Skip to main content

Full text of "Goethe's briefweehsel mit einem kinde. Seinem denkmal"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 























Beguest or 
Pror. Max Wınkuer 




















4 


“ u 


Du u 








Goethe's 
Briefwechſel mit einem Kinde. 





Seinem Benkmal. 





Drei Theile. 


— { 





1 


no. 


“ 











Armin, Basen (bnmtane) um 


Gocthe’s 
Briefwejfel mit einem Kinde. 


Seinem Denkmal. 


Vierte Auflage. 
Heransgegeben 
von 


Herman Grimm. 





Berlin, 1890. 
Verlag von Wilhelm Hertz 
Geſſerſche Buchhandlung). 


‚v,# 
> 


r 
un 
Pam 90 57 





J—— 
— 


—1 


2 SI >26 2 


Dorrede 
zur dritten Auflage. 


— 


Die vorliegende dritte Auflage dieſes Buches iſt nichts als 
ber Wiederabdruck der zweiten von Bettina ſelbſt noch bejorgten*). 


“ Indem ich.bei der Correctur jedoch die erfte ſtets verglich, bin 
ih in einigen unbebeutenven Kleinigkeiten bier und da auf 


biefe zurüdgegangen. Das Honorar wird zur Hälfte dem Ber- 
liner Goethemonumente zu Gute fommen, (da8 Buch erfüllt fo 
nach langen Jahren noch zum heil den Zwed, dem es urjprüng- 
lich gewibmet war,) die andere Hälfte foll ven Anfang eines 
Fonds bilden, aus dem vielleicht einmal zum Andenken an Achim 
von Arnim etwas unternommen werben kann. 

Sch drude dem Buche die kurze Lebensgeſchichte Bettina’s 
vor, welche ich, ohne ihre jegige Verwendung im Auge zu haben, 
für den erjten Jahrgang des Goethejahrbuches verfaßt hatte. 
Sie ſchien mir geeignet, den Leſer in bie VBerhältniffe einzufüh- 
ren, unter denen das Buch entjtand, Zeiten und Menſchen ver: 
gehen: es bedarf, was ber einen Generation eben noch das Be— 
fanntefte und Verſtändlichſte war, für bie folgende oft ſchon 
ber Erklärung. Und wie weit liegen die Zeiten ſchon zurüd, 


in denen Bettina lebte. Nie tft mir die Wahrheit des Verſes: 


*) Berlin, 1837. Bei verfchiedenen Buchhänblern, deren Succeifion 
feftzuftellen mir nicht gelang. 


VI 





„Ihr naht euch wieder ſchwankende Geſtalten“, ſo klar geweſen 
als nun, wo die Herausgabe dieſes Buches als Pflicht mir 
zufällt. Niemand iſt mehr da, der mir die Ehre dieſer Arbeit 
ſtreitig zu machen hätte. Die Zahl derer, mit denen ich mich 
in den erſten Jahren nach ihrem Tode an Bettina erinnern 
konnte, iſt geringer und geringer geworden. Vor zwanzig 
Jahren kam noch der alte Klein, der als Faktor ber Tro⸗ 
witziſchen Buchdruckerei an dem Drude der erſten Auflage (deren 
„ungriſche Lettern“ Bettina's Lieblingsfchrift waren) mit Kath 
und That betheiligt geweien war, in hohem Alter morgens 
mandmal zu uns, um fein Srühftüd einzunehmen und von 
vergangenen Zeiten zu reden. Auf unferen Reifen gehörte es 
nicht zu den GSeltenheiten, daß Leute und anvebeten, die in 
ihrer Iugend in Bettina's Hanfe geweſen waren und die num 
von Erinnerung überftrömend ihre Dankbarkeit ausfprachen. Das 
hat nun fast aufgehört. Soweit fie noch leben, werden auch 
fie jet für das Buch eintreten, das als eine Neuigfeit wieder 
erfcheint. Seien diejenigen, die von den alten Freunden noch) 
übrig find und die den großen Eindruck, den Goethe's Brief- 
wechfel mit einem Kinde bei feinem Erſcheinen machte, miter- 
lebt haben, herzlich gegrüßt, und fei er denen freundlich an's 
Herz gelegt, die ihn jett zum erftenmale Tennen lernen. 


Berlin, im Auguft 1881. 


Herman Grimm. 


Seite 

Bettina von Arnim. . 2 2 2 22 nr. IX 
Briefwechiel. Erſter Theil - - 22220 . 1 
Zweiter Theil. - © > 2 2 22 . 211 


Tagebuch. Dritter Theil. - 2 > 22 2 a2 een 401 





00 





— — 





Bettina von Arnim. 


Bettina tft den 4. April 1785 zu Frankfurt a. M. geboren. Ste 
verbeirathete fih mit Achim von Arnim 1811 in Berlin. Ihr „Brief: 
wechfel Goethe's mit einem Kinde“ erſchien 1835. Ihr Todestag ift 
der 20. Januar 1859. 

Ihrem Briefwechfel mit Goethe geht der mit ihrem Bruder Ele- 
mens Brentano und der mit der Stiftsdame Garoline von Günderode 
vorauf. In den drei Büchern iſt Die Gefchichte ver Kindheit und Jugend 
Bettina's enthalten. Aus diefen Zeiten erzählte fie am liebften und 
lebendigſten. Ihre Mutter war Marimiliane von La Roche, die Goethe 
jo reizend befchreibt, wie fie auf der Grenze der Kindheit noch in ihrer 
Mutter Haufe ihm zuerft entgegentrat, und die ihm als junge Frau in 
Frankfurt dann fo theuer war. Marimilianens Geſtalt lieferte die 
legten Züge für Werthers Lotte, und ihr Mann, Bettina's Vater, die 
legten Accente zum unbehaglichen Albert des Romanes. Sie war 
Brentano's zweite Frau, der nad) ihrem frühen Zope ſelbſt bald ftarb. 
Biele Brüder und Schweftern, alle durch Schönheit und Geift aus- 
gezeichnet und in der Befonverheit ihres Weſens ſich felber am meiften 
verftändlich, bildeten eng aneinandergekettet num eine große Familie, 
in deren Kreis Alles was ihnen durch Verwandtſchaft oder Freundſchaft 
näher trat, bineingezogen wurde. Das alte Familienhaus, der Goldne 
Kopf in der Sandgaſſe zu Frankfurt, blieb die Centralftätte dieſer 
republifanifchen Gemeinfhaft, innerhalb deren Bettina's Natur fich 
ungezwungen entfaltete. 

Bettina's und ihrer Gefchwifter Element war das „perfünliche 
Erlebnig". Der Moment erfüllt fie ganz, und zugleich der Drang die 
Dinge nieverzufchreiben. Bettina's Briefe find eine fortlaufende Ehro- 
nit, Nicht anders die ihres Bruders Clemens, der in noch höherem 


XII 


Maaße als fie das Zufällige des täglichen Lebens erfaßte und geftal- 
tete. Lebenskraft und unverwüſtliche Friſche begünftigten dieſe Sehnfucht, 
die Welt von immer neuen Seiten kennen zu lernen. Bettina war nie 
krank, nie, bis auf die allerlegten Lebensjahre, auch nur leivend, nicht 
einmal befier oder ſchlechter aufgelegt, was doch fonft das allgemeine 
Loos iſt. Es lag etwas Siegreiches in ihr. Völliges Vertrauen befeelte 
fie, daß Alles auf gutem Wege fei. Verkehr mit Menſchen und leb⸗ 
baftes Betreiben einer bedeutenden Angelegenheit waren ihr unentbehr- 
lich. Überall fühlte fie fi zu Haufe. Bon Kind auf war fie daran 
gewöhnt, unterwegs zu fein. Wir finden fie am Main, am Rhein, in 
Baiern, Defterreih, Thüringen, immer an jedem Orte von Freunden 
oder Verwandten umgeben. 

Diefen Zuftand ihres Mäpchenlebens hat Bettina ihr Lebelang 
al8 den eigentlihen realen angejehen. Die Zukunft mußte ihr offen 
ftehen,, wenn ihr wohl fein follte. Das öffentliche Dafein, in das ihre 
Tugend fiel, begünftigte diefe Weltanfhauung. Die alten Formen 
brachen in Deutfchland zufammen. Friſche Talente tauchten überall 
auf, ohne durch Parteien gedämpft over in Beſchlag genommen und 
von der eigenthümlichen Bahn abgelenkt zu werben. Jeder ging ruhig 
die eigenen Wege damals, nur das große Ziel war ihnen allen ge⸗ 
meinfam. Dichtung, Philologie, Naturwiſſenſchaften, Philojophie und 
Politik bildeten das allgemeine Meer, auf dem jeder feinen Kurs fuchte, 
jever aber die Segel der Übrigen doch ſtets im Auge hatte. Lauter 
jugendlihe Kräfte, ohne Rüdblid auf das Vergangne, vielmehr in 
der ungeheuren Erwartung ftet8 befangen was der nächte Tag denn 
bringen werde. Jetzt, wo ich meines Vaters und Onkels Jugendbriefe 
leje, empfinde ich recht, wie Damals alle Bergangenheit verſchwunden 
ſchien und alles Heil nur im Zulünftigen lag. Bettina's Loos war, 
den Beiten unter denen die fo dachten und in dieſem Geifte arbeiteten, 
ganz nahe zu ſtehen, bei Einigen bis in die Werkftätten ihres Geiftes 
einzubringen. Goethe’8 und Beethovens Briefe an fie, deren ächte Form 
wir num ja kennen, zeigen wie ernfthaft beive Männer Bettina nahmen. 
Ernft war die Signatur jener Zeiten. Bettina befaß die Kraft, die 








XIII 


Gedanken der Epoche in fi aufzunehmen und durch unabläffiges 
Studium nad vielen Richtungen in fi zu entwideln. Den Abſchluß 
ihres jugendlichen Strebens bildete ihr Verkehr mit Goethe, für den 
fie wohl vorbereitet war. 

Nach Berlin gelangte fie mit Savigny, der an die neue Univer- 
jität berufen worden war. Savigny's Frau war Bettina's Schwelter. 
Auch Clemens Brentano ging dorthin. Er war fieben Jahre älter als 
Bettina und gleich ihr feit Langen Jahren ſchon mit Achim von Arnim eng 
befreundet. Unter den Briefen Arnims an meinen Bater und Onfel 
(deren Herausgabe ich vorbereite) tft ficherlich der der ſchönſte, in dem 
feine Hochzeit mit Bettina gejchilvdert wird. Wenn mein Vater von 
Arnim ſprach, ſchlug er einen eigenen feierlihen Zon an. Es war als 
trete Arnim ihm innen vor die Augen. Arnim und Goethe waren feine 
höchſten Erinnerungen. Große Talente die zu früh fterben, haben etwas 
Heiliges. Auch in Arnims Natur lag das Siegreiche, Freudige, Unbe- 
laftete das Bettina eigen war, nur in anderer Ausprägung. Bettina 
hatte füpliches Naturel, dunkles Haar und dunkle Augen, fie ging los 
auf die Dinge und fuchte fie fi zu Willen zu formen; Arnim war 
mehr eine nordifhe Natur und eher zurüdhaltend. Er war für das 
Landleben geſchaffen. Er war der ächte preußifche Edelmann. Wo er 
eingetreten ſei, hörte ich erzählen, da ſei e8 gewejen, als träte ein guter 
Seift ein. Eine gewiffe Atmofphäre von Vornehmheit und Freudigkeit 
habe ihn umgeben, die fich ven Andern mitgetheilt. Er war ſchön, ge 
fällig, und frei und Fühn und einfach in feiner Seele. Sein Styl hat 
alle diefe Eigenfchaften. Kein größerer Contraft, als der zwiſchen ihm 
und Clemens Brentano in ihrer Correſpondenz bervortritt. Arnims 
Namen umgiebt auch in der Literaturgefchichte ein eigener Ölanz, aber 
jeine Werke find wenig befannt und das Beſte darin zu wenig von dem 
weniger gelungenen unterſchieden. 

Als Bettina jo nah Norddeutſchland kam, bereiteten fich Die 
Kämpfe gegen Napoleon erſt vor und das Leben hatte auch in Berlin 
etwas Erregted. Die Kämpfe traten dann ein und wurden ſiegreich 
durchgeführt. Auch der Siegesjubel aber verraufchte endlih und nun’ 


XIV 


wurde es ſtill und ftiller in Deutſchland. Bon den unendlichen Hoff- 
nungen, die man Jahre lang gehegt hatte und deren fihere Erfüllung die 
Freiheitskriege zu beftätigen ſchienen, war nichts geblieben. 1820 fchon 
ſprach Goethe von dem Gefühle ver „abjoluten Werthloſigkeit ver 
Gegenwart“. Bettina fing num erft an, ſich völlig im neuen Reben ein« 
zumohnen. Ihre Kinder umgaben fie und lange Zeit brachte fie mit 
ihnen in der Einſamkeit des märkiſchen Landlebens zu. Ste erzählte 
wenig aus biejen ftillen Jahren. In fie fällt als das Wichtigfte der 
Verkehr mit Schletermadher, der ihre Söhne confirmirte und mit dem 
fie inhaltreihe Briefe gewechſelt Hat, Die noch ungedruckt daliegen. 
Bettina war gerade zu der Zeit ihrer Verheirathung mit Önethe 
auseinander gefommen. Sie war mit Arnim nach Weimar gegangen und 
hatte e8 dort ſcharf gegen Goethe's Frau verfehlt. Ich habe noch 
Briefe von Arnims Hand an Riemer, in denen er wenigftend eine 
Zufammenkunft mit Goethe zu erreichen ſtrebte. Diefer aber zog ſich 
zurüd. Die alte Intimität war aufgehoben und Bettina ımd Arnim 
empfanven den Berluft ſchmerzlich. Zu natürlich, daß beider Gedanken 
Immer wieder zu Övethe zurüdtehrten. Anfang der zwanziger Jahre 
wurde in Frankfurt der Gedanke gefaßt, Goethe in feiner Baterftabt 
ein Denkmal zu ſetzen. In Boiſſeree's Briefen, jowie in Rauchs Leben 
von Eggers find viele Details darüber zu lefen. Auf den legten Seiten 
des „Tagebuches“ (das den dritten Theil des Briefwechſels mit einem 
Kinde bilvet) erzählt Bettina, wie jet die Zeichnung des Goethe-Mo- 
numents entfland, welche fie jelber dann Goethe nach Weimar bradıte. 
Sie wollte zeigen, wie er ihr von Anfang an erfchtenen jet. Durch 
Jahre zog fi die Sache hin, für die Arnim mit demſelben Eifer wie 
fie jeldft eintrat. Arnim ftarb 1831 und im folgenden Jahre Goethe. 
Der Kanzler von Müller fandte Bettina ihre Briefe aus Goethe's 
Nachlaſſe wieder zu. Der Gedanke fam über fie, Goethe in ihrer 
Weiſe dad Monument nun zu errichten, das man in Marmor nit hatte 
ausführen wollen. Ihre Zeihnung follte das erfte Blatt des Brief- 
wechſels mit einem Kinde bilden, dem Titel gegenüber auf dem ſich die 
Wiomung „Seinem Denkmal“ findet. Doppelt vereinfamt fand Bettina 





XV 





in der Arbeit an dieſem Buche die Thätigleit, deren ſie bedurfte. Ueber 
den alten Briefen erwachten die fernen Jugendzeiten in ihrer Seele. 
Was fie Goethe hatte ſchreiben und jagen wollen, ohne es ausgefprochen 
zu baben, und zugleich, was er felber, ihren Gedanken nad, hätte 
fchreiben können, follte nachträglich num gejagt werden. Die Früchte 
follten reifer und füßer an den Zweigen hängen als früher und bie 
Zweige nun ſich herabneigen um fie pflüden zu lafien. Aus dieſer 
Stimmung heraus entftand dieſes einzige Buch, von dem Meuſebach 
am Schlufje jener Recenfion mit Recht fagte, e8 werde Mühe haben 
fi) der Unfterblichleit zu entreißen. 

Bei jedem Menjhen, wenn er an feine Jugend denkt, fitt Die 
Phantafie am Webftuhl wie Penelope, immer die alten Fäden wieder 
aus dem Gewebe ziehend um ein neues daraus zu weben. Auch die 
eractefte Erinnerung, wenn fie die Dinge zufammenfaßt, wird die 
Fäden zu einem Gewebe verbinden und etwas wie ein Kunſtwerk zu 
Stande bringen. Goethe hat das Nothwendige und Natürliche dieſes 
Procefies in Dichtung und Wahrheit anerkannt. 

Bedenken wir die Art des Antheild den Bettina gerade an dieſem 
Werke gehabt hat. Sie erzählte Goethe das Märchen ferner früheften 
Kindheit, wie feine Mutter e8 ihr erzählt, zugleich aber Doch wie fie 
felber e8 dann wieder geftaltet hatte, und Goethe, ver das wohl wußte, 
war begterig auf diefe Briefe, und wenn wir vergleichen wie er fie be- 
nutzte, ſehen wir wie Bettina vielleicht den Ton zuerft angelchlagen 
hat, in dem er felber dann von fi zu erzählen anhub. Aus dem 
gleichen Gefühl, Das Exlebte zu dem erft zu geftalten, was es hätte 
fein follen, hat Bettina zu fchreiben begonnen. Nie wurde von ihr in 
Abrede geftellt, wie jehr fie da8 Buch, in dem fie ihre Correſpondenz 
mit Goethe zum Träger ver Geſchichte ihrer Jugend machte, nur als 
ein Kunſtwerk anjehe. Sie ſprach unbefangen von dem was fie zuge 
feßt hätte und daß fie Goethe niemals leidenſchaftlich geliebt habe. 
(Man lefe darüber den von Dr. Wendeler fürzlich edirten Briefwechfel 
Meuſebachs mit meinem Bater und Onkel, ein Buch, Das über Bettina 
in umfangreihen Maaße neues Material bringt, fowie die Vorrede 


xVI 


Dr. von Loepers zu dem von ihm herausgegebenen Briefwechjel 
Sophiens von Ya Roche mit Goethe.) 

Ziehen wir nun aber in Betracht, was die Achten Briefe Goethe's 
an Bettina (welche Loeper, foweit fte zu erlangen waren, mit denen 
an Sophie von La Roche zum Abdrude gebracht hat) enthalten. „Deine 
Briefe,” ſchreibt Goethe an Bettina im Mai 1810, ehe er nad) Karls⸗ 
bad ging, „wandern mit mir und follen mir dort Dein freunpliches, 
liebevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr fage ich nicht, denn eigent- 
lich kann man Div nichts geben, weil Du Dir alles entweder ſchaffſt 
oder nimmft. Xebe wohl und gedenke mein.“ Der Brief war mit einem 
Heinen Amor verfiegelt. Weder von Goethe noch von Bettina wurde 
damals dieſes Symbol ernftlich genommen; gerade jo betrachtet aber: 
wieviel faft väterlich zu nennende Liebe liegt in Goethe's Worten nicht, 
und wie viel Gleichftellendes! Wir haben heute ein umfangreiches 
Material an Briefen zur Vergleihung defien was Goethe überhaupt 
brieflich gelagt hat: wen gegenüber, feit den Zeiten der rau von 
Stein, gefteht Goethe „daß er nichts geben könne?“ Er erfannte ven 
innern Reichthum Bettina's an und verlieh ihr das Recht, fich ihm 
auf's innigfte verwandt zu fühlen. Mehr nicht. Die Leidenfchaft vie 
Bettina’8 Briefe erfüllt, fpielte nicht zwiſchen dem wirklichen Goethe 
und ihr wie fie fich einft begegnet waren, fondern zwifchen dem Goethe 
den fie in ihrem „Briefwechfel Goethe's mit einem Kinde“ neu aufbaute, 
und ihr felber auch in nachträglicher neuer Schöpfung. 

Wir willen, wie Goethe beim Dichten des Werther in Gefühle 
ſich verſetzte Lotten gegenüber, die er längft nicht mehr hegte, vielleicht 
nie in folder Stärke gehegt hatte. Er dichtete was hätte fein können. 
Seine Phantafie brauchte damals etwa ein Jahr um fo weit zu fom- 
men, Bettina hatte über zwanzig Jahre diefe Dinge mit ſich herumge⸗ 
tragen, die ſich endlich nun auszufprechen Gelegenheit varbot. Ihr 
war in viel höherem Maaße als Goethe verliehen, das Erlebte zum 
Mythus umzuformen und nie Erlebtes zu erzählen als ob es ſich er- 
eignet babe. So ftarf beſaß fie dieſe Gabe, daß mitten im Erleben 
brin die Begebenheiten oft bichterifche Geftalt bei ihr annehmen. Schon 





Vo 





in ihrer Großmutter Sophie von La Roche hatte das gelegen. Dieje 
aber erbuldet mehr was ihr begegnet, Bettina faßt das Leben mit küh⸗ 
nerer Machtvolllommenheit. Site läßt Goethe Gedichte an fie richten, 
bie nicht für fle gebichtet waren; fie läßt ihn Dinge thun und fagen, die 
nicht von ihm gethan umd gejagt worden find; fie erinnert ſich Scenen, 
bie fie bejchreibt und die doch nur geträumt wurden. Aber wie jhön 
und glaubwürdig ift dieſer Goethe gefaltet, den fie vor und erfcheinen 
läßt! Geben wir zu, daß auch der Clemens des ‚ Frühlingskranzes“, 
daß ihre Günberove, daß ihre Frau Rath zum Theil Schöpfungen 
der Phantafie feien: mit welcher Kraft, und Licht und Schatten find 
diefe Figuren nicht von ihr mobellivt worden! Wir erfahren endlich 
nun aus Wendelers Buche, der Menſebachs Bericht darüber mittheilt, 
auf welche mißverſtandene mündliche Aeußerung Goethe's hin Bettina 
fi mit Suleifa identificirte. Ihr Verfahren ift nicht viel fühner hier 
als das Goethe's felber war, über den Marianne von Willemer bei 
mir klagte, er habe ein Element von Leidenſchaft in die an fie gerich- 
teten Gedichte des Divan nachträglich hineingebracht, das ihrem bei- 
derjeitigen Verkehr fremd geweſen fei. 

Bettina fland im fünfzigften Jahr als ihr Bud, erſchien. Sie 
war jeit Jahren nun ſchon die auf ihrer großen Familie beruhende , in 
Berlin völlig. eingewurzelte Frau, von ihren Kindern und einer glän- 
zenden Freundſchaft und VBerwandtichaft umgeben. Ihr neuer Ruhm 
fam wie ein Srühlingsregen, über Nacht auf fie herab. Die Begeifte 
rung die fie anregte, ging weit über Deutfchland hinaus. Wie von 
ſelbſt verftand fih nun, daß dieſe Arbeit nur bie erfte fei, und erwar- 
tet wurde was nadfolgen würde. Die , Günderode“ fand ſchon eine 
fefte Gemeinde. Diejes Buch war eben erfchienen ala mein Vater und 
Onkel 1841 nad Berlin berufen wurden. 

Sie gehören beide zu Bettina’s älteften Freunden. Ich felbft 
hatte Bettina von Kind auf als eine ganz nahe Verwandte höherer 
Ordnung angeſehen, eine Art Doppelgängerin meiner Mutter, wie ich 
meinen Onfel Jacob, ber ſtets bei ung gelebt hatte, als den Doppel. 
gänger meines Vaters anfah. Ohne Bettina’s energifches Dazuthun 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. b 


xviii 


(man vergleiche auch hierfür die von Wendeler abgedruckten Briefe 
Bettina's) wären wir wahrſcheinlich nie nach Berlin gelangt. Ich be- 
trachtete ihr Haus als eine Filiale des unfrigen und habe fie von 1841 
bis zu ihrem Tode, ſoweit nicht Reifen dazwiſchen traten, täglich ge- 
fehen. Ich würde nie ausfprechen können, wieviel ich ihr verdanke, oder 
den Reichthum deſſen aufzuzählen vermögen, was ich in ihrem Haufe 
erlebt und gelernt babe. | 

Die vierziger Jahre waren die lebte Blüthe des perjönlichen. 
Verkehres, auf dem das .öffentliche Leben bis zur Umwälzung von 48, 
und auch dann immer noch eine Reihe Jahre weiter, in Berlin berubte. 
Die ängftlich herrſchende Cenſur machte e8 unmöglich, in Zeitungen die 
Dinge ebenbürtig zu behandeln, die alle Welt bewegten. Bettina hat 
nie mit Zeitungen zu thun gehabt; was fie ſchrieb erſchien als Bud. 
Sie durfte das Vorrecht beanſpruchen, manches zu jagen, was Anderen 
verwehrt war. Bettina und Alexander von Humboldt waren die vor⸗ 
nehmften Vertreter diefer privaten Deffentlichleitt. Man glaubte, fte 
wüßten mehr von Dingen die fich vorbereiteten, und es fländen ihnen 
Wege offen, die Anderen verjchlofien waren. Wer etwas erringen 
wollte, freie Bahn verlangte, fi) verfannt fühlte, wandte fih an fie. 
Biele Sendungen diejes Inhalts babe ih Jahr aus Jahr ein bei ihr 
einlaufen ſehen. Bettina und Humboldt befaßen vie Gabe, in unbe- 
beutenderen Naturen ein plöglich aufleuchtenves Feuer anzufachen und 
fie über ihr gewöhnliches Niveau hinauszuheben. 

Bon Jugend auf hatte Bettina fi als den natürlichen Anwalt 
derer betrachtet, Die unglüdlich waren. Ihre Briefe find voll davon. Ver⸗ 
laſſene, traurige Menſchen hatten magnetische Kraft ihr gegenüber und 
fie gab ftet8 mit vollen Händen. Dem Triebe, den Untervrüdten bei- 
zuftehen, entiprangen die politifchen Ideen, die in ihren fpäteren Jahren 
bei ihr immer ftärfer hervortraten. Sie kehrte auch darin zu den Ge⸗ 
danfen ihrer Jugendzeit zurüd. Site hatte als Kind die franzöftiche 
Revolution beinahe noch miterlebt, welche in den vierziger Jahren bei 
und als die Schöpfungsepoche der modernen Freiheit gefeiert wurde. 
Mit Ehrfurcht betrachtete man wieder dieſe Kämpfe und erfehnte einen 








XIX 


Mirabeau für Deutfhland. Das was heute Politif genannt wird, in« 
tereffirte Bettina nur wenig. Der Schwerpunft ihres Buches, deſſen 
Titel Die Zueignung „Dies Buch gehört vem König“ bildete, und deſſen 
Erſcheinen das größte Auffehen machte, lag in nichts, das fidh irgend- 
wie in Paragraphen hätte bringen laſſen. 

Im Jahre einunddreißig, als die Cholera zuerft in Berlin er- 
ihien, hatte Bettina ſich unerfchroden der Nothleidenden und Kranten 
angenommen. Bon daher datirte ihre Fühlung mit dem „Volfe*. Bon 
den Berliner Arbeitern ausgehend, die nicht zu arbeiten und zu efjen 
hatten, gelarigte fie zu dem Gedanken, die ganze Nation, ohne politi- 
hen eigenen Willen damals, als krank und hülfsbedürftig anzufehen. 
Es waren die Zeiten, in denen Deutfchland fo gern mit Hamlet ver- 
glihen wurde. Ihre Vorſchläge zu helfen bildete Bettina aus dieſen 
Geſichtspunkten heraus. Heute ift das Buch nur noch ein Zeugniß für 
ihren edlen Willen und für die durchdringende Verwirrung der Be- 
griffe, die der Mangel gefunden öffentlichen Lebens bet ung erzeugt 
hatte. Dies Werk war ihr letztes, welches Auffehen erregte. Mit vem 
Jahre 1848 war Bettina's Laufbahn in diefer Richtung geſchloſſen. 
Ihre „Geſpräche mit Dämonen“ (1852) fanden faum noch ein Publi- 
tum. Das Schöne für Bettina’8 lette Jahre war, daß dieſer Um⸗ 
ſchwung weder plößlich eintrat, noch daß er fie verlegte oder überhaupt 
nur fih al8 eine Entbehrung bei ihr fühlbar machte. | 

“  Biele energifche Naturen, die ein höheres Alter erreichen, fehen 
wir endlich neuen Zuftänden und Generationen gegenüber, die fie nicht 
mehr verftehen. Sie vereinfamen und ziehen fich mit Bitterkeit in die 
Betrachtung des Vergangenen zurüd. Bettina ift dies erfpart geblieben. 
Ihr Geiſt war fo reich, ihre Interefien umfaßten jo viel, daß ihr ge— 
nug Domänen blieben auf die fie fih zurüdziehen konnte. Bis zulegt 
hat fie hoffnungsvoll und begierig neuen Ereigniffen und Erlebnifjen 
entgegengejehen. Sie hatte immer zu jchreiben. Neben ihren eignen 
Werten nahm die Herausgabe der Werke Arnims fie in Anfprud. 
MWenn mir ihr Bild recht lebhaft auffteigt, erblicde ich fie ftill an ihrem 
Schreibtiſche figend. Jeder Buchftabe ihrer Handſchrift war deutlich, 

b* 


x 





ausgefchrieben und energiſch. Sie ſchrieb unaufhörlich wieder ab was 
ihr nicht gefiel, bis es die Leichtigfeit Des Styles empfing, als ſei e8 
flüchtig nur fo Hingefchrieben worden. Ihr Styl in den raſchgeſchrie⸗ 
benen Briefen ift von viel ſchwererem Gefüge als der in ihren Büchern. 
Sie las ununterbrochen, neuere Ritteratur wie ältere Claſſiker. Goethe, 
Shakeſpeare und die griechiſchen Tragiker am liebften. Das Buch 
deſſen Styl fie am meiften bewunberte, war Hölperlind Hyperion. 
Bon Jugend auf hegte fie eine Vorliebe für Hölverlin. Als die neue 
Ausgabe feiner Werke von Schwab erfchten, wurde dieſe Liebe neu 
lebendig. Sie nahm uns das Buch fort und gab e8 nich? wieder her. 
Ein Buch lag ſtets auf ihrem Tiſche in Dem fie oft las und das ic) 
noch bei Niemand anders jah: Klingerd „Betrachtungen und Ge⸗ 
danken”. 

In früheren Jahren zeichnete Bettina viel und gewann fo das 
ſcharfe Auge für die bildende Kunft, in deren Beurtheilung fie ganz 
fiher war. In der fpäteren Zeit hatte das mufifalifche Interefje neben 
dem Schreiben das Uebergewicht. Beethoven ftand ihr am höchſten. 
Bon ihren eigenen Compofltionen, die heute wohl Niemand mehr kennt, 
rübrte mich immer am tiefften die der Worte Fauſts: „DO ſchaudre 
nicht“; in Joachims Biolinconcert findet fich eines ihrer Motive. 

Es erfcheint mir felber feltfam, daß fi aus ven unendlichen Er- 
lebnifjen in Bettinens Nähe kaum ein einziges darbietet, daß fih rund 
erzählen ließe um zu zeigen wie man mit ihr lebte. Ich habe gefunden, 
daß es unmöglic war, denen die fie nicht fannten, eine Idee ihrer 
Perfünlichleit zu geben. Wie fol man die Macht eines Menſchen be⸗ 
ichreiben, jeden Moment inhaltreidh zu machen ven man mit ihm zu⸗ 
bringt? Die Anziehungsfraft, der Niemand widerſtand? Die Gabe, 
vor allen Dingen, die Gefühle jüngerer Leute zu begreifen und auf fie 
einzumirten? Sie brachte Licht in die Menſchen und machte fie froh 
und zutraulich. Die weldhe Bettina noch gelannt haben, würden jo 
wenig wie ich darftellen können worin das lag was fie bejeelte, und 
werben dennod auch heute noch, gleich mir, dies Element in jeiner 
ganzen Stärke nadhempfinden. Man müßte von dem Reichthum ar 








XXI 


Bildern reden, die ihr beim Sprechen zuftrömten, von ihrer Kunft, 
neue Seiten der Dinge aufzufinden, und von ähnlichen, das doch 
immer nur Nebenfadhe wäre. Ich babe gefunden, daß bei Naturen 
erften Ranges darin der legte Grund ihrer belebenden Anziehungsfraft 
liegt, daß fie den Werth des Dafeins ſtärker empfinden, daß fie die 
Wichtigkeit der großen Gedanken, für die die Menſchheit da ift, 
immer vor Augen haben und felbft in den der Erholung gewinmeten 
Momenten ftil daran weiter arbeiten. Das Höchfte ift Doc, fih an 
dieſen Gedanken, ſei e8 auch nur im geringen Maaße, aber ernfthaft 
immerhin betheiligt zu wiffen. Und dazu fheint man zu gelangen im 
Verkehr mit ſolchen Naturen. 

Eine Erinnerung kehrte mir befonvers oft wieder. 

Anfang der fünfziger Jahre war Bettina mit ven Ihrigen auf 
der Rückkehr von einer längeren Reife nah Weimar gelangt und id) 
ging ihr dahin entgegen. E8 war im Oktober. Ich fand fie im Ele 
fanten am Markte, dem alten claffifchen Wirthshauſe, deſſen erften 
Stod fie inne hatte. Ich weiß noch wie ih Abends beim Dunkelwerden 
in ihr Zimmer trat, in dem noch fein Licht brannte. Es waren allerlei 
Leute darin, mit denen ich befannt gemacht wurde ohne fie zu fehen. 
Dann wurde Mufit gemacht. Ich hörte damals zum erftenmale eine 
Biolinfonate Beethoven! zum Klavier. Ich ſaß fill in meiner Ede. 
Das Gefühl des Wieverfehens derer zu Denen ich mich rechnen durfte, 
und bieleife einjchleichenve, entzückende Muſik bilveten ein Element das 
mid wie in eine neue Welt verfegte. Weimar war immer noch die 
Reſidenz Goethe's und fein Schatten ſchien Dort noch umher zu gehen. 

Am andern Morgen um 6 Uhr Elopite Bettina an meine Thür. 
Wir gingen durch den Park, die Ilm entlang. Die bewegten, gelbeu 
Dlätter ver Bappeln waren in den Spigen nur von der Sonne be- 
ſchienen, unten lagen fie noch in feudhtem Schatten. Wir kamen auf 
den fchmalen Wegen bis zu Goethe's Gartenhaus. Alles einfam. Die 
Heinen dunklen Läden des Haufes geſchloſſen, auch die Gartenthüre feft 
zu. Neben ihr aber war die Hede durchbrochen und wir drängten und 
fo in den Garten hinein. Auf den Wegen Iag dichtes Laub, gelbes, 


XXII 


rothes, braunes, oder geſprenkelt die Farben durcheinander. Unendliche 
Zeit ſchien Niemand hier geweſen zu ſein, denn die Zweige der Bäume 
waren tief über die Wege hinübergewachſen. Hinter dem Hauſe ſtand 
eine halbzerbrochene Bank. Hier ſetzten wir uns. Der Boden war mit 
aufrecht geftellten Heinen Flußkieſeln gepflaſtert, zwiſchen denen Moos 
aufquoll, Bettina erzählte mir, wie Goethe ihr hier einmal erzählt 
habe, daß er manchmal die Nacht hier im Freien zugebracht, und wenn 
er aufgewacht ſei hätten die Sterne ſo ſchön durch die Zweige geſchienen. 
Wir ſtreiften dann durch das welke naſſe Gras um das Haus herum, 
auf das die Sonne nun zu ſcheinen begann. Es wuchſen Wein und 
Roſen an Spalieren die weißen Kalkwände empor, hier und da hielt 
das Holzwerk nicht mehr und hing ſammt dem Rankenwuchs daran 
frei herab als wollte es von der Wand abbrechen. Wir entdeckten neben 
abgeblühten Roſen da noch einige reife Trauben mit verfaulten Beeren 
zwiſchen den guten, die Niemand abpflücken zu wollen ſchien. Bettina 
nahm einige davon in ihr Taſchentuch. Ich ſehe die Zweige noch im 
Morgenwinde zittern, nach denen Bettina hinauf griff um fie herabzu⸗ 
ziehen und die Trauben zu erreichen. 

Sie war damals nicht weit von fiebzig Jahren, aber nod) im 
Belize ihrer vollen Kraft und Gewandtheit. Sie ſprach von Goethe 
ohne im mindeften, wie ältere Leute meift thun, mit einem Schimmer 
von Wehmuth fi in Die vergangene Zeit zurüdzuverfegen. ‘Die Ge⸗ 
genwart entzückte fie, Die fie noch genießen durfte. 

Bettina jah nod in Weimar Steinhäufers colofjale Ausführung 
ihres Goethe⸗Monumentes, das heute im Weimaraner Mufeum in 
wenig günftiger Weiſe aufgeftellt, die Zeit etwartet wo e8 einen befie- 
ren Play erhalten wird. Mit Wihmanns Hülfe war von ihr felbit 
die plaftiihe Skizze ausgeführt worden. Unter fo Vielem was zu 
Goethe's monumentaler Berherrlichung verſucht worden ift, ſcheint mir 
Bettina’ Entwurf allein die Verkörperung deſſen zu enthalten was 
Goethe in der zweiten Hälfte feines Lebens feiner Zeit war. Die völ- 
lige Ausführung des Werkes, für das die Öruppe Goethe's mit dem 
Genius an feinen Knieen, der in die Seiten feiner Leier greift, nur 





XXIII 


die krönende Spitze bilden ſollte, nahm Bettina's Gedanken in ihren 
letzten Lebensjahren zumeiſt in Anſpruch. Steinhäuſer kam nach Ber⸗ 
lin, wohnte bei ihr und von beiden zuſammen wurde das Ganze auf⸗ 
gebaut. Im Gypsmodell ftand das Denkmal im großen Saale ihrer 
Wohnung „hinter den Zelten“ (das Haus ift längſt verſchwunden) und 
fie hatte unaufhörlih daran zu befjern. Immer nene Pläne wurden 
gefchmiedet, die Mittel dafür zu ſchaffen. Nichts hörte Bettina lieber 
in den allerlegten Zeiten, al8 wenn ic) ihr ausmalte, wie wir alle nad) 
Rom reifen und die Ausführung des Monumentes dort überwachen 
wollten. Schwach und nicht mehr recht im Stande zu gehen, ließ fie 
fi manchmal zu der Arbeit führen, hielt fich mit ven Händen an dem 
Gerüfte, auf dem das Modell aufgebaut war, und betrachtete e8, lang⸗ 
ſam berumgehend, von allen Seiten. 

Neben diefem Monumente ftand ihr Sarg, ehe er nach Wiepers⸗ 
dorf geführt wurde. Die Ihrigen waren alle vorausgegangen um ihn 
dort in Empfang zu nehmen. Ich war ganz allein im großen Saale. 
Es lag da eim Haufen Lorbeerfränze und lange Laubgewinde, die ich 
“ um den Sarg nagelte. 

Ich. kann nicht jagen, daß ich mir bewußt fei, Bettina jett in dem 
was ich bier in ihrer Erinnerung fage, nachträglich eine legte Rede 
zu halten. Die Gefinnung wäre wohl natürlich, aber nach den über 
zwanzig Jahren, die feit ihrem Tode nun verftrichen find, käme die 
nachträgliche VBerherrlihung etwas fpät. Auch ift nach einer Zeit des 
Nichtverſtehens längſt die wahre Schägung ihrer Perjünlichkeit wieder 
eingetreten, welche jeit Dr. von Loepers furzer Vita in der Dentfchen 
Biographie wohl allgemein durchgedrungen ift. Wie alle Menſchen bat 
Bettina ihre Schwächen gehabt und es würde fein Grund vorliegen, 
darüber zu ſchweigen, wenn irgend Entſcheidendes in ihrem Leben da- 
mit zufammenbinge. Allein die Darftellung ihres Wefens verlangt e8 
nicht, meinem Urtheil nah. Alles was mir von Erinnerungen an fie 
auffteigt ift freudiger, freundlicher Natur. Immer fehe ich fie vor mir 
als mit ganz bedeutenden Dingen beſchäftigt. Nicht einen Moment 
wüßte ich aufzufinden, wo ich fie kleinlich oder für den eigenen Bortheil 


“on. r 


XXIV 


bemüht geſehen hätte. Sie gleicht Goethe darin in meinen Augen, bei 
dem auch jede Handlung von dem gleichen Lichte innerer Erleuchtung, 
die aus ihm herausftrömend die Dinge um ihn her anftrahlte, be- 
ſchienen war. 

Nur von wenigen vomehmen Geiftern bat das zu allen Zeiten 
gefagt werben können. 


Berlin, Oftern 1880. 


G 


3. ©. 





Soethe’s Briefwechfel 


mit 


einem Rinde, 


Seinem Denkmal. 


Drei Theile, 


Dem Fürſten Pückler. 


Haben fie von Deinen Fehlen 

Immer viel erzählt, 

Und fürwahr, fie zu erzählen 

Bielfach fi) gequält. 

Hätten fie von Deinem Guten 

Freundlich Dir erzählt, 

Mit verftändig treuen Winten 

Wie man Beſſ'res wählt; 

D gewiß! das Allerbefte 

Blieb uns nicht verhehlt, 

Das fürwahr nur wenig Gäfte 

In der Klaufe zählt. — 
(Weröftliher Divan. Bud der Betrachtung.) 


E⸗. iſt kein Geſchenk des Zufalls oder der Laune, was Ihnen 
hier dargebracht wird. Aus wohlüberlegten Gründen und mit 
freudigem Herzen biete ich Ihnen an, das Beſte was ich zu 
geben vermag. ALS Zeichen meines Dankes für das Vertrauen 
was Sie mir fchenten. 

Die Menge ift nicht dazu geeignet, die Wahrheit ſondern 
nur den Schein zu prüfen; den geheimen Wegen einer tiefen 
Natur nachzufpüren, das Näthfelhafte in ihr aufzulöſen ift ihr 
verfagt, fie fpricht nur ihre Täuſchungen aus, erzeugt hartnädige 
Vorurtheile gegen beffere Überzeugung, und beraubt den Geift 
der Freiheit das vom Gewöhnlichen Abweichende in feiner Eigen- 


XVII 


thümlichkeit anzuerkennen. In folchen Verwirrungen waren auch 
meine Anfihten von Ihnen verjtridt, währen? Sie aus eigner 
Bewegung, jedes verkleinernde Urtbeil über mich abweifend mir 
freundlich zutrauten: „Sie würden Herz und Geift durch mid 
bereichern können,“ wie fehr hat mich dies beſchämt! — Die Ein- 
fachheit Ihrer Anfichten, Ihrer fich ſelbſtbeſchauenden felbftbilden- 
ben Natur, Ihr leifer Takt für fremde Stimmung, Ihr treffendes 
fertiges Sprachorgan; finnbildlich vieldentig in melodiſchem Styl 
innere Betrachtung wie äußere Gegenftände barftellend, dieſe 
Naturkunft Ihres Geiftes, alles hat mich vielfältig über Sie 
zurecht gewiejen, und mich mit jenem höheren Geift in Ihnen 
befannt gemacht, ver fo manche Ihrer Äußerungen idealiſch 
parodirt. 
Einmal ſchrieben Sie mir: „Wer meinen Park ſieht, 
der ſieht in mein Herz.“ — Es war im vorigen Jahr in 
der Mitte September, daß ich am frühen Morgen, wo eben die 
Sonne ihre Strahlen ausbreitete in dieſen Park eintrat; es war 
große Stille in der ganzen Natur, reinliche Wege leiteten mich 
zwiſchen friſchen Raſenplätzen, auf denen bie einzelnen Blumen- 
büſche noch zu ſchlafen ſchienen; bald kamen geſchäftige Hände 
ihrer zu pflegen, die Blätter, die der Morgenwind abgeſchüttelt 
hatte, wurden geſammelt und die verwirrten Zweige geordnet; ich 
ging noch weiter an verſchiedenen Tagen und zu verſchiedenen 
Stunden nach allen Richtungen, ſo weit ich kam fand ich die— 
ſelbe Sorgfalt und eine friedliche Anmuth, die ſich über alles 
verbreitete. So entwickelt und pflegt der Liebende den Geiſt 
und die Schönheit des Geliebten, wie Sie hier ein anvertrautes 
Erbtheil der Natur pflegen. Gern will ich glauben, daß dies 








XXX 





der Spiegel Ihres tiefjten Herzens fei, da e8 fo viel Schönes 
befagt; gern will ich glauben, daß das einfache Vertrauen zu 
Ihnen nicht minder gepflegt und gejchüßt fei als jede einzelne 
Pflanze Ihres Parks. Dort hab ich Ihnen auch aus meinen 
Briefen und dem Tagebuch an Goethe vworgelejen, Sie haben 
gern zugehört, ich gebe fie Ihnen jet hin, befchügen Sie dieſe 
Blätter wie jene Pflanzen, und fo treten Sie abermals hier 
zwifchen mich und das Vorurtheil derer, die ſchon jet noch eb 
fie es kennen dies Buch als unecht verdammen und fich felbit 
um die Wahrheit betrügen. 

Laffen Sie uns einanter gut gefinnt bleiben, was wir auch 
für Fehler und Verſtoße in den Augen Anderer haben mögen, 
bie uns nicht in demſelben Lichte fehen, wir wollen die Zuver- 
ficht zu einer höheren Ipealität, die fo weit alle zufällige Ver- 
Ichuldungen und Mißverftänpniffe und alle angenommene und 
herkömmliche Tugend überragt, nicht aufgeben. Wir wollen die 
mannigfaltigen eblen Veranlaffungen, Beveutungen und Intereſſe 
veritanden und geliebt zu werben nicht verläugnen, ob andre es 
auch nicht begreifen, fo mag es ihnen ein Räthfel bleiben. 


Im Auguft 1834. 
Bettina Arnim. 


Dorrede, 


u 


Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die 
Böden. 

Während ich beichäftigt war dieſe Papiere für den Drud 
zu oronen, hat man mich vielfältig bereden wollen manches au®- 
zulaffen oder anders zu wenden, weil e8 Anlaß geben fünne zu 
Mißventungen. Ich merkte aber bald, man mag nur da guten 
Rath annehmen wo er der eignen Neigung nicht widerſpricht. 
Unter den vielen Rathgebern war nur einer, deſſen Rath mir 
gefiel; er fagte: „Dies Buch ift für die Guten und nicht für 
bie Böſen; nur böfe Menſchen können es ühel ausbeuten, laffen 
Sie alles ftehen wie es ift, das giebt dem Buch feinen Werth 
und Ihnen kann man auch nur Dank willen, daß Sie das Zu⸗ 
trauen haben, man werbe nicht mißbeuten, was der gute Menſch 
nie mißverftehen Tann.“ — Diejer Rath leuchtete mir ein, er 
kam von dem Factor der Buchdruderei von Trowitzſch und Sohn, 
Herrn Klein, derſelbe, ver mir Drud und Papier beforgte, 
DOrthographiefehler corrigirte, Komma und Punkt zurecht rüdte, 
und bei meinem wenigen Verftand in biefen Sachen viel Geduld 
bewies. Diefe feine ausgefprochne Meinung beftärfte mich darin, 





xxxI 





daß ich ven böfen Propheten und den ängftlichen Anfichten ver 
Rathgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg diefes Rathes 
ausfallen mag, ich free mich feiner, da er unbezweifelt von den 
Guten als ver edelſte anerkannt wird, die es nicht zugeben 
werben, daß tie Wahrheit eines freudigen Gewiſſens ſich vor 
den Auslegungen der Böſen flüchte. — 

Auch dem Herren Kanzler von Müller in Weimar fage ich 
Dank, daß er auf meine Bitte fich bemühte, troß dem Drang 
feiner Gefchäfte, meine Briefe aus Goethes umfaſſenden Nachlaß 
hervor zu fuchen, es find jett achtzehn Monate, daß ich fie in 
Händen habe; er ſchrieb mir damals: „So kehre denn dieſer 
„unberührte Schat von Liebe und Treue zu der reichen Quelle 
„„urüd von der er ausgeftrömt! Aber eins mölhte ich mir zum 
„Lohn meiner gemefinen Vollziehung Ihres Wunſches und Wil- 
„lens, wie meiner Enthaltfamkeit doch von Ihrer Freundſchaft 
„ausbitten. — Schenken Sie mir irgend ein Blatt aus biejer 
„ohne Zweifel lebenswärmften Correfponvenz; ich werde e8 heilig 
„aufbewahren, nicht zeigen noch copiven laffen, aber mich zu- 
„weilen dabei ftilf erfreuen, erbauen oder betrüben, je nachdem 
„der Inhalt fein wird; immerhin werde ich ein zweifach liebes 
„Andenken, einen Tropfen gleichjam Ihres Herzbluts, das dem 
„größten und herrlichiten Menfchen zuftrömte daran befigen.” — 
Sch habe biefe Bitte nicht befriebigt, denn ich war zu eiferfüchtig 
auf diefe Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Theilnahme 
geſchenkt hatte, fie find meiftens von feiner Hand corrigirt, 
jowohl Orthographie als auch bie und da Wortftellung, manches 
ift mit Röthel unterftrichen, anderes wieder mit Bleiftift, manches 
ift eingeflammert, anderes ift durchſtrichen. — Da ich ihn nad 
längerer Zeit wieder fah, öffnete er ein Schubfach worin meine 
Briefe lagen, und ſagte: „Ich lefe alle Tage darin.“ Da- 
mals erregten mir dieſe Worte einen leifen Schauer. ALS ich 


XxxUuU 





jegt diefe Briefe wieber las, mit diefen Spuren feiner Hand, 
da empfand ich denſelben Schauer, und ich hätte mich nicht Leicht. 
ih von einem der geringjten Blätter trennen mögen. Ich habe 
alfo die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen über- 
gangen aber nicht undankbar vergeffen; möge ihm ver Gebrauch, 
ben ich davon gemacht babe, beides meinen Dank und meine 
Rechtfertigung beweifen. 


Goethes Briefwechjiel 


mit 


einem Rinde, 


— 


ů ôô6»⸗ 5-⸗ 


Erſter Theil. 


Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 


Briefwechfel mit Goethe's Mutter. 


INN INININS" 


Ciebſte frau Rath. 
Am 1. März 1807. 


%: warte ſchon lange auf eine befonvere Beranlafjung, um ven 
Eingang in unfere Eorrefpondenz zu machen. Seitdem id aus Ihrem 
Abrahamsſchooß, als dem Hafen fliller Erwartung, abgefeegelt bin, 
hat der Sturmwimd no immer den Athem angehalten, und das 
Einerleileben hat mich wie ein ſchleichend Fieber um die fchöne 
Zeit gebracht. Wie fehr bejammere ich die angenehme Ausficht 
die ich auf der Schawell zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den 
Knopf des Katharienthurms, noch auf die Feuereſſe der rußigen 
Cyklopen die den goldnen Brunnen bewachen; nein! vie Ausſicht in 
Ihren vieljagenden feurigen Blic, der ausipricht was der Mund nicht 
fagen kann. — Sch bin zwar bier mitten auf dem Markt der Aben- 
theuer, aber das köſtliche Net in dem mich Ihre mütterliche Begeiftrung 
eingefangen, macht mic, gleichgültig für alle. Neben mir an, Thür an 
Thür, wohnt der Adjutant des Königs; er hat rothes Haar, große 
blaue Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderſtehlich hält, ver ift 
er jelber. Borige Nacht wedte er mich mit feiner Flöte aus einem 
Zraum den ich für mein Leben gern weiter geträumt hätte, am andern 
Tag bedankt ich mich daß er mir noch jo fromm den Abendſegen vor- 
geblafen babe, er glaubte es jet mein Ernft und fagte ich ſei eine 

1* 


4 


Betſchweſter, ſeitdem nennen mich alle Tranzofen jo, und wundern ſich 
daß ich mich nicht Darüber ärgere; — ich kann aber doch die Franzoſen 
gut leiden. 

Geftern iſt mir ein Abentheuer begegnet. Ich kam vom Spazier- 
gang und fand ven Rothſchild vor der Thür mit einem ſchönen 
Schimmel; er fagte: es fei ein Thier wie ein Lamm, und ob ih 
mich nicht drauffegen wolle? — ich Tieß mich gar nicht bitten, kaum 
war ich aufgeftiegen, fo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem 
Galopp mit mir die Wilhelmshöher- Allee hinauf, eben fo kehrte es 
wieder um. Alle kamen tobtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb 
plöglich ftehen und ich ſprang ab, num ſprachen alle von ihrem ge- 
habten Schred; — id fragte: „was tft denn paſſirt?“ — „Ei, der 
Saul ift ja mit Ihnen durchgegangen!“ — „So!“ fagt ich „das hab 
ih nicht gewußt." — Rothſchild wifchte mit feinem ſeidnen Schnupf- 
tuch dem Pferde ven Schweiß ab, legte ihm feinen Überrod auf ven 
Rüden, damit es fich nicht erfälten folle, und führte e8 in Hempärmel 
nah Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu jehen. — 
Wie ih am Abend in die Geſellſchaft kam nannten mich Die Franzofen 
nicht mehr Betſchweſter, fie riefen alle einftimmig ah 1’heroine | 

»Leb Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch 
über mid; verbreitet fich ein wenig dieſe Gewalt. Ein gar ſchöner (ja 
ich müßte blind fein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker 
brauner Franzofe fieht mich aus weiter Verne mit ſcharfen Bliden an, 
er nabt fich bejcheiven, er bewahrt die Blume die meiner Hand ent- 
fällt, er ſpricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt 
einem das? — ich thue zwar fehr Talt und ungläubig wenn man in⸗ 
deſſen in, meiner Nähe jagt le roi vient, fo befällt mich immer em 
Heiner Schreck, denn fo heißt mein liebenswürbiger Verehrer. 

Ich wünſche Ihr eine gute Nacht, ſchreib' Sie mir. bald wieder. 

Bettine. 








Goethe's Mutter an Bettine. 
Am 14. März 1807. 

Ich habe mir meine Fever friſch abknipſen laſſen und das ver- 
trodnete Tintenfaß bis oben vollgegofjen, und weil e8 denn heute fo 
abſcheulich Wetter ift dag man feinen Hund vor die Thür jagt, fo 
folft Du auch gleich eine Antwort haben. Liebe Bettine, ich vermiſſe 
Dich jehr in der böfen Winterzeit, wie bift Du doch im vorigen Jahr 
fo vergnügt dahergejprungen kommen? — wenn's kreuz und quer 
ſchneite da wußt ich das war fo ein recht Wetter für Dich, ich braucht 
nicht lange zu warten jo warft Du da. Jetzt gud ich auch immer noch 
aus alter Gewohnheit nach der Ede von der Katharinenpfort, aber 
Du kommſt nicht, und weil ich das ganz gewiß weiß jo kümmert's 
mid. Es kommen Bifiten genug, das find aber nur fo Leuteviſiten 
mit denen ich nichts ſchwätzen kann. 

Die Franzoſen Hab ih auch gern, — das iſt immer ein ganz 
ander Xeben wenn die franzöfiide Einguartirung hier auf dem Plat 
ihr Brod und Fleiſch ausgetheilt kriegt, als wenn die preußiſche oder 
heſſiſche Holzböck einrüden. 

Ich hab recht meine Freud gehabt am Napoleon, wie ich den ge⸗ 
ſehen hab; er iſt doch einmal derjenige der der ganzen Welt den 
Traum vorzaubert, und dafür können ſich die Menſchen bedanken, 
denn wenn ſie nicht träumten ſo hätten ſie auch nichts davon und 
ſchliefen wie die Säck wie's die ganze Zeit gegangen iſt. 

Amũſire Dich recht gut und ſei luſtig denn wer lat, ann feine 
Todſünd thun. 

Deine Freundin 
Eliſabeth Goethe. 


Nach dem Wolfgang frägſt Du gar nicht; ich hab Dir's ja 
immer geſagt: wart nur bis einmal ein andrer kommt, ſo wirſt Du 


ſchon nicht mehr nach ihm ſeufzen. 





frau Kath. 
Am 20. März 1807. 

Geh Sie doch mit Ihren Vorwürfen; — das antwort id Ihr 
auf Ihre Nachſchrift und fonft nichts. 

Jetzt rath Sie einmal was der Schneider für mich macht. Ein 
Andrieng? — Nein! Eine Kontufhet — Nein! Einen Joppel? — 
Nein! Eine Mantillet — Nein! Ein paar Bojhen? — Nein! 
Einen Reifrock? — Nein! Einen Schlepprod? — Nein! Ein paar 
Hofen? — Ja! — Vivat — jest kommen andre Zeiten angerüdt, — 
und auch eine Wefte und ein Überrod dazu. Morgen wird alles an⸗ 
probirt, e8 wird ſchon fien denn ich hab mir alles bequem und weit 
beftellt, und dann werf ih mich in eine Chaife und reife Tag und 
Nacht Courier durch die ganzen Armeen zwiſchen Feind und Freund 
dur; ale Feſtungen thun ſich vor mir auf und fo geht's fort bis 
Berlin, wo einige Geſchäfte abgemacht werden vie mich nichts angehn. 
Aber dann geht's eilig zurüd und wird nicht eher Halt gemacht bis 
Weimar. D Frau Rath, wie wird's denn dort ausſehen? — mir 
Hopft das Herz gewaltig, obſchon ich noch bis zu Ende April reifen 
kann ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auch Muth genug 
haben fi ihm Hinzugeben? — ift mir's doch als ftänd er eben vor 
der Thür! — Alle Adern Hopfen mir im Kopf; ach wär ich doch bei 
Ihr! — das allein könnt mich ruhig machen, daß id ſäh wie Sie 
auch vor Freud außer fi wär, oder wollt mir einer einen Schlaftrunt 
geben daß ich jchlief bis ich bei ihm erwachte. Was werd ich ihm 
fangen? — ad, nicht wahr er ift nicht hochmüthig? — von Ihr werb 
ih ihm auch alles erzählen, das wirb er doc gewiß gern hören. 
Adten, leb Sie wohl und wünſch Sie mir im Herzen eine glüdliche 
Ref. Ich bin ganz ſchwindlich. 
| Bettine. 


Aber Das muß ih Ihr doch noch jagen wie's gefommen: ilt. 
Mein Schwager kam und fagte, wenn ich feine Frau überreden könne 
in Männerlleivern mit ihm eine weite Gejhäftsreife zu machen, fo 





7 
wolle er mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb über 
Weimar gehen. Denk Sie doch, Weimar ſchien mir immer ſo ent⸗ 
fernt als wenn es in einem andern Welttheil läg und nun iſt's vor 
der Thür. 


Ciebe frau Rath. 
Am 5. Mai 1807. 

Eine Schachtel wird Ihr mit dem Poſtwagen zukommen beſte 
Tran Mutter, darin ſich eine Tafle befindet, es iſt das ſehnlichſte 
Berlangen Ste wieder zır fehen was mich treibt Ihr ſolche unwürdige 
Zeichen meiner Verehrung zu ſenden. Thue Sie mir den Gefallen 
Ihren Thee früh morgens d'raus zu trinlen, und denf Sie meiner 
dabei. — Ein Schelm giebt's befier als er’3 hat, 

Den Wolfgang hab ich endlich geſehen; aber ach was hilft's? 
Mein Herz ift gejchwellt wie das volle Segel eines Schiff's das feſt 
vom Anker gehalten ift am fremden Boden, und doch jo gern im's 
Baterland zurüd möchte. 

Adien meine liebe gute Frau Mutter, halt Sie mid lieb. 

Bettine Brentano. 


Goethe’s Mutter an Bettine. 
| Am 11. Mai 1807. 
Was läßt Du die Flügel Hängen? Nach einer fo ſchönen Reife 
ſchreibſt Du einen jo kurzen Brief, und ſchreibſt nichts von meinem 
Sohn als daß Du ihn gejehen haft; das hab ich auch fhon gewußt 
und er hat mir's geftern gefchrieben. Was hab id von Deinem 
geanterten Schiff? pa weiß ich ſo viel wie nichts. Schreib doch was 


8 





paffirt if. Denk doch daß ich ihn acht Jahre nicht gefehen hab, und 
ihn vielleicht nie wieder jeh, wenn Du mir nichts von ihm erzählen 
wilft, wer fol mir dann erzählen? — hab ich nicht Deine alberne 
Geſchichten hundertmal angehört, die ich auswendig weiß, und num, 
wo Du etwas Neues erfahren haft, etwas Einziges, wo Du weißt, 
daß Du mir die größte Freud machen könnteſt, da fchreibft Du nichts. 
Tehlt Dir denn was? — es ift ja nicht über's Meer bis. nach Weimar. 
Du haft ja jetzt felbft erfahren, daß man dort fein Tann, bi8 die Sonne 
zweimal aufgeht. — Bift Du traurig? — Liebe, Tiebe Tochter, mein 
Sohn fol Dein Freund fein, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt, 
und Du folft mich Mutter heißen in Zukunft für alle Täg die mein 
Ipätes Alter noch zählt, es ift ja doch der einzige Name der mein 
Glück umfaßt. 
Deine treue Freundin 
Elifabeth Goethe. 


Bor die Taſſe bedank ich mid. 


An Boethe's Mutter. 

Am 16. Mai 1807. 
Ich hab geftern an Ihren Sohn. gefchrieben; verantwort Sie 
e8 bei ihm. — IK will Ihr auch gern alles ſchreiben aber ich hab 
jegt immer fo viel zu denken, es ift mir faft eine Unmöglichkeit mich 
Ioszureißen, ih bin in Gedanken immer bei ihm; wie fol ich denn 
fagen wie es gewefen iſt? — Hab Sie Nachſicht und Geduld; ich 
will die ander Woch nad Frankfurt kommen, da kann Sie mir alles 

abfragen. 
Ihr Kind 
Bettine. 





9 





Ich lieg ſchon eine Weile im Bett und da treibt mich's heraus 
daß ih Ihr alles ſchreib von unferer Reife. — Ich hab ihr ja ge- 
ſchrieben daß wir in männlicher Kleidung durch die Armeen paffirten. 
Gleich vorm Thor ließ uns der Schwager ausſteigen, er wollte jehen 
wie die Kleidung uns ftehe. Die Lulu ſah fehr gut aus, denn fie ift 
prächtig gewachſen und die Kleidung war ſehr pafjend gemacht; mir 
war aber alled.zu weit und zu lang, als ob ich's auf ven Grempel⸗ 
markt erlauft hätte. Der Schwager lachte über mich und fagte, ich 
fühe aus wie em Savoyardenbube, ih könnte gute Dienfte leiften. 
Der Kuticher hatte ung vom Weg abgefahren durch emen Wald, und 
wie ein Kreuzweg kam da wußt er nit wohinaus; obſchon e8 nur 
der Anfang war von der ganzen vier Wochen langen Reiſe, jo batt 
ih doch Angft, wir lönnten uns verirren und kämen dann zu fpät 
nah Weimar; ich Hettert auf die höchſte Tanne und da fah ich bald, 
wo die Chaufjee lag. Die ganze Reiſe Hab ich anf dem Bock gemacht; 
ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz, der Fuchsſchwanz hing hinten 
herunter. Wenn wir auf die Station famen, ſchirrte Ich die Pferde 
ab und Half aud wieder anfpannen. Mitt den Poftillons ſprach ich 
gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzofe wär. Im Anfang war 
Ihön Wetter, als wollt es Frühling werben, bald wurd es ganz falter 
Winter, wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und 
Tannen, alles bereift, untavelhaft, nicht eine Menſchenſeele war des 
Wegs gefahren der ganz weiß war, noch obendrein ſchien der Mond 
in dieſes verödete Silberparadies, eine Todtenſtille — nur die Räder 
pfiffen von ver Kälte. Ich faß auf den Kutfherfig, und Hatte gar 
nicht kalt; die Winterfält ſchlägt Funken aus mir; — wie's nah an 
die Mitternacht rüdte, da Hörten wir pfeifen im Walde, mein 
Schwager reichte mir ein Piftol aus dem Wagen und fragte, ob ich 
Muth Habe loszuſchießen, wenn die Spisbuben kommen, ich fagte: 
ja, er fagte: ſchießen fie nur nicht zu früh. Die Lulu hatte große 
Angft im Wagen, ich aber unter freiem Himmel mit der gefpannten 
Piltole, ven Säbel umgefhnallt, unzählige funkelnde Sterne über 
mir, die bligenden Bäume, die ihren Rieſenſchatten auf den breiten 


10 





mondbeſchienenen Weg warfen, — das alles machte mid kühn auf 
meinem erhabenen Sit. — Da dacht ih an ihn, wenn der mich in 
feinen Iugendjahren fo begegnet hätte, ob das nicht einen poetifchen 
Eindrud auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mid, ge- 
macht hätte und mich nimmermehr vergeffen. Jetzt mag er anders 
denken, — er wird erhaben fein über einen magiſchen Eindruck; 
höhere Eigenfhaften (wie ſoll ich die erwerben?) werben ein Recht 
über ihn behaupten. Wenn nicht Treue, — ewige, an feine Schwelle 
gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in jener Falten hellen 
Winternacht geftimmt, in der ich feine Gelegenheit fand mein Gewehr 
loszuſchießen, erft wie der Tag anbrach erhielt ih Erlaubniß loszu⸗ 
drüden; ver Wagen hielt und ich Tief in den Wald und ſchoß im die 
dichte Einfamkeit Ihrem Sohn zu Ehren mutbig los, indeſſen war 
die Are gebroden; wir fällten einen Baum mit dem Beil das wir 
bet uns hatten, und Inebelten ihn mit Striden feft; da fand denn 
mein Schwager daß ich fehr anftellig war, und lobte mich. So ging's 
fort 618 Magdeburg; präcis fieben Uhr Abends wird die Feſtung ge- 
Iperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bi8 den andern 
Morgen um fieben halten; e8 war nit jehr kalt, die beiven im 
Wagen ſchliefen. In der Nacht fing's an zu fohneten, ich hatte ven 
Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig figen auf meinem 
freien Sig, am Morgen gudten fie aus dem Wagen, da hatte ich 
mid in einen Schneemann verwandelt, aber noch eh fie recht erſchrecken 
fonnten warf ich den Mantel ab unter dem ich recht warm gefeflen 
batte, In Berlin war ich wie ein Blinder unter vielen Menſchen, und 
auch geiſtesabweſend war ich, an nichts konnt ich Theil nehmen, ich 
jehnte mid nur immer nach dem Dunkel, um von nichts zerftreut zu 
fein, um an die Zulunft denken zu können die fo nah gerüdt war. 
Ad wie oft ſchlug es da Alarm! — plöglich, unverjehens, mitten in 
die ſtille Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller als ich's denken 
konnte hatte mich ein ſüßer Schreden erfaßt. O Mutter, Mutter! 
den! Sie an ihren Sohn, wenn Sie wüßte fie follte ihn in kurzer Zeit 
jehen, fie wär auch wie ein Blitableiter, in ven alle Gewitter ein- 





11 





Ihlügen. — Wie wir nur no wenig Meilen von Weimar waren, 
da fagte mein Schwager, er wünſche nicht den Ummeg über Weimar 
zu machen und lieber eine andre Straße zu fahren. Ich ſchwieg ftille, 
aber die Lulu litt es nicht; fie ſagte: „einmal wär” mir's veriprocdhen 
und er müßte mic Wort halten.” — Ah Mutter! — das Schwert 
bing an einem Haar über meinem Haupt, aber ih kam glücklich 
drunter weg. 

In Weimar kamen wir um 12 Uhr an; wir aßen zu Mittag, 
ih aber nicht. Die beiven legten fih auf's Sopha umd ſchliefen; drei 
Nächte hatten wir durchwacht. Sch rathe Ihnen, fagte mein Schwa- 
ger, auch auszuruben; der Goethe wird fich nicht viel draus machen 
ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Beſondres wird auch 
nicht an ihm zu fehen fein. Kann Sie denken, daß mir diefe Rede 
allen Muth benahm? — Ach ich wußte nicht was ich thun follte, ich 
war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders ange- 
Heivet, ih fland am Yenfter und ſah nad) der Thurmuhr, eben fchlug 
e8 halb drei. — Es war mir auch fo, als ob ſich Goethe nichts draus 
machen werde mich zu ſehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute ſtolz 
nennen; ich drückte mein Herz feit zufammen daß es nicht begehren 
ſolle; — auf einmal ſchlug e8 drei Uhr. Und da war's doch auch 
grad als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedien⸗ 
ten, fein Wagen war da, eine Portechaiſe? Nein, jagt ich, das iſt 
eine Eguipage für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein 
wahrer Chocolavenbrei auf der Straße, über den diditen Moraft 
mußte ich mich tragen laſſen, und fo kam ich zu Wieland, nicht zur 
Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie gefehen, ich that als ſey 
ih eine alte Bekanntſchaft von ihm, er befann fi Kin und her und 
fagte: ia, ein lieber befannter Engel find Sie gewiß, aber ih kann 
mich nur nicht befinnen wann und wo ich Ste geſehen habe. Ich ſcherzte 
mit ihm und ſagte: jetzt hab ich's herausgekriegt daß Sie von mir 
träumen, denn anderswo können Sie mich unmöglich geſehen haben. 
Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ihren Sohn geben, ich hab es 
mir nachher mitgenommen und zum Andenken aufbewahrt; und hier 





12 





ſchreib ich's Ihrab. „Bettina Brentano, Sophiens Schwefter, 
Marmilianens Tochter, Sophie Ta Rochens Entelin 
wünſcht Dich zu fehen, I. Br., und giebt vor, fie fürchte fih vor Div, 
und ein Zettelden das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman feyn, 
der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin daß fie nur 
ihren Spaß mit mir treibt, jo muß ich doch thun, was fie haben will, 
und es fol mich wundern, wenn Dir's nicht eben jo wie mir gebt. 
Den 23. April 1807. W.“ 


Mit dieſem Billet ging ich bin, das Haus liegt dem Brunnen 
gegenüber ; wie raufchte mir das Waſſer jo betäubend, — ich fam bie 
einfache Treppe hinauf, in der Mauer ftehen Statuen von Gyps, fie 
gebieten Stille. Zum wenigften ich könnte nicht aut werden auf Die- 
fen heiligen Hausflur. Alles ift freundlich und doch feierlich. In den 
Zimmern tft die höchſte Einfachheit zu Haufe, ad jo einladend! 
Fürchte Dich nicht: fagten mir Die beſcheidnen Wände, er wird kommen 
und wird fein, und nicht mehr fein wollen wie Du, — umd da ging 
die Thür auf und da ftand er feterlich ernft, und ſah mich unver- 
wandten Blickes an; ich firedte Die Hände nach ihm, glaub ih, — 
bald wußt ich nichts mehr, Goethe fing mid raſch auf an fein Herz. 
Armes Kind, Hab ih Sie erfhredt, das waren die erften 
Worte, mit denen feine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich 
in fein Zimmer und feste mich auf den Sopha gegen fi über. Da 
waren wir beide flumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie 
haben wohl im der Zeitung gelefen daß wir einen großen Berluft wor 
wenig Tagen erlitten Haben durch den Tod der Herzogin Amalie. 
Ah! ſagt' ich, ich lefe die Zeitung nicht. — So! — ich habe geglaubt, 
alles intereffire Ste, was in Weimar vorgehe. — Nein, nichts inter- 
eifirt mich al nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in ber 
Zeitung zu blättern. — Sie find ein freundliches Kind. — Lange 
Pauſe — ih auf das fatale Sopha gebanmt, fo ängftlih. Ste weiß 
daß ed mir unmöglich ift, fo wohlerzogen da zu figen. — Ah Mutter! 
Kann man fi ſelbſt fo Aberipringen? — Ich fagte plöglich: hier auf 


13 





dem Sopha kann ich nicht bleiben, und ſprang auf. — Nun! fagte 
er, machen Sie ſich's bequem; num flog ich ihm an den Hals, er zog 
mid auf's Knie und ſchloß mich an's Herz. — Still, ganz ſtill wars, 
alles verging. Ich Hatte fo lange nicht geſchlafen; Jahre waren ver- 
gangen in Sehnſucht nah ihm, — ich ſchlief an feiner Bruſt ein; 
und da ich aufgewacht war, begann ein neues Leben. Und mehr will 
ich Ihr diesmal nicht ſchreiben. 
Bettine, 


September 1807. 

