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Full text of "Goethe-Forschungen"

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(;OETHE-FORSCHUNGEN 


'WOLDRMAK.  Freiherr  vc«  BiliDEHMANN, 


NDEKWKITB  f  OLGE. 


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Goethe-Forschungen 


ANDERWEITE  FOLGE 


HeLMciscnbach,  RifTarth  u.  Co.,  Leip/ij 

M'bldemar  Freiherr  von  Biedermann. 


Vorbemerkung  des  Verlegers 


en  Freunden  des  Verfassers  bietet  der  Verleger 
dessen  Bildniß  aus  den  Tagen,  da  er  an  diesem 
Rande  arbeitend  sein  goldenes  Hochzeitsfest  feierte. 
Der  grade  Sinn,  der  in  diesem  dritten  Bande  der  Goethe- 
Forschungen  besonders  wirksam  sich  erweist,  leuchtet  auch 
aus  dem  wohlgetroffenen  Bilde,  das  uns  aber  ebenso  von 
dem  liebenswürdigen  Grundzug  eines  8 1  jährigen,  thätigen 
Lebens  zu  erzählen  weiß. 


Leipzig,    I.  Januar   1899 


F.  V.  B. 


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Goethe- Forschungen 


VON 


VVOLDEMAR  FrEHIERR  VON  BIEDERMANN 


AxXDERWEITE    FOLGE 


MIT  DREI  BILDNISSEN 
UND  DEM  BILDx\ISSE  DES  VERFASSERS 


"^'' 


LEIPZIG 
F.  W.  V.  BIEDERMANN 

,•1899 


Druck  von  Hesse  &  Becker  in  Leipzig. 


Vorwort. 


lie  dritte  Sammlung  meiner  Goethe-  ForscJiiuigen  er- 
scheint in  schwächerem  Bande,  als  die  vorhergehen- 
den: wenn  ich  den  Wunsch  erfüllt  sehen  wollte, 
meine  letztjährigen  Arbeiten  zur  GOETHE-Kunde  ver- 
einigt allgemein  zugänglich  zu  machen,  so  mahnte  mich  die 
Lebensalterwahrscheinlichkeit,  nicht  länger  damit  zu  zögern. 
Die  mit  wenigen  Ausnahmen  in  Zeitscludften  bereits  ver- 
öffentlichten Aufsätze  sind  in  dieser  Sammlung  nur  hin  und 
wieder,  wo  nöthig,  verändert,  es  konnte  dief3  aber  ohne  Neu- 
bearbeitung nicht  so  weit  geschehen,  daß  nicht  einzelne  Un- 
zukömmlichkeiten stehen  bleiben  mußten,  namentlich  Wieder- 
holungen sowohl  aus  früheren  Bänden,  als  auch  innerhalb 
des  vorliegenden  Bandes  selbst.  Das  ist  eben  Folge  der 
Natur  einer  Sammlung. 

Bei  Vergleichung  dieses  Bandes  mit  den  beiden  früheren, 
besonders  dem  ersten,  wird  man  bemerken,  daß  dieser  in 
ruhigem  Flusse  verlief,  der  dritte  dagegen  eine  scharfe  Ton- 
art anschlägt.     Als  ich  vor  vierundvierzig  Jahren  den  ersten 


Aufsatz  im  Gebiete  der  GOETHE-Kunde  ausgehen  ließ,  und 
noch  lange  nachher,  hatte  sich  die  Goethe-Literaüir  überhaupt 
noch  nicht  in  weiten  Kreisen  eingebürgert,  wie  gegenwärtig, 
ich  konnte  daher  manches,  was  ich  bei  eingehender  Be- 
schäftigung mit  Goethe's  Leben  und  Schriften  gefunden 
hatte,  als  eine,  vielen  willkommene  Gabe  darbieten.  Auch 
fehlten  damals  Mittelpunkte  für  die  GOETHE-Kunde,  wie  sie 
vorzugsweise  im  Goetlie - Aixhiv  und  für  die  Literatur  im 
Goethe-Jahrbtcc/i.  bestehen,  wohin  sich  dahin  gehörige  Arbeiten 
wenden.  So  habe  ich  z.  B.  ehedem  zahlreiche  Briefe  Goethe's 
bekannt  gemacht,  während  ich  jetzt  von  mir  weiter  gesammelte 
dem  Goethe-Archiv  zur  Aufnahme  in  die  Sopliieii- Ausgabe 
von  Goethe's  Werken  zu  überlassen  sachgemäß  befunden 
habe.  Strömt  nun  überdieß  dermalen  eine  solche  Fluth 
goetheliterarischer  Arbeiten  von  allen  Seiten  herzu,  daß  meine 
gealterte  Beweglichkeit  nicht  mehr  genügt,  sie  zu  verfolgen, 
und  ich  daher  befürchten  muß,  mit  meinen  Eingriffen  nur 
Abgethanes  zu  Markte  zu  bringen,  so  habe  ich  in  letzteren 
Zeiten  meine  Thätigkeit  hauptsächlich  darauf  gerichtet, 
Forschern  entgegenzutreten,  die  nach  meiner  Ueberzeugung 
auf  Irrwegen  wandelten.  Dadurch  hat  mein  neuester  Band 
das    Aussehen   einer  Streitschrift    bekommen   und   ich   selbst 


habe  mich  dem  Rufe  ausgesetzt,  ein  Krakehler  zu  sein.  Das 
wird  dem  über  mich  etwa  zu  schreibenden  Nekrolog  freihch 
zu  Schaden  gereichen ,  aber  da  ich  mich  einmal  zum  Mit- 
arbeiter im  Gebiet  der  GOETHE-Kunde  aufgeworfen  habe, 
darf  ich  die  Gefährdung  meines  Nachruhms  nicht  achten, 
und  muß  vielmehr  der  Pflicht  gehorchen,  das  mit  allen 
Kräften  zu  vertheidigen,  was  ich  für  das  Rechte  zu  halten, 
gute,  wohlerwogene  Gründe  habe;  ich  bin  berechtigt,  er- 
fahrnen Widerspruch  nicht  für  Widerlegung  zu  halten,  wenn 
er  dieß  nicht  ist. 

Die  Beigabe  liegt  eigentlich  der  GOETHE  -  Kunde  fern. 
Sie  behandelt  folkloristisch  eine  Angelegenheit,  die  sonst  nur 
der  Speculation  überlassen  war.  Die  Aufnahme  in  diesen 
Band  rechtfertigt  der  Umstand,  daß  dabei  Gelegenheit  ge- 
nommen ist,  Goethe's  Stellung  zu  den  äußeren  Formen  der 
Dichtung  im  Flusse  ihrer  Kntwickelung  anzudeuten. 

Dresden,  Ende   1898. 

Biedermann. 


Inhaltsuebersicht. 

Seile 

Vorwort 1^  ^ 

I.     Dichtungen  Goethe's • 

I.     Lesarten  zweier  kleinen   Gedichte        3 

(Ungedruckt.) 

il.     Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen  5 

1.  Einzelnes  zu  Faust. 

Dieangeblichen   Faustpläne 7 

(Dresdner  Goethe-Verein.    Bericht  über  das   2.  Vereinsjahr, 

August    1896   —  August    1897.) 
Vorbilder  zu  Faust 32 

(Aus  einem  Aufsatz    in   der  Wissenschaftlichen  Beilage  der 

Leipziger  Zeitung   1888  Nr.  45.) 
Die  Domscene        33 

iWissenscTi.  Beilage    der    Leipziger  Zeitung    1893   N""-   33) 

2.  Zu  Tasso 41 

iWissensch.    Beilage    der  Leipziger  Zeitung    1893  Nr.   33.1 

:i.      Theaterzettel  zur  Natürlichen  Tochter       ....        47 
(VVissensch.    Beilage    der  Leipziger    Zeitung    1896  Nr.   97.) 

III.  Dramatische  Entwürfe  Goethe's 53 

1.  Cäsar 55 

(Ungedruckt.) 

2.  Das  Entstehen   der  Elpen  or-Dich tung 60 

Zeitschrift   für  vergleichende  Litteraturgeschichte  X,   286.1 

IV.  Goethe  mit  Zeitgenossen 69 

1.  BildnissezurGoethe- Kunde 7^ 

(Ungedruckt.) 

2.  Zu  Caroline  Schulze 73 

'Archiv  für  Literaturgeschichte  XV,  82.) 

3.  Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner        ....        81 

(Wissensch.  Beilage    der  Leipziger   Zeitung    1889  Nr.   97.) 

4.  Goethe  und  Jakob  Lenz 9^ 

(Wissensch.   Beilage    der  Leipziger    Zeitung    1891    Nr.   30.) 

5.  Franz  Lerse   in  Weimar io7 

(Ungedruckt.  ,1 

6.  Die   Unterredung  mit  Napoleon        Ili 

(  (i)   Goethe-Jahrb.  XIV.   Band  S.   282.  —  (2)  Wissensch. 
Beilage  d.  Leipziger  Zeit.  1895   Nr.  31.  —(3)  Ungedruckt.) 

V.     Vermischtes  zur  Goetheforschung 127 

I.      Hagedorn,   ein   Vorbild  Goethe's 129 

(Wissensch.    Beilage    der  Leipziger  Zeitung    1885   Nr.   82. 


XII  Inhaltsuebersicht. 


Seite 

2.  Goethe's  productive  Kritik 143 

(Wissensch.    Beilage    der   Leipziger    Zeitung   1888  Nr.    28.1 

3.  Zu    d.    Recensionen    d.  Frankf.   gelehrten   Anzeigen      154 

(Wissensch.  Beilage  der   Leipziger   Zeitung  1893  Nr.    126.) 

4.  Gedächtnifsirrthümer    Goethe's 156 

a.  Über  Lessing's   »IVIinna  v.   Barnhelm« 156 

(Wissensch.   Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1897  Nr.  82.) 

b.  Aufklärung  über  eine  Dunkelheit 162 

( Ungedruckt. 1 

c.  Wandlung  in  Naturanschauung 164 

(Goethe-Jahrbuch  VI,   338  f.) 

d.  Herausgeberirrthum 167 

(Goethe-Jahrbuch  XIX,   295  f.) 

5.  Zu  Goethe's  Theaterrepertoire 169 

(Wissensch.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung    1891    Nr.   224.) 

6.  Goethe  und  das  Schriftthum   Clüna's 173 

(Zeitschr.  f.  vergleichende  Litleraturgesch.  N.  F.  VII,  383  ff.) 

VI.    Berichtigungen  und  Nachträge  zu  Goetheschriften  des  Verfassers     1 99 

1.  ZuGoetheundDresden 201 

(Aus:   Dresdner  Geschichtsblätter    1892   Nr.   3.) 

2.  Zu  Goethe's  Briefen  an  Eichstädt .      204 

(Ungedruckt.) 

3.  Zu  Goethe's  Briefwechsel  mit  Rochlitz        ....      210 

(Ungedruckt.) 

4.  Zu   der  Schrift.     Zu  Goethe's   Gedichten  .      .      .      214 

a.  Briefgedicht  an   Merck 214 

(Wissensch.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1892  Nr.  30.) 

b.  Willkommen  und  Abschied 221 

(Wissensch.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1888  \r.  45  I 

c.Haideröslein 222 

(Zeitschrift  für  den   deutschen   Unterricht  V,   334.) 

d.  Goethe's  Sonette 225 

(Wissensch.  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1895  Nr.  39.! 

e.  Hatem 230 

(Chronik    des    Wiener    Goethe- Vereins  X.   Bd.   Nr.    i.l 

f.  Invective  gegen  Kotzebue 231 

(Ungedruckt.) 

g.  Letzte  Zahme  Xenie   der  ersten  Abtheilung      ....      232 

(Ungedruckt.) 

Beigabe.     Entwickelung  äusserer  Formen  der  Dichtung      .     .     233 

(Zeitschrift  für  vergleichende  Litteraturgeschichte  N.   F. 
VI,    115  ff.   und  IX,   224  ff.) 


I. 

Dichtungen  Goethes. 


V.  BiEDER>u.NN',  Goetheforschungen  III. 


Lesarten  zweier  kleinen  Gedichte. 


ie  früheren  Bände  meiner   f:  GoetJie  -  Forschungen«,  be- 
gannen mit  dem  Abschnitt  y>  Dichtungen  Goethe'' s 's. 
und  ich  durfte  ihn  daher  auch  in  der  dritten  Samm- 
lung nicht  auslassen.    Diese  Zwangslage  möge  ent- 
schuldigen, wenn  ich  an  anspruchsvoller  Stelle  nichts  Wich- 
tigeres bringe. 

Auf  ein  20X15  mm  großes  Blatt  hat  GOETHE  in  latei- 
nischer Schrift  mit  Bleistift  das,  in  der  Sophienausgabe 
der  Werke  IV.  Band  Seite  136  abgedruckte  Gedicht  so  an- 
gefangen und  dann  umgeschrieben: 

Ewig  doch  allgemach 

Ziert  der  Regenbogen 

Wilde  Sturme,  Kriegeswogen 

[Stürmten] 

Rasten  über  Hayn  und  Dach 

Ewig  doch  und  allgemach 

Stellt  sich  her  der  bunte  Bogen. 

Die  ersten  zwei  Zeilen  sind,  ebenfalls  mit  Blei  von 
links  nach  rechts,  die  übrigen  vier  von  rechts  nach  links, 
das  in  eckige  Klammern  eingeschlossene  Wort  wagerecht 
durchstrichen. 

Auf  der  Rückseite   des,   überdies   auch  von   oben  nach 


I.    Dichtungen  Goethe's. 


unten  umgedrehten  Blattes  steht  gleicherweise  geschrieben 
das  im  V.  Bande  der  Sophienausgabe  Seite  91  zu  lesende 
Gedicht  so: 

Was  viele  singen  und  sagen 

Das  müssen  wir  wohl  ertragen. 

Ihr  guten!    Großer  und  Kleiner! 

Ihr  singt  euch  müd  und  matt 

es 
Und  singt  doch  keiner 

Als  was  er  zu  sagen  hat. 

Das  in   vorletzter  Zeile   übergeschriebene    »es«    ist  sehr 
verwischt. 


IL 


Quellen  und  Anlässe  Goethischer 

Dramen. 


I.  Einzelnes  zu  «Faust«, 


DIE  ANGF.BLICHEN  FAUSTPLÄNE. 

ie  Commentare  zu  Goetiie's  x  Faust  <  bewegen  sich 
nach  mehr  Richtungen  hin,  als  sonst  Commentare 
zu  Dichtungen,  indem  jene  nicht  allein  auf  das 
Drama  als  Ganzes  sowie  auf  dessen  Einzelheiten 
sich  erstrecken,  sondern  es  auch  nach  seinem  Entstehen 
betrachten.  Die  Geschichte  der  Dichtung  des  »Faust«,  die 
uns  zeigt,  daß  der  Dichter  von  dessen  Anfängen  bis  zur 
Beendigung  fast  volle  60  Jahre  damit  beschäftigt  gewesen 
ist,  macht  begreiflich,  daß  die  in  diesem  langen  Zeiträume 
mehrfach  eingetretenen  Wandlungen  in  den  Anschauungen 
des  Dichters  die  Dichtung  beeinflußt  haben.  Es  ist  nun 
eine  sehr  lockende  Aufgabe,  diesen  Einflüssen  nachzuspüren 
und  ein  lohnender  Erfolg  dieses  Eindringens  in  die  Dichtung, 
die  Erkenntniß,  wie  sie  trotzdem  eine  in  der  Hauptsache 
einheitliche  geworden  ist,  —  wenigstens  was  den  ersten 
Theil  des  > Faust«  angeht;  hinsichtlich  des  zweiten  Theils 
liegt  die  Sache  verwickelter,  weßhalb  wir  zunächst  dem  ersten 
unsere  Betrachtung  zuwenden  wollen. 

Aber  auch   das  Werden   des   ersten  Theils   füllt  nahezu 
ein   Vierteljahrhundert   aus.     Zwar   verlautete   schon   in   der 


3  II.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

ersten  Hälfte  der  siebziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts, 
daß  Goethe  an  einem  »Faust«  dichte,  und  Freunden  hatte 
er  auch  Stücke  davon  vorgelesen,  sie  auch  abzuschreiben 
gestattet,  aber  erst  1790  gelangte  ein  größeres  Fragment  in 
die  Oeffentlichkeit  und  erst  1808  der  erste  Theil  des  »Faust«, 
wie  er  uns  vorliegt,  lieber  die  Zeit  der  Entstehung  der 
einzelnen  Stücke  fehlte  früher  so  gut  wie  jeder  Nachweis 
und  auch  die  Hoffnung,  nach  dem  Tode  der  Enkel  Goethe's 
aus  dem  von  ihnen  verschlossen  gehaltenen  GOETHE'schen 
Archiv  Aufschlüsse  darüber  zu  erhalten,  wurde  getäuscht. 
Erst  1887  gelang  es  den  umsichtigen  Nachforschungen  Erich 
Schmidt's  in  dem  handschriftlichen  Nachlaß  der  1807  ver- 
storbenen Hofdame  der  Herzogin  Amalie  VON  Weimar, 
Louise  von  GöCHHAUSEN,  bei  deren  Neffen,  dem  unlängst  in 
Dresden  verstorbenen  Oberstlieutenant  VON  GöCHHAUSEN,  die 
Abschrift  derjenigen  Stücke  des  »Faust«,  die  GOETHE  1775 
mit  nacli  Weimar  gebracht  hatte,  zu  ermitteln.  Diesem 
Bruchstück  —  dessen  Bezeichnung  als  »Urfaust«  üblich  ge- 
worden ist  —  fehlen  zwar  mehrere  im  Fragment  von  1790 
enthaltene  Scenen,  dagegen  finden  sich  darin  wiederum 
solche,  die  in  dem  Fragment  fehlen,  aber  im  abgeschlossenen 
»Faust«  von  1808  wieder  aufgenommen  worden  sind.  Die 
Gründe  der  vorherigen  Auslassung  und  nachmaliger  Wieder- 
herstellung werden  im  Laufe  unsrer  Betrachtung  einleuchten. 
»Faust«  ist  nicht  in  der  geregelten  Form,  wie  sie  besonders 
im  französischen  klassischen  Drama  ausgebildet  war,  ge- 
schrieben. Wenn  diese  erfordert,  daß  von  Anfang  an  bis 
zum  Ende  die  Handlung  wie  in  einem  Gusse  fortfließt,  jede 
Scene  schon  in  der  vorhergehenden  vorbereitet  ist,  sogar 
manche  nur  zu  dem  Zwecke  eingefügt  wird,  um  eine  klar 
ersichtliche  Verbindung  zweier  zur  Handlung  gehörigen  Scenen 
herzustellen,  so  hat  im  »Faust"  —  mehr  noch,  als  bei 
Shakespeare  —  jede  Scene  ihre  Bedeutung  in  sich,  die 
Verbindung  der  Scenen  ist  meistens  ganz  locker,  sie  fügen 
sich    nicht    einer    regelrechten  Eintheilung    in  Aufzüge,    und 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«. 


deren  Motivirung  ist  mitunter  so  wenig  kund  gegeben,  daß 
das  Erkennen  des  Zusammenhangs  nur  im  Ueberblick  des 
Ganzen  möglich  ist.  So  liegt  es  z.  B.  nicht  sofort  zu  Tage, 
warum  Mephistopheles  nach  der  ersten  Unterhaltung  mit 
Faust  sich  ohne  Angabe  eines  Grundes  entfernt  und  gleich 
darauf  sich,  ebenso  scheinbar  ohne  Veranlassung,  wieder  ein- 
findet; oder  warum  Faust  nach  dem  ersten  Liebesrausch  in 
Gretchens  Nähe  sich  fortbegeben  hat,  und  in  Wald  und 
Höhle  sich  herumtreibt;  oder  warum  Gretchen  der  Tod  ihrer 
Mutter  schuldgegeben  wird;  oder  warum  Faust  die  Wal- 
purgisnacht auf  dem  Brocken  mit  Mephistopheles  feiert. 
Diese  anscheinende  Lückenhaftigkeit  ließ  schon  früh  die  Faust- 
erklärer auf  die  Vermuthung  gerathen,  daß  das  als  abge- 
schlossen gegebene  Drama  nur  nothdürftig  aus  Stücken  zu- 
sammengestellt worden  sei,  die  gar  nicht  nach  ein-  und  dem 
selben  Plane  gedichtet  wären.  Freilich  war  diese  Vermuthung 
willkürlich,  da  GOETHE,  so  oft  und  viel  er  auch  über  »Faust« 
gesprochen  und  geschrieben  hat,  nirgends  auch  nur  andeutet, 
daß  er  einen  dafür  entworfenen  Plan  einmal  aufgegeben  oder 
umgestaltet  habe,  was  er  doch  bezüglich  anderer  Dramen, 
wie  »Elpenor«  und  »Tasso«  mittheilt,  der  zwei  vollständigen 
Bearbeitungen  des  »GÖTZ  von  Berlichingen«  gar  nicht  zu 
gedenken.  Zu  dieser  Vermuthung  hielten  sich  nichtsdesto- 
weniger die  Erklärer  durch  einige  Widersprüche  in  dem 
vorliegenden  Faustdrama  umsomehr  für  berechtigt;  nament- 
lich gab  dazu  die  Scene  Anlaß,  die  »Trüber  Tag  —  Feld« 
bezeichnet  ist.  Darin  läßt  Faust  seine  Wuth  gegen  Mephisto- 
pheles, weil  dieser  ihm  Gretchens  verzweifelte  Lage  ver- 
heimlicht hat,  mit  den  Worten  aus:  »Hund!  Abscheuliches 
Unthier!  Wandle  ihn.  Du  unendlicher  Geist!  wandle  den  Wurm 
wieder  in  seine  Hundsgestalt,  wie  er  sich  oft  nächtlicher 
Weise  gefiel  vor  mir  herzutrotten,  dem  harmlosen  Wandrer 
vor  die  Füße  zu  kollern  und  sich  dem  Niederstürzenden 
auf  die  Schultern  zu  hängen.«  Bekanntlich  kommt  aber 
jetzt   im  Faustdrama  Mephistopheles   als  Hund   lediglich  bei 


jQ  II.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Faust's  Spaziergang  vor  und  von  da  in  dessen  Studirzimmer, 
wohin  er  mit  dem  heimgekehrten  FAUST  eingedrungen  ist. 
Nachdem  er  dann  durch  Beschwörung  gezwungen  worden, 
sich  in  anderer  Gestalt  zu  zeigen,  findet  sich  über  eine 
Rückverwandlung  in  die  Hundsgestalt  durchaus  nichts,  und 
sie  würde  auch  im  Gange  des  vorliegenden  Dramas  nicht 
möglich  sein. 

Die  Erklärer  verlegten  sich  nunmehr  aufs  Rathen  und 
dabei  wurde  schon  auf  ein  paar  Menschenalter  hinaus  ein 
Mißverständniß  verhängnißvoU.  Wenn  der  Monolog  Faust's 
in  der  Scene   »Wald  und  Höhle«   beginnt: 

Erhab'ner  Geist!     Du  gabst  mir,  gabst  mir  alles 

Worum  ich  bat.     Du  hast  mir  nicht  umsonst 

Dein  Angesicht  im  Feuer  zugewendet; 

Gabst  mir  die  herrliche  Natur  zum  Königreich 
u.  s.  w. 
so  fragten  die  sonst  rathlos  Rathenden:  Wxr  kann  dieser, 
sein  Angesicht  in  Feuer  zuwendende  erhabene  Geist  anders 
sein,  als  der  Erdgeist,  der  ja  früher  Fausten  in  einer  Flamme 
erschienen  ist?  Freilich  achteten  jene  nicht  darauf,  daß  da- 
bei noch  andere  Fragen  zu  beantworten  waren.  Was  fällt 
namentlich  Fausten  ein,  den  Erdgeist  »erhaben«  zu  nennen, 
dem  er  bei  seinem  Erscheinen  »Schreckliches  Gesicht!«  zu- 
gerufen hatte?  Wie  kann  hiernächst  der  Erdgeist,  selbst  nur 
ein  Naturgeist,  Fausten  die  Natur  als  Königreich  übergeben? 
Was  hat  ferner  Faust  den  Erdgeist  gebeten  und  dieser  ihm 
gewährt?  Aber  endlich  vor  allem:  wie  verhält  es  sich  mit 
dem  Schluß  des  Monologs,  wo  Faust  klagt:  »Du«  —  näm- 
lich der  angeredete  erhabene  Geist  — 

»Du  gabst  zu  dieser  Wonne  .  .  . 
Mir  den  Gefährten,  den  ich  schon  nicht  mehr 
Entbehren  kann,  wenn  er  gleich  kalt  und  frech 
Mich  vor  mir  selbst  erniedrigt  und  zu  nichts 
Mit  einem  Worthauch  Deine  Gaben  wandelt.« 


I.     Einzelnes  zu  »Faust«.  1 1 

Danach  müßte  also  Mephistopheles  durch  den  Erdgeist 
Fausten  beigesellt  worden  sein.  Davon  ist  aber  auch  nicht 
die  Spur  einer  Andeutung  im  Drama  zu  finden,  lieber  diese 
und  andere  Bedenken  schwangen  sich  die  Erklärer  in  frischer 
Schöpfungslaune  hinweg  und  beseitigten  sie  in  einem  Auf- 
wasch, indem  sie  »erklärten«,  —  d.  h.  hier  nicht  mehr  er- 
läuterten, sondern  »verfügten«  —  daß  in  einem  älteren,  von 
Goethe  wieder  aufgegebenen  Plan  für  das  Faustdrama  der 
Erdgeist  eine  vorherrschende  Rolle  habe  spielen  sollen,  wo- 
bei auch  Mephistopheles  als  von  ihm  abhängig  darzustellen 
gewesen  wäre.  Es  machte  die  Erfinder  dieser  Behauptung 
nicht  irre,  daß  von  einem  Weiterwirken  des  Erdgeistes  nicht 
der  leiseste  ^Anklang  zu  spüren  ist,  daß  er  vielmehr  seine 
dramatische  Aufgabe  vollständig  erfüllt  hatte. 

Widmen  wir  nun  unbefangen  den  sich  kreuzenden  Fragen 
der  angeblich  beabsichtigt  gewesenen,  tief  eingreifenden 
Stellung  des  Erdgeistes  und  der  behaupteten  Wahrnehmbar- 
keit verschiedener,  dem  »Faust«  zu  Grunde  gelegter  Pläne 
nähere  Betrachtung. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst  die  Vorgänge  im 
Drama  bis  zur  Erdgeisterscheinung!  Faust  hat  sich  im  Bücher- 
studium vertieft,  um  zu  ergründen 
Was  die  Welt 
Im  Innersten  zusammenhält. 
Das  ist  ihm  auf  diesem  Wege  nicht  gelungen;  er  hat  sich 
daher,  um  seinen  Zweck  zu  erreichen,  der  Magie  ergeben. 
Es  ist  nöthig  dabei  hervorzuheben,  daß  hiermit  die  weiße 
Magie  gemeint  ist,  die  im  Alterthum  durch  Priester  ausge- 
bildet war,  im  Mittelalter  aber  Gelehrten  im  Fache  der  Natur- 
wissenschaften zugeschrieben  wurde,  während  die  schwarze 
Magie  die  Mitwirkung  der  Hölle  in  Anspruch  nahm.  Die 
Gegenstände  von  Faust's  Erkenntnißdrang  sind  nun  symbo- 
lisch vorgestellt  durch  die  Zeichen  des  Makrokosmus  und 
des  Mikrokosmus.  Die  Unmöglichkeit,  in  die  Geheimnisse 
des  Zusammenhangs   des  Weltalls  einzudringen,   sieht  Faust 


12  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

sofort  beim  Erblicken  des  entsprechenden  Zeichens  des 
Makrokosmus  ein;  dagegen  glaubt  er,  wie  er  das  Zeichen 
des  Mikrokosmus  anschaut,  die  irdische  Welt  mit  seinen 
Geisteskräften  erfassen  zu  können  und  ruft  die  Hülfe  des 
Erdgeistes  dazu  an.  Dieser  belehrt  ihn  aber,  daß  auch  dieses 
Ziel  zu  erreichen  über  die  Grenzen  hinausgreife,  die  dem 
Menschen  gesteckt  sind.  Der  Erdgeist  schildert  dabei  den 
Umfang  seines  eigenen  Wesens: 

In  Lebensfluthen,  im  Thatensturm 

Wall  ich  auf  und  ab, 

Webe  hin  und  her: 

Geburt  und  Grab, 

Ein  ewiges  Meer, 

Ein  wechselnd  Weben, 

Ein  glühend  Leben. 

So  schaff'  ich  am  sausenden  Webstuhl  der  Zeit 

Und  wirke  der  Gottheit  lebendiges  Kleid. 
.  Faust    ist    nicht    imstande,    diese    gewaltige    Thätigkeit 
zu  begreifen,  er  unterschätzt  sie,    glaubt  sich  ihr  gewachsen 
und  im  Vorgefühl  der  dadurch  zu  erwartenden  Befriedigung 
seines  Sehnens  begrüßt  er  den  Erdgeist: 
Der  Du  die  weite  Welt  umschweifst. 
Geschäftiger  Geist,  wie  nah  fühl'  ich  mich  Dir! 
worauf  der  Erdgeist  ihn  niederschmettert: 

Du  gleichst  dem  Geist,  den  Du  begreifst, 

Nicht  mir! 
Da  nun  der  Erdgeist  nur  auf  Faust's  Ruf  da  ist,  so  hat 
er,  als  er  Faust's  Begehren  wegen  Unzulänglichkeit  mensch- 
lichen Vermögens,  also  unwiderruflich,  abweist,  damit  auch 
logischer  Weise  seine  Aufgabe  im  Drama  vollkommen  erfüllt  und 
zwar  so*  gründlich,  daß  seine  Wiederkehr  gar  nicht  denkbar  ist. 
Goethe  hat  einen  ähnlichen  Vorgang  in  einem  anderen, 
dem  »Faust«  vorangegangenen  Drama  seiner  Jugendzeit  dar- 
gestellt, im  •»  Promethens  1- .  Wie  Faust  hinsichtlich  seiner 
Geisteskraft  der  Gottheit  sich  gleich  wähnt,  thut  es  Prome- 


I.     Einzelnes  zu  »Faust». 


13 


theus,  eine  andere  Gattung  von  Uebermenschen,  im  Ver- 
trauen auf  seine  Willenskraft,  auf  seine  Selbständigkeit;  wenn 
Faust  herausfordernd  sich  »Ebenbild  der  Gottheit«  nennt, 
sagt  Prometheus: 

Ich  bin  kein  Gott 

Und  bilde  mir  so  viel  ein,  als  einer. 
Im  Drama  •» Prometheus t  ist  es  Merkur,  der  diesen 
Uebermüthigen  über  die  Grenzen  des  Menschenthums  belehrt, 
aber  nur  durch  Zureden,  nicht  durch  ein  gewaltsames  Macht- 
wort wie  der  Erdgeist;  daher  war  jenem  es  möglich,  noch 
weiter  aufzutreten,  und  zwar  indem  er  Minerva  bei  Jupiter 
verklagt,  daß  sie  Prometheus  in  seiner  ^Aufsässigkeit  gegen 
den  Göttervater  begünstige.  Eine  ähnliche  Fortführung  der 
Rolle  hat  der  Erdgeist  durch  die  Entschiedenheit  seines  Auf- 
tretens abgeschnitten.  Ebenso  haltlos  ist  die  Behauptung 
seiner,  mit  dem  ihm  zugedachten  Wiederauftreten  in  Ver- 
bindung gebrachten  Beziehungen  zu  Mephistopheles.  Es  haben 
sich  zwar  Fausterklärer  bemüht,  aus  alchimystischen  Theorien 
eine  gewisse  Gemeinsamkeit  beider  abzuleiten,  aber  abgesehen 
davon,  daß  GoETHE,  wenn  er  sich  auf  eine  so  gelehrte 
Knaupelei  einlassen  wollte,  im  Drama  Andeutungen  darüber 
nicht  unterlassen  konnte,  so  bedienen  sich  die  Herren  bei 
ihrer  Beweisführung  auch  eines  argen  Trugschlusses.  Sie 
folgern:  Mephistopheles  nennt  Zerstörung  sein  eigentliches 
Element,  und  auch  der  Erdgeist  schließt  das  Grab  in  seine 
Thätigkeit  ein,  also  gehen  beide  auf  dasselbe  Ziel  —  Tod 
und  Verderben  —  los.  Es  ist  aber  denn  doch  der  gewaltige 
Unterschied,  daß  das  Ziel  des  einen  eben  lediglich  Zerstörung, 
das  des  anderen  aber  Leben  ist,  wobei  nur  Grab  und  Ge- 
burt sich  ablösen.  Der  Zweck  ihres  Thuns  ist  es  indessen 
allein,  was  die  Wesenheit  der  beiden  Geister  bedingt,  und 
bei  so  grundverschiedenen  Zielen  können  sie  keine  gemein- 
schaftliche Thätigkeit  entwickeln. 

x\ls  Goethe  sich  entschieden  hatte,  den  Mephistopheles 
der  Faustsage   auch    in   seinem   Drama   auftreten    zu   lassen, 


14-  ^^-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

konnte  er  lediglich  nicht  nur  an  bekannte,  sondern  auch  allein 
an  solche  Verhältnisse  anknüpfen,  die  denen  geläufig  waren, 
von  denen  er  sein  Drama  verstanden  wissen  wollte.  Da 
boten  sich  ihm  bloß  christliches  Dogma,  Volksglaube  und 
biblische  Dichtung  dar.  Nach  dem  Dogma  war  Satan  der 
selbständige,  Gott  feindliche  Geist,  und  als  solcher  konnte 
er  nur  aus  eigener  Machtvollkommenheit  sich  zum  Verderben 
eines  Menschen  anschicken;  nach  dem  Volksglauben  war  er 
ein  Sohn  der  Hölle  und  handelte  lediglich  als  deren  Vertreter; 
nach  der  biblischen  Dichtung,  dem  Buch  Hiob,  war  er  Diener 
Gottes,  und  als  solcher  war  es  seine  Aufgabe,  Menschen  auf 
ihre  Frömmigkeit  zu  prüfen,  und  er  that  dies  im  Auftrage 
Gottes.  Als  Gehülfe  des  Erdgeistes  kam  er  erst  nach 
Goethe's  Tod  zur  Entstehung  —  in  den  Köpfen  von  Faust- 
erklärern.  Alle  Bemühungen,  dem  Erdgeist  im  »Faust«  eine 
vorherrschende  Stellung  zuzuweisen  und  Mephistopheles  als 
seinen  Boten  hinzustellen,  beruhen  aber,  wie  gesagt,  auf 
einem  Mißverständniß,  bei  dessen  Erkenntniß  man  wegen  der 
vielen  Schreiberei,  die  diese  Erdgeistfrage  veranlaßt  hat,  mit 
Mephistopheles  ausrufen  möchte: 

Ein  großer  Aufwand  schmählich  ist  verthan! 

Faust's  Anrede: 

Du  hast  mir  nicht  umsonst 
Dein  Angesicht  im  Feuer  zugewendet  — 
ist  nämlich  gar  nicht  wörtlich  von  einer  wirklichen  Feuer- 
erscheinung, sondern  bildlich  zu  verstehen  als  Anspielung  auf 
das  Erscheinen  Gottes  im  Feuer,  wie  solches  im  Alten 
Testament,  in  den  Büchern  Mosis,  Hiob,  Samuel  erzählt 
oder  angedeutet  wird.  In  diesem  Sinne  gebraucht  GoETHE 
das  gleiche  Bild  in  y>  Hermann  und  Dorothea«,  wo  der 
Richter  sagt: 

O,  wir  anderen  dürfen  uns  wohl  mit  jenen  vergleichen, 

Denen  in  ernster  Stund'  erschien  im  feurigen  Busche 

Gott  der  Herr;  auch  uns  erschien  er  in  Wolken  und  Feuer, 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«. 


15 


Die  Richtigkeit  dieser  Auslegung  ergiebt  sich  einerseits  da- 
raus, daß  sie  ganz  sinngemäß  ist,  andrerseits  aus  der  Un- 
mögHchkeit,  die  Stelle  auf  die  Feuererscheinung  des  Erd- 
geistes zu  beziehen.  Ueberdies  lehnt  sich  der  ganze  Mono- 
log an  das  Buch  Hiob  an,  wo  eben  auch  solche  göttliche 
Feuererscheinung  vorkommt.  Dort  wird  von  Capitel  36 
bis  40  zuerst  von  Hiob's  Freund  Elihu  und  dann  von  Gott 
selbst  die  Macht  Gottes  durch  Darlegung  der  Großheit,  der 
Mannigfaltigkeit,  der  Unbegreiflichkeit  seiner  Werke  ge- 
schildert; Gott  spricht  dabei  auch  in  Gewittern;  er  führt 
allerhand  Gethier  mit  Namen  auf  und  erklärt  das  Gebahren 
jedes  einzelnen.  Wenn  er  dabei  zuerst  Löwen,  zuletzt  Le- 
viathan  und  dazwischen  Vögel  nennt,  so  ist  das  dieselbe 
Reihenfolge,  wie  im  Monolog,  wo  die  Geschöpfe  in  »Busch, 
in  Luft  und  Wasser«  nacheinander  gestellt  sind.  Endlich 
redet  Gott  dem  Hiob  ins  Gewissen  und  bringt  ihm  zur  Ein- 
sicht, wie  unrecht  er  gehandelt  in  Betracht  der  Gewalt  des 
Schöpfers  und  des  Reichthums  der  Schöpfung,  sich  mit 
Schmähreden  gegen  ihn  zu  versündigen.  Faust's  Monolog 
ist  nun  geradezu  ein  Auszug  aus  diesen  letzten  Capiteln  des 
Buches  Hiob,  wobei  nur  Faust  selbst  das  Wort  nimmt  als 
derjenige,  der  an  sich  erfahren  hat,  was  Elihu  und  Gott  der 
Herr  dem  Hiob  vorhalten.  Er  ergießt  seine  Empfindungen 
in  einer  Art  Gebet: 

Erhab'ner  Geist!     Du  gabst  mir,  gabst  mir  alles, 

Worum  ich  bat.     Du  hast  mir  nicht  umsonst 

Dein  Angesicht  im  Feuer  zugewendet; 

Gabst  mir  die  herrliche  Xatur  zum  Königreich, 

Kraft,  sie  zu  fühlen,  zu  genießen.     Nicht 

Kalt  staunenden  Besuch  erlaubst  Du  nur. 

Vergönntest  mir,  in  ihre  tiefe  Brust 

Wie  in  den  Busen  eines  Freunds  zu  schauen. 

Du  führst  die  Reihe  der  Lebendigen 

Vor  mir  vorbei  und  lehrst  mich  meine  Brüder 

Im  stillen  Busch,  in  Luft  und  Wasser  kennen. 


j6  II.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 


Und  wenn  der  Sturm  im  Walde  braust  und  knarrt, 
Die  Riesenfichte  stürzend  Nachbaräste 
Und  Nachbarstämme  quetschend  niederstreift 
Und  ihren  Fall  dumpf  hohl  der  Hügel  donnert, 
Dann  führst  Du  mich  zur  sichern  Höhle,  zeigst 
Mich  dann  mir  selbst,  und  meiner  Brust 
Geheime  tiefe  Wunden  öffnen  sich. 
Das  Erbetene,    das  Gott   Fausten,    wie   dieser  bekennt, 
hat  zu  theil  werden  lassen,  ist  eben  die  gewonnene  Einsicht 
in  das   Getriebe    der   Natur.     Er   erwartete   von   vornherein: 
Wenn  Natur  dich  unterweist, 
Dann  geht  die  Seelenkraft  dir  auf, 
Wie  spricht  ein  Geist  zum  andern  Geist. 
Nachdem  er  erkannt  hat,    daß   er   das  Erstrebte   durch 
Offenbarung,   wie  er  sie  vom  Erdgeist   begehrte,  also  durch 
ein  ihm  ohne  Mühe    zufallendes   Himmelsgeschenk;  nicht  er- 
langen könne,   daß   er   sie  vielmehr  im  Kampfe   des  Lebens 
erringen  müsse,  weil  er  eben  nicht  den  Göttern,  den  zwischen 
Mensch  und  Gott  stehenden  bevorzugten  Wesen,  gleicht,  da 
hat  er  in  Wald  und  Höhle   sich   zurückgezogen,   im   innigen 
Verkehr  mit   der  Natur   die   »Götterwonne«    erreicht,   die  er 
an   dem  Ostermorgen   nach  Lösung   der   Bande,   die   ihn   an 
die  Erde  knüpften,    ahnte,    die  Wonne,   von   der   er  endlich 
fand,  daß  sie  ihn   »den  Göttern  nah  und  näher«   bringe.    Er 
bezeichnete    als     schon    Gedemüthigter    diesen    Zustand    als 
sein  Ziel  mit  den  Worten: 

Was  der  ganzen  Menschheit  zugetheilt  ist, 
Will  ich  in  meinem  innern  Selbst  genießen. 
Mit  meinem  Geist  das  Höchst'  und  Tiefste  greifen, 
Ihr  Wohl  und  Weh  auf  meinen  Busen  häufen 
Und  so  mein  eigen  Selbst  zu  ihrem  Selbst  erweitern. 
Bei   richtigem  Verstehen   des  Monologs   ist   nun   in   der 
That    auch    die  Ursache    beseitigt,    die    zu    der   Fabel    vom 
Wechsel  in  Goethe's  Plänen  für  den  ersten  Theil  des  »Faust« 
geführt  hat;  die  sonstigen  unwesentlichen  Widersprüche  inner- 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«.  17 

halb  des  abgeschlossenen  Dramas  erklären  sich  aus  der  Ent- 
legenheit der  Zeiten,  in  denen  es  allmählig  zu  Stande  kam, 
wobei  der  Dichter  jeweilig  die  gerade  vorhabende  Scene 
mehr  vor  Augen  hatte,  als  die  Erinnerung  an  jede  Stelle 
früher  gedichteter  Scenen,  sodaß  geringfügige  Unebenheiten 
durch  Nichtübereinstimmendes  sich  einschleichen  konnten; 
namentlich  ist  die  Auffassung  Mephistos  verschieden,  indem 
er  bald  als  biblischer  Versucher,  bald  als  Höllenfürst,  bald 
als  volksthümlicher  Teufel,  bald  als  menschlicher  cynischer 
Humorist  auftritt.  GoETHE  verfährt  im  Sinne  des  Volkes, 
das  auch  mit  überlieferten  Stoffen  willkürlich  umspringt.  Da 
indessen  der  Glaube  an  die  mehreren  Faustpläne  eine  gewisse 
Selbständigkeit  angenommen  hat,  so  wollen  wir,  um  allen 
Einwänden  gerecht  zu  werden,  noch  die  Geschichte  der  Ent- 
stehung des  »Faust«  an  der  Hand  der  Quellen  ohne  ein- 
geschmuggelte Phantasien  an  uns  vorübergehen  lassen. 

Wir  können  hierbei  noch  hinter  den,  1887  entdeckten 
Urfaust  von  1775  zurückgreifen.  Mit  dem  Neudruck  des 
»Faust«  in  der  im  Auftrag  der  Großherzogin  SOPHIE  VON 
Sachsen  veranstalteten  Ausgabe  von  GoETHE's  Werken 
sind  nämlich  mehrere  von  GoETHE  für  den  »Faust«  aufge- 
zeichnete, aber  nicht  benutzte  Stücke  —  Paralipomena  —  ver- 
öffentlicht, lieber  das  mit  1  bezeichnete  Paralipomenon  hat 
in  dem,  1896  ausgegebenen  XVII.  Bande  des  Goethe-Jahr- 
buchs Eugen  Manning  eine  Abhandlung  erscheinen  lassen, 
worin  er  auseinandersetzt,  daß  in  diesem  Paralipomenon  die 
erste  Niederschrift  Goethe's  für  seinen   »Faust«   vorliege. 

Der  erste  Theil  dieses  Paralipomenons  lautet:  »Ideales 
Streben  nach  Einwirken  und  Einsichten  in  die  ganze  Natur.  Er- 
scheinung des  Geistes  als  Welt-  und  Thaten-Genius.  Streit 
zwischen  Form  und  Formlosem.  Vorzug  dem  formlosen  Gehalt 
vor  der  leeren  Form.  Gehalt  bringt  die  Form  mit.  Form  ist  nie 
ohne  Gehalt.  Diese  Widersprüche  statt  sie  zu  versöhnen,  dispa- 
rater zu  machen.  Helles  kaltes  wissenschaftliches  Streben:  WAG- 
NER. Dumpfes  warmes  wissenschaftliches  Streben:  SCHÜLER.« 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  2 


j  3  IL    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Es  mag  überraschen,  wenn  Manning  Goethen  zutraut, 
zuerst  einen  so  dürftigen  Umriß  für  seine  Lebensdichtung, 
den  »Faust«,  hingeworfen  zu  haben,  allein  deshalb  schlank- 
weg abzuurteilen  und  Manxing's  Darlegung  abzulehnen, 
würde  sehr  übereilt  sein.  Dergleichen  Entwürfe  aufzusetzen, 
war  zeitlebens  GOETHE'S  Gewohnheit.  Er  erzählt  im  siebenten 
Buche  von  ^■> Dichtung  und  Wahrheit <-< ,  daß  er  schon  in 
frühester  Zeit,  vor  dem  xA.bgang  zur  Universität  Leipzig,  so 
verfahren  sei,  wobei  er  solche  Entwürfe  ausdrücklich  von 
»bis  zur  Hälfte  ausgeführten  Vorsätzen«  unterscheidet,  die 
er  samt  jenen  verbrannt  habe.  Und  von  Leipzig  berichtet 
er  ebenda  wieder,  daß  er  mehrere  Schauspiele  entworfen 
und  »die  Expositionen  von  den  meisten«  geschrieben  habe. 
Im  dreizehnten  Buche  seiner  Lebensgeschichte  hebt  er  da- 
gegen hervor,  daß  er  -»Götz  von  Berlichitigen<i,  ohne  daß  er 
»einen  Entwurf  oder  Plan  vorher  aufgesetzt  hätte,«  ebenso 
■»  Werther« ,  ohne  daß  »ein  Schema  des  Ganzen  oder  die 
Behandlung  eines  Theils  irgend  vorher  zu  Papier  gebracht 
gewesen  wäre,»  verfaßt  habe.  Er  betrachtet  es  also  als 
selbstverständlich,  daß  in  der  Regel  für  jede  gröfSere  Dichtung 
eine  Skizze  aufgezeichnet  werde  und  nennt  letztgedachte 
Fälle  als  bemerkenswerthe  Ausnahmen.  Wenn  demunge- 
achtet  keine  dergleichen  vor  der  zur  >->NaHsikaa<s.  von  178? 
bekant  ist,  so  ist  das  dadurch  erklärlich,  daß  überhaupt  von 
keinem  Drama  aus  Goethe's  Frühzeit  irgend  etwas  andres 
erhalten  ist,  als  die  Handschriften  einiger  abgeschlossener 
Stücke.  Wir  wissen  insbesondere,  daß  von  ■s>Elpenor<i,  »  Tusso  ^i, 
»Egmont«  ansehnliche  Theile  bereits  geschrieben  waren,  die 
bei  der  schlüßlichen  Ausführung  verworfen  wurden,  aber 
auch  sie  sind  vernichtet.  Nur  vom  »Faust«  hatte  GoETHE 
früheste  vereinzelte,  vorbereitende  Aufzeichnungen  aufbewahrt, 
weil  er  zu  der  Zeit,  zu  der  er  an  die  Schlußbearbeitung 
ging,  schon  ein  so  lebhaftes  geschichtliches  Interesse  an  seiner 
Dichtung  hatte,  daß  er  die  Spuren  des  Wegs,  den  sie  ge- 
nommen,  nicht   zerstören   mochte.     Mit  der  Annahme,    daß 


I.    Einzelnes  zu  »Faust« 


19 


Paralipomenon  i  die  erste  Niederschrift  für  die  Faustdichtung 
sei,  steht  aber  auch  die  Aeußerung  im  Brief  an  SCHILLER 
vom  22.  Juni  1797  in  Einklang,  daß  der  erste  Plan  des 
»Faust«  eigentlich  nur  eine  Idee  gewesen  sei.  Hierdurch 
ist  die  Skizze  des  Paralipomenons  treffend  bezeichnet,  zumal 
in  Berücksichtigung  kommt,  daß  GoETHE  inzwischen  eine 
Reihe  von  Scenen  für  das  Drama  gedichtet  und  veröffent- 
licht hatte,  die  eben  nur  durch  die  allgemeine  Idee  über  das 
in  der  Dichtung  zu  offenbarende,  nach  Idealen  strebende 
Menschenthum,  noch  nicht  aber  durch  einen  allgemeinen 
Plan  für  das  Ganze  verbunden  waren.  Durchschlagend  aber 
ist  für  Manning's  Deutung,  daß  kein  vernünftiger  Grund 
erfindlich  ist,  der  GoETHE  zu  Aufzeichnung  jener  Skizze  be- 
wogen haben  könnte,  dafern  er  bereits  die  ersten  Monologe 
Faust's  einschließlich  der  Erdgeisterscheinung,  sowie  der 
Scenen  mit  Wagner  und  mit  dem  Schüler  gedichtet  hatte; 
er  konnte  auch  schlechterdings  nicht  sagen,  daß  die  Wider- 
sprüche bezüglich  der  Form  und  des  Gehalts  »disparater 
zu  machen«  seien,  nachdem  er  sie  in  jenen  Scenen  bereits 
disparater  gemacht  hatte.  Ferner  ist  nicht  zu  übersehen, 
daß  Mephistopheles  in  der  Skizze,  trotzdem,  daß  darin  schon 
der  Schüler  auftritt,  sich  nicht  findet,  obwohl  schon  im 
Urfaust  beide  zusammen  auftreten.  Sonach  muß  das  Para- 
lipomenon älter  sein  als  dieser,  und  GoETHE  zuerst  wohl 
beabsichtigt  haben,  den  Schüler  durch  Faust  selbst  ernst- 
hafter, der  Bedeutung  der  Scene  entsprechender,  bescheiden 
zu  lassen,  als  es  jetzt  durch  Mephistopheles  geschieht. 

Ist  demnach  Manning'S  x\nsicht  in  Bezug  auf  die  Stelle 
des  Paralipomenons  als  wohlbegründet  anzuerkennen,  so  hat 
Goethe  anfänglich  nicht  sowohl  ein  wirkliches  Faustdrama 
verfassen,  sondern  nur  sein  eigenes  ideales  Streben  nach 
Erkenntniß  des  Zusammenhangs  der  Natur,  sowie  der  seelischen 
Schmerzen,  bei  der  Beschränktheit  des  Menschen  dieses  gt- 
heimnißvolle  Weltwesen  nicht  durchschauen  zu  können,  zur 
Aussprache   bringen   wollen  und  hat  nur  in  der,   durch   die 

2* 


20  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Sage    hierfür  typisch   gewordene   Persönlichkeit   Faust's   das 
geeignete  Organ  dafür  gewählt  —  in  dem  Faust,  der 
Mehr  als  Cherub,  dessen  freie  Kraft 
Schon  durch  die  Adern  der  Natur  zu  fließen 
Und,  schaffend,  Götterleben  zu  genießen, 
Sich  ahnungsvoll  vermaß. 
In    der    nachmaligen    Ausführung    des    Paralipomenons 
weist  der  Erdgeist,   an  dessen  Stelle   zuvor   ein   »Welt-  und 
Thatengenius«   stand,  Faust's  Begehren  als  das  eines  Ueber- 
menschen,  d.  h.  als  das  eines  Wesens,  das  über  dem  Menschen 
steht,  zurück.  Wenn  dann  dem  Paralipomenon  gemäß  Wagner 
sein    »kaltes  wissenschaftliches   Streben«    dadurch   bekunden 
sollte,   daß   er  die  Form  über   alles   schätzt  und  meint,   ein 
Comödiant   könnt'   einen  Pfarrer    lehren,   so   wird   er  in  der 
ausgeführten  Dichtung  über  den  Vorzug  des   »formlosen  Ge- 
halts  vor  der  Form«   und   darüber,   daß   »Gehalt   die  Form 
mitbringt«,  von  Faust  belehrt,  der  ihn  bedeutet: 
Sei  er  kein  schellenlauter  Thor! 
Es  trägt  Verstand  und  rechter  Sinn 
Mit  wenig  Kunst  sich  selber  vor. 
Der   Schüler    ferner    offenbart    sein    »dumpfes    warmes 
wissenschaftliches  Streben«   in  dem  Anliegen: 

Ich  wünsche  recht  gelehrt  zu  werden 
Und  möchte  gern,  was  auf  der  Erde 
Und  in  dem  Himmel  ist,  erfassen: 
Die  Wissenschaft  und  die  Natur. 
Und  wenn  ihm  die  Forderung,  eine  Fakultät  zu  wählen, 
gestellt  wird,   so  geschieht  es  eben,  weil  Gehalt  eine  Form 
bedingt;  denn   »Form  ist  nie  ohne  Gehalt«. 

Wie  demnach  dieser  Theil  des  Paralipomenon  i  die 
darin  niedergelegte  Idee  schon  einigermaßen  für  den  dichte- 
rischen Ausdruck  vorbereitet  oder  bestimmter:  wie  die  Aus- 
führung dieses  Theils  des  Paralipomenon  i  dem  Dichter 
schon  als  Skizze  vorgeschwebt  hat,  als  er  ihn  zu  Papier 
brachte,  wird  noch  besonders  offenbar  durch  den  Gegensatz 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«.  21 

zu  der  Aufzeichnung  der  Fortsetzung,  die  sich  ganz  in's  Un- 
bestimmte verliert.  Die  zweite  Hälfte  des  Paralipomenon  i 
lautet  nämlich,  wie  der  Herausgeber  des  14.  Bandes  der 
Weimarer  GOETHE-Ausgabe,  die  undeutliche  Schrift  —  nicht 
ganz  unbestreitbar  —  liest,  so:  »Lebensgenuß  der  Person 
von  außen  gesehen;  in  der  Dumpfheit  Leidenschaft  i.  Theil. 
Thatengenuß  nach  außen  und  Genuß  mit  Bewußtsein  Schön- 
heit 2.  Theil.  Schöpfungsgenuß  von  innen  Epilog  im  Chaos 
auf  dem  Weg  zur  Hölle.«  Ueber  die  Ausführung  dieser 
zweiten  Hälfte  des  Paralipomenons  hatte  der  Dichter  sich 
zweifellos  noch  keine  Vorstellung  gemacht;  es  ist  nicht  ein- 
mal eine  Skizze,  es  ist  nur  Andeutung  einer  allgemeinen  Idee. 
Aus  diesem  Unterschiede  in  den  beiden  Theilen  des  Para- 
lipomenon I  —  der  Deutlichkeit  des  ersten  und  der  Ver- 
schwommenheit des  zweiten,  —  ist  mit  einer  an  Gewißheit 
grenzenden  Wahrscheinlichkeit  zu  schließen,  daß  GOETHEN 
zuvörderst  an  dem  Gehalt  des  ersten  Theils  gelegen  und  es 
ihm  hauptsächlich  darum  zu  thun  war,  seiner  Verzweiflung 
darüber,  daß  er  mit  seinem  Forschen  vor  den  Räthseln  der 
Schöpfung  rathlos  stillstehen  müsse,  Luft  zu  machen.  Die, 
dieser  Verzweiflung  gewidmeten  ersten  Scenen  des  »Faust« 
sind  allerdings  vorwiegend  lyrisch;  das  Dramatische  tritt 
darin  zurück.  Zwar  war  auch  für  den  Ausdruck  solcher 
Seelenbewegungen  die  dramatische  Form  von  GoETHE  mit 
Vorliebe  gepflegt,  indessen  nahm  sein  Dichten  eine  ver- 
schiedene Wendung,  je  nachdem  er  sein  inneres  Leben  oder 
aber  äußere  Vorgänge  dramatisch  darstellte.  War  es  wie 
im  -»Götz  von  Berlichingen<i.  oder  in  ■>'>Clavijo<i.  das  Dra- 
matische des  Stoffes,  das  ihm  den  Antrieb  zur  Dichtung  gab, 
so  führte  er  auch  mit  dramatischer  Lebendigkeit  die  Bühnen- 
stücke sofort  aus.  War  es  hingegen  im  •>•>  Prometheus  <.<-  sein 
eignes  Gefühl  der  Selbständigkeit,  daß  er  in  diesem  Kraft- 
menschen dichterisch  verkörpert  darstellen  wollte,  so  ließ 
er  —  nachdem  er  die  entsprechenden  Gegenwirkungen  in 
einigen    Scenen   ausgeführt   und    in    der   Person    des  Helden 


22  I^-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

sich  ausgesprochen  hatte  —  die  nur  mehr  äußerlich  in  dra- 
matische Form  gekleidete  Dichtung  unvollendet,  entwarf 
wahrscheinlich  auch  nicht  einmal  einen  wirklichen  Plan  zur 
Fortsetzung  des   y>  Promethetis «■  \   denn   die  in   ^>  Dichtung  und 

Wahrheit«  gegebene  Andeutung  schließt  sich  an  das  Gedicht 
nicht  an  und  ist  daher  wohl  erst  nachträglich  zur  Abrundung 
der  Erzählung  erfunden.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  y>AIa- 
hommed<i.  Hier  schüttete  GOETHE  seine  tief  religiösen  Em- 
pfindungen für  den  unbekannten  Ewigen,  den  Schöpfer  und 
Herrn  der  Welt,  in  kleinen,  für  ein  Drama  geeigneten  Bruch- 
stücken aus,  und  auch  hier  ist  zu  bezweifeln,  daß  er  gleich 
damals  eine  Weiterführung  geplant  habe;  wenigstens  traten 
die  Thatsachen,  die  nach  der  Darstellung  in   y>  Dichtung  und 

Wahrheit«  dem  Plane  zu  Grunde  gelegen  haben  sollen,  erst 
nach  Niederschrift  jener  Bruchstücke  ein,  was  eine  Verdunke- 
lung der  Erinnerung  Goethe's  in  Bezug  auf  seine  früheren 
Absichten  zweifellos  macht.  Diesen  Stücken  aus  ■>->  Prome- 
theus« und  -^Mahtnnuied«  würde  sich  nun  der  erste  Faust- 
entwurf des  Paralipomenons  anreihen,  indem  GOETHE  an- 
fänglich die  Persönlichkeit  des  Faust  mit  seinem  Wissens- 
drange allein,  d.  h.  ohne  die  Zuthaten,  mit  denen  ihn  die 
Sage,  das  Faustbuch,  das  Drama  Marlow's  und  das  Puppen- 
Spiel  ausgestattet,  im  Auge  hatte.  Dies  ergiebt  sich  schon 
aus  dem  Fehlen  des  Höllengeistes  in  der  Skizze.  Für  Goethe 
war  also  Faust  anfänglich  nur  der  in  dramatischer  Form 
sich  kundgebende  Gelehrte,  der  heftiger  und  tiefer  in  die 
Geheimnisse  der  Schöpfung  einzudringen  strebte,  als  die 
stumpfe  Mitwelt.  Auf  Grund  des  Paralipomenonentwurfs 
kann  GoETHE  lediglich  Faust's  ersten  Monolog  mit  der  Erd- 
geisterscheinung, das  Gespräch  mitWAGNER  und  den  zweiten 
Monolog  ausgeführt  haben,  da  in  den  weiteren  Scenen  des 
sogenannten  Urfaust  schon  Mephistopheles  auftritt,  der  im 
Entwürfe  ja  noch  nicht  vorkommt.  Zwar  schließt  dieser  mit 
dem  »Weg  zur  Hölle«,  und  das  scheint  auf  Mephistopheles 
hinzuweisen,  aber  es  scheint  nur  so.     Daß   an    diesen   dabei 


I.    Einzelnes   zu  »Faust«. 


23 


noch  nicht  gedacht  war,  ergiebt  sich  viehnehr  außer  aus  dem 
Fehlen  seines  Namens,  auch  aus  dem  Mangel  irgendwelcher 
Andeutung  über  seinen  Einfluß,  seine  Wirksamkeit.  Es  kann 
daher  —  sofern  überhaupt  etwas  Faßbares  aus  den  flüchtigen 
Zeilen  entnommen  werden  darf  —  nur  gefolgert  werden,  daß 
der  darin  hervorgehobene  Lebens-  und  Thatengenuß  Anlaß 
geben  sollte,  Faust  mit  Schuld  zu  belasten,  die  ihn  abwärts 
vom  rechten  Wege  führte:  ins  Leben  hinausgestoßen  wird 
der  Mensch  schuldig,  und  »jede  Schuld  rächt  sich  auf  Erden« 
—  wie  der  Harfner  in  »  Wilhelm  Meister«,  singt.  Die  Sicher- 
heit gewinnen  wir  jedoch  aus  dem  zweiten  Stück  des  Para- 
lipomenons,  daß  dort  der  Erdgeist  nicht  Auftraggeber  Me- 
phistos sein  sollte,  da  hier  schon  ohne  letzteren  die  Hölle 
als  Gesammtbegriff  in  Aussicht  steht. 

Goethe's  Faustidee  blieb  also  damals  in  den  Anfängen 
stecken  wie  die  etwa  gleichzeitigen  Entwürfe  zu  ^^  Prometheus  i. 
und  zu  >)Mahammed«.  Ueber  das,  was  GoETHE  durch  Faust 
aussprechen  wollte,  war  er  eben  noch  zu  keinen  Resultaten 
gelangt,  und  damit  gebrach  es  an  Gehalt  für  ein  abgeschlossenes 
Drama.  Das  bestätigt  GOETHE  selbst,  indem  er  noch  am 
22.  Juni  1797,  wie  schon  erwähnt,  an  SCHILLER  schreibt, 
»so  habe  ich  mich  entschlossen,  an  meinen  »Faust«  zu  gehen 
und  ihn,  wo  nicht  zu  vollenden,  doch  wenigstens  um  ein 
gutes  Theil  weiter  zu  bringen,  indem  ich  das,  was  gedruckt 
ist,  wieder  auflöse  und  mit  dem,  was  schon  fertig  oder  er- 
funden ist,  in  große  Massen  disponire  und  so  die  Ausführung 
des  Plans,  der  eigentlich  nur  eine  Idee  ist,  näher  vor- 
bereite. Nun  habe  ich  eben  diese  Idee  und  deren  Darstellung 
wieder  vorgenommen  und  bin  mit  mir  selbst  ziemlich  einig.« 
Also  bekennt  GOETHE,  daß  selbst  die  einzelnen  Bestandtheile 
des  schon  seit  sieben  Jahren  veröffentlichten  Fragments  von 
1790  noch  nicht  durch  einen  abgeschlossenen  Plan  zusammen- 
gehalten seien. 

Ob  der,  schon  bald  nach  Niederschrift  des  Paralipome- 
non  I   vor  1775  unternommene  X^ersuch  »Faust«  fortzusetzen, 


24  ^^-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

eigener  unbeeinflußter  Entschluß  Goethe's  war,  oder  ob  er 
von  den  Freunden,  die  den  ihre  Bewunderung  erregenden 
Anfang  nicht  als  Bruchstück  verkümmert  sehen  mochten, 
dazu  gedrängt  wurde,  bleibe  dahingestellt;  daß  aber  GoETHE 
seine  Leistungsfähigkeit  in  den  siebziger  Jahren  nicht  un- 
gerechtfertigter Weise  unterschätzte,  geht  daraus  hervor,  daß 
er  noch  eines  Vierteljahrhunderts  bedurfte,  bevor  ihm  auch 
nur  der  Abschluß  des   ersten  Theils  des   »Faust«   gelang. 

Unternahm  er  einmal,  ein  förmliches  Drama  über  Faust 
durchzuführen,  so  konnte  er  nur  von  der  Ueberlieferung  aus- 
gehen und  da  war  die  Beigesellung  eines  höllischen  Geistes 
unerläßlich.  Das  Paralipomenon  i  hatte  noch  keinen,  im 
Urfaust  ist  er  aber  bereits  eingeführt,  und  daher  mit  dem 
Urfaust  die  erste  Stufe  zur  Ausführung  des  wirklichen  Dra- 
mas betreten.  Mit  diesem  Augenblick  beginnen  aber  auch 
die  Hindernisse,  die  sich  dem  Weiterbau  des  Dramas  ent- 
gegenstellten. Es  war  für  GoETHE  selbstverständlich  eine 
Unmöglichkeit,  den  Faust,  den  zuerst  nur  allzuheftiger  Wissens- 
drang beseelte,  einen  höllischen  Geist  zur  Befriedigung  dieses 
Dranges  herbeirufen  zu  lassen  und  dadurch  Wissensdrang 
als  Sünde  darzustellen.  Deshalb  gerade  hatte  unstreitig 
Goethe  schon  im  Paralipomenon  die  Auskunft  ergriffen, 
mit  Hülfe  der  weißen  Magie  einen,  sonst  der  Faustsage 
fremden  Genius  zu  beschwören.  Wie  sollte  er  nun  den,  für 
das  Faustdrama  unentbehrlichen  Höllengeist  doch  noch  mit 
dem  Faust  in  Berührung  bringen?  Ueber  das  Ob  hatte 
Goethe  von  vornherein  keinen  Zweifel;  deshalb  läßt  er  eben 
schon  im  Urfaust  Mephistopheles  auftreten,  doch  über  das 
Wie  hatte  er  sich  dabei  noch  nicht  entschieden;  denn  dieses 
Auftreten  ist  da  der  Scenenreihe  noch  ganz  mechanisch 
eingefügt.  Weder  ist  angedeutet,  wodurch  Mephisto's  An- 
wesenheit veranlaßt  ist,  noch  wie  er  dazu  kommt,  den  sich 
bei  Faust  anmeldenden  Studenten,  der  im  Urfaust  ja  auch 
schon  auftritt,  an  Faust's  statt  zu  empfangen  und  abzufertigen, 
noch  auch  unter  welchen  Umständen  er  die  Zauberkraft  ver- 


I.    Einzelnes  zu  »Faust». 


25 


liehen,  die  Faust  in  Auerbach's  Keller  bethätigt  und  zwar 
mit  denselben  Kunststücken,  die  im  abgeschlossenen  »Faust« 
Mephistopheles  selbst  zum  Besten  giebt.  Auch  die  Stelle 
in  der  jetzt  »Trüber  Tag  —  Feld«  überschriebenen  Scene, 
worin  Faust  Mephistos  frühere  Hundsgestalt  erwähnt,  ver- 
räth  nichts  vom  dramatischen  Plan.  GOETHE  hielt  sich  mit 
diesen  beiden  letztgedachten  Scenen  im  Urfaust  lediglich  an 
das  Faustbuch,  worin  die  Zaubereien  in  Auerbach's  Keller 
von  Faust  verübt  und  ferner  berichtet  wird,  daß  Faust  stets 
von  einem  höllischen  Geiste  in  Gestalt  eines  schwarzen 
Hundes  begleitet  war. 

Wenn  GOETHE  nun  in  diesen  Fällen  vereinzelte  Scenen 
dichtete,  die  ihm  Gelegenheit  gaben,  etwas  ihm  gerade  am 
Herzen  Liegendes  zu  verarbeiten,  so  verband  doch  diese 
Scenen  durchaus  kein  weiterer  Zusammenhang,  als  daß  sie 
insgesammt  an  die  Faustsage  anknüpften.  Demnach  war  es 
auch  kein  Plan  für  sein  Drama,  auf  den  er  diese  Scenen 
gründete.  Das  änderte  sich  allerdings  mit  den  Gretchen- 
scenen  des  Urfausts.  Mit  ihnen  hat  GOETHE  die  in  Ent- 
würfen seiner  Frühzeit  vertretene  Gattung  von  Dichtungen 
verlassen,  die  zwar  äußerlich  dramatisch  sind,  wesentlich  aber 
lyrisch,  wie  GoETHE  selbst  einige  Faustmonologe  im  Brief 
an  Schiller  vom  11.  April  1798  bezeichnete.  Diese  Scenen 
bilden  auch  gleich  von  Anfang  an,  im  Urfaust,  schon  ein 
fest  geschlossenes  Ganzes.  Zu  diesen  Gretchenscenen  gehört 
auch  die  »Trüber  Tag  —  Feld«  bezeichnete,  worin  Faust 
den  »Unendlichen  Geist«  und  den  »Großen  herrlichen  Geist« 
anruft,  Anreden,  die  auch  auf  den  Erdgeist  zu  deuten  ver- 
sucht worden  sind.  Sie  können  aber,  unbefangen  und  sinn- 
gerecht aufgefaßt,  lediglich  dem  i\llmächtigen  gelten;  denn 
von  ihm  allein  kann  Faust  —  wie  es  dort  weiter  heißt  — 
sagen,  »der  Du  mein  Herz  kennst  und  meine  Seele«,  ihn 
allein  konnte  er  ohne  weiteres  als  den  Lenker  seines  Lebens, 
also  auch  als  den  ansehen,  der  ihm  den  Versucher,  den 
»Schandeesellen«   an  die  Seite  g-ab.    Etwas  Auffälliges  oder 


25  n.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

cfar  Gezwung-enes  ist  auch  nicht  darin  zu  finden,  daß  Faust 
in  seiner  Verzweiflung  über  Gretchens  jammervolles  Ge- 
schick sich  an  Gott  wendet,  an  den  Beistand  in  aller  Noth, 
wie  er  auch  nur  Gott  meinen  kann,  wenn  er  dort  von  der 
»Schuld  vor  den  Augen  des  ewig  Verzeihenden«  redet. 
Zwischen  alle  diese  Ausdrücke  paßt  der  Erdgeist  schlechter- 
dings nicht  hinein;  er  hat  mit  alledem  nichts  zu  schaffen. 
Seine  Eigenschaften  hat  er  selbst  bei  seiner  Erscheinung 
genau  angegeben,  und  niemand,  auch  ein  Fausterklärer  nicht, 
ist  ermächtigt,  diese  Grenzen  weiter  oder  überhaupt  anders 
zu  ziehen.  Gewissenhafte  Fausterklärer  kommen  überdieß 
auch  ohne  solche  Grenzverrückung  aus. 

Gehen  wir  zum  Faustfragment  von  1790  fort,  so  er- 
scheint es  als  zweifellos,  daß  auch  da  GOETHE  den  Schlüssel 
zur  Herbeirufung  Mephistos  noch  nicht  gefunden  hatte.  Des- 
halb beginnt  das  erste  —  jetzt  das  zweite  —  Gespräch 
zwischen  Faust  und  Mephistopheles  inmitten  eines  Satzes, 
obwohl  aus  dem  Zusammenhange  als  sicher  hervorgeht,  daß 
ein  größerer  Theil  des  Vorausgehenden  schon  damals  ge- 
schrieben war;  Goethe  wollte  eben  dadurch,  daß  er  sich 
so  wenig  wie  möglich  weiter  ausließ,  als  zuni  nothdürftigen 
Verständniß  des  Bruchstückes  der  Dichtung  nöthig  war,  sich 
alle  Freiheit  vorbehalten,  die  Anwesenheit  des  Mephistopheles 
in  geeignetster  Weise  zu  begründen.  Dennoch  greift  in  dem 
Fragment  Mephisto  schon  wirksamer  als  früher  ein,  indem 
hier  er  es  ist,  der  den  Hokuspokus  in  Auerbach's  Keller  zu- 
wege bringt,  —  damit  Faust  nicht  sofort  in  höllische  Künste 
eingeweiht  erscheine  —  und  der  durch  die  Hexenküchen- 
scene  Gewißheit  giebt,  daß  Faust's  Verhältniß  mit  Gretchen 
von  ihm  eingeleitet  wird.  Dagegen  sind  nunmehr  die  Gretchen- 
scenen  wesentlich  vermindert:  außer  dem  Monolog  VALEN- 
TINS —  der  im  Urfaust,  da  die  daran  anschließende  Be- 
gegnung mit  Faust  und  Mephistopheles  noch  nicht  folgte, 
allerdings  ziemlich  zwecklos  eingeschoben  war  —  fehlt  die 
Scene    >:•  Trüber    Tag«     und    der    Schluß    der    Tragödie    in 


I.    Einzelnes  zu  «Faust«.  2/ 

Gretchens  Kerker.  Letztere  Weglassungen  erklären  sich  aus 
Goethe's  Brief  an  SCHILLER  vom  5.  Mai  1798;  die  pro- 
saisch geschriebenen  Scenen  —  und  das  waren  im  Urfaust 
beide  —  fand  ersterer  durch  ihre  Natürlichkeit  und  Stärke 
neben  den  gereimten  unerträglich  und  es  war  ihm  noch 
nicht  gelungen,  sie  durch  Umdichtung  in  Reimverse  ohne 
Verlust  an  Tiefe  zu  mildern.  Ueberdies  enthält  die  Scene 
»Trüber  Tag«  manches,  wodurch  GoETHE  sich  für  gebunden 
ansehen  mochte,  namentlich  die  Bezugnahme  auf  Mephisto's 
öftere  Hundsgestalt,  sein  spukhaftes  Treiben  und  seinen  Vor- 
halt an  Faust:  >•  Drangen  wir  uns  Dir  auf  oder  Du  Dich 
uns?«  Aus  dieser  Weglassung  ist  zu  schließen,  daß  GOETHE 
diese  Scene  in  den  achtziger  Jahren  ganz  hat  streichen  und 
durch  den  damals  gedichteten  Monolog  der  Scene  »Wald 
und  Höhle«  ersetzen  wollen;  der  Grund  davon  war  die  Aehn- 
lichkeit  mit  Einzelheiten  dieses  Monologs  namentlich  der 
Stelle  in  der  Scene  »Trüber  Tag« :  »Großer  herrlicher  Geist, 
der  Du  mir  zu  erscheinen  würdigtest,  der  Du  mein  Herz 
kennst  und  meine  Seele,  warum  mußtest  Du  mich  an  den 
Schandgesellen  schmieden,  der  sich  am  Schaden  weidet  und 
am  Verderben  sich  letzt?« 

mit  den  Stellen  des  Monologs  in   »Wald  und  Höhle« 
Erhab'ner  Geist!  —  —  —  —  — 

—  —  Du  hast  mir  nicht  umsonst 
Dein  Angesicht  im  Feuer  zugewendet, 

—  Führst  mich  zur  sichern  Höhle,  zeigst 
Mich  dann  mir  selbst,  und  meiner  eignen  Brust 
Geheime  tiefen  Wunden  öffnen  sich. 

O,  daß  dem  Menschen  nichts  VoUkommnes  wird, 
Empfind'  ich  nun!   Du  gabst  zu  dieser  Wonne, 
Die  mich  den  Göttern  nah'   und  näher  bringt. 
Mir  den  Gefährten,  den  ich  schon  nicht  mehr 
Entbehren  kann,  wenn  er  gleich  kalt  und  frech 


28  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Mich  vor  mir  selbst  erniedrigt  und  zu  nichts 
Mit  einem  Worthauch  Deine  Gaben  wandelt. 

Diese  Stellen  in  den  beiden  Monologen  decken  sich 
gegenseitig  im  wesentlichen  so  vollkommen,  daß  die  späteren 
unmöglich  hätten  geschrieben  werden  können,  wenn  nicht 
die  Absicht  schon  bestanden  hätte,  sie  anstatt  der  früheren 
einzurücken.  In  ihrer  Gesammtheit  war  aber  die  alte  Scene 
»Trüber  Tag«  nicht  entbehrlich  und  hätte  doch  noch  durch 
eine  andere  ersetzt  werden  müssen;  ohne  Einbuße  an  Kraft 
des  Ausdruck's  sie  zu  ändern,  glückte  aber  GOETHEN  nicht 
und  er  mochte  sie  zuletzt  im  abgeschlossenen  »Faust«  um 
so  unbedenklicher  wieder  herstellen,  als  ihre  Widersprüche 
mit  andern  Stellen  im  klaren  Gange  des  Dramas  als  ver- 
schwindend angesehen  werden  konnten,  und  er  wird  es  um 
so  lieber  gethan  haben,  als  Faust's  furchtbarer  Wuthaus- 
bruch gegen  Mephistopheles  eine  der  erschütternsten  Stellen 
des  Dramas  bringt.*) 

Den  Ausweg,  Mephistopheles  ohne  Beschwörung  hölli- 
scher Mächte  als  Faust's  Begleiter  heranzuziehen,  wie  es  jetzt 
im  »Prolog  im  Himmel«  eingeleitet  wird,  hatGOETHE  zweifel- 
los in  den  achtziger  Jahren,  d.  h.  zu  derselben  Zeit  gefunden, 
als  er  den  Monolog  in  »Wald  und  Höhle«  dichtete.  Dessen 
Anlehnung  im  ersten  Theil  an  den  Schluß  des  Buches  Hiob 
steht  in  engem  Zusammenhang  mit  dem  Schluß  des  Mono- 
logs, wo  Faust  beklagt,  daß  Gott  ihm  den  Schandgesellen 
zum  Begleiter  gegeben  habe;  denn  diese  Begleitschaft  ist  ja 
wieder  aus  dem  Buche  Hiob,  worin  sich  Satan  vermißt,  den 
frommen  Hiob  Gott  abwendig  zu  machen  und  Gott  den 
Versuch  geschehen  läßt.  Die  Verweisungen  des  Prologs 
auf  den  Monolog  sind  unverkennbar.    Dort  erklärt  der  Herr: 


*)  In  der  Zeitschrift  »Ei/pkotioni  führt  Nirjahr  (IV.  272 — 287)  aus, 
dass  ähnlicher  Weise  Goethe  in  Faust's  ersten  Monolog  eine  Stelle  stehen 
gelassen  hat,  die  wegen  Widerspruchs  mit  einer  nachträglich  eingeschaltenen 
eigentlich  zu  streichen  gewesen  wäre. 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«, 


29 


Wenn  er  mir  jetzt  auch  nur  verworren  dient, 
So  werd'  ich  ihn  bald  in  die  Klarheit  führen  — - 
und  daß    dies    geschehen,    erkennt    im   Monolog   Faust    mit 
den  Worten  an: 

Dann  führst  Du  mich  zur  sichern  Höhle,  zeigst 
Mich  dann  mir  selbst. 
Im  Prolog  rügt  Gott  vom  Menschen: 

Er  liebt  sich  bald  die  unbedingte  Ruh, 
Drum  geb'  ich  gern  ihm  den  Gesellen  zu  — 
was  Faust  fast  wörtlich  bestätigt: 

Du  gabst  zu  jener  Wonne  .  .  . 
Mir  den  Gefährten. 

Der  Herr  fährt  fort,  indem  er  von  jenem  Gesellen  sagt: 

Der  reizt  und  wirkt  — 
was  Faust  genauer   bezeichnet: 

Er  facht  in  meiner  Brust  ein  wildes  Feuer 

Nach  jenem  schönen  Bild  geschäftig  an. 
Schließt  dann  der  Herr 

—  und  muß  als  Teufel  schaffen, 
so   schildert  Faust  dieses  teuflische  Schaffen   des   Gefährten 
dahin,  daß  er 

—  —  zu  nichts 

Mit  einem  Worthauch  Deine  Gaben  wandelt. 
Damit  ist  indessen  noch  nicht  festgestellt,  ob  zur  Zeit 
der  Monologsdichtung  schon  der  »Prolog  im  Himmel«,  wie 
er  vorliegt,  beabsichtigt  war.  Im  Fragment  von  1790  fehlte 
er  noch,  und  es  lassen  sich  doch  andere  Weisen  denken, 
wie  die  Scene  im  Himmel  mit  dem  Drama  verknüpft  werden 
konnte,  beispielsweise  etwa  durch  eine  in  dessen  Scenen- 
reihe  eingeflochtene  Scene  zwischen  dem  Herrn  und  Me- 
phistopheles  nach  den  ersten  Monologen  Faust's,  wo  dann 
auch  die  Verw^eisung  des  Herrn  auf  die  besondre  Weise, 
mit  der  dieser  Knecht  ihm  diene,  verständlicher  gewesen 
wäre,  als  im  Prolog,  wo  man   von  F"aust  noch  nichts  weiß. 


20  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Daß  Goethe  sonst  noch  mit  »Faust«  sich  an  Hiob 
angelehnt  hat,  geht  auch  aus  der  Stelle  hervor,  wo  Faust 
alles,  was  das  Leben  verschönt,  verflucht  (V.  1597 — 1606), 
was  den  Verfluchungen  Hiob's  im  3.  Capitel  entspricht,  und 
wenn  Faust  die  seinen  schließt 

Fluch  vor  allem  der  Geduld! 
so  erinnert  er  damit  ausdrücklich  an  Hiob   und  seinen  Bei- 
namen der  »Geduldige«.     An  weitere  i\nklänge  an  das  Buch 
Hiob   hat  Deycks  in   den  Gesängen   der  Erzengel   Raphael 
und  Gabriel  im   »Prolog  im  Himmel«   aufmerksam  gemacht. 

Bei  den  nach  alledem  zweifellosen  Beziehungen  des 
»Faust«  zum  Buch  Hiob  war  auch  schon  Mephisto's  Sen- 
dung im  Sinne  dieser  Dichtung  und  damit  ferner  der  Plan 
des  Dramas  in  den  Hauptzügen  gegeben.  Es  fehlte  nur 
noch  ein  Uebergang;  denn  für  das  Faustdrama  genügte  die 
freiwillige  Annäherung  Mephisto's  nicht,  es  war  vielmehr 
nothwendig,  daß  Faust  selbst  ihn  rufe  und  sich  dadurch  der 
Hölle  verpflichte,  um  der  Sage  gerecht  zu  werden,  auch  den 
tragischen  Konflikt  einzuleiten.  Die  Herbeirufung  Mephisto's 
ohne  Teufelsbeschwörung  vermittelte  GoETHE,  wie  bekannt, 
endlich  dadurch,  das  Mephistopheles  nach  dem  ersten  Ge- 
spräche mit  Faust,  wo  er  es  war,  der  diesen  aufsuchte,  sich 
auffälhg  unmotivirt  verabschiedet,  um  sich  hierauf  durch 
bloßes  Klopfen  an  Faust's  Thüre  wieder  anzukündigen  und 
dann  erst  auf  Faust's  dreimaliges  » Herein  I«  nochmals  sich 
einfinden  zu  können.  Diese  langgesuchte  Lösung  fand  GOETHE 
muthmaßUch  am  i.  August  1800,  an  welchem  Tage  er  an 
Schiller  schrieb:  er  habe  eben  einen  kleinen  Knoten  im 
»Faust«  gelöst.  Es  war  aber  die  Art  der  Herbeirufung  des 
Mephistopheles  der  einzige  zu  dieser  Zeit  noch  übrig  ge- 
bliebene Knoten,  nach  dessen  Beseitigung  die  Ausfüllung 
aller  etwa  sonst  noch  vorhandenen  Lücken  keine  Schwierig- 
keit mehr  bot,  ohne  die  aber  auch  nicht  alle  jene  Lücken 
auszufüllen  waren. 

Die  Schwierigkeiten,  die  für  GOETHE  aus  der  Einführung 


I.    Einzelnes  zu  »Faust <f. 


31 


Mephisto's  erwuchsen,  können  übrigens  auch  —  um  nach- 
träglich darauf  hinzuweisen  —  dazu  dienen,  die  Richtigkeit 
von  Manning's  Deutung  des  ParaUpomenon  i  zu  stützen; 
denn  jene  Schwierigkeiten  entsprangen  ledigUch  daraus,  daß 
Goethe  bei  der  im  ParaHpomenon  niedergelegten  Idee  der 
Faustdichtung  auf  den  höllischen  Geist  noch  keine  Rücksicht 
genommen  hatte. 

Nach  der  hier  vorgetragenen,  den  Quellen  entsprechen- 
den Darstellung  der  Entwicklung  der  Faustdichtung  ist  deren 
Fortschreiten  vorzugsweise  dadurch  aufgehalten  worden,  daß 
Goethe  lange  nicht  darüber  ins  Klare  kommen  konnte,  ob, 
und  nachher  wie  er  Mephistopheles  Fausten  beigesellen  solle. 
Sobald  man  diese  Einsicht  über  den  Verlauf  von  Goethe'S 
dichterischer  Beschäftigung  mit  » Faust  <  gewonnen  hat,  wird 
man  sich  überzeugen,  daß  er  ganz  natürlich  vor  sich  ge- 
gangen ist.  Damit  fällt  aber  auch  jeder  Anlaß  weg,  GOETHEN 
zu  unterstellen,  daß  er  beim  Fortschreiten  der  Dichtung  ver- 
schiedenen Plänen  gefolgt  sei.  Also  nochmals  kurz:  An- 
fänglich hatte  Goethe,  wie  er  selbst  bekennt,  gar  keinen 
Plan,  sondern  nur  eine  Idee  vom  Inhalte  eines  Dramas  über 
den  wissensdurstigen  Faust  gehabt;  ein  Plan  hat  sich  erst 
nach  Aufzeichnung  selbstständig  gedichteter  zerstreuter  Scenen 
allmählig  gefunden  und  wurde  hauptsächlich  durch  die  schwierig 
zu  lösende  Frage,  wie  Mephistopheles  einzuführen  sei,  auf- 
gehalten. Das  Behaupten  verschiedner  nach  einander  be- 
nutzter Pläne  ist  rein  aus  der  Luft  gegriffen,  lediglich  als 
eine  Ausflucht,  sich  die  vermeintliche  Anrede  an  den  Erd- 
geist im  Monolog  in  »Wald  und  Höhle«  zu  erklären.  Es 
hat  den  Fausterklärern  nur  gedient,  ihre  Phantasien  spielen 
zu  lassen.  Vielleicht  könnte  jemand  meinen,  es  sei  auch 
ein  müßiger  Aufwand  von  Zeit  und  Arbeit,  diese  Phantasie- 
spiele zu  zerstören:  Goethe's  » Faust ^«  bleibe  Goethe's 
»Faust«  nach  wie  vor,  und  den  Monolog  genieße  man  gleich- 
mäßig, möge  unter  dem  »Erhab'nen  Geist«  Gott  oder  aber 
der   Erdgeist    verstanden    werden.      Das   wäre    indessen   ein 


■2  2  II.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Irrtum!  Wer  jedesmal,  wenn  er  an  »Faust«  geht,  sich 
wiederum  mit  ernstem  Nachdenken  darein  vertieft,  wird  auch 
jedesmal  etwas  darin  finden,  das  ihm  neu  erscheint.  Und 
bei  solcher  Vertiefung  ist  es  gründlich  lähmend,  wenn  man 
auf  Verfolgen  des  Plan's  der  Dichtung  fast  verzichten  müfSte, 
weil  ja  Goethe  haltlos  von  Plan  zu  Plan  getaumelt  sei. 
Die  Vernichtung  der  Legende  von  den  mehreren  Faustplänen 
ist  daher  auch  eine  Verklärung  des  einen  und  einzigen  »Faust«. 


VORBILDER  ZU   FAUST. 

Bildliche  Darstellungen  als  Grundlagen  für  Scenen  im 
»Faust«  sind  für  dessen  zweiten  Theil  nach  denen  in  den 
» Goethe-Forschungen  —  Neue  Folgen  noch  einige  hin  und 
wieder  nachgewiesen  worden;  so  namentlich  von  KuNO 
Francke  in  t>  Studie s  and  Notes  \n  Philology  and  Literatw'e 
pp  of  Havard  Universityv.  S.  123  ff  und  von  F.  A.  LOUVIER 
in  -i)  Goethe  als  Kabbaiist <i  S.  128  nachgewiesen.  Dagegen 
dürfte  der  Walpurgisnacht  kein  Bild  zu  Grunde  liegen,  wie 
früher  angenommen  wurde;  keine  der  verschiedenen  Ab- 
bildungen von  Teufels-  und  Hexenscenen  auf  dem  Blocks- 
berg giebt  alle  von  GOETHE  benutzte  wieder,  alle  jedoch 
finden  sich  in  Schilderungen,  die  durch  jene  Abbildungen 
illustrirt  werden,  folglich  als  gemeinsame  Quelle  sowohl 
dieser,  wie  auch  GOETHE'S  sind. 

Indessen  giebt  es  jedenfalls  noch  andere  Faustscenen, 
die  auf  Bilder  zurückgehen,  ohne  daß  diese  bis  jetzt  ermittelt 
sind.  Das  ist  z.  B.  offenbar  der  Fall  bei  der  im  Urfaust 
befindlichen,  später  ausgelassenen  kurzen  Scene? 

»  Faust 
Was  giebts  Mephisto?    Hast  du  Eil; 
Was  schlägst  vorm  Kreuz  die  Augen  nieder? 


