(;OETHE-FORSCHUNGEN
'WOLDRMAK. Freiherr vc« BiliDEHMANN,
NDEKWKITB f OLGE.
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Goethe-Forschungen
ANDERWEITE FOLGE
HeLMciscnbach, RifTarth u. Co., Leip/ij
M'bldemar Freiherr von Biedermann.
Vorbemerkung des Verlegers
en Freunden des Verfassers bietet der Verleger
dessen Bildniß aus den Tagen, da er an diesem
Rande arbeitend sein goldenes Hochzeitsfest feierte.
Der grade Sinn, der in diesem dritten Bande der Goethe-
Forschungen besonders wirksam sich erweist, leuchtet auch
aus dem wohlgetroffenen Bilde, das uns aber ebenso von
dem liebenswürdigen Grundzug eines 8 1 jährigen, thätigen
Lebens zu erzählen weiß.
Leipzig, I. Januar 1899
F. V. B.
•^^
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Goethe- Forschungen
VON
VVOLDEMAR FrEHIERR VON BIEDERMANN
AxXDERWEITE FOLGE
MIT DREI BILDNISSEN
UND DEM BILDx\ISSE DES VERFASSERS
"^''
LEIPZIG
F. W. V. BIEDERMANN
,•1899
Druck von Hesse & Becker in Leipzig.
Vorwort.
lie dritte Sammlung meiner Goethe- ForscJiiuigen er-
scheint in schwächerem Bande, als die vorhergehen-
den: wenn ich den Wunsch erfüllt sehen wollte,
meine letztjährigen Arbeiten zur GOETHE-Kunde ver-
einigt allgemein zugänglich zu machen, so mahnte mich die
Lebensalterwahrscheinlichkeit, nicht länger damit zu zögern.
Die mit wenigen Ausnahmen in Zeitscludften bereits ver-
öffentlichten Aufsätze sind in dieser Sammlung nur hin und
wieder, wo nöthig, verändert, es konnte dief3 aber ohne Neu-
bearbeitung nicht so weit geschehen, daß nicht einzelne Un-
zukömmlichkeiten stehen bleiben mußten, namentlich Wieder-
holungen sowohl aus früheren Bänden, als auch innerhalb
des vorliegenden Bandes selbst. Das ist eben Folge der
Natur einer Sammlung.
Bei Vergleichung dieses Bandes mit den beiden früheren,
besonders dem ersten, wird man bemerken, daß dieser in
ruhigem Flusse verlief, der dritte dagegen eine scharfe Ton-
art anschlägt. Als ich vor vierundvierzig Jahren den ersten
Aufsatz im Gebiete der GOETHE-Kunde ausgehen ließ, und
noch lange nachher, hatte sich die Goethe-Literaüir überhaupt
noch nicht in weiten Kreisen eingebürgert, wie gegenwärtig,
ich konnte daher manches, was ich bei eingehender Be-
schäftigung mit Goethe's Leben und Schriften gefunden
hatte, als eine, vielen willkommene Gabe darbieten. Auch
fehlten damals Mittelpunkte für die GOETHE-Kunde, wie sie
vorzugsweise im Goetlie - Aixhiv und für die Literatur im
Goethe-Jahrbtcc/i. bestehen, wohin sich dahin gehörige Arbeiten
wenden. So habe ich z. B. ehedem zahlreiche Briefe Goethe's
bekannt gemacht, während ich jetzt von mir weiter gesammelte
dem Goethe-Archiv zur Aufnahme in die Sopliieii- Ausgabe
von Goethe's Werken zu überlassen sachgemäß befunden
habe. Strömt nun überdieß dermalen eine solche Fluth
goetheliterarischer Arbeiten von allen Seiten herzu, daß meine
gealterte Beweglichkeit nicht mehr genügt, sie zu verfolgen,
und ich daher befürchten muß, mit meinen Eingriffen nur
Abgethanes zu Markte zu bringen, so habe ich in letzteren
Zeiten meine Thätigkeit hauptsächlich darauf gerichtet,
Forschern entgegenzutreten, die nach meiner Ueberzeugung
auf Irrwegen wandelten. Dadurch hat mein neuester Band
das Aussehen einer Streitschrift bekommen und ich selbst
habe mich dem Rufe ausgesetzt, ein Krakehler zu sein. Das
wird dem über mich etwa zu schreibenden Nekrolog freihch
zu Schaden gereichen , aber da ich mich einmal zum Mit-
arbeiter im Gebiet der GOETHE-Kunde aufgeworfen habe,
darf ich die Gefährdung meines Nachruhms nicht achten,
und muß vielmehr der Pflicht gehorchen, das mit allen
Kräften zu vertheidigen, was ich für das Rechte zu halten,
gute, wohlerwogene Gründe habe; ich bin berechtigt, er-
fahrnen Widerspruch nicht für Widerlegung zu halten, wenn
er dieß nicht ist.
Die Beigabe liegt eigentlich der GOETHE - Kunde fern.
Sie behandelt folkloristisch eine Angelegenheit, die sonst nur
der Speculation überlassen war. Die Aufnahme in diesen
Band rechtfertigt der Umstand, daß dabei Gelegenheit ge-
nommen ist, Goethe's Stellung zu den äußeren Formen der
Dichtung im Flusse ihrer Kntwickelung anzudeuten.
Dresden, Ende 1898.
Biedermann.
Inhaltsuebersicht.
Seile
Vorwort 1^ ^
I. Dichtungen Goethe's •
I. Lesarten zweier kleinen Gedichte 3
(Ungedruckt.)
il. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen 5
1. Einzelnes zu Faust.
Dieangeblichen Faustpläne 7
(Dresdner Goethe-Verein. Bericht über das 2. Vereinsjahr,
August 1896 — August 1897.)
Vorbilder zu Faust 32
(Aus einem Aufsatz in der Wissenschaftlichen Beilage der
Leipziger Zeitung 1888 Nr. 45.)
Die Domscene 33
iWissenscTi. Beilage der Leipziger Zeitung 1893 N""- 33)
2. Zu Tasso 41
iWissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1893 Nr. 33.1
:i. Theaterzettel zur Natürlichen Tochter .... 47
(VVissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1896 Nr. 97.)
III. Dramatische Entwürfe Goethe's 53
1. Cäsar 55
(Ungedruckt.)
2. Das Entstehen der Elpen or-Dich tung 60
Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte X, 286.1
IV. Goethe mit Zeitgenossen 69
1. BildnissezurGoethe- Kunde 7^
(Ungedruckt.)
2. Zu Caroline Schulze 73
'Archiv für Literaturgeschichte XV, 82.)
3. Goethe und Heinrich Leopold Wagner .... 81
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1889 Nr. 97.)
4. Goethe und Jakob Lenz 9^
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1891 Nr. 30.)
5. Franz Lerse in Weimar io7
(Ungedruckt. ,1
6. Die Unterredung mit Napoleon Ili
( (i) Goethe-Jahrb. XIV. Band S. 282. — (2) Wissensch.
Beilage d. Leipziger Zeit. 1895 Nr. 31. —(3) Ungedruckt.)
V. Vermischtes zur Goetheforschung 127
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's 129
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1885 Nr. 82.
XII Inhaltsuebersicht.
Seite
2. Goethe's productive Kritik 143
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1888 Nr. 28.1
3. Zu d. Recensionen d. Frankf. gelehrten Anzeigen 154
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1893 Nr. 126.)
4. Gedächtnifsirrthümer Goethe's 156
a. Über Lessing's »IVIinna v. Barnhelm« 156
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1897 Nr. 82.)
b. Aufklärung über eine Dunkelheit 162
( Ungedruckt. 1
c. Wandlung in Naturanschauung 164
(Goethe-Jahrbuch VI, 338 f.)
d. Herausgeberirrthum 167
(Goethe-Jahrbuch XIX, 295 f.)
5. Zu Goethe's Theaterrepertoire 169
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1891 Nr. 224.)
6. Goethe und das Schriftthum Clüna's 173
(Zeitschr. f. vergleichende Litleraturgesch. N. F. VII, 383 ff.)
VI. Berichtigungen und Nachträge zu Goetheschriften des Verfassers 1 99
1. ZuGoetheundDresden 201
(Aus: Dresdner Geschichtsblätter 1892 Nr. 3.)
2. Zu Goethe's Briefen an Eichstädt . 204
(Ungedruckt.)
3. Zu Goethe's Briefwechsel mit Rochlitz .... 210
(Ungedruckt.)
4. Zu der Schrift. Zu Goethe's Gedichten . . . 214
a. Briefgedicht an Merck 214
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1892 Nr. 30.)
b. Willkommen und Abschied 221
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1888 \r. 45 I
c.Haideröslein 222
(Zeitschrift für den deutschen Unterricht V, 334.)
d. Goethe's Sonette 225
(Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung 1895 Nr. 39.!
e. Hatem 230
(Chronik des Wiener Goethe- Vereins X. Bd. Nr. i.l
f. Invective gegen Kotzebue 231
(Ungedruckt.)
g. Letzte Zahme Xenie der ersten Abtheilung .... 232
(Ungedruckt.)
Beigabe. Entwickelung äusserer Formen der Dichtung . . 233
(Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte N. F.
VI, 115 ff. und IX, 224 ff.)
I.
Dichtungen Goethes.
V. BiEDER>u.NN', Goetheforschungen III.
Lesarten zweier kleinen Gedichte.
ie früheren Bände meiner f: GoetJie - Forschungen«, be-
gannen mit dem Abschnitt y> Dichtungen Goethe'' s 's.
und ich durfte ihn daher auch in der dritten Samm-
lung nicht auslassen. Diese Zwangslage möge ent-
schuldigen, wenn ich an anspruchsvoller Stelle nichts Wich-
tigeres bringe.
Auf ein 20X15 mm großes Blatt hat GOETHE in latei-
nischer Schrift mit Bleistift das, in der Sophienausgabe
der Werke IV. Band Seite 136 abgedruckte Gedicht so an-
gefangen und dann umgeschrieben:
Ewig doch allgemach
Ziert der Regenbogen
Wilde Sturme, Kriegeswogen
[Stürmten]
Rasten über Hayn und Dach
Ewig doch und allgemach
Stellt sich her der bunte Bogen.
Die ersten zwei Zeilen sind, ebenfalls mit Blei von
links nach rechts, die übrigen vier von rechts nach links,
das in eckige Klammern eingeschlossene Wort wagerecht
durchstrichen.
Auf der Rückseite des, überdies auch von oben nach
I. Dichtungen Goethe's.
unten umgedrehten Blattes steht gleicherweise geschrieben
das im V. Bande der Sophienausgabe Seite 91 zu lesende
Gedicht so:
Was viele singen und sagen
Das müssen wir wohl ertragen.
Ihr guten! Großer und Kleiner!
Ihr singt euch müd und matt
es
Und singt doch keiner
Als was er zu sagen hat.
Das in vorletzter Zeile übergeschriebene »es« ist sehr
verwischt.
IL
Quellen und Anlässe Goethischer
Dramen.
I. Einzelnes zu «Faust«,
DIE ANGF.BLICHEN FAUSTPLÄNE.
ie Commentare zu Goetiie's x Faust < bewegen sich
nach mehr Richtungen hin, als sonst Commentare
zu Dichtungen, indem jene nicht allein auf das
Drama als Ganzes sowie auf dessen Einzelheiten
sich erstrecken, sondern es auch nach seinem Entstehen
betrachten. Die Geschichte der Dichtung des »Faust«, die
uns zeigt, daß der Dichter von dessen Anfängen bis zur
Beendigung fast volle 60 Jahre damit beschäftigt gewesen
ist, macht begreiflich, daß die in diesem langen Zeiträume
mehrfach eingetretenen Wandlungen in den Anschauungen
des Dichters die Dichtung beeinflußt haben. Es ist nun
eine sehr lockende Aufgabe, diesen Einflüssen nachzuspüren
und ein lohnender Erfolg dieses Eindringens in die Dichtung,
die Erkenntniß, wie sie trotzdem eine in der Hauptsache
einheitliche geworden ist, — wenigstens was den ersten
Theil des > Faust« angeht; hinsichtlich des zweiten Theils
liegt die Sache verwickelter, weßhalb wir zunächst dem ersten
unsere Betrachtung zuwenden wollen.
Aber auch das Werden des ersten Theils füllt nahezu
ein Vierteljahrhundert aus. Zwar verlautete schon in der
3 II. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
ersten Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts,
daß Goethe an einem »Faust« dichte, und Freunden hatte
er auch Stücke davon vorgelesen, sie auch abzuschreiben
gestattet, aber erst 1790 gelangte ein größeres Fragment in
die Oeffentlichkeit und erst 1808 der erste Theil des »Faust«,
wie er uns vorliegt, lieber die Zeit der Entstehung der
einzelnen Stücke fehlte früher so gut wie jeder Nachweis
und auch die Hoffnung, nach dem Tode der Enkel Goethe's
aus dem von ihnen verschlossen gehaltenen GOETHE'schen
Archiv Aufschlüsse darüber zu erhalten, wurde getäuscht.
Erst 1887 gelang es den umsichtigen Nachforschungen Erich
Schmidt's in dem handschriftlichen Nachlaß der 1807 ver-
storbenen Hofdame der Herzogin Amalie VON Weimar,
Louise von GöCHHAUSEN, bei deren Neffen, dem unlängst in
Dresden verstorbenen Oberstlieutenant VON GöCHHAUSEN, die
Abschrift derjenigen Stücke des »Faust«, die GOETHE 1775
mit nacli Weimar gebracht hatte, zu ermitteln. Diesem
Bruchstück — dessen Bezeichnung als »Urfaust« üblich ge-
worden ist — fehlen zwar mehrere im Fragment von 1790
enthaltene Scenen, dagegen finden sich darin wiederum
solche, die in dem Fragment fehlen, aber im abgeschlossenen
»Faust« von 1808 wieder aufgenommen worden sind. Die
Gründe der vorherigen Auslassung und nachmaliger Wieder-
herstellung werden im Laufe unsrer Betrachtung einleuchten.
»Faust« ist nicht in der geregelten Form, wie sie besonders
im französischen klassischen Drama ausgebildet war, ge-
schrieben. Wenn diese erfordert, daß von Anfang an bis
zum Ende die Handlung wie in einem Gusse fortfließt, jede
Scene schon in der vorhergehenden vorbereitet ist, sogar
manche nur zu dem Zwecke eingefügt wird, um eine klar
ersichtliche Verbindung zweier zur Handlung gehörigen Scenen
herzustellen, so hat im »Faust" — mehr noch, als bei
Shakespeare — jede Scene ihre Bedeutung in sich, die
Verbindung der Scenen ist meistens ganz locker, sie fügen
sich nicht einer regelrechten Eintheilung in Aufzüge, und
I. Einzelnes zu »Faust«.
deren Motivirung ist mitunter so wenig kund gegeben, daß
das Erkennen des Zusammenhangs nur im Ueberblick des
Ganzen möglich ist. So liegt es z. B. nicht sofort zu Tage,
warum Mephistopheles nach der ersten Unterhaltung mit
Faust sich ohne Angabe eines Grundes entfernt und gleich
darauf sich, ebenso scheinbar ohne Veranlassung, wieder ein-
findet; oder warum Faust nach dem ersten Liebesrausch in
Gretchens Nähe sich fortbegeben hat, und in Wald und
Höhle sich herumtreibt; oder warum Gretchen der Tod ihrer
Mutter schuldgegeben wird; oder warum Faust die Wal-
purgisnacht auf dem Brocken mit Mephistopheles feiert.
Diese anscheinende Lückenhaftigkeit ließ schon früh die Faust-
erklärer auf die Vermuthung gerathen, daß das als abge-
schlossen gegebene Drama nur nothdürftig aus Stücken zu-
sammengestellt worden sei, die gar nicht nach ein- und dem
selben Plane gedichtet wären. Freilich war diese Vermuthung
willkürlich, da GOETHE, so oft und viel er auch über »Faust«
gesprochen und geschrieben hat, nirgends auch nur andeutet,
daß er einen dafür entworfenen Plan einmal aufgegeben oder
umgestaltet habe, was er doch bezüglich anderer Dramen,
wie »Elpenor« und »Tasso« mittheilt, der zwei vollständigen
Bearbeitungen des »GÖTZ von Berlichingen« gar nicht zu
gedenken. Zu dieser Vermuthung hielten sich nichtsdesto-
weniger die Erklärer durch einige Widersprüche in dem
vorliegenden Faustdrama umsomehr für berechtigt; nament-
lich gab dazu die Scene Anlaß, die »Trüber Tag — Feld«
bezeichnet ist. Darin läßt Faust seine Wuth gegen Mephisto-
pheles, weil dieser ihm Gretchens verzweifelte Lage ver-
heimlicht hat, mit den Worten aus: »Hund! Abscheuliches
Unthier! Wandle ihn. Du unendlicher Geist! wandle den Wurm
wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nächtlicher
Weise gefiel vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer
vor die Füße zu kollern und sich dem Niederstürzenden
auf die Schultern zu hängen.« Bekanntlich kommt aber
jetzt im Faustdrama Mephistopheles als Hund lediglich bei
jQ II. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Faust's Spaziergang vor und von da in dessen Studirzimmer,
wohin er mit dem heimgekehrten FAUST eingedrungen ist.
Nachdem er dann durch Beschwörung gezwungen worden,
sich in anderer Gestalt zu zeigen, findet sich über eine
Rückverwandlung in die Hundsgestalt durchaus nichts, und
sie würde auch im Gange des vorliegenden Dramas nicht
möglich sein.
Die Erklärer verlegten sich nunmehr aufs Rathen und
dabei wurde schon auf ein paar Menschenalter hinaus ein
Mißverständniß verhängnißvoU. Wenn der Monolog Faust's
in der Scene »Wald und Höhle« beginnt:
Erhab'ner Geist! Du gabst mir, gabst mir alles
Worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet;
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich
u. s. w.
so fragten die sonst rathlos Rathenden: Wxr kann dieser,
sein Angesicht in Feuer zuwendende erhabene Geist anders
sein, als der Erdgeist, der ja früher Fausten in einer Flamme
erschienen ist? Freilich achteten jene nicht darauf, daß da-
bei noch andere Fragen zu beantworten waren. Was fällt
namentlich Fausten ein, den Erdgeist »erhaben« zu nennen,
dem er bei seinem Erscheinen »Schreckliches Gesicht!« zu-
gerufen hatte? Wie kann hiernächst der Erdgeist, selbst nur
ein Naturgeist, Fausten die Natur als Königreich übergeben?
Was hat ferner Faust den Erdgeist gebeten und dieser ihm
gewährt? Aber endlich vor allem: wie verhält es sich mit
dem Schluß des Monologs, wo Faust klagt: »Du« — näm-
lich der angeredete erhabene Geist —
»Du gabst zu dieser Wonne . . .
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich kalt und frech
Mich vor mir selbst erniedrigt und zu nichts
Mit einem Worthauch Deine Gaben wandelt.«
I. Einzelnes zu »Faust«. 1 1
Danach müßte also Mephistopheles durch den Erdgeist
Fausten beigesellt worden sein. Davon ist aber auch nicht
die Spur einer Andeutung im Drama zu finden, lieber diese
und andere Bedenken schwangen sich die Erklärer in frischer
Schöpfungslaune hinweg und beseitigten sie in einem Auf-
wasch, indem sie »erklärten«, — d. h. hier nicht mehr er-
läuterten, sondern »verfügten« — daß in einem älteren, von
Goethe wieder aufgegebenen Plan für das Faustdrama der
Erdgeist eine vorherrschende Rolle habe spielen sollen, wo-
bei auch Mephistopheles als von ihm abhängig darzustellen
gewesen wäre. Es machte die Erfinder dieser Behauptung
nicht irre, daß von einem Weiterwirken des Erdgeistes nicht
der leiseste ^Anklang zu spüren ist, daß er vielmehr seine
dramatische Aufgabe vollständig erfüllt hatte.
Widmen wir nun unbefangen den sich kreuzenden Fragen
der angeblich beabsichtigt gewesenen, tief eingreifenden
Stellung des Erdgeistes und der behaupteten Wahrnehmbar-
keit verschiedener, dem »Faust« zu Grunde gelegter Pläne
nähere Betrachtung.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Vorgänge im
Drama bis zur Erdgeisterscheinung! Faust hat sich im Bücher-
studium vertieft, um zu ergründen
Was die Welt
Im Innersten zusammenhält.
Das ist ihm auf diesem Wege nicht gelungen; er hat sich
daher, um seinen Zweck zu erreichen, der Magie ergeben.
Es ist nöthig dabei hervorzuheben, daß hiermit die weiße
Magie gemeint ist, die im Alterthum durch Priester ausge-
bildet war, im Mittelalter aber Gelehrten im Fache der Natur-
wissenschaften zugeschrieben wurde, während die schwarze
Magie die Mitwirkung der Hölle in Anspruch nahm. Die
Gegenstände von Faust's Erkenntnißdrang sind nun symbo-
lisch vorgestellt durch die Zeichen des Makrokosmus und
des Mikrokosmus. Die Unmöglichkeit, in die Geheimnisse
des Zusammenhangs des Weltalls einzudringen, sieht Faust
12 II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
sofort beim Erblicken des entsprechenden Zeichens des
Makrokosmus ein; dagegen glaubt er, wie er das Zeichen
des Mikrokosmus anschaut, die irdische Welt mit seinen
Geisteskräften erfassen zu können und ruft die Hülfe des
Erdgeistes dazu an. Dieser belehrt ihn aber, daß auch dieses
Ziel zu erreichen über die Grenzen hinausgreife, die dem
Menschen gesteckt sind. Der Erdgeist schildert dabei den
Umfang seines eigenen Wesens:
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall ich auf und ab,
Webe hin und her:
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben.
So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
. Faust ist nicht imstande, diese gewaltige Thätigkeit
zu begreifen, er unterschätzt sie, glaubt sich ihr gewachsen
und im Vorgefühl der dadurch zu erwartenden Befriedigung
seines Sehnens begrüßt er den Erdgeist:
Der Du die weite Welt umschweifst.
Geschäftiger Geist, wie nah fühl' ich mich Dir!
worauf der Erdgeist ihn niederschmettert:
Du gleichst dem Geist, den Du begreifst,
Nicht mir!
Da nun der Erdgeist nur auf Faust's Ruf da ist, so hat
er, als er Faust's Begehren wegen Unzulänglichkeit mensch-
lichen Vermögens, also unwiderruflich, abweist, damit auch
logischer Weise seine Aufgabe im Drama vollkommen erfüllt und
zwar so* gründlich, daß seine Wiederkehr gar nicht denkbar ist.
Goethe hat einen ähnlichen Vorgang in einem anderen,
dem »Faust« vorangegangenen Drama seiner Jugendzeit dar-
gestellt, im •» Promethens 1- . Wie Faust hinsichtlich seiner
Geisteskraft der Gottheit sich gleich wähnt, thut es Prome-
I. Einzelnes zu »Faust».
13
theus, eine andere Gattung von Uebermenschen, im Ver-
trauen auf seine Willenskraft, auf seine Selbständigkeit; wenn
Faust herausfordernd sich »Ebenbild der Gottheit« nennt,
sagt Prometheus:
Ich bin kein Gott
Und bilde mir so viel ein, als einer.
Im Drama •» Prometheus t ist es Merkur, der diesen
Uebermüthigen über die Grenzen des Menschenthums belehrt,
aber nur durch Zureden, nicht durch ein gewaltsames Macht-
wort wie der Erdgeist; daher war jenem es möglich, noch
weiter aufzutreten, und zwar indem er Minerva bei Jupiter
verklagt, daß sie Prometheus in seiner ^Aufsässigkeit gegen
den Göttervater begünstige. Eine ähnliche Fortführung der
Rolle hat der Erdgeist durch die Entschiedenheit seines Auf-
tretens abgeschnitten. Ebenso haltlos ist die Behauptung
seiner, mit dem ihm zugedachten Wiederauftreten in Ver-
bindung gebrachten Beziehungen zu Mephistopheles. Es haben
sich zwar Fausterklärer bemüht, aus alchimystischen Theorien
eine gewisse Gemeinsamkeit beider abzuleiten, aber abgesehen
davon, daß GoETHE, wenn er sich auf eine so gelehrte
Knaupelei einlassen wollte, im Drama Andeutungen darüber
nicht unterlassen konnte, so bedienen sich die Herren bei
ihrer Beweisführung auch eines argen Trugschlusses. Sie
folgern: Mephistopheles nennt Zerstörung sein eigentliches
Element, und auch der Erdgeist schließt das Grab in seine
Thätigkeit ein, also gehen beide auf dasselbe Ziel — Tod
und Verderben — los. Es ist aber denn doch der gewaltige
Unterschied, daß das Ziel des einen eben lediglich Zerstörung,
das des anderen aber Leben ist, wobei nur Grab und Ge-
burt sich ablösen. Der Zweck ihres Thuns ist es indessen
allein, was die Wesenheit der beiden Geister bedingt, und
bei so grundverschiedenen Zielen können sie keine gemein-
schaftliche Thätigkeit entwickeln.
x\ls Goethe sich entschieden hatte, den Mephistopheles
der Faustsage auch in seinem Drama auftreten zu lassen,
14- ^^- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
konnte er lediglich nicht nur an bekannte, sondern auch allein
an solche Verhältnisse anknüpfen, die denen geläufig waren,
von denen er sein Drama verstanden wissen wollte. Da
boten sich ihm bloß christliches Dogma, Volksglaube und
biblische Dichtung dar. Nach dem Dogma war Satan der
selbständige, Gott feindliche Geist, und als solcher konnte
er nur aus eigener Machtvollkommenheit sich zum Verderben
eines Menschen anschicken; nach dem Volksglauben war er
ein Sohn der Hölle und handelte lediglich als deren Vertreter;
nach der biblischen Dichtung, dem Buch Hiob, war er Diener
Gottes, und als solcher war es seine Aufgabe, Menschen auf
ihre Frömmigkeit zu prüfen, und er that dies im Auftrage
Gottes. Als Gehülfe des Erdgeistes kam er erst nach
Goethe's Tod zur Entstehung — in den Köpfen von Faust-
erklärern. Alle Bemühungen, dem Erdgeist im »Faust« eine
vorherrschende Stellung zuzuweisen und Mephistopheles als
seinen Boten hinzustellen, beruhen aber, wie gesagt, auf
einem Mißverständniß, bei dessen Erkenntniß man wegen der
vielen Schreiberei, die diese Erdgeistfrage veranlaßt hat, mit
Mephistopheles ausrufen möchte:
Ein großer Aufwand schmählich ist verthan!
Faust's Anrede:
Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet —
ist nämlich gar nicht wörtlich von einer wirklichen Feuer-
erscheinung, sondern bildlich zu verstehen als Anspielung auf
das Erscheinen Gottes im Feuer, wie solches im Alten
Testament, in den Büchern Mosis, Hiob, Samuel erzählt
oder angedeutet wird. In diesem Sinne gebraucht GoETHE
das gleiche Bild in y> Hermann und Dorothea«, wo der
Richter sagt:
O, wir anderen dürfen uns wohl mit jenen vergleichen,
Denen in ernster Stund' erschien im feurigen Busche
Gott der Herr; auch uns erschien er in Wolken und Feuer,
I. Einzelnes zu »Faust«.
15
Die Richtigkeit dieser Auslegung ergiebt sich einerseits da-
raus, daß sie ganz sinngemäß ist, andrerseits aus der Un-
mögHchkeit, die Stelle auf die Feuererscheinung des Erd-
geistes zu beziehen. Ueberdies lehnt sich der ganze Mono-
log an das Buch Hiob an, wo eben auch solche göttliche
Feuererscheinung vorkommt. Dort wird von Capitel 36
bis 40 zuerst von Hiob's Freund Elihu und dann von Gott
selbst die Macht Gottes durch Darlegung der Großheit, der
Mannigfaltigkeit, der Unbegreiflichkeit seiner Werke ge-
schildert; Gott spricht dabei auch in Gewittern; er führt
allerhand Gethier mit Namen auf und erklärt das Gebahren
jedes einzelnen. Wenn er dabei zuerst Löwen, zuletzt Le-
viathan und dazwischen Vögel nennt, so ist das dieselbe
Reihenfolge, wie im Monolog, wo die Geschöpfe in »Busch,
in Luft und Wasser« nacheinander gestellt sind. Endlich
redet Gott dem Hiob ins Gewissen und bringt ihm zur Ein-
sicht, wie unrecht er gehandelt in Betracht der Gewalt des
Schöpfers und des Reichthums der Schöpfung, sich mit
Schmähreden gegen ihn zu versündigen. Faust's Monolog
ist nun geradezu ein Auszug aus diesen letzten Capiteln des
Buches Hiob, wobei nur Faust selbst das Wort nimmt als
derjenige, der an sich erfahren hat, was Elihu und Gott der
Herr dem Hiob vorhalten. Er ergießt seine Empfindungen
in einer Art Gebet:
Erhab'ner Geist! Du gabst mir, gabst mir alles,
Worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet;
Gabst mir die herrliche Xatur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst Du nur.
Vergönntest mir, in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
j6 II. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
Und Nachbarstämme quetschend niederstreift
Und ihren Fall dumpf hohl der Hügel donnert,
Dann führst Du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner Brust
Geheime tiefe Wunden öffnen sich.
Das Erbetene, das Gott Fausten, wie dieser bekennt,
hat zu theil werden lassen, ist eben die gewonnene Einsicht
in das Getriebe der Natur. Er erwartete von vornherein:
Wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Nachdem er erkannt hat, daß er das Erstrebte durch
Offenbarung, wie er sie vom Erdgeist begehrte, also durch
ein ihm ohne Mühe zufallendes Himmelsgeschenk; nicht er-
langen könne, daß er sie vielmehr im Kampfe des Lebens
erringen müsse, weil er eben nicht den Göttern, den zwischen
Mensch und Gott stehenden bevorzugten Wesen, gleicht, da
hat er in Wald und Höhle sich zurückgezogen, im innigen
Verkehr mit der Natur die »Götterwonne« erreicht, die er
an dem Ostermorgen nach Lösung der Bande, die ihn an
die Erde knüpften, ahnte, die Wonne, von der er endlich
fand, daß sie ihn »den Göttern nah und näher« bringe. Er
bezeichnete als schon Gedemüthigter diesen Zustand als
sein Ziel mit den Worten:
Was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen.
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern.
Bei richtigem Verstehen des Monologs ist nun in der
That auch die Ursache beseitigt, die zu der Fabel vom
Wechsel in Goethe's Plänen für den ersten Theil des »Faust«
geführt hat; die sonstigen unwesentlichen Widersprüche inner-
I. Einzelnes zu »Faust«. 17
halb des abgeschlossenen Dramas erklären sich aus der Ent-
legenheit der Zeiten, in denen es allmählig zu Stande kam,
wobei der Dichter jeweilig die gerade vorhabende Scene
mehr vor Augen hatte, als die Erinnerung an jede Stelle
früher gedichteter Scenen, sodaß geringfügige Unebenheiten
durch Nichtübereinstimmendes sich einschleichen konnten;
namentlich ist die Auffassung Mephistos verschieden, indem
er bald als biblischer Versucher, bald als Höllenfürst, bald
als volksthümlicher Teufel, bald als menschlicher cynischer
Humorist auftritt. GoETHE verfährt im Sinne des Volkes,
das auch mit überlieferten Stoffen willkürlich umspringt. Da
indessen der Glaube an die mehreren Faustpläne eine gewisse
Selbständigkeit angenommen hat, so wollen wir, um allen
Einwänden gerecht zu werden, noch die Geschichte der Ent-
stehung des »Faust« an der Hand der Quellen ohne ein-
geschmuggelte Phantasien an uns vorübergehen lassen.
Wir können hierbei noch hinter den, 1887 entdeckten
Urfaust von 1775 zurückgreifen. Mit dem Neudruck des
»Faust« in der im Auftrag der Großherzogin SOPHIE VON
Sachsen veranstalteten Ausgabe von GoETHE's Werken
sind nämlich mehrere von GoETHE für den »Faust« aufge-
zeichnete, aber nicht benutzte Stücke — Paralipomena — ver-
öffentlicht, lieber das mit 1 bezeichnete Paralipomenon hat
in dem, 1896 ausgegebenen XVII. Bande des Goethe-Jahr-
buchs Eugen Manning eine Abhandlung erscheinen lassen,
worin er auseinandersetzt, daß in diesem Paralipomenon die
erste Niederschrift Goethe's für seinen »Faust« vorliege.
Der erste Theil dieses Paralipomenons lautet: »Ideales
Streben nach Einwirken und Einsichten in die ganze Natur. Er-
scheinung des Geistes als Welt- und Thaten-Genius. Streit
zwischen Form und Formlosem. Vorzug dem formlosen Gehalt
vor der leeren Form. Gehalt bringt die Form mit. Form ist nie
ohne Gehalt. Diese Widersprüche statt sie zu versöhnen, dispa-
rater zu machen. Helles kaltes wissenschaftliches Streben: WAG-
NER. Dumpfes warmes wissenschaftliches Streben: SCHÜLER.«
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 2
j 3 IL Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Es mag überraschen, wenn Manning Goethen zutraut,
zuerst einen so dürftigen Umriß für seine Lebensdichtung,
den »Faust«, hingeworfen zu haben, allein deshalb schlank-
weg abzuurteilen und Manxing's Darlegung abzulehnen,
würde sehr übereilt sein. Dergleichen Entwürfe aufzusetzen,
war zeitlebens GOETHE'S Gewohnheit. Er erzählt im siebenten
Buche von ^■> Dichtung und Wahrheit <-< , daß er schon in
frühester Zeit, vor dem xA.bgang zur Universität Leipzig, so
verfahren sei, wobei er solche Entwürfe ausdrücklich von
»bis zur Hälfte ausgeführten Vorsätzen« unterscheidet, die
er samt jenen verbrannt habe. Und von Leipzig berichtet
er ebenda wieder, daß er mehrere Schauspiele entworfen
und »die Expositionen von den meisten« geschrieben habe.
Im dreizehnten Buche seiner Lebensgeschichte hebt er da-
gegen hervor, daß er -»Götz von Berlichitigen<i, ohne daß er
»einen Entwurf oder Plan vorher aufgesetzt hätte,« ebenso
■» Werther« , ohne daß »ein Schema des Ganzen oder die
Behandlung eines Theils irgend vorher zu Papier gebracht
gewesen wäre,» verfaßt habe. Er betrachtet es also als
selbstverständlich, daß in der Regel für jede gröfSere Dichtung
eine Skizze aufgezeichnet werde und nennt letztgedachte
Fälle als bemerkenswerthe Ausnahmen. Wenn demunge-
achtet keine dergleichen vor der zur >->NaHsikaa<s. von 178?
bekant ist, so ist das dadurch erklärlich, daß überhaupt von
keinem Drama aus Goethe's Frühzeit irgend etwas andres
erhalten ist, als die Handschriften einiger abgeschlossener
Stücke. Wir wissen insbesondere, daß von ■s>Elpenor<i, » Tusso ^i,
»Egmont« ansehnliche Theile bereits geschrieben waren, die
bei der schlüßlichen Ausführung verworfen wurden, aber
auch sie sind vernichtet. Nur vom »Faust« hatte GoETHE
früheste vereinzelte, vorbereitende Aufzeichnungen aufbewahrt,
weil er zu der Zeit, zu der er an die Schlußbearbeitung
ging, schon ein so lebhaftes geschichtliches Interesse an seiner
Dichtung hatte, daß er die Spuren des Wegs, den sie ge-
nommen, nicht zerstören mochte. Mit der Annahme, daß
I. Einzelnes zu »Faust«
19
Paralipomenon i die erste Niederschrift für die Faustdichtung
sei, steht aber auch die Aeußerung im Brief an SCHILLER
vom 22. Juni 1797 in Einklang, daß der erste Plan des
»Faust« eigentlich nur eine Idee gewesen sei. Hierdurch
ist die Skizze des Paralipomenons treffend bezeichnet, zumal
in Berücksichtigung kommt, daß GoETHE inzwischen eine
Reihe von Scenen für das Drama gedichtet und veröffent-
licht hatte, die eben nur durch die allgemeine Idee über das
in der Dichtung zu offenbarende, nach Idealen strebende
Menschenthum, noch nicht aber durch einen allgemeinen
Plan für das Ganze verbunden waren. Durchschlagend aber
ist für Manning's Deutung, daß kein vernünftiger Grund
erfindlich ist, der GoETHE zu Aufzeichnung jener Skizze be-
wogen haben könnte, dafern er bereits die ersten Monologe
Faust's einschließlich der Erdgeisterscheinung, sowie der
Scenen mit Wagner und mit dem Schüler gedichtet hatte;
er konnte auch schlechterdings nicht sagen, daß die Wider-
sprüche bezüglich der Form und des Gehalts »disparater
zu machen« seien, nachdem er sie in jenen Scenen bereits
disparater gemacht hatte. Ferner ist nicht zu übersehen,
daß Mephistopheles in der Skizze, trotzdem, daß darin schon
der Schüler auftritt, sich nicht findet, obwohl schon im
Urfaust beide zusammen auftreten. Sonach muß das Para-
lipomenon älter sein als dieser, und GoETHE zuerst wohl
beabsichtigt haben, den Schüler durch Faust selbst ernst-
hafter, der Bedeutung der Scene entsprechender, bescheiden
zu lassen, als es jetzt durch Mephistopheles geschieht.
Ist demnach Manning'S x\nsicht in Bezug auf die Stelle
des Paralipomenons als wohlbegründet anzuerkennen, so hat
Goethe anfänglich nicht sowohl ein wirkliches Faustdrama
verfassen, sondern nur sein eigenes ideales Streben nach
Erkenntniß des Zusammenhangs der Natur, sowie der seelischen
Schmerzen, bei der Beschränktheit des Menschen dieses gt-
heimnißvolle Weltwesen nicht durchschauen zu können, zur
Aussprache bringen wollen und hat nur in der, durch die
2*
20 II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Sage hierfür typisch gewordene Persönlichkeit Faust's das
geeignete Organ dafür gewählt — in dem Faust, der
Mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und, schaffend, Götterleben zu genießen,
Sich ahnungsvoll vermaß.
In der nachmaligen Ausführung des Paralipomenons
weist der Erdgeist, an dessen Stelle zuvor ein »Welt- und
Thatengenius« stand, Faust's Begehren als das eines Ueber-
menschen, d. h. als das eines Wesens, das über dem Menschen
steht, zurück. Wenn dann dem Paralipomenon gemäß Wagner
sein »kaltes wissenschaftliches Streben« dadurch bekunden
sollte, daß er die Form über alles schätzt und meint, ein
Comödiant könnt' einen Pfarrer lehren, so wird er in der
ausgeführten Dichtung über den Vorzug des »formlosen Ge-
halts vor der Form« und darüber, daß »Gehalt die Form
mitbringt«, von Faust belehrt, der ihn bedeutet:
Sei er kein schellenlauter Thor!
Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor.
Der Schüler ferner offenbart sein »dumpfes warmes
wissenschaftliches Streben« in dem Anliegen:
Ich wünsche recht gelehrt zu werden
Und möchte gern, was auf der Erde
Und in dem Himmel ist, erfassen:
Die Wissenschaft und die Natur.
Und wenn ihm die Forderung, eine Fakultät zu wählen,
gestellt wird, so geschieht es eben, weil Gehalt eine Form
bedingt; denn »Form ist nie ohne Gehalt«.
Wie demnach dieser Theil des Paralipomenon i die
darin niedergelegte Idee schon einigermaßen für den dichte-
rischen Ausdruck vorbereitet oder bestimmter: wie die Aus-
führung dieses Theils des Paralipomenon i dem Dichter
schon als Skizze vorgeschwebt hat, als er ihn zu Papier
brachte, wird noch besonders offenbar durch den Gegensatz
I. Einzelnes zu »Faust«. 21
zu der Aufzeichnung der Fortsetzung, die sich ganz in's Un-
bestimmte verliert. Die zweite Hälfte des Paralipomenon i
lautet nämlich, wie der Herausgeber des 14. Bandes der
Weimarer GOETHE-Ausgabe, die undeutliche Schrift — nicht
ganz unbestreitbar — liest, so: »Lebensgenuß der Person
von außen gesehen; in der Dumpfheit Leidenschaft i. Theil.
Thatengenuß nach außen und Genuß mit Bewußtsein Schön-
heit 2. Theil. Schöpfungsgenuß von innen Epilog im Chaos
auf dem Weg zur Hölle.« Ueber die Ausführung dieser
zweiten Hälfte des Paralipomenons hatte der Dichter sich
zweifellos noch keine Vorstellung gemacht; es ist nicht ein-
mal eine Skizze, es ist nur Andeutung einer allgemeinen Idee.
Aus diesem Unterschiede in den beiden Theilen des Para-
lipomenon I — der Deutlichkeit des ersten und der Ver-
schwommenheit des zweiten, — ist mit einer an Gewißheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit zu schließen, daß GOETHEN
zuvörderst an dem Gehalt des ersten Theils gelegen und es
ihm hauptsächlich darum zu thun war, seiner Verzweiflung
darüber, daß er mit seinem Forschen vor den Räthseln der
Schöpfung rathlos stillstehen müsse, Luft zu machen. Die,
dieser Verzweiflung gewidmeten ersten Scenen des »Faust«
sind allerdings vorwiegend lyrisch; das Dramatische tritt
darin zurück. Zwar war auch für den Ausdruck solcher
Seelenbewegungen die dramatische Form von GoETHE mit
Vorliebe gepflegt, indessen nahm sein Dichten eine ver-
schiedene Wendung, je nachdem er sein inneres Leben oder
aber äußere Vorgänge dramatisch darstellte. War es wie
im -»Götz von Berlichingen<i. oder in ■>'>Clavijo<i. das Dra-
matische des Stoffes, das ihm den Antrieb zur Dichtung gab,
so führte er auch mit dramatischer Lebendigkeit die Bühnen-
stücke sofort aus. War es hingegen im •>•> Prometheus <.<- sein
eignes Gefühl der Selbständigkeit, daß er in diesem Kraft-
menschen dichterisch verkörpert darstellen wollte, so ließ
er — nachdem er die entsprechenden Gegenwirkungen in
einigen Scenen ausgeführt und in der Person des Helden
22 I^- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
sich ausgesprochen hatte — die nur mehr äußerlich in dra-
matische Form gekleidete Dichtung unvollendet, entwarf
wahrscheinlich auch nicht einmal einen wirklichen Plan zur
Fortsetzung des y> Promethetis «■ \ denn die in ^> Dichtung und
Wahrheit« gegebene Andeutung schließt sich an das Gedicht
nicht an und ist daher wohl erst nachträglich zur Abrundung
der Erzählung erfunden. Aehnlich verhält es sich mit y>AIa-
hommed<i. Hier schüttete GOETHE seine tief religiösen Em-
pfindungen für den unbekannten Ewigen, den Schöpfer und
Herrn der Welt, in kleinen, für ein Drama geeigneten Bruch-
stücken aus, und auch hier ist zu bezweifeln, daß er gleich
damals eine Weiterführung geplant habe; wenigstens traten
die Thatsachen, die nach der Darstellung in y> Dichtung und
Wahrheit« dem Plane zu Grunde gelegen haben sollen, erst
nach Niederschrift jener Bruchstücke ein, was eine Verdunke-
lung der Erinnerung Goethe's in Bezug auf seine früheren
Absichten zweifellos macht. Diesen Stücken aus ■>-> Prome-
theus« und -^Mahtnnuied« würde sich nun der erste Faust-
entwurf des Paralipomenons anreihen, indem GOETHE an-
fänglich die Persönlichkeit des Faust mit seinem Wissens-
drange allein, d. h. ohne die Zuthaten, mit denen ihn die
Sage, das Faustbuch, das Drama Marlow's und das Puppen-
Spiel ausgestattet, im Auge hatte. Dies ergiebt sich schon
aus dem Fehlen des Höllengeistes in der Skizze. Für Goethe
war also Faust anfänglich nur der in dramatischer Form
sich kundgebende Gelehrte, der heftiger und tiefer in die
Geheimnisse der Schöpfung einzudringen strebte, als die
stumpfe Mitwelt. Auf Grund des Paralipomenonentwurfs
kann GoETHE lediglich Faust's ersten Monolog mit der Erd-
geisterscheinung, das Gespräch mitWAGNER und den zweiten
Monolog ausgeführt haben, da in den weiteren Scenen des
sogenannten Urfaust schon Mephistopheles auftritt, der im
Entwürfe ja noch nicht vorkommt. Zwar schließt dieser mit
dem »Weg zur Hölle«, und das scheint auf Mephistopheles
hinzuweisen, aber es scheint nur so. Daß an diesen dabei
I. Einzelnes zu »Faust«.
23
noch nicht gedacht war, ergiebt sich viehnehr außer aus dem
Fehlen seines Namens, auch aus dem Mangel irgendwelcher
Andeutung über seinen Einfluß, seine Wirksamkeit. Es kann
daher — sofern überhaupt etwas Faßbares aus den flüchtigen
Zeilen entnommen werden darf — nur gefolgert werden, daß
der darin hervorgehobene Lebens- und Thatengenuß Anlaß
geben sollte, Faust mit Schuld zu belasten, die ihn abwärts
vom rechten Wege führte: ins Leben hinausgestoßen wird
der Mensch schuldig, und »jede Schuld rächt sich auf Erden«
— wie der Harfner in » Wilhelm Meister«, singt. Die Sicher-
heit gewinnen wir jedoch aus dem zweiten Stück des Para-
lipomenons, daß dort der Erdgeist nicht Auftraggeber Me-
phistos sein sollte, da hier schon ohne letzteren die Hölle
als Gesammtbegriff in Aussicht steht.
Goethe's Faustidee blieb also damals in den Anfängen
stecken wie die etwa gleichzeitigen Entwürfe zu ^^ Prometheus i.
und zu >)Mahammed«. Ueber das, was GoETHE durch Faust
aussprechen wollte, war er eben noch zu keinen Resultaten
gelangt, und damit gebrach es an Gehalt für ein abgeschlossenes
Drama. Das bestätigt GOETHE selbst, indem er noch am
22. Juni 1797, wie schon erwähnt, an SCHILLER schreibt,
»so habe ich mich entschlossen, an meinen »Faust« zu gehen
und ihn, wo nicht zu vollenden, doch wenigstens um ein
gutes Theil weiter zu bringen, indem ich das, was gedruckt
ist, wieder auflöse und mit dem, was schon fertig oder er-
funden ist, in große Massen disponire und so die Ausführung
des Plans, der eigentlich nur eine Idee ist, näher vor-
bereite. Nun habe ich eben diese Idee und deren Darstellung
wieder vorgenommen und bin mit mir selbst ziemlich einig.«
Also bekennt GOETHE, daß selbst die einzelnen Bestandtheile
des schon seit sieben Jahren veröffentlichten Fragments von
1790 noch nicht durch einen abgeschlossenen Plan zusammen-
gehalten seien.
Ob der, schon bald nach Niederschrift des Paralipome-
non I vor 1775 unternommene X^ersuch »Faust« fortzusetzen,
24 ^^- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
eigener unbeeinflußter Entschluß Goethe's war, oder ob er
von den Freunden, die den ihre Bewunderung erregenden
Anfang nicht als Bruchstück verkümmert sehen mochten,
dazu gedrängt wurde, bleibe dahingestellt; daß aber GoETHE
seine Leistungsfähigkeit in den siebziger Jahren nicht un-
gerechtfertigter Weise unterschätzte, geht daraus hervor, daß
er noch eines Vierteljahrhunderts bedurfte, bevor ihm auch
nur der Abschluß des ersten Theils des »Faust« gelang.
Unternahm er einmal, ein förmliches Drama über Faust
durchzuführen, so konnte er nur von der Ueberlieferung aus-
gehen und da war die Beigesellung eines höllischen Geistes
unerläßlich. Das Paralipomenon i hatte noch keinen, im
Urfaust ist er aber bereits eingeführt, und daher mit dem
Urfaust die erste Stufe zur Ausführung des wirklichen Dra-
mas betreten. Mit diesem Augenblick beginnen aber auch
die Hindernisse, die sich dem Weiterbau des Dramas ent-
gegenstellten. Es war für GoETHE selbstverständlich eine
Unmöglichkeit, den Faust, den zuerst nur allzuheftiger Wissens-
drang beseelte, einen höllischen Geist zur Befriedigung dieses
Dranges herbeirufen zu lassen und dadurch Wissensdrang
als Sünde darzustellen. Deshalb gerade hatte unstreitig
Goethe schon im Paralipomenon die Auskunft ergriffen,
mit Hülfe der weißen Magie einen, sonst der Faustsage
fremden Genius zu beschwören. Wie sollte er nun den, für
das Faustdrama unentbehrlichen Höllengeist doch noch mit
dem Faust in Berührung bringen? Ueber das Ob hatte
Goethe von vornherein keinen Zweifel; deshalb läßt er eben
schon im Urfaust Mephistopheles auftreten, doch über das
Wie hatte er sich dabei noch nicht entschieden; denn dieses
Auftreten ist da der Scenenreihe noch ganz mechanisch
eingefügt. Weder ist angedeutet, wodurch Mephisto's An-
wesenheit veranlaßt ist, noch wie er dazu kommt, den sich
bei Faust anmeldenden Studenten, der im Urfaust ja auch
schon auftritt, an Faust's statt zu empfangen und abzufertigen,
noch auch unter welchen Umständen er die Zauberkraft ver-
I. Einzelnes zu »Faust».
25
liehen, die Faust in Auerbach's Keller bethätigt und zwar
mit denselben Kunststücken, die im abgeschlossenen »Faust«
Mephistopheles selbst zum Besten giebt. Auch die Stelle
in der jetzt »Trüber Tag — Feld« überschriebenen Scene,
worin Faust Mephistos frühere Hundsgestalt erwähnt, ver-
räth nichts vom dramatischen Plan. GOETHE hielt sich mit
diesen beiden letztgedachten Scenen im Urfaust lediglich an
das Faustbuch, worin die Zaubereien in Auerbach's Keller
von Faust verübt und ferner berichtet wird, daß Faust stets
von einem höllischen Geiste in Gestalt eines schwarzen
Hundes begleitet war.
Wenn GOETHE nun in diesen Fällen vereinzelte Scenen
dichtete, die ihm Gelegenheit gaben, etwas ihm gerade am
Herzen Liegendes zu verarbeiten, so verband doch diese
Scenen durchaus kein weiterer Zusammenhang, als daß sie
insgesammt an die Faustsage anknüpften. Demnach war es
auch kein Plan für sein Drama, auf den er diese Scenen
gründete. Das änderte sich allerdings mit den Gretchen-
scenen des Urfausts. Mit ihnen hat GOETHE die in Ent-
würfen seiner Frühzeit vertretene Gattung von Dichtungen
verlassen, die zwar äußerlich dramatisch sind, wesentlich aber
lyrisch, wie GoETHE selbst einige Faustmonologe im Brief
an Schiller vom 11. April 1798 bezeichnete. Diese Scenen
bilden auch gleich von Anfang an, im Urfaust, schon ein
fest geschlossenes Ganzes. Zu diesen Gretchenscenen gehört
auch die »Trüber Tag — Feld« bezeichnete, worin Faust
den »Unendlichen Geist« und den »Großen herrlichen Geist«
anruft, Anreden, die auch auf den Erdgeist zu deuten ver-
sucht worden sind. Sie können aber, unbefangen und sinn-
gerecht aufgefaßt, lediglich dem i\llmächtigen gelten; denn
von ihm allein kann Faust — wie es dort weiter heißt —
sagen, »der Du mein Herz kennst und meine Seele«, ihn
allein konnte er ohne weiteres als den Lenker seines Lebens,
also auch als den ansehen, der ihm den Versucher, den
»Schandeesellen« an die Seite g-ab. Etwas Auffälliges oder
25 n. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
cfar Gezwung-enes ist auch nicht darin zu finden, daß Faust
in seiner Verzweiflung über Gretchens jammervolles Ge-
schick sich an Gott wendet, an den Beistand in aller Noth,
wie er auch nur Gott meinen kann, wenn er dort von der
»Schuld vor den Augen des ewig Verzeihenden« redet.
Zwischen alle diese Ausdrücke paßt der Erdgeist schlechter-
dings nicht hinein; er hat mit alledem nichts zu schaffen.
Seine Eigenschaften hat er selbst bei seiner Erscheinung
genau angegeben, und niemand, auch ein Fausterklärer nicht,
ist ermächtigt, diese Grenzen weiter oder überhaupt anders
zu ziehen. Gewissenhafte Fausterklärer kommen überdieß
auch ohne solche Grenzverrückung aus.
Gehen wir zum Faustfragment von 1790 fort, so er-
scheint es als zweifellos, daß auch da GOETHE den Schlüssel
zur Herbeirufung Mephistos noch nicht gefunden hatte. Des-
halb beginnt das erste — jetzt das zweite — Gespräch
zwischen Faust und Mephistopheles inmitten eines Satzes,
obwohl aus dem Zusammenhange als sicher hervorgeht, daß
ein größerer Theil des Vorausgehenden schon damals ge-
schrieben war; Goethe wollte eben dadurch, daß er sich
so wenig wie möglich weiter ausließ, als zuni nothdürftigen
Verständniß des Bruchstückes der Dichtung nöthig war, sich
alle Freiheit vorbehalten, die Anwesenheit des Mephistopheles
in geeignetster Weise zu begründen. Dennoch greift in dem
Fragment Mephisto schon wirksamer als früher ein, indem
hier er es ist, der den Hokuspokus in Auerbach's Keller zu-
wege bringt, — damit Faust nicht sofort in höllische Künste
eingeweiht erscheine — und der durch die Hexenküchen-
scene Gewißheit giebt, daß Faust's Verhältniß mit Gretchen
von ihm eingeleitet wird. Dagegen sind nunmehr die Gretchen-
scenen wesentlich vermindert: außer dem Monolog VALEN-
TINS — der im Urfaust, da die daran anschließende Be-
gegnung mit Faust und Mephistopheles noch nicht folgte,
allerdings ziemlich zwecklos eingeschoben war — fehlt die
Scene >:• Trüber Tag« und der Schluß der Tragödie in
I. Einzelnes zu «Faust«. 2/
Gretchens Kerker. Letztere Weglassungen erklären sich aus
Goethe's Brief an SCHILLER vom 5. Mai 1798; die pro-
saisch geschriebenen Scenen — und das waren im Urfaust
beide — fand ersterer durch ihre Natürlichkeit und Stärke
neben den gereimten unerträglich und es war ihm noch
nicht gelungen, sie durch Umdichtung in Reimverse ohne
Verlust an Tiefe zu mildern. Ueberdies enthält die Scene
»Trüber Tag« manches, wodurch GoETHE sich für gebunden
ansehen mochte, namentlich die Bezugnahme auf Mephisto's
öftere Hundsgestalt, sein spukhaftes Treiben und seinen Vor-
halt an Faust: >• Drangen wir uns Dir auf oder Du Dich
uns?« Aus dieser Weglassung ist zu schließen, daß GOETHE
diese Scene in den achtziger Jahren ganz hat streichen und
durch den damals gedichteten Monolog der Scene »Wald
und Höhle« ersetzen wollen; der Grund davon war die Aehn-
lichkeit mit Einzelheiten dieses Monologs namentlich der
Stelle in der Scene »Trüber Tag« : »Großer herrlicher Geist,
der Du mir zu erscheinen würdigtest, der Du mein Herz
kennst und meine Seele, warum mußtest Du mich an den
Schandgesellen schmieden, der sich am Schaden weidet und
am Verderben sich letzt?«
mit den Stellen des Monologs in »Wald und Höhle«
Erhab'ner Geist! — — — — —
— — Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet,
— Führst mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefen Wunden öffnen sich.
O, daß dem Menschen nichts VoUkommnes wird,
Empfind' ich nun! Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah' und näher bringt.
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich kalt und frech
28 II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Mich vor mir selbst erniedrigt und zu nichts
Mit einem Worthauch Deine Gaben wandelt.
Diese Stellen in den beiden Monologen decken sich
gegenseitig im wesentlichen so vollkommen, daß die späteren
unmöglich hätten geschrieben werden können, wenn nicht
die Absicht schon bestanden hätte, sie anstatt der früheren
einzurücken. In ihrer Gesammtheit war aber die alte Scene
»Trüber Tag« nicht entbehrlich und hätte doch noch durch
eine andere ersetzt werden müssen; ohne Einbuße an Kraft
des Ausdruck's sie zu ändern, glückte aber GOETHEN nicht
und er mochte sie zuletzt im abgeschlossenen »Faust« um
so unbedenklicher wieder herstellen, als ihre Widersprüche
mit andern Stellen im klaren Gange des Dramas als ver-
schwindend angesehen werden konnten, und er wird es um
so lieber gethan haben, als Faust's furchtbarer Wuthaus-
bruch gegen Mephistopheles eine der erschütternsten Stellen
des Dramas bringt.*)
Den Ausweg, Mephistopheles ohne Beschwörung hölli-
scher Mächte als Faust's Begleiter heranzuziehen, wie es jetzt
im »Prolog im Himmel« eingeleitet wird, hatGOETHE zweifel-
los in den achtziger Jahren, d. h. zu derselben Zeit gefunden,
als er den Monolog in »Wald und Höhle« dichtete. Dessen
Anlehnung im ersten Theil an den Schluß des Buches Hiob
steht in engem Zusammenhang mit dem Schluß des Mono-
logs, wo Faust beklagt, daß Gott ihm den Schandgesellen
zum Begleiter gegeben habe; denn diese Begleitschaft ist ja
wieder aus dem Buche Hiob, worin sich Satan vermißt, den
frommen Hiob Gott abwendig zu machen und Gott den
Versuch geschehen läßt. Die Verweisungen des Prologs
auf den Monolog sind unverkennbar. Dort erklärt der Herr:
*) In der Zeitschrift »Ei/pkotioni führt Nirjahr (IV. 272 — 287) aus,
dass ähnlicher Weise Goethe in Faust's ersten Monolog eine Stelle stehen
gelassen hat, die wegen Widerspruchs mit einer nachträglich eingeschaltenen
eigentlich zu streichen gewesen wäre.
I. Einzelnes zu »Faust«,
29
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,
So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen — -
und daß dies geschehen, erkennt im Monolog Faust mit
den Worten an:
Dann führst Du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst.
Im Prolog rügt Gott vom Menschen:
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh,
Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu —
was Faust fast wörtlich bestätigt:
Du gabst zu jener Wonne . . .
Mir den Gefährten.
Der Herr fährt fort, indem er von jenem Gesellen sagt:
Der reizt und wirkt —
was Faust genauer bezeichnet:
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
Schließt dann der Herr
— und muß als Teufel schaffen,
so schildert Faust dieses teuflische Schaffen des Gefährten
dahin, daß er
— — zu nichts
Mit einem Worthauch Deine Gaben wandelt.
Damit ist indessen noch nicht festgestellt, ob zur Zeit
der Monologsdichtung schon der »Prolog im Himmel«, wie
er vorliegt, beabsichtigt war. Im Fragment von 1790 fehlte
er noch, und es lassen sich doch andere Weisen denken,
wie die Scene im Himmel mit dem Drama verknüpft werden
konnte, beispielsweise etwa durch eine in dessen Scenen-
reihe eingeflochtene Scene zwischen dem Herrn und Me-
phistopheles nach den ersten Monologen Faust's, wo dann
auch die Verw^eisung des Herrn auf die besondre Weise,
mit der dieser Knecht ihm diene, verständlicher gewesen
wäre, als im Prolog, wo man von F"aust noch nichts weiß.
20 II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Daß Goethe sonst noch mit »Faust« sich an Hiob
angelehnt hat, geht auch aus der Stelle hervor, wo Faust
alles, was das Leben verschönt, verflucht (V. 1597 — 1606),
was den Verfluchungen Hiob's im 3. Capitel entspricht, und
wenn Faust die seinen schließt
Fluch vor allem der Geduld!
so erinnert er damit ausdrücklich an Hiob und seinen Bei-
namen der »Geduldige«. An weitere i\nklänge an das Buch
Hiob hat Deycks in den Gesängen der Erzengel Raphael
und Gabriel im »Prolog im Himmel« aufmerksam gemacht.
Bei den nach alledem zweifellosen Beziehungen des
»Faust« zum Buch Hiob war auch schon Mephisto's Sen-
dung im Sinne dieser Dichtung und damit ferner der Plan
des Dramas in den Hauptzügen gegeben. Es fehlte nur
noch ein Uebergang; denn für das Faustdrama genügte die
freiwillige Annäherung Mephisto's nicht, es war vielmehr
nothwendig, daß Faust selbst ihn rufe und sich dadurch der
Hölle verpflichte, um der Sage gerecht zu werden, auch den
tragischen Konflikt einzuleiten. Die Herbeirufung Mephisto's
ohne Teufelsbeschwörung vermittelte GoETHE, wie bekannt,
endlich dadurch, das Mephistopheles nach dem ersten Ge-
spräche mit Faust, wo er es war, der diesen aufsuchte, sich
auffälhg unmotivirt verabschiedet, um sich hierauf durch
bloßes Klopfen an Faust's Thüre wieder anzukündigen und
dann erst auf Faust's dreimaliges » Herein I« nochmals sich
einfinden zu können. Diese langgesuchte Lösung fand GOETHE
muthmaßUch am i. August 1800, an welchem Tage er an
Schiller schrieb: er habe eben einen kleinen Knoten im
»Faust« gelöst. Es war aber die Art der Herbeirufung des
Mephistopheles der einzige zu dieser Zeit noch übrig ge-
bliebene Knoten, nach dessen Beseitigung die Ausfüllung
aller etwa sonst noch vorhandenen Lücken keine Schwierig-
keit mehr bot, ohne die aber auch nicht alle jene Lücken
auszufüllen waren.
Die Schwierigkeiten, die für GOETHE aus der Einführung
I. Einzelnes zu »Faust <f.
31
Mephisto's erwuchsen, können übrigens auch — um nach-
träglich darauf hinzuweisen — dazu dienen, die Richtigkeit
von Manning's Deutung des ParaUpomenon i zu stützen;
denn jene Schwierigkeiten entsprangen ledigUch daraus, daß
Goethe bei der im ParaHpomenon niedergelegten Idee der
Faustdichtung auf den höllischen Geist noch keine Rücksicht
genommen hatte.
Nach der hier vorgetragenen, den Quellen entsprechen-
den Darstellung der Entwicklung der Faustdichtung ist deren
Fortschreiten vorzugsweise dadurch aufgehalten worden, daß
Goethe lange nicht darüber ins Klare kommen konnte, ob,
und nachher wie er Mephistopheles Fausten beigesellen solle.
Sobald man diese Einsicht über den Verlauf von Goethe'S
dichterischer Beschäftigung mit » Faust < gewonnen hat, wird
man sich überzeugen, daß er ganz natürlich vor sich ge-
gangen ist. Damit fällt aber auch jeder Anlaß weg, GOETHEN
zu unterstellen, daß er beim Fortschreiten der Dichtung ver-
schiedenen Plänen gefolgt sei. Also nochmals kurz: An-
fänglich hatte Goethe, wie er selbst bekennt, gar keinen
Plan, sondern nur eine Idee vom Inhalte eines Dramas über
den wissensdurstigen Faust gehabt; ein Plan hat sich erst
nach Aufzeichnung selbstständig gedichteter zerstreuter Scenen
allmählig gefunden und wurde hauptsächlich durch die schwierig
zu lösende Frage, wie Mephistopheles einzuführen sei, auf-
gehalten. Das Behaupten verschiedner nach einander be-
nutzter Pläne ist rein aus der Luft gegriffen, lediglich als
eine Ausflucht, sich die vermeintliche Anrede an den Erd-
geist im Monolog in »Wald und Höhle« zu erklären. Es
hat den Fausterklärern nur gedient, ihre Phantasien spielen
zu lassen. Vielleicht könnte jemand meinen, es sei auch
ein müßiger Aufwand von Zeit und Arbeit, diese Phantasie-
spiele zu zerstören: Goethe's » Faust ^« bleibe Goethe's
»Faust« nach wie vor, und den Monolog genieße man gleich-
mäßig, möge unter dem »Erhab'nen Geist« Gott oder aber
der Erdgeist verstanden werden. Das wäre indessen ein
■2 2 II. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Irrtum! Wer jedesmal, wenn er an »Faust« geht, sich
wiederum mit ernstem Nachdenken darein vertieft, wird auch
jedesmal etwas darin finden, das ihm neu erscheint. Und
bei solcher Vertiefung ist es gründlich lähmend, wenn man
auf Verfolgen des Plan's der Dichtung fast verzichten müfSte,
weil ja Goethe haltlos von Plan zu Plan getaumelt sei.
Die Vernichtung der Legende von den mehreren Faustplänen
ist daher auch eine Verklärung des einen und einzigen »Faust«.
VORBILDER ZU FAUST.
Bildliche Darstellungen als Grundlagen für Scenen im
»Faust« sind für dessen zweiten Theil nach denen in den
» Goethe-Forschungen — Neue Folgen noch einige hin und
wieder nachgewiesen worden; so namentlich von KuNO
Francke in t> Studie s and Notes \n Philology and Literatw'e
pp of Havard Universityv. S. 123 ff und von F. A. LOUVIER
in -i) Goethe als Kabbaiist <i S. 128 nachgewiesen. Dagegen
dürfte der Walpurgisnacht kein Bild zu Grunde liegen, wie
früher angenommen wurde; keine der verschiedenen Ab-
bildungen von Teufels- und Hexenscenen auf dem Blocks-
berg giebt alle von GOETHE benutzte wieder, alle jedoch
finden sich in Schilderungen, die durch jene Abbildungen
illustrirt werden, folglich als gemeinsame Quelle sowohl
dieser, wie auch GOETHE'S sind.
Indessen giebt es jedenfalls noch andere Faustscenen,
die auf Bilder zurückgehen, ohne daß diese bis jetzt ermittelt
sind. Das ist z. B. offenbar der Fall bei der im Urfaust
befindlichen, später ausgelassenen kurzen Scene?
» Faust
Was giebts Mephisto? Hast du Eil;
Was schlägst vorm Kreuz die Augen nieder?
2. Einzelnes zu »Faust«.
33
Mephisto
Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurtheil,
Allein genug, mir ist's einmal zuwider.«
Zu diesem Gespräche hätte es eigentlich nur eines Kreuzes
am Wege als Decoration bedurft, Goethe'S Scenenvorschrift
besagt jedoch:
»Landstraße. Ein Kreuz am Wege. Rechts auf dem
Hügel ein altes Schloß, in der Ferne ein Bauernhüttchen.«
Dieser Hintergrund hat schlechterdings nichts mit der
Handlung zu schaffen und wird nur erklärlich, wenn man
annimmt, daß Goethe durch ein Bild zu der Scene ange-
regt wurde. In GOTTFRIED WiNKLER's Gemäldesammlung
zu Leipzig befand sich eins von DIETRICH, das in KreuCHAUFF's
y> Historischen Erklämingenv- so beschrieben ist: »In einer
italienischen Gegend führt eine steinerne Brücke, über welcher
am jenseitigen Ufer ein Crucifix aufgestellt ist, zur linken bei
den Ruinen eines runden Thurmes hin. Unter dem mittelsten
Schwibbogen fällt das Wasser nieder und schleicht ruhig
auf seinem ebenen Bette vorüber.« Das paßt allerdings
nicht ganz zu GoETHE's Docoration, allein es ist möglich,
daß ihm das Bild in verblaßter Erinnerung so vorschwebte.
Wäre das nicht, so müßte das Vorbild der Oertlichkeit
obiger Scene noch gesucht werden; als vorhanden ist es
unbeding-t anzunehmen.
DIE DOMSCENE.
Ein Aufsatz von Paul Harms in Nr. 231 der y Frank-
furter Zeitimg '< von 1892 über die Domscene im »Faust«
hat in folgenden Nummern weitere Auslassungen darüber
hervorgerufen; sie beziehen sich einerseits auf die Bedeutung
und die dramatische Berechtigung des darin auftretenden
Bösen Geistes, andererseits auf dessen Bühnendarstellung.
