlich, den Zug be sc hl i eisend, die füretliche Leibgarde
und zwei Schwadronen Eisenreiter, „überaus hen'lich wohl
montiert", ganz in Trauer gehüllt, anl' weilsen Pl'erden.
Bei einer ähnlichen GS-rundnchtung, die ja nun einmal
immer mehr zur allgemeinen Signatui' dieser Zeit wurde,
zeigt der Hot* zu Celle während der Regierung Georg Wil-
helms doch ein in mancher Hinsicht abweichendes Bild.
Von Haus aus teilte Georg Wilhelm mit seinen Brüdern in
Hannover und Osnabrück die Freude an Pracht und Auf-
wand, aber er ist in seinen späteren Lebensjahren ein spai*-
samer Fürst und ein guter Hanshalter gewesen. Dazu be-
stimmte ihn offenbar sein Verhältnis zu Eleonore d'Olbreuze.
Namentlich seit seiner Verheiratung mit ihr richtete sich
sein Streben darauf, durch Ankaut von Gütern und An-
sammlung von barem Geide ihr Schicksal und die Zukunft
der Tochter, die sie ihm geschenkt hatte, sicher zu stellen.
Der einzige Aufwand, den er sich auch jetzt noch gestattete,
war der für das Militär, wie denn die von ihm errichtet©
Kriegsschule mit ihren Fechtmeistern und Keitlehrern sich
seiner besonderen Förderung und Vorliebe zu erfreuen
hatte. Die liebenswürdige und fcingebildete Französin gab
überhaupt an dem Hofe zu Celle den Ton an. Sie ent-
ßtaramte einer Hugenottenfamilie deaPoitou: einer ilu*er Vor-
fahren hatte wacker unter der Fahne Heinrichs von Na-
van-a tür die Glaubensfreiheit gekämpft, sich dann aber
nach dessen Überti'itt zur katholischen Kirche von ihm ge-
trennt und auf seine Güter zurückgezogen. Auch in ilir lebte,
von weibEcher Anmut gemildert , der alte hugenottische
Geist Der Kurfürst Karl Ludwig von der Ptälz rühmt in
einem Briete an seine Schwester, die Herzogin Sophie, ihr
natürliches, gewinnendes Wesen und ihre gute Erziehung,
und derselben Sophie, die in der Folge ihre bitterste Feindin
wurde, hat sie bei ihrer ersten Begegimng das Bekenntnis
abgerungen, dals sie nicht, wie man sie geschildert, leicht-
fertig und gefallsüchtig sei, sondern ernsthaft, von guter
Contenance, angenehmer Unt erhalt ungsgabe, schon und von
hohem Wuchs. Das beste Zeugnis für die Üacht ihrer
Eleonore d'Olbreuz«.
169
Rmze ist, dafs sie den Flatterhaftesten der Männer Zeit
eines Lebens in dem Banne ihrer Persönlichkeit festzuhalten
^Termocht hat Ihrer Einwirkung ist es hauptRächlich zuzu-
schreiben , wenn die ^ofsen prunkhaften Festlichkeiten in
Celle seltener begegnen als in Hannover und VVolfenbuttel,
wenn der Herzog sich mehr in der Intimität einer kleinen,
geistig angeregten Gesellschaft geliel als in dem Wirbel rau-
schender Vergnügungen, die er früher so sehr geliebt hatte,
die aber jetzt nur bei besonderen Veranlassungen , wie im
Winter 1667 bei Gelegenheit eines Aufenthaltes seiner Neften
Georg Ludwig und Friedrich August in Celle stattfanden.
„Von dem CeUer Hofe", berichtet die Herzogin Sophie im
Älärz 1666, „ist nichts zu vermelden^ als dals man dort
tttne gute Tafel führt und Frau von Harburg sich guter
'Boffnung befindet.*' Die letztere aber schreibt zu dei*selbeu
Zeit an einen Freund ihrer Familie: „Sie würden Ihre helle
Freude über unsere Häu&hchkeit haben : es giebt keine
schönere auf der Welt" Sie Hefa es sich angelegen sein,
das Schlofs , welches ihr Freund und späterer Gemahl in
den Jahren 1670 bis 1675 durch den Italiener Lorenzo Be-
dogni zu einer der geschmackvollsten deutschen Residenzen
der damaligen Zeit hatte umschalfen lassen, ihm zu einem
Aufenthalte zu machen, wo er die Reize Italiens und Frank-
reichs, in denen er als Jüngling geschwelgt hatte, völlig ver-
gaCs. Mit bewunderungswüi'diger Annmt wufste sie die ihr
■ obliegenden Pflichten lurstücher Repräsentation zu erliUleu
ond zugleich der gesamten Hofhaltung Ordnung und Be-
haglichkeit zu verleiben. Ihre Sorge ei*streckte sich auf
alles, auch auf die imbedeutendsten Dinge. Die Tafel, der
Hausrat, die Wäsche, die Dienerschaft haben sie in gleichem
Mafse erfahren. Selbst in den Jahren nach der traurigen
Katasti'ophe ihrer Tochter hat sich ilu- die ruhige Gloich-
Imäfsigkeit ihres Temperamentes bewühii:, ihr und ihrem
' Oatten das schwere Unglück tragen hellen, das sie in ihrem
Kinde betraf.
ilber den Hof Ernst Augusts in Osnabrück und später
in Hannover haben wir von verschiedenen Seiten zeitge-
nössische Berichte. Einer von ihnen bezeichnet ihn im
Gegensat:& zu dem ,, ernsthaften " Wolfcnbüttler, dem „lusti-
gen" Celler, dem „regulierten" hanaüvrischen (unter Johann
Friedrich) als den „galantesten": alle aber seien insgemein
Bcbön und präclitig. In der That liebto Ernst August neben
einer guten soliden Tafel, dem Wein und der Jagd nichts
mehr als die Frauen. Ein stattHcher , schöner Maun mit
verbindlichen Formen, die ihn „bei der ganzen Welt be-
170
liebt machten", war er mehr noch wie seine älteren Bruder
ein Bewunderer tranzösischer BilduQ"^, in seinen Sitten und
Lebensge wohn hei ten ein gelehriger äcnüler and eifriger Nach-
ahmer französischer Frivolität „Der Hof von Hannover",
beifst es im Jahre l^HA-, ,« richtet sich in allem nach dem
Muster des französischen Hofes, eifert ihm namentlich auch
in seinen Vergnügungen (divertiB^ements) nach.** Als er
noch allein das Hochstift Oanabriick verwaltete, unterhielt
Ernst August zusammen mit seinem Bruder Georg Wilhelm
eine Seh au spiel orgesellBchaft von vi erund zwanzig Personen, die
abwechselnd in Osnabrück, Celle und Hannover spielte. Sie be-
stand fast durchweg aus Franzosen, „ von den besten Meibteru
dieser Profession". Später erbauete er ia Hamiover neben
dem älteren Romödiennause , das sich zu klein erwies^ für
die von ihm lt}88 eingerichtete italieniaclie Oper ein neues
prächtiges Haus, das nach Lady Montagues Ansicht schöner
war a!s dasjenige in Wien. Die Leitung der Oper wurde
dem aus München berufenen Agofitino öteffani übertragen,
als Hauptstem glänzte an ilir die von Dresden verschriebene
Signora Margarita, „Margherita bella'% wie sie in Italien
hiefs, die den heimlichen Neid des Herzogs Anton Ulrich
voQ Wolfenbüttel erregte. Jn den späteren Jahren seiner
Regierung, nachdem er die Kurwürde erlangt hatte, nahm
au Ernst Augusts Hole fürstliche Pracht und übertriebener
Lu^us überhand, aber es lierrschte dabei nach dem Zeug-
nisse des Freiherm von PöUnitz ein leichter Ton und eine
Höflichkeit, wie sie damals in Deutschland noch wenig be-
kannt waren. Aus dieser Zeit entwirft der bekannte eng-
lische Freidenker Johann Toland folgende Schilderung von
dem Leben in Hannover: „Alles ist hier bei Hofe in gutem
Zustande. Die Zimmer im Schlosse sind sehr sauber imd
reich möbliert. Es ist allda ein nettes Theatruin mit schünen
Logen vor Leute von allerhand Condition, und zahlet allda
kein Mensch, der in die Comödie gehet, sondern der Chur-
ftirst thut alles auf seine Kosten, sowohl denen Leuten aus
der St4kdt als denen bei Hofe ein Vergnügen zu machen.
Das Opernhaus aber in der Stadt wird von allen Reisenden
billig als eine Rarität besehen, »intemabl dasselbe sowohl der
Malerei als der Einrichtung wegen das beste in Europa.
Der Hof ist durohgehends sehr polit und wnrd in Teutsch-
land selbst wegen seiner CiviÜtat und übrigen Woldstands
in allen Dingen vor den besten gehalten. Die von hohem
Stande sein und sonsten Figur machen, ladet man gemein-
lich zur ChurtÜrstlichen Tafel, da sie dann in Verwunderung
gebracht werden, wie man so fein und ungezwungen hier i
Der Hof in Hannover. Kurfiirstin Sophie.
17t
umzugehen wcifs und wie man ihnen allda alle Fi*etheit zu-
läffitj derer sich doch niemand zu mifsbrauchen erkühnen
wird. Zu gewohnlicher Hofzeit gehet jedermann von Fa^x>n
dahin olme den geringsten Zwang, und wenn sie nur anders
wissen, was zwischen Leuten und gewissen Dingen vor ein
Unterschied zu machen sei. so können sie von allerhand
Sachen sein und auch mit der Cliurfiirstin selbst reden. Die
Damen sind vollkommen wohl erzogen, hötlich und meisten-
theiU schön von Gestalt. Der Churfurstin Staatsdamen be-
kleiden alle ihre Stellen sehr wohl. Alle CavaÜere, welche
bei Ihro HoheitRn in Diensten sich befinden, sind insgesnmt
sehr wackere und geschickte Personen.**
Das belebende geistige Element an diesem Hofe, seine
eigentliche Seele war die Herzogin und nachmalige Kur-
flirstin Sophie. Sie gehört ohne Frage zu den merkwürdig-
sten Frauen dieser Zeit. Am 14. Oktober 1630 als zwölttcs
Kind ihrer Eltern im Haag geboren, wo diese endlich eine
Zuflucht getiinden hatten, verlebte sie die Jahre der Kind-
heit mit ihren Geschwistern in Leyden , iern von ihrer
Mutter, unter dem Druck einer steifen, pedantischen Er-
ziehung, die aber weder ihre muntere Laune noch die Ela-
stizität ihres jugendlichen Geistes zu unterjochen vermochte.
Als sie, zehnjährig, zu ihrer Mutter zurückkehrte, — ihren
Vater hatte sie sclion im zweiten Jahre ihres Lebens ver-
loren — f^ewanncn die Lebhaftigkeit ihres Temperamentes,
ihre schnelle Fassungsgabo, ihr schlagiertiger AYitz, vor allem
ihre heitere Frohnatur ihr ohne Mühe die Herzen ihrer Um-
gebung. Aus einem unschönen und wenig anmutigen Kinde
zur lieblichen Jungfrau erblühet, fehlte es ihr später nicht
an Bewerbern mn ihre Hand. Eine Zeit lung bestand in
den Kreisen der englischen Flüchtlinge in Holland der Plan,
sie mit ihrem Vetter Karl Stuart , dem späteren Könige
Karl JI. von England, zu vermählen. Als sich dann nach
ihrer Übersiedelung nach Heidelberg der portugiesische Her-
zog von Alveiro um ihre Hand bewarb, konnte sie sich
nicht, wie sie in ihren Denkwürdigkeiten berichtet, „dazu
entschliel'sen, nachdem sie einmal an die Vermählung mit
einem Könige gedacht hatte, sich zu einem Unterthauen her-
abzulassen". Eine Verbindung mit dem römischen Könige
Ferdinand Franz, dem älteren Bruder Leopolds I., vereitelte
dessen frühzeitiger Tod, und der Bewerbung des Prinzen
Adoll' von Schweden kam diejenige des Herzogs Georg Wil-
helm zuvor, mit dem sich die Prinzessin im Jabre 1656
verlobte. Allein es ist bekannt, wie dieser in dem Wirbel
der Zerstreuungen und Vergnügungen, die ihn in Venedig
i
m
EtsteB Bucfa. Vierter Abschnitt.
erwarteten , seiner verlobteu Braut vergaf» und dann der
sonderbare Ausgleich getroffen ward , wonach Sophie statt
dem Herzoge Georg Wilhelm dessen Bruder Ernst August
ihre Band reichte. Es ward ihr nicht leicht, ilir Herz zum
Schweigen zu bringeu^ aber ,,sie war" , wie sie selbst
schreibt, „zu fttolz, um sich niederbeugen zu lassen". Die
so geschlossene Ehe hat sich ihr dann als eine reichlich
dornenvolleerwiesen. Schwere Demütigungen und Kiänkungen,
harte Kämpfe sind ihr nicht erspart geblieben. Aus den
von ihr hinterlassenen Denkwürdigkeiten und aus ihren
zahlreichen Brieten bricht unter der Hülle harmloser und
geistreicher Plauderei doch das Leid über die spätere Trü-
bung ihrer antiangs so glücklichen Ehe, die verzweifelte
Stimmung über ihre Stellung zwischen den Brüdern, inehr
als alles andere aber der Ilafe und die Verachtung gegen
die Frau hex'vor, die später das Herz ihres einstigen Ver-
lobten zu gewinnen und dauernd zu fesseln verstand. Aliein
in solchen Seelenkämpfeu erstarkte ihr Geist zu der männ-
lichen Festigkeit und klärte sich ihr Gemüt zu der milden
Heiterkeit ab , welche den spätei-en Lebensjahren dieser
deutschen Fürstin ein so anziehendes Gepräge gaben. Der
langweiligen Pi-acht des Hoflebens mit seiner steifen Etikette
wufste sie doch ein genufsreiches Dasein abzugewinnen.
Gern vergegenwärtigt man sich die uoch immer lebenstnache
Greisin, wie sie in ihrer Urangerio, fern von dem frivolen
Treiben des Hofes, mit Leibniz, ihrem bevorzugten Gesell-
echafter, die tiefsten Probleme menschlicher Erkenntnis er-
örtert, dabei aber keineswegs die sehr realen und weltlichen
Pläne zu besprechen und in Erwägung zu ziehen versclmiäbet,
mit denen sich ihr Ehrgeiz wähi-end der letzten Zeit ihres
Lebens vorwiegend beschält igte. Denn auch tUr diese
Dinge, iur ihre Mafsnahmen insbesondere inbezug auf die be-
anspruchte und erstrebte Nachfolge auf dem Throne ihrer
schottischen Vorfahren , war ihr der grofae Philosoph
Freund und Berater. Mit ihm bespracli sie alles, was
ihren lebhaften Geist oder ihr Gemüt erregte, ihre häus-
lichen Sorgen, Leid und Freud, das sie in ihren Familienbe-
ziehuugen betraf", aber auch die wiasenschaJtlichen und litte-
rarischen Erzeugnisse der Zeit, die religiösen Fragen, die
damals die Welt bewegten, die auch von Leibniz eifrig und
lebhatt verteidigte Idee einer Wiedervereinigung der beiden
grofsen christlichen Kirchen, ihre poUtischun Pläne, Hoff-
nungen und BetürchtuTigen. Es war ein schönes und sel-
tenes Verhältnis, an welchem als dritte im Buude, so oft sie
von Potsdam oder Berlin zum Besuch nach Hannover her-
Der absolute Staat.
173
überkam, auch die geist- und gedankenreiche Tochter, Sophie
Charlotte von Prenfsen, die Gemahlin Friedrichs I., ,,die
philosophische Königin", wie man sie genannt hat, teil-
nahm.
Neben den Fürsten, welche in dieser Zeit des mehr und
mehr ziw Auebildung gelangenden Abäolutismus mit ihrer
nUtihsteu Umgebung auuh die allein beatimmenden und be-
hen"3chendeu Faktoren de» geistigen und geselligon Lebcna
wui*den, nehmen die Orgaue, die sich dieser müdem -absolute
Staat iiür die Verwaltung, die Jtechtsptlege, das Kriegswoäeu
und die übrigen Zweige der Uegierungsniaßchiene schui^
unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Nach den Anschau-
ungen, welche, von Frankreich ausgehend, während dieser
Zeit allmählich auch in Deutschland allgemein mafsgebetid
wurden, ist die alleinige Quelle aller ätaatsgewalt in der
Person des Fürsten zu suchen. Wie sich um ihn und um
seinen Hot' das ganze öffentliche Leben drehet, so findet in
Wim auch die Summe der Regierungsbelugnisse, die Macht,
Hoheit und Majestät der Herrschaft, ihi-e Vereinigung. Aber
bei der hochentwickelten Genulasucht dieser Tage ist der
Monarch weit davon entfernt, sich persönlich um die Re-
gierungsgeschäfte zu kummern , wie dies doch zur Refor-
mationszeit noch allgemeine Sitte war. Schon Heinrich Ju-
lius hat, freilich aus anderen Beweggründen als seine spateren
Nachfolger, wenigätens die letzten sieben Jahre seines Lebens
die Regierung des Landes last auaschliefslich seinen Räten
überlassen, uad zu welchen heillosen Zuständen unter seinem
Sohne Friedrich Ulrich dann das Regiment der ungetreuen
Landdrosten führte , ist bereits geschildeit worden. Nach
dem dreifsigjährigen Kriege kam nun aber die neue Staats-
theorie erst zu ihrer vollkommenen konsequenten Ausgestal-
tung. Die drei jüngeren Öühne Georgs von Lüneburg und
Anton Ulrich von Wotfenbüttel haben in den weltischen
Ländern den modernen Absolutismus begründet Sie alle
betrachteten sich als die unumschränkten Herrscher inner-
halb des ihnen vererbten Staatsgebietes, sie alle strebten mit
rücksichtsloser Energie danach, jeden ihre Allgewalt hem-
menden Kindufs, namentlich denjenigen der Laudstände, zu
heaeitigen. Fast noch mehr aber als zu herrsichen lag die-
sem modernen Fürstehtume daran, die Freuden des Lebens
zu geniefsen. Das alte patriarchale Regiment, wie es in
dem Herzoge Julius gewissermatsen verkörpert erscheint und
wie es zum Teil noch in Heinrich Julius und August d. J.
lebendig war, verblafst albnähüch vor dem Ideale der neuen
Auöassung vom Staate, wonach von dem Fürsten als dem
174
Erstes Bach. Vierter Äbschmtt.
Staatsoberliaupte zwar alle Regierungsgewalt ausgeht, er'
aber diese uicLt selbst persönlich ausübt Bondem durch von
ihm zu diesem Zwecke frei gewühlte Organe verwalten
läfst. Wir haben gesehen, wie die jüngeren Sohne Georgs,
wie namentlich Georg Wilhelm und Ernst August jahr-
ein jahraus in den üppigen Städten Italiens und Frank-
reichs einem trivolen Lebensgenüsse nachjagten, ohne sich
um die WohÜahrt iluer Länder im geringsten zu bekümmern,
die Regieruugsgeschäfte vielmehr völlig ihren Räten über-
liefsen, wenn diese nur datUr sorgten, daj's ihnen die Mittel
zu iiu'em verschwenderischen Leben im Auslände nicht ver-
siegten.
Was nach den Anschauungeu dieser Zeit zu der regel-
und ordnungsmilfsigen Verwaltung eines Landes erforderlich
war, darüber giebt die Aulico-Poütica Georg Kugelhards
von Löhneysen Auskunft, ein damals berühmtes Buch, das
auch deshalb hier eine Erwähnung verdient, weil dieser
mächtige Foliant in der von dem Verfasser aut" seinem Gute
Romlingen bei Wolfenbüttel eingerichteten Druckerei (162ä)
hergestellt wurde. Das Buch ist dem Herzoge Friedrich
Uh'ich gewidmet und behandelt in unverkennbarem Hinblick
auf die damaligen Verhältnisse des Herzogtums WolfenbUttel-
CaJenberg die allgemeinen Grundsätze der „Hof-, Staats-:
und Regierkunet". In dem dritten umfangreichsten Kapitel
beschäftigt sich der Verfasser mit den notwendigen Staats-
behörden oder Konzilien, wie er sie nennt, von denen zwölf
eingehend besprochen werden: das Konsistorium oder der^U
geistliche Rat, das Provinciale oder der Landrat, das Quae^^H
storium oder der Amptrat, das Oeconomicum oder der Hof- ^fl
und Hausrat, das Arcanum oder der Geheime Kammerrat,
das Concilium justitiac oder der Kanzleirat, das Judiciale
oder das Hofgericlit, der Appellationsrat, das Criminale oder
der peinliche Rat, das Civicum oder der Stadtrat, das Me-
tallicum oder der Bergrat und endlich das Militare oder der
Kriegerat. Man würde indes irren, wollte man annehmen,
dafs alle diese verschiedenen Zweige der Verwaltung oder
auch nur der grufsere Teil derselben damals schon in einem
der welöschen Fürstentümer bestanden hätten. Die Staats-
verwaltung der damaligen Zeit stellt sich vielmehr noch in
weit einfacherer Form dar. Langsam nur und allmählich
hat sie sich aus den früheren mittelalterlichen Zuständen zu
reicherer Gliederung und grösserer Selbständigkeit entwickelt
Aus dem Grundbesitz der grofsen Geschlechter, mochte dieser
nun aus freiem Eigentume oder aus Reichs- und anderen
Lehen besteben, waren die Staaten des späteren Mittelalters
Die fürstlichen Regierungsbehörden -
175
erwachsen. Als Gruridherr oder Lehnsträger übte der Fürst
die allein in seiner Hand beruhende Staatsgewall aus. Er
that dies durch eigens zu diesem Zweck bestellte Diener,
die ihn innerhalb eines bestiniiDten Bezirkes in seiner vollen
Eigenschaft als Oberhaupt des Staates vertraten. Von Re-
gieiiingwbehörden, ueiclic eiueiu einzelnen Zweige der Ver-
waltung für das ganze Staatsgebiet vorgestanden hätten, ist
ebenso wenig eine Spur zu finden wie überhaupt von einer
Zerlegung der als unti'ctiubar gedachten Kegierungsgewalt
in ihre einzelnen Zweige. Erst gegen Ende des lö. Jahr-
hunderts iing dies an sich zu ändern (vgl. II. 240 ff.). Neben
den Ständen, mit denen die Liindeslierren die wichtigsten
Regierungs- und Verwaltungasacbcn verhandeln , erscheinen
bereits von ihnen besoldete Räte, anfangs freilich in geringer
Zahl und meist unter dem Namen eines Kanzlers oder Grofs-
vogtes. Später kommen dami als erste Landbedienstete
auch Statthalter und als Räte Doktoren vor, aber ordnungs-
mäfsig gebildete Regierungsbehörden sind auch in den braun-
schwcig-lünc burgischen Landen nicht vor der Zeit der Re-
formation nachzuweisen. Ob unter Heinrich d. J. bereits in
Wolfenbüttel die Ratstube als ein wirkliches Regieruogs-
kollegium bestanden habe , steht dahin: wohl aber dürfen
wir annehmen, dafs die Landesregierung unter Herzog Ju-
lius schon in eine Anzahl von Behörden aus einander ging,
wonach Regierungs-j Kammer-, Justiz- und namentlich Kon-
sistorialsachen getrennt von einander behandelt wurden.
Deutlicher und bestimiuter tritt dies nun aber in der hier
behandelten Zeit, mit der Regierung des Heraogs Heinrich
Julius hervor. Öchon der Umstand, dafs in jenem Buche
Löhneyaens eine so grofse Anzahl von Regier uugskollegien
theoretisch besprochen und als für eine gute Staatsverwaltung
nnerläfslich gefordert werden, luhrt zu der Annahme, dafs
zu der Zeit und in dem Lande, wo das Buch entstand,
wenigstens einige davon bereits wirklich vorhanden und in
Thätigkeit waren. Auch die öftere und längere Abwesen-
heit des Herzogs aufser Landes läfst vermuten , dafs eine
orduuugsmäfsige Regierung eingerichtet war, welche während
dieser Zeit an seiner Statt die Rogierungsgeschälte mit einer
gewissen Selbständigkeit zu besorgen hatte. Zudem ergeben
fürstliche Mandate unzweifelhaft, dafs neben dem schon von
Heinricli d. J. errichteten Hofgerichte eine Regierung oder
Katstuhe bestand, die mit jenem in der Rechtssprech-
ung konkurrierte, lliie Mitglieder werden in dem Salz-
dahlumer Landtagsabschiede von 1597 als solche bezeichnet,
welche iui* der iuretlichen Regierung zu thun haben".
i.
176
Erste« Buch. Vierter Abschnitt.
Friedrtcb Ulricli gab dano, wie bereits dargelegt ist, diesem
obersten LandeskoUegiuni eine veränderte Gestalt und räumte
ihm ganz aufserordeulliclie Betiiguibse ein. ladem er au
die Spitze der aus Tier Geheimenräten bestehenden obersten
KegieruDgsbehörde , zu welcher auch der Grofsvogt und
Kanzler zu rechnen sind, einen J^ann stellte, der das Amt
eines Oberhot'raeisters, Geheimenmts und Hoi'richters in einer
Person vereinigte, und dieser Behörde sämtliche Regierungs-
geschäfte mit einziger Ausnahme der Justiz- und Kanzlet-
Bachen übertrug, ftchuf er dne neue bald allmächtige Re-
gieningsgewalt, deren Willkür und Schlechtigkeit das Land
dann au deu Rand des Verderbeos führten. Über den Sturz
dieses schmachvollen ,,Landdro6tenregimentes" ist früher das
Nötige berichtet worden. Mit dem Regierungsantritt des
Herzogs August d. J. begann auch inbezug anf die Verwal-
tung des Landes tur das Fürstentum Wolfenbüttel eine neue
Epoche. August war ein viel zu rühriger, selbstbewufster
und thatkräftiger Herr , als dafs er nicht wieder zu der
älteren Praxis der Selb&tregienmg hätte zurückkehren sollen.
Kr hatte es schou als junger Mensch bei Gelegenheit seines
Rektora tantritta in Rostock ausgesprochen, „dafs ein guier
Fürst sich wenig oder gar nicht von einem guten Haas-
halter unterscheide". Und danach hat er, als er zur Re-
gierung gelaugte, gehandelt. Wohl liefs er die trüberen Re-
gie rungskoUogien, wie sie nach dem verunglückten Versuche
mit den Landdrosten wieder hergestellt waren, bestehen,
aber nicht diese hatten das Heft des Regimeutes in der
Hand, sondern er selbst Alle Regierungs- Kriegs- Kameral-
und Justizsachen wurden unter seinem Vorsitze von dem
Kanzler und sieben bis acht Räten besorgt, von denen die
drei ersten zugleich Hofmai'Bchall (später Statt lialter), Ober-
bergrat und Vizekanzler waren. Bis an sein Ende blieb er
die Seele der Verwaltung, um die er sich bis in ihre kleinsten
Einzelheiten hinein auf das eitrigste bekümmerte. Daher
hat auch, abgesehen etwa von seinem Kanzler Hans Schwartz-
köpf, keiner seiner Räte neben ihm irgend eine Bedeutung
erlangt, niemand von ihnen je auf die Regierung einen be-
stimmenden Einflufs ausgeübt. Und dieses stolze Selbst-
^fühl laudesheiTlicher Würde und Pflicht hat er auf seine
Söhne und Nachfolger vererbt, die freilich dasselbe, nament-
lich Antou Ulrich, mit dem neumodischen französischeu Sou-
veränitätsdünkel verquickten und 1699 eine Trennung der
Regierungs - von dea Kammer - und Justizsachen vor-
itahmen.
Fiar das Fürstentum Lüneburg oder Celle erliefs Herzog
Die Lüneburger (Celler) Regierung.
177
Christian, der zweite Sohn Wilhelms von Lfinebui^, im
Jahre 1616 eine „Regimentsordnung", die bereits eine Tei-
lung der Regicrungsgcwalt iu versciuedene Zweige der Ver-
waltung anbahnte. „Es aei", heifst ea in dem Eingänge zu
deräelbeu, ,,hoch uöthig, dal's nicht allea iu eiuem Rathe
oder durch einerlei Personen pro qualitato causarum, viel-
mehr in unterschiedenen Rathsstubon und durch unterschie-
dene dazu qualilicierte Personen respective propouiret, be-
ratliächlaget und verrichtet werde." Oomgemäfs wurden
iülgende Regierungs- und Vorwaltuugsbehörden (Ratstuben)
von einander gesondert eingerichtet: das Konsistorium, der
Geheimerat, der Kammerrat, der Ökonomie - oder Haus*
haltsrat , das j>eiuliche Gericht , die Huf kauzlei und der
Kriegsvat. Dazu kam dann noch das bereits durch Ernst
den Bekeuner aus dem Laudesgerichte Ülzen errichtete
Hot'gericht. Der notwendige Zusammenhang zwischen die-
sen Einzel behürdeu wurde dadurch erreicht , data fast in
ihnen allen der Statthalter, der Grofsvogt und der
Kauzler als erste Mitglieder sarseu, beziehentlich den Vor-
sitz führten. Öo bestand beispielsweise der Geheimerat, dazu
bestimmt, diejenigen Sachen zu behandeln, „welche nicht
jedem ins Maul gehängt werden müssen", aulser aus zwei
Doktorou der Rechte lediglich aus jenen drei hohen Wiir-
denträgem und war angewiesen, dals, falls Sachen zur Ver-
handlung ständen , welche Land und Leute beträfen und
von grufser Wichtigkeit wären, auch die Landräte um ihr
Gutachten befragt werden sollten. Im wesentlichen haben
diese Einrichtuagen l>is zum Erloschen der Ocller Linie im
Jahre 1705 fortbeslaudeu, nur dafs seit 1659 die Stelle de«
Statthalters nicht wieder besetzt ward und die Justizbehi irden,
nämlich das peinHchc Gericht imd die Hof kauzlei, insofern
enger mit der fürstlichen ßatatube oder dem Geheimenrate
vorknüpft wurden, als MitgUeder dieser letzteren Behörde
jLUch, in jenen Kollegien Sitz und Stimme hatten,
Über die Regierungs Verfassung iu dem Fürstentume Grru-
enhagen, das während dieser Zeit öfters seinen Herrn ge-
wechselt hat, sind wir nur sehr unvollkommen unterrichtet,
besonders in den zwanzig Jahren, da es mit Wolienbüttel
vereinigt war. Seitdem es 1617 an Lüneburg abgetreten
worden, hatte es einen besonderen Kanzler, der die ganze
Verwaltuug leitete, sowohl die Justiz - und eigentlichen Re-
gie ruugssachen wie auch, unter Zuziehung von Geistlichen,
die sonst dem Konsistorium zustehenden Kirchenangelcgen-
heiten handhabte. Diese gruben hageusche Kauzlei bestand
m
Erstes Bucli. Viertpr Abschnitt.
auchj freilich nicht mehr unter dem Vorsitze eines KAnzlers, '
wohl aber unter demjenigen eines Landdrosten, fort, als das
Land nach der Auseinander&etzung zwischen den Herzögen
Georg Wilhelm und Johann Friedrieb im Jahre 1665 mit
dem Fürstentume Caleuberg vereinigt ward. Erst 1689
wurde sie aufgehoben und ihre Geschälte den Regierungs-
kollegien in Hannover übertragen. md
Am Bpfitesten hat die Einsetzung eines Regiei-ungskoUe- ^
giume inuorhaJb des welfischen Ländergebietes in dem " '"
Fürstentume Calenberg-Göttingen stattgefunden. Es geschah
dies im Jahre 1636 durch Herzog Georg, kurz nachdem
diesem die beiden Länder von seinem Bruder August d. Ä. h
waren abgetreten worden (S. 90). Georg wählte damals ^
zu seiner Residenz die Stadt Hannover nnd verlegte dahin
sowohl das Konsistonum wie die (lirsdiche Kanzlei. Von
der dort errichteten Regierung wissen wir nur, dal's an ihrer ^M
Spitze anfangs der Kanzler, später ein Statthalter stand und ^^
dafs diesei' auch zugleich den Vorsitz in der Justizkanzlei
geführt hat. Bald nach des Herzogs Tode wurde von seinem
ältesten Sohne und Nachfolger Christian Ludwig eine neue
Oi'dnung von achtundzwanzig Artikeln für die oberste Re-
gierungsbehörde entworfen. Danach sollte sie nur aus tUni"
Personen bestehen, dem Kammerpräsidenten Schenk von
Winterstedtj dem Kanzler Kipius, dem Ilofraarscliall Bodo
von Hodenberg, Hans Joachim von Bülow imd dem Vize-
kanzler Lampadius. Ihr Charakter war ein kollegialisciier,
wie denn der Grundsatz überhaupt festgehalten ward, dafs ^j
die Geschäfte des Geheim eurates niemals einem einzigen zu ^M
übertragen, sondern in gemeinsamer Beratung zu erledigen ^^
seien. I)er Kauzler führte den Vorsitz, bestimmte die täg-
lichen Sitzungen, verteilte die zu Iiehandelnden Gegen-
stände (puncta delibcranda), schlug die Vota vor und redi-
gierte nach vorhergegangener Abstimmung, meist unter Bei-
hilfe der übrigen Ritte, den Beschlufa, der dann durch Ge-
nehmigung und Unterschrift des Fürsten Gesetzeskraft er-
langte. Der Herzog behielt sich die Erüfftiung aller von
Kaiser imd Reich, von Kurfürsten und Fiii*sten einlaufenden
Schreiben vor, während dem Kanzler die Relation über alle
Rechtssachen und Bittschi-iften überlassen blieb. Bei Gleich-
heit der Stimmen kann der Herzog, um eine Mehrheit der-
selben zu erzielen, nach Belieben aus seinen übrigen Räten
oder den Landständon andere Mitglieder de» Geheimcnrates
zuziehen. Durch den Herzog Ernst August erhielten diese
Gepflogenheiten wiederum eine Neugestaltung. Er erhefs im
Jahre 168Q für die Staatsdiener und Beamten eine um-
Die Beg^icroDg iu Caleuberg-USttingtiu.
17»
t'a&aende Verurdimng, durch welche die Verwaltung der Gte-
schätlte und ihre Verteilung auf die einzelnen Behörden ge-
ordnet ward. Danach sollte die Regierung in vier Kol-
legien zcriällen: die Gehciniei-atatube , die Kammer, die
.rnstizkanzlei und das KonsiHtorium. Für die AlUitärsachen
ward keine besondere Behörde en'ichtet, sondern sie wurden
der Oeheimeuratstube mit überwiesen. Diese hatte dem-
nach alle Ötaats- und JlÜitärsachen, alle Univei*sitätBange-
legenheiten , alle Polizei- Privilegien- und Gnadensachen
zu bearbeiten. Von den seclis üeheiraenräten , die diese*
Kollegium bildeten, waren vier zugleich Kamraerräte, der
tUnfte zugleich Vizekanzler und der sechste Landdrost oder
Berghauptmann auf dem Harze. Sie waren zugleich die
Direktoren der übrigen Regierungsbehörden, wodurch ein
enger Zusauiraenliang zwischen diesen und der Geheimen-
ratätube als der eigentlichen Trägerin der Regierung herge-
stellt ward. Dem ersten Geheimenrate war. das Direktorium
in der Geheim enratstube selbst, dem zweiten, der zugleich
Landdrost tiir Grubenbagen war, dasjenige in militaribus,
dem dritten im Konsistorio , dem vierten in der Kammer,
dem füoften in der Jusüzkanzlei, dem sechsten endlich in
ßergsachen übertragen. Sachen , die „ von keiner sonder-
baren Importanz" sind, sollen in den einzelnen Kollegien
durch den betreffenden Direktor zum Schlufs gebracht wer-
den, Angelegenheiten dagegen von gröfserer Wichtigkeit
zuvor in den Geheimenrat kommen, um vor Fassung eines
Beschlusses darüber zu berichten.
Dieses Regier ungskoUegium, an dessen Spitze bei seiner
Errichtung zwei ausgezeichnete Staatsmäuner, der später
zum Reichsgrafen erhobene Franz Ernst Platen als erster
und der bekannte Otto Grote als zweiter Geheimerat, zu-
gleich auch als Dii'ektor für alle Militärangelegenheiteu, ge-
stellt wm-den, hat sich in der Folge zwar vielfach vorändert
und erweitert, aber aus ihm ist doch in wesentlich ununter-
brochener Kontinuität die spätere oberste Regierungsbehörde
fiir das Kurfürstentum Hannover erwachsen, jenes Kollegium
„der königlich grofabritannischen , zur kurfürstlich braun-
schweig-lüueburgiöchen Regierung verordneten Rathe", wel-
ches erst durch die infolge der französischen Revolution ein-
tretenden Ereignisse beseitigt ward.
Auf dem Gebiete des Rechtslebens kam während dieser
i^it das römische Recht, welches seit seinem ersten Ein-
dringen in Deutschland (11. 241 ff.) langsame aber unauf-
haltsame Fortschritte gemacht hatte , fast zu allgemeiner
Cg;. Es pafste zu gut zu der modernen Theorie vom
180
Erstes Budi. Vierter Abschnitt.
Staate, als dafs es nicht achlielUich dea Öi^ über das vater*
Undis^he alteächaifichc Recht hätte davon tra^n sollen. An
der Landeauniveraität llehustedt von berähmten licehts-
lehrem eifrig gepflegt, ward es in den Fürstentümern Wol-
fenbüttel und Caleiioerg bereits von Heinrich Julius, dem
begeisterten Bewunderer altrömischer Gesetzgebung , und
ron dessen Kanzler Jagemann darchgetuhrt Seine Rezep-
tion kam auf dem Landtage von Salzdahlum im Jahre 1d97
durch den Artikel 32 des LandtagsabsehiedH vom 3ü. Juni
Kum Abschlufs, doch suchte der Herzog durch die ArtikeL
19 und 2Ü wenigstens den Bauernstand vor den Nachteilen^
die da» römische Pachtveri'ahren mit sich bringt, zu schützen -
Daneben beharrte die Stadt Braunschweig, auch nach dieser'
Richtung hin eiferaüchtig aul' üirer Selbständigkeit und in
altgewohntem Trotze gegen das Fürstenhaus, bis zu ihrer
Unterwerfung unter das letztere bei dem Sachseurechte. Es
bedurfte vier Jahre nach ihrer Demütigxmg (1675) einer
strengen Verordnung des Herzogs Rudolf August ,. um sio
zur Abschaffung des sächsischen Prozcfsverfahrens zu nöti-
gen. Auch in einzelneu anderen Gebieten des weifischen
Länderkomplexes behaui)teteu sich noch später Rechtsgewohn-
heiten, die auf dem sächsischen Rechte fufsten: so in den
Städten Lüneburg, Celle und Ulzen. Im Herzogtume Lauen-
burg aber blieb es nach dessen Erwerbung auch ferner iu
voller Kraft. Für das peinliche Recht galt die vom Kaiser
Karl V. im Jahre 1532 erlassene Hals- und Gerichtsordnung,
(Ue Carolina, welche tür das Fürstentum Wolfenbüttel be-
reits durch Heinrich d. J. im Jahre 1568 eingeführt wor-
den war.
Die höchsten Landesgerichte waren im Herzogtume
Braunschweig die Justizkanzloi und das Holgericht. Jene
war nach dem Muster des Reichshoirates eingerichtet und
hatte in Zivilsachen mit dem Hofgerichte konkurrierende
Gerichtsbarkeit Sic war mit einem l'i-äsidonten, einem Di-
rektor und vier Räten besetzt. Das Holgericht, aus einem
Hofricbter, vier ordentlichen Hofgerichtsassessoreu, drei or-^J
deutlichen Assessoren aus den Kurien der Landschaft, ver-^^^
Bchiedenen aufser ordentlichen Assessoren und zwei Sekretären ^^
bestehend, war die zweithöchste Gerichtsbehörde des Landes
und dem Reichskanimergerichte nachgebildet Alle Be-
rufungen in weltlichen Sachen gingen an diese beiden Ge-
richtshöfe, deren Kompetenz inbezug auf die einzelnen Gegen*
stände streng geschieden war. Ihnen entsprach in den han-
növrischon Landen bis zur Einrichtung des Oberappellations-
gerichtes in Celle das Hofgericht zu Hannover, das vom
Gericht und Verwaltung.
181
Herzoge Georg durcb Gesetz vom a. Dezember 1639 ge-
scbaf^en wurden war. Als liüt:hstes Landesgericht war es Itir
alle, die den Ämtern und Studtgerichten unterworlen waren,
letzte Instanz, doch konnte man in Sachen im Betrage von
mehr als lOOO Goldgulden Wert beim Keichsgerichte gegen
seine Entscheidungen Beruftmg einlegen. Für Grafen, Ritter
imd Herren, sowie Itir Räte, Richter und Landesvasallen
bildete es die erste Instanz. Der Präsident de&selbeu sollte
von der Ritterschaft gewillilt werden: neben ihm saffien ttinf
Richter, davon vier Doktoren und einer vom Ade! , sowie
zwei aufBerordeDtliche Mitglieder in dem Kollegium.
Die gesamte Verwaltung des ftU'stlichen Grundbesitzes
und der daraus Hielsenden Einnahmen und Gefälle lag In
der Hand der herzoglichen Kammer, einer Behörde, die ur-
sprünglich nur einen Zweig der Gcsamtverwaltung bildete
und erat später zu einem selbständigen Regierimgskollegium
ausgestaltet ward. Schon die Regiraentsordnung des Herzogs
Christian von Lünebmg vom 2. Februar 1616 ordnet einen
Kammerrat an, allein dieser, aus dem Statthalter, Grofsvogt,
Kanzler und zeitweilig dem Rentmeister bestehend, war nur
eine Abteilung der Geheimenratstube. Ahnlich war es
noch unter Friedrich Ulrich im Flirstentume Wolfenbüttel
und unter Georg in Calenberg. Auch nach dem von Georg
Wilhelm im Jahre 1(>63 erlassenen Kammerreglement und
nach der Amtsordnung Johann Frietirichs von 1674 Bcheinen
damals Slitglieder des Geheimenrates nur zu Kammersacben
deputiert und verordnet worden zu sein. Es gab also zu
dieser Zeit schwerlich schon ein für die Verwaltung der
herrschaftlichen Domänen eigens eingerichtetes , Bclbstundig
fungierendes Kollegium. Ein solches scheint erst im Jahre
1697 durch den Herzog Ernst August zugleich mit der
Kriegskanzlei eingerichtet worden zu sein, und ihm folgte
darin sein Bruder Georg Wilhelm von Celle, nach dessen
Tode (1705) die Celler Kammer dann aber mit der han-
növrischen vereinigt ward.
Unter der Oberaufsicht der Kammer standen als niedere
Organe der Verwaltung die Amter. Sie bildeten die klei-
neren Mittelpunkte, an welche inbezug auf die untere Justiz,
die Polizei und die Erhebung der herrschaftlichen GetttUe
ihre nächste Umgebung gewiesen war. Jedem Amte stand
ein Amtmann vor, der, da es in den früheren Zeiten noch
keine andere Art der Besoldung als durcli Überweisung von
Grundbesitz gab, zugleich der Nutzniefser eines entsprechen-
den Teiles des Domanialgutes sein mul'ste. Daher wurdeu
zu Amtssitzen gemeiniglich nur solche Ortschaften erkoren.
MS
Wrtn- Abttctmjtt
WO der Landeiberr esn Um ziig«börigea Got bettb. £m
loleliei Out mh dem danaf hafiendeo Amte wurde daon,
wie enut in alten Zeiten die Lefaeo, nicht seltea in der be-
treffenden F&milie «rblichr eo dafa »cfa, wenigstens in den
hannövmcbcQ Landesteilen, nach und nach eine fönnliche
BeamtenariBtokratic ausbildete, der mit der AoKiutzux^ dee
f^irvtlichen Domanialbeaitzes mgleicfa wichtige« wenn aaeli
niedrigere Amtsbefugnisse fibettnigen waren. Denn aofaer ^j
der Erhebung der aehr mannigfachen herrachafUichen Gefalle ^H
und des X>ienstgelde8, d. h. des Geldbetrages, den die mei- ^V
»ten der zu äpann- und Uanddiennten verpflichteten Meier
der Hcrrschftfit statt dieser Dienste zu entrichten pflegten,
stand den Amtleuten auch die Jurisdiktion und die Hand-
habung der Polizei innerhalb ihres Amtsbezirkes zu, wäh-
rend die eigentlichen Gern ein desachen aut den Vogtei- und
Oogerichten zur Verhandlung und Entscheidung kamen.
FUr die Autrechtcrhaltung der kirchlichen Verfassung
in den einzelnen weltischen Ländergebieteo hatten nach
wie vor die vcrschiodenen Konsistorien zu sorgen. Ihnen
war die Bewahrung der reinen lutherischen Lehre, die
Ein und Absetzung der Kirchen- und Öchuldiener, die Ver-
waltung der Kirchengüter, die Aufsicht über die Stit^er,
Klöster und Schulen übertragen. Von den grundlegenden
Kircheuordnungen der Herzöge Julius von WoIt'enbUttel und
Wilhelm von Lüneburg, dem Corpus doctrinae Julium und
dem Corpus doctrinae Wilhelmiimni — jenes für die Fürsten-
tümer Wolienbuttel und Calenbcrg, dieses tiir das Fürstentum
Lüneburg — ist imher die Rede gewesen. Nach der Regi-
mentsnrdnung von 1616 und der Kirchenordnuug von IGIU
besetiste Herzog Christian das Lünebuiger Kunsiätoriuni mit
dem HtaLthalter, dem Kanzler, den Geheimen Uofräten, dem
Gonoralfiuperintendcnten, dem Hot- und drei 8tadtpredigern.
fcjo bestand es auch unter seinen Nachfolgern, im wesentlichen
unverändert, bis zum Tode des Herzogs Georg Wilhelm,
nicht nur für Lüneburg, sondern auch für die dazu gehörigen
Grafschaften. Das Fürstentum Grubenhagen dagegen hatte
bis zum Jaliro 1689 sein eigenes Konsistorium, dessen Ge-
schäfte von Mitgliedern der Regierung und der Kanzlei unter
Zuziehung einiger Geistlicher besorgt wurden. Für die
Fürstentümer Wolfenbüttel und Calenberg galt das von dem
Herzoge Julius löBD eingesetzte Konsistorium, eo lange beide
LHndcr unter einer Herrschaft vereinigt waren, als die für
beide gemeinsame höchste Kirchen beb örde. Seine Zusamraen-
Botzung ist bereits früher (H. 403) berührt worden. Da-
nach stellt auch dieses Kollegium sich zuerst nur als eine
Bputation der fürstÜchen Ratatiibe dar, deren Sitz von
föTG bis 1589 in Helmstedt, von IGJO bis 1628 und dann
wieder vun 1 (J3l* bia 1 643 zu Brauu:tohweig war. Nach
der Trennung der beideu Länder errichtete Herzog Georg
fiü' Calenberg ein besonderes Konsistorium ia Hannover, mit
welchem dann die Konsistorien zu üäterrode für Gruben-
liagen 168it und zu Celle \\\r Lüneburg 1705 vereinigt
wurden. Herzog August d. J. aber verlegte das Konsisto-
rium tlir das Herzogtum Wolt'enbüttel im Jahre lti43 blei-
bend nacli Wullenbüttel.
Das eigentliche Fundament, „ der eherne Fels" , auf
welchem das ab»olute Regiment des modernen Staates sich
aufbauete, waren die stehenden Heere. Eine Schöpfung
dieser Zeit, sind sie aus der Not und den Wirrsalen des
dreii'sigjälu'igcn Krieges herausgeboren worden. Wohl liatten
einzelne Fürsten auch des Braun Schweiger Hauses schon
früher versucht, die uu behilflichen und von der Zeit über-
holten Kriegäformationon des IVlittelalters umzugestalten und
sie den Fortschritten, welche die Kriegskunst inawiacbeu ge-
macht hatte, auzupa{i.-ien. Der merkwürdigen BemUhuugeu
des Herzogs Jiüius nach dieser Richtung hin ist an einer
anderen Stelle dieses Buches (H. 410) gedacht wor-
den. Seiner Zeit vorauseilend, hatte er siclk schon mit dem
Gedanken einer einheitlichen Bewaffnung dos gesamten
ßeichshoeres und der Einführung eines gleich mit l'sigen Ka-
libers seiner SchnfswatFon geti'ageu. Einige Jahrzehnte später,
kurz vor liegiim des grofsea Krieges, di-ängte sich aucli
dem Herzoge Christian d. A. von Lünebui'g die Unzuläng-
lichkeit der mittelalterlichen Lehnsmiliz und des alten Heer-
banns auf. In den Jahren 1617 bis 1(}2() hat er versucht,
ihnen eine bessere zcitgeraälsere Einrichtung zu geben. Aber
diese schwachen, nur zögernd unternommenen Reformver-
suche erwiesen sich als völlig erfolglos, sobald nun rück-
sichtS' und erbarmungslos der grofse Kampf auch über das
niedersächäische Land hereinbrach j der die Existenz alles
historisch Gewordcuen mit Vernichtung bedrohete, das
Schicksal der Fürsteuhäuser und ihrer Unterthanen auf die
Spitze dos Schwertes stellte und allein demjenigen die Palme
des Sieges zu verheil'seu schien, der die zahlreichsten und
kriegstüchtigsten Söldnerscharen zu werben imstande war.
In diesen Kriegswirren bildete sich auch in den weifischen
Landen der erste Stamm, sozusagen der Keim der späteren
stehenden Kriegsmacht heraus. Als der eigentUche Orga-
nisator desselben ist Georg von Lünebui-g anzusehen. Wel-
chen Schwierigkeiten er dabei begegnete, wie er nicht nur
184
Erstes Buch. Vierter Abschnitt
eise ängstliche Rücksicht auf den Wechsel der Kriegs-
ereignisse und der politischen Parteistelluiig zu nebinen, son-
dern auch den Kleinmut und die Engherzigkeit seiner eigenen
Brüder und ätammesvettern zu bekämpfen hatte, davon ist
bereits die Rede gewesen. In den letzten Jahi*en seines
Lebens, als ihm das Fürstentum Calcnberg von seinem Bru-
der überlassen wai* und seine Bemühungen, nach dem l*rager
Frieden die verschiedenen Zweige des Braun Schweiger Hauses
zur Errichtung eines geraeinsaraen Defensionswerkes zu ver-
einigen, einigen Erfolg hatten, sah er sich doch an der
Spitze einer nicht unbeträchtlichen ätreitmacht, deren ätärke
ireilich vielfacli gewechselt hat. Nach dem Etat vom Jahre
1640 wareu es sechs Reiterregimenter nebst einer Frei-
kompagnie in der Gesamtstärke von 4500 Mann und sieben
Infanteriereginienter, insgesamt 10 000 Mann. Dazu kamen
noch die Artillerie und der Ponton- Train, der so vollständig
war, dafs der Herzog die Weser an zwei verschiedenen
Stellen zu gleicher Zeit überbrücken konnte. In ihrem
Kerne bestand diese Kriegsmacht noch aus geworbenen Trup-
pen, aber daneben errichtete der Herzog auch eine Miliz,
indem er die grofse Masse der dienstfähigen Landbewohner
zu sogenannten Ansschufskompagnieen vereinigte , die de»
Sonntags zu militärischen Übungen zusammengezogen wur-
den, von ihi'en Gutsherren oder Gemeinden mit Waffen ver-
sehen werden mui'sten, aber weder militärische Kleidung
noch Sold erhielten. Neben diesem Miliz tu lavolke bildete er
aus den Söhnen der Besitzer grolser Bauernhöfe und dem-
jenigen Teile seiner Dienerschaft, der entweder Pferde hal-
ten mufste oder doch dazu vermöge seines Einkommens
imstande war, ein Dragonerkorps, das er fUr den Dienst
im Innern des Landes tmd in den Festungen bestimmte,
wenn seine regelrechte Reiterei im Felde stand. Georg hat
auch mancherlei taktische Verbesserungen bei seinen Trup-
pen durchgeführt. Abweichend von der geringeren Kopf-
zahl der schwedischen Regimenter bestimmte er, dafs aie
Stärke eines Reiterregimentes nicht unter 1000 Pferden, die-
jenige eines Regimentes von Fufstruppen nicht unter 2000
Mann betragen sollte. Zu sofortiger Ergänzung und zum
Dienste im Lande sollten in den Garnisonen bedeutende
Depots gebildet werden. Der Etat seiner Regimenter an
Offizieren war dagegen weit schwächer als in den schwe-
dischen Heeren. Für die Generalolfiziere war nur der Ge-
halt eines Generallieutenants und eines Generalmajors aus-
geworfen. Zu der Besetzung der Stellen von dem Major
aufwärts zog er mit Vorliebe Offiziere heran, die sich achon
Georgs von Oiuebutu Heerescinrichtmigen.
186
in anderen Heeren bewährt , womögUcli einen Namen ge-
macbt hatten. Die Offiziere der niederen Grade, zu denen
vor allem pereönliche Tapferkeit empfahl , rUckten in dor
Regel biß zum Hauptmann oder Kompagniechef innerhalb
ihrer Kompagnieen auf. lioi der Reiterei, der er vor der
Infanterie den V'orzug gab , legte er wen iger Wert auf
Lanze , Pistole und Karabiner als auf den Degen. Ohne
sich lange mit Feucni aufzuhalten, sollte sich der gehar-
nischte Reiter, den er mehr als den Dragoner schätzte, auf
den Feind stiu'zen. Daher galt seine Reiterei für besonders
tüchtig und war ob ihrer Angritfskraft hochgefichützt. Bei
der Infanterie schaffte er die in den schwedischen Meeren
gebräuchliche Aufstollimg, namentlich die Verteilung der-
selben zwischen die Rcitergeschwader, ab und näherte sie
mehr dem französischen Muster, vorzugsweise inbezug auf
die Art uud Weise des Feuerus. Die Feldartillerie, die zum
Generalstab gerechnet wurde, bestand aus drei ßatterieeu,
eine jede zu sechs Geschützen: zwei von ihnen führten
Achtptünder, die dritte Sechspfünder. Mangelhai'l und we-
lliger diensttauglich war der Artilleriepark, der anfangs in
Hameln, später in Hildcshcira seinen Standort hatte, dümt-
liehe Regimenter des eigentlichen Heeres waren uniformiert,
was in den brau nschweigi sehen Ländern zuerst Heinrich Ju-
lius, aber nur teilweise, eingeführt hatte. Sie trugen ihre
Namen von der Hauptfarbe ihrer Uniformen: ein blaues und
rotes Reiterregiment, sowie ein weifses, rotes und gelbes Infan-
terieregiment werden in dem Heere des Herzogs ausdrück-
lich genannt.
Auf den hier skizzierten Grundlagen von Georgs Heeres-
einrichtungen weiter bauend haben seine Nachfolger dann
die spätere hannövrische Armee geschaffen. Auch für die
braunschweig-wolfenbüttler Truppen scheinen sie in mancher
Hinsicht zum Muster gedient zu haben. Nach dem Tode
des Herzogs und nach dem mit dem Kaiser zu Goslar ge-
schlossenen Fi-ieden erfolgte freilich zunächst eine allge-
meine Abrüstung der braunschwoigischen Fürsten uud eine
Verminderung ihrer Heeresmacht, die sich, wie wir wissen,
bei den Verhandhingen des westtlUischen Friedens schwer
rächen sollte. Zuerst schied Herzog Friedrich von Celle
aas dem bisherigen gemeinsamen Kriegsverbande aus und
traf am 2ö. April IC42 mit dem Ausschusse seiner Land-
schaft ein Abkommen, wonach die lüneburgische Reiterei
auf vier, höchstens sechs, die Infanterie aber auf acht Kom-
pagnieen, je zu 200 Alann, herabgemindert werden sollte,
und diesem Beispiele folgten, einer nach dem anderen, die
m
Erstes Buch, ^'ie^te^ Äbschoitt.
übrigen regiercndon Herren des Uhusob. £s blieb aber
liberall ein wenn auch nur kleiner Stamm von stehenden
Truppen übng, der bald wieder ansehnlich vermehrt wer-
den Bolitc. Dies geschah schon im Jahre Iti&'i lufolge des
Hildesheimer Bündnisses (S. 111^). Bei dieser Gelegenheit^
beschlossen die Herzöge von Wolfenbiittel, Calenberg undfl
Lüneburg nicht nur den früheren Militär verband unter sich
zu erneuern, sondern auch die Aui'stelluug eines Heeres in
der Gesamtstärke von 45()0 Mann. Nicht olino hettigen
Widerspruch der Landstäude , besonders im FUratentume
Caleuberg, wurde diese Truppen Vermehrung ins Werk ge-
setzt. Die Herzöge mul'sten dabei die Erfahnmg machen,
dafs es ihnen eeliweriich je geUno;en würde, von den Stän-
den die zur Erhaltung einer grülseren Militärmacht nötigen
Mittel zu erlangen. 80 kamen sie denn aui' den Gedanken,
sich diese Mittel durch Abschliefsung von Subsi dien vertrügen
mit fremden Mächten zu verschaffen Georg Wilhelm, der^
als Herzog in Calenberg nur eine vergleichsweise geringflÄ
Truppenmacht unterhalten hatte, vennehrte diese uicnt nn-
weBenllich, als er im Jahre IGijö nach dem Vergleiche mit
seinem Bruder Johann Friedrich die Regierung des Fursten-
tuiua Celle anti*at. Sein Militäretat hestaud damals (1665)
aus vier Reiterregimentern und drei Regimentern FuTsvolk,
wozu noch die entsprechende Aitillene und eine Anzahl
von Einzeicompaguieen kamen. Eine Streitmacht von
ziemlich derselben Höhe unterhielt Johann Friedrich in
Hannover Einen Teil dieser Truppen gaben die beiden Her-
zöge, wie trüber erwähnt, 1668, in Übereinstimmung mit
ihrem Bruder Ernst August in die Dienste der Republik
Venedig: Johann Friedrich :-iO0 Fufaknechte in vier Kom-
pagnieen unter dem Obristen von Palland , die beiden an-
deren Brüder di'ei Regimentor je zu acht Kompagnieen und
in einer Gesamtstärke von 2100 Mann unter dem General-
major Graten Josias von Waldeck. Subsidien wurden datlir
nicht gezahlt, aber indem die Republik den gröfsteu Teil
dieser Truppen ein Jahr lang aui* ihre Kosten in Dienst
nahm, wurde der Zweck der Herzöge erreicht, ihr Heer in
der bisherigen Stärke ohne zu groC^e Belastung ihrer Unter-
tbanen erhalten zu können. Als dann wenige Jahre später
Ludwig XIV. von Frankreich seinen Rachekrieg gegen
Holland vorbereitete, schlofs Johann Friedrich von Hanno-
ver mit ihm am 10. Dezember 11)72 einen anfangs geheim
gehaltenen S üb sidien vertrag, wonach er sich verpflichtete, ein
Heer von lUOOO Mann, eOOt) zu Fuls, 3000 Reiter und
JOOO Dragoner, anfzuatelLen. Durch die ihm vom Könige
I
Wechselu^ie Heeress^ürke in dtw Braunschweiger Landoa. 187
gezahlten Subsidicn- und Werbegeldor — sie betragen in
den Jahren 1672 bia HJ74 1700000 Livree — sah er sich
in den Stand gesetzt, seine Truppen bis fast auf 15 000
Mann zu erhüben, eine Streitmacht, die Samuel Puiendori'
zu der Bemerkung veranlafate, dafs es dem CireBamthause
Braunachweig nicht allzu schwer werden würde, ein Heer
vun 40 000 Mann auf die Beine zu bringen. Johann Fiied-
richs Bruder aber und die Uerzöge von Wolfenbüttel ver-
bttndeten sich nicht mit Frankreich, sondern traten auf die
Seite des von ihm bedroheten Holland. Nach dem von ihnen
im Jalire 1074 mit den Generalstaaten abgeschlossenen Ver-
trage versprachen sie zusaiumen 1 5 000 Mann in deren
Dienst zu geben und zwai- gegen reiche Subsidien, die teils
in Anwerbegeldern (achtzig Gulden für den Reiter und
vierzig Gulden für den Infanteristen), teils in monatlich ge-
zahlten Unterhaltungskosten bestanden. So gaben die gi'olsen
europliischen Vei'wickelungen den Braunschweiger Herzögen
Gelegenheit, ilue Kriegsmacht zu vergröfaern und sie auf
einer Höhe zu erhalten, zu der die Mittel des eigenen Landes
nicht ausgereicht haben würden. „ Die Herzoge von Braun-
schweig-Lüneburg " — so schreibt der damalige Gesandte
im Haag — „ sind jetzt die konsiderabelsten Fürston in
Deutschland. Sie besitzen all den Kredit, den Irüher die
Schweden besafsen. Selbst wenn sie 30 uoo Mann aufstellen
wollten, würden sie es binnen einem Monat vermögen. Ich
kenne verschiedene tüchtige Offiziere, die den schwedischen
Dienst quittiert haben, um bei den Herscogon einzutreten.
Im ganzen giebt es keinen König und Fürsten , der seine
Trupjjen so pünktlich bezahlt, wie sie es thun. Sie haben
jetzt 13 000 Mann, die besten Leute, die man sehen kann,
und eine Menge altgedienter OlKziere." Nach den Friedens-
schlüssen von Nymwegen und Celle (Hi79) erfolgte dann
zwar in allen Ländern des brauuschweigischen Hauses eine
gleichmäfsige Keduktion des stehenden Heeres, allein wieder-
um gaben die kriegerischen Ereignisse der beiden letzten
Jahrzehnte des Jahrhunderts , der türkisch - venetianische
Krieg in Morea, der im Jahre 1G85 zu einem abenualigen
Subsidien vertrage mit der Kep u bh k iuhrte , der t ür k iscb-
ungarische Krieg der Jahre 10fe3 bis 169'J, endlich der da-
mit zum Teil gleichzeitige dritte Raubkrieg gegen Frank-
reich am Rhein und in den Niederlanden, Veranlassung, die
hannövrisch - braunschweigische Truppenmacht wieder aui
eine achtunggebietende Stärke zu bringen. Im Jahre 1705,
als nach dem Tode Georg Wilhelms die Fürstentümer Celle
Hd Hannover in einer Hand vereinigt wurden, bestand die
]8<4
Enctci BocL Vierter
iMSBÖTrifldte Annee
mAt Kater- vod
IflAnteno-
rcpmenlent, die CdliBclie ms n^ Bester- ud adrt In-
fimteneregmwBtern f eise SCRttmacht rm Im giaseo 52^6
Maxih KaTB.Dene atkd 14 137 Mnim lofiuiterie, die, fortan
za einem fi«cre>kdrperveneliiiiiobeB, wioU «rgnniäert ond
anter Ifididgai Ofluicim, fir dfie dnnaQge Z«it and im
Vef^gleich m der Gi€6e der betevSeoden Linder ah eine
mIu- anaehnficbe beniebneC werden mafi.
Ohne den RücUttk, den eine solclie stelwode, jeden
Ai^enbBck marsdibereite Kiwgpnwhl Üirer PoGlä gewährte,
werden die Bnianschwe^er FQnten sich sohwerBch ans der
Ohnmacht vieder erhoben hAben, m «dicher ne der dreifiig-
^dnic« Krieg Terdamnit an babca schsen, ohne, ein aolebea
Heer würde es iHmen kaam gelungen setn, den Übentrat and
die UabodnSfttgkeit der Stedt Brumscbweig niedenvwerfen,
den EinäuA der Sdiwedea in Nieder«achsen sorü^zodriLDgen,
ihre Ansprüche aal Lanenbui^ dorchzTZBetzOi oder selbst
dem Kaiser die flrricbtimg der nennten Knr zognncfeen ihm
FTaoses absogewinrien. Aber der grofee AaTwand, den trotz
aller Sabsidienrertri^ das stehende Heer ei forderte, ver-
hinderte ia Verbindnng mit dem nchsenden Lnxus and der
übertriebeDeD Pracht der Hofhahnngen eine 90 gründliche
und rasche Wiederherstellong des VolkswoHUtandes . wie
diese wohl roögiich gewesen wäre, wenn nach dem Kriege
jene kostspieligen Bestrebungen und Nei^;ticgen der Forsten
nicht die än&nzielleu Kräite des Landes täst aasschltefelich
in Anspruch genomraen hätten. Die mittleren und niederen
Stftnde litten noch lange noter dem torchtbaren Drucke, mit
dem der Krieg auf ihnen gelastet hatte. Dies gilt zunt&chst
von der ßevrUkerung des platten Landes, die, soweit der
Krieg sie nicht vernichtet hatte, gfinzlich verarmt und zum
grofeen Teile sittlich verwildert aas ihm hervorgegangen
war. In den Fürstentümern Wolfenbüttel und Calenberg
war während der Regierungszeit der Herzöge Julius und
Heinrich Julius manches geschehen, die Lage der IftndKcben
Bevölkerung zu verbessern und damit den Ackerhau zu
heben (IL 489). D^ letztere vereinbarte namentlich mit
den Landätänden nach längeren Verhandlungen ein Meier-
gesetz f das in den Salzdahlamer Landtagsab^'hied vom
3. Juni 1597 autgenommen ward und die Beziehungen der
Meier zu ihren Grundherren in angeraeseener Weise regelte.
Es wurden dadurch der willkürlichen Abmeierung seitens
der Gutsherren gewisse gesetzliche Scliranken gezojren, die
Fälle, wo diese zulässig war» und die Modalitäten, unter
denen sie geschehen durftej genau bestimmt Manches blieb
Die Lagß der lüitdltclicu Bevölkeruuj;.
180
froiliuh noch der künftigen Gesetzgebung Überlassen. Aber
unter Friedrieh Ulrichs unheilvoller Waltung geriet dieso
ins Stockeu. Nur drei Verurdnungen unwesentlichen In-
haltes sind aus seiner Zeit inbezug auf das Meier wesen be-
kuunt. Im Fürstentuoie Lüuebui'g herrschte darin keine
gröfsere Ilegsainkeit, wie aus den beti-effenden Laadtags-
abschieden dieses Zeitabschnittes hervorgeht. Dann aber
kam der grausame Krieg, der alles niedertrat, nirgends aber
SC) ai^e Verwüstungen anrichtete wie auf dem platten Lande.
Gleich zu Anfang, als das ligistischc Heer in das Fürsten-
tum Göttiugeu einbrach^ kündigte sieh sein landverderbendei*
^£harakter an. Über zwanzig Dörfer wurden damals in der
fuchsten Umgebung Guttingen^ iJi Asche gelegt: „nicht ein
einstandiges Haus" bhcb uuabgebranut. Und nun fulgteu
noch sechszchn Jahre unsäglicher Kriegagreuel, welche das
Land zwischen Weser und Elbe, namenthch die blühenden,
^^uchlbareu Fürstentümer \\'olfeDbüttel und Caleuberg, iu
^^«ine schauervolle grofse Brandstätte " verwandelten. Gerade
^^ie reichsten, von der Natur am meisten gesegneten Oegea-
den wui"den am schwersten heiiugesucht. Katholiken und
Protestanten, Schweden, Kaiaerhche, Ligisten, ja die Truppen
der eigenen Landesherren wetteiferten mit einander , den
Bauern zu schinden, seine Acker zu verwüsten, seinen Vieh-
stand zu vernichten, auf seine Wohnungen und Stallungen
den roten Hahn zu setzen. _, Im VVolfenbüttelschen lagen die
ergiebigsten Acker in den Amteru ScliÖuingeu, Hessen, Jerx-
heim, Salder, Lichtenberg bracli, im Hans- und Weserdistrikte
sah es in dem fruchtbaren Leinetlial , dem Odfelde , der
Wickenser Aue oder Börde kaum besser aus. Am (nrcht-
barstcn hatte der Ki'ieg in der uiimittclbai'cn Nähe von
Woifenbüttel selbst gehaust Die lange Einschlicfsung der
Festung, die AustUUe der Besatzung, die Schlacht am Oder
(iG'll) hatten sie zur Wüste gemacht. Die beuachbarlen
Ortacbalten Thiede, Stückheim und Fümmelso, daa Frauen-
klostor Steterburg waren verbrannt, ihre Kirchen lagen in
Trümmern. Im Füratenturae Caleuberg war der Waidbau,
der früher dem Bauer eine ergiebige Kinnahmequelle er-
schlossen hatte, vernichtet. Er hat sich nie zu seiner früheren
Blüte wieder emporzuheben vermocht Auch das ärmere
Lüneburger Land hatte grausam gelitten, obschon hier eine
gleich reiche Kultur nicht vernichtet werden konnte. Überall
im Lande waren Dörfer zerstört, Einzelhöfe niedergebrannt,
die Felder uubebauet Hegen geblieben. Wüstes Gestrüpp,
Domen imd Disteln wucherten auf öden Brandstätten, eine
Kultur, an der Jahrhunderte gearbeitet, schien niit der Wut-
190
Erstes Bucb, Vierter Absohuitt.
zel ausgerottet und auf ewig der Vernichtung geweihet zu
sein. Der Bauer hatte in den ersten Jahren der Kriegsnot
wohl noch den Pflug geführt, den Auker bestellt, aU er
aber bei der Fortdauer der Kriegswirren iune wurde, dafs
er «ein Getreide nur schnitt und mühsam einscheueiie, da-
mit 68 der verwilderten Soldateska zui* Beute fiel, aU ihm
sein Vieh jahrein jahraus aus den Ställen geraubt und von
der Weide getrieben ward, da bemächtigte eich seiner wilde
Verzweiflung oder stumpfe Gleichgültigkeit. Nahm er nicht
selbfr Handgeld und ging unter die Soldaten, so verzichtete
er doch aui' die Arbeit, die ihm keinen Gewinn brachte,
liefs er die Felder unbebauet liegen, verschwand auch wohl
aus seiuBm Imlbverwuateten Dürfe und trieb sich bettelnd
oder stehlend im Lande umher. \'iele flohen auch in die
Wälder, wo sie sich zu grölseren oder kicinoren Räuber-
banden zusammen thaten, olt auch gegen ihre Peiniger einen
zwar ohnmächtigen aber unerbittlichen Bä-ieg führten. Jahre-
lang noch nach dem Friedensschlüsse wimmelte das Land
von solchen Banden, von abgelohnten Soldaten, von Zigeunern
und anderen Landstreichern. Justiz und Polizei hatten zu
thun, um sich ihrer zu entledigen oder eie unschädlich zu
machen.
Die Folgen dieser heillosen Zustände dauerten überhaupt
noch lange fort. Als die Glocken längst den heifsersehuten
Frieden eingeläutet liatten, machten sich ihre Nachwirkungen
noch fühlbar. In den ersten Friedensjahren fehlte es ebenso
sehr an Saatkorn wie an Arbeitern. Bei dem gewaltigen
Rückgänge, den die Bevölkerungszahl durch den Krieg er-
fahren hatte, waren Arbeitei-, Gesinde, Knechte und Mägde
selbst liir hohen Lohn nicht zu haben, bei dem herraehen-
den Mangel an barem Gelde mufste die Beschaffung selbst
der notwendigsten Gegenstände nur allzu oft durch die
übertriebensten Wucherzinsen erkauit werden. Die Ver-
suche einzelner Herzöge, durch Heranziehung wohlbabeudor
Einwanderer Landbau und Industrie wieder zu hoben] hat-
ten entweder gar keinen oder nur einen geringen Erfolg.
Die Verhandlungen, welche Georg Wilhelm dieserhalb mit
englischen Flüchtlingeu im Haag anknüpfte und welche
die Niederlassung von mindestens hundert adeligen Familien
im Fürstcntume Calenberg in Aussicht zu stellen schienen,
zerschlugen sich, als Karl LI. auf den Thron seiner Väter
zurückkehrte. Die älmlichen Bemühungen Anton Ulrichs,
2000 französische Refugics, die in Frankfurt eine vorläufige
ZuHucbt gefunden hatten , zur Übersiedelung nach Braun-
schweig zu bestimmen, scheiterten aa ieit \jTv^\Ä.^?a.^5:ÄsÄ\^
BÜuerliche Gesetzgebung.
191
und engherzigen Gesinnung der dortigen Geistlichkeit und
Bürgei-schalt, welche diese L-alvinistischen Ketzer nicht unter
sich dukleu wüllten. Etwas best^ereii Ert'olg hatten die Be-
strebungen Qeorg AN'ilhelnis und Ernst Augusts, ptiilzische
Einwanderer in den entvölkerten Gegenden ihrer Länder
anzusiedeln. Aber wie unzuJünglich war doch dies alles und
wie schwer wurde es dem Ifeuer, bei der völligen rit()ckung
des Handels, der verminderten Zahl der Konsumenten und
dem dadurch herbeigctührten Sinken der Getreide - und
Fruchtpreise nur einigernmlsen wieder zu einem leidlichen
Wohlstande zu gelangen.
An Bemühungen der Fürsten, ihm dies zu erleichtern,
hat ea nicht gel'ehlt, namentlich nicht in dem FUrsteutuaie
Wolienbüttel. l'nter dem Drucke der Kriegsnot verweigerte
hier der Bauer dem Gutsherrn die Meierainsen. Herzog
August erUefs daher im Jahre 16;(ß eine Verordnung, wo-
nach zwar da, wo die Güter noch uotdüritig bebauet wur-
den , diese Abgaben entrichtet werden sollten, aber auch
die Grundherreu enistlich ermahnt wurden, „auf den Zu-
stand eines jeden ürtes und Meiers christliche und billige
Rücksicht zu nehmen*'. Kräftigere und erfolgreichere Mafs-
regeln zur Hebung der Landwirtschaft ermöglichte erst der
Abschluis des Friedens. Jetzt wurden schärfei'G Mandate
erlassen gegen den Wucher, der bei Überlassung von Brot-
ußd Saatkorn an den Bauer in schamloser Weise getrieben
ward, gegen die Zerstitckcluug der Hufe, gegen die ubei*-
iriebenen Preise der deau Bauer uuentbehrÜchen Hand-
werkerarbeiteu. Feste Bestimmungen zur Kegelmig des
Gesiudelolmes wurden iu Aussicht genommen, genaue Flur-
karten nach Anleitung der Krbregister sollten entworfen
werden. Namentlich aber galt es, die imzähUgen wüst ge-
woidenen HvUe wieder unter den Pflng zu nehmen, sie wie-
der mit Meiern zu besetzen. Mit allen dioseo Diageu be-
schäftigte sich der Braunschweiger Land tagsabschied vom
22. November 1643. Auch im CaJeubergischen und Lüne-
burgischen beschlofs man, die Gutsherren zur Wiederbesetzung
der noch bewohnten Höfe mit Meiern anzuhalten. Andere
Mafsnahmeu zur Regelimg der bäuerlichen Verhältnisse
folgten : Landesordnungen , Taxordnuugeu , Kludtaufs - Be-
gräbnis - Feuer - uud Kommifsordnungen. Die braun-
schweigische Landesordnung vom 7. März 1647 bestimmte,
„ dafs alle Kaufbriefe, Ehestiftuugen, Verträge und Kontrakte
der Bauern gegen hergebrachte billige und nicht über-
mäfsige Gebühr gei-ichtÜch bestätigt wetdcu %ö^\fc\i*^- ^v&
gestattete zwar die Zerlegung eines "voWeu X.c^ft\Völ<as» "vo.
m
Erstes Buch. Vierter Äbschuitt.
zwei Halbspäunerhöl'e^ wenn dem Dienst- und Gutsherrn der
beiden letaleren dasselbe von ihnen geleistet werde, wa?
ihnen von dem ganzen Ackerlioi'e gebülirte, aber sie ver-
bot, ohne BewilBgiing des Gutsherrn irgend welche Meicr-
gUter zu versetzen, zu vertauschen, zu verkaufen, zu ver-
aftermeiern, einzuthun oder son3t zu veräufaern. Kein Mor-
gen dienstpflichtigen Landes sollte von einer Feldmark zur
anderen gelegt, kein Acker eines Dorfes als solcher geduldet
werden, der nicht in das Erbregister eingetragen wäi*e. Zu-
gleich wurde die Aussteuer der Kiuder aus den Höfen nä-
her bestimmt und verordnet, dafs jede reraon, sie sei männ-
lichen oder weiblichen Geschlechts, welche heiraten wollte,
dieses zuvor dem fürstlichen Amte oder dem Geiichtsherrn
anzuzeigen, den Bedemuud zu bezahlen und darüber einen
Amts- oder Gerichtsschein zu nehmen liabe.
Diese und ähnliche Verordnungen und Erlasse ver-
mocbteu freilich die tiefen Wunden nicht zu heilen, welche
der Krieg dem Landbaue und dem Wohlstände des Bauern
gesehlagen hatte, aber sie bahnten doch eine allmähliche
Besserung an und gaben der verarmten und niedergedrück-
ten Landbevölkerung Mut, Hoffnung und den Glauben an
bessere kommende Zeiten zurück. In den nüchsten Jahren
nach dem Kriege blieb ihre Lage noch so verzweifelt, dafs
der Ötaat sich ihrer wiederholt annehmen, den Bauern gegen
ihre Gutsherren Schutz gewähren, ihnen die Meierzineen teil-
weise erlassen raufste. fcwlche Erlasse erfolgten in dem Her-
zogtume Wolfeubüttel wälirend eines einzigen Jalirzelmtes
(von 165G bis 1666) in acht von diesen zehn Jahren. Aber
allmählich Hng doch der Bauernstand an^ sich von den aus-
gestandenen Drangsalen zu erholen, wieder vermögender und
leistungstahiger zu werden. Die Bevölkerung wuchs, der
Erwerbfleifs nahm zu, der Anbau tilgte die Spuren der Ver-
wiUtung, die Landschalt zeigte annährend wieder das Bild
der Kultur und der menschlichen Arbeit Bald schien den
Landständeu kein Grund mehr vorzuliegen, jene Erlasse zu
gewähren. Auf dem Landtage von Salzdaldum im Jahre
168*J steliten sie den Antrag, dafs der vön den Bauern er-
hobene Anspruch auf Zahlung nur des halben Meierzinses
für nichtig erklärt und sie angewiesen würden, ihren Guts-
herreu; falls nicht gänzlicher Mifswachs einträte, wieder den
vollen Zins zu entrichten. Sie drangen auch mit diesem
Antrage durch, und so wui*den die alten Verhältnisse der
Meier zu den Grundherren, wie sie vor dem Kriege be-
ataaden f im wesentlichen wiederhergestellt. Daran ver-
mochtea auch andere wohWoUouie Vctot^vmä^wx mslA
I
I
4
f
Xiedergaa^ der Stüdte. Brauu»cbweig.
19»
Mafsnalimen der Fürsten aus späterer Zeit kaum etwas zu
ändern , weder die Eintuhrung einer festen Taxe fUr
die Amtsgcbübren und Gerichtaspoi'teln, nucb auch die Ein-
richtung eines Magiizina in WoJienbüttel, aus welchem der
Bauer , um ihn vor den wucherischen Feldbestell ungs-
koutrakteu zu schützen, zu billigen legten Preisen mit lr>aut-
korn versorgt werden sollto.
Nicht weniger schwer als die Landbevölkerung hat der
unheilvolle Krieg das deutsche Bür^rtum betroffen. Er
hat nicht nur aeu Wohlstand der deutschen Städte auf
lange Zeit hinaus vernichtet, Handel und Gewerbe, die
Quellen dieses Woldstandes, verstopft, den städtischen Haus-
halt zerrüttet, sondern auch die letzten Pfeiler des li*eien
bürgerlichen Gemeinwesens zerbrochen, die frühere Autono-
mie der Stadtgemeinden beseitigt und sie wehr- und hilflos
der Gnade des aufstrebenden Fürstentums überliefert. Das
Band, welches die nicdersüchsischcn Binnenstädte einst mit
der Hause verknüpfte, wurde für immer zerrissen. Kurz
vor dem Kriege hatte Brnunschweig noch, unterstützt von
den verbaudeten Städteu, den gewaltigen AugrÜT abgewehrt,
den Friedrich Ulrich gegen seine Unabhängigkeit richtete,
zwei Jahrzehnte nach dem Friedensschlüsse gelang es
dou Herzögen ohne grofse Anstnuigungeu und faat ohne
Kampf sich zu Meistern der einat so unbotmäfsigen Stadt
zu machen. Zwar war sie innerhalb des ganzen weifischen
Ländergebietos der einzige Ort, der sich während des Krie-
ges, wenn auch nicht ohne Geldopfer, völlig frei von frem-
der Besatzung zu erhalten wufste, zwar zog sie aus den
langen Kriegswin-en insufern sogar manchen Vorteil, als
sich viele begüterte Leute der Umgegend dorthin flüchteten
imd selbst die Herzöge Friedrich Ulrich und August d. J.
zeitweilig hinter ihren Mauern Schutz suchten und fanden,
aber was wollte das bedeuten gegen die langjährige völlige
Unterbrechung ihrer Ilandelsheziehungen, gegen die Sperrung
der Absatzgebiete für die Erzeugnisse ihres Gewerbtieifses,
gegen die nameuloaen Verluste, die der sie rings imitüaende
Krieg mit sich brachte r* Die Unterwerfung unter die Her-
zöge, ihre Einverleibung in das Fürstentum Wolfenbüttel
vollendeten dann ihren Verfall. Viele der reichsten Kauf-
leute zogen damals ^ mit ihrem VennÖgen nach Lübeck,
Hamburg und anderen Städten, Handel und Wandel stock-
ten, eine grofse Anzahl Häuser stand leer, die öffeudichen
Gebäude, die zum Teil ilu-eu Zweck verloren hatten, ver-
fielen. Rudoll' August (liat das seinige, un\ iVvft&«ü. '^v^^-
//(•/nffMÄOo. l'nuanfhr.-bvtoJ'V. Geschieht«. HI. »Ä
I»
m
Erstes Buch. Vierter Abachuitt.
gang zu hemmen , aber die ungünstigen VerhältJii&äe er-
wieBen sich zunächst stärker als seine Älafsregeln der Ab-
wehr. Er erneuerte und retbvuiierte die Jahnnärkte, welche
in der Stadt schon seit I49S bestanden^ und erhob aie dui'ch
den Erlafti einer neuen Marktgericbtsordnung und durch die
Gewährung der Zollireiheit nut' dreil'sig Jahre zu McÄsen.
Er beseitigte (\ic alte den Vorkehr hemmende Bestimmung,
dafs kein Fremder mit einem Fremden handeln dUri'e, ver-
gröfserte und verschönerte den „grauen Hot", die spätere
herzogliche Residenz, und begann den Neubau der alten,
schadbalt gewordenen Festungswerke.
Neben Braimschweig war von den grörsereii Städten des
Landes Hannover am meisten vor den unmittelbaren Ver-
lusten und Gefahren, die der Krieg in seinem Gefolge hatte,
verschont geblieben. Im Jahre 1625 mul'ste die Stadt ßiuh
zwar zur Aufnahme einer danischen Besatzung verstehen,
die mutige Bürgerschaft entledigte sich ihrer aber bald nach
der Schlacht bei Lutter a. B. wieder durch eigene Kraft.
Tillys Forderung, die Kaiserlichen in die Stadt zu lassen,
wulate man durch die Zahlung von 12 0UU Thalern und
bedeutende Naturallieferungen zu beschwichtigen. Seit lüä3
war die Stadt dann von herzoglichen Truppen besetzt und
beschützt. Wir wissen, dnfs sie tierzog Georg zu seiner
Residenz erhob und die obersten Kegicrungsbehörden tiir
das Fürstentum Calenberg dahin verlegte. Damals hatte
sich ein grofser Teil des Calenberger Adels iu die Stadt ge-
flüchtet, und das Landvolk war seinem Beispiele gefolgt: in
manchem Hause hatten mehr als hundert Menschen unter-
gebracht werden müssen. Denn die Umgegend der Stadt
war furchtbar verwüstet, scharenweise liefen die Wölfe um-
her, und Banditen und Mörder machten die Strafsen unsicher.
Georg noch erweiterte die Festungswerke der Stadt, und
bald emptand diese die heilsamen Wirkungen des wieder-
hergestellten Friedens. AVährend der letzten Hälfte des
17. Jahrhundei-ts war sie die glänzende Residenz der vier
in der Kegienmg des Landes auf einander folgenden Söhne
Georgs , der Mittelpunkt eines zwar vielfach wcchselndea,
aber stets glänzenden und bewegten Hoilebens. Mochten
die französischen Sitten, die an diesem Hofe herrschten, die
Ansammlung fremder Abenteurer und^ Glücksritter, die oft
leichtfertigen itahenischen Opern und Schauspiele, die Ver-
mehrung des Hofstaates und des Militärs auch nachteilig auf
die alten ehrbaren Gewohnheiten der Stadt einwirken, so hat
dJeae doch auch grofse und manmg&AU^e Vorteile von dem
neaen, bunten und bewegten Leben geVaXjV, vaÄ %% Ss,\. xsüm
I
i
«
Hauüover. Lüueborg. Die kleiuereu Städte.
190
KU begi'eü'lich , dafs von allen Städten des Landes gerade
Hannover die steh reokli eben Leiden und Drangsale des
grofsen Krieges um ehesten verschmerzte und vergafa. Lüue-
btu^ Bah dagegen über ein Jahr lang (31. August lt>3C bi»
7. September 1637) die Schweden als unwillkouiineue Gäste in
seinen Mauern^ mufetc ihnen 60 000 Thaler Brauddchatzungs-
gelder zahlen und die Verptiegung der fremden Truppen
übernehmen. Noch während des Krieges ed'olgte dann
(21. Mai 1639) eine Umgestaltung der Stadt vertiwsung,
welche zusammen mit den auf dem Kalkberge angelegten
und von dein LandeBhemi besetzten Befestigungen die frü-
here aelbstüiidige Stellung der Stadt beseitigte. Auch hier
hörten die alten Ilaudelsbeziehuugen zu tlen Hansestädten
fast völlig auf, ohne dais die Stadt durch einen ähnlidien
Hrsatz entschädigt ward, wie er im Calen bergischen Han-
nover und im Ftiratentume Lüneburg Celle aus der Ver-
legung der Residenz und des iiirstUchen Hofes dahin er-
wnchs.
Weit schlimmer als diesen gröfseren Städten des Landes,
die in ihren zum Teil uoch immer mächdgeu and selbst
der neueren Kriegskunst gewachsenen Bewehrungen einen
ausreichenden Schutz gegen die Vergewaltigung durch die
fremden Heere fanden, erging es den kleineren Städten und
Ortschaften, deren Befestigungen sich entweder datür als zu
schwach erwiesen oder die ihrer ganz entbehrten. Abgesehen
von dem platten Lande , hatten sie am meisten zu leiden^
die schhmmsten Greuel des Krieges zu erdulden, die grüfsten
Verluste an Geld und Gut zu beklagen. Besonders schwer
wurden die Städte des Fürstentums Göttingen betroffen.
Münden, vor dem Kriege eine blühende, gewerbreiche Stadt
in dem heblichen Thale, wo sich Werra und Fulda zur
Weser vereinigen, sah diesen Wohlstand an einem Tage
dahinsinken. Am Dienstag nach dem Pfingstfeste 1626 von
den ligistischeu Truppen unter TÜly und Füratenberg mit
Stimn erobert, mufste die Stadt die ganze bestialiBche Koh-
heit der damaligen Kriegsbanden erfahren und eine mehr-
tÄgige Plünderung über sieh ergehen lassen. Was von der
Einwohnerschaft nicht geflohen war, ward unbannherzig
niedergemetzelt, Frauen und Kinder nicht verschont: 2260
meist wehrlose Menschen fanden dabei ihren Tod, mehr als
die Hälfte der Bewohner, darunter die meisten Mitglieder
des Rates und die beiden Prediger der Stadt Aui" 313 698
Thaler schätzt ein Bericht an den Herzog Friedi-ich Ulrich
den Schaden, den die Stadt durch PiünierxxQ^ , ^ä.\3Jö \»A
BrtkTidscJmtziwg binnen wenigen Tagen erWU. ^\c^^. ^^ax*^^
Vi*
m
EnCet Bwh. Viert« Abschnitt.
cioe SO gew<aame Katastrophe, aber dtzrch den infolge
wedwebuien Kriegsgi ücka stätttindenden Übergang aoa «ner
Haad in die andere ward Nordbeim ein äbnüehcs Schicksal
bereitet. iScbon im Jahre 1637 war die Zahl der Bürger
auf' bundertiindfünfzig zosammengeschmolzen, dreibundert-
undzwanzig Häuser standen leer. Sie wurden zum grofateu
Teile abgebrochen und, soweit dies anginge als Brennholz
▼erbrancht Gegen Ende des Krieges glich die Stadt einem
Scbutthaufenf in dessen Kellern die kümmerlichen Reste der
früheren Einwohnerscbait — e» waren noch siebenzcbn kon-
tributionspflichti^e Familien — hausten und ein elendes Da
sein führten. Selbst die bedeutendste und widerstand»*
l^igste Stadt des Fürstentums^ von der diet^s den Namen
führt; war nicht besser daran Viermal ward Göttingeu im
Verlauie des Kriege« belagert, zweimal hart beschossen^
einmal mit Sturm genommen und gründlich ausgeplüodert.
Es geschah dies im Jahre 163'2 durch die Schweden tintei~
dem Herzoge Wilhelm von Weimar, bei welcher Gelegen-
heit auch ein grofser Teil des städtischen Archivs vernichtet
ward. Allein an die Kaiserlichen mufate die Stadt eine
Brandschatzungssumme von 373000 Reichsthalem zahlen,
und bereits im Jahre 1639 war die Bürgerschaft infolge von
Seuchen und durch die Drangsale des Krieges auf die Hälfte
ihres früheren Bestandes zusammengeschmolzen. Die der
Stadt gehörigen Dörfer und Güter waren entweder verkauil
oder verpikndet, alle städtische Nahi-ung stockte, jedes Ge-
werbe lag darnieder. Fast die Hälfte der Häuser war zer-
trümmert, ein grofser Teil der noch vorhandenen nichts als
elende Strohhütten. Die monatlichen Steuern mufsten häu£g
bei verschlossenen Tliuren durch militärische Gewalt einge-
trieben werden. Von der reichen, auf ihre Freiheiten stolzen
Genossin des hanseatischen Bundes war nur noch ein Schat*
ten übrig geblieben.
Mochten die Stä-dte in den übrigen Landesteilen auch
nicht in demselben Mafse heimgesucht werden wie im Göt-
tingischen, ho war doch keine unter ihnen, deren Blüte uud
Wohlstand durch den Krieg nicht auf lange Jahre ver-
nichtet worden wären. HamcJn hatte eine zweimaHge längere
Belagerung auezuhaltcn und blieb von 1625 bis 1633 in
der Gewalt der Kaiserlichen, die hier eine rücksichtslose
kathoÜBühc Reaktion durchführten. Eimbeck ward lt^32
von PicL'ülümiui eingenommen und eine Zeit lang besetzt
gehalten. Im Jahre 1640 mufste es braunschweig - lüne-
hargischc Truppen unter dem Major Gottfried Friedrich von
ÖÖrtzgen aiif'nohmen, aber sclaoii m fol^eudeu Jahre legte
QBttißgen. Hameln. ElmLeck. HeTinstedt.
197
sich ein kaiserliches Heer iinter dem Erzherzoge Leopold
Wilhelm und Piccolomini vor die Stadt und erzwang nach
einer lebhaften Beschiefsung , die dreihundert Gebäude in
Aeche iegte, ihre Kapitulation. Erst nach drei Jahren rüumte
ilie kaieerhche Besatzung (I20ü Mann zu Fufs und 4üO
Reiter) intolge des Vergleiches von Gualar den schwer heiin -
gesuchten Ort , der nun in den Besitz des rechtmäfaigen
Landeäherru zurückkehrte. Die kleineren Ortochat^en des
Fiürsteutunis Grubeuhageii, namentlich die in der Nähe des
Haizes gelegenen, litten fast mehr noch als durch die Heere
der knegi'ührenden Parteien durch das herrenlose Gesindel der
Harzschützen, die, durch Mangel und Not zur Verzweillung
getrieben, zu den Waffen griffen, jeden, der sich in das Ge-
birge wagte, erschlugen und die Gegend weithin brand-
schatzten. Ein solcher Buschklepper, der weit und breit
gei'ürchtete Hans Warnecke , genannt von Eisdorf, ward
endlicli in Osterrode, das er jahrelang belehdet hatte, ding-
test gemacht, in Celle gerichtet und gevierieilt.
Von den Drangsalen, welche der Krieg über die Stiidte
des Fürstentum» Wolt'enbüttel verhängte, ist bereits früher
einiges hervorgehoben worden. Neben Wolfenhüttel selbst
ist keine davon haiter betroffen worden als Helmstedt , der
Sitz der Lande9univei*sität, welche infolge des Krieges ver-
wilderte und zeitweilig völlig vei'ödete. Im Sommer des
Jahres 1625 brach die Pest in der Stadt aus, die nur die
V'^orläuferin schlimmerer und verderblicherer Ereignisse sein
sollte. Seitdem hörten die Durchzüge und Einquartierungen
bis zum Absclilufs des Fiiodens nicht mehr auf. Zuerat
kamen Völker dos Herzogs Christian von Braunschweig,
dann Dänen, welchen im Jahre 1626 kaiserliche Truppen
unter dem Obristen Altringer folgten, die Helmstedt längere
Zeit besetzt hielten. Im folgenden JaJire hausten aujanga
die Völker des Hei-zog» von Friedland in der Stadt, dann
sab sie Tilly in ihren Mauern und blieb während der gan-
zen Zeit bis zur Zerstörung Magdeburgs in der Gewalt der
Ligiftten. Nach Gustav Adolfs Siege bei Leipzig wichen
nun zwar diese Übelen Gesellen aus der Stadt, aber an
ihrer Stelle erschienen andere. Die Schweden verfuhren in
dem Jahre 1636 noch ärger als ihre Vorgänger. Pest,
Hunger und Not trieben die Bürger fast zui- Verzweiflung,
imd der Separatirieden, den Herzog August im Jahre 1641
mit dem Kaiser schlofs, vennehrte nur die Erbitterung und
Wut der übermütigen Fremdlinge , die unter Torstenson
1643 und in den nächstfolgenden Jahren noch vR«.\veTOÄ\%
»itsdt und Umgegend schrecklich W\mw\c\\\.'w\. "S^vä ^\t
h.
m
Erstes Bucb Vierter Abschnitt.
ätadt unter diesen stets sich wieder ho Ii^ndcu Bodrängnisacu
gelitten haben mufs, das ersieht man aus einem Berichte,
den Georg Calixt im Jahre 1625, zu Anfang derselben, und
zwar nicht über das Verfahren der teindlicheu Truppen,
sondern der eigenen Landestmppen unter Herzog Ciiristiau ti
an den Statthalter vün Steinberg ertitatiet hat. ,t^i^ Dritt- ^H
teil der unglückliühen Bürger" — so heifst es darin — ^^
jjoder wenigstens ein Vierteil ist im letzten Sommer und
Herbat von der Pest weggerafft. Von da an hat der Handel,
die Getreideeintuhr in die Stadt aufgehört. Dennoch hat
man den Bürgern betbhlen, 500 Mann zu Fufs und lUO
Reiter aufzunehmen und zu ernähren. Dabei ist es nicht
geblieben, denn jetzt sind in der Stadt 1200 Heiter und
Soldaten oder mehr. Ein Ziel und Mafs ist nicht abzusehen :
ea kummcu täglich fünfzig, tsechzig und mehr, und fordern
luit Soldateurohheit tur sich Quartier und Essen, Futter fuTi
die Pferde. Es wird nicht anders verfahren wie in einei
mit den Waffen genommenen Stadt. Obersten und Offizier
erpressen wöchentlich der eine dreifeig, der andere zwanzig,
Thaler, einige mehr, andere weniger. Sie geben kostbare Gast-
mähler auf Kosten der arnoen Bürger. Was in den Häusern
ist, das erklären sie für ihr Eigentum. Ja die Häuser
selbst , welche die Bürger vor Änaut und Einquartierung
verlassen haben, wollen sie, wie sie .sagen, verkaufen, sobald
sie einen ICäufer tiuden."
Fassen wir die Folgen des dreifaigj ährigen Ki'ieges iür
die städtischen Gemeinwesen und das deutsche Bürgertum
noch einmal kurz zusammen, so bedeutete der Krieg tür
sie Kiedergang ihres Handels, durch den sie doch trüber
reich geworden waren, Verkümmenmg und Verknocherung
der Zünfte, in denen docli trüber das Handwerk seine er- ^JA
folgreiche Organisation gefunden hatte, Rückgang und Ver-^H
armung ihrer Bevölkerung, aui" deren Stärke und Leifituugs- ^^
fiihigkeit doch ihre politische Macht beruhete, ZeiTüttung
ihres Haushaltes und völlige Erschöpfung Uirer Finanzki-at^.
Aber er bedeutete für sie noch Schlimmeres: die Vernich-
tung ihi-er Selbständigkeit in Verwaltung und Hechtapdegc, ,
soweit sich diese aus den tVUheien Zeiten erhalten hatte.
Fast überall erfolgte in den grüfseren Städleu des Landes
entweder noch während dos Krieges oder bald nach »eiuein
Ende eine Umgestaltung der städtischen V'^erfasaung in der
Richtung einer Beschränkung ihi*er früheren Autonomie:
zuerst in Lüneburg, dann in Braunschweig und Göttingen,
2088 auch in Hameln. In Hannover dauerten die Streitig-
keJten über die Befugnisse des \iet2.o^\G\ieQ Xq^iä*! ms«ä
Eiumischung in die peinliche Gerichtsbarkeit die ganze
Kriegazeit hindurch fort Schliefslich siegte auch hier, wie
das niciit anders zu erwarten stand, die fürstliche Gewalt.
Mit der Selbstregierung schwand aber in den Städten der
alte unabhängige Burgersinn, die freudige Teilualinje an
den Geschäften der Verwaltung, die selbstloBe Hingabe an
das Gemeinwesen dahin. An die Stelle des stolzen öelbat-
gefiihis, das der Besitz bürgerlicher Freiheiten gewährte, trat
die ängstliche Itücksicht auf die Wünsche und Befehle der
Heri-ßchaft, der frische Unternehmungsgeist wich einer eng-
hensigen Zagliaftigkeit , die Teilnahme an den ötfentlichen
Angelegen hcitcn sah sich durch die Kingriffe iVii-ätlicher
Bftte beschränkt und gehemmt und zog sich iniblge deseen
von ihnen zurück. So verkümmerte das einst so stolze und
mächtige Bürgertum, das drei Jahrhunderte lang der Träger
der deutschen Kultur gewesen war , zu einem kleinlichen,
selbstBUchtigcu und schwilchlichen Philistertum.
Von einer Zeit so grausamer Heimsuchung auf dem Ge-
biete des politischen und wirtschaftlichen Lebens wird man
keine neuucnswerte Förderung der idealen Güter des V^olkes,
der Kunst, Wissenschaft und Litteratur, erwarten dürfen.
In der That bewahrheitet sich hier das alte Wort, „wonach
^.der Lärm der Waffen die Älusen zum Scliweigea bringt".
Das 17. Jahrhundert gehört zu den sterilsten Zeiten in der
ganzen Gei.steaeutwicfceluug unseres Volkes. Das zeigt sich
schon in der wachsenden Verwilderung unserer Sprache.
Der Krieg mit seinen aus allen Ländern Europas zusammen-
gewürfelten Siildnerbanden überschwemmte Deutachlaud mit
einer wahren Sintflut von Fremdwörtern und die dann in
Mode kommende, von den Füi-stenhöien ausgehende Be-
wunderung und Nachahmung der französischen Bildung und
Litteratur vollendete die Verwelschung der deutschen Sprache.
Von dieser Zeit her schi-eibt sich ihre Durchsetzung und
Vemiengung mit ausländischen Sprachbrocken, die wir bis
auf den heutigen Tag nicht wieder losgeworden sind.
Wohl hat es schon damals, als dieser Unfug begann, nicht
An patriotischen Männern gefehlt, die ihm mit den Waffen
des Witzes, des Spottes oder der ernsten Rede entg^en-
traten, ihre Bemühungen haben aber nur geringen oder gar
keinen Erfolg gehabt. Es bildeten sich auch schon Vereine,
sogenannte Sprachgeaellscliaften, welche die Reinerhaitung
unserer Sprache von dem Uberraafs der Fremdwüiier .sich
zur Aufgabe stellten, aber auch sie vermochten dem Übel
keiner) haltbaren Damm entgegenzu8etz.ea. Dftt Vi^sVLiacox&SÄX.^
~" eer Spracbvereinef die von dem If ürsteAi\j\)Ä.'*«"v^ "^wl fe^Ä.-
halt gekündete „fruchtbringende üesellscKaft", ziLliIte auch
viele vornehme ^ gelehrte und wackere Männer ans den
braunschweig-lüneburgischen Gebieten zu »einen ÄLtgliedern.
Selbst das Fürstenhaus war zahlreich darin vertreten, und
seine Angehörigen beteiligten sich lebhaft au den Bestre-
bungen und Arbeiten der Gesellschaft. iSo uamentliuh
August d. J. von Wollenbiittcl , der den GeseUschattsuameu
„der Befreiende" führte, und seine sämtlichen Söhne Rudolf
August (der Nachsinnende), Anton Ulrich (der Siegprangende)
und Ferdinand Albrecht (der Wunderliche im Frucht-
bringen), aber auch Friedrich Ulrich (der Dauerhafte),
Christian Ludwig (der Reinherzige) und Georg von Lüne-
burg (der Fangende). Eines der ausgezeichnetsten und ver-
dienstvollsten Älitglieder der Gesellgchai't war Justua Georg
Schottelius aus Eimbeck, geboren 1612, vom Herzoge
August d. J. zum Lehrer und Erzieher seiner KJnder, na-
mentlich Aüton Ulrichs, nach Wolfenbüttel berufen, wo er
1676 als Konsistorial- Huf- und Eammerrat gestorben ist.
Ursprünglich Jurist, wandte er sich später mit besonderem
Eifer und gutem Erfolge dem Studium der deutschen Sprache
zu. Nicht mit Unrecht hat man iliu „den Jakob Grimm
des 17. Jahrhunderts" genannt: in der fruchtbringenden
Gesellschaft hiels er „der Suchende". Er regte bereits den
Gedanken eines vollstäudigen deutschen Wörterbuches an,
das nach seinen Vorschlägen „unter etzliche Gelehrte aus-
getheilet werden sollte", fieferte den Text zu den meisten
Aufzügen und Singspielen am Wolfenbüttler Hofe und ver-
faiste eine „deutsclie Verskunst", die lange Zeit für die
Poeten und Vei-sschmiede mafsgebend blieb. Seine bedeu-
tendsten W^erke aber sind die „Teutsche Sprachkunst" und
die 1665 erschienene „Ausführliche Arbeit von der Teutschen
Haubtsprache", in welcher er von dieser rühmt: „Wir ha-
ben ja unsere so herrliche, prächtige Sprache, reich an
Milde, reich an Güte, voll Donner, voll Blitzens, voll La-
chens , voll Weinens, voll Grausens und Brausens , voll
lieblicher Härte , männlichen Geläutes , fliefsender Gütig-
keit."
Auf die Einwirkung von Schottelius ist es wohl zurück-
zuführen, dafs fast die ganze FamiÜe des Herzogs August
sich mit dichterischen und schriftstellerischen Versuchen be-
schäftigt hat. Seine dritte Gemahlin Sophie Elisabeth von
Meckäenbui-g hat die Geschichte der von mehreren Lieb-
habern verlassenen Dorinde, eine Episode des französischen
Schäferromans Astrea, „zu Nutzen allen sowohl fürstlichen
als Adhchen Damen, so der französischen Sprache nicht
Litteratur. Geistliche Diclituugeu und Romane.
201
mäcltÜg", deutsch bearbeitet. Sie »clirieb auch dioliteriscLe
Betrachtungen nieder, „wie man sich die heiligen Schriften
also zu Nutzen raaohon kann, dafs unsem Herrn Heiland
uad Heligmacher Jesum Christum man in jedem Kapitel der-
selben zu finden habe." Des Herzogs iilteste Tochter, Si-
bylla Ursula, die sich mit Christian von Holstein -Giücks-
hiii^ vermählte, klug und gelehrt wie ihr Vater, hat unter
dem Titel „Seufzer" und „Himmlisches Kleeblatt" Gebete
und erbauliche Betrachtungen vertafst, von denen das letztere
Werk 1674 im Druck erschien. Von den Utterai'ischen Be-
strebungen und Arbeiten der Söhne Augusts ist schon kurz
die Rede gewesen. Den gröfsteu Erfolg hatte von ihnen
Anton Ulrich und zwar nicht mit den religiösen Dichtungen
seiner Jugend, sondern mit den sjiiiter von ihm verfafsten
Horaanen „die durchlauchtige Syrerin Aramena" und die
„römische Oetavia". Namentlich wurde der letztere Roman,
■welcher in dem Rahmen der römischen Kaisergeschichte von
Claudius bis auf Vespasian eine Menge pikanter Hofge-
schichten und Anekdoten der damaligen Zeit beliandelt und,
fiir den Leser leicht erkennbar, in die Erzählung einHicht,
eben wegen dieses Umstandes zu einer Lieblingslektlire der
vornehmen Welt. Neben dem ftirstlichen Roman Schreiber
ist als solcher allenfalls noch zu nennen Andreas Heinrich
Buchholz , geboren 1 007 zu Schöningen und als Stadt-
Buperintcndent von Braunscliweig 1671 gestorben. Seine
beiden Romane „des christlichen teutsclien Grofsfursteii Her-
kules und der böhmischen königlichen Fräulein Valiska
Wundergeschichte" und „der christlichen königlichen Für-
sten Herkulisku? und Herkucladisla Wundergeschichte" lassen
an Breite und Weitschweifigkeit alles hinter sich, was diese
wort- und phrasen reiche Zeit hervorgebracht hat, erhielten
eich aber trotzdem lange Jahre in der Gunst des lesenden
Publikums.
Am Ausgange dieser litterarisch so armseligen, von der
AualUnderei angekränkelten Epoche steht wie die Verheifsung
einer besseren Zukunft die hehre Gestalt eines Mannes, der
eine durch und durch vaterländische Gesinnung in wunder-
barer Weise mit einer universellen Bildung vereinigte, eines
Mannes, der zu den bedeutendsten und umfassendsten Gei-
stern zählt, die Deutschland überhaupt hervorgebracht hat
Leibniz war kein Sohn des niedersächsi sehen Landes, aber
er hat die gröfscre Hälfte seines Lebens hier verbracht und
eine ungemein fruchtbare und vielseitige Thätigkeit hier ent-
faltet. Im Jahre 1070 von dem Herzoge Johann Friedrich_^
als Bibliothekar nach Hannover berufen, ist er bis zu seine
am 14. November 1716 erfolgten Tode nicht nur in reli-
giösen und wiMenschaltlichen Fragen, sondern auch in der
Politik der treue Katgeber des welfiacben Hauses gewesen.
Dreien Fürsten der jüngeren Linie hat er mit Hingebung ge-
dient und den beiden durch Geist und Bildung ausgezeich-
netsten Frauen des Hauses hat er als Freund und Lehrer
nahe gestanden, ^ine grolsartige, fast alle Gebiete um-
fossende geiatige Thätigkeit, die ihm die Bewunderung seiner
Zeitgenossen und der Nachwelt gewann, kann hier in ihrer
Gesamtheit nicht geschildert werden, wühl aber verdienen die
hervorragenden Verdienäte, die er sich um die Geschichte
des bruuuschweigiöcheu Lande» und des welÜM-^hen Hauses
erwarb, eine kunse Erwähnung. Jm Einverständnis mit dem
Herzoge Ernst August entwarf er den Plan j,2u einer kur-
zen aber gründlichen Histori dieses tUrstlichen Hauses,
welche überall mit genügsamen Dokumenten zu besterken
sei". Jahrelang ist er dann mit unermüdlichem Eifer be-
strebt gewesen, in den Bibliotheken und Archiven Deutsch-
lands und Italiens die Quellen dazu aufzuspüren und zu
sammeln, Die Frucht dieser Studien war zunächst die Her-
ausgabe der „ Scriptores rerum Bruns^icensiuni *' in drei
Bändeuj welche in den Jahren 1707 bis 1711 im Druck
erschienen. Es ist das ein Quellenwerk ersten llanges, von
dem man mit vollem Recht gesagt hat, dafs es als das be-
deutendste und gehaltreichste Unternehmen dieser Art in
jener Zeit bezeichnet werden müsse. Nicht nur lür die
mittelalterliche Geschichte Niedei^sachsens, sondern auch iür
die allgemeine Reichsgeschichte wui*de hier ein Reichtum
von Quellen erschlossen, die entweder bislier gar iuch# be-
kannt oder in sehr maiigelhiifter Weise ediert waren. Nach
Leibnizens Plänen sollte dies grorsungelegte tjammelwerk
aber nur eine Vorarbeit iur die Geschichte des welfischeu
Fürstenhauses und der von ihm beherrschten Länder sein,
die er zu schreiben beabsichtigte- Er gedachte, das Fürsten-
haus in allen seinen Abzweigungen zu verfolgen, da aber
diese Einzeldarstellungen ohne die Geschichte des doutscheu
Reiches, in der sie wurzeln, nicht zu verstehen waren, so
erweiterte eich das Werk unter seiner Hand zu einer um-
fassenden Reichsgeschichte, freilich unter vorwiegender Be-
rücksichtigung des braunschweigischen Hauses und Landes.
So entstanden die „ ßraunschweigisehen Jahrbücher des
Westreiches " ( Anuales iraperii occidentalis Bnuisviceuses),
die mit Karl dem Grofsen beginnen, aber oi^st bis zum
Jahre 1005 /br^gefiilu't waren, als der Tod dem Verfasser
rite Fedor aus der Haud ualim. ^ä%1 «.wÄ-et^BÄa X^Vvc-
Leibniz und die vaterländische Grescliichtsforscbung. 203
hunderte hat dies ausgezeichnete Werk, das, wenn es früher
bekannt geworden wäre, unseren Histonkem manche müh-
same Untersuchung erspart haben würde, in der Bibliothek
zu Hannover vergraben gelegen, bis es Pertz aus dem Dun-
kel der Vergessenheit hervorzog und im Jahre 1843 ver-
öffentlichte. Der ursprüngliche Plan Leibnizens, eine ur-
kundliche Haus- und Landesgeschichte zu schreiben, zu der
er bereits mancherlei Vorarbeiten gemacht hatte, ist dann
bis zur Zeit der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-
Lüneburg durch seine Amtsnachfolger J. G. Eckhart, Hahn,
Gruber, Scheidt und Jung durchgeiuhrt worden und liegt
in dem Prachtwerke der „ Origines Guelficae " vor, die in fünf
starken Foliobänden gleichfalls erst eine geraume Zeit nach
Leibnizena Tode (in den Jahren 1750 bis 1753, der letzte
Band 1780) erschienen sind.
Zweites Buch.
Das Jahrhundert des Absolu-
tismus und der Aufklärung.
Erster Abschnitt.
Ber forstliche Absolntismus auf .seiner HOhe.
Von den beiden Linien des raittlereu Huuscs Lünobtirg,
die, von Ernst dem Bekenner abstammend, nach dem Tode
Friedricb Ulrichs dessen Erbe , die Fürstentümer Wolf'en-
büttel und Calenberg, unter sich geteilt hatten, war es den
Nachkommen Heiuiichü von Dannenberg zwar gelungen^ das
ihnen in jeuer Teilung zugefallene Wollen biittler Land in
vergleichsweise kurzer Zeit dem trauiigen Zustünde zu ent-
reil'sen» in welclien ca der dreifsigjährigc Krieg geatürzt
hatte^ allein inbezug auf äulsero Machtstellung und politibchea
Ansehen waren sie doch von der jüngeren, durch die Söhno
Georgs von Lüneburg vertretenen Linie weitaus überHügelt
worden. Die Erwerbung des Kurhutes und die ihr daraab
sclion eröffnete Aussicht auf den Thron von Gi*of8britannien
hatten dieser jüngeren Lüneburger Linie eiuen Glanz ver-
liehen, der die Bedeutung der älteren Stammesvettern in
Wollenbütte] tief in den Jrichatten stellte. Diese Thatsache
wird es rechtfertigen, wenn unsere weitere Darstellung sich
zunächst der jüngeren von den Linien des Braunscbweiger
Hauses zuwendet.
Wir haben die Geschichte dieses neueren Hauses Lüne-
burg bis zu dem Zeitpunkte herab verfolgt, wo die Fürsten-
tümei- Hannover und Celle durch den rasch aul' einander
Iblgenden Tod der Herzöge Ernst August und Georg Wil-
helm und gemäfs dem von dem ersteren erlassenen und zu
allgemeiner Anerkennung gebrachten Erbfolgcgesetze als
Kui-iürstentum Hannover zu einem in Zukuni^ untrennbaren
Länderbesitze vereinigt wurden. Der Erbe dieses neuge-
bildeten hannoverischen Kurstaates war Georg Ludwig, der
20«
Zweites Bucb Erster Abciehnitt.
älteste Sohn Erast Augusts und der NeflFe und Eidam Georg
"Wilbelms, der uns bereits wiederholt in unserer Darstellung
begegnet ist. Geboren am 28. Mai iGüO, früh in die Staats-
gesehäfte eingeführt, als Kronpiinz schon in den Reichs-
kriegen gegen Franzosen und Osmanen zum tüchtigen Trup-
pentührur herangebildet, war Georg Ludwig, als er zur Re-
gierung gelangte, ein fertiger, abgeschlossener Charakter: ein
Mann gleich seinem Vater und Oheime von rücksichtslosem
Egoismus, aber im Gegensatz zu ihrer gesellig -lebensfrohen
Art von strenger ZvuUckhaltungj wortkarg, und, wie die
Herzogin von Orleans bezeugt, von so unnahbarer Kälte,
„dafs er alles, was in seine Nähe kam, zu Eis verwan-
delte'^ Selbständig in seinen EntsehlUsseu , zäh und hart-
näckig in ihrer Verfolgung, kannte er nur den eigenen
Willen, eine Herracheniatur, die abgesehen von ihrer Leiden-
schaft fiir die Jagd und für schöne Weiber kaum anderen
Vergnügungen zugänglich oder gar einer warmen Ilcrzens-
regung fähig schien. Möglich, daf» der unghickliche Ver-
lauf seiner Ehe , welche , lediglich aus Staatsrücksichten
feschlossen , den Zweiimd zwanzig) übrigen mit einer kaum
en Kiuderjahren entwachsenen , ungeliebten , ja ver-
hafsten und verachteten Frau verband , auf die Bildung
seines Charakters einen ungünstigen Einäufs geübt, mügüch
auch, dafs die tragische Katastrophe, mit der diese Ehe
endete, später auf sein Gemüt eiucn dunkeleu Schatten ge-
worfen hat. Üer wirkliche Thatbestand dieser Vorgänge,
die Beziehiuigen der Kurprinzesöin Sophie Dorothea zu dem
Grafen Philipp Christoph von Königsmark, sein niemals auf-
geklärtes Verschwinden im Schlosse zu Haimover, die dar-
auf folgende Verhaftung der Prinzessin und der gegen sie
eingeleitete Ehescheidungspruzefs, dies alles ist schon von
den Zeitgenossen in so romanhafter, zum Teil gehässiger
Weise ausgeschmückt worden, dafs es sich später zu einer
loiTulichen Legende von scheinbar unzei-störbarer Dauer ver-
dichtet bat. Es ist das Verdienst der neueren historischesi
Forschung, dieses Gewebe von Wahrheit und Dichtung, das
in seinem Ursprünge auf die Römische Octaviu , den be-
kannten Roman Anton lllrichs von Wolfenbüttel, mit ihren
verhüllten Andeutungen zurückgeht, verniciitet zu haben,
und wenn es ihr auch nicht gelungen ist, den Schleier, der
diese Ereignisse umhüllt, vöUig zu heben, so hat sie doch
die Haltlosigkeit jener Legendendichtung in einem grofsen
Teile der von ihr überlieferten Angaben nachgewiesen. Die
eheliche Verbindung Georg Ludwigs mit seiner Base von
Celle mochte poUtisch ein kluger, glücklicher Gedanke sein:
Sophie Dorothea^ die Prinzessin von Ahlden.
209
''▼on ethischem Gesichtspunkte aus wird man sie als schnö-
den Schacher mit dem Lebensglück eines unschuldigen Kin-
des bezeichnen und demnach verurteilen müssen. Nicht die
Herzogin Sophie, wie man früher behauptet bat, war es, die
-diese Verbindung leidenschaflUch betiieb, sondern die eigenen
Eltern, Georg Wilhehu und Eleonore d'Olbreuze, haben sich
darum zuerst bemühet und dann jahrelang sie zu verwirk-
lichen gesucht. Nur mit "Widerstreben gab das hannövrische
I^iirstenpaar seine Einwilligung zu dieser „alliance d'Ol-
treuse *', und niemand sträubte sich länger dagegen als die
Herzogin Sophie, welche ihrem Sohne von früh auf den-
selben bitterbösen Hala gegen die Geliebte ihres ehemaligen
Verlobten und jetzigen Schwagers, sowie gegen das aus
diesem Verhältnis entsprossene Kind eingellüfst hatte, der
-aie selbst beseelte. Zuletzt überwogen in Hannover die
"Vorteile, welche die Heirat verhiefs, alle äufseren Bedenken,
~wenn auch nicht die innere Abneigung. Die Aussiebt auf
■die sichere, unantastbare Nachfolge im Fürstentume Celle,
^e reiche Mitgift der Braut, eine von den Landständen be-
"willigte Heiratateuer von 150 000 Thalern, die Auszahlung
-einer Jahresrente von 50000 Thalern an Ernst August, bo-
-wie endlich die Überlassung der von Spanien und Holland
3ioch zu fordernden Subsidiengelder seitens seines Bruders,
-das war der Pi-eis, ftir den sich Georg Ludwig herbeiiiefs,
-um die Hand der secbszehnjährigen Sophie Dorothea zu wer-
Ijen. Am 2. Dezember 1682 fand in Celle die Vermählung
-des jungen Paares statt, „ohne Glanz und Gepränge, fast
in absichtlicher Verschwiegenheit vor der Welt". Es war,
-als ob der hannövrische Hof der Scham Ausdruck geben
wollte, die er bei dieser Venaiihlung empfiuden mochte.
Dafs eine unter solchen Umständen geschlossene Ehe
nicht zum Segen führen würde, war xmsebwer vorauszusehen.