Frau Rath, fo oft mir was Komifches begegnet, jo denk ich an 
Sie, und was das für eim Jubel und für eine Erzählung fein würde, 
wenn Sie es felbft erlebt hätte. Hier, in dem traubenreihen Milde⸗ 
berg fige ich bei meinem Herrn Schwab der ehemals bei unferm Vater 
Schreiber war und ung Kinder alle mit jenen Märchen großgezogen 
hat. Er kann zum wenigiten jo gut erzählen wie Ste, aber er ſchneidet 
auf und verbraucht Juden⸗ und Heidenthum, die entdeckte und unent« 
deckte Welt zur Decoration feiner Abentheuer,; Sie aber bleibt bei der 
Wahrheit, aber mit jo frendigen Ausrufungszeihen, daß man Wunder 
denkt was paffirt ift. Ich Habe das Eichhörnchen, was Sie mir mit- 
gab, im großen Eichenwald ins Freie gejett, e8 war Zeit — die fünf 
Meilen die e8 im Wagen fuhr, hat e8 großen Schaden gemacht, und 
im Wirthshaus hat es über Nacht dem Bürgermeifter die Pantoffel 
zerfrefien. Ich weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr 
nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt, und alle Hauben 
und Toden befhmust hat. Mich hat's gebiflen, aber im Andenken an 
den Schönen ftolzen Franzoſen, der e8 auf feinem Helm vom ſüdlichen 
Frankreich bis nad Frankfurt in ihr Haus gebracht hat, hab ich ihm 
verziehen. Im Wald feste ich's auf die Erbe, wie ich wegging ſprang 
es wieder auf meine Schulter, und wollte von der Freiheit nichts pro⸗ 
fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil mich's lieber 


14 





hatte als die fhönen grünen Eihbäume. Wie ich aber in ven Wagen 
fam, machten die andern fo großen Lärm und fhimpften fo jehr auf 
unfern lieben Stubenkameraden, daß ich's in ven Wald tragen mußte. 
Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir den ſchönſten Eich- 
baum im ganzen Wald und Hetierte hinauf. Da oben ließ ich's aus 
feinem Beutel, — e8 ſprang gleich luſtig von Aft zu Alt und machte 
fih an die Eicheln, unterdefien Hetterte ih binunter. Wie ih unten 
ankam, hatte ich Die Richtung nad dem Wagen verloren, und obſchon 
ih nach mir rufen hörte, konnte ich gar nicht umterfcheiven, wo bie 
Stimmen herkamen. ‚Ich blieb ftehen bis fie herbeilamen, um mich zu 
holen; fte zankten alle auf mich, ich ſchwieg fl, Tegte mich im Wagen 
auf drei Selteröfrüge unten am Boden und fhlief einen herrlichen 
Schlaf, bis bei Mondſchein, wo der Wagen umfiel, ganz fanft, daß 
niemand beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog vom 
Bock und legte fi) am flachen Maiufer in romantifher Unordnung 
grade vor das Mondanlig in Ohnmacht; zwei Schachteln mit Blonden 
und Bändern flogen etwas weiter und ſchwammen ganz anftändig Den 
Main hinab; ich lief nad, immer im Wafler, das jett bei der großen 
Hitze ſehr flach ift, alles rief mir nach ob ich toll ſei, — ich hörte nicht, 
und ich glaub ich wär in Frankfurt wieder mit fanımt den Schachteln 
angefhwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte an dem fie 
Halt machten. Ich padte fie unter beive Arme und fpazirte in den 
Haren Wellen wieder zurüd. Der Bruder Franz fagte: Du bift un- 
finnig Mädchen, und wollte mit feiner fanften Stimme immer zanken; 
ich 30g die nafjen Kleider aus, wurde in einen weichen Mantel gewidelt 
und in den zugemachten Wagen gepadt. — 

In Aſchaffenburg legte man mich mit Gewalt ins Bett und kochte 
mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu trinken, that ich als ob ich feft ſchlafe. 
Da wurde von meinen Verdienſten verhandelt, wie ich doch gar ein zu 
gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligfeit ſei und mich felber nie be 
vente, wie ich gleich ven Schachteln nachgefhwonmen und wenn ich 
die nicht wiebergefilcht hätte, jo würde man morgen nicht haben mit 
der Zotlette fertig werden können, um bei'm Fürft Primas zu Mittag 





15 





zu efien. Ach! fie wußten nicht was ich wußte, — daß nämlich unter 
dem Wuſt von falſchen Loden, von goldnen Kämmen, Blonden, in 
rothſammtner Taſche ein Schag verborgen war, um ben ich beibe 
Schachteln ins Wafler geworfen haben würde mit allen was mein und 
nit mein gehörte, und daß, wenn dieſe nicht drinn geweſen wär fo 
würde ich mich über die Rückfahrt ver Schachteln gefreut haben. In 
dieſer Tafche liegt verborgen ein Veilchenſtrauß, den Ihr Herr Sohn, 
in Weimar in Geſellſchaft bei Wieland, mir heimlich im Vorübergehen 
zuwarf. — Frau Mutter, damals war id) eiferſüchtig auf den Wolf« 
gang und glaubte die Beilhen feien ihm von Frauenhand geſchenkt; 
er aber fagte: kannſt Du nicht zufrieden fein Daß ich fie Dir gebe? — 
ih nahm heimlich feine Hand und zog fie an mein Herz, er trank aus 
jetnem Glas und ftellte e8 wor mich, daß ich auch draus trinken ſollte; 
ih nahm es mit der linken Hand und tranf, und lachte ihn aus, denn 
ih wußte daß er e8 bier Hingeftellt hatte damit ich feine Hand los⸗ 
laſſen ſollte. Er fagte: haft Du ſolche Lift, fo wirft Du auch wohl 
mich zu feffeln willen mein Leben lang. Sch jag Ihr, mad Sie ſich 
nicht breit daß ich Ihr mein beimlichites Herz vertraue; — ih muß 
wohl jemand Haben dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Geſicht hat 
der will e8 im Spiegel fehen, Sie ift der Spiegel meines Glüds, und 
das ift grade jetzt in feiner ſchönſten Blüthe, und da muß e8 denn der 
Spiegel oft in fih aufnehmen, Ich bitte Sie, klatſch Sie ihrem Herrn 
Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich morgen jchreiben kann, und 
nicht erſt eine Gelegenheit abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchen⸗ 
ſtrauß in der Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin, 
wohl eine Biertelftunde lang, fo lang war e8 aber nicht, und daß bie 
Wellen mid wie eine Waſſergöttin vahingetragen haben, — e8 waren 
aber keine Wellen, es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten 
Schachteln bob, und daß mein Gewand aufgebauſcht war um mid 
her wie ein Ballon. Was find denn die NReifröde feiner Jugendlieb⸗ 
haften alle gegen mein dahinſchwimmendes Gewand! fag Sie doch 
nicht Ihr Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchenſtrauß 
ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ mich an die Epoche ver 


16 





empfinpfamen Romane, und komme glüdlich im Werther an, wo ich 
denn gleich die Rotte zur Thür hinauswerfen mödte. Ihr Herr Sohn 
bat einen ſchlechten Geihmad an dem weißen Kleide mit Rojafchleifen. 
Ich will gewiß in meinem Leben kein weißes Gewand anziehen; grün, 
grün find alle meine Kleider. 

Apropos, gud Sie doch einmal hinter ihren Ofenſchirm, wo Sie 
immer die ſchön bemalte Seite gegen die Wand flellt damit Die Some 
ihn nicht ausbleicht; da wird Sie entdecken daß das Eichhörnchen der 
Dfengättin großen Schaden gethan Bat, und daß es ihr das ganze 
Angeficht blaß gemacht hat. Sch wollt Ihr nichts Tagen, weil ich Doch 
das Eichhörnchen gegen Ihren Befehl an den Ofenſchirm gebunden 
hatte, und da fürdtete ih Sie könnte böſ werden, drum hab ich's Ihr 
ſchreiben wollen, damit Sie in meiner Abwejenheit Ihren Zorn kann 
austoben laſſen. Morgen geht's nah Aſchaffenburg, da ſchreib ich 
Ihr mehr. Mein Schawellden foll die Lieschen ausklopfen, damit die 
Motten nicht hineinkommen, laſſe Sie ja feinen andern drauf ſitzen, 
adje Fr. Rath, ich bin ihre unterthänige Magd. — 


An frau Rath Goethe. 


Frau Rath, Sie hat eine recht garflige Hand, eine wahre Katzen⸗ 
pfote, nicht die mit der Sie im Theater Hatjcht, wenn der Schaufpieler 
Werdi wie ein Müllerefel dabertrappft und tragiſches Schidfal ſpielen 
will, nein, jondern die gejchriebene Hand tft häßlich und umleferlich. 
Mir kann Sie zwar immer jo undeutlich wie Ste will ſchreiben daß ich 
ein albernes Ding bin; ich kann's doch leſen, gleih am erften großen A. 
Denn was follte e8 fonft heißen? Sie hat mir's ja oft genug gejagt; 
aber wenn Sie an Ihren Herm Sohn jchreibt, von mir, befleißige Sie 
fi) der Deutlichkett; die milveberger Trauben hab ich noch heraus» 
gekriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben verzeichnet 


— 


—— 


17 





hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll beſtellen, das hätt ich 
auch ohnedem gethan. Der Herr Schlofier hat mir übrigens nichts 
Beſondres in Ihren Brief gefärteben. Ich Tann das auch nicht leiden, 
daß Sie fih die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, 
und ich fag Ihr: laſſe Sie ihn nicht auf meiner Schawelle figen, er tft 
auch fo einer der Laute fpielen will, und glaubt er könne auf meiner 
Schawelle fiten, und Sie au, wenn Ste ihn jo oft fieht, fo bild't Sie 
fih ein er wär befier als ich; Sie hat fo ſchon einmal geglaubt, er 
wär ein wahrer Apoll von Schönheit, bis ih Ihr die Augen aufgethan 
habe, und die Ir. Rath Schlofler hat gejagt, daß wie er neugeboren 
war, fo babe man ihn auf ein grünes Billard gelegt, da babe er fo 
ſchön abgeftohen und habe ausgefehen wie ein glänzender Engel; ift 
denn Abftehen eine io große Schönheit? Adieu, ich fie in einer Haufe 
wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe; ſchreib Ste das nicht 
an Ihren Sohn; das könnte ihm zu toll vorkommen, denn ich felbft, 
wenn ich denke: ich fände meinen Schag im Kuhſtall ſitzen und zärt- 
liche Briefe an mich fchreiben, ich weiß auch nicht wie ich mich beneh⸗ 
men follte. Doc ſitze ich Hier oben aus lauter Verzweiflung und weil 
ich mich verftedt babe, und weil ich allein fein möchte, um an ihn zu 
denken. Adieu Fr. Rath. 

Wir haben geftern bei'm Primas zu Dlittag gegeflen, e8 war 
Faſttag; da waren wunderliche Speifen die Fleiſch vorftellten und doch 
feind waren. Da wir ihm vorgeftellt. wurden, faßte er mid am Finn 
und nannte mic Heiner Engel, liebliches Kind; ich fragte wie alt er 
denn glaubt daß ich ſei, num, zwölf Jahre allenfalls, nein, dreizehn, 
ſagte ih; ja, fagte er, das ift ſchon alt, da müfjen Ste bald regieren. 

(Die Antwort fehlt.) 


Winckel. 
Liebe Fr. Rath! — Alles was ich aufgeſchrieben habe, das 
will ich Ihr vorleſen; Sie kann ſelbſt ſich überzeugen, daß ich nichts 
hinzugeſetzt habe und das blos geſchrieben, was meine Augen Ihr aus 
Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 2 


18 





den Mund gelogen haben, nur das Tann ich nicht begreifen, daß es 
aus Ihrem Mund jo geſcheut lautet und daß meine Feder es fo dumm 
wieder giebt; daß ich nicht fehr Klug bin, davon geb’ ich häufige Be- 
weile. Alſo das kann ich wohl zugeben, daß Sie zu den Leuten jagt, 
Sie wünſcht fie wären alle jo närriſch wie ih; aber fag Sie ja nicht, 
ich jey Hug, ſonſt compromitirt Ste fi, und der Wirth in Kafjel an 
der großen Rheinbrüde kann den Gegenbeweis führen. Es war fo 
langweilig bis unfere ganze Bagage an der Douane unterſucht war, 
ih nahm den Müdenpläticher und verfolgte ein paar Müden, fie ſetz⸗ 
ten fich an die Fenſterſcheiben, ich jchlug zu, die Scheibe flog hinaus, 
und mit ihr die Mücken in die goldene Freiheit, über den großen ftol« 
zen Rhein hinüber, der Wirth fagte, Dad war dumm; und ich war 
ſehr beſchämt. 

Ach Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langenwinkel für ein 
wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur ſein und iſt es auch gewiß, 
ich hab nur keinen Verſtand es zu erkennen. Eh meine Augen hinüber 
auf den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar ſchmutzigen 
Gaſſen in Beſchlag genommen, und von einem langen Feld raupen⸗ 
fräßiger Zwetihen- und Birnenbäume. Aus jedem Gaubloch hängen 
Perlenſchnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber 
gegen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf 
Sinne gehören dazu um etwas in ſeiner Schönheit zu empfinden, und 
wenn auch die ganze Natur noch ſo ſehr entzückend wär und ihr Duft 
führte nicht auch den Beweis, ſo wär der Prozeß verloren. 

Die Orgel klingt auch ganz falſch hier in der Kirche. Man mußte 
von Fr. bis Winckel reiſen um eine ſo grobe Disharmonie zu Ehren 
Gottes aufführen zu hören. 

Leb Sie recht wohl. Bettine. 


| Unfer Kutſcher wird Ihr eine Schachtel mit Pfirfih bringen, 
verderb Sie ſich nicht den Magen, denn der ift nicht göttlich und läßt 
fi leicht verführen. 











19 





Wir waren am letten Donnerstag mit den beiden Schloflers bis 
Lord. Man fuhr auf dem Wafler, Chriftian Schlofier glaubte die 
Waſſerfahrt nicht vertragen zu können und ging den Weg zu Fuß; 
ich ging mit ihm, um ihm die Zeit zu vertreiben, aber ich hab's berent. 
Zum erftien Mal hab ich über ven Wolfgang mit einem andern ge- 
ſprochen wie mit Ihr, und das war eine Sünde. Alles kann ich wohl 
vertragen von ihm zu hören, aber fein Rob und feine Liebe; Sie hat 
Ihren Sohn lieb, und hat ihn geboren, das tft feine Sünde, und ich 
laſſe mir's gefallen: aber mehr nicht; die andern follen nur feine weis 
tere Prätenfionen machen. Sie frägt zwar, ob ich ihn allein gepacht 
babe? — ja, Fr. Rath, darauf kann ih Ihr antworten. Ich glaub 
daß e8 eine Art und Weiſe giebt Semand zu befiten, bie Niemand 
fireitig machen kann; dieſe üb ih an Wolfgang, feiner hat es vor mir 
gefomnt, daß weiß ich, trotz allen feinen Liebſchaften, von denen fie mir 
erzählt. — Bor ihm thu ich zwar fehr demüthig, aber Hinter feinem 
Rüden halte ich ihn feft, und da müßte er ſtark zappeln, wenn er 
los will. ' 

dr. Rath! — Ich kenne die Prinzen und Prinzeffinnen nur aus 
der Zauberwelt der Feenmärchen, und aus Ihren Beſchreibungen, und 
die geben einander nichts nach; dort find zwar die ſchönſten Prinzef- 
finnen in Katzen verwandelt, und gewöhnlich werben fie Durch einen. 
Schneider erlöft nnd geheirathet. Das überleg Sie doch auch, wenn 
Sie wieder ein Märchen erfindet, und geb Ste diefem Umftand eine 
moraliſche Erläuterung. Bettine, 

(Die Antwort fehlt.) 


Ich babe freilich einen Brief vom Wolfgang bier im Rheingau 
erhalten, ex fchreibt: Halte meine Mutter warm und behalte mid 
lieb. Dieſe lieben Zeilen find in mich eingebrungen wie ein erfter 
Frühlingsregen; ich bin ſehr vergnügt, daß er verlangt, ich ſoll ihn Iteb 
behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze Welt umfaßt; ich weiß, 
daß ihn die Menſchen fehen wollen und fprechen, daß ganz Deutſchland 

2* 


20 





fagt: unfer Goethe. Ich aber kann Ihr jagen, daß mir bis heute 
die allgemeine Begeiftrung für feine Größe, für jeinen Namen noch 
nicht aufgegangen iſt. Meine Liebe zu ihm beichränkt ſich auf das 
Stübchen mit weißen Wänden wo ich ihn zuerft gejehen, wo am Fen⸗ 
fter der Weinftod, von feiner Hand geordnet hinaufwächſt, wo er auf 
dem Strohjeflel fitt und mich in feinen Armen hält; da läßt er keinen 
Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nım von mir allein. 
Fran Kath! Sie ift feine Mutter, und Ihr ſag ich's: wie ich ihn zum 
erſten Mal geſehen Hatte, und ich kam nad Haus, da fand ich, daß 
ein Haar von feinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver- 
brannte e8 am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß ed aud in 
Flammen ausſchlug, aber fo heiter, fo Iuftig, wie die Flammen in 
blauer, fonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und Die ohne 
Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's aud gehen: mein Leben 
lang werde ich Iuftig in die Lüfte fladern, und die Leute werden nicht 
wifjen woher ſich dieſe Luft fchreibt; es tft nur, weil ich weiß, daß wenn 
ich zu ihm komme, er allein mit mir fein will und alle Lorbeerkränze 
vergißt. 
Leb Ste wohl und ſchreib Ste ihm von mir. 


Goethe's Mutter an Bettine. 
Frankfurt, am 12. Mai 1808. 

Liebe Bettine, Deine Briefe machen mir Freude, und die Jungfer 
Tischen, die fie ſchon an der Adreſſe erkennt, fagt: Fr. Rath, da bringt 
der Briefträger ein Plaiftr. — Set aber nicht gar zu toll mit meinem 
Sohn, alles muß in feiner Ordnung bleiben. Das braune Zimmer 
ift neu tapezirt mit der Tapete die Du ausgeſucht haft, die Farbe 
miſcht ſich beſonders ſchön mit dem Morgenroth das über'm Katharinen- 
thurm berauffteigt und mir bis in die Stube ſcheint. Geftern ſah unfre 
Stadt recht wie ein Feiertag aus in dem unbefledten Licht der Alba. 





21 





Sonft ift noch alles auf dem alten Tled, Um Deinen Schemmel 
babe feine Notb, die Tiefe leidet's nicht daß jemand drauf ſitzt. 

Schreib recht viel und wenn’ alle Taäg wär, Deiner wohlgeneig- 
ten Freundin Goethe. 


Frau Rath! 
Schlangenbad. 

Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit in's Land hinaus 
über Rauenthal hinweg. Da geht's durch bewaldete Felswege, links 
die Ausſicht in die Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende 
Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr verlockt, daß ich 
ſchier um meinen Poſten gekommen wär, denn mein Eſel iſt der Leit⸗ 
eſel. Weil ich aber immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, 
ſo drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich mußte tauſend 
rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen. Heute ſind's acht Tage, aber 
ich ſchmachte noch danach, die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten 
brennen mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig be- 
reuen wenn ich verjänmte was ich das Necht habe zu geniehen, und 
da braucht Sie nicht zu fürchten daß ich Die Ordnung umftoße. Ich 
häng mich nicht wie Blei an meinen Schag, ich bin wie der Mond ver 
ihm in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da find und die 
vielen Lichter angeziind’t, dann wird er wenig bemerft, wenn die aber 
weg find und das Geräufch ift vorüber, dann hat die Seele um fo 
größere Sehnfucht fern Licht zu trinfen. So wird aud er ſich zu mir 
wenden und meiner gedenken wenn er allein iſt. — Ich bin erzürnt 
über alle Menſchen die mit ihm zu thun haben, doch ifl mir feiner 
gefährlich bei ihm, aber das geht Site alles nichts an. Ich werde doch 
nicht die Mutter fürchten follen, wenn ich den Sohn lieb Hab? — 


22 





An Bettine. 
Frankfurt, am 25. Mai. 

Ei Mädchen, Du bift ja ganz toll, was bild'ſt Du Dir en? — 
Ei, wer ift denn Dein Schaß, der an Dich denken ſoll bei Nacht im 
Mondſchein? — meinft Du der hätt nichts Beſſers zu thun? — ja 
profte Mahlzeit. 

Ih ſag Div no einmal: alles in der Ordnung, und ſchreib 
ordentliche Briefe, in denen was zu leſen ſteht. ‘Dummes Zeug 
nah Weimar ſchreiben; — fchreib was Euch begegnet, alles ordentlich 
hinter einander. Erft wer da ift, und wie Dir jeder gefällt, und was 
jeder an hat, und ob die Sonne ſcheint, oder ob's regnet, das gehört 
auch zur Sad. 

Mein Sohn hat mir's wieder gefchrieben, ich fol Dir ſagen daß 
Du ihm ſchreibſt. Schreib ihm aber orbentlih, Du wirft Dir ſonſt 
das ganze Spiel verderben. 

Am Freitag war ih im Conzert, da wurde Bioloncell geipielt, 
da dacht ih an Di, es Hang fo recht wie Deine braune Augen. 
Adien, Mädchen, Du fehlft überall Deiner Frau Rath. 


frau Rath! 


Ich will Ihr gern den Gefallen thun und einmal einen recht langen 
deutlichen Brief ſchreiben, meinen ganzen Lebensaufenthalt in Windel. 

Erft ein ganzes Haus voll Frauen, kein einziger Mann, nicht 
einmal ein Bedienter. Alle Läden im Hauf find zu, damit ung bie 
Sonne nicht wie unreife Weinftöde behandelt und garkocht. Das 
Stockwerk in dem wir wohnen befteht aus einem großen Saal, an 
das lauter Heine Kabinette ftoßen die auf den Rhein fehen, in deren 
jedem eim Pärchen von unferer Gejellihaft wohnt. Die liebe Marie 
mit den blonden Haaren ift Hausfrau und läßt für uns baden und 








23 





fieven. Morgens kommen wir alle aus unferen Gemächern im Saal 
zufammen. Es ift ein beſondres Plaiftr zu jehen wie einer nad dem 
andern griechiſch brappirt hervorkommt. Der Tag geht vorüber in 
Iaunigem Geſchwätz, dazwiſchen kommen Bruchſtücke von Geſang und 
Harpegge auf der Guitarre. Am Abend |pazieren wir an den Ufern 
des Rheins entlang, da lagern wir und auf dem Zimmerplatz; ich leſe 
den Homer vor, die Bauern kommen alle heran und hören zu; ber 
Mond fteigt zwilchen den Bergen herauf und leuchtet flatt der Sonne. 
In der Gerne liegt das ſchwarze Schiff, da brennt ein Feuer, der 
Heine Spitzhund auf dem Verdeck fchlägt von Zeit zu Zeit an. Wenn 
wir das Buch zu machen, fo tft ein wahres politiiches Verhandeln; 
die Götter gelten nicht mehr und nicht weniger ald andre Staats⸗ 
mädte, und die Meinungen werben fo bitig behauptet, daß man 
denken follte, alles wär geftern gejchehen, und e8 wär mandes noch 
zu ändern. Einen Bortheil hab id) davon: hätt’ ich den Bauern nidjt 
den Homer vorgelejen, jo wüßte ich Heut nod nicht was drinn fteht, 
die Haben mir's durch ihre Bemerkungen und Fragen erft beigebracht. 
— Wemn wir nad) Haufe kommen, fo fteigt einer nad) dem andern 
wenn er müde ift zu Bette. Ich fite dann noch am Klavier, und da 
fallen mir Melodien ein auf denen ich die Lieder die mir lieb find gen 
Himmel trage. Wie ift Natur fo hold und gut. Im Bett richte 
ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb ift, und fo ſchlafe ich ein. 
Sollte das Leben immer fo fortgehen? — gewiß nicht. 

Am Samftag waren die Brüder bier, bis zum Montag. Da 
haben wir die Nächte am Ahein verfhwärmt. George mit der Flöte, 
wir fangen dazu, jo ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende 
Tag nah Haufe trieb. — Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheim⸗ 
ſpiegel in Mondnächten dahingleiten und fingen wie das Herz eben 
aufjauchzt, allerlei Iuftige Abentheuer beftehen in freundlicher Gejell- 
Schaft, ohne Sorge aufftehen, ohne Harm zu Bette gehen, das tft fo 
eine Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum laffe ich mir 
das gefallen? — weiß ich's nicht beſſer? — und iſt die Welt nicht 
groß und mancherlei in ihr, was blos des Menſchengeiſtes harrt um 


24 





in ihm lebendig zu werden? — und foll das alles mic unberührt 
Infien® — Ad Gott das Philifterthum ift eine harte Nuß, nicht leicht 
aufzubeigen, und mander Kern vertrodnet unter dieſer harten Schale. 
Sa der Menſch bat ein Gewiſſen, e8 mahnt ihn er ſoll nichts fürchten, 
und fol nichts verſäumen was das Herz von ihm forvert. Die Lei- 
denſchaft ift ja der einzige Schlüffel zur Welt, durch die lernt der Geift 
alles kennen und fühlen, wie fol ex denn ſonſt in fie hineinkommen? 
— und da fühl ich daß ich durch die Kiebe zu Ihm erſt in den Geift 
geboren bin, daß durch Ihn die Welt fi mir erſt aufichliekt, da mir 
die Sonne ſcheint, und der Tag fi von der Nacht ſcheidet. Was ich 
durch diefe Liebe nicht lerne, das werde ich nie begreifen. Ich wollt 
ich ſäß an feiner Thür, ein armes Bettelkind, und nähm ein Stückchen 
Brod von ihm, und er erfennte dann an meinem Blid weß Geiftes 
Kind ich bin, da zög er mid) an ſich und hüllte mich in feinen Mantel, 
damit ih warm würde. Gewiß er hieß mich nicht wieder gehen, ich 
dürfte fort und fort im Haus herumwandeln, und fo vergingen bie 
Sabre und keiner wüßte wer ic wäre, und niemand wüßte wo ich 
bingelommen wär, und fo vergingen die Jahre und das Leben, und 
in feinem Antlitz fpiegelte fi mir die ganze Welt, ich brauchte nichts 
Andres mehr zu lemen. Warum thu ich's denn nit? — e8 kommt 
ja nur darauf an daß ich Muth fafle, fo kann ich in ven Hafen meines 
Glückes einlaufen. | 

Weiß Sie no wie ich ven Winter durch Schnee und Regen 
geiprungen kam, und Sie fragt, wie läufft Du doc über die Gaſſe, 
und ich fagte, wenn ich die alte Stadt Yrankfurt nicht wie einen 
Hühnerhof traftiven follte, jo würd ich nicht weit in der Welt kommen, 
und da meinte Sie, mir fei gewiß fein Wafler zu tief und fein Berg 
zu hoch; und ich dachte Damals ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte 
Berg und das tieffte Waſſer ift. Jetzt kann ich's Ihr noch befier 
fagen daß mein Herz ſchwer tft und bleiben wird, fo lang ich nicht bei 
ihm bin, und dag mag Ste nun in der Ordnung finden oder nicht. 

Adieu leb Ste recht wohl. Ich werd nächſtens bei Ihr ange- 
rutſcht kommen. 








25 





An Boethe’s Mutter. 


Windel am 12, Inni. 

Ein Brief von Ihr macht immer groß Auffehen unter den 
Leuten; die möchten gern willen was wir uns zu jagen haben, da ih 
ihnen jo unklug vorlomme. Sie kann getroft glauben, ich werd aud 
nie Hug werden. Wie fol id Klugheit erwerben, mein einfamer 
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab ich dies Jahr erlebt? — Im 
Winter war ich krank; dann macht ih ein Schattenfpiel von Pappen- 
dedel, da hatten die Kate und der Ritter die Hauptrollen, da hab 
ih nah an ſechs Wochen die Kolle der Kate ſtudirt, fie war feine 
Philoſophin, fonft hätt‘ ich vielleicht profitt. Im Frühjahr blühte 
der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich ließ mir einen Tifh dru'm 
zimmern und eine Ban, und in feinem duftenden Schatten hab ich 
an meinen Freund geichrieben. Das war eine Luſt die keine Weisheit 
mir erjegen konnte. Im Spiegel gegenüber ſah ih den Baum noch 
einmal und wie die Sonnenftrahlen durch ſein Laub brachen; ich fah 
fie drüben fiten die Braune, Vermeflene; an den größten Dichter, an 
den Erhabenen über alle zu ſchreiben. Im April bin ich früh drauf 
gewejen auf vem Wall und hab die erften Bellhen geſucht und bota- 
nifirt, im Mai hab ich fahren gelernt mit zwei Pferd, Morgens mit 
Sonnenaufgang fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich fpaziert in die Ge 
müsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur pflanzen, bei 
der Milchfrau hab ich mir einen Nelfenflor angelegt, die dunkelrothen 
Nelken find meine Lieblingsblumen. — Bei ſolcher Lebensweiſe, was 
fol ih da lernen, woher fol ih Hug werden? — Was id Ihrem 
Sohn ſchreib das gefällt ihm, er verlangt immer mehr, und mid 
macht das felig, denn ich ſchwelge in einem Überfluß von Gedanken 
die meine Liebe, mein Glüd ausprüden, wie e8 Ihnr erquidlich ift. 
Was ift num Geift und Klugheit, da der feligfte Menſch wie ich, 
ihrer nicht bedarf? — 

Es war voriges Jahr im Eingang Dat da ich ihn ſah zum 
erften Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an 


26 





feinem Fenfter hinaufwachſen, und legt's an meine Wange und fagte: 
das Blatt und deine Wange find beide wollig; ih ſaß auf dem 
Schemel zu feinen Füßen und lehnte mih am ihn, und die Zeit 
verging im Stillen. — Nun, was hätten wir Kluges einander fagen 
fönnen was biefem verborgnen Glüd nicht Eintrag gethan hätte; weld 
Geiſterwort hätte dieſen ftillen Frieden erjegt der im uns blühte? — 
D wie oft hab ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir die 
Stirne und das Geftcht flreichelte, und wie er meine Haare durch bie 
Tinger zog und fagte: ih bin nit klug; man kann mid leicht 
betrügen, du haft keine Ehre davon wenn Du mir was weis madhft 
mit deiner Liebe. — Da fiel ih ihm um den Hals. — Das alles 
war fein Geift und doch hab ich's tauſendmal in Gedanken purchlebt, 
und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug das Licht 
trinkt; — e8 war fein Geift, und doch überftrahlt e8 mir alle Weisheit 
ver Welt; — Was kann mir fein freundliches Spielen erfegen? — 
was den feinen durchdringenden Strahl feines Blicks, der in mein 
Auge leuchtet — Ich achte die Klugheit nichts, ich habe pas Glüd 
unter anderer Geſtalt kennen lernen, und auch was andern weh thut 
das kann mir nicht Leid thun, und meine Schmerzen, das wird keiner 
verftehen. 

So hell wie diefe Nacht ift! Glanzverhüllt liegen die Berg da 
mit ihren Rebſtöcken und faugen ſchlaftrunken das nahrhafte Mond⸗ 
licht. — Schreib Sie bald; ich hab keinen Menſchen dem ich jo gern 
vertraue, denn weil ich weiß daß Sie mit feinem andern mehr anbindet 
und abgeichlofien für mich da ift, und daß Sie mit niemand über mid) 
ſpricht. Wenn Sie wüßt' wie tief e8 ſchon in der Nacht ift! Der 
Mond geht unter, das betrübt mich. Schreib’ Sie mir recht bald. 

Bettine. 


Winckel am 25. Juni. 
Frau Rath, ich war mit dem Franz auf einer Eiſenſchmelze, 
zwei Tag mußt ich in der engen Thalſchlucht aushalten, es regnete 


27 





oder vielmehr näßte fortwährend, die Leute fagten: ja, das find wir 
gewohnt, wir leben wie bie Wild, immer naß, und wenn einmal ein 
paar trodne Tage find, jo juckt einem die Haut, man möchte wieder 
naß fein; ich muß mich befinnen wie ich Ihr Das wunberliche Erdloch 
befchreibe, wo unter dunklen gewaltigen Eichen die Gluth hervor 
leuchtet, wo an den Bergwänden binan einzelne Hütten hängen und 
wo im Dunkel die einzelnen Lichter herüberleuchten, und ver lange 
Abend durch eine ferne Schalmei Die immer daſſelbe Stückchen hören 
läßt, veht an den Tag giebt daß die Einſamkeit bier zu Haus tft, die 
durch keine Geſelligkeit unterbrochen wird. Warum tft denn der Ton 
einer emjamen Hausflöte die jo vor fi Hinbläft, jo melancholiſch 
langweilig daß einen das Herz zerfpringen möcht vor Grimm, daß 
man nit weiß wo aus noch ein; ad) wie gern möcht man da das 
Erdenkleid abftreifen und hochfliegen weit in die Lüfte; ja, fo eine 
Schwalbe in ven Tüften, die mit ihren Flügeln wie mit einem ſcharfen 
Bogen den Äther durchſchneidet, vie hebt ſich weit über die Sclaven- 
fette der Gedanken, in's Unenpliche, das der Gedanke nicht faßt. — 
Wir wurden in gewaltig große Betten logirt, ih und der Bruder 
Franz, th hab viel mit ihm gejcherzt und geplaudert, er ift mein 
fiebfter Bruder. Am Morgen fagte er ganz myſtiſch: geb einmal 
acht, der Herr vom Eiſenhammer bat ein Hochgeriht im Ohr; ich 
konnt's nicht errathen; wie ſich aber Gelegenheit ergab in's Ohr zu 
jehen, da entdeckt ich's gleich, eine Spinne hatte ihr Net in's Ohr 
aufgeftellt, eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre 
Refte hingen noch im umverlegten Gewebe; daraus wollte der Franz 
das verfteinerte langweilige Leben recht deutlich erkennen, ich aber 
erkannte es auch am Tintefaß, das fo pelzig war und fo wenig 
Flüſſiges enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs ber 
Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht man langjam in die 
Kunde, jo kommt man an eine Schluht. Am Morgen, wie eben die 
Sonne aufgegangen war, entvedte ich fie, ich ging hindurch, da befand 
ich mid, plöglich auf den fteilen höchſten Hand eines noch tieferen und 
weiteren Thalkeſſels, fein fammtner Boden ſchmiegt fi fanft an vie 


28 





ebenmäßigen Bergwände die es rund umgeben und ganz beſäet find 
mit Lämmer und Schafen; in der Mitte flieht das Schäferhaus und 
dabei Die Mühle die vom Bad, der mitten durchbrauſt, getrieben wird, 
Die Gebäude find Hinter uralten himmelhohen Linden verftedt, Die 
gerade jest blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und zwifchen 
deren dichtem Laub der Rauch des Schoruſteins fi durchdrängte. 
Der reine blaue Himmel, der goldne Sonnenjhein hatte das ganze 
Thal erfüllt. Ach lieber Gott, ſaͤß ich bier und hütete vie Schafe, 
und wüßte daß am Abend einer käm der meiner eingedenk ift, und id) 
wartete den ganzen Tag, und die fonneglänzenden Stunden gingen 
vorüber, und die Schattenftunden mit der filbernen Mondfichel und 
dem Stern brädten ben Freund, der fänd mich an Bergesrand ihm 
entgegenftärzend in die offne Arme, daß er mich plößlich am Herzen 
fühlte mit der heißen Liebe, was wär dann nachher noch zu erleben. 
Grüß Sie Ihren Sohn und ſag Sie ihm, daß zwar mein Leben 
frieblih umd von Sonnenglanz erleuchtet ift, daß ich aber der goldnen 
Zeit nicht achte, 'weil ich mich immer nad der Zukunft ſehne wo ich 
den Freund erwarte. Adieu leb Sie wohl, Bet Ihr ift Mitternacht 
eine Stunde der Geifter, in der Sie es für eine Sünde hält die Augen 
offen zu haben, damit Ste feine fieht; ich aber ging eben noch allein 
in den Garten durch die langen Lraubengänge, wo Traube an Traube 
hängt vom Mondlicht befchtenen, und über die Mauer hab ich mid) 
gelehnt und hab hinausgefehen in den Ahein, da war alles ſtill. Aber 
weiße Schaummellen ziſchten und es patichte immer an's Ufer, und 
die Wellen Iallten wie Kinder. Wenn man fo einfam Nachts in der 
freien Natur fteht, da iſt's als ob fie ein Geift wär die den Menſchen 
um Erlöjung bäte. Sol vielleicht ver Menſch die Natur erlöſen? 
ih muß einmal darüber nachdenken; ſchon gar zu oft hab’ ich dieſe 
Empfindung gehabt als ob die Natur mich jammernd wehmüthig um 
etwas bäte, daß es mir das Herz durchſchnitt nicht zu verftehen was 
fie verlangte. Ich muß einmal recht lang dran denken, vielleicht ent- 
ded ich etwas was über das ganze Erdenleben binaushebt. Adieu 
Fr. Kath, und wenn Ste mich nicht verfteht, fo dent Ste ur wie 





29 





Ihr noch immer in Ihren jebigen Tagen ein Bofthorn das Sie in 
der Ferne hört, einen wunderlihen Eindruck macht, ungefähr jo tft 
mir's auch heute, Bettine. 


An Bettine. 


Frankfurt am 28. Juli. 

Geſtern war Feuer am hellen Tag' hier auf der Hauptwach, 
grad mir gegenüber, es brannte wie ein Blumenſtrauß aus dem Gaub⸗ 
loch an der Kathrinenpfort. Da war mein beſt Plaiſir die Gaſſen⸗ 
buben mit ihrem Reffs auf dem Buckel, die wollten alle retten helfen, 
der Hausbeſitzer wollt nichts retten laſſen, denn weil das Feuer gleich 
aus war, da wollten ſie ein Trinkgeld haben, das hat er nicht geben, 
da tanzten ſie und wurden von der Polizei weggejagt. — Es iſt viel 
Geſellſchaft zu mir kommen, die wollten alle fragen wie ich mich befind 
auf den Schreck, und da mußt ich ihnen immer von vorne erzählen, 
und Daß iſt jetzt ſchon drei Täg daß mich die Leut beſuchen und ſehen 
ob ich nicht ſchwarz geworden bin vom Rauch. Dein Melinchen war 
auch da und hat mir ein Brief gebracht von Dir, der iſt ſo klein 
geſchri eben daß ich ihn hab müſſen vorleſen laſſen, rath einmal von 
wem? — 

Die Meline iſt aber einmal ſchön, ich hab geſagt, die Stadt ſollt 
fie malen laffen und ſollt fie auf dem Rathſaal hängen, da könnten 
die Kaiſer jehen was ihre gute Stabt fir Schönheiten hat. “Deine 
Brüder find aber auch fo ſchön, ich Hab meiner Lebtag Feine jo ſchöne 
Menſchen gejehen als den George, ver flieht aus wie ein Herzog von 
Mailand, und alle andern Menfchen müſſen fich jhämen mit ihren 
Sragengefichtern neben ihm. — Adieu und grüß auch die Geſchwiſter 
von Deiner Freundin Goethe. 


30 





Un Bettine. 


Da kommt der Fritz Schloſſer aus dem Rheingau und bringt 
mir drei gejchnittne Federn von Dir und jagt: er hätt gefehworen daß 
er mir keine Ruh laſſen will, ich müßt jchreiben wer's gemefen ift der 
Deinen Brief gelefen bat. — Was hat's denn für Noth, wer ſollt's 
denn gewefen fein? — in Weimar ift alles ruhig und auf dem alten 
Vled. Das fchreiben die Zeitungen ſchon allemal voraus, lang eh es 
wahr ifl, wenn mein Sohn zu einer Keil Anftalt macht, der kommt 
einem nicht mit der Thür in's Haus gefallen. Da fieht man aber 
doch recht daß Dein Herz Deinen Kopf was weiß macht. Herz, was 
verlangft du? — Das ift ein Sprihwort, und wenn es fagt was es 
will, jo geht'8 wie in einem jchlechten Wirthshaus, da haben fie alles, 
nur feine friihe Eier, die man grad haben will. Adieu, das hab ich 
bei der Nachtlamp geſchrieben. 

Ich bin Dir gut. 
Catharina Goethe. 


Das hätt’ ich bald vergeffen zu fchreiben wer mir Deinen Brief 
gelejen bat, das war der Pfarrer Hufnagel der wollt auch jehen was 
ih mach nah dem Schred mit dem Teuer, ich jagt: Et Herr Pfarrer, 
tft denn der Katharine Thurm grad jo groß, daß er mir auf die Naf 
fallt wen er umflärzt? — Da hat er geſeſſen mit feinem dicken 
Bauch im ſchwarzen Talar mit dem runden weißen Kragen in Doppel- 
ten Falten, mit der runden Stutperüd und den Schnallenſchuh auf 
Deiner Schawell, und hat den Brief gelefen, hätt's mein Sohn gejehen 
er hätt gelacht. Katharina Goethe. 


Frau Mutter ich danke Ihr für die zwei Brief hinter einander, 
das war einmal gepflügt, recht durch ſchweres Erdreich, man ſieht's, 
die Schollen liegen neben an, wie did; gewiß das find ver Kischen 
ihre Singer geweſen mit denen Ste die Furchen gezogen bat, die find 
recht krumm. Was mich wundert, das ift daß ich Ihr fo germ jchreib, 


31 





daß ich feine Gelegenheit verfäum, und alles was mir begegnet, prüf 
ich, ob es nicht ſchön wär ihr zu fchreiben, das iſt weil ich doch nicht 
alles und fortwährend an den Wolfgang fchreiben kann, ich hab ihm 
gejagt in Weimar: Wenn ich dort wohnte, jo wollt ich als nur Die 
Sonn und Feiertäg zu ihm kommen und nicht alle Tag, das hat ihn 
gefreut; jo mein ich, daß ich auch nicht alle Tag an ihn Ichreiben darf, 
aber er hat mir gejagt ſchreib alle Tag, und wenn's Yoltanten wären, 
es tft mir nicht zu viel, aber ich ſelbſt bin nicht alle Tag in der Stim- 
mung mandmal denke ich jo geſchwind, daß ich's gar nicht fchreiben 
kann, und die Gedanken find fo ſüß, daß ih gar nicht abbrechen kann 
um zu fchreiben, noch dazu mag ich gem grade Linien und fchöne 
Buchſtaben machen und das hält im Denken auf, auch hab’ ich ihm 
manches zu fagen was ſchwer auszuſprechen if, und manches hab ich 
ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann; da fit ich oft . 
Stunden und feh in mich hinein und kaun's nicht jagen was ich ſeh, 
aber weil ich im Geift mich mit ihm zufammen fühl, fo bleib ich gern 
dabet, und ich fomme mir vor wie eine Sommenuhr die grad nur die 
Zeit angiebt jo Yang die Sonne fie befceint. Wenn meine Somne 
mich nicht mehr anlädhelt, damı wird man aud) die Zeit nicht mehr 
an mir erlenmen; es jollte einer jagen ich Ieb, wenn er mich nicht mehr 
lteb bat; das Leben was ich jegt führ, Davon hat feiner Verſtand, an 
der Hand führt mich der Geift einfame Straßen, er fett fi mit mir 
nieder am Waflersrand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich 
auf hohe Berge; da ift e8 Naht da ſchauen wir in die Nebel-Thale, 
da fieht man den Pfad kaum vor den Füßen aber ich geh mit, ich fühl 
daß er da iſt wenn er auch vor meinen leiblichen Augen verjchwindet, 
und wo ih geh und fteh, da ſpühr ich fein heimlich Wandeln um mich, 
und in der Nacht ifl er die Dede in die ich mich eimhülle, und am 
Morgen ift er es vor dem ich mich verhülle wenn ich mich ankleive, 
niemals mehr bin ich allein, in meiner einfamen Stube fühl ich mich 
verftanden und erlannt von diefem Geift; ich kann nicht mit lachen, 
ich kann nicht mit Comödie pielen, die Kunft und die Wiſſenſchaft vie 
laſſe ich fahren; noch vor einem halben Jahr, da wollt ich Geſchichte 


32 





findiven und Geographie, e8 war Narrheit. Wenn die Zeit in ver 
wir leben, erft recht erfüllt wär mit ver Geſchichte, fo daß einer alle 
Hände voll zu thun hätt um nur der Geſchichte ven Willen zu thun, fo 
hätt er keine Zeit um nach den vermoderten Königen zu fragen, fo 
geht mir's, ich hab Keine Zeit ich muß jeden Augenblid mit meiner 
Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt, jo hab ich einen 
Strich gemacht mit rother Tinte auf die Landlart. Der geht von wo 
ich bin, 5i8 dahin wo e8 mich binzieht, das ift der rechte Weg, alles 
andre find Irr- und Ummege. Das ganze Firmament mit Sonne 
Mond und Sterne gehören blos zur Ausfiht meiner Heimath. Dort 
ift der fruchtbare Boden, in ven mein Herz die harte Rinde |prengt 
und in's Richt Hinaufblüht. 

Die Lente jagen: Was bift du traurig, follt ich vergnügt fein? — 
oder dies oder jenes? — wie paßt das zu meinen innern Reben; ein 
jedes Betragen bat jeine Urſache, das Waſſer wird nicht Iuftig dahin 
tanzen und fingen, wenn fein Bett nicht dazu gemacht ifl. So werd 
ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Luft der Grund dazu ift; ja 
ich Habe Luft im Herzen, aber fie tft fo groß, fo mächtig, daß fie fich 
nicht in's Lachen fügen kann, wenn e8 mich aus dem Bett aufruft vor 
Tag, und ich zwifchen ven fchlafenden Pflanzen Bergauf wandle, wenn 
der Thau meine Füße wäjcht, und ich dent demüthig, daß e8 der Herr 
der Welten ift der meine Füße wäfcht, weil er will ich ſoll rein fein 
von Herzen wie er meine Füße vom Staub reinigt, wenn ih dann 
auf des Berges Spite fomme und überfehe alle Rande im erften 
Strahl der Sonne dann fühl ich dieſe mächtige Luft in meiner Bruft 
fih ausdehnen, dann feufz ih auf und hauch Die Sonne an zum Dank 
daß fie mir in einem Bild erleudhte was der Reichthum der Schmud 
meines Lebens ift, denn was ich ſehe was ich verftehe es ift alles nur 
Miederhall meines Glüdes. 

Adieu, läßt Ste ſich ven Brief auch vom Pfarrer vorftudiren  — 
ich hab ihn doch mit ziemlich großen Buchftaben gefchrieben. Hat dann 
in meinem legten Brief etwas geftanden, daß ich jo einen heißen 
Durft Hab, und daß ich mondſüchtig bin, oder fo was? — wie kann 





33 





Ste ihm denn das leſen laſſen? fie wirft ihm ja feinen gepolfterten 
Betihemel um, in feinem Kopf. Die Bettine hat Kopfweh ſchon jett 
drei Tage und heut liegt fie im Bett und küßt ihrer Frau Rath die 
Hand. Ä 


An Bettine. 


Merd mir nicht krank Mädchen, fteh auf aus Deinem Bett, und 
nimm’s, und wandle. So hat der Herr Ehriftus gejagt zum Kranken, 
das fag ich Dir auch, dein Bett ift deine Liebe in der du frank liegft, 
nimm fie zufammen und erft am Abend breite fie aus, und ruhe tn ihr 
wenn du des Tages Laft und Hite ausgeftanden haft. — Da hat 
mein Sohn ein paar Zeilen geſchrieben, die ſchenk ich dir, fie gehören 
dem Inhalt nach dein. 

Der Prediger hat mir deinen Brief vorgerumpelt wie ein ſchlech⸗ 
ter Poſtwagen auf bolperigem Weg, da jchmeißt alles Pafjagiergut 
durcheinander; du haft auch deine Gedanken fo fchlecht gepadt, ohne 
Komma, ohne Punkt, daß wenn e8 Paflagiergut wär keiner könnt das 
feinige heraus finden; ih hab den Schnupfen und bin nicht aufgelegt, 
hätt ich dich nicht jo Tieb, fo hätt ich nicht gefchrteben, wahr deine Ge- 
ſundheit. 

Ich ſag allemal wenn die Leut fragen was du machſt: Sie fängt 
Grillen, und das wird dir auch gar nicht fauer, bald iſt's ein Nacht⸗ 
vogel der dir an der Naſ vorbeifliegt, dann haſt du um Mitternacht 
wo alle ehrliche Leute ſchlafen etwas zu bedenken, und marſchierſt durch 
den Garten an den Rhein in der kalten feuchten Nachtluft, du haſt 
eine Natur von Eiſen, und eine Einbildung wie eine Rakett, wie die 
ein Funken berührt, ſo platzt ſie los. Mach daß du bald wieder nach 
Haus kommſt. Mir iſt nicht heuer wie's vorige Jahr, manchmal krieg 
ich Angſt um dich, und an den Wolfgang muß ich Stundenlang den⸗ 
fen, immer wie er ein Hein Kind war, und mir unter ven Füßen ſpielte, 
und dann wie er mit feinem Bruber Jacob jo ſchön geipielt hat, und 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 3 


34 





bat ihn Geſchichten gemacht; ich muß einen haben, dem ich's erzähl, 
die andern hören mir alle nicht fo zu wie Du; ih wollt wirklich wün⸗ 
hen, die Zeit wär vorbet ımb Du wärft wieder da. 

Adieu, mach das Du kommſt, ich hab alles fo Hell im Gedächt⸗ 
niß als ob's geftern pafftert wär, jett kann ich Dir die ſchönſten 
Geſchichten vom Wolfgang erzählen, und ich glaub Du haft mich an⸗ 
geftect, ich mein immer da8 wär fein rechter Tag an dem ich nichts 
von ihm geſprochen hab. Deine Freundin Goethe. 


Siebe frau Rath. 


Ih war in Koln da hab ich ven ſchönen Krug gelauft, ſchenk 
Sie ihn Ihrem Sohn von fi, das wird ihr befier Freud machen, 
als wenn ih Ihr ihn ſchenkte. Ich ſelbſt mag ihm nichts ſchenken, ich 
will nur von ihm nehmen. 

Köln ift recht wunderlich, alle Augenblick Hört man eine andre 
Glocke läuten, das klingt hoch und tief, dumpf und hell von allen Sei⸗ 
ten unter einander. Da ſpazieren Franzisfaner, Minoriten, Kapu⸗ 
ziner, Dominikaner, Benedictiner aneinander vorbei, die einen fingen, 
die andren brummen eine Litaney, und wenn ſie aneinander vorbei 
fommen, da begrüßen fie fih mit ihren Fahnen und Heiligthümern 
und verfchwinden in ihren Klöftern. Im Dom war id grade bei 
Sonnenuntergang, da malten fi die bunten Yenfterfcheiben durch Die 
Sonn anf dem Boden ab, ich Hetterte überall in dem Bauwerk herum, 
und wiegte mid) in ben gelprengten Bögen. 

dr. Rath, das wär Ihr recht gefährlich vorgelommen, wenn 
Ste mih vom Rhein aus im einer ſolchen gothifhen Roſe hätte ſitzen 
ſehen; es war auch gar kein Spaß; ein paarmal wollte mih Schwin- 
del antreten, aber ih dachte: follte der ftärker fein wollen wie ih? — 
und erpreß wagt ich mich noch weiter, Wie die Dämmerung eintrat 
da ſah ich in Deug eine Kirche mit bunten Scheiben von innen illu⸗ 





35 


minirt, da tönte das Geläut herüber, der Mond trat hervor und 
einzelne Sterne. Da war ich fo allein, rund um mid zwiticherte es 
in den Schwalbenneftern, deren wohl taufende in ven Gefimfen find, 
auf vem Wafler ſah ich einzelne Segel ſich blähen. Die andern hatten 
unterbefjen den ganzen Kirchbau eraminirt alle Monumente und Merk⸗ 
würbigfeiten fic zeigen laffen. Ich hatte dafür einen fillen Augen⸗ 
blid, in dem meine Seele gefammelt war, und die Natur, auch alles 
was Menſchenhände gemacht haben und mich mit, in vie feierliche 
Stimmung ded im Abenbroth glühenden Himmels einihmol. — 
Berfteh Sie das, oder verfteh Sie ed nicht, es tft mir einerlet. Ich 
muß Sie freilih mit meinen überſichtigen Grillen behelligen, wen 
ſollt ich fie fonft mittheilen! 

Das ift auch nod eine Merkwürdigkeit von Köln; bie Betten die 
To hoch find, daß man einen Anlauf nehmen muß um hinein zu kom⸗ 
men; man kann Immer zwei drei Verſuche machen ehe einer glüdt; 
ift man erft drinn, wie foll man da wieder herauskommen? ic) Dachte, 
bier tft gut fen, denn ih war müde, und hatte mich ſchon den ganzen 
Tag auf meine Träume gefreut, was mir die beſcheren würben; da 
kam mir auch, auf ihrem goldnen Strom ein Kahn beladen und ge- 
ſchmückt mit Blumen aus dem Paradies entgegen, und ein Apfel ven 
mir der Geliebte ſchickte, den hab ich auch gleich verzehrt. 

Wir Haben am Sonntag jo viel Rumpellammern durchſucht, 
Alterthümer, Kunftihäge betrachtet, ich hab alles mit großem Intereſſe 
gefehen. Ein Humpen, aus dem die Kurfürften gezecht ift ſchön, mt 
vier Henkel, auf denen figen Nymphen die ihre Füße im Wein baden, 
mit golduen Kronen auf dem Kopf die mit Evelfteinen geziert find; 
um den Fuß windet ſich ein Drache mit vier Köpfen, die die vier Füße 
bilden, worauf das Ganze fteht; die Köpfe haben aufgeiperrte Rachen 
die inwendig vergolvet find, auf dem Dedel ift Bacchus von zwei 
Satyrn getragen, er tft von Gold und die Satyrn von Silber. 
So haben aud die Nymphen emaillirte Gewande an, Der Trink⸗ 
becher ift von Rubinglas, und das Laubwerk was zwifchen ven Figuren 
ſich durchwindet iſt ſehr ſchön von Silber und Gold durcheinander 

3* 


36 


geflochten. — Dergleihen Dinge find viel, ich wollt Ihr blos den einen 

befchreiben weil er jo prädtig ift, und weil Ihr die Pracht wohlgefällt. 
Adteu Fran Rath! — zu Schiff kamen wir herab, und zu Wagen 

fuhren wir wieder zurüd nah Bonn. Bettine. 


frau Rath. 
Winckel. 

Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht wär die Sie 
iſt, ſo würd' ich auch nicht bei Ihr ſchreiben lernen. Er hat geſagt, 
ich ſoll ihn vertreten bei Ihr, und ſoll Ihr alles Liebe thun was er 
nicht kann, und ſoll ſein gegen Sie, als ob mir all die Liebe von Ihr 
angethan wär die er nimmer vergißt. — Wie ich bei ihm war, da 
war ich ſo dumm und fragte ob er Sie liebhabe, da nahm er mich in 
ſeinen Arm und drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite, 
und fie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben 
hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt 
hab ich ſieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; 
in einem ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich; es 
iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe, und jetzt fühl ich 
mich geſichert und warm wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; 
ich hab ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachs⸗ 
tuh auf dem Fiſch zerſchnitten hab, und daß Sie mir auf die Hand 
geſchlagen hat, und hat geſagt: grad wie mein Sohn — auch alle 
Unarten haſt Du von ihm! — 

Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wieder einmal fo, 
daß man alles empfindet aber nicht dabei denkt; wenn ich mich recht 
befinne, fo waren wir im botanischen Garten, grad wie die Sonn 
unterging; alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg 
waren vom Abendroth angehaudt, es war fühl, ich wickelte mich in 
ven Mantel und jegt mich auf die Mauer, mein Gefiht war vom 





37 





legten Sonnenftrahl vergoldet, befinnen mocht ich mich nicht, das hätt 
mic traurig gemacht in der gewaltigen verftunmten Natur. Da fchlief 
th ein, und da ich erwachte (ein großer Käfer hat mich geweckt) va 
war's Nacht und recht kalt. Am andern Tag find wir wieder hier ein- 
getroffen. 

Adieu Fr, Rath, es ift ſchon fo fpät in der Nacht, und ich kann 
gar nicht ſchlafen. Bettine. 


An Bettine. 
21. September. 

Das kann ich nicht von Dir leiven, daß Du die Nächte ver- 
ſchreibſt und nicht verfchläfft, das macht Dich melandoliih und em⸗ 
pfindfam, wollt id) drauf antworten, bis mein Brief ankäm da ift 
ſchon wieder ander Wetter. Mein Sohn bat gelagt: was einem drückt 
das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da bat 
er ein Gedicht praus gemacht. — Ich Hab Dir gefagt, Du follft die 
Geſchichte von der Günderode aufſchreiben, und fchid fie nach Weimar, 
mein Sohn will e8 gern haben, der hebt fie auf, dann vrüdt fie Dich 
nicht mehr. Ä | 

Der Menſch wird begraben in geweihter Erd, fo fol man auch 
große und feltne Begebenheiten begraben in einem ſchönen Sarg der 
Erinnerung, an den ein jeder bintreten kann und deſſen Andenken 
feiern. Das hat der Wolfgang gejagt, wie er den Werther gejchrieben 
bat; thu es ihm zu Lieb und ſchreib's auf. 

Ih will Dir gern fchreiben was meine arme Feder vermag, 
weil ih Dir Dank ſchuldig bin; eine Frau in meinem Alter, und ein 
junges feuriges Mädchen, das lieber bei mir bleibt und nach nichts 
anderm frägt, ja das ift Dankenswerth; ich hab's nach Weimar ger 
ſchrieben. Wann ich ihm von Dir ſchreib, da antwortet er immer auf 
der Stell; er fagt, daß ‘Du bei mir aushältft, das fet ihm ein Troft. — 
Adien, bleib nicht zu lang im Rheingau; die ſchwarzen Felswände, 


38 





an denen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die machen Dich 
melancholiſch. Deine Freundin Eliſabeth. 


Der Moritz Bethmann hat mir geſagt, Daß die Stael mich be⸗ 
ſuchen will; fie war in Weimar, da wollt‘ ih, Du wärft hier, da 
werd ich mein Franzöſiſch recht zufammen nehmen müſſen. 


An Boethe’s Mutter. 


Diesmal bat Ste mir's nicht recht gemacht, Frau Rath, warum 
ſchickt Ste mir Goethe's Brief nicht? — Ich hab fett dem 13. Auguft 
nichts von ihm, und jest haben wir ſchon Ausgang September. Die 
Steel mag ihm die Zeit verkürzt haben, da bat er nicht an mich ger 
dadıt. Eine berühmte Fran tft was kurioſes, Teine andre kann ſich 
mit ihr meſſen, fie tft wie Branntwetn, mit dem kann fi das Korn auch 
nicht vergleichen, aus dem er gemacht if. So Branntwein bigelt auf 
der Zung, und fteigt tn den Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; 
aber der reine Waizen tft mir doch lieber, den jäet der Säemann in die 
geloderte Erd, die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken 
ihn wieder heraus, und dann übergrünt er die Felder, und trägt goldne 
Ahren, da giebt's zulegt noch ein luſtig Erntefeſt; ich will doch lieber 
ein einfaches Waizenkorn fein als eine berühmte Frau, und will auch 
Iteber, daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein 
Schnaps durch den Kopf fahre. — Jetzt will ich Ihr nur jagen, daß 
ich geftern mit der Stadl zu Nacht gegeflen hab in Mainz; keine Frau 
wollt neben ihr figen bei Tiſch, da hab ich mich neben fie geſetzt; es 
war unbequem genug, die Herren flanden um ven Tifh und hatten ſich 
alle Hinter und gepflanzt, und einer prüdte auf ven andern, um mit ihr 
zu fprechen, und ihr in's Geficht zu fehen; fie bogen fich weit über 
mich; ich fagte: »Vos Adorateurs me suffoquente, ſie lachte. — Sie 
jagte, Goethe habe mit ihr von mir gefprochen; ich blieb gern ſitzen, 





39 





denn ich hätte gern gewußt, was er gejagt hat, und doch war mir's 
unrecht, denn ich wollt lieber, er ſpräch mit niemand von mir; und ich 
glaub's auch nicht, — fie mag nur fo gejagt haben; — e8 kamen zu- 
letzt fo viele, die alle iiber mich hinaus mit ihr ſprechen wollten, daß 
ich's gar nicht länger konnte aushalten; ich jagt ihr: »Vos laurisrs 
me pesent trop fort sur les 6paules. Und ich ſtand auf und drängt 
mich zwifchen den Liebhabern durch; da kam der Sismondi, ihr Be⸗ 
gleiter, und küßt mir die Hand, und fagte, ich hätte viel Geiſt, und 
ſagt's den andern, und fle repetirten e& wohl zwanzigmal, als wenn 
ich ein Prinz wär, von denen findet man auch immer alles jo gejcheut, 
wenn e8 au das gewöhnlichſte wär. — Nachher hört’ ich ihr zu, wie 
fie von Goethe ſprach; fie fagte, fie habe erwartet, einen zweiten Wer⸗ 
tber zu finden, allein fie habe ſich geirrt, ſowohl fein Benehmen wie 
auch ferne Figur paſſe nicht dazu, und fie bedauerte jehr, daß er ihn 
ganz verfehle; Fr. Rath, ih wurd zornig über dieſe Heben, („das war 
überfläflig“, wird Sie jagen) ich wendt' mich an Schlegel, und fagt 
ihm auf Deutſch: die Fr. Stadl hat fich Doppelt geirrt, einmal in ver 
Erwartung, und dann in der Meinung; Wir Deutfchen erwarten daß 
Goethe zwanzig Helden aus dem Ärmel ſchütteln kann, die den Frans 
zojen jo imponiren; Wir meinen, daß er ſelbſt aber noch ein ganz 
andrer Held tft. — Der Schlegel Hat unrecht daß er ihr keinen befjern 
Berftand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein Xorbeerblatt womit 
fie geſpielt hatte auf die Erde; ich trat drauf und ſchubſte e8 mit dem 
Fuß auf die Seite und ging fort. — Das war die Geſchichte mit der 
berühmten Frau; hab Sie feine Noth mit ihrem franzöſiſch, ſprech Sie 
die Fingerſprach mit ihr und made Ste ven Commentar dazu mit 
ihren großen Augen das wird imponiren; die Stadl hat ja einen 
ganzen Ameiſenhaufen Gedanken im Kopf, was foll man ihr noch zu 
fagen Haben? Bald komm ih nah Frankfurt, da können wir's beſſer 
beſprechen. 

Hier iſt's ſehr voll von Rheingäſten; wenn ich Morgens durch 
den dicken Nebel einen Nachen hervorſtechen ſeh, da lauf ich an's Ufer 
und wink mit dem Schnupftuch, immer ſind's Freunde oder Bekannte; 


40 





vor ein paar Tagen waren Wir in Notbgottes, da war eine große 
Wallfahrt, der ganze Ahein war voll Nahen, und wenn fie anlande⸗ 
ten ward eine Prozeſſion draus und wanderten fingend eine jeve ihr 
eigen Lied, neben einander hin; das war ein Schariwari, mir war Angjt 
es möcht unſerm Herrgott zu viel werben; jo kam's auch: er fette ein 
Gewitter dagegen und donnerte laut genug, fie haben ihn übertäubt, 
aber der gewaltige Regenguß bat die lieben Wallfahrer auseinander 
gejagt, die da im Gras lagen wohl taufende und zechten; — ich hab 
grad keinen empfindſamen Reſpeklt vor der Natur, aber ich kann's doch 
nicht leiden, wenn fie fo beihmust wir mit Papier und Wurftzipfel 
und zerbrocdhnen Tellern und Flaſchen wie hier auf dem großen grünen 
Plan, wo das Kreuz zwifchen Linden aufgerichtet fteht, wo der Wandrer 
den die Nacht Überrajcht gern Nachtruhe hält und fich geſchützt glaubt 
durch den geweihten Ort. — Ich kann Ihr jagen, mir war ganz un⸗ 
heimlich, ich bin heut noch caput. Sch jeh Lieber die Lämmer auf dem 
Kirchhof weiden, als die Menfhen in der Kirch; und die Lilien auf 
dem Feld, die ohne zu fpinnen doch vom Thau genährt find, — als 
die langen Prozeffionen drüber ftolpern und fie im ſchönſten Flor zer 
treten. Ich ſag Ihr gute Nacht, heut hab ich bei Tag gefchrieben. 
Bettine, 


Koftbare Pracht und Kunftwerfe, in Köln und auf der Reife 
dahin gefehen und für meine liebfte Sr. Rath befchrieben. 


Geb Ste Ahtung damit Sie e8 recht verfteht, denn ich hab ſchon 
zweimal vergeblich verjucht eine gutgeordnete Darftellung davon zu 
machen. 

Ein großer Tafelauffag der mir die ganze Zeit im Kopf herum 
Ipuft, und den mir deucht im großen Banketſaal der Kurfürftlichen 
Kefivenz gefehen zu haben; er befteht aus einer ovalen fünf bis ſechs 
Fuß langen Triftallenen Platte einen See vorftellenn, in Wellen fanft 











41 





geſchliffen die fi gegen die Mitte hin mehr und mehr heben, und 
endlich ganz body fleigen, wo fie einen filbernen Fels mit einem Throne 
umgeben auf welchem die Venus ſitzt; fie hat ihren Fuß auf den Rüden 
eines Tritonen geftemmt der einen Heinen Amor auf den Händen ba- 
lancirt; rundum ſpritzt filbemer Schaum, auf den höchſten Wellen 
umber reiten muthige Nymphen, fie Haben Ruder in Händen um bie 
Wellen zu peitihen ihre Gewande find emaillirt, meiftens blaßblau 
oder jeegrün auch gelblich ; fie jcheinen im einem übermüthigen jauch⸗ 
zenden Waflertanz begriffen, etwas tiefer filberne Seepferde von Tris 
tonen gebändigt und zum Theil beritten; alles in Silber und Gold 
getrieben mit emaillivten Verzierungen. Wenn man in ven hohlen 
Fels Wein thut, jo Iprikt er aus Röhrchen in regelmäßigen feinen 
Strahlen rund um die Venus empor, und fließt in ein verborgenes 
Deden unter dem Fels; das ift die hohe Mittelgruppe. Näher am 
Ufer liegen bunte Mufcheln zwifchen ven Wellen und emaillixte Waſſer⸗ 
lilien; aus ihren Kelchen fteigen Heine Amoretten empor die mit ge- 
Ipanntem Bogen einander befchteßen, zwilchen durch flüchten Seeweib- 
hen mit Fiſchſchweifen von Seemännchen mit ſpitzen Bärten verfolgt, 
und an ihren Schilffrängen erhaſcht oder mit Neben eingefangen. Auf 
der andern Seite find Seewetbchen die einen Kleinen Amor in der Luft 
gefangen halten und ihn unter vie Wellen ziehen wollen, er wehrt fi 
und ftemmt fein Füßchen der einen auf die Bruft während die andere 
ihn an den bunten Flügeln hält, dieſe Gruppe ift ganz köſtlich und 
ſehr luſtig; der Amor iſt ſchwarz von Ambra, die Nymphen find von 
Gold mit emaillirten Kränzen. Die Gruppen find verthetlt in beiden 
Halbovalen, alles emaillirt mit blau, grün, roth, gelb, lauter belle 
Farben; viele Seeungeheuer guden zwiichen den kriſtallnen Wellen 
hervor mit aufgeiperrten Rachen; fie ſchnappen nach den fliehenden 
Nymphen, und jo ift ein buntes Gewirr von Iuftiger gligernder Pracht 
über das ganze verbreitet, aus deſſen Mitte der Feld mit der Venus 
emporfteigt ; am eimen Ende ver Platte, wo fonft gewöhnlich Die Hand⸗ 
babe ift, figt etwas erhaben gegen ven Zufchauer ver berühmte Cyklop 
Polyphem der die Önlathee in feinen Armen gefangen hält; er hat em 


42 





großes Aug anf der Stirn, fie fieht ſchüchtern herab auf die Schaf 
herde bie zu beiden Selten gelagert ifl, wodurch die Gruppe ſich in 
einen fanften Bogen mit zwei Lämmern, weldhe an beiven Enden 
Itegen und ſchlafen, abſchließt. Jenſeits fit Orpheus, auch gegen vie 
Zuſchauer gewendet; er ſpielt die Leyer, ein Lorbeerbaum Hinter ihm, 
auf deſſen ausgebreiteten goldnen Zweigen Bögel ſitzen; Nymphen 
baben ſich herbeigefchlichen mit Rudern in der Hand, fie laufchen ; dann 
find noch allerlet Seethiere bis auf zwei Delphine, die auf beiden 
Seiten die Gruppe wie jenſeits in einem fanften Bogen abichließen ; 
ſehr hübſch tft ein Heiner Affe, der fih einen Sonnenſchirm von einem 
Blatt gemacht bat, zu Orpheus Füßen fist umd ihm zuhört. — Das 
ift wie Sie leicht denlen kann ein wunderbares Prachtſtück; es ift ſehr 
reich und doch erhaben; und ich könnte Ihr noch eime halbe Stunde über 
die Schönheit der einzelnen Figuren vorſchwätzen. Gold und Silber 
macht mir den Eindruck von etwas Helligem; ob dies daher kommt, 
weil ich im Klofter immer die goldnen und filbernen Meßgeſchirre, 
und den Kelch gewaſchen habe, ven Weihrauchkeſſel geputt, und bie 
Altarleuhter vom abträuflenden Wachs gereinigt, alles mit einer Art 
Ehrfurcht berührt Habe? Ich kann Ihr nur ſagen, daß uns beim Be⸗ 
trachten dieſes reichen und künftlichen Werkes eine feierliche Stim- 
mung befiel. 