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 3
■2A 11- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Die Zweifel über die Statthaftigkeit, dieses Wesens in der
Faustdichtung auftreten zu lassen, stützen sich dort haupt-
sächlich darauf, daß solche Gespenstererscheinungen bei
Shakespeare — in »Ric/mrä I/L« , y> Julius Cäsar <,
■i>Hamlei<.< und •>->Macbelth'i — etwas ganz iVnderes seien,
und zwar mit Fleisch und Blut begabt, während jener Böse
Geist eine allegorische Figur, nämlich: Gretchens Gewissen,
sei. Damit ist eigentlich nichts gesagt; Shakespeare'S Ge-
spenster sind nichts weniger, als nach einem einheitlichen
Typus gebildet und z. B. die der Pucelle im ersten Theil
von »Heinrich VI.«- erscheinenden wieder andere Wesen,
als die vorgedachten, sodaß an sich nicht ausgeschlossen er-
scheint, daß er auch ein dem Bösen Geist im »Faust« ähn-
liches geschaffen haben würde, wenn -er Gelegenheit dazu
gefunden hätte. Allein es ist überdies eine sehr beschränkte
Ansicht, alles im Schauspiel für unzulässig zu halten, was
nicht durch SHAKESPEARE eingeführt ist, und damit also
die Bühnenkunst für abgeschlossen zu erklären. Auch mit
der Ausflucht kommt man nicht fort, daß man die angebliche
undramatische Erscheinung des Bösen Geistes mit der Be-
hauptung entschuldigt, GOETHE habe den »Faust« gar nicht
für die Bühne geschrieben; denn schon aus der genauen Scenen-
vorschrift der in Rede stehenden Scene: »Dom, Amt, Orgel
und Gesang. Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist
hinter Gretchen« ist zu entnehmen, daß GOETHE allerdings
eine wirkliche Bühne im Sinne hatte, also verantwortlich
wäre, wenn er undramatisch gedichtet hätte. Es ist aber
anmaßend, seine Dichtung als verfehlt zu tadeln, weil man
sie nicht gleich in eine geläufige Rubrik unterzubringen weiß;
vielmehr wird man sich die Mühe nicht ersparen dürfen,
zunächst von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu erforschen,
warum GOETHE so, wie geschehen, gedichtet hat. Dann
kann man seine Gründe dagegen vorbringen, wenn man
deren findet; indessen wenn jemand seine Ansichten als
maßgebend dem, was von GoETHE ausgegangen ist; ent-
I. Einzelnes zu »Faust«. 25
gegenstellt, so wird er sich darauf gefaßt machen müssen,
den Kürzeren zu ziehen, gesetzt auch, daß er selbst es nicht
einsieht. Im vorliegenden Falle könnte freilich auch gegen
den Bösen Geist der Einwand erhoben werden, daß- bühnen-
technische Gründe die Ausführung dessen, was GOETHE ge-
wollt, unthunlich machen.
Allerdings — um dies vorerst abzuthun — wenn der
Böse Geist Gretchen's Gewissen sein soll, so läßt sich die
Schwierigkeit seiner Darstellung nicht verkennen; sie ist
schon dadurch erwiesen, daß sie in der mannigfachsten Weise
versucht worden ist. Da dem Gewissen weder im Volks-
glauben noch in der Kunst eine sichtbare Gestalt beigelegt
ist, so gebricht es an dem Mittel, auf der Bühne sofort ver-
ständlich zu machen, was für ein Wesen dieser Böse Geist
sei, und man half sich meistens durch Umgehung von
Goethe's ausdrücklicher Bühnenvorschrift. Bei der durch
TiECK 1829 in Dresden veranstalteten ersten Aufführung
des »Faust« wurde die Rolle des Bösen Geistes von einer
unsichtbaren Person gesprochen; der Böse Geist stand sogar
nicht einmal auf dem Theaterzettel. Später erschien ander-
wärts der Böse Geist als eine in Grau gekleidete, ver-
schleierte Frau, wobei im Burgtheater die Wolter, um sich
deutlich als Gretchen's zweites Ich zu erkennen zu geben,
allen Bewegungen Gretchen's wie ein Spiegelbild folgte,
während diese graue Frau nachmals in Dresden auf einem
Steine sitzend hinter Gretchen aus der Versenkung auf-
tauchte. In Weimar erhob sich früher aus der Versenkung
nur ein ungeheurer Kopf, wodurch übrige Kostümfragen ab-
geschnitten waren. Nach DingelsteDT's Anordnung zeigt
sich auch nur der Kopf des Bösen Geistes aber in mensch-
licher Größe und in einer sich öffnenden Säule neben Gretchen.
Julius Nisle stellt hinter Gretchen eine ihr ähnliche Frauen-
gestalt, die ihr zuflüstert. Otto Devrient fand es unan-
gemessen, daß Gretchen im Wechsel mit ihrem Gewissen
sich unterredete, weshalb er Gretchen die Worte des Bösen
•2 5 11. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Geistes selber sprechen ließ — allerdings im entschiedensten
Widerspruch gegen GOETHE'S Absicht. Das Sonderbare
erkennend, daß Gretchen hiernach bald als wirkliche Person
bald als das von ihr getrennte Gewissen spricht, geht ein
anderer Vorschlag dahin, ihr nur die Worte des Bösen Geistes
in den Mund zu legen, dagegen ihre eigenen Zwischen-
reden zu streichen, so daß sie von GOETHE's ihr beigelegten
Worten nur »Nachbarin Euer Fläschchen!« zu sagen hätte.
In weiterer Folge solcher Erwägungen gelangt Harms zu
der Ansicht, daß auf der Bühne die ganze Domscene aus-
zufallen habe, was zulässig sei, da sie nicht in die Handlung
so eingreife, daß sie einen Wendepunkt derselben bezeichne.
Das ist freilich ein radicales Mittel, sich aus der Ver-
legenheit zu reißen! Gewiß tritt in der Domscene kein Wende-
punkt ein, allein entbehrlich ist sie schon darum nicht, weil
wir nur durch sie die Kunde erhalten, daß Gretchen den
Tod ihrer Mutter verschuldet hat; auch ihre Schwangerschaft
wird nur durch den Bösen Geist bestimmt ausgesprochen.
Alle diese verschiedenartigen Auswege und Vorschläge, die
doch zu keinem allseitig befriedigenden Ergebnisse führten,
sind aber die Folge davon, daß man als feststehend an-
nahm, der Böse Geist stelle Gretchen's Gewissen vor. Ist
das aber in der That der Fall? Ist es auch nur möglich?
Es ist eigentlich unerhört, wie man GOETHE zutrauen
kann, daß er, der in den zahlreichen Geistergestalten, die
er im »Faust« vorführt, immer nur solche erscheinen läßt,
die er im Volksglauben oder in der Kunst vorfand, die platte
Allegorie von Gretchen's Gewissen geschaffen haben sollte!
Aber ferner auch: wenn ihm diese Wunderlichkeit entfahren
wäre, daß er auf die noch erstaunlichere verfallen sein sollte,
das Gewissen als Bösen Geist zu bezeichnen! Zwar hat man
darauf verwiesen, daß ja nach Glaubenssatzungen der oberste
böse Geist, der Teufel, es ist, der die über Sünder verhängten
Strafen vollzieht; auch hat man den Ausdruck Böser Geist
mit bösem Gewissen eleicheestellt. Letzteres ist aber doch
I. Einzelnes zu »Faust«.
37
nur eine sprachgebräuchliche, logisch falsche Wendung für:
mit böser That belastetes Gewissen. Nach unseren allge-
meinen Begriffen aber beruht das Gewissen nicht auf Ein-
wirkung eines bösen Geistes, sondern ist im Gegentheil
Regung des Guten im Menschen. Kurz, es ist geradezu
undenkbar, wie Goethe auf den Gedanken gekommen
sein sollte, Gretchen's Gewissen durch den Bösen Geist dar-
zustellen.
Ganz anders liegt jedoch die Sache, wenn GoETHE
etwas Derartiges vorfand, wenn er den bösen Geist als Er-
reger des Gewissens einer Quelle entnahm, die sich sonst
für seinen »Faust« ergiebig erwies. Und da brauchen wir
denn nicht lange zu suchen: diese Quelle ist die Bibel. Nach-
dem im I. Buch Samuel's berichtet ist, daß König Saul
sich an Gott versündigt habe (15, 20 — 26. 16, i), heißt es
im 16. Capitel, Vers 14: »Ein Böser Geist vom Herrn machte
ihn sehr unruhig.« Hierauf Vers 15: »Da sprachen die
Knechte Saul's zu ihm: Siehe ein Böser Geist von Gott
machet dich sehr unruhig.« Sodann empfehlen sie dem
Könige, einen Harfenspieler holen zu lassen: »auf daß, wenn
der Böse Geist Gottes über dich kommt etc.«. Ferner ist
Vers 23 erwähnt: »Wenn nun der Geist Gottes über Saul
kam, so nahm David die Harfe und spielte . . . und der
Böse Geist wich von ihm.« — Das ist also ein nicht nur
gleich benannter, sondern auch ein ganz gleich gearteter
Geist wie der, welcher in der Domscene Gretchen be-
unruhigt.
Es spricht nicht gegen diese Entlehnung Goethe's,
daß dem über Saul kommenden Geiste keine Worte in den
Mund gelegt sind und daher die Annahme zulässig erscheint,
unter diesem Geiste sei nur Saul's innere Gewissensangst
zu verstehen. Aber abgesehen davon, daß nach alttestament-
licher Darstellung solche von Gott kommende Mahnungen
überhaupt personifizirt zu werden pflegen, so ist doch die
Frage, ob in diesem Falle gerade der Böse Geist als Person
■3 3 11. Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
gedacht sei oder nicht, darum müßig, weil GoETHE jeden-
falls im biblischen Sinne berechtigt war, ihn als solche auf-
zufassen; er mußte ihm aber noth wendig Sprache verleihen,
weil im Drama nur auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen
war, wodurch Gretchen beunruhigt wurde.
Nach der im Buche Hiob und sonst im alten Testamente
herrschenden Anschauung kann die Vorstellung, daß ein
böser Geist von Gott kommt, um das Gewissen aufzuregen,
nicht befremden; auch Satan ist hiernach desselben Ursprungs.
Im Anfange des Buches Hiob (i, 6 und 2, i) treten die
Kinder Gottes vor den Herrn, und unter ihnen ist auch der
Satan. Er ist kein gottfeindlicher Geist, sondern nur der
von Gott bevollmächtigte Versucher des Menschen; — wie
auch I. Moses 3, i und i. Chronik 21, (22,) i — wenn
sie der Versuchung nicht widerstehen, in der Prüfung ihrer
Frömmigkeit sich nicht bewähren, so verfallen sie der Herr-
schaft des Satans, welcher Vollstrecker der von Gott ver-
hängten Strafen ist und dieses i\mt mit Gier ausübt. Diese
Auffassung ändert sich mit dem Christenthum; denn da im
Gegensatz zu jenen Aufgaben Satans vielmehr Jesus Besserung
und Erlösung der Sünder erstrebte, so ist dieser, keineswegs
aber Gott selbst, Feind des Satans. So hat auch GOETHE
sich Mephistopheles gedacht und zwar nicht erst im später
gedichteten »Prolog im Himmel«, sondern schon im Urfaust,
auf den wir uns bei dieser Erörterung beschränken können,
weil die Domscene bereits im Urfaust steht. Diese Vor-
stellungsweise Goethe'S ergiebt sich aber daraus, daß
Mephistopheles in jenen ursprünglichen Scenen öfters und
ohne Bedenken Gott nennt (namentlich V. 318, 442, 444,
814 und 897 des Urfaust), dagegen auch hier schon vor dem
bloßen Zeichen des Kreuzes Grauen empfindet (V. 454 f.). Beim
Abschluß des ersten Theils der Tragödie tritt diese Gegner-
schaft zu Jesus noch mehr hervor, besonders bei der Ueber-
setzung des Johannisevangeliums und der Beschwörung des
Pudels.
I. Einzelnes zu »Faust«.
39
Haben wir nun die Herkunft des Bösen Geistes, somit
den Unterschied ermittelt, der zwischen der vermeintUch
aus Gretchen's Innern stammenden Stimme des Gewissens
und dem vonaußen kommenden Geiste besteht, so haben
wir damit auch einen Anhalt für dessen Bühnendarstellung
gewonnen. Zunächst darf er hiernach nicht als Frau ge-
geben werden, die nur die Annahme von Gretchen's anderem
Ich entschuldigte, sondern wie böse Geister sonst allent-
halben als ein männliches Wesen, übrigens aber ebenso wie
das andere Kind Gottes, wie Mephistopheles, als ein Teufel,
der sich ja im Maskenzug vom i8. December i8i8 geradezu
als böser Geist bekennt. In Einklang damit steht die bild-
liche Darstellung der Domscene von CORNELIUS und F. SiMM,
worin hinter Gretchen's Kirchensitz sich eine Teufelsgestalt
herüberbiegt. Da aber bei der Bühnenaufführung trotz der
Teufelstracht die Natur des beim Beginn der Scene schon
dastehenden Bösen Geistes, namentlich seine Unsichtbarkeit
für Gretchen nicht klar zu erkennen sein würde, so möchte
die Einrichtung so getroffen werden, daß er erst nach einigen
Tacten des Orgelspiels aus der "Versenkung aufstiege und
nach seinen letzten Worten wieder verschwände. Drach,
früher Regisseur des Hoftheaters zu Dresden, jetzt in München,
findet es indessen bedenklich, in der christlichen Kirche einen
Teufel erscheinen zu lassen und will daher den bösen Geist
durch einen bösen, daher dunkelfarbig gekleideten Engel
dargestellt sehen, den er sich als Architekturtheil angebracht
und als solcher sprechend denkt.
Bei dieser Gelegenheit will ich aber noch ein paar Be-
merkungen über die Darstellung der Domscene anknüpfen.
Das Todtenamt, das da gefeiert wird, gilt der Mutter Gret-
chen's. In der GüCHHAUSEN'schen Abschrift des »Faust«
stand in der Ueberschrift der Scene ausdrücklich: »Exequien
der Mutter Gretchen's.« Das hat GOETHE zwar nachmals
gestrichen, aber jedenfalls nur deshalb, weil es undramatisch
war, die Bedeutung des abgehaltenen Todtenamts auf diese
AO II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Weise zu bekunden, wie er auch z. B. in der Gartenscene
die Vorschrift beseitigt hat, daß Gretchen mit Herzklopfen
hereinkommen solle. Wem das Amt im Dome gilt, das
geht aus dem Zusammenhange genügend hervor; denn einer-
seits wäre die Vorführung solcher kirchlichen Handlung,
wenn sie dem Tode einer beliebigen fremden Person gälte,
ganz ungehörig in der Dichtung, und andererseits machen
auch die Gegenwart Gretchen's und die Reden des Bösen
Geistes die Bestimmung des Todtenamts zweifellos. Wenn
schon seit dem Hingang der Mutter Gretchen's einige Zeit
verflossen sein muß, so ist das kein Gegengrund, da Seelen-
messen oft erst Wochen nach dem Tode gefeiert werden.
Der Zuschauer wegen und um diese von vornherein auf den
richtigen Standpunkt zu stellen, erscheint es aber angemessen,
daß Gretchen in dieser Scene Trauerkleidung trägt.
s>^^*^,
2. Zu »Tasso«.
Torquato Tasso. Ein Schauspiel von Goethe Mit Einleitung und An-
merkungen herausgegeben von Franz Kern. Berlin 1893. Nicolai'sche
Verlags-Buchhandlung R. Stricker
II diesem Buche wird eine gründliche Arbeit über
Goethe'S Dichtung geboten, die Kern seit 1884
bereits in drei Schriften zum Gegenstand seiner
Forschung gemacht hat. Welche verschiedene
Auffassungen der Dichtung für berechtigt gehalten werden
können, wird bei so eingehender Behandlung begreiflich,
daher auch, daß selbst mit dem gründlich zu Werke gehenden
Verfasser nicht jeder sich allenthalben einverstanden erklären
kann.
Kern wirft die Frage auf, ob Goethe's Drama eine
Tragödie zu nennen sei. GoETHE nannte es Schauspiel,
wenn es aber im Grunde nach unseren Anschauungen über
Bühnenwerke nur zweierlei Gattungen derselben giebt, bei
deren einer die ganze Persönlichkeit eines Menschen ein-
gesetzt wird, bei der anderen dagegen Begebnisse vorgeführt
werden, in welche Persönlichkeiten nur als bewegende Kräfte
eingreifen, so muß »Tasso« unbedingt der ersteren, der Tra-
gödie, zugezählt werden. Kern's Zweifel erklärt sich aus
seiner Ansicht über das Ziel der GoETHE'schen Dichtung;
er findet es in der aus Tasso's Leiden gewonnenen Kraft
A2 II- Quelleis' und Anlässe Goethischer Dramen.
der Erhebung, die zu seiner Heilung führe. (S. 20 fg.) Er
erblickt in der Handlung des Dramas die Absicht, Tasso's
Heilung von krankhaften Vorstellungen und ungehörigen An-
sprüchen herbeizuführen, und daher ist ihm die Katastrophe
nicht die Zerstörung des zarten Verhältnisses, in dem Tasso
zur Prinzessin steht, sondern der für ihn nothwendige Bruch
mit dem herzoglichen Hause. (S. 9. 17. 26.) Um diese
Voraussetzung zu stützen, erklärt KERN aus der Dichtung
heraus, daß es Tasso an erster Stelle um die Gunst des
Herzogs zu thun sei. Er sieht also in GOETHE'S Schauspiel
ein seelenärztliches Experiment. Diese Auffassung ist aber
entschieden abzuweisen; es würde ein Herabwürdigen der
Bedeutung der Dichtung sein, wenn ihr Ziel wäre, einen
Mann als, wenn auch nur für den Augenblick, vernichtet
darzustellen, weil er die Gunst eines Fürsten verlor. Wäre
dies Folge der krankhaften Vorstellungen, so gehörte deren
\"orführung in ein psychiatrisches Colleg einer medicinischen
Facultät oder vor die Praktiker eines Irrenhauses, nicht aber
auf eine Kunstbühne. Nur im Lustspiel, also bei ganz
anderer Behandlung, könnte man sich ein solches Ziel eines
Dramas etwa gefallen lassen. GOETHE hat indessen seinem
Tasso nicht so mitgespielt, und man wird gern hören, daß
Kern auf Irrwegen geht. Zwar legt Goethe's Tasso auf
des Herzogs Gunst hohen Werth und spricht dies kräftig
aus, es liegt aber auf der Hand, daß er von seiner Liebe
zur Prinzessin nicht ebenso unverhüllt reden darf, wie ihm
denn jene Gunst überdies gerade zu Erhaltung des Verhält-
nisses zur Prinzessin vom größten Werthe sein muß. Daß
er jedoch letzteres höher stellt, setzt das Gespräch mit der
Prinzessin im ersten Auftritte des zweiten Aufzugs außer
Zweifel, wenn Tasso ihr sagt, daß er mit ihr
Aus freiem Busen wagen darf zu reden,
und dann, auf das gleiche Vertrauen des Herzogs verwiesen,
einwendet:
Er ist mein Fürst!
Zu »Tasso«.
43
Noch eine Stelle läßt unwiderleglich erkennen, daß ihm die
Beziehung zur Prinzessin jeder anderen voransteht, und zwar
in der Schlußscene:
ich bin nichts!
Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir.
Kern — obgleich er das »sie« auf die Prinzessin deutet —
bemerkt doch zu heimlicher Unterstützungf seiner Auffassung,
daß es auch auf die einige Zeilen vorher erwähnte »Kraft«
bezogen werden könne. Das ist aber unmöglich. Denn
Tasso fragt nicht nur, ob seine »Kraft« , sondern auch, ob
sein »Talent«, auch noch, ob er selbst verloren gegangen
sei, und faßt das zusammen mit den Worten:
Nein, es ist Alles da!
Hiernach wäre es sprachlich schlechterdings unbegreiflich,
wie das hierauf folgende »sie« auf die weit zurückliegende
»Kraft« bezogen werden könnte.
Kehren wir zurück zu Kern's Annahme, daß aus Tasso's
letzten Worten die Hoffnung auf seine Heilung und Er-
hebung zu schöpfen sei, so kann ihm auch darin nicht bei-
gepflichtet werden; denn wenn Tasso sich als einziges
Rettungsmittel wie der Schiffer an den Felsen, an dem er
scheitern sollte, an Antonio anklammert, an den Mann, der
seinem Wesen nach — um mit GOETHE zu reden — um
mehr als ein Erddiameter von ihm getrennt ist, so gleicht
er eben dem Schiffer, der, nachdem er Alles verlor, nur das
nackte Leben retten will: Tasso hat damit seine Persönlich-
keit verloren. HERMANN Grimm hat unbestreitbar Recht,
wenn er in seiner fein und glänzend geschriebenen Ent-
wickelung -»Leonore von Este'( ausspricht, daß Goethe's
»Tasso« auf »eine Vernichtung, ein Zugrundegehen« aus-
laufe. Diese Wahrheit kann nur diejenigen befremden, die
in diesem Schauspiel das fast unabwendbare Leiden des, dem
Niedrigirdischen abgewandten Dichters sehen. Es stünde
aber schlimm um GOETllE's Ansicht über Dichter, wenn ihm
der Tasso seines Schauspiels das Ideal eines solchen gewesen
44 ^^- Quellen und Anlässe Goethischek Dramen.
wäre. Sein Tasso ist zwar echter Dichter, aber nur das;
er ist kein rechter Mensch, d. h. er vernachlässigt seine
Pflichten als Glied der Menschheit, was er nicht ungestraft
thun kann. Im Gefühle seines eigenen Werthes verliert der,
dem Wechselverkehr mit der übrigen Welt sich entziehende
Tasso den Maßstab zur Schätzung des Werthverhältnisses
zu anderen Menschen, und die daraus entspringende Un-
fähigkeit, andere zu beurtheilen, hindert ihn zunächst die
Gründe ihres Handelns zu würdigen und läßt ihn dann das
ihn unangenehm berührende fremde Handeln als Feindselig-
keit auffassen; er geräth hierauf in den Zustand steter miß-
trauischer Beobachtung der gesammten Umgebung, der sich
endlich zum Verfolgungswahnsinn steigert. GOETHE hat mit
wunderbarer psychologischer Feinheit ausgeführt, wie Tasso
mit dem Scharfsinnn des Wahnwitzigen aus jeder, sogar ihm
wohlwollenden Handlung anderer Personen etwas heraus-
späht, was seiner fixen Idee zustatten kommt. Nachdem
er endlich durch seine, den Wahnsinn nur zeitweilig ent-
kräftende Liebe zur Prinzessin einen Gewaltbruch herbei-
geführt hat, der Wiederherstellung unmöglich erscheinen läßt,
so ist auch für ihn selbst trotz der versöhnlichen Annäherung
Antonio's keine Wiederherstellung mehr denkbar. GoETHE
hat darin den geschichtlichen Tasso treuer dargestellt, als
gemeinhin angenommen wird.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Charaktere
der übrigen Personen des Dramas durchzugehen; es kann
um so eher unterbleiben, als Kern's Darlegungen im Wesent-
lichen als zutreffend anzuerkennen sind. Für das Verständ-
niß der Dichtung sind ferner seine Parallelen mit der y> Natür-
lichen TocJitev!. (S. 2i) und noch mehr die mit ^^ Iphigenie <{•
(S. 23 fg.) von Werth; überdies ist auf die sehr glückliche
Gegenüberstellung HERMANN Grimm's mit » Werther v. hin-
zuweisen.
Bei jeder Dichtung Goethe's drängt sich die Frage
nach deren Veranlassung auf. Mae immerhin bei »Tasso -
Zu Tasso.
45
diese Frage insofern müßig erscheinen, als ihre Beantwortung
zum Verständniß und Genuß der Dichtung schwerlich bei-
tragen wird, so ist doch die Kenntniß von Goethe's äußerem
und innerem Leben uns so bedeutungsvoll, sie ist geradezu
Theil unserer Xationalbildung geworden, daß wir aus lebens-
geschichtlichem Wissensbedürfniß genöthigt sind, auch bei
diesem Schauspiel zu forschen, inwieweit es von GOETHE
erlebt ist. Nun versteht sich von selbst, daß alles, was
Tasso in Hinsicht auf sich als Dichter sagt, GOETHE ihm
aus eigner Erfahrung in den Mund gelegt hat, da er wußte,
wie einem Dichter zumuthe ist. Das Gegentheil von Tasso
aber war er, sofern er dem Leben und seinen mannigfaltigen
Ansprüchen vollkommen gerecht zu werden strebte, ein
Mensch im vollen Sinne war. Man hat desshalb in Tasso
einen ebenfalls planlos schweifenden Dichter, Lenz, finden
wollen. Allein auch dieser war dem italienischen Dichter
entgegengesetzt, da er, nach GOETHE'S Schilderung, Intrigant
war, also vielmehr andern Personen Anlaß gab, ihm zu miß-
trauen, als daß er selbst sich mit Mißtrauen getragen hätte.
Allenfalls könnte seine Haltungslosigkeit, die ihn endlich auch
dem Wahnsinn verfallen ließ, Aehnlichkeit mit Tasso be-
gründen. Ebensowenig möchte GOETHE in dem \^erhältniß
zwischen Tasso und der Prinzessin ihn nahe berührende gleiche
Erlebnisse vor Augen gehabt haben, wenn ihm nicht etwa
Lili's Eigenschaft, anzuziehen, aber leicht wieder fahren zu
lassen, bei der Prinzessin vorschwebte, der y>Sirejtev., deren
Leidenschaftslosigkeit neben bezaubernder Gefühlsinnigkeit
so verhängnißvoll für Tasso wird. An PVau v. STEIN kann
auch gedacht werden; KERN führt aus, inwiefern.
Vom lebensgeschichtlichen Standpunkt aus liegt aber
auch daran, zu wissen, wie GOETHE gerade darauf gekommen
ist, Tasso zum Gegenstande seiner Dichtung zu wählen. An
Nachrichten hierüber oder auch nur Andeutungen fehlt es
gänzlich, auch darüber, warum und wann er die Lebensbe-
schreibung Tasso's von Manso gelesen hat, nur daß er sie
AÖ II- QUELLEN UND ANLÄSSE GOETHISCHER DraMEX.
früher kannte, als die von Serassi. Ob GOLDONl'S Com-
inedia » Torquato Tasso« irgendwelchen Einfluß auf seine
Dichtung gehabt hat, ist unsicher. Darin hat KERN aller-
dings Recht, daß die treibenden Motive in den beiden Bühnen-
stücken ganz andere sind, woraus sich die augenfälligsten
Verschiedenheiten von selbst ergeben; auch mag auf die,
den beiden gleichen oder doch ähnlichen Züge kein ent-
schiedenes Gewicht gelegt werden, weil sie den gemein-
schaftlichen Quellen entstammen. Demungeachtet halte ich
nicht für überflüssig, die Beispiele Kern's von solchen über-
einstimmenden Zügen (S. 377 fg.) noch um ein paar zu ver-
mehren. So sieht, wie bei GOETHE, auch bei GOLDONI im
I. Act in der i. Scene Tasso überall Feinde, bezeichnet in
der 2. Scene als deren Beschützer den Herzog, wird in der
4. Scene für wahnsinnig gehalten und erscheint in der 5- Scene
als immerfort an seinen Gedichten bessernd. Ferner nimmt
er in der i. und 3. Scene des 2. Acts den Rath des Her-
zogs, sich von Ferrara zu entfernen, mit tiefem Mißtrauen
auf und bricht am Schlüsse ebenso wie bei GOETHE, nach-
dem die Geliebte eben abgereist ist, mit der ganzen Ver-
gangenheit, hier mit den Worten:
Corte, Ferrara, amici, bella Eleonora, addio —
wobei ihm der römische Patrizier ähnlich tröstend zur Seite
steht, wie ANTONIO. In Betracht dieser Uebereinstimmung
ist die Vermuthung kaum abzuweisen, daß die jämmerliche
Rolle, die GoLDONi seinen Tasso spielen läßt — der durch fünf
Acte sich abmüht, durch zweideutige Reden zu verhüten,
daß man errathe, welche Eleonore die von ihm gefeierte
sei — , Goethe veranlaßt hat, eine würdigere Darstellung
des Dichters zu geben und sich so von dem widerwärtigen
Eindruck der Komödie GOLDONl's auf seine Weise zu befreien.
1
§
i^^^l
1
o-
Theaterzettel zur Natürlichen
Tochter.
ie Goethe allerwärts zu Hause war, muli auch die
GOETHE-Kunde ihm in alle Gebiete folgen, in denen
er verkehrte. So gehört auch die Bühne in ihr
Bereich, wenn es sich fragt, wie Goethe's Dramen
aufzuführen sind, um des Dichters Absichten zu entsprechen.
Bearbeitern seiner Bühnenstücke ist GOETHE-Kunde unent-
behrlich, wenn sie deren auch leider oft entbehren. Die
Befürchtung, daß sie dem Begehren nach Bühnenwirkung
hindernd im Wege stehe, trifft übrigens nicht zu; daß sie
diese befördere, soll ein Beispiel zeigen.
Die »Natürliche Tochter« ist den Bühnenleitern ein
Rührnichtan. Es wird diesem Schauspiel keine Wirkung
zugetraut. Die Ursache der vermeintlichen Wirkungslosig-
keit sucht man theils im Mangel eines einschneidenden Ab_
Schlusses, theils in dem schemenhaften Personal. Das steht
ja fest, daß GOETHE eine Fortsetzung plante, aber er hat
doch die Aufführung des vorliegenden Stückes allein nicht
nur für möglich gehalten, sondern auch wiederholt zu Stande
eebracht. Dabei hat es sich mit seinen verzweig^ten Ränke-
schmiedereien und dem dagegen ohnmächtigen Verzweiflungs-
ringen der Heldin sehr bühnenwirksam erwiesen; nur der
4.8 II- Quellen und Anlässe Goethischer Dramen.
Schluß wird matt gefunden. Der Ausgang hat Aehnlichkeit
mit dem des »Tasso«: in beiden hoffnungsloser Zusammen-
bruch der Zustände, in denen so Tasso wie Eugenie das
Glück ihres Lebens, die Bedingungen ihrer Existenz er-
blickten. Tasso ist am Schlüsse vernichtet; sein Sichselbst-
aufgeben ersetzt das bühnenübliche Sichumbringen. Eugenie
hat dagegen noch so viel Kraft, das Aeußerste, das ihr
droht, durch Schließung einer Ehe abzuwenden, die sie von
ihrer stolzen Höhe aus als eine, ihre Existenz vernichtende
Erniedrigung empfindet. Diese Heirath erscheint aber An-
deren nicht leicht im Lichte Eugenien's; Verheirathung mit
einem Gerichtsrath gilt im Allgemeinen nicht als Unglück,
und so ist man nicht geneigt, den Ausgang so tragisch zu
empfinden, als er im Geiste Eugenien's erscheint, nament-
lich wenn die Schauspielerin Eugenien's letzte Worte —
»Hier meine Hand; wir gehen zum Altar« — so herzlich
und vergnügt spricht, als wäre sie froh, unter die Haube zu
kommen. Durch solchen Mißgriff wurde mir einmal der
Eindruck einer sonst sehr guten und in der That ergreifend
wirkenden Vorstellung fast aufgehoben. Der richtige Aus-
druck dieser Worte bedarf eines ernsteren Studiums, als alle
sonstigen Reden Eugenien's. Es ist allerdings schwierig
zwischen einer, der Sachlage ganz unmögUchen Herzlichkeit
und einem, etwa auf den künftigen Pantoffel hinweisenden
verletzenden Hochmuth die Mitte herauszufinden, und nur
die Schwere des Kampfes beim letzten Entschlüsse zu ver-
deutlichen; im Ausdruck dieser letzten Worte muß die Tragik
im Schicksal Eugenien's zum Bewußtsein der Hörer kommen.
Es ist die Aufgabe einer bedeutenden Künstlerin.
Der zweite Vorwurf über die Bühnenwidrigkeit des
Stückes richtet sich gegen die abstracten Personen: König,
Herzog, Graf u. s. w. Die Kunst fordert concrete Personen
und erst der Name individualisirt, möge er geschichtlich
oder erdichtet sein. Die Vorgänge, die in dem Schauspiele
geschildert werden, gründen sich im Hauptzuge auf die
3. Theaterzettel zur »Natürlichen Tochter«. aq
Memoires historiques de STEPHANIE - LOUISE DE BOURBON-
CoNTl (Paris, en VI); seit den ältesten darin erzählten Be-
gebenheiten war beim Erscheinen von GOETHE'S Dichtung
noch kein Menschenalter verflossen, Betheiligte lebten noch,
und wenn deshalb Discretion geboten war, so konnte GOETHE
um so eher wagen, Namen zu unterdrücken, ohne befürchten
zu müssen, daß seine Personen blos als allegorische Titel-
träger angesehen würden, als die Mitlebenden, an welche er
sich wendete, wußten, wer gemeint war. Diese Ergänzung
der Dichtung durch Kenntniß der Geschichte ist aber im
Zeitenlauf verloren gegangen und es ist nichts, als Ergänzung
auf andere Weise, wenn wir jetzt die Personen der »Natür-
lichen Tochter« mit Namen belegen. Es ist dies eine Bühnen-
bearbeitung, die vor sonst üblichen voraus hat, daß sie keine
gegen des Dichters Absicht sich aufdrängende vermeintliche
Verbesserung sein würde, nicht die geringste Aenderung des
Textes fordert. Freilich stößt man dabei auf die Schwierig-
keit, daß Goethe's Darstellung im Schauspiel nicht durch-
aus mit der Erzählung der STEPHANIE LOUISE VON BOURBON-
CONTI sich deckt. Deshalb muß man sich bei Nennung der Per-
sonen mitunter dadurch helfen, daß man einige heranzieht, deren
Stellung im Schauspiel nur eine ähnliche wie in der Geschichte
ist. Von diesen Grundlagen ausgehend, sei die Herstellung eines
Personenverzeichnisses der »Natürlichen Tochter« versucht.
Der König LUDWiG XV. von Frankreich und der Her-
zog Ludwig Franz von Bourbon-Conti sind ohneweiteres
gegeben. Der Graf hat keine Bedeutung für die Geschichte
selbst und dafür kann deshalb ein beliebiger Graf des
damaligen Königshofes gewählt werden, nehmen wir also
den Grafen Narbonne! Den Namen Eugenie durch Ste-
phanie zu ersetzen, obschon dieser im ersten Entwurf
Goethe's steht, kann niclit mehr in Frage kommen, da
jener der Literatur unentwendbar angehört. Mit Vornamen
springt Goethe in seinen Dichtungen überdies manchmal
willkürlich um; so hat er Faust's volksthümlichen wahren
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 4
CO n. Quellen und AiNlässe Goethischer Dramen.
Namen Johann mit Heinrich, den der Johanna Sebus in
der Ballade mit Suschen vertauscht. Bei Eugenie recht-
fertigten ihn, wie gesagt, die xA-bweichungen des Schauspiels
von der Erzählung. Die Hofmeisterin — institutrice , wie
sie wiederholt in den Memoires, z. B. I, 36, genannt
wird — hieß Marie Claudine Delorme (Mem. I, 300), ihr
Verlobter, den GoETHE als Secretär bezeichnet, Jacquet
(Mem. I, 9 und oft). Dem Weltgeistlichen entspricht der
Abbe Aubry, der den angeblichen Tod der Tochter des
Prinzen von BOURBON-CONTI bezeugte (Mem. I, 197). Den ihr
aufgenöthigten Gatten nennt Stephanie Louise nur Louis
Anton B., mit welcher Abkürzung ihn aufzuführen allerdings
unthunlich wäre. Da nun eine Familie Bexoit bei den Ver-
folgungen, denen Ersterer ausgesetzt war, ihre Hände im
Spiel hatte, mag es erlaubt sein, diesem Gatten — der üb-
rigens nicht Gerichtsrath, sondern Gutsbesitzer war — den-
selben Namen beizulegen. Ob sein Name vielleicht aus
anderen Quellen nachzuweisen sein möchte, ist mir nicht
bekannt. Um für den Gouverneur, der in den Memoires
nicht vorkommt, einen Namen zu finden, müßte man einen
französischen Beamtenetat jener Zeit benutzen; ein solcher
ist mir nicht zur Hand, es genügt jedoch zur Individuali-
sirung der Rolle, diesen Herrn als Gouverneur des Hafen-
gebiet's zu bezeichnen. Aehnlich wie die Aebtissin in der
»Natürlichen Tochter« äußert sich gegen Stephanie Louise
die Aebtissin JOHANNA Marie Jolv in den Memoires (I,
236). Für den Mönch ist kein Name erforderlich. Ueber
die Reihenfolge der Personen ist noch zu bemerken, daß
eine Vertauschung der Rollen des Grafen und EUGENIENS
sich empfiehlt.
Wenn wir indessen einmal den Theaterzettel der »Na-
türlichen Tochter« bearbeiten, wollen wir auch den Titel
des Dramas in Betracht ziehen. Er hat etwas — wie soll
ich sagen? — Unangenehmes. Das scheint GOETHE selbst
gefühlt zu haben, vielleicht später in Erinnerung an die
3- Theaterzkttel zur »Natürlichen Tochter«. 5 i
beißende Bemerkung Herder's, der sein Lob der Dichtung
mit den Worten scliloß: »Dennoch ist mir Dein natürlicher
Sohn lieber, als Deine Natürliche Tochter.« Wie dem aber
auch sei: Goetme nennt, sowohl in Gesprächen wie auch
in seinen Schriften, Briefen, Tagebuch, das Stück häufig
»Eugenie«, ja sogar in der Ueberschrift zum Schema der
Fortsetzung. Zwar dürfte dieser Name nicht allein auf dem
Theaterzettel stehen, wohl aber in Verbindung mit dem von
Goethe vorgeschriebenen Titel und demnach würde unser
zugkräftigerer Theaterzettel zu lauten haben:
Eugenie, die natürliche Tochter.
Trauerspiel in fünf Aufzügen von Goethe.
Personen:
König Ludwig XV. von Frankreich.
Herzog Ludwig Franz von Bourbon-Conti.
Eugenie, dessen Tochter.
Graf VON Narbonne.
Marie Claudi.ne Delorme, Hofmeisterin.
Jacquet, Secretär.
Abbe Aubry, Weltgeistlicher.
Anton Ludwig Benoit, Gerichtsrath.
Gouverneur des Hafengebietes.
Aebtissin Johanna Marie Jolv.
Mönch.
Schauplatz: in den ersten drei Aufzügen in der Nähe von Paris, in den
zwei letzten in der Nähe der Küste. Zeit: 1773.
III.
Dramatische Entwürfe Goethe's.
Cäsar.
eher den Aufsatz »Cäsar« in den •> Goethe -For-
scJmngen — Neue Folge'/- sind mir zwei Aus-
lassungen zu Gesicht gekommen, die mich veran-
lassen, den Gegenstand wieder aufzugreifen: die
erste von E. V. D. HELLEN in »GOETHE'S Antheil an Lavatres
Physiognomischen Fragmenten,« (1888) die andere von D.
Jacoby im XII. Bande des Goethe-Jahrbiicks [i'&gx). Letzterer
rügt, daß ich Shakespeare's Anerkennung der Bedeutung
Cäsar's nicht gehörig würdige. Hierüber möchte ich mich
zunächst mit Jacoby auseinandersetzen. Ich habe in meinem
früheren Aufsatze durchaus nicht in Abrede gestellt, daß
Shakespeare dem Cäsar Züge von Größe zugesprochen,
aber eben auch Züge von Kleingeisterei. Die Größe Cäsar's
ist wesentlich nur aus einer Aeußerung des Cassius und
aus der Rede des Antonius am Sarge des Ermordeten ab-
zunehmen, nicht aber in seinem persönlichen Auftreten er-
kennbar. Er führt sich gleich mit einer Lächerlichkeit ein,
indem er (I. Act, 2. Scene) Antonius auffordert, beim Wett-
laufen Calpurnia zu berühren, damit sie schwanger werde.
Dann warnt ihn der Wahrsager vor dem Idus des März,
56
III. Dramatische Entwürfe Goethe's.
und er läßt ihn laufen, ohne nach dem Grunde der Warnung
zu fragen. Das geschieht nicht etwa, um Cäsar als Ver-
ächter des ilim Drohenden erscheinen zu lassen, denn später
äußert er den Wunsch, nur fette Leute um sich zu haben,
die nicht gefährlich seien wie der mit hohlen Augen blickende
CasSIUS, vor dem er sich fürchte, wobei er freilich trotz-
dem sich beruhigend versichert, daß Furcht ihm fremd sei.
Weiterhin (II, 2) schrecken ihn die Träume der Calpurnia,
sodaß seiner Behauptung nicht zu trauen ist, er gebe auf
Wunderzeichen nichts. Muthig erscheint er, als er trotz der
Bitten seiner geängstigten Gattin darauf beharrt, auszugehen,
und prahlt dabei, die Gefahren schwänden, wenn sie seine
Stirn sähen, die sie für gefährlicher, als sich selbst erachteten.
Als er endlich dennoch nachgegeben hat und hat verkünden
lassen, daß er nicht in den Senat kommen werde, ändert
er seine Entschließung demungeachtet auf anderseitiges Bitten,
geht in den Senat und bramarbasirt dort, indem er sich
für den einzigen unbesiegbaren Menschen erklärt. (III, i.) —
Zu dieser Zweiseitigkeit in der Kennzeichnung Cäsar's ist
Shakespeare dadurch gedrängt worden, daß einerseits
dessen Größe hervorzuheben war, um die Bedeutung der
That des Brutus verständlich zu machen, andererseits seine
Persönlichkeit herabzudrücken war, damit er nicht tiefere
Theilnahme in Anspruch nehme, als Brutus, der doch die
Hauptperson sein sollte.
Meine Ansicht war nun und ist noch, daß das Herunter-
ziehen Cäsar's GOETHE widerwärtig war und er nur dadurch
bewogen werden konnte, einen »Cäsar« nach SHAKESPEARE
zu schreiben.
Von anderer Seite greift mich v. D. HELLEN an, indem
er seiner angeführten Schrift (S. 216) mir darin widerspricht,
daß »Egmont« den »Cäsar« abgelöst habe. In dieser Hin-
sicht begnüge ich mich mit Jacoby'S Zustimmung. (S. 248 f.)
Entschieden entg-eeentreten muß ich indessen seiner weiteren
Meinung, daß die Persönlichkeit des Brutus in GOETIIE den
I . Cäsar, 5 7
Sieg über Cäsar davongetragen habe. Scheingrund hierfür
ist die verherrlichende Darstelkmg, die GoETHE ersterem in
Lavater's •» Physiognoniischeii Fraginentenv. hat angedeihen
lassen, wogegen die Charakterisirung Cäsar's kürzer abgethan
ist. Wenn Goethe's wahre Ansicht nach der Zahl der
Zeilen bestimmt werden soll, hat V. i). HELLEN recht, aber
anders steht es, wenn man den Inhalt wägt. GOETHE
W'ürdigte das Schätzenswerthe auch in Menschen, denen er
sonst abhold war und demnach in Brutus die scharf aus-
geprägte Selbstigkeit, die er auch in Prometheus und Faust
(»Ebenbild der Gottheit«) verklärte; als Künstler entzückte
ihn, sie in dem Bildniß in den ■» PJiysiognomiscJien Frag-
inenteii'i aus den Gesichtszügen eines wirklichen Menschen
herauslesen zu können. Bei Cäsar's Bildniß — wohl ver-
standen: in dessen Bildniß — empörte ihn dagegen, daß
in diesen >n^erzerrten Resten« das Wesen des »ersten unter
den Menschen«, der »Inbegriff aller menschlichen Größe«
nicht zu erkennen war. Die hier herausgehobenen Ausdrücke
überbieten in schrankenloser Bewunderung und Hochstellung
Cäsar's alles, was er vorher, allerdings mit mehr Worten,
über Brutus sagte. Also von einer Verdrängung Cäsar's
durch Brutus ist nicht die Spur in diesen Bildnil3erläuterungen,
im Gegentheil beschäftigte GOETHE sich noch ein paar Jahre
mit Cäsar, wie das die von mir angeführten Aussagen von
Leuten bezeugen, die jedenfalls Goetue's Ansichten genauer
kannten, als V. D. HELLEN. Ja, noch viel später lag ihm
der Zwiespalt zwischen Brutus und Cäsar im Sinn, wobei
er letzterem den \"orzug einräumte. Dies beweist die Zahme
Xenie:
Und wenn man auch den Tyrannen ersticht,
Ist immer noch viel zu verlieren;
Sie gönnten Cäsarn das Reich nicht
Und wußten's nicht zu regieren.
Und wieder in der »Classischen Walpurgisnacht« sagtERiCHTO
in den Pharsalischen Feldern:
5!
III. Dramatische Entwürfe Goethe's.
Keiner gönnt das Reich
Dem andern; dem gönnt's keiner, der's mit Kraft erwarb
Und kräftig herrscht. — — — — — — —
Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort.
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem's gelang.
Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, daß V. D.
Hellen'S Behauptung — GOETHE habe seinen Cäsar völlig
aufgegeben, weil er sich wie SHAKESPEARE überzeugt habe,
Brutus müßte neben Cäsar im Drama die Hauptperson sein
— unbegründet und völlig unhaltbar ist. Ob seine andere
Behauptung, daß GOETHE seinen ersten Plan — wonach er,
wie ich annehme, seine ganze öffentliche Laufbahn, ähnlich
wie die des Götz von Berlichingen, darstellen wollte —
eine Stütze in dem Gespräche mit dem Erbprinzen von
Sachsen-Meiningen im Februar 1775 (»Goethe'S Gespräche«
X, 241) findet, wonach das Trauerspiel »Cäsar's Tod« heißen
sollte, lasse ich dahingestellt*); »bewiesen« ist aber diese
Behauptung auch nicht, wie der Herausgeber des Fragments
»Cäsar« in der Weimarer GOETHE-Ausgabe (XXXVIII, 257)
bereitwillig annimmt.
In den » Goethe- Forschungen — Neue Folge'!, habe ich
dargelegt, wie Goethe durch die seinem Dichten eigene
Grundlage productiver Kritik zu seinem »Cäsar« im Gegen-
satz zu dem Shakespeare's geführt worden sei. Das findet
V. D. Hellen eine »erstaunliche« Behauptung. Daraus geht
hervor, daß fleißige Arbeit über eine einzelne Thätigkeit
Goethe's noch nicht zum Verständniß des Dichters im all-
*) Bei dieser Gelegenheit entdecke ich , dass das unter den Nach-
trägen des VIII. Bandes der »Gespräche« stehende Gespräch 1549 ander-
weit unter den Nachträgen des X. Bandes als Nr. 1588 abgedruckt ist,
welches Versehen ich zu entschuldigen bitte.
I . Cäsar. 5 9
gemeinen befähigt. Vermuthlich denkt v. D. HELLEN jetzt,
nach einem Jahrzehnt, anders über Goethe's productive
Kritik. i\ber sein früher Geschriebenes bleibt und zwingt
mich, die unveränderte Fortdauer meiner Ueberzeugung von
jener productiven Kritik zu bezeugen, wie ich denn seither
noch wiederholt Veranlassung gehabt habe, sie hervor-
zuheben.
2. Das Entstehen der Elpenor-
dichtung.
s ist, als ob man sich dem Teufel, der nicht wieder
losläßt, verschrieben hätte, wenn man irgend einem
wissenschaftlichen Stoffe seinen Fleil-j zugewandt
hat; so lange noch dunkle Punkte darin wahrnehm-
bar sind, wird man nicht zur Ruhe kommen und immer
wieder Anlauf nehmen, um Dunkelheiten zu zerstreuen und
Gewißheit zu erlangen. Ein solcher Stoffist mir u. a. Goethe's
Elpenordichtung, der ich seit meiner ersten Veröffentlichung
über sie im Jahre i86o wiederholt Arbeiten gewidmet habe.
Galt es mir bisher, vorzügliclT den leitenden Gedanken, die
Durchführung des Planes des allein erhaltenen Bruchstückes
und die Quellen der Dichtung zu ermitteln, so blieb bisher
die Frage nach deren ersten Anfängen unerörtert: ich be-
gnügte mich mit anderen seit RiEMER mit dem Datum des
II. August 1781, an welchem Tage GoETHE im Tagebuche
eintrug und unterstrich: »F^lpenor angefangen«. Kommen
einem aber diese Worte öfters vor die Augen, so schwindet
allmählich jeder Zw-eifel, dass etwa der erste Keim der
Dichtung, daß das erste Erfassen des Gedankens daran ge-
meint sein könnte. Es ist sicher, daß unter jenem Tage-
bucheintrag der Beginn des Niederschreibens zu verstehen
2. Das Entstehen der Elpenordichtung. 5i
sei; denn schon am 19. August verkündet GOETHE der Frau
VON Stein die Beendigung der zweiten Scene des Stückes.
Ganz undenkbar ist, daß GoETHE am II. August auf den
ersten Gedanken, »Elpenor« zu schreiben, gekommen, und
auch gleich dazu verschritten sei; es ist um so weniger an
solche Ueberstürzung zu denken, als sich das Schauspiel
weder auf eine geschichtliche Begebenheit, noch auf eine
einzige fremde Dichtung gründet, auch der Name Elpenor
für die Hauptperson des Stückes von GOETHE erfunden ist.
Es müßte ihm also plötzlich die Idee der Dichtung, das
Finden der für sie geeigneten Oertlichkeit, die Entwicklung
des Plans und die Wahl eines passenden Namens für den
Träger der Titelrolle eingefallen sein und er sich über Hals
und Kopf daran gemacht haben, diese übernatürlich, wie
Athene ausgewachsen in der Stirn des Zeus, erzeugte Ein-
gebung zu Papier zu bringen. Das ist, wie gesagt, unmög-
lich zu denken, und es drängt sich vielmehr die Frage auf,
ob sich in Aufzeichnungen oder Briefen GOETHES frühere
Spuren der ersten Keime der Dichtung entdecken lassen.
Beim Suchen danach fesselt denn bald den Blick ein un-
datirtes Briefchen an Frau VON STEIN, das in der ersten
Ausgabe dieser Goethebriefe nach einem Briefe vom 4. August
1780 steht und lautet:
»Die Kirschen, die ich beim Erwachen finde, interessiren
mich nur, insofern ich sie Ihnen schicken kann. Gestern
ging ich so zeitig weg, weil ich ein neu Drama im Kopf
hatte, davon ich den Plan zusammentrieb. Adieu Beste!«
Was das für ein neues Drama war, darüber ist viel
gefaselt worden. Der erste Herausgeber von »Goethe's
Briefen an Frau VON STEIN«, Scholl, dachte an »Tasso«;
wenn von diesem zwar schon am 30. März 1780 im Tage-
buche »Gute Erfindung« angeführt werde, auch das dort am
15. April erwähnte »Tändeln an einem Drama« füglich nur
auf »Tasso« gedeutet werden könne, so ■ — ■ meint Scholl —
dürfte dieses Drama doch erst im Sommer feste Gestalt
^2 III. Dramatische Entwürfe Goethes.
gewonnen und GOETHE sich nicht früher gegen die Freundin
darüber geäußert haben, da er »gewohnt, das erste Keimen
seiner Dichtungen geheim zu halten«. Abgesehen davon,
daß die Behauptung solchen Geheimhaltens eine auf Verall-
gemeinerung beruhende Phrase, der Frau VON Stein gegen-
über jedoch schlechterdings nicht nachweisbar, vielmehr ge-
radezu unhaltbar ist, so weist auch überdies der klare Wort-
laut jenes Briefchens auf eine, GOETHEN selbst ganz neu in
Gedanken kommende Erfindung hin, da diese ihn ausserdem
nicht so lebhaft erregt haben würde, daß er sich von der
Gesellschaft und von der Freundin trennen und Einsamkeit
aufsuchen mußte, um der sich aufdrängenden Gestaltung
nachzuhängen. GOETHE drückt sich hier, wie stets, wenn
auch kurz, doch so deutlich aus, daß über seine Meinung bei
gewissenhafter Betrachtung kein Zweifel obwalten kann. Solche
Erwägungen bewogen denn auch DUNTZER 1854 in y> Goethes
Tasso« (S. 13) und 1874 in ■>•> Cliarlotte von Stein <.< (I, 157)
jenes Briefchen in's Jahr 1781 zu versetzen und auf »Elpenor«
zu beziehen. Allein 1876 in einer Besprechung von »Goethe's
Briefen an Frau VON STEIN« im -»Archiv für Literaturge-
schichte i^ (VI, 553) erkannte er an. Falsches behauptet zu
haben und das Briefchen dem Jahre 1780 belassen zu müssen,
da es nicht nur die Papiergattung, sondern auch noch ent-
schiedener die Anrede der Freundin mit »Sie« diesem Jahre
zuweisen. Das neue Drama erklärte DüNTZER dabei kurz-
weg für ein unbekanntes. Mit dieser nackten Erklärung sich
zu behelfen, ist freilich kein Musterstück von Kritik. Die
Annahme, daß GOETHE eine größere Dichtung entworfen
gehabt habe, die ihn so tief, wie er sagt, bewegte, ohne daß
eine Aufzeichnung oder eine Aeußerung sich darüber erhalten
haben sollte, ist so wenig wahrscheinlich, daß sie mindestens
einigermaßen glaubhaft zu machen gewesen wäre.
Wagte aber sonach DÜNTZER auch nicht, auf »Tasso«
zurückzugreifen, so unternimmt dies doch ohne Bedenken der
zweiteHerausgebervon »GOETHE's BriefenanFrau VON STEIN«,
2. Das Entstehen der Elpenordichtung. 63
Fielitz, indem er dem Briefchen seinen Platz im Jahre 1780
läßt, nur mit der unwesentlichen Abweichung-, daß er es der
Kirschen halber vor dem 4. August einreiht. Der Heraus-
geber des IV. und VII. Bandes von GOETHES Briefen in der
Weimarer Ausgabe der Werke, (1889, 1 891) VON DER HELLEN,
macht sich dagegen die Erledigung der Zweifel auf andere
Weise leicht, indem er das Briefchen in einem Ramsch un-
datirter Briefe »Aus der Zeit vor der italienischen Reise,
Weimar 1775 — 1786« unterbringt (VII, 266).
Kann also das darin berührte neue Drama keinesfalls
mit DÜNTZER für ein unbekanntes, d. h. für ein nach jenem
einmaligen Auftauchen wieder verschwundenes, gehalten werden,
so kann es GOETHEN noch weniger als ein unerwarteter
Einfall überkommen sein. Solche generatio aequivoca ist,
namentlich hinsichtlich grösserer Dichtungen, bei GOETHE
unerhört. Wir können diese meistens bis zu den Quellen
hinauf verfolgen und es besteht nur die Aufgabe, diese Quellen
aufzusuchen, zu erkennen und in ihrem Lauf aufzudecken.
Betrachten wir in diesem Sinne mit Ueberlegung- das Brief-
chen an Frau VON Stein aus dem Sommer 1780, so fesselt
der sonderbare Ausdruck Goethe's, daß er den Plan des
neuen Dramas zusammengetrieben habe. Den Plan seiner
Dichtungen entwickelte er doch sonst einfach und ungezwungen
aus Verarbeitung eigener Erlebnisse, öffentlicher Zustände
oder literarischer Erscheinungen. ■ — Gerade zu jener Zeit
hatte er aber allerdings Dichtungen kennen gelernt, die ihn
durch ihre Fremdartigkeit einerseits, durch ihre Naturwahr-
heit andererseits mächtig anzogen, deren Verarbeitung aber
nicht so einfach zu bewerkstelligen war. Aus seinem Tage-
bucheintrag vom 10. Januar 1781 geht hervor, daß er da-
mals in Du Halde's -»Ausführlicher Beschreibung des Chi-
nesischen Reichs« gelesen hatte, und in diesem Werke hatte
er auch ein chinesisches Schauspiel und eine chinesische Er-
zählung gefunden, die eben seine ganze Aufmerksamkeit in
Anspruch nahmen. An verschiedenen Orten habe ich er-
ßA TU.« Dramatische Entwürfe Goethes.
schöpfend dargethan, und von anderen — Zarnxke, Mosch,
SeuffERT, Schlösser — sind meine Erörterungen weiter
verfolgt worden, daß nämlich Goethe zwar sich bemühte,
diese Dichtungen der deutschen Bühne anzueignen, daß er
sie aber zu diesem Zwecke gründlich umgestalten, vorzüglich
in eine Welt verlegen mußte, in der unsere Bühne hei-
misch war, und daß er diese Welt im alten Hellas fand,
dessen Sagen die zeitgenössische Bühne gern ihre Stoffe ent-
lehnte. Insonderheit waren es diejenigen Sagen, nach denen
E'.uripides die Tragödien »x^ntiope« und »Kresphontes« schuf,
von denen dann letzterer fernerweit von Maffei, VOLTAIRE
und Gotter als »Merope< bearbeitet war, welche Goethe
zur Europäisirung des gedachten chinesischen Schauspiel's
Beihilfe leisteten. Wenn er demnach aus diesen mehrfachen
Bühnenstücken sein neues entwickelte, so war es sehr be-
zeichnend, wenn er sagte, daß er den Plan dazu zusammen-
getrieben habe. Trifft dies nun bei dem daraus hervor-
gegangenen »Elpenor« zu, so ist es andererseits von Goethe'S
Dichtungen einzig und allein » Elpenor <, von der dies ge-
sagt werden kann.
Wird schon hiernach kein gegründeter Zweifel entstehen
können, daß wir unter dem neuen Drama im Sommer 1780
»Elpenor« zu erblicken haben, so wird dieses Ergebniß noch
durch eine andere Thatsache bekräftigt. Die schon ge-
nannten Forscher MosCH, Seuffert und SCHLÖSSER haben
des Näheren den Einfluß nachgewiesen, den vornehmlich
Gotters »Merope« auf die Ausgestaltung des »Elpenor«
gehabt hat. Nun war aber GoTTER im Juli und in der
ersten Hälfte des x-\ugust 1780 in Weimar (»Friedrich Wil-
helm Gotter« von SCHLÖSSER, 1895, S. 105 f 121), und es
zwingt dies beinahe zu dem Schlüsse, daß Gespräche mit
diesem Freunde GOETHE darauf geführt haben, Züge aus
dessen »Merope« bei Ausführung seines chinesisch-griechi-
schen Dramenstoffes zu benutzen. Daß »Merope« 1780
zwischen den beiden Dichtern kritisch zur Sprache gekommen
2. Das Entstehen der Elpexordichtung. 55
ist, darf vielleicht auch daraus entnommen werden, daß
Götter diese bedeutendste seiner Bearbeitungen französi-
scher Bühnenstücke nicht lange danach einer Umarbeitung
unterzog.
Ob Goethe nach dem Sommer 1780 seiner Beschäftigung
mit »Elpenor« irgendwo gedenkt, bevor er am ii. August 1781
die Feder deshalb ansetzt, ist zweifelhaft; ich bin indes ge-
neigt, die Stelle im Briefe an Frau V. Stein vom ii. Sep-
tember 1780 darauf zu beziehen, wo er schreibt:
»Ich habe .... mir eine neue Scene aus einem Trauer-
spiele vorgesagt, die ich wiederfinden möchte.«
Hätte er eine Scene aus »Tasso« gemeint — wie ver-
muthet worden ist — so würde er sich doch bestimmter
ausgedrückt haben; für »Elpenor« war jedoch eben damals
noch kein Name festgestellt.
Dem sei jedoch, wie ihm wolle, sicher ist, daß GoETHE
mit dem Plane auch dann noch nicht imreinen war, als er
bereits an dem Stücke geschrieben hatte. Zwar meldete er
schon acht Tage darauf, am 19. August 1781, daß er an
diesem Tage mit der zweiten Scene des neuen Stückes fertig
werde, allein es verlautet nicht, ob er später noch daran
nach dem damaligen Plan gedichtet habe, vielmehr theilt er
am 3. März 1783 KNEBEL mit:
»Ich hatte gehofft, das Stück, dessen Anfang Du kennst,
auch noch bis zum Ausgange der Herzogin fertig zu schreiben,
es ist aber unmöglich. Der alte Plan war fehlerhaft und ich
mußte es von vornherein neu umarbeiten.«
Da nun in Goethe's nächstvorhergehendem Brief an
Knebel vom 10. Januar 1783 von einer Dramendichtung
nicht die Rede ist, so folgt aus der Mittheilung vom 3. März
erstlich, daß er seit dem »Anfang« — also wohl seit der
am 19. August 1781 beendeten zweiten Scene — nicht wieder
daran gearbeitet, sodann, daß er eine neue Bearbeitung in
Angriff genommen, und endlich, daß er damit wahrscheinlich
nicht früher, als in den ersten Monaten des Jahres 1783
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 5
65 III- Dramatische Entwürfe Goethe's.
begonnen hat. Hiermit steht im Einklang, daß er erst am
2. März desselben Jahres an Frau V. Stein schreibt:
»An meinem Stück hab' ich gearbeitet. Es zieht sich
insweite und kriegt mehr Körper.«
Und am 5. ebendieses Monats:
»Mit Freuden meld' ich, daß meine zwei ersten Acte
fertig sind; mich verlangt. Dir zu lesen, was Du noch nicht
gehört hast.«
Es war dies also eine dritte Periode der Elpenordich-
tung, deren erste, vom Sommer 1780 bis 11. August 1781
die Ausbildung des Planes, die zweite, von da bis Anfang
1783, die erste Niederschrift des Anfangs des Dramas und
die nachherige Erkenntniß der Undurchführbarkeit dieser
Anlage, die letzte Periode endlich, vom Anfang des Jahres
1783 bis zu dessen 5. März, die Niederschrift der beiden
ersten Acte des neuen Planes umfaßt. Damit war das Drama
bis dahin gediehen, wo es verblieben ist. Der römische
Jurist Paulus sagt: Quod initio vitiosum est, no7i fiotest
tractu teinporis convalescere. Und für GOETHE war die
Inangriffnahme des »Elpenor« fehlerhaft; es war ein Fehler
für ihn, der nur aus den Tiefen seiner Persönlichkeit heraus
dichtete, eine Dichtung zu unternehmen, die auf Zuständen und
Anschauungen beruhte, die den unsrigen oft schlechthin wider-
streben, und sie den unsrigen anpassen zu wollen; denn hierbei
konnte er nicht dichterischen Eingebungen frei folgen, sondern
sah sich bei jedem Schritte gehemmt von ängstlicher Er-
wägung, wie das vorgesteckte Ziel mittels einer verwickelten
Geschichtserfindung zu erreichen sei. Hieran erlahmte end-
lich der Flug des Dichtergeistes und die Strafe des Fehl-
griffes war, daß die zu so schönen Erwartungen berechtigen-
den zwei Acte des »Elpenor« als Bruchstück verkümmerten.
Zur Vorgeschichte dieser Dichtung bis dahin, wo sie in
die Oeffentlichkeit trat, erübrigt nur noch kurz darauf zu
verweisen, daß jenes zuerst in rhythmischer Prosa geschriebene
Bruchstück im 1 1 . Bande der Weimarer Ausgabe von GOETHE's
2. Das Entstehen der Elpenordichtung. 6?
Werken (S. 339 ff.) zuerst gedruckt ist und daß ebenda
(S. 368 f.) berichtet wird, wie HERDER, als das Stück in
Goethe's erster Ausgabe seiner Werke erscheinen sollte,
angefangen hat, die Handschrift durchzugehen und dabei die
Prosa in Verse von ungleicher Länge abzutheilen, was GoETHE
bei Aufnahme des Bruchstückes in die Ausgabe der Werke
von 1806 mit Hilfe Riemer's durchführte. Nach der Dar-
stellung in der Weimarer Ausgabe (S. 368 f.) erscheint Goethe's
Betheiligung an der Zurechtstellung der Dichtung für die
Ausgabe der Werke geringer, als nach Goethe's Tagebuch
anzunehmen ist, demzufolge er sich am 24. Februar, 27. und
28. August, sowie 25. October 1806 damit beschäftigte.
Es mag wunderlich erscheinen, daß meine Untersuchungen
über »Elpenor« mit Feststellung der Anfänge schließen, es
liegt dies aber in der Natur der Sache: die Entwicklung
der Dichtung mußte klar sein, bevor die für den ersten
Anfang ausschlaggebende Zuschrift aus dem Sommer 1780
an Frau V. STEIN zu verstehen war. So schließen die Unter-
suchung-en sachgfemäß mit der Rückkehr zum Beginn.
IV.
Goethe mit Zeitgenossen.
Gem. V. Allton Graff
Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra
Zu V. Biedermann, Goetheforschungen III.
I.
Bildnisse zur Goethekunde.
iesem Bande der Goethe- Forschungen sind drei Bild-
nisse, eins von GoETHE und zwei von Personen,
die ihm näher verbunden waren, beigegeben.
Das Titelbildniß ist nach einer Bleistiftzeichnung
des Kupferstechers Heinrich Franz Brandt das Bild
Goethe's, wozu dieser ersterem bei seinen Studien für die
nachträglich zur Feier von Goethe's Dienstjubiläum des
Jahres 1825 zu prägende Medaille im März 1826 saß. Die
Zeichnung befindet sich im Königlichen Kupferstichcaljinet
zu Dresden; sie ist von ZarnCKE im kurzgefaßten Verzeich-
niß" der Originalaufnahmen von Goethe'S Bildniß auf Tafel 5
unter VIII verkleinert bekannt gemacht; das gegenwärtige
Bild ist in der Größe der Vorlage, die von der Königlichen
Direction des Kupferstichcabinets wohlwollend zur Verfügung
gestellt war. Eine Copie dieser Zeichnung von BRANDT selbst
befindet sich nach gefälliger Mittheilung des Geheimen Hof-
rath Dr. RULAND im GoetJie-Miiseiini zu Weimar.
Das nebenstehende Bild des Oberberghauptmann FRIED-
RICH Wilhelm Heinrich von Trebra ist nach einem
lebensgroßen Ölgemälde Anton Graff's, das jetzt dem
Pastor VON Zezschwitz, zu Wohlbach, gehört. Trebra
war einer der wenigen Dutzbrüder Goethe's. Die Schilde-
rung seines Lebens, seiner Persönlichkeit und seiner F"reund-
schaft mit GOETHE ist in meiner Schrift » Goethe und das
72
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
Säcksische Erzgebirge^ (Stuttgart, Cotta, 1877) enthalten.
In den letzten Jahren sind viele der, früher zu vermissen ge-
wesenen Briefe Goethe's an ihn nach den Abschriften im
GoetJiearchiv in der III. Abtheilung der Sophienausgabe von
Goethe's Werken veröffentHcht worden. Trebra's Bildniß
ist nur erst in einem Stich nach VoGEL VON VoGELSTElN
bekannt, das aber den geistvollen Zügen des Mannes nicht
entfernt gerecht wird.
Das am Schlüsse dieser, Goethe's Verhältniß zu Zeitge-
nossen gewidmeten Abtheilung befindliche Bild von SiLViE VON
Ziegesar ist einem Gemälde, von GERHARD VON KüDELGEN,
das vormals ihr verstorbener Sohn, Excellenz VON KOETHE in
Altenburg, besaß, entnommen. GOETHE kannte SiLViE seit
ihrer frühesten Kindheit, da er schon vor ihrer Geburt in deren
Elternhause verkehrte. Sie war am 21. Juni 1785 in Draken-
dorf, dem Rittergute ihres Vaters, damals Geheimer Rath und
Vicekanzler, geboren. Seit dem 24. October 1801, dem Tage
des ersten erhaltenen Briefes von GoETHE an sie, hat dieser
ihr über vierzig Briefe im herzlichsten Tone geschrieben. Die
Sophienausgabe bringt sie voraussetzlich alle, weßhalb hier
von deren Druck abzusehen ist. SiLViE vermählte sich 18 14
mit dem Professor und Garnisonsprediger KOETHE; GOETHE
sandte ihr bei dieser Veranlassung ein Exemplar von » Hermann
und Dorothea f. mit der Inschrift:
Der vereJiJ-ten Freiindinn
SiLviE VON Ziegesar
beglückwünschend
W. d. 6. Apr. 18 Iß. Goethe
Außer den, in Goethe's Werken mit ihrem Namen
stehenden Gedichten, ist auch die Ballade »Bergschlofs«. für
SiLViE geschrieben, und zwar infolge eines Spazierganges
mit ihr nach der Ruine Lobdaburg bei Jena.
Sie starb im November 1855.
2. Zu Caroline Schulze.
MW
m 0i
n der Weimarer Ausgabe von Goethe's Werken
sind die Verse »An Mademoiselle SCHULZE«, im
5. Bande unter Goethe's Gedichten ohne Vor-
behalt (Seite 55) aufgeführt. Das ist ganz gewiß
richtig, dennoch mag den bereits früher dargelegten Gründen
die Goethe als deren \"erfasser erscheinen lassen, noch
einer hinzugefügt worden. Diese Verse sind nämlich eine
Parodie des von der SCHULZE und ihrem Bruder bei ihrem
ersten xA.uftreten in Leipzig an das dortige Publikum ver-
theilten Gedicht's und die Parodie erfolgt ganz in derselben
Weise, in der GOETHE die Gedichte parodirte die Professor
Cladius bei dem Schluße des alten und der Eröffnung des
neuen Schauspielhauses verfaßt hatte. Beidemale verspottet
er Personen mit den Worten und Wendungen ihrer eignen
Gedichte. Das Gedicht der Geschwister SCHüLZE hatte
folgenden Wortlaut :
Stadt, wo in ihrem Heiligthum
Geschmack und Einsicht glänzen!