Die Prinzessin Sophie Dorothea sollte bald den Druck der
Verhältnisse am Hofe zu Hannover nur allzu schmerzlich
■erfahren. Ihre Schwiegermutter, stolz auf ihre Abkunft aus
dem königlichen Hause der Stuarts, behandelte sie mit un-
verhohlener Verachtung und liefs sie den unauslöschlichen
Hafs empfinden, den sie ihrer Älutter gewidmet hatte, seit-
dem CS dieser gelungen war, den Mann dauei'nd zu fesseln,
der einst um ihre Hand geworben, sie dann aber in schnö-
dem Handel seinem Bruder überlasseu hatte. Der Kur-
prinz teilte diese Gefühle. Er begegnete ihr, in der er nicht
eine frei gewählte Leben3geföhi*tin, sondern eine ihm durch
die Verhältnisse aufgedrängte Last erblickte , mit eisiger
HsinenBDB, BmiiBiebw.'huiaftT. GtKlilobta. ITL
Sit
Kike «nd Wt bttob w den Enlritt der Kfttestiopbe
•■■e AbriHit >« etfcf ii yyjfa^ cok ScUdsag- heroed-
miiibhteu- Aodi die .riiiiwiin hat ihreo Vater «m die £r-
halmk, in das dtertidie Uaiu nirädckeiireo xn därfeo.
Ab ae öeb bier nträeikgenneaen mk, KUo&aeadi in ihrer
FcmDaBBBBg, etkihet tob dem HinrWi dar ilir überall
CB^gCMotreteodcn fetadfinon Ctniaiiuiig vsd dnicb die beb-
loae Härte ibrea GeanU» aar VcnwoiQnBg getrieben, en^
an eine ihrer Eofiianeo, EkoBors ron doB n iirarihrii \ ^ an,
ya ae zog den Grafen ron Krwij^wtarfcy qinca. bw'bffi'itiyii,
fibelberöcbtigten Raralier, der ais Obnst nn Dienste ibres
Sckwiegenrataa atand, in ihr Vertnuien. Ihr Yeriiiltiiis sa
dieieiB Masse ist bis auf des hcotigcn Tag nnan%dcllrt
geblieben: dafs es ein rnwattlicbes gewesen^ ist nicht anzu-
nehmen. £d scheint, dais ea äch am einen Fluchtversuch
nach Wolfenbüttel oder Dresden gehandelt hat, bei dem ihr
Königsmark behilflich Bcin sollte. Bevor er aber zur Aus-
föhrang kam, verschwand jener, als er eben im Begriff
stand, den hannüvriäcben Dienst mit dem knrsfichsischen zu
Tcrtaoschen, apurl'js am 1. Juli lß94 in Hannover. Nie-
mand hat je mit Bestimmtheit erfahren , was aus ihm ge-
worden, alle Bemühungen seiner Schwestern, darunter der
bekannten Marie Aurora, eein Schicksal aufzuklären, blieben
fruchtlos. Die Knesebeck ward verhaftet und, nachdem sie
in einer Reihe von Verhören die Treue zu ihrer Herrin
heldenmutig bewährt hatte, als Gefangene nach der Burg
Scharzfeld gebracht, wo ihr nach drei Jahren eine an das
Wunderbare grenzende Flucht gelang. Gegen die unglück-
liche Kurprinzessin aber ward nach vorhergegangener
Übereinkunft zwischen den Höfen von Hannover und Celle
ein EliescheidimgsprozefB eingeleitet, der sich zu einem reinen
Öcheinverfahren gestaltete. Das aus je zwei geistlichen und
i*e zwei weltlichen Räten aus Hannover und Celle gebildete
Chegericht sprach am 28. Dezember 1694 sein Urteil dahin
aus, „dafs, da die vonseiten der Frau Kronprinzessin vor-
goljrachte schrill - imd mündliche Erklärung für eine be-
ständige Denegation der ehelichen Treue imd Beiwohnung,
mithin ilir eine vorsetzliche Desertation zu halten seij das
eheliche Band als gänzHch dissolviert und aufgehoben er-
kUirt werden müsse". Die Kurprinzessin wurde nach dem
Amtflbauee in Ahlden verwiesen, ihr Name aus dem Kir-
chengebete entfernt. Ihr Vater hatte gelobt, sie nie wieder-
zusehen und hat dieses Versprechen gebalten. Man warf
ihr eine miiisigc Apanage aus, überwachte und behandelte
sie im übrigen wie eine GeÜangene. Zweiunddreifsig Jahre
4
Verelnijpin^ der fursfeattimer HAunover nitd Celle.
211
hat oie 60 noch gelebt, obue auch nur ihre Kinder sehen zu
darfeD, nicht ganz schuldlos an ihrem Geschick, aber doch
mehr noch die Sunden ihrer Eltern hülsend, d&s unglück-
liche Opfer ftirstlicher Entsittlichung und der unehristlichen
Rachsucht eines hartherzigen und hochmütigen Weibes.
Drei Jahre nach der Trennung von seiner Gemahlin
folgte Georg Ludwig seinem Vater im Fürstentume Hannover
und wiederum sechs Jahre darauf seinem Oheime und
Schwiegervater im Fürstentume Celle. Damit war das Ziel
erreicht, wonach Jimst AuguBt jahrelang mit Aiü'bietung
aller Kräfte gerungen, an dorn er trotz aller äufsereu Hin-
dernisse, trotz des AViderstandes in der eigenen Familie un-
beirrt und unentwegt festgehalten hatte : die Vereinigung doe
gesamten Erbes der jüngeren Lüneburger Linie unter einer
Herrschal't und in einer Hand. Mitten in die Zeit zwischen
jenen beiden Ereignisaen fällt die entscheidende Wendung
in der englischen Successionsfrage, indem das Parlament am
22. Juni 17ui die lierechtigimg der itrotestantischen Nach-
kommen Jakobs 1. zu dem englischen Throne unter Aus-
schlufs der katholischen Prätendenten ans dem Hause Stuart
durch eine feierHche Akte anerkannte. Damit erüffneten sich
zunächst für die verwitwete Kurftirstin Sophie und weiter-
hin für ihren Sohn Georg Ludwig neue glänzende Aus-
sichten, deren Verwirklichung das Kurhaus Hannover
an die Spitze einer dei* mächtigsten Monarchieen der Welt
zu bringen versprach. Bei der ungemeinen Bedeutung,
welche diese Angelegenheit für die weitere Gestaltung der
Geschicke des Landes Hannover und seines Herrscher-
hauses gehabt hat, erächeint es angemessen, ihren bisherigen
Verlauf hier kurz zusammenfassend nachzuholen und bis
zu dem Momente zu verfolgen, wo jene eutscheideude Wen-
dung eintrat
Die Zurückberufung der Stuarts auf den Thron von
Grofsbritannien nach der grofsen Revolution, welche in Eng-
land das Königtum zeitweilig beseitigt hatte, führte hier
einen staatlichen Zustand herbei , der infolge der Mifs-
regierung Karls II. und Jakobs U. nicht von langer Dauer
gewesen ist Diese zweite Herrschaft des schottischen Kö-
nigsgeschlechtes hat sich nicht einmal zwei Jahrzehnte hin-
durch zu behaupten vermocht Die Bewegung , die sie
stürzte, trug freilich auch einen politischen Charakter, aber
sie erhielt doch ihren müchligsten Impuls aus den religiösen
Anscbauimgen und Geiuhlen des englischen Volkes. Die
beiden letzten Stuarts waren die Vertreter des auf daa Rq-
maueDtnin gT^grändetejo Katholizismus gewesen, 'lÄüoiexi ^«i'^^"^-
812
Zweites Bacb. Elfter Abschnitt.
über erscheint Wilhelm IIJ. als der Hort des aus germa-
niachcni Grciste herausgeborenen Protestantismus. Man be-
greift danach, dafs die „Bill of Rights*', das grundlegende
Staatsgesetz, welches alsbald nach Jakobs II. Flucht die
neue Rechtsordnung im Staate zu regeln und festzustellen
unternahm, die Regierungsgewalt wie die Erbfolge von die-
sem Gesichtspunkte aus betrachtete. Man hielt sicli streng
an die Grundsätze der Legitimität und des Krbkönigturas,
aber mau schlofs die katholische Linie der Stuarts für immer
von der Erbfolge aus, indem man Marie und Anna, die
beiden Töchter Jakobs aus dessen erster Ehe, als zunächst
zum Throne berechtigt anerkannte. Wenn diese Erbfolge-
ordnung im Grunde nur soweit neu war, als sie an die
Stelle der katholischen Stuarts die protestantische Linie dieses
Hauses setzte, so folgt daraus, dafs nach dem etwaigen kin-
derlosen Abgange jener beiden Töchter Jakobs II. die üb-
rigen protestantischen Stuarts gemäfa dem Grade ihrer Ver-
wandtschaft in deren Rechte eintraten, obscbon eine solche
Bestimmung nicht ausdrücklich in der Bill zum Ausdruck
gekommen ist. Für den angedeuteten Fall kam dann ohne
Zweifel die Herzogin Sophie, die Gemahlin Ernst Augusts
von Hannover, zunächst in Betracht. Sie war, wie früher
erwähnt, die Enkelin Jakobs I. voa England , die jüngste
von den Töchtern Friedrichs V. von der Pfalz und Elisa-
beths Stuart , hatte ihre sämtlichen zahlreichen Geschwi-
ster, soweit dieso nicht katholisch gewoi'den waren, überlebt,
auch nie auf ihr etwaiges Erbfolgerecht in England ver-
zichtet hatte. Wir kennen sie bereits als eine kluge, geist-
reiche, witzige, aber auch herrschsüchtige und ehrgeizige
Frau. Sie hat wohl geäufsert, sie werde glücklich sterben,
wenn auf ihrem Sarge einst geschrieben stände: „Hier
ruhet Sophia, Königin von England." Mit Wilhelm IH
stand sie schon seit längerer Zeit, noch als dieser nur Prinz
von Oranien war, in Briefwechsel. Bei der bisherigen Un-
fruchtbarkeit seiner Ehe mit der Königin Mario und bei
der Sterblichkeit, welche die Kinder seiner mit dem Prinzen
Geoi^ von Dänemark vermahlten Schwägerin Anna iast
sämtlich bei oder gleich nach der Geburt dahinraffte,
mufsten sich Wilhehns Blicke, wollte er den Bestand seines
Werkes in England sichern, alsbald nach seiner Thron-
besteigung auf die Herzogin Sophie von Hannover richten.
Schon in den Jahren 1688 und 1689 ist zwischen ihnen
darüber verhandelt worden, ob es nicht geboten sei, Sophiens
©ventuoUo Erbrechte vor das Parlament zu bringen und wo-
mögUch von diesem eine Aaerkenuvm^ d&x^VVsesL t^x erlangen.
Die englische Succession.
213
Allein obsohon die Herzogin es nicht unterliefs, sicli brief-
lich darüber mit einer Anzahl britischer Staatsmänner in
Verbindung zii setzen, 30 waren diese doch der Ansicht,
dals im Hinblick auf die beiden noch lebenden Tüchtcr des
Königs Jakob und aui" die gerade damals (24. Juli 1G89)
erfolgte Oeburt eines Sohnes der Prinzessin Anna eine
öflfentliche DiskusBion der Angelegenheit unangemeasen, jeden-
falls aber verfrühet sein würde. So liefs man diese zunächst
auf sich beruhen. Der wUrmste Fürsprecher der hannöv-
rischcn Erbfolge war und blieb König Wilhelm III , wiih-
rend sich seine Gemahlin ihr gegenüber mindestens zurück-
haltend, ilire Schwester Anna sogar ablehnend verhielt. Bei
Gelegenheit zweier persönUcher Begegnungen Wilhelms mit
dem Kurfürsten Ernst August, H>96 in Leo und in dem
folgenden Jahre auf dem Jagdhause Göhrde bei Hitzacker,
haben zwischen dem englischen Könige und den Vertretern
des Luneburger Hauses eingehende Erörterungen über die
brennende Frage stattgefunden, doch konnten diese, wie die
Dinge damals noch lageu , zu keinem günstigen Ergebnis
führen. Dies änderte sich erst, als am 10. August 1700
das einzige am Leben gebliebene Kind der Prinzessin Anna,
der elljährige Herzog Wilhelm von Gloucester, starb und
daraus die Notwendigkeit sich ergab, die Lücke, welche die
Beatimmungen der Bill of lÜghts inbczug auf die Erbfolge-
frage offen gelassen hatten , durch einen gesetzgeberischen
Akt auszutullen. Denn indem die Bill sich damit begnügt
hatte, im aUgemeinen die Ausschliefsung der katholischen
Nachkommen schalt Jakobs IL von der Thronfolge auszu-
sprechen, hatte sie es doch vermiedenj lur den jetzt näher
gerückten Fall, dafs die beiden protestantischen Töchter des
KCnigs ohne Kinder sterben würden , bestimmte und un-
zweideutige Verfügungen zu treffen. Man erkannte in
Hannover wie in England sehr wohl, dafs jetzt der günstige
Augenblick zum Handeln gekommen sei. In England
fürchtete man erneuete Umtriebe der Jakobiten zum Zweck
der Zurückberufung des vertriebeneu Königs, von Hannover
aus setzte die Kurtiirstin Sophie trotz ihres hohen Altera
alle Hebel in Bewegung, um eine für sie und ihre Ansprüche
günstige Wendung herbeiziiführen. Am 22. Februar 1701
trat das Parlament zusammen. Mit einer nur geringen Mehr-
heit (achtzelm Stimmen) beschlofs es an den König eine
Adresse zu richten, welche die Bitte ausspräche, dem Hauso
Vorschläge über die KegeLung der Erbfolge im lsv\t\%<^tÄ■ft.
Reiche zu nDtcrbrnteu, Bereitwillig entaiptaeV \^'^'e^'k^^^^-
dieser Außorderung. Er empfahl dem ivjLtGXi öag "^"^ ^*^
2U
Zweites Buch. Krater Äbscbuitt.
Kigbts modifizierten Legitiniitätsrochte entsprechend filr den
Fall des kinderlosen Todes der Prinzessin Anna die Knr-
förstin Sophie und ihre männliche Nachkomme nschaft als
Kächstberechtigte zur Krone anzuerkennen. Demgemäfs er-
ging am 22. Juni 1701 das berülinite Throntbigegesetz (An
act of the turther limitation of thc orown and better securing
the rights and liberties of thc subjects), welches nicht nur
nochmals den Sohn Jakobs II., zu jener Zeit unter dem Na-
men des PrUteudeuten bekaimt, und die übrigen kathoUschen
Erben von der Nachfolge im Reiche ausschloi'sj sondern auch
die Krone Grofsbritaoniens nach dorn unbeerbten Abgange
der Prinzessin Anna auf die KurfUrstin- Witwe Sophie von
Hannover übertrug. Eine Reihe ein scli ranken der Bestim-
mungen wurde dem Gesetze hinzugefügt , von denen sich
einige unverkennbar auf das künftige Verhältnis des Landes
zu dem Kurstaate Hauuover bezogen. Abgesehen davon,
dafs dem künftigen Thronfolger die Bedingung der Zuge-
hörigkeit zui* anglikanischen Kirche auterlegt wai'd, verbot
ihm das Gesetz auch, ohne Einwilligung des Parlaments
die Gebiete von England, Schoitlaud und Irland zu ver-
lassen. Vor allem aber gehört hierher die Bestimmung, dafa,
falls der Thronfolger kein Eingeborener des Königreichs
England sei, die Nation nicht verpflichtet sein sollte , sich
ohne Zustimmung des Parlaments an einem Kriege zu be-
teiligen, der um Besitzungen und Gebiete gefühi*t würde,
welche der englischen Krone nicht gehörten. Diesem Gesetze
folgte im nächsten Jahre (1702) ein zweites unmittelbar
gegen den Prätendenten gerichtetes , welchem Wilhelm III.
wenige Stunden vor seinem Tode die königliche Bestätigimg
erteilte. Es war veranlafst worden durch den Tod des ver-
triebenen Königs Jakob II. und durch den Umstand, dafs
dessen Sohn sofort nicht nur unter dem Namen Jakob III.
den Titel eines Königs von Grofsbritannien annahm, sondern
auch von Ludwig XIV. vou Frankreich bereitwillig uud^dl
ohne Zögern in dieser AVurde anerkannt wurde. ^H
Eine aufscrordentliche Gesandtschaft , an ihrer Spitze
Lord Jlacclesöeld, überbrachte die vom Könige Wilhelm III. ^j
vollzogene Originalurkunde des Thronfolg^esetzes nach Han-^^
nover, zugleich mit den lusignien des Hosenbandordens für^^
den Kurlursten Georg Ludwig. Sie wurde in feierlicher
Audieuz von der Kurfürstin Sophie empfangen. Mit Be-
wunderung bemerkten die Anwesenden, wie lebenskräftig
und geistesfrisch die bejahrte Frau noch immer auftrat, wie
gewandt sie sich der engUscben ^ipva.<alftft \«;diettte , wie ver-
tj-auet a/e sich mit der Ge&cViicbto, deT\(5i:^aa?wa^, ^tiW^N
rer-^y
J
AuerkenDung der bannövrischen Thronfolge in EDglaud. 215
ratur des Landes zeigte, das ilir als ihrer künftigen Herr-
scherin seine Huldigungen darbrachte. Auch ihi* gelehrter
Freund Leibniz, dessen Rat sie bei ihren Schritten und
Verhandlungen bezüglich ihrer Ansprüche auf den eng-
lischen Thron stets in Anspruch genommen hatte, war zu-
gegen. Auf ihn machte die wunderbare Verflechtung der
Verhältnisse, die jetzt die Erben Heinrichs des Löwen zu
Beherrschern des Landes zu erheben verhiel's , in welchem
dieser einst als ein Verbannter Zuflucht und Schutz gesucht
hatte, den tiefsten Eindruck. „Möge nun auch" — so
äufserte er sich im Hinblick auf die gi"ofse, damals in un-
mittelbarer Aussicht stehende Abreclmung mit dem gallischen
Ubermute — „möge nun auch im deutschen Keiche das Er-
forderliche geschehen, um die übergreifende Macht zu zügeln,
welche der ganzen M'^elt Gesetze vorschreiben will'*.
Das hannövTische Haus hat es nicht daran fehlen lassen,
diesen Wunsch des grofsen Gelehrten und Philosophen seiner
EriüUung entgegenzuluhren. Soweit dies in seiner Macht
stand, hat es redlich dazu beigetragen, in dem gewaltigen
Kampfe, den man den spanischen Erbfolgekrieg nennt, der
SacliG des gegen Frankreich verbündeten Europa zum Siege
zu verhelfen. Diese Politik war keine Get'ühlspolitik, sondern
sie war dem Fürsteuhauso durch seine vitalsten Literessen,
ja durch die zmngende Macht der Verhältnisse vorge-
schi'ieben. Noch widerstrebte der Bund der korrespon-
dierenden Fürsten der neunten Kur, und diese Füraten-
einuug stand in geheimem Ein Verständnisse mit Frankreich.
Als ihr Bevollmächtigter hatte der französische Gesandte
in Regensbiirg beim Reichstage gegen die Verleihung dieser
Würde Verwahruug eingelegt. Koch war die Einführung
Georg Ludwigs in das Kui-kollegium nicht erfolgt, und man
war, um sie zu erlangen, auf den guten Willen des Kaisers
angewiesen. Die oben dargelegten Verhandlungen wegen
der Thronfolge in England hatten soeben ilu-en Abschlufe
gefunden. Von einer Wahl zwischen einer tranzösisclien und
englischen Allianz konnte demgemäfs keine Rede sein. Es
verstand sich vou selbst, dafs die lüneburgischen Gesandtea
in Regensburg im Sinne des Kaisers wirkten und dafs die
hannovrisclien Truppen in englischem Solde fochten.
Noch ehe die Feindseligkeiten auf den grofsen Schau-
plätzen dieses Krieges begannen, mufsteu die lüneburgischen
und hannövrischen Streitkräfte zur Niederwerfung des Wider-
[ Standes verwandt werden, den die Herzüge Rudolf August
I und Anton Ulrich im Anschlufs an Frankreich den ver-
bündeten Mächten bereiten zu wollen acVu^nieu. "Sv^ «tt^^jäft.-
ten dies durch einen unblutigen Feldzug, der zur Eutr-
waÖnung der Wolfenbüttler Truppen und zur Besetaung des
Landes führte (S. 121). Dann rückte der gröfsere Teil des
auf 16 0ÜÜ Mann festgesetzten cclle-haniiüvrischen Hilfskorps
an den Niederrhein, um hier zu dem von den Seemächten
zusammengezogenen Heere unter dem Heraoge von Marl-
borough zu atolsen. Die Feldzüge der Jahre 1702 und 1703
brachten keine grofse Entscheidung. Am Rhein zersplitterte
man seine Kräfte in einem Festungskriege ohne nennenswerte
Resultate. Aber im Jahre 1704 fafsten die beiden grofsen
Heertiihrer der Verbündeten, Eugen von Savoyen und Marl*
borough, den kühnen Entschlufs , durch eine Vei'einigung
ihrer titreitki-äfte in Süddeutachland und einen kombinierten
Angriff auf das französisch - bayerische Heer einen zer-
schmetternden Schlag zu tühreu. Am 2. Juli wurden die
bayerischen Verschanzungen auf dem Schellenborge bei
Donauwörth von Marlborough und dem Markgrafen von
Baden unter Beteiligung der braun seh weigischen Truppen
nach hartnäckigem Kampfe erstürmt, und am 13. August
erfolgte nach Bewerkatelligung der Verbindung mit Eugen die
Schlacht von HüchstUdt, in welcher die Franzosen und
Bayern unter dem Marschall Tallard und dem Kurfürsten
Max Emmanuel von Bayern vollständig aufs Haupt ge-
achlagen, zersprengt und gefangen wurden. Au diesem glor-
reichen Siege, der seit den Tagen Richelieus dem kriegerischen
Übergewichte Frankreichs den ersten erschütternden Stofs
beibraciite, haben auch die haunövrischen Truppen, nament*
lieh die Reiterei , einen hervorragenden Anteil genommen,
wie ihre vergleichsweise grofsen Verluste und die von ihnen
erbeuteten Trophäen (einunddrei ftig Fahnen und vier Stan-
darten) bezeugen. Auch im weitereu Verlaufe des Kriege»
hatten die hannövriachen Regimenter noch vielfach Gelegen-
heit, sich auszuzeichnen und kriegerische Lorbeeren zu ern-
ten. Sie fochten mit bei Rarailliea und Oudenardft und er-
warben sich namentlich in der mörderischen Schlacht von
Malplaquet (11. September 1709) unvergänglichen Kriegs-
ruhm. Einen Teil der Feldzüge in den Niederlanden machte
auch der Kurprinz Georg August mit, der zu dem Heere
geschickt worden war, um im Hauptquartier Marlborougha
und unter dessen persönlicher Leitung die Kriegskunst zu
erlernen. In der Sclilacht bei Oudenarde (11. Juli 1708)
machte er an der Spitze der Lcibschwadron von Bülows
Dragonern einen glänzenden Angriff, wobei ihm das Pferd
unter dem Leibe getötet ward und er nur durch die Auf-
opferung des Obristen von Lösecke der Oefangenschafl ent-
HinnoTers Teilnähme am spamaohen Erbfolgekriege. 817
ging. Sein Vater, der Ktirtlirst Georg Ludwig, hatte sich
nach dem Rücktritt des Markgrafen von Balreuth im Jahre
1707 bestimmen lassen, als Reicbst'eldraarschall den Ober-
belelil über das aus den Trappen der kleineren Stünde ge-
bildete Reichsheer zu übernelimen, mufste sich aber bald
tiberzeugen , dafs mit diesen bunt zusammengewürfelten,
zuchtlosen und ungeübten Mannschaften keine Eiiblge zu
erringen seien. Milsmutig und verstimmt , legte er daher
schon im Januar 1710 sein Kommando nieder und gab zu
derselben Zeit auch seinen Truppen den Befehl zui* Rück-
kehr in die Heimat.
Es war wohl nicht allein der Unmut über die mangel-
hatte Kriegstüchtigkeit der ihm unterstellten Armee, was
Georg Ludwig zu diesem Schritte bewog. Gerade zu dieser
Zeit begannen die Verlialtnisse im Nurden, an den Grenzen
des Kurstaates, sich in bedenklicher ^Veise zu verwickeln.
Karl XII. von Schweden hatte nach der Niederlage von
Puitawa in der Türkei eine Zuflucht gefunden. Seinen iiinf-
jährigen Aufenthalt ia diesem Lande, fern von den Gebieten,
wo doch die Entscheidung des ihm aufgezwungenen Krieges
lag, benutzten seine trüberen Gegner, um ihr altes, durch
seine Waffenerfolge zersprengtes Bündnis zu erueuorn. August
der Starke brach den Altranstädter Frieden, fiel in Polen
ein, eroberte Warschau und trieb Stanislaus Lesczcinski,
den Schützling der Schweden, aus dem Lande. Da mochte
sich auch Künig Friedrich IV. von Dänemark die günstige
Gelegenheit nicht entgehen lassen, die früher erlitteue Nie-
derlage wett zu macheu. Ein dänisches Heer besetzte die
Herzogtümer Bremen und Verden und rückte iu Pommern
ein, um hier den verbündeten Russen und Sachsen die Hand
zu reichen, ward aber bei Gadebusch von dem schwedischen
General Stenbock völlig aufs Haupt geschlagen. Als dieser
dann aber Altona verbrannte und in Holstein einfiel, ward
er von den Streitkräften der Verbündeten bei Tönningen
umringt und mufste sich ihnen mit seinem ganzen Heere
ergeben (1713). Diese Vorgänge haben otfenbar auf den
Entschlufs Georg Ludwigs, den Kriegsschauplatz am Rhein
zu verlassen imd in seine Länder zurückzukehren, mit ein-
gewirkt. Es konnte ihm nicht gleicligültig sein, wenn an
der Stelle des entfernter gelegenen Schwedens sich die dä-
nische Macht in den Herzogtümern Bremen und Verden
festsetzte, Ländern, auf welche niemand bessere und be-
gründetere Rechte Iiatte als das Braunscliweiger Haus, welche
diesem aber durch die Uuguust der VerbäUriisse zur Zeit
de» westfUlischen Friedens verloi'engegangen waren. WUh-
L
218
Zwdtct Bacb. Enter Abschnitt.
I
rend daher die Dänen sich wieder im Bremischen ana-
breiteten, besetzte er, um sich auf alle Fälle ein Faustpf&od
l&r die i^ätercn Friedenavetbandiun^a zu sichern, Verden
und Ottcr»berg. Zu<i^leicb schien es ihm jetzt an der Zeit, fl
AUS der neutralen Stellung, die er bislang behauptet hatte, V
herauHzutreteo. Er Bchlofs sich — es war dtes in dem-
wlben Jahro, wo »ich ihm endlich der Weg zum engÜaciien
Throne ebnete — den Gegnern Schwedens an, liels seine
Tmitpen zu dem Heere der Verbündeten in Ponunem stoCsen
und suchte durch Verträge und Darlehen auf Pfand-
Bchaft aich den künftigen Besitz der begehrten Länder
zu flichero. Diese Verhandlungen fanden zu Ende 1714
und zu Anfang 1715 auf einem Kongrease der beteiligtea
Mächte in ßraunschweig statt, wo im Mai des letztgenannten
Jahres zwischen Kurhannover und Dänemark ein Bündnis
zur Bekriegung und Vertreibung der Schweden aus ihren
aiaherigcn dcutaclieu Provinzen abgeschlossen ward. Die
lerzogtiimcr Bremen und Verden versprach der König von
Dänemark dem Kurfürsten gegen eine angemessene Geld-
entBchädigung einzuräumen. Über diese waren dann freilich
noch lange Verhandlungen nötig, doch gelang es endlich am
26. Juni 1715 in der Kopenhagener Konvention darüber
eine Einigung Iierbeizuführen. Danach sollte Dänemark von
Hannover die Summe von 695 000 Thalern ausgezahlt er-
halten und ihm dagegen die eroberten Herzogtümer in ilu-em
ganzen Umi'augo abtreten. Am 14. Oktober erfolgte zu
Stade, nachdem der Künig von Dänemark die Einwohner
des ibm geleisteten Eidea entbunden hatte, die Huldigung
der Stände, und hannövrische Regimenter nahmen das Land
füi' den Kurturaten, ihren Herrn, in Besitz. Schweden legte
freilich hiergegen feierlich Verwaiu*ung ein, bei dem un-
fünstigen Verlaufe aber, den der Krieg namentlich seit
[arla XU. Tode vor Friedcrikshall für diese Macht nahm,
• aali es aich spiiter im Stockholme^r Friedon (1719) genötigt,
auf seine Rechte an den Herzogtümern zu verzichten. Gegen
die Zahlung von 1 185 476 TJialern entsagte es allen seinen
AnB]n'ücheii an sie und trat sie an Hannover ab.
Es war eine schöne Erwerbung , welche dieses da-
mit gemacht hatte, doppelt wertvoll, weil es damit die See-
küBte gewann und die Müudung von zwei grofsen deutschen
Strömen in seine Gewalt bekam. Dies war von um so
grölserer Bedeutung, als sich inzwischen die staatsrechtliche
Verbindung Hannovers mit der ersten Seemacht der Welt
vollzogen hatte. Wh* haben den Verlauf der englischen
rArouib/g'eaagelegenheit und die datüber gepflogenen Ver-
I
PartciuDgcn im eDgtischen Parlamente.
handlungeD bis zu dem Zeitpunkte verfolgt, wo durch das
Gesetz vom 22. Juni 1701 der einstige Üborgang der eng-
Hschen Krone auf das Haus Hannover gesichert erschien.
Trotzdem liatte sich seit dieser Zeit eine Strömung in Eng-
land geltend gemacht, welche geeignet war, seine Aussichten
zu trUben und seine Hoffnungen auf einen günstigen Aus-
gang der Sache herabzustimmen. Kurz nach der Verkün-
digung jenes Gesetzes war König W^ilhelm III. gestorben.
Mit ihm verlor die hannövrische Partei ihren eifrigsten und
beredtesten Anwalt. Zwar erklärte seine Nachfolgerin, die
toryistischen Grundsätzen sich zuneigende Königin Anna, an-
gebUch infolge einer Unterredung, die sie kurz vor dem
Tode des Könige mit diesem gehabt hatte, sie werde die
äufsere wie die innere Politik Englands in dem Geiste dea
grofsen Oraniers weiteHUhren, und darin lag zugleich eine
Anerkennung und Billigung der hannövrischen Succession.
Auch legte sie die Regierung in die Hand von Männern,
welche entweder entschiedene Whigs waren oder sich doch,
wie Marlborough und Lord Siduey Godolphin, in ihren An-
eichten dieser Partei nälierten. Allein die Königin ver-
mochte sich nur schwor von dem Einflüsse loszureifsen, den
die Tories bisher auf sie ausgeübt hatten, ihre hochkirch-
liche Richtung entfernte sie gleichfalls von den Whigs und
dazu gesellte sich eine leicht erklärliche Abneigung gegen
diese Leute, welche nicht aufhörten, von der Eventualität
ihres Todes, vor dem sie eioe aufsergewöhn liehe Furcht em-
jifand, zu reden und ihre Nachfolgerin schon jetzt als solche
zu bezeichnen. So kam es, dafs die Tories in den Jahren
1703 und 1704 eine allmählich wachsende Bedeutung für
die Staatsgesc hafte erlangten und den bisher mafsgebenden
Eintlufs der Gegenpartei zu beseitigen droheten. Da nahmen
bei den Neuwahlen zum Parlameu t im Jalire 1 705 die
Whigs alle ihre Kräfte zusammen, und es gelang ihnen, sich
in ihrer bisherigen Stellung zu behaupten. Nun aber kam
die Gegenpartei auf den verwegenen Gedanken, durch einen
ecblau angelegten Streich, bei dem die hannövrische Ange-
legenheit eine Hauptrolle spielte, ihren Wideraachem das
Vertrauen der Königin zu entziehen. Am 26. November
1705 beantragte ihr Sprecher Lord Haversham eine Adresse
an die Königin, in welcher diese aufgefordert wurde, die
Kui-furatin von Hannover als künftige Thronerbin zur Ver-
legung ihres Wohnsitzes nach England zu veranlassen. So
ward die wichtigste Angelegenheit des Landes zu einer un-
würdigen Parteizettclung gemacht. Die leicht zu durch-
schauende Absicht ging dahin, durch diesen Antrag die
220
Zweites Buch. Erster Abschnitt.
Whigs in die peinliche Lage zu versetzen, entweder ihre
bisherigen politischen Grundsätze zu verleugnen oder daa
Vertrauen der Königin einziibüfseu. Sie wufsten indes mit
vielem Geschick die ihnen gelegte Falle zu vermeiden. Sie
stimmten gegen den Antrag, weil er sich als eiucj Privatsache
nicht zur öffentlichen Debatte eigne. Der Kurtiirstin Sophie
gegenüber, die sich durch diese Abstimmung tief verletzt
nihlte, trugen aie Sorge, sie in das richtige Licht zu setzen,
indem sie ihr in zahlreichen Zuschriften vorstellten, dafs der
Antrag der Toriea, der ruchbaren Feinde des Hauses Han-
nover, nur den Whigs zum Fallstrick und der Nation zum
Blendwerk ersonnen sei, dals er keineswegs die wirkliche
Herübcrkunf't der Thronerbin, sondern einerseits die Ver-
uneinigung der Regierungspartei, anderaeits die Bethörung
der öffentlichen Meinung bezweckt habe. Zugleich ergriffen
sie die Gelegenheit, um ihrerseits drei weitere Gesetze durch-
zubringen, welche den Zweck hatten, die protestantische
Thronfolge noch mehr zu sichern. Es waren das die beiden
Naturalisationsakte, durch welche der Kurfürstin und ihrer
Nachkommenschaft die Kechte von englischen Unterthanen
verliehen und sie von gewissen dabei in Betracht kommen-
den Förmlichkeiten entbunden wurden, und sodann die
wichtigere, von Lord Wharton beantragte Sicherheitsbill
(Act ibr security), ein Regentschaftsgesetz, welches die sieben
höchsten Staatsbeamten, die beim Tode der regierenden
Königin dem britischen Gemeinwesen vorständen, zu Keichs-
verwesem ernannte. Zu ihnen sollten eich noch einige eng-
lische Staatsmäimer als Vertrauenspersonen des Hauses Han*
nover gesellen, deren von dem Raupte desselben zu bezeich-
nende Namen in versiegelter Urkunde bis zum Thron-
wechsel unter amtlichem Versehlufs zu halten seien . So
schienen die Umtriebe der Tories nicht nur das beiib sichtigte
Ziel zu verfohlon, sondern sogar zugunsten der hannüvriachen
Ansprüche auszuschlagen. Allein in der Folge trübten sich
trotz dieser Bestimmungen die Aussichten auf den englischen
Thron noch mehrmals, besonders als infolge des Sturzes
Marlboroughs und der Whigs 171U das Ministerium Bo-
lingbroke und damit die Tories aus Ruder kamen, welche
mit allen Kräften den Prätendenten (Jakob III.) und dessen
Ansprüche begünstigten. Wenn nichtsdestoweniger sehliels-
Hch die hannövrische Succesaion den Sieg davontrug, so
hatte daran die klugo und verständige Haltung, welche die
in ihrer schwierigen Lage von Leibniz beratene Kurfürstin
be/}/)aptete, einen ganz hei'vorragetxdtjii Auteil. Sie hütete
ÄK?A irohl^ die Verteidigung ihrer ReeVVc awaw\Äwy^^ wossi
1
GeoffgUid
^ beideo groftca
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^*^\ noch an üiirä Tatot^g,
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^^^oigin die lebhafte Frca^ ftber ifie '
^^=^weiteihadeD Rechten aaf & Kraw« ■—■■■rfcHi Z^
^^-eich trat der durch den Throoerbai naek EIrdfinagr der
j^!^^ rkunde ergänzte RegenttdMiftHst wummmem, malhm dai G«-
^^^mea Rat lur den neacn Hern ia EU Md Ffliefat «ad
^kündete deaoen ThiwiT)i^ihim|i m ftitilM Win Um-
I]^^^ge durch die Stra&en Loadoni aod doreh gtdrwtkie Pro-
^^^^amationen. Am 15. Aogost ward dann der nene Ednig
^^;^ Georg I. nannte er sich — aach in Ediabu^ ohne alle
^^^törong und ohne >eden W'idervpnich ab solcher aonge^
I^^nfen. Während dieaer Vorgänge waren die Augen von
^aaz Kngland nach Hannover gerichtet In der Niicht vom
5. auf den 6. August trafen drei Eilboten — einer an den
englischen Gresandten Lord Clarendon und zwei an den
Kui'fürsten — in Hannover ein. Sie überbrachten die Kunde
von
Nachricht mit Ruhe und Würde. Er berief sogleich »eine
Minister und that ihnen seinen Entschlufs kund, die Re-
gierung des Kurfiiretentumes einem Regen tächalUrate zu
tibertragen imd sofort die Reise nach England anzutreten.
Sein ältester Sohn Georg August, der spätere Georg II.,
sollte ihn dahin begleiten, der übrige Teil seiner Familie
in wenigen Wochen nachfolgen , nur sein junger Enkel,
I
I
222
Zweites Bucb. Erster Abschnitt.
Prinz Friedrich Ludwig, in Hannover zurückbleiben. Am
31- August verliels er diese seine bisherige Residenz. Ea
war JUr die Bewohner der Stadt und des Landes ein trau-
riges Scheiden. Seine Erhebung vermochte die Hannoveraner
über ihren Verlust nicht zu trösten. Es^ war nicht blols
die materielle Einbufse, die sie durch die Übersiedelung des
Königs und des Hofes zu erleiden fürchteten, sondern das
Volk empfand es mit tielbr Bekünunernis, dafs nun das
Band sich lockern würde, welches das Herrscherhaus durch
ao manches Jahrhundert in Freud und Leid mit ihm ver-
bujjdcnj beide gewissenuaiäen in ihren Schicksalen auf ein-
ander angewiesen hatte. Der König forderte die Magistrate
»uf, dafs sie als Abschiedsgeschenk eine Gunst von ihm er-
bitten möchten. Er hob auf ihre Bitten die auf den Lebens-
mitteln lastende Accise auf und entliefs die zahlungs unfähigen
Schuldner ilu-er Haft.
Bei seiner Ankunft im Haag empfing Georg die Glück-
wünsche der Generalstaaten und der fremden Minister^ Mit-
teilungen nnd Ratschläge seiner Freunde in England. Er
aber war entschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen, und
brachte hier im Haag seine Pläne für die neue Verwaltung
zui- Reife. Am 18. September gegen Abend landete der
König und seine Umgebung, von der ihm entgegengesendeten
englischen Flotte geleitet, in Greenwich, wohin der hohe und
niedere Adel von Grofsbritanuien zusammengeströmt war,
um ihn bei seiner Ankunft zu bewillkommnen. Von da
ging es nach London. Am 20. Oktober fand hier in der
altehrwürdigen Abtei von Westminater die feierUche Krönung
statt.
So vollzog sich, was eine kluge, weitbhckende Staats-
kunst seit lange vorbereitet hatte: der Übergang der drei
im britischen Reiche vereinigten Kronen auf das Haus Han-
nover. Es war ein Ereignis von der grölsten weltgeschicht-
lichen Bedeutung, und trotzdem vollzog es sich in ruhiger,
vollkommen gesetzmäfaiger Weise, ohne die geringste Er-
lächütterung des Friedens in Europa hervorzurufen. Für
England bedeutete es den Sieg rehgiöser und bürgerlicher
Freiheit über die Tendenzen des staatlichen und kirchlichen
Rückschritts. „An der Thronbesteigung dieser Familie",
sagt ein neuerer, eughscher Geschichischreiber, „hing, das
ist meine feste Überzeugung, die Sicherheit unserer Gesetze,
unserer Gerechtsame, unserer Religion, alles dessen, was wir
lieben und ehren; trotz aller Rückfälle war die Sache des
Hauses Hannover unzweifelhaft die Sache der Freiheit, die
Sache der Stuarts dagegen die Sache des Despotismus."
Regimen tfiordnuug für Httniiover.
22»
Kine weniger lichtrolle Seite zeigt jenes Ereignis freilich für
das Land, wo die Wiege dieses Geschlechtes gestanden hat,
für HannoTer. Wohl iiel von dem Glänze, der den Thi'OD
der welfischen Könige von Grofsbritannieu umgab, auch ein
schwacher Schein auf ihr deutsches Geburtsland zurück,
aber man wird doch kaum behaupten können, dafs die Ver-
bindung beider Länder ^ mochte sie auch nur eine ganz
äufserliche sein und ihren Ausdruck wesentlich nur in einer
Personalunion Anden, welche das Sonderleben beider Staaten,
ihre Rechtspflege, ihre Vej waltung, ihre mnterielle und gei-
stige Kultui- anberührt liefs, für das deutsche Kurfürstentum
von besonders segensreichen Folgen gewesen ist. So sehr
die beiden ersten Groorge sich auch noch als deutsche Für-
sten fühlten, mit wie grofser, fast krankhafter Vorliebe sie
noch an dem Lande ihrer Ahnen hingen und wie sehr sie
sich vielleicht selbst als unumschränkte Gebieter und absolute
Landesherren in Hannover wohler und beliaglicher fUlJen
mochten als in der eingeengten politischen Stellung, die
ihnen in England Verfassung, Parlament und Lebensgewohn-
Leiten des Volkes zuwiesen : es war doch nicht anders zu
erwarten, als dafs sie sich nacli und nach dem Kurstaate,
den zu besuchen ihnen nur ab und zu vergönnt war, ent-
fremdeten, dafs die Zusammengehörigkeit von Fürstenhaus
und Volk sich lockerte und dal's namentlich die spUteren
Generationen in ibi-en Sitten und Lebensanschauungen völlig
zu Engländern wurden. Es ist bezeichnend, dafs das eng-
lische Volk die Könige Georg 1. und II. noch als „reine
Deutsche" betrachtete und erst in Georg III. wieder den
„echt engÜschen Monarclien" begrüfstCj den einzigen seiner
Herrscher, der abgesehen von der Königin Anna in dem
Jahrhundert von ItidO bis ITöÜ „von der Fremdherrschaft
ijne Ausnahme gemacht habe".
Bevor Georg I. aus seinen Erbländern schied, traf er
Zweck ihrer künftigen Regierung und Verwaltung die
ihm notwendig erscheinenden Mafsregeln. Am 29. August,
zwei Tage vor seiner Abreise von Hannover, erliefa er ein
„Regierungs-Reglement fiir seine Braunschweig-Lüneburgischen
und dazu gehörigen Lande ", in welchem er die Grundsätze fest-
stellte, wonach hinfort die Regierung des Kurstaatea geführt
werden sollte. Dieses Reglement hielt sich in der Hauptsache
in dem Rahmen der Regierungsordnungen, welche schon sein
Vater und vor diesem sein Oheim Johann Friedrich für das
Fürstentum Calenberg beliebt hatten. Es ist im Grunde nichts
anderes als eine Ei-weiterung und Ausdehnung derselben auf
die später mit jenem Fürstentume vereinigten Landschaften, ja
^^jne
^^Tiun
1 diesp
224
Zweites Buch. Erster Abachiiitt.
es gebt in seiuem ersten Faragrapbea direkt auf die am
18. Februar IHSO von Ernst August erlassene ..Reg^meata-
Formel'^ aU auf seiu ^, Fundament" zui'ück. Wie dioso und
wie auch schon die Verordnung Johann Friedrichs, hält es
die strenge Scheidung der Kriegssachen von den übrigen
Geschäften aufrecht. Während jene einem besonderen
„ Kricges-Canzley - Collegiura " tibertragen wurden und sich
der König-Kurfürst für die „pure MiUtaria*' nach den Vor-
schlägen des Generals von Bülow die Entscheidung selbst
vorbehielt, sollten die „Publica", d. h, ini allgemeinen die
äufseren AngelegenJieiten, von dem „ Geheimen -Raths- Colle-
gium", die Kirclien- und Schulsachen von dem Conaistorium,
die Polizei und Rechtspflege von der „ Justiz-Canzlcy " be-
sorg werden. Der Kammer endlich lag die Verwaltung der
Domänen, der öffentlichen Kassen, sowie der übrigen Finanz-
institute ob. Man sieht, es war das schon eine Verteilung
der Staatsgeschäfte , wie sie im wesentlichen derjenigen
der modernen Staaten in die Zweige für den Krieg, das
Aufsere, das Innere, die Justiz, die Finanzen und den Kultus
entspricht. Die Gesandten bei dem Reichstage, dem Kaiser,
den deutschen und auTserdeutsehen Staaten waren angewiesen,
nicht nur an den Geheimenrat in Hannover, sondern auch
an den König in England zu berichten. Jener hatte auch,
80 weit dies noch für erforderlich gehalten wurde, mit den
Ständen zu verhandeln, sie zusammenzuberufen und ihnen
die von dem Könige und der Regierung vereinbarten Steuer-
vorlagen zu unterbreiten.
Georgs I. Regierung in England und die Politik, die er
als König dieses Landes in den grofsen Fragen der Zeit be-
folgte, haben für eine Landesgeschichte von Hannover nur
ein untergeordnetes Interesse. Im allgemeinen kann man
Bagen, dafs, so lange er lebte, sein deutscher Kiu'staat noch
nicht in dem Mafse der Politik des gröfseren Reiches dienst-
bar gemacht wurde, wie das später unter seinen Nachfolgern
geschah, einer Pohtik, die das Land vielfach schweren Ver-
wicklungen ausgesetzt, ihm gi'ofse Opfer auferlegt hat.
Daher steht seine Regierung, besonders ilire letzte Hälfte,
als eine ruhige, gedeihliche, den Wohlstand des Landes för-
dernde Zeit noch jetzt bei den Hannoveranern in gutem
Andenken. Aufser dem schon erwähnten Erwerb der Her-
zogtümer Bremen und Verden gelang es ihm auch einige
kleinere Gebietserwerbungen zu machen, von denen freiUch
die bedeutendste nicht von Dauer sein sollte. Im Jahre
1711 (20. Juni) verpfändete ihm der König Friedrich IV.
Ton Dänemark die Grafschaft Delmenhorst, sowie die zur
(JeoT^ I. ReichspoUtik.
225
Grafschaft Oldenbarg gehörigen Vogteien Hatten^ Warden-
burg, Z^rischenahn und Wüstenland auf zwanzig Jahre mit
voller Territorialhoheit über diese Gebiete. Sie wurden indes
dem darüber geschlossenen Vertrage gomäfa nach Ablauf
der Pfandzeit (1731> und nach Rückzahlung des Pfand-
achillings (712 64C Thaler) an Dänemark zurückgegeben.
Das Amt Wildeshauseu dagegen, welches schon seit dorn
Jahre 1700 in hannovrischem Pfandbesitze war, gehörte mit
zu den Gebietsabti*etiingen , welche Hannover infolge des
Stockholmer Friedens (Ö. 2}B) zuwuchsen.
In seinem Verhältnis zu Kaiser und ReicJi war Georg
als mächtigster Fürst in ganz Niedersachfien beRtrebt, einer-
seits die guten Beziehungen seines Ilauäcs zum Wiener Hofe
aufrechtzuerhalten, anderseits den Ubergriflen des Jesuitis-
mu3 und der katholischen Reaktion kräftig zu steuern, die
sich damals wieder zu regen begann. Es war eine ebenso
versöhnliche wie energische ReichspoUtik, der er — auch
später noch als König von England — huldigte. Für die
durch den westftilischen Frieden verbürgten Rechte der
Protestanten in der Pfalz sowie in den ßiatümern Mainz
und Speier trat er in Regensburg beim Reichstage ent-
Bcbieden in die Schranken. Er nötigte in Verbindung mit
Kurbrandenburg durch Androhung von Repressalien in
seinen Landen die betreffenden Fürsten, ihre Angriffe auf
die Religionsfreiheit ihrer protestantischen Unterthauen ein-
zustellen. Noch energischer achritt er gegen den Bischof
Maximilian Heinrich von Hildesheim und das dortige Dom-
kapitel ein, als diese den mit dem braun sc hweigi sehen Hause
abgeschlossenen Verträgen zuwider die protestantischen Ein-
wohner des grofsen Stiftes zu bedrängen und in ihren wohl-
erworbenen Rechten zu schädigen versuchten. Da alle fried-
lichen Vorstellungen bei dem fanatischen Kirchen fürsten
nichts fruchteten, so besetzten im Febmar 1710 kui-braun-
acbweigische und wolfenbuttelsche Truppen — denn selbst
der soeben zur römischen Kirche übergetretene Anton Ulrich
von Wolfenbüttel schlols sieh an — die Städte Peine und
Hildesheim , so dafs der Bischof sich bequemen mufste,
seinen evangelischen Unterthanen die freie Religionsübung
nochmals ausdrücklich zu bestätigen. Anderseits übernahm
Georg im Jahre 1719 die Vollstreckung der Reichsexekution
g^en den Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin,
der mit seinen Ständen, vornehmHch der Stadt Rostock, in
heftigen Hader geraten war und trotz der ^.^n ihn er-
lassenen Mandate des Reichshotrates in seinem gewaltthätigen.
II« i Dfinan Q, Bnisoseliif,-lt»aadr. GegcUloht«. HI. '•'
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favrte E« lüa darftbcr Mgar ra wif Hahi Bcic^
ksic^, iadeni der rtfimge fienag die AmmtmahäX tob
fOBHMlicB Truppen in miuim Lftude bcifUle, im mh ihnok
Bnttm&t den HjumoTeraneni, die vater Baiov m «an I^ad
ciagerftekt waren, bewaffiieten Widcntand xa kätan. Bei
WalnaflUca lud ob 5. MlnE 171» em Utog« Gefecht
•tatty m wcUom ■rfiKftfiJifJi die Basen sv&ckeedringt rad
»£>%• ^BMCB die SOdte Sdbweiin, Boeloek tXDd andere Ort-
■cbmea dee Ldindei besetzt worden. £nt die Dn^uigeL
Rigfande bewirkten, dafe die HoaKO das Land r&aaiteiL
Vtr Hflno^ wurde im Jahre 1728 der Regiemag futhohm
ntd aetaain Bruder Christian Ludwig die AdninmimtioB de»
Imniin übertragen. Bis zum Jahre 1734 dauerte die Be-
■Otmag des letzteren durch die haunömscben Truppen. Ak
Pfand fUr die Entrichtung der durch die Exekution «r-
waehtenen Koeten wurden der Regienii^ ron Hannover
neben mecklenburgische Amter eingecinoit und die halbe
Einnahme au« dem Zoll bei Boitzenburg gberlassen. ,
Seit seiner Übcrsieddimg nach England mniste Georg 1.
die Regierung seiner Erbländer wesentlich dem von ihm
eingesetzten Regen tschafUrate anvertrauen. Es ist anzu-
nehmen, dafs ihm diea nicht leicht wurde. Denn er hat sich
in den neuen, fremden Verhältnissen, in die er sich in Eng-
land gestellt sab, nie wohl gefiihlt. Seine Verschlossenheit,
teine steife Haltung, sein ungewandtes Benehmen machten
ihn seinen neuen Unterthanen unsympathisch, und er seiner-
seits vergalt ihnen dies durch verdoppelte Zurückhaltung.
Die Abneiming, die er der Entfaltung von Pracht und Glanz
am englisclien Hofe entgegensetzte, die Kälte, mit der er
die Zurufe der Meng« erwiderte, trugen ihm eine nicht ganz
verdiente Uupopularität ein, aber selbst Männer von Er-
ziehung empfianden es als einen wesentlichen Mangel, dafs-
er fUr Litteratur, Wissenschaft und Kunst, mit Ausnahme
der Musik, weder Verständnis noch Liebe hatte. Man war
nicht blind gegen seine guten Eigenschaften, gegen seine
Arbeitskraft, gegen seine Ordnungsliebe, seine unerschütter-
liche Kühe, man freuete sich selbst seiner Friedensliebe und
war stolz auf seine militärischen Kenntnisse und Talente,.
aber man konnte es ihm nicht vergessen, dafs er inmitten
seiner Unterthanen, deren Sprache er sogar nur unvollkom-
men verstand, ein Deutscher und vor allem ein Hannoveraner
geblieben war. „Seine Ansichten und Neigungen", sagt Lord
Chtistertield, „beschränkten sich einzig auf den engen Kr^
seines //eimatlandes, England war für ihn zu grofa."
Tod Georgs I. Georgs II. Throubesteigimg.
227
der That waren für ihn keine Tage so genufsreich wie die-
jenigen, die er in Deutschland verleben konnte. Eine Reise
nach Hannover war ihm die willkommenste Erholung. Dies
war der Qrund, weshalb er die lästige Bestimmung des
Thronfolgegesetzes von 1701 beseitigte, wonach er ohne Er-
laubnis des Parlaments den englischen Boden nicht ver-
lassen durfte. Nicht weniger als viermal bat er während
seiner dreizehnjährigen liegierung in England von dem so
erlangten Rechte, sein Heimatland nach Beheben besuchen
xn dürfen, Gebrauch gemacht. Als er es im Sommer des
Jahres 1727 zum vierten Male that, überraschte ihn am
22. Juni in der Nähe von Osnabrück der Tod im Reise-
wageu. So war es ihm vergönnt, auf deutscher Erde zu
sterben. Auch das Grab hat er hier geftmden. Einem von
England eingelaufenen Befehle gcmäfs ward er in der Gruft
unter der Schlofskirche in Hannover bestattet Wie er seine
Doppelfltellung in England und Deutschland aui^afste, hat er
in der Aufserung bekundet, die m^n wiederholt aus seinem
Munde vernahm: „er sei ein Mann, den man vom unab-
hängigen Fürsten zum Bettler herabgewürdigt habe."
Zwei Kinder hatte die Prinzessin von Ahlden, wie man
die unglückliche Sophie Dorothea nach dem Orte nannte,
der ihr seit ihrer Ehescheidung fast mehr zu einem Kerker
als zu einem fürstlichen Wohnsitz angewiesen war, ihrem
Gemahle geboren, einen Sohn und eine Tochter. Die letzter^
die in der Taufe dieselben Namen wie ihre Mutter empfangen
hatte, ward 1706 in einem Alter von neunzehn Jahren mit
dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preoüsen vermählt.
Der Sohn, Georg August, seit 1706 Herzog von Cumberland
und seit 1714 Prinz von Wales, folgte jetzt nach dem Tode
seines Vaters diesem auf dem Throne von Gtrofsbritannien
und als Kurfürst von Hannover. Geboren am 30. Oktober
1663, hatte er seine Erziehung unter den Augen seiner
Grolsmutter, der Herzogin Sophie, in Herrnhausen erhalten,
wo zugleich deren anderer Enkel, der Sohn ihrer geiat- und
gemütreichen Tochter Sophie Charlotte, Friedrich Wilhelm
von Brandenburg, aufwuchs. Obgleich die beiden künftigen
Schwäger unter solcher Pflege merkwürdigerweise eine den
höheren geistigen Genüssen durchaus abgeneigte Richtung
erhielten, von der man hätte annehmen sollen, dafs sie die
jugendlichen Gemüter zu enger Freundschaft verbunden
hätte, 60 war doch das Gegenteil der Fall. Schon damals
trat zwischen ihnen eine gegenseitige persönliche Abneigung
zu Tage, die sich im Laufe der Jahre zu ein^t ^\i&^k!|g«^
Fmndßchaft steigerte. Aber fast noc\i ievadas^Ä^fex ^Ä\»iÄ**Ä
Zweites Bacb. Enlcr Abschnitt
Bicb daa Verhältnie des engliscben Thronfolgers zu seinem
Vater. Der Hofklatsch hat den Grund dayon in einer
Leidenschaft Georgs L für die eigene Schwiegertochter, die
anmutige Wilhelmine Karoline von Anspach, gesucht, die sein
Sohn im Jahre 1705 heimgeführt hatte, nachdem ein Ver-
such, ihre Hand für den damaligen König Karl von Spanien
zu gewinnen, an ihrer Weigerung, ihren Glauben zu wech-
seln, gescheitert war. Andere haben vermutet , dafs Georg
August, fest von der Unschuld seiner Mutter überzeugt, dem
Vater nie die Hartherzigkeit verziehen habe, mit der diese
bis zu ihrem Tode bebandelt wurde. Er soll ihm geradezu
seine Absicht angekündigt Iiaben, die Dulderin von Ahldea
unmittelbar nach seiner Thronbesteigung als Königin -Mutter
nach England zu führen. Ist dies begründet, so hat doch
der Tod die grofsmütige Absicht des Sohnes vereitelt.
Sophie Dorothea starb ein halbes Jahr vor jenem Ereignisse,
am 23. November 1726, auf ihrem einsamen Sitze in Ahl-
don, von der Welt so gut wie vergessen, fast nur von den
Armen und Notleidenden der Umgegend betrauert, aliä deren
erbarmende Helferin sie sich in den langen Jahren ihrer
Verbannung bewährt hatte.
Am 25. Juni, zur Mittagszeit, kam die Nachricht von
Georgs I. Ableben in London an. Sogleich verkündeten
Proklamationen und Anschläge die Thronbesteigung Georgs H.,
wie sich der bisherige Prinz von Wales als König nannte.
Am 22. Oktober erfolgte die Krönung und Salbung in West-
minster-Abbey. Wie in England, so vollzog sich auch in
Hannover der Ilerrachaftswechsol in gröfster Ruhe und ohne
den mindesten Zwischenfall. In dem letzteren Orte rafite
sich der Gehoimerat zu einem demütigen Gesuche an den
neuen Regenten auf, in welchem um die ErmäCsigung des
bisherigen, schwer auf dem Lande lastenden ,, Kriegsetat"
gebeten ward, ein Geauch, das, obschon es in so glückver-
heifsendcr Stunde gestellt ward, doch abschlägUch beschieden
wurde.
Die Neigung, Gnadenbeweise mit freigebiger Hand aus-
zustreuen, law überhaupt nicht in Georgs IL Natur, vielmehr
war der hälslichBte Zug in seinem Charakter der Geiz, „diese
untUrstlichste aller menschlichen Leidenschaften". AJs Prinz
schon hatte man ihn oft mit Behagen sein Geld zählen
sehen. „Er würde", schreibt Horaco Walpole in seinen
Denkwürdigkeiten, „eine Guinee sicherlich einem Gedichte
von der Vollkommeuheit des Alexanderfestes vorziehen,"
' Seine Kindheit xxud früheste Jugend hatte er in Deutschland
reriebt Hier hatte er die Vorliebe tür ^lew^aelBeftViRäö«». ^asüi
Georgs II. Persöulichkeit.
229
Wesen eingesogen, die ihn gleich seinem Vater erfüllte und
die ihn während seiner Regierungszeit zu zwölf verschiedenen
Keiseu in seine haunovrischeu Provinzen bestinunte. Die
Engländer haben über die deutsche Uesinnung dieser ersten
Könige aus dem hannüvrischen Hause bald ihre Entrüstung,
bald ihren beifsenden Öpott ausgeschüttet Wir Deutschen
haben nicht Ursache, sie ihnen als Kapitalverbrechen vor-
zuwerfen. Als Staatsmann und Regent war Georg II. weit
davon entfernt, seinem Vater gleichzukommen. Eine rein
praktische Natur, ausgestattet zwar mit einem offenen Blick
iUr die Vorkommnisse des gewöhnlichen Lebens, aber nüch-
tern und trocken, pedantisch und steüleinen, konnte er we-
nigstens persönlichen Mut und einen ausgeprägten Gei-ech-
tigkeitssinn zu den königlichen Tugenden zählen , die ihm
eigneten. Jenen hat er schon als junger Mann bei Oudenardc
bethäügt und sollte ihn später als König an der Spitze der
pragmatischen Armee noch einmal bewähren trotz des Ge-
spöttes seiues Neifeu, Friedrichs IL von Preulsen, und seiner
Gegner, der Jakobiten, die ihn höhnisch wohl „den Haupt-
mann" nannten. Für seine Gewissenhaftigkeit haben wir
das Zeugnis eines seiner bittersten Feinde, des Mai'schalls
von Belleislo, der von ihm sagt, „er mache mit der Recht-
schaSenheit ätaat und erfülle die eingegangenen Verpflich-
tungen und geschlossenen Verträge mit religiöser Treue".
Aber er hat diesen strengen Sinn für das Recht auch da-
durch bewiesen, dafs er in einer dreiondzwanzigjährigen Re-
gierung nie die Verfassung des Volkes zu schmälern, nie
seine Rechte anzutasten , nie die Macht der Krone auf
Kosten der Volksfreiheit in uugesetzUchcr Weise zu erweitern
versucht hat
Zwei Jahre schon nach Georgs IL Thronbesteigung ver-
wickelten sich die Beziehungen Hannovers und Branden-
burg-Preufseus in so bedenkUcher Weise, dafa sie einen un-
heilvollen Konflikt zwischen den beiden Staaten, vielleicht
selbst einen allgemeinen Krieg heraufzubeschwöreu droheten.
Längst hatten sich mancherlei Reibungen zwischen ihnen er-
geben, namenthch bei Gelegenheit der mecklenburgischen
Exekution (S. 225fliJ und inbezug auf die Angelegenheiten
Ostfrieslands. Beide Länder lagen gewissermafsen in der
Machtsphäre sowohl von Brandenburg wie von Hannover,
und es war natürlich, dafs dies sich nicht eben in versöhn-
lichem Sinne, sondern im Widerstreit der beiderseitigen
Interessen geltend machte. Was den Handel in Mecklen-
burg betrifft, so hatte die Übertragung Aet VÄv:^«Ä7i.^>ö&\w!i.
^aJ Hannover in Berh'n böses Bl\xt gema^c^iV. X^asNrx ^csb.
230
Zweites Bnch. £rst«r Abschnitt.
Vorwande, dafa dies der Erbverbrüderung widerstreite, in
der Brandenburg mit dem mecklenburgischen Fürstenbause
stand, hatte man am Kaiserhofe dagegen Verwahrung ein-
gelegt, den widerspänstigen Herzog eimuiigt und unterstützt,
sogar an offenen Widerstand in Verbindung mit den Russen
gedacht. Durch das kaiserliche Mandat vom 11. Mai 1723
war dann freilich eine neue Orduung der Dinge im Lande
geschaffen , die rechtlich der Exekution ein Ende machte.
Es blieben aber die Kosten zu berichtigen, die sie verur-
sacht hatte. Die hannövrischen Truppen erhielten die Weisung,
das Land so lange besetzt zu halten, bis dies geschehen sei.
Dagegen erhob Friedrich Willielm I. von neuem lebhaften
Protest. Zu gleicher Zeit trafen die beiderseitigen Interessen
auch in Osttriesland feindlich aui' einander. Die Angelegen-
heiten dieses Landes, auf die wir noch zurückkommen ^ be-
fanden sich damals in der heillosesten Verwirrung. Es tobte
hier seit langer Zeit ein erbitterter Kampf zwischen den
Ständen xmd den letzten Fürsten des Landes aus dem Hanse
Cirksena, der nach vorübergehender Ausgleichung unter dem
Fürsten Georg Albrecht (1708 — 1734), dem vorletzten seines
Geschlechts, sich heftiger als je zuvor von neuem entzündet
hatte. Eine grenzenlose Anarchie erlullte das Land. Sie
ward noch gesteigert durch die Einmischung Iremder Mächte
und Einflüsse, die sich von allen Seiten geltend machte.
Neben der Regierung des ohnmächtigen Fürsten gab es bald
ein halbes Dutzend anderer Gewalton, die sich die Herr-
schaft über das ganze Land oder einzelne Teile desselben
streitig machten : eine durch Hannover und Sachsen ver-
tretene kaiserliche Kommission, in Emden holländische, in
Greetsiel brandenburgische, in Aurich dänische Truppen,
die Stände unter sicli zwieträchtig, Steuererhebungen von
jeder Partei, soweit ihre Macht reichte, wiederholte Zu-
aamraenstöfse der Exekutionstruppen, kleine Revolten in den
Städten imd auf dem Lande, dazwischen wieder die Dro-
hungen der benachbarten Mächte, namentlich der General-
ataaten, das waren die Zustände, die zu dieser Zeit das ost-
^esische Land zerrütteten. Dazu kamen die Ansprüche,
die sowohl Hannover wie Brandenburg für den Fall, der in
nächster Zeit bevorzustehen schien, dafs nämlich das Für-
stenhaus aussterben sollte, auf das Land erheben su dürfen
glaubten und die in der Zukunft mit einem schweren Kon-
flikte zu drohen schienen.
In den so aufgehäuften Brennstoff fielen nun gleich
zündenden Funken Ereignis&e, die Infolge ihrer peinlich auf-
regenden N&tux einen gewaltsamen KM%\>t\xc\i VwNsiäaAiSKiSawsa.
FeiocUeliges Yerliältnta xn PreuTseo.
231
und bei der gegenseitigen Abneigung der beiden königUchea
Schwäger diesem ein ganz persönliches Gepräge zu geben
geeignet waren. Man kennt den Eifer, mit dem Friedrich
Wilhelm »ein Heer zu vermehren und kriegerisch zu schulen
beiÜBsen war, seine Vorliebe tur das stattliche AuTaere seiner
Truppen, seine LeidenBchallt für Grenadiere von schlankem
Wuchs und ungewöhnlicher Gröfee. Diese Leidenschaft
kostete ihn, den sparsamen Ilaushalter, nicht allein grofse
Geldsummen, er brachte ihr auch die Grofsmut und den
Gerechtigkeitssinn, die ihn vor anderen Herrschern seiner
Zeit auszeichneten, zum Opfer. Bei den Anwerbungen für
seine lüeseugarde kamen die gröfsten Ungerechtigkeiten, die
schreiendsten Gewaltthaten vor. In allen Ländern Europas
liefs er grofsen Leuten heimlich und öffentlich nachstellen.
Ruhige Bürger, verheiratete, oft wohlhabende Männer wurden
ihren Familien entrissen, nach Potsdam geschleppt und hier
seinen Garderegimentern einverleibt, um diese sonderbare
Laune des Königs zu befriedigen, der allen Ernstes be>
hauptete, Gott habe diese grofsen Menschen nur geschaffen,
um »ein Leibregiment zu verschönem, und sie gehörten ihm
von Hechts wegeu, weil andei'e Fürsten sie nicht zu schätzen
wüfsten. Diese unerhörte Menschenjagd traf natürlich die
Nachbarstaaten Preul'seus am schwereten, keinen vielleicht
in gleichem Mafse wie Hannover, wo an starken, kräftigen
Männern kein Mangel war. Wiederholte Vorstellungen und
Beschwerden beim Berliner Hofe halfen nichts, kleinere
Grenzstreitigkeiten kamen hinzu, die feindsehge Stimmung
zwischen den beiden Schwägern wuchs von Tage zu Tage
und fand ihren Aufdruck selbst in persönUchen Beleidigungen.
Friedrich Wilhelm hielt sich auch inbezug auf die Erb-
schaft seiner Schwiegermutter, der Prinzessin von Ahiden,
fUr übervorteilt. In den stärksten Ausdrücken gab er seinen
Unmut darüber kund. Einen Komödianten und Tanz-
meister nannte er seinen Schwager, ja er soll inbezug auf
Jene Erbschaft aa ihn geschrieben haben, er habe die Ga-
leeren verdient.
Diese persönlichen Gereiztheiten erhielten durch die po-
litische Lage Europas einen ernsten Hintergrund. Damals
drohete wegen der von Spanien geforderten Rückgabe Gi-
braltars ein Krieg zwischen dieser Macht und England aus-
zubrechen. Der Kaiser sollte in heimlichem Bunde mit
Spanien sein. Da verbreitete sich im März 1729 die Nach-
richt von einem geheimen Bündnis, zu dem er den König
von Proufsen zu bewegen gewufst habe. Die Fol^ davoa
eine gewaltige Aufregung iu LiOndLOU. Tia» «so^^äRlv»
L
232
Zweites Bach. Erster Abschnitt.
ParlameDt beachlois, aof alle Fälle za rüsteiL Keichliche
Subäidieugelder wurdcD Tür die be&euzideten Staaten , für
Schweden, Dänemark, Hessen und Braunschweig, verwilÜgt,
vierzig Kriegsscliiffe schieonigst tertiggesteUt , Holland ge-
mahnt, Bein Kontingent an ächi0en bereit zu halten, mit
Frankreich Unterhandlungen wegen eines Bündnisses ange-
knüpft. Georg 1\. eilte in Begleitung seines Alinisters
Townsend nach Haonover, um hier die Rüstungen persönlich
zu betreiben. Die eine Hälite der Armee wurde bei Han-
nover , die andere Ilältle bei Lüneburg zu^ammeDgezogen :
12 OUO Hessen bezogen ein Lager in der Nähe von Münden.
In Berlin war man erstaunt über diese plötzliche Küätung
oder stellte sich doch so. £ine unbedeutende Grenzverletzung
vonseiten preulsischer Reiter, gegenseitige Beschuldigungen
wegen verhalteter preulkischer "Werber und in Preulsen ge-
schützter hannövriacher FaimenÜüchtiger steigerten die Er-
bitterung. Am 12. Juli gab Friedrich AVilhelm seinerseits
den Befehl zur Kriegsbereitschaft eines Teils seiner Truppen.
Bei Magdebui^ sammelte sich ein preufsisches Heer in der
vorläuBgen Stärke von 44 (X)0 Mann, während der englische
König seine sämtlichen Streitkräfte in ziemlich derselben
Stärke bei Qiihorn zusammenzog. Allein es sollte nicht
zum Aul'sersten kommen. Auf beiden Seiten schrak man
vor dem entscheidenden Entschlüsse zurück, der, wie die
Dinge lagen, vielleicht einen unabsehbaren Krieg entzündet
haben würde. Der Kaiser und andere deutsche Fürsten
boten ihre Vermittlung an. Man einigte sich zunächst am
6. September 1729 zu einer Konvention, wonach die ver-
hafteten preuTsischen Werber gegen die uacii Preufsen ge-
flüchteten und in preufsischen Dienst getretenen Deserteure
ausgewechselt, die übrigen Streitpunkte aber auf einem Kon-
^esse in Braimschweig unter Vermittlung zweier deutscher
Reichslürsten beigelegt werden sollten. Letzteres geschah
am 20. April 1731: die Vermittler waren die Herzöge von
Wolfenbüttel und von Gotha.
Zwei Nachspiele sollten diese Ereignisse, die einen Augen-
blick die Gemüter in grolse Aufregung versetzt hatten, noch
haben. Der dabei zur Sprache gekommene Unfug der
preulsischen Werbungen, der sogar die erste Veranlassung
dazu gegeben hatte, bewog eine Anzahl von deutschen und
aufserdeutschen Staaten, sich mit lebhaften Beschwerden an
den Kaiser und an den Reichstag zu wenden. Von allen
Seiten Uefen Klagen darüber ein, so dafs der österreicliische
Oes&ndtc in Berlin an den Prinzen Eugen berichtete, „daT»
dem Könige bei dem aller Orten ^^&'^ ?j&vGfc \\«t\i^ia^en.
Kouflikt wegen der preaTsischcu Werbuugeo.
2ä3
sieb ereignenden Aut'süuide nicht wobl zumute sei". Unter
der Fuhrung Hannovers vereinigten sich mehrere _ deutsche
Hole zu gemeinsamen Mal'öregeln gegen diese Übergriffü.
Kursachsen, Hessen-Kasflel , Sachsen -Gotha, Köln, Münster
und selbst die Generalstaaten der vereinigten Niederlande,
Tur allen aber Hannover erHeffieii scharte Edikte gegen die
preufsischen Werber und ihre Gewalttbätigkeiteu. Der han-
növrische Eriafs ;, gegen die preufsiscbeu uud trembden Wer-
bers" ist vom 14. Dezember 17Ö1 datiert uud befieblt,
„solche Werber ohne Ansehen von Stand und Würden bo-
fleich 2u arretieren und, wenn sie sich in starker Zahl eiu-
nden, durch Läutung der äturmgiocken zu vcriolgen, auch
ÄLliz auizubieten, wenn solche sich in der Nilhe betindet.
Sie soUeu als Stralsen • und Menscheui-üubcr , Sturer des
Landfriedens und Verletzer der Laudesfreiheit traktiert und,
wenn sie schuldig befunden werden, am Leben ge&tralt wer-
den. Sollten sie sich aber zur Webr setzen, so mag man
sie todtschlagen oder niGdcrachiefsen/* Auf die Einbringung
oder Tötung jedes prcufsiscbcn Werbers ward eine Be-
lohnung von fünfzig Thalein gesetzt. — Das zweite Nach-
spiel ti'ug einen ganz persönUchen Charakter. Ks schien sieh
mogUcherweise zu einer Tragödie zu gestalten und endete
doch wie eine Komödie. Die grofse Erbitterung der beiden
Schwäger gegen einander, welche durch die oben berührten
Ereignisse noch gesteigert worden war, tührto zu einer Her-
ausforderung zum Zweikampf. Er sollte aul neutralem Bo-
den, im Bistum lÜldesheim, ausgefochten werden. Schon
waren die Sekundanten bestimmt, schon hatte sich Frietlrich
Wilhelm nach dem Lustschlosse Salzdahlum hei Wohen-
bUttel begeben, als es den verständigen Vorstellungen des
Herzugs August Wilhelm von Brauuschweig und des preufsi-
schen Gesandten gelang, der Welt ein Schauspiel zu er-
sparen, das selbst im Mittelalter zu den Seltenheiteu gebort
haben würde, das aber den Anschauungen der damaUgen
Zeit mehr wie eine Lächerlichkeit als wie ein Heldenstück
erscheinen mufste.
Um dieselbe Zeit, wo diese unliebsamen Vorgänge sich
abspielten, fand ein Ereignis stitt, das von sämtlichen Re-
gierungshandlungen Georgs 11. den wohl thätigs ton EinHufs
nicht nur auf seine Kurlande, sondern weit über die Gren-
zen derselben hinaus aul die Bildung und Gesittung der
ganzen menschlichen Gesellschaft ausgeübt hat: die Grün-
dung der Universität zu Göttingen. Die Gemeinsamkeit des
Direktoriums über die bisherige LandeiSutvivft^c^Ä^ieA. VC« ^iss.
gesamtea Gebiete des welhacheu tiauaea m \\<^\VÄ\fc\v VäSää
Zweites ßacli. Enter Abschnitt.
»eit längerer Zeit zu raanclion Unzuti-äglichkoiten und Vör-
driefelicnkeiten geführt. Dazu kam, dafa die Ausdehnung,
welche der Kui-ataat im Verlaufe der Zeit gewonnen hatte,
die Gründung einer eigenen Universität für den letzteren in
hohem Grade wünschenswert erscheinen iiefs. Georg II.
wurde in dieser Angelegenheit t'aat auaachliefalicli von dem
Preiherm Oerlach Adolf von Munchhauson beraten, seit 1728
Mitglied des Geheimen Katkollegiums in Hannover, dessen
Name mit dem Ruiuue der neuen Hochschule iür alle Zeiten
verknüpft ist. Er gewann, ala der König 1732 abermals
nach Hannover kam, diesen ftir seine Pläne und ward dann
von ihm mit den vorbereitenden Schritten beauftragt. Zu-
nächst knra die Wahl des Ortes in Betracht. Anfangs dachte
raau au Lüneburgs entschied sich aber schliefslicb für das
anmutig im Leinethal gelegene Göttingen, das sich noch
immer nicht von den Unbilden des dreifsigjährigen Kneges
zu erholen vermochte. Unter Münchhausens Leitung erfolgte
die ganze Einrichtung der neuen Universität und der damit
verbundenen wissenschaftlichen Institute, der Societät der
"Wissenschaften und namentlich auch der Bibliothek. Kach
seinen Vorschlägen geschah die Berufung der Lehrer für die
einzelnen Fächer, wobei er sich entsprechend der universellen
Natur der Wissenschaft vorwiegend von kosmopolitischen
Grundsätzen leiten liefa, so dafs unter den ersten Professoren
der Universität nicht nur fast alle deutschen Länder, sondern
auch die Schweiz, Tlollaud und England vertreten waren.
Auch die künftige Besetzung der Lehrstühle wollte er, um
jede Kameraderie und Zunftmäfsigkeit auszuschliefsen, nicht
in die Hand der Fakultäten, sondern in diejenige der Re-
gierung gelegt wissen. Dagegen gewährte er der Univer-
sität ihre eigene Gerichtsbarkeit und den Professoren nicht
nur unbedingte Lehrfreiheit, sondern auch die Befreiung von
jeder Art Zensur für alles, was sie im Druck erscheinen
lassen wollten. So gelang es von vornherein einen frischen,
strebsamen Sinn in die neue Hochschule einzuführen und sie
vor der Verkümmerung zu bewahren, unter der das wissen-
schaftliche Leben damals an manchen anderen deutschen
Universitäten litt. Am 13. Januar 1733 stellte der Kaiser
das erbetene Privilegium für die neue Stiftung aus, so dafs
bereits im Herbste des folgenden Jahres die Vorlesungen be-
^nnen konnten. Die feierliche Einweihung erfolgte indes
erst am 17. September 1737.
An dem Kriege, der in den Jahren 1733 bis 1735 um
die polnUche Königskrone getühxl via.vd, beteiligte sich Han-
nover jnsofern, als ea tiOOO ^l&nn v\ ÄeTa^v»ve\^"eftXft %\a^a
GcbietMi'werbungen. 3t&
jfa, welches unter dem greisen Kugen von Savoyen die
heiulande gegen die Franzosen zu verteidigen hatte. Der
rieg ward nur lässig geführt und endete ohne irgend welche
rfoige schon 1735 mit dem Frieden von Wien. Eine
Teitigkeit mit Bremen , welche seit dem Erwerb der Her-
igftümer Bremen und Verden als schwedische Erbschaft auf
annover übergegangen war, hatte achon im Jahre 1731
^ Erledigung gebunden. Schweden und nach ihm Han-
>ver hatten der alten Hansestadt hartnäckig die Eigenschaft
id die Rechte einer freien Reichsstadt bestritten. Jetzt er-
innte Georg II. in einer am 25. Mai zu Kichmond aua-
satellten Urkunde die Reichsunmittelbarkeit der Stadt an,
»stand ihr Sitz und Stimme auf den Reichs- und Kreia-
gen zu und schlofs damit einen Hader, der Niederäachsen
nge Jahre hindurch beunruhigt hatte. Um dieselbe Zeit
731) ward das kaiserliche Sequester, das noch immer auf
am Lande Radeln lag (S. t44), aufgehoben und dieses frü-
3r mit dem Herzogtmue Lauenburg verbundene Gebiet
.eichfalls mit Hannover vereinigt. Elin unbedeutender
wist mit Dänemark wegen des Amtes Steinhorst , eines
ideren Bruchteils von Lauenburg, ward 1739, als er eine
3unruhigende Wendung zu nehmen drohete^ unter Ver-
littlung des Kai&ers dahin verglichen, dafs Hannover gegen
ahlung von 70 000 Thalern im Besitz des Amtes verblieb,
wei Jahre darauf erwarb Hannover durch den Stader Ver-
leicb vom 23. August 1741 von der fi-eien Stadt Bremen
as Amt Blumenthal und das Gericht Neuenkii'chcn , indem
) daflir den Hafen und Flecken Vegesack abtrat. Zu die-
m Gebietserweiterungen kamen endlich zwei andere , die
•eilich, da sie nur auf Verpfändung beruheten, auch nur
orübergehend gewesen sind: die Grafschaft Sternberg, die
n Jahre 1732 von dem Grafen zur Lippe wieder käuflich
rworben ward, und die Grafschaft Bentheim, welche Graf
^arl Friedrich Philipp 1753 gegen ein Darlehn von 900000
'haiem an Hannover verpfändete und welche bis in dieses
ahrhandert hinein in deasen Pfandbe&itze gewesen ist.
^Während die jüngere Linie des Hauses Braunschweig
uf dem dargelegten Wege ihre Macht in Deutschland er-
'eiterte, ja ihre Stellung und ihr Ansehen zu einer euro-
äischen Bedeutung erhob, fiel der älteren Wolfenbüttler
jinie ein bescheideneres Los. Wir kennen den zUhen
Piderstand, welchen die Wolfenbüttler Btü'Ä.^v^vAqSS. Ka^a&\.
üd Anton Ulrich den auf die künftige Cctölsfö wivaftÄ VtiÄÄ-^ft».
286
Zweites Bach. Erster AbBcbnitt.
4
gerichteten Bestrebungen ihres Vetters Ernst August von
Hannover entgegensetzten. Als es ihnen nicht gelang, der
Kurangelegenheit eine Wendung zu geben^ welche auch dem
von ihnen vertretenen Zweige des Gesamthauaea einen Teil
der erstrebten Ehre zugewendet haben würde, Uefsen sie
sich zu geradezu feindseligen Schritten gegen die jüngere
Linie t'ortreilsen, die sie dann hart genug haben büfsen
müssen. Ihr Land ward von hannövrischen Truppen be-
Betzt, Anton Ulrich mul'ste aufserhalb desselben eine ZuAucht
suchcDj sein Bruder sich den BedinguDgen des Siegers unter-
werfen. Durch den Vertrag von Celle waren dann diese
Wirren vorläufig geordnet worden. Er bedeutete eine Her-
abdrUckung der älteren gegen die jetzt uugehiodert empor-
strebende jüngei-e Linie. Noch war nach diesen Ereig-
nissen kein Jahr veräosseD^ als Kudoli' August starb und die
Regierung des Landes seinem inzwischen aus der Verbannung
zurückgekehrten Bruder hinterliefs.
So alt Antou Ulrich damals schon war, so tief empfand,
er doch die erlittene Niederlage, so schmerzlich war ihm
das Scheitern einer Politik, die niemand eifriger befürwortet
hatte als er, ja in die er allein den unentschlossen zaudern-
den Bruder hineingedrängt hatte. Sein stolzer, hochfahren- ^J
der Sinn vermochte es nicht zu ertragen , dafs er und sem ^U
Haus jetzt verurteilt sein sollten, in dem wemschcn Familien- ^*
konzert nur die zweite Stimme zu spielen. Indes blieb ihm
vor der Hand nichts übrig, als sich zu fügen. Es ward
ihm schwor, seinem Widerspruche zu entsagen und seinen.
Stolz zu beugen, aber bei der veränderten Stellung, die ihm
der Tod seines Bruders geschaffen hatte, und in Anbetracht
der ehrgeizigen Heiratspläne für seine Enkelin, die ihn schon
damals beschäftigten, konnte er sich der Notwendigkeit nicht
verschliefsen, seinen Frieden mit dem hannövrischen Vetter
zu machen. Noch am 27. Juli 17U3 hatte er von Salz-
dahlum aus in aller Form gegen das Celler Abkommen Ver-
wahrung eingelegt, jetzt liefs er sich gegen einige Zuge-
ständnisse bewegen, den alten Hader ruhen zu lassen. Am
17. Januar 1706 wurde zu Ohot" von zwei hannövrischen
Bevollmächtigton, wolfcubüttlerseits aber von dem Kanzler
Probst von Wendhausen nach längeren Verhaudiangen ein
Vertrag unterzeichnet , wonach Anton Ulrich gegen Ab-
tretung des Amtes Campen und dreier Dörfer des Amte»
Gilhorn, sowie gegen eine Geldentachädigung von 2UÜüO
Thalern zugunsten Hannovers auf seine Ansprüche an Lauen-
biwg verzichtete, auch die neunte Kur und das von Ernst
August erlassene Primogemtur^ftieü. ^u^xViiuuVfe. ¥äm^
4
4
Anton Ulrichs von Wolfenbüttel ehrgeizige Pläne.
287
-untergeordnete Etikettenfragen, sowie der Wechsel des Direk-
toriums über die Universität Ilelmstedt und den Komraunion-
harz wurden gleichfells durch gegenseitiges Entgegen kommen
und ohne Anstand erledigt.
Diese Aussöhnung Anton Ulrichs mit den vollendeten
Thatsachen, die eich bereits seit dem Jahre 1703 angekündigt
hatte, bezeichnet eine Wendung seiner Politik nicht nur
gegenüber der jüngeren Linie seines Hauses, sondern auch
inbezug auf die damalige Geaamtlage Europas, liishcr der
eifrigste Fürsprecher einer tranzösiscnen Allianz, trat er jetzt
mit aller Entechiedenheit dem grofsen Bunde bei, an dessen
Spitze Osterreich die Übermacht Frankreichs und dessen
Versuche bekämpfte, durch Erhebung von Ludwigs XIV.
Enkel auf den Thron Karls V. die spanische Monarchie zu
einem Nebenreichc des französischen Muttcrstoates herab-
zudrücken. Der Gnmd dieses plötzlichen Wechsels ist in
den Aussichten zu suchen, die sich damals für ihn ernfliietfin
und die, wenn sie auch nicht seinem Hause denselben Zu-
wachs an Macht und Ansehen verhiefsen, welcher der hau-
növrischen Linie zuteil gewoi-den war oder in Auseicht
stand, doch seinen persönlichen Ehrzeiz In hohem Grade be-
friedigen mxifsten. Seit dem Jahre 1703 waren, von dem
braunscbweigischen Bevollmächtigten am Wiener Hofe, dem
Freiherm Rudolf Christian von Irahoff, angeknüpft, Unter-
handlungen im Gange, die den Zweck hatten, eine enge Fa-
milienverbindung zwischen den Häusern Habsburg und
Braunschweig • Wolfenbüttel anzubahnen. Es handelte sich
um die VormUhlung von Anton Ulrichs Enkelin EUsabetb
Christine mit dem jüngeren Sohne des Kaisers Leopold I.,
jenem Karl, dem die gegen Frankreich zustande gekommene
grofse Koalition die Kaehfolgo in der spanischen Monarchie
zugedacht hatte. Die Prinzessin, damals ein liebliches, viel-
versprechendes Kind, war die älteste Tochter von Anton
Ulrichs jüngstem Sohne Ludwig Rudolf aus dessen Ehe mit
Cbriatine Luise von Otüngen. Von ihr hoffte der greisen-
hafte Ehrgeiz des Grofsvaters „sie solle der andere Joseph
werden, seinem Hause aufzuhelfen und es zu versorgen".
Dafs von dem Wiener Hofe als unumgängliche Bedingung
vorausgesetzt wurde, „die Prinzessin werde nach vorher-
gegangener genügsamer Information den katholischen Glau-
ben annehmen", vermochte ibn nicht in seinen Plänen zu
beirren. War doch der lebendige lutherische Glaube, zu
dem er sich einst in den Liedern seiner Jugend bekannt
hatte, längst zu einem farblosen lndi6Fereut\ß\w3A ■^^tVXsÄA..
Und erblickten doch die von ihm zurate ^^iq^^täii ^V-s^va-
2SS
ZwtiiteB Buch. £nt«r AbsohniU.
logen in der Sache wesentlich j^eine durch anscheinende
göttliche Provideuz und gute Hoffnung des gemeinen Weeena
und ihres eigenen Hauses Wohllahit der Prinzessin darge-
botene Gelegenheit, wonach sich diese wohl entscMielsen.
könne, zur römisch-katholischen Kirche überzutreten".
Schwerer selbst mag es ihm geworden sein, die andere von
Wien gestellte Hauptbedingung zu erliillen, „dafs das Haas
Woltenbüttel sich mit den übrigen braunschweigißchen Häu-
sern wieder reunieren und in das vorige alte Verhältnis
treten, mithin von dem gesamten Hause nur ein Interesse
gemachet werde ". Aber seibat der eingewurzelte Groll gegen
die Ötaramesvettem in Celle und Hannover trat vor dem
Glänze in den Schatten, der aus der geplanten Verbindung
ihm ontgegenzustrahlen schien. Ohne die Eltern der Prin-
zessin, ja ohne diese selbst zu fragen, beeilte er sich den
Kontessionswechsel der letzteren zu bewilligen. Der
Zustimmung des Vaters durfte er freilich gewifs sein,
denn Ludwig Rudolf dachte in kirchlichen Dlugen kaum
anders wie er selbst, und auch auf ihn übte die Aussicht,
der Schwiegervater eines Königs von Spanien und dem-
nächstigen deutschen Kaisers zu werden, eine berauschende-
Wirkung aus. Auf einen um so kräftigeren WiderstAni
mufste er bei der Mutter der Prinzessin gefafst sein, einer"
zwar von weltlicher Eitelkeit keineswegs freien Frau, aber
einer eitrigen Lutheranerin, die ihrer Tochter noch vor kur^
zem erklärt hatte: „Und wenn ich meiner, was Gott ver-
hüte, 80 gar vergessen und Dir befehlen sollte, um einer
Heirat willen die evangelische Religion zu ändern, siehe, so
sage ich dir hiermit, dafs du mir keinen Gehorsam, sondern.
Gott mehr zu gehorchen schuldig bist als Menschen/' Alleia
auch ihr Wille mufste sich schliefslich der unbedingten Auto-
rität beugen, mit welcher Anton Urich die ganze Familie
beherrschte. Sie erklärte nach längerem Sträuben , „dafs
sie alles blofs und lediglich dem gi-ofsen Gott anheimstelle:
der werde, wo es sein Werk sei, alles zu einem guten Ende
bringen, wo aber nicht, es auch wissen in die Wege zu
richten". Danach blieb nur noch übrig, die Einwilligung
derjenigen zu gewinnen , um deren Wohl oder Wehe es
sich in dieser Angelegenheit handelte. W^ie aber hätte ein
kaum tün^hnjährigea Mädchen Einflüssen widerstehen solleni
denen sich ihre Eltern willig und unbedingt fügten, wie hätte
sie ihren kindÜchen Glauben zu verteidigen vermocht gegen
die Vorstellungen und Kniffe der mit ihrer Belehrung oe-
auftragtcn Holtheologen V Auch sie gab nach und erluärte,
„dafe, wenn Gott der Allmächtige nach seinem unerforsch-
4
Yermählang seiner Enkelin Elisabeth Christtnc.
239
liehen Ratschlage es so schicken werde, dafs sie vor anderen
in Vorechlag gekommenen Prinzes&innen zur gpanischen Kö-
nigin cnväMt werden sollte, sie alsdann darunter die göttliche
Providencia erkennen, die Wahl in geistlicher Gelassenheit
annehmen und sich von solcher Entschlielsung von keinem
Menschen wolle ableiten lassen". Wie es ihr aber bei
solcher Erklärung ums Herz war^ zeigt ein um diese Zeit
an ihre Mutter gerichteter Briei', in dem es heifst: „Ick
kann versichern, dafs gegenwärtig mein einziger Trost in
der Hoffnung beruhet, der gütige Gott werde das tiber
meinem Haupte schwebende Unglück abwenden."
Nachdem man so weit gekommen , traten die Jesuiten
auf den Plan, um die eigentliche, innere Bekehrung der
Prinzessin in die Hand zu nehmen. Wie hätte eie ihnen
unter dem Druck, den Grofavater und Eltern auf sie aus-
übten, mit dem Beistande, den ihnen ein grolser Teil der
GeiBtUchkeit im Lande, selbst die theologische Fakultät in
Helmstedt leistete, nicht gelingen sollen? Freilich gab es unter
den Geisthchen auch Stimmen, die sich unerschrocken und
entschieden gegen diese Seelenverkäuferei erhüben. Die bei-
den Prediger au der Schlofskirche zu Wolfenbüttel, Niekamp
und Knopf, konnten nicht bewogen werden, „in ihren Pre-
digten gehörige Moderation zu brauchen". Sie lieisen sich
lieber ihrer Stellen entsetzen, was von dem Herzoge eigen-
mächtig, ohne vorhergegangene gerichtliche Untersuchung
verfügt ward. Am 19. April 1707 verÜefs Elisabeth Chri-
stine in Begleitung eines kleinen Gefolges Wolfenbüttel und
begab sich nach Bamberg, wo sie am 1. Mai in dem dor-
tigen Dome , der Gründang des irommen Kaisers Hein-
rich Jl.f öffentlich ihr Glaubensbekenntnis ablegte und dann
durch den Erzbischof von Mainz in die Geni einschalt der
katholischen Kirche aufgenommen wurde. Viei-zehn Tage spä-
ter kam sie in Wien au, wo ihre kindliche Anmut und
ihre Liebenswürdigkeit alle Herzen gewannen. Nach einem
Jahre (23. April 1708) erfolgte ihre Vermählung mit Karl
von Spanien durch Prokuration in der Kirche zu Moria-
Hitzing. Kein Geringerer als der Kaiser Joseph war es,
der ihr als Stellvertreter seines Bruders hier die Hand ziun
Ehebunde reichte. Noch einmal sah sie ihre Mutter und
ihre jüngere Schwester Charlotte Christine wieder. Dann
iUhrte sie eine Flotte von hundertzweiundvierzig Segeln unter
dem Oberbefehle des englischen Admirals Leake ihrem Ge-
mahle in Spanien zu. Am l, Augnst hielt sie an seiner
^te ihren feierlichen Einzug in Barcelona.
Anton Ulrich sah sich in den Hoffnungen, die er an
*24ö
Zweites Bach. Erster AbschDitt.
diese Vermählung seiner Grofstochter geknüpft habeu mochte,
fetäuscht. Zwar erhob der Kaiser am 1. November 1707
ie Oraiscbaft Blankenburg zu einem Flirstentume und er-
öÖFnete ihm damit die Aussicht auf eine zweite Stimme bei
dem Regensburger Reichstage, auch erlebte er noch, daPs
nach Josephs I- Tode (1711) seine Enkelin an der Seite
ihres Gemahls den deutpchen Kaiserthron bestieg, aber der
Gewinn an Macht und Ehre, den er für sich von dieser Ver-
bindung erwartet hatte, blieb aus. Es scheint, dafs er sich
mit der HoflFnunp: geschmeichelt liat, aus der Aclit, welche
bei dem Beginn des spanischen Erbfolgekrieges über die mit
Frankreich verbündeten Witteisbacher Brüder, die Kurfürsten
von Bayern und Köln, verhängt worden war, für sich und
sein Haus Voi-teil zu ziehen. Durfte er auch nicht daran
denken, durch Erlangung von einer der beiden Kurwürden
seinem hannövrischen Vetter endlich an Rang gleichgestellt
äu werden, so war doch immerhin möglich, dafs der Kaiser
flieh bestimmen liefs, durch Verleihung des zu dieser Zeit
unter der Verwaltung des Kurlürsten von Köln stehenden
StiftesHildesheim an Wolfenbüttel das dem hrnunschweigiscben
Hanse im drei fsig jährigen Kriege zugefügte Unrecht in Ähn-
licher Weise zu sühnen, wie dies damals mit dem pfälzischen
Kurhause durch Zurückgabe der mit Bayern verbundenen
Oberpfalz geschah. Um dieses oder iUmliches zu erreichen,
acheuete sich Anton Ulrich nicht, noch in seinem hohen
Alter — er zählte bereits siebenundsiebenzig Lebenöjahi*e —
denselben Schritt zu thuu, zu welchem er soeben sein«
Enkelin bewogen hatte. Ghne Wissen seiner Räte, ohne
auch nur seiner Familie seine Absicht mitgeteilt zu haben,
trat er kurz vor Weihnachten 1709 in Braunschweig zur
römisch-katholischen Kirche über. Als der in aller Stille
vollzogene Übertritt bekannt wurde, bemächtigte sich des
Landes eine allgemeine Bestürzung, so dafs sich der Herzog
veranlalst fühlte, in einer besonderen Schrift „die bewegen-
den Ursachen darzulegen, warum er zu der katholischen
Kirche sich begeben habe". Ein Sturm von Abraalmungen
und Vorstellungen war die Folge. Sein Beichtvater, die
Räte seiner Regieruug, die Landstände, die Prediger der
Stadt Braunschweig, der Erbprinz August Wilhelm selbst
erhoben ihre warnende Stimme. Es war alles vergebens:
der Herzog war schon zu weit gegangen. Durch bestimmte,
unzweideutige Erklärungen inbezug auf die zu Recht be-
stehende Landeskirche suchte er die Erregung der Gemüter
zu beschwichtigen. Er versicherte seinem Kanzler, dafs
,, weder der status religionia noch civilis bei »einer R^e-
■th
mzig die geringste Veränderung^ noch weniger Gefahr xa
besorgen habe ", und als jener darüber vergewissert zu wer-
den wünschte, dafs diese fieligionsveränderung sich aut des
Herzugs eigene Person beschriluken werde , beteuerte er
„niit Aufhebung der Finger", „er wolle keine Kircbe ge-
brauchen, nicht einmal in die den Katholiken bestimmte
kommen^ sondern allein in seinem kleinen Kabinet durch
einen Theatiner namens Hamiltou , welcher sein einiger
Geistlicher und sonsten in einem weltlichen Habit bei ihm
»ein sollte, sein« Devotion und Gottesdienst verrichten lassen".
Um allen und jeden Zweifel an seinen Absichten zu zer-
streuen, erlief» er unterm 24. März 1710 an die höheren
Kollegien und die Landschaft eine Erklärung, in welcher
er öffentlich zu bezeugen und zu deklarieren sich bewogen
fand, „dafs er weit davon entfernt sei, in Ecclesiaatiois und
Politicis irgend welche Neuerungen zu machen, insonderheit
die römisch-katholische Keligion in seinen Braunschweigischen
Landen wiedereinzultihren und seine Untcrthanen zu deren
Bekenntnis und Annehmung zu notigen oder zu veranlassen",
er somit auch nicht daran denke , „ gegen den Keligioos-
frieden einige Reformation oder GewissenS'Zwang zu intro-
meieren ".
Li der That hat Anton Ulrich die hier seinen Unter-
anen gegebenen Vei-sprechungen wilhrend der kurzen Zeit,
die ihm noch zu herrschen vergönnt war, treu und redlich
^halten. Denn der von ihm unternommene Bau einer ka-
tholischen Kirche in Brauuschweig an der Friesenstrafse
half nur einem längst getilhlten BedUrüiis ab, und die freie
ReligionsUbung, die er seinen nunmehrigen Glaubensgenossen
durch Erlafa vom 12. März 1714 in seinem Lande ge-
wähi-te, entsprach nicht nur den Bestimmungen des west-
fälischen Friedens, sondern auch dem mehr und mehr sich
geltend machenden Geiste religiöser Duldung. Auch sein
Ö^entÜcher Übertritt zum Katholizismus, der am Freitag
vor Palmarum (11. April) 1710 in Bamberg erfolgte, änderte
nichts an diesen Gesinnungen des Herzogs. Die ehrgeizig^l
'V räume aber, die ihn zu diesem Schritte vor allem anderes
V crmocht hatten, erfüllten sich ebenso wenig, wie die grofsen
Erwartungen, welche der Papet und die römische Kirche
«cfa davon versprachen. Die Anstrengungen , welche man
machte , die Eltern der Kaiserin Elisabeth Christine , be-
Bonders aber ihre mit dem russischen Thronfolger verlobte
Schwester Charlotte Christine in den SeUofe der altein-
«eligmachenden Kirche zurückzuführen, blieben ohne Erfolg.
B«in«n»BB, B»aii«e)iir,-hsiui0r, OMcbiehte. IIL
36
Zweites Bach. Erster Abschnitt.
Nur mit zwei Töchtern des Herzogs gelang dies: mit der
Äbüßain Heariette Christine von Gandersheim, welche im
Jahre 1712, iind mit der an den Fürsten Anton Günther
von äcbwarzburg-Sondersbausen verheirateten Auguste Doro-
thea, weiche nach dem Tode ihres Gemahles im Jahre 1716
zur römisch-katbohschen Kirche übertrat. Das war alles.
Ihm selbst ist der Abfall vom Glauben seiner Väter
nicht zum Segen geworden. Eine Unruhe war über ihn ge-
kommen, die Heine katholischen Beichtväter nicht zu ver-
scheuchen vermochten. Besonders quülte es ihn, dafs ihm
jetzt der Kelch beim Abendmahle entzogen war. Vergebens
hat er sich diesei'halb in wiederholten demütigen Gesuchen
au den Papst gewandt. Kurz vor seinem Tode hat er noch
das Grabgewölbe unter der Marienkirche in Wolfenbüttel
besucht, das bestimmt war, seine sterblichen Reste aufzu-
nehmen. Es verlangte ihn, „den Ort zu sehen, wohin man
ihn legen werde". Am 2^. März 1714 empfing er die
Sterbesaki'amente, fünf Tage später (27. März) ist er, ein-
undachtzig Jahre alt, auf dem Lustschlosae Salzdahlum^
seiner Lieblingsächöpfung, verschieden.
Im Wolfenbüttler Archive findet sich das „ Project einer
väterlichen Mahnung und Instruction für den Erbprinzen.
August Wilhelm", eine Art von politischem Glaubensbekennt-
nis, nach Anweisung des verstorbenen Heraogs entworfen
und von ihm wenige Tage vor seinem Tode (22. Miirz)
unterzeichnet Es ist ein merkwürdiges Aktenstück , kein
Testament im eigeutüchen Sinne, vielmehr eine Mahnung an
die Söhne, besonders den Erbprinzen, nach welchen Grund-
sätzen er die Regierung zu führen habe, voll wohlgemeinter
Ratschläge und nicht ohne treffende Bemerkungen, vor allem
aber ein Zeugnis, wie der alte Herr seine ehrgeizigen, auf
die Erweiterung seiner Hausmacht und auf die Gewinnung
einer glänzenden Stellung gerichteten Pläne bis zum letzten
Atemzuge festgehalten hat. Er leugnet nicht, dafs infolge
seiner PoUtik die Schulden des Landes beträchtlich gewachsen
seien und eine ofientliche Kalamität zu werden drohen, aber
er ist noch jetzt von der Richtigkeit dieser PoUtik über-
zeugt und rät dem Sohne, wenn ihm „der Etat gezeiget
werde, darüber keinen Unmut zu verspüren''. Solche Aul-
wendungen seien auch in der Zukunft nötig, „damit man
nur nicht gar unter die Füfse getjeten, sondern noch einiger-
mafsen auirecht erhalten werde". Er erinnert an die Stadt
Braunschweig, „deren Eroberung einzig und allein seiner
in der That mühsamen Unterhauung beizumessen sei, da
sein Bruder (Rudolf August) aniUnglich durchaus nicht diu-an
and also niclit wenig Kunst Labe gebraucht werden
en, ihn dazu zu disponieren". Er ist ehrlich genug
zuzugeben, dals die unglückliche Allianz mit Frankreich nach
dem Kyswicker Frieden trotz der Abneigung seines Bruders
durch ihn zuBtande gebracht sei, aber er rechnet sich dies
zum Ruhme an imd bedauert nur, daf» sein kurz vor der
Cellischen Invasion gemachter^, Vorschlag , .,das Dannen-
bergische nebst den Cellischen Ämtern bis au und über die
Aller zu besetzen und somit das Land bis au die Elbe zu
erweitem", nicht durchgegangen sei. Er wirft auch einen
Blick in die nächste Zukunft und hoflt, die vor einigen
Jahren geschlossene Verbindung seiner zweiten Enkelin mit
dem Czarewitsch werde dessen Vater bestimmen, bei den da-
mals schwebenden Verhandlungen über das Schicksal der
Herzogtümer Bremen und Verden sein ganzes Gewicht in
die Wagschale zu werfen , damit dem Wolfenbüttler Hause
das letztere oder doch die Laudschat't zwischen Aller imd
Ocker zuteil werde. Er rät dem Sohne, für diesen Fall
7 bis 8000 Mann bereit zii halten. Man sieht, es sind die
alten Eroberungspläne, die ihn noch immer beschUftigen vmd
die einen eigentümlichen Kontrast bilden mit den dem Sohne
erteilten Katsclilägen inbezug aul* dun durch diesen zu be-
wirkenden Aufschwung des Gewerbes und die zu erstrebende
Blüte des „Commercium", Diese Vorschläge sind im ganzen
yerstÄndig, aber sie beschränken sich doch wesentlich auf
Aufserlichkeiten. Er empfiehlt dem Erbprinzen die Stadt
Braunschwoig und warnt, sie mit Auflageu und Neuerungen
KU bedrücken, aber zugleich rät er ihm, „die alten Häuser,
die dem Fremden ein Scheusal seien und ihm von der
Landesökonomie einen schadUchen Eindruck machten", nie-
derzureifsen : auf dem Burgplatze müsse ©in neues statt-
Hcbes Gebäude für die Landschaft errichtet werden.
August Wilhehu hat sich diese väterlichen Ratschläge nur
zum kleinsten Teil zur liichtscbnui' genommen. Es ist
wahr, er eiierte dem Vater an Pracht und Glanz der Hof-
haltung nach, er wurde auch nach dessen Rate ein eifriger
Bauherr, der dieser Leidenschaft giofse Sujnmen zum Opfer
trachte und dadurch die Finanzen seines Landes noch mehr
zerrüttete. Er verstärkte und enveiterte die Befestigungen
Braunschweigs, erbauete hier auf dem „grauen Hofe", dem
früheren Aufsenhofe der Kiddagahäuser Mönche, ein neuea
BesJdenzschlofs, während er das alte Haus seiner Väter in
Wolfenbüttcl einem es völlig umgestaltenden Umbau unter-
zog, und hat auch sonst im Lande eine lebhafte Bauthätig-
keit geweckt und gefördert, ohne dafs sich übrigens dadurch
Zweites Bacb- Enter Abschnitt
tu
Handel and Wandel merklich gehoben hütteo. Waa aber
::ieine auswärtige Politik und die kirchlichen Angelegenheiten
des Landes betritfl, so hat er hier durchaus andere Wege
eingeschlagen, als sie sein Vater gegangen war. Schon als
Erbprinz hatte er den unruhigen B^trebungen seines Vaters,
die hannövrische Kur zu vereitein und sich in die Erb-
Btreitigkeiten des Lünebuiger Hauses einzumischen , wenig
Verständnis entgegengebracht, ja er hatte ihnen gegenüber
schliefaUch eine entschieden oppositionelle Stellung einge-
nommen. So konnte er selbst in den Verdacht geraten, dafs
er heimlich die Übertragung der Kur aui die jüngere Linie
des braunschweigi sehen Hauses anerkannt habe. Hielt er es
damals (1697; auch für angemessen , gegen eine solche
;, mordliche Calumnie" Verwahrung einzulegen , so hat er
doch, nachdem er zur Regierung gelangt war, nicht nur
jener Thatsache bereitwillig sich gefugt, sondern auch seiner-
seits den besten Willen gezeigt, mit dem hannoTriscbea
Hute gute Beziehungen herzustellen und diese nach Kräften
zu pflegen. Ahnlich abweichend von derjenigen seines Va-
ters war seine Haltung auf dem kirchlichen Gebiete. Per-
sönlich war er weit davon entfernt, den Indifferentismus
Anton Ulrichs zu teilen. Er zeigte vielmehr ftir das kirch*
liehe Loben eine rege Teilnahme und war bestrebt, der ka-
thülisierenden Strömung eutgegenzuarbeiten, welche sich seit
Anton Ulrichs Übertritt in gewissen Kreisen geltend zu
machen suchte. Aus diesem Bestreben gingen die Bekenntnis-
predigten hervor, die er sieben Jahre lang jeden Mittwoch
an seinem Hofe halten licfs und zu denen abwechselnd und
nach einander eitratliche Prediger des Landes nach Wolfen-
büttel, Salzdahlum oder Langeloben, wo sich der Hof gerade
aufhielt, befichiüdcn wurden. In die Zeit seiner Regierung
fielen auch die zweihundertjährigen Jubelfeste dreier hir die
lutherische Kirche im aUgemeinen oder für die Braun-
Schweiger Landeskirche im besouderea hochbedeutsamer Er-
eignisse : die Feier dos Tages, an welchem Luther den ersten
kühnen Schlag gegen die Allgewalt der katholischen Kirche
wagte, der Einführung der Keformafcioa in der Stadt Braun-
schweig \md endlich der Überreichung des lutherischen
Glaubensbekenntnisses auf dem Reichstage zu Augsburg.
Alle diese Feste wurden in Stadt und Land in würdiger,]
zum Teil grofsartiger Weise begangen und trugen ohael
Zweifel dazu bei, das kirchliche Bewufstsein, das nament-J
lieh in den höheren Kreisen der Gesellschaft vieliach erj
loacben oder doch getrübt war, wieder zu beleben oder zi
kräfUgen. Auch die kircbÜcUeuBau^^^Vß \xQ.\_.Mi!\ft Wo
Heraog Angufit AVilbelm.
245
he Fürsorge des Herzogs erfahren. So hat er im Schiosse
Vechclde, wo sich der Hof zur Herbstzeit bisweilen auf-
hielt, eine t^chlofskapelle erbauet und eingerichtet, so in Wol-
fenbüttel die durch Brand zerstörte alte Trinitatwkirche wie-
der aus der Asche erstehen lassen, so endlich die herrliche
Klosterkirche von St. Egidion in ßrauuschweig vor ganz
liebem Verfall bewahrt, indem er eie ziu* Garnisonkirche
bestimmte und demgemUfs im Innern ausbauen liefs.
Die Diener seines Vaters, welche ihm dieser in der er-
wähnten „väterlichen Mahnung und Instruction" warm
empfohlen hatte^ beliefs August Wilhelm zunächst in ihrem
Amte, vor allen den alten klugen und gewandten Kanzler
Probst von Wendhausen, der in den ersten Jahren der neuen
Regierung die Geschäfte mit bewährter Umsicht leitete, da
der Herzog selbst, durch seine Lieblingsbeschäftigung mit
mathematischen und mechanischen Studien abgezogen, sich
wenig darum kümmerte. Als Probst 171 H in hohem Alter
starb, folgte ihm in seinem Amte ürban Dietrich Lüdecke,
der gleichfalls schon unter Anton Ulrich , zuletzt als Prä-
sident dea Ilofgerichts und des Konsistoriums, eine einfluis-
reiche Stellung eingenommen hatte. Allmählich aber machte
sich der verhängnisvolle Einflufs eines Mannes, der zuerst
als Page an den Wolfenbüttler Hof gekommen war, auf den
gutmütigen, unselbständigen und indolenten Herzog mit stets
wachsender, zuletzt unwiderstehlicher Macht geltend. Ee
war Konrad Detlef von Dehn, ein geborener Holsteiner, der
mit der Hand der einzigen Enkelin des verstorbenen Kanzlers
sehr bedeutende Besitzungen im Herzogtume erworl>en hatte.
Ohne tiefere J3ildung, aber geschmeidig, gewandt und grund-
eatzlos, ein Hofmann, wie deren diese Zeit so viele grofs-
gezogen hat, verstand er es, durch unbedingtes Eingehen
auf die Laune seines Herrn diesen so iür sich zu gewinnen,
dafs er bald der erklärte, allgewaltige Günstling desselben
wurde. Er teilte mit ihm die Neigung fllr äufseren Glanz,
für einen Aufwand und eine Verschwendung , die weit
über seine Blräfte hinausgingen. Zum ,,Caj)elldirektor des
fürstlichen Opernhauses auf dem Hagenmarkte in Braun-
schweig" ernannt, wufste er für dieses Kuustinatitut zwar
Kräfte wie Graun und Hasse zu gewinnen, aber die Pracht
der Ausstattung und die Verschwendung, mit der die Aaf-
fülu-ungen geleitet wurden, verschlangen gewaltige Summen.
Wie er mit den öffentlichen Geldern in rücksichtslosester
Weise schaltete, so kannte er auch in seinem Privataul wände
keine Schranken. Im Haag, in K.opciT3,\va^<&w , aw ^»!Ax Vv^'v^^
zu Paris, London und Wiea, wo\ün et lu 'itu^iVöt^^'« ^v«»»^
246
Zweites Buch. Erster Absctaitt.
ging, um die Ausdehnung der hannövrischen Kur auch auf
die ältere LiuJe des braunschwcigi sehen Hauses zu oi-wirken,
trat er wie der G^esandte einer Orofsmacht auf und suchte
es an Pracht und Aufwand den Vertretern der ersten Staa-
ten zuvorzulhun. In Braunschwcig bauete er sich liinter der
Egidienkirche ein palastähnlichea Haus, und sein Garten in
der KitterKtrafse mit dem in japanesiscliem Stil gehaltenen
Gartenbauae, einem Haupt- und zwei Nebentürraen , seinen ^
Anlagen und Spielereien in französischem Geschmack er- ^|
regte das Staunen und die Bewunderung aller Reisenden^ ^^
die nach Braunschweig kamen. Dehn wurde im Jahre 1720
zum Erbachenken von Gandersheim und 1726 vom Kaiser
in den Reicbsgrafenstand erhoben. Er behauptete sich in
seiner alles beherrschenden Günatlingsßtellung bis zum Tode
des Herzogs. Aus einem Streite mit dem Kammerpi-äsiden-
ton Hieronyrauö von Miincbbausen , der auf gröfsere Spar- 1
samkeit imd strengere Ordnung in der Finanz Verwaltung
drang, ging er siegreich hervor. Weil er in Privatbriefen
die Ehrfurcht vor seinem Herrn aufser Augen gesetzt habe,
wurde Münchhausen als ,, Majcstätsbeleidiger" iu Anklage-
stand versetzt und nach Einholung eines Gutachtens der
völlig unter Delms Einflüsse stehenden juristischen Fakultät
zu Hebnstedt von dem Geheimen Rate, in welchem sein
Gegner den Vorsitz führte^ zum Verlust seines Amtes ohne
jede Entschädigung verui-teilt. Dieses pai'teiitiche Verfaliren,
sowie die ganze G ünstlings Wirtschaft , deren Ausdruck es
war, trug nicht wenig dazu bei, das so schon untrcundliche
Vei'hältnis des Herzogs zu seinem jüngeren Bruder Ludwig
Rudolfj welchem beim Tode des Vaters die ziuu Fürsten-
tume erhobene Grafschaft Blankenburg zugefallen war, zu
einem geradezu feindlichen zu gestalten. Ludwig Rudolf
nahm sich des ungerechterweise verfolgten Mannes, der auch
in seinen Diensten stand, an. Er erwij*kte von dem Kaiser
Karl VI., seinem Schwiegersöhne, anfangs ein mildes und,
als dieses nichts fruchtete, ein schärferes Mandat (1729),
wonach der Herzog August Wilhelm angewiesen wurde,
Münchhausen die ihm entzogene Pension auszahlen zu lassen
und ihm einen ehrenvollen Abschied statt der ihm gewor-
deneu schimpflichen Entlassung aus dem Amte zu erteilen.
Ja, er ernannte ihn zu seinem eigenen ersten Minister und
gab ihm dadurch die unzweideutigste Ehrenerklärung gegen-
über den gehässigen Mafsregeln seines Bruders und der j
Wolfenbüttier Regierung. ^H
Zwei Jahre darauf starb Augiiat WUbelm am 23. Mftrz, ^"
dem Chart'reitüge des Jahres nt\V. DtcwciÄ \ftT\Ävt»X»!^ tiä.-
Ludwig Rudolf.
247
iotzt mit Elisabeth Sophie Marie, eiaer Tochter des Herzogs
Rudolf Friedrich von Hülateiu-Norburg, einer frommen und
hochgebildeten Frau, hinterliefa er doch keine Kinder. Ihm
folgte deragemäfs in der Regienmg des Rerzogturas sein
Bruder Ludwig Rudolf, wodurch das Fürstentum Blankon-
burg nach kurzer Trennung mit jenem wieder vereinigt
ward.
Eine der ersten Regier ungshandlungen des neuen Herr-
schers war die Beseitigung der bisherigen Giinstlingsherr-
»chafl. An Dehns Stelle, welcher das Land verliefs und in
dänische Dienste giug, trat das frühere Opfer seiner Ver-
folgungeaucht , der Freiherr llieronymus von Münchhausen.
Auch die übrigen Stellen im Geheimen Rate wurden mit
anderen Männern besetzt. Ludwig Rudolf gab durch diese
Mafsregel von vornlierein zu erkennen , dafs er nicht ge-
sonnen sei , dieselben oder ähnliche Bahnen einzuschlagen,
wie sie sein Bruder, wenigstens in der letzten Zeit seiner
Regierung, gewandelt war. Er war diesem seinem älteren
Bruder überhaupt an Thatkraft, poÜtischem Verständnis, be-
sonders aber an geistiger Bildung weit überlegen. Freilich
trug diese Bildung wesentlich den oberflächlichen, frivolen,
äufaerlich glänzenden Charakter, der die Signatur dieser
unter der Herrschaft französischer Lebensrichtung und fran-
zösischen Geschmackes stehenden Zeit war. Aber es würde
unbillig sein, von einem Fürsten, der ganz in der leicht-
fertigen Atmosphäre, wie sie nicht nur den Hof seines Va-
ters sondern der meisten deutschen Fürsten umgab, auf-
gewachsen war, eine diesen Anschauungen schnurstracks
entgegenlaufende Eigenart zu erwarten. Ludwig Rudolf
teUte mit der ganzen damaligen Generation seines Hauses
die Freude an üppigem Lebenagenufa,, die mit der Steifheit
einer prunkvollen, auf den Schein berechneten äufaereu Dar-
stellung zu einem fremdartigen, mit dem deutschen Wesen
in innerem Widerspruch stehenden Lebensbilde verschmolz.
Durch FamiÜenvertrag vom 30. Januar 1690 war ihm dem
Primogeniturrezer^ von 1535 zuwider (H. 336), aber unter
allseitiger Zustimmung der Beteiligten die Grafschaft Blan-
kenburg als eine dem Fürstentume Wolfenbüttel zwar lose
verbundene aber im übrigen ganz selbständige Herrschaft
mit eigenen Landständen und gesonderter Verwaltung in
Aussicht gestellt worden, und nach dem Tode seines Vaters
trat er die Regierung des inzwischen (1. Mai 1707) zum
Reichsturstentume erhobenen Landes an. Er fühlte sich im
Besitz des kleinen, kaum sieben Quadratraeilen betra^adet^
Territorriunfl durchaus als deutac\ieT ^\c\ia^%\, TassaiL -ftRssi.
Zweites Bacb. Erster Abschnitt.
Vetter, der König Georg I. von England, ihm die ätimme
beim Keichstage, die mit dem Furätentume Grubeuhagen
verknüpft war, abti-at, freilich unter der einschränkenden
Bedingung, dal3 er sie stets in Übereinstimmung mit Kur-
hftnnover abgäbe. Schon in Blankenburg hatte dann Lud-
•wig Rudoli' eine über seine Verhältnisse hinausgehende Hoi-
haltung geführt, glänzende Feste g^eben, eine der Gröfse ^^
des Landes nicht entsprechende Beamtenschaft unterhalten, ^|
tmbekümmert um die Schulden, die von Jahr zu Jahr an- ^"
wuchsen, so dafs die Gläubiger mit Klagen droheten und
netie Anleihen kaum noch Aussicht auf Erfolg hatten. Ein
Wandel in solchen Lebensgewohnheiten ti-at selbstvei-ständ-
lich auch nicht ein, als der Herzog die Regierung des gröiae-
ren Landes übemalim, vielmehr dauerte die kostspielige ge-
sonderte Verwaltung beider Füi'stentümer auch nach ihrer
Vereinigung fort und hat bis zum Jahre 1808 bestanden.