2.    Einzelnes  zu  »Faust«. 


33 


Mephisto 
Ich  weiß  es  wohl,  es  ist  ein  Vorurtheil, 
Allein  genug,  mir  ist's  einmal  zuwider.« 
Zu  diesem  Gespräche  hätte  es  eigentlich  nur  eines  Kreuzes 
am  Wege  als  Decoration  bedurft,  Goethe'S  Scenenvorschrift 
besagt  jedoch: 

»Landstraße.  Ein  Kreuz  am  Wege.  Rechts  auf  dem 
Hügel  ein  altes  Schloß,    in  der  Ferne   ein  Bauernhüttchen.« 

Dieser  Hintergrund  hat  schlechterdings  nichts  mit  der 
Handlung  zu  schaffen  und  wird  nur  erklärlich,  wenn  man 
annimmt,  daß  Goethe  durch  ein  Bild  zu  der  Scene  ange- 
regt wurde.  In  GOTTFRIED  WiNKLER's  Gemäldesammlung 
zu  Leipzig  befand  sich  eins  von  DIETRICH,  das  in  KreuCHAUFF's 
y> Historischen  Erklämingenv-  so  beschrieben  ist:  »In  einer 
italienischen  Gegend  führt  eine  steinerne  Brücke,  über  welcher 
am  jenseitigen  Ufer  ein  Crucifix  aufgestellt  ist,  zur  linken  bei 
den  Ruinen  eines  runden  Thurmes  hin.  Unter  dem  mittelsten 
Schwibbogen  fällt  das  Wasser  nieder  und  schleicht  ruhig 
auf  seinem  ebenen  Bette  vorüber.«  Das  paßt  allerdings 
nicht  ganz  zu  GoETHE's  Docoration,  allein  es  ist  möglich, 
daß  ihm  das  Bild  in  verblaßter  Erinnerung  so  vorschwebte. 
Wäre  das  nicht,  so  müßte  das  Vorbild  der  Oertlichkeit 
obiger  Scene  noch  gesucht  werden;  als  vorhanden  ist  es 
unbeding-t  anzunehmen. 


DIE  DOMSCENE. 

Ein  Aufsatz  von  Paul  Harms  in  Nr.  231  der  y Frank- 
furter Zeitimg '<  von  1892  über  die  Domscene  im  »Faust« 
hat  in  folgenden  Nummern  weitere  Auslassungen  darüber 
hervorgerufen;  sie  beziehen  sich  einerseits  auf  die  Bedeutung 
und  die  dramatische  Berechtigung  des  darin  auftretenden 
Bösen   Geistes,    andererseits    auf   dessen    Bühnendarstellung. 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  3 


■2A  11-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Die  Zweifel  über  die  Statthaftigkeit,  dieses  Wesens  in  der 
Faustdichtung  auftreten  zu  lassen,  stützen  sich  dort  haupt- 
sächlich darauf,  daß  solche  Gespenstererscheinungen  bei 
Shakespeare  —  in  »Ric/mrä  I/L« ,  y>  Julius  Cäsar  <, 
■i>Hamlei<.<  und  •>->Macbelth'i  —  etwas  ganz  iVnderes  seien, 
und  zwar  mit  Fleisch  und  Blut  begabt,  während  jener  Böse 
Geist  eine  allegorische  Figur,  nämlich:  Gretchens  Gewissen, 
sei.  Damit  ist  eigentlich  nichts  gesagt;  Shakespeare'S  Ge- 
spenster sind  nichts  weniger,  als  nach  einem  einheitlichen 
Typus  gebildet  und  z.  B.  die  der  Pucelle  im  ersten  Theil 
von  »Heinrich  VI.«-  erscheinenden  wieder  andere  Wesen, 
als  die  vorgedachten,  sodaß  an  sich  nicht  ausgeschlossen  er- 
scheint, daß  er  auch  ein  dem  Bösen  Geist  im  »Faust«  ähn- 
liches geschaffen  haben  würde,  wenn -er  Gelegenheit  dazu 
gefunden  hätte.  Allein  es  ist  überdies  eine  sehr  beschränkte 
Ansicht,  alles  im  Schauspiel  für  unzulässig  zu  halten,  was 
nicht  durch  SHAKESPEARE  eingeführt  ist,  und  damit  also 
die  Bühnenkunst  für  abgeschlossen  zu  erklären.  Auch  mit 
der  Ausflucht  kommt  man  nicht  fort,  daß  man  die  angebliche 
undramatische  Erscheinung  des  Bösen  Geistes  mit  der  Be- 
hauptung entschuldigt,  GOETHE  habe  den  »Faust«  gar  nicht 
für  die  Bühne  geschrieben;  denn  schon  aus  der  genauen  Scenen- 
vorschrift  der  in  Rede  stehenden  Scene:  »Dom,  Amt,  Orgel 
und  Gesang.  Gretchen  unter  vielem  Volke.  Böser  Geist 
hinter  Gretchen«  ist  zu  entnehmen,  daß  GOETHE  allerdings 
eine  wirkliche  Bühne  im  Sinne  hatte,  also  verantwortlich 
wäre,  wenn  er  undramatisch  gedichtet  hätte.  Es  ist  aber 
anmaßend,  seine  Dichtung  als  verfehlt  zu  tadeln,  weil  man 
sie  nicht  gleich  in  eine  geläufige  Rubrik  unterzubringen  weiß; 
vielmehr  wird  man  sich  die  Mühe  nicht  ersparen  dürfen, 
zunächst  von  allgemeinen  Gesichtspunkten  aus  zu  erforschen, 
warum  GOETHE  so,  wie  geschehen,  gedichtet  hat.  Dann 
kann  man  seine  Gründe  dagegen  vorbringen,  wenn  man 
deren  findet;  indessen  wenn  jemand  seine  Ansichten  als 
maßgebend  dem,   was    von  GoETHE    ausgegangen   ist;  ent- 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«.  25 

gegenstellt,  so  wird  er  sich  darauf  gefaßt  machen  müssen, 
den  Kürzeren  zu  ziehen,  gesetzt  auch,  daß  er  selbst  es  nicht 
einsieht.  Im  vorliegenden  Falle  könnte  freilich  auch  gegen 
den  Bösen  Geist  der  Einwand  erhoben  werden,  daß-  bühnen- 
technische Gründe  die  Ausführung  dessen,  was  GOETHE  ge- 
wollt,  unthunlich  machen. 

Allerdings  —  um  dies  vorerst  abzuthun  —  wenn  der 
Böse  Geist  Gretchen's  Gewissen  sein  soll,  so  läßt  sich  die 
Schwierigkeit  seiner  Darstellung  nicht  verkennen;  sie  ist 
schon  dadurch  erwiesen,  daß  sie  in  der  mannigfachsten  Weise 
versucht  worden  ist.  Da  dem  Gewissen  weder  im  Volks- 
glauben noch  in  der  Kunst  eine  sichtbare  Gestalt  beigelegt 
ist,  so  gebricht  es  an  dem  Mittel,  auf  der  Bühne  sofort  ver- 
ständlich zu  machen,  was  für  ein  Wesen  dieser  Böse  Geist 
sei,  und  man  half  sich  meistens  durch  Umgehung  von 
Goethe's  ausdrücklicher  Bühnenvorschrift.  Bei  der  durch 
TiECK  1829  in  Dresden  veranstalteten  ersten  Aufführung 
des  »Faust«  wurde  die  Rolle  des  Bösen  Geistes  von  einer 
unsichtbaren  Person  gesprochen;  der  Böse  Geist  stand  sogar 
nicht  einmal  auf  dem  Theaterzettel.  Später  erschien  ander- 
wärts der  Böse  Geist  als  eine  in  Grau  gekleidete,  ver- 
schleierte Frau,  wobei  im  Burgtheater  die  Wolter,  um  sich 
deutlich  als  Gretchen's  zweites  Ich  zu  erkennen  zu  geben, 
allen  Bewegungen  Gretchen's  wie  ein  Spiegelbild  folgte, 
während  diese  graue  Frau  nachmals  in  Dresden  auf  einem 
Steine  sitzend  hinter  Gretchen  aus  der  Versenkung  auf- 
tauchte. In  Weimar  erhob  sich  früher  aus  der  Versenkung 
nur  ein  ungeheurer  Kopf,  wodurch  übrige  Kostümfragen  ab- 
geschnitten waren.  Nach  DingelsteDT's  Anordnung  zeigt 
sich  auch  nur  der  Kopf  des  Bösen  Geistes  aber  in  mensch- 
licher Größe  und  in  einer  sich  öffnenden  Säule  neben  Gretchen. 
Julius  Nisle  stellt  hinter  Gretchen  eine  ihr  ähnliche  Frauen- 
gestalt, die  ihr  zuflüstert.  Otto  Devrient  fand  es  unan- 
gemessen, daß  Gretchen  im  Wechsel  mit  ihrem  Gewissen 
sich  unterredete,  weshalb  er  Gretchen  die  Worte  des  Bösen 


•2  5  11.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Geistes  selber  sprechen  ließ  —  allerdings  im  entschiedensten 
Widerspruch  gegen  GOETHE'S  Absicht.  Das  Sonderbare 
erkennend,  daß  Gretchen  hiernach  bald  als  wirkliche  Person 
bald  als  das  von  ihr  getrennte  Gewissen  spricht,  geht  ein 
anderer  Vorschlag  dahin,  ihr  nur  die  Worte  des  Bösen  Geistes 
in  den  Mund  zu  legen,  dagegen  ihre  eigenen  Zwischen- 
reden zu  streichen,  so  daß  sie  von  GOETHE's  ihr  beigelegten 
Worten  nur  »Nachbarin  Euer  Fläschchen!«  zu  sagen  hätte. 
In  weiterer  Folge  solcher  Erwägungen  gelangt  Harms  zu 
der  Ansicht,  daß  auf  der  Bühne  die  ganze  Domscene  aus- 
zufallen habe,  was  zulässig  sei,  da  sie  nicht  in  die  Handlung 
so  eingreife,  daß  sie  einen  Wendepunkt  derselben  bezeichne. 

Das  ist  freilich  ein  radicales  Mittel,  sich  aus  der  Ver- 
legenheit zu  reißen!  Gewiß  tritt  in  der  Domscene  kein  Wende- 
punkt ein,  allein  entbehrlich  ist  sie  schon  darum  nicht,  weil 
wir  nur  durch  sie  die  Kunde  erhalten,  daß  Gretchen  den 
Tod  ihrer  Mutter  verschuldet  hat;  auch  ihre  Schwangerschaft 
wird  nur  durch  den  Bösen  Geist  bestimmt  ausgesprochen. 
Alle  diese  verschiedenartigen  Auswege  und  Vorschläge,  die 
doch  zu  keinem  allseitig  befriedigenden  Ergebnisse  führten, 
sind  aber  die  Folge  davon,  daß  man  als  feststehend  an- 
nahm, der  Böse  Geist  stelle  Gretchen's  Gewissen  vor.  Ist 
das  aber  in   der  That  der  Fall?    Ist   es  auch    nur    möglich? 

Es  ist  eigentlich  unerhört,  wie  man  GOETHE  zutrauen 
kann,  daß  er,  der  in  den  zahlreichen  Geistergestalten,  die 
er  im  »Faust«  vorführt,  immer  nur  solche  erscheinen  läßt, 
die  er  im  Volksglauben  oder  in  der  Kunst  vorfand,  die  platte 
Allegorie  von  Gretchen's  Gewissen  geschaffen  haben  sollte! 
Aber  ferner  auch:  wenn  ihm  diese  Wunderlichkeit  entfahren 
wäre,  daß  er  auf  die  noch  erstaunlichere  verfallen  sein  sollte, 
das  Gewissen  als  Bösen  Geist  zu  bezeichnen!  Zwar  hat  man 
darauf  verwiesen,  daß  ja  nach  Glaubenssatzungen  der  oberste 
böse  Geist,  der  Teufel,  es  ist,  der  die  über  Sünder  verhängten 
Strafen  vollzieht;  auch  hat  man  den  Ausdruck  Böser  Geist 
mit  bösem  Gewissen  eleicheestellt.     Letzteres  ist  aber  doch 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«. 


37 


nur  eine  sprachgebräuchliche,  logisch  falsche  Wendung  für: 
mit  böser  That  belastetes  Gewissen.  Nach  unseren  allge- 
meinen Begriffen  aber  beruht  das  Gewissen  nicht  auf  Ein- 
wirkung eines  bösen  Geistes,  sondern  ist  im  Gegentheil 
Regung  des  Guten  im  Menschen.  Kurz,  es  ist  geradezu 
undenkbar,  wie  Goethe  auf  den  Gedanken  gekommen 
sein  sollte,  Gretchen's  Gewissen  durch  den  Bösen  Geist  dar- 
zustellen. 

Ganz  anders  liegt  jedoch  die  Sache,  wenn  GoETHE 
etwas  Derartiges  vorfand,  wenn  er  den  bösen  Geist  als  Er- 
reger des  Gewissens  einer  Quelle  entnahm,  die  sich  sonst 
für  seinen  »Faust«  ergiebig  erwies.  Und  da  brauchen  wir 
denn  nicht  lange  zu  suchen:  diese  Quelle  ist  die  Bibel.  Nach- 
dem im  I.  Buch  Samuel's  berichtet  ist,  daß  König  Saul 
sich  an  Gott  versündigt  habe  (15,  20 — 26.  16,  i),  heißt  es 
im  16.  Capitel,  Vers  14:  »Ein  Böser  Geist  vom  Herrn  machte 
ihn  sehr  unruhig.«  Hierauf  Vers  15:  »Da  sprachen  die 
Knechte  Saul's  zu  ihm:  Siehe  ein  Böser  Geist  von  Gott 
machet  dich  sehr  unruhig.«  Sodann  empfehlen  sie  dem 
Könige,  einen  Harfenspieler  holen  zu  lassen:  »auf  daß,  wenn 
der  Böse  Geist  Gottes  über  dich  kommt  etc.«.  Ferner  ist 
Vers  23  erwähnt:  »Wenn  nun  der  Geist  Gottes  über  Saul 
kam,  so  nahm  David  die  Harfe  und  spielte  .  .  .  und  der 
Böse  Geist  wich  von  ihm.«  —  Das  ist  also  ein  nicht  nur 
gleich  benannter,  sondern  auch  ein  ganz  gleich  gearteter 
Geist  wie  der,  welcher  in  der  Domscene  Gretchen  be- 
unruhigt. 

Es  spricht  nicht  gegen  diese  Entlehnung  Goethe's, 
daß  dem  über  Saul  kommenden  Geiste  keine  Worte  in  den 
Mund  gelegt  sind  und  daher  die  Annahme  zulässig  erscheint, 
unter  diesem  Geiste  sei  nur  Saul's  innere  Gewissensangst 
zu  verstehen.  Aber  abgesehen  davon,  daß  nach  alttestament- 
licher  Darstellung  solche  von  Gott  kommende  Mahnungen 
überhaupt  personifizirt  zu  werden  pflegen,  so  ist  doch  die 
Frage,  ob  in  diesem  Falle  gerade  der  Böse  Geist  als  Person 


■3  3  11.    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

gedacht  sei  oder  nicht,  darum  müßig,  weil  GoETHE  jeden- 
falls im  biblischen  Sinne  berechtigt  war,  ihn  als  solche  auf- 
zufassen; er  mußte  ihm  aber  noth wendig  Sprache  verleihen, 
weil  im  Drama  nur  auf  diese  Weise  zum  Ausdruck  zu  bringen 
war,  wodurch  Gretchen  beunruhigt  wurde. 

Nach  der  im  Buche  Hiob  und  sonst  im  alten  Testamente 
herrschenden  Anschauung  kann  die  Vorstellung,  daß  ein 
böser  Geist  von  Gott  kommt,  um  das  Gewissen  aufzuregen, 
nicht  befremden;  auch  Satan  ist  hiernach  desselben  Ursprungs. 
Im  Anfange  des  Buches  Hiob  (i,  6  und  2,  i)  treten  die 
Kinder  Gottes  vor  den  Herrn,  und  unter  ihnen  ist  auch  der 
Satan.  Er  ist  kein  gottfeindlicher  Geist,  sondern  nur  der 
von  Gott  bevollmächtigte  Versucher  des  Menschen;  —  wie 
auch  I.  Moses  3,  i  und  i.  Chronik  21,  (22,)  i  —  wenn 
sie  der  Versuchung  nicht  widerstehen,  in  der  Prüfung  ihrer 
Frömmigkeit  sich  nicht  bewähren,  so  verfallen  sie  der  Herr- 
schaft des  Satans,  welcher  Vollstrecker  der  von  Gott  ver- 
hängten Strafen  ist  und  dieses  i\mt  mit  Gier  ausübt.  Diese 
Auffassung  ändert  sich  mit  dem  Christenthum;  denn  da  im 
Gegensatz  zu  jenen  Aufgaben  Satans  vielmehr  Jesus  Besserung 
und  Erlösung  der  Sünder  erstrebte,  so  ist  dieser,  keineswegs 
aber  Gott  selbst,  Feind  des  Satans.  So  hat  auch  GOETHE 
sich  Mephistopheles  gedacht  und  zwar  nicht  erst  im  später 
gedichteten  »Prolog  im  Himmel«,  sondern  schon  im  Urfaust, 
auf  den  wir  uns  bei  dieser  Erörterung  beschränken  können, 
weil  die  Domscene  bereits  im  Urfaust  steht.  Diese  Vor- 
stellungsweise Goethe'S  ergiebt  sich  aber  daraus,  daß 
Mephistopheles  in  jenen  ursprünglichen  Scenen  öfters  und 
ohne  Bedenken  Gott  nennt  (namentlich  V.  318,  442,  444, 
814  und  897  des  Urfaust),  dagegen  auch  hier  schon  vor  dem 
bloßen  Zeichen  des  Kreuzes  Grauen  empfindet  (V.  454  f.).  Beim 
Abschluß  des  ersten  Theils  der  Tragödie  tritt  diese  Gegner- 
schaft zu  Jesus  noch  mehr  hervor,  besonders  bei  der  Ueber- 
setzung  des  Johannisevangeliums  und  der  Beschwörung  des 
Pudels. 


I.    Einzelnes  zu  »Faust«. 


39 


Haben  wir  nun  die  Herkunft  des  Bösen  Geistes,  somit 
den  Unterschied  ermittelt,  der  zwischen  der  vermeintUch 
aus  Gretchen's  Innern  stammenden  Stimme  des  Gewissens 
und  dem  vonaußen  kommenden  Geiste  besteht,  so  haben 
wir  damit  auch  einen  Anhalt  für  dessen  Bühnendarstellung 
gewonnen.  Zunächst  darf  er  hiernach  nicht  als  Frau  ge- 
geben werden,  die  nur  die  Annahme  von  Gretchen's  anderem 
Ich  entschuldigte,  sondern  wie  böse  Geister  sonst  allent- 
halben als  ein  männliches  Wesen,  übrigens  aber  ebenso  wie 
das  andere  Kind  Gottes,  wie  Mephistopheles,  als  ein  Teufel, 
der  sich  ja  im  Maskenzug  vom  i8.  December  i8i8  geradezu 
als  böser  Geist  bekennt.  In  Einklang  damit  steht  die  bild- 
liche Darstellung  der  Domscene  von  CORNELIUS  und  F.  SiMM, 
worin  hinter  Gretchen's  Kirchensitz  sich  eine  Teufelsgestalt 
herüberbiegt.  Da  aber  bei  der  Bühnenaufführung  trotz  der 
Teufelstracht  die  Natur  des  beim  Beginn  der  Scene  schon 
dastehenden  Bösen  Geistes,  namentlich  seine  Unsichtbarkeit 
für  Gretchen  nicht  klar  zu  erkennen  sein  würde,  so  möchte 
die  Einrichtung  so  getroffen  werden,  daß  er  erst  nach  einigen 
Tacten  des  Orgelspiels  aus  der  "Versenkung  aufstiege  und 
nach  seinen  letzten  Worten  wieder  verschwände.  Drach, 
früher  Regisseur  des  Hoftheaters  zu  Dresden,  jetzt  in  München, 
findet  es  indessen  bedenklich,  in  der  christlichen  Kirche  einen 
Teufel  erscheinen  zu  lassen  und  will  daher  den  bösen  Geist 
durch  einen  bösen,  daher  dunkelfarbig  gekleideten  Engel 
dargestellt  sehen,  den  er  sich  als  Architekturtheil  angebracht 
und  als  solcher  sprechend  denkt. 

Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  aber  noch  ein  paar  Be- 
merkungen über  die  Darstellung  der  Domscene  anknüpfen. 
Das  Todtenamt,  das  da  gefeiert  wird,  gilt  der  Mutter  Gret- 
chen's. In  der  GüCHHAUSEN'schen  Abschrift  des  »Faust« 
stand  in  der  Ueberschrift  der  Scene  ausdrücklich:  »Exequien 
der  Mutter  Gretchen's.«  Das  hat  GOETHE  zwar  nachmals 
gestrichen,  aber  jedenfalls  nur  deshalb,  weil  es  undramatisch 
war,  die  Bedeutung  des  abgehaltenen  Todtenamts  auf  diese 


AO  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Weise  zu  bekunden,  wie  er  auch  z.  B.  in  der  Gartenscene 
die  Vorschrift  beseitigt  hat,  daß  Gretchen  mit  Herzklopfen 
hereinkommen  solle.  Wem  das  Amt  im  Dome  gilt,  das 
geht  aus  dem  Zusammenhange  genügend  hervor;  denn  einer- 
seits wäre  die  Vorführung  solcher  kirchlichen  Handlung, 
wenn  sie  dem  Tode  einer  beliebigen  fremden  Person  gälte, 
ganz  ungehörig  in  der  Dichtung,  und  andererseits  machen 
auch  die  Gegenwart  Gretchen's  und  die  Reden  des  Bösen 
Geistes  die  Bestimmung  des  Todtenamts  zweifellos.  Wenn 
schon  seit  dem  Hingang  der  Mutter  Gretchen's  einige  Zeit 
verflossen  sein  muß,  so  ist  das  kein  Gegengrund,  da  Seelen- 
messen oft  erst  Wochen  nach  dem  Tode  gefeiert  werden. 
Der  Zuschauer  wegen  und  um  diese  von  vornherein  auf  den 
richtigen  Standpunkt  zu  stellen,  erscheint  es  aber  angemessen, 
daß  Gretchen  in  dieser  Scene  Trauerkleidung  trägt. 


s>^^*^, 


2.  Zu  »Tasso«. 


Torquato    Tasso.     Ein   Schauspiel    von  Goethe     Mit   Einleitung    und  An- 
merkungen  herausgegeben    von    Franz  Kern.     Berlin   1893.     Nicolai'sche 
Verlags-Buchhandlung  R.  Stricker 


II  diesem  Buche  wird  eine  gründliche  Arbeit  über 
Goethe'S  Dichtung  geboten,  die  Kern  seit  1884 
bereits  in  drei  Schriften  zum  Gegenstand  seiner 
Forschung  gemacht  hat.  Welche  verschiedene 
Auffassungen  der  Dichtung  für  berechtigt  gehalten  werden 
können,  wird  bei  so  eingehender  Behandlung  begreiflich, 
daher  auch,  daß  selbst  mit  dem  gründlich  zu  Werke  gehenden 
Verfasser  nicht  jeder  sich  allenthalben  einverstanden  erklären 
kann. 

Kern  wirft  die  Frage  auf,  ob  Goethe's  Drama  eine 
Tragödie  zu  nennen  sei.  GoETHE  nannte  es  Schauspiel, 
wenn  es  aber  im  Grunde  nach  unseren  Anschauungen  über 
Bühnenwerke  nur  zweierlei  Gattungen  derselben  giebt,  bei 
deren  einer  die  ganze  Persönlichkeit  eines  Menschen  ein- 
gesetzt wird,  bei  der  anderen  dagegen  Begebnisse  vorgeführt 
werden,  in  welche  Persönlichkeiten  nur  als  bewegende  Kräfte 
eingreifen,  so  muß  »Tasso«  unbedingt  der  ersteren,  der  Tra- 
gödie, zugezählt  werden.  Kern's  Zweifel  erklärt  sich  aus 
seiner  Ansicht  über  das  Ziel  der  GoETHE'schen  Dichtung; 
er   findet   es   in   der   aus   Tasso's   Leiden    gewonnenen    Kraft 


A2  II-    Quelleis'  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

der  Erhebung,  die  zu  seiner  Heilung  führe.  (S.  20  fg.)  Er 
erblickt  in  der  Handlung  des  Dramas  die  Absicht,  Tasso's 
Heilung  von  krankhaften  Vorstellungen  und  ungehörigen  An- 
sprüchen herbeizuführen,  und  daher  ist  ihm  die  Katastrophe 
nicht  die  Zerstörung  des  zarten  Verhältnisses,  in  dem  Tasso 
zur  Prinzessin  steht,  sondern  der  für  ihn  nothwendige  Bruch 
mit  dem  herzoglichen  Hause.  (S.  9.  17.  26.)  Um  diese 
Voraussetzung  zu  stützen,  erklärt  KERN  aus  der  Dichtung 
heraus,  daß  es  Tasso  an  erster  Stelle  um  die  Gunst  des 
Herzogs  zu  thun  sei.  Er  sieht  also  in  GOETHE'S  Schauspiel 
ein  seelenärztliches  Experiment.  Diese  Auffassung  ist  aber 
entschieden  abzuweisen;  es  würde  ein  Herabwürdigen  der 
Bedeutung  der  Dichtung  sein,  wenn  ihr  Ziel  wäre,  einen 
Mann  als,  wenn  auch  nur  für  den  Augenblick,  vernichtet 
darzustellen,  weil  er  die  Gunst  eines  Fürsten  verlor.  Wäre 
dies  Folge  der  krankhaften  Vorstellungen,  so  gehörte  deren 
\"orführung  in  ein  psychiatrisches  Colleg  einer  medicinischen 
Facultät  oder  vor  die  Praktiker  eines  Irrenhauses,  nicht  aber 
auf  eine  Kunstbühne.  Nur  im  Lustspiel,  also  bei  ganz 
anderer  Behandlung,  könnte  man  sich  ein  solches  Ziel  eines 
Dramas  etwa  gefallen  lassen.  GOETHE  hat  indessen  seinem 
Tasso  nicht  so  mitgespielt,  und  man  wird  gern  hören,  daß 
Kern  auf  Irrwegen  geht.  Zwar  legt  Goethe's  Tasso  auf 
des  Herzogs  Gunst  hohen  Werth  und  spricht  dies  kräftig 
aus,  es  liegt  aber  auf  der  Hand,  daß  er  von  seiner  Liebe 
zur  Prinzessin  nicht  ebenso  unverhüllt  reden  darf,  wie  ihm 
denn  jene  Gunst  überdies  gerade  zu  Erhaltung  des  Verhält- 
nisses zur  Prinzessin  vom  größten  Werthe  sein  muß.  Daß 
er  jedoch  letzteres  höher  stellt,  setzt  das  Gespräch  mit  der 
Prinzessin  im  ersten  Auftritte  des  zweiten  Aufzugs  außer 
Zweifel,  wenn  Tasso  ihr  sagt,  daß  er  mit  ihr 

Aus  freiem  Busen  wagen  darf  zu  reden, 
und  dann,  auf  das  gleiche  Vertrauen  des  Herzogs  verwiesen, 
einwendet: 

Er  ist  mein  Fürst! 


Zu    »Tasso«. 


43 


Noch  eine  Stelle  läßt  unwiderleglich  erkennen,  daß  ihm  die 
Beziehung  zur  Prinzessin  jeder  anderen  voransteht,  und  zwar 
in  der  Schlußscene: 

ich  bin  nichts! 

Ich  bin  mir  selbst  entwandt,  sie  ist  es  mir. 
Kern  —  obgleich  er  das  »sie«  auf  die  Prinzessin  deutet  — 
bemerkt  doch  zu  heimlicher  Unterstützungf  seiner  Auffassung, 
daß  es  auch  auf  die  einige  Zeilen  vorher  erwähnte  »Kraft« 
bezogen  werden  könne.  Das  ist  aber  unmöglich.  Denn 
Tasso  fragt  nicht  nur,  ob  seine  »Kraft« ,  sondern  auch,  ob 
sein  »Talent«,  auch  noch,  ob  er  selbst  verloren  gegangen 
sei,  und  faßt  das  zusammen  mit  den  Worten: 

Nein,  es  ist  Alles  da! 
Hiernach   wäre   es    sprachlich   schlechterdings    unbegreiflich, 
wie  das   hierauf  folgende   »sie«   auf  die   weit   zurückliegende 
»Kraft«   bezogen  werden  könnte. 

Kehren  wir  zurück  zu  Kern's  Annahme,  daß  aus  Tasso's 
letzten  Worten  die  Hoffnung  auf  seine  Heilung  und  Er- 
hebung zu  schöpfen  sei,  so  kann  ihm  auch  darin  nicht  bei- 
gepflichtet werden;  denn  wenn  Tasso  sich  als  einziges 
Rettungsmittel  wie  der  Schiffer  an  den  Felsen,  an  dem  er 
scheitern  sollte,  an  Antonio  anklammert,  an  den  Mann,  der 
seinem  Wesen  nach  —  um  mit  GOETHE  zu  reden  —  um 
mehr  als  ein  Erddiameter  von  ihm  getrennt  ist,  so  gleicht 
er  eben  dem  Schiffer,  der,  nachdem  er  Alles  verlor,  nur  das 
nackte  Leben  retten  will:  Tasso  hat  damit  seine  Persönlich- 
keit verloren.  HERMANN  Grimm  hat  unbestreitbar  Recht, 
wenn  er  in  seiner  fein  und  glänzend  geschriebenen  Ent- 
wickelung  -»Leonore  von  Este'(  ausspricht,  daß  Goethe's 
»Tasso«  auf  »eine  Vernichtung,  ein  Zugrundegehen«  aus- 
laufe. Diese  Wahrheit  kann  nur  diejenigen  befremden,  die 
in  diesem  Schauspiel  das  fast  unabwendbare  Leiden  des,  dem 
Niedrigirdischen  abgewandten  Dichters  sehen.  Es  stünde 
aber  schlimm  um  GOETllE's  Ansicht  über  Dichter,  wenn  ihm 
der  Tasso  seines  Schauspiels  das  Ideal  eines  solchen  gewesen 


44  ^^-    Quellen  und  Anlässe  Goethischek  Dramen. 

wäre.  Sein  Tasso  ist  zwar  echter  Dichter,  aber  nur  das; 
er  ist  kein  rechter  Mensch,  d.  h.  er  vernachlässigt  seine 
Pflichten  als  Glied  der  Menschheit,  was  er  nicht  ungestraft 
thun  kann.  Im  Gefühle  seines  eigenen  Werthes  verliert  der, 
dem  Wechselverkehr  mit  der  übrigen  Welt  sich  entziehende 
Tasso  den  Maßstab  zur  Schätzung  des  Werthverhältnisses 
zu  anderen  Menschen,  und  die  daraus  entspringende  Un- 
fähigkeit, andere  zu  beurtheilen,  hindert  ihn  zunächst  die 
Gründe  ihres  Handelns  zu  würdigen  und  läßt  ihn  dann  das 
ihn  unangenehm  berührende  fremde  Handeln  als  Feindselig- 
keit auffassen;  er  geräth  hierauf  in  den  Zustand  steter  miß- 
trauischer Beobachtung  der  gesammten  Umgebung,  der  sich 
endlich  zum  Verfolgungswahnsinn  steigert.  GOETHE  hat  mit 
wunderbarer  psychologischer  Feinheit  ausgeführt,  wie  Tasso 
mit  dem  Scharfsinnn  des  Wahnwitzigen  aus  jeder,  sogar  ihm 
wohlwollenden  Handlung  anderer  Personen  etwas  heraus- 
späht, was  seiner  fixen  Idee  zustatten  kommt.  Nachdem 
er  endlich  durch  seine,  den  Wahnsinn  nur  zeitweilig  ent- 
kräftende Liebe  zur  Prinzessin  einen  Gewaltbruch  herbei- 
geführt hat,  der  Wiederherstellung  unmöglich  erscheinen  läßt, 
so  ist  auch  für  ihn  selbst  trotz  der  versöhnlichen  Annäherung 
Antonio's  keine  Wiederherstellung  mehr  denkbar.  GoETHE 
hat  darin  den  geschichtlichen  Tasso  treuer  dargestellt,  als 
gemeinhin  angenommen  wird. 

Es  würde  an  dieser  Stelle  zu  weit  führen,  die  Charaktere 
der  übrigen  Personen  des  Dramas  durchzugehen;  es  kann 
um  so  eher  unterbleiben,  als  Kern's  Darlegungen  im  Wesent- 
lichen als  zutreffend  anzuerkennen  sind.  Für  das  Verständ- 
niß  der  Dichtung  sind  ferner  seine  Parallelen  mit  der  y> Natür- 
lichen TocJitev!.  (S.  2i)  und  noch  mehr  die  mit  ^^ Iphigenie <{• 
(S.  23  fg.)  von  Werth;  überdies  ist  auf  die  sehr  glückliche 
Gegenüberstellung  HERMANN  Grimm's  mit  »  Werther v.  hin- 
zuweisen. 

Bei  jeder  Dichtung  Goethe's  drängt  sich  die  Frage 
nach   deren  Veranlassung  auf.     Mae   immerhin   bei   »Tasso  - 


Zu  Tasso. 


45 


diese  Frage  insofern  müßig  erscheinen,  als  ihre  Beantwortung 
zum  Verständniß  und  Genuß  der  Dichtung  schwerlich  bei- 
tragen wird,  so  ist  doch  die  Kenntniß  von  Goethe's  äußerem 
und  innerem  Leben  uns  so  bedeutungsvoll,  sie  ist  geradezu 
Theil  unserer  Xationalbildung  geworden,  daß  wir  aus  lebens- 
geschichtlichem Wissensbedürfniß  genöthigt  sind,  auch  bei 
diesem  Schauspiel  zu  forschen,  inwieweit  es  von  GOETHE 
erlebt  ist.  Nun  versteht  sich  von  selbst,  daß  alles,  was 
Tasso  in  Hinsicht  auf  sich  als  Dichter  sagt,  GOETHE  ihm 
aus  eigner  Erfahrung  in  den  Mund  gelegt  hat,  da  er  wußte, 
wie  einem  Dichter  zumuthe  ist.  Das  Gegentheil  von  Tasso 
aber  war  er,  sofern  er  dem  Leben  und  seinen  mannigfaltigen 
Ansprüchen  vollkommen  gerecht  zu  werden  strebte,  ein 
Mensch  im  vollen  Sinne  war.  Man  hat  desshalb  in  Tasso 
einen  ebenfalls  planlos  schweifenden  Dichter,  Lenz,  finden 
wollen.  Allein  auch  dieser  war  dem  italienischen  Dichter 
entgegengesetzt,  da  er,  nach  GOETHE'S  Schilderung,  Intrigant 
war,  also  vielmehr  andern  Personen  Anlaß  gab,  ihm  zu  miß- 
trauen, als  daß  er  selbst  sich  mit  Mißtrauen  getragen  hätte. 
Allenfalls  könnte  seine  Haltungslosigkeit,  die  ihn  endlich  auch 
dem  Wahnsinn  verfallen  ließ,  Aehnlichkeit  mit  Tasso  be- 
gründen. Ebensowenig  möchte  GOETHE  in  dem  \^erhältniß 
zwischen  Tasso  und  der  Prinzessin  ihn  nahe  berührende  gleiche 
Erlebnisse  vor  Augen  gehabt  haben,  wenn  ihm  nicht  etwa 
Lili's  Eigenschaft,  anzuziehen,  aber  leicht  wieder  fahren  zu 
lassen,  bei  der  Prinzessin  vorschwebte,  der  y>Sirejtev.,  deren 
Leidenschaftslosigkeit  neben  bezaubernder  Gefühlsinnigkeit 
so  verhängnißvoll  für  Tasso  wird.  An  PVau  v.  STEIN  kann 
auch  gedacht  werden;  KERN  führt  aus,  inwiefern. 

Vom  lebensgeschichtlichen  Standpunkt  aus  liegt  aber 
auch  daran,  zu  wissen,  wie  GOETHE  gerade  darauf  gekommen 
ist,  Tasso  zum  Gegenstande  seiner  Dichtung  zu  wählen.  An 
Nachrichten  hierüber  oder  auch  nur  Andeutungen  fehlt  es 
gänzlich,  auch  darüber,  warum  und  wann  er  die  Lebensbe- 
schreibung Tasso's  von  Manso  gelesen  hat,  nur  daß    er  sie 


AÖ  II-      QUELLEN    UND    ANLÄSSE    GOETHISCHER    DraMEX. 

früher  kannte,  als  die  von  Serassi.  Ob  GOLDONl'S  Com- 
inedia  » Torquato  Tasso«  irgendwelchen  Einfluß  auf  seine 
Dichtung  gehabt  hat,  ist  unsicher.  Darin  hat  KERN  aller- 
dings Recht,  daß  die  treibenden  Motive  in  den  beiden  Bühnen- 
stücken ganz  andere  sind,  woraus  sich  die  augenfälligsten 
Verschiedenheiten  von  selbst  ergeben;  auch  mag  auf  die, 
den  beiden  gleichen  oder  doch  ähnlichen  Züge  kein  ent- 
schiedenes Gewicht  gelegt  werden,  weil  sie  den  gemein- 
schaftlichen Quellen  entstammen.  Demungeachtet  halte  ich 
nicht  für  überflüssig,  die  Beispiele  Kern's  von  solchen  über- 
einstimmenden Zügen  (S.  377  fg.)  noch  um  ein  paar  zu  ver- 
mehren. So  sieht,  wie  bei  GOETHE,  auch  bei  GOLDONI  im 
I.  Act  in  der  i.  Scene  Tasso  überall  Feinde,  bezeichnet  in 
der  2.  Scene  als  deren  Beschützer  den  Herzog,  wird  in  der 
4.  Scene  für  wahnsinnig  gehalten  und  erscheint  in  der  5-  Scene 
als  immerfort  an  seinen  Gedichten  bessernd.  Ferner  nimmt 
er  in  der  i.  und  3.  Scene  des  2.  Acts  den  Rath  des  Her- 
zogs, sich  von  Ferrara  zu  entfernen,  mit  tiefem  Mißtrauen 
auf  und  bricht  am  Schlüsse  ebenso  wie  bei  GOETHE,  nach- 
dem die  Geliebte  eben  abgereist  ist,  mit  der  ganzen  Ver- 
gangenheit, hier  mit  den  Worten: 

Corte,  Ferrara,  amici,  bella  Eleonora,  addio  — 
wobei  ihm  der  römische  Patrizier  ähnlich  tröstend  zur  Seite 
steht,  wie  ANTONIO.  In  Betracht  dieser  Uebereinstimmung 
ist  die  Vermuthung  kaum  abzuweisen,  daß  die  jämmerliche 
Rolle,  die  GoLDONi  seinen  Tasso  spielen  läßt  —  der  durch  fünf 
Acte  sich  abmüht,  durch  zweideutige  Reden  zu  verhüten, 
daß  man  errathe,  welche  Eleonore  die  von  ihm  gefeierte 
sei  — ,  Goethe  veranlaßt  hat,  eine  würdigere  Darstellung 
des  Dichters  zu  geben  und  sich  so  von  dem  widerwärtigen 
Eindruck  der  Komödie  GOLDONl's  auf  seine  Weise  zu  befreien. 


1 

§ 

i^^^l 

1 

o- 


Theaterzettel  zur  Natürlichen 
Tochter. 

ie  Goethe  allerwärts  zu  Hause  war,  muli  auch  die 
GOETHE-Kunde  ihm  in  alle  Gebiete  folgen,  in  denen 


er  verkehrte.  So  gehört  auch  die  Bühne  in  ihr 
Bereich,  wenn  es  sich  fragt,  wie  Goethe's  Dramen 
aufzuführen  sind,  um  des  Dichters  Absichten  zu  entsprechen. 
Bearbeitern  seiner  Bühnenstücke  ist  GOETHE-Kunde  unent- 
behrlich, wenn  sie  deren  auch  leider  oft  entbehren.  Die 
Befürchtung,  daß  sie  dem  Begehren  nach  Bühnenwirkung 
hindernd  im  Wege  stehe,  trifft  übrigens  nicht  zu;  daß  sie 
diese  befördere,  soll  ein  Beispiel  zeigen. 

Die  »Natürliche  Tochter«  ist  den  Bühnenleitern  ein 
Rührnichtan.  Es  wird  diesem  Schauspiel  keine  Wirkung 
zugetraut.  Die  Ursache  der  vermeintlichen  Wirkungslosig- 
keit sucht  man  theils  im  Mangel  eines  einschneidenden  Ab_ 
Schlusses,  theils  in  dem  schemenhaften  Personal.  Das  steht 
ja  fest,  daß  GOETHE  eine  Fortsetzung  plante,  aber  er  hat 
doch  die  Aufführung  des  vorliegenden  Stückes  allein  nicht 
nur  für  möglich  gehalten,  sondern  auch  wiederholt  zu  Stande 
eebracht.  Dabei  hat  es  sich  mit  seinen  verzweig^ten  Ränke- 
schmiedereien  und  dem  dagegen  ohnmächtigen  Verzweiflungs- 
ringen   der   Heldin    sehr   bühnenwirksam    erwiesen;    nur  der 


4.8  II-    Quellen  und  Anlässe  Goethischer  Dramen. 

Schluß  wird  matt  gefunden.  Der  Ausgang  hat  Aehnlichkeit 
mit  dem  des  »Tasso«:  in  beiden  hoffnungsloser  Zusammen- 
bruch der  Zustände,  in  denen  so  Tasso  wie  Eugenie  das 
Glück  ihres  Lebens,  die  Bedingungen  ihrer  Existenz  er- 
blickten. Tasso  ist  am  Schlüsse  vernichtet;  sein  Sichselbst- 
aufgeben  ersetzt  das  bühnenübliche  Sichumbringen.  Eugenie 
hat  dagegen  noch  so  viel  Kraft,  das  Aeußerste,  das  ihr 
droht,  durch  Schließung  einer  Ehe  abzuwenden,  die  sie  von 
ihrer  stolzen  Höhe  aus  als  eine,  ihre  Existenz  vernichtende 
Erniedrigung  empfindet.  Diese  Heirath  erscheint  aber  An- 
deren nicht  leicht  im  Lichte  Eugenien's;  Verheirathung  mit 
einem  Gerichtsrath  gilt  im  Allgemeinen  nicht  als  Unglück, 
und  so  ist  man  nicht  geneigt,  den  Ausgang  so  tragisch  zu 
empfinden,  als  er  im  Geiste  Eugenien's  erscheint,  nament- 
lich wenn  die  Schauspielerin  Eugenien's  letzte  Worte  — 
»Hier  meine  Hand;  wir  gehen  zum  Altar«  —  so  herzlich 
und  vergnügt  spricht,  als  wäre  sie  froh,  unter  die  Haube  zu 
kommen.  Durch  solchen  Mißgriff  wurde  mir  einmal  der 
Eindruck  einer  sonst  sehr  guten  und  in  der  That  ergreifend 
wirkenden  Vorstellung  fast  aufgehoben.  Der  richtige  Aus- 
druck dieser  Worte  bedarf  eines  ernsteren  Studiums,  als  alle 
sonstigen  Reden  Eugenien's.  Es  ist  allerdings  schwierig 
zwischen  einer,  der  Sachlage  ganz  unmögUchen  Herzlichkeit 
und  einem,  etwa  auf  den  künftigen  Pantoffel  hinweisenden 
verletzenden  Hochmuth  die  Mitte  herauszufinden,  und  nur 
die  Schwere  des  Kampfes  beim  letzten  Entschlüsse  zu  ver- 
deutlichen; im  Ausdruck  dieser  letzten  Worte  muß  die  Tragik 
im  Schicksal  Eugenien's  zum  Bewußtsein  der  Hörer  kommen. 
Es  ist  die  Aufgabe  einer  bedeutenden  Künstlerin. 

Der  zweite  Vorwurf  über  die  Bühnenwidrigkeit  des 
Stückes  richtet  sich  gegen  die  abstracten  Personen:  König, 
Herzog,  Graf  u.  s.  w.  Die  Kunst  fordert  concrete  Personen 
und  erst  der  Name  individualisirt,  möge  er  geschichtlich 
oder  erdichtet  sein.  Die  Vorgänge,  die  in  dem  Schauspiele 
geschildert    werden,    gründen    sich    im    Hauptzuge    auf   die 


3.    Theaterzettel  zur  »Natürlichen  Tochter«.  aq 

Memoires  historiques  de  STEPHANIE  -  LOUISE  DE  BOURBON- 
CoNTl  (Paris,  en  VI);  seit  den  ältesten  darin  erzählten  Be- 
gebenheiten war  beim  Erscheinen  von  GOETHE'S  Dichtung 
noch  kein  Menschenalter  verflossen,  Betheiligte  lebten  noch, 
und  wenn  deshalb  Discretion  geboten  war,  so  konnte  GOETHE 
um  so  eher  wagen,  Namen  zu  unterdrücken,  ohne  befürchten 
zu  müssen,  daß  seine  Personen  blos  als  allegorische  Titel- 
träger angesehen  würden,  als  die  Mitlebenden,  an  welche  er 
sich  wendete,  wußten,  wer  gemeint  war.  Diese  Ergänzung 
der  Dichtung  durch  Kenntniß  der  Geschichte  ist  aber  im 
Zeitenlauf  verloren  gegangen  und  es  ist  nichts,  als  Ergänzung 
auf  andere  Weise,  wenn  wir  jetzt  die  Personen  der  »Natür- 
lichen Tochter«  mit  Namen  belegen.  Es  ist  dies  eine  Bühnen- 
bearbeitung, die  vor  sonst  üblichen  voraus  hat,  daß  sie  keine 
gegen  des  Dichters  Absicht  sich  aufdrängende  vermeintliche 
Verbesserung  sein  würde,  nicht  die  geringste  Aenderung  des 
Textes  fordert.  Freilich  stößt  man  dabei  auf  die  Schwierig- 
keit, daß  Goethe's  Darstellung  im  Schauspiel  nicht  durch- 
aus mit  der  Erzählung  der  STEPHANIE  LOUISE  VON  BOURBON- 
CONTI  sich  deckt.  Deshalb  muß  man  sich  bei  Nennung  der  Per- 
sonen mitunter  dadurch  helfen,  daß  man  einige  heranzieht,  deren 
Stellung  im  Schauspiel  nur  eine  ähnliche  wie  in  der  Geschichte 
ist.  Von  diesen  Grundlagen  ausgehend,  sei  die  Herstellung  eines 
Personenverzeichnisses  der  »Natürlichen  Tochter«  versucht. 
Der  König  LUDWiG  XV.  von  Frankreich  und  der  Her- 
zog Ludwig  Franz  von  Bourbon-Conti  sind  ohneweiteres 
gegeben.  Der  Graf  hat  keine  Bedeutung  für  die  Geschichte 
selbst  und  dafür  kann  deshalb  ein  beliebiger  Graf  des 
damaligen  Königshofes  gewählt  werden,  nehmen  wir  also 
den  Grafen  Narbonne!  Den  Namen  Eugenie  durch  Ste- 
phanie zu  ersetzen,  obschon  dieser  im  ersten  Entwurf 
Goethe's  steht,  kann  niclit  mehr  in  Frage  kommen,  da 
jener  der  Literatur  unentwendbar  angehört.  Mit  Vornamen 
springt  Goethe  in  seinen  Dichtungen  überdies  manchmal 
willkürlich   um;   so   hat   er    Faust's   volksthümlichen   wahren 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  4 


CO  n.    Quellen  und  AiNlässe  Goethischer  Dramen. 

Namen  Johann  mit  Heinrich,  den  der  Johanna  Sebus  in 
der  Ballade  mit  Suschen  vertauscht.  Bei  Eugenie  recht- 
fertigten ihn,  wie  gesagt,  die  xA-bweichungen  des  Schauspiels 
von  der  Erzählung.  Die  Hofmeisterin  —  institutrice ,  wie 
sie  wiederholt  in  den  Memoires,  z.  B.  I,  36,  genannt 
wird  —  hieß  Marie  Claudine  Delorme  (Mem.  I,  300),  ihr 
Verlobter,  den  GoETHE  als  Secretär  bezeichnet,  Jacquet 
(Mem.  I,  9  und  oft).  Dem  Weltgeistlichen  entspricht  der 
Abbe  Aubry,  der  den  angeblichen  Tod  der  Tochter  des 
Prinzen  von  BOURBON-CONTI  bezeugte  (Mem.  I,  197).  Den  ihr 
aufgenöthigten  Gatten  nennt  Stephanie  Louise  nur  Louis 
Anton  B.,  mit  welcher  Abkürzung  ihn  aufzuführen  allerdings 
unthunlich  wäre.  Da  nun  eine  Familie  Bexoit  bei  den  Ver- 
folgungen, denen  Ersterer  ausgesetzt  war,  ihre  Hände  im 
Spiel  hatte,  mag  es  erlaubt  sein,  diesem  Gatten  —  der  üb- 
rigens nicht  Gerichtsrath,  sondern  Gutsbesitzer  war  —  den- 
selben Namen  beizulegen.  Ob  sein  Name  vielleicht  aus 
anderen  Quellen  nachzuweisen  sein  möchte,  ist  mir  nicht 
bekannt.  Um  für  den  Gouverneur,  der  in  den  Memoires 
nicht  vorkommt,  einen  Namen  zu  finden,  müßte  man  einen 
französischen  Beamtenetat  jener  Zeit  benutzen;  ein  solcher 
ist  mir  nicht  zur  Hand,  es  genügt  jedoch  zur  Individuali- 
sirung  der  Rolle,  diesen  Herrn  als  Gouverneur  des  Hafen- 
gebiet's  zu  bezeichnen.  Aehnlich  wie  die  Aebtissin  in  der 
»Natürlichen  Tochter«  äußert  sich  gegen  Stephanie  Louise 
die  Aebtissin  JOHANNA  Marie  Jolv  in  den  Memoires  (I, 
236).  Für  den  Mönch  ist  kein  Name  erforderlich.  Ueber 
die  Reihenfolge  der  Personen  ist  noch  zu  bemerken,  daß 
eine  Vertauschung  der  Rollen  des  Grafen  und  EUGENIENS 
sich  empfiehlt. 

Wenn  wir  indessen  einmal  den  Theaterzettel  der  »Na- 
türlichen Tochter«  bearbeiten,  wollen  wir  auch  den  Titel 
des  Dramas  in  Betracht  ziehen.  Er  hat  etwas  —  wie  soll 
ich  sagen?  —  Unangenehmes.  Das  scheint  GOETHE  selbst 
gefühlt    zu    haben,    vielleicht    später    in    Erinnerung    an    die 


3-    Theaterzkttel  zur  »Natürlichen  Tochter«.  5  i 

beißende  Bemerkung  Herder's,  der  sein  Lob  der  Dichtung 
mit  den  Worten  scliloß:  »Dennoch  ist  mir  Dein  natürlicher 
Sohn  lieber,  als  Deine  Natürliche  Tochter.«  Wie  dem  aber 
auch  sei:  Goetme  nennt,  sowohl  in  Gesprächen  wie  auch 
in  seinen  Schriften,  Briefen,  Tagebuch,  das  Stück  häufig 
»Eugenie«,  ja  sogar  in  der  Ueberschrift  zum  Schema  der 
Fortsetzung.  Zwar  dürfte  dieser  Name  nicht  allein  auf  dem 
Theaterzettel  stehen,  wohl  aber  in  Verbindung  mit  dem  von 
Goethe  vorgeschriebenen  Titel  und  demnach  würde  unser 
zugkräftigerer  Theaterzettel  zu  lauten  haben: 

Eugenie,  die  natürliche  Tochter. 

Trauerspiel  in   fünf  Aufzügen  von  Goethe. 

Personen: 
König  Ludwig  XV.  von  Frankreich. 
Herzog  Ludwig  Franz  von  Bourbon-Conti. 
Eugenie,  dessen  Tochter. 
Graf  VON  Narbonne. 
Marie  Claudi.ne  Delorme,  Hofmeisterin. 
Jacquet,  Secretär. 
Abbe  Aubry,  Weltgeistlicher. 
Anton  Ludwig  Benoit,  Gerichtsrath. 
Gouverneur  des  Hafengebietes. 
Aebtissin  Johanna  Marie  Jolv. 
Mönch. 
Schauplatz:     in  den    ersten    drei  Aufzügen    in    der  Nähe   von   Paris,   in  den 
zwei  letzten  in  der  Nähe  der  Küste.     Zeit:    1773. 


III. 
Dramatische  Entwürfe  Goethe's. 


Cäsar. 


eher  den  Aufsatz  »Cäsar«  in  den  •>  Goethe -For- 
scJmngen  —  Neue  Folge'/-  sind  mir  zwei  Aus- 
lassungen zu  Gesicht  gekommen,  die  mich  veran- 
lassen, den  Gegenstand  wieder  aufzugreifen:  die 
erste  von  E.  V.  D.  HELLEN  in  »GOETHE'S  Antheil  an  Lavatres 
Physiognomischen  Fragmenten,«  (1888)  die  andere  von  D. 
Jacoby  im  XII.  Bande  des  Goethe-Jahrbiicks  [i'&gx).  Letzterer 
rügt,  daß  ich  Shakespeare's  Anerkennung  der  Bedeutung 
Cäsar's  nicht  gehörig  würdige.  Hierüber  möchte  ich  mich 
zunächst  mit  Jacoby  auseinandersetzen.  Ich  habe  in  meinem 
früheren  Aufsatze  durchaus  nicht  in  Abrede  gestellt,  daß 
Shakespeare  dem  Cäsar  Züge  von  Größe  zugesprochen, 
aber  eben  auch  Züge  von  Kleingeisterei.  Die  Größe  Cäsar's 
ist  wesentlich  nur  aus  einer  Aeußerung  des  Cassius  und 
aus  der  Rede  des  Antonius  am  Sarge  des  Ermordeten  ab- 
zunehmen, nicht  aber  in  seinem  persönlichen  Auftreten  er- 
kennbar. Er  führt  sich  gleich  mit  einer  Lächerlichkeit  ein, 
indem  er  (I.  Act,  2.  Scene)  Antonius  auffordert,  beim  Wett- 
laufen Calpurnia  zu  berühren,  damit  sie  schwanger  werde. 
Dann   warnt   ihn    der   Wahrsager   vor   dem   Idus    des   März, 


56 


III.    Dramatische  Entwürfe  Goethe's. 


und  er  läßt  ihn  laufen,  ohne  nach  dem  Grunde  der  Warnung 
zu  fragen.  Das  geschieht  nicht  etwa,  um  Cäsar  als  Ver- 
ächter des  ilim  Drohenden  erscheinen  zu  lassen,  denn  später 
äußert  er  den  Wunsch,  nur  fette  Leute  um  sich  zu  haben, 
die  nicht  gefährlich  seien  wie  der  mit  hohlen  Augen  blickende 
CasSIUS,  vor  dem  er  sich  fürchte,  wobei  er  freilich  trotz- 
dem sich  beruhigend  versichert,  daß  Furcht  ihm  fremd  sei. 
Weiterhin  (II,  2)  schrecken  ihn  die  Träume  der  Calpurnia, 
sodaß  seiner  Behauptung  nicht  zu  trauen  ist,  er  gebe  auf 
Wunderzeichen  nichts.  Muthig  erscheint  er,  als  er  trotz  der 
Bitten  seiner  geängstigten  Gattin  darauf  beharrt,  auszugehen, 
und  prahlt  dabei,  die  Gefahren  schwänden,  wenn  sie  seine 
Stirn  sähen,  die  sie  für  gefährlicher,  als  sich  selbst  erachteten. 
Als  er  endlich  dennoch  nachgegeben  hat  und  hat  verkünden 
lassen,  daß  er  nicht  in  den  Senat  kommen  werde,  ändert 
er  seine  Entschließung  demungeachtet  auf  anderseitiges  Bitten, 
geht  in  den  Senat  und  bramarbasirt  dort,  indem  er  sich 
für  den  einzigen  unbesiegbaren  Menschen  erklärt.  (III,  i.)  — 
Zu  dieser  Zweiseitigkeit  in  der  Kennzeichnung  Cäsar's  ist 
Shakespeare  dadurch  gedrängt  worden,  daß  einerseits 
dessen  Größe  hervorzuheben  war,  um  die  Bedeutung  der 
That  des  Brutus  verständlich  zu  machen,  andererseits  seine 
Persönlichkeit  herabzudrücken  war,  damit  er  nicht  tiefere 
Theilnahme  in  Anspruch  nehme,  als  Brutus,  der  doch  die 
Hauptperson  sein  sollte. 

Meine  Ansicht  war  nun  und  ist  noch,  daß  das  Herunter- 
ziehen Cäsar's  GOETHE  widerwärtig  war  und  er  nur  dadurch 
bewogen  werden  konnte,  einen  »Cäsar«  nach  SHAKESPEARE 
zu  schreiben. 

Von  anderer  Seite  greift  mich  v.  D.  HELLEN  an,  indem 
er  seiner  angeführten  Schrift  (S.  216)  mir  darin  widerspricht, 
daß  »Egmont«  den  »Cäsar«  abgelöst  habe.  In  dieser  Hin- 
sicht begnüge  ich  mich  mit  Jacoby'S  Zustimmung.  (S.  248  f.) 
Entschieden  entg-eeentreten  muß  ich  indessen  seiner  weiteren 
Meinung,  daß  die  Persönlichkeit  des  Brutus  in  GOETIIE  den 


I .    Cäsar,  5  7 

Sieg  über  Cäsar  davongetragen  habe.  Scheingrund  hierfür 
ist  die  verherrlichende  Darstelkmg,  die  GoETHE  ersterem  in 
Lavater's  •» Physiognoniischeii  Fraginentenv.  hat  angedeihen 
lassen,  wogegen  die  Charakterisirung  Cäsar's  kürzer  abgethan 
ist.  Wenn  Goethe's  wahre  Ansicht  nach  der  Zahl  der 
Zeilen  bestimmt  werden  soll,  hat  V.  i).  HELLEN  recht,  aber 
anders  steht  es,  wenn  man  den  Inhalt  wägt.  GOETHE 
W'ürdigte  das  Schätzenswerthe  auch  in  Menschen,  denen  er 
sonst  abhold  war  und  demnach  in  Brutus  die  scharf  aus- 
geprägte Selbstigkeit,  die  er  auch  in  Prometheus  und  Faust 
(»Ebenbild  der  Gottheit«)  verklärte;  als  Künstler  entzückte 
ihn,  sie  in  dem  Bildniß  in  den  ■» PJiysiognomiscJien  Frag- 
inenteii'i  aus  den  Gesichtszügen  eines  wirklichen  Menschen 
herauslesen  zu  können.  Bei  Cäsar's  Bildniß  —  wohl  ver- 
standen: in  dessen  Bildniß  —  empörte  ihn  dagegen,  daß 
in  diesen  >n^erzerrten  Resten«  das  Wesen  des  »ersten  unter 
den  Menschen«,  der  »Inbegriff  aller  menschlichen  Größe« 
nicht  zu  erkennen  war.  Die  hier  herausgehobenen  Ausdrücke 
überbieten  in  schrankenloser  Bewunderung  und  Hochstellung 
Cäsar's  alles,  was  er  vorher,  allerdings  mit  mehr  Worten, 
über  Brutus  sagte.  Also  von  einer  Verdrängung  Cäsar's 
durch  Brutus  ist  nicht  die  Spur  in  diesen  Bildnil3erläuterungen, 
im  Gegentheil  beschäftigte  GOETHE  sich  noch  ein  paar  Jahre 
mit  Cäsar,  wie  das  die  von  mir  angeführten  Aussagen  von 
Leuten  bezeugen,  die  jedenfalls  Goetue's  Ansichten  genauer 
kannten,  als  V.  D.  HELLEN.  Ja,  noch  viel  später  lag  ihm 
der  Zwiespalt  zwischen  Brutus  und  Cäsar  im  Sinn,  wobei 
er  letzterem  den  \"orzug  einräumte.  Dies  beweist  die  Zahme 
Xenie: 

Und  wenn  man  auch  den  Tyrannen  ersticht, 

Ist  immer  noch  viel  zu  verlieren; 

Sie  gönnten  Cäsarn  das  Reich  nicht 

Und  wußten's  nicht  zu  regieren. 
Und  wieder  in  der  »Classischen  Walpurgisnacht«  sagtERiCHTO 
in  den  Pharsalischen  Feldern: 


5! 


III.    Dramatische  Entwürfe  Goethe's. 


Keiner  gönnt  das  Reich 
Dem  andern;  dem  gönnt's  keiner,  der's  mit  Kraft  erwarb 
Und  kräftig  herrscht.  —   —  —  —  —  —  — 

Hier  träumte  Magnus  früher  Größe  Blüthentag, 

Dem  schwanken  Zünglein  lauschend  wachte  Cäsar  dort. 

Das  wird  sich  messen.    Weiß  die  Welt  doch  wem's  gelang. 

Nach  alledem  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  V.  D. 
Hellen'S  Behauptung  —  GOETHE  habe  seinen  Cäsar  völlig 
aufgegeben,  weil  er  sich  wie  SHAKESPEARE  überzeugt  habe, 
Brutus  müßte  neben  Cäsar  im  Drama  die  Hauptperson  sein 
—  unbegründet  und  völlig  unhaltbar  ist.  Ob  seine  andere 
Behauptung,  daß  GOETHE  seinen  ersten  Plan  —  wonach  er, 
wie  ich  annehme,  seine  ganze  öffentliche  Laufbahn,  ähnlich 
wie  die  des  Götz  von  Berlichingen,  darstellen  wollte  — 
eine  Stütze  in  dem  Gespräche  mit  dem  Erbprinzen  von 
Sachsen-Meiningen  im  Februar  1775  (»Goethe'S  Gespräche« 
X,  241)  findet,  wonach  das  Trauerspiel  »Cäsar's  Tod«  heißen 
sollte,  lasse  ich  dahingestellt*);  »bewiesen«  ist  aber  diese 
Behauptung  auch  nicht,  wie  der  Herausgeber  des  Fragments 
»Cäsar«  in  der  Weimarer  GOETHE-Ausgabe  (XXXVIII,  257) 
bereitwillig  annimmt. 

In  den  » Goethe- Forschungen  —  Neue  Folge'!,  habe  ich 
dargelegt,  wie  Goethe  durch  die  seinem  Dichten  eigene 
Grundlage  productiver  Kritik  zu  seinem  »Cäsar«  im  Gegen- 
satz zu  dem  Shakespeare's  geführt  worden  sei.  Das  findet 
V.  D.  Hellen  eine  »erstaunliche«  Behauptung.  Daraus  geht 
hervor,  daß  fleißige  Arbeit  über  eine  einzelne  Thätigkeit 
Goethe's  noch  nicht  zum  Verständniß  des  Dichters  im  all- 


*)  Bei  dieser  Gelegenheit  entdecke  ich ,  dass  das  unter  den  Nach- 
trägen des  VIII.  Bandes  der  »Gespräche«  stehende  Gespräch  1549  ander- 
weit unter  den  Nachträgen  des  X.  Bandes  als  Nr.  1588  abgedruckt  ist, 
welches  Versehen  ich  zu  entschuldigen  bitte. 


I .    Cäsar.  5  9 

gemeinen  befähigt.  Vermuthlich  denkt  v.  D.  HELLEN  jetzt, 
nach  einem  Jahrzehnt,  anders  über  Goethe's  productive 
Kritik.  i\ber  sein  früher  Geschriebenes  bleibt  und  zwingt 
mich,  die  unveränderte  Fortdauer  meiner  Ueberzeugung  von 
jener  productiven  Kritik  zu  bezeugen,  wie  ich  denn  seither 
noch  wiederholt  Veranlassung  gehabt  habe,  sie  hervor- 
zuheben. 


2.  Das  Entstehen  der  Elpenor- 
dichtung. 


s  ist,  als  ob  man  sich  dem  Teufel,  der  nicht  wieder 
losläßt,  verschrieben  hätte,  wenn  man  irgend  einem 
wissenschaftlichen  Stoffe  seinen  Fleil-j  zugewandt 
hat;  so  lange  noch  dunkle  Punkte  darin  wahrnehm- 
bar sind,  wird  man  nicht  zur  Ruhe  kommen  und  immer 
wieder  Anlauf  nehmen,  um  Dunkelheiten  zu  zerstreuen  und 
Gewißheit  zu  erlangen.  Ein  solcher  Stoffist  mir  u.  a.  Goethe's 
Elpenordichtung,  der  ich  seit  meiner  ersten  Veröffentlichung 
über  sie  im  Jahre  i86o  wiederholt  Arbeiten  gewidmet  habe. 
Galt  es  mir  bisher,  vorzügliclT  den  leitenden  Gedanken,  die 
Durchführung  des  Planes  des  allein  erhaltenen  Bruchstückes 
und  die  Quellen  der  Dichtung  zu  ermitteln,  so  blieb  bisher 
die  Frage  nach  deren  ersten  Anfängen  unerörtert:  ich  be- 
gnügte mich  mit  anderen  seit  RiEMER  mit  dem  Datum  des 
II.  August  1781,  an  welchem  Tage  GoETHE  im  Tagebuche 
eintrug  und  unterstrich:  »F^lpenor  angefangen«.  Kommen 
einem  aber  diese  Worte  öfters  vor  die  Augen,  so  schwindet 
allmählich  jeder  Zw-eifel,  dass  etwa  der  erste  Keim  der 
Dichtung,  daß  das  erste  Erfassen  des  Gedankens  daran  ge- 
meint sein  könnte.  Es  ist  sicher,  daß  unter  jenem  Tage- 
bucheintrag  der   Beginn   des   Niederschreibens    zu   verstehen 


2.    Das  Entstehen  der  Elpenordichtung.  5i 

sei;  denn  schon  am  19.  August  verkündet  GOETHE  der  Frau 
VON  Stein  die  Beendigung  der  zweiten  Scene  des  Stückes. 
Ganz  undenkbar  ist,  daß  GoETHE  am  II.  August  auf  den 
ersten  Gedanken,  »Elpenor«  zu  schreiben,  gekommen,  und 
auch  gleich  dazu  verschritten  sei;  es  ist  um  so  weniger  an 
solche  Ueberstürzung  zu  denken,  als  sich  das  Schauspiel 
weder  auf  eine  geschichtliche  Begebenheit,  noch  auf  eine 
einzige  fremde  Dichtung  gründet,  auch  der  Name  Elpenor 
für  die  Hauptperson  des  Stückes  von  GOETHE  erfunden  ist. 
Es  müßte  ihm  also  plötzlich  die  Idee  der  Dichtung,  das 
Finden  der  für  sie  geeigneten  Oertlichkeit,  die  Entwicklung 
des  Plans  und  die  Wahl  eines  passenden  Namens  für  den 
Träger  der  Titelrolle  eingefallen  sein  und  er  sich  über  Hals 
und  Kopf  daran  gemacht  haben,  diese  übernatürlich,  wie 
Athene  ausgewachsen  in  der  Stirn  des  Zeus,  erzeugte  Ein- 
gebung zu  Papier  zu  bringen.  Das  ist,  wie  gesagt,  unmög- 
lich zu  denken,  und  es  drängt  sich  vielmehr  die  Frage  auf, 
ob  sich  in  Aufzeichnungen  oder  Briefen  GOETHES  frühere 
Spuren  der  ersten  Keime  der  Dichtung  entdecken  lassen. 
Beim  Suchen  danach  fesselt  denn  bald  den  Blick  ein  un- 
datirtes  Briefchen  an  Frau  VON  STEIN,  das  in  der  ersten 
Ausgabe  dieser  Goethebriefe  nach  einem  Briefe  vom  4.  August 
1780  steht  und  lautet: 

»Die  Kirschen,  die  ich  beim  Erwachen  finde,  interessiren 
mich  nur,  insofern  ich  sie  Ihnen  schicken  kann.  Gestern 
ging  ich  so  zeitig  weg,  weil  ich  ein  neu  Drama  im  Kopf 
hatte,  davon  ich  den  Plan  zusammentrieb.     Adieu  Beste!« 

Was  das  für  ein  neues  Drama  war,  darüber  ist  viel 
gefaselt  worden.  Der  erste  Herausgeber  von  »Goethe's 
Briefen  an  Frau  VON  STEIN«,  Scholl,  dachte  an  »Tasso«; 
wenn  von  diesem  zwar  schon  am  30.  März  1780  im  Tage- 
buche »Gute  Erfindung«  angeführt  werde,  auch  das  dort  am 
15.  April  erwähnte  »Tändeln  an  einem  Drama«  füglich  nur 
auf  »Tasso«  gedeutet  werden  könne,  so  ■ — ■  meint  Scholl  — 
dürfte    dieses    Drama    doch    erst  im   Sommer   feste   Gestalt 


^2  III.    Dramatische  Entwürfe  Goethes. 

gewonnen  und  GOETHE  sich  nicht  früher  gegen  die  Freundin 
darüber  geäußert  haben,  da  er   »gewohnt,  das  erste  Keimen 
seiner    Dichtungen    geheim    zu    halten«.      Abgesehen    davon, 
daß  die  Behauptung   solchen  Geheimhaltens  eine  auf  Verall- 
gemeinerung beruhende  Phrase,  der  Frau  VON  Stein  gegen- 
über jedoch  schlechterdings  nicht   nachweisbar,  vielmehr  ge- 
radezu unhaltbar  ist,  so  weist  auch  überdies  der  klare  Wort- 
laut jenes  Briefchens  auf  eine,  GOETHEN  selbst  ganz  neu  in 
Gedanken  kommende  Erfindung  hin,  da  diese  ihn  ausserdem 
nicht  so  lebhaft   erregt  haben   würde,    daß   er    sich  von  der 
Gesellschaft   und    von  der  Freundin   trennen   und  Einsamkeit 
aufsuchen    mußte,     um    der    sich    aufdrängenden    Gestaltung 
nachzuhängen.     GOETHE  drückt   sich   hier,   wie   stets,   wenn 
auch  kurz,  doch  so  deutlich  aus,  daß  über  seine  Meinung  bei 
gewissenhafter  Betrachtung  kein  Zweifel  obwalten  kann.    Solche 
Erwägungen  bewogen  denn  auch  DUNTZER  1854  in   y>  Goethes 
Tasso«    (S.    13)   und   1874   in   ■>•>  Cliarlotte  von  Stein <.<   (I,   157) 
jenes  Briefchen  in's  Jahr  1781   zu  versetzen  und  auf  »Elpenor« 
zu  beziehen.   Allein  1876  in  einer  Besprechung  von  »Goethe's 
Briefen   an   Frau  VON  STEIN«    im    -»Archiv  für   Literaturge- 
schichte i^   (VI,   553)   erkannte   er   an.   Falsches   behauptet   zu 
haben  und  das  Briefchen  dem  Jahre  1780  belassen  zu  müssen, 
da  es  nicht  nur  die  Papiergattung,   sondern   auch   noch   ent- 
schiedener die  Anrede  der  Freundin  mit   »Sie«   diesem  Jahre 
zuweisen.     Das   neue  Drama   erklärte  DüNTZER   dabei   kurz- 
weg für  ein  unbekanntes.     Mit  dieser  nackten  Erklärung  sich 
zu   behelfen,    ist   freilich   kein   Musterstück   von   Kritik.     Die 
Annahme,    daß    GOETHE    eine    größere   Dichtung   entworfen 
gehabt  habe,  die  ihn  so  tief,  wie  er  sagt,  bewegte,  ohne  daß 
eine  Aufzeichnung  oder  eine  Aeußerung  sich  darüber  erhalten 
haben  sollte,  ist  so  wenig  wahrscheinlich,  daß  sie  mindestens 
einigermaßen  glaubhaft  zu  machen  gewesen  wäre. 

Wagte  aber  sonach  DÜNTZER  auch  nicht,  auf  »Tasso« 
zurückzugreifen,  so  unternimmt  dies  doch  ohne  Bedenken  der 
zweiteHerausgebervon  »GOETHE's  BriefenanFrau  VON  STEIN«, 


2.    Das  Entstehen  der  Elpenordichtung.  63 

Fielitz,  indem  er  dem  Briefchen  seinen  Platz  im  Jahre  1780 
läßt,  nur  mit  der  unwesentlichen  Abweichung-,  daß  er  es  der 
Kirschen  halber  vor  dem  4.  August  einreiht.  Der  Heraus- 
geber des  IV.  und  VII.  Bandes  von  GOETHES  Briefen  in  der 
Weimarer  Ausgabe  der  Werke,  (1889,  1 891)  VON  DER  HELLEN, 
macht  sich  dagegen  die  Erledigung  der  Zweifel  auf  andere 
Weise  leicht,  indem  er  das  Briefchen  in  einem  Ramsch  un- 
datirter  Briefe  »Aus  der  Zeit  vor  der  italienischen  Reise, 
Weimar   1775 — 1786«    unterbringt  (VII,  266). 

Kann  also  das  darin  berührte  neue  Drama  keinesfalls 
mit  DÜNTZER  für  ein  unbekanntes,  d.  h.  für  ein  nach  jenem 
einmaligen  Auftauchen  wieder  verschwundenes,  gehalten  werden, 
so  kann  es  GOETHEN  noch  weniger  als  ein  unerwarteter 
Einfall  überkommen  sein.  Solche  generatio  aequivoca  ist, 
namentlich  hinsichtlich  grösserer  Dichtungen,  bei  GOETHE 
unerhört.  Wir  können  diese  meistens  bis  zu  den  Quellen 
hinauf  verfolgen  und  es  besteht  nur  die  Aufgabe,  diese  Quellen 
aufzusuchen,  zu  erkennen  und  in  ihrem  Lauf  aufzudecken. 
Betrachten  wir  in  diesem  Sinne  mit  Ueberlegung-  das  Brief- 
chen an  Frau  VON  Stein  aus  dem  Sommer  1780,  so  fesselt 
der  sonderbare  Ausdruck  Goethe's,  daß  er  den  Plan  des 
neuen  Dramas  zusammengetrieben  habe.  Den  Plan  seiner 
Dichtungen  entwickelte  er  doch  sonst  einfach  und  ungezwungen 
aus  Verarbeitung  eigener  Erlebnisse,  öffentlicher  Zustände 
oder  literarischer  Erscheinungen.  ■ —  Gerade  zu  jener  Zeit 
hatte  er  aber  allerdings  Dichtungen  kennen  gelernt,  die  ihn 
durch  ihre  Fremdartigkeit  einerseits,  durch  ihre  Naturwahr- 
heit andererseits  mächtig  anzogen,  deren  Verarbeitung  aber 
nicht  so  einfach  zu  bewerkstelligen  war.  Aus  seinem  Tage- 
bucheintrag vom  10.  Januar  1781  geht  hervor,  daß  er  da- 
mals in  Du  Halde's  -»Ausführlicher  Beschreibung  des  Chi- 
nesischen Reichs«  gelesen  hatte,  und  in  diesem  Werke  hatte 
er  auch  ein  chinesisches  Schauspiel  und  eine  chinesische  Er- 
zählung gefunden,  die  eben  seine  ganze  Aufmerksamkeit  in 
Anspruch    nahmen.      An    verschiedenen   Orten   habe   ich   er- 


ßA  TU.«  Dramatische  Entwürfe  Goethes. 

schöpfend  dargethan,  und  von  anderen  —  Zarnxke,  Mosch, 
SeuffERT,  Schlösser  —  sind  meine  Erörterungen  weiter 
verfolgt  worden,  daß  nämlich  Goethe  zwar  sich  bemühte, 
diese  Dichtungen  der  deutschen  Bühne  anzueignen,  daß  er 
sie  aber  zu  diesem  Zwecke  gründlich  umgestalten,  vorzüglich 
in  eine  Welt  verlegen  mußte,  in  der  unsere  Bühne  hei- 
misch war,  und  daß  er  diese  Welt  im  alten  Hellas  fand, 
dessen  Sagen  die  zeitgenössische  Bühne  gern  ihre  Stoffe  ent- 
lehnte. Insonderheit  waren  es  diejenigen  Sagen,  nach  denen 
E'.uripides  die  Tragödien  »x^ntiope«  und  »Kresphontes«  schuf, 
von  denen  dann  letzterer  fernerweit  von  Maffei,  VOLTAIRE 
und  Gotter  als  »Merope<  bearbeitet  war,  welche  Goethe 
zur  Europäisirung  des  gedachten  chinesischen  Schauspiel's 
Beihilfe  leisteten.  Wenn  er  demnach  aus  diesen  mehrfachen 
Bühnenstücken  sein  neues  entwickelte,  so  war  es  sehr  be- 
zeichnend, wenn  er  sagte,  daß  er  den  Plan  dazu  zusammen- 
getrieben habe.  Trifft  dies  nun  bei  dem  daraus  hervor- 
gegangenen »Elpenor«  zu,  so  ist  es  andererseits  von  Goethe'S 
Dichtungen  einzig  und  allein  » Elpenor  <,  von  der  dies  ge- 
sagt werden  kann. 

Wird  schon  hiernach  kein  gegründeter  Zweifel  entstehen 
können,  daß  wir  unter  dem  neuen  Drama  im  Sommer  1780 
»Elpenor«  zu  erblicken  haben,  so  wird  dieses  Ergebniß  noch 
durch  eine  andere  Thatsache  bekräftigt.  Die  schon  ge- 
nannten Forscher  MosCH,  Seuffert  und  SCHLÖSSER  haben 
des  Näheren  den  Einfluß  nachgewiesen,  den  vornehmlich 
Gotters  »Merope«  auf  die  Ausgestaltung  des  »Elpenor« 
gehabt  hat.  Nun  war  aber  GoTTER  im  Juli  und  in  der 
ersten  Hälfte  des  x-\ugust  1780  in  Weimar  (»Friedrich  Wil- 
helm Gotter«  von  SCHLÖSSER,  1895,  S.  105  f  121),  und  es 
zwingt  dies  beinahe  zu  dem  Schlüsse,  daß  Gespräche  mit 
diesem  Freunde  GOETHE  darauf  geführt  haben,  Züge  aus 
dessen  »Merope«  bei  Ausführung  seines  chinesisch-griechi- 
schen Dramenstoffes  zu  benutzen.  Daß  »Merope«  1780 
zwischen  den  beiden  Dichtern  kritisch  zur  Sprache  gekommen 


2.    Das  Entstehen  der  Elpexordichtung.  55 

ist,  darf  vielleicht  auch  daraus  entnommen  werden,  daß 
Götter  diese  bedeutendste  seiner  Bearbeitungen  französi- 
scher Bühnenstücke  nicht  lange  danach  einer  Umarbeitung 
unterzog. 

Ob  Goethe  nach  dem  Sommer  1780  seiner  Beschäftigung 
mit  »Elpenor«  irgendwo  gedenkt,  bevor  er  am  ii.  August  1781 
die  Feder  deshalb  ansetzt,  ist  zweifelhaft;  ich  bin  indes  ge- 
neigt, die  Stelle  im  Briefe  an  Frau  V.  Stein  vom  ii.  Sep- 
tember  1780  darauf  zu  beziehen,  wo  er  schreibt: 

»Ich  habe  ....  mir  eine  neue  Scene  aus  einem  Trauer- 
spiele vorgesagt,  die  ich  wiederfinden  möchte.« 

Hätte  er  eine  Scene  aus  »Tasso«  gemeint  —  wie  ver- 
muthet  worden  ist  —  so  würde  er  sich  doch  bestimmter 
ausgedrückt  haben;  für  »Elpenor«  war  jedoch  eben  damals 
noch  kein  Name  festgestellt. 

Dem  sei  jedoch,  wie  ihm  wolle,  sicher  ist,  daß  GoETHE 
mit  dem  Plane  auch  dann  noch  nicht  imreinen  war,  als  er 
bereits  an  dem  Stücke  geschrieben  hatte.  Zwar  meldete  er 
schon  acht  Tage  darauf,  am  19.  August  1781,  daß  er  an 
diesem  Tage  mit  der  zweiten  Scene  des  neuen  Stückes  fertig 
werde,  allein  es  verlautet  nicht,  ob  er  später  noch  daran 
nach  dem  damaligen  Plan  gedichtet  habe,  vielmehr  theilt  er 
am  3.  März   1783   KNEBEL  mit: 

»Ich  hatte  gehofft,  das  Stück,  dessen  Anfang  Du  kennst, 
auch  noch  bis  zum  Ausgange  der  Herzogin  fertig  zu  schreiben, 
es  ist  aber  unmöglich.  Der  alte  Plan  war  fehlerhaft  und  ich 
mußte  es  von  vornherein  neu  umarbeiten.« 

Da  nun  in  Goethe's  nächstvorhergehendem  Brief  an 
Knebel  vom  10.  Januar  1783  von  einer  Dramendichtung 
nicht  die  Rede  ist,  so  folgt  aus  der  Mittheilung  vom  3.  März 
erstlich,  daß  er  seit  dem  »Anfang«  —  also  wohl  seit  der 
am  19.  August  1781  beendeten  zweiten  Scene  —  nicht  wieder 
daran  gearbeitet,  sodann,  daß  er  eine  neue  Bearbeitung  in 
Angriff  genommen,  und  endlich,  daß  er  damit  wahrscheinlich 
nicht   früher,    als    in    den    ersten   Monaten    des   Jahres    1783 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  5 


65  III-    Dramatische  Entwürfe  Goethe's. 

begonnen  hat.  Hiermit  steht  im  Einklang,  daß  er  erst  am 
2.  März  desselben  Jahres  an  Frau  V.  Stein  schreibt: 

»An  meinem  Stück  hab'  ich  gearbeitet.  Es  zieht  sich 
insweite  und  kriegt  mehr  Körper.« 

Und  am  5.  ebendieses  Monats: 

»Mit  Freuden  meld'  ich,  daß  meine  zwei  ersten  Acte 
fertig  sind;  mich  verlangt.  Dir  zu  lesen,  was  Du  noch  nicht 
gehört  hast.« 

Es  war  dies  also  eine  dritte  Periode  der  Elpenordich- 
tung,  deren  erste,  vom  Sommer  1780  bis  11.  August  1781 
die  Ausbildung  des  Planes,  die  zweite,  von  da  bis  Anfang 
1783,  die  erste  Niederschrift  des  Anfangs  des  Dramas  und 
die  nachherige  Erkenntniß  der  Undurchführbarkeit  dieser 
Anlage,  die  letzte  Periode  endlich,  vom  Anfang  des  Jahres 
1783  bis  zu  dessen  5.  März,  die  Niederschrift  der  beiden 
ersten  Acte  des  neuen  Planes  umfaßt.  Damit  war  das  Drama 
bis  dahin  gediehen,  wo  es  verblieben  ist.  Der  römische 
Jurist  Paulus  sagt:  Quod  initio  vitiosum  est,  no7i  fiotest 
tractu  teinporis  convalescere.  Und  für  GOETHE  war  die 
Inangriffnahme  des  »Elpenor«  fehlerhaft;  es  war  ein  Fehler 
für  ihn,  der  nur  aus  den  Tiefen  seiner  Persönlichkeit  heraus 
dichtete,  eine  Dichtung  zu  unternehmen,  die  auf  Zuständen  und 
Anschauungen  beruhte,  die  den  unsrigen  oft  schlechthin  wider- 
streben, und  sie  den  unsrigen  anpassen  zu  wollen;  denn  hierbei 
konnte  er  nicht  dichterischen  Eingebungen  frei  folgen,  sondern 
sah  sich  bei  jedem  Schritte  gehemmt  von  ängstlicher  Er- 
wägung, wie  das  vorgesteckte  Ziel  mittels  einer  verwickelten 
Geschichtserfindung  zu  erreichen  sei.  Hieran  erlahmte  end- 
lich der  Flug  des  Dichtergeistes  und  die  Strafe  des  Fehl- 
griffes war,  daß  die  zu  so  schönen  Erwartungen  berechtigen- 
den zwei  Acte  des   »Elpenor«  als  Bruchstück  verkümmerten. 

Zur  Vorgeschichte  dieser  Dichtung  bis  dahin,  wo  sie  in 
die  Oeffentlichkeit  trat,  erübrigt  nur  noch  kurz  darauf  zu 
verweisen,  daß  jenes  zuerst  in  rhythmischer  Prosa  geschriebene 
Bruchstück  im  1 1 .  Bande  der  Weimarer  Ausgabe  von  GOETHE's 


2.    Das  Entstehen  der  Elpenordichtung.  6? 

Werken  (S.  339  ff.)  zuerst  gedruckt  ist  und  daß  ebenda 
(S.  368  f.)  berichtet  wird,  wie  HERDER,  als  das  Stück  in 
Goethe's  erster  Ausgabe  seiner  Werke  erscheinen  sollte, 
angefangen  hat,  die  Handschrift  durchzugehen  und  dabei  die 
Prosa  in  Verse  von  ungleicher  Länge  abzutheilen,  was  GoETHE 
bei  Aufnahme  des  Bruchstückes  in  die  Ausgabe  der  Werke 
von  1806  mit  Hilfe  Riemer's  durchführte.  Nach  der  Dar- 
stellung in  der  Weimarer  Ausgabe  (S.  368  f.)  erscheint  Goethe's 
Betheiligung  an  der  Zurechtstellung  der  Dichtung  für  die 
Ausgabe  der  Werke  geringer,  als  nach  Goethe's  Tagebuch 
anzunehmen  ist,  demzufolge  er  sich  am  24.  Februar,  27.  und 
28.  August,  sowie  25.  October   1806  damit  beschäftigte. 

Es  mag  wunderlich  erscheinen,  daß  meine  Untersuchungen 
über  »Elpenor«  mit  Feststellung  der  Anfänge  schließen,  es 
liegt  dies  aber  in  der  Natur  der  Sache:  die  Entwicklung 
der  Dichtung  mußte  klar  sein,  bevor  die  für  den  ersten 
Anfang  ausschlaggebende  Zuschrift  aus  dem  Sommer  1780 
an  Frau  V.  STEIN  zu  verstehen  war.  So  schließen  die  Unter- 
suchung-en  sachgfemäß  mit  der  Rückkehr  zum  Beginn. 


IV. 

Goethe  mit  Zeitgenossen. 


Gem.  V.   Allton  Graff 


Friedrich  Wilhelm  Heinrich  von  Trebra 


Zu  V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III. 


I. 


Bildnisse  zur  Goethekunde. 


iesem  Bande  der  Goethe-  Forschungen  sind  drei  Bild- 
nisse, eins  von  GoETHE  und  zwei  von  Personen, 
die  ihm  näher  verbunden  waren,  beigegeben. 
Das  Titelbildniß  ist  nach  einer  Bleistiftzeichnung 
des  Kupferstechers  Heinrich  Franz  Brandt  das  Bild 
Goethe's,  wozu  dieser  ersterem  bei  seinen  Studien  für  die 
nachträglich  zur  Feier  von  Goethe's  Dienstjubiläum  des 
Jahres  1825  zu  prägende  Medaille  im  März  1826  saß.  Die 
Zeichnung  befindet  sich  im  Königlichen  Kupferstichcaljinet 
zu  Dresden;  sie  ist  von  ZarnCKE  im  kurzgefaßten  Verzeich- 
niß"  der  Originalaufnahmen  von  Goethe'S  Bildniß  auf  Tafel  5 
unter  VIII  verkleinert  bekannt  gemacht;  das  gegenwärtige 
Bild  ist  in  der  Größe  der  Vorlage,  die  von  der  Königlichen 
Direction  des  Kupferstichcabinets  wohlwollend  zur  Verfügung 
gestellt  war.  Eine  Copie  dieser  Zeichnung  von  BRANDT  selbst 
befindet  sich  nach  gefälliger  Mittheilung  des  Geheimen  Hof- 
rath  Dr.  RULAND  im    GoetJie-Miiseiini  zu  Weimar. 

Das  nebenstehende  Bild  des  Oberberghauptmann  FRIED- 
RICH Wilhelm  Heinrich  von  Trebra  ist  nach  einem 
lebensgroßen  Ölgemälde  Anton  Graff's,  das  jetzt  dem 
Pastor  VON  Zezschwitz,  zu  Wohlbach,  gehört.  Trebra 
war  einer  der  wenigen  Dutzbrüder  Goethe's.  Die  Schilde- 
rung seines  Lebens,  seiner  Persönlichkeit  und  seiner  F"reund- 
schaft  mit  GOETHE  ist   in   meiner   Schrift    » Goethe   und  das 


72 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


Säcksische  Erzgebirge^  (Stuttgart,  Cotta,  1877)  enthalten. 
In  den  letzten  Jahren  sind  viele  der,  früher  zu  vermissen  ge- 
wesenen Briefe  Goethe's  an  ihn  nach  den  Abschriften  im 
GoetJiearchiv  in  der  III.  Abtheilung  der  Sophienausgabe  von 
Goethe's  Werken  veröffentHcht  worden.  Trebra's  Bildniß 
ist  nur  erst  in  einem  Stich  nach  VoGEL  VON  VoGELSTElN 
bekannt,  das  aber  den  geistvollen  Zügen  des  Mannes  nicht 
entfernt  gerecht  wird. 