Wen Du erhebst, krönt wahrer Ruhm
Mit ewig grünen Kränzen.
74
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
Laß deines Lobes Melodie,
Laß sie auch uns erschallen:
Süß wird der Fleiß und leicht die Müh';
Befeuert ihn, belohnet sie
Das Glück, dir zu gefallen.
Die von mir früher angeführten Umstände im \'erein mit
der Aehnlichkeit der Parodie der SCHüLZE'schen und der
CLODlüS'schen Gedichts schließen wohl jeden Zweifel an
Goethe's Verfasserschaft, hinsichtlich der Verse an CAROLINE
Schulze aus. Bei dieser Gelegenheit nehme ich meine
frühere Vermuthung, daß sie nach dem 6. Mai geschrieben
seien, zurück; sie entstanden vermuthlich spätestens nach
dem ersten Auftreten der SCHULZE in -»Romeo und Julie v.
am 27. April 1767.
Matthai, der nachmalige Lehrer des Sohnes der Frau
V. BraNCONI spricht sich brieflich über das Tanzen der
Schulze sehr schroff aus: er tadelt ihre > üppigen und
geilen Sprünge« und sagt, sie mache »Geberden und
Stellungen, die kein rechtschaffenes x\uge sehen kann.« Ihr
tragisches Spiel entsprach dem gespreizten Tone der damals
noch vorherrschenden Trauerspiele alten Stils; als sie später
als Wittwe auf's neue sich der Bühne widmete, mißfiel sie, weil
inzwischen das natürliche Spiel durchgedrungen war.
Goethe's Erinnerungen an die Leipziger Bühne seiner
Studentenzeit sind mit denen an die damals jugendliche CARO-
LINE Schulze eng verknüpft, und so rechtfertigt sich hier
die Zusammenstellung der, während jener Zeit aufgeführten
Stücke, soweit sie aus bisher bekannten Mittheilungen zu
ermöglichen war.
Von Mitte October bis Mitte Dezember 1765.
Der Kaufmann von London, Trauerspiel von Lillo.
Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Lessing.
Zaire, Trauerspiel von Voltaire.
Cenie oder Die Großmuth im Unglücke, Schauspiel
von Frau v. Graffigny, übersetzt von Frau Gottsched.
2. Zu Caroline Schulze. 75
Die Poeten nach der Mode, Lustspiel von Weiße.
Die Verschwörung wider Venedig, Trauerspiel von Otway.
Tartuffe, Komödie von Moliere.
1766.
24. Jan. Die Mütterschule, Schauspiel von Nivelle de la
Chaussee, übersetzt von Eckhof.
26. Apr. Der Derwisch, Lustspiel nach dem Französischen.
28. Mai. Der lustige Schuster oder Zweiter Theil von:
Der Teufel ist los, Singspiel nach Coffey's The
Merry Cobler, übersetzt von Weiße, componirt von
Standfus; mit neuen Arien componirt von Hiller.
9. Juni. Das Herrenrecht, Lustspiel von Voltaire.
6. Aug. Der gelehrte Ignorant, Lustspiel von du Vaure.
28. Aug. Die verliebte Unschuld, Lustspiel von Marin.
? Der poetische Dorfjunker, Lustspiel nach La
fausse Agnese oit Le poctc campagnard von Des-
touches, bearbeitet von Frau Gottsched. (Da GOETHE
durch die lächerliche Tracht des Masuren dieses
Lustspiels bewogen wurde, seine ähnlichen alt-
väterischen Kleidungsstücke abzuschaffen, HoRN aber
noch am 12. xAugust 1766 an MoORS über GOETHE
schrieb: »alle seine Kleider, so schön sie auch sind,
sind von einem so närrischen Gout, der ihn auf
der ganzen Akademie auszeichnet,« so kann das
Stück nicht früher, als um diese Zeit aufgeführt
worden sein).
8. Sept. Amalie, Lustspiel von Weiße.
5. Oct. — — — Rede beim Schluß des alten Schauspiel-
hauses von Clodius.
10. Oct. Rede bei Eröffnung des neuen Schauspielhauses
von Clodius. Hermann, Trauerspiel von Schlegel.
Die unvermuthete Wiederkunft, Lustspiel von
Regnard mit einem Schäferballet.
11. Oct. Die Aufführungen vom 10, October wiederholt.
1^
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
24. Nov. Lisuart und Dariolette, Singspiel von Schiebeier,
componirt von Hiller.
26. Nov. Voriges wiederholt.
4. Dec. Der Naturaliensammler, Lustspiel von Weiße.
? Der Hausvater, Schauspiel von Diderot (nicht in
Lessing's Uebersetzung.)
1767.
2. Jan. — — — • nach Le curieiix impertinent , Lustspiel
von Destouches, (wohl das Stück, in dem Goethe
den Schauspieldirector BRÜCKNER als Crispin sah.)
7. Jan. Lisuart und Dariolette, vom Verfasser ver-
bessert und erweitert, sowie in drei Aufzüge getheilt.
28. Jan. Atreus und Thyest, Trauerspiel von Weiße,
(worin der damals neue jambische Fünffüßler den
Schauspielern Schwierigkeiten machte.)
30. Jan. Lisuart und Dariolette.
ii.Fbr. Der Mißtrauische gegen sich selbst, Lustspiel
von Weiße.
Einigemal bis zum Bühnenschluß wiederholt.
2. Mrz. DieSchule derjünglinge, LustspielvonSchiebeler.
3. Mrz. Wiederholt.
5. Mrz. Rede zum Friedrichstage von Clodius. Polyeuct,
Trauerspiel von Corneille.
6. Mrz. Voriges wiederholt. (Schluß der Vorstellungen.)
22. Apr. Cenie, Wiederaufnahme der Vorstellungen; in dem
Stücke trat zuerst die Schulze und zwar in der
Titelrolle auf. Das Leben der Bauern, Ballet
von Karl Schulze (worin die Schulze tanzte.)
23. Apr. Die dreifache Heirat h, Lustspiel von Destouches,
Musik von Weinlich.
24. Apr. Richard IIL, Trauerspiel von Weiße (zum ersten
Mal; die Schulze gab die Königin Elisabeth.)
25. oder Lottchen am Hofe, Singspiel von Weiße und
26. Apr. Hiller.
27. Apr. Romeo und Julie, Trauerspiel von Weiße, (die
2. Zu Caroline Schulze.
n
29. Apr.
30. Apr.
4-
Mai.
6.
Mai.
7-
Mai.
10.
Mai
12.
Mai
13-
Mai
17-
Mai
18.
Mai
24.
Mai
Mehr-
mals
wieder- ''
holt.
22. Juni.
29. Juni.
10. Juli.
17. Juh.
2 1. Aug.
24. Aug.
28. Aug.
3- Spt.
22. Spt.
Schulze als Julie; mit ihr wurde das Stück neun-
mal wiederholt.)
Die neue Weiberschule, Lustspiel von Moissy.
Divertissement von Löhlein.
Miß Fanny oder Der Schiffbruch, Trauerspiel
von Brandes, (wohl nicht schon am 28. April.)
Die wahre Liebe, Nachspiel.
Romeo und Julie.
Lottchen am Hofe.
Romeo und Julie.
Miß Fanny.
Lottchen am Hofe.
Lottchen am Hofe.
Romeo und Julie.
Die neue Weiberschule.
Die dreifache Heirath.
Mehrmals wiederholt:
Richard III.
Der Mißtrauische gegen sich selbst.
Lisuart und Dariolette.
Amalia.
Die Schule der Jünglinge.
Der Weise in der That, Lustspiel von Sedaine.
Romeo und Julie, (mit Aenderungen und erst-
malig mit Juliens Tod, unter Weglassung der Ver-
söhnung der Capuleti und Montecchi, schließend.)
Lottchen am Hofe.
Der seltsame Zufall, von Goldoni.
Wiederholt.
Medon oder Die Rache des Weisen, Lustspiel
von Clodius.
Wiederholt.
Die zärtliche Tochter, Rührspiel (ausgepocht.)
Der Liebesteufel, Lustspiel nach Le Grand mit
Gesängen, componirt von Hiller.
78
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
30. Spt. Das neugierige Frauenzimmer, Lustspiel von
Goldoni (oft wiederholt.)
Spt. Medon, öfter wiederholt.
3. Oct. Die Muse, Nachspiel von Schiebeier mit Gesängen,
componirt von Hiller, (öfter wiederholt.)
5. Oct. Lottchen am Hofe.
6. Oct. Wiederholt.
r Romeo und Julie.
r Das neugierige Frauenzimmer.
? Der wahre Freund, Lustspiel von Goldoni.
19. Oct. Rosemunde, Trauerspiel von Weiße, (die Schulze
als Albisswinth.)
7. Nov. Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Lessing
(die Schulze Sara; bei dieser Aufführung war Goethe
erweislich zugegen.)
10. Nov. Wiederholt.
18. Nov. Minna von Barnhelm, Lustspiel von Lessing
(mit der Schulze als Minna.)
20. Nov. I
22. Nov. > Wiederholt.
25. Nov.)
1. Dez. Die junge Indianerin, Nachspiel nach Champ-
fort von Brandes.
2. Dez. Minna von Barn heim.
3. Dez. Die junge Indianerin.
r Kindliche Zärtlichkeit und Liebe.
? Der Krieg, Lustspiel von Goldoni.
? Die verstellte Kranke oder Der taube Apo-
theker, Lustspiel von Goldoni.
28. Dez. Die Freundschaft auf der Probe, Lustspiel
von Weiße.
1768.
4. Jan. Der Zweikampf, Lustspiel von J. L. Schlosser.
14. Jan. Der Krieg,
15. Jan. Wiederholt.
2. Zu Caroline Schulze. 70
2 2. Jan. Der Zweikampf.
25. Jan. Der Schein betrügt, Lustspiel von Brandes.
26. Jan. Der Krieg.
5. Fbr. Der Zweikampf.
9. Fbr. Miß Fanny.
10. Fbr. Der Schein betrügt.
12. Fbr. Die verstellte Kranke.
15. Fbr. Der Krieg.
17. Fbr. Miß Sara Sampson, (letztes Auftreten der Schulze
im Schauspiel.)
19. Fbr. Polyeuct. Der bezauberte Wald, Ballet von
K. Schulze; darin letztes Auftreten der Schulze in
Leipzig. Schluß der \'orstellungen.)
3. Mrz. Prolog zur Vorfeier des Friedrichstages von
Clodius. Kanut, Trauerspiel von Schlegel.
4. Mrz. Wiederholt. (Schluß der Vorstellungen.)
6. Apr. Eugenie, Schauspiel von Beaumarchais übersetzt
von Schwan.
11. Apr. Wiederholt.
18. Apr. Der Vormund, Lustspiel von Goldoni.
26. Apr. Der Zweikampf.
29. Apr, Eugenie.
2. Mai. Der Schein betrügt.
9. Mai. Der Vormund.
13. Mai. Der Galeerensklave, Schauspiel von Fenouillot
de Falbaire.
16. Mai. Wiederholt.
18. Mai. Die Liebe auf dem Lande, Singspiel von Weiße,
componirt von Hiller.
20. Mai. Wiederholt.
21. Mai. Der Lügner, Lustspiel von Goldoni.
25. Mai. Der Vormund (oder Der Lügner?)
? Der Triumph der guten Frauen, Lustspiel von
Schlegel.
15. Juni. Der Weise in der That.
3o IV. Goethe mit Zeitgenossen.
i8. Juni. Der Hausvater.
22. Juni. Der Weise in der That.
25. Juni. Der Galeerensklave.
29. Juni. Die Liebe auf dem Lande.
23. Juli. Der ehrliche Avanturier, Lustspiel von Goldoni.
r Wiederholt.
20. Aug. Der Graf von Olsbach oder Die Belohnung
der Rechtschaffenheit, Lustspiel von Brandes.
23. Aug. Der Philosoph ohne es zu wissen, (geänderter
Titel von Sedaine's Le pliüosophe sans le savoii',
vorher: Der Weise in der That.)
i?t#^
3. Goethe und Heinrich Leopold
Wagner.
ie leicht Eitelkeit den Menschen über seine Leistungs-
tähigkeit täuscht, kann man alle Tage beobachten;
nur in den streng abgeschlossenen Wissenschaften
macht sich die Neigung, ohne Befugniß mitzureden,
nicht sehr breit, weil zu viel ernster Fleiß dazu gehört, um
überhaupt nur die dort behandelten Fragen zu begreifen,
ernster Fleiß aber auch über die Grenzen eignen Könnens
einigermaßen aufklärt. Wenn jedoch die Wissenschaft Gegen-
stände behandelt, deren sich das Leben bereits bemächtigt
hat, dann wird ihr das Vorwärtsschreiten oft vergällt.
Das muß auch die GOETHE-Kunde häufig erfahren ; Jeder,
der Gefallen an einigen Gedichten Goethe's gefunden, glaubt
schon absprechen zu können über alles, was die wissen-
schaftlich betriebene Forschung zursprache zu bringen für
nöthig hält, um GoETHE im ganzen Umfange seines ge-
waltigen Geistes, seiner hohen Gesinnung, seiner gesammten
phänomenalen Wesenheit, soweit möglich, zu begreifen und
seine Dichtungen zugänglicher, genußbringender, fruchtbarer
zu machen, als sie es ohne tief eindringende Bemühung sein
können. Solche absprechende Schwätzer finden hauptsäch-
V. Biedermann, Goetheforschungen III. ^ 6
32 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
lieh Gelegenheit, zu Worte zu kommen, wenn sie ein Buch
aus dem Bereich der GOETHE-Kunde in Zeitschriften anzuzeigen
haben; was dabei zuweilen für beschränkte Gesichtspunkte
und Oberflächlichkeiten zu Tage kommen, ist unglaublich.
Ausführlicher darüber zu reden, lohnt indessen nicht die Mühe.
Aus der engen Verknüpfung der GOETHE-Wissenschaft
mit dem lebendigen Genuß GOETHE'scher Dichtung ent-
springen aber noch andere Eingriffe, die ernsterer Natur sind.
Jene Macht, welcher alles daran gelegen ist, sich eine unter-
würfige Menge in unwürdiger Beschränktheit zu erhalten, um
sie zu ihren Zwecken willenlos gebrauchen zu können, jene
Hierarchie, welche sich verruchter Jesuitenwirthschaft bedient,
um unter dem Deckmantel der Religion ihrem Eigennutz
und ihrer Herrschsucht zu fröhnen, indem sie die höchsten
Bestrebungen des Menschengeschlechts niedertritt — ■ jene
Macht also muß ihren schlimmsten Feind in dem Manne er-
blicken, der auf der Höhe der Menschheit steht und es wie
selten ein Mensch verstanden hat, nach- und heranzuziehen,
so daß sein Sieg den Untergang der Mächte der Finsterniß
bedeutet. In Nr. i und 2 der diesjährigen ■» Grenzboten i-
ist unter der Ueberschrift » Goethe- und Schillerhetzer <s- dieser
Gegenstand trefflich behandelt, wobei wir es bewenden lassen.
Augenblicklich ist es die Schrift, welche vorstehende Be-
trachtungen veranlaßt hat: »GOETHE und HEINRICH LEOPOLD
Wagner. Ein Wort der Kritik an unsere GOETHE-Forscher
von Dr. Johann Froitzheim«. (1889.) Der Verfasser wirft
somit der gesammten GOETHE-Forschung den Fehdehandschuh
hin. Er wird aufgenommen und wenn es nun heißt: hie
Froitzheim, hie Goethe -Forschung! so wird sich bald
zeigen, auf wessen Seite der Sieg, d. h. die Kritik, ist.
Es ist der Abschnitt ^y Prometheus, Deukalion und seine
Recensenten'i , den wir hier in's Auge fassen. Der Thatbe-
stand, um den es sich hierbei handelt, ist im Wesentlichen
folgender.
Ende Februar 1775 erschien unter demselben Titel, den
Goethe und Heinrich Leopold Wagner.
83
dieser Abschnitt der FROITZHEIM'schen Schrift führt, ein Heft
in Knitteh^ersen, wie solche GOETHE in dem »Neueröffneten
moralisch-politischen Puppenspiel« gebraucht hatte, worin die
Recensenten der »Leidendes jungen Werther's« unter Bildern
verschiedener Thiere vorgeführt und durchgehechelt wurden.
Von Anfang an wurden bald GoETHE, bald HEINRICH LEOPOLD
Wagner als Verfasser bezeichnet. Deßhalb erließ GOETHE
unterm 9. April 1775 mittels eines gedruckten Blattes eine
Erklärung, worin es hieß: »Nicht ich, sondern H. L. Wagner
hat den Prometheus gemacht und drucken lassen ohne
mein. Zuthun, ohne mein Wissen. Mir war's wie meinen
Freunden und dem Publico ein Räthsel, wer meine Manier,
in der ich manchmal Scherz zu treiben pflege, so nachahmen
und von gewissen Anekdoten unterrichtet sein konnte, ehe
sich mir der Verfasser vor wenig Tagen entdeckte.«
Trotzdem beharrten mehrere Personen dabei, daß GOETHE
die Satire geschrieben habe. Diese glaubten, GoETHE habe
Ursache gehabt, sich zu verleugnen, weil im ■* Prometheus «■
eine, die scliuldige Verschwiegenheit verletzende Anspielung
auf seine Zusammenkunft mit dem Herzog von Weimar in
Mainz enthalten war, weßhalb er seinen Freund WagNER
vermocht habe, die Verfasserschaft auf sich zu nehmen.
Diese Meinung unterstützte der, mit GOETHE von Wetzlar
her bekannte V. Bretschneider durch die Versicherung,
Goethe habe persönlich die Thierbilder zum y> Prometheus ^
beim Formschneider Dannhäuser in Offenbach bestellt. Da-
zu kam drei Jahre später, daß der Dichter SPRICKMANN an
BoiE schrieb, Wagner habe ihm, aber erst damals, gesagt,
Goethe sei der Verfasser des •»Projnetheus'i.
Seit einiger Zeit ist es bei literaturgeschichtlichen Er-
örterungen zur Sitte geworden, verblüffende Behauptungen
aufzustellen und, da diese der Natur der Sache nach nur
durch schwache Gründe vertheidigt werden können, nach Art
der Taschenspieler die Aufmerksamkeit von Betrachtung der
schwachen Gründe durch rabulistisches Ausdeuteln und Qt-
84
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
künsteltes Aufbauschen einer Fülle von nebensächlichen Um-
ständen, die der aufgestellten Behauptung günstig scheinen,
abzulenken. In solchem Verfahren nach berühmten Mustern
hat sich nun auch FroITZHEIM versucht, indem er die Be-
hauptung verficht, Goethe's am 9. April 1775 ausgestellte
und dem Sinne nach in dem 18 14 erschienenen III. Theile
von -»Dichtung und Wahrheit i wiederholte Erklärung ent-
halte eine Lüge, indem er nur den geldbedürftigen WagNER
bestochen habe, sich die Nennung als Verfasser des »Promc-
theus«- gefallen zu lassen.
Um die aufgeworfene Frage gewissenhaft zu erörtern,
wollen wir zunächst die belanglosen Nebengründe Froitz-
HEIM'S durchgehen und uns dann erst zu den Gründen wenden,
welche allerdings der Erwägung bedürfen.
Vorerst heftet sich FROITZHEIM (S. 14) daran, daß
Wagner, nachdem Goethe ihn als Verfasser des »Prome-
theus« öffentlich genannt hatte, von Frankfurt nach dem
benachbarten Höchst gezogen war. Darüber, daß dieser
Wohnungswechsel in irgendwelcher Beziehung zu dieser Ver-
fasserschaft gestanden habe, fehlt uns aller Anhalt und da-
her können sonstige von der Unzahl von Gründen, welche
andere Menschen zu einem Wohnungswechsel veranlassen,
auch Wagner bestimmt haben. Aber FROITZHEIM findet
diesen Umzug so »seltsam«, daß er ihn nur aus einem ganz
außergewöhnlichen Grund erklären zu sollen vermeint, und
er findet ihn in V. Bretschneider'S Aeußerung (S. 23),
daß Wagner von Jedermann ausgelacht und für einen
schlechten Menschen gehalten werde, der für baares Geld
sich zu allem brauchen lasse, weßhalb — sagt FROITZHEIM
— er sich nun vor dem allgemeinen Sturm zu retten ge-
sucht habe.
Gesetzt, daß dies richtig sei, was hat das aber mit der
Verfasserschaftsfrage hinsichtlich des ■>■> Prometheus <■< zu schaffen?
Diese FROlTZHElM'sche Schlußfolgerung ist ein wahrer salto
mortale, mit dem er die unentbehrlichen Mittelglieder über-
3. Goethe und Heinrich Leopold Wagner. 85
springt; denn wenn auch Wagner sich vor dem allgemeinen
Sturm zu retten Ursache gehabt haben sollte, so war dieser
Sturm eben eine Tyrannei der öffentlichen Meinung, gegen
die anzukämpfen er — gleichviel, ob dieselbe gegründet
war oder nicht — - den Muth nicht besaß.
Ebenso schlägt Froitzheim mit seiner Logik eine Volte
in Anknüpfung an den Umstand, daß GOETHE in der Zeit
vom 5. September bis 18. October 1775 acht Briefe an
Wagner von Frankfurt nach Höchst geschrieben hat. Erich
Schmidt hat vermuthet, daß darin über die Uebersetzung
von Mercier's Noiivel essai sur le thcatre verhandelt worden
sei, in Bezug worauf Froitzhelm bemerkt: das müßte erst
bewiesen werden; sonach glaubt er, seine Behauptung (S. 23)
erwiesen zu haben, daß der eifrige Briefwechsel Goethe's
mit Wagner gerade im September und October 1775 —
d. h. zu der Zeit, als die Besprechung des ■» Prometheus i^ in
der y> Allgemeinen Deutschen Bibliothek«, erschien — auf-
fällig, indessen aus der Dringlichkeit eines besonderen Zwischen-
falles leicht erklärlich sei. Nach dem Beweise dieser Auf-
stellung sehen wir uns vergeblich um; Froitzheim giebt da-
für das Taschenspielerstück, daß er an das »Herz« des »un-
befangenen Lesers« (soll heißen: unkundigen und unaufmerk-
samen) appellirt. Wer aber dem Taschenspieler auf die
Finger sieht und sich durch die Geschwindigkeit, mit welcher
das gläubige Herz an die Stelle des prüfenden Verstandes
gesetzt wird, nicht überrumpeln läßt, der fragt sich erstaunt,
wie Froitzheim auf den Gedanken, oder vielmehr auf den
Einfall kommt, daß jene Briefe Goethe's die angeblich er-
logene Verfasserschaft Wagner's zum Gegenstand gehabt
haben. Angenommen, sie wären über y> Pj'ometheus <(■ infolge
der Berliner Recension geschrieben worden, können sie nicht
z. B. ebensowohl von GOETHE geschrieben worden sein, um
über die Einmischung des Formenschneiders Dannhäuser
Auskunft zu verlangen, oder sich darüber auszusprechen?
Froitzheim hat sich nicht die Mühe genommen, anzudeuten.
85 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
wie er sich den Inhalt von acht Briefen über den von ihm
vorausgesetzten Gegenstand denkt.
Die Kritik der GOETHE-Forscher — die, v^ie Froitzheim
sagt, eine andere ist, als die seinige — wird zunächst fragen,
ob denn wirklich die Abfertigung von acht Briefen an einen
Freund bei GoETHE »auffällig« sei, und wird die Frage ent-
schieden mit Beweisen verneinen. Wenn der junge GOETHE
einmal im Zuge war, einer befreundeten Person Briefe zu
schreiben, dann kargte er nicht damit. So richtete er in
derselben Zeit von sechs Wochen, von Mitte September bis
Ende October 1775, gleichfalls acht Briefe an Kestner,
und daneben einen an CllARLOTTE BUFF, und hat in den
letzten sechs Wochen 1773 sogar neun an ersteren abge-
sandt; noch mehr — zehn Briefe — erhielten von ihm zu
gleicher Zeit wie Wagner, Lavater, sowie in den sechs
Wochen von Anfang März bis Mitte April JOHANNA Fahlmer.
Wenn von Briefen an Wagner nichts weiter bekannt ist,
so erscheint dies ganz natürlich, da dieser vorher mit GoETHE
in Einer Stadt wohnte, und sonach die angestaunten acht
Briefe nichts weiter sein möchten, als Fortsetzung des per-
sönlichen Verkehrs. Also wenn FROITZHEIM die fraglichen
acht Briefe auffällig findet, so liegt das nur an ihm.
Ebenso leichtfertig benutzt FROITZHEIM (S. 22) einen
anderen Umstand zur Vertheidigung der eingebildeten Ver-
fasserschaft Goethe's. Er findet es nämlich »wunderbar«,
daß der »scharfsichtige« GOETHE erst wenige Tage vor dem
9. April durch Wagner selbst erfahren haben wolle, daß
er der Verfasser sei, während in einem vor dem 28. März
1775 geschriebenen Briefe aus Frankfurt (S. 1 5) schon Wagner
als Verfasser genannt war. Wo aber hier das Verwunder-
liche liegen soll, ist unerfindlich! Führt uns doch FROITZHEIM
selbst gleich dabei die Stelle eines Briefes von GOETHE an
Johanna Fahlmer an, worin jener schreibt: er werde sich
um den Autor keine Mühe geben, der Freundin aber auch
nicht auf die Spur helfen. Also da hat GOETHE ja gerade
3. Goethe und Heinrich Leopold Wagner. g?
— man sollte meinen, für jedermann deutlich — zugegeben,
daß sein Scharfsinn schon auf den Verfasser verfallen sei,
er die Spur aber nicht verfolgen wolle; er war zu gewissen-
haft, jemand zu beschuldigen, und wartete deßhalb, bis
Wagner freiwillig sich ihm entdeckte. Froitzheoi ver-
dunkelt muthwillig diesen klaren Sachverhalt.
Geradezu komisch naiv erscheint Froitzheim's Ansicht
über Beweiskräftigkeit in Bezug auf ein paar Aeußerungen
des Buchhändlers Deinet, deren angebliche Unterschlagung
durch Erich Schmidt er diesem hoch anrechnen zu dürfen
glaubt. Die erste ist (S. 24), daß Klopstock im März 1775
bei seiner Durchreise durch Frankfurt nicht, wie früher ein-
mal, bei Goethe, sondern im Gasthofe gewohnt habe. Wäre
dies auch mit Rücksicht auf :> Prometheus 1. geschehen —
was, wie Froitzheim versichert, jenem Deinet »einleuchtend«
gewesen sei — wieso ist dies denn für Goethe belastend?
Was kann er denn dafür, daß Klopstock sich Wahnvor-
stellungen hingiebt? Goethe hatte übrigens damals noch
nicht öffentlich Wagner als Verfasser genannt.
Die andere von Froitzheim als Schuldbeweis gegen
Goethe herbeigezogene Aeußerung Deinet's (S. 24) ist die
briefliche: » Ein [zu] bewundernder WERTHER-Kopf. Ich möchte
aber nicht in einer Stadt wohnen, deren dritter Theil Ein-
wohner so dächten, wie er.« Den letzten Satz hat Froitz-
HEOI sogar fett drucken lassen, es ist ihm aber dadurch
doch nicht gelungen, demselben ein Gewicht zu geben, dessen
er an sich entbehrt. Mit jener Aeußerung wird doch nur
dasselbe ausgedrückt, was Merck bezüglich Goethe's an
Nicolai schreibt: »Ein Genie ist einmal ein böser Nachbar.«
Also das zielbewußte, rücksichtslose Geltendmachen seines
Willens ist es, was das Genie unbequem macht und auch
von Goethe mehrseitig, nicht nur in den angeführten beiden
Stellen, bezeugt ist. Wenn daher FROITZHEIM erklärt, schon
die erste der von ERICH SCHMIDT übergangenen Aeuße-
rungen sei für »Goethe'S Autorschaft Beweis genug«, so
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
kann man sich nur über die Kühnheit wundern, mit welcher
uns zugemuthet wird, Willkür für Logik zu nehmen.
Nicht einmal zu einfachem Verständniß des Wortsinnes
bringt es Froitzheim durchgängig. Umi seine Behauptung
von Goethe's Verfasserschaft des >^ Prometheus « zu belegen,
führt er u. a. (S. 25) an, GOETHE habe, um seine geniale
Arbeit dem minderbegabten Wagner, ohne verrathen zu
werden, aufhängen zu können, nach Art der Schuljungen
eine »Glanzstelle» ausgeschlossen, deren er in -»Dichtung
und Wahrheit 1. gedenke, »wovon in dem uns überlieferten
•»Prometheus-» kein Sterbenswort steht». Er meint die Stelle,
worin GoETHE von den Thieren im » Prometheus 1. spricht,
»die den Bildner in seiner Werkstatt irre zu machen suchen,
während dieser ohne sonderliche Notiz zu nehmen seine Ar-
beit fortsetzt und dabei nicht verschwieg, wie er es über-
haupt zu halten gedenke«. Diese »Glanzstelle« steht aber
für die Mehrzahl der Menschen verständlich in den Worten:
Den Spektakel auf einmal zu enden,
Hätt' freilich Prometheus die Mittel in Händen;
Doch da er zu groß denkt, Insecten zu jagen.
Mag ihnen Epilogus die Meinung sagen.
Also für Hrn. FROITZHEIM prosaisch: GoETHE nimmt keine
Notiz von dem Ungeziefer der Recensenten und denkt zu
groß, um es überhaupt anders zu halten. Das ist dasselbe,
was in >^ Dichtung imd Wahrheit '^ angedeutet wird.
Wenden wir uns nun von den, für Froitzheim's Zweck
geradezu w^erthlosen Anführungen zu denjenigen, welche
allenfalls Goethe's Wahrheitsliebe und Ehrenhaftigkeit in
Zweifel zu ziehen gestatten können. Es handelt sich hier-
bei um eine Anklage gegen GOETHE, und da ist es in der
Ordnung, wenn ein Rechtskundiger ein Wort mitspricht und
urtheilt, ob die vorliegenden Verdachtsgründe genügen, den
Angeklagten schuldig zu finden, oder ihn wenigstens — wie
es im früheren Criminalprozeß hieß — nur in Mangel aus-
reichenden Verdachts freizusprechen.
Goethe und Heinrich Leopold Wagner.
89
Erster Belastungszeuge ist v. Bretschneider, welcher
dem Feinde GOETHE'S, NICOLAI in Berlin, aus Usingen mit-
theilte, Goethe habe die Thierbilder zu ^ Prometheus <(~ selbst
gezeichnet und beim Formschneider DannhäUSER zu Offen-
bach die Holzschnitte darnach persönlich bestellt. Um dieser
Zeugenaussage irgend welchen VVerth beilegen zu können,
müsste man wissen, auf welchem Wege und durch welche
Personen V. BRETSCHNEIDER dies Alles erfahren, namentlich,
ob DannhäUSER Goethe wirklich gekannt hat. Wie die
Sache jetzt liegt, gründet sich V. Bretschneider's Angabe
lediglich auf Hörensagen, ist also für die Beweisführung an
sich völlig werthlos; sie hätte nur als Fingerzeig für ein-
gehende Untersuchung dienen können. Froitzheim ahnt
selbst so etwas, indem er (S. 22) sagt: »In unserem kritischen
Zeitalter würde man allerdings ein Uebriges gethan und die
Aussage DannhäUSER's durch Protokoll oder [!] Zeugen*)
festgestellt haben; allein für jene Zeitliat V. BRETSCHNEIDER
unleugbare Akribie bewiesen.« Das ist eben das von Froitz-
HEIM wiederholt angewandte Taschenspielerstück, etwas zu
sagen, was an geeigneter Stelle ganz richtig ist, aber mit
der zu entscheidenden Frage schlechterdings nichts zu thun
hat. Jene Bemerkung wäre ganz gut, wenn es sich darum
handelte, V. BRETSCHNEIDER zu entschuldigen, daß er der
Sache nicht gründlicher zu Leibe gegangen ist, allein da unser
Zeitalter mehr Kritik für nöthig hält, als FROITZHEIM, so ist
eben durch V. Bretschneider'S Unterlassung unseren Zeit-
genossen unmöglich gemacht, seine Aussagen gegen GOETHE
gelten zu lassen. Aber nicht blos unseren Zeitgenossen, auch
den damaligen ist V. Bretschneider's Mittheilung nicht zu-
verlässig genug erschienen, um GOETHE als Verfasser nam-
haft zu machen; denn NICOLAI würde sich die Gelegenheit,
den verhaßten GOETHE wegen Ableugnung der Verfasser-
schaft der Lüge zu zeihen, nicht haben entgehen lassen, wenn
*) Froitzheim meint nämlich : durch Zeugen zu Protokoll.
90
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
er es sicher gekonnt hätte. Anstatt dessen sagt er bei Be-
sprechung des -»PronieiheiiSf- in der ^^Allgemeinen deutsche7i
BibliotJLeki- nur: »Ob Wagner, oder ein Anderer der Ver-
fasser sei, steht indessen noch dahin und möchte am sichersten
bei dem Formschneider DaNNHÄUSER in Offenbach zu er-
fahren sein.« Aber so viele Leute darnach strebten, die
Zweifel über die fragliche Verfasserschaft zu heben, so ver-
lautet doch nirgends, daß irgendjemand DANNHÄUSER be-
fragt und Bestätigung des durch V. Bretschneider auf-
gebrachten Verdachts erhalten hätte.
Froitzheim's weitere Bezugnahme auf des Dichters
SpriCKMANN Nachricht, daß Wagner im Jahre 1778 ihm
gesagt, Goethe habe den >■> Prometheus << geschrieben, ent-
behrt nicht minder der Beweiskraft und zwar hauptsächlich,
weil der Aussagende ein verdächtiger Zeuge ist. Dies ist
er nicht sowohl, weil er in eigener Sache ohne die Controle
der Oeffentlichkeit — wie GoETHE — aussagt, als vielmehr
darum, weil Wagner's Aussage voraussetzt, daß er früher
behülflich gewesen sei, eine lügenhafte Veröffentlichung durch
sein Schweigen zu unterstützen, als es ihm Vortheil brachte,
und weil deßhalb der Verdacht gerechtfertigt ist, daß er jetzt
ebenso lügt, nachdem ihm die Verfasserschaft des » Prometheus «
Nachtheil gebracht hatte. (Vergl. S. 18 und 24 f.) Jeden-
falls müsste man die nächste Veranlassung zu Wagner'S
sonst nirgends bekundetem Widerruf kennen, um ihm auch
nur die geringste Bedeutung einzuräumen; auch müsste der
Wortlaut desselben verbürgt sein, da Wagner möglicher-
weise nur die ohnehin nicht bezweifelte Wiedergabe Goethe'-
scher Scherze im y> Prometheus « behauptet hat. Der Wider-
ruf ist sogar unwahrscheinlich, da Wagner noch in der
Anzeige seines 1779 erfolgten Todes als »Verfasser des
Prometheus» bezeichnet wird.
Wie dieser letzte Umstand schon zugunsten der Zu-
verlässigkeit der GOETHE'schen Erklärung spricht, so auch
namentlich der ruhige, würdige Ton derselben, der für das
3. Goethe und Heinrich Leopold Wagner. gi
reine Gewissen zeugt: »Ich glaube diese Erklärung denen
schuldig zu sein, die mich lieben und mir aufs Wort trauen.«
Andererseits konnte GoETHE, wenn er thatsächlich der Ver-
fasser war, aber kein ausgepichter Hallunke, nicht zu V. Bret-
SCHNEIDER Sagen (S. 17), der Verfasser sei eine Canaille.
Ich hoffe, daß dies auch für FroitzhEIM überzeugend ist.
Goethe hat niemals seine ärgsten, auch die ihm hinter-
drein höchst unangenehmen Spottgedichte verleugnet; denn
obwohl auf den Titeln des ^^ Puppenspiels ^ und von y> Götter,
Helden und lVieland<i sein Name nicht stand, so wurde er
doch sofort als Verfasser genannt und er — trotzdem der
Druck der letztgedachten Posse nicht durch ihn selbst ver-
anstaltet war — bekannte sich dazu ohne Widerrede.
Es wäre unbegreiflich, wie GOETHE dazu gekommen
sein sollte, durch y> Prometheus 1 wieder mit WiELAND an-
zubinden, nachdem er ihm erst infolge der Mainzer Zusammen-
kunft mit Karl August versöhnlich geschrieben hatte. FROITZ-
HEIM sieht auch selbst diesen Widerspruch ein und versucht
ihji zu lösen, schießt aber dabei ganz in's Blaue. Er meint
nämlich, durch die -»grobe Satire <i NICOLAIS gegen »Die
Leiden des jungen Werther« sei GoETHE in leidenschaftliche
Aufwallung gerathen (S. 27). Wie aber alle Aeußerungen
Goethe's über »Die Freuden des jungen Werther« nur
spöttisch oder verächtlich lauten, so hätte FROITZHEIM be-
sonders aus der »Anekdote zu den Freuden des jungen
Werther« sich überzeugen können, daß Goethe sich keines-
wegs leidenschaftlich erregt fand, und er auch das bischen
Verdruß, das ihm NlCQLAl's plumper Spott etwa bereitet
hatte, nach seiner Gewohnheit durch die »Anekdote« über-
wunden hatte. Und daß jene vermeintliche leidenschaftliche
Aufwallung sich g&g'tn WiELAND, wegen dessen etwa gleich-
zeitiger Auslassung gegen Lenz, hätte richten sollen, während
Goethe'n jetzt daran lag, sich mit WiELAND gut zu stellen,
ist eben wieder eine ganz willkürliche Combination.
Eine ebenso unnöthige Herbeiziehung ist die Stimmung,
92
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
in der DeinET sich gegen GoETHE befunden haben soll (S. 24).
Wenn derselbe »sich durch GoETHE beleidigt wußte,« oder
überhaupt durch y> Prometheuse , wer ihn auch geschrieben
haben mochte, so würde er offenbar in seiner Zeitschrift
eine günstige Erwähnung des •» Prometheus « nicht mehr zu-
gelassen haben. Nun wird aber in dem Stück der y> Frank-
furter gelehrten Anseigen >.<. vom 3. und 6. October 1775 über
die unter dem Titel y> RJieiniscJier Most« zusammengefaßten
Stücke zuerst im Allgemeinen gesagt:
hab' lang nichts so gutes gekost't —
und sodann vom ■» P^'otnetheus «■ insbesondere:
Das nun kömmt, das gefällt mir bas.
Glaub's soll der Kasten Noä sein;
Stehen allerhand Thiere drein.
Deinet scheint auch davon, daß man die Gans im y> Prome-
theus« auf ihn deutete, nicht unterrichtet gewesen zu sein,
oder es doch nicht für richtig gehalten zu haben.
Nach alledem muß die Anklage gegen GoETHE voll-
ständig ab und der Ankläger zur Ruhe verwiesen werden —
wie ehedem erkannt zu werden pflegte.
Will sich ein noch Zweifelnder die in der Angelegen-
heit obwaltenden Widersprüche zurecht legen, so darf er sich
nicht, oder doch nur mit äusserster Vorsicht an bloßes
Gerede, muß sich vielmehr gewissenhafter, als Froitzheim,
an Thatsachen halten. Namentlich verwerthet FROITZHEIM
V. Bretschneider'S Mittheilungen in ganz unstatthafter
Weise; denn dieser ist nur ein unbeachtlicher Zeuge wegen
mangelhafter Begründung seiner Aussagen, sondern auch aus
psychologischen Gründen ein unzuverlässiger. Seine Bänkel-
sängerei ihm nachzutragen, wie geschehen, bin ich weit ent-
fernt, — die könnte Goethe'n auch vorgeworfen werden —
allein man braucht sich nur an FroITZHEIM'S eigene Schilde-
rung der Persönlichkeit desselben zu halten (S. 17), um miß-
trauiscli gegen ihn zu werden. Er berichtet, daß V. Bret-
SCHNEIDER mit Betrügern, sowie scheinheiligen und tückischen
3. Goethe und Heinrich Leopold Wagner.
93
Leuten stets in offener Fehde gelegen, Betrügern und Heuch-
lern die Maske ohne Gnade abgerissen, auch mehrere dem
Cagliostro ähnliche Betrüger durch Scharfsinn und Kalt-
blütigi<eit entlarvt habe. Daraus, daß diese Eigenschaft
V. Bretschneider's mit solchem Nachdruck hervorgehoben
wird, ist der Schluß zu ziehen, daß er darauf ausgegangen
ist, Betrügereien und Heucheleien zu entdecken, und da es
ihm nach der Schilderung oft gelungen ist, solche nachzu-
weisen, wo andere Menschen gläubig nichts Verdächtiges
ahnten, so kann die psychologische Folge nicht abgewiesen
werden, daß er auch Schlimmes witterte wo es nicht war,
und daß er dann an seinem Mißtrauen festhielt, so lange es
nur irgendwie zu stützen war. lieber die Bedeutung von
Bretschneider's Beschuldigungen wird man daher, Froitz-
HEIM (S. 21 f.) parodirend, zu sagen haben: Wahrhaftig! wenn
man sich eine Persönlichkeit erdenken sollte, die im Stande
gewesen wäre, den Prometheushandel zu verwirren, so müsste
man dieselbe mit der kritischen Begabung V. BRETSCHNEIDER'S
ausstatten. — Daß letztere für »unser Zeitalter« sehr winzig
war, sahen wir schon oben.
Dagegen macht, was wir sonst von Wagner wissen,
ganz wahrscheinlich, daß er der Verfasser des -d Prometheus «
sein könne. V. Bretschneider erwähnt im Brief an NICOLAI
vom i6. October 1775, daß Wagner Goethe's Sprache
in den yy Frankfurter gelehrten Anzeigen <;^ nachäffe, und im
Brief an ebendenselben vom 27. März 1776, daß Wagner's
■i> Kindermörderini'. eine Localsatire auf Straßburg sei, weß-
halb er als Verfasser verborgen bleiben wolle. Im Uebrigen
mag bei Wagner denn doch der Gedanke, eine »Kindes-
mörderin« auf die Bühne zu bringen, durch GOETHE an-
geregt worden sein. Jedenfalls zeigt Wagner demnach auch
anderwärts, wie bei •» Prometheus 'i : Neigung zur Satire,
Nachahmung von Goethe's Sprache und wohl auch Ideen,
sowie Verheimlichung der Verfasserschaft.
Man könnte Froitzheim'S Expectorationen ganz auf
94
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
sich beruhen lassen, da er (S. 33 f.) Goethe's \^erleugnen
der ihm zugeschriebenen vorgebUchen Verfasserschaft milder
ansieht, als erlaubt ist, aber die schroffste Zurückweisung
muß er erfahren wegen der kecken Beschuldigung, die er
am Schluß (S. 6']) gegen GoETHE zuwege bringt, indem
er sagt: »Nicht zu rechtfertigen ist es, daß er als Sechzig-
jähriger ohne äußere Veranlassung jene Unwahrheit noch-
mals wiederholte und in einem Werke, das zu seiner Ver-
herrlichung dienen sollte, so rücksichtslos mit dem Andenken
verstorbener Freunde verfuhr.«
Ganz abgesehen davon, daß Froitzheim wieder einmal
taschenspielermäßig eine Mehrheit von Freunden als durch
Goethe schlecht behandelt einschmuggelt, während vorher
nur von Einem die Rede war, so beachte man wohl das
darin liegende unerhörte Attentat auf GOETHE; denn da
Froitzheim selbst einräumt, daß Goethe in t> Dichtung und
Wahrheit <i- keine Veranlassung hatte, noch immer die an-
gebliche Verfasserschaft des y> Prometheus 1. zu verleugnen —
weßhalb er dann, wenn er der Verfasser gewesen wäre und
dies nicht nachträglich zugestehen w^ollte, die ganze Prome-
theusgeschichte einfach hätte übergehen können, w^ie so
manches Andere, u^orüber man Aufklärung gewünscht hätte
— so nimmt FROITZHEIM thatsächlich an, daß GOETHE aus
reiner Lust am Lügen und Verleumden Wagner nochmals
als Verfasser bezeichnet habe.
Dieser unab weisliche Schluß setzt Froitzheim's Schmäh-
schrift die Spitze auf- FROITZHEIM würde dadurch für alle
Zeit unmöglich gemacht haben, ihn in der GOETHE-Literatur
mit Ehren zu nennen, wenn er nicht nach fleißigem Durch-
suchen von x^rchiven manche für die GOETHE-Kunde w^erth-
volle Thatsachen ermittelt hätte. Man wird es mir darnach
auch nicht verargen, wenn ich keine Neigung verspüre, nach
Bloslegung dieses Mißbrauchs des Aeußeren von wissenschaft-
lichen Formen mich weiter mit Froitzheim'S Schrift zu be-
schäftigen, wiewohl noch Vieles an ihr richtig zu stellen wäre.
3. Goethe und Helnrich Leopold Wagner. g^
Ich bin mir bewußt, in der Bekämpfung Froitzhetm's
einen Ton angeschlagen zu haben, den man in scliriftlichen
Fehden nicht gern hört, aber außerordenthche Umstände
rechtfertigen außerordenthche Maßregeln, und es war geboten,
vor einer sogenannten »Kritik« zu warnen, die in Handgriffen
zur Täuschung das Schlimmste leistet, durch Kühnheit des
Auftretens ihre Unfähigkeit zu verbergen sucht und zum Ziel
hat, Goethe, das Ideal des deutschen Volks, in den Staub
zu ziehen. Indignatio scripsit.
4. Goethe und Jakob Lenz.
erselbe Verfasser, der als fleißiger Erforscher der
elsässer Vorzeit, namentlich auch soweit GOETHE
darin lebte, sich hervorgethan hat, ist abermals
mit einem Schriftchen, aufgetreten, das wir nicht
so schlimm nehmen würden, als das vorgedachte, wenn es
nicht ein immerhin ähnliches Streben, GOETHE zum Ver-
leumder zu stempeln, bekundete und daher eine ernste Be-
richtigung des Verfassers herausforderte. Diese neuere Schrift
ist: »Lenz und GOETHE. Mit ungedruckten Briefen von
Lenz, Herder, Lavater, Röderer, Luise König. Von
Dr. JOH. Froitzheim. Mit dem Porträt der Frau VON Ober-
KIRCH. Deutsche Verlagsanstalt. Stuttgart, Leipzig, Berlin,
Wien 1891.«
Lenz hat, seit Goethe ihn in -»Dichtung 7md Wahr-
heit <(. 18 14 als Jugendfreund genannt und geschildert, eine
stattliche Reihe von Schriften hervorgerufen. Zuerst kam
TiECK mit nachlässiger Herausgabe der gesammelten Schriften
in drei Bänden, voraus eine allerhand abhandelnde Einleitung
von 139 Seiten; ihm folgten seit 1857 Dorer-Egloff,
Gruppe, Stöber, v. Sivers, Frhr. v. Waldberg, Wein-
hold, Ulrichs u. A. Dieses Wiederaufleben in der Literatur
verdankt Lenz ledigrlich GOETHE. Nachdem er in den siebziger
4. Goethe und Jakob Lenz. 07
Jahren des vorigen Jahrhunderts durch einige Werke, die
aber theils GOETHE, theils Klinger zugeschrieben wurden,
einen Namen sich erworben, wurde er — abgesehen von
dem 1797 in den »Hören« aus Stoffmangel unternommenen
Abdruck seines Romans y>Der Waldbruder v. — kaum wieder
erwähnt. Obwohl unter Goethe's Anhang der am meisten
dichterisch begabte Schriftsteller, hat er doch als solcher
nichts gewirkt: seine Thätigkeit zersplitterte planlos und die
in seinem 27. Jahre eingetretene Geistesstörung setzte ihr
frühzeitig völlig ein Ende.
Was Froitzheim's Buch außer dem auf dem Titel
einzeln aufgeführten Inhalte bringt, ist der abermalige —
der vierte — Abdruck des t> Waldbruders n , den er in den
Hauptsachen S. 51 ff. ebenso deutet, wie V. Waldberg in
der 1882 von ihm besorgten Herausgabe dieses Romans,
überdies aber noch mit einigen Anmerkungen versieht. So-
weit wäre alles harmlos, die weiteren Folgerungen jedoch,
die Froitzheim daran knüpft, erheischen Widerspruch, da
sie zu Verdächtigung Goethe's unter Anwendung eines Ver-
fahrens ausgenutzt werden, wie Froitzheim es in Bezug
auf Goethe's Verhalten gegen HEINRICH LEOPOLD Wagner
zu Angriffen auf GOETHE's Charakter angewendet hat, ein
Verfahren, welches als leichtfertig bezeichnet werden muß.
Froitzheim selbst lebt unbefangen in seinen Vorstellungen
über Goethe fort, aber im dunklen Gefühl der Unzuläng-
lichkeit seiner Gründe für die frühere Behauptung, daß GOETHE
fälschlicherweise H. L. Wagner als Verfasser von ^Prome-
tJieiis, Deiikalion tmd seine Recensenten« genannt habe, kommt
er in seiner neuen Schrift S. 5 darauf zurück und fährt gegen
alle Gesetze des Denkens fort, den Angaben Wagner's,
der unter vier Augen bald sich als Verfasser bekannt hat,
bald Goethe dafür ausgegeben haben soll^ mehr Gewicht
beizulegen, als der ein- für allemal öffentlich kundgemachten
Erklärung Goethe's. Zum Ueberfluß sind neuerdings weitere
Zeugnisse bekannt geworden, nach denen Wagner 1775
V. Biedermann, Goetheforschungen III. "j
q8 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
die Verfasserschaft eingeräumt hat, und zwar gegen seinen
Freund MiLLER sowie in einem Briefe an einen Amster-
damer. (Vierteljahrsschr. f. Literaturgesch. III, 544 f.).
Auch sonst ist Froitzheim noch immer bemüht, Wag-
NER's Verhalten auf Kosten Goethe's zu beschönigen, wo-
bei es ihm auf kritiklose Benutzung von Schriftstücken
nicht ankommt. So führt er einen Brief Knebel'S vom
3. December 1774 an, worin dieser erzählt, daß GOETHE,
obgleich er den älteren JACOBI über alles liebe, dennoch
eine Schrift über ihn verfaßt habe, die das Böseste sei, was
er in dieser Art gemacht habe. Hätte er sich um die
Quellen bekümmert, so würde er gefunden haben, daß
das gemeinte Stück — ^^Das Unglück der Jacobi^ — ge-
schrieben worden war, bevor Goethe Friedrich Jacobi
persönlich kannte.
Um Froitzheim's Unterlassen aller Kritik noch durch
ein Beispiel zu belegen, sei hier noch bemerkt, daß er Falk's
unverbürgte und an sich schon unwahrscheinliche Erzählung
von LeNZENS Eindringen auf einen bal pare S. 27 für That-
sache nimmt, während sie sich doch mit dem wahrschein-
lichen Sachverhalt bei Lenzens Eintreffen in Weimar, den
Froitzheim selbst S. 29 ganz richtig wiedergiebt, gar nicht
vereinigen läßt.
Doch alles dies dient nur dem Vergnügen, Herrn FROITZ-
HEIM näher kennen zu lernen, und ist ohne unmittelbaren
Einfluß auf das, worauf es hier ankommt, nämlich auf die
Phantasiegebilde über LENZ, mit deren Hilfe FROITZHEIM
Goethe wieder etwas Unsauberes anhängen möchte. Schon
in der Schrift über H. L. Wagner leitet er am Schlüsse
den jetzigen Feldzug ein, indem er Lenz gegen den ihm
von Goethe gemachten Vorwurf eines auf ihn gerichteten
imaginären Hasses in Schutz nehmen, solchen Haß vielmehr
gewissermaßen GOETHE gegen LENZ zuschieben will, wobei
Froitzheim aber nur seinen eigenen imaginären Haß gegen
Goethe zum Ausdruck brinet.
4. Goethe und Jakob Lenz. qq
Er beginnt damit, daß er Goethe's Worten eine Deu-
tung giebt, die sie mit anderen seiner Aeußerungen in Wider-
spruch bringen sollen. GoETHE sagt im XI. Buch von
>'>Dichtung und Wahrheitf- über die Vereinigung junger
strebender Männer zu Straßburg im Jahre 1771: »Will je-
mand unmittelbar erfahren, was damals in dieser lebendigen
Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt worden, der
lese den Aufsatz Herder's über SHAKESPEARE in dem Hefte
» Von deutscher Art und Kunst s. , ferner Lenzens » Anmer-
kungen übers T]ieater<i.. Im XIV. Buche berichtet GOETHE
dann hinsichtlich letzterer, daß Lenz sie ihm nach Erscheinen
des -i^Götz von Berlichingem zugesandt habe, und fährt dann
fort: »Bei diesen war es mir auffallend, daß er in einem la-
konischen Vorbericht sich dahin äußerte, als sei der In-
halt dieses Aufsatzes, der mit Heftigkeit gegen das regel-
mäßige Theater gerichtet war, schon vor einigen Jahren
als Vorlesung einer Gesellschaft von Literaturfreunden be-
kannt geworden, zu der Zeit also, wo Götz noch nicht
geschrieben gewesen. In Lenzens Straßburger Verhält-
nissen schien ein literarischer Zirkel, den ich nicht kennen
sollte, problematisch, allein ich ließ es hingehen und ver-
schaffte ihm zu dieser wie zu seinen übrigen Schriften Ver-
leger. «
Zwischen diesen beiden Stellen aus y> Dichtung und Wahr-
heit 1. fand nun PROITZHEIM schon in der früheren Schrift
über H. L. Wagner einen »unlösbaren Widerspruch«, während
er selbst den Widerspruch erst hineinträgt, indem er aus der
ersten Stelle etwas herausliest, was gar nicht darin steht,
daß nämlich LENZENS ^Anmerkungen übers Theatern 1771
in Straßburg vorgelesen worden seien. In der That wird
jedoch dort nur auf Herder's und LENZENS Aufsätze
verwiesen, um einen Begriff über den Geist und Sinn der
Verhandlungen in den Straßburger Zusammenkünften zu
geben. pROlTZHElM mußte an seiner Auslegung schon
deshalb irre werden, weil, wie ihm nicht fremd geblieben
joo IV. Goethe mit Zeitgenossen.
sein kann, auch der neben Lenzens y> Amnerkungeni. ge-
nannte -»Shakespeares von HERDER erst später entstanden,
folglich in Straßburg nicht vorgelesen worden sein konnte.
Dieselbe Taschenspielerei, durch willkürliche Auslegung
GOETHE'scher Erklärungen etwas darthun zu wollen, wieder-
holt nun Froitzheim in der vorliegenden neueren Schrift
S. 1 3 f. Hier will er GOETHE'S Doppelzüngigkeit noch durch
die Mittheilung beweisen, daß die Vorrede zu den -»Anmer-
kjingeii«. von Goethe selbst geschrieben sei, weil ungedruckte
Notizen des Predigers Jerzembsky zu Moskau die Nach-
richt enthalten sollen: »Anmerkungen übers Theater von Gth.
verstümmelt. . . . Vorrede vom Herausgeber.« Man darf
billig erstaunen, wie leicht es FROITZHEIM wird, über Goethe's
Versicherungen hinwegzukommen, um seine vorgefaßten
Meinungen zu erhärten. Man weiß noch gar nicht, mit welcher
Berechtigung ein gewisser JERZEMBSKY in der fraglichen An-
gelegenheit als Quelle auch nur genannt zu werden verdient,
und trotzdem spielt ihn FROITZHEIM gegen GOETHE aus!
Das ist der böseste Dilettantismus • — um nicht Schlimmeres
zu sagen.
Beiläufig sei bemerkt, daß beim Erscheinen der »An-
merkimgen«. Goethe allgemein für den Verfasser gehalten
wurde, wohl infolge seiner Ausmittelung eines Verlegers. —
Der Inhalt des Vorberichts steht aber keinesfalls, wie FROITZ-
HEIM meint, mit Goethe'S Zweifel an der bis 1771 zurück-
greifenden Entstehung der ■>•> Ajunerkungeji«. in Widerspruch,
da Goethe ausdrücklich sagt, er habe die Lenzische Be-
hauptung trotz der Zweifel an der Richtigkeit »hingehen«
lassen.
Ganz aus der Luft gegriffen ist aber eine weitere Be-
schuldigung, die Froitzheim gegen Goethe erhebt, womit
es sich wie folgt verhält:
Lenz hatte zu Anfang des Jahres 1776 eine heftige
Liebe zu der obgenannten HENRIETTE V. Waldner gefaßt
inid scheint sich sogar in die Möglichkeit einer Verbindung
4. Goethe und Jakob Lenz. IOI
mit ihr hineingeträumt zu haben, obschon davon niclit die
Rede sein konnte, da sie einem angesehenen Adelsgeschlechte
des Elsasses angehörte, während Lenz, ein Fremdling ge-
ringerer Herkunft, ohne Vermögen, Stellung und Aussichten
war. Als er nun die Reise nach Weimar kurz nach Mitte
März 1776 angetreten hatte, ward gleich darnach die Ver-
lobung der Waldner mit einem Baron V. Oberkirch be-
kannt, worauf schon am i. April die Vermählung gefeiert
ward. Mit Bezug auf diese Vorgänge sagt nun Froitzheim
S. 34: »Nach dem mir vorliegenden Zeugnisse [?] spreche
ich zum ersten Male die wohlbegründete [?] Behauptung
aus, daß der allerletzte Anlaß, der LENZ plötzlich aus
Straßburg fortsprengte und ihm zu einem kurz gestellten
Termin in Weimar einzutreffen befahl [r], mit jener Ver-
mählung des Frl. v. Waldner in ursächlichem Zusammen-
hang steht.«
Möchte man auch FROITZHEIM den unsterblichen Ruhm
dieser erstmaligen Behauptung, — deren Richtigkeit immer-
hin nicht unmöglich ist ■ — ■ ungetrübt durch kritische Be-
denken genießen lassen (wiewohl man nicht gern auf das
Vergnügen verzichtet zu zeigen, wie leicht er eine Behauptung
für wohlbegründet ansieht), so können wir doch nicht umhin,
an dem Ruhmeskranze zu rupfen, da FROITZHEIM seine für
wohlbegründet gehaltene Behauptung wiederum benutzt, um
ein schlechtes Licht auf GoETliE fallen zu lassen. Und nur
insoweit wollen wir die Gründe etwas beleuchten. In dieser
Richtung findet es FROITZHEIM auffällig S. 34 und 38, daß
in Weimar die bevorstehende Vermählung- der Waldner
eher bekannt gewesen sei, als in deren Aufenthaltsort Straß-
burg. An sich wäre das nicht zu verwundern, da am wei-
marischen Hofe zwei Fräulein V. Waldner, ADELAIDE und
Isabella, Hofdamen waren, auch ein Kammerherr V. TÜRK-
HEIM einem elsässischen Geschlechte angehörte, diese also
früher von der Verheirathung einer Verwandten unterrichtet
gewesen sein konnten, bevor die Nachricht in die Oefifentlich-
J02 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
keit gelangte. Um zu ermöglichen, daß TÜRKHEIM, der an
Henrietten's Hochzeit in Straßburg theilnahm und Glück-
wünsche des Herzogs Karl August überbrachte, die Reise
von Weimar dahin zurücklegte, ist es aber auch gar nicht
nöthig, daß er sie früher, als die Straßburger erfahren habe;
denn es ist nur anzunehmen, daß die Verlobung nicht vor
Lenzens Weggang von Straßburg, der spätestens am 20. März
erfolgte, veröffentlicht wurde, und am i. April fand die
Trauung statt. Froitzheim denkt gar nicht an die Möglich-
keit regelrechten Verlaufs der Begebenheiten, um statt dessen
eine Intrigue zu Vertreibung Lenzens aus Straßburg vor-
spiegeln zu können und daran GOETHE theilnehmen zu lassen.
(Seite 53.)
Der Briefroman ^Der Waldbruder ^ ist es aber vorzüg-
lich, worin FROITZHEIM Beweise für seine Erfindung sucht,
die er S. 54 darin »mit LENZENS eigenen Worten bestätigt«
sieht. Froitzheim verkennt selbst nicht, daß die Thatsachen
im » Waldbruder«, mit dichterischer Freiheit behandelt und
sogar mehrfach ganz erheblich anders dargestellt werden,
als ihr wirklicher Verlauf gewesen ist, und nun soll diese
Darstellung, soweit es FROITZHEIM in den Kram paßt, den-
noch ein Beweis für die Wirklichkeit sein, wobei außerdem
nicht zu übersehen ist, daß, hätte auch Lenz die wirklichen
Thatsachen darstellen wollen, er es doch nur so hätte thun
können, wie sie ihm, dem überall Intriguen vermuthenden
Intriganten, erschienen wären.
Damit wird selbstverständlich nicht allgemein darüber
abgesprochen, daß dichterische Erzeugnisse zu Deutung von
Thatsachen verwendet werden, und gerade bei GOETHE
kommen wir sehr häufig in den Fall, es zu thun, allein bei
gewissenhafter Forschung darf dies doch nur soweit ge-
schehen, als Thatsachen schon vorliegen, deren zweifelhafte
Gründe, Wesen oder Verbindungen einer Erklärung bedürfen.
Die Behauptung von Thatsachen, insbesondere die Ver-
dächtigung von Personen, wesentlich auf ein Dichtwerk zu
4- Goethe und Jakob Lenz. 103
stützen, zeugt von falschen Begriffen über die Dichtkunst
wie über wissenschaftliche Behandlung.
Nicht ganz so schlimm kommt GoETHE bei der ferneren,
aber nicht weniger haltbaren und unfreundlichen Vermuthung
Froitzheim's weg, daß »/^,?r Waldbruder </. die Ursache des
Zerwürfnisses gewesen sei, dessenwegen GoETHE auf Len-
ZEN's sofortige Entfernung gedrungen habe. Bekanntlich hat
man sich in mancherlei Vermuthungen darüber ergangen;
denn in gleichzeitigen Briefen ist davon nur in ganz allgemein
gehaltenen Ausdrücken die Rede, von denen jedoch keiner
auf den » Waldbruder 1. paßt; zum Verständniß ist zu er-
wähnen, daß in diesem Roman, wie GoETHE unter ROTHE,
so Lenz unter Herz in vielen zu deutenden Zügen dargestellt
ist. Ersterer zeigt sich nun als reiner Egoist und spricht
u. A. unverhüllt aus: »Die Selbstliebe ist immer das, was
uns die Kraft zu anderen Tugenden geben muß;« sodann:
»Selbst die heftigste Leidenschaft muß der Selbstliebe unter-
geordnet ■ sein, oder sie verfällt ins Abgeschmackte;« ferner
theilt ROTHE Herzen mit: alle Mädchen rissen sich um
seine Gunst, aber er betrüge sie alle und freue sich, daß sie
ihm darüber keine Vorwürfe machen dürften — und der-
gleichen. Nehmen wir an, daß GOETHE sich durch ähnliche
Auslassungen hätte getroffen und verletzt fühlen müssen, so
ist doch, wie gesagt, keine der in gleichzeitigen Briefen vor-
kommenden, von FrOITZHEIM selbst wiedergegebenen Aeuße-
rungen über den Grund zu Lenzens Verbannung von Wei-
mar auf solche Stellen des » Waldbruders«, anwendbar; denn
Lenzens Vergehen heißt bald eine »Eselei« (S. 55), bald
eine »Klatscherei« (S. 57) und GoETHE sagt darüber, daß
der Vorgang sein »Herz zerreiße« (S. 61), ihn in »tiefste Ver-
wirrung« bringe (S. 62) und daß Lenz dadurch hätte auf
die sonderbarste Weise von der Welt in die Enge gebracht
werden können (S. 65). Alles dies kann auf keine Weise
mit dem » Waldh'uder <■<. in Verbindung gebracht werden,
und dieser ist denn doch auch zu harmlos, als daß er zu der
I04
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
heftigen Feindschaft GOETHE'S gegen den geliebten Jugend-
freund hätte führen können. Es wäre dies ein so häßlicher
Zug, daß er gar nicht hätte wagen können, daraufhin Lenzens
Verweisung zu beanspruchen. Im Uebrigen haben wir keine
Spur, daß Goethe den » Waldbruder«, zu der Zeit von
Lenzens Aufenthalt im Weimarischen schon gekannt habe;
es scheint vielmehr, daß die Handschrift kurz vorher, ehe
Schiller im Januar 1797 nach dem LENZISCHEN Nach-
laß fragte, an GOETHE gelangt sei, der durch seinen
Schwager diesen Nachlaß erhalten haben konnte. (Vergleiche
Böttiger, Literarische /'itstände und Zeitgenosseji I, ig)
Zu Belebung seiner Vermuthung, bedient sich Froitzheim
eines Mittelchens, das er einem bekannten fruchtbaren Schrift-
steller abgelernt haben mag: er ergänzt Geschehnisse, indem
er etwas Unbekanntes erzählungsweise mit einem »wird«
einführt, um dadurch immer wieder taschenspielermäßig das
Matenial für seine Behauptungen zu vervollständigen. FROITZ-
HEIM sagt S. 49: »Leicht wird es diesem [Schiller] nicht
geworden sein, Goethe's Bedenken gegen die Veröffent-
lichung eines Werkes, in welchem dessen Liebesegoismus so
sehr gegeißelt war, zu besiegen.« Nun hatte aber GOETHE
auf Schiller's Ansuchen um einen Horenbeitrag aus LEN-
ZENS Nachlaß den » Waldbruder« freiwillig übersandt und nur
ausbedungen, daß keine Veröffentlichung erfolge, bevor er mit
Schiller darüber gesprochen. Hätte er die Veröffentlichung
nicht gewünscht, namentlich wenn sich peinliche Erinnerungen
daran knüpften, so würde er diesen Roman gar nicht aus der
Hand gegeben haben; es konnte sich demnach nur um Neben-
dinge handeln, die zu Aenderungen Anlaß zu geben geeignet
waren. Durch das mit »wird« eingeleitete Zwischenglied
kann daher FROITZHEIM nur beabsichtigt haben, dem flüchtigen
Leser die angeblich schwer zu besiegenden Bedenklichkeiten
Goethe's als Thatsache aufzudringen.
Hätte eine der uns bekannten Schriften LENZENS den Bruch
mit Goethe herbeigeführt, so könnte es das Trauerspielbruch-
4. Goethe und Jakob Lenz. I05
Stück -»Zum Weinen« gewesen sein, welches allerdings GoETHE
aufs Tiefste zu entrüsten geeignet war; denn darin begeht
der, durch Bezeichnung »Gth.« unzweideutig kenntlich gemachte
Mann ein gemeines Verbrechen, und zwar durch Fälschung
einer Anweisung, worauf er einen namhaften Geldbetrag bei
einem Bankier erhebt. Ueber diese LENZ'sche Niederträchtig-
keit hat Froitzheem kein unfreundliches Wort und findet
es S. 15 nur »gehässig« von Weinhold, daß dieser die
Niederschrift dieses Trauerspielentwurfs ins Jahr 1775» an-
statt wie er 1772 setzt. So feinfühlig ist Froitzheim in
Fällen, wo es nicht darauf ankommt, GOETHE zu verun-
glimpfen! — Uebrigens liegen keine Anzeichen vor, daß
Goethe das Bruchstück »Zum Weme7i« 1776 kennen ge-
lernt habe.
Um jedoch Lobenswerthes auch anzuerkennen, ist zu
bemerken, daß FROITZHEIM die Zeitbestimmungen im » Wa/d-
h'uder« als mit der Wirklichkeit im Einklang stehend
S, 50 f. sehr gut und sorgfältig nachgewiesen hat; für die
Wahrheit aller aufgeführten persönlichen Verhältnisse be-
weist dies jedoch nichts.
In der GOETHE-Kunde sind die sich ungezwungen dar-
bietenden Fragen gutentheils so vielfach bearbeitet, daß
diejenigen, welche mit ihren Arbeiten i^ufsehen erregen
wollen, schon seit geraumer Zeit darauf verfallen sind, die
wunderlichsten Behauptungen zu verfechten. Sich dabei
nicht schweigend zu verhalten, ist Pflicht eines Jeden, der
die GOETHE-Kunde nicht lediglich als Sport oder nur amts-
halber betreibt, dem es vielmehr Ernst damit ist. Läßt
man solche Entstellung oder die berechneten Verleum-
dungen culturfeindlicher Kreise durchgehen, so werden sie
bald in Schul- und Handbüchern Aufnahme finden, dann
aber ebenso im allgemeinen Wissen Wurzel fassen und es
verunreinigen, wie dies durch leichtgläubige oder tendenziöse
Geschichtsschreiber seit den ältesten bis in die neuesten
Zeiten geschah und geschieht.