Aber Ludwig Rudolf hat doch im Gegensatze zu seinem
Vorgänger in der Regierung wenigstens das Verdienst, dafs
er mit dem ihm eigenen sicheren Blick für Menschen imd
Verhältnisse die richtigen Männer ausfindig zu machen imd
aiii den ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden
Platz zu stellen verstand. Abgesehen von dem wackeren
Münchhauaen, der während der Dauer seiner Regierung an
der Spitze der Staategeschäfte blieb, hat er eine Anzahl her-
vorragender Beamte , wie namentlich den Hoi^ägermeister
J. G. von Langen, einen der bedeutendsten Forstieute des
vorigen Jahrhunderts, und den späteren Vizekanzler G. S. A.
von Praun, einen durch Gelehrsamkeit, Beruistreue und Ar-
beitskraft gleich ausgezeichneten Mann , fui- den braun-
Bchweigischen Staatsdienst zu gewinnen gewufst. So kam
in die Verwaltung des Landes immerhin ein anderer heil-
samer Zug. Reformen wurden in Aussicht genummen, andere
begonnen, einige selbst durchgeführt. So wurde die herzog-
liche Kammer nach Braunschweig verlegt und ihr die Ge-
schäfte der seit der Unterwerfung dieser Stadt mit der Ver-
waltung der städtischen Finanzen beti-aueten Stadtkommisaion
übertragen, so Kriegswesen und Landespolizei vorbessert,
ein Garnisonlazareth in Braunschweig erbauet und die alte
Kirche der Pauliner zum Zeughaus eingerichtet. Aber die
Regierung des Herzogs dauerte zu kui'ze Zeit, als dafs sie
eine durchgreifende Umgestaltung der Staatsverwaltung hätte
herbeitühren können. Ludwig Rudolf starb bereits am ]. März
1735 , nach kaum vierjährigein Regiment. Von den vier
Töchtern aus seiner Ehe mit Christine Luise, der schönen
und geietreichen Tochter de& ¥üiiÄ\Äti ^Ä5«^. ^2:1^ m<wl
•
I
Seine Xacfakommeoschaft.
249
OttingeDj erreichten drei das niauubare Alter. Zwei von
ihnen haben eine europäische BerühmÜieit erlangt, diu dritte
wurde die Ötammaiutter aller späteru» Herzüge von Braun-
schweig. Elisabeth Christine^ die ültüste» ist uns bei'eits be-
kannt. Ihres Übertritts zur römisch-katholischen Kirche und
ihrer Vermählung mit Karl, dem damaligen Könige von
Spanien und späteren deutschen Kaiser, ist in dieser Dar-
stellung bei der Geschichte ihres Grofsvaters gedacht wor-
den. Sie wurde, ausgezeichnet durch Schönheit, Anmut und
Verstand, die Mutter einer noch bedeutenderen Frau, der
grofseu Kaiserin Maria Thei*e8ia. Chailotte Christine ist
durcb ihr trauriges Geschick, dem sie in einem fremden,
balbbarb arischen Lande in der Blüte der Jugend erlag, als
„Prinzessin von Woltenbiittel" berühmt geworden. Sie war
an den Czarewitsch Alexei, de« Sohn Peters des Grofson,
verheiratet^ hatte sich aber nicht entschliefsen können, ihrem
lutherischen Glauben zu entsagen, und ist inmitten des rus-
sischen Lebens, das sie mit Widerwillen imd Absclieu er-
füllte, stets eine Fremde geblieben. Ihre unglückliche Ehe
mit einem sittlich verkommenen , den niedrigsten Lastern
fröhnenden Menschen hat sie in ein frühes Grab gestürzt. Sie
wurde, wie sie selbst in einem ihrer Briete eag^ „ das arme
Opi'er ihres Hauses, ohne dafs dies letztere davon den ge-
ringsten Vorteil gehabt hat". Ihr tragiseliea Los ist von
der Sage in romanhaiter Weise ausgeschmückt und der Gegen-
stand einer zu ihrer Zeit viel gelesenen Dichtung geworden.
Die jüngste Tochter Ludwig Rudolfs endlich, Antoinette
Amalie, vermählte sich am 15. Oktober 1712 mit dem
Vetter ihres Vaters, dem Herzoge Ferdinand Albrecht II.
von Beveru, dem Öolme jenes ersten Ferdinand Albiecht,
der dem Leser noch als „der Wunderliche im Frucht-
bringend' im Gedächtnis sein wii'd. Durch diese Verbindung
wm'den die beiden Zweige, in die sich nach Augusts d. J.
Tode das wolienbüttel-dannenbergische Haus gespalten hatte,
wieder vereinigt. Ferdinand Albrecht 11., der sich als Prinz
in dem spanischen Erbiblge kriege und in den Kämpfen g^en
die Türken in Ungarn so ausgezeichnet hatte, dals ihn der
Kaiser „wegen bekannter KriegBeriabrenheit, auch Kaiser-
licher Majestät und dem römischen Reiche erwiesener
Dienste" zum Reichageneralfeldzeugmeister ernannte, folgte
jetzt seinem Vetter und Schwiegervater in den Fürstentümern
Woltenbüttel und Blankenburg. Er ist der Stammvater der
sogenannten bevernschen Linie des Hauses Braunschweig ge-
worden, hat aber die Regierung nur k\xvz.ft '/^e\V ^fclvilwcX, ^
er bereits sechs Monate nach AntriU Ä^ir&ttVoe\i «Ja V'^.^iRs^-
k.
Zweites Bach. Erster Abschnitt.
tember 1735 ans diesem Leben abberufen ward. Von seiner
aufserordentlicb zahlreichen Nachkommenschaft (acht Söhne
und sechs Töchter) haben sich einige einen gi'ofsen Namen
gemacht, andere sind durch ihre Schicksale bemerkenswert
Zu den letzteren gehört der zweite Sohn, Anton Ulrich, der
als Gemahl der Regentin Anna von Rufsland und als Vater
des unglückliclicn Kaisers Iwan Antonowitsch mit in das
Unglück verwickelt ward, in welches der Staatsstreich der
Kaiserin Elisabeth vom 0. Dezember 174t seine Gemahlin
und sein noch nicht zweijähriges Söhnchen stürzte. Er
endete in der Verbannung zu Cholmogory bei Archangel
nach dreiunddreifsigjährigera Geftlngnis. Diese Rovolutioa
unterbrach auch zeitweilig die glänzende Laufbahn dos drit-
ten Sohnes von Ferdinand Albrecht, Erast Ludwig. Von
den Ständen des Landes zum Herzoge von Kurland gewählt,
verlor er diese Stellung infolge jener russischen Wirren, noch
ehe er sie angetreten hatte, ward dann gleichfalls eine Zeit
lang gefangen gehalten, trat später in holländische Dienste,
wo er während der Minderjährigkeit des Erbstatthalters
Wilhelm V- als dessen Stellvertreter, Vormund und Generai-
kapitän bis zum Jahre 1784 eine mafsgebende , hervor
ragende Rollo in der Geschichte des Landes gespielt hat
Zwei andere Söhne Ferdinand Albrechts starben in preufai-
schen Diensten den Heidontod, Albrecht in der Schlacht bei
Soor in Böhmen und Friedrich Franz bei dem für Fried*
rieh IL so unglücklichen Überfalle von Hochkirch. Der
berühmteste aber vou allen ist Ferdinand geworden, in der
Reihe der Söhne der fünfte, der bekannte Feldherr des
siebenjährigen Krieges, der Sieger von Crefeld und Minden.
Von den Töchtena Ferdinand Albrechts II. mögen nur zwei
erwähnt werden: die älteste, Elisabeth Clu*ißtine, welche sich
am 12. Juni 1733 zu Salzdahlum mit dem damahgon Kron-
prinzen von Preufeen, dem nachherigen Könige Friedrich H, fl
und Luise Amalie, die sich mit dem Prinzen August Wil- ™
heim von Preufsen vermählte und die Starammutter des re-
gierenden preofsjschen Königshauseä wurde. Der älteste von
den Söhnen aber, Karl I., übernahm nach dem iTode seines
Vaters die Regierung des Heraogtums Braunschweig- Wolfen-
büttel.
Maria Theresia und dio pragmatische Sanktion.
2ai
Zweiter Abschnitt.
Die Zeit der Aufklärung.
Das Jahr 1740 bezeichnet einen bedeutungsvollen Wende-
punkt in der europäischen Staatengeschiehte. Nach einer
längeren Zeit wesentlich friedlicher Entvrickelung entbrannte
um das Erbe des deutsch- östeiTeichischen Hauses ITabsburg
ein Krieg von ähnlicher Dauer, ähnlichem Umfang und ähn-
licher Tendenz, wie er zu Anfang dea Jahrhunderts um die
spanische Monarchie, das Erbe des anderen Zweiges des-
selben habsburgischen Hauses geführt worden war. Ein
Kampf bereitete sich vor, der, heraufbeschworen durch den
Tod des letzten habsbui'gischen Kaisers in Deutschland, den
Erdteil in z^'ei Heerlager spalten sollte und in welchem
sich so ziemlich dieselben Staateng ruppen feindlich ent-
gegentraten, die nach dem Tode jenes anderen gleichnamigen
Habsburgers, Karls H. von Spanien, ihre Waffen gegen ein-
ander gekehrt liatten : aut der einen Seite — verbündet mit
Bayern und dem unter der Regierung des eben zum Throne
gelangten Friedrich H. mächtig emporsti'ebenden Preufscn —
die bourbonischen Höffi von Frankreich und Spanien, auf
der anderen England, Osterreich und der weitaus gröfsere
Teil der deutschen Reichsfürsten.
Kaiser Karl VI. hatte für die Anerkennung der », prag-
matischen Sanktion", jenes Hauagesotzes, welches den Be-
stand der Österreichischen Monarchie und zugleich die Nach-
folge seiner einzigen Tochter Maria Theresia zu sichern be-
stimmt war, grofse Opfer gebracht. Es war ihm gelungen,
datur die Zustimmung der europäischen Mächte nicht nur,
sondern auch derjenigen deutschen Fürsten zu gewinnen, die
durch ilu-o Vermählung mit Töchtern seines älteren Bruders,
dea Kaisers Joseph I., mit dem östeiTeichischon Kaiserhause
nahe vorwandt waren und möglicherweise aus dieser Ver-
wandtschaft nähere Ansprüche auf die Erbfolge herleiten
konnten. Es waren dies die Kurfürsten August HI. von
Sachsen, König von Polen, und Karl Albrecht von Bayern,
welche beide in durchaus bindender Form das neue Öster-
reicliische Hausgesetz anerkannt hatten. Allein nach ilires
Vaters Tode sollte Maria Theresia die Erfahrung machen,
wie weni^ in jener Zeit auf solche paL^vfcmfc Giftx^'ßÄÄWi. tä
bauen war. Der Kui'fiirst von Bayern ev\vQ\> ^>a& ^^^v^aß^^
Zweites Bach. Zweiter Abschnitt.
einer testamentariscLen Bestiimnimg des Kaisers Ferdinand L^
wonach bei etwaigem Erlüscheu des babsburgischen Mann»-
stammes in Deutschland die Nachkommen seiner nach Bayern
verheirateten Tochter Anna das Erzherzogtum Österreich
und das Königreich Böhmen erben sollten, Anspruch auf
diese Länder Er schlofs mit Frankreich und Spanien das
Bilndnis von Nyraphenburg, und während Friedrich IL von
Preufsen, der sich diese Gelegenheit zur Vergi'üfserung seiner
Macht nicht entgehen lassen raochtej in Schlesien einbrach und
nach seinem Siege bei Moll witz der Allianz gegen Maria Theresia
beitrat, überschwemmte ein bayrisch- tranzosischea Heer unter
der Führung des Kurfürsten und des AlarschalU Belleisle die
österreichischen Erblaude, bemächtigte sich des Landes ob
und unter der Ens und eroberte Böhmen mit der Haupt-
stadt Prag, wo sich Karl Albrecht als König des Landes
krönen lief». Dann eilte er nach Frankfurt, um sich hier '
von den durch Belleisle zu seinen Gunsten bearbeiteten Kur-
i'tirsten zum deutschen Kaiser wählen zu lassen. Einstimmig ]
wurde er, da mau Böhmen von der Walilhandlung auaschlofs,
als Karl VIL erkoren. Selbst der Kurftirst vou Hannover,
König Georg II. von England, gab ihm — wir werden
gleich sehen, aus welchen Gründen — seine Stimme, ^Ji
Georg war unter den Garanten der pragmatischen Sank-^B
tion der einzige, der seinem Worte nnd dem von ihm über- '
norameueu Verpflichtungen treu blieb. Neun Tage nach der
Schlacht bei Mollwitz, am 11». April 17-11, machte er im
Parlamente die Mitteilung von dem Hilfegesuche, welche»
die bedrängte Maria Theresia an ihn gerichtet habe, und
gab .seinen Entschluis kund, diesem Gesuche zu entsprechen:
er habe »ich bereits an die Höi'e von Kopenhagen und
Kassel gewandt mit der Älabnung, den lui* diesen Fall mit
England abgeschlossenen Verträgen geuiäfs ihre HÜlstruppcn,
6000 Dänen und ebensoviete Hessen, marschbereit zu halten.
Er selbst ging nach Schluis des Parlaments nach Deutsch-
land, wo er die hannövriachen Truppen in zwei Lagern, bei
Nienburg und Hameln zusammenzog. Sobald die hessischen
und dänischen Korps eingetroffen wären, gedachte er mit
der gesamten Streitmacht nach Öiiddeutschland autzubrechen,
um hier ihr Gewicht zugunsten seiner Bundesgenossin in die
Wagschale zu werlen. Allein inzwischen war am 4. Juni
das Bündnis zwischen Frankreich und Preufsen in Breslau
unterzeichnet worden. Ein französisches Heer unter Maillebois
iiberschntt den Khein und bedrohete von Westen her die
JjHijuÖvriacben Lande, wäbretvÄ eÄWG Y'fe\\^%\?.vW llfieresab-
teilang unter dem Fürsten LaopoVd -vtju Kx^islA w^\ife\^iK»^vi-
Der ÖGterreiclmcfae Krbfolgekrieg,
*J5S
bürg aamiuelte. So roa zwei Seiten bedrohet , sah sich
Oeor^ genötigt ^ seinen An^rifiTdpkn aufzu^ben und am
27. September einen NeatralitätsYerlrag einzugeben, in wel-
chem er sich verpHichtete, die Königin von Ungarn in keiner
Weise zu unterstützen, Bayern und dessen Verbündete ge-
währen zu lassen und bei der bevorstehenden Raiserwahl
nicht für Franz Stephan von Lothringen, den Oemahl Maria
Theresias , zu stimraen. Was blieb ihm in dieser Lage
übrig, als seine Stimme nun auch dem Kurftirsten von Bayern
zu geben y
Aber zu der nämÜcben Zeit war in dem Kriege, der
über das Schicksal der österreichischen Monarchie entscheiden
sollte, die überraschendste Wendung eingetreten. Von allen
verlassen, war Mai'ia Theresia nach Ungarn geeilt Hin-
gerissen von ihrer Schönheit, ihrer Beredsamkeit und ihrem
Unglück, erhob sich die ritterliche Nation für sie in Waffen.
lu kurzer Zeit war Ober- und Unter Österreich den bay-
rischen und iranzösischen Heeren wieder entrissen, Linz ge-
nommen, nach dem Siege bei Sch&rdiug Passau zurück-
erobert. Unaufhaltsam ergo&sen sich die Truppen der Königin
von Ungarn über Bayern. Zu derselben Zeit, da Karl
Albrecht in Frankfurt xmter dem Protektorate des tVanzÖ-
sischen Marschalls Bclleisle mit grotsem Gepränge zum Kaiser
gekrönt ward, zogen sie siegi'cich in seine Hauptstadt Mün-
chen ein und besetzten Landshut. Schon streiften ihre leich-
ten Reiterscharcn bis an den Lech. Nun ward auch Böhmen
wieder bewältigt, Belleisle mit der iranzösischen Armee in
Prag eingeschlossen, von wo er dann, die Hauptstadt Böh-
mens ihrem Schicksale überlassend, in den letzten Wochen
des Jahres 1742 mitten im Winter jenen berühmten, aber
furchtbar verlustvollen Rückzug bewerkstelligte, der ihn über
die Hälfte seines Heeres kostete.
Diese Ereignisse brachten auch in England , welches
schon 1739 den Krieg an Spanien erklärt hatte, einen Um-
schwung in der Öffentlichen Meinung hervor. Lange hatte
man sich hier zu keinem unmittelbaren Eingreifen in den
Krieg auf dem Festlande entschliefsen können. Zwar nahm die
Mehrheit der englischen Nation entschieden für die bedrängte
Maria Theresia Partei, aber Regiei-ung wie Parlament be-
gnügten sich damit , dem Könige durch Geldbewilligungen
die notdürftige Hut seiner deutschen Erblande gegen die
ihnen drohenden Gefahren zu ermöglichen und die Königin
von Ungarn indirekt dm-ch Zahlung von Subsidien zu unter-
stützen. Dies änderte sich erst mit dem ß.\i.*ito\\.\.\^i3\'>^v\^ÄT
der im Februar 1 742 erfolgte. In dem tx«»äu "^MovaaV %■«•
2M
Zweitfis Buch. Zweiter Absclmitt.
hielt der unruhige und entschlussene Carteret (später Graf
Granville) einen überwiegenden Einflufa. Er bewirkte, daf»
daa Parlament tjotz des Wideratandes der Opj>osiitioo und
trotz der glänzendeu Reden Pitts beträchtliche Summen be-
willigte, teils zu Hiltagcldom fiir Maria Theresia, teils zur
Werbung deutscher Truppen, welche in den Niederlanden
und am Rhein zu den Österreichern stol'sen sollten. Zu den
bereits in englischem Solde stehenden 6000 Hessen wurden
noch ICOOO Hanno\-eraner in Sold genommen. Diese Streit-
macht vereinigte sich im Frühling 1743 mit 17 000 Eng-
ländern und 10000 üaterreichem unter dem Oberbefehl von
Lord Stairs zu einer Armee, die man, weil sie tUr die Auf-
rechterhält ung der pragmatischen Sanktion in den Kampf
zog, die pragmatische Armee nannte. Sie nahm ihren Weg
die Maas und den lihein aufwärts gegen die Mainünie imd
bezog echliefslich am rechten Ufer dieses Flusses zwischen
Klein - Ostheim und Aachaffenburg ein Lager. Gegenüber
am linken Ufer des Main stand das auf 60000 Mann ge-
schätzte Heer der Franzosen unter dem kriegserfahrenen
Herzoge von Noailles.
Lord Stairs entschlofs sich jetzt, den Main aufwärts
marschierend, nach Franken vorzudringen, um hier den
OsteiTcicbern die Hand zu reichen. Li der Absicht, diese
Vereinigung zu verhindern, schlug Noailles dieselbe Richtung
ein. Am 16. Juni war das Heer der Verbündeten bei
AßcbafTenburg versammelt, sah sich indes am Weitermarsche
verhindert, da der französische Marschall ihm in der Be-
setzimg des Passes von Grofs-Ostheim zuvorgekommen war.
Es war eine schwierige Lage. Von ihren Magazinen in
Hanau abgeschnitten, im Rücken bedrohet, in ihrem Vor- -
marsch nach Franken gehemmt, eingekeilt in dem engen
Thale zwischen dem rechten Mainiifer und den Abhängen
dcH Spessart, Utten Menschen und Pierde den bittersten
Mangel. Fast schien es, als werde Lord Stairs sich genötigt
sehen , mit seinem bereits auf 37 OUO Mann zusammen-
geschmolzenen Heere vor dem überlegenen Feinde, der sich
aller Übergänge über den Main bemächtigt hatte, ruhmlos
die Waffen zu strecken. In diesem Augenblicke traf König
Georg von Hannover her mit seinem Sohne, dem Herzoge
von Cumberland, imd dem englischen Staatssekretär Car-
teret beim Heere ein und übernahm den Oberbefehl. So-
gleich rief er einen Kriegsrat zusammen. Man bcschlofs den
Rückzug mainabwärts nach Hanau, um sich mit den hier
£Uj-ückgelasseneD, Reserven (den Hessen und 6000 Hanno-
veraneru) z\x vereinigen; ein wiWÄetS^eÄ uiA ^^t'wisiU.tibeB
Schlacht b^ Dettingeii.
255
Unternehmen. Denn inzwischen war der Herzoe von Gra-
inont mit einem TeiJe des französischen Heeres bei Seligen-
stadt über den Main gegangen und hatte sich durch die Be-
setzung und Veracbanzuug des Defilees bei Dettingen zum
Herrn der einzigen Rückzugslime gemacht, die den Ver-
bündeten zugebote stand. Ea blieb lur die so eingeschnürte
pragmatische Armee nichts übrig als der verzweifelte Ver-
such, eich unter den ungunstigsten Umständen den Kückzug
mit der blanken Waffe in der Faust zu erkämpfen. Er ge-
lang über alle Erwartung, ja verwandelte den getXhj'deten
Kückzug in einen glUuzeudeu Sieg. Frühmorgens am
27. Juni brachen die Truppen in zwei Heersäulen gegen
Dettingen auf. Hier entspann sich um das durcli eine
sumpfige Niederung geschützte Dorf ein stundenlanger, er-
bitterter Kampf, in welchem König Georg , dessen Pferd
durch den {Schlachtlärm scheu gemacht, jeden Dienst ver-
weigerte, zu Fufs an der Spitze seiner Truppen, diese an-
spornend und ins Feuer führend, heldenmütig focht und in
welchem endlich englische und deutsche Zähigkeit über
französisches Ungestüm triumphierte. Der Feind wurde über
den Main zurückgeworfen, Dettingen mit stürmender Hand
genommen, der ungehinderte Weitermai'sch dureli den Eng-
paTs in die Ebene zwischen Gi*oJji* Welzheim und Seligen-
stadt erkämpft. Es war ein ebenso unerwarteter wie schöner,
freilich auch völlig fruchtloser Sieg. Denn obschon man
jetzt beschlofs, in Frankreich selbst einzufallen, Elsafs und
Lothringen zurückzuerobern, so kam es doch in diesem
Jahre zu keiner bedeutenderen Unternehmung mehr. Georg 11.
sah sich durch die Weigerung der österreichischen Heer-
fuhrur, sich mit ihm zu vereinigen, zu einer mehrvvöchent-
licben Unthätigkeit bei Hanau verurteilt, imd als er dann
im Herbst eich endlich nach Worms in Bewegung setzte,
um dem österreichischen Heere unter dem Prinzen Karl von
Lothringen am Oberrheiu die Hand zu reichen, war die
Jahreszeit bereits zu weit vorgeschritten, um noch einen
neuen Feldzug beginnen zu können. Man gab den Angriff
auf das Elsa/s auf, begnügte sich mit Proklamationen an
die Bevölkerung, „das unerträgliche französische Joch" ab-
zuwerfen und Hefa endlich die Truppen die Winterquartiere
beziehen. Mifsmutig übei* den im Grunde verfehlten Feld-
zug, kehrte der englische König über Hannover nach London
zurück.
Neue Überraschungen, mehr noch auf dem diplomati.schen
als kriegerischen Gebiete, brachte das folgende JaAa: VVÄWV
^önjg' Friedrich von Preulsen, beunrubigX tec^ ^eo.'äv^i^^-
i.
Znätea Bwh. Zweiter Abtchnht
Uuf der öeterreichiscfaen Heere und erföUt von der Beeoi^-
nift, dafft er bei der Fortdauer desselben h-uher oder später
seinen Überfall von Schlesien werde entgelten nin«^n. brach
den Fneden von Breslau und griff, nachdem er mit Frank*
reich ein Offensivbtindnis gescblossen hatte, abermals zu
den Waffen. Während die Niederlande und Hannover seinen
Bundesgenossen zum Angriffsobjekte zugewiesen wurden, rückte
er selbflt in Böhmen ein, besetzte Prag, Tabor^ Budweis und
Frauenberg, mufste dann aber infolge der lauen Unter-
stützung seiner Operationen seitens der Franzosen vor den
überlegenen Streitkräften der Österreicher einen verlust-
vollen Rückzug nach Schlesien antreten. Erbittert über seine
Verbündeten, die ihn durch ihre schlaffe und saumselige
Kriegführung in gnjfse Not gebracht hatten, kehrte er ans
diesem ersten unglücklichen und ruhmlosen Feldzuge des
zweiten »chleaischen Krieges heim. Die Folge war eine fast
feindselige Spannung zwischen ihm und Frankreich. Wu-
chernd griff ein gegenseitiges Mifstrauen der bisherigen
Bundesgenossen um sich, das jedes gemeinsame erfolgreiche
Handeln der beiden trotzdem auf einander angewiesenen
Müchte unmöglich zu machen schien. Es zu zerstreuen,
neue Vereinbarungen mit dem preufaischen Könige zu treffen,
auch wohl den Kriegsplan fiir den nächsten Feldzug züj
verabreden, machte sich der Marschall Belleisle, die eigent*
liehe Seele aller Machinationen gegen das Haus Österreich,
in den letzten Tagen des Jahres 1744 zu einer diploma-
tischen Sendung nach Berlin auf. Unklugerweise nahm er ^j
von Kassel seinen Weg über den verschneieten Harz und'^^
berührte auf diesem mühseligen Wege am 20. Dezember das ^^
hoch auf dem Gebirge gelegene hannövrische Städtchen
ElLiugerode. Hier liefs ihn der dortige Amtmann Johann
Hermann Meyer verhaften und unter sicherer Begleitung
erst nach Scbarzfeld und dann weiter nach Osterrode brin-
gen. Alle Protestationen, alle Drohungen des Ränkeschmiedes
halfen nichts. Fast vier Wochen ward er in Osterrode auf
inzwischen eingetroffene Weisungen des Geheimen Rata in
Hannover festgehalten, bis von London aus der Befehl ein-
traf, ihn nach Stade und von da nach England zu schaffen.
Diese Verhaftung des französischen Botschafters machte da-^j
mala das gewaltigste Aufsehen. Eine ganze Litteratur voar^^
Schriften und Gegenschriften wurde darüber veröffentlicht, ^1
Die hannövrische Regierung und König Georg H. kümmerten
sich aber wenig darum. Sic beriefen sich auf ihr gutes
liechtf den Marschall und Geaaudtßn einer mit ihnen im
KrJegszast&nde befiudlicbcn 'M.ac\it, öi&t^ säää w^jq. '^«Sa la
Gefangennahme BrlleiMleä. Friedensverhandlungpen.
257
besitzen, sich erdreistete dui'ch ihr Land zu reisen, um neue
Zetteluneren gegen dessen Sicherheit zu betreiben^ unschäd-
lich zu inacheu. Selbst Friedrich II. wagte nicht die Fi-ei-
lassnng des Gefangenen omsUich zu verlangen, der erst im
Herbste des folgenden Jahres (1745) seiner Uaft in Windsor
ledig wurde.
Den schwersten Sclilag erfuhren die g^en Osterreich
verbündeten Mächte durch den plötzlichen Tod des von
ihnen auf den Schild gehobenen Kaisers Karl VII., der am
20. Januar 1745 erfolgte. So unbedeutend seine Persön-
lichkeit war und so sehr er lediglich als das willenlose
Werkzeug Ireniden Ehrgeizes erschien, so brach doch damit
das äufsere Band auseinander, welches bisher die antioster-
reichische Koalition notdürftig zusammengehalten hatte. Die
Versuche, ihm in der Person des Kurtiirsten August III.
von Sachsen einen Nachfolger zu geben , schlugen fohl.
Schon am 2. Mai bequemte sich Maximihan Joseph, der
Sohn und Nachfolger des verstorbenen Kaisers, zu dem Se-
paratfrieden von Füfsen, in welchem er gegen die Zurück-
gabe des von den Österreichern grofsenteila eroberten bay-
rischen Gebiets die pragmatische Sanktion anerkannte und
bei der bevorstehenden Kaiserwahl dem Grofsherzoge Franz
Stephan von Toscana , Maria Theresias Gemahle , seine
Stimme zu geben versprach. Preufsen und Frankreich setz-
ten freilich den Krieg fort. Friedrich siegte bei Hohenfried-
berg, Soor und Kesselsdorf und der Marschall von Sachsen
gewann am 11. Mai 1745 mit der französischen Armee in
den Niederlaiiden die grofse Schlacht bei Fontenoy, an wel-
cher neben Österreichern, Engländern und Holländern auch
8000 Hannoveraner unter dem Herzoge von Cumberland
teilnahmen^ indem sie sich gleich ihrem Führer durch hel-
denmütige Tapferkeit hervorthiiten. Bald darauf wurden
diese Truppen infolge des Einfalls, den der englische Prä-
tendent Karl Eduard Stuart mit französischer Unterstützung
in Schottland unternahm, von dem niederländischen Kriegs-
schauplätze zurückgezogen.
In England wie in Preufsen neigte man jetzt zum Frie-
den. König Georg II. übernahm die Vermittlung. Er ging
in Begleitung von Lord Hnrrington nach Hannover, und hier
ward am 26. August 1745 auf der Grundlage des Breslauer
Friedens ein Präliminarverti'ag unterzeichnet, dessen An-
nahme Georg bei den mit ihm verbündeten Höfen von
Wien und Dresden durchzusetzen versprach. Nach längerem
Sträuben fügte sich Maria Theresia, mehr ucitVi ^ws's.V. ^«^
aeinemMBa, Bratnurcbw.-hftuOv. Q«K\iU\Lte. \VL ^
M
Zweite« Bach. Zwetter Absdtaitt
inzwiscben mfoleten inederiagea ▼on Soor and KesKlsdorf be-
stimmt als durch die VorstelloDgen Ei^aods. Am 2c. De-
zemher 1745 kam zwischen Preoiäeii auf der einen und
Osterreich-SacbseD auf der anderen Seite der Friede von
Dresden zustande, der dem zweiten schlesischesi Kne^ ein
Ende machte. Aber die Franzoeen setzten den Krieg noch
drei Jahre fort. Erst der Friede ron Aachen (7. November
HAH) führte eine allgemeine Beruhigung dieser nun seit
acht Jahren dauernden Krit^wirren herbei
In seinen aul" die Wiederherstellung des allgemeinen Frie-
dens gerichteten Bestrebungen wurde Georg LI. auch nicht
durch den Umstand beirrt, dafs gerade zu dieser Zeit ein
schon lange unter der Asche glimmender Hader mit Preufeen
sich zu einer brennenden politischen Frage gestaltete. Es
handelte sich uro das Schicksal Ustfrieslands, dessen Fiirsten-
ban» damals im Mannsstamme erlosch. Lange haben die
friesischen Gemeinden um die Mündung der Ems herum,
in dem Beider-, Ledinger-, Moermer-, Ems-, Brockmer-,
Auricher- und Harlingerlande , ihre alte Freiheit behauptet
und nach ihrem in dem As^abuche niedergelegten Land-
rechte gelebt. Während die Westfriesen schon im zehnten
Jahrhundert die Oberhoheit der Grafen von Holland aner-
kannten, wufsten sich die „sieben Seelande" jeder Landes-
herrschaft mit Erfolg zu erwehren. Am Upstabboom unweit
Aurich trat alljährlich die allgemeine Volksversammlung,
von allen Gemeinden nach freier Wahl erkoren, zusammen,
um die gemeinsamen Angelegenheiten des Landes zu be-
raten. Burgen und steinerne Häuser im Lande aufzuführen,
war als freiheitsgetahrlich verboten. Jede Gemeinde regierte
sich selber und wählte aul ein Jahr ihre Richter und Tale-
männer (Sprecher), Aber seit dem Ausgange des 13. Jahr-
hunderts erhielt die Einheit und Selbständigkeit dieser frie-
sischen Republiken infolge der grofsen Deichbrüche und der
me begleitenden Wasserfluten, die sich verheerend über das
Land ergossen , einen harten Stofs. Der Zerstörung der
Deiche tbigte ein unheilvoller Wechsel des Eigenturas und
eine politische Verwirrung, welche einzelneu Geschlechtem
den Weg zur Herrschalt im Lande ebnete. In langen blu-
tigen FamiUenfehdcn haben sie darum gekämpll. Nachdem
Focke Ukena das Übergewicht der Ten Brocks durch die
Schlacht „auf den wilden Ackern" zwischen Venhusen und
Üpgant (28. Oktober 1427) gebrochen hatte, war er nahe
daran, das von ihm erstrebte Ziel, die Oberherrschaft über
ganz Oetfrieel&nd , zu erreicWu. Allein noch einmal er-
Hchte der alte trotzige FrexheVtsäHn iVet "^tääsäi. ^\ej
Rückblick auf die ältere Geschichte Ostfneelauds.
259
schlössen im Jahre 1430 zur Auirechterhaltung der Unab-
häugigkcit des Landes einen Bund, an dessen Spitze das
Haus Cirkäeua in Greetsiel trat, das nun bald einen über-
wiegenden Einflura erlangen sollte. Schon Edzard Oirksena
(tl44l) ward durch seine Verbindung mit Hamburg, das
ihm auf eechszehn Jahre Emden überliefs, sehr mächtig.
Sein Bruder und Nachfolger Uliich, welchei* sich mit der
Enkelin Focke Ukenas verheiratete, liel's sich im Jahre
1454 vom Kaiser FricM^rich III. mit Oatfriealand als einer
Reichsgrafschaft belehnen. Ulrichs zweiter Nachfolger, Ed-
zard der Grofae (1491 — 1628), mufste zwar infolge eines
hingen Krieges mit Braunschweig und Oldenburg Butjadingen
an letzteres abtreten, doch en'eichte er die endgültige Über-
lassung Emdens vonseiten Hamburgs. Er aamnielte das
Landrecht und luhrte die Reformation sowie das E>8t-
geburtsrecht ein. Allein unter seinen schwachen Naclüolgem
ward das Land nicht nur durch Streitigkeiten der Refor-
noierten und Lutheraner, sondern auch duich die Auflehnung
der Stünde gegen das Herrscherhaus tief zerrüttet und in
beständiger Verwirrung gehalten. Emden, mächtig durch
die Verbindung mit Holland, stand an der Spitze dieser
Opposition. Enno HI. vereinigte zwar durch Heirat das
HarÜngerland mit seiner Grafschaft, verlor aber an Olden-
burg die Herrachaft Jever, und ^venn auch durch den Ver-
trag von Oaterbauaen (21. Mai 1611) die Streitigkeiten mit
den Ständen beigelegt imd die gegenseitigen Rechte be-
stimmt wurden, so Utt doch das Land unter aeiner und
seiner beiden Söhne Regierang unsäglich unter den Ver-
heerungen des dreifaigjährigen Krieges, von denen nur das
feste Emden verschont blieb. Enno Ludwig ward im Jahre
1654 vom Kaiser Ferdinand III. zum Reichafiirsten er-
hoben, allein der Hader mit den Ständen und besonders
mit dem trotzigen Emden dauerte fort und das Elend des
I^andes ward durch die grofae Sturmilut des Jahres 1717
noch gesteigert. Wir haben bereits gesehen, welche heil-
losen Zustände wälirend der Regierung der letzten Cirksenas
in dem unglücklichen Lande herrschten, welche namenlose
Verwirrung dasselbe erfüllte. Sie stand noch in voller
Blüte, als am 25. Mai 1744 Karl Edzard, der letzte männ-
liche Sprofs des Hauses Greetsiel, die Augen für immer
schlofs.
Sogleich erhoben sich von den verschiedensten Seiten
Erbansprüche auf das herrenlos gewordene Land. Abge-
sehen von einer Anzahl Prätendenten, welche ^ ^^ \ia5SlÄ■Q^r
Jich der Omf von Wied-Runkel, weW wß notx ^«Mäs^^^s.
Zweitee Buch, Zweiter Abschnitt.
liehen Mitglicderu des Geschlechtes abätammtexif das er-
ledigte Fürateutuiu nicht als ein Reichamanulehen Bondern
alß ein Weiberlohen betrachtet wissen wollten , waren es
hauptsächlich zwei mächtige Keichsfürsten, die, schon längst
durch persönliche Ahneigimg und politische Eifersucht mit
einander verfeindet, hier wieder als Nebenbuhler auf etn-
anderstiefsen : Friedrich II. von Preufsen und Gooi-g von
Hannovei", König von Ilnglaud. Der letztere stützte seine
Ansprüche auf die Ei'b Verbrüderung, welche sein Vorfahr
Plrnst August am 29. Sfärz 1691 mit Christian Eberhard,
dem Groisvater des letzten Fürsten von Ostfriesland, ge-
schlossen hatte. Dieser Vertrag bestimmte, daüs, „im Fall
der iüratlich ostfrieaiache Mannesstamm über kurz oder lang
ausgehen werde, das Fürstentum Ostfriealand mit den dazu
gehörigen Herr- uud Lehenschalteu, Hoheiten, Herrlichkeiten,
Rechten und Zubohorungen als ein Krb - Mannlehen an das
t^irsthche Haus Rraunschweig und Lüneburg kommen und
fallen aoUe : falls aber der ganze Mannesatamm der Herzöge
von Braunschweig und Lüneburg zuerst ausgehe, den über-
lebenden Fürsten oder aucli Grafen und Herren von Ost-
frieslaud die Grafschaften Hoya und Diepholz mit allen
dazu gehörigen Rechten, Hoheiten, HenUchkeiten und Ge-
rechtigkeiten, wie selbige das fürstliche Haus Braunschweig
und Lüneburg von Kaiser und Reich au Lehen trage, heim-
failen sollten.'* Dagegen machte Preufsen die Anwartschaft
geltend, die ihm von drei deutschen Kaisern, zuletzt von
dem soeben verstorbenen Karl VH. , dem Schützlinge des
Königs von Preufsen, auf Ostfriesland erteilt worden war.
Schon dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm war eine solche ^J
für seine in den Reichskriegen geleisteten Dienste in Aus- ^M
sieht gestellt, und am 10. Dezember ltj94 hatte sie sein ^1
Sohn und Nachfolger Friedrich I. vom Kaiser Leopold
wirklich erlangt. Als sie im Jahre 1732 von Kail VI. dem
Könige Friedrich Wilhelm I. bestätigt und erneuert ward, ^j
nalim dieser am 12. August des genannten Jahres trotz der ^M
Proteatation des damals regierenden Fürsten Georg Albrecht ^^
Titel und Wappen von Ostfricsland an. Freilich war die
nach Reicbarecht erforderliche Zustimmung des Kurkollc-
giuma zu dieser Expektanz nie erfolgt, und so mochte die
Rechtsfrage immerhin zweifelhaft sein.
Kaum hatte sich das Gerücht von dem Tode Karl ^J
Edzards im Lande verbreitet, so erfolgte auch dessen Be- ^M
sitzergreifung durch die Krone Preufsen. Schon seit Jahren ^^
lagen zu diesem Zweck Wappen und Patente in der Woh-
nung des proufaiachen Majors von Kaikreuth in Emden bc-
Der oBtfriesiwlie Erbfolgestreit.
^m
_ ät Noch an dem Todestage dea Fürsten wurden, zuerst
in Emden, dann überall im Lande zum Befremden uud Er-
staunen der biederen Ostfriesen die prcufsiscbcn Adler an
den öffentlichen Gebiiuden angeschlagen. Zugleich rückten
prenfsische Truppen in das Land und besetzten die mili-
tärisch wichtigen Punkte desselben. So wurde eine voll-
endete Tbatsache geschaiFen, noch ehe man in Hannover
sich zu irgend einem Schritte hatte entschUefsen künnen.
Als wenige Tage später der hannövrische Abgesandte von
Voigt in Aurich eintrat', um im Namen seines Herrn von
dem Lande Besitz zu nehmen, befand sich dieses bereits
in der Gewalt Preufsens. Vergebens waren jetzt die Pro-
testationen Hannovers, vergebens auch der Prozefs, den es
im Jahre 1761 bei dem Keichshofrate anstrengte. Fried-
rich II. weigerte sich entschieden, in dieser Sache die Zu-
ständigkeit dieses Gerichtshofes anzuerkennen: nicht vor den
Reichsbofrat gehörten — so behauptete er — die Streitig-
keiten über die Keichslehen, sondern dem Kaiser, den Kur-
fiirsten und den Ständen stehe die Entscheidung darüber
zu. Wer aber hätte ihn zwingen sollen ? So blieb die Sache
liegen j und als dann wenige Jahre später die pohtischen
Gesamt Verhältnisse von Europa das Bündnis von Westminster
zwischen England, Hannover und Preul'sen herbeiführten,
konnte von einer weiteren Verfolgung des Prozesses um so
weniger die Kede sein, als in dem Bündnisvertrage König
Georg auch die Garantie lür den geeamten preulsischen Staat
übernahm, zu dessen l^tando ja thatsächlich seit 1741 auch
Ostfriesland gehörte.
Während das Kurfürstentum H annover infolge seiner
wenn aucli nur lockeren V^erbindung mit England doch in
eine gewisse Älitleidenschaft an den kriegeriBchen Verwick-
lungen hineingezogen ward, welche der Tod des Kaisers
Karl VI. in Europa hervorrief, genofe dagegen das Hei*zog-
tum Braunschweig während dieser Zeit voll und ganz die
Segnungen dea Friedens und einer wohlwollenden, auf ver-
ständige Reformen bedachten Regierung. Hier war nach der
kurzen Waltung Ferdinand Albrechts II., des ersten Her-
zogs aus dem bevernschen Hause, dessen ältester Sohn
Karl I. in der Regierung des Landes gefolgt. Am 1. August
1713 geboren und seit 1733 mit Philippine Charlotte, der
klugen und geistreichen Schwester Friedrichs des Grofsen
vermählt, übernahm der gutmütige, wohlwollende, aber auch
leichtlebige xmd gcnuissüchtige Fürst in dem jugendlichen
Alter von zweiundzwanzig Jahren die Regierung. Er fand
ein Ötaatsleben vor, welches in seiner Unbehohenheit, seinem
h
*
2U
Zweitos BaA. Zweiter Ahiriigy
H&Qgel an Eiclachbieit tmd Überacbt, in den remrickettea
Besiehuiigen der einzelnen TeiÜe zu einander den Forde-
rungen der Zeit nicht mehr zu entsprechen schien und da-
her die refonnatorifiche Thätigkcit eines jungen, lebhat^en,
von den beeten Absichten beseelten Re^^enten, wie er war,
herausforderte. Mit jugendlicher SchaffeaBlnst ging der Her-
zog an diese Aui^be, die freilich nicht so Idcht zu lösen
war, wie sie ihm sein rasches Temperament encheinea lassen
mochte. V'or allem anderen verlangte das Finanz - und
Steuerwesen eine gründliche Umgestaltung- Das Land war,
nachdem es die Nachwehen des drcüsägjährigen Krit^es
unter der Terständigen Regierung Augusts d. J. glücklich
tiberwunden hatte, durch die Sorglosigkeit seiner Nach-
folger, namentlich aber auch dorcii die Prachtliebe und
Verschwendungssucht Anton Ulrichs und August Wilhelms
wieder in eine ungünstige, ja bedrängte finanzielle Lage ge-
raten. Hier galt es zunächst Hand anzulegen. Die Ent-
wicklung des autokraten Fürstentums hatte den früher auf
diesem Gebiete maßgebenden Kinflafs der Stände fast gana
beiseite geschoben. Man hatte sich daran gewöhnt, nicht
mehr wie ehedem mit den Ständen gemeinsam einen ord-
nujigsmäfsigen \'oranschlag für den Staatshaushalt festza-
steUen, vielmehr blieb es dem Fürsten überlassen, die £osten
der Verwaltung, soweit diese nicht von der Landrenteikasse
getragen wurden, aus dem Kamniervermc^n zu bestreiten.
Bei einer energischen Spai'samkeit hätte sich wohl das Gleich-
gewicht von Einnahme und Ausgabe mit der Zeit herstellen
lassen. Eine solche Sparsamkeit war aber nicht nach dem
Geschmack des jungen Fürsten. Er war in einer Zeit auf-
gewachsen, in der man auf äulseren Glanz, auf eine selbst
über das Mals der vorhandenen Kräfte weit hinau^ehende
Repräsentation einen ganz aufser ordentlichen Wert legte.
Ifan hätte den Nimbus, der das Fürstentum umgab, zu zer-
stören gemeint, wenn man hierin etwas würde nachg^eben
haben. Dazu kam das an sich lobenswerte Interesse, das
den Herzog für Knnst und Wissenschaft, für alle die In-
stitute beseelte, welche bestimmt siud, den Menschen aus der
Alltäglichkeit des Lebens hinaufzuhcben in das Heieh des
Idealen und Schönen. Ging bei ihm selbst dieses Interesse
auch nicht allzu tief, so darf man doch nicht vergessen, dais
in der geistigen Atmosphäre, die Hensog Karl um sich zu
verbreiten wufate, seine Tochter Anna Amalia jene Lebens-
richtung erhalten hat , die ihr als Förderin , um nicht zu
sageu als Urheberin des wemvar\sft\i«u\3vi\xVfttWife& einen un-
rergäagUchcn Platz in der Q«ac\ätiA<ft ää« ^«i^aitt.■^\^. ^äV
Begicrung des Herzogs Karl I. von Braunscliweig. 26S
Wicklung unseres Volkes gesichert hat Wie die Dinge
lagen und wie sie weiterhin durch den Charakter des Her-
zogs bedingt wurden, blieben seine Bemühungen, auf dem
iinauziellen Gebiete ge<>rdnete und erspriefsliche Zustände
herzustellen, in den ersten Anläufen stecken. Sie trafen das
Übel nicht an der Wurzel. Er verschlois sich nicht der
Einsicht, dafs der Aufwand, den die glänzende Hofhaltung,
die stehende Kriegamacht, kostspielige Reisen, Opor und
Theater erforderten, den Kräften des Landes nicht entsprach,
noch weniger der Überzeugung , dafs die Verteilung der
Steuern eine ungerechte war, die schwer auf dem Bürger
und Bauern lastete, während die höheren Stände davon
kaum geLi*offeu wurden. Aber ilmi fehlte die nachhaltige
Kraft, liier durch eingreifende Relormon Wandel zu schaifeo.
Unter dem Eintlusse der iur diese Zeit mafsgobendcn na-
tional-ökonomischen Richtung suchte er vielmehr die bache
bei einem anderen Ende anzufassen. In allgemein gut ge-
meinter Absicht, aber doch auch wohl um dadurch die
Steuerkrnft seiner Unterthanen zu stärken, begann er eine
Keihe von Mafsregeln durchzuführen, welche den Zweck
liatteu , die natürlichen Hilfsquellen des Landes in aus-
giebigerer Weise als bisher zu erschliefsen, die materielle
Lage seiner Bewuhner zu verbessern, iiire sittlichen und
geistigen Kiäfte zu heben. Mag er sich dabei auch hie und
da vergriffen haben, so ist doch der unermüdliche Eifer an-
zuerkennen, mit dem er die Staatsverwaltung bis in die
Einzelheiten hinein fiberwachte und sich selbst um die ge-
ringsten Vorkommnisse bekümmerte. Wie er dabei ein
merkwürdiges Verständnis für die in Betracht kommenden
Oegenstände zeigte, so wnifste er auch mit grofsem Geschick
seine Ratgeber und Mithelfer zu wählen. Als erster Rat in
der Regierung hatte er von seinen Vorgängern im Regiment
den uns schon bekannten Freiherm von MüQchhausen über-
nommen, einen Staatemanu alten Schlages, zuverlässig und
ehrlich, aber ohne schöpferische Ideen. Nach Münchhausen«
Abgang (1710) und nach der nur vierjährigen Amtsfiilirung
seines Nachfolgers, des Gehoimenrats von Gramm, fand der
Herzog dann in der Person des genialen Heinrich Borohard
Schraaer (später von Schliestädt) einen Staats minister nach
seinem Sinne. Schrader wurde bald die Seele aller von
dem Herzoge erstrebten oder unternommenen Reiormon, der
allmächtige Manu, „dui'ch den", wie Lessing sich später
ftufserto, „alles und jedes, was geschehen sollte, geschah".
Aber schon vor seinem Eintritt in das Ministerium , tiocK
Hjjter der Verwaltung von Gramms \iat. ex wcäxi \a«Sa^ws^-
^
»
264 Zweites Buch. Zweiter Absclmitt.
den Einflufs außgeUbt. Bereite im Jahre 1740 ward dorcb
Reglement vom 25. Juni iWr die Stadt Braunschweig eine
zweckmälsige Armenorduung erlassen, welche dem Unwesen
des Betteins zu steuern bestimmt war und die dann, nach-
dem sie sich bewährt hatte, auch in den kleineren Städten,
sowie auf dem platten Lande eingeführt wurde. Dann folgte
(174,'i) die Gründung einer Witwenkasse für die Hinter-
bliebenen der Zivil- uüd Militärbeamten , die Errichtung
einer Brandkaa&e, um den Verlusten bei Feuerschäden zu
begegnen, sowie die Einrichtung eines Leihhauses, um dem
Wucher zu wehren und der Bevölkerung die sichere und
nntzbare Anlage von gröfseren und kleineren Kapitalien zu
ermöglichen. Der Land- und Forstwirtschaft widmeten der
Herzog und sein Minister die gröfste Sorgfalt. Um iur die
bisher ganz mangelhaften Steuerkataster eine sichere Grund-
lage zu gewinnen, wurde eine allgemeine genaue Landes-
vermessung befohlen und neue zuverlässige Orts- und Fluren-
beschreibungen ausgearbeitet. Der Bedrückung und Aus-
beutung des Bauernstandes durch die Gutsherren ward
durch ei nen Erlafs gesteuert , wonach in die Meierbriefe
keine neuen beschränkenden Bedingungen auigenommen wer-
den durften. Die Verwaltung der Forsten nahm unter der
trefflichen Leitung des schon erwähnten Hot Jägermeisters
von Langen einen eriVeulichen Aufschwung und lieferte im
Vergleich zu den früheren Zeiten sehr ansehnliche Erträge.
Auch auf die Hebung der Industrie ei-streckte sich diu Für-
sorge der Regierung. Abgesehen von der Förderung der
Leinentabrikation verdient hier die auf Langens Anregung er-
folgte Anlage der Porzellanfabrik zu Fürstenberg erwähnt
zu werden, die sich bald eine geachtete Stellung neben ihren
älteren Schwestern zu erringen wufste.
Bedeutender vielleicht noch als alles dieses waren die
Verdienste, welche die Regieining des Herzogs Karl sich um
das Medizinalwesen und auf dem Gebiete des Kultus er-
warb. In Braunachweig wurde eine anatomisch-chirurgische
Lehranstalt, das Theatrum anatomicum, errichtet, die in der
Folge eine segensreiche Wirksamkeit entfaltete. Das ge-
samte Gesundheitswesen des Landes aber wurde im Jahre
1747 einer beaufsichtigenden Behörde, dem Collegiuin me-
dicum, unterstellt und ihr unter anderem zur Pflicht ge-
macht, den gewöhnlichen abergläubischen Kuren entgegen-
zuwirken, die betrüglichen Okulisten; Steinschneider und
Wunderdoktoren zur Uechenscbaft zu ziehen und womöglich
jeden djis Leben und die Gesundheit der Bevölkerung be-
drohenden ärztlichen "Unfug auttiuroUevi. ^Aät WL^eosK^aRW
Reform des Unterrichts w^sens.
265
noch als diese Sorge fiSr die leibliche Wohli'ahrt seiner
Unterthanen erwies sich das, was unter Karls Regierung
fUr ihre geistige Ausbildung geschah. Hier, nui" dem Gebiete
der irichule und Volkserziehung, liegt offenbar der Schwer-
punkt seiner schüpieri sehen Wirksamkeit. Kr wurde der
Ketbrmator des braun sc hweigi.schen Unterrichtsweseng, nicht
nur des höheren, soweit es durch die lateinischen Schulen
und die Universität vertreten war, sondern auch des Volks-
schulwesens. Seine Berater hierbei waren zwei ausgezeich-
nete Geistliche, für das letztere der Abt Hassel, für jenes
der bekannte Abt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem.
Für die Schulen auf dem Lande erschien 1753 eine für
jene Zeit vortreffliche Schulordnung, der dann andere ähn-
liche Ordnungen für die niederen städtischen Scliulen folg-
ten. In Braunschweig allein wurden nicht weniger als sechs
Armenachulen gegründet, zur Heranbildung tüchtiger Lehrer
zu den schon bestehenden Seminaren in Woäfenbüttcl und
Braunschweig noch ein drittes in Marienthal hinzugefügt, für
passende Lernmittel durch den Druck guter Schulbücher
gesorgt. Zum Zweck der Hebung der durch eine Reihe
widriger Umstände herabgekumraeuen Universität in Helm-
stedt brachte der Herzog um so bereitwilliger grofse
Opfer, ab sie namenthch infolge der Gründung von Göt-
tingeu an ihrer früheren Bedeutung verloren hatte und auch
sonst hinter den Antoi'derungen der Zeit zurückgeblieben
war. Der Herzog that sein Möglichstes, um sie auf der
Höbe ihrer Aufgabe zu erhalten. Die Lehrstühle wurden
vermehrt, die Gehalte verbessert, der wissenschaftliche Ap-
parat reicher ausgestattet. Im Jahre 1749 wurde ,,die
deutsche Gesellschaft " , eine Art Akademie , mit ihr ver-
bunden, ein Jahr darauf ein Seminar iür Studierende der
Theologie an ihr gegründet. Neben dem Namen ihres
Stifters erhielt sie von jetzt an auch denjenigen ihres Er-
neuerers. Dieser Doppelname (Julia-Carolina) ist ihr bis zti
ihrer Aufhebung geblieben.
Das bevorzugte Werk des Herzogs aber, zu welchem
Jerusalem den Plan eutwaH und dessen ganze Einrichtung
er geleitet hat, war das Collegium Carolinum in Braun-
schweig, eine Anstalt in der Art der berühmten Karlsschule
zu Stuttgart, zur Vermittlung des Überganges von den da-
maligen Lateinschulen zur Universität, aber zugleich auch
bestimmt, denjenigen Gesellschaftsklassen, die sich eine hö-
here Bildung erwerben wollton, ohne die Universität zu be-
suchen, eine solche in vollem Umfat\g;e zw ^'ä^'öXw'i.'u. K"c&.
b. Juli 1 745 wurde die neue AnstaU etöÄwel. K\Ä*a.\iS£Jäi ^"^^
2M Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
Bchwach besucht, erwarb üe sich spttter einen wohl ver-
dienten Ruf und zog von nah und fem Zöglinge, beson-
ders vornehme Aualänder^ nach Braunschweig. Durch nq
erwachte hier ein geistiges Leben, wie es die alte Hanse-
stadt vorher nie gekannt hatte. Die Anregung^ welche von
Männern wie Gärtner , Zachariä , £beH , Konrad Arnold
Schmid und Kacbeuburg ausgiog, ist selbst nicht ohne be-
fruchtende Einwirkung auf die Entwicklung unserer natio-
nalen Littcratur geblieben. Und wie durch des Herzogs
regen Sinn fiir das geistige Bedürfois der Zeit diese Lehr-
anstalt ins Leben gerufen wurde ^ die den Kamen, welchea
sie von ihm trug, im In- und Auslande zu Ehren brachte,
so sorgte er auch nach Kräften für die älteren wissen-
schaftlichen Institute, die ihm von seinen Vorgängern im
Regiment überlietert worden waren. Von der Landes-
universität ist schon die Kede gewesen. Aber auch die gro&e
Schöpfung seines Ahnherrn Augusts d. J., die Wolfenbüttler
BibÜothek, hat seine Huld und Förderung in reichem Mafse
erfahren. Mit Recht bezeichnet ihn Lessing als „ihren
zweiten Begründer". Eine ganze Reihe von Elnzelbiblio-
theken wurde unter seiner Regierung mit ihr vereinigt,
welche die seit Augusts Tode entstandenen Lücken in will-
kommener Weise ergänzten, und gegen Ende derselben be-
rief er zu ihrem Vorsteher den grölsten Kritiker und Dichter
Deutschlands , dessen Name sie für alle Zeit verherrlicht
hat. Endlich möge auch noch der mannigfachen Förderung
gedacht werden, welche der Herzog der Kunst zuteil wer-
den hefs Er begrüudete in Braunschweig, wohin er im
Jahre J753 von Wolfenbüttel seine Residenz verlegte, da»
Kunst- und Naturalienkabinet , aus welchem später das
herzogliche Museum erwachsen ist. Besonderer Fürsorge
aber hatte sich das Theater zu erfreuen, sowohl die italienische
Oper, zu deren Leiter er den Impresario Nicolini berief, wie
das deutsche Theater, an welchem zeitweilig die ersten schau-
spielerischen Krütte der damaligen Zeit, wie Kckhof und
Schröder, mitwirkten
Dafs alle diese Veranstaltungen bedeutende Geldauf-
wendungen erforderten, liegt auf der Hand, und da der
Herzog sich weder in seiner Hufhaltung irgend welche Be-
schränkung auferlegte, noch auch die für die Kräi'to dea
Landes viel zu grofse Militärraaclit verringerte, so war es
unausbieibUch , dafs die auf dem Kammergute lastenden
Schulden von Jahr zu Jahr wuchsen und bereita um die
Mitte des Jahrhunderts, noch bevor der verderbliche aieben-
Jähn'ge Krieg ausbrach, eine WÄenWäcV« "Si^V^ ftT5^^!Äx^w^*
j
Die Lag« Europas ror dem sieben j£hn gm Kriege.
w
WÄre der Friede, der den österreichischen Erbfolgekrieg
beendet hatte, von längerer Dauer gewesen, so hätte viel-
leicht infolge der begonnenen Reformen , der Weiterent-
wicklung der in Angriff genommenen gewerblichen Unter-
nehmungen und der wachsenden Steuerkrai^ des Landes mit
der Zeit da« Gleichgewicht von Einnahme und Ausgabe her-
gestellt werden mögen. Allein acht Jahre nach dem Frie-
den von Aachen brach über Deutschland und Europa der
verheerende Krieg herein , der auch in Hannover und
Brannschweig den aufblühenden Wohlstand vernichten und
das letztere Land dem Staatsbanken) tte nahe bringen sollte.
Maria Theresia konnte den Verlust ihres geliebten Schlo-
siens, das ihr in der Zeit ihrer höchsten Bedrängnis ent-
rissen worden war, nicht verschmerzen. Noch während der
Dauer des zweiten schlesischen Krieges hatte man in Wien
bei den Verhandlungen über die Kaiserwahl Franz Stephans
erklärt, „die Kaiserkrone ohne Schlesien sei nicht des Tra-
gens wert*^ Es ist allgemein bekannt^ wie es dann den
BemühuDgen der Kaiserin und ihres giofsen Ministers Kau-
nitz, »des Kutschers von Europa", gelang, gegen Preulsen
die furchtbarste Koalition zustande zu bringen, welche je in
neuerer Zeit die Existenz eines Staates bedrohet hat. Mit
Jtufsland hatte das Wiener Kabinet bereits im Jahre 1746
einen Vertrag geschlossen, der in seinen geheimen Artikeln
der Kaiserin Maria Tlieresia die Wiedererwerbung Schlesiens
zusicherte und die Stärke der von beiden Seiten zu stellen-
den Streitkräfte bestimmte. Eine schwierigere Aufgabe aber
setzte sich die Österreich isclie Diplomatie während der näch-
sten Jahre nach dem Frieden von Aachen, indem sie äch
bemühete, eine Annäherung an Frankreich herbeizuführen
und diese bisher mit dem Preufsenköcige verbündete Macht
von ihm zu trennen und für ihre Pläne zu gewinnen. Die
Folge davon war freilich, dafs nun anderseits zwischen den
bislang so eng verbundenen Höfen von Wien und St. Jaraea
eine Eutireradung und bald eine wachsende Spannung ein-
trat, da gerade zu dieser Zeit die Nebenbuhlerschaft der
beiden Westmächte in den weiten Kolonialgebieton Nord-
amerikas neue, auch für Europa verhängnisvolle Verwick-
lungen hei-vorzurufen droheten. Unter diesen Umständen
verschoben sich allmählich die gegenseitigen Beziehungen der
europäischen Grofamächte, so sehr diese, wenigstens teilweise,
dureh altüberlieferte Traditionen gefestigt erscheinen moch-
ten. Indem die österreichische Staatskunst es jetzt in Ruck-
sicht auf Frankreich von der Hand wies, sich zum Schutz
der Niederlande, Englands und Hanwovew xu N(st^'^vila\Ko.^
ZwoMs Bvdh. Zivcsler Abrcninttt
trat die ETentuatität emer Aafl5«iiiie des firterreicb-engUschen
Zoflacnmenwirkece hervor, aaf welcbem «o Uage <i&s Gleich-
gewicht EaropAA berahet hatte. Es beieitEte nch dne völlige
Umgeataltang der Gesichtsponkte vor, weiche bislang ^r
die grofae Politik des ErdteÜs maikgebend gewesen waren,
eine Veränderung, weiche za ganz neuen ParteisteUtingen
fuhren sollte.
Man wird sich nicht wundem, dafs der stets um diel
Sicherheit seiner Erbl&nde besorgte Georg 11. gleichtalls Toaj
diesen Vorgängen beeinflalst wurde. Hatte er in den frü-
heren Verwicklungen gegen die wirklichen oder eingebil-
deten Bedrohaogen des Karstaates durch Prankreich und
Preufsen den sichersten Schutz in einem engen Anschlüsse
an Osterreich gesucht, so ward ein solcher jetzt hinläUig,
seitdem es kein Geheimnis mehr war , dafs der Wiener Hof
die gröfsten Anstrengungen machte, um zu einem Bündnis
mit Frankreich zu gelangen. Als Kurftirst von Hannover
sah dich Georg durch die Macht der Verhältnisse zu einer
Annäherung an Friedrich II. gedrängt, gegen den sich die
Spitze der französisch-österreichischen Verhandlungen richtete,
aU König von England halte er kaum eine andere Wahl,
seitdem der Krieg zwischen Frankreich und England in
Amerika zum Ausbmch gekommen war und nun seine Kon-
sequenzen auch in Europa geltend zu machen drohete. Die
Vermittlung übernahm Herzog Karl von Braunschweig, der,j
ein doppelter Schwager Friedrichs II. und ein Staramesvet
des Königs von England, als die dazu geeignete Person-^
lichkeit erschien. So erlebte denn die Welt das über-
raschende Schauspiel, dals die beiden Könige, deren Politik
bisher in schroffem Gegensatze sieh bewegt hatte und die
aufserdcm durcli die bitterste persönliche Feindschaft von
einander getrennt waren, sich zu gemeinsamem Handeln die
Hand reichten. Am 16. Januar 1756 wui-de zu AVestrain-
ster von den Bevollmächtigten Englands und Preufsens ein
NeutrftlitHt«verti*ag abgeschlossen, in welchem man sich den
Bestand der beiderseitigen Staaten in Deutschland verbürgte
und sich verpflichtete, jedem VerBuehe einer fremden Macht,
mit gewaffneter Hand sich in die Angelegenheiten Deutsch-
lands einzumischen, gemeinsam entgegenzutreten^^ Wenige
Monate später erfolgte vonseiten Frankreichs und Oäterreichs
der Gegen «cJilag. Zu Versailles ward am 1. Mai von die-
sen Mächten ein Doppolvertrag unterzeichnet, einmal eine
Nenfrnlitätskonvcntion, wonach die Kaiserin versprach, sich
in keiner Weise an den en^\\%c\\-^xaTi7.w\w,Wv Uändelu zu
beteiligen, und sodann einlinw-nv \inÄ.¥'t%\mftÄ^\34.l\Ks^s^\si6^,
Begino des aiebcnjühngen Krieges.
269
in welchem beide Teile die gegenseitige Garantie fiir ihre
Staaten übernahmen und^ich verpdichteten, bei jedem et*
waigen Angriffe einer dritten Macht auf eine von ihnen
sich einander mit je 24 000 Mann Iliife zu leisten. Die
Österreichische Politik feierte einen glänzenden Triumph.
Diejenige Macht, die seit zwei Jahrhunderten kein anderes
Streben gekannt hatte als die Schwächung und womöglich
die Zertrümmerung der habsburgi sehen Monarchie, Üels sich
jetzt herbei, der Erbin des hahsburgi sehen Hauses Vasallcn-
dienste zu It^isten.
Aufserlich trugen die Verträge von Westminater und
Versailles keinen offensiven Charakter. Beide uauaten sich
Keutralitäts vertrage, und geflissentlich hatte man in ihnen
jede Bestimmung vermieden, der man eine Angriffs tendenz
unterlegen konnte. Trotzdem barg sich in ihren Kalten der
Krieg und zwar ein Krieg, der, weil er ein allgemeiner zu
werden drohete, sich wie schon so oft im Herzen des Erd-
teils, in Deutschland, entladen mufste. Noch war kein
Schufs gefallen, aber in ganz Europa roch es nach Pulver.
Der erste, der die unheimliche Stille unterbrach und das
Signal zu dem grofseu Waffentanze gab, war wiederum
Friedlich IL von Preufaen. In der wirklichen oder _ vor-
geschützten Überzeugung, dafs im nächsten Frühjahr Öster-
reich und Rufäland sich mit ganzer Macht auf ihn stürzen
würden und dafs dann der Beitritt Frankreichs zu dem
Offensivbunde sich von selbst verstehe, falste er den Be-
Bchlufs, seinen Gegnenx, die in ihren Rüstungen noch zu-
rückwaren, zuvorzukommen. Er hoffte durch eiueu raschen
unvermuteten Angriff auf Osterreich, die in der Bildung be-
griffene KoaUtion zu zersprengen und sich zum Herrn der
Lage zu machen. Zu diesem Zwecke sollte erst Sachsen,
das im Vertrauen auf seine Neutralität, aber in unbegreif-
licher Verblendung über die sich vollziehenden Thatsachen
sein Heer bis auf 22 000 Mann verringert hatte, übergerannt
und dann das Kui'JVurstentmu zur weiteren Basis der Ope-
rationen gegen Osterreich gemacht werden. Aber trotz an-
züglicher Erfolge scheiterte dieser Plan vollständig, und
statt den grofsen Bund, dessen Zustandekommen der König
vereiteln wollte, zu verhindern, fühi'ten der Einfall in Sach-
sen und die Vergewaltigung dieses Landes gerade den Ab-
schlufs dieses Bundes herbei.
Ohne Kriegserklärung brach Friedrich gegen Ende August
1756 mit einem Heere von 70000 Mann in Sachsen ein.
Er fand nicht den geringsten Widerstand. OVoift ^^äovi^'v Xii^-
mächtigte er sich des Landea bis au fc "böV-cmaÄ^^ Qoc^öiä.
m
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
bin und zwang die vor ihm zurückweichende säcbsische
Armee, nachdem er bei Lowositz einen Versuch der Öster-
reicher, ihr Hüte zu bringen, zurückgewiesen hatte, zur Er-
gebung. Dieser Gewaltstreicii beechleunigte den AbschluTs
der OffensivbündniBe« ÖBterreichs mit Rulsland und Frank- ^^
reich. Leicht gelang es jetzt, die Kabinette von St. Peters-^H
bürg und Versailles dafür zu gewinnen. Während ein kai- ^^
serliches Mandat „ den Kuri'iiraten von Brandenburg" fUr
einen Rebellen und Reicbsteind erklärte und der Reichstag
in Regeneburg den Reichskrieg gegen ihn beschlois, wurden
die alten Verträge mit Ruisland und Frankreich nicht nur
erneuert, sondern in offensivem Sinne umgestaltet Der Ver-
trag mit Rufsland ('2. Februar 1757) machte zur Vorbe-
dingung jedes mit Preufsen zu schlielsenden Friedens die
Zurückgabe Schlesiens, der rait Frankreich forderte aufser-
dem die Abtretung anderer Gebietsteile des preufaischeu
Staates, nameutUch des Herzogtums Magdeburg, dos Bistums
Halberstadt imd des ehemals schwedischen Pommerns. Die
Aussicht auf die Wiedererwerbung des letzteren bestimmte
auch Schweden, sich dem grofsen Bunde gegen Preufsen
anzuschliefscu. Und während so der eiserne Ring um den
Preufsenkonig sich schlofs, niifslang der Vorstofs, mit wel-
chem er Osterreich in seinem Lebensnerv zu treffen gemeint
hatte. Auf den Sieg bei Prag folgte die Niederlage von Ko-
lin (18. Juni 1757) und der verluatvoUe Rückzug aus Böh-
men. Aus dem Angriff sah sich Friedrich in die Vertei-
digimg zurückgedrängt. Jetzt erst gestaltete sich der Krieg
zu dem gigantischen und heroischen Ringen, das ihm die
Bewunderung der Mit- und Nachweit erworben hat
Es kann nicht imeere Absicht sein, den Verlauf dieses
Krieges auf den verschiedenen Schauplätzen, auf denen er ge-
fuhrt wurde, zu vetfolgen. Fiir imsere Darstellung genügt
es, diejenigen Momente und Ereignisse dem Leser zu ver-
gegenwärtigen, welche die haunövrischen und hraunschwei-
gischen Gebiete unmittelbar berührten. Schon im K
1757 hatte sich ein grofses franzööisches Heer in der St^ke
von llOüOO Mann unter dem Oberbefehl des alten bedäch-
tigen Marschalls d'Eströes gegen die deutsche Westgrenze
in Bewegung gesetzt. Ohne auf Widerstand zu stofsen,
breitete es sich in den lijiksrheinischen Gebieten, den Län-
dern der Kuriiirsten von der Pfalz und von Köln, der Ver-
bündeten Maria Theresias, aus, besetzte Köln, Jülich und
Düsseldorf und machte diese Städte zu den Au^angspunkten
Boiner weiteren kriegeriiBcheu Unternehmungen. Von hier
üuB überschritten die Franzo^u wiv^\<ivc!Äs^ &*env Bluain^
Ein&H der Fraiuosen m Weitfal«n.
271
überschwemmten zugleich das Herzogtum Cleve, bemächtigten
sich der von den Preufsen verlassenen Festung Wesel und
bedroheten von Westfalen aus Ostiriesland und die Land-
schaften des hannövrischen Kurstaates. Dadurch wurde dem
Schwanken Georgs II., der noch im Herbst 1756 wegen
der Neutralitiit Hannovers rait dem Wiener Hofe verhandelt
hatte, ein Ende gemacht. Ihm war alles daran gelegen, die
fremden Truppen von seinen Stammlanden fern zu halten.
Daher wies er die Zumutung der Kaiserin, den mit ihr ver-
bündeten Franzosen den „unschädlichen Durchzug'* durch
Hannover zu gestatten, zurück. In einer Botschaft an das
Parlament verlangte er am 17. Februar 1757 die nötigen
Mittel, um zum Schutze seines Landes ein Beobachtungs-
heer aufzustellen und seiner in dem Vertrage von West-
minster übernommenen Bundespflicht gegen Preufsen ge-
nügen zu können. Er hatte sich bisher den Anträgen Fried-
richs n. g^enüber , welche auf eine gemeinsame Krieg-
fuhrung hinausliefen, kühl und ablehnend verhalten, nament-
lich den Vorschlag des jireufsischen Abgesandten Grafen von
Schmettau, durch Aufstellung eines ßeobachtuogsheeres zwi-
schen Wesel und Lippstadt die Rheinlinie zu decken, zurück-
gewiesen. Man hatte in Hannover geantwortet, es genüge
die Weserlinie festzuhalten: ein Vorrücken über die Weser
würde Hannover als angreifenden Teil erscheinen lassen.
Jetzt kamen die Anstalten zur Verteidigung des Landes in
rascheren Zug. Mit Braunschweig, Hessen und Sachsen-
Gotha wurden die Subsi dien vertrage erneuert, die im eng-
lischen Solde stehenden, noch in England befindlichen han-
nÖvrisohen und hessischen Truppen von dort nach Nord-
deutschlaud herübergeachafft und aus ihnen mit anderen
hannövrischen und braun sc hweigischen , gothaischen und
böckeburgischen Regimentern eine „ Observationsarmee '' ge-
bildet, die sich mit Einschlufs der aus Wesel zurückgezogenen
preuJsisehen Besatzung auf etwa 52 000 Mann belief. Der
Oberbefehl wurde auf Wunsch Friedrichs H. dem Herzoge
Wilhelm August von Cumberland übertragen, eine nicht eben
glückJiche Wahl, da dieser sich zwar bei Dettingen und
Culloden durch persönliche Tapferkeit hervorgethan , aber
weder dort noch hier Beweise von grofser militfirischer Be-
gftbung gegeben hatte. Am 27- April traf der Herzog in
Hannover ein und übernahm den Oberbefehl über daa Bun-
desheer. Einen nochmaligen Antrag seines Gegners, gegen
freien Durchzug durch Hannover dem Lande jede mögliche
Schonung angedeihen zu lassen, wies er z\iTyick. K^ iäa
J^üchrieh^ Jä/s der Feind sich im M.üTiftlet\a.vA% «.m^x^wN»,,
2ii
owoter AMoMitt-
sog er die Uoga der Weser zerstreaeten Trappen zusammen,
bewerkstelligte aeiDen Übergang über diesen Flals and nabm
an den Abhängen de« Hppiscbea Waldes bei Bielefeld und
Brackwede eine feste Stellung, in der er den Angriff des
überlegenen Feindes erwarten zu wollen schien. Beim An-
mancb desselben aber gab er diese Stellung auf und sog
sich in eilfertigem Rückzuge wieder über die Weeer zurück
wo er bei Minden auf dem rechten Ufer des Fhisses Halt
machte. Damit war Hessen dem Feinde preisgegeben. Der
alte Landgraf Wilhelm VlIL^ gegen den jetzt auch die
Reichsexekution verfügt ward, verliefs Kassel und ätiehtete
nach Hamburg. Das Land ward von den Franzosen be-
setzt, die es mit Requisitionen und Kriegssteuem alier Art
bedrückten. Zu derselben Zeit drang ein anderes feind-
liches Korps in Ostfriesland ein und bemächtigte sich Em-
dens. So sah sich der Herzog von Cuniberland auf seiner
rechten und linken Flanke bedrohet, während die Haupt-
macht der Franzosen sich anschickte, ihn in der Front an-
zugreifen.
Diesen Angriff beschlois der Herzog bei Hameln , ge-
stützt aut diese Festung, zu erwarten. Er nahm bei dem
Dürfe Hastenbeck südöstlich von Hameln eine Verteidigungs-
stellung, welche ihren rechten Flügel an einen morastigen
Anger, den linken an die bewaldete Obensburg lehnte und
im Zentrum durch eine starke Bfitterie von schwerem Ge-
schütz gedeckt war. Hier erfolgte am 26. Juli die Schlacht,
welche das hannövrische Land bis an die Elbe wehrlos den
übermütigen Frauzoaen in die Hand liefern mWiß. Es war
ein geschenkter Sieg, den sie hier davonü'ugen. Wohl be-
mächtigten sie sich nach tapferer und hartnäckiger Gcgen-
wehi- der Obensburger Höhe, wohl ging auch Hastenbeck und
die bei dem DoH'e aufgestellte Batterie verloren, aber wäh-
rend der Herzog voreilig den Rückzug befahl, eutrifa der
tapfei*e Oberst von Breidenbach die Obensburg dem Feinde
wieder und trieb ihn in völliger Auflösung die Höhe hinab.
Zu gleicher Zeit stellte sich der einundzwanzigjährige Erb-
prinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunscbweig an die
Spitze des Flügel bataillons vojn braunschweigisclien Leib-
regiment und eroberte die verlassene Batterie im Zentrum
durch einen kühnen Bajonettangriff zui'ück. Die Schlacht
war gewonnen, die Franzosen in vollem Rückzuge, den sie
erst hemmten, als wiederholte Meldungen ihnen die fast un-
glaubliche Gewilsheit gaben, dafs der Sieger das Treffen für
verloren halte. Der Herzog hatte vollständig den Kopf ver-
Jorea. Unwillig gehorc\iten 6ie tru^^eu w\nffitti liefeble.
Trefieu bei Ila£tenbeck und dessen Folgen.
278
den Rückzug fortzusetzen. Kein Feldzeichen, fast kein Ge-
schütz hatteu sie verloren. Dagegen hatte Bi-eidenbach drei-
Imndort Gefangene gemacht und zweinndzwauzig Geschiitze
erobert, von denen er freilich die Hälfte wegen Mangels an
Bespannung auf dem Schlachtfelde zurücklassen mufste.
Da« Treffen bei Hastenbeck entschied tUr die nächste
Zeit das Schicksal Hannovers und Braunschwelgs. Anstatt
mit dem wenig geschwächten und noch immer kamptlustigen
Heere und mit Hilfe des treuergebenen Volkes dem Feiade
jeden Schritt streitig zu machen , setzte der Herzog ohne
Aufenthalt seinen Kückzug die Weser abwärts fort, ging
oberhalb Verden über die Aller und verfolgte dann seinen
Weg weiter über die Wümme und selbst über die Oste
gegen Bremer^'örde und Stade, ohne auch nur einen Augen-
blick daran zu denken , die natürlichen Verteidigungaab-
schnitte, die der Lauf jener Flüsse dai*bot, zu entschlossener
Abwehr und zum Schutz des dahinter liegenden Landes aus-
zunutzen. Es scheint bei ihm von vornherein beschlossene
Sache gewesen zu sein, im Fall einer Niederlage von der
mittleren Weser das Heer iu den Zwickel zwischen Oste und
Klbe zu führen, wo ihm die Festung Stade einen Stützpunkt
verhiefa und die Nähe des Meeres die Verbindung mit Eng-
land offen hielt So sah sich das Land bis an die untere
Klbe der Gnade des Feindes preisgegeben, der nicht säumte,
dem zurückweichenden Herzoge zu folgen. Von seiner Zag-
haftigkeit angesteckt, dachte man nirgend an Widerstand.
Die Festungen, darunter das wichtige Hameln, ergaben sich
aut die erste Aufforderung, die Städte, auch die Haupt-
stadt Hannover , wetteiferten , dem Sieger ihre Schlüssel
zu überreichen. Der Hof von Braunschweig beeilte sich,
itm seine Unterwerinng anzuzeigen und ihm seine beiden
■wichtigsten Plätze, Braunsehweig und Wolfenbüttel, auszu-
liefern. Dafür erlangte er von dem Herzoge von Richelieu,
der den Marschall d'Eströes mittlerweile im Oberbefehl
des französischen Heeres abgelöst hatte , eine Konvention
(13. August) , wonach dem Fürstentume Blankonburg die
Neutralität zugestanden und dem Herzoge Karl gestattet
v^'ard, sich mit seinem Hofe nach Blankcnburg zurückzu-
ziehen und hier die weitere Entwicklung der Ereignisse
abzuwarten.
Diese gestaltete sich, wie vorauszusehen war, zu einer
unerhörten Bedrückung und Aussaugung des Landes. Nach
seiner Besitznahme galt es nunmehr, die Hilfsmittel, die es
darbot, nach Kräften auszubeuten. Der neue OberbefehU-
H6iB«w«eo, BnnBscbw.-buuör. GeBcVichU. Ul. V&
geMnui.
«od sei-
wA der Her-
Sieben eioer
1 y^i^/^gMaffimif der er waA i^ner fi^lute,
Hib^er. die er jetst
batte «ad in da* sttne Untts^
Dm prädbkige LoidBBi^ das er
■fitoTy aadi der EaActeag roa sfliaeBi Konmanda^ aicli er-
l—pte, lami'TTi & FMser ipattsäw «den Fmlkm too
Dnoorer''. Im PialaMgr des g.*^"»" Taitdr» vurden die
fffr**1^**-**-" ffiwrn snl Itrarhlir fadc^, adiwcre Koctri-
llmtioneD and imefBclnrii^^clke LaJLiau^eB «Der Art aos-
ceadui^yeiL In Btaansdtwc^^, wx> er eine Zeit Uzig seiix
Hauptquartier auiscltlt^ erfcaitrtp er mit der bnataiea Back-
mchtdo^Aeät tma tttifctsdieii Paae^ BlOe, Maskeraden,
Opern, Konzerte aad PantomaiMii ftlgteo äca in ananter-
brochner Reibe. Vergebens sncbte Herzog Kari ihn durch
ansdmlicbe Geldgeschenke zu einer wiiM«^ Behandlung des
f Ande» zu bestimmen. Er nahm sie als einen ihm gebüh-
renden Tribut en^egen und fuhr fort , sich die ärgsten
Graosamkeiteo und Ausschweifungen zu erlauben. Dörfer
und kleinere Städte wurden ausgeraubt und Terheert, Brand-
Mhatzongcn unerbittlich eingetrieben, angesehene und wohl-
habende Personen ohne Grund verhaftet und oft den gröb-
sten Mifehandlungen unterworfen. So hausten damals die
Franzosen, die Tonangeber des guten Geschmacks und der
feinen Sitte, in dem braunschweigischen und hannövrischen
Lande.
Inzwischen war der Herzog von Cimiberland bis nach
Bremervörde, wenige Wegstunden südwestlich von Stadf^
zurückgewichen. Einen Augenblick schwankte er, ob er
hier eine Schlacht annehmen solle. Aber schon bedroheten
die Franzosen ihn im Rücken und trafen Anstalten, ihn
völlig zu umzingeln. Am 3. September hatten sie sich durch
einen Haudätreicb Harburgs bemächtigt und sich damit an
der Niederelbe festgesetzt. Damit war die Lage des Bundea-
hceres eine verzweifelte geworden. Es achien ihm nur die
Wahl zwischen Untergang oder schimpflicher Kapitulation
SU bleiben. Unter diesen Umständen bot der König Fricd-
ricli V. von DUncmark seine Vermittlung an. Nach längeren
Vcrhuiidlungc'u wurde diese von beiden Seiten angenommen,
un<l am 4. Jsopteniber erschien der dänische Statthalter in
Oldenburg und Delmenhorst, Rochuft Friedrich Graf zu
4
KoDTention tüd Kloster Zeven.
275
Lynar, im Lager von Bremei-vorde , um zunächst einen
Waffenstillstand zu vereinbaren. Seinen Bemühungen ge-
lang es wenige Tage später eine Ubereinkuni't zustande zu
bringen, welche ara 8. September von Cuniberland und am
1 0. von Richelieu in dessen Hauptquartier , dem Kluater
Zeven, unterzeichnet ward und daher als die Konvention
— die Bezeichnung Kapitulation hatte der Herzog von
Oumberland entschieden abgelehnt — von Kloster Zeveu
bekannt ist Dieses Übereinkommen verfügte auf Grundlage
eines vorher angenommenen Waffenstillstandes die Aus-
scheidung der braunschweigiftchen , hessischen, gothaischen
und büekeburgischen Truppen aus dem Verbände der Armee
Cumberlatids und ilire Entlassung in die Heiniat. Den Hau-
novcranem wurden Stade nebst dem immittelbareu Bezirke
um diese Festung, sowie das Herzogtum Lauenburg einge-
räumt, im Besitz der Franzosen dagegen sollten die von
ihnen eroberten und besetzten Landstriche, auch die Her-
zogtümer Bremen und Verden, verbleiben. Die Konvention
überlieferte also fast den ganzen Kurstaat und das Herzog-
tum Braunschweig der Willkür der Franzosen. In beson-
deren Artikeln, die eine Ergänzung zu dem Hauptvertrage
bildeten , ward die Verteilung der hannövrischen Trappen
diesseits und jenseits der Elbe genauer bestimmt und die
Ausscheidung und Verlegung der Hilfatruppen, die nicht als
kriegsgefangen gelten sollten, späteren Verhandlungen mit
den beti'effenden Höfen vorbehalten. Eine weitere Verein-
barung vom 16. September bestimmte die Auslieferung der
gegenseitigen GefaDgenen.
Sogleich nach Abschlufs der Konvention erhoben sieb
gegen dieselbe Bedenken und Schwierigkeiten , welche sieb
aus der Eilfertigkeit, mit der sie zustande gekommen war,
erklären. Die Dislokation der hannövrischen Truppen nach
Lauenburg atiefs auf Hindernisse, lüchelieu forderte die Ent-
•wafiiiuüg der hesBJschen und braunschweigischen Regimenter
unter dem Vorwande, dafs er unmÖgHch in einem eroberten
Lande eine Streitmacht von 12000 Mann in seinem Kücken
dulden könne. Anderseits zögerte auch Georg II. mit der
Ratifikation des Zevener Vertrages, Er war in hohem Grade
aulgebracht über die Kriegführung seines Sohnes und be-
zeichnete die Konvention als ein ,, mifstalliges imd unglück-
liches Ereignis". Wohl würde er geneigt gewesen sein, ihr
seine Zustimmung zu erteilen, wenn er damit die Räumung
seiner Erbataaten durch die Iranzösische Armee hätte er-
kaufen können. Denn die Neutralität l\aniüiy7^x% "vifts "vsaA
blieb der Scb werp unk t seine r deutscYiea Y o\k?ä& . Qt\Ä.Osv
276
Zweitos Buch. Zweiter Abscliaitt.
nach dem Gefechte bei Hastenbeck hatte er, uneingedenk
der gegen Preufsen übernommenen Verpflichtungen, in Wien
und Versailles Anstrengungen gemacht, um sie zu oriangcn.
Sift waren indes gescheitert , da Frankreich unter keinen
Umständen in eine solche Ti*enniing der iiannövrischen Frage
von der Kriegsfrage mit England wilUgen wollte, vielmehr
durch die Besetzimg des Km*8taates einen Druck auf die
Politik des englischen Kabinettes auszuüben gedachte. In
England hatte man dann einen Augenblick daran gedacht,
den Herzog von Cimiberland durch Zusendung von eng-
lischen TruiJpen zu verstärken. Aber Pitt^ dei- eben in das
Ministerium getreten war, widersprach und wollte nur neue
ISubsidieu füi* die bedrohcte Armee bewilligen. Nun kam
noch hinzu, dafs der Herzog Karl von Braunschweig, au&
äuJserste gebracht durch die Bedrückungen, die sein Land
von den Franzosen zu erdulden hatte, mit diesen eine Kon-
vention abßchlois, wonach er nicht nur seine IVuppcn von
der Armee des Herzogs von Curaberland abzuberui'cn, sondern
sie auch mit der Reichsarmee zu vereinigen versprach und
sein Land , seine Festungen Braunach weig und Woli'eu-
büttelj seine gesamte Artillerie, seine Vorräte an Waffen und
Munition dem Iranzusischen Hauptquartiere zu unbedingter
Verfügung stellte.
Nicht nur bei dem Könige Georg, sondern in ganz Eng-
land, bei der Regierung und im Volke, hatte die Konven-
tion von Kloster Zeven Unwillen und Entrüstung hervor-
gerufen. Der Ausdinick dieser allgemeinen Stimmung war
die Zurückberufung des Herzogs von Cumberland. In Eng-
Uind empfing ihn Georg II, mit den Worten: „Das ist mein
Sohn, der mich zugrunde gerichtet und sich entehrt hat"
Cumberlands Abberufung bedeutete nichts anderes als das
Verlassen der bisherigen Schaukelpolitik Hannovers und den
ersten Schritt zur Aufhebung der Konvention von Zeven.
Denn König Georg sowohl, wie seine hannövrischen Räte
konnten sich nach allem, was geschehen war, nicht läng^
der Einsicht verachUefaen , dafs ihre bisherige Politik das
Land, auf dessen Bewahnmg vor fremder Invasion alle ihre
Anstrengungen gerichtet gewesen waren, ins Verderben ge-
führt hatte und dafs jetzt nur ein ehrlicher Anschiuls an
Preufsen es von dem Drucke der Fremdherrschaft befreien
konnte, der schwer auf ihm lastete. Um Gründe, die von
den beiderseitigen Heerführern vereinbarte Konvention zu
ven^'erfen, konnte man nicht verlegen sein. Abgesehen da-
von, dafs auch der französische Hof ihre Ratihkation bean-
standete^ hatten französische Truppen den Waffenstillstaud
Kündigung der Konvention,
277
gebrochen, indem sie ilas Scbloi's Scharzfeld um Harze er-
stiegen, es ausjtlünderten und die aus Invaliden bestehende
Besatzung zu Gefangenen machten. Die unerhörten Be-
drückungen und Oewaltthiitigkeiten , welche sich die Fran-
zosen im ganzen Lande erlaubten, hatten seit dem Vertrage
von Zeven nicht abgenommen, sondern sich zu einer solchen
Höhe gesteigert, dafs Georg II. sich veranlal'st sah, sie in
einer energischen, an den Wiener Hot' gerichteten Denk-
schrift zu brandmarken. Dazu kam das wiederholte Ver-
langen RicheUeus, dafs die hessischen Truppen, ungeachtet
sie nach den Bestimmungen des Waffenstillstandes nicht als
Gefangene anzusehen waren, sogleich nach ihrer Ankuntt
in Hessen die Waffen abgeben sollten. So fal'ste man denn
in London den Kntschlufe, die Konvention von Zeven nicht
zu bestätigen, sondern zu verwerfen. An die Regierung in
Hannover erging der Befehl, alle Unterhandlung mit dem
französischen Marschall, der inzwischen einen Teil seines
Heeres in das Fürstentum Halberstadt geschickt hatte, ab-
zubrechen und mit dem in Hamburg weilenden Landgrafen
von Hessen die nötigen Schritte zur Wiederautiiahme der
kinegerischen Operationen zu verabreden. Zugleich sandte
Georg 11. den Generalmajor Grafen von der Schulenburg
an König Friedrich von Preufsen, um zum Oberbefehlshaber
der verbündeten Armee den Herzog Ferdinand von Braun-
Bchweig zu erbitten.
Diese Wahl hätte keinen geeigneteren Mann treffen
können. Ferdinand, ein jimgerer Bruder des regierenden
Herzogs Karl von Braunschweig , damals secheunddreifsig
Jahre alt, war 1740 als Obrist eines gröfstenteUs aus
Braunschweigem errichteten Regimentes in preufsische Dienste
getreten, hatte sich in der strengen Ki'iegsschule Fxiedricha U.
zu einem ausgezeichneten OiKzier ausgebildet und an sämt-
lichen Feldzugen des grofsen Königs einen ruhmvollen, her-
vorragenden Anteil genommen. Bei Soor erstürmte er an
der Spitze seiner Brigade, obschon verwundet, eine vom
Feinde hartnäckig verteidigte Anhöhe, und in der Schlacht
von Prag trug er durch Umsicht und Entschlossenheit we-
sentlich zu dem hartbestritteuen Siege bei. Friedrich JJ.
schätzte ihn ungemein hoch und ziLhlte ihn zu seinen besten
Generälen. Bei der Nachricht von der Zeveuer Konvention
schrieb er ihm: „Dans notre Situation il taut se persuader,
mon eher, qu'un de nous en vaut quatre autres." Was
aber neben seinen railitänschen Eigenschaften den Herzog
vorzugsweise zu dur Stellung befähigte, die man ihm zu-
dachte, war, dafs er mit jenen und mit seiner fUrstlichen
Zweites Bucli. Zweiter Äbschiittt.
Geburt alle die Eigeni^chaflen verband, welche imstande
waren, ein aus so verschiedenen Truppenteilen zusammeu-
ffewüri'cltes Heer zu einer einheitlichen, von demselben Geiste
beseelten Streitmacht umzugestalten. Seine Leutseligkeit,
seine humane Gesinnung, seine verbindUchen Formen, unter
denen sich ein fester zieibewuföter Wille verbarg, befähigten
ihn in gleichem Mafse zu den Verhandlungen mit den ver-
schiedenen Regierungen und Behörden, mit denen ihn die
ihm gestellte Aulgabe in Verbindung brachte, wie sie ihn
die unbedingte Hingabe der von ihm befehligten Truppen
erwarben.
Zwei Tage nach der si^reichen Schlacht bei Roisbach
traf Schulenburg im preufsischen Hauptquartiere zu Leipzig
ein. Friedrich IL gab mit Freuden seine Zustimmung, und
schon am 16. November befand sich der Herzog auf dem
Wege nach Stade, wo er am 23. November das Kommando
über das verbündete Heer übernahm. Es geschab unter
den schwierigsten Umständen. Noch waren etwa . 32 000
Mann beisammen, aber während der Landgraf von Hessen
Beine Truppen ohne weiteres dem neu eruaunten Ober-
befehlshaber unterstellte, hielt der Herzog Karl von Braun-
Bchweig an dem mit Frankreich abgeschlossenen Vertrage
fest und erteilte dem General Imhof den Befehl, nach Braun-
Bchweig abzumai-schieren. Mit Gewalt mufste die Ausführung
dieses Befehles verhindert werden. In diesem Augen bUche
traf Herzog Ferdinand beim Heere ein. In einem beweg-
lichen Schreiben bestürmte er jetzt seinen Bruder , seine
Truppen bei dem Heere zu belassen, den Befehl zu ihrem
Abmarsch zurückzunehmen. Der Erbprinz , der sich ihm
auf der Reise angescblosseu, teilte durchaus seine Gesinnung,
allein er erhielt von seinem Vater die wiederholte Weisung,
nach ßraunschweig zurückzukehren. In dieser peinlichen
Lage erklärte er, seine Pflicht als preufsischer Offizier ge-
biete ihm, selbst wider den Willen seines Vaters auf seinem
Posten zu bleiben. Zugleich wufate sein Oheim durch eine
begeisternde Anrede an die Truppen diese zu dem näm-
lichen Entschlüsse zu bestimmen. Herzog Karl war freilich
in hohem Grade aufgebracht über den Ungehorsam seines
Sohnes und die Mifeachtung seiner Befehle. Ganz in der
Gewalt der Franzosen , naiim er vielleiclit auch nur zum
Scheine diese Miene an. Als aber die ersten Operationen
seines Bruders einen glänzenden Verlauf nalmien und die
baldige Befreiung auch seines Landes verhiefsen und als
bald darauf zu der Nachricht von dem Siege von Kofsbach
ßich diejenige ^'on dem nocYi gto^&M^\i»jCWi'Q. YxCal^e von
I
Herzog FerdiDaod Oberbefbhlshaber des Heeres. 279
Leuthen gesellte^ beruhigte er sich und liels die Dinge ge-
währen.
Raum der ihm untergebenen Truppen mächtig, fUhrte
Ferdinand sie dem zwar durch Krankheiten und Fahnen-
flucht geschwächten aber noch immer überlegenen Felude
entgegen. Er war der Ansicht, dafs durch einen kühnen
Vormarsch ihr Vertrauen in die eigene Kraft am sicherstea
und schnellsten wiederhergestellt werde. Am 28. November
benachrichtigte er Richelieu, der inzwischen, um die Auf-
lösung der hannövrischen Armee mit Gewalt zu erzwingen,
von Braunschweig auigobrochen und sein Haupt{|uartier in
I/üneburg genommen hatte, dala er zum Befehlshaber eben
dieser Armee ernannt sei und die Weisung erhalten habe, die
Operationen wieder zu beginnen. Schon am folgenden Tage
forderte er Harburg zur Ergebung auf und liefs, als eine
nbachlägige Antwort ert'ulgte, die Beschielsung des Platzes
eröflhen. Zugleich besetzte er Buxtehude und wandte sich
von da über Jesteburg, Sahrendorf, Amelinghausen und Eb-
etorf gegen Celle, wo Richelieu sein Heer hinter der Aller
zusammengezogen hatte. So war ein grofser Teil des han-
n<j\Ti8chen Gebietes vom Feinde gesäubert. Da aber die
"V^'interkälte alle weiteren Unternehmungen verbot, auch be-
deutende Verstärkungen der Franzosen eintrafen, so be-
ßchlofs Ferdinand, nachdem am 30. Dezember noch Har-
buTff gefallen, sein Heer in die Winterquartiere zu legen.
Es bezog längs der Ilmenau zwischen Eostorf und Boden-
ieich, mit dem Zentrum in Ülzen, ein Lager, um in dieser
Stellung das Herannahen der besseren Jahreszeit zu er-
warten.
Inz^-ischen beschleunigte der ungewöhnlich harte Winter
das Zusammenschmelzen der grofsen französischen Armee,
welche von Bremen, das Richelieu am 17. Januar 1758
hatte besetzen lassen, bis an den Harz hin in weiten Kan-
tonnements verzettelt war. Des rauhen Klimas ungewohnt,
verloren die Franzosen viele Leute durch ansteckende Krank-
heiten, zumal ihre Hospitäler sich in dem traurigsten Zu-
stande befanden. Wälu-end des Januar allein starben 10 000
Mann. Solche Verluste vermochten auch die Nachschübe
aus Frankreich nicht auszugleichen. Von den 1 34 000
Mann, welche die beiden Heere von d'Estrdea und Soubiae
gezählt hatten, war bald wenig mehr als die Hälfle noch
diensttauglich. Dazu kam die völlige Unfähigkeit des Ober-
kommandos und die im Hauptquartiere lüchelieus herr-
schende Ratlosigkeit, welche selbst den Pariser Hof veran-
iste, dea Marschall abzuberufen und ihn ivixc\i. öäxv ^s^^v^
J
280
Zweites Bucli. Zweiter Äbsclmitt.
ebenso nnfHhigen Prinzen von Boarbon - Cond^-, Gb-afen von
ClennoDt, zu ereetzen. Demgegenüber war Ferdinand von
Braunscbweig ■während des Winters unablässig darauf be-
dacht, die Tüchtigkeit und Operutionsiahigkoit seiner Trup-
pen zu erhöhen. Er sorgte nach Kräften für ihre Ver-
pflegung, verbeaaerte das Fuhrwesen, ward durch König
Friedrich reichlich mit Geschütz und Munition versehen und
erhielt die Zusage, dafs eine preufsische Heeresa bteüung unter
dem Prinzen Heinrich ihm beim Wiedfrboginn der Feind-
seligkeiten durch Vormarsch in das HUdesheimsche die linke
Flanke decken solle. So konnte er dem Feldzuge von
1758 mit Vertrauen und den besten Hoffnungen entgegen-
sehen.
Dieser vollendete denn auch binnen kurzem die Be-
freiung des hannövrischen und braunschweigischen Landes.
Am 15. Februar stand Ferdinands Armee auf den ihr an-
gewiesenen Sammelplätzen zum Aufbruch bereit. Während
Prinz Heinrich die von den Franzosen besetzte Felsenfeste
Regenstein am Harz zurückeroberte, wandte sich der Her-
zog, durch liinizehn preufsische Schwadronen verstärkt, geg
die untere AVeser und Aller. Dorthin sandte er zwei kleinere
Abteilungen, während er selbst mit der Hauptmacht gegen
Verden und Nienburg vori'ückte. Diese Bewegung genügte,
die Franzosen zum schleunigen Hückzuge über die Weser
zu bestimmen. Nicht einmal den wichtigen Übergangs-
punkt über die Aller bei Verden wagten sie zu verteidigen.
Am 23. Februar setzten die Verbündeten hier und bei Ahl-
den über den Fluls. Wahrend bei Ahlden ein französisches
Husarenregiment nach kurzem Kampfe zersprengt imd fast
völlig aulgerieben wurde , ging der Erbprinz von Braun-
sehweig mit einigen Bataillonen zwischen Verden und Nien-
burg über die Weser und bemächtigte sich mit Btürmeuder
Hand des von dem Grafen von Chabot verteidigten Fleckens
Hoya, was zur Folge hatte, dafs die Franzosen nun auch
Bremen räumten. Die ganze Weserlinie, mit Ausnahme von
Minden, wurde jetzt von ihnen aufgegeben, ja Clermont
sandte an die in Westfalen stehenden Truppenteile schon
den Befehl, sich über den Rhein zurückzuziehen. Am
26. Februar zogen die französischen Besatzungen aus Celle,
Braunschweig , Wolfenbuttel und GosJar ab. In Wolfen-
büttel liefs der dortige Kommandant, der wegen seiner Roh-
heit und Habsucht berüchtigte Marquis Voyer d'Argenson,
der noch vor kurzem Halberstadt in unerhörter Weise ge-
brandschatzt hatte, die hier lagernden Vorräte in die Ocker
schütten und alles Geschütz \etna^\w. '^\m -mäx ^lüho
Befreiung des Landes ron den Fraozoseti.
281
koDute er durch einen wackeren Offizier seiner Umgebung
abgebalten werdeu, durch AnzUndung der in nächster Nähe
der Bibliothek gelegeueu Stroh - und Heumagazine diese
und ihre unersetzhchen Schütze der Vernichtung preiszu-
geben. Nachdem er am 28. Februar auch Hannover ge-
räumt hatte, verlegte Clerraont sein Hauptquartier nach Min-
den. Aber auch diese Festung, von der die Franzosen
hofften, sie werde wenigstens so lange widerstehen, bis ihr
GeschUtzpark, ihre Munition und ihr Übriges Heergerilt den
Rhein erreicht haben würden, ergab sich nach neuntägiger
Beschiefsung am 14, März dem hannövrischen Generale von
Oberg. Damit war in der kiuzen Zeit von mu' zwei Mo-
naten der üherraütige und übermächtige Feind völlig aus
dem weifischen Ländergebiete verdrUngt. Das Land atmete
auf. Herzog Karl kehrte nach seiner Hauptstadt zurück.
Überall traten die ordnungsmäfsigen Behörden wieder in
Thätigkeit, mit Jubel begrüfste man die erbeuteten Fahnen
und Standarten des Feindes, die Herzog Ferdinand als ße-
Tveise und Unterpfänder der glücklich gelungenen Befreiung
nach Hannover sandte.
Audi in den l'olgenden Kriegsjahren ist Ferdinand seiner
Auigabe, das westliche Deutschland, Westfalen, Hessen, vor
allem Hannover und Braunschweig, gegen die französischen
Heere zu verteidigen und damit dem Könige Fiiedrich H.
die glorreiche Durchführung und glückliche Beendigung des
gewaltigen Kampfes mit halb Europa zu ermöglichen, in
gUlnzender Weise gerecht geworden. Fünf französischen
Marschällen an der Spitze von Heeren, die dem seinigen oft
um die Hälfte überlegen waren, hat er nach einander kühn
und mit Erfolg die Stirn geboten. Unermüdlich , stets auf
dem Platze, ein Feldherr, der gleich seinem groi'sen Lebi--
meister in der Kriegskunst den Angriff der Verteidigimg
vorzog, dabei wohlwollend, offen und von seltener Herzens-
füte, ein Mann, der in seiner echten Bescheidenheit stets
as allgemeine Wohl höher stellte ab seinen persönlichen
Huhm, so steht er in der Geschichte jener Jahi'e und dieses
Kj'ieges da. Für unsere Dai-stellung wäre es zwecklos, ihn
auf seiner Siegeslaufbahn weiter zu begleiten, die Feldzüge
im einzelnen zu verlblgen, durch die ea ihm gelang, die
französischen Heertührer auch ferner in Schach zu halten
und Niedersachsen, das Land, das ihn geboren hatte, mit
Ausnahme kleiner unbedeutender Streifzüge vor dem un-
glücklieben Lose zu bewahren, noch einmal die Beute eines
rftublustigen, übermütigen und siegestrunkenen. FexTÄss. tä
werden. In vieler Hiusicht sein veryüngtes Yi\iCT:^^^,V*{ÜKö-, a
Zirtttas Buch. Zweiter AbachoUt.
feurig , unorra üdlich und ausdauernd wie er selbst , stand
ihm in diesen Feldzügen sein Noffe, der Ei-bprinz Karl
Wilhelm Ferdinand von Brannschweig , zur Seite, deaaen
jugeüdliche Heldenkraft der grofae Friedrich iu einer seiner
Odou verherrlicht hat. Bei Creleld zeiehuete er sieh so
sehr aus, dafa sein Oheira in seinem Schlachtborichte rühmte,
„die Energie, Tapferkeit und Klugheit, die er bewiesen, sei
über alles Lob erhaben". Und wenn es ihm auch nicht
vergönnt war, an dem grofsen Siege bei Minden, dem schön-
flten und ruhmvollsten, den die Armee errungen hat, per-
sönlich teilzunehmeu, so hat er doch au demselben Tage
(1. August 1759) durch die Zersprengung eines feindlichen
Korps unter dem Herzog von Brissac bei der Brücke von
Gohfeld den von seinem Oheime erfochtenen Sieg vervoll-
fltiindigt und ihm erst den nachhaltigen Erfolg gesichert.
Die hannövrisch-braunschweigischen Lande blieben, wie
schon bemerkt, in den späteren Jahren des Krieges im
grofsen und ganzen vou weiteren feindlichen Angriöfen und
namentlich Einfällen vencbont. Wohl drangen die frau-
zöaischen Heere von Hessen aus mehi"mals bis in die Bild-
lichen Teile des Landes vor, sie wAirdcn aber ulsbald wie-
der aus den von ihnen eingenommenen Stellungen ver- 1
trieben und zum Rückzuge genötigt. Einen solchen Vor- 1
stofs unternahm Öoubise im Herbst des Jahres 1758. Nach-
dem er das kleine Heer des Prinzen von Ysenburg am
21. Juli bei Sandersluiusen unweit Kassel geschlagen hatte,
rückte er zu Anfang September in das Fürstentum Göttingen
ein, besetzte Münde», Göttingeti und Nordheim und sandte
vou hier Streif korps in den SoUiug und bis in den hohen
Harz. Er erfocht auch über die weit schwächere Hcercs-
abteilung, mit welcher ihn General von Oberg bis gegen
Kassel zurückdrängte, zwischen dieser Stadt und Münden,
bei Lutt»5rnberg einen Sieg, worauf Münden noch einmal in
seine Gewalt fiel. Allein das Heranunheu dos Herzogs Fer-
dinand, der kurz vorher durch englische Hitfstruppeu ver-
stärkt worden war, genügte, ihn bis nach Hanau und gegoa
den Main hin zur ückzu scheuchen. Auch im Jahre 1 7 60
machten die Franzosen den Städten Münden und Göttingen
einen Besuch und behaupteten sich in ihnen längere Zeit.
Eine gröfsere Unternehmung aber» die das Herz des wel-
fischen Ländergebietes treffen sollte , setzten sie 1761 ins
Werk. Sie waren in diesem Jajire mit zwei mächtigen
Armeen ins Feld gerückt. Die eine derselben unter dem
Herzoge von Soubise, über 100000 Mann stark, sollte ia|
IVestfalen eindringen, sich des LÄniea \ieTttucKtigen, Münster
Fortdauer dea Krieg««,
28:{
und Lippätadt erobern, die andere dagegen unter dem Mar-
schall Broglie ward angewiesen, Hessen zu behaupten und
von hier die Bewegungen Soublses zu uutereliUzen. Als
Endziel des ganzes Feldzuges wai"d eine abermalige Invasion
Hannovers und Braunschweigs ins Auge getalat Allein
Herzog Ferdinand wufste den Plan in geschickter Weise
zu vereiteln, was ihm bei der gegenseitigen Eiferaucht der
französiäcbeu Feldherren und der Üntahigkeit Soubises nicht
allzu schwer ward. Es gelang zwar Broglie, sich init einem
Teil seiner Sti*eitkräfte bei Soest mit Soubiöe zu vereinigen,
als sie dann aber gegen Lippstadt vordrangen, warf' Fer-
dinand am 1 5. und 16. Juli bei Vellinghausen , während
der Erbprinz von Braunschweig Soubise beschäftigte, Broglie
in einem siegreichen TreÖfen zurück. Die Folge war,
dafs die französische Anuee sich wieder trennte. Nun
suchte sich Broglie, nachdem er bedeutende Verstärkungen
herangezogen hatte, an der Weser festzusetzen und be-
drohete von hier aus das von Truppen fast gänzlich cnt-
blölste hannövrische Land. Er hatte nur die kleinen abge-
sonderten Korps des Generals Luckner und des Obristen
Freytag sich gegenüber. Am 20. August ging er bei Höxter
über die Weser, drängte Luckner und Freytag zui'ück, be-
setzte am II. September Einibock und bezog auf der nord-
östlich von der Stadt gelegeneu Hube eine verschanzte Stel-
lung. Von hier schob er Abteilungen seines Heeres nach
Gandcrshcim, Seesen und Klausthal vor.
Herzog Ferdinand war der Ansiclit, da(s er dieser nur
unsicher und tastend unternommenen Bewegung dea Feinde«
am bestea begegnen würde, wenn er durch einen Einmarsch
in Hessen dessen Rückzugslinie bedj'olie. Für alle P'älle
verstärkte er die Besatzung Hannovers durch zwei Ba-
taillone, ernannte seinen Neffen Friedrich August, den jün-
geren Bruder dos Erbprinzen, zum Kommandanten der Stadt
und liefs den General Wangenheim, mit 8 bis 91)00 Mann
bei PTöxter zur Beobachtung des Feindes zurück. Während
er sich aber gegen Kassel wandte , bescblofs Marschall
Broghe, den lauge geplanten Schlag gegen Brauuschweig
auszuführen. Er bestimmte dazu ein Korps von 8000 Mann
unter dem General Closen und dem Prinzen Xaver von
Sachsen. Am 24. September erreichten diese Truppen dio
Gegend von Braunschweig und W^olfenbüttel. Von dort war
Herzog Karl mit seiner Familie nach Celle und dann weiter
nach Lüneburg geflüchtet. Nach fruchtloser Beschiefsung
Wollenbüttels, wo General Stammer befehligte, gingen sie
indes nach dem Harze zurück , Vfo sie ä.aa 'Svc^c^ö^ä "^sp^öart.-
281
Zweites Buch. Zweiter ÄbBchnitt.
feld eroberten und in die Luft sprengten. Wenige "Wochen
später unternahmen sie einen zweiten Vorstofs. Diesesmal
ergab »ich Wolfenbüttel nach einer lahmen Verteidigung
am 10. Oktober. Dann wandte sich Prinz Xaver gegen
Braunschweig , dessen Verteidigungs werke verfallen waren ^J
und dessen Besatzung nur aas 1800 Mann unter Greneral ^|
Iinhof bestand. Die Franzosen meinten ihres Erfolges ^H
sicher zu sein. „Wenn Sie*' — achrieb damals der Her-
zog von Ohoiseul an Broghe — „sich zum Meister von
Braunschweig gemacht haben, so rechnet der König darauf,
dals Sie diese Ötadt ohne die aller-raindeste Schonung be-
handeln worden, weil sie einem Fürsten gehört, der ein
Feind des Königs und mit dessen Feinden enge verbündet
ist. Sie müssen die stUrksten Kriegssteuern ausschreiben
und sie mit der gröfsten Härte und Strenge eintreiben ^i
lassen." Diesen Weisungen entsprach es, dafa Prinz Xaver ^H
drohete, die Stadt mit glühenden Kugeln zu beachielsen tind ^fl
sie der Vernichtung preiszugeben. Allein es sollte dazu
nicht kommen. Von allen Seiten setzten sieb die Heercs-
abteilungen der Verbündeten in Bewegung, um der bedrängten
Stadt Hilfe zu bringen. Herzog Ferdinand verliels aeine
Stellung bei Kassel und wandte sich nordwärts gegen Brake!,
Wangenheim ging bei Hameln über die Weser \ind näherte
sich in Eilmärachen Hannover, während Luckner, nachdem ^H
er die ihm gegenüberstehenden feindlichen Abteilungen bei ^K
Kscberahauaen , Halle und Stadt -Üldendorf zurückgewori'en ^"
hatte, von Süden her zum Entsätze der Stadt heranzog. In
der Nähe von Peine vereinigte er sich mit dem Prinzen
Friedricii August, der seinerseits von Hannover herbeieilte, ^^
um die Residenz seines Vaters vor dem ihr angedroheten ^H
I Schicksale zu bewahren. Mit den jetzt zur Verfügung
• fitehcndcn aeehs Bataillonen und zwölf Schwadronen ging es '
lim Eilmarsche nach Braunschweig. Spät abends am 13. Ok-
' tober langte man nördlich der Stadt an der alten Land-
|wehr bei Olper an. Noch in der nämlichen Nacht ward
der hier aufgestellte französische Posten in seinen mit Ge-
schütz reichlich versehenen Verschanz ungen mit Ungestüm
angegriffen und nach kiu-zem Kampfe überwältigt. Um
vier Uhr morgens, noch ehe der Tag zu grauen be-
gann, zog Prinz Friedrich August an der Spitze seiner In-
fanterie unter dem Jubel der Bevölkerung in das llohethor
ein, wäiirend Luckner die Reiterei nach Peine zurücktülirte.
Der Feind wagte keinen weiteren Kampt*. Er verliefa mit
dem Äubruche des Tages sein Lager bei Riddagsliansen und
xoff ßjch nach W^olfenbütlel zurüciW. \\i ^wv ^ÄxÄ^räiieti
EaUata von Braunscliweig.
2tö
ikod man die Braodkugela, mit denen ei* die Stadt zu zer-
Ören gedacht liatte. Aber auch in Wulfenbüttel war sei-
les Bleibens nicht mehr. Auf den Befehl Broglies, der
fürchtete, dafs das ganze Streif korps abgeschnitten werden
^•ürde, rÄurate Prinz Xaver auch diese Stadt und trat den
ückmarsch nach Süden an. Das war der letzte Versuch,
den die Franzosen während des Krieges weniger zur Er-
oberung als zur BruudschatzuDg des hannövrischeu und
brau Q seh weigisc heu Landes unternahmen, zugleich die letzte
Belagerung, welche Braunschweig und Wolfenbüttel auazu-
halten gehabt haben. Kurze Zeit darauf nötigte Ferdinand
durch einen geschickten Flankenmaräch den JMarscliall Broghe,
seine feste Stellung bei Kirabeck zu verlassen und sich
nach Hessen zurückzuziehen. Von allen Städten des Lan-
des blieben nui- Göttingen und Minden in der Gewalt der
Franzogen. Aber auch diese wurden am 17. August des
folgenden Jahi'es (1762) von ihnen geräumt.
Inzwischen waren in Fontainebleau zwischen England und
Frankreich die Friedensverhaudlungeu erülFuet worden. Sie
führten am 3. November 17b:J zu den Präliminaiien von
Fontainebleau, welchen am 10. Februar 116'd der Friede von
Paiia folgte. Er bestimmte inbezug auf die deutschen An-
fclegenheiten die liäumung der deutschen Gebiete von den
eideraeitigen Truppen und zwar sollte diese ,,mit aller
Beschleunigung geschehen, welche die Umstände gestatteten".
Vergebens hatte die englische Regierung den \'ersuch ge-
macht, diesen Artikel dahin zu erweitern , dafs Hessen^
Braunschweig und Hannover in demselben Zustande zurück-
gegeben werden sollten, ^\-ie sie sich vor der ersten fran-
zösischen Erobenmg befunden hatten. Schon vor dem Ab-
»clilufö des definitiven Friedens hatten die Truppen des ver-
bündeten Heeres auf Grund eines zwischen den beider-
seitigen Oberbefehlshabern abgeschlossenen Waffenstillstandes
den Marsch in die Heimat angetreten, die Hannoveraner
nach Hameln, die Engländer nach Holland, wo sie sicli nach
England einschifften. Noch vor dem Ablauf des Jahres
1762 legte Ferdinand von Braunschweig den Oberbefehl
nieder und verliefa das Heer, das er so ruhmvoll geführt
hatte. An seine Stelle trat der zum Feldmai-scball ernannte
General von Spörcke.
Georg II. hatte das Ende des Krieges, in den er halb
gegen seinen Willen duich die Macht der Umstände hin-
eingedrängt worden war, nicht mehi* erlebt. Er starb am
25. Oktober 1760 in Kensington \)lützlvcb. avvv ^VAä^xä*.
jiu Alter von s/efcenuüdöiebenzig JaWeti. TAil'^rv&^vOsi.Yiv^-j
L
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
wig, seinem ältesteu Sobne, dem mntni aislichen Thronfolger,
hatte er lange Jahre in einem ähnlichen gespannten, ja
feindseligen Verhältnis gelebt, wie ein solches einst zwischen
ihm als Kronprinz und seinem Vater bestanden hatte. Der
Grund daKu ward durch eine Neigung des Prinzen zu der
Prinzessin "Wilhehnine von Preufsen, einer Schwester Fried-
richs II. , gelegt , die der Vater aus persönlichen und
politisclion Rücksichten mifsbilligte. Dazu kam später, als
sich Friedrich Ludwig 1736 mit Auguste, der Tochter dea
Herzogs Friedrich von Sacbsen-Gotha vermHidte, die Wei-
gerung des Königs, den berechtigten Wünschen seines Sohnes '
iubezug auf eine Erhöhung der ihm ausgeworfenen Apanage
zu entsprechen. Die beiden grofsen Pai-teien, die sich in
England die Regierung streitig machten , trugen kein Be-
denken, dieses leindaehge Verhältnis zwischen Vater und
Sohn eine jede in ihrem Interesse auszubeuten und dadurch
den Gegensatz noch mehr zu vei-achärfen. Obschon im Jahre
1741 eine auleere Versöhnung zustinde kam, blieb das gegen-
seitige Verhältnis doch ein äufsei-st kaltes, und als zehn
Jahre später, am 20. März 1751, der Prinz von Wales vor
Beinem Vater starb, schied er ans dem Leben, ohne den
inneren Groll überwunden zu haben , der ihn von diesem
seit der Zeit seiner Volljährigkeit getrennt liatte.
So folgte nun in England wie in Hannover dem ver-
storbenen Könige dessen Enkel, der damals zweiujidzwanzig-
jährigc Georg Wilhelm Friedrich, als König Georg UI., der
erste von den Herrschern der hannövriachen Dynastie, der
seine Erziehung ausschliefBlich in England erhalten hatte
und der demgeiaäfs ganz als Engländer dachte, fühlte und
handelte. In dieser Hinsicht sind die Worte bezeichnend,
mit denen er nach seiner Krönung sich gewissermafsen dem
Parlamente vorstellte; „Geboren und erzogen in diesem
Lande, rühme ich mich dea Namens eines Briten." Es war
nicht allein der Ausdruck seiner persönlichen Gesinnungen
und Geliihle, soadern auch ein politisches Programm, das
er damit aufstellte. Unter der Regierung seiner Vorgänger
hatte trotz der staatsrechtlichen Trennung von Hannover
und England doch ein enges Verhältnis zwischen beiden
Ländern bestanden, das in dem warmen Interesse der bei-
den ersten George für das Heimatland ihres Hauses seinen
naturgemäfsen Ausdruck fand. Sowohl Georg I. wie Georg H,
waren in Hannover geboren und aufgewachsen. Sie kann*
ten das Land, schätzten seine Bewohner und waren voll-
kommen mit den eigentümlichen Verhältnissen des ersteren,
mit den Neigungen, Bedürfnissen und Wünschen der letz-,
Köaig Georg III. tod England.