Jetzt befchreib ich Ihr aber noch etwas Schönes, das gefällt mir 
in der Erinnerung noch befler, und die Kunſtkenner jagen auch e8 habe 
mehr Styl; das iſt fo ein Wort, wenn ich frage was e8 beventet, jagt 
man: Willen Ste nicht was Styl ift? — und damit muß ich mich 
zufrieden geben, hierbei hab ich's aber doch ausgedacht. Alles große 
Edle muß einen Grund haben warum es edel ift: Wenn diefer Grund 
rein ohne Borurtheil ohne Pfuſcherei von Nebenvingen und Abfichten, 
pie einzige Baſis des Kunſtwerks if: das tft der reine Styl. Das 
Kunftwerk muß grade nur das ausprüden, was bie Seele erhebt und 
edel ergögt und nicht mehr. Die Empfindung des Künftlers muß 
allein darauf gerichtet fein, Das übrige ift falih. In den Heinen Ge 
dichten vom Wolfgang ift die Empfindung aus einem Guß, und was 








43 





er da ausſpricht, das erfüllt reichlich eines jeden Seele mit verfelben 
edlen Stimmung. In allen liegt e8, ih will Ihr aber nur dies Heinfte 
eitiren, das ich fo oft mitt hohem Genuß in den einfamen Wäldern ge 
jungen babe wenn ich allein von weiten Spazierwege nach Haufe ging. 

Der du von dem Himmel bift, 

Alles Leid und Schmerzen ftilleft, 

Den der boppelt elend ift, 

Doppelt mit Erguidung fülleſt; 

Ad ich bin des Treibens mübe 

Was fol all’ ver Schmerz und Aufl? — 

Süßer Friebe! 

Komm, ah komm in meine Bruft. 


Im Kloſter hab ich viel predigen hören, über den Weltgeift und 
die Eitelfeit aller Dinge, ich habe felbft den Nonnen vie Legende Jahr 
aus Jahr ein vorgelejen, weder der Teufel noch die Heiligen haben. 
bei mir Eindruck gemacht, ich glaub fie waren nicht vom reinen Styl; 
ein folches Lied aber erfüllt meine Seele mit der lieblichften Stimmung, 
feine Mahnung, keine weife Lehren könnten mir je jo viel Gutes ein- 
flößen; es befreit mich von aller Selbſtſucht, ich kann andern alles 
geben, und gönne ihnen das beite Glüd, ohne für mich ſelbſt etwas 
zu verlangen, das macht weil es vom reinen edlen Styl ifl. So 
fönnte ich noch manches feiner Lieder berjegen die mich über alles 
erheben, und mir einen Genuß ſchenken der mich in mir felber reich 
macht. Das Lied: Die ſchöne Naht, hab ich wohl hunvertmal 
dies Jahr auf fpätem Heimweg gefungen: 


Luna bricht durch Buſch und Eichen 
Zephyr meldet Ihren Lauf, 

Und die Birken ftreun mit Neigen 
Ihr den ſchönſten Weihrauch auf. 


Wie war ich da glücklich und heiter in dieſem Frühjahr, wie die 
Birken während meinem Geſang rund um mich ber der eilenden Luna 
wirklich ihren buftenden Weihrauch freuten. Es ſoll mir keiner jagen, 
daß reiner Genuß nicht Gebet iſt. Aber in der Kirche iſt's mir noch 


44 





nimmer gelungen, da hab ich gefeufzt vor jchwerer Langenweile, die 
Predigt war wie Blei auf meinen Augenlievern. D je, wie war mir 
leicht wenn ich aus ber Klofterliche in ven ſchönen Garten fpringen 
tonnte, Da war mir der geringfte Somnenftrahl eine befire Erleuchtung 
als die ganze Kirchengejchichte. 

Das zweite Kunſtwerk welches ich Ihr befchreibe, tft ein Delphin 
aus einem großen Elephantenzahn gemacht; er fperrt feinen Rachen 
auf in den ihm zwei Amoretten das Gebiß einlegen; ein andrer der 
auf dem Naden des Delphins fist, nimmt von beiden Seiten den 
Zaum; auf der Mitte des Rückens liegt ein goldner Sattel mit einem 
Sit von getriebener Arbeit, welches Laubwerk von Weinreben vor- 
ftellt; inmitten defjelben ſteht Bachus von Elfenbein; ein ſchöner 
zarter ſchlanker Jüngling mit goldnen Haaren und einer phrugifchen 
Mütze auf; er hat die eine Hand im die Seite geflemmt, mit ver 
andern hält er einen golpnen Rebtod der unter dem Sattel hervor- 
fommt, und ihn mit ſchönem feinem Laub überdacht; auf beiden Seiten 
des Sattels find zwei Muſcheln angebracht wie Traglörbe, darin figen 
zwei Nymphen von Elfenbein in jedem, und blajen auf Muſcheln; die 
breiten Floßfevern, fo wie ver Schwanz des Fiſches find von Gold 
und Silber gearbeitet; unmittelbar hinter vem Sattel jchlängelt fich 
der Leib des Fiſches aufwärts als ob er mit dem Schweif in die Lüfte 
ihnale; auf dem Bug deſſelben fit ein zterliches Nymphchen und 
Haticht in die Hände; dieſes kommt etwas höher zu flehen, und fieht 
über die Gruppe des Bacchns herüber; vie Floßfedern des Schweifes 
bilden ein zierliches Schattendach über der Nymphe; der Rachen bes 
Fiſches iſt inwendig von Gold; man kann ihn auch mit Wein füllen 
der dann in zwei Strahlen aus feinen Nüftern emporfpringt; man 
ftellte diefes Kunſtwerk bei großen Welten in einem golpnen Beden auf 
den Nebentifchen auf. Dieſes ift nun ein Kunſtwerk vom erhabenen 
Styl, und ich kann auch jagen daß es mich ganz mit ſtummer heiliger 
Ehrfurcht erfüllte. Noch viele vergleihen find da; alles hat Bezug 
auf den Rhein, unter andern ein Schiff von Cedernholz, fo fein ge- 
gemacht, mit ſchönen Arabesken; ein Basreltef umgiebt ven Obertheil 








45 





des Schiffes, auf deſſen Verdeck vie drei Kurfürften von Köln, Mainz 
und Trier figen und zechen; Knappen ftehen Hinter ihnen mit Hentel- 
trügen. Dies hat mir nicht fo viel Freud gemacht, obſchon viel 
Schönes daran ift, befonders die Glücksgöttin, die am Vorbertheil 
des Schiffes angebracht iſt. 

Ich beſchreib Ihr noch einen Humpen, das ift ein wahres Meifter- 
ftüd umd ftellt eine Kelter vor. In der Mitte fteht ein Hohes Faß, das 
ift der eigentliche Humpen; auf beiven Seiten Hettern in zierlichen 
Verſchlingungen Knaben hinauf mit Butten voll Trauben über die 
Säultern von Männern, um an den Rand zu gelangen und ihre 
Trauben auszufhütten; in der Mitte, als Knopf des Dedeld der 
etwas tief in den Rand des Humpens paßt, ſteht Bacchus mit zwei 
Tigern die an ihm Binanfpringen; er ift im Begriff die Trauben, 
deren gehäufte Menge mit einzelnen Kanten dazwiſchen, ven Dedel 
hilden, mit den Füßen zu keltern. Die Knaben die von allen Seiten 

rüberreihen um ihre Gefäße mit Trauben anszuleeren, bilden einen 
werfjhönen Rand; die ftarfen Männer am Fuß ber Kelter, die 

‘einen Knaben auf ihre Schultern heben und auf mannigfache 

heraufhelfen, find ganz außerordentlich herrlich, nadt, einem 
andern hängt ein Tigerfell über ven Rüden, fonft ganz un» 
1 Humpen fieht man auf einer Seite das mainzer Wappen, 


= 1 das von Köln. 
» Humpen fteht auf einem Aufſatz der wie ein fanfter 
.. * auf diefem figen und liegen Nymphen im Kreis; 


rinen, Beden, Triangel, andre liegen und balgen 
*pnen über bie Köpfe fpringen; es tft gar zu 

+ man beſchrieben, aber hätte Sie e8 erft ge- 
derung laut aufgeſchrieen Haben. Was 

18 von Menſche handen gemacht 

Meinte inne?" nfenen Begeift- 

I = che ſchöne 

r "am und ed 

‘ ‚ da vergaß 








46 





ich alles, blos um mit den legten Strahlen der Sonne meine Sinne 
in dem kühlen Rhein zu baden. 

Eine Mutter giebt fi) alle erdenkliche Mühe ihr Heines unver 
fländiges Kindchen zufrieden zu ftellen, fie kommt jeinen Bedürfniſſen 
zuvor und macht ihm aus allem ein Spielwerk; wenn es nım auf nicht® 
hören will und wit nichts fich befriedigen Täßt, fo läßt fie e8 feine Un⸗ 
art ausſchreien bis e8 müde ift,, und dann ſucht fie es wieder von 
neuem mit dem Spielwerk vertraut zu machen. Das tft grade wie 
es Gott mit ven Menſchen macht, ex giebt das Schönfte un den Men⸗ 
hen zur Luft, zur Freude zu reizen, und ihm den Berftand dafür zu 
fhärfen. — Die Kunft ift ein jo ſchönes Spielwert, um den unruhi⸗ 
gen, ewig begehrenden Menfchengeift auf fich ſelbſt zurück zu führen, 
um ihn denken zu lehren und fehen; um Geſchicklichkeit zu erwerben, 
dte jeine Kräfte wedt und fteigert. Er foll lernen ganz der Unſchuld 
folder Erfindung ſich hingeben, und vertrauen auf die Luft und das 
Spiel der Phantafte, die ihn zum Höchſten auszubilden und zu reifen 
vermag. Gewiß liegen in der Kunft große Geheimniſſe höherer Ent- 
widlung verborgen; ja ich glaub fogar, daß alle Neigungen von denen 
bie Philiſter jagen, daß fie keinen nützlichen Zwed haben, zu jenen 
myſtiſchen gehören die den Keim zu großen in diefem Leben noch um 
verftändlihen Eigenfchaften in unfre Seele legen; welche dann im 
nächſten Leben als ein höherer Inſtinkt aus uns heroorbrechen, der 
einem geiftigeren Element angemefien ifl. — 

Die Art wie jene in Gold und Silber getriebene Kunſtwerke auf 
geftellt find, ift auch zu bewundern, und trägt ſehr dazu bei, biejelben 
jowohl in ihrer Pracht mit einem Blick zu überſchauen, als auch ein 
jedes einzelne bequem zu betrachten. Es ift eine Wand von ſchwarzem 
Ebenholz mit tiefen Cafletten, in der Mitte ver Wand eine große, 
in welder das Hauptftüd ſteht, auf beiden Seiten Kleinere in denen 
die anderen Kunſtwerke, als: Humpen, Becher ꝛc. zc. ftehen. An jever 
Caſſette hebt fih durch den Drud einer Feder der Boden heraus und 
läßt das Kunſtwerk von allen Seiten fehen. 

Noch eines Becher gedenke ih von Bronze, eine echte Antike 


47 





wie man behauptet: und man muß e8 wohl glauben, weil er jo ein- 
fach iſt und doch fo majeſtätiſch. Ein Jüngling: wahrſcheinlich Gany⸗ 
med, ſitzt nachläſſig auf einem Stein, der Adler auf der Erde zwiſchen 
feinen Knieen, breitet beide Flügel aus als wolle er ihn damit ſchla⸗ 
gen, und legt den ausgeftredten Kopf auf des Jünglings Bruft, der 
auf ben Adler herabſieht, während er die Arme emporhebt und mit 
beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was ven Becher bilvet. 
Kann man fi) was Schöneres denken? — Nein! ‘Der wilde Adler, 
der ganz leidenſchaftlich den ruhigen Jüngling gleihjam anfällt und 
doch an ihm ausruht, und jener, der jo ſpielend den Becher emporhebt 
ift gar zu ſchön, und ich hab allerlei dabei gedacht. Eine andre Wand 
will ich Ihr noch befchreiben und dann zu Bette gehn, denn ich bin 
müde; ftell Sie ſich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze 
Wand befteht, Inuter achtedlige goldne Zellen, in jeder ein andrer Hei⸗ 
liger, zierlih, ja wahrhaft reizend in Holz geſchnitzt mit ſchönen Klei⸗ 
dern angetban, in bunter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle 
für den Bienenweiſel ift, da tft Chriftus, auf beiden Seiten die vier 
Evangeliften, dann rund umber die Apoftel, dann die Erzväter, endlich 
die Märtyrer, zulegt die Einfiedler. Diele Wand habe ich in Ober 
weſel als Hauptaltar in der Kirche aufgeftellt geſehen; es tft feine 
Figur die man nicht gleich als als ſchönes naives in feiner Art eigen- 
thümliches Bild abmalen könnte. Adien Frau Rath, ich muß abbrechen, 
fonft tönnte der Tag heranlommen über meinem ertemportren. 
Bettine, 


Un Bettine, 
Fr. 7. Oltober 1808. 
Die Beichreibung von Deinen Prachtſtücken und Koftbarkeiten 
Hat mir recht viel Plaifir gemacht; wenn's nur auch wahr ift daß Du 
fie geſehen haft, denn in ſolchen Stüden kann man Dir nicht wenig 
genug trauen. Du haft mir ja jhon manchmal bier auf Deinem 


48 





Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn wenn Du, mit Ehren 
zu melden, in's Erfinden geräthft, Dann hält Dich fein Gebiß und fein 
Zaum. — Ei, mid wundert's, daß Du noch ein End finden kannſt 
und nicht in einem Stüd fortſchwäzſt, blos um ſelbſt zu erfahren, was 
alles no in Deinem Kopf fledt. Manchmal mein ich aber doch es 
müßt wahr fein, weil Du alles fo natürlich vorbringen fannft. Wo 
follteft Du aud alles herwiſſen? — Es ift aber doch kurios, daß bie 
Kurfürften immer mit Fiſch und Waſſernymphen zu thun haben; auf 
der Krönung hab ich in den Silberlammern auch ſolche Sachen gejehen, 
da war ein Springbrunnen von Silber mit ſchönen Figuren, da fprang 
Wein heraus, der wurde zur Pracht auf vie Tafel geftellt. Und ein- 
mal bat der Kurfürft von der Pfalz ein Fiſchballet aufführen Iafien, 
da tanzten die Karpfen, prächtig in Gold und Silberfchuppen angethan, 
aufrecht einen Menuett. Nım, Du haft das alles allein gejehen, ſolche 
Sachen die man im Kopf fieht, die find auch da und gehören ins 
himmliſche Reich, wo nichts einen Körper hat, ſondern nur alles im 
Geiſt da iſt. 

Mach doch daß Du bald wieder herkommſt, Du haſt den ganzen 
Sommer verſchwärmt, mir iſt es gar nicht mehr drum zu thun mit 
dem Schreiben, und ich hab Dich auch ſo lange nicht geſehen, es ver⸗ 
langt mich recht nach Dir. 

Deine wahre Herzensfreundin 
Goethe. 


An Böthe's Mutter. 


Frau Kath, den ganzen Tag bin ich nicht zu Haus, aber wenn 
ih an Sie jchreib, dann weiß ich daß ich eine Heimath habe; es ift 
die Zeit daß die Leut Feldgötter im Weinberg aufftellen um die Sper« 
linge von ven Trauben zu ſcheuchen; heut morgen konnt id) nicht be⸗ 
greifen, was für ein wunderbarer Beſuch fi jo früh im Weingarten 
aufbalte, der mir durch den dicken Nebel ſchimmerte; ich dachte erſt e8 


49 
wär der Teufel, venn er bat einen ſcharlachrothen Rod und ſchwarze 
Unterfleiver und golppapterne Müte; ımd am Abend tn der Dämme- 
rung fürdhtete ich mich dran vorbeizugehen und zwar fo jehr, daß ich 
wieder umlehrte und nicht bis an's Wafler ging wie ich jeden Abend 
thue; und wie ich wieder im Zimmer war, da Dachte ich, wenn mid) je- 
mand Liebes dort binbeftellt hätte, jo würd ich wohl nichts von Furcht 
gefpärt Haben; ich ging alfo nod einmal und glüdlich an dem Yumpen- 
gefpenft vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; Die 
ftille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über ven brütenden 
Wetnbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem ftillen ruhigen 
Abend, in dem mein Andenken ihm einen freundlichen Beſuch macht, 
und er ſich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kindiſchen 
Gedanken bei ihm anlande. Was ich in jo einfamer Abenpfkunde wo 
die Dämmerung mit der Nacht taufcht denke, das kann Sie fih am 
beften vorftellen, da wir es tauſendmal mit einander beiprochen haben, 
und haben fo viel Ergöten dabei gehabt. Wenn wir mit einander zu 
ihm gereiſt kämen, das denk ich mir immer no aus. — Damals hatte 
ich ihn noch nicht gejehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit 
damit vertrieb, daß Sie mir feine freubige Überraſchung malte und 
unfer Erfcheinen unter tanfenverlei Veränderungen; — jett kenne ich 
ihn und weiß wie er lächelt und den Ton feiner Stimme, wie die fo 
rubig ift und doch voll Liebe, und feine Ausrufungen, wie die jo aus 
dem tiefen Herzen anfchwellen, wie der Ton im Gefang; und wie er 
fo freundlich bejchwichtigt und bejaht was man im Herzensbrang un- 
orbentlich herausſtürmt; — wie ic im vorigen Jahr jo unverhofft 
wieder mit ihm zufammentraf, da war ich fo außer mir, und wollte 
ſprechen und konnte mich nicht zurecht finden; da legt er mir die Hand 
auf den Mund und fagt: Spred mit ven Augen, ich veriteh alles; 
und wie er jah, daß die voll Thränen ftanven, fo brüdt er mir die 
Augen zuumd fagte: Ruhe, Ruhe, die belommt ung beiden am beften ; — 
ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegoflen, ich Hatte 
ja alles wonad ich fett Jahren mich einzig gefehnt habe. — O Mut- 
ter, ich dank e8 Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in die Welt 
Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 4 





50 





— 


geboren, — wofollt ich ihn fonft finden! Lach Sie nicht darüber, und 
denk Sie doch daß ich ihm geliebt hab, eh ich das Geringfte von ihm 
gewußt, und hätt Ste ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wär, 
das ift Doch die Frage die Sie nicht beantworten Tann. 

Über die Günderode ift miram Rhein unmöglich zu fchreiben, ich 
bin nicht jo empfindlich, aber ich bin hier am Plat nicht weit genug 
von dem Gegenſtand ab, um ihn ganz zu überfehen; — geftern war 
ih da unten wo fie lag; die Weiden find fo gewachſen, daß fie ven 
Ort ganz zudecken, und wie ich mir jo dachte, wie fle voll Verzweiflung 
bier herlief und jo raſch das gewaltige Meſſer fih in die Bruft ſtieß, 
und wie das Tage lang in ihr gekocht hatte, und ich, die fo nah mit 
ihr fand, jetst an demſelben Drt, gehe Hin und her an demfelben Ufer, 
in füßem Überlegen meines Glüdes, und alles und das Geringfte was 
mir begegnet, ſcheint mir mit zu dem Reichthum meiner Seligkeit zu 
gehören; da bin ich wohl nicht geeignet, jeßt alles zu orbnen und den 
einfachen Faden unferes Freundelebens, von dem ich doch nur alles 
anſpinnen könnte zu verfolgen. — Nein, e8 kränkt mich und ich made 
ihr Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte, daß fie Die 
ihöne Erde verlafjen hat; fie hätt noch lernen müſſen, daß die Natur 
Geiſt und Seele hat und mit dem Menjchen verlehrt, und fich feiner 
und jenes Gejhides annimmt, und daß Tebensverheifungen in den 
Lüften uns umwehen; ja, fie hat's 688 mit mir gemacht, fie ift mir 
geflüchtet, grade wie ich mit ihr theilen wollte alle Genüffe. Sie war 
fo zaghaft; eine junge Stiftsdame, die ſich fürdhtete das Tifchgebet 
laut herzufagen;; fie ſagte mir oft, daß fie fich fürchtete weil die Reihe 
an ihr war; fie wollte vor den Stiftsdamen das Benedicite nicht Iaut 
berjagen; unjer Zufammenleben war ſchön, es war die erfte Epoche in 
der ich mich gewahr ward; — fie hatte mich zuerſt aufgefucht in Offen- 
bach, fie nahm mich bei der Hand und forderte, ich folle fie in ver 
Stadt beſuchen; nachher waren wir alle Tage beifanmen, bei ihr lernte 
ich die erften Bücher mit Verſtand leſen, fie wollte mich Gefchichte leh— 
ven, fie merkte aber bald daß ich zu ſehr mit der Gegenwart beſchäftigt 
war, als daß mich die Vergangenheit hätte Iange fefleln können; — 


51 


wie gern ging ich zu ihr! ich konnte fie feinen Tag mehr mifjen, ich 
lief alle Nachmittag zu ihr, wenn ich an die Thür des Stift's kam, va 
ſah ich durch das Schlüfjellocdh bis nad ihrer Thür, bis mir aufgethan 
ward; — ihre Heine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten; vor 
dem Fenfter ftand eine Silberpappel, auf die Metterte ich während dem 
Borlejen; bei jevem Kapitel erftieg ich einen höheren Aft und las von 
oben herunter; — fie ftand am Fenſter und hörte zu und ſprach zu 
mir hinauf, und dann und wann fagte fie: Bettine, fall nicht; jetzt 
weiß ich erft wie glüdlich ich in der pamaligen Zeit war, denn weil 
alles, auch das Geringfte fih al8 Erinnerung von Genuß in mid 
geprägt Hat; — fie war fo fanft und weich in allen Zügen wie eine 
Blondine. Ste hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren ge- 
vedt mit langen Augenwimpern; wenn fie lachte jo war e8 nicht laut, 
es war vielmehr ein fanftes gedämpftes Girren in dem ſich Luſt und 
Heiterkeit jehr vernehmlih ausſprach; — fie ging nicht, fie wandelte, 
wenn man verjtehen will, was ich damit auszufprechen meine, — ihr 
Kleid war ein Gewand was fie in ſchmeichelnden alten umgab, das 
fam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs war hodh, 
ihre Geſtalt war zur fließend als daß man es mit dem Wort jchlant 
ausdrücken könnte; fie war ſchüchtern⸗freundlich, und viel zu willenlos 
als daß fie in der Geſellſchaft fi bemerkbar gemacht hätte. Einmal 
aß ſie bei dem Fürft Primas mit allen Stiftspamen zu Mittag; fie 
war im ſchwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen 
mit dem Ordenskreuz; da machte jemand die Bemerkung, fie ſähe aus 
wie eine Scheingeltalt unter den andern Damen, als ob fie ein Geift 
jet, der eben in ver Luft zerfließen werde. — Sie las mir ihre Gedichte 
vor und freute fich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum 
wär; ich war aber auch voll lebendiger Begierde e8 anzuhören; nicht 
als ob ich mit dem PVerftand das Gehörte gefaßt habe, — e8 war 
vielmehr ein mir unbelanntes Element, und die weichen Verſe wirkten 
auf mic wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem jchmeichelt, 
ohne daß man fie überſetzen kann. — Wir Iafenzufammen den Werther, 
und ſprachen viel über den Selbſtmord; fie fagte: recht viel lernen, 
4% 


52 


recht viel faffen mit dent Geift, und dann früh fterben; ich mag's nicht 
erleben daß mich bie Jugend verläßt; wir lajen vom Jupiter Olymp 
des Phidias, daß die Griechen von dem fagten, der Sterblihe ſei 
um das Herrlichfte betrogen, der die Erde verlaſſe ohne ihn geſehen zur 
haben. Die Günderode fagte, wir müfjen ihn fehen, wir wollen nicht 
zu den Unfeligen gehören die jo die Erde verlafien. Wir machten ein 
Reiſeprojekt, wir erachten unfre Wege und Abentheuer, wir ſchrie⸗ 
ben alles auf, wir malten alles aus, unjre Einbildung war fo ge- 
Ihäftig, daß wir's in der Wirklichkeit nicht befjer hätten erleben können; 
oft Iajen wir in dem erfundenen Reiſejournal und freuten ung der 
allerliebften Abentheuer die wir drin erlebt hatten, und die Erfindung 
wurde gleichſam zur Erinnerung, deren Beziehungen ſich noch in der 
Gegenwart fortfetzten. Bon dem was fi in der Wirklichfeit ereig⸗ 
nete, machten wir ung feine Mittheilungen, das Reich in dem wir 
zufammentrafen, fentte ſich herab wie eine Wolfe, die fich öffnete um 
uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war alles neu, 
überraſchend, aber paſſend für Geift und Herz; und fo vergingen die 
Tage. Sie wollte mir Philoſophie lehren, was fie mir mittheilte ver⸗ 
langte fie von mir aufgefaßt, und dann auf meine Art fchriftlich 
wiedergegeben; die Aufläge die ich ihr hierüber brachte las fie mit 
Staunen; es war nie auch, eine entfernte Ahnung von dem was fie 
mir mitgetheilt hatte; ich behauptete im Gegentheil, jo hätt ich e8 ver⸗ 
ftanden; — fie nannte diefe Auffäge Offenbarungen, gehöht durch die 
füßeften Farben einer entzüdten Imagination; fle fammelte fie jorg- 
fältig, fte fehrieb mir einmal: Jetzt verftehft Du nicht, wie tief dieſe 
Eingänge in das Bergwerk des Geiftes führen, aber einft wird e8 Dir 
jehr wichtig jein, denn der Menſch geht oft öde Straßen; je mehr er 
Anlage hat durchzudringen, je ſchauerlicher tft die Einfamteit feiner 
Wege, je enblofer vie Wüſte. Wenn Du aber gewahr wirft, wie tief 
Du Dich bier in den Brunnen des Denkens nievergelafien haft und 
wie Du da unten ein neues Morgenroth finveft, und mit Luſt wieder 
heraufkömmſt und von Deiner tieferen Welt ſprichſt, dann wird Dich's 
tröften, denn die Welt wird nie mit Dir zufammenhängen, Du wirft 








53 


feinen andern Ausweg haben als zurüd durch diefen Brunnen in den 
Zaubergarten Deiner Phantafie; es ift aber keine Phantafie, es ift 
eine Wahrheit, die fih nur in ihr fpiegelt. Der Genius benutzt bie 
Phantafte, um unter ihren Formen das göttliche, was der Menfchengeift 
in feiner idealen Erſcheinung nicht faffen könnte, mitzutheilen oder ein- 
zuflößen; ja Du wirft feinen andern Weg des Genuſſes in Deinem 
Leben haben, als ven ſich die Kinder verſprechen von Zauberhöhlen, 
von tiefen Brunnen; wenn man durch fie gelommen, fo findet man 
blühende Gärten, Wunderfrüchte, kriſtallne Paläfte, wo eine noch un- 
begriffne Muſik erihallt, und die Sorme mit ihren Strahlen Brüden 
baut, auf denen man feiten Fußes in ihr Centrum ſpazieren kann; — 
das alles wird fih Dir in diefen Blättern zu einem Schlüflel bilden 
mit dem Du vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kanuſt, 
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht folhen Heiz der Dich 
zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welde 
nie der Genius in den Geift geboren wird; — wenn er erft in Dich 
eingefleifcht ifl, dann wirft Du Dich der Begeiftrung freuen, wie der 
Tänzer fi der Muſik freut. 

Mit folhen wunderbaren Lehren bat die Günverode die Unmin- 
digkeit meines Geiſtes genährt. Ich war damals bei der Großmutter 
in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner ſchwankenden Ges 
fundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weife berührten mic 
denn folde Briefe? — verftand ich ihren Inhalt? — hatte ich einen 
Begriff von dem was ich geihrieben hattet Nein; ich wußte mir jo 
wenig den Tert meiner fhriftlihen Begeiftrungen auszulegen, als fich 
der Componift den Zert feiner Erfindungen begreiflich machen kann; 
er wirft fih in ein Element was höher ift als er; es trägt ihn, es 
nährt ihn, feine Nahrung wird Inſpiration, fie reizt, fie beglüdt, ohne 
dag man fie finnlich auszulegen vermöchte, obſchon vie Fähigkeiten 
durch fie gefteigert, der Geift gereinigt, Die Seele gerührt wird. So 
war e8 auch zwifchen mir und der Freundin: die Melodieen entſtröm⸗ 
ten meiner gereisten Phantafte, fie lauſchte und fühlte unenblichen 
Genuß dabei, und ˖ bewahrte, was, wenn e8 mir geblieben wär nur 


38 





an denen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die machen Did 
melancholiſch. Deine Freundin Eliſabeth. 


Der Moritz Bethmann hat mir geſagt, Daß die Stael mich be⸗ 
ſuchen will; ſie war in Weimar, da wollt' ich, Du wärſt hier, da 
werd ich mein Franzöſiſch recht zuſammen nehmen mäfjen. 


An Goethe's Mutter. 


Diesmal hat Sie mir's nicht recht gemacht, Frau Rath; warum 
ſchickt Sie mir Goethe's Brief nicht? — Ich hab ſeit dem 13. Auguſt 
nichts von ihm, und jetzt haben wir ſchon Ausgang September. Die 
Stael mag ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich ger 
dacht. Eine berühmte Frau tft was kurioſes, Teine andre kann fid 
mit ihr meſſen, fie ift wie Branntwein, mit dem kann ſich das Korn auch 
nicht vergleichen, aus dem er gemacht if. So Branntwein bigelt auf 
der Zung, und fteigt tn ven Kopf, das thut eine berühmte Frau auch; 
aber der reine Waizen ift mtr Doch lieber, den jäet der Säemann in die 
geloderte Erb, die liebe Sonne und der fruchtbare Gewitterregen Ioden 
ihn wieder heraus, und dann übergrünt er die Yelder, und trägt golpne 
Ahren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig Erntefeſt; ich will doch lieber 
ein einfaches Waizenkorn fein als eine berühmte Frau, und will and 
Iteber, daß Ermic als tägliches Brod breche, als daß ich ihm wie ein 
Schnaps durd den Kopf fahre. — Vest will ih Ihr nur fagen, daß 
ich geftern mit der Stadl zu Nacht gegeflen hab in Mainz; keine Frau 
wollt neben ihr figen bei Tiſch, da hab ich mich neben fie gefekt; es 
war unbequem genug, die Herren flanden um den Tiſch umd hatten fich 
alle Hinter und gepflanzt, und einer vrüdte auf den andern, um mit ihr 
zu fprechen, und ihr in's Geſicht zu fehen; fie bogen ſich weit über 
mich; ich fagte: »Vos Adorateurs me suffoquente, fie lachte. — Site 
fagte, Goethe Habe mit ihr won mir gefproden; ich blieb gern fißen, 


39 





denn ich hätte gern gewußt, was er gejagt bat, und doch war mir's 
unrecht, denn ich wollt Lieber, er [präch mit niemand von mir; und ich 
glaub's auch nicht, — fie mag nur fo gejagt Haben, — e8 kamen zu- 
legt fo viele, die alle über mich hinaus mit ihr ſprechen wollten, daß 
ich's gar nicht länger konnte aushalten; ich jagt ihr: »Vos lauriers 
me pesent trop fort sur les 6paules. Und ich fland auf und drängt 
mich zwiſchen ven Liebhabern durch; da kam der Sismondi, ihr Be 
gleiter, und küßt mir die Hand, und fagte, ich hätte wiel Geift, und 
ſagt's den andern, und fie repetirten e8 wohl zwanzigmal, als wenn 
ich ein Prinz wär, von denen findet man aud immer alles jo gejchent, 
wenn es auch das gewöhnlichfte wär. — Nachher hört’ ich ihr zu, wie 
fie von Goethe ſprach; fie jagte, fie Habe erwartet, einen zweiten Wer⸗ 
ther zu finden, allein fie habe ſich geirrt, ſowohl fein Benehmen wie 
auch ferne Figur pafje nicht dazu, und fie bevauerte jehr, daß er ihn 
ganz verfehle; Fr. Rath, ich wurd zornig über diefe Reben, („daS war 
überfläffig“, wird Ste fagen) ich wendt' mich an Schlegel, und jagt 
ihm auf Deutſch: die Fr. Stadl bat ſich Doppelt geirrt, einmal in ber 
Erwartung, und dann in der Meinung; Wir Deutſchen erwarten daß 
Goethe zwanzig Helven aus dem Ärmel ſchütteln fan, die ven Fran⸗ 
zojen jo imponiren; Wir meinen, daß er jelbft aber nod ein ganz 
andrer Held ifl. — Der Schlegel hat unrecht daß er ihr keinen beſſern 
Verſtand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein Xorbeerblatt womit 
fte gefpielt hatte auf die Erbe; ich trat drauf und fehubfte es mit dem 
Fuß auf die Seite und ging fort. — Das war bie Gefchtchte mit der 
berühmten Frau; Hab Sie feine Noth mit ihrem franzöftfch, ſprech Sie 
die Fingerſprach mit ihr und mache Sie den Kommentar dazu mit 
ihren großen Augen das wird imponiren; die Stadl hat ja einen 
ganzen Ametfenhaufen Gedanken tm Kopf, was fol man ihr noch zu 
fagen haben? Bald komm ich nad Frankfurt, da können wir's befier 
beſprechen. 

Hier iſt's ſehr voll von Rheingäſten; wenn ich Morgens durch 
den dicken Nebel einen Nachen hervorſtechen ſeh, da lauf ich an's Ufer 
und wink mit dem Schnupftuch, immer ſind's Freunde oder Bekannte; 





56 


nah Jahren noch daran zweifeln; dieſes Schweben und Fliegen war 
mir gar zu gewiß; ich war innerlich flolz darauf und freute mich dieſes 
Bewußtſeins; ein einziger elaftiiher Drud mit der Spike ver Fuf- 
zehen — und ich war in Lüften; ich fchwebte leife und anmutbig zwei 
brei Fuß über der Erde, aber ich berührte fie gleich wieder, und flog 
wieder auf, — und fehwebte auf die Seite, von da wieder zurüd; fo 
tanzte ich im Garten im Mondſchein hin und ber, zu meinem unaus- 
Iprehlihen Vergnügen; ich ſchwebte über Die Treppen herab oder her- 
auf, zuweilen hob ich mich zur Höhe der nievern Baumäfte und ſchwirrte 
zwiichen den Zweigen dahin; Morgens erwachte ich in meinem Bett 
mit dem Bewußtſein daß ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich's. 
— Ich ſchrieb an die Günderode ich weiß nicht was, fie fam heraus 
nah Offenbach, ſah mich zweifelhaft an, that befremdende Tragen über 
mein Befinden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen wie 
je, die Züge hatten fich unendlich verfeinert, die Nafe jo ſchmal und 
fein, der Mund gefhwungen, eine äußerſt weiße Farbe; ich freute mich 
und jah mit Genuß meine Geftalt, die Günderode fagte, ich follte nicht 
folang mehr allein bleiben, und nahm mich mit in Die Stadt; da waren 
wenig Tage verfloflen, fo hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und 
ſchlief, und weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich erwachte 
ih und es war am vierzehnten Tag nachdem ich mich gelegt hatte; 
indem ich die Augen öffnet, ſah ich ihre ſchwanke Seftalt im Zimmer auf- 
und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, jagt ih, warum 
weinft Dir? Gott fei ewig gelobt, jagte fie, und fam an mein Bett, 
bift Du endlich wieder wach, bift Du endlich wieder in's Bewußtfein 
gelommen? — Bon der Zeit an wollte fie mich nichts Philoſophiſches 
leſen laſſen, und aud feine Aufjäge follte ih mehr machen; fie war feft 
überzeugt, meine Krankheit fei davon hergelommen; ich hatte großes 
Wohlgefallen an meiner Geftalt, die Bläffe, die von meiner Krankheit 
zurücdgeblieben war, gefiel mir unendlich, meine Züge erfchienen mir 
ſehr bedeutend, die großgeworbenen Augen herrſchten, und die anderen 
Geſichtstheile verhielten fich geiftig leivend; ich fragte die Günderode, 
ob nicht darin ſchon die erften Spuren einer Berllärung ſich zeigten. 


57 





Hier hab ich abgebrochen, und hab viele Tage nicht gefchrieben; 
es ftieg fo ernft und ſchwer herauf, der Schmerz ließ fih nicht vom 
Denten bemeiitern; ich bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das 
Ungeheuere. Unterbeflen hat man den Herbft eingetban, ver Moft 
wurde vom Laubbekränzten Winzervolf unter Subelgefang die Berge 
berabgefahren und getragen, und fie gingen mit der Schalmei voran 
und tanzten. D Du — der Du dieſes Tieft, Du haft feinen Mantel 
fo weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was bift Du 
mir ſchuldig? — Dem ich Opfer bringe wie die, daß ich Dich die 
Hand in die Winden legen lafje. — Wie kannſt Du mir vergelten? — 
Du wirft mir nimmer vergelten, Du wirft mich nicht Ioden und an 
Dich ziehen, und weil ich fein Obdach in der Liebe habe, wirft Du 
mich nicht herbergen, und ver Sehnſucht wirft Du feine Linderung 
gewähren; ich weiß e8 ſchon im Voraus, ich werd allein fein mit mir 
jelber, wie ich heut allein fland am Ufer bet den vüftern Weiden, wo 
die Todesſchauer noch wehen über den Platz da fein Gras mehr wächſt; 
dort bat fie den ſchönen Leib verwundet grad an ver Stelle, wo ſie's 
gelernt hatte daß man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus 
Maria! — 

Du! mein Herr! — Du! — flammender Genius über mir! 
ih hab geweint, nicht über fie die ich verloren habe, die wie warme 
Trühlingbrütende Lüfte mih umgab; die mich ſchützte, die mich be- 
geifterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; 
ich hab geweint um mich, mit mir; hart muß ich werden wie Stahl, 
gegen mich, gegen Das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen daß ich 
nit geliebt werde, ih muß fireng fein gegen dies Teidenfchaftliche 
Herz; e8 hat kein Recht zu fordern, nein es hat fein Recht, — Du 
bift mild und lächelſt mir, und deine fühle Hand mildert die Gluth 
meiner Wangen, Das ſoll mir genügen. 

Geftern waren wir in Laubbekränzten Nahen den Rhein hinab 
gefahren, um die hunbertfältige Feier des Weinfeftes an beiden Berg» 
ufern mit anzufehen; auf unſerem Schiff waren Iuftige Leute, fie 
Ihrieben Weinhegeifterte Lieder und Sprüde, ftedten fie in bie 


58 


geleerten Flaſchen, und ließendiefe unter währendem Schießen ven Rhein 
hinabſchwimmen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt 
bie bei einbrechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem Mäuſe⸗ 
thurm, mitten im folgen Rhein vagten zwei mächtige Tannen empor, 
ihre flammenden durchbrannten Äfte fielen herab in die ziſchende Fluth, 
von allen Seiten donnerten fie und warfen Raketten, und fchöne 
Sträußer von Leuchtlugeln fliegen jungfräulich in die Lüfte, und auf 
den Nahen fang man Lieder, und im Borbeifahren warf man fich 
Kränze zu und Trauben; da wir nad Haufe famen jo war's fpät, 
aber der Mond leuchtete Hell; ich fah zum Fenſter hinaus und hörte 
noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heimkehrenden, und diefjeits, 
nach der Seite, wo fie todt am Ufer gelegen hatte, war alles ftill, ich 
dacht, da tft feiner mehr der nach ihr frägt, und ich ging Hin, nicht 
ohne Grauen, nein mir war bang, wie ich von weiten die Nebel 
über den Weidenbüſchen wogen jah, da wär ich bald wieder umge. 
fehrt, e8 war mir als fei fie e8 jelbft, die da Ichwebte und wogte und 
ſich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs daß mich Gott 
doch ſchützen möge; — ſchützen? — vor was? vor einem Geift, deſſen 
Herz vol liebendem Willen gewejen war gegen mich im Leben; und 
nun er des irdiſchen Leib's entledigt ift, ſoll ich ihn fürchtend fliehen? — 
Ach fie hat vielleichk einen befiren Theil ihres geiftigen Vermögens auf 
mich vererbt feit ihrem Tod. Vererben doch die VBorältern auf ihre 
Nachkommen, warum nicht die Freunde? — Sch wei nicht, wie weh 
mir ift! — fie, die freundlich klare hat meinen Geift vielleicht beſchenkt. 
Wie ich von ihrem Grab zurüd kam, da fand ich Leute die nach ihrer 
Kuh fuchten, die ſich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; fie ahndeten 
gleich daß ich von dort her kam, fie wußten viel von der Günderode 
zu erzählen, bie oft freundlich bei ihnen eingefprochen und ihnen Almofen 
gegeben Hatte; fie fagten, jo oft fie dort vorbeigehen, beten fie ein 
Vaterunſer; ich hab auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab 
mich vom Mondlicht rein wachen laſſen und hab es ihr laut gejagt 
daß ich mich nach ihr jehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl 
und Gedanken harmlos gegen einander austaufchten. 








59 





Sie erzählte mir wenig von ihren fonftigen Angelegenheiten, ich 
wußte nicht, in welchen Verbindungen fie noch außer mir war; fie hatte 
mir zwar von Daub in Heidelberg geiprochen und auch von Kreuzer, 
aber ich wußte von feinem, ob er ihr lieber jet als der andre; einmal 
hatte ih von andern Davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam 
fie mir freudig entgegen und fagte: Geftern hab ich einen Chirurg 
geſprochen der hat mir gejagt daß es ſehr Leicht ift fich umzubringen, 
fie öffnete haftig ihr Kleid und zeigte mir unter der ſchönen Bruft den 
led; ihre Augen funkelten freudig; ich flarrte fie an, es warb mir 
zum erftenmal unheimlich, ich fragte: nun! — und was foll ich denn 
thun, wenn Du todt biſt? — O, fagte fie, dann ift Dir nichts mehr 
an mir gelegen, bis dahin find wir nicht mehr fo eng verbunven, ich 
werd mid erft mit Dir entzweien, — ich wendete mich nad dem 
Tenfter, um meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver- 
bergen, fte hatte fi nach dem andern Fenſter gewendet und ſchwieg; — 
ih fah fie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, 
aber der Strahl war gebrochen, ald ob fi fein ganzes Feuer nad 
innen gewendet habe; — nachdem ich fie eine Weile beobachtet hatte, 
fonnt ich mich nicht mehr faflen, — ich brach in lautes Schreien aus, 
ich fiel ihr um den Hals und ri fie nieder auf den Sig und ſetzte mich 
auf ihre Knie und weinte viel Thränen und küßte fie zum erſten mal 
an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und fühte fie an die Stelle, 
wo fie gelernt hatte das Herz treffen, und ich bat mit jchmerzlichen 
Thränen, daß fie ſich meiner erbarme, fiel ihr wieder um den Hals 
und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, ihre Lippen zuckten, 
fie war ganz kalt, flarr und todtenblaß und konnte die Stimme nicht 
erheben; fie fagte leife: Bettime, brich mir das Herz nicht; — adı da 
wollte ih mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und 
weinte, und ſchluchzte laut, ihr Ichten immer banger zu werven, fte legte 
ſich auf's Sopha; da wollt ich ſcherzen und wollte ihr bewetien, daß 
ih alles für Scherz nehme; da ſprachen wir von ihrem Teſtament; 
fie vermachte einem jeven etwas; mir vermachte fie einen Heinen Apoll 
unter einer Glasglode, dem fie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; 


60 





ich ſchrieb alles auf, im nad Haufe gehen machte ich mir Vorwürfe, 
daß ich fo aufgeregt geweſen war; ich fühlte, daß e8 doch nur Scherz 
geweien war, oder auch Phantafie die in ein Reich gehört, 
welhes nicht in ver Wirklichkeit feine Wahrheit be- 
hauptet; ich fühlte, daß ich Unrecht gehabt hatte und nicht fie, vie 
ja oft auf diefe Weile mit mir gejproden hatte. Am anvern Tag 
führte ich ihr einen jungen franzöſiſchen Hufaren-Offizier zu mit hoher 
Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der fhönfte aller 
Sünglinge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unver- 
muthet angelommen; ich fagte: da hab ich Dir einen Liebhaber ge- 
bracht, der fol Dir das Leben wieder lieb machen. Ex vertrieb uns 
allen die Melancholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der 
ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behauptete, jo wollte 
die Günderode, ich follte ihm den Lorbeerkranz ſchenken; ich wollte 
mein Erbtheil nicht gejchmälert willen, doch mußt ich ihm endlich Die 
Hälfte des Kranzes laſſen; fo hab ich dem nur die eine Hälfte. Ein⸗ 
mal fam ich zu ihr, da zeigte fie mir einen Dolch mit filbernem Griff 
den fie auf ver Meſſe gelauft hatte, fie freute fich ber den ſchönen 
Stahl und über ferne Schärfe, ich nahm das Mefier in die Hand 
und probte es am Finger, da floß gleich Blut, fie erſchrak, ich fagte: 
O Günderode, Du bift jo zaghaft und kannſt kein Blut fehen, und 
geheft immer mit einer Idee um, die den höchſten Muth vorausfegt, 
ich hab doch noch das Bewußtfein, daß ich eher vermögend wär etwas 
zu wagen, obfchon ich mich nie umbringen würde; aber nich und Dich 
in einer Gefahr zu vertheivigen, dazu hab ih Muth; und wenn ich 
jet mit dem Meſſer auf Dich einpringe — fiehft Du wie Du Di 
fürchteſt? — fie zog fich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich 
wieder in mir unter der ‘Dede des glühendſten Muthwills; ich ging 
immer ernftlicher anf fie em, fie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen 
ledernen Sefjel um fich zu fihern; ich ſtach in den Seflel, ich riß ihn 
mit vielen Stichen m Stüde, das Roßhaar flog hier umd dahin in der 
Stube, fte ftand flehend Hinter dem Seflel und bat, ihr nicht zu 
thun; — ich fagte: eh ich dulde, daß Du Di umbringft, thu ich's 





61 





lieber ſelbſt; mein armer Stuhl! rief fie, ja was, Dein Stuhl, der 
fol den Dolch ſtumpf maden; ich gab ihm ohne Barmherzigkeit Stich 
auf Stih, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolfe; fo warf ic 
den Dolch weit in die Stube, daß er praflelnd unter Das Sopha fuhr; 
ih nahm fie bei der Hand und führte fie in ven Garten in die Wein⸗ 
laube, ih ri die jungen Weinreben ab und warf fie ihr vor die Füße; 
ich trat darauf und fagte: So mißhandelſt Du unfre Freundſchaft. — 
Sch zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, 
jpielend, aber treu gegen einander bisher zufammen gelebt hätten; ich 
fagte: Du kannſt fiher auf mich bauen, es ift feine Stunde in der 
Nacht, die, wenn Du mir deimen Willen kund thuſt, mich nur einen 
Augenblid befinnen machte, — komm vor mein Fenfter und pfeif um 
Mitternacht, und ih geh ohne Vorbereitung mit Div um die Welt. 
Und was ih für mich nicht wagte, das wag ich für Dich; — aber 
Du! — was beredhtigt Dich mich aufzugeben? — wie fannfl Du 
jolhe Treue verrathen; und verjprih mir, daß Du nicht mehr deine 
zaghafte Natur Hinter fo graufenhafte prahlerifche Ideen verihanzen 
willſt; — ich ſah fie an, fie war befhämt und ſenkte ven Kopf, und 
ſah auf die Seite und war blaß; wir waren beide ftill, Lange Beit. 
Oünderode, fagte ih, wenn es ernft ift, dann gieb mir ein Zeichen, — 
fie nidte. — Sie reifte in's Rheingau; von dort aus ſchrieb fie mir 
ein paarmal, wenig Zeilen; — ich hab fie verloren ſonſt würde ich 
fie bier einhalten. Einmal fchrieb fie: iſt man allein am Rhein, fo 
wird man ganz traurig, aber mit mehreren zufanımen, da find grade 
die ſchauerlichſten Plätze am Iuftaufreizenpften: mir aber tft doch lieb 
den weiten gevehnten Purpurhimmel am Abend allein zu begrüßen, 
da Dichte ih im Wandeln an einem Mährchen, das will ich Dir vor⸗ 
lejen; ich bin jeven Abend begierig wie es welter geht, e8 wird mauch⸗ 
mal recht ſchaurig und dann taucht e8 wieder auf. Da fie wieder 
zurückkam und ich das Mährchen leſen wollte, jagte fie: es ift jo traurig 
geworben, daß ich's nicht lefen kann; ich darf nichts mehr davon hören, 
ih kaun e8 nicht mehr weiter fehreiben: ich werde frank davon; fie 
legte fih zu Bett und blieb mehrere Tage liegen, der Dolch lag an 


62 





ihrem Bett; ich achtete nicht Darauf, die Nachtlampe ftand dabei, ich 
kam herein; Bettine, mir ift vor drei Wochen eine Schwefter geftorben; 
fie war jünger als ih, Du haft fie nie gefehen; fie flarb an der fchnellen 
Auszehrung; — warum fagft Du mir dies heute erft, fragte ih? — 
nun was könnte Dich dies intereſſiren? Du haft fie nicht gelannt, ich 
muß jo was allein tragen, fagte fie mit trodnen Augen. Mir war 
dies doch etwas fonderbar, mir jungen Natur waren alle Gefchwifter 
fo lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müflen, wenn einer 
ftürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelafien hätte; fie fuhr fort: 
nun dent! vor drei Nächten iſt mir dieſe Schwelter erſchienen; ich lag 
im Bett und die Nachtlampe brannte auf jenem Tiſch; fie kam herein 
in weißem Gewand, langfam, und blieb an dem Tiſch ftehen; fie 
wendete den Kopf nad mir, ſenkte ihn und fah mid an; erft war ich 
erſchrocken, aber bald war ich gang ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, 
um mich zu Überzeugen daß ich nicht ſchlafe. Ich ſah fie auch an und 
es war, als ob fie etwas bejahend nidte; fie nahm dort den Dolch, 
bob ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob fie mir ihn zeigen 
wolle, legte ihn wieder fanft und Hanglos nieder, dann nahm fie die 
Nachtlampe, bob fie auch in die Höhe und zeigte fie mir, und als ob 
fie mir bezeichnen wolle daß ich fie verftehe, nicte fie janft, führte vie 
Lampe zu ihren Lippen und bauchte fie aus; denk nur, ſagte fie voll 
Schauder, ausgeblaſen; — im Dunkel hatte mein Auge noch das 
Gefühl von ihrer Geftalt; da hat mich plötzlich eine Angft befallen die 
ärger fein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär 
lieber geftorben, al8 nod länger dieſe Angft zu tragen. 

Ich war gelommen um Abſchied zu nehmen, weil ich mit Savigny 
nah Marburg reifen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben. Reiſe 
nur fort, fagte fie, denn ich reife auch übermorgen wieber in's Rhein⸗ 
gau; — fo ging ih denn weg, — Bettine, rief fie mir in ver Thür 
zu: behalt dieſe Geſchichte, fie ift Doch merkwürdig! Das waren ihre 
legten Worte, In Marburg jehrieb ich ihr oft in's Rheingau von 
meinem wunderlichen Leben, — ich wohnte einen ganzen Winter am 
Berg dicht unter dem alten Schloß, der arten war. mit der Feſtungs⸗ 








63 


mauer umgeben, aus den Yenftern hatt ich eine weite Ausjicht über die 
Stadt und das reich bebaute Hefjenland ; überall ragten die gothifchen 
Thürme aus den Scneeveden hervor; aus meinem Schlafzimmer 
ging ich in den Berggarten, ich Hetterte über die Feſtungsmauer, und 
ftieg durch die verödeten Gärten; — wo ſich die Pförtchen nicht auf- 
zwingen ließen da brach ich durch die Heden, — da ſaß ich auf ver 
Steintreppe, die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich 
juchte Die Mooſe, und trug fie mit ſammt der angefrornen Erde nad 
Haus; — ſo hatt id an dreißig bis vierzig Moosarten gefammelt die 
alle in meiner Falten Schlaflammer in irdnen Schüfjelhen auf Eis 
gelegt mein Bett umblühten; ich jchrieb ihr Davon, ohne zu jagen was 
es fei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett fteht mitten im falten Land, 
umgeben von viel Hatnen, die blühen in allen Farben, und da find 
fülberne Heine uralter Stämme, wie der Hain auf der Inſel Cypros; 
die Bäume ftehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; ver 
Raſen aus dem fie hervorwachfen ift roſenroth und blaßgrün; ich trug 
den ganzen Hain heut auf meiner erftarrten Hand in mein kaltes Eis⸗ 
beetland; — da antwortet fie wieder in VBerfen: das find Mooſe ewiger 
Zeiten, die ven Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf 
reiten, ob vie Lämmer drüber weiden, ob der Winterfchnee fie dedet, 
oder Frühling Blumen wedet; in dem Haine ſchallt e8 wieter, fummen 
Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel, hängen Tröpfchen 
Than am Gipfel; in dem Maren Tröpfihen Thaue, fpiegelt fich die 
ganze Aue; Du mußt andre Räthſel machen, will Dein Wit des 
meinen lachen! 

Nun waren wir in's Räthſel geben und löſen geratben; alle 
Augenblid hatt ich ein Meines Abentheuer auf meinen Spazierwegen, 
was ich ihr verbrämt zu errathen gab; meiſtens löſte fie e8 anf eine 
kindlich⸗ luſtige Weife auf. Einmal Hatte ich ihr ein Häschen, was mir 
auf wilden einfamen Waldweg begegnet war, als einen zierlihen Kit» 
ter beichrieben, ich nannte e8 la petite perfection und daß es mir 
mein Herz eingenommen babe, — fie antwortete gleich: auf einem 
Schönen grünen Rafen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blafen, da flüch- 


64 


teten ſich alle Hafen; jo Hoff ih wird ein Held einft kommen, Dein 
Herz, von Hafen eingenommen, von diefen Wichten zu befreien und 
feine Gluthen zu erneuen; — dies waren Anfpielungen auf Heine 
Liebesabentheuer. — So verging ein Theil des Winters; ich war in 
einer jehr glücklichen Geiftesverfafjung, andre würden fie Überfpannung 
nennen, aber mir war fie eigen. An der Feſtungsmauer, die den großen 
Garten umgab war eine Thurmwarte, eine zerbrochne Leiter ſtand 
drinn; — dit bei ung war eingebrochen worden, man fonnte den 
Spigbuben nicht auf die Spur fommen, man glaubte, fie verſteckten ſich 
auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Zag in Angenjhein genommen 
und erlannt, daß es für einen ftarfen Mann unmöglich war, an diefer 
morſchen beinah ftufenlofen Himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich 
verſuchte es, gleitete aber wieder herunter nachdem ich eine Strede 
binaufgelommen war; in der Nacht, nachdem ich ſchon eine Weile im 
Bett gelegen hatte und Meline ſchlief, ließ e8 mir feine Ruhe; ich warf 
ein Überfleiv um, ftieg zum Fenſter hinaus, und ging an dem alten 
Marburger Schloß vorbei, da gudte der Kurfürft Philipp mit der Eli⸗ 
fabeth lachend zum Fenſter heraus; ich hatte dieſe Steingruppe bie 
beide Arm in Arm ſich weit aus dem enfter lehnen, al8 wollten fie 
ihre Lande überſehen, ſchon oft bei Tage betrachtet, aber jettt bei Nacht 
fürchtete ich mich fo davor daß ich m hohen Sprüngen davoneilte in 
den Thurm; dort ergriff ich eine Leiterftange und half mir, Gott weiß 
wie, daran hinauf; was mir bei Tage nicht möglich war, gelang mir 
bei Nacht in der ſchwebenden Angft meines Herzens; wie ich beinah 
oben war machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spisbuben wirklich, 
oben fein könnten und da mich überfallen und von der Warte hinunter: 
ftürgen; da King ih und wußte nicht hinunter over herauf, aber die 
frifche Luft, die ich witterte, Iodte mich nad) oben; — wie war mir da, 
wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weit verbreitete Natur 
überjchaute, allein und gefichert, Da8 große Heer der Sterne über mir! 
— fo ift e8 nad dem Tod, die freiheitftrebende Seele, der ver Leib 
am angftvolliten Iaftet, im Augenblid da fie ihn abwerfen will; fie 
fiegt endlich und iſt ver Angft erledigt; — da hatte ich blos das Gefühl 











65 


allein zu fein, da war fein Gegenftand der mir näher war als meine 
Einfamteit, und alles mußte vor dieſer Befeligung zuſammenſinken; — 
ich ſchrieb der Gunderode, daß wieder einmal mein ganzes Glüd von 
der Laune diefer Grille abhänge; ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich 
auf der freien Warte mache und denke, ich jegte mich auf die Bruſt⸗ 
maner und hing die Beine hinab. — Sie wollte immer mehr von 
dieſen Thurmbegeiſtrungen, fie fagte: e8 tft mein Labſal, Du fprichft 
wie ein auferfianpner Prophet! — wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf 
der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und 
Iuftig nad} den Sternen jehe, und daß mir zwar am Anfang gefhwin- 
delt habe, daß ich jet aber ganz fed und wie am Boden mich da oben 
befinde, — da jchrieb fie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch 
nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer oder guter Dämo⸗ 
nen biſt; — falle nicht, jchrieb fie mir wieder, obſchon e8 mir wohl« 
thätig war, Deme Stimme von oben herab über ven Tod zu vernehmen, 
jo fürchte ich nicht8 mehr, als daß Du elend und unwillführlich 
zerjchmettert in's Grab ſtürzeſt; — ihre Bermahnungen aber erregten 
mir keine Furcht und feinen Schwindel, im Gegentheil war ich toll- 
fühn; ich wußte Beſcheid, ich hatte Die triumphirende Überzeugung daß 
ih von Geiftern gefchüßt fei. Das Seltiame war, daß ich's oft vergaß, 
daß es mich oft mitten aus vem Schlaf wedte und ich noch in unbe⸗ 
ſtimmter Nachtzeit himeilte, Daß ich auf dem Hinweg immer Angft hatte 
und auf der Leiter jeden Abend wie den erften, daß ih oben allemal 
die Befeligung einer von ſchwerem Druck befreiten Bruft empfand ; — 
oben, wenn Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen hinein 
und: Jesus nazarenus rex judaeorum als ſchützenden Talisman dar⸗ 
über, da war mir, als fet fie gefichert gegen böfe Eingebungen. 

Test kam Kreuzer nah Marburg, um Savigny zu befuchen. 
Häßlich wie er war, war e8 zugleich unbegreiflih, daß er ein Weib 
interejfiren könne; ich hörte daß er von der Günderode ſprach, in 
Ausdrücken als ob er ein Recht an ihre Liebe babe; ich hatte in mei⸗ 
nem von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhältniß zu ihr, frü⸗ 
her nichts davon geahndet, und war im Augenblid auf’8 heftigſte eifer- 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 5 


66 


füchtig; er nahm in meiner Öegenwart ein kleines Kind aufden Schooß 
und fagte: wie heit Du? — Sophie. Nun, du folllt, fo lange ich 
bier bin Karoline heißen, Karoline gieb mir einen Kuß. Da warb ich 
zornig, ich vi ihm das Kind vom Schooß und trug es hinaus, fort 
durch den Garten auf den Thurm; da oben ftellt ich es in ven Schnee 
neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Geſicht Hinein 
und weinte laut, und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam 
begegnete mir Kreuzer; ich fagte: weg aus meinem Weg, fort. Der 
Philolog konnte fih einbilden, daß Ganymed ihm die Schanle des 
Jupiters reichen werde. — Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß auf 
meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war fo fill — fein Laut 
bis in die weitefte Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, vie 
mir feine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal fchlug 
es Mitternacht, — da ftürmte e8 herauf, die Trommeln rührten fich, 
die Poſthörner fchmetterten, fie Löften ihre Slinten, fie jauchzten, bie 
Studentenliever tönten von allen Seiten, e8 flieg der Subellärm, daß 
er mich beinah wie ein Meer umbraufte, — das vergefje ich nie, aber 
jagen kann ich aud) nicht, wie mir fo wunderlid war da oben auf 
ſchwindelnder Höhe, und wie e8 allmählich wieder fill ward, und ich 
mid) ganz allein empfand. Ich ging zurüd und ſchrieb an die Günde- 
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann 
will ich ihn beilegen; ich weiß daß ich ihr Die heißeſten Bitten that mir 
zu antworten; ich fchrieb ihr von dieſen Stuventenliedern, wie die gen 
Himmel gefhallt hätten und mir das tieffte Herz aufgeregt; ja ich 
legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete 
mit heißer Sehnſucht acht Lage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich 
war blind, ih war taub, ich ahmdete nichts. Noch zwei Monate gingen 
vorüber, — da war ih wieder in Frankfurt; — ich lief in's Stift, 
machte die Thür auf: fiehe da fland fie und fah mich an; kalt wie es 
ſchien; Günderod, rief ich, darf ich hereinkommen? — fie ſchwieg, und 
wendete ſich ab; Günderod, fag nur ein Wort und ich lieg an Deinem 
Herzen. Nein, fagte fie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir 
müſſen uns dod trennen. — Was heit das? — So viel, daß wir 


67 


uns in einander getrrt haben und daß wir nicht zufanmen gehören. — 
Ach, ich wendete um! ach, erfte Verzweiflung, erfter granfamer Schlag, 
jo empfindlih für ein junges Herz! ich, die nichts kannte wie bie 
Unterwerfung, die Hingebung in diefer Tiebe, mußte jo zurückgewieſen 
werben. — Ih lief nah Haus zur Meline, ich bat fie mit zu gehen 
zur Günderode, zu fehen was ihr fehle, fie zu bewegen mir einen 
Augenblick ihr Angeficht zu gönnen; ich Dachte, wenn ich fie nur einmal 
in's Auge faflen könne, dann wolle ich fie zwingen; ich lief über bie 
Straße, vor der Zimmerthür blieb ich fliehen, ich ließ Die Meline 
allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zitterfe und rang die Hände 
in dem Heinen engen Gang, der mid) fo oft zu ihr geführt hatte, — 
die Meline kam heraus mit verweinten Augen, fie zog mich ſchweigend 
mit fi fort, — einen Augenblid hatte mich der Schmerz übermannt, 
aber gleih ftand ich wieder auf den Füßen; nun! dacht ich, wenn 
das Schickſal mir nicht ſchmeicheln will, jo wollen wir Ball mit ihm 
iptelen; ich war heiter, ich war luſtig, ic war überreizt, aber Nächten 
weinte ih im Schlaf. — Am zweiten Tag ging ich des Wegs wo 
ihre Wohnung war, da fah ich Die Wohnung von Goethes Mutter, die 
ich nicht näher kannte und nie befucht hatte; ich trat ein. Frau Kath, 
fagte ih, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir ift eine Freundin in 
der Stiftsdame Günderode verloren gegangen und vie follen Sie mir 
erfegen; — wir wollen's verfuchen, fagte fie, und jo fam ich alle 
Tage und fette mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem Sohn 
erzählen und ſchrieb's alles auf und ſchickte es der Gunderode; — wie 
fie in's Rheingau ging jendete fie mir die Papiere zurück; die Magd 
die fie mir brachte, fagte, e3 habe der Stiftsdame heftig das Herz 
geflopft da fie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Trage, was fie 
beftellen ſolle, habe fie geantwortet: nichts. — 

Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schloſſer; er bat mich 
um ein paar Heilen an bie Günderode, weil er in's Rheingau reifen 
werde, und wolle gern ihre Bekanntſchaft machen. Ich fagte daß ich 
mit ihr brouillirt fei, ich bäte ihn aber von mir zu fpredhen und acht 
zu geben, was e8 für einen Eindruck auf fie mahe, — wann geben 

5% 


68 


Sie hin fagte ih, morgen? — Nein, in acht Tagen; — o gehen Sie 
morgen, fonft treffen Sie fie nicht mehr, — am Rhein iſt's jo melan- 
choliſch, ſagte ich ſcherzend, da könnte fie ſich ein Leid's anthun; — 
Schloſſer ſah mich ängſtlich an; ja ja, ſagte ich muthwillig, ſie ſtürzt 
ſich in's Waſſer oder erſticht ſich aus bloßer Laune. — Freveln Sie 
nicht, ſagte Schloſſer, und nun frevelte ich erſt recht: Geben Sie acht, 
Schlofſſer, Sie finden fie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit 
zögern, und ich fage Ihnen, gehen Sie heute Lieber wie morgen und 
retten Sie fie von unzeitiger melandholifcher Laune; — und im Scherz 
beichrieb ich fie, wie fie fi umbringen werde, im rothen Kleid, mit 
aufgelöftem Schnürband, dicht unter ver Bruft die Wunde, das nannte 
man tollen Uebermuth von mir, e8 war aber bewußtloſer Überreiz, in 
dem ich die Wahrheit volllommen genau beſchrieb. — Am andern Tag 
kam Franz und fagte: Mädchen, wir wollen in's Rheingau gehen, da 
kannſt Du die Günderode beſuchen. — Wann? fragte ih. — Morgen, 
fagte er; — ach, ich padte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten 
daß wir gingen; alles was ich begegnete, jchob ich haſtig aus dem 
Weg, aber e8 vergingen mehrere Tage und es warb die Keife immer 
verjchoben; endlich, da war meine Luſt zur Reiſe in tiefe Trauer ver⸗ 
wandelt und ich wär lieber zurüdgeblieben. — Da wir in Geifenheim 
anfamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenſter und ſah in's mond⸗ 
beipiegelte Waſſer; meine Schwägerin Tont ſaß am Fenſter; vie Magp, 
die den Tifch dedte, fagte: Geftern bat fih auch eine junge ſchöne 
Dame, die ſchon ſechs Wochen hier ſich aufhielt, bei Windel umgebracht; 
fie ging am Rhein ſpazieren ganz lang, dann lief fie nach Haufe, holte 
ein Handtuch; am Abend ſuchte man fie vergebens, am andern Morgen 
fand man fie am Ufer unter Weidenbüfchen, fie Hatte das Handtuch 
voll Steine gefammelt und fih nm ven Hals gebunden, wahrjchetnlich 
weil fie fi in den Rhein verjenten wollte, aber da fie ſich in's Herz 
ftach, fiel fie rüdwärts, und fo fand fie ein Bauer am Rhein Liegen 
unter den Weiden an einem Ort, wo e8 am tiefiten if. Er riß ihr 
den Dolch aus dem Herzen und fchleuderte ihn voll Abſcheu weit in 
den Rhein, die Schiffer jahen ihn fliegen, — da kamen fie herbei und 





69 , 
trugen fie in die Stadt. — Ich Hatte im Anfang nicht zugehört, aber 
zuleßt hört ich's mit an und rief: das ift die Günderode! Man redete 
mir's aus und fagte, e8 ſei wohl eine andre, da fo viel Frankfurter 
im Rheingau wären. Sch ließ mir's gefallen und dachte: grade was 
man prophezeie, fei gewöhnlich nicht wahr. — In der Nacht träumte 
mir, fie käͤme mir auf einem mit Kränzen gefhmüdten Nahen ent⸗ 
gegen, um ſich mit mir zu verſöhnen; ich ſprang aus dem Bett in des 
Bruders Zimmer und rief: es ift alles nicht wahr, eben hat mir's leb⸗ 
baft geträumt! Ach, jagte ver Bruder, baue nicht auf Träume! — 
Ich träumte noch einmal, ich fet eilig in einem Kahn über ven Rhein 
gefahren, um fie zu ſuchen; da war das Wafler trüb und ſchilfig, Die 
Luft war dunkel und e8 war fehr kalt; — ich landete an einem 
fumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuhten Mauern, aus dem 
ſchwebte fie hervor und ſah mich ängitlic an und deutete mir daß fie 
nicht ſprechen könne; — ich lief wieder zum Schlafzimmer ver Ger 
ſchwiſter und rief: nein, es tft gewiß wahr, denn mir hat geträumt, 
daß ich fie gefehen habe, und ich Hab gefragt: Günderode, warum haft 
Du mir dies gethan? da hat fie gefehwiegen, hat ven Kopf geſenkt und 
bat fih traurig nicht verantworten können. — Nun überlegte ich im 
Bett alles, und befann mich, daß fte mir früher gejagt hatte, fie wolle 
fih erft mit mir entzweien eh fie dieſen Entſchluß ausführen were; 
nun war mir unfre Trennung erklärt; auch daß fie mir ein Zeichen 
geben werde, wenn ihr Entſchluß reif fe; — das war alfo die Ger 
ſchichte von ihrer todten Schweiter, die fie mir ein halb Jahr früher 
mittheilte; da war der Entſchluß ſchon gefaßt. — O ihr großen See- 
fen, dieſes Lamm in feiner Unſchuld, Diefes junge zaghafte Herz, welche 
ungeheure Gewalt bat es bewogen fo zu handeln? — Am andern 
Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf vem Ahein weiter, — Franz 
hatte befohlen, daß das Schiff jenſeits fich Halten folle, um zu ver- 
meiden, daß wir dem Plat zu nahe kämen, aber dort ftand der Fritz 
Schlofier am Ufer, und der Bauer der fie gefunden, zeigte ihm wo 
der Kopf gelegen hatte und bie Füße und daß das Gras noch nieder- 
liege, — und der Schiffer lenkte unwillführlich dorthin, und Franz 


70 

bewußtlos ſprach im Schiff alles dem Bauer nach was er in der Ferne 
veritehen konnte, und da mußt ich denn mit anhören die ſchauderhaften 
Bruchſtücke der Erzählung vom rothen Kleid, das aufgefchnürt war, 
und der Dolch, den ich fo gut kannte, und das Tuch mit Steinen um 
ihren Hals, und die breite Wunde, — aber ich weinte nicht, ich 
Ihwieg. — Da kam der Bruder zu mir und fagte: fer ſtark Mäb- 
hen. — Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man fich die 
Geſchichte; ich lief in Windesfchnelle an allen worüber, den Oftern 
hinauf eine halbe Stunde Berg an ohne auszuruhen; — oben war 
mir der Athen vergangen, mein Kopf brannte, id war den andern 
weit vorausgeeilt. — Da lag ver herrliche Rhein mit feinem ſchma⸗ 
ragdnen Schmud ver Infeln; da fah ich die Ströme von allen Seiten 
dem Rhein zufließen, und die reihen friedlichen Städte an beiden 
Ufern, und die gejegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich 
mi, ob mic, die Zeit über dieſen Berluft befehwichtigen werde, und 
da war auch der Entſchluß gefaßt, kühn mich über den Sammer hinaus 
zuſchwingen, denn e8 ſchien mir unwärdig, Sammer zu äußern, den ich 
einftens beherrichen könne. 