I06 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
Um aber mit Froitzheim zu schließen, so sei ihm
gegenüber mit seinen eigenen Worten (in: Beiträge zur Landes-
und Volkskunde von Elsaß-Lothringen, IV. Heft, S. 73) die
Mahnung ausgesprochen: »Wenn doch die Erklärer vor-
sichtig-er sein wollten!«
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5. Franz Lerse in Weimar.
ur Ostermesse 1799 erschien im Verlag von Bech-
rOLD zu iVltona ein 92 Seiten enthaltendes Schrift-
chen, betitelt:
Briefe eines ehrlichen Mannes bey einem wieder-
holten Aufenthalt in Weimar. Deutschland. 1800.
In der Vorrede ist gesagt: Der Verfasser sei ein Mann,
der durch Unglücksfälle mancherlei Art zum Reisen genöthigt
gewesen sei, dem es an vollendeter Bildung gefehlt habe,
und der in den wilden Revolutionsstürmen der letzten Zeit
auf eine traurige Art sein Leben beschlossen habe; die Briefe
seien bei seinem Neffen gefunden worden, von dem sie der
Herausgeber erhalten habe. Der erste Brief ist unterzeichnet:
»Dein treuer Onkel und Freund Fr. G. von xexx.« Die
Briefe sind undatirt, doch geht aus dem Inhalt hervor, daß
der erste Aufenthalt in Weimar ins Jahr 1797 fällt, da in
diesem Jahre Schlegel'S Seite 43 erwähnte Besprechung
von Herder's » Terpsichorci in der allgemeinen Literatur-
Zeitung erschienen ist, auch diesem Jahre die Wirkungen
der SCHILLER-GoETHl'schen y>Xemen«. angehören, von denen
in den Briefen die Rede ist. Der zweite Aufenthalt muß
inbetracht des Erscheinens der Schrift vor 1 799, also spätestens
1798 stattgefunden haben.
jo8 IV, Goethe mit Zeitgenossen.
Ueber die Person des Briefstellers bietet seine Bemer-
kung Seite 14, daß er GOETHE in Straßburg kennen gelernt
habe, einen Anhalt. Von GOETHE'S Bekannten aus der
Straßburger Zeit war in Weimar 1 797 und 1 798 FRANZ LerSE
— so schrieb er selbst sich, wohl nach der amtlichen Schrei-
bung seines Namens in seiner Heimath, dem französischen
Elsaß — ; Goethe war nach seinem Tagebuch am 16. April
1797 am Hofe mit Lers^ zusammengetroffen und letzterer
hatte am 4. Mai GOETHE besucht. Das stimmt mit den
Briefen, zufolge deren der »ehrliche Mann« bei seinem ersten
Weimarer Aufenthalt zweimal mit GoETHE zusammenge-
kommen ist. Im Jahre 1798 gedenkt zwar der »ehrliche
Mann« eines Verkehrs mit GoETHE nicht, wohl aber GoETHE
im Tagebuch der Anwesenheit Lers^'s. Dagegen erzählt
dieser, daß er damals am Hofe von Weimar verkehrt, und
daß er Karl August Böttiger näher kennen gelernt habe;
ersteres stimmt mit des Herzogs Karl August Briefen an
Goethe vom 29. und 30. November, letzteres mit Böttiger's
Mittheilungen in -»Literarische Zustände und Zeitgenossen<s-
(I, 20. 60 f.) überein. Die in der Unterschrift des ersten Briefes
angegebenen Anfangsbuchstaben des Vornamens des Schreibers
»Fr.« entsprechen Lersi^'S Vornamen Franz, sowie der, an
der zweiten Stelle der Namenschiffre stehende »e« dem zweiten
Buchstaben in LersIl's Namen.
Dagegen widerspricht allerdings manches der Deutung
des ungenannten Briefschreibers auf Lersj^. Zunächst be-
steht jene Namenschiffre aus vier Zeichen, der Name Lerse
aber aus fünf Buchstaben. Dann läßt sich der Anfangs-
buchstabe des zweiten Vornamens an der Unterschrift, »G.«
mit Lers^'s zweiten Vornamen CHRISTIAN nicht vereinigen.
Ferner hat LersIi: nicht in den wilden Revolutionsstürmen
sein Leben beschlossen, sondern ist erst 1801 in Wien ge-
storben. Endlich befremdet das für Lers^, sonst nicht be-
zeugte Adelsprädicat, namentlich ist ihm nach gefälliger Aus-
kunft des Directors des K. u. K. Haus-, Hof- und Staats-
5. Franz Lerse in Weimar. IO9
archivs, Herrn Hofrath Dr. WiNTER, der Reichsadel nicht
ertheilt worden. Auffällig ist auch, das der »ehrliche Mann«,
wenn es LersiS war, sagt, er habe GOETHE in Straßburg
nur flüchtig kennen gelernt, während anzunehmen ist, daß
Goethe und Lersi^ dort wirklich befreundet waren.
Indessen alles wohl erwogen, können die angeführten
Bedenken gegen Feststellung des »ehrlichen Mannes« als
Franz Lersi5 nicht irre machen, da die dafür sprechenden
Gründe so durchschlagend sind, daß es sich nur darum handeln
kann, zu ermitteln, worauf die abweichenden Angaben beruhen.
Es ist ganz offenbar eine innere Unwahrheit von jemanden,
der 1798 noch gelebt hat, zu berichten, daß er in den wilden
Revolutionsstürmen auf traurige Weise umgekommen sei, da
diese Stürme mit ihren Mordthaten 1798 schon seit einigen
Jahren vorüber wären. Hiernächst paßt die Chiffre »xexx«
von Goethe's Straßburger Freunden nur auf Lenz, der aber
dieses Jahr nicht erlebt hat und schon 1792 irrsinnig ver-
storben war. Endlich ist zuverlässig zu behaupten, daß
außer Lers^ sonst keiner von Goethe's Straßburger Be-
kannten 1797 und 1798 nach Weimar gekommen ist.
In Rücksicht auf diese Thatsachen ist als sicher an-
zunehmen, daß der »ehrliche Mann« die falschen Angaben
absichtlich deshalb gemacht hat, um sich nicht offen und
nur Näherstehenden durch richtige Angaben verblümt zu er-
kennen geben wollte, wie Lers^ denn auch sonst stets ohne
sich zu nennen geschriftstellert hat. Uebrigens kann das
»G.« des zweiten Vornamens möglicher Weise Druckfehler
für verlesenes Ch. sein, da LersIi; letzteres, wie seine Briefe
an Böttiger auf der Königl. ö. Bibliothek zu Dresden
zeigen, so schrieb, daß es allenfalls als G. gelesen werden
könnte. Das Adelsprädicat findet sich vor Lers^'S Namen
auch im Leipziger Adreßkalender, als er 1795 bis 1797 mit
Graf Fries die Universität besuchte. (Archiv für Literatur-
geschichte XII, S^jJ sowie in einem Briefe von Graf FRIES,
(Allg. Deutsche Biographie XVIII, 431), sodaß man an Wieder-
jjO IV. Goethe mit Zeitgenossen.
aufnähme älteren Adels denken kann. Die Absicht der
Verhüllung der Verfasserschaft der »Briefe eines ehrlichen
Mannes« geht aber unzweideutig auch daraus hervor, daß
nur »Deutschland« als Verlagsort genannt ist. Wie dem
aber auch sei: die Thatsachen, aus denen hervorgeht, daß
LERSlfi der Verfasser sei, sind so überwiegend, daß darüber
kein Zweifel obwalten kann.
Seine Mittheilungen über den Verkehr mit GoETHE im
Jahr 1797 befinden sich in dieser Schrift Seite 14 ff. und 21 f.
«A^^
6. Die Unterredung mit Napoleon.
VORBEMERKUNG.
eine Aufsätze über Goethe'S Unterredung mit
Napoleon habe ich für angemessen gehalten, so-
wie sie einzehi veröffentlicht wurden, wieder ab-
drucken zu lassen und von ihrer Ineinanderarbeitung
abzusehen. Es handelte sich in ihnen darum, die Berech-
tigung vorgebrachter Zweifel über die Aechtheit von Be-
richten über jene Unterredung zu bestreiten, wobei die
einzelnen Auslassungen der Zweifler zu beleuchten waren.
Diese Wiederlegungen ließen sich nicht verallgemeinern, da
es eben darauf ankam, Besonderheiten der jenseitigen Aus-
legungen ihre Wirkung zu benehmen. Der erste Aufsatz
wurde durch die Anzeige des IX. Bandes von »Goethe'S
Gesprächen« im >^ Goethe -Jahrbuchi^ (XIII, 287) veranlaßt.
In diesem Bande hatte ich Talleyrand's Bericht über jene
Unterredung mit aufgenommen und in der Anzeige wurde
dieser kurzweg als T>apokrypJi'i. bezeichnet. Das Uebrige er-
giebt sich aus den Aufsätzen selbst.
(I.)
Es ist die Aechtheit der Mittheilungen angezweifelt
worden, die Talleyrand in dem unlängst vom Herzog von
j j 2 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
Broglie herausgegebenen Stücken aus dessen Denkwürdig-
keiten über Napoleons Unterredung mit GOETHE gemacht
hat. Man scheint sich aber bei diesem Zweifel die dabei
in Frage kommenden Umstände nicht klar vorgestellt zu haben.
Was einzelne französische Schriftsteller, namentlich AULARD,
bewogen hat, die Echtheit von Talleyrand's Denkwürdig-
keiten zu bestreiten, berührt die Frage bezüglich der Unter-
haltung des Kaisers mät GoETHE gar nicht; jenen Schrift-
stellern ist sie wesentlich eine politisch-historische Frage,
die aber in diesem Falle nicht in Betracht kommt: Das
Urtheil über NAPOLEON kann durch das was dieser nach
Talleyrand mit Goethe gesprochen hat, weder zu Gunsten
noch zu Ungusten gestimmt werden, und es steht der großen
Politik, die bei Talleyrand's Denkwürdigkeiten überwiegend
vorschwebt, so fern, daß ein berechnender Fälscher dieser
Denkwürdigkeiten das Gespräch entweder gar nicht erwähnt
oder aber für seine Zwecke erkennbar benutzt haben würde.
Was aber die Aechtheit dieses Berichtes über das Gespräch
über allen Zweifel erhebt, ist ein Umstand, der unbegreif-
licherweise gerade als Grund gegen die Aechtheit vor-
gebracht worden ist, nämlich daß darin manches vorkommt,
was Goethe in seiner Skizze über dieses Gespräch nicht
berührt.
Von vornherein ist weder Talleyrand's noch Goethe's
Bericht für vollständig anzusehen, und letzterer sogar noch
weniger, da ihn GoETHE erst nach 15 Jahren aufgezeichnet
hat. Nach GoETHE's Bericht könnte das Gespräch nur etwa
fünf Minuten gedauert haben, nach TALLEYRAND'S nicht viel
länger. Da nun aber Kanzler V. MÜLLER die Dauer von
Goethe's Audienz auf fast eine volle Stunde, GoETHE so-
gar gegen BoiSSER^E auf fast zwei Stunden angiebt, so
steht fest, daß der Kaiser länger als die berichteten fünf bis
zehn Minuten sich mit GoETHE unterhalten hat, trotzdem
er zwischendurch mit Daru und SOULT plauderte. Die
demnach zunächst in Goethe's Bericht unbestreitbar vor-
6. Die Unterredung mit Napoleon.
113
handenen Lücken fordern gebieterisch Ergänzungen, die
wenigstens einigermaßen TalLEYRAND's Bericht bietet.
Geradezu bestätigt wird indessen die Zuverlässigkeit von
Talleyrand's Bericlit dadurch, daß er als Gesprächsgegen-
stand Tacitus anführt, worüber sich sonst nirgends etwas
findet, als in dem unscheinbaren kurzen Bericht der » Vosst-
schen Zeitung« über GOETHE's Audienz bei NAPOLEON, wo-
nach dieser u. a. über römische Classiker gesprochen.
Ferner bestätigt Talleyrand'S Bericht die darnach von
Goethe gegebene Auskunft über sein früheres vertrauliches
\'erhältniß zum Fürsten PRIMAS. Das kann Tallevrand
schwerlich anderswoher, als aus Goethe'S Munde vernommen
haben, und es zu erwähnen wäre schlechterdings keine Ver-
anlassung gewesen, wenn nicht wirklich zwischen NAPOLEON
und Goethe davon die Rede gewesen wäre.
Mittelbar bestätigen endlich die Aeusserungen über Her-
zog Karl August Talleyrand's Bericht. Goethe drückt
sich in seiner Skizze ganz allgemein aus: es sei über die wei-
marischen Fürstlichkeiten gesprochen worden; er vertraute
indessen dem Kanzler Y. MuELLER, er habe sein Gespräch
mit Napoleon niemals aufrichtig mitgetheilt, um nicht un-
endliche Klatschereien hervorzurufen, und ausserdem erzählt
Y. MuELLER, daß Goehte die Fragen des Herzogs über den
Lihalt der Unterredung mit NAPOLEON stets ausweichend
beantwortet habe. Nach TalLEYRAND'S Bericht begreift man
nun sehr wohl, warum GOETHE sich so verhielt.
Die auf der Hand liegenden unbestreitbaren Irrthümer
in Talleyrand's Bericht erklären sich ungezwungen daraus,
daß dem Genannten gewisse besprochene Gegenstände nicht
so geläufig waren, um sie richtig aufzufassen und wieder-
zugeben. So mochte NAPOLEON gefragt haben, ob GoETHE
den Kaiser ALEXANDER schon früher, bevor dieser 1808
nach Weimar gekommen, gekannt habe; denn darauf paßt
GoeTHE'S von TalleyranD mitgetheilte Antwort, während
Talleyrand die Frage fälschlich so faßte, als ob Napoleon
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 8
114
IV. Goethe- MIT Zeitgenossen.
sich erkundigt habe, ob GoETHE bis zur Stunde der Audienz
den russischen Kaiser überhaupt schon gesehen habe. Von
KOTZEBUE wußte Talleyrand jedenfalls nur, daß er nach
Sibirien verbannt, nicht, aber daß er sehr bald schon zurückge-
rufen worden war; er deutete daher mil3verständlich Goethe's
Aeußerung, als ob seine Begnadigung erst noch zu erbitten
sei. — Ueber » Werthera schwieg Tallevrand in seiner
Erzählung zuverlässig deßhalb, weil ihm die dabei zur Sprache
gekommenen Streitfragen ganz unverständlich waren; er hat
jedenfalls deßhalb auch die von GOETHE gleichmäßig ver-
schwiegene Schmeichelei, von der TALLEYRAND selbst Box-
STETTEN erzählte, nicht erwähnt, eben w^eil er den Zusammen-
hang dieser Wechselrede mit den daran schließenden Er-
örterungen über den Roman nicht folgen konnte. GoETHE
hat übrigens bei diesem Gegenstande auch Napoleon's
Erwähnung, daß er » Werther<.<. siebenmal gelesen habe, selbst
unterdrückt.
Zum Schluß nochmals: es läßt sich kein vernünftiger
Grund für Talleyrand oder sonstwen erdenken, wegen
Napoleon's Unterredung mit GOETHE eine Fälschung zu
begehen; bevor aber ein solcher Grund wahrscheinlich ge-
macht ist, fehlt der Talleyrand'S Bericht angreifenden Kritik
der wissenschaftliche Boden.
Am 25. Januar 1891 brachte die Zeitschrift y>Le Corres-
pojident« unter andern vorläufigen Mittheilungen aus TalLEY-
RAND's Denkwürdigkeiten dessen Bericht über Napoleon's
Unterhaltungen mit GüETHE und WiELAND zu Erfurt und
Weimar am 2. und 6. October 1808. (Soweit sie GOETHE
betreffen, sind sie wieder abgedruckt in » Goethe' s Gespräche'<-
IX, lOjff.) Selbstverständlich beschäftigten sich sofort die
deutschen Zeitschriften mit dieser wichtigen Urkunde, wobei
diejenigen, die ihrer Bedeutung schuldig zu sein glaubten,
Kritik daran zu üben, ihr Ansehen als Kritiker am besten
6. Die Unterredung mit Napoleon. 1 1 c
und leichtesten zu wahren glaubten, wenn sie die Echtheit
jener Mittheilungen bestritten. Dazu fanden sie zunächst
Anhalt an dem Umstand, daß französische Schriftsteller hin-
sichtlich der Stücke der Denkwürdigkeiten, welche Staats-
angelegenheiten betrafen, mit der Behauptung, daß eine
Fälschung vorliege, vorangegangen waren, alsdann aber da-
rin, daß TalleyraniVs Bericht von Goethe's 1824 ge-
machter Aufzeichnung über seine Unterredung mit NAPO-
LEON mehrfach verschieden war. In einer Miscelle des
y'GoetJie- Jahrbuchs v- von 1893 (XIV, 282 ff.) habe ich aus-
einandergesetzt, daß beide Zweifelsgründe gleichviel werth
sind — d. h. nichts! — , daß vielmehr Talleyrand's Be-
richt im Wesentlichen für zuverlässig zu erachten ist, un-
beschadet einiger falscher, Nebendinge betreffender Angaben,
die aus leicht begreiflichen Versehen zu erklären sind. Da-
rauf zurückzukommen, giebt mir die Auffindung einer weiteren
Urkunde über Goethe's Audienz bei NAPOLEON Veran-
lassung, indem sie mit Erläuterungen eingeführt ist, welche
die angebliche Fälschung der Mittheilungen Talleyrand's
durch diese Urkunde für bestätigt zu erklären scheinen können.
Sie besteht in einer Niederschrift des damaligen Re-
gierungsrathes, späteren Kanzlers v. MUELLER und ist ab-
gedruckt im XV, Bande des •» Goethe- Jahrbuchs -^ S. 29 ff.,
woran anknüpfend SüPfLVN überzeugend entwickelt, daß sie
Talleyrand bei Abfassung seines Berichts als Vorlage gehabt
hat, — überzeugend nämlich in diesem Hauptpunkte, was
aber nicht ausschließt, daß man über Manches dabei zur
Sprache Gebrachte abweichender Ansicht sein kann oder
muß. Widersprechen muß ich besonders SuPHAN's zuver-
sichtlichem Ausspruch, »daß Talleyrand's Behauptung,
er habe durch Goethe's eigne Aeußerungen sich betreffs
der Genauigkeit seiner Angaben vollständig beglaubigt ge-
sehen — bare Flunkerei ist«. Ist auch zuzugeben, daß das
Einverständniß Goethe's nicht gerade gelegentlich eines
Diners bei Talleyrand, wie dieser erzählt, eingeholt worden
8*
1 1 6 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
sei, weil Goethe's, die Begebnisse jener Tage verzeichnendes
Tagebuch von seiner Theilnahme an einem solchen nichts
meldet, ingleichen daß Talleyrand's Angaben mit denen
Mueller's nicht allenthalben übereinstimmen, er letztere viel-
mehr verschiedentlich verschoben hat, so ist es doch keines-
wegs gerechtfertigt, Talleyrand aus den Abweichungen
von Mueller's Niederschrift einen Vorwurf zu machen, da
MUELLER der Audienz gar nicht beigewohnt hat und sich
Kenntniß dessen, was dabei gesprochen wurde, nur durch
Befragung von Ohrenzeugen, wie Bertmier, Lannes, Daru,
Savary, Soult verschaffen konnte. Bei dem Interesse, das
Talleyrand an der fraglichen Unterhaltung nahm, ist es
sicher wahrscheinlich, daß er bei diesen sich unmittelbar
darüber unterrichtete, nicht zu gedenken, daß er einen Theil
der Unterredung NArOLEox's mit GOETHE selbst beigewohnt
hatte. Wie wenig \'ertrauen übrigens MUELLER selbst in die
Zu\'erlässigkeit seiner Niederschrift setzte, geht nicht nur da-
raus hervor, daß er noch 1824 GoETHE antrieb, seine Unter-
redung mit NAPOLEON aufzuzeichnen (Cö^/Zf^'j' Gespräche V,20),
sondern auch daraus, daß er in seinen »Erinnerungen aus
den Kriegszeiten von 1806 bis 181 3« (S. 238 ff.) auf seine
Niederschrift von 1808 nicht zurückgriff, sondern zumeist
Goethe's Aufzeichnung folgte.
Ergiebt sich nun schon aus diesen Thatsachen, daß
Talleyrand's Anführen über Goethe's Bestätigung des von
ihm über die Audienz bei NAPOLEON Niedergeschriebenen
höchst unwahrscheinlicherweise reine Flunkerei sein könne,
so brauchen wir uns doch gar nicht auf V'^ermuthungen
darüber zu stützen, da diese Bestätigung anderweit so be-
stimmt beglaubigt ist, daß Zweifel dagegen nicht zulässig
sind und auch die voraussetzlich falsche Angabe hinsicht-
lich des Ortes, wo sie erfolgt sein soll, die Gewißheit
daß sie erfolgt ist, nicht erschüttern kann. Diese Bestätigung
ist zwar älter, als die Veröffentlichung von Talleyrand's
Bericht, es ist aber bisher unterlassen worden, sich darauf
6. Die Unterredung mit Napoleon.
117
zu berufen. Sie ist ausgegangen von SORET, der über das
Gespräch zwischen NAPOLEON und GOETHE in der Notice
s/ir Goethe — Th'e de la Bibliotheqiie univei'sellc, Jiii7t et
Jinllet 18 j 2 Seite 9 Folgendes sagt: T>Lors de la Conference
d' Erfurt Napoleon eut ime entrevue avec Goethe et lui fit
des observations critiques snr Wert Ji er; le Prince de Talley-
rand en a consewe dans ses Mcinoires encore inedits plu-
sieiirs details qiCil a puiscs a wie boiine source et qui pa-
raissent devoir ctre fideles , puisqiie Goethe ne les a point
contj'cdtts, lorsqiCil en a etä qiiestion entre lui et ranteur de
cet article. Mais nous avons lien de croire que taut ce qui
s'est passe entre ces deiix grands honnnes nest pas consigne
dans ces Meptoires.i- Und in der Fußnote hierzu: »Quel-
ques extraits de cette partie des Memoires du Prince se trou-
vent dans les niannscrits de notre conipatriote M. Dumont
qui donne un teinoignage favorable ä la vcracitc des faits
dont il a eu lui viane connaissance.<.< Diese Stelle aus Soret's
Notice habe ich auch det^halb ausführlich hergesetzt, damit die
Hoffnung gedämpft werde, etwas Gewisses über die Zuverlässig-
keit von Einzelheiten der Erzählung Talleyrand'S entnehmen
zu können , sie genügt mir aber, um daraus zu ersehen, daß
Talleyraxd nicht nothwendigerweise geflunkert haben müsse.
Bekämpft Suphan im Grunde TalleYRAND'S Anführen,
dalo seine Mittheilung von Goethe als richtig anerkannt
worden sei, und steht ihm dabei allerdings der Umstand zur
Seite, daß GoETHE's Durchsicht, der stehengebliebenen offen-
baren Irrthümer wegen, nur eine sehr flüchtige gewesen sein
kann, so würde ich mich bei vorstehender Darlegung meiner
Bedenken gegen Suphan's Verurtheilung beruhigen, wenn
ich mich nicht späterer Urtheile über TallevraND'S Bericht
halber dennoch genöthigt sähe, den schon in der Miscelle
des GoetJie-JaJirbucJisvox\ 1893 erörterten Inhalt von Tallev-
RAND'S Bericht nochmals auf seine Glaubwürdigkeit zu prüfen.
Dazu bestimmt mich namentlich der Ort, wo fernerhin die
Unglaubwürdigkeit von Tallevraxd's Bericht überhaupt
j 1 8 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
behauptet wird. Dies geschieht im Abschnitt I\", 9 b. der
.JahresbericJite für nettere Deutsche LiteraturgescJiichte ^
II. Band, 2. Halbband (1893) S. 1 10. Es werden darin, wie
schon früher von GEIGER in der ■>-> Nation <-< , die Verschieden-
heiten als entscheidend behandelt, die zwischen GOETHE's
Aufzeichnung über seine Unterredung mit NAPOLEON und
Talleyrand's Bericht bestehen. Schon in der Miscelle im
•»Goethe -Jahrbuchs für 1893 habe ich darauf hingewiesen,
daß unter allen Umständen Goethe's ^Aufzeichnung für un-
vollständig gelten muß. Ganz abgesehen davon, daß deren
Lückenhaftigkeit schon vermuthet werden könnte, weil sie
nach mehr als fünfzehn Jahren zu Stande kam und in diesem
Zeitraum Manches dem Gedächtniß entfallen sein dürfte, so
ist doch dafür entscheidend, daß die von GOETHE angeführten
Gesprächsgegenstände in wenigen Minuten abgethan sein
mußten, während die Dauer seiner Audienz beim Kaiser auf
eine Stunde, ja bis zu zwei Stunden angegeben wird. Zu-
dem erwähnt GOETHE selbst in seiner Aufzeichnung, daß er
im Gespräch die Mannigfaltigkeit der Beifallsäußerungen
Napoleon's bewundert habe, während doch Gegenstände,
bei denen diese Mannigfaltigkeit sich hätte zeigen können,
in seiner Aufzeichnung zu vermissen sind. Daraus ergiebt
sich, daß jede Mittheilung über das Gespräch, die Weiteres
bringt, als GoETHE, von vornherein als Ergänzung der zweifel-
los unvollständigen Aufzeichnung zu begrüßen ist. Geiger
hat sich auf alle diese wesentlichen Thatsachen nicht ein-
gelassen und nur obenhin in Bausch und Bogen abgeurtheilt.
Und wie oberflächlich er auch das behandelt, worauf er ein-
geht, zeigt u. a. der von ihm entdeckte Widerspruch zwischen
Talleyrand's und Goethe's Darstellung in der Art der
Verabschiedung. Nun schreibt GOETIIE: »Und so nahm ich
Gelegenheit bei dem Kammerherrn durch eine Geberde an-
zufragen, ob ich mich beurlauben könne? die er bejahend
erwiderte und ich dann ohneweiteres meinen Abschied
nahm.« Während GOETHE also nur das anführt, was er
6. Die Unterredung mit Napoleon. ng
selbst beim Abschied gethan, also seine stumme Verbeugung,
verzeichnet TalleyranD — der überhaupt nur das Ge-
sprochene berichtet — gegentheils Napoleon'S Worte beim
Abschied: »Adieu Mr. Goethe. & Sicher ist es nach dem
Gebrauch bei solchen Audienzen, daß NAPOLEON nicht, ohne
etwas zu sagen, den sich empfehlenden GOETHE entlassen
haben wird. Man begreift daher Geiger's Ausstellung gar
nicht, wenn man nicht außer seiner Oberflächlichkeit Mangel
an Kenntniß des Ceremoniells in Betratht zieht.
Die unabweisbaren Unrichtigkeiten, die in dem von
TalleVRAND berichteten Gespräche vorkommen, sind nur
scheinbar geeignet die Zuverlässigkeit des übrigen Lihalts
preiszugeben. Dies wird auch nicht durch Berufung auf
Talleyrand's Verlogenheit erzwungen: wir wissen nur, daß
ihm eine Lüge nichts kostete, wenn sie seinen Zwecken
förderlich zu sein schien, aber in dem Gespräch zwischen
Napoleon und Goethe lag nichts Derartiges. Im Gegen-
theil: wenn nicht dieses Gespräch, wie es wirklich stattfand,
sein Interesse erregt hätte, brauchte er es nur zu übergehen;
entschloß er sich aber einmal zur Aufnahme in seine Denk-
würdigkeiten, so konnte ihm nur die soweit möglich genaue
Wiedergabe genügen.
Soweit möglich! Denn beim Durchgehen der Einzel-
heiten des Gesprächs muß man sich vergegenwärtigen, daß
dessen Zeugen, auf deren Aussagen Tallevrand sich größten-
theils verlassen mußte, insgesammt Männer waren, denen die
Angelegenheiten, über die NAPOLEON Fragen an Goethe
richtete, mehr oder weniger fremd waren. Sie erfaßten da-
her zwar den Sinn der Aeußerungen, gaben sie jedoch nur
soweit richtig wieder, als sie allgemein verständlich waren
und von ihnen als gewichtige im Gedächtniß behalten werden
konnten. Leicht hingeworfene Fragen und Antworten da-
gegen, die nur als Lückenbüßer im Gespräch vorkamen oder
die Gegenstände betrafen, von denen sie keine genaue Kennt-
niß hatten, gaben sie so wieder, wie sie sich dieselben vor-
j 20 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
Stellten, oder ließen sie ganz aus. Sind hiermit die Gesichts-
punkte festgestellt, aus denen Taixevrand's Bericht ver-
nünftigerweise zu betrachten ist, so liegt kein stichhaltiger
Grund vor, zu bezweifeln, daß namentlich folgende Aeuße-
rungen Goethe's, — um die es mir zunächst zu thun ist —
im Wesentlichen wahrheitsgetreu wiedergegeben sind: Die
Schmeichelei, daß der Kaiser bei seinen Reisen auch aut
Geringfügigkeiten den Blick richte; — das Ableugnen, der
erste deutsche (tragische?) Dichter zu sein; — die Berich-
tigung von NxVPOLEON's wegwerfendem Urtheil überSCHlLLER'.S
Dreißigjährigen Krieg (womit wohl » Wallenstein <• insbesondere
» Wallenstein s Lagert, dem Kaiser vielleicht durch die Ueber-
setzung von BE^7AMIN CONSTANT DE Rebecque zugänglich
geworden, gemeint ist); — die Abweisung der Annahme,
daß in Weimar die berühmten Gelehrten Deutschlands ver-
einigt seien; — das Erbieten, WiELAND nach Erfurt kommen
zu lassen; — die Erklärung, daß die Deutschen die drama-
tischen Einheiten nicht für wesentlich ansehen; — der Aus-
druck der Befriedigung über den gegenwärtigen Erfurter
Aufenthalt; — die Wendung, daß das weimarische Volk, nach
dessen Glück NAPOLEON gefragt hatte, noch darauf hoffe; —
die Ablehnung der Aufforderung, über die Erfurter Festtage
zu schreiben; — die Anerkennung des Tacitus; — die Miß-
billigung der Behandlung, die der Herzog KARL AUGUST
durch Napoleon erfahren; — das Lob des Fürsten PRIMAS;
— die Verneinung der früheren (d. h. einer vor 1808 fallen-
den) Bekanntschaft mit Kaiser ALEXANDER; — die Weige-
rung, eine Schrift über die Erfurter Fürstenzusammenkunft
zu schreiben und dem Kaiser ALEXANDER zu widmen; ■ —
die Beschwichtigung Napoleon's bei dessen Ausfall gegen
KOTZEBUE. — In allen diesen x^eußerungen offenbaren sich
nur Eigenschaften, die wir sonst von GOETHE kennen, sie
bewähren sich aber hier gerade glänzend, indem er ihnen
Angesichts des Gewaltigsten seiner Zeit treu bleibt, was um
so höher anzuschlagen ist, als es nicht zu verwundern ge-
6. Die Unterredung mit Napoleon. I2I
wesen wäre, wenn ihn die bekannte Empfindlichkeit Napo-
LEON's befangen gemacht hätte. Indessen erhielt sich GOETHE
seine Besonnenheit, die ihn einerseits befähigte, Aeußerungen
NapoLEON'S mit sinnigen x\rtigkeiten zu erwidern, anderer-
seits mit ungebeugtem Freimuth ihm entgegenzutreten, ja
ihn zu tadeln.
Diesen werthvoUen Hauptpunkten gegenüber beschränkt
sich das mit Recht Angezweifelte auf folgende Nebenum-
stände, deren lässige Behandlung oben als leicht begreiflich
erklärt wird.
Napoleon habe Goethe für den ersten tragischen
Dichter angesprochen, was dieser mit Hinweis auf SCHILLER,
Lessixg und WlELAND abgelehnt habe. Unwahrscheinlich
ist allerdings, daß GoETHE WlELAND den ersten tragischen
Dichtern beigezählt haben werde, indessen kann leicht, sei
es Tallevrani), sei es sein Gewährsmann entweder es für
selbstverständlich gehalten haben, daß Wieland — der eben-
falls \'om Kaiser geehrte Dichter — auch ein tragischer ge-
wesen sei und seinen Namen den anderen zugefügt haben,
oder er hat überhört, daß von Dichtern überhaupt die Rede
gewesen, und hat GOETHE leojiglich als tragischen gekannt;
daß er ihn wegen des » Wertkeri. nicht zu den Dichtern
rechnete, ergiebt sich aus dem französischen Sprachgebrauche,
der Romanschreiber nicht so bezeichnet. — Hiernächst be-
sagt der Bericht, GOETHE habe sich selbst als Uebersetzer
französischer Tragödien benannt, während es nach Goethe'S
Aufzeichnung Daru war, der dies that. — Sodann soll
Napoleon Goethe auf die am Abende stattfindende Auf-
führung der ? Iphigenie <(. eingeladen haben, obwohl »Mit/indata
gegeben worden war. Kann aber nicht, außer anderen Irr-
thumsursachen, erstere in Aussicht genommen gewesen, aber
eingetretener Hindernisse wegen abgesagt worden sein? —
Ferner soll GOETHE NAPOLEON auf die Frage, ob er den
Kaiser ALEXANDER schon gesehen, geantwortet haben, es
sei noch nicht der Fall gewesen, er hoffe jedoch, ihm vor-
J22 ^^^- Goethe mit Zeitgenossen.
gestellt zu werden, was in Widerspruch steht mit der That-
sache, daß er dem russischen Kaiser schon am 26. September
vorgestellt worden war. Dieser Widerspruch löst sich je-
doch leicht in ein Mißverstehen auf, indem anzunehmen ist,
daß Napoleon nach einer früheren Bekanntschaft mit Kaiser
Alexander, d. h. einer vor 1808 fallenden, gefragt und
Goethe demzufolge geantwortet hat, er habe soeben die
Ehre gehabt, ihm vorgestellt worden zu sein. — Weiter kann
Goethe nicht als einen bei Beginn seiner schriftstellerischen
Thätigkeit und überhaupt nicht als einen in der Vergangen-
heit gefaßten Beschluß hingestellt haben, niemals auf Wid-
mung eines Buchs sich einzulassen- er kann es nur als Klug-
heitsregel im Allgemeinen ausgesprochen haben. — Ebenso
wenig kann GOETHE KOTZEBUE als noch in der Verbannung
in Sibirien weilend und seine Begnadigung von dem Fürworte
Napoleon's hoffend bezeichnet haben, indessen konnte wohl
der Uneingeweihte, der von KOTZEBUE'S bereits längst er-
folgter Begnadigung nichts wußte, Goethe's Antwort sich
so, wie Talleyrand berichtet, zurechtgelegt haben. — Auch
die Angabe TalleyraND's, daß er GOETHE nach der Au-
dienz zu sich zum Diner eingeladen habe, ist nicht um deß-
willen unwahr, weil wir wissen, daß dieser nach der Audienz
beim Herzog speiste; Talleyrand kann sich sehr wohl der
von ihm ergangenen Einladung, nicht aber der Absage und
der anderswo geschehenen Besprechung Goethe'S über die
Audienz erinnert haben.
Von vorstehenden Erklärungen der als unrichtig zu er-
achtenden Angaben TalLEYRAND's will ich durchaus kein
Aufhebens machen und kann nicht widersprechen, wenn man
sie als Phantasiestücke bezeichnen wollte; ich habe sie nur
vorgebracht, um zu verdeutlichen, ein, wie einseitiges, un-
kritisches Verfahren es ist, die Zuverlässigkeit der unwider-
legbaren Angaben zu bezweifeln, von denen doch ihrer Wichtig-
keit wegen verauszusetzen ist, daß der Berichterstatter dabei
mit erhöhter Sorgfalt verfahren sein wird, und nicht vielmehr
6. Die Unterredung mit Napoleon. 123
im Gegentheil sich mit dem Zweifeln vorzugsweise an die
mit mehr oder weniger Gewißheit für falsch anzusehenden
Aeußerungen über Nebendinge, zu halten, bei denen umge-
kehrt entschuldbar ist, daß die mit den besprochenen Gegen-
ständen nicht vertrauten Gesprächszeugen sie nur annähernd
richtig übermittelten. Hätte Geiger den Grundsatz, den er
S. 171 der y> Jahresberichte <^^ gelegentlich der Bekämpfung
einer ^Hyperkritik«. DüNTZER'S aufstellt, — »bei einer der-
artigen Fälschung müßte irgend welcher Grund ersichtlich
sein« — S. 170 selbst befolgt, so mußte sein Urtheil über
TallEYRAND's Bericht anders ausfallen; anstatt dessen schiebt
er »Unwissenheit und Kritiklosigkeit« andern in die Schuhe.
(3.)
Geiger hat die Frage der Echtheit von Talleyrand's
Bericht übsr Goethe's Unterredung mit NAPOLEON ferner-
w^eit behandelt und es thrr mir leid, daß die Sache damit
auf Persönlichkeiten zugespitzt wird; indessen darauf einzu-
gehen, darf ich nicht unterlassen, da die Feststellung der
zwischen dem größten Feldherrn und dem größten Dichter
vieler Jahrhunderte zu werthvoU ist, um sich in der Mitwir-
kung durch die Aussicht auf widerwärtige Fehden abhalten
zu lassen. Und auch die Frage mußte ich zu meinem Be-
dauern bejahen, ob die Mischung von Thatsächlichem und
Persönlichen in ein Buch, wie die Goethe- Forschungen, gehört;
denn GEIGER hat unsre Meinungsverschiedenheit in einem
Buche weitläufig behandelt und sucht dabei für seine Auf-
fassung der Thatsachen durch persönliche Verdächtigungen
zu wirken; er zwingt dadurch geradezu, auf seine Persönlich-
keiten an ähnlicher Stelle einzugehen.
Geiger sagt in ^'Ans Alt- Weimar i< Seite 130: »Wer
auch nur mit den Anfangsgründen historischer Kritik ver-
traut ist, wird sagen müssen: jeder Bericht, der diese fünf
Momente [s. unten] nicht enthält, trägt schon dadurch den
Stempel des Apokryphen an sich!« Ganz recht! Wer nur
124
IV. Goethe mit Zeitgenossen.
mit den Anfangsgründen, historischer Kritik bekannt ist, kann
zu derartigem Schlüsse gelangen, wer jedoch darin etwas
vorgeschritten ist, wird sich's nicht so bequem zu machen
wagen, vielmehr die Aufgabe tiefer fassen. Das ist allerdings
Geiger'S Sache nicht; er macht sie sich auf alle Weise leicht.
F_^r nimmt es nicht ängstlich mit der Wahrheit und ver-
schwendet seine Zeit nicht mit Studium der Quellen. \'on
diesen Schwachheiten will ich auf je ein Beispiel hinweisen.
Geiger sucht mich v^orweg zu discreditiren und als
Sonderling hinzustellen, indem er S. 131 in der Anmerkung
sagt, ich sei in Deutschland der einzige Verfechter der Echt-
heit von TalLEVRAND'S Bericht. Diese Behauptung durfte
Geiger so kurzhin nur aussprechen, nachdem er gründliche
Umschau in der Literatur gehalten hatte. Das ist aber nicht
geschehen; denn dabei würde er noch einen solchen deutschen
X^erfechter in Bailleu (Sybel's Historische Zeitschrift LXVIIL
jS ff.) gefunden haben. Geiger wird schwerlich Anstand
nehmen, diesem Schriftsteller den Vorzug in Bezug auf histo-
rische Kritik einzuräumen.
Geiger'S mangelhafte Kenntniß der Goethe - Literatur
erhellt aber daraus, daß er Goethe's Aufzeichnung seiner
Unterredung mit NAPOLEON vor 1824 erfolgt sein läßt,
während sie doch nach Goethe'S Brief an Kanzler V. MUELLER
vom 15. Februar 1824 erst am Tage vorher stattgefunden
hat. Der Brief steht in einem sehr bekannten Buche: das
Nachsuchen erspare ich ihm boshafterweise nicht, wenn ich
ihn auch nicht beschuldige, die Aufzeichnung absichtlich zu
früh angesetzt zu haben. GekjeR beruft sich zwar auf eine
Angabe EckeRMANN'S; aber mit seiner historischen Kritik
die Eckermann in diesem Punkte für glaubens würdiger als
Goethe erklärt, wird er nicht durchdringen.
Geiger'S Beweisführung über Unglaubwürdigkeit von
TalleYRAND's Bericht ist aber im Wesentlichen die: GoETHE
verdient mehr Glauben, als der »Franzose - und da die, von
Geiger aus Goethe's Darstellung ausgezogenen fünf Momente
6. Die Unterredung mit Napoleon. 125
der Unterredung in Tallevrand's Bericht fehlen, so ist
dieser falsch. (S. 130 — 135.) Das ist doch schroffste Ver-
drehung der Streitfrage! Goethe'S Glaubwürdigkeit hat ja
niemand angezweifelt, auf die kommt es also bei Prüfung
der Glaubwürdigkeit Talleyrand's gar nicht an, sondern
nur darauf, ob das, was dieser mehr berichtet, als auf Wahr-
heit beruhend anzusehen ist. Daß dieser Kernpunkt über-
sprungen wird, ist begreiflich: er ist nicht nach GeigER's
Gewohnheit, obenhin zu behandeln. Historische Kritik muß
früher einsetzen und zunächst erörtern: hat GOETHE das Ge-
spräch vollständig aufgezeichnet und hat er das auch nur
gewollt: Die Verneinung dieser Fragen habe ich ausführlich
begründet. Für Leser, die ich im Auge habe, ist deren
weiteres Breittreten nicht nöthig; für diejenigen, deren Ur-
theil in einen geschlossenen Kreis gebannt ist, hilft auch
Wiederholung nichts. Nur darauf ist nochmals hinzuweisen,
daß Goethe mit seiner Aufzeichnung über fünfzehn Jahre
lang gezögert hat, um keinen Anlaß zu Klatschereien zu
geben. Deßhalb überging er, auch als er sein Schweigen
brach, persönliche und politische Gesprächsrichtungen. Das
trifft auch mit Geiger'S guter und richtiger, von ihm nur
nicht richtig benutzter Charakterisirung der beiden Gesprächs-
berichte überein, daß in dem Bericht von GoETHE literarische,
in dem von TallevranD politische und persönliche An-
gelegenheiten überwiegen. (S. 133.) Anderseitig ist wiederum
auch zu begreifen, daß Talleyrand und den französischen
Generälen, auf deren Zeugenschaft jener sich stützte, die im
Gespräche berührten literarischen Angelegenheiten weder so
geläufig waren, noch für so erheblich gehalten wurden, un^
sie aufzubewahren. Deßhalb hielten sie diese nicht fest. Die
persönlichen und politischen aber auch nur nach ihrer un-
genügenden Kenntniß des Sachverhaltes.
Geiger'S Kritik gipfelt in der Behauptung: (S. 142.) was
Talleyrand sage, sei ohneweiteres für unwahr zu erachten,
weil er ein Lügner, Flunkerer und Fälscher gewesen sei,
J26 IV. Goethe mit Zeitgenossen.
und zwar nicht allein wegen eines dadurch zu erreichenden
Zweckes, sondern aus Gewohnheit. Ja, mit diesem Kehraus
legt mich GEIGER freilich lahm. Ich verzichte auf ent-
sprechende Erwiderung und weitere Ausführung. Denen,
die sich mit solchen kritischen Fragen, wie die über den Li-
halt der Unterredung Goethe's und NAPOLEONS, nicht be-
fassen und auf dergleichen Kleinigkeiten keinen Werth legen,
empfehle ich, der Bequemlichkeit halber Geiger's Darlegung
zur Richtschnur zu nehmen, wonach Tallevrand's Bericht,
als rein aus der Luft gegriffen, nicht weiter zu beachten und
dagegen Goethe'S Darstellung für erschöpfend anzusehen ist.
Wem dagegen die Sache des Schweißes der Edlen werth
erscheint, für den habe ich in meinen früheren Aufsätzen ge-
nug gesagt. Im gegenwärtigen Schlußwort kennzeichnete
ich nur das Persönliche in der Bew^eisführung Geiger'S. Und
da ist ihm auch der Vorw'urf der Unvorsichtigkeit nicht zu
ersparen, wenn er so sicher in Behauptungen und x\usfällen
gegen Andersdenkende sich ergeht; denn sollte — was nicht
unmöglich — noch eine Urkunde zu Tage kommen, welche
die wesentlichen Angaben Tallevrand's als zweifellos be-
stätigt, so hätte er sich unnöthig bloßgestellt — wieder einmal;
denn solche unano-enehme Erfahrunor wäre nicht neu für GEIGER.
^^r-
Gem. V. Gerh. v. Kügelgeii
Silvia Freiin von Ziegesar
Biedermann, Goetheforschungen III.-
V.
Vermischtes zur Goethe-
forschung.
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's.
as \'erlangen nach Originalität wird häufig ohne
rechte Ueberlegung erhoben. GOETHE hat in zahl-
reichen >-> Zahmen Xenie^fi. und anderen Epigrammen
sowohl gegen die Sucht, als gegen die gemiß-
brauchte Forderung, Original zu sein, geeifert. Kein Mensch,
der unter gebildeten Zuständen auferzogen ist, kann etwas
schaffen, das nicht Frucht der eingesogenen Bildung ist, und
es ist ganz unmöglich, die Grenze festzustellen, über welche
hinaus die Benutzung des Bildungsstoffes anfängt unerlaubt
— richtiger unanständig — zu sein. Fordern, daß Alles,
was ein Mensch ist und thut original sei, heißt verlangen,
daß jeder Mensch von vorn, auf der Stufe des Thieres an-
fange; jeder Fortschritt ist damit ausgeschlossen und die
Folge müßte sein, daß die Originale die Zurückgebliebenen,
die Nachahmer die Fortschreitenden sein würden — dies
allerdings nur, sofern das Originalitätsgebot streng durch-
geführt werden wollte, und folgestreng sind glücklicherweise
die Menschen nicht; aber auch bei schlaffer Anwendung des
Gebotes liegt jene Folge immerhin in der Richtung. Hat
man sich aus Billigkeits- oder sonstigen — nicht aus Rechts-
— Gründen veranlaßt gesehen, Gesetze über sogenanntes
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 9
j 5Q V. Vermischtes zur Goetheforschung.
geistiges Eigenthum und Erfinderreclite zu erlassen, so kann
dies durch Zeitstimmungen gerechtfertigt sein, steht aber mit
der natürlichen Geistesfreiheit in Widerspruch. Hat jemand
etwas hervorgebracht, das Gutes in sich birgt, aber von V'oll-
kommenheit noch so weit absteht, daß ein Anderer Besseres
daraus gestalten kann, so hat vom Standpunkte der Ge-
schichte des menschlichen Geistes aus betrachtet jenes erste
Werk seine Bestimmung erfüllt, indem es die Anregung zu
einer bedeutenderen Leistung gegeben hat, und der erste An-
regende widersetzt sich der Weltordnung, wenn er die An-
regung zur Unfruchtbarkeit verurtheilt, das Angeregte unter-
drückt haben will.
Der Stufen der Anregung sind freilich unzählige, aber
um nicht weiter in allgemeinen Sätzen uns zu bewegen, so
halten wir uns an den im Eingange genannten Gegner der
Originalitätsjägerei. Daß GOETHE in seinen Dichtungen schon
vorhandene benutzt hat, ist bekannt; eine Reihe von Bei-
spielen hiervon sind zu entnehmen aus meinem Aufsatz
y> Goethe und das Volkslied^. Aber neben diesen beabsichtigten
Nachbildungen finden sich häufig bei ihm mehr oder weniger
unwillkürliche Anlehnungen, veranlaßt durch P>innerungen an
berühmte Muster. Erklärlicherweise kommen dieselben am
öftersten in seinen Jugenddichtungen vor. Die Erinnerungs-
anklänge in den ■»Neuen Liedern i, die GOETHE fast sämmt-
lich als Student gedichtet, BERNHARD THEODOR Breitkopf
in Musik gesetzt und BERNHARD CHRISTOPH BREITKOPF ge-
druckt, sowie verlegt hat (1770), sind in einer Schrift ^'>Aus
Goethe' s Frühseit<!. von MINOR und Sauer zum Gegenstand
eingehender Untersuchung gemacht worden, die zu dem
Ergebnisse führte, daß es hauptsächlich die sogenannten
anakreontischen Dichter um die Mitte des vorigen Jahrhunderts,
namentlich HAGEDORN, Uz, GlEIM, LeSSING, CrONEGK,
Weisse, Gerstenberg, J. G. Jacobi und Michaelis sind,
mit denen GOETHE dort übereinstimmte. Indessen geht aus
dieser Untersuchung — von ein paar nebenbei berührten
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's, 131
Fällen abgesehen — nicht her\-or, daß GOETHE sich einem
oder mehreren dieser Dichter geradezu angeschlossen habe,
vielmehr liefert sie nur ein Verzeichniß von Wörtern, Redens-
arten, Wendungen, Bildern und Gleichnissen, die jenen Dichtern
eigen waren und ebenso sich auch in den y Neuen Liedenii.
finden. Jene Wörter u. s. \v. schwirrten damals in der Poeten-
luft umher: wie der Dichter sich der Sprache seines Volkes
bedient und zwar dieser Sprache im Wesentlichen so, wie
sie zu seiner Zeit gesprochen wird, so nimmt er auch die-
jenigen Gestaltungen und Formeln in seine Gedichte herüber,
welche seine \"orgänger in der von ihm gepflegten Gedicht-
gattung geschaffen haben. \"on einem anderen Standpunkte
aus ist es aber von größerem Werthe, zu ermitteln, welcher
jener Dichter von GOETHE bevorzugt und nicht bloß als
Sprachzubereiter benutzt wurde, nach dem vielmehr er sich
vorzugsweise gebildet hat.
Von obigen, in der gedachten Untersuchung berück-
sichtigten Anakreontikern nennt GOETHE unter den, durch
den Bücherschatz seines Vaters ihm früh zugängig gewordenen
deutschen Dichtern sowohl in seinem biographischen Schema
als auch in y Dichtiüig und WaJu-Jieiti einzig und allein
Hagedorn. Er nennt ferner außer Geleert nur noch
Hagedorn als die Dichter, neben denen mit Ehren genannt
zu werden er sich sehnte, als er auf die Universität sich vor-
bereitete. Er sandte ferner an seine Freundin KÄTHCHEN
Schönkopf zu Weihnachten 1 769 Hagedorn's Werke mit
dem Wunsche, daß sie an dem »liebenswürdigen Dichter«
den Gefallen finden möge, den er verdiene. Noch 1804
in der Recension der i Lyrischen Gedichte 1. von VOSS er-
wähnt Goethe nur Hagedorn und Kleist als »gleich-
sam selig gesprochene Dichtergestalten«. Ja es verräth auch
Goethe's Bewandertsein in Hagedorn's Dichtungen, wenn
er Zeltern, nachdem dieser den Kupferstecher GEORG
Friedrich Schmidt als seinen Großoheim bezeichnet hatte,
am 4. October 1831 die Stelle in einem Gedichte Hage-
9*
132
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
DORN's nachweist, worin dieser SCHMIDT rühmlich genannt
wird.
AuffälUg ist Hagedorn's Bevorzugung durch GOETHE
nicht, da er als der Bedeutendste der zeitgenössischen Dichter
über Alle hinaus den größten Einfluß ausübte; wo er in
Goethe's Gedichten zu finden ist, werden wir sehen.
In dessen ältester Gedichtsammlung ■» Annette i merkt
man kaum die Schule Hagedorn'S, dagegen ist sie in den
•»Neuen Liedern-» mannigfach zu spüren.
Die vervollständigte Ausgabe von Hagedorn's »Po-
etischen Werken», welche 1757 bald nach seinem Tode er-
schien, enthält die Gedichte unter den Abtheilungen: Moralische
Gedichte — Epigrammatische Gedichte — Fabeln und Er-
zählungen — Oden und Lieder.
Die Moralischen Gedichte sind in der Mehrzahl Briefe
nach Art der Horazischen Episteln, in Alexandrinern ge-
schrieben. In dem Wenigen, das GoETHE später in dieser
Gattung hervorbrachte, nahm er sich aber das classische
Vorbild aus erster Hand. Die Epigramme hiernächst in der
frostig-witzelnden Art damaliger Zeit konnten GOETHE gleich-
falls nicht zur Nachahmung reizen. Fabeln ferner, d. h. die
von Hagedorn nach dem Zeitgeschmacke besonders ge-
pflegte Thierfabel, ließ Goethe als eine imgrunde poesie-
lose Gattung ebenso ziemlich unbeachtet. xA.ußer der, in
ungebundener Rede erzählten Fabel in der Recension von
»Alexander v. Joch über Belohnung und Bestrafung nach
türkischen Gesetzen« in den '> Frankfurter geleJirten Anzeigen^
von 1772 und den beiden aus späterer Zeit herrührenden
Weiterführungen altbekannter Fabeln y> Fuchs und KranicJit-^
sowie ^>Die Frösche« hat er in seiner Frühzeit nur Eine als
selbstständige Dichtung zu erkennende Thierfabel geschrieben :
»Adler und Taube <.<.. Aber wie unendlich vertieft erscheinen
diese Fabeln Goethe's gegen alle Fabeln der Dichter jener
Zeit mit ihrem auf Sitten- oder Erfahrungslehren hinaus-
laufenden Inhalte! Von ihnen hat GoETHE keinen Gewinn
I. Hagedorn ein Vorbild Goethe's.
133
gezogen, auch von den Fabeln Hagedorn'S nicht. Eben-
dessen »Erzählungen in Viersen verlockten GoETHE auch
nicht zur Nachahmung und so bleiben nur noch »Oden und
Lieder« aus Hagedorn's >> Poetischen JVerken« übrig, auf
welche sich die Neigung beziehen könnte, die GOETHE diesem
Dichter dermassen, daß sie ihn zur Nacheiferung anregte,
gewidmet hätte.
Das erste der »Neuen Lieder« ist das »Neujahrslied«,
beginnend: » IVer kommt, iver kauft von meiner Waar ?<i
Die Wünsche und Vorhersagungen dieses Liedes beziehen
sich alle auf \^erhältnisse der beiden Geschlechter zu ein-
ander. Die zweite, dritte und vierte Strophe lauten wie folgt:
2. Du Jugend, die du tändelnd liebst,
Ein Küßchen um ein Küßchen giebst
LInschuldig heiter:
Jetzt lebst du noch ein wenig dumm;
Geh nur erst dieses Jahr herum,
So bist du weiter.
3. Die ihr schon Amors Wege kennt.
Und schon ein Bischen lichter brennt,
Ilir macht mir bange:
Zum Ernst, ihr Kinder, \^on dem Spaß!
Das Jahr! zur höchsten Noth nur das.
Sonst währt's zu lange.
4. Du junger Mann, Du junge Frau!
Lebt nicht zu treu, nicht zu genau
In enger Ehe:
Die Eifersucht quält manches Haus,
Und trägt am Ende doch nichts aus.
Als doppelt Wehe.
Nun hat HAGEDORN im III. Bande Seite 83 der Aus-
gabe von 1757 ein nur aus drei vierzeiligen Strophen be-
stehendes Gedicht ^Die Verliebtem'.. Das Versmaß des-
selben ist ganz das Gleiche wie das des »Neujahrsliedes«
134
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
und der Strophenbau nur dadurch unterschieden, daß GOETHE
die ersten drei dreifachreimenden Zeilen jeder Strophe auf
zwei durch Reim gebundene Zeilen beschränkt, dagegen die
nach dieser Verkürzung nur noch dreizeilige Strophe verdoppelt
und demgemäß seiner dritten, bei HAGEDORN durch alle
Strophen hindurch denselben Reim habenden Zeile nur in der
sechsten jeder Strophe eine Reimzeile gegeben hat. HAGE-
DORN singt:
Ihr, deren Witz die Sehnsucht übt
Und immer seufzet, harret, liebt.
Wie spät erreicht ihr unbetrübt
Der Liebe Freuden!
Furcht, Knechtschaft, Unruh und Verdacht,
Der wüste Tag, die öde Nacht
Sind bis die Lieb' euch glücklich macht
Nicht zu vermeiden.
Wie groß muß ihr Vergnügen seini
Wie sehr muß ihr Genuß erfreun.
Wenn edle Seelen ihre Pein
So willig leiden.
Man wnrd bemerken, daß auch der Lihalt des »Neujahrs-
liedes« deutlich an »Z^2> Verliebten''- anklingt und namentlich
Goethe's zweite Strophe der ersten Hagedorn's, die dritte
und vierte Goethe's aber der zweiten HagedORN's entspricht.
Das zweite der -»Neueji Liedef-i ist das neunstrophige
•»Der zvahre Geniifsi. mit der Anfangsstrophe:
Umsonst daß du, ein Herz zu lenken.
Des Mädchens Schooß mit Golde füllst!
O Fürst! Laß dir die Wollust schenken.
Wenn du sie wahr empfinden willst.
Gold kauft die Zunge ganzer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir;
Doch willst du eine Tugend kaufen,
So geh und gieb dein Herz dafür.
I. Hagedorn ein Vorbild Goethe's. 125
Dieses, sowie das achte der »Neuen Lieder« ist in einer
Strophe geschrieben, die mit demselben Versmaße und
Strophenbaue HAGEDORN besonders liebt und unter seinen
Liedern in der Ausgabe von 1757 allein sechs Mal angewandt
hat. (III, 30, 36, 51, 84, 95, 117.) Darunter ist eins, »A?i
die heutigen Enci'atiteni , welches Mäßigkeit im Genüsse
empfiehlt und sich darin mit Goethe'S Gedicht berührt;
letzteres vertieft sich indessen in Schilderung des wahren
Genusses der Liebe. In dem Gedicht siÄn die neuen En-
cratitenf. beziehen sich auf Liebe hauptsächlich vier Stellen,
die mit » Wahrer Geniifsi. verwandt sind, vorzüglich mag
gleich der Anfang Goethex vorgeschwebt haben:
Was edle Seelen Wollust nennen,
\"ermischt mit schnöden Lüsten nicht.
Die anderen Stellen sind:
Die Liebe, die auch Weise loben,
Macht ihre Liebe nicht zu frei —
ferner:
endlich:
Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen,
Ist höchstens nur der Wenden Lust —
Petrarken, der in \^ersen herzet.
War Laura keine Lesbia.
Der angeführte Beginn des GOETHE'schen Liedes nähert
sich übrigens dem pedantischen, lehrhaften Tone, in w^elchem
Hagedorn auch seine lockern Lieder einzuleiten pflegt.
Das dritte der »Neuen Lieder« ist -»Die Nacht t, später
unter der Ueberschrift t>Die schöne Nacht n in Goethe's
Werke aufgenommen. Hagedorn hat gleichfalls ein Lied
i>Die Nacht <!.. (III, iiof.) Beide Lieder sind in achtzeilige
Strophen gefaßt, die in beiden aus sieben- und achtsilbigen
Versen bestehen; bei HAGEDORN ist aber das Versmaß
jambisch, bei GOETHE trochäisch. HAGEDORN feiert ebenso
wie Goethe in seinem Liede die Reize der Nacht, ersterer
jedoch ohne alle Tiefe und breitgezerrt, während GOETHE
j ^5 V- Vermischtes zur Goetheforschung.
sinnig und zart eine begeisterte Schilderung der landschaft-
lichen Schönheit der Nacht giebt und dieselbe zum Schlüsse
gesteigert auf Liebe anwendet:
Und doch wollt' ich, Himmel, dir
Tausend solche Nächte lassen.
Gab' mein Mädchen Eine mir.
Es ist zweifellos, daß GOETHE auch hier HAGEDORN
vor Augen gehabt hat; namentlich dessen erste Strophe ist
es, an die GoETHE erinnert, insbesondere durch das Vor-
kommen eines und desselben Wortes in Hagedorn's zweitem
und in Goethe's drittem Verse. HAGEDORN hebt an:
Willkommen angenehme Nacht!
Verhüll' in deine Schatten
Die Freuden, die sich gatten,
Und blende, blende den Verdacht!
Wenn treue Liebe küssen macht,
So wird der Kuß der Liebe,
So werden ihre Triebe
Beglückter durch die stille Nacht.
Die erste Hälfte der Anfangsstrophe bei GoETHE hat
die wunderbar schöne Trope:
Gern verlaß' ich diese Hütte,
Meiner Liebsten Aufenthalt,
Wandle mit verhülltem Tritte
Durch den ausgestorb'nen Wald.
Die Form der Strophen Hagedorn's und der Goethe's
in den beiden Gedichten ist zwar verschieden, gleicht sich
aber dennoch insoweit, daß die beiderseitigen Strophen nicht
nur achtzeilig sind, sondern auch in zwei, sich gleiche Hälften
zerfallen.
Verschwiegen mag indessen hierbei nicht werden, daß
in Zusammenstellung der Reize der Nacht für die Landschaft
wie für die Liebe Goethe das Vorbild in dem Gedichte
y^Die Nachti von Uz (im III. Buch der lyrischen Gedichte)
hat finden können.
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's I^T
In Bezug auf die drei vorgenannten, unverkennbar an
Hagedorn sich anlehnenden Lieder GOETHE's ist noch da-
rauf aufmerksam zu machen, daß die Lieder HagedoRN'S,
welche diesen drei ersten der -»Neuen Liedern, entsprechen,
in der nämlichen Reihenfolge im III. Bande von HagedoRN'S
»Poetischen Werken <!. stehen.
Das neunte der »Neuen Lieder« — ■>•> Kinderverstand (^
■ — schildert in etwas grobsinnlicher Weise das Gebahren der
Bauermädchen gegen ihre Liebhaber im Gegensatz zu dem
Behaben Liebender in Städten. Einen ähnlichen Gegensatz
bietet » Der verliebte Bauer <.<■ von HAGEDORN (III, 74 ff.), wes-
halb dieser vielleicht auch ein Vorbild für Goethe'S Dich-
tung gewesen ist.
Endlich ist noch eine ausgesprochene Anspielung auf
ein Gedicht Hagedorn's aus den »Neuen Liedernx. zu ver-
zeichnen, und zwar in dem zwanzigsten und letzten der-
selben » Zueignung f. (»Da sind sie nun, da habt ihr sie«).
Goethe — damals krank — sagt darin seinen Leipziger
Freunden und Freundinnen von sich selbst:
Jetzt drückt ihm diätät'sche Ruh'
Den Daumen auf die i\ugen;
er ist jetzt geneigt, gute Lehren zu geben; denn er
kennt des Glückes Grenzen
und weiß, daß die Freunde jauchzen
Dem Abgrund in der Nähe.
Er schließt:
Ihr lacht mich aus und ruft: Der Thor!
Der Fuchs, der seinen Schwanz verlor,
Verschnitt' jetzt gern uns alle.
Doch hier paßt nicht die Fabel ganz:
Das treue Füchslein ohne Schwanz,
Das warnt auch für der Falle.
TiECK vermuthete bei Neuherausgabe der Leipziger Lieder,
daß in der letzten Zeile für »auch« vielmehr »Euch« stehen
solle und F. ZIMMERMANN in seinem Büchlein y> Ernst Theodor
138
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
Langer«, berichtet (S. /f.), daß diese Aenderung in einem,
Langerx vielleicht von GoETHE selbst übersandten Exemplar
der -»Neiieji Lieder i- mit Goethe's Handschrift eingetragen
sei. TiECK würde nun unbedingt im Unrecht sich befinden,
und wenn jene x'\enderung wirklich von GOETHE herrühren
sollte, so hätte er den Sinn seines eigenen Verses geradezu
verdunkelt. Die Schlußstrophe spielt nämlich an auf Hage-
DORN'S Fabel -»Der Fuchs ohne Schzvans'f. (II, 32.) Darin
wird erzählt, wie sich ein Fuchs aus der Falle, in welcher
er sich gefangen hatte, nur durch Zurücklassung seines
Schwanzes hatte retten können und nunmehr die anderen
Füchse bereden will, sich ebenfalls ihres Schwanzes zu ent-
ledigen. In obiger Strophe sagt nun GOETHE nach dem
gedruckten Wortlaute: wenn Ihr auf meine Mahnungen nicht
hört und mich mit HagEDORN'S Fuchs ohne Schwanz ver-
gleicht, so paßt das nicht; denn ich, derselbe Fuchs, der
seinen Schwanz verlor, bin auch derjenige, w^elcher Euch vor
der Falle, in die er gerathen war, selbst warnt. Das »auch«
hebt also das Zusammenfallen des Geschädigten mit dem
selbstlosen Warner ganz richtig hervor, während »Euch«
zwar nicht gerade dem Sinne zuwider läuft, aber nicht so
treffend ist.
Ein Lied der Leipziger Studienzeit, das zwar nicht unter
den »Neuen Liedern«-, wohl aber in dem Liederbuche, das
Goethe für Friederike Oeser zusammengestellt hatte Auf-
nahme gefunden hat, heißt ■>'>An Venus«. Es preist die
Wechsellust von Liebe und Wein. Wie GOETHE singt:
Keinen Wein hab' ich getrunken.
Den mein Mädchen nicht gereicht,
Nie getrunken,
Daß ich nicht voll güt'ger Sorge
Deine Rosen erst gesäugt.
Und dann goß ich auf dies Herze,
Das schon längst dein Altar ist.
Von dem Becher
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's. 1^9
Güld'ne Flammen, und ich glühte
Und mein Mädchen ward geküßt —
so Hagedorn in y Doris und der Wein« (III, 93 f.), besonders
in der ersten und der dritten Strophe:
1. O Anblick, der mich fröhlich macht:
Mein VVeinstock reift und Doris lacht.
Und mir zur Anmuth wachsen beide.
Ergötzt der Wein ein menschlich Herz,
So ist auch seltner Schönen Scherz
Der wahren Menschlichkeit ein Grund vollkomm'ner
Freude.
2. Der Wein, des Kummers Gegengift,
Die Liebe, die ihn übertrifft,
Die werden zwischen uns sich theilen.
Wer mir der Weine Tropfen zählt.
Nur der berechnet unverfehlt
Die Küsse, die gehäuft zu Dir, o Doris! eilen.
Es muß zugegeben werden, daß Aehnlichkeiten wie diese
zufällige sein können, aber die mehrfache Wiederkehr von
Erinnerungsanklängen an HAGEDORN — ungerechnet die in
der Schrift -»Aus Goethe's Frühzeit« angeführten häufigen
gleichen Wendungen — bezeugen unwidersprechlich den Ein-
fluß, den vorzugsweise HAGEDORN auf GOETHE's Jugend-
dichtung gehabt hat. Im Allgemeinen ist übrigens noch her-
vorzuheben, daß der junge GOETHE von Hagedorn'S Dicht-
weise das diesem zusagende Streifen ans Schlüpfrige sich
angeeignet hat, während die anderen in jener Schrift ge-
nannten Anakreontiker mehr nur pedantisch lüstern sich ge-
bahrten.
Nachhaltig war allerdings der erkennbare Einfluß Hage-
DORN's nicht: seine Lieder waren großentheils nur gemacht,
und wenn ihre Natürlichkeit und Ungezwungenheit den an-
gehenden, immer naturwahren Dichter bestach, so waren sie
doch eben nur eine Sprosse der Leiter, auf welcher GoETHE
mit Leichtigkeit und ohne Säumniß zu den höchsten Höhen
I40
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
der Dichtung emporstieg — zu jenen Höhen, wo dem Dichter
die Gabe ward, »herzenein« zu singen. Daß aber keine
Originalitätssucht GOETHE solche Sprossen verschmähen ließ,
keine Furcht vor Reminiscenzenspähern sie ihm verkümmerte,
dafür wollen wir auch den liberalen Anschauungen jener Zeit
dankbar sein.