Das  am  Schlüsse  dieser,  Goethe's  Verhältniß  zu  Zeitge- 
nossen gewidmeten  Abtheilung  befindliche  Bild  von  SiLViE  VON 
Ziegesar  ist  einem  Gemälde,  von  GERHARD  VON  KüDELGEN, 
das  vormals  ihr  verstorbener  Sohn,  Excellenz  VON  KOETHE  in 
Altenburg,  besaß,  entnommen.  GOETHE  kannte  SiLViE  seit 
ihrer  frühesten  Kindheit,  da  er  schon  vor  ihrer  Geburt  in  deren 
Elternhause  verkehrte.  Sie  war  am  21.  Juni  1785  in  Draken- 
dorf,  dem  Rittergute  ihres  Vaters,  damals  Geheimer  Rath  und 
Vicekanzler,  geboren.  Seit  dem  24.  October  1801,  dem  Tage 
des  ersten  erhaltenen  Briefes  von  GoETHE  an  sie,  hat  dieser 
ihr  über  vierzig  Briefe  im  herzlichsten  Tone  geschrieben.  Die 
Sophienausgabe  bringt  sie  voraussetzlich  alle,  weßhalb  hier 
von  deren  Druck  abzusehen  ist.  SiLViE  vermählte  sich  18 14 
mit  dem  Professor  und  Garnisonsprediger  KOETHE;  GOETHE 
sandte  ihr  bei  dieser  Veranlassung  ein  Exemplar  von  » Hermann 
und  Dorothea  f.  mit  der  Inschrift: 

Der  vereJiJ-ten  Freiindinn 
SiLviE  VON  Ziegesar 

beglückwünschend 
W.  d.  6.  Apr.  18 Iß.  Goethe 

Außer  den,  in  Goethe's  Werken  mit  ihrem  Namen 
stehenden  Gedichten,  ist  auch  die  Ballade  »Bergschlofs«.  für 
SiLViE  geschrieben,  und  zwar  infolge  eines  Spazierganges 
mit  ihr  nach  der  Ruine  Lobdaburg  bei  Jena. 

Sie  starb  im  November   1855. 


2.  Zu  Caroline  Schulze. 


MW 


m  0i 


n  der  Weimarer  Ausgabe  von  Goethe's  Werken 
sind  die  Verse  »An  Mademoiselle  SCHULZE«,  im 
5.  Bande  unter  Goethe's  Gedichten  ohne  Vor- 
behalt (Seite  55)  aufgeführt.  Das  ist  ganz  gewiß 
richtig,  dennoch  mag  den  bereits  früher  dargelegten  Gründen 
die  Goethe  als  deren  \"erfasser  erscheinen  lassen,  noch 
einer  hinzugefügt  worden.  Diese  Verse  sind  nämlich  eine 
Parodie  des  von  der  SCHULZE  und  ihrem  Bruder  bei  ihrem 
ersten  xA.uftreten  in  Leipzig  an  das  dortige  Publikum  ver- 
theilten  Gedicht's  und  die  Parodie  erfolgt  ganz  in  derselben 
Weise,  in  der  GOETHE  die  Gedichte  parodirte  die  Professor 
Cladius  bei  dem  Schluße  des  alten  und  der  Eröffnung  des 
neuen  Schauspielhauses  verfaßt  hatte.  Beidemale  verspottet 
er  Personen  mit  den  Worten  und  Wendungen  ihrer  eignen 
Gedichte.  Das  Gedicht  der  Geschwister  SCHüLZE  hatte 
folgenden  Wortlaut : 

Stadt,  wo  in  ihrem  Heiligthum 
Geschmack  und  Einsicht  glänzen! 
Wen  Du  erhebst,  krönt  wahrer  Ruhm 
Mit  ewig  grünen  Kränzen. 


74 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


Laß  deines  Lobes  Melodie, 

Laß  sie  auch  uns  erschallen: 

Süß  wird  der  Fleiß  und  leicht  die  Müh'; 

Befeuert  ihn,  belohnet  sie 

Das  Glück,  dir  zu  gefallen. 
Die  von  mir  früher  angeführten  Umstände  im  \'erein  mit 
der  Aehnlichkeit  der  Parodie  der  SCHüLZE'schen  und  der 
CLODlüS'schen  Gedichts  schließen  wohl  jeden  Zweifel  an 
Goethe's  Verfasserschaft,  hinsichtlich  der  Verse  an  CAROLINE 
Schulze  aus.  Bei  dieser  Gelegenheit  nehme  ich  meine 
frühere  Vermuthung,  daß  sie  nach  dem  6.  Mai  geschrieben 
seien,  zurück;  sie  entstanden  vermuthlich  spätestens  nach 
dem  ersten  Auftreten  der  SCHULZE  in  -»Romeo  und  Julie v. 
am  27.  April   1767. 

Matthai,  der  nachmalige  Lehrer  des  Sohnes  der  Frau 
V.  BraNCONI  spricht  sich  brieflich  über  das  Tanzen  der 
Schulze  sehr  schroff  aus:  er  tadelt  ihre  >  üppigen  und 
geilen  Sprünge«  und  sagt,  sie  mache  »Geberden  und 
Stellungen,  die  kein  rechtschaffenes  x\uge  sehen  kann.«  Ihr 
tragisches  Spiel  entsprach  dem  gespreizten  Tone  der  damals 
noch  vorherrschenden  Trauerspiele  alten  Stils;  als  sie  später 
als  Wittwe  auf's  neue  sich  der  Bühne  widmete,  mißfiel  sie,  weil 
inzwischen  das  natürliche  Spiel  durchgedrungen  war. 

Goethe's  Erinnerungen  an  die  Leipziger  Bühne  seiner 
Studentenzeit  sind  mit  denen  an  die  damals  jugendliche  CARO- 
LINE Schulze  eng  verknüpft,  und  so  rechtfertigt  sich  hier 
die  Zusammenstellung  der,  während  jener  Zeit  aufgeführten 
Stücke,  soweit  sie  aus  bisher  bekannten  Mittheilungen  zu 
ermöglichen  war. 

Von  Mitte  October  bis  Mitte  Dezember   1765. 
Der  Kaufmann  von  London,  Trauerspiel  von  Lillo. 
Miß  Sara  Sampson,  Trauerspiel  von  Lessing. 
Zaire,  Trauerspiel  von  Voltaire. 

Cenie    oder    Die    Großmuth    im    Unglücke,    Schauspiel 
von  Frau  v.  Graffigny,  übersetzt  von  Frau  Gottsched. 


2.    Zu  Caroline  Schulze.  75 


Die  Poeten  nach  der  Mode,  Lustspiel  von  Weiße. 

Die  Verschwörung  wider  Venedig,  Trauerspiel  von  Otway. 

Tartuffe,  Komödie  von  Moliere. 

1766. 
24.  Jan.    Die  Mütterschule,  Schauspiel  von  Nivelle  de  la 

Chaussee,  übersetzt  von  Eckhof. 
26.  Apr.    Der  Derwisch,  Lustspiel  nach  dem  Französischen. 
28.  Mai.    Der  lustige  Schuster  oder  Zweiter  Theil  von: 
Der  Teufel  ist  los,  Singspiel  nach  Coffey's    The 
Merry  Cobler,  übersetzt  von  Weiße,  componirt  von 
Standfus;  mit  neuen  Arien  componirt  von  Hiller. 
9.  Juni.    Das  Herrenrecht,  Lustspiel  von  Voltaire. 
6.  Aug.   Der  gelehrte  Ignorant,  Lustspiel  von  du  Vaure. 
28.  Aug.  Die  verliebte  Unschuld,  Lustspiel  von  Marin. 
?         Der  poetische  Dorfjunker,   Lustspiel   nach  La 
fausse  Agnese  oit   Le  poctc  campagnard  von  Des- 
touches,  bearbeitet  von  Frau  Gottsched.  (Da  GOETHE 
durch   die   lächerliche   Tracht    des   Masuren   dieses 
Lustspiels    bewogen    wurde,    seine    ähnlichen    alt- 
väterischen  Kleidungsstücke  abzuschaffen,  HoRN  aber 
noch  am  12.  xAugust  1766  an  MoORS  über  GOETHE 
schrieb:   »alle  seine  Kleider,  so  schön  sie  auch  sind, 
sind   von   einem   so   närrischen  Gout,   der   ihn   auf 
der  ganzen    Akademie   auszeichnet,«    so   kann   das 
Stück   nicht   früher,    als    um    diese  Zeit   aufgeführt 
worden  sein). 
8.  Sept.  Amalie,  Lustspiel  von  Weiße. 
5.  Oct.    —  —  —  Rede  beim  Schluß  des  alten  Schauspiel- 
hauses von  Clodius. 

10.  Oct.    Rede    bei   Eröffnung    des   neuen   Schauspielhauses 

von  Clodius.  Hermann,  Trauerspiel  von  Schlegel. 
Die  unvermuthete  Wiederkunft,  Lustspiel  von 
Regnard  mit  einem  Schäferballet. 

11.  Oct.    Die  Aufführungen  vom   10,  October  wiederholt. 


1^ 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


24.  Nov.   Lisuart  und  Dariolette,  Singspiel  von  Schiebeier, 

componirt  von  Hiller. 
26.  Nov.   Voriges  wiederholt. 

4.  Dec.    Der  Naturaliensammler,    Lustspiel   von  Weiße. 

?         Der  Hausvater,   Schauspiel  von  Diderot  (nicht  in 
Lessing's  Uebersetzung.) 
1767. 
2.  Jan.     —  —  — •  nach  Le  curieiix    impertinent ,    Lustspiel 
von  Destouches,  (wohl  das  Stück,  in  dem  Goethe 
den  Schauspieldirector  BRÜCKNER  als  Crispin  sah.) 
7.  Jan.     Lisuart    und    Dariolette,    vom    Verfasser    ver- 
bessert und  erweitert,  sowie  in  drei  Aufzüge  getheilt. 
28.  Jan.     Atreus    und    Thyest,     Trauerspiel    von    Weiße, 
(worin  der   damals   neue  jambische  Fünffüßler  den 
Schauspielern  Schwierigkeiten  machte.) 
30.  Jan.     Lisuart  und  Dariolette. 

ii.Fbr.    Der  Mißtrauische  gegen  sich  selbst,  Lustspiel 
von  Weiße. 
Einigemal  bis  zum  Bühnenschluß  wiederholt. 

2.  Mrz.    DieSchule  derjünglinge,  LustspielvonSchiebeler. 

3.  Mrz.    Wiederholt. 

5.  Mrz.    Rede  zum  Friedrichstage  von  Clodius.    Polyeuct, 

Trauerspiel  von  Corneille. 

6.  Mrz.    Voriges  wiederholt.     (Schluß  der  Vorstellungen.) 

22.  Apr.    Cenie,  Wiederaufnahme  der  Vorstellungen;  in  dem 

Stücke  trat  zuerst  die  Schulze  und  zwar  in  der 
Titelrolle  auf.  Das  Leben  der  Bauern,  Ballet 
von  Karl  Schulze  (worin  die  Schulze  tanzte.) 

23.  Apr.    Die  dreifache  Heirat h,  Lustspiel  von  Destouches, 

Musik  von  Weinlich. 

24.  Apr.    Richard  IIL,  Trauerspiel    von  Weiße  (zum  ersten 

Mal;  die  Schulze  gab  die  Königin  Elisabeth.) 

25.  oder  Lottchen    am   Hofe,    Singspiel    von   Weiße  und 

26.  Apr.    Hiller. 

27.  Apr.    Romeo    und  Julie,    Trauerspiel   von  Weiße,  (die 


2.    Zu  Caroline  Schulze. 


n 


29.  Apr. 

30.  Apr. 


4- 

Mai. 

6. 

Mai. 

7- 

Mai. 

10. 

Mai 

12. 

Mai 

13- 

Mai 

17- 

Mai 

18. 

Mai 

24. 

Mai 

Mehr- 
mals 
wieder- '' 
holt. 

22.  Juni. 
29.  Juni. 


10.  Juli. 
17.  Juh. 
2  1.  Aug. 
24.  Aug. 

28.  Aug. 

3-  Spt. 

22.  Spt. 


Schulze   als  Julie;   mit  ihr  wurde  das  Stück  neun- 
mal wiederholt.) 

Die   neue  Weiberschule,  Lustspiel  von  Moissy. 
Divertissement  von  Löhlein. 

Miß  Fanny  oder  Der  Schiffbruch,  Trauerspiel 
von  Brandes,  (wohl  nicht  schon  am  28.  April.) 
Die  wahre  Liebe,  Nachspiel. 
Romeo  und  Julie. 
Lottchen  am  Hofe. 
Romeo  und  Julie. 
Miß  Fanny. 
Lottchen  am  Hofe. 
Lottchen  am  Hofe. 
Romeo  und  Julie. 
Die  neue  Weiberschule. 
Die  dreifache  Heirath. 

Mehrmals  wiederholt: 
Richard  III. 

Der  Mißtrauische  gegen  sich  selbst. 
Lisuart  und  Dariolette. 
Amalia. 

Die  Schule  der  Jünglinge. 

Der  Weise  in  der  That,  Lustspiel  von  Sedaine. 
Romeo  und  Julie,  (mit  Aenderungen  und  erst- 
malig mit  Juliens  Tod,  unter  Weglassung  der  Ver- 
söhnung der  Capuleti  und  Montecchi,  schließend.) 
Lottchen  am  Hofe. 
Der  seltsame  Zufall,  von  Goldoni. 
Wiederholt. 

Medon  oder  Die  Rache  des  Weisen,  Lustspiel 
von  Clodius. 
Wiederholt. 

Die  zärtliche  Tochter,  Rührspiel  (ausgepocht.) 
Der  Liebesteufel,  Lustspiel  nach  Le  Grand  mit 
Gesängen,  componirt  von  Hiller. 


78 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


30.  Spt.     Das   neugierige    Frauenzimmer,   Lustspiel  von 
Goldoni  (oft  wiederholt.) 
Spt.     Medon,  öfter  wiederholt. 
3.  Oct.     Die  Muse,  Nachspiel  von  Schiebeier  mit  Gesängen, 
componirt  von  Hiller,  (öfter  wiederholt.) 

5.  Oct.     Lottchen  am  Hofe. 

6.  Oct.     Wiederholt. 

r  Romeo  und  Julie. 

r  Das  neugierige   Frauenzimmer. 

?  Der  wahre  Freund,  Lustspiel  von  Goldoni. 

19.  Oct.  Rosemunde,  Trauerspiel  von  Weiße,  (die  Schulze 

als  Albisswinth.) 

7.  Nov.    Miß    Sara    Sampson,    Trauerspiel    von    Lessing 

(die  Schulze  Sara;  bei  dieser  Aufführung  war  Goethe 

erweislich  zugegen.) 
10.  Nov.    Wiederholt. 
18.  Nov.    Minna    von    Barnhelm,    Lustspiel    von    Lessing 

(mit  der  Schulze  als  Minna.) 

20.  Nov.  I 

22.  Nov.  >  Wiederholt. 
25.  Nov.) 

1.  Dez.    Die  junge   Indianerin,    Nachspiel   nach  Champ- 

fort  von  Brandes. 

2.  Dez.    Minna  von  Barn  heim. 

3.  Dez.    Die  junge  Indianerin. 

r         Kindliche  Zärtlichkeit  und  Liebe. 
?         Der  Krieg,  Lustspiel  von  Goldoni. 
?         Die  verstellte  Kranke  oder  Der  taube  Apo- 
theker, Lustspiel  von  Goldoni. 
28.  Dez.    Die    Freundschaft    auf   der    Probe,    Lustspiel 
von  Weiße. 

1768. 

4.  Jan.     Der  Zweikampf,    Lustspiel   von  J.    L.  Schlosser. 

14.  Jan.     Der  Krieg, 

15.  Jan.     Wiederholt. 


2.    Zu  Caroline  Schulze.  70 

2  2.  Jan.     Der  Zweikampf. 

25.  Jan.     Der  Schein  betrügt,  Lustspiel  von  Brandes. 

26.  Jan.     Der  Krieg. 

5.  Fbr.    Der  Zweikampf. 
9.  Fbr.    Miß  Fanny. 

10.  Fbr.    Der  Schein  betrügt. 

12.  Fbr.     Die  verstellte  Kranke. 

15.  Fbr.    Der  Krieg. 

17.  Fbr.    Miß  Sara  Sampson,  (letztes  Auftreten  der  Schulze 

im  Schauspiel.) 

19.  Fbr.    Polyeuct.     Der   bezauberte   Wald,   Ballet  von 

K.  Schulze;  darin  letztes  Auftreten  der  Schulze  in 
Leipzig.     Schluß  der  \'orstellungen.) 

3.  Mrz.     Prolog  zur  Vorfeier  des  Friedrichstages  von 

Clodius.     Kanut,  Trauerspiel  von  Schlegel. 

4.  Mrz.     Wiederholt.     (Schluß  der  Vorstellungen.) 

6.  Apr.    Eugenie,    Schauspiel   von  Beaumarchais  übersetzt 

von  Schwan. 

11.  Apr.    Wiederholt. 

18.  Apr.    Der  Vormund,  Lustspiel  von  Goldoni. 
26.  Apr.    Der  Zweikampf. 

29.  Apr,  Eugenie. 

2.  Mai.  Der  Schein  betrügt. 

9.  Mai.  Der  Vormund. 

13.  Mai.  Der  Galeerensklave,    Schauspiel  von  Fenouillot 

de  Falbaire. 

16.  Mai.    Wiederholt. 

18.  Mai.    Die  Liebe  auf  dem  Lande,  Singspiel  von  Weiße, 
componirt  von  Hiller. 

20.  Mai.     Wiederholt. 

21.  Mai.    Der  Lügner,  Lustspiel  von  Goldoni. 
25.  Mai.    Der  Vormund  (oder  Der  Lügner?) 

?         Der  Triumph  der  guten  Frauen,  Lustspiel  von 
Schlegel. 
15.  Juni.    Der  Weise  in  der  That. 


3o  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

i8.  Juni.    Der  Hausvater. 

22.  Juni.    Der  Weise  in  der  That. 
25.  Juni.     Der  Galeerensklave. 

29.  Juni.    Die  Liebe  auf  dem  Lande. 

23.  Juli.     Der  ehrliche  Avanturier,  Lustspiel  von  Goldoni. 

r         Wiederholt. 
20.  Aug.    Der  Graf  von  Olsbach  oder  Die  Belohnung 

der   Rechtschaffenheit,   Lustspiel  von  Brandes. 
23.  Aug.   Der  Philosoph  ohne  es  zu  wissen,  (geänderter 

Titel   von  Sedaine's  Le  pliüosophe  sans  le  savoii', 

vorher:  Der  Weise  in  der  That.) 


i?t#^ 


3.  Goethe  und  Heinrich  Leopold 
Wagner. 


ie  leicht  Eitelkeit  den  Menschen  über  seine  Leistungs- 
tähigkeit  täuscht,  kann  man  alle  Tage  beobachten; 
nur  in  den  streng  abgeschlossenen  Wissenschaften 
macht  sich  die  Neigung,  ohne  Befugniß  mitzureden, 
nicht  sehr  breit,  weil  zu  viel  ernster  Fleiß  dazu  gehört,  um 
überhaupt  nur  die  dort  behandelten  Fragen  zu  begreifen, 
ernster  Fleiß  aber  auch  über  die  Grenzen  eignen  Könnens 
einigermaßen  aufklärt.  Wenn  jedoch  die  Wissenschaft  Gegen- 
stände behandelt,  deren  sich  das  Leben  bereits  bemächtigt 
hat,  dann  wird  ihr  das  Vorwärtsschreiten  oft  vergällt. 

Das  muß  auch  die  GOETHE-Kunde  häufig  erfahren ;  Jeder, 
der  Gefallen  an  einigen  Gedichten  Goethe's  gefunden,  glaubt 
schon  absprechen  zu  können  über  alles,  was  die  wissen- 
schaftlich betriebene  Forschung  zursprache  zu  bringen  für 
nöthig  hält,  um  GoETHE  im  ganzen  Umfange  seines  ge- 
waltigen Geistes,  seiner  hohen  Gesinnung,  seiner  gesammten 
phänomenalen  Wesenheit,  soweit  möglich,  zu  begreifen  und 
seine  Dichtungen  zugänglicher,  genußbringender,  fruchtbarer 
zu  machen,  als  sie  es  ohne  tief  eindringende  Bemühung  sein 
können.     Solche  absprechende  Schwätzer   finden    hauptsäch- 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.       ^  6 


32  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


lieh  Gelegenheit,  zu  Worte  zu  kommen,  wenn  sie  ein  Buch 
aus  dem  Bereich  der  GOETHE-Kunde  in  Zeitschriften  anzuzeigen 
haben;  was  dabei  zuweilen  für  beschränkte  Gesichtspunkte 
und  Oberflächlichkeiten  zu  Tage  kommen,  ist  unglaublich. 
Ausführlicher  darüber  zu  reden,  lohnt  indessen  nicht  die  Mühe. 

Aus  der  engen  Verknüpfung  der  GOETHE-Wissenschaft 
mit  dem  lebendigen  Genuß  GOETHE'scher  Dichtung  ent- 
springen aber  noch  andere  Eingriffe,  die  ernsterer  Natur  sind. 
Jene  Macht,  welcher  alles  daran  gelegen  ist,  sich  eine  unter- 
würfige Menge  in  unwürdiger  Beschränktheit  zu  erhalten,  um 
sie  zu  ihren  Zwecken  willenlos  gebrauchen  zu  können,  jene 
Hierarchie,  welche  sich  verruchter  Jesuitenwirthschaft  bedient, 
um  unter  dem  Deckmantel  der  Religion  ihrem  Eigennutz 
und  ihrer  Herrschsucht  zu  fröhnen,  indem  sie  die  höchsten 
Bestrebungen  des  Menschengeschlechts  niedertritt  — ■  jene 
Macht  also  muß  ihren  schlimmsten  Feind  in  dem  Manne  er- 
blicken, der  auf  der  Höhe  der  Menschheit  steht  und  es  wie 
selten  ein  Mensch  verstanden  hat,  nach-  und  heranzuziehen, 
so  daß  sein  Sieg  den  Untergang  der  Mächte  der  Finsterniß 
bedeutet.  In  Nr.  i  und  2  der  diesjährigen  ■»  Grenzboten  i- 
ist  unter  der  Ueberschrift  » Goethe-  und  Schillerhetzer <s-  dieser 
Gegenstand  trefflich  behandelt,  wobei  wir  es  bewenden  lassen. 

Augenblicklich  ist  es  die  Schrift,  welche  vorstehende  Be- 
trachtungen veranlaßt  hat:  »GOETHE  und  HEINRICH  LEOPOLD 
Wagner.  Ein  Wort  der  Kritik  an  unsere  GOETHE-Forscher 
von  Dr.  Johann  Froitzheim«.  (1889.)  Der  Verfasser  wirft 
somit  der  gesammten  GOETHE-Forschung  den  Fehdehandschuh 
hin.  Er  wird  aufgenommen  und  wenn  es  nun  heißt:  hie 
Froitzheim,  hie  Goethe -Forschung!  so  wird  sich  bald 
zeigen,  auf  wessen  Seite  der  Sieg,  d.  h.  die  Kritik,  ist. 

Es  ist  der  Abschnitt  ^y  Prometheus,  Deukalion  und  seine 
Recensenten'i ,  den  wir  hier  in's  Auge  fassen.  Der  Thatbe- 
stand,  um  den  es  sich  hierbei  handelt,  ist  im  Wesentlichen 
folgender. 

Ende  Februar  1775   erschien  unter  demselben  Titel,  den 


Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner. 


83 


dieser  Abschnitt  der  FROITZHEIM'schen  Schrift  führt,  ein  Heft 
in  Knitteh^ersen,  wie  solche  GOETHE  in  dem  »Neueröffneten 
moralisch-politischen  Puppenspiel«  gebraucht  hatte,  worin  die 
Recensenten  der  »Leidendes  jungen  Werther's«  unter  Bildern 
verschiedener  Thiere  vorgeführt  und  durchgehechelt  wurden. 
Von  Anfang  an  wurden  bald  GoETHE,  bald  HEINRICH  LEOPOLD 
Wagner  als  Verfasser  bezeichnet.  Deßhalb  erließ  GOETHE 
unterm  9.  April  1775  mittels  eines  gedruckten  Blattes  eine 
Erklärung,  worin  es  hieß:  »Nicht  ich,  sondern  H.  L.  Wagner 
hat  den  Prometheus  gemacht  und  drucken  lassen  ohne 
mein.  Zuthun,  ohne  mein  Wissen.  Mir  war's  wie  meinen 
Freunden  und  dem  Publico  ein  Räthsel,  wer  meine  Manier, 
in  der  ich  manchmal  Scherz  zu  treiben  pflege,  so  nachahmen 
und  von  gewissen  Anekdoten  unterrichtet  sein  konnte,  ehe 
sich  mir  der  Verfasser  vor  wenig  Tagen  entdeckte.« 

Trotzdem  beharrten  mehrere  Personen  dabei,  daß  GOETHE 
die  Satire  geschrieben  habe.  Diese  glaubten,  GoETHE  habe 
Ursache  gehabt,  sich  zu  verleugnen,  weil  im  ■* Prometheus «■ 
eine,  die  scliuldige  Verschwiegenheit  verletzende  Anspielung 
auf  seine  Zusammenkunft  mit  dem  Herzog  von  Weimar  in 
Mainz  enthalten  war,  weßhalb  er  seinen  Freund  WagNER 
vermocht  habe,  die  Verfasserschaft  auf  sich  zu  nehmen. 
Diese  Meinung  unterstützte  der,  mit  GOETHE  von  Wetzlar 
her  bekannte  V.  Bretschneider  durch  die  Versicherung, 
Goethe  habe  persönlich  die  Thierbilder  zum  y>  Prometheus  ^ 
beim  Formschneider  Dannhäuser  in  Offenbach  bestellt.  Da- 
zu kam  drei  Jahre  später,  daß  der  Dichter  SPRICKMANN  an 
BoiE  schrieb,  Wagner  habe  ihm,  aber  erst  damals,  gesagt, 
Goethe  sei  der  Verfasser  des   •»Projnetheus'i. 

Seit  einiger  Zeit  ist  es  bei  literaturgeschichtlichen  Er- 
örterungen zur  Sitte  geworden,  verblüffende  Behauptungen 
aufzustellen  und,  da  diese  der  Natur  der  Sache  nach  nur 
durch  schwache  Gründe  vertheidigt  werden  können,  nach  Art 
der  Taschenspieler  die  Aufmerksamkeit  von  Betrachtung  der 
schwachen  Gründe   durch   rabulistisches    Ausdeuteln   und  Qt- 


84 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


künsteltes  Aufbauschen  einer  Fülle  von  nebensächlichen  Um- 
ständen, die  der  aufgestellten  Behauptung  günstig  scheinen, 
abzulenken.  In  solchem  Verfahren  nach  berühmten  Mustern 
hat  sich  nun  auch  FroITZHEIM  versucht,  indem  er  die  Be- 
hauptung verficht,  Goethe's  am  9.  April  1775  ausgestellte 
und  dem  Sinne  nach  in  dem  18 14  erschienenen  III.  Theile 
von  -»Dichtung  und  Wahrheit i  wiederholte  Erklärung  ent- 
halte eine  Lüge,  indem  er  nur  den  geldbedürftigen  WagNER 
bestochen  habe,  sich  die  Nennung  als  Verfasser  des  »Promc- 
theus«-   gefallen  zu  lassen. 

Um  die  aufgeworfene  Frage  gewissenhaft  zu  erörtern, 
wollen  wir  zunächst  die  belanglosen  Nebengründe  Froitz- 
HEIM'S  durchgehen  und  uns  dann  erst  zu  den  Gründen  wenden, 
welche  allerdings  der  Erwägung  bedürfen. 

Vorerst  heftet  sich  FROITZHEIM  (S.  14)  daran,  daß 
Wagner,  nachdem  Goethe  ihn  als  Verfasser  des  »Prome- 
theus« öffentlich  genannt  hatte,  von  Frankfurt  nach  dem 
benachbarten  Höchst  gezogen  war.  Darüber,  daß  dieser 
Wohnungswechsel  in  irgendwelcher  Beziehung  zu  dieser  Ver- 
fasserschaft gestanden  habe,  fehlt  uns  aller  Anhalt  und  da- 
her können  sonstige  von  der  Unzahl  von  Gründen,  welche 
andere  Menschen  zu  einem  Wohnungswechsel  veranlassen, 
auch  Wagner  bestimmt  haben.  Aber  FROITZHEIM  findet 
diesen  Umzug  so  »seltsam«,  daß  er  ihn  nur  aus  einem  ganz 
außergewöhnlichen  Grund  erklären  zu  sollen  vermeint,  und 
er  findet  ihn  in  V.  Bretschneider'S  Aeußerung  (S.  23), 
daß  Wagner  von  Jedermann  ausgelacht  und  für  einen 
schlechten  Menschen  gehalten  werde,  der  für  baares  Geld 
sich  zu  allem  brauchen  lasse,  weßhalb  —  sagt  FROITZHEIM 
—  er  sich  nun  vor  dem  allgemeinen  Sturm  zu  retten  ge- 
sucht habe. 

Gesetzt,  daß  dies  richtig  sei,  was  hat  das  aber  mit  der 
Verfasserschaftsfrage  hinsichtlich  des  ■>■> Prometheus <■<  zu  schaffen? 
Diese  FROlTZHElM'sche  Schlußfolgerung  ist  ein  wahrer  salto 
mortale,   mit  dem  er   die  unentbehrlichen  Mittelglieder  über- 


3.    Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  85 

springt;  denn  wenn  auch  Wagner  sich  vor  dem  allgemeinen 
Sturm  zu  retten  Ursache  gehabt  haben  sollte,  so  war  dieser 
Sturm  eben  eine  Tyrannei  der  öffentlichen  Meinung,  gegen 
die  anzukämpfen  er  —  gleichviel,  ob  dieselbe  gegründet 
war  oder  nicht  — -  den  Muth  nicht  besaß. 

Ebenso  schlägt  Froitzheim  mit  seiner  Logik  eine  Volte 
in  Anknüpfung  an  den  Umstand,  daß  GOETHE  in  der  Zeit 
vom  5.  September  bis  18.  October  1775  acht  Briefe  an 
Wagner  von  Frankfurt  nach  Höchst  geschrieben  hat.  Erich 
Schmidt  hat  vermuthet,  daß  darin  über  die  Uebersetzung 
von  Mercier's  Noiivel  essai  sur  le  thcatre  verhandelt  worden 
sei,  in  Bezug  worauf  Froitzhelm  bemerkt:  das  müßte  erst 
bewiesen  werden;  sonach  glaubt  er,  seine  Behauptung  (S.  23) 
erwiesen  zu  haben,  daß  der  eifrige  Briefwechsel  Goethe's 
mit  Wagner  gerade  im  September  und  October  1775  — 
d.  h.  zu  der  Zeit,  als  die  Besprechung  des  ■» Prometheus i^  in 
der  y> Allgemeinen  Deutschen  Bibliothek«,  erschien  —  auf- 
fällig, indessen  aus  der  Dringlichkeit  eines  besonderen  Zwischen- 
falles  leicht  erklärlich  sei.  Nach  dem  Beweise  dieser  Auf- 
stellung sehen  wir  uns  vergeblich  um;  Froitzheim  giebt  da- 
für das  Taschenspielerstück,  daß  er  an  das  »Herz«  des  »un- 
befangenen Lesers«  (soll  heißen:  unkundigen  und  unaufmerk- 
samen) appellirt.  Wer  aber  dem  Taschenspieler  auf  die 
Finger  sieht  und  sich  durch  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
das  gläubige  Herz  an  die  Stelle  des  prüfenden  Verstandes 
gesetzt  wird,  nicht  überrumpeln  läßt,  der  fragt  sich  erstaunt, 
wie  Froitzheim  auf  den  Gedanken,  oder  vielmehr  auf  den 
Einfall  kommt,  daß  jene  Briefe  Goethe's  die  angeblich  er- 
logene Verfasserschaft  Wagner's  zum  Gegenstand  gehabt 
haben.  Angenommen,  sie  wären  über  y>  Pj'ometheus <(■  infolge 
der  Berliner  Recension  geschrieben  worden,  können  sie  nicht 
z.  B.  ebensowohl  von  GOETHE  geschrieben  worden  sein,  um 
über  die  Einmischung  des  Formenschneiders  Dannhäuser 
Auskunft  zu  verlangen,  oder  sich  darüber  auszusprechen? 
Froitzheim  hat  sich  nicht  die  Mühe  genommen,  anzudeuten. 


85  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

wie  er  sich  den  Inhalt  von  acht  Briefen  über  den  von  ihm 
vorausgesetzten  Gegenstand  denkt. 

Die  Kritik  der  GOETHE-Forscher  —  die,  v^ie  Froitzheim 
sagt,  eine  andere  ist,  als  die  seinige  —  wird  zunächst  fragen, 
ob  denn  wirklich  die  Abfertigung  von  acht  Briefen  an  einen 
Freund  bei  GoETHE  »auffällig«  sei,  und  wird  die  Frage  ent- 
schieden mit  Beweisen  verneinen.  Wenn  der  junge  GOETHE 
einmal  im  Zuge  war,  einer  befreundeten  Person  Briefe  zu 
schreiben,  dann  kargte  er  nicht  damit.  So  richtete  er  in 
derselben  Zeit  von  sechs  Wochen,  von  Mitte  September  bis 
Ende  October  1775,  gleichfalls  acht  Briefe  an  Kestner, 
und  daneben  einen  an  CllARLOTTE  BUFF,  und  hat  in  den 
letzten  sechs  Wochen  1773  sogar  neun  an  ersteren  abge- 
sandt; noch  mehr  —  zehn  Briefe  —  erhielten  von  ihm  zu 
gleicher  Zeit  wie  Wagner,  Lavater,  sowie  in  den  sechs 
Wochen  von  Anfang  März  bis  Mitte  April  JOHANNA  Fahlmer. 
Wenn  von  Briefen  an  Wagner  nichts  weiter  bekannt  ist, 
so  erscheint  dies  ganz  natürlich,  da  dieser  vorher  mit  GoETHE 
in  Einer  Stadt  wohnte,  und  sonach  die  angestaunten  acht 
Briefe  nichts  weiter  sein  möchten,  als  Fortsetzung  des  per- 
sönlichen Verkehrs.  Also  wenn  FROITZHEIM  die  fraglichen 
acht  Briefe  auffällig  findet,  so  liegt  das  nur  an  ihm. 

Ebenso  leichtfertig  benutzt  FROITZHEIM  (S.  22)  einen 
anderen  Umstand  zur  Vertheidigung  der  eingebildeten  Ver- 
fasserschaft Goethe's.  Er  findet  es  nämlich  »wunderbar«, 
daß  der  »scharfsichtige«  GOETHE  erst  wenige  Tage  vor  dem 
9.  April  durch  Wagner  selbst  erfahren  haben  wolle,  daß 
er  der  Verfasser  sei,  während  in  einem  vor  dem  28.  März 
1775  geschriebenen  Briefe  aus  Frankfurt  (S.  1 5)  schon  Wagner 
als  Verfasser  genannt  war.  Wo  aber  hier  das  Verwunder- 
liche liegen  soll,  ist  unerfindlich!  Führt  uns  doch  FROITZHEIM 
selbst  gleich  dabei  die  Stelle  eines  Briefes  von  GOETHE  an 
Johanna  Fahlmer  an,  worin  jener  schreibt:  er  werde  sich 
um  den  Autor  keine  Mühe  geben,  der  Freundin  aber  auch 
nicht  auf  die  Spur  helfen.     Also  da  hat  GOETHE  ja  gerade 


3.    Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  g? 

—  man  sollte  meinen,  für  jedermann  deutlich  —  zugegeben, 
daß  sein  Scharfsinn  schon  auf  den  Verfasser  verfallen  sei, 
er  die  Spur  aber  nicht  verfolgen  wolle;  er  war  zu  gewissen- 
haft, jemand  zu  beschuldigen,  und  wartete  deßhalb,  bis 
Wagner  freiwillig  sich  ihm  entdeckte.  Froitzheoi  ver- 
dunkelt muthwillig  diesen  klaren  Sachverhalt. 

Geradezu  komisch  naiv  erscheint  Froitzheim's  Ansicht 
über  Beweiskräftigkeit  in  Bezug  auf  ein  paar  Aeußerungen 
des  Buchhändlers  Deinet,  deren  angebliche  Unterschlagung 
durch  Erich  Schmidt  er  diesem  hoch  anrechnen  zu  dürfen 
glaubt.  Die  erste  ist  (S.  24),  daß  Klopstock  im  März  1775 
bei  seiner  Durchreise  durch  Frankfurt  nicht,  wie  früher  ein- 
mal, bei  Goethe,  sondern  im  Gasthofe  gewohnt  habe.  Wäre 
dies  auch  mit  Rücksicht  auf  :> Prometheus  1.  geschehen  — 
was,  wie Froitzheim  versichert,  jenem Deinet  »einleuchtend« 
gewesen  sei  —  wieso  ist  dies  denn  für  Goethe  belastend? 
Was  kann  er  denn  dafür,  daß  Klopstock  sich  Wahnvor- 
stellungen hingiebt?  Goethe  hatte  übrigens  damals  noch 
nicht  öffentlich  Wagner  als  Verfasser  genannt. 

Die  andere  von  Froitzheim  als  Schuldbeweis  gegen 
Goethe  herbeigezogene  Aeußerung  Deinet's  (S.  24)  ist  die 
briefliche:  » Ein  [zu]  bewundernder  WERTHER-Kopf.  Ich  möchte 
aber  nicht  in  einer  Stadt  wohnen,  deren  dritter  Theil  Ein- 
wohner so  dächten,  wie  er.«  Den  letzten  Satz  hat  Froitz- 
HEOI  sogar  fett  drucken  lassen,  es  ist  ihm  aber  dadurch 
doch  nicht  gelungen,  demselben  ein  Gewicht  zu  geben,  dessen 
er  an  sich  entbehrt.  Mit  jener  Aeußerung  wird  doch  nur 
dasselbe  ausgedrückt,  was  Merck  bezüglich  Goethe's  an 
Nicolai  schreibt:  »Ein  Genie  ist  einmal  ein  böser  Nachbar.« 
Also  das  zielbewußte,  rücksichtslose  Geltendmachen  seines 
Willens  ist  es,  was  das  Genie  unbequem  macht  und  auch 
von  Goethe  mehrseitig,  nicht  nur  in  den  angeführten  beiden 
Stellen,  bezeugt  ist.  Wenn  daher  FROITZHEIM  erklärt,  schon 
die  erste  der  von  ERICH  SCHMIDT  übergangenen  Aeuße- 
rungen  sei    für   »Goethe'S    Autorschaft  Beweis    genug«,   so 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


kann  man  sich  nur  über  die  Kühnheit  wundern,  mit  welcher 
uns  zugemuthet  wird,  Willkür  für  Logik  zu  nehmen. 

Nicht  einmal  zu  einfachem  Verständniß  des  Wortsinnes 
bringt  es  Froitzheim  durchgängig.  Umi  seine  Behauptung 
von  Goethe's  Verfasserschaft  des  >^ Prometheus «  zu  belegen, 
führt  er  u.  a.  (S.  25)  an,  GOETHE  habe,  um  seine  geniale 
Arbeit  dem  minderbegabten  Wagner,  ohne  verrathen  zu 
werden,  aufhängen  zu  können,  nach  Art  der  Schuljungen 
eine  »Glanzstelle»  ausgeschlossen,  deren  er  in  -»Dichtung 
und  Wahrheit  1.  gedenke,  »wovon  in  dem  uns  überlieferten 
•»Prometheus-»  kein  Sterbenswort  steht».  Er  meint  die  Stelle, 
worin  GoETHE  von  den  Thieren  im  » Prometheus  1.  spricht, 
»die  den  Bildner  in  seiner  Werkstatt  irre  zu  machen  suchen, 
während  dieser  ohne  sonderliche  Notiz  zu  nehmen  seine  Ar- 
beit fortsetzt  und  dabei  nicht  verschwieg,  wie  er  es  über- 
haupt zu  halten  gedenke«.  Diese  »Glanzstelle«  steht  aber 
für  die  Mehrzahl  der  Menschen  verständlich  in  den  Worten: 
Den  Spektakel  auf  einmal  zu  enden, 
Hätt'  freilich  Prometheus  die  Mittel  in  Händen; 
Doch  da  er  zu  groß  denkt,  Insecten  zu  jagen. 
Mag  ihnen  Epilogus  die  Meinung  sagen. 
Also  für  Hrn.  FROITZHEIM  prosaisch:  GoETHE  nimmt  keine 
Notiz  von  dem  Ungeziefer  der  Recensenten  und  denkt  zu 
groß,  um  es  überhaupt  anders  zu  halten.  Das  ist  dasselbe, 
was  in   >^  Dichtung  imd   Wahrheit '^   angedeutet  wird. 

Wenden  wir  uns  nun  von  den,  für  Froitzheim's  Zweck 
geradezu  w^erthlosen  Anführungen  zu  denjenigen,  welche 
allenfalls  Goethe's  Wahrheitsliebe  und  Ehrenhaftigkeit  in 
Zweifel  zu  ziehen  gestatten  können.  Es  handelt  sich  hier- 
bei um  eine  Anklage  gegen  GOETHE,  und  da  ist  es  in  der 
Ordnung,  wenn  ein  Rechtskundiger  ein  Wort  mitspricht  und 
urtheilt,  ob  die  vorliegenden  Verdachtsgründe  genügen,  den 
Angeklagten  schuldig  zu  finden,  oder  ihn  wenigstens  —  wie 
es  im  früheren  Criminalprozeß  hieß  —  nur  in  Mangel  aus- 
reichenden Verdachts  freizusprechen. 


Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner. 


89 


Erster  Belastungszeuge  ist  v.  Bretschneider,  welcher 
dem  Feinde  GOETHE'S,  NICOLAI  in  Berlin,  aus  Usingen  mit- 
theilte, Goethe  habe  die  Thierbilder  zu  ^  Prometheus <(~  selbst 
gezeichnet  und  beim  Formschneider  DannhäUSER  zu  Offen- 
bach die  Holzschnitte  darnach  persönlich  bestellt.  Um  dieser 
Zeugenaussage  irgend  welchen  VVerth  beilegen  zu  können, 
müsste  man  wissen,  auf  welchem  Wege  und  durch  welche 
Personen  V.  BRETSCHNEIDER  dies  Alles  erfahren,  namentlich, 
ob  DannhäUSER  Goethe  wirklich  gekannt  hat.  Wie  die 
Sache  jetzt  liegt,  gründet  sich  V.  Bretschneider's  Angabe 
lediglich  auf  Hörensagen,  ist  also  für  die  Beweisführung  an 
sich  völlig  werthlos;  sie  hätte  nur  als  Fingerzeig  für  ein- 
gehende Untersuchung  dienen  können.  Froitzheim  ahnt 
selbst  so  etwas,  indem  er  (S.  22)  sagt:  »In  unserem  kritischen 
Zeitalter  würde  man  allerdings  ein  Uebriges  gethan  und  die 
Aussage  DannhäUSER's  durch  Protokoll  oder  [!]  Zeugen*) 
festgestellt  haben;  allein  für  jene  Zeitliat  V.  BRETSCHNEIDER 
unleugbare  Akribie  bewiesen.«  Das  ist  eben  das  von  Froitz- 
HEIM  wiederholt  angewandte  Taschenspielerstück,  etwas  zu 
sagen,  was  an  geeigneter  Stelle  ganz  richtig  ist,  aber  mit 
der  zu  entscheidenden  Frage  schlechterdings  nichts  zu  thun 
hat.  Jene  Bemerkung  wäre  ganz  gut,  wenn  es  sich  darum 
handelte,  V.  BRETSCHNEIDER  zu  entschuldigen,  daß  er  der 
Sache  nicht  gründlicher  zu  Leibe  gegangen  ist,  allein  da  unser 
Zeitalter  mehr  Kritik  für  nöthig  hält,  als  FROITZHEIM,  so  ist 
eben  durch  V.  Bretschneider'S  Unterlassung  unseren  Zeit- 
genossen unmöglich  gemacht,  seine  Aussagen  gegen  GOETHE 
gelten  zu  lassen.  Aber  nicht  blos  unseren  Zeitgenossen,  auch 
den  damaligen  ist  V.  Bretschneider's  Mittheilung  nicht  zu- 
verlässig genug  erschienen,  um  GOETHE  als  Verfasser  nam- 
haft zu  machen;  denn  NICOLAI  würde  sich  die  Gelegenheit, 
den  verhaßten  GOETHE  wegen  Ableugnung  der  Verfasser- 
schaft der  Lüge  zu  zeihen,  nicht  haben  entgehen  lassen,  wenn 


*)  Froitzheim  meint  nämlich :  durch  Zeugen  zu  Protokoll. 


90 


IV.  Goethe  mit  Zeitgenossen. 


er  es  sicher  gekonnt  hätte.  Anstatt  dessen  sagt  er  bei  Be- 
sprechung des  -»PronieiheiiSf-  in  der  ^^Allgemeinen  deutsche7i 
BibliotJLeki-  nur:  »Ob  Wagner,  oder  ein  Anderer  der  Ver- 
fasser sei,  steht  indessen  noch  dahin  und  möchte  am  sichersten 
bei  dem  Formschneider  DaNNHÄUSER  in  Offenbach  zu  er- 
fahren sein.«  Aber  so  viele  Leute  darnach  strebten,  die 
Zweifel  über  die  fragliche  Verfasserschaft  zu  heben,  so  ver- 
lautet doch  nirgends,  daß  irgendjemand  DANNHÄUSER  be- 
fragt und  Bestätigung  des  durch  V.  Bretschneider  auf- 
gebrachten Verdachts  erhalten  hätte. 

Froitzheim's  weitere  Bezugnahme  auf  des  Dichters 
SpriCKMANN  Nachricht,  daß  Wagner  im  Jahre  1778  ihm 
gesagt,  Goethe  habe  den  >■> Prometheus <<  geschrieben,  ent- 
behrt nicht  minder  der  Beweiskraft  und  zwar  hauptsächlich, 
weil  der  Aussagende  ein  verdächtiger  Zeuge  ist.  Dies  ist 
er  nicht  sowohl,  weil  er  in  eigener  Sache  ohne  die  Controle 
der  Oeffentlichkeit  —  wie  GoETHE  —  aussagt,  als  vielmehr 
darum,  weil  Wagner's  Aussage  voraussetzt,  daß  er  früher 
behülflich  gewesen  sei,  eine  lügenhafte  Veröffentlichung  durch 
sein  Schweigen  zu  unterstützen,  als  es  ihm  Vortheil  brachte, 
und  weil  deßhalb  der  Verdacht  gerechtfertigt  ist,  daß  er  jetzt 
ebenso  lügt,  nachdem  ihm  die  Verfasserschaft  des  » Prometheus « 
Nachtheil  gebracht  hatte.  (Vergl.  S.  18  und  24  f.)  Jeden- 
falls müsste  man  die  nächste  Veranlassung  zu  Wagner'S 
sonst  nirgends  bekundetem  Widerruf  kennen,  um  ihm  auch 
nur  die  geringste  Bedeutung  einzuräumen;  auch  müsste  der 
Wortlaut  desselben  verbürgt  sein,  da  Wagner  möglicher- 
weise nur  die  ohnehin  nicht  bezweifelte  Wiedergabe  Goethe'- 
scher  Scherze  im  y>  Prometheus «  behauptet  hat.  Der  Wider- 
ruf ist  sogar  unwahrscheinlich,  da  Wagner  noch  in  der 
Anzeige  seines  1779  erfolgten  Todes  als  »Verfasser  des 
Prometheus»   bezeichnet  wird. 

Wie  dieser  letzte  Umstand  schon  zugunsten  der  Zu- 
verlässigkeit der  GOETHE'schen  Erklärung  spricht,  so  auch 
namentlich  der  ruhige,  würdige  Ton  derselben,    der  für  das 


3.    Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner.  gi 

reine  Gewissen  zeugt:  »Ich  glaube  diese  Erklärung  denen 
schuldig  zu  sein,  die  mich  lieben  und  mir  aufs  Wort  trauen.« 
Andererseits  konnte  GoETHE,  wenn  er  thatsächlich  der  Ver- 
fasser war,  aber  kein  ausgepichter  Hallunke,  nicht  zu  V.  Bret- 
SCHNEIDER  Sagen  (S.  17),  der  Verfasser  sei  eine  Canaille. 
Ich  hoffe,  daß  dies  auch  für  FroitzhEIM  überzeugend  ist. 

Goethe  hat  niemals  seine  ärgsten,  auch  die  ihm  hinter- 
drein höchst  unangenehmen  Spottgedichte  verleugnet;  denn 
obwohl  auf  den  Titeln  des  ^^  Puppenspiels  ^  und  von  y>  Götter, 
Helden  und  lVieland<i  sein  Name  nicht  stand,  so  wurde  er 
doch  sofort  als  Verfasser  genannt  und  er  —  trotzdem  der 
Druck  der  letztgedachten  Posse  nicht  durch  ihn  selbst  ver- 
anstaltet war  —  bekannte  sich  dazu  ohne  Widerrede. 

Es  wäre  unbegreiflich,  wie  GOETHE  dazu  gekommen 
sein  sollte,  durch  y> Prometheus  1  wieder  mit  WiELAND  an- 
zubinden, nachdem  er  ihm  erst  infolge  der  Mainzer  Zusammen- 
kunft mit  Karl  August  versöhnlich  geschrieben  hatte.  FROITZ- 
HEIM sieht  auch  selbst  diesen  Widerspruch  ein  und  versucht 
ihji  zu  lösen,  schießt  aber  dabei  ganz  in's  Blaue.  Er  meint 
nämlich,  durch  die  -»grobe  Satire <i  NICOLAIS  gegen  »Die 
Leiden  des  jungen  Werther«  sei  GoETHE  in  leidenschaftliche 
Aufwallung  gerathen  (S.  27).  Wie  aber  alle  Aeußerungen 
Goethe's  über  »Die  Freuden  des  jungen  Werther«  nur 
spöttisch  oder  verächtlich  lauten,  so  hätte  FROITZHEIM  be- 
sonders aus  der  »Anekdote  zu  den  Freuden  des  jungen 
Werther«  sich  überzeugen  können,  daß  Goethe  sich  keines- 
wegs leidenschaftlich  erregt  fand,  und  er  auch  das  bischen 
Verdruß,  das  ihm  NlCQLAl's  plumper  Spott  etwa  bereitet 
hatte,  nach  seiner  Gewohnheit  durch  die  »Anekdote«  über- 
wunden hatte.  Und  daß  jene  vermeintliche  leidenschaftliche 
Aufwallung  sich  g&g'tn  WiELAND,  wegen  dessen  etwa  gleich- 
zeitiger Auslassung  gegen  Lenz,  hätte  richten  sollen,  während 
Goethe'n  jetzt  daran  lag,  sich  mit  WiELAND  gut  zu  stellen, 
ist  eben  wieder  eine  ganz  willkürliche  Combination. 

Eine  ebenso  unnöthige  Herbeiziehung  ist  die  Stimmung, 


92 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


in  der  DeinET  sich  gegen  GoETHE  befunden  haben  soll  (S.  24). 
Wenn  derselbe  »sich  durch  GoETHE  beleidigt  wußte,«  oder 
überhaupt  durch  y> Prometheuse ,  wer  ihn  auch  geschrieben 
haben  mochte,  so  würde  er  offenbar  in  seiner  Zeitschrift 
eine  günstige  Erwähnung  des  •» Prometheus «  nicht  mehr  zu- 
gelassen haben.  Nun  wird  aber  in  dem  Stück  der  y> Frank- 
furter gelehrten  Anseigen >.<.  vom  3.  und  6.  October  1775  über 
die  unter  dem  Titel  y> RJieiniscJier  Most«  zusammengefaßten 
Stücke  zuerst  im  Allgemeinen  gesagt: 

hab'  lang  nichts  so  gutes  gekost't  — 
und  sodann  vom   ■» P^'otnetheus «■   insbesondere: 

Das  nun  kömmt,  das  gefällt  mir  bas. 

Glaub's  soll  der  Kasten  Noä  sein; 

Stehen  allerhand  Thiere  drein. 
Deinet  scheint  auch  davon,  daß  man  die  Gans  im  y> Prome- 
theus« auf  ihn   deutete,    nicht   unterrichtet   gewesen   zu   sein, 
oder  es  doch  nicht  für  richtig  gehalten  zu  haben. 

Nach  alledem  muß  die  Anklage  gegen  GoETHE  voll- 
ständig ab  und  der  Ankläger  zur  Ruhe  verwiesen  werden  — 
wie  ehedem  erkannt  zu  werden  pflegte. 

Will  sich  ein  noch  Zweifelnder  die  in  der  Angelegen- 
heit obwaltenden  Widersprüche  zurecht  legen,  so  darf  er  sich 
nicht,  oder  doch  nur  mit  äusserster  Vorsicht  an  bloßes 
Gerede,  muß  sich  vielmehr  gewissenhafter,  als  Froitzheim, 
an  Thatsachen  halten.  Namentlich  verwerthet  FROITZHEIM 
V.  Bretschneider'S  Mittheilungen  in  ganz  unstatthafter 
Weise;  denn  dieser  ist  nur  ein  unbeachtlicher  Zeuge  wegen 
mangelhafter  Begründung  seiner  Aussagen,  sondern  auch  aus 
psychologischen  Gründen  ein  unzuverlässiger.  Seine  Bänkel- 
sängerei  ihm  nachzutragen,  wie  geschehen,  bin  ich  weit  ent- 
fernt, —  die  könnte  Goethe'n  auch  vorgeworfen  werden  — 
allein  man  braucht  sich  nur  an  FroITZHEIM'S  eigene  Schilde- 
rung der  Persönlichkeit  desselben  zu  halten  (S.  17),  um  miß- 
trauiscli  gegen  ihn  zu  werden.  Er  berichtet,  daß  V.  Bret- 
SCHNEIDER  mit  Betrügern,  sowie  scheinheiligen  und  tückischen 


3.    Goethe  und  Heinrich  Leopold  Wagner. 


93 


Leuten  stets  in  offener  Fehde  gelegen,  Betrügern  und  Heuch- 
lern die  Maske  ohne  Gnade  abgerissen,  auch  mehrere  dem 
Cagliostro  ähnliche  Betrüger  durch  Scharfsinn  und  Kalt- 
blütigi<eit  entlarvt  habe.  Daraus,  daß  diese  Eigenschaft 
V.  Bretschneider's  mit  solchem  Nachdruck  hervorgehoben 
wird,  ist  der  Schluß  zu  ziehen,  daß  er  darauf  ausgegangen 
ist,  Betrügereien  und  Heucheleien  zu  entdecken,  und  da  es 
ihm  nach  der  Schilderung  oft  gelungen  ist,  solche  nachzu- 
weisen, wo  andere  Menschen  gläubig  nichts  Verdächtiges 
ahnten,  so  kann  die  psychologische  Folge  nicht  abgewiesen 
werden,  daß  er  auch  Schlimmes  witterte  wo  es  nicht  war, 
und  daß  er  dann  an  seinem  Mißtrauen  festhielt,  so  lange  es 
nur  irgendwie  zu  stützen  war.  lieber  die  Bedeutung  von 
Bretschneider's  Beschuldigungen  wird  man  daher,  Froitz- 
HEIM  (S.  21  f.)  parodirend,  zu  sagen  haben:  Wahrhaftig!  wenn 
man  sich  eine  Persönlichkeit  erdenken  sollte,  die  im  Stande 
gewesen  wäre,  den  Prometheushandel  zu  verwirren,  so  müsste 
man  dieselbe  mit  der  kritischen  Begabung  V.  BRETSCHNEIDER'S 
ausstatten.  —  Daß  letztere  für  »unser  Zeitalter«  sehr  winzig 
war,  sahen  wir  schon  oben. 

Dagegen  macht,  was  wir  sonst  von  Wagner  wissen, 
ganz  wahrscheinlich,  daß  er  der  Verfasser  des  -d  Prometheus « 
sein  könne.  V.  Bretschneider  erwähnt  im  Brief  an  NICOLAI 
vom  i6.  October  1775,  daß  Wagner  Goethe's  Sprache 
in  den  yy Frankfurter  gelehrten  Anzeigen <;^  nachäffe,  und  im 
Brief  an  ebendenselben  vom  27.  März  1776,  daß  Wagner's 
■i> Kindermörderini'.  eine  Localsatire  auf  Straßburg  sei,  weß- 
halb  er  als  Verfasser  verborgen  bleiben  wolle.  Im  Uebrigen 
mag  bei  Wagner  denn  doch  der  Gedanke,  eine  »Kindes- 
mörderin« auf  die  Bühne  zu  bringen,  durch  GOETHE  an- 
geregt worden  sein.  Jedenfalls  zeigt  Wagner  demnach  auch 
anderwärts,  wie  bei  •» Prometheus 'i :  Neigung  zur  Satire, 
Nachahmung  von  Goethe's  Sprache  und  wohl  auch  Ideen, 
sowie  Verheimlichung  der  Verfasserschaft. 

Man    könnte   Froitzheim'S    Expectorationen    ganz    auf 


94 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


sich  beruhen  lassen,  da  er  (S.  33  f.)  Goethe's  \^erleugnen 
der  ihm  zugeschriebenen  vorgebUchen  Verfasserschaft  milder 
ansieht,  als  erlaubt  ist,  aber  die  schroffste  Zurückweisung 
muß  er  erfahren  wegen  der  kecken  Beschuldigung,  die  er 
am  Schluß  (S.  6'])  gegen  GoETHE  zuwege  bringt,  indem 
er  sagt:  »Nicht  zu  rechtfertigen  ist  es,  daß  er  als  Sechzig- 
jähriger ohne  äußere  Veranlassung  jene  Unwahrheit  noch- 
mals wiederholte  und  in  einem  Werke,  das  zu  seiner  Ver- 
herrlichung dienen  sollte,  so  rücksichtslos  mit  dem  Andenken 
verstorbener  Freunde  verfuhr.« 

Ganz  abgesehen  davon,  daß  Froitzheim  wieder  einmal 
taschenspielermäßig  eine  Mehrheit  von  Freunden  als  durch 
Goethe  schlecht  behandelt  einschmuggelt,  während  vorher 
nur  von  Einem  die  Rede  war,  so  beachte  man  wohl  das 
darin  liegende  unerhörte  Attentat  auf  GOETHE;  denn  da 
Froitzheim  selbst  einräumt,  daß  Goethe  in  t>  Dichtung  und 
Wahrheit <i-  keine  Veranlassung  hatte,  noch  immer  die  an- 
gebliche Verfasserschaft  des  y>  Prometheus  1.  zu  verleugnen  — 
weßhalb  er  dann,  wenn  er  der  Verfasser  gewesen  wäre  und 
dies  nicht  nachträglich  zugestehen  w^ollte,  die  ganze  Prome- 
theusgeschichte einfach  hätte  übergehen  können,  w^ie  so 
manches  Andere,  u^orüber  man  Aufklärung  gewünscht  hätte 
—  so  nimmt  FROITZHEIM  thatsächlich  an,  daß  GOETHE  aus 
reiner  Lust  am  Lügen  und  Verleumden  Wagner  nochmals 
als  Verfasser  bezeichnet  habe. 

Dieser  unab weisliche  Schluß  setzt  Froitzheim's  Schmäh- 
schrift die  Spitze  auf-  FROITZHEIM  würde  dadurch  für  alle 
Zeit  unmöglich  gemacht  haben,  ihn  in  der  GOETHE-Literatur 
mit  Ehren  zu  nennen,  wenn  er  nicht  nach  fleißigem  Durch- 
suchen von  x^rchiven  manche  für  die  GOETHE-Kunde  w^erth- 
volle  Thatsachen  ermittelt  hätte.  Man  wird  es  mir  darnach 
auch  nicht  verargen,  wenn  ich  keine  Neigung  verspüre,  nach 
Bloslegung  dieses  Mißbrauchs  des  Aeußeren  von  wissenschaft- 
lichen Formen  mich  weiter  mit  Froitzheim'S  Schrift  zu  be- 
schäftigen, wiewohl  noch  Vieles  an  ihr  richtig  zu  stellen  wäre. 


3.    Goethe  und  Helnrich  Leopold  Wagner.  g^ 

Ich  bin  mir  bewußt,  in  der  Bekämpfung  Froitzhetm's 
einen  Ton  angeschlagen  zu  haben,  den  man  in  scliriftlichen 
Fehden  nicht  gern  hört,  aber  außerordenthche  Umstände 
rechtfertigen  außerordenthche  Maßregeln,  und  es  war  geboten, 
vor  einer  sogenannten  »Kritik«  zu  warnen,  die  in  Handgriffen 
zur  Täuschung  das  Schlimmste  leistet,  durch  Kühnheit  des 
Auftretens  ihre  Unfähigkeit  zu  verbergen  sucht  und  zum  Ziel 
hat,  Goethe,  das  Ideal  des  deutschen  Volks,  in  den  Staub 
zu  ziehen.     Indignatio  scripsit. 


4.  Goethe  und  Jakob  Lenz. 


erselbe  Verfasser,  der  als  fleißiger  Erforscher  der 
elsässer  Vorzeit,  namentlich  auch  soweit  GOETHE 
darin  lebte,  sich  hervorgethan  hat,  ist  abermals 
mit  einem  Schriftchen,  aufgetreten,  das  wir  nicht 
so  schlimm  nehmen  würden,  als  das  vorgedachte,  wenn  es 
nicht  ein  immerhin  ähnliches  Streben,  GOETHE  zum  Ver- 
leumder zu  stempeln,  bekundete  und  daher  eine  ernste  Be- 
richtigung des  Verfassers  herausforderte.  Diese  neuere  Schrift 
ist:  »Lenz  und  GOETHE.  Mit  ungedruckten  Briefen  von 
Lenz,  Herder,  Lavater,  Röderer,  Luise  König.  Von 
Dr.  JOH.  Froitzheim.  Mit  dem  Porträt  der  Frau  VON  Ober- 
KIRCH.  Deutsche  Verlagsanstalt.  Stuttgart,  Leipzig,  Berlin, 
Wien   1891.« 

Lenz  hat,  seit  Goethe  ihn  in  -»Dichtung  7md  Wahr- 
heit <(.  18 14  als  Jugendfreund  genannt  und  geschildert,  eine 
stattliche  Reihe  von  Schriften  hervorgerufen.  Zuerst  kam 
TiECK  mit  nachlässiger  Herausgabe  der  gesammelten  Schriften 
in  drei  Bänden,  voraus  eine  allerhand  abhandelnde  Einleitung 
von  139  Seiten;  ihm  folgten  seit  1857  Dorer-Egloff, 
Gruppe,  Stöber,  v.  Sivers,  Frhr.  v.  Waldberg,  Wein- 
hold, Ulrichs  u.  A.  Dieses  Wiederaufleben  in  der  Literatur 
verdankt  Lenz  ledigrlich  GOETHE.  Nachdem  er  in  den  siebziger 


4.    Goethe  und  Jakob  Lenz.  07 

Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  durch  einige  Werke,  die 
aber  theils  GOETHE,  theils  Klinger  zugeschrieben  wurden, 
einen  Namen  sich  erworben,  wurde  er  —  abgesehen  von 
dem  1797  in  den  »Hören«  aus  Stoffmangel  unternommenen 
Abdruck  seines  Romans  y>Der  Waldbruder v.  —  kaum  wieder 
erwähnt.  Obwohl  unter  Goethe's  Anhang  der  am  meisten 
dichterisch  begabte  Schriftsteller,  hat  er  doch  als  solcher 
nichts  gewirkt:  seine  Thätigkeit  zersplitterte  planlos  und  die 
in  seinem  27.  Jahre  eingetretene  Geistesstörung  setzte  ihr 
frühzeitig  völlig  ein  Ende. 

Was  Froitzheim's  Buch  außer  dem  auf  dem  Titel 
einzeln  aufgeführten  Inhalte  bringt,  ist  der  abermalige  — 
der  vierte  —  Abdruck  des  t>  Waldbruders  n ,  den  er  in  den 
Hauptsachen  S.  51  ff.  ebenso  deutet,  wie  V.  Waldberg  in 
der  1882  von  ihm  besorgten  Herausgabe  dieses  Romans, 
überdies  aber  noch  mit  einigen  Anmerkungen  versieht.  So- 
weit wäre  alles  harmlos,  die  weiteren  Folgerungen  jedoch, 
die  Froitzheim  daran  knüpft,  erheischen  Widerspruch,  da 
sie  zu  Verdächtigung  Goethe's  unter  Anwendung  eines  Ver- 
fahrens ausgenutzt  werden,  wie  Froitzheim  es  in  Bezug 
auf  Goethe's  Verhalten  gegen  HEINRICH  LEOPOLD  Wagner 
zu  Angriffen  auf  GOETHE's  Charakter  angewendet  hat,  ein 
Verfahren,  welches  als  leichtfertig  bezeichnet  werden  muß. 
Froitzheim  selbst  lebt  unbefangen  in  seinen  Vorstellungen 
über  Goethe  fort,  aber  im  dunklen  Gefühl  der  Unzuläng- 
lichkeit seiner  Gründe  für  die  frühere  Behauptung,  daß  GOETHE 
fälschlicherweise  H.  L.  Wagner  als  Verfasser  von  ^Prome- 
tJieiis,  Deiikalion  tmd  seine  Recensenten«  genannt  habe,  kommt 
er  in  seiner  neuen  Schrift  S.  5  darauf  zurück  und  fährt  gegen 
alle  Gesetze  des  Denkens  fort,  den  Angaben  Wagner's, 
der  unter  vier  Augen  bald  sich  als  Verfasser  bekannt  hat, 
bald  Goethe  dafür  ausgegeben  haben  soll^  mehr  Gewicht 
beizulegen,  als  der  ein-  für  allemal  öffentlich  kundgemachten 
Erklärung  Goethe's.  Zum  Ueberfluß  sind  neuerdings  weitere 
Zeugnisse   bekannt    geworden,    nach    denen   Wagner    1775 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  "j 


q8  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

die  Verfasserschaft  eingeräumt  hat,  und  zwar  gegen  seinen 
Freund  MiLLER  sowie  in  einem  Briefe  an  einen  Amster- 
damer.    (Vierteljahrsschr.  f.  Literaturgesch.  III,   544  f.). 

Auch  sonst  ist  Froitzheim  noch  immer  bemüht,  Wag- 
NER's  Verhalten  auf  Kosten  Goethe's  zu  beschönigen,  wo- 
bei es  ihm  auf  kritiklose  Benutzung  von  Schriftstücken 
nicht  ankommt.  So  führt  er  einen  Brief  Knebel'S  vom 
3.  December  1774  an,  worin  dieser  erzählt,  daß  GOETHE, 
obgleich  er  den  älteren  JACOBI  über  alles  liebe,  dennoch 
eine  Schrift  über  ihn  verfaßt  habe,  die  das  Böseste  sei,  was 
er  in  dieser  Art  gemacht  habe.  Hätte  er  sich  um  die 
Quellen  bekümmert,  so  würde  er  gefunden  haben,  daß 
das  gemeinte  Stück  —  ^^Das  Unglück  der  Jacobi^  —  ge- 
schrieben worden  war,  bevor  Goethe  Friedrich  Jacobi 
persönlich  kannte. 

Um  Froitzheim's  Unterlassen  aller  Kritik  noch  durch 
ein  Beispiel  zu  belegen,  sei  hier  noch  bemerkt,  daß  er  Falk's 
unverbürgte  und  an  sich  schon  unwahrscheinliche  Erzählung 
von  LeNZENS  Eindringen  auf  einen  bal  pare  S.  27  für  That- 
sache  nimmt,  während  sie  sich  doch  mit  dem  wahrschein- 
lichen Sachverhalt  bei  Lenzens  Eintreffen  in  Weimar,  den 
Froitzheim  selbst  S.  29  ganz  richtig  wiedergiebt,  gar  nicht 
vereinigen  läßt. 

Doch  alles  dies  dient  nur  dem  Vergnügen,  Herrn  FROITZ- 
HEIM näher  kennen  zu  lernen,  und  ist  ohne  unmittelbaren 
Einfluß  auf  das,  worauf  es  hier  ankommt,  nämlich  auf  die 
Phantasiegebilde  über  LENZ,  mit  deren  Hilfe  FROITZHEIM 
Goethe  wieder  etwas  Unsauberes  anhängen  möchte.  Schon 
in  der  Schrift  über  H.  L.  Wagner  leitet  er  am  Schlüsse 
den  jetzigen  Feldzug  ein,  indem  er  Lenz  gegen  den  ihm 
von  Goethe  gemachten  Vorwurf  eines  auf  ihn  gerichteten 
imaginären  Hasses  in  Schutz  nehmen,  solchen  Haß  vielmehr 
gewissermaßen  GOETHE  gegen  LENZ  zuschieben  will,  wobei 
Froitzheim  aber  nur  seinen  eigenen  imaginären  Haß  gegen 
Goethe  zum  Ausdruck  brinet. 


4.    Goethe  und  Jakob  Lenz.  qq 

Er  beginnt  damit,  daß  er  Goethe's  Worten  eine  Deu- 
tung giebt,  die  sie  mit  anderen  seiner  Aeußerungen  in  Wider- 
spruch bringen  sollen.  GoETHE  sagt  im  XI.  Buch  von 
>'>Dichtung  und  Wahrheitf-  über  die  Vereinigung  junger 
strebender  Männer  zu  Straßburg  im  Jahre  1771:  »Will  je- 
mand unmittelbar  erfahren,  was  damals  in  dieser  lebendigen 
Gesellschaft  gedacht,  gesprochen  und  verhandelt  worden,  der 
lese  den  Aufsatz  Herder's  über  SHAKESPEARE  in  dem  Hefte 
»  Von  deutscher  Art  und  Kunst  s. ,  ferner  Lenzens  » Anmer- 
kungen übers  T]ieater<i..  Im  XIV.  Buche  berichtet  GOETHE 
dann  hinsichtlich  letzterer,  daß  Lenz  sie  ihm  nach  Erscheinen 
des  -i^Götz  von  Berlichingem  zugesandt  habe,  und  fährt  dann 
fort:  »Bei  diesen  war  es  mir  auffallend,  daß  er  in  einem  la- 
konischen Vorbericht  sich  dahin  äußerte,  als  sei  der  In- 
halt dieses  Aufsatzes,  der  mit  Heftigkeit  gegen  das  regel- 
mäßige Theater  gerichtet  war,  schon  vor  einigen  Jahren 
als  Vorlesung  einer  Gesellschaft  von  Literaturfreunden  be- 
kannt geworden,  zu  der  Zeit  also,  wo  Götz  noch  nicht 
geschrieben  gewesen.  In  Lenzens  Straßburger  Verhält- 
nissen schien  ein  literarischer  Zirkel,  den  ich  nicht  kennen 
sollte,  problematisch,  allein  ich  ließ  es  hingehen  und  ver- 
schaffte ihm  zu  dieser  wie  zu  seinen  übrigen  Schriften  Ver- 
leger. « 

Zwischen  diesen  beiden  Stellen  aus  y>  Dichtung  und  Wahr- 
heit 1.  fand  nun  PROITZHEIM  schon  in  der  früheren  Schrift 
über  H.  L.  Wagner  einen  »unlösbaren  Widerspruch«,  während 
er  selbst  den  Widerspruch  erst  hineinträgt,  indem  er  aus  der 
ersten  Stelle  etwas  herausliest,  was  gar  nicht  darin  steht, 
daß  nämlich  LENZENS  ^Anmerkungen  übers  Theatern  1771 
in  Straßburg  vorgelesen  worden  seien.  In  der  That  wird 
jedoch  dort  nur  auf  Herder's  und  LENZENS  Aufsätze 
verwiesen,  um  einen  Begriff  über  den  Geist  und  Sinn  der 
Verhandlungen  in  den  Straßburger  Zusammenkünften  zu 
geben.  pROlTZHElM  mußte  an  seiner  Auslegung  schon 
deshalb  irre   werden,    weil,    wie   ihm   nicht   fremd  geblieben 


joo  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

sein  kann,  auch  der  neben  Lenzens  y> Amnerkungeni.  ge- 
nannte -»Shakespeares  von  HERDER  erst  später  entstanden, 
folglich  in  Straßburg  nicht  vorgelesen   worden   sein   konnte. 

Dieselbe  Taschenspielerei,  durch  willkürliche  Auslegung 
GOETHE'scher  Erklärungen  etwas  darthun  zu  wollen,  wieder- 
holt nun  Froitzheim  in  der  vorliegenden  neueren  Schrift 
S.  1 3  f.  Hier  will  er  GOETHE'S  Doppelzüngigkeit  noch  durch 
die  Mittheilung  beweisen,  daß  die  Vorrede  zu  den  -»Anmer- 
kjingeii«.  von  Goethe  selbst  geschrieben  sei,  weil  ungedruckte 
Notizen  des  Predigers  Jerzembsky  zu  Moskau  die  Nach- 
richt enthalten  sollen:  »Anmerkungen  übers  Theater  von  Gth. 
verstümmelt.  .  .  .  Vorrede  vom  Herausgeber.«  Man  darf 
billig  erstaunen,  wie  leicht  es  FROITZHEIM  wird,  über  Goethe's 
Versicherungen  hinwegzukommen,  um  seine  vorgefaßten 
Meinungen  zu  erhärten.  Man  weiß  noch  gar  nicht,  mit  welcher 
Berechtigung  ein  gewisser  JERZEMBSKY  in  der  fraglichen  An- 
gelegenheit als  Quelle  auch  nur  genannt  zu  werden  verdient, 
und  trotzdem  spielt  ihn  FROITZHEIM  gegen  GOETHE  aus! 
Das  ist  der  böseste  Dilettantismus  • —  um  nicht  Schlimmeres 
zu  sagen. 

Beiläufig  sei  bemerkt,  daß  beim  Erscheinen  der  »An- 
merkimgen«.  Goethe  allgemein  für  den  Verfasser  gehalten 
wurde,  wohl  infolge  seiner  Ausmittelung  eines  Verlegers.  — 
Der  Inhalt  des  Vorberichts  steht  aber  keinesfalls,  wie  FROITZ- 
HEIM meint,  mit  Goethe'S  Zweifel  an  der  bis  1771  zurück- 
greifenden Entstehung  der  ■>•>  Ajunerkungeji«.  in  Widerspruch, 
da  Goethe  ausdrücklich  sagt,  er  habe  die  Lenzische  Be- 
hauptung trotz  der  Zweifel  an  der  Richtigkeit  »hingehen« 
lassen. 

Ganz  aus  der  Luft  gegriffen  ist  aber  eine  weitere  Be- 
schuldigung, die  Froitzheim  gegen  Goethe  erhebt,  womit 
es  sich  wie  folgt  verhält: 

Lenz  hatte  zu  Anfang  des  Jahres  1776  eine  heftige 
Liebe  zu  der  obgenannten  HENRIETTE  V.  Waldner  gefaßt 
inid  scheint  sich  sogar  in  die  Möglichkeit  einer  Verbindung 


4.    Goethe  und  Jakob  Lenz.  IOI 

mit  ihr  hineingeträumt  zu  haben,  obschon  davon  niclit  die 
Rede  sein  konnte,  da  sie  einem  angesehenen  Adelsgeschlechte 
des  Elsasses  angehörte,  während  Lenz,  ein  Fremdling  ge- 
ringerer Herkunft,  ohne  Vermögen,  Stellung  und  Aussichten 
war.  Als  er  nun  die  Reise  nach  Weimar  kurz  nach  Mitte 
März  1776  angetreten  hatte,  ward  gleich  darnach  die  Ver- 
lobung der  Waldner  mit  einem  Baron  V.  Oberkirch  be- 
kannt, worauf  schon  am  i.  April  die  Vermählung  gefeiert 
ward.  Mit  Bezug  auf  diese  Vorgänge  sagt  nun  Froitzheim 
S.  34:  »Nach  dem  mir  vorliegenden  Zeugnisse  [?]  spreche 
ich  zum  ersten  Male  die  wohlbegründete  [?]  Behauptung 
aus,  daß  der  allerletzte  Anlaß,  der  LENZ  plötzlich  aus 
Straßburg  fortsprengte  und  ihm  zu  einem  kurz  gestellten 
Termin  in  Weimar  einzutreffen  befahl  [r],  mit  jener  Ver- 
mählung des  Frl.  v.  Waldner  in  ursächlichem  Zusammen- 
hang steht.« 

Möchte  man  auch  FROITZHEIM  den  unsterblichen  Ruhm 
dieser  erstmaligen  Behauptung,  —  deren  Richtigkeit  immer- 
hin nicht  unmöglich  ist  ■ — ■  ungetrübt  durch  kritische  Be- 
denken genießen  lassen  (wiewohl  man  nicht  gern  auf  das 
Vergnügen  verzichtet  zu  zeigen,  wie  leicht  er  eine  Behauptung 
für  wohlbegründet  ansieht),  so  können  wir  doch  nicht  umhin, 
an  dem  Ruhmeskranze  zu  rupfen,  da  FROITZHEIM  seine  für 
wohlbegründet  gehaltene  Behauptung  wiederum  benutzt,  um 
ein  schlechtes  Licht  auf  GoETliE  fallen  zu  lassen.  Und  nur 
insoweit  wollen  wir  die  Gründe  etwas  beleuchten.  In  dieser 
Richtung  findet  es  FROITZHEIM  auffällig  S.  34  und  38,  daß 
in  Weimar  die  bevorstehende  Vermählung-  der  Waldner 
eher  bekannt  gewesen  sei,  als  in  deren  Aufenthaltsort  Straß- 
burg. An  sich  wäre  das  nicht  zu  verwundern,  da  am  wei- 
marischen Hofe  zwei  Fräulein  V.  Waldner,  ADELAIDE  und 
Isabella,  Hofdamen  waren,  auch  ein  Kammerherr  V.  TÜRK- 
HEIM  einem  elsässischen  Geschlechte  angehörte,  diese  also 
früher  von  der  Verheirathung  einer  Verwandten  unterrichtet 
gewesen  sein  konnten,  bevor  die  Nachricht  in  die  Oefifentlich- 


J02  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

keit  gelangte.  Um  zu  ermöglichen,  daß  TÜRKHEIM,  der  an 
Henrietten's  Hochzeit  in  Straßburg  theilnahm  und  Glück- 
wünsche des  Herzogs  Karl  August  überbrachte,  die  Reise 
von  Weimar  dahin  zurücklegte,  ist  es  aber  auch  gar  nicht 
nöthig,  daß  er  sie  früher,  als  die  Straßburger  erfahren  habe; 
denn  es  ist  nur  anzunehmen,  daß  die  Verlobung  nicht  vor 
Lenzens  Weggang  von  Straßburg,  der  spätestens  am  20.  März 
erfolgte,  veröffentlicht  wurde,  und  am  i.  April  fand  die 
Trauung  statt.  Froitzheim  denkt  gar  nicht  an  die  Möglich- 
keit regelrechten  Verlaufs  der  Begebenheiten,  um  statt  dessen 
eine  Intrigue  zu  Vertreibung  Lenzens  aus  Straßburg  vor- 
spiegeln zu  können  und  daran  GOETHE  theilnehmen  zu  lassen. 
(Seite  53.) 

Der  Briefroman  ^Der  Waldbruder ^  ist  es  aber  vorzüg- 
lich, worin  FROITZHEIM  Beweise  für  seine  Erfindung  sucht, 
die  er  S.  54  darin  »mit  LENZENS  eigenen  Worten  bestätigt« 
sieht.  Froitzheim  verkennt  selbst  nicht,  daß  die  Thatsachen 
im  »  Waldbruder«,  mit  dichterischer  Freiheit  behandelt  und 
sogar  mehrfach  ganz  erheblich  anders  dargestellt  werden, 
als  ihr  wirklicher  Verlauf  gewesen  ist,  und  nun  soll  diese 
Darstellung,  soweit  es  FROITZHEIM  in  den  Kram  paßt,  den- 
noch ein  Beweis  für  die  Wirklichkeit  sein,  wobei  außerdem 
nicht  zu  übersehen  ist,  daß,  hätte  auch  Lenz  die  wirklichen 
Thatsachen  darstellen  wollen,  er  es  doch  nur  so  hätte  thun 
können,  wie  sie  ihm,  dem  überall  Intriguen  vermuthenden 
Intriganten,  erschienen  wären. 

Damit  wird  selbstverständlich  nicht  allgemein  darüber 
abgesprochen,  daß  dichterische  Erzeugnisse  zu  Deutung  von 
Thatsachen  verwendet  werden,  und  gerade  bei  GOETHE 
kommen  wir  sehr  häufig  in  den  Fall,  es  zu  thun,  allein  bei 
gewissenhafter  Forschung  darf  dies  doch  nur  soweit  ge- 
schehen, als  Thatsachen  schon  vorliegen,  deren  zweifelhafte 
Gründe,  Wesen  oder  Verbindungen  einer  Erklärung  bedürfen. 
Die  Behauptung  von  Thatsachen,  insbesondere  die  Ver- 
dächtigung von  Personen,   wesentlich   auf  ein  Dichtwerk  zu 


4-    Goethe  und  Jakob  Lenz.  103 


stützen,    zeugt   von   falschen   Begriffen    über    die   Dichtkunst 
wie  über  wissenschaftliche  Behandlung. 

Nicht  ganz  so  schlimm  kommt  GoETHE  bei  der  ferneren, 
aber  nicht  weniger  haltbaren  und  unfreundlichen  Vermuthung 
Froitzheim's  weg,  daß  »/^,?r  Waldbruder </.  die  Ursache  des 
Zerwürfnisses  gewesen  sei,  dessenwegen  GoETHE  auf  Len- 
ZEN's  sofortige  Entfernung  gedrungen  habe.  Bekanntlich  hat 
man  sich  in  mancherlei  Vermuthungen  darüber  ergangen; 
denn  in  gleichzeitigen  Briefen  ist  davon  nur  in  ganz  allgemein 
gehaltenen  Ausdrücken  die  Rede,  von  denen  jedoch  keiner 
auf  den  »  Waldbruder  1.  paßt;  zum  Verständniß  ist  zu  er- 
wähnen, daß  in  diesem  Roman,  wie  GoETHE  unter  ROTHE, 
so  Lenz  unter  Herz  in  vielen  zu  deutenden  Zügen  dargestellt 
ist.  Ersterer  zeigt  sich  nun  als  reiner  Egoist  und  spricht 
u.  A.  unverhüllt  aus:  »Die  Selbstliebe  ist  immer  das,  was 
uns  die  Kraft  zu  anderen  Tugenden  geben  muß;«  sodann: 
»Selbst  die  heftigste  Leidenschaft  muß  der  Selbstliebe  unter- 
geordnet ■  sein,  oder  sie  verfällt  ins  Abgeschmackte;«  ferner 
theilt  ROTHE  Herzen  mit:  alle  Mädchen  rissen  sich  um 
seine  Gunst,  aber  er  betrüge  sie  alle  und  freue  sich,  daß  sie 
ihm  darüber  keine  Vorwürfe  machen  dürften  —  und  der- 
gleichen. Nehmen  wir  an,  daß  GOETHE  sich  durch  ähnliche 
Auslassungen  hätte  getroffen  und  verletzt  fühlen  müssen,  so 
ist  doch,  wie  gesagt,  keine  der  in  gleichzeitigen  Briefen  vor- 
kommenden, von  FrOITZHEIM  selbst  wiedergegebenen  Aeuße- 
rungen  über  den  Grund  zu  Lenzens  Verbannung  von  Wei- 
mar auf  solche  Stellen  des  »  Waldbruders«,  anwendbar;  denn 
Lenzens  Vergehen  heißt  bald  eine  »Eselei«  (S.  55),  bald 
eine  »Klatscherei«  (S.  57)  und  GoETHE  sagt  darüber,  daß 
der  Vorgang  sein  »Herz  zerreiße«  (S.  61),  ihn  in  »tiefste  Ver- 
wirrung« bringe  (S.  62)  und  daß  Lenz  dadurch  hätte  auf 
die  sonderbarste  Weise  von  der  Welt  in  die  Enge  gebracht 
werden  können  (S.  65).  Alles  dies  kann  auf  keine  Weise 
mit  dem  »  Waldh'uder <■<.  in  Verbindung  gebracht  werden, 
und  dieser  ist  denn  doch  auch  zu  harmlos,  als  daß  er  zu  der 


I04 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


heftigen  Feindschaft  GOETHE'S  gegen  den  geliebten  Jugend- 
freund hätte  führen  können.  Es  wäre  dies  ein  so  häßlicher 
Zug,  daß  er  gar  nicht  hätte  wagen  können,  daraufhin  Lenzens 
Verweisung  zu  beanspruchen.  Im  Uebrigen  haben  wir  keine 
Spur,  daß  Goethe  den  »  Waldbruder«,  zu  der  Zeit  von 
Lenzens  Aufenthalt  im  Weimarischen  schon  gekannt  habe; 
es  scheint  vielmehr,  daß  die  Handschrift  kurz  vorher,  ehe 
Schiller  im  Januar  1797  nach  dem  LENZISCHEN  Nach- 
laß fragte,  an  GOETHE  gelangt  sei,  der  durch  seinen 
Schwager  diesen  Nachlaß  erhalten  haben  konnte.  (Vergleiche 
Böttiger,  Literarische  /'itstände  und  Zeitgenosseji  I,  ig) 
Zu  Belebung  seiner  Vermuthung,  bedient  sich  Froitzheim 
eines  Mittelchens,  das  er  einem  bekannten  fruchtbaren  Schrift- 
steller abgelernt  haben  mag:  er  ergänzt  Geschehnisse,  indem 
er  etwas  Unbekanntes  erzählungsweise  mit  einem  »wird« 
einführt,  um  dadurch  immer  wieder  taschenspielermäßig  das 
Matenial  für  seine  Behauptungen  zu  vervollständigen.  FROITZ- 
HEIM sagt  S.  49:  »Leicht  wird  es  diesem  [Schiller]  nicht 
geworden  sein,  Goethe's  Bedenken  gegen  die  Veröffent- 
lichung eines  Werkes,  in  welchem  dessen  Liebesegoismus  so 
sehr  gegeißelt  war,  zu  besiegen.«  Nun  hatte  aber  GOETHE 
auf  Schiller's  Ansuchen  um  einen  Horenbeitrag  aus  LEN- 
ZENS Nachlaß  den  »  Waldbruder«  freiwillig  übersandt  und  nur 
ausbedungen,  daß  keine  Veröffentlichung  erfolge,  bevor  er  mit 
Schiller  darüber  gesprochen.  Hätte  er  die  Veröffentlichung 
nicht  gewünscht,  namentlich  wenn  sich  peinliche  Erinnerungen 
daran  knüpften,  so  würde  er  diesen  Roman  gar  nicht  aus  der 
Hand  gegeben  haben;  es  konnte  sich  demnach  nur  um  Neben- 
dinge handeln,  die  zu  Aenderungen  Anlaß  zu  geben  geeignet 
waren.  Durch  das  mit  »wird«  eingeleitete  Zwischenglied 
kann  daher  FROITZHEIM  nur  beabsichtigt  haben,  dem  flüchtigen 
Leser  die  angeblich  schwer  zu  besiegenden  Bedenklichkeiten 
Goethe's  als  Thatsache  aufzudringen. 

Hätte  eine  der  uns  bekannten  Schriften  LENZENS  den  Bruch 
mit  Goethe  herbeigeführt,  so  könnte  es  das  Trauerspielbruch- 


4.    Goethe  und  Jakob  Lenz.  I05 

Stück  -»Zum  Weinen«  gewesen  sein,  welches  allerdings  GoETHE 
aufs  Tiefste  zu  entrüsten  geeignet  war;  denn  darin  begeht 
der,  durch  Bezeichnung  »Gth.«  unzweideutig  kenntlich  gemachte 
Mann  ein  gemeines  Verbrechen,  und  zwar  durch  Fälschung 
einer  Anweisung,  worauf  er  einen  namhaften  Geldbetrag  bei 
einem  Bankier  erhebt.  Ueber  diese  LENZ'sche  Niederträchtig- 
keit hat  Froitzheem  kein  unfreundliches  Wort  und  findet 
es  S.  15  nur  »gehässig«  von  Weinhold,  daß  dieser  die 
Niederschrift  dieses  Trauerspielentwurfs  ins  Jahr  1775»  an- 
statt wie  er  1772  setzt.  So  feinfühlig  ist  Froitzheim  in 
Fällen,  wo  es  nicht  darauf  ankommt,  GOETHE  zu  verun- 
glimpfen! —  Uebrigens  liegen  keine  Anzeichen  vor,  daß 
Goethe  das  Bruchstück  »Zum  Weme7i«  1776  kennen  ge- 
lernt habe. 

Um  jedoch  Lobenswerthes  auch  anzuerkennen,  ist  zu 
bemerken,  daß  FROITZHEIM  die  Zeitbestimmungen  im  »  Wa/d- 
h'uder«  als  mit  der  Wirklichkeit  im  Einklang  stehend 
S,  50  f.  sehr  gut  und  sorgfältig  nachgewiesen  hat;  für  die 
Wahrheit  aller  aufgeführten  persönlichen  Verhältnisse  be- 
weist dies  jedoch  nichts. 

In  der  GOETHE-Kunde  sind  die  sich  ungezwungen  dar- 
bietenden Fragen  gutentheils  so  vielfach  bearbeitet,  daß 
diejenigen,  welche  mit  ihren  Arbeiten  i^ufsehen  erregen 
wollen,  schon  seit  geraumer  Zeit  darauf  verfallen  sind,  die 
wunderlichsten  Behauptungen  zu  verfechten.  Sich  dabei 
nicht  schweigend  zu  verhalten,  ist  Pflicht  eines  Jeden,  der 
die  GOETHE-Kunde  nicht  lediglich  als  Sport  oder  nur  amts- 
halber betreibt,  dem  es  vielmehr  Ernst  damit  ist.  Läßt 
man  solche  Entstellung  oder  die  berechneten  Verleum- 
dungen culturfeindlicher  Kreise  durchgehen,  so  werden  sie 
bald  in  Schul-  und  Handbüchern  Aufnahme  finden,  dann 
aber  ebenso  im  allgemeinen  Wissen  Wurzel  fassen  und  es 
verunreinigen,  wie  dies  durch  leichtgläubige  oder  tendenziöse 
Geschichtsschreiber  seit  den  ältesten  bis  in  die  neuesten 
Zeiten  geschah  und  geschieht. 