Kriefwechfel mit Goethe. 





An Goethe. 
Kaffel, ven 15. Mai 1807. 


Riese, ltebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zu- 
funft mit dem einen Namen, der mein Glüd umfaßt; mein Sohn fei 
dein Freund, Dein Bruder der Dich gewiß liebt ıc. 

Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen 
mich dieſe? — Auch brach e8 los wie ein Damm in meinem Herzen; — 
ein Menſchenkind, einfam auf einem Fels, von Stürmen umbrauf't, 
jeiner felbft ungewiß bin» und herſchwankend, wie Dornen und Difteln 
um e8 ber — jo bin ih; fo war ich da ich meinen Herrn noch nicht 
erfannt hatte. Nun wend ich mich wie die Sonnenblume nach meinem 
Gott, und kann ihm mit dem von jenen Strahlen glühenven Angeficht 
beweifen daß er mich durchdringt. O Gott! darf ih auch? — und 
bin ih nicht allzu kühn? 

Und was will ih denn? — erzählen, wie die herrliche Freund» 
lihleit, mit der Ste mir entgegen famen, jet in meinem Herzen 
wuchert? — alles andre Xeben mit Gewalt erftidt? — wie ich immer 
muß binverlangen, wo mir's zum erften Mal wohl war? — Das hilft 
alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! — ich bin weit entfernt, Ans 
ſprüche an das zu machen was ihre Güte mir zudenkt, — aber viele 
haben mich geblenvet; und ich mußte zum wenigften den Wunſch be- 
friedigen, daß Sie willen möchten, wie mächtig mid, die Liebe in jedem 
Angenblid zu ihnen hinwendet. 


172 


Auch darf ich mich nicht ſcheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, 
das fih aus meinem Herzen hervorvrängt wie die junge Saat in 
“ Frühling; — es mußte fo fein, und der Saame war in mich gelegt; 
e3 ift nicht mein vorfäglicher Wille, wenn ich oft aus dem augenbfid- 
lichen Geſpräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann jege ich mid an 
die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schooß, oder ich drücke Ihre 
Hand an meinen Mund, oder ich ſtehe an Ihrer Seite und umfafle 
Ihren Hals; und es währt lange bis ich eine Stellung finde, in der 
ih beharre, Dann plaudre ich wie es mir behagt; die Antwort aber 
die ih mich in Ihrem Namen gebe, ſpreche ich mit Bedacht aus: 
Mein Kind! meinartiggut Mädchen! liebes Herz! Ya, 
fo klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte 
von Geiftern in eine andre Welt getragen zu fein; und wenn ich dann 
bedenke daß es von Ihren Tippen jo wieverhallen könnte, wenn ich 
wirklich wor Ihnen fände, — dann ſchaudre ich vor Freude und Sehn- 
fucht zufammen. D wie viel bundertmal träumt man, und träumt 
befier als einem je wird. — Muthwillig und übermüthig bin ich auch 
zuweilen, und preife ven Mann glüdlich der jo jehr geltebt wird; dann 
lächeln Sie und bejahen e8 in freundlicher Großmuth. 

Weh mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd 
ich im Leben das Herrlichfte vermiflen. Ach, iſt der Wein denn nicht 
die füßefte und begehrlichfte unter allen himmliſchen Gaben? daß wer 
ibn einmal gekoſtet hat, trunfner Begeiftrung nimmer abſchwören 
möchte. — Diefen Wein werd ich vermiffen, und alles andre wird 
mir fein wie hartes geiftlofes Waſſer, deſſen man keinen Tropfen mehr 
verlangt als man bedarf. 

Wie werd ich mich alsdann tröften können! — mit dem Lieb 
etwa: „Im Arm der Liebe rubt ſich's wohl, wohl aud im Schooß der 
Erde?" — oder: „Ich wollt ih läg und fchlief zehntauſend Klafter 
tief.” — 

Ich wollt ih könnte meinen Brief mit einem Blid in Ihre Augen 
ichliegen; fehnell würde ich Vergebung der Kühnheit herauslefen und 
diefe noch mit einfiegeln; ich würde dann nicht ängſtlich fein über das 


73 


kindiſche Geſchwätz, das mir doch fo ernft ift. Da wird e8 hingetragen 
in raſcher Eile viele Meilen; der Poſtillion ſchmettert mit vollem 
Enthuflasmus feine Ankunft in die Lüfte, al8 wolle er frohlockend 
fragen: was bring ih! — und num bricht Goethe feinen Brief auf, 
und findet das unmündige Stammeln eined unbeveutenden Kindes. 
Sol ich, noch Verzeihung fordern? — O, Ste wiffen wohl, wie über- 
mächtig, wie voll füßen Gefühls das Herz oft if, und die kindiſche 
Lippe kann das Wort nicht treffen, ven Ton kaum, der e8 wieberflingen 
macht. Bettine Brentano. 


An Bettine, im Brief an feine Mutter eingelegt von 
Goethe. 


Solcher Früchte, reif und ſüß, würde man gern an jedem Tag 
genießen, den man zu den ſchönſten zu zählen berechtigt ſein dürfte. 
Wolfgang Goethe. 


Liebe Mutter, geben Sie dies eingeſiegelte Blättchen an Bettine 
und fordern Sie ſie auf, mir noch ferner zu ſchreiben. 


An Goethe. 
Am 25. Mai. 

Wenn die Sonne am heißeften ſcheint, wird der blaue Himmel 
oft träbe; man fürchtet Sturm und Gewitter, beklemmende Luft drückt 
die Bruft, aber endlich fiegt die Sonne; ruhig und golden fintt fie 
dem Abend in den Schooß. 

So war mir's da Ich Ihnen gefhrieben hatte; ich war beflemmt 
wie wenn ein Gewitter ſich fpüren läßt, und ward oft roth Über den 
Gedanken daß Sie e8 unrecht finden möchten, und endlich warb mein 
Mißtrauen nur durch wenig Worte, aber fo lieb gelöft. Wenn Sie 


74 


wüßten wie ſchnelle Fortſchritte mein Zutrauen in demſelben Augen- 
blick machte, da ich erkannte, daß Sie es gern wollen! — Gütiger 
freundlich gefinnter Mann! ich bin fo unbewandert in Auslegung 
folcher köſtlichen Worte, daß ich ſchwankte über ihren Sinn; die Mut⸗ 
ter aber fagte: fei nicht jo dumm, er mag gejchrieben haben was er 
will, jo beißt e8, Du ſollſt ihm fchreiben fo oft Du kannſt und was 
Du wilft. — Ach ich Tann Ihnen nichts anders mittheilen, als blos 
was in meinem Herzen vorgeht. O dürft ich jetzt bei ihm fein, dacht 
ich, ſo gühend heil follte meine Freudenſonne ihm leuchten, wie fein 
Auge freundlich dem meinigen begegnet. Sa wohl herrlich! Ein Pur⸗ 
purhimmel mein Gemüth, ein warmer Liebesthau meine Rebe, die 
Seele müßte wie eine Braut aus ihrer Kanımer treten ohne Schleier 
und fi befennen: o Herr in Zukunft will ich Dich oft fehen und lang 
am Tage, und oft fol ihn ein folder Abend ſchließen. 

Sch gelobe es, dasjenige was von der äußeren Welt unberührt 
in mir vorgeht, heimlich und gewiſſenhaft demjenigen darzulegen, der 
ſo gern Theil an mir nimmt, und defien allumfafjiende Kraft den 
jungen Keimen meiner Bruft, Fülle befruchtender Nahrung verſpricht. 

Das Gemüth hat ohne Vertrauen ein hartes Loos; es wächſt 
langſam und dürftig, wie eine beige Pflanze zwifchen Felſen; fo bin 
ih, — ſo war ich biß heute, — und dieſe Herzensquelle, die nirgend 
wo ausftrömen konnte, findet plötlih den Weg an's Ticht, und para- 
dieſiſche Ufer im Balſamduft blühenver Gefilve begleiten ihren Weg. 

D Goethe! — meine Sehnſucht, mein Gefühl find Melodieen, 
die fih ein Lied fuchen, dem fie ſich anſchmiegen möchten. Darf ich 
mich anſchmiegen? — dann follen dieſe Melodieen jo body fteigen, 
daß fie Ihre Lieder begleiten können, 

Ihre Mutter ſchrieb wie von mir: daß ich feinen Anſpruch an 
Antworten made; daß ich keine Zeit rauben wolle, die Ewiges her- 
vorbringen kann; jo ift e8 aber nicht: meine Seele jchreit wie ein 
burftiges Kindchen; alle Zeiten, zufünftige und verflofiene, möchte ich 
in mich trinken, und mein Gewiſſen würde mir wenig Bedenken machen, 
wenn die Welt von nım an weniger von Ihnen zu erfahren befäme 





75 


und ich mehr. Bedenken Sie indeß, daß nur wenig Worte von Ihnen 
ein größere Maaß von Freude ausfüllen werden, als ich von aller 
fpäteren Zeit erwarte. Bettine. 


Die Mutter iſt ſehr heiter und geſund, ſie trinkt noch einmal ſo 
viel Wein wie vor'm Jahr, geht bei Wind und Wetter in's Theater; 
fingt in ihrem Übermuth mir vor: „Zärtliche getreue Seele, deren 
Schwur kein Schickſal bricht.” 


Extrabßlatt. 


Wir führen Krieg, ih und die Mutter, und nun iſt's jo weit 
gekommen, daß ich kapituliren muß; die harte Bedingung ift, daß ich 
ſelbſt Ihnen alles erzählen fol, womit ich's verjchuldet habe, und was 
die gute Mutter fo heiter und launig ertragen bat; fie hat eine Ge- 
Ihichte Daraus zufammengefponnen die fie mit taufend Pläfir erzählt; 
fie könnte es alſo ſelbſt viel beſſer ſchreiben, das will fie nicht, ich ſoll's 
zu meiner Strafe erzählen, und da fühl ich mich ganz beſchämt. 

Ich follte ihr ven Gall bringen, und führte ihr unter feinem 
Namen ven Tied zu; fie warf gleich ihre Kopfbevedung ab fette fich 
und verlangte, Gall folle ihren Schädel unterfuhen, ob die großen 
Eigenihaften ihres Sohnes nicht durch fie auf ihn übergegangen fein 
möchten, Tied war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm feinen 
Moment um der Mutter den Irrthum zu benehmen; fie war gleich 
in beftigem Streit mit mir, und verlangte, ich jolle ganz ſtill ſchweigen 
und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; va fam Gall felbft und 
nannte ſich; die Mutter wußte nicht zu welchem fte fih belehren Tolle, 
beſonders da ich ſtark gegen den rechten proteftirte, jedoch hat er end» 
(ih den Sieg davon getragen, indem er ihr eine ſehr ſchöne Abhand⸗ 
lung über die großen Eigenſchaften ihres Kopfes hielt, und ich hab 
Berzeihung erhalten und mußte verfprechen fle nicht wieder zu betrügen. 
Ein paar Tage fpäter kam eine gar zu ſchöne Öelegenheit mich zu 
räden. Ich führte ihr einen jungen Dann aus Strasburg zu, der 
fur; vorher bei Ihnen gewejen war ; fie fragte Höflih nad feinem 





76 





Namen, noch eh er ſich nennen konnte, fagte ich: der Herr heißt 
Schneegans, bat Ihren Herrn Sohn in Weimar befucht und 
bringt Ihr viele Grüße von ihm. Sie ſah mich verächtlich an und 
fragte: darf ih um Ihren werthen Namen bitten? Aber noch ehe er 
fih legitimiren konnte, Hatte ich ſchon wieder den famdjen Namen 
Schneegans ausgefprodhen; ganz ergrimmt über mein grobes Ver⸗ 
fahren, den fremden Herrn eine Schneegans zu Schimpfen, bat fie ihn 
um Berzeihung und daß mein Muthwill feine Grenzen babe und 
manchmal jogar in’8 Alberne fpiele; ich ſagte: der Herr heißt aber 
doch Schneegans. O ſchweig, rief fie, wo kann ein vernünftiger 
Menſch Schneegans heißen! Wie nun der Herr endlich zu Wort 
fam und belannte, daß er wirklich die Tatalität habe fo zu heißen, da 
war es jehr ergötzlich die Entfchuldigungen und Betheuerungen von 
Hochachtung gegenjeitig anzuhören; fie amüfirten fich wortrefflich mit 
einander, als hätten fie fih Jahre lang gelannt, und bei'm Abſchied 
fagte Die Mutter mit einem heroifhen Anlauf: leben fie recht wohl 
Herr von Schneegans, hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's 
über die Zunge bringen könne! — 

Nun, da ich's gejchrieben habe, erfenne ich erſt wie ſchwer die 
Strafe ift, denn ich hab einen großen Theil des Papiers beichrieben, 
ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir jo 
jehr am Herzen liegen anzubringen. Ya, ich ſchäme mich Ihnen heute 
nod was anders zu jagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung 
und Liebe abzufchließen. Aber Diorgen da fange ich einen neuen Brief 
an, und der bier ſoll nichts gelten. Bettine. 


An Goethe. 
3. Juni. 
Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abge- 
holt, um doch eher fchreiben zu dürfen, ohne unbeſcheiden zu jein. 
Ich möchte gar zu gern recht vertraulich kindiſch und felbft ungereimt 


17 


an Sie jchreiben dürfen, wie mir's im Kopf käme; — darf ich? z. B., 
daß ich verliebt war fünf Tage lang, ift das ungereimt® — Nun, 
was jpiegelt fi denn in Ihrer Jugendquelle? — Nur hineingefchaut; 
Himmel und Erde malen ſich drinn; in ſchöner Ordnung ftehen die 
Berge und die Regenbogen, und die blitzdurchriſſ'nen Gewitterwolken, 
und ein liebend Herz fchreitet pur, höherem Glüd entgegen; und 
ven Sonnedurchleuchteten Tag kränzet der heimliche Abend in Lieb- 
hens Arm. 

Drum ſei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage lang verliebt war. 

| Bettine. 


Goethe an 3. 
10. Juni. 
Der Dichter tft manchmal fo glüdlich, das ungereimte zu veimen, 
und fo wär’ e8 Ihnen zu geftatten, liebes Kino, daß Sie ohne Rück⸗ 
halt, alles was Sie der Art mitzutheilen haben, ihm zukommen Tiefen. 
Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Befchreibung defien, der 
in fünftägigem Befig Ihres Herzens war, und ob Sie aud) ficher find, 
daß der Feind nicht noch im Berftel lauert. Wir haben auch Nach⸗ 
richten von einem jungen Mann, der in eine große Bärenmütze gehüllt 
in Ihrer Nähe weilt, und vorgiebt, feine Wunden heilen zu müfjen, 
während er vielleicht im Sinne bat, die gefährlichiten zu fchlagen. 
Erinnern Sie fich jedoch bet fo gefahrvollen Zeiten des Freundes, 
der e8 angemefjener findet, Ihren Herzenslaunen jest nicht in den Weg 
zu fommen. ©. 


Lieber Goethe! lieber Freund! 
14. Juni. 


Heute hab ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen 
für einen Titel geben darf; da hat fie mir die beiden frei gelaflen, — 


78 


ich hab fie beide hingefchrieben; ich jeh der Zeit entgegen wo meine 
Feder anders dahin tanzen wird, — unbefümmert, wo die Flammen 
hinausſchlagen; wo ich Ihnen mein verborgenes Herz entvede, das jo 
ungeftüm fchlägt und doch zittert. Werden Ste mir folhe Ungereimt- 


beiten auch auflöſen? — Wenn ich in derjelben Natur mich weiß, 


deren inneres Leben durch Ihren Geift mir verftändlih wird, dann 
kann ich oft beide nicht mehr von einander unterſcheiden; ich leg mich 
an grünen Raſen nieder mit umfaffenden Armen, und fühle mid 
Ihnen jo nah wie damals, wo Sie den Aufruhr in meinem Herzen 
zu befhwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von meinen 
Armen umfaßt, jo lange mich ruhig anzufehen, bis id) von der Ge- 
wißheit meines Glüdes mich durchdrungen fühlte. 

Lieber Freund! wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal fo er- 
kannt und fo ergriffen war, wieder verloren gehen könne? — Nein! — 
Sie find mir nimmer fern. Ihr Geift lächelt mid an und berührt mich 
zartlih vom erſten Frühlingsmorgen bis zum letsten Winterabend. 

Sp kann ih Ihnen auch das Liebesgeheimniß mit der Bären- 
müge für Ihren leifen Spott über meine ernfte Treue auf das beſchä— 
mendfte erflären. — Nichts iſt reizender als die junge Pflanze in vol- 
ler Blüthe ftehend, auf der ver Finger Gottes jeden friſchen Morgen 
den zarten Thau in Perlen reihet, und ihre Blätter mit Duft bemalt. — 
So blüheten im vorigen Jahr ein paar ſchöne blaue Augen unter der 
Bärenmütze hervor, jo lächelten und ſchwätzten die anmuthigen Lippen, 
jo wogten die ſchwanken Glieder, und fo ſchmiegte fich zärtliche Neigung 
in jede Trage und Antwort, und hauchten in Seufzern den ‘Duft des 
tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. — Ich ſah's mit an 
und verftand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte 
den jungen Hufaren zur Günderode, die traurig war; wir waren 
jeden Abend zufammen, der Geift fpielte mit dem Herzen, taufend 
Äußerungen und ſchöne Modulationen hörte und fühlte ih, — und 
doch war ich nicht verliebt. — Er ging, — man ſah, daß der Abſchied 
jein Herz bevrängte; wenn ich nicht wiederkehre, fagte er, jo glauben 
Sie, daß die Föftlichfte Zeit meines Lebens dieſe legte war. — Ich 











79 
fah ihn die Stiegen hinabipringen, ich ſah feine reizende Geftalt, in 
der Würde und Stolz feiner ſchwanken Jugend gleichſam einen Ver⸗ 
weis geben, fih aufs Pferd ſchwingen und fort in ven Kugelregen 
reiten, — und ich feufzte ihm nicht nach. 

Dies Jahr kam er wieder mit einer faum vernarbten Wunde 
auf der Bruft; er war blaß und matt, und blieb fünf Tage bei uns, 
Abends, wenn alles um den Theetiſch verfammelt war, faß ich im 
dunkeln Hintergrund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er ſpielte 
auf der Guitarre; — da hielt ih eine Blume vor's Licht, und ließ 
ihren Schatten auf feinen Fingern fpielen, — das war mein Wag⸗ 
ftüd,; — mir Hopfte das Herz vor Angft, er möchte e8 merken; da 
ging ih in's Dunkel zurüd und behielt meine Blume, und die Nacht 
legte ich fie unter's Kopfkiſſen. — Das war die letzte Hauptbegeben- 
beit in dieſem Liebesfpiel von fünf Tagen. 

Diefer Jüngling, deſſen Mutter ftolz fein mag auf feine Schön- 
heit, von dem die Mutter mir erzählte, er [ei der Sohn ver erften 
Heifgeliebten meines geliebten Freundes, bat mid 
gerührt. 

Und nun mag der Freund ſich's auslegen, wie es kam, daß ich dies 
Fahr Herz und Aug für ihn offen hatte, und im vorigen Yahre nicht. 

Du haft mich gewedt mitten in lauen Sommerlüften, und da id) 
die Augen aufſchlug, ſah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über 
mir ſchweben, und da langt ich nach ihnen. 

Adien! in der Mutter Brief fteht viel von Gall und dem Gehirn; 
in dem meinigen viel vom Herzen. 

Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schloffer in Ihren Briefen an 
die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es thut meinem armen 
Hochmuth gar zu weh. . Bettine. 


Dein Kind, dein Herz, dein gut 
Mädchen, das den Goethe über al- 
les lieb Hat, und ſich mit feinen An- 
denken über alles tröften Tann. 


80 





An Goethe. 


18. Juni. 

Geſtern ſaß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, ſie 
ſah mich an und ſagte: Nun was giebt's? — warum ſiehſt Du mich 
nicht an? — ich wollte fie ſolle mir erzählen, — ich hatte den Koͤpf 
in meine Arme verſchränkt. Nein, fagte fie, wenn Du mid nicht an⸗ 
fiebft, fo erzähl ich nichts; und da ich meinen Eigenfinn nicht brechen 
fonnte ward fie ganz ſtill. — Ich ging auf und ab durch die drei 
langen ſchmalen Zimmer, und jo oft id an ihr vorüberjchritt, fah fie 
mich an als wollte fie jagen: Wie lang jol’8 dauern? — endlich fagte 
fie: hör! — ich dächte Du gingſt; — Wohin? fragte ih. — Nah 
Weimar zum Wolfgang, und bolteft Dir wieder Reſpekt gegen feine 
Mutter; ach Mutter, wenn das möglich wär! fagte ich, und fiel ihr 
um den Hals, und küßte fie und Tief im Zimmer auf und ab. Ei, 
fagte fie, warum ſoll e8 denn nicht möglich fein? Der Weg dahin 
hängt ja an einander und ift fein Abgrund dazwiſchen; ich weiß nicht 
was Dich abhält, wenn Du eine jo ungeheure Sehnſucht haft; — eine 
Meile vierzigmal zu machen tft der ganze Spaß, und dann fommft Du 
wieder und erzählft mir alles. — 

Nun hab ich die ganze Nacht von der einen Meile geträumt, die 
ich vierzigmal machen werde; es ift ja wahr, die Mutter hat recht, 
nach vierzig durchjagten Stunden läg ich am Herzen des Freundes; 
e8 ift auf piefer Erde, wo ich ihn finden fann, auf gebahnten Wegen 
gehet die Strafe, alles deutet porthin, der Stern am Himmel leuchtet 
bis zu feiner Schwelle, die Kinder am Weg rufen mir zu: dort wohnt 
er! — Was hält mich zurück? — ich bin allein meiner heißen Sehn- 
ſucht Zeuge, und follte mins nicht gewähren, was tch bitte un flehe, 
daß ih Muth Haben möge? Nein ich bin nicht allem, dieſe jehnfüch- 
tigen Gedanken — e8 find Geftalten ; fie jehen mir fragend unter die 
Augen: wie ich mein Leben verfchleifen könne, ohne Hand in Hand 
mit ihm, ohne Aug in Aug in ihrem Feuer zu verglühen. — O Goethe, 
ertrag mich, nicht alle Tage bin ich jo ſchwach, daß ich mich Hinwerfe 





81 


vor dir, und nicht aufhören will zu weinen bis Du mir alles ver- 
ſprichſt. Es geht wie ein ſchneidend Schwert durch mein Herz, daß ich 
bei Dir fein möchte, — bei Dir, und nichts anders will ich, jo wie das 
Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich 
will nichts neues willen, nichts joll fich regen, kein Blatt am Baum, 
bie Küfte follen ſchweigen; ftile ſoll's in ver Zeit fein, und Du follft 
ausharren in Gelaſſenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Bruft ver- 
wunden find. 


19. Juni. 

Geftern Abend war's jo, lieber Goethe; plötzlich riß der Zug- 
wind die Thür auf und löſchte mir das Licht, bei dem ich Dir gefchrie- 
ben babe. — Meine Fenfter waren offen, und die Pläne waren nie- 
vergelafien; der Sturmwind fpielte mit ihnen; — e8 kam ein heftiger 
Gewitterregen, da warb mein Heiner Kanarienvogel aufgeftört — er 
flog hinaus in den Sturm, er fchrie nach mir, und ich Iodte ihn vie 
ganze Nacht. Erft wie das Wetter vorüber war legt ich mich ſchlafen; 
ich war müde und fehr traurig, auch um meinen lieben Vogel. Wie 
ich noch bet ver Günderode die Griechiſche Gefchichte ftubirte, da zeich- 
nete ih Landkarten, und wenn ich die Seen zeichnete, da half er Striche 
hinein machen, Daß ich ganz verwundert war, wie emfig er mit feinem 
Heinen Schnabel immer hin und ber fragte. 

Nun ift er fort, gewiß bat ihm der Sturm das Leben gefoftet ; 
da hab ich gedacht, wenn ich nun Hinansflög, um Dich zu ſuchen, und 
käm durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Thür, die Du mir 
nicht öffnen würdeſt, — nein Du wärft fort; Du bätteft nicht auf mich 
gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen Heinen Vogel; Du geheft 
andern Menſchen nad, Du bewegft Did in andern Regionen; bald 
find’8 die Sterne, die mit Div Rückſprache halten, bald Die tiefen ab- 
gründlichen Felskerne; bald fchreitet Dein Bid als Prophet durch 
Nebel und Luftfchichten, und dann nimmft Du der Blumen Farben 
und vermählft fie dem Licht; deine Leyer findeft Du immer geftimmt, 
und wenn fie Div aud friſchgekränzt entgegen prangte, würbeft Du 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 6 


82 


fragen: Wer hat mir diejen Schönen Kranz gewunden? — Dein Ge 
fang würde diefe Blumen bald verfengen; fie würven ihre Häupter 
fenten, fie würben ihre Farbe verlieren, und bald würden fie unbe- 
achtet am Boden fhleifen. 

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingiebt, alles heiße Sehnen 
und Wollen, kann id nur folden Feldblumen vergleihen, — fie thun 
unbewußt über dem grünen Hafen ihre golpnen Augen auf, fie lachen 
eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten taufend Sterne über 
ihnen und umtanzen ven Mond, und verhüllen die zitternden, Thränen⸗ 
belafteten Blumen im Nacht und betäubenden Schlummer. So bift 
Du Poete ein von Sternenreigen ferner Eingebungen umtanzter Mond; 
meine Gedanken aber liegen im Thal, wie die Feldblumen, und ſinken 
in Naht vor Dir, und meine Begeifterung ermattet vor Dir, und 
alle Gedanken fchlafen unter deinem Firmament. Bettine. 


Goethe an Bettine. 
18. Juni. 

Mein liebes Kind! ich Mage mih an, daß ich Dir nicht früher 
ein Zeichen gegeben, wie genufreich und erquidend es mir tft, das 
reiche Leben deines Herzens überſchauen zu dürfen. Wenn es auch 
ein Mangel in mir ift, daß ih Div nur wenig fagen kann, fo ift e8 
Mangel an Faſſung über alles was Du mir giebft. 

Ich ſchreibe Dir dieſen Augenblid im Flug, denn ih fürchte da 
zu verweilen, wo jo viel überſtrömendes mich ergreift. Fahre fort, 
deine Heimath bei der Mutter zu befeftigen; e8 ift ihr zu viel dadurch 
geworben, als daß fie Dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine 
Liebe und meinen Dan, G. 








83 


An Goethe. 
Frankfurt am 29. Juni. 

Wenn id) alles aus dem Herzen in die Feder fließen ließ, jo 
würdeſt Du manches Blatt von mir bei Seite legen, denn immer von 
mir und von Dir, umd einzig von meiner Liebe, das wär doch nur der 
bewußte ewige Inhalt. 

Ich hab's in den Fingerjpigen, und meine ich müßte Dir erzählen, 
was ich Nachts von Dir geträumt habe, und denk nicht, daß Du für 
anders in der Welt bift. Häufig hab ich denſelben Traum, und es 
hat mir ſchon viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer unter 
denjelben Bedingungen mit Dir zu thun bat; es ift als folle ih vor Dir 
tanzen, ich bin ätheriſch gekleidet, ich hab ein Gefühl, daß mir alles 
gelingen werve, die Menge umdrängt mich. — Ich ſuche Dich, dort 
figeft Du frei mir gegenüber; es ift als ob Du mich nicht bemerkteft 
und ſeieſt mit anderem beſchäftigt; — jetzt trete ich vor Dich, goldbe⸗ 
ſchuhet, und die filbernen Arme hängennadjläffig, und warte; da hebft 
Du das Haupt, dein Blid ruht auf mir unwillkührlich, ich ziehe mit 
leifen Schritten magiſche Kreife, dein Aug verläßt mich nicht mehr, 
Du mußt mir nad wie ich mich wende, und ich fühle einen Triumph 
des Gelingens; — alles was Du kaum ahneſt das zeige ih Dir im 
Tanz, und Du ftaunft über die Weisheit die ih Dir vortanze, bald 
werf ih den Inftigen Mantel ab und zeig Dir meine Flügel, und 
fteig auf in die Höhen; da freu ich mich wie dein Aug mid, verfolgt; 
dann ſchweb ich wieder herab, und finf in deine umfaflenden Arme; 
dann athmeft Du Seufzer aus, und ſiehſt an mir hinauf und bift 
ganz durchdrungen; aus viefen Träumen erwachend kehr ich zur ven 
Menſchen zurüd wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen fhallen mir 
fremd, und ihre Geberven au; — und nun laß mich befennen, daß 
bei dtefen Bekenntniß meiner Traumipiele meine Thränen fließen. 
Einmal haft Du für mid gefungen: So laßt mich feinen bis ich 
werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus. — Dieſe magiſchen Keize, 
diefe Zauberfähigfeiten find mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es 

6* 


84 


mir bleibe bi8 ich werde, aber Herr: diefe Ahnung läßt fich nicht be- 
ftreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich 
in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen 
werde; und daß diefe Welt, in der meine Sinne lebenvig find, ver⸗ 
finfen wird; das, was ich ſchützend deden follte, das werde ich ver⸗ 
rathen; da wo ich duldend mich unterwerfen follte, da werde ich mich 
rächen; und da wo mir unbefangne kindliche Weisheit einen Wink 
giebt, da werd ih Troß bieten und es befjer willen wollen, — aber 
das traurigfte wird fein, daß ich mit dem Fluch der Sünde belaften 
werbe was feine tft, wie fie es alle machen; — und mir wird Recht 
dafür geſchehen. — Du bift mein Schugaltar, zu Dir werd ich flüchten; 
diefe Liebe, dieſe mächtige, die zwiichen uns waltet, und die Erkenntniß 
die mir durd fie wird, und die Offenbarungen, die werden meine 
Schutmauern fein, fie werden mich frei machen von denen die mich 
richten wollen. Dein Rind. 


An Goethe. 


Borgeftern waren Wir im Egmont, fie riefen alle: Herrlich ! 
Wir gingen noh nah dem Schaufpiel unter ven mondbeſchienenen 
Linden auf und ab, wie e8 Frankfurter Sitte tft, da hört ich taufend- 
fahen Wieverhall. — Der Heine Dalberg war mit uns; er hatte 
deine Mutter im Schaufpiel geſehen und verlangte ich folle ihn zu 
ihr bringen; fie war eben im Begriff Nachttoilette zu machen, da fie 
aber hörte, er komme vom Primas, fo ließ fie ihn ein; fie war ſchon 
in der weißen Negligeejade, aber fie hatte ihren Kopfputz noch auf. 
Der liebenswürdige feine Dalberg fagte ihr, fein Onfel habe von 
oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen gefehen während der Vor⸗ 
ftellung, und er wünjche fie vor feiner Abreife noch zu ſprechen, und 
möchte fie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die Mutter 
war fehr gepußt bei dieſem Diner das mit allerlei Fürftlichkeiten und 





85 





fonft merkwürdigen Perſonen bejegt war, denen zu Lieb die Mutter 
wahrſcheinlich imoitirt war, denn alle drängten fih an fie heran, um 
fie zu fehen und mit ihr zu ſprechen. Sie war jehr heiter und bereb- 
ſam, und nur von mir fuchte fie fih zu entfernen. Sie fagte mir 
nachher, fie babe Angft gehabt, ich möge fie in Verlegenheit bringen; 
ich glaube aber, fie hat mir einen Streich gefpielt, venn der Primas 
fagte mir fehr wunderlihe Sachen über Did, und daß deine Mutter 
ihm gejagt habe, ich babe einen erhabenen äfthetiihen Sinn. Da 
nahm er einen fhönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des 
Lord Nelfon, und fagte: diefer feine Mann mit der Habichtänafe der 
fol Ste zu Tiſch führen, er ift der ſchönſte von der ganzen Gefell- 
ihaft, nehmen Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand aber 
nicht8 davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas, aus vem id} ge- 
trunten hatte, und bat mid um Erlaubniß daraus zu trinken, ber 
Wein würde ihm fonft nicht ſchmecken; das ließ ich gefchehen, und alle 
Weine, die ihm vorgeſetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank 
fie mit begeifterten Bliden aus; e8 war eine wunderliche Tiſchunter⸗ 
haltung; bald rüdte er feinen Fuß dicht an den meinigen und fragte 
mid, was meine liebfte Unterhaltung fet; ich fagte, ich tanze lieber 
als ich gehe, und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich meinen 
Fuß zurüd. Ich hatte meinen Heinen Strauß, den ich vorgeftedt hatte, 
in's Waſſerglas geftellt, damit er nicht ſobald welken folle, um ihn 
nah Tifch wieder vorzufteden, er frug: »Will you give me this ?« 
ich nidte ihn, er nahm ihn daran zu riechen, und küßte ihn; er ftedte 
ihn in Bufen und nöpfte die Weite darüber zu, und feufzte, und da 
ſah er daß ich roth ward. — Sein Geſicht übergoß fih mit einem 
Schmelz; von Freundlichkeit, er wendete ed zu mir ohne die Augen 
aufzuſchlagen, als wolle er mich auffordern, feine wohlgefällige Bil⸗ 
dımg zu beachten; fein Fuß fuchte wieder den meinen, und mit letjer 
Stimme fagte er: be good, fine girl. — Ich konnte ihm nicht un- 
freundlich fein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten, da zog 
ich das eine End meines langen Gürtels um fein Bein, und band es 
geſchickt an dem Tiſchbein feſt, ganz heimlich, daß es Niemand fah; er 


86 


ließ e8 gefchehen, ich jagte: be good, fine boy. — Und nun waren 
wir voll Scherz und Wi bis zum End der Tafel, und e8 war wirklich 
eine zärtliche Luft zwiſchen uns; und ich ließ ihn fehr gern meine Hand 
an fein Herz ziehen, wie er fie küßte. — 

Ich hab meine Gejchichte der Mutter erzählt, vie jagt, ich foll 
fie Dir ſchreiben, e8 fei ein artig Tuftfpiel für Dich, und Du würdeſt 
fie allein {hön auslegen; es ift ja wahr, ‘Du! der ed weiß, daß id) 
gern ven Naden unter deine Füße lege, Du wirft mich nicht fchelten, 
daß ih der Kühnheit des Engländers, der gern mit meinem Fuß 
gefpielt hätte, feinen ftrengeren Verweis gab. — Du, der die Liebe 
erkennt, und die Feinheit der Sinne, o wie tft alles fo ſchön in Dir; 
wie raufchen die Lebensſtröme jo Träftig durch dein erregtes Herz, und 
ftürzen fih mit Macht in die falten Wellen deiner Zeit, und braufen 
auf, daß Berg und Thal rauhen von Lebensgluth, und die Wälder 
ftehen mit glühenden Stämmen an deinen Geftaden; und alles was 
Du anblickſt wird herrlich und lebendig. Gott, wie gern möcht ich jeßt 
bei Dir fein! und wär ich im Flug, weit über alle Zeiten und fchwebte 
über Dir: ich müßte die Fittige ſenken und mid gelafjen der ftillen 
Allmacht Deiner Augen Hingeben. 

. Die Menfchen werden Dich nicht immer verftehen,; und die Dir 
am nächſten zur ftehen behaupten, die werden am meilten Dich, ver- 
läugnen; ich jeh in die Zukunft, da fie rufen werben: „Steiniget ihn!” 
est, wo Deine eigne Begeiftrung, gleich einem Löwen fih an Did 
Ihmiegt und Dich bewacht, da wagt fidh die Gemeinheit nicht an Did. 

Deine Mutter fagte lebt: Die Menſchen find zu jeßiger Zeit 
alle wie Gerning, der immer ſpricht: „wir übrigen Gelehrten,“ und 
ganz wahr fpricht, denn er ift übrig. — 

Lieber tod als übrig fein! Ich bin e8 aber nicht, denn ich bin 
Dein, weil ih Dich erkenne in allem. — Ich weiß, daß wenn fich 
auc die Wollen vor dem Somnengott aufthürmen, daß er fie bald 
wieder niederdrückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er feinen 
Schatten duldet als den er unter den Sprofien feines Ruhmes ſich 
jelber ſucht. — Die Ruhe des Bewußtſeins wird Dich überfchatten, — 








87 


ich weiß, daß wenn er ſich über den Abend hinwegbeugt, fo erhebt er 
wieder im Morgen das goldne Haupt. — Du bift ewig. — Drum 
ift e8 gut mit Dir fein. 

Wenn ic Abends allein im dunklen Zimmer bin und des Nad- 
bars Lichter ven Schein an die Wand werfen, zuweilen auch Streif- 
lichter Deine Büfte erleuchten, oder wenn es ſchon ftill in der Stabt 
ift, in der Nacht; bier und dort ein Hund bellt, ein Hahn ſchreit; — 
ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menſchlich ergreift, ich 
weiß wicht wo ich vor Schmerz bin will, — Ich möchte anders als 
wie mit Worten mit Dir ſprechen; ich möchte mi an dein Herz 
drücken; — ic fühl daß meine Seele lodert. — Wie die Luft jo 
fürchterlich fill ruht fury vor dem Sturm, fo flehen dann gerade 
meme Gedanken Talt und ftil, und das Herz wogt wie Dad Meer. 
Lieber Lieber Goethe! — dann löſt mid eine Rückerinnerung an 
Dich wieder auf; die Feuer- und Kriegszeichen gehen langſam an 
meinem Himmel unter und Du bift wie. der hereinitrömende Mond» 
ftrahl. Du bift groß und herrlich und befjer al8 alles, mas ich bis 
heute erfannt und erlebt hab, — Dein ganzes Leben ift fo gut. 


An Bettine. 
Am 16. Juli 1807. 

Was kann man Dir fagen und geben, mas Dir nicht Schon auf 
eine ſchönere Weije zugeergnet wäre; man muß ſchweigen und Did) 
gewähren laſſen; wenn e8 Gelegenheit giebt, Dich un etwas zu bitten, 
da mag man feinen Dank mit einfließen lafjen für das viele, was 
unerwartet durch Deine reiche Liebe einem gefchenkt wird. Daß Du 
die Mutter pflegft, möchte ih Dir gern auf's Herzlichite vergelten; — 
von dorther fam mir der Zugwind, und jet, weil ich Dich mit ihr 
zufanmen weiß, fühl ich mich gefichert und warm, 

Ih fage Dir nicht: „komm!“ ich will nicht den Heinen Vogel 
aus dem Nefte geftört haben; aber der Zufall würde mir nicht 


88 





unwillkommen fein, der Sturm und Gewitter benügte, um ihn glücklich 
unter mein Dach zu bringen. Auf jeven Fall, Liebfte Bettine, bedenke, 
daß Du auf dem Weg bift, mich zu verwöhnen. Goethe. 


An Goethe. 


Wartburg, den 1. Auguſt in der Rad. 

Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich hält's wach, daß 
e8 kaum ift, wie ih noch imit Dir zufammen war. Vielleicht Goethe, 
war dies das höchſte Ereigniß meines Lebens; vielleicht war e8 der 
reichſte, der jeligfte Augenblick; ſchönere Tage follen mir nicht kommen, 
ih würde fie abweijen. 

Es war freilich ein legter Kuß mit dem ich fcheiven mußte, da ich 
glaubte ich müſſe ewig an Deinen Tippen hängen, und wie ich fo dahin 
fuhr durch die Gänge unter den Bäumen unter denen wir zufammen 
gegangen waren, da glaubte ich an jevem Stamme müſſe ich mich feſt⸗ 
halten, — aber fie verihwanden, die grünen wohlbelannten Räume, 
fie wihen in die Ferne die geliebten Auen, und Deine Wohnung war 
längft hinabgeſunken, und vie blaue Ferne jchien allein mir meines 
Lebens Räthſel zu bewachen; — doch die mußt auch noch ſcheiden, 
und nun hatt ich nicht8 mehr als mein heiß Verlangen, und meine 
Thränen flofien dieſem Scheiden; ad, da beſann ich mich auf alles, 
wie Du mit mir gewandelt bift in nächtlichen Stunden, und haft mir 
gelächelt daß ich Dir die Wolkengebilde auslegte und meine Liebe, 
meine ſchönen Träume, und haft mit mir gelaufcht dem Geflüfter ver 
Blätter im Nachtwind, der Stille der fernen weit verbreiteten Nacht. — 
Und haft mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an ver Hand führteft 
durch die Straßen, da hab ich's an Deinem Athem empfunden, am 
Zon Deiner Stimme, an etwas, wie foll ich's Dir bezeichnen, das 
mich ummwehte, daß Du mid aufnahmft in ein inneres geheimes Le⸗ 
ben, umd batteft Dich in dieſem Augenblid mir allein zugewendet und 


89 





begehrteft nichts als mit mir zu fein; und Dies alles, wer wird mir's 
rauben? — was ift mir verloren? — Mein Freund, ih babe 
alles, was ich jegenoffen. Und wo id aud) hingehe — mein 
Glück ift meine Heimath. 

Wie die Regentropfen raſſeln an den Heinen runden Fenſter⸗ 
ſcheiben, und wie der Wind furchtbar tobt! Ich babe ſchon im Bett 
gelegen, und hatte mid, nad) der Seite gewendet, und wollte einſchlafen 
in Dir, im Denten an Did. — Was heißt das: im Herrn ent- 
fhlafen? Oft fällt mir diefer Spruch ein, wenn ich fo zwifchen 
Schlaf und Wachen fühle daß ich mit Dir beihäftigt bin, — ich weiß 
genau wie das ift: der ganze irdiſche Tag vergeht dem Liebenden, 
wie das irdiſche Leben der Seele vergeht; fie tft hie und da in Ans 
ſpruch genommen, und ob fie ſich's ſchon verſpricht, ſich felber nicht zu 
umgeben; fo hat fie fi am End durch das Gewebe ver Zeiten burd- 
gearbeitet, immer unter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rüd- 
fpradhe zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen im 
Borüberfchreiten jede ihre Bitten und Befehle dar, und da ift ein 
übermädtiger Wille im Menfchen, der heißt ihn allem ſich fügen; den 
läßt er über fich walten, wie das Opfer über fih walten läßt Das da 
weiß, e8 wird zum Altar geführt. — Und fo entſchläft die Seele im 
Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit, die ihr Tyrann war und 
jet den Scepter ſinken läßt. Da fleigen göttliche Träume herauf und 
nehmen fie in ihren Schooß, und hüllen fie ein, und ihr magiſcher 
Duft wird immer ftärler und ummebelt die Seele, daß fie nichts mehr 
von ſich weiß; das tft Die Ruhe im Grabe; fo fteigen Träume herauf 
jeve Nacht wenn ich mich befinnen will auf Di, und ich laſſe mid 
ohne Widerſtand einwiegen, denn ich fühle daß mein Wolfenbett aufs 
wärts mit mir fleigt! — 

Wenn Du viefe Naht auch wach gehalten bift, jo mußt Du 
doch einen Begriff Haben von dem ungeheueren Sturm. Eben wollte 
ih noch ganz ftark fein und mich gar nicht fürchten; da nahm aber ver 
Wind einen fo gewaltigen Anlauf, und Hirte an den Fenſterſcheiben 
und heulte jo jammernd, daß ich Mitleid fpürte und nun riß er jo 


90 


tückiſch die ſchwere Thüre auf, er wollte mir das Licht auslöſchen; ich 
ſprang auf den Tiſch und ſchützte e8, und ich ſah durch die offne Thür 
nach dem dunklen Gang, um doch gleich bereit zu fein, wenn Geifter 
eintreten follten; ich zitterte vor herzllopfender Angſt; da jah ich was 
fi bilden, vranfen im Gang; und e8 war wirklich, als wollten zwei 
Männer eintreten, die fich bei ver Hand hielten, einer weiß und breit» 
Ihultrig, und der andre ſchwarz und freundlich; und ich Dachte: das 
ift Goethe! Da fprang ich vom Tiſch Dir entgegen, und lief zur Thür 
hinaus auf den dunklen Gang vor dem ich mich gefürchtet hatte, und 
ging bis an's Ende Dir entgegen, und meine ganze Angit hatte fich 
in Sehnfucht verwandelt, und ich war ‚traurig daß die Geiſter nicht 
famen, Du und der Herzog. — Ihr ſeid ja oft hier geweſen zufanmen, 
Ihr zwei freundlichen Brüder. 

Gute Nacht, ich bin begterig auf morgen früh, da muß ſich's 
ausweijen, was der Sturm wird angerichtet haben; das Krachen der 
Bäume, das Kiefeln der Waſſer wird doch was durchgeſetzt haben. 


Am 2. Auguft. 

Heute Morgen hat mich die Sonne ſchon halb fünf Uhr gewedt; 
ich glaub ich Hab Feine zwei Stund geſchlafen; fie mußte mir grade m 
die Augen jcheinen. Eben hatte e8 aufgehört mit Wolkenbrechen und 
Windwirbeln, die goldne Ruhe breitete fi aus am blauen Morgen- 
himmel; ich fah die Wafler fih jammeln und ihren Weg zwifchen ven 
Felskanten fuchen hinab in die Fluth; geflürzte Tannen bradden den 
branjenden Waſſerſturz, und Felsfteine jpalteten feinen Lauf; er war 
unaufhaltſam; er rig mit fih, was nicht widerftehen konnte. — Da 
überfam mic, eine jo gewaltige Luft — ich Tonnte auch nicht wider⸗ 
ftehen: ich jchürzte mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den 
Haaren im Zaum; ich fügte beide Hände m die Seite um mich im 
Gleichgewicht zu Halten, und fprang hinab in kühnen Säten von emem 
Felsſtück zum andern, bald hüben bald drüben, Das braufende Wafler 
mit mir, fam id unten an; da lag, als wenn ein Keil fie gefpalten 


91 


hätte bis an die Wurzel, ver halbe Stamm einer hohlen Linde, quer 
über den ſich ſammelnden Waflern. 

D Tiebfter Freund ! ver Menſch, wenn er Morgennebel trinkt und 
die frifchen Winde ſich mit ihm jagen, und der Duft ver jungen Kräuter 
in die Bruft eimbringt und in den Kopf fleigt; und wenn die Schläfe 
pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus 
den Haaren ſchüttelt, was ift das für eine Luft! 

Auf dem umgeſtürzten Stamm ruhte ich aus, und da entbedte 
ich unter den dick belaubten Äften unzählige Bogelnefter, Heine Meifen 
mit [hwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, fieben im einem Neite, 
Finken und Diftelfinten; die alten Bögel flatterten über meinem Kopf 
und wollten vie jungen äßen; ach, wenn's ihnen nur gelingt fie groß 
zu ziehen in fo ſchwieriger Tage, denk nur: aus dem blauen Himmel 
berabgeftürzt an die Erve, quer über einen reißenden Bach, wenn jo 
ein Vögelchen herausfällt, muß es, glei erfaufen, und noch dazu 
hängen alle Neiter ſchief. — Aber die bunderttaufend Bienen und 
Mücken die mih umſchwirrten, die al in der Linde Nahrung ſuchten; 
— wenn Du Doch das Leben mit angejehen hätteſt! Da ift fein 
Markt fo reich an Verkehr, und alles war fo befannt, jedes fucht fein 
Meines Wirthshaus unter den Blüthen, wo es einkehrte; und emfig 
flog e8 wieder hinweg und begegnete vem Nachbar, und da ſummten 
fie an emander vorbei, als ob fie ſichs fagten, wo gut Bier feil ift. — 
Was ſchwätze ich Dir alles von der Linde! — und doch iſt's noch nicht 
genug, an der Wurzel hängt ver Stamm noch zufammen; ich ſah 
binauf zu dem Gipfel des ſtehenden Baumes, der nun fein halbes 
Leben am Boden hinfchletfen muß, und im Herbft ftirbt er ihm ab. 
Lieber Goethe, Hätte ich meine Hütte dort in der einfamen Thalfchlucht, 
und ih wär gewöhnt, auf Dich zu warten, welch großes Ereignif wär 
dieſes; wie würd ih Dir entgegenfpringen und won weiten ſchon zu- 
rufen: „Denk nur unfere Linde!” — Und fo ift es auch: ich bin ein- 
geihloffen in meiner Liebe, wie in einfamer Hütte, und mein Leben ift 
ein Harren auf Dich unter der Linde, wo Erinnerung und Gegenwart 
duftet, und die Sehnſucht die Zukunft herbeilodt. Ach lieber Wolfe 


92 


gang, wenn der graufame Sturm die Linde fpaltet, und die üppigere 
ftärlere Hälfte mit allem inne wohnenven Leben zu Boden flürzt, und 
ihr grünes Laub über böſem Geſchick, wie über ſtürzenden Bergwaffern 
traurend well, und bie junge Brut in ihren Aften verdirbt; o dann 
dent daß die eine Hälfte noch fteht, und in ihr alle Erinnerung und 
alles Leben, was diefer entfprießt, zum Himmel getragen wird. 

Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir nicht jo nah, 
daß ein Brief, ven ich früh gefchrteben, Dir fpät die Zeit vertreibt. — 
Ach lafle fie Dir vertreiben als wenn ich felbft bei Dir wär: zärtlich! 

In Kaſſel bleib ich vierzehn Tage, dort werd ich der Mutter 
ſchreiben; fle weiß noch nicht, daß ich bet Dir war. 

Bettine. 


An Bettine. 


War unerfättlich nach viel tauſend Küſſen, 

Und mußt' mit Einem Kuß am Ende ſcheiden. 
Bei ſolcher Trennung herb empfundnem Leiden 
War mir das Ufer, dem ich mich entriſſen, 


Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüſſen, 
So lang' ich's deutlich ſah, ein Schatz der Freuden. 
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden 

An fern entwichnen lichten Finſterniſſen. 


Und endlich als das Meer den Blick umgränzte, 
Fiel mir's zurück in's Herz, mein heiß Verlangen, 
Ich ſuchte mein Verlornes gar verdroſſen. 


Da war es gleich als ob der Himmel glänzte, 
Mir ſchien, als wäre nichts mir, nichts entgangen, 
Als hätt' ich alles, was ich je genoſſen. 








93 


Ein Strom entraufcht umwölktem Felſenſaale, 

Dem Dcean fich eilig zu verbinden; 

Was auch fich Spiegeln mag von Grund zu Gründen, 
Er wandelt unaufhaltfam fort zu Thale. 


Do ftürzt ſich Oreas mit einemmale, 

Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden 
Herab zur Fluth, Behagen dort zu finden, 

Und hemmt den Lauf, begränzt bie weite Schaale. 


Die Welle ſprüht und flaunt zurück und weichet, 
Und ſchwillt Berg an, fich immer ſelbſt zu trinken. 
Gehemmt ift nun zum Bater hin das Streben, 


Ste ſchwankt und ruht zum See zurück gebeichet. 
Geftirne ſpiegelnd ſich, beſchau'n dag Blinken 
Des Wellenſchlags am Fels, ein neues Leben. 


Deine fliegenden Blätter, liebſte Bettine, kamen grade zu rechter 
Zeit, um den Verdruß über Dein Verſchwinden in etwas zu fleuern. 
Beiliegend gebe ich Dir einen Theil derſelben zurück; Du fiehft wie 
man verfucht, fih an der Zeit, die ung des Tiebften beraubt, zu rächen 
und ſchöne Minuten zu verewigen. Möge fih Dir der Werth darin 
Ipiegeln, ven Du für den ‘Dichter haben mußt. 

Sollte Dein Bagabonvenleben noch länger vauern, fo verjäume 
nicht von allem Nachricht zu geben; ich folge Dir gerne, wo Dich aud) 
Dein dämoniſcher Geift hinführt. 

Ich lege diefe Blätter an die Mutter bei, die Dir fie zu freund- 
liher Stunde ſenden mag, da ich Deine Adrefje nicht genau weiß. — 
Lebe wohl und fomme Deinen Verheißungen nad). 

Weimar, den 7. Auguft 1807. Goethe. 


An Goethe. 
Kaflel, den 13. Auguft 1807. 


Wer kann's deuten und ermefjen, was in mir vorgeht? — Ich 
bin glücklich jett im Andenken der Vergangenheit, als ih kaum damals 


94 


in der Gegenwart war; mein erregtes Herz, die Überrafhung bei Dir 
zu fein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in ven paar 
Tagen, das war alles wie eindringende Wollen an meinem Himmel; 
er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten auf 
nehmen, jo wie er auch immer dunkler ift, wo er an die Erve grängt; 
jetst in der Gerne wird er mild, hoch und ganz hell, 

Ih möchte Deine liebe Hand mit meinen beiven an mein Herz 
drüden und Dir fagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen ift 
feitvem ich Dich weiß. 

Ich weiß daß es nicht der Abend ift, ver mir jest in's Leben 
hereindämmert; o wenn er's doch wäre! Wenn fie doch ſchon verlebt 
wären die Tage, und meine Wünſche und meine Freuden, möchten fie 
fih alle an Dir hinauf bilden, daß Du mit überdedt wärft und be 
fränzt, wie mit immergrünem Laub. 

Aber fo warft Du, wie ih am Abend allein bei Dir war, daß 
ih Dich gar nicht begreifen Tonnte, Du haft über mich gelacht, weil 
ih bewegt war, und laut gelacht weil ich weinte, aber warum? Und 
doc, war e8 Dein Lachen, der Ton Deines Lachens was mich zu 
Thränen rührte, fo wie e8 meine Thränen waren die Dich lachen 
machten, und ich bin zufrieden und fehe unter ver Hülle biefes Räth⸗ 
ſels Roſen hervorbrehen die der Wehmuth und der Freude zugleich 
entiprießen. — Sa, Du haft recht, Prophet: ich werde noch oft mit 
leichtem Herzen Scherz und Luft durchwühlen, ich werde mich müde 
tummeln, fo wie ich in meiner Kindheit (ach ich glaub es war geitern!) 
mid, aus Übermuth auf den blühenden Feldern herumwälzte und alles 
zuſammendrückte, und die Blumen mit ven Wurzeln ausrig, um fie 
in's Waſſer zu werfen, — aber auf füßem, warmen, feftem Ernft will 
ih, ausruhen, und der bift Du lachender Prophet. — 

Ich fag Dir's noch einmal: wer verſteht's auf der weiten Erde 
was in mir vorgeht, wie ich jo ruhig in Dir bin, fo ſtill, jo ohne 
Wanken in meinem Gefühl; ich könnte, wie die Berge, Nächte und 
Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zuden in Deinem 
Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von der ganzen blü⸗ 








95 





henden Welt den Duft und Samen zufammen auf ver Berge Wipfel 
trägt, fo werben fie auch beraujcht, fo wie ich geſtern; da hab ich die 
Welt geliebt, da war id) felig wie eine aufſprudelnde Duelle, in die 
die Sonne zum erjten Mal fcheint. 

Leb wohl, Herrlicher der mid, blendet und mich verſchüchtert. — 
Bon dieſem fteilen Wels, auf den fih meine Liebe mit Lebensgefahr 
gewagt Bat, ift micht mehr herunter zu kletiern, daran iſt gar nicht zu 
denken, da bräch ich auf allen Ball ven Hals. 

Bettine. 


Und ſo weit hatte ich geſtern geſchrieben, ſaß heute Morgen auf 
dem Seſſel und las ſtill und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu 
bewegen, denn ich wurde dabei gemalt, jo wie Du mid bald fehen 
ſollſt, — da brachte man mir das blaue Couvert, ich brach auf und 
fand mi darin in göttlichem Glanz wiedergeboren, und zum erften 
Mal glaubte ih au meine Seligfeit. 

Was will ich denn? Ich begreif's nit, Du betäubft mich, jever 
Heine Lärm iſt mir zuwider; — wär's nur ganz fill in der Welt, 
und ich brauchte nicht8 mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblid 
der mich ſchmerzt und nach dem ich mich immer zurückſehnen werde. — 
Ah! und was will ih denn mit Dir! — Nicht viel, Dich anfehen 
oft und warm, Did) begleiten in ‘Dein ſtilles Haus, Di ausfragen 
in müßigen Stunden über Dein frühere® und jegiges Leben, fo wie 
id) Dein Angefiht ausgefragt habe über feine frühere und jetzige 
Schönheit. — Auf der Bibliothef da konnte ich nicht umhin mich zu 
Deiner jungen Büfte aufzufchwingen, und meinen Schnabel wie eine 
Nachtigall dran zu weten; Du breiter voller Strom, wie Du damals 
die üppigen Gegenden der Jugend durchhraufteft, und jest eben ganz 
ſtill durch Deine Wiefen zogſt; ach, und ich ftärzte Dir Felsfteine 
vor, und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es war nicht zu 
verwundern, denn ich hatte mich tief eingewühlt. 

D Goethe! — der Gott da oben tft ein großer Dichter, ver 
bildet Gefchide, frei im Ather ſchwebend, glanzuoller Geftalt. Unſer 


96 





armes Herz das ift der Mutterſchooß, aus dem er fie mit großen 
Schmerzen geboren werben läſſet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge⸗ 
Ihide Schwingen fi aufwärts, freudig hallen fie wieder in den himm⸗ 
liſchen Räumen. — Deine Lieder find der Samen, er fällt in's wohl 
vorbereitete Herz, — ih fühl's, mag ſich's wenden wie e8 auch will, 
frei von irdiſcher Schwere wird es als himmliſches Gedicht einft auf⸗ 
wärts fih ſchwingen, und dem Gott da oben werben diefe Schmerzen 
und dieſe Sehnſucht und dieſe begeifterten Schwingungen Sproflen 
des jungen Lorbeers weihen, und felig wird das Herz fein, das ſolche 
Schmerzen getragen hat. 

Siehft Du, wie ich heute ernfthaft mit Dir zu fprechen verſteh? — 
ernfter als je: und weil Du jung bift, und herrlich, und herrlicher wie 
alle, fo wirft Du mich auch verftehen. — Ich bin ganz fanft geworben 
durch Did; am Tage treib ich mich mit Menſchen, mit Muſik und 
Büchern herum, und Abends, wenn ich müde bin und will fchlafen, da 
ranfcht die Yluth meiner Liebe mir gewaltfam in's Herz. Da ſeh ich 
Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das umgiebt Dich und 
Ipriht für Di; auf Höhen erfheinft Du; zwiihen Bergwänden in 
verſchlungnen Wegen ereile ih Dih, und Dein Gefiht malt Räthſel, 
fteblih zu löſen. — Den Tag, als ich Abſchied nahm von Dir, mit 
dem einen Kuß, mit dem ich nicht ſchied, da war ih Morgens beis 
nah eine ganze Stunde allein im Zimmer wo das Klavier fteht, da 
laß ich auf der Erde im Ed und dachte: „es gebt nicht anders, Du 
mußt noch einmal weinen,” und Du warft ganz nah und wußtelt es 
nicht; und ich weinte mit lachendem Mund, denn mir ſchaute das feite 
grüne Land durch den trübfinnigen Nebel durch. — Du kamſt, und 
ich fagte Dir recht kurz (und ich ſchränkte mich recht ein dabei) wie 
Du mir werth ſeiſt. 

Morgen reiſe ich nach Frankfurt, da will ich der Mutter alle Liebe 
anthun, und alle Ehre, denn ſelig iſt der Leib der Dich getragen hat. 

Bettine. 





97 


An Goethe. 
| Am 21. Auguft. 

Du kannft Dir keinen Begriff machen, mit welchem Jubel die 
Mutter mich aufnahm! fo wie ich hereinkam, jagte fie alle fort, die bei 
ihr waren. Nun, Ihr Herren, fagte fie, bier kommt jemand, der mit 
mir zu Sprechen hat, und fo mußten alle zum Tempel hinaus. Wie wir 
allein waren follte ih erzählen, — da wußt ich nichts. Aber wie 
war's wie Du ankamſt? — ganz miferabel Wetter; vom Wetter will 
ich nichts willen, — vom Wolfgang, wie war's, wie Du hereinkamſt? 
IH kam nicht, er Fam; — nun wohn? — in den Elephanten, um 
Mitternacht drei Treppen hoch; alles fhlief ſchon feft, Die Lampen auf 
dem Flur ausgelöſcht, das Thor verſchloſſen, und der Wirth hatte ven 
Schlüſſel ſchon unterm Kopfliffen und ſchnarchte tüchtig. — Nun wie 
kam er denn da herein? — Er Elingelte zweimal, und wie er zum 
prittenmal recht lang an der Glode zog, da machten fie ihm auf. — 
Und Du? — ih in meiner Dachſtube merkte nichts davon; Meline 
lag ſchon lange und fchlief im Alloven mit vorgezognen Vorhängen; 
ih lag auf vem Sopha und hatte die Hände über'm Kopf gefaltet, 
und fah wie der Schein der Nachtlampe, wie ein großer runder Diond 
an der Dede fpielte; da hört ich's raſcheln an der Thür, und mein 
Herz war gleich auf dem Fleck; e8 Hlopfte, während ich lauſchte, aber 
weil e8 doch ganz unmöglich war, in diefer fpäten Stunde, und weil 
es ganz ftill war, jo hört ich nicht auf mein ahnendes Herz; — umd 
da trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und machte leife 
die Thür hinter fich zu, und fah fi} um, wo er mich finden follte; ich 
fag in der Ecke des Sophas ganz in Finfterniß eingeballt und ſchwieg; 
da nahm er feinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuchten jah, den 
ſuchenden Blid, und wie ver Mund fragte: „Nun, wo bift Du denn? 
da that ich einen leifen Schrei des Entjegens über meine Seligfeit, 
und da hat er mich auch gleich gefunden. 

Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Geſchichte geworben 
fein in Weimar. Der Herr Minifter um Mitternacht im Elephanten 

Goethe's Briefwechfel mit einem Finde, 7 


93 


drei Treppen body eine Bifite gemacht! — Ja wohl ift die Geſchichte 
ſchön! jegt, wo ich fie bier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht, hinge- 
riflen, Daß mir dies all begegnet ift, undich frag Dich: welche Stunde 
wird fo fpät fern in deinem Leben, daß es nicht dein Herz noch rühren 
ſollte? — Wie Du in ver Wiege lagft, da konnte fein Menſch ahnen, 
was aus Dir werden würde, und wie ich in der Wiege lag, da hat 
mir's feiner gefungen, daß ih Dich einft küſſen würde. 

Hier fand ich alles auf dem alten led, mein Feigenbaum hat 
Feigen gewonnen und jeine Blätter ausgebreitet, mein Gärtchen auf 
dem großen Hausaltan, der von einem Flügel zum andern reicht, fteht 
in voller Blüthe, der Hopfen reicht bis and Dad, in die Laube hab 
ich meinen Schreibtiſch geſetzt,; da fie ich und ſchreib an Dich und 
träume von Dir, wenn mir der Kopf trunken ift von den Sonnenftrah- 
len; ach, ich lieg fo gern in der Sonne und lafje mich recht durchbrennen. 

Geſtern ging ih am Stift vorbei, da Hingelte ich nach früherer 
Gewohnheit, und da lief id) nad) dem Heinen Gang der nach der Gün⸗ 
derode ihrer Wohnung führt. Die Thür ift noch verfchlofien, e8 hat 
nod niemand wieder den Fuß über die Schwelle geſetzt; ich fügte dieſe 
Schmelle, über die fie fo oft gejchritten ift, um zu mir zu gehen und 
ich zu ihr. — Ach, wenn fie noch lebte, weld neues Leben würde ihr 
aufgehen, wenn ich ihr alles erzählte, wie Wir in jenen Nachtſtunden 
jo ftil neben einander gefeflen haben, vie Hände in einander gefügt, 
und wie die einzelnen Laute, die über deine Lippen famen, mir in's 
Herz drangen. Ich ſchreib Dir's her, damit Du e8 nie vergeflen follft. 
Freund, ich könnte eiferfüchtig fein über Deine Anmuth; die Orazien 
find weiblich, fie fhreiten vor Dir ber, wo Du eintrittft da ift heilige 
Ordnung, denn alles zufällige ſelbſt ſchmiegt fich deiner Erſcheinung 
an. — Sie umgeben Dich, fie halten Dich gefangen und in der Zucht, 
denn Du möchteft vielleicht manchmal anders, aber die Orazten leiden's 
nicht, ja diefe ftehen Dir weit näher, fie haben vielmehr Gewalt über 
Dich, als ic. 

Der Primas bat mich aud einladen lafien, wie er hörte daß ich 
von Weimar gelommen ; ich follte ihm von Dir erzählen. Da hab ich 


99 


ihm allerlei gejagt was ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen 
hatte fich geputzt, e8 wollte Div Ehre machen, ja ich wollte ſchön fein 
weil ich Dich liebe, und weil e8 die Leute wiſſen, daß Du mir gut biſt; 
ein Roſa Atlaskleid mit ſchwarzen Sammtärmeln und ſchwarzem Bruft- 
ſtück, und ein ſchöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne 
Spangen hielten meine ſchwarzen Locken zurück. Du haſt mich noch 
nie geputzt geſehen; ich kann Dir ſagen, mein Spiegel iſt freundlich 
bet ſolcher Gelegenheit, und das macht mich ſehr vergnügt, jo daß ich 
gepußt immer ſehr Iuftig bin. Der Primas fand mich auch Hübjch und 
nannte die Farben meines Kleives prejuge vainen, nein ſagte ich: 
Marlborough s’enva-t-en guerre, qui sait quand il reviendra. — 
Le voila de retour fagte er, und zog meinen Engländer hervor der 
vor drei Wochen mit mir bei ihm zu Mittag gegefien hatte, nun mußte 
ich wieder neben ihm fiten beim Soupe, und er fagte mir auch engliſch 
allerlei Zärtlichleiten die ich nicht verftehen wollte, und worauf ich ihm 
verkehrte Antworten gab, fo war ich fehr luſtig; wie ich ſpät nah Haufe 
fam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohlgerud, und da war eine 
hohe Blume, die diefen Duft ausſtrömte die ih noch nie gefehen hatte, 
eine Königin der Nacht; ein fremder Bedienter der nicht deutſch ſprechen 
tonnte hatte fie für mich gebracht; das war aljo ein freundliches Ge- 
ſchenk vom Engländer der in diefer Nacht noch abgereift war. Sch ſtand 
vor meiner Blume allein und beleuchtete fie, und ihr Duft ſchien mir 
wie Tempelduft. — Der Engländer hat's verftanvden mir zu gefallen. 

Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich ſoll Dir fagen, 
daß wenn Dein Sohn kommt, fo fol er ihn in Aichaffenburg befuchen, 
wohin er in dieſen Tagen abreift. — Da er aber erft zu Oftern kommt, 
jo wird der Primas wieder bier fein. 

Dein Kind fügt Dir die Hände. 

Die Mutter läßt mich heut rufen, und fagt, fie habe einen Brief 
von Dir, und läßt mich nicht hinein fehen, und fagt, Du verlangft ich 
fol dem ‘Dur ſchreiben, ein paar Zeilen, weil er die Artigleit gehabt 
hat, für die umgeftürzte Linde zu forgen, und das nennft Du in meine 

7* 


100 


elegiihen Empfinvungen eingehen. — Liebſter Freund, ich kann nicht 
leiven daß ein andrer in meine Empfindung eingehe, die ich blos zu 
Dir hege; da treib ihn nur wieder heraus; und ſei Du allein in mir 
und mache mic) nicht eiferjüchtig. 

Dem Dur aber jage, was meine Devotion mir hier eingiebt: daß 
es ein andrer hoher Baum tft, für deſſen Pflege ich ihm danke, deſſen 
blühende Äfte weit über die Grenzen des Landes in andre Welttheile 
ragen, und Früchte ſpenden und duftenden Schatten geben. Für den 
Schuß dieſes Baumes, für die Gnadenquelle bie ihn tränft, für den 
Boden der Liebe und Freundſchaft, aus weldem er begeifternve Nah⸗ 
rung faugt, bleibt mein Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank ich 
ihm auch noch, daß er ver Wartburger Linde nicht vergißt. — 


An Bettine. 
| Am 5. September. 