Mit diesen, aus Gedichten HageDORN's gewissermaßen
hervorgegangenen Gedichten Goethe'S zeigt sich des ersteren
Einfluß auf GOETHE auch sonst noch. Eine Stelle, die auf
Hagedorn zurückzuführen sein wird, ist in » Götz von Bcrli-
chingen'i die Aeußerung des Franz: »So fühl' ich denn in
dem Augenblick, was den Dichter macht: ein volles, ganz
von einer Empfindung volles Herz!« Zu jener Zeit durfte
nur noch HAGEDORN darnach geartet gewesen sein, so etwas
zu sagen, und das geschieht auch in der Vorrede zu dem
»Versuch einiger Gedichte« (1729 Seite XII.)*) mit den
Worten: »Es ist der Poet von einem einzigen Gedanken ganz
eingenommen .... Sein Herz gewinnt eine eifrige Liebe zu
einer gewissen Sache, und er besinnt sich kaum, daß außer
dieser noch andere Dinge vorhanden.« Professor Seuffert
macht mich darauf aufmerksam, daß in derselben Schrift die
ersten Strophen der »Beschreibung eines Ballets« nicht nur
das gleiche Versmaß, bis auf die Kürzung um drei Zeilen,
wie Goethe's Ballade -»Der Sängern hat, sondern daß auch
beide mit dem fragenden »Was« beginnen und den gleichen
Reim auf »Ohr« enthalten, auch Hagedorn's Reimwort
»Schall« dem GOETHE'schen »schallen«, sowie Hagedorn's
Bald eilt er nach, bald flieht er ferne,
Mein Sinn erstaunt; ich höre schon etc.
Goethe's
Der König sprach, der Page lief,
Der Page kam, der König rief
entspricht.
*) B. Seuffert's Neudruck 10. Seite 7.
I. Hagedorn, ein Vorbild Goethe's. I^I
Zweifellos ist GoETHE auch zur Bearbeitung von
BOCACCIO'S 9. Novelle am 3. Tage des Decamerone als
Schauspiel -»Der Falken durch HAGEDORN angeregt worden,
denn dieser hat die Novelle am Schlüsse des 3. Theils der
■»Poetischen Werke 1. in Verse gebracht und ihr dabei zuerst
wohl den Namen -»Der Falken beigelegt.
Als Goethe 1798 die Ausfälle gegen die i>Xcnien'i in
einem dem, jetzt ■»Deutscher Parnafsi überschriebenen Gedicht
beantwortete, erinnerte er sich der Schilderung, die HAGEDORN
in dem vierunddreißigstrophigen Gedicht y^Der Wein« von
ȧachus- ttnd BacJiantenaufzugei. entwirft, da mit ihr GoETHE's
Cantate unverkennbare Anklänge bietet von der Stelle an:
Doch was hör' ich? Welch ein Schall
Ueberbraust den Wasserfall?
Die weitere Verfolgung dieser Berührungspunkte über-
lasse ich jedoch denen, die den y> Deutschen Parnafsi- schon
so erfolgreich bearbeitet haben.
GOETHE'S PRODUCTIVE KrITIK.
ichter zu verstehen, setzt bekanntlich mehr voraus,
als \>rstehen der Sprache; auch ist dies nicht so
sehr allgemeine Eigenschaft derer, welche Dichter
lesen, ja auch lieben, wie Manche denken mögen.
Liebe findet sich oft trotz mangelhaften \^erstehens des ge-
liebten Gegenstandes! Man braucht nun nicht eben Dichter
zu sein, um sich das Yerständnil5 einer echten Dichtung zu
erschließen, aber in die Werkstätte des Dichters muß man
doch ein wenig hineingucken. Sowie indessen ein Gymnasiast
keinen Geschmack an den alten griechischen und römischen
Dichtern gewinnen kann, wenn ihm der Schulmeister nur
die in den Dichtungen Vorkommenden Redetheile, Wort-
beugungen und Satzbildungen abfragt, so wenig kann es in
den Genuß eines Gedichtes einführen, wenn nur — wie es
ja vorkommt — das, was der Dichter in geweihter Sprache
sagt, in der Sprache eines trockenen Pedanten wiederholt
wird; denn wenn auch nicht die Kraft, als Dichter zu schaffen,
so ist doch dichterisches Fühlen und die Fähigkeit, die
Schönheiten der Dichtung in's Licht zu setzen, für den Er-
läuterer dichterischer Werke allerdings unerläßlich. Wie ein
solcher es aber anzufangen hat, seine Aufgabe zu erfüllen,
soll hier nicht etwa untersucht und nur auf einen Weg: hin-
2. Goethe's productive Kritik. 145
gewiesen werden, der zum X'^erständniß von Dichtungen als
solcher im Ganzen, wie ihrer Schönheiten im Einzelnen ein-
geschlagen werden kann.
Wir treffen auf wahre — nicht nur sogenannte — Ge-
dichte, welche von einem, höheren Anforderungen nicht Ge-
nüge leistenden Erzeugniß ausgegangen sind und dessen
Gehalt z\^^ar auf gleicher Grundlage, aber auf höherer Stufe
dichterischen Schaffens wiedergeben. Vergleicht man nun
solche Gedichte mit ihren schw^ächeren Vorgängern, und
stellt und beantwortet man sich die Frage, warum der Nach-
dichter dies und jenes geändert hat, so gewinnt man einen
tieferen Einblick in das Wesen der dichterischen Thätigkeit,
als wenn man etwa sich willkürlich die Möglichkeiten aus-
denkt, wie der Dichter sich anders, aber schlechter hätte
ausdrücken können.
Aber abgesehen von dem allgemeinen lehrhaften Gewinn
aus Vergleichung von Umdichtungen mit den dazu Anlaß
gebenden Erzeugnissen, ist es von größerer Wichtigkeit,
daraus das Schaffen eines bestimmten bedeutenden Nach-
dichters zu erforschen.
Wiederholt ist schon von mir darauf aufmerksam ge-
macht worden, daß namentlich Goethe sich zu Dichtungen
häufig dadurch bestimmen ließ, daß, wenn er eine fremde
Dichtung bei mehreren Vorzügen dennoch von Mängeln be-
haftet fand, er sich vei sucht fühlte, sie vollkommen neu zu
gestalten. Durch Hinweis auf diese Thatsache ist nicht gesagt,
daß es immer lediglich die angedeutete Absicht gewesen
sei, welche ihn zu einer an eine fremde Dichtung anknüpfen-
den eigenen Dichtung bewog; es ist damit vielmehr nicht
ausgeschlossen, daß GoETHE diese kritischen Dichtungen zu-
gleich benutzte, darin anderem eigenem, zur Darstellung
drängendem Gehalt Ausdruck zu geben, ja daß der Drang,
ein Stück seines inneren Lebens in eine Dichtung nieder-
zulegen, hinzutreten mußte, um seiner Kritik den Weg zu
zeigen, auf w^elchem sie sich productiv offenbaren konnte.
144
V. Verschiedenes zur Goetheforschung.
Von keiner berufenen Seite ist mir ein Widerspruch gegen
diesen Hinweis auf eine Thatsache zu Gehör oder zu Gesicht
gekommen, so daß ich hoffen kann, dieselbe werde von
allen anerkannt, die einen überschauenden Blick über GOETHE's
Wesen und Werke sich angeeignet haben. Da aber wer
nur erst anfängt, in der GoETHE-Kunde thätig zu sein, be-
lehrt werden, oder demjenigen, der nur genießend zu Goethe's
Dichtungen sich verhält, die Kunde über die Vorgänge, die
jene veranlaßten, erwünscht sein muß, so mögen hier bisher
zerstreute Bemerkungen über Goethe's productive Kritik
zusammengestellt werden.
Unter den aus productiver Kritik hervorgegangenen
Dichtungen Goethe's im Sinne gegenwärtiger Auseinander-
setzung sind diejenigen Dichtungen nicht zu verstehen, welche
fremde Dichtungen satirisch angreifen, wie die gegen WlE-
LAND's »Alcesten gerichtete Posse -»Götter, Helden und
Wieland 'i, oder die -»Musen und Grazien in der Mark«,
welche Schmidt's zu Werneuchen Xatürlichkeitspoesie ver-
spotten. Es sind ferner hierunter nicht zu verstehen die-
jenigen Dichtungen Goethe's, welche durch den über-
wältigenden Eindruck Anderer hervorgerufen worden sind,
ohne daß dabei die Absicht einer Kritik vorwaltete, wie
etwa » Götz von Berlichingen-» durch SHAKESPEARE beein-
flußt war, ^Die Leiden des jungen Werther 'i ROUSSEAU'S
>->La nouvelle Heloise« angeregt hatte, »Scherz, List und
Rache« italienischen Mustern nachgebildet war, die -» Achilleis i.
an Homer anknüpfte, der » Westöstliche Divan« an persische
Dichtungen anklang. Endlich sind unter den hier in Frage
kommenden Dichtungen auch diejenigen nicht zu verstehen,
welche Goethe in Gemeinschaft mit anderen Personen unter-
nahm, wobei er die Stücke des Mitarbeiters zu verbessern
bemüht war; so bei dem Vorspiel Von 1814: »Was wir
bri)igcn<.< und dem Nachspiel zu Iffland's »Hagestolzen^.
Indem wir nun die Dichtungen, die der Mehrzahl nach mit
völliger Gewißheit von einer Seite her, z. Th. auch durchaus
2. Goethe's productive Kritik.
145
ihre Entstehung der kritischen Entgegenstellung gegen das
Werk eines anderen Dichters verdanken, annähernd der Zeit-
folge nach vorüberführen, sei vorausbemerkt, daß dabei —
soweit eingehende Nachweise erforderlich sind — auf bereits
gegebene Darlegungen verwiesen werden soll.
Schon als Leipziger Student äußerte GOETHE im Brief
an BehrisCH vom 17. October 1767: »Ich habe einen Plan
zu einem neuen »Roineo'.^ gemacht, weil mir WEISSENS seiner
beim Durchlesen gar nicht gefallen hat«; jedoch fügte er
hinzu, er unterlasse die Ausführung, weil er noch zu sehr
Schüler sei. Nur scheinbar steht mit dieser Absicht kritischer
Nachdichtung in Widerspruch, wenn GOETHE an Behrisch,
der den ihm mitgetheilten Anfang eines neu entworfenen
Schauspiels dem ^^Medonv. von Clodius ähnlich gefunden
hatte, am 4. December 1767 schrieb: »Hätte ich Kinder,
und einer sagte mir, sie sehen diesem oder jenem ähnlich,
ich setzte sie aus, wenn's wahr wäre, und war' es nicht
wahr, so sperrte ich sie ein: alle meine Scenen wollte ich
verbrennen, wenn sie dem >'>Medoni<. ähnlich sehen." Aus
dieser Verwahrung geht nur hervor, daß GOETHE, wenn er
an Stelle eines mangelhaften Werkes etwas Besseres zu
schaffen unternahm, dennoch nicht wollte, daß es dem Urbilde
ähnlich sehe, es sollte eben nicht an jenes schwache Er-
zeugniß erinnern. — Behrisch hatte übrigens auch wohl
nur sagen wollen, daß Goethe'S neues Stück durch seinen
Titel: iDei' Ttigendspiegeli. dem -»Medoni. verwandt zu sein
scheine, eine Voraussetzung, die allerdings sich aufdrängen
musste.
Zu fast gleicher Zeit war es ein damals hochgeschätzter
Dichter, der GOETHE verleitete, in dessen Weise zu dichten:
Hagedorn. Zu seinen Liedern »/??> Verliebtem und »Z>z>
Nachts dichtete GOETHE, den Gehalt derselben steigernd,
die Gegenstücke yNeujahrslied^ und »Z?2> schöne Nacht 'i-.
In Straßburg war es der sonst von GOETHE auf's
Höchste bewunderte SHAKESPEARE, dem er sich gegenüber
V. Biedermann, Goetheforschungen III. lO
lAß V. Vermischtes zur Goetheforschung.
zu stellen gedachte: im »Cäsar«. Die Person dieses römischen
Herrschers war es, die GOETHE mächtig zur Darstellung
lockte, und gerade sie war es, die in des Briten Trauerspiel
» Cäsar« schlecht weggekommen war. GOETHE trug nach
seiner anerkannten Gewohnheit den Stoff jahrelang unter
wiederholter Umgestaltung des Plans mit sich herum, gab
ihn aber endlich auf — aus Gründen, die nicht hierher ge-
hören. Wenn aus Aeußerungen GOETHE'S in der Rede zum
SHAKESPEARE-Tag geschlossen worden ist, daß er überhaupt
den Plan, einen »Cäsar« zu schreiben, einmal förmlich auf-
gegeben, und nur später den Gegenstand als etwas Neues
wiederaufgenommen habe, so beruht dies einerseits auf willkür-
licher Deutung jener Aeußerungen, andererseits auf Unkennt-
niß von Goethe'S Dichtereigenheiten, wovon weiterhin die
Rede sein wird. {^Goethe - Forschungen , Neue Folge ijof.)
Aber auch das große Werk seines Lebens: »Faust«
verdankt seinen Ursprung GoETHE's Neigung zu productiver
Kritik. »Die bedeutende Puppenspielfabel klang und summte
gar vieltönig in mir wieder« — sagt er selbst im zehnten
Buch von »Dichtung und Wahrheit«, und wenn er erkannte,
daß die alberne Puppenkomödie, symbolisch betrachtet, An-
sätze großartiger Anschauungen enthielt und er diese heraus-
zuarbeiten unternahm, so war dies schlankweg productive
Kritik. Die Anlehnung an die Vorlage verfolgte GOETHE
auch in Einzelheiten, und zwar noch bis zur x\usführung
des Zweiten Theils des »Faust«, was jedoch bereits bekannt
und daher hier nochmals darzulegen nicht nöthig ist. (X^ergl.
auch: Goethe- Forschungen, Neue Folge loif)
War Goethe bei Ausbildung der Faustidee einer i\n-
regung Lessing's gefolgt, so trat er dagegen mit einem
anderen Schauspiel: »Stella« mit Lessing in Widerspruch.
Die wilde Unnatur der Miß Sara Sampson erhielt in Stella's
natürlichen Gefühlen nur zu sehr nachgebender Innigkeit ihre
Berichtigung. {Goethe- Forschungen 2 2 f.)
Wiederholt haben Volkslieder Goethe'S dichterische
2. GoETHE's PRODUCTIVE KrITIK.
147
Thätigkeit wachgerufen. Volksliedern ist es eigen, daß sie
in ihnen liegende naturwahre, oft kostbare Motive nicht zur
Entwickelung bringen. Das dichtende Volk fühlt wohl den
Gehalt, vermag aber nicht, ihn auszusprechen, also auch
nicht, ihn festzuhalten. Hier hat GoETHE mit Vorliebe ein-
gegriffen. In der Straßburger und der nächstfolgenden Zeit
ist y> Haidenr'öslein<i- so entstanden, vielleicht auch Lieder in
■»Götz von Be7'lichinge7i«, sowie das Gedicht » Vor Gericht«..
[Goethe- Forschungen, A^eue Folge J2Q ff.) Auch •>•> Der untreue
Knaben klingt an Volksgesang an, in der Hauptsache ist er
jedoch Kritik von BüRGER's »Lenore<.<, deren furchtbares
Ende nicht genügend durch Verschuldung gerechtfertigt ist.
[Goethe- Forschungen, Neue Folge J22ff.)
Abermals war es eine Bühnendichtung, welche in der
ersten Weimarer Zeit GOETIIE veranlaßte, früheren Dichtungen
die seinige entgegenzusetzen, nämlich in »Iphigeiiie«. Die
unsittlichen oder wunderthätigen oder gewaltsamen Mittel,
welche griechische und römische Tragiker anwandten, um
Diana's Bild nebst ihrer Priesterin aus Taurien zu ent-
führen, widerstanden Goethe'N, der aber den Stoff so an-
ziehend fand, daß er ihn nach Forderungen höherer Ge-
sittung umschuf. Er verfuhr in dieser Hinsicht so, wie schon
die Tragiker der alten classischen Zeit, ja auch die der
Gegenwart, die einen für die Bühne geeigneten Stoff immer
wieder bearbeiten, so lange keine Musterdichtung das Ueber-
bieten verleidet. [Goethe -Forschungen ^6.)
Wie Goethe durch «Iphigenie^ gegen griechische
Hinterlist und römische Gewaltthätigkeit sich auflehnte, so
galt es ihm bald darnach, chinesische Seltsamkeiten ab-
zustreifen, um den Kern eines dankbar erscheinenden dra-
matischen Stoffes herauszuschälen, und zwar in y>Elpenor<.<,
welches Schauspiel leider unvollendet geblieben ist, vielleicht
weil Goethe der Schale noch nicht Herr zu werden ver-
mochte. [Goethe- Forschungen 120 ff. — Goethe- Forschungen,
Neue Folge Tj2ff.)
148
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
Später bewog GOETHE das, dem angestrebten ernsten
Gehalte nicht entfernt gerecht werdende ungeschickte Bucli
zu Mozart's y> Zauberßöte «. , eine sogenannte Fortsetzung,
die aber eigentlich eine Erneuerung nach höheren Ansprüchen
war, in Angriff zu nehmen, und ungefähr um dieselbe Zeit
waren es die beiden epischen Gedichte ^>Reineke Fuchs a und
i,He7'mann und Doj'othea < , welche zu Erzeugnissen pro-
ductiver Kritik zu rechnen sind. \x\\ letzten Jahrzehend des
vorigen Jahrhunderts, welches diese beiden Epen entstehen
sah, wurde über den Bau der antiken Versmaaße bei ihrer
Nachbildung im Deutschen lebhaft gestritten, und GOETHE,
zweifelhaft, auf welcher Seite das Rechte zu suchen sei,
konnte seine eigene Ansicht nicht verständlicher begründen,
als daß er selbst Proben nach antikem Muster gebauter
Verse gab. Hauptsächlich zwei Aeui3erungen sind es, die
das Wesen productiver Kritik im Verhalten Goethe's gegen-
über dieser Sachlage aussprechen. Gegen Ende der »Cam-
pagne in Frankreich 1792« sagt er mit Bezug auf ^>Reineke
Fuchs«-: »Da mir recht gut bewußt war, daß alle meine
Bildung nur praktisch sein könne, so ergriff ich die Gelegen-
heit, ein paar Tausend Hexameter hinzuschreiben.« Ueber-
einstimmend schrieb er am 5. December 1796 an H. Meyer
in Hinblick auf »Ho'inann und Dorothea:: »In Absicht auf
die poetische sowohl als prosodische Organisation des Ganzen
habe ich beständig vor Augen gehabt, was in dieser letzten
Zeit bei Gelegenheit der Voss'schen Arbeiten mehrmals zur
Sprache gekommen ist, und habe verschiedene streitige
Punkte zu entscheiden gesucht, wenigstens kann ich meine
Ueberzeugung nicht besser ausdrücken, als auf diese Weise.«
Aber es wirkte hierbei, namentlich bei ^>Hen]iann und
Doi'othea auch hinsichtlich des Inhalts productive Kritik
mit. Durfte dies schon aus dem Umstände gefolgert werden,
daß dieses Epos mit der von GOETHE sehr geschätzten und
geliebten 'Luise", von V^OSS, dieser damals in ihrer Art
einzig dastehenden Dichtung, augenfällige äußere Aehnlich-
2. Goethe's productive Kritik.
149
keit hatte, so spricht auch GOETHE wiederhoh aus, im
Aufsatz » Individualpoesie 'f~ , ingleichen in den Briefen an
J. H. Voss vom 6. December 1796, an F. A. WoLF vom
26. desselben Monats und an SCHILLER vom 28. Februar
1798 — daß "Hei'jnann und Dorothea 1 durch Voss'ENS
» Luise <i hervorgerufen sei; daß aber diese Productivität eine
kritische war, lehrt eine Vergleichung heider Dichtungen —
was zu entwickeln hier zu weit führen würde, worüber in-
dessen z. B. die kurze, aber die Hauptpunkte berührende
Gegenüberstellung von A. W. V. SCHLEGEL in seiner An-
zeis'e von -»Hermann und Dorothea < nachg-elesen werden
kann. {Säimntl. Werke X, 20j.)
Fin bekanntes Lied von FRIEDERIKE Brux —
Ich denke Dein, wenn sich im Blüthenregen
Der Frühling malt —
gewann großen Reiz für GOETHE durch Zelter's Composition,
welcher ihm das Gedicht nicht ebenbürtig erschien, weßhalb
er die »Nähe des Geliebten <.< unterlegte, in welchem Liede
anstatt der verstreuten Erinnerungen an den geliebten Gegen-
stand bei der Brun der Eine durchgehende Gedanke der
durch die verschiedensten Erscheinungen hervorgerufenen
Hoffnung auf das Nahen des Geliebten getreten ist.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts dichtete GOETHE den
» Nachtgesang 1- in fast Uebersetzung zu nennendem Anschluß
an ein italienisches Lied, das deutsch lautet:
Du bist die süße Flamme,
Ja, meine Seele bist Du,
Zu allem was ich ersehne —
Schlafe! was willst Du dazu?
Zu allem was ich ersehne,
Verwahrst die Schlüssel Du,
Von diesem meinen Herzen —
Schlafe! was willst Du dazu?
I CO V. Vermischtes zur Goetheforschung.
Von diesem meinen Herzen
Hast jedes Theilchen Du,
Und sollst mich sterben sehen —
Schlafe! was willst Du dazu?
Und sollst mich sterben sehen,
Sobald es forderst Du —
Schlafe, mein holder Abgott,
Schlafe! was willst Du dazu?
hl diesem Liede ist der Kehrreim ganz unvermittelt:
der Sänger unterbricht einfach den Fluß seiner Gedanken,
um die Geliebte unerwartet zum Schlafen aufzufordern.
Goethe dagegen — abgesehen von der weit vollendeteren
sprachlichen Form seines Gesanges — verflicht in der ersten
Strophe die gleiche Aufforderung mit dem Inhalte der vor-
hergehenden Worte. Konnte nunmehr in den folgenden der
Kehrreim lediglich als solcher, ohne Einfügung in den Satz,
wiederholt werden, so bietet doch noch immer im -»Nacht-
gesang<i. der Inhalt jeder Strophe eine Verbindung mit dem
Kehrreim durch Gegenüberstellung des in Folge seiner Liebe
wach gehaltenen und in nächtlicher Kälte weilenden Sängers
gegen den Schlummer der Geliebten.
Auch wo es in Gedichten noch ausdrücklicher auf Ueber-
setzung abgesehen war, wie in ^y Offene Tafeln (1813), oder
■»Gutmann und Gutiveib«. (1828) unterließ Goethe nicht, in
Einzelheiten, besonders am Schlüsse von feiner Kritik ge-
botene Aenderungen seiner Vorlagen anzubringen. ( Goethe' s
Lyrische Gedichte , erläutert von H. Diintzer, 2. Aufl. IL,
210, 403/)
Wieder aus dem ersten Jahrzehend ist es das Trauer-
spiel in der Christenheit, welches in den Formen der spanischen
Komödien des classischen Zeitalters ein christliches Trauer-
spiel ohne Calderon's beschränkten Fanatism zur Dar-
stellung bringen sollte. [Goethe- Forschungen i^^ff.)
Ebenfalls, wenigstens meistentheils, während des ersten
2. Goethe's productive Kritik. 151
Jahrzehends entstanden abermals eine Reihe Umbildungen
von Volksliedern in gleicher Weise, wie oben bei den drei
Jahrzehende früher umgestalteten Volksliedern angedeutet ist,
und zwar ist dies der Fall bei: y> Schäfers Klagelied" , » Trost
in TJiränen « , » Liebhaber in allen Gestalten « , » Freibeuter « ,
»Schweizej'lied« , ^^Gegenseitig« und y>März«. [Goethe-
ForscJmngen, Neue Folge, j^off.)
Das früher beliebte Lied von Ueltzen »Namen nennen
Dich nicht«, erregte GOETHE's Mißfallen durch seine Ver-
neinungen und Verheimlichungen, die er unlyrisch fand,
während ihn die Weise des Liedes ansprach, weßhalb er
dazu » Gegenwart« dichtete. Alles giebt sich hier als An-
schauung und im Gegensatz zu Ueltzen, der zuletzt seine
Lieder der Liebe der Ewigkeit aufspart, während GOETHE
zum Schluß darin, daß ihm die GeUebte Schöpferin herrlicher
Tage wird, schon jetzt die Ewigkeit erblickt. {Goethe's Ge-
spräche in, 4gf.)
»Ergo bibanius« schrieb GOETHE nieder, nachdem auf
seine Veranlassung RlEiMER ein Lied mit den Titelworten
im Kehrreim geliefert hatte, dem er, da man ihm die Mache
zu deutlich anmerkte, seinen vollen Beifall nicht schenken
konnte. {Briefe von und an Goethe etc. Herausgegeben
von F. IV. Riemer, 3 76 f.)
In geraden Widerspruch setzte sich GOETHE aber zu
dem »elendesten aller deutscher Lieder« — wie er es im
Brief an ZELTER vom 3. Mai 1813 nennt — welches be-
ginnt »Ich habe geliebt, Jiim lieF ich nicJit mehr«. Er hatte
es von SOLBRIG in Leipzig vortragen gehört und dichtete
dagegen am 19. April 1813 im »Goldnen Löwen« zu Oschatz
» Gewohnt, getJian « . ( Goethe und Leipzig, II, 8jff.)
Da ich nicht darauf ausgehe, sämmtliche Dichtungen
Goethe's, die als productive Kritik entstanden sind, auf-
zuführen, es mir vielmehr nur darauf ankommt, durch eine
größere Anzahl derselben das häufige Vorhandensein pro-
ductiver Kritik bei GoETHE's Dichten festzustellen, andern
152
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
eine erschöpfende Bearbeitung dieses Vorwurfs überlassend,
so kann ich hier abbrechen.
Daß aber die mehrfache Ausübung productiver Kritik
nicht nur Zufälhgkeit, sondern bewußtes Vorgehen war, geht
aus manchen Erklärungen Goethe'S über den Gegenstand
hervor.
Schon aus einer Reihe von Epigrammen, welche GOETHE
gegen Originalitätssucht richtete, leuchtet seine wohlbegründete
Ansicht hervor, daß durch »Originale« der Fortschritt des
Menschentums überhaupt nicht gefördert wird, daß vielmehr
derselbe bedingt ist durch Ausbildung des Entstandenen.
Solche Epigramme anzuführen, ist man überhoben, da
Goethe mit Bezug auf sich selbst ganz bestimmt ausspricht:
Seh ich an andern große Eigenschaften,
Und wollen die an mir nicht haften.
So werd ich sie in Liebe pflegen;
Geht's nicht, so thu' ich was dagegen.
Damit schreibt er sich unwiderleglich productive Kritik zu!
In ungebundener Rede erklärt sich GOETHE indessen
hierüber noch deutlicher außer in den oben bei ^Reineke
Fuchs« angeführten Stellen in der »Confession des Ver-
fassers« gegen Ende der » Geschichte der Farbenlehre i.
folgendermaßen: »So hatte ich selbst gegen die Dichtkunst
ein eignes wundersames Verhältniß, das blos praktisch war,
indem ich einen Gegenstand, der mich ergriff, ein Muster,
das mich aufregte, einen Vorgänger, der mich an-
zog, so lange in meinem inneren Sinn trug und hegte, bis
daraus etwas entstanden war, das als mein angesehen werden
mochte, und das ich, nachdem ich es Jahre lang im
Stillen ausgebildet, endlich auf einmal aus dem Stegreife
und gewissermaßen instinctartig auf das Papier fixirte.«
Als eine Aeußerung im Gespräch führe ich noch die
vom 28. März 1827 gegen Eckermann gethane an: »Der
Widerspruch ist es, der uns productiv macht.« [Goethe' s
Gespräche VI, öy.)
2. Goethe's productive Kritik.
153
Solchen aus Kritik hervorgehenden Gedichten war aber
Goethe noch in anderer Beziehung geneigt und zwar als
Gelegenheitsgedichten. Dies waren sie zwar nicht in vollem
Sinne derjenigen, die GOETHE im Eingange des zehnten
Buchs von Dichtung und Wahrheit <■ »die erste und
echteste aller Dichtarten« nennt, aber doch in dem Sinne,
daß sie nicht auf willkürlich herbeigezogener Veranlassung,
sondern bei Gelegenheit des Antrefifens der zur Umgestaltung
reizenden Gedichte entstanden. Wie eben GOETHE durch
ihm bei Gelegenheit zukommende Erfahrungen gern zur
Dichtung sich anregen liel3, so auch durch Antreffen eines,
Kritik herausfordernden unvoUkonnnenen dichterischen Er-
zeugnisses; es ist daher nicht ohne Bedeutung, daß er in
den beiden oben angeführten Aeußerungen über den Versbau
von iRevieke Fuchs«, sowie von «Hermann und Dorothea 's.
die Gelegenheit« bei der Veranlassung zu diesen Epen
betont.
Nach all diesen Darlegen ist das Bestehen von GoETHE'S
productiver Kritik außer Zweifel.
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3. Zu DEN ReCENSIONEN DER FRANK-
FURTER Gelehrten Anzeigen.
iese Recensionen hat WlTKOWSKl 1893 im 26. Theil
von KüRSCHNER's Deutscher National- Literatur
besprochen. Neue Quellen, die Auskunft über
Goethe's Verfasserschaft dabei geben, haben sich
bisher nicht gefunden. WlTKOWSKl theilt die von mir für
Goethe in Anspruch genommene Recension von Sevbold's
f^ Schreiben über Homer«. Herdern zu, womit er Recht haben
kann. GOETHE und HERDER gefallen sich beide in Aus-
rufungen; wenn HERDER über die »entsetzlich scharrenden
Hahnenfüße« in GoETHE's Recensionen spottet, so konnte
ich das sehr wohl auf die häufig vorkommenden Ausrufungs-
und Fragezeichen beziehen und meinte damit selbstverständ-
lich nicht bloß das Aeußerliche dieser Zeichen, sondern zu-
gleich den entsprechenden Inhalt. Dies bemerke ich zu
Widerlegung mißverständlicher Auffassung.
Zu der Erläuterung der GOETHE'schen Recensionen ist
Folgendes nachzutragen.
y^Die schö7ien Künste . . . von J. G. SULZER«. Poco-
curante ist VoLTAIRE's Candide entnommen und ist der
Name eines venetianischen Nobile. — y> Empfindsajne Reisen
durch Deutschland. 1 Peter Pennyless ist ein wohl noch
unenthüllter Anonymus, der 1770 Sentimental Lucubrations
3. Zu DEN Recensionen der Frankf. Gelehrten Anzeigen, j c c
schrieb. Ueber die tironischen Noten hat WILHELM
SCH]\IITZ in y> Studien zur lateinischen Tachygraphie " im Pro-
gramm des Kaiser- Wilhelm-Gymnasiums zu Köln 1881 Auf-
klärung gegeben. — Die Jägerin. <i. Die Vignette des
Gedichts zeigt ein verendendes Reh. — » Geschichte des
Fräulei7is von Stcj'uJiciin.« Ueber die ungebetenen Beurtheiler
des Romans ist zu vergleichen: LUDMILLA ASSING, »Sophie
von La Roche« Seite 147 und HORN » Wielands Briefe an
Sophie von La Roche <(■ Seite 158. — ^'>Die erleuchteten Zeiten.i<
Verfasser ist vermuthlich der Gymnasialdirector GoTTHiLF
Samuel Steinbart; indessen findet sich diese Schrift nicht
verzeichnet in Meusel's y^ Lexikon der vom Jahre 1750 bis
zum Jahr 1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller«.
4- Gedächtnissirrthümer Goethe's.
rrthümer in Goethe's lebensgeschichtlichen Schriften
sind mehrfach nachweislich, weshalb Erläuterer bis-
weilen schnell bei der Hand sind, einen solchen
vorauszusetzen, wenn ihnen ein Bericht Goethe'S
mit anderweit festgestellten Thatsachen in Widerspruch zu
stehen scheint. Hier ein wirklicher, ein fraglicher und ein
vermeintlicher Irrthum, sowie ein paar aufgedrungene Irrthümer.
a. UEBERLESSING'S »MINNA VON BARNHELM«.
Wenn GoETHE einmal etwas Unrichtiges sagt, so ist
das folgereich und nicht leicht verbesserlich. Außer Leuten,
die unentwegt allem und jedem widersprechen, weil das mit
geringstem Aufwand zum Ziele führt, von sich reden zu machen,
wiederholen doch die meisten, wenn sie nicht ausdrücklich
auf Prüfung eines Ausspruchs hingewiesen sind, unbesehen,
was solch ein Mann gesagt hat, und übergehen Einwände
Geringerer. GOETHE hat sich aber namentlich in y> Dichtung
mid Wahrheit'i. manches Irrthums schuldig gemacht; er
schrieb sein Leben zu einer Zeit, wo die frühesten Vorgänge
in seiner Erinnerung verwischt waren, auch sich unter ein-
ander vermischt hatten, und überdies verführte ihn das Streben,
seine Darstellung künstlerisch abzurunden, manchmal unbewußt,
4. Gedächtnissirrthümer Goethe's. icy
eine Begebenheit so darzustellen, wie sie sich ihrer geschicht-
lichen Umgebung vortheilhaft einfugte. Solcher Irrthümer
sind mehrere aufgedeckt worden, nicht immer berechtigt, da
ab und zu einer, den es kitzelte, GOETHE berichtigen zu
können, in voreiliger Freude einen Irrthum verkündete, wo
er nur die Sache nicht gründlich untersucht,- oder wohl gar
Goethe nicht verstanden hatte. Eine Aeußerung GoeTHE'S
die unzähligemal nachgeschrieben worden ist, steht im siebenten
Buche von -iDicJitung und Wahrheit <<, wo er von dem tieferen
Gehalt spricht, der infolge der, Deutschland in seinen Grund-
vesten erschütternden Kriege FrieDRICH'S II. in unsere Lite-
ratur gekommen sei, und wobei er sagt: »Eines Werkes aber,
der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von voll-
kommenstem norddeutschen Xationalgehalt muß ich hier vor
allem ehrenvoll erwähnen: es ist die erste, aus dem be-
deutenden Leben gegriffene Theaterproduction von specifisch
temporärem Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende
Wirkung that, •»Minna von Barnhelm <-<. . . . Man erkennt
leicht, wie genanntes Stück zwischen Krieg und Frieden,
Haß und Neigung erzeugt ist . . . Die gehässige Spannung,
in welcher Preußen und Sachsen sich während dieses Krieges
gegen einander befanden, konnte durch die Beendigung des-
selben nicht aufgehoben werden. Der Sachse fühlte nun
erst recht schmerzlich die Wunden, die ihm der überstolz
gewordene Preuße geschlagen hatte. Durch den politischen
Frieden konnte der Friede zwischen den Gemüthern nicht
sogleich hergestellt werden. Dieses sollte aber gedachtes
Schauspiel im Bilde bewirken: die Anmuth und Liebens-
würdigkeit der Sächsinnen überwindet den Werth, die Würde,
den Starrsinn der Preußen« etc.
Wenn man »JlJinna von Barnhehnn genau im Gedächt-
niß hat, so würde man, wenn GoETHE Lessing'S Lustspiel
nicht bestimmt genannt hätte, kaum errathen, daß er das-
selbe mit seiner Auslegung meine. Trotzdem wiederholen
die Literarhistoriker immer wieder dieses LIrtheil Goethe's
158 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
und ziehen daraus ihre unüberlegten Folgerungen. So schrieb
z. B. GoEDEKE diesen:! Lustspiel »patriotischen Stoff« zu,
worunter doch nur ein von Begeisterung für Vaterländisches
getragener verstanden werden kann, wovon aber im ganzen
Stück keine Rede ist. In der von zwei Gelehrten, Danzel
und GUHRAUER, verfaßten und von zwei Anderen, V. Malt-
ZAHN und BOXBERGER, »berichtigten« Lessing- Biographie
wird gar behauptet: das Stück sei gewissermaßen ein Tribut
Lessing's an die Größe des Königs von Preußen in dem
Augenblicke, da er sich anschickte, seinen Staaten für immer
den Rücken zu kehren. Ein trauriger Beweis, wie leicht
Schriftsteller, wenn sie einmal im Zuge sind, auch in wissen-
schaftlichen Dingen sich in albernste Phraseologie verlieren.
Lessing schied nämlich, weil ihm der Aufenthalt in Preußen
widerwärtig geworden war, wozu besonders die feindselige
Haltung Friedrich's IL gegen ihn beigetragen hatte; er hatte
also nicht nur schlechterdings keinen Grund zu einem Tribut,
sondern gab vielmehr seine Abneigung gelegentlich derb zu
erkennen. Ueberhaupt ist in dem ganzen Stücke von einer
Huldigung preußischen »Werthes« keine Rede, auch der sieben-
jährige Krieg ist keineswegs als das geschichtliche Ereigniß,
zufolge dessen Sachsen und Preußen sich gegenüberstanden,
aufgefaßt, sondern ganz allgemein als ein Krieg, der Anlaß
bot, verwundete, verabschiedete und rücksichtslos dem Elende
preisgegebene Officiere vorzuführen. Preußen wird sogar
nur einmal genannt, wo allerdings Francisca zu Teilheim
sagt: er solle zu seiner Braut in Schuhen und frisch frisirt
kommen, nicht in Stiefeln und kaum frisirt, wie er sei, und
schließt: »So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preußisch
aus.« (III. Aufzug, 10. Auftritt.) Ich will nicht kriteln und
fragen, ob dieses brave Preußenthum in jenem Zusammen-
hange als Artigkeit aufgefaßt werden kann, aber mit einer
etwaigen preußisch-patriotischen Lobpreisung des Königs
Friedrich's IL sieht es noch bedenklicher aus. Zwar ist
Teilheim bei Empfang des königlichen Handschreibens,
4. GeDÄCHTNISSIRRTHÜMER GoETHE's. . ICQ
wodurch ihm eröffnet wird, daß die wider ihn schwebende
Untersuchung niedergeschlagen und die Erstattung seiner
Geldforderung angeordnet sei, beglückt und entzückt über
diese »Gnade« und ruft aus, der König verleugne sich auch
hier nicht — aber ich kann mich nicht enthalten zu glauben,
das Lessixg, der scharfe und vorurtheilslose Denker, dieses
Lob ironisch gedacht habe; denn was thut der König anderes,
als seine Pflicht und Schuldigkeit, wenn er die gegen einen
anerkannten Ehrenmann aus bureaukratischer Unfähigkeit,
dessen edle Handlungen zu begreifen, leichtfertig eingeleitete
Untersuchung einstellen läßt? Es wird aber aus weiteren
Stellen des Schauspiels zweifellos, daß Teilheim im Rausch
der Freude, aus der niederdrückenden Lage eines Angeklagten
heraus zu sein, mehr sagt, als seiner wahren Meinung ent-
spricht. Schon vorher (IV, i6) hat er erklärt: »Ich will
keine Gnade«, und verlangt »vollkommenste Genugthuung«
seiner Ehre; ja, nachher (V, 9) schickt er sich an, die Zu-
schrift des Königs zu zerreißen und die zugesagte Erstattung
seines vorgeschossenen Geldes abzulehnen mit den Worten:
»Ich empfinde eben, daß es mir unanständig ist, diese späte
Gerechtigkeit anzunehmen, daß es besser sein wird, wenn
ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht
entehrt hat, gar nicht wiederverlange.« Ist diese Entrüstung
freilich ebenfalls Erzeugniß seiner Erregung, so beweist sie
doch, daß seine Verehrung des Königs nicht eben tief ging.
Und mit nicht zu verkennender Deutlichkeit spricht Teilheim
von dem Großen, wenn er in der Mehrheit über die Großen
sich so äußert: »Die Großen haben sich überzeugt, daß ein
Soldat aus Neigung für sie ganz wenig, aus Pflicht nicht
viel mehr, aber alles seiner eigenen Ehre wegen thut. Was
können sie ihm also schuldig zu sein glauben?« (IV, 6.)
Oder wenn er sich ausläßt: »Die Dienste der Großen sind
i»-efährlich und lohnen der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung
nicht, die sie kosten.« (V, 9.) Ebensowenig hat Minna von
Barnhelm Ursache anders, als kühl über den König zu
j5o V. Vermischtes zur Goetheforschung.
denken; sie meint, daß er, »der ein großer Mann ist, auch
wohl ein guter Mann sein mag; aber was geht das mich an?
er ist nicht mein König.« (Ebenda.) Goethe hat jedenfalls
den wahren Inhalt der »Minna von Barnhehnv ganz ver-
sessen gehabt, als er darin »den Werth und die Würde der
Preußen« den Sieg davon tragend fand. Die Sächsin wird
nicht im Entferntesten durch Tellheim's soldatische Eigen-
schaften besiegt, sondern im Gegentheil durch sein Sub-
ordinationsvergehen, als er der Ordre, in Minna's Heimath
»die Contribution mit der äußersten Strenge baar beizutreiben ',
nicht gehorchte, sondern den geforderten Betrag aus eigenen
Mitteln erlegte. Diese Ordre scheint Lessing geradezu an-
geführt zu haben, um die Rohheit zu kennzeichnen, mit der
im siebenjährigen Kriege nicht blos durch die Kriegslage
gebotene, sondern von Bosheit eingegebene Anordnungen von
oberster Stelle getroffen wurden, namentlich über Zerstörung
von Kunstwerken, Schlössern u. s. w. — Anordnungen, deren
Ausführung oft nur durch die dazu befehligten Officiere,
deren Ehrgefühl sich dagegen empörte, abgeschwächt wurden.
Nach alledem ist in dem Schauspiel nicht eine Spur
vom Sieg des Preußenthum's zu erblicken; Graf Bruchsal
giebt auch seinen Widerwillen gegen preußisches Militärwesen
unverhohlen zu erkennen, indem er zu Teilheim sagt: »Ich
bin sonst den Officieren von dieser Farbe eben nicht gut,
doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim, und ein ehr-
licher Mann mag stecken in welchem Kleide er will, man
muß ihn lieben.« (V, 13.) Aber wodurch Goethe's Ausspruch
über die Richtung von -»Minna von Barnhelni'i vollständig
hinfällig wird, ist der Umstand, daß Tellheim gar kein
Preuße, sondern ein Kurländer ist. (II, 6.) Er dient auch
nicht bei den Preußen aus Begeisterung für deren Sache,
sondern er suchte Kriegsruhm, den ihm der Dienst unter
Friedrich II. vor allem versprach. Tellheim selbst sagt
darüber: »Ich ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weil3 selbst
nicht für welche politische Grundsätze und aus der Grille,
4. Gedächtnissirrthümer Goethe's. i6i
daß es für jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem
Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was
Gefahr heißt, vertraut zu machen, und Kälte und Entschlossen-
heit kennen zu lernen.« (V, 9.) Auch Wachtmeister Werner,
obgleich anscheinend Preuße (er hat sich eine Besitzung zwei
Meilen von Berlin gekauft), weiß nichts von Begeisterung
für die preußische Sache; er will zwar weiter als Soldat
dienen, aber unbestimmt wo, nur muß es eine glanzvoll
siegende sein und die erwartet er in Persien. Wenn Tell-
heim ihm abredet und mahnt: man müßte Soldat sein für
sein Land oder aus Liebe zur Sache, für die gefochten wird,
weil ohne Absicht heute hier, morgen da zu dienen, reisen
wie ein Fleischerknecht heiße, so will er damit nur Werner
von seinem Vorhaben, nach Persien zu gehen, abbringen,
ist aber imgrunde gleicher Ansicht wie dieser; denn als
er, um sich seiner peinlichen Lage zu entziehen, endlich
anderweiten Dienst suchen will, dies Werner mittheilt und
dieser fragt: »i\ber doch, wo's Krieg giebt?« erwidert er
ohne Vorbehalt: »Wo sonst?« (V, I.) — Es ist eine Feinheit
Lessing's, Tellheim als Kurländer einzuführen; denn bei
den unglücklichen Verhältnissen dieses Landes gab es für
dessen Söhne kein Gebot der Ehre, dort als Soldat zu dienen.
Tellheim tritt eben . nicht als Angehöriger eines Landes
auf, gegen das er Pflichten hat, er dient ja nur der Ehre
wegen und sein Ehrgefühl hat in dem Stande eines Offiziers
weitere Nahrung erhalten, so daß es in ihm einseitig und
schroff ausgebildet zu Tage tritt. Ueberdies war zu den
Zeiten des siebenjährigen Krieges Prinz Karl von Sachsen
Herzog von Kurland; Sachsen und Kurländer konnten sich
also schon gewissermaßen als zusammengehörig fühlen.
Das Schauspiel ■)> Minna von Barnhelun hat also mit
Politik und Preußen einzig und allein so weit zu schaffen,
als Lessing durch den Anschluß an jüngst vergangene Zeit-
ereignisse Boden für die Zustände, die dem Stück zu Grunde
liegen, gewann und davon regeren Antheil an den Vorgängen
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 1 1
j52 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
sich versprechen durfte. An sich handelt es sich dabei um
einen Conflict zwischen Liebe und Ehre; man kann an einen
in Lustspielton übersetzten »Cid« denken.
Mit meiner Ausführung habe ich nicht nur einen nach-
wirkenden IrrthumGOETHE's berichtigen, sondern auchLESSiNG
von dem Verdacht reinigen wollen, daß er, der Sachse, das
Preußenthum, wie es im siebenjährigen Kriege sich kund-
gab, verherrlicht, und die Weigerung des Königs Friedrich IL,
ihn in Preußen festzuhalten, bei seinem Scheiden mit einer
Schmeichelei beantwortet habe.
b. AUFKLÄRUNG ÜBER EINE DUNKELHEIT.
In Absatz 625 der y>Tag- und Jahreshe/tc^ , worin
mehrere, der Schlacht von Jena vorangehende Begebnisse
aufgeführt sind, ist dabei die räthselhafte Bemerkung ent-
halten: »SCHELLING gab eine Erklärung heraus, von » » Ths.<s. «
beantwortet.« Nur dem Orte nach, an dem dieser Satz
steht, kann man vermuthen, daß er sich auf politische An-
sichten bezog; denn weder vor- noch nachher findet sich
etwas, das zur Erklärung dienen könnte. Auch ist damals
keine Erklärung SCHELLING'S erschienen, die JOHANNES VON
MUELLER — der seine Recensionen in der ^^ Jenaischen All-
gemeinen Lite7'atnr -Zeitung <i~ mit "Ths."^ unterzeichnete —
zu beantworten Veranlassung gehabt hätte. Dennoch ist es
zweifellos, daß eine Erklärung Schelling'S gegen VON
MUELLER und eine Gegenerklärung des letzteren zu jener
Zeit geschrieben wurden. Die Veranlassung dazu deutet
Böttiger im Brief an V. Mueller vom 5. Februar 1807 an.
(Briefe an JOHANN V. MUELLER. Herausgegeben von Maurer-
CONSTANT I, 430 f.) Damals war ein zwischen SCHELLiNG
und V. Mueller entstandenes Zerwürfniß schon abgethan;
denn am i. November 1806 schreibt SCHELLiNG bereits an
WiNDlSCHMANN (Aus Schelling'S Leben. In Briefen II, 104.):
letzterer werde nichts von ihm gegen V. MUELLER Ge-
richtetes zu lesen bekommen, wenn seine Frau es nicht für
4- Gedächtnissirrthümer Goethe's. 163
Windischmann abschreibe. Es war dennoch von SCHELLING
zwar etwas gegen v. MUELLER abgefaßt gewesen, das aber
nicht veröffentlicht wurde. Die Unterlassung des Drucks
ergiebt sich aus einem Brief v. Mueller's an EiCHSTÄDT
vom 21. September 1806, der sich früher in dem, jetzt leider
zersplitterten EiCHSTÄDT'schen Archiv befand. Daraus geht
hervor, daß EiCHSTÄDT eine Erklärung ScheLLING'S wider
V. Mueller an diesen geschickt und dieser sich hierauf zwar
mit dem Abdruck einverstanden erklärt, jedoch ersucht hatte,
zugleich seine beigefügte Gegenerklärung abzudrucken. Dabei
sprach er sich jedoch so warm über SCHELLiNG aus, daß
dieser V. MuELLER's Brief benutzte um SCHELLING zu be-
stimmen, sich mit Unterlassung des Druckes seines Angriffs
einzuverstehen.
Man könnte nach diesem Sachverhalt bestreiten, ob
Goethe's Mittheilung darüber einen Irrthum enthalte, da er
von keiner Veröffentlichung der SCHELLING'schen Erklärung
spreche und allerdings die Schriftstücke der beiden Gegner
herausgegeben worden seien, nämlich an EiCHSTÄDT. Aber
so weit darf man mit der Rettung von Goethe's Zuverlässig-
keit denn doch nicht gehen. Nach dem Sprachgebrauche
kann unter »gab eine Erklärung heraus« kaum etwas anderes,
als deren Veröffentlichung verstanden werden, und überdieß
wäre das fragliche Zerwürfniß in den Annalen gar nicht zu
erwähnen gewesen, wenn GOETHE nicht angenommen hätte,
daß es in die Oeffentlichkeit gedrungen sei.
Goethe's Irrthum ist auch leicht erklärlich. Damals
ging er dem Herausgeber der Literatur -Zeitung noch fort-
laufend mit Rath und That an die Hand und so hatte dieser
dem damals in Jena weilenden GoETHE am 2. October die
beiderseitigen Erklärungen SchelLING'S und V. Mueller's
mitgetheilt. Das hatte GoETHE sich im Tagebuche angemerkt,
nichts aber über den friedlichen Verlauf, sodaß er deren
erfolgten Druck voraussetzte.
i64
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
c. WANDLUNG IN NATURANSCHAUUNG.
In den » Tag- und Jahres hefte im Absatz 993 schreibt
Goethe über das Jahr 1820: '>x'\ls ich nun hierauf den,
durch den Wegebau immer weiter aufgeschlossenen Kammer-
berg bei Eger bestieg, sorgfältig abermals betrachtete und
die regelmäßigen Schichten desselben genau ansah, so mußt
ich freilich zu der Ueberzeugung des Bergrath Reuss wieder
zurückkehren und dieses problematische Phänomen für pseudo-
vulcanisch ansprechen.; Im 33. Theil der HEMPEL'schen
GoetJieausgabe Seite 523 hat Kalischer diese Stelle als auf
chronologischer Verwechslung beruhend bezeichnet und dieß
in der Zeitschrift »Die Natur '< No. 52. Neue Folge, 6. Jahrg.
der Zeitung 29. Jahrg. 23. Dez. 1880 Seite 654 f. in Wider-
spruch gegen einen vorhergehenden Aufsatz von TOULA
(ebenda No. 46 f.) weiter ausgeführt. Er behauptet, gestützt
auf Goethe's Aufsätze über den Kammerberg in dem, 1820
ausgegebenen Hefte -» Zur NaturwissenscJiaft" und auf dessen,
1823 gedruckten Bericht über die Besteigung dieses Hügels
vom 30. Juli 1822, daß er ihn bis zu diesem Jahre noch
für vulcanisch gehalten und erst 1823 sich der gegenwärtig
wieder als irrig geltenden Ansicht angeschlossen habe, die
ihn nur für pseudovulcanisch gelten ließ.
Eigentlich ist es schon eine starke Zumuthung, in diesem
Falle Goethe einer Zeitverwechslung zu beschuldigen; denn
er schrieb Absatz 993 gerade 1823 und kann doch damals
sich darüber nicht geirrt haben, ob er erst in diesem selben
Jahre oder schon früher die Meinung über die Beschaffen-
heit des Kammerbergs geändert habe. Bei genauem Zusehen
müssen wir uns denn auch überzeugen, daß Goethe's Mit-
theilungen vor 1823 das nicht plan aussprechen, was K ALISCHER
in ihnen findet, und Absatz 993 uns belehrt, wie sie zu ver-
stehen sind.
Bekanntlich behandelte GoETHE neu gewonnene wissen-
schaftliche Ueberzeugungen mit großer Vorsicht; er trug sich
4- Gedächtnissirrthümer Goethe's. 165
jahrelang damit, bevor er etwas darüber in die Oeffentlich-
keit gelangen ließ. Im fraglichen Falle mußte es ihm be-
sonders sauer ankommen, eine bereits mit Zuversicht vor-
getragene Ansicht zu widerrufen. Prüfen wir nun, bis wann
er an der Vulcanität des Kammerbergs festhielt!
Im zweiten Heft y^Zur Naturwissenschaft (1820) steht
der Aufsatz »Z?rr Kaminerberg bei Eger > allerdings noch
fest auf diesem Standpunkte, allein er war einfacher Wieder-
abdruck des 1 809 in Leonhard's » Taschenbuch für die
gesammte Mineralogie erschienenen Aufsatzes. Bereits im
dritten Hefte, ebenfalls \on 1820, sind dagegen in dem nach
Besteigung des Kammerbühls am 28. Mai 1820 geschriebenen
Aufsatze sehr nachdrücklich die Gründe hervorgehoben,
welche die Annahme der Pseudovulcanität zu rechtfertigen
scheinen; des Grafen SteRNBERG Brief an GOETHE vom
25. November 1820, worin die Berge aufgeführt sind, durch
deren Vergleichung mit dem Kammerberg, dessen Pseudo-
vulcanität ebenfalls wahrscheinlich gemacht wird, konnte
GOETEIE in dieser Richtung nur bestärken.
Wichtiger ist indessen der, im ersten Hefte des zweiten
Bandes oZnr Natnnvissenschaft^i (1823) befindliche Auf-
satz » Wimdei'bares Ereignifs«-. Worin besteht dieß? ledig-
lich darin, daß, nachdem Graf SternbeRG, Berzelius und
Pohl, mit denen GOETIIE den Kammerberg am 30. JuH 1822
abermals bestiegen hatte, dessen vulcanische Eigenschaft zu-
zugeben geneigt waren, »ein junger muntrer Badegast« die
Pseudovulcanität behauptete. Was darin Wunderbares liegen
soll, daß ein junger Mensch ohne Namen eine Ansicht in
einer zweifelhaften Sache äußert, ist schwer zu sagen. Die
Ueberschrift des x^ufsatzes nöthigt uns indeß, darin mehr zu
suchen, als deutlich ausgesprochen ist, und zwar etwas ver-
borgen Wunderbares. Es kann schwerlich einem Zweifel
unterliegen, daß GoETHE seine eigene, und zwar im Gegen-
satz zu den genannten bedeutenden Naturforschern neu ge-
wonnene Ueberzeugung, um sich nicht bloßzustellen, einem
l66 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
ungenannten Badegaste als einen ballon d'essai unterschob,
bevor er mit dem Geständniß herausrückte, das er seine
frühere Meinung geändert habe.
Aus gleichzeitigen Aeußerungen GOETHE'S erglebt sich
überdieß, daß die leise angedeuteten Gründe, mit denen er
den angeblichen Badegast zu widerlegen scheint, keineswegs
ernst gemeint sind. Schon das Nachwort zu dem » Wu7ider-
baren Ej-eignifs'^ verräth das, indem GOETHE darin mit Be-
zug auf die streitige Frage von der versatilen Stimmung
spricht, welche das angenehme Gefühl giebt, uns zwischen
zwei entgegengesetzten Meinungen hin und her zu wiegen
und vielleicht bei keiner zu verharren.« Ferner nennt er im
Briefe an Staatsrath SCHULZ vom 5. September 1822 den
Kammerbühl den > problematischen, neptunisch - \'ulcanisti-
schen,« und noch entschiedener fallen seine kurz vorher, am
22. August 1822 geschriebenen Begleitzeilen ins Gewicht,
mit denen er eine hauptsächlich dem Kammerberg ent-
nommene Mineraliensammlung dem Stift Tepel übersandte.
Darin heißt es: »Nähere Betrachtungen hierüber sind jedem
Forscher vorbehalten; welche Uebersicht man jedoch selbst
zu gewinnen suchte, wird sich im nächsten Hefte ->•>•!> Zur
Naturwissenschaft i.<!^ ausweisen.« Diese Ankündigung hätte
keinen rechten Sinn, wenn Goethe nach der, bereits vor
vierzehn Jahren dargelegten Ansicht über den Ursprung der
übersandten Mineralien gewesen wäre; überdieß ist in dem
»nächsten Hefte«, nämlich dem ersten des zweiten Bandes,
eine »selbstgewonnene Uebersicht« nicht weiter, als eben
in der Ansicht des jungen, muntern Badegastes kundgegeben.
Ist hiernach GoETHE schon 1820, wenn auch nicht
gleich mit völliger Entschiedenheit, von der Ansicht vul-
canischer Entstehung des Kammerbergs abgegangen, so folgt
doch auch daraus nicht, daß GoETHE in Absatz 993 falsche
Zeitangaben gemacht habe. Sieht man sich die Stelle
genau an, so ist darin keineswegs gesagt, daß GOETHE schon
1820 zu der früher von ihm bestrittenen Ansicht des Bergf-
4. Gedächtnissirrthümer Goethe's. 167
rath Reuss zurückgekehrt sei, sondern nur, daß es infolge
der im Jahre 1820 vorgenommenen Besteigung des Kammer-
bergs geschehen sei. Er wollte nur den Wechsel in seiner
Ueberzeugung auf dessen Ursprung zurückführen.
So hat auch hier, wie öfters, der Umstand, daß man
in Goethe's Worten etwas hineinlegt, was darin gar nicht
gesagt ist, einen Tadel Goethe'S veranlaßt.
d. HERAUSGEBERIRRTHUM.
Im Tagebuch erwähnt GOETHE am 9. Februar 1823
•» Dienemannische Natiirkörper «. , ferner am 24. März > Dr,
Dienemann in Leipzig'^ und am 7. Mai zufolge der Wei-
mar cj' Alisgabe II I. p, ^6. gedruckten Textes y> Rücksen-
dung des Dienemannisdien Catalogs.« So hat aber GoETHE
nicht geschrieben, wie aus den Lesarten ersichtlich ist, wo-
nach die Schreibweise ■>->Thienemann' war. Die frühere,
falsche, hatte der Großherzog durch seinen Brief an GOETHE
vom 18. Januar verschuldet; zu der richtigen ging GOETHE
erst über, als ihm der Catalog des genannten Naturforschers
vorlag. Dieser Umstand hätte den Herausgeber füglich auf-
merksam machen und ihn veranlassen sollen, nach der in
Frage stehenden Persönlichkeit zu forschen; statt dessen setzt
er voraus, daß Goe;the trotzdem, daß er den Catalog vor
Augen hatte, willkürlich anders, als auf dem Catalog zu lesen
war, geschrieben habe. Das ist nun in der That nicht der
F"all; denn der vom Großherzog DiENEMANN geschriebene
war niemand anders, als FRIEDRICH AUGUST LUDWiG Thiene-
MANN, damals Privatdocent an der Universität Leipzig. Daß
dieser Naturforscher zweifellos gemeint war, geht hervor:
i) aus der richtigen Schreibung Goethe's, als er den Catalog
vor sich hatte; 2) aus Nennung Leipzigs als Wohnort; 3) aus
dem Mangel eines Nachweises, wer dort oder anderswo ein
»Dienemann« gewesen sei; 4) aus Goethe's Bezugnahme
auf isländische und norweg-ische Naturalien im Brief an
l68 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
Döbereiner vom Q.Februar 1823, da Thienemann solche
auf seiner Nordlandsreise gesammelt hatte und sie verhandelte;
5) ganz unabweisbar aus der Anspielung des Großherzogs
auf Thienemann's eingedrücktes Nasenbein.
Uebrigens habe ich schon in » Goethe und Dresden «
Seite 81 den Genannten mit richtiger Schreibung eingeführt.
Eine ähnliche, sicher unbefugte Herausgeberberichtigung
findet sich im Tagebuch vom 1 1 . Mai 1 800. Hier hatte
Goethe geschrieben »Nach Kaschwits«, welcher Name im
Text der Weimarer Atisgabe in » Gaschwitz« geändert ist.
Was Goethe in Gaschwitz gewollt haben soll, ist vollständig
unerklärt, wogegen Rasch witz früher ein beliebtes Ziel von
Ueberlandfahrten der vornehmen Welt Leipzigs war. Schon
die Erwähnung von Raschwitz in ■» Dichtimg und Wahrheit«..
fWeim. Ausg. d. We7'ke 2^, 102) hätte abhalten sollen, den
Text in den Tagebüchern zu fälschen.
Also meine Herren: GoETHE nicht berichtigt, wenn Sie
nicht genau wissen, daß er sich geirrt hat! Und das zu
wissen, ist nicht immer leicht.
Bei dieser Gelegenheit stelle ich ein von mir begangenes
Versehen fest, darin bestehend, daß ich im 36. Bande Seite I25
Goethe's Schreibung »Mengdem nicht durch -»Menkenv. be-
richtig-t habe.
5- Zu Goethes Theaterrepertoire.
as Repertoire des Weimarischen Theaters unter
Goethe'S Leitung von 1791 — 18 19. Bearbeitet
und herausgegeben von C. A. H. BURKHARDT,
Großh. Sachs. Archivdirector« , ist eine grund-
legende Schrift, und wenn in einer solchen Irrthümer unter-
gelaufen sind, so wirken diese leicht insweite. Es ist daher
Pflicht auf solche sichere oder auch nur mögliche Irrthümer
hinzuweisen und die Benutzer der Schrift wenigstens zur
Vorsicht aufzurufen.
Was der Herausgeber selbst über seine Quellen sagt, klingt
nicht erbaulich. Er berichtet, daß die hauptsächlichen Unter-
lagen für das »Repei'toire'i — die Theaterzettel — ebenso
wenig vollständig vorhanden seien, als das Theaterarchiv,
von dem nur in diesen Tagen ein Theil wieder aufgefunden
worden ist. Zur Ergänzung der Lücken des > Refiej'toiresa
sind daher Portorechnungen, Goethe's Tagebücher, das
» Journal des Ljixus und der Moden « , sowie Schmieder's
> Journal für Theater i< herangezogen worden. Differenzen
zwischen verschiedenen Angaben sind — sagt der Heraus-
geber — anmerkungsweise angezeigt. Allerdings ist die
Namhaftmachung der Abweichungen verschiedener Quellen,
I/o
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
von denen keine unbedingt Richtigkeit für sich ansprechen
kann, unumgänglich nöthig, wenn man sich mit Zuversicht
auf das ■» Repertoire i. soll berufen können, indessen sind bei
Vergleichung einiger gleichfalls als Quellen anzusehender
Schriften — und zwar außer dem von BURKHARDT selbst
angeführten )> Journal des Luxus und der Moden ^ (J) noch
von Reichard's >> Theater- AlinanacJ Li (Th) und y Schillers
Kalender'i. (Seh) — doch einige weitere Abweichungen zu
ermitteln gewesen, deren Werth man um so weniger be-
urtheilen kann, als aus dem •» Repertoire i (R) meist nicht
ersichtlich ist, worauf jede einzelne Angabe desselben sich
gründet. Einige Ergebnisse dieser Nachprüfung lege ich hier vor.
In J findet sich yHamletv. am 28. Januar 1793, anstatt
am 29., angezeigt, und am 29. October 1792 tDer a7-g-
wöhnische Elieinanw'. , in R »Der Schiffspati'ont- , während
hier ^>Der argiu'öhniscJie Eheinann» erst unterm 31. October
steht. — Die Bearbeitung des Lustspiels von MURPHY y>Die
Uebereilung« ist am 2. April 1793 nach R von SCHRÖDER,
nach J von Meyer, welch letzterer in R nur bei den späteren
Aufführungen als Bearbeiter genannt wird. — Xach Seh wurde
am 2. Juli 1802 -»Adolf und Clarai., nach R ^>Der Stamin-
bauim, und am ii. Februar 1805 » Wie machen sie's in der
Komödie«, nach R 'Die beiden BilletS'i zu ^-> Wallenstein s
Lager f. am 20. April 1805 Die Versuchung«, nach R ^-i Re-
vanche« aufgeführt. — Nach J wurden am 22. November 1791
noch einige Gesangstücke, nach Th am 3. August 1794
in Lauchstädt ein Gedicht zur Feier des Geburtstages des
Kurfürsten vorgetragen, ingleichen nach Th ami 6. April 1 796
-iLilla« gegeben, wovon allenthalben in R sich nichts findet,
ebensowenig von y>Der verstellte Kranke«, sowie List und
Unschuld", Lustspiel von VULPIUS, welche beide Stücke
nach Th 1791 zur Aufführung gekommen sein sollen. —
»Das IQnd der Liebe«, »Der Herbsttag« und »Stille Wasser
sind tief i sind in R als von dem früheren Weimarer Schau-
spielunternehmer Bellomo übernommene Stücke bezeichnet,
5- Zu Goethe's Theaterrepertoire. 171
nach Th sind sie jedoch erst unter GOETHE neu einstudirt
worden. — Die Spielperiode vom 19. August bis mit 25.
September 1791 ist in R mit der Ueberschrift i Eifiirt und
Weinia)' i'jgn'- versehen; nach J wurde nur am 6. September
in Weimar gespielt.
Abgesehen von diesen Abweichungen, die bei 4136
Spieltagen mit 600 Stücken allerdings geringfügig sind,
hätten indeß manche Angaben, und zwar im Sinne der sonst
von BuRKHARDT beobachteten Grundsätze, genauer erfolgen
können. Namentlich war es thunlich bei Berücksichtigung
auch nur der Nachrichten in J, Th und Seh die Verfasser-
schaft folgender Stücke oder wenigstens deren Ursprung
anzugeben: -»Taute Aiwora"- vom Schauspieler ZIMMERMANN;
yDie magnetischen Kuren v. , aus dem Französischen; y>Die
Ränke«, > Die Schac/unaschine und y>Das Vorurtheili aus
dem Englischen; der am 19. August 1791 gesprochene
Prolog von VULriUS. — Als Bearbeiter lernen wnr aus eben
diesen Quellen kennen: GOETHE und VuLPlUS von ■»Circec
und y>Die theatralischen Abenthetier"^ VULPIUS von -»Das
nnterbi'ocliene Opfei-festc-, ->, Der edle Verbrecher <i, y> Die Hoch-
zeit des Figaro«, y>Die P^'inzessin von Amalfi und Die
Zauberzither i'.-^ BODE von ^'Das Muttersöhnchen« \ Bertuch
von y>El/riede«~ seit dem 6. April 1793; SCHRÖDER von
Die vier Vormünder« , so daß sich die von BURKHARDT
bei diesem Namen gesetzten Fragezeichen erledigen. Zu
Shakespeare's -»König Johann <. konnte am 29. November
1791 und 19. September 1792 die SCHLEGEL'sche Ueber-
setzung nicht benutzt werden; es war die von EsCHENBüRG.
Beiläufig bemerkt, fehlt im alphabetischen Verzeichniß die
erste Aufführung dieses Trauerspiels. — Als für die Wei-
marer Bühne neu bearbeitet, werden ohne Nennung des Be-
arbeiters angeführt: y>Der Schiffspatron ^'. und >> Die entwaffnete
Rachgierde . — In J stehen noch ein paar Zusätze bei
Aufführungen, und zwar: am 6. October 1791 -i Der Älond-
kaiser< um einige Scenen vermehrt; am 28. Januar 1792
J72 ^- Vermischtes zur GoetheforschUxNG.
y>Hamlet<i mit Weglassung der letzten Scene; am ii. Juni
1792 Goethe'S Epilog von der Mattstedt gesprochen. —
AlsComponist der -»ClaiLdinevon ViÜabcUav- wird ReicHARDT,
sowie als der der Märsche und Gesänge im >> Grofskophta<~
Kranz genannt. — Endlich ist zu Vermeidung von Miß-
\'erständnissen zu gedenken, daß » Wie machen sies in der
Komödie r« und y>Die bnchstäbliche Aus legung der Gesetze 'i.
Namen für dasselbe Stück sind; desgleichen y>Eveline<( und
•»Er mischt sich in Alles«-.
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6. Goethe und das Schriftthum
China's.
Oi: THE hat uns, sagt SCHILLER, von falschem Regel-
zwange zu Wahrheit und Natur zurückgeführt.
Damit ist aber nur die eine Seite von Goethe'S
Streben nach Natur ausgedrückt; denn überhaupt
wird abgewichen von ihr nicht allein durch überspannte
Ausbildung einzelner Richtungen, also durch Aufstellung und
Befolgung einseitig gefaßter falscher Regeln, sondern auch
durch kraftlose Vernachlässigung des wahren Naturdranges.