I06  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


Um  aber  mit  Froitzheim  zu  schließen,  so  sei  ihm 
gegenüber  mit  seinen  eigenen  Worten  (in:  Beiträge  zur  Landes- 
und Volkskunde  von  Elsaß-Lothringen,  IV.  Heft,  S.  73)  die 
Mahnung  ausgesprochen:  »Wenn  doch  die  Erklärer  vor- 
sichtig-er  sein  wollten!« 


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5.  Franz  Lerse  in  Weimar. 

ur  Ostermesse  1799  erschien  im  Verlag  von  Bech- 
rOLD  zu  iVltona  ein  92  Seiten  enthaltendes  Schrift- 
chen, betitelt: 

Briefe  eines  ehrlichen  Mannes  bey  einem  wieder- 
holten Aufenthalt  in  Weimar.  Deutschland.  1800. 
In  der  Vorrede  ist  gesagt:  Der  Verfasser  sei  ein  Mann, 
der  durch  Unglücksfälle  mancherlei  Art  zum  Reisen  genöthigt 
gewesen  sei,  dem  es  an  vollendeter  Bildung  gefehlt  habe, 
und  der  in  den  wilden  Revolutionsstürmen  der  letzten  Zeit 
auf  eine  traurige  Art  sein  Leben  beschlossen  habe;  die  Briefe 
seien  bei  seinem  Neffen  gefunden  worden,  von  dem  sie  der 
Herausgeber  erhalten  habe.  Der  erste  Brief  ist  unterzeichnet: 
»Dein  treuer  Onkel  und  Freund  Fr.  G.  von  xexx.«  Die 
Briefe  sind  undatirt,  doch  geht  aus  dem  Inhalt  hervor,  daß 
der  erste  Aufenthalt  in  Weimar  ins  Jahr  1797  fällt,  da  in 
diesem  Jahre  Schlegel'S  Seite  43  erwähnte  Besprechung 
von  Herder's  » Terpsichorci  in  der  allgemeinen  Literatur- 
Zeitung  erschienen  ist,  auch  diesem  Jahre  die  Wirkungen 
der  SCHILLER-GoETHl'schen  y>Xemen«.  angehören,  von  denen 
in  den  Briefen  die  Rede  ist.  Der  zweite  Aufenthalt  muß 
inbetracht  des  Erscheinens  der  Schrift  vor  1 799,  also  spätestens 
1798  stattgefunden  haben. 


jo8  IV,    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

Ueber  die  Person  des  Briefstellers  bietet  seine  Bemer- 
kung Seite  14,  daß  er  GOETHE  in  Straßburg  kennen  gelernt 
habe,  einen  Anhalt.  Von  GOETHE'S  Bekannten  aus  der 
Straßburger  Zeit  war  in  Weimar  1 797  und  1 798  FRANZ  LerSE 
—  so  schrieb  er  selbst  sich,  wohl  nach  der  amtlichen  Schrei- 
bung seines  Namens  in  seiner  Heimath,  dem  französischen 
Elsaß  — ;  Goethe  war  nach  seinem  Tagebuch  am  16.  April 
1797  am  Hofe  mit  Lers^  zusammengetroffen  und  letzterer 
hatte  am  4.  Mai  GOETHE  besucht.  Das  stimmt  mit  den 
Briefen,  zufolge  deren  der  »ehrliche  Mann«  bei  seinem  ersten 
Weimarer  Aufenthalt  zweimal  mit  GoETHE  zusammenge- 
kommen ist.  Im  Jahre  1798  gedenkt  zwar  der  »ehrliche 
Mann«  eines  Verkehrs  mit  GoETHE  nicht,  wohl  aber  GoETHE 
im  Tagebuch  der  Anwesenheit  Lers^'s.  Dagegen  erzählt 
dieser,  daß  er  damals  am  Hofe  von  Weimar  verkehrt,  und 
daß  er  Karl  August  Böttiger  näher  kennen  gelernt  habe; 
ersteres  stimmt  mit  des  Herzogs  Karl  August  Briefen  an 
Goethe  vom  29.  und  30.  November,  letzteres  mit  Böttiger's 
Mittheilungen  in  -»Literarische  Zustände  und  Zeitgenossen<s- 
(I,  20. 60  f.)  überein.  Die  in  der  Unterschrift  des  ersten  Briefes 
angegebenen  Anfangsbuchstaben  des  Vornamens  des  Schreibers 
»Fr.«  entsprechen  Lersi^'S  Vornamen  Franz,  sowie  der,  an 
der  zweiten  Stelle  der  Namenschiffre  stehende  »e«  dem  zweiten 
Buchstaben  in  LersIl's  Namen. 

Dagegen  widerspricht  allerdings  manches  der  Deutung 
des  ungenannten  Briefschreibers  auf  Lersj^.  Zunächst  be- 
steht jene  Namenschiffre  aus  vier  Zeichen,  der  Name  Lerse 
aber  aus  fünf  Buchstaben.  Dann  läßt  sich  der  Anfangs- 
buchstabe des  zweiten  Vornamens  an  der  Unterschrift,  »G.« 
mit  Lers^'s  zweiten  Vornamen  CHRISTIAN  nicht  vereinigen. 
Ferner  hat  LersIi:  nicht  in  den  wilden  Revolutionsstürmen 
sein  Leben  beschlossen,  sondern  ist  erst  1801  in  Wien  ge- 
storben. Endlich  befremdet  das  für  Lers^,  sonst  nicht  be- 
zeugte Adelsprädicat,  namentlich  ist  ihm  nach  gefälliger  Aus- 
kunft   des   Directors   des  K.  u.  K.  Haus-,   Hof-  und  Staats- 


5.    Franz  Lerse  in  Weimar.  IO9 

archivs,  Herrn  Hofrath  Dr.  WiNTER,  der  Reichsadel  nicht 
ertheilt  worden.  Auffällig  ist  auch,  das  der  »ehrliche  Mann«, 
wenn  es  LersiS  war,  sagt,  er  habe  GOETHE  in  Straßburg 
nur  flüchtig  kennen  gelernt,  während  anzunehmen  ist,  daß 
Goethe  und  Lersi^  dort  wirklich  befreundet  waren. 

Indessen  alles  wohl  erwogen,  können  die  angeführten 
Bedenken  gegen  Feststellung  des  »ehrlichen  Mannes«  als 
Franz  Lersi5  nicht  irre  machen,  da  die  dafür  sprechenden 
Gründe  so  durchschlagend  sind,  daß  es  sich  nur  darum  handeln 
kann,  zu  ermitteln,  worauf  die  abweichenden  Angaben  beruhen. 
Es  ist  ganz  offenbar  eine  innere  Unwahrheit  von  jemanden, 
der  1798  noch  gelebt  hat,  zu  berichten,  daß  er  in  den  wilden 
Revolutionsstürmen  auf  traurige  Weise  umgekommen  sei,  da 
diese  Stürme  mit  ihren  Mordthaten  1798  schon  seit  einigen 
Jahren  vorüber  wären.  Hiernächst  paßt  die  Chiffre  »xexx« 
von  Goethe's  Straßburger  Freunden  nur  auf  Lenz,  der  aber 
dieses  Jahr  nicht  erlebt  hat  und  schon  1792  irrsinnig  ver- 
storben war.  Endlich  ist  zuverlässig  zu  behaupten,  daß 
außer  Lers^  sonst  keiner  von  Goethe's  Straßburger  Be- 
kannten  1797  und   1798  nach  Weimar  gekommen  ist. 

In  Rücksicht  auf  diese  Thatsachen  ist  als  sicher  an- 
zunehmen, daß  der  »ehrliche  Mann«  die  falschen  Angaben 
absichtlich  deshalb  gemacht  hat,  um  sich  nicht  offen  und 
nur  Näherstehenden  durch  richtige  Angaben  verblümt  zu  er- 
kennen geben  wollte,  wie  Lers^  denn  auch  sonst  stets  ohne 
sich  zu  nennen  geschriftstellert  hat.  Uebrigens  kann  das 
»G.«  des  zweiten  Vornamens  möglicher  Weise  Druckfehler 
für  verlesenes  Ch.  sein,  da  LersIi;  letzteres,  wie  seine  Briefe 
an  Böttiger  auf  der  Königl.  ö.  Bibliothek  zu  Dresden 
zeigen,  so  schrieb,  daß  es  allenfalls  als  G.  gelesen  werden 
könnte.  Das  Adelsprädicat  findet  sich  vor  Lers^'S  Namen 
auch  im  Leipziger  Adreßkalender,  als  er  1795  bis  1797  mit 
Graf  Fries  die  Universität  besuchte.  (Archiv  für  Literatur- 
geschichte XII,  S^jJ  sowie  in  einem  Briefe  von  Graf  FRIES, 
(Allg.  Deutsche  Biographie  XVIII,  431),  sodaß  man  an  Wieder- 


jjO  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

aufnähme  älteren  Adels  denken  kann.  Die  Absicht  der 
Verhüllung  der  Verfasserschaft  der  »Briefe  eines  ehrlichen 
Mannes«  geht  aber  unzweideutig  auch  daraus  hervor,  daß 
nur  »Deutschland«  als  Verlagsort  genannt  ist.  Wie  dem 
aber  auch  sei:  die  Thatsachen,  aus  denen  hervorgeht,  daß 
LERSlfi  der  Verfasser  sei,  sind  so  überwiegend,  daß  darüber 
kein  Zweifel  obwalten  kann. 

Seine  Mittheilungen  über  den  Verkehr  mit  GoETHE  im 
Jahr   1797  befinden  sich  in  dieser  Schrift  Seite  14  ff.  und  21  f. 


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6.  Die  Unterredung  mit  Napoleon. 

VORBEMERKUNG. 

eine  Aufsätze  über  Goethe'S  Unterredung  mit 
Napoleon  habe  ich  für  angemessen  gehalten,  so- 
wie sie  einzehi  veröffentlicht  wurden,  wieder  ab- 
drucken zu  lassen  und  von  ihrer  Ineinanderarbeitung 
abzusehen.  Es  handelte  sich  in  ihnen  darum,  die  Berech- 
tigung vorgebrachter  Zweifel  über  die  Aechtheit  von  Be- 
richten über  jene  Unterredung  zu  bestreiten,  wobei  die 
einzelnen  Auslassungen  der  Zweifler  zu  beleuchten  waren. 
Diese  Wiederlegungen  ließen  sich  nicht  verallgemeinern,  da 
es  eben  darauf  ankam,  Besonderheiten  der  jenseitigen  Aus- 
legungen ihre  Wirkung  zu  benehmen.  Der  erste  Aufsatz 
wurde  durch  die  Anzeige  des  IX.  Bandes  von  »Goethe'S 
Gesprächen«  im  >^  Goethe -Jahrbuchi^  (XIII,  287)  veranlaßt. 
In  diesem  Bande  hatte  ich  Talleyrand's  Bericht  über  jene 
Unterredung  mit  aufgenommen  und  in  der  Anzeige  wurde 
dieser  kurzweg  als  T>apokrypJi'i.  bezeichnet.  Das  Uebrige  er- 
giebt  sich  aus  den  Aufsätzen  selbst. 

(I.) 
Es    ist    die    Aechtheit    der    Mittheilungen    angezweifelt 
worden,  die  Talleyrand  in  dem  unlängst  vom  Herzog  von 


j  j  2  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

Broglie  herausgegebenen  Stücken  aus  dessen  Denkwürdig- 
keiten über  Napoleons  Unterredung  mit  GOETHE  gemacht 
hat.  Man  scheint  sich  aber  bei  diesem  Zweifel  die  dabei 
in  Frage  kommenden  Umstände  nicht  klar  vorgestellt  zu  haben. 
Was  einzelne  französische  Schriftsteller,  namentlich  AULARD, 
bewogen  hat,  die  Echtheit  von  Talleyrand's  Denkwürdig- 
keiten zu  bestreiten,  berührt  die  Frage  bezüglich  der  Unter- 
haltung des  Kaisers  mät  GoETHE  gar  nicht;  jenen  Schrift- 
stellern ist  sie  wesentlich  eine  politisch-historische  Frage, 
die  aber  in  diesem  Falle  nicht  in  Betracht  kommt:  Das 
Urtheil  über  NAPOLEON  kann  durch  das  was  dieser  nach 
Talleyrand  mit  Goethe  gesprochen  hat,  weder  zu  Gunsten 
noch  zu  Ungusten  gestimmt  werden,  und  es  steht  der  großen 
Politik,  die  bei  Talleyrand's  Denkwürdigkeiten  überwiegend 
vorschwebt,  so  fern,  daß  ein  berechnender  Fälscher  dieser 
Denkwürdigkeiten  das  Gespräch  entweder  gar  nicht  erwähnt 
oder  aber  für  seine  Zwecke  erkennbar  benutzt  haben  würde. 
Was  aber  die  Aechtheit  dieses  Berichtes  über  das  Gespräch 
über  allen  Zweifel  erhebt,  ist  ein  Umstand,  der  unbegreif- 
licherweise gerade  als  Grund  gegen  die  Aechtheit  vor- 
gebracht worden  ist,  nämlich  daß  darin  manches  vorkommt, 
was  Goethe  in  seiner  Skizze  über  dieses  Gespräch  nicht 
berührt. 

Von  vornherein  ist  weder  Talleyrand's  noch  Goethe's 
Bericht  für  vollständig  anzusehen,  und  letzterer  sogar  noch 
weniger,  da  ihn  GoETHE  erst  nach  15  Jahren  aufgezeichnet 
hat.  Nach  GoETHE's  Bericht  könnte  das  Gespräch  nur  etwa 
fünf  Minuten  gedauert  haben,  nach  TALLEYRAND'S  nicht  viel 
länger.  Da  nun  aber  Kanzler  V.  MÜLLER  die  Dauer  von 
Goethe's  Audienz  auf  fast  eine  volle  Stunde,  GoETHE  so- 
gar gegen  BoiSSER^E  auf  fast  zwei  Stunden  angiebt,  so 
steht  fest,  daß  der  Kaiser  länger  als  die  berichteten  fünf  bis 
zehn  Minuten  sich  mit  GoETHE  unterhalten  hat,  trotzdem 
er  zwischendurch  mit  Daru  und  SOULT  plauderte.  Die 
demnach    zunächst    in   Goethe's  Bericht  unbestreitbar    vor- 


6.  Die  Unterredung  mit  Napoleon. 


113 


handenen  Lücken  fordern  gebieterisch  Ergänzungen,  die 
wenigstens  einigermaßen  TalLEYRAND's  Bericht  bietet. 

Geradezu  bestätigt  wird  indessen  die  Zuverlässigkeit  von 
Talleyrand's  Bericlit  dadurch,  daß  er  als  Gesprächsgegen- 
stand  Tacitus  anführt,  worüber  sich  sonst  nirgends  etwas 
findet,  als  in  dem  unscheinbaren  kurzen  Bericht  der  »  Vosst- 
schen  Zeitung«  über  GOETHE's  Audienz  bei  NAPOLEON,  wo- 
nach dieser  u.  a.  über  römische  Classiker  gesprochen. 

Ferner  bestätigt  Talleyrand'S  Bericht  die  darnach  von 
Goethe  gegebene  Auskunft  über  sein  früheres  vertrauliches 
\'erhältniß  zum  Fürsten  PRIMAS.  Das  kann  Tallevrand 
schwerlich  anderswoher,  als  aus  Goethe'S  Munde  vernommen 
haben,  und  es  zu  erwähnen  wäre  schlechterdings  keine  Ver- 
anlassung gewesen,  wenn  nicht  wirklich  zwischen  NAPOLEON 
und  Goethe  davon  die  Rede  gewesen  wäre. 

Mittelbar  bestätigen  endlich  die  Aeusserungen  über  Her- 
zog Karl  August  Talleyrand's  Bericht.  Goethe  drückt 
sich  in  seiner  Skizze  ganz  allgemein  aus:  es  sei  über  die  wei- 
marischen Fürstlichkeiten  gesprochen  worden;  er  vertraute 
indessen  dem  Kanzler  Y.  MuELLER,  er  habe  sein  Gespräch 
mit  Napoleon  niemals  aufrichtig  mitgetheilt,  um  nicht  un- 
endliche Klatschereien  hervorzurufen,  und  ausserdem  erzählt 
Y.  MuELLER,  daß  Goehte  die  Fragen  des  Herzogs  über  den 
Lihalt  der  Unterredung  mit  NAPOLEON  stets  ausweichend 
beantwortet  habe.  Nach  TalLEYRAND'S  Bericht  begreift  man 
nun  sehr  wohl,  warum  GOETHE  sich  so  verhielt. 

Die  auf  der  Hand  liegenden  unbestreitbaren  Irrthümer 
in  Talleyrand's  Bericht  erklären  sich  ungezwungen  daraus, 
daß  dem  Genannten  gewisse  besprochene  Gegenstände  nicht 
so  geläufig  waren,  um  sie  richtig  aufzufassen  und  wieder- 
zugeben. So  mochte  NAPOLEON  gefragt  haben,  ob  GoETHE 
den  Kaiser  ALEXANDER  schon  früher,  bevor  dieser  1808 
nach  Weimar  gekommen,  gekannt  habe;  denn  darauf  paßt 
GoeTHE'S  von  TalleyranD  mitgetheilte  Antwort,  während 
Talleyrand  die  Frage  fälschlich  so  faßte,  als  ob  Napoleon 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  8 


114 


IV.    Goethe- MIT  Zeitgenossen. 


sich  erkundigt  habe,  ob  GoETHE  bis  zur  Stunde  der  Audienz 
den  russischen  Kaiser  überhaupt  schon  gesehen  habe.  Von 
KOTZEBUE  wußte  Talleyrand  jedenfalls  nur,  daß  er  nach 
Sibirien  verbannt,  nicht,  aber  daß  er  sehr  bald  schon  zurückge- 
rufen worden  war;  er  deutete  daher  mil3verständlich  Goethe's 
Aeußerung,  als  ob  seine  Begnadigung  erst  noch  zu  erbitten 
sei.  —  Ueber  »  Werthera  schwieg  Tallevrand  in  seiner 
Erzählung  zuverlässig  deßhalb,  weil  ihm  die  dabei  zur  Sprache 
gekommenen  Streitfragen  ganz  unverständlich  waren;  er  hat 
jedenfalls  deßhalb  auch  die  von  GOETHE  gleichmäßig  ver- 
schwiegene Schmeichelei,  von  der  TALLEYRAND  selbst  Box- 
STETTEN  erzählte,  nicht  erwähnt,  eben  w^eil  er  den  Zusammen- 
hang dieser  Wechselrede  mit  den  daran  schließenden  Er- 
örterungen über  den  Roman  nicht  folgen  konnte.  GoETHE 
hat  übrigens  bei  diesem  Gegenstande  auch  Napoleon's 
Erwähnung,  daß  er  »  Werther<.<.  siebenmal  gelesen  habe,  selbst 
unterdrückt. 

Zum  Schluß  nochmals:  es  läßt  sich  kein  vernünftiger 
Grund  für  Talleyrand  oder  sonstwen  erdenken,  wegen 
Napoleon's  Unterredung  mit  GOETHE  eine  Fälschung  zu 
begehen;  bevor  aber  ein  solcher  Grund  wahrscheinlich  ge- 
macht ist,  fehlt  der  Talleyrand'S  Bericht  angreifenden  Kritik 
der  wissenschaftliche  Boden. 


Am  25.  Januar  1891  brachte  die  Zeitschrift  y>Le  Corres- 
pojident«  unter  andern  vorläufigen  Mittheilungen  aus  TalLEY- 
RAND's  Denkwürdigkeiten  dessen  Bericht  über  Napoleon's 
Unterhaltungen  mit  GüETHE  und  WiELAND  zu  Erfurt  und 
Weimar  am  2.  und  6.  October  1808.  (Soweit  sie  GOETHE 
betreffen,  sind  sie  wieder  abgedruckt  in  » Goethe' s  Gespräche'<- 
IX,  lOjff.)  Selbstverständlich  beschäftigten  sich  sofort  die 
deutschen  Zeitschriften  mit  dieser  wichtigen  Urkunde,  wobei 
diejenigen,  die  ihrer  Bedeutung  schuldig  zu  sein  glaubten, 
Kritik  daran  zu  üben,   ihr  Ansehen   als   Kritiker  am   besten 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon.  1 1  c 

und  leichtesten  zu  wahren  glaubten,  wenn  sie  die  Echtheit 
jener  Mittheilungen  bestritten.  Dazu  fanden  sie  zunächst 
Anhalt  an  dem  Umstand,  daß  französische  Schriftsteller  hin- 
sichtlich der  Stücke  der  Denkwürdigkeiten,  welche  Staats- 
angelegenheiten betrafen,  mit  der  Behauptung,  daß  eine 
Fälschung  vorliege,  vorangegangen  waren,  alsdann  aber  da- 
rin, daß  TalleyraniVs  Bericht  von  Goethe's  1824  ge- 
machter Aufzeichnung  über  seine  Unterredung  mit  NAPO- 
LEON mehrfach  verschieden  war.  In  einer  Miscelle  des 
y'GoetJie- Jahrbuchs v-  von  1893  (XIV,  282  ff.)  habe  ich  aus- 
einandergesetzt, daß  beide  Zweifelsgründe  gleichviel  werth 
sind  —  d.  h.  nichts!  — ,  daß  vielmehr  Talleyrand's  Be- 
richt im  Wesentlichen  für  zuverlässig  zu  erachten  ist,  un- 
beschadet einiger  falscher,  Nebendinge  betreffender  Angaben, 
die  aus  leicht  begreiflichen  Versehen  zu  erklären  sind.  Da- 
rauf zurückzukommen,  giebt  mir  die  Auffindung  einer  weiteren 
Urkunde  über  Goethe's  Audienz  bei  NAPOLEON  Veran- 
lassung, indem  sie  mit  Erläuterungen  eingeführt  ist,  welche 
die  angebliche  Fälschung  der  Mittheilungen  Talleyrand's 
durch  diese  Urkunde  für  bestätigt  zu  erklären  scheinen  können. 
Sie  besteht  in  einer  Niederschrift  des  damaligen  Re- 
gierungsrathes,  späteren  Kanzlers  v.  MUELLER  und  ist  ab- 
gedruckt im  XV,  Bande  des  •»  Goethe- Jahrbuchs -^  S.  29  ff., 
woran  anknüpfend  SüPfLVN  überzeugend  entwickelt,  daß  sie 
Talleyrand  bei  Abfassung  seines  Berichts  als  Vorlage  gehabt 
hat,  —  überzeugend  nämlich  in  diesem  Hauptpunkte,  was 
aber  nicht  ausschließt,  daß  man  über  Manches  dabei  zur 
Sprache  Gebrachte  abweichender  Ansicht  sein  kann  oder 
muß.  Widersprechen  muß  ich  besonders  SuPHAN's  zuver- 
sichtlichem Ausspruch,  »daß  Talleyrand's  Behauptung, 
er  habe  durch  Goethe's  eigne  Aeußerungen  sich  betreffs 
der  Genauigkeit  seiner  Angaben  vollständig  beglaubigt  ge- 
sehen —  bare  Flunkerei  ist«.  Ist  auch  zuzugeben,  daß  das 
Einverständniß  Goethe's  nicht  gerade  gelegentlich  eines 
Diners  bei  Talleyrand,  wie  dieser  erzählt,  eingeholt  worden 

8* 


1 1 6  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

sei,  weil  Goethe's,  die  Begebnisse  jener  Tage  verzeichnendes 
Tagebuch  von  seiner  Theilnahme  an  einem  solchen  nichts 
meldet,  ingleichen  daß  Talleyrand's  Angaben  mit  denen 
Mueller's  nicht  allenthalben  übereinstimmen,  er  letztere  viel- 
mehr verschiedentlich  verschoben  hat,  so  ist  es  doch  keines- 
wegs gerechtfertigt,  Talleyrand  aus  den  Abweichungen 
von  Mueller's  Niederschrift  einen  Vorwurf  zu  machen,  da 
MUELLER  der  Audienz  gar  nicht  beigewohnt  hat  und  sich 
Kenntniß  dessen,  was  dabei  gesprochen  wurde,  nur  durch 
Befragung  von  Ohrenzeugen,  wie  Bertmier,  Lannes,  Daru, 
Savary,  Soult  verschaffen  konnte.  Bei  dem  Interesse,  das 
Talleyrand  an  der  fraglichen  Unterhaltung  nahm,  ist  es 
sicher  wahrscheinlich,  daß  er  bei  diesen  sich  unmittelbar 
darüber  unterrichtete,  nicht  zu  gedenken,  daß  er  einen  Theil 
der  Unterredung  NArOLEox's  mit  GOETHE  selbst  beigewohnt 
hatte.  Wie  wenig  \'ertrauen  übrigens  MUELLER  selbst  in  die 
Zu\'erlässigkeit  seiner  Niederschrift  setzte,  geht  nicht  nur  da- 
raus hervor,  daß  er  noch  1824  GoETHE  antrieb,  seine  Unter- 
redung mit  NAPOLEON  aufzuzeichnen  (Cö^/Zf^'j'  Gespräche  V,20), 
sondern  auch  daraus,  daß  er  in  seinen  »Erinnerungen  aus 
den  Kriegszeiten  von  1806  bis  181 3«  (S.  238  ff.)  auf  seine 
Niederschrift  von  1808  nicht  zurückgriff,  sondern  zumeist 
Goethe's   Aufzeichnung  folgte. 

Ergiebt  sich  nun  schon  aus  diesen  Thatsachen,  daß 
Talleyrand's  Anführen  über  Goethe's  Bestätigung  des  von 
ihm  über  die  Audienz  bei  NAPOLEON  Niedergeschriebenen 
höchst  unwahrscheinlicherweise  reine  Flunkerei  sein  könne, 
so  brauchen  wir  uns  doch  gar  nicht  auf  V'^ermuthungen 
darüber  zu  stützen,  da  diese  Bestätigung  anderweit  so  be- 
stimmt beglaubigt  ist,  daß  Zweifel  dagegen  nicht  zulässig 
sind  und  auch  die  voraussetzlich  falsche  Angabe  hinsicht- 
lich des  Ortes,  wo  sie  erfolgt  sein  soll,  die  Gewißheit 
daß  sie  erfolgt  ist,  nicht  erschüttern  kann.  Diese  Bestätigung 
ist  zwar  älter,  als  die  Veröffentlichung  von  Talleyrand's 
Bericht,   es  ist   aber   bisher   unterlassen  worden,   sich  darauf 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon. 


117 


zu  berufen.  Sie  ist  ausgegangen  von  SORET,  der  über  das 
Gespräch  zwischen  NAPOLEON  und  GOETHE  in  der  Notice 
s/ir  Goethe  —  Th'e  de  la  Bibliotheqiie  univei'sellc,  Jiii7t  et 
Jinllet  18 j 2  Seite  9  Folgendes  sagt:  T>Lors  de  la  Conference 
d' Erfurt  Napoleon  eut  ime  entrevue  avec  Goethe  et  lui  fit 
des  observations  critiques  snr  Wert Ji er;  le  Prince  de  Talley- 
rand  en  a  consewe  dans  ses  Mcinoires  encore  inedits  plu- 
sieiirs  details  qiCil  a  puiscs  a  wie  boiine  source  et  qui  pa- 
raissent  devoir  ctre  fideles ,  puisqiie  Goethe  ne  les  a  point 
contj'cdtts,  lorsqiCil  en  a  etä  qiiestion  entre  lui  et  ranteur  de 
cet  article.  Mais  nous  avons  lien  de  croire  que  taut  ce  qui 
s'est  passe  entre  ces  deiix  grands  honnnes  nest  pas  consigne 
dans  ces  Meptoires.i-  Und  in  der  Fußnote  hierzu:  »Quel- 
ques extraits  de  cette  partie  des  Memoires  du  Prince  se  trou- 
vent  dans  les  niannscrits  de  notre  conipatriote  M.  Dumont 
qui  donne  un  teinoignage  favorable  ä  la  vcracitc  des  faits 
dont  il  a  eu  lui  viane  connaissance.<.<  Diese  Stelle  aus  Soret's 
Notice  habe  ich  auch  det^halb  ausführlich  hergesetzt,  damit  die 
Hoffnung  gedämpft  werde,  etwas  Gewisses  über  die  Zuverlässig- 
keit von  Einzelheiten  der  Erzählung  Talleyrand'S  entnehmen 
zu  können ,  sie  genügt  mir  aber,  um  daraus  zu  ersehen,  daß 
Talleyraxd  nicht  nothwendigerweise  geflunkert  haben  müsse. 
Bekämpft  Suphan  im  Grunde  TalleYRAND'S  Anführen, 
dalo  seine  Mittheilung  von  Goethe  als  richtig  anerkannt 
worden  sei,  und  steht  ihm  dabei  allerdings  der  Umstand  zur 
Seite,  daß  GoETHE's  Durchsicht,  der  stehengebliebenen  offen- 
baren Irrthümer  wegen,  nur  eine  sehr  flüchtige  gewesen  sein 
kann,  so  würde  ich  mich  bei  vorstehender  Darlegung  meiner 
Bedenken  gegen  Suphan's  Verurtheilung  beruhigen,  wenn 
ich  mich  nicht  späterer  Urtheile  über  TallevraND'S  Bericht 
halber  dennoch  genöthigt  sähe,  den  schon  in  der  Miscelle 
des  GoetJie-JaJirbucJisvox\  1893  erörterten  Inhalt  von  Tallev- 
RAND'S  Bericht  nochmals  auf  seine  Glaubwürdigkeit  zu  prüfen. 
Dazu  bestimmt  mich  namentlich  der  Ort,  wo  fernerhin  die 
Unglaubwürdigkeit    von    Tallevraxd's    Bericht    überhaupt 


j  1 8  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

behauptet  wird.  Dies  geschieht  im  Abschnitt  I\",  9  b.  der 
.JahresbericJite  für  nettere  Deutsche  LiteraturgescJiichte  ^ 
II.  Band,  2.  Halbband  (1893)  S.  1 10.  Es  werden  darin,  wie 
schon  früher  von  GEIGER  in  der  ■>->  Nation  <-< ,  die  Verschieden- 
heiten als  entscheidend  behandelt,  die  zwischen  GOETHE's 
Aufzeichnung  über  seine  Unterredung  mit  NAPOLEON  und 
Talleyrand's  Bericht  bestehen.  Schon  in  der  Miscelle  im 
•»Goethe -Jahrbuchs  für  1893  habe  ich  darauf  hingewiesen, 
daß  unter  allen  Umständen  Goethe's  ^Aufzeichnung  für  un- 
vollständig gelten  muß.  Ganz  abgesehen  davon,  daß  deren 
Lückenhaftigkeit  schon  vermuthet  werden  könnte,  weil  sie 
nach  mehr  als  fünfzehn  Jahren  zu  Stande  kam  und  in  diesem 
Zeitraum  Manches  dem  Gedächtniß  entfallen  sein  dürfte,  so 
ist  doch  dafür  entscheidend,  daß  die  von  GOETHE  angeführten 
Gesprächsgegenstände  in  wenigen  Minuten  abgethan  sein 
mußten,  während  die  Dauer  seiner  Audienz  beim  Kaiser  auf 
eine  Stunde,  ja  bis  zu  zwei  Stunden  angegeben  wird.  Zu- 
dem erwähnt  GOETHE  selbst  in  seiner  Aufzeichnung,  daß  er 
im  Gespräch  die  Mannigfaltigkeit  der  Beifallsäußerungen 
Napoleon's  bewundert  habe,  während  doch  Gegenstände, 
bei  denen  diese  Mannigfaltigkeit  sich  hätte  zeigen  können, 
in  seiner  Aufzeichnung  zu  vermissen  sind.  Daraus  ergiebt 
sich,  daß  jede  Mittheilung  über  das  Gespräch,  die  Weiteres 
bringt,  als  GoETHE,  von  vornherein  als  Ergänzung  der  zweifel- 
los unvollständigen  Aufzeichnung  zu  begrüßen  ist.  Geiger 
hat  sich  auf  alle  diese  wesentlichen  Thatsachen  nicht  ein- 
gelassen und  nur  obenhin  in  Bausch  und  Bogen  abgeurtheilt. 
Und  wie  oberflächlich  er  auch  das  behandelt,  worauf  er  ein- 
geht, zeigt  u.  a.  der  von  ihm  entdeckte  Widerspruch  zwischen 
Talleyrand's  und  Goethe's  Darstellung  in  der  Art  der 
Verabschiedung.  Nun  schreibt  GOETIIE:  »Und  so  nahm  ich 
Gelegenheit  bei  dem  Kammerherrn  durch  eine  Geberde  an- 
zufragen, ob  ich  mich  beurlauben  könne?  die  er  bejahend 
erwiderte  und  ich  dann  ohneweiteres  meinen  Abschied 
nahm.«      Während    GOETHE   also    nur   das    anführt,    was  er 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon.  ng 

selbst  beim  Abschied  gethan,  also  seine  stumme  Verbeugung, 
verzeichnet  TalleyranD  —  der  überhaupt  nur  das  Ge- 
sprochene berichtet  —  gegentheils  Napoleon'S  Worte  beim 
Abschied:  »Adieu  Mr.  Goethe. &  Sicher  ist  es  nach  dem 
Gebrauch  bei  solchen  Audienzen,  daß  NAPOLEON  nicht,  ohne 
etwas  zu  sagen,  den  sich  empfehlenden  GOETHE  entlassen 
haben  wird.  Man  begreift  daher  Geiger's  Ausstellung  gar 
nicht,  wenn  man  nicht  außer  seiner  Oberflächlichkeit  Mangel 
an  Kenntniß  des  Ceremoniells  in   Betratht  zieht. 

Die  unabweisbaren  Unrichtigkeiten,  die  in  dem  von 
TalleVRAND  berichteten  Gespräche  vorkommen,  sind  nur 
scheinbar  geeignet  die  Zuverlässigkeit  des  übrigen  Lihalts 
preiszugeben.  Dies  wird  auch  nicht  durch  Berufung  auf 
Talleyrand's  Verlogenheit  erzwungen:  wir  wissen  nur,  daß 
ihm  eine  Lüge  nichts  kostete,  wenn  sie  seinen  Zwecken 
förderlich  zu  sein  schien,  aber  in  dem  Gespräch  zwischen 
Napoleon  und  Goethe  lag  nichts  Derartiges.  Im  Gegen- 
theil:  wenn  nicht  dieses  Gespräch,  wie  es  wirklich  stattfand, 
sein  Interesse  erregt  hätte,  brauchte  er  es  nur  zu  übergehen; 
entschloß  er  sich  aber  einmal  zur  Aufnahme  in  seine  Denk- 
würdigkeiten, so  konnte  ihm  nur  die  soweit  möglich  genaue 
Wiedergabe  genügen. 

Soweit  möglich!  Denn  beim  Durchgehen  der  Einzel- 
heiten des  Gesprächs  muß  man  sich  vergegenwärtigen,  daß 
dessen  Zeugen,  auf  deren  Aussagen  Tallevrand  sich  größten- 
theils  verlassen  mußte,  insgesammt  Männer  waren,  denen  die 
Angelegenheiten,  über  die  NAPOLEON  Fragen  an  Goethe 
richtete,  mehr  oder  weniger  fremd  waren.  Sie  erfaßten  da- 
her zwar  den  Sinn  der  Aeußerungen,  gaben  sie  jedoch  nur 
soweit  richtig  wieder,  als  sie  allgemein  verständlich  waren 
und  von  ihnen  als  gewichtige  im  Gedächtniß  behalten  werden 
konnten.  Leicht  hingeworfene  Fragen  und  Antworten  da- 
gegen, die  nur  als  Lückenbüßer  im  Gespräch  vorkamen  oder 
die  Gegenstände  betrafen,  von  denen  sie  keine  genaue  Kennt- 
niß hatten,  gaben  sie  so  wieder,  wie  sie  sich  dieselben  vor- 


j  20  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


Stellten,  oder  ließen  sie  ganz  aus.  Sind  hiermit  die  Gesichts- 
punkte festgestellt,  aus  denen  Taixevrand's  Bericht  ver- 
nünftigerweise zu  betrachten  ist,  so  liegt  kein  stichhaltiger 
Grund  vor,  zu  bezweifeln,  daß  namentlich  folgende  Aeuße- 
rungen  Goethe's,  —  um  die  es  mir  zunächst  zu  thun  ist  — 
im  Wesentlichen  wahrheitsgetreu  wiedergegeben  sind:  Die 
Schmeichelei,  daß  der  Kaiser  bei  seinen  Reisen  auch  aut 
Geringfügigkeiten  den  Blick  richte;  —  das  Ableugnen,  der 
erste  deutsche  (tragische?)  Dichter  zu  sein;  —  die  Berich- 
tigung von  NxVPOLEON's  wegwerfendem  Urtheil  überSCHlLLER'.S 
Dreißigjährigen  Krieg  (womit  wohl  »  Wallenstein  <•  insbesondere 
»  Wallenstein  s  Lagert,  dem  Kaiser  vielleicht  durch  die  Ueber- 
setzung  von  BE^7AMIN  CONSTANT  DE  Rebecque  zugänglich 
geworden,  gemeint  ist);  —  die  Abweisung  der  Annahme, 
daß  in  Weimar  die  berühmten  Gelehrten  Deutschlands  ver- 
einigt seien;  —  das  Erbieten,  WiELAND  nach  Erfurt  kommen 
zu  lassen;  —  die  Erklärung,  daß  die  Deutschen  die  drama- 
tischen Einheiten  nicht  für  wesentlich  ansehen;  —  der  Aus- 
druck der  Befriedigung  über  den  gegenwärtigen  Erfurter 
Aufenthalt;  —  die  Wendung,  daß  das  weimarische  Volk,  nach 
dessen  Glück  NAPOLEON  gefragt  hatte,  noch  darauf  hoffe;  — 
die  Ablehnung  der  Aufforderung,  über  die  Erfurter  Festtage 
zu  schreiben;  —  die  Anerkennung  des  Tacitus;  —  die  Miß- 
billigung der  Behandlung,  die  der  Herzog  KARL  AUGUST 
durch  Napoleon  erfahren;  —  das  Lob  des  Fürsten  PRIMAS; 
—  die  Verneinung  der  früheren  (d.  h.  einer  vor  1808  fallen- 
den) Bekanntschaft  mit  Kaiser  ALEXANDER;  —  die  Weige- 
rung, eine  Schrift  über  die  Erfurter  Fürstenzusammenkunft 
zu  schreiben  und  dem  Kaiser  ALEXANDER  zu  widmen;  ■ — 
die  Beschwichtigung  Napoleon's  bei  dessen  Ausfall  gegen 
KOTZEBUE.  —  In  allen  diesen  x^eußerungen  offenbaren  sich 
nur  Eigenschaften,  die  wir  sonst  von  GOETHE  kennen,  sie 
bewähren  sich  aber  hier  gerade  glänzend,  indem  er  ihnen 
Angesichts  des  Gewaltigsten  seiner  Zeit  treu  bleibt,  was  um 
so  höher  anzuschlagen   ist,   als   es   nicht   zu  verwundern  ge- 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon.  I2I 

wesen  wäre,  wenn  ihn  die  bekannte  Empfindlichkeit  Napo- 
LEON's  befangen  gemacht  hätte.  Indessen  erhielt  sich  GOETHE 
seine  Besonnenheit,  die  ihn  einerseits  befähigte,  Aeußerungen 
NapoLEON'S  mit  sinnigen  x\rtigkeiten  zu  erwidern,  anderer- 
seits mit  ungebeugtem  Freimuth  ihm  entgegenzutreten,  ja 
ihn  zu  tadeln. 

Diesen  werthvoUen  Hauptpunkten  gegenüber  beschränkt 
sich  das  mit  Recht  Angezweifelte  auf  folgende  Nebenum- 
stände, deren  lässige  Behandlung  oben  als  leicht  begreiflich 
erklärt  wird. 

Napoleon  habe  Goethe  für  den  ersten  tragischen 
Dichter  angesprochen,  was  dieser  mit  Hinweis  auf  SCHILLER, 
Lessixg  und  WlELAND  abgelehnt  habe.  Unwahrscheinlich 
ist  allerdings,  daß  GoETHE  WlELAND  den  ersten  tragischen 
Dichtern  beigezählt  haben  werde,  indessen  kann  leicht,  sei 
es  Tallevrani),  sei  es  sein  Gewährsmann  entweder  es  für 
selbstverständlich  gehalten  haben,  daß  Wieland  —  der  eben- 
falls \'om  Kaiser  geehrte  Dichter  —  auch  ein  tragischer  ge- 
wesen sei  und  seinen  Namen  den  anderen  zugefügt  haben, 
oder  er  hat  überhört,  daß  von  Dichtern  überhaupt  die  Rede 
gewesen,  und  hat  GOETHE  leojiglich  als  tragischen  gekannt; 
daß  er  ihn  wegen  des  »  Wertkeri.  nicht  zu  den  Dichtern 
rechnete,  ergiebt  sich  aus  dem  französischen  Sprachgebrauche, 
der  Romanschreiber  nicht  so  bezeichnet.  —  Hiernächst  be- 
sagt der  Bericht,  GOETHE  habe  sich  selbst  als  Uebersetzer 
französischer  Tragödien  benannt,  während  es  nach  Goethe'S 
Aufzeichnung  Daru  war,  der  dies  that.  —  Sodann  soll 
Napoleon  Goethe  auf  die  am  Abende  stattfindende  Auf- 
führung der  ?  Iphigenie <(.  eingeladen  haben,  obwohl  »Mit/indata 
gegeben  worden  war.  Kann  aber  nicht,  außer  anderen  Irr- 
thumsursachen,  erstere  in  Aussicht  genommen  gewesen,  aber 
eingetretener  Hindernisse  wegen  abgesagt  worden  sein?  — 
Ferner  soll  GOETHE  NAPOLEON  auf  die  Frage,  ob  er  den 
Kaiser  ALEXANDER  schon  gesehen,  geantwortet  haben,  es 
sei  noch  nicht  der  Fall   gewesen,  er  hoffe  jedoch,  ihm  vor- 


J22  ^^^-    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

gestellt  zu  werden,  was  in  Widerspruch  steht  mit  der  That- 
sache,  daß  er  dem  russischen  Kaiser  schon  am  26.  September 
vorgestellt  worden  war.  Dieser  Widerspruch  löst  sich  je- 
doch leicht  in  ein  Mißverstehen  auf,  indem  anzunehmen  ist, 
daß  Napoleon  nach  einer  früheren  Bekanntschaft  mit  Kaiser 
Alexander,  d.  h.  einer  vor  1808  fallenden,  gefragt  und 
Goethe  demzufolge  geantwortet  hat,  er  habe  soeben  die 
Ehre  gehabt,  ihm  vorgestellt  worden  zu  sein.  —  Weiter  kann 
Goethe  nicht  als  einen  bei  Beginn  seiner  schriftstellerischen 
Thätigkeit  und  überhaupt  nicht  als  einen  in  der  Vergangen- 
heit gefaßten  Beschluß  hingestellt  haben,  niemals  auf  Wid- 
mung eines  Buchs  sich  einzulassen-  er  kann  es  nur  als  Klug- 
heitsregel im  Allgemeinen  ausgesprochen  haben.  —  Ebenso 
wenig  kann  GOETHE  KOTZEBUE  als  noch  in  der  Verbannung 
in  Sibirien  weilend  und  seine  Begnadigung  von  dem  Fürworte 
Napoleon's  hoffend  bezeichnet  haben,  indessen  konnte  wohl 
der  Uneingeweihte,  der  von  KOTZEBUE'S  bereits  längst  er- 
folgter Begnadigung  nichts  wußte,  Goethe's  Antwort  sich 
so,  wie  Talleyrand  berichtet,  zurechtgelegt  haben.  —  Auch 
die  Angabe  TalleyraND's,  daß  er  GOETHE  nach  der  Au- 
dienz zu  sich  zum  Diner  eingeladen  habe,  ist  nicht  um  deß- 
willen  unwahr,  weil  wir  wissen,  daß  dieser  nach  der  Audienz 
beim  Herzog  speiste;  Talleyrand  kann  sich  sehr  wohl  der 
von  ihm  ergangenen  Einladung,  nicht  aber  der  Absage  und 
der  anderswo  geschehenen  Besprechung  Goethe'S  über  die 
Audienz  erinnert  haben. 

Von  vorstehenden  Erklärungen  der  als  unrichtig  zu  er- 
achtenden Angaben  TalLEYRAND's  will  ich  durchaus  kein 
Aufhebens  machen  und  kann  nicht  widersprechen,  wenn  man 
sie  als  Phantasiestücke  bezeichnen  wollte;  ich  habe  sie  nur 
vorgebracht,  um  zu  verdeutlichen,  ein,  wie  einseitiges,  un- 
kritisches Verfahren  es  ist,  die  Zuverlässigkeit  der  unwider- 
legbaren Angaben  zu  bezweifeln,  von  denen  doch  ihrer  Wichtig- 
keit wegen  verauszusetzen  ist,  daß  der  Berichterstatter  dabei 
mit  erhöhter  Sorgfalt  verfahren  sein  wird,  und  nicht  vielmehr 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon.  123 

im  Gegentheil  sich  mit  dem  Zweifeln  vorzugsweise  an  die 
mit  mehr  oder  weniger  Gewißheit  für  falsch  anzusehenden 
Aeußerungen  über  Nebendinge,  zu  halten,  bei  denen  umge- 
kehrt entschuldbar  ist,  daß  die  mit  den  besprochenen  Gegen- 
ständen nicht  vertrauten  Gesprächszeugen  sie  nur  annähernd 
richtig  übermittelten.  Hätte  Geiger  den  Grundsatz,  den  er 
S.  171  der  y> Jahresberichte <^^  gelegentlich  der  Bekämpfung 
einer  ^Hyperkritik«.  DüNTZER'S  aufstellt,  —  »bei  einer  der- 
artigen Fälschung  müßte  irgend  welcher  Grund  ersichtlich 
sein«  —  S.  170  selbst  befolgt,  so  mußte  sein  Urtheil  über 
TallEYRAND's  Bericht  anders  ausfallen;  anstatt  dessen  schiebt 
er  »Unwissenheit   und   Kritiklosigkeit«    andern   in  die  Schuhe. 

(3.) 

Geiger  hat  die  Frage  der  Echtheit  von  Talleyrand's 
Bericht  übsr  Goethe's  Unterredung  mit  NAPOLEON  ferner- 
w^eit  behandelt  und  es  thrr  mir  leid,  daß  die  Sache  damit 
auf  Persönlichkeiten  zugespitzt  wird;  indessen  darauf  einzu- 
gehen, darf  ich  nicht  unterlassen,  da  die  Feststellung  der 
zwischen  dem  größten  Feldherrn  und  dem  größten  Dichter 
vieler  Jahrhunderte  zu  werthvoU  ist,  um  sich  in  der  Mitwir- 
kung durch  die  Aussicht  auf  widerwärtige  Fehden  abhalten 
zu  lassen.  Und  auch  die  Frage  mußte  ich  zu  meinem  Be- 
dauern bejahen,  ob  die  Mischung  von  Thatsächlichem  und 
Persönlichen  in  ein  Buch,  wie  die  Goethe- Forschungen,  gehört; 
denn  GEIGER  hat  unsre  Meinungsverschiedenheit  in  einem 
Buche  weitläufig  behandelt  und  sucht  dabei  für  seine  Auf- 
fassung der  Thatsachen  durch  persönliche  Verdächtigungen 
zu  wirken;  er  zwingt  dadurch  geradezu,  auf  seine  Persönlich- 
keiten an  ähnlicher  Stelle  einzugehen. 

Geiger  sagt  in  ^'Ans  Alt-  Weimar i<  Seite  130:  »Wer 
auch  nur  mit  den  Anfangsgründen  historischer  Kritik  ver- 
traut ist,  wird  sagen  müssen:  jeder  Bericht,  der  diese  fünf 
Momente  [s.  unten]  nicht  enthält,  trägt  schon  dadurch  den 
Stempel  des  Apokryphen  an  sich!«     Ganz  recht!     Wer  nur 


124 


IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 


mit  den  Anfangsgründen,  historischer  Kritik  bekannt  ist,  kann 
zu  derartigem  Schlüsse  gelangen,  wer  jedoch  darin  etwas 
vorgeschritten  ist,  wird  sich's  nicht  so  bequem  zu  machen 
wagen,  vielmehr  die  Aufgabe  tiefer  fassen.  Das  ist  allerdings 
Geiger'S  Sache  nicht;  er  macht  sie  sich  auf  alle  Weise  leicht. 
F_^r  nimmt  es  nicht  ängstlich  mit  der  Wahrheit  und  ver- 
schwendet seine  Zeit  nicht  mit  Studium  der  Quellen.  \'on 
diesen  Schwachheiten   will  ich  auf  je  ein  Beispiel  hinweisen. 

Geiger  sucht  mich  v^orweg  zu  discreditiren  und  als 
Sonderling  hinzustellen,  indem  er  S.  131  in  der  Anmerkung 
sagt,  ich  sei  in  Deutschland  der  einzige  Verfechter  der  Echt- 
heit von  TalLEVRAND'S  Bericht.  Diese  Behauptung  durfte 
Geiger  so  kurzhin  nur  aussprechen,  nachdem  er  gründliche 
Umschau  in  der  Literatur  gehalten  hatte.  Das  ist  aber  nicht 
geschehen;  denn  dabei  würde  er  noch  einen  solchen  deutschen 
X^erfechter  in  Bailleu  (Sybel's  Historische  Zeitschrift  LXVIIL 
jS  ff.)  gefunden  haben.  Geiger  wird  schwerlich  Anstand 
nehmen,  diesem  Schriftsteller  den  Vorzug  in  Bezug  auf  histo- 
rische Kritik  einzuräumen. 

Geiger'S  mangelhafte  Kenntniß  der  Goethe  -  Literatur 
erhellt  aber  daraus,  daß  er  Goethe's  Aufzeichnung  seiner 
Unterredung  mit  NAPOLEON  vor  1824  erfolgt  sein  läßt, 
während  sie  doch  nach  Goethe'S  Brief  an  Kanzler  V.  MUELLER 
vom  15.  Februar  1824  erst  am  Tage  vorher  stattgefunden 
hat.  Der  Brief  steht  in  einem  sehr  bekannten  Buche:  das 
Nachsuchen  erspare  ich  ihm  boshafterweise  nicht,  wenn  ich 
ihn  auch  nicht  beschuldige,  die  Aufzeichnung  absichtlich  zu 
früh  angesetzt  zu  haben.  GekjeR  beruft  sich  zwar  auf  eine 
Angabe  EckeRMANN'S;  aber  mit  seiner  historischen  Kritik 
die  Eckermann  in  diesem  Punkte  für  glaubens würdiger  als 
Goethe  erklärt,  wird  er  nicht  durchdringen. 

Geiger'S  Beweisführung  über  Unglaubwürdigkeit  von 
TalleYRAND's  Bericht  ist  aber  im  Wesentlichen  die:  GoETHE 
verdient  mehr  Glauben,  als  der  »Franzose  -  und  da  die,  von 
Geiger  aus  Goethe's  Darstellung  ausgezogenen  fünf  Momente 


6.    Die  Unterredung  mit  Napoleon.  125 

der  Unterredung  in  Tallevrand's  Bericht  fehlen,  so  ist 
dieser  falsch.  (S.  130 — 135.)  Das  ist  doch  schroffste  Ver- 
drehung der  Streitfrage!  Goethe'S  Glaubwürdigkeit  hat  ja 
niemand  angezweifelt,  auf  die  kommt  es  also  bei  Prüfung 
der  Glaubwürdigkeit  Talleyrand's  gar  nicht  an,  sondern 
nur  darauf,  ob  das,  was  dieser  mehr  berichtet,  als  auf  Wahr- 
heit beruhend  anzusehen  ist.  Daß  dieser  Kernpunkt  über- 
sprungen wird,  ist  begreiflich:  er  ist  nicht  nach  GeigER's 
Gewohnheit,  obenhin  zu  behandeln.  Historische  Kritik  muß 
früher  einsetzen  und  zunächst  erörtern:  hat  GOETHE  das  Ge- 
spräch vollständig  aufgezeichnet  und  hat  er  das  auch  nur 
gewollt:  Die  Verneinung  dieser  Fragen  habe  ich  ausführlich 
begründet.  Für  Leser,  die  ich  im  Auge  habe,  ist  deren 
weiteres  Breittreten  nicht  nöthig;  für  diejenigen,  deren  Ur- 
theil  in  einen  geschlossenen  Kreis  gebannt  ist,  hilft  auch 
Wiederholung  nichts.  Nur  darauf  ist  nochmals  hinzuweisen, 
daß  Goethe  mit  seiner  Aufzeichnung  über  fünfzehn  Jahre 
lang  gezögert  hat,  um  keinen  Anlaß  zu  Klatschereien  zu 
geben.  Deßhalb  überging  er,  auch  als  er  sein  Schweigen 
brach,  persönliche  und  politische  Gesprächsrichtungen.  Das 
trifft  auch  mit  Geiger'S  guter  und  richtiger,  von  ihm  nur 
nicht  richtig  benutzter  Charakterisirung  der  beiden  Gesprächs- 
berichte überein,  daß  in  dem  Bericht  von  GoETHE  literarische, 
in  dem  von  TallevranD  politische  und  persönliche  An- 
gelegenheiten überwiegen.  (S.  133.)  Anderseitig  ist  wiederum 
auch  zu  begreifen,  daß  Talleyrand  und  den  französischen 
Generälen,  auf  deren  Zeugenschaft  jener  sich  stützte,  die  im 
Gespräche  berührten  literarischen  Angelegenheiten  weder  so 
geläufig  waren,  noch  für  so  erheblich  gehalten  wurden,  un^ 
sie  aufzubewahren.  Deßhalb  hielten  sie  diese  nicht  fest.  Die 
persönlichen  und  politischen  aber  auch  nur  nach  ihrer  un- 
genügenden Kenntniß  des  Sachverhaltes. 

Geiger'S  Kritik  gipfelt  in  der  Behauptung:  (S.  142.)  was 
Talleyrand  sage,  sei  ohneweiteres  für  unwahr  zu  erachten, 
weil    er   ein   Lügner,    Flunkerer    und    Fälscher    gewesen   sei, 


J26  IV.    Goethe  mit  Zeitgenossen. 

und  zwar  nicht  allein  wegen  eines  dadurch  zu  erreichenden 
Zweckes,  sondern  aus  Gewohnheit.  Ja,  mit  diesem  Kehraus 
legt  mich  GEIGER  freilich  lahm.  Ich  verzichte  auf  ent- 
sprechende Erwiderung  und  weitere  Ausführung.  Denen, 
die  sich  mit  solchen  kritischen  Fragen,  wie  die  über  den  Li- 
halt  der  Unterredung  Goethe's  und  NAPOLEONS,  nicht  be- 
fassen und  auf  dergleichen  Kleinigkeiten  keinen  Werth  legen, 
empfehle  ich,  der  Bequemlichkeit  halber  Geiger's  Darlegung 
zur  Richtschnur  zu  nehmen,  wonach  Tallevrand's  Bericht, 
als  rein  aus  der  Luft  gegriffen,  nicht  weiter  zu  beachten  und 
dagegen  Goethe'S  Darstellung  für  erschöpfend  anzusehen  ist. 
Wem  dagegen  die  Sache  des  Schweißes  der  Edlen  werth 
erscheint,  für  den  habe  ich  in  meinen  früheren  Aufsätzen  ge- 
nug gesagt.  Im  gegenwärtigen  Schlußwort  kennzeichnete 
ich  nur  das  Persönliche  in  der  Bew^eisführung  Geiger'S.  Und 
da  ist  ihm  auch  der  Vorw'urf  der  Unvorsichtigkeit  nicht  zu 
ersparen,  wenn  er  so  sicher  in  Behauptungen  und  x\usfällen 
gegen  Andersdenkende  sich  ergeht;  denn  sollte  —  was  nicht 
unmöglich  —  noch  eine  Urkunde  zu  Tage  kommen,  welche 
die  wesentlichen  Angaben  Tallevrand's  als  zweifellos  be- 
stätigt, so  hätte  er  sich  unnöthig  bloßgestellt —  wieder  einmal; 
denn  solche  unano-enehme  Erfahrunor  wäre  nicht  neu  für  GEIGER. 


^^r- 


Gem.  V.  Gerh.  v.   Kügelgeii 


Silvia  Freiin  von  Ziegesar 


Biedermann,  Goetheforschungen  III.- 


V. 

Vermischtes  zur  Goethe- 
forschung. 


I.  Hagedorn,  ein  Vorbild  Goethe's. 


as  \'erlangen  nach  Originalität  wird  häufig  ohne 
rechte  Ueberlegung  erhoben.  GOETHE  hat  in  zahl- 
reichen >-> Zahmen  Xenie^fi.  und  anderen  Epigrammen 
sowohl  gegen  die  Sucht,  als  gegen  die  gemiß- 
brauchte Forderung,  Original  zu  sein,  geeifert.  Kein  Mensch, 
der  unter  gebildeten  Zuständen  auferzogen  ist,  kann  etwas 
schaffen,  das  nicht  Frucht  der  eingesogenen  Bildung  ist,  und 
es  ist  ganz  unmöglich,  die  Grenze  festzustellen,  über  welche 
hinaus  die  Benutzung   des  Bildungsstoffes   anfängt  unerlaubt 

—  richtiger  unanständig  —  zu  sein.  Fordern,  daß  Alles, 
was  ein  Mensch  ist  und  thut  original  sei,  heißt  verlangen, 
daß  jeder  Mensch  von  vorn,  auf  der  Stufe  des  Thieres  an- 
fange; jeder  Fortschritt  ist  damit  ausgeschlossen  und  die 
Folge  müßte  sein,  daß  die  Originale  die  Zurückgebliebenen, 
die  Nachahmer  die  Fortschreitenden  sein  würden  —  dies 
allerdings  nur,  sofern  das  Originalitätsgebot  streng  durch- 
geführt werden  wollte,  und  folgestreng  sind  glücklicherweise 
die  Menschen  nicht;  aber  auch  bei  schlaffer  Anwendung  des 
Gebotes  liegt  jene  Folge  immerhin  in  der  Richtung.  Hat 
man  sich  aus  Billigkeits-  oder  sonstigen  —  nicht  aus  Rechts- 

—  Gründen    veranlaßt    gesehen,    Gesetze   über   sogenanntes 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  9 


j  5Q  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

geistiges  Eigenthum  und  Erfinderreclite  zu  erlassen,  so  kann 
dies  durch  Zeitstimmungen  gerechtfertigt  sein,  steht  aber  mit 
der  natürlichen  Geistesfreiheit  in  Widerspruch.  Hat  jemand 
etwas  hervorgebracht,  das  Gutes  in  sich  birgt,  aber  von  V'oll- 
kommenheit  noch  so  weit  absteht,  daß  ein  Anderer  Besseres 
daraus  gestalten  kann,  so  hat  vom  Standpunkte  der  Ge- 
schichte des  menschlichen  Geistes  aus  betrachtet  jenes  erste 
Werk  seine  Bestimmung  erfüllt,  indem  es  die  Anregung  zu 
einer  bedeutenderen  Leistung  gegeben  hat,  und  der  erste  An- 
regende widersetzt  sich  der  Weltordnung,  wenn  er  die  An- 
regung zur  Unfruchtbarkeit  verurtheilt,  das  Angeregte  unter- 
drückt haben  will. 

Der  Stufen  der  Anregung  sind  freilich  unzählige,  aber 
um  nicht  weiter  in  allgemeinen  Sätzen  uns  zu  bewegen,  so 
halten  wir  uns  an  den  im  Eingange  genannten  Gegner  der 
Originalitätsjägerei.  Daß  GOETHE  in  seinen  Dichtungen  schon 
vorhandene  benutzt  hat,  ist  bekannt;  eine  Reihe  von  Bei- 
spielen hiervon  sind  zu  entnehmen  aus  meinem  Aufsatz 
y>  Goethe  und  das  Volkslied^.  Aber  neben  diesen  beabsichtigten 
Nachbildungen  finden  sich  häufig  bei  ihm  mehr  oder  weniger 
unwillkürliche  Anlehnungen,  veranlaßt  durch  P>innerungen  an 
berühmte  Muster.  Erklärlicherweise  kommen  dieselben  am 
öftersten  in  seinen  Jugenddichtungen  vor.  Die  Erinnerungs- 
anklänge in  den  ■»Neuen  Liedern i,  die  GOETHE  fast  sämmt- 
lich  als  Student  gedichtet,  BERNHARD  THEODOR  Breitkopf 
in  Musik  gesetzt  und  BERNHARD  CHRISTOPH  BREITKOPF  ge- 
druckt, sowie  verlegt  hat  (1770),  sind  in  einer  Schrift  ^'>Aus 
Goethe' s  Frühseit<!.  von  MINOR  und  Sauer  zum  Gegenstand 
eingehender  Untersuchung  gemacht  worden,  die  zu  dem 
Ergebnisse  führte,  daß  es  hauptsächlich  die  sogenannten 
anakreontischen  Dichter  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts, 
namentlich    HAGEDORN,     Uz,     GlEIM,    LeSSING,    CrONEGK, 

Weisse,  Gerstenberg,  J.  G.  Jacobi  und  Michaelis  sind, 
mit  denen  GOETHE  dort  übereinstimmte.  Indessen  geht  aus 
dieser   Untersuchung   —   von    ein   paar    nebenbei    berührten 


I.    Hagedorn,  ein  Vorbild  Goethe's,  131 

Fällen  abgesehen  —  nicht  her\-or,  daß  GOETHE  sich  einem 
oder  mehreren  dieser  Dichter  geradezu  angeschlossen  habe, 
vielmehr  liefert  sie  nur  ein  Verzeichniß  von  Wörtern,  Redens- 
arten, Wendungen,  Bildern  und  Gleichnissen,  die  jenen  Dichtern 
eigen  waren  und  ebenso  sich  auch  in  den  y  Neuen  Liedenii. 
finden.  Jene  Wörter  u.  s.  \v.  schwirrten  damals  in  der  Poeten- 
luft umher:  wie  der  Dichter  sich  der  Sprache  seines  Volkes 
bedient  und  zwar  dieser  Sprache  im  Wesentlichen  so,  wie 
sie  zu  seiner  Zeit  gesprochen  wird,  so  nimmt  er  auch  die- 
jenigen Gestaltungen  und  Formeln  in  seine  Gedichte  herüber, 
welche  seine  \"orgänger  in  der  von  ihm  gepflegten  Gedicht- 
gattung geschaffen  haben.  \"on  einem  anderen  Standpunkte 
aus  ist  es  aber  von  größerem  Werthe,  zu  ermitteln,  welcher 
jener  Dichter  von  GOETHE  bevorzugt  und  nicht  bloß  als 
Sprachzubereiter  benutzt  wurde,  nach  dem  vielmehr  er  sich 
vorzugsweise  gebildet  hat. 

Von  obigen,  in  der  gedachten  Untersuchung  berück- 
sichtigten Anakreontikern  nennt  GOETHE  unter  den,  durch 
den  Bücherschatz  seines  Vaters  ihm  früh  zugängig  gewordenen 
deutschen  Dichtern  sowohl  in  seinem  biographischen  Schema 
als  auch  in  y  Dichtiüig  und  WaJu-Jieiti  einzig  und  allein 
Hagedorn.  Er  nennt  ferner  außer  Geleert  nur  noch 
Hagedorn  als  die  Dichter,  neben  denen  mit  Ehren  genannt 
zu  werden  er  sich  sehnte,  als  er  auf  die  Universität  sich  vor- 
bereitete. Er  sandte  ferner  an  seine  Freundin  KÄTHCHEN 
Schönkopf  zu  Weihnachten  1 769  Hagedorn's  Werke  mit 
dem  Wunsche,  daß  sie  an  dem  »liebenswürdigen  Dichter« 
den  Gefallen  finden  möge,  den  er  verdiene.  Noch  1804 
in  der  Recension  der  i  Lyrischen  Gedichte  1.  von  VOSS  er- 
wähnt Goethe  nur  Hagedorn  und  Kleist  als  »gleich- 
sam selig  gesprochene  Dichtergestalten«.  Ja  es  verräth  auch 
Goethe's  Bewandertsein  in  Hagedorn's  Dichtungen,  wenn 
er  Zeltern,  nachdem  dieser  den  Kupferstecher  GEORG 
Friedrich  Schmidt  als  seinen  Großoheim  bezeichnet  hatte, 
am  4.  October   1831    die  Stelle    in    einem    Gedichte   Hage- 

9* 


132 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


DORN's  nachweist,  worin  dieser  SCHMIDT  rühmlich  genannt 
wird. 

AuffälUg  ist  Hagedorn's  Bevorzugung  durch  GOETHE 
nicht,  da  er  als  der  Bedeutendste  der  zeitgenössischen  Dichter 
über  Alle  hinaus  den  größten  Einfluß  ausübte;  wo  er  in 
Goethe's  Gedichten  zu  finden  ist,  werden  wir  sehen. 

In  dessen  ältester  Gedichtsammlung  ■» Annette i  merkt 
man  kaum  die  Schule  Hagedorn'S,  dagegen  ist  sie  in  den 
•»Neuen  Liedern-»  mannigfach  zu  spüren. 

Die  vervollständigte  Ausgabe  von  Hagedorn's  »Po- 
etischen Werken»,  welche  1757  bald  nach  seinem  Tode  er- 
schien, enthält  die  Gedichte  unter  den  Abtheilungen:  Moralische 
Gedichte  —  Epigrammatische  Gedichte  —  Fabeln  und  Er- 
zählungen —  Oden  und  Lieder. 

Die  Moralischen  Gedichte  sind  in  der  Mehrzahl  Briefe 
nach  Art  der  Horazischen  Episteln,  in  Alexandrinern  ge- 
schrieben. In  dem  Wenigen,  das  GoETHE  später  in  dieser 
Gattung  hervorbrachte,  nahm  er  sich  aber  das  classische 
Vorbild  aus  erster  Hand.  Die  Epigramme  hiernächst  in  der 
frostig-witzelnden  Art  damaliger  Zeit  konnten  GOETHE  gleich- 
falls nicht  zur  Nachahmung  reizen.  Fabeln  ferner,  d.  h.  die 
von  Hagedorn  nach  dem  Zeitgeschmacke  besonders  ge- 
pflegte Thierfabel,  ließ  Goethe  als  eine  imgrunde  poesie- 
lose Gattung  ebenso  ziemlich  unbeachtet.  xA.ußer  der,  in 
ungebundener  Rede  erzählten  Fabel  in  der  Recension  von 
»Alexander  v.  Joch  über  Belohnung  und  Bestrafung  nach 
türkischen  Gesetzen«  in  den  '> Frankfurter  geleJirten  Anzeigen^ 
von  1772  und  den  beiden  aus  späterer  Zeit  herrührenden 
Weiterführungen  altbekannter  Fabeln  y> Fuchs  und  KranicJit-^ 
sowie  ^>Die  Frösche«  hat  er  in  seiner  Frühzeit  nur  Eine  als 
selbstständige  Dichtung  zu  erkennende  Thierfabel  geschrieben : 
»Adler  und  Taube <.<..  Aber  wie  unendlich  vertieft  erscheinen 
diese  Fabeln  Goethe's  gegen  alle  Fabeln  der  Dichter  jener 
Zeit  mit  ihrem  auf  Sitten-  oder  Erfahrungslehren  hinaus- 
laufenden Inhalte!    Von   ihnen   hat  GoETHE   keinen  Gewinn 


I.    Hagedorn  ein  Vorbild  Goethe's. 


133 


gezogen,  auch  von  den  Fabeln  Hagedorn'S  nicht.  Eben- 
dessen  »Erzählungen  in  Viersen  verlockten  GoETHE  auch 
nicht  zur  Nachahmung  und  so  bleiben  nur  noch  »Oden  und 
Lieder«  aus  Hagedorn's  >> Poetischen  JVerken«  übrig,  auf 
welche  sich  die  Neigung  beziehen  könnte,  die  GOETHE  diesem 
Dichter  dermassen,  daß  sie  ihn  zur  Nacheiferung  anregte, 
gewidmet  hätte. 

Das  erste  der  »Neuen  Lieder«  ist  das  »Neujahrslied«, 
beginnend:  »  IVer  kommt,  iver  kauft  von  meiner  Waar  ?<i 
Die  Wünsche  und  Vorhersagungen  dieses  Liedes  beziehen 
sich  alle  auf  \^erhältnisse  der  beiden  Geschlechter  zu  ein- 
ander.   Die  zweite,  dritte  und  vierte  Strophe  lauten  wie  folgt: 

2.  Du  Jugend,  die  du  tändelnd  liebst, 
Ein  Küßchen  um  ein  Küßchen  giebst 

LInschuldig  heiter: 
Jetzt  lebst  du  noch  ein  wenig  dumm; 
Geh  nur  erst  dieses  Jahr  herum, 

So  bist  du  weiter. 

3.  Die  ihr  schon  Amors  Wege  kennt. 
Und  schon  ein  Bischen  lichter  brennt, 

Ilir  macht  mir  bange: 
Zum   Ernst,  ihr  Kinder,  \^on  dem  Spaß! 
Das  Jahr!  zur  höchsten  Noth  nur  das. 

Sonst  währt's  zu  lange. 

4.  Du  junger  Mann,  Du  junge  Frau! 
Lebt  nicht  zu  treu,  nicht  zu  genau 

In  enger  Ehe: 
Die  Eifersucht  quält  manches  Haus, 
Und  trägt  am  Ende  doch  nichts  aus. 
Als  doppelt  Wehe. 
Nun   hat  HAGEDORN   im  III.  Bande  Seite  83   der  Aus- 
gabe von    1757    ein   nur   aus   drei    vierzeiligen  Strophen  be- 
stehendes   Gedicht    ^Die    Verliebtem'..       Das   Versmaß    des- 
selben   ist   ganz   das    Gleiche   wie   das   des   »Neujahrsliedes« 


134 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


und  der  Strophenbau  nur  dadurch  unterschieden,  daß  GOETHE 
die  ersten  drei  dreifachreimenden  Zeilen  jeder  Strophe  auf 
zwei  durch  Reim  gebundene  Zeilen  beschränkt,  dagegen  die 
nach  dieser  Verkürzung  nur  noch  dreizeilige  Strophe  verdoppelt 
und  demgemäß  seiner  dritten,  bei  HAGEDORN  durch  alle 
Strophen  hindurch  denselben  Reim  habenden  Zeile  nur  in  der 
sechsten  jeder  Strophe  eine  Reimzeile  gegeben  hat.  HAGE- 
DORN singt: 

Ihr,  deren  Witz  die  Sehnsucht  übt 

Und  immer  seufzet,  harret,  liebt. 

Wie  spät  erreicht  ihr  unbetrübt 
Der  Liebe  Freuden! 

Furcht,  Knechtschaft,  Unruh  und  Verdacht, 

Der  wüste  Tag,  die  öde  Nacht 

Sind  bis  die  Lieb'  euch  glücklich  macht 
Nicht  zu  vermeiden. 

Wie  groß  muß  ihr  Vergnügen  seini 
Wie  sehr  muß  ihr  Genuß  erfreun. 
Wenn  edle  Seelen  ihre  Pein 
So  willig  leiden. 
Man  wnrd  bemerken,  daß  auch  der  Lihalt  des  »Neujahrs- 
liedes«   deutlich  an  »Z^2>  Verliebten''-    anklingt  und  namentlich 
Goethe's  zweite  Strophe  der  ersten  Hagedorn's,  die  dritte 
und  vierte  Goethe's  aber  der  zweiten  HagedORN's  entspricht. 
Das  zweite  der   -»Neueji  Liedef-i   ist  das  neunstrophige 
•»Der  zvahre   Geniifsi.   mit  der  Anfangsstrophe: 

Umsonst  daß  du,  ein  Herz  zu  lenken. 
Des  Mädchens  Schooß  mit  Golde  füllst! 
O  Fürst!   Laß  dir  die  Wollust  schenken. 
Wenn  du  sie  wahr  empfinden  willst. 
Gold  kauft  die  Zunge  ganzer  Haufen, 
Kein  einzig  Herz  erwirbt  es  dir; 
Doch  willst  du  eine  Tugend  kaufen, 
So  geh  und  gieb  dein  Herz  dafür. 


I.    Hagedorn  ein  Vorbild  Goethe's.  125 

Dieses,  sowie  das  achte  der  »Neuen  Lieder«   ist  in  einer 
Strophe    geschrieben,     die    mit    demselben    Versmaße    und 
Strophenbaue  HAGEDORN   besonders   liebt   und  unter  seinen 
Liedern  in  der  Ausgabe  von  1757  allein  sechs  Mal  angewandt 
hat.     (III,   30,   36,   51,  84,  95,   117.)     Darunter  ist  eins,    »A?i 
die    heutigen    Enci'atiteni ,    welches    Mäßigkeit    im    Genüsse 
empfiehlt    und    sich    darin    mit   Goethe'S  Gedicht    berührt; 
letzteres    vertieft    sich    indessen    in  Schilderung   des   wahren 
Genusses   der  Liebe.     In    dem    Gedicht    siÄn   die  neuen  En- 
cratitenf.   beziehen  sich   auf  Liebe  hauptsächlich  vier  Stellen, 
die    mit    »  Wahrer   Geniifsi.   verwandt   sind,    vorzüglich   mag 
gleich  der  Anfang  Goethex  vorgeschwebt  haben: 
Was  edle  Seelen  Wollust  nennen, 
\"ermischt  mit  schnöden  Lüsten  nicht. 
Die  anderen  Stellen  sind: 

Die  Liebe,  die  auch  Weise  loben, 
Macht  ihre  Liebe  nicht  zu  frei  — 


ferner: 


endlich: 


Zu  altdeutsch  trinken,  taumelnd  küssen, 
Ist  höchstens  nur  der  Wenden  Lust  — 


Petrarken,  der  in  \^ersen  herzet. 
War  Laura  keine  Lesbia. 

Der  angeführte  Beginn  des  GOETHE'schen  Liedes  nähert 
sich  übrigens  dem  pedantischen,  lehrhaften  Tone,  in  w^elchem 
Hagedorn  auch  seine  lockern  Lieder  einzuleiten  pflegt. 

Das  dritte  der  »Neuen  Lieder«  ist  -»Die  Nacht t,  später 
unter  der  Ueberschrift  t>Die  schöne  Nacht n  in  Goethe's 
Werke  aufgenommen.  Hagedorn  hat  gleichfalls  ein  Lied 
i>Die  Nacht <!..  (III,  iiof.)  Beide  Lieder  sind  in  achtzeilige 
Strophen  gefaßt,  die  in  beiden  aus  sieben-  und  achtsilbigen 
Versen  bestehen;  bei  HAGEDORN  ist  aber  das  Versmaß 
jambisch,  bei  GOETHE  trochäisch.  HAGEDORN  feiert  ebenso 
wie  Goethe  in  seinem  Liede  die  Reize  der  Nacht,  ersterer 
jedoch    ohne   alle  Tiefe   und  breitgezerrt,    während  GOETHE 


j  ^5  V-    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

sinnig  und  zart  eine  begeisterte  Schilderung  der  landschaft- 
lichen Schönheit  der  Nacht  giebt  und  dieselbe  zum  Schlüsse 
gesteigert  auf  Liebe  anwendet: 

Und  doch  wollt'  ich,  Himmel,  dir 

Tausend  solche  Nächte  lassen. 

Gab'  mein  Mädchen  Eine  mir. 
Es  ist  zweifellos,  daß  GOETHE  auch  hier  HAGEDORN 
vor  Augen  gehabt  hat;  namentlich  dessen  erste  Strophe  ist 
es,  an  die  GoETHE  erinnert,  insbesondere  durch  das  Vor- 
kommen eines  und  desselben  Wortes  in  Hagedorn's  zweitem 
und  in  Goethe's  drittem  Verse.     HAGEDORN  hebt  an: 

Willkommen  angenehme  Nacht! 

Verhüll'  in  deine  Schatten 

Die  Freuden,  die  sich  gatten, 

Und  blende,   blende  den  Verdacht! 

Wenn  treue  Liebe  küssen  macht, 

So  wird  der  Kuß  der  Liebe, 

So  werden  ihre  Triebe 

Beglückter  durch  die  stille  Nacht. 
Die  erste  Hälfte   der   Anfangsstrophe   bei  GoETHE   hat 
die  wunderbar  schöne  Trope: 

Gern  verlaß'  ich  diese  Hütte, 

Meiner  Liebsten  Aufenthalt, 

Wandle  mit  verhülltem  Tritte 

Durch  den  ausgestorb'nen  Wald. 
Die  Form  der  Strophen  Hagedorn's  und  der  Goethe's 
in  den  beiden  Gedichten  ist  zwar  verschieden,  gleicht  sich 
aber  dennoch  insoweit,  daß  die  beiderseitigen  Strophen  nicht 
nur  achtzeilig  sind,  sondern  auch  in  zwei,  sich  gleiche  Hälften 
zerfallen. 

Verschwiegen  mag  indessen  hierbei  nicht  werden,  daß 
in  Zusammenstellung  der  Reize  der  Nacht  für  die  Landschaft 
wie  für  die  Liebe  Goethe  das  Vorbild  in  dem  Gedichte 
y^Die  Nachti  von  Uz  (im  III.  Buch  der  lyrischen  Gedichte) 
hat  finden  können. 


I.    Hagedorn,  ein  Vorbild  Goethe's  I^T 

In  Bezug  auf  die  drei  vorgenannten,  unverkennbar  an 
Hagedorn  sich  anlehnenden  Lieder  GOETHE's  ist  noch  da- 
rauf aufmerksam  zu  machen,  daß  die  Lieder  HagedoRN'S, 
welche  diesen  drei  ersten  der  -»Neuen  Liedern,  entsprechen, 
in  der  nämlichen  Reihenfolge  im  III.  Bande  von  HagedoRN'S 
»Poetischen    Werken <!.   stehen. 

Das  neunte  der  »Neuen  Lieder«  —  ■>•> Kinderverstand (^ 
■ —  schildert  in  etwas  grobsinnlicher  Weise  das  Gebahren  der 
Bauermädchen  gegen  ihre  Liebhaber  im  Gegensatz  zu  dem 
Behaben  Liebender  in  Städten.  Einen  ähnlichen  Gegensatz 
bietet  » Der  verliebte  Bauer <.<■  von  HAGEDORN  (III,  74  ff.),  wes- 
halb dieser  vielleicht  auch  ein  Vorbild  für  Goethe'S  Dich- 
tung gewesen  ist. 

Endlich  ist  noch  eine  ausgesprochene  Anspielung  auf 
ein  Gedicht  Hagedorn's  aus  den  »Neuen  Liedernx.  zu  ver- 
zeichnen, und  zwar  in  dem  zwanzigsten  und  letzten  der- 
selben » Zueignung  f.  (»Da  sind  sie  nun,  da  habt  ihr  sie«). 
Goethe  —  damals  krank  —  sagt  darin  seinen  Leipziger 
Freunden  und  Freundinnen  von  sich  selbst: 

Jetzt  drückt  ihm  diätät'sche  Ruh' 

Den  Daumen  auf  die  i\ugen; 
er  ist  jetzt  geneigt,  gute  Lehren  zu  geben;  denn  er 

kennt  des  Glückes  Grenzen 
und  weiß,  daß  die  Freunde  jauchzen 

Dem  Abgrund  in  der  Nähe. 
Er  schließt: 

Ihr  lacht  mich  aus  und  ruft:  Der  Thor! 

Der  Fuchs,  der  seinen  Schwanz  verlor, 

Verschnitt'  jetzt  gern  uns  alle. 

Doch  hier  paßt  nicht  die  Fabel  ganz: 

Das  treue  Füchslein  ohne  Schwanz, 

Das  warnt  auch  für  der  Falle. 
TiECK  vermuthete  bei  Neuherausgabe  der  Leipziger  Lieder, 
daß  in  der  letzten  Zeile  für   »auch«  vielmehr   »Euch«   stehen 
solle  und  F.  ZIMMERMANN  in  seinem  Büchlein  y>  Ernst  Theodor 


138 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


Langer«,  berichtet  (S.  /f.),  daß  diese  Aenderung  in  einem, 
Langerx  vielleicht  von  GoETHE  selbst  übersandten  Exemplar 
der  -»Neiieji  Lieder i-  mit  Goethe's  Handschrift  eingetragen 
sei.  TiECK  würde  nun  unbedingt  im  Unrecht  sich  befinden, 
und  wenn  jene  x'\enderung  wirklich  von  GOETHE  herrühren 
sollte,  so  hätte  er  den  Sinn  seines  eigenen  Verses  geradezu 
verdunkelt.  Die  Schlußstrophe  spielt  nämlich  an  auf  Hage- 
DORN'S  Fabel  -»Der  Fuchs  ohne  Schzvans'f.  (II,  32.)  Darin 
wird  erzählt,  wie  sich  ein  Fuchs  aus  der  Falle,  in  welcher 
er  sich  gefangen  hatte,  nur  durch  Zurücklassung  seines 
Schwanzes  hatte  retten  können  und  nunmehr  die  anderen 
Füchse  bereden  will,  sich  ebenfalls  ihres  Schwanzes  zu  ent- 
ledigen. In  obiger  Strophe  sagt  nun  GOETHE  nach  dem 
gedruckten  Wortlaute:  wenn  Ihr  auf  meine  Mahnungen  nicht 
hört  und  mich  mit  HagEDORN'S  Fuchs  ohne  Schwanz  ver- 
gleicht, so  paßt  das  nicht;  denn  ich,  derselbe  Fuchs,  der 
seinen  Schwanz  verlor,  bin  auch  derjenige,  w^elcher  Euch  vor 
der  Falle,  in  die  er  gerathen  war,  selbst  warnt.  Das  »auch« 
hebt  also  das  Zusammenfallen  des  Geschädigten  mit  dem 
selbstlosen  Warner  ganz  richtig  hervor,  während  »Euch« 
zwar  nicht  gerade  dem  Sinne  zuwider  läuft,  aber  nicht  so 
treffend  ist. 

Ein  Lied  der  Leipziger  Studienzeit,  das  zwar  nicht  unter 
den  »Neuen  Liedern«-,  wohl  aber  in  dem  Liederbuche,  das 
Goethe  für  Friederike  Oeser  zusammengestellt  hatte  Auf- 
nahme gefunden  hat,  heißt  ■>'>An  Venus«.  Es  preist  die 
Wechsellust  von  Liebe  und  Wein.     Wie  GOETHE  singt: 

Keinen  Wein  hab'  ich  getrunken. 

Den  mein  Mädchen  nicht  gereicht, 
Nie  getrunken, 

Daß  ich  nicht  voll  güt'ger  Sorge 

Deine  Rosen  erst  gesäugt. 

Und  dann  goß  ich  auf  dies  Herze, 

Das  schon  längst  dein  Altar  ist. 
Von  dem  Becher 


I.    Hagedorn,  ein  Vorbild  Goethe's.  1^9 

Güld'ne  Flammen,  und  ich  glühte 
Und  mein  Mädchen  ward  geküßt  — 

so  Hagedorn  in  y  Doris  und  der  Wein«  (III,  93  f.),  besonders 

in  der  ersten  und  der  dritten  Strophe: 

1.  O   Anblick,  der  mich   fröhlich  macht: 
Mein  VVeinstock  reift  und  Doris  lacht. 
Und  mir  zur   Anmuth  wachsen  beide. 
Ergötzt  der  Wein  ein  menschlich  Herz, 
So  ist  auch  seltner  Schönen  Scherz 

Der  wahren  Menschlichkeit  ein  Grund  vollkomm'ner 

Freude. 

2.  Der  Wein,  des  Kummers  Gegengift, 
Die  Liebe,  die  ihn  übertrifft, 

Die  werden  zwischen  uns  sich  theilen. 

Wer  mir  der  Weine  Tropfen  zählt. 

Nur  der  berechnet  unverfehlt 

Die  Küsse,  die  gehäuft  zu  Dir,  o  Doris!  eilen. 
Es  muß  zugegeben  werden,  daß  Aehnlichkeiten  wie  diese 
zufällige  sein  können,  aber  die  mehrfache  Wiederkehr  von 
Erinnerungsanklängen  an  HAGEDORN  —  ungerechnet  die  in 
der  Schrift  -»Aus  Goethe's  Frühzeit«  angeführten  häufigen 
gleichen  Wendungen  —  bezeugen  unwidersprechlich  den  Ein- 
fluß, den  vorzugsweise  HAGEDORN  auf  GOETHE's  Jugend- 
dichtung gehabt  hat.  Im  Allgemeinen  ist  übrigens  noch  her- 
vorzuheben, daß  der  junge  GOETHE  von  Hagedorn'S  Dicht- 
weise das  diesem  zusagende  Streifen  ans  Schlüpfrige  sich 
angeeignet  hat,  während  die  anderen  in  jener  Schrift  ge- 
nannten Anakreontiker  mehr  nur  pedantisch  lüstern  sich  ge- 
bahrten. 

Nachhaltig  war  allerdings  der  erkennbare  Einfluß  Hage- 
DORN's  nicht:  seine  Lieder  waren  großentheils  nur  gemacht, 
und  wenn  ihre  Natürlichkeit  und  Ungezwungenheit  den  an- 
gehenden, immer  naturwahren  Dichter  bestach,  so  waren  sie 
doch  eben  nur  eine  Sprosse  der  Leiter,  auf  welcher  GoETHE 
mit  Leichtigkeit  und   ohne  Säumniß  zu  den  höchsten  Höhen 


I40 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


der  Dichtung  emporstieg  —  zu  jenen  Höhen,  wo  dem  Dichter 
die  Gabe  ward,  »herzenein«  zu  singen.  Daß  aber  keine 
Originalitätssucht  GOETHE  solche  Sprossen  verschmähen  ließ, 
keine  Furcht  vor  Reminiscenzenspähern  sie  ihm  verkümmerte, 
dafür  wollen  wir  auch  den  liberalen  Anschauungen  jener  Zeit 
dankbar  sein. 

Mit  diesen,  aus  Gedichten  HageDORN's  gewissermaßen 
hervorgegangenen  Gedichten  Goethe'S  zeigt  sich  des  ersteren 
Einfluß  auf  GOETHE  auch  sonst  noch.  Eine  Stelle,  die  auf 
Hagedorn  zurückzuführen  sein  wird,  ist  in  » Götz  von  Bcrli- 
chingen'i  die  Aeußerung  des  Franz:  »So  fühl'  ich  denn  in 
dem  Augenblick,  was  den  Dichter  macht:  ein  volles,  ganz 
von  einer  Empfindung  volles  Herz!«  Zu  jener  Zeit  durfte 
nur  noch  HAGEDORN  darnach  geartet  gewesen  sein,  so  etwas 
zu  sagen,  und  das  geschieht  auch  in  der  Vorrede  zu  dem 
»Versuch  einiger  Gedichte«  (1729  Seite  XII.)*)  mit  den 
Worten:  »Es  ist  der  Poet  von  einem  einzigen  Gedanken  ganz 
eingenommen  ....  Sein  Herz  gewinnt  eine  eifrige  Liebe  zu 
einer  gewissen  Sache,  und  er  besinnt  sich  kaum,  daß  außer 
dieser  noch  andere  Dinge  vorhanden.«  Professor  Seuffert 
macht  mich  darauf  aufmerksam,  daß  in  derselben  Schrift  die 
ersten  Strophen  der  »Beschreibung  eines  Ballets«  nicht  nur 
das  gleiche  Versmaß,  bis  auf  die  Kürzung  um  drei  Zeilen, 
wie  Goethe's  Ballade  -»Der  Sängern  hat,  sondern  daß  auch 
beide  mit  dem  fragenden  »Was«  beginnen  und  den  gleichen 
Reim  auf  »Ohr«  enthalten,  auch  Hagedorn's  Reimwort 
»Schall«   dem  GOETHE'schen   »schallen«,  sowie  Hagedorn's 

Bald  eilt  er  nach,  bald  flieht  er  ferne, 

Mein  Sinn  erstaunt;  ich  höre  schon  etc. 
Goethe's 

Der  König  sprach,  der  Page  lief, 

Der  Page  kam,  der  König  rief 
entspricht. 


*)  B.  Seuffert's  Neudruck   10.     Seite  7. 


I.    Hagedorn,  ein  Vorbild  Goethe's.  I^I 

Zweifellos  ist  GoETHE  auch  zur  Bearbeitung  von 
BOCACCIO'S  9.  Novelle  am  3.  Tage  des  Decamerone  als 
Schauspiel  -»Der  Falken  durch  HAGEDORN  angeregt  worden, 
denn  dieser  hat  die  Novelle  am  Schlüsse  des  3.  Theils  der 
■»Poetischen  Werke  1.  in  Verse  gebracht  und  ihr  dabei  zuerst 
wohl  den  Namen   -»Der  Falken   beigelegt. 