Du haft Dich, Liebe Bettine, als ein wahrer Heiner Chriftgott 
erwiejen, wiſſend und mächtig, eines jeden Bedürfniſſe kennend und 
ausfüllend; — und foll id Dich ſchelten oder loben, dag Du mich 
wieder zum Kinde machſt? Denn mit kindiſcher Freude hab ich deine 
Beiherung vertheilt und mir jelbft zugeeignet. Deine Schadhtel kam 
kurz vor Tiſche; verbedt trug id fie dahin, wo Du auch einmal ge- 
jefjen, und trank zuerft Auguft aus dem ſchönen Glaſe zu. Wie ver- 
wundert war er, als ich es ihm ſchenkte! Darauf wurde Niemer mit 
Kreuz und Beutel belieben, Niemand errieth, woher? Auch zeigte ich 
das künftliche und zierlihe Beſteckk; — da wurde die Hausfrau ver- 
drießlich, daß fie leer ausgehen follte. Nach einer Pauſe, um ihre 
Geduld zu prüfen, zog ich endlich den ſchönen Gewandſtoff hervor; 
das Räthſel war aufgelöft, und jedermann in deinem Lobe eifrig und 
fröhlich. 

Wenn ich alfo das Blatt no umwende, jo hab’ ich immer nur 
Lob und Dank dacapo vorzutragen; das ausgeſuchte zierliche ber 








101 


Gaben war überraſchend. Kunftlenner wurden herbeigerufen, die ar- 
tigen Balgenden zu bewundern — genug, es entitand ein Felt, als 
wenn Du eben felbft wieder gelommen wärft. — Du kommſt mir auch 
wieder in jedem Deiner lieben Briefe und doch immer neu und über: 
rafhend, fo daß man glauben jollte, von diefer Seite habe man Dich 
noch nicht gekannt; und beine Heinen Abentheuer weißt Du fo allerliebft 
zu drehen, daß man gern der eiferfüchtigen Grillen fich begtebt, Die 
einem denn auch zuweilen anwandeln; blos um das artige Ende des 
Spaßes mit zu erleben. So war es mit der launigen Epiſode bes 
Engländers, deſſen ungeziemendes Wagniß den Beweis für jein ſchönes 
ſittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir fehr dankbar für 
ſolche Mittheilungen, die freilich nicht jevem recht fein mögen; möge 
dein Bertrauen wachlen, das mir fo viel zubringt, was ich jett nicht 
mehr gerne entbehren mag; auch ein belobendes Wort muß ih Dir 
bier jagen für die Art, wie Du Dich mit meinem gnädigften Herrn 
verftändigt haft. Er konnte nicht nmıhin, au Dein Diplomatifches 
Talent zu bewundern; du bift allerliebft meine Heine Tänzerin, bie 
einem mit jeder Wendung unvermuthet ven Kranz zumwirft. Und nun 
hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten Mutter lebft, wie Du 
ihrer pflegft, und welche ſchöne vergangne Zeiten zwiſchen Euch beiden 
wieder auferitehen. 

Der lieben Meline Müschen ift auch angefommen. Ich darf's 
nicht laut fagen, es fteht aber niemand fo gut als ihr. Freund Stol- 
len’8 Attention auf dem blauen Papter hat Div doch Frende gemacht. 
Adieu mein artig Kind! fchreibe bald, daß ich wieder was zu über- 
ſetzen babe. 


" An Goethe. 
©. 17. September. 
Freundlicher Mann! Du bift zu gut, Du nimmft alles was id) 
Dir im heiteren Übermuth biete, als wenn es noch fo viel Werth habe; 
aber ich fühl's recht im deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir 


102 


gut bift, wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt, und meint e8 
habe einen auserlefenen Strauß zufammen geſucht; dem lächelt man 
auch fo zu und fagt: wie ſchön ift dein Strauß, wie angenehm vuftet 
er, er fol mir blühen in meinem Garten, bier unter mein Fenſter will 
ich ihn pflanzen; und doch find es nur wurzellofe Feldblumen die bald 
welfen. Ich aber fehe mit Luſt wie Du mich in Did aufnimmft, wie 
Du diefe einfahen Blumen, die am Abend ſchon welken müßten, in’s 
Teuer der Unfterblichkeit baltft und mir zuräd giebfl. — Nennft Du 
das auch überjeken, wenn ber göttliche Genius die ivenlifhe Natur 
vom irdiſchen Menſchen ſcheidet, fie läutert, fie enthüllt, fie fich ſelbſt 
wieder anvertraut, und fo die Aufgabe jelig zu werden, löſt? ja, Goethe, 
jo machſt Du die Seufzer die meine ſehnende Liebe aushaudt zu 
©eiftern, die mich auf Der Straße der Seligkeit umſchweben; ach, und 
wohl auch meiner Unfterblichleit weit voraneilen. 

Welch heiliges Abentheuer das unter dem Schuge des Eros ſich 
kühn und ſtolz aufſchwingt, kann ein herrlicher Ziel erreichen als ich in 
Dir erreicht Habe! Wo Du mir zugiebft mit Luft: Gehemmt fei 
nun zum Vater hin das Streben. — D glaub ed: Nimmer 
trint ich mich jatt an dieſen Liebesergießungen, ewig fühl id von 
braufenden Stürmen mich zu deinen Füßen getragen, und in diefem 
neuen eben, in dem meine Glüdsfterne ſich fpiegeln, vor Wonne 
untergehn. 

Diefe Thränen, die meine Schrift verblaffen, Die möcht ich wie 
Perlen aufreiben, geſchmückt vor Dir erfcheinen und Dir jagen: ver 
gleihe ihr reines Wafler mit Deinen andern Schäten, und dann 
ſollteſt Du mein Herz fchlagen hören, wie am Abend, wo id vor Dir 
fniete, 

Geheimniſſe umſchweben Liebende, fie hüllen fie in ihre Zauber- 
Ihleier, aus denen fih ſchöne Träume entfalten. Du fieft mit mir 
auf grünem Raſen, und trinfft dunklen Wein aus goldnem Becher, 
und gießeft die Neige auf meine Stimm. Aus viefem Traum erwachte 
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bift. Ich glaube dag Du 
Theil an ſolchen Träumen haft; daß Du liebſt in ſolchen Augenbliden; 














103 


— wem follte ich ſonſt dies felige Sein verdanken, wenn Du mir's 
nicht gäbſt! — Und wenn id) denn zum gewöhnlichen Tag erwache, 
dann ift mir alles fo gleichgültig, und was mir auchgeboten wird, — 
ich entbehre e8 gern; ja ich möchte von allem gejchieden fein was man 
Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geift meine 
Liebe geniekt, jo wie meine Seele von deiner Güte fi nähıt. 

Ih fol Dir von der Mutter ſchreiben; — nun e8 ift wunder- 
(ih zwiſchen uns beſchaffen, wir find nicht mehr jo gefprädig wie 
fonft, aber doch vergeht kein Tag ohne daß ich die Mutter ſeh. Wie 
ih von der Reife fam, da mußt ich die Rolle des Erzählens über- 
nehmen, und obſchon ich Lieber gefchwiegen hätte, jo war doch ihres 
Fragens fein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es 
veizt mich unmiderftehlich wenn fie mit großen Kinderaugen mid) an- 
fieht, in denen der genügendfte Genuß funfelt. So löſ'te fih meine 
Zunge, und nad) und nach manches vom Herzen, was man fonft nicht 
leicht wieder ausſpricht. 


Am 2. Oktober. 

Die Mutter ift Liftig wie fie mich zum Erzählen bringt, fo fagt 
fie: Heute ift ein fhöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nad 
jeinem Gartenhaus, e8 muß noch recht ſchön da fein, nicht wahr es 
liegt im Thal? — Nein e8 liegt am Berg, und der Garten geht aud) 
Derg auf, hinter vem Haus da find große Bäume von ſchönem Wuchs 
und reich belaubt. — So! und da bift Du Abends mit ihm hinge⸗ 
Ihlendert aus dem römischen Haus? — Ja, ih hab's Ihr ja ſchon 
zwanzigmal erzählt; — fo erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn 
Acht im Haus? — Nein, wir faßen vor der Thür auf ver Bank, und 
der Mond ſchien hell. — Nun! und da ging ein kalter Wind? — 
Nein, e8 war gar nicht kalt, ed war warm, und die Luft ganz ftill und 
wir waren aud til. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er 
jagte: da fällt Schon wieder ein Apfel und rollt den Berg hinab; da 
überflog mic, ein Froſtſchauer; — der Wolfgang fagte: Mäuschen 
Du frierft, und ſchlug mir feinen Mantel um, den zog ih dit um 





104 


mich, feine Hand hielt ich feft, und fo verging die Zeit; — wir flans 
den beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand durch den einfamen 
Wieſengrund; — jeder Schritt Hang mir wieder im Herzen, in der 
Iautlojen Stile, — der Mond kam hinter jedem Buch hervor und 
beleuchtete ung, — da blieb der Wolfgang ftehen, lachte mid an im 
Mondglanz und fagte zu mir: Du bift mein füßes Herz, fo führte er 
mi bis zu feiner Wohnung und das war alles. — „Das waren 
goldne Minuten die feiner mit Gold aufwiegen kann, fagte bie 
Mutter, die find nur Dir beſchert, und unter Taufenden wird's keiner 
begreifen, was Dir für ein Glücksloos zugefallen ift, ich aber verfteh 
es und genieße e8, als wenn ic) zwei ſchöne Stimmen ſich fingend Red 
und Antwort geben hörte über ihr verſchwiegenſtes Glück.“ 

Da holte mir die Mutter Deinen Brief, und ließ mid) lefen was 
Du über mich gejhrieben haft, daß es Dir ein großer Genuß fei, 
meine Mittheilungen über Did) zu hören; die Mutter meint fie könne 
es nicht, e8 läg in meiner Art zu erzählen, das Beſte. 

Da hab ih Dir nun diefen ſchönen Abend befchrieben, 

Ich weiß ein Geheimniß: wenn zwei mit einander find, und der 

göttlihe Genius waltet zwifchen ihnen, das ift das höchſte Glück. 


Adien mein lieber Freund. 


An Goethe. 


Ah frage nur nicht warum ich ſchon wieder ein neues Blatt vor⸗ 
nehme, da ich Dir doch eigentlich nicht8 zu fagen habe? — ich weiß 
freilich noch nicht womit ich's ausfüllen fol, aber das weiß ich, daß es 
doch zulegt in deine lieben Hände kommt. Drum haud ich's an mit 
allem was ih Dir ausfprehen würde, ftänd ich felbft vor Dir. Ich 
kann nicht kommen, trum fol der Brief mein ungetheiltes Herz zu 
Dir hinüber tragen, erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoff 
nung auf neue, mit Sehnſucht und Schmerz um Dich; da weiß ich num 
feinen Anfang und kein Ende, 











105 


Bon Heyte mag id Dir nun gar nicht8 vertrauen, wie fol ich 
Iosfommen vom Wünſchen Sinnen und Wähnen; wie fol ih Dir 
mein treues Herz das fih von allem zu Dir allein hinüberwendet, 
ausfpreben? — ich muß ſchweigen wie damals, als ich vor Dir ſtand, 
um Dich anzufehen. Ach was hätt ich aud jagen ſollen? — ich hatte 
nichts mehr zu verlangen *). 

Geftern waren viele wigige Köpfe im Haus Brentano beifammen, 
da wurden unter andern gymnaſtiſchen Geiſtesübungen, auch Räthſel 
aufgegeben, da waren jehr geſchickte Einfälle und wie die Reihe an mich 
kam, da wußt ich nichts. Wie ich in der Verlegenheit mich umfah, und 
fein Geficht das mir einen befreundeten, verftändlichen Ausdruck hatte, 
da erfand ich dies Räthſel: Warum die Menſchen eine Geifter ſehen? 
— Peiner Tonnte e8 rathen, ich fagte: weil fie ſich wor Gefpenfter 
fürdten. — Wer? — Die Menfhen? — Nein die Geifter. — Ja jo 
grauſamlich kamen mir diefe Gefihter vor, und fo fremd, und unver: 
ſtändlich, aus denen nichts zu mir ſprach wie aus Deinen geliebten 
Zügen, vor denen fich die Getfter gewiß nicht fürchten; nein esift Deine 


*) Warum ich wieder zum Papier mich werde? 
Das mußt du, Liebſter, fo beftimmt nicht fragen: 
Denn eigentlich hab’ ich dir nichts zu ſagen; 
Doc kommt's zuletst in deine lieben Hänbe. 


Weil ich nicht kommen kann, ſoll was ich ſende 
Mein ungetheiltes Herz hinübertragen 
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzüden, Plagen: 
Das alles bat nicht Anfang, hat nicht Ende. 


Ich mag vom heutigen Tag Dir nichts vertrauen, 
Wie fih im Sinnen, Wünſchen, Wähnen, Wollen 
Mein treues Herz zu Dir hinüber wendet: 


So ftand ich einft vor dir, dich anzufchauen 
Und fagte nichts. Was hätt ich fagen jollen? 
Mein ganzes Wejen war im fich vollendet. 
(Goethes Werke 2ter Band Seite 11.) 





106 


Schönheit, daß die Geifter mit Deinen Mienen ſpielen und dies iſt 
der unwiderſtehliche Reiz für den Liebenden, daß der Seift ewig Dein 
Geſicht umftrömt. 

Sonntag, ganz allein im einfamen großen Hans alles ift ausge⸗ 
fahren, geritten und gegangen, deine Mutter ift vor dem Bodenheimer 
Thor im Garten, weil heute die Birnen gefchättelt werden von dem 
Baum der bei Deiner Geburt gepflanzt wurde. Bettine. 


An Bettine. 


Du bift ein feines Kind, ich leſe Deine lieben Briefe mit innigem 
Bergnügen, und werbe fie gewiß immer wieder lefen mit demfelben 
Genuß. Dein Malen des Erlebten fammt aller innern Empfindung 
von Zärtlichkeit, und dem was Dir Dein witziger Dämon eingiebt, 
find wahre Originalffigen, die auch neben den ernfteren Beichäftigungen 
ihr hohes Intereſſe nicht verläugnen, nimm e8 daher als eine herzliche 
Wahrheit auf wenn ich Dir danke. Bewahre mir Dein Vertrauen 
und lafle e8 wo möglich noch zunehmen, Du wirft mir immer fein 
und bleiben was Du bifl. Mit was kann man Dir aud) vergelten, 
ald nur, daß man ſich willig von allen Deinen guten Gaben bereichern 
läßt. Wie viel Du meiner Mutter bift weißt Du felbft, ihre Briefe 
fließen in Lob und Liebe über. Fährſt Du jo fort den flüchtigen Mo- 
menten guten Glüdes, lieblihe Denkmale der Erinnerung zu winmen; 
ich ftehe Dir nicht dafür, daß ich mir's anmaßen könnte foldye geniale 
lebenvolle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn fie dann nur 
auch fo warm und wahr an’8 Herz ſprechen. 

Die Trauben an meinem Fenſter die ſchon vor ihrer Blüthe, und 
num ein zweitesmal Zeugen Deiner freundlihen Erſcheinung waren, 
ſchwellen ihrer vollen Reife entgegen, ich werde fie nicht brechen ohne 
Deiner dabei zu gedenken, ſchreibe mir bald und liebe mid). 

©. 


107 





An Goethe. 
Am 11. November. 

Mit nächſtem Poftwagen wirft Du einen Bad Muſik erhalten, 
beinah alles vierftimmig, alfo für Dein Hausorchefter eingerichtet. 
Ich hoffe daß Dir fie nicht ſchon beſitzeſt; bis jetst ift e8 alles mas ich 
in diefer Art habhaft werben konnte. Gefällt fie Dir, fo ſchick ih nad 
was ich noch auftreiben Tann; auf meine Wahl mußt Du Did) nicht 
dabei verlafjen, ich richte mich nur nach dem Auf diefer Werke und 
kenne das Wenigfte. Muſik imponirt mir nicht, auch kann ich fie nicht 
beurtheilen; ich verftehe ven Eindruck nicht den fie auf mich macht, ob 
fie mich rührt, ob fie mich begeiftert; nur das weiß ich, daß ich feine 
Antwort darauf habe, wenn ich gefragt werde ob fie mir gefalle. Da 
könnte einer jagen, ich habe feinen Verſtand davon, — das muß ich 
zugeben, allein ich ahne in ihr das Unermeßliche. Wie in den andern 
Künften das Geheimniß der Dreifaltigkeit fich offenbart, wo die Natur 
einen Leib annimmt, ven der Geift durchdringt und der mit Dem Gött« 
lichen in Berbindung ift; fo ift e8 in der Muſik, als wenn vie Natur 
fich hier nit in’8 finnlih Wahrnehmbare herabneige, jondern daß fie 
die Sinne reizt, daß fie ſich mit empfinden in’s Überirdiſche. 

Wenn man von einem Sab in der Muſik fpricht, und wie der 
durchgeführt ift, oder von der Begleitung eines Inftruments und von 
dem Berftand mit dem es behandelt ift, da meine ich grade das 
Gegenteil, nämlich daß der Sat den Mufiler durchführt, daß der 
Sat ſich fo oft aufftellt, ſich entwidelt, ſich foncentrirt, bis der Geift 
ih ganz in ihn gefügt bat. Und das thut wohl in ver Muſik; 
ja alles was den Ervenleib verläugnet, das thut wohl. Ich habe 
einen ſehr ausgezeichneten Muftler zum Lehrer, wenn ich ven frage, 
warum? — fo hat er nie ein Weil zur Antwort, und er muß geftehen, 
alles in der Muſik ift himmliſches Geſetz, und dies überzeugt mich noch 
mehr daß in der Berührung zwiſchen dem Göttlichen und Menſchlichen 
feine Erläuterung ftattfinde. Ich habe hier eine freundliche Belannt- 
Ihaft mit einer ſehr mufilalifhen Natur; wir find oft zufammen in 


108 


der Oper, da macht fie mich aufmerkſam auf die einzelnen Theile, auf 
das Durchführen eines Sates, auf das Einwirken der Inftrumente; 
da bin ich denn ganz perpler, wenn ich ſolchen Bemerkungen nachgehe; 
das Element der Muſik, in dem ih mich aufgenommen fühlte, ftößt 
mid aus, und bafür erfenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Ge⸗ 
ſchmack behanveltes Thema. Sch bin nicht in einer Welt die mich aus 
der Finſterniß in's Licht geboren werben läßt, wie Damals in Offen- 
bad), wo ich in der Großmutter Garten auf grünem Raſen lag, und 
in den jonnigen blauen Himmel fab, während im Nadhbarsgarten 
Onkel Bernhards Kapelle die ganze Luft durchſtrömte und ich nichts 
wußte, nicht8 wollte, als meine Sirme der Muſik vertrauen. Damals 
hatte ich kein Urtheil, ich hörte "feine Melodieen heraus, e8 war kein 
Schmachten, kein Begeiftern für Muſik, ich fühlte mich in ihr wie ver 
Fiſch fih im Wafler fühlt. — Wenn ich gefragt würde, ob ich damals 
zugehört habe, fo Könnte ich’8 nicht eigentlich wifjen, e8 war nicht Zu⸗ 
hören, e8 war Sein in ver Mufil; ich war viel zu tief verſunken, als 
daß ich gehört hätte auf Das was ih vernahm. 

Ih bin dumm, Fremd, id) kann nicht fagen was ich weiß. Ges 
wiß, Du würdeſt mir Recht geben, wenn ich mich deutlich ausſprechen 
fönnte, und auf andre Weiſe wirft Du am wenigften fie verftehen 
lernen. — Berftehen, wie der Philifter verftehet, ver feinen Verftand 
mit Confequenz anwendet und es fo weit bringt, daß man Talent 
nicht vom Genie unterſcheidet. Talent überzeugt, aber Genie über⸗ 
zeugt nicht, dem, dem es fich mittheilt, giebt e8 die Ahnung vom Un⸗ 
gemeflenen, Unendlichen, während Talent eine genaue Grenze abftedt 
und fo, weil es begriffen ift, auch behauptet wird. 

Das Unendliche im Enplihen, das Genie in jeder Kunft ift 
Muſik. — In fich felbft aber ift fie Die Seele, indem fie zärtlich rührt; 
indem fie aber fich diefer Rührung bemädhtigt, da tft fie Geift, der 
feine eigne Seele wärmt, nährt, trägt, wiebergebärt; und Darum vers 
nehmen wir Muſik, fonft würde das finnlihe Ohr fie nicht hören, fon- 
dern nur der Geiſt; und fo ift jede Kunft der Leib der Muſik, die die 
Seele jeder Kunft ift; und fo ift Muſik auch Die Seele der Liebe, die 


109 


auch im ihrem Wirken keine Rechenſchaft giebt, denn fie ift das De- 
rühren des Göttlichen mit dem Menſchlichen, und auf jeden Fall ift 
das Göttliche die Leivenfchaft die das Menſchliche verzehrt. Liebe 
fpricht nichts für fih aus, als daß fie in Harmonie verſunken ift; 
Liebe ift flüffig, fie verfliegt in ihrem eignen Element, Harmonte ift 
ihr Element, 


Am 17. November. 

Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken dem wunder: 
lichen Pla zu gut, wo ich mid befinde; ich bin in der Karmeliter⸗ 
fiche, in einem verborgnen Winkel Hinter einem großen Pfeiler , da 
geh ih alle Tage ber in der Mittagsſtunde, da fcheint die Herbftfonne 
durch's Kichenfenfter und malt den Schatten der Weinblätter bier auf 
die Erbe und an die weiße Wand, da ſeh ich wie der Wind die bewegt 
und wie eind nad) dem andern abfällt; bier tft tiefe Einſamkeit, und 
die Menſchen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe, die find 
gewiß da um an ihre Todten zu denken, bie hier begraben fein mögen. 
Hier am Eingang ift die Gruft wo Vater und Mutter begraben liegen 
und fieben Gefchwilter; da fteht ein Sarg über dent andern. Ich weiß 
nicht was mich in diefe große düſtre Kirche lockt; für Die Todten be- 
ten® — fol id jagen: „Lieber Gott im Himmel, heb doch dieſe Ber- 
ftorbenen zu dir m den Himmel?" — Die Liebe ift ein flüffig Element, 
fie löſt Seele und Geift in fih auf, und das ift Seligfeit. — Wenn 
ich bier in die Kirche gehe, an der Gruft vorbei vie meine Eltern und 
Geſchwiſter deckt, da falte ich Die Hände, und das ift mein ganzes Gebet. 

Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine große Gewalt 
über ihn; oft ſchickte mich Die Meutter mit einer fehriftlihen Bitte an 
ibn und fagte: laß den Vater nicht los, bis er Sa jagt, — da hing 
ih mic, an feinen Hals und umklammerte ihn, da fagte er: Du bift 
mein Tiebftes Kind, ich kann nicht verfagen. 

Der Mutter erinnere ih mich auch noch, ihrer großen Schönheit; 
fie war fo fein und doch fo erhaben, und glich nicht den gewöhnlichen 
Geſichtern; Du fagteft von ihr, fie fet für die Engel geſchaffen, die 


110 


follten mit ihr fpielen. Deine Mutter hat mir erzählt, wie Du fie 
zum letztenmal gejehen, daß Du die Hände zuſammenſchlugſt über ihre 
Schönheit, das war ein Jahr vor ihrem Tod; da Iag der General 
Brentano in unferm Haus an fhweren Wunden; die Mutter pflegte 
ihn, und er hatte fie fo lieb, daß fie ihn nicht verlafjen durfte. Sie 
ipielte Schady mit ihm, er fagte: matt! und ſank zurüd in's Bett, 
fie ließ mich holen, weil er nad den Kindern verlangt hatte, — ic) 
trat mit ihr an's Bett, — da lag er blaß umd fill; die Mutter rief 
ihm: mein General! Da öffnete er die Augen, reichte ihr lächelnd die 
Hand und fagte: meine Königin! — und fo war er geftorben, 

Ih ſeh vie Mutter noch wie im Traum, daß fie vor dem Bett 
fteht, die Hand diefes erblaßten Helden feft hält und ihre Thränen 
leife aus den großen fhwarzen Augen über ihr ftilles Antlitz rollen. 
Damals haft Du fie zum legtenmal gefehen und Du fagteft voraus, 
daß Dur fie nicht wiederſehen würdeſt. Deine Mutter hat mir's erzählt, 
wie Du tief bewegt über fie warft. Wie ich Dich zum erftenmal fah, 
da ſagteſt Du: Du gleicht Deinem Bater, aber der Mutter gleichft 
Du auch, und dabei haft Du mich an's Herz gevrüdt und warft tief 
gerührt, das war doch lange Jahre nachher. Adieu. 

Bettine. 

Bon den Juden und den neuen Geſetzen ihrer Stäbtigfeit hat 
Dir die Mutter ſchon Meldung getban; alle Juden fchreiben ſeitdem; 
ver Primas hat viel Vergnügen an ihren Wis. — Alle Chriften 
chreiben über Erziehung; es kommt beinah alle Wochen ein neuer 
Plan von einem neu verhbeiratheten Erzieher heraus. Mid, inter- 
eifiren die neuen Schulen nicht fo fehr al8 das Judeninſtitut, in das 
ich oft gebe. 


An Bettine, 
Weimar, den 2. Januar 1808. 


Gie haben, liebe Heine Freundin, die ſehr grandiofe Manier, 
ung Ihre Gaben recht in Maſſe zu ſenden. So bat mich Ihr letztes 
Paket gewiſſermaßen erjhredt, venn wenn ich nicht recht haushälteriſch 


111 


mit dem Inhalt umgebe, jo erwürgt meine Heine Hausfapelle eher 
daran, als daß fie Vortheil davon ziehen follte. Sie fehen alfo meine 
Beite, wie man fid durch Großmuth jelbft dem Vorwurf ausfegen 
könne; lafjen Sie fih aber nicht irre machen. Zunächſt ſoll Ihre 
Geſundheit von der ganzen Gefellihaft recht erntlich getrunfen und 
darauf das Confirma hoc Deus von Jomelli angeftimmt werden, fo 
herzlich und wohl gemeint, als nur jemals ein salvum fac Regem. 

Und nun gleich wieder eine Bitte, damit wir nicht aus der Übung 
fommen. Senden Ste mir doch die jüdifhen Broſchüren. Ich möchte 
doch jehen wie fich Die modernen Sfraeliten gegen die neue Stäbtigfeit 
gebehrven, in der man fie freilich als wahre Juden und ehemalige 
kaiſerliche Kammerknechte traktirt. Mögen Sie etwas von den drift- 
lichen Erziehungsplänen beilegen, fo fol auch das unfern Dank ver- 
mehren. Ich fage nicht, wie e8 bei foldhen Gelegenheiten gewöhnlich 
ift, Daß ich zu allen gefälligen Gegendienften bereit fei, doch wenn 
etwas bei ung einmal reif wird was Sie freuen könnte, jo foll es auch 
zu Ihnen gelangen. 

Liebftes Kind, verzeih daß ich mit fremder Hand ſchreiben mußte. 
Über Dein muſikaliſches Evangelium und über alles was Du mir 
Liebes und Schönes ſchreibſt, hätte ih Dir fo heute nicht jagen kön⸗ 
nen, aber laß Dich nicht ftören im Deinem Eigenfinn und in Deinen 
Launen, es ift mir viel werth Dich zu haben wie Du bift, und in 
meinem Herzen findeft Du immer eine warme Aufnahme. Du bift 
ein wunverliches Kind, und bei Deiner Anſiedlung in Kirchen könnteſt 
Du leicht gu einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu be- 


denken. Goethe. 


An Goethe. 


Mer draußen auf der Taunusſpitze wär und Die Gegend und ganze 
liebe Natur von Schönheit zu Schönheit fteigen und finfen ſähe Abends 
und Morgens, während fein Herz fo mit Dir befchäftigt wär wie meins, 


112 


der würde freilich auch befier jagen können was er zu fagen hat. Ich 
möchte fo gern vertraulih mit Dir ſprechen, und Du verlangit ja 
auch ich fol Eigenfinn und Laune Dir preidgeben. 

Du kennſt mein Herz, Du weißt daß alles Sehnſucht ift, Wille, 
Gedanke und Ahnung, Du wohnft unter Geiftern, fie geben Dir 
göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du giebft alles zum 
Voraus was ich nicht zur fordern verftehe. Mein Geiſt hat einen klei⸗ 
nen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt fie in's Gleichge- 
wicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden als wenn der Geift 


ihr gewachlen ift; Du bift meiner Liebe gewachſen; Du bift mil, - 


freundlich, nachſichtig; laſſe mich's fühlen wenn mein Herz ſich nicht 
im Takt wiegt, ich verfteh Deine leifen Winke. 

Ein Blid von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir 
auf memen Mund, belehrt mich über alles; was könnte dem and 
wohl noch erfreulich ſcheinen zu lernen, der wie ih, hiervon Erfahrung 
bat. — Ich bin entfernt von Dir, die Meinen find mir fremd gewor- 
den, da muß ich immer in Gedanken auf jene Stunde zurückkehren, 
wo Du mid) in den janften Schlingen Deiner Arme hielteft, da fang 
ih an zu weinen, aber die Thränen trodnen mir unverſehens wieder: 
Er liebt ja herüber in diefe verborgene Stille, vente ih, und follte ich 
mit meinem ewigen ungeftörten Sehnen nad ihm nicht in die Ferne 
reihen? Ad vernimm es doch wad Dir mein Herz zu fagen hat, es 
fließt über von leifen Seufzern, alle flüftern Dir zu: mein einzig Glüd 
auf Erden fei Dein freundlicher Wille zu mir. O lieber Freund, gieb 
mir doch ein Zeihen*), Du feift meiner gewärtig. Du fehreibft daß 


*) Ein Blid von Deinen Augen in die meinen, 
Ein Kuß von Deinem Mund auf meinem Munde, 
Wer davon hat, wie ich, gewiſſe Kunde, 
Mag dem was anders wohl erfreulich ſcheinen? 


Entfernt von Dir, entfrembet von den Meinen, 
Führ ich flet8 Die Gedanken in die Runde, 





113 


Du meine Geſundheit trinfen willft, ach ich gönne fie Dir, lafſe fei- 
nen Tropfen übrig, möchte ich mich felber doch fo in Dich ergießen 
und Dir wohl befommen. 

Deine Mutter erzählte mir wie Du kurz nachdem Du den Wer⸗ 
ther gejchrieben, im Schaufpiel gejeflen, und wie Dir da anonym ein 
Billet ſei in die Hand gedrüdt worden, darin gejchrieben war: ils ne 
te comprendront point Jean Jacques. Ste behauptet, ich aber könne 
immer zu jedem jagen: tu ne me comprendras point Jean Jacques, 
denn welcher Hans Jacob wird Di nicht mißverftehen, oder Dich 
gelten Laflen wollen. — Sie fagt aber, Du Goethe verftündeft mich, 
und ich gelte alles bei Dir. 

Die Erziehbungsplane und Judenbroſchüren werd ich mit nächſtem 
Bofttag ſenden. Obſchon Du nicht zu allen gefälligen Gegendienften 
berett bift, aber Doch mir ſchicken willſt was reif ift; fo denke Doch, 
daß meine Liebe Dir brennende Strahlen zufendet um jede Regung 
für mich zu füßer Reife zu bringen. Bettine. 


An Goethe. 


Was fol ih Dir denn fehreiben, da ich traurig bin und nichts 
neues freundliches zu jagen weiß? Lieber möcht ich Dir gleich das 
weiße Blatt ſchicken, ftatt daß ich's erft mit Buchftaben beſchreibe, die 


Und immer treffen fie auf jene Stunde, 
Die einzige; ba fang’ ich an zu weinen. 


Die Thräne trocknet wieder unverſehens: 
Er liebt ja, den? ich, her in dieſe Stille, 
Und follteft Du nicht in die Ferne reichen? 


Bernimm das Liſpeln biejes Liebewehens; 
Mein einzig Glück auf Erden iſt Dein Wille, 
Dein freundlicher zu mir; gieb mir ein Zeichen! 
(Goethes Werke 2ter Band Seite 10.) 
Goethe’ 8 Briefwechfel mit einem Kinde. 8 


114 


doch immer nicht jagen was id) will, Du füllteft e& zu deinem Zeit- 
vertreib aus, machteft mich überglücklich und ſchickteſt es an mich zurück, 
wenn ich denn den blauen Umfchlag ſehe und riß ihn auf: Neugierig 
eilig, wie die Sehnſucht immer der Seligkeit gewärtig ift, und ich leje 
nun, was mich aus Deinem Mund einft entzüdte: Lieb Kind, mein 
artig Herz, mein einzig Liebchen, Flein Mäusen, die 
füßen Worte mit denen Du mid) verwöhnteft, jo freundlich mich be- 
ſchwichtigend; — ad)! mehr wollt ich nicht, alles hätt ich wieder, fogar 
Dein Lifpeln würde id) mitlefen mit vem Du mir leife das lieblichſte 
in die Seele ergoffen und mich auf ewig vor mir felbft verherrlicht 
baft*). — Da ih noch an deinem Arm durch die Straßen ging, ad) 
wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zufrieden, alle Wünjche 
waren fchlafen gegangen, hatten wie die Berge, Geſtalt und Farbe in 
Nebel eingehüllt; ich dachte fo ging e8, und weiter, ohne große Müh- 
feligleit vom Land in die hohe See, kühn und ſtolz, mit gelöf'ten Flag⸗ 
gen und frifhem Wind. — Aber Goethe, feurige Jugend will die 
Sitten der heißen Jahreszeit, wenn die Abendſchatten fi) über's Land 


*) Menn ich nun gleich das weiße Blatt dir ſchickte, 
Anftatt daß ich's mit Lettern erft befchreibe, 
Ausfüllteft du's vielleicht zum Zeitvertreibe 
Und fenbeteft’8 an mich, die Hochbeglüdkte, 


Wenn ich den blauen Umfchlag dann erblidte; 
Neugierig ſchnell, wie es geziemt dem Weibe, 
Riff’ ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe; 
Da leſ' ich was mich mündlich fonft entzüdte: 


Lieb Kind! Meinartig Herz! Mein einzig Weſen! 
Wie du fo freundlich meine Sehnjucht ftillteft 
Mit füßem Wort und mich jo ganz verwöhnteft, 


Sogar dein Liſpeln glaubt ich auch zu leſen, 
Womit du liebend meine Seele füllteſt 
Und mich auf ewig vor mir jelbft verſchönteſt. 
5 (Goethes Werke 2ter Band Seite 12.) 





115 


ziehen, dann follen die Nachtigallen nicht jchweigen: fingen fol alles, 
oder fih freudig ausſprechen; die Welt ſoll ein üppiger Fruchtkranz 
fen, alles foll fich drängen im Genuß, und aller Genuß ſoll ſich mäch—⸗ 
tig ausbreiten, er ſoll fich ergießen wie gährender Moft, der braujend 
arbeitet, bi8 er zur Ruhe kommt, untergehen jollen wir in ihm wie 
die Sonne unter die Meeresmwellen, aber auch wiederlommen wie fte. 
So ift Dir's geworden, Goethe, feiner weiß wie Du mit Gott vertraut 
warft, und'was für Reihthum Du von ihm erlangt haft, wenn Du 
untergegangen wärft im Genuß, 

Das feh ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde 
ihre Gluth in ſich faugt, und ihr die feurigen Flügel leife zufammen 
faltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es ftill auf der Welt, 
die Sehnfucht fteigt jo heimlich aus den Finſterniſſen empor; ihr leud)- 
ten die Sterne fo unerreihbar über'm Haupt, jo unerreichbar, Goethe! 

Wenn man felig fein fol, da wird man fo zaghaft, das Herz 
ſcheidet zitternd vom Glück, nod ehe e8 den Willlommen gewagt, — 
auch ich fühl's, daß ich meinem Glück nicht gewachſen bin. Welche All- 
befähigung, um Di zu faſſen! — Liebe muß eine Meifterfchaft er- 
werben, das Geliebte befigen wollen, wie e8 der gemeine Menfchen- 
verftand nimmt, ift nicht der ewigen Liebe würdig, und [cheitert jeven 
Augenblid am Heinften Ereigniß. — Das ift meine erfte Aufgabe, 
daß ih mich Dir aneigne, nicht aber Dich befigen wolle, Du allbes 
gehrlichſter! 

Ich bin doch noch ſo jung, daß es ſich leicht entſchuldigen läßt 
wenn ich unwiſſend bin. Ach, für Wiſſenſchaft hab ich keinen Boden, 
ich fühl's, ich kann's nicht lernen was ich nicht weiß, ich muß es erwar⸗ 
ten, wie der Prophet in der Wüſte die Haben erwartet, daß ſie ihm 
Speije bringen. Der Vergleich ift fo uneben nit: durch die Lüfte 
wird meinem Geift Nahrung zugetragen, — oft grade, wenn er im 
Verſchmachten ift. 

Seitdem ich Dich Tiebe, ſchwebt ein unerreichbares mir im Geift; 
ein Geheimniß das mich nährt. Wie vom Baum die reifen Früchte 
fallen, fo fallen bier mir Gedanken zu, die mich ergquiden und veizen. 

8* 


116 





D Goethe, hätte der Springquell eine Sele, er könnte fi nicht 
erwartungsooller an's Licht drängen um wieder empor zu fleigen, als 
ich mit ahnender Gewißheit mich diefem neuen Leben entgegen dränge, 
das mir durch Dich gegeben ift, und das mir zu erkennen giebt, daß 
ein höherer Tebenstrieb den Kerker fprengen will, der nicht ſchont Der 
Ruhe und Gemächlichleit gemohnter Tage, die er in braufender Be- 
geifterung zerträmmert. Dieſem erhabenen Geſchick entgeht der lie⸗ 
bende Geift nicht, jo wenig der Same der Blüthe entgeht, wenn er 
einmal in friiher Erde liegt. So fühl ich mich in Div, Du frucht⸗ 
barer gefegneter Boden! Ich kann fagen, wie Das iſt wenn der Keim 
die Harte Rinde ſprengt, — e8 ift ſchmerzlich; die lächelnden Frühlings» 
finder find unter Thränen erzeugt. 

O Goethe, was geht mit dem Menfhen vor? was erfährt er, 
was erlebt er in dem innerften Flammenkelch feines Herzens? — Ich 
wollte Dir meine Fehler gern befennen, allein die Liebe macht mich 
ganz zum idealiſchen Menſchen. Biel haft Du für mich gethan noch 
eh Du von mir wußteft, über viele was ich begehrte und nicht er⸗ 
langte, baft Du mich hinweggehoben. Bettine. 


An Goethe. 
Am 5. März. 

Hier in Frankfurt ift es naß, kalt, verrucht, abſcheulich; Fein guter 
Chrift bleibt gerne hier; — wenn die Mutter nicht wär, der Winter 
wär unerträglich, fo ganz ohne Hältnig, — nur ewig fchmelzenver 
Schnee! — Ich habe jett einen Nebenbuhler bet ihr, ein Eichhörn- 
hen, was ein ſchöner franzöfiiher Soldat als Einquartirung bier 
ließ, von dem läßt ſie fich alles gefallen, fie nennt es Hänschen, und 
Hänshen darf Tiſche und Stühle zernagen, ja e8 hat felbft fchon ge» 
wagt, fih auf ihre Stantshaube zu fegen, und dort die Blumen und 
Federn anzubeißen. Bor ein paar Tagen ging ich Abends noch hin, 
die Jungfer ließ mich ein mit dem Bedeuten, fie ſei noch nicht zu 





117 


Haufe, müfje aber gleih kommen. Im Zimmer war's dunfel, ich 
fette mich an's Fenſter und fah hinaus auf ven Plat. Da war's, als 
wenn was Mniftere, — ich laufchte und glaubte athmen zu hören, — 
mir warb unheimlich, ich hörte wieder etwas fich bewegen, und fragte 
weil ich's gern auf's Eichhörnchen gefchoben hätte: Hänschen bift Du 
es? ſehr unerwartet und für meinen Muth jehr niederſchlagend ant- 
wortete eine ſonore Baßſtimme aus dem Hintergrund: Händchen iſt's 
nicht, gift Hans, und dabei räufpert fich der ubique malus Spiritus, 
Bol Ehrfurcht wag ich mich nicht aus der Stelle, der Geiſt läßt fich 
auch nur noch durch Athmen ımd einmaliges Niefen vernehmen, — 
da hör ich Die Mutter, fie jchreitet voran, die faum angebrannte, noch 
nicht vollleuchtende Kerze hinter drein, von Jungfer Lieschen getragen. 
Bilt Du da? fragte die Mutter, indem fie ihre Haube abnimmt um 
fie auf ihren nächtlichen Stammhalter, eine grüne Bouteille, zu hän⸗ 
gen; ja, rufen wir beide, und aus dem Dunkel tritt ein befternter 
Mann hervor und fragt: Frau Rath, werd ich heut Abend mit Ihnen 
einen Spedjalat mit Eierfuchen eſſen? Daraus ſchloß ich denn ganz 
richtig, daß Hans ein Prinz von Medienburg fei; denn mer hätte 
die ſchöne Gejchichte nicht von deiner Mutter gehört, wie auf der Kai⸗ 
ferfrönung die jegige Königin von Preußen, damals als junges Prin- 
zeifinnenfind und ihr Bruder der Yrau Rath zufaben, wie fle ein 
ſolches Gericht zu fpeifen im Begriff war, und daß Dies ihren Appetit 
jo veizte, daß fie e8 beide verzehrten, ohne ein Blatt zu laſſen. Auch 
diesmal wurde die Gefchichte mit vielem Genuß vorgetragen und nod) 
manche andre, z. B. wie fie ven Prinzeſſinnen ven Genuß verſchaffte, 
fih im Hof am Brunnen recht fatt Wafler zu pumpen, und die Hof- 
meifterin durch alle mögliche Argumente abhält, die Prinzeifinnen ab- 
zurufen, und endlich, da diefe nicht darauf Rüdficht nimmt, Gewalt 
braucht und fie im Zimmer einfhließt. Denn: fagte die Mutter, ich 
hätte mir eher den ärgften Verdruß über den Hals fommen laſſen, als 
dag man fie in den unſchuldigen Vergnügungen geitört hätte, das 
ihnen nirgend wo gegönnt war als in meinem Haufe; auch haben fie 
mir's beim Abſchied gefagt, daß fie nie vergefien würden, wie glücklich 


118 


und vergnügt fie bei mir waren. — So könnte ih Dirnod ein paar 
Bogen voll fhreiben von allen Rüderinnerungen ! 

Adieu, Lieber Herr! — Die Frau grüß ih, Riemer's Sonett 
kracht wie neue Sohlen; er foll meiner Gefhäfte gewärtig fein, und 
feinen Dienfteifer nicht umfonft gehabt haben. 

Gelt, ich mach's grade wie deim Liebchen, fchreibe, Erigele, mad) 
Tintenkleckſe und Orthographiefehler, und dent es ſchadet nicht, weil 
er weiß daß ich ihm liebe, und der Brief, den Du mir gejchrieben, war 
doch jo artig und zterlich abgefaßt, das Bapter mit golpnem Schnitt! — 
Aber, Goethe, erſt ganz zuletzt denkſt Du an mich! erlaub, daß ich jo 
frei bin Dir einen Verweis zu geben für diefen Brief, fafje alles kurz 
ab was Du verlangft und ſchreib's mit eigner Hand, ich weiß nicht 
warum Du einen Secretär anftellft um das überflüffige zu melden, 
ich kamn's nicht vertragen, e8 beleidigt mich, e8 macht mic frank; im 
Anfang glaubt ich der Brief ſei gar nicht an mid, num trag id) doch 
gern fol einen Brief auf dem Herzen jo lange bi8 der neue kommt, — 
wie kann ich aber mit einer ſolchen fremden Secretairhand verfahren? 
nein, diesmal hab ih Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich 
mit dem Secretair in die alte Schublade eingellemmt wurdeft, und der 
Mutter hab ich gar nicht gefagt daß Du gefchrieben hatteft, ich hätte 
mich geſchämt, wenn ich ihr dieſen Perüdenftyl hätte vortragen müſſen. 
Adien, ſchreibe mir das einzige, was Du zu jagen haft und nicht mehr. 

Bettine. 


An Goethe. 
Am 15. März. 
Nun ſind's beinahe ſechs Wochen daß ich auch nur ein Wort von 
Dir gehört habe, weder durch die Frau Mutter noch durch irgend eine 
andre Gelegenheit. Ich glaube nicht, daß, wie viele andere ſind, Du 
auch biſt, und dir durch Geſchäfte und andere Wichtigkeiten den Weg 
zum Herzen verſperrſt; aber ich muß fürchten, daß meine Briefe Dir 
zu häufig kommen und muß mich zurückhalten, was mich doch ſelig 


119 


machen könnte, wenn e8 nicht jo wär, und ih glauben dürfte, daß 
meine Liebe, die jo anſpruchslos ift, daß fie felbft deinen Ruhm ver- 
gift und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder fpricht, Dich erfreut. 
Wie em Löwe möcht ich für Dich fechten, möcht alles verderben und 
in die Flucht jagen, was nicht werth ift Dich zu berühren, muß um 
beinetwillen die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen Gnade 
widerfahren laflen, weil Du fie verherrliähft, und weiß nichts von Dir! 
fag nur, ob Du's zufrieden bift, daß ih Dir ſchreibe? — fag nur, ja 
du darfſt! Wenn ich nun in etlihen Wochen, denn da haben wir 
ſchon Frühling hier, in's Rheingau gehe, dann fchreib ich Dir von 
jedem Berg aus; bin Dir fo immer viel näher, wenn ich außer den 
Stadtmanern bin, da glaub ih manchmal mit jedem Athemzug Did 
‚u fühlen, wie Du im Herzen regierft, wenn es vecht ſchön iſt draußen, 
wenn die Luft fchmeichelt, ja wenn die Natur gut und freundlich ift, 
wie Du, da fühl ich Dich fo deutlich. — Aber was ſoll ich mit Dir! — 
Du jelbft haft mir nicht8 zu jagen; in dem Brief den Du mir [hriebft, 
den ich zwar fo lieb habe, wie meinen Augapfel, da nennft Du mich 
nicht einmal wie Du gewohnt warft, grad als ob ich Deiner Bertrau- 
lichleiten nicht werth wäre. Ad e8 geht ja von Mund zu Herzen bei 
mir! ih würde nichts von Schag und Herz und Kuß veräußern und 
wenn ih auch am Hungertuch nagen müßte. In der Karmeliterfirche 
hab ich im Herbit allerlei gejchrieben, Erinnerungen aus der Kindheit, 
— fie fielen mir immer ein wenn ich dahin fam, und Doch war ich blos 
bingefommen um ungeftört an Dich zu denken! Jede Lebenszeit geht 
mir in Dir auf, ich denke mir die Kinderjahre, als ob ich fie mit Dir 
veripiele, und wachs empor und wähne mich geborgen in Deinem 
Schuß, und fühle ftolz mid in Deinem Bertrauen, und da regte fidy$ 
im Herzen vor heißer Liebe, da ſuch ich Dich, wie ſoll ich Ruhe fir 
den? — an Deiner Bruft nur, umſchränkt von Deinen Armen. — 
Und wärft Du es nicht, jo wär ich bei Dir; aber jo muß ich mich fürchten 
por aller Augen, die find auf Dich gerichtet, ach, und vor dem ſtechen⸗ 
den Blick, der unter Deinem Kranz hervorleuchtet! *) 


) (Goethes Werke, 2ter Band, Seite 7.) 


120 


Außer Dir erfheinen mir alle Menſchen wie einer und derjelbe, 
ich unterfcheive fie nicht, ich begehr nicht nach Dem ungeheuren alljeitigen 
Meer der Ereignifie. Der Lebensftrom trägt Di, Du mich, in Dei- 
nen Armen durchſchiff ich ihn, Du trägft mich bis zum Ende, nicht 
wahr? — Und wenn e8 auch noch taufendfache Eriftenzen giebt, ich 
kann mid nicht hinüberſchwingen, bei Dir bin ich zu Haufe, jo jet doch 
auch zu Haufe mit mir, oder weißt Du etwas beſſeres ald mich und 
Dich im magiſchen Kreis des Lebens? 

Unlängft hatten wir ein Feines Welt im Haufe wegen Savignys 
Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um zwölf und blieb bis 
Nachts um ein Uhr, fie befand fih auch ven andern Tag ganz wohl 
darauf. Bei der Tafel war große Muſik von Blafe-Inftrumenten, 
auch wurden Berfe zu Savignys Lob gefungen, wo fie jo tapfer ein- 
ftimmte, daß man fie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir 
nun aud) Deine und ihre Geſundheit tranfen, wobei Trompeten und 
Pauken fchmetterten, fo ward fie feierlich vergnügt. Nah Tiſche er- 
zählte fie der Gefellihaft ein Mährchen, alles hatte fich in feierlicher 
Stille um fie verfammelt. Im Anfang holte fie weit aus, das große 
Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten 
alle Rollefähigen Berjonen in der grotesken Weiſe aus ihrem großen 
Gedächtniß Kaſten auf das fantaftifchfte geſchmückt, es wurden noch 
allerlei kleine Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spaniſche 
Tänzerin auf, die mit Caſtagnetten ſehr ſchön tanzte. Dieſes graziöſe 
Kind giebt hier beim Theater Vorſtellungen, ich hab Dir von ihr noch 
nicht geſagt, daß ſie mich ſeit Wochen in einem ſtillen Enthuſiasmus 
erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß 
ſich die Tugend in die reine Kunſt verwandle, daß man nehmlich nach 
den Geſetzen einer himmliſchen Harmonie die Glieder des Geiſtes mit 
leichtem Enthuſiasmus rege, und ſo mit anmuthigen Geberden die 
Tugend ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Muſik. Nach 
dem Soupee tanzte man, ich ſaß etwas ſchläfrig an der Seite Deiner 
Mutter, fie hielt mich umhalſ't und hatte mich lieb wie ven Joſeph; 
ich hatte dazu auch einen rothen Rod an. Dan Hat einftimmig be— 


121 


ſchloſſen, e8 folle nte ein Tamilienfeit gegeben werden ohne die Mutter, 
fo ſehr hat man ihren guten Einfluß empfunden; ich hab mich gewun- 
dert wie ſchnell fie die Herzen gewinnen kann, bloß weil fie mit Kraft 
genießt und dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt. 

Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht vergefjen was ich 
für Deine Frau verſprach; nächſtens wird alles fertig fein, nur Die 
Frau von Sch. mußte ich ſchändlicherweiſe vergeffen mit dem Tuch! 
nun was ift zu thun? Mein Minifter denk ich, bekömmt hier eine 
Ihöne Negotiation. Gelt, ih mißbrauch Deine Geduld? — Guter! 
Befter! dem mein Herz ewig dient. 

Dein Sohn wird fein Bündel bald ſchnüren; — nur nicht zu 
feft! denn ich will ihm bei der Durchreife noch einen Bad guter Lehren 
mitgeben, die er auch noch mit einfchnüren muß. Mein Bruder George 
bat ein fleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt e8 kennen, 
da Du felbft ven Plan dazu gemacht und mit Baſſet, der jet im 
Amerika wohnt, den Bau beforgteft. Ich freu mich gar fehr über feine 
ſchönen Berhältnifie, ih meine, Dein Charakter, Deine Oeftalt und 
Deine Bewegungen jpiegeln fi in ihnen. Wir fahren beinah alle 
Tage hinaus, geftern flieg ih auf's Dad; die Sonne jhien fo warm, 
es wer jo hell, man konnte fo recht die Berge im Schoos der Thäler 
liegen fehen. O Sammer, daß ich nicht fliegen Tann! was nüßt e8 all, 
daß ich Dich fo lieb hab? — jung, kräftig und ſtolz bin ih in Dir, — 
ih mag's nicht auslegen, die Welt ſchiebt doch alles Gefühl in ihr 
einmal gemachtes Regifter, Du bift über alles gut, daß Du meine 
Liebe duldeſt, in der ich überglüdlich bin. Wie das Weltmeer ohne 
Ufer ift mein Gemüth, feine Wellen tragen mas ſchwimmen kann; Dich 
aber hab ich mit Gewalt in's tiefite Geheimnif meines Lebens gezogen, 
und walle Sreuvebraufend dahin über der Gewißheit Deines Beſitzes. 

Wenn ich mich fonft im Spiegel betrachtete und meine Augen 
fich felbft fo feurig anſchauten, und ich fühlte daß fte in dieſem Augen⸗ 
blick hätten durchdringen müſſen, und ich hatte niemand dem ich einen 
Blick gegönnt hätte, da war mir's leid daß alle Jugend verloren ging, 
jet aber denk ich an Did. Bettine. 


122 


An Goethe. | 
— Am 30. März. 

Kleine unvorbergefehene Reifen in die nächſten Gegenven, um 
ven Winter vor feinem Scheiven noch einmal in feiner Pracht zu be- 
wundern, haben mic abgehalten fogleich meines einzigen und liebſten 
Freundes in der ganzen Welt, Wunfc zu befriedigen. Hierbei ſende 
ich alles was bis jet erfchtenen, außer ein Journal, welches die Juden 
unter dem Namen Sulamith herausgeben. E8 ift fehr weitläufig; 
begehrft Du es, fo ſend ich's, da die Juden es mir als ihrem Protector 
und Heinen Nothhelfer, verehren. Es enthält die verfchievenften Dinge, 
freuz und quer, beſonders zeichnen ſich die Oden die fie dem Fürft 
Primas widmen, darin aus; ein großes Gedicht, was fie ihm am 
Neujahrstag brachten, ſchickte er mir und ſchrieb: „Sch verftehe Fein 
hebräiſch, fonft würde ich eine Dankſagung fchreiben, aber da für die 
Heine Freundin der Hebräer nichts zu verkehrt und undeutſch ift, fo 
trage ich ihr auf, in meinem Namen ein Gegengedicht zu machen.’ — 
Der boshafte Primas! — Ich hab ihn aber geftraft! Und geftern im 
Konzert fagte er mir: es ift gut daß die Juden nicht eben fo viel Hel- 
dengeilt als Handelsgeiſt haben, ih wär am End nidt ſicher daß ſie 
mich in meinem Tariſchen Haus blofirten. — 

Während dem bin ih im Odenwald gewefen, und bin auf des 
Götz altem Schloß herumgellettert, ganz oben auf den Mauern wo 
beinab fein menſchlicher Fuß mehr fih ftügen kann; über Mauer- 
ſpalten, die mich Doch zumeilen ſchwindlen machten, als immer im Ge 
danken an Dich, an Deine Yugend, an Dein Leben bis jet, das wie 
ein lebendig Wafjer fortbrauft. Weißt Du? — es thut fo wohl, wenn 
einem das Herz jo ganz ergriffen ift. Wie ich mich drehe und menbe, 
fo fpiegelt fich mir im Gemüth, was ih im Hinterhalt Habe und mas 
mir wie em feliger Traum nachgeht, und das bift Du! 

Dort war e8 wunderjhön! Ein ungeheurer Thurm worauf ehe- 
mals die Wächter jagen, um die Frankenſchiffe in dem Heinen Milde— 
berg zu verkünden mit Trompetenftoß. Tannen und Fichten wachſen 
oben, die beinah halb über feine Höhe hervorragen. 


123 


Zum Theil waren die Weinberge noch mit Schnee bevedt; ich 
ſaß auf einem abgebrochenen Wenfterbalfen und fror, und doch durch⸗ 
drang mich heiße Liebe zu Div, ich zitterte vor Angft hinunter zu 
flürzen, und Hetterte doch noch höher, weil mir's eimfiel Dir zu Lieb 
wollt ich's wagen. So machſt Du mid oft fühn; es ift ein Glüd daß 
die wilden Wölfe aus dem Odenwalde nicht herbei famen, ich hätte 
mich mit ihnen balgen müflen, hätte ich Demer Ehre dabei gedacht; 
es Scheint Unfinn, aber fo iſtss. — Die Mitternacht, die böfe Stunde 
der Geifter, weckt mich; ich leg mich im kalten Winterwind an's Fenſter; 
ganz Frankfurt ift tobt, der Docht in den Straßenlaternen ift im Ver⸗ 
glimmen, die alten roftigen Wetterfahnen greinen mir was vor, und 
da denk ich: ift das die ewige Leier? — Und da fühl ich daß dies 
Leben ein Gefängniß ift, wo ein jeder nur eine kümmerliche Ausficht 
bat in die Freiheit: das ift die eigne Seele. — Siehſt Du, da raf't es 
in mir; ich möchte hinauf über die alten fpigen Giebeldächer die mir 
den Himmel abjchneiven; ich verlaffe das Zimmer, eile über die weiten 
Gänge unferes Haufes, fuche mir einen Weg über die alten Böden, 
und hinter dem Sparrwerk ahne ich Gefpenfter, aber ich achte ihrer 
nicht; da fuche ich die Treppe zum Heinen Thürmchen, wenn ich end» 
ih oben bin, da ſeh ich aus ver Thurmlufe den weiten Himmel und 
friere gar nicht, da ift mir's als müſſe ich die gefammelten Thränen 
ablaven, und dann bin ih am anvern Tag fo heiter und fo neuger 
boren, ich fuche mit Lift nach einem Scherz den ich ausführen möchte; 
und fannft Du mir glauben? das alles biſt Du, Bettine. 


Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr Maskeraden und 
alle mögliche Ergöglichkeit; fie hat unfere ganze Yamilie in ihren 
Schuß genommen, ift frifh und gefund. 


An Bettine. 


Die Documente philanthropiſcher Chriften- und Judenſchaft find 
glüdlih angelommen, und Dir fol dafür, liebe Heine Freundin, der 


124 





befte Dank werben. Es ift recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, 
da fo viele Menſchen tobt gefehlagen werben, die übrigen auf's befte 
und zierlichfte auszupußen fucht. Fahre fort, mir von viefen heilfamen 
Anftalten, als Beihügerin derſelben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu 
geben. Dem braunſchweigiſchen Judenheiland ziemt e8 wohl, fein Volt 
anzujehen wie e8 fein und werden follte; dem Fürften Primas ift aber 
auch nicht zu verdenken, daß er dies Geſchlecht behandelt wie e8 ift. 
und wie e8 noch eine Weile bleiben wird. Mache mir doc eine Schil- 
derung von Herrn Molitor. Wenn ver Dann fo vernünftig wirkt als 
er fchreibt, jo muß er viel Gutes erfchaffen. Deinem eignen philan« 
thropifchen Erziehungsweſen aber wird Überbringer diefes, der ſchwarz⸗ 
äugige und braumlodige Jüngling empfohlen. Laſſe feine väterliche 
Stadt auch ihm zur Vaterftabt werben, jo daß er glaube ſich mitten 
unter den Seinen zu befinden. Stelle ihn Deinen lieben Gefchwiftern 
und Berwandten vor, und gedenke mein, wenn Du ihn freundlich auf 
nimmft. Deine Berg-, Burg⸗, Rletter- und Schaurelationen verjegen 
mid) in eine ſchöne heitere Gegend, und ich ftehe nicht davor, daß Du 
nicht gelegentlich Davon eine phantaftifche Abfpiegelung in einer Sata 
Morgana zu ſehen kriegit. 

Da nun von Auguft Abſchied genommen ift, fo richte ich mid) 
ein, von Haus und der hiefigen Gegend gleichfalls Abſchied zu nehmen 
und baldmöglichſt nach dem Carlsbader Gebirge zu wandeln. 

Heute um die eilfte Stunde wird »confirma hoc Deus« gefungen, 
welches ſchon fehr gut geht und großen Beifall erhält. 

Weimar, ven 3. April 1808. 


An Goethe. 


Wir haben einen naßkalten April, ich merks au Deinem Brief, 
— der ift wie ein allgemeiner Landregen; der ganze Himmel über- 
zogen von Anfang bi8 an’8 Ende; Du befiteft zwar die Kunft, in klei⸗ 
nen Formenzügen und Tinten Dein Gefühl ahnen zu laffen, und in 








125 





dem was Du unausgejprochen läßt, ftiehlt ſich die VBerfiherung in’s 
Herz, daß man Div nicht gleichgültig iſt; ja ich glaub's, daß ich Dir 
lieb bin, trog Deinem alten Brief, aber wenn Deine ſchöne Mäßigung 
plöglich zum, Zeufel ging, und Du bliebft ohne Kunft und ohne feines 
Taktgefühl, fo ganz wie Dich Gott gefchaffen hat in Deinem Herzen, 
ih würde mid) nit vor Dir fürdten, wie jest wenn ein fo fühler 
Brief ankömmt, wo ich mich befinnen muß was ich denn gethan habe. 

Heute ſchreibe ich aber doch mit Zuverficht, weil ih Dir erzählen 
kann wie Dein einziger Sohn fi bier wohl und Iuftig befindet; er 
giebt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous im unferer Loge; 
früh Morgens ſpaziert er jhon auf den Stadtthürmen herum, um die 
Gegend feiner väterlihen Stadt recht zu beſchauen; ein paarmal hab 
ih ihn binausgefahren, um ihm die Gemüsgärtnerei zu zeigen, da 
grade jeßt Die erften mwunverbarlichen Vorbereitungen dazu gefchehen, 
wo jeder Staude ihr Standort mit der Richtſchnur abgemeſſen wird, 
und wo dieſe fleifigen Gärtner mit fo großer Sorgfalt jevem Pflänz- 
chen jeinen Xebensunterhalt anweiſen; auch an's Stallburgsbränndhen 
bab ich ihn geführt, auf die Pfingftwiefe, auf den Schneivewall; dann 
hinter die ſchlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplat war; 
dann zum mainzer Thörchen hinaus; auch in Offenbah war er mit 
mir und der Mutter, und find gegen Abend bei Mondſchein zu Waſſer 
wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht los⸗ 
gelegt von all Deinen Geſchichten und Luſtparthieen; und da legte ich 
mich am Abend zu Bett mit trunfner Einbildung, was mir einen Traum 
eintrug von dem die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung fein wird. 
Es war als lief ih in Weimar durch den Park, in dem ein ſtarker 
Regen fiel; es war grade alles im erften Grün, die Sonne fhien durch 
den Regen. As ih an Deime Thür kam, Hört ih Dich ſchon von 
Weitem fprechen ; ich rief, — Du hörteft nicht, — da fah ih Dich auf 
derſelben Bank figen, Hinter welcher im vorigen Jahr die ſchöne breite 
Malve noch jpät gewachſen war; — gegenüber lag auch die Kate wie 
damals, und als ih zu Dir fam, fagteft Du auch wieder: See Did - 
nur dort üben zur Rabe, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht fo 


126 


nah. — Hier wachte ih auf, aber weil mir der Traum fo lieb war, 
fonnt ich ihn nicht aufgeben; ich traumte fort, trieb allerlei Spiel mit 
Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die folhe Zutraulichkeit erlaubt. 
— Du! der eimen Kreis des Lebendigen umfafjet, in dem wir alle 
Dein Vertrauen in fo mächtigen Zügen ſchon eingefogen haben. Ich 
fürchte mich manchmal, die Liebe die raſch in meinem Herzen auffteigt, 
wern auch nur in Gedanken vor Dir auszufprehen,; aber fo ein 
Traum ſtürzt wie ein angefhwollner Strom über den Damm. 8 
mag fich einer ſchwer entjchließen eine Reiſe nach der Sonne zu thun, 
weil ihn die Erfahrung, daß man da nit ankommt, davon abhält, — 
mir gilt im ſolchen Augenbliden die Erfahrung nichts, und jo ſcheint 
mir denn, Dein Herz zu erreichen in feinem vollen Glanze, nichts Un- 
mögliches, 

Molitor war geftern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn 
aus Deinem Briefe vor, fie haben ihn ſehr ergötzt; dieſer Edle ift ver 
Meinung, daß da er einen Leib für die Juden zu opfern habe, und 
einen Geift ihnen zu widmen, beide auch recht nüglich anzuwenden; es 
geht ihm übrigens nicht ſehr wohl, außer in feinem Vertrauen auf 
Gott, bei welchem er jedoch feft glaubt, daß die Welt nur durch 
Schwarzkunſt wieder in's Gleichgewicht zu bringen iſt. Er hat groß 
Bertrauen auf mid, und glaubt daß ich mit der Divinationskraft be⸗ 
gabt bin; brav ift er, und will ernftlich daS Gute; befümmert fich des⸗ 
wegen nicht um die Welt und um fein eigen Yortlommen; ift mit einem 
Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern die er im Vermögen hat, 
fehr wohl zufrieden. | 

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und 
Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein 
großes Feſt giebt; — da werd ic) denn wieder recht mit dem Schlaf 
zu kämpfen haben; dieſe vielen Lichter, die gepußten Leute, die ge 
Ihminkten Wangen, das ſummende Geſchwätz, haben eine narkotiſche 
unwiderftehlihe Wirkung auf mic. 

Bettine. 


re. 


127 


An Frau von Goethe. 
Am 7. April. 

Erinnern Sie ſich noch des Abends den wir bei rau von Schop- 
penhauer zubrachten, und man eine Wettung machte, ich Tönne feine 
Nähnadel führen? — Ein Beweis, daß ich Damals nicht gelogen habe, 
ift beilommendes Röcklein; ich hab es fo ſchön gemacht, daß mein Ta⸗ 
lent für weiblihe Handarbeit ohne Ungerechtigkeit doch nicht mehr im 
Zweifel gezogen werben fann. Betrachten Sie e8 invefjen mit Nach— 
fiht, denn im Stillen muß ich Ihnen befennen, daß ich meinem Genie 
beinahe zu viel zugetraut habe. Wenn Ste nur immer darin erlen- 
nen, daß ich Ihnen gern fo viel Freude machen möchte, als in meiner 
Gewalt fteht. 

Auguft ſcheint ſich bier zu gefallen; das Feſt welches der Fürſt 
Primas ver Großmutter und dem Enfel gab, beweift recht wie er den 
Sohn ehrt. Ich will inbeflen ver Frau Rath nicht worgreifen, die es 
Ihnen mit den fchönften Farben ausmalen wird. Auguft ſchwärmt in 
der ganzen Umgegend umher; überall find Jugendfreunde feines Va⸗ 
terd, die von den Höhen da und dort hindeuten und erzählen, melde 
glückliche Stunden fie mit ihm an fo ſchönen Orten verlebten, und fo 
geht e8 im Triumph von der Stadt auf's Land, und von da wieder in 
die Stadt. — In Offenbach, dem zierlihften und reinften Städtchen 
von der Welt, das mit bimmelblaufeivenem Himmel unterlegt ift, mit 
filbernen Wellen garnirt und. mit blühenden Feldern von Hyazinthen 
und Tauſendſchönchen geftict; da war des Erzählens der Erinnerungen 
an jene glüdlihen Zeiten fein Ende. 

Beiliegende Granaten hab ich aus Salzburg erhalten, tragen 
Ste diefelben zu meinem Andenken. 

Bettine. 


Einliegende Bücher für den Geheimenrath. 


128 





An Bettine. 
Weimar, den 20. April 1808. 

Auch geftern wiever, liebes Herz, hat ſich aus Deinem Füllhorn 
eine reichliche Gabe zu uns ergofjen, grade zur rechten Zeit und Stunde, 
denn die Frauenzimmer waren in großer Überlegung, was zu einem 
angefagten Weft angezogen werben ſollte. Nichts wollte recht paflen, 
als eben das ſchöne Kleiv ankam, das denn fogleich nicht gefchont wurde. 

Da unter allen Seligleiten, deren ſich meine Frau vielleicht rüh- 
men möchte, die Schreibfeligleit die aller geringfte tft: jo verzeihe Du, 
wenn fie nicht jelbft die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht haft. 
Wie leer e8 bei uns ausfteht, fällt mir erft recht auf, wenn ich umber- 
blicke und Dir doch aud einmal etwas Freundliches zufchiden möchte. 
Darüber will ich mir nun alſo wetter fein Gewiſſen machen und auch 
für die geprudten Hefte danken, wie für Manches wovon ich nod) jetzt 
nicht weiß, wie ich mich feiner würdig machen fol. Das wollen wir 
denn mit beicheivenem Schweigen übergehen, und uns lieber abermals 
zu den Juden wenden, die jeßt in einem entſcheidenden Moment zwi- 
ſchen Thür und Angel fteden, und die Flügel ſchon fperren, noch ehe 
ihnen das Thor der Freiheit weit genug geöffnet iſt. — 

Es war mir jehr angenehm, zu fehen, Daß man den finamggeheime- 
räthlihen, jacobiniſchen Iſraelsſohn fo tüchtig nah Haufe geleuchtet 
hat. Kannſt du mir den Verfaſſer der Heinen Schrift wohl nennen? 
Es find trefflihe einzelne Stellen drin, die in einem Plaidoyer von 
Beaumarchais wohl hätten Platz finden können. Leider ift das Ganze 
nicht raſch, kühn und Iuftig genug gejchrieben, wie e8 hätte jein müſſen. 
um jenen Humanitätsſalbader vor der ganzen Welt eim- für allemal 
lächerlich zu machen. Nun bitte ic aber noch um die Judenſtädtigkeit 
jelbft, damit ih ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre. 

Was Du mir von Molitor zu fagen gedenkſt, wird mir Freude 
machen; aud durch das Letzte was Du von ihm ſchickſt, wird er mir 
merkwürdig, beſonders durch das was er von der Peſtalozziſchen Mte- 
thode jagt. 





129 





Lebe recht wohl! Hab taufend Dank für die gute Aufnahme 
des Sohns, und bleibe dem Vater günftig. G. 


An Goethe. 