Die Natur, der zu folgen dem Menschen obliegt, offenbart
sich in fortwährender Entwickelung zur Vervollkommnung,
und diese Entwickelung wird gleichmäßig aufgehalten durch
Erschlaffung, wie durch Ueberreizung. GOETHE hatte das
Ziel der Vervollkommnung unverrückt im Auge, und daher
erhob er sich in der Dichtung ebenso gegen gekünstelte,
der deutschen Sprache nur gewaltsam aufzudringende fremde
Formen, die im Deutschen sich nicht fortentwickeln konnten,
wie gegen formlose Tändeleien, die einen Rückschritt be-
deuteten; in Beurtheilung der Lebensführung ebenso im
»Satyros'. g&g^"^^ ROUSSEAU'S Zurückverweisung auf Ur-
zustände, wie in der -»Natürlichen Tochter«, gegen selbst-
174
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
süchtig zugespitzte Lebensgestaltung höchster Stände; im
Staatsleben ebenso gegen Ausübung fürstlicher Rechte, die
das Volk drückten, wie gegen den, von schwärmerischen
Deutschen frohlockend begrüßten französischen Umsturz; in
der Philosophie ebenso gegen das seichte Geschwätz der
Aufklärer, wie gegen die, von einem Heischesatz spitzfindig
abgeleiteten Systeme; in den Naturwissenschaften ebenso
gegen die Fachleute, die gleichgültig die Erscheinungen ver-
einzelt betrachteten, ohne sich um deren Zusammenhang zu
kümmern, wie gegen die anderen, welche Erscheinungen
leugneten, die sie nicht zu messen vermochten. Kann
Goethe nicht ein Bahnbrecher in der Culturgeschichte ge-
nannt werden, so war er dagegen durch sein Umfassen
aller Bildungszweige, seine allseitige scharfe Beobachtung der
Thatsachen und die Fruchtbarmachung des Beobachteten
für die allgemeine Erkenntniß, indem er es nach weitesten
Gesichtspunkten zusammenfaßte, wie kein anderer geschaffen,
das, was aus den Fugen gegangen war, wieder einzurichten,
d. h. für das Gesammtgebiet der Bildung die höchsten
Stufen, die in den einzelnen Gebieten erreicht waren, zu
allgemeinem Einklang zusammenzustimmen, für unsere Cultur
einen naturgemäßen, sicheren Grund zu legen, auf dem gleich-
mäßig fortgebaut werden kann.
Mit solcher Geistesrichtung Goethe's scheint es in
Widerspruch zu stehen, daß er wohl ein halbes Jahrhundert
hindurch sich, wenn auch mit Unterbrechungen, doch immer
und immer wieder mit dem Schriftthum eines Volkes be-
schäftigte, das wegen der in's Unendliche gehenden Aus-
bildung ausgekünstelter Ceremonien und deren strenger
Uebung, die sogar in den Dichtungen mit ängstlicher Wichtig-
thuerei bei jeder Gelegenheit als erfolgt bestätigt wird, mit
dem Fluche der Unnatur bis zur Lächerlichkeit belastet ist.
Was trotz alledem GOETHE zu dem Schriftthum der Chinesen
hinzog, können wir nur ergründen, ' wenn wir zunächst die
■ einzelnen Schriften prüfen, von denen wir wissen, daß sie
6. Goethe und das Schriftthum China's.
175
seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, und sodann
feststellen, wie diese auf ihn gewirkt haben.
Zwar habe ich schon wiederholt die Ableitung Goethe'-
scher Dichtungen von chinesischen behandelt, aber dabei
war es mir hauptsächlich um den Nachweis der letzteren
als Goethe's Quellen zu thun, während es im vorliegenden
Falle darauf ankommt, die Spuren chinesischen Schriftthums
bei Goethe aufzusuchen. Hierbei werde ich jedoch das,
was ich in den Aufsätzen über -»Elpenori und über die
•i! Chinesisch-deutschen Jahirs- und Tageszeiten« bereits aus-
führlich dargelegt habe, jetzt nur soweit wiederholen, als es
zum Verständniß des gesteckten Ziels nothwendig ist, Einzel-
heiten dagegen als bekannt stillschweigend voraussetzen.
Unbeachtet kann bleiben, daß GoETHE bereits 1770
die sechs klassischen Bücher der Chinesen sich anmerkte,
da kein Zeugniß vorliegt, daß diese Anmerkung auf etwas
Weiterem beruht, als auf oberflächlicher Nachricht von deren
Vorhandensein und dem Wunsche, die Erzeugnisse der ab-
gelegenen Welt kennen zu lernen. Wirkliches Eindringen in
chinesische Schriften bekundet zuerst der Eintrag in sein
Tagebuch vom 10. Januar 1781: »Kam 2j. [der Herzog] In
den Briefen über's Studium der Theologie gelesen. O Ouen
Ouang!« Diese chinesischen Namen kommen unzählig oft
im IL und III. Bande eines Werkes vor, das damals von
hoher Bedeutung für die Kenntniß Chinas und in Weimar
besonders mehrfach novellistisch (durch Freiherrn von
Seckendorff namentlich) ausgebeutet worden war: »Des-
cripiion de la China von Du Halde, ins Deutsche über-
setzt unter dem Titel: «Jo/ianJi Baptista dji Halde, Aus-
führliche Beschj-eibuiig des chinesiscJien Reichs.« (4 Bände,
1747 — 1749-) Es enthält sehr gründliche, von sachkundigen
und gelehrten Jesuiten bearbeitete Schilderungen der Ver-
waltung, Sitten, Religionen, Wissenschaften und Dichtung
der Chinesen nebst mannigfachen Uebersetzungen aus
chinesischen Schriften. In diesem Werke finden sich die
176
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
beiden von GOETHE angeführten Namen so, wie er sie ge-
schrieben, zwar zusammen, jedoch in umgekehrter Folge:
Ouang Ouen: außerdem aber zwar wahrscheinHch dieselben
Namen in derselben Folge, wie in GoeTHE'S Tagebuch,
anders transscribirt: Yen Yang. Wm Wang, wie jetzt zu
schreiben üblich, war ein ausgezeichneter Mensch und
Herrscher, von den im II. Bande des genannten Werks
außerordentlich viele Aeußerungen und Geschichten erzählt
werden '••■), an deren eine GOETHE sich gelegentlich der Zu-
sammenkunft mit dem Herzog erinnert haben könnte; in-
dessen ist es wahrscheinlicher, daß GOETHE die Namen in
derselben Schreibweise, wie er sie gelesen, auch wieder ge-
schrieben, deren Reihenfolge dagegen versehentlich vertauscht,
also eine Aeußerung von Ouang Ouen im Sinne gehabt
habe. Solche stehen II, 321 und III, 318. An erster Stelle
wird erzählt, wie der Staatsbeamte Ouang Ouen seinen Ge-
halt mit Betrübniß in Empfang nimmt, indem er sich ver-
gegenwärtigt, wie vielen Landesunterthanen es blutsauer
wird, die Steuern aufzubringen, aus deren Ertrag die Beamten
ihren Gehalt beziehen. Diese Aeußerung dürfte gemeint
sein, da sie völlig mit den wiederholt von GOETHE be-
kundeten, ihm als damaligem Kammerpräsidenten besonders am
Herzen liegenden Yerwaltungsgrundsätzen, deretwegen er sich
manchmal mit dem Herzog in Widerstreit befand, übereinstimmt.
Noch in eben dem Jahre 1781, in dem GOETHE jene
Namen in seinem Tagebuch erwähnte, begann er das, Bruch-
stück gebliebene Schauspiel »E/peuor« , das zweifellos seine
Quellen in zwei Erzeugnissen chinesischer Dichtung hat:
einer Erzählung und einem Schauspiel. Jene überliefert
Du Halde im III. Bande S. 374 — 384; ihr Inhalt ist kurz
folgender:
Ein Ehepaar Liu Jü und Ouang mit Namen, hat nur
*j S. 327, 34of., 358ff., 366, 387, 389f., 415, 419, 431, 457,468,
516 und 562 der Uebersetzung.
6. Goethe und das Schriftthum China's.
177
ein Kind, einen Sohn Hi öhrl, der in zartem Alter bei einem
Festaufzug sich in der Menge verhert und trotz aller Be-
mühungen nicht wieder gefunden wird. Der Schmerz über
den Verlust verleidet dem Liu Jü den Aufenthalt in der
Heimat; er unternimmt ausgedehnte Handelsreisen und hat
dabei Gelegenheit einem andern Kaufmann einen wichtigen
Dienst zu leisten, wodurch er in dessen Haus kommt. Dort
sieht er einen Knaben, der \'om ersten Augenblicke an, wo
er Liu's ansichtig wird, seine Augen nicht von ihm wendet,
wie auch Liu den Knaben sofort mit ungewöhnlicher Zu-
neigung betrachtet. Nach allseitigem Aussprechen ergiebt
sich nun, daß dieser Knabe von einem Strolch, der ihn ge-
stohlen hatte, gekauft worden ist, und wie sein x\lter mit
dem Hi öhrls übereinstimmt, so beseitigt noch ein Mutter-
mal alle Zweifel, daß dieser Knabe Liu's vor sieben Jahren
verloren gegangener Sohn ist. — Inzwischen ist Liu in
seiner Heimath, wohin während seiner mehrjährigen Ab-
wesenheit keine Nachricht von ihm P"elangt ist, für todt ge-
halten worden, und sein jüngerer Bruder, Liu Pao, ein
heruntergekommener Mensch, drängt deßhalb die Frau des
Liu Jü, die er, um in Besitz des brüderlichen Vermögens
zu kommen, los sein will, sich anderweit zu verheirathen.
Da diese jedoch dem Gatten ihre Treue bewahrt, verhandelt
er sie heimlich und beredet mit dem Käufer deren gewalt-
same Entführung. Durch zufällige Umstände geschieht es
aber, daß anstatt der Ouang vielmehr Liu Pao's eigne Frau
entführt wird, während jene überdies Schutz findet bei ihrem
gleich darauf mit dem Sohne zurückkehrenden Gatten.
In dieser Erzählung haben wir schon vier Motive, die
in ^>Elpenor« — wie dieses Schauspiel theils vorliegt, theils
dessen Verlauf in logischer Entwickelung aus dem vorliegen-
den Bruchstück zu denken ist — verwebt sind: der Raub
eines Sohnes bei einem Getümmel, dessen unerwartetes
spätes Wiederfinden seitens eines der Eltern , das dabei
unbewußter Weise gegenseitig zum Ausbruch kommende
V. Biedermann, Goetheforschungen III. 12
178
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
Gefühl natürlicher Zusammengehörigkeit und die Feststellung
der Persönlichkeit des Wiedergefundenen durch ein Muttermal.
Das Schauspiel Tschao sein kii öhrl — ^'Des Hauses
Tschao kleine Wazse«. — auf welches die Anlage von
Goethe's »E/penor<i wesentlich gegründet ist — steht gleich-
falls im III. Bande des Werkes von Du Halde. Beide
Schauspiele gleichen sich darin, daß in jedem zwei Gewalt-
haber gemeinschaftlich zur Ausübung bedeutender Macht
berufen sind, der eine den ihn beschränkenden Genossen
verrätherisch um's Leben bringen läßt, auch dessen Sohn
zu tödten befiehlt, der aber heimlich gerettet und dann in
Folge vom Retter erregten Irrthums vom Todtfeind wie
ein eignes Kind — im »E/penorc- als sein eignes — er-
zogen, sowie der, für den Mörder angesehene Retter ehren-
voll gehalten wird. Ferner wird in beiden Schauspielen
erst das herangewachsene Kind mit dem, gegen seine Familie
verübten Verbrechen bekannt gemacht, und zwar zunächst
ohne daß dessen Urheber genannt oder gekannt ist; es spricht
lebhaft seine tiefe Entrüstung über die verübte Unthat aus
und geht bereitwillig die ihm angesonnene heilige Ver-
pflichtung ein, den Thäter zu erforschen und ihn deßhalb
zur Verantwortuncr zu ziehen, geräth aber dadurch nach Ent-
deckung des Verbrechers in einen Widerstreit \on Pflichten,
und entscheidet sich dann für Erfüllung der gelobten Sühne.
Außer diesen, den größten nnd wesentlichsten Theil beider
Schauspiele ausmachenden Thatsachen, diesen dreizehn Mo-
tiven, wiederholen sich einzelne Züge aus dem chinesischen
Drama im ''Elpenorf. so des Knaben Vorliebe für Pferde
und für Waffenübungen, das Schwanken des Retters hier
wie dort, ob die Wahrheit an den Tag gebracht werden
solle, wobei beiderseits die Entscheidung vom Eintritt
äußerer Umstände abhängig gemacht wird.
Das Ergebniß der Vergleichung der hier genannten
Dichtungen ist also, daß die Uebereinstimmungen zwischen
dem chinesischen Roman und Schauspiel einer- und »Elpenor'^
6. Goethe und das Schriftthum China's.
179
andrerseits mit zusammen siebzehn Motiven allzu zahlreich
sind, als daß das Walten eines Zufalls nicht für undenkbar
anzusehen wäre. Die allerdings auch nicht unbedeutenden
Verschiedenheiten erklären sich aber vollkommen durch
unerläßliche Rücksichten auf die deutsche Bühne und euro-
päische Zuhörerschaft, wie ich anderwärts erschöpfend aus-
einandergesetzt habe. Die von anderer Seite geltend ge-
machte Aehnlichkeit mit griechischen Tragödienstoft'en, die
Goethe zu Benennung der Personen im »ElpcHoyi , auch
vielleicht zu einigen Zügen veranlaßt haben können, sind
deßhalb nicht durchschlagend, weil bei keinem derselben auch
nur angedeutet w^ird, was in y>Elpenor<' der Hauptzug ist:
die Naturgewalt, die Eltern und Kinder, obschon unbekannt
sich gegenüberstehend, trotz aller Hindernisse wieder zu-
sammenführt. Im Gegentheil wissen griechische Sagen und
Dramen von solchem Naturgefühl nichts: die hülfesuchende
Antiope wird vom Sohne abgewiesen, Elektra will ihre
Schwester ebenso, wie Merope ihren Sohn ermorden, und
sie alle unterlassen die Unthat nur, nachdem sie von fremden
Leuten erfuhren, wer die von ihnen Bedrohten sind; Thyestes
\'erspeist sogar mit Appetit seine Söhne, die Atreus ihm ge-
braten vorgesetzt hatte. Griechische Namen und Sitten
sind daher nur wie ein, den Chinesen angelegtes Gewand,
damit sie bei uns bühnenfähig würden.
Seit März 1783, wo das Dichten an ^>Elpe}ior< auf-
hörte, vergeht eine Reihe von Jahren, aus denen GOETHE
nichts über Chinesenthum zu vernehmen gegeben hat; erst
im Januar 1 796 ist im Briefwechsel mit SCHILLER von einem
chinesischen Roman die Rede, auf den wir an geeigneterer
Stelle zurückkommen werden. Vermuthlich sind zwischen
beiden Dichtern Erzeugnisse des chinesischen Schriftthums
öfters besprochen worden, da Schillp:r den eben gedachten
Roman später zu übersetzen \orhatte, und GoETHE in
einem Brief an jenen aus dem Januar 1798 wieder über
chinesische Philosophie sich ausläßt. Er berichtet darüber
l8o V. Vermischtes zur Goetheforschung.
nach dem von Joachim CHRiSTOrn Finx unter dem Namen
Erasmus Francisci 1670 herausgegebenen ^> Netipolh-ten
Geschieht-, Kunst- und Sittenspiegel ausländischer Völker«,
einem Buche, das auf 1550 gespaltenen Folioseiten eine
Sammlung von seltsamen Begebenheiten, Naturmerkwürdig-
keiten, Polizei- und Kriegsordnungen, Sitten, gottesdienst-
lichen Gebräuchen, Wissenschaften, Künsten, Jagden u. s. w.
der verschiedensten Völker, insbesondere auch der Chinesen
enthält, ohne Plan und nicht etwa zu dem wissenschaftlichen
Zweck vergleichender Kulturgeschichte, bloß als Kuriositäten-
cabinet, von einem in jeder Hinsicht beschränkten Geiste
zusammengetragen. Was aber Goethe nach Briefen an
Schiller, (dessen ^) T?(randot« auch in China sich abspielt),
so anmuthete, war, daß ein mit dem Jesuitenmissionar RiCCI
streitender Chinese Ansichten vertrat, die mit Spinoza's,
von Goethe seit lange gehegter und vertheidigter Philosophie
in Einklang stand. Es konnte daher nicht fehlen, daß er
Stellen, wie folgende (S. 45) mit Vergnügen las: »Es ist zu
merken, daß die chinesische Götzensekte« — womit die
Buddhisten gemeint sind — , »unter andren diesen schäd-
lichen Irrthum lehre: Gott und alle übrige Dinge seien von
einerlei Substanz, welcher Irrsatz allgemach auch in die
Schulen der Gehrten eingeschlichen und darauf auszulaufen
scheinet, daß Gott die Seele der ganzen Welt und gleichsam
ein Verstand oder Geist dieses so großen Körpers sei.«
Und weiterhin: »Angemerkt, dieses ihr fürnehmster Irrthum
ist, daß sie den Herrn der Natur mit der Natur selbsten
confundiren. " Und wenn gar der chinesische Gelehrte (S. 43)
sagte: »Ich leugne zwar nicht, daß ein solcher Regent des
Himmels und der Erden werde gefunden, vermeine aber,
er sei von keiner besonders großen Majestät, Kraft und
göttlicher Gewalt, sintemal auch ich . . . und ein jedweder
andrer Mensch ihm gleich seind und ihm in keinem Dinge
weichen« — so mußte GoETHE darin gewiß mit großer Be-
friedigung seinen >> Prometheus 'i wiedererkennen mit dessen:
6. Goethe und das Schriftthum China's. i8i
Ich bin kein Gott,
Und bilde mir so viel ein als einer.
Nach fünfzehn Jahren beginnt ein mehrjähriger Zeitraum,
in dem eine Reihe von Zeugnissen über Goethe'S ein-
gehendere Beschäftigung mit Chinesenthum vorliegt. In den
» Tag- und JaJiresJLcftcn « berichtet er zu 1 8 1 3 , dai3 er,
während in der politischen Welt ungeheuere Ereignisse
drohten, sich eigensinnig auf das Entfernteste geworfen und
deßhalb nach seiner Rückkehr aus Karlsbad sich mit ernst-
lichstem Studium dem chinesischen Reiche gewidmet habe.
Im Tagebuch bemerkt er vom 2. bis 16. October fast
täglich: ^>Sinica<i. Er durchsah Werke verschiedenster Rich-
tungen: Martini' s Atlas von China, Paivs RechercJies pJiilo-
sopJiiques sw- les Egyptiens et les Chinois, Marco Polo's De
regionibus orientalibus libri, sowie Barrozvs und Macartncy s
grossbritaniscJie Gesandtschaf isreise. Am 10. November
schreibt er KNEBELN: es sei heilsam, sich in einem ganz
andern Zustand auch nur in Gedanken zu befinden, wobei
die Anwesenheit des Sinologen Klaproth ihm förderlich
sei. Diese Förderniß erstreckte sich vermuthlich in der
Hauptsache auf die chinesische Sprache, die GoETHE gleich-
falls und so mit Eifer trieb, daß er — nach Brief an
Meyer aus dem Mai 18 16 — den Prinzessinnen Marie und
Auguste chinesisch vorschreiben konnte. Fast alle die an-
geführten Schriften ergehen sich in Schilderungen der bei
jeder Veranlassung von den Chinesen in Uebermaß voll-
zogenen Ehrenbezeigungen, und es ist daher die Vermuthung
nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die, in der päda-
gogischen Provinz der »Wanderjahre ' so ausführlich be-
schriebenen Ehrenerweisungen in den chinesischen ihre Quelle
haben; namentlich sind die der Schüler gegen die Lehrer
ein Gegenstück zu den, von Du Halde II, 308 berichteten.
Im Jahre 181 5 ist wieder der 1796 erwähnte Roman
der Zeitfolge nach zu nennen, aber auch jetzt noch nicht
eingehend zu behandeln, sodaß vorher aus dem Jahre 1 8 1 7
l82 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
der von DAVIS herausgegebenen englischen Uebersetzung
des chinesischen Schauspiels Lao soig öJirl, An Heir in his
old agc (wörtlich: •>'>Des Greises spätes Kind') zu gedenken
ist. Goethe las es am 4. September und sehickte es am
9. October an KNEBEL, indem er ihm schrieb: es wolle zwar
Anfangs nicht munden, wenn man es aber durchlese und dann
überschaue, so müsse man es als ein höchst merkwürdiges
und verdienstliches Werk anerkennen. Der Inhalt ist fol-
gender: Ein alter Mann, dem seine eigentliche Gattin keinen
Sohn geboren, freut sich der Aussicht, von einer schwangeren
Nebenfrau einen solchen zu erhalten, allein seine Gattin,
seine Tochter und sein Schwiegersohn, von der Geburt
eines Sohnes Schmälerung ihres Erbes befürchtend, schaffen
die Nebenfrau bei Seite und geben vor, sie sei mit einem
Liebhaber auf und davon gegangen. Da nun die Tochter
nicht mehr der Familie der Eltern, sondern der ihres Gatten
angehört, also ihre Kinder ihn nicht als zu verehrenden
Ahn zu betrachten haben, so hat der Alte Ursache, das
nach chinesischen Religionsbegriffen traurige Loos zu be-
jammern, dal3 an seinem und seiner Vorfahren Grabe künftig
nicht die vorgeschriebenen Opfer gebracht werden. Die
Trostlosigkeit des Alten erweicht endlich die Tochter, welche
ihm nunmehr die verborgen gehaltene Nebenfrau und zu
gleich einen von dieser geborenen Sohn zuführt. GOETHE
sagt über dieses Schauspiel: es erinnere an ^ Die Hagestolzen^.
von Iffland, ergreife jedoch tiefer, da der Hagestolz nur
unter ungemüthlichen Zuständen leide, während der chinesische
Alte außerdem auch durch religiös begründete Vorstellungen
unendlich gepeinigt und grenzenloser Verzweiflung überliefert
werde.
Von da ab liegt ein Jahrzehnt hindurch bis jetzt keine
nähere Kunde darüber vor, ob GoETHE sich in dieser Zeit
um chinesische Literatur gekümmert hat, denn worauf
die Bemerkung im Tagebuch unterm 24. September 1824
»An Professor Bach:maxx wegen der Sinica< sich bezieht,
6. Goethe und das Schriftthum China's. 183
ist z. Z. nicht ermittelt. Erst aus der Zelt von Februar
bis August 1827 wissen wir schon jetzt Genaueres aus
Tagebucheinträgen, die vor der Veröffentlichung der Tage-
bücher dieses Jahres in der Weimarer Goethe- Ausgabe be-
kannt worden sind. Diese weisen nach: am 2. und
3. Februar » Chinesisches Gedicht. Chinese Coiirtship, Chi-
nesische Werbung<i-\ am 5. Februar «Chinesische Dichte-
rinneni.^ am 14. und 19. Mal -^^Der chinesische Roman
übersetzt von Rl^MUSAT« , nämlich »Ju klao 11,« der 1826
unter dem Titel -iiLes deiix cousines«. und 1827 nach dieser
französischen Uebersetzung deutsch als ^Die beiden Basen^
erschienen war; am 22. August - Contes Chinoises fort-
gesetzt«, worunter die 1827 von Remusat und nach Ihm
noch In demselben Jahre Ins Deutsche übersetzten zehn
kleinen Erzählungen zu verstehen sind, von denen einige
bereits in Du Halde's III. Bande, sowie 1822 von DAVIS
unter dem Titel » Chinese Novelsy. englisch bekannt gemacht
worden waren.
Dem damaligen Lesen mehrerer chinesischer Dichtungen
entsprechen auch wieder mehrere schriftstellerische und
dichterische Leistungen Goethe's im Jahre 1827. Nicht
daß ihn jedes der genannten chinesischen Werke dazu an-
geregt hätte, wie sich denn aus den, von Ri^MUSAT über-
setzten Erzählungen nur einzelne Züge gelegentlich von ihm
benutzt finden (z. B. das, gegen Ende des VIII. Abschnittes
des Romans »Ju kiao 11« als Zeitvertreib gebildeter Leute be-
zeichnete Versemachen beim gemeinschaftlichen Trinken im
ersten Gedichte der » Chinesisch-Deutschen Jahres- und Tages-
zeiten 1.), aber die am 5. Februar im Tagebuch angemerkte
Sammlung von «Hundert GedicJiten schöner Frauen v. {Pe
mei sing yung) zeigte er im VI. Bande » Ueber Kunst und
Alterthum«. an, wobei er einzelne Gedichte deutsch wieder-
gab, und ferner schrieb er die »Deutsch-Chinesischen Jalires-
und Tageszeiteii'i.
Die unter diesem (iesammtnamen aneinander o-ereihten
l^A V. Vermischtes zur Goetheforschung.
vierzehn Gedichte sind ein ganz eigenartiges dichterisches
Erzeugniß, zu dessen vollem \"erständniß nur unter Berück-
sichtigung der fremdartigen . Eigenthümlichkeit der Quelle zu
gelangen ist. Die einzelnen Stücke beginnen in der Mehr-
zahl mit einem aus dem Leben oder aus der Natur ge-
nommenen Bilde, das die Stimmung zu einer daran geknüpften
Betrachtung anregt, China hat zwar nicht durchgängig den
Stoff so entschieden dazu geliefert, daß jede andere Quelle
von vornherein als ausgeschlossen betrachtet werden müßte,
und das eine und andere Stück könnte man auch für rein
deutschen Ursprungs halten, wenn sich nicht alle durch die
Verbindung mit den übrigen als ostasiatisch gedacht be-
kundeten, und wegen mehrerer, unverkennbar auf China be-
züglicher Gedichte sich die Forderung aufdrängte, zu ermitteln,
welche der 1827 von GoETHE gelesenen chinesischen Dich-
tungen ihnen zu Grunde liegt. Das chinesische Liederbuch
{Scki King) kann dabei — abgesehen vom ganz und gar
verschiedenen Inhalt — schon darum schlechthin nicht in
Frage kommen, weil GOETHE von dieser Gedichtsammlung»
von der es zu jener Zeit keine irgendwie genießbare Ueber-
setzung gab, keine zur Nachdichtung anregende X'orstellung
haben konnte. Nur jemand vermochte auf ScJii King
verfallen, der von chinesischer Dichtung gar nichts kannte,
auch dieses Werk nur dem Namen nach. Zur chinesischen
Quelle leitet indessen das Gespräch mit ECKERMANX vom
31. Januar 1827. Ihm erzählte GOETHE dabei von einem
chinesischen Roman, in dem man die Goldfische in den
Teichen immer plätschern, die Vögel auf den Zweigen immer-
fort singen höre; der Tag sei immer klar, vom Monde sei
viel die Rede, aber er verändere die Landschaft nicht, sein
Schein sei so hell gedacht, wie der Tag selber; Anspielung
auf unzählige Legenden gingen nebenher. Wenn wir diese
Einzelheiten in einem der von GoETHE gekannten chinesischen
Dichtwerke zusammen antreffen, und der Hauptsache nach
nur in einem, so müssen wir bei dem geringen Umfang der
6. Goethe und das Schriftthum China's. 185
Goethe zugängigen chinesischen Dichtungen unbedingt eben
dieses als dasjenige bezeichnen, über das er sich gegen
Eckermann so lebendig aussprach.
Die Dichtung nun, in der die gedachten Anführungen
Goethe's sich nachweisen lassen, ist Hoa tsien ki, deutsch
■»Geschichte vom Bhunenpapien, eine Dichtung, die man
Roman in Versen, oder Epos, oder Idyll nennen könnte,
worin in 57 Abschnitten oder Gesängen ziemlich einfache
Begebenheiten erzählt w^erden, die an sich geringen Raum
einnehmen würden, deren Darstellung aber dadurch zu be-
trächtlicher Ausdehnung angewachsen ist, daß die Umgebung
und das Xaturleben innigst mit den Begegnissen der Handeln-
den verwebt und geschildert werden. Schon die ersten
Zeilen der Einleitung des ■»Bliimenpapiers'i leiteten GOETHE
zu dem Titel seiner Dichtung; denn da ist von der Abend-
luft und vom Hörn des zunehmenden Mondes die Rede,
also von Tages- und Jahreszeiten. Uebrigens waren die im
^>Blnuienpapier^' sich in Fülle zudrängenden Bilder, gehoben
durch den Schwung der für gebundene Rede gedichteten
Erzählung, so sehr, und sie allein, geeignet den genießenden
Dichter zu eigener schöpferischer Thätigkeit anzuregen, daß
daneben die nüchternen chinesischen Prosaromane, die er
gleichzeitig las, garnicht in Beträcht kommen können.
Es beeinträchtigt diesen Nachweis nicht, daß ein paar
von Goethe nach Eckermann erwähnte Vorkommnisse
nicht im i'Bljimenpapier'^ , sondern in andern, damals ver-
öffentlichten chinesischen Dichtungen sich finden. So nament-
lich das \on einem Jüngling und einem Mädchen, die in
ihrer Unschuld sich, obwohl sie zusammen schlafen, zu keiner
unreinen Berührung verführen lassen, was in der 1820 über-
setzt erschienenen Novelle > The affectionate pair« erzählt
wird, die KuRZ 1835 unter dem Titel: 'Der männliche jmd
der weibliche Brtider« verdeutscht hat. Ebenso ist das Bild
von dem, auf einer Blume sich wiegenden Mädchen anders-
wo zu suchen, und zwar in dem Gedicht auf die mit nied-
j36 V. Vermischtes zur Goetheforschung.
liehen Füßen begabte See Yaou Hing, von Goethe in seinem
Aufsatz iCJänesischeS'i aufgenommen. GOETHE hat also
nicht, wie ECKERMANN es darstellt, nur Züge aus Einer
chinesischen Dichtung geben wollen, sondern hat eine Ueber-
schau über mehrere gehalten und Bemerkenswürdiges daraus
hervorgehoben. Völlig gleichgültig ist es, wenn, wenigstens
nach Eckermann, Goethe erzählt haben soll, daß das
Lachen lieblicher Mädchen vernommen und diese sodann
auf Bambusschaukelstühlen (Tung - Po - Stühlen) angetroffen
worden seien, während diese beiden Umstände nicht so in
unmittelbarer Folge im »Blmneiipapier« erscheinen.
Goethe hat nun Persönliches und Allgemeines in ähn-
licher Weise wie der chinesische Dichter in Anknüpfung an
das Naturleben ausgesprochen, aber auch gelegentlich seine
producirende Kritik geübt, u. a. wenn er im Gegensatz zu
der, im Gespräch mit Eckermann getadelten Gleichgültig-
keit des chinesischen Dichters gegen den Einfluß von Natur-
erscheinungen, wie des Mondscheins auf die Landschaft, im
8. Gedichte {y-Däminrung senkte sich von oben etc.<s.) den
Einbruch der Nacht so wunderbar schön schilderte. Wie
sonst die einzelnen Gedichte der » Chinesisch-Deutschen Jahres-
und Tageszeiteti<(. von Einzelheiten der » Geschichte vom
Blumenpapier«- abhängen, habe ich in den » Goethe-Forschungen
— Neue Folge'-'- — so genau dargelegt, daß ich es hier zu
wiederholen nicht nöthig habe. Ebenda habe ich bemerkt,
daß nur das vierzehnte, das letzte der fraglichen Gedichte
Goethe's auf andern Ursprung hinweise. Es lautet:
»Nun denn! Eh wir von hinnen eilen.
Hast noch was Kluges mitzutheilen?«
Sehnsucht in's Ferne, Künftige zu beschwichtigen,
Beschäftige Dich hier und heut im Tüchtigen.
Wie mit der ersten Zeile angedeutet ist, sind die » Jahres-
und Tageszeiten" eigentlich schon vorher abgeschlossen, und
wenn nach deren lufticfen Gebilden noch etwas Faßbares ee-
6. Goethe und das Schriftthum China's. 187
fordert wird, so fällt dies aus dem Ton der vorhergegangenen
dreizehn Gedichte. Als GOETHE im Sommer 1779 sich von
Wieland » Oberon« hatte vorlesen lassen und an der Dich-
tung sich höchlich ergötzt hatte, meinte er doch: »Nur wehe
dem Stück, wenn's Einer, der für dieses Wesen taub ist,
hört! So Einer fragt: ä quoi boti?<i. Aehnliche Gedanken
mochten GOETHE bewegen, als er den dreizehn aus dem
•»Blumenpapier« geschöpften Gedichten das vierzehnte hinzu-
fügte. Er fand dessen Inhalt indessen auch durch das y>Bbunen-
papieri., sowie durch viele chinesische Romane gegeben, w'o
die männliche Hauptperson ein Gelehrter ist, der sich durch
viele Staatsprüfungen zu Bekleidung hoher Aemter befähigt
erweisen muß und bei allen zarten Verhältnissen mit Mäd-
chen dennoch dieses Ziel unentwegt im Auge behält. Aus-
drücklich wird die im obigen Vers enthaltene Mahnung in
dem Roman -i'Die beiden Cousinejt'^ ausgesprochen. Dort
giebt ein junges Mädchen dem von ihr heimlich geliebten
jungen Mann (im XIV. Abschnitte des Romans) den Rath,
die Ablegung seiner Prüfungen zu beschleunigen, um ver-
diente Beförderungen und dadurch die Möglichkeit zu erlangen,
alles sonst Erwünschte sich zu verschaffen. Ebendas legt
ihm bald darnach sein väterlicher Oheim ans Herz, w^obei
er sich dann erinnert, daß ihm dies schon von dem Mädchen
empfohlen v>^ar.
Was bisher von Ableitung GoETHE'scher Dichtungen
aus chinesischen Quellen behandelt worden ist, habe ich in
der Hauptsache schon früher ausführlich erörtert, weshalb
ich mich hier verhältnißmäßig kurz darüber fassen konnte;
es bleibt nun aber noch zu sprechen über den Roman, mit
dem Goethe 1796, 181 3 und 1827 sich beschäftigt hat.
Die englische Uebersetzung ist von dem, durch seine Reli-
ques 0/ ancient English Poetry bekannten Thomas Percy
1761 zu London in vier Bänden herausgegeben.*) Ueber
*) Haoti A'iou Chooan, 07- The plcasing Hisiory.
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
diesen Roman unterhielt sich GOETHE am I2. Januar 1796
mit Schiller, der ihn später ins Deutsche übertragen woUte
da er viel Vortreffliches enthalte und einzig in seiner Art
sei; die 30 Jahre früher erschienene Uebersetzung V. Murr'S
genügte nicht. Aus der Erwähnung des chinesischen Romans
in Schiller's Brief an GOETHE vom 24. desselben Monats
erfahren wir, daß GOETHE ihn eingehend betrachtete. An-
scheinend kannte er indessen den Roman schon in seiner
ersten Weimarer Zeit, wo er auch Du HALDE las und
»Elpcnor^i dichtete; denn AMPERE schreibt am 23. Mai 1827
seiner Freundin Rliic AMIER, daß GoETHE damals die Vor-
gänge dieses Romans, den er schon vor einem halben Jahr-
hundert gelesen gehabt, noch genau in Erinnerung bewahre.
Aber in der Zwischenzeit taucht er, wie schon oben be-
merkt, abermals auf: Grimm theilt aus dem Herbst 181 5
mit, daß GOETHE ihn einer bei sich versammelten Gesell-
schaft vorlas und erläuterte. Diese Thatsachen führen un-
verbrüchlich zu dem Schluß einerseits, daß GOETHE sich
nicht so tief eindringend und so nachhaltig mit diesem Roman
beschäftigt haben würde, wenn er ihn nicht innerlich ver-
arbeitet hätte, um nach seiner Weise etwas für eigne Forschung
oder Dichtung daraus zu gewinnen, und andererseits, daß
er nicht vor 1 8 1 5 zu diesem Ziele gelangt gewesen sei, weil
er ihn dann als abgethan nicht vor Zuhörern ferner ausführ-
lich behandelt haben würde. Von einer kritischen Arbeit
darüber ist nun überhaupt nichts zum Vorschein gekommen,
es bleibt also nur noch zu untersuchen, ob in GoETHE's
Dichtungen seit 1 8 1 5 sich Spuren von Hao kiu tschuen ent-
decken lassen. Sehen wir uns zunächst diesen selbst näher
an! In seiner ganzen, durch zahlreiche Zwischengeschichten
erweiterten Ausdehnung brauchen wir ihn für unsren Zweck
nicht zu verfolgen; ein Auszug aus der Hauptbegebenheit
genügt.
Ein Mandarin wünscht seine schöne und reiche Nichte,
deren Eltern in Verbannung leben, mit seinem Sohne zu
6. Goethe und das Schriftthum China's. igg
verheirathen. Sie ist aus guten Gründen diesem Plane ent-
schieden abhold, kann sich aber den mannigfachen Nach-
stellungen des ihr als Gatte zugedachten Vetters nur mit
Mühe entziehen. Dieser geht endlich soweit, eine gewalt-
same Entführung zu veranstalten; dabei findet jedoch die
Entführte Gelegenheit, einen vorübergehenden jungen Mann
um Hülfe anzurufen, der dann die Leute des Entführers
muthig in die Flucht schlägt und die Gerettete in Sicherheit
bringt. Der Retter ist ebenfalls ein Mandarinensohn, der
zur Fortsetzung seiner Studien die Stadt jenes Fräuleins zu
seinem Aufenthalt ersehen hat. Der hartnäckige Werber
stellt sich hierauf zuvörderst die Aufgabe, den gefährlichen
Beschützer aus dem Wege zu schaffen-, er findet Mittel, den
Speisen, die dieser in der Herberge genießt, Gift beizumischen
und hierdurch dessen bedenkliche Erkrankung herbeizuführen.
Die Vergiftung wird als Ursache der Erkrankung erkannt,
und um ihren Retter nicht unter dem Einfluß des vermutheten
Giftmischers zu lassen, sorgt die Mandarinentochter dafür,
daß ersterer in ihr eigenes Haus gebracht und da verpflegt
werde, wodurch sie freilich, wie ihr wohl bewußt, einen Ver-
stoß gegen die gute Sitte begeht. Sie betritt indessen die
Gemächer, die dem Kranken eingeräumt sind, nie und sieht
ihn daher nicht eher wieder, als bei seiner Genesung, indem
dann beide die Mahlzeit gemeinschaftlich, nur durch einen
durchsichtigen Vorhang getrennt, einnehmen. Dabei fassen sie
gegenseitig innige Liebe zu einander, was so kommen mußte,
da sich beide in jeder Hinsicht als vorzügliche Menschen
darstellen. — Nun fügt es sich aber, daß die Väter dieser
beiden jungen Leute alte Freunde sind, die denn — nach-
dem des Fräuleins Vater aus der Verbannung zurückberufen
worden war — ihre Kinder zu verbinden wünschen. Dem
widersetzt sich jedoch das Fräulein wider Erwarten, weil sie
es vor ihrem Gefühle nicht rechtfertigen kann, einen Mann
zu heirathen, den sie an sich gezogen, in ihrem Hause be-
herbergt und Wohlthaten erwiesen hat. Ihr Widerstand wird
jQQ V. Vermischtes zur Goetheforschung.
nur gebrochen durch ein Mittel, das außerhalb China's schwer-
lich anwendbar ist: der Kaiser befiehlt die Vereinigung der
für einander bestimmten jungen Leute, nachdem er ihre
Schicksale erfahren und daran lebhaft theilgenommen hat.
Fragen wir, wodurch GOETHE früh und spät von dieser
Geschichte so sehr angezogen wurde, so können wir dies
nur in der Würdigung jenes tiefen Schicklichkeitsgefühls des
Mädchens finden, wodurch selbst Liebe und Leidenschaft
zurückgedrängt werden. Kommt nun Aehnliches in einer
Dichtung Goethe's nach 1815 vor? Nach diesem Jahre
fallen zunächst » Wilhelm Meisters Wanderjahre i und die
darin verwebten Novellen. Gehen wir diese mit Rücksicht
auf unsern chinesischen Roman durch, so werden wir kaum
bei einer andern, als dem -»Mann von ßmf zig Jahrem halt-
machen können. Ueber diese Novelle scheint noch keine
eingehende Untersuchung stattgefunden zu haben, zu der man
sich doch schon insofern gedrängt sieht, als wir bei großer
Mehrzahl von Goethe's Dichtungen nachzuweisen vermögen,
daß sie entweder aus einer Lebenserfahrung horvorgegangen,
oder durch eine fi*emde Dichtung veranlaßt sind, während
bezüglich des -»Mannes von fünfzig Jahren <■ noch keine von
beiden Quellen ermittelt ist.
Die Anfänge dieser Novelle liegen weit, zurück: im
Tagebuch ist sie schon am 5. October 1803 erwähnt; dann
erst wieder am 3., 11., 12. und 13. Juni 1807, an welchem
Tage Goethe in Karlsbad daran dictirte. Am 4. August ist
dann bemerkt: ^'Der Mann von fünfzig JaJcreno. bis zu einer
gewissen Epoche«. Am 9. und 10. December sind »Die No-
vellen zu Wilhelm Meisters Wanderjahren« allgemein auf-
geführt, am 1 1. und 22. April 1808 aber wieder besonders »/?^r
Mann von fünfzig Jahren « . GOETHE hat damals überhaupt an
den kleinen Erzählungen, wie er es ausdrückte, »schematisirt«.
Nicht früher, als am 9. Juli 18 10 findet sich, daß GOETHE
wieder die » Wanderjahre i vornahm; namentlich ging er
■»Den Mann von fünfzig Jahrenx- abermals durch.
6. Goethe und das Schriftthum China's. iqi
\^on da ab schweigen die Nachrichten über diese Er-
zähUmg bis 1817, wo GOETHE sie zur \^eröftentlichung im
» Taschenbuch für Damen auf das Jahr iSiSf.^ an Cotta
gab. Aber freilich war sie da nichts weniger, als abgeschlossen.
In diesem Bruchstück wird lediglich erzählt, daß ein Major
mit seiner Schwester über die schon längst beabsichtigte
Verheirathung seines Sohnes mit der Tochter der Schwester
sich unterhält, dabei aber erfährt, daß die Tochter nicht
dem Vetter, sondern vielmehr dem Oheim, dem Major selbst,
ihre Liebe geschenkt hat. Dieser, durch die Bevorzugung
vor dem jüngeren Mann geschmeichelt, fühlt sich deshalb
bewogen, was ihm an Jugend fehlt durch ungemeine Pflege
seines Aeußeren unter Anwendung kosmetischer Mittel zu
ersetzen. Das Ganze scheint darauf angelegt, da» der Major
sich durch seine Schönheitepflege lächerlich machen werde
und dem Mädchen die Augen darüber genöffnet würden, daß
es für sie naturgemäßer sei, einen jungen Mann zu lieben;
denn selbst ein etwa denkbarer Conflict zwischen Vater
und Sohn ist dadurch abgeschnitten, daß Letzterer seinerseits
auch in anderswen, in eine junge Witwe, verliebt ist. Da
keinerlei entscheidender Schntt zu irgendwelcher Lösung
gethan ist, also > eine gewisse Epoche <, bis wohin die Er-
zählung am 4. August 1807 gediehen war, in dem Bruch-
stück des Damentaschenbuchs nicht zu erkennen ist, so war
handschriftlich wahrscheinlich 1817 schon mehr vorhanden,
als Goethe drucken zu lassen räthlich fand.
In den 1821 zuerst erschienenen -a Wanderjahren <-<■ war
jenes Bruchstück aufgenommen und eigentlich nur soweit
fortgeführt, daß die \"ermuthung, der Major werde durch
seine äußerlichen Jugendlichkeitsbemühungen das Mädchen
auf andere Gesinnung bringen, hinfällig wird, indem jener,
selbst der Schönheitspflege überdrüssig, sie aufgiebt. Ganz
ohne inneren Zusammenhang damit erscheinen indessen später
die vom Sohne des Majors geliebte Witwe, sowie die Nichte
des Majors unter den »Wandernden« des Hauptromans, aber
192
V. Vermischtes zur Goetheforschung.
ohne daß man erfährt, welche eigenthümlich verschkingenen
Verhältnisse dahin geführt haben, daß die, höhere Zwecke
verfolgenden geheimnißvollen »Verbündeten« diese Frauen
ihrer Fürsorge gewürdigt haben.
Soweit die Erzählung bis 1821 veröftentlicht ward, läßt
sie die Annahme zu, daß GOETHE sie unternommen hat,
um Kotzebue'S 1795 erschienenem Lustspiel 1 Der Mann
von vierzig Jahren<i^ in producirender Kritik entgegenzutreten.
In diesem Stücke trägt der ältere Mann den Sieg über den
jüngeren davon, was GOETHE als Verirrung erkennen mochte
und dies wohl zur Darstellung bringen wollte. Oder sollte
etwa die Ausgestaltung eines eignen Erlebnisses darin zu
erblicken sein? In die Jahre 1803 bis 1807 fällt mit den
Anfängen des -f^ Mannes von fünfzig Jaliren^s. zusammen die
innige Neigung, die der in den fünfzigern stehende GoETHE
für Minna Herzlieb gefaßt hatte, und die in mehreren So-
netten, in ^'Pandora« und in den » Wahlverwandtschaften <(■
dichterischen Ausdruck fand. Berührte es GOETHE vielleicht
unangenehm, daß die Deutung der Novelle auf wirkliche
Begebnisse zu nahe lag? Wie man aber auch das Zaudern
in der Fortsetzung derselben von 1807 bis 1817 und dann
wieder bis 1823 oder später erklären mag, Thatsache ist,
daß 1830 in den umgearbeiteten ■>•> Wander jähren«- im 22.
und 23. Bande der Werke, Ausgabe letzter Hand, diese
Novelle eine ganz andere insofern geworden ist, als ein neues
Motiv als hauptsächliches in den Vordergrund tritt. Ent-
scheidendes dürfte am 5. und 10. August 1823, wo im Tage-
buche »Erfindung gewisser Scenen« zum -Mann von fnnfzig
Jahren<(~ angemerkt ist, noch nicht erfolgt sein; es läßt sich
das schließen einerseits aus dem Umstände, daß nach ECKER-
M ANN am II. September 1828 (Goethes Gespräche VI,j2jf)
die Handschrift der » Wanderjahre o- noch beträchtliche Lücken
aufwies, sowie andererseits aus Ampere's Mittheilung, daß
Goethe 1827 den chinesischen Roman, von dem sonst
seit 18 15 nicht mehr die Rede gewesen ist, noch lebhaft
6. Goethe und das Schriftthum China's.
193
in Erinnerung bewahrte, also er ihn wahrscheinHch aus irgend
einem Grunde wieder vorgenommen hatte.
In den y> Wander jähren <i von 1830 wird hinsichtlich der
bisher zu vermissen gewesenen Zwischenbegebnisse im -»Mann
von fünfzig Jahren« erzählt, daß die jungen Leute sich
endlich doch einander genähert haben und von dem Major
bei einer Schlittschuhfahrt im Mondschein überrascht werden.
Der Major überzeugt sich, daß er nunmehr in seinem Sohne
einen Nebenbuhler erhalten hat, sieht die Unnatur solchen
Verhältnisses ein und will daher zurücktreten. Dem wider-
setzt sich jedoch die Nichte; es verletzt ihr Gefühl, Gattin
des Sohnes zu werden, nachdem sie die Braut des Vaters
gewesen war. Ihre Mutter hofift, daß mit der Zeit die Tochter
den veränderten Umständen nachgeben werde; die Um-
wandlung, die zu diesem Ziele führt, ist jedoch nicht aus-
geführt, und wir erfahren in den » Wanderjahren« nur das
Ergebniß, indem die Tochter zuletzt als Gattin ihres Vetters
auftritt.
Man wird sich der Ueberzeugung nicht entschlagen
können, daß beim Beginn der Erzählung der endliche Aus-
gang nicht ins Auge gefaßt gewesen ist; dort war der Major,
hier ist dessen Nichte die Hauptperson. Allerdings ist das,
was wir von dieser zu erfahren wünschen, auch nicht
ausgeführt, nämlich: wie die Weigerung der Nichte, den
Bräutigam zu vertauschen, besiegt worden ist. Der ein-
fache Zeitverlauf, von dem die Mutter Erfolg erwartete,
genügt nicht als stillschweigende Ergänzung der Erzählung
und die endliche Begegnung der Tochter als Gattin des
Vetters ist kein Schluß, der nur dann vorhanden wäre,
wenn er sich an das Vorhergehende bündig anfügte. Das
den Schluß vertretende Ende führte CoTTA oder sein Fac-
tor ReicHEL herbei, der dringend nach dem Manuscript
verlangte, und die Sache mußte daher so eilig abgethan
werden, daß GOETHE nicht einmal Zeit fand, die Novelle
noch einmal zu überlesen; sonst hätte es nicht vorkommen
V. Biedermann, Goetheforschungen III. IT.
jg^ V. Vermischtes zur Goetheforschung.
können, daß der Sohn des Majors anfänglich Flavio, zuletzt
aber Sylvio heißt.
Und jetzt liegt zutage, wie -»Der Mann von fünfzig
Jahren«, sich mit dem chinesischen Roman Hao kiu tschuen
berührt. GOETHE war ergriffen von der Selbstbeherrschung
der Chinesin, die überzart eher ihre Liebe zum Opfer bringen,
als sich dem Verdachte, ihre Jungfrauenehre durch Heran-
ziehen eines jungen Mannes verletzt zu haben, aussetzen
wollte. Es war fast um die gleiche Zeit, daß GOETHE dem
Weimarer Freundschaftskreise den chinesischen Roman er-
klärte und daß er das Bruchstück seiner Novelle wieder
vornahm, um es, ohne die Erzählung im Sinne des Anfangs
abgeschlossen zu haben, zum Druck vorzubereiten. So mag
ihm denn damals schon der Gedanke gekommen sein, die
Trennung der Verbindung zwischen Oheim und Nichte in
ähnlichem Sinne wie in jenem Roman herbeizuführen: das
Mädchen will eher ihre Liebe unterdrücken, als sich vor-
werfen lassen, daß sie, die Braut des älteren Mannes, leicht-
fertig und unehrenhaft die Liebe des jugendlichen Vetters
erstrebt habe.
Mit dem überzarten Gewissen, das der Liebe nachzu-
geben verbietet, wurde übrigens ^Der Mann von fünfzig
Jahreu" ein Gegenstück zu der, ebenfalls in die » Wander-
jaJire'i verflochtenen Novelle »Das nufsbraufie Mädchen«"^),
worin GOETHE, wie er es selbst ausspricht, »Leidenschaft
aus Gewissen« dargestellt hat; richtiger möchte es lauten:
Liebe aus Gewissen, da Lenardos Gefühl für Nachodine
sich keineswegs als leidenschaftliches kundgiebt.
Nachdem wir nun den Stoff über Goethe'S Verhältniß
zum chinesischen Schriftthum überblicken können, sind wir
*) Dieser Titel ist zwar einer altenglischen Ballade entlehnt, mit
deren Inhalt aber die Geschichte nichts gemein hat. Goethe schwankte
lange über deren Benennung: am 19. November 1809 heisst sie »A^ovellc
der Ä'amenvenvechslung« , ein andermal »N'ovcllc der Inen«.
6. Goethe und das Schriftthum Chlna's.
195
imstande, die Frage nach dem Grund seiner stetigen Hin-
neigung zu ihm zu beantworten. Wir können dabei über-
gelien, was ihn in Wen Watigs staatsmännischer Gesinnung
und in der Weltanschauung der Buddhisten anzog, da hier-
über das Nöthige bereits bemerkt worden ist, und halten uns
jetzt nur an seine Theilnahme für chinesische Dichtwerke.
Bei ihnen war es von formeller Seite die geschickte Dar-
stellung, der klare, wirkungsvolle x\ufbau sowohl in Er-
zählungen, wie in Bühnenstücken, und das behagliche, un-
geschminkte Aussprechen der Personen, was GOETHE be-
wunderte. Hinsichtlich des Lihalts dieser Dichtungen fesselte
ihn aber das darin dargestellte Durchbrechen von der
JMatur geschaffener, äußerlich unterdrückter Verhältnisse. Ob
Vater und Kind unerkannt zusammentreffen und durch
die Macht geheimnißvoUen Naturtriebes sich gegenseitig an-
gezogen fühlen, — wie in der einen Quelle des »Elpenor«
— oder ob angeborene Lebensverhältnisse über nur an-
erzogene siegen, — wie in der dramatischen Quelle des-
selben Schauspiels — oder ob ein Mädchen, nur von
einem Schicklichkeitsgefühl geleitet, sich vom geliebten Mann
fern hält, obwohl keinerlei ausgesprochenes Sittengebot sie
von ihm trennt, — wie in der Quelle des letzten Theils
vom »Mann von fünfzig Jahren«, — oder ob endlich das
Leben in und mit der äußern Naturwelt die Menschen über
von Sittengeboten gezogene Schranken hinweg immer als
Glieder der Natur vergegenwärtigt, — wie in der Quelle
der » Chinesisch - Deutschen Jahres- und Tageszeiten « —
allemal ist es das Angeborene, das in den Dichtungen zu
nachdrücklicher Geltung kommt und sich Bahn bricht trotz
allen Hinderungen, die sich durch Zustände oder Ereignisse,
durch Schranken der Sitte oder Angriffe feindseliger Men-
schen entgegenstemmen.
Das Hervorheben des Naturwüchsigen macht sich nicht
allein im Schriftthum der Chinesen geltend; so u. a. auch
in ihrer Gartenkunst. Der englische Park brach mit der
13*
196
V, Vermischtes zur Goetheforschung.
italienischen Gartenkunst, die ein Anhängsel, wie mit der
französischen, die eine Nachbildung von Bauwerken war;
die englische Gartenkunst aber wurde geschaffen, nachdem
die Schilderungen chinesischer Gärten mit ihrer Darstellung
natürlicher Landschaften allgemeine Aufmerksamkeit erregt
hatten, und in kaum zweifelhaftem Eingehen auf diesen
Grundgedanken. Wenn GoETHE im » Triumph der Em-
pfindsamkeit ^ sich über diese Landschaftsgartenkunst mit
ihren y> Pagodewi , »chinesisch-gothischen Grotten« u. dergl.
lustig machte, so hatte er dabei die spielerische Anwendung
derselben im Sinne; in der Wirklichkeit dagegen schuf er
im Park zu Weimar eine Landschaftsgartenanlage großartigsten
Stils im Geiste der chinesischen Kunst.
Die Richtung der Kunst und Dichtung der Chinesen
auf das Natürliche erklärt sich aus dem Bedürfniß eines
Gegengewichts gegen das Erkünstelte im Verkehr ihres ge-
wöhnlichen Lebens. Und in Goethe läßt diese Anerkennung
der Siegesgewalt der Natur verwandte Saiten erklingen.
Kraft der producirenden Kritik, die er immer übte, wenn
ihm Wahres mit Falschem, Tiefes mit Seichtem, Poetisches
mit Nüchternem gemischt entgegentraten, (ein Grundzug von
Goethe's Dichterleben, der unaufhörlich betont werden
muß, so lange es Leute giebt, die sich dieser Einsicht ver-
schließen), legte er Hand an, um das Menschliche aus dem
Chinesischen herauszugreifen und es zu verdeutschen. Wenn
er freilich dann bei Benutzung von Motiven chinesischer
Dichtungen nicht zum Ziele gelangte, so war das die Folge
davon, daß zu Lösung geknüpfter Knoten gewisse Volks-
eigenheiten, uns widerstrebende Sonderbarkeiten, ja Roh-
heiten derselben nicht benutzt werden durften, und wenn
diese durch Schilderung von Seelenvorgängen wie im »Mann
von fünfzig Jahren«, oder durch Darstellung sehr ver-
wickelter Verhältnisse wie im >->Elpenor<s. ersetzt werden
sollten, die Sache eben eine andere wurde. Deshalb sah
Goethe zuletzt bei den -i) Chinesisch- Deutschen Jahres tind
6. Goethe und das Schriftthum China's. iq^
Tageszeiten'^ davon ab, das Motiv einer chinesischen Dich-
tung seiner eigenen Dichtung zugrunde zu legen, benutzte
vielmehr die chinesische Darstellungsweise als solche als
Motiv einer neuen, selbständigen Dichtung.
Aber oft abgezogen, fesselte ihn an China immer wieder
— um es mit seinen eignen Worten zu sagen: — • »die
Ueberzeugung, daß es sich trotz aller Beschränkung in
diesem sonderbar werkwürdigen Reiche noch immer leben,
lieben und dichten lasse«.
S«^^-
VI.
Berichtigungen und Nachträge zu
Goetheschriften des Verfassers.
t. Zu Goethe und Dresden.
as Ergebniß von Ermittlungen über einige in Tage-
büchern und Briefen GOETHE'S genannte Personen
wird hiermit vorgelegt, um anderen solche Be-
mühungen zu ersparen.
Bei seinem Aufenthalt i. J. 1810 besuchte GOETHE
mehrere, mitunter im Tagebuch nur nach dem Namen an-
geführte Gesandte und zwar: den österreichischen Fürst
Paul Esterhazv, den russischen Basil Kanikoff, den
französischen jEAN FRANgoiS Baron BOURGOING, den preußi-
schen Heinrich Ludwig v. Buchholz, den bayerischen
Christian Hubert v. Pfeffel, (Neffe des Dichters) den
westfälischen Christian Konrad Wilhelm v. Dohm, und
den (großherzoglich) frankfurtischen HUGO Graf Hatzfeld.
Der im Tagebuch »Kü/il^ Genannte, war der Begleiter
des Prinzen Bernhard von Weimar Major Johann Jakob
August Rühle v. Lilienstern, die »Frau v. Rühl« war
seit kurzem seine Gattin, geborene Frau V. F'ranken-
BERG-LUDWIGSDORF, vorher Frau V. SCHWEDHOF.
-i>Bechwell'i~ ist AUGUST Pechwell, zweiter hispector
der Gemäldegallerie, Maler und Besitzer einer ansehnlichen
Gemäldesammlung. Er war geboren zu Dresden 1757 und
starb hier 1811. Von ihm ist die Beschreibung der kur-
202 VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
fürstlichen Gemälde- Gallerte in Di-esdew , die in der y>J-enaischen
Allgemeinen Literatur- Zeitung t. 1806, Xr, ig, Sp. iji f {von
Heinrich Meyer?) besprochen ward. — -^-iHofrath Bloch'!.
war Peter Heinrich Ludwig v. Block, geboren Dresden
am 25. Februar 1765, Inspector des Grünen Gewölbes 1798,
Hofrath seit 1801. Die Mittel zur Anschaffung seiner be-
deutenden Edelsteinsammlung hatte er sich besonders durch
Diebstähle an den ihm anvertrauten Schätzen verschafft,
weßhalb er 18 16 in Untersuchung kam und 181 8 zu vier-
jähriger Zuchthausstrafe verurtheilt wurde. — » Volckmami'i,
mit dem GOETHE bei Kügelgen zusammentraf, war Stadt-
richter zu Leipzig und 18 10 in Dresden als landständisches
Mitglied der, zu Aufbringung der Kriegskosten eingesetzten
landesherrlichen Commission.
Goethe's Brief vom 5. April 1804, Xr. 4883, ist an
Karl Georg v. Richter gerichtet, über den der Heraus-
geber des 17. Bandes, Abtheilung der Weimarer Ausgabe
der Werke in den Lesarten bemerkt: »Ueber den in Dresden
wohnenden Adressaten ist nichts bekannt.« Wer den Wunsch
hat, demungeachtet über V. RICHTER Näheres zu erfahren,
wird nach dieser bestimmten Erklärung nicht erst in der
Schrift » Goethe und Dresden nachsehen , weil er voraus-
zusetzen berechtigt ist, daß dieß der Herausgeber gethan
habe, ehe er so entschieden über V. Richter's Bekanntsein
absprach. Ebendeswegen wird jedermann es auch wohl für
verlorene Mühe halten, bekannte Nachschlagswerke einzusehen,
wie Goedecke, Grundrifs zur Geschichte der Deiitschen
Dichtung oder Haymanx, Dresdens Schriftsteller und Künstler.
Aber in allen diesen Schriften sind lebensgeschichtliche Nach-
richten über V. Richter enthalten, darunter auch, daß ein
Band seiner Gedichte nach seinem Tode von Karl THEODOR
Winkler herausgegeben und dem Herzog Karl August
gewidmet worden sind, wohl mit Rücksicht darauf, daß
V. Richter politischer Agent von Sachsen-Weimar am Kur-
sächsischen Hofe war, was wohl auch in Weimar zu erfragen
gewesen wäre.
I. Zu Goethe und Dresden. 203
Ein in Goethe'S Jugendbriefen ein paarmal genannter
zuletzt in Dresden wohnender Freund war Jakob HEINRICH
V. Born. Er war der Sohn Jakob HEINRICH BORN'S, der
zu Goethe'S Studienzeit Bürgermeister in Leipzig war; dieser
wurde unterm 24. März I768 vom Kaiser geadelt; der Adel
wurde in Sachsen erst auf Ansuchen seines Sohnes und seiner
Tochter, vermählten V. BeuST, unterm 24.I26. Juni 1777
anerkannt. Der Sohn V. BORN war am 2. Juli 1750 ge-
boren, studirte gleichzeitig mit GOETHE in Leipzig und traf
mit diesem, nachdem er das juristische Doctorat erworben
und dann England bereist hatte, als Practikant beim Reichs-
kammergericht in Wetzlar wieder zusammen. Nachmals war
er Hof- und Justizrath in Dresden und starb am 20. März 1782.
Er besaß die Rittergüter Wildenborn und Saxdorf. Seine
Wittwe, Magdalene Philippine geb. Benelle, heirathete
den Professor Martens in Göttingen.
2. Zu GoETHE's Briefen an Eichstädt.
ie Herausgeber von GoETHE'S Briefen und Tage-
büchern Goethe'S haben unsere Kenntniß von dessen
Beziehungen zu ElCHSTÄDT und zur Jenaischen
Allgemeinen Literatur- Zeitung bereicliert. Von
inhahlicher Mittheilung der betreffenden Stellen dieser Ur-
kunden kann abgesehen werden; es genügt auf die einzelnen
zu verweisen, wobei die einfachen Erwähnungen in den
Tagebücliern zu übersehen sind.
a. ZUR EINLEITUNG.
Seite VIII f. für die Vorgeschichte der yenaischen All-
gemeinen Literatur-Zeitung sind die Briefe 4703 bis 4707 so-
wie 4732, 4733 und 4744 der Weimarer Ausgabe zu beachten.
Seite XI ff. Aehnlich wie später in den » Tag- und Jahres-
heften hatte sich GOETHE schon gegen den Geheimen Rath
V. WOLZOGEN im Brief vom 4. Februar 1 804 ausgesprochen. —
Zu denen, die am Gelingen desZeitungsunternelimen zweifelten,
gehörte Kirchenrath PAULUS [»Heiur. EberJi. Gottlob Paulus
und seine Zeitt von Frh. v. Reichlin-Meldegg /, Jjj) wo-
gegen Gentz sich schon unterm 21. September 1803 als
Mitarbeiter anbot. {Urlichs y> Briefe an Schiller« S. SJ9-)
2. Zu Goethe's Briefen an Eichstädt. 205
Seite XX. Aus den Tagebüchern ist nur die Anführung
vom 29. October 181 8 zu bemerken: » Verordnung an Gülden-
stern, das aufgehobene VerJüiltnifs zur J. A. L. Z. betr.
Dasselbe an R. CONTA gemeldet.«
Seite XXIII. GOETUE's Verstimmung gegen ElCHSTÄDT
spricht sich auch in dessen Brief an Frau V. WOLZOGEN
vom 28. März 181 i aus.
b. BRIEFE.
In den Tagebüchern sind mehrmals Briefe an ElCHSTÄDT
an Tagen aufgeführt, an denen kein Brief bekannt ist und
zwar am 14. Januar, am 16. Februar, am 24. März und am
7. November 1804, am 9. October 1806, am 3. Februar 1808,
am I. April 181 3 und am 23. Februar 18 14.
Manche Briefe sind ins Tagebuch unter anderem Tage
eingetragen, als den im Briefe stehenden ^ so z. B. die vom
19. und 27. Januar 181 3 am nächstvorhergehenden, sowie
die vom lO. Januar 18 15 und lO. Juli 1816 am nächst-
folgenden.
Die Briefe 4768 und 4772 an ElCHSTÄDT — vom
29. November und i. December 1803 — sind im 16. Bande
der IV. Abtheilung der Weimarer Goetheausgabe erstmalig
gedruckt.
c. ERLÄUTERUNGEN.
Zu Brief 6. Dieser ist jedenfalls die unterm 22. Sep-
tember 1 803 im Tagebuch erwähnte Sendung.
Zu Brief 8. Die behauptete Ueberlassung des, Sprache,
Rhythmus und Mythologie betreffenden Theils der Recen-
sion von VOSSEN'S Gedichte an \''oss den Sohne findet
keine Bestätigung in der Handschrift, die im November 1 790
bei List und Francke in Leipzig zur Versteigerung kam.
Darin war die Recension bis zu dem eingerückten Gedicht
•»Mir trug Lyäos« auf lO Quartseiten von GOETHE ganz
eigenhändig geschrieben.
206 VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
Zu Brief 19. Ueber die Recension von Matthäi's
Ausgabe des Neuen Testaments schrieb HEINRICH Voss an
Rudolf Abeken: »Den Verfasser wirst Du am Stil errathen.«
Zu Brief 22. Goethe's Zusatz zu Meyer's Recension
von FüESSLi's Lectures on Painting beginnt nach der im
November 1890 bei LiST und Francke versteigerten Hand-
schrift mit den Worten » Wenn ein Mensch wie EscJienburg«.^
im Druck ist »Mensch» durch »Mann<'^ ersetzt. Die vom
Schreiber ausgelassnen enghschen Stellen hat GoETHE eigen-
händig eingefügt.
Zu Brief 32. Die französisch geschriebene Recension
des russischen Buches hat H. VOSS verdeutscht.
Zu Brief 36. Die Erinnerung, die GOETHE bezügl. des
vierten Absatzes beabsichtigte, sollte natürlich nicht an Reh-
BERG — wie Seite 244 aus Versehen bemerkt ist — - sondern
.an Sartorius gerichtet sein. Ein darauf bezüglicher Brief
an letzteren ist aber auch nicht bekannt.
Zu Brief 39. Dieser Brief ist wahrscheinlich die im
Tagebuch unterm 22. Februar 1804 eingetragene Sendung.
Zu Brief 42. Die Handschrift der Recension von
Reichardt's » Napoleon Bonaparte « , im November 1890 bei
List und Francke versteigert, ist ganz von GOETHE ge-
schrieben; sie weist am Schlüsse eine abweichende Fassung
auf, die aber durchstrichen ist.
Zu Brief 45. Muthmaßlich, zufolge Eintrags im Tage-
buch am 20. März 1804 abgefertigt. H. Voss schreibt am
10. April 1804 an AbekeN: über die Recension der Lyrischen
Gedichte von J. H. Voss: »GOETHE hat mir die Freude
gemacht, daß er seine Recension mit der vorigen über meines
Vaters Mythologische Briefe in Verbindung gebracht hat.
Solltet Ihr an dieser Recension manchen Ausdruck finden,
den mit Bescheidenheit ein Sohn über seinen Vater nicht
sagen darf, so denkt daran, daß ich ihn entweder in GOETHE's
oder in Eichstädt's Namen gemacht, oder daß ihn GoETHE
hereingesetzt, (es sind gewöhnlich nur epitheta) und daß
2. Zu Goethe's Briefen an Eichstädt.
207
ich für die Schlußworte einen leeren Raum gelassen habe
und noch jetzt nicht einmal weiß, was ElCHSTÄDT hier hin-
zuzusetzen gesonnen ist.« Diese Mittheilung ist mit den in
den i> Goethe - Forschungen — Neue Folget Seite 390 an-
geführten Umständen nicht in Einklang zu bringen. Sollte
die Unterschrift der Recension der -»Mythologischen Briefen
eine erdichtete sein, um von H. Voss abzulenken?
Zu Brief 47. In Uebereinstimmung mit meiner Ver-
muthung über die Chiffre G. D. Z. schreibt H. Voss an
Abeken am 23. Februar 1804: »G. D. Z. ist Henning'S in
Plön; (Merkel's Freund aber besser als MERKEL.)«
Zu Brief 60. Im August 1804 schrieb H. Voss an
Abeken : »Ein Seitenstück ... ist die Münze des Herrn
Böttiger auf Kant. Der Genius, der auf einem Beine
steht, hat sogar schiefe Füße; damit man ja sieht, daß die
Fackel leuchte und nicht Dunkelheit verbreite, sind Sterne
darüber gesetzt. Ist es nicht herrlich, wie BöTTiGER Pallas
Athene von dem Makel frei interpretirt, daß sie Eulen im
Gefolge habe. Er hätte sich doch wohl bei ihr erkundigen
können, ob sie der Schande ledig sein wollte oder nicht,
aber er scheint nicht zu wissen, wie man die Athene so be-
fragt, daß sie untrüglich Antwort giebt. Und nun müssen
die armen Eulen, die von der Athene verachtet und gehaßt
werden, doch den Weisen über die Wolken tragen. Hast
Du die Anzeige im Intelligenzblatt unserer L. Zeitung ge-
lesen und das schöne Distichon dabei?