2S7
n vertrauet Ihre häutige Anwesenheit in Hannover
liielt die Bcziebimgen zwischen ihnen und ihren deutechen
Unterthanen lebendig und frisch und hatte aut' den Oang
der Geschäfte, aul' den Zustand der Landesangelegenheiten,
auf die Entschlüsse und Malsnahraen der Regierung den
wohlthätigsten EinHufs. Gerade weil in Hannover die Re-
gierungsgewalt in der Hand weniger, grofaeuteüa aus den
bevorrechtigten Stünden hervorgegangener MUnner ruhete,
schien es notwendig, durch persönliches Eingreifen des Re-
genten den Unzuträglichkoiten vorzubeugen , welche infolg©
eines solchen aristokratisch-burcÄukratisohen Kcgimentes sich
einzuschleichen pflegen. In England erapfand man diese
rege Teilnahme der ersten Könige aus dem bi-aunschweigi-
schen Hause tur das Land ihrer Geburt, diese lebhafte Sorge
für die Sicherheit und Wohlfahrt ihrer haunövrischen Unter-
thanen vielfach als eine kleinliche, beschränkte und unge-
rechtfertigte Vorliebo ttir ein Staatswesen, auf dessen ver-
gleichsweise Unbedeutendheit die Engländer im Gefühl ihrer
Weltstelluüg hochmütig herabsahen, dessen Lebensbedingungen
von deueu des Inselreiches grundverschieden waren, dessen
äufsere Politik namentlich nicht überall mit der englischen
zusammenfallen konnte, ja ihr bisweilen schnurstracks ent-
gegenlaufen mufste. Wir haben gesehen, wie vorzugsweise
Georg II, sich in seiner üufseren Politik mehr, als vielleicht
gerechtfertigt und erspricfslich war, durch die Rücksicht-
nahme auf Hannover bestimmen liefs. Dies änderte sich
alsbald nach dem R^ierungsan tritt Georgs III. Schon der
Pariser Friede zeigte, dafs jetzt eine andere Luft in London
wehete, dafs der König und sein Minister Bute wenig ge-
neigt waren, den partikularen Interessen des Kurstaatea
Rechnung zu tragen. Hannover hatte infolge seiner Ver-
bindung mit England in dem eben beendeten Ki'iege schwere
Opfer bringen müssen. Es war zeitweilig einer feindlichen
Invasion ausgesetzt gewesen, die das Land auf unerhörte
Weise ausgesogen und seinen Wohlstand auf lange zugrunde
gerichtet hatte. In dem Kriege, der den Zweck verfolgte,
den Verbündeten Englands den Rücken freizuhalten und
mit dem übrigen Westdeutschland auch die preufsischen
Besitzungen am Rhein und in Westialen vor französischer
Vergewaltigung zu schützen, hatten seine Truppen das Beste
gethan und in zahlreichen Schlachten und Gefechten ge-
blutet. Man hätte erwarten sollen, dafs England bei dem
Friedensschlüsse nicht ausschliefslich seinen Vorteil im Auge
haben, sondern auch für eine Entschädigung Hannovers ent-
schieden eintreten würde, aber abgesehen von der schon er-
k
Zveitca Bach. Zweiter Abschnitt.
wäbnteu, wohl nur der Form wegen erhobenen Forderutig
der Restitution des Landes in dessen Zustande vor dem
Kriege geschah nichts dergleichen. Und in der Folge mufste
sich der Kurstaat niehi* und mehr daran gewöhnen, in den
VcrwicklungCD de» eoropäiacheD ätaatslebena sich üIs ein ^J
Annex, ein Anhäugael des britischen Reiches betrachtet zu ^H
sehen, das auf eine jede selbatÄndige Politik zu vendchten ^^
und nur im englischen Fahrwasser zu segelu habe.
Auch inbezxjg auf die inneren Angelegenheiten erwies
sich der durch Georgs JII. Thronbesteigung herboigeluhrte
Wechsel für Hannover als nicht günstig. Da der König
nie nach Deutschland kam , also auch die Verhältnisse des ^J
Kurat;iates nicht aus eigener Anschauung kennen lernte, so ^H
muLste er die Regierung im wesentlichen dem Geheimen- ^i
ratskollegium überlassen. Zwar richtete er in London die
sogenannte „deutsche Kanzlei" ein, welche ihm über die wich-
tigsten Vorgänge in Hannover Bericht zu erstatten hatte,
aber da er nicht mehr imstande war, aus eigener Kenntnis
heruud seine Entscheidung zu treffen, so fiel der Schwer-
punkt der gesamten inneren Landesvei*waltung notwendig
nach Hannover. Es bildete sich hier thatsächlich eine pa-
triarchale Aristokratie aus, als deren tipitze das Geheime- ^^
ratskollegium oder die Gesamtheit dei*, wie die offizielle Be- ^|
Zeichnung lautete , „ königlich grofsbri tannischen zur ktu*- ^^
fürstlich braunschweigisch - lüneburgischen Iteierung ver-
ordneten Räte" erscheint. Dieses Regierungskollegium setzte
sich fast ausschliefslich aus Mitgliedern des hannövrischen
hohen Adels zusammen, mit denen auch die wichtigsten und
ei ü träglichs ten Stellen in den verschiedenen Z weigcn der
Justiz und Verwaltung besetzt waren. Daneben stand ein
aus den mittleren Klassen der Gesellschaft hervorgegangenes
Beamtentum von anerkannter Tüchtigkeit und Berufstroue,
iu dessen Händen sich zumeist die niederen Stellen der Vor-
waltung befanden und das mit seinen Kenntnissen und seinem
FleiTse dem Regiment der hohen Herren zur Stütze und zur
Folie diente. Es war im grofsen und ganzen ein Regiment,
wie es für den Charakter der Bevölkening und iür ihre da-
malige Bildungastute nicht unangemessen erschien, wohl-
wollend und gerecht , aber auch umständlich und schwer-
ßUUg. Es legte dem Lande keine schweren Steuern auf,
regierte deu Gesetzen und dem alten Herkommen gemäfs,
entfremdete sich die Bevölkerung weder durch Härte noch
durch GewalttliUügkeit, aber es gab ihi* auch keine neuen
Imptihe, wufste die Ililtsmittel des Landes nicht zu ent-
keltij bedeutende und aelba^iciöÄg&*V»\si'ß.\a%ß,\tei\ auf den
Hannover naeb dem siebenjfilirigen Kriege.
289
richtigen Platz zu stellen, den ÖffentlicheD Gfeiat nicht su
wecken und auszubilden, kurz es teilte mit allen ähnlichen
Kastenregierungen den Mangel an frischer Initiative und
schöpferischer Thatkraft. Schlimmer vielleicht noch war,
dafs sich unter einer solchen Regierung notwendigerweise
ein verderbhcher Nepotismus ausbilden mufste , der alle
Stautsämter von irgend einiger Bedeutimg in der Hand we-
niger bevorzugter, enge unter sich zusammenhängender Fa-
milien vereinigte. Neben die Ariatokratie der Geburt stellte
sich bald eine bürgerliche Aristokratie , welche, während
jene die Hof- und höchsten Ötaatswürden außschlieralich
fHr sich in Anspruch nahm, so ihrerseits die meist sehr ein-
träglichen „Amter", in denen den patriarchalischen Zustän-
den jener Zeit gemäfs Justiz und Verwaltung verbunden
waren, zu Monopolen machte, so dafs sie oft in einer Fa-
milie geradezu erblich wurden.
Nach dem Ende des siebenjährigen Krieges genossen
beide Länder, Hannover wie Brauuschweig , die Segnungen
eines dreifsigjährigeu uaunterbroclieuen Friedens. Aber
während Hannover allmählich sich von den Drangsalen und
Verlusten, welche der BLrieg über das Land gebracht hatte,
erholte, ging das Herzogtum Braunachweig einer von Jahr
zu Jahr wachsenden fiuanzielleu Bedrängnis entgegen. Beide
Lander hatten durch den Krieg und die französische In-
vasion gleich sehr gelitten. Hier wie dort waren die öffent-
lichen Kassen leer, die Steuerkraft des Landes erschöpft.
Aber nach Hannover waren doch während der Dauer des
Krieges von England her reichlichere Subsidiengelder ge-
flossen als nach Brauuschweig, und nach der Wiederher-
stellung des Friedens kam seinen Staatsfinanzen der Um-
stand zugute, dafs Georg lU. Zeit seines Lebens in England
residierte und in Hannover daher kein eigentlicher Hofstaat
mit allen den damit verbundenen Ausgaben zu bestreiten
war. Zwar bestanden im Lande einige Hoiamter , denen
ausBcliliefslich Mitglieder des hannövrischen Adels vorstanden,
aber was wollte das bedeuten gegenüber dem ungeheuren Auf-
wände, der damals an den Höfen anderer deutscher Fürsten,
auch in Braunachweig, getrieben wurde und der, wenn er
einerseits die bürgerliche Nahrung förderte, doch anderseits
die Staatsfinanzen erschöpfte? Man mufs sich vergegen-
wärtigen, dafs zu dieser Zeit eine Trennung des fürstlichen
Kammergutes und des Staatsvermögens noch nirgends in
Deutschland durchgefiihrt war, dafs also der fürstliche Ab-
solutismus nach Belieben und Willkür auch, dia Ä\5Kö.\.'eswv-
BtfDtmaüa, Brattaacbw.-iuaalr, OcbcMc^I«. VX.
Vh
m
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
künile verwenden konnte , um seinen verschwenden Beben
Neigungen und Liebhabereien zu fröhnenj prachtvolle Schlösser
£u bauen und sie mit übertriebenem Luxus auszuBtattcn,
wüstes Unland mit grofsen Kosten in Zauber- und Wunder-
gärten zu verwandeln, für Theater, Oper und Ballet fabel-
batte Summen auszugeben, mit einem Worte jede türstlich©
Laune und LeideuBchaft zu befriedigen. Ein solcher Mifs-
brauch der türstlichen Allgewalt ist Hannover infolge der
Abwesenheit dos Landesherm und seines Hofes währeud der
letzten Hällle des 18. Jahrhunderts erspart geblieben, und
dies hat wesentlich mit dazu beigetragen^ dal's das Land die
schweren Folgen des Krieges leichter überwunden hat als
das kleinere, wenn auch von der Natur besser bedachte Nach-
barland. Von allen Landschatlen des Kurstaates hatte der
Krieg dem Fürstenturae Oottingcn am schlimmsten mitge-
spielt Abgesehen von den Verlusten der einzelnen Be-
wohner hatte er es mit einer Staatsschuld von fast andert-
halb Millionen Rcichsthalern belastet. Um für diese die
Zinsen aufzubringen, mufste man zu einer allgemeinen Steuer
greifen, zu welcher nicht blöfs Güttingen, sondern aufser
diesem auch die anderen beiden Quartiere von Catenberg-
GöttingeUj das hannovrische und hamelnsche, herangezogen
wurden. Die Landschatt einigte sich im Jahre 1766 dahin,
ein allgemeines Kopfgeld einzuführen, eine Steuer, welche,
da sie zwischen Reich und Arm keinerlei Unterschied machte,
mit besonderer Härte die niederen Blassen des Volkes traf
und, obgleich im Jahre 1775 etwas herabgesetzt, doch bis I79ä
bestanden hat, in welchem Jahre sie durch eine klassifizierte
Personalsteuer ersetzt ward.
Aber weit schlimmer sah es doch während dieser Zeit
im Herzogtume Braunschweig aus. Wir kennen bereits die
ungünstige finanzielle Lage, in welcher sich das Land be-
fand, als Herzog Karl die Regierung antrat Auch derJ
wenig erfolgreichen Mafsregeln, mit welchen er anfangs da»
Übel der stets wachsenden Schuldenlast zu bekämpfen suchte,
ist früher gedacht worden. Wenn es auch gelang , die
Staatseinkünfte durch Befi>lgung verständigerer Grundsätze
in einzelnen Zweigen der Verwaltung zu erhöhen, so ver-
schlangen doch die Reformen, welche der Herzog auf den
verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens durchführte,
noch gröfsere Summen. War Buirl L auch nicht der ge-
dankenlose Verschwender, als den man ihn oft verschrieen
hat, so widerstrebte doch seine leichtlebige Natur dem Zwange,
dem er sich persönlich häUe unterwerfen müssen, sollten
'vuBtb&fterG und durchgreifende \eTj\ieÄ?.eria^'KQ.'v&. issai Fi-
Finanzielle Beilräognisse in Braunscbweig.
291
nanzwesen und namentiicli die notweodig erscheinenden Er-
sparnisse durchgeführt werden. Das Schlimmste war ohne
Zweifel, dafs es an jeder ordnungsraUfsigen Kontrole fehlte.
Es gab im Lande keine Behörde, die rait einer solchen be-
trauet gewesen wäre. So herrschte denn bei den Landes-
kassea die gröfste Regellosigkeit. Der Herzog entnahm bald
aus dieser, bald aus jeuer beträchtliche Summen , um seine
Privatbedürüiiaae zu bcstreiteu. Und diese waren zu Zeiten
sehr grofa und hatten mit dem Wohle des Landes wenig
oder nichts zu thun. Auiser der Bestreitung des auf grofsem
Fufse eingerichteten Hotstaates mufsten drei herzogliche Wit-
wen standesgemäfs erhalten, bei dem Kinderreichtum des
Herzogs zahlreiche Prinzen und Prinzessinnen ausgestattet
werden. Die Vermählung von des Herzogs jüngerem Bru-
der Anton Ulrich mit der Regentin Anna von Rufsland
(1739), an die der Brauuschweiger Hof ausschweifende Hoff-
nungen knüpfte, kostete gewaltige Summen und endete mit
einer traurigen Katastrophe, ohne dafs sich jene Hofihungeo
auch nur im bescheidensten Mafse erfüllt hätten. Unter
solchen Umständen wird man sich nicht wundern, dafs die
Zeri'üttung der Finanzen in stetiger Zunahme begriflen war
und dafs man dem jährlichen Fehlbetrage in dem Staats-
haushalte ratlos gegenüberstand. Und nun kam der Krieg
mit seinem Gefolge von Not, Jammer und Ausbeutung, ein
Krieg, der sieben lange Jahre gedauert hat uud in welchem
es bei der geographischen Lage des Landes eine Unmög-
lichkeit war, auch nur den Versuch zur Behauptung einer
neutralen Stellung zwischen den kriegluhrenden Parteien zu
machen. Nicht nur seine engen FamiHen verbind imgen mit
dem preufsischen Königshause, eonderu auch ein richtiger
Blick und ein zutreffendes Urteil über die politische Lage
bestimmten den Herzog in der Wahl, die er zu treffen
hatte. Er schlofs sich, wie wir gesehen haben, an Fried-
rich U. an, aber diese Wahl fülirte nicht blofs nach dem
Treffen von Hastenbeck zu der freilich nur vorübergehenden
aber nichtsdestoweniger das Land erschöptenden Okkupation
durch die Franzosen, sondern einforderte auch nach dem
Ende der letzteren und im weiteren Verlaufe des Krieges
einen militärischen Aufwand , der den finanziellen Ruin des
Landes vollenden mufate. Beim Ausbruche des Krieges hatte
der Herzog 6000 Mann zu dem Heere der Verbündeten ge-
stellt, später aber wurde diese Truppenmacht auf das Dop-
pelte und zuletzt auf über 16 00O Mann gebracht. Es ist
einleuchtend, dafs ein Land mit einer Bevölkerung ^<«i.
weni^ über i 66 000 SeeJen eine solche Be\8Ä\AX"vv^ m^2vA Nasu^
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
tragen konnte. Zwar wurden Itir die Unterhaltung dieser
Truppen auch englische Subsidiengelder gezahlt, diese reich-
ten aber bei weitem nicht aus, die erforderlichen Kosten zu
decken, und hörten in der letzten Zeit des Krieges ganz
auf. So wurde die Lage des Landes eine geradezu ver-
zweifelte. Die Kassen waren leer, die Schuldenlast allmäh-
lich bis nahezu auf zwülf Millionen Thaler angeacliwollen,
die man in llollaud, in Genua und bei der preulsischen
Bank in Berlin autgonommen hatte und natürlich sehr hoch
verziü&eo mufste. Um 80000 Thaler blieben die Einnahmen
dea Landes jährlich hinter dessen Ausgaben zurück. Und
dabei lagen Handel und Wandel völlig darnieder und keine
Hoffnung war vorhanden, sie wieder zu beleben.
Nach dem Kriege konnte sich Herzog Karl der Not-
wendigkeit nicht länger verachliefsen , einen Teil wenigstens
der drückenden Schulden zu tilgen, wenn nicht der ätaats-
bankerott ausbrechen sollte. Schon drohete dem Lande eine
kaberliche Debit-KommisBion , welche es vollends finanziell
verderbt haben würde, schon war der ganze braunschwei-
gische Harz an Hannover fiü' zwei Millionen Thaler ver-
pfändet. Aber zu gründlichen , wirkliche und bleibende
Abhilfe schaffenden Mafsregeln konnte man sich auch jetzt
noch nicht entschliefsen. Die Truppen wurden nach Ab-
schluls des Friedens in nur sehr unzureichendem Mafse ver- ^^
ringert, der Hofstaat in der früheren glänzenden Weise fort- ^H
geführt, die Ausgaben für Theater und Kapelle so gut wie ^^
gar nicht eiugeschräukt. Man half sich mit allerhand Pal-
liativ mittein, die zum Teil das Übel noch verschlimmerten,
mit Ausprägung minderwertigen Geldes, mit Eintuhrung dea
Lotto, ja der Herzog und seine Berater vermeinten in einer
Zeit, die sich mit Stolz als die aufgeklärte bezeichnete, der
allgemeinen Kalamität dadurch begegnen zu können, dafa
sie zu alchymistiöcben ülxperinienten ihre Zuflucht nahmen,
wie solche in den Tagen der Unwissenheit und der Bar-
barei im Schwange gewesen waren. Als alles nichts half,
entschlofa man sich schweren Herzens zu dem einzigen
Mittel, welches in dieser Not noch Abhilfe verhiefs, zu der
Berufung der Landstände, die seit dem Jahre 1730, also
während der ganzen Regierung des Herzogs, nicht zosammen-
getreten waren.
Am 2. Dezember 1768 erfolgte zu Braunschweig die Er-
öffnung des Landtages. Ein feierlicher Gottesdienst im
Dome, bei welchem die gajize etwas verschlissene Pracht
eiüer dem Untergänge geweiheton Zeit entfaltet wurde, ging
ihr vorauf. Die herzogÜcbe Tfamsüe, wx<^ ÖL\fe"?L«TÄi^v(x uad
Berufung des Landtages.
293
bprinzesBin , der gesamte üotstaat, die höchsten vStaats-
amten wohnten der Feierlichkeit hei. Unter Glocken-
Igeltiut wurden die Abgeordneten durch den Hofmarschail
on Campen am Portal mit erhobenem Marsch allätabe em-
pfangen, jeder Kurie — den Prälaten, den Herren von der
Kitterechalt, endlich den Deputierten der Städte — die ihr
zukommenden Plätze angewiesen. Ks war wie ein aller-
dings ganz winziges MiniaturbÜd jener groiäen Versammlung
in Versailles^ von der zwanzig Jahre später die Umgestaltung
der Welt ausgehen sollte. Auch in dem kleinen dexitschen
Lande waren die Hoffnungen, die man auf diese Veraamm-
lung setzte , hochgespannt , auch hier sollte dem Staats-
bankerotte vorgebeugt werden, auch hier hatte man reich-
lichen Grund, über Milsbräuche und Standesvorrechte zu
klagen. Hel'tige Reden wurden gegen die Regierung ge-
halten, ein wahrer Sturm der Entrüstimg erhob sich gegen
die bisherige Finanzwirtschaft, selbst solche Mafsnahmen des
Herzogs und seiner Käte, welche dem Lande zu offenbarem
Segen gereichten , entgingen nicht dem bittersten Tadel.
Nach dem Anlaul'e, den die Versammlung nahm, hätte mau
grofsCj durchgreifende Reformen von ihi' erwarten sollen.
Aber das Ergebnis entsprach nicht den gehegten Erwar-
tungen. Anderthalb Jahre, bis zum April 1770, blieb der
Landtag beisammen , dauerten die Verhandlungen. Der
Staatsniiniater Schrader von Schliesledt hatte eiuen schweren
Stand. Er getraucte sich nicht, die Höhe der Schuld offen
anzugeben. Rei solchem gegenseitigen Milstrauen konnte es
nicht überraschen , dafs der Land tagsabschied , der am
y, April 1770 zustande kam , keine gründliche Abhilfe
brachte. Die Landschaft übernahm einen beträchtlichen
Teil der fürstlichen Kammerschulden, wälzte diese Last aber
wieder auf die niederen Stände des Volkes ab, indem sie
aufser einer ganzen Anzahl kleinerer Steuern und der Ver-
längerung der aufserordentiichen Kontribution eine drückende
Kopfsteuer einführte. Der Herzog seinerseits versprach Ein-
schränkungen in der Hofhaltung und eine Verringerung des
Militärs. Wirklich wurden von den bisherigen tünf Infan-
terieregimentem zwei aufgelöst, die Gardes du Corps ent-
' lassen, die Artillerie auf ein Vierteil ihres vorigen Bestandes
herabgesetzt, eine Anzald von Offizieren verabschiedet oder
aui' Wartegeld gesetzt und auch sonst die Ausgaben für
die Truppen möglichst eingeschränkt. Bei der Hofhaltung
imd dem Theater wurden ähnliche Ersparnisse durchge-
k führt. Nicolini; der einen sehr hohen öelaaVt \iftTÄ>^"e.\v V^XNä,
Vrhielt BeJDen Abschied, die KapeWe "wvirtVe \>\% »3Ä. ni^-um^s.
2M
Zweitos Buch. Zweiter Abschnitt
hervorragende Küustier entlassen, manche namentlich der
niederen Hofatcllen als entbehrlich eingezo^^n. Auch Honat
zeigten sich der Herzog und die Kcgierung redlich be-
miinet, durch grüfsere Sparsamkeit die Finanzen des Landes
zu entlasten. Allein das Übel war bereits zu tief einge-
wurzelt Alle diese Mafsregeln, welche vielleicht früber ihre
heilsame Wirkung nicht verfehlt haben würden, erwiesen
sich jetzt als uiizureiclieDd. Sie vermochten der sdigemeinen
Not im Lande um so weniger abzuhelfen, als die privi-
legierten Stände, vorzüglich die Ritterschaft, in dem Land-
tagsabschiede von 1770 die Bestätigung ihrer Vorrechte,
ihre Befreiung von einer Anzahl der drückendsten Steuern
erlangt hatte und nun die Mifsernte des Jahi'c« 1771 eine
solche Verteuerung der notwendigsten LebensbedUrftiisse her-
beilühi*tej dafs sich das Land von einer Hungersnot ernst-
lich bedi-ohet sah.
Da starb im Jahre 1773 der bisher allmächtige Minister
von Schliestodt, der sich die Gunst und das Vertrauen seines
fürstlichen Herrn bis zu seinem JEnde zu bewahren gewufat
hatte. Damit gewann der klar und nüchtern denkende Erb-
prinK Karl Wilhelm Ferdinand einen bestimmenden Kinflufs
auf die Regierung. Mit jugendlicher Kraft und Entschlossen-
heit, unbeirrt durch die Abneigung und den passiven Wider-
stand, den er bei dem alternden, an seinen bJBherigen Lebens-
gewohnheiten hängeuilen Vater zu bekämpfen hatte, ging er
an sein schwieriges Werk, für das er an dem eifrigen und
geschickten Geheimeurate Förouce von Rotenkreutz (seit
177;J Finanzminister) einen getreuen Helfer und erfahrenen
Ratgeber gewann. Die erste Mafsregel, die er vorschlug
imd trotz der widerstrebenden Strömungen bei Hofe und in
den BeAmtenkreisen durchtühitc, war die Einsetzung des
Finanzkollegiuras, einer Oberrechnungskammer zum Zweck
der Kontrole über die sämtlichen Einnahmen und Ausgaben
des Staates. Mit beredten Worten stellte er seinem Vater
die Notwendigkeit einer solchen Behörde vor, durch die
Allein der bisherigen Willkür und Unordnung in den öffent-
lichen Kassen gesteuert werden könne. Lange sti-äubte sich
der alte Heraog, seiner bisherigen Allgewalt über die Ver-
iugung der Staatsmittel zu entsagen. Eudhch gab er doch
nach^ die neue Behörde trat ins Leben und begann ihre
aegensreiche Wirksamkeit. Es glückte, bei der königlichea
Bank in BerJin unter nicht allzu ungünstigen Bedingungen
eine Anleihe von einer halben Million Thalern aufzunehmen,
die zur Tilgaug der dringeudateu Schulden verwandt wurde.
2m Stoateiiauahalte wua'de die strcTiga^ ^i^?a\s^^\Vj \xv dar
*
Ttuanzroformeo.
295
Finauzverwaltung die peinlichste Ordnung eingeiUbrt. Ohne
Bewilligung des Finanzkollegiums, ohne Namensunterschrift
des Erbprinzen durfte von den Kassen im Lande nicht die
geringste Zahlung geleistet werden. In edler Einlachheit des
Lebens, in der Verschmähung jedes äurseren Prunkes und
Scheins ging der Erbprinz allen mit leuchtendem Beispiele
voran. Da die Einkünfte seiner Gemahlin, einer Schwester
■Georgs Iir. von England, zur Bestreitung seiner bescheidenen
Hofhaltung ausreichten, »o beanspruchte er keinerlei Apa-
nage seitens des Landes, ja als ihm die Stände des letzteren
bei seiner Throubesteif^uug ein nicht unbedeutendes frei-
williges Geschenk darbrachten, überwies er dieses dem Kran-
kenhaufie in Braunschweig. Nun begann sich der Kredit
des Landes langsam wieder zu heben. Man hoffte von der
ganzen Schuldonmasse in der Folge jährlich 100 000 Thaler
abzutragen. Da kündigte die hannövrische Itegierung den
Vertrag, wonach im Jahre 1756 das Fürstentum Blanken*
bürg au Georg 11. für zwei Millionen Tbaler auf zwanzig
Jahre verp landet worden war. Die E iuzelbestinun ungen
dieses Vertrages waren braunschweigischerseits nie erfüllt,
die darin vorgesehenen ratenweisen Abzahlungen der Pfand-
summe nie geleistet worden. Jetzt sollte die letztere bei
Vermeidung des Verlustes der Grafschaft auf einmal gezahlt
werden. Das war, wie die Dinge ira Herzogtume lagen, eine
Unmöglichkeit. Die ganze mühsam angebahnte Reform
schien auis neue bedrohet, das eben zurückkehrende Ver-
trauen schwerer erschüttert als je zuvor. Eilends sandte
man den Finanzrainister F^ronce nach London, wo es ihm
gelang, den König zu einem billigen Abkommen zu be-
atinimen, wouach die Zurückzahlung der Schuld an Hannover
allmählich in bestimmten Zeiträumen geschehen sollte.
Vielleicht würde der braunschweigiscbe Abgesandte trotz
»einer Geschicklichkeit ein so günstiges Kcsultat nicht er-
zielt haben, wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, den
Wünschen der englischen liegierung um Überlassung eines
Hilfakorps entgegenzukommen, das gegen die im Aufstände
begriffenen englischen Kolonieen in Nordamerika verwandt
werden sollte. Am 9. Januar 1776 wurde zu Braunschweig
von F^ronce und von dem zu diesem Zweck nach Deutsch-
land geschickten eugli«chen Obristen William Faucit der
betreffende Subsidien vertrag unterzeichnet, welcher fast die
fesamte braun schweigische Heeresmacht, zwei Divisionen in
er Stärke von 1330 Mann, der Krone Grofsbritannien
zu beliebiger Verwendung in Europa oder in Amerika zur
Verfiigung stellte. England verpfiic\ilel& %\c\\ ^^aj^'a^ca. 'a.>Ä*Kt
t
nt
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
dem Werbegclde iür jeden einzelnen Mann und der ent-
sprechenden Entschädigimg für ira Kampfe Gefallene oder
Verwundete zu einer jähi*lichen Zahlung von G4 600 Thalern,
80 lange die Truppen in seinem Solde stehen würden : nach
Wegfall des letzteren sollte die Subsidie verdoppelt, alao auf
129 000 Thaler jährlich erhöhet, diese Summe auch noch
zwei Jahre lang nach der Rückkehr der Truppen fortgezahlt
werden. Dieser Vertrag, infolge dessen es gelang, einen be-
deutenden Teil der im Verhältnis zu den Kräften des Lan-
des geradezu ungeheueren Staatsschuld zu tilgen und das
Land selbst, sowie seine Gläubiger vor dem unermefslichen
Unglück eines Staatabankerotts zu bewahren, hat von den
verschiedensten Seiten die härteste Beurteilung gefunden.
Mau hat keinen Anstand genommen, ihn als „Men&chen-
schacher " , „ Seelen verkäuferei " und mit ähnhchen hoch-
töneuden Schlagwörtern zu bezeichnen. Wenn mau sich
aber in die Anschauungsweise der damaligen Zeit versetzt
und nicht unser modernes ßewufstsein willkürlich in sie hin-
einträgt, wird man geneigt sein, milder darüber zu denken
und zu urteilen. Solche Subsidienverträge waren damals
nichts Ungewöhnliches und erregten keineswegs den Ab-
scheu, den man ihnen später hat zuschreiben wollen. Die
Trupj>en und ihre Fühier — und unter den letzteren waren
ausgezeichnete und ehrenwerte Männer, die sich im sieben-
jährigen Kriege einen Namen gemacht hatten — sahen sie
nicht als etwas Entehrendes, Schmachvolles an, sondern
freueten sich der Aussicht aut kriegerische Thätigkeit und
Beloi'deruug, die ihnen dadurch eröffnet ward. Man darf
auch nicht vergessen , dafa die Heere jener Zeit nicht aus
„Landeskindern" bestanden, welche zimi Dienste des Vater-
landes ausgehoben wurden, sondern eine Soldtruppe bildeten,
die aus Leuten der verschiedensten Länder, von oft zweifel-
hafter Herkunft und Vergangenheit, zusammengewürfelt war,
Leuten, denen die Gesinnungen und Gefühle, die man ihnen
zuschreibt, durchaus fern lageu. Ebenso gaben die Aus-
Bchüsse der Landschaft zu dem Vertrage ihre Zustimmung,
ohne dafs sich eine Stimme erhob, die ihn als unmenschlich
oder auch nur als unstatthaft bezeichnet hätte. Die An-
werbung der später nachgesandten Ersatzmannsehaften be-
ßchränkte man auf des Uei-zogs ausdrücklichen Befelil auf
Leute, meist Ausländer und Landstreicher, die sich frei-
willig zum Dienste meldeten. Die gezahlten Subsidiengelder
aber sind einzig und allein im Interesse deü Laude», uament-
Jich zur Abwälzung der erdrückenden Landesschidd ver-
^endet worden. Nichts ißt davon, ao N\ftV xeiwei N^eU»., in die
Die BraoQBchweiger m Amerika.
2»7
herzoglichen Kassen gefiosseu. Diese Thatsachen sind wohl
geeignet, die so sehr verschrieene Mafsregel in einem luil-
aeren Lichte zu zeigen. Die braunachweigischcn Truppen
aber haben auch in diesem Feldzuge, fem von der Heimat,
in einem fremden Erdteile, inmitten von Mühen, Gefalireu
und Kämpfen, unter ihrem wackeren Führer, dem Obristen
von Riedeael, ihren alten Ruhm der Tapferkeit, Ausdauer
mid guten Älannszucht bewährt. Erat im September des
Jahres 17i>3 kehrten sie nach siebenjähriger Abwesenheit
nach Deutschland zurück, ohne Trophäen, durch Kämpfe,
Strapazen , Drangsale aller Art arg zusammengeschmolzen,
aber im ßewufstsein, ihre Pflicht gethan zu haben, und im
Besitz einer unbefleckten Waffi^nehre.
Herzog Karl befand sich, als die Rückkehr der braun-
Bchweigischen Truppen aus Amerika erfolgte, nicht mehr am
Leben. Die letzten Jahre seiner Regierung waren für ihn
wenig erireulich gewesen. Schon seit dem eiebenjährigen
Kri^e, der seine iriodliche Wirksamkeit so rauh unterbrach,
so viel Bedrängnis und Not über sein Land brachte, war
seine alte Scbaflensfreude dahin. Seine gutmütige aber
wenig thatkräftige Natur war den Schwierigkeiten, die nach
dem Kriege eintraten, nicht gewachsen. Seit dem Tode
Schliestedts, des langjährigen Genossen seiner wohlwollenden,
gutgemeinten Bestrebungen, stand er ihnen vollends rat-
und hiltlos gegenüber. Dafs er in seinen letzten Lebens-
jahren dem Erbprinzen halb widerwillig eine Art Mitregent-
schatl einräumen malst«, gereichte dem Lande ohne Zweifel
zum Segen, er selbst aber mulste es im Bewulstscin der
futen Absichten, die ihn beseelten, als eine tiefe Demütigung
etrachten. Die Not des Landes, die er freilich zu einem
guten Teile selbst verschuldet hatte , drückte ihn nieder,
und schmerzlich wird er die Undankbarkeit und Rücksichts-
losigkeit der Laudständc empfunden haben, die selbst die
bestgemeinten und edelsten seiner Bestrebungen als „unnütz
und schädlich" bezeiclmeten, Ungex'n nur hatte er auf seine
früheren sorglos verschwenderischen Lebensgewohnheiteu ver-
zichtet, den übergrofsen Aufwand der Hofhaltung einge-
schränkt, den künstlerischen Genüssen entsagt, die ein auf
der Höhe der Zeit stehendes Theater gewährte. Ohne es
hindern zu können, hatte er die Regierungsgewalt, au der
er so sehr hing, noch bei Lebzeiten grofseuteila seinen Hän-
den entgleiten sehen. Nach einer iünfundvierzigjährigen
Regierung, die in ihren Anfängen die schönsten Hoffnungen
erweckte, dann aber in ihrem weiteren Verlaufe d^Ysi Väoää
manche bittei-e Enttäuschung mckt era^ax\ß, %c!tüß^ tx *so.
h,
m
Zweites BucK Zweiter AbBchnitt
36. März 1780 aus diesem Leben: ein Mann, ausgezeichnet
durch treffliche Eigenschaften des Gemütes und Charakters,
dem aber die erste aller fürstlichea Tugenden fehlte, die
Fähigkeit, seine eigenen pcrsünllchen Neigungen selbstlus dem
allgemeinen Wohle untferzuordnen, ein Ilegent, der sich un-
leugbar grofse Verdienste um das Land erworben und doch
nicht vermocht hat, es auf der abschüssigen Bahn, auf die
es geraten war, aufzuhalten.
Dies bUeb seinem ältesten Sohne und Nachfolger, dem
bisherigen Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand, rorbebaiten,
der bereits während der letzten Regierungsjahre seines Va-
ters einen malsgebenden Eintlufs auf die Staatsgeschäfto ge-
wonnen hatte. Ihm war jetzt als Herzog und Regenten die
Aufgabe gestellt, das zu glücklichem Ziele zu führen, was
er mit so giinatigem Erfolge als Ei'bprinz begonnen hatte,
die wirtschaftliche und finanzielle Wiedergeburt des Landes
zu vollenden. Karl Wilhelm Ferdinand war durchaus der
]^Iann dazu. In demselben Jahre geboren, in welchem sein
Vater zur Regierung gelangte, stand er bereits in dem rei-
fen Alter von fiinfund vierzig Jahren. Auf keinem Gebiete
des öffentlichen Lebens war er ein Neuling. Im Kriege wie
im Frieden hatte er Proben einei* aufeergewöhnlichen Be-
gabung abgelegt. Wir wissen , wie ruhmreich der Anteil
war, den er am siebenjährigen Kriege genommen hatte.
Kein Geringerer als der Sieger von Rofäbach und Leuthen
hatte sich zu seinem Lobredner gemacbt, seinen kriegerischen
Talenten und Verdiensten eine rückhaltlose Bewunderung
gezollt. Einem Manne von so scharfer Beobachtungsgabe
wie Mirabeau erschien er wie ein modemer Alcibiodeä. Er
versichert, dafs er in dem ganzen Gebiete der Verwaltungs-
wissenschaft keinen Punkt habe aushndig machen können,
über den der Herzog nicht nur theoretisch, sondern bis in
die kleinsten Einzelheiten hinein vollkommen unterrichtet
gewesen sei. Auf seine Bildung hatte die geistige Richtung
der Zeit den entschiedensten EinHufs ausgeübt Öein eigent-
licher Erzieher war der würdige Abt Jerusalem gewesen.
Ihm ist es wohl zuzuschreiben, dafs der Herzog sich trots
der iiursorlichen Vorliebe für die von Frankreich ausgehende
Aufklärung Zeit seines Lebens einen imerschütterlichen
Grund christUchen Glaubens bewalut hat. Dies hielt ihn
indes nicht ab, mit den französischen Öchriftstellem jener
Zeit, selbst mit den Philosophen aus der Schule d'.iVlembertB
und Diderots die innigsten Beziehungen zu unterhalten.
Voltaire hat er in seiner Zurückgezogenheit in Vemey per-
BönJicii auigeaucht, vor aüeü a^iet ftdiäA^Xa « "^&3MrBvftn.tel, von
Herzog Karl Wilhelm Ferdiaand.
i
dem er stets mit der ^öfsten Verehrung sprach. Spätere
Keisen haben seine Bildung erweitert und vertieft. In
Frankreich, das ei* wenige Jahre nach dem Hubertus burger
Frieden besuchte, fand er in allen Kreisen der Gesellschaft,
bei Hofe, der Aristokratie und in der Gelehrtenwelt, die
nämliche glänzende Aufnahn»e. Man bewunderte sein echt
fürstliches Auftreten, seine feinen, verblndhchen und doch
würdigen Leböhsformen , sein reiches, umfassendes Wissen.
In Rom war er unemiüdlich, unter Winkelnianne kundiger
Fuhrung die Kunstschätze der Stadt zu besichtigen, ihre
trümmerreiche Umgebung zu durchwandern und zu durch-
lorschen. Von dieser Reise zurückgekehrt, fand er dann in
der Heimat eine harte, mühevolle Arbeit. Es galt, das Land
durch euergisches Eingreifen vor einer unheilvollen Kata-
strophe zu bewahren, den drohenden Staatsbankerott abzu-
wenden. Bei dem fast krankliaften Ehrgefühl, das ein her-
vorragender Zuj,' seines Wesens war und ihn einen oft über-
triebenen Wert auf das Urteil der Menschen legen liefs, er-
blickte er darin nicht allein eine heilige J^egentonpflicht,
sondern auch eine unabweisbare Forderung fürstlicher und
persönlicher Ehre. Wie er sich dieser Aufgabe noch bei
Lebzeiten seines Vaters unterzog, unbeiiTt durch die schwie-
rigen Umstände, durch die äufseren Hommnisae, durch das
Widerstreben selbst, das er bei dem eigenen Vater und in
den höheren Beanitenk reisen fand, davon ist schon berichtet
worden. Noch aber war die Arbeit nicht halb getban, die
grofse öcbuldenla&t erst zum kleinsten Teile von dem Lande
abgewälzt, als er sich zur Regierung berufen und damit in
den .Stand gesetzt sah, die schon lange gehegten ßeiorra-
plane nicht nur auf diesem, sondern auch auf anderen Ge-
bieten des Staatswesens selbständig und ungehemmt durch-
zutuhren.
Er hat denn auch sogleich den regsten Eifer gezeigt und
die rührigste Thätigkeit entfaltet. Es lag in seiner Natur,
wenigstens so lauge er in der Vollkraft des Mannesaltera
stand, das als notwendig oder auch nur als wünschenswert
Erkannte rasch und thatkräftig ins Leben zu rufen. Was
er begann, wollte er auch bald vollendet sehen. Gleich-
gültig gegen die Liebhabereien und Zerstreuungen, denen
ein grofser Teil seiner Standesgenossen huldigte, gegen das
Spiel wie gegen die Jagd, gegen die Freuden der Tafel wie
gegen die banalen Ergötzlichkeiten des Hofes, wandte er
seinen unruhigen Thätigkeitssinn ausschliefslich den öffent-
lichen Geschäften zu , für die ihn sein uxi%'av«<SV\\v\isJöRä«
Scharfblick, seine echnelle Fa8suugaga\>e , ^va Ä.\)Ä^'i^'c«i&Rr
808
Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
tes Wissen gleich sehr heÄhigten. Pünktlich in der Ein-
teilung seiner Zeit, war er nnennudlicii in ihrer Ausbeutung,
haushälterisch in ihrer Verwendung. Hierin wie in manchem
anderen, in seiner Vorh'ebe fiir welsches Wesen und fran-
zösische Bildung, seinem Sinn tur strenge Sparsamkeit, seiner
Liebe zur Musik, glich er seinem Olieime, dem grolaen
Friedrich, an den Äui'f^rlich schon der Glanz seiner grofsen
strahlenden Augen erinnerte. Was er aber vor allem mit
ihm gemein hatte, der Kardinalpunkt, welcher dem Wollen
und Handeln beider erst die rechte W^eihe gab, das war die
hohe Auffassung, die sie von ihrer Regeutenpflicht hegten,
der ideale Sinn, in welchem sie ihres fiirstlichen Amtes
walteten. So grofs auch der Abstand zwischen der
preuTsischen Monarchie und dem kleinen Hcrzogtume sein
und 80 sehr auch Friedrich seinen Neffen an genialer Gei-
steskraft überragen mochte, auch von dem letzteren kann
man sagen, dafs er seine Person völlig in den Dienst des
Gemeinwesens stellte, dafs auch er nicbtä andere« sein wollte
als „der erste Diener des Staates". „Die Ehre seines Lan-
des und seiner Regierung" — sagt sein Biograph — jjwar
ihm besonders wichtig und wert: es war sein bleibender |
WiuiBch , sein Land immer mehr zu heben, den Ruhm
seines Handels und seiner Institute zu vergröfsern und
ihm durch eine gebildetere Staatskunst einen Namen zaj
machen."
Mit dem Antritt der Regierung Karl Wilhelm Ferdinands
begann iur das Herzogtum eine neue, vielversprechende Zeit.
In alle Zweige der Verwaltung kam ein frischer, reforma-
torischer Zug. Man spürte bald den festen Willen , die
sichere Hand iu der Leitung der gesamten Staatsangelegen-
heiten, das Walten eines überlegenen Geistes, der sich weder
durch die Trägheit der Gewohnlieitsmenschen noch durch
die Tadelsucht der Besserwisser and Überklugen in den von
ihm verfolgten Zielen beirren liefs. Die nächste und vor-
nehmste Sorge war und blieb für den Herzog noch auf lange
die gründliche Ordnung des zerrütteten Staatshaushaltes, die
Tilgung oder doch wenigstens Verminderung der noch
immer übergrofsen und drückenden Landesschuld. Dies za
erreichen, scheuete er kein Mittel und brachte er selbst dio^
grölsten persönlichen Opfer. Wie er seinen Hofstaat auf
das Allernot wendigste einschränkte, so wurde in der ge-
samten Staatsverwaltung die äuXserste Sparsamkeit eingeführt.
An die Stelle der h'üheren Sorglosigkeit und Verwimnig in
den öiJentJicheii Kassen trat eine strenge, durch häufige Re-
vjeionea ermöglichte Ordnung. "Daa ^uta "?Ä0Kwa»n3wfc*Ka
Seine Regiorung.
301
k
wurde allmählich nach zeitgomälseren QruudäUtzeu umge-
staltet. Unredliche Beamte , denen man früher mehr als
billig durch die Finger gesehen_hatte, wurden entlassen und
nach den Umständen bestraft. Über jeden Zweig des Finanz-
wesens iiefs sich der Herzog genaue Berichte erstatten, jeder
Unregelraälsigkeit in der Verwaltung der Staatsgelder sachte
er durch strenge Verordnungen auch für die Zukunft vor-
zubeugen. Seinen Beamten, die er entsprechend der Lage
der Dinge zwar mäl'sig aber doch auskömmlich besoldete,
machte er eine einfache Lebensweise zur Pflicht. Er selbst
ging ihnen darin mit schönem Beispiel voran. Jene ver-
schwenderischen und doch grofsonteüa geistesarmen Feste,
welche zui* Zeit der vorigen Uegierung zu den glänzendsten
in ganz Deutschland gezählt hatten, wurden vereinfacht und
gewannen in dieser bescheidenen Darstellung doch an inne-
rem Gehalt. Selbst in der Militärverwaltung suchte der
Herzog nach Kräften Ersparnisse und Eiuachiänkungen
durchzufuhren.
Auf diese Weise gelang es ihm , die Staatsschuld fort-
gesetzt zu verringern, so dals »ie gegen Ende seiner Re-
gierung fast ganz getilgt war. Er hatte die Freude zu
sehen, wie das von ihm eingeführte Finanzsystera sich be-
währte, wie die von ihm befolgten Grundsätze in der Staata-
wirtachaft sogar anderwärts zum Muster und Vorbild ge-
nommen wurden. Freilich hatte die strenge Sparsamkeit dea
Herzogs, so sehr sie durch die Lage des Landes gerecht-
fertigt, ja geboten erschien, auch ihre bedenklichen Seiten.
Indem sie sich mit dem nüchternen , unhiatorlschea Sinne
verband, der diese Zeit der sogenannten Aufklärung be-
herrschte, ist ihr manches Schöne und Erbaltungswerte zum
Opfer gefallen. Die im Lande voi'handenen Schlösser, an.
die sich bedeutungsvolle geschichtliche Erinnerungen knüpf-
ten, wurden einer bedenkUchen Vernachlässigung preis-
gegeben, manche von ihnen Beamten zur Wohnung ange-
wiesen, damit sie doch zu etwas nützten. Das Schiolg zu
Wolfenbüttel, die Wiege und die langjährige Kcsidenz seiner
Ahuen, durfte eine französische Emigrantenfamilie zu einer
Tapetenfabrik einrichten und teilweise umbauen, wodurch
die schönen Säle mit ihren wertvollen Gobelins arg verwüstet
wurden, Die Sammlung alter kostbarer Waffen und
Rüstungen im Wolfenbüttler Zcugbause, die zum Teil die
Vorfahren des Herzogs im Kampfe geführt oder in Turnieren
getragen hatten, wurde unter den Auktionshammer gebracht.
Gegen die Abtragung der überflussig gewordenen alti&o.
Festungswälle von Braunschweig und &vö V^vivr^-vA^nsä^ ^».
K
Zweites Bacb. Zweiter AbscbniU.
anmutige Spaziergänge liefs neb Tom ^Standpunkte der Nütz-
lichkeitfltheorie nichts einwenden, obechon dabei das statt-
liche mittelalterliche Ansehen der Ötadt, wie sieh Nürnberg,
Lübeck, Goalar, Rothenburg und andere deutsche Städte ein
solches bewahrt haben. Terloreu ging. Ohne Not aber wurde
durch Abbruch mancher interessanter Baudenkmäler der alten
Zeit der historische Charakter der Stadt geschmälert. Für
die Krhaltung und Vermehrung der Runstanstalten und
wissenschaftlichen SammlungeQ des Landes, namentlich für
die berühmte Gemäldegalerie in Sahdahlum und das von
Karl L begründete Kunst- imd Naturalien kabinet, das jetzige
Museum , wurden niir die winzigsten Summen verausgabt,
fUr letzteres jährlich etwa zwanzig Thaler, „wolür man kaum
den Spiritus zur KonÄcrvation ausländischer Tiere anschaffeu
konnte". Der ganze jährliche Etat iur die Vermehrung der
Wolfeubüttler Bibliothek betrug nicht mehr ala zweihundert
Thaler.
Die wohlthiitigen Folgen von des Herzogs Finanzreiormen
und von seiner Sparsamkeit liefsen nicht lange auf sich
warten. Schon in seinem ersten Kegicrungsjahre konnte die
lästige und ungerechte Kopfsteuer abgeschaffi werden. Andere
Steuererleichterungen, die Ermäfsigung der aui serordentlichen
Kontribution und der Akzise^ folgten später. Von Jahr zu
Jahr befestigte sich das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit
des Landes, hob sich der trüber so tief gesunkene Kredit
Wunderbar fast erschienen die Erfolge, welche die geräusch-
lose Wirksamkeit des Herzogs binnen wenigen Jabreu auf
diesem Felde errang. Aber er war auch bemühet, durch
entsprechende Mafsregeln das Land vor der Wiederkehr
ähnlicher Zustände zu bewahren, eine finanzielle Kalamität,
wie er sie bei seinem Regierungsantritte vorgefunden hatte,
fiir die Zukunft unmöglich zu machen. In diesem Simie
ist das von ihm am 1. Mai 1794 aus freien Stücken er-
lassene Schuldenedikt zu verstehen, ein seltenes Beispiel
fürstlicher Selbstlosigkeit. Er erklärt darin, „dafs es eins
der wirksamsten Büttel sein werde, keine neue Schulden zu
machon und besonders das fürstliche Kammervermügen zu
sichern, wenn er sich die Hände binde **, und bestimmt dem-
gemäfs, dafa hinfort ohne die Einwilligung der Landstände
weder eine Veräufserung noch eine Verpfändung von Do-]
manialgnt stattfioden solle. In der späteren Zeit seiner Re-
gierung war es ihm sogar vergönnt, das Kammergut durch
einige nicht unbedeutende Erwerbungen zu vergröfsem. Der
.Böichsdeputationshauptäcldufs vom 25. Februar 1803 über-
wißs dem Herzogtume die \»i&\ier TeVaWxnasa^Xj^^iiäÄ Kiwater
Teiluogsrezers über den Oberharz.
ä03
St Ludgeri vor Helmstedt iind Gandersheim mit den dem
letzteren zugehörigen Klöstern Klus und Brunahausen, sowie
die Stilter 8t. Blasii und St. Cyriaci in Braunschweig, welche
nun mit ihren reichen Einkünften und Besitzungen dein Do-
roanium einverleibt wurdeu. AU einen Gewinn iiir die Fi-
nanzen und einen Erfolg der Bestrebungen des Herzogs,
überall leichter zu überblickende Zustände zu schafifeu, mufa
man auch den am 4. Oktober 178ö mit Kurhannover ab-
geschlossenen Rezefs über den Oberharz, sowie über die
Bei^werke und Forsten des Unterharzes betrachten. Durch
den Erbvertrag vom 14. Dezember 1635 waren diese An-
lagen und Besitzungen im ungeteilten Besitze dos Braun-
Bchweiger Gesamthauses geblieben (S. 89). Zwar hatten
dann spätere Verträge den hierauf bezüglichen Teil jenes
Erbvergleiches näher bestimmt, aber es war erklärlich und
natürlich, dafs sich in der Folge doch mancherlei Unzu-
träglichkeiten, Irrungen und Milsstände bei einer solchen
gemeinsamen Verwaltung ergaben. Jetzt wurde dieser har-
zische Besitz unter die beiden Linien derart verteilt, dais
Hannover vier Siebentel, d. h. im wesentlichen die Städte
Zellerfeld, Grund, Wildemann und Lautenthal mit dem dort
betriebenen Bergbau, Braunschweig dagegen drei Siebentel,
meist herrlichen und wertvollen Waldbestand, erhielt Nur
der Unterharz, d. h. das ganze Bergregal im Rammeisberge,
die Silber- und Eisenhütten, sowie die Saline Juliushall,
blieb unter der Bezeichnung Kommunionharz im Geaamt-
besitz und in gemeinsamer Verwaltung der beiden Linien.
Hand in Hand mit diesen erfolgreichen I^estrebungen
für die Aufbesserung und Organisation des gesamten Staats-
haushaltes ging nun eine ganze Keihe von Versuchen zur
Hebung der einzelnen Gesellscliaftak lassen , zur Föi-derung
ihrer wirtschaftlichen Lage, zu ihrer geistigen und sittlichen
Fortbildung. In diesen Bestrebungen stand dem Herzoge
neben dem Dichter Leisewitz fUr das Armen- und neben
dem Schulmanne und Pädagogen Campe für das Unter-
richtswesen vorzügHch der Freiherr Karl August von Har-
denberg , der spätere preufsische Staatskanzler , zur Seite,
den er im Jahre 1782 aus dem hannövrischen in den braun-
Bchweigischen Dienst berufen hatte und der bis zu seinem
Ausscheiden aus dem letzteren im Jahre 1790 mit alleiniger
Ausnahme der Finanzangelegenheiten alle Zweige der Staats-
verwaltung unter seiner Leitung vereinigt hat. Der Bauern-
stand, dessen Hebung dem Herzoge besonders am Herzen
lag, wurde durch Verminderung der Zehnten und Rcrtsssx-
dienjBte, durch l/nierstützung aua äer ^Ltft^-öüKß. ^ÄOiXStfÄ^
M4
Zweites Buch. Zweiter Äbschmtt.
durch Anweisung und Belehrung in der Bewirtschaftung der '
Höfe in eine Lage gebracht, die als der Grundpfeiler seiner
jetzigen Wohlhabenheit zu betrachten ist. Das Armenwesen,
vorzüglich in der Hauptstadt des Landes, erfuhr nach den
Ratschlägen und unter aufopfernder Mitwirkung von Leise-
wiiz eine gründliche Umgestaltung und eine für jene Zeit
mustergültige Einriclitung. Gewerbliche Unternehmungen der
verschiedensten Art wurden vom Herzoge entweder ins
Leben gerufen oder erfreueten sich seiner Unterstützung,
das verderbliche Lottospiel auf Hardenbergs Betrieb abge-
schafft, mit dem Bau guter und solider Landstrafsen be-
gonnen. Eine besondere Aufmerksamkeit wandte der Her-
zog dem gesamten UnteiTicbts - und Erziehungswesen des
Landes zu. Angeregt durch Campe und beraten durch
Hardenberg, fafste er den Plan, die Schule unter Lö.eiung
ihres Zusammenhanges mit der Kirche zu einer ausschliefs-
lichen Staatsanstalt nach philanthropischem Muster umzuge-
stalten. Dieser Plan scheitci-te jedoch teils an dem Wider-
stände der Geistlichkeit, teils an der Unwilliahrigkeit der
Stände. Auch die eine Zeit lang von ihm in Erwägung
gezogene und hauptsächlich von Hardenberg befürwortete Ver-
legung der Universität Helmstedt nach Braunschweig oder
Wolfeubüttcl kam nicht zur Ausführung.
Der hier in grofsen Zügen geschilderten I^ierungs-
thätigkeit des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand stellt sich
ergänzend die immerhin hervorragende Rolle zur Seite, die
er in den Fragen der grofsen PoUtik, besonders aber in den
kriegerischen Verwicklungen seiner Zeit gespielt hat Alan
wird es begreifen, dafs ein so bedeutender Mann, ein so
lebhafter Geist sich nach einem gröfseren , umfassenderen
Felde für seine Wirksamkeit sehnte. Seinem Ehrgeize und
Thatendrange konnte das kleine Heraogtum, das er im Ge-
spräch öfters als winzigen Punkt auf der Landkarte be-j
zeichnete, nicht genügen. Seiner ganzen Vergangenheit und
seinen Familienverbindungen gemäls sah er sich auf das
benachbarte Preufaen hingewiesen. Mit dem preufsischen
Königshause verknüpften ihn die engsten verwandtschaftlichen
Baude, unter preufsischer Fahne, wenn auch streng genommen
nicht in preulsiacbera Dienste hatte er seine ersten kriege-
rischen Lorbeeren geerntet, für die Erhaltung der preufsischen
Monarchie im siebenjährigen Kriege gefochten. Er selbst
hat sich in einem späteren Gespräche mit dem jüngeren
Custine darüber geäufsert. „Seit dem Tode meines Vaters",
sagte er, ,;habe ich das unabweisliche Bedürfnis geföhlt^
mich an den Berliner H.o£ miäi mi 9l«ii \;tw3i««döKü. ^taaJt
Karl Wilhelm Ferdiuaud iu preuTsiscbeD Diensten.
805
anzuschliefsen. Gezwungen, dort zu erscheinen, habe ich
mich doch nicht überwinden können, die traurige Rolle eines
unhedeutenden MenBchen ohne nützlichen Lebeuazweck zu
spielen: ich fühlte, dafa ein bervorragendei* Kanc; in der
preufaischen Armee mir allein eine SteJUiug sichern würde,
wie ich sie beanspruchen zu dürfen glaube/' Schon im Jahre
1773 war er demgemäfs in preuTsische Dienste getreten, zum
General der Infanterie und Inhaber des in Halberstadt ste-
henden magdeburgischen Regimentes ernannt worden, wel-
ches er zu einer Älustertruppe des Heeres auszubilden be-
flissen war. Später, seit 1786, bekleidete er den Rang eines
preu&ischen Generalfeldmarsciialla. Nach dem Tode des
frofaen Königs stieg sein politischer und militärischer Ein-
ufs in Berlin. Mirabeau trauete ihm zu, dafs sein ganzer
persönlicher Ehrgeiz aich in dem Wunsche zusammendränge,
den preufaischen Staat zu regieren. Vorsichtig und mifa-
trauisch, war er zugleich darauf bedacht, das Geschick seines
Landes und Hauses nicht unauflöslich an die Zukunft des
Landes zu knüpfen, dem er doch seine persönlicheu Dienste
weihete, sich vielmehr seine Unabhängigkeit als Reichsfürst
möglichst zu wahren. Dies zeigte sich noch bei Lebzeiten
Friedrichs H., als dieser gegenüber den Vergi-öfserungs-
plänen des Kaisers Joseph den bekannten Füi-atenbund
stiftete. Der Herzog konnte seinen Beitritt zu diesem Bünd-
nisse tun so weniger verweigern, als auch Hannover sich
ihm nach einigem Zügern auschlofä, aber er machte unter
dem Verwände der ungünstigen Finanzlage seines Landes
den Vorbehalt , dafa die Zahl der von Braunschweig zu
stellenden Truppen lediglich seinem Ermessen überlassen
bleibe. Auch später, in den Kriegen gegen die französische
Republik und Napoleon, hielt er die Fiktion fest, dafs seinem
Lande eine Neutralität zugestanden werden würde, während
er selbst das gegnerische Heer befehligte.
In den nächsten Jahicn nach Friedrichs des Grofsen Tode
stand Karl Wilhelm Ferdinand auf der Höhe militärischen
Ruhmes und politischer Eifolge. Er galt in ganz Europa
filr den ausgezeichnetsten Feldherm und für einen genialen
Staatsmann. Regierte er auch nicht den prcufsiBchen Staat,
so suchte man doch in Berlin in allen kritischen Fällen
seinen Rat, nahm seine kriegerischen Dienste in Anspruch.
Sein Ansehen als Heeriührer wuchs durch die mühelose, fast
spielend durchgeführte Pazt£kation von Holland im Jahre
1787. An der Spitze eines mäfsigen preufsischen Heeres von
wenig über 20000 Maim rückte er, um den von der Pßr
80tS
Zweite« Bucli. Zweiter Abficbnitt.
triotenpartei verjagtea Erltstatthalter wieder einzusetzen, in
das Land, sprengte W Amatelveeu am 1. Oktober die Bür-
gerwehren und Freischaren der „Patriüteu'J, auseinander,
nötigte Gorkum, Utrecht und Amsterdam zur Übergabe und
führte den fluchtigen Erb Statthalter nach dem Haag zurück.
In der kurzen Zeit von wenig Wochen war ihm mit be-
scheidenen Streitkräften eine Aufgabe gelungen, an der einst
die ganze Macht Ludwigs XiV. und die Knegskunst seiner
besten Generale gescheitert wai*. Einen »o grofsen Nimbus
hatte dieser kmze , glückhclie Feldzug um seinen Namen
verbreitet, dals ilim die iioUäudiBchen Patrioten zwei Jahre
später die Herrschaft über ein aus den Landschaften Lira-
burg, Geldern und Luxemburg zu bildendes Gebiet anboten.
Auch andere ähnliche Anerbietungen wurden ilun gemacht.
Er sollte König von Polen werden, und zu iVni'ang des Jah-
1792, kura vor dem Ausbruche des Krieges der beiden
res
deutschen Grolömächte gegen Fraukreich, in welchem er
dann den Oberbefehl über das preuTsische Ueer übernahm,
erging an ihn seitens der französischen Itegierung die Auf-
forderung, die durch die revolutionäre Bewegung in Frank-
reich zerrüttete Armee zu reorganisieren , die Regimenter
wieder mit dem Geiste der Zuclit und Ordnung zu be-
seelen und sie dann in dem schon damals drohenden Kriege
g^en Osterreich zu führen. Karl Wilhelm Ferdinand stand
allen diesen Versuchen, ihn auf die Bahn eines politischen {
Abenteurers zu verlocken, mit der nüchternen Skepsis des
zunehmenden Alters gegenüber. Sie schmeichelten seiner
Eitelkeit, aber er war bei seiner Art, die Wahrscheinlichkeit
des Erfolges zögernd und zweifelnd zu erwägen, weit davon
entfernt, ihnen Folge zu geben. Dom jüngeren Custinc, der
im Auftrage der französischen Regierung jene Verhandlimgen
mit ilnu liihrte, erklärte er: „Ich bin niemals in meinem
Leben vor grofsen Eutscbeidungeu und Thateu zurüek-
geaclu'eckt, und ich weiXs die Grüfso der Rolle, die man mir
auf dem ersten Theater Europas zudenkt, nach Gebühr zu
schätzen, aber ich müfste sehr eingebildet oder sein- ein-
i^tig sein, wollte ich nicht die Unmöglichkeit des Erfolgen
emphnden, und obschon ich völlig davon überzeugt bin!, dafs
ich die Tnippen, welche man mir anvertrauen will, so gut
wie jeder andere führen würde, besitze ich doch zu viel
Einsicht, um meinen Kuf in einer so unsichern und ge-
iUhrlichen Unternehmung aufs Spiel setzen zu wollen."
Wenige Monate nachdem diese Worte gesprochen, er-
Jebte die Welt das Schauspiel, dafs dei* Herzog als Ober-
beJehlsImber der preul'äscben Armee vQ.\CT\ä\xvd\wv^ mit deaj
Feldxug von 1792.
807
Österreichern die Greazen Frankreichs überschritt und in
das Land einhracli, das nuch eben die Wiederherstellung
seiufH Heerwesens, ja seine politische Wiedergeburt von ihm
erhofft hatte. Dieser Feldzug in die Champagne bezeichnet
den Wendepunkt in des Herzogs kriegerischer Laufbahn.
Man kennt seinen unglücklichen Verlauf. Die Prahlereien
der Emigranten, welche ihn zu jenem berüchtigten, Paris
mit völliger Zerstörung bedrohenden Manifeste vom 25. Juli
1792 veranlafst hatten, erwiesen sich als trügoriscli. Nach
dem Fall der Festungen Longwy und Verdun setzte die
unnlitze Kanonade von Vabny dem Vordringen der Ver-
bündeten gegen die iranzösische Hauptstadt ein Ziel. Der
relative Frfolg, den die Franzosen hier errangen, ist allein
der Zaghaftigkeit und Unentachlossenheit dea Herzogs in
dem entscheidenden Augenblicke zuzuschreiben. Das Urteil
der berufenen Militürschriltst eller ist darüber einig, und
frauzüaische CJenerale, wie GouWon de St. Cyr und sogar
der mitbeteiligte Kellerraann gebeu es selbst zu^ dafs, wenn
der Herzog nach der Erschütterung und Verwirrung, welche
die mehrstündige Kanonade in den Reihen der jungen fran-
zösischen TrupjKjn verbreitet hatte, zum herzhatten Angriff
geschritten wäre, Kellerraann auf Dumourioz geworfen, beide
von den Höhen hinter Valray in das Thal der Aisne ge-
stürzt und die französische Armee zweifellos in eine unheil-
volle Katastrophe verwickelt worden wäre. Bei den Ver-
handlungen, die dem Tage von Valmy folgten, versagte dem
Herzoge auch das diplomatische Geschick, das sich ihm so
oft bewähi't hatte. Er liefs sich von Dumouriez täuschen
und so lange hinhalten, bis die Uerhstregen die Wege
gründlich verdorben hatten. Dann aber erfolgte jener ver-
tust volle Rückzug, der dem treffÜchen, imbesiegten Heere
über ein Drittteil seinea Bestandes kostete und der erst hinter
den deutscheu Festungen am Rhein zum Stehen kam.
Glücklicher gestaltete sich der Feldzug dos folgenden
Jahres, aber grofse entscheidende Erfolge brachte auch er
nicht. Diese wurden ebenso sehr durch die vorsichtige,
pedantisch- methodische Kriegtuhrung des Herzogs ivio durch
das gegenseitige Mifstrauen der deutstdien Grofsmächte und
den Hader ihrer Genorale und Diplonrnten verhindert. Wohl
eroberten die Österreicher unter dem Prinzen von Coburg
und Clerfait das iliuen gegen Ende dea vorigen Jahres ent-
rissene Belgien zurück, xind auch auf dem Kriegsschauplatze
am Mittelrhein, welcher dem Herzoge und den Preufsen zu-
gewiesen war, machten die Waffen der Verbtindete,\i F*«:^
schritte. Frankiiirt ward von. preufe\ac\xft^ avöä. Vcaäs^^j»-
806
Zweites Buch. Zweiter ÄbBcbuitt
Truppen mit Sturm genommen , und Maiius , dessen sich
Custine durch Überfall bemächtigt Latte, nach längerem
tapferen Widerstünde genötigt, sicli am •22. Juli zu ergeben.
Dann aber geriet der Krieg hier wie dort ins Stocken. Eb
fehlte im österreichischen wie im preufsischen Hauptquartiere
an frischem kriegerischem Unternehmungsgeist An ein ein-
mütiges Zusammenwirken der Verbündeten, zu denen sich
seit dem 1. Februar auch England gesellt hatte, war bei
dem Auseinandergehen ihrer politischen Pläne nicht zu denken.
Die Österreicher hatten die Absicht, sich in dem französischen
Flandern festzusetzen, die Engländer unter dem Herzoge
von York dachten Dünkirchen zu erobern, die Preul'sen
richteten ihi*e begehrlichen Blicke gar auf Gebietserweiterungen
in Polen. In den Niederlanden gelang es den Osterreicbern
zwar, die französischen Festungen Conde und Valenciennes
zu erobern, aber diese Erfolge wurden reichlich aufgewogen
durch die Niederlage, welche ein Teil des verbündeten
Heeres — es waren hauptsächlich die 15000 Hannoveraner,
welche unter dem Feldmarschall von Freytag zu der Armee
gestofsen waren — in einer Reihe von Gefochten am 6.
7. und 8. September erlitten. Das lebhafteste dieser Ge-
fechte fand am letztgenannten Tage bei Handscoten statt
Die Hannoveraner zeigten sich hier ihres alten Waffcnruhmee
würdig. Trotz der fast dreifachen Übermacht des Feindes
und der Ungunst des Terrains, auf dem sich ihre Reiterei
nicht zu entwickeln vermochte, achlugen sie sich vier Stun-
den lang in verzweifeltem Kampfe, betreieten ihren gefangen
genommenen General und wichen keinen Fufs breit, bis die
letzte Patrone verschossen war. Dann erst traten sie, von
dem Feinde unvcrfolgt , den Rückzug an . Das Ergebnis
dieser blutigen Kiiuipfe war der Entsatz von Dünkirchen.
Fast zu der nämlichen Zeit ward in der Pfalz bei Pirma-
sens (14. September) , bei den Weifsenbm^er Schanzen
(13. Oktober) und bei Kaiserslautern (28 — 30. November)
zwischen dem Herzoge von Braunachweig und den Fran-
zosen unter Pichegru und Hocho heftig gefochten. In allen
diesen Treften bewährten die Preufsen ihre taktische Über-
legenheit gegenüber den neuen ungcBchulten Truppen der
Feinde, aber der Feldzug endete doch mit einem Rückzüge
der verbündeten Heere über den Rhein.
Karl Wilhelm Ferdinand war tiber den Verlauf des Krie-
ges tief verstimmt. Zögernd nur und nicht ohne Wider-
streben hatte er den ihm angetragenen Oberbefehl übernom-
men. Jetzt sah er seine schlimmsten Befürchtungen gerecht-
fertjgt, seine quälende Sorge, Aieaftt "Krya^ ^»^"Sö^ ^ tävo-
Der Herzog legt den Oberbefehl nieder.
309
lutionäre Frankreich werde ihm die Lorbeeren seiner jungen
Jahre, seinen Ruf als Feldherr kosten, erfiillt. Sicaerlich
war der Mifeerfülg zum groftien Teil seiner eigenen über-
ängstlichen, allzu methodiBchen Führung zuzuschreiben , aber
anderseits hatte er mit den Eingriffen des Königs, init der
Zwietracht und dem Mifstrauen der Verbündeten, mit dem
Ungehorsam einzelner Untergebener einen schweren Stand.
Der ihm unterstellte österreichische General Wurmaer führte
im Elaafs den Krieg aut eigene Faust, unbekümmert um die
Befehle, die ihm der Herzog zugehen liels, und in der Not
doch wieder auf seine Hilfe sich verlassend. In solchen
Momenten der Gefahr zeigte der Herzog noch immer das
Feuer seiner Jugend, eineu zutreffenden strategischen Blick,
die Eutschlossenheit des Feldherrn. So bei Pirmasens, wo
er Moreau unter den ungünstigsten Verhältnissen die Stirn
bot^ die überlegene feindliche Kanonade ruhig aushiclt und
die Sturmkolüniien des Feindes durch einen gUlnzenden
Gegenangri^ zurückwarf. Um so schmerzlicher war es ihm,
dafs der Feldzug unter dem Einflüsse von Umständen, die
zu beseitigen niclit in seiner Macht lagen, ein so kläghches
Ende nahm. Ein Meister in der Kunst sich zu belierracheu,
lieh er doch jetzt dem bitteren Unmute, der ihn erfüllte,
Worte, die selbst den Künig, von dem er sich zurückgesetzt
und beleidigt fühlte, nicht verschonteu. Mitte Dezember,
nachdem er das Heer hinter den Rbeiu zurückgefulu*t, for-
derte er seine Entlas.sung. Er machte geltend, dala Mangel
an Einheit, Miistrauen, Selbstsucht und der Geist der Kabale
seit zwei Feldzügen alle Mafsregeln hätten scheitern machen.
„Moralisch krank", wie er sich selbst bezeichnete, machte
er aus seinem Unmute gegen die diplomatischen Katgeber
des Königs kein Hehl, deren klügelnde Berechnungen die
rasche militärische Aktion geJähnit und durchkreuzt hatten.
Der Knnig lehnte das Entlassungsgesuch ab, aber der Her-
zog wiederiiolto es in den ersten Tagen des folgenden Jah-
res. Nun ward es angenommen, und der Feldmarschall von
Möllendorf übernahm den Oberbefehl. Mit Thiänen in den
Augen schied der Herzog von dem Heere. „ Meine Herren ",
sagte er zu den Generalen bei der letzten Parole, „ich bin
grau geworden mit Ehre, aber in dieser jetzigen Lage ist
keine mehr zu erwarten." Er ging nach Braunschwcig und
übernahm, um eine Lebenserfahi-ung reicher, hier wieder
persöuUch die Regierung des kleinen Landes.
Der Feldzug des Jahres 1794 vollendete die Niederlage
der Verblmdeten und führte die Auflösung der Koalition
gegen Frankreich herbei. Das ganze WbSsä ^ö^«vksä«ä -wocÄa.
i.
310
Zweites Bucfa. Zweiter Abschnitt.
aulgegeben, die reichen Niederlande den Bedriickungen und
Aussaugungen der franztisiscben Völkerbeglücker überant-
wortet. In diesen trüben Tagen der aügemcincn Verwirrung,
Zaghaitigkeit und Mutlosigkeit war die Verteidigung von
Menin durch eine Hand voll Emigranten, Hessen, haupt-
sächlich aber Hannoveraner ein lichter Punkt, ihr Durchbruch
dui'ch einen zehnfach überlegenen Feind ein Vorgang, un-
bedeutend in Vergleich mit den gi'ofsen Kreignissen, die sich
ringsum vollzogen, aber, an sich betrachtet, eine Waffenthat
ei*3tcn Ranges. Nach der Niederlage Clerfaits durch die
Divisionen von Souhara und Moroau bei Mouscron warf
flieh der gröfste Teil des französischen Heeres auf die kleine,
verfallene, nur von *200(» Mann beBCtzte Festung. Der Platz
schien sich auf die erste AufVordening ergeben zu inüsscn.
Aber drinnen befehligte der hannövrische General von Uam-
merstein, ein Mann von ehernem 8toff, ein alter Soldat von
unbezwinglichem Mut und eisernem Willen, und unter ihm
leitete die BefestigungBarbeiten der damalige Hauptmann
Scharnhorst, später der Schöpfer des modernen preufsischen
Heeres. „ Wir sind gewohnt, unsere Pflicht zu thun und
wei'den uns nicht ergeben", mit diesen Worten wies Ham-
merstein Moreaus Auffordenuig^ zu kapitulieren, zurück.
Fünf Tage lang hielt er sieh in dem halb uffonen Orte
gegen die erdrückende Übermacht des Feindes. Als das
französiche Feuer seinen Pulvervorrat in die Luft sprengte,
rief er am Abend seine Oftizicre zusammen und erklärte
ihnen seine Absicht, sich mit der Besatzung durch die dich-
ten feindlichen Reihen — 2000 gegen 20000 — = durchzu-
schlagen. In der Nacht auf den 1. Mai ward das kühne
Unternehmen nach den musterhaften Dispositionen Scharn-
borßta ins Werk gesetzt Es gelang vollständig. Bald nach
MitterHacht brach man in zwei Kolonneu aus dem Kortryker
und ßrügger Thore. Es entbrannte ein wildes Handgeraenge,
ein Gemetzel, dessen Schrecken durch die Dunkelheil der
Nacht noch vermehrt wurden. Von allen Seiten drängten
die Gegner heran, eigenes und fremdes Geschütz sperrte die
enge ytrafse , unter den Lafetten ihrer eigenen Kanonen
mulsten sich die braven hamiövrischen Grenadiere einzeln
hindurchwinden, um eich zum Angriff zu ordnen. Dann
warfen sie sich, ohne einen Öchufs zu thnn, auf den Feind,
brachen sich unter persönlicher Fühning ihres Generals
Bahn und erreichten glücklich Brügge, „eine Truppe so
brav, wie irgend eine in der Welt".
Eh' Monate später trat Preufsen, das sich innerlich schoa
Jüngst von der Koalition abgevjaai^ W\.\.q, wiJ^ ^>Äßwu:Uch
<
1
4
Der Friede von Basel.
811
und öffentlich von dieser zurück. Ära 5. April 1796 schlofs
es mit der französischen Rejmblik den Separatfrieden von
Basel. Wir haben hier nicht die Gründe abzuwägen, die
es dazu bestimmten. Es gab damit das ganze Linke Rhein-
ufer preis, bedang sich aber für seine eigenen Unksrheinischea
Gebiete eine entsprechende Entschädigung aus, die selbat-
verstiindlich nur auf Kosten der kleineren Reichsstände,
seiner bisherigen Verbündeten, erfolgen konnte. Dem nörd-
lichen Deutschland bis gegen den Main hin wurde hinter
einer noch näher zu bestimmenden Demarkationslinie unter
Preufsens Ägide Neutralität zugestanden: für den Fall, dafs
Hannover, welches dabei am meisten in Betracht kam, sich
der Neutralität nicht fügen würde, sollte Preufsen das Land
in Verwahrung nehmen. Dieser Friede trug nicht die Ge-
währ langer Dauer, sondern neue Verwicklungen in seinem
Schofse. Srit ihm begann die Auflösung des deutschen
Reiches. Durch ihn fiel Deutschland schon damals in drei
Gruppen auseinander, von denen die nördliche dem preufsi-
schen , die östliche dem österreichischen , der Westen und
Süden aber dem EinHusse einer fremden Macht, demjenigen
Frankreichs, überliefert ward. Auch die nächste Zukunft
der weifischen Lande, besonders Hannovers, zeichnete sich
bereits in schwachen aber doch erkennbaren Linien in die-
sem Vertrage ab. Wir werden in dem folgenden Abschnitte
das au.sgeiilhrte Bild zu betrachten haben, zu dem sie sich
gestaltete.
Dritter Abschnitt.
Frenidlierr.sehaft und Bcfrcinn^.
Der Friede von Basel führte zunächst den Zerfall des
grofsen Bündnisses herbei , welches bisher fast das ganze
monarchische Europa gegen die junge französische Re-
publik vereinigt hatte. Die zweite Macht Deutachlands,
die Monarchie des grofsen Friedrich, die vor allen «Avifix^xs-
Staaten zum Kriege gegen die Ma.c\xtVa^iet «av %ß^ 'icj^soÄ i^
J
812
Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
drängt und dieses Bündnis betlieben hatte, sagte sich nicht
nur zuerst von ihm los, sondern suchte auch andere deutsche
Staaten zu demselben Schritte zu bestimmen. In Berlin
scheint man damals an eine Erneuerung des von Friedrich IL
gegründeten Fürstenbundes gedacht zu haben, wenigstens
enthielt der Vertrag von Basel eine Klausel, wonach es allen
Keichsatänden freistehen sollte, sich innerhalb der nächsten
drei Monate ihm anzuschhelsen. Doch hatten diese Ver-
suche so gut wie gar keinen Erlolg. So klüglich und ver-
worren die Zustände im Kelche damals auch sein mochteti,
die öffentliche Meinung sprach sich überwiegend mit Ent-
rüstung über diesen einseitigen Frieden sschlufs aus, welcher,
indem er Österreich isolierte und den französischen Waffen
das Übergewicht am liheine vorschaffte, Deutschland toir die
Zukunft mit unabsehbaren Getahren zu bedrohen schien und
in der Thai die zwanzigjälunge Vorherrschal't Frankreichs
angebahnt und die Knechtung Deutschlands herbeige- ^J
fuhrt hat. M
Der AbschluTs des Friedens fiel gerade in die Zeit, wo ^t
die französische Kepublik nach dem Sturze des Terrorismus
und der Bewältigung der royalistischen Aul'stände in den
Provinzen sich 'm\ Innern zu befestigen begann und nun ^j
das Direktorium unter Carnots KinflupR erneuete Anstren- ^M
fungen machte, den Krieg mit Eriblg weiterzutiihren. ^1
eine ganze Wucht fiel jetzt auf Österreich, das infolge
der unglücklichen Feldzüge von 179G und 1797 sich seiner- ^H
seits genötigt sah, die AVaffen niederzulegen und den Frie- ^H
den von Campo Formio zu scliliefseu, welcher in einem ge-
heimen Artikel Frankreich die Abtretimg des ganzen linken
Kheinuiers, soweit dies zum deutschen Reiche gehörte, mit
Ausnahme der preulsischen Gebiete Cleve, Meurs und Gel- ^^
dem zusicherte. So war die alte seit Ludwigs XIV. Tagen ^M
behauptete Westgreiize des deutschen Reiches von den bei-
den deutschen Gro(smächten schon preisg^eben , als am
9. Dezember 1797 in Rastatt der Kongrefs zusammentrat,
welchem neben den Verhandlungen des Friedens für das
deutsche Reich hauptsächlich die Aufgabe zufiel, für die an
Frankreich durch die geheimen Artikel der Friedensschlüsse
von Basel und Campo Formio abgetretenen linksrheinischen ^t
Gebiete den betreffenden Staaten eine Entschädigung auB- ^H
zumitteln und zuzuweisen. Indem man zu liastatt die Aus- ^fl
Schlachtung und Beraubung der kleineren Reichsstände und
der geiöthchon Territorien zum Prinzip erhob, gestaltete sich
der KoDgrel'a zu einer Leichenfeier des heiligen römischen
Meicbes, wie man ihn gcnauat \\ftX. V\«o.Wu, Ää» uord-
ZostSode im Reiche.
31S
L
deutsche OrofsiDocht, segelte seit dem Frieden von Basel
ganz in dein Fahrwasser der französischen Hepubük. Schon
179*1 hatte es sich von dieser Vergrölserungon zusichern
lassen. £9 war natürlich, dafs die schwächeren Staaten
Norddeutachlands, dals auch Hannover eine solche Politik
mit niifstrauischen Augen ansahen. Ein niedersächsischer,
zu Hildesheim gehaltener Kreistag beschlofs damals, um die
in Basel vereinbarte Deraarkationelinie vor iranzösischen
Übergriffen zu sichern, eine Truppenaui'stelhing am Unter-
rhein, an der sich auch Hannover beteiligte. Es ist bekannt,
wie der Kongrefa von Rastatt, noch ehe man zu irgend einer
Vereinigung gekommen war, sich inl'olge der neuen Koa-
Utiun, zu der sich inzwischen Osterreich, Hufsland, England
und Neapel verbündet hatten, auflöste, wie der dann aus-
brechende Krieg von 1799 in Italien, der Schweiz und am
Oberrhein den Verbündeten anfangs grofee Eirfolgc ein-
brachte, die aber im folgenden Jahre, nach dem Rücktritte
Rufslands von der Koalition, durch den Sieg Napoleon Buo-
napartes bei Marengo und denjenigen Moreaus bei Hohen-
linden so vollständig aufgewogen wurden, dafa Osterreich
aich dazu bequemen mufate, am 9. Februar 1801 den Frie-
den von Luneville zu schliefsen , der im wesentlichen die
Abmachungen von Campe Formio bestätigte und der von-
seiten des Kaisera auch für das deutsche Reich geschlossen
ward. Ein Jahr später (27. März 1«02) machte dann Eng-
land, bisher die Seele der gegen Frankreich gerichteten
Bündnisse, zu Amiens gleichtalls seinen Frieden mit dieser
Macht oder vielmehr mit Buonaparte, der damals bereits
der Revolution den Fufs auf den Nacken gesetzt und
das Erbe der Jakobiner und des Direktoriums angetreten
hatte.
Während diese die alte Ordnung Europas, vor allem
aber Deutschlands mit völligem Umaturz bedrohenden Er-
eignisse sich vollzogen, befand sich das Kui-fürstentum Han-
nover in einer eigentümlichen, keineswegs beneidenswerten
Lage. Mit dem grofsbri tannischen Reiche unter demselben
Herrscher zu einer Personalunion verbunden, war es zugleich
ein Mitglied des deutschen Reiches. Die hannövrische Re-
gierung war unter Zustimmung des Königs Georg IH. dem
Baseler Frieden beigetreten oder hatte sich doch — wie die
Dinge lagen — diesen Frieden gefallen lassen müssen, wäh-
rend England den Ki'ieg gegen Frankreich mit uugeschwach-
ten Kräften fortsetzte. Als Mitglied des hinter der Demar-
kationslinie gelegenen Staatenbundes hatte Hannover arafia.
verbal tniÄmä/ei^ sehr bedeutenden TeiX Ä.exl^Q%\ftti.TÄ \x^^c^i
Sil
Zweites Buch. Dritter Abgclintti.
welche die Besetzung jener Linie verursachte. Diese Koster
hetrugen wühread der sechs Jahre vom Frieden zu Basel
bis zu demjenigen von Luneville nicht weniger iila acbt
Millionen Thaier. War dies schon eine schwere Last für
das Land, so gestaltete sich die politische Lage der Dinge
iür dasselhe noch bedenkUcher, ja geradezu gefahrdrohend,
als Kaiser Paul von Rulsland; durch den Ausgang des Koa-
litionskrieges bitter enttäuscht und plötzlich aus einem hef-
tigen Gegner des ersten Konsuls zu seinem lebhaften Be-
wunderer umgeschlagen , mit den benachbarten See-
und Küsten Staaten zweiten Ranges g^en England die
„nordische Seeneutratität" zustande brachte, die sich gegen
die von England rücksichtslos gehandhabte Durchsuchung
neutraler Schiffe richtete. Diesem Bündnis trat aufser Schwe-
den und Dänemark auch PrenJsen bei. Trotzdem die Engüln-
der gegen das letztere weit weniger raach und gewaltthätig
verfuhren, liefö sich König Friedrich Wilhelm 111. teils
durch das Ungestüm seines russischen Bundesgenossen , der
von ihm die Schliefaung der Elbe- Weser- und EmsmünduDg
verlangte, teils wohl auch schon durch eigene Hegehrlichkeit
bestimmen , ohne vorhergegangene Kriegserklärung seine
Truppen in Hannover einrücken zu lassen und den Kur-
Staat in preufsische Verwaltung zu nehmen.
Bei diesem Gewaltstreiche haben offenbar die Verlock-'
ungen Buonapartea, der dadurch England und Preulsen
tödlich zu entzweien gedachte, eine Rolle gespielt. Trotz des
in Hannover schon längst bestehenden Mifstraueus gegen die
Pläne der preufsischen Politik hatte man hier keine Vor-
sieh tsmafsregeln getroffen. Das von dem Grafen von Wall-
moden-Gimbom befehligte Heer war über das ganze Land
zerstreuet und konnte nicht daran denken, einen aussichts-
vollen Widerstand zu leisten. Während das preufsische
Koips, welches bisher in Westfalen gestanden und die De-
markationslinie besetzt gehalten hatte, 24 000 Mann stark,
unter dem General von Kleist in das Land einrückte und
auch Oldenburg und Bremen besetzte, erschien am 2. April
1801 der preulaischc Minister Graf von der Öchulenbui^
Kehnert in Hannover, um von dem Lande namens seiner
Regierung Besitz zu ergreifen. Er brachte eine von dem
Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin, dem|
Grafen von Ilaugwitz, unterfertigte ., Deklaration " mit, die
er noch an demselben Tage dem Geheimenrate in Hannover
mitteilte. „Zur Handhabung des angefochtenen Bündnisses",
hieta es m diesem Schriftstücke, „und zur Wieder Vergeltung
des dagegen unternommetven ieVnäXvcVcw ^ifisa.^öm&T& «ehe
Besetsong HannoTers durch die Preufsen.
S15
sich Preufsen genötigt, nicht nur die Mündungen der Elbe,
Weser und Ems zu sperren, sondern auch alle in Deutsch-
land gelegenen iStaaten Sr. britischen Majestät in Besitz zu
nehmen." Demgemärs wurde der Adoiinistrationsnoxus zwi-
schen den Lundeskollegien und dem Könige von Kngland
für aufgehoben erklärt und das Ministerium in Hannover
bedeutet, es habe sich in allem den preulsischen Anordnungen
nicht nur inbezug auf die einrückenden Truppen, sondern
auch auf die Landesaneelcgcnheiten zu fügen: das han-
növrische Korps, das die Demarkationslinie mit besetzt hielt,
solle „demobilisiert, von den übrigen Truppen ein verhält-
nismälsiger Teil beurlaubt werden". Die Verpflegung der
preufsischen Beßatzungstruppen wurde in ihrem vollen Um-
fange dem Lande aufgebürdet. Man war preufsischerseits
bemühet, diesem ganzen unerhörten Verfahren den Anschein
eines Aktes der Notwehr zu geben und der Meinung ent-
gegenzutreten, als ob es sich um eine bleibende Eroberung
handele. Allein wie richtig eine solche Annahme war, zeigte
sich, als durch den plötzlichen Tod dos Kaisers Paul von
Rufsland (in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1801)
ganz veränderte politische Verhältnisse geschaffen wurden,
welche dem Vorgehen des Berliner Hofes jeden Grund und
Boden entzogen. Kaiser Alexander beeilte eich, das durch
die Seeneutrahtät gestörte gute Einvernehmen mit England
wiederherzustellen, gab sogleich Befehl, das auf die eng-
lischen Schiffe in den russischen Häfen gelegte Embargo
aufzuheben und wufste auch die Höfe von Stockholm und
Kopenhagen für eine Ansicht über die Grundsätze der Be-
handhmg neutraler Schiffe zu gewinnen, welche den ganzen
Streit mit England beseitigte. Damit fiel jeder Grund iur
die Verlängerung der Okkupation des Kurstaates durch die
preufsischen Truppen fort. Trotzdem und trotz der wieder-
holten Vorstellungen Georgs HI. wichen diese nicht aus dem
Lande. Zwar erklärte der prexifsischo Gesandte Baron Ja-
kobi schon im April, dafs sein König bei den jetzigen ganz
Teränderten Umstäaden seine Streitigkeiten mit der Krone
England gütlich beizulegen wünsche, aber die Besetzung des
Landes müsse fortdauern. Erst gegen Ende Oktobers, als
bereits die Friedenspräliminarien zwischen England und
Frankreich, die dann zu dem Frieden von Amiens iuhrten,
begonnen hatten , scliickte sich das praulsische Besatzungs-
heer an, den Kurstaat zu räumen. Slan mochte in Berhn
zu der Erkenntnis gekommen sein, dafs es doch nicht ohne
Gefahr sei, sich mit England, ohne auf irgend welche R\w\.-
deagenosscn rechnen zu können , iti evaeu ^a^Ei^l «s^ät»--
BI6
Zweites Bucb. Dritter Abschnitt
lassen. Im Kovember sah sich das Land seinem recht-
mäfsigen Herrscher zurückgegeben, und die hannövrischen
Behörden traten überall wieder in Tliätigkeit.
Diese ungerechte, unnötige und iruchtlose Besetzung
HannoverSj die dem Lande während ihrer halbjährigen Dauer
die Summe von mehr als 1 2üO OÜO Thalern gekostet hat,
liefö trotz der guten Mannäzucht, welche die preufsischen
Truppen gehalten, und trotz der schonenden Rücksicht, die
ihr Befehlshaber hatte walten lassen, in Hannover eine tiefe
Verstimmung gegen den grüi'aeren Nachbarstaat zurück und
hat nicht wenig dazu beigetragen, im hannövrischen Volke
die Erinnerung an die frühere Waflengenosaenscliai't und die
gemeinsam ertochteocn Siege gegen FrauzosoU; Dänen und
Schweden zw verwischen. Man gewöhnte sich in Hannover
dai-au, Preulsen als den begehrlichen, nach dem Besitze de»
Landes lüsternen Nachbar zu betrachten, der die erste gün-
stige Gelegenheit benutzen werde, um durch die Einver-
leibung des Kurstaates die geographische Lücke auszufüllen,
welche die gröfsere Osthälfie der Monarchie von ihrer klei-
neren Westhälfte trennte. Und in der That sollten die Er- ,
eignisse schon der nächsten Jahre diese Befürchtungen nue^H
allzu sehr bestätigen. ^^
Nach dem Frieden von Luneville war in Kegensburg I
der Beschlufä gefafst, durch eine besondere Reichs dep Uta tion '
die Verhandlungen wegen der Entschädigung der früheren
Besitzer der linksrheinischen , an Frankreich abgetretenen
Gebiete, die der zweite KoaÜtionakrieg unterbrochen hatte,
wieder autzunehmen und zum Abschlufs zu führeu. Die |
Beschlüsse dieser völlig unter Frankreichs und Rul'slands 1
Einflüsse stehenden Reichsdeputation , die gegen Ende des I
Jahres 1801 zusammentrat, vollendete die Auflösung des j
alten Reichskörpers. Man weiis, ein wie schmählicher Scha- ■
eher hier mit den Temtorien des ehemals heiligen römischen |
Reiches getrieben ward. Selbst die gröiseren deutschea
Staaten, die sich noch immer als europäische Grofsmäch
fühlten, entblödeten sich nicht, sich wetteifernd um die Gunst
bald des ersten Konsuls in Paris, bald des Czaren in Peters-
burg zu bewerben, um aus den Spoiien des einst so mäch-i
tigen Gennaniens so viel Länderhesitz wie nur immer mög-
lich herauszuschlagen. Preufseu achlofs bereits am 23. Mai
180ti mit ßuonaparte eine Übereinkunft, wonach ihm die
Bistümer Paderborn und Uildesheim, ein Teil von Münster,
das bisher mainzische Eichsfeld, Erfurt und die Abteien
Elteiij Essen und Werden als Entschädigung für die weit
weniger umfengreichen GeViiete "^CTvm\& Öl^* ^itfÄßSÄ ui Aus-
RdchsdepatatioDshaaptschlars.
sieht gestellt wurden. Ein königliches Patent vom 6. Juni
verkündete der Welt diese Abmachungen, und am 3. Auß^ust,
während die Verhandlungen in liegensburg noch fortdauer-
ten, sechs Monate vor ihrem Absclilurs^ rückten preufRisclie
Truppen in die oben genannten Gebiete und nahmen überall
für ihren Kriegsherrn die Uuldigoug der Bevölkerung ein.
Vergebens machte der König Georg III. die alteren Rechte
geltend, die Hannover an HildesLeim hatte und die in der
auch jetzt noch ihm zustehenden Schutzherrechaft über das
Stift ihren Ausdruck fanden. Das preui'siache Kabinet
wofste es namentlich bei Ruialand durchzusetzen, dafs diese
Macht ihren anlanglichen Widerspruch gegen die Erwerbung
Hildeäbeims aufgab. So sprach denn der Heichsdeputations-
hauptßchlufa, der nach langen Verhandlungen am 25. Fe-
bruar 1803 zustande kam, Preulsen die von ihm bereits in
Besitz genommenen Gebiete, also auch das Hochstift Hildes-
heim zu, indem er noch die Abteien Herford, Quedlinburg
und Kappenberg, sowie die Reichsstfidte Mühlhausen, Nord-
hausen und Goslar hinzufügte, ein LUnderkomplex, der das
von ihm Aufgegebene vierfach ersetzte. Hannover erlangte
dagegen nur die Einverleibung des Hochstiftes Osnabrück,
dessen alteruierende Besetzung mit einem Prinzen seinefl
Hauses ihm seit dem westTälischen Frieden zustand, wogegen
es das Amt Wildeshausen an Oldenburg abtrat, auf seine
Ansprüche an die Grafschaft Sayn-Altenkii-chen zugunsten
Nassaus verzichtete und seine Rechte und Einkünfte in den
Städten und Gebieten von Hamburg und Bremen, sowie seine
Schutzherrschaft über Ilildesheim , Corvey und Höxter auf-
gab. Dem Herzogtume Braunschweig wurden die bisher
reichsfreien Abteien Gandersheim und St. Ludgeri bei Helm-
stedt einverleibt.
Die Hartnäckigkeit, mit derPreufsen auf der Erwerbung
des Stiftes Hildesheim bestanden, und die Mittel, deren es
sich, um sie zu erlangen, bedient hatte, namentlich sein enger
Anschlufs an Frankreich, waren geeignet, dem Argwohne,
als strebe es noch immer nach dem Besitze des ganzen Kur-
staates, in dessen Ländergebiet oa sich jetzt nach der Ein-
verleibung Hildesheims mitten hineinschob, neue Nahrung
zu geben, öehou die nächsten Jahre erhoben diesen Arg-
wohn zur Gewifsheit. Zunächst freilich sollte das Land der
unersättlichen Erober ungsgier des ersten französischen Kon-
suls zur Beute werden und alle Drangsale und Schrecken
einer brutalen Fremdherrschaft erfahren. Der Friede von
Amiens erwies sich nach kaum einjähriger Dauer als unKidl-
bar. Am 18. Mai J803 erklärte E.ng\a.Tidi, ^<avt\i.\. ^>ax^ ^ä»
81S
Zweitea Buch. Dritter Abscbnitt.
4
Übergriffe BuoEaparteSj von neuem den Krieg an Frank-
reich, um von nun an die Waffen nicht wieder ruhen zu
lassen^ bis das bald darauf erstandene frauzösisehe Cäsaren-
tum zerschmettert am Boden lag. Es trat diesesmal in den
Kampf allein, ohne alle l'estländiache Bundeegenossen , ein.
Dadurch wurde fUr die beiden kriegführenden Mächte eine
eigentümhche Lage geschaffen: ein Kampf für beide Teile
ohne greifbare Angriffsobjekte. Weder vermochte die kon-
tinentale Übermacht Buonapartea das seebe herrschende Grofa-
britaimien zu troffen, noch auch das maritime Übergewicht
des letzteren Frankreichs Machtätellung auf dem Festlande
bleibend oder auch nur momentan zu erschüttern. Da bot
sich dem französischen Tbatondrauge das durch die preulsische
Besetzung finanziell geschwächte und militflrisch zerrüttete
Kurfürstentum Hannover als willkommene Beute dar. Ge-
niäfs seinem Grundsatze, „man müsse den Feind überall da
suchen, wo inan ihn zu fabsen vermöchte", beschlufs Buo- ^J
naparte die Überrumpelung Hannovers. Er sammelte bei ^|
Kymwegen in aller Stille eine Truppenmacht, angeblich zu ^^
einer Expedition nach Louisiana, in Wahrheit aber, wie der
Käme „Armee d'Hanovre*' der Welt bald verkünden sollte,
zur Eroberung des Kurstaates bestimmt, und atelite einen
seiner bewährtesten Heerführer, den General Mortier, an
ihre Spitze. Nach Berlin sandte er den Obristen Duroc, um
hier die bevorstehende Besetzung Hannovers zur Kenntnis
des Königs zu bringen. Preufsen hätte, da sich der Kur-
staat dem Frieden von Basel und der damals vereinbarten
Neutralität des nördhchen Deutschland angeschlossen hatte,
die Verpflichtung gehabt, der Absicht der Franzosen nötigen-
falls mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten. Seine
Ehre und seine eigene Sicherheit schienen dies aufserdem
zu fordern. So dachte auch König Georg III., welcher, als die
Gefalir näher rückte, seinem Sohne, dem Herzuge von Cam-
bridge, der, ohne Mitglied der Regierung zu sein, im han-
növriöchen Heere eine hohe BofehUhaberstelle bekleidete , riet,
sich zuerst an Preufsen um Beistand zu wenden und erst,
wenn dies erfolglos und jeder wirksame Widerstand un-
möglich sei, das Heer nach Stade zu Jühren, um es von da
nach England in Sicherheit zu bringen. Aber in Berlin
konnte man sich zu einem solchen Schritte, der die Freund-
schaft Buouapartes verscherzt haben würde, nicht entschliefsen.
Man machte zwar den Versuch, durch das Angebot einer
Besetzung des Landes durch preufsische Truppen von Eng-
land die Befreiung der preufsischen Schiffe von dem Durch-
suchüugsrechte zu erpreBsen uaÄ, »\ä ä!\c% HrivJsRJtixjL^, dia bri-
I
Bedrohung Uatmovers durch die Fraasoaen.
819
tische Regierung selbst zu einer Okkupation Hannovers zu
veranlassen. Allein England lehnte auch diese Zumutung
ab. Die ganz uazeitgemäi'sen Bemühungen, spater, als Han-
nover bereits in den Händen der Franzosen war, dem ersten
Konsul durch gütliche Vorstellungen das Land wieder zu
entwinden, wurden in schroffer Weise von ihm zurück-
gewiesen. Auch von Englands Seite, wo man die Ver-
bindung mit den Erbstaaten des Königs stets als eine
drückende Last empfunden hat, geschah nichts, um jene vor
der Vergewaltigung durch einen übermütigen und über-
mächtigen Feind zu schirmen. Herr von Lenthe, der Staats-
imd Kabinetsminister üeoi'gs Hl. l'ür die deutsche Kanzlei,
erteilte am 13. Mai von London aus den zweideutigen Rat:
„wenn man das Land vor einer Invasion glaube schützen
zu könneuj so sei alles daran zu setzen, andernfalls die zu
ergreifenden Mafsregeln danach einzurichten , die unglilck-
liche Lage desselben nicht noch durch unnütze Opfer zu
steigern ".
So eah sich Hannover dem drohenden feindlichen Ein-
brüche gegenüber auf seine eigenen Kräfte augewiesen, und
diese waren damals unzulänglicher und geringer als je zu
einer anderen Zeit. Die Verwaltung lag in den Händen
zaghafter, zum Teil untUhiger Männer, von denen man
aufserdem bei der eigen t um Uchen, unglücklichen Stellung des
Kurstaates zu England, bei seiner ungünstigen geographi-
schen Lage kaum einen heldenhaften Entschlufs zu erwarten
berechtigt war. Die StaatskaBse war infolge der vorauf-
gegangenen preufsischen Okkupation leer, das Heer , auf
9000 Mann vci-mindert, litt Mangel an den nötigsten
Ausrüstnngsgegenständen, namentlich fehlte es der Reiterei
und Artillerie m dem Lande einer ausgedehnten Pferdezucht
an brauchbarem Reit- und Bespannungsmaterial. Der Feld-
marschail von Wallmoden, ein Mann aus der Kriegsschule
des Herzogs Ferdioand von Braunschweig, der sich während
des Feldzuges in Flandern als braver Ofüzier bewährt hatte,
jetzt aber unter dem Drucke einer schwerwiegenden Ver-
antwortung, aufserdem von London aus angewiesen, gemein-
schaftlich mit dem Ministerium zu liandeln und nichts ohne
dessen Zustimmung zu imternchmen , sah sich in die pein-
lichste Lage versetzt. Er hatte schon früher bei seinen Be-
mühungen, das Heer zu ergänzen und neu zu organisieren,
die Unbehilflichkeit der schleppenden Reglerungamaschlno
in Hannover erfahren, deren Seele der geheime Kabinets-
rat Rudioff war, ein lahiger und in den Geschäften gewandter
aber rechthaberischer Beamter, der Bi<iV tc<i\z ^^s^x wa& Vääv-
Zweites Bach. Dritter Abschnitt.
don einlaufenden Warnungen in den Gredanken verrannt
hatte, dafa keine Gefahr vonseiten Prankreichs zu befürch-
ten sei. Wallmoden wandte sich am 20. April mit der An-
frage nach Hannover, ob man die Weser ernstüch zu ver-
teidigen gedenke, wo er die Truppen zusammenziehen solle
und bis wie weit die Mittel der Gegenwehr auszudehnen
seien. Er erhielt die berühmt gewordene Weisimg zur Ant-
wort: „alles zu vermeiden, waa Ömbrage und Aufsehen er-
regen könne und dadurch etwas zu attiriereu vermögend
wäre , vielmehr waa möglich und dienlich sei, zu veran-
stalten und vorzubereiten, um die Willenam einung des Königs
zu erfüllen". Kurze Zeit darauf soll ihm sogar der Befehl
erteilt sein, „den Truppen das Feuern zu untersagen und
nur im dringendsten Notfall das lUyonett mit Moderation
zu gebrauchen ". Darauf legte Wallmoden in mehreren Be-
richten den regierenden Herren in Hannover die Sachlage
dar. Er drang auf eine schleunige Vermehrung des Heeres,
das man leicht auf 28 bis 30000 Mann bringen könne, eine
Truppenmacht, mit der man schon eine wirksame Ver-
teidigung fuhren oder im Fall eines ungünstigen Ausganges
wenigstens eine ehi'envoUe Kapitulation erzwingen könne.
Die Folge war eine ganz thörichte Mafsregel. In einem Er-
lafs vom 16. Mai wurden sämtliche Landesimterthanen auf-
gefordert, „ zur Rettung des Vaterlandes sich unweigerlich
zu stellen", die Renitenten und Säumigen mit dem Verlust
ihres Vermögens und ihres zu erhoflfenden Erbteiles bedrohet.
Es war eine kindische Wiederholung der levöe en nm8B6|
die einst nach der französischen Legende Frankreich ge-
rettet hatte, die aber bei dem Charakter des niedersäcbsischen
Volkes jede Wirkung verl'ehite. Schon acht Tage später
sah sich das Ministerium genötigt , diesem Manifeste eine
Erklärung folgen zu lassen, welche einer Zurücknahme des-
selben gleichkam. Während die Franzosen, teilweise durch
preuisisches Gebiet marschierend, sich dem Lande näherten,
wuchsen hier Verwirrung und Ratlosigkeit. Man beschlofa
jetzt, dem bereits bis gegen Diepholz vorgerückten Feinde
eine Deputation entgegenzusenden, um von ihm unter Be-
rufung auf das Völkerrecht und die V^erträge von Basel und
Luneville die Anerkennung der NeutraHtilt des Landes zu
erlangen. Während diese sich aufmachte, um das Haupt-
quartier des Feindes aufzusuchen, erschienen die französischen
Vortruppen auf der Strafse, die von Diepholz über Suh-
Hngen zur Weser führt. Hier standen, von dem Herzoge
voa Cambridge über die Weser vorgeschoben, vier Bataillone
J^ufarolkj zwei Reiterregimenter \mi evafe"Ä^ttssna >uiter de
Konvention von Suhliugen.
sn
Oeneral von Hammerstein, dem Verteidiger von Menin. Bei
dem Dorfe Borstel kam es am 2. Juni zu einem Gefechte,
in welchem die Franzosen zurückgewiesen wurden , dem
einzigen teindlichen Zusammentreffen in diesem absonder-
lichen Kriege. Denn alsbald erliielt Hammeratein die Woi-
8img, hinter die Weser zurückzugehen, da inzwischen die
Deputation aus Hannover angelangt war: „es sei wegen der
entamirten Unterhandlung mit den Franzosen der Grundsatz
etablirt , keine Feindseligkeiten zu erwidern , sondern sol-
chen möglichst auszuweichen".
Die eingeleitete Unterhandlung fiihrte zu der Kapitulation
von Suhlingen. Der französische General verlangte, dafs
sich die ganze hannövinsche Armee kriegsge fangen ergebe,
damit Frankreich ein Äquivalent lur seine in englische Ge-
fangenschaft gefallenen Landeskinder erhalte. Mit diesem
Bescheide kehrte die Deputation nach Hannover zurück, wo
die Itegierung, eingeschüchtert durch die von Mortier hinzu-
gefügte Drohung, dafs er nach tberschreitung der Weser
sich nicht mehr an die von ihm zugestandenen Kapitulations-
bedingungen gebunden eracJiten werde, beachlolä, die For-
derungen des Feindes zu erfüllen und seine Gebote über
sich, das Land und das Heer ergehen zu lassen. Am 3. Juni,
einen Tag nach jenem siegreichen TrefiFen, ward die Kon-
vention unterzeichnet. Sie bestimmte die ZurückfUhrung
der hannövrischen Truppen hinter die Elbe und, falls sie
nicht gegen cngLsche Gefangene ausgewechselt würden, ihre
Verpflichtung auf Ehrenwort, während des Krieges nicht
gegen Frankreich zu dienen. Alles Kriegsgerät, Geschütze,
Waffen, Vorräte, wurden den Franzosen ausgeliefert, die
Landeseinkünfte, die Domänen , selbst das Privateigentum
des Königs und seiner Familie zu seiner Verfügung gestellt
Das Land hatte aufserdem für Sold, Bekleidung, Unterhalt
dos französischen Heeres zu sorgen, seine Reiterregimenter
mit brauchbaren und tüchtigen Pferden zu versehen. Der
Befehlshaber der Okkupationsarmee behielt sich vor, die ihm
als zweckraäfsig erscheinenden Veränderungen in dem Be-
staude und der Zusammensetzung der Landesbehörden zu
treffen, sowie die zurBetiiedigung der Bedürfnisse seiner Trup-
pen für notwendig erachteten Kontributionen zu erheben.
Das ist die berüchtigte Konvention von Suhlingen, ein
Seitenstück zu derjenigen von Kloster Zeven (S. 275), der
de in ihren Einzelbostammungen beinahe aufs Haar glich:
nur dafs diese das notwendige Ergebnis einer kläglichen und
kopflosen Heertührung gewesen war, während das Abkomr
H9in«Baiin, Braansoliw.-htnnfir. GeftcUicWt. lU. ^V
Zweites Bach. Dritter Abscbaitt.
meD von Subliogen die ganze Zerfahrenheit und Unlahigkeit
einer Regierungsmaschine enthüllte, die sich vollkommen
überlebt hatte. Dem von dem Geheimen Rate in Hannover
bei diesem Unglück bethätigten Verfahren entspricht es voil-
kommen, dafs von seinen MitgUedem nur eines, der Minister
von der Decken, den Mut hatte, an seinem Platze auszu-
harren, während die anderen beiden, Graf Kiclmannsegge
und von Arnswaldt, mit dem geheimen Kabinetsrate Rudioff
eich nach Schwerin retteten, wohin sie die Kostbarkeiten und
das Barverniögen des küuiglichen Hauses in Sicherheit
brachten.
Indessen sollte die Katastrophe des Kurstaates infolge!
der Jämmerlichkeit dieser Regierung noch ein traurige»
Nachspiel erhalten, welches vor allen anderen die brave
Ai'mee traf. Man hatte, wie es scheint mit Absicht, dem
Feldmarschall von Wallmoden die wichtige Schlufsbestimmung
der Konvention verschwiegen , wonach sich Buonaparte
ihre Genehmigung vorbehielt. Wailmoden war demgemäTs
der Meinung , einen vollgültigen Vertrag vor sich zu
haben, und traf seine Anstalten, diesen mit gewisseuhat^er
Treue zur Ausführung zu bringen. Er liefs die Festung
Hameln räumen und übergab sie mit allem ihren Geschütz
und ihren Vorräten den Franzosen, ja er lieferte ihnen das
bereits über die Elbe geschaffte Kriegsmaterial aus dea
Zeughäusern von Stade und Harburg aus. Dann begana
er den Marsch quer durch die Lüneburger Heide nach der
Klbe, um den Bestimmungen der Konvention gemäfs jenseits
derselben seine Truppen im Herzogtume Lauenburg unter-
zubringen. Unter mannigfachen Entbehrungen vollzog sich
dieser Alarsch. Aber nicht nur die schlechte Verpflegung,
mehr noch der zornige Unmut über den schimpflichen Ver-
trag äulserten ihre nachteilige Wirkung auf die Haltung und
Mannszucht der Truppen. Am 9. Juni begannen gie den
Übergang über die Elbe , der Feldmarschall nahm sein
Hauptquartier in Lauenburg. Nun aber, da die Abdankung
erfolgen soUto, erfuhr er erst, d&l's der erste Konsui niu"
unter der Bedingung der Konvention seine Genehmigung
erteilen wolle, wenn Georg HI. in seiner Eigenschaft als
König von England dasselbe thue und sich bereit erkläre,
gegen die Entlassung der hannövrischcn Truppen in ihre
Heimat die in die Hände der Engländer gefallenen fran-
zösischen Matrosen und Seesoldaten auf ireien Fufs zu setzen.
Eine solche Zumutung lehnte das englische Kabinet unter
BeruiuDg auf die von ihm stets festgehaltene politische
Trennung von GrofabritauiiieTi \xai ^msäks^ wAwihieden
Die ElbkouveutJOD.
323
ab. Und nim verlaiigte Mortier den Abschlafs eines neuen
Abkommens binnen vierundzwanzig Stunden. Die hannöv-
risciie Armee sollte kriegsgefaugeu nach Frankreich abgeiiihrt
werden, nur den Offizieren die AVahl ihres Aufenthaltsortes
auf dem Kontinente freistehen. Mit gebührender V^erachtung
wies WaJImoden solche Forderungen zurück. Einstimmig
erklärte das Oifizierkorpa , sich lieber bis auf den letzton
Mann schlagen zu wollen, als so Ächimpfliches ohne Wider-
stand über sich ergehen zu lassen. Mau machte sich zum
Kampfe bereit und traf demgemäfs seine Anstalten. Kun
aber erschienen wiederum Unterhändler. Dieeesmai waren
es hociiadelige Mitglieder der Calenberger Stände, welche
den Truppen erklärteu^ dafs, wenn sie sich den französischen
Forderungen fügten, die Landschaft für ihren Unterhalt sor-
gen, andernfalls sie aber vom Lande nichts zu erwarten
haben wüi-den. Unter dem Hin und Her der Verhand-
lungen begannen die Truppen schwierig zu werden. In
einzelnen Kegimentem trat der Geist des Ungehorsams offen
zutage. Wallmoden mufste erfahren, dafs er seine Mann-
schaften niclit mehr fest in der Hand habe. Mit schwerem
Herzen entschlofs er sich, den französischen Fordeinzngen,
welche zwar in der Form gemildert wurden, im wesentlichen
zu entsprechen. Auf einem in der Nähe von Artlenburg
in der Elbe festgeankerten Bote ward die neue Konrention,
die „Eibkonvention", wie man sie nannte, am ö- Juli unter-
zeichnet. Nach derselben unterzog sich die hannuvriache
liegierung selbst dem Geschäfte, die Entwaffnung der Trup-
pen durchzuführen, Pferde, Waffen und Geschütze auszu-
liefern. Die Soldaten wurden gegen das Versprechen, in
dem Kriege nicht weiter zu dienen, in ihre Heimat ent-
lassen, die Oifiziere durften Pferde, Gepäck und Degen be-
balten, doch mufsten sie sich verpflichten, das Festland nicht
zu verlassen. Diese traurige, einerseits durch die List und
Heimtücke des Feindes, anderseits durch die Feigheit imd
Verkommenheit der hannovrischen Behörden herbeigeführte
Konvention wurde aber nicht in ihrem ganzen Umfange
durchgeführt. In der Verwirrung und Ußst, mit der man
die Entwaffnung vollzog, hatte man den Truppen die Ein-
zelbestimmungen des Vertrages nicht einmal mitgeteilt, noch
viel weniger den Oflizieren das Ehrenwort abgenommen.
König Georg III. erklärte zudem in einem Manifeste die
Abmachungen des Vertrages, welchem die königliche Ge-
nehmigung fehle, für unverbindlich- Der Obristlleutenant
von der Decken und der Major Halkett errichteten an den.
Mündungen der Elbe und Weser wvter ett^'tfäiÄ"ni "^s^äKa^afc.
824
Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Werbcstellen, wohin bald hunderte der entlassenen Soldatea
strömteu^ um, wenn auch in anderen Ländern, den Kampf
gegen die Vergewaltiger und Bedrücker ihrer Heimat auf-
zunehmen, der ihnen hier durch ^vidrige Umstände versagt
geblieben war. In England errichtete man aus diesen Offi-
zieren und Mannschaften noch in demselben Jahre die ,, kö-
niglich deutsche Legion " , anfangs aus zwei Bataillonen,
zwei Regimentern Reiter und einer Batterie bestehend, zu-
sammen :{000 Mann, die sich in den späteren Kämpfen
gegen den korsischen Imperator, vornehmlich in dem Penin-
sularkriege, unverwelkliche Lorbeeren errungen hat.
Inzwischen hatten die Franzosen die Aussaugung und
Ausplünderung des unglücklichen, ihi-or Gnade preisgegebenen
Landes mit dem ihnen darin eigenen Geschick begonnen.
Mortier setzte zu diesem Zweck eine Exekutivkommission
von fünf Mitgliedern ein, die lediglich nach seinen Weisungen
zu handeln hatte. Daneben bestand als eine neue, von
der alten Regierung vor ihrem Rücktritte noch gebildete Be-
hörde das Laudesdeputationskollegium , das sich aus Mit-
gliedern der Stände und Bevollmächtigten der R^erung zu-
sammensetzte. Im übrigen liefs man die früheren kuifürst-
lichen Kollegien weiter schalten, weil diese am bequemsten
den Verkehr mit dem Bürger und Bauer vermittelten. Zu-
nächst galt es, die abgerissenen und verhungerten ft*anzösi-
schen Ti*uppcn neu zu bekleiden und gut zu verpflegen. In
der kui'zeu Zeit eines halben Jahres (5. Juli bis '23. De-
zember I80a) wurde allein für Sold, Pferde, Lieferungen
und Equipierung der h-emden Truppen die öumme von
17 500ÜÜÜ Franken dem Laude abgeprofst. Dazu kamen
die Einquartierungslast und die damit verbundene, nament-
lich für die Olfiziere sehr kostspielige Verpflegung. Allein
diese Dingo mag, wenigstens bis zu einem gewissen Grade,
der Kriegsbrauch entschuldigen. Aber die Franzosen raub-
ten auch nach dem von ihrem bewxinderten Buonajwirte in
Italien gegebenen Beispiele Schlüsser, Zeughäuser, Museen
und wissenschaftliche Anstalten in unerhörter Weise aus.
Die Marmorbüsten im Gartensaale von Herrnbausen und
die bemerken8wei*te8ten llaudschriften Leibuizeus fanden
ebenso unvermeidlich ihren Weg nach Paris, wie die Tro-
phäen aus den Reichskriegen mit Frankreich, die weifs-
geborenen Racepferde aus dem kurfürstlichen Marstalle
und selbst die schönsten Edelhii-suhe aus den Wäldern des
Deisler und Solling. Fünfzig sechsspännige Wagen waren
erforderlich} um das prachtvolle Jagdgerät Georgs II. nach
St Cioud zu schaffen. Ebenso Vie\e iaJtit^Vsjiowö. Wuu ver-
Ausplünderang HaunoTers doreh die Fraazoseo.
S2fi
\
niocht, den Schaden wieder auszugleichen, den ein einziger
Holzschlag im SolÜng dem dortigen Forstbestande ziilligte.
Alles in allem hat man die Kosten, die diese etwas molu*
als zweijährige Okkupation dem Lande, dessen jährliche
Binnahmen sich auf höchstens fiint* Millionen Thaler be-
liei'en, verursachte, zu secbsuudzwauzig Miliioueu Thaler be-
rechnet.
Und zu diesen ungeheuren Verlusten an üffentÜchem und
privatem Vermögen, diesen EinbuTsen an Gut und Eigen-
tum gesellte sich der Druck der Fremdherrechait, die das
Land mit geltcimen Polizeispionen überschwemmte, jede frei-
mütige Meinungsäufserung verfolgte, das militärische Stand-
recht au die Stelle der ordentlichen Gerichte setzte und mit
ihren frechen neumodischen Sitten selbst den häuslichen
Frieden nicht achtete. Über all diesem Elend aber schwebte
einer dunkelen Wolke vergleichbar die Unsicherheit der Zu-
kimft, da Buonaparte das von seinen Truppen besetzte Land
nur als ein passendes Tauschobjekt zur Erreichung seiner
selbstsüchtigen politischen Pläne betrachtete. Es lag ihm
damals daran , die Bundesgenossenschaft Preufsena zu er-
langen, und dieses, mit dem Hintergedanken, doch schliefa-
lich sich den Besitz des Landes zu sichern, trat bereitwillig
in die daraut" gerichteten Verhandlungen ein, ohne doch den
Mut zn haben, offen zu seinen Absichten sich zu bekennen.