Als  Goethe  1798  die  Ausfälle  gegen  die  i>Xcnien'i  in 
einem  dem,  jetzt  ■»Deutscher  Parnafsi  überschriebenen  Gedicht 
beantwortete,  erinnerte  er  sich  der  Schilderung,  die  HAGEDORN 
in  dem  vierunddreißigstrophigen  Gedicht  y^Der  Wein«  von 
ȧachus-  ttnd  BacJiantenaufzugei.  entwirft,  da  mit  ihr  GoETHE's 
Cantate  unverkennbare  Anklänge  bietet  von  der  Stelle  an: 
Doch  was  hör'  ich?  Welch  ein  Schall 
Ueberbraust  den  Wasserfall? 

Die  weitere  Verfolgung  dieser  Berührungspunkte  über- 
lasse ich  jedoch  denen,  die  den  y> Deutschen  Parnafsi-  schon 
so  erfolgreich  bearbeitet  haben. 


GOETHE'S  PRODUCTIVE  KrITIK. 

ichter  zu  verstehen,  setzt  bekanntlich  mehr  voraus, 
als  \>rstehen  der  Sprache;  auch  ist  dies  nicht  so 
sehr  allgemeine  Eigenschaft  derer,  welche  Dichter 
lesen,  ja  auch  lieben,  wie  Manche  denken  mögen. 
Liebe  findet  sich  oft  trotz  mangelhaften  \^erstehens  des  ge- 
liebten Gegenstandes!  Man  braucht  nun  nicht  eben  Dichter 
zu  sein,  um  sich  das  Yerständnil5  einer  echten  Dichtung  zu 
erschließen,  aber  in  die  Werkstätte  des  Dichters  muß  man 
doch  ein  wenig  hineingucken.  Sowie  indessen  ein  Gymnasiast 
keinen  Geschmack  an  den  alten  griechischen  und  römischen 
Dichtern  gewinnen  kann,  wenn  ihm  der  Schulmeister  nur 
die  in  den  Dichtungen  Vorkommenden  Redetheile,  Wort- 
beugungen und  Satzbildungen  abfragt,  so  wenig  kann  es  in 
den  Genuß  eines  Gedichtes  einführen,  wenn  nur  —  wie  es 
ja  vorkommt  —  das,  was  der  Dichter  in  geweihter  Sprache 
sagt,  in  der  Sprache  eines  trockenen  Pedanten  wiederholt 
wird;  denn  wenn  auch  nicht  die  Kraft,  als  Dichter  zu  schaffen, 
so  ist  doch  dichterisches  Fühlen  und  die  Fähigkeit,  die 
Schönheiten  der  Dichtung  in's  Licht  zu  setzen,  für  den  Er- 
läuterer dichterischer  Werke  allerdings  unerläßlich.  Wie  ein 
solcher  es  aber  anzufangen  hat,  seine  Aufgabe  zu  erfüllen, 
soll  hier  nicht  etwa  untersucht  und  nur  auf  einen  Weg:  hin- 


2.  Goethe's  productive  Kritik.  145 

gewiesen  werden,  der  zum  X'^erständniß  von  Dichtungen  als 
solcher  im  Ganzen,  wie  ihrer  Schönheiten  im  Einzelnen  ein- 
geschlagen werden  kann. 

Wir  treffen  auf  wahre  —  nicht  nur  sogenannte  —  Ge- 
dichte, welche  von  einem,  höheren  Anforderungen  nicht  Ge- 
nüge leistenden  Erzeugniß  ausgegangen  sind  und  dessen 
Gehalt  z\^^ar  auf  gleicher  Grundlage,  aber  auf  höherer  Stufe 
dichterischen  Schaffens  wiedergeben.  Vergleicht  man  nun 
solche  Gedichte  mit  ihren  schw^ächeren  Vorgängern,  und 
stellt  und  beantwortet  man  sich  die  Frage,  warum  der  Nach- 
dichter dies  und  jenes  geändert  hat,  so  gewinnt  man  einen 
tieferen  Einblick  in  das  Wesen  der  dichterischen  Thätigkeit, 
als  wenn  man  etwa  sich  willkürlich  die  Möglichkeiten  aus- 
denkt, wie  der  Dichter  sich  anders,  aber  schlechter  hätte 
ausdrücken  können. 

Aber  abgesehen  von  dem  allgemeinen  lehrhaften  Gewinn 
aus  Vergleichung  von  Umdichtungen  mit  den  dazu  Anlaß 
gebenden  Erzeugnissen,  ist  es  von  größerer  Wichtigkeit, 
daraus  das  Schaffen  eines  bestimmten  bedeutenden  Nach- 
dichters zu  erforschen. 

Wiederholt  ist  schon  von  mir  darauf  aufmerksam  ge- 
macht worden,  daß  namentlich  Goethe  sich  zu  Dichtungen 
häufig  dadurch  bestimmen  ließ,  daß,  wenn  er  eine  fremde 
Dichtung  bei  mehreren  Vorzügen  dennoch  von  Mängeln  be- 
haftet fand,  er  sich  vei sucht  fühlte,  sie  vollkommen  neu  zu 
gestalten.  Durch  Hinweis  auf  diese  Thatsache  ist  nicht  gesagt, 
daß  es  immer  lediglich  die  angedeutete  Absicht  gewesen 
sei,  welche  ihn  zu  einer  an  eine  fremde  Dichtung  anknüpfen- 
den eigenen  Dichtung  bewog;  es  ist  damit  vielmehr  nicht 
ausgeschlossen,  daß  GoETHE  diese  kritischen  Dichtungen  zu- 
gleich benutzte,  darin  anderem  eigenem,  zur  Darstellung 
drängendem  Gehalt  Ausdruck  zu  geben,  ja  daß  der  Drang, 
ein  Stück  seines  inneren  Lebens  in  eine  Dichtung  nieder- 
zulegen, hinzutreten  mußte,  um  seiner  Kritik  den  Weg  zu 
zeigen,    auf  w^elchem   sie   sich  productiv  offenbaren  konnte. 


144 


V.    Verschiedenes  zur  Goetheforschung. 


Von  keiner  berufenen  Seite  ist  mir  ein  Widerspruch  gegen 
diesen  Hinweis  auf  eine  Thatsache  zu  Gehör  oder  zu  Gesicht 
gekommen,  so  daß  ich  hoffen  kann,  dieselbe  werde  von 
allen  anerkannt,  die  einen  überschauenden  Blick  über  GOETHE's 
Wesen  und  Werke  sich  angeeignet  haben.  Da  aber  wer 
nur  erst  anfängt,  in  der  GoETHE-Kunde  thätig  zu  sein,  be- 
lehrt werden,  oder  demjenigen,  der  nur  genießend  zu  Goethe's 
Dichtungen  sich  verhält,  die  Kunde  über  die  Vorgänge,  die 
jene  veranlaßten,  erwünscht  sein  muß,  so  mögen  hier  bisher 
zerstreute  Bemerkungen  über  Goethe's  productive  Kritik 
zusammengestellt  werden. 

Unter  den  aus  productiver  Kritik  hervorgegangenen 
Dichtungen  Goethe's  im  Sinne  gegenwärtiger  Auseinander- 
setzung sind  diejenigen  Dichtungen  nicht  zu  verstehen,  welche 
fremde  Dichtungen  satirisch  angreifen,  wie  die  gegen  WlE- 
LAND's  »Alcesten  gerichtete  Posse  -»Götter,  Helden  und 
Wieland 'i,  oder  die  -»Musen  und  Grazien  in  der  Mark«, 
welche  Schmidt's  zu  Werneuchen  Xatürlichkeitspoesie  ver- 
spotten. Es  sind  ferner  hierunter  nicht  zu  verstehen  die- 
jenigen Dichtungen  Goethe's,  welche  durch  den  über- 
wältigenden Eindruck  Anderer  hervorgerufen  worden  sind, 
ohne  daß  dabei  die  Absicht  einer  Kritik  vorwaltete,  wie 
etwa  » Götz  von  Berlichingen-»  durch  SHAKESPEARE  beein- 
flußt war,  ^Die  Leiden  des  jungen  Werther 'i  ROUSSEAU'S 
>->La  nouvelle  Heloise«  angeregt  hatte,  »Scherz,  List  und 
Rache«  italienischen  Mustern  nachgebildet  war,  die  -» Achilleis i. 
an  Homer  anknüpfte,  der  »  Westöstliche  Divan«  an  persische 
Dichtungen  anklang.  Endlich  sind  unter  den  hier  in  Frage 
kommenden  Dichtungen  auch  diejenigen  nicht  zu  verstehen, 
welche  Goethe  in  Gemeinschaft  mit  anderen  Personen  unter- 
nahm, wobei  er  die  Stücke  des  Mitarbeiters  zu  verbessern 
bemüht  war;  so  bei  dem  Vorspiel  Von  1814:  »Was  wir 
bri)igcn<.<  und  dem  Nachspiel  zu  Iffland's  »Hagestolzen^. 
Indem  wir  nun  die  Dichtungen,  die  der  Mehrzahl  nach  mit 
völliger  Gewißheit  von  einer  Seite  her,  z.  Th.  auch  durchaus 


2.  Goethe's  productive  Kritik. 


145 


ihre  Entstehung  der  kritischen  Entgegenstellung  gegen  das 
Werk  eines  anderen  Dichters  verdanken,  annähernd  der  Zeit- 
folge nach  vorüberführen,  sei  vorausbemerkt,  daß  dabei  — 
soweit  eingehende  Nachweise  erforderlich  sind  —  auf  bereits 
gegebene  Darlegungen  verwiesen  werden  soll. 

Schon  als  Leipziger  Student  äußerte  GOETHE  im  Brief 
an  BehrisCH  vom  17.  October  1767:  »Ich  habe  einen  Plan 
zu  einem  neuen  »Roineo'.^  gemacht,  weil  mir  WEISSENS  seiner 
beim  Durchlesen  gar  nicht  gefallen  hat«;  jedoch  fügte  er 
hinzu,  er  unterlasse  die  Ausführung,  weil  er  noch  zu  sehr 
Schüler  sei.  Nur  scheinbar  steht  mit  dieser  Absicht  kritischer 
Nachdichtung  in  Widerspruch,  wenn  GOETHE  an  Behrisch, 
der  den  ihm  mitgetheilten  Anfang  eines  neu  entworfenen 
Schauspiels  dem  ^^Medonv.  von  Clodius  ähnlich  gefunden 
hatte,  am  4.  December  1767  schrieb:  »Hätte  ich  Kinder, 
und  einer  sagte  mir,  sie  sehen  diesem  oder  jenem  ähnlich, 
ich  setzte  sie  aus,  wenn's  wahr  wäre,  und  war'  es  nicht 
wahr,  so  sperrte  ich  sie  ein:  alle  meine  Scenen  wollte  ich 
verbrennen,  wenn  sie  dem  >'>Medoni<.  ähnlich  sehen."  Aus 
dieser  Verwahrung  geht  nur  hervor,  daß  GOETHE,  wenn  er 
an  Stelle  eines  mangelhaften  Werkes  etwas  Besseres  zu 
schaffen  unternahm,  dennoch  nicht  wollte,  daß  es  dem  Urbilde 
ähnlich  sehe,  es  sollte  eben  nicht  an  jenes  schwache  Er- 
zeugniß  erinnern.  —  Behrisch  hatte  übrigens  auch  wohl 
nur  sagen  wollen,  daß  Goethe'S  neues  Stück  durch  seinen 
Titel:  iDei'  Ttigendspiegeli.  dem  -»Medoni.  verwandt  zu  sein 
scheine,  eine  Voraussetzung,  die  allerdings  sich  aufdrängen 
musste. 

Zu  fast  gleicher  Zeit  war  es  ein  damals  hochgeschätzter 
Dichter,  der  GOETHE  verleitete,  in  dessen  Weise  zu  dichten: 
Hagedorn.  Zu  seinen  Liedern  »/??>  Verliebtem  und  »Z>z> 
Nachts  dichtete  GOETHE,  den  Gehalt  derselben  steigernd, 
die    Gegenstücke    yNeujahrslied^    und   »Z?2>   schöne  Nacht 'i-. 

In  Straßburg  war  es  der  sonst  von  GOETHE  auf's 
Höchste  bewunderte  SHAKESPEARE,  dem  er  sich  gegenüber 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  lO 


lAß  V.  Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


zu  stellen  gedachte:  im  »Cäsar«.  Die  Person  dieses  römischen 
Herrschers  war  es,  die  GOETHE  mächtig  zur  Darstellung 
lockte,  und  gerade  sie  war  es,  die  in  des  Briten  Trauerspiel 
» Cäsar«  schlecht  weggekommen  war.  GOETHE  trug  nach 
seiner  anerkannten  Gewohnheit  den  Stoff  jahrelang  unter 
wiederholter  Umgestaltung  des  Plans  mit  sich  herum,  gab 
ihn  aber  endlich  auf  —  aus  Gründen,  die  nicht  hierher  ge- 
hören. Wenn  aus  Aeußerungen  GOETHE'S  in  der  Rede  zum 
SHAKESPEARE-Tag  geschlossen  worden  ist,  daß  er  überhaupt 
den  Plan,  einen  »Cäsar«  zu  schreiben,  einmal  förmlich  auf- 
gegeben, und  nur  später  den  Gegenstand  als  etwas  Neues 
wiederaufgenommen  habe,  so  beruht  dies  einerseits  auf  willkür- 
licher Deutung  jener  Aeußerungen,  andererseits  auf  Unkennt- 
niß  von  Goethe'S  Dichtereigenheiten,  wovon  weiterhin  die 
Rede   sein   wird.      {^Goethe  -  Forschungen ,    Neue  Folge   ijof.) 

Aber  auch  das  große  Werk  seines  Lebens:  »Faust« 
verdankt  seinen  Ursprung  GoETHE's  Neigung  zu  productiver 
Kritik.  »Die  bedeutende  Puppenspielfabel  klang  und  summte 
gar  vieltönig  in  mir  wieder«  —  sagt  er  selbst  im  zehnten 
Buch  von  »Dichtung  und  Wahrheit«,  und  wenn  er  erkannte, 
daß  die  alberne  Puppenkomödie,  symbolisch  betrachtet,  An- 
sätze großartiger  Anschauungen  enthielt  und  er  diese  heraus- 
zuarbeiten unternahm,  so  war  dies  schlankweg  productive 
Kritik.  Die  Anlehnung  an  die  Vorlage  verfolgte  GOETHE 
auch  in  Einzelheiten,  und  zwar  noch  bis  zur  x\usführung 
des  Zweiten  Theils  des  »Faust«,  was  jedoch  bereits  bekannt 
und  daher  hier  nochmals  darzulegen  nicht  nöthig  ist.  (X^ergl. 
auch:    Goethe- Forschungen,  Neue  Folge  loif) 

War  Goethe  bei  Ausbildung  der  Faustidee  einer  i\n- 
regung  Lessing's  gefolgt,  so  trat  er  dagegen  mit  einem 
anderen  Schauspiel:  »Stella«  mit  Lessing  in  Widerspruch. 
Die  wilde  Unnatur  der  Miß  Sara  Sampson  erhielt  in  Stella's 
natürlichen  Gefühlen  nur  zu  sehr  nachgebender  Innigkeit  ihre 
Berichtigung.     {Goethe- Forschungen  2 2 f.) 

Wiederholt    haben   Volkslieder    Goethe'S    dichterische 


2.    GoETHE's    PRODUCTIVE   KrITIK. 


147 


Thätigkeit  wachgerufen.  Volksliedern  ist  es  eigen,  daß  sie 
in  ihnen  liegende  naturwahre,  oft  kostbare  Motive  nicht  zur 
Entwickelung  bringen.  Das  dichtende  Volk  fühlt  wohl  den 
Gehalt,  vermag  aber  nicht,  ihn  auszusprechen,  also  auch 
nicht,  ihn  festzuhalten.  Hier  hat  GoETHE  mit  Vorliebe  ein- 
gegriffen. In  der  Straßburger  und  der  nächstfolgenden  Zeit 
ist  y> Haidenr'öslein<i-  so  entstanden,  vielleicht  auch  Lieder  in 
■»Götz  von  Be7'lichinge7i«,  sowie  das  Gedicht  »  Vor  Gericht«.. 
[Goethe- Forschungen,  A^eue  Folge  J2Q ff.)  Auch  •>•> Der  untreue 
Knaben  klingt  an  Volksgesang  an,  in  der  Hauptsache  ist  er 
jedoch  Kritik  von  BüRGER's  »Lenore<.<,  deren  furchtbares 
Ende  nicht  genügend  durch  Verschuldung  gerechtfertigt  ist. 
[Goethe- Forschungen,  Neue  Folge  J22ff.) 

Abermals  war  es  eine  Bühnendichtung,  welche  in  der 
ersten  Weimarer  Zeit  GOETIIE  veranlaßte,  früheren  Dichtungen 
die  seinige  entgegenzusetzen,  nämlich  in  »Iphigeiiie«.  Die 
unsittlichen  oder  wunderthätigen  oder  gewaltsamen  Mittel, 
welche  griechische  und  römische  Tragiker  anwandten,  um 
Diana's  Bild  nebst  ihrer  Priesterin  aus  Taurien  zu  ent- 
führen, widerstanden  Goethe'N,  der  aber  den  Stoff  so  an- 
ziehend fand,  daß  er  ihn  nach  Forderungen  höherer  Ge- 
sittung umschuf.  Er  verfuhr  in  dieser  Hinsicht  so,  wie  schon 
die  Tragiker  der  alten  classischen  Zeit,  ja  auch  die  der 
Gegenwart,  die  einen  für  die  Bühne  geeigneten  Stoff  immer 
wieder  bearbeiten,  so  lange  keine  Musterdichtung  das  Ueber- 
bieten  verleidet.     [Goethe -Forschungen  ^6.) 

Wie  Goethe  durch  «Iphigenie^  gegen  griechische 
Hinterlist  und  römische  Gewaltthätigkeit  sich  auflehnte,  so 
galt  es  ihm  bald  darnach,  chinesische  Seltsamkeiten  ab- 
zustreifen, um  den  Kern  eines  dankbar  erscheinenden  dra- 
matischen Stoffes  herauszuschälen,  und  zwar  in  y>Elpenor<.<, 
welches  Schauspiel  leider  unvollendet  geblieben  ist,  vielleicht 
weil  Goethe  der  Schale  noch  nicht  Herr  zu  werden  ver- 
mochte. [Goethe- Forschungen  120 ff.  —  Goethe- Forschungen, 
Neue  Folge  Tj2ff.) 


148 


V.   Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


Später  bewog  GOETHE  das,  dem  angestrebten  ernsten 
Gehalte  nicht  entfernt  gerecht  werdende  ungeschickte  Bucli 
zu  Mozart's  y>  Zauberßöte «. ,  eine  sogenannte  Fortsetzung, 
die  aber  eigentlich  eine  Erneuerung  nach  höheren  Ansprüchen 
war,  in  Angriff  zu  nehmen,  und  ungefähr  um  dieselbe  Zeit 
waren  es  die  beiden  epischen  Gedichte  ^>Reineke  Fuchs a  und 
i,He7'mann  und  Doj'othea  < ,  welche  zu  Erzeugnissen  pro- 
ductiver  Kritik  zu  rechnen  sind.  \x\\  letzten  Jahrzehend  des 
vorigen  Jahrhunderts,  welches  diese  beiden  Epen  entstehen 
sah,  wurde  über  den  Bau  der  antiken  Versmaaße  bei  ihrer 
Nachbildung  im  Deutschen  lebhaft  gestritten,  und  GOETHE, 
zweifelhaft,  auf  welcher  Seite  das  Rechte  zu  suchen  sei, 
konnte  seine  eigene  Ansicht  nicht  verständlicher  begründen, 
als  daß  er  selbst  Proben  nach  antikem  Muster  gebauter 
Verse  gab.  Hauptsächlich  zwei  Aeui3erungen  sind  es,  die 
das  Wesen  productiver  Kritik  im  Verhalten  Goethe's  gegen- 
über dieser  Sachlage  aussprechen.  Gegen  Ende  der  »Cam- 
pagne  in  Frankreich  1792«  sagt  er  mit  Bezug  auf  ^>Reineke 
Fuchs«-:  »Da  mir  recht  gut  bewußt  war,  daß  alle  meine 
Bildung  nur  praktisch  sein  könne,  so  ergriff  ich  die  Gelegen- 
heit, ein  paar  Tausend  Hexameter  hinzuschreiben.«  Ueber- 
einstimmend  schrieb  er  am  5.  December  1796  an  H.  Meyer 
in  Hinblick  auf  »Ho'inann  und  Dorothea::  »In  Absicht  auf 
die  poetische  sowohl  als  prosodische  Organisation  des  Ganzen 
habe  ich  beständig  vor  Augen  gehabt,  was  in  dieser  letzten 
Zeit  bei  Gelegenheit  der  Voss'schen  Arbeiten  mehrmals  zur 
Sprache  gekommen  ist,  und  habe  verschiedene  streitige 
Punkte  zu  entscheiden  gesucht,  wenigstens  kann  ich  meine 
Ueberzeugung  nicht  besser  ausdrücken,  als  auf  diese  Weise.« 

Aber  es  wirkte  hierbei,  namentlich  bei  ^>Hen]iann  und 
Doi'othea  auch  hinsichtlich  des  Inhalts  productive  Kritik 
mit.  Durfte  dies  schon  aus  dem  Umstände  gefolgert  werden, 
daß  dieses  Epos  mit  der  von  GOETHE  sehr  geschätzten  und 
geliebten  'Luise",  von  V^OSS,  dieser  damals  in  ihrer  Art 
einzig   dastehenden  Dichtung,    augenfällige  äußere  Aehnlich- 


2.   Goethe's  productive  Kritik. 


149 


keit  hatte,  so  spricht  auch  GOETHE  wiederhoh  aus,  im 
Aufsatz  » Individualpoesie 'f~ ,  ingleichen  in  den  Briefen  an 
J.  H.  Voss  vom  6.  December  1796,  an  F.  A.  WoLF  vom 
26.  desselben  Monats  und  an  SCHILLER  vom  28.  Februar 
1798  —  daß  "Hei'jnann  und  Dorothea  1  durch  Voss'ENS 
» Luise <i  hervorgerufen  sei;  daß  aber  diese  Productivität  eine 
kritische  war,  lehrt  eine  Vergleichung  heider  Dichtungen  — 
was  zu  entwickeln  hier  zu  weit  führen  würde,  worüber  in- 
dessen z.  B.  die  kurze,  aber  die  Hauptpunkte  berührende 
Gegenüberstellung  von  A.  W.  V.  SCHLEGEL  in  seiner  An- 
zeis'e  von  -»Hermann  und  Dorothea <  nachg-elesen  werden 
kann.     {Säimntl.    Werke  X,  20j.) 

Fin  bekanntes  Lied  von  FRIEDERIKE  Brux  — 

Ich  denke  Dein,  wenn  sich  im  Blüthenregen 
Der  Frühling  malt  — 

gewann  großen  Reiz  für  GOETHE  durch  Zelter's  Composition, 
welcher  ihm  das  Gedicht  nicht  ebenbürtig  erschien,  weßhalb 
er  die  »Nähe  des  Geliebten <.<  unterlegte,  in  welchem  Liede 
anstatt  der  verstreuten  Erinnerungen  an  den  geliebten  Gegen- 
stand bei  der  Brun  der  Eine  durchgehende  Gedanke  der 
durch  die  verschiedensten  Erscheinungen  hervorgerufenen 
Hoffnung  auf  das  Nahen  des  Geliebten  getreten  ist. 

Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  dichtete  GOETHE  den 
» Nachtgesang  1-  in  fast  Uebersetzung  zu  nennendem  Anschluß 
an  ein  italienisches  Lied,  das  deutsch  lautet: 

Du  bist  die  süße  Flamme, 

Ja,  meine  Seele  bist  Du, 

Zu  allem  was  ich  ersehne  — 

Schlafe!  was  willst  Du  dazu? 

Zu  allem  was  ich  ersehne, 
Verwahrst  die  Schlüssel  Du, 
Von  diesem  meinen  Herzen  — 
Schlafe!  was  willst  Du  dazu? 


I  CO  V.  Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

Von  diesem  meinen  Herzen 
Hast  jedes  Theilchen  Du, 
Und  sollst  mich  sterben  sehen  — 
Schlafe!  was  willst  Du  dazu? 

Und  sollst  mich  sterben  sehen, 
Sobald  es  forderst  Du  — 
Schlafe,  mein  holder  Abgott, 
Schlafe!  was  willst  Du  dazu? 

hl  diesem  Liede  ist  der  Kehrreim  ganz  unvermittelt: 
der  Sänger  unterbricht  einfach  den  Fluß  seiner  Gedanken, 
um  die  Geliebte  unerwartet  zum  Schlafen  aufzufordern. 
Goethe  dagegen  —  abgesehen  von  der  weit  vollendeteren 
sprachlichen  Form  seines  Gesanges  —  verflicht  in  der  ersten 
Strophe  die  gleiche  Aufforderung  mit  dem  Inhalte  der  vor- 
hergehenden Worte.  Konnte  nunmehr  in  den  folgenden  der 
Kehrreim  lediglich  als  solcher,  ohne  Einfügung  in  den  Satz, 
wiederholt  werden,  so  bietet  doch  noch  immer  im  -»Nacht- 
gesang<i.  der  Inhalt  jeder  Strophe  eine  Verbindung  mit  dem 
Kehrreim  durch  Gegenüberstellung  des  in  Folge  seiner  Liebe 
wach  gehaltenen  und  in  nächtlicher  Kälte  weilenden  Sängers 
gegen  den  Schlummer  der  Geliebten. 

Auch  wo  es  in  Gedichten  noch  ausdrücklicher  auf  Ueber- 
setzung  abgesehen  war,  wie  in  ^y  Offene  Tafeln  (1813),  oder 
■»Gutmann  und  Gutiveib«.  (1828)  unterließ  Goethe  nicht,  in 
Einzelheiten,  besonders  am  Schlüsse  von  feiner  Kritik  ge- 
botene Aenderungen  seiner  Vorlagen  anzubringen.  ( Goethe' s 
Lyrische  Gedichte ,  erläutert  von  H.  Diintzer,  2.  Aufl.  IL, 
210,  403/) 

Wieder  aus  dem  ersten  Jahrzehend  ist  es  das  Trauer- 
spiel in  der  Christenheit,  welches  in  den  Formen  der  spanischen 
Komödien  des  classischen  Zeitalters  ein  christliches  Trauer- 
spiel ohne  Calderon's  beschränkten  Fanatism  zur  Dar- 
stellung bringen  sollte.     [Goethe- Forschungen  i^^ff.) 

Ebenfalls,  wenigstens  meistentheils,  während  des  ersten 


2.  Goethe's  productive  Kritik.  151 

Jahrzehends  entstanden  abermals  eine  Reihe  Umbildungen 
von  Volksliedern  in  gleicher  Weise,  wie  oben  bei  den  drei 
Jahrzehende  früher  umgestalteten  Volksliedern  angedeutet  ist, 
und  zwar  ist  dies  der  Fall  bei:  y> Schäfers  Klagelied" ,  »  Trost 
in  TJiränen « ,  » Liebhaber  in  allen  Gestalten « ,  » Freibeuter « , 
»Schweizej'lied« ,  ^^Gegenseitig«  und  y>März«.  [Goethe- 
ForscJmngen,  Neue  Folge,  j^off.) 

Das  früher  beliebte  Lied  von  Ueltzen  »Namen  nennen 
Dich  nicht«,  erregte  GOETHE's  Mißfallen  durch  seine  Ver- 
neinungen und  Verheimlichungen,  die  er  unlyrisch  fand, 
während  ihn  die  Weise  des  Liedes  ansprach,  weßhalb  er 
dazu  » Gegenwart«  dichtete.  Alles  giebt  sich  hier  als  An- 
schauung und  im  Gegensatz  zu  Ueltzen,  der  zuletzt  seine 
Lieder  der  Liebe  der  Ewigkeit  aufspart,  während  GOETHE 
zum  Schluß  darin,  daß  ihm  die  GeUebte  Schöpferin  herrlicher 
Tage  wird,  schon  jetzt  die  Ewigkeit  erblickt.  {Goethe's  Ge- 
spräche in,  4gf.) 

»Ergo  bibanius«  schrieb  GOETHE  nieder,  nachdem  auf 
seine  Veranlassung  RlEiMER  ein  Lied  mit  den  Titelworten 
im  Kehrreim  geliefert  hatte,  dem  er,  da  man  ihm  die  Mache 
zu  deutlich  anmerkte,  seinen  vollen  Beifall  nicht  schenken 
konnte.  {Briefe  von  und  an  Goethe  etc.  Herausgegeben 
von  F.    IV.  Riemer,  3  76 f.) 

In  geraden  Widerspruch  setzte  sich  GOETHE  aber  zu 
dem  »elendesten  aller  deutscher  Lieder«  —  wie  er  es  im 
Brief  an  ZELTER  vom  3.  Mai  1813  nennt  —  welches  be- 
ginnt »Ich  habe  geliebt,  Jiim  lieF  ich  nicJit  mehr«.  Er  hatte 
es  von  SOLBRIG  in  Leipzig  vortragen  gehört  und  dichtete 
dagegen  am  19.  April  1813  im  »Goldnen  Löwen«  zu  Oschatz 
»  Gewohnt,  getJian « .     ( Goethe  und  Leipzig,  II,  8jff.) 

Da  ich  nicht  darauf  ausgehe,  sämmtliche  Dichtungen 
Goethe's,  die  als  productive  Kritik  entstanden  sind,  auf- 
zuführen, es  mir  vielmehr  nur  darauf  ankommt,  durch  eine 
größere  Anzahl  derselben  das  häufige  Vorhandensein  pro- 
ductiver  Kritik   bei  GoETHE's  Dichten   festzustellen,    andern 


152 


V.   Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


eine  erschöpfende  Bearbeitung  dieses  Vorwurfs  überlassend, 
so  kann  ich  hier  abbrechen. 

Daß  aber  die  mehrfache  Ausübung  productiver  Kritik 
nicht  nur  Zufälhgkeit,  sondern  bewußtes  Vorgehen  war,  geht 
aus  manchen  Erklärungen  Goethe'S  über  den  Gegenstand 
hervor. 

Schon  aus  einer  Reihe  von  Epigrammen,  welche  GOETHE 
gegen  Originalitätssucht  richtete,  leuchtet  seine  wohlbegründete 
Ansicht  hervor,    daß   durch   »Originale«   der  Fortschritt  des 
Menschentums  überhaupt  nicht  gefördert  wird,  daß  vielmehr 
derselbe    bedingt    ist    durch    Ausbildung    des   Entstandenen. 
Solche    Epigramme    anzuführen,     ist    man    überhoben,     da 
Goethe  mit  Bezug  auf  sich  selbst  ganz  bestimmt  ausspricht: 
Seh  ich  an  andern  große  Eigenschaften, 
Und  wollen  die  an  mir  nicht  haften. 
So  werd  ich  sie  in  Liebe  pflegen; 
Geht's  nicht,  so  thu'  ich  was  dagegen. 
Damit   schreibt  er  sich  unwiderleglich    productive  Kritik  zu! 

In  ungebundener  Rede  erklärt  sich  GOETHE  indessen 
hierüber  noch  deutlicher  außer  in  den  oben  bei  ^Reineke 
Fuchs«  angeführten  Stellen  in  der  »Confession  des  Ver- 
fassers« gegen  Ende  der  » Geschichte  der  Farbenlehre i. 
folgendermaßen:  »So  hatte  ich  selbst  gegen  die  Dichtkunst 
ein  eignes  wundersames  Verhältniß,  das  blos  praktisch  war, 
indem  ich  einen  Gegenstand,  der  mich  ergriff,  ein  Muster, 
das  mich  aufregte,  einen  Vorgänger,  der  mich  an- 
zog, so  lange  in  meinem  inneren  Sinn  trug  und  hegte,  bis 
daraus  etwas  entstanden  war,  das  als  mein  angesehen  werden 
mochte,  und  das  ich,  nachdem  ich  es  Jahre  lang  im 
Stillen  ausgebildet,  endlich  auf  einmal  aus  dem  Stegreife 
und  gewissermaßen  instinctartig  auf  das  Papier  fixirte.« 

Als  eine  Aeußerung  im  Gespräch  führe  ich  noch  die 
vom  28.  März  1827  gegen  Eckermann  gethane  an:  »Der 
Widerspruch  ist  es,  der  uns  productiv  macht.«  [Goethe' s 
Gespräche    VI,  öy.) 


2.  Goethe's  productive  Kritik. 


153 


Solchen  aus  Kritik  hervorgehenden  Gedichten  war  aber 
Goethe  noch  in  anderer  Beziehung  geneigt  und  zwar  als 
Gelegenheitsgedichten.  Dies  waren  sie  zwar  nicht  in  vollem 
Sinne  derjenigen,  die  GOETHE  im  Eingange  des  zehnten 
Buchs  von  Dichtung  und  Wahrheit <■  »die  erste  und 
echteste  aller  Dichtarten«  nennt,  aber  doch  in  dem  Sinne, 
daß  sie  nicht  auf  willkürlich  herbeigezogener  Veranlassung, 
sondern  bei  Gelegenheit  des  Antrefifens  der  zur  Umgestaltung 
reizenden  Gedichte  entstanden.  Wie  eben  GOETHE  durch 
ihm  bei  Gelegenheit  zukommende  Erfahrungen  gern  zur 
Dichtung  sich  anregen  liel3,  so  auch  durch  Antreffen  eines, 
Kritik  herausfordernden  unvoUkonnnenen  dichterischen  Er- 
zeugnisses; es  ist  daher  nicht  ohne  Bedeutung,  daß  er  in 
den  beiden  oben  angeführten  Aeußerungen  über  den  Versbau 
von  iRevieke  Fuchs«,  sowie  von  «Hermann  und  Dorothea 's. 
die  Gelegenheit«  bei  der  Veranlassung  zu  diesen  Epen 
betont. 

Nach  all  diesen  Darlegen  ist  das  Bestehen  von  GoETHE'S 
productiver  Kritik  außer  Zweifel. 


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3.    Zu    DEN    ReCENSIONEN    DER    FRANK- 
FURTER Gelehrten  Anzeigen. 

iese  Recensionen  hat  WlTKOWSKl  1893  im  26.  Theil 
von  KüRSCHNER's  Deutscher  National- Literatur 
besprochen.  Neue  Quellen,  die  Auskunft  über 
Goethe's  Verfasserschaft  dabei  geben,  haben  sich 
bisher  nicht  gefunden.  WlTKOWSKl  theilt  die  von  mir  für 
Goethe  in  Anspruch  genommene  Recension  von  Sevbold's 
f^  Schreiben  über  Homer«.  Herdern  zu,  womit  er  Recht  haben 
kann.  GOETHE  und  HERDER  gefallen  sich  beide  in  Aus- 
rufungen; wenn  HERDER  über  die  »entsetzlich  scharrenden 
Hahnenfüße«  in  GoETHE's  Recensionen  spottet,  so  konnte 
ich  das  sehr  wohl  auf  die  häufig  vorkommenden  Ausrufungs- 
und Fragezeichen  beziehen  und  meinte  damit  selbstverständ- 
lich nicht  bloß  das  Aeußerliche  dieser  Zeichen,  sondern  zu- 
gleich den  entsprechenden  Inhalt.  Dies  bemerke  ich  zu 
Widerlegung  mißverständlicher  Auffassung. 

Zu  der  Erläuterung  der  GOETHE'schen  Recensionen  ist 
Folgendes  nachzutragen. 

y^Die  schö7ien  Künste  .  .  .  von  J.  G.  SULZER«.  Poco- 
curante  ist  VoLTAIRE's  Candide  entnommen  und  ist  der 
Name  eines  venetianischen  Nobile.  —  y>  Empfindsajne  Reisen 
durch  Deutschland. 1  Peter  Pennyless  ist  ein  wohl  noch 
unenthüllter  Anonymus,   der   1770   Sentimental  Lucubrations 


3.    Zu  DEN  Recensionen  der  Frankf.  Gelehrten  Anzeigen,  j  c  c 

schrieb.  Ueber  die  tironischen  Noten  hat  WILHELM 
SCH]\IITZ  in  y>  Studien  zur  lateinischen  Tachygraphie "  im  Pro- 
gramm des  Kaiser- Wilhelm-Gymnasiums  zu  Köln  1881  Auf- 
klärung gegeben.  —  Die  Jägerin. <i.  Die  Vignette  des 
Gedichts  zeigt  ein  verendendes  Reh.  —  » Geschichte  des 
Fräulei7is  von  Stcj'uJiciin.«  Ueber  die  ungebetenen  Beurtheiler 
des  Romans  ist  zu  vergleichen:  LUDMILLA  ASSING,  »Sophie 
von  La  Roche«  Seite  147  und  HORN  »  Wielands  Briefe  an 
Sophie  von  La  Roche <(■  Seite  158.  —  ^'>Die  erleuchteten  Zeiten.i< 
Verfasser  ist  vermuthlich  der  Gymnasialdirector  GoTTHiLF 
Samuel  Steinbart;  indessen  findet  sich  diese  Schrift  nicht 
verzeichnet  in  Meusel's  y^ Lexikon  der  vom  Jahre  1750  bis 
zum  Jahr   1800  verstorbenen  deutschen  Schriftsteller«. 


4-  Gedächtnissirrthümer  Goethe's. 


rrthümer  in  Goethe's  lebensgeschichtlichen  Schriften 
sind  mehrfach  nachweislich,  weshalb  Erläuterer  bis- 
weilen schnell  bei  der  Hand  sind,  einen  solchen 
vorauszusetzen,  wenn  ihnen  ein  Bericht  Goethe'S 
mit  anderweit  festgestellten  Thatsachen  in  Widerspruch  zu 
stehen  scheint.  Hier  ein  wirklicher,  ein  fraglicher  und  ein 
vermeintlicher  Irrthum,  sowie  ein  paar  aufgedrungene  Irrthümer. 

a.  UEBERLESSING'S  »MINNA  VON  BARNHELM«. 

Wenn  GoETHE  einmal  etwas  Unrichtiges  sagt,  so  ist 
das  folgereich  und  nicht  leicht  verbesserlich.  Außer  Leuten, 
die  unentwegt  allem  und  jedem  widersprechen,  weil  das  mit 
geringstem  Aufwand  zum  Ziele  führt,  von  sich  reden  zu  machen, 
wiederholen  doch  die  meisten,  wenn  sie  nicht  ausdrücklich 
auf  Prüfung  eines  Ausspruchs  hingewiesen  sind,  unbesehen, 
was  solch  ein  Mann  gesagt  hat,  und  übergehen  Einwände 
Geringerer.  GOETHE  hat  sich  aber  namentlich  in  y>  Dichtung 
mid  Wahrheit'i.  manches  Irrthums  schuldig  gemacht;  er 
schrieb  sein  Leben  zu  einer  Zeit,  wo  die  frühesten  Vorgänge 
in  seiner  Erinnerung  verwischt  waren,  auch  sich  unter  ein- 
ander vermischt  hatten,  und  überdies  verführte  ihn  das  Streben, 
seine  Darstellung  künstlerisch  abzurunden,  manchmal  unbewußt, 


4.    Gedächtnissirrthümer  Goethe's.  icy 

eine  Begebenheit  so  darzustellen,  wie  sie  sich  ihrer  geschicht- 
lichen Umgebung  vortheilhaft  einfugte.  Solcher  Irrthümer 
sind  mehrere  aufgedeckt  worden,  nicht  immer  berechtigt,  da 
ab  und  zu  einer,  den  es  kitzelte,  GOETHE  berichtigen  zu 
können,  in  voreiliger  Freude  einen  Irrthum  verkündete,  wo 
er  nur  die  Sache  nicht  gründlich  untersucht,- oder  wohl  gar 
Goethe  nicht  verstanden  hatte.  Eine  Aeußerung  GoeTHE'S 
die  unzähligemal  nachgeschrieben  worden  ist,  steht  im  siebenten 
Buche  von  -iDicJitung  und  Wahrheit <<,  wo  er  von  dem  tieferen 
Gehalt  spricht,  der  infolge  der,  Deutschland  in  seinen  Grund- 
vesten  erschütternden  Kriege  FrieDRICH'S  II.  in  unsere  Lite- 
ratur gekommen  sei,  und  wobei  er  sagt:  »Eines  Werkes  aber, 
der  wahrsten  Ausgeburt  des  siebenjährigen  Krieges,  von  voll- 
kommenstem norddeutschen  Xationalgehalt  muß  ich  hier  vor 
allem  ehrenvoll  erwähnen:  es  ist  die  erste,  aus  dem  be- 
deutenden Leben  gegriffene  Theaterproduction  von  specifisch 
temporärem  Gehalt,  die  deswegen  auch  eine  nie  zu  berechnende 
Wirkung  that,  •»Minna  von  Barnhelm <-<.  .  .  .  Man  erkennt 
leicht,  wie  genanntes  Stück  zwischen  Krieg  und  Frieden, 
Haß  und  Neigung  erzeugt  ist  .  .  .  Die  gehässige  Spannung, 
in  welcher  Preußen  und  Sachsen  sich  während  dieses  Krieges 
gegen  einander  befanden,  konnte  durch  die  Beendigung  des- 
selben  nicht  aufgehoben  werden.  Der  Sachse  fühlte  nun 
erst  recht  schmerzlich  die  Wunden,  die  ihm  der  überstolz 
gewordene  Preuße  geschlagen  hatte.  Durch  den  politischen 
Frieden  konnte  der  Friede  zwischen  den  Gemüthern  nicht 
sogleich  hergestellt  werden.  Dieses  sollte  aber  gedachtes 
Schauspiel  im  Bilde  bewirken:  die  Anmuth  und  Liebens- 
würdigkeit der  Sächsinnen  überwindet  den  Werth,  die  Würde, 
den  Starrsinn  der  Preußen«    etc. 

Wenn  man  »JlJinna  von  Barnhehnn  genau  im  Gedächt- 
niß  hat,  so  würde  man,  wenn  GoETHE  Lessing'S  Lustspiel 
nicht  bestimmt  genannt  hätte,  kaum  errathen,  daß  er  das- 
selbe mit  seiner  Auslegung  meine.  Trotzdem  wiederholen 
die  Literarhistoriker  immer   wieder  dieses  LIrtheil  Goethe's 


158  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

und  ziehen  daraus  ihre  unüberlegten  Folgerungen.  So  schrieb 
z.  B.  GoEDEKE  diesen:!  Lustspiel  »patriotischen  Stoff«  zu, 
worunter  doch  nur  ein  von  Begeisterung  für  Vaterländisches 
getragener  verstanden  werden  kann,  wovon  aber  im  ganzen 
Stück  keine  Rede  ist.  In  der  von  zwei  Gelehrten,  Danzel 
und  GUHRAUER,  verfaßten  und  von  zwei  Anderen,  V.  Malt- 
ZAHN  und  BOXBERGER,  »berichtigten«  Lessing- Biographie 
wird  gar  behauptet:  das  Stück  sei  gewissermaßen  ein  Tribut 
Lessing's  an  die  Größe  des  Königs  von  Preußen  in  dem 
Augenblicke,  da  er  sich  anschickte,  seinen  Staaten  für  immer 
den  Rücken  zu  kehren.  Ein  trauriger  Beweis,  wie  leicht 
Schriftsteller,  wenn  sie  einmal  im  Zuge  sind,  auch  in  wissen- 
schaftlichen Dingen  sich  in  albernste  Phraseologie  verlieren. 
Lessing  schied  nämlich,  weil  ihm  der  Aufenthalt  in  Preußen 
widerwärtig  geworden  war,  wozu  besonders  die  feindselige 
Haltung  Friedrich's  IL  gegen  ihn  beigetragen  hatte;  er  hatte 
also  nicht  nur  schlechterdings  keinen  Grund  zu  einem  Tribut, 
sondern  gab  vielmehr  seine  Abneigung  gelegentlich  derb  zu 
erkennen.  Ueberhaupt  ist  in  dem  ganzen  Stücke  von  einer 
Huldigung  preußischen  »Werthes«  keine  Rede,  auch  der  sieben- 
jährige Krieg  ist  keineswegs  als  das  geschichtliche  Ereigniß, 
zufolge  dessen  Sachsen  und  Preußen  sich  gegenüberstanden, 
aufgefaßt,  sondern  ganz  allgemein  als  ein  Krieg,  der  Anlaß 
bot,  verwundete,  verabschiedete  und  rücksichtslos  dem  Elende 
preisgegebene  Officiere  vorzuführen.  Preußen  wird  sogar 
nur  einmal  genannt,  wo  allerdings  Francisca  zu  Teilheim 
sagt:  er  solle  zu  seiner  Braut  in  Schuhen  und  frisch  frisirt 
kommen,  nicht  in  Stiefeln  und  kaum  frisirt,  wie  er  sei,  und 
schließt:  »So  sehen  Sie  mir  gar  zu  brav,  gar  zu  preußisch 
aus.«  (III.  Aufzug,  10.  Auftritt.)  Ich  will  nicht  kriteln  und 
fragen,  ob  dieses  brave  Preußenthum  in  jenem  Zusammen- 
hange als  Artigkeit  aufgefaßt  werden  kann,  aber  mit  einer 
etwaigen  preußisch-patriotischen  Lobpreisung  des  Königs 
Friedrich's  IL  sieht  es  noch  bedenklicher  aus.  Zwar  ist 
Teilheim     bei     Empfang     des     königlichen     Handschreibens, 


4.      GeDÄCHTNISSIRRTHÜMER    GoETHE's.     .  ICQ 

wodurch  ihm  eröffnet  wird,  daß  die  wider  ihn  schwebende 
Untersuchung  niedergeschlagen  und  die  Erstattung  seiner 
Geldforderung  angeordnet  sei,  beglückt  und  entzückt  über 
diese  »Gnade«  und  ruft  aus,  der  König  verleugne  sich  auch 
hier  nicht  —  aber  ich  kann  mich  nicht  enthalten  zu  glauben, 
das  Lessixg,  der  scharfe  und  vorurtheilslose  Denker,  dieses 
Lob  ironisch  gedacht  habe;  denn  was  thut  der  König  anderes, 
als  seine  Pflicht  und  Schuldigkeit,  wenn  er  die  gegen  einen 
anerkannten  Ehrenmann  aus  bureaukratischer  Unfähigkeit, 
dessen  edle  Handlungen  zu  begreifen,  leichtfertig  eingeleitete 
Untersuchung  einstellen  läßt?  Es  wird  aber  aus  weiteren 
Stellen  des  Schauspiels  zweifellos,  daß  Teilheim  im  Rausch 
der  Freude,  aus  der  niederdrückenden  Lage  eines  Angeklagten 
heraus  zu  sein,  mehr  sagt,  als  seiner  wahren  Meinung  ent- 
spricht. Schon  vorher  (IV,  i6)  hat  er  erklärt:  »Ich  will 
keine  Gnade«,  und  verlangt  »vollkommenste  Genugthuung« 
seiner  Ehre;  ja,  nachher  (V,  9)  schickt  er  sich  an,  die  Zu- 
schrift des  Königs  zu  zerreißen  und  die  zugesagte  Erstattung 
seines  vorgeschossenen  Geldes  abzulehnen  mit  den  Worten: 
»Ich  empfinde  eben,  daß  es  mir  unanständig  ist,  diese  späte 
Gerechtigkeit  anzunehmen,  daß  es  besser  sein  wird,  wenn 
ich  das,  was  man  durch  einen  so  schimpflichen  Verdacht 
entehrt  hat,  gar  nicht  wiederverlange.«  Ist  diese  Entrüstung 
freilich  ebenfalls  Erzeugniß  seiner  Erregung,  so  beweist  sie 
doch,  daß  seine  Verehrung  des  Königs  nicht  eben  tief  ging. 
Und  mit  nicht  zu  verkennender  Deutlichkeit  spricht  Teilheim 
von  dem  Großen,  wenn  er  in  der  Mehrheit  über  die  Großen 
sich  so  äußert:  »Die  Großen  haben  sich  überzeugt,  daß  ein 
Soldat  aus  Neigung  für  sie  ganz  wenig,  aus  Pflicht  nicht 
viel  mehr,  aber  alles  seiner  eigenen  Ehre  wegen  thut.  Was 
können  sie  ihm  also  schuldig  zu  sein  glauben?«  (IV,  6.) 
Oder  wenn  er  sich  ausläßt:  »Die  Dienste  der  Großen  sind 
i»-efährlich  und  lohnen  der  Mühe,  des  Zwanges,  der  Erniedrigung 
nicht,  die  sie  kosten.«  (V,  9.)  Ebensowenig  hat  Minna  von 
Barnhelm    Ursache    anders,    als    kühl    über    den    König    zu 


j5o  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

denken;  sie  meint,  daß  er,  »der  ein  großer  Mann  ist,  auch 
wohl  ein  guter  Mann  sein  mag;  aber  was  geht  das  mich  an? 
er  ist  nicht  mein  König.«  (Ebenda.)  Goethe  hat  jedenfalls 
den  wahren  Inhalt  der  »Minna  von  Barnhehnv  ganz  ver- 
sessen gehabt,  als  er  darin  »den  Werth  und  die  Würde  der 
Preußen«  den  Sieg  davon  tragend  fand.  Die  Sächsin  wird 
nicht  im  Entferntesten  durch  Tellheim's  soldatische  Eigen- 
schaften besiegt,  sondern  im  Gegentheil  durch  sein  Sub- 
ordinationsvergehen, als  er  der  Ordre,  in  Minna's  Heimath 
»die  Contribution  mit  der  äußersten  Strenge  baar  beizutreiben ', 
nicht  gehorchte,  sondern  den  geforderten  Betrag  aus  eigenen 
Mitteln  erlegte.  Diese  Ordre  scheint  Lessing  geradezu  an- 
geführt zu  haben,  um  die  Rohheit  zu  kennzeichnen,  mit  der 
im  siebenjährigen  Kriege  nicht  blos  durch  die  Kriegslage 
gebotene,  sondern  von  Bosheit  eingegebene  Anordnungen  von 
oberster  Stelle  getroffen  wurden,  namentlich  über  Zerstörung 
von  Kunstwerken,  Schlössern  u.  s.  w.  —  Anordnungen,  deren 
Ausführung  oft  nur  durch  die  dazu  befehligten  Officiere, 
deren  Ehrgefühl  sich  dagegen  empörte,  abgeschwächt  wurden. 
Nach  alledem  ist  in  dem  Schauspiel  nicht  eine  Spur 
vom  Sieg  des  Preußenthum's  zu  erblicken;  Graf  Bruchsal 
giebt  auch  seinen  Widerwillen  gegen  preußisches  Militärwesen 
unverhohlen  zu  erkennen,  indem  er  zu  Teilheim  sagt:  »Ich 
bin  sonst  den  Officieren  von  dieser  Farbe  eben  nicht  gut, 
doch  Sie  sind  ein  ehrlicher  Mann,  Tellheim,  und  ein  ehr- 
licher Mann  mag  stecken  in  welchem  Kleide  er  will,  man 
muß  ihn  lieben.«  (V,  13.)  Aber  wodurch  Goethe's  Ausspruch 
über  die  Richtung  von  -»Minna  von  Barnhelni'i  vollständig 
hinfällig  wird,  ist  der  Umstand,  daß  Tellheim  gar  kein 
Preuße,  sondern  ein  Kurländer  ist.  (II,  6.)  Er  dient  auch 
nicht  bei  den  Preußen  aus  Begeisterung  für  deren  Sache, 
sondern  er  suchte  Kriegsruhm,  den  ihm  der  Dienst  unter 
Friedrich  II.  vor  allem  versprach.  Tellheim  selbst  sagt 
darüber:  »Ich  ward  Soldat  aus  Parteilichkeit,  ich  weil3  selbst 
nicht  für   welche    politische   Grundsätze   und   aus   der  Grille, 


4.    Gedächtnissirrthümer  Goethe's.  i6i 

daß  es  für  jeden  ehrlichen  Mann  gut  sei,  sich  in  diesem 
Stande  eine  Zeitlang  zu  versuchen,  um  sich  mit  allem,  was 
Gefahr  heißt,  vertraut  zu  machen,  und  Kälte  und  Entschlossen- 
heit kennen  zu  lernen.«  (V,  9.)  Auch  Wachtmeister  Werner, 
obgleich  anscheinend  Preuße  (er  hat  sich  eine  Besitzung  zwei 
Meilen  von  Berlin  gekauft),  weiß  nichts  von  Begeisterung 
für  die  preußische  Sache;  er  will  zwar  weiter  als  Soldat 
dienen,  aber  unbestimmt  wo,  nur  muß  es  eine  glanzvoll 
siegende  sein  und  die  erwartet  er  in  Persien.  Wenn  Tell- 
heim  ihm  abredet  und  mahnt:  man  müßte  Soldat  sein  für 
sein  Land  oder  aus  Liebe  zur  Sache,  für  die  gefochten  wird, 
weil  ohne  Absicht  heute  hier,  morgen  da  zu  dienen,  reisen 
wie  ein  Fleischerknecht  heiße,  so  will  er  damit  nur  Werner 
von  seinem  Vorhaben,  nach  Persien  zu  gehen,  abbringen, 
ist  aber  imgrunde  gleicher  Ansicht  wie  dieser;  denn  als 
er,  um  sich  seiner  peinlichen  Lage  zu  entziehen,  endlich 
anderweiten  Dienst  suchen  will,  dies  Werner  mittheilt  und 
dieser  fragt:  »i\ber  doch,  wo's  Krieg  giebt?«  erwidert  er 
ohne  Vorbehalt:  »Wo  sonst?«  (V,  I.)  —  Es  ist  eine  Feinheit 
Lessing's,  Tellheim  als  Kurländer  einzuführen;  denn  bei 
den  unglücklichen  Verhältnissen  dieses  Landes  gab  es  für 
dessen  Söhne  kein  Gebot  der  Ehre,  dort  als  Soldat  zu  dienen. 
Tellheim  tritt  eben  .  nicht  als  Angehöriger  eines  Landes 
auf,  gegen  das  er  Pflichten  hat,  er  dient  ja  nur  der  Ehre 
wegen  und  sein  Ehrgefühl  hat  in  dem  Stande  eines  Offiziers 
weitere  Nahrung  erhalten,  so  daß  es  in  ihm  einseitig  und 
schroff  ausgebildet  zu  Tage  tritt.  Ueberdies  war  zu  den 
Zeiten  des  siebenjährigen  Krieges  Prinz  Karl  von  Sachsen 
Herzog  von  Kurland;  Sachsen  und  Kurländer  konnten  sich 
also  schon  gewissermaßen  als  zusammengehörig  fühlen. 

Das  Schauspiel  ■)>  Minna  von  Barnhelun  hat  also  mit 
Politik  und  Preußen  einzig  und  allein  so  weit  zu  schaffen, 
als  Lessing  durch  den  Anschluß  an  jüngst  vergangene  Zeit- 
ereignisse Boden  für  die  Zustände,  die  dem  Stück  zu  Grunde 
liegen,  gewann  und  davon  regeren  Antheil  an  den  Vorgängen 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  1 1 


j52  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

sich  versprechen  durfte.  An  sich  handelt  es  sich  dabei  um 
einen  Conflict  zwischen  Liebe  und  Ehre;  man  kann  an  einen 
in  Lustspielton  übersetzten   »Cid«   denken. 

Mit  meiner  Ausführung  habe  ich  nicht  nur  einen  nach- 
wirkenden IrrthumGOETHE's  berichtigen,  sondern  auchLESSiNG 
von  dem  Verdacht  reinigen  wollen,  daß  er,  der  Sachse,  das 
Preußenthum,  wie  es  im  siebenjährigen  Kriege  sich  kund- 
gab, verherrlicht,  und  die  Weigerung  des  Königs  Friedrich  IL, 
ihn  in  Preußen  festzuhalten,  bei  seinem  Scheiden  mit  einer 
Schmeichelei  beantwortet  habe. 

b.  AUFKLÄRUNG  ÜBER  EINE  DUNKELHEIT. 

In  Absatz  625  der  y>Tag-  und  Jahreshe/tc^ ,  worin 
mehrere,  der  Schlacht  von  Jena  vorangehende  Begebnisse 
aufgeführt  sind,  ist  dabei  die  räthselhafte  Bemerkung  ent- 
halten: »SCHELLING  gab  eine  Erklärung  heraus,  von  » »  Ths.<s. « 
beantwortet.«  Nur  dem  Orte  nach,  an  dem  dieser  Satz 
steht,  kann  man  vermuthen,  daß  er  sich  auf  politische  An- 
sichten bezog;  denn  weder  vor-  noch  nachher  findet  sich 
etwas,  das  zur  Erklärung  dienen  könnte.  Auch  ist  damals 
keine  Erklärung  SCHELLING'S  erschienen,  die  JOHANNES  VON 
MUELLER  —  der  seine  Recensionen  in  der  ^^  Jenaischen  All- 
gemeinen Lite7'atnr -Zeitung <i~  mit  "Ths."^  unterzeichnete  — 
zu  beantworten  Veranlassung  gehabt  hätte.  Dennoch  ist  es 
zweifellos,  daß  eine  Erklärung  Schelling'S  gegen  VON 
MUELLER  und  eine  Gegenerklärung  des  letzteren  zu  jener 
Zeit  geschrieben  wurden.  Die  Veranlassung  dazu  deutet 
Böttiger  im  Brief  an  V.  Mueller  vom  5.  Februar  1807  an. 
(Briefe  an  JOHANN  V.  MUELLER.  Herausgegeben  von  Maurer- 
CONSTANT  I,  430  f.)  Damals  war  ein  zwischen  SCHELLiNG 
und  V.  Mueller  entstandenes  Zerwürfniß  schon  abgethan; 
denn  am  i.  November  1806  schreibt  SCHELLiNG  bereits  an 
WiNDlSCHMANN  (Aus  Schelling'S  Leben.  In  Briefen  II,  104.): 
letzterer  werde  nichts  von  ihm  gegen  V.  MUELLER  Ge- 
richtetes zu  lesen  bekommen,  wenn  seine  Frau  es  nicht  für 


4-    Gedächtnissirrthümer  Goethe's.  163 

Windischmann  abschreibe.  Es  war  dennoch  von  SCHELLING 
zwar  etwas  gegen  v.  MUELLER  abgefaßt  gewesen,  das  aber 
nicht  veröffentlicht  wurde.  Die  Unterlassung  des  Drucks 
ergiebt  sich  aus  einem  Brief  v.  Mueller's  an  EiCHSTÄDT 
vom  21.  September  1806,  der  sich  früher  in  dem,  jetzt  leider 
zersplitterten  EiCHSTÄDT'schen  Archiv  befand.  Daraus  geht 
hervor,  daß  EiCHSTÄDT  eine  Erklärung  ScheLLING'S  wider 
V.  Mueller  an  diesen  geschickt  und  dieser  sich  hierauf  zwar 
mit  dem  Abdruck  einverstanden  erklärt,  jedoch  ersucht  hatte, 
zugleich  seine  beigefügte  Gegenerklärung  abzudrucken.  Dabei 
sprach  er  sich  jedoch  so  warm  über  SCHELLiNG  aus,  daß 
dieser  V.  MuELLER's  Brief  benutzte  um  SCHELLING  zu  be- 
stimmen, sich  mit  Unterlassung  des  Druckes  seines  Angriffs 
einzuverstehen. 

Man  könnte  nach  diesem  Sachverhalt  bestreiten,  ob 
Goethe's  Mittheilung  darüber  einen  Irrthum  enthalte,  da  er 
von  keiner  Veröffentlichung  der  SCHELLING'schen  Erklärung 
spreche  und  allerdings  die  Schriftstücke  der  beiden  Gegner 
herausgegeben  worden  seien,  nämlich  an  EiCHSTÄDT.  Aber 
so  weit  darf  man  mit  der  Rettung  von  Goethe's  Zuverlässig- 
keit denn  doch  nicht  gehen.  Nach  dem  Sprachgebrauche 
kann  unter  »gab  eine  Erklärung  heraus«  kaum  etwas  anderes, 
als  deren  Veröffentlichung  verstanden  werden,  und  überdieß 
wäre  das  fragliche  Zerwürfniß  in  den  Annalen  gar  nicht  zu 
erwähnen  gewesen,  wenn  GOETHE  nicht  angenommen  hätte, 
daß  es  in  die  Oeffentlichkeit  gedrungen  sei. 

Goethe's  Irrthum  ist  auch  leicht  erklärlich.  Damals 
ging  er  dem  Herausgeber  der  Literatur -Zeitung  noch  fort- 
laufend mit  Rath  und  That  an  die  Hand  und  so  hatte  dieser 
dem  damals  in  Jena  weilenden  GoETHE  am  2.  October  die 
beiderseitigen  Erklärungen  SchelLING'S  und  V.  Mueller's 
mitgetheilt.  Das  hatte  GoETHE  sich  im  Tagebuche  angemerkt, 
nichts  aber  über  den  friedlichen  Verlauf,  sodaß  er  deren 
erfolgten  Druck  voraussetzte. 


i64 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


c.    WANDLUNG  IN  NATURANSCHAUUNG. 

In  den  »  Tag-  und  Jahres  hefte  im  Absatz  993  schreibt 
Goethe  über  das  Jahr  1820:  '>x'\ls  ich  nun  hierauf  den, 
durch  den  Wegebau  immer  weiter  aufgeschlossenen  Kammer- 
berg bei  Eger  bestieg,  sorgfältig  abermals  betrachtete  und 
die  regelmäßigen  Schichten  desselben  genau  ansah,  so  mußt 
ich  freilich  zu  der  Ueberzeugung  des  Bergrath  Reuss  wieder 
zurückkehren  und  dieses  problematische  Phänomen  für  pseudo- 
vulcanisch  ansprechen.;  Im  33.  Theil  der  HEMPEL'schen 
GoetJieausgabe  Seite  523  hat  Kalischer  diese  Stelle  als  auf 
chronologischer  Verwechslung  beruhend  bezeichnet  und  dieß 
in  der  Zeitschrift  »Die  Natur '<  No.  52.  Neue  Folge,  6.  Jahrg. 
der  Zeitung  29.  Jahrg.  23.  Dez.  1880  Seite  654 f.  in  Wider- 
spruch gegen  einen  vorhergehenden  Aufsatz  von  TOULA 
(ebenda  No.  46  f.)  weiter  ausgeführt.  Er  behauptet,  gestützt 
auf  Goethe's  Aufsätze  über  den  Kammerberg  in  dem,  1820 
ausgegebenen  Hefte  -» Zur  NaturwissenscJiaft"  und  auf  dessen, 
1823  gedruckten  Bericht  über  die  Besteigung  dieses  Hügels 
vom  30.  Juli  1822,  daß  er  ihn  bis  zu  diesem  Jahre  noch 
für  vulcanisch  gehalten  und  erst  1823  sich  der  gegenwärtig 
wieder  als  irrig  geltenden  Ansicht  angeschlossen  habe,  die 
ihn   nur  für  pseudovulcanisch  gelten  ließ. 

Eigentlich  ist  es  schon  eine  starke  Zumuthung,  in  diesem 
Falle  Goethe  einer  Zeitverwechslung  zu  beschuldigen;  denn 
er  schrieb  Absatz  993  gerade  1823  und  kann  doch  damals 
sich  darüber  nicht  geirrt  haben,  ob  er  erst  in  diesem  selben 
Jahre  oder  schon  früher  die  Meinung  über  die  Beschaffen- 
heit des  Kammerbergs  geändert  habe.  Bei  genauem  Zusehen 
müssen  wir  uns  denn  auch  überzeugen,  daß  Goethe's  Mit- 
theilungen vor  1823  das  nicht  plan  aussprechen,  was  K ALISCHER 
in  ihnen  findet,  und  Absatz  993  uns  belehrt,  wie  sie  zu  ver- 
stehen sind. 

Bekanntlich  behandelte  GoETHE  neu  gewonnene  wissen- 
schaftliche Ueberzeugungen  mit  großer  Vorsicht;  er  trug  sich 


4-    Gedächtnissirrthümer  Goethe's.  165 

jahrelang  damit,  bevor  er  etwas  darüber  in  die  Oeffentlich- 
keit  gelangen  ließ.  Im  fraglichen  Falle  mußte  es  ihm  be- 
sonders sauer  ankommen,  eine  bereits  mit  Zuversicht  vor- 
getragene Ansicht  zu  widerrufen.  Prüfen  wir  nun,  bis  wann 
er  an  der  Vulcanität  des  Kammerbergs  festhielt! 

Im  zweiten  Heft  y^Zur  Naturwissenschaft  (1820)  steht 
der  Aufsatz  »Z?rr  Kaminerberg  bei  Eger  >  allerdings  noch 
fest  auf  diesem  Standpunkte,  allein  er  war  einfacher  Wieder- 
abdruck des  1 809  in  Leonhard's  » Taschenbuch  für  die 
gesammte  Mineralogie  erschienenen  Aufsatzes.  Bereits  im 
dritten  Hefte,  ebenfalls  \on  1820,  sind  dagegen  in  dem  nach 
Besteigung  des  Kammerbühls  am  28.  Mai  1820  geschriebenen 
Aufsatze  sehr  nachdrücklich  die  Gründe  hervorgehoben, 
welche  die  Annahme  der  Pseudovulcanität  zu  rechtfertigen 
scheinen;  des  Grafen  SteRNBERG  Brief  an  GOETHE  vom 
25.  November  1820,  worin  die  Berge  aufgeführt  sind,  durch 
deren  Vergleichung  mit  dem  Kammerberg,  dessen  Pseudo- 
vulcanität ebenfalls  wahrscheinlich  gemacht  wird,  konnte 
GOETEIE  in  dieser  Richtung  nur  bestärken. 

Wichtiger  ist  indessen  der,  im  ersten  Hefte  des  zweiten 
Bandes  oZnr  Natnnvissenschaft^i  (1823)  befindliche  Auf- 
satz »  Wimdei'bares  Ereignifs«-.  Worin  besteht  dieß?  ledig- 
lich darin,  daß,  nachdem  Graf  SternbeRG,  Berzelius  und 
Pohl,  mit  denen  GOETIIE  den  Kammerberg  am  30.  JuH  1822 
abermals  bestiegen  hatte,  dessen  vulcanische  Eigenschaft  zu- 
zugeben geneigt  waren,  »ein  junger  muntrer  Badegast«  die 
Pseudovulcanität  behauptete.  Was  darin  Wunderbares  liegen 
soll,  daß  ein  junger  Mensch  ohne  Namen  eine  Ansicht  in 
einer  zweifelhaften  Sache  äußert,  ist  schwer  zu  sagen.  Die 
Ueberschrift  des  x^ufsatzes  nöthigt  uns  indeß,  darin  mehr  zu 
suchen,  als  deutlich  ausgesprochen  ist,  und  zwar  etwas  ver- 
borgen Wunderbares.  Es  kann  schwerlich  einem  Zweifel 
unterliegen,  daß  GoETHE  seine  eigene,  und  zwar  im  Gegen- 
satz zu  den  genannten  bedeutenden  Naturforschern  neu  ge- 
wonnene Ueberzeugung,  um  sich  nicht  bloßzustellen,   einem 


l66  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

ungenannten  Badegaste  als  einen  ballon  d'essai  unterschob, 
bevor  er  mit  dem  Geständniß  herausrückte,  das  er  seine 
frühere  Meinung  geändert  habe. 

Aus  gleichzeitigen  Aeußerungen  GOETHE'S  erglebt  sich 
überdieß,  daß  die  leise  angedeuteten  Gründe,  mit  denen  er 
den  angeblichen  Badegast  zu  widerlegen  scheint,  keineswegs 
ernst  gemeint  sind.  Schon  das  Nachwort  zu  dem  »  Wu7ider- 
baren  Ej-eignifs'^  verräth  das,  indem  GOETHE  darin  mit  Be- 
zug auf  die  streitige  Frage  von  der  versatilen  Stimmung 
spricht,  welche  das  angenehme  Gefühl  giebt,  uns  zwischen 
zwei  entgegengesetzten  Meinungen  hin  und  her  zu  wiegen 
und  vielleicht  bei  keiner  zu  verharren.«  Ferner  nennt  er  im 
Briefe  an  Staatsrath  SCHULZ  vom  5.  September  1822  den 
Kammerbühl  den  > problematischen,  neptunisch  - \'ulcanisti- 
schen,«  und  noch  entschiedener  fallen  seine  kurz  vorher,  am 
22.  August  1822  geschriebenen  Begleitzeilen  ins  Gewicht, 
mit  denen  er  eine  hauptsächlich  dem  Kammerberg  ent- 
nommene Mineraliensammlung  dem  Stift  Tepel  übersandte. 
Darin  heißt  es:  »Nähere  Betrachtungen  hierüber  sind  jedem 
Forscher  vorbehalten;  welche  Uebersicht  man  jedoch  selbst 
zu  gewinnen  suchte,  wird  sich  im  nächsten  Hefte  ->•>•!> Zur 
Naturwissenschaft i.<!^  ausweisen.«  Diese  Ankündigung  hätte 
keinen  rechten  Sinn,  wenn  Goethe  nach  der,  bereits  vor 
vierzehn  Jahren  dargelegten  Ansicht  über  den  Ursprung  der 
übersandten  Mineralien  gewesen  wäre;  überdieß  ist  in  dem 
»nächsten  Hefte«,  nämlich  dem  ersten  des  zweiten  Bandes, 
eine  »selbstgewonnene  Uebersicht«  nicht  weiter,  als  eben 
in  der  Ansicht  des  jungen,  muntern  Badegastes  kundgegeben. 

Ist  hiernach  GoETHE  schon  1820,  wenn  auch  nicht 
gleich  mit  völliger  Entschiedenheit,  von  der  Ansicht  vul- 
canischer  Entstehung  des  Kammerbergs  abgegangen,  so  folgt 
doch  auch  daraus  nicht,  daß  GoETHE  in  Absatz  993  falsche 
Zeitangaben  gemacht  habe.  Sieht  man  sich  die  Stelle 
genau  an,  so  ist  darin  keineswegs  gesagt,  daß  GOETHE  schon 
1820  zu  der  früher  von  ihm  bestrittenen  Ansicht  des  Bergf- 


4.    Gedächtnissirrthümer  Goethe's.  167 

rath  Reuss  zurückgekehrt  sei,  sondern  nur,  daß  es  infolge 
der  im  Jahre  1820  vorgenommenen  Besteigung  des  Kammer- 
bergs geschehen  sei.  Er  wollte  nur  den  Wechsel  in  seiner 
Ueberzeugung  auf  dessen  Ursprung  zurückführen. 

So  hat  auch  hier,  wie  öfters,  der  Umstand,  daß  man 
in  Goethe's  Worten  etwas  hineinlegt,  was  darin  gar  nicht 
gesagt  ist,  einen  Tadel  Goethe'S  veranlaßt. 

d.    HERAUSGEBERIRRTHUM. 

Im  Tagebuch  erwähnt  GOETHE  am  9.  Februar  1823 
•»  Dienemannische  Natiirkörper «. ,  ferner  am  24.  März  >  Dr, 
Dienemann  in  Leipzig'^  und  am  7.  Mai  zufolge  der  Wei- 
mar cj'  Alisgabe  II I.  p,  ^6.  gedruckten  Textes  y> Rücksen- 
dung des  Dienemannisdien  Catalogs.«  So  hat  aber  GoETHE 
nicht  geschrieben,  wie  aus  den  Lesarten  ersichtlich  ist,  wo- 
nach die  Schreibweise  ■>->Thienemann'  war.  Die  frühere, 
falsche,  hatte  der  Großherzog  durch  seinen  Brief  an  GOETHE 
vom  18.  Januar  verschuldet;  zu  der  richtigen  ging  GOETHE 
erst  über,  als  ihm  der  Catalog  des  genannten  Naturforschers 
vorlag.  Dieser  Umstand  hätte  den  Herausgeber  füglich  auf- 
merksam machen  und  ihn  veranlassen  sollen,  nach  der  in 
Frage  stehenden  Persönlichkeit  zu  forschen;  statt  dessen  setzt 
er  voraus,  daß  Goe;the  trotzdem,  daß  er  den  Catalog  vor 
Augen  hatte,  willkürlich  anders,  als  auf  dem  Catalog  zu  lesen 
war,  geschrieben  habe.  Das  ist  nun  in  der  That  nicht  der 
F"all;  denn  der  vom  Großherzog  DiENEMANN  geschriebene 
war  niemand  anders,  als  FRIEDRICH  AUGUST  LUDWiG  Thiene- 
MANN,  damals  Privatdocent  an  der  Universität  Leipzig.  Daß 
dieser  Naturforscher  zweifellos  gemeint  war,  geht  hervor: 
i)  aus  der  richtigen  Schreibung  Goethe's,  als  er  den  Catalog 
vor  sich  hatte;  2)  aus  Nennung  Leipzigs  als  Wohnort;  3)  aus 
dem  Mangel  eines  Nachweises,  wer  dort  oder  anderswo  ein 
»Dienemann«  gewesen  sei;  4)  aus  Goethe's  Bezugnahme 
auf   isländische    und    norweg-ische     Naturalien    im    Brief    an 


l68  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

Döbereiner  vom  Q.Februar  1823,  da  Thienemann  solche 
auf  seiner  Nordlandsreise  gesammelt  hatte  und  sie  verhandelte; 
5)  ganz  unabweisbar  aus  der  Anspielung  des  Großherzogs 
auf  Thienemann's  eingedrücktes  Nasenbein. 

Uebrigens  habe  ich  schon  in  » Goethe  und  Dresden « 
Seite  81   den  Genannten  mit  richtiger  Schreibung  eingeführt. 

Eine  ähnliche,  sicher  unbefugte  Herausgeberberichtigung 
findet  sich  im  Tagebuch  vom  1 1 .  Mai  1 800.  Hier  hatte 
Goethe  geschrieben  »Nach  Kaschwits«,  welcher  Name  im 
Text  der  Weimarer  Atisgabe  in  » Gaschwitz«  geändert  ist. 
Was  Goethe  in  Gaschwitz  gewollt  haben  soll,  ist  vollständig 
unerklärt,  wogegen  Rasch witz  früher  ein  beliebtes  Ziel  von 
Ueberlandfahrten  der  vornehmen  Welt  Leipzigs  war.  Schon 
die  Erwähnung  von  Raschwitz  in  ■» Dichtimg  und  Wahrheit«.. 
fWeim.  Ausg.  d.  We7'ke  2^,  102)  hätte  abhalten  sollen,  den 
Text  in  den  Tagebüchern  zu  fälschen. 

Also  meine  Herren:  GoETHE  nicht  berichtigt,  wenn  Sie 
nicht  genau  wissen,  daß  er  sich  geirrt  hat!  Und  das  zu 
wissen,  ist  nicht  immer  leicht. 

Bei  dieser  Gelegenheit  stelle  ich  ein  von  mir  begangenes 
Versehen  fest,  darin  bestehend,  daß  ich  im  36.  Bande  Seite  I25 
Goethe's  Schreibung  »Mengdem  nicht  durch  -»Menkenv.  be- 
richtig-t  habe. 


5-  Zu  Goethes  Theaterrepertoire. 


as  Repertoire  des  Weimarischen  Theaters  unter 
Goethe'S  Leitung  von  1791 — 18 19.  Bearbeitet 
und  herausgegeben  von  C.  A.  H.  BURKHARDT, 
Großh.  Sachs.  Archivdirector« ,  ist  eine  grund- 
legende Schrift,  und  wenn  in  einer  solchen  Irrthümer  unter- 
gelaufen sind,  so  wirken  diese  leicht  insweite.  Es  ist  daher 
Pflicht  auf  solche  sichere  oder  auch  nur  mögliche  Irrthümer 
hinzuweisen  und  die  Benutzer  der  Schrift  wenigstens  zur 
Vorsicht  aufzurufen. 

Was  der  Herausgeber  selbst  über  seine  Quellen  sagt,  klingt 
nicht  erbaulich.  Er  berichtet,  daß  die  hauptsächlichen  Unter- 
lagen für  das  »Repei'toire'i  —  die  Theaterzettel  —  ebenso 
wenig  vollständig  vorhanden  seien,  als  das  Theaterarchiv, 
von  dem  nur  in  diesen  Tagen  ein  Theil  wieder  aufgefunden 
worden  ist.  Zur  Ergänzung  der  Lücken  des  >  Refiej'toiresa 
sind  daher  Portorechnungen,  Goethe's  Tagebücher,  das 
» Journal  des  Ljixus  und  der  Moden « ,  sowie  Schmieder's 
>  Journal  für  Theater i<  herangezogen  worden.  Differenzen 
zwischen  verschiedenen  Angaben  sind  —  sagt  der  Heraus- 
geber —  anmerkungsweise  angezeigt.  Allerdings  ist  die 
Namhaftmachung   der   Abweichungen    verschiedener  Quellen, 


I/o 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


von  denen  keine  unbedingt  Richtigkeit  für  sich  ansprechen 
kann,  unumgänglich  nöthig,  wenn  man  sich  mit  Zuversicht 
auf  das  ■»  Repertoire i.  soll  berufen  können,  indessen  sind  bei 
Vergleichung  einiger  gleichfalls  als  Quellen  anzusehender 
Schriften  —  und  zwar  außer  dem  von  BURKHARDT  selbst 
angeführten  )>  Journal  des  Luxus  und  der  Moden  ^  (J)  noch 
von  Reichard's  >>  Theater- AlinanacJ Li  (Th)  und  y Schillers 
Kalender'i.  (Seh)  —  doch  einige  weitere  Abweichungen  zu 
ermitteln  gewesen,  deren  Werth  man  um  so  weniger  be- 
urtheilen  kann,  als  aus  dem  •» Repertoire i  (R)  meist  nicht 
ersichtlich  ist,  worauf  jede  einzelne  Angabe  desselben  sich 
gründet.  Einige  Ergebnisse  dieser  Nachprüfung  lege  ich  hier  vor. 
In  J  findet  sich  yHamletv.  am  28.  Januar  1793,  anstatt 
am  29.,  angezeigt,  und  am  29.  October  1792  tDer  a7-g- 
wöhnische  Elieinanw'. ,  in  R  »Der  Schiffspati'ont- ,  während 
hier  ^>Der  argiu'öhniscJie  Eheinann»  erst  unterm  31.  October 
steht.  —  Die  Bearbeitung  des  Lustspiels  von  MURPHY  y>Die 
Uebereilung«  ist  am  2.  April  1793  nach  R  von  SCHRÖDER, 
nach  J  von  Meyer,  welch  letzterer  in  R  nur  bei  den  späteren 
Aufführungen  als  Bearbeiter  genannt  wird.  —  Xach  Seh  wurde 
am  2.  Juli  1802  -»Adolf  und  Clarai.,  nach  R  ^>Der  Stamin- 
bauim,  und  am  ii.  Februar  1805  »  Wie  machen  sie's  in  der 
Komödie«,  nach  R  'Die  beiden  BilletS'i  zu  ^->  Wallenstein  s 
Lager  f.  am  20.  April  1805  Die  Versuchung«,  nach  R  ^-i  Re- 
vanche« aufgeführt.  —  Nach  J  wurden  am  22.  November  1791 
noch  einige  Gesangstücke,  nach  Th  am  3.  August  1794 
in  Lauchstädt  ein  Gedicht  zur  Feier  des  Geburtstages  des 
Kurfürsten  vorgetragen,  ingleichen  nach  Th  ami  6.  April  1 796 
-iLilla«  gegeben,  wovon  allenthalben  in  R  sich  nichts  findet, 
ebensowenig  von  y>Der  verstellte  Kranke«,  sowie  List  und 
Unschuld",  Lustspiel  von  VULPIUS,  welche  beide  Stücke 
nach  Th  1791  zur  Aufführung  gekommen  sein  sollen.  — 
»Das  IQnd  der  Liebe«,  »Der  Herbsttag«  und  »Stille  Wasser 
sind  tief  i  sind  in  R  als  von  dem  früheren  Weimarer  Schau- 
spielunternehmer Bellomo  übernommene  Stücke  bezeichnet, 


5-    Zu  Goethe's  Theaterrepertoire.  171 

nach  Th  sind  sie  jedoch  erst  unter  GOETHE  neu  einstudirt 
worden.  —  Die  Spielperiode  vom  19.  August  bis  mit  25. 
September  1791  ist  in  R  mit  der  Ueberschrift  i  Eifiirt  und 
Weinia)'  i'jgn'-  versehen;  nach  J  wurde  nur  am  6.  September 
in  Weimar  gespielt. 

Abgesehen  von  diesen  Abweichungen,  die  bei  4136 
Spieltagen  mit  600  Stücken  allerdings  geringfügig  sind, 
hätten  indeß  manche  Angaben,  und  zwar  im  Sinne  der  sonst 
von  BuRKHARDT  beobachteten  Grundsätze,  genauer  erfolgen 
können.  Namentlich  war  es  thunlich  bei  Berücksichtigung 
auch  nur  der  Nachrichten  in  J,  Th  und  Seh  die  Verfasser- 
schaft folgender  Stücke  oder  wenigstens  deren  Ursprung 
anzugeben:  -»Taute  Aiwora"-  vom  Schauspieler  ZIMMERMANN; 
yDie  magnetischen  Kuren v. ,  aus  dem  Französischen;  y>Die 
Ränke«,  >  Die  Schac/unaschine  und  y>Das  Vorurtheili  aus 
dem  Englischen;  der  am  19.  August  1791  gesprochene 
Prolog  von  VULriUS.  —  Als  Bearbeiter  lernen  wnr  aus  eben 
diesen  Quellen  kennen:  GOETHE  und  VuLPlUS  von  ■»Circec 
und  y>Die  theatralischen  Abenthetier"^  VULPIUS  von  -»Das 
nnterbi'ocliene  Opfei-festc-,  ->,  Der  edle  Verbrecher  <i,  y>  Die  Hoch- 
zeit des  Figaro«,  y>Die  P^'inzessin  von  Amalfi  und  Die 
Zauberzither i'.-^  BODE  von  ^'Das  Muttersöhnchen«  \  Bertuch 
von  y>El/riede«~  seit  dem  6.  April  1793;  SCHRÖDER  von 
Die  vier  Vormünder« ,  so  daß  sich  die  von  BURKHARDT 
bei  diesem  Namen  gesetzten  Fragezeichen  erledigen.  Zu 
Shakespeare's  -»König  Johann  <.  konnte  am  29.  November 
1791  und  19.  September  1792  die  SCHLEGEL'sche  Ueber- 
setzung  nicht  benutzt  werden;  es  war  die  von  EsCHENBüRG. 
Beiläufig  bemerkt,  fehlt  im  alphabetischen  Verzeichniß  die 
erste  Aufführung  dieses  Trauerspiels.  —  Als  für  die  Wei- 
marer Bühne  neu  bearbeitet,  werden  ohne  Nennung  des  Be- 
arbeiters angeführt:  y>Der  Schiffspatron ^'.  und  >> Die  entwaffnete 
Rachgierde  .  —  In  J  stehen  noch  ein  paar  Zusätze  bei 
Aufführungen,  und  zwar:  am  6.  October  1791  -i Der  Älond- 
kaiser<    um    einige    Scenen    vermehrt;    am    28.  Januar   1792 


J72  ^-    Vermischtes  zur  GoetheforschUxNG. 


y>Hamlet<i  mit  Weglassung  der  letzten  Scene;  am  ii.  Juni 
1792  Goethe'S  Epilog  von  der  Mattstedt  gesprochen.  — 
AlsComponist  der  -»ClaiLdinevon  ViÜabcUav-  wird  ReicHARDT, 
sowie  als  der  der  Märsche  und  Gesänge  im  >>  Grofskophta<~ 
Kranz  genannt.  —  Endlich  ist  zu  Vermeidung  von  Miß- 
\'erständnissen  zu  gedenken,  daß  »  Wie  machen  sies  in  der 
Komödie  r«  und  y>Die  bnchstäbliche  Aus  legung  der  Gesetze 'i. 
Namen  für  dasselbe  Stück  sind;  desgleichen  y>Eveline<(  und 
•»Er  mischt  sich  in  Alles«-. 


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6.  Goethe  und  das  Schriftthum 
China's. 


Oi:  THE  hat  uns,  sagt  SCHILLER,  von  falschem  Regel- 
zwange zu  Wahrheit  und  Natur  zurückgeführt. 
Damit  ist  aber  nur  die  eine  Seite  von  Goethe'S 
Streben  nach  Natur  ausgedrückt;  denn  überhaupt 
wird  abgewichen  von  ihr  nicht  allein  durch  überspannte 
Ausbildung  einzelner  Richtungen,  also  durch  Aufstellung  und 
Befolgung  einseitig  gefaßter  falscher  Regeln,  sondern  auch 
durch  kraftlose  Vernachlässigung  des  wahren  Naturdranges. 
Die  Natur,  der  zu  folgen  dem  Menschen  obliegt,  offenbart 
sich  in  fortwährender  Entwickelung  zur  Vervollkommnung, 
und  diese  Entwickelung  wird  gleichmäßig  aufgehalten  durch 
Erschlaffung,  wie  durch  Ueberreizung.  GOETHE  hatte  das 
Ziel  der  Vervollkommnung  unverrückt  im  Auge,  und  daher 
erhob  er  sich  in  der  Dichtung  ebenso  gegen  gekünstelte, 
der  deutschen  Sprache  nur  gewaltsam  aufzudringende  fremde 
Formen,  die  im  Deutschen  sich  nicht  fortentwickeln  konnten, 
wie  gegen  formlose  Tändeleien,  die  einen  Rückschritt  be- 
deuteten; in  Beurtheilung  der  Lebensführung  ebenso  im 
»Satyros'.  g&g^"^^  ROUSSEAU'S  Zurückverweisung  auf  Ur- 
zustände,   wie    in   der   -»Natürlichen    Tochter«,    gegen   selbst- 


174 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


süchtig  zugespitzte  Lebensgestaltung  höchster  Stände;  im 
Staatsleben  ebenso  gegen  Ausübung  fürstlicher  Rechte,  die 
das  Volk  drückten,  wie  gegen  den,  von  schwärmerischen 
Deutschen  frohlockend  begrüßten  französischen  Umsturz;  in 
der  Philosophie  ebenso  gegen  das  seichte  Geschwätz  der 
Aufklärer,  wie  gegen  die,  von  einem  Heischesatz  spitzfindig 
abgeleiteten  Systeme;  in  den  Naturwissenschaften  ebenso 
gegen  die  Fachleute,  die  gleichgültig  die  Erscheinungen  ver- 
einzelt betrachteten,  ohne  sich  um  deren  Zusammenhang  zu 
kümmern,  wie  gegen  die  anderen,  welche  Erscheinungen 
leugneten,  die  sie  nicht  zu  messen  vermochten.  Kann 
Goethe  nicht  ein  Bahnbrecher  in  der  Culturgeschichte  ge- 
nannt werden,  so  war  er  dagegen  durch  sein  Umfassen 
aller  Bildungszweige,  seine  allseitige  scharfe  Beobachtung  der 
Thatsachen  und  die  Fruchtbarmachung  des  Beobachteten 
für  die  allgemeine  Erkenntniß,  indem  er  es  nach  weitesten 
Gesichtspunkten  zusammenfaßte,  wie  kein  anderer  geschaffen, 
das,  was  aus  den  Fugen  gegangen  war,  wieder  einzurichten, 
d.  h.  für  das  Gesammtgebiet  der  Bildung  die  höchsten 
Stufen,  die  in  den  einzelnen  Gebieten  erreicht  waren,  zu 
allgemeinem  Einklang  zusammenzustimmen,  für  unsere  Cultur 
einen  naturgemäßen,  sicheren  Grund  zu  legen,  auf  dem  gleich- 
mäßig fortgebaut  werden   kann. 

Mit  solcher  Geistesrichtung  Goethe's  scheint  es  in 
Widerspruch  zu  stehen,  daß  er  wohl  ein  halbes  Jahrhundert 
hindurch  sich,  wenn  auch  mit  Unterbrechungen,  doch  immer 
und  immer  wieder  mit  dem  Schriftthum  eines  Volkes  be- 
schäftigte, das  wegen  der  in's  Unendliche  gehenden  Aus- 
bildung ausgekünstelter  Ceremonien  und  deren  strenger 
Uebung,  die  sogar  in  den  Dichtungen  mit  ängstlicher  Wichtig- 
thuerei  bei  jeder  Gelegenheit  als  erfolgt  bestätigt  wird,  mit 
dem  Fluche  der  Unnatur  bis  zur  Lächerlichkeit  belastet  ist. 
Was  trotz  alledem  GOETHE  zu  dem  Schriftthum  der  Chinesen 
hinzog,  können  wir  nur  ergründen,  '  wenn  wir  zunächst  die 
■  einzelnen  Schriften  prüfen,    von  denen  wir  wissen,    daß  sie 


6.  Goethe  und  das  Schriftthum  China's. 


175 


seine  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nahmen,  und  sodann 
feststellen,  wie  diese  auf  ihn  gewirkt  haben. 