Die Städtigkeits⸗ und Schutzordnung der Judenſchaft wird hier⸗ 
bei von einer edlen Erſcheinung begleitet; nicht allein um Dir eine 
Freude zu machen, ſondern weil dies Bild mir lieb iſt, hab ich's von 
der Wand an meinem Bett genommen, an dem es ſeit drei Tagen 
hing, und ſeine Schönheit dem Poſtwagen anvertraut; Du ſollſt nur 
ſehen was mich reizen kann. Häng dies Bild vor Dich, — ſchau ihm 
in dieſe ſchönen Augen, — tn denen der Wahnſinn feiner Jugend 
ſchon überwunden liegt, dann füllt e8 Dir gewiß auf, mas Sehnſucht 
erregt. — Dies Unwteverbringlihe, mas nit lang das Tagslicht 
verträgt, und fchnell entſchwindet weil es zu herrlich ift für den Miß⸗ 
brauch. — Dieſem aber ift e8 nicht entjchwunden, es iſt ihm nur tiefer 
in die Seele geſunken, denn zwifchen feinen Lippen haucht ſich ſchon 
wieder aus was ſich im erhellten Aug nicht mehr darf jehen laſſen. — 
Wenn man das ganze Geſicht anblidt: — man hat's jo lieb — man 
möcht mit ihm gewejen fein um alle Bein mit ihm zu dulden, um alles 
ihm zu vergüten durch tauſendfache Liebe, — und wenn man den brei⸗ 
ten vollen Lorbeer erblidt, ſcheinen alle Wünſche für ihn erfüllt. Sein 
ganzes Weſen, — das Bud was er an fi hält, macht ihn fo lieb; 
hätt ich damals gelebt, ich hätt ihn nicht verlaflen. 

Auguft tft weg; ich fang ihm vor: „Sind's nicht dieſe, ſind's Doch 
andre, die da weinen wenn ich wandre, holder Schaß, gedenk an mid.“ 
Und fo wanderte er zu den Pforten unferes republikaniſchen Haufes 
hinaus; hab ihn auch von Herzen umarmt, zur Erinnerung für mid 
an Did; weil Du mich aber vergefjen zu haben feheinft, und mir nur 
immer von dem Bolt fchreibft welches verflucht ift, und es Dir lieb ift 
wenn Jacobſon heimgeſchickt wird, aber nicht wenn ich heimlich mit 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 9 


130 


Dir bin, fo fchreib ich's zur Erinnerung für Dich an mid, die 
Di trog deiner Kälte do immer lieb haben muß — balt, weil 
fie muß. 

Dem Primas häte ich mid) wohl Deine Anfichten über die Juden 
mitzutheilen, denn einmal geb id Dir nicht recht, und Hab auch meine 
Gründe; ih läugne auch nicht, die Juden find ein heißhungriges un⸗ 
befcheivenes Boll; wenn man ihnen den Finger reicht, fo reißen fie 
einem bei der Hand an ſich, daß man um und um purzeln möchte, das 
fommt eben daher, daR fte jo lang in der Noth geftedt haben; ihre 
Gattung ift doch Menſchenart, und dieſe fol doch einmal der Freiheit 
theilbaftig fein, zu Chriften will man fie abfolut machen, aber aus 
ihrem engen Fegfeuer der überfüllten Judengaſſe will man fie nicht 
heraus laſſen; das Hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile ges 
foftet, bis die Chriften fih entſchloſſen Hatten ihre Kinder mit ven 
armen Judenkindern in eine Schule zu ſchicken, e8 war aber ein höchſt 
genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, für's erfte 
Chriften- und Judenkinder in eine Schule zu bringen; die können's 
denn mit einander verfuhen, umd den Alten mit gutem Beifpiel vor- 
gehen. Die Juden find wirklih voll Untugend, das läßt ſich nicht 
läugnen; aber ich jehe gar nicht ein, was an den Chriften zu verderben 
ift, und wenn denn doch alle Menſchen Chriften werben follen, fo laſſe 
man fie in's himmlische Paradies, — da werden fie fih ſchon befehren, 
wenn's ihnen gefällig ift. 

Siehft Du, die Liebe macht mich nicht blind, — e8 wär aud ein 
zu großer Nachtheil für mich, denn mit ſehenden Augen bin ich alles 
Schönen inne geworden. 

Adten, kalter Dann, der immer über mich hinaus nach den 
Judenbroſchüren reicht, ich bitte Dich, ſteck das Bild an die Wand mit 
vier Nadeln, aber in dein Zimmer, wo id) das einzige Mal drin war, 
und hernach nicht mehr. 

Bettine. 


131 


An Bettine. 


Du zürnft auf mi, da muß ich denn gleich zu Kreuz riechen 
und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machſt über meine kurzen 
falten Briefe, da doch Deine lieben Briefe, Dein lieb Weſen, kurz 
alles was von Dir ausgeht, mit der ſchönſten Anerfenntnig müßte 
belohnt werden. Ich bin Div immer nah, das glaube feit, und daß es 
mir wohler thut, je länger ich Deiner Liebe gewiß werde. Geftern 
Ichiete ich meiner Mutter ein Heines Blätthen für Di; nimm's als 
ein banres Äquivalent für das, was ic anders auszuſprechen in mir 
fein Talent fühle; fehe zu wie Du Dir's aneignen kannſt. Leb wohl, 
ſchreib mir bald, alles mad Du willft. Goethe. 


Der durchreiſende Paſſagier wird Dir hoffentlich werth geblieben 
ſein bis an's Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und 
Gute, was Du ihm erzeigt haſt. — Wenn ich in Carlsbad zur Ruh 
bin, ſo ſollſt Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit mir; 
ſchreib mir ja recht viel von Deinen Reiſen, Landparthieen, alten und 
neuen Beſitzungen; das leſe ich nun ſo gern. 

Weimar, den 4. Mai 1808. 


Sonett, im Brief an Goethe's Mutter eingelegt. 


Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen 
Sprangſt Du mit mir, ſo manchen Frühlingsmorgen. 
„Für ſolch ein Töchterchen, mit holden Sorgen, 
Möcht' ich als Vater ſegnend Häuſer bauen!“ 


Und als Du anfingſt in die Welt zu ſchauen, 
War Deine Freude häusliches Beſorgen. 
„Solch eine Schweſter! und ich wär' geborgen: 
Wie könnt' ich ihr, ach! wie ſie mir vertrauen!“ 
9% 


132 


Nun kann den ſchönen Wachsthum nichts beſchränken; 
Ich fühl' im Herzen heißes Liebetoben, 
Umfaſſ' ich fie, die Schmerzen zu beſchwichtgen? 


Doch ah! nun muß ich Dich als Fürftin denken: 
Du ftehft jo fchroff vor mir emporgehoben; 
Sch beuge mich vor Deinem Blick, dem flüchtgen. 


Un Goethe. 


Iſt e8 Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung beſchämt zu 
Demen Füßen zu fehen, fo fehe jest auf mich herab; fo geht's ver 
armen Schäfermaid, der der König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz 
auch ftolz ift ihn zu lieben, fo ift die Krone Doch zu ſchwer; ihr Köpfchen 
ſchwankt unter der Laft, und noch obendrein ift fie trunfen von der 
Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr ſchenkt. 

Ach, ich werde mich hüten ferner zu Hagen, over um ſchön Wetter 
zu beten, kann ich doch den blendenden Sonnenftrahl nicht vertragen. 
Nein, lieber im Dunkel feufzen, ftill verfchwiegen, als von Deiner 
Muſe an’8 belle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das fprengt 
mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht jo lange, nimm mir die Krone 
ab, verſchränke Deine Arme um mid an Deinem Herzen, und Iehre 
mich vergeflen über Dir felber, daß Du mich verflärt mir wieverfchentit. 

Bettine. 


An Goethe. 
Am 20. Mai. 
Schon acht Tage bin ich in der lieblichſten Gegend des Rheins, 
und konnte vor Faulheit, die mir ‘die liebe Sonne einbrennt, keinen 
Augenblid finden, Deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. 
— Wie läßt ſich da auch fehreiben! Die Allmacht Gottes ſchaut mir 


133 





‚zu jevem Fenſter herein und neigt ſich anmuthig wor meinem begeijter- 
ten Blid. 

Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hellfehen begabt was 
mir die Gedanken einnimmt. Seh ich einen Wald, jo wird mein Geift 
auch alle Hafen und Hiriche gewahr, die drin herumſpringen; und hör 
ich die Nachtigall, jo weiß ich gleich was der kalte Mond an ihr ver- 
ſchuldet bat. 

Geſtern Abend ging ic noch ſpät an den Rhein; ich wagte mich 
auf einen ſchmalen Damm, der mitten in den Fluß führt, an deſſen 
Spite von Wellen umbrauf'te Felsklippen hervorragen; ich erreichte 
mit einigen gewagten Sprüngen den allervorverften, der grade jo viel 
Kaum bietet, um trodnen Fußes drauf zu ftehen. Die Nebel umtanzten 
mich; Heere von Raben flogen über mir, fie drehten ſich im Kreis, als 
wollten fie fih aus der Luft berablaflen; ich wehrte mich Dagegen mit 
einem Tuch, das ich über meinen Kopf ſchwenlte, aber ich wagte nicht 
über mich zu fehen, aus Furcht in's Waſſer zu fallen. Wie ich um⸗ 
fehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte faum begreifen 
wie ich hingelommen war; es fuhr ein Heiner Seelenverkäufer vorüber, 
— dem winkte ich mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der 
weißen Geftalt, die er trodnen Fußes mitten auf dem Fluße ftehen 
ſah, und die die Raben für ihre Beute erflärten fein Zutrauen faflen; 
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gelommen war, und nahm 
mich an Bord feines Dreibords. Da lag ih auf ſchmalem Brett, 
Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde 
abwärts bis wo feine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem 
jehen wie die Leute bei hellem Teuer Theer kochten und ihr Fahrzeug 
anſtrichen. 

Wie leidenſchaftslos wird man, wenn man ſo frei und einſam ſich 
befindet wie ich im Kahn; wie ergießt ſich Ruh durch alle Glieder, ſie 
ertränkt einem mit ſich ſelbſten, fie trägt die Seele jo ſtill und janft 
wie der Rhein mein Meines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine 
Welle plätichern hörte. Da fehnte ich mich nicht wie font meine Ge⸗ 
danken vor Dir auszusprechen, daß fie gleich ven Wellen an der Bran- 





134 





dung anfchlagen und belebter weiterſtrömen; ich jeufzte nicht nad) 
jenen Regungen im Innern, von denen ich wohl weiß daß fie ©e- 
heimniſſe weden und dem glühenden Jugendgeiſt Werkftätte und Tem⸗ 
pel öffnen. Mein Schiffer mit der rothen Müge, in Hembärmeln, 
hatte fein Pfeifchen angezündt; ich ſagte: Herr Schiffsfapitein, Ihr 
ſeht ja ans als hätt die Sonne Eu zum Harniſch ausglühen wollen; 
— ja, fagte er, jet fig ic im Kühlen; aber ich fahre nun ſchon vier 
Sabre alle Reiſende bei Bingen über ven Rhein, und da ift feiner jo 
weit hergekommen wie ih. Sch war in Indien; da fah ich ganz anders 
aus, da wuchſen miv die Haare jo lang. — Und war in Spanien; da 
ift Die Hige nicht jo bequem, ich hab Strapaten ausgeftanden; da fielen 
mir die Haare aus, und id Triegte einen ſchwarzen Krauskopf. — Und 
bier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; 
in der Fremde hatt ich Noth und Arbeit wie es ein Menfch kaum er- 
trägt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden 
binter einander ſchlafen, — da mocht es regnen und bligen unter 
freiem Himmel. Hier ſchlaf ih Nachts feine Stunde, wer's einmal 
geihmedt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen hier alle Polen 
und rothaarige Holländer über die Goſſe zu fahren, — und follt ich 
den ganzen Rhein hinunterijhwimmen auf meinen dünnen Rippen, fo 
muß ich fort ans einem Ort, wo's nichts zu ladhen giebt und nichts zu 
jeufzen. — Ei, wo möchtet Ihr denn Hin? — Da, wo ich am meiften 
ausgeftanden habe, das war in Spanien; — da möcht ich wieder jein, 
und wenn's noch einmal fo hart herging! — Was bat Euch denn da 
jo glücklich gemacht? — Er lachte und ſchwieg, — wir landeten, ich 
beitellte ihn zu mir, daß er ſich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich nichts 
bei mir hatte; er wollte aber nicht8 nehmen. Im Nachhauſegehen über- 
legte ich, wie mein Glüd ganz von Dir ausgeht, wenn Du nicht wärft, 
im langweiligen Deutfchland, jo möcht ih wahrhaftig auch auf meinen 
dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabſchwimmen. Unfre Grof- 
mutter hat ung oft jo erhabene Dinge gefagt von Deutfhlands großen 
Geiftern, aber Du warft nicht dabei, fonft hätt ich mich vor ‘Dir ge⸗ 
hütet, und Du wärft meiner DBegeifterung verluftig gewefen. Im 








135 


Einihlafen fühlte ih mich noch immer gewiegt in ſüßer, gedankloſer 
Zerftrenung, und eg war mir, als hab ich Dir große Dinge mitzu- 
theilen, von denen ich glaubte, ich dürfe nur wollen, jo werde fie der 
Mund meiner Gedanken ausſprechen; jett aber, nach eingeichlafnem 
Traumleben, weiß ih nichts als mid Deinem Andenken, Deiner 
freundlichen Neigung auf's innigfte anzufchmiegen, denn wärft Du 
mir nicht, ich weiß nicht was id) dann wär, aber gewiß: unſtät und 
unruhig würde ic fuchen, was ich jest nicht mehr juche. 
Dein Kind. 


Wie ift mir, lieber einziger Freund! Wie ſchwindelt mir, mas 
willft Du mir jagen, — Schatz! föftliher! von dem ich alles lerne 
tief in der Bruft, der mir alle Feſſeln abnimmt die mich vrüden, der 
mir winkt in die Lüfte, in die Freiheit. | 

Das haft Du mir gelehrt, daß alles was meinem Geift eine 
Feſſel ift, allein nur drückende Unwiſſenheit ift; wo ich mich fürchte, 
wo ich meinen Kräften nicht traue, da bin ich nur unwiſſend. 

Wiſſen ift die Himmelsbahn; das höchſte Willen ift Allmacht, 
das Element der GSeligkeit; jo lange wir nicht im ihm find, find wir 
noch ungeboren. Selig fein ift frei fein; ein freies, ſelbſtſtändiges Leben 
haben, deſſen Höhe und Göttlichfeit nicht abhängt von feiner Geftal- 
tung; das im fich göttlich ift, weil nur reiner Entfaltungstrieb im ihm 
ift, ewiges Blühen an's Licht und fonft nichts. 

Liebe ift Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Dies Herz, 
das von Dir empfunden fein will, will fret werben; es will entlafjen 
fein aus dem Kerker in Dein Bewußtfein. Du bift das Neid, der 
Stern, den es feiner Freiheit erobern will. Liebe will allmählig die 
Ewigkeit erobern, die wie Du weißt, Fein Ende nehmen wird. 

Dies Sehnen ift jenfeit der Athem der die Bruft hebt; und die 
Liebe ift die Luft die wir trinfen. 

. Durch Di werd ich in's unfterbliche Leben eingehen; der Lie- 
benve geht ein durch den Geliebten in’s Göttliche, in die Seligfeit. 
Liebe ift Überftrömen in die Seligfeit. 


136 


Dir alles jagen, das iſt mein ganzes Sein mit Dir; der Ge- 
danke ift vie Pforte, die den Geift entläßt; da rauſcht er hervor und 
bebt fich hinüber zur Seele die er liebt, und läßt ſich da niever und 
füßt die Geliebte, und das iſt Wolluftfchauer: den Gedanken empfin- 
den, den die Liebe entzündet. 

Möge mir dies füße Eimverftännni mit Dir bewahrt bleiben, 
in dem fich unfer Geiſt berührt; dies kühne Heldenthum das ſich über 
den Boden der Bedrängniß und Sorge hinweghebt, auf himmliſchen 
Stufen aufwärtsfchreitend, ſolchen jhönen Gedanken entgegen, von 
denen ich weiß fie fommen aus Dir. 


Goethe an 3. 
Am 7. Suni. 


Nur wenig Augenblide vor meiner Abreife nach Carlsbad kommt 
Dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite fo viel Herr- 
liches umd Wichtiges leuchtet mir entgegen, daß ich im voraus Beſchlag 
lege auf jede prophetifhe Eingebung Deiner Liebe, Deine Briefe 
wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um 
ven ſchönen Reichthum, ven fie enthalten, zu ordnen. Wahre fort, mit 
dieſem lieblichen Irrlichtertang mein beſchauliches Leben zu ergößen, 
und beziehende Abentheuer zu lenken, — es iſt mir alles aus eigner 
Yugenderinnerung befannt, wie die heimathlihe Werne, deren man ſich 
deutlich bewußt fühlt, ob man fie ſchon lange verlafien hat. Forſche 
doch nad) dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du 
ihm wieder begegneft, e8 wäre doch wohl interefjant zu erfahren, 
wie der indifhe Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur ge 
fährdeten Stunde den böſen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen. 
Adien! Der Eichwald und die fühlen Bergſchluchten, die meiner har- 
ren, find der Stimmung nicht ungänftig, die Du fo unwiderſtehlich 
beranszuloden verftebft; auch predige Deine Naturevangelien nur 
immer in ber ſchönen Zuverfiht, daß Du einen frommen Gläubigen 
an mir haft. 








137 


Die gute Mutter bat mir jehr bedauerlich gejchrieben, daß fie 
dieſen Sommer Dich entbehren ſoll; Deine reiche Liebe wird auch da⸗ 
bin verforgenn wirken, und Du wirft Einen in dem Andern nicht 
vergefien. 

Möcteft Du doch auch gelegentlich meinen Dank, meine Ber- 
ehrung unferm vortrefflihen Fürften Primas ausdrücken, daß er mei- 
nen Sohn fo über alle Erwartung geehrt, und ver braven Grofmut- 
ter ein fo einziges Feſt gegeben. Ich follte wohl jelbft dafür danken, 
aber ich bin überzeugt, Du wirft das, was ich zu jagen habe, viel ar: 
tiger und anmutbiger, wenn auch nicht herzlicher vortragen. 

Deine Briefe werden mir im Carlsbad bei den drei Mohren der 
willtommenfte Bejuch fein, von denen ich mir das befte Heil verſpreche. 
Erzähle mir ja recht viel von Deinen Retjen, Lanpparthieen, alten 
und neuen Befigungen, und erhalte Di mir in fortdauerndem leben» 
digem Andenken. G. 


An Goethe. 
Am 16. Juni. 

Hier ſind noch tauſend herrliche Wege, die alle nach berühmten 
Gegenden des Rheins führen; jenſeits liegt der Johannisberg, auf 
deſſen ſteilen Rüden wir täglich Proceſſionen hinaufklettern ſehen, die 
den Weinbergen Segen erflehen, dort überſtrömt die ſcheidende Sonne 
das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind trägt feierlich 
die Fahnen ver Schutzheiligen in den Lüften, und bläht die weitfalti⸗ 
gen weißen Chorhemden ver Geiftlichleit auf, die fih in der Dämme⸗ 
rung wie ein räthſelhaftes Wollengebilde den Berg binabichlängeln. 
Im Näherrüden entwidelt fich der Geſang; die Kinderſtimmen klingen 
am vernehmlichften, der Baß ſtößt nur ruckweiſe die Melodien in die 
rechten Yugen, damit fie das Heine Schulgewinmel nicht allzuhoch 
treibe, und dann paufirt er am Fuß des Berges, wo die Weinlagen 
aufhören. Nachdem ver Herr Kaplan den legten Rebſtock mit dem 
Wadel aus dem Weihwaſſerkeſſel beſpritzt Hat, fliegt vie ganze Proceffion 








138 


wie Spreu auseinander, der Küfter nimmt Fahne, Weihleſſel und 
Wadel, Stola und Chorhemd, alles unter dem Arm, und trägt's 
eilends davon, ald ob die Grenze der Weinberge auch die Grenze Der 
Audienz Gottes wär, fo fällt das weltliche Leben ein, Schelmenlied⸗ 
chen bemächtigen fi) der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausge⸗ 
laſſenheit verdrängt ven Bußgefang, alle Unarten gehen los, die Knaben 
balgen fih und lafjen ihre Draden am Ufer im Mondſchein fliegen, 
die Mädchen ſpannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche Liegt, 
und die Burſche bombardieren fie mit wilden Caftanien; da jagt der 
Stadthirt die Kuhherde durch's Getümmel, den Ochs voran, Damit er 
ih Pla made, die hübſchen Wirthstöchter ftehen unter ven Wein- 
lauben vor der Thür und Mappen mit dem Dedel der Weinlanne, da 
ſprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Sahrgänge und 
Weinlagen, der Herr Frühmefiner jagt nach gehaltener Proceffion zum 
Herrn Kaplan: Nun haben wir's unferm Herrgott vprgetragen, was 
unferm Wein Noth thut: noch acht Tage troden Wetter, Dann Morgens 
früh Regen und Mittags tüchtigen Sonnenſchein, und das fo fort Juli 
und Auguft! wenn's dann fein gutes Weinjahr giebt fo iſt's nicht unfre 
Schuld. 

Geſtern wanderte ich der Proceffton vorüber, hinauf nad dem 
Kloſter wo fie herkam. Oft Hatte ich im Auffteigen Halt gemacht, um 
den verhallenden Gefang noch zu hören. Da oben auf der Höhe war 
große Einſamkeit, nachdem auch das Geheul der Hunde die das Pfal- 
miren obligat begleitet hatten, verklungen war, ſpürte ich in die Ferne; 
da hörte ich dumpf das finfende Treiben des ſcheidenden Tags; ich 
blieb in Gedanken figen, — da kam aus dem fernen Waldgeheg von 
Bolliat her etwas Weißes, e8 war ein Reiter auf einem Schimmel; 
das Thier leuchtete wie ein Geift, fein weicher Galopp tönte mir weif- 
fagend, die ſchlanke Figur des Reiters ſchmiegte fich jo nachgeben ven 
Bewegungen des Pferdes das den Hals ſanft und gelenk bog ; bald in 
läffigem Schritt fam er heran, ich hatte mich an den Weg geftellt, er 
mochte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuch⸗ 
mantel und ſchwarzer Mütze ſah ich nicht grade einem Mädchen Ahn- 


139 


ih. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu fteil ſei zum Hinabreiten, 
und ob es noch weit fei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg 
herab, der Schimmel hauchte mich an, ich Hatjchte feinen ſanften Hals. 
Des Reiters ſchwarzes Haar, feine erhabene Stirn und Nafe waren 
bei vem hellen Nachthimmel deutlich zu erfennen. Der Feldwächter 
ging vorüber und grüßte, ich zog die Müte ab, mir klopfte das Herz 
neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechſelweiſe 
Raum, uns näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte, 
ſchien feinen großen Eindruck auf ihn zu machen, ich aber entvedte m 
feinen Zügen, feiner Kleidung und Bewegungen eine reizende Eigen- 
heit nach der andern. Nachläſſig, bewußtlos, naturlaunig ſaß er auf 
feinem Schimmel, der das Regiment mit ihm theilte. — Dorthin flog 
er im Nebel ſchwimmend, der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber 
blieb bei ven legten Neben, wo heute die Proceifion in ausgelafinem 
Übermuth auseinander fprengte allein zurück: Ich fühlte mich fehr gebe- 
müthigt, ich ahnete nicht nur, ich war überzeugt, dies rafche Leben, das 
eben gleihgültig an mir worüber geftreift war, begehre mit allen fünf 
Sinnen des Köſtlichſten und Erhabenften im Dafein ſich zu bemächtigen. 

Die Einſamkeit giebt dem Geift Seldftgefühl, die duftenden 
Weinberge ſchmeichelten mich wiever zufrieden. 

Und nun vertraue ih Dir ſchmucklos meinen Neiter, meine ges 
kränkte Eitelkeit, meine Sehnſucht nach dem lebendigen Geheimniß in 
der Menfhenbruft. Soll ich in Dir lebendig werben, genießen, athmen 
und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, fo muß ih, Deiner höheren 
Natur unbefchadet, alles bekennen dürfen was mir fehlt, was ich erlebe 
und ahne; nimm mid auf, weiſe mich zuredht und gönne mir bie 
heimliche Luſt des tiefften Einverftännniffes. 

Die Seele ift zum Gottesdienſt geboren, daß ein Geift in dem 
andern entbrenne, fih m ihm fühle und verjtehen lerne, das ift mir 
Gottesdienſt — je inmiger: je reiner und lebendiger. 

Wo ih mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und 
Mond befchtenen, da biſt Du meine Heiligung. 

Bettine. 


140 


Am 25. Juni. 

Du wirſt doch auch einmal den Rhein wieder befuchen, Den 
Garten Deines Vaterlands, der dem ausgewanderten die Heimath er- 
fett, wo die Natur jo freundlich groß fih zeigt, — Wie bat fie mit 
ſympathetiſchem Geift die mächtigen Ruinen aufs neue belebt, wie 
fteigt fie auf und ab an ven düſtern Mauern und begleitet vie ver- 
ödeten Räume mit ſchmeichelnder Begrafung, und erzieht die wilden 
Roſen auf den alten Warten, und die Vogelkirſche die aus verwitterter 
Mauerlufe berabladt. Ja komm und durchwandre den mächtigen 
Bergwald vom Tempel herab zum Felſenneſt das über dem ſchäumen⸗ 
den Bingerlodh herabfieht, die Zinnen mit jungen Eichen gekrönt; wo 
die ſchlanken Dreiborvde wie ſchlaue Eiveren durch die reigende Fluth 
am Mäuſethurm vorbeiſchießen. Da ftehft Du und fiehjt wie der 
helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus vem Waflerjpiegel berauf- 
lacht, und Dich felbit auf Deinem keden eigenfinnigen bafaltnen Ehren- 
fels inmitten abgemalt, in ernfte ſchaurig umfafjende Telshöhen und 
hartnäckige Vorſprünge eingerahmt; da betrachte Dir die Mündungen 
der Thale, die mit ihren friedlichen Klöftern zwifchen wallenden Saaten 
aus blauer Verne hervorgrünen, und bie Iagbreviere und hängenden 
Gärten die von einer Burg zur andern fi ſchwingen, und das Ge- 
ſchmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer ſchmückt. 

D Weimar, D Karlsbad, entlaßt mir ven Freund! Schließ Dein 
Schreibpult zu und fomm bier ber, lieber als nach Karlsbad; das ift ja 
ein Kleines, dag Du dem Poſtillion fagft: links ſtatt rechts; ich weiß was 
Du bedarfſt, ih mache Dir Dein Zimmer zurecht neben meinen, das 
Edzimmer, mit dem einen Yenfter den Rhein hinunter und dem andern 
hinüber, ein Tifch, ein Sefjel, ein Bett und ein dunkler Borhang, daß 
die Sonne Dir nicht zu früh herein ſcheint. Muß es denn immer auf 
dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert fein, wo man fo oft 
marode wird? 

Eben entvedte ich den Briefträger, ich fprang ihm entgegen, er 
zeigte mir auch von weiten Deinen Brief, er freute ſich mit mir und 
hatte auch Urſache dazu, er fagte: Gewiß ift ver Brief von dem Herm 








141 





Liebften! Ya, fagte ich, für die Ewigkeit! das hielt er für ein melan- 
choliſches Ausrufungszeichen. 

Die Mutter hat mir au) heute gefchrieben, fie jagt mir's herzlich 
daß fie mir wohl will, von Deinem Sohn erhalte ich zumetlen Nach» 
richt durch andre, er ſelbſt aber läßt nichts von fich hören. 

Und nım leb wohl, Dein Aufenthalt in Carlsbad fei Dir gebeih- 
fich, ich jegne Deine Geſundheit; wern Du frank wärft und Schmerzen 
litteft, würde ich fehr mitleiven; ich Hab fo Manches nachfühlen müſſen, 
was Du wohl längft verfchmerzt hatteft, noch eb ih Dich kannte, 

Die drei Mohren foHen Deine Wächter fein, daß fich fein frem- 
der Gaſt bei Dir einfhleihe, und Du Dir kein geſchnitzeltes Bild 
machſt, dafjelbe anzubeten. Laß Dir's bei den drei Mohren gefagt 
jein, daß ich um den Ernſt Deiner Treue bitte, erhalte fie mir unter 
ven zierlihen müffigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die Nadel 
mit dem Gordiſchen Knoten trag an Deiner Bruft, dent daran, daß 
Du aus der Fülle meiner Liebe feine Wüfte des Jammers machen 
ſollſt, und jollft den Knoten nicht entzwei hauen. 

Dem Primas hab ich gefchrieben in Deinem Auftrag, er ift in 
Aſchaffenburg, er hat mich eingeladen, dorthin zu kommen; ich werd 
auch wahrſcheinlich mit der ganzen Familie ihn befuchen, da kann ich 
ihm alles noch einmal mittheilen. Ich werde Dir Nachricht Darüber 
geben. 

Nun küſſe ih Dir zum legtenmal Hand und Mund, um Morgen 
einen neuen Brief zu beginnen. Bettine. 


— — — nn 


An Goethe. 
Am 5. Juli. 
Wenn ih Dir alle Ausflüge bejchreiben follte, Liebfter Herr, die 
wir von unferm Rhemaufenthalt aus machen, fo blieb mir feine Mi⸗ 
nute übrig zum Schmachten und Seufzen. Das wär mtr fehr lieb, 
denn wenn mein Herz vol ift, jo möcht ich's gerne vor Dir über- 


142 


ftrömen laſſen; aber fo geht's nicht: Hat man den ganzen Tag im 
heißen Sonnenbrand einen Berg um den andern erftiegen, alle Herr- 
lichkeiten der Natur mit Haft in ſich getrunken wie den fühlen Wein 
in der Hite, fo möchte man am Abend den Freund lieber an's Herz 
drücken, und ihm jagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Bejchrei- 
bung von Weg und Steg mahen. Was vermag ich auch vor Dir, 
als nur Dich innigft anzufehen! Was fol ih Dir vorplaudern® — 
Was können Dir meine einfältigen Reden fein? 

Wer ſich nad) der ſchönen Natur fehnt, ver wird fie am beiten 
befehreiben, der wird nichts vergefjen, feinen Sonnenftrahl der fi) 
durch die Felsrige ftiehlt, feinen Windvogel der die Wellen ftreift, Fein 
Kraut, fein Mückchen, keine Blume am einfamen Ort, Wer aber 
Mitten drinnen ift, und mit glühendem Gefiht oben anfommt, ber 
ihläft wie ich gern auf dem grünen Raſen ein und denkt weiter nicht 
viel, manchmal giebt's einen Stoß an's Herz, da ſeh ih mid) um und 
ſuche, wen ich's vertrauen fol. 

Was follen mir all die Berge bis zur blauen Ferne, die blähen- 
den Segel auf dem Ahein, die braufenden Waflerftrudel! — e8 drückt 
einem doch nur, und — feine Antwort, niemals, wenn man aud) noch 
fo begehrend fragt. — 


Am 7. Suli. 


Ss lauten die Stoßfeufzer am Abend, am Morgen klingt's anders, 
da regt ſich's ſchon vor Sonnenaufgang und treibt mic, hinaus, wie 
einer längft erfehnten Botichaft entgegen. Den Nahen kann ich ſchon 
allein regieren, es ift mein liebſtes Morgengebet ihn liftig und ver- 
ftohlen von der Kette zu Löfen und mich hinüber an's Ufer zu ſtudieren. 
Allemal muß ich's wieder von neuem lernen, es ift ein Wagftüd, mit 
Muthwill begonnen, aber fehr andächtig beſchloſſen; denn ich danke 
Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe ih dann 
eimen der vielen Strahlenwege, die ſich bier nach allen Seiten aufthun. 
Jedesmal lauſcht die Erwartung im Herzen, jedesmal wird fie gelöf't, 
bald durch die allumfafjende Weite auf der Höh, durch die Sonne die 











143 


jo plöglih alles aus dem Schlaf wedt; ich klimme herab an Fels⸗ 
wänben, reinliches Moos, zierlihes Flechtwerk begleiten den Stein, 
Heine Höhlen zum Lager wie gegoffen, in denen verfchnauf ich, Dort 
zwiſchen dunklen Felſen Teuchtet ein helleres Grün: Träftig blühend, 
untabelich, mitten in ver Wüfte find ich die Blume auf reinlichem 
Herd, einfache Haushaltung Gottes; inmitten von Blüthenwänden bie 
Opferftätte feierlich umftellt von ſchwanken priefterlihen Nymphen, die 
Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und Weihrauch ftreuen, 
und wie bie indifhen Mädchen goldnen Staub im die Tüfte werfen. — 
Dann feh ich's bligen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, 
ob's vielleicht ein Diamant ift, den der Zufall an's Licht gebracht hat. 
Wenn's einer wär, ich ſchenkte ihn Dir, und denk mir Deine Verwun⸗ 
derung über das Kleinod unferer rheinifchen Felſen. Da lieg ih am 
unbefchatteten Ort mit brennenden Wangen, und fammle Muth, wieder 
hinüber zu Hettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opfer 
ftod des heiligen Petrus, der mit großem Himmelsfchlüfjel in's ver- 
gitterte Kapellchen eingefperrt ift, ruh ich aus auf weihen Gras, und 
ſuch vergebens o Himmel! an deinem gemölbten Blau das Loch, in 
das der Schlüfjel pafjen könnte, da ich heraus möchte aus dem Ger 
fängniß der Unwiſſenheit und Unbewußtheit; wo ift die Thür die dem 
Licht und der Freiheit ſich öffnet. — Da ruſchelt's, da zwitſchert's im 
Laub, dicht neben mir unter nieverem Aft fitt das Finfenweibchen im 
Neft und fieht mich kläglich an. 

Das find die Heinen allerliebften Abentheuer und Mühſeligkeiten 
des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntſchaft der Hlei- 
nen Gänjehirtin, fie ftrahlte mich von weitem an mit ihren zolllangen 
Ihwarzen Augenwimpern, die andern Kinder lachten e8 aus und fagten 
alle Menſchen hielten fi) rüber auf, daß es fo lange Wimpern habe. 
Es ſtand befhämt da und fing endlich an zu weinen. Ich tröftete es 
und fagte: Weil Dih Gott zur Hüterin über die ſchönen weißen 
Sänfe beftellt hat, und Du immer auf freier Wiefe gebeft, wo die 
Sonne fo fehr blenvet, fo bat er Dir diefe langen Augenſchatten 
wachjen laſſen. Die Gänſe vrängten fi an ihre weinende Hüterin, 


144 


und zifchten mich und die lachenden Kinder an, fünnt ich malen — 
das gäb ein Bild! 

Gut iſt's, daß ich nicht viel von dem weiß was in der Welt vor- 
geht, von Künften und Wiſſenſchaften nichts vwerfteh, ich Könnte leicht 
in Berfuhung gerathen, Dir darüber zu ſprechen, und meine Phantafie 
würde alles beſſer wifien wollen, jegt nährt fich mein Geift von In⸗ 
Ipirationen. — Manches Hör ich nennen, anwenden, vergleichen, was 
ich nicht begreife, was hindert mich danach zu fragen? — mas macht 
mich fo gleihgültig Dagegen? oder warum weiche ich wohl gar aus 
etmas Neues zu erfahren? — 


Am frühen Morgen. 

Ein Heer von Wolfen macht mir heute meine frühe Wanderung 
zu Waſſer, dort drüben die Ufer find heute wie Schatten der Unterwelt 
ſchwankend und ſchwindend; die Thurmſpitzen ver Nebelbegrabenen 
Städte und Ortfhaften dringen faum durch, die ſchöne grüne Au ift 
verſchwunden. — Es ift noch ganz früh — ih merk's! kaum kann es 
vier Uhr fein, da fchlagen die Hähne an, von Ort zu Ort in die 
Kunde bis Mittelheim, von Nahbar zu Nachbar; keiner verfümmert 
dem andern die Ehre des langen Nachhalls, und fo geht's in die Verne 
wie weit! die Morgenftille dazwiſchen, wie die Wächter der Mofcheen, 
die das Morgengebet ausrufen. 

Morgenftund bat Gold im Mund, ſchon feh ich's glänzen und 
fiimmern auf vem Waſſer, die Strahlen brechen durch und ſäen Sterne 
in den eilenden Strom der feit zwei Tagen wo e8 unaufhörlich gießt 
angeſchwollen ift. 

Da hat der Himmel feine Schleter zerrifien! — num iſt's gewiß, 
daß wir heute ſchön Wetter haben, ich bleibe zu Haufe und will alle 
Segel zählen die vorüberziehen, und allen Betrachtungen Raum geben, 
bie mir die ferne allmählig erhellende Ausficht zuführt. Du kennſt den 
Fluß des Lebens wohl genau, und weißt wo die Sandbänke und 
Klippen find, und die Strudel, die und in die Tiefe ziehen, und wie 














145 





weit der jauchzende Schiffer mit gefpanntem Segel, mit frifhem Wind 
wohl kommen wird, und was ihn am Ufer erwartet. 

Wenn Dir’! gefällt, einen Augenblid nachzudenken über ven 
Eigenfinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geiftes, 
fo mag Dir's wohl anjchaulic fein, was mir unmündig Schiffenden 
noch begegnen wird. O fag mir's, daß ich nichts erwarten foll von 
jenen Luftihlöffern, die die Wollen eben im Saffran und Burpurfeld 
der aufgehenden Sonne aufthürmen, jag mir: Dies Lieben und Auf- 
flammen, und dies troßige Schweigen zwiſchen mir umd der Welt ei 
nichtig und nichts! 

Ah der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au feinen 
diamantnen Fuß aufſetzt und ſich über's Haus binüberfhwingt auf 
den Johannisberg, der ift wohl grad wie ver felige Wahn, ven ich Habe 
von Dir und Mir. Der Rhein der fein Net ausſpannt, um das Bild 
feiner paradiefiihen Ufer darin aufzufangen, der tft wie dieſe Xebens- 
flamme die von Spiegelungen des Unerreichbaren fih nährt. Mag fie 
denn det Wirklichkeit auch nicht mehr abgewinnen als den Wahn, — 
es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geift geben und den Cha- 
rafter, der mein Selbft ausfpricht, wie dem Fluß das Bild das fih in 
ihm ſpiegelt. 


Am Abend. 

Heute Morgen jchiffteich noch mit dem launigen Nheinbegeifterten 
Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au, feine enthufiaftiihen Erzäh—⸗ 
lungen waren ganz von dem O und Ad vergangner ſchönen Zeiten 
durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier 
nicht im Paradieſe gelebt habe, und dann erzählte er vom Urfprung 
des Rheins und feinen Windungen durch wilde Schluchten und ein- 
engende Yelsthale, und wie er da nach Norden fich wende und wieder 
zurückgewieſen werde links nad) Weiten wo er ven Bodenfee bilde, und 
dann fo kräftig fich über die entgegenftellenven Felſen ftürze; ja, jagte 
der gute Voigt ganz liftig und Iuftig, man kann den Fluß ganz und 
gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Ste acht: die drei Bächlein 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 10 


146 





die von der Höhe des ungeheuren Urfelfen, der fo mannigfaltige ab⸗ 
wechſelnde Beſtandtheile bat, nieverfließen und den Rhein bilden, der 
als Junglingskind erft ſprudelt, das find feine Muſen, nämlich Wiffen- 
haft, Kunft und Boefie, und wie da noch mehr herrliche Flüſſe find: 
der Teſſin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der jhönfte und 
berüßmtefte, fo ift Goethe auch der berühmtefte und ſchönſte vor Her- 
der, Schiller und Wieland; und da wo der Rhein den Bodenfee bildet, 
das ift die Tiebenswürbige Allgemeinheit Goethes, wo fein Geift von 
den drei Duellen noch gleihmäßig durchdrungen ift, da wo er fich über 
die entgegenftauenven Felſen ftürzt: das iſt fein trotig Überwinden 
der Borurtheile, fein heidniſch Wefen, das brauf't tüchtig auf und ift 
tumultariſch begeiftert; da kommen feine Kenien und Epigramme, feine 
Naturanfichten, die den alten Philiftern ins Geſicht ſchlagen, und feine 
philoſophiſchen und religiöfen Richtungen, die jprudeln und toben 
zwiſchen dem engen Felsverhack des Widerſpruchs und der Borurtheile 
fo fort, und mildern fih dann allmählig; nun aber kommt nody der 
befte Bergleih: Die Flüſſe Die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, 
die Reuß, die FU, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüſſe, das 
ſind die Liebſchaften, ſo geht's immer fort bis zur letzten Station. 
Die Selz, die Nah, die Saar, die Moſel, die Nette, die Ahr; — nun 
kommen ſie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauhen 
Alp, — lauter Flußjungfern: die Elz, die Treiſam, die Kinzig, die 
Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jart; aus dem Odenwald und 
Melibocus herab haben ſich ein paar allerliebſte Flüßchen auf die 
Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die find fo eilig: 
was giltft du, was haft du? — dann führt ihm der Main ganz ver- 
ſchwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verbaut er alles ganz ruhig 
und bleibt doch immer er felber; und fo macht's umfer großer deutfcher 
Dichter auch wie unſer großer deutſcher Fluß; mo er geht und ſteht, 
wo er geweſen ift und wo er hinfommt, da iſt immer was Liebes, was 
den Strom feiner Begeiftrung anſchwellt. 

Ih war überrafcht von der großen Gefellihaft; Vogt meinte, das 
wären noch lange nicht alle; der Vergleihe waren noch fein Ende: 








147 





Geſchichte und Fabel euer und Wafler, was über und unter der Erde 
gedeiht, wußte er paflend anzumenden, ein Ahinocerosgerippe und 
veriteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er als Deine 
interefjanteften Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophe- 
zeihte, daß Du auch bi8 an's Ende, wie der Rhein aushalten werbeft, 
und nachdem Du wie er, alle gejättigt und genoflen, ſanft und ge- 
machſam dem Meer ver Ewigkeit zuwallen werdeſt; er ſchrieb mir das 
Berzeichnig aller Flüſſe auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie 
leid thut mir's, daß nach dieſer noch Die Lahn, Die Sayn, die Sieg, 
bie Roer, die Lippe und die Ruhr kommen jollen! 

Adieu! Ich nenne diefen Brief die Epiftel der Spaziergänge; 
wenn fie Dir nicht gefallen, fo denke, daß die Nidda feine Goldkörner 
in ihrem Bett führt wie ver Rhein, nur ein bischen Ouedfilber. 

Sei mir gegrüßt bei den drei Mobren. Bettine. 


An Bettine. 
Am 15. Zuli. 

Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, fo reich an Erlebtem, find 
mir kurz nad) einander zugekommen; der erſte indem ich im Begriff 
war das Freie zu Juchen. Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns 
jeines Inhalts anf einem wohlgeeigneien bequemen Ruhepunkt, wo 
Natur und Stimmung im Einklang mit Deinen finnig beiteren Er 
zählungen und Bemerkungen, einen höchſt erfreulichen Eindrud nicht 
verfehlten, der fi fortan durch den gorbifchen Knoten fignalifiren fol. 
Mögen die Götter dieſen magiſchen Verſchlingungen geneigt fein, und 
fein tückiſcher Dämon daran zerren! an mir ſoll's nicht fehlen, Deine 
Schutz⸗ und Trußgerehtjame zu bewahren gegen Nymphen und 
MWaldteufel. 

Deine Beihreibung der Rheinproceſſion und ver flüchtigen 
Keitergeftalt Haben mir viel Vergnügen gemacht, fie bezeichnen wie Du 
empfindeft und empfunden ſein willſt; laſſe Dir vergleichen Bifionen 

10* 


148 


nicht entgehen, und verfäume ja nicht folche vorüberſtreifende Auf- 
regungen bei den drei Haaren zu erfaflen, dann bleibt e8 in Deiner 
Gewalt, das Verſchwundene in idealiſcher Norm wieder herbei zu 
zaubern, Auch für Deine Naturbegeifterungen in die Du mein Bild fo 
anmuthig verftridft, ſei Dir Dank, ſolchen allerliebften Schmeicheleien 
ift nicht zu wehren. 

Heute Morgen ift denn abermals Deine zweite Epiftel zu mir 
gelangt, die mir das ſchöne Wetter erfegte. Ich habe fie mit Muße 
purchlefen und dabei den Zug der Wollen ftudirt. Ich befenne ‘Dir 
gern, daß mir Deine reichen Blätter vie größte Freude machen; 
Deinen Iaunigen Freund, der mir ſchon rühmlichft bekannt ift, grüße 
in meinem Namen und danke ihm für den großmüthigen Vergleich; 
obſchon ich hierdurch mit ausgezeichneten Prärogativen belehnt bin, fo 
werd ich Diefe doch nicht zum Nachtheil Deiner guten Gefinnung miß- 
brauchen, liebe mich fo fort, ich will gern die Lahn und die Sayn 
ihrer Wege ſchicken. 

Der Mutter jchreibe, und laſſe Dir von ihr fehreiben; Tiebet 
Euch unter einander, man gewinnt gar viel wenn man fich durch Liebe 
einer des andern bemächtigt; und wenn Du wieder fehreibft, jo könnteſt 
Du mir nebenher einen Gefallen thun, wenn Du mir immer am 
Schluß ein offnes, unverholnes Belenutniß des Datums machen 
möchtet, außer manchen Vorteilen die fich erft durch die Zeit be- 
währen, ift e8 auch noch befonvers erfreulich gleich zu willen, in wie 
kurzer Zeit dies alles von Herzen zu Herzen gelangt. Das Gefühl 
der Friſche Hat eine wohlthuende, raumverkürzende Wirkung, von 
welcher Wir beide ja auch Vortheil ziehen können. G. 


An Goethe. 
Am 18. Juti 
Warſt Du fon auf dem Rochusberg? — er bat in der Ferne 
was jehr anlodendes, wie ſoll ich e8 Dir beſchreiben? — fo, als wenn 





149 





man ihn gern befühlen, ftreiheln möchte, jo glatt und ſammtartig. 
Wenn die Kapelle auf der Höhe von der Abenpfonne beleuchtet ift, 
und man fieht in die reihen grünen runden Thäler, die ſich wieder fo 
feit an einander jchließen, fo jcheint er jehnfüchtig an das Ufer des 
Rheins gelagert mit feinem fanften Anſchmiegen an die Gegend, und 
mit den geglätteten Yurchen die ganze Natur zur Luſt erweden zu 
wollen. Er ift mir der Tiebfte Play im Rheingau; er liegt eine 
Stunde von unferer Wohnung; ich habe ihn ſchon Morgens und 
Abends, im Nebel, Regen und Sonnenſchein befucht. Die Kapelle ift 
erft feit ein paar Jahren zerftört, das halbe Dad ift herunter, nur Die 
Rippen eines Schiffgewölbes ftehen noch, im welches Weihen ein 
großes Neft. gebaut Haben, die mit ihren Jungen ewig aus» und ein⸗ 
fliegen, ein wildes Geſchrei halten das jehr an die Wafjergegend ges 
mahnt. — Der Hauptaltar fteht noch zur Hälfte, auf demfelben ein 
hohes Kreuz, an welches unten ver heruntergeftürzte Chriftusleib feft- 
gebunden ift. Ich Hetterte an vem Altar hinauf; um den Trümmern 
noch eine legte Ehre anzuthun, wollte ich einen großen Blumenftrauß, 
den ich unterwegs gefammelt hatte, zwiſchen eine Spalte des Kopfes 
fteden; zu meinem größten Schreden fiel mir der Kopf vor die Füße, 
die Weihen und Spaten und alles was da geniftet hatte, flog durch 
das Gepolter auf, und die ftille Einfamkeit des Orts war Minuten 
lang geſtört. Durch die Öffnungen der Thüren ſchauen die entfern- 
teften Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der 
ganze Hundsrüd bis Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts 
fannft Du fo viel Land überjehen als Du Luft Haft. Wie ein breites 
Feiergewand zieht e8 ver Ahein ſchleppend hinter fich her, den Du vor 
der Kapelle mit allen grünen Infeln wie mit Smaragden geſchmückt 
Itegen fiehft; der Rüdesheimer Berg, der Scharlady- und Johannis⸗ 
berg, und wie all das edle Gefels heißt wo ver befte Wein wächſt, 
ltegen von verſchiedenen Seiten, und fangen die heißen Somnenftrahlen 
wie blitzende Juwelen auf; man kann va alle Wirkung der Natur in 
die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie fih die Nebel zu Ballen 
wälzen und fi an ven Bergwänden herabjenten, wie das Erbreich fie 


150 





gierig ſchluckt, und wie die heißen Winde drüber herftreifen. Es ift 
nichts ſchöner, als wenn das Abendroth über einen ſolchen benebelten 
Weinberg fällt; da iſt's, als ob der Herr felbft die alte Schöpfung 
wieder angefrifcht habe, ja als ob der Weinberg vom eignen Geift be- 
nebelt ſei. — Und wenn dann endlich die helle Nacht herauffteigt und 
allem Ruh giebt, — und mir aud, die vorher wohl die Arme aus- 
ftredte und nichts erreidhen konnte; die an Did gedacht Hat; — 
Deinen Namen wohl bundertmal auf den Rippen hatte, ohne ihn aus- 
zuſprechen, — müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn 
ih e8 einmal wagte? — und feine Antwort? alles ſtill? — Ja 
Natur! wer jo innig mit ihr vertraut wär, daß er an ihrer Seligkeit 
genug hätte! — aber ich nicht! — Lieber, lieber Freund, erlaub’s 
doch, daß ich Dir jet beide Hände küſſe; zieh fie nicht zurüd, wie Du 
fonft getban haſt. 

Wo war ich heut Nacht — wenn ſie's wüßten, daß ich die ganze 
Nacht nicht zu Haufe gefchlafen babe und doch fo janft gerubt habe! 
— Dir will ich's Jagen; Du bift weit entfernt, wenn Du auch ſchmälſt, 
— bi8 hierher verhallt der Donner Deiner Worte. 

Geftern Abend ging ich noch allein auf ven Rochusberg und 
ſchrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig, und wie ich mid 
wieder befann umd glaubte die Sonne wolle untergehen, da war's der 
aufgehende Mond; ich war überrafcht, ich hätte mich gefürchtet, — 
die Sterne litten's nicht, dieſe Hunderttaufende und ich beifammen in 
diefer Nacht! — Ja wer bin ich, daß ich mid, fürchten follte, zähl ich 
denn mit? — Hinunter traute ich mich nicht, ich hätte feinen Nachen 
gefunden zum Überfahren; die Nacht iſt auch gar nicht lang jet, da 
legt ich mich auf Die andere Seite und fagte den Sternen gute Nadıt; 
bald war ich eingefchlafen, — dann und wann wedten mic irrende 
Tüfthen, dann dacht ich an Dich; fo oft ich erwachte rief ich Dich zu 
mir, ich fagte immer im Herzen: Goethe fei bei mir, damit ich mich 
nicht fürdte, dann träumte ich Daß ich längs den ſchilfigen Ufern des 
Rheins ſchiffe, und da wo es am tiefften war, zwifchen ſchwarzen Fels⸗ 
Ipalten, da entfiel mir Dein Ring; ich ſah ihn finfen, tiefer und tiefer 





151 


bis anf den Grund! Ich wollte nach Hülfe rufen, — da erwachte ich 
im Morgenroth, nenbeglüdt, daß ver Ring noch am Finger war. Ad 
Prophet! — deute mir diefen Traum; komm dem Schickſal zuvor, 
laß unferer Liebe nicht zu nahe gefchehen, nach dieſer ſchönen Nacht 
wo ich zwiſchen Furcht und Freude im Rath der Sterne Deiner Zu- 
funft gedachte*). Ich Hatte ſchon Längft Sehnſucht nach dieſem ſüßen 


”) Als ich auf dem Euphrat fchiffte, 
Streifte ſich der goldne Ring 
Fingerab in Waſſerklüfte, 

Den ich jüngſt von Dir empfing. 


Alſo träumt' ich. Morgenröthe 
Blitzt' in's Auge durch den Baum, 
Sag' Poete, ſag' Prophete! 

Was bedeutet dieſer Traum? 


Dies zu deuten bin erbötig! 
Hab' ich Dir nicht oft erzählt, 
Wie der Doge von Venedig 
Mit dem Meere ſich vermählt? 


So von Deinen Fingergliedern 
Fiel der Ring dem Euphrat zu. 
Ach zu tauſend Himmeldliedern, 
Süßer Traum, begeiſterſt dur! 


Mich, der von ven Indoſtanen 

Streifte bis Damascus bin, 

Um mit neuen Caravanen 
Bis aun's rothe Meer zu zieh, 


Mich vermählft Du Deinem Fluffe, 
Der Terrafie, dieſem Hain, 
Hter foll bis zum leisten Kuffe 
Dir mein Geift gewidmet fein. 
(Goethe's Werke, Ster Band Seite 147 u. 148.) 


152 





Abentheuer; nun hat es mich fo leife beichlichen, und alles fteht noch 
auf dem alten Fleck. Keiner weiß wo id war, und wenn fies auch 
wüßten, — könnten fie ahnen warum? — Dort kamſt Du her, durch 
den flüfternden Bald, von milder Dämmerung umflofjen, und wie 
Du ganz nahe warft, das fonnten die müden Sime nicht ertragen, . 
der Thymian duftete fo ſtark; — da ſchlief ih ein, — e8 war fo 
ſchön, alles Blüthe und Wohlgeruch. Und das weite grenzenloje Heer 
der Sterne, und das flatternde Mondſilber, das von Ferne zu Ferne 
auf dem Fluß tanzte, Die ungeheure Stille der Natur, im der man 
alles hört was fi regt; ach, hier fühle ich meine Seele eingepflanzt 
in diefe Nachtſchauer; bier keimen zukünftige Gedanken; viefe kalten 
Thauperlen vie Gras und Kräuter beſchweren, von denen wächſt der 
Geiſt; er eilt, er will Dir blühen, Goethe; er will feine bunten 
Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir ift es, Daß ich denken will, 
daß ich ringe nad noch Unausgeſprochenem, Du fiehft mid an im 
Geift, und Dein Blid zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft fagen 
was ich nicht verftehe, was ich nur fehe. 

Der Geift hat aud Sinne; fo wie wir manches nur hören, oder 
nur fehen, oder nur fühlen: fo giebt's Gedanken, die der Geift auch 
nur mit einen diefer Sinne wahrnimmt; oft ſeh ich nur was ich vente, 
oft fühle ich's; und wenn ich's Höre, da erfchüttert mich’. Ich weiß 
nicht wie ich zu diefen Erfahrungen komme die fidh nicht aus eiguer 

erlegung erzeugen, — ich fehe mi um nad dem Herm dieſer 
Stimme, — und dann meine ih, daß ſich alles aus dem Teuer ver 
Liebe erzeuge. Es ift Wärme im Geift, wir fühlen e8; die Wangen 
glühen vom Denken, und Froſtſchauer überlaufen uns die die Ber 
geiftrung zu neuer Gluth anfachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen 
da id) erwachte war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hätten die Ge- 
lübde meines Herzens Flügel, und ſchwängen fich über Berg und Thal 
in’8 reine, heitre, lichterfüllte Blau. — Keinen Schwur, keine Bedingun⸗ 
gen, alle8 nur angemefine Bewegung, reined Streben nad) dem Himmli⸗ 
hen. Das ift mein Gelübde: Freiheit von allen Banden, und daß ich nur 
dem Geift glauben will der Schönes offenbart, ver Seligkeit prophezeit. 





153 





Der Nachtthau hatte mich gewafchen; der ſcharfe Morgenmwind 
trodnete mich wieder; ich fühlte ein leiſes Fröſteln, aber ich erwärmte 
mid beim Herabfteigen von meinem lieben fammtnen Rochus; die 
Schmetterlinge flogen ſchon um die Blumen; ich trieb fie alle vor mir 
ber, und wo ich unterwegs einen ſah, da jagte ich ihn zu meiner 
Herde; unten hatte ich wohl an dreißig beifammen, — ich hätte fie 
gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haſpelten fie alle 
aus einander. Ä 

Ehen kommt eine Ladung frankfurter Säfte, — Chriftian 
Schloſſer bringt mir eimen Brief von der Mutter und Dir, ich ſchließe 


um zu leſen. Dein Kind. 


Lieber Goethe! Du bift zufrieven mit mir, und freuft Dich über 
alles was ich fchreibe, und willft meine goldne Halsnadel tragen; — 
ja thu es, und lafje fie ein Talisman fein für diefe glüderfüllte Zeit. 
Heute haben wir ven 21. 


An Goethe. | 
Caub. 

Ich ſchreibe Dir in der kryſtallnen Mitternacht; ſchwarze Baſalt⸗ 
gegend, in's Mondlicht eingetaucht! Die Stadt macht einen rechten 
Katzenbuckel mit ihren geduckten Hänfern, und ganz bepelzt mit him⸗ 
melfträubenden Yelszaden und Burgtrümmern, und da gegenüber 
ſchauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man ber Kate das 
Tell ftreicht, 

Ich lag ſchon im Bett unter einer wunderlichen Damaſtdecke, vie 
mit Wappen und verfchlungenen Namenszügen und verblichnen Rofen 
und Jasminranken ganz ftarr gefticht ift, ich hatte mich aber drunter 
im das Dir befannte Tell des Silberbären eingehüllt. Ich lag recht 


bequem und angenehm, und überlegte mir was der Chriftian Schloſſer 


mir unterwegs hierher alles vorgefafelt bat; er jagt, Du verftehft 


154 





nichts von Mufil, und Hört nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, 
wober er das wiſſe; — er meint, er habe fi Mühe gegeben ‘Dich 
über Muſik zu belehren, es jet ihm nicht gelungen, — vom Tod 
aber habe er gar nicht angefangen, aus Furcht Dir zu mißfallen. 
Und wie ich eben in dem alleinigen, mit großen Federbüſchen ver- 
zierten Ehebett darüber nachdenke, hör ich draußen ein Liedchen fingen 
in fremder Sprache; fo viel Gefang — fo viel Paufe! — ich fpringe 
im Silberbär an's Fenſter, und gude hinaus, — da fitt mein ſpa⸗ 
niſcher Schiffsmann in der friihen Mondnacht und fingt. Ich erfannte 
ihn gleich an der goldnen Quaſte auf feiner Mütze; ich fagte: guten 
Abend Herr Kapitain, ich dachte Ihr wärt ſchon vor acht Tagen den 
Rhein hinab in's Meer geſchwommen. Er erkannte mich gleich und 
meinte, er habe drauf gewartet ob ich nicht mit wolle. Ich ließ mir 
das Lied noch einmal fingen; e8 Hang fehr feierlich, — in den Baufen 
hörte man den Wieverhall an ver Heinen fcharflantigen Pfalz, die im 
mitten umbrängender ſchwarzer Felsgruppen, mit ihren elfenbeinernen 
Beten und filbenen Zinnen ganz ins Mondlicht eingefhmolzen 
war. — 

Lieber Goethe, ich weiß nicht was Dir der Schloffer über Mufit 
demonftrirt hat mit feiner verpelzten Stimme, — aber hätteft Du 
heute Nacht mit mir dem fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne 
unter fich einen feierlihen Reigen tanzten, wie fie hinüber wallten an 
die Ufer, die Felſen anhauchten und der leife Wiederhall in tiefer Nacht 
jo ſüß gewedt, träumeriſch nachtönte; der Schiffer, wie er aus ver- 
Ihmachteter Paufe wehmüthig auffenfzt, in hohen Tönen klagt, und 
aufgeregt in Berzweiflung, hallend ruft nach Unerreihbarem, und dann 
mit erneuter Leidenſchaft der Erinnerung feinen Geſang weiht, in Per- 
lenreihen weicher Töne den ganzen Schat jenes Glückes hinrollt; — 
D und AH! haucht, — lauſcht, — fehmetternd ruft; — wieder lauſcht 
— und ohne Antwort endlich die Herde fammelt, in Vergeſſenheit die 
kleinen Lämmer zählt: eins, zwei, drei, und wegzteht vom verödeten 
Strand feines Lebens, der arme Schäfer. — Ach wunderbare Ver⸗ 
mittlung des Unausfprehlichen was die Bruft bedrängt; ah Mufit! — 





155 





Ja hätteft Du’s mit angehört, mit eingeſtimmt hätteft Du in Die 
Geſchicke; mitgefeufzt, — mitgeweint, — und Begeiftrung hätte ‘Dich 
durchzückt, und mich Lieber Goethe, — die ich auch dabei war, — tief 
bewegt, — mic hätte der Troſt in Deinen Armen ereilt. 

Mir fagte ver Schiffer gute Nacht, ich fprang in mein großes 
Bett unter die pamaftene Dede, fie knarrte mir jo vor den Ohren, — 
ich konnte nicht ſchlafen, — ich wollte ſtill liegen; — da hörte ich in 
den gewundenen Säulen der Bettftelle die Todtenwürmchen piden; 
eins nach dem andern legte los, wie geſchäftige Gefellen tn einer Waf- 
fenſchmiede. — 

Ih muß mich ſchämen vor Div; — ich fürchte mich zumeilen, 

wenn ich jo allein bin in ver Nacht und in's Dunkel ſehe; es ift nichts, 
aber ich kann mich nicht Dagegen wehren; dann möcht ich nicht allein 
fein, und blos Darum denfe ih manchmal ich müfje beirathen, damit 
ich einen Beſchützer babe gegen dieſe verwirrte angſtvolle Gefpenfter- 
welt. Ach Goethe! — nimmſt Du mir das übel? — Ja wenn der 
Tag anbricht, dann bin ich ſelbſt ganz unzufrieden über ſolche alberne 
Verzagtheit. — Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, 
wo jeder Buſch, jeder Aſt ein ander Geſicht ſchneidet; mein wunder⸗ 
licher der Gefahr trotzender Muthwille bezwingt die Angſt. — Draußen 
iſt es auch was ganz andres, — da ſind ſie nicht ſo zudringlich; man 
fühlt das Leben der Natur als ewiges göttliches Wirken, das alles 
und einem ſelbſt durchſtrömt; — wer kann ſich da fürchten? — Vor⸗ 
geſtern auf dem Rochus in tiefer Nacht allein, da hörte ich den Wind 
ganz von weitem herankommen; — er nahm zu in raſcher Eile je 
näher er kam, und dann grade zu meinen Füßen ſenkte er die Flügel 
ſanft, ohne nur den Mantel zu berühren, kaum daß er mich anhauchte, 
mußte ich da nicht glauben, er ſei bloß geſendet um mich zu grüßen? 
— Du weißt es doch Goethe, Seufzer find Boten, Du jäReft allein 
am offnen Yenfler, am ſpäten Abend, und dächteſt, und fühlteft die 
legte Begeifterung für die legte Geliebte in Deinem Blut wallen; — 
dann unwillführlich ftößt Du den Seufzer aus, — der macht ſich augen- 
biidlich auf den Weg und jagt, — Du kannſt ihn nicht zurückrufen. 


156 





Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger Bruft aus ver- 
wirrtem Denken und Wünfchen entipringen; aber ein folder Seufzer 
aus mächtiger Bruft, wo die Gedanken in ſchöner Wendung fi ver- 
ſchränkend, auf Hohen Kothurnen die Thaugebaveten Füße in heiligem 
Takte bewegen, von ſchwebender Mufe geleitet, — ein ſolcher Seuf- 
zer, der Deinen Liedern die Bruft entriegelt, — der ſchwingt ſich als 
Herold vor ihnen her, und meine Seufzer, lieber Freund! — zu tau⸗ 
jenden umdrängen fie ihn. 

Heute Nacht nun hab ich mich granfam gefürdtet, — ich ſah 
nad dem Yenfter wo es hell war, — ich wär jo gern dort gewejen! 
ich war auf mein fatales Erblager aus dem vorigen Iahrhumdert, in 
dem Ritter und Prälaten ſchon mögen ihren Geift ausgehaucht haben, 
und ein Dutend Heiner Meifter vom Hammer, alle emfig, pochten und 
pidten, feft gebannt. Ad wie fehnt ich mich nach der fühlen Nacht 
luft. — Kann man fo närriſch fein. — Plötzlich Hatte ich's überwun⸗ 
den, ich ſtand mitten in der Stube, Auf den Füßen, da bin ich gleich 
ein Held, e8 joll mir einer nah fommen, — ad) wie pochten mir Herz 
und Schläfe, vie vierzehn Nothhelfer die ih aus alter Gewohnheit 
vom Kloſter her noch herbeirief, find auch keine Gefellihaft zum La- 
hen, da der eine feinen eignen Kopf, der andre fein Eingeweide im 
Arm trägt, und fo weiter. Ich entließ fie alle zum Fenſter hinaus. 
Und Du magifher Spiegel, in dem alles fo zauberifch wieder fcheint, 
was ich erlebe, was war's denn, was mich befeligte? — Nichts! — 
Ziefes Bewußtjein, Friede athmen, — fo ftand ich am Fenſter und 
erwartete den anbredenden Tag. — Bettine. 


Am 24. Juli. 
Üser Mufit laſſe ich Dich nicht los. Du folft mir befennen ob 
Du mid, liebſt, Du ſollſt fagen daß Du Dich von ihr durchdrungen 
fühlſt. Der Schlofier hat Generalbaß findiert, um ihn Dir beizu- 
bringen, und Du haft Dich gewehrt, wie er jagt, gegen die kleine 
Sept, ımd haft gefagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn 
Ihr fie nicht in Reih und Glied Könnt aufftellen, wenn fie nicht ein- 





157 





Hingt in die fo bündig abgefchlofinen Gejege ver Harmonie, wenn fie 
nicht ihren finnlih natürlichen Urfprung bat fo gut wie Die andern 
Töne, — und Du haft ven. verbugten Miffionair zu Deinem heid⸗ 
nifhen Tempel hinausgejagt und bleibt einftweilen bei Deiner Lydi⸗ 
Then Tonart die feine Sept hat. — Aber Du mußt ein Chrift werben, 
Heide! — Die Sept Eliingt freilich nicht ein, und ohne finnliche Baſis; 
fie ift der göttliche Führer, Vermittler der finnlihen Natur mit ver 
Himmliſchen; fie ift Überfinnlich, fie führt in die Geiſterwelt, fie bat 
Fleiſch und Bein angenonmen, um den Geift vom Fleiſch zu befreien, 
fie ift zum Ton geworben um den Tönen den Geift zu geben, und 
wenn fie nicht wär, jo würden alle Töne in der Vorhölle figen blei- 
ben. Bilde Dir nur nicht ein daß die Grundaccorde was Geſcheuteres 
wären als bie Erzväter vor der Erlöfung, wor der Himmelfahrt. Er 
fam und führte fie mit fi gen Himmel, und jegt wo fie erlöf't find 
können fie felber erlöfen, — fie können die harrende Sehnfucht befrie- 
digen. So ift e8 mit ven Chriften, fo ift e8 mit ven Tönen: ein jeder 
Chrift fühlt den Erlöſer in fih, eim jeder Ton kann ſich ſelbſt zum 
- Bermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk der Erlöfung 
aus dem Sinnlihen in's Himmliſche vollbringen, und nur durch Chri⸗ 
ftum gehen wir in das Reich des Geiftes ein, und nur durch die Sept 
wird das erftarrte Reich ver Töne erlöft und wird Muſik, ewig be- 
wegter Geiſt, was eigentlich der Himmel tft; fo wie fie ſich berühren, 
erzeugen ſich neue Geiſter, nee Begriffe; ihr Tanz, ihre Stellungen 
werben göttlihe Offenbarungen; Mufit ift das Medium des Geiftes 
wodurd das Sinnliche geiftig wird — und wie die Erlöfung über alle 
fich verbreitet, die von dem lebendigen Geift der Gottheit ergriffen, 
nad ewigem Leben fich fehnen: fo leitet Die Sept durch ihre Auflöfung 
alle Töne vie zu ihr um Erlöfung bitten, auf taufend verſchiednen 
Wegen zu ihrem Urfprung, zum göttlichen Geift. Und wir arme Men- 
ſchen jollten ung genügen laflen, daß wir fühlen: unfer ganzes Dafein 
ift ein Zubereiten, Seligleit zu fafjen, und follten nicht warten auf einen 
wohlgepoliterten aufgepugten Himmel, wie beine Mutter, die da glaubt, 
daß dort alles was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem 


158 





Glanz fidh wieder finde; ja ſogar behauptet, ihr verblichnes Hochzeit 
Heid von blaßgräner Seide mit Gold⸗ und Silberblättern durchwirkt 
und ſcharlachrothem Sammtüberwurf, werde dort ihr himmliſches Ge⸗ 
wand fein, und der jumelene Strauß, den ein graufamer Dieb ihr ent- 
wendet, auge jchon jet einftweilen das Licht der Sterne ein, um auf 
ihrem Haupt als Diadem unter den himmliſchen Kronen ku glänzen. 
Sie fagt: für was wär dies Geficht das meinige, und warum ſpräche 
der Geift aus meinen Augen dieſen oder jenen an, wenn er nicht vom 
Himmel wär und die Anwartſchaft auf ihn hätte? Alles was todt if, 
macht feinen Eindruck; was aber Eindrud macht, das ift ewig lebendig. 
Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, jo meint fie, das find alles Dinge, 
die im Himmel aufgeftelt werden. Oft erzähle ih ihr von Kunft- 
‚werten meiner Einbildung. Sie fagt: das find Tapeten der Phan- 
tafle, mit denen die Wände der himmlischen Wohnungen verziert find. 
Legt war fie im Concert und freute ſich ſehr über ein Bioloncell; da 
nahm ich die Öelegenheit wahr und fagte: Geb Sie acht, Frau Rath, 
daß ihr die Engel nicht fo lang mit dem Fidelbogen um den Kopf 
ſchlagen, bis Ste einfieht, ver Himmel ift Mufil. Ste war ganz 
frappirt, und nad) Ianger Pauſe fagte fie: Mädchen, Du kannſt Recht 
baben. 


Am 25. 


Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte verfchreib ich 
an Di; geftern früh im Nachen da fchlief ich, wir fuhren bis St. 
Goar und träumte über Muſik, und was ih Dir geftern Abend halb 
ermübet und halb bejefjen nievergejchrieben habe, ift kaum eine Spur 
von dem was fich in mir ausſprach, aber Wahrheit liegt prinnen; es 
ift eben ein großer Unterſchied zwifchen dem, was einem ſchlafend der 
Geift eingiebt, und dem was man wachen davon behaupten kann. 
Ich ſage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu fein, wenn ich 
Dir jchreibe; ich werde mich mäßigen und alle Heine Züge jammeln, 
unbefümmert ob fie aus einer Anſchauung hervorgehen, ob fie ein 
Syſtem begründen. Ich möchte felbft gerne wiflen was Mufil ift, ich 


159 





fuche fie, wie der Menſch die ewige Weisheit jucht. Glaube nicht, daß, 
was ich gefchrieben babe, nicht mein wahrer Ernft jet, ich glaube dran, 
grad weil ich's gedacht habe, obſchon e8 der himmliſchen Genialität 
entbehrt, und man orventlich ertennt, wie ich froh war mid) vor mei- 
nem zümenden Dämon, daß ich ihn fo fchlecht verſtand, hinter den 
golpnen Reifrod Deiner Mutter verbergen zu können. — Adieu! geftern 
Abend ging ich noch ſpät in der ſchönen blühenden Lindenallee im Mond⸗ 
ihein am Ufer des Rheins, da hörte ich's Kappen und fanft fingen. 
Da ſaß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lindenbaum die Mutter 
von Zwillingen, eins hatte fie an der Bruft, und das andre wiegte ihr 
Fuß im Takt während fie ihr Lied fang; alfo im Keim, wo faum bie 
erfte Lebensſpur ſich regt, da ift Muſik ſchon die Pflegerin des Geiftes, 
e3 jummt in's Ohr und dann jchläft das Kind, die Töne find die 
Gejellen feiner Träume, fie find feine Mitwelt; es bat ja nichts — 
das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es ift allein im Geift; aber 
die Töne dringen in e8 ein und fefleln e8 an fich, wie die Erde das 
Leben der Pflanze an fich fefjelt, und wenn Muſik das Leben nicht 
hielt fo würde es erfalten, und fo brütet Muſik fort, von da an wo 
der Geift fi regt bis er reif, flüd und ungeduldig hinausſtrebt nach jen- 
feits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Muſik die Mut⸗ 
terwärme war, um den Geift unter der Erdenhülle auszubräten. Amen. 


Am 26. 

Dies heimliche Ergögen an Deiner Bruft zu jchlafen: — denn 
dies Schreiben an Dich nach durchlaufner Tagsgeſchichte ift ein wah⸗ 
res Träumen an Deinem Herzen von Deinen Armen umfjchlungen, 
ich freu mich immer wenn wir in die Herberge einziehen und es heit: 
wir wollen früh zu Bett, denn wir müſſen aud früh wieder heraus, 
der Franz jagt mich immer zuerft in's Bett, und ich bin auch fo mühe 
daß ich's kaum erwarten kann; ich werfe in Haft die Kleider ab, und 
finte vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da umfängt mid das 
Waldrevier durch das wir am Tag gejchritten waren, das Licht der 
Träume blitzt durch die dunklen Wölbungen des Schlafs. — Träume 


160 





find Schäume, jagt man, ich hab eine andre Bemerkung gemacht, ob 
die wahr iſt? — allemal die Gegend, die Umgebung in der ich mich 
im Traum fühle, die deutet auf die Stimmung, auf das Paffive mei«. 
nes Gemüths. So träum ich mich jest immer in Verborgenes, Heim- 
liches; es find Höhlen von weichem Moos bei fühlen Waflern, ver- 
ſchränkt von blühenden Zweigen; es find dunkle Waldſchluchten, wo 
ung gewiß fein Menſch findet und ſucht. Da wart ih auf Dich im 
Traum, ich harre und jehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen, ver- 
wachfenen Wegen bin und ber und eile zurüd, weil ich glaub jet bift 
Du da; dann bricht plöglich der Wille durch, ich ringe in mir Dich zu 
haben, und das ift mein Erwachen. Dann färbt ſich's ſchon im Often, 
ich rücke mir den Tiſch an's Fenſter, die Dämmerung verfchleiert noch 
die erften Zeilen; bis ich aber das Blatt zu Ende gefchrieben habe 
ſcheint ſchon die Sonne. Ach was jchreib ih Dir denn? — Ich hab 
ſelbſt fein Urtheil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kommen 
wird. Laß andre ihre Schidfale bereichern durch ſchöne Wallfahrten 
in's gelobte Land, laß fie ihr Journal ſchreiben von gelehrten und 
andern Dingen, wenn fie Dir auch einen Elephantenfuß oder eine ver- 
fteinerte Schned mitbringen, — Darüber will ich ſchon Herr werben, 
wenn fie fih nur nicht im ihren Träumen in Dich verfenken, wie ich. 
Laß mir die flille Nacht, nimm keine Sorgen mit zu Bett, ruh aus in 
dem jhönen Frieden, den ich Dir bereite, ich bin ja auch fo glüdlich in 
Dir! Es iſt freilich ſchön wie Du fagft, fih in dem Labyrinth geifti- 
ger Schäte mit dem Freund zu ergehen; aber darf ich nicht bitten für 
das Kind, das ftumm vor Liebe ift? Deun eigentlich ift dieſes gefchrie- 
bene Geplauder nur eine Nothhülfe — die tieffte Liebe in mir ift 
ftumm: es tft, wie ein Mückchen ſummt um deine Obren im Schlaf, 
und wenn Du nicht wach werden willft, und meiner bewußt fein, dann 
wird Dich's flehen. — Sag! ift dies Leidenſchaft, was ich Dir bier 
vorbetet — O ſag's doch; — wenn's wahr wäre, wenn ich geboren 
wär in Leidenſchaft zu verflammen, wenn ich die Hohe Ceder wär auf 
dem die Welt überragenden Libanon, angezündet zum Opfer Deinem 
Genius, und verbuften könnte in Wohlgerüchen, daß jeder Deinen 








161 


Geift einfüge durd mich, wenn's fo wär mein Freund, daß Teiden- 
ihaft den Geift des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft! — 
und fo ift es auch! Dein Geift wohnt in mir, und entzündet mich, und 
ich verzehre mich in Flammen, und verbufte, und was die aus|prühen- 
den Funken erreichen, das verbrennt mit; — jo knackert und fladert 
jegt die Muſik im mir, — die muß auch herhalten zum Iuftigen Opfer- 
feuer; fie will nur nicht recht zünden, und jet viel Rauch. Ich gedenke 
bier Deiner und Schiller's; die Welt fieht Euch an wie zwei Brüder 
auf einem Thron, er hat fo viel Anhänger wie Du; — fie wiſſen's 
nicht, daß fie durch den einen vom andern berührt werben; ich aber 
bin deſſen gewiß. — Ih war auch einmal ungerecht gegen Schiller, 
und glaubte, weil ich Dich Liebe, ich dürfe feiner nicht achten; aber 
nachdem ih Dich gefehen hatte, und nad dem feine Aſche als letztes 
Heiligthum fernen Freunden als Vermächtniß Hinterblieb, da bin ich 
in mich gegangen; id) fühlte wohl, das Gefchrei der Raben über die 
fem heiligen Leichnam ſei gleich dem ungerechten Urtheil. Weißt Du 
was Du mir gejagt haft, wie wir und zum erftenmal ſahen? — Ic 
will Dir's bier zum Denkſtein hinfegen Deines inneriten Gewifjens, 
Du fagteit: „Ich vente jet an Schiller,“ indem fah’ft Du mich an und 
feufzteft tief, da ſprach ich drem und, wollte Dir jagen wie ich ihm 
nicht anhinge, Du ſagteſt abermals: „ich wollte, er wär’ jegt hier. — 
Sie würden anders fühlen, kein Menfch konnte feiner Güte wider: 
jtehen, wenn man ihn nicht jo reich achtet und fo ergiebig, fo war's, weil 
fein Geift einftrömte in alles Leben feiner Zeit, und weil jeder durch 
ihn genährt und gepflegt war, und feine Mängel ergänzt. So war er 
Andern, jo war er mir des meiften, und fein Verluft wird fich nicht 
erſetzen.“ Damals jchrieb ich deine Worte auf, nicht um fie als merk⸗ 
würdiges Urtheil von Dir andern mitzutheilen; — nein, fondern weil 
ih mich beſchämt fühlte. Diefe Worte haben mir wohlgethan, fie 
haben mich belehrt, und oft wenn ich im Begriff war über einen den 
Stab zu brechen, fo fiel mir's ein, wie Du damals in Deiner milden 
Gerechtigkeit ven Stab über meinen Aberwig gebroden. Ich mufite 
in aufgeregter Eiferſucht doch anerkennen, ich ſei nichts. „Man berührt 
Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 11 


162 


nichts umſonſt,“ fagteft Du, „dieſe langjährige Verbindung, diefer ernite 
tiefe Verkehr, der ift ein Theil meiner jelbft geworben; und wenn ich 
jetzt in's Theater fomme und jeh nad feinem Play, und muß es 
glauben daß er in dieſer Welt nicht mehr da ift, daß diefe Augen mid 
nicht mehr ſuchen, dann verdrießt mic) das Xeben, und ich möchte audy 
lieber nicht mehr da ſein.“ 

Lieber Goethe, Du haft mich ſehr hoch gefteit, daß Du damals 
fo köſtliche Gefühle und Gefinnungen vor mir ausſprachſt. Es war 
zum erftenmal, daß jemand fein innerftes Herz vor mir ausfprady, und 
Du warft es! — ja Du nahmft keinen Anftoß, und ergabit Dich 
diefen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf 
mich gewirkt, denn er bat Dich zärtlich und weich geftimmt, daß Du 
lange an mir gelehnt bliebft, und mich endlich feſt an Dich prüdteft! 

Ich bin müde; ich habe geſchrieben von halb drei bis jett gegen 
fünf Uhr; heute wird's gar nicht Hell werden — es hängen dide 
Regenwolken am Himmel; da werden wir wohl warten bi8 Mittag 
eh wir weiter fahren. Du jollteft nur das Getümmel von Nebel fehen 
auf dem Rhein, und was an den einzelnen Teldzaden hängt! Wenn 
wir bier bleiben, dann jchreib ih Dir mehr heute Nachmittag, denn 
ih wollte Div von Muſik jagen, von Schiller und Dir, wie Ihr mit 
der zuſammenhängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf. 

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß fchlafen. 


Am Abend. 

Ich bin fehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht ſchreiben, 
aber ich jeh daß dieſe Blätter auf viefer wunderlichen Kreuz⸗ und 
Querreiſe fi zu etwas Ganzem bilden, und da will ich doch nicht 
verfäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages feſt 
zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwedhjelnd ein einzelner Son- 
nenblid. Wir waren bis Mittag in St. Goarshaufen geblieben, und 
. haben ven Rheinfels erftiegen; meine Hände find von Dornen geritt 
und meine Kniee zittern noch von der Anftrengung, denn ich war voran 
und wählte den fürzeften und fteilften Weg. Hier oben fieht es jo 





163 


feierlich und düſter aus: eine Reihe nadter Felſen ſchieben ſich ge 
drängt hinter einander beroor, mit Weingärten, Wäldern und alten 
Burgtrümmern gekrönt; umd jo treten fie fed in's Flußbett dem Lauf 
des Rheins entgegen, der aus dem tiefen ſtillen See um ven ver- 
zauberten Zurelei ſich herumfchwingt, über Felsſchichten hinrauſchend, 
ſchäumt, bullert, jchwillt, gegen den Riff anfchießt und den über- 
braufenden Zorn der ſchäumenden Fluth wie ein echter Zecher in fich 
hineintrinft, 

Da oben jah ich bequem unter der ſchützenden Mauer des Rhein⸗ 
fel8 die Nachkommenden mit rothen und grünen Parapluies mühſam 
den fchlüpfrigen Pfad binaufllettern, und da eben ver Sonne letter 
Hoffnungsftrahl verfhwand, und ein tüchtiger Guß dem Gebet um 
ihön Wetter ein End machte, Tehrte die Naturliebende Geſellſchaft 
beinah am Ziel verzagt wieder um und ich blieb allein unter den ge- 
krönten Häuptern. Wie befchreib ih Dir diefe erlebte Stunde mit 
furzem Wort treffend; faum konnte ich Athen holen, — ſo ftreng und 
gewaltig. Ach ich bin glüdlich! die ganze Welt ift ſchön, und ich erleb 
alles für Dich, 

Ich jah ftil und einfam in die tobende Fluth, die Niefengefichter 
der Felſen ſchüchterten mich ein; ich getraute faum den Blid zu heben; 
— mande machen's zu arg wie fie fih überhängen, und mit dem 
düſtern Geſträuch das ſich aus geborftener Wand heroorbrängt; die 
nadten Wurzeln, faum vom Stein gehalten, die hängenden Zweige 
ſchwankend im reißenden Strom; — e8 wurde fo finfter, — id) 
glaubte heute könne nicht mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob 
nich vie Wölfe heute Nacht freien würden, — da trat die Sonne 
hervor, und umzog mit Wollen fämpfend die Höhen mit einem Feuer⸗ 
ring. Die Waldkronen flammten, die Höhlen und Schluchten hauchten 
ein ſchanerliches Dunkelblau aus über ven Fluß Hin; da fpielen mannig- 
faltige Wiederſcheine auf den verfteinerten Gaugrafen, und eine Schat- 
tenwelt umtanzt fie in flächtigem Wechſel auf der bewegten Fluth; 
alles wankte, — ich mußte die Augen abwenden. Ich riß den Epheu 
von der Mauer herab und machte Kränze und ſchwang fie mit meinem 

11* 


164 


Hakenſtock mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in die Fluth. Ach, 
ich ſah fie faum, — weg waren fie! Gute Naht! — 





gu:te Nacht! gu «te Nacht mein lieber Schatz! 


Am 27. 

Goethe, guten Morgen! ih war früh um 4 Uhr bei ven Sal- 
menfifchern und babe helfen lauern, denn fie meinen auch: „im Trüben 
ift gut filchen,“ aber e8 half nicht, e8 wurde feiner gefangen. Einen 
Karpfen hab ich Iosgefauft und Gott und Dir zu Ehren wieder in die 
Fluth entlafjen. 

Das Wetter will fich nicht aufllären; eben fchiffen wir über, um 
auf dem linken Ufer zu Wagen wieder nach Haufe zu fahren, ich hätte 
gar zu gern noch ein paar Tage hier herumgekreuzt. 


An Bettine. 
3. Auguft 1808. 

Ih muß ganz darauf verzichten Dir zu antworten, liebe Bettine; 
Du läßt ein ganzes Bilderbuch herrlicher, allerliebfter Borftellungen 
zterlih dur die Finger laufen; man erfennt im Flug die Schäße, 
und man weiß, was man bat, noch eh man fich des Inhalts bemäch- 
tigen kann. Die beiten Stunden benütze ich dazu, um näher mit ihnen 
vertraut zu werden, und ermuthige mich, die elektriſchen Schläge deiner 
Begeiftrungen auszuhalten. Im dieſem Augenblid hab ich kaum die 
erfte Hälfte Deines Brief gelefen, und bin zu bewegt, um fortzu- 
fahren. Habe einftweilen Dank für alles; verkünde ungeftört und 
unbefümmert Deine Evangelien und Olaubensartifel von den Höhen 
des Rheins, und laß Deine Pfalmen berabftrömen zu mir und den 
Fiſchen; wundre Dich aber nicht, daß ich, wie diefe verftumme. Um 








165 





eines bitte ih Dich: höre nicht auf, mir gern zu ſchreiben; ich werbe 
nie aufhören Dich mit Luſt zu lefen. 

Was Dir Schlofjer über mich mitgetheilt hat, verleitet Dich zu 
fehr interefianten Excurſionen aus dem Naturleben in das Gebiet der 
Kunft. Daß Muſik mir ein noch räthjelhafter Gegenftand ſchwieriger 
Unterſuchung ift, läugne ich nicht, ob ich mir den harten Ausſpruch 
des Miffionairs, wie Du ihn nennft, muß gefallen laſſen, das wird 
ſich erft dann erweiſen wenn die Liebe zu ihr, vie jegt mich zu wahr- 
haft abftraften Stubten bewegt, nicht mehr beharrt. ‘Du haft zwar 
flammende Fadeln und Feuerbecken ausgeftellt in der Finfternig, aber 
bis jet Blenden fie mehr als fie erleuchten, indeſſen erwarte ich doch 
von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, fo bleibe nur 
dabei und ſprühe nach allen Seiten bin. 

Da ih nun heute bis zum Amen deiner reihen inhaltswollen 
Blätter gelommen bin, jo möchte ich Dir fchlieglih nur mit einem 
Wort den Genuß ausprüden, der mir daraus erwächſt und ‘Dich bitten, 
daß Du mir ja das Thema über Mufif nicht fallen läßt, ſondern viel- 
mehr nad) allen Seiten bin und auf alle Weife vartirft. Und fo ſage 
ih Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe mir gut, bis günftige Sterne 
ung zu einander führen. G. 


An Goethe. 
Rochusberg. 

Fünf Tage waren wir unterwegs, und ſeitdem hat es unaufhör⸗ 
lich geregnet. Das ganze Haus voll Gäſte, kein Eckchen wo man ſich 
der Einſamkeit hätte freuen können um Dir zu ſchreiben. 

So lang ich Dir noch zu ſagen habe, ſo lang glaub ich auch feſt, 
daß Dein Geiſt auf mich gerichtet iſt, wie auf ſo manche Räthſel der 
Natur; wie ich denn glaube daß jeder Menſch ein ſolches Räthſel iſt, 
und daß es die Aufgabe der Liebe iſt zwiſchen Freunden, das Raäthſel 
anfzuldfen; fo daß ein jeder feine tiefere Natur dur und in dem 


166 





Freund fennen lerne. Ja Liebſter, das macht mich glücklich, daß fich 
almählig mein Leben durch Dich entwidelt, drum möcht ich auch nicht 
falſch jein, lieber möcht ich's dulden, daß alle Fehler und Schwächen 
von Dir gewußt wären als Dir einen falfchen Begriff von mir geben; 
weil dann Deine Liebe nicht mit mir beſchäftigt fein wiirde, ſondern 
mit einem Wahnbild, was ich Dir ftatt meiner untergefchoben hätte. — 
Darum mahnt mich aud oft ein Gefühl, daß ich dies oder jenes Dir 
zu lieb meiden fol, weil ich e8 doc) vor Dir läugnen würde. 

Lieber Goethe, ih muß Dir die tieften Sachen jagen; fie kommen 
eigentlich allen Menſchen zu, aber nur Du hörſt mich an und glaubft 
an mi, und giebft mir in der Stille Recht. — Ich habe oft darüber 
nachgedacht, daß der Geift nicht kann was er will, daß eine geheime 
Sehnſucht in ihm verborgen Liegt, und daß er die nicht befriedigen 
kann; zum Beiſpiel, daß ich eine große Sehnſucht babe bei Dir zu 
fein, und daß ich Doch nicht, wenn ich auch noch jo jehr an ‘Dich vente, 
Div dies fühlbar machen kann; ich glaube e8 kommt daher, weil ber 
Geift wirklich nicht im Neich ver Wahrheit lebt, und er alfo jein eigent- 
liches Leben noch nicht wahr machen kann, bis er ganz aus ver Lüge 
beraus in das Reich der Offenbarung übergegangen ift; denn bie 
Wahrheit ift ja nur Offenbarung, und dann wird ſich ein Geift auch 
dem andern zu offenbaren vermögen. Ich möchte Dir noch anderes 
fagen, aber e8 ift fhwer, mich befällt Unruh, und ich weiß nicht wohin 
ich mich wenden Soll; ja, im erften Augenblid ift alles reich, aber will 
ich's mit dem Wort anfafien, da ift alles verfhwunden, fo wie im 
Märchen, wo man einen foftbaren Schat findet, in dem man alle 


‚Kleinode deutlich erkennt, will man ihn berühren fo verfinkt er, und 


das beweift mir auch, daß der Geift hier auf Erden das Schöne nur 
träumt und noch nicht ferner Meifter ift, denn fonft könnte er fliegen, 
fo gut wie er denkt daß er fliegen möchte. Ach wir find fo weit von 
einander! welhe Thür ich auch öffne und fehe die Menſchen bei- 
fammen, Du bift nicht unter ihnen; — ich weiß e8 ja, noch eh ich 
öffne, und doch muß ich mich erft Überzeugen und empfinde die Schmer⸗ 


‚zen eines Getäufhten, — follte ih Dir nun auch noch meine Seele 


167 


verbergen? — oder das was ich zu fagen habe, einhüllen in Gewand, 
weil ih mic) ſchäme der verzagten Ahnungen® — fol ich nicht das 
Zutrauen in Dich haben, daß Dir das Leben liebſt, wenn es aud noch 
unbehülflich ver Pflege bevarf, bis e8 feinen Geift mittheilen kann? — 
Ich habe mir große Mühe gegeben mich zu fammeln und mid, jelbit 
auszuſprechen; ich hab mich vor dem Sonnenlicht verftedt, und in 
dunkler Wacht wo fein Stern leuchtet und die Winde braufen, da bin 
ih im die Finſterniß hinaus, und hab mich fortgejchlichen bis zum 
Ufer; — da war e8 immer noch nicht einfam genug, — da ftörten 
mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn id) im die Dichte 
Finſterniß hineinftarrte und die Wollen fich theilten, daß fich bie 
Sterne zeigten, — da hüllte ich mich in den Mantel und legte das 
Geſicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu fein, das flärkte mich, 
daß ich freier war, da regte e8 mich an, Das was vielleicht Feiner be- 
achtet, zu beachten; da bejann ich mich ob ich denn wirklich mit Dir 
fpreche, oder ob ich nur mich vor Dir hören laſſe? — Ach Goethe! — 
Mufit, ja Muſik! bier kommen wir wieder anf das heilige Kapitel, — 
da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht mit, — aber wir hören 
wie fie unter einander ſprechen, und das erſchüttert ung, das ergreift 
uns, — ja fie ſprechen unter einander, wir hören und empfinden daß 
fie eins werben im Geſpräch. — Drum, das wahre Sprechen ift 
eine Harmonie, ohne Scheivung alles in fidh vereint, — wenn ich Dir 
die Wahrheit jage, jo muß Deine Seele in meine überfließen, — das 
glaub ich. 

Wo kommen fie ber, dieſe Geifter der Muſik? — Aus des Men- 
{hen Bruſt; — er ſchaut ſich jelber an, der Meifter; — das ift die 
Gewalt die den Geift citirt. Er fteigt hervor aus unenblicher Tiefe 
des Inneren, und fie fehen fich fcharf an, der Meifter und der Geift, — 
das ift die Begeiſtrung; — fo fieht der göttliche Geift die Natur an, 
davon fie blüht. — Da blühen Geifter aus dem Geift; fie umfchlin- 
gen einander, fie firömen aus, fie trinfen einander, fie gebären einan- 
der; ihr Tanz ift Form, Gebild; wir fehen fie nicht — wir empfin- 
den's und unterwerfen uns feiner himmlifhen Gewalt; und indem 


168 





wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung die uns heilt. — Das 
ift Muſilk. 

D, glaub gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich if. Der Mei⸗ 
fter fordert das Unmöglihe von den Geiftern die ihm unterworfen 
find, — und fiehe es ift möglich, fie leiten eg. — An Zauberei ift 
nicht zu zweifeln, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch 
im Reich der Übermacht geleiftet werde, und daß das Höchſte von der 
Ahnung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geifter fich 
neigen. Wer das Göttliche will, dem werben fie Göttliches leiften. 
Was ift aber das Göttlihe? — Das ewige Opfer des menſchlichen 
Herzens an die Gottheit: — dies Opfer geht hier geiftiger Weife vor; 
und wenn es der Meifter auch Iäugnet, oder nicht ahnt — es ift doch 
wahr. — Erfaßt er eine Melodie, jo ahnet er ſchon ihre Bolllommen- 
beit, und das Herz unterwirft fih einer firengen Prüfung, es läßt ſich 
alles gefallen, um dem Göttlihen näher zu kommen; je höher es fteigt, 
je feliger; und das ift das Vervienft des Meifterd, daß er ſich gefallen 
laſſe, daß die Geifter auf ihn eindringen, ihm nehmen, fein Ganzes 
vernichten, Daß er ihnen gehordht das Höhere zu ſuchen unter ewigen 
Schmerzen der Begeiftrung. Wo ih das alles, und einzig was id) 
gehört Habe, war Muſik. Wie ich aus dem Kloſter kam nad Offen- 
bad), da lag ich im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und 
Winter, Mozart und Cherubini, Haydn und Beethoven. Das alles 
umſchwärmte mich; ich begriff'8 weder mit den Ohren noch mit dem 
Berftand, aber ich fühlte es Doch, während ich alles andre im Leben 
nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlt e8; und ſchon 
damals fragte ich mich: wer ift das, der da geſpeiſt und getränkt wir 
durch Muſik, und was iſt das, was da wächſt und fich nährt, pflegt 
und jelbitthätig wird durch fie? — denn ich fühlte eine Bewegung 
zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen follte. Oft 
dachte ich, ich mäfje mit fliegender Sahne voranziehen ven Völkern; 
ich würde fie auf Höhen führen über den Feind, und dann mäßten fie 
auf mein Geheif auf meinen Wink hinunterbraufen in's Thal, und 
fiegend fi verbreiten. Da ſah ich die rothen und weißen Fähnlein 








169 





fliegen, und den Pulverdampf in den fonneblendenden Gefilden; da 
ſah ich fie Heranfprengen im Galopp — die Siegesboten, mich um⸗ 
ringen und mir zujaudgen; da ſah und fühlte ich wie der Geift in ver 
Begeiftrung ſich Läft und zum Himmel aufſchwingt; die Helven, an 
den Wunden verblutend, zerichmettert, ſelig aufjchreiend im Tod, ja 
und ich jelbft hab es mit erlebt, — denn ich fühlte mich auch verwun- 
bet, und fühlte wie ver Geift Abſchied nahm, gern noch verweilt hätte 
unter den Palmen der Siegesgöttin, und doch, da fie ihn enthob, auch 
gern fich mit ihr aufihwang. Ja fo hab ich’8 erlebt und anderes noch: 
wo ich mich einfam fühlte, in tiefe wilde Schluchten ſah, nicht tief — 
untief; unendlihe Berge Über mir, ahnend bie Gegenwart ver 
Geifter. Ya, ih nahm mich zufammen und fagte: kommt nur ihr 
Geifter, kommt nur heran; weil ihr göttlich ſeid und höher als ich, fo 
will ich mich nicht wehren. Da hörte ich aus dem unfäglichen Gebraus 
der Stimmen die Geiſter fih losreißen; — fie wihen von einander — 
ich fah fie aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch die 
himmliſche blaue Luft verbufteten fie ihre filberne Weisheit, und fie 
neigten fich in ven Belfenfaal herab und ſtrömten Licht über bie 
Ihwarzen Abgründe, daß alles fihtbar war. Da ſprangen die Wellen 
in Blumen in die Höhe und umtanzten fie, und ihr Naben, ihr ganzes 
Sprechen war ein Einbringen ihrer Schönheit auf mich, Daß meine 
Augen fie kaum faßten mit allem Beiltand des Geiſtes — umd das 
war ihre ganze Wirkung auf mid. 

O Goethe! ich könnte Dir nod viele Gefichte mittheilen; ja ich 
glaub's, daß Orpheus ſich umringt ſah von den wilden Thieren, die 
in füßer Wehmuth aufftöhnten mit ven Seufzern feines Geſangs; ich 
glaub's, daß die Bäume und Felſen fih nabten, und neue Gruppen 
nnd Wälder bildeten, denn aud ich hab's erlebt; ih ſah Säulen 
emporfteigen und wunderbares Gebälf tragen, auf dem fidh ſchöne 
Jünglinge wiegten; ich jah Hallen in denen erhabene Götterbilder 
aufgeftellt waren; wunderbare Gebäude, deren Ölanz den Blid des 
folgen Auges brachen; deren Galerien Tempel waren, in denen 
Priefterinnen mit golpnen Opfergeräthen wanbelten und die Sänlen 


170 


mit Blumen ſchmückten, und deren Zinnen von Adlern und Schwanen 
umkreiſ't waren; ich ſah diefe ungeheuren Architekturen mit der Nacht 
fih vermählen, die elfenbeinernen Thürme mit ihren diamantnen 
Lazuren im Abendroth ſchmelzen, und über die Sterne hinausragen, 
die im falten Blau der Naht wie gefammelte Heere dahin flogen, und 
tanzend im Taft der Muſik, und um die Geifter ſich ſchwingend, Kreiſe 
bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäldern das Seufzen der Thiere 
um Erlöfung; und was ſchwärmte alles noch vor meinem Blid, und 
in meinem Wahn. — Was glaubte ich thun zu müfjen und zu können; 
welche Gelübde hab ich den Geiſtern ausgeſprochen; alles, was fie 
verlangten, hab ich auf ewig und ewig gelobt. Ad} Goethe, das alles 
hab ich erlebt in dem grünen golpgeblümten Gras. Da lag id} in der 
Spielftunde und hatte vie feine Leinwand über mich gebreitet die man 
da bleichte, ich hörte oder fühlte mich vielmehr getragen und umbrauft 
von diefen unausſprechlichen Symphonieen die feiner deuten kann; da 
famen fie und begofjen die Leinwand, und ich blieb liegen und fühlte 
die Gluth behaglich abgekühlt. Du wirft gewiß auch Ähnliches erlebt 
haben; dieſe Fieberreize, in's Paradies der Phantafie aufzufteigen, 
haben Dich auf irgend eine Weiſe durchdrungen; fie durchglühen vie 
Natur, die wieder erfaltet — etwas anders geworden, zu etwas 
anderm befähigt ift. An Dich haben vie Getfter Hand gelegt, in's 
unfterblihe Teuer gehalten; — und das war Muſik; ob Du fie ver- 
ftehft, oder empfindeſt; ob Unruhe oder Ruhe Dich befüllt, ob Du 
jauchzeft, oder tief trauerft; ob Dein Geift Freiheit athmet oder feine 
Feſſeln empfindet; — es ift immer die Geifterbafis des Übermenfd- 
lichen in Dir. Wenn auch weder die Terz noch die Duint Dir ein 
Licht aufſtecken, wenn fie nicht jo gnäbig find, ſich von Dir beſchauen 
und befüblen zu lafien, fo ift e8 blos, weil Du durchgegangen bift 
durch ihre Heiligung, weil die Sinne, gereift an ihrem Licht, ſchon 
wieder Die golpnen Fruchtlömer zur Saat ausfpreuen. Ya, Deine 
Lieder find die ſüßen Früchte ihres Balfams voll, Balfam ſtrömt in 
Deiner dithyrambiſchen Wolluft! ſchon ſind's nicht mehr Töne — e8 
find ganze Geſchlechter in Deinen Gedichten, die ihre Gewalt tragen 








171 


und verbreiten. — Ya, das glaub ich gewiß, daß Muſik jede echte 
Kunſterſcheinung bildet und ſich freut in Dir fo vein wiedergeboren zu 
feyn. — Kümmere Dich nit um die leeren Eierfhalen aus denen 
die flückgewordenen Geifter entfchlüpft find, — nicht um die Terz und 
die Quint und um die ganze Baafen- und Betterfhaft der Dur- und 
Molltonarten, — Dir find fie jelber verwandt; Du bift mitten unter 
ihnen. Das Kind fragt nicht unter den Seinigen: wer find dieſe, 
und wie fommen fie zu einander? es fühlt das ewige Geſetz der Liebe 
das e8 allen verbindet. — Und dann muß ih Dir au noch eins 
fagen: Komponiften find feine Maurer die Steine auf einander baden, 
den Raudfang nicht vergeflen, die Treppe nicht, nicht den Dachſtuhl, 
und die Thür nicht wo fie wieder herausſchlüpfen können, und glauben 
fie haben ein Haus gebaut. — Das find mir keine Komponiften, die 
Deinen Liedern ein artig Gewand zufchneiden das hinten und vorne 
lang genug if. O Deine Lieder, die durch's Herz brechen mit ihrer 
Melodie, wie ich vor zehn Tagen da oben jaß auf dem Rheinfels, 
und der Wind die ftarlen Eichen bog daß fie Trachten, und fie fauf'ten 
und brauften im Sturm und ihr Laub getragen vom Wind tanzte 
über den Wellen. — Da hab ich's gewagt zu fingen; da war's feine 
Tonart — da war's fein Übergang — da war's kein Malen ver Ge- 
fühle oder Gedanken, was jo gewaltig mit in die Natur einftimmte: 
e8 war der Drang eins mit ihr zu fein. Da hab ich's wohl empfun- 
den wie Mufif Deinem Genius einwohnt! Der hat fich mir gezeigt, 
Ihwebend über den Waflern, ımd hat mir's eingefchärft, daß Dich ich 
liebe, — Ach Goethe, laß Dir eine Liedchen vorlallen und glanbe 
nicht Du müßteft fie verftehen und würdigen lernen; ergieb Dich auf 
Gnad und Ungnad; leide in Gottesnamen Schiffbruch mit Deinem 
Begriff, — was wilft Du alles Göttliche ordnen und verftehen, wo's 
ber fommt und hin will. Siehft Du, fo ſchreib ich, wenn ich zügellos 
bin und nicht danach frage ob's der Verſtand billigt. Ich weiß nicht 
ob e8 Wahrheit iſt; mehr al8 das was ich prüfe, aber jo möcht ich 
lieber jchreiben, ohne zu befürchten, daß Du wie andre mich jchweigen 
hießeſt; was könnt ich Dir alles jagen, wenn ich mich nicht befinnen 


172 


wollte! bald würde ich Herr werben, und nichts follte fi mir ver- 
bergen was ich halten wollte mit dem Geift, — und wenn Du ein- 
ftimmteft und neigteft Dich meinem Willen, wie der Sept-Accord ſich 
der Auflöfung entgegen drängt, dann wär's wie die Liebe es will. 


Rochusberg. 

Ich kann oft vor Luſt, daß jetzt die ſelige einſame Stunde dazu 
iſt, nicht zum Schreiben kommen. Hier oben, im goldnen Sommer an 
die goldne Zukunft denken, — denn das iſt meine Zukunft: Dich wie⸗ 
derſehen; ſchon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum 
Abſchied reichſt und zu verſtehen giebſt, es ſei genug der Zärtlichkeit, 
— da wende ich in Gedanken ſchon wieder um zu Dir. Darum lache 
ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine. 

Wie ſelig, alſo Dich zu denken, wie geſchwätzig wird meine 
Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem ſie hofft den Schatz zu 
heben. 

Mein erſter Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief 
ſchrieb ehe wir reiſten. Ich wollte ſehen ob mein Dintenfaß noch da 
ſei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und 
Stelle; Ach Goethe, ich habe Deine Briefe fo lieb, ich habe fie ein- 
gehüllt in ein ſeidnes Tuch mit bunten Blumen und goldnem Zierrath 
geftictt. Am legten Tag vor unferer Rheinreiſe, da wußte ich nicht 
wohin mit, mitnehmen wollte ich fie nicht, da wir allefammt nur 
einen Mantelfad hatten; in meinem Zimmerden das ich nicht ver- 
ſchließen konnte, weil e8 gebraucht wurde, mochte ich fie auch nicht 
laſſen, ich Dachte der Nachen könnte verfinten und ich verfaufen, und 
dann würden diefe Briefe deren einer um den andern an meinem 
Herzen gelegen bat, in fremde Hand kommen. Erſt wollte ich fie den 
Nonnen in Bollra aufzuheben geben; — e8 find Bernharbinerinnen, 
die aus dem Klofter vertrieben jegt Dort wohnen, — nachher hab ich's 
anders überlegt. Das legtemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort 
gefunden; unter dem Beichtſtuhl der Rochuskapelle der noch fteht, in 
dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab ich eine Kleine 








173 


Höhle gegraben, und hab fie inwendig mit Mujcheln vom Rhein und 
wunderfhönen Heimen Kiejelfteinhen ausgemanert, die ich auf dem 
Berge fand; da Hab ich fie im ihrer ſeidnen Umhüllung hineingelegt 
und eine Diftel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich forgfältig 
mit ſammt der Erde ausgeftohen. Unterwegs war mir oft bange; 
Welcher Schlag hätte mich getroffen, hätte ich fie nicht wieder gefun- 
den, mir ſteht das Herz fill; — Sieben Tage war ſchlecht Wetter 
nach unferer Heimkehr; e8 war nicht möglich hinüber zu kommen; der 
Rhein ift um drei Fuß geſtiegen und ganz verödet von Nahen; ad 
wie hab ich's verwünſcht, daß ich fie da oben hingebracht hatte; keinem 
mocht ich's fagen, aber die Ungeduld hinüber zu fommen. Ich hatte 
Vieber aus Angft um meine Briefe, ih konnte mir ja erwarten der 
Regen würde irgendwo durchgedrungen fein und fie ververben; ach fie 
haben auch ein bischen Waſſernoth gelitten, aber nur ganz wenig, ich 
war fo froh wie ich von weiten die Diftel blühen ſah, da hab ich fie 
denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; fie find gleich troden und 
ih nehm fie mit. Die Diftel hab ich zum ewigen Andenken wieder 
feftgepflanzt. — Nun muß ih Dir auch erzählen was ich hier oben für 
eine neue Einrichtung gefunden, nämlich oben im Beichtftuhl ein Brett 
befeftigt und darauf einen Keinen vieredigen Bienenkorb. Die Bienen 
waren ganz matt und faßen auf dem Bretthen und an dem Korb. 
Nun muß ih Div aus dem Kloſter erzählen. Da war eine Nonne, 
die hieß man Mere celatrice, die hatte mich an fich gewöhnt, daß ich 
ihr alle Gefchäfte beforgen half. Hatten wir den Wein im Keller ge- 
pflegt, fo fahen wir nach den Bienen; denn fie war Bienenmutter und 
das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden fie von ihr 
gefüttert, die Bienen faugten aus ihrer Hand fühes Bier: im Sommer 
Bingen fie fih an ihren Schleier, wenn fie im Garten ging, und fie 
behauptete von ihnen gefannt und geliebt zu fen. Damals hatte ich 
große Neigung zu diefen Thierchen. ‘Die Mere celatrice fagte, vor 
allem müſſe man die Furcht überwinden, und wenn eine ftechen wolle, 
jo müfle man nicht zuden, dann würden fie nie ſtark ftehen. Das bat 
mich große Überwindung gefoftet, nachdem ich den feften Borfag gefaßt 


174 


batte mitten unter den ſchwärmenden Bienen ruhig zu fein, befiel mic 
die Furcht, ich Kief, und der ganze Schwarm mir nad. Endlich hab 
ich's doc) gelernt, e8 Hat mir taufend Freude gemacht, oft hab ich ihnen 
einen Beſuch gemacht und einen duftenden Strauß bingehalten auf den 
fie fich fetten. Den Heinen Bienengarten hab ich gepflegt, und Die ger 
würzigen dunklen Nelken befonvers hab ich hineingepflanzt. ‘Die alte 
Ronne that mir auch ven Gefallen zu behaupten, daß man alle Blumen 
die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausfchmede. So lehrte fie 
mic auch, daß wenn die Bienen erftarrt waren, fie wieder beleben. 
Sie rieb fih die Hand mit Neffeln und mit einem duftenden Sräutchen 
welches man Katzenſtieg nennt, machte den großen Schieber des Bie- 
nenhaufes auf und ftedte die Hand hinein. Da festen fie ſich alle auf 
die Hand und wärmten fich, das hab ich oft auch mitgemacht; da ftedte 
die Heine Hand und die große Hand im Bienenlorb. Jetzt wollt ich's 
auch probiren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; fiehft Du, fo ver⸗ 
liert man jene Unſchuld, und die hohen Gaben die man durch fie hat. 

Bald Hab ich auch den Eigenthümer des Korbes kennen lernen, 
indem ih am mitten Berg lag um im Schatten ein wenig zu fanlen- 
zen, hört ich ein Getrappel im Traumſchlummer, das war die Binger 
Schaafherde nebft Hund und Schäfer, er jah auch gleich nach feinem 
Bienenkorb; er fagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab 
ihm der volle blühende Thymian und das warme fonnige Plätschen jo 
wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen bier herauf ge- 
pflanzt habe, damit fie fich recht wohl befinden, und wenn fie ſich 
dann mehren follten und den ganzen gegitterten Beichtftuhl einnehmen, 
wenn er über's Jahr wieder käme, fo jolle e8 ihm recht Lieb fein. 

Der Schäfer ift ein alter Mann; er bat einen langen grauen 
Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte mir allerlei von ven Kriegs⸗ 
fcenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er jenen Hund der ihm 
die Herde regierte. Von verfchiedenen Berggeiftern erzählte er auch, 
das glaube er alles nicht, aber auf ver Ingelheimer Höhe, wo noch 
Ruinen von dem großen Kaiſerſaal Stehen, da fet es nicht geheuer; er 
babe felbft auf der Haive im Mondſchein einen Mann begegnet, ganz 


175 


in Stahl gefleivet, vem fer ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Men: 
hen gewittert, jo habe er fürchterlich geheult; da habe ver Nitter ſich 
umgelehrt, mit dem Finger gebroht und gerufen: „6i8 ftille, frewelicher 
Hund!“ — da fei der Löwe verftummt und habe dem Dann vie Füße 
geledt. Der Schäfer erzählte mir Dies mit befonderm Schauer, und 
ich ſchauderte zum Plaiſir ein Hein bischen mit; ich fagte: „ich glaube 
wohl, daß ein frommer Schäfer fi vor dem Hüter eines Löwen fürdy 
ten muß.” „Was?“ fagte er, „ih war damals kein Schäfer, ſondern 
Soldat, und auch gar nicht befonvers fromm; ich freite um ein Schätz⸗ 
hen, und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um 
Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; 
ich fehrte um." — „Nun,“ fragt ih: „Euer Schätzchen, das hat wohl 
umſonſt auf Euch gewartet?" — „Ja,“ fagte er, „wo Geifter fich ein- 
miſchen, da muß der Menſch dahinten bleiben.” — Ich meinte, wenn 
man liebe, brauche man ſich vor Öeiftern nicht zu fürchten, und könne 
fih grade dann für ihres Gleihen achten; denn die Nacht ift zwar 
feines Menſchen Freund, aber des Liebenden Freund ift fie. 

Ich fragte den Schäfer, wie er fich bei feinem einfamen Geſchäft 
die Zeit vertreibe in den langen Tagen; — er ging den Berg hinauf, 
die ganze Herve hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, 
die Herde nahnı wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine fchöne 
Schalmey — fo nannte er ein Hautbois mit filbernen Klappen. und 
Elfenbein zierlich eingelegt; er fagte: „die bat mir ein Franzofe ge 
Ichentt, darauf kann ich blafen daß man es eine Stunde weit hört; 
wenn ich bier auf ver Höhe weide und jeh ein Schiffchen mit Iuftigen 
Leuten drüben, da blaf ih; in der Ferne nimmt fi die Schalnteie 
wunderijhön aus, befonderd wenn das Wafler fo ftil und fonnig ift 
wie heute, das Blafen ift mir lieber wie Efjen und Trinken.“ Er 
jeßte an, und wendete fih nach dem Thal um das Echo hören zu laſ—⸗ 
jen; nun blies er das Lied des weiſſagenden Tempelfnaben aus Arur 
von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille 
die aus diefen Tönen hervorbricht und fich mitten im leeren Raum 
ausdehnt, beweift wohl, daß die Geifter auch in ver finnlihen Welt 


176 


einen Pla einnehmen; zum wenigften warb alles anders: Luft und 
Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden 
Nachen waren von der Melodie beherricht, und athmeten ihren weiſſa⸗ 
genden Geiſt; — die Herde hatte fich zum Auhen gelagert; ver Hund 
Ing zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe ftand, 
und die Begeiftrung eines Birtuojen empfand der fich ſelbſt überbietet, 
weil er fühlt, er werde ganz genofien und verftanden. Er ließ das 
Echo eine jehr feine Rolle darin jpielen; hier und da ließ er e8 in eine 
Lücke einfchmelzen, dann wieverholte er die legte Figur, zärtlicher, ein- 
dringender; — das Echo wieder! — er ward noch feuriger und 
ſchmachtender; und fo lehrte er vem Wieverhall wie hoch er's treiben 
könne, und dann endigte er in einer brillanten Fermate, die alle Thä⸗ 
fer und Schluchten des Donnersbergd und Hundsrücks wiederhallen 
machte. Er zog blafend mit der Herde um den Berg. — Ich padte 
meine Schreibereien auf, Da die Einſamkeit doch bier oben aufgehoben 
ift; und fchlenderte noch eine Weile bei gewaltigem Abendroth mit 
dem Schäfer tn weilen Reden begriffen, binter der weißen Herde drein; 
er entließ mich mit dem Compliment, ich ſei geſcheuter als alle Men⸗ 
ſchen die er kenne; dies war mir was ganz Neues, denn bisher hab 
ih von geſcheuten Leuten gehört, ich ſei gänzlich unklug; ich kann aber 
doch dem Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch geicheut, und habe 
ſcharfe Sinne. Bettine. 


Winkel, 7. Auguft. 

Geftern Hab ich meinen Brief zugemacht und abgeſchickt; aber 
noch nicht geſchloſſen. — Wühteft Du, mas mid, bei dieſen einfachen 
Erzählungen oft für Unruhe und Schmerzen befallen! — es ſcheint 
Dir alles nur fo Hingefchrieben, wie erlebt; ja! — aber jo mandes 
jeh ih, und vente e8, und kann e8 doch nicht ausſprechen; und ein 
Gedanke durchkreuzt den andern, und einer nimmt vor dem andern bie 
Flucht, und dann ift es wieder fo öde im Geiſt wie in der ganzen 


177 





Welt. Der Schäfer meinte, Muſik Ihüge vor böfen Gedanken und 
vor Langerweile; da Hat er recht, denn die Melancholie der Langen⸗ 
weile entiteht doch nur, weil wir und nad der Zukunft fehnen. In 
der Muſik ahnen wir dieſe Zukunft; da fie doch nur Geift fein kann 
und nicht8 anderes, und ohne Geift giebt e8 feine Zukunft; wer nicht 
im Geift aufbläht, wie wollte der leben und Athem holen? — Aber 
th habe mir zu Gewaltiges vorgenommen, Dir von Muſik zu jagen; 
denn weil ich weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdiſcher Zunge 
auszuſprechen iſt. So vieles halte ich zurüd, aus Furcht Du möchtet 
es nicht genehmigen, oder eigentlich, weil ich glaube daß Vorurtheile 
Dich blenden, die Gott weiß von welchem Philifter in Dich geprägt find. 
Ich habe feine Macht über Did, Du glaubft Dich an gelehrte Lente 
wenden zu mäflen, und was die Dir fagen können, das iſt doch nur 
dem höheren Bedürfniß im Wege, O Goethe, ich fürchte mich vor ‘Dir 
und dem Papter, ich fürchte mich aufzufchreiben was ich für Dich denke. 

Ja das hat der Chriſtian Schlofjer gefagt: Du verflündeft feine 
Muſik, Du fürdteft Di vor dem Tod, und habeſt keine Religion, 
was ſoll ih dazu jagen? — ich bin fo dumm wie ftumm, wenn ich jo 
empfindlich gefränft werde. Ach Goethe, wenn man fein Obdach hätte 
das vor ſchlechtem Wetter ſchützt, jo könnte einem der Talte liebloſe 
Wind ſchon was anhaben, aber jo ich weiß Dich in Dir felber gebor- 
gen; bie drei Räthſel aber find mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir 
nad) allen Seiten hin Muſik erklären, und fühl doch felbft daß fie über- 
finnlich if, und von mir unverflanden; dennoch kann ich nicht weichen 
von diefem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht daß ich e8 begreifen 
möge; nein, das Unbegreifliche tft immer Gott, und es giebt feine 
Zwiſchenwelt, in der noch andere Geheimnifje begründet wären. Da 
Mufit unbegreiflich ift, fo ift fie gewiß Gott; dies muß ich fagen, und 
Du wirft mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mid) aus⸗ 
Iachen! Nein, Du bift zu gut, Dur lachft nicht, und denn biſt du aud) 
zu weile, Du wirft wohl gerne Deine Studien und errungenen Be 
griffe aufgeben gegen ein ſolches, alles heiligende Geheimniß des gött⸗ 
lichen Geiſtes in der Muſik. Was Iohnte denn auch die Mühe der 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 12 


178 





Forſchung, wenn es nicht dies wäre! nach was können wir forfchen, 
was bewegt uns, als nur das Göttliche! — und was können Dir 
andere, die Wohlftudirten, Befjeres und Höheres darüber ſagen; — 
und wenn einer Dagegen was aufbringen wollte, — müßte er ſich nicht 
Ihämen? Wenn einer jagen wollte: Muſik jet nur da, daß der Men⸗ 
ſchengeiſt fi darin ausbilne® — Nun ja! wir follen uns in Gott 
bilden. Wenn einer jagt, file fei nur Vermittlung zum Göttlichen, fie 
ſei nicht Gott ſelbſt! Nein, Ihr falſchen Kehlen, Euer eitler Gefang tft 
nicht göttlich durchdrungen. Ach, vie Gottheit felbft lehrt uns den 
Buchftaben begreifen, damit wir gleich ihr, ans eignem Vermögen im 
Reich der Oottheit regieren lernen. Alles Kernen in der Kunft ift nur 
dazu, daß wir den Grund der Selbftftändigfeit in ung legen, und daß 
e8 unſer Errungenes bleibe. Einer fagte von Chriftus, daß er nichts 
von Muſik gewußt babe; dagegen konnte ich nichts fagen; einmal 
weiß ich feinen Lebenslauf nicht genau, und dann was mir dabei ein- 
fiel kann ih nur Dir fagen, obſchon ich nicht weiß was Du dazu 
fagen wirft. Chriftus fagt: „Auch Euer Leib fol verflärt werden!" Iſt 
nun Mufit nicht die VBerflärung der ſinnlichen Natur? — Berührt 
Muſik nicht unjere Sinne, daß fie fich eingefhmolzen fühlen in die Har- 
monte der Töne, wie Du mit Terz und Quint berechnen willſt? — 
Lerne nur verftehen, — Du wirft um fo mehr Dich wundern über 
das Unbegreiflihe. Die Sinne fließen in den Strom der Begeifte- 
rung, und das erhöht fie. Alles was den Menfchen geiftigerweile an⸗ 
Ipricht, geht hier m die Sinne über; drum fühlt er fich auch durch fie zu 
allem bewegt. Liebe und Freunpfchaft, friegerifher Muth und Sehn- 
fucht nach der Gottheit — alles wallt im Blut; das Blut tft geheiligt; 
es entzündet den Leib, daß er mit dem Geift zuſammen vasjelbe wolle. 
Das ift die Wirkung der Muſik auf die Sinne; das ift die Berflärung 
des Leibes; die Sinne von Chriftus waren eingefhmolzen in den 
göttlichen Geift, fie wollten mit ihm daſſelbe; er fagt: „Was Ihr bes 
rührt mit dem Geift wie mit ven Sinnen, das fei göttlich, denn dann 
wird Euer Leib auch Geiſt.“ Siehft ‘Du, das hab ich ungefähr empfun- 
den und gedacht, da man fagte Chriftus habe nichts von Muſik gewußt. 





179 





Berzeihe mir daß ich fo mit Dir fpredhe, gleihfam ohne Bafıs, 
denn mir ſchwindelt, und ich deute kaum an was ich jagen möchte und 
vergefie alles fo leicht wieder; aber wenn ich in Dich das Zutraiten 
nicht haben jollte Dir zu bekennen was ſich inmir aufpringt, wen follte 
ich's ſonſt mittheilen! — 

Diefen Winter Hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn 
ich auf der Guitarre fpielte, kam fie eilig herab in ein Net, was fie 
tiefer ausgefpannt hatte. Ich ftellte mich vor fie und fuhr über die Sai- 
ten; man fah deutlich wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn 
ich Accord wechfelte, fo wechfelten ihre Bewegungen, fie waren unwill« 
führlich;; bei jenem verſchiedenen Harpege wechſelte der Rhythmus in 
ihren Bewegungen, e8 ift nicht anders, — dies Kleine Wefen war 
freudedurchdrungen oder geiſtdurchdrungen fo lang mein Spielen 
währte; wenn's ftill war, zog fte fi wieder zurüd. Noch ein Kleiner 
Geſelle war eine Maus, der aber mehr der Vocalmuſik geneigt war; 
fie erſchien meiftens, wenn ich die Zonleiter fang; je flärker ich den 
Zon anfchwellen Tieß, je näher kam ſie; in der Mitte der Stube blieb 
fie figen; mein Meifter hatte große Freude an dem Thierchen; wir 
nahmen ung jehr in Acht fie nicht zu flören. Wenn ich Lieder und ab» 
wechſelnde Melodien fang, fo ſchien ſie fich zu fürchten; fie hielt dann 
nicht aus und lief eilend weg. Alfo die Tonleiter ſchien dieſem Heinen 
Geſchöpfchen angemefjen, die durchgriff fie, und wer kann zweiflen: 
bereitete ein Höheres in ihr vor; dieſe Töne, fo rein wie möglich ge- 
tragen, in ſich fchön, die berührten diefe Organe. . Diejes Aufſchwel⸗ 
len und wieder Sinten bis zum Schweigen nahm das Thierchen in ein 
Element auf. Ach Goethe, was joll ich jagen? — es rührt mich alles 
fo fehr, ich bin heute fo empfindlich, ich möchte weinen; wer im Tempel 
wohnen kann auf reinen heiteren Höhen, jollte der verlangen hinaus 
in eine Spisbubenherberge® — Diefe beiven Heinen Thierchen haben 
fi der Muſik Hingegeben; e8 war ihr Tempel in dem fie ihre Eriftenz 
erhöht vom Göttlichen berührt fühlten, und Du, der ſich bewegt fühlt 
durch das ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habeft keine Re⸗ 
Iigion? Du, deſſen Worte, deſſen Gedanken immer an die Mufe 

12* 


180 





gerichtet find, Du lebteſt nicht in dem Element der Erhöhung, der Ber- 
mittelung mit Gott. — Ad ja: das Erheben aus dem bewußtlofen 
Leben in die Offenbarung, das iſt Mufit. Gute Nacht. 


Carlsbad, den 28. Juli 1808. 

Iſt es wahr, was die verliebten Poeten jagen, daß feine ſüßere 
"rende fei, als das geliebte zu ſchmücken, jo haft Du das größte Ver⸗ 
dienft um mich. Da ift mir durch die Mutter eine Schachtel voll der 
Thönften Liebesäpfel zugelommen, an goldnen Ketten zierlich aufgereiht; 
ſchier wären fie in meinem Kreife zu Zankäpfeln geworden. Ich ſehe 
unter diefem Geſchenk und ver Anweifung dabei eine Spiegelfechteret 
verborgen, die ich nicht umhin kann zu rügen, denn da Du liftig genug 
bift, mich mitten im heißen Sommer auf Eis zu führen, jo möchte 
ih Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch unvorbereitet und un⸗ 
verhofft mit Gefchteflichkeit diefe Winterfreuden zu beftehen wage; 
ich werde Dir nicht jagen, Daß ich feinen lieber ſchmücken möchte wie 
Dich, denn ſchmucklos haft Du mic überrafcht, und ſchmucklos wirft 
Du mich ewig ergögen. Ich hing die Perlenreihe chineftiher Früchte 
zwifchen den geöffneten senfterflägeln auf, und da eben die Sonne 
drauf ſchien, fo hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an diefen balſam⸗ 
artigen Gewächſen zu beachten. ‘Das brennende Roth verwandelte fich 
da, wo die Strahlen auflagen, bald in dunklen Purpur, in Grün und 
entſchiedenes Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes gehöht; 
fein anmuthigered Spiel der Farben habe ich lange beobachtet, und 
wer weiß, zu welden Umwegen mich das alles verführen wird; zum 
wenigfien würde der Schwanenhals, von dem die Dir gehorjamen 
Schreibefinger ver Mutter mir melden, ſchwerlich mich zu fo entſchie⸗ 
denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und fo Hab ich 
e8 denn Deinem Willen ganz angemefien gefunden, mich fo dran zu 
erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schaf vor 
jedem lüfternen Auge, als daß ich ihn der Wahl preis geben follte. 





181 


Deiner gevenf ich dabei und aller Honigfrüdte der Sonnenlande, und 
ausgießen möcht ich Dir gerne die gefammten Schäte des Orients, 
wenn e8 auch wäre, um zu ſehen, wie Du ihrer nicht achteft, weil Du 
Dein Glück in anderem begründet fühlft. 

Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter haben mich bier 
bei einer Zeit aufgefucht, wo ich ‘Dich gerne jelbft auf- und angenom- 
men hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; ſchon jeit meh⸗ 
reren Poſttagen ſah ich allemal den freundlichen Poſtknaben, der noch 
in den Schelmenjahren tft, mit jpisen Fingern Deine wohlbeleibten 
Pakete in die Höhe halten. Da ſchickte ich denn eilig hinunter, fte zu 
bolen und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung 
von einem Pofttag zum andern; num war fie aber zweimal vergeblich 
erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich un⸗ 
geduldig wurde; Gewohnheit ift ein gar zu füßes Ding. — Die liebe 
Mutter hatte aus einer Übrigens fehr löblichen Okonomie Deine Briefe 
gefammelt und fie der Heinen Schachtel beigepadt, und num umſtrömt 
mid alles — eine andere Gegend, ein anderer Himmel, Berge, über 
die auch ich gewandert bin; Thäler, in denen auch ich die ſchönſten 
Tage verlebt und trefflihen Wein getrunfen babe, und der Ahein, 
den auch ich hinunter geſchwommen bin in einem Heinen, leden Kahn. 
Ich habe alfo ein Doppeltes Recht an Dein Andenken; einmal war ich 
ja dort, und einmal bin ich bei Div, und vernehme mit beglüdenvem 
Erſtaunen die Lehren Deiner Weisheit, wie auch die fo lieblichen Er⸗ 
eignifle, denn in allen bift Du es, bie fie Durch ihre Öegenwart ver- 
berrlicht. 

Hier noch eine Kleine wohlgemeinte Bemerkung, mit Dank für 
das Eingejendete, die Du demjenigen, den e8 angeht, gelegentlich mit 
tbeilen mögeft: ob ich gleich den Nifelheimifchen Himmel nicht liebe, 
unter welhem fih der ..... gefällt; jo weiß ich Doch recht gut, daß 
gewiſſe Climaten und Atmofphären nöthig find, damit dieſe und jene 
Pflanze, die wir doc) auch nicht entbehren mögen, zum Vorſchein komme. 
So heilen wir uns durd Rennthiermoos, das an Orten wählt, wo wir 
nicht wohnen möchten, und um ein ehrfameres Gleichniß zu brauchen, 


182 
jo find die Nebel von England nöthig, um den ſchönen grünen Rafen 
bervor zu bringen. 

So haben auch mir gewifle Auffchößlinge diefer Flora recht wohl 
behagt. Wäre e8 dem Redakteur jederzeit möglich, dergeftalt auszu⸗ 
wählen, daß die Tiefe niemals hohl, und die Fläche niemals platt 
wiirde, jo ließe fich gegen ein Unternehmen nicht8 jagen, dem man 
in mehr als einem Sinne Glück zu wünſchen bat. Grüße mir ven 
Freund zum ſchönſten und entſchuldige mich, daß ich nicht ſelbſt jchreibe. 

Wie lang’ wirft Du noch im Nheinlande verweilen? — was 
wirft Du zu der Zeit der Weinlefe vornehmen? mic, finden Deine 
Blätter wohl noch einige Monate bier, zwiſchen den alten Felſen, 
neben den heißen Quellen, die mir auch diesmal ſehr wohlthätig find: 
ich hoffe, Du wirft mich nicht vergeblich warten laſſen, denn meine Un⸗ 
geduld zu bejchwichtigen, alles zu erfahren, was in Deinem Köpfchen 
vorgeht, dafür find dieſe Quellen nicht geeignet. 

Meinem Auguft geht es bis jet in Heidelberg ganz wohl. Meine 
Frau beſucht in Lauchſtädt Theater und Tanzfaal, Schon haben mic 
mande entfernte Frennde bier brieflih bejucht; mit andern bin ich 
ganz unvermuthet perjönlich zufammen gelommen. 

Sch babe fo lange gezaudert, daher will ich dies Blatt gleich fort 
Ihiden, und ſchlage e8 an meine Mutter ein. Sage Dir alles felbit, 
. Wozu mir der Pla hier nicht gegönnt ift, und laſſe mich gleich von 
Dir hören. G. 


Am 8. Auguſt. 
Überall wo es gut iſt, das muß man zu früh verlafſen; — fo war 

es mir wahrlich, gut bei Dir, drum mußt ih Dich zu früh verlafien. 
Ein guter lieber Aufenthalt ift für mid, was das fruchtbare 
Land einem Schiffer ift der eine unſichre Reife vor hat, er wird Vor⸗ 
rath einfammeln jo viel ihm Zeit und Mittel erlauben. Ach wenn er 
auf der einfamen weiten See tft, wenn die frifchen Früchte ſchwinden, 
das ſüße Wafler! — er fieht fein Ziel vor ſich; — wie ſehnſuchtsvoll 


% 


183 


wird die Erinnerung an's Rand. — Jetzt geht mir's auch jo: in zwei 
Tagen muß ich ven Rhein verlaflen, um mit dem ganzen Familientroß 
in Schlangenbad zufammen zu treffen. Ich war indefjen nicht immer: 
während bier, fonft hätte Dich ſchon lange wieder eine Epiftel von 
mir erreicht; viele Streifereten haben mich abgehalten: die Reife in 
die Wetterau, von welcher ich Dir hier ein Bruchftüd beilege. Den 
Primas hab ih im Aſchaffenburg bejucht, er meint immer, ich habe 
die Kinderſchuhe noch nicht ausgetreten, und begrüßt mich indem er 
mir die Wangen ftreihelt und mich herzlich küßt. Diesmal jagte er: 
Mein gutes, liebes Schätzchen, wie Sie friſch ausſehen und wie Sie 
gewachſen find! — Ein ſolches Betragen hat nun eine zauberiſche 
Wirkung auf mich; ich fühlt mid ganz und gar wie er mid) anfah, 
und betrug mich auch als ob ich nur zwölf Jahr alt jet, ich erlaubte 
mir allen Scherz und gänzlihen Mangel an Hochachtung, unter ſolchen 
zweifelhaften Umftänden trug ich ihm Deine Aufträge vor. Set nur 
nicht beftärzt, ich Tenne Dein würdevolles Benehmen mit großen 
Herren, und babe Div als Bothſchafter nichts vergeben, ich hatte mir 
einen fchriftlihen Auszug aus dem Brief an Deine Mutter gemacht, 
und legte ihm denfelben vor, und die Zeile, wo Du gefchrieben haft: 
Die Bettine ſoll ſich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weife 
vom Primas heraus zu loden, vie hielt ih mit der Hand zu; num 
wollte er grade jehen, was da unten verborgen jei; ich machte vorher 
meine Bedingungen, er verfprad mir das Heine Indiſche Herbarium, 
es ift in Paris, und er wollte noch denfelben Tag drum jchreiben. 
Was die Papiere des Probft D’umee anbelangt, fo bat er jehr inter- 
efiante wifjenfchaftlihe Sachen die er ‘Dir alle verfpriht, die Corre⸗ 
fpondence mit ... giebt er nicht heraus, ich joll nur jagen, Du habeft 
es nicht verdient, und er werde dieſe Briefe als einen wichtigen Fami⸗ 
ltienfhat aufbewahren, und als ein Mufter von feurigen Ausdrücken 
bei der höchſten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel bei 
diefer Rede, ich fühlte daß ich roth ward, da hob er mir Das Kim im 
die Höhe und fagte: Was fehlt Ihnen denn, mein ind, Sie fchreiben 
wohl auch an Goethe? — Ya, fagte ih, unter der Obhut feiner 


184 


Mutter. So, jo, das ift ganz ſchön, kann denn die Mutter lefen? — 
Da mußt ich ungeheuer lachen, ich fagte: Wahrhaftig, Euer Hoheit 
haben's errathen; ich muß der Mutter alles vorlefen, und mas fie 
nicht wiſſen joll, das übergeh ih. — Er brachte noch allerlei Scherz⸗ 
haftes vor und frug, ob ih Di Du nenne, und was ih Dir alles 
ſchreibe? — ich fagte, des Rythmus halber nenne ih Di Du, und 
eben habe ich feine Dispenjation einholen wollen um jchriftlich beichten 
zu dürfen, denn ich wolle Dix gern beichten, er lachte, er fprang anf, 
(denn er ift fehr vif und macht oft große Säte) und fagte: Geift wie 
der Blig! in, ich gebe Ihnen Diepenfation und ihm — jchreiben 
Ste e8 ihm ja, — geb ih Macht, volllommen Ablaß zu ertheilen, 
umd nun werden Sie doc mit mir zufrieden jein? — Ich hatte große 
Luft ihm zu jagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr fondern fhon eine 
Weile in’s Blüthenalter der Empfindung eingerüdt ſei; 
aber da bielt mich etwas ab: bei feinen luſtigen Sprüngen fiel ihm 
feine Kleine geiſtliche violetſammtne Mütze vom Kopf; ich nahı fie 
auf, und weil mir ahnete fie würde mir gut ſtehen, ſo fette ich fie auf. 
Er betrachtete mich eine Welle, und fagte: ein allerliebfter Feiner 
Biſchof! die ganze Klerifey würde Hinter ihm brein laufen, — und 
nun mochte ih ihm ven Wahn nicht mehr benehmen, daß ich noch ſo 
jung fei, denn e8 fam mir vor, was ihn an einem Kind erfreuen dürfe, 
das könne ihm bei einer verfländigen Dame, wie ich doch eine fein. 
müßte, als höchſt inconvenable ericheinen. Ich ließ es alfo dabei, 
und nahm die Sünde anf mich, ihm was weiß gemacht zu haben, 
indem ich mich dabei anf die Kraft des Ablaſſes verlafle, ven er Dir 
übermadit. 

Ach, ih möchte Dir lieber andere Dinge jchreiben, aber die 
Mutter, der ih alles erzählen mußte, quälte mich drum, fie meint fo 
was mache Dir Freude und Du hielteft etwas drauf, dergleichen genau 
zu willen; ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihr ab, 
der mich dort ſchon an vierzehn Tagen erwartete, und doch möcht ich 
Dich über dieſen fhmälen. Du bift ein coquetter zierlicher Schreiber, 
aber Du bift ein harter Dann; die ganze ſchöne Natur, die herrliche 








185 


Gegend, die warmen Sommertage der Erinnerung, — das alles rührt 
Dich nicht; jo freundlich Du bift, fo kalt biſt Du auh. Wie ich das 
große Papterformat fah, auf allen vier Seiten bejchrieben, da dacht 
ih es würde doch hier und da burdbligen daß Du mid liebſt; es 
bist auch, aber nur von Flittern, nicht von leiſem beglückendem Feuer. 
O weldher gewaltige Abſtand mag fein zwiſchen jener Correfponvence, 
die der Primas nicht heraus geben will, und unferm Briefwechſel; 
das kommt daher weil ich Dich zur jehr liebe und e8 Div auch befenne, 
das joll eine fo närrifhe Eigenhett ver Männer fein, daß fie dann 
falt find, wenn man fie zu jehr liebt. 