Sieh, das gebändigte Volk der lichtscheu muckenden Käuze
Trägt dich selber, o Kant! über die Wolken dahin.
Dies soll in Weimar eine große Sensation erregt haben.
Freilich ist w^ohl nie ein unsinniger Gedanke klarer ins Licht
gesetzt, als in diesen zwei Zeilen.«
Zu Brief ']']. H. Voss bestätigt im Brief an Abeken
vom 6. — 7. December 1804, daß die Erklärung gegen AsT
von Goethe verfaßt sei. Siehe auch » Goethes Gespräche <i
VIII, 278 f.
2o8 VI- Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
Zu Brief 107. Ueber das »R» und »E» giebt nach-
stehender Brief von ROCHLITZ an EiCHSTÄDT Aufschluß:
Leipzig d. 12. Dec. 5.
Ihr Briefchen, mein verehrter Freund, wiJrde mich be-
schämen, wenn ich anders zu antworten hätte, als ich habe.
Für Ihr Institut zu arbeiten, und vornehmlich auch eine
Recension von Rameau'S Neffen zu liefern, liegt mir näher,
als es Ihnen liegen kann, daß ichs thue. Ich kann und darf
aber jetzt nicht. Ein zweijähriges Uebernehmen meiner
Kräfte in Absicht auf Maße der Arbeiten hat meine ohne-
hin nicht starke Maschine so wankend gemacht, daß ich
schon seit einem Vierteljahre, und der Himmel nur weiß,
wie lange noch ferner, — bloß das allernöthigste schreibe.
Leider muß ich mich darein finden, und es auch dahingestellt
seyn lassen, ob Sie, und Andere, die Arbeiten anderer Art
von mir erwarten, die Sache nehmen, wie ich sie hier an-
gebe und sie wirklich ist.
Schenkt mir ein besseres Geschick wieder Gesundheit
und Kraft: so melde ich mich unaufgefordert bey Ihnen —
darauf verlassen Sie sich.
Sollte über Vetter Ram. nicht der Hr. V. EiNSIEDEL
in Weimar schreiben mögen? daß er's könnte, und zwar
recht gut, davon versichere ich Sie, denn ich kenne ihn ge-
nau genug. — Verstatten Sie dem, was ich nicht ändern
kann, keinen Einfluß in unsere gegenseitigen anderen Ver-
hältnisse, die mir so äußerst schätzbar sind!
Mit wahrer Hochachtung und Freundschaft
Ihr
Friedr. Rochlitz.
Die 2. Beilage zu loi ist vielleicht die unterm 2. Januar
1806 im Tagebuche verzeichnete Sendung.
Zu Brief 159. Unter den Lesarten der Weimare?' Aus-
gabe IV. AbtJieilung 2 1 . Band Seite ^6y f. ist eine abweichende
2. Zu Goethe's Briefen an Eichstädt.
209
Fassung dieses Briefs aufbewahrt, die ein näheres Eingehen
Goethe's auf die ihm mißfälligen Recensionen aufweist.
Zu Brief 178. Ueber die Schrift, die GoETHE am
2. April 18 14 an ElCHSTÄDT sandte, giebt ein Eintrag im
Tagebuch unter diesem Tage dunkle Auskunft, worin y^Mal-
titz-Aiifsatz^ genannt ist.
Zu Brief 190. Dieselbe Quelle nennt unterm 22. April
1815 die an ElCHSTÄDT gesandten Hefte » Willemer s BrucJi-
stückei.; sie sind recensirt in Nr. 136 — 138 der ^Jenaischeii
Allg. Literatur- Zeitung« von 18 15.
Zu Brief 196. Dieser Brief dürfte nach dem Tagebuch
auf den 30. September anzusetzen sein.
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V. Biedermann, Goetheforschungen III. \A
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VIII
7 V. u.
■ nachträglich «
3. Zu GoETHE's Briefwechsel mit
ROCHLITZ.
a. TEXTBERICHTIGUNGEN.
Seite VII Zeile 15 statt >>GOETHE« lies >^RoCHLITZ« (an
Frh. V. Truch-
SESS)
» nachträglich
entdeckte «
»ersten Tag«
» gesagt 'i
»Nebendinge«
»die Bibliothek«
»nun«
»Schiller.«
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»Bibliothek«
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»Der«
»131«
b. EINFÜHRUNG.
Ausführlich habe ich Leben und Thätigkeit von RoCH-
LITZ geschildert in der -»Allgemeinen Deut seilen Biogj^apläe.t
c. ERGÄNZUNG DES BRIEF-VERZEICHNISSES.
Neue Abkürzungen für erste Drucke.
J. = Goethe -Jahrblich.
S. =- Schj'iften der Goethe- Gesellschaft.
W. = Goethe' s Werke herausgegeben im Auftrag der
Großherzogin von Sachsen. IV. Abtheilung.
3. Zu Goethe's Briefwechsel mit Rochlitz.
211
Laufende
Erste
Nummer
Datum der Briefe
Ort der Handschriften
Drucke
Bemerkungen
* Erster
Brief.
1800, Spt. 27.
Datum nach Goethe's
Tagebuch.
(fehlt.)
* la
1800, Dec. 3.
G. A.
w.xv.
Der Zweifel ob dieser Brief
157.
abgegangen, ist unbegrün-
det, da Goethe im Brief vom
25. December sich darauf
bezieht.
*I2a.
1803, Nov. 29.
G. A.
w^
XVI,
364
*i3.
1804, Jan. 4.
Dr. Walt HER
w.
Der im Briefwechsel unter
Julius Gensel,
XVII,
13 gedruckte Brief ist nur
Beilage. D^r letzte Absatz
Leipzig.
42 f.
des Briefs von Goethe eigen-
händig geschrieben.
15-
1804, Dec. 4.
G. A.
Nach berichtigtem Datum
folgt Brief 15 nach 16.
17a.
1807, Mai.
G. A.
S. VI,
284 ff.
■•■•'22.
I807, Juli 27.
G. Weisstein?
V.
Im Briefwechsel war ver-
sehentlich der Brief ohne
Stern.
*62.
Nachschrift.
Emma Preusser
geb. Freiin von
Gutschmid.
w.
(künf-
tig)
76a.
181 7 vor Nov.
Nur durch Bezugnahme
(fehlt.)
Goethe's im Brief vom
24.
24. Nov. festzustellen.
85-
1819, Juni 14.
C. S.
F.
(Bruch-
stück)
121.
1829. Mrz. 7.
1 K. F. \
Es war unterlassen worden
im Briefwechsel den Ort der
122.
1829, Juni 30.
1 K. F. j
Handschriften anzugeben.
d. SCHRIFTENNACHWEISE.
Schriften Goethe's. ROCHLITZ wird in den Tage-
büchern oft erwähnt, namenthch am 28. April, 16. Mai und
27. September 1800, 22. März 1801, 29. Juli 1802, 29. No-
vember 1803, 30. Januar, 22. Februar und 28. October 1804,
2. und 7. Juni sow^ie 22. und 23. Juli 1807, 3. Mai 1808,
27. und 29. Januar sowie 3. October 1809, im December
181 3 mehrmals, lO. December 18 16. pp.
Andere Schriften: Goethes Gespräche. Herausgeber
W. Frh. V. Biedermann, X. Band, S. 68. 70 f. 85 f. 122. 192 f. —
Das Repertoire des Weimarischen Theaters unter Goethe's
14*
212 VI- Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
Leitung, bearbeitet von C. A. H. ßURKHARDT. S. 17. 430,
470. 550. 565. — Goethe's Unterhaltungen mit dem Kanzler
Friedrich von Müller, Herausgeber von Burkhardt.
Zweite . . . Auflage 1878. S. 149. 150. 151. (Bemerkens-
werth ist in diesen Stellen, wie GOETHE den durch V. MÜLLER
ihm vorgetragnen Wunsch RoCHLlTZENS den weimarischen
Orden zu erhalten aufnahm: er lehnte seine Vermittelung
entschieden ab, obschon er früher demselben bereitwillig den
Raths- und dann den Hofrathstitel erwirkt hatte. Es bedarf
keiner ausführlichen Darlegung, wie GOETHE hierin aus mehr
als Einem Grunde sehr correct handelte.)
e. ANMERKUNGEN ZUM BRIEFWECHSEL.
2.
Der ausgesetzte Preis (S, 2.) war im zweiten Stück
des dritten Bandes der >^ Propyläen f. für das beste Intriguen-
stück auf 30 Dukaten festgesetzt.
4.
Das S. 9 in Frage gestellte Liedchen, vom Capell-
meister Himmel componirt, ist von GABRIELE V. Baüm-
BERG gedichtet und beginnt: »Jüngling, wenn ich Dich von
fern erblicke « . Es stand im » Wiener Musenalmanach für i j8 g. «
6.
Goethe's Aufsatz »Weimarisches Hoftheater«
(S. 12) ist vom 15. Februar 1802 datirt und steht im «Journal
des Lnxns nnd der Jlloden'i- dieses Jahres S. 136 — 148.
49.
Die von ROCHLITZ mitgetheilten Personalien JOHANN
Leonhari) Hoffmann's hat Goethe fast wörtlich in der
fünften Abtheilung der » Geschichte der Farbenlehre«, auf-
genommen.
64.
Ueber die » Tage der Ge/ahr<i äußert GoETHE sich aus-
3- Zu Goethe's Briefwechsel mit Rochlitz. 2 1 3
führlicherin der Besprechung von ROCHLITZEX'S «Für Freunde
der Tonkunst <i im i. Hefte des \\ Bandes »lieber Kunst
u)id AltertJiuni. «
72.
Das an ROCHLITZ gesandte Heftchen (S. 174) ent-
hielt den Aufsatz Karl Ruckstuhl's »Von der Ausbildung
der Teutschen Sprache in Beziehung auf neue, dafür an-
gestellte Bemühungen,« abgedruckt in ^^ Nemesis — Zeitschrift 'i
VIII, 336-386.
117.
Ob Goethe's von Rochlitz besessenes Bild (S. 295)
von KüGELGEX selbst gemalt ist, erscheint zweifelhaft, wo-
rüber zu vergleichen: Zarncke, » Kurzgefaßtes Verzeichnif3 der
Originalaufnahme von GoetHE's Bildniß« S. 31.
128.
Tieck'S Prolog zur Aufführung vonGOETHE'S Faust
(S. 329 ff) ist in Wendt's -Musenalmanach für das Jahr
i8^2t> gedruckt.
f. SEITEXX ACHWEISE.
Personen.
Ruckstuhl, Karl, (12. Dec. 1788 — 30. Nov. 1831,
Lehrer) 174. 177. TELLER, Marl\ LOUISE, geb. Schuriam,
geb. 1753, Schauspielerin) 65.
"1ft#^
ä
1
4. Zu DER Schrift : Zu Goethe's
Gedichten.
a. BRIEFGEDICHT AN MERCK.
u dem kritischen Apparat des 2. Bandes der IV. xA.b-
theilungder Weimarer Ausgabe von Goethe's Werken
hatte ich Seite 310 zu dem Seite 9 f. abgedruckten
Briefgedicht bemerkt: »Ist die Epistel an Merck
gerichtet, was wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, so kann
sie sich nur auf die Handschrift der » Geschichte Gottfriedens
von Berlichingenv- beziehen, und Combinationen mit der
HERDER'schen Correspondenz, sowie mit ■>•> Dichtung nnd
Wahrheit 'S. ergeben den December 1771 als Anfangstermin.«
— DÜNTZER dagegen will das Gedicht auf Zusendung der
LENZIschen . Lustspiele nach Plautus beziehen. Um die
Frage verständlich zu machen, muß man sich das ganze
Gedicht vergegenwärtigen, das daher hier folgt:
Schicke Dir hier im alten Kleid
Ein neues Kindlein wohl bereit,
Und ist's nichts weiters auf der Bahn,
Hat's immer alte Hosen an.
5 Wir Neuen sind ja solche Hasen,
Sehn immer nach den alten Nasen,
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 215
Und hast ja auch, wle's jeder schaut,
Dir Neuen ein altes Haus gebaut.
Drum wie's steht sodann geschrieben
10 Im Evangelium dadrüben,
Daß sich der neu Most so erweist,
Daß er die alten Schlauch' zerreißt,
Ist fast das Gegentheil so wahr.
Daß alt die jungen Schlauch' reißt gar.
1 5 Und können wir nicht tragen mehr
Krebs, Panzerhemd, Helm, Schwert und Speer
Und erliegen darunter todt
Wie Ameis' unter Schollenkoth,
So ist doch immer unser Muth
20 Wahrhaftig wahr und bieder gut.
Und allen Perrückeurs*) und Fratzen
Und allen literar'schen Katzen
Und Käthen, Schreibern, Maidels, Kindern
Und wissenschaftlich schönen Sündern
25 Sei Trotz und Hohn gesprochen hier
Und Haß und Aerger für und für.
Weißen wir so diesen Philistern
Kritikastern und ihren Geschwistern
Wohl ein jeder aus seinem Haus
30 Seinen A . . . zum Fenster hinaus!
DÜXTZER**) bestreitet nun zunächst die im kritischen Apparat
versuchte Datirung, indem er Zeile 7 und 8 des Gedichts
— für die allerdings eine überzeugende Deutung bisher noch
nicht gefunden war — darauf bezieht, daß Merck um die
Jahreswende 1773/74 ein altes Haus in Darmstadt gekauft
hatte, das er, um es wohnlich zu machen, erst baulich her-
stellen lassen mußte. Diese Deutung erscheint so treffend,
daß sie unbedenklich anzunehmen ist. Hierdurch wird zweier-
lei festgestellt: daß das Briefgedicht an Merck gerichtet war
*) Perrücken? *''^) Zur Goclhc-Forschiing. Xeuc Hcilräge^ iSgi^
2i6 VI- Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
und daß es nicht früher als um die Jahreswende 1773,74
geschrieben ist. Daraus folgt weiter, daß es nicht die Hand-
schrift des Schauspiels begleitet haben wird, da dieses da-
mals schon gedruckt vorlag. DÜNTZER gründet seine Be
hauptung, das Uebersendete seien die Lustspiele des Plautus
von Lenz gewesen, auf Auslegungen des Gedichtes, von
denen er nach einer österreichischen Redensart sagen darf:
das soll mir mal Einer nachmachen! Gleich Zeile i kann
lediglich durch Begriffsverwechslung dahin gedeutet werden;
denn diese Lustspiele, in denen alten dramatischen Stoffen
neuzeitliche Verhältnisse untergelegt waren, stellten sich nicht
als etwas Neues im alten Kleide, sondern gegentheils als
etwas Altes im neuen Kleide dar. Ein so verkehrter Ver-
gleich, wie DüNTZER ihn herausliest, wäre für GOETHE eine
Unmöglichkeit gewesen. Zum Ueberfluß hat letzterer selbst
das richtige Bild hinsichtlich derselben Lustspiele gebraucht,
und zwar im Brief an Salzmann vom 6. März 1773 (a. a.
O. S. 66), wo er schreibt, daß, um die Komödien des Plau-
tus auf die Bühne zu bringen, ein nach dem Sinne des
Publicums zugeschnittenes Kleid, also ein neues, nothwendig
sei. Bei Zeile 3 findet es DüXTZER S. 207 unfaßlich, daß
Goethe von seinem y>G'öt:: von ßerlichiiigenn , mit dem er
einen ganz neuen dramatischen Ton angeschlagen, nicht et-
was Besonderes auf die Bahn gebracht zu haben geglaubt
haben solle. GOETHE war indessen bescheidener, als DüNTZER
für möglich hält: bei Sendung des Schauspiels an GoTTER
mit dem bekannten Briefgedicht » Schicke Dir hier den alten
Götzeti etc.«. (a. a. O. S. 93 ff.) gab er diesem anheim, das-
selbe unter »die Zahl der Ungeblätterten« zu stellen; von
der lieben Theilnahme der Frau V. La ROCHE w^ar er mit
großer Freude überrascht (a. a. O. S. 95); gegen Kestner
erkannte er an, daß der » Götz« ein Menschenkind mit vielen
Gebrechen, obwohl der besten einer sei, der fortkommen
und dauern werde. — Die »alten Nasen«, nach denen wir
Neuen sehen, Zeile 5 f., sollen nach DÜNTZER »für jeden,
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten.
217
der verstehen Avill« auf \"erehrung des classischen Alterthums
sich beziehen. Es stünde schlimm um die GoetJie- Forschung,
wenn man dabei im Verständniß Hand in Hand mit DüNTZER
gehen wollte; er verdirbt sich selbst die Vortheile, die er
durch seine Materialiensammlung und daraus hervorgehenden
glücklichen Funde erlangt hat, durch Schiefe seines Urtheils.
Wir haben also jener Auslegung, die er für jeden, der ver-
stehen will, giebt, deshalb noch keine Bedeutung beizulegen;
das ist eine jener Redensarten, durch welche er Unkundigen
zu imponiren sich bemüht — in »plumper Weise«, um in
seiner Sprache zu reden. In Wirklichkeit konnte es GOETHE
nicht einfallen über die Hinneigung zum classischen Alter-
thum zu spotten; w^ir werden aber gleich sehen, daß ihm die
Liebhaberei für Deutschthümelei in der Literatur nicht ans
Herz gewachsen war. Aber ganz entschieden widerspricht
DüNTZER's Meinung, daf3 hier auf das classische Alterthum
gezielt sei, der Nachsatz von den alten Hosen. Wer nur
eine Ahnung hat von Goethe's Gleichnissen, weiß, daß sie
immer die Sache treffen, was jedoch bei Verbindung der
malten Hosen« mit dem classischen Alterthum nicht der Fall
ist. Diese gegenseitigen Beziehungen hat DÜNTZER auch
x'orsichtigerweise zu erörtern unterlassen; er hätte dann über-
dies zu dem Ergebniß kommen müssen, daß im Gegentheil
das »Kindlein«, d. h. Lexzens Lustspiel, neue Hosen am
alten Körper trägt. Von Zeile i 5 ab leugnet DüNTZER nicht
weiter, daß hier von y>G'ötz von Berlichingeni- die Rede sei
aber er vertraut uns nicht an, was er über Begründung des
Ueberganges von Plautus zu Götz von BerlicJiingen denkt;
wahrscheinlich nichts. Er füllt die Lücke, wo man solche
Erläuterung erwartet, S. 209, mit der an dieser Stelle höch-
lich überraschenden Betrachtung über das Versmaß einiger
Zeilen des Gedichts aus. Bei nur geringer Ueberlegung
wird man aber erkennen, daf3 in den harmlosen Plautini'-
schen Lustspielen nicht die Spur eines Anlasses zu dem
Bedauern, daß wir jetzt nicht mehr geharnischt sind, geboten
21 8 VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
ist, folglich auch nicht zu der Tröstung mit unserer Bieder-
keit. Wenn dagegen im gedachten kritischen Apparat ohne-
weiteres das Briefgedicht mit ■>->G'ötz v. B.t in Verbindung
gebracht worden ist, so hatte man sich, um dies heraus-
zubringen, nicht etwa auf's Rathen gelegt, wie DüNTZER
sagt, sondern nur das kurz ausgesprochen, was jeder Sach-
kundige auf den ersten Blick als das einzig Richtige erkennen
mußte, und ohne DüNTZER's Durchquerung würde diese
Ansicht auch ohne Widerspruch allgemeinen Eingang ge-
funden haben. Zu Abkürzung des nunmehr verlangten Nach-
weises der Richtigkeit dieser Ansicht können wir an Zeile 1 5 ff-
anknüpfen, wo selbst DÜNTZER die Beziehung auf -»Gots«.
nicht in Abrede stellen kann. So wie in keiner Weise be-
merklich ist, daß sich das Folgende auf ein anderes W^erk,
als das vorhergegangene beziehen solle, so deutet auch nichts
darauf, daß das Werk eines Dritten in Rede stehe, vielmehr
verräth die Wärme, mit der das Gedicht vom mitfolgenden
»Kindlein« spricht, den lebhaften Antheil an dem eignen.
Dies scheint auch DüNTZER gefühlt und aus diesem Grunde
in seinem Aufsatz S. 204 versichert zu haben: »Absichtlich
oder zufällig hatte GOETHE [gegen Merck] nicht erwähnt,
daß er . . . die von Lenz bearbeiteten »Lustspiele nach
dem Plautus« durchgesehen und verändert habe.« In diesen
wenigen Worten sind zwei Behauptungen enthalten, die
DüNTZER's unwahrhaftige Darstellungs- beziehentlich Kampf-
weise kennzeichnen: Goethe »hatte« nicht erwähnt, spricht
er bestimmt aus, weiß aber schlechterdings nicht, daß dies
unterblieben ist, und braucht nur diese kecke Zuversichtlich-
keit, um weitere Behauptungen möglich erscheinen zu lassen;
ferner soll GOETHE die LENZlschen Lustspiele verändert
haben, was nach den darüber bekannten Thatsachen nicht
der Fall war, vielmehr schreibt GoETHE an Salzmann am
6. März 1783 (a. a. O. S. 96 ff.), daß er dem Verfasser wegen
vorzunehmender Aenderungen Rathschläge zu ertheilen be-
reit sei, sich aber in kein Detail einlassen könne und dem
4- Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 219
\"erfasser das Ausführen und Umarbeiten, dafern er so fühle
wie Goethe, selbst anheimstellen müsse. Der Umstand
daß der Verleger in seinem Katalog Lenz und GOETHE
als Verfasser der »Lustspiele« bezeichnete, beweist nichts
Anderes, da diese Benennung theils durch Goethe's Ver-
mittelung des Verlages, theils durch die x\bsicht des Ver-
legers, durch den berühmten Namen Goethe's Käufer an-
zulocken, erklärlich ist. Als einziges Bedenken gegen die
Deutung des Gedichts auf » Götzi. glaubte man früher die
Thatsache beachten zu müssen, daß dieses Schauspiel von
Merck verlegt war, weßhalb im kritischen Apparat zu
Goethe's Briefen, anstatt der Uebersendung des gedruckten
Stücks, die der Handschrift vorausgesetzt wurde. Da dies
nun nach DüNTZER's Datumsfeststellung nicht ferner haltbar
ist, so liegt uns ob, zunächst zu untersuchen, ob um des-
willen die Verbindung mit dem sonst für unzweifelhaft an-
gesehenen » Göts'i aufgegeben werden muß. Wie nun, wenn
für Uebersendung des gedruckten -»Götz von Bei'lic hingen <i.
an Merck um die Jahreswende 1773/74 sich eine Erklärung
fände? GOETHE erzählt in ^ Dichtung nnd Wahrheit <s\ er
habe sich mit Merck zur Herausgabe des » Götz 's. dahin
vereinigt, daß er selbst für das Papier, Merck aber für den
Druck habe sorgen wollen, d. h. Merck hat die Kosten des
Druckes übernommen, während er mit dem Drucken selbst
schwerlich etwas zu thun gehabt hat. Wie aus Briefen
Goethe's hervorgeht, bereitete er selbst im Februar 1773
das Buch erst zum Drucke vor (a. a. O. S. 64); am 15. Mai
ist letzterer noch nicht beendet (a. a. O. S. 89) und erst im
Juni ist es versandt (a. a. O. S. 93). Von dem Buche kann
daher Merck nur die ersten Bogen sofort zu sehen bekommen
haben; denn von Anfang Mai bis nach Mitte December 1773
begleitete er die Landgräfin von Hessen-Cassel nach St. Peters-
burg. Es ist daher ganz erklärlich und sogar wahrscheinlich,
daß Goethe ihm erst nach Rückkunft von dieser Reise ein
Exemplar des •» Götz von Berlichingen^ zugestellt habe,
220 VI. Bericht. UND Nachträge ZU GoETHESCHR. DES Verfassers.
jedenfalls nach Besorgung des Einbandes, da zu jener Zeit
Bücher noch roh in ungehefteten Bogen auf Lager gehalten
zu werden pflegten. Ist hiermit die Möglichkeit festgestellt,
daß der gedruckte » G'ötZ'i. in dem Briefgedicht gemeint sei,
so ist damit auch die Schwierigkeit dieser auf der Hand
liegenden Deutung beseitigt und wir können uns nun der
Darlegung der Unmöglichkeit, daß etwas Anderes gemeint
sei, zuwenden. Vor xAllem entscheidend sind Zeile 1 5 f. und
Zeile 30. An ersterer Stelle werden mittelalterliche Be-
wafifnungsstücke fast mit denselben Ausdrücken aufgeführt
wie bei Uebersendung des » G'ötZ'i an GOTTER, wo ■» Panzer <-<
und •>'>BlecJihaub<i. genannt werden (a. a. O. S. 94). und am
Schluß bringt GoETHE das Kraftwort im Zuruf GöTZEN's
an den kaiserlichen Herold an, wie ebenfalls gegen Ende
des Gedichts an GoTTER. — Das »alte Kleid« in der ersten
Zeile kann sowohl von der alterthümelnden Sprache und
überhaupt dem altdeutschen Wesen des -»Gö/z«, als auch
von der, im Gegensatz zu den Schauspielen nach französischen
Mustern auf die ältere Form SilAKESPEARE's zurückgreifenden
Gestaltung gelten. Ebenso gebraucht GOETHE im Brief an
Kestner aus August 1773 vom •»G'ötz's. den Ausdruck:
»Viele werden sich am Kleid stoßen.« — Wenn dieses
»Kindlein« als nichts weitres auf der Bahn d. h. als nichts
Besonderes anzusehen wäre, so kommt ihm doch zugute,
daß es alte Hosen trägt, wie es die »Neuen« Heben (Zeile 5 f.).
Goethe mochte wohl in Zweifel ziehen, ob er mit seinem
Schauspiel etwas Neues auf die Bahn gebracht habe, da die
freie Scenenbehandlung und die natürliche Sprache schon
durch Diderot und Shakespeare und deren Nachahmer
auf der deutschen Bühne Eingang gefunden hatten; seine
ungeheuere Wirkung verdankte es dem Leben und Geiste,
die Goethe der Dichtung in einer Weise einzuhauchen ver-
standen hatte, wie niemand vor ihm. Das konnte er aber
nicht selbst in Anschlag bringen. Die Neuen wegen ihrer
Neigung zum Alterthümlichen aufzuziehen, bewog ihn wohl
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 221
die Erinnerung an ELIAS Schlegel's Trauerspiel y: Hermann «
dessen Trockenheit ihn, wie er in dem Aufsatz über das
Leipziger Theater von 1767 erzählt, gerade später dahin
führte, anstatt des unserer Gesittung so fremdartigen alt-
deutschen Stoffes sich zu dem näher gelegenen der Ritter-
zeit zu wenden, wie er übrigens auch gegen Klopstock's
an die nordische Mythologie sich anlehnende Oden und
Kretschmann's u. a. Bardenlieder sich ablehnend verhielt.
In Zeilen 9 — 14 wird die Befürchtung ausgesprochen, daß
die junge Welt sich in dem alten Wesen nicht heimisch
fühlen werde, jedoch Zeilen 15 — 20 dabei Beruhigung ge-
faßt, daß, wenn uns auch die Kraft der Menschen der Ritter-
zeiten nicht mehr beiwohne, wir doch noch ebenso bieder
und gut seien. Mit Verwünschung aller in Verkümmerung
Verharrenden und derer, die sich an der Poesie — der
schönen Wissenschaft — versündigen, sowie mit der be-
rüchtigten Götzischen Einladung an den Hauptmann der
Executionstruppe schließt das Gedicht, das sich sonach von
der ersten bis zur letzten Zeile als aus einem Gusse ge-
flossen darstellt. DüNTZER giebt S. 200 die weise Lehre,
daß man bei wissenschaftlichen Forschungen methodisch
verfahren müsse; leider ist er selbst über den ersten ver-
sprechenden Anlauf dazu nicht hinausgekommen. Wir maßen
uns an zu glauben, daß wir in durchgeführter Methode ihm
voraus sind; mit seinem Hinweis auf das Beschämende des
Mangels an Methode hat er sich selbst das Urtheil ge-
sprochen.
b. WILLKOMMEN UND ABSCHIED.
Der Herausgeber des i. Bandes der Weimarer Goethe-
Ausgabe hebt in dem Berichte des » Goethe - JaJirbnchs «
IX, 2go/g die Belehrungen hervor, welche durch das Goethe-
Archiv in Bezug auf die Kenntniß über die Entstehungszeit
mehrerer Gedichte erlangt worden sind. Besonders wichtig
hat sich ein im kritischen Apparat schon abgedrucktes Ver-
22'? VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
zeichniß von Gedichten Goethe's erwiesen, welches BARBARA
SghULTHESS geb. Wolf in Zürich vor Goethe'S italienischer
Reise aufgestellt hat. Hieraus ist u. a. zu entnehmen gewesen,
daß -»Liebhaber in allen Gestalten", -»Genialisch Treibern
und vielleicht auch ->y Schneidercourage« der Zeit vor 1786
angehören. » Willkommen und Abschiede hat dort die Ueber-
schrift y->Den 'Xyo^.abend 1771^, welche Chififre VON LOEPER
mit »Dreikönigs ab endi'. auflöst. Zu Unterstützung dieser
sehr schönen Vermuthung läßt sich Manches anführen. Wohl
in allen deutschen Landen war und ist es zum Theil noch
jetzt Gebrauch am Dreikönigsabend die Anfangsbuchstaben
der drei heiligen Könige, C. M. B. an die Thüren zu schreiben,
um dadurch böse Einflüsse von Hexen und sonst abzuhalten.
(Scheible, Das Kloster VII, ^8. — Wuttke, Der deutsche
Volksaberglaube der Gegenwart § iip. — Köhler, Volks -
bj'auch . . . im Voigt lande, S. jpj, — Die Grenzboten XXIII.
Jahrg. IL Semest. S. 363 f.) Nach WUTTKE wird jedem
der drei Buchstaben noch das Zeichen des Kreuzes beigefügt
und wie sich daher die Chiffre XXX für die drei Könige
einfach durch Weglassung der Buchstaben erklärt, so viel-
leicht auch dadurch, daß des Schreibens Unkundige am
Dreikönigsabende lediglich drei Kreuze an die Thüren malten.
Dem 6. Januar 1771 kommt aber als Entstehungszeit des
fraglichen Gedichtes noch der Umstand zu Statten, daß an
diesem Tage der Mond in's erste Viertel trat, also derselbe
in der That kläglich aus dem Wolkenhügel hervorsehen
konnte, wie es im Gedichte heißt.
c. HAIDENRÖSLEIN.
Im 2. und 4. Hefte des fünften Jahrgangs der -»Zeit-
schrift für deutschen Unterrichtii sind Ansichten über die
Urheberschaft des »Haidenröslei^i«. vertheidigt worden, denen
ich noch immer nicht beitreten kann. Bei Wiederaufnahme
der hierüber bestehenden Streitfragen ist zuvörders hervor-
zuheben, daß Verschiedenheiten zwischen dem ersten Drucke
4- Zu DER Schrikt: Zu Goethe's Gedichten. 22^
in Herder's » Pofi deutscJicr Art utid Kinisl« und dem
Druck in Goethe's Werken bezüglich der rein sprachlichen
Abweichungen fast nicht bestehen; denn wenn man meint,
daß an letzterer Stelle zunächst -»Knabe sprachv- und »'5 Rös-
Icin spracJii. Aenderungen Goethe'S seien, so ist das irrig.
Man läßt dann außer Acht, daß HERDER die von ihm in
dem Text des Liedes angenommene Fassung schon als
Aenderungen gegen die ursprünglichen bezeichnet. Er sagt,
nachdem er das von ihm ■»Fabelliedchen<:^ überschriebene
■}>Heidenrdslein<!- mitgetheilt hat: »Und noch muß ich Ihnen
eine Aenderung des lebendigen Gesanges melden. Der Vor-
schlag thut bei den Liedern des Volks eine so große und
gute Wirkung, daß ich aus deutschen und englischen alten
Stücken sehe, wie viel die Minstrels darauf gehalten, und
er ist nun noch im Deutschen wie im Englischen in den
Volksliedern meistens der dunkle Laut von the in beidem
Geschlecht (de Knabe) 's statt das ('s Röslein) und statt
ein ein dunkles a und was man noch immer in Liedern
mit ' ausdrücken könnte. Das Hauptwort bekommt auf
solche Weise immer weit mehr poetische Substantialität und
Persönlichkeit
'Knabe sprach
's Röslein sprach u. s. w.
in den Liedern mit mehr Accent.« Also lauter Abweichungen,
die später GOETHE gegen Herder's Schlimmbesserungen
nur wieder hergestellt hat.
Da außerdem Suphan (ArcJi. f. LiteraturgescliicJite l ] poj
berichtet, daß HERDER auf einen Zettel »jedenfalls vor 1779«
geschrieben habe: »Sa/i ein KnaF ein Röslein stcJinv-, also
ebenfalls gerade so, wne später bei GoETHE, so hat dieser
für den Druck in den , Schriften' auch insoweit gegen den
ursprünglichen Text nichts geändert.
Es ist keinesfalls anzunehmen, daß HERDER selbst das
Lied im »lebendigen Gesänge« vernommen habe, da er beim
224
VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
zweiten Abdruck im IL Theil seiner » Volkslieder« (1779)
bemerkt, er habe es »aus der mündlichen Sage*; nur hier
drückt er sich so aus, während er über das i. Stück des I.
und das 24. Stück des IL Theiles sagt: »Aus dem Munde
des Volkes«.
Es kann aber umsoweniger in Zweifel gezogen werden,
daß das Gedicht der HERDER'schen Drucke aus Goethe's
Händen gekommen sei, als nach einer Mittheilung \on Haym
Herder'S Briefe über Ossian, in denen das «Haidenrösleini
vorkommt, 1771 geschrieben sind, also unmittelbar nach def
Zeit der Bekanntschaft mit GOETHE, mit dem er in Pflege
der Volksliederkunde zusammentraf.
Aber unerachtet dieser Verringerung der Verschieden-
heiten zwischen Herder's Drucken und der Fassung in
Goethe's Werken würde die Aufnahme eines fremden Ge-
dichts, als ob es ein eigenes wäre, auf Grund so gering-
fügiger Aenderungen, w^ie stattgefunden haben, bei GOETHE
ohne Beispiel sein, und es ist unzulässig, den vereinzelten
Vorgang ohne zwingende Gründe zu behaupten. Dagegen
hat Goethe mehrere Gedichte früherer Zeit bei Aufnahme
in die Werke abgeändert; so z. B. »Z)z> Nacht <i~ — , !>Das
Glück ^ — »HocJizeitsliedd. — .Der König in Thule«- —
y>A)i den Mondi.
Die Frage, ob entweder von GOETHE oder von Herder
bei der ersten Einführung des Gedichts eine Unwahrheit
verschuldet worden ist, kann man füglich auf sich beruhen
lassen, zumal da dessen Bezeichnung als Volkslied für das
aus einem Volkslied ausgezogene Gedicht nicht schlechthin
unerlaubt war. Darin ist jedenfalls mehr aus dem ursprüng-
lichen Volkslied verblieben, als in anderen Gedichten, bei
denen GOETHE von Volksliedern ausgegangen ist, wie ich
deren in den » Goethe-Forschungen — Neue Folge <i- Seite ^ 22 f gg.
zusammengestellt habe.
Aehnlich ist aber GoETHE mit einem anderen Gedicht
verfahren. In einem Briefe an Frau V. Stein aus dem
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 225.
Juni 1786, der im 11. Bande der y> Schriften der Goethe-
Gesellschaft« S. i abgedruckt ist, schrieb er einige Verse,
welche in der Hauptsache aus anderthalb Strophen, ent-
nommen der zweiten und vierten Strophe des siebenstrophigen
Gedichts •>->Chymische Hochzeit^ von JOHANN VALENTIN
Andrä besteht und worin er ein paar Aenderungen an-
gebracht hat, die zwar nicht umgestaltend wie im ^^Hatden-
rösleinv., immerhin aber selbständig eingreifen.
d. GOETHE'S SONETTE.
In einer seiner GOETHE-Schriften behandelt KUNO FISCHER
die siebzehn Sonette, die GOETHE in den letzten x\usgaben
seiner Werke in einem i\bschnitt unter dem Sammelnamen
» Sonette <! vereinigt hat. Um in die Verhältnisse einzuweihen,
unter denen diese Gedichte entstanden, führt FlSCilER die
dabei in Betracht kommenden Personen und deren Be-
ziehungen zu Goethe vor, und zwar: das FROMMANN'sche
Haus, Minna Herzlieb und Bettina v. Arnim. Die Fäl-
schungen, die letztere sich in ^^ Goethe's Briefwecliscl mit
einem Kinde in Bezug auf Goethe'S Briefe hat zu Schulden
kommen lassen, werden auf's Xeue beleuchtet; diese Hand-
lungsweise kann auch nicht, wie versucht worden ist, wegen
der Verehrung des alten Kindes für GOETHE vertuscht werden,
und ist um so härter zu verurtheilen, als sie lediglich aus
der Absicht hervorgegangen ist, sich — wie auch aus FiSCHER'S
Darstellung z. B. S. 50, 56, SQfif. unzweideutig sich ergiebt
■ — ■ einen Glorienschein aus dem Interesse Goethe's für ihre
Person anzudichten. Das kann auch der sonstige schrift-
stellerische Werth ihres Briefwechsels nicht ausgleichen. Dem-
ungeachtet ist die Thatsache nicht zu bestreiten, daß Goethe
nicht nur ihr Sonette mitgetheilt, sondern auch eine Stelle
aus einem ihrer Briefe in einem Sonett verwerthet hat. (S. 54 f.)
Aber ebenso sicher, wie BETTINA mit ihren Ansprüchen ab-
zuweisen ist, muß Fischer's Behauptung als unstatthaft be-
V. Biedermann, Goetheforschungen III. I5
226 VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
zeichnet werden, wenn er (S. 6) sagt: »Ich halte die Ansicht
für grundfalsch, nach welcher die siebzehn Sonette keinen
Kranz, sondern eine Sammlung ausmachen, deren einzelne
Stücke aus verschiedenen Anlässen herrühren sollen und auf
verschiedene Personen zu beziehen seien.« Denn wenn er
Aveiterhin (S. 20) in einem Zirkelschluß äußert: »Es ist der
Kranz der siebzehn Sonette, die keinen Kranz bilden würden,
wenn sie nicht von einem und demselben Thema erfüllt
wären, sodaß der Gegenstand eines dieser Sonette nothwendig
der Gegenstand aller ist«, so kann man die Schlußfolgerung
sehr wohl für richtig anerkennen, aber dem gewandten Volten-
schläger, der eben das zu Beweisende als Axiom in den
Vordersatz stellt, doch nicht Recht geben. FiSCHER unter-
drückt als unbeachtlich den Umstand, daß die fraglichen
Sonette eben kein Kranz sind. An einen Sonettenkranz
sind bekanntlich ganz bestimmte technische Forderungen zu
stellen: er besteht aus fünfzehn Sonetten, deren jedes durch
seinen Schlußvers mit dem Anfangsvers des nächstfolgenden
durch gleichen Wortlaut verbunden ist, während die letzte
Zeile des letzten Sonetts die erste Zeile des ersten wieder-
holt und damit den Kranz — die Anknüpfung des Ende
an den Anfang — schließt, worauf ein aus diesen gleich-
lautenden vierzehn Versen bestehendes >•> Meisteisonetti^ die
Dichtung vollendet. Ein deutscher Sonettenkranz findet sich
z. B. in den ^;- Gedichten von F. W. RiEMER« I, 167 — 181.
Ein solcher Sonettenkranz bedingt allerdings Einheit des
Gegenstandes, da aber GOETHE diese geschlossene Form
eben nicht beliebt hat, kann ihm auch nicht die Absicht, in
seiner Sonettensammlung nur Einen Gegenstand im Auge
gehabt zu haben, aufgedrungen werden. Er hat vielmehr
die siebzehn Sonette nur der gemeinsamen Form halber in
einem Abschnitt seiner Gedichte vereinigt, ebenso wie die
römischen Elegien, die venetianischen Epigramme, die antiker
Form sich nähernden kleinen Gedichte trotz ihres mannig-
faltigen Inhalts; auch unter den der Mehrzahl nach erotischen
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 227
Elegien finden sich solche, die anderes zum Gegenstande
haben, namentlich die VIII. und die XI.
Goethe verfolgte bei seinen Sonetten von Anfang an
keinen Plan: sie entstanden, weil WERNER, SCHLEGEL, Gries
und Riemer damals in dieser Form gedichtet hatten und
Goethe dadurch angeregt ward, sich ebenfalls darin zu ver-
suchen, wie er ja jede an ihn herantretende Form gern er-
griff, um die Strahlen seines Geistes auf neue Weise brechen
zu lassen. So geschah es schon früh mit der antiken Oden-
form, obwohl er diese recht willkürlich behandelte und seine
Dichtungen nicht darein zu fügen verstand; so später mit
der Stanze, dem serbischen, dem antik epischen, elegischen
und dramatischen sowie mit dem spanischen Vers. Bei dem
Autkommen der Sonettenform ergab es sich ganz natürlich
— da das Sonett von dessen Schöpfer und Meister, Petrarca,
der Liebe geweiht worden war — , daß GOETHE der Liebe
zu Minna Herzlieb, die ihn zu jener Zeit beherrschte, darin
Ausdruck verlieh. Zwar weist FlSCHER die angeblich gegen-
seitige Leidenschaftlichkeit der beiden, die K. Th. GaedeRTZ
namentlich aus MincHEN'S Briefen herausliest, gründlich ab,
auch klüglich, um alle Gemeinsamkeit seiner Ausführungen
mit denen jenes Fablers auszuschließen; nichtsdestoweniger
verirrt er gleichfalls sich in Unterstellungen, wenn er S. 21
behauptet, daf3 fragliche Sonette »sämmtlich aufMiNNA Herz-
LIEB zu beziehen sind, nur sie zum Gegenstande haben«.
Hiergegen spricht schon das, der Zeit der Entstehung nach
erste Sonett, in der Sammlung das vierte. Darin will die
Liebende den Dichter zum Entgegenkommen reizen, indem
sie ihn auf seine steinerne Büste, die sie mit Liebkosungen
überhäuft, eifersüchtig macht. Es ist nicht möglich zu denken,
daß der Dichter das erste Gedicht, in dem er seine Liebe
niederlegen wollte, auf eine Situation gegründet haben könnte,
die der seinigen geradezu entgegengesetzt war; denn in der
Wirklichkeit war GoETHE allein der Liebe empfindende Theil,
während das Mädchen sich ihm gegenüber kühl verhielt.
15*
228 VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
Und noch dazu ist die gedachte Situation eine so sonderbare,
daß man ein wirkliches Vorkommniß als Grundlage vermuthen
muß. Augenscheinlich waren es wunderliche Dichtungen
WernER's, die ihn vermochten, in productiver Kritik, wie
es seine Art war, sich darauf einzulassen. Zwei Sonette
desselben aus dem November 1 807, die er unzweifelhaft am
3.December bei Knebel in GOETHE'S Gegenwart mit anderen
Sonetten vorgelesen, haben Liebe zu steinernen Gestalten
zum Gegenstand: das eine, im Heidelberger Schlosse ent-
standene, ^yDe7' steinerne Bräutigam und sein Liebchen", ist
ein Gespräch zwischen einer Epheustaude, dem Wartthurm,
der Bildsäule eines Pfalzgrafen und einem Engel; das andere
Sonett bezieht sich auf die bekannte Sage von den > Mönch
und Nonne <! benannten Felsen, die
»sind versteinert in der Lieb' Erglühen«.
(Werne)'' s sämmtliche Werke, I, 142, 144.J GOETHE hat
nun wohl die unklaren Liebesäußerungen gegen WERNER'sche
Steingestalten zu menschlichem Verständniß gebracht. Auch
Riemer scherzt über das letztgedachte Sonett Werner's in
dem Sonett > Liebesideal 'i. (Gedichte II, 140.)
Die Sonette YIII bis X können lediglich Bettinen's
Briefen ihre Entstehung verdanken, um so sicherer, als
wenigstens in dem beschränkten Raum einesSonetten-i Kranzes«
die Liebende nicht zuerst als drängende Briefschreiberin und
dann wieder im XIII. als die Spröde, die des Liebenden
Plaudern unnütz in ihrem Ohr verhallen läßt, hingestellt werden
konnte. Das XI. Sonett ferner hat gar nicht Liebe zum
Gegenstande und spricht davon nur beiläufig, indem es den
Dichter, von der Sonettenseuche angesteckt, nur zuletzt aus
Liebe rasend nennt. Dieses Sonett bildet den Gegensatz zu
dem »Sonett' überschriebenen Sonett in der Gedichtabtheilung
»Epigrammatisch«, worin der Dichter sich sträubt »das Beste
was Gefühl gäbe? in »künstliche Sonette« zu leimen«. Dieses
Sonett ist gewiß nur deshalb nicht in die Sonettenabtheilung
4. Zu DER Schrift: Zu Goethe's Gedichten. 229
der Gedichte aufgenommen worden, weil es sich namentUch
mit dem XIV. und XV. in allzu grellem Widerspruch be-
finden würde, indem der Dichter im ersten dem, gegen die
in Sonetten ausgesprochenen Gefühle mißtrauischen Mädchen
entgegnet, er sei auf rechtem Wege; denn
Das AUerstarrste freudig aufzuschmelzen,
Muß Liebesfeuer allgewaltig glühen,
und sich im XV. Sonett dem Feuerwerker vergleicht, weil
eh' er sich's versieht, geht er zerschmettert
Mit allen seinen Künsten in die Lüfte.
Und das ist allerdings Fischer'n zuzugeben, daß GOETHE
in der Sonettenabtheilung eine Einheit der Stimmung hat
aufrecht erhalten wollen: die Feier der Liebe, aber ohne Ein-
heit der Liebenden. Mit Ausscheidung des widerstrebenden
^) Sonett«- hat er nur ein ähnliches Verfahren eingeschlagen,
wie bei Anordnung seiner Gedichte in der ersten Ausgabe
seiner Schriften nach Scherer's Darlegung. (Goethe-JaJir-
buch IV, 51 ff.) Durch Stempelung der Sonettenabtheilung
zu einer einheitlichen Dichtung wird Goethe'N eine Zer-
fahrenheit in der Composition zugemuthet, die er nicht auf
sich nehmen kann. Wie FiSCHER den von BETTINA ge-
flochtenen Kranz (S. 54) zerpflückt hat, muß ich also zu meinem
Bedauern auch den, von ihm für MiXXA HERZLIEB gewundenen
zerrupfen und ihr nur einzelne Blumen daraus lassen, seien
es auch die meisten, — unbestritten jedenfalls das XVI. und
XVII. , welche beide GuETllE discret erst später in seine
Werke aufnahm. Aber auch das letzte, der Herzlieb am
entschiedensten zugeeignete Sonett, die Charade auf ihre Namen,
ist nicht rein aus Verehrung für sie hervorgegangen, sondern
gleichfalls im Wetteifer mit Werner, der auf dieselben Namen
schon eine Charade gedichtet hatte. FlSCilER hat sich einige
Widersprüche, die seiner Zueignung des ganzen Sonetten-
abschnittes an Minna Herzlieb entgegengestellt werden
möchten, nicht verhehlt, hat sich aber deren Widerlegung
r>'>o VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
(S. HO ff.) denn doch zu leicht gemacht. Diese Zueignung-
konnte überhaupt nur bei glänzender Darstellungsgabe zur
Discussion kommen; jene gestattet ja auch sonst, im Lesen
GOETHE'scher Dichtungen auftauchende geistreiche Gedanken
im Anschluß an jene auszuführen, ohne sich dabei durch
den wirklichen Inhalt dieser Dichtungen sonderlich stören
zu lassen.
Noch ein paar Worte über die sonstigen, durch MiNNA
Herzlieb hervorgerufenen Dichtungen GOETHE'S. Außer
den von FiSCHER genannten — ^Pa7idora'<, »Dze IVahl-
verwaudtschaften'i und die Novelle ^ Nicht zu weit!«. —
gehört noch eine hierher, in der, nur auf anderem Wege als
im Roman, die Natur sich gegen Uebertretung des Sittlich-
keitsgesetzes auflehnt; diese ist das kurz nach den :^ Wahl-
vcrzvandtschafteu'i 1810 gedichtete / Tagebuch«. Dagegen
gehört y'Der Mann von fünfzig Jahren 'i nicht hierher; sein
Anfang reicht ins Jahr 1803 zurück und es ist im Gegen-
theil wahrscheinlich daß GoETHE nachher jahrelang die Fort-
arbeit daran gerade deshalb unterbrochen hat, weil die Deu-
tung auf ihn selbst zu nahe lag.
e. HATEM.
Im dritten Gedichte des Buches ^>Sulcikat im »West-
östlichen Divan« erklärt GOETHE: sein Name neben SULEIKA
solle Hatem sein. Warum gerade dieser Name, sagt er in-
dessen nicht. Er nennt zwar zwei Hatem, deren Einer als
freigebig, der andere als reichlich lebend, d. h. Schätze
sammelnd bezeichnet wird, fügt aber hinzu, daß er weder
dieser, noch jener HateM sein könne oder möchte, vielmehr
nur beide im Auge haben wollte. Daraus ergiebt sich die
Empfehlung eines Maßhaltens, das für einen Liebenden sich
denn doch nicht schickt. Die Frage liegt daher noch immer
nahe: wie er auf den Namen Hatem verfallen sein dürfte.
Die Antwort liegt aber nicht nahe, und es ist da wohl er-
4- Zu DER Schrift : Zu Goethe's Gedichten. 2 3 I
laubt, ja nöthig, sich auf Rathen zu verlegen. Ist das nicht
ein Fall, wobei man — nach SCHERER — nicht zu weit
gehen kann? Hat GoETHE etwa auf zwei Hatem vertheilt,
wo er nur Einen im Sinne hatte, als welcher er sich aber
nicht zu erkennen geben wollte? Dies erscheint um so glaub-
licher, als ein von ihm genannter Hatem Zagrai meines
Wissens nicht ermittelt ist, wenn man aber einen Schreib-
fehler annimmt und Thograi liest — auf welchen Dichter
der Reichthum allerdings paßt — der so Zubenannte nicht
auch Hatem hieß.
Goethe las nach seinem Tagebuche am 14. Juni 18 13
Klixger's y> Geschichte eines Deutschen de7' neuesten Zeit<i.
Dieser Roman ist 1798 erschienen; sein Held ist ein grund-
braver Mann, der mit den höheren Ideen der französischen
Revolution sympathisirt, dies unx'erhohlen an den Tag legt,
auch dem Sohne eines vornehmen Hauses, dessen Erzieher
er ist, gleiche Grundsätze einprägt, dadurch aber sich Ver-
folgungen zuzieht, die ihm Deutschland verleiden und ihn
veranlassen, nach Frankreich überzusiedeln.
Bekanntlich hatte nun GoETHE 18 13 unter dem Miß-
trauen, mit dem ihm als dem Bewunderer Napoleon's ent-
gegengetreten wurde, zu leiden und er konnte sich deshalb
wohl als Mitleidender jenes Deutschen aus den neunziger
Jahren fühlen, Dieser Deutsche hieß aber Hadem.
Fiat applicatiol
f. IXVECTIVE GEGEN KOTZEBUE.
Das Distichon T>Bist du Gemündisches Silber pp <■
(Weim. Ausg. v. Goethes Werken V, 176.) wird w^ohl zu-
nächst durch die Schrift •>) Schreiben von Friedrich Mililer,
Königl. Bayer. Hofmaler, über eine Reise nach Rom ttnd
Neapel von A. VON KOTZEBüE, Deutschland 1807 ■'■ veranlaßt;
die unverständigen und anmaßlichen Urtheile Kotzebue'S
sind darin scharf mitgenommen.
232
VI. Bericht, und Nachträge zu Goetheschr. des Verfassers.
g. LETZTE ZAHME XENIE DER ERSTEN
ABTHEILUNG.
» Weifst du, zvoi'in der Spafs des Lebens liegt pp^
(Werke, Weim. Ausg. III, 2^^) dürfte durch eine Aeußerung
der Frau V. Stael angeregt worden sein. Sie sagte einmal
zufolge Briefs von HENRIETTE V. KuRBEL an ihren Bruder
vom 4. Februar 1804 (Briefwechsel S. 197): On s'aniuse
.chez vous, quand il na pas de plaisir.
Be
IGABE.
Entwickelung aeusserer Formen der
Dichtung.
ie Entstehung der poetischen Sprachformen, nament-
lich der ParalleHsmen, des Versmaßes und des Reims,
hat im vorigen Jahrhundert manchen Kopf be-
schäftigt. Damals beherrschte die Philosophie die
gesammte Wissenschaft; sie erkannte noch nicht Xatur- und
Volkswissenschaften als gleichberechtigt an, denen sie die
Vorherrschaft in den ihnen gebührenden Gebieten zu über-
lassen hatte. Demgemäß war es auch nur die Speculation,
die dem Räthsel der Entstehung jener Formen beizukommen
suchte; sie behandelte diese wie frei erfunden und es kam
den Denkern jener Zeit, unter denen Herder hervorragte,
nicht in den Sinn, daß sie nur infolge allmäliger Entwicke-
lung entstanden sein konnten. Wenn gegenwärtig noch
Schriftsteller den damals betretenen Weg wandeln, so ver-
schließen sich solche Epigonen der Grundwahrheit von der
jede Wissenschaft auszugehen hat, daß alles Sein ein Ge-
wordenes ist. Zur Beantwortung der Frage der Entstehung
der äußeren Formen der Dichtung stehen uns aber allerdings
mehr Thatsachen zugebote, als dem achtzehnten Jahrhundert,
wenn auch noch immer nicht so lückenlos, um darauf eine
sichere Geschichte aufbauen zu können. Da darf denn wieder
236
Beigabe.
die Speculation, nunmehr aber nicht als selbständige, sondern
als aushelfende eingreifen.
Der Stoff für die Urgeschichte der poetischen Formen
ist fast nur zu entnehmen aus dem, was wir in neueren
Zeiten bei Naturvölkern von dichterischen Aeußerungen vor-
finden. Diese waren, wenn Völker zur Kenntniß der Schrift
gelangten, schon nicht mehr die allerersten; zumal da der
Trieb, Vergangenes aufzuzeichnen, erst spät lebendig ward.
Was aber von Fremden später aufgezeichnet ist, kann nicht
unbedingte Zuverlässigkeit beanspruchen, weil die Auffassung
der Aufzeichnenden eine andere ist, als die der Dichtenden
und unwillkürlich die Aufzeichnungen beeinflußt.
Auch diejenigen Reisenden, die darauf ausgingen, die
Bildung fremder, namentlich noch in ursprünglichen Zuständen
verbliebener Völker zu erforschen, ermangelten gemeinlich der-
jenigen Unbefangenheit, um die \^olksäußerungen nach ihrer
Entstehung zu erkennen, und so kommt es, daß sie bei
Würdigung dichterischer Aeußerungen zwar das dunkle Ge-
fühl hatten, daß diese einer gewissen Form unterworfen sein
müßten, sich aber nicht über die Anschauung zu erheben
vermochten, daß dieß eine der uns geläufigen Formen, wie
Versmaß oder Reim pp sein müsse. Hiernach irrten sie
nach zwei Seiten hin: bald schlössen sie etwa wegen eines
zufälligen Gleichklangs in einem aufgezeichneten Verse auf
Vorhandensein des Reims als Regel, bald erklärten sie die
Dichtungen eines Volkes als jeder Form entbehrend, weil
sie keine ihnen bekannte Form entdeckten. In ersterer Hin-
sicht kann zum Beispiel in dem Gesang der Osterinsulaner,
der in dem Bericht des Capitainlieutenant Geiseler an die
Kaiserliche ^Admiralität über ^>Die Ostcrinseh^ (1883) Seite 46
angeführt ist, auf Gebrauch des Refrains als fester Form
geschlossen werden, während er anscheinend nur vereinzeltes
Vorkommen ist, da ähnliche Wiederholung in den andern
dort mitgetheilten Gesängen sich nicht findet und die Natur-
völker an einer einmal ansfenommenen Form festzuhalten
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung.
237
oder sie doch nur abzuwandeln pflegen. Andererseits ist als
Beispiel einer nur bei tieferer Forschung zu erkennenden Form,
die chinesische anzuführen, wonach in zwei zusammengehörigen
Verszeilen eines Gedichts alle Worte der ersten einen und
denselben der fünf Wortacccnte der chinesischen Sprache
tragen müssen, die der zweiten Zeile dagegen verschiedne
Accente. Auch die Form des Versbaues finnischer Völker-
schaften, wie namentlich der Altai-Teleuten, ist ohne Kennt-
niß ihrer Sprache nicht zu verstehen, indem er auf den Wechsel
von harten und weichen Vocalen — einem den finnischen
Sprachen eigenthümlichen Unterschied — beruht. Zweifel-
haft ist, ob nicht auch in der althebräischen Dichtung außer
dem Parallelism noch andre, namentlich metrische Formen
eingeführt waren, was zu ergründen schon mehrere Gelehrte
beschäftigt hat, aber noch nicht mit dem Erfolg allgemeiner
Anerkennung. Deshalb ist es auch nicht als ausgemacht
anzusehen, daß die Bostuten in ihren Dichtungen keine sprach-
liche Form beobachten, wie Casalis i) behauptet; die kurzen
Sätze ihrer Gedichte deuten vielmehr auf Maß und Gesetz.
Dasselbe gilt von den Somali, 2) soweit sie nicht den von
den Arabern übernommenen Reim gebrauchen.
Die Entlehnung fremder Formen, wie sie eben angedeutet
ist, ist ein Umstand, der die Erforschung der Geschichte der
Formentwicklung erschwert. Sobald ein Volk mit einem in
Bildung vorangeschrittenen in Verkehr tritt, nimmt es auch
meistens seine Gedichtformen an. So von den Arabern den
Reim, außer den Somali, die Soho, 3) und von den Missio-
naren die zum Christenthum übergetretenen Völker, die schon
durch Nachbildung der geistlichen Lieder zum Reim geführt
werden. Wie dieß noch auf höheren Stufen stattfindet, zeigt
die Geschichte der deutschen Dichtung, die ihre Formen
von romanischen Völkern, später von den alten Griechen
und Römern entlehnte. Lenken solche Erscheinungen d'e
Forschung über Entwicklung der poetischen Formen ab, so
kommt ihr dagegen zustatten, daß in ausgedehnteren Volks-,
238
Beigabe.
Sprach- und Dichtungsgebieten sich in den einzelnen Gruppen
eine ursprüngliche Form in verschiednen Abstufungen erhält
und gegenseitige Ergänzung zuläßt.
Um die Entstehung der Formen der Dichtung zu er-
mitteln, ist auf die Beschaffenheit ihres Stoffes, also der Sprache,
zurückzugehen. Sie entstand aus dem Bedürfniß des Menschen
sich mit anderen über gemeinsame Angelegenheiten zu ver-
ständigen. Ist der sprachliche Ausdruck für die im gegen-
seitigen Verkehr vorkommenden Bedürfnisse gewählt, so be-
durfte es in gegebenem Falle nur des Aussprechens vonseiten
eines Menschen, um einem i^ngeredeten das an ihn gestellte
Verlangen verständlich zu machen. Etwas anderes aber war
es, wenn einer zum Ausdruck bringen wollte, was er per-
sönlich erfahren hatte oder was ihn als Einzelwesen berührte
und bewegte, ohne eine allgemein geläufige \^orstellung zu
sein, wenn er also eine selbstschöpferische, dichterische Aus-
lassung beabsichtigte. Um sich hierbei verständlich zu machen,
bedurfte es nachdrücklicher Einschärfung des Gewollten.
Wie dieß naturwüchsig erreicht werden konnte, läßt sich aus
Beobachtungen ableiten, die bei der Sprachbildung zu machen
sind; ist doch die Dichtung nur eine Sprachenschöpfung
höheren Grades! Bei der Sprachenbildung ist nun die Wahr-
nehmung zu machen, daß Wiederholung von Silben besonders
in den Worten vorkommen, die Kinder häufig gebrauchen
und daher der Umgestaltung im Zeitenlauf am wenigsten
unterlagen, wie Papa und Mamma. 4) Ferner hat Professor
Schneegans in der 44. Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner ausgeführt, wie Doppellaute durch effect-
volles Wiederholen der \"ocale entstehen. Endlich dient noch
in mehreren Sprachen Wiederholung des Wortes zu Be-
zeichnung der Größe, Unbegränztheit und überhaupt erhöhter
Bedeutung, 5) in manchen Sprachen, wie im Malaiischen,
zur Bildung das Plurals. Auch in gebildeten Sprachen wird
Verdoppelung eines Wortes angewandt, um ihm Nachdruck
zu geben, namentlich im Italienischen, wie: piano l pianol
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung,
239
Aus diesen Thatsachen geht hervor, daß Wiederholung
das in der Natur begründete Mittel ist, einer Aeußerung
einen Werth beizulegen, der sie über andere, folglich auch
ganz allgemein über Aeußerungen des gewöhnlichen Ver-
kehrs heraushob. Derartige Aeußerungen waren ursprünglich
ebenfalls die dem Bereiche der Dichtung angehörigen. Die
Wiederholung kennzeichnet demnach sowohl die ältesten auf
uns gekommenen Zeugnisse der Dichtkunst, wie auch gegen-
wärtig bei Naturvölkern angetroffene dichterische Ergüsse,
sei es, daß jedem Theile einer Rede, jedem Satze sofort
seine Wiederholung folgt, oder daß die Wiederholung der
wichtigeren durch nicht wiederholte Redetheile unterbrochen
wird. Vor etwa vier Jahrtausenden finden sich beide Weisen
in einem ägyptischen Drescherliede 6) und ungefähr um die-
selbe Zeit in babylonischen Psalmen, worin die Namen von
Gottheiten bis zu fünfundsechzigmal ange-rufen werden mußten.
7) Fünfzigmalige Wiederholung wird auch bei neueren Liedern
den Arabern berichtet. 8) Die Urbewohner Afrikas, Amerikas
und Australiens lieferten noch jüngst werthvoUe Beispiele
der Wiederholung als Form ihrer Dichtungen. Zu nennen
sind u. a. in Afrika die Aschanti, 9) Fanti (auf der hisel
Ada an der Goldküste, 10) Congoneger, 11) Loangoneger
12) und Madegassen; 13) in Amerika Odschibwa (Tschippe-
wäer), 14) Irokesen, 15) Dakota (Sioux), i6)Eiowa, 17) Ponko,
18) Kriowa, 19) Wallawalla, 20) Wintum, besonders Nummoe,
21) Rikkarier, 22) Wapahani, 23) Mäuseindianer (Souriquois),
24) Modoc, 25) Apaho 26) und Crichanä (Brasilien); 27) in
Australien Australneger, 28) Papua, 29) Rataker (Marschall-
insel), 30) Samoaner, 31) Taheitier 32) und Kämikaröi
33) Auch in Asien, bei den Jakuten, bestehen Gesänge aus
fortgesetzter Wiederholung derselben Worte. 34) Wie schon
oben bemerkt, ist die Wiederholung bald durch nicht wieder-
holte Worte unterbrochen, bald fortlaufend. Ersteres ist der
Fall in dem angeführten taheitischen Gesang, der nur im Globus
nicht so abgedruckt ist, daß diese Form hervortritt; er lautet:
240
Beigabe.
Nimm sie denn hin, Dein Weib Taurua, mein Freund!
Wir sind getrennt, sie und ich.
Taurua! Stern des Morgens für mich!
Für ihre Schönheit möchte ich mein Leben geben.
Du warst mein, aber nun —
Nimm denn Taurua, mein Freund!
Wir sind getrennt, sie und ich.
In Gesängen höher gebildeter Völker ist die W^ieder-
holung zwar oft durch Gründe bedingt, die auf deren musi-
kalische Behandlung beruhen; zuletzt liegt aber doch die
Absicht vor, dem wiederholt Gesagten oder Gesungenen
größeren Nachdruck zu geben.
Der weiter vorgeschrittene Mensch mußte aber die Wieder-
holung lästig empfinden. Ihm standen nicht nur andere
Mittel zugebote, die Bedeutung dessen, was er als Dichter
aussprach, merkbar zu machen, sondern er hatte auch das
Bedürfniß, diese Mittel anzuwenden. Die ursprünglichen kurzen
Ausbrüche seines Innenlebens genügten ihm nicht mehr; es
trat der Gedanke hinzu, durch den er imstande war, sie
anderen verständlicher zu machen. Damit verlor die Wieder-
holung einerseits an Werth, und anderseits wurde ihre
Ueberflüssigkeit Hemmniß der Dichtung. Da sie jedoch als
Kennzeichen der Dichtung geheiligt war, durfte sie nicht
ganz unterlassen werden; wenn einer sich als Dichter ver-
nehmen ließ, mußte er wiederholen, aber es entsprach natür-
licher Entwicklung, daß er nur einen Theil des Gedichteten
— einen Satz der Rede — wiederholte, also die alte Form
zwar anschlug und damit gleichsam deren Recht anerkannte
und wahrte, dann aber, von knechtischem Zwange befreit,
bei Einführung neuen Gehaltes ohne abermalige Betonung
durch Wiederholung sich zwanglos erging. Damit war eine
höhere Stufe in der Formentwickelung gegeben: Wieder-
holung nur der Versanfänge.
Diese Form der Dichtung ist in mehreren altchinesischen,
aus den Zeiten von 1 700 bis 600 v. Chr. stammenden Dichtungen
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung.
241
des Schi King erhalten. Hier geschieht es meist in der Weise
daß zum x'Vnfang aller Strophen derselbe Gegenstand genannt
und darauf in jeder Strophe anderes darüber ausgeführt
wird. 35) Auch schon vor mindestens dritthalbtausend Jahren
findet sich diese Form in assyrischen Liedern, 36) im alt-
babylonischen Epos 37) und im Zend. 38) Daß Anfangs-
wiederholungr den Umbriern nicht fremd g-ewesen ist, creht
aus einem Gebete auf der VI. Eugubischen Tafel hervor.
39) Grotefend mühte sich vergeblich ab, darin Versmaß,
Alliteration und Reim nachzuweisen; ihm kam nicht der
Gedanke, darin die dichterische Urform der Wiederholung
zu erkennen.
Die finnischen Völker des europäischen Nordens bevor-
zugen Wiederholung der Versanfänge, 40) und diese sind
die unerläßliche Form bei den stammverwandten Altaiern,
wie bei den Kirgisen, 41) Kamtschadalen, 42) Tschuwaschen,
43) u. s. w., ebenso wie bei den Tamulen 44) und den Xias
im malaiischen xA.rchipel, 45) bei welchen letzteren je zwei
Verse durch gleiche Anfänge gebunden werden. Ferner
findet sich Versanfangswiederholung in Afrika bei den Ad-
schingini 46) und den Madagassen, 47) in Amerika bei den
schon oben genannten Nummoe, (21) den Dakota 48) und
noch andern Indianerstämmen im Norden. 49) Reichlich ist
noch diese Form vertreten in Australien, namentlich auf
Tonga 50) und der Osterinsel, 51) in den Dichtungen der
heiligen Schöpfungssage von Hawaii, worin lange Reihen der
432 Seiten füllenden Verse mit denselben Worten beginnen,
52) und ebenso häufig bei den Maori auf Neuseeland. 53)
Während die Wiederholung in den Versanfängen noch
tonangebend auftritt, stellt es sich als eine nachträgliche
Befolgung des Gesetzes dar, daß sie in den Versenden
erscheint. Der Dichter hebt an zu sagen, was er sagen will,
erinnert sich aber dann der Nothwendigkeit zu wiederholen
und fügt sich ihr nachträglich. Auch die Wiederholung der
Versausgänge ist im hohen Alterthum sowohl im Schi King
V. Biedermann, Goetheforschungen III. l6
242
Beigabe.