Zwar  habe  ich  schon  wiederholt  die  Ableitung  Goethe'- 
scher  Dichtungen  von  chinesischen  behandelt,  aber  dabei 
war  es  mir  hauptsächlich  um  den  Nachweis  der  letzteren 
als  Goethe's  Quellen  zu  thun,  während  es  im  vorliegenden 
Falle  darauf  ankommt,  die  Spuren  chinesischen  Schriftthums 
bei  Goethe  aufzusuchen.  Hierbei  werde  ich  jedoch  das, 
was  ich  in  den  Aufsätzen  über  -»Elpenori  und  über  die 
•i!  Chinesisch-deutschen  Jahirs-  und  Tageszeiten«  bereits  aus- 
führlich dargelegt  habe,  jetzt  nur  soweit  wiederholen,  als  es 
zum  Verständniß  des  gesteckten  Ziels  nothwendig  ist,  Einzel- 
heiten dagegen  als  bekannt  stillschweigend  voraussetzen. 

Unbeachtet  kann  bleiben,  daß  GoETHE  bereits  1770 
die  sechs  klassischen  Bücher  der  Chinesen  sich  anmerkte, 
da  kein  Zeugniß  vorliegt,  daß  diese  Anmerkung  auf  etwas 
Weiterem  beruht,  als  auf  oberflächlicher  Nachricht  von  deren 
Vorhandensein  und  dem  Wunsche,  die  Erzeugnisse  der  ab- 
gelegenen Welt  kennen  zu  lernen.  Wirkliches  Eindringen  in 
chinesische  Schriften  bekundet  zuerst  der  Eintrag  in  sein 
Tagebuch  vom  10.  Januar  1781:  »Kam  2j.  [der  Herzog]  In 
den  Briefen  über's  Studium  der  Theologie  gelesen.  O  Ouen 
Ouang!«  Diese  chinesischen  Namen  kommen  unzählig  oft 
im  IL  und  III.  Bande  eines  Werkes  vor,  das  damals  von 
hoher  Bedeutung  für  die  Kenntniß  Chinas  und  in  Weimar 
besonders  mehrfach  novellistisch  (durch  Freiherrn  von 
Seckendorff  namentlich)  ausgebeutet  worden  war:  »Des- 
cripiion  de  la  China  von  Du  Halde,  ins  Deutsche  über- 
setzt unter  dem  Titel:  «Jo/ianJi  Baptista  dji  Halde,  Aus- 
führliche Beschj-eibuiig  des  chinesiscJien  Reichs.«  (4  Bände, 
1747 — 1749-)  Es  enthält  sehr  gründliche,  von  sachkundigen 
und  gelehrten  Jesuiten  bearbeitete  Schilderungen  der  Ver- 
waltung, Sitten,  Religionen,  Wissenschaften  und  Dichtung 
der  Chinesen  nebst  mannigfachen  Uebersetzungen  aus 
chinesischen    Schriften.     In    diesem  Werke    finden    sich    die 


176 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


beiden  von  GOETHE  angeführten  Namen  so,  wie  er  sie  ge- 
schrieben, zwar  zusammen,  jedoch  in  umgekehrter  Folge: 
Ouang  Ouen:  außerdem  aber  zwar  wahrscheinHch  dieselben 
Namen  in  derselben  Folge,  wie  in  GoeTHE'S  Tagebuch, 
anders  transscribirt:  Yen  Yang.  Wm  Wang,  wie  jetzt  zu 
schreiben  üblich,  war  ein  ausgezeichneter  Mensch  und 
Herrscher,  von  den  im  II.  Bande  des  genannten  Werks 
außerordentlich  viele  Aeußerungen  und  Geschichten  erzählt 
werden '••■),  an  deren  eine  GOETHE  sich  gelegentlich  der  Zu- 
sammenkunft mit  dem  Herzog  erinnert  haben  könnte;  in- 
dessen ist  es  wahrscheinlicher,  daß  GOETHE  die  Namen  in 
derselben  Schreibweise,  wie  er  sie  gelesen,  auch  wieder  ge- 
schrieben, deren  Reihenfolge  dagegen  versehentlich  vertauscht, 
also  eine  Aeußerung  von  Ouang  Ouen  im  Sinne  gehabt 
habe.  Solche  stehen  II,  321  und  III,  318.  An  erster  Stelle 
wird  erzählt,  wie  der  Staatsbeamte  Ouang  Ouen  seinen  Ge- 
halt mit  Betrübniß  in  Empfang  nimmt,  indem  er  sich  ver- 
gegenwärtigt, wie  vielen  Landesunterthanen  es  blutsauer 
wird,  die  Steuern  aufzubringen,  aus  deren  Ertrag  die  Beamten 
ihren  Gehalt  beziehen.  Diese  Aeußerung  dürfte  gemeint 
sein,  da  sie  völlig  mit  den  wiederholt  von  GOETHE  be- 
kundeten, ihm  als  damaligem  Kammerpräsidenten  besonders  am 
Herzen  liegenden  Yerwaltungsgrundsätzen,  deretwegen  er  sich 
manchmal  mit  dem  Herzog  in  Widerstreit  befand,  übereinstimmt. 

Noch  in  eben  dem  Jahre  1781,  in  dem  GOETHE  jene 
Namen  in  seinem  Tagebuch  erwähnte,  begann  er  das,  Bruch- 
stück gebliebene  Schauspiel  »E/peuor« ,  das  zweifellos  seine 
Quellen  in  zwei  Erzeugnissen  chinesischer  Dichtung  hat: 
einer  Erzählung  und  einem  Schauspiel.  Jene  überliefert 
Du  Halde  im  III.  Bande  S.  374  —  384;  ihr  Inhalt  ist  kurz 
folgender: 

Ein    Ehepaar  Liu  Jü    und  Ouang   mit   Namen,    hat  nur 


*j  S.  327,  34of.,  358ff.,   366,  387,  389f.,  415,  419,  431,  457,468, 
516   und   562   der  Uebersetzung. 


6.  Goethe  und  das  Schriftthum  China's. 


177 


ein  Kind,  einen  Sohn  Hi  öhrl,  der  in  zartem  Alter  bei  einem 
Festaufzug  sich  in  der  Menge  verhert  und  trotz  aller  Be- 
mühungen nicht  wieder  gefunden  wird.  Der  Schmerz  über 
den  Verlust  verleidet  dem  Liu  Jü  den  Aufenthalt  in  der 
Heimat;  er  unternimmt  ausgedehnte  Handelsreisen  und  hat 
dabei  Gelegenheit  einem  andern  Kaufmann  einen  wichtigen 
Dienst  zu  leisten,  wodurch  er  in  dessen  Haus  kommt.  Dort 
sieht  er  einen  Knaben,  der  \'om  ersten  Augenblicke  an,  wo 
er  Liu's  ansichtig  wird,  seine  Augen  nicht  von  ihm  wendet, 
wie  auch  Liu  den  Knaben  sofort  mit  ungewöhnlicher  Zu- 
neigung betrachtet.  Nach  allseitigem  Aussprechen  ergiebt 
sich  nun,  daß  dieser  Knabe  von  einem  Strolch,  der  ihn  ge- 
stohlen hatte,  gekauft  worden  ist,  und  wie  sein  x\lter  mit 
dem  Hi  öhrls  übereinstimmt,  so  beseitigt  noch  ein  Mutter- 
mal alle  Zweifel,  daß  dieser  Knabe  Liu's  vor  sieben  Jahren 
verloren  gegangener  Sohn  ist.  —  Inzwischen  ist  Liu  in 
seiner  Heimath,  wohin  während  seiner  mehrjährigen  Ab- 
wesenheit keine  Nachricht  von  ihm  P"elangt  ist,  für  todt  ge- 
halten  worden,  und  sein  jüngerer  Bruder,  Liu  Pao,  ein 
heruntergekommener  Mensch,  drängt  deßhalb  die  Frau  des 
Liu  Jü,  die  er,  um  in  Besitz  des  brüderlichen  Vermögens 
zu  kommen,  los  sein  will,  sich  anderweit  zu  verheirathen. 
Da  diese  jedoch  dem  Gatten  ihre  Treue  bewahrt,  verhandelt 
er  sie  heimlich  und  beredet  mit  dem  Käufer  deren  gewalt- 
same Entführung.  Durch  zufällige  Umstände  geschieht  es 
aber,  daß  anstatt  der  Ouang  vielmehr  Liu  Pao's  eigne  Frau 
entführt  wird,  während  jene  überdies  Schutz  findet  bei  ihrem 
gleich  darauf  mit  dem  Sohne  zurückkehrenden  Gatten. 

In  dieser  Erzählung  haben  wir  schon  vier  Motive,  die 
in  ^>Elpenor«  —  wie  dieses  Schauspiel  theils  vorliegt,  theils 
dessen  Verlauf  in  logischer  Entwickelung  aus  dem  vorliegen- 
den Bruchstück  zu  denken  ist  —  verwebt  sind:  der  Raub 
eines  Sohnes  bei  einem  Getümmel,  dessen  unerwartetes 
spätes  Wiederfinden  seitens  eines  der  Eltern ,  das  dabei 
unbewußter  Weise    gegenseitig    zum    Ausbruch    kommende 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  12 


178 


V.   Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


Gefühl  natürlicher  Zusammengehörigkeit  und  die  Feststellung 
der  Persönlichkeit  des  Wiedergefundenen  durch  ein  Muttermal. 

Das  Schauspiel  Tschao  sein  kii  öhrl  —  ^'Des  Hauses 
Tschao  kleine  Wazse«.  —  auf  welches  die  Anlage  von 
Goethe's  »E/penor<i  wesentlich  gegründet  ist  —  steht  gleich- 
falls im  III.  Bande  des  Werkes  von  Du  Halde.  Beide 
Schauspiele  gleichen  sich  darin,  daß  in  jedem  zwei  Gewalt- 
haber gemeinschaftlich  zur  Ausübung  bedeutender  Macht 
berufen  sind,  der  eine  den  ihn  beschränkenden  Genossen 
verrätherisch  um's  Leben  bringen  läßt,  auch  dessen  Sohn 
zu  tödten  befiehlt,  der  aber  heimlich  gerettet  und  dann  in 
Folge  vom  Retter  erregten  Irrthums  vom  Todtfeind  wie 
ein  eignes  Kind  —  im  »E/penorc-  als  sein  eignes  —  er- 
zogen, sowie  der,  für  den  Mörder  angesehene  Retter  ehren- 
voll gehalten  wird.  Ferner  wird  in  beiden  Schauspielen 
erst  das  herangewachsene  Kind  mit  dem,  gegen  seine  Familie 
verübten  Verbrechen  bekannt  gemacht,  und  zwar  zunächst 
ohne  daß  dessen  Urheber  genannt  oder  gekannt  ist;  es  spricht 
lebhaft  seine  tiefe  Entrüstung  über  die  verübte  Unthat  aus 
und  geht  bereitwillig  die  ihm  angesonnene  heilige  Ver- 
pflichtung ein,  den  Thäter  zu  erforschen  und  ihn  deßhalb 
zur  Verantwortuncr  zu  ziehen,  geräth  aber  dadurch  nach  Ent- 
deckung  des  Verbrechers  in  einen  Widerstreit  \on  Pflichten, 
und  entscheidet  sich  dann  für  Erfüllung  der  gelobten  Sühne. 
Außer  diesen,  den  größten  nnd  wesentlichsten  Theil  beider 
Schauspiele  ausmachenden  Thatsachen,  diesen  dreizehn  Mo- 
tiven, wiederholen  sich  einzelne  Züge  aus  dem  chinesischen 
Drama  im  ''Elpenorf.  so  des  Knaben  Vorliebe  für  Pferde 
und  für  Waffenübungen,  das  Schwanken  des  Retters  hier 
wie  dort,  ob  die  Wahrheit  an  den  Tag  gebracht  werden 
solle,  wobei  beiderseits  die  Entscheidung  vom  Eintritt 
äußerer  Umstände  abhängig  gemacht  wird. 

Das  Ergebniß  der  Vergleichung  der  hier  genannten 
Dichtungen  ist  also,  daß  die  Uebereinstimmungen  zwischen 
dem  chinesischen  Roman  und  Schauspiel  einer-  und  »Elpenor'^ 


6.   Goethe  und  das  Schriftthum  China's. 


179 


andrerseits  mit  zusammen  siebzehn  Motiven  allzu  zahlreich 
sind,  als  daß  das  Walten  eines  Zufalls  nicht  für  undenkbar 
anzusehen  wäre.  Die  allerdings  auch  nicht  unbedeutenden 
Verschiedenheiten  erklären  sich  aber  vollkommen  durch 
unerläßliche  Rücksichten  auf  die  deutsche  Bühne  und  euro- 
päische Zuhörerschaft,  wie  ich  anderwärts  erschöpfend  aus- 
einandergesetzt habe.  Die  von  anderer  Seite  geltend  ge- 
machte Aehnlichkeit  mit  griechischen  Tragödienstoft'en,  die 
Goethe  zu  Benennung  der  Personen  im  »ElpcHoyi ,  auch 
vielleicht  zu  einigen  Zügen  veranlaßt  haben  können,  sind 
deßhalb  nicht  durchschlagend,  weil  bei  keinem  derselben  auch 
nur  angedeutet  w^ird,  was  in  y>Elpenor<'  der  Hauptzug  ist: 
die  Naturgewalt,  die  Eltern  und  Kinder,  obschon  unbekannt 
sich  gegenüberstehend,  trotz  aller  Hindernisse  wieder  zu- 
sammenführt. Im  Gegentheil  wissen  griechische  Sagen  und 
Dramen  von  solchem  Naturgefühl  nichts:  die  hülfesuchende 
Antiope  wird  vom  Sohne  abgewiesen,  Elektra  will  ihre 
Schwester  ebenso,  wie  Merope  ihren  Sohn  ermorden,  und 
sie  alle  unterlassen  die  Unthat  nur,  nachdem  sie  von  fremden 
Leuten  erfuhren,  wer  die  von  ihnen  Bedrohten  sind;  Thyestes 
\'erspeist  sogar  mit  Appetit  seine  Söhne,  die  Atreus  ihm  ge- 
braten vorgesetzt  hatte.  Griechische  Namen  und  Sitten 
sind  daher  nur  wie  ein,  den  Chinesen  angelegtes  Gewand, 
damit  sie  bei  uns  bühnenfähig  würden. 

Seit  März  1783,  wo  das  Dichten  an  ^>Elpe}ior<  auf- 
hörte, vergeht  eine  Reihe  von  Jahren,  aus  denen  GOETHE 
nichts  über  Chinesenthum  zu  vernehmen  gegeben  hat;  erst 
im  Januar  1 796  ist  im  Briefwechsel  mit  SCHILLER  von  einem 
chinesischen  Roman  die  Rede,  auf  den  wir  an  geeigneterer 
Stelle  zurückkommen  werden.  Vermuthlich  sind  zwischen 
beiden  Dichtern  Erzeugnisse  des  chinesischen  Schriftthums 
öfters  besprochen  worden,  da  Schillp:r  den  eben  gedachten 
Roman  später  zu  übersetzen  \orhatte,  und  GoETHE  in 
einem  Brief  an  jenen  aus  dem  Januar  1798  wieder  über 
chinesische  Philosophie   sich    ausläßt.     Er   berichtet  darüber 


l8o  V.  Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

nach  dem  von  Joachim  CHRiSTOrn  Finx  unter  dem  Namen 
Erasmus  Francisci  1670  herausgegebenen  ^>  Netipolh-ten 
Geschieht-,  Kunst-  und  Sittenspiegel  ausländischer  Völker«, 
einem  Buche,  das  auf  1550  gespaltenen  Folioseiten  eine 
Sammlung  von  seltsamen  Begebenheiten,  Naturmerkwürdig- 
keiten, Polizei-  und  Kriegsordnungen,  Sitten,  gottesdienst- 
lichen Gebräuchen,  Wissenschaften,  Künsten,  Jagden  u.  s.  w. 
der  verschiedensten  Völker,  insbesondere  auch  der  Chinesen 
enthält,  ohne  Plan  und  nicht  etwa  zu  dem  wissenschaftlichen 
Zweck  vergleichender  Kulturgeschichte,  bloß  als  Kuriositäten- 
cabinet,  von  einem  in  jeder  Hinsicht  beschränkten  Geiste 
zusammengetragen.  Was  aber  Goethe  nach  Briefen  an 
Schiller,  (dessen  ^)  T?(randot«  auch  in  China  sich  abspielt), 
so  anmuthete,  war,  daß  ein  mit  dem  Jesuitenmissionar  RiCCI 
streitender  Chinese  Ansichten  vertrat,  die  mit  Spinoza's, 
von  Goethe  seit  lange  gehegter  und  vertheidigter  Philosophie 
in  Einklang  stand.  Es  konnte  daher  nicht  fehlen,  daß  er 
Stellen,  wie  folgende  (S.  45)  mit  Vergnügen  las:  »Es  ist  zu 
merken,  daß  die  chinesische  Götzensekte«  —  womit  die 
Buddhisten  gemeint  sind  — ,  »unter  andren  diesen  schäd- 
lichen Irrthum  lehre:  Gott  und  alle  übrige  Dinge  seien  von 
einerlei  Substanz,  welcher  Irrsatz  allgemach  auch  in  die 
Schulen  der  Gehrten  eingeschlichen  und  darauf  auszulaufen 
scheinet,  daß  Gott  die  Seele  der  ganzen  Welt  und  gleichsam 
ein  Verstand  oder  Geist  dieses  so  großen  Körpers  sei.« 
Und  weiterhin:  »Angemerkt,  dieses  ihr  fürnehmster  Irrthum 
ist,  daß  sie  den  Herrn  der  Natur  mit  der  Natur  selbsten 
confundiren. "  Und  wenn  gar  der  chinesische  Gelehrte  (S.  43) 
sagte:  »Ich  leugne  zwar  nicht,  daß  ein  solcher  Regent  des 
Himmels  und  der  Erden  werde  gefunden,  vermeine  aber, 
er  sei  von  keiner  besonders  großen  Majestät,  Kraft  und 
göttlicher  Gewalt,  sintemal  auch  ich  .  .  .  und  ein  jedweder 
andrer  Mensch  ihm  gleich  seind  und  ihm  in  keinem  Dinge 
weichen«  —  so  mußte  GoETHE  darin  gewiß  mit  großer  Be- 
friedigung seinen   >> Prometheus 'i   wiedererkennen  mit  dessen: 


6.  Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  i8i 


Ich  bin  kein  Gott, 
Und  bilde  mir  so  viel  ein  als  einer. 
Nach  fünfzehn  Jahren  beginnt  ein  mehrjähriger  Zeitraum, 
in    dem    eine    Reihe    von    Zeugnissen    über   Goethe'S    ein- 
gehendere Beschäftigung  mit  Chinesenthum  vorliegt.    In  den 
»  Tag-    und  JaJiresJLcftcn «    berichtet    er    zu    1 8 1 3 ,    dai3    er, 
während    in    der    politischen   Welt     ungeheuere    Ereignisse 
drohten,  sich  eigensinnig  auf  das  Entfernteste  geworfen  und 
deßhalb  nach  seiner  Rückkehr  aus  Karlsbad  sich  mit  ernst- 
lichstem Studium  dem  chinesischen  Reiche  gewidmet  habe. 
Im    Tagebuch    bemerkt     er    vom    2.   bis    16.  October    fast 
täglich:   ^>Sinica<i.    Er  durchsah  Werke  verschiedenster  Rich- 
tungen: Martini' s  Atlas  von  China,  Paivs  RechercJies  pJiilo- 
sopJiiques  sw-  les  Egyptiens  et  les  Chinois,  Marco  Polo's  De 
regionibus  orientalibus  libri,  sowie  Barrozvs  und  Macartncy  s 
grossbritaniscJie     Gesandtschaf isreise.      Am     10.    November 
schreibt   er  KNEBELN:    es   sei   heilsam,    sich  in  einem  ganz 
andern  Zustand  auch  nur  in  Gedanken  zu  befinden,    wobei 
die  Anwesenheit    des  Sinologen  Klaproth    ihm    förderlich 
sei.     Diese   Förderniß    erstreckte    sich    vermuthlich    in    der 
Hauptsache  auf  die  chinesische  Sprache,  die  GoETHE  gleich- 
falls   und    so    mit    Eifer    trieb,     daß    er    —   nach    Brief   an 
Meyer  aus  dem  Mai   18 16  —  den  Prinzessinnen  Marie  und 
Auguste   chinesisch  vorschreiben   konnte.     Fast  alle  die  an- 
geführten Schriften    ergehen   sich   in  Schilderungen   der   bei 
jeder  Veranlassung    von    den    Chinesen    in    Uebermaß    voll- 
zogenen Ehrenbezeigungen,  und  es  ist  daher  die  Vermuthung 
nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  die,  in  der  päda- 
gogischen   Provinz    der    »Wanderjahre '     so    ausführlich    be- 
schriebenen Ehrenerweisungen  in  den  chinesischen  ihre  Quelle 
haben;    namentlich   sind   die    der  Schüler   gegen   die  Lehrer 
ein  Gegenstück  zu  den,  von  Du  Halde  II,   308  berichteten. 
Im  Jahre    181 5    ist  wieder   der   1796   erwähnte  Roman 
der  Zeitfolge    nach   zu  nennen,    aber   auch  jetzt  noch  nicht 
eingehend  zu  behandeln,  sodaß  vorher  aus  dem  Jahre   1 8 1 7 


l82  V.  Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


der  von  DAVIS  herausgegebenen  englischen  Uebersetzung 
des  chinesischen  Schauspiels  Lao  soig  öJirl,  An  Heir  in  his 
old  agc  (wörtlich:  •>'>Des  Greises  spätes  Kind')  zu  gedenken 
ist.  Goethe  las  es  am  4.  September  und  sehickte  es  am 
9.  October  an  KNEBEL,  indem  er  ihm  schrieb:  es  wolle  zwar 
Anfangs  nicht  munden,  wenn  man  es  aber  durchlese  und  dann 
überschaue,  so  müsse  man  es  als  ein  höchst  merkwürdiges 
und  verdienstliches  Werk  anerkennen.  Der  Inhalt  ist  fol- 
gender: Ein  alter  Mann,  dem  seine  eigentliche  Gattin  keinen 
Sohn  geboren,  freut  sich  der  Aussicht,  von  einer  schwangeren 
Nebenfrau  einen  solchen  zu  erhalten,  allein  seine  Gattin, 
seine  Tochter  und  sein  Schwiegersohn,  von  der  Geburt 
eines  Sohnes  Schmälerung  ihres  Erbes  befürchtend,  schaffen 
die  Nebenfrau  bei  Seite  und  geben  vor,  sie  sei  mit  einem 
Liebhaber  auf  und  davon  gegangen.  Da  nun  die  Tochter 
nicht  mehr  der  Familie  der  Eltern,  sondern  der  ihres  Gatten 
angehört,  also  ihre  Kinder  ihn  nicht  als  zu  verehrenden 
Ahn  zu  betrachten  haben,  so  hat  der  Alte  Ursache,  das 
nach  chinesischen  Religionsbegriffen  traurige  Loos  zu  be- 
jammern, dal3  an  seinem  und  seiner  Vorfahren  Grabe  künftig 
nicht  die  vorgeschriebenen  Opfer  gebracht  werden.  Die 
Trostlosigkeit  des  Alten  erweicht  endlich  die  Tochter,  welche 
ihm  nunmehr  die  verborgen  gehaltene  Nebenfrau  und  zu 
gleich  einen  von  dieser  geborenen  Sohn  zuführt.  GOETHE 
sagt  über  dieses  Schauspiel:  es  erinnere  an  ^ Die  Hagestolzen^. 
von  Iffland,  ergreife  jedoch  tiefer,  da  der  Hagestolz  nur 
unter  ungemüthlichen  Zuständen  leide,  während  der  chinesische 
Alte  außerdem  auch  durch  religiös  begründete  Vorstellungen 
unendlich  gepeinigt  und  grenzenloser  Verzweiflung  überliefert 
werde. 

Von  da  ab  liegt  ein  Jahrzehnt  hindurch  bis  jetzt  keine 
nähere  Kunde  darüber  vor,  ob  GoETHE  sich  in  dieser  Zeit 
um  chinesische  Literatur  gekümmert  hat,  denn  worauf 
die  Bemerkung  im  Tagebuch  unterm  24.  September  1824 
»An  Professor  Bach:maxx   wegen   der   Sinica<    sich  bezieht, 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  183 

ist  z.  Z.  nicht  ermittelt.  Erst  aus  der  Zelt  von  Februar 
bis  August  1827  wissen  wir  schon  jetzt  Genaueres  aus 
Tagebucheinträgen,  die  vor  der  Veröffentlichung  der  Tage- 
bücher dieses  Jahres  in  der  Weimarer  Goethe- Ausgabe  be- 
kannt worden  sind.  Diese  weisen  nach:  am  2.  und 
3.  Februar  » Chinesisches  Gedicht.  Chinese  Coiirtship,  Chi- 
nesische Werbung<i-\  am  5.  Februar  «Chinesische  Dichte- 
rinneni.^  am  14.  und  19.  Mal  -^^Der  chinesische  Roman 
übersetzt  von  Rl^MUSAT« ,  nämlich  »Ju  klao  11,«  der  1826 
unter  dem  Titel  -iiLes  deiix  cousines«.  und  1827  nach  dieser 
französischen  Uebersetzung  deutsch  als  ^Die  beiden  Basen^ 
erschienen  war;  am  22.  August  -  Contes  Chinoises  fort- 
gesetzt«, worunter  die  1827  von  Remusat  und  nach  Ihm 
noch  In  demselben  Jahre  Ins  Deutsche  übersetzten  zehn 
kleinen  Erzählungen  zu  verstehen  sind,  von  denen  einige 
bereits  in  Du  Halde's  III.  Bande,  sowie  1822  von  DAVIS 
unter  dem  Titel  » Chinese  Novelsy.  englisch  bekannt  gemacht 
worden  waren. 

Dem  damaligen  Lesen  mehrerer  chinesischer  Dichtungen 
entsprechen  auch  wieder  mehrere  schriftstellerische  und 
dichterische  Leistungen  Goethe's  im  Jahre  1827.  Nicht 
daß  ihn  jedes  der  genannten  chinesischen  Werke  dazu  an- 
geregt hätte,  wie  sich  denn  aus  den,  von  Ri^MUSAT  über- 
setzten Erzählungen  nur  einzelne  Züge  gelegentlich  von  ihm 
benutzt  finden  (z.  B.  das,  gegen  Ende  des  VIII.  Abschnittes 
des  Romans  »Ju  kiao  11«  als  Zeitvertreib  gebildeter  Leute  be- 
zeichnete Versemachen  beim  gemeinschaftlichen  Trinken  im 
ersten  Gedichte  der  » Chinesisch-Deutschen  Jahres-  und  Tages- 
zeiten 1.),  aber  die  am  5.  Februar  im  Tagebuch  angemerkte 
Sammlung  von  «Hundert  GedicJiten  schöner  Frauen v.  {Pe 
mei  sing  yung)  zeigte  er  im  VI.  Bande  »  Ueber  Kunst  und 
Alterthum«.  an,  wobei  er  einzelne  Gedichte  deutsch  wieder- 
gab, und  ferner  schrieb  er  die  »Deutsch-Chinesischen  Jalires- 
und  Tageszeiteii'i. 

Die  unter  diesem  (iesammtnamen  aneinander  o-ereihten 


l^A  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

vierzehn  Gedichte  sind  ein  ganz  eigenartiges  dichterisches 
Erzeugniß,  zu  dessen  vollem  \"erständniß  nur  unter  Berück- 
sichtigung der  fremdartigen  .  Eigenthümlichkeit  der  Quelle  zu 
gelangen  ist.  Die  einzelnen  Stücke  beginnen  in  der  Mehr- 
zahl mit  einem  aus  dem  Leben  oder  aus  der  Natur  ge- 
nommenen Bilde,  das  die  Stimmung  zu  einer  daran  geknüpften 
Betrachtung  anregt,  China  hat  zwar  nicht  durchgängig  den 
Stoff  so  entschieden  dazu  geliefert,  daß  jede  andere  Quelle 
von  vornherein  als  ausgeschlossen  betrachtet  werden  müßte, 
und  das  eine  und  andere  Stück  könnte  man  auch  für  rein 
deutschen  Ursprungs  halten,  wenn  sich  nicht  alle  durch  die 
Verbindung  mit  den  übrigen  als  ostasiatisch  gedacht  be- 
kundeten, und  wegen  mehrerer,  unverkennbar  auf  China  be- 
züglicher Gedichte  sich  die  Forderung  aufdrängte,  zu  ermitteln, 
welche  der  1827  von  GoETHE  gelesenen  chinesischen  Dich- 
tungen ihnen  zu  Grunde  liegt.  Das  chinesische  Liederbuch 
{Scki  King)  kann  dabei  —  abgesehen  vom  ganz  und  gar 
verschiedenen  Inhalt  —  schon  darum  schlechthin  nicht  in 
Frage  kommen,  weil  GOETHE  von  dieser  Gedichtsammlung» 
von  der  es  zu  jener  Zeit  keine  irgendwie  genießbare  Ueber- 
setzung  gab,  keine  zur  Nachdichtung  anregende  X'orstellung 
haben  konnte.  Nur  jemand  vermochte  auf  ScJii  King 
verfallen,  der  von  chinesischer  Dichtung  gar  nichts  kannte, 
auch  dieses  Werk  nur  dem  Namen  nach.  Zur  chinesischen 
Quelle  leitet  indessen  das  Gespräch  mit  ECKERMANX  vom 
31.  Januar  1827.  Ihm  erzählte  GOETHE  dabei  von  einem 
chinesischen  Roman,  in  dem  man  die  Goldfische  in  den 
Teichen  immer  plätschern,  die  Vögel  auf  den  Zweigen  immer- 
fort singen  höre;  der  Tag  sei  immer  klar,  vom  Monde  sei 
viel  die  Rede,  aber  er  verändere  die  Landschaft  nicht,  sein 
Schein  sei  so  hell  gedacht,  wie  der  Tag  selber;  Anspielung 
auf  unzählige  Legenden  gingen  nebenher.  Wenn  wir  diese 
Einzelheiten  in  einem  der  von  GoETHE  gekannten  chinesischen 
Dichtwerke  zusammen  antreffen,  und  der  Hauptsache  nach 
nur  in  einem,  so  müssen  wir  bei  dem  geringen  Umfang  der 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  185 

Goethe  zugängigen  chinesischen  Dichtungen  unbedingt  eben 
dieses  als  dasjenige  bezeichnen,  über  das  er  sich  gegen 
Eckermann  so  lebendig  aussprach. 

Die  Dichtung  nun,  in  der  die  gedachten  Anführungen 
Goethe's  sich  nachweisen  lassen,  ist  Hoa  tsien  ki,  deutsch 
■»Geschichte  vom  Bhunenpapien,  eine  Dichtung,  die  man 
Roman  in  Versen,  oder  Epos,  oder  Idyll  nennen  könnte, 
worin  in  57  Abschnitten  oder  Gesängen  ziemlich  einfache 
Begebenheiten  erzählt  w^erden,  die  an  sich  geringen  Raum 
einnehmen  würden,  deren  Darstellung  aber  dadurch  zu  be- 
trächtlicher Ausdehnung  angewachsen  ist,  daß  die  Umgebung 
und  das  Xaturleben  innigst  mit  den  Begegnissen  der  Handeln- 
den verwebt  und  geschildert  werden.  Schon  die  ersten 
Zeilen  der  Einleitung  des  ■»Bliimenpapiers'i  leiteten  GOETHE 
zu  dem  Titel  seiner  Dichtung;  denn  da  ist  von  der  Abend- 
luft und  vom  Hörn  des  zunehmenden  Mondes  die  Rede, 
also  von  Tages-  und  Jahreszeiten.  Uebrigens  waren  die  im 
^>Blnuienpapier^'  sich  in  Fülle  zudrängenden  Bilder,  gehoben 
durch  den  Schwung  der  für  gebundene  Rede  gedichteten 
Erzählung,  so  sehr,  und  sie  allein,  geeignet  den  genießenden 
Dichter  zu  eigener  schöpferischer  Thätigkeit  anzuregen,  daß 
daneben  die  nüchternen  chinesischen  Prosaromane,  die  er 
gleichzeitig  las,  garnicht  in  Beträcht  kommen  können. 

Es  beeinträchtigt  diesen  Nachweis  nicht,  daß  ein  paar 
von  Goethe  nach  Eckermann  erwähnte  Vorkommnisse 
nicht  im  i'Bljimenpapier'^ ,  sondern  in  andern,  damals  ver- 
öffentlichten chinesischen  Dichtungen  sich  finden.  So  nament- 
lich das  \on  einem  Jüngling  und  einem  Mädchen,  die  in 
ihrer  Unschuld  sich,  obwohl  sie  zusammen  schlafen,  zu  keiner 
unreinen  Berührung  verführen  lassen,  was  in  der  1820  über- 
setzt erschienenen  Novelle  >  The  affectionate  pair«  erzählt 
wird,  die  KuRZ  1835  unter  dem  Titel:  'Der  männliche  jmd 
der  weibliche  Brtider«  verdeutscht  hat.  Ebenso  ist  das  Bild 
von  dem,  auf  einer  Blume  sich  wiegenden  Mädchen  anders- 
wo zu  suchen,  und  zwar  in  dem  Gedicht  auf  die  mit  nied- 


j36  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

liehen  Füßen  begabte  See  Yaou  Hing,  von  Goethe  in  seinem 
Aufsatz  iCJänesischeS'i  aufgenommen.  GOETHE  hat  also 
nicht,  wie  ECKERMANN  es  darstellt,  nur  Züge  aus  Einer 
chinesischen  Dichtung  geben  wollen,  sondern  hat  eine  Ueber- 
schau  über  mehrere  gehalten  und  Bemerkenswürdiges  daraus 
hervorgehoben.  Völlig  gleichgültig  ist  es,  wenn,  wenigstens 
nach  Eckermann,  Goethe  erzählt  haben  soll,  daß  das 
Lachen  lieblicher  Mädchen  vernommen  und  diese  sodann 
auf  Bambusschaukelstühlen  (Tung  -  Po  -  Stühlen)  angetroffen 
worden  seien,  während  diese  beiden  Umstände  nicht  so  in 
unmittelbarer  Folge   im    »Blmneiipapier«   erscheinen. 

Goethe  hat  nun  Persönliches  und  Allgemeines  in  ähn- 
licher Weise  wie  der  chinesische  Dichter  in  Anknüpfung  an 
das  Naturleben  ausgesprochen,  aber  auch  gelegentlich  seine 
producirende  Kritik  geübt,  u.  a.  wenn  er  im  Gegensatz  zu 
der,  im  Gespräch  mit  Eckermann  getadelten  Gleichgültig- 
keit des  chinesischen  Dichters  gegen  den  Einfluß  von  Natur- 
erscheinungen, wie  des  Mondscheins  auf  die  Landschaft,  im 
8.  Gedichte  {y-Däminrung  senkte  sich  von  oben  etc.<s.)  den 
Einbruch  der  Nacht  so  wunderbar  schön  schilderte.  Wie 
sonst  die  einzelnen  Gedichte  der  » Chinesisch-Deutschen  Jahres- 
und Tageszeiteti<(.  von  Einzelheiten  der  » Geschichte  vom 
Blumenpapier«-  abhängen,  habe  ich  in  den  »  Goethe-Forschungen 
—  Neue  Folge'-'-  —  so  genau  dargelegt,  daß  ich  es  hier  zu 
wiederholen  nicht  nöthig  habe.  Ebenda  habe  ich  bemerkt, 
daß  nur  das  vierzehnte,  das  letzte  der  fraglichen  Gedichte 
Goethe's  auf  andern  Ursprung  hinweise.     Es  lautet: 

»Nun  denn!    Eh  wir  von  hinnen  eilen. 
Hast  noch  was  Kluges  mitzutheilen?« 
Sehnsucht  in's  Ferne,  Künftige  zu  beschwichtigen, 
Beschäftige  Dich  hier  und  heut  im  Tüchtigen. 

Wie  mit  der  ersten  Zeile  angedeutet  ist,  sind  die  » Jahres- 
und Tageszeiten"  eigentlich  schon  vorher  abgeschlossen,  und 
wenn  nach  deren  lufticfen  Gebilden  noch  etwas  Faßbares  ee- 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  187 

fordert  wird,  so  fällt  dies  aus  dem  Ton  der  vorhergegangenen 
dreizehn  Gedichte.  Als  GOETHE  im  Sommer  1779  sich  von 
Wieland  » Oberon«  hatte  vorlesen  lassen  und  an  der  Dich- 
tung sich  höchlich  ergötzt  hatte,  meinte  er  doch:  »Nur  wehe 
dem  Stück,  wenn's  Einer,  der  für  dieses  Wesen  taub  ist, 
hört!  So  Einer  fragt:  ä  quoi  boti?<i.  Aehnliche  Gedanken 
mochten  GOETHE  bewegen,  als  er  den  dreizehn  aus  dem 
•»Blumenpapier«  geschöpften  Gedichten  das  vierzehnte  hinzu- 
fügte. Er  fand  dessen  Inhalt  indessen  auch  durch  das  y>Bbunen- 
papieri.,  sowie  durch  viele  chinesische  Romane  gegeben,  w'o 
die  männliche  Hauptperson  ein  Gelehrter  ist,  der  sich  durch 
viele  Staatsprüfungen  zu  Bekleidung  hoher  Aemter  befähigt 
erweisen  muß  und  bei  allen  zarten  Verhältnissen  mit  Mäd- 
chen dennoch  dieses  Ziel  unentwegt  im  Auge  behält.  Aus- 
drücklich wird  die  im  obigen  Vers  enthaltene  Mahnung  in 
dem  Roman  -i'Die  beiden  Cousinejt'^  ausgesprochen.  Dort 
giebt  ein  junges  Mädchen  dem  von  ihr  heimlich  geliebten 
jungen  Mann  (im  XIV.  Abschnitte  des  Romans)  den  Rath, 
die  Ablegung  seiner  Prüfungen  zu  beschleunigen,  um  ver- 
diente Beförderungen  und  dadurch  die  Möglichkeit  zu  erlangen, 
alles  sonst  Erwünschte  sich  zu  verschaffen.  Ebendas  legt 
ihm  bald  darnach  sein  väterlicher  Oheim  ans  Herz,  w^obei 
er  sich  dann  erinnert,  daß  ihm  dies  schon  von  dem  Mädchen 
empfohlen  v>^ar. 

Was  bisher  von  Ableitung  GoETHE'scher  Dichtungen 
aus  chinesischen  Quellen  behandelt  worden  ist,  habe  ich  in 
der  Hauptsache  schon  früher  ausführlich  erörtert,  weshalb 
ich  mich  hier  verhältnißmäßig  kurz  darüber  fassen  konnte; 
es  bleibt  nun  aber  noch  zu  sprechen  über  den  Roman,  mit 
dem  Goethe  1796,  181 3  und  1827  sich  beschäftigt  hat. 
Die  englische  Uebersetzung  ist  von  dem,  durch  seine  Reli- 
ques  0/  ancient  English  Poetry  bekannten  Thomas  Percy 
1761    zu  London    in   vier   Bänden    herausgegeben.*)     Ueber 


*)  Haoti  A'iou   Chooan,  07-  The  plcasing  Hisiory. 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


diesen  Roman  unterhielt  sich  GOETHE  am  I2.  Januar  1796 
mit  Schiller,  der  ihn  später  ins  Deutsche  übertragen  woUte 
da  er  viel  Vortreffliches  enthalte  und  einzig  in  seiner  Art 
sei;  die  30  Jahre  früher  erschienene  Uebersetzung  V.  Murr'S 
genügte  nicht.  Aus  der  Erwähnung  des  chinesischen  Romans 
in  Schiller's  Brief  an  GOETHE  vom  24.  desselben  Monats 
erfahren  wir,  daß  GOETHE  ihn  eingehend  betrachtete.  An- 
scheinend kannte  er  indessen  den  Roman  schon  in  seiner 
ersten  Weimarer  Zeit,  wo  er  auch  Du  HALDE  las  und 
»Elpcnor^i  dichtete;  denn  AMPERE  schreibt  am  23.  Mai  1827 
seiner  Freundin  Rliic AMIER,  daß  GoETHE  damals  die  Vor- 
gänge dieses  Romans,  den  er  schon  vor  einem  halben  Jahr- 
hundert gelesen  gehabt,  noch  genau  in  Erinnerung  bewahre. 
Aber  in  der  Zwischenzeit  taucht  er,  wie  schon  oben  be- 
merkt, abermals  auf:  Grimm  theilt  aus  dem  Herbst  181 5 
mit,  daß  GOETHE  ihn  einer  bei  sich  versammelten  Gesell- 
schaft vorlas  und  erläuterte.  Diese  Thatsachen  führen  un- 
verbrüchlich zu  dem  Schluß  einerseits,  daß  GOETHE  sich 
nicht  so  tief  eindringend  und  so  nachhaltig  mit  diesem  Roman 
beschäftigt  haben  würde,  wenn  er  ihn  nicht  innerlich  ver- 
arbeitet hätte,  um  nach  seiner  Weise  etwas  für  eigne  Forschung 
oder  Dichtung  daraus  zu  gewinnen,  und  andererseits,  daß 
er  nicht  vor  1 8 1 5  zu  diesem  Ziele  gelangt  gewesen  sei,  weil 
er  ihn  dann  als  abgethan  nicht  vor  Zuhörern  ferner  ausführ- 
lich behandelt  haben  würde.  Von  einer  kritischen  Arbeit 
darüber  ist  nun  überhaupt  nichts  zum  Vorschein  gekommen, 
es  bleibt  also  nur  noch  zu  untersuchen,  ob  in  GoETHE's 
Dichtungen  seit  1 8 1 5  sich  Spuren  von  Hao  kiu  tschuen  ent- 
decken lassen.  Sehen  wir  uns  zunächst  diesen  selbst  näher 
an!  In  seiner  ganzen,  durch  zahlreiche  Zwischengeschichten 
erweiterten  Ausdehnung  brauchen  wir  ihn  für  unsren  Zweck 
nicht  zu  verfolgen;  ein  Auszug  aus  der  Hauptbegebenheit 
genügt. 

Ein  Mandarin  wünscht  seine  schöne  und  reiche  Nichte, 
deren    Eltern   in   Verbannung    leben,    mit    seinem   Sohne   zu 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  igg 

verheirathen.  Sie  ist  aus  guten  Gründen  diesem  Plane  ent- 
schieden abhold,  kann  sich  aber  den  mannigfachen  Nach- 
stellungen des  ihr  als  Gatte  zugedachten  Vetters  nur  mit 
Mühe  entziehen.  Dieser  geht  endlich  soweit,  eine  gewalt- 
same Entführung  zu  veranstalten;  dabei  findet  jedoch  die 
Entführte  Gelegenheit,  einen  vorübergehenden  jungen  Mann 
um  Hülfe  anzurufen,  der  dann  die  Leute  des  Entführers 
muthig  in  die  Flucht  schlägt  und  die  Gerettete  in  Sicherheit 
bringt.  Der  Retter  ist  ebenfalls  ein  Mandarinensohn,  der 
zur  Fortsetzung  seiner  Studien  die  Stadt  jenes  Fräuleins  zu 
seinem  Aufenthalt  ersehen  hat.  Der  hartnäckige  Werber 
stellt  sich  hierauf  zuvörderst  die  Aufgabe,  den  gefährlichen 
Beschützer  aus  dem  Wege  zu  schaffen-,  er  findet  Mittel,  den 
Speisen,  die  dieser  in  der  Herberge  genießt,  Gift  beizumischen 
und  hierdurch  dessen  bedenkliche  Erkrankung  herbeizuführen. 
Die  Vergiftung  wird  als  Ursache  der  Erkrankung  erkannt, 
und  um  ihren  Retter  nicht  unter  dem  Einfluß  des  vermutheten 
Giftmischers  zu  lassen,  sorgt  die  Mandarinentochter  dafür, 
daß  ersterer  in  ihr  eigenes  Haus  gebracht  und  da  verpflegt 
werde,  wodurch  sie  freilich,  wie  ihr  wohl  bewußt,  einen  Ver- 
stoß gegen  die  gute  Sitte  begeht.  Sie  betritt  indessen  die 
Gemächer,  die  dem  Kranken  eingeräumt  sind,  nie  und  sieht 
ihn  daher  nicht  eher  wieder,  als  bei  seiner  Genesung,  indem 
dann  beide  die  Mahlzeit  gemeinschaftlich,  nur  durch  einen 
durchsichtigen  Vorhang  getrennt,  einnehmen.  Dabei  fassen  sie 
gegenseitig  innige  Liebe  zu  einander,  was  so  kommen  mußte, 
da  sich  beide  in  jeder  Hinsicht  als  vorzügliche  Menschen 
darstellen.  —  Nun  fügt  es  sich  aber,  daß  die  Väter  dieser 
beiden  jungen  Leute  alte  Freunde  sind,  die  denn  —  nach- 
dem des  Fräuleins  Vater  aus  der  Verbannung  zurückberufen 
worden  war  —  ihre  Kinder  zu  verbinden  wünschen.  Dem 
widersetzt  sich  jedoch  das  Fräulein  wider  Erwarten,  weil  sie 
es  vor  ihrem  Gefühle  nicht  rechtfertigen  kann,  einen  Mann 
zu  heirathen,  den  sie  an  sich  gezogen,  in  ihrem  Hause  be- 
herbergt und  Wohlthaten  erwiesen  hat.    Ihr  Widerstand  wird 


jQQ  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 

nur  gebrochen  durch  ein  Mittel,  das  außerhalb  China's  schwer- 
lich anwendbar  ist:  der  Kaiser  befiehlt  die  Vereinigung  der 
für  einander  bestimmten  jungen  Leute,  nachdem  er  ihre 
Schicksale  erfahren  und  daran  lebhaft  theilgenommen  hat. 

Fragen  wir,  wodurch  GOETHE  früh  und  spät  von  dieser 
Geschichte  so  sehr  angezogen  wurde,  so  können  wir  dies 
nur  in  der  Würdigung  jenes  tiefen  Schicklichkeitsgefühls  des 
Mädchens  finden,  wodurch  selbst  Liebe  und  Leidenschaft 
zurückgedrängt  werden.  Kommt  nun  Aehnliches  in  einer 
Dichtung  Goethe's  nach  1815  vor?  Nach  diesem  Jahre 
fallen  zunächst  »  Wilhelm  Meisters  Wanderjahre  i  und  die 
darin  verwebten  Novellen.  Gehen  wir  diese  mit  Rücksicht 
auf  unsern  chinesischen  Roman  durch,  so  werden  wir  kaum 
bei  einer  andern,  als  dem  -»Mann  von  ßmf zig  Jahrem  halt- 
machen können.  Ueber  diese  Novelle  scheint  noch  keine 
eingehende  Untersuchung  stattgefunden  zu  haben,  zu  der  man 
sich  doch  schon  insofern  gedrängt  sieht,  als  wir  bei  großer 
Mehrzahl  von  Goethe's  Dichtungen  nachzuweisen  vermögen, 
daß  sie  entweder  aus  einer  Lebenserfahrung  horvorgegangen, 
oder  durch  eine  fi*emde  Dichtung  veranlaßt  sind,  während 
bezüglich  des  -»Mannes  von  fünfzig  Jahren  <■  noch  keine  von 
beiden  Quellen  ermittelt  ist. 

Die  Anfänge  dieser  Novelle  liegen  weit,  zurück:  im 
Tagebuch  ist  sie  schon  am  5.  October  1803  erwähnt;  dann 
erst  wieder  am  3.,  11.,  12.  und  13.  Juni  1807,  an  welchem 
Tage  Goethe  in  Karlsbad  daran  dictirte.  Am  4.  August  ist 
dann  bemerkt:  ^'Der  Mann  von  fünfzig  JaJcreno.  bis  zu  einer 
gewissen  Epoche«.  Am  9.  und  10.  December  sind  »Die  No- 
vellen zu  Wilhelm  Meisters  Wanderjahren«  allgemein  auf- 
geführt, am  1 1.  und  22.  April  1808  aber  wieder  besonders  »/?^r 
Mann  von  fünfzig  Jahren « .  GOETHE  hat  damals  überhaupt  an 
den  kleinen  Erzählungen,  wie  er  es  ausdrückte,  »schematisirt«. 
Nicht  früher,  als  am  9.  Juli  18 10  findet  sich,  daß  GOETHE 
wieder  die  »  Wanderjahre i  vornahm;  namentlich  ging  er 
■»Den  Mann  von  fünfzig  Jahrenx-  abermals  durch. 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  iqi 

\^on  da  ab  schweigen  die  Nachrichten  über  diese  Er- 
zähUmg  bis  1817,  wo  GOETHE  sie  zur  \^eröftentlichung  im 
»  Taschenbuch  für  Damen  auf  das  Jahr  iSiSf.^  an  Cotta 
gab.  Aber  freilich  war  sie  da  nichts  weniger,  als  abgeschlossen. 
In  diesem  Bruchstück  wird  lediglich  erzählt,  daß  ein  Major 
mit  seiner  Schwester  über  die  schon  längst  beabsichtigte 
Verheirathung  seines  Sohnes  mit  der  Tochter  der  Schwester 
sich  unterhält,  dabei  aber  erfährt,  daß  die  Tochter  nicht 
dem  Vetter,  sondern  vielmehr  dem  Oheim,  dem  Major  selbst, 
ihre  Liebe  geschenkt  hat.  Dieser,  durch  die  Bevorzugung 
vor  dem  jüngeren  Mann  geschmeichelt,  fühlt  sich  deshalb 
bewogen,  was  ihm  an  Jugend  fehlt  durch  ungemeine  Pflege 
seines  Aeußeren  unter  Anwendung  kosmetischer  Mittel  zu 
ersetzen.  Das  Ganze  scheint  darauf  angelegt,  da»  der  Major 
sich  durch  seine  Schönheitepflege  lächerlich  machen  werde 
und  dem  Mädchen  die  Augen  darüber  genöffnet  würden,  daß 
es  für  sie  naturgemäßer  sei,  einen  jungen  Mann  zu  lieben; 
denn  selbst  ein  etwa  denkbarer  Conflict  zwischen  Vater 
und  Sohn  ist  dadurch  abgeschnitten,  daß  Letzterer  seinerseits 
auch  in  anderswen,  in  eine  junge  Witwe,  verliebt  ist.  Da 
keinerlei  entscheidender  Schntt  zu  irgendwelcher  Lösung 
gethan  ist,  also  >  eine  gewisse  Epoche  <,  bis  wohin  die  Er- 
zählung am  4.  August  1807  gediehen  war,  in  dem  Bruch- 
stück des  Damentaschenbuchs  nicht  zu  erkennen  ist,  so  war 
handschriftlich  wahrscheinlich  1817  schon  mehr  vorhanden, 
als  Goethe  drucken  zu  lassen  räthlich  fand. 

In  den  1821  zuerst  erschienenen  -a  Wanderjahren <-<■  war 
jenes  Bruchstück  aufgenommen  und  eigentlich  nur  soweit 
fortgeführt,  daß  die  \"ermuthung,  der  Major  werde  durch 
seine  äußerlichen  Jugendlichkeitsbemühungen  das  Mädchen 
auf  andere  Gesinnung  bringen,  hinfällig  wird,  indem  jener, 
selbst  der  Schönheitspflege  überdrüssig,  sie  aufgiebt.  Ganz 
ohne  inneren  Zusammenhang  damit  erscheinen  indessen  später 
die  vom  Sohne  des  Majors  geliebte  Witwe,  sowie  die  Nichte 
des  Majors  unter  den  »Wandernden«  des  Hauptromans,  aber 


192 


V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


ohne  daß  man  erfährt,  welche  eigenthümlich  verschkingenen 
Verhältnisse  dahin  geführt  haben,  daß  die,  höhere  Zwecke 
verfolgenden  geheimnißvollen  »Verbündeten«  diese  Frauen 
ihrer  Fürsorge  gewürdigt  haben. 

Soweit  die  Erzählung  bis  1821  veröftentlicht  ward,  läßt 
sie  die  Annahme  zu,  daß  GOETHE  sie  unternommen  hat, 
um  Kotzebue'S  1795  erschienenem  Lustspiel  1  Der  Mann 
von  vierzig  Jahren<i^  in  producirender  Kritik  entgegenzutreten. 
In  diesem  Stücke  trägt  der  ältere  Mann  den  Sieg  über  den 
jüngeren  davon,  was  GOETHE  als  Verirrung  erkennen  mochte 
und  dies  wohl  zur  Darstellung  bringen  wollte.  Oder  sollte 
etwa  die  Ausgestaltung  eines  eignen  Erlebnisses  darin  zu 
erblicken  sein?  In  die  Jahre  1803  bis  1807  fällt  mit  den 
Anfängen  des  -f^ Mannes  von  fünfzig  Jaliren^s.  zusammen  die 
innige  Neigung,  die  der  in  den  fünfzigern  stehende  GoETHE 
für  Minna  Herzlieb  gefaßt  hatte,  und  die  in  mehreren  So- 
netten, in  ^'Pandora«  und  in  den  »  Wahlverwandtschaften  <(■ 
dichterischen  Ausdruck  fand.  Berührte  es  GOETHE  vielleicht 
unangenehm,  daß  die  Deutung  der  Novelle  auf  wirkliche 
Begebnisse  zu  nahe  lag?  Wie  man  aber  auch  das  Zaudern 
in  der  Fortsetzung  derselben  von  1807  bis  1817  und  dann 
wieder  bis  1823  oder  später  erklären  mag,  Thatsache  ist, 
daß  1830  in  den  umgearbeiteten  ■>•>  Wander  jähren«-  im  22. 
und  23.  Bande  der  Werke,  Ausgabe  letzter  Hand,  diese 
Novelle  eine  ganz  andere  insofern  geworden  ist,  als  ein  neues 
Motiv  als  hauptsächliches  in  den  Vordergrund  tritt.  Ent- 
scheidendes dürfte  am  5.  und  10.  August  1823,  wo  im  Tage- 
buche »Erfindung  gewisser  Scenen«  zum  -Mann  von  fnnfzig 
Jahren<(~  angemerkt  ist,  noch  nicht  erfolgt  sein;  es  läßt  sich 
das  schließen  einerseits  aus  dem  Umstände,  daß  nach  ECKER- 
M ANN  am  II.  September  1828  (Goethes  Gespräche  VI,j2jf) 
die  Handschrift  der  »  Wanderjahre  o-  noch  beträchtliche  Lücken 
aufwies,  sowie  andererseits  aus  Ampere's  Mittheilung,  daß 
Goethe  1827  den  chinesischen  Roman,  von  dem  sonst 
seit   18 15   nicht    mehr  die  Rede    gewesen   ist,    noch   lebhaft 


6.   Goethe  und  das  Schriftthum  China's. 


193 


in  Erinnerung  bewahrte,  also  er  ihn  wahrscheinHch  aus  irgend 
einem  Grunde  wieder  vorgenommen  hatte. 

In  den  y>  Wander  jähren  <i  von  1830  wird  hinsichtlich  der 
bisher  zu  vermissen  gewesenen  Zwischenbegebnisse  im  -»Mann 
von  fünfzig  Jahren«  erzählt,  daß  die  jungen  Leute  sich 
endlich  doch  einander  genähert  haben  und  von  dem  Major 
bei  einer  Schlittschuhfahrt  im  Mondschein  überrascht  werden. 
Der  Major  überzeugt  sich,  daß  er  nunmehr  in  seinem  Sohne 
einen  Nebenbuhler  erhalten  hat,  sieht  die  Unnatur  solchen 
Verhältnisses  ein  und  will  daher  zurücktreten.  Dem  wider- 
setzt sich  jedoch  die  Nichte;  es  verletzt  ihr  Gefühl,  Gattin 
des  Sohnes  zu  werden,  nachdem  sie  die  Braut  des  Vaters 
gewesen  war.  Ihre  Mutter  hofift,  daß  mit  der  Zeit  die  Tochter 
den  veränderten  Umständen  nachgeben  werde;  die  Um- 
wandlung, die  zu  diesem  Ziele  führt,  ist  jedoch  nicht  aus- 
geführt, und  wir  erfahren  in  den  »  Wanderjahren«  nur  das 
Ergebniß,  indem  die  Tochter  zuletzt  als  Gattin  ihres  Vetters 
auftritt. 

Man  wird  sich  der  Ueberzeugung  nicht  entschlagen 
können,  daß  beim  Beginn  der  Erzählung  der  endliche  Aus- 
gang nicht  ins  Auge  gefaßt  gewesen  ist;  dort  war  der  Major, 
hier  ist  dessen  Nichte  die  Hauptperson.  Allerdings  ist  das, 
was  wir  von  dieser  zu  erfahren  wünschen,  auch  nicht 
ausgeführt,  nämlich:  wie  die  Weigerung  der  Nichte,  den 
Bräutigam  zu  vertauschen,  besiegt  worden  ist.  Der  ein- 
fache Zeitverlauf,  von  dem  die  Mutter  Erfolg  erwartete, 
genügt  nicht  als  stillschweigende  Ergänzung  der  Erzählung 
und  die  endliche  Begegnung  der  Tochter  als  Gattin  des 
Vetters  ist  kein  Schluß,  der  nur  dann  vorhanden  wäre, 
wenn  er  sich  an  das  Vorhergehende  bündig  anfügte.  Das 
den  Schluß  vertretende  Ende  führte  CoTTA  oder  sein  Fac- 
tor ReicHEL  herbei,  der  dringend  nach  dem  Manuscript 
verlangte,  und  die  Sache  mußte  daher  so  eilig  abgethan 
werden,  daß  GOETHE  nicht  einmal  Zeit  fand,  die  Novelle 
noch  einmal  zu  überlesen;  sonst  hätte  es  nicht  vorkommen 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  IT. 


jg^  V.    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


können,  daß  der  Sohn  des  Majors  anfänglich  Flavio,  zuletzt 
aber  Sylvio  heißt. 

Und  jetzt  liegt  zutage,  wie  -»Der  Mann  von  fünfzig 
Jahren«,  sich  mit  dem  chinesischen  Roman  Hao  kiu  tschuen 
berührt.  GOETHE  war  ergriffen  von  der  Selbstbeherrschung 
der  Chinesin,  die  überzart  eher  ihre  Liebe  zum  Opfer  bringen, 
als  sich  dem  Verdachte,  ihre  Jungfrauenehre  durch  Heran- 
ziehen eines  jungen  Mannes  verletzt  zu  haben,  aussetzen 
wollte.  Es  war  fast  um  die  gleiche  Zeit,  daß  GOETHE  dem 
Weimarer  Freundschaftskreise  den  chinesischen  Roman  er- 
klärte und  daß  er  das  Bruchstück  seiner  Novelle  wieder 
vornahm,  um  es,  ohne  die  Erzählung  im  Sinne  des  Anfangs 
abgeschlossen  zu  haben,  zum  Druck  vorzubereiten.  So  mag 
ihm  denn  damals  schon  der  Gedanke  gekommen  sein,  die 
Trennung  der  Verbindung  zwischen  Oheim  und  Nichte  in 
ähnlichem  Sinne  wie  in  jenem  Roman  herbeizuführen:  das 
Mädchen  will  eher  ihre  Liebe  unterdrücken,  als  sich  vor- 
werfen lassen,  daß  sie,  die  Braut  des  älteren  Mannes,  leicht- 
fertig und  unehrenhaft  die  Liebe  des  jugendlichen  Vetters 
erstrebt  habe. 

Mit  dem  überzarten  Gewissen,  das  der  Liebe  nachzu- 
geben verbietet,  wurde  übrigens  ^Der  Mann  von  fünfzig 
Jahreu"  ein  Gegenstück  zu  der,  ebenfalls  in  die  »  Wander- 
jaJire'i  verflochtenen  Novelle  »Das  nufsbraufie  Mädchen«"^), 
worin  GOETHE,  wie  er  es  selbst  ausspricht,  »Leidenschaft 
aus  Gewissen«  dargestellt  hat;  richtiger  möchte  es  lauten: 
Liebe  aus  Gewissen,  da  Lenardos  Gefühl  für  Nachodine 
sich  keineswegs  als  leidenschaftliches  kundgiebt. 

Nachdem  wir  nun  den  Stoff  über  Goethe'S  Verhältniß 
zum  chinesischen   Schriftthum  überblicken  können,    sind   wir 


*)  Dieser  Titel  ist  zwar  einer  altenglischen  Ballade  entlehnt,  mit 
deren  Inhalt  aber  die  Geschichte  nichts  gemein  hat.  Goethe  schwankte 
lange  über  deren  Benennung:  am  19.  November  1809  heisst  sie  »A^ovellc 
der  Ä'amenvenvechslung« ,  ein   andermal   »N'ovcllc  der  Inen«. 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  Chlna's. 


195 


imstande,  die  Frage  nach  dem  Grund  seiner  stetigen  Hin- 
neigung zu  ihm  zu  beantworten.  Wir  können  dabei  über- 
gelien,  was  ihn  in  Wen  Watigs  staatsmännischer  Gesinnung 
und  in  der  Weltanschauung  der  Buddhisten  anzog,  da  hier- 
über das  Nöthige  bereits  bemerkt  worden  ist,  und  halten  uns 
jetzt  nur  an  seine  Theilnahme  für  chinesische  Dichtwerke. 
Bei  ihnen  war  es  von  formeller  Seite  die  geschickte  Dar- 
stellung, der  klare,  wirkungsvolle  x\ufbau  sowohl  in  Er- 
zählungen, wie  in  Bühnenstücken,  und  das  behagliche,  un- 
geschminkte Aussprechen  der  Personen,  was  GOETHE  be- 
wunderte. Hinsichtlich  des  Lihalts  dieser  Dichtungen  fesselte 
ihn  aber  das  darin  dargestellte  Durchbrechen  von  der 
JMatur  geschaffener,  äußerlich  unterdrückter  Verhältnisse.  Ob 
Vater  und  Kind  unerkannt  zusammentreffen  und  durch 
die  Macht  geheimnißvoUen  Naturtriebes  sich  gegenseitig  an- 
gezogen fühlen,  —  wie  in  der  einen  Quelle  des  »Elpenor« 
—  oder  ob  angeborene  Lebensverhältnisse  über  nur  an- 
erzogene siegen,  —  wie  in  der  dramatischen  Quelle  des- 
selben Schauspiels  —  oder  ob  ein  Mädchen,  nur  von 
einem  Schicklichkeitsgefühl  geleitet,  sich  vom  geliebten  Mann 
fern  hält,  obwohl  keinerlei  ausgesprochenes  Sittengebot  sie 
von  ihm  trennt,  —  wie  in  der  Quelle  des  letzten  Theils 
vom  »Mann  von  fünfzig  Jahren«,  —  oder  ob  endlich  das 
Leben  in  und  mit  der  äußern  Naturwelt  die  Menschen  über 
von  Sittengeboten  gezogene  Schranken  hinweg  immer  als 
Glieder  der  Natur  vergegenwärtigt,  —  wie  in  der  Quelle 
der  » Chinesisch  -  Deutschen  Jahres-  und  Tageszeiten «  — 
allemal  ist  es  das  Angeborene,  das  in  den  Dichtungen  zu 
nachdrücklicher  Geltung  kommt  und  sich  Bahn  bricht  trotz 
allen  Hinderungen,  die  sich  durch  Zustände  oder  Ereignisse, 
durch  Schranken  der  Sitte  oder  Angriffe  feindseliger  Men- 
schen entgegenstemmen. 

Das  Hervorheben  des  Naturwüchsigen  macht  sich  nicht 
allein  im  Schriftthum  der  Chinesen  geltend;  so  u.  a.  auch 
in   ihrer   Gartenkunst.     Der    englische   Park    brach   mit   der 

13* 


196 


V,    Vermischtes  zur  Goetheforschung. 


italienischen  Gartenkunst,  die  ein  Anhängsel,  wie  mit  der 
französischen,  die  eine  Nachbildung  von  Bauwerken  war; 
die  englische  Gartenkunst  aber  wurde  geschaffen,  nachdem 
die  Schilderungen  chinesischer  Gärten  mit  ihrer  Darstellung 
natürlicher  Landschaften  allgemeine  Aufmerksamkeit  erregt 
hatten,  und  in  kaum  zweifelhaftem  Eingehen  auf  diesen 
Grundgedanken.  Wenn  GoETHE  im  » Triumph  der  Em- 
pfindsamkeit ^  sich  über  diese  Landschaftsgartenkunst  mit 
ihren  y> Pagodewi ,  »chinesisch-gothischen  Grotten«  u.  dergl. 
lustig  machte,  so  hatte  er  dabei  die  spielerische  Anwendung 
derselben  im  Sinne;  in  der  Wirklichkeit  dagegen  schuf  er 
im  Park  zu  Weimar  eine  Landschaftsgartenanlage  großartigsten 
Stils  im  Geiste  der  chinesischen  Kunst. 

Die  Richtung  der  Kunst  und  Dichtung  der  Chinesen 
auf  das  Natürliche  erklärt  sich  aus  dem  Bedürfniß  eines 
Gegengewichts  gegen  das  Erkünstelte  im  Verkehr  ihres  ge- 
wöhnlichen Lebens.  Und  in  Goethe  läßt  diese  Anerkennung 
der  Siegesgewalt  der  Natur  verwandte  Saiten  erklingen. 
Kraft  der  producirenden  Kritik,  die  er  immer  übte,  wenn 
ihm  Wahres  mit  Falschem,  Tiefes  mit  Seichtem,  Poetisches 
mit  Nüchternem  gemischt  entgegentraten,  (ein  Grundzug  von 
Goethe's  Dichterleben,  der  unaufhörlich  betont  werden 
muß,  so  lange  es  Leute  giebt,  die  sich  dieser  Einsicht  ver- 
schließen), legte  er  Hand  an,  um  das  Menschliche  aus  dem 
Chinesischen  herauszugreifen  und  es  zu  verdeutschen.  Wenn 
er  freilich  dann  bei  Benutzung  von  Motiven  chinesischer 
Dichtungen  nicht  zum  Ziele  gelangte,  so  war  das  die  Folge 
davon,  daß  zu  Lösung  geknüpfter  Knoten  gewisse  Volks- 
eigenheiten, uns  widerstrebende  Sonderbarkeiten,  ja  Roh- 
heiten derselben  nicht  benutzt  werden  durften,  und  wenn 
diese  durch  Schilderung  von  Seelenvorgängen  wie  im  »Mann 
von  fünfzig  Jahren«,  oder  durch  Darstellung  sehr  ver- 
wickelter Verhältnisse  wie  im  >->Elpenor<s.  ersetzt  werden 
sollten,  die  Sache  eben  eine  andere  wurde.  Deshalb  sah 
Goethe  zuletzt   bei   den   -i) Chinesisch- Deutschen  Jahres  tind 


6.    Goethe  und  das  Schriftthum  China's.  iq^ 

Tageszeiten'^  davon  ab,  das  Motiv  einer  chinesischen  Dich- 
tung seiner  eigenen  Dichtung  zugrunde  zu  legen,  benutzte 
vielmehr  die  chinesische  Darstellungsweise  als  solche  als 
Motiv  einer  neuen,  selbständigen  Dichtung. 

Aber  oft  abgezogen,  fesselte  ihn  an  China  immer  wieder 
—  um  es  mit  seinen  eignen  Worten  zu  sagen:  — •  »die 
Ueberzeugung,  daß  es  sich  trotz  aller  Beschränkung  in 
diesem  sonderbar  werkwürdigen  Reiche  noch  immer  leben, 
lieben  und  dichten  lasse«. 


S«^^- 


VI. 


Berichtigungen  und  Nachträge  zu 
Goetheschriften  des  Verfassers. 


t.  Zu  Goethe  und  Dresden. 

as  Ergebniß  von  Ermittlungen  über  einige  in  Tage- 
büchern und  Briefen  GOETHE'S  genannte  Personen 
wird  hiermit  vorgelegt,  um  anderen  solche  Be- 
mühungen zu  ersparen. 
Bei  seinem  Aufenthalt  i.  J.  1810  besuchte  GOETHE 
mehrere,  mitunter  im  Tagebuch  nur  nach  dem  Namen  an- 
geführte Gesandte  und  zwar:  den  österreichischen  Fürst 
Paul  Esterhazv,  den  russischen  Basil  Kanikoff,  den 
französischen  jEAN  FRANgoiS  Baron  BOURGOING,  den  preußi- 
schen Heinrich  Ludwig  v.  Buchholz,  den  bayerischen 
Christian  Hubert  v.  Pfeffel,  (Neffe  des  Dichters)  den 
westfälischen  Christian  Konrad  Wilhelm  v.  Dohm,  und 
den  (großherzoglich)  frankfurtischen  HUGO  Graf  Hatzfeld. 
Der  im  Tagebuch  »Kü/il^  Genannte,  war  der  Begleiter 
des  Prinzen  Bernhard  von  Weimar  Major  Johann  Jakob 
August  Rühle  v.  Lilienstern,  die  »Frau  v.  Rühl«  war 
seit  kurzem  seine  Gattin,  geborene  Frau  V.  F'ranken- 
BERG-LUDWIGSDORF,   vorher   Frau   V.  SCHWEDHOF. 

-i>Bechwell'i~  ist  AUGUST  Pechwell,  zweiter  hispector 
der  Gemäldegallerie,  Maler  und  Besitzer  einer  ansehnlichen 
Gemäldesammlung.  Er  war  geboren  zu  Dresden  1757  und 
starb  hier   1811.     Von   ihm   ist   die     Beschreibung  der  kur- 


202  VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

fürstlichen  Gemälde- Gallerte  in  Di-esdew ,  die  in  der  y>J-enaischen 
Allgemeinen  Literatur- Zeitung t.  1806,  Xr,  ig,  Sp.  iji  f  {von 
Heinrich  Meyer?)  besprochen  ward.  —  -^-iHofrath  Bloch'!. 
war  Peter  Heinrich  Ludwig  v.  Block,  geboren  Dresden 
am  25.  Februar  1765,  Inspector  des  Grünen  Gewölbes  1798, 
Hofrath  seit  1801.  Die  Mittel  zur  Anschaffung  seiner  be- 
deutenden Edelsteinsammlung  hatte  er  sich  besonders  durch 
Diebstähle  an  den  ihm  anvertrauten  Schätzen  verschafft, 
weßhalb  er  18 16  in  Untersuchung  kam  und  181 8  zu  vier- 
jähriger Zuchthausstrafe  verurtheilt  wurde.  —  »  Volckmami'i, 
mit  dem  GOETHE  bei  Kügelgen  zusammentraf,  war  Stadt- 
richter zu  Leipzig  und  18 10  in  Dresden  als  landständisches 
Mitglied  der,  zu  Aufbringung  der  Kriegskosten  eingesetzten 
landesherrlichen  Commission. 

Goethe's  Brief  vom  5.  April  1804,  Xr.  4883,  ist  an 
Karl  Georg  v.  Richter  gerichtet,  über  den  der  Heraus- 
geber des  17.  Bandes,  Abtheilung  der  Weimarer  Ausgabe 
der  Werke  in  den  Lesarten  bemerkt:  »Ueber  den  in  Dresden 
wohnenden  Adressaten  ist  nichts  bekannt.«  Wer  den  Wunsch 
hat,  demungeachtet  über  V.  RICHTER  Näheres  zu  erfahren, 
wird  nach  dieser  bestimmten  Erklärung  nicht  erst  in  der 
Schrift  » Goethe  und  Dresden  nachsehen ,  weil  er  voraus- 
zusetzen berechtigt  ist,  daß  dieß  der  Herausgeber  gethan 
habe,  ehe  er  so  entschieden  über  V.  Richter's  Bekanntsein 
absprach.  Ebendeswegen  wird  jedermann  es  auch  wohl  für 
verlorene  Mühe  halten,  bekannte  Nachschlagswerke  einzusehen, 
wie  Goedecke,  Grundrifs  zur  Geschichte  der  Deiitschen 
Dichtung  oder  Haymanx,  Dresdens  Schriftsteller  und  Künstler. 
Aber  in  allen  diesen  Schriften  sind  lebensgeschichtliche  Nach- 
richten über  V.  Richter  enthalten,  darunter  auch,  daß  ein 
Band  seiner  Gedichte  nach  seinem  Tode  von  Karl  THEODOR 
Winkler  herausgegeben  und  dem  Herzog  Karl  August 
gewidmet  worden  sind,  wohl  mit  Rücksicht  darauf,  daß 
V.  Richter  politischer  Agent  von  Sachsen-Weimar  am  Kur- 
sächsischen Hofe  war,  was  wohl  auch  in  Weimar  zu  erfragen 
gewesen  wäre. 


I.    Zu  Goethe  und  Dresden.  203 


Ein  in  Goethe'S  Jugendbriefen  ein  paarmal  genannter 
zuletzt  in  Dresden  wohnender  Freund  war  Jakob  HEINRICH 
V.  Born.  Er  war  der  Sohn  Jakob  HEINRICH  BORN'S,  der 
zu  Goethe'S  Studienzeit  Bürgermeister  in  Leipzig  war;  dieser 
wurde  unterm  24.  März  I768  vom  Kaiser  geadelt;  der  Adel 
wurde  in  Sachsen  erst  auf  Ansuchen  seines  Sohnes  und  seiner 
Tochter,  vermählten  V.  BeuST,  unterm  24.I26.  Juni  1777 
anerkannt.  Der  Sohn  V.  BORN  war  am  2.  Juli  1750  ge- 
boren, studirte  gleichzeitig  mit  GOETHE  in  Leipzig  und  traf 
mit  diesem,  nachdem  er  das  juristische  Doctorat  erworben 
und  dann  England  bereist  hatte,  als  Practikant  beim  Reichs- 
kammergericht in  Wetzlar  wieder  zusammen.  Nachmals  war 
er  Hof-  und  Justizrath  in  Dresden  und  starb  am  20.  März  1782. 
Er  besaß  die  Rittergüter  Wildenborn  und  Saxdorf.  Seine 
Wittwe,  Magdalene  Philippine  geb.  Benelle,  heirathete 
den  Professor  Martens  in  Göttingen. 


2.  Zu  GoETHE's  Briefen  an  Eichstädt. 

ie  Herausgeber  von  GoETHE'S  Briefen  und  Tage- 
büchern Goethe'S  haben  unsere  Kenntniß  von  dessen 
Beziehungen  zu  ElCHSTÄDT  und  zur  Jenaischen 
Allgemeinen  Literatur- Zeitung  bereicliert.  Von 
inhahlicher  Mittheilung  der  betreffenden  Stellen  dieser  Ur- 
kunden kann  abgesehen  werden;  es  genügt  auf  die  einzelnen 
zu  verweisen,  wobei  die  einfachen  Erwähnungen  in  den 
Tagebücliern  zu  übersehen  sind. 


a.    ZUR  EINLEITUNG. 

Seite  VIII  f.  für  die  Vorgeschichte  der  yenaischen  All- 
gemeinen Literatur-Zeitung  sind  die  Briefe  4703  bis  4707  so- 
wie 4732,  4733  und  4744  der  Weimarer  Ausgabe  zu  beachten. 

Seite  XI  ff.  Aehnlich  wie  später  in  den  »  Tag-  und  Jahres- 
heften hatte  sich  GOETHE  schon  gegen  den  Geheimen  Rath 
V.  WOLZOGEN  im  Brief  vom  4.  Februar  1 804  ausgesprochen.  — 
Zu  denen,  die  am  Gelingen  desZeitungsunternelimen  zweifelten, 
gehörte  Kirchenrath  PAULUS  [»Heiur.  EberJi.  Gottlob  Paulus 
und  seine  Zeitt  von  Frh.  v.  Reichlin-Meldegg  /,  Jjj)  wo- 
gegen Gentz  sich  schon  unterm  21.  September  1803  als 
Mitarbeiter    anbot.      {Urlichs  y> Briefe    an    Schiller«   S.  SJ9-) 


2.    Zu  Goethe's  Briefen  an  Eichstädt.  205 

Seite  XX.  Aus  den  Tagebüchern  ist  nur  die  Anführung 
vom  29.  October  181 8  zu  bemerken:  »  Verordnung  an  Gülden- 
stern, das  aufgehobene  VerJüiltnifs  zur  J.  A.  L.  Z.  betr. 
Dasselbe  an  R.  CONTA  gemeldet.« 

Seite  XXIII.  GOETUE's  Verstimmung  gegen  ElCHSTÄDT 
spricht  sich  auch  in  dessen  Brief  an  Frau  V.  WOLZOGEN 
vom   28.  März    181  i    aus. 

b.    BRIEFE. 

In  den  Tagebüchern  sind  mehrmals  Briefe  an  ElCHSTÄDT 
an  Tagen  aufgeführt,  an  denen  kein  Brief  bekannt  ist  und 
zwar  am  14.  Januar,  am  16.  Februar,  am  24.  März  und  am 
7.  November  1804,  am  9.  October  1806,  am  3.  Februar  1808, 
am   I.  April   181 3   und  am   23.  Februar   18 14. 

Manche  Briefe  sind  ins  Tagebuch  unter  anderem  Tage 
eingetragen,  als  den  im  Briefe  stehenden  ^  so  z.  B.  die  vom 
19.  und  27.  Januar  181 3  am  nächstvorhergehenden,  sowie 
die  vom  lO.  Januar  18 15  und  lO.  Juli  1816  am  nächst- 
folgenden. 

Die  Briefe  4768  und  4772  an  ElCHSTÄDT  —  vom 
29.  November  und  i.  December  1803  —  sind  im  16.  Bande 
der  IV.  Abtheilung  der  Weimarer  Goetheausgabe  erstmalig 
gedruckt. 

c.  ERLÄUTERUNGEN. 

Zu  Brief  6.  Dieser  ist  jedenfalls  die  unterm  22.  Sep- 
tember  1 803   im  Tagebuch  erwähnte  Sendung. 

Zu  Brief  8.  Die  behauptete  Ueberlassung  des,  Sprache, 
Rhythmus  und  Mythologie  betreffenden  Theils  der  Recen- 
sion  von  VOSSEN'S  Gedichte  an  \''oss  den  Sohne  findet 
keine  Bestätigung  in  der  Handschrift,  die  im  November  1 790 
bei  List  und  Francke  in  Leipzig  zur  Versteigerung  kam. 
Darin  war  die  Recension  bis  zu  dem  eingerückten  Gedicht 
•»Mir  trug  Lyäos«  auf  lO  Quartseiten  von  GOETHE  ganz 
eigenhändig  geschrieben. 


206  VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

Zu  Brief  19.  Ueber  die  Recension  von  Matthäi's 
Ausgabe  des  Neuen  Testaments  schrieb  HEINRICH  Voss  an 
Rudolf  Abeken:   »Den  Verfasser  wirst  Du  am  Stil  errathen.« 

Zu  Brief  22.  Goethe's  Zusatz  zu  Meyer's  Recension 
von  FüESSLi's  Lectures  on  Painting  beginnt  nach  der  im 
November  1890  bei  LiST  und  Francke  versteigerten  Hand- 
schrift mit  den  Worten  »  Wenn  ein  Mensch  wie  EscJienburg«.^ 
im  Druck  ist  »Mensch»  durch  »Mann<'^  ersetzt.  Die  vom 
Schreiber  ausgelassnen  enghschen  Stellen  hat  GoETHE  eigen- 
händig eingefügt. 

Zu  Brief  32.  Die  französisch  geschriebene  Recension 
des   russischen  Buches  hat  H.  VOSS  verdeutscht. 

Zu  Brief  36.  Die  Erinnerung,  die  GOETHE  bezügl.  des 
vierten  Absatzes  beabsichtigte,  sollte  natürlich  nicht  an  Reh- 
BERG  —  wie  Seite  244  aus  Versehen  bemerkt  ist  — -  sondern 
.an  Sartorius  gerichtet  sein.  Ein  darauf  bezüglicher  Brief 
an  letzteren  ist  aber  auch  nicht  bekannt. 

Zu  Brief  39.  Dieser  Brief  ist  wahrscheinlich  die  im 
Tagebuch  unterm  22.    Februar    1804  eingetragene  Sendung. 

Zu  Brief  42.  Die  Handschrift  der  Recension  von 
Reichardt's  » Napoleon  Bonaparte « ,  im  November  1890  bei 
List  und  Francke  versteigert,  ist  ganz  von  GOETHE  ge- 
schrieben; sie  weist  am  Schlüsse  eine  abweichende  Fassung 
auf,  die  aber  durchstrichen  ist. 

Zu  Brief  45.  Muthmaßlich,  zufolge  Eintrags  im  Tage- 
buch am  20.  März  1804  abgefertigt.  H.  Voss  schreibt  am 
10.  April  1804  an  AbekeN:  über  die  Recension  der  Lyrischen 
Gedichte  von  J.  H.  Voss:  »GOETHE  hat  mir  die  Freude 
gemacht,  daß  er  seine  Recension  mit  der  vorigen  über  meines 
Vaters  Mythologische  Briefe  in  Verbindung  gebracht  hat. 
Solltet  Ihr  an  dieser  Recension  manchen  Ausdruck  finden, 
den  mit  Bescheidenheit  ein  Sohn  über  seinen  Vater  nicht 
sagen  darf,  so  denkt  daran,  daß  ich  ihn  entweder  in  GOETHE's 
oder  in  Eichstädt's  Namen  gemacht,  oder  daß  ihn  GoETHE 
hereingesetzt,    (es   sind    gewöhnlich    nur    epitheta)    und    daß 


2.    Zu  Goethe's  Briefen  an  Eichstädt. 


207 


ich  für  die  Schlußworte  einen  leeren  Raum  gelassen  habe 
und  noch  jetzt  nicht  einmal  weiß,  was  ElCHSTÄDT  hier  hin- 
zuzusetzen gesonnen  ist.«  Diese  Mittheilung  ist  mit  den  in 
den  i>  Goethe  -  Forschungen  —  Neue  Folget  Seite  390  an- 
geführten Umständen  nicht  in  Einklang  zu  bringen.  Sollte 
die  Unterschrift  der  Recension  der  -»Mythologischen  Briefen 
eine  erdichtete  sein,  um  von  H.  Voss  abzulenken? 

Zu  Brief  47.  In  Uebereinstimmung  mit  meiner  Ver- 
muthung  über  die  Chiffre  G.  D.  Z.  schreibt  H.  Voss  an 
Abeken  am  23.  Februar  1804:  »G.  D.  Z.  ist  Henning'S  in 
Plön;   (Merkel's  Freund  aber  besser  als  MERKEL.)« 

Zu  Brief  60.  Im  August  1804  schrieb  H.  Voss  an 
Abeken :  »Ein  Seitenstück  ...  ist  die  Münze  des  Herrn 
Böttiger  auf  Kant.  Der  Genius,  der  auf  einem  Beine 
steht,  hat  sogar  schiefe  Füße;  damit  man  ja  sieht,  daß  die 
Fackel  leuchte  und  nicht  Dunkelheit  verbreite,  sind  Sterne 
darüber  gesetzt.  Ist  es  nicht  herrlich,  wie  BöTTiGER  Pallas 
Athene  von  dem  Makel  frei  interpretirt,  daß  sie  Eulen  im 
Gefolge  habe.  Er  hätte  sich  doch  wohl  bei  ihr  erkundigen 
können,  ob  sie  der  Schande  ledig  sein  wollte  oder  nicht, 
aber  er  scheint  nicht  zu  wissen,  wie  man  die  Athene  so  be- 
fragt, daß  sie  untrüglich  Antwort  giebt.  Und  nun  müssen 
die  armen  Eulen,  die  von  der  Athene  verachtet  und  gehaßt 
werden,  doch  den  Weisen  über  die  Wolken  tragen.  Hast 
Du  die  Anzeige  im  Intelligenzblatt  unserer  L.  Zeitung  ge- 
lesen und  das  schöne  Distichon  dabei? 

Sieh,  das  gebändigte  Volk  der  lichtscheu  muckenden  Käuze 
Trägt  dich  selber,  o  Kant!  über  die  Wolken  dahin. 

Dies  soll  in  Weimar  eine  große  Sensation  erregt  haben. 
Freilich  ist  w^ohl  nie  ein  unsinniger  Gedanke  klarer  ins  Licht 
gesetzt,  als  in  diesen  zwei  Zeilen.« 

Zu  Brief  ']'].  H.  Voss  bestätigt  im  Brief  an  Abeken 
vom  6. — 7.  December  1804,  daß  die  Erklärung  gegen  AsT 
von  Goethe  verfaßt  sei.  Siehe  auch  » Goethes  Gespräche  <i 
VIII,  278  f. 


2o8  VI-  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 


Zu  Brief  107.  Ueber  das  »R»  und  »E»  giebt  nach- 
stehender Brief  von  ROCHLITZ  an  EiCHSTÄDT  Aufschluß: 

Leipzig  d.    12.  Dec.   5. 

Ihr  Briefchen,  mein  verehrter  Freund,  wiJrde  mich  be- 
schämen, wenn  ich  anders  zu  antworten  hätte,  als  ich  habe. 
Für  Ihr  Institut  zu  arbeiten,  und  vornehmlich  auch  eine 
Recension  von  Rameau'S  Neffen  zu  liefern,  liegt  mir  näher, 
als  es  Ihnen  liegen  kann,  daß  ichs  thue.  Ich  kann  und  darf 
aber  jetzt  nicht.  Ein  zweijähriges  Uebernehmen  meiner 
Kräfte  in  Absicht  auf  Maße  der  Arbeiten  hat  meine  ohne- 
hin nicht  starke  Maschine  so  wankend  gemacht,  daß  ich 
schon  seit  einem  Vierteljahre,  und  der  Himmel  nur  weiß, 
wie  lange  noch  ferner,  —  bloß  das  allernöthigste  schreibe. 
Leider  muß  ich  mich  darein  finden,  und  es  auch  dahingestellt 
seyn  lassen,  ob  Sie,  und  Andere,  die  Arbeiten  anderer  Art 
von  mir  erwarten,  die  Sache  nehmen,  wie  ich  sie  hier  an- 
gebe und  sie  wirklich  ist. 

Schenkt  mir  ein  besseres  Geschick  wieder  Gesundheit 
und  Kraft:  so  melde  ich  mich  unaufgefordert  bey  Ihnen  — 
darauf  verlassen  Sie  sich. 

Sollte  über  Vetter  Ram.  nicht  der  Hr.  V.  EiNSIEDEL 
in  Weimar  schreiben  mögen?  daß  er's  könnte,  und  zwar 
recht  gut,  davon  versichere  ich  Sie,  denn  ich  kenne  ihn  ge- 
nau genug.  —  Verstatten  Sie  dem,  was  ich  nicht  ändern 
kann,  keinen  Einfluß  in  unsere  gegenseitigen  anderen  Ver- 
hältnisse, die  mir  so  äußerst  schätzbar  sind! 

Mit  wahrer  Hochachtung  und  Freundschaft 

Ihr 
Friedr.  Rochlitz. 

Die  2.  Beilage  zu  loi  ist  vielleicht  die  unterm  2.  Januar 
1806  im  Tagebuche  verzeichnete  Sendung. 

Zu  Brief  159.  Unter  den  Lesarten  der  Weimare?' Aus- 
gabe IV.  AbtJieilung  2 1 .  Band  Seite  ^6y  f.  ist  eine  abweichende 


2.    Zu  Goethe's  Briefen  an  Eichstädt. 


209 


Fassung  dieses  Briefs  aufbewahrt,  die  ein  näheres  Eingehen 
Goethe's  auf  die  ihm  mißfälligen  Recensionen  aufweist. 

Zu  Brief  178.  Ueber  die  Schrift,  die  GoETHE  am 
2.  April  18 14  an  ElCHSTÄDT  sandte,  giebt  ein  Eintrag  im 
Tagebuch  unter  diesem  Tage  dunkle  Auskunft,  worin  y^Mal- 
titz-Aiifsatz^   genannt  ist. 

Zu  Brief  190.  Dieselbe  Quelle  nennt  unterm  22.  April 
1815  die  an  ElCHSTÄDT  gesandten  Hefte  »  Willemer  s  BrucJi- 
stückei.;  sie  sind  recensirt  in  Nr.  136 — 138  der  ^Jenaischeii 
Allg.  Literatur- Zeitung«   von   18 15. 

Zu  Brief  196.  Dieser  Brief  dürfte  nach  dem  Tagebuch 
auf  den  30.  September  anzusetzen  sein. 


^i.>«' 


V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  \A 


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VIII 


7  V.  u. 


■  nachträglich « 


3.  Zu  GoETHE's  Briefwechsel  mit 

ROCHLITZ. 

a.    TEXTBERICHTIGUNGEN. 
Seite   VII  Zeile  15         statt  >>GOETHE«       lies   >^RoCHLITZ«  (an 

Frh.   V.   Truch- 

SESS) 
» nachträglich 

entdeckte « 
»ersten  Tag« 
» gesagt  'i 
»Nebendinge« 
»die  Bibliothek« 
»nun« 

»Schiller.« 
»125.     Der« 


38 

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502 

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1 1 

»Tag« 
» gesetzt « 
»Rebendinge« 
»Bibliothek« 

» um « 
» Schein « 
»Der« 

»131« 

b.    EINFÜHRUNG. 
Ausführlich  habe  ich  Leben  und  Thätigkeit  von  RoCH- 
LITZ  geschildert  in  der  -»Allgemeinen  Deut  seilen  Biogj^apläe.t 

c.    ERGÄNZUNG  DES  BRIEF-VERZEICHNISSES. 

Neue  Abkürzungen  für  erste  Drucke. 
J.  =    Goethe -Jahrblich. 
S.  =-  Schj'iften  der  Goethe- Gesellschaft. 
W.  =    Goethe' s    Werke    herausgegeben    im    Auftrag    der 
Großherzogin  von  Sachsen.  IV.  Abtheilung. 