Knde Juli 1803 ging der Kabinetarat Lombard im Auftrage
der Berliner Kegieruug nach Brüssel, um hier von Buona-
parte Freigebung der Klbgebiete und Erleichterung Han-
novers, d. h. die fernere l.Jkkupation des letzteren durch
Preufaen zu erlangen. Allein der erste Konsul wollte dies
nur um den Preis eines offenen und ehrlichen Bündnisses
der beiden Mächte zugestehen. Nur zu einer Ermäfsigung
der Besatzangütiuppeu um 7000 Mann liefs er eich teils
durch die Vorstellungen des hannüvrischen Landtagsabge-
ordneten von Rauidühr, teils durch Preufsens wiederholtes
Drängen bewegen. Ein abermaliger Versuch, den PreufBen
durch seinen Gesandten Lucchesini in Paris nach der ange-
deuteten Richtung machen licfs, hatte keinen besseren Er-
folg. Am 23. November fragte dieser bei dem ersten Kon-
sul an, ob Frankreich geneigt wäre, Hannover an Preufaen
auszuliefeiTi , wenn das letztere ihm während der ganzen
Dauer dos Krieges mit England die Neutralität Deutschlands
verbürge. Aber wieder lautete die Antwort, dafs Hannover
nur gegen eine offene Allianz, nicht für eine versteckte Neu-
tralität zu haben sei. Als sich dann im Beginu d^^ J%!ca%%
1804 die politische Lage des K.ont\sx6u\Ä 'wva^'erasa Vtä-
ass
Zweites Bach. Dritter Abschnitt
g«risch zu gestalten begann, Rufsland sich England näherte,
das zweite Älinisterinra Pitt (hcH dem 12. Äfai) Anstrengungen
inachte, eine neue Koalition der Mächte des Festlandes zu-
stande zu bringen, für die man auch Österreich zu ge-
winnen hofile, drohete Buonaparte, der sich soeben hatte
zum Kaiser der Franzoseu erwählen lassen, sogar die Trup-
pen in Hannover mehr als zu verdoppeln , wenn Preufaen
sich nicht verpflichte, jeder russischen Armee den Durchzug
durch preuCsisches Gebiet zu verwehren. Da schien man
sich in BeHin zu einem kräftigen Entschlüsse autraflfen zu
wollen. Am 24. Mai tauschten Rolsland und Prcui'sen eine
Deklaration aus, wonach sie sich gegenseitig verpflichteten,
weiteren Übergi'iffcn Frankreichs in NorddeuUcMand mit
geeinten Kräften entgegenzutreten. Aber acht Tage später
schon sclilofs Friedrich Wilhelm 111. mit dem französischen
Kaiser einen Vertrag, der diesen Abmachungen schnurstracks
widersprach, indem Preufsen gegen das Versprechen Frank-
reichs, die Okkupationsarmee in Hannover nicht zu ver-
stärken, sich vei-pflichtete, die norddeutschen Häfen und Ge-
biete den Gegnern Frankreichs zu vei*scUliefsen. Es war
nicht zu verwundern, dafs eine so traurige Schaukelpolitik
den Staat Friedrichs des Grofsen schliefalich um alle Ach-
tung brachte. Am meisten erbitterte sie den fränkischen
Imperator, der in seiner rachsüchtigen Gemütsart damals
schon die Abrechnung mit Preufsen auf sein Programm
setzte und seine gi*ündlicho Demütigung beschlofs. Waa er
eich der Berliner Geduld gegenüber glaubte erlauben zu ^
dürfen, erhellt aus dem Gewaltstreiche, den er noch in dem- fl
selben Jahre in einer der preufsischen Grenze ganz nahe
gelegenen deutsc!ieu Stadt in Scene setzen liefs. In der
Nacht vom 22. auf den 23. Oktober wurde Rmnbold, der
engliHche Geschäftsträger beim niedersächsischen Kreise, in
seinem Landhause bei Hamburg von französischen Truppen
aufgehoben und über Holland nach Paria geschleppt. Ein©
Zeit lang fürchtete man für ihn das Schicksal des Herzogs
von Enghien. Der König von Preufsen mufste als Vorstand
des niedersächsischen Kreises die geschehene Gewaltthat als
eine persönKche Beleidigung, die Verletzung des Hamburger ^H
Gebietes als eine seinem eigenen Lande widerfahrene Her- ^B
ausforderung empfinden. Aber er lief» nicht in Paris eine
Genugthuung fordernde Note überreichen, sondern richtete
an den Kaiser einen eigenhändigen Brief, der in mildester
Form Vorstellungen gegen die erfahrene MÜsachtung erhob.
\ J^hseBmalj in einem AugctvViVvcke , da sich schon die neue
Koalition gegen ihn zuaammenac\:Äo^% , ^ia^ 'Ä%:^Kj^fe»'&.i
Preufsena Politik.
827
nicht die Zahl seiner Gegner zu vermehren, nach und liefa
den GeiangeDen in Freiheit setzen. Zugleich wurden die
darüber gepflogenen Verhandlungen von Preufscn benutzt,
um in Paris nochmaU eine Uberlasaung Hannovera in An-
regung zu bringeu. Es bot dagegen seine Ghirantie au, dafs
Frankreich voa Hannover her, falls dieaes in preufsischen
Besitz käme, nie von den Engläudem oder deren Bundes-
genossen werde angegriffen werden. Bei einem etwaigen
Friedensschlüsse sollte das Land den Franzosen als Kom-
penaationsobjekt zur Verttigting stehen. Aber auch diese
Anträge wurden von Napoleon kurz von der Hand ge-
Tfiesen.
Während auf diese Weise zwischen dein Erben der Re-
volution und dem Naclifolger des grofsen Friedrich um das
Schicksal dos unglilckliclien Landes gefeilscht ward , hatte
dieses Land selbst alle Drangsale und Unbilden einer bru-
talen Fremdherrschaft zu erdulden. Da die regelmälsigen
Kinnahmen bei weitem nicht ausreichten, um die Kosten der
Okkupation zu bestreiten, mufste man sich schweren Her-
zens zu Anleihen bequemen. Bei dem Kurfürsten von Hessen
wurden 500000, bei den drei Hansestädten Hamburg, Bre-
men und Lübeck zusammen 1 535 000 Thaler aufgenommen.
Ein Versuch, England zu einem Darlehen auf das fürst-
liche Karamergut zu bewegen, schlug fehl. So wuchs die
Geldverlegenheit der Regierung von Tage zu Tage und die
»chliefaiich durch viele Vorstellungen eiTeichte Verminderung
dos Besatz ungsheeres konnte unter den obwaltenden Um-
etänden nur eine geringe Erleichterung gewähren. Zu An-
fang 1804 ward Mortier von seinem Posten ab Oberbelehls-
haber abberufen, und ihm folgte nach einem kurzen Zwi-
schen komm ando des Generals Deasolles Bernadotte, der eine
etwas mildere Praxis in der Handhabung seiner Gewalt-
stellung eintreten liefs, ohne dafs eine wesentliche Veränderung
in dem auf dem Lande lastenden Drucke zu verspüren ge-
wesen wäre.
Zwei Jahre und zwei Monate hatte dieser Druck ge-
dauert. Da führte der Ausbruch des dritten Koahtionskrieges
die Befreiung des Landes herbei, eine Wandlung, die frei-
lich nur von kurzer Dauer seiu und die den Hannoveranern
fltatt der Herrschaft der Franzosen die ihnen kaum minder
verbalste Herrschaft der Preufsen bringen sollte. An der
Schwelle des Krieges noch dauerten die geheimen Verhand-
lungen zwischen den Kabinetten von Öt. Cloud und Berlin
fort. Die äufsersten Anstrengungen wurden von \ener Seite
gemacht, um Preulsen zu einem AuaeVÄMfe «Ci. l£\^Ti*s*iv^
L
828
Zweites Bach. Dritter Abschnitt.
ZU bewegen. Jetzt endlich Hefs Kapoleon durch Daroc in
Berlin die Abtretiing Hannovers anbieten, verlanp;te aber
dagegen einen hinterhaltlosen, offenen Anachlula au Frank-
reich. Friedrich Wilhehn 111. war dazu bereit , aber er
fitellte die Gegenforderung der Unabhängigkeit lloUanda, der
ßchweiz und Neapels, sowie der Trennung der italienischen
von der iranzösischen Krone. Davon wollte Napoli^on nichts
wissen. Er meinte, diese Dinge hätten mit der Überlassung
Hannovers nichts zu thnn, der angebotene Preis sei i\ir die
preufsische Allian:& hoch genug. So kehrte man denn zu
Berlin in einem Äugenblicke, wo der AnschluTs an die eine
oder andere Paitei Preufsen leicht die Entscheidung in dem
grofsen sich vorbereitenden Kampfe hätte in die Hand geben
können, zu der alten bequemen KeutraUtUtspoUtik zurück,
deren ganze Weisheit darin bestand, abzuwarten und es mit
niemandem zu verderben.
Da kam eine Nachricht, die mit einemmale gleich einem
grellen Blitze die Situation in ihrem wabreji Lichte zeigte
und auf die ängstlichen Gemüter in Berlin wie ein Donner-
schlag wirkte. Bernadotte hatte dem Befehle seines Kaisers
gemäfs das ihm unterstellte Koi'ps in Hannover mitten durch
preufsisches neutrales Gebiet, durch die Fürstentümer Aus-
bach und Bayreuth geführt, um den eisernen King zu schliefsen,
mit dem Napoleon das inzwischen, nach dem Aasbruche des
Krieges, bis an die liier vorgedrungene Heer der Oster-
reicher unter Mack zu umzingeln gedachte. Diese Ver-
letzung des Völkerrechtes war für den König imd die Staats-
männer Preulsens eine um so gröfsere Beleidigung, als kurz
vorher das Ansinnen des russischen Kaisers, seinen Truppen
den Dui'chmarsch durch Südpi-eufsen und Schlesien zu ge-
statten, in Berlin kurzer Hand zurückgewiesen war. Hier
bemächtigte sich jetzt eine kriegerische Auü-eguug der lei- .
tenden Kreise. Der König erklärte in einer Note au Duroc, ^H
^,dars er sich als vollkommen frei von allen gegen Frank- ^H
reich übernommenen Verpflichtungen betrachte " , gab den
Befehl bei Hildeaheim, in Franken und in Westlaleu je ein
Heer zusammenzuziehen und hatte in Berlin mit dem Czaren
Alexander und dem Erzherzoge Anton , dem Bruder de»
Österreichischen Kaisers, eine Zusammenkunft, auf welcher
sich Preuisen verpHichtete. die bewaflnete Vermittelung zwi-
schen den kriegführenden Mächten zu übernehmen und, falls
binnen vier Wochen keine Grundlage iür den Frieden fest-
gestellt sein sollte, mit 180 000 Wann sofort in den Kampf
gegen Napoleon einzutreten. Aber auch in diesem kritischen
AugenhiickG machte Bich viVeiifcE ö^ää "Ws^^iäsa^v». "^x^i^ilsÄUs
BcBet2UDg Hanuovera durch Preurscn.
329
nach dem Besitze von Hannover geltend. Nicht nur, dafe
es bei dem hanüövriacben Gesandten im tiefsten GebeimniB
anlragte^ ob es genehm sei, wenn daa von den Franzosen
geräumte Kurfürstentum von preufsiechen IVuppen besetzt
werde, es liel's sich auch von Rufsland in einem geheimen
Artikel versprechen , dahin wirken zu wollen , dafs König
Georg III. in den Tausch oder die Abtretung seiner deut-
schen Länder an Preufaen willige.
Sobald Bernadotte mit seinen Truppen das Land ver-
lassen hatte, waren preufaiache Regimenter in dasselbe ein-
gerückt. Am 26. Oktober, wenige Tage nach der Kata-
strophe von Ulm, besetzten sie die Hauptstadt. Zu der
nämlichen Zeit aber überschritt ein Korps von 20 000 Russen
\inter Ostermann-Tolstoy, das in Stralaujid gelandet war, die
Lauenburger Grenze. Ihm folgten 10000 Schweden unter
ihrem Könige. Im November bewerkstelligten diese Trup-
pen bei Lauenburg den Übergang über die Elbe imd be-
gannen sich im Lüneburgischeu auszubreiten, wälurend Lord
Catbcart einige englische Regimenter und die deutsche Le-
gion unweit Ötade ans Land setzte, um von Norden her die
Bewegungen der Russen und Schweden zu unterstützen.
Man gedachte nach der Besitznahme des hannÖ\Tifichen
Landes sich gegen Hameln zu wenden und diese Festung,
welche die Franzosen noch immer festhielten, ihnen zu ent-
reifsen. Zugleich traf im Auftrage des Königs Georg Graf
Münster in Hannover ein, die vun den FranKosen eingesetzte
Sxekutivkommission ward aulgelüst, und am 4. Dezem-
ber verkündete ein Manifest des Königs Georg, dafs er
wieder Besitz von dem Lande seiner \'^äter ergreife und
Beinen Sohn, den Hei*zog von Cambridge, zum (_)berbetehl8-
haber des hannövriscbeu Heeres ernenne.
Inzwischen waren auf dem Kriegsschauplatze in Süd-
deutÄchland die zerschmetternden Schläge gefallen , welche,
indem sie die Koalition zersprengten, eine völlig veränderte
Lage schufen. Mack hatte am 20. Oktober mit seinem
ganzen Heere bei Ulm die Waffen strecken müssen, Bayern
war von den zurückweichenden Österreichern geräumt wor-
den, Wien Hei am 13. November in die Gewalt der Fran-
zosen, und diese schickten sich an , die innerösterreichischen
Provinzen zu überschwemmen. Am "2. Dezember erfolgte
dann jene berühmte Dreikai serschla cht von Austerlitz, welche
die verbündeten Österreicher und Russen vollends nieder-
warf und zu dem B^rieden von Prefsburg tührte. Wenige
Tage vor der Schlacht war Graf Haugwitz, d^v IJVi^^Vi-räi'^x
des uns bekannten preufsiscben \i\\ima.VvxKVÄ va. "^'(rücöft ■, ^"^^^
88»
Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
Hauptquartiere des tranzösiBchen Kaisers, angekommen. Es
iat bekannt, wie er sich von Napoleon bethoren lieis. Dieser
hieU ihn so lange hin, bis diis Schicksal der Koalition durch
die Niederlage ihrer Heere besiegelt war. Noch vor dem
AbschluTs der Prefsburger Verhandlungen unterzeichnete der
Bevollmächtigte des Königs Friedrich Wilhelm HI. am
15. Dezember zu Schönbrunn die Unterwerfung Preufsens
tinter die Machtgebote des fränkischen Imperators. Ea
muJste mit diesem ein Schutz- und Trutzbündnis eingehen,
an Frankreich NeuenbuJ^ und an Bayern Ansbach abtreten,
w<^gen ihm der souveräne Besitz von Hannover zugesichert
ward. In Berlin sträubte man sich zwixr anfangs, diesem
Vertrage die Bestätigung zu erteilen , aber zwischen die
Wahl seiner Annahme und eines Krieges ohne Bundesge-
nossen mit dem siegreichen Frankreich gestellt, fugte man sich
der Notwendigkeit, zumal die langjährige Sehnsucht nach
dem Besitze Hannovers durch ihn gestillt ward. Ja man
liefs sich noch einen späteren Zusatznrtikel gefallen, wonach
Preufsen sich verpflichtete, seine Seehäfen söwie die Mün-
dungen der Weser und Elbe den britischen Schiffen zu
sperren. Dies raufste unfehlbar zu einem Bruche mit Eng-
land führen, den man doch mit zagimfter Bedissenheit zu
vermeiden suchte. Infolge dieser Vorgänge und da Napoleon
in den Niederlanden ein Heer zusammenzog, um im Not-
falle die Räumung Hannovers durch die verbündeten Truppen
zu erzwingen, verÜefsen diese zu Ende Januar 1806 daa
Land. Die Küssen zogen sich über die Elbe, die Schweden
nach Stralsund zurück, während die englischen Truppen und
die deutsche Legion sich an der Mundung der Weser ein-
schiflFten.
Ihnen folgten die Preufsen auf dem Fufse. Am 27. Ja-
nuar rückten dreiundzwanzig Bataillone, fünfundzwanzig
Schwadronen und hieben Batterieen unter dem Grafen Schulen-
burg-Kehuert in Hannover ein. An demselben Tage erschien
eine Proklamation Friedrich Wilhelms HL, welche erklärte,
dafs Preufsen im Einverständnis mit Frankreich und ledig-
lich um dem Ausbruche eines Krieges in Norddeutscldand
vorzubeugen, das Land „in Verwahning und Administration"
nehme und es bis zum Abachlufs eines allgemeinen Frie-
dens besetzt halten werde. Zugleich wurde Schulenburg
zum Administrationskommmissarius ernannt, die Aufrecht-
erhaltung der Verfassung und der Fortbestand der Landes-
behorden in Aussicht gestellt, aber jeder „auswärtige Nexus"
derselben untersagt und beseitigt. Dagegen erhob Graf
Münster feierlich Protest, indem et a.\Ä SriilwÄ^, ^kkl an-
Die PreaÜKn id Haanover.
38l
dera lautende Erklärungen der preufsiachen Regierung hin-
wies und die in dem preufsisehen Erlasae geforderte Aner-
kennung dei" Okkupation als Aufkündigung des Gehorsams
gegen den Landesherm und einen Bruch heschworener Eide
bezeichnete. Darauf verhefa er da» Land, nachdem er die
Beamten ermahnt hatte, in ihrer Treue gegen den recht-
mäfsigen Herrn des Landes auszuharreu aber sich jedes
Widerstandes gegen die preufsische Verwaltung zu enthalten.
Diese wurde dann in der Weise geordnet, dafs ein Admini-
strationskollegium eingesetzt und der Kammerpräsident von
Ingeraleben zu dessen Vorsitzenden ernannt ward.
So trat an die Stelle der franzüsischen Vergewaltigung
die preufsische. Bald sollte es sich zeigen, dafs die preufsi-
scheu Pläne weit über die in dem Beaitzergreifungspatente
vorgeschützten Absichten hinausgingen, fcjchon am 1. April
verkündete ein Manifest Schulenburgs, dafs sein König von
Hannover nicht blofs provisorisch, sondern endgültig Besitz
ergreife: ein mit dera Kaiser der Franzosen abgeschlossener
Vertrag habe das von diesem durch das Recht des Eroberers
erworbene Land an Preufsen abgetreten und damit sei das-
selbe in den rechtlichen Besitz dieser Macht übergegangen.
Abermals protestierte Münster gegeu eine solche Auttassung
in einer an alle europäischen Mächte gerichteten Note, in
der er die Nichtigkeit der preufsischen Uecbtsgründe und
die Zweideutigkeit der prenfaischen Politik achlagond nach-
wies, wahrend Georg HJ. in einem Manifeste an seine Unter-
thanen diesen riet, lÜr den Augenblick das Unvermeidliche
über sich ergchen zu bissen und sich den härtesten Mafs-
regeln der neuen Gewalthaber zu lügen. Und solche Mafa-
regeln liefsen denn iiuch nicht auf sicli warten. Die preufsi-
sche Okkupiitiün vollendete jetzt den Kuin des Landes.
Schulenburg und Ingeraleben schalteten mit unumschriinkter
Gewalt. Schon am 8. April ward das Staatsmintsterium in
Hannover aufgehoben. Alle Zweige der Verwaltung erlitten
eine vöUige Umwandlung nach prcufsischem Muster. Über-
aJl im Lande wurden die kurhannövrischen Wappen abge-
nommen und durch preufaiache ersetzt. Alle diese Anord-
nungen geschahen mit der herausfordernden Rücksichtslosig-
keit, die das alte preufsische Wesen keunzeichuete, bei ihrer
Durchführung verfuhr mau mit jenem steifen, herrischen
Hochmate, den der Militirismus in Preufscn grofsgezogen
hatte und der ganz dazu geeignet war , die Sympathieea
der Bevölkerung zurückzustofsen. Selbst das Verfaliron der
früheren tranzüsischen Machthaber erechien , Uvcvvö.\V '^«t-
glichen^ in mUdei-em Lichte. Dazu VaiQCß. öHa vcäsJv^ ^^st
tSwtttes Buch. Dritter ÄtxBchmtt.
abermaligen Besetzung des Landes sich erneuernden Ein-'
qu.'irtieningslasten. Requisitionen wurden ausgeRch rieben,
die öffentlichen Kassen versiegelt, selbst das Privatvermögen
des Königs nicht verscbont. Die Abgaben wuchsen, das
minderwertig« preufsische Geld überflutete das Land und
verdrängte die alte schwere Landesmünze. Staatsmonopole,
wie namentlich das Salzmouopol, lasteten schwer auf den
ärmeren Kirt.'^sen. Handel und Verkehr aber erlagen unter
der strengen Sperre, die aiii* Befehl Napolöons gegen Eng-
land auf den Flüssen und in den Haien des Landes gefaand-
habt werden mufste.
Preufaeu hatte das Ziel seiner Wünsche erreicht Durch
die Erwerbung Hannovers war der Zusammenbang seiner
östlichen Provinzen mit denen im Westen hergestellt. Aber
dieser so heifs begehrte, mit allen Mitteln erstrebte und end-
lich in so schmählicher Weise erlangte Besitz sollte ihm zu
einem Nesausgewande werden. Nur zu bald erntete es jetzt
die Früchte seiner schwankenden, selbstsüchtigen und treu-
losen Politik. Von Napoleon zu einem Bündnisse gezwungen,
das ea_ira Herzen verabscbeuete und das infolge des bru-
talen Übermutes des fränkischen Kaisers bald wie ein©
drückende Fessel und eine schwere Demütigung empfunden
ward, mit England verfeindet und in einen Krieg verwickelt,
der seinen Handel vernichtete und dessen Schädigungen es
widerstandslos über sich ergehen lassen mufstc , von den
kleineren deutschen Staaten mit wachsendem Müsti-auen be-
trachtet, scJbst von ßufsland mit ungewohnter Kälte behan-
delt, sah es sich einer trostlosen getUhrlichen Isolierung
preisgegeben. Als König Gustav von Schweden, dem Bei-
spiele Englands folgend, die preufsischen Häten an der
Ostsee blokieren und die preufsischen Schifie fortnehmen
liefs, wagte mim iu Berlin nicht einmal daiür an Pommern
Vergeltung zu üben. Der französi sehe _ Kaiser aber zeigte
alsbald eine Nichtachtung und einen Übermut gegen den
Bundesgenossen wider Willen, der diesen endlich aus seiner
pasäiven Haltung aufrütteln raufaie. Zu der nämlichen Zeit,
da er gewissermafsen als Gegengewicht gegen den eben
unter seinen Auspizien zustande gekommeneu Rheinbund
Preufaen aufforderte, einen ähnlichen norddeutschen Bund
unter seinem Protektorate zu bilden, unterhandelte er mit
Kulsland tmd England, wo am 24. Januar 1806 William
Pitt, sein unversöhnlichster Gegner, gestorben war, um den
allgemeinen Frieden. Am 7. August erfuhr man in Berlin
durch eine Depesche Lucchesims, des preufsischen Gesandten
&m /raazößiaclien Hofe, dafe "Sa^oVi^Ti. \sei ^«ß. ^■t^RÄÄtÄs^tic-
Ämbrach des Krieges von 180$.
333
handlungea den Engländern die Zurückgabe Hauaover», das
er doch eben erat an Preufaen in l'eierlichater Form abge-
treten hatte, iü bestimmte Aussiebt gestellt habo. Auf die
von dem enghachen Unterbäudler Lord Yarraouth geäufaerten
Zweifel hatte er erwidert, „man werde Preufsen durcli Ab-
tretung von Fulda, Iloya und einigen anderen Gebietstöilen
schon zufrieden stellea". Aber nicht dies allein. Rufsland,
welches damals der in aufserordentlicher Mission nach St.
Petersburg gesandte Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von
Braunschweig im Auftrage des Berliner Kabinetts flir den
Frieden zu bestiuuueu suchte, war französischerseits der Er-
werb eines Teiles von Preufsisch- Polen zugesichert worden.
Diese Nachrichten brachten in Berlin eine unbeschreibliche
Aufregung hervor. Jetzt durehachauete man endlich die
ganze Treulosigkeit des fränkischen Imperators. Die Kriegs-
partei , bisher in der Minderzahl , gewann die Ubci-hand.
Zwei Tage schon nach dem Eintreffen jener Botschaft
(9. August) befahl der König die Mobilmachung der ganzen
preufsischen Armee.
Der Verlauf des für Preufsen so verhängnisvollen Krie-
ges, der sich damit vorbereitete, ist allgemein bekannt. Bei
der Wahl des Mannes, in dessen Hände man mit dem Ober-
befehl über das Heer das Geschick des Staates legte, er-
innerte man sich in Berlin des Herzogs von Braunschweig,
der, seitdem er im Feldzuge von 1793 seinen Abschied ge-
nommen, in Brauuschweig sich der Verwaltung seines Landes
gewidmet hatte, fern von dem Treiben der grofsen I'olitik
und nur bisweilen von dem Berliner Uofe um seinen Kat
befragt, auch wohl zu einzelnen diplomatischen Sendungen
verwandt. Er war damals ein ei nundsiebenzig jähriger Greis,
noch immer körperlich rüstig und von ungeschwächter Geistes-
kraft, aber man begreift, dafs der Mimgel an Entschlossen-
heit, das zaghafte Mifstrauen in die eigene Kj-aft, das allzu
vorsichtige Abwägen jeder überhaupt denkbaren Möglich-
keit, Charaktereigenschaften, die schon früher seine kriegeri-
schen Erfolge beeinträchtigt hatten, bei ihm mit den Jahren
eher zu- als abgenommen hatten. Die fast krankhafte Be-
sorgnis, den einst in seiner Jugend erworbenen Kriegsruhm
am Ende seiner .Tage wieder cinzuhüfsen , sträubte sich in
ihm gegen die Übernahme der ihm zugedachten verantwor-
tungsvollen Stellung. Es bedurlte der dringendsten wieder-
holten Vorstellungen, um seine Abneigung zu überwinden,
seinen Widei*staud zu brechen. Es hat sich die Tradition
erhalten, dafs keiue Geringere endlich den Ausschlag gegeben
habe als die bezaubernde, im Übert^eo. Mss.Vv^.^t'iiy^^^^oRi
«M
Zweite» Buch. Dritter AbscliniU.
Künigin Luise. Im Forsthanse vor Wolfenbüttel soll sie im
tiefsten Geheimnis mit dem Herzoge zusammengetroffen sein
und ihm »eine Einwilligung entrissen haben. Wie dem
auch sei, Karl Wilhelm Ferdinand liefs sieh endlich über-
reden und übernahm den Oberbelehl über die grolse preu-
fsiebhe Armee, die gich gegen Ende August in den nörd-
lichen Vorlanden des Thüringer Walde« sammelte. ^M
Die schlimmen Ahnungen, die des Herzogs Seele er- ^H
füllten und den Rest seiner trüberen Thatkraft lähmten, '
sollten sich nur allzu sehr erfüllen. Die Laugsamkeit, mit
der sich die Konzentration des Heeres vollzog, durchkreuzte
von vornherein seinen Plan, angriflsweise zu verfahren, über
den Thüringer Wald vorzubrechen, mit ganzer Macht auf
die in getrennten Heerteilen heranziehenden Franzosen zu
fallen und sie in ihrer Mitte auseinanderzureifsen. Die
Bewegung ward zwar begonnen, aber sie geriet alsbald ins
Stocken. Schon waren die franzöräschen Heersäulen, von
ihrem Cä«ar selbst getTihrt und zur Eile getrieben, im Be-
sitz der Übergänge über den Wald, schon lief die Kunde
von der Niederlage ein, die am 10. Oktober die preufsiache
Vorhut bei Saalfeld erUtten hatte und die dem heldenmütigen
Prinzen Louis Ferdinand das Leben kostete. Am 14. Ok-
tober sah sich die preuJsische Armee, die in zwei Haupt-
korpa getrennt im Saalthale bei Jena und ^ige Meilen
nordwärts davon bei Has&enhausen und Auerstädt stand,
zu gleicher Zeit von überlegenen Streitkräften angegriffen.
Dort überwältigte Napolöon selbst an der Spitze der Korps
von Ney, Lannes, Soult und Augereau nach tapferem Wider-
stände den preufsischen linken Flügel: hier, wo der Herzog
von Braunschweig befehligte und sich auch der König be-
fand, entbrannte gegen die vom Marschall Davoust geführten
französischen Heerteile ein hitziger Kampi, der gleichfalls mit
einer vollständigen Niederlage der Preufsen endete. Der
Herzog, der in dem Gewühle der Schlacht seine alte Kalt-
blütigkeit wiederfand und sich unerschrocken dem mörderi-
schen Feuer der französischen Schartschützen aussetzte, er-
hielt in dem Augenblicke, als er das Grenadierbataillon von
Hanstein zum Vorgehen antrieb, eine feindliche Kugel, die
ihn in der rechten Schläfe traf und ihn der Sehkraft beider
Augen beraubte. Man hob ihn auf ein Pferd und brachte
ihn glücklich aus dem Gefecht nach Auerstädt, wo dem
tödlich Getroffenen der erste Verband angelegt ward. >;Ich
bin ein armer blinder Mann", horte man ihn zu seiner
Umgebung sagen. Seine Verwundung in einem Moment,
wo die £iit6cheidiuig unxmtteWietx ^ävqt^äiä, 'ä.^ %cfawftr zu
Scblftcht bei Jena-Aueratädt.
sab
Ungunsten der preufBischen Waflfen in die Waeschale. Mit
üiT hörte joder einheitliche Oberbefehl aui*. Jeder Führer,
jeder Batiiillouschet' handelte jetzt auf eigene Hand, jeder
Adjutant traf Anordnungen und erteilte Befehle. Die Ver-
wirrung wuchs, je mehr der siegestrunkene Feind »ich ver-
stärkte und herandrängte. Man mulste sich endlich 2um
verlustvollen Rückzug auf Weimar entschliefBen. Erst hier,
wo raan mit den Trümmern der bei Jena unterlegenen Armee
zusammentraf, vollendete sich die Aullösung auch der bei
Auerstädt geschlagenen Truppen.
Schlimm w.ir der Verlust der Doppelachlacht von Auer-
fitädt und Jena, der mit einem Schlage den bis dahin
noch immer die preuisiöchen Fahnen umachwebenden Zau-
ber der Unbesiegbarkeit zerstörte, aber schlimmer war,
was folgte. Die erlittene Niederlage sollte den völligen Zu-
sammenbruch der Monarchie Friedrichs des Orofsen bedeuten.
Drei Tage nach der Schlacht wurde die Reserve unter dem
Prinzen Eugen von Würtemberg bei Halle auseinander-
gesprengt, zehn Tage später streckten die Reste des hohen-
loheschen Korps bei Prenzlau die Waffen. Nur Blücher
fiihrte den ihm anvertraueten Heerteil glücklich über die
Elbe nach Lübeck, wo er treiÜch, von überlegenen feind-
lichen Massen umstellt, nach tapferer Gegenwehr gleichfalls
zur Kapitulation gezwungen ward. Im ganzen Lande aber
begann jene feige und kopflose Hast der Unter weriung
anter die Gebote des Siegers, welche in weiten Kreisen
selbst den Verdacht des Verrates erweckte. Mit wenigen
rühmlichen Ausnahmen wetteiferten die Festungen, dem
Feinde ilu"e Thor« zu öffnen, ihm das in ihnen aufgehäufte
ELriegsmaterial auszuUefern. Ks zeigte sich jetzt, dafs die
frieden dänische Zucht in Preufsen kein entachlosseneres
imd gehärteteres Geschlecht herangezogen hatte als in Han-
nover die milde Regierung der George. Die Proklamation
des Grafen Schulenburg an die Berliner mit der berüch-
tigten Phrase „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" war ein
würdiges Seitenstück zu jener Besorgnis der geheimen Räte
in Hannover, „Ombrage zu erregen".
Den unglücklichen todwunden Führer des geschlagenen
Heeres hatte man von dem Schlachtfelde von Auerstädt zu-
nächst zu Wagen nach Cölleda gebracht, bald aber mufste man
ihn wegen der Schraerzenj die die Wunde verursachte, auf
einem Tragbette weiterschaffen. So ging der traurige Trans-
port über Heldrungen, Mansfeld, Meisdorf, Ballenstedt nach
Blankenburg. Indefa war auch hier seines BleihenÄ ^<i.V<.j
da einzelne feindh'che Abteilungen laaOa ^WKA^x^EÄ-oa^
5S6
Zweites Buch. Dritter Absclmitt.
Harzes schou im Norden desselben erBchienen. So mufste
denn die Flucht fortgesetzt werden. Am 2Ü. Oktober spät
Abends kam man in Braunschweig an, wo der Herzog
einige Ruhe zu finden hoffte- Er wandte sich von hier in
einem beweglichen Schreiben an die GrofBraut des Siegers,
indem er um Schonung seines Landes und um Sicherheit
seiner Person bat. Aber er kannte die liachaucht dieser
korsischen Natur nicht, die jetzt noch durch den lausch
des Sieges gesteigert ward. Wenige Tage schon nach der
Katastrophe von Jena hatte der Kaiser in einer Unterredung
mit dem weimarischen Gesandten von Müller seinem Grolle
gegen den ungllieklicheu Gegner und sein ganzes Haus Luft
gemacht. „Ihr sehet, wie ich es mit dem Herzoge von
Braunschweig gemacht habe*', sagte er, „ich will diese
Weifen in die Sümpfe Italiens zurück sc heue hen , aus denen
sie her vorgekro eben sind". Und indem er den Hut, den er
in der Hand lüelt, zu Boden warf, fügte er zornig hinzu:
„Wie diesen Hut will ich sie zei-treten und vernichten, dafs
ihrer in Deutschland nicht mehr gedacht werde." Auf das
flehende Gesuch des Herzogs um Gewährung der Neutralität
für sein Land erfolgte die Antwort: „Das Haus Braunschweig
hat aufgehört zu regieren". Und das sechszehnte Bulletin ver-
kündete unter der Form einer lingierten Unterredung mit
einem Abgesandten des Herzogs den unwiderruflichen Be-
Bchlufs des erbarmungslosen Siegers: „Wenn ich die Stadt
Braunschweig zerstörte tmd keinen Stein auf dem anderen
liefse, was würde euer Fürst sagen V Erlaubt mir nicht das
Vergeltungsrecht, an Braunschweig dasselbe zu üben, was
er einst meiner Hauptstadt hat anthun wollen'? Sagt dem
General Braunschweig, er werde mit aller Kück»cht beban-
delt werden, die man einem preufsischen General schuldet,
aber für einen Souverän kann ich einen preufsischen Gene-
ral nicht ansehen. An ihn, den Urheber zweier Kriege,
mag sich das Haus Braunschweig halten, wenn es den
Thron seiner Väter verliert."
Nach solchen Erklärungen blieb dem auf den Tod ver-
wundeten Greise nichts anderes übrig als seine schmerzens-
reiche Flucht fortzusetzen. Die Ruhe der wenigen Tage,
die er in Braunschweig hatte verbringen düifen, hatte,, ihm
wohlgethau. Seine Wunde fing an zu heilen, die Arzte
gaben selbst Hotfnung, ihn am Leben, zu erhalten. Jetzt
scheuchten ihn die Drohungen seines Uberwinders und das
Herannahen ü^nzüsischer Truppen von neuem auf. Am
2ö. Oktober vcrliefs er auf einem Tragbette Braimschweig,
um Hut' däniscliera Gebiet emö Tasäxk^V tä «qäiK^wx. Tau-
Tod Karl WUhelra Feniinands.
337
k.
sende von Menschen gaben ihm das Geleit Es war, als
wenn man einem schon Gestorbenen die letzte Ehre er-
weise. Glücklich erreichte er Hambui*g und von da den
Sicherheit bietenden dUniächen Boden. Aber die Unruhe
und die Unbequemlichkeiten dos Transportes hatten seinen
Zustand wesentlich verachlimmert. Das Aufsersto war nicht
mehr abzuwenden. Während sein Sohn und Erbe sich
unter Blücher tapfer mit bei Lübeck schlug, trat der Todes-
kampf ein. Am 10. November starb Karl Wilhelm Ferdi-
nand in Ottensen bei Altonn. In einem Gewölbe der dor-
tigen Dorikirchc ist er bestattet worden, bis vier Jahre nach
der BelVeiung des Vaterlandes seine sterblichen Reste nach
Braunschweig gebracht und hier in der Gruft seiner Ahnen
unter dem Dome von St. Blasien ihre letzte Ruhestätte
fanden.
An demselben Tage, an welchem der Herzog Brauuschweig
verÜels, waren die französischen Vortruppen bis wenige Weg-
stunden von der Stadt gelangt. Am 26. Oktober besetzten
sie Wolfenbüttel und gegen Abend rückte Gonoral Bisson
in die Hauptstadt ein. Die immer noch von den Einwoh-
nern gehegte Hoffnung, man werde das Land als neuti-al
ansehen, da die Braun Schweiger Truppen nicht an dera
Exiege teilgenoramon hatten, erwies sich als trügerisch.
Zwar brachte der den Franzosen ontgegengesandte General
von Griesheim die Nachricht zurück, diese kämen ihrer Ver-
sicherung nach „als Freunde". Aber kaum war das fünf-
zehnte ü*anzösischo Dragonerregiment in das Steinthor ein-
gezogen, so wurden die Braunschweiger Truppen entwaffnet,
die Wachtparade mufste das Gewehi* sti-ecken, alles Kriegs-
material in das Zeughaus abgeliefert werden: nur den Offi-
zieren liefs man ihre Degen. Zwei Tage darauf (28. Ok-
tober) erklärte der französische Kommissariua Alalraison,
sein Kaiser nähme von dem Lande Braunschweig als einer
mit den Waffen gewonnenen Eroberung Besitz, und liefa
die herzoglichen Wappen von den Öffentlichen Gebäuden
entfernen. Alsbald folgten die unausbloibHchen Bogleiter sol-
cher Okkupation: drückende Requisitionen, Einquartierungen
und schiieislich die Ausschreibung einer Kriegskoutribution
von anderthalb MiUiünen Tlmlern, teils in barem Geld, teils
in Naturallieferungen , mit der Androhung der sti^ougsten
Strafen, sobald die geforderto Summe nicht pünktlich ein-
ginge. Die bisherigen Behörden blieben vorläufig noch in
Kraft, aber sie fungierten nur als Werkzeuge der fremden Ge-
walthaber. Die Offiziere des aufgelösten Heeres wurden,^
HelnenftBo, Rraanicbir.-hanQäT. 0«tcVie'h\#. \\1. ^f^
Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
soweit sie nicht in {ranzöBische Dienste zu treten oder sich
als Invaliden zu erklären bereit waren, als Kriegapefangene ,
nach Metz abgetührt. Naciidera diese dringendsten Maia-
nalinien getroffen waren, begann die Bystematische Ausrau-
bung des Landes, wie sie damals einer französischen Okku-
pation stets zu folgen pflegte. Im Auftrage NapoMonB>|
erschien Denen , sein kunstverstÜDdiger Amanuensis , in
Braunschweig, um die Beute an Kostbarkeiten und Kunst-
werken auszusondern j die fortan die Khre haben sollten, in
den Pariser Sammlungen zu prangen. Die wertvollsten
Gegenstände in dem Kunst- und Na tui*alieuk abinet zu
Braunacliweig , die schönsten Gemälde der Galerie von
Salzdalilum, die seltensten Handschriften und Drucke der
Wolfen biittler Bibliothek und was sonst Begehrenswertes
der Kunstsinn und Sammeleifer der Braunschweiger Für-
sten in ihren Schlössern aul'gehäuft hatte, das alles wurde
von den „heillosen Weltplünderern" entlUhi*t und nach Paris,
geschleppt.
Kein besseres Los als dem mifshandelten und ausgepltin-^
derten Braunschweig fiel nach der Katastrophe von Jena dem
Kurfürsten tum 0 Hannover: nur dafs es infolge der voraufge-
gangenen Besetzungen durch Franzosen und Preufsen lüer
nicht mehr so viel zu rauhen und zu erpressen gab. Auch in
Hannover hatte man sich anfange mit der IloShung geschmei-
chelt, von den Drangsalen des Krieges verschont zu bleiben.
Das Ministerium hatte die prcufsischcn Adler abnehmen lassen
und sie durch Plakate ersetzt, auf denen in iranzösischer und
deutscher Sprache zu lesen war: „Neutrales Land". Aber
was kümmerte die Franzosen solche papierno Erklärung? ^J
Der am 21. Oktober abziehenden preulsischen Administra- ^H
tionakommission folgten ihre Beamte und Truppen auf dem ^^
Fufse. Derselbe General, der schon einiual eine ähnliche
Rolle in Hannover gespielt hatte, war auch jetzt ausersehen,
sich des Landes zu versichern. Am 4. Kovember erklärte
Mortier den hannövrischen Ständen, dafs er das Land für
den Kaiser der Franzosen in Besitz nähme. Eine neue
Exekutivkommlsaion, bestehend aus den Landräten vonMünch-
hausen und von Meding sowie aus dem Hofrat Patje, ward
eingesetzt. Noch standen preufsische Besatzungen in den
Festungen Hameln und Nienburg, ein kleines Korps unter
dem General Lecocq lagerte z^nschen beiden Festungen an
der Weser. Als nun aber der Feind sich näherte und sii
an beiden Ufern des Flusses ausbreitete, kam es auch hier
zu ähnlichen schmählichen Ereignissen, wie auf dem Haupt-
hriegsBch&upl&tze. Hameln ka^iVvÄiet^a tmX. «määt ^«aatzuiig
Das KÖnigrcicb Weetfiden.
339
Ton 10000 Mann vor einer franaösischen Truppenmacht
Ton kaum mehr als der halben Stärke, und diesem Bei-
spiele folgte am 26. November auch das unbedeutendere
Nienburg. Damit befand sich das ganze Land in der Ge-
walt der Franzosen, die nicht zögerten, sich wiederum häus-
lich in ihm einzurichten.
Das Schicksal der beiden Länder sollte sich nun bald
erfüllen. Am 9. Juli 1807 hatte sich Preulsen in Tilsit
den Friedensbedingungen unterwerfen müssen, die der Kaiser
der Franzosen ihm vorschrieb. Es verlor fast die Hälfte
seines bisherigen Ländergebietes. Alle seine Provinzen west-
lich der Elbe mufste es an Frankreich abtreten. Aus einem
Teil dieser Kriegsbeute, femer dem Kurilirstentum Hessen,
der Oraiachaft Kaunitz-Rittberg, der Abtei Corvey, endlich
dem ganzen Herzogturae Braunschweig und den hannövri-
scben Fürstentümern Grubeuhagen, Gottingen und Osnabrück
nebst dem hanuüvri&chen Harze schuf Napoleon durch kaiser-
liches Dekret vom 18. August 1807 das Königreich West-
falen, diiH er filr seinen jüngsten Bruder Hieronymus Buona-
pai'te bestimmte. Alle übrigen Provinzen des Kurfürstentums
Hannover blieben zunächst lüs Kriegsbcsitz in der Hand
des französischen Kaisers. Für das neugebildete bunt zu-
sammengewürfelte Königreich wurde noch im Laufe des-
selben Jahres am 15. November eine Verfassung gegeben,
die der Form nach von einem Ausscfausse der nach Paris
berufenen Abgeordneten aus den verschiedenen Teilen des
Landes beraten, in Wirklichkeit von dem Kaiser vorge-
schrieben wurde und ganz nach französischem Muster zuge-
schnitten war. Es waren die bekannten liberalen Grund-
sätze, wie sie sich infolge der französischen Staatsumwälzung
ausgebildet hatten imd die man jetzt auf deutschen Boden
übertrug : Gleichheit vor dem Gesetze, Aufhebung aller Vor-
recbte einzelner Klassen, Beseitigung der Leibeigenschaft;
Freiheit des Kultus tiii' alle Keligionsgesellschat^on, gleiches
Steuersystem nnd eine Vertretung durch Reichsatände, Die
letzteren sollten aus hundert Älitgliedem bestehen, von denen
fast drei Vierteile von dem Grimdbesitze zu wählen waren.
Im schroffsten Widerspruch mit diesem liberalen Schein-
wesen stand aber die gesamte Verwaltungsmaschine, das Sol-
datenregiment, die Poüzei- und Spionen Wirtschaft, das ganze
Öebahren und Treiben der zahllosen französischen Glücks-
ritter und Abenteurer am Hofe zn Kassel, die gleicbfalis von
der Seine und Loire an die Ufer der Fulda und Weser
verpflanzt wurden. Das Land wurde nach den bekannten.^
iede historische Entwicklung negietetidfeXi ^T^x!Äs;4.\.TjasR \&.
840
Zweites Buch- Dritter Abschnitt.
acht möglichst gicichgrorse DepartementB zerschnitten, diese
in Distrikte, Kantone, Muuicipalitiiten geteilt, kurz die ganze
französische Regienings- und Verwaltungst'orm auf das deut-
sche Land übertragen. Auch das fi*aDzösl8chc Recht wurde
gleichmäfsig unter Aufhebuug aller bisherigen Provinzial-
rechte den einzelnen Landesteilen aufgedrängt, der Code
Napoleon als einzige Quelle der Rechtsprechung überall
eingeführt. Westfalen mul'ste — dies war die erste, unum-
gängliche Bedingung bei der Errichtung des neuen König-
reiches gewesen — dem Rheinbunde beitreten und sich ver-
pflichten, zur Aufrechterhaltung der französischen Universal-
nerrschaft in Europa ein Heer von 25 000 Mann zu erhalten,
das selbstverständlich nach französischem Muster organisiert
und bewaffnet ward. Mit rüeksichtsloBcater Selbstsucht hat
Napolfion die Abhängigkeit dieser seiner politischen Schö-
pfung ausgebeutet. Auf allen Schlachtfeldern Europas haben
westfälische Regimenter in den näclisten Jahren lur seine
ehrgeizigen Pläne geblutet. Auch fmanziell hat er das Land
auf seine bekannte Weise ausgesogen. Die Hälfte aller
fürstlichen Domänen hatte er sich von vornhei*ein zur Be-
lohnung seiner Offiziere vorbehalten, auch befohlen, dafa die
Bezahlung der von ihm während des Krieges den einzelnen
Ländern auferlegten Kriegssteuern in die Verfassung aiifgo-
nommeu werde. Es war völlig vei^ebens gewesen, dafs
die nach Paris berufenen Abgeordneten bei der Beratung
der Verfassung dagegen Vorstellungen gemacht hatten. So
war in der That das neugeschaffene Königreich nichts an-
deres als ein Vasallenstaat Frankreichs. Aber nicht das
war das Schlimmste der neuen Ordnung der Dinge. Un-
heilvoller noch und verderblicher wirkten der Leichtsinn, die
Verschwendungssucht und die Frivolität des Königs , die
Sittenlüsigkeit und die veriulirerische Pracht seines Hofes,
die Habsucht und die Bestechlichkeit seiner nächsten Um-
gebung. Es war, als wenn eine Ahnung diese ganze Ge-
aellschafl erfüllte, dafs die Tage des KomödiantenkÖnigtiuns
mit ihrem hohlen Schein und Flitter gezählt seien, dafs der
Pfuhl von Schlechtigkeit, Leichtsinn und frivoler Genufs-
sucht nach kürzester Frist mit eisernem Besen werde aus-
gekehrt werden und dafs man daher, so lange der lustige
Traiun dauere, den Becher der Freude in um so rascheren
Zügen leeren müsse.
Inzwischen lastete auf den ehemals hannövrischen Land-
schaften , welche nicht , wie die südlichen Teile des Kur-
ßtaüteSj mit dem Königreiche Westfalen vereinigt worden
en, ungemindert und unmWte^ai ^^t ^\äffinÄ \ir4R.W der
4
n
Jl
Französische Gewaltherrschaft in Hannover.
S4]
Knechtschaft. An die Stelle der früheren Landesdeputation,
welche bei der ersten französischen Besetzung des Landes
den fremden Machthabern erBprielUiche Dienste geleistet
halte, nun aber zur Beschaffung neuer Geldmittel nicht mehr
auszureichen schien, trat im Frühjahr 1807 eine kaiserliche
Regierungskomraission, welche die Befehle Napoleons einfach
zu volistrecken hatte. Denn bei der Erschöpfung des Lan-
des waren aufeer ordentliche Mafsregelu erforderhch, um die
ihm bei aeiuer Wiederbesetzung von neuem aufgebürdete
aufserordeutlicLe Kriegsteuer von 1 600 000 Frauken und
die gewöhnliche Kontribution von 120000 Franken monat-
lich zu erpressen. Die Absendnng einer Deputation an Daru,
den damaligen Gewalthaber in Hannover, nm eine Vermin-
derung dieser uuerschwinghchen Summe zu erlangen , war
völlig erfolglos. Auch hiei- raufsten dann die kuriurstliclien
Domänen und die Stifter im Laude dazu dienen, um tran-
zösische Generäle und Zivilbearate mit Dotationen auszu-
statten. Ein eigener Domftnendii*ektor ward dazu ernannt.
Die Summe, die allein im Jahro 1808 an Mortier, Bema-
dotte , Berthier , Ney , Massena , Caulincourt , Davonst und
andere aus den Domänen angewiesen wurde, betrug
2 324000 Franken, wozu dann im folgenden Jahre noch
eine abermalige Dotation im Betrage von 2104000 Franken
kam.
Das Jahr 1808, in welchem zu Ende September der
Kongrefs von Erfurt zusammentrat, wo die beiden grofsen
Kaiser des Westens und Ostens, Napolt^on und Alexander
von Rufsland, gewissermal'sen die gebildete Welt unter sich
verteilten, schien den durch die letzten Ereignisse geechaflFe-
nen Zuständen in Europa die Gewähr der Dauer zu geben
und das zerrissene, gedemUtigte Deutschland auf immer der
französischen Herrachaft oder doch wenigstens dem französi-
schen Einflufse zu überliefeni. Voa allen Gegnern des mo-
dernen Imperatorentums stand allein England noch aufrecht
und setzte den Krieg» den es mit kurzer Unterbrechung nun
schon seit dem Jahre 1793 gegen Frankreich führte, un-
gebeugten Mutes fort. Zugleich Latte sich auf der pyrenäi-
schen Halbinsel jeuer gewaltige Volkskrieg gegen französi-
sche Gewaltthat und Bedrückung entzündet, der, unterstützt
von den Engländern, bald ein feindliches Heer nach dem
anderen verschlingen und nach Napoleons eigenem Ge-
ständnis sein Bchliefslicbes Verderben herbeiführen sollte.
Au diesem Penineularkriege nahm auch die deutsch- engh sehe
Legion einen hervorragenden und ruhmvollen Anteil. Jene.
Männer, die einst infolge der l]ni'&\ü^ti\\. ^^t \va.Tcc;<iN^'&^to5so^
B42
Zweites Bucb. Dritter Abecbnitt
KegieruDg an der Elbe die Waffen ohne Kam pt* hatten
strecken müssen, bekämpften hier auf fremdem Boden den
Bedrücker und ßerauher ihres Vaterlandes und erwarben
sich in den Schlachten von Talavera, Albuera, Salamanca
imd Vittoria sowie in nngezäiilten kleineren Gefechten den
Dank ihre» Feldherrn und die Bewunderung der Mit- und
Nachwelt. In Mitteleuropa aber erhob »ich noch einmal das
alte, „an Ehren und nn Siegen reiche" Osterreich, um die
drückende VorheiTschaft Frankreichs über den Erdteil zu
zerbrechen und seine frühere Machtstellung zurückzuorobem.
So entbrannte der Krieg von 18Ü9, der nach den Absichten
der österreiclnschen Staatsmänner eine Befreiung JDeutsch-
landsj vielleicht eine Wiederherstellung des seit der Abdan-
kung Franz' II. auch formell aufgelösten römischen ßolches
deutscher Nation herbeiiuhreu sollte.
Zu Ende des März stand die österreichische Hauptmacht
unter dem Erzherzoge Karl schlagfertig am Inn zwischen
Braunau und Scbärding. Ein rascher Vormarsch würde ihr
ohne Zweifel grofse Erfolge gesichert haben, da die Rhein-
bundfürsten Siiddeutschlands leicht überwältigt werden
konnten und die französischen Heerteile noch nicht zur Stelle
waren. Aber der Erzherzog verlor eine kostbare 2ieit.
Und als er sich dann am 10. April in Bewegung setzte, er-
litten seine getrennt vordringenden Korps eine Keihe von Nieder-
lagen, die dem Verluste einer grofsen Schlacht gleichkamen,
die österreichische Armee in zwei Teile zerrissen und diese
zu einem verlustvollen Rückzüge auf den beiden Ufern der
Donau nötigten. Nur mit Mühe gelang es ihnen, nach der
Besetzung Wiens durch die Franzosen rückwärts dieser Stadt
ihi*e Vereinigung herzustellen. Der erste Akt des Feldzuges
war völlig raifsglückt, die österreichische Offensive gescheitert.
Wohl warf dann der gloiTeiche Sieg, den der Erzherzog
am 21. und 22, Mai in der Schlacht von Aspern crfoch^
einen hellen Sti-ahl der Hotfiiung in die Herzen der Pa-
trioten. Der Zauber der Unbesiegbarkeit des fränkischen
Kaisers war gebrochen, jubelnd verkündete Th. Körner, dafs
„Germanien nicht gesunken sei, dafs es noch einen Tag
und einen Mann habe". Einen Augenblick seinen es, als
wenn Preufsen sich anschliefsen, das französische Joch ab-
schütteln wüi-de. Aber in BerUn machte man dies von
einem zweiten Siege der österreichischen Waffen abhängig.
Statt dessen kam die Nachricht von dem Verlust der Schlacht
bei Wagram, von dem Rückzuge des Erzherzogs nach Mähren,
voa dem WaffenatilUtaude von Znaira, dem bald der Wiener
Friede folgen ßollte, DVeaet V'TiaÖLe \Ää\s;^^'us. -swi \u&uöm
*
4
Der Krieg Toa 1809.
848
die Unterwerfung Deutschlands unter die Machtgebote des
französischen Kaisers, ja schmiedete die Fesseln, mit denen
■er es umstrickt hielt, noch fester.
Osterreich hatte den Krieg in der Hoffnung begonnen,
dafa nicht blofs Preufsen su gemeinsamem Handeln sich
ihm auschliefsen, sondern dafs aucb sein ,, Aufruf an die
deutsche Nation" in den Herzen der Patrioten lauten Wicdor-
hall linden und zu mutigen Thaten begeistern würde. Der
Erfolg entsprach indes diesen Hoffnungen nur in geringem
llafse. Zwar erhob sich das treue Tyrol in Waffen und
feierte, dreimal von der bayerisch -franzüsischen Übermacht
niedergeworfen, dreimal seine Auferstehung , bis es endlich,
von Österreich verlassen und von seinen Feinden übor-
Bchwemrat, sich unterwerfen mufstc. Zwar wurden auch in
Norddeutscliland einige Aufstandsversuche gewagt, aber sie
scheiterten teils in ihren Anilingen wie die Unternehmungen
von Dörnberg und Katte, oder sie erlagen nach kurzem heroi-
echeu Kampfe, wie der Versuch Schills und seiner Genossen.
Einen glücklicheren Ausgang hatte die Waffenerhebung des
Erben von Braimschweig, und wenn sein kühner Zug von
den Grenzen Böhmens bis zu den Gestaden der Nordsee
■auch an den traurigen Ergebnissen des unglücklichen Feld-
zuges nichts zu ändern vermochte, so zeigte er doch, was
tapferen Männern gelingen kann , so stärkte er doch das
nationale Selbstbewufötöein, so entlachte er doch die Hoff-
nung auf eine bessere glückgesegnete Zukunft.
Von den vier Söhnen des durch Napoleon geächteten
und seines Thrones beraubten Herzogs Karl Wilhelm Fer-
dinand war der älteste, der mit einer Prinzessin von Nas&au-
Oranien vermählte Erbprinz Karl Georg August, wenige
Wochen vor der Katastrophe von Jena (20. September 1806)
in jungen Jahren gestorben. Da die beiden folgenden,
Georg Willielm Christian und August, au körperlichen und
geistigen Schwächen litten, die sie zur Übernahme der Ke-
gierung wenig geeignet erscheinen liefsen, so glaubte der
Vater, als er schwer verwundet imd erblindet damals eine
kui'ee Rast in Brauntichweig fand, die umwölkte Zukunft
seines Landes dadurch am ehesten zu sichern, dafs er diese
beiden Söhne zum Verzicht auf die Erbfolge bewog und
seinen vierten Sohn Friedrich Wilhelm, der ihm am y. Fe-
bruar 1771 geboren war, zum Nachfolger an der Regierung
bestimmte. Dieser hatte durch die Vermittlung seines
Oheims Friedrich August bereits im Jahre 1785 die An-
wartschaft auf das von der Krone Preuiseu lehnsrührige
Fürstentum Öls in Schleaiea erlaug^ 1f tVÄi va. '^■«'»aSß^s»S>ö!^
344
Zwcitte Buch. Dritter Abschuitt.
Dienste getreteu, wurde er neimzehnjälirig zum M»jor be-
fördert und maolite den Feldzug von 1792 gegen Frank-
reich mit, aus dem er eine ehrenvolle Niirbe heimbrachte.
Nach dem Frieden von Basel wai'd er zum Obristen und
Inhaber eines Regimentes ernannt, und im September 1802
vermählte er sich mit Marie KUeabeth WiDielminej der
Tochter des Erbprinzen Kax-l von Baden. Drei Jahre.später
fiel ihm durch den Tod des Oheims das Fürstentum Oh zu-
Das Jahr 1806 mit seinen unheilvollen Kiiegsereignissen
warf auch ihn aus der Bahn eines i*uhigen Garn isun leb ens,
dessen Einförmigkeit sein feuriges Naturell schwer ertrug,
sodafs mau sich öfters über sein unbändiges und trotzlgcfl
Wesen zu beschweren hatte. Aber die Schicksalsschl^ge,
die nun über sein Haus bereinbrachenj schmiedeten ihn zum
Manne. Von Lübeck eilte er nach der Kapitulation des
blücherschen Korps an das Sterbebett des Vaters nach
Ottensen. Er war jetzt, durch das Machtwort Napoleons
des Krbes seiner Ahnen beraubt, ein länderloser Flüchtling,
der bald hier, bald dort, meistens in Bruchsal bei seinem
Schwieger\'ater lebte. Das Jalir 1808 entril's ihm die ge-
liebte Qattin, ein schwerer Verlust, der seine Stimmung
noch mehr verdüsterte, seine Unrast steigerte. Seine beiden
Söhne, damals Knaben von vier und zwei Jahren, liefs er
unter der Obhut der Grofsmutter, später brachte er sie nach
England. Kr selbst liefs nicht ab, nach den politischen
"Wetterz eichen auszuspähen, die ihm die Gelegenheit bieten
könnten, seinen Degen für die Befreiung Deutschlands und
der eigenen Heimat zu ziehen. Als (Österreich in den ersten
Tagen des Jahres 1809 seine Rüstungen begann, schien ihm
diese Gelegenheit gekommen. Er eilte nach Wien und
Bchlofs hier im Februar einen Vertrag mit Osterreich, wo-
nach er sich verbindlich machte, ein Korps von 2000 Mann,
Reiterei, Fufavolk und Geschütz, auf eigene Kosten zu er-
richten, nicht in österreichischen Diensten, sondern als
„deutscher Reichsfurst" und als freiwiUiger Verbündeter des
Kaiserhauses. Sein Plan ging dahin, nach Korddeutschland
vorzudringen, im Rücken des Feindes, besonders in den
weifischen Landen, einen Aufstand gegen die frauzösischen
Bedrücker zu entfachen. Alsbald begann er seine Wer-
bungen , zuerst in seinem Fürstentume Ols , dann an der
sächsisch- böhmischen Grenze. Oflfizlcre und Mannschaften,
viele aus der alten, auf Kapoieons Gebot verringerten preu-
fsischen Armee, traten in seineu Dienst. Am 1 . April hatte
er die vereinbarte Zahl so ziemlich beisammen. Er glie~
vierte sie in ein leichtes Infautene-, isoi "ÖMAwreßs^^gimeut und
Herzog Friedrich Wilhelm von Braonschweig.
345
eine reitende Batterie. Die Uniform . die er den Truppen
gab, der schwarze Schnürenrock , der Tschacko mit dem
Totenkopf und dem wehenden Rolsschweif. pai'ste gut zu
seinen Intentionen. Sie sollte auch äufeerlich andeuten, dafa
es einen Kampf auf Tod und Leben f3;egen fremde Gewalt-
herrschaft und Bedrückung gelte. Er stand damals im
neununddreifsigsteu Lebensjahre, ein Mann von unbeugsamem
Willen, ein uuerschi'ockener Soldat, stark in seiner Liebe
zu seiner Heimat und noch stärker in seinem Uafs gegen
den Unterdrücker aller, den Berauber seines Hauses, den
ungrofsmütigen Überwinder seines Vaters.
El* liefs sich auch durch den uuglückÜchen Beginn des
Feldzugea nicht entmutigen. Am Tage vor dem siegreiuhen
Einzüge NapoMone in Wien (12. Mai) brach er von Braunau in
Böhmen aui, am 21. Mai, dem ersten Schlachttage von Aspem,
überschritt er die böhmisch-sächsische Grenze und besetzte
Zittau. Eine Proklamation, an „seine Landsleute" gerichtet,
rief alle Deutschen zu den Waffen. „Lafst uns zeigen",
hiefs es darin, „dafa wir Deutsche sind, die für Gesetze,
Verfassung und gegen Bedrückung kämpfen." Sie hatte
nicht den geringsten Erfolg. Viebnehr gelang es dem säch-
sischen Obristen Thielmann, die kleine Reiterabteilung, die
der Herzog in Zittau zurückgelassen hatte, in der Nacht
des 30. Mai zu überfallen und völlig zu zersprengen. So
begann das Unternehmen nicht eben unter glücklichen Ge-
stirnen. Aber schon in der folgenden Nacht liefs der Her-
zog die Sachsen in der Stadt durch Major von Reichmoister
angreifen, der sich nach heitigem Kample abermals in ihren
Besitz setzte. Nun kamen aucli die Österreicher in Be-
wegung. Ein Korps von nahezu 7000 Mann nnter dem
General Am-Ende vereinigte sich mit den Truppen des
Herzogs, und am 11. Juni rückte man, die schwachen säch-
sischen Abteilungen vor sich herti-oibend , in Dresden ein.
Friedlich Wilhelm drängte jetzt zu einem raschen, ent-
scldossenen Vorgehen nach Westi'alen, wo er meinte das
luftige Königreich des Komödiantenkönigs mülielos über den
Haufen zu werfen. Aber der Österreichische General war
zu so kühnem Wagen nicht zu gewinnen. Mau liefs den
Sachsen Zeit, ihre Ersatzmannschaften zu sammeln und sich
auf das frauzösisch-westlalische Korps zurückzuziehen , das
König Hjeronynma in eigener Person gegen den Bedroher
seiner Herrschatt heranführte. Dieser war inzwischen, im-
mer den Österreichern vorauf, bis Leipzig vorgedrungen.
Am 22. Juni zog er in die Stadt ein. Aber sein Vorschl»:^,
die Sachsen vor ihrer Vereinigung tö\\ «^^^la "^^yiä.^
■J-VV
m
Zweites Buch. Dritter Abacbuitt
Westfalen anzugreifen, scheiterte an der Zaghattigkeit Am-
Endes. Dieser zog sicL vor der ieiudlichen Übermaclit zu-
rück und gab Dresden den nacUriickenden Feinden preis.
Bei Übermarbach bestand der Iloraog ein glückliches Uück-
zugßgetecht, das ihm und seinen Verbündeten den Abmarsch
nach Franken ermöglichte, wo unter dem General Radi-
vojevich ein kleines österreichisches Korps den Franzosen
unter Junot gegen überstaud. Euer übernahm Kienmayer
den Oberbefehl über die verbündeten Streitkräfte. Er zog
sogleich liadi vojevich an sich und lieferte, noch bevoraich Junot
mit den Sachsen und Westfalen vereinigen konnte, diesem
am 7. Juli bei Berneck ein siegreiches Treffen, welches die
Franzosen auf Bayreuth zurückwarf und dessen glücklichen
Ausgang mau hauptäiichlicli dem geschickten imd energischen
Eingreifen der Brauuschweiger Freiscbar verdankte. Noch
einmal wurde dann Dresden zurückgewonnen, und noch ein-
mal belebten aich die lioffnimgen des Herzogs, durch einen
Einbruch in Norddeutschland die französische Herrschaft
hier zu stürzen und eine allgemeine Erhebung des Volke»
herbeizuführen. Allein die Kunde von dem Abschlufs des
Waffenstillstandes von Znaim machte diesen Hofihungen mit
einem Schlage ein Ende. Jetzt galt es für seine eigene
Sicherheit, vor allem aber für diejenige seiner braven
Schwarzen zu sorgen, die ihr Schicksal in seine Uand ge-
legt hatten imd die von dem Feinde als erklärte Brigands,
wenn sie in seine Hände fielen, das Schlimmste zu befürc-hten
hatten. Freilich hätte der Herzog sie vor aller Gefahr sicher
stellen können, wenn er geneigt gewesen wäre, sich den
Bedingungen des Waffenstillstandes zu unterwerfen. Er
hätte dann entweder seine schwarze Schar auflösen oder mit
ihr in österreichischen Kriegsdienst treten müssen. Dazu
konnte er, der als Bundesgenosse des Kaisera und als Koichs-
Airst in den Kampf eingetreten war, sich nicht cntschlicfson.
Sü kläglich sollte ein Unternehmen, das in so patriotischem
Sinn gewagt war, mit so stolzen Hoffnungen begonnen hatte,
nicht enden. Lieber woDte er versuchen, mit seinen Ge-
treuen durch die umdrängenden Feinde hindurch sich Bahn
zu brechen bis zum rettenden Meere, um auf dem freien
Boden Englands bessere Zeiten und eine verheil'sungsvolle
Schicksalswendung zu erwarten. Am 24. Juli versammelte
er sein Korps bei Zwickau. Hier machte er ihm seinen
Entschlufs bekannt. Er stellte allen Offizieren und Mann-
schaften frei, wenn sie Bedenken hegten, ihren Abschied zu
nehmen. Gegen dreifsig Ofli:dere und zweihundert Soldaten
Bmchtea von dem AnerVieten. ^3^e^>^:a.^iR^\. ^wi 'öiivx^en er-
Sein Krir^^ug. Gefecht bei Ölpcr.
847
kl
klärten unter lautem Zuruf, sie wollten bei dem Herzoge
bleiben, mit ihm leben oder sterben.
Damit begann jener denkwürdige Zug, der unter den
Kriegsthaten dieser Zeit einen der ersteu Plätze einnimmt
und scbon damals auf die in ernevieter Glorie orstrablendo
Kaisermaeht des grofaen Sclilachteuraeistera von Europa
«inen diuiklen, unheilverkündenden Schatten wiu't'. An
demselben Tage nocb brach der Herzog auf, en*eichte über
Altenburg in der Morgenfrühe des 26. Juli Leipzig, nach-
dem die Bäcbeischen !Schwadronen, die Bich bei Connewitz
entgegenstellten, zurückgeworfen waren. Dann ging es in be-
schleunigten Mäi-Rchen nach Halle und von da über Qued-
linburg nach Halberstadt. Hier ßtiefs der Heraog unerwartet
auf den Feind. Das fünfte westiUlisehe Infanterieregiment
unter dem Obnsten Meyronnet Gml'ea von Welligerode,
welches von Magdeburg ausgerückt war, um den nach Han-
nover entsandten General Heubel zu verstärken, hielt die
Stadt besetzt. Sie wurde in einem kühnen AngritFe erstürmt,
das ganze feindliehe Regiment niedergemacht oder gefangen.
Den feiudlichen Obriätcn holten clie beiden Lieutenants
von Girsewald mitten aus seinen Leuten heraus. Am
31. Juli erreichte das Korps, nachdem es sich durch diesen
blutigen, haitbestrittenen Sieg den Weg frei gemacht hatte,
Wolfenbüttel, und am Abend des nämlichen Tages zog der
Herzog in die Kcsidcnz seiner Väter, in Braunschweig, ein,
hier wie dort von dem unendlichen Jubel der Bevölkerung
empfangen. In Braunschweig aber war seines Bleibens nicht
lange. Schon zog sich gleich schweren Wetterwolken die
leindliche Übermacht um das Häuflein seiner Getreuen zu-
sammen. Von Süden her nahcte die holländische Division
Gratien, deren Spitze schon Wolteubüttel eri'eiehte, während
Reubel mit seinen 5000 Mann und seinen zehn Geschützea
sich anschickte, ihm den W^eitermaisch nach Norden zu ver-
legen. Friedrich Wilhelm verbrachte die Nacht, die ihm in
Braunschweig zu rasten vergönnt war und die er benutzte,
um in einer Proklamation leierlich von dem Laude Besitz
zu nehmen, nicht in dem Schlosöe seiner Ahnen, sondern er
lagerte am Petrithore inmitten seiner schwarzen Genossen.
Am 1. August um Mittag brach er mit ihnen gen Norden
auf^ um sich den Durchbruch durchdie dreifache Übermacht
des Feindes zu erkämpfen. Bei Olper, eine Stunde von
Braunschweig, bestand er gegen Reubel ein siegreiches Ge-
fecht, in welchem ihm ein Pferd unter dem Leibe erechossen
ward. An seiner gefährdeten Lage, an der Wabv^ÄKQ.vB.\iR)&.-
keit, zwischen zwei übermächtigen Gtegnetu fetÖLririffA-TÄ^^t^-o-»
S18
Zweitem Buch. Dritter Abschnitt.
vermochte dieser Erfolg nichts za ändern. Unter diesen
Umständen rieten mehrere Offiziere dem Herzoge, seine Per-
son nach Kngland in Sicherheit zu bringen, den Christen
von Bernewitz aber als den ältesten Otlmer mit dem Ab-
schtufs einer Kapitulation liir die Truppen zu beauftragen.
Mit Entrüstung wies Friedrich Wilhelm eine solche Zttmutung
zurück. Lieber wollte er das Auleerste wagen , sich dui'ch
einen Überfall Reubels Bahn brechen. Da Uef die Nach-
richt ein, dafß dieser bei ISchwüJper über die Ocker gegangen
sei, um seine Vereinigung mit dem von Süden heranziehen-
den Gratien zu bewerkstelligen. So war der Weg nach
Norden momentan frei. Diesen günstigen Augenblick ergriff
der Herzog, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
In Elhnäaschen ging es jetzt über Peine nach Hannover,
von da nach Nienburg, wo man die Weser erreichte. Zu der-
selben Zeit, wo die Yortruppen des langsam folgenden Fein-
des auf dem rechten Flufsufer beJ Nienburg und Hoya er-
schienen, iiela der Herzog die dortigen Brücken abwerfen.
Durch Entsendung einer kleinen Abteilung unter dem Major
Korfea wufate er die Feinde irre zu führen. Über Delmen-
horst erreichte er mit dem Rest des Korps glücklich E1&-
fleth. Hier und in dem etwas nördlicher gelegenen Brake
fand am 7. August die Einscliiffung statt. Die Pferde mufs-
ten zurückgelassen werden. Der Herzog selbst leitete die
Unterbringung der Mannscliaftcn in den mit Mühe zusammen-
gebrachten Schiffen. Er war der letzte, der das Land ver-
Eefs. Glücklich schwammen die Fahrzeuge die Weser ab-
wärts, zwar von den Dänen am Ufer beschossen aber ohne
nanihal'teu Verlust. Nur zwei Kähne mit Gepäck, Vorräten
imd einigen Leuten gerieten durch die Schuld der Schiffer
auf den Strand und wurden von den Dänen genommen.
Der Herzog war schon bei Bremerlehe an Bord der ame-
rikanischen Bngg „the Shepherdess" gegangen. Als er mit
seiner tapferen Schar die Mündung der Weser erreichte,
nahm ihn ein kleines englisches Geschwader auf, das der
Gouverneur von Helgoland ihm entgegengeschickt hatte.
Unter dem Donner der Salutschüsse bestiegen die wackeren
wegemüden Streiter die Rettung bringenden Schiffe, die
sie zunächst nach Helgoland, von da nach kurzer Rast den
britischen Gestaden zufüLrten. Fünfzehn Tage hatte der
Harsch von der bühmischen Grenze gedauert, mitten durch
vom Feinde l)esetztes Land, in der heifsen Sonne des Juli
und August, unter beßtändigeu Scharmützeln, Gefechten und
Kämpfen, die meist gegen eine bedeutende Übermacht be-
Bt^ndeu werden mufsten. ^e\V>%l di«m 'M«V(Ä(i\v'S*MiÄfc, dessen
Bedeutung sciiMs Zuges.
349
feile Presse den Herzog als Haupt einer Räubei'bande zu
brandmarken suchte, hat er eine halb widerwillige Aner-
kennung abgeprefst. ,,Daa ist ein tapferer Kriegsmann ",
soll Napoleon in Schönbrunn zu seiner Umgebung gciiufsert
haben. Der bleibende Gewinn aber dieses heldenhaften
Zuges war, dafs er die morschen Grundlagen aufdeckte, auf
denen der Kaiser der Franzosen in Deutschland seine und
seiner Vasallen Macht aufgerichtet hatte, dafa er zeigte, was
Entschlossenheit und männlicher Sinn selbst gegen_ die
drückendste Übermacht vermögen, dafa er die durch Öster-
reichs Niederlage schwer geti*offenen Herzen wieder mit Ver-
trauen, HoflFnung und mit der Zuversicht der endlichen Be-
freiung des deutschen Volkes ei-füllte.
Dies letztere war namentlich auch in den welfischen
Landen der Fall: in Brauixschweig, wo man den reeht-
Diäfsigen Erben des Herzogtums wiedergesehen Iiatte, wo er
an der Spitze seiner tapferen Krieger, umbraust von dem
Zujauchzen des Volkes, eingeritten war, wo die Bürger wäh-
rend der bangen Stunden der Nacht auf den 1. August an
den Thoren und auf den Wällen den Wachtdienst über-
nommen, manche auch an dem Kampfe des folgenden Tages
sich mutvoll beteiligt hatten, in Hannover, wo man, wenn-
schon die Truppen hier nicht mit derselben Begeisterung
aufgenommen wurden, doch eifrig bemühet gewesen war, sie
auf ihrem sechstingigen Marsche durch das Land zu fördern,
sie mit Nahrungsmitteln zu versehen, den verfolgenden Feind
durch falsche Nachrichten irrezuluhren. Es war, zumeist
in Braunschweig, wie ein kurzer Traum der Befreiung ge-
wesen, der leuchtend vor den Augen der Bewohner autatieg,
um ebenso schnell in nichts zu zerrinnen. Nach dem Ab-
züge des Herzogs lag die Besox'gnis nahe, dafs man diesen
Traum schwer werde büfsen müssen, dafs man die Rache
der Machthaber in Kassel werde zu empfinden haben.
Allein — war es das Getuhl der noch fortdauernden Un-
sicherheit oder eine Anwandlung von Grolsmut — nichts
davon geschah. Vielmehr richtete der westfäÜsche Minister
von Wülffradt am 5. August im Auftrage des Königs ein
verbindliches Schi*eibcn an den Präfekten des Ockerdopar-
tementSj Henneberg, der sich energisch dem Befehle der
beiden feindlichen Generale widersetzt hatte, wonach die
Stadt der Plünderung der westfälischen und holländischen
Truppen verfallen sollte. Zugleich ward ein Dekret des
Königs veröffentlicht, in welchem „Se. Majestät dem Un-
willen Ausdruck lieh über das unwürdige Veramr^cV-MiL ^ 4a».
man Jlireii Truppen gegeben habe". 3a, ^ifc 'öNäA.'v. "^^«»»3^.-
Zweites Buch. Di-itter Abschuiti
schweig hatte durch den EmpfaBg, den aie dem Uerzoge
und seinen Schwarzen bereitete, die Gunst des Königs von
Westfalen so wenig verscherzt, dai's er ihr zwei Jahre später
(2. August 1811) das seiner tViiheren Kunstschätze beraubte
Lustschlors Salzdahlum zum Geschenk machte, worauf* dann
diese Schöpfung Anton Uhichs, einst der Stolz und die Zierde
des ganzen Landes, von der Stadt auf den Abbruch ver-
kauft und leider in einer unsagbar vandalischen Weise ver-
wüstet ward.
Inzwischen war zwischen Frankreich und Osterreich am
14. Oktober 1809 der Friede von Wien geschlossen worden,
der auch iür die zu dem Rheinbünde gehörigen Staaten
mancherlei Gebiets Veränderungen herbeilübrte. Kiue der
wichtigsten war, dafs die bisher unter die unmittelbare fran-
zösische Kriegs Verwaltung gestellten nördlichen Landschaften
des ehemaligen Kurstaates Hannover, mit einziger Ausnahme
des Herzogtums Lauenburg, mit dem Königreiche Westfalen
vereinigt wurden. Es geschah dies durch kaiserliches Dekret
vom 14. Januar IftlO, und am 1. März erfolgte im Schlosse
zu Hannover die Übergabe jener Provinzen an die Bevoll-
mächtigten des Königs von Westfalen. So sehr der Druck
der militärischen Verwaltung mit ihren Kontributionen, Ein-
quartierungen , Liefenmgen , kurz dem ganzen bekannten
Außbeutungssystem auf dem Lande gelastet hatte, so wenig
war man doch in Hannover von dieser Veränderung be-
friedigt. Gerade die militärische Okkupation hatte dem Laude
in vielen Dingen seine früheren Einrichtungen, seine Unter-
behöi*den, die Art der Verwaltung, sein altheimiaches üecht,
eine Menge althannövrischer Gepflogen hei teu gelassen, an
denen das plötzlichen Veränderungen abgeneigte Volk hing
und deren Bestand den französischen Gewalthabern ihre
Stellung im Lande erleichterte. Jetzt mufste man die Be-
sorgnis hegen, dafs die moderne abstrakte Staatskunst in
Kassel rasch und gründlich mit diesem „ alten Plunder "
aufrilumen, die neuerworbenen Provinzen in die westtaUsche
Zwangsjacke stecken werde, ohne doch eine gröfsere Schonung
des Landes, eine materielle Ei-leichterung desselben von Na-
poleon erwirken zu können. Und so geschah es. Die neuen
Landesteile wurden in drei Departements, das Nord- Nie-
derelbe- und Allerdepartement, zerschnitten, Präfekten an
ihre Spitze gestellt, der Code Napoleon eingelUhrt, kurz der
gründliche Umsturz alles Bestehenden in Scene gesetzt, den
wir schon bei der Errichtung des Königreichs Westfalen
kennea gelernt haben. Dazu kam die Konskription, von
der Hannover bislang verBc\\QTi\ ^«E^^^^ai ■ww, >iaÄw ^ Er-
Einverleibung hannjirrischer Landesteile in Fraukrclcb. 3Ö1
richtuxig eines ganzen Heeres von Zollbeamten an den Gren-
zen. Nicht nur daC& die alten Lasten blieben, eti kamen
infolge der völligen Abhängigkeit Westi'alena von der Will-
kür des franzüaischen Kaisers noch neue hinzu. Schon im
Oktober erklärte Napoleon, als der Sold für die französischen
Truppen nicht pünktlich gezahlt ward, ,,er erblicke darin
einen Bruch des Vertrages mit seinem jüngsten Bruder, durch
den diesem der Besitz der haunövrischen Lande zugewiesen
wäre". Und wenige Wochen später (l 3. Dezember) erschien
im Moniteur ein kaißcriiohes Dekret, welches mit der Be-
gründung, dals man die Mündungen der Scheide, Maas, Ems,
"Weser und Elbe nur dann mit Erfolg dem englischen Handel
verschliefsen könne, wenn sie in der unmittelbaren Gewalt
des Kaisers seien, aui'ser Holland, Üstfrlealand, Oldenburg
und den Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck auch
die ehemals hannövri sehen Landschaften Osnabrück, Bremen.
Verden , Lauenbui'g, das nördliche Lüneburg , Hoya und
Diepholz nebst dem Amte Wüdeshausen dem ii'anzösischen
Reiche einverleibte. Aus diesen Gebieten, soweit sie deutsch
■waren, wurden drei Departements, das der Oberems, der
"Weser- und der Eibmündung gebildet, deren Hauptorte
Bremen, Hamburg und Osnabrück wai*Gn. Füi* sie ward in
der oeuerrichteten „Regierungskommission" eine allmächtige
Oberbebörde geschaffen, an deren Spitze Napoleon in der
Person des Marschalls Davoust, Fürsten von Eckmühl, eines
seiner rücksichtslosesten, gcwaltthätigsten Werkzeuge stellte.
Nun begann auch hier in überstürzter Eile die Umgestaltung
der bisherigen Verhältnisse nach franzjisischem Muster. Schon
zu Anfang des Jahres 1811 trat die Regierungskommission
in Thätigkeit. Das bisherige Gerichtsverfahren mulste dem
französischen weichen, der Code Kapolöon trat an die Stelle
des heimischen Rechtes, in Hamburg wurde als oberster Ge-
richtshof die Cour imperiale errichtet, das Französische als
eigentliche Geschäftsaprache eingeführt, wennschon der Gte-
braucb des Deutschen daneben gestattet blieb. Einschnei-
dender noch waren bei den bisherigen überseeischen Be-
ziehungen dieser Länder die zur strengsten Durchiiibrung
dei- Kontinentalspen-e ergi'iifenen Maiarcgeln, Eine Unzahl
von meist französischen Zollbeamten bewachte die Küste und
liefs keine eugUschen Waren passieren. Eine Menge von
Genu&mitteln, an welche die Bevölkerung gewöhnt war,
ward ihr damit entzogen oder stieg zu luierschwing-
licher Preisböhe. Die Folge davon war das Emi>orkommen
und beständige Wachsen des entsittlichenden 8chlclchhaudft.W^
der bald eine Ausdehnung gewonii, "wift ^\ft m 'avüüß
Tjär.
«KS
Zweites Quch. Dritter Abschtutt.
ten unerhört gewrcsen war. Zwischen der an kühnes Wagen
gewöhnten Küstenbevölkening und den firanzösi sehen Trup-
pen und Douaniors ward ein nie ruhender Krieg geluhrt,
der zwar alle Gefahren eines wirklichen Krieges im Gefolge
hatte, aber auch aller jener edleren Faktoren entbelirte, die
einen solchen unter Umständen zu adehi vermögen. Und
zu diesem Unwesen gesellten sich noch die gewöhnlichen
Begleiter Napoleoni scher Vülkcrbeglückung: die Konskription,
der sich ein jeder nach Kräften zu entziehen suchte, Ab-
gaben aller Art, wie man sie nie vorher gekannt hatte, ein ^^
Polizei- und Spionsy&tem, das mit seinen Polypenarmen das ^M
Land luuklammert hielt und nicht nur auf Schmuggler und ^^
AuHrcifser fahndete, sondern mit seinen Organen in die harm-
losesten geaelligeu Vereinigungen, ja in das Heiligtum der
Häuser und Familien drang. Die dürftigen Reste ehemaligen
Wohlstandes, welche die voraufgegangenen Okkupationen
noch verschont hatten, schwanden jetzt unter dem neuen
Gewaltdruck schnell dahin. Der Handel war vernichtet, die
Schifffahrt stockte, die Fabriken standen still und mufsten
geschlossen werden. Zu keiner Zeit , kaum selbst im i,
drei fäigj ährigen Kriege, hatte das Land so Bitteres zu loiden^Hj
gehabt. ^H
Das hannovriache Volk ertrug alle diese Leiden und
Drangsale mit jener unverwüstlichen Passivität , die ein
Grundzug seines Charakters ist. Die neuen Einrichtungen
und Gesetze vermochten weder den spröden niedersfichöischen
Sinn im Volke zu ändern, noch seine Anhänglichkeit au
das angestammte Fürstenhaus zu erschüttern. Mochte man
den Hannoveranern und Braunschweigem auch vorschreiben,
die Geburtstage ihrer neuen Landesherren, des Kaisers in
Paris und des Königs in Kassel, pomphaft zu feiern, ihre
Treue gegen das entthronte Weli'enhaus blieb davon unbe-
rührt. In Wolfenbüttel hat damals ein Prediger zu einer
von ihm am Geburtstage des Königs Hieron3'mus zu halten-
den Predigt bemerkt, dafa er sie nicht habe halten können,
weil niemand in der Kirche gewesen sei. Schon bei der
ersten Besetzung Hannovera durch die Franzosen hatte einer
von ihnen auf seine verwunderte Frage, wie es komme,
dafs die Leute mit solcher Liebe an einem Landesherrn
hingen, den sie doch niemals gesehen, zur Antwort erhalten:
„ es sei damit wie mit dem lieben Gott, den man auch nicht
zu sehen bekomme". Darin änderte sich auch nichts, als
die G^raütskrankheit, die, langsam beginnend und öfter zum
SüÜBtAnde gebracht, im Jahre 1810 den Geist des Königs
Georg UI. so völlig umnacVitete, ^fe ^fe "^^isftäavro^ einer
Dentscblauda Erhebung.
858
Kegentsehaft für ihn nötig erscliien und diese nun durch
Parlamentsakte vom 5. Februar 1811 dem bisherigen Prin-
zen von Wales Georg Friedrich Angusfr übertragen ward.
Geboren am 12. August 1762, ergriff dieser, als sich nach
Verlauf eines Jahres die Unhetlbarkei't des Vaters heraus-
stellte , alle Hüfl&iung auf Genesung dahinschwand, am
18. Februar 1812 völlig selbständig die Zügel der Regierung,
vertauschte das bisherige whigistische mit einem Torymini-
sterium und legte die Geschähe der auswärtigen Angelegen-
heiten in die Hand des Lord Costlereagh, der sie indes ganz
in dem Sinne seines Vorgängers weitertührte imd gleich die-
sem den fortgesetzten Krieg mit Frankreich und die Be-
freiung Europas von napoleonischer Gewaltherrschaft auf
seine Fahnen schrieb.
Endlich sollten die Ereignisse, die sich im Jahre 1B12
im Osten des Erdteils vollzogen, diese ersehnte Befreiung
herbeiiühren und dem modernen Cäsarismus sein Ende be-
reiten. Auf den Eisfeldern und in den Schueewirbelu eines
ungewöhnlich strengen Winters erlag die „grofse Armee",
mit welcher Napoleon die letzte selbständige Macht des Fest-
landes niederzuwerfen gemeint hatte, dem Ilunger, den Stra-
pazen, der KüUe und dem russischen Schwerte. Von der
halben Million Krieger, mit denen er Ende Juni die russische
Grenze überschritten hatte, kehrte nur ein kleines Häuf-
lein und dieses im kiäglicbsten Zustande, zerlumpt, erstarrt,
krank und halbverhungert, zurück. Die deutacbon Truppen
hatten sich den unsäglichen Anstrengungen und Entbehrungen
gegenüber noch am widerstandstähigsten bewiesen, aber selbst
von den 23C!Ü0 Westfalen, die mit ausgezogen, sah kaum
der zwölfte Teil die Heimat wieder. Es war wie ein Got-
tesgericht, desgleichen die Welt noch niemals gesehen , das
mit Donnerstimme die Völker aus ihrer feigen und selbst-
süchtigen Ruhe aufrütteln zu müssen schien. Wenn man
jetzt das Eisen nicht scJimiedete, so war man der Knecht-
schaft wert, die so lange mit ehernem Druck auf Fürsten
und Völkern gelastet hatte. Zuerst erhob sich Preufsen,
nicht mehr das Preufsen der Lxicchesini , Lombard und
Haugwitz, sondern das Preufsen der Stein, Gneiseuau, Blü-
cher und Scharnlioröt , geläutert in Trübsal und Unglück
und gestählt in dem Gedanken, die verlorene Stellung ent-
weder kämpfend wiederzugewinnen oder mit Ehren unter-
zugehen. Mit wunderbarer Schnelligkeit folgten sich die ent-
scheidenden Malsregeln, vollzogen sich die Rüstungen, Am
30. Dezember 1812 hatte York mit Diebitsch und W\,i\^^\v-
llriaemaua. ßrati8»cli**.-hann5v. G«8cUicUle. UL, ^
854
Zweites Buch. Dritter Abschnitt
Btein die berühmte Konvention von Tauroggen geechlossen,
am 5. Februar beschlofs der Landtag in Königsberg die
Bewaffnung der Provinz Preulaen, am 17. März crliel's der
König von Breslau aus den Aufinaf „an mein Volk'*, der
in beredter, hinreifsender Sprache alle Stünde aufforderte^
7.U den Waffen zu greifen. Der Erfolg ist allgemein be-
kannt. Kfirner hat ihn in den jubelnden Woiten zusammen-
gefnföt: „Das Volk steht auf, der fcJturni bricbt los."
In den übrigen Teilen Norddeutschlands bh'eb man hinter
dem von Proufsen gegebenen Beispiele nicht zurück. Wo
sich russische Vortruppen zeigten, da erhob sich das Volk
und schlofs sich ihnen an. Am 15, Jlärz ei-schieu Obriat'
Tettcnborn mit 1500 Reitern, Kosaken, Dragonern und Hu-
saren, sowie mit ein Paar leichten Geschützen in Laiien-
bure. Es war die erste zum französischen Reiche gehörige
Stadt, die die verbündeten Truppen betraten. Mit Jnbel
wurden sie empfangen, die i'ranzösisehon Adler herab-
gerisseUj die niten Landeszeichen wiedflrherge stellt. Am fol-
genden Tage bestanden die Russen ein siegreiches Gefecht
mit dem General Moraud, das ilmen den Weg nach Ham-
burg i)ffhete. Am 17. März zogen sie hier ein unter Glocken-
gelüute, Freudeiiscliüeiüen und den begeisterten Zurufen der
Bevölkerung. Nacli allen Seiten breitete sich in dem Lande,
das so viel gelitten, die Bewegung aus, an vielen Orten
freiwillig und ohne dafs die fremden Truppen dazu den un-
mittelbai-en Anstofs gaben. In Lübeck, in Harburg, in
Stade wtirdon die alten Behörden wieder eingesetzt. Die
Ritterschaft der Herzogtümer Bremen und Verden trat zu-
sammen, um eine provisorisclic Regierung zu bilden und
eine VolkKwehr zu organisieren. In Lauenburg emchtete
Major von ßerger, ein Veteran aus dem Peninsularkriege,
ein Bataillon von Freiwilligen , andere hannüvrische Edel-
leute, Graf Kielmannsegge, von Estorf, von Beaulieu, folgten
diesem Beispiele. Von allen Seiten strömte die kampilustige
Jugend herbei, England lieferte die Ausrüstungsgegeustände
und Waffen.
Auch in Lüneburg hatte mau die iranzösi sehen Ve:
waltungsorgane beseitigt, die früheren Behörden wiederher
gestellt und sich mit Hilfe eines Trupps von Kosaken der
Angriffe einzelner französischer Reiterabteilungen erwehrt
Dafür sollte die Stadt jetzt gezüchtigt werden. General
Morand setzte sich zu diesem Zwecke mit 250U Mann und
einigem Geschütz in Bewegung. Am 1. April erschien er
vor der Stadt, die keinen Widexßtand wagte. Er Hei's so
gleich nach seinem Kinauge 2.a\A\cvcVft N wWÄxw^^m. ^<v
ie
Die Ereignisse in Lüaebarg.
ä&5
nehmen. Eine Aozakt der davon Betroffenen sollte am fol-
genden Tage ei"8ciios8en werden. Aber am Morien dieses
Tages sah er sicli selbst durch den Obristcn von Düraberg,
dem der Bei'ehl über einige prcufsische und russische Trup-
penteile übertragen war, angegriffen. In der Morgenfrühe
begann der Sturm aut" die noch ganz in mittelalterlicher
Weise befestigte Stadt. Das preufsische Füsiliorbataillon
unter Major Borke bemächtigte sicli nach liartem Kampfe
des Lüner Tliores und diang zuerst in die Stadt ein. In
einem mörderischen Strafaengef echte wurde dann der Feind
aus der Stadt hinansgetrieben. Draufsen von russischen
Reitern empfangen , sah er sich g<^en die Stadt zurück-
gedrängt, und nachdem Morand selbst tiidlich verwundet in
die Hände der Sieger gefallen, ward der Kcst seiner Leute
fast völlig niedergemacht oder gefangen. Drei Fahnen, zehn
Geschütze und eine Bienge Geiangener waren die Trophäen
dieses ersten Sieges, den die Verbündeten auf deutschem
Boden erfochten. Allein es war nur eine kurze, rasch vor-
übergehende Beti'einng der Stadt. Schon am Tage nach
dem Gefechte näherte sich unter General Montbrun der Vor-
trab des französischen Korps, mit welchem der Marschall
Davoust von Magdeburg autgebrochen war. Es blieb Döm-
berg nichts übrig, als sich nach Boitzenburg zurückzuziehen
und hinter der Eibe vor der überlegenen Macht des Feindes
Schutz zu suchen. Am 4. April rückten die Franzosen in
die jetzt ganz wehrlose Stadt. Hundert der augeseheusten
Bürger wurden sogleicli eingezogen und je der Zehnte von
ihnen sollte als Rebell mit dem Tode bülsen. Doch wandte
Dörnberg durch die Drohung, an den französischen Ge-
fangenen Vergeltung üben zu wollen , dies Aufserate ab.
Schon am dritten Tage wurden die Geiingsteten ihi'er Haft
entlassen. Nach Montbnins Abzüge erschienen die Fran-
zosen unter Sebastiani noch einmal in Lüneburg, und wäh-
rend der folgenden Sommermonate, in denen sich die Kata-
strophe von Hamburg abspielte, behaupteten sich die Heere
Napoleons in den umliegenden niedersächsischeii landen.
Erst als im September die schlesische Armee unter Blücher
sich anschickte, über die Elbe zu gehen, brach auch für
diese Gebiete, mit Ausnahme von Hamburg, das Davoust
noch bis zum Abschlufe des Friedens festhielt, der Tilg der
Befreiung an. Am rechten Ufer der unteren Elbe stand
unter dem Grafen Wnllmoden-Gimborn ein aus den ver-
schiedensten Truppenteilen, darunter fünt hannövrischen Ba-
taillonen, gebildetes Heer, das zwar zu schwach wax., >»s*.
das von den Franzosen stark Wes\Ag,\j& ^avc^iwx^ ^■^■cä^^xöSx
S&6
Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
KU bedrohen, aber der von Davoust nach Mfigdebui^ ent-
sendeten Division Pecheax am Ifi. September bei der Göhrde,
einem Walde westlich von Dannenberg, eine veminhtendo
Kicderlage beibrachte. Mit Mühe rettete aich der französiecbe
General zu Fufs nach Lüneburg, von wo er mit der dor-
tigen ßesatzung abzog. Dieser Sieg führte zur Be&eiung
Bremens und beschränkte die Unternehmungen Davousts atif
die nächste Umgebung von Hamburg.
Vier Wochen später eriochten die Verbündeten den grofeen
Sieg bei Leipzig, der Napohions Hcrrschait in Dcutäcbland
auf immer zertrümmerte. Nun vollzog sich auch (Ende
Oktober) der Umsturz des wesUaUscben R^ments in Kassel,
aus welcher Stadt bereits einige Wochen zuvor ein kühner
Streifzug Tscher nitßcheÖFs den König Hieronymus mit seinem
Hofe vorübergehend verjagt halte. Gleich einem Karten-
hause fiel auf die Kunde von der Leipziger Schlacht die
ganze westfälisch-buonapartische Herrlichkeit über den Hau-
fen. Glücklich aus ihrem Zusamraenbmche auf zahlreichen
Wiigen die dem Lande abgeprelste Beate an Geld und Klei-
nodien retten zu können, entwich der Jüngste der Kapo-
leoniden zum zweitenmale, diesesmal auf Nimmerwiedei-seheu
über den Rhein. Jetzt kehrten die von Napoleon verjagten
Fürsten in ihre Länder zurück oder ergriffen durch Bevoll-
mächtigte wieder von ihnen Besitz. Am 5. Oktober hatte
der Prinz-Regent von Etjgland einen Aufruf zui* allgemeinen
Bewaflfhnng an seine deutschen Untertlianen erlassen. Zu-
gleich erschien sein Bruder der Herzog Ernst August von
Cumberland in Hannover, um die Leitung der militärischen
Organisationen uud Rüstungen in die Hand zu nehmen.
Er ward dabei durch das seit dem 4. November wieder ins
Amt getretene Ministerium kräftig unterstützt. Man errichtete
eine Landwehr und einen Landsturm. Bald waren etwa
dreiisig Bataillone beisammen, deren militärische Ausbildung
indes nur langsam vonsfcatten ging, so dafs sie an den Kriegs-
erejgnissen des Jahres 1814 nicht mehr teilzunehmen ver-
mochten. In Braunschweig sah man die ersten, jubelnd al»
Befreier begrüfsten Preufaen am 25. September. Es waren
Lanzenreiter der Landwehr unter von der Marwitz. Am
22. Dezember kam dann Herzog Friedrich Wilhelm in der
Stadt an. Er war sclion im Frühjahr von England nach
Norddeutachland geeilt, hatte sich aber im Hauptquartier
der Verbündeten vergebens um ein Kommando bemühet
Dann war er nach England zurückgekehrt und erschien
jetzt in der Hauptäladt seiuea Landes, um wieder von die-
sem Besitz zu nehmen. Mit \m\>G%tV\ft-^i\v;^esa^NMt -^wrd er
Fcldzug von 1814.
l&l
empfangen. Er tiatte ziinächst nur den einen Gedanken,
sobald wie möglich eine den Kräften des Landes entspre-
chende Ötrcitiuaclit aufzustellenj um an dem letzten Kampfe
gegen den verliarsten Frankenkaiser teilzunehraeu. Der
"Winterfeldzug in Frankreich hatte mit Blüchers Übergange
über den Rhein in der Nenjahrs nacht vqn 1814 begonnen.
Der Herzog mochte dabei nicht fehlen. Sein sehnlichster
Wunsch war, den noch immer Gewaltigen im eigenen Lande
zu bekämpfen. Mit fieberhafter Eile betrieb er die Rüstungen.
Schon in den letzten Tagen des Februar konnte das Braun-
chweiger Korps in der Stärke von 9000 Mann den Marsch
iurch We&tfalen nach den Niederlanden antreten. Aber es
tarn zu apät. Am ao. März war Paria gefallen, am folgen-
ien Tage die verbündeten Monarchen an der Spitze ihrer
Truppen in die Stadt eingezugen. Die Friedensverhandlungen
tiatten begonnen. Trotzdem setzte Friedrich Wilhelm seinen
larsch fort. Am 27. April war Düsseldorf erreicht, am
13. Mai begann der Vormarsch gegen die Maas trotz der
Torstellungen der Engländer und Osterreiclier und ti'otzdem
lie Heere der Verbündeten bereits auf dem Rückmarsche
lus Frankreich waren. Vom 23. Mai bis zum 5. Juni stan-
ien die brau nschweigi sehen Truppen in Kantonnements zwi-
chen Mecheln, Löwen und Brüssel. Erst nachdem sich der
lerzog durch einen kurzen Aufenthalt in Paris von dem
inzwischen erfolgten Abschlüsse des Friedens überzeugt hatte,
gab er den Truppen den Befehl zum Rückmarsch in die
Heimat. 8o war es von Braunschweigern allein dem schwar-
zen Korps, das Friedrich Wilhelm einst glücklich von Böh-
men bis Elsdeth geführt hatte, vergönnt, an dem Befreiungs-
kriege gegen NapoMon teilzunehmen. Seit dem Jahre IHIO
kämpfte dieses Korps, ein Jnl'anteric- und ein Husareu-
r^mcnt, unter englischer Fahne und wetteifernd mit der
englisch • deutschen Legion auf der pyrenäischen Halbinsel
gegen die ausgezeichnetsten Marschälle Napoleons, gegen
MasB^na, Ney, Marraont und Soult, blutete in einer Reihe
von Gefechten, half Badajoz erstürmen, die Siege von Ara-
pilen (Salamiinca), Vittoria und Ortliez und endlich, nach
völliger Räumung der Halbinsel seitens der Franzosen, den-
jenigen von Toulouse im südlichen Frankreich erfechten, zu
einer Zeit, als die Heere der Verbündeten Paris bereits
genommen hatten und auf den elyaeischen Feldern la-
gerten.
Der erste Pariser Friede, der Napoleon nach Elba ver-
bannte, die Bourbonen in der Person Ludwigs XVIH. auf den
französischen Thron zurücktWbrte vvnöiVTwc^xfcvÄx ^\vä. Sx^-
k.
358
Zweites Buch. Dritter Abscfauttt.
heren Grenzen vom 1. Januar 1702 mit einer unbedeuten-
den Gebietserweiterung tm Osten bewilligte, wsir am 30. Mai
1814 uuterzeiclinet. worden. Üie übrigen Angelegenheiten
Europas zu ordnen , namentlich über die Neugestaltung
Deutschlands Bcsclduis zu lassen ^ blieb dem grol'sen allge-
meinen Kongresse vorbehalten , welcher am 1. November
1814 in Wien zusammentrat. Hannover war auf dieser
Versammlung, welche das Schicksal Deutschlands fUr das
nächste halbe Jahrhundert entscheiden süüte, durch den
Gnit'en Münster, Braunschweig durch den Gelieinienrat von
Schmidt - Phiseldeek vertreten. Zwischen Eugland und
Preufseu war noch während der Dauer des Krieges, am
14. Juni, zu Reichenbach ein Vertrag abgeschlossen worden,
wonach die letztere Macht sich gegen die Wiederhei-stellung
in ihrem alten Umfange verpflichtete, an Hannover das Stifi
Hildesheim zu überlassen und ihm aufserdem noch Gebiets-
erweiterungen mit einer Bevölkerung von insgesamt 250 bis
300000 Seelen verbürgte. Dieser Vertrag ward dann am
9. September zu Tepljtz durch neue Abmachungen, denen
auch Uuft^land und Österreich beitraten, bestätigt und inso-
fern auch auf das Herzogtum Braunschweig ausgedehnt, als
in ihnen dem ilause Braunschweig- Lüneburg die Kückgabe
Hannovers sowohl wie die Wiedereinsetzung in alle seine
früheren deutschen Besitzungen in feierlicher Weise ver-
heifsen wurde. Unter diesen Umständen und in Rücksicht
Ruf die langjährige Aussaugung des Landes, an der sich
doch auch Pieufsen beteihgt hatte, ward es jetzt auf dem
Wiener Kongresse Haimover nicht allzu schwer, seine An-
sprüche auf Kntschädigung durch eine entsprechende Ge-
bietserweiterung im wesentlichen durchzusetzen. Nacli den
Artikeln 2(5 und a4 ward es gegen Abtretung des Herzog-
tums Lauenburg mit Ausnahme des Amtes Neuhaus, ferner
der Enklaven Klötze und Reckenberg an Preuisen durch
das Stiit IliMesheini, die ehemals münstcrschen Amter Mep-
pen und EmsbUhren, die Nieder-Grafschal^ Lingen , ferner
durch die Stadt Ooshir mit ihrem Gebiete, das Fürstentum
Ostfriesland nebat dem Harlingerlande, endlich dui-ch den
herzoglich loozischea Anteil au Rhcina und Wolbeck ver-
gröfsert. Dazu kamen noch die ehemals inainzischon Rechte
an dem Petersstifte in Nörten , die eichsteldischen Amter
Lindau und Gieboldehausen mit dem Gerichte Duderstadt,
endlich als abrundende Erwerbungen die früher hessischen
Amter Ucbte, Freudenberg und Auburg nebst der Herr-
schnft Piesse mit Neucugleichen und dem Kloster Höckel-
heim. Diese Landschaften verTttftVt^.feTci (!i\& YÄwKQWarRahl
VerhaudluDgen über die Neugestalttmg Deutschlands. H59
Hauiiüvera um 2;:tOU(tO Seelen. Dagegea ward das Hereog-
tum Braimachweig genau iu seinen alten Grenzen wieder-
bergestellr, da Friedrich Wilhelm sich zu einem Gebietsaus-
tausch nicht zu fcntachliefsen vermochte. Schon vor der Er-
ött'nung des Kongreasea hiitte am 12. Oktober Graf Münster
in einer Note erklärt, dafö, da nach Aufhebung der :dten
Beichöverl'aerjuug der Titel eines Kurfiirsten seine Bedeutung
verloren, der Prinz-llegent von England seine deutschen Ge-
biete zu einem Königreiche erhoben habe. Am 26- Oktober
ward dies durch Patent den Einwohnern flimnovers zur
Kenntnis gebracht. Demgegenüber erklärte der Heraog
Friedrich Wilhelm mit wohl berechtigtem Fürstenstolze, dals
er niclit gesonnen sei, „seinen uralten Familien- und Ke-
gententttel zu ändern".
Was die deutsche Fi-age anlangt, so entwickelte der Ver-
treter Braunschweigs eine lebhafte und lobenswerte Thittig-
keit, um sie im Sinne einer Wiederherstellung der Kaiser-
wUrde zu lösen. Zusammen mit den Gesandten von acht-
undzwanzig anderen souveränen Fürsten und Städten über-
gab er am 16. November den beiden deutsehen Grofsmächtea
eine Note, welche für Deutschland einen Bundesstaat mit
kaiserlicher Spitze verluugte und zugleich die Forderung er-
hob, dals wie lür das Ganze durch die Bundesakte, so t^r
die einzelnen Staaten durch landötäudische Veriaasangen jeder
Willkür vorgebeugt werde: den Ständen müsse das Steuer-
bewilligungsrecht, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung,
eine Kontroie über die Verwaltung und das Hecht der Be-
schwerde! ührung über ungetreue oder sonät stratbare Be-
amte zugestanden werden. Für diese Ideen , die also auf
die Herstellung eines Bundesstaates hinausliefen, dessen Mit-
glieder aus konstitutionellen Staaten bestehen und durch eine
kräftige Zentralgewalt zusannnengehalten werden soMten,
suchte der braunschweigische Staatsmann auch die Mit-
wirkung und Unterstützung des Vertreters von Hannover
zu gewinnen. Er übergab dem Grafen Münster eine in
diesem Sinne gehaltene Denkschrift, und als dieser, bevor er
sich über die gemachten Vorsehläge äufsere, erst vor allem
zu erfahren wünschte, welche Kechte man dem in Aussicht
genommenen Kaiser beizulegen gedenke, bezeichnete Schmidt-
Phiseldeck in seiner Antwort als solche die Aufsicht über die
Ausführung der Bun de sbe Schlüsse, den Vorsitz in der Bundes-
versammlung, die Überwachung der Justizverfassung, die
Leitung des Bundesmilitärwesens und endlich den Oberbefehl
in einem etwaigen Reichskriege. Die Sache hatte indea
keinen weiteren Erfolg. Trotz der Syvtt^atUvtfca, Äift "^t^ ■ö-'^n.-
k
itt«
fange wenigstenB, Hannover entgegenbrachte, trotzdem dafs
auch Stein sich im wesentlichen einrerstanden erklärte, schei-
terte 816 an der geringen Neigung Österreichs und an der
geradezu ablehnenden Haltung Preufsens und der deutschen ^^
Mittelstaaten. ^H
Mit diesen Verhandlungen über die künftige politische
Gestaltung Deutschlands verschlang sich der Hader über
das Schicksal Sachsens, der zu Anfang des Jahres 1815
eine so drohende Wendung nahm, dafs unter den bisherigen
Verbündeten der Ausbruch eines abermaligen europäischen
Krieges zu befürchten stand. Allein es sollte dazu nicht
kommen. Am 7. März ti*af in Wien die Nachricht ein, dafs
Napoleon Elba heimlich verlassen habe, imd bald folgten
sich Schlag auf Schlag die Hiobsposten von seiner glück-
lichen Landung in Frankreich , von seinem Triumphzuge
durch die Provinzen, der Flucht Ludwigs XVIU., der Ein-
nahme von Paris, dem Sturz der Bourbouen. Ein neuer
Krieg stand bevorj aber nicht unter den bisher mit einander
verbündeten Mächten, sondern von ganz Europa gegen den
geraeinsamen Feind, den abennafigen frevelhaften Bedroher
des Weltfriedens. Schon am 13. März erliefsen die in
Wien versammelten B^ürsten ein gemeinsames Manifest, wel-
ches Napoleon Buonaparte als Feind und Störer der Ruhe
der Welt bezeichnete und erklärte, dal's er sich als solcher
aufserholb aller bürgerlichen und sozialen Rechte gestellt,
die üSentliche Strafe, die Rache des Erdteils auf sein schul- ^_
diges Haupt herabgerufen habe: sie seien entschlossen, den ^H
Pariser Frieden unter allen Umständen aufrecht zu halten, ^^
die neue Ordnimg gegen jeden Angriff zu schützen , der
sie umzustürzen und dio Völker in das Unglück der Re-
volutionen zurückzuwerfen drohe. Zugleich erging nach ^j
allen Seiten hin der Befehl, die Rüstungen zu beschleuni- ^H
gen, die Mobilisienmg der Heere zu volleoden. Über eine ^^
halbe Million Krieger setzte sicli zu Anfang Juni g^eu
die frauzÖBJsche Grenze in Bewegung, Noch standen in den
Niederlanden und ara UnteiThein nicht unbedeutende Streit- ^j
kräfte der Verbündeten: ein preufsisches Heer unter Blücher, ^B
Engländer, Hannoveraner, Niederländer, Braunschweiger und ^^
Nassauer unter dem Herzoge von Wellington, dem Sieger
von Talavera und Vittoria. Sie mufste der erste Stols
treffen, den der Kriegsgewaltfge an der Seine in flitgender
Hast vorbereitete. Denn für ihn lag das einzige Heil darin,
diese vorgeschobenen Heeresuiassen der Verbündeten zu
scblfligcn, womöglich zu vernichten, ehe die grofseu auf dem
Marsche nach Frankreicli ^egdfieaeu Ksmteo. tÄ.Ya,nkamen
en ^J
Gefecht bei Quatrebras.
3rtl
und in den gigantiHchcn Kampf einzugreit'eu vennochten.
Dempemlirs brach er in der Nacht vom \2. auf den 13. Juni
von Paris auf, und schon am 15, überschritten seine Vor-
truppen die belgische Orenzc.
Man weifs, dafs das rasche Vordringen Napoleons die
Feldherren der verbündeten Heere überraschte, dafs nament-
lich Wellington Mühe hatte, die in weitlitufigen Lagerungen
verzettelten Truppen rechtzeitig zu versammeln, um die aui
die Trennung seines Heeres von den weiter ostwärts stehen-
den Preufsen unter ßUicher abzielenden Angrifife des fran-
EÖaiechen Kaisers abzuwehren. An demselben Tage (16. Juni),
wo dieser mit der franzüsiscben Hauptmacht sieh auf Blü-
cher warf und das preufsische Heer nach heldenhaftem
Widerstände bei Ligny und Öt. Amand überwültigte , ent-
spann sich bei Quatrebras, an dem Durchkreuzungspunkte
der Strafsen, von denen die eine von Charleroi nach Brüssel,
die andere von Niveües nach Namur fiibrt, ein hartnäckiges
und blutiges Treffen zwischen der Vorhut des englisch-
deutschen Heeres und dem Marschall Ney^ wodurch Wel-
lington verhindert wurde, sein dem preul'sischen Heerführer
gegebenes Versprechen bundestreuer Hilfe einzulöücn. Aber
Napoleons Absicht, die beiden verbündeten Heere ausein-
anderzureifsen , wurde durch den Kampf bei Quatrebras
glücklich vei-eitelt. Seit dem frühen Morgen stand hier der
Prinz von Oi-anieu mit 7fK>0 Niederländern und Nassauern
gegen eine erdrückende Übermacht im Gefecht. Erst nach
und nach kamen die von Wellington abgesandten Verstär-
kungen heran: zuerst zwei Brigaden von der britischen Di-
vision Picton, dann die hannövrieche Brigade Best und der
gröfste Teil des braunschweigischen Korps, welches der Her-
zog Friedrich W'ilhelm persönlich in den Kampf lührte. So
verstärkt, gelang eä Wellington , der jetzt das Kommando
übernahm, die Stellung bei Quatrebras, freiÜcli unter schwe-
ren Verlusten, zu behaupten, bis gegen Abend frische Streit-
kräfte, Hannoveraner und Briten von den Brigaden Sir
Colin Halketts und Kielmannscgges, endlich auch die eng-
lische GardediviBion und der Kcst der Braunachweiger mit
ihrer Artillerie eintrafen. Das entschied den Tag zugunsten
der Verbündeten. Aber er hatte schmerzliche Opfer ge-
kostet, kein schmerzliclieres als den unerschrockenen Herzog
von Braunschweig, der bei dem ersten Alurmrufe herbei-
geeilt war, um auch hier wieder unter den Ersten gegen den
verhaföten Korsen zu kämpfen. Als in dem AugenbÜckö
der gröfsten Bedrängnis die Franzosen aus dem Ci^yi^i. ^«^
Bossa hervorbraclien, ihr überlegfeuea Qte^cXvvvVt ^^ Sjosisgi^
i
mi*2
Zweites Buch. Dritter Abschoitt.
zum '
h
brflunschweigisflicu Truppen nieder^dimetterte und
Weichen brachte, war Fiiedrick Wilhelm hurbeigeeik um
sie wieder zu sammeln, ihren Mut anzufeuern, sie von neuem
gegen den Feind zu fuhren. Hier traf ihn die tödliche
Kugel: 8ie durchbohrte ihm das rechte Handgelenk und
drang in den Unterleib. So sank „ Braunschweigs schick-
salsverfolgter Fürst". Keiner von seinen Offizieren war in
der Nähe. Ein Korporal und ein Jäger trugen den Schwer-
getruflFenen auf ihren Büchsen hinter die Front. Noch ver-
langte er nach Wasser und fragte mit schwacher Stimme
nach dem Christen Oliermann. Dann war seine Heldenaeele
entflohen.
Wellington lagerte die Nacht, die dem Kample folgte, in
den behaupteten Ötolluugeu. Noch am Abend der Schlacht
hatte er die Nachricht von der Niederlage Blüchers bei Ligny
erhalten, am anderen Morgen kam die bestimmte Kunde von
der Hichtung, in der dieser den Rückzug angetreten hatte.
Auf seine Anfrage im preufsischen Hauptquartier, ob er auf
die Unterstützung wenigstens eines der preulsischen Korps
rechnen könne, erhielt er die Antwort, nicht mehr im Laufe
des Tages, aber am 18. würde das ganze Heer zur Stelle
sein. Der englische Feldherr entschlofs sich nun, nordwärts
gegen Brüssel zurückzugehen , in der Stellung bei Moni
St. tlean, eine kurze Strecke südlich dieser Stadt, alle ver-
lügbaren Truppen zu vereinigen imd hier eine Defensiv-
sclilacht anzuuehmcu, von der er hofl'te, dafs das rechtzeitige
Erseheinen der Preufsen sie zum Vorteil der verbündeten
Heere entscheiden werde. So entbramite um Mittag des
18. Juni die Schlacht von Waterloo, die dem kurzen Traume
der hundert Tage ein jähes Ende bereiten und die Herr-
schalt des französischen Soldatenbaisers füi* immer beseitigen
sollte. Sie ist in ihrem Verlaufe unzähligeraalo beschrieben
und geschildert woi-den. Wohl um sich noch einmal in sei-
ner alten Scidachteuglorie zu sonnen, gestaltete sie Napoleon zu
einer Frontalschlacht in grofsartigem Sinne und mit stobsestem
Aufmarsch. Vor den englischen Linien lagen gleich vorge-
schobenen Aufsenwerken links das Gehört Fapelotte, auf dem
rechten Flügel das Schlülachen Hougomont, im Zentrum der
Pachthof La Have Sainte. Hier stand unter Major Baring
Bataillon der deutsclien Legion, wälurend Hougomont
em
von englischen Garden, einem Bataillon Nassauer und einer
Abteilung Hannoveraner verteidig ward. Stundenlang wogte
um diese in der Eile zur Abwehr eingerichteten Stellungen
ein /nörderischer, erbiltertfiv Kam^f, in welchem französisches
Ungestüm und britisch - deutacW k\3ÄÄA.\iKt >Ma. 4ä.^ Palme
I
I
1
Schlacht vou Wateric».
363
k
rangen^ nur zeitweilig durch die gewaltigen lieiter.ingiiSe
unterbrochen, die Napolöon zwischen den Gehöften hindurch
gegen die englisclie Autstellung schleuderte und die, su oft
sie auch die Höhen von Mont Irit. Jean hinaufHuteten, ebenso
oft in die davor liegende Thalinuldo wieder herabgestürat
vrurden. Endlich gelang es gegen sechs Uhr Abends dem
erlonschen Korps, eich des Gehöftes von La Haye Sainte
zu bemächtigen. Nachdem er die letzte Patrone veraohossen,
muißte es Baring mit seinem gelichteten IlUuflein der fran-
zösischen Übermacht preisgeben. Es trat die Krisia der
Schlacht ein. Wellingtons Truppen waren furchtbar zu-
sammengeschmolzen, seine letzten Kräfte erschöpft. Aber
schon liefsen sich auch seit halb fünf Uhr die ersten preufsi-
echen Geschütze auf den Höhen von Frischcrraout vernehmen,
üud oben Jetzt rangen die nach einander eintreffenden Bri-
gaden des bülowechen Korps mit den französischen Garden
um den Besitz des fast im Riiclvcu dt-r französischen Ötelluug
gelegenen Dorfes Planchenois. Da entschliefst sich Napoldon,
auf seiner rechten Flanke umklammert und schon in seinem
Rücken bedrohet, Alles auf eine Karte zu setzen. Vier Ba-
taillone seiner Garde unter der persönlichen Führung von
Ney und eine Divi.'iiun von Erlons Korps richtet er zu
einem letzten mächtigen SturraangritF gegen die Mitte der
feindlichen Schlachtordnung. Unerschüttert von dem Kugel-
regen, der sie empfängt, steigen diese sieggewohnten Krieger
die Hohen hinauf. Aber oben augelaugt, wirft sich ihuen,
von Wellington selbst angefeuert, die englische Gardebrigade
Älaitland entgegen : Hannoveraner, Braunschweiger^ Nassauer,
der Kest der deutschen Legion schÜefseu sich an, AVellington
giebt, indem er den Hut hocli erhebt und das einzige Wort
„Charge" ausrntt, das Zeichen zum allgemeinen Vorgehen,
und in blutigem Gemetzel werden die Trümmer der stolzen
Armee den Abhang hinabgetrieben, den prcufsischen Waffen-
brüdern entgegen, die inzwischen Plachenois erstürmt und
damit Rücken und Flanke des Gegners eingedrückt hatten.
Der herrlichste 8ieg war erfochten, den eine unvergleich-
liche Verfolgung durch die Prcufsen vervollatändigte. Es
ist ein thörichtcs Beginnen, dariiber zu streiten, welchem
von den beiden Heeren der gröfsere Anteil an ihm
gebührt. So gewifs es ist, dafs ohne den heroischen Wider-
stand Wellingtons und seines tapferen Heeres die Prcufsen
zu spät gekommen sein würde«, so gewiCa ist es, dafs ohne
ihr Eintreffen das englisch-deutsche Heer, ermattet und de-
zimiert wie es war, überwältigt und in eine uicvtÄ\lNt)VJÄ^^S&-
derUge vej-wickeit worden wäre. Der KvÄwft ^i^NjNs«^. ^'«ä-
m
Zweites Bach. Vierter Abschnitt
Teilen^ auch, wie ihre starken Verluste bezeugen, den Han-
noveranern, der deutsch - englischen Legion und dem zwar
kleinen aber braven Braunscliweiger Korps, dem ea ver-
gönnt war, den Tod seines angebeteten Führers und Her-
zogs zwei Tage nachher in so glorreichem Kampfe 2
rtchen.
Vierter Abschnitt.
KulturgesekiehtUcher Überblick.