54) als bei den Akkadiern 55) anzutreffen. Stehende Form
ist sie bei den tatarischen Völkerschaften, namentlich den
Altaiern, 56) Teleuten, 57) Sojonen, 58) Sagaiern, 59) Koi-
bolen, 60) Kotschinzen, 61) Kysylzen, 62) Kirgisen, 63) Bara-
baern, 64) Kara-Kirgisen, 65) Kurdok-Tataren, 66) Kalmücken,
67) Özbegen, 68) Wotjäken 69) und Taulischen. 70) Die
vielen Berührungen der Bevölkerung Persiens mit Tataren
ist nicht ohne Einfluß auf die persische Dichtung geblieben,
wenigstens möchte daraus die eigenthümliche Form des
persischen Ghasel's zu erklären sein, wonach hinter den
(vielleicht von den Arabern übernommenen) Reim noch mehrere
Worte folgen, die in allen Verszeilen eines Ghasel's dieselben
sein müssen, wie das ja durch RüCKERT's Nachbildungen
allbekannt ist. 71) Ebendieser Form huldigen auch die
Taulischen in Persien, die Wotjäken und die Aderbeidschanen
in Transkaukasien. 72) — In Afrika wird die Versendwieder-
holung berichtet in Liedern der Fanti auf Ada, 73) der
Kerrupä, 74) Dahomeier, 75) Fulbe 76) und Madagassen. Tl)
Außer den Hauptformen der Wiederholung der an-
fangenden oder endenden Verstheile zeigt sich auch Wieder-
holung des mittleren Theiles des Verses oder der
Strophe. Sie ist vorzugsweise Eigenheit der chinesischen
Dichtung. 78) Sonst wird sie angetroffen bei den Bakiris und
Xahuqua's in Brasilien, 79) sowie bei den Bewohnern von
Nukahiwa. 80) Auch Wiederholung der Anfänge und
Ausgänge eines Verses zusammen findet sich im Schi
King 81) und bei den Madagassen. 82) Die Dichtung der
letzteren hat überhaupt die Formen der einfachen Wort-
wiederholung in den mannigfachsten Richtungen ausgebildet
und als Kennzeichen der Dichtung angenommen. Ein Ge-
dicht, in dem sich verschiedene Arten dieser Wiederholung
erkennen lassen und aus dem das Bewußtsein ihrer Bedeu-
tung als Form deutlich hervorleuchtet ist z. B. folgende
madagassische Todtenklage, dem Originale in Form und In-
halt treu übertrafen:
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung.
243
Ach schmerzvoll o! x\ch schmerzvoll o!
Weinend allnächtlich ;
Ach schmerzvoll o! Sein Ehgemahl dahier
Weinend allnächtlich!
Ach schmerzvoll o! seine Sprossen dahier
Weinend allnächtlich!
Ach schmerzvoll o! seine Genossen dahier
Weinend allnächtlich !
Ach schmerzvoll o! seine Leut' allzumal dahier
Weinend allnächtlich!
Die Wiederholung- des Beginns und des Schlusses der Verse
geht in den Refrain über. Refrain ist aber kein »Kehrreim«,
weil er schlechterdings an und für sich nichts mit dem
Reim zu tliun hat und nur in Reimgedichten Kehrreim sein
kann, aber auch da nicht sein muß; in Gesängen des Volkes
im Erzgebirge heißt er richtig »Wiederkehre«. Refrain unter-
scheidet sich von den bisher besprochenen Wiederholungen
dadurch, daß er sich nicht bloß auf einen Satztheil erstreckt,
sondern ein selbständiger Satz ist. Er ist als die selbständig
gewordene Wortwiederholung anzusehen. Er hat ein eignes
Leben entwickelt und erlangt seine eigentliche Bedeutung in
der Strophe, bei deren Besprechung auch vorher von ihm
zu sagen sein wird. Ein Preisgesang auf den Sultan von
Bornu — dessen Quelle ich nicht mehr nachweisen kann —
hat den Refrain und lautet so:
Gieb Fleisch den Hyänen bei Tagesanbruch!
O die breiten Speere!
Gieb Fleisch den Löwen und den Panthern!
O die breiten Speere!
Des Sultans Schwert und Lanze sind vorzüglich.
O die breiten Speere!
Er liebt sein Land, er liebt sein \"olk.
ü die breiten Speere!
Er kämpft gegen zehn und fürchtet keinen.
O die breiten Speere!
16*
244
Beigabe.
Der Elefant des Waldes beugt sich vor ihm.
O die breiten Speere!
Bei Negern ist der Refrain überhaupt üblich, so bei den
Kafifern, 83) Zulus, 84) Angolanegern. 85)
Freiere Behandlung der Wiederholung lief weiterhin
darauf hinaus, nicht dieselben Worte, sondern deren Sinn
zu wiederholen. Diese Form wird als Parallelism bezeichnet.
Der sich an die Wortwiederholung am engsten anschließende
bringt in zwei Sätzen dasselbe nur mit andern Worten zum
Ausdruck. 86) Einmal gefunden, hat aber der Parallelism
gleich dem Refrain ein Eigenleben gewonnen und mannig-
fache Unterarten erzeugt. Da wird in einem Verse zwar
etwas anderes, als im vorhergehenden ausgesprochen, aber
das, w^as die sich auf einen der beziehenden Verse ausdrücken,
zielt dennoch auf dasselbe ab; 87) oder das erst im eigent-
lichen Sinne Ausgesprochene wird dann noch in einem Bilde
versinnlicht; 88) oder das Gesagte wird durch den Gegensatz
hervorgehoben. 89) Von einer weiteren Form des Parallelism
wird später die Rede sein.
So früh Parallelism in den ältesten Dichtungen, die uns
literarisch erhalten sind, auftritt, und daher auf sein Vor-
handensein schon in sehr frühen Zuständen zu schließen ist,
so begegnen wir ihm doch bei Völkern, die noch jetzt auf
niedrigsten Stufen stehen, wohl nicht mehr. Wie andere
Formen, ist auch er in zusammenhängenden Landgebieten
ausgebildet: im südöstlichen Asien und im anschließenden
nordwestlichen Afrika. Hier im Aegyptischen vielleicht zu-
erst, 90) dann im Akkadischen 91) und im Hebräischen,
(dem die in den Nachweisen 86 bis 89 angeführten Beispiele
entnommen sind), sowie im stammverwandten Phönizischen. 92)
Dem Altpersischen war Parallelism nicht unbekannt, das er-
giebt sich aus Gebeten in Inschriften; denn obwohl darin
die einzelnen Glieder durcheinander geworfen sind und die
Parallelen sich kreuzen, sind diese nichts destoweniger be-
stimmt erkennbar. 93) Lassen sich im indischen Alterthum,
EnT WICKELUNG AEUSSERER FORMEN DER DICHTUNG. 245
in den Weden, nur Andeutungen von Parallelismen spüren,
so macht er sich dagegen stark in China geltend, sonderlich
der durch ein Bild ausgedrückte, wo er mit Wortwieder-
holung vermischt erscheint. 93a- Eine Vorstellung von dieser
Mischform wird durch die ohne Sprachkenntniß ausgeführte
breitgezerrte Wiedergabe RCckert's nicht erlangt. Um
davon zu überzeugen und zugleich als Beispiel, wie bedenk-
lich es ist, über die Formen der Dichtung na?;h Uebersetzungen
zu urtheilen, mag das letzte Lied des i. Buches im I. Theile
des Schi King in unserer Schrift ausgedrückt und wörtlich
übersetzt hier Platz finden.
Klii tsclü tschi
tschxn-tschtn kling tse
hü tsle khl In
Khi tsclü thig
tschln-tschin kiing sing
hü tsle schi hl
Khl tschl kie
tschin-tschin küng tse
hü tsie khi hl.
Deutsch:
Einhorns des Fuß:
Hold sind des Fürsten Söhne!
Ach ja, Eichhörner oh!
Einhorns des Stirn:
Hold ist des Fürsten Geschlecht,
Ach ja, Eichhörner oh!
Einhorns des Hörn:
Hold ist des Fürsten Nachkommenschaft,
Ach ja, Eichhörner oh!
Und nun vergleiche man damit, was im >•> Morgend latt'i nach
LaCHARME's lateinischer Uebersetzung »wörtlich lautend «
genannt wird, 94) nicht zu gedenken dessen, was RÜCKERT
246
Beigabe.
als »dem Deutschen angeeignet« giebt und keine Spur von
der Urdichtung erkennen läßt. 95) Was als Aneignung ge-
leistet werden kann, hat der sprachkundige ViCTOR V. Strauss
gezeigt. 96)
Der Parallelism hat eine eigene Gedichtgattung ins Leben
gerufen, die ihrer weiten Verbreitung halber Erwähnung ver-
dient. Es sind dieß die Vierzeiler, in denen sich die zwei
ersten und die zwei letzten Zeilen wie die beiden Glieder
eines Parallelism zu einander verhalten. Sie sind uns durch
die Schnaderhüpfeln der Alpenländer vertraut; ebenso sind
die Krakowiaken der Polen, 97) die Singes der kurischen
Letten, 98) die kleinen Lieder tatarischer Völkerschaften, 99)
die Dokra und Kubita der Hindus, die Dindang der Dajak 99a )
und die Pantun der Malaien. 100) Eigenthümlich ist dabei
den tatarischen Liedchen, daß immer zwei Vierzeiler, die
sich in den Gleichnissen entsprechen, zusammengehören.
Eine vom natürlichen Gange der Entwicklung anscheinend
abliegende Form ist die Verlegung des Parallelism in ein
Wortspiel. Sie wäre höchstens flüchtig zu erwähnen, oder
geradezu aus den Dichtungsformen in das Gebiet des Dichtungs-
inhalts, als Abart der Räthseldichtung, zu verweisen, wenn
sie sich nicht bei mehreren, von einander entfernt wohnenden
Völkern als Dichtungsform ausgeprägt fände, so daß ihr eine
Stelle in deren Entwicklung zuzuerkennen ist. Besonders
ausgebildet ist sie bei den Japanern und zwar in deren
ältester Gedichtgattung der Uta. Diese Wortspielgedichte
heißen Angeln, weil sich deren Sinn nach zwei Seiten, wie
eine Thüre auf der Angel hin und her wenden läßt, indem
die zweite Zeile des Uta den Ausspruch der ersten Vers-
zeile doppelsinnig ausführt. 10 1) Da Wortspiele aufs innigste
mit den Lauten und dem Baue jeder einzelnen Sprache zu-
sammenhängt, wird es nur Zufall sein, wenn einmal eins in
eine andere Sprache übertragen werden kann; zur Verdeut-
lichung dieser Gestaltung der Uta ist aber das von ROSNY
S. 113 angeführte folgendermaßen zu verdeutschen.
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung.
247
Wer das Reisekleid anlegt, vergebens sucht er Bande
der Freundschaft:
Gestern galt es zu säumen, heut' geht es auseinander.
Hierbei beziehen sich »säumen« und »auseinandergehn« so-
wohl auf's Kleid — als Säume Anfertigen und Zerreißen, —
wie auf das Leben des Reisenden — als Verweilen und
Scheiden. — Dem auf diese Dichtart nicht Geschulten wird
solcher Doppelsinn verloren gehn.
Aehnliche Wortspieldichtungen gab es schon bei den
alten Ägyptern lOia) und giebt es noch bei den Tschu-
waschen, 192) Buginesen, 103) Dajak auf Borneo, 104)
Arabern 105) u. a. Auf die einzelnen Spielarten näher ein-
zugehen, würde hier zu weit abseits führen.
Bei allen den bisher beleuchteten Formen der Wieder-
holung ist ein ununterbrochenes Fortschreiten der Dichtung
nicht möglich, da die Wiederholung im Inhalte lag und das
Ausgesprochene direct oder indirect noch einmal auszusprechen
war. Je mehr also die ursprünglich nur Empfindungen aus-
drückende oder nackte Vorgänge berichtende Dichtung von
Gedanken getragen wurde, um so mehr drängte sich das Be-
dürfniß hervor, dem Fluß der dichterischen Ergüsse freien
Lauf zu lassen und ihn nicht durch unaufhörliches Rückwärts-
gehen zu hemmen. Die Vereinigung der Forderung des
Wiederholens und des ununterbrochenen Fortschreitens wurde
aber erreicht durch Verlegung der Wiederholung aus dem
Inhalt der Sprache in ihr Aeußeres, ihre Laute und ihren
Bau. Nicht etwa, daß dies sofort planmäßig erfolgt wäre,
das zufällig Gefundene ist jedoch gewiß bald als gewinn-
bringend erkannt w^orden.
Wiederholung der Sprachlaute ergab, wenn sie im
Anfange der Verszeilen statthatte, Anfangsreim, Anreim,
Alliteration, wenn dagegen am Schlüsse der Verse, Endreim
und Assonanz, Als der volltönende Anfangsreim sich ein-
gewöhnt hatte und zum Bewußtsein gekommen war, daß
der Form durch leise Andeutung der Wiederholung genügt
248
Beigabe.
werde, so kam es weiter dahin mit der Wiederholung sich
ledigUch durch gleiche Anfangsbuchstaben der Verse ab-
zufinden. Die xA-lliteration ist Abschwächung des Reims,
nicht etwa Vorstufe. Diese allmälige Entstehung des An-
fangsreims und der Alliteration bestätigt das frühere, ver-
einzelte Vorkommen in älteren Literaturen wie bei den
Ägyptern, 105) bevor, sie im späteren zum Gesetz wurden,
wie bei den Altaiern. 106) Diese Form wird gefunden auch
im hohen Alterthum bei den Assyrern, 107) und bis heute
bei den Mongolen, 108) Kirgisen, 109) Teleuten, iio) Tschere-
missen, iii) Finnländern, 112) Esthen, 113) Lappen. 114)
Im Mittelalter waren es Kelten — Galen 1 1 5) und Kymren 1 16)
— sowie Germanen — Gothen, 117) Angelsachsen, 118)
Hochdeutsche 119) und Skandinavier, I20) ■ — wobei die
Alliteration häufig mit dem Endreim verbunden ward.
Den Uebergang der Versschlußwiederholung zum End-
reim verdeutlicht in belehrender Weise ein von SlBREE mit-
getheiltes madagassisches Gedicht, wenn schon leider nicht
alle der zehnzeiligen Strophen in der Ursprache gegeben
worden sind. I2i) Das WerthvoUe dieses Stücks liegt darin,
daß in der zweiten Strophe noch alle Verse mit demselben
Wort enden, während die Verse der dritten Strophe schon
mit verschiedenen, aber mit einander reimenden Worten
schließen. Aus der Gruppe von Naturvölkern, bei denen
gleiche Versschlüsse zu verzeichnen waren, gebrauchen die
Fanti auch Reime; 122) bei den Dakota und Wapahini 123)
sowie bei den Fidschiinsulanern 124) erscheint der Reim,
ohne daß eine Vorstufe belegt werden kann.
Schon vor 4000 Jahren war Endreim stehende Form
bei den Chinesen; in der ältesten Sanskritdichtung ist er als
solche noch nicht zur Geltung gelangt, wenigstens in der
literarisch erhaltenen. Auch bei den alten Griechen ist wahr-
scheinlich die Entwicklungsstufe des Reims nicht betreten
worden, weil bei Verlegung der Wiederholung auf Sprach-
formen wie in der Sanskritdichtung eine andre Richtung
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung.
249
eingeschlagen und ausgebildet worden ist, die als Rhythmus
und Versmessung noch zu besprechen sein wird. Die Ueber-
gehung der Reimstufe wird auch dadurch bestätigt, daß nicht
einmal ein griechisches Wort für den Reim sich findet, ob-
schon Reime in Gedichten oft vorkommen. 125) Sie sind
eben nur Verzierungen, die einzelne Dichter nach Gutdünken
angebracht haben; die Begriffe »Reim» und of-ioioteleuTOv
decken sich keineswegs. 126) Aehnlich bei den Römern:
nachdem sie seit Ennius die griechischen Dichtungsformen
angenommen hatten, spielen ihre Dichter dennoch in Fülle
mit Reimen, namentlich binden sie damit die beiden Hälften
des Pentameters. Ob die ältere italische Dichtung im satur-
ninischen Vers irgend etw^as außer dem Rhythmus beobachtete,
ist nicht ausgemacht, doch ist auffällig, daß in den meisten
Verszeilen zwei oder mehrere Worte mit demselben Mit-
lauter oder unbetonten Selbstlauter schließen. 128) Zwischen
solchen abgeschwächten und den vollen Reimen waltet das
gleiche Verhältniß ob, wie zwischen Alliteration und Anfangs-
reim: jene Halbreime sind nicht als selbständige Entwicklungs-
stufe zu erklären, sondern entweder nur als unbehülf liehe
Nachahmung des aus einem fremden Dichtungsgebiet bekannt
gewordenen Reims — wie z. B. bei Otfried 129) und noch
bei uns in Liedern, die das Volk singt, woran unzählige Bei-
spiele den Volksliedersammlungen entnommen werden können,
130) — oder aber als beabsichtigte Milderung der Reim-
klänge — wie in langen Reimfolgen der Assonanzen in
spanischen Romanzen. 131) Derartige Halbreime sind auch
üblich bei den Singalesen 132), den Suaheli 133) und den
Fidschiern. 133^)
Eine namentlich im Deutschen und Englischen angewandte
Erleichterung der Schwierigkeit, Reime zu finden, ist der
unreine Reim, der darin besteht, daß er nicht aus gleichen,
sondern nur aus ähnlichen Lauten, ja in England sogar aus
Silben gebildet wird, die mit ähnlichen Buchstaben geschrieben,
aber ganz verschieden ausgesprochen werden. Es ist das
-7 c O Beigabe.
vielleicht ein Schritt, sich allmälig des Reimens zu entwöhnen;
denn dieses ist eine einschneidendere Beschränkung des
Dichters, als man anzunehmen geneigt sein möchte. Die
Beschränkung wird gewöhnlich nur in der Schwierigkeit ge-
sucht, für die einzelnen Stellen geeignete Reime zu finden,
sie liegt aber beiweitem mehr in dem Umstand, daß mit
der Nöthigung des Reims gewisse Gedankenverbindungen
vorgezeichnet sind, die dem Dichter den Weg vorschreiben.
Diesen heimlichen Zwang lockert der Dichter durch An-
wendung unreiner Reime. Es ist zwar nicht zu bestreiten,
daß die äußere sprachliche Glätte des Gedichts darunter
leidet, allein der anderseitige Gewinn ist denn doch wichtiger.
Er würde sicher von den Dichtern mehr berücksichtigt werden,
wenn sie nicht die Recensenten scheuten, die es bequem
finden, unvermeidliches Tadeln auf unreine Reime zu stützen.
Manche Dichter haben durch seltsame Reime das Reimge-
biet erweitern wollen, aber ihrer beschränkten Anwendbar-
keit halber sind sie nur als Nothbehelf anzusehen, sich von
der Herrschaft, die der Reim über den Gehalt der Dichtung
ausübt, zu befreien. Nur mit einem Schein der Berechtigung
kann behauptet werden, daß diese Bestrebungen durch andere
gekreuzt würden, welche die Reimversbildung bis ins Un-
glaubliche verkünsteln und erschweren; so im Sanskrit, in
der Skaldendichtung und in Dichtungen kymrischer Barden.
Diese Vorbildungen beruhen aber auf einem äußeren Grunde.
Von wirklicher Dichtung ist in den Erzeugnissen dieser Art
kaum noch die Rede; sie gehen in Kunststücken auf, die
erfunden sind, den Stand der Sänger mit der Strahlenkrone
des Wunderbaren zu umgeben. Je mehr dieser Stand als
ein bevorzugter sich absonderte, je weniger seine Angehörigen
etwas als Dichter zu leisten vermochten, um so mehr fanden
sie es in ihrem Interesse, den Eintritt in ihren Stand durch
Vorschriften über Behandlung der Sprache zu erschweren.
Die Aufzählung dieser künstlichen Formen liegt außerhalb
der Gränzen, welche sich die Geschichte der natürlichen
Entwickelu.ng aeusserer Formen der Dichtung.
251
Entwickelung der poetischen Formen zu stecken hat. Aber
solche Formen sind doch öfters in allgemeine Uebung ge-
kommen; dahin gehört die eigenthümliche Verbindung des
Anfangs- und des Endreims bei den Isländern, indem im
Anfange eines Verses zwei Worte nach Art der Endreime
miteinander reimen. 1 34)
Schloß die Verlegung der Wiederholung auf die Laute
der Sprache sich unmittelbar an die einfache Wiederholung
des Ausgedrückten an, so lehnt sich deren Verlegung auf den
Bau der Sprache an den Parallelism an. Schon bei den
Hebräern kommt er in einer Form vor, die nur auf Gleich-
mäßigkeit des Satzbaues und der Wortfolge beruht; 135)
sie ist das TcaQioov der griechischen Poetik. 1 36) Die gleich-
mäßige Gestaltung der Sätze führte bei fortwährender Locke-
rung der ursprünglichen Form zum Rhythmus und Versmaß.
Ersterer ist Zusammenstellung mehrerer gleichartig betonter
Sätze und Redetheile. Nach der Wortbedeutung ist zwar
Rhythmus, ohne besondere Beziehung auf die Sprache, eine
sich gleichmäßig wiederholende Bewegung und, verführt durch
das Gemeinsame, ist auch mehrfach angenommen worden,
daß der dichterische Rhythmus der Sprache aus rhythmischer
Folge von Tönen oder von Körperbewegungen (Tanz) hervor-
gegangen und mit diesen von Anfang an vereinigt gewesen
sei. Das ist aber im allgemeinen durchaus nicht, wahr-
scheinlich in keinem Falle zutreffend. Bei dieser Annahme
wird von einem Zustand der Kunstentwickelung ausgegangen,
der nicht der ursprüngliche gewesen sein kann; es wird das
Lied als erste dichterische Kundgebung vorausgesetzt, da
doch das Lied nur eben erst Vereinigung von Dicht- und
Tonkunst ist; es wird Tanz als ursprüngliche Lustbewegung
angesehen, da er doch eben nur die rhythmisch ausgebildete
Lustbewegung ist, wie ebenfalls Musik die rhythmisch ge-
regelte Freude an Tönen ist. An sich schon ist es undenk-
bar, daß der Urmensch, wenn er dem Antrieb folgte, em-
pfangene Eindrücke durch Worte andern mitzutheilen, darauf
252
Beigabe.
verfallen sei, sie zugleich in wechselnder Stimmlage oder mit
hüpfenden Körper vorzutragen, aber auch nachweislich kommen
noch bei Völkern, die über den Urzustand noch wenig hinaus-
gereift sind, Dichtungen ohne Rhythmus sowie ohne Musik
vor und ebenso Musik ohne Worte wie ohne Rhythmus. 137)
Die unverkennbare Verbindung von Rhythmus in Versen
und in x\rbeiten, wie sie Bücher in seiner Schrift -^^ Arbeit
und Rhythiniis« ausführlich nachgewiesen hat, konnte erst
zuwege gebracht werden, nachdem Rhythmus und Arbeit
sich unabhängig von einander entwickelt hatten.
Dagegen ist Rhythmus in der Dichtung gleich dem
Versmaß an erster Stelle auf sprachliche Gründe, auf die
Satzbildung zurückzuführen. Insbesondere haben Unter-
suchungen stattgefunden, um einen allgemeinen arischen Ur-
vers, aus vier Hebungen bestehend, nachzuweisen. 138) Das
häufige Vorkommen viergliedriger Verse ist allerdings auf-
fällig, kann aber aus der Satzbildung erklärt werden; denn
wenn der einfache, aus drei Bestandtheilen zusammengestellte
Satz in irgend einer Beziehung, sei es hinsichtlich des Sub-
jects, oder des Objects, oder des Prädicats eine nähere Be-
stimmung erhält, so besteht er aus vier Worten, und auf
diese Grundlage läuft amende die Entstehung der vier
Hebungen hinaus. Die Worte können aber auch ohne Rück-
sicht auf die Zahl der Hebungen, aneinander gereiht und
die Wiederholung in der Gleichzahl der Sylben der ver-
schiedenen Verse gesucht werden. Aus Mischung von Rhyth-
mus Silbenzahl entstehen mehrere Gattungen der Versmaße.
Deren Grundbestandtheile, Versfüße, zum Vers zusammen-
gestellt, sind bald lediglich rhythmische ohne Rücksicht auf
Silbenzahl, — so die Nibelungenstrophe — bald rhythmisch
mit feststehender Silbenzahl — so in romanischen Sprachen
— bald rhythmisch unter Bemessung der Zeitdauer der
Silben, — so im epischen Vers der Hellenen — bald rhyth-
misch unter Bestimmung der Zahl sowie zugleich der Zeit-
dauer der Silben, — so in den meisten hellenischen lyrischen
Eni'wickelung akusserer Formen der Dichtung. 253
X'ersmaßen — bald gemischt theils nur nach Zahl, tlieils
zugleich nach Zeitdauer der Silben, — so im epischen Sans-
kritvers — bald endlich nur nach Silbenzahl, — so im alt-
japanischen Vers. Die Bildung von Versmaßen ist unter
Umständen vor sich gegangen, die auch sorgfältige Einzel-
forschung für die ältesten volksthümlichen nicht wird mit
Zuverlässigkeit feststellen können. Sagen darüber sind aller-
wegen entstanden, bei Hellenen, Arabern, Persern, Indiern,
Japanern. Vermuthlich verdanken sie ihren Ursprung einem
zufälligen Umstände, ihre allgemeine Annahme aber ihrer
Anwendung in einer Dichtung, die zu großer Verbreitung
gelangt ist.
Neben der Wiederholung im Versmaß, die darin liegt,
daß der Bau eines Verses für mehrere anschließende maß-
gebend ist, kommt auch Wiederholung im inneren Bau von
X'ersmaßen vor. Besonders sichtbar ist eine solche im alt-
japanischen Vers, wo sie vielleicht als Ersatz für den Mangel an
Rhythmus oder Silbenmessung zudenken ist. 139) Der angeblich
schon im dritten Jahrhundert ausgebildete Utavers besteht näm-
lich aus zwei Theilen, die unter Beachtung der Versabschnitte
5 + 7 + 5
Silben aufweisen. Die Siebenzahl von Silben in der ersten
Zeile wird von zwei kürzeren. Fünfsilbern, die als nicht zur
Vollständigkeit gelangten Theile anzusehen sind, in die Mitte
genommen und kommt dann in der zweiten Zeile durch
Verdoppelung zu voller Geltung.
\va Griechischen enthält der Pentameter gleichfalls eine
Wiederholung und zwar merkwürdigerweise grundsätzlich —
"^ d. h. wenn kein Daktyl durch einen Spondeus ersetzt wird
— ebenso mit der Silbensiebenzahl. Auch der Hexameter
kann seiner Cäsur nach als aus zwei Pentameterhälften be-
stehend angesehen werden, die durch Auftakt und Nachschlag
verlängert sind, sodaß die Siebenzahl darin angelegt ist, aber
ganz rein erst in der zweiten Pentameterhälfte durchdringt.
254
Beigabe.
Die Frage der Bedeutung der Silbenzahl ist hier nicht weiter
zu verfolgen; es spielen da Umstände hinein, die nicht im
Flusse natürlicher Entwickelung liegen. Erwähnt mag werden,
daß ähnliche Erleichterung, wie durch unreine Reime, so
bei den Versmaß in manchen rohen Dichtungen durch Aus-
füllung des unzureichenden Verses mit bedeutungslosen Lauten
erstrebt wird, beispielsweise bei den Fidschiern. 1 39a) Mancher-
lei Formen sind in einzelnen Literaturgebieten aufgekommen,
die durch folgerechte Entwicklungsgesetze sich nicht erklären
lassen, die vielmehr durch zufällige Verhältnisse veranlaßt
sind, vielleicht durch Laune eines maßgebenden Dichters;
dahin ist auch die Forderung der chinesischen Dichtkunst
zu rechnen, bei Niederschreibung der Gedichte solche Schrift-
zeichen zu wählen, die dem Inhalte malerisch entsprechen,
was indessen immerhin noch mehr sachlichen Grund hat,
als die Ausartung, Gedichte in Form von Figuren zu schreiben,
wie im Ditschkara des Sanskrit, 140) in den carmina figu-
rata der Römer, in der Einfügung von Gedichten in Umrisse
von Kränzen, Flöten, Brunnen, Blumen, Flaschen, Gipfeln
des Parnaß pp. selten der Pegnitzschäfer, wie Harsdörfer u. a.
Auch der aus aramäischen Psalmen bekannte Brauch, die
Verse eines Gedichts der Reihe nach mit den Buchstaben
des Alphabets beginnen zu lassen, ist eine ganz willkürlich
gewählte Form.
Der in fortwährendem Schaffen sein Leben bethätigende
Dichter konnte nicht in bescheidener Freude am Gewordenen
sein Genüge haben. Als die Möglichkeit zu weiterer Ent-
wickelung der Wiederholung im Sprachlichen Ausdruck er-
schöpft war, traten an Stelle natürlicher Entwickelung be-
rechnete Neubildungen. Schon die Häufung der Formen,
namentlich die Durchführung Eines Reims in längeren Ge-
dichten, wie im Kassidet der Araber 141) und der, ihre Poetik
befolgenden Perser 142) und Osmanen, 143) ist auf die Ab-
sicht zurückzuführen; noch bestimmter ist sie in den Reim-
spielereien der provengalischen Dichter 1 44) darauf berechnet
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung. 255
durch Ueberwindung von Schwierigkeiten zu glänzen. Da
ist also die Bildung neuer Formen wesentlich individuell.
Allgemeine Weiterbildung der dichterischen Formen dagegen
war gegeben durch Verbindung verschiedener der natur-
gemäß entwickelten Formen. Von Verbindung des Anfangs-
mit dem Endreim ist schon die Rede gewesen. Das Vers-
maß namentlich wurde fast durchgängig Forderung auch in
gereimten Dichtungen.
Eine Xeuschöpfung, innerhalb deren eine Fülle von
Formen sich bilden läßt, ist die Strophe. So heißen Theile
eines Gedichts, die sich in ihrem Baue, in der Art der An-
wendung der Formen wiederholen, sei es durch gleiches
Versmaß, oder gleiche Reimstellung oder sonstwie. Auf
diesem Standpunkt greifen die üblichen Poetiker ein und des
halb ist hier nicht Näheres darüber zu sagen; nur darauf ist
aufmerksam zu machen, wie sich bis in dieser letzten Aus-
bildung dichterischer Formen als wesentlich der Begriff der
Wiederholung geltend macht. Ist schon die Strophe an sich
eine solche, so prägt sich das noch besonders aus im Re-
frain, der ein selbständiger Satz oder eine sinnlose Laut-
gruppe, wie es Richard Meyer ausdrückt 145) — inner-
halb einer Strophe, oder eine selbständige Strophe neben
den, das Gedicht fortleitenden Strophen ist. Da Meyer' S
gründliche Untersuchungen über den Refrain und dessen
mannigfache Formen auch nur von der Bedeutung ausgehen
konnte, welche die Wiederholung für die Dichtung hat, so
finde ich keinen Anlaß auf einzelne fragwürdige Ausführungen,
namentlich daß der sinnlose Refrain früher entstanden sei,
als der in Worte gekleidete, mich weiter einzulassen. Meyer
hat den Refrain schon früher zum Gegenstande seiner Forschung
gemacht, worauf ich ebenso wie auf die von ihm angezogenen
anderen Schriften darüber verweise. 146) Die verschiedene
Anwendung des Refrains in slavischen Sprachen hat MlKLO-
.SICH gesammelt. 147) Bemerkenswerth ist auch der Gebrauch
bei den Afganen. 148) Im französischen Lied ist der Refrain
256 Beigabe.
Regel, vielleicht als Ersatz für den Mangel der Sprache an
Rhythmus. 149) Eine Gedichtgattung, die auf den Refrain
beruht, ist das romanische Triolett.
Strophenbildungen sind auch in der Parallelismendichtung
wahrzunehmen; die Weiterführung von Parallelismen bei den
Hebräern sind als solche anzusehen, 150) und die Pantun
der Malaien werden zu einer Kette von ineinandergreifenden
Gleichnissen zusammengestellt, wovon ein Beispiel in Ver-
deutschung hier stehen mag, da die Angabe der Quelle ab-
handen gekommen ist:
Ein Schmetterling sich gaukelnd um mich schwinget,
Er fliegt zum Meer, wo Felsen überhangen:
Krankheit mein Herz in tiefster Brust bezwinget:
So ist's von Jugend auf bis heut ergangen.
Er fliegt zum Meer, wo Felsen überhangen.
Nach Bandam seinen Flug der Geier lenkte:
So ist's von Jugend auf bis heut' ergangen.
Daß Jünglingen ich oft Bewundrung schenkte.
Nach Bandam seinen Flug der Geier lenkte,
Läßt auf Patani Federn niederfallen;
Ob Jünglingen ich oft Bewundrung schenkte.
Noch keiner meinem Liebsten glich von allen.
Läßt auf Patani Federn niederfallen.
Die Täubchen gleich sich durch die Luft bewegen:
Noch keiner meinem Liebsten glich von allen,
Er weiß die Herzen mächtig zu erregen.
Nach dem Vorgang einzelner Pantun ist es gewiß, daß
zwischen den beiden ersten und den beiden letzten Versen
jedes Pantun, also hier jeder Strophe, eigentlich die Beziehung
zwischen Bild und Anwendung bestehen soll, und wenn eine
solche nicht verständlich ist, so beruht das entweder auf uns
fremde Gedankenverbindungen oder andernfalls wahrscheinlich
darauf, daß Bilder aus einem bekannten Pantun sei es ge-
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung,
257
dankenlos, sei es muthwilligerweise auf neu gedichtete herüber-
genommen werden.
Das Pantunineinandergreifen ähnelt insofern den italie-
nischen Terzinen, bei denen jede einzelne zwar nicht inhalt-
lich, wie bei den Pantun, aber doch durch den Reim sowohl
mit der nächstvorhergehenden wie mit der nächstfolgenden
Terzine verbunden ist, was sich als ein Durcheinanderschlingen
der Wiederholungen darstellt. Aehnliches sind die sinnver-
bundnen Parallelismen der Altaier und Teleuten. 151)
Die Vierzahl der Verse in der Strophe, die das Pantun
beherrscht, ist wohl überhaupt die verbreitetste. Sie ist un-
verbrüchliche Vorschrift der Sanskritpoetik, 152) ist üblich
bei türkischen Völkerschaften, 153) lag den altböhmischen
Gedichten zugrunde, 154) und ist auch bei den neueren,
namentlich l}'rischen Gedichten westeuropäischer Völker zu-
meist in Gebrauch.
Einzelne provengalische Dichter erkühnten sich ver-
wegenster Reimverschlingungen; 156) durch Festhalten be-
stimmter \^ersmaße und Reimstellungen schufen sie aber auch
manche, zunächst von andern romanischen und von ger-
manischen Dichtern übernommene Gedicht- und Strophen-
formen, von denen das Sonett und nächstdem die Canzone
die bekanntesten sind. Italien bildete vorzüglich die Stanze
aus. Auch die althochdeutschen Minnesinger gefielen sich
im Bau schwieriger Strophen. Eine nur in Strophen mög-
liche Gedichtform ist die Sestine, bei der in den einzelnen
Strophen keine Reime vorkommen, die Reime sich aber in
den andern Strophen finden. 156) Aehnliches ist der Fall
in javanischen Dichtungen, in deren Strophen die Vocale
der Schlußsilbe der einzelnen Zeilen immer in derselben
Reihenfolge wiederkehren. 1 5 7)
Goethe trat in einer Zeit auf, wo eine Umgestaltung
der deutschen Dichtung nach Inhalt und Form schon vor-
bereitet war. Sein Verhältniß zu ihr in ersterer Hinsicht
berührt uns hier nicht; das zu den sprachlichen Formen
V. Biedermann, Goetheforschungen HI. 17
258
Beigabe.
bekundet eine dauernde rege Theilnahme für die einschlagenden
Fragen. Als er sich noch nicht als Gesetzgeber hervor-
wagte, fügte er sich den damals üblichen Formen, aber
schon früh folgte er denen, die sich von dem Alexandriner
befreiten; er gehört zu den ersten, die im Drama sich den
blank verse der Engländer aneigneten, während er im »Faust«
sich noch weiter von der steifen französischen Schule ent
fernte, indem er sich verschiedener Versarten und darunter
des deutsch volksthümlichen Knüttelverses bediente. In den
Dramen, deren Stoffe er dem griechischen Alterthum ent-
lehnte — Pi'oinethetis , Iphigejiie, Elpoior — schuf er sich
dann eine Form, die als solche deutlich erkennbar war, aber
doch sich dem Ausdrucke ungezwungen anschmiegte: die
rhythmische Prosa. GOETHE hat diese Form zuerst an-
gewandt; das geht daraus hervor, daß er in >DicJitung niid
Wahrheit 1- wiederholt auf die »poetische Prosa« Gessner's
und KloPSTOCK's bezugnimmt, die doch ebensowenig rhyth-
misch war, wie die V. Moser's in -»Daniel in der Lowen-
srrube<i oder V. TliÜMMEL's » Wilhelmijie«, obwohl diese die
Abschnitte ihrer Dichtungen » Gesänge i< nannten. Man be-
gnügte sich demnach damals für poetische Prosa mit einigem
Schwünge der Rede, und GOETHE erst trug Rhythmus
hinein. Es war also auch nicht Gleichgültigkeit gegen Form
überhaupt, was ihn bewog, losere zu gebrauchen, sondern
er suchte nur nach einer, die sich nicht vordrängte und
dem Gehalt der Dichtung Abbruch that. — Aehnlich wie
in dramatischen ging GOETHE in lyrischen Dichtungen vor. Der
hohe Schwung der Oden Pindar's, der durch deren metrischen
Bau wesentlich unterstützt wird, begeisterte ihn zur Nach-
folge, aber fern von ängstlichem Abmessen der Versmaße
wie Klopstock es pflegte, dichtete er Oden gleichfalls in
ungemessenen rhythmischen Versen nur dem Eindrucke ge-
mäß, den er von dem Rhythmus griechischer Oden empfing.
In Italien aber, dem formenreichen, bildete sich auch GOETHE'S
Formensinn strenger aus; daher übertrug er seine freien
Entwickelung aeusserer Formen der Dichtung. 259
rhythmischen \"erse der ■»Iphigenia in jambische Fünf-
füßler und ergoß sich lyrisch in elegischen Distichen. Frei-
lich war es bei letzteren wiederum nur ein allgemeines Form-
gefühl, nach dem er die \"erse zustande brachte; ein ängst-
liches Messen war nicht seine Sache, und ein Metriker konnte
nicht anders finden, als daß er Hexameter und Pentameter
mißhandelte. Noch später, wo er den spanischen Romanzen-
vers und weiterhin das persische Gasel nachzubilden unter-
nahm, verfuhr er nicht gewissenhafter. Er wollte eben nur
Form, aber keine Künstelei. Den Werth des griechischen
Versbaues erkannte er jedoch entschieden an, so daß er sich
in die Schule von Philologen deshalb begab. So kam es
•denn, daß seine reifsten Dichtungen im Epos in den Versen
des größten Epikers, HOMER, im Drama in den Versen des
größten Dramatikers, SiiAKESrEARE, im Lyrischen in den
einfachen Versen geschrieben sind, wie sie das deutsche
Volk sich angeeignet hat.
Diese Formen vertheilen gerechterweise die x'Xnsprüche
des Inhalts und der Form, und das wird für alle Zukunft
der rechte Maßstab für die Dichtkunst sein, wenn schon die
von Goethe geschaffenen freien Formen zunächst lediglich
für das deutsche Sprachgebiet gelten können. So viel sich
indessen gegenwärtig beurtheilen läßt, ist Entwickelung der
dichterischen Formen in der Weltliteratur im allgemeinen an
ihre Grenzen angelangt. Nicht wahrscheinlich ist einerseits
deren Lockerung oder Auflösung, wie etwa in den Streck-
versen des formlosen Jean Paul, oder die Verlegung der
Wiederholung auf einzelne Stellen, wie sie in den rhetorischen
Figuren der Anaphora, Epiphora, Anadiplosis, Epizeuxis,
Exandiplosis, Epanatepsis, Epanados, Exergasia, Symploke,
Pallilogie, ingleichen mittelbar in der Paronomasie, dem
Pleonasmus, der Synonymie, der Antithesis, der Distribution,
der Klimax und dem Gleichnisse enthalten ist. Andrerseits
werden aber die Dichter, wenn sie als solche nichts mehr
zu sagen haben, vorerst auf Uebertreibung der Formen-
17*
26o Beigabe,
correctheit verfallen und um so mehr Anklang damit finden,
als die Erkennung der Formenglätte leichter ist, als die
dichterischer Bedeutung, was sich beispielsweise in der über-
mäßigen Bewunderung Platen's offenbart. In weiterem
Fortschreiten einseitiger Formausbildung wird dann wohl
abermals ein alexandrinisches und byzantinisches Zeitalter
eintreten, w^orin der Sprachkünstler den Preis davonträgt,
der die wunderbarsten Formen zuwegebringt. Bergleichen
läßt sich jedoch nicht im voraus berechnen, weil das Aus-
geburten der Willkür sein werden.
Hiermit ist also meine Aufgabe, die Entwickelung der
dichterischen Formen darzustellen, abgeschlossen. Ich habe
nur den Weg andeuten wollen, den sie gegangen ist und
das Verfahren, das zu Auffindung dieses Wegs in einzelnen
Dichtungsgebieten einzuschlagen ist. Das Beste ist nunmehr
F.inzelforschungen zu überlassen. Deshalb durfte ich mich
in meinen Nachweisen statt der oft schwierig zu beschafi"enden
Urquellen auf Quellen aus zweiter Hand und darauf berufen,
daß die Menge übereinstimmender Ergebnisse vorläufig als
Ersatz auch für den Werth einzelner Quellen und für den
gänzlichen Mangel mancher mir nicht zugänglichen angenommen
werden könne. Nachdem ich mich mit x\uffindung der Ur-
form der Dichtkunst und ihren Entwickelungen genügend
abgemüht, darf ich wohl andern überlassen , meine Arbeit
fortzuführen, zu vertiefen, zu erweitern.
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Lieder der Esthen, Petersburg 1854. — 114) O. Donner, Lieder der Lappen,
Helsingfors 1876. — 115) Sar obair nana Bärd Gaelach, 1841. — R.
Atkinsox, On Irish Metrie, Dublin, 1884. — 116) Th. Stkphen's The
Literature of the Kymry, Clandovery 1849, S. 2off. — 117) Mannhardt
in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung, V. Band 1856. S. 266ft'.
— 118) Th. Percy, Reliques of Ancient English Poetry, London 1775. II,
.27off. 40off. — 119) F. H. V. D. Hagex, Minnesinger, I. Theil 1838.
S. XXVII. — 120) G. Th. Legis, Die Runen, 1829. S. 123fr. — 121) The
Folk Lore Journal 1883. I, 74. — 122) BowDiCH, S. 358. 366. —
123) Barker, S. ii. — 124J Th. Wii.liam's and J. Calvert, Fiji and
the Fijians, New York 1859. S. 86 bis 93. — 125) F. Dorr, Der Reim
bei den Griechen, 1857. S. 29ff. — 126) Ebenda S. 24f. — 127) \V.
Grimm, Zur Geschichte des Reims, 1852. S. 107 bis 160. — 128) H.
DüNTZER et L. Lerch, De versu, quem vocant Saturnio, 1838. S. 276". —
129) M. Rieger, Die alt- und angelsächsische Verskunst, 1876. S. 3. —
W. Wilmanns, Der altdeutsche Reimvers in: Beiträge zur Geschichte der
älteren deutschen Literatur, Heft 3. S. 144. — 130) Z. B. : E. M.Böhme,
Deutscher Liederhort, 1893, gleich im ersten Lied in den meisten Strophen.
— A. Alcala-Gai.iano, Observaciones ä la introducion y notas del seüor
Depping, in: Romancero Castellano por G. D. Deppixg, nueva edicion,
1844. I) LXXII. — 132J Yakkun Nattanawä and Kolau Nattanawä, Cin-
:galese Poems translated by Callaway, London 1829. — 133) C. G. Büttner,
Anthologie aus der Suaheli - Literatur, 1894. S. XIV. — I33^> Williams
and Calvert, S. 18 f. — 134) E. RossELET in: Allgemeine Encyclopädie
hrsgg. von Ersch und Gruber, II. Section , 31. Bd. S. 288. — 135) Z.
B. Psalm 19. V. 8 bis 11. — 136) Dörr, S. 27. — 137) Meine Be-
sprechung von K. Bücher, Arbeit und Rhythmus, in: Zeitschrift für ver-
gleichende Literaturgeschichte, N. F. XI, 369 ff. — 138J R. Kühnau, Die
Trischtub- Jagati -Familie, 1880. — H. Userer, Altgriechischer Versbau,
1887. — 139) RosNY, S. IX ff. — 139a) Th. Williams and J. Calvert
Fiji and the Fijians, New York, 1859. S. 88f. — 1401 Asiatic Researches.
•Calcutta. XX, 135 ff. — 141J Wenrich, S. 266. — J. v. Hammer. Ge-
schichte der schönen Redekünste Persiens, 1818. S. 9. — 143J Hammer-
Purgstall, Geschichte der Osmanischen Dichtkunst, I. Band, Pesth 1836.
:S. II. — 144) F. DiEZ, Die Poesie der Troubadours. 1827. S. 96 ff. —
145) R. M. Meyer in: Euphorin, V, i ff . — 1461 R. M. Meyer in: Zeit-
schrift für vergleichende Literaturgeschichte. I, i ff. — 1471 F. MiKLOSiCH,
Die Darstellung im slavischen Volksepos in: Denkschriften der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften in Wien XXXVIII, 1890. S. 7 ff. — 148) J.
D.vrmstetter, Chants populaires, des Afghans, Paris 1890. S. i bis 236.
— 149) A. Helfferich, Das französische Volkslied in: Morgenblatt 1857.
Nachweise zur Beigabe. 265
Nr. 48. S. I155. — 150) Allgemeine Encyklopädie. III. Section, 11. Theil.
S. 388. — 151) Radloff, I. 245. — 152) H. Brockhaus in: Zeitschrift
der deutschen morgenländischen Gesellschaft. XIX, 594 f. — O. BüHTLINGK,
Dandi.ni's Poetik, Sanskrit und Deutsch, 1890. S. 3. — 153) W. Radloff,
Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens, III. Theil
(18701 S. 408 — 856. — IV. Theil (1886) S. V. — 154J J. Feualik,
Ueber altböhmische Vers- und Reimkunst II, in: Sitzungsberichte der
philologisch-historischen Classe der k. k. Akademie der Wissenschaften
XXXIX, II, 284. — 155) Dn:z, S. 351 ff. — C. Appel, Provenzalische
Inedita aus Pariser Handschriften, 1890. S. 24 ff. 98 ff. 105 ff. und sonst.
■ — 156) Diez, S. 96 ff. 118. — - 157) E. Selberg in: Ausland, 1840.
Seite 163 ff.
w.
Seitennachweise.
(AUSGESCHLOSSEN DIE BEIGABE.)
SEITENNACHWEISE
über Dichtungen und Schriften Goethe's.
Achilleis. 144.
Adler und Taube. 132.
Anekdote zu den Freuden des jungen
Werther. 91.
Annette. 132.
Bergschlofs. 72.
Cäsar. 55 — 59. 146 f.
Chinesisch - deutsche Jahreszeiten.
175. 183-187. 195 ff
Chinesisches. 185.
Circe. 171.
Clavijo. 21.
Deutscher Parnafs. 141.
Dichtung und Wahrheit. 18. 22. 84.
88. 94. 96. 99. 131. 146. 153.
156. 168.
Egmont. 18. 56.
Elpenor. 9. 18. 60—67. 147- I75 —
179- 188. 19s f.
Epigramme. 207.
Ergo bibamus. 151.
Falke. Der — 141.
Faust. 7 — 40. 49 f. 146. 213.
Freibeuter. 151.
Fuchs und Kranich. 132.
Gedichte zu Bildern. 3.
Gegenseitig. 151.
Gegenwart. 151.
Genialisch Treiben. 222.
Geschichte der Farbenlehre, i 52. 212.
Gewohnt, gethan. 151.
Glück. Das — 224.
Götter, Helden und Wieland. 91. 144.
Götz von Berlichingen. 18. 21. 58.
99. 140. 144. 147. 214 — 221.
Gotter. An — 216. 220.
Gutmann und Gutweib. 150.
Haidenröslein. 147. 232 — 225.
Hermann und Dorothea. 14. 72.
148 f. 153.
Hochzeitslied. 224.
Hundert Gedichte schöner Frauen.
183.
Individualpoesie. 149.
Iphigenie. 44. 147.
Seitennachweise ueber Dichtungen und Schriften Goethe's.
267
.lohanna Sebus. 50.
Kinderverstand. 137.
König in Thule. Der — 224.
Kotzebue. 231.
Kunst und Aiterthum. Über — 183.
213.
Leiden des jungen Werther. 18. 44.
114. 121. 144.
Leipziger Theater. 221.
Liebhaberin allen Gestalten 1 5 1. 222.
Mademoiselle Schulze. An — 73 f
März. 151.
Mahommed. 22 f.
Mann von fünfzig Jahren. Der —
190—196. 230.
Mond. An den — 224.
Musen und Grazien in der Mark. 144.
Nachspiel zu Ifflands »Hagestolzen«.
144.
Nacht. Die — s. Die schöne Nacht.
Nachtgesang. 149 f.
Nähe des Geliebten. 149.
Natürliche Tochter. Die — 44. 47 —
51- 173 f.
Naturwissenschaft. Zur — 165.
Nausikaa. 18.
Neue Lieder. 130 — 138.
Neu eröffnetes moralisch- politisches
Puppenspiel. 83. 92.
Neujahrslied. 133 f. 145.
Nicht zu weit. 230.
Nufsbraune Mädchen. Das — 194.
Offene Tafel. 150.
Pandora. 192. 230.
Prometheus. 12 f. 21 ff. iSof.
Propyläen. 212.
Rameauts Neffe. 208.
Recensionen von:
Alex. V. Joch über Belohnung
und Bestrafung nach türkischen
Gesetzen. 132.
Schreiben über Homer. 1 54-
Die schönen Künste pp. von Sul-
zer. 154.
Empfindsame Reisen durchDeutsch-
land. 154.
Die Jägerin. 155.
Geschichte d. Fräuleins v. Stern-
heim. 155.
Die erleuchteten Zeiten. 155.
Sänger. Der — 140.
Satyros. 173.
Schäfers Klagelied. 151.
Scherz, List und Rache. 144.
Schneidercourage. 222.
Schöne Nacht. Die — 135 f. 145. 224.
Schweizerlied. 1 5 I .
Sonette. 225 — 230.
Sprichwörtlich. 152.
Stella. 146.
Tagebuch. Das — 230.
Tagebücher. 15. 67. 168. 205 f.
208. 211. 231.
Tag- und Jahreshefte. 162. 164. 181.
204.
Tasso. 9. 18. 41—46. 48. 61 f. 65.
Theatralischen Abenteuer. Die — 171.
Trauerspielentwurf (Eginhard?) 150.
Trost in Thränen. 151.
Unglück der Jacobi. Das — 98.
Untreue Knabe. Der — 147.
Venus. An — 138 f.
Vor Gericht. 147.
Wahlverwandtschaften. Die — 192.
230.
Wahre Genufs. Der — 134 f.
Was wir bringen. Fortsetzung. 144.
Weimarisches Hoftheater. 212.
West-östlicher Diwan. 144. 230 f.
Widmung an Silvie von Ziegesar. 72.
Wilhelm Meisters Lehrjahre. 23.
Wilhelm Meisters Wanderjahre. 180.
190 — 194.
Willkommen und Abschied 221 f.
Wunderbares Ereignifs. 165 f.
Xenien. 107.
Zahme Xenien. 4. 129. 232.
Zauberflöte. Fortsetzung. 148.
Zueignung (der Neuen Lieder.) 137 f.
268
Seitennachweise ueber Personen.
SEITENNACHWEISE,
über Personen.
(Hierin ist unrichtige Schreibung von Namen im Text berichtigt.)
Abeken, R. 206 f.
Ampere, J. J. 108.
Andrä, J. V. 225.
Arnim, E. (B.) v., gb. Brentano.
225. 228.
Assing, L. 155.
Äst, G. A. F. 207.
Aubry de Montdidier, u. a. 50.
Aulard, . . . 112.
* Bachmann, . . . 182.
Bailleu, P. 124.
Balsamo, J. 93.
Baumbach, G. v. 212.
Bechwell s. Pechwell.
Behrisch, E. V. 145.
Bellomo, J. 170.
B(enoitr), L. A. 50.
Berlichingen, G. v, 58.
Berthier, A. Herz. v. Neuschatel u.
Valengin Fürst v. Wagram. 116.
Bertuch, F. J. J. 171.
Berzelius, J. J. Freiherr. 165.
Block, P. H. L. V. 202.
Boccaccio, G. 141.
Bode, A. 171.
Böttiger, K A. 108 f. 162. 207.
Boustetten, K. V. v. 114.
Born, J. H. v. 203.
Bourbon-Conti, L. F. Herz. v. 49.
Bourbon-Conti, St. L. v. 49 ff.
Bourgoing, F. Baron. 201.
Boxberger, R. 158.
Branconi, M. A. — geb. v. Elsener. 74.
Brandt, H. F. 71.
Breitkopf, B. Ch. 130.
Breitkopf, B. Th. 130.
Bretschneider, H. G. v 83 f. 89 — 93.
Brutus, F. 57.
Buchholz, H. L. v. 201.
Bürger, G. A. 147.
Buff, Ch. nachmals verehel. Kestner.
86.
Buonaparte, N. Kaiser der Franzosen.
III — 126. 231.
Burkhardt, C. A. H. 169 ff. 212.
Cäsar, C. J. 57 f.
Cagliostro s. Balsamo.
Calderon de la Barca, P. 150.
Clodius, Ch. A. 73. 145.
Constant de Rebecque, B. 120.
Conta, K. F. A. v. 206.
Cornelius, P. v. 39.
Cotta V. Cottendorf, J. F. Freih. v.
192.
Cronegk, J. F. Freiherr v. 130.
Dalberg, K. Th. Freihr. v. — Fürst
Primas. 113. 120.
Danzel, Th. W. 158.
Dannhäuser, . . . 83. 89 f.
Daru, P. A. B. Graf. 112. 116. 121.
Davis, J. F. Ritter. 182 f.
Deinet, J. K. 87. 92.
Delorme, M. C. 50.
Devrient, O. 35.
Dietrich, Ch. W. E. 32.
Dingelstedt. F. Freih. v. 35.
Dohm, Ch. K. W. v. 201.
Dorer-Egloff, E. 96.
Drach, E. 39.
Düntzer, H. 62 f. 123. 150. 2 14 — 221.
Dumont, . . . 117,
Eckermann, P. 124. 152. 184!!. 192,
Eichstädt, H. K. A. 163. 204 — 209.
Einsiedel, F. H. v. 208.
Eschenburg, J. J. 171. 206.
Esterhazy, P. Fürst. 201.
Euripides. 64.
Fahimer, J. 86.
Falk, J. F. 98.
Fielitz,' W. 63.
Finx, J. Ch. 180.
Fischer, K. 225 — 230.
Francke, K. 32.
Frankreich, Ludwig XV. Königv. 49.
Friefs, . . . Graf v. 109.
Froitzheim, J. 81 — 106.
Fromraann, Familie 225.
Füefsli. H. 206.
Seitennachweise ueber Personen.
269
Oaedertz, K. Th. 227.
Geiger, L. 1 17 — 126.
Geliert, Ch. F. 131.
Gentz, F. v, 205.
Gerstenberg, J. W. 130.
Gleim, J. W. L. 130.
Göchhausen, F. L. v. 8.
Göchhausen, L. v. 8. 39.
Goedeke, K. 158. 202.
Goethe, J. W. v. —
dichtet angeregt durch fremde
Dichtungen u. Schriften 46. 58 f.
73 f- 143—155- 179. 186 — 195.
224. 227 f.
dichtet nach der Bibel 14 ff.
28 ff. 37 f.
dichtet nach Volksweisen. 222 fif.
dichtet nach Erlebnissen 44 ff.
wechselt Stoffe und Form zu
Darstellung einer Idee 17.
drückt Ideen dramatisch aus 21 ff.
skizzirt die Dramen 28.
dichtet nach Bildern 32 f.
folgt schnell Anregungen zum
Dichten 25.
überspringt errathbare Mittel-
glieder in Dichtungen 39 f.
sucht nach der Dichtung ge-
mäfser Form 227. 257 f.
für die Bühne thätig 169 ff.
redigirt sorglos 26 ff. 190 — 194.
224.
ist zuverlässiger in seinen Mit-
Iheilungen, als es scheint 162 — 168.
schreibt fleifsig Briefe 86.
bekämpft die Extreme 173 f.
vereinigt seine Gedichte nach
ihrer Form 226.
Goldoni, C. 46.
Gotter, F. W. 64 f. 216. 220.
Graff, A. 71.
Gries, J. D. 227.
Grimm, H. 43 f
Gruppe, O. F. 96.
Guhrauer, G. E. 158.
Hagedorn, F. v. 129 — 141. 145.
Halde, J. B. du — 63. 175— 178.
181 f. 188.
Harms, P. 32. 36.
Hatzfeld, H. Graf v. 201.
Haym, R. 224.
Haymann, . . . 202.
Hellen, E. v. d. 55 — 59. 63.
Hennings, A. 207.
Herder, j. G. v. 51. 67. 96. 99 f.
107. 154. 214. 223 ff.
Herzlieb, M., nachmals verehel.
Walch. 192. 225. 227. 229 f.
Himmel, F. H. 212.
Hoffmann, J. L. 212.
Hörn, F. 155.
Iffland, A. W. 182.
Jacobi, F. 98.
Jacobi, J. G. 89. 130.
Jacoby, D. 55 f.
Jacquet, . . . 50.
Jerzemsky, . . . lOO.
Kalischer, S. 164.
Kanikoff, B. 201.
Kant, J. 207.
Kern, F. 40—46.
Kestner, J. Ch. 86. 220.
Kestner, Ch. s. Buff.
Klapproth, H. J. v. 181.
Kleist, E. Ch. v. 131.
Klinger, M. 97. 231.
Klopstock, F. G. 221.
Knebel, H. v. 232.
Knebel, K. L. v. 65. 68. 181 f. 228.
König, L. 96.
Koethe, F. A. 72.
Koethe, ... v. 72.
Kotzebue, A. v. II4. X20. 122. 192.
23X.
Kranz, J. F. 172.
Kretschmann, K. F. 221.
Kreuchaufif, F. 32.
Kügelgen, G. v. 72. 202. 213.
Kürschner, J. 154.
Kurz, H. 185.
Langer, E. Th. 137 f. 156— 162.
Lannes, J. Herz. v. Montebello 116.
La Roche, S. v. , geb. v. Gutter-
mann. 155.
Lavater, J. K. 55. 57. 86. 96.
Lenz, J. M. R. 45. 91. 96—106.
109. 214. 216 ff.
Leonhard, K. C. v. 166.
Lerse. F. 107 — iio.
270
Seitennachweise ueber Personen.
Lessing, G. E. 121. 130. 146. 156 —
162.
Louvier, F. A. 32.
Macartney, G. Graf 181.
Maffei, F. Sc. Markgraf. 64.
Maltitz, ? 209.
Maltzahn, W. Freih. v. 158.
Manning, E. 1 7 — 24. 40 f.
Manso, J. K. F. 45 f.
Marlow, Ch. 22.
Martini, . . . 181.
Matthäi, Ch. F. 206.
Matthaei, K. 74.
Maurer-Constant, . . . 162.
Menken, G. H. 168.
Mercier, L. S. 85.
Merck, J. H. 87. 213 — 221.
Merkel, G. 207.
Meyer, F. L. W. 170.
Meyer, H. 181. 202. 206,
Michaelis, J. D. 130.
Miller, J. M. 98.
Minor, J. 130.
Morsch, H. 64.
Müller, F. 231.
Müller, F. v. 112 — 117. 124. 212.
Müller, J. V. 162 r.
Murphy, A. 170.
Napoleon s. Buonaparte.
Narbonne, . . . Graf v. 49.
Nicolai, F. 87. 89 ff.
Niejahr, J. 28.
Nisle, F. 35.
Oberkirch, Henriette Baronin v., gb.
V. Waldner. 96. 100 ff.
Überkirch, . . . Bar. v. loi.
Oeser, F. 138.
Paulus, H. E. G. 205.
Paulus, J. 66.
Paw, . . . 181.
Pechwell, A. 201 f.
Prenglefs, P. 154,
Percy, Th. — 187.
Petrarca, F. 227.
Pfeffel. Ch. H. v. 201.
Plautus, M. A. 214. 216 f.
Pohl, J. E. 165.
Polo, M. 181.
Preufsen, Friedrich II. Königv. 157 ff.
Eecamier, J. F. J. A., gb. Bernard i SS.
Rehberg, A. W. 206.
Reichard, H. A. O. 170.
Reichardt, J. F. 172. 206.
Reichel, . . . 193.
Remusat, A. 183.
Reufs, F. A. 164. 166 f.
Ricci, M. I80.
Richter, K. G. A. v. 202.
Riemer, F. W. 15. 60. 67. 151. 226 ff.
Rochlitz, F. 208. 210 — 213.
Röderer, J. G. 96.
Rousseau, J. J. 144. 173.
Ruckstuhl, K. 213.
Rühle V. Lilienstern, J. J. A. 201.
Rühle, V. Lilienstern, . . . geb. von
Frankenberg-Ludwigsdorf. 201.
Ruland, K. 71.
PvUfsland, Alexander I. Kaiser von.
II 3 f. 1 20 ff.
Sachsen - Meiningen, Karl August
Prinz V. 58.
Sachsen-Weimar, Anna Amalie Her-
zogin V. 8.
Sachsen-Weimar, Auguste Prinzefs v.
nachmals Deutsche Kaiserin. 181.
Sachsen- Weimar, Bernhard Prinz v.
201.
Sachsen - Weimar, Herzog, später
Grofsherzog V. 91. 102. 108. 113.
120. 167 f. 175 f. 202.
Sachsen -Weimar, Louise Herzogin
von. 65.
Sachsen- Weimar, Maria Prinzefs v.,
nachmals verm. Prinzefs v. Preu-
fsen. 181.
Salzmann, J. D. 216. 218.
Sartorius Freiherr v. Waltershausen,
G. 206.
Sauer, A. 130.
Savary, A. J. M. R. Herz. v. Ro-
vigo. n6.
Schelling, F. W. J. v. 162 f.
Scherer, W. 229. 231.
Schiller, F. v. 19. 23. 27. 30. 104.
107. 120 f. 149. 170. 179 f. 188.
Schlegel, A. W. 107. 149. 191. 227.
Schlegel, E. 221.
Schlösser, R. 64.
Schlosser, J. G. 104.
Seitenxachweise ueber Personen.
271
Schmidt, E. 8. 85. 87.
Schmidt, F. V. A. 144.
Schmidt, G. F. 131 f.
Sclimieder, . . . 169.
Schmitz, W. 155.
Scholl, A. 61.
Schönemann, Lilli, nachmals verehel.
V. Türkheim 45.
Schönkopf, A. K., nachmals verehel.
Kanne 131.
Schrödner, F. L. 170.
Schultheis, Barbara gb. Wolf 222.
Schultz, Ch. F. L. 166.
Schulze, C. 73 — So.
Semasti, P. A. 46.
Seuftert, B. 64. 140.
Shakespeare, W. S. 34. 55 f. 58.
99 f. 144. 146 f. 171. 220.
Simni, F. 39.
Sivers, J. v. 96.
Soret F. 117.
Soult, N. J. de Dieu. Herz. v. Dal-
matien 112. 116.
Spinoza, B. 180.
Sprickmann, A. M. 90.
Stael-Holstein, A. L. G. Baronin v.
gb. Necker 232.
Stein, eil. Baronin v., gb. v. Schardt
45. 61 — 67. 224 f.
Steinbart, S. 155.
Sternberg, Kaspar Graf . v. 165-
Stöber, A 96.
Sulzer, J. G. 154.
Suphan, B. 115 ff. 223.
Tacitus. C. C. 113. 120.
Talleyrand, Ch. M. de, Fürst v. Bene-
vent III — 126.
Teller, M. L., gb. Schuriam 213.
Thienemann, F. A. I^. 167.
Tieck, L. 35. 96. 137 f. 213.
Toula, F. 164.
Trebra, F. W. v. 71 f.
Truchsefs, Ch. Freih. v. 11 o.
Türkheim, . . . v. loi f.
Ueltzen, H. W. F. 151.
ürlichs, L. 96.
Uz, J. P. 130. 136.
Vogel v. Vogelstein, K. Ch. 72.
Volkmann, J. W. 202.
Voltaire, F. M. Arouet de 64. 154.
Vofs, H. 206 f.
Vofs, J. H. 148 f. 206.
Vulpius, Ch. A. 1 70 f.
Wagner, H. L. 81 — 99.
Walch, M. s. Herzlieb.
Waldberg, M. Freih. v. 96 f.
Waldner, A. v. loi.
Waldner, H. v., s. Oberkircb.
Waldner, J. v. loi.
Wang Wen, 175 f. 195.
Weinhold, K. 96. 105.
Weifse, Ch. F. 130. 145.
Werner, F. L. Z. 227 ft".
Wieland, Ch. M. 91. I14. i2of. 187.
Willemer, J. T. v. 209.
Windischmann, K. J. 162.
WinklW G. 33.
Winkler, K. Th. 202.
Winter, G. 108 f.
Witkowski, G. 154,
Wolf, F. A. 149.
Wolzogen, C. v., gb. v. Langefeld
205.
Wolzogen, W. E. F. P'reih. v. 204.
Zarncke. F. 64. 213.
Zelter, K. F. 131. 149. 151.
Zezschwitz, . . . v. 7 1 .
Ziegesar , S.v., nachmals verehel.
Koethe 72.
Zimmermann, P. 137 f.
Zimmermann, . . . 171.
• NB. Irrige Namenschreibung im Text ist in den Seitennachweiseii
berichtigt.
--«*[>-
Goetheschriften
aus dem
Verlage von F. W. v. Biedermann in Leipzig.
/^ j 1 /'-^ "1 Herausgeber 'Woldemar Frei-
Goethes Gespräche. ^err von Biedermann. MU
-^ sorgfältigen Registern, und Erläu-
terungen von Dr. Otto Lyon. lo Bände geheftet 50 Mark, ia Lnwd.
gebdn. Mark 58.50, in Halbfranz gebdn. 70 Mark. Ein elfter Band
ist in Vorbereitung.
Gustav von Loeper nannte das Werk die beste Goethebiographie, die
existiert und sobald nicht wird übertroffen werden.
/^ j 1 p 1 von Woldemar Freiherr von
G0ethei0rSChUnO;en Bledermanr. Neue Folge. Mü
<-^ zwei Bildnissen und zwei Facsimile.
Gebunden 12 Mark.
Enthält in anregender Weise geschriebene Aufsätze zu verschiedenen Gebieten
der Goetheforschung, die — wie sich die Beurteiler ausdrücken — nicht nur für den
zünftigen Goethegelehrten von Interesse sind , sondern sich an den weiteren Kreis aller
Gebildeten wenden.
Goethes Briefwechsel mit Frieclr. Rochlitz.
Herausgeber Woldemar Freiherr von Biedermann. Mit Bildnis und
Handschriftnachbildung. Brosch. 8 Mk., geb. 9 Mk.
Der Briefwechsel mit dem gemütvollen Musik-, Theater- und Romanschriftsteller
Rochlitz ist reich an Schönheiten, welche jeden Leser fesseln. Rochlitz war Goethes Bericht-
erstatter und Vermittler für Leipzig. Das Buch bietet daher eine notwendige Ergänzung
zu des Verfassers „Goethe und Leipzig".
f^ x1 li* T^'11 von Prof. Dr. Hermann
Goethe und die Bibel nenkel. Brosch 3 Mk.,
geb. 2 Mk. 50 Pf.
Weist Goethes Verhältnis zur Bibel und die Stellen in seinen Werken, Briefen und
Gesprächen nach, welche auf Bibelstellen zurückzuführen sind oder darauf Bezug haben.
Goethes Sprache und die Antike.
Studien zum Einfluss der klassischen Sprachen auf Goethes Stil von
Dr. Carl Olbrich. Brosch. 2 Mk.
Leistet in ähnlicher Weise, wie das Henkeische Werk, die Nachweise zum
Griechischen und Lateinischen, obwohl hier mehr das philologische Interesse in den
Vordergrund tritt.
ersten Teil von Goethes
von Georg Witko'wski.
Geheftet 2 Mark.
Weist die Entstehung, Quellen, dramatische Entwickelung und Bedeutung der
„Walpurgisnacht'' nach, in welcher Goethes Anschauungen vom deutschen Volksaberglauben
dichterischen Niederschlag gefunden haben.
Die Walpurmsnacht ^isr
1 <-5 GpVipfi
r\ ii O'll 4-4- I Mk. 50 Pf. Bildgrösse 18,5/8 cm.
uOeine-OiniOUette. Papiergrosse 45/31 cm. Stellt den
jugendlich schlanken Goethe aus der
ersten Zeit seines Weimarer Aufenthaltes dar. Ein originell reizvolles Bild.
Druck von Hesse & Becker in Leipzig.
„läüäisSiaaeL.