3.    Zu  Goethe's  Briefwechsel  mit  Rochlitz. 


211 


Laufende 

Erste 

Nummer 

Datum  der  Briefe 

Ort  der  Handschriften 

Drucke 

Bemerkungen 

*  Erster 
Brief. 

1800,  Spt.  27. 

Datum    nach  Goethe's 
Tagebuch. 

(fehlt.) 

*    la 

1800,    Dec.    3. 

G.  A. 

w.xv. 

Der  Zweifel  ob  dieser  Brief 

157. 

abgegangen,    ist    unbegrün- 

det, da  Goethe  im  Brief  vom 

25.   December    sich    darauf 

bezieht. 

*I2a. 

1803,  Nov.  29. 

G.  A. 

w^ 

XVI, 

364 

*i3. 

1804,    Jan.    4. 

Dr.  Walt  HER 

w. 

Der    im    Briefwechsel   unter 

Julius  Gensel, 

XVII, 

13   gedruckte     Brief   ist    nur 
Beilage.  D^r    letzte    Absatz 

Leipzig. 

42  f. 

des  Briefs  von  Goethe  eigen- 
händig geschrieben. 

15- 

1804,    Dec.    4. 

G.  A. 

Nach    berichtigtem     Datum 

folgt  Brief  15  nach  16. 

17a. 

1807,   Mai. 

G.  A. 

S.  VI, 

284  ff. 

■•■•'22. 

I807,   Juli    27. 

G.  Weisstein? 

V. 

Im     Briefwechsel    war    ver- 

sehentlich    der     Brief  ohne 

Stern. 

*62. 

Nachschrift. 

Emma  Preusser 

geb.  Freiin  von 

Gutschmid. 

w. 

(künf- 
tig) 

76a. 

181 7  vor  Nov. 

Nur       durch      Bezugnahme 

(fehlt.) 

Goethe's     im     Brief    vom 

24. 

24.  Nov.  festzustellen. 

85- 

1819,  Juni   14. 

C.  S. 

F. 
(Bruch- 
stück) 

121. 

1829.  Mrz.   7. 

1  K.  F.  \ 

Es  war  unterlassen    worden 
im  Briefwechsel  den  Ort  der 

122. 

1829,  Juni  30. 

1  K.   F.  j 

Handschriften  anzugeben. 

d.    SCHRIFTENNACHWEISE. 


Schriften  Goethe's.  ROCHLITZ  wird  in  den  Tage- 
büchern oft  erwähnt,  namenthch  am  28.  April,  16.  Mai  und 
27.  September  1800,  22.  März  1801,  29.  Juli  1802,  29.  No- 
vember 1803,  30.  Januar,  22.  Februar  und  28.  October  1804, 
2.  und  7.  Juni  sow^ie  22.  und  23.  Juli  1807,  3.  Mai  1808, 
27.  und  29.  Januar  sowie  3.  October  1809,  im  December 
181 3  mehrmals,   lO.  December   18 16.  pp. 

Andere  Schriften:  Goethes  Gespräche.  Herausgeber 
W.  Frh.  V.  Biedermann,  X.  Band,  S.  68.  70  f.  85  f.  122.  192  f.  — 
Das  Repertoire  des  Weimarischen  Theaters  unter  Goethe's 

14* 


212      VI-  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

Leitung,  bearbeitet  von  C.  A.  H.  ßURKHARDT.  S.  17.  430, 
470.  550.  565.  — Goethe's  Unterhaltungen  mit  dem  Kanzler 
Friedrich  von  Müller,  Herausgeber  von  Burkhardt. 
Zweite  .  .  .  Auflage  1878.  S.  149.  150.  151.  (Bemerkens- 
werth  ist  in  diesen  Stellen,  wie  GOETHE  den  durch  V.  MÜLLER 
ihm  vorgetragnen  Wunsch  RoCHLlTZENS  den  weimarischen 
Orden  zu  erhalten  aufnahm:  er  lehnte  seine  Vermittelung 
entschieden  ab,  obschon  er  früher  demselben  bereitwillig  den 
Raths-  und  dann  den  Hofrathstitel  erwirkt  hatte.  Es  bedarf 
keiner  ausführlichen  Darlegung,  wie  GOETHE  hierin  aus  mehr 
als  Einem  Grunde  sehr  correct  handelte.) 

e.    ANMERKUNGEN  ZUM  BRIEFWECHSEL. 

2. 
Der   ausgesetzte   Preis  (S,   2.)  war  im  zweiten  Stück 
des  dritten  Bandes  der   >^  Propyläen  f.   für  das  beste  Intriguen- 
stück  auf  30  Dukaten  festgesetzt. 

4. 

Das  S.  9  in  Frage  gestellte  Liedchen,  vom  Capell- 

meister  Himmel  componirt,  ist  von  GABRIELE  V.  Baüm- 

BERG  gedichtet  und  beginnt:    »Jüngling,  wenn  ich  Dich  von 

fern  erblicke « .  Es  stand  im  »  Wiener  Musenalmanach  für  i  j8  g. « 

6. 

Goethe's  Aufsatz  »Weimarisches  Hoftheater« 
(S.  12)  ist  vom  15.  Februar  1802  datirt  und  steht  im  «Journal 
des  Lnxns  nnd  der  Jlloden'i-   dieses  Jahres  S.   136 — 148. 

49. 

Die  von  ROCHLITZ  mitgetheilten  Personalien  JOHANN 
Leonhari)  Hoffmann's  hat  Goethe  fast  wörtlich  in  der 
fünften  Abtheilung  der  » Geschichte  der  Farbenlehre«,  auf- 
genommen. 

64. 

Ueber  die  »  Tage  der  Ge/ahr<i   äußert  GoETHE  sich  aus- 


3-    Zu  Goethe's  Briefwechsel  mit  Rochlitz.  2 1 3 

führlicherin  der  Besprechung  von  ROCHLITZEX'S  «Für  Freunde 
der  Tonkunst <i  im  i.  Hefte  des  \\  Bandes  »lieber  Kunst 
u)id  AltertJiuni. « 

72. 
Das   an   ROCHLITZ    gesandte    Heftchen    (S.    174)   ent- 
hielt den  Aufsatz  Karl  Ruckstuhl's  »Von  der  Ausbildung 
der   Teutschen   Sprache    in   Beziehung    auf  neue,    dafür  an- 
gestellte Bemühungen,«  abgedruckt  in  ^^  Nemesis — Zeitschrift 'i 

VIII,  336-386. 

117. 
Ob  Goethe's  von  Rochlitz  besessenes  Bild  (S.  295) 
von  KüGELGEX  selbst  gemalt  ist,  erscheint  zweifelhaft,  wo- 
rüber zu  vergleichen:  Zarncke,  » Kurzgefaßtes  Verzeichnif3  der 
Originalaufnahme  von  GoetHE's   Bildniß«    S.   31. 

128. 
Tieck'S  Prolog  zur  Aufführung  vonGOETHE'S  Faust 
(S.   329  ff)  ist  in  Wendt's    -Musenalmanach  für    das  Jahr 
i8^2t>   gedruckt. 

f.    SEITEXX ACHWEISE. 
Personen. 
Ruckstuhl,  Karl,  (12.  Dec.  1788  —  30.  Nov.  1831, 
Lehrer)   174.   177.    TELLER,  Marl\  LOUISE,  geb.  Schuriam, 
geb.   1753,  Schauspielerin)  65. 


"1ft#^ 


ä 

1 

4.  Zu  DER  Schrift :  Zu  Goethe's 
Gedichten. 

a.    BRIEFGEDICHT  AN  MERCK. 

u  dem  kritischen  Apparat  des  2.  Bandes  der  IV.  xA.b- 
theilungder  Weimarer  Ausgabe  von  Goethe's  Werken 
hatte  ich  Seite  310  zu  dem  Seite  9  f.  abgedruckten 
Briefgedicht  bemerkt:  »Ist  die  Epistel  an  Merck 
gerichtet,  was  wahrscheinlich,  aber  nicht  sicher  ist,  so  kann 
sie  sich  nur  auf  die  Handschrift  der  » Geschichte  Gottfriedens 
von  Berlichingenv-  beziehen,  und  Combinationen  mit  der 
HERDER'schen  Correspondenz,  sowie  mit  ■>•> Dichtung  nnd 
Wahrheit 'S.  ergeben  den  December  1771  als  Anfangstermin.« 
—  DÜNTZER  dagegen  will  das  Gedicht  auf  Zusendung  der 
LENZIschen .  Lustspiele  nach  Plautus  beziehen.  Um  die 
Frage  verständlich  zu  machen,  muß  man  sich  das  ganze 
Gedicht  vergegenwärtigen,  das  daher  hier  folgt: 

Schicke  Dir  hier  im  alten  Kleid 
Ein  neues  Kindlein  wohl  bereit, 
Und  ist's  nichts  weiters  auf  der  Bahn, 
Hat's  immer  alte  Hosen  an. 
5   Wir  Neuen  sind  ja  solche  Hasen, 
Sehn  immer  nach  den  alten  Nasen, 


4.    Zu  DER  Schrift:   Zu  Goethe's  Gedichten.  215 

Und  hast  ja  auch,  wle's  jeder  schaut, 

Dir  Neuen  ein  altes  Haus  gebaut. 

Drum  wie's  steht  sodann  geschrieben 
10  Im  Evangelium  dadrüben, 

Daß  sich  der  neu  Most  so  erweist, 

Daß  er  die  alten  Schlauch'  zerreißt, 

Ist  fast  das  Gegentheil  so  wahr. 

Daß  alt  die  jungen  Schlauch'  reißt  gar. 
1 5   Und  können  wir  nicht  tragen  mehr 

Krebs,  Panzerhemd,  Helm,  Schwert  und  Speer 

Und  erliegen  darunter  todt 

Wie  Ameis'  unter  Schollenkoth, 

So  ist  doch  immer  unser  Muth 
20  Wahrhaftig  wahr  und  bieder  gut. 

Und  allen  Perrückeurs*)  und  Fratzen 

Und  allen  literar'schen  Katzen 

Und  Käthen,  Schreibern,  Maidels,  Kindern 

Und  wissenschaftlich  schönen  Sündern 
25   Sei  Trotz  und  Hohn  gesprochen  hier 

Und  Haß  und  Aerger  für  und  für. 

Weißen  wir  so  diesen  Philistern 

Kritikastern  und  ihren  Geschwistern 

Wohl  ein  jeder  aus  seinem  Haus 
30  Seinen  A   .  .  .  zum  Fenster  hinaus! 

DÜXTZER**)  bestreitet  nun  zunächst  die  im  kritischen  Apparat 
versuchte  Datirung,  indem  er  Zeile  7  und  8  des  Gedichts 
—  für  die  allerdings  eine  überzeugende  Deutung  bisher  noch 
nicht  gefunden  war  —  darauf  bezieht,  daß  Merck  um  die 
Jahreswende  1773/74  ein  altes  Haus  in  Darmstadt  gekauft 
hatte,  das  er,  um  es  wohnlich  zu  machen,  erst  baulich  her- 
stellen lassen  mußte.  Diese  Deutung  erscheint  so  treffend, 
daß  sie  unbedenklich  anzunehmen  ist.  Hierdurch  wird  zweier- 
lei festgestellt:  daß  das  Briefgedicht  an  Merck  gerichtet  war 


*)  Perrücken?    *''^)  Zur  Goclhc-Forschiing.     Xeuc  Hcilräge^  iSgi^ 


2i6      VI-  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

und  daß  es  nicht  früher  als  um  die  Jahreswende  1773,74 
geschrieben  ist.  Daraus  folgt  weiter,  daß  es  nicht  die  Hand- 
schrift des  Schauspiels  begleitet  haben  wird,  da  dieses  da- 
mals schon  gedruckt  vorlag.  DÜNTZER  gründet  seine  Be 
hauptung,  das  Uebersendete  seien  die  Lustspiele  des  Plautus 
von  Lenz  gewesen,  auf  Auslegungen  des  Gedichtes,  von 
denen  er  nach  einer  österreichischen  Redensart  sagen  darf: 
das  soll  mir  mal  Einer  nachmachen!  Gleich  Zeile  i  kann 
lediglich  durch  Begriffsverwechslung  dahin  gedeutet  werden; 
denn  diese  Lustspiele,  in  denen  alten  dramatischen  Stoffen 
neuzeitliche  Verhältnisse  untergelegt  waren,  stellten  sich  nicht 
als  etwas  Neues  im  alten  Kleide,  sondern  gegentheils  als 
etwas  Altes  im  neuen  Kleide  dar.  Ein  so  verkehrter  Ver- 
gleich, wie  DüNTZER  ihn  herausliest,  wäre  für  GOETHE  eine 
Unmöglichkeit  gewesen.  Zum  Ueberfluß  hat  letzterer  selbst 
das  richtige  Bild  hinsichtlich  derselben  Lustspiele  gebraucht, 
und  zwar  im  Brief  an  Salzmann  vom  6.  März  1773  (a.  a. 
O.  S.  66),  wo  er  schreibt,  daß,  um  die  Komödien  des  Plau- 
tus auf  die  Bühne  zu  bringen,  ein  nach  dem  Sinne  des 
Publicums  zugeschnittenes  Kleid,  also  ein  neues,  nothwendig 
sei.  Bei  Zeile  3  findet  es  DüXTZER  S.  207  unfaßlich,  daß 
Goethe  von  seinem  y>G'öt::  von  ßerlichiiigenn ,  mit  dem  er 
einen  ganz  neuen  dramatischen  Ton  angeschlagen,  nicht  et- 
was Besonderes  auf  die  Bahn  gebracht  zu  haben  geglaubt 
haben  solle.  GOETHE  war  indessen  bescheidener,  als  DüNTZER 
für  möglich  hält:  bei  Sendung  des  Schauspiels  an  GoTTER 
mit  dem  bekannten  Briefgedicht  » Schicke  Dir  hier  den  alten 
Götzeti  etc.«.  (a.  a.  O.  S.  93  ff.)  gab  er  diesem  anheim,  das- 
selbe unter  »die  Zahl  der  Ungeblätterten«  zu  stellen;  von 
der  lieben  Theilnahme  der  Frau  V.  La  ROCHE  w^ar  er  mit 
großer  Freude  überrascht  (a.  a.  O.  S.  95);  gegen  Kestner 
erkannte  er  an,  daß  der  » Götz«  ein  Menschenkind  mit  vielen 
Gebrechen,  obwohl  der  besten  einer  sei,  der  fortkommen 
und  dauern  werde.  —  Die  »alten  Nasen«,  nach  denen  wir 
Neuen   sehen,    Zeile   5  f.,    sollen    nach   DÜNTZER   »für  jeden, 


4.    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten. 


217 


der  verstehen  Avill«  auf  \"erehrung  des  classischen  Alterthums 
sich  beziehen.  Es  stünde  schlimm  um  die  GoetJie- Forschung, 
wenn  man  dabei  im  Verständniß  Hand  in  Hand  mit  DüNTZER 
gehen  wollte;  er  verdirbt  sich  selbst  die  Vortheile,  die  er 
durch  seine  Materialiensammlung  und  daraus  hervorgehenden 
glücklichen  Funde  erlangt  hat,  durch  Schiefe  seines  Urtheils. 
Wir  haben  also  jener  Auslegung,  die  er  für  jeden,  der  ver- 
stehen will,  giebt,  deshalb  noch  keine  Bedeutung  beizulegen; 
das  ist  eine  jener  Redensarten,  durch  welche  er  Unkundigen 
zu  imponiren  sich  bemüht  —  in  »plumper  Weise«,  um  in 
seiner  Sprache  zu  reden.  In  Wirklichkeit  konnte  es  GOETHE 
nicht  einfallen  über  die  Hinneigung  zum  classischen  Alter- 
thum  zu  spotten;  w^ir  werden  aber  gleich  sehen,  daß  ihm  die 
Liebhaberei  für  Deutschthümelei  in  der  Literatur  nicht  ans 
Herz  gewachsen  war.  Aber  ganz  entschieden  widerspricht 
DüNTZER's  Meinung,  daf3  hier  auf  das  classische  Alterthum 
gezielt  sei,  der  Nachsatz  von  den  alten  Hosen.  Wer  nur 
eine  Ahnung  hat  von  Goethe's  Gleichnissen,  weiß,  daß  sie 
immer  die  Sache  treffen,  was  jedoch  bei  Verbindung  der 
malten  Hosen«  mit  dem  classischen  Alterthum  nicht  der  Fall 
ist.  Diese  gegenseitigen  Beziehungen  hat  DÜNTZER  auch 
x'orsichtigerweise  zu  erörtern  unterlassen;  er  hätte  dann  über- 
dies zu  dem  Ergebniß  kommen  müssen,  daß  im  Gegentheil 
das  »Kindlein«,  d.  h.  Lexzens  Lustspiel,  neue  Hosen  am 
alten  Körper  trägt.  Von  Zeile  i  5  ab  leugnet  DüNTZER  nicht 
weiter,  daß  hier  von  y>G'ötz  von  Berlichingeni-  die  Rede  sei 
aber  er  vertraut  uns  nicht  an,  was  er  über  Begründung  des 
Ueberganges  von  Plautus  zu  Götz  von  BerlicJiingen  denkt; 
wahrscheinlich  nichts.  Er  füllt  die  Lücke,  wo  man  solche 
Erläuterung  erwartet,  S.  209,  mit  der  an  dieser  Stelle  höch- 
lich überraschenden  Betrachtung  über  das  Versmaß  einiger 
Zeilen  des  Gedichts  aus.  Bei  nur  geringer  Ueberlegung 
wird  man  aber  erkennen,  daf3  in  den  harmlosen  Plautini'- 
schen  Lustspielen  nicht  die  Spur  eines  Anlasses  zu  dem 
Bedauern,  daß  wir  jetzt  nicht  mehr  geharnischt  sind,  geboten 


21 8      VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

ist,  folglich  auch  nicht  zu  der  Tröstung  mit  unserer  Bieder- 
keit. Wenn  dagegen  im  gedachten  kritischen  Apparat  ohne- 
weiteres das  Briefgedicht  mit  ■>->G'ötz  v.  B.t  in  Verbindung 
gebracht  worden  ist,  so  hatte  man  sich,  um  dies  heraus- 
zubringen, nicht  etwa  auf's  Rathen  gelegt,  wie  DüNTZER 
sagt,  sondern  nur  das  kurz  ausgesprochen,  was  jeder  Sach- 
kundige auf  den  ersten  Blick  als  das  einzig  Richtige  erkennen 
mußte,  und  ohne  DüNTZER's  Durchquerung  würde  diese 
Ansicht  auch  ohne  Widerspruch  allgemeinen  Eingang  ge- 
funden haben.  Zu  Abkürzung  des  nunmehr  verlangten  Nach- 
weises der  Richtigkeit  dieser  Ansicht  können  wir  an  Zeile  1 5  ff- 
anknüpfen,  wo  selbst  DÜNTZER  die  Beziehung  auf  -»Gots«. 
nicht  in  Abrede  stellen  kann.  So  wie  in  keiner  Weise  be- 
merklich ist,  daß  sich  das  Folgende  auf  ein  anderes  W^erk, 
als  das  vorhergegangene  beziehen  solle,  so  deutet  auch  nichts 
darauf,  daß  das  Werk  eines  Dritten  in  Rede  stehe,  vielmehr 
verräth  die  Wärme,  mit  der  das  Gedicht  vom  mitfolgenden 
»Kindlein«  spricht,  den  lebhaften  Antheil  an  dem  eignen. 
Dies  scheint  auch  DüNTZER  gefühlt  und  aus  diesem  Grunde 
in  seinem  Aufsatz  S.  204  versichert  zu  haben:  »Absichtlich 
oder  zufällig  hatte  GOETHE  [gegen  Merck]  nicht  erwähnt, 
daß  er  .  .  .  die  von  Lenz  bearbeiteten  »Lustspiele  nach 
dem  Plautus«  durchgesehen  und  verändert  habe.«  In  diesen 
wenigen  Worten  sind  zwei  Behauptungen  enthalten,  die 
DüNTZER's  unwahrhaftige  Darstellungs-  beziehentlich  Kampf- 
weise kennzeichnen:  Goethe  »hatte«  nicht  erwähnt,  spricht 
er  bestimmt  aus,  weiß  aber  schlechterdings  nicht,  daß  dies 
unterblieben  ist,  und  braucht  nur  diese  kecke  Zuversichtlich- 
keit, um  weitere  Behauptungen  möglich  erscheinen  zu  lassen; 
ferner  soll  GOETHE  die  LENZlschen  Lustspiele  verändert 
haben,  was  nach  den  darüber  bekannten  Thatsachen  nicht 
der  Fall  war,  vielmehr  schreibt  GoETHE  an  Salzmann  am 
6.  März  1783  (a.  a.  O.  S.  96  ff.),  daß  er  dem  Verfasser  wegen 
vorzunehmender  Aenderungen  Rathschläge  zu  ertheilen  be- 
reit sei,  sich  aber  in   kein  Detail   einlassen   könne  und  dem 


4-    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten.  219 

\"erfasser  das  Ausführen  und  Umarbeiten,  dafern  er  so  fühle 
wie  Goethe,  selbst  anheimstellen  müsse.  Der  Umstand 
daß  der  Verleger  in  seinem  Katalog  Lenz  und  GOETHE 
als  Verfasser  der  »Lustspiele«  bezeichnete,  beweist  nichts 
Anderes,  da  diese  Benennung  theils  durch  Goethe's  Ver- 
mittelung  des  Verlages,  theils  durch  die  x\bsicht  des  Ver- 
legers, durch  den  berühmten  Namen  Goethe's  Käufer  an- 
zulocken, erklärlich  ist.  Als  einziges  Bedenken  gegen  die 
Deutung  des  Gedichts  auf  » Götzi.  glaubte  man  früher  die 
Thatsache  beachten  zu  müssen,  daß  dieses  Schauspiel  von 
Merck  verlegt  war,  weßhalb  im  kritischen  Apparat  zu 
Goethe's  Briefen,  anstatt  der  Uebersendung  des  gedruckten 
Stücks,  die  der  Handschrift  vorausgesetzt  wurde.  Da  dies 
nun  nach  DüNTZER's  Datumsfeststellung  nicht  ferner  haltbar 
ist,  so  liegt  uns  ob,  zunächst  zu  untersuchen,  ob  um  des- 
willen die  Verbindung  mit  dem  sonst  für  unzweifelhaft  an- 
gesehenen »  Göts'i  aufgegeben  werden  muß.  Wie  nun,  wenn 
für  Uebersendung  des  gedruckten  -»Götz  von  Bei'lic hingen <i. 
an  Merck  um  die  Jahreswende  1773/74  sich  eine  Erklärung 
fände?  GOETHE  erzählt  in  ^ Dichtung  nnd  Wahrheit <s\  er 
habe  sich  mit  Merck  zur  Herausgabe  des  » Götz 's.  dahin 
vereinigt,  daß  er  selbst  für  das  Papier,  Merck  aber  für  den 
Druck  habe  sorgen  wollen,  d.  h.  Merck  hat  die  Kosten  des 
Druckes  übernommen,  während  er  mit  dem  Drucken  selbst 
schwerlich  etwas  zu  thun  gehabt  hat.  Wie  aus  Briefen 
Goethe's  hervorgeht,  bereitete  er  selbst  im  Februar  1773 
das  Buch  erst  zum  Drucke  vor  (a.  a.  O.  S.  64);  am  15.  Mai 
ist  letzterer  noch  nicht  beendet  (a.  a.  O.  S.  89)  und  erst  im 
Juni  ist  es  versandt  (a.  a.  O.  S.  93).  Von  dem  Buche  kann 
daher  Merck  nur  die  ersten  Bogen  sofort  zu  sehen  bekommen 
haben;  denn  von  Anfang  Mai  bis  nach  Mitte  December  1773 
begleitete  er  die  Landgräfin  von  Hessen-Cassel  nach  St.  Peters- 
burg. Es  ist  daher  ganz  erklärlich  und  sogar  wahrscheinlich, 
daß  Goethe  ihm  erst  nach  Rückkunft  von  dieser  Reise  ein 
Exemplar    des     •»  Götz    von    Berlichingen^    zugestellt    habe, 


220      VI.  Bericht.  UND  Nachträge  ZU  GoETHESCHR.  DES  Verfassers. 

jedenfalls  nach  Besorgung  des  Einbandes,  da  zu  jener  Zeit 
Bücher  noch  roh  in  ungehefteten  Bogen  auf  Lager  gehalten 
zu  werden  pflegten.  Ist  hiermit  die  Möglichkeit  festgestellt, 
daß  der  gedruckte  » G'ötZ'i.  in  dem  Briefgedicht  gemeint  sei, 
so  ist  damit  auch  die  Schwierigkeit  dieser  auf  der  Hand 
liegenden  Deutung  beseitigt  und  wir  können  uns  nun  der 
Darlegung  der  Unmöglichkeit,  daß  etwas  Anderes  gemeint 
sei,  zuwenden.  Vor  xAllem  entscheidend  sind  Zeile  1 5  f.  und 
Zeile  30.  An  ersterer  Stelle  werden  mittelalterliche  Be- 
wafifnungsstücke  fast  mit  denselben  Ausdrücken  aufgeführt 
wie  bei  Uebersendung  des  »  G'ötZ'i  an  GOTTER,  wo  ■»  Panzer <-< 
und  •>'>BlecJihaub<i.  genannt  werden  (a.  a.  O.  S.  94).  und  am 
Schluß  bringt  GoETHE  das  Kraftwort  im  Zuruf  GöTZEN's 
an  den  kaiserlichen  Herold  an,  wie  ebenfalls  gegen  Ende 
des  Gedichts  an  GoTTER.  —  Das  »alte  Kleid«  in  der  ersten 
Zeile  kann  sowohl  von  der  alterthümelnden  Sprache  und 
überhaupt  dem  altdeutschen  Wesen  des  -»Gö/z«,  als  auch 
von  der,  im  Gegensatz  zu  den  Schauspielen  nach  französischen 
Mustern  auf  die  ältere  Form  SilAKESPEARE's  zurückgreifenden 
Gestaltung  gelten.  Ebenso  gebraucht  GOETHE  im  Brief  an 
Kestner  aus  August  1773  vom  •»G'ötz's.  den  Ausdruck: 
»Viele  werden  sich  am  Kleid  stoßen.«  —  Wenn  dieses 
»Kindlein«  als  nichts  weitres  auf  der  Bahn  d.  h.  als  nichts 
Besonderes  anzusehen  wäre,  so  kommt  ihm  doch  zugute, 
daß  es  alte  Hosen  trägt,  wie  es  die  »Neuen«  Heben  (Zeile  5  f.). 
Goethe  mochte  wohl  in  Zweifel  ziehen,  ob  er  mit  seinem 
Schauspiel  etwas  Neues  auf  die  Bahn  gebracht  habe,  da  die 
freie  Scenenbehandlung  und  die  natürliche  Sprache  schon 
durch  Diderot  und  Shakespeare  und  deren  Nachahmer 
auf  der  deutschen  Bühne  Eingang  gefunden  hatten;  seine 
ungeheuere  Wirkung  verdankte  es  dem  Leben  und  Geiste, 
die  Goethe  der  Dichtung  in  einer  Weise  einzuhauchen  ver- 
standen hatte,  wie  niemand  vor  ihm.  Das  konnte  er  aber 
nicht  selbst  in  Anschlag  bringen.  Die  Neuen  wegen  ihrer 
Neigung  zum  Alterthümlichen   aufzuziehen,  bewog  ihn  wohl 


4.    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten.  221 

die  Erinnerung  an  ELIAS  Schlegel's  Trauerspiel  y:  Hermann  « 
dessen  Trockenheit  ihn,  wie  er  in  dem  Aufsatz  über  das 
Leipziger  Theater  von  1767  erzählt,  gerade  später  dahin 
führte,  anstatt  des  unserer  Gesittung  so  fremdartigen  alt- 
deutschen Stoffes  sich  zu  dem  näher  gelegenen  der  Ritter- 
zeit zu  wenden,  wie  er  übrigens  auch  gegen  Klopstock's 
an  die  nordische  Mythologie  sich  anlehnende  Oden  und 
Kretschmann's  u.  a.  Bardenlieder  sich  ablehnend  verhielt. 
In  Zeilen  9  —  14  wird  die  Befürchtung  ausgesprochen,  daß 
die  junge  Welt  sich  in  dem  alten  Wesen  nicht  heimisch 
fühlen  werde,  jedoch  Zeilen  15 — 20  dabei  Beruhigung  ge- 
faßt, daß,  wenn  uns  auch  die  Kraft  der  Menschen  der  Ritter- 
zeiten nicht  mehr  beiwohne,  wir  doch  noch  ebenso  bieder 
und  gut  seien.  Mit  Verwünschung  aller  in  Verkümmerung 
Verharrenden  und  derer,  die  sich  an  der  Poesie  —  der 
schönen  Wissenschaft  —  versündigen,  sowie  mit  der  be- 
rüchtigten Götzischen  Einladung  an  den  Hauptmann  der 
Executionstruppe  schließt  das  Gedicht,  das  sich  sonach  von 
der  ersten  bis  zur  letzten  Zeile  als  aus  einem  Gusse  ge- 
flossen darstellt.  DüNTZER  giebt  S.  200  die  weise  Lehre, 
daß  man  bei  wissenschaftlichen  Forschungen  methodisch 
verfahren  müsse;  leider  ist  er  selbst  über  den  ersten  ver- 
sprechenden Anlauf  dazu  nicht  hinausgekommen.  Wir  maßen 
uns  an  zu  glauben,  daß  wir  in  durchgeführter  Methode  ihm 
voraus  sind;  mit  seinem  Hinweis  auf  das  Beschämende  des 
Mangels  an  Methode  hat  er  sich  selbst  das  Urtheil  ge- 
sprochen. 

b.    WILLKOMMEN  UND  ABSCHIED. 

Der  Herausgeber  des  i.  Bandes  der  Weimarer  Goethe- 
Ausgabe  hebt  in  dem  Berichte  des  » Goethe  -  JaJirbnchs « 
IX,  2go/g  die  Belehrungen  hervor,  welche  durch  das  Goethe- 
Archiv  in  Bezug  auf  die  Kenntniß  über  die  Entstehungszeit 
mehrerer  Gedichte  erlangt  worden  sind.  Besonders  wichtig 
hat  sich  ein  im  kritischen  Apparat  schon  abgedrucktes  Ver- 


22'?      VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 


zeichniß  von  Gedichten  Goethe's  erwiesen,  welches  BARBARA 
SghULTHESS  geb.  Wolf  in  Zürich  vor  Goethe'S  italienischer 
Reise  aufgestellt  hat.    Hieraus  ist  u.  a.  zu  entnehmen  gewesen, 
daß    -»Liebhaber  in    allen    Gestalten",    -»Genialisch    Treibern 
und   vielleicht   auch    ->y Schneidercourage«    der   Zeit   vor   1786 
angehören.    »  Willkommen  und  Abschiede  hat  dort  die  Ueber- 
schrift  y->Den  'Xyo^.abend  1771^,  welche  Chififre  VON  LOEPER 
mit     »Dreikönigs ab endi'.     auflöst.      Zu    Unterstützung    dieser 
sehr  schönen  Vermuthung  läßt  sich  Manches  anführen.    Wohl 
in  allen  deutschen  Landen   war  und  ist  es  zum  Theil  noch 
jetzt  Gebrauch   am  Dreikönigsabend   die  Anfangsbuchstaben 
der  drei  heiligen  Könige,  C.  M.  B.  an  die  Thüren  zu  schreiben, 
um  dadurch  böse  Einflüsse  von  Hexen  und  sonst  abzuhalten. 
(Scheible,    Das   Kloster    VII,  ^8.    —     Wuttke,    Der  deutsche 
Volksaberglaube    der  Gegenwart  §  iip.    —    Köhler,     Volks - 
bj'auch  .  .  .  im  Voigt  lande,  S.  jpj,  —  Die   Grenzboten  XXIII. 
Jahrg.  IL  Semest.  S.  363  f.)     Nach   WUTTKE    wird    jedem 
der  drei  Buchstaben  noch  das  Zeichen  des  Kreuzes  beigefügt 
und  wie  sich  daher  die  Chiffre  XXX  für  die  drei  Könige 
einfach    durch  Weglassung   der  Buchstaben  erklärt,   so  viel- 
leicht   auch    dadurch,    daß    des    Schreibens   Unkundige    am 
Dreikönigsabende  lediglich  drei  Kreuze  an  die  Thüren  malten. 
Dem  6.  Januar   1771    kommt   aber    als   Entstehungszeit   des 
fraglichen  Gedichtes  noch  der  Umstand  zu  Statten,    daß  an 
diesem  Tage  der  Mond  in's  erste  Viertel  trat,  also  derselbe 
in    der    That    kläglich    aus    dem    Wolkenhügel    hervorsehen 
konnte,  wie  es  im  Gedichte  heißt. 

c.    HAIDENRÖSLEIN. 

Im  2.  und  4.  Hefte  des  fünften  Jahrgangs  der  -»Zeit- 
schrift für  deutschen  Unterrichtii  sind  Ansichten  über  die 
Urheberschaft  des  »Haidenröslei^i«.  vertheidigt  worden,  denen 
ich  noch  immer  nicht  beitreten  kann.  Bei  Wiederaufnahme 
der  hierüber  bestehenden  Streitfragen  ist  zuvörders  hervor- 
zuheben, daß  Verschiedenheiten  zwischen  dem  ersten  Drucke 


4-    Zu  DER  Schrikt:   Zu  Goethe's  Gedichten.  22^ 

in  Herder's  »  Pofi  deutscJicr  Art  utid  Kinisl«  und  dem 
Druck  in  Goethe's  Werken  bezüglich  der  rein  sprachlichen 
Abweichungen  fast  nicht  bestehen;  denn  wenn  man  meint, 
daß  an  letzterer  Stelle  zunächst  -»Knabe  sprachv-  und  »'5  Rös- 
Icin  spracJii.  Aenderungen  Goethe'S  seien,  so  ist  das  irrig. 
Man  läßt  dann  außer  Acht,  daß  HERDER  die  von  ihm  in 
dem  Text  des  Liedes  angenommene  Fassung  schon  als 
Aenderungen  gegen  die  ursprünglichen  bezeichnet.  Er  sagt, 
nachdem  er  das  von  ihm  ■»Fabelliedchen<:^  überschriebene 
■}>Heidenrdslein<!-  mitgetheilt  hat:  »Und  noch  muß  ich  Ihnen 
eine  Aenderung  des  lebendigen  Gesanges  melden.  Der  Vor- 
schlag thut  bei  den  Liedern  des  Volks  eine  so  große  und 
gute  Wirkung,  daß  ich  aus  deutschen  und  englischen  alten 
Stücken  sehe,  wie  viel  die  Minstrels  darauf  gehalten,  und 
er  ist  nun  noch  im  Deutschen  wie  im  Englischen  in  den 
Volksliedern  meistens  der  dunkle  Laut  von  the  in  beidem 
Geschlecht  (de  Knabe)  's  statt  das  ('s  Röslein)  und  statt 
ein  ein  dunkles  a  und  was  man  noch  immer  in  Liedern 
mit  '  ausdrücken  könnte.  Das  Hauptwort  bekommt  auf 
solche  Weise  immer  weit  mehr  poetische  Substantialität  und 
Persönlichkeit 

'Knabe  sprach 

's  Röslein  sprach  u.  s.  w. 

in  den  Liedern  mit  mehr  Accent.«    Also  lauter  Abweichungen, 

die    später   GOETHE    gegen   Herder's   Schlimmbesserungen 

nur  wieder  hergestellt  hat. 

Da  außerdem  Suphan  (ArcJi.  f.  LiteraturgescliicJite  l  ]  poj 

berichtet,  daß  HERDER  auf  einen  Zettel  »jedenfalls  vor  1779« 
geschrieben  habe:  »Sa/i  ein  KnaF  ein  Röslein  stcJinv-,  also 
ebenfalls  gerade  so,  wne  später  bei  GoETHE,  so  hat  dieser 
für  den  Druck  in  den  , Schriften'  auch  insoweit  gegen  den 
ursprünglichen  Text  nichts  geändert. 

Es  ist  keinesfalls  anzunehmen,  daß  HERDER  selbst  das 
Lied  im    »lebendigen  Gesänge«  vernommen  habe,  da  er  beim 


224 


VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 


zweiten  Abdruck  im  IL  Theil  seiner  »  Volkslieder«  (1779) 
bemerkt,  er  habe  es  »aus  der  mündlichen  Sage*;  nur  hier 
drückt  er  sich  so  aus,  während  er  über  das  i.  Stück  des  I. 
und  das  24.  Stück  des  IL  Theiles  sagt:  »Aus  dem  Munde 
des  Volkes«. 

Es  kann  aber  umsoweniger  in  Zweifel  gezogen  werden, 
daß  das  Gedicht  der  HERDER'schen  Drucke  aus  Goethe's 
Händen  gekommen  sei,  als  nach  einer  Mittheilung  \on  Haym 
Herder'S  Briefe  über  Ossian,  in  denen  das  «Haidenrösleini 
vorkommt,  1771  geschrieben  sind,  also  unmittelbar  nach  def 
Zeit  der  Bekanntschaft  mit  GOETHE,  mit  dem  er  in  Pflege 
der  Volksliederkunde  zusammentraf. 

Aber  unerachtet  dieser  Verringerung  der  Verschieden- 
heiten zwischen  Herder's  Drucken  und  der  Fassung  in 
Goethe's  Werken  würde  die  Aufnahme  eines  fremden  Ge- 
dichts, als  ob  es  ein  eigenes  wäre,  auf  Grund  so  gering- 
fügiger Aenderungen,  w^ie  stattgefunden  haben,  bei  GOETHE 
ohne  Beispiel  sein,  und  es  ist  unzulässig,  den  vereinzelten 
Vorgang  ohne  zwingende  Gründe  zu  behaupten.  Dagegen 
hat  Goethe  mehrere  Gedichte  früherer  Zeit  bei  Aufnahme 
in  die  Werke  abgeändert;  so  z.  B.  »Z)z>  Nacht <i~  — ,  !>Das 
Glück ^  —  »HocJizeitsliedd.  —  .Der  König  in  Thule«-  — 
y>A)i  den  Mondi. 

Die  Frage,  ob  entweder  von  GOETHE  oder  von  Herder 
bei  der  ersten  Einführung  des  Gedichts  eine  Unwahrheit 
verschuldet  worden  ist,  kann  man  füglich  auf  sich  beruhen 
lassen,  zumal  da  dessen  Bezeichnung  als  Volkslied  für  das 
aus  einem  Volkslied  ausgezogene  Gedicht  nicht  schlechthin 
unerlaubt  war.  Darin  ist  jedenfalls  mehr  aus  dem  ursprüng- 
lichen Volkslied  verblieben,  als  in  anderen  Gedichten,  bei 
denen  GOETHE  von  Volksliedern  ausgegangen  ist,  wie  ich 
deren  in  den  »  Goethe-Forschungen  —  Neue  Folge  <i-  Seite ^  22  f gg. 
zusammengestellt  habe. 

Aehnlich  ist  aber  GoETHE  mit  einem  anderen  Gedicht 
verfahren.      In    einem    Briefe    an    Frau    V.   Stein    aus    dem 


4.    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten.  225. 

Juni  1786,  der  im  11.  Bande  der  y>  Schriften  der  Goethe- 
Gesellschaft«  S.  i  abgedruckt  ist,  schrieb  er  einige  Verse, 
welche  in  der  Hauptsache  aus  anderthalb  Strophen,  ent- 
nommen der  zweiten  und  vierten  Strophe  des  siebenstrophigen 
Gedichts  •>->Chymische  Hochzeit^  von  JOHANN  VALENTIN 
Andrä  besteht  und  worin  er  ein  paar  Aenderungen  an- 
gebracht hat,  die  zwar  nicht  umgestaltend  wie  im  ^^Hatden- 
rösleinv.,  immerhin  aber  selbständig  eingreifen. 

d.    GOETHE'S  SONETTE. 

In  einer  seiner  GOETHE-Schriften  behandelt  KUNO  FISCHER 
die  siebzehn  Sonette,  die  GOETHE  in  den  letzten  x\usgaben 
seiner  Werke  in  einem  i\bschnitt  unter  dem  Sammelnamen 
» Sonette <!  vereinigt  hat.  Um  in  die  Verhältnisse  einzuweihen, 
unter  denen  diese  Gedichte  entstanden,  führt  FlSCilER  die 
dabei  in  Betracht  kommenden  Personen  und  deren  Be- 
ziehungen zu  Goethe  vor,  und  zwar:  das  FROMMANN'sche 
Haus,  Minna  Herzlieb  und  Bettina  v.  Arnim.  Die  Fäl- 
schungen, die  letztere  sich  in  ^^  Goethe's  Briefwecliscl  mit 
einem  Kinde  in  Bezug  auf  Goethe'S  Briefe  hat  zu  Schulden 
kommen  lassen,  werden  auf's  Xeue  beleuchtet;  diese  Hand- 
lungsweise kann  auch  nicht,  wie  versucht  worden  ist,  wegen 
der  Verehrung  des  alten  Kindes  für  GOETHE  vertuscht  werden, 
und  ist  um  so  härter  zu  verurtheilen,  als  sie  lediglich  aus 
der  Absicht  hervorgegangen  ist,  sich  —  wie  auch  aus  FiSCHER'S 
Darstellung  z.  B.  S.  50,  56,  SQfif.  unzweideutig  sich  ergiebt 
■ — ■  einen  Glorienschein  aus  dem  Interesse  Goethe's  für  ihre 
Person  anzudichten.  Das  kann  auch  der  sonstige  schrift- 
stellerische Werth  ihres  Briefwechsels  nicht  ausgleichen.  Dem- 
ungeachtet  ist  die  Thatsache  nicht  zu  bestreiten,  daß  Goethe 
nicht  nur  ihr  Sonette  mitgetheilt,  sondern  auch  eine  Stelle 
aus  einem  ihrer  Briefe  in  einem  Sonett  verwerthet  hat.  (S.  54  f.) 
Aber  ebenso  sicher,  wie  BETTINA  mit  ihren  Ansprüchen  ab- 
zuweisen ist,  muß  Fischer's  Behauptung  als  unstatthaft  be- 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  I5 


226      VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

zeichnet  werden,  wenn  er  (S.  6)  sagt:   »Ich  halte  die  Ansicht 
für  grundfalsch,    nach   welcher   die   siebzehn  Sonette   keinen 
Kranz,  sondern  eine  Sammlung   ausmachen,    deren  einzelne 
Stücke  aus  verschiedenen  Anlässen  herrühren  sollen  und  auf 
verschiedene  Personen    zu   beziehen   seien.«      Denn   wenn  er 
Aveiterhin  (S.  20)   in  einem  Zirkelschluß  äußert:    »Es  ist  der 
Kranz  der  siebzehn  Sonette,  die  keinen  Kranz  bilden  würden, 
wenn    sie    nicht    von    einem    und    demselben   Thema    erfüllt 
wären,  sodaß  der  Gegenstand  eines  dieser  Sonette  nothwendig 
der  Gegenstand  aller  ist«,  so  kann  man  die  Schlußfolgerung 
sehr  wohl  für  richtig  anerkennen,  aber  dem  gewandten  Volten- 
schläger,   der    eben    das  zu   Beweisende    als  Axiom    in    den 
Vordersatz  stellt,  doch  nicht  Recht   geben.     FiSCHER  unter- 
drückt  als    unbeachtlich    den    Umstand,    daß    die    fraglichen 
Sonette    eben    kein    Kranz    sind.      An    einen   Sonettenkranz 
sind  bekanntlich  ganz  bestimmte  technische  Forderungen  zu 
stellen:  er  besteht  aus  fünfzehn  Sonetten,  deren  jedes  durch 
seinen  Schlußvers  mit  dem  Anfangsvers  des  nächstfolgenden 
durch  gleichen  Wortlaut   verbunden   ist,   während   die   letzte 
Zeile  des  letzten  Sonetts   die  erste  Zeile  des  ersten  wieder- 
holt  und  damit   den  Kranz  —   die  Anknüpfung   des   Ende 
an   den    Anfang  —  schließt,    worauf  ein   aus   diesen   gleich- 
lautenden   vierzehn   Versen    bestehendes    >•>  Meisteisonetti^   die 
Dichtung  vollendet.    Ein  deutscher  Sonettenkranz  findet  sich 
z.  B.  in   den   ^;- Gedichten   von  F.  W.  RiEMER«   I,  167 — 181. 
Ein    solcher    Sonettenkranz    bedingt    allerdings    Einheit    des 
Gegenstandes,    da   aber   GOETHE    diese    geschlossene   Form 
eben  nicht  beliebt  hat,  kann  ihm  auch  nicht  die  Absicht,  in 
seiner    Sonettensammlung    nur   Einen    Gegenstand    im   Auge 
gehabt   zu   haben,    aufgedrungen   werden.     Er    hat   vielmehr 
die  siebzehn  Sonette   nur  der  gemeinsamen  Form  halber  in 
einem  Abschnitt   seiner  Gedichte  vereinigt,    ebenso   wie   die 
römischen  Elegien,  die  venetianischen  Epigramme,  die  antiker 
Form  sich  nähernden   kleinen  Gedichte    trotz  ihres  mannig- 
faltigen Inhalts;  auch  unter  den  der  Mehrzahl  nach  erotischen 


4.    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten.  227 


Elegien    finden    sich   solche,    die  anderes    zum   Gegenstande 
haben,  namentlich  die  VIII.  und  die  XI. 

Goethe  verfolgte  bei  seinen  Sonetten  von  Anfang  an 
keinen  Plan:  sie  entstanden,  weil  WERNER,  SCHLEGEL,  Gries 
und  Riemer  damals  in  dieser  Form  gedichtet  hatten  und 
Goethe  dadurch  angeregt  ward,  sich  ebenfalls  darin  zu  ver- 
suchen, wie  er  ja  jede  an  ihn  herantretende  Form  gern  er- 
griff, um  die  Strahlen  seines  Geistes  auf  neue  Weise  brechen 
zu  lassen.  So  geschah  es  schon  früh  mit  der  antiken  Oden- 
form,  obwohl  er  diese  recht  willkürlich  behandelte  und  seine 
Dichtungen  nicht  darein  zu  fügen  verstand;  so  später  mit 
der  Stanze,  dem  serbischen,  dem  antik  epischen,  elegischen 
und  dramatischen  sowie  mit  dem  spanischen  Vers.  Bei  dem 
Autkommen  der  Sonettenform  ergab  es  sich  ganz  natürlich 
—  da  das  Sonett  von  dessen  Schöpfer  und  Meister,  Petrarca, 
der  Liebe  geweiht  worden  war  — ,  daß  GOETHE  der  Liebe 
zu  Minna  Herzlieb,  die  ihn  zu  jener  Zeit  beherrschte,  darin 
Ausdruck  verlieh.  Zwar  weist  FlSCHER  die  angeblich  gegen- 
seitige Leidenschaftlichkeit  der  beiden,  die  K.  Th.  GaedeRTZ 
namentlich  aus  MincHEN'S  Briefen  herausliest,  gründlich  ab, 
auch  klüglich,  um  alle  Gemeinsamkeit  seiner  Ausführungen 
mit  denen  jenes  Fablers  auszuschließen;  nichtsdestoweniger 
verirrt  er  gleichfalls  sich  in  Unterstellungen,  wenn  er  S.  21 
behauptet,  daf3  fragliche  Sonette  »sämmtlich  aufMiNNA  Herz- 
LIEB  zu  beziehen  sind,  nur  sie  zum  Gegenstande  haben«. 
Hiergegen  spricht  schon  das,  der  Zeit  der  Entstehung  nach 
erste  Sonett,  in  der  Sammlung  das  vierte.  Darin  will  die 
Liebende  den  Dichter  zum  Entgegenkommen  reizen,  indem 
sie  ihn  auf  seine  steinerne  Büste,  die  sie  mit  Liebkosungen 
überhäuft,  eifersüchtig  macht.  Es  ist  nicht  möglich  zu  denken, 
daß  der  Dichter  das  erste  Gedicht,  in  dem  er  seine  Liebe 
niederlegen  wollte,  auf  eine  Situation  gegründet  haben  könnte, 
die  der  seinigen  geradezu  entgegengesetzt  war;  denn  in  der 
Wirklichkeit  war  GoETHE  allein  der  Liebe  empfindende  Theil, 
während    das   Mädchen    sich    ihm    gegenüber    kühl    verhielt. 

15* 


228      VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 

Und  noch  dazu  ist  die  gedachte  Situation  eine  so  sonderbare, 
daß  man  ein  wirkliches  Vorkommniß  als  Grundlage  vermuthen 
muß.  Augenscheinlich  waren  es  wunderliche  Dichtungen 
WernER's,  die  ihn  vermochten,  in  productiver  Kritik,  wie 
es  seine  Art  war,  sich  darauf  einzulassen.  Zwei  Sonette 
desselben  aus  dem  November  1 807,  die  er  unzweifelhaft  am 
3.December  bei  Knebel  in  GOETHE'S  Gegenwart  mit  anderen 
Sonetten  vorgelesen,  haben  Liebe  zu  steinernen  Gestalten 
zum  Gegenstand:  das  eine,  im  Heidelberger  Schlosse  ent- 
standene, ^yDe7'  steinerne  Bräutigam  und  sein  Liebchen",  ist 
ein  Gespräch  zwischen  einer  Epheustaude,  dem  Wartthurm, 
der  Bildsäule  eines  Pfalzgrafen  und  einem  Engel;  das  andere 
Sonett  bezieht  sich  auf  die  bekannte  Sage  von  den  >  Mönch 
und  Nonne <!   benannten  Felsen,  die 

»sind  versteinert  in  der  Lieb'  Erglühen«. 

(Werne)'' s  sämmtliche  Werke,  I,  142,  144.J  GOETHE  hat 
nun  wohl  die  unklaren  Liebesäußerungen  gegen  WERNER'sche 
Steingestalten  zu  menschlichem  Verständniß  gebracht.  Auch 
Riemer  scherzt  über  das  letztgedachte  Sonett  Werner's  in 
dem  Sonett    >  Liebesideal 'i.     (Gedichte  II,    140.) 

Die  Sonette  YIII  bis  X  können  lediglich  Bettinen's 
Briefen  ihre  Entstehung  verdanken,  um  so  sicherer,  als 
wenigstens  in  dem  beschränkten  Raum  einesSonetten-i  Kranzes« 
die  Liebende  nicht  zuerst  als  drängende  Briefschreiberin  und 
dann  wieder  im  XIII.  als  die  Spröde,  die  des  Liebenden 
Plaudern  unnütz  in  ihrem  Ohr  verhallen  läßt,  hingestellt  werden 
konnte.  Das  XI.  Sonett  ferner  hat  gar  nicht  Liebe  zum 
Gegenstande  und  spricht  davon  nur  beiläufig,  indem  es  den 
Dichter,  von  der  Sonettenseuche  angesteckt,  nur  zuletzt  aus 
Liebe  rasend  nennt.  Dieses  Sonett  bildet  den  Gegensatz  zu 
dem  »Sonett'  überschriebenen  Sonett  in  der  Gedichtabtheilung 
»Epigrammatisch«,  worin  der  Dichter  sich  sträubt  »das  Beste 
was  Gefühl  gäbe?  in  »künstliche Sonette«  zu  leimen«.  Dieses 
Sonett  ist  gewiß  nur  deshalb  nicht  in  die  Sonettenabtheilung 


4.    Zu  DER  Schrift:    Zu  Goethe's  Gedichten.  229 

der  Gedichte  aufgenommen  worden,  weil  es  sich  namentUch 
mit  dem  XIV.  und  XV.  in  allzu  grellem  Widerspruch  be- 
finden würde,  indem  der  Dichter  im  ersten  dem,  gegen  die 
in  Sonetten  ausgesprochenen  Gefühle  mißtrauischen  Mädchen 
entgegnet,  er  sei  auf  rechtem  Wege;  denn 

Das  AUerstarrste  freudig  aufzuschmelzen, 
Muß  Liebesfeuer  allgewaltig  glühen, 
und  sich   im  XV.  Sonett   dem  Feuerwerker  vergleicht,   weil 
eh'  er  sich's  versieht,  geht  er  zerschmettert 
Mit  allen  seinen  Künsten  in  die  Lüfte. 

Und  das  ist  allerdings  Fischer'n  zuzugeben,  daß  GOETHE 
in  der  Sonettenabtheilung  eine  Einheit  der  Stimmung  hat 
aufrecht  erhalten  wollen:  die  Feier  der  Liebe,  aber  ohne  Ein- 
heit der  Liebenden.  Mit  Ausscheidung  des  widerstrebenden 
^)  Sonett«-  hat  er  nur  ein  ähnliches  Verfahren  eingeschlagen, 
wie  bei  Anordnung  seiner  Gedichte  in  der  ersten  Ausgabe 
seiner  Schriften  nach  Scherer's  Darlegung.  (Goethe-JaJir- 
buch  IV,  51  ff.)  Durch  Stempelung  der  Sonettenabtheilung 
zu  einer  einheitlichen  Dichtung  wird  Goethe'N  eine  Zer- 
fahrenheit in  der  Composition  zugemuthet,  die  er  nicht  auf 
sich  nehmen  kann.  Wie  FiSCHER  den  von  BETTINA  ge- 
flochtenen Kranz  (S.  54)  zerpflückt  hat,  muß  ich  also  zu  meinem 
Bedauern  auch  den,  von  ihm  für  MiXXA  HERZLIEB  gewundenen 
zerrupfen  und  ihr  nur  einzelne  Blumen  daraus  lassen,  seien 
es  auch  die  meisten,  —  unbestritten  jedenfalls  das  XVI.  und 
XVII. ,  welche  beide  GuETllE  discret  erst  später  in  seine 
Werke  aufnahm.  Aber  auch  das  letzte,  der  Herzlieb  am 
entschiedensten  zugeeignete  Sonett,  die  Charade  auf  ihre  Namen, 
ist  nicht  rein  aus  Verehrung  für  sie  hervorgegangen,  sondern 
gleichfalls  im  Wetteifer  mit  Werner,  der  auf  dieselben  Namen 
schon  eine  Charade  gedichtet  hatte.  FlSCilER  hat  sich  einige 
Widersprüche,  die  seiner  Zueignung  des  ganzen  Sonetten- 
abschnittes an  Minna  Herzlieb  entgegengestellt  werden 
möchten,   nicht   verhehlt,    hat  sich  aber    deren  Widerlegung 


r>'>o      VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 


(S.  HO  ff.)  denn  doch  zu  leicht  gemacht.  Diese  Zueignung- 
konnte überhaupt  nur  bei  glänzender  Darstellungsgabe  zur 
Discussion  kommen;  jene  gestattet  ja  auch  sonst,  im  Lesen 
GOETHE'scher  Dichtungen  auftauchende  geistreiche  Gedanken 
im  Anschluß  an  jene  auszuführen,  ohne  sich  dabei  durch 
den  wirklichen  Inhalt  dieser  Dichtungen  sonderlich  stören 
zu  lassen. 

Noch  ein  paar  Worte  über  die  sonstigen,  durch  MiNNA 
Herzlieb  hervorgerufenen  Dichtungen  GOETHE'S.  Außer 
den  von  FiSCHER  genannten  —  ^Pa7idora'<,  »Dze  IVahl- 
verwaudtschaften'i  und  die  Novelle  ^ Nicht  zu  weit!«.  — 
gehört  noch  eine  hierher,  in  der,  nur  auf  anderem  Wege  als 
im  Roman,  die  Natur  sich  gegen  Uebertretung  des  Sittlich- 
keitsgesetzes auflehnt;  diese  ist  das  kurz  nach  den  :^  Wahl- 
vcrzvandtschafteu'i  1810  gedichtete  /  Tagebuch«.  Dagegen 
gehört  y'Der  Mann  von  fünfzig  Jahren 'i  nicht  hierher;  sein 
Anfang  reicht  ins  Jahr  1803  zurück  und  es  ist  im  Gegen- 
theil  wahrscheinlich  daß  GoETHE  nachher  jahrelang  die  Fort- 
arbeit daran  gerade  deshalb  unterbrochen  hat,  weil  die  Deu- 
tung auf  ihn  selbst  zu  nahe  lag. 


e.    HATEM. 

Im  dritten  Gedichte  des  Buches  ^>Sulcikat  im  »West- 
östlichen Divan«  erklärt  GOETHE:  sein  Name  neben  SULEIKA 
solle  Hatem  sein.  Warum  gerade  dieser  Name,  sagt  er  in- 
dessen nicht.  Er  nennt  zwar  zwei  Hatem,  deren  Einer  als 
freigebig,  der  andere  als  reichlich  lebend,  d.  h.  Schätze 
sammelnd  bezeichnet  wird,  fügt  aber  hinzu,  daß  er  weder 
dieser,  noch  jener  HateM  sein  könne  oder  möchte,  vielmehr 
nur  beide  im  Auge  haben  wollte.  Daraus  ergiebt  sich  die 
Empfehlung  eines  Maßhaltens,  das  für  einen  Liebenden  sich 
denn  doch  nicht  schickt.  Die  Frage  liegt  daher  noch  immer 
nahe:  wie  er  auf  den  Namen  Hatem  verfallen  sein  dürfte. 
Die  Antwort  liegt  aber   nicht  nahe,    und  es   ist  da  wohl  er- 


4-    Zu  DER  Schrift  :    Zu  Goethe's  Gedichten.  2  3  I 

laubt,  ja  nöthig,  sich  auf  Rathen  zu  verlegen.  Ist  das  nicht 
ein  Fall,  wobei  man  —  nach  SCHERER  —  nicht  zu  weit 
gehen  kann?  Hat  GoETHE  etwa  auf  zwei  Hatem  vertheilt, 
wo  er  nur  Einen  im  Sinne  hatte,  als  welcher  er  sich  aber 
nicht  zu  erkennen  geben  wollte?  Dies  erscheint  um  so  glaub- 
licher, als  ein  von  ihm  genannter  Hatem  Zagrai  meines 
Wissens  nicht  ermittelt  ist,  wenn  man  aber  einen  Schreib- 
fehler annimmt  und  Thograi  liest  —  auf  welchen  Dichter 
der  Reichthum  allerdings  paßt  —  der  so  Zubenannte  nicht 
auch  Hatem  hieß. 

Goethe  las  nach  seinem  Tagebuche  am  14.  Juni  18 13 
Klixger's  y>  Geschichte  eines  Deutschen  de7'  neuesten  Zeit<i. 
Dieser  Roman  ist  1798  erschienen;  sein  Held  ist  ein  grund- 
braver Mann,  der  mit  den  höheren  Ideen  der  französischen 
Revolution  sympathisirt,  dies  unx'erhohlen  an  den  Tag  legt, 
auch  dem  Sohne  eines  vornehmen  Hauses,  dessen  Erzieher 
er  ist,  gleiche  Grundsätze  einprägt,  dadurch  aber  sich  Ver- 
folgungen zuzieht,  die  ihm  Deutschland  verleiden  und  ihn 
veranlassen,  nach  Frankreich  überzusiedeln. 

Bekanntlich  hatte  nun  GoETHE  18 13  unter  dem  Miß- 
trauen, mit  dem  ihm  als  dem  Bewunderer  Napoleon's  ent- 
gegengetreten wurde,  zu  leiden  und  er  konnte  sich  deshalb 
wohl  als  Mitleidender  jenes  Deutschen  aus  den  neunziger 
Jahren  fühlen,     Dieser  Deutsche  hieß  aber  Hadem. 

Fiat  applicatiol 

f.    IXVECTIVE  GEGEN  KOTZEBUE. 

Das  Distichon  T>Bist  du  Gemündisches  Silber  pp  <■ 
(Weim.  Ausg.  v.  Goethes  Werken  V,  176.)  wird  w^ohl  zu- 
nächst durch  die  Schrift  •>)  Schreiben  von  Friedrich  Mililer, 
Königl.  Bayer.  Hofmaler,  über  eine  Reise  nach  Rom  ttnd 
Neapel  von  A.  VON  KOTZEBüE,  Deutschland  1807  ■'■  veranlaßt; 
die  unverständigen  und  anmaßlichen  Urtheile  Kotzebue'S 
sind  darin  scharf  mitgenommen. 


232 


VI.  Bericht,  und  Nachträge  zu  Goetheschr.  des  Verfassers. 


g.  LETZTE  ZAHME  XENIE  DER  ERSTEN 
ABTHEILUNG. 

»  Weifst  du,  zvoi'in  der  Spafs  des  Lebens  liegt  pp^ 
(Werke,  Weim.  Ausg.  III,  2^^)  dürfte  durch  eine  Aeußerung 
der  Frau  V.  Stael  angeregt  worden  sein.  Sie  sagte  einmal 
zufolge  Briefs  von  HENRIETTE  V.  KuRBEL  an  ihren  Bruder 
vom  4.  Februar  1804  (Briefwechsel  S.  197):  On  s'aniuse 
.chez  vous,  quand  il  na  pas  de  plaisir. 


Be 


IGABE. 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der 
Dichtung. 


ie  Entstehung  der  poetischen  Sprachformen,  nament- 
lich der  ParalleHsmen,  des  Versmaßes  und  des  Reims, 
hat  im  vorigen  Jahrhundert  manchen  Kopf  be- 
schäftigt. Damals  beherrschte  die  Philosophie  die 
gesammte  Wissenschaft;  sie  erkannte  noch  nicht  Xatur-  und 
Volkswissenschaften  als  gleichberechtigt  an,  denen  sie  die 
Vorherrschaft  in  den  ihnen  gebührenden  Gebieten  zu  über- 
lassen hatte.  Demgemäß  war  es  auch  nur  die  Speculation, 
die  dem  Räthsel  der  Entstehung  jener  Formen  beizukommen 
suchte;  sie  behandelte  diese  wie  frei  erfunden  und  es  kam 
den  Denkern  jener  Zeit,  unter  denen  Herder  hervorragte, 
nicht  in  den  Sinn,  daß  sie  nur  infolge  allmäliger  Entwicke- 
lung entstanden  sein  konnten.  Wenn  gegenwärtig  noch 
Schriftsteller  den  damals  betretenen  Weg  wandeln,  so  ver- 
schließen sich  solche  Epigonen  der  Grundwahrheit  von  der 
jede  Wissenschaft  auszugehen  hat,  daß  alles  Sein  ein  Ge- 
wordenes ist.  Zur  Beantwortung  der  Frage  der  Entstehung 
der  äußeren  Formen  der  Dichtung  stehen  uns  aber  allerdings 
mehr  Thatsachen  zugebote,  als  dem  achtzehnten  Jahrhundert, 
wenn  auch  noch  immer  nicht  so  lückenlos,  um  darauf  eine 
sichere  Geschichte  aufbauen  zu  können.    Da  darf  denn  wieder 


236 


Beigabe. 


die  Speculation,  nunmehr  aber  nicht  als  selbständige,  sondern 
als  aushelfende  eingreifen. 

Der  Stoff  für  die  Urgeschichte  der  poetischen  Formen 
ist  fast  nur  zu  entnehmen  aus  dem,  was  wir  in  neueren 
Zeiten  bei  Naturvölkern  von  dichterischen  Aeußerungen  vor- 
finden. Diese  waren,  wenn  Völker  zur  Kenntniß  der  Schrift 
gelangten,  schon  nicht  mehr  die  allerersten;  zumal  da  der 
Trieb,  Vergangenes  aufzuzeichnen,  erst  spät  lebendig  ward. 
Was  aber  von  Fremden  später  aufgezeichnet  ist,  kann  nicht 
unbedingte  Zuverlässigkeit  beanspruchen,  weil  die  Auffassung 
der  Aufzeichnenden  eine  andere  ist,  als  die  der  Dichtenden 
und  unwillkürlich  die  Aufzeichnungen  beeinflußt. 

Auch  diejenigen  Reisenden,  die  darauf  ausgingen,  die 
Bildung  fremder,  namentlich  noch  in  ursprünglichen  Zuständen 
verbliebener  Völker  zu  erforschen,  ermangelten  gemeinlich  der- 
jenigen Unbefangenheit,  um  die  \^olksäußerungen  nach  ihrer 
Entstehung  zu  erkennen,  und  so  kommt  es,  daß  sie  bei 
Würdigung  dichterischer  Aeußerungen  zwar  das  dunkle  Ge- 
fühl hatten,  daß  diese  einer  gewissen  Form  unterworfen  sein 
müßten,  sich  aber  nicht  über  die  Anschauung  zu  erheben 
vermochten,  daß  dieß  eine  der  uns  geläufigen  Formen,  wie 
Versmaß  oder  Reim  pp  sein  müsse.  Hiernach  irrten  sie 
nach  zwei  Seiten  hin:  bald  schlössen  sie  etwa  wegen  eines 
zufälligen  Gleichklangs  in  einem  aufgezeichneten  Verse  auf 
Vorhandensein  des  Reims  als  Regel,  bald  erklärten  sie  die 
Dichtungen  eines  Volkes  als  jeder  Form  entbehrend,  weil 
sie  keine  ihnen  bekannte  Form  entdeckten.  In  ersterer  Hin- 
sicht kann  zum  Beispiel  in  dem  Gesang  der  Osterinsulaner, 
der  in  dem  Bericht  des  Capitainlieutenant  Geiseler  an  die 
Kaiserliche  ^Admiralität  über  ^>Die  Ostcrinseh^  (1883)  Seite  46 
angeführt  ist,  auf  Gebrauch  des  Refrains  als  fester  Form 
geschlossen  werden,  während  er  anscheinend  nur  vereinzeltes 
Vorkommen  ist,  da  ähnliche  Wiederholung  in  den  andern 
dort  mitgetheilten  Gesängen  sich  nicht  findet  und  die  Natur- 
völker   an    einer    einmal    ansfenommenen   Form    festzuhalten 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


237 


oder  sie  doch  nur  abzuwandeln  pflegen.  Andererseits  ist  als 
Beispiel  einer  nur  bei  tieferer  Forschung  zu  erkennenden  Form, 
die  chinesische  anzuführen,  wonach  in  zwei  zusammengehörigen 
Verszeilen  eines  Gedichts  alle  Worte  der  ersten  einen  und 
denselben  der  fünf  Wortacccnte  der  chinesischen  Sprache 
tragen  müssen,  die  der  zweiten  Zeile  dagegen  verschiedne 
Accente.  Auch  die  Form  des  Versbaues  finnischer  Völker- 
schaften, wie  namentlich  der  Altai-Teleuten,  ist  ohne  Kennt- 
niß  ihrer  Sprache  nicht  zu  verstehen,  indem  er  auf  den  Wechsel 
von  harten  und  weichen  Vocalen  —  einem  den  finnischen 
Sprachen  eigenthümlichen  Unterschied  —  beruht.  Zweifel- 
haft ist,  ob  nicht  auch  in  der  althebräischen  Dichtung  außer 
dem  Parallelism  noch  andre,  namentlich  metrische  Formen 
eingeführt  waren,  was  zu  ergründen  schon  mehrere  Gelehrte 
beschäftigt  hat,  aber  noch  nicht  mit  dem  Erfolg  allgemeiner 
Anerkennung.  Deshalb  ist  es  auch  nicht  als  ausgemacht 
anzusehen,  daß  die  Bostuten  in  ihren  Dichtungen  keine  sprach- 
liche Form  beobachten,  wie  Casalis  i)  behauptet;  die  kurzen 
Sätze  ihrer  Gedichte  deuten  vielmehr  auf  Maß  und  Gesetz. 
Dasselbe  gilt  von  den  Somali,  2)  soweit  sie  nicht  den  von 
den  Arabern  übernommenen  Reim  gebrauchen. 

Die  Entlehnung  fremder  Formen,  wie  sie  eben  angedeutet 
ist,  ist  ein  Umstand,  der  die  Erforschung  der  Geschichte  der 
Formentwicklung  erschwert.  Sobald  ein  Volk  mit  einem  in 
Bildung  vorangeschrittenen  in  Verkehr  tritt,  nimmt  es  auch 
meistens  seine  Gedichtformen  an.  So  von  den  Arabern  den 
Reim,  außer  den  Somali,  die  Soho,  3)  und  von  den  Missio- 
naren die  zum  Christenthum  übergetretenen  Völker,  die  schon 
durch  Nachbildung  der  geistlichen  Lieder  zum  Reim  geführt 
werden.  Wie  dieß  noch  auf  höheren  Stufen  stattfindet,  zeigt 
die  Geschichte  der  deutschen  Dichtung,  die  ihre  Formen 
von  romanischen  Völkern,  später  von  den  alten  Griechen 
und  Römern  entlehnte.  Lenken  solche  Erscheinungen  d'e 
Forschung  über  Entwicklung  der  poetischen  Formen  ab,  so 
kommt  ihr  dagegen  zustatten,  daß  in  ausgedehnteren  Volks-, 


238 


Beigabe. 


Sprach-  und  Dichtungsgebieten  sich  in  den  einzelnen  Gruppen 
eine  ursprüngliche  Form  in  verschiednen  Abstufungen  erhält 
und  gegenseitige  Ergänzung  zuläßt. 

Um  die  Entstehung  der  Formen  der  Dichtung  zu  er- 
mitteln, ist  auf  die  Beschaffenheit  ihres  Stoffes,  also  der  Sprache, 
zurückzugehen.  Sie  entstand  aus  dem  Bedürfniß  des  Menschen 
sich  mit  anderen  über  gemeinsame  Angelegenheiten  zu  ver- 
ständigen. Ist  der  sprachliche  Ausdruck  für  die  im  gegen- 
seitigen Verkehr  vorkommenden  Bedürfnisse  gewählt,  so  be- 
durfte es  in  gegebenem  Falle  nur  des  Aussprechens  vonseiten 
eines  Menschen,  um  einem  i^ngeredeten  das  an  ihn  gestellte 
Verlangen  verständlich  zu  machen.  Etwas  anderes  aber  war 
es,  wenn  einer  zum  Ausdruck  bringen  wollte,  was  er  per- 
sönlich erfahren  hatte  oder  was  ihn  als  Einzelwesen  berührte 
und  bewegte,  ohne  eine  allgemein  geläufige  \^orstellung  zu 
sein,  wenn  er  also  eine  selbstschöpferische,  dichterische  Aus- 
lassung beabsichtigte.  Um  sich  hierbei  verständlich  zu  machen, 
bedurfte  es  nachdrücklicher  Einschärfung  des  Gewollten. 
Wie  dieß  naturwüchsig  erreicht  werden  konnte,  läßt  sich  aus 
Beobachtungen  ableiten,  die  bei  der  Sprachbildung  zu  machen 
sind;  ist  doch  die  Dichtung  nur  eine  Sprachenschöpfung 
höheren  Grades!  Bei  der  Sprachenbildung  ist  nun  die  Wahr- 
nehmung zu  machen,  daß  Wiederholung  von  Silben  besonders 
in  den  Worten  vorkommen,  die  Kinder  häufig  gebrauchen 
und  daher  der  Umgestaltung  im  Zeitenlauf  am  wenigsten 
unterlagen,  wie  Papa  und  Mamma.  4)  Ferner  hat  Professor 
Schneegans  in  der  44.  Versammlung  deutscher  Philologen 
und  Schulmänner  ausgeführt,  wie  Doppellaute  durch  effect- 
volles  Wiederholen  der  \"ocale  entstehen.  Endlich  dient  noch 
in  mehreren  Sprachen  Wiederholung  des  Wortes  zu  Be- 
zeichnung der  Größe,  Unbegränztheit  und  überhaupt  erhöhter 
Bedeutung,  5)  in  manchen  Sprachen,  wie  im  Malaiischen, 
zur  Bildung  das  Plurals.  Auch  in  gebildeten  Sprachen  wird 
Verdoppelung  eines  Wortes  angewandt,  um  ihm  Nachdruck 
zu  geben,  namentlich  im  Italienischen,  wie:  piano l  pianol 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung, 


239 


Aus  diesen  Thatsachen  geht  hervor,  daß  Wiederholung 
das  in  der  Natur  begründete  Mittel  ist,  einer  Aeußerung 
einen  Werth  beizulegen,  der  sie  über  andere,  folglich  auch 
ganz  allgemein  über  Aeußerungen  des  gewöhnlichen  Ver- 
kehrs heraushob.  Derartige  Aeußerungen  waren  ursprünglich 
ebenfalls  die  dem  Bereiche  der  Dichtung  angehörigen.  Die 
Wiederholung  kennzeichnet  demnach  sowohl  die  ältesten  auf 
uns  gekommenen  Zeugnisse  der  Dichtkunst,  wie  auch  gegen- 
wärtig bei  Naturvölkern  angetroffene  dichterische  Ergüsse, 
sei  es,  daß  jedem  Theile  einer  Rede,  jedem  Satze  sofort 
seine  Wiederholung  folgt,  oder  daß  die  Wiederholung  der 
wichtigeren  durch  nicht  wiederholte  Redetheile  unterbrochen 
wird.  Vor  etwa  vier  Jahrtausenden  finden  sich  beide  Weisen 
in  einem  ägyptischen  Drescherliede  6)  und  ungefähr  um  die- 
selbe Zeit  in  babylonischen  Psalmen,  worin  die  Namen  von 
Gottheiten  bis  zu  fünfundsechzigmal  ange-rufen  werden  mußten. 
7)  Fünfzigmalige  Wiederholung  wird  auch  bei  neueren  Liedern 
den  Arabern  berichtet.  8)  Die  Urbewohner  Afrikas,  Amerikas 
und  Australiens  lieferten  noch  jüngst  werthvoUe  Beispiele 
der  Wiederholung  als  Form  ihrer  Dichtungen.  Zu  nennen 
sind  u.  a.  in  Afrika  die  Aschanti,  9)  Fanti  (auf  der  hisel 
Ada  an  der  Goldküste,  10)  Congoneger,  11)  Loangoneger 
12)  und  Madegassen;  13)  in  Amerika  Odschibwa  (Tschippe- 
wäer),  14)  Irokesen,  15)  Dakota  (Sioux),  i6)Eiowa,  17)  Ponko, 
18)  Kriowa,  19)  Wallawalla,  20)  Wintum,  besonders  Nummoe, 
21)  Rikkarier,  22)  Wapahani,  23)  Mäuseindianer  (Souriquois), 
24)  Modoc,  25)  Apaho  26)  und  Crichanä  (Brasilien);  27)  in 
Australien  Australneger,  28)  Papua,  29)  Rataker  (Marschall- 
insel), 30)  Samoaner,  31)  Taheitier  32)  und  Kämikaröi 
33)  Auch  in  Asien,  bei  den  Jakuten,  bestehen  Gesänge  aus 
fortgesetzter  Wiederholung  derselben  Worte.  34)  Wie  schon 
oben  bemerkt,  ist  die  Wiederholung  bald  durch  nicht  wieder- 
holte Worte  unterbrochen,  bald  fortlaufend.  Ersteres  ist  der 
Fall  in  dem  angeführten  taheitischen  Gesang,  der  nur  im  Globus 
nicht  so  abgedruckt  ist,  daß  diese  Form  hervortritt;  er  lautet: 


240 


Beigabe. 


Nimm  sie  denn  hin,  Dein  Weib  Taurua,  mein  Freund! 

Wir  sind  getrennt,  sie  und  ich. 

Taurua!  Stern  des  Morgens  für  mich! 

Für  ihre  Schönheit  möchte  ich  mein  Leben  geben. 

Du  warst  mein,  aber  nun  — 

Nimm  denn  Taurua,  mein  Freund! 

Wir  sind  getrennt,  sie  und  ich. 

In  Gesängen  höher  gebildeter  Völker  ist  die  W^ieder- 
holung  zwar  oft  durch  Gründe  bedingt,  die  auf  deren  musi- 
kalische Behandlung  beruhen;  zuletzt  liegt  aber  doch  die 
Absicht  vor,  dem  wiederholt  Gesagten  oder  Gesungenen 
größeren  Nachdruck  zu  geben. 

Der  weiter  vorgeschrittene  Mensch  mußte  aber  die  Wieder- 
holung lästig  empfinden.  Ihm  standen  nicht  nur  andere 
Mittel  zugebote,  die  Bedeutung  dessen,  was  er  als  Dichter 
aussprach,  merkbar  zu  machen,  sondern  er  hatte  auch  das 
Bedürfniß,  diese  Mittel  anzuwenden.  Die  ursprünglichen  kurzen 
Ausbrüche  seines  Innenlebens  genügten  ihm  nicht  mehr;  es 
trat  der  Gedanke  hinzu,  durch  den  er  imstande  war,  sie 
anderen  verständlicher  zu  machen.  Damit  verlor  die  Wieder- 
holung einerseits  an  Werth,  und  anderseits  wurde  ihre 
Ueberflüssigkeit  Hemmniß  der  Dichtung.  Da  sie  jedoch  als 
Kennzeichen  der  Dichtung  geheiligt  war,  durfte  sie  nicht 
ganz  unterlassen  werden;  wenn  einer  sich  als  Dichter  ver- 
nehmen ließ,  mußte  er  wiederholen,  aber  es  entsprach  natür- 
licher Entwicklung,  daß  er  nur  einen  Theil  des  Gedichteten 
—  einen  Satz  der  Rede  —  wiederholte,  also  die  alte  Form 
zwar  anschlug  und  damit  gleichsam  deren  Recht  anerkannte 
und  wahrte,  dann  aber,  von  knechtischem  Zwange  befreit, 
bei  Einführung  neuen  Gehaltes  ohne  abermalige  Betonung 
durch  Wiederholung  sich  zwanglos  erging.  Damit  war  eine 
höhere  Stufe  in  der  Formentwickelung  gegeben:  Wieder- 
holung nur  der  Versanfänge. 

Diese  Form  der  Dichtung  ist  in  mehreren  altchinesischen, 
aus  den  Zeiten  von  1 700  bis  600  v.  Chr.  stammenden  Dichtungen 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


241 


des  Schi  King  erhalten.  Hier  geschieht  es  meist  in  der  Weise 
daß  zum  x'Vnfang  aller  Strophen  derselbe  Gegenstand  genannt 
und  darauf  in  jeder  Strophe  anderes  darüber  ausgeführt 
wird.  35)  Auch  schon  vor  mindestens  dritthalbtausend  Jahren 
findet  sich  diese  Form  in  assyrischen  Liedern,  36)  im  alt- 
babylonischen Epos  37)  und  im  Zend.  38)  Daß  Anfangs- 
wiederholungr  den  Umbriern  nicht  fremd  g-ewesen  ist,  creht 
aus  einem  Gebete  auf  der  VI.  Eugubischen  Tafel  hervor. 
39)  Grotefend  mühte  sich  vergeblich  ab,  darin  Versmaß, 
Alliteration  und  Reim  nachzuweisen;  ihm  kam  nicht  der 
Gedanke,  darin  die  dichterische  Urform  der  Wiederholung 
zu  erkennen. 

Die  finnischen  Völker  des  europäischen  Nordens  bevor- 
zugen Wiederholung  der  Versanfänge,  40)  und  diese  sind 
die  unerläßliche  Form  bei  den  stammverwandten  Altaiern, 
wie  bei  den  Kirgisen,  41)  Kamtschadalen,  42)  Tschuwaschen, 
43)  u.  s.  w.,  ebenso  wie  bei  den  Tamulen  44)  und  den  Xias 
im  malaiischen  xA.rchipel,  45)  bei  welchen  letzteren  je  zwei 
Verse  durch  gleiche  Anfänge  gebunden  werden.  Ferner 
findet  sich  Versanfangswiederholung  in  Afrika  bei  den  Ad- 
schingini  46)  und  den  Madagassen,  47)  in  Amerika  bei  den 
schon  oben  genannten  Nummoe,  (21)  den  Dakota  48)  und 
noch  andern  Indianerstämmen  im  Norden.  49)  Reichlich  ist 
noch  diese  Form  vertreten  in  Australien,  namentlich  auf 
Tonga  50)  und  der  Osterinsel,  51)  in  den  Dichtungen  der 
heiligen  Schöpfungssage  von  Hawaii,  worin  lange  Reihen  der 
432  Seiten  füllenden  Verse  mit  denselben  Worten  beginnen, 
52)  und  ebenso  häufig  bei  den  Maori  auf  Neuseeland.   53) 

Während  die  Wiederholung  in  den  Versanfängen  noch 
tonangebend  auftritt,  stellt  es  sich  als  eine  nachträgliche 
Befolgung  des  Gesetzes  dar,  daß  sie  in  den  Versenden 
erscheint.  Der  Dichter  hebt  an  zu  sagen,  was  er  sagen  will, 
erinnert  sich  aber  dann  der  Nothwendigkeit  zu  wiederholen 
und  fügt  sich  ihr  nachträglich.  Auch  die  Wiederholung  der 
Versausgänge  ist  im  hohen  Alterthum  sowohl  im  Schi  King 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  III.  l6 


242 


Beigabe. 


54)  als  bei  den  Akkadiern  55)  anzutreffen.  Stehende  Form 
ist  sie  bei  den  tatarischen  Völkerschaften,  namentlich  den 
Altaiern,  56)  Teleuten,  57)  Sojonen,  58)  Sagaiern,  59)  Koi- 
bolen,  60)  Kotschinzen,  61)  Kysylzen,  62)  Kirgisen,  63)  Bara- 
baern,  64)  Kara-Kirgisen,  65)  Kurdok-Tataren,  66)  Kalmücken, 
67)  Özbegen,  68)  Wotjäken  69)  und  Taulischen.  70)  Die 
vielen  Berührungen  der  Bevölkerung  Persiens  mit  Tataren 
ist  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  persische  Dichtung  geblieben, 
wenigstens  möchte  daraus  die  eigenthümliche  Form  des 
persischen  Ghasel's  zu  erklären  sein,  wonach  hinter  den 
(vielleicht  von  den  Arabern  übernommenen)  Reim  noch  mehrere 
Worte  folgen,  die  in  allen  Verszeilen  eines  Ghasel's  dieselben 
sein  müssen,  wie  das  ja  durch  RüCKERT's  Nachbildungen 
allbekannt  ist.  71)  Ebendieser  Form  huldigen  auch  die 
Taulischen  in  Persien,  die  Wotjäken  und  die  Aderbeidschanen 
in  Transkaukasien.  72)  —  In  Afrika  wird  die  Versendwieder- 
holung berichtet  in  Liedern  der  Fanti  auf  Ada,  73)  der 
Kerrupä,  74)  Dahomeier,  75)  Fulbe  76)  und  Madagassen.  Tl) 
Außer  den  Hauptformen  der  Wiederholung  der  an- 
fangenden oder  endenden  Verstheile  zeigt  sich  auch  Wieder- 
holung des  mittleren  Theiles  des  Verses  oder  der 
Strophe.  Sie  ist  vorzugsweise  Eigenheit  der  chinesischen 
Dichtung.  78)  Sonst  wird  sie  angetroffen  bei  den  Bakiris  und 
Xahuqua's  in  Brasilien,  79)  sowie  bei  den  Bewohnern  von 
Nukahiwa.  80)  Auch  Wiederholung  der  Anfänge  und 
Ausgänge  eines  Verses  zusammen  findet  sich  im  Schi 
King  81)  und  bei  den  Madagassen.  82)  Die  Dichtung  der 
letzteren  hat  überhaupt  die  Formen  der  einfachen  Wort- 
wiederholung in  den  mannigfachsten  Richtungen  ausgebildet 
und  als  Kennzeichen  der  Dichtung  angenommen.  Ein  Ge- 
dicht, in  dem  sich  verschiedene  Arten  dieser  Wiederholung 
erkennen  lassen  und  aus  dem  das  Bewußtsein  ihrer  Bedeu- 
tung als  Form  deutlich  hervorleuchtet  ist  z.  B.  folgende 
madagassische  Todtenklage,  dem  Originale  in  Form  und  In- 
halt treu  übertrafen: 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


243 


Ach  schmerzvoll  o!  x\ch  schmerzvoll  o! 

Weinend  allnächtlich ; 
Ach  schmerzvoll  o!    Sein  Ehgemahl  dahier 

Weinend  allnächtlich! 
Ach  schmerzvoll  o!    seine  Sprossen  dahier 

Weinend  allnächtlich! 
Ach  schmerzvoll  o!    seine  Genossen  dahier 

Weinend  allnächtlich ! 
Ach  schmerzvoll  o!  seine  Leut'  allzumal  dahier 
Weinend  allnächtlich! 
Die  Wiederholung-  des  Beginns  und  des  Schlusses  der  Verse 
geht  in  den  Refrain  über.  Refrain  ist  aber  kein  »Kehrreim«, 
weil  er  schlechterdings  an  und  für  sich  nichts  mit  dem 
Reim  zu  tliun  hat  und  nur  in  Reimgedichten  Kehrreim  sein 
kann,  aber  auch  da  nicht  sein  muß;  in  Gesängen  des  Volkes 
im  Erzgebirge  heißt  er  richtig  »Wiederkehre«.  Refrain  unter- 
scheidet sich  von  den  bisher  besprochenen  Wiederholungen 
dadurch,  daß  er  sich  nicht  bloß  auf  einen  Satztheil  erstreckt, 
sondern  ein  selbständiger  Satz  ist.  Er  ist  als  die  selbständig 
gewordene  Wortwiederholung  anzusehen.  Er  hat  ein  eignes 
Leben  entwickelt  und  erlangt  seine  eigentliche  Bedeutung  in 
der  Strophe,  bei  deren  Besprechung  auch  vorher  von  ihm 
zu  sagen  sein  wird.  Ein  Preisgesang  auf  den  Sultan  von 
Bornu  —  dessen  Quelle  ich  nicht  mehr  nachweisen  kann  — 
hat  den  Refrain  und  lautet  so: 

Gieb  Fleisch  den  Hyänen  bei  Tagesanbruch! 

O  die  breiten  Speere! 
Gieb  Fleisch  den  Löwen  und  den  Panthern! 

O  die  breiten  Speere! 
Des  Sultans  Schwert  und  Lanze  sind  vorzüglich. 

O  die  breiten  Speere! 
Er  liebt  sein  Land,  er  liebt  sein   \"olk. 

ü  die  breiten  Speere! 
Er  kämpft  gegen  zehn  und  fürchtet  keinen. 
O  die  breiten  Speere! 

16* 


244 


Beigabe. 


Der  Elefant  des  Waldes  beugt  sich  vor  ihm. 
O  die  breiten  Speere! 
Bei  Negern    ist   der  Refrain    überhaupt   üblich,    so    bei   den 
Kafifern,  83)  Zulus,   84)  Angolanegern.  85) 

Freiere  Behandlung  der  Wiederholung  lief  weiterhin 
darauf  hinaus,  nicht  dieselben  Worte,  sondern  deren  Sinn 
zu  wiederholen.  Diese  Form  wird  als  Parallelism  bezeichnet. 
Der  sich  an  die  Wortwiederholung  am  engsten  anschließende 
bringt  in  zwei  Sätzen  dasselbe  nur  mit  andern  Worten  zum 
Ausdruck.  86)  Einmal  gefunden,  hat  aber  der  Parallelism 
gleich  dem  Refrain  ein  Eigenleben  gewonnen  und  mannig- 
fache Unterarten  erzeugt.  Da  wird  in  einem  Verse  zwar 
etwas  anderes,  als  im  vorhergehenden  ausgesprochen,  aber 
das,  w^as  die  sich  auf  einen  der  beziehenden  Verse  ausdrücken, 
zielt  dennoch  auf  dasselbe  ab;  87)  oder  das  erst  im  eigent- 
lichen Sinne  Ausgesprochene  wird  dann  noch  in  einem  Bilde 
versinnlicht;  88)  oder  das  Gesagte  wird  durch  den  Gegensatz 
hervorgehoben.  89)  Von  einer  weiteren  Form  des  Parallelism 
wird  später  die  Rede  sein. 

So  früh  Parallelism  in  den  ältesten  Dichtungen,  die  uns 
literarisch  erhalten  sind,  auftritt,  und  daher  auf  sein  Vor- 
handensein schon  in  sehr  frühen  Zuständen  zu  schließen  ist, 
so  begegnen  wir  ihm  doch  bei  Völkern,  die  noch  jetzt  auf 
niedrigsten  Stufen  stehen,  wohl  nicht  mehr.  Wie  andere 
Formen,  ist  auch  er  in  zusammenhängenden  Landgebieten 
ausgebildet:  im  südöstlichen  Asien  und  im  anschließenden 
nordwestlichen  Afrika.  Hier  im  Aegyptischen  vielleicht  zu- 
erst, 90)  dann  im  Akkadischen  91)  und  im  Hebräischen, 
(dem  die  in  den  Nachweisen  86  bis  89  angeführten  Beispiele 
entnommen  sind),  sowie  im  stammverwandten  Phönizischen.  92) 
Dem  Altpersischen  war  Parallelism  nicht  unbekannt,  das  er- 
giebt  sich  aus  Gebeten  in  Inschriften;  denn  obwohl  darin 
die  einzelnen  Glieder  durcheinander  geworfen  sind  und  die 
Parallelen  sich  kreuzen,  sind  diese  nichts  destoweniger  be- 
stimmt erkennbar.  93)    Lassen  sich  im  indischen  Alterthum, 


EnT WICKELUNG   AEUSSERER    FORMEN    DER   DICHTUNG.  245 

in  den  Weden,  nur  Andeutungen  von  Parallelismen  spüren, 
so  macht  er  sich  dagegen  stark  in  China  geltend,  sonderlich 
der  durch  ein  Bild  ausgedrückte,  wo  er  mit  Wortwieder- 
holung vermischt  erscheint.  93a-  Eine  Vorstellung  von  dieser 
Mischform  wird  durch  die  ohne  Sprachkenntniß  ausgeführte 
breitgezerrte  Wiedergabe  RCckert's  nicht  erlangt.  Um 
davon  zu  überzeugen  und  zugleich  als  Beispiel,  wie  bedenk- 
lich es  ist,  über  die  Formen  der  Dichtung  na?;h  Uebersetzungen 
zu  urtheilen,  mag  das  letzte  Lied  des  i.  Buches  im  I.  Theile 
des  Schi  King  in  unserer  Schrift  ausgedrückt  und  wörtlich 
übersetzt  hier  Platz  finden. 