Wir haben den Zeitraum, dessen äufsere Geschichte in
den vorhergehenden Abschnitten behandelt worden ist , als
das Jahrhundert des Absolutismus und der Aufklärung be-
zeichnet. In der That sind es diese beiden geschicbtlicheu
Faktoren, die dem stafitlichea, gesellschaftlichen und geistigen
Leben des 18. Jahrhunderts das ihm eigentümliche Gepräge
verleihen. Während auf dem politischen Gebiete der fürst-
liche Absolutismus jetzt erst zu voller Ausbildung und un-
beschränkter Herrschaft gelangt, erfüllt sich das Geistesleben
der Nation, ihr Denken und Fühlen allmählich mit den von
England, namentlich aber von Frankreich ausgehenden Ideen
der Aui klärung und wird schliefslich völlig mit ihnen durch-
tränkt. Nicht nur die Gesellschaft hat den allinachtigeD
Einflufs dieser Zeitstrümung erfahren, sondern auch ihre
äufsere Form, der Staat, hat sich auf die Dauer ihr nicht
zu entziehen vermocht, ist vielmehr von ilir mit ergriffen und
teilweise nach ihren Anschauungen umgestaltet worden. In-
dem aber das selbstherrliche, unbeschränkte Fürstentum auch
in deutschen Landen die Lehren und Lebensansichten der
englischen Dcisten und französischen Freidenker in seinen
Dienst stellte, indem es Kirche und ächule davon durch-
dringen hefs und ihm selbst auf die staatlichen Einrichtungen
einen gewissen Einlhifs verstattete, untergrub es mit selbst-
mörderischer Hand die Fundamente der eigenen Existenz
und bahnte der alles vimatüYicxid^Ti Revolution den Weg, die
BJch gegen Ende des JaWWxvtievXÄ -votv YTcw^tw^ «aa über
4
4
I die t
Das achtzehnte Jahrhundert.
305
die benAchbarten Gebiete ergofs und in Deutschland auf den
Trümmern des tausendjährigen röniiachen Reiches die Herr-
schaft des modenien französischen Cäsarentums begründete.
Des Druckes und der Schmach einer aolchen Freradberrschaft
hat es bedurft , um in den deutseben Ötärainen dos alte,
halbverdunkelte Bewufstsein der Zusammengeliörigkeit neu
zu beleben, mit der Liebe zu dem grofsen gemoitisamen
Vaterlande auch die Freude an deutscher Vergangenheit,
an deutscher Kunst und deutschem Öchriitontum wieder zu
erwecken und in unserem Volke der Überzeugung zum Singe
zu verhelfen, dafa nicht ein veracbwommenes Weltbürger-
tum, wie es die Aufklärer predigten, sondern die Hingabe
an das eigene Volk der feste Grtmd ist, auf dem sich das
Heil der Nationen aufbauet. Dies war der uuscliätzbare
Gewinn, den das deutsche Volk aus den Kriegswettern des
gewaltigen Kampfes gegen den französischen Älilttärcäsaris'
mu8 davontrug und der ihm trotz des Scheiterns seiner po-
litischen Neugestaltung nach dem Kriege als imvcräufser-
liches Vermächtnis bis zu den grofsen Wandlungen der aller-
neueston Zeit geblieben ist.
Während der ersten Jahrzehnte des l8. JabrbundortÄ
traten weder in dem Ößentlicben Leben noch in den über-
lieferten Sitten und Verhältnissen der Bevölkerung der braun-
Bcbweighaunövrischen Lande bemerkenswerte oder gar tief
eingreifende Veränderungen ein. In den Ansichten und der
Lebensgewohnlieit der Fürsten wirkten zu dieser Zeit noch
die politische Herrlichkeit, der Glanz und die MachtiUlie
Ludwige XIV. nach. Der Hof
MDpfingen für ihre Denk- und
Mafs und Richtschnur von dem
der tonangebenden Gesellschaft
stand Anton Ulrich, dessen Regierung noch in diese Zeit
hineinragt, völlig auf diesem Boden und seine unmittelbaren
Nachfolger am Regiment, August Wilhelm uud Ludwig Ru-
dolf, wandelten in denselben Bahnen. Die Regierung Fer-
dinand Albrechta IL aber konnte bei ihrer kurzen Dauer
darin keine Änderung herbeiführen. Unter diesen Um-
st&nden ist es begreiflich, dafs die bisher auf die höheren
8tände beschränkte Verwelschung allmählich auch die mitt-
leren Gesell Bcbaftsklassen ergriff und selbst in die breiteren
iächicbten des Volkes eindrang, die bisher, zwar in ärmlichen
Verhältnissen aber arbeit- und genügsam, sich mit der treu-
herzigen Gottesfui'cht, die sie erlulUe, die ADhnnglichkeit an
das angestammte Fürstenhaus und den Respekt vor der vcv'r.
Gott ein^setzten Obrigkeit bewaWt \ia.\\.e.xi. Viex i\TLÄs«fc
und die vornehmen Kreise
Lebensweise nach wie vor
Hofe in Versailles uud von
Paris. In ßraunschweig
in
SM
Zweites Bucli. Vierter Abschnitt.
Aufwand des Hofes, der Luxus und die Verscbwendungs-
fiucht der bevorzugten Gesell sehn ftsk lassen tnuisten, wie auf
das ganze öffentliche Leben , so namentlich auf die Sitten
und die Anschauungsweise der mittleren und niederen Stände
einen entsittlichenden Einfluls ausüben. Krregte docli die
Lebensweise des Keichsgrafen von Dehn, des aus beschei*
denen Verhältnissen emporgekommenen OOnstlings^ selbst in
diesen Zeiten, die an solche Extravaganzen gewöhnt waren,
in und aufser Landes das g^'ljl&te Aufsehen.
Jlit dem R^ierimgsant ritte des Herzogs Karl I. ver-
änderte sich allmählich die Physiognomie des Hofes und der
ihm nahestehenden Kreise Nicht als ob Pracht und Ver-
schwendung der früheren Zeit abgenommen hätten. Diese
wurden vielmehr unter dem neuen Herrscher fast noch über-
boten und führten, wie wir gesehen haben, Land und Für-
stenhaus bis nahe an den Abgrund des Bankerotts. Auch
das fremdländische Wesen , die Vorliebe für franzöeiscbe
Sitten, Sprache und Litteratur behaupteten ihre Herrschaft
und gewannen sogar noch an Ausdehnung. Aber gerade
sie führten jetzt eine wesentliche Veränderung in den An-
schauungen und selbst in den Leben sgewobnheiten am Hofe
herbei. Denn mit ilmen drangen damals mit überwältigender
Macltt alle jene geistigen Richtungen ein, die man unter
dem Namen der „ Aufklärung " zusaimnenzufassen pÜegt
In Kirche und Schule, auf künstlerischem wie auf litterari-
scheni Gebiete, in den Angelegenheiten des praktischen Le-
bens wie in den Tlieorieen über Staat imd GesoUsclxaft
machten sie sich in gleicher Weise geltend und gaben den
Anschauungen und Bestrebungen der Zeitgenossen bis zu
den Jiöchäten Machthabern hinauf ein verändertes Gepräge.
Die gesamte Nachkommenschaft Ferdinand Albrechts ]I.,
nicht nur sein jugendlicher liegierungsnacbfolger, suudem
auch dessen übrige Geschwister, Avurden von diesen Ideen
mehr oder minder beeinHufst, waren von ihnen in höherem
oder geringerem Mafse erfüllt. Herzog Karl selbst, lebhaften
Geistes, wohlwotlender Gesinnung und von ungewöhnlicher
Bildung, mit Friedrich dem Grofsen, dem Hauptvertreter
dieser Kiclitung in Deutschland, dopjielt verschwägert, ver-
mochte sich dem bestimmenden EinHusse des Philosophen von
Saussouci um so weniger zu entziehen, als er bei allen seinen
guten Eigenschaften doch im Grunde ein schwacher, nach-
giebiger Charakter war. Am vollkommensten meinte er
seinen fürstlichen Beruf zu erfüllen, wenn er, ohne die
ßchweren Steuern zu erVeicUtertv, die aui dem geraeinen
Manne Jaßteten, »ich iDemuW^e , «ßvae V.'8jg& ^^adö. ^qM-
Der Brau lisch wcigur Hof.
867
^
wollende Belelirung: zn verbessern, seinen Kopl* von alten
"verjährten Vüvujteilen zu befreien^ iltn über seine Pflicht der
Regierung gegenüber autzukläronj ihn zu einem denkenden
aber aüxeit gehorsamen Staatsbürger heranzuziehen. Dies
war der Grundgcdaukef von dem die Reformpläne und He-
formversuche seiner Regierung , deren wir früher gedacht
haben, getragen wurden. Es waren die Bestrebungen eines
wohlmeinenden , aber in Einseitigkeit belangeneti Despotis-
Merkwiirdig, aber durchaus erklärbar, dals sich da-
mus
bei, wenigstens soweit sie die finanziellen Bedrängnisse seiner
späteren Jahre betrafen, der gröblichste Aberglaube und der
rücksichtsloseste Egoismus mit den Anschauungen de.« fort-
geschrittensten Frcidenkertums paarten. ^Vuch Pliilippine
Charlotte, Karls (lemahUn , die Schwester Friedrichs des
Grofsen, lebte und webte ganz in der geistigen Atmosphäre
ihres Bruders, deni sie von idlen seinen Oeschwistera auch
äufserlich am ähnlichsten war. Sie unterhielt einen regen
geistigen Verkehr mit den litterariach hervorragenden Män-
nern des Landes, mit denen sie in gcistreicli-witziger Weise
zu verkehj-en pflegte. Es ist selbetverständlich, dafs man
Leute wie Eschenburg, Zachariä, Ebert und die übrigen
Professoren des neugegründeten Collegium Carolinum häu-
figer damals bei Iloie sah al^i die Lehrer der Ilelmstedter
Hochschule, die Vertreter einer soliden aber etwas schw^er-
föihgen und steifleinenen Wissenschai't. Noch jetzt steht die
originelle und dabei freundlich herablassende PersiinHchkeit
der Herzogin, „der alten Hoheit", wie man sie nannte, bei
der Bevölkerung des Landes iu gutem Andenken.
Von allen Mitgliedern aber der herzoglichen Familie zeigt
weh keines in so hohem Grade von dem Geiste dieser human-
freidenkerischen Zeit durchdrungen wie der vierte Bruder
des regierenden Herzogs, der uns schon als berühmter Heer-
führer des siebenjährigen Krieges bekannte Prinz oder Her-
zog Ferdinand. Er war lange Jahre ein Liebling seines
Oheims, des grofsen Friedrich, und stand ihm inbezug auf
kriegerische Talente von allen seinen Generalen wohl am
nächsten. Gleich allen seinen Geschwistern hatte er eine
Borgtältige und gediegene Erziehung genossen, die sich frei-
lich vorwiegend in den Anschauungen und Ideen des herr-
schenden Franzosentams bewegte. Er liebte die französische
Litteratur der Zeit über Alles und war ein begeisterter Freund
I und Gönner der Encyklopädisten , vor allen Diderots, des
^K bedeutendsten unter ihnen. Man erzählt, dafs er sich bei
^V diesem Wortführer des frauzüsischen Aufklä.tc'irl.vww?, ^ ^^s^
r nicht gern neugierige reisende Füv&lexi oöiwc Vvvwictv t-Kv^'öÄsjj;^
^
SOS
Zweites Buch. Vierter Äbachuitc.
unter falschem Namen als einen einfachen „ reisenden Deut-
schen" habe einführen lassen und ohne Mühe in einem dt-ei-
atündigen Gespräfh dessen Freundschatt j^wonnen und seine
Bewunderung en-egt habe. Aber der Geschmack, den er
an der fremden Sprache und Litteratur fand, vermocltte we-
der seiner Liebe zw dem deutschen Vaterlande Abbruch zu
thun noch auch die in früher Jugend eingesogenen religiösen
Grundsätze zu erschüttern. Er war ein eifriger Freund und
Förderer des Freimaurerordens und trat später selbst dem
Illuminatenorden bei. Als Grofsmeiater sämtlicher deutscher
Maurer hat er in der Geschichte des ürdeus eine bemerkeuft-
werte Rullo gespielt. Es ist hekannt, dafs Lessiug seine
„Ernät und Falk" betitelten Gespräche über Freimaurer
ihm widmete. Die bedeutenden Einkünfte, die ihm, nament-
lich auch aus England, zuflössen, ermöglicliten ihm, eine
raenschcnfreundhuho , wohlwollende Freigebigkeit in ausge-
dehntestem Sinne zu üben. So hat er den alten Forster, den
Gelahrten des Kapitän Cook auf dessen Entdeckerfahrten,
in hochherziger Weise unterstützt. In späteren Jahren ward
seine Bereitwilligkeit, zu helfen, häufig von Schwindlern imd
Heuchlern ausgebeutet. Drei Jahre nach der Beendigung
des siebenjährigen Krieges (1766) zog sich der Herzog, durch
die ihm wiederholt widerfahrenen Kränkungen bewogen, in
das Privatleben zurück. Er legte die Stelle eines Gouver-
neurs von Magdeburg, die er zuletzt bekleidet hatte, nieder
und entsagte iur immer jeder anderweitigen militärischen
Befehlshaberrolle. Vergeblich bot ihm Georg III. auf des
älteren Pitt Vorschlag beim Ausbruch des nordamerikani-
achen Krieges deu Oberbefehl über das englisch - deutsche
Heer an. Herzog Ferdinand lehnte ab. Er lebte seitdem
bald aut' seinem Schlosse Vechelde, bald in Braunsehweig,
wo für ihn der eine Flügel der alten Burg Tliankwarderode
umgebauet und eingerichtet worden war, ausseid iefsltch seinen
Studien und Lieblingsbeschäftigungen. In Vechelde ist er
am 3. Juli 1792 gestorben. Ein einfacher Stein mit frommer
Inschrift bezeichnete im dortigen Sclilofsgai-ten den Platz,
wo seiner Bestimmung gemäfs unter dem Laubdachc schöner
Linden seine sterblichen Überreste bestattet waren. Später
sind sie in die Gruit seiner Ahnen unter dem Dome von
St. Blasien zu Braunschweig übergefühi-t worden.
Eine lange Reihe von Kindern (sieben Söhne imd sechs
Tijchter) war aus der Ehe des Herzogs Karl mit Philippine
Charlotte von Preufsen hervorgegangen. \'on den Töchtern
ist die mit dem Herzoge &niät xow Sachsen - Weimar ver-
tnählte Anna Amalie, die "NluVtev vta^ \toi^\ft ^^iisc^ Vsä-
I
Herzog Maximiliau Julius Leopold. M9
durch die Vormiiaderiu Karl Augusts von Weimar, die be-
, kanateate. Sie ward die eigeutlicbe Begründerin des Musen-
hofes in der kleinen thiii-ingiscbeu ße^ideuz und bat aU die
Freundin Wielands j Herders und Goetbes einen gewissen
i Einflais aul" die Entwicldungsgeschichte unserer neueren Lit-
I teratur ausgeübt Von den Söbnen bat neben dem Erb-
prinzen, dem nacbberigen Herzoge Karl Wilbelm Ferdinand,
keiner eine tiefere Teilnahme bei den Zeitgenossen erweckt
> «Is der jüngste, Maximilian Julius Leopold. In seiner ju-
gendlichen, früh der Welt entrissenen Gestalt sjih man den
I die damalige Zeit erfüllenden Humanitätsgedankon gewiaser-
malsen verkörpert Eine vielseitige und gediegene Erziehung,
ein sorgfUltigor Unterricht durcli hervorragende Männer, wie
Jerusalem, Ebert, Gärtner und andere, hatten die glück-
lichen Anlagen seines Geistes und Gemütes zu reicber Ent-
faltung gebracht. Später (1775) genofs er auf einei* Reise
durch ItaUen fast ein JaJir laug den bildenden und beleh-
renden Umgang Leasings. In die Heimat zurückgekehrt,
ward er von seinem königUchen Oheime zum Befehlshaber
eines in Frankfurt a. d. O. garnisonierenden Regimentes er-
nannt Hier gewann er in den zehn Jahren, die ihm noch
zu leben vergönnt waren, durch seine Menschenfreimdlich-
keit, den Adel seiner Gesinnung und den männlichen Ernst
seiner Lehenstuhrung Aller Herzen. Als nach einem stren-
gen und schneereichen Winter der Frühling des Jahres 1785
über die Stadt die Verheerungen einer aufsergewÖbnHchen
Wassernot brachte, beteiUgte sich der Prinz in unerschrocken-
ster und hochherzigster Weise an der Rettung der von dem
wütenden Elemente bedrolictcn Menschen. Bei diesem Liebea-
werke fand er seinen Tod. „Auch jene Leben sind kost-
bar ", mit diesen Worten wies er die inständigen Bitten seines
nfliUtäi'ischen Begleitei-s , sein kostbares Leben zu schonen,
zurück, wagte sich mit ein paar Ruderknechten in einem
gebrechlichen Nachen in den Strom. Der Kahn sclilug um,
und der Pi*inz ertrank. Es war am 27- April. Erst sechs
Tage später vermochte man seinen entseelten Körper dem
Wasser zu entreifsen. Der Sieger von Leuthen hatte für
einen solchen Opfertod nur das schnöde Wort: „Wie ge-
liebt, 80 gestorben. Was hatte der Mensch sich um das
jXrobzeug zu kümmern?"
Unter der Regierung Karls I. behauptete der Braun-
echweiger Hof seinen alten Ruf, einer der glänzendsten in
Deutschland zu sein, aber an die Stelle einer rohen, osten-
itativen Verschwendung trat doch in vieler Hinsicht ein auf
Uoi u«iuaDii, ßmoschir.-liuiiDAf. OescVtckt«. \V\.
*iA
4
4
edlere Ziele geriebtoter Sinn. Es ist wahr, der Herzog b&t,
leichtsinnig und sorgloa wie er war, grofse Suinineu in fri-
volen Vergnügungen vergeudet, Millionen zerrannen unter
Beinen Händen, aber ein bedeutender Teil von ihnen ist doch
den idealen und menschenfreundlichen Bestrebungen zugute
gekommen, durch die sich seine Hegierung vor derjenigen
seiner unmittelbaren Vorgänger auszeichnet. Schon in den
Jahren, aU er noch in WoU'ünblittel Hot hielt, konnte man
meinen, die glänzenden Zeiten Anton Ulrichs seien wieder-
gekehrt, und später iibertral' der Herzog seinen Grofsoheim
noch an Pracht und Verschwendung. Namentlich hat ihn
seine Leidenschaft für das Theater ganz bedeutende Summen
gekostet , das zeitweilig einen Jahreszuschuls von 70 000
Thalern erlorderte.
Im Jahre 1753 wurde die Residenz aus dem mit der
Zeit mehr und mehr verkümmernden WolienbUttel nach
Braunachweig verlegt. Diese Mafsregel bedeutete liir die
bisherige zweite Stadt des Landes einen Ruckgang, den sie
niemals hat wieder auszugleichen vennocht. Nahezu dreitausend
der vermögendsten Einwohner siedelten mit Fürst und Hot*
nach der bevorzugten alten Hansestadt über. Seitdem stan*
den die einst so glänzend und heiter belebten Räume des
Wolfeubüttter Schlosses üdo und verlassen: nur dals später
einige Zimmer in ihm Lessing nach dessen Berufung zum
Vorstande der BibÜothek zur Wohnung angewiesen wurden.
Braunschweig dagegen nalim seit der Übersiedelung des
Hofes einen neuen Autschwung. Es wurde ein Lieblings-
aufenthalt vornehmer Fremden, die der Hof, die vom Herz(^
Karl dort begründeten Kunstaamralungen , später auch das
von ihm eingerichtete Collegium Carolinuin anzogen. Be-
sonders aber strömten zur Zeit der zweimal im Jahre ab-
gehaltenen Messen, von den mit diesen verbundenen Lust-
barkeiten und Schaustellungen angelockt, von nah und fern
Fremde in die Stadt Das bunte und bewegte Treiben einer ^B
Sommermesse in Braunschweig hat der bekannte Freiherr ^H
von Knigge in seinem Romane „ Die Reise nach Braun- ^%
schweig** anschaulich geschildert. Zu der Zeit, in welcher
dieser Roman spielt — es war im Jalure 1788 — verlieh
die Aulfahrt des berühmten Luftachiffers Blanchard den
Belustigungen in Braunschweig ein besonderes Interesse. Pttr
gewöhnliche Zeiten boten die in dem Redouteusaale des
grofsen Opernhauses am Hagenmarkte veranstalteten Bälle
und Maskeraden, an denen sich auch der Hof beteiligte, den
ifarjptanziehungspunkt tür Kmtveimlache imd Fremde dar.
Dazu kam dann das HoftVeaAfct, iä -wftVdöeav «cSswi^ \^i^-
Beeiehim^n des Hofes r.\x der Utleratnr.
871
■c:
roälsig ausländische Schauspielcrgesellschaiien herangezogen
wurden, bis sich die stehende Hoibühne iu Braunsohweig
herausbildete. Bei allen mit den Messen verbundenen Lust-
barkeiten war es Sitte, dafs die hüben Herrscbailen durch
ihre Auweaenheit ihre Teilnahme zeigten. Bann hatte jeder-
mann Gelegenheit, in den geüfiiieten glänzenden Sälen die
Pracht der Hofhaltung anzustaunen und sich in dem Be-
wufstsein zu sonnen, dafs wenigstens zu Zeiten die Götter
dieser Welt zu den gewöhnlichen Sterblichen, dem ucblichteu
Bürger und Landmann^ herniederstiegen.
In der That waren im vorigen Jahrhundert die Schrau-
ten zwischen dem Fürsten und dem Volke bei weitem nicht
HO achi'off gezogen wie jetzt. Bei dem jjatriarchaleu Kegi-
mente ergaben sich weit häutigere persönliche Berührungs-
punkte zwischen jenem und seinen Unterthanen als heutzu-
tage. Davon legen unzählige Anekdoten Zcu^is ab, die
sich aus jenen Tagen über den Verkehr des Fürsten und
seiner Angehörigen mit Leuten selbst aus den niedrigsten
Ständen im Volksmunde erhalten haben. So streng dem
steilen Zeremoniell der früheren Zeit gemäi's bei grolsen
Festlichkeiten noch immer die Etikette bei Hole sein mochte,
so heiTschte doch dort in kleineren Kreisen ein leichter und
ungezwungener Ton. Dies war schon der Fall zur Zeit der
Regierung des Herzogs Karl, noch mehr aber, seitdem sein
Sohn ihm gefolgt war. Es machte sich ein Zug der An-
näherung zwischen den höheren Ständen und den luittleren
gebildeten Klaäscn der Geaeilschait geltend, der sich in dem
gemeinsamen Interesse an den Ütterariscben Bestrebungen der
Zeit bekundet An die Stelle der Ilolprediger, welche früher
fast die einzigen Personen des Mittelstandes gewesen waren,
die bei Hofe erschienen und hier einen gewissen geistigen
Kinflufö ausübten, traten mehr und mehr die Lehrer an den
höhereu Bildungsanstalten des Landes, deren vielseitiges,
aufgeklärtes Wissen man dort zu schätzen wufste. Nament-
lich haben manche von den Professoren des CoUegium Ca-
rolinum zu den Mitgliedern des herzoglichen Hauses in
nahen, selbst intimen Beziehungen gestanden, wozu sie nicht
nur ihre ausgebreiteten Kenntnisse, sondern auch ihre welt-
männische Bildung zu berechtigen schienen. Von nieman-
dem gilt dies mehr als von Johann Arnold Ebert, der, ein
geborener Hambiirger, im Jahre 1748 an die drei Jahre
vorher gegründete Lehranstalt berufen ward und in der
Folge nicht nur die Gunst der regierenden Herzogin Phi-
IUppine Charlotte, sondern auch ihrer sämtlichen Kinder in.
hohem Mafse gewann. Von Zeit zu "LeA TiWkl«X& «t %ö5wti^
Zweites Buch. Vierter Absohnitl.
den dringenden Kinladuugen der Herzogin Atma Amalia
nach Weimftr folgen, wo man sich, wie in Braunschweig,
seiner stets rosigen Laune, seines ti'efienden Wltzea und sei-
ner Vorlesekunst erfreuete. Freilich ein so ungezwungener
genialischer Ton wie in der thüringischen JElesidenz war iu^
Braunachweig nicht an der Tagesordnung. Obschon dia
LebenBiichtungcn an beiden Uöfeu in mancher Hinsicht zu-^
sammenti'ai'en, so hielt man in Braunschweig doch mehr an
den überlieferten strengen Formen der Etikette fest. Man
bogreift daher, dafs Qoethe, als er im Sommer des Jahres
1 781 seinen fürstlichen Herrn zu einem Besuche ^ch Braun-
schweig begleitete, sich ebenso wenig von dem Leben und
Treiben am dortigen Hofe angezogen fühlte wie dieser. ]
„Seinerseits" — so schreibt er an Frau von Stein — ;; lang-
weilt sich unser guter Herzog hier erschrecklich. Er sucht
nach einem Interesse, er möchte nicht gern für nichts gel-
ten, aber der wohl abgemessene Gang, den alles hier nimmt^
beengt ihn. Er mufs auf seine geliebte Pfeife verzichten,
und eine Fee könnte ihm keinen angenehmei'en Dienst er-
weisen, als wenn sie diesen Palaat in eine Köhlerhütte ver-
wandelte. Ich meinerseits befinde mich sehr wohl, ich amli-
siere mich sogar, weil ich mich ohne Ansprüche, ohne
Wünsche weifs und weil so viele neue Gogenatäude tau-
send Gedanken in mir erregen."
Ebert war es auch, der seinen früheren Schüler, den
Erbprinzen, und durch diesen dessen Vater, den regierenden
Herzog KarJ, betitimmte, Leasing, der damals auf der Höhe
seines Ruhmes stand, aber in sehr bedrängten Umständen
lebte, als Vorsteher an die Wolfenbüttler Bibliothek zu be-
rufen. Diese Berufung war eine dem Genius des grofsen
Mannes dargebrachte Huldigung. Die Stelle mufste eigens
für ihn leer gemacht werden und der — später übrigens
erhöhete — Gehalt, der damit verbunden war, erscheint uns
freilich sehr bescheiden, war aber, wenn man den damaligen
Wert des Geldes erwägt und die Besoldung der Staatsdiener
zu jener Zeit überhaupt in Betracht zieht, in Wirklichkeit
keineswegs so kummerlich, wie man ihn darzustellen behebt
hat. Eigentliche Amtsgeschäfte wurden, wie Leasing selbst
schreibt, dabei von ihm keine andere verlangt, als die er
sich selbst machen wollte. Die Absicht bei seiner Berufung
war lediglich darauf gerichtet, dafs durch seine gelehrten
Arbeiten, die übrigens ganz in sein Belieben gestellt waren,
der Ruhm der ihm unterstellten Anstalt gemehrt und ver-
streitet werde. Leasing hat die Annehmlichkeiten dieser ersten
und einzigen sicheren SteWun^, öä^ "^^ei "aa. VäWl zuteil
I
I
LessiDg und sein Verhiiltnis ram Hofe. 878
■wurde, anfangs auch als eine grofBe Wohlthat empfunden
und sie init beredten Worten gepriesen. Wenn er trotzdem
in den späteren Jahren seines Lcoena in dieser Stellung sich
unhehagUch, ja tief unglücklich fühlte, so lag die Ursache
davon in ganz anderen Dingen als in der Natur Beines
Amtes. Indem man einzelnen in seinen Briefen begegnenden
Aufserungen augenblicklichen Unmutes eine Bedeutung boi-
1^, die sie nicht haben, hat der grtifsere Teil seiner Lebens-
beschreibcr aus Reinem Verhältnis zum Hofe einen Mythue
geschmiedet, der ihn zum Älärtyrcr eines nichtswürdigen und
raJänierten fürstlichen Egoismus stempelt, der aber der hi-
storischeu Walirheit nicht entspricht. Der alte Herzog Karl
hat sich gegen seinen BibhotheKarius, dessen gelehrte Kennt-
nisse er bei mehr als einer Gelegenheit iiir seine antiquari-
schen Liebhabereien in Anspruch nahm, eteta wohlwollend
und gnädig bewiesen, und der Erbprinz, dem er seine Stel-
lung verdankte, hat ihn weder als solcher noch später als
Herzog mit dem kleinlichen, heuchlerischen Hasse verfolgt,
den man ihm meistens andichtet und dessen Grund in der
abgeschmackten Annahme gesucht wird, dafs zu Lessluga
Charakterschilderung der Gräün Orsina die Marchesa Bi-an-
coni, die schöne und geistvolle Geliebte des Erbprinzen, Mo-
dell gestanden habe. Das spätere Verhältnis beider Männer
war allerdings ein sehr kühles. Das erklärt sich aber ein-
fach daraus, dafs ihre beiden Charaktere sicii abstiefsen und
Lesslng eine viel ssu stolze und selbständige Natur war, als
dafs er zum Hofmann sich geeignet hätte. Noch in dem
leidigen, so vielen Staub aufwirbelnden Fragmentenstreite
ist der Herzog am Regenaburger Reichstage in freilich vor-
Mchtiger, aber durchaus loyaler Weise iür Lessing einge-
treten.
Die Regierung des Landes lag zu Karls I. Zeit tast aua-
achJiefßlicIi in der Hand des Ministers Schrader von Schlie-
atedt, eines Mannes, reich an schöpferischen Ideen, aber, wie
es bei solchen Naturen zu sein ptlegt, ohne die zähe Krat\,
sie durchzuilihreu. Wir haben der mancherlei Reformen
früher gedacht, die durch ihn ins Leben gerufen wurden
tind deren Seele er war. Man rauJs aber nicht meinen, dafs
er unumschränkt und allmächtig regiert hätte. Der Herzog
Belbst, 80 leichtlebig und sorglos er war, bekümmerte sich
bis in sein Alter hinein in anerkennenswerter Weise selbst
um die gröfsten Kleinigkeiten der Verwaltung. Alles mufste
ihm vorgetragen werden, und es ist zu bewundern, mit wel-
cher Gewissenhaftigkeit er sich nach jeder Richtung hin
»einer Keg-ierungsautgabe unterzog. Üeit ■w«ä&'Vnv:v^\. «ixöSK
874
Zweites Buch. Vierter Abschnitt.
Thätigkeit war, wie wir gesehen haben, die Finanzverwalhmg,
aber selbst diese würde sehwerlich ein so dunkeles Blatt in
der GeHchiclite seines Lebens füllen , wenn nicht der ver-
heerende siebenjährige Krieg seine aufanf^lichen Anstrengungen,
die Steuerkrai't des Landes zu erhöhen und den ötaatshaughalt
KU ordnen, vereitelt hätte. Infolge der kriegerischen Ver-
wicklungen, die von seinem Lande fern zu halten nicht
in des Herzogs Macht stand, erwiesen sich alle auf die
Hebung des Wohlstandes seiner Unterthanen gerichteten Ent-
würfe, so zahli'eich sie auch aus dem schöpteriscben Kopfe
Schliestedts hervorgehen mochten, als wonig erfolgreich und
vermochten den fortschreitenden Verfall der Kinanzeu nicht
aufzuhalten. Man würde indes ungerecht urteilen, wollte
man, wie die Zeitgenossen dies zum Teil thaten, die Schuld
daran lediglich dem leitenden Staatsmann zuschreiben. Dieser
war ohne allen Zweifel eine hochbegabte Natur und würde,
wenn die uufseren Umstände ihm günstiger gewesen wären,
zu den ausgezeichnetsten Politikern gezählt werden müssen,
die das Herzogtum je hervorgebracht hat.
Neben Schliestedt stellt sich eine Anzahl von Staats-
beamten, die ihm vielleicht an natürhcher Begabung nicht
gleichkamen, die aber nichtsdestoweniger einen ehrenvollen
Platz in der Reglern ugsgesc hieb te des Herzogs Karl behaup-
ten. Sie sind grofsenteils bereits erwähnt worden. Nur eines
von ihnen möge hier noch etwas eingehender gedacht wer-
den, schon um des Umstände» willen , weil er nach dem
Tode Schliestedts als leitender Minister an dessen Stelle trat
Es ist dies Georg Septiraus Andreas von Praun, der, einem
alten österreichischen Ädelsgeschlechte entstammend, zuerst
(1727) in die Dienste Ludwig Rudolfs zu Blankenburg trat
und dann von diesem bei dessen Übernahme der Rogienmg
in Braunschweig mit nach Wolfenbüttel gebracht wurde. Er
war das Muster eines Beamten alten Stiles. Von ausge-
breiteter Gelehrsamkeit, seltener Berufstreue und flecken-
losem Charakter, hat er in seinem langen Leben in dem
Justiz- und Verwaltungsfach die verschiedensten Ämter mit
gleich grofser Auszeichnung bekleidet, auch aufserhalb des
Landes bei der Führung der seinem lurstUchen Herrn über-
tragenen Ohervormundachaft über den Erbstatthalter von
Holland (1751 bis 176ii) und über die Söhne des Herzogs
Ernst August Oonstantin von Sachsen -Weimar crspriclslichG
Dienste geleistet. Besondere Anerkennung aber erwarb er
sich als Oberaufseher und Vorstand sämtlicher im Lande
^e/indifchen Archive uud Registraturen. Das Landeshaupt-
nrchiv in WolfenbütteV ^at er ^ou^^xuqä. w4.% 'oavi^ ^"»«4^Ät^
n
4
I
L
und als ihm im Jahre 1751 auch die Oberleitung der dor-
tigen Bibliothek übertragen ward, hat er sich auch in dieser
Stellung als einsichtsvoller, unermüdlicher Beamter bewährt.
Am 7. Mai 1770 ward von ihm Lesaiug in sein neues Amt
eingeführt. Auch iu den dreizehn letzten Jahren seines
Lebens , während welcher er als Oeheimerrat und Staate-
minister an der Spitze der Uegierung stand, bUeb er der
treue, arbeitsame, bescheidene Beamte, als welcher er sich
von Jugend aufgezeigt hatte. So konnte er der Wahrheit ge-
mäfs am Ende seiner Tage von sich selbst sagen : „ Mein ganzes
Leben habe ich keinen anderen Ehrgeiz gehabt, als nach
meinen schwachen Kräften und Fähigkeiten meine Pflicht
gegen meinen Herrn, gegen meine Vorgesetzten und gegen
mir gleiche oder geringere Menschen zu erfüllen."
Unter Karl Wilhelm Ferdinaud trat neben dem Herzoge
selbst, welcher der Staatsleitung überall den Stempel seiner
eigenen bedeutenden Persönlichkeit aufzudrücken veretand,
niemand in den Regiorungskreisen so sehr hervor wie der
Freihon- Karl August von Hardenberg, der sich später als
preufsischer Staatskanzler einen so berühmten Namen ge-
macht hat. Hardenberg, der im Jahre 1782 aus den Dien-
sten seines engeren Vaterlandes Hannover zuerst als Kloster-
rat und Mitglied des Geheimeoratskollegiums in braunschwei-
gische Dieuste überging, wurde nach von Prauns Tode (1786)
an dessen Stelle zum ersten Minister ernannt. Er ist als sol-
cher eine kurze Zeit lang im Herzogtunie mit jugendlicher
Lebhaftigkeit tJiätig gewesen. Gleich seinem fürstlichen Herrn
zeigte er sich dabei ganz von den Tendenzen der herrschen-
den Aufklärung erfüllt, als ein warraer Freund und För-
derer der liberalen Ideen, die er auf allen Gebieten des
Staatswesens^ besonders aber im Kirchen- und Schulwesen
durchzutlihrön bemühet war. Ein Gegner des Adelsregi-
raentes und der fendalen Ordnungen, deren Schattenseiten
er als junger strebsamer Beamter in Hannover zur Genüge
kennen gelernt hatte, ebenso abgeneigt dem ortliodoxen Kir-
chentume wie den jedem Fortschritte widerstrebenden land-
ständischen Institutionen, war er begeistert für die Idee dea
ordnenden, gemeinnützigen, seine Fürsorge auf alle Stände
gleichmäfsig erstreckenden Staates, dessen Vorbild er iu der
absoluten Monarchie Friedrichs II. von PreuTsen gerade da-
mals verwirklicht sah. Ihm galt gleich so vielen seiner Zeit-
genoasen eine wohlwollende, möglichst unumschränkte landes-
lUrsthche Gewalt als das Ideal aller Regienmgaformen. Ob-
schon an der Schwelle der gi'ofaen französischen Staatsum-
wälzuDg stehend, hatte er keino A\vnun!^ ^-a^MOiw, ^^ \wäc&.
^
S76
Zwotes Buch. Vierter Abschnift.
eine solche elneame, auf keine hiBtoriscli festgewurzelte In-
stitutionen sich stützende Staatsgewalt von den Wogen einer
demokratisch-revolutionären Bewegung fortgeschwemmt wer-
den kann. Dafa er auch in seinem Privatleben den laxen
Grundsätzen seiner Zeit huldigte, hat sein längeres Verblei-
ben in seiner Stellung in Braunachweig unmöglich gemacht
Die skandalöse Geschichte seiner ersten Ehe, dann seine
rasche Wiederverheiratung mit einer Frau, die sich deshalb
von ihrem ersten Gemahle scheiden liefs, führten hauptsäch-
lich sein Ausscheiden aus dem braunschweigischen Staats-
dienste herbei. Aufser ihm ist unter den Staatsmännern aus
der Zeit der Regienmg Karls I. und Karl Wilhelm Ferdi-
nands noch der bereits erwähnte Föronce von Rotenkreutz
hervorzuheben, der neben der Energie und Festigkeit des
letzteren durch seine geschickte Finanzvorwaltung die Til-
gung der auf dera Lande lastenden ungeheueren Staatsschuld
ermöglichte. F^ronce trat 1748 in braunschweigische Dienste,
wurde zwei Jahre später iniolge seiner erspriefalichen Thä-
tigkeit bei den Friedensverhandlungen von Aachen zum
Legationsrat ernannt, 1761 in den Keichsadelsstand erhoben
und nach dem Tode Scliliestedts zum Geheimenrat und Fi-
nanzminister befördert. Er war es hauptsächlich , der die
verschiedenen Subsidien vertrage zu Karls I. und seines Sohnes
Zeit vei*mittclte und abschlofs: so denjenigen mit England
im Jahre 1759, welcher die Unterhaltimg der braunschwei-,
gischen Truppen während der letzten Hälfte des sieben-
jährigen Krieges ermögUchte, so den schon früher erwähnten
vielgeschmäheten Vertrag mit derselben Macht von 1 776
und endlich den Traktat von 1788 mit den Generalstaaten
der Niederlande, wonach ein braunschweigisches Korps von
3000 Mann zur Bewachung und im Notfall zur Verteidigung
der Grenze den Holländern auf einige Zeit überlassen ward.
Fdronce starb am 19. JuH 1799 als Geheimerrat und Prä-
sident des Kriegs- und Finanzkollegiums.
Das Wirken dieser Staatsmänner in Braunschweig reicht
teils bis nahe an den Ausbruch der französischen Kevolution
heran, teils sind sie selbst noch während der ersten Jahre
der grofsen Bewegung im Amte gewesen. Anders wie in
Hannover, wo der englische Eintlufs dem widerstrebte, fan-
den die Anfange dieser Bewegung, in weicher die Jünger
der Aufklärung die Verwirklichung ihrer politischen Ideale
zu erbücken meinten, in Braunschweig bei Hoch und Niedrig
den begeistertsten Wiederhall. Mehr als anderswo in nord-
deutschen Landen hatten die Ideen und Bestrebungen der
Freidenker und Weltbeglücker \m WetTÄs^VvcoÄ kxWi»^ ^
I
I
FraDBOsciifreundliche Stimtnung in Braunschweig.
377
funden, und es war nur die natürliche Tolge, dafs man jetzt
die Versuche, die Welt nach ihnen umzugestalten; mit Be-
friedigung, teilweise seibat mit Jubel begrül'ste. Die herzog-
liche Familie huldigte, wie wir gesehen haben, in allen ihren
Mitgliedern der neuen Geistesrichtung. Vor allen gab sich
der Herzog Karl Wilhelm B'erdinand, der Neffe Friedrichs
des Grofsen, der Zögling Jemsalems, als ein echter Solm der
Aufklärungszeit, der er doch wieder mit einer gewissen
Skepsis gegenüberstand. Bei den Franzosen selbst genofa
er einer Popularität, wie sie Auslandern eine solche nicht
leicht entgegenzubringen pflegen. Männer wie Condoi-cet
und Dumouriez sprachen von ihm in Ausdrücken höchster
Bewunderung. Man hielt ihn fUhig und dazu bestimmt, der
Wiederhera teller von Europas Freiheit zu werden. Noch in
dem Augenblicke, da der Herzog an der Spitze der verbün-
deten Armeen von Osterreich und Preufsen in Frankreich
einbrach und jenes berüchtigte Manifest erliefs , schrieb
Carra, der Journalist der girondistischen Partei: „Wenn er
nach Paria kommt, so wette ich, sein erster Gang wird zu
den Jakobinern sein, um sich die rote Mutze aufs Haupt
zu setzen." So sehr man sich mit dieser Annahme auch in
dem Charakter und den Gesinnungen des Herzogs täuschte,
so begreift man sie doch im Hinblick auf die Thatsache,
dafg damalö selbst in den Berliner mafsgebcnden Kreisen
das Wort laut wurde: „ Braimschweig sei zum Herde der
Revolution in Deutschland geworden". In der Tbat gab es
unter den bevorzugten Günstlingen des Herzogs Männer,
welche fUr die Thateu und die Helden der französischen
Umwälzung nicht genug bewundernde Worte linden konn-
ten. Einer ihrer Wortführer war Campe, der im Sommer
1789 sich in Begleitung Wilhelms von Humboldt nach Paris
begeben hatte und dann nach seiner Rückkehr über seine
dortigen Erlebnisse Briefe veröffentlichte, die an überschweng-
licher Begeisterung für die jenseits des Rheins durch die
revolutionäre Bewegung geschaffenen Zustande nichts zu
wünschen übrig lassen. Kein Geringerer als Mirabeau, der
grofse Tribun, hatte ihn in die Nationalversammlung zu
VeraaiUes eingeführt. Der sonst so nüchterne vmd trockene
Pädagoge, „der feste und unachwärmeriache Manu", wie
ihn Leasing einmal nennt, wird dxu-ch das Schauspiel, das
sich ihm darbietet, über alle Schranken eines besonnenen
Urteils fortgerissen, llmi, der längst verlernt hat, an Wun-
der zu glauben, treten mit einemmale in den kleinen Ort-
schaften der Provinz wie in der Hauptstadt, va <i^\ ^•a.>äjOTjs\-
versammJuDg wie in den politiaieteniVeu N <^%^r«^\fev». ^*!*»
378
Zweites Buch. Vierter Abflcbnitt.
Palais Royal, in der Bevölkerung, die eben noch eine Herde
von Sklaven war und nun plötzlich frei g'e worden sich als
ein dankendes, sein eigenes WoLI beatiinmcndca Volk er-
weist, greifbare Wunder entgegen, Wxmder, für die ihm nur
die in allen Schichten des Volkes verbreitete Aufklärung
das Verständnis crschiiefst. Ein Tedeum möchte er die
ganze Menschheit anstimmen lassen ob dieser Staatsaui-
wälzung, in der er seit Luthers lieformation die gröfste
Woblthat des Himmels erblickt. Andere litterarische Gröfeon
des damaligen Braunschweig haben freilich nicht mit gleich jüj
beredten Worten die S^nungen der französischen RevoIutioi^H
gepriesen wie Campe, der denn auch unter den auserlesenen^^
Deutschen war, die von der neu gegründeten Republik das
Ehi'endiplom eines französischen Bürgers erhielten ^ aber sie
waren von denselben Gesinnungen und Anschauungen be-
seelt. So Ernst Christian Trapp, früher Professor in Halle,
und Johann 8tuve aus Hamm, beide in das von Harden-
berg geplante ,j Schuldirektorium " berufen, vornehmlich aber
Jakob Mauvillon, Professor der Mathematik am Collegium
Carolinum, der langjährige Freund Mirabeaus, dem er bei
Abfassung seines berühmten Buches „Über die preufsische
Monarchie" wesentliche Dienste leistete, und Karl Heinrich
Georg Veuturiui^ dür Verfasser der „natürlichen Geschichte
des grofsen Propheten von Nazareth", der sich in späteren
Lebensjahren mit den verschiedensten historischen Arbeiten
befafste und unter anderem auch ein „ Handbuch der vater-
ländischen (d. li. der brauuschweig - lüneburgischen) Ge-^^
schiclite^' geschrieben hat. h||
Die Vorliebe, welche Karl Wilhelm Ferdinand für Frank-™f
reich, die Franzosen und französisches Wesen hegte, blieb
sich auch während der letzten zehn Jahre aeines Lebens
gleich, obschon er in den Ki'iegajahren , während des Feld-
zuges iu der Champagne und am Rhein, wohl hätte Anlala
finden können, seine Ansichten in dieser Hinsicht zu andern.
Als der Friede von Basel den französischen Emigranten
ihren früheren Aufenthalt in den rheinischen Fürstentümern
verbot, tJanden sie nirgend bereitwilligere imd entgegen-
kommendere Aufnahme als in Braunschweig , wo sie jahre-
lang, bis zu der Katastrophe von Jena ein eigentümliches,
fremdartiges Element der Gesellschaft bildeten. Abgesehen
von der grofsen Menge der Verbannten geringerer Bedeutung
waren darunter die vornehmsten und gefeiertsten Namen des
alten Frankreich vertreten. In Wolfenbüttel liefsen sich der
Herzog von Castres und der Erzbischof von Rheims nieder,
Braunschweig gewährte den Marschällen Bouille und Piij"- 1
Die französiBche Emigratiou in Braun schivcig.
s4gwr so wie dem Erzhischofe von Bourges, dem Bruder
des letzteren, eine Freistalt, und das Blankenburger Schiefe
wurde so^r dem i'ranzösischen Prätendenten , dem Grafen
von Provence, dem nachheiigen Ludwig XVIII., eingeräumt,
der hier mit zahlreichem Gefotge Hof hielt, bis im Jahre
1798 die energischen Vorstellungen der frauzosischea Re-
gierung seine Übersiedelung nach Hafslaud erzwangen. Lauge
noch erinnerte man sich in ßlankeuburg des kleinen, kor-
pulenten, unbehilf liehen Herrn, der keinen Augenblick still
zu stehen vermochte , sondern bestandig hin und her trip-
pelte, stets von der eingebildeten Furcht vor gedungenen
Mördern gepeinigt, auf seinen Spaziergängen von einem
Schwärm von Herzögen, Marquis und Grafen umgeben, selbst
in diesen Tagen der Verbannung und des Eleudcs ängstlich
darauf bedacht, die steifen Formen der französischen Hof-
etikette zu wahren.
Für das Kurfürstentum Hannover war seit dem Anfange
des 18. Jaiirhundcrts durch seine Verbindung mit England
eine politische Lage geschaften, welche seiner inneren Ent-
wicklung eine von derjenigen des stammverwandten Braun-
schweiger Landes doch in vieler Hinsicht abweichende Rich-
tung gab. Während hier das fürstliche Haus, von dem all-
gemeineu Zuge der Zeit getragen, auf den Trümmern des
alten ständischen Staates zu unbeschränkter Macht empor-
stieg und ein Htaatsweaen begründete, in welchem die stän-
dischen Korporationen nur noch dem Namen nach fortbe-
standen , wurden in Hannover die Anfange einer ähn-
lichen Entwicklung , wie sie bereits durch die Ööhne de»
Herzogs Georg, besonders durch den jüngsten, ins Leben
gerufen waren, infolge der trbcraicdelung des HeiTschorhauses
nach England unterbrochen. An eine Weiterbildung der
monarchischen Einheit im Sinne Ernst Augusts war nicht
mehr zu denken, seitdem sein Sohn als erster König von
Grofsbritannien aus weltischcm Hause seinen Fufs auf eng-
lischen Boden gesetzt hatte. Die Abwesenheit des Fürsten
mufste notwendigerweise das Regiment in die Hand einer
allmächtigen Adels aristokratie legen und den Einiiuls der
Landstände, statt ihn zu schwächen oder gar zu beseitigen,
verstärken. Mit wachsender Eifersucht hütete jetzt jeder
der sechs Landtage, welche die verschiedenen Provinzen des
Kurataatcs vertraten, seine alten Freiheiten und Privilegien.
Erst nach langen Verhandlungen, dio fast fünfzig Jahre
dauerten, wilUgten die Stände des Fürstentums Calenberg ia
die Vereinigung mit den Grubenhagener Ständen zu einer
beide Landschaften umfassenden Korporation. So best
st- j
Zweites Bach. Vierter Abschoitt
der Kurafjiat auch fürder fast aus ebenso vielen gesonderten^
ihre inneren Angelegenheiten aelbständig verwaltenden Pro-
vinzen, wie es ehedem Territorien gegeben hatte. Für die^^
gemcinHamen Angelegenheiten, die äufsere Politik, das Kriegs*^^
wesen nnd teilweise auch die Finanzen, bildete das Geheime- ^H
ratBkollegium in Hannover den einigenden Mittelpunkt, doch
hatte sich der König fiir wichtige Fälle seine persönliche
Entscheidung vorhelialten, zu welchem Zwecke seit Georg UI.
in London die deutsche Kanzlei bestand. Dafs ein solches
Regiment seine grofaen Nachteile hatte, leuchtet ein. Es
hinderte das Zusammenwachsen der einzelnen Landschaften
zu einem geschlossenen Staatswesen, beförderte in ihnen
einen kleinlichen, verkümmernden Partikularismua, zog eine
engherzige und selbstslichtige Aristokratie grofs und er-
schwerte bei etwaigen auswärtigen Verwicklungen den oft
notwendigen raschen Kutschlufs und die zugreifende Initiative.
Das Bedenklichste war vielleicht die Abwesenheit des Monar-
chen. Zwar besuchten die beiden ersten englischen Könige
aus dem Hause Hannover noch öfter ihr Staramland, hielten
sich auch wohl längere Zeit dort auf, aber seit Georg HL
ging die lebendige Kraft des monarchischen Willens hier 60 1
gut wie völlig verloren. Obschon in Wahrheit eine Adeb-'
aristokratie das Land regierte, hielt man doch ängstlid» an
den monarchischen Tra<litionen lest. War der Landesfürst
auch iern, kam er auch in der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts nur ab und zu in sein deutsches Heimatland, be-
trat er auch in der letzten Hälfte desselben nie mehr den
deutschen Boden, so wurde doch ein vollständiger Hofstaat
mit zahlreichen Sinekuren, gleich als wenn er im Laude re- ^H
sidiert hätte , für ihn gehalten. An gewiesen Oalatagen ^H
pflegte der Adel zu feierlicher Kour bei dem doch abweaen- ^
den Könige sich in Herrnhausen zu versammeln. Aber
von einer eigentlichen Hofhaltung oder gar von einem Ein-
flüsse des Hofes auf die höheren iind mittleren Kreise der
Gesellschaft, wie in Braunschweig, kann keine Rede sein.
Dennoch hat die politische Verbindung Hannovers mit Eng- ^M
land auf diese Kreise eine gewisse Rückwirkung geäufaert ^K
Die Hannoveraner empfanden es mit einer Art von patrio-
tischem Ötolze, dafs ihr KurfUrst auch den Thron einer der
ersten Weltmächte innehatte, sie Itihlten sich durch das
Band, welches sie mit dem britischen insellando verknüpfte,
gehoben, ein Abglanz von der Macht, der Gröfse und der
politischen Freiheit des englischen Volkes schien auch auf
sie zurückzustralilen, und m\\. Wwuudernder Verehrung
wandten aie ihre BUcVe \m\ü\ieY ^äOcv Äicki »ft.wfjVi^^lÄi^a
I
I
I
I
Kelche, dem aie eine llerrscberfamilic gegeben hatten. Sol-
chea Einflüssen vermochten sich selbst Leute nicht zu ent-
ziehen, deren kerndeutsche Gutiinnung auCscr allem Zweifel
steht. So kam es, dafä im Gegensatze zu den übrigen
deutäcben Ländern, uamentlich auch zu dem Ilerzogtume
Braunschweig, in Hannover statt der Bewunderung und Nach-
ahmung des ti-anzüsischon eine ebenso starke Vorliebe für
engUaches Wesen Platz griff. Nicht nur in der hannöv-
rischen Aristokratie, sondern auelx in den Kreisen der Be-
amten- und Gclehrtenwelt machte sich diese Anglomanie
geltend. In den höheren Schulen des Landes ward neben
der französischen auch die englische Sprache als Unterrichts-
gegenstaud eingeführt, englische Sitten und Lebensgewohn-
heiten drangen vielfach auch in das Privatloben ein, und
selbst die Historiker und Ötaatsrechtelehrer der Göttinger
Hochschule konnten sich dem von England ausgehenden Ein-
flüsse nicht entziehen. „Wir sind ja hier", sagte Spittler,
„so gerne Halb -Engländer, und gcwifs nicht blois in Klei-
dung, Sitte und Mode, sondern auch im Charakter."
Zum Teil ist in den liier angedeuteten Verhältnissen der
Grund zu suchen, weshalb die moderne Aufkläi-ung, wie sie
sich namentlich während der letzten Hälfte des Jahrhunderts
über Deutschland verbreitete, in Hannover bei weitem nicht
in demselben Umfange einzudringen und die herrschende
geistige Macht zu werden vermochte, wie dies anderwärts
geschah. Aber auch andere Momente haben dazu mitge-
wirkt, dies zu verhindern. Es fehlte hier mit dem Füisteu'
hause der geistige Mittelpunkt, durch dessen Beispiel und
Einwirkung sich, wie in Braunschweig, die neue Richtung
hätte verbreiten können. Auch der nüchterne, verständige,
vorwiegend auf das Praktische gerichtete Sinn des Volkes
widerstrebte den fantastischen, windigen Beglückungsplänen
der Aufklärer. Diesen staatserhaltenden Sinn des hannöv-
Hscheu Volkes hat selbst ein ]\[ann , dem man sicherlich
keine Voreingenommenheit fii r die damaligen Zustände in
den deutschen Kleinstaaten zuschreiben wird, mit beredten
Worten anerkannt. „Alles", sagt er, „was ein Volk ttir
die Kämpfe des Staatslebens ausrüstet, strenges Kechtageiuhl
und ausdauernde Wülenski-aft, Tapferkeit und Freimut, ge-
sunder Menschenverstand und ein sicherer Blick für das
Wirkliche, war dem Niedersachsen in die Wiege gebunden."
Dazu kam, wie bereits bemerkt worden ist, die langjährige
Verbindung Hannovers mit England, die in den fähigeren
Köpfen des deutschen Kurlandes doch eine reifere Anschau-
ung von den politischen Dingen eTTteu^e, «Iä %v^ "vö- ^«sö-
L ung von den politischen Dingen eTTteu^e, ää %v^ vö- wo- ,
8S2
Zweites Bach. Vierter Abschnitt
meisten übrigen deutschen Ländern zu finden war. Unter
den Wortführern der Aul'klärung waren freilich auch ein-
zelne Hannoveraner, wie der schon erwähnte Freiherr Adolf
von Knigge, der Veri'asser des bekannten Buches „ Über den
Umgang mit Menschen '*, ein überaus fruchtbarer und rüh-
riger Vielschreiber, der abgesehen von anderen Schriften
ähnlicher Tendenz in „Benjamin Nordmanns Geschichte der
Aufklärung in Abyssinien" den Versuch gemacht hat, eine
Art von Musterstaat aus reinen Naturrechts- und nüchternen
Zweckmäfsigkeitaprinzipien zu konstruieren, aufgebauet auf
urwüchsigem, von allem historischen Gestrüpp gesäuberten
Boden, ein Phantasiebild , ganz und gar gedacht im Geiste ^J
der seichten modernen Aufklärerei. Aber nirgend in deut- ^M
sehen Landen haben die MUnner dieses Schlages einen ent- ^n
ßchiedeneren und gewichtigeren Widerspruch getünden als
in Hannover. Trotz der auch hier vielfach verbreiteten
aufklärerischen Ansichten regte sich in vielen ruhigen und
klar denkenden Köpfen eine entschiedene Opposition gegen
die von den Dichtern und Philosophen vertretenen Ideen
und fand ihren Ausdruck in einer Anzahl von Schriften, die
mit geringerem oder gröfserem Krfolge namentlich die An-
wendung der neuen freidenkerischen Ansicliten auf die
staatlichen Verhältnisse bekämpften. Gegen Knigge schrieb
der berühmte königliche Leibarzt in Hannover Ritter von
Zimmermann. Er nannte ihn einen der schlauesten und ge-
ßlbrlichsten Volksaufwiegler in Deutscliland. Unberufene
Federn mischten sich in diesen litterarischen Streit , der
schliefölich zu einem mehrjährigen, iui* Zimmermann un-
günstig verlauienden Prozesse führte. Von grofserer Bc- ^J
deutung war eine Anzahl von hannövrischen Scbriftstellernf ^H
die, an eine methodische Behandlung staatsrechtlicher Gegen- ^^
stände gewöhnt, den Schönrednern und Schwärmern in der
vollen Küstung einer zwar etwas schwerf^gen aber darum
nicht weniger gewichtigen Wissenschaft entgegentraten. Es ^j
waren das zum Teil recht eigentlich die Vertreter des alt- ^M
hannövrischen bürgerlichen Beamtentums. Zu ihnen gehörten ^^
der Geheime Kabinetssekretär Ernst Brandes, der, ein jün-
gerer Freund Edmund Burkes und von diesem angeregt,
die neumodischen staatsrcclitlichen Lehren hauptsächlich in
der Schrift „Über einige Folgen der französischen Revo-
lution mit besonderer Rücksicht auf Deutschland" erfolgreich
bekämpfte, sowie der spätere Kabinetsrat A. W. Rehberg,
der unermüdlich war, in zahlreichen Bücherbesprechungen
ein konservativ- fceisinnigea System von politischen Ansichten
zu entwickeln und den geTpT\eae\ifeti. koÄOaa»».'a^'& der frftn-|
Verscluedene geistige and poliüsche Strömungen in Hannover. 88B
r
I zösischen Vylkerbeglücker gegenüber zu verteidigen. Nir-
I gend aber l'and man während der Jahrzehnte, die der tran-
r zÖRischen Revolution unmittelbar vorhergingen, entschiedenere
Wortluhrer dieser konservativen Richtung als in Göttingen.
Die dortige Universität erwies sich als die Hochburg eines
besonnenen staatserhaltendcn Geistes iind seiner wissenschaft-
lichen Vertretung. Nicht mit Unrecht hat man gesagt, dafa
von hier ans damals das Beste geschah, um die Deutschen
über Staats- und Regierungsweseu der Gegenwart, über den
Wert staatsbürgerlicher Freiheit, sowie über die Bedeutung
derjenigen Macht die Augen zu Öffitien, iiir welche dann
später der Ausdruck „öffentliche Meinung" aufkam. Um
dÖcs nicht übertrieben zu finden, braucht man nur an Scblö-
zer und Öpittler zu denken , welche beide damals in der
Vollkraft ihres Wirkens standen, jener mit Recht als der
Vater der deutschen Publizistik gepriesen, dieser Historiker
und Politiker zugleich, ein ächriltsteller, der die Ereignisse
der Vergangenheit mit ebenso sicherem Blick zu erfassen
wufste, wie er mit Verständnis und seltener Unbefangenheit
die Zustände der Gegenwai't beurteilte.
Aber nicht nur durch Wort und Schrift suchte man in
Hannover dem Eindringen der neuli-auzösischen staatsum-
I stürzenden Lehren zu begegnen, auch auf dem rein prak-
I tischen Gebiete trat man ihnen mit Entschiedenheit ent-
I gegen. Namentlich ist hier gegen Ende des IH. Jahrhunderts
der immerhin bemerkenswerte Versuch gemacht worden, den
Bestrebungen zu wehren, welche die Treue und Zuver-
lässigkeit der deutschen Truppen zu untergraben suchten.
Die Freunde des Umstui-zes sahen in ihnen die Hauptstützen
der bestehenden Ordnung und waren daher beflissen, sie
ihren geschworenen Eiden abtrünnig zu machen, sie zu Ab-
fall und Verrat zu verlocken und nach dem in Frankreich
gegebenen Beispiele mit ihrer Hilfe die staatliche Ordnung
in ihrem Sinne umzuwandeln. Diesen Bestrebungen entgegen
zu wirken, war der Zweck eines von dem General von
Freytag, einem Veteranen aus dem siebenjährigen Kriege, ins
Leben gerutbnen militärischen Vereins. Mit Bewilligung des
Königs und Kurfürsten wurden sämtliche Offiziere des Lan-
des aufgefordert, dieser Vereinigung beizutreten, als deren
Aufgabe es bezeichnet ward, die deutschen Heere vor der
Zersetzung durch die revolutionäre Propaganda zu bewahren,
den Aufwieglern, Aufklärern und Verführern der Truppen
entgegenzutreten und jene namentlich auch durch schrift-
stellerische Thätigkeit der Offiziere über ihre soldatiacUeu
Pflichten zu belehren und sie in Wiueia lu ftNäxV^tv. ^^ä ^>üäc&j£.
ZbuIm Baek. Titrier Ahachutt.
den Veraoe aogv «De grölsere AsadeKnoiig so gebeu^ ihn
über gans DestBehlsDd nad die ■■rfcrtoipqtiAm' Kronliiida
Oaterracfas aa -vcrfaraten. Ein daattb vki gdiesenes Wener
Blatt i'-T^" din nk den Woctn, „ dals die humörrischea
Offiaiere den benfiduten Lohn ikrer Bemäbuugen darin er- ^y
blicken warden, wenn aUe ibre Kameraden in ganz Deutsch- ^M
land, Ungarn und dea Kiederianden aie mit ihrem Beitritt ^^
beehren und ihnen heirtchen volUen, die Hordbrenner an 1
VMnicbten." !
Unter den hannÖTziadkcn StaatamäaDcni nimmt in der j
ersten Zeit dieser Periode Andreas Gottbeb ron Bemstorff
eine hervorragende Steile ein. Er sUnunte aus einer mecklen- I
bnzgiacheu Familie, trat dann aber in die Dienste des Herzogs |
Georg Wilhelm von Celle und kam nach dessen Tode an ||
den Hof von Hannover, wo er nach dem Ableben dea Gra-
fen Platen (1709) zum leitenden MiniatpT erhoben ward.
£r wttiste sich bald das Vertrauen des Kortiirsten Georg
Ludwig in so hohem Grade zu gewinnen , da& alle wich-
tigen Regiernngsgeschäfte durch seine Hand gingen. Der
kalte und verschlosaene Fürst ^tand inbezug auf politische
Dinge völlig unter seinem üinllusse. „Obschon er von Zeit
zu Zeit Widerstand ertahrt" — so äuisert eicli der Feld-
marschall von der Schulenburg über ihn — ^ „kommt er
doch immer zum Ziele, imd der KuHurst mols thun, was er
wilL" Als Georg Ludwig Hannover verlieü, um den eng-
lischen Thron zu besteigen, begleitete ihn Bemstorff nach
London, von wo aus er die ganze R^ening des Kurtursien-
tums leitete. Hier ist er auch 1726, ein Jahr vor seinem
königlichen Herrn, in hohem Alter gestorben. Neben ihm
verdient von den geheimen Räten in Hannover Johann Kaspar
von Bothmer erwähnt zu werden. Er hatte dem kurfürat-
lichen Hause schon bei den Mheren Verhandlungen über
die Thronfolge in England die wichtigsten Dienste geleistet
und hatte dann nach dem Tode der Kurfiirstin Öoplue aufs
neue Gelegenheit, seinen politischen Takt und seine Um-
sicht zu bewähren. Die Königin Anna und Bolingbroko
machten damals erneuete Anstrengungen zugunsten des Prä-
tendenten. Den Whigs schien die Gefahr, welche infolge
dieser Zettelungen die ii-üheren Beschlüsse des Parlamentes
und damit die hannövrische Succession bedrohote, so grofs,
dafs der Herzog von Marlborough, der sich zu dieser Zeit
in Antwerpen aufhielt, daran dachte, mit holländischen und
hannövrischen Truppen in England zu landen, um die Kö-
nigin Anna zu formeller Anerkennung der Nachfolge Georg
Ludwiga zu nötigen. Bo\\vTQeT, ^et ^ftQ.feli^K <i\'a»% solchen
Die haDnö%Tis<:faeu Staatsmänner de» 18. Jahrhunderts.
gewaltsamen Vorgehens richtig erkannte und nur von dem
Verharren auf dem gesetzlichen Wege die Erfüllung der
hannövrischen Hoffnungen erwartete, wufste dies zu ver-
hindern. Als dann noch in demselben Jahre die Königin
Anna starb, eilte er, der erste von den hannövrischen Staats-
männern , mit unumschränkter Vollmacht verschon , nach
London. Er benahm sich bei dieser Sendung mit Umsicht
und Mafsigung. Bolingbroko wurden die Staatssiegel abge-
nommen f sein K'ablnet vere^iegelt und er selbst durch den
Grafen Oxford in Anklagestand vei*setzt, ein Verfahren, dem
er sich durch schleimige Flucht nach Frankreich entzog.
So sicherte Botlimer die ruhige und ungestörte Thronbe-
steigung seines Herrn in England. Für solche Verdienste
sah er sich durch seine Erhebung in den Reichsgrafenstand
belohnt, die im Jahre 1715 erfolgte und mit der eine be-
deutende Dotation verbunden war. Später ward er zum
ersten Minister der kur hannövrischen Lande ernannt und ist
im Jahre 1732 in London gestorben. Auch unter den üb-
rigen geheimen Räten in Hannover gab es zur Zeit Georgs L
tüchtige, in hohem Grade geschäl'takundige Männer, wie den
Vizekanzler Ludolf Hugo (f 1704), der in der Lauonburger
Erbfolgefrage den „Bericht von dem Rechte des Hauses
ßraunschweig und Lüneburg an deren laucnburgiachen Lan-
den" verfafst hat, wie ferner den Präsidenten der Kriegskanzlei
Friedrich Wilhelm von Schlitz-Oörz und den Hofrichter und
Bei^hauptmann Friedrieh Aehatz von der Schulouborg. Sie
rUo wurden aber au geistiger Bedeutung weit überragt von
einem Manne, der aehio Stiwitsl auf bahn zwar noch unter
Georg I. begonnen, aber erst unter den beiden Nachfolgern
desselben seine staatsmäiini sehen Fähigkeiten voll hat zur
Geltung bringen können. Es ist dies der Freiherr Gerlach
Adolf von Miinchhausen, der uua bereits als der eigentliche
Gründer der Universität Göttingen begegnet ist. ^H
Münchhausen entstammte einer althannövri sehen , ur-^^
sprünglich in der Umgegend des Klosters Lokkura begüter-
ten; dana aber auch nach anderen deutschen Ländern , na-
mentlich nach Thüringen und Sachsen verzweigten Familie.
Am 14. Oktober 168H in Berhn geboren, trat er, nachdem
er die Universitäten Jena, Halle und Utrecht besucht hatte,
1716 in hannövrischc Dienste. Georg I. übertrug ihm eine
der Ratöstellen bei dem kurz vorher (1711) gegründeten
Oberappellationsgerichte in Celle. Aber die richteriiche Thä-
tigkeit sagte ihm auf die Dauer nicht zu, und so ward er,
seinen Wünschen entsprechend, im Jahre 172G als Geaandtec
I
Zweilea Buch. Vierter Abschnitt.
Kurhannovers bei dem ReichstAge in Regensburg beglaubigt
Im folgenden Jabrc scbon, als Georg IT. den Thron bestieg,
berief ihn dieser in das Oeheimeratsküllegium , wo er bald
die einflufsreicbste Persönlichkeit wurde. Während der
ganzen Regierang Georgs 11., der ihn ubei-aus hochschätzte,
hat er der äufsercn wie der inneren Politik des Kurstaates
Ziel und Richtung gewiesen. Jene ward freilich, wie wir
wissen, damals noch mehr als zu .inderer Zeit durch die
Interessen Englands, denen auch Miinchhauscn nicht zuwider
zu handeln vermochte, bestimmt. Er war, wie die meisten
hannövrischen Staatsmänner, durchaus reichsfreoudlicb gesinnt
und neigte sich daher in den kriegeriscLen Wirren, die das
Jahr 1740 einleitete, auf die Seite Österreichs und seiner
jugendlichen Beherrscherin, deren Gunst er eich in hohem
Grade erfreuete. Als dann nach dem Beginn des sieben-
jährigen Krieges der Kurstaat vor die Wahl eines Bünd-
nisses mit Preufsen oder mit dessen Gegnern gestellt ward,
hielt er anfangs an der Meinung fest, es wäre möglich, die
kriegführenden Mächte, namentlich auch Frankreich, zur
Achtung der hannövrischen Neuti'alität zu bestimmen. Auch
er meinte im Vertrauen auf die Macht staatfirechtlicher For-
men Hannover vor dem Kriege und damit vor den Gefahren
einer feindlichen Invasion bewahren zu können. Ala er
sich überzeugen rauTste , dafs dies ein Irrtum sei , hat er
mutig den Ereignissen die Stirn geboten. Während die Mehr-
jiahl der geheimen Räte nach der Schlacht bei Hastenbeck
die Hauptstadt veriiefs und sich nach Stade flüchtete, blieb
er auf seinem Posten und suchte nach Kräi'ten die dem Lande
aufgebürdeten Lasten zu erleichtern. Georg IL erkannte die
grofsen Dienste, die Münchhausen während des siebenjährigen
Krieges dem Lande lei&tete, an, indem er ihm bei seinem
Tode die Summe von 20 000 Thalern vermachte. Nach dem
Kriege und in der langen Friedenszeit, die diesem folgte,.
war ihm während des ersten Jahrzehnts der Regierung
Georgs III. noch vergönnt, sich eifrig an dem Friedena-
werke mit zu beteiligen, welches die Spuren des Krieges zu
verwischen bemühet war. Als Kammerpräsident, wozu er
schon im Jahre 1753 ernannt wai', stand er an der Spitze
der ganzen inneren Verwaltimg. Seiner geschickten tmd
gewissenhaften Aratslulirung hatte man es zu danken, dal»
die Verpachtung der Kammergüter um 100000 Thaler mehr
einbrachte als früher. Der Hebung der für Hannover so
wichtigen Landwirtschaft widmete er eine besondere Auf-
merksamkeit. Das im Jahre 1735 errichtete Landgeatüt in
CW/e, das den Ruhm dev \i&tiiiki"»iT\adfts& '^Ifct^'Ki.ViQ.ht
ierhannoTriecB
egreniDg.
gründet hat, erü-euete sich eeiner besonderen Fürsorge: nach
den ersten dreileig Jahren seines Bestehens war die Zahl
der Beecbäler bereits auf das Vieriache gestiegen. Auch die
Weserschleuse bei Hameln, ein für die damalige Zeit grofs-
artiges Werk, ist unter seiner Leitung erbauet worden. Für
die Hebung und Ausbildung des Beamtenstandes, der von
jeher mit Recht der Stob des Hannoveraners gewesen ist,
für die Forderung des Schul- und Kirchenwesens ist er mit
rühmlichem Erfolge thätig gewesen. Das schönste Denkmal
aber hat aich aoiu vielseitiger, reichbegabter Geist in dem
Anteüe errichtet, den er an der Gründung der Universität
Göttingen genommen hat, von der in der Tbat das Wort
gilt, dafs sie seine ureigenste Schöpfung ist
Fast während eines ganzen Jahrhunderts, von der Thron-
besteigung Georgs I. in England bis zur Eroberung des
Kurstaates durch die Franzosen im Jahre 1803, ist weder
in der Organisation der Regierung noch in dei- Verfassung
des Landes eine wesentliche Veränderung erfolgt Mit der
dem Niedersachseu augeboi'encn Zähigkeit hielt man in Han-
nover an dem fest, was man von den Vätern überkommen
hatte. Weder das Beispiel des grofsen Friedrich in Preufsen
noch die Lehren und Forderungen der zahlreichen Jünger
der Aufklärung vermochten daran etwas zu ändern. Im
Vollbesitz einer unbestechlichen Rechtspflege und stolz auf
die Unbescholtenheit seines Beamte nstandes, setzte der Han-
noveraner allen aufdringlichen Neuerungen ein unbezwing-
liches Mifstrauen oder selbst eine entschiedene Abneigung
entgegen. Dieser stark hervortretende konservative Zug,
noch mehr die SchweriHlIigkeit und Unbeholfenheit der Re-
gierungsmaschiuc haben vielfach die Hpottlust und den Tadel
dei* Zeitgenossen und der Kachwelt erregt Man gefiel
sich darin, das hanuövrische Volk als weit hinter den be-
rechtigten Anforderungen der Zeit zurückgeblieben, seine Re-
gierung, — „ces maudites perruques d'Hannovre", wie Fried-
rich der Grofse sich auszudrücken liebte — als eine ver-
knöcherte, in den starren Formen der Vergangenheit stecken-
gebliebene Gesellschaft zu bezeichnen. Aber diese Urteile,
obechon sie nicht ganz unbegründet waren, tragen doch den
Stempel der Übertreibung an der Stirn. Das Volk hing
mit treuer Liebe an seinem Herrscherhauses mochten dessen
Mitglieder aach nicht mehr in seiner Mitte Hof halten. Es
fühlte sich nicht durch unerschwingliche Steuern bedrückt
und erfreuete sich einer wohlwollenden, gerechten und mit
seinen Bedürfnissen vertraueten Regierung. Auch ist zur
Förderung der Laudeskultur, zur Hebung von ludustrift ^i3QÄ.
k.
Werter
Gewerbe wähi-encl des 18. Jahrhunderts manches geschehen,
mancher erfreuliche Fortschritt auf diesen Gebieten zu ver-
zeichnen. Die so wichtige WegebesFcrung fing erat jetzt
an, einige Bedeutung zu erlangen. Die ält*»te Wegeordnung
vom Jahre lti9l wurde durch eine neue verbesserte vom
18. März 1738 aufgehoben, und seitdem wurden noch meh-
rere andere ergänzende Ordnungen in den Jahren 1751,
1754 und 1763 erlassen. Alle diese Verordnungen beziehen
sich nur auf Anlegung und Besserung der Heer- und Land-
strafson. Ihre Kosten fielen den Gemeinden, durch deren
Gemarkungen sie sich hinzogen, zm* Last. Erst einige Jahre
nach dem siebenjährigen Kriege (1768) begann man auch
wirkliche Kunststrafsen (Chausseen) zu baueu. Die beiden
erstcu von ihnen, die im Laude angelegt wurden, verbanden ^j
die Hauptstadt einerseits mit Hameln, anderseits mit Göt-^H
fingen. Auch für das Deichwesen, das für ein Land wie^B
Hannover kaum von geringerer Wichtigkeit ist als tUe An-
lage und Besserung von Verkehrswegen, hat diese Zeit eine
Reihe von neuen zweckmäisigeren Ordnungen geschaffen.
Das Fürstentum Lüneburg erhielt 1748 eine verbesserte
Deichordnung und 1785 in Rücksicht auf die Doichstrafen
an der Oberelbe ein neues Regulativ. Ebenso wurden für
das Herzogtum Bremen im Jahre 1743, für Lauenburg im
Jahre 1753, für die Grafschait Hoya endlich im Jahre 1775 »i
neue zweckmäfsige Deich Ordnungen erlassen. ^H
Die Landwirtschaft machte in dem hannövrischen Knr-^H
Staate w&lirend dieser Periode wohl einige Fortachritte, doch
waren diese bei der ihr gerade nicht günstigen Bodenbe-
schaflPenheit eines grofsen Teiles des Landes nicht bedeutend.
Wohl verschwanden jetzt die letzten Spuren der Verheerung,
welche der dreifsigjührige Krieg angerichtet hatte, wohl ho-
ben sich in den von der Natur begünstigteren Gegen-
den Ackerbau und Viehzucht, aber in anderen weitgedehnten
Lands tiichen, wie in der Lüneburger Heide, mufste man sich
im wesentlichen nach wie vor mit dem genügen lassen, was
die Katur aus freiem Willen spendete. Anders war es mit
den ausgedehnten Mooren, die einen grofsen Teil des Lan-
des erfüllen. Hier erofinete sich der Arbeit des Menschen
ein weites, flir die Zukunft vielversprechendes Feld. Schon
zur Zeit Georgs H. richtete sich die Aufmerksamkeit der
Regierung auf diese Gegenden. Im Jahre 1750 nahm die
Moorkultur im Herzogtume Bremen ihren Anfang, sie ward
dann aber nach kurzem Betriebe durch den Ausbi*ucb des
siebenjährigen Krieges wieder brachgel^t. Indes begana
man schon im Jahre \Tt>^ voti ivewam mit dem Anbau der
Landeskultur. Moorkolouieu.
38»
breiniacUen Moore. Der Erfolg war so günstig, dal's nach
dreiundzwauzig Jahren mehr ajs 38 000 Morgen Moorland
angewiesen werden konnten, so dafs sechsunddreifsig Dörfer
acgelegt wurden und fast dreitausend Menschen hier ihren
Lebensunterhalt fanden. Diese Kultur hat dann in kurzer
Zeit rasche und bedeutende Fortsctiritte gemacht. Öehon
sieben Jahre später (17«9) betrug die Zahl der angewiescüen
Morgen 51868 und die in den Moorkolonien angesiedelte
Bevölkerung hatte sich auf 4671 Köpfe gehoben. Und so
ging es auch in den folgenden Jahrzehnten, welche einen
zwar nicht in demselben Mafse aber doch stetig fortschrei-
tenden Zuwachs des dem Moore abgerungenen Kulturlandes
und eine ilim entsprechende Zunahme der Bevölkerung in
den bremischen Amtern Ottei-sberg, Osterholz, Lilieathal und
Bremervörde ausweisen.
Eine weit wichtigere und umfassendere Mafsregel zur
Hebung und Verbesserung der Landwirtächaft, die nicht ein-
zelne noch unbcbauetu und wenig genutzte Landstriche be-
traf, sondern die Gesamtheit des Kurötautes ins Auge fafste,
war die Gründung der „ königÜch-kurfürstUch braunschweig-
lUneburgischeu landwirtschaftlichen Gesellschaft" in Celle.
Sie entstand nach dem Muster ähnlicher Vereine in England,
und König Georg III. gab persönlich die Anregung zu ihrer
Begründung. Ihre Einweihung erfolgte am 4. Juni ITOi,
dem Geburtstage ihres königlichen Protektors. Auf die Ver-
besserung nicht nur der gesamten Landwirtschaft, sondern
auch auf eine rationelle Bewirtschaftung der Forsten, sowie
auf die Hebung der Manufakturen , der Künste und des
Handels waren ihre Bestrebungen gerichtet. Diese Gesell-
schaft hat in der Folge eine aufserordentlicli segen^^reiche
Wirksamkeit entfaltet, nicht sowohl durcli theoretische Er-
örterungen und Untersuchungen als durch Versuchsstationen,
die sie für alle Zweige der Landwirtschaft ins Leben rief.
Sie verstand es durch ihre Berichte , durcli die zur Be-
lehrung des Bauern3tandes von Zeit zu Zeit herausgegebenen
Hefte, diuch Ausschreiben vun Preisfrageu über den Nutzen
der Gemeinheitsteiluiigen und Verkuppelungen im Lande
einen allgemeinen rühmlichen Wetteifer zu erwecken, dei-
den günstigsten Einflufs auf die wirtschaftUche Entwicklung
der hannövrischen Landbevölkerung geäufsert hat. Männer
wie Weatfeld und Albrecht Thaer, der Herausgeber „der
Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft", haben von
dieser Gesellschaft die fruchtbarste Anregung für ilu-e Thä-
tigkeit empfangen. Was sie von ihren zum Z»vjeO*. ^«äx^^-
reicherung ihrer theoretischen nud ^TaV^wi\iSiM "^«yKCÄsiöÄfc
890
Zweites Buch. Vierter Abschnitt
nach England unternommenen Reisen heimbrachten , das '
snchten sie zu Nutz und Frommen der Landwirtschaft ihres
Vaterlandes auszubeuten und zu verwei-ten. So kam es, dafs
der von der Natur in vielen seiner Landschaften nur sehr
stlöfraütterlich bedachte Kurstaat damals inbeaug auf die
Entwicklung und den Stand der Landwirtschaft in gana
Deutschland für eine Art von Musterstaat galt und dafs die
hier bestehenden Einrichtungen in manchen anderen deut-
schen Staaten zum Vorbilde genommen wurden. Auch die
Viehzucht nahm im Lande einen erfreulichen Aufschwung.
Man suchte die auf dem Harze einheimische Race von
Rindvieh durch Kreuzung mit schweizerischem Vieh zu ver-
edeln, die Schatzucht durch Ankauf von Böcken apanischer
Race zu heben. Die gröfste Sorgfalt aber wandte man der
Pferdezucht zu. Auch hier hat das Beispiel und der Ein-
flufs Englands sich geltend gemacht. Von der Errichtung
des Landgestüts in Celle ist schon die Rede gewesen. Man
züchtete hier bald so edele, ausgezeichnete Pferde, dafs, als
Miinchhausen bei den Ki-Önungen der Kaiser Karl VH.
(1742) und Franz I. (1745) in Frankiurt seine Regierung
zu vertreten hatte ^ er nicht blofs durch den Glanz seines
Auftretens, sondern noch mehr durch die hannövrischen Pferde
allgemeines Aufsehen erregte. ^j.
Auch die Gemein deteiiungen, von deren Nutzen tUr die ^H
Landwirtschaft man sich mit der Zeit mehr und mehr Über- ^^
zeugte, wurden damals bereits von der Regierung ernstlich
ins Auge gefafat und erwogen. Im Jahre 1767 geschah
dazu der erste vorbereitende Schritt, Die Regierung erliefs
am 17. Oktober eine Verordnung, welche den Beamten des
Landes anempfahl, die Vorteile der beabsichtigten Teilung
der Gemarkungen allen Amtseingesessenen ausführlich und
eindringlich vorzustellen. Allein bis zur Durchführung der
geplanten Mafsregol war noch ein langer Weg. Man ging
in Hannover in dieser für die Lage der ländlichen BeviÜ-
kerung so wichtigen Angelegenheit doch nur sehr langsam
und bedächtig vor. Erst mufsten vor allem die gesetzlichen
Bestimmungen geschaffen werden, nach denen die Teilung
geschehen sollte. Einer für alle Landscbaflen des Kurstaates
gültigen Verordnung stellte sich aber die grofse Verschieden-
neit der Verfassung und Rechtsgewohnheiten dieser Land-
schaften entgegen, die doch eine Berücksichtigung verlangta
Nicht mit Unrecht turchtete man aus dem Erlafs einer aU-
^meinen Verordnung tiir das ganze Land eine Unzahl von
Äjchtssti-eiten erwacUaeu %\x aeVie\i. Äo Warn ea, dafa von
einer generellen Ordnuiig Itüt Aw Q(*imwK^^v\Ä\K^SÄÄ^Ti. 'li^
Denkschrift Hardenbergfl.
geeehen vnirde und man sich zunächst nur mit einer solchen
Hir das Fürstentum Lüneburg begnügte. Aber auch diese
kam erst zu Anfang des neuen Jahrhunderts (1802) zustande.
Zugleich wurde eine eigene Behörde, das Landes- Okonomie-
KoUegium , zur Ordnung and Überwachung aller bei der
beabsichtigten Mafsregel inbetracht kommenden Angelegen-
heiten errichtet und nahm ihrou Sitz in Celle, dem alten
Mittelpunkte der Regierung für das Lüneburgor Land.
Allein die schon im folgenden Jahre den Kurstaat über-
flutende französische Okkupation verhinderte, dafs die neue
Behörde in Wirksamkeit trat, und die dann folgenden un-
ruhigen und wechselvollen Zeiten waren vollends nicht
dazu geeignet, die hochwichtige Angelegenheit zu fördern
und in erfreulicher Weise weiterzuluhren.
Mancherlei Bestrebungen zur Förderung gemeinnütziger
Anstalten sind aufserdem während der Regierangszeit der
drei George zu verzeichnen. Die FUrsorge der Regierung
erstreckte sich auf die verschiedensten Gebiete. Sie zeigte
sich in der Anlegung von Landeskornmagazinen , durch
welche man den damals noch häu&g eintretenden Kotständen
zu wehren suchte^ in der Errichtung von Brandkassen gegen
Feuerschäden, in der 1790 ins Leben gerufenen Kreditan-
stalt, in den seit 1774 an zahlreichen Orten zum Zweck der
Förderung des Leinenhandels und der Leinen industrie ein-
gerichteten Leggeanstalten. Um gröfsere, tiefer greifende
Reformen, zumal auf dem Verfasaungsgebiete, durchzuführen,
war diese Zeit nicht angethan. Die herrschenden, bevor-
rechteten Klassen widorsti-ebten ihnen, das Volk war, soweit
seine matoriellon Interessen nicht in Betracht kamen, gleich-
gültige und dem fern in England weilenden Könige fehlte
dafür jedes Verständnis. Gegen Ende des Jahrhunderts gab
es unter der jüngeren Generation wolil Männer, die von der
Reformbedürftigkeit der öffentlichen Zustände in Hannover
durchdrungen waren und dieser ihrer Überzeugung auch
Worte liehen, aber wie hätten sie erwarten können, dafs
man ihren Mahnungen Gehör schenke? Im Jahre 17S1 legte
der damals noch im hannövrischen Staatsdienste stehende
Hardenberg der kurfürstlichen Kammer eine Denkschrift
vor, in der er die grofsen und zahlreichen Mängel der da-
maligen Verwaltung in beredten Worten schilderte und die
Mittel zu ihrer Abhilfe nachzuweisen sich bemühote. Er
wendet siel» darin gegen die Unzweckmäfsigkeit der be-
stehenden Steuern, rügt, dafs die Landoskassen höchstens
leidlich, die herrschaftlichen geradezu schlecht verwaltet wür-
den, dafs die Karamerkasse immer tiefet xw^jdtw^Ässo. ^väSä^
dafs die Ersparnisse, die mnn mache, zumeist itir die un-
entbehrlichsten Diuge angeordnet würden, dafs es auf dem
Lande an guten Schulen für das Volk mangele und selbst
der Adel auf den von ihm besuchten Anstalten nur eine un-
genügende Vorbildung für die UniversitÄt erhalte, dafs end-
lich die ganze Landcaverwaltung zu schleppend sei und dem
guten Beamten in der Kegel so wenig ennunternden Dank
wie dem schlechten die verdiente Strafe eintrage. Er fordert^
dals sich die Regierung vor müfaiger Vielgeschät'tigkeit liüte,
namentlich vor unnötigen Sclueibereien, dafs sie desto häu-
tiger die erforderlichen Untersuchungen an Ort und Stelle
vornehmen lasse, dafs die Ausgaben der kurfürstlichen Kassen
den Einnahmen angopafst, diese Kassen aber durch eine
verbesserte Nutzung der Doniänen, durch eine sorgsamere
Pflege des Bodens, durch Belebung des Handels und Fabrik-
weseus, verbesserte Einrichtung der Marställe und Land-
gestüte, durch Verbindung des Bauwesens mit dem Inge-
nieurkoi-ps, sowie durch Einschränkungen im Hofstaate ver-
mehrt würden. Dadurch hofft er einen ansehnlichen Uber-
schufs zu erzielen, der nach Feststellung der einzelnen Etats
und bei guter Staatswirtschaft am zweckraäfsigsten zur Er-
richtung einer Landesbank, zu einträglichen Darlehen und
Ahnhcliera zu verwenden sein würde.
Gröfseres Aufsehen als diese in den Akten der Kammer
vergrabene Denkschriit Hardenbergs erregte etwas über ein
Jahrzehnt spUter das Auftreten des llolrichters und Land-
rats Friedrich Ludwig von Berlepsch in den Calenberger
Ständen. Auch Berlepsch gehörte zu jener jüngeren Gene-
ration des hannövrischen Adels, die durch Bekämpfung der
Standesvorrechte, durch Beseitigung jeder Willkürherrschaft,
durch eine allgemeinere Teilnahme des Volkes an der Staats-
\'erwaltung bessere Zustände in der Gesellschaft und eine
glückhchere Zeit herbeizuführen meinte. In weiteren Krei-
sen ward sein Name bekannt, als im Jabre 1794 alle An-
zeichen ani' einen baldigen Rücktritt Preufsens von der Koa-
lition gegen Frankreich zu deuten schienen. Damals steUte
er in dem Calenberger Landtage den Antrag, „die von dem
Könige von England als Kuriürsten von Hannover in dein
Kriege gegen Frankreich ergriffenen Mafsregeln als ver-
fassungswidrig zu mifsbilhgeu und die Erklärung abzugeben,
dafs die Einwohner der Provinzen Calenberg und Gruben-
hagen keinen Anteil weiter an dem Keicbskriege nehmen
wollten ". Ja er verlangte sogar, dafs der Kurfürst für die
^^ Calenbcrgsche Nation" eine Seutraiitätserklärung an Frank
Teich senden Bolle : vndiigeii^aWft ^t\ÄT\ i\c\\ %cWv %«nöti^
I
I
1
Stimmungen iu der BcvöUEerang
3»'J
L
sehen werde, mit Frankreich zum eigenen Schutze über einen
Neutral itäts vertrag zu unterhandeln. Als der Antrag nicht
zur Abstimmung gelangte, auch die Regierung von ihm
weiter keine Notiz nahm, veröffentlichte ihn Berlepsch nebst
einer Motivierung und Verteidigung in den Blättern. Darauf
erfolgte im Jahre 1795 seitens dos Ministeriums seine Ent-
hebung aus seinem doppelten Amte. Er aber klagte bei
dem Keichskammergerichte in Wetzlar und erlangte eiu Er-
kenntnis, weiches der hannövrischen Regierung aufgab, ihn
unter Erstattung der Kosten und bei Vermeidung der^ Exe-
kutionsvollstreckung durch Preufsen in alle seine Amter,
Würden und Rechte wiedereinzusetzen. In Hannover küm-
merte man sich nicht darum, sondern brachte die Sache an
den Reichstag. Zugleich ward Berlepsch als Agitator gegen
seinen Landesherrn aus dem Kurstaate ausgewiesen Nun
griff er erst recht zur Feder, und es entspann sich ein publi-
zistischer Streit, der damals ganz Deutschland erregte, eine
Flut von Schriften und Gegenschritten hervorrief und erst
mit der Okkupation Hannovers duich die Franzosen sein
Ende erreichte.
Ahnliche Stimmungen, wie sie hier hervortreten, machten
sieh zu dieser Zeit auch sonst hie und da bei der Bevöl-
kerung des Kurstaates bemerkbar. So grofs bishei- ihr Ver-
trauen in die Mafsi'egeln der Regierung gewesen war und
wie sehr man bei der abgeschlossenen Lage des Landes und
der Art dieser Regierung einem erklärlichen Quietisraus in
politischen Dingen huldigte, ganz unberührt von dem Ein-
flüsse der Ereignisse; die sich jenseit des Rheins Vollzügen,
konnte man doch auch in Hannover nicht bleiben. Selbst
unter der Göttinger Studentenschaft kamen nach der Er-
oberung von Mainz dxirch Cusüne französisch- demokratische
Regungen zutage, die an das Treiben der Mainzer Pati-ioten
hätten erinnern können, wenn sie nicht gjir zu harmlos ge-
wesen wären. Die von imzUhligen Schriftstellern auch in
Deutscliland verbreiteten Ideen von Freiheit, Gleicliheit und
BrüderÜchkeit waren zu verführerisch, als dafs sie nicht auch
schliefslieli bei dem sonst so nüchternen uiedersächsischeu
Volke Eingang gefunden hätten, und je einfacher und fafa-
licher die abstrakte Lehre von den idlgemeiuen Menschen-
rechten erschien , desto bereitwilliger fand sie unter den
Halbgebildeten Glauben. Dazu kam, dafs die Jünger der
Aufklärung, die man ja im wesentlichen gleichfalls Frank-
reich verdankte, längst den Boden iür die Aufnahme solcher
Jdeen vorbereitet halten , dafs der Ciedanke und dve. Ka.-
hänghchkeit an das Vaterland meVr vunöi t&^vc \s«s.\Kt ^'so.
8M
Zweites Buch. Vierter Abschnitt
neuen Evangeliiun dea Weltbürgertums zurücktrat, wonach
der Mensch seine Beatimmung nur losgelöst von den natür-
lichen Bedingungen seiner Existenz, nur frei von den An-
wandlungen eines beschränkten Patriotismus zu erfüllea
vermöge. Als eine natürliche Folge ergab sich daraus die
wachsende Gleichgültigkeit gegen die deutsche Volksart, die
Unter Schätzung des eigenen Wertes, das Dahinschwinden
des vaterländischen Sinnes. Hatte man ü'üher die Fran-
zosen wegen ihrer feineren Bildung, wegen ihrer gewandte-
ren Gesellschaftsformen, wegen der Sicherheit ihres Auf-^j
tretena bewundert, so lernte man sie jetzt als die Vorkäm-^^
pfer bürgerlicher Freiheit, ab die Verkünder der allen Men-^^
sehen angeborenen Rechte, als die geachwoi-enen Feinde aller
Knechtung und tyrannischen Willkür kenneu. Wie die
Apostel eines neuen beglückenden Zeitalters erschienen sie ^j
der nur aUzu glauben sseligeu Menge. ^M
Wenige deutsche Länder sind dann durch die folgenden ^^
Ereignisse in diesem Glauben so grausam enttäuscht worden
wie Hannover und Braunschweig. Nirgend in unserem Va-
terlande ist die Fremdherrschaft liärter, rücksichtsloser und
raubsüchtiger aufgetreten als hier, nirgend auch hat sie
— abgesehen von den linksrheinischen Gebieten — länger
gedauert als in Hannover. Wir haben die schweren Lasten,
die sie beiden Ländern auferlegte, den radikalen Umsturz
der früheren staatlichen Verhältnisse, den sie herbeiführte^
die Neubildungen, die sie au ihre Stelle setzte, bereits in
den wesentlichen Zügen dargelegt. Die letzteren waren nur
von kurzem Bestände und wurden nach Deutschlands Be-
freiung fast gänzlich wieder beseitigt. Es ist daher nicht
nötig, hier nochmals darauf zurückzukommen. Die Bevöl-
kerung beider Länder hatte jetzt Gelegenheit, Vergleiche an-
zustellen zwischen der alten Regiermig, die, mochte sie auch
in mancLer Rücksicht hinter den berechtigten Forderungen
der Neuzeit zurückgeblieben sein, doch in väterlich wohl-
wollender Weise fUr die Bedürfnisse des Landes und Volkes
gesorgt hatte, und zwischen dem Regimente der fremden
Gewalthaber mit seinen hastigen , überstürzenden , in fest-
gewurzelte und zum Teil liebgewonnene Gewohnheiten
sohonungetos eingreifenden Reformen. Niemand wird be-
streiten, dafa manche dieser reformatorischen Mafsr^^eln mit
schreienden Mifebräuchen aufräumten, dafs sie geeignet wa-
ren , langgehegte Wünsche selbst verständiger und patrio-
tischer Männer zu erfüllen. Wenn in dem neugeschaffenen
Ä^Önigreiche Westfalen der KastßTLgeist, in dem der Erb-
adel erstarrt war, gebrocVien, ÖAe N eK.um^tüa'^ , \a. dia das
Daa fremde Regiment in Kassel.
895
^
Iiutitut der Landstände versunken war, beseitigt ward, wenn
die biaherige Zerstücklung der Justiz abgeschafft, durch
Ablösung der Zehnten und Feudallaaten dem Ackerbau neue
Wege eröffnet und durch Aufhebung der Monopole und
Privilegien die Fesseln gesprengt wurden , die bislang
Industrie und Gewerbe eingeschnürt hatten, so waren
das, an sich betrachtet, auch für die alten weltischen Qe-
bietsteile unzweifelhafte Verbesserungen des öffentlichen Le-
bens, deren tio%reifende Bedeutung nicht hoch genug ver-
anschlagt werden kann. Aber diese Reformen wurden mit
schonungsloser Strenge durchgeführt, sie nahmen weder auf
den Charakter des Volkes noch auf dessen geschichtliche
Entwicklung die geringste Rücksicht, sie räumten in der
Weise eines schroffen Radikalismus mit Einrichtungen, die
sich überlebt hatten, auch solche aus dem Wege, an denen
die Bevölkerung lüng und die ihr durch lange Gewöhnung
lieb und wert geworden waren. Und, was dabei vielleicht
als das Üemütigendste und Schmerzlichste empfunden ward,
die Männer , welche diese Reformen durchzuführen hatten,
waren entweder Fremdlinge oder solche Landesangehörige,
die das Volk als Abtrünnige und Verräter an ihrem Vater-
lande ansah. In das Ministerium, welches von dem Könige
noch am Tage seiner Ankunft in Kassel gebildet ward,
sahen sich nufaer einem einzigen Deutschen, dem berühmten
Geschichtschreiber Johannes von Müller, der sich vom bitter-
sten Franzosen hasser zu einem begeisterten Bewunderer buo-
napartischer Völkerbeglückung bekehrt hatte, nur Männer
französischer Nationalität berufen, die, mochten sie auch, wie
Simeon, der Minister des Innern und der Justiz, tüchtige
Beamte sein, weder den Bedürfnissen des Landes noch der
Eigenart der Bevölkerung das geringste Veratändnis ent-
gegenbrachten. Andere , wie der Kriegami uister Lagrange,
standen im übelsten Rufe feiler Bestechlichkeit und sclmautziger
Habgier. An dieser Zusammensetzung und an dieser Natur
der obersten Staatsbehörde änderten auch die später mit ihr
vorgenommenen Verschiebungen wenig. Als der Finanz-
und Handelsminister Beugnot im Frühjahre 1808 nach
Frankreich zui'ückkehrte, trat zwar an seine Stelle ein Deut-
scher, von Bölow, der frühere Präsident der Domänenkammer
in Magdeburg, ein Neffe Hardenbergs, er ward indes be-
reits zu Anfang des Jahres 1811 als angoHiches Haupt der
deutschen Partei entlassen und durch Malchus ersetzt. Auch
Joliannes von Müller hat sich nicht lange in seiner anfäng-
lichen Stellung als Staatssekretär und Miui&lfet Ars» kx&NCTea.
zn bebHUpten vermocht. Im "Fobru&T \%Q% \iJci«TO.^vai. ^a^
das Oeneraldirektorium des öffentlicbeQ Unterrichts und
an seine Stelle trat der Franzose Le Camus, der, zu der
uänilicheu Zeit zum Grai'en von Fürstenstein erhoben, als
eine der elendesten Kreatureu buonaparti&cher Willkürherr-
schai't Tcrhalst war. Während sich qber selbst in diesem
Ministerium noch einige wohlgesinnte und treffliclie AlUnner
befanden, wimmelte dagegen der Hof des leichtfertigen und
verschwenderischen Königs von französischen Abenteurern
und Glücksrittern der schlimmsten Art Alte Bekannte aus
der Zeit seines Seodienstes, wie der zum GrofsmarschaJI und
zum Grafen von VVeUigerode erhobene Kapitüu Meyronnet,
derselbe untäbigc Of^ier, der bei dem Sturme auf Halber-
stadt in die Hände des Herzogs Fnedrich AVilhelm von
BraimechweJg fiel, lustige Genossen seiner früheren Liebes-
abenteuer und Zechgelage , wie der Seh rifts toller Pigault
Lebrun, geldgierige Geschäftaleute, wie der Banquier Laflöche
aus Genua, Schauspieler und Schauspielerinnen, der jüdische
Arzt Abraham Zadig, solche und ähnliche Leute waren die
bevorzugten, täglichen Gesellschafter des Königs. Sie dräng-
ten sich zu den ersten und wichtigsten Plätzen am Hofe und
bei der Verwaltung und vergifteten mit der ihrer Nation
eigentümlichen frivolen Lebeusanschauung die schlichten,
einfachen , treuherzigen Sitten , die sich in weiten Kreisen
des deutschen Volkes, nicht nui- aui" dem Laude sondern
auch in den Städten, damals noch erhalten hatten. Hanno-
ver und Braunschweig litten selbstverständlich nicht in 60
hohem Grade wie die Residenzstadt Kassel von dieser mo-
ralischen Pest, die sich wie ein schleichendes Gut im Lande
verbreitete. Aber auch sie blieben von den schlimmen Ein-
flüssen, die das Beispiel des Königs und seiner französischen
Umgebung ausübte, nicht verschont. Die Sittlichkeit iu
den Städten litt vor allem durch die französischen Garnisonen
und durch den infolge der Handelssperre emporgekommenen
Schmuggel, der kirchliche Sinn, der schon längst durch die
immer mehr um sich gi-eifende Aufkläruug uulergi-aben war^
schwand in diesen Jahren dc8 stetigen Wechsels, der frivolen
Genufssucht, der stets wachsenden Verarmung dahin. Im
schreienden Gegensatze zu der Not der Zeit stand die wilde
Lust und die prahlende Üppigkeit des Hofes, au dem sich
Gastgelage, verschwenderische Feste, Maskeraden, iranzö-
sische Komödien und ähnliche Vergnügungen in ununter-
brochener Keihe folgten. Eine Dirnen- und Mätresaenwirt-
fichaJ't, wie sie bislang selbst an den verrufensten deutschon
liöt'en unerhört gewesen war, u\a.v\ile ?,\c\v \n tVecher, scham-
loeer Weise breit. Dazu. geßcWxc eX^^V öäim\ ^'« ssärtNi-^;
Zu»täude im Königreiche Westfalen.
897
liehe Despotismus eines fremden Volkes, das anders sprach
und anders dachte, und in der hochmütigen Meinung, allein
ira Besitze der Zivilisation zu sein, mit wegwerfender Ver-
achtung auf die Bevölkerung des Landes herabsah. Sprache
und Sitten der biederen Hessen, Westfalen und Nieder&achseu
eracbienen diesen eitlen und eingebildeten Fremdlingen als
barbarisch. Sie hielten es unter ihrer Würde, jene unbe-
fangen zu würdigen oder gar zur Krlernuug der letzteren
die geringste Anstrengung zu machen. Wurden doch die
Angelegenheiten des Landes in französischer Sprache ver-
handelt und entschieden, und schien es doch in der Ord-
nung, dafs die geduldigen Deutschen die gebildete Sprache
der grül'sen Nation sich aneigneten, wozu sich französische
Sprachmeiater in Menge erboten. Es war eine harte, bitter-
böse Zeit, die in diesen Jahren auf dem niedersächsischen
Volke lastete. Die materielle Not wiichs von Jahr zu Jahr,
von Monat zu Monat Handel und Industrie Jageu voll-
ständig darnieder, und mit eisernem Druck zermalmte die
andauernde französische Einquartierung den letzten Rest des
früheren Wohlstandos im Lande. Wie weit dieser in der
Stadt Hannover zurückgegangen war, kann man daraus er-
sehen, dafs nach einem Berichte; Reinhards, des vertrauten
ü'anzösischen Geschäftsträgers am Hofe von Kassel, Leute,
die vorher ein Vermögen von 400 000 Franks besessen hatten,
sich jetzt genötigt sahen, ihr Leinen und ihre Bettwäsche
zu verkaufen, um sich nur den kärglichsten Lebensunterhalt
zu beschaffen. Ein nur einigermafsen wohlhabender Bürger
in Hannover raufste für den Unterhalt der ihm zugewiesenen
Soldaten allein 300 bis 400 Franks monatlich aufwenden.
In Braunschweig wurden die einst so lebhaften Messen so
gut wie gar nicht mehr besucht Bei den hohen Steuern,
der auch hier fast ununterbrochenen Einquartienuig und den
starken Truppendurchmärschen griff die Verarmung in der
Burgerschaft in erschreckender Weise um sich. Die wohl-
habenden Ausländer hatten die Stadt bald nach der Kata-
sti'ophe des fürstlichen Hauses verlassen. Infolge davon sanken
die Mietpreise, viele Häuser wurden fast wertlos, der Hand-
werkerstand verlor seine Nahrung. Im Jahre 1808 schon
gab es einzelne Hausbesitzer, welche, da aie die auf ihrem
Besifztume i-uhenden Lasten nicht zu tragen vermochten, die
Schlüs&el zu ihren Häusern zur Verfügung des Maires stellten.
König Hieronymus selbst schildert im Dezember 1811 den
Zustand seines Königreiches, also auch der ehemals welfiachen
Länder, mit folgenden Worten: „Die Gährung ist auf den
Höhepunkt gestiegen: man hegt die küWAtSö. Ws'Sxoaxv^^'o.
Zwdtes Bacb. Vierter Abschnitt.
und hegt üe mit £egeist«nuig. Mau hält sich das B^piel
öpantens vor, und wenn der Krieg aoabricht, werden alle
Gegenden zwischen Kbein und Oder den Herd eines aUge-
roeinen Anfatandea bilden. Die Hauptarsachen aber dieser
gefährlichen Bewegungen sind nicht allein der H&Ts gegen
die Frauzoäen und der Unwille gegen das Joch der Fremd-
herrschaft, sie liegen noch weit mehr in den unglücklichen
Zeiten, in dem gänzlichen Ktiin alier Klaaaeu, in dem über-
mÄfsigen Druck, den die Abgaben, die Kriegskontributionen,
der Unterhalt der Truppen, die Durchzüge der Soldaten und
die unauBgeaetzt sich wiederholenden Beläaügungen aller Art
ausüben."
Im Frühjahr 1808, kurz vor der Eröfifeung des ersten
„Reichstages'*, unternahm der König mit seiner Clemahlin
eine Rundreise durch einen Teil der ihio zugewiesenen Länder.
Sie ging über Münden, Güttingen, Nordheim nach Braun-
schweig, wo er vom 16. bis zum 21. Mai verweilte. Er selbst
schrieb von hier darüber an seinen kaiserlichen Bruder: „Ich
kann Ew. Majestät nicht sclüldem, mit welcher Begeisterung
ich in allen btädten und Dörfern empfangen worden bin, am
meisten aber in dieser." Pomphafter noch lauteten die amt-
licheu Berichte in dem „Westlaliachen Mooiteur". In Wirk-
lichkeit aber hatte er, abgesehen von den erzwungenen Em-
pfangsfeierlichkeiten, überall oder doch in den meisten Ort-
schal ten eine kühle, zurückhaltende Au&ahme gefunden. Inj
Göttingen hielt es schwer, eine Ehrengarde zusammenzu«
bringen, wie sie doch zu dem vorgeschriebenen offiziellen Em-l
pfangszcremoniell gehörte. Sie mufste schliefslich aus „der in-
teressanten Jugend aller Nationen, die dort studierte", genom-
men werden. Auch in Brauuschweig war der Empfang keines-
wegä so euthusiastiäch, wie man glauben machen wollte. Die
Lebehochs, die erschollen, gingen vorwiegend von dem Jan-
hagel und der Ötrafsenjugend aus. Die rechtlichen Bürger
blieben stumm oder hielten sich in ihren Häusern. JDie
Strafsenbeleuclitung, die am Abende des Einzugstagee statt-
fand, war auf höheren Befelil in Scene gesetzt. Die kleine^
hagere, unbedeutende Gestalt des Königs mit ihrem auslän-
dischen Typus machte inmitten der zwar glänzenden, aber
theatralischen Umgebung eher einen komischen als imponie-
renden Eindruck. An Guadenbe weisen gegen Braunschweig,
die „zweite Residenz seines Landes", liels es der Konig we-
der damals noch später fehlen, aber sie waren, wie dies sedne
Gewohnheit mit sich brachte, höchst zweifelhafter Art. Aus
der bereits von Denou ausgeplünderten Bildergallerie in Salz-
d&blam wurden dem BTo^uivbcV^^^i \&MAföasn. zweihundert
I
Königliche Reisen im Lande.
3«0
Qemälde überwiesen, aber sie wanderten schliefslicb auf Ver-
aolasaimg des Intendanten des königlichen Palastes nicht nach
Braun&chweig) soudem nach Kassel. Einige Jahre später
schenkte der König dann das Lustschlofs Salzdahlum der
Stadt Braimschweig, „um — wie es in der Schenkungsur-
kunde vom 2. August 1811 heilst — der Stadt einen er-
neueten Beweis seiner AfiFektion zu geben und um ihr eine
Beihilfe zu den Ausgaben zu gewähren, welche die Arbeiten
an dem königlichen Paläste (dem ehemaligen herzoglichen
Schlosse) in Braunschweig erforderten."
Nach der Einverleibung auch der nördlichen hannövri-
sehen Landschaften in das Königreich Westfalen führte den
König in den ersten Tagen des August 1810 eine ähnliche
Huldigungsreise in die neuerworbenen Provinzen. Hier aber
war die Stimmung noch ungünstiger als in Göttingen und
Braunschweig. Dem Kabinetsrate Palje, der schon im Fe-
bruar nach Kassel geeilt war, um l^lannover dem Könige zu
Füssen zu legen, wurden nach seiner Rückkehr die Fenster
eingeworfen. Bei der Huldigung am 15. August zeigte sich
nur ein sehr gedämpfter Enthusiasmus. Die städtische Be-
völkerung, die schon früher ihre franzosenfeindliche Gesin-
nung bekundet hatte, trug eine grofse Kälte zur Schau. Alle
Versuche des Königs, den hannövrischen Adel in seine Dienste
zu ziehen, waren vergeblich. Graf Hardenberg, obschon ein
Bruder des Grofsjilgermeisters am westßLlischen Hofe, lehnte
die Ernennung zum ^Staatsrat ab, und ebenso wenig konnten
die früheren kiirh an növri sehen Minister von Arnswald und
von der Decken vermocht werden, die ihnen ungebotenen
Amter anzunehmen. Der König selbst setzte damals mit
prunkenden Worten seinen neuen Unterthanen die Segnungen
einer Verbindung mit seinem Königreiche auseinander und
vcrhiefs ihnen eine neue glückliehe, goldene Zeit, ebenso wie
er es zwei Jahre vorher in Braunschweig gethan hatte. Aber
als er, wiederum zwei Jahre später, zu einer Zeit, da die
Verbündeten eben den Waffenstillstand von Poischwitz ein-
gegangen waren, zum letztenraale eine Heise durch die De-
partements der Ocker, Elbe und Saide unternahm, mufste er
seinem kaiserhcheu Bruder am 16. Juni 1813 von Braun-
schweig aus schreiben: „Ich bin genötigt, auf die Beitreibung
der Kontributionen von den Einwohnern zu verzichten, denn
diese verlassen ihre Wohnungen und töten sich selbst, da
sie aufaerstande sind, für ihre eigenen notdürftigen Bedürf-
nisse zu sorgen." So . weit war es also damals mit den ver-
heifsenen Segnungen der westtUlischen Regierung gekommen.
Das Jahr 180» weckte, wie in ani&r^u ^<i^'wA<ä^tl^it^i^a^-
400
Zweites Buch. \'ierter Abschnitt.
Unda, auch in den ehemals welfischeu Landen verfrtlhete Hoff-
nungen aul die Bei'reiuug von dem mehr und mehr verhafsten
und unerträglich erscheinenden Joche der FremdheiTSchalt.
Namentlich in Braunschweig bemächtigte sich der G-emiiter
eine tieie Bewegtmg, die auf die Kunde von dem Heran-
nahen des berechtigten Erben des Landes zu fieberhafter Auf-
regung wuchs. Die Regierung verdoppelte demgegenüber
ilire Vorsichtsmafsrcgcln. Zu keiner Zeit machte sich der
Polizeidruek in eo gehässiger Weise geltend, umspannte ein
50 dichtes Netz von Spionen und Angebern das Land. We-
nige Wochen vor dem mefceorgl eichen Erscheinen des Her-
zogs Friedrich Wilhelm in Braunschweig erlebte die Stadt
ein Schauspiel, das jedem Patrioten das Herz zusammen-
schnüren mufste. Am 16. Juni wurden die Überbleibsel des
achillschen Korps, soweit sie bei dem Strafsenkampfe in Stral-
sund iu Gelangcuöchaft gefallen waren, nach ßraunschweig
geechaft't. Die elf Offiziere, die sich unter ihnen befanden,
brachte man weiter nach Kassel und von da nach Wesel,
wo sie, als „zur Bande Schills gehörig", unter Bezugnahme
auf ein französisches Gesetz, das auf den Diebstahl mit Ein-
bruch oder den Strafeenraub die Todesstrafe setzte, erschossen
wurden. Diejenigen Teilnehmer an dem Zuge aber, welche
Unterthanen des Königreichs Westfalen waren, wurden in-
folge eines von Kassel eingelaufenen Befehles in Braunschweig
zurückgehalten und vor ein Kriegsgericht gestellt, das sie
sämtlich — vierzehn an der Zahl — zum Tode verurteilte.
Am 18. Juli ward das Urteil zu Bramischweig vor dem
Steinthorc au ihnen durch Ersehiefsen vollstreckt. Wie wenig
aber eine solche Strenge imstande war, den erwachenden
Geist des Widerstandes gegen die fremde Knechtschaft zu
unterdrücken, zeigte sich, als zwei Wochen nach diesem
Blutgerichte Herzog Friedrich Wilhelm mit seiner schwarzen
Schar in die Stadt einzog. Trotz der dringenden Abmah-
nungen des Herzogs beteih'gte sich damals eine Anzahl junger
Bürgersölme an dem ruhmvollen Gefechte bei Ülper. Manche
schlössen sich auch dem Korps bei dessen Weitcnn arsche an, ^J
begierig, die Gefahren, die des gellebten Fürsten noch war-^H
teten, mit ihm zu teilen. ^^
Die Herrschaft der Napoldoniden sollte nicht zu Ende
gehn, ohne auch auf die hölieren Bi Münzanstalten des Lan-
des, das schönste Vermächtnis des vertriebenen Füratenhausftj,
ihre unheilvolle oder selbst vernichtende Einwirkung zu
äufsem. Das einst von Rudolf August uud Anton Ulrich
gegründete Prediger semin ar in Riddagshausen, das dem Lande
eine lange Reihe von wUTÄ\gftTv Oft\s.>X\«^«Q. %«i3wÄssa\V.t hatte,
ÄufbebuDg der ITniversität Helmstedt.
m
wurde auTgehobeu, das CoUegium Carolinum, die bevorzugte
Schöpfung des Herzogs Karl and des Abtee Jeiniaalem, in
eine MiÜtärschuio verwandelt. Der härteste Schlag aber traf
das Braunachwoiger Land durch die Beseitigung seiner älte-
sten, weitaus bedeutendsten und berühmtesten Ditdungsan-
fitalt, der Helraatedter Hochschule. Sie war init unter den
deutscheu Universitäten, die trotz der warmen Fürsprache
Johannes von Müllers während der westläliscben Herrschaft
aufgehoben wiu'den. Die Universität, die freilich seit der
Gründung GöULugens in ihrer Frequenz bedeutend zui-ück-
gegangen war, hatte sich in den leteten Jahrzehnten wieder
gehoben. Aber weder dies noch die dringenden Vorstellungen
ihi'er damals bedeutendsten Lehrer, eines Henke, Häberlin,
Grell und Bruna, die den König Hieronymus bei dessen Auf-
enthalte in Braunschweig im Jahi'e 18ü8 umzustimmen ver-
euchten, noch endlich die flehenden Bitten der durch die Ver-
nichtung der Universität mit dem wirtschaftlichen Ruin be-
droheten Bürgerschaft vermochten das drohende Unheil ab-
zuwenden. In Kassel war die Krwäg^ung mafsgebend, „ dal's
eine zu grofse Anzahl von Universitäten und anderen Unter-
richtsanstalten, welche in einem Mifsverhältnis zu der Be-
völkerung und den Ilillsmittclu des Königreichs stehen wür-
den, in vielfacher Hinsicht für die Wissenschaften und das
wahre Interesse des Ganzen eher nachteilig aU vorteilhaft
sei". Es haben ohne Zweifel aber auch politische Rück-
sichten, der Hals Napoleons gegen die deutschen Ideologen,
die Besorgnis vor dem Geiste, der sich auf den deutschen
Hochschulen zu regen begann, bei dem Beschlüsse mitgewirkt.
So erging denn unteim 10. Dezember 180Ö ein königUches
Dekret, das die Universität tur aufgehoben erklärte und ihre
Schliefsung zu Ende des laufenden Wintersemesters anord-
nete. Am 14. März 1810 fand die letzte feierliche Versamm-
lung der Lehrer und Studierenden in der grofeen Aula des
Juleums statt. Su äel die einst sü berühmte Uoclischule,
nachdem sie über 233 Jahre bestanden hatte, der welschen
Habsucht, Frivolität und Zerstürungsaucht zum Opfer. ,,Die
Stiftung des edlen und frommen Herzogs Julius" — in diesen
Worten fafst ein neuerer Kirchenhistoriker sein Urteil über
die Bedeutung der Helmstedter Universität zusammen — „ist
untergegangen, aber die Früchte, die sie der Wi&aenschaft
und dem Leben getragen, sind nicht vergangen, noch ver-
gessen. Helmstedt war eine der kleinsten unter den kleinen
Universitäten Deutschlands. Mit beBchraukten l^Iitteln in klei-
nem Lande und kleiner Stadt, unter wechselnden und viehach
ungünstigen äufseren Verhältmssen hat die J\YV\.v\s»XÄN^"t<'*ÄSv.
UeinamMaa, BnaBS«hfr.-b»tui&v. ü««c^\cM«. \U.
^i-^^
402 Zweites Bach. Vierter Absdmitt
dexmocli durch den in ihr waltenden Geeist der Freiheit, des
Friedens and des ernsten wissenschaf^üchen Strebens, ge-
pflegt und geschützt und in ihrer Besonderheit erhalten durch
die Liberalität einsichtsvoller Regenten , ihre eigentümliche
Aufgabe erfüllt und an dem gemeinsamen Aufbau protestan-
tischer Wissenschaft und deutschen Lebens, insbesondere an
der Entwicklung der protestantischen Theol(^e und Kirche^
treu und erfolgreich mitgearbeitet."
Drittes Buch.
Die neuere Zeit.
«iS,»
Srster Abschnitt
Vor 184S.
L
Acht Jahrzehnte fast sind seit den grofsen welterschüU
temden Ereignissen, welebe die Herrschaft des ersten Na-
poleon umstürzten und eine neue Ordnung der Dinge in
Europa schufen, dahingeecbwunden : eine Spanne Zeit nur
in der Aufeinanderfolge der Jahrhunderte, aber von tief ein-
sclmeidendcr Bedeutung für die politischen und sozialen
Verhältnisse des Erdteüs. Trotz des langen Friedens, der
zunächst auf die Freiheitskriege folgte, hat das Jahrhundert,
welches jetzt zur Neige geht, die Welt umgestaltet, wie dies
in gleichem Maisc kaum zu irgend einer frülieren Zeit von
derselben Dauer geschehen ist. Liegen auch diese Verände-
rungen vorzugsweise auf den naturwissenschaftlichen Gebieten
und haben sie sich auch hauptsächlich infolge der wunder-
baren Erfolge vollzogen, welche die exakten Wissenschaften
Hand in Hand mit der Entwicklung der Technik errangen,
so ist doch durch ihre Einwirkung auch das politische, mehr
noch das soziale Leben der Völker in Bahnen geleitet, von
denen niemand zu alinen, geschweige denn zu sagen ver-
mag j wohin sie fiihren werden. Deutschland hat sich in
dieser Zeit aus dem lockeren Staatenbunde, zu welchem es
die Bundesakte^ vom y. Juni 1815 verurteilt hatte, unter
Ausschlicfsung Österreichs zu dem neuen deutschen Reiche
zuäaramengfiBchlosson. Nach achwereu Kämpfen im Innern
und endlich nach einem Kriege, der noch einmal der Welt
das ti-aurige Öchauspiel eines blutigen Waffcngangea von
Deutschen gegen Deutsche geben sollte, hat es unter
Preufsens geschickter und kräftiger Fühnmg eine Macht-
stellung in Europa sich erobert, feo gssssB^kSi^ "«jA s^N^äKssä.^
406
Drittes Buch. Erster AbBchnttt
wie sie sich die kühnsten Ho£bungen der Patrioten schwear-
lich je haben träumen lassen. Freilich hat die Nation damit
auch schwere, früher unerhörte Lasten auf sich genommen,
und aus ihrem Scholse selbst ist eine soziale Bewegung ge-
boren worden, die, sollte sie einmal zur Herrschaft gelangen,
mit der Vernichtung alles historisch Gewordenen auch die
Grundlagen jeder menschlichen Kultur und Gesittung zer-
stören und mit eiserner Folgerichtigkeit die Barbarei and
den Despotismus der Massen — den schlimmsten, den ea
giebt — unserem Vaterlande auferlegen würde.