Klii  tsclü  tschi 
tschxn-tschtn  kling  tse 
hü  tsle  khl  In 

Khi  tsclü  thig 
tschln-tschin  kiing  sing 
hü  tsle  schi  hl 

Khl  tschl  kie 

tschin-tschin  küng  tse 

hü  tsie  khi  hl. 
Deutsch: 

Einhorns  des  Fuß: 

Hold  sind  des  Fürsten  Söhne! 

Ach  ja,  Eichhörner  oh! 

Einhorns  des  Stirn: 

Hold  ist  des  Fürsten  Geschlecht, 

Ach  ja,   Eichhörner  oh! 

Einhorns  des  Hörn: 

Hold  ist  des  Fürsten  Nachkommenschaft, 

Ach  ja,  Eichhörner  oh! 

Und  nun  vergleiche  man  damit,  was  im  >•> Morgend latt'i  nach 
LaCHARME's  lateinischer  Uebersetzung  »wörtlich  lautend « 
genannt  wird,  94)  nicht   zu  gedenken  dessen,  was  RÜCKERT 


246 


Beigabe. 


als  »dem  Deutschen  angeeignet«  giebt  und  keine  Spur  von 
der  Urdichtung  erkennen  läßt.  95)  Was  als  Aneignung  ge- 
leistet werden  kann,  hat  der  sprachkundige  ViCTOR  V.  Strauss 
gezeigt.  96) 

Der  Parallelism  hat  eine  eigene  Gedichtgattung  ins  Leben 
gerufen,  die  ihrer  weiten  Verbreitung  halber  Erwähnung  ver- 
dient. Es  sind  dieß  die  Vierzeiler,  in  denen  sich  die  zwei 
ersten  und  die  zwei  letzten  Zeilen  wie  die  beiden  Glieder 
eines  Parallelism  zu  einander  verhalten.  Sie  sind  uns  durch 
die  Schnaderhüpfeln  der  Alpenländer  vertraut;  ebenso  sind 
die  Krakowiaken  der  Polen,  97)  die  Singes  der  kurischen 
Letten,  98)  die  kleinen  Lieder  tatarischer  Völkerschaften,  99) 
die  Dokra  und  Kubita  der  Hindus,  die  Dindang  der  Dajak  99a ) 
und  die  Pantun  der  Malaien.  100)  Eigenthümlich  ist  dabei 
den  tatarischen  Liedchen,  daß  immer  zwei  Vierzeiler,  die 
sich  in  den  Gleichnissen  entsprechen,  zusammengehören. 

Eine  vom  natürlichen  Gange  der  Entwicklung  anscheinend 
abliegende  Form  ist  die  Verlegung  des  Parallelism  in  ein 
Wortspiel.  Sie  wäre  höchstens  flüchtig  zu  erwähnen,  oder 
geradezu  aus  den  Dichtungsformen  in  das  Gebiet  des  Dichtungs- 
inhalts, als  Abart  der  Räthseldichtung,  zu  verweisen,  wenn 
sie  sich  nicht  bei  mehreren,  von  einander  entfernt  wohnenden 
Völkern  als  Dichtungsform  ausgeprägt  fände,  so  daß  ihr  eine 
Stelle  in  deren  Entwicklung  zuzuerkennen  ist.  Besonders 
ausgebildet  ist  sie  bei  den  Japanern  und  zwar  in  deren 
ältester  Gedichtgattung  der  Uta.  Diese  Wortspielgedichte 
heißen  Angeln,  weil  sich  deren  Sinn  nach  zwei  Seiten,  wie 
eine  Thüre  auf  der  Angel  hin  und  her  wenden  läßt,  indem 
die  zweite  Zeile  des  Uta  den  Ausspruch  der  ersten  Vers- 
zeile doppelsinnig  ausführt.  10 1)  Da  Wortspiele  aufs  innigste 
mit  den  Lauten  und  dem  Baue  jeder  einzelnen  Sprache  zu- 
sammenhängt, wird  es  nur  Zufall  sein,  wenn  einmal  eins  in 
eine  andere  Sprache  übertragen  werden  kann;  zur  Verdeut- 
lichung dieser  Gestaltung  der  Uta  ist  aber  das  von  ROSNY 
S.   113  angeführte  folgendermaßen  zu  verdeutschen. 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


247 


Wer  das  Reisekleid   anlegt,   vergebens  sucht   er   Bande 

der  Freundschaft: 

Gestern  galt  es  zu  säumen,  heut'  geht  es  auseinander. 
Hierbei  beziehen  sich  »säumen«  und  »auseinandergehn«  so- 
wohl auf's  Kleid  —  als  Säume  Anfertigen  und  Zerreißen,  — 
wie  auf  das  Leben  des  Reisenden  —  als  Verweilen  und 
Scheiden.  —  Dem  auf  diese  Dichtart  nicht  Geschulten  wird 
solcher  Doppelsinn  verloren  gehn. 

Aehnliche  Wortspieldichtungen  gab  es  schon  bei  den 
alten  Ägyptern  lOia)  und  giebt  es  noch  bei  den  Tschu- 
waschen, 192)  Buginesen,  103)  Dajak  auf  Borneo,  104) 
Arabern  105)  u.  a.  Auf  die  einzelnen  Spielarten  näher  ein- 
zugehen, würde  hier  zu  weit  abseits  führen. 

Bei  allen  den  bisher  beleuchteten  Formen  der  Wieder- 
holung ist  ein  ununterbrochenes  Fortschreiten  der  Dichtung 
nicht  möglich,  da  die  Wiederholung  im  Inhalte  lag  und  das 
Ausgesprochene  direct  oder  indirect  noch  einmal  auszusprechen 
war.  Je  mehr  also  die  ursprünglich  nur  Empfindungen  aus- 
drückende oder  nackte  Vorgänge  berichtende  Dichtung  von 
Gedanken  getragen  wurde,  um  so  mehr  drängte  sich  das  Be- 
dürfniß  hervor,  dem  Fluß  der  dichterischen  Ergüsse  freien 
Lauf  zu  lassen  und  ihn  nicht  durch  unaufhörliches  Rückwärts- 
gehen zu  hemmen.  Die  Vereinigung  der  Forderung  des 
Wiederholens  und  des  ununterbrochenen  Fortschreitens  wurde 
aber  erreicht  durch  Verlegung  der  Wiederholung  aus  dem 
Inhalt  der  Sprache  in  ihr  Aeußeres,  ihre  Laute  und  ihren 
Bau.  Nicht  etwa,  daß  dies  sofort  planmäßig  erfolgt  wäre, 
das  zufällig  Gefundene  ist  jedoch  gewiß  bald  als  gewinn- 
bringend erkannt  w^orden. 

Wiederholung  der  Sprachlaute  ergab,  wenn  sie  im 
Anfange  der  Verszeilen  statthatte,  Anfangsreim,  Anreim, 
Alliteration,  wenn  dagegen  am  Schlüsse  der  Verse,  Endreim 
und  Assonanz,  Als  der  volltönende  Anfangsreim  sich  ein- 
gewöhnt hatte  und  zum  Bewußtsein  gekommen  war,  daß 
der  Form  durch  leise  Andeutung  der  Wiederholung  genügt 


248 


Beigabe. 


werde,  so  kam  es  weiter  dahin  mit  der  Wiederholung  sich 
ledigUch  durch  gleiche  Anfangsbuchstaben  der  Verse  ab- 
zufinden. Die  xA-lliteration  ist  Abschwächung  des  Reims, 
nicht  etwa  Vorstufe.  Diese  allmälige  Entstehung  des  An- 
fangsreims und  der  Alliteration  bestätigt  das  frühere,  ver- 
einzelte Vorkommen  in  älteren  Literaturen  wie  bei  den 
Ägyptern,  105)  bevor,  sie  im  späteren  zum  Gesetz  wurden, 
wie  bei  den  Altaiern.  106)  Diese  Form  wird  gefunden  auch 
im  hohen  Alterthum  bei  den  Assyrern,  107)  und  bis  heute 
bei  den  Mongolen,  108)  Kirgisen,  109)  Teleuten,  iio)  Tschere- 
missen,  iii)  Finnländern,  112)  Esthen,  113)  Lappen.  114) 
Im  Mittelalter  waren  es  Kelten  —  Galen  1 1  5)  und  Kymren  1 16) 
—  sowie  Germanen  —  Gothen,  117)  Angelsachsen,  118) 
Hochdeutsche  119)  und  Skandinavier,  I20)  ■ —  wobei  die 
Alliteration  häufig  mit  dem   Endreim  verbunden  ward. 

Den  Uebergang  der  Versschlußwiederholung  zum  End- 
reim verdeutlicht  in  belehrender  Weise  ein  von  SlBREE  mit- 
getheiltes  madagassisches  Gedicht,  wenn  schon  leider  nicht 
alle  der  zehnzeiligen  Strophen  in  der  Ursprache  gegeben 
worden  sind.  I2i)  Das  WerthvoUe  dieses  Stücks  liegt  darin, 
daß  in  der  zweiten  Strophe  noch  alle  Verse  mit  demselben 
Wort  enden,  während  die  Verse  der  dritten  Strophe  schon 
mit  verschiedenen,  aber  mit  einander  reimenden  Worten 
schließen.  Aus  der  Gruppe  von  Naturvölkern,  bei  denen 
gleiche  Versschlüsse  zu  verzeichnen  waren,  gebrauchen  die 
Fanti  auch  Reime;  122)  bei  den  Dakota  und  Wapahini  123) 
sowie  bei  den  Fidschiinsulanern  124)  erscheint  der  Reim, 
ohne  daß  eine  Vorstufe  belegt  werden  kann. 

Schon  vor  4000  Jahren  war  Endreim  stehende  Form 
bei  den  Chinesen;  in  der  ältesten  Sanskritdichtung  ist  er  als 
solche  noch  nicht  zur  Geltung  gelangt,  wenigstens  in  der 
literarisch  erhaltenen.  Auch  bei  den  alten  Griechen  ist  wahr- 
scheinlich die  Entwicklungsstufe  des  Reims  nicht  betreten 
worden,  weil  bei  Verlegung  der  Wiederholung  auf  Sprach- 
formen   wie    in    der  Sanskritdichtung    eine    andre    Richtung 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


249 


eingeschlagen  und  ausgebildet  worden  ist,  die  als  Rhythmus 
und  Versmessung  noch  zu  besprechen  sein  wird.  Die  Ueber- 
gehung  der  Reimstufe  wird  auch  dadurch  bestätigt,  daß  nicht 
einmal  ein  griechisches  Wort  für  den  Reim  sich  findet,  ob- 
schon  Reime  in  Gedichten  oft  vorkommen.  125)  Sie  sind 
eben  nur  Verzierungen,  die  einzelne  Dichter  nach  Gutdünken 
angebracht  haben;  die  Begriffe  »Reim»  und  of-ioioteleuTOv 
decken  sich  keineswegs.  126)  Aehnlich  bei  den  Römern: 
nachdem  sie  seit  Ennius  die  griechischen  Dichtungsformen 
angenommen  hatten,  spielen  ihre  Dichter  dennoch  in  Fülle 
mit  Reimen,  namentlich  binden  sie  damit  die  beiden  Hälften 
des  Pentameters.  Ob  die  ältere  italische  Dichtung  im  satur- 
ninischen  Vers  irgend  etw^as  außer  dem  Rhythmus  beobachtete, 
ist  nicht  ausgemacht,  doch  ist  auffällig,  daß  in  den  meisten 
Verszeilen  zwei  oder  mehrere  Worte  mit  demselben  Mit- 
lauter oder  unbetonten  Selbstlauter  schließen.  128)  Zwischen 
solchen  abgeschwächten  und  den  vollen  Reimen  waltet  das 
gleiche  Verhältniß  ob,  wie  zwischen  Alliteration  und  Anfangs- 
reim: jene  Halbreime  sind  nicht  als  selbständige  Entwicklungs- 
stufe zu  erklären,  sondern  entweder  nur  als  unbehülf liehe 
Nachahmung  des  aus  einem  fremden  Dichtungsgebiet  bekannt 
gewordenen  Reims  —  wie  z.  B.  bei  Otfried  129)  und  noch 
bei  uns  in  Liedern,  die  das  Volk  singt,  woran  unzählige  Bei- 
spiele den  Volksliedersammlungen  entnommen  werden  können, 
130)  —  oder  aber  als  beabsichtigte  Milderung  der  Reim- 
klänge —  wie  in  langen  Reimfolgen  der  Assonanzen  in 
spanischen  Romanzen.  131)  Derartige  Halbreime  sind  auch 
üblich  bei  den  Singalesen  132),  den  Suaheli  133)  und  den 
Fidschiern.   133^) 

Eine  namentlich  im  Deutschen  und  Englischen  angewandte 
Erleichterung  der  Schwierigkeit,  Reime  zu  finden,  ist  der 
unreine  Reim,  der  darin  besteht,  daß  er  nicht  aus  gleichen, 
sondern  nur  aus  ähnlichen  Lauten,  ja  in  England  sogar  aus 
Silben  gebildet  wird,  die  mit  ähnlichen  Buchstaben  geschrieben, 
aber   ganz   verschieden    ausgesprochen   werden.     Es    ist  das 


-7  c  O  Beigabe. 

vielleicht  ein  Schritt,  sich  allmälig  des  Reimens  zu  entwöhnen; 
denn  dieses  ist  eine  einschneidendere  Beschränkung  des 
Dichters,  als  man  anzunehmen  geneigt  sein  möchte.  Die 
Beschränkung  wird  gewöhnlich  nur  in  der  Schwierigkeit  ge- 
sucht, für  die  einzelnen  Stellen  geeignete  Reime  zu  finden, 
sie  liegt  aber  beiweitem  mehr  in  dem  Umstand,  daß  mit 
der  Nöthigung  des  Reims  gewisse  Gedankenverbindungen 
vorgezeichnet  sind,  die  dem  Dichter  den  Weg  vorschreiben. 
Diesen  heimlichen  Zwang  lockert  der  Dichter  durch  An- 
wendung unreiner  Reime.  Es  ist  zwar  nicht  zu  bestreiten, 
daß  die  äußere  sprachliche  Glätte  des  Gedichts  darunter 
leidet,  allein  der  anderseitige  Gewinn  ist  denn  doch  wichtiger. 
Er  würde  sicher  von  den  Dichtern  mehr  berücksichtigt  werden, 
wenn  sie  nicht  die  Recensenten  scheuten,  die  es  bequem 
finden,  unvermeidliches  Tadeln  auf  unreine  Reime  zu  stützen. 
Manche  Dichter  haben  durch  seltsame  Reime  das  Reimge- 
biet erweitern  wollen,  aber  ihrer  beschränkten  Anwendbar- 
keit halber  sind  sie  nur  als  Nothbehelf  anzusehen,  sich  von 
der  Herrschaft,  die  der  Reim  über  den  Gehalt  der  Dichtung 
ausübt,  zu  befreien.  Nur  mit  einem  Schein  der  Berechtigung 
kann  behauptet  werden,  daß  diese  Bestrebungen  durch  andere 
gekreuzt  würden,  welche  die  Reimversbildung  bis  ins  Un- 
glaubliche verkünsteln  und  erschweren;  so  im  Sanskrit,  in 
der  Skaldendichtung  und  in  Dichtungen  kymrischer  Barden. 
Diese  Vorbildungen  beruhen  aber  auf  einem  äußeren  Grunde. 
Von  wirklicher  Dichtung  ist  in  den  Erzeugnissen  dieser  Art 
kaum  noch  die  Rede;  sie  gehen  in  Kunststücken  auf,  die 
erfunden  sind,  den  Stand  der  Sänger  mit  der  Strahlenkrone 
des  Wunderbaren  zu  umgeben.  Je  mehr  dieser  Stand  als 
ein  bevorzugter  sich  absonderte,  je  weniger  seine  Angehörigen 
etwas  als  Dichter  zu  leisten  vermochten,  um  so  mehr  fanden 
sie  es  in  ihrem  Interesse,  den  Eintritt  in  ihren  Stand  durch 
Vorschriften  über  Behandlung  der  Sprache  zu  erschweren. 
Die  Aufzählung  dieser  künstlichen  Formen  liegt  außerhalb 
der    Gränzen,   welche    sich    die   Geschichte    der    natürlichen 


Entwickelu.ng  aeusserer  Formen  der  Dichtung. 


251 


Entwickelung  der  poetischen  Formen  zu  stecken  hat.  Aber 
solche  Formen  sind  doch  öfters  in  allgemeine  Uebung  ge- 
kommen; dahin  gehört  die  eigenthümliche  Verbindung  des 
Anfangs-  und  des  Endreims  bei  den  Isländern,  indem  im 
Anfange  eines  Verses  zwei  Worte  nach  Art  der  Endreime 
miteinander  reimen.   1 34) 

Schloß  die  Verlegung  der  Wiederholung  auf  die  Laute 
der  Sprache  sich  unmittelbar  an  die  einfache  Wiederholung 
des  Ausgedrückten  an,  so  lehnt  sich  deren  Verlegung  auf  den 
Bau  der  Sprache  an  den  Parallelism  an.  Schon  bei  den 
Hebräern  kommt  er  in  einer  Form  vor,  die  nur  auf  Gleich- 
mäßigkeit des  Satzbaues  und  der  Wortfolge  beruht;  135) 
sie  ist  das  TcaQioov  der  griechischen  Poetik.  1 36)  Die  gleich- 
mäßige Gestaltung  der  Sätze  führte  bei  fortwährender  Locke- 
rung der  ursprünglichen  Form  zum  Rhythmus  und  Versmaß. 
Ersterer  ist  Zusammenstellung  mehrerer  gleichartig  betonter 
Sätze  und  Redetheile.  Nach  der  Wortbedeutung  ist  zwar 
Rhythmus,  ohne  besondere  Beziehung  auf  die  Sprache,  eine 
sich  gleichmäßig  wiederholende  Bewegung  und,  verführt  durch 
das  Gemeinsame,  ist  auch  mehrfach  angenommen  worden, 
daß  der  dichterische  Rhythmus  der  Sprache  aus  rhythmischer 
Folge  von  Tönen  oder  von  Körperbewegungen  (Tanz)  hervor- 
gegangen und  mit  diesen  von  Anfang  an  vereinigt  gewesen 
sei.  Das  ist  aber  im  allgemeinen  durchaus  nicht,  wahr- 
scheinlich in  keinem  Falle  zutreffend.  Bei  dieser  Annahme 
wird  von  einem  Zustand  der  Kunstentwickelung  ausgegangen, 
der  nicht  der  ursprüngliche  gewesen  sein  kann;  es  wird  das 
Lied  als  erste  dichterische  Kundgebung  vorausgesetzt,  da 
doch  das  Lied  nur  eben  erst  Vereinigung  von  Dicht-  und 
Tonkunst  ist;  es  wird  Tanz  als  ursprüngliche  Lustbewegung 
angesehen,  da  er  doch  eben  nur  die  rhythmisch  ausgebildete 
Lustbewegung  ist,  wie  ebenfalls  Musik  die  rhythmisch  ge- 
regelte Freude  an  Tönen  ist.  An  sich  schon  ist  es  undenk- 
bar, daß  der  Urmensch,  wenn  er  dem  Antrieb  folgte,  em- 
pfangene Eindrücke  durch  Worte  andern  mitzutheilen,  darauf 


252 


Beigabe. 


verfallen  sei,  sie  zugleich  in  wechselnder  Stimmlage  oder  mit 
hüpfenden  Körper  vorzutragen,  aber  auch  nachweislich  kommen 
noch  bei  Völkern,  die  über  den  Urzustand  noch  wenig  hinaus- 
gereift sind,  Dichtungen  ohne  Rhythmus  sowie  ohne  Musik 
vor  und  ebenso  Musik  ohne  Worte  wie  ohne  Rhythmus.  137) 
Die  unverkennbare  Verbindung  von  Rhythmus  in  Versen 
und  in  x\rbeiten,  wie  sie  Bücher  in  seiner  Schrift  -^^ Arbeit 
und  Rhythiniis«  ausführlich  nachgewiesen  hat,  konnte  erst 
zuwege  gebracht  werden,  nachdem  Rhythmus  und  Arbeit 
sich  unabhängig  von  einander  entwickelt  hatten. 

Dagegen  ist  Rhythmus  in  der  Dichtung  gleich  dem 
Versmaß  an  erster  Stelle  auf  sprachliche  Gründe,  auf  die 
Satzbildung  zurückzuführen.  Insbesondere  haben  Unter- 
suchungen stattgefunden,  um  einen  allgemeinen  arischen  Ur- 
vers,  aus  vier  Hebungen  bestehend,  nachzuweisen.  138)  Das 
häufige  Vorkommen  viergliedriger  Verse  ist  allerdings  auf- 
fällig, kann  aber  aus  der  Satzbildung  erklärt  werden;  denn 
wenn  der  einfache,  aus  drei  Bestandtheilen  zusammengestellte 
Satz  in  irgend  einer  Beziehung,  sei  es  hinsichtlich  des  Sub- 
jects,  oder  des  Objects,  oder  des  Prädicats  eine  nähere  Be- 
stimmung erhält,  so  besteht  er  aus  vier  Worten,  und  auf 
diese  Grundlage  läuft  amende  die  Entstehung  der  vier 
Hebungen  hinaus.  Die  Worte  können  aber  auch  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Zahl  der  Hebungen,  aneinander  gereiht  und 
die  Wiederholung  in  der  Gleichzahl  der  Sylben  der  ver- 
schiedenen Verse  gesucht  werden.  Aus  Mischung  von  Rhyth- 
mus Silbenzahl  entstehen  mehrere  Gattungen  der  Versmaße. 
Deren  Grundbestandtheile,  Versfüße,  zum  Vers  zusammen- 
gestellt, sind  bald  lediglich  rhythmische  ohne  Rücksicht  auf 
Silbenzahl,  —  so  die  Nibelungenstrophe  —  bald  rhythmisch 
mit  feststehender  Silbenzahl  —  so  in  romanischen  Sprachen 
—  bald  rhythmisch  unter  Bemessung  der  Zeitdauer  der 
Silben,  —  so  im  epischen  Vers  der  Hellenen  —  bald  rhyth- 
misch unter  Bestimmung  der  Zahl  sowie  zugleich  der  Zeit- 
dauer der  Silben,  —  so  in  den  meisten  hellenischen  lyrischen 


Eni'wickelung  akusserer  Formen  der  Dichtung.  253 


X'ersmaßen  —  bald  gemischt  theils  nur  nach  Zahl,  tlieils 
zugleich  nach  Zeitdauer  der  Silben,  —  so  im  epischen  Sans- 
kritvers —  bald  endlich  nur  nach  Silbenzahl,  —  so  im  alt- 
japanischen Vers.  Die  Bildung  von  Versmaßen  ist  unter 
Umständen  vor  sich  gegangen,  die  auch  sorgfältige  Einzel- 
forschung für  die  ältesten  volksthümlichen  nicht  wird  mit 
Zuverlässigkeit  feststellen  können.  Sagen  darüber  sind  aller- 
wegen entstanden,  bei  Hellenen,  Arabern,  Persern,  Indiern, 
Japanern.  Vermuthlich  verdanken  sie  ihren  Ursprung  einem 
zufälligen  Umstände,  ihre  allgemeine  Annahme  aber  ihrer 
Anwendung  in  einer  Dichtung,  die  zu  großer  Verbreitung 
gelangt  ist. 

Neben  der  Wiederholung  im  Versmaß,  die  darin  liegt, 
daß  der  Bau  eines  Verses  für  mehrere  anschließende  maß- 
gebend ist,  kommt  auch  Wiederholung  im  inneren  Bau  von 
X'ersmaßen  vor.  Besonders  sichtbar  ist  eine  solche  im  alt- 
japanischen Vers,  wo  sie  vielleicht  als  Ersatz  für  den  Mangel  an 
Rhythmus  oder  Silbenmessung  zudenken  ist.  139)  Der  angeblich 

schon  im  dritten  Jahrhundert  ausgebildete  Utavers  besteht  näm- 
lich aus  zwei  Theilen,  die  unter  Beachtung  der  Versabschnitte 

5  +  7  +  5 

Silben  aufweisen.  Die  Siebenzahl  von  Silben  in  der  ersten 
Zeile  wird  von  zwei  kürzeren.  Fünfsilbern,  die  als  nicht  zur 
Vollständigkeit  gelangten  Theile  anzusehen  sind,  in  die  Mitte 
genommen  und  kommt  dann  in  der  zweiten  Zeile  durch 
Verdoppelung  zu  voller  Geltung. 

\va  Griechischen  enthält  der  Pentameter  gleichfalls  eine 
Wiederholung  und  zwar  merkwürdigerweise  grundsätzlich  — 
"^  d.  h.  wenn  kein  Daktyl  durch  einen  Spondeus  ersetzt  wird 
—  ebenso  mit  der  Silbensiebenzahl.  Auch  der  Hexameter 
kann  seiner  Cäsur  nach  als  aus  zwei  Pentameterhälften  be- 
stehend angesehen  werden,  die  durch  Auftakt  und  Nachschlag 
verlängert  sind,  sodaß  die  Siebenzahl  darin  angelegt  ist,  aber 
ganz  rein   erst   in  der   zweiten  Pentameterhälfte  durchdringt. 


254 


Beigabe. 


Die  Frage  der  Bedeutung  der  Silbenzahl  ist  hier  nicht  weiter 
zu  verfolgen;  es  spielen  da  Umstände  hinein,  die  nicht  im 
Flusse  natürlicher  Entwickelung  liegen.  Erwähnt  mag  werden, 
daß  ähnliche  Erleichterung,  wie  durch  unreine  Reime,  so 
bei  den  Versmaß  in  manchen  rohen  Dichtungen  durch  Aus- 
füllung des  unzureichenden  Verses  mit  bedeutungslosen  Lauten 
erstrebt  wird,  beispielsweise  bei  den  Fidschiern.  1 39a)  Mancher- 
lei Formen  sind  in  einzelnen  Literaturgebieten  aufgekommen, 
die  durch  folgerechte  Entwicklungsgesetze  sich  nicht  erklären 
lassen,  die  vielmehr  durch  zufällige  Verhältnisse  veranlaßt 
sind,  vielleicht  durch  Laune  eines  maßgebenden  Dichters; 
dahin  ist  auch  die  Forderung  der  chinesischen  Dichtkunst 
zu  rechnen,  bei  Niederschreibung  der  Gedichte  solche  Schrift- 
zeichen zu  wählen,  die  dem  Inhalte  malerisch  entsprechen, 
was  indessen  immerhin  noch  mehr  sachlichen  Grund  hat, 
als  die  Ausartung,  Gedichte  in  Form  von  Figuren  zu  schreiben, 
wie  im  Ditschkara  des  Sanskrit,  140)  in  den  carmina  figu- 
rata der  Römer,  in  der  Einfügung  von  Gedichten  in  Umrisse 
von  Kränzen,  Flöten,  Brunnen,  Blumen,  Flaschen,  Gipfeln 
des  Parnaß  pp.  selten  der  Pegnitzschäfer,  wie  Harsdörfer  u.  a. 
Auch  der  aus  aramäischen  Psalmen  bekannte  Brauch,  die 
Verse  eines  Gedichts  der  Reihe  nach  mit  den  Buchstaben 
des  Alphabets  beginnen  zu  lassen,  ist  eine  ganz  willkürlich 
gewählte  Form. 

Der  in  fortwährendem  Schaffen  sein  Leben  bethätigende 
Dichter  konnte  nicht  in  bescheidener  Freude  am  Gewordenen 
sein  Genüge  haben.  Als  die  Möglichkeit  zu  weiterer  Ent- 
wickelung der  Wiederholung  im  Sprachlichen  Ausdruck  er- 
schöpft war,  traten  an  Stelle  natürlicher  Entwickelung  be- 
rechnete Neubildungen.  Schon  die  Häufung  der  Formen, 
namentlich  die  Durchführung  Eines  Reims  in  längeren  Ge- 
dichten, wie  im  Kassidet  der  Araber  141)  und  der,  ihre  Poetik 
befolgenden  Perser  142)  und  Osmanen,  143)  ist  auf  die  Ab- 
sicht zurückzuführen;  noch  bestimmter  ist  sie  in  den  Reim- 
spielereien der  provengalischen  Dichter  1 44)  darauf  berechnet 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung.  255 

durch  Ueberwindung  von  Schwierigkeiten  zu  glänzen.  Da 
ist  also  die  Bildung  neuer  Formen  wesentlich  individuell. 
Allgemeine  Weiterbildung  der  dichterischen  Formen  dagegen 
war  gegeben  durch  Verbindung  verschiedener  der  natur- 
gemäß entwickelten  Formen.  Von  Verbindung  des  Anfangs- 
mit  dem  Endreim  ist  schon  die  Rede  gewesen.  Das  Vers- 
maß namentlich  wurde  fast  durchgängig  Forderung  auch  in 
gereimten  Dichtungen. 

Eine  Xeuschöpfung,  innerhalb  deren  eine  Fülle  von 
Formen  sich  bilden  läßt,  ist  die  Strophe.  So  heißen  Theile 
eines  Gedichts,  die  sich  in  ihrem  Baue,  in  der  Art  der  An- 
wendung der  Formen  wiederholen,  sei  es  durch  gleiches 
Versmaß,  oder  gleiche  Reimstellung  oder  sonstwie.  Auf 
diesem  Standpunkt  greifen  die  üblichen  Poetiker  ein  und  des 
halb  ist  hier  nicht  Näheres  darüber  zu  sagen;  nur  darauf  ist 
aufmerksam  zu  machen,  wie  sich  bis  in  dieser  letzten  Aus- 
bildung dichterischer  Formen  als  wesentlich  der  Begriff  der 
Wiederholung  geltend  macht.  Ist  schon  die  Strophe  an  sich 
eine  solche,  so  prägt  sich  das  noch  besonders  aus  im  Re- 
frain, der  ein  selbständiger  Satz  oder  eine  sinnlose  Laut- 
gruppe, wie  es  Richard  Meyer  ausdrückt  145)  —  inner- 
halb einer  Strophe,  oder  eine  selbständige  Strophe  neben 
den,  das  Gedicht  fortleitenden  Strophen  ist.  Da  Meyer' S 
gründliche  Untersuchungen  über  den  Refrain  und  dessen 
mannigfache  Formen  auch  nur  von  der  Bedeutung  ausgehen 
konnte,  welche  die  Wiederholung  für  die  Dichtung  hat,  so 
finde  ich  keinen  Anlaß  auf  einzelne  fragwürdige  Ausführungen, 
namentlich  daß  der  sinnlose  Refrain  früher  entstanden  sei, 
als  der  in  Worte  gekleidete,  mich  weiter  einzulassen.  Meyer 
hat  den  Refrain  schon  früher  zum  Gegenstande  seiner  Forschung 
gemacht,  worauf  ich  ebenso  wie  auf  die  von  ihm  angezogenen 
anderen  Schriften  darüber  verweise.  146)  Die  verschiedene 
Anwendung  des  Refrains  in  slavischen  Sprachen  hat  MlKLO- 
.SICH  gesammelt.  147)  Bemerkenswerth  ist  auch  der  Gebrauch 
bei  den  Afganen.  148)    Im  französischen  Lied  ist  der  Refrain 


256  Beigabe. 

Regel,  vielleicht  als  Ersatz  für  den  Mangel  der  Sprache  an 
Rhythmus.  149)  Eine  Gedichtgattung,  die  auf  den  Refrain 
beruht,  ist  das  romanische  Triolett. 

Strophenbildungen  sind  auch  in  der  Parallelismendichtung 
wahrzunehmen;  die  Weiterführung  von  Parallelismen  bei  den 
Hebräern  sind  als  solche  anzusehen,  150)  und  die  Pantun 
der  Malaien  werden  zu  einer  Kette  von  ineinandergreifenden 
Gleichnissen  zusammengestellt,  wovon  ein  Beispiel  in  Ver- 
deutschung hier  stehen  mag,  da  die  Angabe  der  Quelle  ab- 
handen gekommen  ist: 

Ein  Schmetterling  sich  gaukelnd  um  mich  schwinget, 
Er  fliegt  zum  Meer,  wo  Felsen  überhangen: 
Krankheit  mein  Herz  in  tiefster  Brust  bezwinget: 
So  ist's  von  Jugend  auf  bis  heut  ergangen. 

Er  fliegt  zum  Meer,  wo  Felsen  überhangen. 
Nach  Bandam  seinen  Flug  der  Geier  lenkte: 
So  ist's  von  Jugend  auf  bis  heut'  ergangen. 
Daß  Jünglingen  ich  oft  Bewundrung  schenkte. 

Nach  Bandam  seinen  Flug  der  Geier  lenkte, 
Läßt  auf  Patani  Federn  niederfallen; 
Ob  Jünglingen  ich  oft  Bewundrung  schenkte. 
Noch  keiner  meinem  Liebsten  glich  von  allen. 

Läßt  auf  Patani  Federn  niederfallen. 
Die  Täubchen  gleich  sich  durch  die  Luft  bewegen: 
Noch  keiner  meinem  Liebsten  glich  von  allen, 
Er  weiß  die  Herzen  mächtig  zu  erregen. 

Nach  dem  Vorgang  einzelner  Pantun  ist  es  gewiß,  daß 
zwischen  den  beiden  ersten  und  den  beiden  letzten  Versen 
jedes  Pantun,  also  hier  jeder  Strophe,  eigentlich  die  Beziehung 
zwischen  Bild  und  Anwendung  bestehen  soll,  und  wenn  eine 
solche  nicht  verständlich  ist,  so  beruht  das  entweder  auf  uns 
fremde  Gedankenverbindungen  oder  andernfalls  wahrscheinlich 
darauf,   daß  Bilder    aus  einem    bekannten  Pantun  sei  es  ge- 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung, 


257 


dankenlos,  sei  es  muthwilligerweise  auf  neu  gedichtete  herüber- 
genommen werden. 

Das  Pantunineinandergreifen  ähnelt  insofern  den  italie- 
nischen Terzinen,  bei  denen  jede  einzelne  zwar  nicht  inhalt- 
lich, wie  bei  den  Pantun,  aber  doch  durch  den  Reim  sowohl 
mit  der  nächstvorhergehenden  wie  mit  der  nächstfolgenden 
Terzine  verbunden  ist,  was  sich  als  ein  Durcheinanderschlingen 
der  Wiederholungen  darstellt.  Aehnliches  sind  die  sinnver- 
bundnen  Parallelismen  der  Altaier  und  Teleuten.   151) 

Die  Vierzahl  der  Verse  in  der  Strophe,  die  das  Pantun 
beherrscht,  ist  wohl  überhaupt  die  verbreitetste.  Sie  ist  un- 
verbrüchliche Vorschrift  der  Sanskritpoetik,  152)  ist  üblich 
bei  türkischen  Völkerschaften,  153)  lag  den  altböhmischen 
Gedichten  zugrunde,  154)  und  ist  auch  bei  den  neueren, 
namentlich  l}'rischen  Gedichten  westeuropäischer  Völker  zu- 
meist in  Gebrauch. 

Einzelne  provengalische  Dichter  erkühnten  sich  ver- 
wegenster Reimverschlingungen;  156)  durch  Festhalten  be- 
stimmter \^ersmaße  und  Reimstellungen  schufen  sie  aber  auch 
manche,  zunächst  von  andern  romanischen  und  von  ger- 
manischen Dichtern  übernommene  Gedicht-  und  Strophen- 
formen, von  denen  das  Sonett  und  nächstdem  die  Canzone 
die  bekanntesten  sind.  Italien  bildete  vorzüglich  die  Stanze 
aus.  Auch  die  althochdeutschen  Minnesinger  gefielen  sich 
im  Bau  schwieriger  Strophen.  Eine  nur  in  Strophen  mög- 
liche Gedichtform  ist  die  Sestine,  bei  der  in  den  einzelnen 
Strophen  keine  Reime  vorkommen,  die  Reime  sich  aber  in 
den  andern  Strophen  finden.  156)  Aehnliches  ist  der  Fall 
in  javanischen  Dichtungen,  in  deren  Strophen  die  Vocale 
der  Schlußsilbe  der  einzelnen  Zeilen  immer  in  derselben 
Reihenfolge  wiederkehren.   1 5  7) 

Goethe  trat  in  einer  Zeit  auf,  wo  eine  Umgestaltung 
der  deutschen  Dichtung  nach  Inhalt  und  Form  schon  vor- 
bereitet war.  Sein  Verhältniß  zu  ihr  in  ersterer  Hinsicht 
berührt   uns    hier   nicht;    das    zu    den   sprachlichen    Formen 

V.  Biedermann,  Goetheforschungen  HI.  17 


258 


Beigabe. 


bekundet  eine  dauernde  rege  Theilnahme  für  die  einschlagenden 
Fragen.  Als  er  sich  noch  nicht  als  Gesetzgeber  hervor- 
wagte, fügte  er  sich  den  damals  üblichen  Formen,  aber 
schon  früh  folgte  er  denen,  die  sich  von  dem  Alexandriner 
befreiten;  er  gehört  zu  den  ersten,  die  im  Drama  sich  den 
blank  verse  der  Engländer  aneigneten,  während  er  im  »Faust« 
sich  noch  weiter  von  der  steifen  französischen  Schule  ent 
fernte,  indem  er  sich  verschiedener  Versarten  und  darunter 
des  deutsch  volksthümlichen  Knüttelverses  bediente.  In  den 
Dramen,  deren  Stoffe  er  dem  griechischen  Alterthum  ent- 
lehnte —  Pi'oinethetis ,  Iphigejiie,  Elpoior  —  schuf  er  sich 
dann  eine  Form,  die  als  solche  deutlich  erkennbar  war,  aber 
doch  sich  dem  Ausdrucke  ungezwungen  anschmiegte:  die 
rhythmische  Prosa.  GOETHE  hat  diese  Form  zuerst  an- 
gewandt; das  geht  daraus  hervor,  daß  er  in  >DicJitung  niid 
Wahrheit  1-  wiederholt  auf  die  »poetische  Prosa«  Gessner's 
und  KloPSTOCK's  bezugnimmt,  die  doch  ebensowenig  rhyth- 
misch war,  wie  die  V.  Moser's  in  -»Daniel  in  der  Lowen- 
srrube<i  oder  V.  TliÜMMEL's  »  Wilhelmijie«,  obwohl  diese  die 
Abschnitte  ihrer  Dichtungen  »  Gesänge i<  nannten.  Man  be- 
gnügte sich  demnach  damals  für  poetische  Prosa  mit  einigem 
Schwünge  der  Rede,  und  GOETHE  erst  trug  Rhythmus 
hinein.  Es  war  also  auch  nicht  Gleichgültigkeit  gegen  Form 
überhaupt,  was  ihn  bewog,  losere  zu  gebrauchen,  sondern 
er  suchte  nur  nach  einer,  die  sich  nicht  vordrängte  und 
dem  Gehalt  der  Dichtung  Abbruch  that.  —  Aehnlich  wie 
in  dramatischen  ging  GOETHE  in  lyrischen  Dichtungen  vor.  Der 
hohe  Schwung  der  Oden  Pindar's,  der  durch  deren  metrischen 
Bau  wesentlich  unterstützt  wird,  begeisterte  ihn  zur  Nach- 
folge, aber  fern  von  ängstlichem  Abmessen  der  Versmaße 
wie  Klopstock  es  pflegte,  dichtete  er  Oden  gleichfalls  in 
ungemessenen  rhythmischen  Versen  nur  dem  Eindrucke  ge- 
mäß, den  er  von  dem  Rhythmus  griechischer  Oden  empfing. 
In  Italien  aber,  dem  formenreichen,  bildete  sich  auch  GOETHE'S 
Formensinn    strenger    aus;    daher    übertrug    er    seine    freien 


Entwickelung  aeusserer  Formen  der  Dichtung.  259 

rhythmischen  \"erse  der  ■»Iphigenia  in  jambische  Fünf- 
füßler  und  ergoß  sich  lyrisch  in  elegischen  Distichen.  Frei- 
lich war  es  bei  letzteren  wiederum  nur  ein  allgemeines  Form- 
gefühl, nach  dem  er  die  \"erse  zustande  brachte;  ein  ängst- 
liches Messen  war  nicht  seine  Sache,  und  ein  Metriker  konnte 
nicht  anders  finden,  als  daß  er  Hexameter  und  Pentameter 
mißhandelte.  Noch  später,  wo  er  den  spanischen  Romanzen- 
vers und  weiterhin  das  persische  Gasel  nachzubilden  unter- 
nahm, verfuhr  er  nicht  gewissenhafter.  Er  wollte  eben  nur 
Form,  aber  keine  Künstelei.  Den  Werth  des  griechischen 
Versbaues  erkannte  er  jedoch  entschieden  an,  so  daß  er  sich 
in  die  Schule  von  Philologen  deshalb  begab.  So  kam  es 
•denn,  daß  seine  reifsten  Dichtungen  im  Epos  in  den  Versen 
des  größten  Epikers,  HOMER,  im  Drama  in  den  Versen  des 
größten  Dramatikers,  SiiAKESrEARE,  im  Lyrischen  in  den 
einfachen  Versen  geschrieben  sind,  wie  sie  das  deutsche 
Volk  sich  angeeignet  hat. 

Diese  Formen  vertheilen  gerechterweise  die  x'Xnsprüche 
des  Inhalts  und  der  Form,  und  das  wird  für  alle  Zukunft 
der  rechte  Maßstab  für  die  Dichtkunst  sein,  wenn  schon  die 
von  Goethe  geschaffenen  freien  Formen  zunächst  lediglich 
für  das  deutsche  Sprachgebiet  gelten  können.  So  viel  sich 
indessen  gegenwärtig  beurtheilen  läßt,  ist  Entwickelung  der 
dichterischen  Formen  in  der  Weltliteratur  im  allgemeinen  an 
ihre  Grenzen  angelangt.  Nicht  wahrscheinlich  ist  einerseits 
deren  Lockerung  oder  Auflösung,  wie  etwa  in  den  Streck- 
versen des  formlosen  Jean  Paul,  oder  die  Verlegung  der 
Wiederholung  auf  einzelne  Stellen,  wie  sie  in  den  rhetorischen 
Figuren  der  Anaphora,  Epiphora,  Anadiplosis,  Epizeuxis, 
Exandiplosis,  Epanatepsis,  Epanados,  Exergasia,  Symploke, 
Pallilogie,  ingleichen  mittelbar  in  der  Paronomasie,  dem 
Pleonasmus,  der  Synonymie,  der  Antithesis,  der  Distribution, 
der  Klimax  und  dem  Gleichnisse  enthalten  ist.  Andrerseits 
werden  aber  die  Dichter,  wenn  sie  als  solche  nichts  mehr 
zu    sagen    haben,    vorerst    auf   Uebertreibung    der    Formen- 

17* 


26o  Beigabe, 

correctheit  verfallen  und  um  so  mehr  Anklang  damit  finden, 
als  die  Erkennung  der  Formenglätte  leichter  ist,  als  die 
dichterischer  Bedeutung,  was  sich  beispielsweise  in  der  über- 
mäßigen Bewunderung  Platen's  offenbart.  In  weiterem 
Fortschreiten  einseitiger  Formausbildung  wird  dann  wohl 
abermals  ein  alexandrinisches  und  byzantinisches  Zeitalter 
eintreten,  w^orin  der  Sprachkünstler  den  Preis  davonträgt, 
der  die  wunderbarsten  Formen  zuwegebringt.  Bergleichen 
läßt  sich  jedoch  nicht  im  voraus  berechnen,  weil  das  Aus- 
geburten der  Willkür  sein  werden. 

Hiermit  ist  also  meine  Aufgabe,  die  Entwickelung  der 
dichterischen  Formen  darzustellen,  abgeschlossen.  Ich  habe 
nur  den  Weg  andeuten  wollen,  den  sie  gegangen  ist  und 
das  Verfahren,  das  zu  Auffindung  dieses  Wegs  in  einzelnen 
Dichtungsgebieten  einzuschlagen  ist.  Das  Beste  ist  nunmehr 
F.inzelforschungen  zu  überlassen.  Deshalb  durfte  ich  mich 
in  meinen  Nachweisen  statt  der  oft  schwierig  zu  beschafi"enden 
Urquellen  auf  Quellen  aus  zweiter  Hand  und  darauf  berufen, 
daß  die  Menge  übereinstimmender  Ergebnisse  vorläufig  als 
Ersatz  auch  für  den  Werth  einzelner  Quellen  und  für  den 
gänzlichen  Mangel  mancher  mir  nicht  zugänglichen  angenommen 
werden  könne.  Nachdem  ich  mich  mit  x\uffindung  der  Ur- 
form der  Dichtkunst  und  ihren  Entwickelungen  genügend 
abgemüht,  darf  ich  wohl  andern  überlassen ,  meine  Arbeit 
fortzuführen,  zu  vertiefen,  zu  erweitern. 


Nachweise  zur  Beigabe. 

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in  den  Tabellen  S.  360  u.  364.  —  5)  H.  Stei.nthal,  Charakteristik  der 
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Martius,  Zur  Ethnographie  Amerikas.  S.  330.  —  6)  A.  Ermann,  Aegyp- 
ten.  S.  515.  —  7)  A.  H.  .Sayce,  Babylonische  Literatur,  übertragen  von 
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S.  1034.  —  9;  T.  E.  Bowdich,  Mission  from  Cape  Coast  Castle  10 
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S.  50  f.,  Nr.  I  —  X.  —  16)  Baker,  S.  64  f.,  79,  Nr.  XI,  XII  —  XV, 
XLIII,  I.  3.  4.  —  17)  B.'vker,  S.  67  f.,  Nr.  XVI  —  XX,  XXII.  —  18)  Baker, 
S.  72,  Nr.  XXX.  —  19)  Baker,  S.  78,  Nr.  XXIII.  —  20)  Baker,  S.  78, 
Nr.  XLII.  —  21)  St.  Powers  in:  Contributions  to  North  American  Eth- 
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amerikas, deutsch  von  Berghaus,  1851.  S.  297.  —  23)  Baker.  S.  50.  — 
24)  Sagard  Theodert,  Le  grand  voyage  du  pays  des  Hurons.  Paris  1632. 
S.  1561.  —  25)  A.  S.  GoTSCHET  in:  Globus,  LX,  Nr.  4.-26)  J.  Mooney 
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252  Nachweise  zur  Beigabe. 


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auch  S.  103.  —  28)  Globus,  LVI,  Nr.  8.  —  29)  Ebenda  Nr.  6.  —  30)  A. 
V.  Chamisso's  gesammelte  Werke,  Stuttgart  1842.  II,  191.  —  31)  H.  de 
Caux,  Sept  ans  eu  Oceanie.  —  32)  A.  Bässler  in:  Globus,  LXXII.  Nr.  14. 

—  33 1  W.  RiDLEY,  Kdmilaröi  and  other  Australian  Languages.  New  South 
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100.  105.  —  37)  Schrader,  S.  8.  10.  —  38)  K.  Geld.xer,  Usber  die 
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Esthnische  Volkslieder,  Reval  1850.  S.  185  f.  200  bis  204.  —  F.  Kreutz- 
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burg 1854.  S.  48f.  59.  64.  70.  —  41)  B.  Neumann  in:  Das  Ausland  1857. 
Nr.  52.  —  42)  Krachenlnnikow,  Voyage  en  Siberie  II,  105.  —  43)  H. 
Vambery,  Das  Türkenvolk,  1885.  S.  455ff.  —  44)  Bartellot  in:  Das  Aus- 
land 188.9.  S.  434.  —  45)  H.  Sundermann  in:  Das  Ausland  1892.  S.  579f. 

—  46)  G.  A.  Krause  in:  Globus,  LXXII.  S.  230. — 47)  J.  Sibree  in: 
The  Falk  Lore  Journal  1883.  S.  72.  278.  —  48)  W.  Radloff  in:  Zeit- 
schrift für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft  IV,  85  f.  —  49)  Das 
Ausland  1833.  Nr.  154.  —  50)  A.  Bastian,  Zur  naturwissenschaftlichen 
Behandlung  der  Psychologie  1883.  S.  121  ff.  —  51)  Geiseeer,  Die  Oster- 
insel  1883.  S.  46 f,  —  52)  A.  Bastian,  Die  heilige  Sage  der  Polynesier, 
1881.  S.  77ff.  271  ff.  —  53)  G.  Grey,  Kg  nga  Moteatea  me  nga  Hakirara, 
o  nga  Maori.  New  Zealand  1853.  —  W.  W.  Gii.u,  Myths  and  Songs  from 
the  South  Pacific  1876.  S.  6.  9of.  99.  185.  2iof.  295  f.  — 54)  v.  Strauss, 
Schi  King.  S.  74 ff.  85.  91.  —  55)  A.  H.  Sayce,  Babylonische  Literatur. 
S.  18.  —  56)  W.  Radloff  in:  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie.  IV,  92 
bis  114.  —  57)  W.  Radloff,  Proben  der  Volksliteratur  der  nördlichen 
türkischen  Stämme,  Petersburg  1866 — 1896.  I,  218  bis  246.  —  58)  Eben- 
da I,  433 f.  —  59)  Ebenda  II,  I  bis  277.  3S5  bis  499.  —  60)  Ebenda 
II,  278  bis  380.  —  61)  Ebenda  II,  500  bis  606.  —  62)  Ebenda  II,  657 
bis  670.  —  63)  Ebenda  III,  i  bis  14.  —  64)  Ebenda  IV,  56  bis  71.  — 
65)  Ebenda  IV,  I75f.  V,  601.  —  66)  Ebenda  V,  allenthalben.  —  67)  P. 
S.  Pallas,  Sammlung  historischer  Nachrichten  über  die  mongolischen 
Völkerschaften,  Petersburg  1776.  I,  152.  —  68)  M.  Buchner  in:  Das  Aus- 
land, 51.  Jahrg.  S.  9f.  —  69)  M.  Buch,  Die  Wotjäken,  1882.  S.  9of. — 
70)  A.  Chodzko,  Specimens  of  the  Populär  Poetry  of  Persia,  London  1842. 
S.  556  bis  566.  —  71)  Fr.  Rückert,  Gesammelte  Gedichte,  3.  Auflage, 
1839.  II,  411   bis  418  und  sonst.  —  72)  Nach  A.  Berge  in:  Magazin  für 


Nachweise  zur  Beigabe.  26^ 

die  Literatur  des  Auslandes  1869.  S.  529.  —  73)  Morgenblatt   1817.S.  831. 

—  74)  BowDiCH,  S.  368.  —  75)  J.  A.  Sketchly,  Dahoniy  as  it  is. 
London  1874.  —  76)  H.  Barth,  Reisen  und  Entdeckungen  in  Nord-  und 
Central- Afrika,  1858.  IV,  435  f.  —  77)  The  Folk  Lore  Journal  1889. 
S.  68.  74 f.    99  bis   105.    342.    —    78)  V.  Strauss,  S.  65  bis  72  u.  sonst. 

—  79)  K.  V.  D.  Steinen,  Unter  den  Naturvölkern  Central-Brasiliens,  1894. 
S.  62.  99,  —  80)  G.  H.  V.  Langsdorff,  Bemerkungen  auf  einer  Reise 
um  die  Welt,  18 12.  I,  144 f.  —  81)  v.  Strauss  S.  i  ii  bis  116.  —  82)  The 
Folk  Lore  Journal  1883.  S.  70.  —  83)  G.  M.  Theal,  Kaffir  Folk  Lore, 
London  1876.  S.  64f.  —  84)  Deutsche  Kolonialzeitung,  1889.  S.  93.  — 
85)  M.  Bucher,   Kunst  und  Witz  der  Neger,  in:  Das  Ausland  1884.  S.  9 ff. 

—  86)  Wie  Psalm  33,  V.  8.  —  87)  Psalm  89,  V.  39  ff.  —  Hiob,  Gap.  3, 
V.  13  bis  16.  17  bis  19.  und  sonst.  —  88)  Psalm  42,  V.  I.  —  89)  Sprüche 
Salomons  Gap.  14.  V.  11.  —  90)  G.  Ebers  in:  Nord  und  Süd,  Monat- 
schrift, Band  I  S.  106  f.  —  91)  E.  Schrader,  Die  Höllenfahrt  der  Istar 
1874.  S.  8.  —  A.  Jeremias,  Izdubar-Nimrud  1891.  S.  28  u.  sonst.  —  F. 
HoMMEL  in:  Das  Ausland  1882.  Nr.  23.  —  92)  F.  Dietrich,  Zwei  sido- 
nische  Inschriften,  1855.  S.  33f.  —  93)  E.  Norris  in:  The  Journal  of 
the  Royal  Asiatic  Society,  Vol.  XX.  S.  95  bis  145.  150  bis  152.  — 
93a)  Allgemeine  Encyklopädie,  III.  Section  li.Bd.  S.  389.  —  94)  Morgen- 
blatt 1833.  S.  98.  —  95)  F.  RÜCKERT,  Schi  King,  1833.  S.  17.  —  96)  V. 
V.  Strauss,  S.  77.  —  97)  W.  v.  Waldbrühl,  Balalaika,  1848.  S.  346 
bis  376.  —  98)  J.  G.  Kohl,  Die  deutsch-russischen  Ostseeprovinzen,  1841. 
II.  Band.  —  99)  Radloff,  I,  246.  433.  —  II,  657  bis  670  und  sonst. — - 
99a)  F.  Grabowski  in:  Globus  Bd.  XLII,  Nr.  2.  1882.  —  100)  de  Hol- 
lander, Handleidning  tot  de  Kennis  der  Maleische  Taal  en  Letterkunde. 
Breda  1845.  —  O.  Föhrau,  Eine  Sängerjugend,  1847.  S.  671.  — Bintang 
Oetara.  Utrecht  1857.  Aiigka  i.  —  101)  L.  de  Rosny,  Anthologie  Japo- 
naise.  Paris  187 1.  S.  XXf.  —  B.  H.  Chamberlain,  The  Classical  Poetry 
of  the  Japanese.  London  1880.  S.  5  f.  —  loi^i)  Ermann,  S.  520.  529.  — 
T02)  C.  Hahn  in:  Das  Ausland  1S91,  Nr.  28.  S.  S56f.  —  103)  Mathes 
in:  Zeitschrift  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft.  XI,  549 ff.  — 
104)  H.  Tromp  in:  Globus  XLIV,  S.  2i5ff.  —  105)  J.  G.  Wenrich,  De 
poeseos  Hebraicae    atque  Arabicae  origine  &c.    commentatio.    1843.  S.  263. 

—  105)  G.  Ebers  in:  »Nord  und  Süd«  1877,  S.  106 ff.  —  106)  W.  Rad- 
loff in:  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  IV,  96 f.  —  107)  Zimmern  in: 
Zeitschrift  für  Assyriologie,  X,  i.  —  108)  C.  v.  d.  Gabelentz  in:  Zeit- 
schrift für  d.  Kunde  d.  Morgenlandes,  I,  20  bis  37.  —  109)  H.  Vameery 
Das  Türkenvolk,  1885.  S.  235.  —  iio)  W.  Radloff,  Aus  Sibirien,  1884. 
I)  338-  —  III)  A.  Genetz,  Volmari  Porka's  Tscheremissische  Texte, 
Helsingfors  1895.  S.  34ff.  —  112)  H.  R.  V.Schröter,  Finnische  Runen, 
1834  allenthalben.   —    113)  H.  Neus  ,  Esthnische  Volkslieder,  Reval   1850 


264  Nachweise  zur  Beigabe. 

bis  1853.  —  F.  Kreutzwald  und  H.  Neus,  Mythische  und  Magische 
Lieder  der  Esthen,  Petersburg  1854.  —  114)  O.  Donner,  Lieder  der  Lappen, 
Helsingfors  1876.  —  115)  Sar  obair  nana  Bärd  Gaelach,  1841.  —  R. 
Atkinsox,  On  Irish  Metrie,  Dublin,  1884.  —  116)  Th.  Stkphen's  The 
Literature  of  the  Kymry,  Clandovery  1849,  S.  2off.  —  117)  Mannhardt 
in:  Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachforschung,  V.  Band  1856.  S.  266ft'. 
—  118)  Th.  Percy,  Reliques  of  Ancient  English  Poetry,  London  1775.  II, 
.27off.  40off.  —  119)  F.  H.  V.  D.  Hagex,  Minnesinger,  I.  Theil  1838. 
S.  XXVII.  —  120)  G.  Th.  Legis,  Die  Runen,  1829.  S.  123fr.  —  121)  The 
Folk  Lore  Journal  1883.  I,  74.  —  122)  BowDiCH,  S.  358.  366.  — 
123)  Barker,  S.  ii.  —  124J  Th.  Wii.liam's  and  J.  Calvert,  Fiji  and 
the  Fijians,  New  York  1859.  S.  86  bis  93.  —  125)  F.  Dorr,  Der  Reim 
bei  den  Griechen,  1857.  S.  29ff.  —  126)  Ebenda  S.  24f.  —  127)  \V. 
Grimm,  Zur  Geschichte  des  Reims,  1852.  S.  107  bis  160.  —  128)  H. 
DüNTZER  et  L.  Lerch,  De  versu,  quem  vocant  Saturnio,  1838.  S.  276".  — 
129)  M.  Rieger,  Die  alt-  und  angelsächsische  Verskunst,  1876.  S.  3.  — 
W.  Wilmanns,  Der  altdeutsche  Reimvers  in:  Beiträge  zur  Geschichte  der 
älteren  deutschen  Literatur,  Heft  3.  S.  144.  —  130)  Z.  B. :  E.  M.Böhme, 
Deutscher  Liederhort,  1893,   gleich   im  ersten  Lied  in  den  meisten  Strophen. 

—  A.  Alcala-Gai.iano,  Observaciones  ä  la  introducion  y  notas  del  seüor 
Depping,  in:  Romancero  Castellano  por  G.  D.  Deppixg,  nueva  edicion, 
1844.  I)   LXXII.   —    132J   Yakkun  Nattanawä  and  Kolau  Nattanawä,   Cin- 

:galese  Poems  translated  by  Callaway,  London  1829.  —  133)  C.  G.  Büttner, 
Anthologie  aus  der  Suaheli  -  Literatur,  1894.  S.  XIV.  —  I33^>  Williams 
and  Calvert,  S.  18 f.  —  134)  E.  RossELET  in:  Allgemeine  Encyclopädie 
hrsgg.  von  Ersch  und  Gruber,  II.  Section ,  31.  Bd.  S.  288.  —  135)  Z. 
B.  Psalm  19.  V.  8  bis  11.  —  136)  Dörr,  S.  27.  —  137)  Meine  Be- 
sprechung von  K.  Bücher,  Arbeit  und  Rhythmus,  in:  Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Literaturgeschichte,  N.  F.  XI,  369  ff.  —  138J  R.  Kühnau,  Die 
Trischtub- Jagati -Familie,  1880.  —  H.  Userer,  Altgriechischer  Versbau, 
1887.  —  139)  RosNY,  S.  IX  ff.  —  139a)  Th.  Williams  and  J.  Calvert 
Fiji  and  the  Fijians,  New  York,  1859.  S.  88f.  —  1401  Asiatic  Researches. 
•Calcutta.  XX,  135  ff.  —  141J  Wenrich,  S.  266.  —  J.  v.  Hammer.  Ge- 
schichte der  schönen  Redekünste  Persiens,  1818.  S.  9.  —  143J  Hammer- 
Purgstall,  Geschichte  der  Osmanischen  Dichtkunst,  I.  Band,  Pesth  1836. 
:S.  II.  —  144)  F.  DiEZ,  Die  Poesie  der  Troubadours.  1827.  S.  96 ff.  — 
145)  R.  M.  Meyer  in:  Euphorin,  V,  i  ff .  —  1461  R.  M.  Meyer  in:  Zeit- 
schrift für  vergleichende  Literaturgeschichte.  I,  i  ff.  —  1471  F.  MiKLOSiCH, 
Die  Darstellung  im  slavischen  Volksepos  in:  Denkschriften  der  kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  XXXVIII,  1890.  S.  7  ff.  —  148)  J. 
D.vrmstetter,  Chants  populaires,  des  Afghans,  Paris   1890.  S.    i   bis  236. 

—  149)  A.  Helfferich,  Das  französische  Volkslied  in:  Morgenblatt  1857. 


Nachweise  zur  Beigabe.  265 


Nr.  48.  S.  I155.  —  150)  Allgemeine  Encyklopädie.  III.  Section,  11.  Theil. 
S.  388.  —  151)  Radloff,  I.  245.  —  152)  H.  Brockhaus  in:  Zeitschrift 
der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft.  XIX,  594 f.  —  O.  BüHTLINGK, 
Dandi.ni's  Poetik,  Sanskrit  und  Deutsch,  1890.  S.  3.  —  153)  W.  Radloff, 
Proben  der  Volksliteratur  der  türkischen  Stämme  Süd-Sibiriens,  III.  Theil 
(18701  S.  408  —  856.  —  IV.  Theil  (1886)  S.  V.  —  154J  J.  Feualik, 
Ueber  altböhmische  Vers-  und  Reimkunst  II,  in:  Sitzungsberichte  der 
philologisch-historischen  Classe  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften 
XXXIX,  II,  284.  —  155)  Dn:z,  S.  351  ff.  —  C.  Appel,  Provenzalische 
Inedita  aus  Pariser  Handschriften,  1890.  S.  24 ff.  98 ff.  105 ff.  und  sonst. 
■ —    156)    Diez,    S.    96  ff.    118.    — -     157)  E.   Selberg  in:     Ausland,    1840. 


Seite    163  ff. 


w. 


Seitennachweise. 

(AUSGESCHLOSSEN  DIE  BEIGABE.) 


SEITENNACHWEISE 

über  Dichtungen  und  Schriften  Goethe's. 


Achilleis.    144. 

Adler  und  Taube.    132. 

Anekdote  zu  den  Freuden  des  jungen 

Werther.  91. 
Annette.    132. 

Bergschlofs.   72. 

Cäsar.   55  —  59.    146  f. 

Chinesisch  -  deutsche       Jahreszeiten. 

175.    183-187.    195  ff 
Chinesisches.    185. 
Circe.    171. 
Clavijo.   21. 

Deutscher  Parnafs.    141. 

Dichtung  und  Wahrheit.    18.   22.  84. 

88.    94.  96.  99.     131.    146.    153. 

156.   168. 

Egmont.   18.  56. 

Elpenor.  9.  18.  60—67.   147-    I75  — 

179-    188.   19s  f. 
Epigramme.   207. 
Ergo   bibamus.    151. 

Falke.  Der  —    141. 


Faust.   7 — 40.  49  f.    146.   213. 

Freibeuter.    151. 

Fuchs  und  Kranich.    132. 

Gedichte  zu  Bildern.   3. 

Gegenseitig.    151. 

Gegenwart.    151. 

Genialisch  Treiben.    222. 

Geschichte  der  Farbenlehre,  i  52.  212. 

Gewohnt,  gethan.    151. 

Glück.  Das  —  224. 

Götter,  Helden  und  Wieland.  91. 144. 

Götz  von  Berlichingen.    18.    21.   58. 

99.    140.    144.    147.   214 — 221. 
Gotter.  An  —  216.  220. 
Gutmann  und   Gutweib.   150. 

Haidenröslein.    147.   232 — 225. 
Hermann    und    Dorothea.     14.    72. 

148  f.    153. 
Hochzeitslied.   224. 
Hundert    Gedichte    schöner    Frauen. 

183. 

Individualpoesie.    149. 
Iphigenie.   44.    147. 


Seitennachweise  ueber  Dichtungen  und  Schriften  Goethe's. 


267 


.lohanna  Sebus.    50. 

Kinderverstand.    137. 
König  in  Thule.   Der  —   224. 
Kotzebue.   231. 

Kunst  und  Aiterthum.  Über  —  183. 
213. 

Leiden  des  jungen  Werther.    18.  44. 

114.    121.    144. 
Leipziger  Theater.   221. 
Liebhaberin  allen  Gestalten  1 5 1. 222. 

Mademoiselle    Schulze.    An  —   73  f 

März.    151. 

Mahommed.  22  f. 

Mann    von    fünfzig    Jahren.    Der    — 

190—196.   230. 
Mond.  An  den   —   224. 
Musen  und  Grazien  in  der  Mark.  144. 

Nachspiel  zu  Ifflands  »Hagestolzen«. 

144. 
Nacht.  Die  —  s.   Die  schöne  Nacht. 
Nachtgesang.    149  f. 
Nähe  des  Geliebten.    149. 
Natürliche  Tochter.   Die  —  44.   47  — 

51-  173  f. 

Naturwissenschaft.  Zur  —   165. 

Nausikaa.    18. 

Neue  Lieder.    130  — 138. 

Neu    eröffnetes  moralisch- politisches 

Puppenspiel.   83.   92. 
Neujahrslied.    133  f.    145. 
Nicht  zu  weit.  230. 
Nufsbraune  Mädchen.   Das   —    194. 

Offene  Tafel.    150. 

Pandora.    192.   230. 
Prometheus.    12  f.   21  ff.    iSof. 
Propyläen.   212. 

Rameauts  Neffe.  208. 
Recensionen  von: 

Alex.   V.    Joch   über   Belohnung 
und  Bestrafung  nach  türkischen 
Gesetzen.   132. 
Schreiben  über  Homer.    1 54- 
Die  schönen  Künste  pp.   von  Sul- 
zer.   154. 


Empfindsame  Reisen  durchDeutsch- 
land.  154. 

Die  Jägerin.    155. 

Geschichte  d.  Fräuleins  v.  Stern- 
heim.  155. 

Die  erleuchteten  Zeiten.    155. 

Sänger.  Der  —    140. 

Satyros.    173. 

Schäfers  Klagelied.    151. 

Scherz,  List  und  Rache.    144. 

Schneidercourage.   222. 

Schöne  Nacht.  Die —  135  f.  145.  224. 

Schweizerlied.    1 5  I . 

Sonette.    225 — 230. 

Sprichwörtlich.    152. 

Stella.    146. 

Tagebuch.  Das  —  230. 
Tagebücher.     15.     67.     168.     205  f. 

208.   211.    231. 
Tag-  und  Jahreshefte.  162.  164.  181. 

204. 
Tasso.  9.    18.  41—46.  48.   61  f.  65. 
Theatralischen  Abenteuer.  Die  —  171. 
Trauerspielentwurf  (Eginhard?)    150. 
Trost  in  Thränen.    151. 

Unglück  der  Jacobi.   Das   —   98. 
Untreue  Knabe.  Der  —    147. 

Venus.  An  —    138  f. 
Vor  Gericht.    147. 

Wahlverwandtschaften.  Die   —  192. 

230. 
Wahre  Genufs.  Der  —   134  f. 
Was  wir  bringen.   Fortsetzung.    144. 
Weimarisches  Hoftheater.   212. 
West-östlicher  Diwan.    144.   230  f. 
Widmung  an  Silvie  von  Ziegesar.  72. 
Wilhelm  Meisters  Lehrjahre.   23. 
Wilhelm  Meisters  Wanderjahre.  180. 

190 — 194. 
Willkommen  und  Abschied  221  f. 
Wunderbares   Ereignifs.    165  f. 

Xenien.    107. 

Zahme  Xenien.  4.  129.  232. 
Zauberflöte.  Fortsetzung.  148. 
Zueignung  (der  Neuen  Lieder.)  137  f. 


268 


Seitennachweise  ueber  Personen. 


SEITENNACHWEISE, 
über  Personen. 

(Hierin  ist  unrichtige  Schreibung  von  Namen  im  Text  berichtigt.) 


Abeken,  R.   206  f. 

Ampere,  J.  J.    108. 

Andrä,  J.  V.  225. 

Arnim,    E.    (B.)    v.,    gb.    Brentano. 

225.  228. 
Assing,  L.   155. 
Äst,  G.  A.  F.  207. 
Aubry  de  Montdidier,   u.   a.    50. 
Aulard,  .  .  .   112. 

*      Bachmann,  .    .  .    182. 
Bailleu,   P.    124. 
Balsamo,  J.  93. 
Baumbach,   G.  v.   212. 
Bechwell  s.  Pechwell. 
Behrisch,  E.  V.    145. 
Bellomo,  J.    170. 
B(enoitr),   L.  A.   50. 
Berlichingen,   G.  v,   58. 
Berthier,   A.   Herz.   v.  Neuschatel   u. 

Valengin    Fürst  v.  Wagram.    116. 
Bertuch,  F.  J.  J.    171. 
Berzelius,  J.  J.   Freiherr.    165. 
Block,  P.  H.  L.  V.  202. 
Boccaccio,  G.   141. 
Bode,  A.   171. 

Böttiger,  K    A.    108  f.    162.  207. 
Boustetten,  K.  V.  v.    114. 
Born,  J.  H.  v.   203. 
Bourbon-Conti,   L.   F.   Herz.  v.  49. 
Bourbon-Conti,  St.  L.  v.  49  ff. 
Bourgoing,  F.  Baron.    201. 
Boxberger,  R.    158. 
Branconi,  M.  A.  —  geb.  v.  Elsener.  74. 
Brandt,   H.   F.   71. 
Breitkopf,   B.  Ch.    130. 
Breitkopf,  B.  Th.   130. 
Bretschneider,  H.  G.  v    83 f.  89 — 93. 
Brutus,  F.   57. 
Buchholz,  H.  L.  v.  201. 
Bürger,  G.  A.    147. 
Buff,  Ch.  nachmals  verehel.  Kestner. 

86. 
Buonaparte,  N.  Kaiser  der  Franzosen. 

III  — 126.  231. 
Burkhardt,   C.  A.  H.   169  ff.  212. 


Cäsar,   C.  J.    57  f. 
Cagliostro   s.   Balsamo. 
Calderon   de  la  Barca,   P.    150. 
Clodius,  Ch.  A.   73.   145. 
Constant  de  Rebecque,   B.    120. 
Conta,   K.  F.  A.   v.   206. 
Cornelius,  P.  v.   39. 
Cotta  V.  Cottendorf,  J.  F.  Freih.  v. 

192. 
Cronegk,  J.   F.  Freiherr  v.    130. 

Dalberg,  K.   Th.   Freihr.  v.  —  Fürst 

Primas.    113.    120. 
Danzel,   Th.   W.    158. 
Dannhäuser,  .   .   .   83.   89  f. 
Daru,  P.  A.  B.  Graf.    112.  116.  121. 
Davis,  J.  F.  Ritter.    182  f. 
Deinet,  J.  K.  87.  92. 
Delorme,   M.   C.   50. 
Devrient,  O.  35. 
Dietrich,  Ch.   W.  E.  32. 
Dingelstedt.  F.  Freih.  v.   35. 
Dohm,  Ch.  K.  W.  v.  201. 
Dorer-Egloff,  E.  96. 
Drach,  E.  39. 

Düntzer,  H.  62  f.  123.  150.  2  14 — 221. 
Dumont,   .   .   .    117, 

Eckermann,  P.  124.  152.  184!!.  192, 
Eichstädt,  H.  K.  A.    163.  204  —  209. 
Einsiedel,  F.  H.  v.  208. 
Eschenburg,  J.  J.    171.   206. 
Esterhazy,  P.  Fürst.  201. 
Euripides.   64. 

Fahimer,  J.  86. 

Falk,  J.  F.  98. 

Fielitz,'  W.   63. 

Finx,  J.  Ch.    180. 

Fischer,  K.  225 — 230. 

Francke,   K.   32. 

Frankreich,  Ludwig  XV.  Königv.  49. 

Friefs,   .   .   .  Graf  v.    109. 

Froitzheim,  J.  81  — 106. 

Fromraann,  Familie  225. 

Füefsli.  H.  206. 


Seitennachweise  ueber  Personen. 


269 


Oaedertz,  K.  Th.   227. 
Geiger,   L.  1 17 — 126. 
Geliert,  Ch.  F.    131. 
Gentz,  F.  v,  205. 
Gerstenberg,  J.   W.    130. 
Gleim,  J.  W.   L.    130. 
Göchhausen,  F.  L.  v.  8. 
Göchhausen,  L.   v.   8.   39. 
Goedeke,  K.    158.  202. 
Goethe,  J.  W.  v.  — 

dichtet  angeregt  durch  fremde 
Dichtungen  u.  Schriften  46.  58  f. 
73  f-  143—155-  179.  186  —  195. 
224.  227  f. 

dichtet  nach  der  Bibel  14  ff. 
28  ff.  37  f. 

dichtet  nach  Volksweisen.  222  fif. 
dichtet    nach    Erlebnissen  44  ff. 
wechselt    Stoffe    und    Form    zu 
Darstellung  einer  Idee    17. 

drückt  Ideen  dramatisch  aus  21  ff. 
skizzirt  die  Dramen   28. 
dichtet  nach   Bildern   32  f. 
folgt    schnell    Anregungen    zum 
Dichten   25. 

überspringt  errathbare  Mittel- 
glieder in   Dichtungen   39  f. 

sucht  nach  der  Dichtung  ge- 
mäfser   Form   227.   257  f. 

für  die  Bühne  thätig    169  ff. 
redigirt  sorglos  26  ff.  190 — 194. 
224. 

ist  zuverlässiger    in  seinen  Mit- 
Iheilungen,  als  es  scheint  162  — 168. 
schreibt  fleifsig  Briefe   86. 
bekämpft  die  Extreme    173  f. 
vereinigt    seine    Gedichte    nach 
ihrer  Form   226. 
Goldoni,   C.  46. 
Gotter,  F.  W.  64  f.  216.  220. 
Graff,  A.   71. 
Gries,  J.  D.   227. 
Grimm,  H.  43  f 
Gruppe,   O.  F.   96. 
Guhrauer,   G.   E.    158. 

Hagedorn,   F.  v.    129 — 141.    145. 
Halde,    J.  B.   du  —   63.    175— 178. 

181  f.    188. 
Harms,  P.  32.  36. 
Hatzfeld,   H.   Graf  v.   201. 
Haym,  R.  224. 


Haymann,   .   .   .   202. 

Hellen,  E.  v.  d.   55  —  59.  63. 

Hennings,  A.   207. 

Herder,    j.   G.  v.    51.   67.    96.   99  f. 

107.    154.   214.   223  ff. 
Herzlieb,      M.,      nachmals     verehel. 

Walch.    192.   225.   227.   229  f. 
Himmel,  F.  H.  212. 
Hoffmann,  J.   L.   212. 
Hörn,  F.    155. 

Iffland,  A.  W.    182. 

Jacobi,  F.  98. 
Jacobi,  J.   G.   89.    130. 
Jacoby,  D.   55  f. 
Jacquet,   .   .   .   50. 
Jerzemsky,   .   .   .    lOO. 

Kalischer,  S.    164. 

Kanikoff,  B.   201. 

Kant,  J.  207. 

Kern,   F.  40—46. 

Kestner,  J.  Ch.  86.  220. 

Kestner,   Ch.   s.  Buff. 

Klapproth,  H.  J.  v.    181. 

Kleist,  E.  Ch.  v.   131. 

Klinger,  M.   97.   231. 

Klopstock,  F.  G.  221. 

Knebel,  H.  v.   232. 

Knebel,   K.  L.  v.  65.  68.    181  f.  228. 

König,  L.   96. 

Koethe,   F.   A.   72. 

Koethe,    ...   v.    72. 

Kotzebue,  A.  v.    II4.  X20.    122.  192. 

23X. 
Kranz,  J.  F.    172. 
Kretschmann,   K.   F.   221. 
Kreuchaufif,   F.   32. 
Kügelgen,   G.   v.   72.   202.   213. 
Kürschner,  J.    154. 
Kurz,  H.    185. 

Langer,   E.  Th.    137  f.    156— 162. 
Lannes,  J.   Herz.  v.  Montebello  116. 
La    Roche,    S.    v. ,   geb.    v.    Gutter- 

mann.   155. 
Lavater,  J.  K.   55.   57.   86.  96. 
Lenz,    J.    M.    R.    45.    91.    96—106. 

109.  214.  216  ff. 
Leonhard,  K.  C.  v.   166. 
Lerse.  F.    107 — iio. 


270 


Seitennachweise  ueber  Personen. 


Lessing,  G.  E.    121.  130.  146.  156 — 

162. 
Louvier,  F.  A.  32. 

Macartney,  G.  Graf  181. 

Maffei,  F.  Sc.  Markgraf.  64. 

Maltitz,  ?  209. 

Maltzahn,   W.   Freih.   v.    158. 

Manning,   E.    1 7 — 24.  40  f. 

Manso,  J.  K.  F.  45  f. 

Marlow,  Ch.   22. 

Martini,  .  .  .    181. 

Matthäi,   Ch.   F.  206. 

Matthaei,   K.    74. 

Maurer-Constant,   .   .   .    162. 

Menken,   G.   H.    168. 

Mercier,    L.   S.   85. 

Merck,  J.  H.  87.  213  —  221. 

Merkel,  G.  207. 

Meyer,  F.  L.  W.   170. 

Meyer,  H.    181.   202.  206, 

Michaelis,  J.  D.    130. 

Miller,  J.  M.  98. 

Minor,  J.    130. 

Morsch,  H.  64. 

Müller,  F.  231. 

Müller,  F.  v.    112  — 117.   124.  212. 

Müller,  J.  V.    162  r. 

Murphy,  A.    170. 

Napoleon  s.   Buonaparte. 
Narbonne,   .   .    .   Graf  v.   49. 
Nicolai,   F.   87.   89  ff. 
Niejahr,  J.  28. 
Nisle,  F.  35. 

Oberkirch,   Henriette  Baronin  v.,  gb. 

V.   Waldner.   96.    100  ff. 
Überkirch,   .   .   .   Bar.   v.    loi. 
Oeser,  F.   138. 

Paulus,  H.  E.  G.  205. 
Paulus,  J.  66. 
Paw,   .   .  .    181. 
Pechwell,  A.   201  f. 
Prenglefs,   P.    154, 
Percy,   Th.   —    187. 
Petrarca,   F.   227. 
Pfeffel.  Ch.  H.  v.   201. 
Plautus,  M.  A.  214.  216  f. 
Pohl,  J.  E.    165. 
Polo,  M.   181. 


Preufsen,  Friedrich  II.  Königv.  157  ff. 

Eecamier,  J.  F.  J.  A.,  gb.  Bernard  i  SS. 

Rehberg,  A.  W.  206. 

Reichard,  H.  A.  O.    170. 

Reichardt,  J.   F.    172.   206. 

Reichel,  .  .  .    193. 

Remusat,  A.    183. 

Reufs,  F.  A.    164.    166  f. 

Ricci,  M.   I80. 

Richter,  K.  G.  A.  v.   202. 

Riemer,  F.  W.  15.  60.  67.  151.  226  ff. 

Rochlitz,  F.  208.  210 — 213. 

Röderer,  J.   G.  96. 

Rousseau,  J.  J.   144.   173. 

Ruckstuhl,  K.   213. 

Rühle  V.   Lilienstern,  J.   J.   A.   201. 

Rühle,  V.  Lilienstern,   .  .  .  geb.  von 

Frankenberg-Ludwigsdorf.   201. 
Ruland,  K.   71. 
PvUfsland,    Alexander  I.  Kaiser  von. 

II 3  f.    1 20  ff. 

Sachsen  -  Meiningen,  Karl  August 
Prinz  V.    58. 

Sachsen-Weimar,  Anna  Amalie  Her- 
zogin  V.   8. 

Sachsen-Weimar,  Auguste  Prinzefs  v. 
nachmals  Deutsche  Kaiserin.    181. 

Sachsen- Weimar,  Bernhard  Prinz  v. 
201. 

Sachsen  -  Weimar,  Herzog,  später 
Grofsherzog  V.  91.  102.  108.  113. 
120.    167  f.    175  f.   202. 

Sachsen -Weimar,  Louise  Herzogin 
von.   65. 

Sachsen- Weimar,  Maria  Prinzefs  v., 
nachmals  verm.  Prinzefs  v.  Preu- 
fsen.   181. 

Salzmann,  J.   D.   216.   218. 

Sartorius  Freiherr  v.  Waltershausen, 
G.  206. 

Sauer,  A.    130. 

Savary,  A.  J.  M.  R.  Herz.  v.  Ro- 
vigo.   n6. 

Schelling,  F.  W.  J.  v.    162  f. 

Scherer,   W.   229.   231. 

Schiller,  F.  v.  19.  23.  27.  30.  104. 
107.    120  f.    149.  170.    179  f.   188. 

Schlegel,  A.  W.  107.  149.  191.  227. 

Schlegel,  E.  221. 

Schlösser,  R.   64. 

Schlosser,  J.  G.   104. 


Seitenxachweise  ueber  Personen. 


271 


Schmidt,  E.  8.  85.  87. 

Schmidt,  F.  V.  A.   144. 

Schmidt,  G.  F.    131  f. 

Sclimieder,   .   .   .    169. 

Schmitz,  W.    155. 

Scholl,  A.  61. 

Schönemann,  Lilli,  nachmals  verehel. 

V.   Türkheim  45. 
Schönkopf,  A.  K.,  nachmals  verehel. 

Kanne    131. 
Schrödner,   F.  L.    170. 
Schultheis,    Barbara  gb.  Wolf  222. 
Schultz,  Ch.  F.  L.   166. 
Schulze,  C.   73 — So. 
Semasti,  P.  A.  46. 
Seuftert,  B.   64.    140. 
Shakespeare,    W.    S.    34.    55  f.    58. 

99  f.    144.    146  f.    171.   220. 
Simni,  F.  39. 
Sivers,  J.   v.  96. 
Soret  F.    117. 
Soult,  N.   J.  de  Dieu.  Herz.   v.  Dal- 

matien    112.    116. 
Spinoza,  B.    180. 
Sprickmann,   A.   M.   90. 
Stael-Holstein,   A.   L.   G.   Baronin  v. 

gb.   Necker  232. 
Stein,  eil.  Baronin  v.,  gb.  v.  Schardt 

45.  61 — 67.   224  f. 
Steinbart,  S.    155. 
Sternberg,  Kaspar  Graf .  v.    165- 
Stöber,  A    96. 
Sulzer,  J.   G.    154. 
Suphan,   B.    115  ff.   223. 

Tacitus.   C.   C.    113.    120. 
Talleyrand,  Ch.  M.  de,  Fürst  v.  Bene- 
vent   III  — 126. 
Teller,  M.   L.,  gb.   Schuriam   213. 
Thienemann,   F.   A.   I^.    167. 
Tieck,  L.  35.  96.    137  f.  213. 
Toula,  F.   164. 


Trebra,  F.  W.  v.  71  f. 
Truchsefs,  Ch.  Freih.  v.    11  o. 
Türkheim,   .   .   .  v.    loi  f. 

Ueltzen,   H.  W.   F.    151. 

ürlichs,   L.  96. 

Uz,  J.  P.    130.    136. 

Vogel  v.  Vogelstein,   K.   Ch.    72. 

Volkmann,  J.   W.   202. 

Voltaire,  F.  M.  Arouet  de  64.   154. 

Vofs,  H.  206  f. 

Vofs,  J.  H.   148  f.  206. 

Vulpius,  Ch.  A.   1 70  f. 

Wagner,   H.   L.   81 — 99. 

Walch,   M.   s.   Herzlieb. 

Waldberg,  M.   Freih.   v.   96  f. 

Waldner,  A.   v.    loi. 

Waldner,   H.   v.,   s.   Oberkircb. 

Waldner,  J.  v.    loi. 

Wang  Wen,    175  f.    195. 

Weinhold,   K.   96.    105. 

Weifse,   Ch.  F.    130.    145. 

Werner,   F.   L.  Z.   227  ft". 

Wieland,  Ch.  M.  91.  I14.  i2of.  187. 

Willemer,   J.   T.  v.   209. 

Windischmann,   K.  J.    162. 

WinklW   G.   33. 

Winkler,  K.  Th.   202. 

Winter,   G.    108  f. 

Witkowski,   G.    154, 

Wolf,  F.  A.   149. 

Wolzogen,    C.   v.,  gb.   v.   Langefeld 

205. 
Wolzogen,   W.  E.  F.   P'reih.  v.   204. 

Zarncke.  F.   64.   213. 

Zelter,  K.  F.    131.   149.    151. 

Zezschwitz,  .   .  .  v.   7 1 . 

Ziegesar ,    S.v.,    nachmals  verehel. 

Koethe   72. 
Zimmermann,   P.    137  f. 
Zimmermann,   .   .   .    171. 


•  NB.     Irrige  Namenschreibung    im    Text    ist    in    den  Seitennachweiseii 
berichtigt. 


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Goetheschriften 

aus  dem 

Verlage  von  F.  W.  v.  Biedermann  in  Leipzig. 


/^  j  1  /'-^  "1  Herausgeber    'Woldemar    Frei- 

Goethes     Gespräche.      ^err    von    Biedermann.       MU 
-^  sorgfältigen  Registern,  und  Erläu- 

terungen von  Dr.  Otto  Lyon.  lo  Bände  geheftet  50  Mark,  ia  Lnwd. 
gebdn.  Mark  58.50,  in  Halbfranz  gebdn.  70  Mark.  Ein  elfter  Band 
ist  in  Vorbereitung. 

Gustav  von  Loeper  nannte  das  Werk  die  beste  Goethebiographie,  die 
existiert  und  sobald  nicht   wird    übertroffen   werden. 

/^  j  1         p  1  von     Woldemar     Freiherr     von 

G0ethei0rSChUnO;en  Bledermanr.      Neue   Folge.     Mü 

<-^  zwei  Bildnissen  und  zwei  Facsimile. 
Gebunden    12   Mark. 

Enthält  in  anregender  Weise  geschriebene  Aufsätze  zu  verschiedenen  Gebieten 
der  Goetheforschung,  die  —  wie  sich  die  Beurteiler  ausdrücken  —  nicht  nur  für  den 
zünftigen  Goethegelehrten  von  Interesse  sind ,  sondern  sich  an  den  weiteren  Kreis  aller 
Gebildeten  wenden. 

Goethes  Briefwechsel  mit  Frieclr.  Rochlitz. 

Herausgeber  Woldemar  Freiherr  von  Biedermann.  Mit  Bildnis  und 
Handschriftnachbildung.     Brosch.   8  Mk.,   geb.   9  Mk. 

Der  Briefwechsel  mit  dem  gemütvollen  Musik-,  Theater-  und  Romanschriftsteller 
Rochlitz  ist  reich  an  Schönheiten,  welche  jeden  Leser  fesseln.  Rochlitz  war  Goethes  Bericht- 
erstatter und  Vermittler  für  Leipzig.  Das  Buch  bietet  daher  eine  notwendige  Ergänzung 
zu  des  Verfassers  „Goethe  und  Leipzig". 

f^  x1  li*  T^'11      von    Prof.    Dr.     Hermann 

Goethe     und     die     Bibel     nenkel.      Brosch    3     Mk., 

geb.  2  Mk.   50  Pf. 
Weist  Goethes  Verhältnis  zur  Bibel  und  die  Stellen  in  seinen  Werken,  Briefen  und 
Gesprächen  nach,  welche  auf  Bibelstellen  zurückzuführen  sind  oder  darauf  Bezug  haben. 

Goethes  Sprache  und  die  Antike. 

Studien    zum    Einfluss    der   klassischen    Sprachen    auf  Goethes    Stil    von 

Dr.  Carl  Olbrich.     Brosch.  2  Mk. 

Leistet  in  ähnlicher  Weise,  wie  das  Henkeische  Werk,  die  Nachweise  zum 
Griechischen  und  Lateinischen,  obwohl  hier  mehr  das  philologische  Interesse  in  den 
Vordergrund  tritt. 

ersten     Teil    von    Goethes 
von  Georg  Witko'wski. 

Geheftet  2   Mark. 

Weist  die  Entstehung,  Quellen,  dramatische  Entwickelung  und  Bedeutung  der 
„Walpurgisnacht''  nach,  in  welcher  Goethes  Anschauungen  vom  deutschen  Volksaberglauben 
dichterischen  Niederschlag  gefunden  haben. 


Die  Walpurmsnacht  ^isr 

1  <-5  GpVipfi 


r\  ii  O'll  4-4-  I  Mk.  50  Pf.    Bildgrösse  18,5/8  cm. 

uOeine-OiniOUette.       Papiergrosse  45/31  cm.     Stellt  den 

jugendlich  schlanken  Goethe  aus  der 
ersten  Zeit  seines  Weimarer  Aufenthaltes  dar.   Ein  originell  reizvolles  Bild. 


Druck  von  Hesse  &  Becker  in  Leipzig. 


„läüäisSiaaeL.