Auch die beiden deutschen Länder, deren geschichtUcher
Entwicklung unsere Darstellung gewidmet ist, haben die
hier angedeutete Umwälzung auf das tiefste erfahren. Das
Königreich Hannover ist infolge der Ereignisse von 1866
aus der Reihe der selbständigen Staaten verschwunden: so-
weit menschliches Ermessen reicht, ist sein Sonderleben da-
mit auf ewig zu Grabe getragen. Und wenn auch dem
Herzogtume Bramischweig, dieser „letzten Scholle weliischer
Erde", wie es ein fanatischer Schwärmer für den deutscheu
Einheitsstaat genannt hat, nach dem Tode seines letzten Her-
zogs nicht dasselbe Schicksal widerfahren ist, so weifs doch
niemand, ob in dem Streite der MeiuuDgen über seine Zu-
kunft die Rücksicht aui' das historische Recht oder die For-
derung der auf Zentralisation des Reiches drängenden Par-
teien schliefslich siegen wird. Unsere Absicht kann es nicht
Bein, die Schicksale beider Länder von der Zeit der Befreiung
Deutschlands bis auf die Gegenwart in derselben Ausführ-
lichkeit zu belmndeln, wie dies mit den früheren Perioden
ihrer GJeschichte geschehen ist. Die Ereignisse, die hier in
Betracht kommen, sind, wenigstens zum Teil, noch so fri-
Bcheu Datums, sie haben in breiten Schichten der Bevölke-
rung ein HO schmerzliches Gefühl zurückgelassen, ihre Be-
urteilung ist noch 80 überwiegend von der Heftigkeit poli-
tischer Parteileidenscbaft beeinliufst, dafs es kaum möglich
ist, sich ihnen gegenüber den ruhigen, unbofangenen Stand-
punkt zu wahren, den der Öeachichtschreiber einnehmen soll
Erst eine spätere Zeit, welche den ganzen Verlauf der Ent-
wicklung, in deren Mitte wir noch stehen, zu überblicken
vermag, wird imstande sein, diesen unparteiischen, wahrhaft
historischen Standpunkt zu behaupten. Ihr müssen wir die
dereinstige richtige Würdiguug dieser Ereignisse überlassen.
Unsere Aufgabe kann höchstens sein, durch eine ganz knapp
gehaltene Skizze der Thateachen die Geschichte der einst-
mals welüschen Länder abztirunden imd zu einem wenigstens
äaTserUchea Abschlüsse zu \)ii\xgd\L.
4
4
i
Der deatsclie Bund. Neuordaungen.
407
^
Das Verhältnis der beiden Länder zu dem auf dem Wiener
Kongresse geschaffenen deutachen Bunde war durch die
Bundesakte geordnet worden. Nach dieser sollten sie, un-
beschadet der Souveränität ihrer Kegenten, Bestandteile des
Bundes bilden. Das nunmehrige Königreich Hannover^ des-
sen Verbindung mit England vollkommen bestehen bliebe er-
hielt nach der Zeitordnung, in welcher die deutscben Fürsten-
häuser die Kurwürde erlangt hatten, in der Reihe der Bundes-
länder den Platz unmittelbar nach Bayern , während dem
Herzogtume Braunschweig zusammen mit Nassau die drei-
zehnte Stelle in der Bundesversammlung zugewiesen ward.
Im Plenum sollten Hannover gleich allen anderen deatschea
Königreichen vier Stimmen, in der engeren Versammlung
aber eine Virilstimme zustehen. Braunschweig fUhrte dagegen
im Plenum zwei Stimmen und in der engeren Versammlung
mit Nassau eine Kuriatstimme. Da die beiden Söhne des
bei Quatrebras gefallenen Herzogs Friedrich Wilhelm noch
minderjähi'ig waren, so übernahm gemäfs den zwischen den
beiden Linien des weifischen Hauses bestehenden Hauaver-
trägen der damahge Frinzregent von Grorsbritanoien , der
nachmalige König Georg IV., die Vormundschaft über sie
und damit die vorläufige Regierung des Herzogtums Braun-
schweig.
Wichtiger noch und bedeutungsvoller als diese sich aus
den äuiseren Verhältnissen ergebenden Neuordnungen war
für beide Länder die Entwicklung , welche nach der Be-
seitigung der iremden Willkürherrschaft und nach der Wieder-
herstellung der legitimen Regierungen die inneren Zustände
nahmen. Hier war in der That so gut wie Alles neu zu ge-
stalten. Besonders gilt dies von Hannover, das während
eines Zeitraums von zehn Jahren fünimal den Herrn gewech-
selt hatte, als Tauschobjekt aus einer Hand in die andere
gegangen war, bald französische, bald preuleische, bald west-
fälische und dann wieder französische Verwaltung über sich
hatte ergehen lassen müssen. £s ist begreiflich, dafs die
Regierung trotz der in weiten Kreisen anerkannten Reform-
bedürftigkeit der althannövri sehen Zustände zunächst wieder
auf diese zurückgrifif, dals sie an die staathchen Institutionen
wieder anzuknüpfen suchte, wie sie vor der französischen In-
vasion von 1803 bestanden hatten. Dazu kam, dafs nicht
nur in den Regierungakreisen , sondern auch im Volke die
Anschauung lebendig war, wonach die zehn Jahre der Fremd-
beiTschaft, deren Rechtsbeständigkeit nie durch einen Frie-
densschlufs der Krone anerkannt worden war und während
welcher die besten Söhne des Lanier, ■^eüSi.*M«2ö.^M^KtSsssöi.-
h
der Fahne, den Kampf gegen den französischen Usurpator
fortgesetzt hatten , die Kontinuität des historischen Keehtefr
nicht unterbrochen hatten. Anderseits waren dem König-
reiche Provinzen und Landesteile einverleibt worden, die
früher nicht zu ihm gehört hatten und die nun inbezug
auf Verwaltung uhd Rechtspflege mit ihm verschmolzen wer-
den mufsten: OHttViesland, das seit Friedrichs des Grolsen
Zeit eine preufsische Provinz gewesen war und wo sich seit-
dem noch ein gut Teil Sympathie für die früheren Zustände
erhalten hatte, [lildesheim und Goslar, die gleichfalls, wenn
auch nur wenige Jahre , unter preufsischem Regiment ge-
standen hatten und deren Besitz zusammen mit dem Lande
an der oberen Ems dem vorwiegend lutherischen Königreiche
eine kompakte katholische Bevolkerimg zuführte, Osnabrück
endlich, wo die seit hundertund fünfzig Jahren abwechselnde
Regierung eines katholischen Bischofs und eines lutherischen
Landesfiirsten ganz absonderHche, eigentümlicJie Zustände
geschaffen hatte. Was die alten Provinzen anlangt, so hatten
diese zwar manche Einrichtungen, wie die Kriegskanzlei^ die
Kammer, das OherappcUationsgericht in Celle, gemeinsam,
aber in anderer Hinsicht erschienen sie noch immer wie tast
unabhängige Landschaften, die einzig oder doch wosenthch
in dem Füi*Btenhau8e ihre Vereinigung fanden. Diese selb-
ständige Stellung der einzelnen Landesteile fand ihren Aus-
druck Tomehmlich in den ivlten Landständen^ deren hübere
Bedeutung infolge der Ausbildung der souveränen Fürsten-
macht freilich sehr beschränkt worden war, die aber doch
noch im Besitz von mancherlei Privilegien und Rechten sich
befanden. Namentlich gehörte die Belbütändige und von den
übrigen Provinzen völlig getrennte Verwaltung der provin-
zialen Steuern und Finanaeu zu diesen Privilegien. Sie lag
in jeder der einzelnen Landschaften in den Händen eines
besonderen Schatzkoilegiums, dessen Mitglieder von den Stän-
den der betreffenden Provinz oder Landschaft gewählt wur-
den, so dafs sich in jeder Provinz ein eigenes Abgaben- imd
Schuldenwesen ausgebildet hatte. Die Zusammenactzimg der
ProvinziaUtände war im wesentlichen noch dieselbe geblieben
wie in alter Zeit. Sie hatten aber, da jedes in die ritter-
schaftliche Matrikel eingetragene Gut Sitz und Stimme in
der Landschaft gewährte, mit der Zeit eine Zusammensetzung
erhalten, die der Ritterschaft einen überwiegenden Einflufs
in ihnen sicherte.
Die Autgabe, dieses krause, zerstückelte und verwickelte
Staatswesen neu zu ordnen, es einigermafsen mit den For-
deruiigen der Zeit, welche, dwrcV Äie vQxVfex^OwCTÄssci Erei^
n
4
4
Die provisorisclie Ständereraammliiiig von Hannover.
409
nisse geweckt, eich auch in Hannover geltend macbten, in
Einklang zu bringen, fiel dem zum hnnnövrischen Süiats-
mintster ernannten Graten Münster zu. Mehr Diplomfit als
Staatsmann, mit den Verhältnissen in seiner deutschen Hei-
mat nur oberflächlich verti*auet, zudem beeinflufal durch die
politischen Aneichton, die er in England eingesogen, hat er
sich dieser Aufgabe in nicht eben glücklicher Weise ent-
ledigt, obächon er dabei von dem klugen, geschäftskundigen
und praktischen Kabinetsrate Rehberg, dem Muster eines
altliannövrischen Beamten, unterstützt ward. Schon am
19. August 1814 waren durch königliches Patent die Land-
atände aus allen hannövrischeu Provinzen zu einer allge-
meinen Ständeversammlung nach Hannover benit'en worden.
Am 15. Dezember wurde dieser Landtag durcii den Herzog
von Cambridge, den jüngsten Sohn Georgs IH., j_m könig-
lichen Schlosse eröffnet. Er bestand aus den Abten von
Lokkum und St. Michaelis zu Hildeaheim, dem Kloster-
direktor von Neuenwalde, ferner aus sieben Abgeordneten
der geistlichen Stifter und KJ-iater, drei und vierzig der Kitter-
Bchflft, neuuundzwanzig der Städte und drei Vertretern des
freien, nicht adeligen Grundbesitzes der bremischen Marsch-
länder, des Landes Hadeln und der Grafschaft Hoya. Als
deine Aufgabe ward in der Thronrede bezeichnet, „auf dem
sicheren Gnmde altei', rechtmüfsiger Verhäiltnisse ein neues,
den Umstanden augemesseiies Gebäude aufzulühreu". Wäh-
rend ihres iuuJjahrigün Bestehens entsprach indes diese
,, provisorische Ständevei-samrahmg " den von ihr gehegten
Erwartungen nur in sehr geringem Mafse. Sie begnügte
sieh im allgemeinen damit, die staatlichen Zustände, wie sie
vor der französischen Okkupation bestanden hatten, im we-
sentlichen wieder hei'zustellen. Eine einzige gröfsere und
wichtigere Reform kam allerdings zustande. Durch einen
Bescblufs der Ver:>ammking vom 17. Januar 1815 wurden
sämtliche Schulden iind Steuern der einzelnen Landschaften
in eine Masse zwsammengewori'ea , wodurch erst ein ge-
regelter Haushalt liir den ganzen Staat ermöglicht ward.
Neben dieser neuen ständischen Generalsteuerkasse, zu wel-
cher die Schatzräte teils von der Krone, teils vim dem all-
gemeinen Landtage, teils endlich von den Priunnzialständen
ernannt, beziehentlich gewählt wurden, verwaltete die könig-
liche DomUncnkassc unter königlichen Beamten und in
völlig selbständiger Stellung das überaus reiche Domauium
des fürstlichen Hauses, das von dem gesamten Grundbesitze
im Königreiche etwa ein Füufteil betrug. Es leucUbat ava.,
dafs ein solcher Dualismus in deT ^\naiv?.\et'««\VMa\^ i."ä -kssccw-
410
Drittes Buch. Erster Abschnitt.
eben unliebsamen Zwistigkeitoa zwischen der Krone und
dem Landtage führen mulste. Dennoch bedeutete die
Finanz - und Steuerreform einen unzweifelhaften Fort-
Bchritt in dem öffentlichen Leben and den politischen
Zuständen des Landes. Im übrigen kamen die Arbeiten
des Landtags nicht vom Fleck, auch nicht seitdem der
Prinz-Regent am 24. Oktober 1816 den Herzog von Cam-
bridge zum Goneraktatthalter des Königreichs ernannt und
dieser seinen bleibenden Aufenthalt in Hannover genommen
hatte. In endlos schleppender Langsamkeit zogen sich die
Verhandlungen des Landtags hin. Verstimmt nahm Rehberg
im Jahre 1819 seinen Abschied. Er muTste der mächtigen
Adelspartei weichen, die er durch seine bescheidenen Re-
formbestrebungen gegen sich aufgebracht hatte und die sich
selbst nicht scheuete, die Redlichkeit des ausgezeichneten
und durchaus rechtschaffenen Mannes zu verdächtigen. Nun
hatte die Adelspartei freie Hand. Der von Rehberg ausge-
arbeitete Entwurf einer Landschaftsordnung, der zwar
den Wünschen der Regierang inbezug auf die Einrühruug
von zwei Kammern entsprach aber zugleich dem Über-
gewichte des Adels zu wehren suchte, fand nicht den Bei-
fall des Königs und des leitenden Staatsmanns in London.
Vielmehr ward jetzt durch königliches Patent vom 7. De-
zember 1819 die endgültige Zusammensetzung und Gliede-
rung des Landtages bestimmt. Danach sollte die erste Kam-
mer sich, abgesehen von den vornehmsten Prälaten, nur aus
den Standesherren und den Vertretern der Ritterschaft zu-
sammensetzen, in der zweiten Kammer dagegen neben den
Abgeordneten der Städte auch der freie ländliche Grund-
besitz durch zwanzig von ihm zu wählende Deputierte seine
Vertretung iinden. Die so von der Regierung nicht ohne den
Widerspruch der Stände einseitig diu-chgeführte Verfassung
■ward in ihrer Wirksamkeit nocli durch die Provinzialstünde be-
einträchtigt, welche bereits früher (19. Oktober 1818) wieder
hergestellt worden waren und neben der allgemeinen iStände-
versamralung auch künftighin ihre Thättgkeit fortsetzen soll-
ten. Unter diesen Umständen ist es begreiflich, dafs der
■eue „definitive" Landtag in keiner Weise eine rührigere
Thätigkeit entfaltete als der bisherige provisorische. Sieine
Verhandlungen waren ebenso schleppend, ebenso wenig
fruchtbar, ebenso wenig von der Teilnahme des Volkes ge-
tragen. Die wenigen bescheidenen Reformen, die er trots
des Widerstrebens der >^delskammer durchsetzte, die dem
neuen Zeitgeiste mebt eula^vwitLcnde Neuordnung der Be-
Amtenhierarchie, die ^lAnteüvm^ Aea YjaxA"«» Sa. ws3iä Land-
Der defioitire Landtag in Hannover.
411
drosteien und eine Berghauptmannscfaaft, die Einsetzung von
Mittelbehörden, die gesetzlich© Regelung der Wehrpflicht, die
Beseitigung endlich der Folter, die im Herzogturae Braun-
Bchweig schon unter der Regiemng KarU 1. abgeschaflFt
worden war, da» alles entsprach nur in sehr dürftigem
Ma&e den Erwartungen , mit denen man nach der Be-
freiung des Landes den kommenden Zeiten entgegen-
gesehen hatte. Die Unzufriedenheit, die sich über einen
solchen Verlauf der Öffentlichen Angelegenheiten in manchen
Kreisen der Bevölkerung, namentlich in einigen Städten und
hie und da auch auf dem Lande anzusammeln begann,
wurde auch durch den Besuch , den der frühere Prinz*
Regent nach seiner Thi-onbesteigimg seinen deutschen Lan-
den abstattete, nicht zerstreuet, die Stimmung im Lande
kaum gebessert. Seit den Tagen Georgs IL war dies das
erste Mal, dafa ein König von England wieder den Boden
des Landes betrat, wo die Wiege seines Geschlechtes ge-
standen. Am 29. Januar 1820 hatte ein sanfter Tod den
König Georg ETI. von seinen Leiden erlöst, ohne dafs ihm
die Freiheit des Geistes wiedergekehrt wäre. Nun folgte
ihm auf dem Throne von Grofsbritannion und von Hanno-
▼er sein ältester Sohn Georg IV., der bisherige Prinz-Regent,
Im folgenden Jahre (1821) kam er von England nach seinen
deutschen Staaten herüber, um die Huldigung seiner han-
növrischen Unterthanon en^egenzunehmen. Glänzende Feste
wurden damals im ganzen Lande gefeiert, die Hauptstadt
namentlich war entzückt, wieder einmal nach so langer Zeit
der Mittelpunkt eines bewegten, an äuTscrer Prachtentfaltung
hervorragenden Hofes zu sein , dem Monarchen entgegen-
jubeln zu können, der sich in seiner Jugend den Namen
„des ersten Gentleman von England" erworben hatte. Aber
diese Festfreude ging rasch genug vorüber, und die Mifs-
stiramung gegen die Regierung blieb, ja wurde namentlich
in den bäuerlichen Kreisen noch allgemeiner und intensiver,
seitdem diese für ihre Forderungen in dem Abgeordneten
Karl Stüve aus Osnabrück, einem echten Kinde der roten
Erde, einen ebenso tUhigen und beredten wie zähen und
unermüdlichen Anwalt gefunden hatten. In der Ständever-
sammlung war man eben so weit gelangt, durch eine Neu-
ordnung der Grundsteuer den schreiendsten und härtesten
Ungleichheiten in der Besteuerung abzuhelfen. Damit aber
war Stüve durchaus nicht zufrieden gestellt. Er wies auf
die Notwendigkeit hin, den Bauernstand aus den unwürdigen
Fesseln zu befreien, in welche ihn die soziale E\itwRWc«B%
des J&xitelülters geschmiedet liattß \uiÄ.*v& ^^«o. «t «a.«^
4IS
Drittes BocK Enter AbecfaDoht.
während der Zeit des fürstHcbeo Absolntismas festgekettet
geblieben war: nur die Ablösung der Herrendienste, Zehn-
ten txnd Meiergelälle künne dem Bauernstände die Stellung
zurückgeben, die ihm in dem ätaatsver bände zukomme^ nur
sie ihn bei^igen, die breite Grundlage abzugeben, auf der
Gesellschaft und iStaat sieb aufzubauen hätten. In der zwei-
ten Kammer fanden die Anträge Stüves lebbafic Zu-
stimmung und eitrige Unterstätzong. Desto entschiedener
widerstrebte ihnen die nur aus Bevorrechteten zusammen-
geaetzte erbte Kammer. Aber immer wieder kam der tapfere
Oanabrücker auf seine Forderungen zurück, für die er auch
aufserhalb der Versammimig durcb Wort und Schrift zu
wirken bemühet war. Im Jahre 1829 erschien seine auf
gründlichen Studien beruhende und eindringlich geschriebene
Abhandlung „über die Lasten des Grundeigentums in Ilan*
Dover'^ Endlich war im Beginn des Jahres 1830 so viel
erreicht, dafs die erste Kammer sich wenigstens bereit er-
klärte, in Verhandlungen über die hochwichtige Frage ein-
zutreten. Da brachten zwei Ereignisse die stockenden Be-
ratungen der Stände in rascheren Flufs und tuhrtcn zu
einer durchgreifenden Veränderung der bi«herigen Ver-
fasäungsverhiiltnisge des Königreichs: der Tod des Königs
Georg IV. y der am '/6. Juni 1830, nnd der Ausbruch der
Revolution in Frankreich, der wenige Wochen später, in den
letzten Julitagen, erfolgte.
Man weifs, wie diese Julitage auch in einzelnen Ländern
Deutschlands ihren Widerhall landen, wie die in Paris auf-
flammende revolutionäre Bewegung auch diesseits des KheinSj
in Hessen, Sachsen und Braunschweig, in leise uadizittem-
den Schwingtmgen sich bemerkbar machte. Selbst ein im
Grunde so ruhiges und an dem Überlieferten hängendes
Land wie Hannover blieb davon nicht unberührt. An ver-
schiedenen Orten des Königreichs kam es zu Unruhen, die
zwar ohne alle Bedeutung waren nnd zum Teil ein recht
kindisches Gepräge trugen, die aber doch Zeugnis von der
Unzufriedenheit ablegten, die in weiten Kreisen der Bevöl-
kerung über die bestehenden Zustände herrschte: zuerst
unter der verarmten Bevölkerung in Lüneburg, Ülzen und
Ilildesheim, dann in Osterrode am Harz, wo der Advokat
König mit einigen Genossen eine iMiniaturnachahmung der
Pariser Ereignisse in Öcene zu setzen versuchte. Aus seiner
Feder stammte wahrscheinlich eine um Weihnachten 1830
erschienene Schmähschrit^ , die sich in plumpen , lächerlich
Übertreibenden Plivusen ^^^w die bisherige Regierung rich-
tete und deD Titel trug; „Anik\Btgfe ie»'^\\SÄ%\vxvNasÄ Künster
Unruhen in Hannover.
413
fvor der öffentlichen Meinung". Damit nicht zufrieden, setzten
König und seine Freunde am 5. Januar 1831 in Osterrode
einen revolutionären G^raeinderat ein, errichteten nach dem
Muster der französischen Staataraäoner eine Biii-gergarde
und erliefien ein in schwülstigem Stile gehaltenes Manilest,
das den 5. Januar als ein „ heiliges Vermächtnis den Enkehi
und Urenkeln" für alle Zeiten empfahl. Ohne Mühe und
Anstrengung ward die Regierung djeser mit vielen Worten
rund wenigem Verstände unternommenen Bewegung Meister.
Nicht besser erging es dem allerdings sich drohender an-
lassenden Aufstande, der wenige Tage später (8. Januar) in
der Mnsenstadt Göttingen ausbrach. Unter der Führung
zweier Advokaten und eines Dozenten an der Universität
bemächtigte man sich hier des ünthauscs, nötigte den Polizoi-
Kommiflsär zur Flucht, bildete einen aus Bürgern und jun-
gen Leuten, Doktoren und Studenten bestehenden Gemeinde-
rat und bewog die schwache, nur aus achtzig Jägern be-
istehende Besatzung der Stadt zum Abzüge. Nun bewaffne-
ten sich die Studenten mit ihren Schlägern, die Bürger mit
ihren Schutzengewebren, eine akademische und eine Burger-
legion wurde gebildet, welche die Verbarrikadierung der
Thore und die Bewachung der Wälle übernahmen. Die
meisten Professoren wagten nicht, dem toUeu Treiben, das
sich des Nachts namentlich um die auf dem Markte ange-
zündeten Wachtfeuer im jugendlichon Übermute und in ein-
gebildetem Freiheitsrauache abspielte, entgegen zu treten.
Die Stimmen einiger besonnenen oder konservativen Män-
ner , wie Dahlmann und Gaufs , verhallten ungehört. So
dauei*te der lustige Fasching, dieses „dürren und wider-
wärtigen Aufstandea", wie ihn Jakob Grimm, der berühmte
Germanist, nannte, eine ganze W^oche hindurch, um dann
beim Anrucken der von der Regierung entsandten Truppen
ebenso kläglich imd widerstandslos^ zusammenzubrechen, wie
er imbesonnen und in kindischem Übermute angezettelt und
begonnen war.
Indessen blieben diese Unruhen und vereinzelten Auf-
stau ds versuche doch nicht ohne poÜtische Folgen. Ein hal-
bes Jahr vor diesen Ereignissen war, wie bereits erwähnt,
König Georg IV. gestorben und ihm auf dem Throne von
Grofsbritannien und Hannover sein ältester Bruder, der bis-
herige Herzog von Clarence, als König Wilhelm IV. ge-
folgt, ein gutmütiger , wohlmeinender , treilich auch wenig
begabter und unselbständiger Fürst. Er verschlofs sich der
Notwendigkeit poHtischer Reformen um so weniger, als auch
l'Beia Bruder, der Generalstatthalter •^oti B.axö&öN%\.i %\0o. ■^«sx
4U
Drittes Bueh. Erster Abschnitt.
solche aussprach und selbst in dem MiniBterium sich einzelne
Stimmen dafür erhoben. Schon hatte man hier beschlosaen,
eine Abordnung mit Vorstellungen in dieser Richtimg nach
London zu entsenden, als in Hannover die Kunde eintraf,
daCs der König am 1 2. Februar den Vorstand der deutschen
Kanzlei La London und den Leiter der bisherigen Regierung
in Haimover, den Graten Ernst Friedrich Herbert Münster,
aus seinem Amte entlassen und zehn Tage darauf (22. Fe-
bruar) seinen Bruder, den Generalstatthalter Herzog Adoli
von Cambridge, zum Vizekönig von Hannover mit erwei-
terten Vollmachten ernannt habe. An Münsters Stelle, der
sich nach seinem Gute Derneburg im Hiidesheimischen zu-
rückzog und ganz in das Privatleben trat, übernahm der in
schwerer Zeit erprobte Ludwig von Ompteda die Vermitt-
lung der hannövrischen Angelegenheiten gegenüber dem
Könige in London. Fortan lag der Schwerpunkt der
Regierung, wenn auch die alten Beziehungen zu England
uuveräudei-t blieben, nicht mehr hier, sondern in Han-
nover.
Bald darauf, im März 1631, trat dann der Landtag
zusammen. Er zeigte zum Teil eine veränderte Phy-
siognomie, da namentlich die Städte vorwiegend liberale Abge-
ordnete gewählt hatten. Gleich in den ersten Wochen seiner
Verhandlungen stellte Stüve den Antrag auf Vereinbarung
einer neuen Verfassung mit der Krone, die zwar auf der
Grundlage der bestehenden Rechte sich aufbauen aber doch
mehr den veränderten Verhältnissen der Zeit Rechnung tra-
gen sollte. Die Regierung ging bereitwillig darauf ein, ve>
sprach die Bearbeitung und deranächstige Vorlage eines ent-
sprechenden Eutwurfea und vertagte dann die Stände bis
zur Fertigstellung des letzteren. In die bedeutungsvolle
Arbeit teilten sich der Kabinetsrat Rose und Dahlmann, der
bekannte Staatsrechtslehrer und Historiker. Als der Land-
tag sich dann am 30. Mai 1832, schon nach der inzwischen
erweiterten Wahlordnung um fünfzehn Vertreter des Bauern-
standes vermehrt, wieder versammelte, konnte ihm der voll-
endete Entwurf zu dem neuen Staatsgrundgesetze zur Be-
ratung und Beschlufsfassung vorgelegt werden. Fast ein
Jahr lang, bis zum 13. Mai 1833, haben die Vorhandlungen
darüber gedauert. War es auf der einen Seite nicht leioh^
den Widerstand des privilegierten Adels gegen die beab-
sichtigte Verfa8Bung8verS.ndenmg zu beseitigen, so sahen sich
die besonnenen Politiker in der Versammlung ebenso oft
geDÖtigt, gegen die Phrasen und Schlagwörter des neu-
i^aozöaischen Liberaliam^ia Frou^ zvl i&&&\tssa^ in. denen sich
Das Staatsgruudgeaots vod 1833.
4I&
ein Teil der städtischen Vertreter ei^ng und von deren
Durchführung er das Heil des Staates erw&rtete. Im ^ofsen
tmd ganzen kam doch ein Staatsgrundgesets znatande, wel-
ches den historisch gewordenen Verhältnissen entsprach und
zugleich den Terändcrten Zeitforderungen in mafsvoiler Weise
Rechnung trug, eine Verfassung, von der man nicht mit
Unrecht rühmte, dafa sie, ruhend auf dem Grunde des be-
stehenden Rechtes, dieses ergänze, dem Bedurl'nis gemäfa
verbessere und durch klare Gesetzesworte vor Zweüel und
Angriffen sicher stelle.
Am 116. September 1833 erhielt das eo von den Ständen
vereinbarte neue Staatagrundgesetz, nachdem noch eine Keihe
von unwesentlichen Bestimmungen in London aus ihm ent-
fernt oder abgeändert waren, die Unterschrift des Königs
und erlangte damit Gesetzeskraft. Von irgend einer Ver-
wahrung gegen dasselbe seitens eines AliigHedes des küuig-
lichen Hauses verlautete damals nichts, auch nicht vonseiten
des nächsten Thronerben, des Herzogs von Cumberland.
Nach den Bestimmungen der neuen Verfassun^urkunde
blieb das Zweikammersystem in Kraft. Beide Kammern
waren in ähnlicher Weise, wie das Patent von 1819 vor-
Bchriob, zusammengesetzt, die zweite Kammer jedoch unter
Erweiterung der Vertretung des Bauern- und Bürgers tandes,
so dafs fortan auisor den zehn Prälaten siebe nunddreifsig
städtische und achtunddi-eifsig bäuerliche Abgeordnete in
ihr Sitz und Stimme haben sollten. Die Stände erlangten
Teilnahme an der Gesetzgebung und das Recht, das jähr-
lich vorzulegende Budget zu prüfen und die Steuern 2u
bewilligen, ohne indes die zur Führung des Staatshaushalts
erforderlichen Mittel verweigern zu dürfen. Von besonderer
Wichtigkeit waren die Bestimmungen über das Staatsver-
mögen und dasjenige des königlichen Hauses. Die bisherige
ständische General steuerkasse ward mit der königlichen Do-
mäuoukasse vereinigt, das stäudiuche Schatzkollegium, das
die Steuerkasse bis dahin zu vern'alten hatte und sich in
beständigem Kriege mit der Domanialkasse befand, aufge-
Jioben. Das Domanialgut ward zum Krongute erklärt, dem
Könige daraus füi* die Hofhaltung und den Unterhalt der
königÜchen Familie — neben den Zinsen von einem aus
den Einkünften der Kammer in englischen Stocks belegten
Kapitale von 600000 Pfund Sterling — eine jährliche
Summe von BüüOOO Keichathalem ausgesetzt, die jedoch, so
lange der König als Inhaber einer anderen Krone im Aus-
lände residieren würde, jährlich um löOOOO Keichsthaler
verringert werden sollte. Dem Königfc ■^\ii^'fe 1x^\^^sä\^ä!is
416
Drittes Buch. Erster Absclmitt
atatt dieser Summe einen in seinem Ertrage Ihr gleichkom-
menden Domaniidkpmplex als Krüngut auszuscheiden. Der
alsdann bleibende Übersclmf» der Einnahmen aus dem Kron-
gutc sollte in die allgemeine Landeskasse fliefsen, Veräiüae-
ningen des Krongutes aber inakünt'tige von der Zustimmung
der SUlüde abhängig sein. Das Recht der Miniateranklage
wurde den letzteren uui* für den Fall absichtlicher Ver-
faasungsverletzungen zugestanden: für untergeordnete Strei-
tigkeiten mit den iiäten der Krone sollte ihnen der Weg^B
der Beschwerde an den König uffen stehen. Endlich wurd^B
die von Stüve mit unermüdetera Eifer betriebene Ablösung
der bäuerlichen Zehnten, Dienste und MeiergetUIle im Prin-
zipe angenommen und ihre baldige Durchluhrung in Aus-
sicht gestellt. Es verging freilich noch manches Jahr, bis
sie in vollem Umfange zur Ausführung kam.
Während in Uannover auf diese Weise die Veri'asaungs-
kiimpfe zu einem vorläufigen Abschlufs gebracht wurden,
war im Herzogtume Braunschweig ein Umsturz der bis-
herigen staatlichen Ordnung erfolgt, so gewaltsam und so
durchaus revolutionärer Natur, wie er bisher wohl nie in
einem so kleinen Staate war erlebt worden, ein Umsturz,
der, weil er selbst das für geheiligt geltende Legitimitäts-
recht über den Haufen warf, weithin das grölste Aufsehen
erregte und dem Bundestage, dem höchsten Üüter der öffent*
liehen Ordnung in Deutschland, die peinlichste Verlegenheit
bereitete. Es ist bereits erwähnt worden, dafs nach dem
Tode des Herzogs Friedrich Wilhelm im Jahi-e 1815 der
damalige Prinz- Regent von England die Regentschaft des
Herzogtums und zugleich die Vomiundschatt über die bei-
den hinterlassenen Prinzen Karl und Wilhelm übemommen
hatte, von denen jener (geboren am 30. Oktober 1804) noch
nicht elf, dieser (geboren am 25. April 180G) noch nicht
neun Jahre zählte, als den Vater ein jäher Tod hinweg-
raflFte. Diese Übernahme geschah einerseits auf Grund der
bestehenden Hausverträge, anderseits kraft eines Te«ta.mente«,
in welchem der Vater der beiden Prinzen ftir den einge-
tretenen Fall diese Vertrag als seinem persönlichen Willen
durchaus entsprechend bezeichnet und dem Grafen Münster,
dem damaligen leitenden Staatsmanne in Hannover, sein
Land und seine Kinder noch besonders ans Herz gelegt
hatte. Aber weder dieser noch der Prina-Regent vermochte
sich eingebender mit den Angelegenheiten des Landes zu
beschäftigen. Sie safsen fem von seinen Grenzen iu Eng-
Jand and überUefsen die Sorge für die Regierung und Ver-
waltung des Landes äem Wctö^vOcär QftWvatatakoll^um.
Die neue Lands chaftsordnuug für Braunschwcig.
417
Die Seele des letzteren war der Geheimerat von Schmidt-
Pliiscldeck, ein Mann von grofsor Arbeitskralt, etwas nücb-
tern^ aber mit einem scharfen Blick für alles Praktisebe und
einer bemerken si^erten Qeschäftskenntnia. Kr hatte aich
bon des Vertrauens des verstorbenen Herzogs erfreuet, der,
ie erwiihnt, die Vertretung der Interessen seines Hauses
^und seines Herzogtums beim Wiener Kongreis in seine
Hände gelegt hatte. Auch in Braunschweig wurden nach
dem Sturze Napoleons die alten »taatliehen Verhältnisse, wie
sie vor der Fremdherrschaft bestanden hatten, im wesent-
lichen wieder hergestellt. Einen Augenblick hat man auch
wohl an die Wiedereinrichtung der Helmstedtcr Hochschule
gedacht Allein schon die Lage der Landesänanzen , die
grofse Sparsamkeit erheischte , verbot , diesen Gedanken
auszuführen. Dagegen wuide die alte laud ständische Ver-
fassung, welche auf Verträgen der Regierung mit der Land-
schaft beruhete, wieder ins Leben gerufen. Man ging da-
mit auf die Zeiten des Herzogs Karl I. zurück. Diese Ver-
fassung gewährte der Landschaft, deren Zusammensetzung
frülier (II. 237) dargelegt worden ist, ausgedehnte Rechte,
die noch im Jahre 1770 von der Regierung bestätigt worden
waren, darunter das Recht des ungebotenen Zusammentritts.
In „der gesamten Landschaft Privilegien und Befugnissen
vom 9. April 1770" heifst es inbezug hierauf: „Gletreuer
Landschaft ist gestattet, sich zur Beratung der Landesnot-
durft vermöge hergebrachter alter Fi*eiheit in zugelassenen
Fällen zusanimeuzubescheiden, welches für keine verbotene
Conventicula und Consplrationes gehalten werden soll." Die-
ser alte Landtag ward nun auf Antrag der Ritterschaft im
Jahre 1819 unter Zuziehung auch der bis dahin selbstän-
digen Landschaft des Füräteutums Blankenburg zusammen-
berufen, um eine neue, den Ansprüchen der Zeit entgegen-
kommende Landscbaftsordnung zu beraten. So kam die
„Erneuerte Landschaftsordnvmg" zustande, die am 25. April
1820 von dem Obervormunde in London bestätigt ward.
Sie führte zwei völlig gleichberechtigte Kammern ein, von
denen die erste durch sechs Prälaten und die Ritterschaft
des Landes gebildet, die zweite aber aus sieben Prälaten,
neunzehn städtischen xmd ebenso vielen Abgeordneten des
bisher noch unvertretenen Standes der bäuerlichen Grund-
eigentumer zusammengesetzt sein sollte. Man erkennt un-
schwer, dafs dieser Verfassung diejenige von Hannover aus
dem Jahre 1819 zum Vorbilde gedient hat. Die früheren
Rechte der Stände wurden durch sie in keiner Weise ge-
418
Drittes Buch. Erster Abschnitt.
BcLmälert^ namentlich jenes Kecht des ungebotenen Zasam-
meutritta durch folgende Worte der erneuerten Lt^ndschai^-
Ordnung ausdrucklich bestätigt : „ Dergleichen Zusammen*
trctnngßu können auch von den Mitgliedern der Laud&chail
selbst eingeleitet worden , wenn sie eine besondere Vei-an-
lassuug zu haben glauben, über Gegenstände von gemein-
saiiieni Interesse sich zu beratschlagen, jedoch mufs vor der
wirkliclien Versammlung sulhnt davon und von dem Zweck
der Versammlung der Landesherrschaf't gehörig Anzeige ge-
macht werden." Die erste Stäudeversammlung, welche nach
dieser neuen Landschaftsordnuiig zusammentrat, zeigte, dafs
sie sich nicht der Notwendigkeit zeitgemäJ'ser Reformen ver-
Bchlofs. Sie sprach den Grundsatz der Treimung der Rechts-
pflege von der Vorwaltung aus, höh die Patrimonialgerichte
auf und beseitigte jede Befreiung von den öffcntHcheu Ab- ^^
gaben. Es suhlen^ als ob das Land schon jetzt in eine Ära ^H
friedlicher und besonnener Stuatsreformen eintreten wüide. ^jfl
Inzwischen war der Zeitpunkt hei*angenahetj wo der Erbe
des Landes nach den bestehenden Ilausgesetzen das Alter
der Vollj&hriglceit erreichte und somit die Regierung selb-
ständig in die Hund nebraen raufste. Der junge Prinz hatte
mit seinem Binder eine freudlose , von den Stürmen der
Zeit unheilvoll beeintlurste Kindlieit verlebt. Ihre Mutter
hatten sie iriili verloren, der Vutcr führte, von seinen poU*
tischüu Plänen beherrscht und von Kachedurst gegen den
Usurpator seines Landes oHüllt, ein unstetes Leben. An
eine sorgfältige Erziehung, einen geoi'^nelen Unterricht war
bei ihrem stets wechschiden Aufenthalte; bald in England,
bald in Schweden oder in Bruclisal bei der ehrwürdigen ^^
aber schwachen Orofsmutter , der Markgrätin Amalie voa^H
Baden, nicht zu denken. Ihr frühester Erzieher war ein^W
hcöchrüukter und hochmütiger englischer GeiätUcher namens
Prince, der spiitcr im Irrenhause vun Bediam gestorben ist
Es wurde nicht viel besser, als nach dem Tode Friedrich
Wilhelms die englische Vormundaehalt eintrat und die Prin-
zen zunächst ihren Aufenthalt in Braunuchweig nahmen. Abt
HofTmeister, der jetzt, noch von dem Hei-zoge damit be-
trauet, die Leitung ihrer Erziehung übernahm, klagt in
eeiuen „Tagebuchblättern" wiederholt über den Mangel an
Lerneifer, über die Gleichgültigkeit und Trägheit, welche
beide Prinzen zeigten. Aber wäbiend bei dem jüngeren
neben einem ausgesprochenen Leichtsiim doch eine grolse
Gutmütigkeit hervortrat, cnegte der ältere durch seine Ver-
stocktiieit, seinen Hochmut \md Trutz ebenso sehr die Be-
ßorgDiB des würdigen Lictvete» ■wVe Ä.\aO& %föv&.% HkiC^^r^juast
JA
KegieruiigmauLrJtl det> Herzogs Karl II.
419
und durch seiDen schon im Kindesatter in hurglicher Weise
sich geltend machenden Geiz Mit den Jahren entwickelten
»ich diese schliionieu Charakterei^ens ehalten zu einem Des-
potennaturell au böser und zugleich so kleinlicher Art, wie
es in der neueren Geschichte wohl schwerlich zum zweiten
Male begegnet. NamentUch wuchs der Souveränitätsdünkel
des jungen Fürsten zu echwiDdclnder Hohe und mit ihm die
Ungeduld; mit der er der Stunde entgegensah, wo mit dem
Aufhören der Vormundschaft die hitehste Gewalt im Lande
in seineu Händen ruhen wurde. Vielleicht waa- es der rich-
tige Kiu blick in die dümonischeii Tiefen dieses Charakters,
der den Künig Georg bewog, entgegen den Bestimmungen
des öfters erwälinteu Pactum Henrico - Wilhehuiuuiii sein
vormundschal'tliches Amt nuch ein Jahr über den baus-
gesctzlich erlaubten Termin auszudehnen. Erat zu Knde
Oktobers 1823 trat Karl IL nach vollendetem neunzehnten
Lebensjahre die vun ihm so heils ersehnte Regierung des
Herzogtums au.
Sogleich liefe sieb , als der Kinzugsjubel vorüber war,
ahnend voraussagen, was das letztere von diesem Für-
sten zu ei-wai'ten habe. Absichtlich vermied es der Herzog,
die gebräuchlichen Keversalien zu orteilen, die neue während
seiner Minderjährigkeit vereinbarte Landschatilsordnung zu
beschwören oder gar den auf ihr beruhenden Landtag ein-
zubexufeu. Drei Jahre laug suclue er auf Reisen, zumeist
in den grofsen üppigen Hauptatädteu Europas, sich für die
Einschränkung zu entschädigen, in der ihn die Vonuund-
Bchaft des Oheims gehalten hatte. Um die Regierung des
Landes kümmerte er sich in dieser Zeit nicht. Übersättigt
von Ausschweifungen und Genüssen, ärmer an Geist und
Gemüt, als er gegangen war, kehrte er nach Braunschweig
zurück. Alsbald erklärte er (10. Mai 1827) die Verord-
nungen und Erlasse aus der Zeit seiner Vormundschaft als
fUr ihn unverbindlich: namentlich habe alles das, was in
dem Jahre der verlängerten Regentschaft geschehen^ keine
Gültigkeit, soweit es nicht uocli nachträglich seine Geneh-
migung erhalte. Diese Erklärung war eine persönliche Be-
schimpfung seines Oheims und früheren Vormundes, des Kö-
nigs von England, und mulste als solche von diesem em-
plunden werden. Zugleich ward der Geheimerat von Schmidt-
Phiseldeck entlassen imd durch Drohungen und Vorwürfe
seitens des Herzogs so eingeschüchtert, dals er, fdi* seine
personhche Sicherheit besorgt, heimlich aus dem Lande ent-
wich xmd nach Hannover ging, um hier Schutz tä ««äW»..
Und nun entspaun sich zwiacheu dem. ^«.xiQ^ft \vcA. ^«t ^^^*sir
4»
Drittes Buch. Erster AbschDJtt.
növrischen Regierung ein Federkri^ so heiliger, bitterböser
Art, dnfs er, wenu nicht in der Form, »o doch seinem Wesen
nach an die Schmähschriften erinnern könnte , die einst
Heinrich d. J. und die Schmal kaldener Fürsten mit einander
ausgetauscht hatten (II. 353). Der Herzog liefs durch
seine Kreaturen, die er zum Teil erst ins Land gezogen
hatte, einen Wit von Döriog, einen Klindworth und andere,
verschiedene Schrifteu verfassen , in denen nicht nur
Schmidt-Phiseideck, sondern auch die ganze vormundscbail-
liche Regierung, namentlich Grat* Münster, in heftigster Weise
angegrifTen und die Beschuldigimg erhoben wurde, man habe
die Absicht verfolgt, ihn durch seine Ei-ziehung körperhch
und geistig zum Regieren unfähig zu machen. Darauf ant-
wortete Münster mit einer „Widerlegung der ehren riihrjgen
Beschuldigungen, welche sich Se. Durchlaucht der Herzog
von Braunschweig gegen Ihren erhabenen Vormund erlaubt
haben", einer Schrot, die in ihrer schroffen Form und mit
ihrer höhnischen Sprache den jähzornigen Fürsten so in
Harnisch brachte, dafa er den Grafen auf Pistolen forderte
und, als dieaer ablehnte, diese Fordemng durch seinen Ober-
botjägormeiater in dessen Namen wiederholen liefs. Die ,
Sache nahm ein bedenkliches Ansehn an. Schon sammelten
sich hannövrische Truppen an der braun seh weigiachen Grenze.
Der Bundesfriode schien bedrohet, der Skandal wuchs. Ee
echien die höchste Zeit, dafs der Bund, an den sich inzwi-
schen beide Teile gewandt hatten , sich ins Mittel legte.
Aber hier wurde die Eutscheidung durch die Nachsicht ver-
zögert, welche Mettemieh und Osterreich dem Herzoge an-
gcdcihen liefscn. Kret nach fast zweijährigen Verhandlungen
erfolgte am 20. Aup;ust 1829 der MehrheitsbeschluTs, wonach
der Herzog die Erklärung vom 10. Mai 1827 zurücknehmen,
au den König Georg IV. ein Entschuldigungsschreibeo rich-
ten und Herrn von Praun, steinen Kartollträger und den
Herausforderer des Grafen Münster, bestrafen »^llte. Als
der Herzog allerhand Austlüchte machte, um diesen Boschlufs
hinauszuschieben, womöglich ganz zu umgehen, wurde ihm
endlich die Bundesexekution in Aussicht gestellt, worauf er
sich grollend und widerwillig fügte und am 'Ji. April 1830
die anstöfsige Verordnung aufhob, freilich in einer Form,
die von den energischeren Bundesgliedem , namentUch von
Preufsen, fast wie eine Verhöhnung des Bundestages em-
pfunden ward.
Zu diesem ärgerÜchen Handel mit England und dem
deutschen Bunde, der \\im die Femdachaft des eratereu zu-
zog und die SympatVueen. der m^\&\»[vV'aT^wsti ^sobVja^sxon
Beine MUsregiernng. 421
raubte, gesellte sich zu der nämlichen Zeit ein Verfassungs-
konflikt mit Beinen Ständen, welclier deren Aubängliclikeit
erschütterte, und schliefslich eine brutale und kindi&che
Alireregieruug im Inneren, welche die Treue seines Beamten-
Standes ertutete und selbst die Zuverlässigkeit der Truppen
untergrub. Nachdem er mit dem Au&^chusae der Land»tändc
bisher ohne Anstand verkehrt hatte, erklärte der Herzog
plötzlich, dafs er die aui' Grund der erneuerten Landschafts-
ordnung gewählten Abgeordneten nicht als Vertreter des
Landes anerkenne, da für ihn nur die Verfassung von 1770
rechtsverbindlich sei. Die Folge war, dafs sich die Ötände
mit einer Klage an den Bundestag wandten ^ während der
Herzog eine Gegenbesch werde einreichte , so dafs die hohe
Bvmdesversammluug sich schon wieder mit dem halsstarrigen
Fürsten beschäftigen mufste, noch ehe der Span mit der
hannövrificfaen und englischen Regierung geschlichtet war.
Ja er scheuete sich nicht, mit ruchloser Hand in den Gimg
der Rechtspflege seines Landes einzugreifen, indem er ein
zugunsten seines ehemaligen Oberjägermeisters Freiherru von
Sierstorpff, den er des Landes verwiesen hatte, rechtskräftig
ergangenes Urteil des herzoglichen Landesgerichtes durch
eine seiner Kreaturen, den Hofrnt Fricke, kassieren und in
voller Sitzung des Gerichtshofes zerreüsen liels. Neben die-
sen Akten fürstlicher Willkür in Staatssachen entwickelte
sich ein förmliches System klein liclister und boshaftester
Quälereien gegen Beamte und Privatpersonen, die sich
auf irgend eine Weise des Herzogs Ungnade zugezogen
hatten. Urlaubsgesuche von verdienten Beamten zimi Zweck
der Herstellung ihrer Gesundheit wurden rundweg abge-
schlagen, allen Beamten der Umgaog mit Herrn von Gramm,
dem Bevollmächtigten der Stände in Frankfurt, untersagt,
ja den Ärzten des Landes verboten, bei der bevoi'stehenden
Entbindung von dessen Gemahlin Hilie zu leisten. Die
Abte Lentz und HofiPmeister, beide bochan gesehene Geistliche,
der letztere zudem der irUhere Erzieher des Herzogs, mufsten,
als sie bei Gelegenheit der drei hundertjährigen Jubelfeier der
Reformation Braunachweiga von der theologischen Fakultät
in Güttingen zu Doktoren der Theologie ernannt wurden,
ihre Diplome zurückschicken. Einen anderen »einer Lehrer»
den Hofrat Eigener, der mit dem hannövrischen Kammer-
herrn von Linsingen seine spätere Erziehung geleitet hatte
und den der Herzog tödlich halste, versetzte er wider dessen
Willen von Braunschweig an die Bibliotliek zu Wolfen-
büttcl, wo er in einer Art von Intemierung gehalten wurde.
,n trauete ihm zuletzt Alles zu, selbst das Bösartigste undL
^U
d
422
ScheupHlichste. AU der Oberstallmeister von Oeynhausen
plötzlich starb, verbreitete sich das Gerücht und iViud bereit-
willigen Glauben, er sei von dem Herzoge vergiftet worden.
Manches von dem Gerede, das über ihn umlief, war ohne
Zweiiel grundlos, aber schon das, was davon völlig be-
glaubigt ist, reicht hin, um diese Hen'schaft des zweiten Karl
zu einer der ärgsten und gehässigsten Mifaregierungen zu
stempeln, welche die neuere europäische Geschichte kennt
So standen die Dinge in Braunschweig, als jenseits dea
Kbeina die Bewegung ausbrach, die den Thron des älte-
ren Zweiges der ßourbonen zum drittenmale über den Hau-
fen werfen sollte. Der Herzog verlebte diese stürmischen
Tage in Paris, wo er sich im Sommer 1830 aufhielt. Sie
machten auf ihn einen betäubenden Eindruck. Um seine
persönliche Sicherheit besorgt, verÜels er heimlich die Haupt-
stadt Frankreichs, legte deu Weg bis zur belgischen Grenze
verkleidet und zum Teil zu Fufs zurück. Am Morgen des
13. August traf er in Braunschweig ein, nur begleitet von
einem französischen Abenteurer Aloard, der sich ihm unter-
wegs angeschlossen hatte. Kr fand einen solir kühlen Em-
pfang. Nur eine kleine Zahl von Unterbeamten und Hof-
bedienäteten begrüfste ihn mit einem Fackelzuge. Die Masse
der Bürger hielt sich fern, unter den höheren Ständen, na-
mentlich dem Adel, herrsi^hte schon längst eine feindliche
Stimmung gegen ihn. Schon im Februar 1830 hatte der
Bevollmächtigte der Landschaft in Frankfurt die Zustände
in Braanschweig als völlig unhaltbar bezeichnet. Höchstens
bei dem Bauer, der bei den \-om Herzoge willkürlich vor-
genommenen Ablösungen seiner Leistungen auf den Kara-
mergutcrn Vorteil fand , und bei dem gemeinen Soldaten,
der in ihm den Sohn des bei Quatrebraa gefallenen Helden
verehrte, konnte der Herzog auf einen Schimmer von An-
hänglichkeit zählen. Die unteren Volksschichten in der
Stadt Braunschweig selbst waren aufserdera durch die Not,
welche der letzte strenge Winter und die Hohe der Bntt-
preiae erzeugt hatten, in eine Stimmung versetzt, die auch
ohne politische Motive leicht zu Ausschreitungen fühmn
konnte. Der Herzog setzte diesen drohendeti Anzeichen, die
ihn hätten bedenklich machen sollen, den horausfordemden
Trotz entgegen, den wir an ihm kennen. Man hörte ihn
Hufsem, er werde sich das Schicksiil Karls X. nicht bereiten
lassen. Als ihm das Gerücht mitgeteilt wurde, dafs HeiT
von Sieretorpff nach Braunschweig zurückzukehren gedenke
und einige seiner Mitbürger beabsichtigten, ihm einen frennd-
h'cben Empfang zu bereUen, ÄroVveXa ftt, mit Kartätschen
tscuen ^^
unter das Gesindel schiefsen zu lapsen. Ea hatte sieb öeiner
doch eine nervöse Unruhe beoiächtigt. Manche Anzeichen
deuten darauf hin, dafs er eine Ahnung von den kommen-
den Ereignissen hatte. Er suchte so viel Geld, wie möglich,
zusammenzubringen, nahm einzelne der kostbarsten Gegen-
stände, darunter den bekannten Mantuanischeu Onyx, aus
dem herzoglichen Museum in persönliche Verwahrung und
bereitete unter dem Vorwande einer demnilchatigen Reise
. jiach England für den Notfall Alles zu einer plötzlichen
"Flucht vor.
Am 1 September empfing er eine Bürgerdeputation unter
^Führung des Magiatratsdirektors Bode, die ihm die Not der
unteren Klassen vorstellte, um die Einberufung der Laud-
stände bat und ihn auf „die Unheil verkündende Stimmimg
im Volke" aufmerksam machte. Der Herzog gab eine aus-
weichende Antwort, erteilte aber den Befehl, die Beurlaubten
einzuziehen, die Wachen zu verstärken, scharfe Patronen au
Idie Truppen zu verteilen, und Hefs sogar sechszehn Kanonen
vor einer der Kasernen auffalu-en.
. »Am Abend desselben Tages, an welchem dies geschah
jTö. September), erfolgte der Ausbruch der ersten Unruhen.
Als der Herzog vor dem Schlüsse der Vorstellung das Theater
verliefö, ward er beim Einsteigen in den Wagen von einem
Volkshaufen mit Pfeifen und wüstem Geschrei empfangen.
Ein Hagel von Steinen folgte dem davon eilenden Wagen.
Als dieser vor dem Schlosse ankam, stund auch hier eine
Schar von Gaffern und Schreiern, die dann durch eine Ab-
^B tetlnng von Husaren mühelos auseinandergetrieben ward.
^■Der Herzog hat spiiter behauptet, ea sei die Absicht ge-
^^ weaen, den Wagen durcli über die Strafse gespannte Stricke
aufzuhalten, ihn aus demselben herauszureifsen und ihn zu
ermorden: Edelleute^ in weiisen Masken und mit Dolchen
bewaffnet, seien die Häupter dieser Verschwörung und die
Leiter des Pöbels gewesen. Während der Nacht blieb Alle»
ruhig. Trotzdem liefs der Herzog einen bedeutenden Vor-
rat von Pulver aus dem aufserhalb der Stadt gelegenen
Pulverturme in die damals als Torfmagazin dienende Egi-
dienkirche schaffet!, und zugleich verbreitete sich die Nach-
richt, er habe den Bewohnern der dem Schlosse gegenüber
gelegenen Häuser eine warnende Nachricht inbezug der zu
erwartenden Wirkung etwaigen Geschützfeuers zugehen
lassen. Dies steigerte natürlich die herrschende Aufregung.
Am 7. September mittags begab sieh abermals eine Depu-
tation der Stadtverordneten mit dem Magistratsdirektor Bode
an ihrer Spitze auf das Schlofa. Wie der Herzog achoo-
^^an
frtbcr das mlMfldrohflBde FiÜTer wieder ans der Siadt hatte
«BtimiMB Uasen, to gewihrte er jelzt för die liuieieu TTIarwui
eiDon Steuererlafii and bewilligte f&r die Notleideodea der
.Stadt eine entsprechende Summe Ja er gab selbst seiiie
Ztutimmung zu der Krrichtung einer B&^erwefar, die frei-
lich nnr mit Piken und Lanzen bewaffnet wciidea boUIb.
Dagegen lehnte er die Beruiung des Landtages auch jetxt
ani das bestimmteste ab.
D&rtlber war es Abend geworden. Beim Anbruch der
Dunkelheit sammelte eich wieder Tor dem Gitter ^ das den
ÖcblofHplats; vom Bohlwege trennt, eine grofse Menge von
Manschen; darunter Hauten von Gesindel, das an&ngs sieb
mit Hfiulen, Schreien und Pfeifen begnügte, ab es aber die
Unthätigkeit wahrnahm, in der die vor dem Schlosse auf-
gesleUten Truppen verharrten , zu roher Gewaltthat fort-
schritt. Schon begannen einige Männer aus den arbeitenden
Klassen die in dem eisernen Gitter des Schlofshofes ange-
brachten Namenszüge des Herzoga mit Äxten zu bearbeiten,
andere inüheten sich ab , den in den rechten Flügel des
Schlosse» führenden Tborweg, sowie die Fenster der hier
im Erdgcschofs befindlichen herzoglichen Kanzlei zu er-
brechen. Die Truppen sahen dem allen in stumpfer Teil-
nahmlüsigkeit zu. Und doch hätte ein krähiger Angriff
zweifellos genügt, die Unruhstifter zu zersprengen, die Ötralse
zu säubern, dem ganzen Spektiikel ein schmähliches Ende
Äu bereiten. Jetzt aber zeigte sich die Haltlosigkeit des Herz(^.
So sehr er früher geprahlt, so schwach und mutlos war sein
Benehmen, als die Gefahr da war. Von seiner Umgebung
bcfitüriot, das Aulserste zu vermeiden, stieg er zu Pferde,
aber nicbt um sich den Empörern entgegenzuwerfen, sondern
um in Bügleitung von zwei Schwadronen Husaren die Stadt
zu verlassen und vor dem Petrithoi*e den lieisewageu zu
besteigen, der seiner hier wartete und ihn aufser Gefahr
bringen sollte. Den Befehl über die Truppen hatte er dem
General von Herzberg anvertrauet, von dem er spSter be-
hauptet hat, er habe an ihm wie Judas an seinem Herrn
und Meister gehandelt, indem er dem Herzoge beim Ab-
schiede das feierliche Hand versprechen gegeben, „dafs er
mit seinem Kopfe tiir Alles einstehe und der Herzog ohne
die geringste Besorgnis seine Heise selbst bis nach England
fortsetzen könne".
Herzberg ist diesem Versprechen, falls es wirklich ge-
geben wurde, nicht nachgekommen. Ruhig j Gewehr bei
Fufs, standen die Truppen vor dem Schlosse, ohne dafs auch
aar der Versuch einer AW^ d^t iv\m bereinbrecbend^
n
^1
Aufruhr in Braonacbweig'.
4'2b
Verwüstung gemacht worden wäre. Denn inzwLsclien hatte
das Gesindel sich gewaltsam den Eingang in die Kanzlei
gebahnt und verbreitete sich von hier über die andei-en
Teile des Schlosses. Ks begann eine Plünderung und Ver-
wüstang des letzteren, die jeder Beschreibung spottet. Und
während man Thüren zertrümmerte, Schränke und Schreine
erbrach, Kleider, Wäsche, Kostbarkeiten aller Art raubte,
schlugen aus den zersprengten Fenstern der Kanzlei die
Vorboten des zerstörenden Elementes heraus, das man hier
entles&elt hatte. Mit rasender Schnelligkeit, von niemand
bekämpft, von den Plünderern geflissentlich gescbtlrt, ver-
breitete sich das Feuer über alle Teile des Gebäudes. Im
Nu war das ganze Schlofs ein einzages Flammenmeer, das
Alles, was nicht vorher hinweggeschleppt war, verzehrte und
verschlang. Hier ging auch ein Teil von dem Archive des
braunschweig-lüneburgi scheu Gesamthauses zugrunde, das der
Herzog kurz vorher aus dem St. Blasienstifte hatte in das
Schlofs überiuhren lassen: was von diesen unersetzlichen Zeug-
nissen der Vergangenheit nicht verbraunte, ward von dea
Meuterern zerstreut und verschleppt. Mit Mühe und nur
durch einen Zufall gelang es, den Inhalt des Schatzgewölbes
und der Silberkammer, sowie einen Teil wenigstens der
Schriftstücke und Kunatschiltze zu bergen. Es ward dies
ermögliclit durch einige Schüsse , die plötzlich hinten im
Schlofsgarten fielen und die genügten, um die Plünderer und
Verwüster zeitweise aus dem Schlosse und selbst aus dem
Schlofshüfe zu verscheuchen. Als der Morgen des 8. Sep-
tembers anbrach, war das schöne Gebäude, das seit fast
einem Jahrhundert die Residenz des i^lrsteuhauaes gewesen,
nur noch ein wüster Trümmerhaufen. Der rechte Flügel
lag vöUig, der linke halb in Asche, das sie verbindende
Hauptgebäude war bis aui" die äufseren Mauern ausge-
brannt.
Der Aufruhr hatte sein Ziel erreicht. Der Herzog war
foil, das Schlofs geplündert, Stadt und Land befanden sich
in der Gewalt dea souveränen Volkes. Wie diese merk-
würdige Revolution gelingen , wie ein seinem Fürstenhause
mit seltener Liebe anhangendes Volk sich zu solchen rohen
und vandalischen Ausschreitungen fortreifsen, eine durch
Mut und Treue gleich ausgezeichnete Truppe sich zu so
verhängnisvoller Passivität dem Aufstande gegenüber be-
stimmen lassen konnte, erscheint heute noch wie ein unge-
löstes Rätsel. Der vertriebene Herzog hat stets behauptet,
dafs er das Opfer einer von langer Hand angesponnenen
und aorgtUltig vorbereiteten VeiBC-Vi'wÖTM\i^ ^(cwot^'a. -aä-^ 'Ä&
k
426
Drittes ßucb. Erster Abschmtt-
deren Mitglieder er eine Anzahl Lervoiragender Edelleute
und höherer Beamte ansah, als deren eiß;eutliche8 Haupt er
aber den Herzog Wilhelm, seinen jüngeren Bruder, bezeich-
nete, dem das Fürstentum <)Is in Schlesien bei der Erb-
teilung zugefjilleti war und der damals bei den Garde-Ulanen
in Berlin im proufsischen Heere diente. Das letztere ist
entschieden eine Verleumdung, die durch des Prinzen Cha-
rakter cbonsü bestimmt widerlegt wird, wie der weitere Ver-
lauf der Ereignisse ihre Unwahrheit darthut Heraog Wil-
helm eilte allerdings auf die Kunde des Gesiihehenen Bofort
von Berlin nach Braunschweig, wo er schon am dritten
Tage nach der Katastrophe eintraf, um weiteren Ausschrei-
tungen vorzubeugen und für die Herstellung der Ordnung
zu aorgen. Aber er hatte sich zu diesem Schritte wesenüich
durch die dringenden Vorstellungen des Königs Friedrich
Wilhelm HI. von Preufsen bestimmen lassen. Es gelang
ohne zu grufse Mühe, die Ruhe und äufsere Ordnung her-
zustellen und aufrecht zu erhalten. Eine Bürgerwehr ward
errichtet, die im Verein mit den Truppen jeden wei-,
teren Tumult verhinderte. Am 27. September träte
die Landstände zusammen und richteten an den Herzog
Wilhelm die Bitte, als Statthalter und im Namen deines'
Bruders die Regierung zu überuehmen, welche dieser „nach
den Grundsätzen des allgemeinen Staatsrechtes" nicht tbrt-^i
zuführen vermöge. Da der nach London gefllichtote Karl^^^H
von den englischen Ministem gedrängt, sich inzwischen her-^^
beigelassen hatte, eine Vollmacht auszustellen, welche seinem
Bruder als Generalgouverneur vorläufig die Regierung des
Herzogtums übertrug, so ging dieser unbedenklich auf die
Vorstellungen der Stände ein. Er erklärte am 28. Septem-
ber, dafs er „sich veranlafat gefunden, die liegierung bis
auf weiteres zu UbBrnehmen". Nun aber begannen erst die
Schwierigkeiten. Die Hijfe von Berlin und London, an
welche sich die Stände und der neue Regeut um Rat in-
bezug auf die weitere Ordnung der Angelegenheit wandten,
zeigten sich doch in hohem Grade zurückhaltend. Man kam,
da man sich der Unmöglichkeit der Rückkehr des vertrie-
benen Herzogs nicht wohl verschliefsen konnte, dahin über-
ein, ihn womöglich zu einem freiwilligen Verzicht auf die
Krone zu bewegen. In England, wo soeben der Thron-
wechsel stattgefunden hatte, verhandelte der neue König
Wilhelm IV. dieserhalb durch seine Minister und persönlich
mit seinem Neffen. Allein dieser erklärte sich zwar nach
längerem Sträuben bereit, seinem Recht auf den Thron za
entsagen^ erhob dann a\>er ao \L\i^ic\s\ftV>eiÄ (ie^nforderungen,
Einfall deR Herzo;;8 in das Land.
4i7
dafs sich die Sache zersclilug. Nun liefs Preufsen in Lon-
don den Vorsclilüg machen, die Angelegenheit in der Weise
zu ordnen, dafs die Agnaten des Brunn seh weiter Hauses mit
Genehmigung des Bundestages einen rechtsgültigen Zustand
im Lande herstellten. Den Weg dazu erkannte man in
einer von den Agnaten zu erlassenden Erklitrung, wonach
dem Herzoge Karl in Anbetracht »eines hinreichend bekun-
deten Geistes- und Gemütszustandea die Regieruugsiahigkeit
abgesprochen würde. In der That hatte dieser nicht nur
durch seine offenkundige Mifsregierung, souderu auch dui-ch
sein freches, trotziges und herausforderndes Gebahreu nach
seiner Vertreibung die Sympathieen selbst seiner letzten und
beharrlichsten Freunde verscherzt. Er wagte jetzt ein Unter-
nehmen, das ihn durch die Art und Weise, wie es ausge-
führt ward, um den Rest der ihm noch immer bewiesenen
Rücksicht der Grorsniaclite bringen und diesen zugleich die
Notwendigkeit darthun mufste, so bald wie irgend möglich
durch eine endgültige Entscheidung der Wiederkehr ähn-
licher Versuche vorzubeugen uud die Zukunft des Braun-
Bchweiger Landes vor weiteren gcwaltsaniun Erschütterungen
sicher zu stellen.
Ära 9. November vcrliefs der Herzog Karl in aller Stille
England. Zehn l^age später tauchte er in Frankfurt auf,
von wo er die seinem Bruder erteilte Bestallang als General-
gouverneur dets Herzogturas widerrief. Reiclilich mit Gelde
versehen, hatte er den Entachlufa gefafst, die Wiederge-
winnung seines Landes durch einen Eintiall in dasselbe zu
versuchen. In seiner Begleitung befand sich aufser einem
altbraunachweigischen Otitiziere namens von Garssen der
frühere bayerisiche Lieutenant Bender von Bienenthal. Mit
ilmen reiste er zureichst nach Fulda, von wo er den Lieu-
tenant von Garssen an seinen Bruder Wilhelm nach Braun-
schweig, Beudci' aber nach dem Harze voraussandte, um
unter der armen Bevölkerung des Gebirges durch Austeilung
von Geld und Versprechungen Anhänger für ihn zu werben.
Er selbst folgte dem letzteren nach einigen Tagen. Aber in
Gotha erhielt er die Nachricht, dafs sein Enjisf^är, sobald er
die brauuachweigisehe Grenze überscln'itten hatte , in Haft
genommen und auch Lieutenant von Garssen samt dem
schon von London aus nach Braunschweig geschickten Haupt-
mann Sommer angehalten und in Gewahrsam gebracht sei.
Nichtsdestoweniger setzte er seine Reise fort uud langte am
29- November in der prcufaischen , nahe der braunschweig-
ischen Grenze gelegenen Stadt Ellrich an. Hier sammelte
»ich um ihn ein Haufen armen Volke* ^ Tftft\%\.feVÄ ?oi& ^-wx
b
&B Drittes Buch. Erster Abschnitt.
Harzdorfe HohegoÜB, welcher, die aus Frankreich mitge-
brachten Kokarden mit den roToIutionären franzüsisuhon Far- ^m
ben an Mützen und Pfuten, mit ihm über die braunsehwei- ^|
giache Grenze vorzudringen versuchte. Aber bei Zorge trat
üim eine Abteilung der schwarzen Jäger unter dem Bel'ehl
des Hauptmanns lierner entgegen und nütigte ihn^ unter
Zurückla69ung der mitgebrachten Kokarden und der dema-
gogisch verführerischen Aufrufe, in denen er dem Volke alle
Herrlichkeiten der französischen Verfuösung, selbst Steuer-
freiheit für die ärmeren Klassen, versprach, den KUckzug
anzutreten. Er wandte sich nach Osterrodc, von wo er,
durch einen Volkshaui'eu verhöhnt und bedrohet, heimlich ji
zu Ful's entfloh, bia er die nächste Poststation erreichtc^H
Über Gotha, Mainz und Metz ging er nach Paris ^B
Dieser thörichte, mit dem Aufputz revolutiouiii'en*L>emA-
gogeutums in Scene gesetzte Putsch brachte in die üoer die
Braunschweiger Angelegenheit schwebenden Verhandlungen
der BundesveiTsammlung einen rascheren Zug. Selbst Oster-
reich, das bisher noch hartnäckig die legitimen Kechte de»
Herzogs verteidigt hatte, schlofs sich jetzt den preufaischen
und bannüvi'i sehen Anträgen an. Der ßundestag einigte
sich am 2. Dezember 1K30 zu einem taut einstimmigen Be-
schlüsse, der den Herzog Karl lür regieriuigsunlahig erklärte,
den Herzog Wilhelm zur vorläufigen Weiterfiihrung der Re-
^erung ermächtigte und den Agnaten anheimgab, „die de-
finitive Anordnung der Angelegenheit für die Zukunft zu
erwirken ". Damit war freilich die Sache immer erat ftir
den Augenblick geregelt : für die Zukunft standen noch liarte
Kämpto bevor. Vor allem erregte die doreinstige Erbfolge-
frage allerseits grofse Bedenken: man konnte doch mit der
Regierungsuniähigkeitserklärung des Herzogs nicht zugleich
diejenige seiner etwaigen späteren Kinder aus einer standes-
gemäfsen Ehe ausspreclien. Von den deutschen Grofsmachten
betrieb Preulsen mit aller Energie die wirkliche Einsetzung
des Herzogs Wilhelm auf den Thron seiner Väter, Öster-
reich seinerseits setzte dagegen alle Hebel in Beweguug.
Jenes liels sich von politischen Opportunitätsgründcn leiten,
dieses verteidigte die Grundsätze der Legitimität. Endlich
wagte Herzog W^ilhelm, von Preuisen ermutigt, eine Art
von ÖtiuitßBtreich. Am 20. April IHil erliefs er eine Be-
kanntmachung , in der er dem Lande seinen Regierungs-
antritt kundthat, diesen Schritt mit dem Hinweise auf die
offenkundigen Thatsachen nnd aul" den ergangenen Buudes-
tagsbeschluis rechtfertigte und erklärte, dals er nach Er-
teiliiug der Reversaiien und nach Aalhebong des bisherigen
Hetiog Wilhelm übernimmt die Regierung.
ii»
Unterthanenverbandes die Huldigung des Landes entgegen-
nehmen werde. Diese ert'olgie dann fünf Tage darauf, am
Geburtstage des Herzogs, unter allgemeiner Teilnahme und
dem Jubel der Bevölkerung. Die gegen diese Mafsnabmeu
eingelegten Proteste des Herzogs Karl blieben ebenso er-
folglos wie das Widerstreben Osterreicbs und seiner Partei-
genossen beim Bundestage Kachdem die Agnaten des
brauuschweigischea Hauses dem früheren Bundestagübeschlusae
gemäfä am 24. Oktober 1831 ein auch von sämtlichen eng-
lischen Prinzen unterzeichnetes Hausgeaetz vereinbart hatten,
kraft dessen sämtliche Mitglieder des Hauses vor Eingehung
einer Ehe fortan die Zustimmung des regierenden Herrn
der betreffenden Linie einholen sollten, fand die Angelegen-
heit, die so vielen Staub aufgewirbelt hatte, damit ihren
endgültigen Abschluß, dafs am 12. Juli 1832 der vom Her-
BOge Wilhelm mit der Vertretung Braunschweigs am Bunde
beauftragte Herr von Marschall als solcher einstimmig zu-
gelassen und von der Versammlung als berechtigtes stimm-
führendes Mitglied feierlichst anerkannt ward. Herzog Karl
hat nach diesen Ei-eiguisäea noch zweiund vierzig Jahre im
Auslande gelebt, bald in London, bald und zumeist in Paris,
und durch Exzentricitäten aller Art viel von sich reden
gemacht. Eine von ihm angebHch im Jahre 1832 auge-
zettclte Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Re-
gierung, deren iSeele die Gräfin Görtz-Wrisberg sein sollte,
ergab doch in der Untersuchung darüber ein sehr zweitel-
hat'tes Resultat Karl erlebte noch den frauzösisch-deutschen
Krieg von 1870 und 1871, die Belagerung von Paris, die
Gründung des neuen deutschen Reiches, den Aufstand der
Kommune. Entsetzt über die Greuel, die damals Paris in
Blut und Flammen tauchten, floh er, wie einst nach den
Julitagen, aus der Stadt, aber nicht nach Braunschweig,
sondern nach Genf, wo er bald darauf starb (l8. August
1873), indem er die Stadt zur Univcrsalerbiu seiaos kolossalen
Vermögens einsetzte.
Über die ersten achtzehn Jahre der Regierung des Her-
zogs Wilhelm können wir mit wenigen Worten hinweg-
gehen. So arm sie an äufaeren bedeutenden Ereignissen
waren, so Begensreich erwiesen sie sich für die innere Ent-
wicklung des Landes. Durch die jüngsten Ereignisse hatte
sich die ReformbedUrftigkeit der von dem Bundestage eben
erst (4. November 1 830) als zu Recht beatehenden Ver-
fassung von 1820 herausgestellt. Man ging deshalb noch
in demselben Jahre, in welchem Herzog Wilhelm die Re-
gierung übernahm, an eine Revision und Umgestaltung der
4;;0 Drittes Buch. Erster Alucbaitt.
orneuerteti Landschaitsordnung. Nach längeren Verhand-
Imigea der von der Landschaft zu diesem Zweck gewählten
KomtniflÄJon mit der Regierung kam am 12. Oktober 1Ö32
auf vcM-tragsinülrtigem Wege ein neues Staatsgrundgesetz zu-
gleich mit den damit zusammeubängenden Veiändcrujagen
im StaatftOJ'gani'iinus zustande, das eine angenieaseuere Wahl-
ordnung einttilirtf: und überhaupt den Fordeningen der neueren
Zeit entspreelieiid Rechnung trug. Und nun begann auf
allen Gebieten des Staatölebeiis eine rege Rcf'ormthätigkeit,
bei welcher Regierung und Stände meist in erireulicher
Weiße Hand in Hand gingen. Die erste nach dem neuen
Wuhlj^ewtze zusammentretende LandesA-ersanimlung tagte
vom 30. Juli lH3:i biK in den Mai 18^5. Von der greisen
Aiiy.uhl mmer Gesetze, die von diesem Landtage mit der
Regierung vereinbart wurden, war keines von gi'ölserer Be-
deutung als die Ablösungsordnungj durch welclie endlich
der Grund zu der liefreiung des Bauernstandes von den ihn
in seiner wirtsc halt lieben Entwicklung hemmenden Lasten
und Abgaben g'iegt ward. Daneben verdient die Städte-
ordnung hervorgehoben zu werden, die für die Ausgestaltimg
des kommunalen Lebens eine ähnliche Bedeutung hatte wie
jene tiir die Forderung und das AufbUüien der Landwirt-
schaft. Am meisten umstritten waren während dieses Land-
tages die Vorschlilge der Regierung inbezug auf die Er-
richtung eines dem ijs-eufsischeu Zollvereine entgegeuzusetzen-
dou Stcuervereit]s mit Hannover^ der bereits durch vor-
läufigen Vertrug vom 1. Mai 1834 ins Leben trat. Mit
nur geringer Mehrheit ward diesej* Vertrag sebliefslich von
den Ständen angenommen. Nach Schlufs der Verhand-
lungen traten ihm noch Oldenburg und Schaumburg- Lippe
bei, so dafa diese nordwestliche Gruppe der deutschen Staa-
ten fm'tttu ein eigenes abgeschlossenes Zollgebiet bildete.
Weniger bedeutend und folgenreich wa]*en die Verhand-
lungen des zweiten ordentlichen Landtages von 1 83G bis
1837- Abgesehen von der Bewilligung der zu dem B:iu der
Eisenbahn von Braunschweig nach Harzburg erforderlichen
Summe kam auf ihm nur das Gesetz über die AUodiiikation
(Aufhebung) der Foudalrcchte zustande. Dagegen beschenkte
dei* dritte ordentliche Landtag (1Ö3Ü — 1812) das Land mit
einem neuen vortrefflichen , von dem Staatsrainister von
Schleinitz bearbeiteten Kriminalgesetzbnche, das mit dem
1. Oktober 1M4U in Kraft trat. Auch bewilligten die Stände
zimi Bau der Eisenbahn von AA'olfenbüttel nach Oschers-
kheD, deren Fortsetzung U* MÄ^d&buvg dann eine Aktien-
geseUschüft übernahm, die Ä-Axnwxt n^u \?»VftVis*i '^WWta.
I
Staudeversaoiuiluugeu iu Brauuachweig.
431
ie bedeutsamsten Vei'handlungen abor dieses Landtagcti
drelieten sich um die Zoll- und JSteuerPcrhUituißse des Lan-
des. Öclion im Jakre 1837 hatte eine auiäcrordentlichc Ver-
sammlung der ätäude den Auaehlufa des fast ganz von
preafsischem Gebiet umgebenen ehemaligen FUrbteatums
Blaiikeuburg und der Enklave Kalvörde an den preufaißch-
'.eutscheu Zollverein beschliel'sen müssen, da dicöcn Land-
baHen anderufalla eine baldige völlige Verarmung bevor-
ustehcn schien. Nun lief mit dem £nde des Jahres ltJ41
[er mit Hannover geschlofseue Vertrag über den Steuer-
■ercin ab, imd es fragte eich, ob es im Interesse des Her-
zogtums liege, ihn zu erneuern. Die darüber mit der liau-
novrischen Regierung angeknüpften Vcrhandlungeu luhrten
zu keinem Ziele. Ka ergaben sich zwiÄclicn hier und dort
so abweichende Ansichten, dai'a sie abgcbrnchen werden
muJsteu. Die herzogliche Regierung wandte sich infolge
davon an den preiUsiscb - deutscheu Zollverein und sehlolä
mit der preulsischen Jtegierung am VJ. Oktober 1841 ein
Abkommen, wonach die Angliederung des Herzogtums mit
P Ausnahme seines südwestlichen Teils an den preufsischen
Zollverein eriblgte. Der Ansehluls auch dieser südwestUchen
Gebietsteile, die vorläufig noch in der alten Ötcuerver bin düng
mit Hannover blieben, land dann mit Genehmigung des
vierten Landtages, der im November J842 zusammentrat,
am 1. Jauuru' 1844 statt. Im übrigen brachte dieser Land-
tag nicht eben viel Erapriefsliches zustande, mit Ausnahme
einiger neuen Eiseubuhnbauteu, namentUch derjenigen nach
Hannover, si)weit sie auf braun seh weigischem Gebiete ange-
legt wurden. Ein AutJ'ag auf Oflcnthchkeit der stäudischen
Verhandlungen ward von ihm abgelehnt und auch das Zu-
standekommen der längst in Aussicht genommenen Land-
gemeinde Ordnung scheiterte an der leuweiao ablehnenden
Haltung der Regiemng. Als dann im November 184& der
fünfte ordentliche Landtag sich versammelte, kam es zwischen
den Ständen und der Regierung über das Staatsbudget zu
unerquickhchen Auseinandersetzungen. Jene wollten dui'ch-
aus die Ausgaben für das Mihtär einschränken, wählend die
Regierung sich nach dieser Richtung hin auf nichts eüiliels.
So kam diesesmal kein ordnungsmüfaiger Etat zustande.
Dennoch hielt sich die Rcgierimg für berechtigt, die Steuern
fiir die laufende Fiiinnzpcriode zu erheben. Es drobeteu
mithin \\'eiteriingcn zwischen den verfassungsmäCsigeu Fak-
toren auszubrechen, als die Ereignisse des Jahres 1848 der
Regierung wie den Ständen ganz andere Aufgaben zu atÄUavL
und andei-e Ziele zu weisen acbxcweu.
432 Drittes Buch. Erster Abschnitt.
Zu derselben Zeit, wo m Brauuscbwelg nacb dem Sturme
von 1830 die öffentlichen Angelegenheiten wieder in ruhi-
gere Bahnen geleitet wurden und dann unter der verstäti-
digen und mal'avoUen Regierung dea Herzogs Wilhelm eine
Epoche wohlthätiger, namentlich die raateriellen Kräfte dea
Landes entieöselader Retormen begatm, hatte das stamm-
verwandte Nachbailaud üchwere und aufregende Verfasaungs-
kämpfe durchzumachen. Diese Kämpfe knüpfen sich an
den Thronwechael, der 1837 in Hannover erfolgte und auch
abgesehen von jenen Kämpfen, die er hervorrief^ deshalb
für das Land von so weittragender Bedeutung wurde, weil
er die Verbindung löste, welche seit mehr als hundert Jah-
ren zwischen dem britischen Reiche und dem deutschen
Kui'fürstentume und späteren Königreiche beat^inden hatte.
Am 20. Juni des genannten Jahres starb König Wilhelm IV.
Ihm folgte auf dem Throne von Grofsbritannion und Irland
seine Nichte Viktoria, die Tochter seines ihm im Alter am
nächsten stehenden Bruders Eduard August, Herzogs von
Kent, wäbrendj da nach deutachem Rechte der Mannastamm
den Weibern vorging, in Hannover Kmst August, Herzog
von Cumberland, der tunfte Sohn Georgs III., den Thron
bestieg. Damit zerrifs das unnatürliche Band, das bisher,
wenn auch nur in lockerer Verbindung, die beiden Länder
verknüpft und sich mehr als einmal für Hannover hIs ver-
hängnisvoll erwiesen hatte. Beide Länder empfanden die
neue Ordnung der Dinge als eine Wohlthat. In England
war die Verbindung mit dem Süimnilande seiner Könige nie
populär gewesen, obschoo der englische Egoismus aus dieser
Verbindung zu Zeiten doch seinen Vorteil herauszuschlagen
verstanden hatte. In Hannover aber, wo man seit lauger
Zeit daran gewöhnt war, die persönliche Gegenwart des
Herrschers zu entbehren und ihn nur aus der Ferae zu
vorehren, begriifste man, so sehr die milde Regiening des
Herzogs von Cambridge sich im Lande Freunde erworben
hatte, den Wechsel mit aufrichtiger Freude, da er eine neue
selbständige Entwicklung der staatUchen Verhältnisse in
Aussicht zu stellen schien. Ernst August war freilich _ eine
Persönlichkeit, von der man sich mancher politischer Über-
raschungen, jedenfalls eines stranmien persönlichen Regi-
mentes versehen durfte. Von den sieben Löhnen Georgs lll.
war er in England der unbeliebteste, ja er galt hier als
„der unpopulärste Fürst der ganzen modernen Zeit". Die
zügellose englische Presse, zumal diejenige der whigistischen
Partei, hat ihn, den emgeftevächten Hochtory, mit einer
wahren Flut von AiMageia, SftWiäWa%fe\i. >jäuI Verleum-
Ernst August, Köuip; voa HanDorer.
Am
düngen überschüttet. „ Mit einziger Ausnahme des Selbst-
mordes" — 80 durfte ein radikales enghschea Blatt schrei-
ben — „hat der Herzog von CumboHand bereits alle
menschlichen Verbrechen begangen." In den Jahren 1786
bis 1791 hatte er als heranwachsender Jüngling mit seinen
Brüdern August Friedrich und Adolf Friedrich, den späte-
ren Herzögen von Sussex und Cambridge, in Oöttingen ge-
lebt, das damals auf der Höhe seinea Ruhmes stand. Aber
die Vorträge der akademischen Lehrer, die er hörte, ver-
mochten ihn nicht zu iesseiu. Er hat auch später nie eine
Neigung für wissenschatitliche Dinge bekundet , vielmehr
«.einer Verachtung der Professoren und ,, Tinteklek.'ier" wie-
derholt in spöttischen oder drastischen Worten Ausdi*uck
gegeben. Ura so lebhal^erea Interesse zeigte er für das Mi-
Utär, namentlich die Kavallerie, wie er denn selbst ein aus-
nehmend kühner und gewandter Reiter war. Nach Be-
endigung seiner Studienzeit widmete er sich dcmzuibige zu-
nächst dem Waffendienste, machte als Obrist des neunten
hannöviischen Reiterregimentes 1 793 den Feldzng in den
Niederlanden mit, wo er sich in der Schlacht bei Famars
(28. Mai), besonders aber in dem Marschgefechte bei Avesnes
le See (6. August) durch persönliche Tapferkeit rühm-
lich hcrvorthat. In England von den empfangenen Wunden
geheilt, übernahm er 1794 wiederum die Führung seines
Regimentes, kämpfte mit beim Austall aus Nymwegen und
befehligte auf dem Rückzuge die Nachhut des hannövrischen
Heeres, bis auch seiner kriegerischen Thätigkeit der Friede
von Basel ein Ziel setzte. Er nahm jetzt seinen Wohnsitz
in Hannover, wurde 17*J8 zimi GeneralHeutenant beturdeit,
gehörte aber der hannövrischen Armee nur noch dem Na-
men nach an.
Vielmehr begann nun, nachdem er im Jahre 1799 zum
Herzog von Cumberland ernannt und damit in die Reihe
der Peers von Örofsbritaunieu und Irland eingetreten war,
seine politische Thätigkeit in England. Sie ist für unsere
Zwecke nur von untergeordnetem Belang. Es genügt her-
voi-zidieben, dafs er sich im Ül>erhause als ein rücksichts-
loser, entschiedener V^>rkänlpler toryistischer Grundsätze und
als ein eifriger Anhänger der liochkirchlichen Partei zeigte.
Aus dieser Zeit stammt der Hafs, mit dem man ihn in
England verfolgte. Im Jahre 1 « 1 3 schiofs er sich dem
Hauptquartiere der Verbündeten an und wurde dann nach
der Vertreibung der Franzosen mit der militärischen Reor-
ganisation Haunovera betrauet. Trotzdem fiel b^v ässc
k.
4M
Drittes Bach. Erster Abschnitt
Wahl eines Generals tattbaltera fUr das neue Königreich diese
mcht auf ihn, sondern auf seinen jüngeren Bruder, den Her-
zog von Cambridge. Verstiramt darüber und über die Be-
handlung, die er inbezug aul' die Erhöhung seiner Apanage
seitens des englischen Parlamentes erfuhr, zog er sich jetzt
von dem öffentlichen Leben zurück, wohnte seit 1819 meist
in Berlin, zeitweilig auch in London und auf seinem Land-
sitze Kew in Kngtaud. In Berlin schlols er sich enge an
die streng konigUche Partei und deren dainahgea Haupt,
den Herzog Karl von Mecklenbui^-Ötrelitz, an, mit dessen
Schwester Friederike, der Witwe des Prinzen Ludwig
Friedrich Karl von Preufsen und dann des Prinzen Fried-
rich Wilhelm von Solms- Braunfels, er sich am 29. Mai 1816
vermählt hatte. Durch diese Heirat trat er auch dem
preufsischen Königshaiise näherj da seine Gemalilin eine ^m
jüngere Schwester der unvergefalichen Königm Luise war. H|
In diesen Berliner Kreisen bildete sich der Herzog seine ^^
AufTassung von den deutschen pohtischen Verhältnissen und
bestärkte sich in seiner reaktionären Gesinnung. Auch mit
den Häuptern der Torypartei in England blieb er fortwäh-
rend in engster Verbindung. Er war ein Hauptgegner der
KatbüUkenemanzipatiou^ die damals alle Schichten des eng*
lischen Volkes mächtig aufregte, und stand mehrere Jahro
lang als Grofsmeister an der Spitze der Orangelogen, einer
freimaurerischen Vei'bindung von Klubs hochkonservativen
Charakters, der man nichtsdestoweniger heiraUche Zettel ungen
zuschrieb, um die gosetzraälsige Thronfolge zugunsten ihre» ii
Grofsmeisters zu beseitigen. ^M
Ernst August hatte, so lange er nur Prinz des könig- ^^
liehen Hauses war, nie eine offene unzweideutige Erklärung
inbezug auf die von seinem Bruder mit den Ständen ver-
einbarte Verfassung abgegeben, die seit dem Jahre 1833,
also bei seiner Thronbesteigung vier Jahre in Kraft war.
Er hatte ihr weder je seine Zustimmung erteilt noch auch
öffentlich dagegen Verwahrimg eingelegt, aber man wufete
aus Privat unterhalt ungen und Korrespondenzen , dafs er
ihr nicht gunstig gesinnt sei. Als er jetzt am Nachmittage
des 28. Jimi in Hannover eintraf, um von dem Lande seiner
Väter Besitz zu ergreifen, durfte man gespannt darauf sein,
wie er sieb zu dieser nächsten und dringendsten Frage
stellen werde. Der städtischen Abordnung^ die ihn bei seiner
Ankunft empfing, verhicfs er, dem Lande ein gorechter und
gnädiger König zu sein. Aber schon während des ersten
AbendSj als die Stadt zui- Feier seiner Ankunft in dem
Gl&nze von tausend und 8A>ct V&mäkcA YIv^XfcviL «c%trahJte, i
Änfhebnug des Staatsgmndgeseizea roD 1833,
48&
^deE
hatte er mit Herrn von ScheJe, dem Haupte der Adelspartei
;pnd dem Führer der äu&ersten Rechten ira Landtage, eine
nge Besprechung. Am fülgenden Tage ward statt des er-
warteten verfassungsmäfsigen Patentes, mit dem der König
,en Antritt seiner Regierimg den Ständen hätte anzeigen
nd die AulVechterhaltung der VerfasBüng hätte geloben
.j eine königliche Verordnung verlesen, _ welche die
täude auf unbestimmte Zeit vertagte. Die Überraschung
war 80 grofs, dafs man mechanisch gehorchte, niemand eine
Bemerkung zu dem verlesenen Aktenstück zu machen sich
getrauete. Nur Stiive bracJite einige unzusammeuhängende
Worte hervor. Noch an demselben Tage erlolgte die Er-
,ennung von Scheles zum Staats- und Kabineteminister, und
man sagt, der König habe mit eigener Hand in der von
ihm zu schwörenden Eidesformel die darin enthaltene Ver-
pflichtung auf das Staatsgrundgesetz durchstrichen. Damit
war unzweideutig auegesprochen, wie er über das letztere
dachte. Zum Uberflufg enthielt das am 5. Juh erlassene
Patent über den Antritt seiner Regierung die Erklärung,
dafs er sich weder formell noch materiell au die Verfassung
von 1833 gebunden und es in Anbetracht der Bedenken,
die sie errege, für geboten erachte, eine Prüfung darüber
eintreten zu lassen, ob sie einer Revision zu unterziehen sei
oder man auf die alte angeerbte Landesverfassung zurück-
greifen müsse, wie sie nach Abschüttelung der Fremdherr-
schaft im Jahre 1819 wiederhergestellt war. Eine Zeit
lang blieb nun Alles in der Schwebe, bis dann zu Ende
Oktober rasch hintereinander die entscheidenden Schritte er-
folgten, weiche das Stuntsgrundgesetz beseitigten und die
ihende Rechtsordnung im Lande vernichteten. Ein Pa^
tent vom 30. Oktober verfügte die Auflösung der Stände,
ein anderes vom 31. entzog den Ministem aufser von Schele
ihre bisherige Stellung und setzte sie zu Departementsräten
herab, ein drittes endlich vom 1. November hob das Staats-
grundgesetz auf und stellte die alte Verfassung von 1819
wieder her. Zugleich wurden sämtliche Beamte ihres auf
die Verfassung geleisteten Eides entbunden und von den
direkten Steuern eine jährliche Summe von 100000 Thalem
erlassen.
Diese Mafsregeln des Königs wirkten in Hannover wie
ein betäubender Schlag und erregten weit über die Grenzen
desselben hinaus, in dem übrigen Deutschland tmd selbst in
den aulserdeutschen Ländern, das peinlichste und gerechteste
Aufsehen. In England waren so^r die politischen Freunde
"es Königs darüber entrüstet. Indeaaeu "^»t ^e« "^x^et-
I»
Dritt« Buch. Erster Abschnitt
stand, welchem der VerfassuDgäumsturz in Hannover l>e-
gt^ete, nur schwach und vereinselt Zuerst erbob er sich
in den von dem Könige so tief verachteten Kreisen der
Professoren in Göttingen. Sieben der hervorragendsten Lehrer
der berühmten Hochschule, an ihrer Spitze Dahlraaun und
der ausgezeichnete Jurist AJbrecLt , veröffentlichten einen
Protest, den sie an das Kuratorium der Universität richteten
and in dem sie erklärten, dafs sie sich auch nach dem
königlichen Erlasse noch an den von ihnen geleisteten Ver-
fassuni^aeid lUr gebunden erachteten. „Sobald wir", biefs es
darin, ., vor der studierenden Jugend als Männer erscheinen,
die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben , ebenso
bald ist der Segen unserer Wirksamkeit dahin." Man sieht,
es war in erster Reihe das Getühl sittlicher Verpflichtung,
nicht politische Parteinahme , die aus dieser Kundgebung
redete, wie denn die überwiegende Mehrheit dieser Älänner
dem politischen Leben bisher völlig fremd gegenüber ge-
standen hatte. Um so heftiger vielleicht war der Zorn des
Königs. Ohne Hüeksichten auf die Bestimmungen der
von ihm beseitigten Verfassung, ja ohne sich an seine eigenen
Erlasse zu binden, verfügte er die Entfernung der Sieben
aus ihrem Amte und verhängte über drei von ihnen, DahU
mann, Jakob Grimm und Gervinus, weil sie die Erklärung
einigen Freunden mitgeteilt hatten , die sofortige Landes-
verweisung, Als die ilmen gewährte kurze Frist von drei
Tagen abgelaufen war , verliefsen sie , von einem grofsen
Teile der Studentenschaft geleitet, Göttingen und begaben
sich zunächst nach Witzenhauseu auf hessisches Gebiet.
Diitiiit war aber des Königs Zorn g^en sie keineswegs be-
Bänftigt. Er hat sie auch noch über die Grenzen seines
Landes verfolgt, ihre Berul'ung an andere deutsche Univer-
sitäten au hintertreiben gesucht, ohne dies bei der wissen-
schaftlichen Bedeutung der Männer doch auf die Länge ver-
hindern zu können. In allen Gauen Deutschlands aber er-
weckte die tapfere und ehrenhafte Haltung der „sieben
Göttinger Professoren '' begeisterte Zustimmung , die sich
natui^mäfs in ebenso stürmischen Angriffen auf den Kö-
nig und das Verfahren äufserte, das zu ihrer Mafsregelung
geführt hatte. In der stillen mattherzigen Zeit regte sie die
Geniütor auf, sdiärfte sie die Gewissen und hat, als der
Bundestag sich scliliefslich solcher Rechtsverletzung gegen-
über als völlig machtlos erwies, nicht wenig dazu beige-
tt*ageb, ihn seines letzten Ansehens in den Augen des Volkes
zh berauben, ''■'"'i
-i-jiiWfenn die -Tbat-'der sieben Göttinger Professoren mehr
Wiilerutaud da^^cgcn. Die aietea GöttJDger Professoren. 487
aus ethischen ala aus politischeo Erwägungen hervorgegangen
war, so wäre es Sache dea ganzen Volkes, vor allen aber
der Ständeverriaiumlung gewesen, mit allen erlaubten Mitteln
für die Uli Zweifel Haft zu Uecht bestehende und nun in so
einseitiger und gewaltsamer Weise beseitigte Verfassung ein-
zutreten. Indes geschah dies doch nur in sehr beschränktem
Umfange und , wo es geschah , mit so ausgesprochener
Schwäche, dafs es der Regierung nicht schwer ward, diesen
Widerstand im Ijinde zu bewältigen. Sie war auch keines-
wegs wählerisch in ihren Mitteln und setzte nach dem Wahl-
spruche ihres Herrn und Königs (Suscipere et tmire) alle
Hebel in Bewegung, um ihren Zweck zu erreichen. Das
einst so allmächtige Beamtentum in Hannover erwies sich in
dieser Krise al.s wenig widerstaudstUhig gegen den ener-
gisch und rücksichtslos ausgeübten Druck von oben. Bei
manchen war ea ohne Zweite! politische Überzeugung, wenn
sie sich dem Machtgebote dea Königs beugten, die meisten
aber wurden durch das rasche und gewaltthätige Verfahren
eingeschüchtert, das gegen die Göttinger Hcmonstranlen ein-
getreten war. Der Uegiemng war vor allem daran gelegen,
die Ständeversammlung, die sie nach der alten Wahlordnung
von iyi9 einberief, zustande zu bringen und in der zweiten
Kammer eine gefügige Mehi'lieit zu erzielen. Das erste ge-
lang ilu*. In der zweiten Kammer fanden sich , nachdem
die Regierung die mit Vorbehalt geschehenen Wahlen für
nichtig erklärt hatte, siebenundvierzig Abgeordnete zusammen:
die Kammer war also beschlufsfähig. Allein sie verlangte,
als nach langen Vorberatungen endlich die Verhandlung
über die neue Verfassung begann, dafs diese dem noch zu
Recht bestehenden früheren Landtage vorgelegt werde ^ da
„keine Hwudlung der gegenwärtig versammelten Deputierten
etwas zu bewirken imstande sei , was rechtUch Oültigkeit
habe". Die Folge war eine sofortige Vertagung der Stände,
denen nunmehr eine Bcschw^erde beim Bundestage als der
einzige Weg erscheinen mufste, um aus diesen Wirren her-
auszuküramen. Daliir waren aber nur die Stimmen von
achtundzwanzig Mitgliedern zu gewinnen, eine Minderheit,
die sich mnuöglich als Vertreterin der gesamten Stände an-
sehen und danach handeln konnte.
Neben diesem zahmen und niclits weniger als einhelligen
W^iderstando der Stände regte sich auch in den gröfseren
Städten des Landes eine Opposition gegen die Mafsrcgeln
der Regierung. An ihrer Spitze stand Stüve, der Bürger-
meister von Osnabrück, den die Regierung mit Hecht fürchtete
und den sie deshalb von den ständischen Beratungen wider-
1
Drittes Buch. Erster Abschnitt.
rechtlich auszafHihliersen gewafst hatte. Er dachte selbst
daran, den V'ert'assungsbruch durch die Verweigerung der
noch nicht bewilligton Steuern zu beantworten und erbat zu
diesem Zwecke von verschiedenen juristischen Fakultäten
Rechtagutachten. Ks kam aber nicht dazu, vielmehr be-
gnügte mau sich scbiiefslich damitj in Adressen gegen die
Aul'hebuDg des Staatagrundgesetzes Verwahruug einzulegen
und eich für dessen Uechtsbeständigkelt auszusprechen.
Solche Schriftstücke wurden von einer ganzen Reihe von
Städten, von Osnabrück, Lüneburg, Hildesheim, Celle, Har-
bui^, Stade, Münden, selbst von der Haupt- und Residenz-
stadt Hannover, erlassen. Sie änderten aber an der Sach-
lage nichts, da die Regierung sie einfach zu den Akten
legte. Es ward für jeden Einsichtigen immer klarer, dafs
das Land nicht imstande sei, den Willen der Regierung
oder viehueln: des Königs zu brechen , dafs nur die Ein-
mischung des Bundes vielleicht ein solches Ergebnis herbei-
zuführen vermöge. Deshalb hatte es Stüvo in Osnabrück
durchgesetzt, dafs die Stadt sich mit einer Klage über Ver-
fassungsv^erletzuug an den Bundestag wandte, und andere
Städte waren diesem Beispiele gefolgt. So wurde der Schwer-
und Angelpunkt der ganzen Angelegenheit nunmehr aus
Hannover nach Frankfurt verlegt.
L>a k»m es nun vor allem darauf an, wie sich die bei-
den deutschen Grofsmachte zu der Sache stellen würden.
Von <.>stetTeieh war nach der ganzen Richtung seiner Bun-
despolitik nicht anzunehmen, dafs es sich des verletzten
Rechtes annehmen werde. Desto eher durfte mau von
Preufsen, das ja stets seine besondere Machtsphäre in Nord-
deutschiand gesucht hat, erwaiten, dafs es seinen Einflufs
zum Schutz der veriässuugsmäl'sigen Rechte des Nachbar-
landes werde geltend machen. AUein diese Erwartung sollte
nicht erfüllt werden. König Ernst August war vom ersten
Augenblick seiner Regierung an eitrig bemühet gewesen, sich
die Gunst und, wenn ea nötig sei, die Unterstützung des
Berliner Hofes zu sichern. Seine alten Beziehungen zu dem
letzteren, sein langjähriger Aufenthalt in Berlin, seine nahe
Verwaadtschall mit dem Königahauae, die frühereu Fartei-
genossea ia den leitenden Kreisen der proulsischen Haupt-
stadt, das alles kam ihm dabei zuhilfe. Wiederholte Besuche
am Berliner Hofe dienten dazu, diese Irüheren Beziehungen
aufzufrischen und neu zu beleben. Sein Schwager, König
Friedrich Wilhelm HI., sowie der Kronprinz waren in der
FeWäsaungssache bald iür \W ^"Wö^ixieii und verliiefsen ihm
ihre ünterstätzung. Die kWekgvun^ %'^^'a. ^^ä -msÄsxwjÄv
AuagftDg des YerfasäuugBkouflikts.
499
Konstitutionalismus hatte ohne Zweifel ihi'en Anteil an dieser
Haltung des preufsischeu Hofes, aber man scheuete sich
auch, durch Parteinahme tur die verfasaungstreuen Elemente
in Hannover einen Konflikt heraufzubeschwören, der bei dem
bekannten Starrsinn des König& und bei den eigentümlichen
Verhültnissen innerhalb des königlichen Hauses zu einer un-
abaehbaren Verwicklung führen konnte. So ging denn
Preufsen in dieser hochwichtigen Angelegenheit auönahma-
jWeise Hand in Hand mit Österreich. Schon zu Ende August
lö3U hatte Ernst August die Gewifeheit erlangt, dafs er
beim Bunde obsiegen würde. Die Beschwerde der Oana-
brücker wurde am 5. September durch einen Beschlufs der
Bundes Versammlung abgelehnt , in dem zugleich die Er-
waitung ausgesprochen ward, dafs es dem Könige gelingen
werde, mit den Stauden eine Vcreinbai-img herbeizuführen.
Man erwartete demgemäfs noch eine Erklärung der han-
növrischen Regierung über die Verfassungsverhältnisse. Diese
ti*af denn auch, freilich sehr verspätet und in einem Augen-
bhcke ein, wo der Bundestag im Begritl" stand, eich auf
einige Monate zu vertagen. Sie war auch nicht an die Ver-
sammlung, ftoodern au die Vertreter der einzelnen Staaten
bei der letzteren gerichtet. So wurde die endgültige Ent-
scheidung bis in den Herbst des folgenden Jahres (l840)
verschleppt. Erst am 5. September ortolgte über den bereits
vor fiinf Monaten (26. April) vun Bayern gestellten Antrag,
wonach die hannüvrische Regierung aufgefordert werden
sollte, den Kechtazu stand im Lande aufrecht zu erhalten und
Änderungen desselben nur auf vertassungsraäfsigem Wege
vorzunehmen, die Schlufsabstimmung. Er wurde mit zehn
g^;en sechs Stimmen abgelehnt, dagegen die Erwartung wie-
derholt, dafs der König Ernst August das seinige thun
werde, um zu einem Einverständnisse mit seinen Ständen zu
gelaugen.
Inzwischen waren diese am 19. März in Hannover er-
öflhet worden. Die Regierung legte ihnen noch au dem-
selben Tage den Entwarf zu einer neuen Verfassung vor.
Als die Kammern sich bereit fanden , in die Beratung
über ihn einzutreten, erklärte der König, „dafs ihm da-
durch ein Stein vum Herzen genommen werde". Am
fi. August 1840 wurde das neue Landesgrundgesetz, nach-
dem es von den Ständen durchberaten und vom Könige
genehmigt worden war, veröffentlicht. Die Regierung er-
reichte darin alles Wesentliche, worauf es ihr ankam: zu-
nächst und vor allem die Wiederherstellung der früheren
Trennung der königlichen Don\amaiWft»aei \wv ^t '^Näa.-
Buch. Erster Absebaitt.
difichen Oeneralsteuerkaäse, aber aach eine wesentiiche Be-
schränkung der leginlatonBchen Befugnisse der Stände ^ die
UnVerantwortlichkeit der MiniBter den letzteren gegenüber
und insofern eine Änderung der Bestimmungen über die
Throni'olge und Regentschai't , als in der neuen Ver-
ÜMBnngHordnung ausgesprochen war, dalB „eine solche Regent-
schaft nur eintreten solle, wenn der König minderjährig eiä
oder in einem solchen Zustande sich befinde, welcher ihn
zur Führung der Regierung unfähig mache". Bei dem kör-
{>erUchen Gebrechen, an dem der Kronprinz litt, war diese
etztere Bestimmung für die Zukunft von besonderer Be-
deutung. So endete dieser Verfasaungskampf, nachdem er
drei Jahre lang gedauert und während dieser Zeit nicht
allein die Gemüter in Hannover erhitzt, sondern auch ganz
Deutschland aufgeregt hatte. Er hatte aufs neue gezeigt,
"wie wenig tief die Wurzeln des neuen Verfassungslebens
noch in den deutschen Staaten, zimial Norddeutacblunds,
lagen, wie leicht es fürstUcher Willkür noch ward, aner-
kannte Rechtsordnungen über den Haufen zu werfen und
die Schöpfungen eigenen Gutdünkens an ihre Stelle zu setzen.
Er hatte aber auch dargothan, wie wenig der deutsche Bund
imstande war, die Bevölkerung der einzelnen deutschen
Länder vor solcher Vergewaltigung zu schützen und Insti-
tutionen aufrecht zu erhalten, doren Kechtsbeständigkeit doch
aufser aller Frage stand. Es ist die grofse geschichtliche
Bedeutung der hier kurz geschilderten hannövrischen Ver-
£assungskämpfe, dafs sie diese Erkenntnis in den weitesten
Kaeisen des Volkes verbreiteten, dafs sie jedermann, der
sich nicht absichtlich verblenden wollte, klar vor Augen
ßtelltcn, dafs jene Schöpfung des Wiener Kongresses eine
Mifsgeburt gewesen, dafa sie ebenso wenig imstande sei,
die Ehre der Nation nach aufseu wirksam zu vertreten, wie
hu Innern gletchmafsig messende Gerechtigkeit zu üben.
Wer wird sich wundern, dafs nach kaum acht Jahren, bei
dem Ausbruch des ersten grofsen europäischen Sturmes, der
ganze moreche Bau des deutschen Bundes laut- und wider-
standslos in sich zusammenbrach V
Sicht man von diesen Verfassnngsw irren ab, welche die
ersten Regieningsjahre Ernst August» erfüllten, von dem
Umsturz der eben erst mUhsara autgerichteten Rechtsordnung,
von der Rücksichtslosigkeit und Gewaltsamkeit der dabei
angewandten Mittel, so wird man die Wattung dieses ersten
faannövrischeu Herrschers, der seit langen Jahren wieder seinen
JSit2 im Lande nahm, als eine tiir das letztere in vieler
JJjnsicht erspriefsliche , ja fte^eaat^ivtVft \iWÄ\'iV.\Äa müssen.
J
Ernet Aagaats FcrsÖuLichkeit.
441
Schon das war für das Land ein nicht hoch genug zu veran-
schlagender Gewinn, dafa die Verbindung mit und damit in
vieler Hinsicht die Abhängigkeit von einem fremden, autaer-
deut^chcn Reiche gelöst ward, welches zum grofsen Teil
ganz anderen Interessen huldigte, welclies in seinem sprich-
wörthch gewordenen Egoismus mehi" ala einmal das deutsche
Nebenland auf das schnödeste ausgebeutet hat, dessen ge-
waltige Weltstellung beherrschend und niederdrückend auf
ihm lastete und dui'ch dessen Politik es so oft zu seinem
unermefslichen Schaden in die grofsen europäischen Kon-
flikte war verstrickt worden. Jetzt war die Zeit vorüber,
wo von London aus eine „ deutsche Kanzlei " über das Meer
hinweg die Angelegenheiten des fernen Landes leitete, wo
ein zu diesem Zweck eigens angestellter Ministor dasselbe
nach den Anschauungen und Grundsätzen regierte, die er
sich in England, unter einem zwar stammverwandten aber
in seineu Lebensgewühnheiten doch sehr verschiedenen Volke
gebildet hatte. Der König selbst war am Platze. Er schwebte
nicht mehr wie ein unbentimniter ßegrifif der Souveränität
in weiter Ferne, sondern er wollte selbst sehen, prüfen, an-
ordnen und in persönlichstem Sinne die Kegieruug beein-
flussen. Und Ernst August war durchaus der Mann dazu.
Auch er war unter Engländern auigewachsen und nach
enghschen Grundsiitzen erzogen worden, er blieb auch Zeit
seines Lebens in seinem Auftreten, seiner äufseren Eracheinimg,
seinem inneren Wesen ein Engländer, nicht einmal die deutsche
Sprache hat er je einigeruiafseu zu beherrschen gelernt. Aber
er hatte aus seinem Geburtslande eine bei Fürstensübnen
nicht gerade häufige Kenntnis und Beherrschung politischer
VerhältniBse mit nach Hannover gebracht, und dazu gesell-
ten sich Charaktereigenschaften, die ihn in hervorragendem
Mafse zum Herrschen befähigten: ein scharfer Blick, ein
eiserner Wille, eine erstaunliche Arbeitskraft, eine seltene,
freihch stark pessimistisch geiarbte Menschenkenntnis. Er
war eine durchaus selbständige, unter Umständen zu Eigen-
willen und Starrsinn geneigte Natur ^ aber ehrHch beniilhet,
mit eigenen Augen zu sehen, sich von dem Einflüsse anderer
frei zu erhalten, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden.
Man wird auch nicht verkennen, dafs er mit der Zeit, je
mehr er sich in die deutschen Verhältnisse einlebte, milder
wurde , dafs die Schroffheit seiner antangUchen Ansichten
sich abschwächte. Schon elie die Ereignisse von 1848 ihn
veranlafsten, in versöhnlichere Bahnen einziüenken, nament-
lich schon seit Schclea Tode (1844) hat sich dies gezeigt.
AJa im Jahre 1843 der Prozefo gegesu ^\ft "^\\^'t\*Ä ^^^
m
DrittM Buch. Erster Abaohnitt.
MagJBtrata von Hanuover zu deren Ungunsten entachieden
ward, hat er sie sämtlich begnadigt, dem von ihm gemafs-
regelten Stadtdirektor Kumann aus der königlichen Kasse
eine Pension gewährt. Eine G uns tlings Wirtschaft liat nie an
seinem Hofe geherrscht. Die liohe Meinung, die er von
seiner königlichen WUrde hatte, liefs es nicht zu, dafs er
sich vor einem fremden Einflüsse, auch nicht demjenigen
Englands, beugte. In dieser Hinsicht steht er, der englische
Hochtory, in einem ausgesprochenen Gegensatze zu der An-
glomanie seiner unmittelbaren Vorgänger. Er schaffte so-
gleich nach seiner Thronbesteigung die alten voten Unilbrms-
röcke der Truppen , die in so vielen Schlachten geglänzt
hatten, ab und ersetzte sie durch andere, die in Schnitt und
Farbe sich an die preufsischen Uniformen anschlössen. Auch
in manchen anderen Dingen nahm er sich die preufsischen
Armeeeinrichtungen zum Muster Dem Heere widmete er
überhaupt eine besondere Sorgialt. Die alten militärischen
Erinnerungen seiner Jugend lebten da wieder in ihm au£
Die Roitereij auf die der Hannoveraner besonders stolz war,
>vurdc durch ihn vermehrt. Selbst persön liebe Opfer hat
er nicht gescheuet, um die Erhöhung des Kavallerieetats zu er-
reichen. Eh geschah vornehmlich auf seinen Betrieb, dafs
im Herbst 1843 das zehnte Bundesarmeekorps, dessen Haupt-
bestandteil die hannövrischen Truppen bildeten, bei Lüne-
burg zu grölseren militärischen Übungen zusammengezogen
ward. Auch auf anderen Gebieten des Staatswesens liefe
sich das Bestreben, Verbesserungen zu schaffen, nicht ver-
kennen. Vor allem hatten die materiellen Interessen sich
einer wohlwollenden Förderung seitens der llegierung zu er-
freuen. Ftir Deichbau und Wegebesserung wurde nach
Kräften gesorgt, der Bau von Eisenbahnen enei'gisch in die
Hand genommen und auf Stjuitskosten durchgeführt. Am
meisten kam das neue Regiment der Hauptstadt des Landes
zugute. Hannover war bis zum Regierungsantritte Ernst
Augusts im wesentlichen noch eine wenig bedeutende, wink-
lige und altertümliche Stadt. Unter seiner Regierung er-
wuchs sie schnell zu einer der schönsten Residenzstädte
Deutschlands. Binnen ktirzer Zeit ward ein ganz neuer
Stadtteil, die Ernst-Auguststadt, geschaffen, der an Schönheit
und Regelmäfsigkeit seines gleichen sucht und sich durch
prachtvolle Neubauten, wie das neue Tbeater, auszeichnet,
das in den ersten Jahren von Ernst Augusts Regiment ent-
standen ist.
Die grofsen geselzgebeTvaeben Auiigabeo, welche ihrer
.töauDg harrten , gerieten oiletdva^«. vca ^W^txv. Oit neue
I
4
i
Seine ßegierungätbStigkeit.
443
Verfassung war nicht geeignet, sie in rascheren Fluf» zu
bringen. Lcbbalt klagte man im Lande über die fortgesetzte
Bevorzugung des Adels, über die ZurUckaetzuug der bör-
gerlichen Elemente in dem Beamtenatande, über die Willkür
der Polizeiverwaltung, die Schädigung, die namentlich der
Bauernstand durch den Mangel eines humanen Jagdgesetzes
zu erleiden hatte. Aus der Verfassungsänderung war der
Krono im Grunde mehr Nachteil als Vorteil erwachsen. Die
Trennung der beiden Hauptkassen des Landes erwies sich
keines w^8 als tur sie so günstig, wie der König gehofft
haben mochte. Ein königüches Patent vom 1. Juli 1841
hatte auch das ehemalige Schatzkollegium, das mit der alten
Verfassung von 1619 unzer ti*e unlieb erschien, wieder herge-
stellt. Es geriet aber alsbald wegen der Verwendung der
Überschüsse des Staatshaushaltes in einen Gegensatz zu der
Regierung und hat diese oppositionelle Haltung auch wäh-
rend der nÄchsteu Jaln*e aufrecht erhalten. Die königliche
Kasse sah sich am Ende vor einen nicht unbedeutenden
Fehlbetrag gestellt. Auch die erste Kammer zeigte sich
nicht 80 fügsam, wie man wohl erwartet hatte. Sie machte
der Regierung bald ebenso viel zu schaffen wie die zweite
Kammer, so dafs jene infolge der von ihr mit so grofsen
Anstrengungen durchgeführten Verfassungsänderung von den
Stünden teilweise in gröfsere Abhängigkeit geriet als vordem.
Alles in allem war gegen die Mitte des Jahrhunderts in
Hannover die Lage der Dinge derart, dafs zu befürchten
stand, die bestehenden Staatsordnungen wüi-den einem von
aufaerbalb kommenden Anatofse nicht standzuhalten ver-
mögen, das Land in einem solchen Falle vor neuen schwe-
ren Erschütterungen nicht bewahrt bleiben. Dieser Anstofs
erfolgte aber schon, noch bevor die erste Hälfte des Jahr-
Jiunderts abgelaufen war.
m
Drittes Bach. Zweiter Abschnitt
Zweiter Abschnitt.
Nach 184g.
Die revolutioDäre Bewegung, die in der letzten Woche
des Februar 1848 in Paris ausbrach und eich von dort,
einer ra&ch wachsenden Fenerabrunst vergleichbar, über einen
großen Teil Europa» verbreitete, trug in ihren Anlangen
und an der Stätte ihres Ursprung;» lediglich einen politischen
Charakter, sie nahm aber, sobald sie die Grenzen Frank-
reichs überschritt, vorwiegend eine nationale Färbung an,
die dann in den von ihr ergriffeneu Ländern mit jeuer an-
Anglichen Tendenz zu einem Bilde von den bizarrsten Um-
rissen und der sonderbarsten Farbenmischung verschmolz. |
So geschali es in Italien, so in Ungarn und in Polen, so:
namentlich in Deutschland. Man bezeichnet noch heute
dieses Jahr mit einiger Berechtigung als ^^das tolle Jahr".
Konnte doch damals in dem Landtage eines der deutschen
Kleinstaaten allen Ernstes der Antrag auf Proklamierung
der Republik, vorbehaltlich der Beibehaltung des Herzogs,
gestellt werden. Bei uns in Deutschland verband sieh die
schwärmerische Begeisterung fiir die untergegangene Herr-
lichkeit des heiligen römischen Reiches mit einem wilden
Demagogentum und einer geradezu verblüffenden politischen
Unreile, um das Land von den Alpen bis zum Meere in
den Zustand einer unbeschi-eiblichen Anarchie und einer
grenzeclosen Verwirrung zu versetzen.
Von allen Mitgliedern des deutschen Bundes waren es
aulfallenderweise die beiden ihm angehörigen Qrofsmächte,
welche am frühesten und am gründlichsten diesem iimstUrz-
lerischen Anstürme erlagen. Die Märztage warfen in Wien
und Berlin die bisherigen Staatsordnungen über den Haufen, i
Während in der preufsischen Hauptstadt monatelang Zu- '
stände herrschten, die einer völligen Anarchie gleichkamen,
konnte es scheinen^ als wenn der alte, aus so vielen ver-
Bchiedenen Nationalitäten bestehende Habsburger Staat sich
in seine Bestandteile auilöecn und gänzlich auseinanderf allen
werde Alle Verfassungsfragen aber in den einzelnen deut-
schen Ländern traten alsbald vor der grofsen, von den süd-
deutschen Liijeraleu angeregten HaupItVagc, der Neugestaltung
des deutschen Bundes, in dciv Kvwter^rund. Während der
Däciietfolgenden Zeit fiel Äer fec\vv(ftT^\H^^ ^«a. lössamLNsso. \q-
Das Jahr lä4d nnd die deutsche Vcr&saungfi&agc. 41&
titischen Lebens in Deut&ebland nicht nach Wien oder Ber-
lin, sondern nach Frankfurt. Schon am 5. März hatte eine
Anzahl deutscher Männer, meist Ftlhi'er der liberalen Oppo-
sition in den Ständekammern des siidlichcn und westlichen
Deutschland , eine Beratung ,, über die dringendsten Mafs-
regeln für das Vaterland" gehalten und eine gröfsere Ver-
sammlung von Landtagsabgeordneten und anderen bekannten
Politikern in Frankfurt a. M. in Aussicht genommen. Dies
genügte, um selbst den Bundestag zum Einlenken in die
Bahn der Reformen zu bestimmen. Den Einzelregiernngeu
wurde die Aufhebung der Zensur froigeBtellt und zugleich
„eine Revision der Bundes vertaasung auf wahrhaft zeitge-
noäfsen nationalen Grundlagen" verheifsen. Kurz darauf
besclilofs die Versammlung die Einberufung von Vertrauens-
männern zur Beratung der Veriiassungsrevision. Allein die
Ereignisse überstüraten sich. Schon kam es in einzelnen
Gegenden, in Sachsen wie am Neckar, im Odenwalde wie
im Main- und Taubergrunde, zu republikanischen, freilich
verzettelten Schilderhebungen, und zu Anfang April ver-
einigte sich zu Frankfurt eine aus liberalen Abgeordneten,
Protessoren , JournaUaten und politischen Flüchtlingen be-
stehende Versammlung zu dem sogenannten Vorparlamente,
das den Grundsatis der Volkssouveränität aufstellte und
die Berufung einer freien, ohne Rücksicht auf Stand, Ver-
mögen und Glaubensbekenntnis zu erwählenden National-
versammlung zum Zweck der Beratung und Beöcliluiöfa&aung
über die küjjftige politische Organisation des deutschen Vol-
kes forderte. So kam die deutsche Verfasaungsfrage in
Flufs, nnd am 18. Mai wurden in Frankfurt die Sitzungen
des „Parlamentes'', der ersten aus freier Volkswahl hervor-
gegangenen deutschen Nationalversammlung, eröffnet.
Es ist selbstverständlich, dafs auch die beiden weifischen
Länder, das Königreich Hannover und das Herzogtum
Braunschweig, von der damit eingeleiteten gewaltigen Be-
wegung nicht unberührt blieben, welche alle Schichten des
deutschen Volkes bis in ilkre Tiefen aufregte, die früheren
staatlichen Zustände fast überall in deutschen Landen von
Grund aus veränderte und eine völlige Umgestaltung der
bisherigen Gesamtverfassuug Deutschlands in die Hand
nahm. In Braunschweig fanden die auf die Einheit und
Freiheit Deutschlands gerichteten Bestrebungen von vorn-
herein und bei der ganzen Bevölkerung den begeistei-taten
Widerhall. Li der richtigen Erkenntnis , dafs hier doch
jeder Widerstand vergeblich sein würde, schlofs sich das
im grofsen und ganzen liberal ge^iwA& ^Ymi\.tTv\iSö. ^i:^'^.-
i
m
Drittes Buch. Zweiter Abschnitt
dingt der Bewegung an, und der Herzog fügte sieb. Schon
in den ersten Tagen des März wurden unter dem frischen
Eindrucke der Nachrichten aus Frankreich die Aulhebung
der Zensur und die Offentiiclikeit der Verhandlungen von
den Landständen beschloäfien. Am 31. März ertolgte dann
die Berufung eines aiifserordentlichen Landtages, mit welchem
die Regierung eine ganze Reihe der wichtigsten Gesetze^
über die Freiheit der Presse und des Buchhandels, die F.in- 1
fiihrung von Geschworenengerichten, die (,)ffentlichkeit und
MüiitUichkeit des Gerichtsverfahrens, die Aufhebung des
Eheverbotes zwischen Chriaten und Juden, sowie über das
Vereinsrecht, die vorläufige Krrichtung einer Volkswehr, die
Aufhebung des .Jagdrechtes, endlich ein vorläufiges Gesetz
über die Wahlen und die künftige Zusammensetzung des
Landtages vereinbarte. Diese Ereiguissu vollzogen sich indes
nicht, ohne eine wesentliche Veränderung des Staatsmi niste- ,
riums herbeizuführen. Von den bisherigen Ministern blieb]
nur der Justizminister von Schleinttz im Amte, während]
Graf Werner von Veitheim und einige Zeit später der Ge- '
heimerat Schulz zurücktraten und durch den Kreisdirektor
von Geyso, sowie durch den Obristen Morgenstern (für
militärischen Angelegenheiten) ersetzt wurden.
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so glatt, entw^ickelten
sich die Dinge in Hannover. Hier suchte der König Ernst
August zunächst der Bewegung mit den Mitteln entgegen-
zutreten, die sich ihm früher bewährt hatten. Auch war die
Erregung des Volkes hier bei weitem nicht so allgemein
und mächtig wie in Braunschweig. Von einer hannövrischen
Presse, die einige Bedeutung gehabt hätte, war damals nicht ^j
die Rede, und ein grofser Teil der Landbevölkerung, ua-^|
menthch die Bauern der Geest, stand den Fragen, um die^^
es sich handelte, ohne alles Verständnis, zum Teil mit aus-
gesprochenem Mifstrauen gegenüber. Die Gesetzgebung hatte
die materielle Lage des Bauern in Hannover seit dem Jahre
183Ö wesentlich gebessert Sie hatte ihm grofse Erleicli-
terungen gewährt, die Ablösungsordnung endlich geschaffen,
die Ackerbausteuer herabgesetzt, die Naturallieferungen bei
Einquartierung auf die Landeskasse übernommen, die Dienste
iUr Wegebau abgeschafll und andere unwesentlichere Re-
formen durchgeführt Die politischen Angelegenheiten küm-
merten den hannövrischen Bauer wenig. Von der Be-
deutung der deutschen Frage, einer Volksvertretung beim
Bundestage hatte er keinen Begriff, ja nicht einmal eine
Ahnung. So beschränkte sich die Bewegung hier zunächst
auf wenige ländliche Gebiete, hauptsächlich aber ergriff sie
Ginflara der Bewegung mit Braunschweig und Hannover. 447
die StÄdte. Wie überall, that »ie sich auch hier in Peti-
tionen und Adressen kund, die indes teilweise einen sehr
gemäfejgten Ton anschlugen. Auf die erste dieser Petitionen,
die voo dem Magistrate und den Bürgervorstehern der Haupt-
stadt ausging, um Gewährung der Prefsfreilieit und um Ver-
tretung des deutschen Volkes bei der ßaudcsversanimlung
bat, erfolgte aeitcns des Königs eine abschlägige Antwort.
Als sich dann der Adreßsensturm verstärkte, erlieJs Ernst
Auguat am 14. März eine von ihm selbst verialöto Prokla-
mation, in welcher die Forderung einer Volksvertretung bei
dem deuteehen Bunde entschieden zurückgewiesen ward, der
König da*^egen versprach, „alle seine Kräfte aufbieten zu
wollen, damit die deutsche Bundesversammlung mit mehr
Fleifs imd gi-öfserer Energie in den deutschen Angelegen-
heiten handele, als bisher geschehen sei". Darauf kam es
am 17. März, demselben Tage, an dom der Aufruhr in Ber-
lin begann, zu «iner grolsen Vulksdemoustratiou vor dem
königlichen Schloase in Hannover, infolge deren von den
zwölf aufgestellten imd dem Könige übermittelten Forderungen
wenigsteus ein Teil gewährt, auch die schleunige Zusammen-
berufuiig der Stände in Aussicht geBtellt ward. Als dann
aber rasch hintereinander die Kunde von den Ereignissen
in Wien und Bei-lin eintraf, änderte der König, klug und
entschlossen wie er war, sofort seine Haltung, warf das bis-
herige Regierungssystem über Bord und leukte ohne Zan-
dern in die neue, unwiderstehlich gewordene Strömung ein.
Schon am 2U. März verkündete eine weitere, den eigensten
Eutschlicfsungen des Königs entsprungene Bekanntmachung,
er werde die Anträge auf Abänderung der Landesverfassung,
auf Ministerverantwortlichkeit und auf die Vereinigung der
königlichen mit der Landeskasse den bereits von ihm be-
rufenen Ständen vorlegen. Zugleich erhielt das bisherige
Ministerium Falcke seine Entlassung, und noch an deraaelben
Tage erging eine Botschaft an Stüve in Osnabrück mit der
Aulforderung, ein neues Ministerium zu bilden und in die-
sem die Verwaltung des Innern zu ubernehmeu. Es war
ein kühner aber glückUcher Griff, der die politische Be-
gabung des Königs bekundete, dafs er seine persönliche Ab-
neigung gegen den begabtesten Vertreter der Opposition,
den unermüdlichen Verteidiger des Staatsgi'undgeaetzes von
1833, überwand und in den damaligen drohenden und ge-
fährlichen Zeitläuften die Leitung des Staates in so bewährte
Hände legte. Dem Lande wurden dadurch weitere schwere
Erschütterungen erspart und die innere Politik in die Wege
einer besonnenen, mafsvolleu, von den radikalen Ausschrei-
i
44»
Drittes Buch. Zweiter Abschiütt.
timgen jener Zeit »ich fern haltenden Reform geleitet. Ohne
weiteren Vorbehalt als den, dafs der veri'assungsmä feige W^
nicht verlassen werde, gab der Ki'mig dem frcisiunigen Pro-
gramm, welches ihm daa neue Ministerium vorlegte, seine
Zustimmung. Es enthielt neben den sclion von dem Könige
genehmigten Punkten, der Aufhebung der Zensur, einer
Amnestie tUr politische Verbrechen, der Öffentlichkeit der
ständischen V^erhandlungen, der Kassenvereinigung und der
Minister voran twoitlichkeitj noch eine Keihe hochwichtiger Re-
formen auf dem Gebiete der licciitspflege und der Ver-
waltung. ZtL jenen gehörten namentlich die in Aussicht ge-
norameue Trennung der Justiz von der Verwaltxing, die
Aufhebung des befreieten Gerichtsstandes, die KinlUlirang
von irichwurgerichton, sowie die Öffentlichkeit und Münd-
lichkeit des Verfahrens in bUi'geriiclien und peinlichen Sa-
chen, zu diesen die Aufhebung aller Befreiungen von Qa-
meindelastcn , grüfsore Selbständigkeit der- Landgemeinden,
Erlafs einer freisinnigen Städteordnung und Beschränkung
des staatlichen <.>beraufsiehtBrcchteä in städtischen Ange-
legenheiten. Was die deutsche Verfassuugsfrage anlangt, so
wurden „Maffti-egoln aur Kinigung Deutschlands und zur Er-
reichung einer Vertretimg des Volkes beim Bundcj jedoch
nur in vertassungsmäfaigem Wege", verheiüien.
Am 28. Mära wurden die Stände eröflFnet Die Thron-
rede, die im wesentlichen eine Imschreibung des Minister-
programms war, hob hervor, dafs der König aus freiem Ent-
schlüsse und ohne Zögern dasjenige gewährt habe, was zur
Begründung eines neuen kräitigen Lebens nötig erscheinen
könne, betonte aber mit besonderem Nachdruck die Not-
wendigkeit, die gesetzlichen, durch die Verfassung vorge-
zeichneten Wege nicht zu verlassen. Dero hat denn auch
die Versammlung ohngeachtct aller Versuche der radikalen
Partei, sie von diesen Wegen abzudrängen, im grofsen und
ganzen entsprochen. Sie verschmähete es, sich als konsti-
tuierende Versammlung anzusehen, und wie sie noch dem
Wahlgesetze von 1840 zusaramenbcruien war , so knüpfte
sie auch sonst an die Verfassung an, von der dieses Wahl-
gesetz einen wesentlichen Teil bildete. Man kann behaup-
ten, dafs unter den vielen Vertassungen, die das Jahi' 1848
in deutschen Landen hervorrief, kaum eine einzige auf so
streng verfassungsmäfsigem Wege zustande gekommen ist,
wie die hannovrische, die unter dem Zusammenwirken aller
berechtigten Faktoren , unter möglichster Wahrung der
i?ec/jtsfcontinuhät, sowie untar voller und rückhaltloser Zu-
stirnmnng des Königs und söVaefe "t\vf oult^i^^xt ^'satViWraten,
Beratungen und Beschlüsse des Frankfurter Parlamentfifl. 449
beschlossen and vollendet wurde. Bei dieser Lage der
Dinge kam man Über die sich darbietenden Schwierig:keiten
leicht hinweg und in vergleichsweise kui-zer Zeit zum Ziele.
Am 8. Juli konnten die Kammern vertagt werden, nachdem
sie nicht um* das Verlassmigsgesetz zustande gebracht, son-
dern auch eine grofse Menge anderer, zum Teil tief ein-
schneidender Vorlagen erledigt hatten, und am 5. September
erhielt die neue Veri'asaung die königliche Bestätigung. Sie
bedeutete im wesentlichen eine Wiederherstellung des einat
(1837) von Ernst August einseitig aufgehobenen Staats-
grundgesetzes von 1833, nur dafs diesem eine Anzahl neuer
Öarantieen hinzugetiigt und damit das Vertrauen auf seinen
Fortbestand verstärkt ward.
Inzwischen hatten in Frankfurt die Beratungen über die
künftige Vertiassung des deutschen Reiches begonnen. Die
Versammlung kam damit nur langsam vorwärts, in heftigster
Weise wurden die Debatten darüber geführt. Endlich wagte
Oagom seinen bekannten „kühnen Griff", der die Her-
stellung einer provisorischen Zentralgewalt und weiterhin die
Wahl des Erzherzogs Johann von Osterreich zum Reichs*
Verweser zur Folge hatte. Aber dieser kühne Griff war
insofern ein schwerer politischer Fehler, als er in den Ein-
zeUtaaten die ersten Regungen des Widerstandes gegen die
Nationalversammlung wachrief und dem i'Ur volÜg beseitigt
erachteten Partikularismua neues Leben eiiiflölate. Nirgend
war dies in höherem Grade der Fall als in Hannover. Der
König widerstrebte seiner ganzen Gesinnung nach jeder
ycbniälerung seiner Souveraniültsrechte. Seine alten toryisti-
Bchen Grundsätze und sein monarchisches Irielbstgefühl lehn-
ten sich dagegen in gleicher Weise auf Überhaupt traf
bei ihm Alles, was von Frankfm't ausging, auf die entflcliie-
denete Abneigung. Mit der ihm zur Gewohnheit gewordenen
Geriügschätzung aller politischen Träumer und ideologischen
Schwärmer sah er auf diese Versammlung von Professoren,
Advokaten, Schriltstellem und Poeten herab. Sein Wider-
streben gegen Alles, was nur im entferntesten die Möglich-
keit einer Modiatisiorung anzudeuten schien, fand nicht nur
bei seinen Räten , sondern auch bei einem grofsen Teile
seines Volkes lebhaften Widerhall. Schon im Apnl hatte
er die Absicht gcäufsert, lieber das Land zu verlassen, als
sich einer Beschränkung seiner königlichen Machtvollkommen-
heit zu unterwei-tien, und diese Drohung ward jetzt von ihm
wiederholt Es geschah dies in einem Schreiben des Ge-
samtministeriums vom 7. Juli , das kurz vor der Ver-
HalnemaDii. ilriunsoliw.-banr&T. QMcUahto. WV. ^^
4M
I>ritte8 Bach. Zweiter Ab«chnitt
4
I
tagung der Stände diesen zur Kenntnis gebracht ward. Hier
war aU die unwandelbare l ' berzeufjung des Königs ausge-
eprochen, „dalö der gesamte Zustand iJeut^chtands die Her-
flteUung einer »olchen Zontralregierung , welche auch die
inneren Angelegenheiten des Landes ordnen und die Fürsten
lediglich als Untergebene eines anderen Monarchen erscheinen
lassen würde, nicht zulafiRC und daTs so wenig das Wohl
und die Freiheit der Völker wie die eigene t'üi-stlinhe Ehre
des Königs es gestatten würde, einer Verfassung zuzustiinmen,
welche der Sflbständigkeit der Staaten Deutsclilauds nicht
die notwendige Geltung sichere". Diese Erklärung errate,
als sie in Frankfurt bekannt wurde, einen gewaltigen Sturm,
in welchem noch einmal der ganze frühere Hafs der liberalen
Partei gegen den rücksichtslosen Freimut des Königs zum
Ausdruck kam. Aber schon trat in dieser ersten offenen
Auflehnung gegen die eingebildete Allmacht des Fi*ank-
furter Parlumentes die Schwäche und Machtlosigkeit dieser
Versammlung zutage. Die Deklamationen der Redner in
der Paulpkirche machten weder auf den König noch auf
seine Minister den geringsten EindnicU und fanden kaum
einen sfhwachen Widtirhal] in einigen Kreisen des haunövri-
schen Volkes. Eine partikularistische Strömung fing lang-
sam nn sich des letzteren zu bemächtigen und wuchs in
domselben Mafae , wie die Verwirrung in Frankfurt sich
steigerte, anderseits die hannövrische Regierung Entschlossen-
heit und Thatkrait zfligte. Der offene Widerstand gegen
die Beschlüsse des Parlamentes trat schon zutage, als das
RcichsminiHterium IVir den Ü. August eine allgemeine Hul-
digung dos deutschen Militärs für den Reichsverweser und ^J
die Anlegung der deut&clien Farben an der Kopfbedeckung^ ^H
der Truppen, sowie an ihren Fabneu anordnete. Dem han- ^i
növrischon Militär wurde an diesem Tage nur durch könig-
lichen Befehl bekannt gemacht, dafs der Erzherzog Johann
zum Reichsvorwosor erwählt sei, wozu der König seine Zu-
stimmung erteilt habe, und dafs zu den Befugnissen des
Reichfi Verwesers auch die Oberleitung der deutschen Heere
zu rechnen sei , wie diese bisher der Bundesversammlung
zugestanden habe. „ Sobald es zum Schutze Deutschlands
erfordorlieb ist" — so hiefs es weiter in der königlichen
Pruktamation — „werde ich Euch befehlen, Euro Heeres-
abteiluugcn denen der übrigeu deutschen Staaten unter Ober-
leitung des Reichs Verwesers anzuscbliefsen." Wie hier der
eigentliche Keni der reichsministeriellen Verordnung um-
gangen ward, ao war von einem Anlegen der deutschen Ko-
karden und Fahnenbänder anstatt der h&nnÖTrischen nicht
4
Das Dreikönigsbündnis.
461
die Rede. Ala dann später nach langen, Bchleppenden Be-
ratungen die deutschen Grundrechte in Frankfurt aDgenommen
nnd veröffentlicht wurden, wenige Wochen später (23. Ja-
nuar 1849^ auch die Reich sverta saun g zustande kam, landen
weder jene noch diese in Hannover Anerkennung.
Bei der Weiterentwicklung der Geaamtangelegenheiten
Deutschlands und bei der Rückwirkung, die sie auf Han-
nover äufserte, kam hauptsächlich das Verhältnis des letz-
teren Staates zu dem benachbarten norddeutschen Grofs-
staate in Betracht. Ernst August hatte bis dahin für Proufsen
und das preufsische Königshaus, mit dem ihn enge ver*
wandtschaftliche Bande verknüpften, eine ausgesprochene
Hinneigung gezeigt. Gern erinnerte er sicli der Zeiten, da
er seinen Wohnsitz in Berlin gehabt hatte. Namentlich hegte
er für das preufsische Militärwesen eine grofse Vorliebe und
hatte nach seinem Regierungsantritt, wie wir gesehen haben,
davon Zeugnis abgelegt. Aber das Verhalten Friedrich
Wilhelms in den Märztagen 1848 hatte ihn tief verstiromt
Die damalige Erklärung des Königs, er werde sich zur
Rettung des Gesamtvaterlandes an die Spitze Deutschlands
steilen und wolle als neuer konstitutioneller König der fi-eien
wiedergeborenen Nation B^iihrer sein, erschien seiner ener-
gischen Natur als klägliche Schwäche, weckte aber auch
sein Mifstrauen und verstiers gegen die hoho Meinnng, die
er von seiner eigenen königlichen Wtlrde hegte. In Han-
nover fürchtete man seitdem, dafs Preufsen die deutsche
Bewegung zur Herstellung einer Hegemonie über Deutsch-
land ausnützen würde und dafs es auf die Mediati sierung der
übrigen deutschen Staaten, abo auch Hannovers, abgesehen
sei Aber diese Befürchtungen schienen sich in nichts auf-
zulösen, als König Friedrich Wilhelm die ihm im April
1849 von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene
Kaiserkrone nach einigem Zögern ablehnte. So ti*at denn
auch Hannover dem Dreikönigöbunde bei, durch welchen
Preuläen jetzt (26. Mai 1849) den Versuch machte, wenig-
stens einen Teil Deutschlands auch ohne die Nationalver-
sammlung und ohne die Anerkennung der Reichsverfassung
um sich zu scharen und zu einem engeren Verbände zu
einigen. In dem Verfassungsentwürfe, den dieser von Preu-
fsen, Sachsen und Hannover geschlossene Bund, einem künf-
tigen Reichstage zur Annahme vorzulegen gedachte, waren
freilich die Grundlagen des Frankfurter Verfassungswerkes
festgehalten, aber durch wesentliche Änderungen war ihm
doch ein anderer Charakter aufgedrückt worden, ohne den
Ernst August auch schwerlich der Vex^vsÄ^^vi^ ^ife\^Äx^^KQ.
Drittea BikIi. Zweiter AhwriMai
aem wfirde. Dies kjun besonder« in den Artikeln aber die
Reicfaigewmlt und 6ab Ueenresen zon Ansdrock. Jene aoUfee
EWU- die TölketrecbtUcbe Vertretmig OeatodiUnds bei den
fremden Staaten ao&übeo, jedocfa nur iofoige öner frei-
willigen Ubertragimg des Geeaodtscb&ttsrecbtes der Einzel-
staaten, wodurch wenigstens der Schein der ^Selbständigkeit
der leteteren gewahrt ward. Die Einrichtang ihres Heer-
wesens blieb aber den Einzclregicrungen völ% äberlassen,
and die Vertagong über ihre Beere sollte dem Reichsober-
baapti? als Bandest'eldherm nur im Kriege oder in Fällen,
wo notwendige Sicherhatsnm&i^eln za ergreifen sein wür-
den, zastehen.
Der weitere Verlaof, den die deutsche Fer&smngs&age
nahm, '\»t bekannt Nach Niederwerlimg der AafRt&nde, die
in einzelnen deutschen Ladern, in Sachsen, Baden und der
bayerischen Pfalz , zugunsten der Eeichsvert'asaung auf-
flackerten, nahm jetzt Preur8en, gestützt auf seine Abmach-
ungen mit Sachsen nnd Hannover, die Bundeereform in die
Hand, berief zur Beratung des unter seiner Führung zu
schaffenden Bundesstaates das Parlament von Erfurt, rauTste
sich aber bald von der Unmöglichkeit überzeugen, das be-
gonnene Werk zu gedeihlichem Ende zu führen. Die Er
iurter Versammlung ward aufser von Preufsen nur von einer
Anzahl der deutschen Kleinstaaten beschickt Die Mittel-
staaten, auch Hannover, hielten sich fem. Letzteres hatte
bereits am 20. Oktober 1849 zugleich mit Sachsen seinen
Rücktritt von dem Dreikönigsbündnis&e erklärt. König Ernst
August hat sich nicht leichten Herzens zu diesem Schritte
cntächlüssen. Man sa^t, er habe sich an den greisen Her- ^J
zog von Wellington um Rat gewandt Aber die Warnung ^B
des Herzogs, nicht zu sehr auf das ferne Österreich zu ver- ^1
trauen, vermochte die Besorgnis vor dem Ehrgeize und den
Vergröfeerungspiänen Preufsens nicht zu übenvinden. Der
von Preuf&en verfolgte Unions})lan scheiterte infolge des Ab-
falls seiner Bunde^enossen und der von Tage zu Tage
feindseliger werdenden Haltung Österreichs. Im hannö-^^
vrischen Volke fand dies Preisgeben eines engeren ßundr>s^H
unter Preufsens Führung keinen Widerspruch, eher Zustim- ^H
mung. So sehr war hier, abgesehen von dem Milstrauen
»ind der Abneigung gegen Preofoen, der Parti kxJarismus be-
reits wieder erstarkt. Die Entscheidung in diesen deutschen
Verfassungs wirren, die schon damals zu einem Kriege von
Deutscheu gegen Deutsche zu führen droheten, gab schliefs-
lich der Konflikt des Kurfürsten von Hessen mit seineu
Ständen, der von der österreichischen Diplomatie mit grofser
Agitation für die Annalime der RcicbsTerfasäung.
4;)3
Geschicklichkeit und vollständigem Erfolge benutzt ward,
um die „Union von innen heraus zu sprengen". Es er-
folgte die Sendung des preufsiselien Ministerpräsidenten Gra-
fen Brandenburg nach Warschau und mit der Demütigung
Preufsens in Ülmütz die Preisgabe aller bisher von ihm er-
strebten Reformpläne. Die österreichische Politik hatte im
Bunde mit den deutschen Mittelstaaten den entscheidendsten
Sieg davon getragen. Die Folge war die eijit'ache Wieder-
herstellung des alten deutschen Bundes.
Dais dieses klägliche Scheitern der Bundesreform, die
den eigenthchen Kernpunkt der ganzen deutschen Bewegung
von 1H4Ö bildete, überall in Deutachland die gewaltigste
Aufregung hervorrief, dafa es in einzelnen deutschen Län-
dern selbst zu blutigen Aufständen kam, die mit Waffen-
gewalt unterdrückt werden mufstcn, wird niemand wundern,
der sich die ausschweifenden Hoffnungen vergegenwärtigt,
die an die Franklurter Nationalversammlung geknüpft wor-
den waren. Auch in Hannover gingen damals die Wogen
politischer Leidenschaft hoch, auch hier hatte sicli der sonst
so ruhigen und besonnenen Bevölkerung in diesen Tagen
der Eulscheidung eine hochgradige Aufregung bemächtigt.
W^ühl gab es ira Lande eine starke rückschrittliche und zu-
gleich parlikularistisch gesinnte Partei, aber sie verschwand
völlig in dem Wirbel der augenblicklichen Tagesströmung.
So unausrottbar auch Abneigung und Mifstrauen gegen
Preulsen noch immer in dem gröfsten Teile der Bevölkerung
wurzeiteu und so sehr man ßich auch sträubte, gerade von
einer PeraonUchkeit , wie Friedrich Wilhelm IV. war, das
Heil und die Rettung des Vaterlandes zu erwarten, so rifs
doch die Bewegung, als die Sache zur Entscheidung stand,
Alles mit sich fort. Das M'ort, das man noch vor nicht
allzu langer Zeit Dahhnann bei dessen Heise nach Frank-
furt zugerufen hatte: „Macht was Ihr wollt, nur keine preu-
fsische Uegenioüie'*, schien völlig vergessen zu seiu. Die
Kaiserdeputaliou wurde, als sie am 30. März durch Hanno-
ver kam, hier mit lautem Enthusiasmus begrüfst. Nur der
Magistrat hielt sich von dem feierlichen Empfange fern. Die
Vertreter sämtlicher hannövrischen Vereine beschlossen, eine
gemeinsame Adresse an den König von Preufaen zu richten,
in der er beschworen ward, „die erbliche Würde eines
deutschen Kaisers anzunehmen und damit ein Band zu
knüpfen, das alle deutschen Herzen auf ewig verbinden, das
Deutschland zu dauernder Einheit, Macht und Ehre erheben
werde". Am 4- April trat dann in Celle ein von siebenzig
hannövrischen Vereinen beschickter Parteitag zusammen, um
4H DrittM Baeh. Zweiter Abwkutt.
die bei der Lage der Dinge xa eigietfeuden Maiarc^efai so
beratea. Du Efgebais war die AlimdiiDe einer DepnUtioo
an deo König^, tun die EiiIImwii^ des lljnisleriaina Stüve-
BeorngseD za fordern, ijmwen aadeotacfaeSr partikolaristiecbei
and onkoostitattooeAes BeDehmeu Sun dM Yertnmea des Lau-
des gänzlich entzogen habe. Zo^eich wurden Adressen an
die y»yion*|y*'r'"^f*>T»l"'*g, an die <t*'*»#l» Tertagten hanndT-
riachen Stände und an die Abgeordnetenkammer in Berlin
beachloseeo, welche sämtlich den Zweck verfolgten, da« Mi-
niateriam und den König zur Uoberwerfung unter die Be-
■cblüne der Nationalversammlung und zur Annahme der
Beicbsverfiusang zu nötigen.
EniAt Au^st und seine Bäte liefsen sich dadurch nicht
einechüchterc. Sic antworteten mit der Aut'lusung der zwei-
ten Kammer, deren Mitglieder sich in grofser Anzahl bei
der Celler V'^-Bammlnng and an den von ihr getafsten Be-
schlüäsea beteiligt hatten. „Die Kammer '% so hie& es in
der königlichen Botschaft, ,,habe sich auf eine Bahn leiten
la&Ben, welche sie von dem obersten Grandeatze des ver-
&B8ang«mälsigen Wirkens gänzlich eotiemt habe" Auch
der Adressen- und Petitionensturm, der nun folgte, sowie
die anderen, damals freilich &chon etwas verbrauchten Agi-
tationsmittel, die man in Scene setzte, vermochten weder
den König noch die Regierung in ihrer festen, entschlossenen
Haltung zu erschüttern. Einer Deputation aus Osttriesland
gegenüber betonte der König damals, dafa er volles Ver-
trauen in seine Räte setze: „er sei überzeugt, dafs in keinem
Lande Männer au der Spitze ständen, die es so redlich mit
ihrem Lande und mit Deutschland meinten". Zugleich
wurden Neuwahlen zur zweiten Kammer ausgeschrieben, die
indes ihre trübere Zusammensetzung so gut wie gar nicht
veränderten. Am 8. November 1849 traten die Stände wie-
der zusammen. Die Thronrede wies darauf hin, dafs in
den meisten Staaten Europas die Ordnung, freilich nicht
ohne Waffengewalt, hergestellt sei, beteuerte den entschie-
denen Willen des Königs, die Einiguüg Deutschlands and
eine Gesamtvertretung des deutschen Volkes auf verfassung»-
mälsigem Wege zu verwirklichen, betonte aber als die nächst-
liegende und hauptsächlichste Autgabe der Stände die inno-
ren hannövrischen Angelegenheiten und in erster Reihe den
Ausbau des Veifaasungsgesetzes vom &. September 1843.
Noch einmal fand in den Tagen vom 5. bis 9. Januar 1850
über die deutsche Frage eine grofse Debatte statt, die aber,
wie unter den obwaltenden umständen vorauszusehen war,
ohne weitere Ergebnisse blieb. Dann wandten sich die ,
EntUssimg des Mimaterlums Stüre-Bcimigsea.
455
L
Stände nach einer kurzen Vertagung mit Eiier und Erfolg
der ihr von der liegierung gestellten Autgabe zu, der Durch-
beratung der groisen, einschneidenden Neuorganisationen auf
den Oesomtgobieten der Justiz und Verwaltung, die sie noch
wälirend der ersten Hälfte des Öommers vollendeten. Es
war daa eigenste Werk Stiivea, der in diesen Gesetzentwürfen
die Ergebnisse einer angestrengten Gedankenarbeit und einer
langjährigen praktischen Erfahrung niedergelegt hatte. £a
ward ihm noch die Genugthuung zuteil, dafs diese grund-
legenden legislatoriBchen Vorlagen von den Ständen mit un-
wesentlichen Abänderungen angenommeD wurden und der König
den Kammern dafür seinen Dank aussprach. Dann aber erfolgte
in der ätimmung des Königs ein Umschlags der schliefslich
zum Sturze des Märzmiuiflteriums führte. Nachdem die Ge-
fahr, die eine Zeit lang auch in Hannover Thron und
Veriassung mit dem Umstürze bedrohet hatte, vorüber war,
gewannen die alten 8chrof(«n Ansichten seiner früheren Jahre
wieder einen bestimmenden Einflufs auf die Entschliefsungen
des Königs. In demselben Maise, wie die Beruhigung der
Gemüter Fortschritte machte, die leiden sc baftUcbe Aufregung
eich legte, neigte er sich auch in der inneren Politik einer
umkehi-enden Richtung zu. Darin ward er nicht nur durch
die Ereignisse, die er eben durchlebt hatte und die noch
frisch in seinem Gedächtnisse hatieten, bestärkt, sondern ea
kamen noch andere Einflüsse hinzu. Es ward ihm nicht
leicht sich von einem Ministerium zu trennen, mit dessen
Hilfe er das Staataschiff durch diu stunngepeitschten Wogen
der letzten Jahre glücklich hindurchgesteuert hatte. Für die
Tüchtigkeit dieser Männer fehlte ihm keineswegs ein leb-
hatites GetUhl. Namentlich hatte das schlichte, einfache und
doch so sichere Wesen Ötüves ihm unwillkürliche Ächtung
abgenötigt. Aber er verkannte doch wieder diesen Mann
vollatändig, wenn er vermeinte , ihn jetzt in vertraulichen
Unterredungen zu gewinnen und von seinen Amtsgenossen
zu trennen. Schon war die Stellung des Ministeriums infolge
des Umstandes, dafs der König die eben noch von ihm
dankbar anerkannten, jetzt aber ihm allzu demokratisch er-
Bcheinenden Neuorganisationen zu bestätigen zögerte, unsicher
geworden. Die Abstimmung des hannövrischen Bundestags-
gesandten, der ohne Anweisung des Ministeriums sich am
21. September in der hessischen V er fassungs frage dem An-
trage des Kurfürsten gemäfs erklärte, gab den Ausschlag.
Das wiederholte Entlassungsgesuch des Gesamtministeriums
wurde endlich am 28. Oktober vom Könige angenommen.
Das neue Mimsterium, an dessen Spitze der Kammerrat
«ft
Orittci Biicn. Zweiter ADscfainttt
von Mlinchhaii&eu trat und dem mehrere von Stüves Part«-
genosscD angehörten , wollte keineswegs als rückschrittlich
angeschen wra^en. In der königlichen Kundgebung , die
seine Ernennung begleitete, war ausdräcklicb erklärt, daTs ^d
ea nicht in der Absicht der Regiening liege, „den bisherigen ^M
Gang dersclbeu zu verändern'*. Dem entsprach auch im
allgemeinen der weitere Veriaut der Dinge. Die grofsen
Organisationsgesetze, die bisher noch nicht die Zustimmung
des Königs erhalten hatten, wurden jetzt, wenigstens zum ^^
Teil, von ihm genehmigt, einige allerdings erst, nachdem sie ^M
einer Revision unterworfen worden waren. Selbst das Ge- "
setz Über die Provinzialbtände fand nach einigem Zögern
die Bestätigung des Königs. Kur iUr die Laadgemeiude-
ordnung und die damit zusammenhängenden Gesetze war die
königliche Sanktion nicht zu erlangen. Ein Ergebnis der
wieder angeknüpften besseren Beziehungen zu Prenfsen war
der Anschlul's Hannovers an den preuisischen Züilverein,
der am 7. September 1851 erfolgte. Am 5. Juni hatte der
König seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert. Das Fest ward
durch die Anwesenheit vieler Fürsten in Hannover verherr* fl
licht: auch Friedrich Wilhelm IV. hatte dabei nicht fehlen "
wollen. Aber die körperlichen und geistigen Krälte des
greisen Königs, die sich so lange in wunderbarer Frische
erhalten hatten, waren bereits in raschem Sinken hegrifieu.
Dennoch hielt er sich aufrecht Bis in den November liin-
ein lieÜB er sich noch die gewöhnlichen Vorträge halten.
Allein die Schwäche nahm von Tage zu Tage zu, und am
18. November morgens erfolgte sein Tod, ohne dafa eine ^^
eigentliche Krankheit vorausgegangen war. ^M
Es giebt wenige Fürsten, über die das Urteil der Men- *'
scheu so sehr gewechselt bat wie über Ernst August von
Hannover. Nicht nur zu der Zeit, da er in England einer
der Führer der Torypartei war, sondern auch während der
ersten Hälfte seiner Regierung in Hannover war er einer
der am meibtcu gehafsten und — man darf hinzufugen —
der bestverleumdeten Männer Europas. Die Festigkeit und
kluge Nachgiebigkeit, mit der er in den Jahren der Revo-
lution sein Land durch die Stürme der Zeit hindurchzulühroa
verstand, die Ehrlichkeit, mit der er, nachdem die Gefahr
vorüber gegangen war, die dem Lande gewährten Freiheiten
ihrem we&entliehen Inhalte nach ungeschmälert erhielt, haben
mit der Zeit eine günstigere Beurteilung seiner Persönlich-
keit und eine gerechtere Würdigung seiner Regierungsthätig-
keit angebahnt- Wenige Tage schon nach seinem Tode
kündigte sich dieser Umschwung der öffentlichen Meinung
Tod und ikartcilung Ernst Augusts.
457
in dem Kachrufe an, den ihm das gröfste politische Blatt
Englands widmete. „Der Mut" — so heilst es in den Times
vom 27. November — , »Kiit dem der König von Han-
nover dem Sturme begegnete, wird im Gegensatze zu dem,
was sich anderwärts zutrag, in ehrenvollem Gedächtnis blei-
ben. Er machte seinen Unterthanen grofse Zugeständnisse,
aber nocli bei guter Zeit, aus eigener Bewegung und indem
er erklärte: so weit gehe er und nicht weiter, sei man da-
mit nicht zufi*iedeu, so wäre er bereit sein Königreich zu
verlassen. So war König Ernst von Hannover. Wenn er
in jüngeren Jahren heftigen Lcideuschaiteu nachgab und in
schwere Fehler verfiel, wenn er hie und da Mangel an Ur-
teil und pohtischer Vorausgicht zeigte, so hat er diese Mängel
später durch seine Verwaltung der hannovrischen Angelegen-
heiten gesühnt, und wenige Männer des Kontinents sind in
neuerer Zeit so aulrichtig betrauert aus dem Leben ge-
schieden." Das sind in der That Worte hoher Anerkennung
und von um so schwererem Gewichte, als sie von gegne-
rischer Seite kamen. Wie wenig aber der hier gerügte
Mangel politischer Voraussicht bei dem Könige zutrifft, er-
hellt aus der Aufserung, die er im Jahre 1848 that und
die wie ein prophetischer Blick in die Zukuntt erscheint:
„ Was die Deutschen glauben, sie können die Einheit machen
aul' dem Papier, wenn sie wollen, haben sie die Einheit:
dann müssen sie gehen durch Blut bis an die Brust.^'
Inzwischen war auch das Herzogtum Braunschweig von
den Erschütterungen, welche die Ilevolutionsjahre mit sich
brachten, nicht völlig verschont geblieben, doch nalimen in
dem kleineren Lande, das sich seit dem ßegieruagsantiitte
des Herzogs Wilhelm einer nicht nur wohlwollenden, son-
dern auch bis zu einem gewissen Gx*ade treisinriigen Ko-
gierung zu orfreuen gehabt hatte , die Ereignisse einen
immerhin mbigeren Verlauf als in dem benachbarten Han-
nover. Neben dem Herzoge, der in den ersten Monaten der
Bewegung eich ihr auirichtigen Herzens anzuschliefsen schien,
der schon am 22. März, der erste deutsche Füi-st nach dem
Könige Friedrich Wilhelm IV., seine Truppen die deutschen
Farben hatte anlegen lassen und dann, ihnen folgend, auf
den Kriegsschauplatz nach Holstein geeilt war, verdankte
das Land dies hauptaächlich der geschickten Leitung des
Geheimenrates von Öchleinitz, der durch Nachgiebigkeit in
kleinen Dingen und durch Festigkeit in Angelegenlieiten
von gröfaerer Bedeutung das Staatsschifif durch die Sturm'
flut der Bewegungsjahre glücklich hindurclizulühren ver-
stand, der einzige vormärzUche Minister in Deutschland, der
IM
Drittel Bncb. Zweiter AbscLmtt
«nse Stellung biä ku seinem Tode (3. November 1866) behauptet
hat. In der inneren Politik folgte die Regierung bereit-
willig der liberalen Zeitstrümong, ohne doch der radikalen
Partei, die auch hier nicht fehlte, bedenkliche Zugeständ-
uiaae zu machen. So kam iu den Jahren l84tf bis 1852
eine Reihe hochwichtiger Neuordnungen im Staats- und
Volksleben zustande. Zunächst wurden durch das provi-
sorische Gesetz vom 11. September 1848 die Bestiramangen
der Verfassung über die Zusammensetzung der Ständever-
gammlung und des ständischen Ausschusses aul'gcbobcuj das
bisherige Wahlgesetz in fi-eisinnigem Sinne umgestaltet und
dem auf Grund dieses pro visori scheu Wahlgesetzes berufenen
Landtage die binnen drei Jahren zu vollendende Revision
der Landesverfassung , die Reorganisation der Staats - und
Gbmeindeverwaltung, sowie die Beratung undBeschlufsfasaung
über ein endgültiges Wahlgesetz zur Aufgabe gestellt Die-
ser Aufgabe ist der Landtag denn auch in der ihm gegönn-
ten Zeit gerecht geworden. Eine grofse Anzahl von Ge-
setzen, die unter seiner Mitwirkung ins Leben traten, lefi;t
davon Zeugnis ab. Der blaherige Lehensverband vmroe
gänzlich aufgehoben und die neue Gerichtsverfassung ins
Leben gerufen. Dann folgte im Jahre 1860 eine Advokaten-
und Notariatsordnung, die nävidierte Städteordnung und die
Landgemeindeordnung, welche beide, jene den städtischen,
diese den bäuerlichen Gemeinwesen, ein so grofses Mafs von
Selbstverwaltung gaben, wie es in anderen deutschen Staaten
damals nur ausnahmsweise begegnet. Im folgenden Jahre
kamen die Gesetze über Errichtung eines Handelsgerichtes
in der Stadt Braunschweig, über die allgemeine Wehrpflicht,
über Barchen vorstände und Gemeindeschulen, endlich dos
wichtige Gesetz über die künftige Zusammensetzung der
Landesversammlung und über das Walilrecht zustande, das
am 22. November 1851 veröffentlicht ward.
Was die deuttäche Frage betrifi^, so war die Regierung
vom Anfang der Bewegung an bemühet, völlig in Überein-
stimmung mit den Beschlüssen der Nationalversammlung zu
handehQ und später seit der Herstellung der Zentralgewalt
sich den Weisungen der letzteren zu fügen. Bei der Elein-
heit des Landes, der hochgradigen Aufregung der Bevöl-
kerung und der Abwesenheit der nach Holstein abgerückten
Truppen blieb ihr in dieser Hinsicht keine Wahl. In ein-
zelnen Momenten ward wohl regierungsseitig der Versuch
gemacht, die Selbständigkeit des Landes der Frankfurter
liegierang g«^enüber zu wahren, aber, wie damals die Dinge
i^geUf mu/ftte ein jeder VeTBttc,\\ öiesfix Nsi a-Ubald wie-
Das Herzogtum BrauDRchweig in den SturmjabraD.
46tf
der aufgegeben werden. Das Verlangen der Zentralgewalt,
dafs die Truppen der Einzelstaaten dem Reicbsverweser hul-
digen sollten, wirbelte auch in Braunschweig viel Staub
auf. Der Herzog, aufgebracht woniger über die Forderung
Belbst als über die rücksichtslose Form, in der sie gestellt
war, weigerte sich anfangs entschieden, ihr zu entsprechen.
Das genügte, um die Stadt Braunscbweig in eine ungeheuere
Aufregung zu versetzen. Eine grofse, allgemeine Volksver-
sammlung wurde berufen, unter deren Drucke die Regiemng
nachgab, zumal sie die Gewifsheit erlangt hatte, dafs im
Faile ernstlicher Unruhen weder von Hannover noch von
Preufsen Unterstützung zu erwarten war. Am Ö. August
fand auf dem grofeen Exerzierplatze vor Braunscbweig die
Huldigung der in der Stadt zurückgebliebenen Truppen in
der von dem Reich skriegsminißter vorgeschriebenen Form
statt Im weiteren Verlaufe der Ereignisse schlössen sich
der Herzog und seine Regierung, wie das ja durch die all-
gemeinen Verhältnisse und die Lage des Landes bedingt
war, eng an Preufsen an. Als das preufiuBche Erbkaiser-
tum au dem Widerstreben des Königs, die Kaiserkrone aus
solchen Iliiiiden zu empfangen, gescheitert war, ti'at Braun-
Bcliweig dem üreikönigsbündnisse, später auch der Union
bei. Auch wohnte der Herzog dem im Mai 1850 in Berlin
tagenden Fürstenkongresse an. Nach den OlmUtzer Tagen
aber und dem vollständigen Siege Osterreich» ti'at auch
Braunschweig wieder von der Union zurück. Am 27. Mai
1851 zeigte der brauufichweigische Bevoll i nächtigte in Frank-
furt die Rückkelir des Horzüga, seines Herrn, zur Bundes-
verfassung und seinen Wiedereintritt in die Bundesver-
sammlung an.
Mit der Wiederherstellung des alten vielgeschmälieten
und für ewige Zeiten abgeschafften deutschen Bundes be-
gann last in allen deutschen Einzelatfiaten eine rückläufige
Bewegung, die darauf hinauslief, die „Errungenschaften'' der
voraut'gegangenen stürmiachon Jahi*e entweder ganz wieder
zu beseitigen oder doch wesentlich abzuschwäcben. Ein all-
gemeiner Zug, zu den früheren Einrichtungen und Zustän-
den zurückzukehren j hatte sich der Regierungen und selbst
eines ^rofsen Teiles der Bevölkerung bemächtigt und machte
sich jetzt beinahe mit ebenso unwiderstehlicher Macht geltend,
wie bisher die fortschrittlichen und revolutionären Ötrömungon
Alles mit sich fortgerissen hatten. Der natürliche Rück-
schlag gegen die bislang allmächtige Umsturzbewegung,
die einen grofsen Teil der europäischen Staaten bis in
ihre Gh^ndfesten erschüttert hatte, «oVVXß xaidcÄ- ^^as^^fc^sRÄ..
m
Drittes Buch. Zweiter Absobnitt.
Es folgten die Jahre der Reaktion, die namentlich auch in
Deutschland nur wenigen Ländern erspart blieb. Unter
dioßen wenigen Ländern war da» Herzogtum Braunschweig.
Wie es hier dem einmütigen Zusammenwirken der Stände
und der Regierung gelungen war, während der Sturm- und
Drangjahre jeden Verlaasungabruch zu vermeiden uud die
Bewegung in gcsetzmäfBigcn Bahnen zu erhalten, so blieb
auch in den folgenden Jahren die ruhige Weiterentwicklung
der staatlichen Zustände gewahrt. Diese Entwicklung be-
ruhete vorzugsweise auf der rückhaltlosen Anerkennung des
Grundsatzes der Selbstverwaltiuig und des i'reien Vereins-
wesens. Dem Wahlgesetze von 1851 lag das Bestreben
zugrunde, den bisher überwiegenden Einflurs der Beamten
einzuschränken und allen im Staate vertretenen Interessen
zu der ihnen zukommenden Geltung zu verhelfen. Diese
Absicht ist zwar durch das Gesetz bis zu einem gewissen
Grade erreicht worden, aber die künstliche und verwickelte
Grundlage der W^ahlordnung legte die Gefahr nahe, dafs es
über kurz oder lang zu einer ausgesprochenen Interessen-
vertretung der einzelnen Berufskreise iühren würde. Trotz-
dem haben sich die Öffentlichen Zustände des Landes seit-
dem bis auf die Gegenwart herab in erfreulicher Weise
weiter entwickelt, Ackerbau imd Industrie sind zu hoher
Blüte gelangt, der Wohlstand hat sich zu einer früher nie
erreichten Uiihe gehoben^ die Staatsfinanzen lassen nichts zu
wünschen übrig. Bei dem Bedürfnis einer ruhigen Entwick-
lung nach der Aufregung der Jahre 1848 bis 1851 ist es
begreiflich, dafs die vier nächsten ordentlichen Landtage von
1852, 1855, 1858 und 1861 keine bedeutenden Ergebnisse
fiir die Gesetzgebung brachten. Doch wurde nach dem Be-
Bchlnase des dritten dieser Landtage das braunschweigiache
Bisen bahn netz, inbezug auf dessen Umiang und Ausdehnung
das Land schon längst den meisten deutschen Ländern vor-
aus war, durch Anlage einer Bahnlinie von Jcrxheim nach
Helmstedt erweitert. Auch beachlofs der Landtag von 1861
den Bau einer Landesirren ans talt in Königslutter, die Er-
richtung eines neuen Gymnasialgebäudea in Braunschweig
und die Umwandlung des bereits schon mehrfach verän-
derten CoUegium Carolinum in eine vollständige und
ausschliefslich polytechnische Lehranstalt. Auf dem elften
ordentlichen Landtage (1 068/61) gelangten verschiedene
wichtige Gesetze , so namentlich ein neues Gewerbe- und
Personalsteuergesetz , auch ein Postgesetz zur Annahme,
währeod das allgemeine deutsche Handelsgesetz im Novem-
ber 1863 in Kraft trat
^.
Thronbesteigung und Persönlichkeit Greorgs V.
m\
£me gleich ruhige und stetige Fortentwicklung seiner
verfasaungsmäfsigen Zustände war dem Königreiche Han-
nover nicht bfiBchieden. Hier folgte nach dem Tode tarnst
Augusts dessen einziger Sohn aus seiner Ehe mit der Prin-
zessin Friederike Kiirüline von Mccklenburg-Streütz, der ara
27. Mai 1819 zu Berlin geborene Georg V. Er hatte be-
reits in jungen Jahren die Sehkraft des einen Auges ver-
loren und dann im Jahre 1833 das Unglück gehabt, sich
durch Unvorsichtigkeit auch das andere Auge so schwer zu
verletzen, dafs völlige Blindheit eintrat. Nach dem Ötnats-
grundgesetze von 1833 wtirde er danach regierungsuntähig
gewesen sein, aber die Authebuug jenes (jesetzes im Jahre
1837 hatte alle Zweifel an seinem Thronfoigerechte beseitigt,
da das Landesverfassungegesetz von 1840 eine Kegentschaft
nur wegen Minderjührigkeit oder geistiger Unföhigkeit an-
ordnete. So bestieg denn Georg, ohne dal's sich irgend ein
Widerspruch dagegen erhoben hätte, den Thron seiner Väter.
Die erste Erziehung, bis zu seinem sechsten Jahre, hatte er
in Deutschland unter den Augen seiner Mutter erhalten,
einer in ihrer Jugend lebcnsl'roheu Frau, die sich aber in
späteren Jahren einer streng kirchlichen und politischen
Richtung zuneigte. Auch sein mütterlicher Oheim, Pnnz
E^l von Mecklenburg, ist wohl uicht ohne Eiuflula auf die
ideale, an das Mystische streitende Vorstellung gewesen, die
er in der Folge von der Würde und Hoheit des gottbe-
gnadeten Königtums hegte. Seine Bildung lur das Leben
und den ihn erwartenden Berat vollendete sich in England,
wohin sein Vater im Jahre 18^8 zurückkehrte. Bei rcicheu
Anlagen des Geistes und Gemütes, die ihn auszeichneten,
mufste deren Entwicklung infolge seines körperlichen Go-
bi-echens doch vielfach gehemmt oder in getährliche Bahnen
geleitet werden, so dafs sich schlielUich in ihm eine Ge-
dankenwelt ausbildete, die mit der Wirkliciikcit der Dinge
nicht immer in Einklang stand. Schon in der Jugend hatte
er neben der Musik, für die er eine besondere Begabung
zeigte, mit grofsem Eifer historische Studien betrieben, na-
mentlich aber iiir die Geschichte seines Hauses eine aus-
gesprochene Vorliebe gezeigt. Das uralte Geschlecht, dem
er entstammte, das in früheren Zeiten eine so bedeutungs-
volle Stellung behauptet hatte, schien ihm auch für die Zu-
kunft noch zu grofsen Dingen beruien. Phantastische Träume
von der Gröfse der welfischen Macht, wie sie einst unter
Heinrich dem Löwen bestanden hatte, mögen bisweilen seinen
jugendlichen, weltunkundigen Sinn bescbäftigt haben. Das
rein innere Leben, auf <^ qc 6\cW Väsm^^^'v«««^ "«äq.., *scX-
wickelte in ihm neben dner aUrk hBumtietwIfii, ntystiich
«u^iliiHihliii BffiigiflMgmt ein &A aoeli atid»«» SÜiTOft-
miatageSOkif das näi ■pWer, ak er war Begierung geUogte^
TOD Jaiir zu J&hr Bteigerte. £r hatte tmi der Bedeuttuig
aeiiKs Land», von der htstonfcben lÜHioa eetDes Hauses,
Ton der etgenen käoiglKhen Würde die b&chste Meinong.
Im Liuügen ÖffeatBoheD An^mcheo oad Beden, die er mit
fcgniglirliWD Anatandft m haltao »fiiriaml, hat er während
•eiiMr Begienm^ Ton dieeen AaBrhiiiiiiifSfui Zeugnis abgelegt
Bei aUedem nntlate Mine ErWbidnng, wie sie in firfihereo
Jahren die gieächmifioge Aasbildnng seiner geütigen KräiW
enchwert and selbst gehindert hatte, jetast, da er xor Herr-
gcbait gelangt war. ihm die voUe Äos&bang sünes könig-
Heben Berafea onmögiich und ihn dem Kinflniwe seiner Um-
gebung, auf deren L'rteii er in vielen Dingen angewiesen
war, mehr als beiUam und ersprierslich, zugänglich machen
Dies trat natargem&Ts am bedenklichsten in achwierigeo
Lagen and Verwicklungen , in jenen entacbeidenden Krisen
zutage, von denen kein gtaat&leoen verschont bleibt und an
denen es denn auch seiner He^enmg nicht gefehlt hat
Ohne diese verhängnisvollen Einflüaee würde wohl auch die
letzte grofse Katasti'ophe, in die er sich hineingerissen sah
und bei der es sich um Sein oder Nichtsein handelte, anders
verlaufen sein und nicht mit der Vernichtung von Hannovers
staatlicher Selbständigkeit geendet haben.
Georg trat seine Ke^crung durch £rlais eines könig-
lichen Patentes vom 18. November 1851 an, in welchem er
unter anderem ,,bei seinem königlichen Worte die unver-
brüchliche Festhaltung der Landesverfassung versprach ''.
Zwei Tage darauf nahm er die Huldigung des Magistrats
seiner Residenz entgegen. Bei dieser Gelegenheit sprach er
die schönen Worte: „Ich erflehe täglich von Gott tuid
wünsche nichts melir, als dafs alle meine Unterthanen ihre
€lebeie mit den meinigen vereinigen, damit er mir Kraft
und Licht gebe, mein schweres Amt zum S^en meines
Volkes zu verwalten. Es wird mein Bestreben sein, mein
Volk imd mein Land, soweit es an mir ist, glücklich zu
machen/' £r hatte in dem erwähnten Patent mit den
übrigen ,, Dienern geistlichen und weltHcben Standes" auch
das erst vor einem Jahre von seinem Vater berufene Mini-
sterium Münchbausen im Amte bestätigt Aber bereits am
22. November erhielt dieses Ministerium, an dem noch eine
Erinnerung an die letztverdoäsenen stürmischen Jahre haftete,
seine iiJitlassungf und der bi^eri^e Bundestagsgesandtc, Frei-
iierr von Schele, ward mit djex ^^i^mx^^ «uuix Ti^oftn. Be-
Miiiiat»rwechwl in Hannover.
463
fierung beauftragt. Schon machten »ich unter dem Adel
es Landes Bestrebungen geltend, durch Beseitigung des
am ]. August 1651 zustande gekommenen und zu Anfang
des Septembers von dem verstorbenen Könige [bestätigten
Gesetzes über die Provinzialstände seine früheren provin-
ziellen Hechte und damit seinen politischen Einfluls zurück-
»ugewinuen. Dies führte im April 1852 zu einer Spaltung
des Ministeriums. Die Minister von Bornes und von der
Decken, die jenen Bestrebungen des Adels cntge^ukommen
wollten, traten zurück und wurden dvu'ch Wiudthorat und
den Freiherm von Hammerstein ersetzt Der König ver-
hielt sich diesen Zettelungen des Adels gegenüber ablehnend.
Er wollte nicht die Machtbefugnisse des Königtums dui'ch
Rückkehr zu der alten ritterschattlichen Herrlichkeit acbmä-
lern lassen. Allmählich bereitete sich aber doch ein Um-
schlag in seiner Gesinnung vor. Die in ganz Deutschland
damals ti'iumpbierend 1 ortschrei teude Reaktion, mancherlei
persönliche Einflüsse, vielleicht auch eine Zusammenkunft,
die er um diese Zeit mit dem Kaiser von Österreich tmd
den Königen von Bayern und Würtemberg hatte, scheinen
diese ümstimmung bewirkt oder doch betÖrdert zu haben.
Am 25. April 1853 wurde den Ständen von der Regierung
©ine Vorlage unterbreitet, welche eine abermalige Ver-
fassungsiinderung in Aussicht nahm. Sie beantragte die
Aufbebung jenes Gesetzes über die Provinziallandschaftea
vom 1, August 1851, wodurch man hoflte, die Beschwerden
der Ritterschaft, die diese beim Bundestage erhoben hatte,
aus dem Wege zu räumen und dem Bunde jeden Vorwand
zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes
zu entziehen. Zugleich ging ein Antrag auf Umgestaltung
der ersten Kammer in reaktionärem Sinne den Ständen zu.
Als diese Anträge an dem Widerstände der zweiten Kammer
scheiterten , ertblgtc ein abermaliger Ministerwecbsel. Aq
Stelle Schelea trat von Lütcken, und auch die übrigen Räte
der Krone wurden durch andere Personen ersetzt: nur der
Kriegsminister, Generalmajor von Brandis, blieb im Amte.
Neben den neuemannton Ministem gewann aber zu dieser
Zeit der frühere Archivsekretär G. Zimmermann , der jetzt
aus dänischen Diensten als Oberregierungsrat und Referent
im Gesamtministerium nach Hannover zurückberufen war,
einen bestimmenden EinBufs auf den König. Die Berufung
dieses Mannes, der im Jahre 1851 ein Buch gegen das in
den meisten kontinentalen Staaten Europas herrschende kon-
stitutionelle System geschrieben hatte, erregte schon damals
in den vcrfassimgstreueii Kreiaeti. det B^N<iVE.ft'rK&,^ "^«Sskc*?;«^-
4M
Drittes Bacli. Zweiter Abrnhiütt.
tongeo, daffl es der Adelspartei geUngeD werde, den König
und dio Regierung zu einem entschiedenen Vorgehen zu-
gunsten der ritterschattlicfaen Ansprüche zu gewinnen. Diese
Beftirchtungen wurden noch gesteigert durch eine von Zim-
mermann verfafate Deoktfchrilt, welche die Bestimmungen
des Staatsgruudgeaetses von 1848 über die Provinzialstände
und die Aufhebung der Landstandschaft ritterscbattlioher
Abgeordneten zur ersten Kammer^ ja überhaupt die ganze
Verfaseung ale bundeswidrig darzustellen suchte.
Inzwischen hatte sich der Bundestag über die Beschwerde
der hannövrischen Ritterschaft schlüssig gemacht. Am 1 2. April
1855 forderte er die hannövrische Regierung auf, „den
Ritterschaften wiederum eine ihren althergebrachten Rechten
entsprechende wirksame Vertretung in der ersten Kammer
der allgemeinen »StändeversarnrnJung einzuräumen", uud acht
Tage später ()9. April) eriolgte noch ein weiterer, jenen
ersten ergänzender Beschluß, wonach die Vcrtasaung und
Gesetzgebung des Königreichs einer sorgtaltigen Prüfung zu
UDterwerlen sei, ob und wie weit sie mit den Qrundj^esetzen
des deutschen Bundes in Einklang stehe Es war vei^bens»
dafs unter Mitwirkung Ötüves eine ,. Beleuchtung*' der Zim*
mermannschrm Denkschrift erschien^ welche diese einer schar-
fen Kritik unterzog, vergebens, dafs zahlreiche Bittschriften
den König unter Hinweis auf sein für Autrechtcrhaltung der
Verfassung veqjfändetes Wort bestürmten, die Einmischung
des Bundes in die inneren Angelegenlieiten des Landes zu*
rückzuweisen, vergebens, dafs die Stände eine Adresse an
ihn richteten , in der er um Ma fsregeln zur Sicherheit
seiner ÖouveränitÄt, sowie der Öelb.-iUSndigkeit des Landes
gebeten ward. Merkwürdig, wie sich seit wenigen Jahren
die staatsrechtlichen Anschauungen der früheren politischen
Worttiihrer verschoben hatten. Dieselben Männer, die vor
kurzem nocli die unbedingte Unterwerfung der Regierung
unter die Beschlüsse der Frankfurter National Versammlung
als selbstverständlich angesehen und den leisesten Wider-
stand dagegen als kleinlichen und engherzigen Partikularia-
mus verschrieen hatten, forderten jetzt die Regierung zu
offener Auflehnung gegen die doch unzweifelhatt damals zu
Recht bestellende Bundesversammlung auf und geberdeten
sich als die Vorkämpfer für die Öouvoränitätsrechte des Kö-
nigs und die staatliche Selbständigkeit des Landes.
Am 31. Juli wurden, da der König entschlossen w&r,
den Anordnungen des Bundestages gemäfo zu verfahren, die
Stände auigelüst, das bisherige Ministerium entlassen und
ein Deues gebildet, an dessen. "iä^V^Ä "ft^Tt ^ovi ^«»-rnftA trat.
Das Ministerium Börnes and die Verfassungsunderang. 4d&
*
^
Schon am 4. August brachte die amtliche Zeitung eine vom
1. August datierte königliche Kundgebung, weiche erklärte,
dafs nunmehr, da eine Vereinbarung mit den Ständen über
die beiden Bundesbeschlüsse nicht geglückt sei, diese nach
Mafsgabe der Bestimmungen der Verfassung zur Ausführung
zu bringen seien. Demgemäfs wiirden die jenen Beschlüssen
zuwiderlaufenden Bestimmungen der Verfassung aufgehoben
und zugleich eine Anzalü anderer Paragrapheu im reak-
.tionären Sinne verändert, wodurch das Ötaatsgrundgesetz in
vielen wesentlichen Punkten wieder der Verfassung von
1840 angenähert ward. Es war zu erwarten, dafa gegen
diese einseilige Umgestaltung der Verfassung ein lebhafter
Widerstand sich geltend machen würde. Um ihn zu bre-
chen, um mit flilfe des gleichfalls veränderten Wahlgesetzes
eine gefügige zweite Kammer zu erhalten, scheuete die Re-
gierung kein Mittel. Die Beamten wurden angewiesen, die
Verordnung vom 1. August möglichst rasch ins Leben zu
fuhren, gegen die oppositionolle Presse wurde mit aller
Strenge vorgegangen, den Schwurgerichten die Aburteilung
politischer Verbrechen entzogen, den Abgeordneten zur zwei-
ten Kammer, soweit sie Staats- oder Gemeiudebeamte waren,
vielfach, wenn man ihnen eine der Regierung abholde Ge-
sinnung zutrauete, der Urlaub verweigert. Den zum 1. No-
vember berufenen Ständen wurde ein Finanzkapitel vor-
gelegt, das aufscr bedeutenden Mehrausgaben für das
Militär und iür die Zivildienerschaft eine Ausscheidung der
Krundotation in Domanialgrundstücken und eine Erhöhung
der Bedaifssumrae um 100 000 Thaler verlangte. Die Stände
waren geneigt, diesen Anträgen zu entsprechen. Sie ge-
standen namentlich die Forderungen für die Krone im Prin-
zipe zu, da sie sich aber über ihren Modus nicht zu einigen
vermochten, wurden Rie, nachdem die Regierung am 7. Sep-
tember das Finanzkapitel von 1R40 teilweise einseitig wie-
der bci'getitellt hatte, am 8. November aufgelöst. Am 10. Fe-
bruar lß57 traten die Stände wieder zusammen. Die Neu-
waiden hatten in der zweiten Kammer eine Mehrheit zustande
gebracht, die sich don Anti-ägen dor Regierung gegenüber
durchaus willfährig zeigte. Vor allem wurde jetzt ihren
Wünschen inbezug auf die Dotation der Krone entsprochen,
60 dafs der König zu erklären Veranlassung nahm. ,jder
Raub, den die frevelnde Hand der Revolution schon einmal
und leider abermals 1848 an dem Eigentume des Herrscher-
hauses geübt habe, sei nunmehr gesühnt." Jn derselben
Session wurde die Städte Ordnung einer Revision unterzogen,
die Staatsdiener in königliche Diöt\eic >\«\^'i'to.\ÄN. , ^'ä "^"^^SJ^-
ITtioemauu, BrauoBchw -banno'v, <jeAcV\c\i^«. \W-.
■?Jä
eucbung und Aburteilung von Polizei vergehen wieder den
Verwaltungsbehörden tiberwießen und eine Reihe anderer
Gesetze durchberaten und genehmigt, die sämtlich mehr
oder weniger das Bestreben zeigten, zu den alten Zuständea
zurückzukehren, wie sie vor dem Jahre 1846 bestanden
halten.
In ähnlicher Weise wie auf dem staatlichen suchte Georg
auch auf dem kirchlichen Gebiete seine persönlichen An-
schauungen und Neigungen zur Richtschnur für seine Unter-
thanen zu machen. Er selbst war in kirchlichen Dingen
ein Anhänger der strengen lutherischen Richtung, was iude»
nicht hinderte, dafs er in auffallender Weise Katholiken in
seine nächste Umgebung zog oder in einflufareicho Stellungen
berief. Als oboreter Bischof der Landeskirche tuhlte er sich
verpflichtet und gewissermafsen von Gott aufgefordert, auch
hier seinen königlichen Willen ohne Rücksicht auf die ab-
weichenden Überzeugungen anderer zur Geltung zu bringen.
Auch sonst schrieb er sich, seinem Hause, selbst seinem
Lande eine besondere göttliche Mission zu. So erklärte er
im Jahre 1867, »die Lage seines Landes bekunde den
Willen Gottes, dafs das weLtische Haus und I>and mit voller
Kraft thätig sei, sein göttliches Wort in fremden Erdteilen
auszubreiten". Hier aber fand er zuerst einen Widerstand,
den er nicht zu brechen vermochte. Als im Jahre 1862
eine schon länger erwogene und vorbereitete königliche Ver-
ordnung erschien, welche die Einführung des einst von
JuHtus Gesenius (f 1673) verlafsten, dann aufser Gebrauch
gekommenen Katechismus befahl, entstand in einem grofsen
Teile der Bevölkerung eine Bewegung, an deren Spitze der
Pastor Bauerschmidt in Lüchow trat und die sich als sa
mächtig erwies, dafs der König für gut fand, teilweise nach-
zugeben und die Verordnung zwar nicht zu widerrufen, aber
doch wesentlich abzuschwächen. Er erklärte am 21. August,
dafs der Katechismus nicht allgemeine Geltung haben, son-
dern nur da gebraucht werden solle, wo er mit Bereitwillig-
keit Aufnahme t^ndc. Zugleich trat das Ministerium, nach-
dem Herr von Borries , sein Leiter und seine cigentHcho
Seele, bereits im August entlassen worden war, am 10. De-
zember in seiner Gesamtheit zurück, mit Ausnahme wie-
derum des Kriegsministers und des Grafen Platen, des Mi-
nisters für die auswärtigen Angelegenheiten. Das neue Mi-
nisterium von Hammerstein berief dann eine Vorsynode, mit
der eine auf Vermittlung der kirchlichen Gegensätze gerichtete
Synodalveriassung und eine ihr entsprechende Kirchenvor-
standsordnung vereinbart ward.
4
Der EatcchiBinusstreit. Zastände m Deutschland.
M7
■
Inzwischen hatten sich in der Geaamtluge Europas Ver-
änderungen von unübersehbarer Tragweite vollzogen. Er-
eignisse waren eingetreten , die notwendigerweise auch auf
die innorfn Zustände Deutschlands eine starke Kückwirkung
ausüben mufsten Die Bestrebungen, dem deutschen ätaatfi-
leben eine straffere, einheitlichere Form zu geben, waren
kläglich gescheitert, aber die Überzeugung von ihrer Not-
wendigkeit hatte sich nur noch melir helestigt und erhielt
durch die Zeitereignisse eine stets wachsende, zuletzt un-
widerstehliche Kratt. Der orientalische Krieg, mehr noch
der Krieg in Italien von 1859 legten die Gefahr, die bei
der Unbehilflichkeit der Bundes Verfassung jede gröfsere
europäische Verwicklung für Deutschtand in ihrem Schofse
trug, vor Aller Augen. Die Einigung Italiens, die sich da-
mals mit Frankreichs Beiliilie unter dem Hause Savoyen
anbahnte, mufsto auch in dcutsclicn Herzen die von der
Reaktion zurückgedrängten aber niemals erloschenen Hoff-
nungen auf eine Neugestaltung des nationalen Lebens, auf
eine engere Vereinigung der deutschen Stämme wieder an-
fachen. Selbst die Regierungen vermochten sich dem mit
verdoppelter Stärke erwachenden Verlangen nach einer Re-
form des Bundes nicht völlig zu entziehen. Aber während
die Alittelstaaten unter der Führung von Sachsen den aus-
Bichtslosen Versuch machteu, durch die Triaaidee diesem
Verlangen anscheinend zu entsprechen, in Wahrheit aber ein
Gleichgewicht gegen den Einfluls der beiden deutschen
Grüfsmüchte herzustellen, standen sich Osterreich und Preufsen
mit der alten Eileraucht miratramsoh gegenüber und trafen
nur in dem einen Punkte zusammen, jene Besti-ebungen der
Mittelstaaten unter allen Umständen zu vereiteln. In Preufsen
war mit der Thronbesteigung des Königs Wilhelm I, ( 2. Ja-
nuar 1Ö61) ein krältigerer und freisinnigerer Zug in die
Regierung gekommen , zugleich aber führte die von dem
Könige ins Leben gerufene Heeresreorganisation zu einem
schweren, aufregenden, das Land in zwei feindliclie Lager
spaltenden Konflikte mit dem Abgeordneten hauee. Als dieses
Bchliefslich so weit ging, das vorgelegte Budget zu ver-
t weigern, erfolgte seine Auflösung, und nachdem das bis-
herige liberale Miuistenum zurückgetreten war, berief der
König Otto von Bismarck, den früheren Bevollmächtigten
Preufsens beim deutschen Bunde und damaligen Gesandten
am französischen Hofe, an die Spitze der Regierung. Das
aber gofs Ol ins Feuer. Der Manu, der später die deutsche
Einheit hergestellt und das deutsche Reich gegründet hat,
den man damals aber nur als den junkerhchen Reaktionär
■ ^
*
4fi8
Drittes Bach. Zweiter AbschnlK.
von 1848 kannte, galt der ganzen liberalen und nationalen
Partei als die Verkörperung des BchroSsteu Altpreufsentums,
aU der abgesagteste Feind aller fortschrittlichen, freiheit-
lichen, auf die Reform der Bundesverfassung gerichteten
Bestrebungen. Die eifrigsten und entschiedensten Verteidiger
der preufßischen Hegemonie wurden jetzt an dem Berufe
der Monarchie Friedrichs des Grofsen, die deutsclien Stämme
zu einigeuj iiTe. Selbst der National verein, der nach dem
Ausgange des italiemscheu Krieges gestiftet worden war, um
ilir die Einigung Deutschlands unter Proufsens Führung zu
wirken, und der nicht ermüdete, überall in deutscheu Lan-
den, vorzügiich aber in den Mittelstaatcn für dieses politisch©
Programm zu wühlen, erklärte jetzt, „er halte den schonungs-
losen, tmversühnlichen Kampf gegen die Träger der preulai-
scheu Politik für die erste bürgerliche Pflicht". Osterreich
sah sich durch solche Stimmungen ermutigt, seinerseits mit
einem Bundeareform plane hervorzutreten. Der Kaiser berief
im August 1863 sämtliche deutsche Fürsten zu einem mit
grofsem Pomp in Scene gesetzten Fürstentage nach Frank-
furt. Die Beratungen hatten aber nicht den gewünschten
Erfolg und scheiterten einfach an dem Widerspruche Preufaens
und dem Fernbleiben des Königs Wilhelm.
Die Haltung der hannövrischen Regierung gegenüber
diesen Verwicklungen, in denen die kommenden Ei*eigni^e
schon ihre dunkeln Schatten vorauswarfen, war weaentlich
durch das hohe Selbstgeluhl des Königs und seine ent-
schiedene Abneigung bestimmt, von den Rechten seiner sou-
veränen Krone auch nur den geringsten Teil zu opfern.
Trotz der gut deutschen Gesinnung, die man ihm nicht wird
absprechen können, beherrschte ihn diese Abneigung voll-
ständig. Wie sich seine Regierung demgeraäfs der Politik
der übrigen Mittelataaten anacblofs, so wurden auch in Han-
nover strenge, oft kleinliche Mafsregela gegen die Ausbrei-
tung des National Vereins und die von ihm verfolgten Be-
strebungen ergriffen. Ea kam dazu, dafs einer der Haupt-
vertreter des Vereins, ja sein eigentlicher Begründer Rudolf
von Benuigsen war, der als Führer der Opposition in der
Imnnövrischon zweiten Kammer bereits früher den Unwillen
der Regierung und die Ungnade des Königs sich zugezogen
hatte. Am I. Mai 1860 gab bei Gelegenheit einer Petition
der Stadt Harburg der leitende Minister von Borne« die Er-
klärung ab, dafs die Bestrebungen des Nationalvereins nach
der Überzeugung der Regierung auf eine völlige Mediati-
sieraug der übrigen doutscUen Fürsten zugunsten Prcufaena
hinauaiiefenf dals aber zur A\i'wii\\ÖÄYi^ «vu^x wMä-cl Gven-
Die Schleswig- holateiDÜcbe Frage.
tualität die gröfseren Fürsten im Notfalle vur einem Bünd-
nis unter einander und selbst rait auswärtigen Mächten nieht
zurUcksclirecken würden. Dieses unüberlegte Wort erregte
damals einen wahren Sturm der Entrüstung , der sich in
ganz Deutschland in zahlreichen Protesten und Gegen-
erklärungen kundgab. Man ahnte damals noch nicht, dafs
Preufeen selbst sich dereinst zur Durcht'iihrung aeiner Re-
formpläne mit einer auswärtigen Macht zu gemeinsamer Be-
kämpfung der übrigen deutschen Staaten verbünden würde.
Die Krisis dieser inneren deutsclien Wirren wai-d durch
den Tod des Küuigg Friedrich VII. von Dänemark hcrbei-
getührtj der am 15- November 1863 erfolgte. Nun trat die
Schleswig holsfeiuische Frage, welche der Bund bei seiner
WiederherateUung ungelöst gelasäen , die aber seitdem nie
ganz geruhet hatte, in den Vordergrund der politischen Er-
wägungen , bald auch der geschichtlichen Ereignisse. Das
Schicksal der beiden durch alle Verträge unteilbar mit ein-
ander verbundenen Herzogtümer, das schon während der
Jahre 184H bis I8ö2 alle Klassen des deutschen Volkes
fieberhalt erregt hatte, wurde jetzt der Ausgangspunkt, von
dem aus unter schweren Kämpfen sich endlich die Neu-
gestaltung Deutachlands vollziehen sollte. Das Londoner
Protokoll vom H. Mai 1852, dem auch die beiden deutschen
Orofämächte, sowie von den übrigen deutschen Staaten Wür-
teraberg, Sachsen und Hannover, nicht aber der deutsche
Bund als solcher zugestimmt hatten , erkannte die Integrität
der däüischeu Monarchie an und bestimmte zimi Nachfolger
des kinderlüBCu Friedrich VII. den Prinzen Christian von
Sonderburg-Glücköburgj aber es hatte weder eine brutale
Gewaltherrschaft der Dänen in den Herzogtümern noch auch
den Erlafs der Gesamtvei-fassung vom 2. Oktober 1055 zu
verhindern vermocht, wodurch die in dem Londoner Pro-
tokolle vorbehaltene Sonderstellung der Herzogtümer beseitigt
wai'd. Die darüber beim Bunde erhobene Beschwerde der
holsteinischen und schleswigschen Stände führte von dänischer
Seite zu dem Versuche, Holstein aus der bisher featgehaltenea
Gemeinsamkeit mit den übrigen Teilen der Monarchie aus-
Äusonderu und damit das von der eid erdänischen Partei
aufgestellte Programm durchzuführen. Darauf forderte der
deatsche Bund die Zurücknahme dieses Verfaaaungsgesetzea
und die Aufrechterhaltung der durch dasselbe verletzten
Kechte Holsteins, widrigenfalls das bereits am 12. August 1858
durch Bundesbeschlufa angedrohete Exekutioua verfahren zur
Austiihrung kommen werde. Als trotzdem die Kopenhagener
liegierung auf ihrem Vorhaben belva.T^\&, Ȋsift ^^is^a. ^iia^'^Kss.-
470
Drittes Bock. Zwetta- Ahsffhmtt
miscliiiDg de« Bundes in die iDoeren dfinischen Angelegen-
heiten protestiere nde Zirkularnote erliefs, auch die Gtesamt-
▼er&88ung dem Keicbstage zur Annahme vorlegte» erfolgte
am 1. Oktober 1863 der Beschlnfs der Bundesexekution
eegoa Dänemark, zu dessen Durchführung Österreich, Prea-
Isen, Sachsen und Hannover ersucht worden, je ein Korps
von 3000 Mann bereit zu stellen. Inzwischen hatte in
Dänemark der Thronwechsel stattgefunden. Der neue König
Christian sah ^ich vor die Wahl gestellt, entweder dem
Drucke der ciderdäoischen Part« weichend die Vereinigung
Schleswigs mit Dänemark unter einer Verfassung aufrecht-
zuerhalten und damit die Bundesexekution herbeiz utühren
oder die Sympathieen &st des ganzen Landes, dessen Thron
er soeben bestiegen hatte ^ einzubufseu. Er entschied sich
für das erstere und gab damit den äulseren Anstols zu einer
Verwicklung, welche in ihren weiteren Folgen eine wesent-
liche Verschiebung der Maclitverhältnisse in Europa hcrb^-
filhrte und die jetzigen Zustände des Krdteils geschaffen bat.
Unsere Darstellung mufs darauf verzichten, auf diese
Ereignisse, die zudem noch in Aller Gedächtnis aind, näher
einzugehen. Nur ihre verhängnisvolle Einwirkung auf die
weltischen Ländergebiete, namentlich auf Hannover, welches
durch sie seine staathche Selbständigkeit verlor, dem gröfse-
ren Nachbarstaate einverleibt und in eine preuläische Pro-
vinz verwandelt wurde, soll hier noch kurz berührt wprden.
Der widerstandslosen Besetzung Holsteins durch die auf die
doppelte Zahl gebrachten Bundeskontingente von Hannover
und Sachsen, zu deren Oberbefehls ha l>or der sachsische Gte-
neral von Hake ernannt worden war, folgten alsbald die Kriegs-
erklärung der beiden deutschen Qrofsmächte an Dänemark,
der siegreiche Feldzug in Schleswig und Jütland, der Wiener
Friede (30. Oktober 1864), der die beiden Herzogtümer
Holstein und Schleswig an die deutschen Grofsmächte ab-
trat, endlich der von Prcoisen erzwungene Abzug der säch-
sischen und hannövrischen Bundestruppen aus Holstein.
Damit war die Lostrennung der Herzogtümer von Dänemark
erreicht, ihre Befreiung von einem langjährigen, unerträglichea
Joche vollendet. Das Land von der Elbe bis zur KOuigsaa
befand sich in den Händen der Sieger, die hier wie in dem
gleichfalls ihnen von Dänemark ilberlasseiien Laueuburg zu-
nächst eine gemeinsame llcgicrung einsetzten. Bald aber er^
hüben sich neue Schwierigkeiten. Anfangs freilich traten
die beiden Mächte den Erbansprüchen des Herzogs Friedrich
ron Holsteia • Auguatenburg uud der zu ihren Gunsten in
Hohtejn und weiterlun in. gaia \>«oA.w^fi^a3A wÄi. ^sltÄüd
4
I
4
Der dänische Krieg. La^ Hannorers.
471
machenden Agitation einmütig entgegen, allein mit der Zeit
ergaben sich zwischen den Kabinetten von Wien und Berlin
Bo verschiedene Anschauungen und Bestrebungen, dafs das
bisherige Kondominat eine Unmöglichkeit wüi-de. Schon
nahm das beiderseitige VerEiältniä eine solche Gereiztheit au,
dafö ein gewaltsamer Bruch zu befürchten stand. Noch
einmal machte der Vertrag von Gastein (14. August 1865),
4er die gemeinsame Kegierung auflöste und Schleswig, dem
alleinigen preui'sischen Einäusse, Holstein dagegen den Öster-
reichern zuwies, den Versuch, dieses Aulserste abzuwenden.
Da es aber immer deutlicher hervortrat, dafs Preufsen nach
der Einverleibung beider Herzogtümer in den eigenen StaatA-
verband strebte, was Österreich unter allen ürast&nden su
verhindern entschlossen war, so bereitete sich das grofse,
von Bismarck wiederholt als unverraeidhch angokündigto
y, Duell " zwischen Osterreich nnd Preufsen vor, das zu-
gleich über das Schicksal des deutschen Bundes entscheiden
mufste.
Von allen deutschen Mittelstaaten befand sich Hannover,
falls der Krieg wirklich zum Ausbruch kam, offenbai' in
der gefahrdetsten Lage. Die Regierung war daher bei den
taglich drohender werdenden Anzeichen, bei der ringsum in
Deutschland wachsenden Aufregung, bei der sich in allen
Staaten und in allen Ständen mehrenden Erbitterung gegen
Preufsen und das bismarckacho Regiment darauf bedacht,
eine durch die Umstände gebotene vorsichtige, äufserst zu-
rückhaltende Haltung anzunehitien. Die geographische Lage
des Landes schien für einen Anschlufs an Preufsen zu
sprechen, der König und der gröfsere Teil der Bevölkerung,
bei der die Zweideutigkeit und ISegehi-lichkeit der preufsischen
Politik zu Anfang des Jahrhunderts noch unvergessen waren,
neigten mit ihren Sjmpathieen zu Österreich hin. Aber mit
ängstlicher Gewissenhaftigkeit suchte man selbst den Schein
irgend einer Parteinahme nach beiden Seiten zu vermeiden,
vor allem aber Preufsen gegenüber keinen gegründeten An-
lais zur Beschwerde zu geben. Bis in den Anfang dos Jahres
1866 hinein waren die Beziehungen der beiderseitigen Re-
^m gierungen zu einander durchaus befriedigend und das freund-
^^H nachbarliche Verhältnis ungetrübt. Das erkennt selbst eine
^^H unter preufsischeui EinEufs und mit Benutzung der Akten-
^^H stücke des auswärtigen Amtes iu Berlin vcrfafste Schi'iit an.
^^H „Zwischen den Kabinetten von Berlin und Hannover" —
1^™ sagt sie — „herrschte lange Zeit über diese Angelegenheit
m der Eibherzogtümer ein ziemlich gutes Einvornehmen, wel-
I cheö auch durch die AffUre von RendsbAii'^ (^fi^sagMäv. "SÄR?^
tuid die Verdrftogung der BftcbAtflcfa - hrinnitTiilhiB
Jcationstrnppen , bü aekr dieae MachtiUtiäemBgeii Pig^
verdroMcn, nicht sebr und nicht aof die Oaaer beetntrSak^l
ti|;^ wurde," Erst aU in Fraukfart durch den prmfaiw-hcBl
Antrag vom 9. April 1866 die BuDdesreformaof Onnidli^ der]
m^e^linu^ eincH deutschen Parlam^ntea in Anr^ong gebrmchfcl
[tr*rd — ein Antrag, der lediglich die Lahmlegnng des
^|>stcrreichiiM:hen KinHuMes in der Bundesversunmlong zam
jSweck zu haben schien — vollzog sich ta Haanover eio
Umschlag. Man kennt die Abneigung des Köoiga, von dea^
, §4^;uverän«j Kediten »einer Krone, die er seiner religiöeea
XCi^htung gcmäfs aU ein ihm unmittelbar von Gott vefwj
liebeoe* Out anitah, auch nur dajt Geringste zu opfern, lua^i
yrei(»j wie er jede dahin zielende Andeutung als einen fre-
veliiaftcn Angriff aui seine königliche Würde, als den An-
fang der McdiatiaicruDg betrachtete. Um so krampt'hafter
klammerte er sich jetzt an die noch immer zu Recht be-
Btehendc iJundesverl'a&Bung, welche allen deutachen Fürsten
ihre Souveränität gewährleistete und jeden kriegerischen Aus-
trag eines Zwiespaltes von bundesmltgliedem ausschlofa.
I>urch das Festhalten am Bundesrechto meinte er den dro*
hendcn Konflikt mit seinen unabsehbaren Folgen abwenden
isu küuuen. Für den Fall aber, dafs der einst als „unauf*
löslich" geschloi^sene Bund thatsächlich zersprengt würde,
beanspruchte er in dem dann entbrennenden Bürgerkriege
für sein Land die Neutralität. Preufaischerseits war man
bereit, dieser Forderung zu entsprechen imd für den Kriegs-
fall die Neutrulitüt Hannovers anzuerkennen, aber nur unter
der in einer Uepeache Bismarcks vom 9. Mai ausgesprochenen
VorauHBctzuüg, „dafs diese Neutialität keine bewaffnete sei
und dafn die hannovrische Regierung für ihre friedliche Hal-
tung ausreichende Bürgschaft gebe". Einen Augenblick
konnte («s scheinen, ala ob die nun zwischen Berlin and
Hatuiover angeknüpften NoutraUtätsverhandlungen zu einem
befriedigenden Ergebnisse fuhren würden. Aber die gegen-
seitigen Verhältnisse waren zu gespannt, die bestimmenden
Persönlichkeiten gingen von Anschauungen, Bestrebungen
und Wünschen aus, die sich allzu sehr widerstrebten, als
dafs eine aufrichtige, hiuterhaltloae Einigung hätte erfolgen
können. In Hannover nahm man zum Ausgangspunkte der
zu befolgenden Politik die Tliatsaciho, dafs der Bund noch
bestund, und die Hoffnung, dafs er auch in der Folgoi
bestehen bleiben werde. Man hielt sich demgemäfs für ver-
pßichtet und berechtigt, etwaigen Bundesbeschlüssen nach-
ÄuJtoinmen. Bismarck dagegen -««t^ ^^ ^Ät VvA^ ^szeigt
Die Erei^sse von I8l>ft.
m
hat, damals schon fest entächlossen, den Bund zu sprengen
und auf seinen Trümmern die Hegemonie Preufsens über
Deutschland oder wenigstens über die norddeutschen Staaten
zu begründen. In einer entgegenkommenden Depesche vom
20. Mai hatte er noch feierlichst erklärt, „es Hege nicht in
Preufsens Absichtj der Souveränität Sr. Majestät des Königs
von Hannover zu nahe zu treten". Ala dann aber Oster-
reich infolge des Einmarsches der Preufsen in Holstein seinen
bekannten Antrag auf M()bilmachimg aller uichtpreufsischen
Buudeskorps in Fraukluj't einbrachte, legte er dem Könige
Wilhelm am 12. Juni eine Denkschrift vor, in welcher er
empfahl „tür Hannover die Erhaltung der Souveränität und
Integrität an die Bedingung der Annahme des Bundesreform-
projektes und sofortiger Entlassung der Truppen zu knü-
pfen*'. Er wufste nur* allzu gut, dafa König Georg mit
Bülcheo Bedingungen sicherlich die Neutralität seines Landes
nicht erkaufen würde.
Inzwischen waren bereits die Würfel ins Rollen gekom-
men. Am 14. Juni fand die Abstimmung über den Öster-
reichischen Antrag in Frankfurt statt. Hannover hat au
diesem Tage nicht, wie unzähligemale behauptet worden ist,
für den Antrag Österreichs gestimmt, sondern es achlofs sieb
dem vermittelnden Antrage Bayerns an, wonach die von
jenem geforderte Kriegsbereitschaft der nichtpreufsischen
Buudestruppen auf die Mittel- und Kleinstiiaten sich be-
schränken sollte, „da der Bund bei den drohenden Ver-
hältnissen Vorkehrungen treffen müsse, um etwaige StÜruiigen
des Bundesft'icdens zu verhindern". Auch lehnte es die
Motivierung des Österreichischen Antrages durcli den Bruch
des Gasteiner Vertrages ab, da dieser Vertrag mit dem
Bunde und dem Bundesrechte nichts zu tlmn habe. Zugleich
glaubte es seine friedlichen Absichten dadurclt zu bethätigen,
dals es keinen Versuch machte, die österreichische Brigade
Kalik, die in diesen Tagen durch Hannover zog, zum
Schutz des Landes zurückzubehalten oder dem ihr auf
dem Fiilse folgenden preufsischen Korps des Generals von
Manteufiel beim Überschreiten der Elbe Schwierigkeiten zu
bereiten.
Am Tage schon nach der verhängnisvollen Sitzung des
Bundesrates (l5. Juni) überreichte Prinz Vsenburg, der
preufsischc Gesandte in Hannover, der dortigen Regierung
eine Drohnote, welche die Zurück flihrung der hannövrischeu
Truppen auf den Friedensstand vor dem 1. März, die Zu-
stimmung des Königs Georg zu der Berufung eines dcutscheq
Parlamentes, endlich die AuÄschievUwa^ öäx ^äo». ^'d.^yÄaÖ
474
Drittes Buch. Zweiter AbschnEtt.
liehen Wahlen verlangte, sobald dies von Preuisen geschehen
würde. Auf dieser Grundlage wurde HauDuver ein Bilndnia
mit Preulsen angeboten, das sein Gebiet und seine iSou-
veräüitätsr echte nach Malsgabe der preulsiöchen ßeform-
vorschläge bezüglich des Bundes gewährleisten sollte. Im
Fall der Ablehnung wurde die sofortige Kriegserklärung in
Aussicht gestellt. Noch an demselben Tage hatte der preu-
fslBcfae Gesandte in Hermhausen eine Audienz beim Künige,
in der er sich vergeblich bemühete, diesen zur Annahme der
preufsischen Forderungen zu bewegen, und in der er nachdrück-
lich und freimütig den Ernst der Lage betonte. König
Georg seinerseits erklärte, den Bundesrelbrroplänen Preuisena
nicht zustimmen zu können : sie hätten vielmehr seine vollste
Mifsbilligung gefunden, die Parlamentsberufung sei ihm ein
unerträglicher Gedanke und komme einer Mediatisierung
gleich, der er einen ehrenvollen Untergang vorziehe. Der
alsbald nach der Audienz zusainmenbcrul'ene, durch höhere
Offiziere verstärkte Ministerrat sprach sich nach eingehender
Erwägung der Sachlage in demaelben Sinne aus. Zugleich
wurde beschlossen, den hannövrischen Tiiippen, die gi'ofsen-
teils bereits auf dem Marscbe nach Hannover waren, die
Weisung zu erteilen, sich gegen Süden zu wenden und ihre
Vereinigung bei Göttingen zu bewerkstelligen , wohin sich
auch der König mit dem Kronprinzen zu begeben gedachte.
Als dies gegen Abend in der Stadt bekannt ward, berief
der Stadtdirektor Rasch die Mitglieder der städtischen Kol-
legien zu einer aufserurdentlicheu Sitzung zusammen. Man
beachlofs, „an Se. Majestät die Bitte zu richten, die Stadt
und das Land nicht zu verlassen, dagegen Malsregeln zu
ergreifen, welche Se. Majestät das vielleicht in Frage ge-
stellte Verbleiben im Lande zu ermöglichen und dem letz-
teren die Segnungen des Friedens zu bewaliren geeignet
wäi-en". König Georg empfing die DeputÄtion, die ihm
diese Beschlüsse Überbrachte, gegen Mitternacht im Schlosse
zu Hermhausen, umgeben von seiner Familie. Es war ein
feierlicher Moment, das letzte Mal, dafs er den Verti'etem
seiner Haupt* und Residenzstadt Audienz erteilte, dafs er
zu ihnen bewegte Worte sprach. Er beharrte auf aeinum
verhängnisvollen Beschlüsse, bezeichnete die ihm gestellten
Bedingungen als unvereinbar mit seiner königlichen Ehre
und Pflicht, erinnerte an die so oft erprobte Treue der Han-
noveraner gegen ihr Fürsteobaus und schlofs seine Rede mit
der Erklärung, „als Christ, Monarch und Weif nicht anders
handeln zu können". Genau um die nämliche Stunde, wo
diese Audienz in Hermhausen stattfand, erschien Graf Platen,
rlot
KriegMrkliiruDg Preufsf^ns an Uannorcr.
47Ö
der Miniater de» Auswärtigen, in der Wohnung: des preufsi-
schen Gesandten, um diesem mündlich mitzuteilen, dafs Kö-
nig Georg den Bündnisvertrag wegen der ilm begleitenden
Bedingungen ablehne, worauf Prinz Ysenburg erwiderte, dafs
er aut dieses Nein boautVagt sei, im Namea seines Königs
an Hannover den Krieg zu erklären. Die schrii^liche Ab-
lehnung der preufsiachen Anträge wurde erst um ein Uhr
nach Mitternacht vom Könige unterzeichnet.
Nim waren die Würfel gefallen. Am 16. Juni, vier Uhr
morgens, verlicfa der König in Begleitung des Kronprinzen
Hannover imd begab eich nach Ööttingen, das er den Trup-
pen zum Sammelplatz angewiesen hatte. Es zeigte sich
jetzt, wie umi'aascnd, schlagfertig und wohlerwogen die preu-
fsiachen Mafsnahmen iiir den eingetretenen Fall , wie un-
fertig und mangelhaft dagegen die iiannövrischen Rüstungen
waren, die trotzdem der preufsischcn Regierung den eigent-
lichen Vorvraud zu ilirem Verfahren hatten leüieu müssen.
Aber wie das hannövrische Volk in dieser plötzlich herein-
brechenden Katastrophe das Vertrauen seines Königs nicht
getäuscht liat, so zeigte sich die Aimee ihres alten Ruhmes
würdig. Die filobihnachung ward ernt am 17. Juni, am
Tage uacli der preuföischen Kriegserklärung, befohlen. Die
Truppen wurden demgcuiäfü in völlig unfertigem Zustande
von einem langst auf Kriegsfufs gesetzten Feinde, der in
drei Kolonnen von verschiedenen Seiten heranrückte und in
das Land einbrach, überrascht. Trotzdem gelang c» unter
ziuu Teil sehr groiacn Anstrengungen, die ganze Armee bis
auf wenige kleine Abteilungen am 18. Juni um Oöttiugen
zu vereiuigen. Hier aber waren einige Tage erforderlich,
um die Tiuppen, deren Abmarsch nach dem Süden in
gröister Kile stattgefunden hatte und denen es inlolge davon
an der notwendigen Kriegsausrüstung fehlte, operationstähig
zu machen, namentlich die erst in letzter Stunde einberufenen
Beurlaubten, die sich trotzdem fast vullzählig, 80UU Mann,
in Göttingen einstellten, einzukleiden und zu bewafliien.
Dafs dies in der kurzen Zeit, die dazu vergönnt war, ge-
laug, legt von der Opfer wiUigkeit der Mannschaften, von
dem Eifer und der Hingebung der OiÜziere ein glänzendes
Zeugnis ab. Leider entsprach die oberste Führung, die der
König in die Hand des Generals von Arents-child legte,
diesen treulichen Eigenschaften der Truppen niclit völhg.
Auch der Umstand, dafs sich der König selbst beim Heere
befand, hinderte und vermrrte teilweise die Bewegungen.
Bei sichei-er und energiacher Führung wäre der Durchbruch
nach Süden und die Vereinigung mit dou Bayern, der, wie
47A Dcittn Back Z«eiN
die lluge lagen, der ena^e Bettaagsir^ war, msweife&aft
Am 2i. Juni wu* mui nit dea iirt»yili|ti ii VorW
lertig, die Annee BanekbaciL
Tage bnch ne ittch dem KehdiMe ao^ «bendiritt
die prewWidie Orenae in der Ridtfaa^ am£ Ho^geaatadt
und aetxte aa des beiden Ugendan Tagea ihren Muradi
VBaoe^bdtten &ber MfthlhaTttm und La^eaaeka aaf Ootha
and Eueoach fori Am 24. atandwi die kaaufiiiiaclien Vbr-
trvppen nur wenige SCondeo too dea beidea t^faitg^i»«!«*»«
Städten entfernt. Eine Aaakandadiaft flvigabr da& Fiiiriiiili
gar nicht, Gotha nar scliwaeli Tom Femde faesefixt war.
Man brauchte nnr vco^ärta sa marschieren, and die Armee
war gerettet. Da machten sich, als der Br^ade Balow be-
reita der Befehl erteilt war, gegen Fiwuarh Torzagebea,
imdere Einflfiiwe geltend, die dai unwiderbringlichen Mo-
Dient Teraftiimen liefäen und das tapfere Heer einem unab-
wendbaren Verderben entgegenlUhren sollten. Am 2J. Juni
war im hannövriflchen Hauptquartiere, während eich die
Vortmppcn der Armee bereits Langensalza näherten, der
Sachsen -coburginche Hauptmann von Ziehlberg eingetroffen.
Er überbrachte ein an den Kummandeor des Regiments
Gotha Christ von Fabeck gerichtetes Telegramm aas Ber-
lin, welches die hannövrische Armee, da sie rings von preu-
IkiBchen Truppen umstellt sei, aufforderte, die Waffen zu
strecken. Infolge davon entsandte König Geoi^ den Major
Jacffh'i nach Gotha^ um von dort mit dem Chef des groäen
Geueralstabes in Berlin weiter zu verhandeln und zugleich
sich zu überzeugen, wie weit die Angaben jenes Telegramms
inbezag auf die Umzingelang der Hannoveraner der Wahr-
heit entsprächen. Dies ilihrte zu Verhandlangen , gegen-
seitigen Sendungen und Besprechungen, die den Weiter-
roarsch der hannüvrischen Truppen um zwei volle Tage
verzögerten. Über diese Vorgange hat sich später eine heif-
tige Polemik zwischen den dabei Beteiligten entsponnen.
Wir gehen darauf nicht ein. Thatsache ist, dafs der da-
durch veranlafßte Verzug, indem er dem G*^ner die nötige
Zeit verschaffte, die von ihm heim Beginn der Verhand-
lungen iäUchlich behauptete Umzingelung der hannovrischen
Armen wirklich durchzuführen, das Schicksal dieser Armee
besiegelt hat.
Am 27. Juni, morgens gegen zehn Uhr, sahen sich die
Hannoveraner in ihren Stellungen nordöstlich von Langen-
ßäJza am linken Ufer der Unetrut von dem Genoral von
PJiea angegriffen, der über etvia. \ÜWQ ■^ra«v -^«s^ij;^ und
k
Schlacht von LaiigeQsaI:ea.
m
k
in der Meinung, die Gegner beabsichtigten nach Osten bin
auszuweichen, dies zu verhindern suchte Es war fast genau
dasselbe Schlachtield, wo vor 800 Jahren die rebelHschcn
Sachsen vor dem Könige Heinricli IV. erlegen waren (I.
I33ff.j. General von Arentsschild hatte, da er die Stärke
der Preufsen anfangs überschätzte, unter Verziehtleistung &\xi
seinen ursprünglichen Plan, Langensalza zu behaupten, diese
Stellung gewählt, um eine Vcrteidigungsschlacht zu schlagen.
Als er aber im Laute des Gefechtes die Schwäche des
Gegners erkannte, ging er, nachdem er vier Stunden lang
alle Versuche der Preufsen , die Unstrut zu überschreiten,
vereitelt hatte, gegen zwei Uhr zum Angriff über. Trotz hel-
denmütiger Gegenwehr wurden dem Feinde Langensalza und
die Hulien des Judenbügols und Erbsberges entrissen und
er genötigt, den Rückzug auf Gotha anzutreten. Nun ging
die hannövi-ische Reiterei zur Verfolgung vor. In glänzen-
den, furchtbar verlustvollcn Angriffen bestürmte sie — Cam-
bridge-Dragoner, Gardekürassiere, Königin- und Garde-
husaren — den langsam zui-ückweichenden , sich in feuer-
speiende Vierecke zusammenballenden Feind, bis die allge-
meino Erschöpfung dem Kampfe eine Meile vor Gotha ein
Ende machte. Er hatte auf beiden Seiten schwere Opfer
gekostet Die Preufsen zählten 8O0 Tote und Verwundete
und lialsen 900 Gefangene in den Händen ihrer Gegner.
Gh*Öf8er noch war der Verlust der Hannoveraner. Er be-
lief sich auf 1400 Tote und Verwundete. Die hannüvrisehe
Armee hatte sich mit ausgezeichneter, bewunderungswürdiger
Tapferkeit geschlagen und selbst in der schwierigen Lage,
in der sie sich befand, ihren alten Kiiegsruhm bewährt. Es
war die einzige Niederlage , welche die Preufsen im Ver-
laufe des ganzen Krieges erlitten, und wenn sie hier gegen
eine nicht unbodeuteride Übermacht fochten, so wurde dieser
Nachteil durch die Überlegenheit ihrer SchufswafFen reich-
lich wett gemacht. Aber es war ein völlig nutzloser Sieg,
der das Geschick Hannovers nicht mehr zu wenden vor-
mochte, es im Gegenteil eher beschleunigt hat. Noch am
Abende des Schlachttages vollzog sieh thatsiichlich die preu-
fsischerseits in Aussicht genoraraene Umzingelung des lian-
növrischen Heeres und schlols sich der eiserne Ring, au3
dem kein Entrinnen mehr möglich war. Am Morgen des
28. Juni setzten sich von allen Seiten her die prcufaiachen
Heersäulen gegen Langen.'talza in Marsch. General von
Göben rückte mit 1*2 000 Mann nach Grofs-Behringen; Mau-
teuffel erreichte mit 8000 von Mühlhausen her Grufs-Gottern
und General Flies versperrte mVt aamcö. X^'ä'ö^'^'KMaT wä^sä
478
Drittes Bach. Zweiter Abschnitt.
er nach dem Treffen bei Langensalza »eine Streitmacht wieder
gebracht hatte, die Straffte uacli Gotha. Jeder weitere Wider-
stand der Hannoveraner erschien als hoffnungslos. Öie hatten,
von einer doppelten Übei*macht umringt, nur noch itir einen
Tag Lebensmittel, kaum noch für ein ernstes Gefecht Schiefs-
bedarf. Die Kapitulation war unvei'meidlicb geworden. Sie
wurde, nachdem König Geor^ schweren Herzens seine Zu-
stimmung erteilt hatte, in der Frühe des 29. Juni zwischen
dem preufaiscLeu GenenU Vogel von Falckenatein und dem
Oberhefehlahaber der Hannoveraner General von Arenta-
schild unterzeichnet. Der endgültige Äbscblufa erfolgte
preufaischerseits durch den damit von Berliu aus auf tele-
graphischem Wege beauftragten General von Manteuffel.
Die Kapitulation von Langensalza verbürgte dem Könige
Georg den ungesclimälerten Besitz seines Privat vermögen»
und gewüiirtc ihm und dem Kronprinzen für sich und ihr
Gefolge unbeschränkte Freiheit in der Wahl ihres Wohn-
ortes aufserlialb des Königreichs Hannover. Den Offizieren
wurden gegen das Versprechen, niclit gegen Preufsen käm-
pfen zu wollen , die Beibehaltung ilirer Waffen und der
Fortbezug ihres Gehaltes zugesichert. Die Truppen sollten
nach Ablieferung ihrer Waffen in ihre Heimat befördert,
alles Kriegsmaterial mit Fahnen und Standarten den Preui'sen
übergeben werden. Es war das lediglich eine militärische
Konvention, kein iStaa tsvertrag, noch weniger ein Friedena-
achlufs. So blieb das Schicksal Hannovers zunächst in der
schwebe. König Georg mochte immerhin noch auf eine iiir
Seine Dynastie und die Selbständigkeit seines Landes gün-
stige Wendung lioffen, sei es infolge der noch ausstehenden
Waffenentacheidimg mit Österreich, sei es dm'ch grofsmutigen
Kntschlufs des seinem Hause durch Famihenbeziehungcn eo
enge verbundenen Siegers. Er sollte sich darin bitter ge-
täuscht sehen. Die Schlacht von Königgrätz raubte ihm
jede Aussicht, durch einen Umschwung in den kriegerischen
Ereignissen wieder nacli Hannover zurückgeführt zu wer-
den, und die Verhandlungen von Nikolsbiu-g, in denen Oster-
reich Kurhessen, Nassau, Frankfurt und Hannover der Gnade
des siegreichen Preufsene überlieferte, veniichteten die letzte
Hoffnung , durch einen Friedensachlufs zu einer Verstän-
digung mit dieser Macht zu gelangen. Als während dieser
Verhandlungen ein Adjutant des Königs Georg mit einem
Schreiben des letzteren an den König Wilhelm erschien ^ in
welchem unter Anerkennung aller früheren Forderungen
Preufaens um Mitteilung der Fried ensbedinguugen iur Han-
nover gebeten ward, wies man das Schreiben als unannehm-
Einverleibnug Hannovers in ProuTsen.
47»
bar zurück. In Frcufson hielt der leitende Staatsmann seit-
dem hartnäckig die Fiktion fest, dafs der entthronte König
von Hannover sich nach wie vor im Kriege mit der Krone
Preufscn befinde, dafs sein Starrsinn den Äbschlufs eine»
Friedens unmöglich mache. Das hinderte freilich nicht, dafa
Bismarck am 29. September 1867 mit dem ehemaligen han-
növrischen Minister Windthoi-st einen Vertrag sclilof», wo-
nach gegen Auslieferung der während des Krieges nach
England geflüchteten öflFentlichen Gelder dem Könige Georg
die Zinsen eines KapitaU von aechazehn Milliimon Thnlei-n
zugesichert wurden, ohne dafs man deshalb von ihm einen
Verzicht auf seine Krone verlangt hätte. Dieser Vertrag
ist bekanntlich nicht zur Ausführung gekomraeu. Au dem-
selben Tage (2. März 18 68), an welchem er in dem Ber-
liner Amtsblatte veröffentlicht ward, erfolgte, nachdem die
Bedingungen des Vertrages vom Könige Georg ertüllt waren,
preufsischerseita die Beschlagnahme der sechszehn Millionen
Thaler, eine Malsregelj die dann dm'ch Bescldufs des Abge-
ordncteubanses vom 29. Januar lb69 gesetzliche Kratt er-
hielt.
Das Geschick Hannovers hatte sich damals bereits er-
Mlt. Am 20. September 186G, vier Wochen nach dem
Frieden von Prag, kam im preuCaischen Abgeordneten hause
die Einverleibung der eroberten norddeutschen Staaten, also
auch Hannovers, zur Verliandhing. Nur ein einziger Ab-
geordneter katholischer Konfession hat dagegen geredet.
Mit überwältigender Mehrheit wurde der Antrag der Regie-
rung angenommen, das bisherige Königreich Hannover zu
einer preuföiaclien Provinz erklärt. Am 3. Oktober erfolgte
die formelle Besitzergreifung des Landes und genau ein
Jahr darauf (2. Oktober 1867) trat auch für Hannover die
preufsiache Veriassung in Kraft.
Wir sind mit unserer Darstellung zu Ende. Es erübrigt
nur noch, einen flüchtigen Blick auf die „letzte Scholle wel-
ßscher Erde'*, auf das Herzogtum Braunschweig zu werfen
und uns die Entwicklung kurz zu vergegenwärtigen, welche
die öffentlichen Angelegenheiten hier seit der Auflösung des
deutsclien Bundes genommen haben. Glücklicher oder
— wenn mau lieber will — mit richtigerer Erkenntnis und
weiterem politischen Blick als in Hannover hat die Braun-
schweiger Kegierung den Gefabren zu begegnen gewufst,
mit denen das Zerwürfnis der deutschen Grofsmächte im
Jahre 1866 die übrigen deutschon Staaten mehr oder ^
480
Drittes Buch. Zweiter Abschoitt.
der in ihrer Fortexiatenz bedrohete. Man wird kaum an-
nehmen dürfen , dafa Herzog Wilhelm inbezug aul* die
Schmälerung Reiner bisherigen souveränen UecJite anders
dachte als sein Vetter, der König von Hannover. Aber die
Kleinheit des Landes, seine geographische Lage, vor allem
die Gesinnung seiner Bevölkerung machten hier jede Wahl
unmöglieh und lielsen die Regierung den Weg einschlagen,
der sich in der Folge als der einzig richtige und Air das
Landeswohl erBpriefsliche erwiesen hat. Braunscbweig stimmte
im Gegenaatae zu Nassau, das mit ihm zusammen die drei-
zehnte Kurie bildete, am 14. Juni 1866 in Frankfurt gegen
den ü&terreiclii sehen Antrag auf Kriegsbereitschaft des Bun*
deshecres und stellte beim Ausbruch der Feindseligkeiten
dem Könige von Preufsen seine Truppen zur Veriiigung.
Doch kamen diese nicht zu kriegerisclier Aktion. Ihre
Thätigkeit beschränkte sich auf einen unblutigen Feldzug
nach Franken, wo sie bis Nürnberg gekommen waren , als
der Friedenssclilufs mit Bayern den Operationen gegen die
süddeutschen Staaten ein Ende machte. Am 4. August er-
klärte daim das Herzogtum seinen Austritt aus dem
deutschen Bunde und am 18. August seinen Kintritt in den
neuzubiUienden norddeutschen Bund. Vier Jahre später'
führte die vom Zaune gebrochene Kriegserklärung Frank-
reichs an Preufsen den grofsen französisch - deutschen Krieg
herbei, der die Einigung Deutschlands vollendete und dieses
Werk der Einigung durch die WiGderherstelUing des deutschen
Ueiches krönte. Auch die dem zehnten deutschen Armee-
korps eingereilieten Bramisehweiger Truppen haben an die-
sem Kriege einen ruhmvollen Anteil genommen. In dem
mörderischen Reitergefechte bei Rezonville hatten die Braua-
schweiger Husaren Gelegenheit, sich neben den bewährtesten
preufsisclien Uciterrogimcntcrn auszuzeichnen. Sie drangen
Iiior in die Gardebatterio ein, in deren Mitte sich der iran-
zösische Oberbefehlshaber Marscliall Bäzaine selbst befand,
hieben die Fahrkanoniere nieder, kaum dafs der Marschall
der Gefangenschaft entging. Iflit dem übrigen zehnten
Armeekorps dem Heere des Prinzen Friedrich Karl zuge-
teilt, nahmen die Braunschweiger dann an der Belagerung
von Metz und nach dem Italic der „jungfräulichen Festung"
an den Kämpfen vor Orleans (.'J. und 4. Dezember 1870)
sowie vor Le Maus (9. bis 12. Januar 1871) teil. Am
14. Januar erstürmte das braunachweigische FüsIlier-(Liinb-)
Bataillon unter dem iMajor von Münchhauson das von einer
ganzen franzö.siHchcn Brigade verteidigte Dorf Chassillie.
Zwei Wochen später (28. Januar] ert'olgte die Kapitulation
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Die leisten Jahre Herzog Wilhelms.
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von Paris, und am 10. Mai setzte der Friede von Frank-
furt dem Kriege ein Ziel.
Seitdem hat ein zwauzjgjälu*iger Friede wie dem gesamten
deutseben so auch dem Braunschwoiger Lande seine Seg-
nungen gespendet. Er hat es ermöglicht,! die IliltsqueUen
des letzteren zu reicher Fnitaltung zu bringen , so dafs
Zahl und Wohlstand der Bevölkerung in stetem Wachsen
begriffen sind. Die glänzende Finanzlage des Landes, an
welcher dem rechtzeitigen Verkaufe der ötaatseisenbahuen
ein Hauptanteil gebührt, hat die Regierung iu den Stand
gesetzt, den staatlichen, kirchlichen und kommunalen Be-
dürfnissen in ausgiebiger Weise iteehnung zu tragen , und
der Landtag ist ihr dabei meistens boi-oitwÜIig entgegen-
gekommen. Eine lange Ucihe wichtiger und bedeutsamer
Gesetze ist durch das einträclittge Zusammenwirken von
Kegicrune und Laudständen zustande gebracht, Wir er-
wänueu davon nur die Errichtung von Kommunal verbänden
und ihre Dotierung mit zwei Millionen Thatem, die Gesetze
über die VerhiUtuisse der Dissidenten, die Aufhebung der
Chaus^e-, Damm- vmd Brückengelder, die Ablösung der
Stülgcbühren , die Beseitigung der Geschlossenheit der
Bauerngüter unter Beibehaltung des Anerbenrecbts, den Er-
lafs einer Bauordnung und eines Wassergcsetzes , das neue
Gesetz über die staatliche Beauisichtigimg der Unterrichts-
anstalten, das Gesetz über die Erbschaftssteuer, endlich die
Durchführung der Keichsjustizverfassung und den Erlafs der
dazu erfonlerlicheu (Tcseize. Die Kirchen voriasaung, deren'
Gi*undlage das bereits im Jahre iHöl erlassene, 1873 ab-
geänderte Gesetz über die Wahl der Kirchenvoratände bildet,
erhielt durcb das Synodalgesetz vom Jahre 1871 ihren
weiteren Ausbau. Aus den Beratungen der verschiedenen
ordentlichen und aulserordontliclien Synoden sind die Gesetze
über die kirchliche und bürgerliehe Trauung , sowie über
die Abhaltung von Inspektionsaynoden , femer eine neue
Kirchen visitatiuns • und eine neue Gottesdienstordnung ber-
vorgegangen.
Der steigende Wohlstand des Landes bekundete sich
auch in der Zunahme der öffentlichen und privaten Bau-
tbätigkeit. Auf dem Lande verschwanden die alten , mit
Stroh gedeckten Häuser fast ganz und machten massiven
Wohn- und Wirtschaftsgebäuden Platz, die oft schon äulser-
licii eine früher nie gekannte Wohlhabenheit der Bevöl-
kerung verkünden . 1 n vielen Döriern sind geräumige,
stattUcIie Schulhäuser, in manchen auch neue stdvöUfi. 0.«s<.-
482
Drittes Buch. Zweiter Abschmtt
i
tesbäuser eratanden. Koch mehr tritt diese die Physio-
gnomie von Stadt und Land allmählicK veränderiide Uin-
waudiung in den Städten hervor. BrauDsehwetg namcat-
lich ist während der letzten Jahrzehnte fast zur Hallte
umgehauet worden. Die alten, merkwürdigen Privatbäueer,
die der Stadt ihr eigentümliches Gepräge gaben, sind mehr
und mehr un Verschwinden begriffen, doch thut der wie-
dererwachte Sinn für die Vergangenheit unseres Volkes
dos Beine^ um dasjenige, was von ihnen noch übrig ist, zu
erhalten und in dem alten Glänze wiederherzustellen. Fast
sämtliche ältere Kirchen des Landes, die einige Bedeutung
zu beanspruchen haben, sind, oft mit grofsen Kosten, oft
auch unter BeihiU'e der Regierung, einer umfassenden Re-
stauration unterzogen worden. Dies gut auch von ande-
ren merkwürdigen öffentlichen Oebäuden. Dazu gesellen
sich die zum grofsen Teil prachtvollen monumentalen Neu-
bauten in den Städten, namentlich in der Hauptstadt. Für
sämtliche höhere Bildungsanstalten des Landes sind neue,
acböne, ausgiebige lieimstätten geschaffen worden: für das
Lehrerseminar in VVolfenbUttel , ftlr die Gymnasien, denen
in Braunschweig durch das „neue Gymnasium" eine neu-
begründete Anstalt hinzugefiigt ward, für das ehemalige, zu
einer technischen Hochschule umgestaltete Collogium Caro-
linum. Neben dem Justiz ~ und dem Polizeigebäude in
Braunscltweig sind endlich die Prachtgebäude zu nennen,
welche der gesicherten und würdigen Aufbewahrung der
grofsen wisseuscliaftlicheu und Kunstsammlungen des Landes
galten: das neue Museum in Braunscbweig und die neue
Bibliothek in Wolfenbüttel.
So kann man von der Regierung des Herzogs Wilhelm
sagen , dafs sie zu den glücklichsten und segensreichsten
Epochen der braunschweigischen Geschichte zu zählen ist.
Auch die Zukuul^ des Landes hat der Herzog noch wenige
Jahre vor seinem Hinscheiden, so viel an ihm war, durch
das mit den Ständen vereinbarte, vom Bundesrate aner-
kannte und bestätigte „ Regentscbaftsgesetz " sicher gestellt.
Die Anhänglichkeit und dankbare Gesinnung seines Volkes
bekundete sich in glänzender Weise am 2 5. April 1881
bei der Feier seines fÜBfeigjUhrigen Kcgierungsjubiläums,
die sich zu einem grofsartigen Feste für das ganze Land
gestaltete Wenige Jahre später wai'd auch er, der letzte
einer Reihe ausgezeichneter und ruhmreicher Fürsten, zu
seinen Vätern versamraelt. Am 18. Oktober 1884, morgens
ein Uhr, verschied er nach kurzer Krankheit auf seinem
Lustscbloase Sibyllenort in Schlesien, wo er einen Teil des
Tod des Herzogs WUhelm. 483
JahreB zuzubringen pflegte. ,, Braunschweig , mein Braun-
schweig", das waren seine letzten Worte. Seine Leiche
wurde nach Braunschweig übergeführt, wo am 25. Oktober
die feierliche Beisetzung stattfand. Noch einmal Öffneten
sich die Pforten der Füratengruft unter dem Dome von
St. Blasien, um die sterblichen Reste des letzten Sprossen
aufzunehmen, den der ältere Zweig des Welfenstammes ge-
trieben hatte.
Dniek von Fiisdr. Indr. PsrtbeB in Gotha.
Berichtiguiiffeii,
S. 43 in dem Kolumnentitel st. strcithortiscbcn 1. streithorsti*
sehen.
S. 55, Z. 13 V. o. st. von Prag l. in Prag:.
S. 56, Z. 7 V. u. st. ihm 1. Ihn.
S. 199, Z. 22 V. o. tilge die Auführungszeicheu vor wonach.
S. 201, Z. 17 V. u. St. Hercucladisla 1. Herciiladlsla.
S. 308, Z. 22 V. o. St. Ilandscoten 1. Hahdscoteu.
S. 363. Z. 12 V. u. 8t. Plachnois 1. Planchnois.
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