Die Mutter tft nun immer gar zu vergnügt und freundlich, wenn 
ih von meinen Streifereien fomme; fie hört mit Luft alle Heine Aben⸗ 
theuer an, ich made denn nicht felten aus Klein, Groß, und diesmal 
war ich reichlich Damit verjehen, da nicht nur allen Menſchen, jondern 
Ofen, Ejel und Pferde jehr ausgezeichnete Rollen dabei fpielten. 
Du glaubſt nicht, wie froh es mid macht wenn fie recht von Herzen 
lacht. Mein Unglüd führte mich grade nad Frankfurt, als Frau 
von Stadl durchkam, ich hatte fie Shen in Mainz einen ganzen Abend 
genoflen, die Mutter aber war recht froh, daß ich ihr Beiſtand leiſtete, 
denn fie war ſchon prevenirt daß die Stadt ihr einen Brief von Dir 
bringen würde, und fie wünſchte Daß ich Die Intermezzos ſpielen möge, 
wenn ihr bet dieſer großen Kataſtrophe Erholung nöthig ſei. Die Mutter 
bat mir num befohlen Dir alles ausführlich zu beſchreiben; Die Entervüe 
war bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz Bethmann. 
Die Mutter hatte fih — ob aus Ironie oder aus Übermuth, wunder⸗ 
bar geſchmückt, aber mit deutſcher Laune, nicht mit franzöſiſchem Ge⸗ 
ſchmack, ich muß Dir ſagen, daß wenn ich die Mutter anſah, mit ihren 
drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verſchiedenen Seiten hin⸗ 
ſchwankten, eine rothe, eine weiße und eine blaue — die franzöſiſchen 
Rationalfarben, welche aus einem Feld von Sonnenblumen empor⸗ 
fliegen, — fo Hopfte mir das Herz vor Luft und Erwartung; fie war 
mit großer Kunft geſchminkt, ihre großen ſchwarzen Augen fenerten 
einen Kanonendonner, um ihren Hals ſchlang ſich der befannte goldne 


186 ’ 


Schmud ver Königin von Preußen, Spigen von altherkömmlichem 
Anjehen und großer Pracht, ein wahrer Familienſchatz, verhüllte ihren 
Bufen, und jo ftand fie mit weißen Glacée⸗Handſchuhen, in der einen 
Hand emen künſtlichen Fächer, mit dem fie die Luft in Bewegung 
feßte, die andre, welche entblößt war ganz beringt mit blitenven 
Steinen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit einer Mi- 
niature von Dir, wo Du mit hängenden Toden, gepudert, nachdenklich 
den Kopf auf die Hand ftügeft, eine Prife nehmend. Die Gefellihaft 
der vornehmen älteren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlaf- 
zimmer des Mori Bethmann; auf purpurrothem Teppich in ver 
Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leopard, — ſah die Gefellihaft 
jo flattlih aus, daß fie wohl imponiren Tonnte. An den Wänden 
ſtanden ſchöne fchlanfe indiihe Gewächle, und das Zimmer war mit 
matten Ölasfugeln erleuchtet; dem Halbfreis gegenüber ſtand das 
Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Eftrade, auch mit einem pur- 
purnen Teppich verhüllt, an beiden Seiten Kandelaber. Ich fagte zur 
Mutter: die Frau Stadl wird meinen, fie wird bier vor Gericht des 
Minnehofs citirt, denn dort das Bett fieht aus wie der verhüllte 
Thron der Venus. Man meinte, da dürfte e8 manches zu verant- 
worten geben. Endlich kam die Yangerwartete durch eine Reihe von 
erleuchteten Zimmern, begleitet von Benjamin Conftant, fie war als 
Corrinna gekleidet, ein Turban von aurora- und orangefarbner Seide, 
ein eben ſolches Gewand mit einer orangen Tunika, fehr hoch gegürtet, 
fo daß ihr Herz wenig Plab hatte; ihre ſchwarzen Augenbrauen und 
Wimpern glänzten, ihre Lippen auch, von einem myſtiſchen Roth; die 
Handſchuh waren herabgeftreift und bevedten nur die Hand, in der fte 
das befannte Zorbeerzweiglein hielt. ‘Da das Zimmer, worin fie er- 
wartet war, jo viel tiefer Liegt, fo mußte fie vier Treppen herabfteigen. 
Unglüdliher Weije nahm fie das Gewand vorne in die Höhe ftatt 
hinten, dies gab ver Teierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen 
Stoß, denn e8 ſah wirklich emen Moment mehr als komiſch aus, wie 
diefe ganz im orientalifhen Ton überſchwankende Geſtalt, auf die 
fteifen Damen der Tugendverſchwornen Frankfurter Gefellichaft los⸗ 














187 





rüdte. Die Mutter warf mir einige couragirte Blide zu, da man fie 
einander präfentirte. Ich hatte mich in die Ferne geftellt um die ganze 
Scene zu beobachten. Ich bemerkte das Erfiaunen der Stadl über den 
wunderbaren Put und das Anfehen Deiner Mutter, bei der fih ein 
mächtiger Stolz entwidelte. Sie breitete mit der linken Hand ihr Ge- 
wand aus, mit der rechten ſalutirte fle mit dem Fächer fpielend, und 
indem fie da8 Haupt mehrmals jehr herablaſſend neigte, jagte fie mit 
erhabener Stimme, daß man e8 durch's ganze Zimmer hören konnte: 
»Je suis la mere de Goethe:« »ah, je suis oharmee« ſagte die 
Shriftftellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die 
Präfentation ihres geiftreihen Gefolges, welches eben auch begierig 
war, Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beantwortete 
ihre Höflichkeiten mit einem franzöflihen Neujahrwunfd, welchen fie 
mit feterlihen DVerbeugungen zwilhen den Zähnen murmelte,. — 
fur, ich glaube die Audienz war volllommen, und gab einen ſchönen 
Beweis von der deutſchen Grandezza. Bald winkte mic die Mutter 
herbei, ich mußte den Dolmetiher zwiichen beiven maden; da war 
denn die Rede nur von Dir, von Deiner Jugend, das Portrait auf 
der Tabattere wurde betrachtet, e8 war gemalt in Leipzig, eh Du fo 
krank warft, aber jchon fehr mager, man erkennt jedoch Deine ganze 
jetzige Größe in jenen finvlichen Zügen, und befonvers den Autor des 
Werther. Die Stael ſprach über Deine Briefe, und daß fie gern lejen 
möchte wie Du an Deine Mutter ſchreibſt, und die Mutter verſprach 
es ihr auch, ich dachte daß fie von mir gewiß Deine Briefe nicht zu 
lefen befommen würde, denn ich bin ihr nicht grün, fo oft Dein Name 
von ihren nicht wohlgebilveten Lippen kam überfiel mich ein innerlicher 
Grimm; fie erzählte mir, daß Du fie Amie in Deinen Briefen nennteft; 
ach fie hat mir's gewiß angefehen, daß dies mir fehr unerwartet kam; 
ach fie fagte noch mehr. — Nun ri mir aber die Geduld, — mie 
kannſt Du einem fo unangenehmen Gefiht freundlich fein? — Ad 
da fieht man, daß Du eitel bit. — Oper fie hat auch wohl nur ge- 
logen! — Wär ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit fenrigen 
Drachen, würd id mit Bliden meinen Schab bewachen. Nun fig ih 


188 





weit entfernt von Dir, weiß nicht was Du alles treibft, und bin nur 
froh wenn mich feine Gedanken plagen. 

Ich könnte Div ein Buch fhreiben über alles was ich in den acht 
Tagen mit ver Mutter verhandelt und erlebt habe. Sie konnte kaum 
erwarten, daß ih kam um alles mit ihr zu recapiiuliren. Da gab's 
Vorwürfe; ich war empfindlich daß fie auf ihre Bekanntſchaft mit der 
Stadl einen jo großen Werth legte; fie nannte mich kindiſch, albern 
umd eingebilvet, und was zu Ihäten jei, dem müfle man vie Achtung 
nicht verfagen, und man könne über eine ſolche Frau nicht wie über 
eine Gofſe fpringen und weiter laufen; es fei allemal eine ausgezeich⸗ 
nete Ehre vom Schidfal, fich mit einem bedeutenden und berühmten 
Menſchen zu berühren. Ich wußte es fo zu wenben, daß mir bie 
Mutter enplih Deinen Brief zeigte, worm Du ihr Glück wünſcheſt 
mit diefem Meteor zufammen zu ftoßen, und da polterte denn alle ihre 
vorgetragene Weisheit aus Deinem Brief hervor. Ich erbarmte mid) 
über Dich und fagte: Eitel ift der Götterjüngling; er führt ven Be⸗ 
weis für feine ewige Jugend. — Die Mutter verftand feinen Spaß; 
fie meinte: ich nehme mir zu viel heraus, und ich joll mir doch nicht 
einbilden, daß Du ein anderes Interefje an mir habeft, als man an 
Kindern habe, die noch mit der Puppe ſpielen; mit der Stadl könneſt 
Du Weltweisheit machen; mit mir könneſt Du nur tändeln. Wenn die 
Mutter recht hätte! — wenn's nichts wär mit meinen neu erfundnen 
Gedanken, von denen ich glaubte, ich habe fie alleine? — Wie hab ich 
doch in diefen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur blos an Did 
gedacht! — Jede Wolle hab ich um Nath gefragt, jeven Baum, jedes 
Kraut hab ich angeſprochen um Weisheit; und von jeder Zerftreuung 
hab ich mich abgewendet, um recht tief mit Dir zu ſprechen. O böfer, 
harter Mann was find das für Geſchichten? Wie oft hab ich zu mei- 
nem Schutzengel gebetet, daß er doch für mich mit Dir fprechen foll, 
and dann Hab ich mich ftill verhalten und die Fever laufen laflen. Die 
ganze Natur zeigte mir im Spiegel was ich Dir jagen foll; wahrhaf- 
tig, ih habe geglaubt, alles jet von Gott jo angeordnet, daß vie Liebe 
einen Briefwechjel zwiihen ung führe. Aber Du haft mehr Vertrauen 








189 


in die berühmte Yrau die das große Wert geichrieben hat sur les pas- 
sions, von welchen ich nichts weiß. — Ad glaub nur, Du bift vor 
die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht Klug. 

Über Muſik hatte ih Div auch noch manches zu fagen; e8 war 
alles ſchon jo hübſch angeordnet; erſt mußt Du begreifen, was Du ihr 
alles ſchon zu verdanken Haft. — Du bift nicht fenerfeft. Muſik bringt 
Dich nicht in Gluth weil Du einfchmelzen könnteſt. 

Sp närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik keinen Einfluß 
auf Di Habe. Da ich doch glaube an das Firmament in Deinem 
Geift, da Sonne und Mond, jammt allen Sternen in Dir leuchten, 
da fol ich zweifeln, daß viejer höchfte Planet über alle, ver Licht er 
gießt, der ein Gewaltiger ift unſerer Sinne, Dich nicht durchſtröme? 
Meinft Du dann, Du wärft der Du bifl, wenn es nicht Muſik wäre 
in Dir! — Du foltteft Dich vor dem Tod fürdten, da doch Muſik 
ihn auflöft? Du follteft feine Religion haben, da doch Muftk in Dich 
die Anbetung pflanzt ? 

Horch in Di hinein, da wirft Du in Deiner Seele der Mufit 
laufen, die Liebe zu Gott ift: dies ewige Jauchzen und Wallen zur 
Ewigteit, das allein Geift ift. 

Ich könnte Div Sachen jagen, die ich felbft fürchte auszufprechen, 
obſchon eine innere Stimme mir fagt, fie find wahr. Wenn Du mir 
bleibft, fo werd ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibt, jo werde 
ih wie der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt daß 
ih in Dir wieder blühe. 

Mein Kopf glüht; ich Hab mich während dem Schreiben herum⸗ 
geftritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werben konnte. Die 
Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geift, aber fie im ein- 
fachſten Begriff zu faflen, das iſt jo ſchwer; ach es kann ja nichts ver- 
Ioren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geift, der alles Schöne als 
Früchte trägt, und da es ſchön iſt daß wir eimander Lieben, fo wolle 
die Wahrheit nicht länger verläugnen. 

Ih will Dir Iteber noch ein bischen von unferm Zigeunerleben 
erzählen das wir bier am Rhein führen, den wir fo bald verlafien 


190 





werben, und wer weiß ob ich ihn wiederfeh! — Hier, wo die Früh» 
fingslüfte balfamifh uns umwehen, laß einfam uns 
ergeben; nichts trenne Dich von mir! — und aud nicht vie 
rau von Stall: - 

Unfre Hausbaltung ift allerliebft eingerichtet; wir find zu acht 
Frauen, fein männliches Weſen ift im Haus; da e8 nım fehr heiß ift, 
fo machen wir's uns fo bequem wie möglih, zum Beiſpiel find wir 
fehr leicht gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechiſch drapirt. 
Die Thüren der Schlafzimmer ftehen Nachts offen; — je nachdem eins 
Luft hat, ſchlägt e8 fen Nachtlager auf dem Vorgang oder an ſonſt 
einem fühlen Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der ſchö⸗ 
nen mit breiten Platten gevedten Mauer liegend, dem Rhein gegen- 
über den Aufgang der Sonne zu erwarten, hab ich ſchon ein paarmal 
zu meinen Plaiſir Nächte zugebracht; ich bin eingefchlafen auf meinem 
ſchmalen Bett; ich hätte können binunterfallen im Schlaf,. bejonders 
wenn ich träume daß ih Dir entgegen fpringe. Der Garten liegt 
bo, und Die Mauer nach jenfeit8 geht tief hinab, da Könnte ich leicht 
verunglüden; ich bitte Dich alfo, wen Du meiner gedenkſt im Traum, 
halte mir die [hügenden Arme entgegen, — damit ich doch gleich hin⸗ 
ein finle; „nenn allesiftpoh nur ein Traum!" — Am Tage 
geht’8 bei ung in großer Sinfterniß ber; alle Läden find zu im ganzen 
Haufe, alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich Morgens weite 
Spaztergänge, aber das ift bei dieſer Hiße nicht mehr möglich; die 
Sonne beizt die Weinberge, und die ganze Natur feufzt unter der 
Brutwärme. Ich gehe doch jeven Morgen zwiſchen vier und fünf 
Uhr heraus mit einem Schnilermefjer, und hole frifche fühle Zweige, 
pie ich im Zimmer aufpflanze. Bor acht Wochen hatte ih Birken und 
Pappeln, die glänzten wie Gold und Silber, und dazwiſchen dide 
duftende Sträußer von Maiblumen. Wie ein Heiligthum ift der Saal, 
an den alle Schlaflabinette floßen; da liegen fie noch in den Betten 
wenn ich nach Haufe komme, und warten biS ich fertig bin; dann Haben 
die Linden und Kaftanien hier abgeblüht, und himmelhohes Schilf das 
ſich oben an der Dede umbiegt, mit blühenden Winden umftridt; und 





191 


die Feldblumen find reizend, die Heinen Grasdolden, die Schafgarbe, 
die Johannisblume, Waflerlilien, die ih mit einiger Gefahr fiſche, 
und das ewig ſchöne Vergißmeinnicht. Heute hab ih Eichen aufge- 
pflanzt; hohe Äfte die ih aus dem oberften Gipfel geholt. Ich Hetterte 
wie eine Kate; bie Blätter find ganz purpurroth, und in fo zierlichen 
Sträußern gewachſen als hätten fie fi tanzend in Gruppen vertheilt. 

Ich follte mich ſcheuen, Dir von Blumen zu ſprechen; Du haft 
mich ſchon einmal ein bischen ausgelacht, und doch ift der Reiz gar zu 
groß; die vielen ſchlafenden Blüthen die nur im Tod erwachen, das 
träumende Geſchlecht der Widen, vie Herrgottsichädelhen, Himmels- 
Ihlüfjel mit ihrem fanften freundlichen Duft — fie ift die geringfte 
aller Blumen. Wie ih kaum ſechs Jahr alt war, und die Milchfrau 
hatte verſprochen, mir einen Strauß Himmelsſchlüfſel mitzubringen, 
da riß mich die Erwartung ſchon mit dem erſten Morgenſtrahl aus 
dem Schlaf im Hemdchen an's Fenſter; wie riih waren die Blumen! 
Wie athmeten fie in meiner Hand! — Einmal brachte fie mir dunkle 
Nelken in einen Topf eingepflanzt; welcher Reihthum! — Wie war 
ich überrafcht von der Großmuth! — Diefe Blumen in der Erde — 
fie ſchienen mir ewig an's Leben gebunden, e8 waren mehr als id; 
zählen konnte; immer fing ih von vome an; ich wollte fein Knöſpchen 
überfpringen; wie dufteten fie! Wie war ich demüthig vor dem Geift, 
den fie ausftrömten! — Ich wußte ja noch wenig von Wald und Flur, 
und die erfte Wiefe im Abendſchein eine unendliche Fläche für's Kinder⸗ 
auge, mit goldnen Sternen überſäet; — ad, wie hat Natur aus Liebe 
ed dem Geift Gottes nachahmen wollen. — Und wie liebt er fie. — 
Wie neigte er fich herab zu ihr für diefe Zärtlichkeit ihm entgegen zu 
blühen! — Wiedhab ich gewühlt im Gras und hab gefehen, wie eins 
neben dem andern ſich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht über⸗ 
jeben bet ver Fülle, aber fein jhöner Name hat mich mit ihm vertraut 
gemacht, und wer fie genannt hat ver muß fie geliebt und verſtanden 
haben. Das Heine Schäfertäfhchen zum Beiſpiel — ich hätte es nicht 
bemerkt, aber wie ich feinen Namen hörte da fand ich's unter vielen 
heraus, ih mußte ein ſolches Täjchchen öffnen, und fand e8 gefüllt mit 


192 





Samenperlen. AG, alle Form enthält Geift und Leben um fi auf 
die Emwigleit zu vererben. Tanzen die Blumen nit? — fingen fie 
nicht? — Tchreiben fie nicht Geiſt in die Luft? — malen fie nicht fi 
jelbft ihr Innerftes in ihrem Bild? — Alle Blumen hab tch geliebt, 
eine jede in ihrer Art, wie ih fle nach einander kennen lernte, und 
feiner bin ich untreu geworben, und wie ich ihre Muskelkraft entvedte: 
das Löwenmäulchen, wie e8 mir zum erftenmal die Zunge aus jenem 
jammtnen Rachen entgegen ftredte als ich e8 zu kräftig anfaßte. — 
Ich will fie nicht alle nennen, mit denen ich fo innig vertraut wurde, 
wie fie mir jet im Gedächtniß erwachen; nur eines einzigen gedenk 
ich, eines Myrthenbaums,. den eine junge Nonne dort pflegte. Sie 
batte ihn Winter und Sommer in ihrer Zelle; fie richtete fi in allem 
nad ihm; fie gab ihm Nachts wie Tags die Luft, und nur jo viel 
Wärme erhielt fie im Winter, als ihm noth that. Wie fühlte fie fich 
belohnt da er mit Knospen bevedt war! Ste zeigte mir fie, ſchon wie 
fie kaum angefest hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich 
den Krug mit Wafler am Madlenenbrünnchen; die Knospen wuchſen 
und rötheten ſich, endlich brachen fie auf; am vierten Tag fland er in 
voller Blüthe; eine weiße Zelle jeve Blüthe, mit taufend Strahlen- 
pfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf feiner Spige eine Perle dar⸗ 
reiht. Er fland im offenen Fenfter, die Bienen begrüßten ihn. — 
Setzt erft weiß ich, daß diefer Baum ver Liebe geweiht iſt; damals wußt 
ich's nicht; und jegt verftehe ih ihn. — Sag: Tann die Liebe ſüßer 
gepflegt werben, als viefer Baum? — und kann eine zärtliche Pflege 
füßer belohnt werben, als durch eine fo volle Blüthe? — Ach, die liebe 
Nonne mit halb verblühten Rofen auf ven Wangen in Weiß verhält, 
und der ſchwarze Florſchleier, der ihren rafchen zierlihen Gang um- 
ſchwebte; wie aus dem weiten Ärmel des ſchwarzen mollenen Gewands 
die Ihöne Hand herborreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal 
ſteckte fle ein Heines ſchwarzes Böhnchen in die Erbe, fie ſchenkte mir's 
und fagte, ich ſolle es pflegen; ich werbe ein ſchönes Wunder daran 
erleben. Bald keimte e8 und zeigte Blätter wie der Klee; es zog fich 
an einem Stödchen in die Höh wie die Wide mit Heinen geringelten 











193 





Helen; dann bradit e8 ſparſame gelbe Blüthen hervor, aus denen 
wuchs jo groß wie eine Hafelnuß ein grünes Eichen, das ſich in Reifen 
bräunte. Die Nonne brach e8 ab und zog e8 am Stiel auseinander, 
in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln zwijchen denen der Same 
von Heinen Bohnen gereift war. Site flocht Daraus eine Krone, ſetzte 
fie ihrem elfenbeinernen Chriftus am Kruzifix zu Füßen, und fagte mir 
man nennt diefe Pflanze Corona Christi. 

Mir glauben an Gott und an Ehriftus, daß er Gott war, Der 
fih an's Kreuz ſchlagen ließ; wir fingen ihm Litaneien und ſchwenken 
ihm den Weihraud ; wir verfprechen heilig zu werden und beten, und 
empfinden’s nit. Wenn wir aber fehen, wie die Natur jpielt, und in 
diefem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn fie 
auf Blumenblätter Seufzer malt, ein D und Ach, wenn die Heinen 
Käfer das Kreuz auf ihren Flügelveden gemalt haben und dieſe Heine 
Pflanze eben, jo unſcheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte künftliche 
Dornenkrone trägt, wenn wir Raupen und Schmetterlinge mit dem 
Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeichnet fehen, dann ſchaudert uns, 
und wir fühlen, die Gottheit jelber nimmt ewigen Antheil an dieſen 
Geheimnifien; dann glaub ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, 
ja daß fie jelber der finnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und 
jevem Thier if. — Die Schönheit erkennen in allem Gefchaffenen, 
und fich ihrer freuen, das tft Weisheit und fromm; wir beive waren 
fromm, ih und die Nonne; e8 werden wohl zehn Jahr fein, daß ich 
im Klofter war. Voriges Jahr hab ich's im Vorliberreifen wieder be- 
ſucht. Meine Nonne war Priorin geworben, fie führte mich in ihren 
arten, — fie mußte an einer Krüde gehen, fie war lahm geworben, 
— ihr Myrthenbaum fand in voller Blüthe. Sie fragte mich, ob ich 
ihn noch kenne; er war ſehr gewachſen; umher ftanden Feigenbäume 
mit reifen Früchten und große Nellen, fie brach ab was blühte und 
was veif wer, und ſcheukte mir alles, nur der Myrthe ſchonte fie; Das 
wußte ih auch Ihon im Boraus. Den Strauß befeftigte ih im Reiſe⸗ 
wagen; ich war wieder einmal jo glücklich, ich betete wie ich tm Klofter 
gebetet hatte; ja felig fein macht beten! 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 13 


194 


Sieht Du, das war ein Umweg und etwas von meiner Weid- 
heit; fie kann fich freilich der Weltweisheit, die zwiſchen Dir und Deiner 
Amie Stael obwaltet, nicht begreiflih machen; — aber das kann ich 
Dir jagen: ich habe ſchon viele große Werke gejehen von zähem In⸗ 
halt in ſchweinsledernem Einband; ich Habe Gelehrte Brummen hören, 
und ich habe immer gedacht eine einzige Blume müfje all dies be- 
ihämen, und ein einziger Maikäfer müſſe durch einen Schneller, ven 
er einem Philofophen an die Nafe giebt, fein ganzes Syſtem um- 
purzeln. 

Pax tecum! wir wollen's einander verzeihen; ich, Daß Du einen 
Herzens⸗ und Geiftesbund mit ver Staẽl geſchloſſen haft, worüber ver 
Prophezeihung Deiner Mutter nad), ganz Deutſchland und Frankreich 
die Augen aufreißen wird, denn e8 wird doch nichts draus: — und 
Du, daß ich jo aberwitig bin, alles befler wifjen und mehr als alle 
Dir gelten zu wollen, denn das gefällt Dir. — 

Heute geh ich noch einmal auf den Rochusberg; ich will jehen 
was bie Bienen machen im Beichtſtuhl, ich nehme allerlei Pflanzen mit, 
die in Scherben eingefet find, und auch einen Rebſtock; Die grab ich 
dort oben ein; die Rebe fol am Kreuz binaufwachlen, in deſſen Schuß 
ih eine fo ſchöne Nacht verfchlafen habe, am Beichtſtuhl pflanz ich 
Kaiſerkronen und Se länger je lieber, Deimer Mutter zu Ehren; 
— vielleicht, wenn mir's um's Herz ift, beicht ih Dir da oben, da id) 
zum lettenmal dort fein werde, um doch den Ablaß des Primas in 
Wirkung zu feßen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgnes 
mehr in mir; Du ftehft in mich hinein, und außer dem ift nichts in 
mir zu finden. 

Den geftrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, 
denn er war ſchön. Wir gingen mit einem trreführenden Wegweifer 
durch eine Thalſchlucht einem Fluß entlang, den man die Wisper nennt, 
wahricheinlich wegen dem Rauſchen des Waflers, das über lauter platte 
Velsfteine fich windet und in den Lüden ſchäumt und fläftert. Auf bei⸗ 
den Seiten geben hohe Felſen ber, auf denen zerfallene Burgen ftehen 
mit alten Eichen umwachſen. Das Thal wird endlich fo enge dag man 





195. 





genötbigt ift, im Fluß zu gehen. Da kann man nicht befjer thun, als 
barfuß und etwas hoch geſchürzt von Stein zu Stein zu fpringen, bald 
hüben bald drüben am Ufer fich fort helfen. Es wird immer enger und 
enger body über und; die Felſen und Berge umklammern ſich endlich; 
die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die ſchwarzen 
Schlagſchatten ver übergebogenen Felsſtücke durchſchneiden ihre Strah⸗ 
len; aus der Wisper, die fein ganz unbedeutender Fluß iſt — fie 
rauſcht mit ziemlicher Gewalt — ftehen erhöhte Felsplatten wie harte, 
falte Helligen-Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig 
auszuruben; ich lag mit dem glühenden Geſicht auf dem feuchten Stein; 
das ftürzende Waſſer beregnete mich fein, die Sonnenftrahlen kamen 
sans rime et raison quer durd die Yelsichichten, um mich und mein 
Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen Strohhut, den 
ih ſchon Yängft mit Naturmerkwürdigkeiten angefüllt hatte, ließ ich 
ſchwimmen um die Wurzeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir 
weiter famen, drängten die Berge fich nefterweife an einander, Die nur 
dann und wann von fchroffen Felſen geſchieden wurden. Ich wär gar 
zu gern hinauf geflettert, um zu ſehen wo man war; es war zu ſchroff, 
die Zeit erlaubte e8 nicht, dem gefcheuten Wegweiſer waren alle Sor- 
gen auf dem Geſichte gemalt; er verfiherte jedoch, daß er feine im 
Herzen bege; e8 wurde kühl in unferer engen Schlucht, fo fühl war 
mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts. 

Das Ziel unferer Reife war ein Sauerbrunnen hinter Weißen- 
thurn, der in einer wäften Wildniß Itegt. Wir hatten alle Umwege der 
MWisper gemacht; der Huge Wegweifer dachte, wenn wir und von der 
nicht entfernten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, Da die Wisper 
an dem Brunnen vorüber führt, und fo hatte er ung auf einen Weg 
geführt der wohl jelten von Menſchen betreten wird. Da wir dort 
ankamen, erleichterte er feine Bruft durch ein Heer von Seufgern. Ich 
glaub, ver fürchtete fich nicht allein wor dem Teufel, fondern vor Gott 
und allen Heiligen, daß fie ihn würden zur Rechenfchaft ziehen, weil 
er uns in's Verderben geftürzt babe, — kaum waren wir angelonmen, 
fo fchlug die Kukuksuhr in der einſamen Hütte bei dem Brumen, und 

13* 


196 





mahnte an den Rückweg. Es war act Uhr! zu eſſen war nicht, auch 
kein Brod, nur Salat mit Salz ohne Eſſig und ÖL Eine Frau mit 
zwei Kindern wohnte da; ich frug von was fie lebe; fie deutete mir in 
die Werne auf ven Badofen, der zwifchen vier majeftätiiche Eichen auf 
einem freien Plag in voller Gluth fand. Ihr Eleines Söhnchen 
chleppte eben ein Reiſerbündel hinter fich heran; fein Hemdchen hatte 
noch Ärmel die Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund mit dem 
es befeftigt war, vorne war es weggerifien; feine Schweſter⸗pſyche 
wiegte fi quer über einen Blod auf einem langen Badjchieber; auf 
dem als Gegengewicht die zur backende Brobte lagen; ihr Gewand 
beitand aud aus einem Hemd und aus einer Schürze, die fie um den 
Kopf befeftigt hatte, um die Haare vor dem Verbrennen zu bewahren, 
wenn fie in den Ofen gudte und die Keifer anlegte. Wir gaben der 
Frau ein Geldſtück; fie frug wie viel es wär; da fahen wir, daß es 
nicht in unſerer Macht war fle zu befchenten, denn fie war zufrieden, 
und wußte nicht daß man mehr brauchen könne, als man bebürfe, 

Ich marſchirte alfo wieder links um ohne auszuruhen und kam 
Nachts um ein Uhr zu Haufe an; in allem war ich zwölf Stunden 
unterwegs gewejen und durchaus nicht ermüdet. Ich flieg in ein Bad 
das mir bereitet war, und ſetzte eine Flaſche Aheinwein an, und lieh 
es jo lange heruntergluden bis ich ven Boden ſah. Die Zofe ſchrie, 
und dachte es könne mir ſchaden im heißen Bad, allein ich ließ mir 
nicht wehren; fie mußte mich in's Bett tragen; ich ſchlief fanft, bis ich 
am Morgen dur ein wohlbelanntes Krähen und Nahahmen eines 
ganzen Hühnerhof8 vor meiner Thür, gewect wurde. 

Du fchreibft: meine Briefe verfegen Dich in eine befannte Ge- 
gend, in der Du Dich heimathlich fühlſt; verfegen fie Dich denn auch 
zu mir? — fiehft Du mich in Gedanken, wie ich mit langem Haken⸗ 
ftod auf die Berge Hettere, und fiehft Du in mein Herz, wo Du Did) 
von Angeficht zu Angefiht erbliden kannſt? Diefe Gegend möcht ich 
Dir doch am aller anſchaulichſten machen! 

Noch acht Wochen werd ich wohl in allerlei Gegenven herum 
ftreifen, im Oltober mit Savigny erft auf ein paar Monate nad 








197 





Münden, und dann nad Landshut gehen, wenn e8 der Himmel nicht 
anders fügt. — 

Ih bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der ever erbarmen 
folteft, um zu „trafen oder zu lohnen“, fo adreffire gleich nach 
Schlangenbad über Wiesbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. 
Schickſt Du den Brief an die Deutter, jo wartet fie auf eine Gelegen- 
beit; und ich will lieber einen Brief ohne Datum, als daß ih am 
Datum erlennen muß, daß er mir vierzehn Tage vorenthalten ift. 

Der Mutter ſchreib ich alles, was unglaublich if; obſchon fie 
weiß, was fie davon zu halten hat, fo hat es doch ihren Beifall, umd 
fordert mich anf, ihr immer noch mehr dergleichen mitzutheilen; fie 
nennt dies „meiner Phantafie Luft machen“. Bettine. 


Un Bettine. 
Carlsbad, am 21. Augufl. 

Es iſt noch die Trage, liebfte Bettine, ob man Dich mehr wunder- 
lich oder wunderbar nennen kann; befinnen darf man ſich auch nicht, man 
denkt endlich nur darauf, wie man fi) gegen die reißende Fluth Deiner 
Gedanken fiher zu ftellen habe; laß Dir daher genügen, wenn ich nicht 
ausführlich Deine Klagen, Deine Forderungen, Fragen und Beſchul⸗ 
digungen bejchwichtige, befriedige, beantworte und ablehne; im ganzen 
aber Dir herzlich danke, daß Du mich wieder jo reichlich befchentt Haft. 

Mit dem Primas haft Du Deine Sache Hug und artig gemacht. 
Ich babe ſchon ein eigenhändiges Schreiben von ihm, worin er mir 
alles zufichert, was Du fo anmuthig von ihm erbettelt haft, und 
mir andeutet, daß ich Dir alles allein zu verdanken babe und mir noch 
viel Artiges von Dir jchreibt, wa Du in Deinem ausführlichen Be- 
richt vergeflen zu haben ſcheinſt. 

Wenn wir alfo Krieg mit einander führen wollten, fo Hätten wir 
wohl gleihe Truppen, Du die berühmte Frau, und id} den liebens⸗ 
wärbigen Fürften voll Güte gegen mid und Dich. — Beiden wollen 


198 


wir die Ehre und den Dank nicht verfagen, die fie jo reichlih um uns 
verdienen, aber beiden mollen wir auch den Zutritt verweigern, wo fie 
nicht hingehören, jondern nur ftörend fein würden, nehmlich zwiſchen 
das erfreulichfte Vertrauen Deiner Liebe und meiner warmen Auf 
nahme derfelben. — Wenn ich auch Deine Antagoniftin in der Welt- 
weisheit, in einer nur zufälligen Correſpondence Amie nenne, fo greife 
ich damit keineswegs in die Rechte ein, die Du mit erobernder Eigen- 
macht [don an Dich gerifien haft. Ich befenne Dir indeſſen, daß es mir 
geht wie dem Primas: Du bift mir ein liebes, freundliches Kind, das 
ih nicht verlieren möchte, und durch welches ein großer Theil des ex- 
fprießlichften Segens mir zufließt. Du bift mir ein freundliches Ticht, 
das den Abend meines Lebens behaglich erleuchtet, und Da gebe ich 
Dir, um doch zu Stande zu kommen mit allen Klagen, zum legten 
Schluß beifommenves Räthjel; an dem magft Du Dich zufrieden rathen. 


Goethe. 


Charade. 


Zwei Worte find es, kurz, bequem zu ſagen, 
Die wir ſo oft mit holder Freude nennen, 
Doch keineswegs die Weſen deutlich kennen, 
Wovon ſie eigentlich den Stempel tragen. 
Es thut gar wohl, an ſchön beſchloßnen Tagen 
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen, 
Und kann man ſie vereint zuſammen nennen 
So drückt man aus ein ſeliges Behagen. 
Nun aber ſuch' ich ihnen zu gefallen 

Und bitte mit ſich ſelbſt mich zu beglücken; 
Ich hoffe ſtill; doch hoff ich's zu erlangen: 
Als Namen der Geliebten ſie zu lallen, 

In Einem Bild ſie beide zu erblicken, 

In Einem Weſen beide zu umfangen. 


Es findet ſich noch Platz und auch noch Zeit, der guten Mutter Ver⸗ 
theidigung hier zu übernehmen; ihr ſollteſt Du nicht verargen, daß ſie 








199 





mein Intereffe an dem Kinde, was noch mit der Puppe fpielt, heraus⸗ 
hebt, da Du es wirklich noch fo artig kannſt, daß Du felbft die Mut- 
ter noch dazu verführft, die ein wahres Ergögen dran bat, mir die 
Hoczeitfeier Deiner Puppe mit dem Heinen Frankfurter Rathsherrn 
Thriftlich anzuzeigen, der mir in feiner Alongeperüde, Schnabel: 
ſchuhen und Halsfhmud von feinen Perlen im Heinen Plüſchſeſſel, 
noch gar wohl erinnerlich ift. Er war die Augenweide unferer Kinder 
jahre, und wir durften ihn nur mit geheiligten Händen anfaflen. 
Bewahre doch alles forgfältig, was Dir die Mutter bei Diefen Gelegen- 
heiten aus meiner und der Schwefter Kindheit mittheilt; es kann mir 
mit der Zeit wichtig werben. 

Dein Kapitel über die Blumen würbe wohl ſchwerlich Eingang 
finden bei ven Weltweifen, wie bei mir; denn obſchon Dein muſikali⸗ 
ſches Evangelium etwas hierdurch gefchmälert iſt (mas ich doch ja nicht 
zu verfäumen bitte im nächften, recht bald zu erwartenden Brief), fo 
ift e8 mir Dadurch erjegt, daß meine frühften Kinderjahre ſich mix auf 
eine liebliche Weife darin abfpiegeln, denn auch mir erſchienen die Ges 
beimnifje der Flora als ein unmöglicher Zauber. 

Die Geſchichte des Myrthenbaums und der Nonne erregt war⸗ 
men Antheil; möge er vor Froft und Schaden bewahrt bleiben! Aus 
voller Überzeugung flimme ich mit Dir ein, daß die Liebe nicht füßer 
gepflegt Tann werben, als dieſer Baum, und feine zärtlihe Pflege 
reichlicher belohnt, als durch eine ſolche Blüthe. 

Auch Deine Pilgrimſchaft im rauſchenden Fluß mit der aller⸗ 
liebſten Vignette der beiden Kinder giebt ein ergötzliches Bild, und 
Deinen Rheinabentheuern einen anmuthig abrundenden Schluß. 

Bleib mir nun auch hübſch bei der Stange und gehe nicht zu ſehr 
in's Blaue; ich fürchte ſo, daß die Zerſtreuungen eines beſuchten Bade⸗ 
orts Deine idealen Eingebungen auf dem einſamen Rochus verdrängen 
werben; ich muß mich Darauf gefaßt machen, wie auch anf noch manches 
andere, was Dir im Köpfchen und Herzen ſpuken mag. 

Ein bischen mehr Ordnung in Deinen Anfihten könnte uns 
beiden von Nugen fein; fo haft Du Deine Gedanken, wie köſtliche 


200 





Perlen, nicht alle gleich geſchliffen, auf Iofem Faden gereiht, der leicht 
zerreißt, wo fie denn in alle Eden rollen können und mande fi ver- 
tiert. — 

Doch fage ih Dir Dank, und dem lieben Rhein ein herzliches 
Lebewohl, von dem Du mir jo manches Schöne haft zukommen lofien. 
Bleibe Dir's feft und fiher, Daß ich gern ergreife, was Du mir reiht, 
und daß fo Das Band zwiſchen ung fich nicht leicht Löfen wird. 

Goethe. 


Rochusberg. 

Ich hatte mir's vorgenommen noch einmal hier herauf zu gehen, wo 
ich in Gedanken ſo glückliche Stunden mit Dir verlebt habe, und vom 
Rhein Abſchied zu nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und 
der größer, feuriger, kühner, luſtiger und überirdiſcher als alle iſt; — ich 
komme um fünf Uhr Nachmittags hier oben an; finde alles im fried⸗ 
lichen Somnenlicht, die Bienen angefievelt, von der Nordſeite geſchützt 
durch die Mauer; Beichtſtuhl und Altar ftehen gegen Morgen. Meine 
Pflanzen hab ich alle eingefett mit Hülfe des Schiffsjungen, der fie 
mir herauf bringen half; die Rebe im Topf, weldhe ſchon an 6 Fuß 
hoch ift und voll Trauben hängt, Hab ih am Altar zwiſchen eine ge» 
brochne Steinplatte gejegt; ven Topf hab ich zerihlagen und die 
Scherben leife abgenommen, damtt die Erde hübſch an ven Wurzeln 
bleibt; es ift eine Muskatellerart, die fehr feine Blätter bat, dann 
hab ich ihn am Kreuz auf dem Altar feftgebunden; die Trauben hän- 
gen gerade über den Chriſtusleib; — wenn er ſchön einwächſt und 
gedeiht, da werden fidh Die Menſchen wundern, die hier oben herkom⸗ 
men; des Schäfers Bienen im Beichtftuhl mit dem Geisblatt, das ihn 
umzieht, und das Kreuz mit Trauben. Ad fo viele Menfchen haben 
große Paläfte und prächtige Gärten; — ic möchte nur diefe einfame 
Rochuskapelle Haben, und daß alles jo ſchön fortwächfe, wie ich's ein- 
gepflanzt babe; — vom Berg hab ich mit ven Scherben die Erde los ger 
graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab ich unten am Rhein 





201 





den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es ift wohl zum leßtenmal daß 
er Rheinwaſſer trinkt. — Jetzt, nach beenvigtem Wert, fig ich bier im 
Beichtſtuhl und Schreib an Dich; die Bienen kommen alle hintereinan- 
ver heim; fie find ſchon ganz eingewohnt, — könnt ich einziehen in 
Dein Herz mit jevem Gedanken, fo gefühlig fo ſüß ſummend wie viefe 
Bienen, beladen mit Honig und Blumenſtaub, den ich von allen Fel⸗ 
dern zuſammen trage, und alles heim bringe zu Div — nicht wahr? — 


Am 13. Auguſt. 

„Alles hat feine Zeit!" ſprech ich mit dem Weifen, ich habe die 
Keben ihre Blätter entfalten fehen; ihre Blüthe hat mich betäubt und 
trunten gemacht; nun fie Laub haben und Früchte, muß ich Dich ver- 
lafjen, du ftiller, ftiller Rhein! Noch geftern Abend war alles fo herr. 
lid; aus der dunklen Mitternacht trat mir eine große Welt entgegen. 
As ih von meinem Bett auffland in die fühle Nachtluft am Fenſter, 
da war der Mond ſchon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte Die 
Welten alle unter fich getrieben; er warf einen fruchtbaren Schein 
über die Weinberge, — ic nahm das volle Laub des Weinſtocks der 
an meinem Fenfter hinanfwächft in Arm, und nahm Abfchten von ihm; 
feinem Lebendigen hätte ich den Augenblid dieſer Tiebe gegönnt, wär 
ich bei Dir gewejen, — ich hätte gefehmeichelt, gebeten und geküßt. 


Schlangenbad, 17. Auguft. 

Nur das jet mir gegönnt! — und ad, es wird mir nicht leicht 
es andzufprechen, was ich will, wenn mich manchmal der Athen drückt, 
daß ich laut ſchreien möchte, 

Es überfliegt mich zumeilen in diefen engbegränzten Gegenven, 
wo die Berge übereinander Klettern und den Nebel tragen, und in den 
tiefen lühlen Thälern die Einſamkeit gefangen halten, ein Iauchzen, 
das wie ein Blitz durch mi fährt. — Nun ja! — das ſei mir ger 
gönnt: daß ich dann mid) an einen Freund ſchließe, — er jet noch fo 
fern, — daß Er mir freundlich die Hand aufs klopfende Herz lege 


202 





und fich feiner Jugend erinnere. — O wohl mir, daß ih Dich gejehen 
hab! jet weiß ich doch, wenn ich ſuche und fein Play mir genügt zum 
Ausruben, wo ich zu Haus bin und wen ich angehöre. 

Etwas weißt Du noch nicht, was mir eine Tiebe Erinnerung ift, 
obſchon fie jeltiam ſcheint. — As ih Di noch nie gefehen Hatte, 
und mid die Sehnſucht zu Deiner Mutter trieb, um alles von Dir 
zu erforfhen, — Gott, wie oft hab ich auf meinem Schemel hinter 
ihr auf die Bruft gejhlagen um meine Ungeduld zu dämpfen. — 
Nun: — wenn ih da nad Haufe kam, fo fank ich oft mitten im 
Spielen von Scherz und Wis zujammen; ſah mein Bild vor dem 
Deinen Stehen, ſah Dih mir nah kommen, und wie Du freundlich 
warft auf verſchiedene Weile, und gütig, bi8 mir die Augen vor freu- 
digem Schmerz Üübergingen. 

So hab ih Dich durchgefühlt, daß mi das ftille Bewußtſein 

einer innerlihen Glüdfeligfeit vielleicht manche ftürmifche Zeit meines 
Gemüths über den Wellen erhalten bat. — Damals weckte mic oft 
dieſes Bewußtjein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar 
Stunden mit ſelbſterſchaffnen Träumen, und hatte am End, was man 
nennt, eine unruhige Nacht zugebracht; ich war blaß geworden und 
mager; ungeduldig, ja jelbft hart, wenn eins von den Gefchwiftern 
zur Unzeit mich zu einer Zerſtreuung yeizen wollte, dachte oft, Daß 
wenn ich Dich jemals felbft fehen follte, was mir unmöglich ſchien, fo 
würde ich vielleicht viele Nächte ganz fchlaflos fein. — Da mir num 
endlich vie Gewißheit warb, fühlte ich eine Unruhe, die mir beinah 
unerträglih war. — In Berlin, wo ich zum erftenmal eine Oper von 
Sud hörte (Muſik feffelt mich ſonſt fo, daß ih mich von allem 108 
machen kann), wenn da die Paufen ſchlugen, — lade nur nidt — 
fhlng mein Herz heftig mit; ich fühlte Dich im Triumph einziehen; 
e8 war mir feftlich wie dem Volk, das dem geliebten Fürſten entgegen 
zieht, und ich dachte: im wenig Tagen wird alles, was Did fo von 
außen ergreift in Dir felber erwachen! — Aber da ich nun endlich, 
endlich bei Dir war: — Traum! jet noch — wunderbarer Traum! 
— da kam mein Kopf auf Deiner Schulter zu ruhen, da fchlief ich 





203 


ein paar Minuten nad vier bis fünf ſchlafloſen Nächten zum erften 
Mal. 

Siehft Du, fiehft Du! — da fol ich mich hüten vor Lieb, und 
bat mir nie fonft Ruhe geglüdt; aber in Deinen Armen da fam der 
lang verſcheuchte Schlaf, und ich hatte fein ander Begehren; alles 
andre, woran ih mich angellammert hatte und was ich glaubte zu 
lieben das war's nicht; — aber Toll feiner fi hüten over fih um fein 
Schidjal fümmern, wenn er das rechte liebt; fein Geift ift erfülle, — 
was nüßt das andere! — | 


Den 18. 

Wenn ih num auch zu Dir fommen wollte, würde ich den rechten 
Meg finden? Da fo viele neben einander berlaufen, fo denk ich immer, 
wenn ich am einem Wegweiſer vorübergebe, und bleibe oft ftehen und 
bin traurig daß er nicht zu Dir führt, und dann eil ich nad Haufe 
und meine, ich hätte Dir viel zu ſchreiben! — Ad, ihr tiefen, tiefen 
Gedanken, die ihr mit ihm ſprechen wollt, — kommt aus meiner Bruft 
hervor! aber ih fühl's in allen Adern, ih will Dich nur Ioden, ich 
wil, ih muß Dich nur fehen. 

Wenn man bei ver Nacht im Freien geht, und hat die Abendſeite 
vor fih: am äußerſten Ende des dunkeln Himmels fieht man nod) 
das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langſam abwärts 
ziehen — fo geht mir's bei der Erinnerung an Did. Wenn die Zeit 
noch jo dunkel und traurig ift weiß ih doch wo mein Tag unter 
gegangen it. 


Den 20. 
| Ich habe felten eine Zeit in meinem Leben jo erfüllt gehabt, daß 
ih jagen könnte fie fer mir unvermerkt verftrichen; ich fühl nicht wie 
andere Menfchen, vie fich amüſiren wenn ihnen die Zeit ſchnell ver- 
geht; im Öegentheil, es ift mir ver Tag verhaßt, der mir vergangen 
ift ich weiß nicht wie. Bon jenem Augenblid bleibe mir eine Erinnerung 


— 


204 


tief oder Iuftig, freudig oder ſchmerzlich, — ich wehre mich gegen fonft 
nichts als nur gegen nichts. 
Gegen dies Nichts, das einem beinah überall erſtickt! 


Den 22. 

Vorgeſtern war ein herrlicher Abend und Nacht; ganz mit dem 
glänzenden friſchen Schmelz der lebhafteſten Farben und Begeben 
heiten, wie ſie nur in Romanen gemalt ſind, ſo ungeſtört; der Himmel 
war beſäet mit unzähligen Sternen, die wie blitzende Diamanten durch 
das dichte Raub der blühenden Linden funfelten; die Terrafien, welche 
an dem Berg hinauf gebaut find, an deflen Fuß die großen Babe- 
bäufer Liegen (die einzigen im engen Thal), haben etwas ſehr Teftliches 
und ruhiges durch die Regelmäßigkeit ihrer Heden, die auf jeder Ter- 
rafle ein Bosquet von Linden und Nußbäumen umgeben; die vielen 
Duellen und Brunnen die man unter fi raufchen hört, maden es 
nun gar reizend. Alle Zenfter waren erleuchtet, die Häufer fahen 
wunderbar belebt unter dem dunklen einfamen Wald des überfteigen- 
den Gebirged hervor. — Die junge Fürftin von Baden faß mit der 
Geſellſchaft auf der unterften Terraſſe und trank den Thee; bald 
hörten wir Waldhörner aus der Ferne; wir glaubten's kaum, fo leiſe, 
— glei antwortete es im der Nähe, dann fehmetterte e8 über ung 
im Gipfel; fie ſchienen ſich gegenfeitig zu locken, rüdten zufammen 
und in milder Entfernung entfalteten fie die Schwingen als wollten 
fie himmelwärts fteigen, und immer ſenkten fie ſich wieder auf die liebe 
Erde herab; — das Geplauder der Franzofen verflummte, ein paar- 
mal hörte ich neben mir ausrufen: delicieux! — Ich wendete mich 
nad diefer Stimme: ein fhöner Mann, edle Öeftalt und Geficht, 
geiftreiher Ausorud, nicht mehr jung, bebänvert und befternt; — er 
kam mit mir in's Geſpräch und feßte ſich neben mich auf die Bant. 
Ih bin num ſchon gewohnt für ein Kind angefehen zu werben, und 
war alfo nicht verwundert, Daß mich der Franzoſe cher enfant nannte, 
er nahm meine Hand und fragte, von wen ich den Ring habe? — 
Ich fagte: von Goethe; comment de Goethe? — Je le connais; 





205 





und nun erzählte er mir daß er nach ver Schlacht bei Jena mehrere 
Tage bei Dir zugebracht habe, und Du habeft ihm einen Kuopf von 
feiner Uniform abgejchnitten, um ihn als Andenken in Deiner Münz- 
fammlung zu bewahren; ich fagte: und mir habeft Du den Ring 
zum Unvenfen gegeben, und mic, gebeten Dich nicht zu vergeflen. — 
Et cela vous a remu6 le’coeur? — Aussi tendrement et aussi 
passionnement que les sons, qui se font entendre l& haut! Da 
fragte er: Et vous n’avez, r6ellement que treize ans? — Du wirft 
wohl wiflen, wer er tft, ich habe um feinen Namen nicht gefragt. 

Gie biiefen jo herrlich in den Wald hinein, und mir zugleich alle 
weltliche Gedanken aus dem Kopf; ich ſchlich mich leiſe hinauf, fo nah 
als möglich und ließ mir's die Bruft durchdröhnen; recht mit Gewalt. 
— Der Anfat der Töne war fo weich, fie wurden allmählig jo mächtig, 
daß es unwiberftehlihe Wolluft war fich ihnen hinzugeben. Da hatte 
ich allerlei wunderliche Gedanken, die ſchwerlich bei dem Verſtand bie 
Mauth paffirt hätten; e8 war als läg pas Geheimniß der Schöpfung 
mir auf der Zunge. Der Ton, den ich lebendig in mir fühlte, gab 
mir die Empfindung, wie durch die Macht feiner Stimme Gott alles 
hervorgerufen, und wie Muſik diefen ewigen Willen der Liebe und der 
Weisheit in jeder Bruft wieverholt. — Und ich war beherricht von 
Gefühlen, die von der Muſik getragen, durchdrungen, vermittelt, ver- 
ändert, vermijcht und gehoben wurben; ich war endlich jo in mich vers 
funfen daß jelbft die ſpäte Nacht mich nicht vom Plat brachte. Das 
Hofgeſchwirr und die vielen Lichter von deren Wiederſchein die Bäume 
in grünen Flammen brannten, fah ich von oben herab verſchwinden; 
endlich war alles weg; Fein Licht brannte mehr in den Häuſern; id) 
war allein in der kühlen himmliſchen Ruhe der Naht; ich dachte an 
Dich! Ach Hätten wir doch beifammen unter jenen Bäumen gefeflen, 
und bei dem Rauſchen und Plätihernder Waſſer mit einander geſchwätzt! 


Am 24. Auguft. 
Immer noch hab ich Dir was zu erzählen; ven legten Abend am 
Rhein ging ich noch ſpät in's nächſte Dorf mit Begleitung; als ich am 


— 62— 


i 


206 


Rhein Hinjchlenverte, ſah ich von Ferne etwas Flammendes heran 
Ihwimmen; es war ein großes Schiff mit Fackeln die zuweilen das 
Ufer grell erleuchteten; oft verſchwanden die Flammen; Minuten lang 
wer alles dunkel; e8 gab dem Fluß eine magifche Wirkung, die ſich 
mir tief einprägte als Abſchluß von allem, was ich dort erlebt habe. 

Es war Mitternacht, — der Mond ftteg trüb auf; das Schiff, 
defien Schatten in dem erleuchteten Rhein wie ein Ungeheuer mit- 
fegelte, warf ein grelles Feuer auf die waldige Ingelheimer Aue an 
der fie hinftenerien, hinter welcher fich der Mond fo mild beſcheiden 
bervortrug, und allmählig fi in Die dünne Nebelwolke wie in einem 
Schleier entwidelte. — Wenn man ver Natur ruhig und mit Bedacht 
zufteht, greift fie immer in's Herz. Was hätte Gott meine Sinne 
inniger zuwenden können? — was mid, leichter von dem Unbebeuten- 
den, was mich drückt, Löfen können? — Ich ſchäme mich nicht Dir zu 
befennen, daß Dein Bild dabei heftig in meiner Seele aufflammte. 
Wahr iſt's: Du ftrahlft in mich wie die Sonne in den Kriſtall ver 
Traube, und wie dieſe kochſt Du mich immer feuriger, aber auch Elarer aus. 

Ich hörte num die Leute auf dem Schiff ſchon deutlich prechen 
und zur Arbeit anrufen; fie anferten an der Infel, Löfchten vie Fackeln; 
— nun wurde alles ftill bis auf den Hund der bellte, und die Flaggen 
die fih im der friſchen Nachtluft drehten. — Nun ging auch ich nach 
Haus zum Schlafen, und wenn Du's erlaubft, jo legte ich mich zu 
Deinen Füßen nieder, und es belohnte mid der Traum mit Liebko⸗ 
fungen von Dir, wenn's nicht Falſchheit war. 

Wer wollte nit an Erſcheinung glauben! Beglüdt mich doch 
die Erinnerung diefer Träume noch heute! Ya fag: was geht ver 
Wirklichkeit ab? — O ich bin ftolz dag ich von Dir träume; ein guter 
Geift dient meiner Seele; er führt Dich ein, weil meine Seele Dich, 
ruft; ich Toll deine Züge trinfen, weil mich nach ihnen dürſtet; ja, es 
giebt Bitten und Yorberungen ; die werben erhört. 

Nun wehr Dich immer gegen meine Liebe; was kann Dir's hel- 
ten? — Wenn ih nur Geift genug habe! — Dem Geift ſtehen vie 
Geiſter bei. Bettine. 











207 


Am 30. Auguft. 
Ich öffne das Siegel wieder um Dir zu fagen, daß ich Deinen 
Brief vom 10. feit geftern Abend in Händen habe, und habe ihn fleißig 
ftudtrt. — O Goethe, Du fagft zwar Du willſt feinen Krieg führen, 
und verlangt Friede, und fchlägft do mit dem Primas wie mit einer 
Herkuleskeule drein. Mus mir dod den Primas nicht auf! — wenn 
ich's ihm fagte, er ſpränge Deden hoch und verltebte fi in mid — 
aber Dur bift nicht eiferfüchtig, Du bift nur gütig und voll Nachſicht. 
Deine Charade hab ich ſchlaftrunken an's Herz gelegt, aber ge- 
rathen hab ich fie nicht; — wo hätt ich Beſinnung hernehmen follen? 
— Mag e8 jein was e8 will, e8 macht mich jelig; ein Kreis liebender 
Worte, — fo unterjheidet man auch nicht Liebkoſungen, man genießt 
fie und weiß daß fie die Blüthen der Liebe find. — Ach ich möchte 
wifien was’ es tft: 
Ich Hoffe fill; — Doch Hoff ich's zu erlangen, 
Als Namen der Geliebten fie zu allen. 
Was Hoffft Du? — fag mir’s, und wie foll die Geliebte Dir heißen? 
welche Bebeutung bat der Name daß Du mit Entzüden ihn nur zu 
(allen vermagft? — 


In Einem Bild fie beide zu erbliden, 
In einem Weſen beide zu umfangen. 


Wer find die beide? wer ift mein Nebenbuhler? in welchem Bild ſoll 
ih mich ſpiegeln? — und mit wem fol ich in Deinen Armen ver- 
ſchmelzen? — ad wie viele Räthjel in einem verborgen, und wie 
brennt mir der Kopf; — Nein, ich kann e8 nicht rathen; es will nicht 
gelingen mich von Deinem Herzen loszureißen und zu ſpekulieren. 

Es thut gar wohl, an ſchön befchlofinen Tagen 

Eins an dem andern ledlich zu verbrennen. 

Und kann man fie vereint zufammen nennen, 

Sp drüdt man aus, ein feliges Behagen. 
Das thut Div wohl, daß ih an Dir verglühe, an ſchön beichlofinen 
Tagen, wo ich den Abend im Deiner Nähe zubringe und mir auch. 


208 


Und kann man uns vereint zufammen nennen 

Sp drückt man aus mein feligftes Behagen. 
Du fiehft Freund, wie Du mich hinüberrathen läßt in die Emigfeit; 
aber das irdiſche Wort, was der Schlüffel zu allem ift, das kann ich 
nicht finden. 

Aber Deinen Zwed haft Du erlangt, daß ich mich zufrieven rathen 
folle, ih errathe daraus meine Rechte, meine Anerfenntniß, meinen 
Lohn und die Bekräftigung unfers Bundes, und werde jeden Tag beine 
Liebe neu errathen, verbrenne mich immer, wenn ‘Du mich zugleich um⸗ 
fangen und fpiegeln willſt in Deinem Geift, und vereint mit mir gern 
genennt fein willit. 

— — Wenn Dir die Mutter fohreibt, fo macht fie ven Bericht allemal 
zu ihrem Vortheil, die Geſchichte war fo: Ein buntes Röckchen, mit 
Streifen von Blumen durdwirkt, und ein Flormützchen mit filbernen 

Blumchen geſchmückt, holte fie aus dem großen Tafelſchrank, und zeigte 
fie mir als Deinen erften Anzug, in dem Du in die Kirche und zu den 
Pathen getragen wurveft. Bei dieſer Gelegenheit hörte ich die genaue 
Geſchichte Deiner’ Geburt, die ich gleich aufſchrieb. Da fand ſich denn 
auch der Kleine Frankfurter Rathsherr mit der Alongeperüde! — fie 
war fehr erfreut über dieſen Fund und erzählte mir, daß man fie ihnen 
geſchenkt habe, wie ihr Bater Syndilus geworden war. Die Schnallen 
an den Schuhen find von Gold, wie auch der Degen und bie Perlen- 
Quaſten am Halsihmud find echt; ich hätte ven Heinen Kerl gar zu 
gern gehabt. Sie meinte er müfje Deinen Nahlommen aufbewahrt 
bleiben, und fo kam's, dag wir ein wenig Komödie mit ihm ſpielten. 
Sie erzählte mir dabei viel aus ihrer eignen Jugend, aber nichts von 
Dir; aber eine Geſchichte, die mir ewig wichtig bleiben wird, und gewiß 
das ſchönſte, was fte zu erzählen vermag. 

Du erfreuft Dich an der Gefchichte des Myrthenbaums meiner 
Fritzlarer Nonne, er ift wohl die Gefchichte eines jeden feurig Liebenden 
Herzens. Glück ift nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab 
mid) ſchon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer bringt, und nicht 
ver Liebe felbft, wodurch allein fie blühen Könnte, wie 











209 





jener Myrtbenbaum. Es ift befier daß man Verzicht auf alles 
thue, aber vie Myrthe, die einmal eingepflanzt ift, vie foll man nicht ent- 
wurzeln — manfoll fie pflegen bis an's Ende, 

Alles was Du verlangft Hoff ih Dir noch zu jagen, Du haft 
recht vermuthet daß mir die Zerftreuung bier viel rauben würde, aber 
Dein Wille hat Macht über mich, und ich hoffe er fol Feuer aus dem 
Geift ſchlagen. Die Herzogin von Baden tft fort, aber unfre Familie 
fammt anhängenven Freunden ift fo groß, daß wir ganz Schlangenbad 
übervölkern. Adieu, ich ſchäme mich meines dicken Brief's in dem viel 
Unfinn fteden mag. Wenn Du nicht frei Porto hätteft, ich ſchickte ihn 
‚nicht ab. 

Bon der Mutter hab ich die beiten Nachrichten. 


Bettine. 


Ende des erfien Bandes. 


Goet he's Briefwechfel mit einem Kinde. 14 ° 


Goethes Briefwechfel 


mit 


einem Rinde. 


ç—2* 


— - 


Zweiter Theil. 


An Goethe. 


B. ich Dir zum legtenmal ſchrieb ward Sommer, ih war am 
Rhein und reifte fpäter mit einer heiteren Gefellihaft von Freunden 
md Berwandten zu Wafler bis Köln, als ich zurüdgelommen war 
verbrachte ich noch die legten Tage mit Deiner Mutter, wo fie freund- 
licher, Teinfeliger war als je. Am Tag vor ihrem Tod war ich bet ihr, 
füßte ihre Hand und empfing ihr Xebewohl in Deinem Namen, Denn 
ih hab Dich in keinem Augenblid vergeſſen; ich wußte wohl, fie Hätte 
mir gern Deine befte Liebe zum Erbtheil hinterlaffen. 

Sie ift nıım tobt, vor welcher ih die Schäte meines Lebens aus- 
breitete; fie wußte wie und warum ich Dich liebe, fie wunderte ſich 
nicht darüber, Wenn andre Menſchen Hug über mid fein wollten, fo 
ließ fie mich gewähren und gab dem Wefen feinen Namen. Nod 
enger hätte ih damals Deme Kniee umfchließen mögen, noch fefter, 
tiefer Dich in's Auge faſſen und alle andre Welt vergefien mögen, 
und doch hielt dies mich ab vom Schreiben. Später warft Du fo um⸗ 
ringt daß ich wohl ſchwerlich hätte durchdringen Können. 

Jetzt ift ein Jahr vorbei daß ih Dich gejehen habe, Du follit 
ihöner geworben fein, Karlsbad ſoll Dich erfrifcht Haben. Mir geht's 
recht hinderlich, ich muß die Zeit fo kalt hinftreichen laſſen ohne einen 
Funken zu erhaſchen an dem ich mir eine Flamme anblafen Tönnte. 
Doch fol es nicht lange mehr währen bis ich Dich wieder feh; dann 
will ih nur emmal Did immer und ewig in meinen Armen feithelten. 

Diefe ganze Zeit hab ich mit Jacobi beinah alle Abende zuge⸗ 
bracht, ich ſchätze es immer als ein Glück daß ich ihn fehen und ſprechen 


214 


fonnte, aber dazu bin ich nicht gefommen, — aufrichtig gegen ihn zu 
fein, und die %tebe, die man feinem Wohlwollen ſchuldig tft ihm zu be- 
zeigen. Seine beiden Schweftern verpallifadiren ihn, es ift empfindlich, 
durch leere Einmyendungen von ihm abgehalten zu werben. Er ift 
duldend bis zur Schwäche und hat gar feinen Willen gegen ein paar 
Weſen die Eigenfinn und Herrihjucht haben, wie Die Semiramis. Die 
Herrſchaft der Frauen verfolgt ihn bis zur Präfivdentenftelle an ver 
Akademie, fie weden ihn, fie befleiven ihn, Indpfen ihm die Unterwefte 
zu, fie reihen ihm Medizin, will er ausgehn fo iſt's zu rauh, will er 
zu Haufe bleiben jo muß er fih Bewegung machen. Geht er auf die 
Akademie jo wird der Nymbus gejchneugt damit er recht hell leuchte: 
Da ziehen fie ihm ein Hemd von Batift an mit friſchem Jabot und 
Manſchetten und einen Pelzrod mit prächtigem Zobel gefüttert, der 
Wärmkorb wird vorangetragen, kommt er aus der Sitzung zurüd, ſo 
muß er ein bischen fchlafen nicht ob er will, jo gehts bis zum Abend 
in fortwährendem Widerſpruch, wo fie ihm die Nachtmüte über Die 
Ohren ziehen und ihn zu Bette führen. 

Der Seift, auch unwillfürlich bahnt ſich eine Freiftätte in der ihn 
nichts hindert zu walten nach feinem Recht, was diefem nicht Eintrag 
tbut, wird er gern der Willkühr andrer überlafien. ‘Das hat vie 
Mutter oft an Dir gepriefen, daß Deine Würde aus Deinem Geift 
fließe, und daß Du einer andern nie nachgeſtrebt habeſt; die Mutter 
fagte, Du feift dem Genius treu der Dich in's Paradies der Weisheit 
führt, Du genießeft alle Früchte die er Dir anbietet, daher blühen 
Dir immer wieder neue, ſchon während Du die erften verzehrft. Lotte 
und Lehne aber verbieten dem Jacobi das Denken als ſchädlich, und 
er bat mehr Zutrauen zu ihnen als zu feinem Genius, wenn der ihm 
einen Apfel ſchenkt jo fragt er jene erft, ob der Wurm nicht drin ift. 

Es braudt feinen großen Wit und ich fühle es in mir jelber ge- 
gründet: im Geift liegt der unauslöſchliche Trieb das überirdiſche zu 
denken, jo wie das Ziel einer Reife hat er ven höchſten Gedanken 
als Ziel, er ſchreitet forſchend durch die irdiſche Welt der himmliſchen 
su, alles was dieſer entipricht Das reißt der Geift an fi und genießt 








215 


es mit Entzüden, drum glaub ich auch daß die Liebe der Flug zum 
Himmel ift. | 

Ih wünſch es Dir Goethe, und ich glaub e8 auch feft, daß all 
Dein Forſchen, Deine Erfeuntniß, das was die Muſe Dir lehrt und 
enblich auch ‘Deine Liebe, vereint Deinem Geift einen verflärten Leib 
bilden, und daß der dem irdiſchen Leib nicht mehr unterworfen fein 
werde wenn er ihn ablegt, jondern ſchon in jenen getftigen Leib über- 
geftrömt. Sterben mußt Du nicht, fterben muß nur der deſſen Geift 
den Ausweg nicht findet. Denken beflügelt den Geift, der beflügelte 
Geift ftirbt nicht, er findet nicht zuräd in den Tod. — 

Mit der Mutter konnte ich über alles fprechen, fie begriff meine 
Denkweiſe, ſie ſagte: erkenne erſt alle Sterne und das legte, dann erft 
kannſt Du zweifeln, bis dahin iſt alles möglich. | 

Sch habe von der Mutter viel gehört was ich nicht vergeſſen 
werde, die Art wie fie mir ihren Tod anzeigte hab ich aufgejchrieben 
für Did. Die Leute Jagen Du wendeft Dich von dem traurigen was 
nicht mehr abzuwenden ift gerne ab, wende Dich in dieſem Sinne 
nicht von der Mutter ihrem Hinſcheiden ab, lerne fie kennen wie weile 
und liebend fie grade im legten Augenblid war und wie gewaltig das 
Poetiſche in ihr. 

Heute fag ich Dir nichts mehr denn ich ſehne mich daß dieſer 
Drief bald an Dich gelange; jchreib mir ein Wort, meine Zufrieden- 
heit beruht darauf. Im dieſem Augenblid ift mein Aufenthalt in 
Landshut; in wenig Tagen gehe ih nah München um mit dem 
Sapellmeifter Winter Muſik zu ſtudiren. 

Manches möchte man lieber mit Geberben und Mienen jagen, 
ach beſonders Dir hab ich nichtS höheres zu verkünden als blos Dich 
anzulächeln. 

Leb wohl, bleib mir geneigt, ſchreib mir wieder daß Du mid 
lieb haft, was ich mit Dir erlebt habe ift mir ein Thron jeliger Er- 
inmerung. Die Menſchen trachten auf verſchiedenen Wegen alle nad) 
einem Ziel, nämlich glücklich zu fein, wie ſchnell bin ich befriedigt wenn 
Du mir gut und meiner Liebe ein treuer Bewahrer fein willt. 


216 





Ih bitte die Frau zu grüßen, ſobald ich nah München komme 
werde ich ihrer gedenken. 
Landshut, den 18. Dezember 1808. 
Dir imnigft angelobt 
Bettine Brentano, bei Baron von Sapigny. 


An frau von Goethe. 


Gerne hätte ich nach dem Beifpiel der guten Mutter mein kleines 
Andenken zum Weihnachten zu rechter Zeit geſendet; allein ih muß 
geftehen daß Mißlaune und tauſend andre Fehler meines Herzens 
mid eine ganze Weile von allem freundlichen Verkehr abhielten. Die 
Heine Kette war Ihnen gleich nach dem Tode der Mutter beftimmt. 
Ih dachte Sie follten diefe während der Trauer tragen und immer 
verihob ich die Sendung, zum Theil weil e8 mir wirklich uner- 
träglih war auch nur mit der Feder den Verluſt zu berühren, der für 
mich ganz Branffurt zu einer Wüſte gemacht bat. — Das kleine 
Halstuch Hab ich noch bei der Mutter geftidt, und hier in den müßigen 
Stunden vollendet. 

Bleiben Sie mir freundlich, erinnern Goethe in den guten Stun- 
ben an mich, ein Gedanke von ihm an mich, ift mir eine ſtrahlende 
Zierde die mich mehr ſchmückt und ergögt als die Föftlichften Evelfteine. 
Sie jehen aljo weldhen Reichthum Ste mir fpenden können indem Sie 
ihn beſcheidentlich meiner Liebe und Verehrung verfihern, Aud für 
ihn Hab ich etwas, es tft mir aber jo lieb, daß ich e8 ungern einer ge 
fahroollen Reiſe ausfege. Ich mache mir Hoffnung ihn in der erften 
Hälfte dieſes Jahres noch zu ſehen, wo ich e8 ihm felbft bringen kann. 
Erhalten Sie fih gejund und recht heiter in viefem falten Winter. 
Meme Schwachheit Ihnen Freude machen zu wollen behandeln Sie 
wie immer mit gütiger Nachſicht. 

München, 8. Januar 1809. Bettine. 








217 





An Goethe. 


- Andre Menfchen waren glüdlicher als ich, die das Jahr nicht 
beſchließen vurften ohne Dich gefehen zu haben. Dan hat mir ge 
ichrieben wie liebreih Du die Freunde bewillkommneſt. — 

Seit mehreren Wochen bin ich in Münden, treib Mufit und 
finge viel bei dem Kapellmeifter Winter, der ein wunderlicher Kauz tft 
aber gerabe für mich paßt; denn er jagt: Sängerinnen müfjen Launen 
baben, und fo darf ich alle an ihm außlaffen; viel Zeit bringe ih am 
Krankenlager von Ludwig Ziel zu, er leidet an Gicht, eine Krankheit 
die allen böfen Launen und Melancholie Audienz giebt; ich harre eben 
fowohl aus Geſchmack wie aus Menſchlichkeit bei ihm aus; ein Kran- 
kenzimmer ift an und für fich ſchon durch die große Ruhe ein anziehen- 
der Aufenthalt, ein Kranker der mit gelafinem Muth feine Schmerzen 
befämpft macht e8 zum Heiligthum. Du bift ein großer Dichter, der 
Tiek ift ein großer Dulder, und für mic ein Phänomen, da ich vorher 
nicht gewußt habe daß e8 ſolche Leiden giebt; feine Bewegung kann er 
machen ohne aufzufeufzen, fein Geficht trieft von Angſtſchweiß, und 
fein Blid tert über ver Schmerzensfluth oft umber wie eine müde ge- 
ängftigte Schwalbe die vergeblich einen Drt fucht wo fie ausruhen 
fann, und ich fteh vor ihm verwundert und beſchämt daß ich jo gefund 
bin; dabei dichtet er noch Frühlingslieder, und freut fich über einen 
“ Strauß Schneeglöckchen vie ich ihm bringe, fo oft ich komme fordert er 
zuerft daß ich dem Strauß friſch Waſſer gebe, dann wiſche ich ihm den 
Schweiß vom Geſicht ganz gelinde, man kann e8 kaum ohne ihn weh 
zu thun, und fo leifte ich ihm allerlei Kleine Dienfte die ihm die Zeit 
vertreiben, Engliſch will er mich auch lehren, allen Zorn und Krank⸗ 
heitsunmuth laßt er denn an mir aus, daß ich fo dumm bin, jo abſurd 
frage und nie die Antwort verftehe, auch ich bin verwundert; denn ich 
bab mit den Leuten geglaubt ich fei ſehr Hug wo nicht gar ein Genie, 
und nun ftoße ich auf ſolche Untiefen wo gar fein Grund zu erfafien 
ift, nämlich der Lerngrund, und ih muß erftaunt befennen daß ich im 
meinem Leben nichts gelernt habe. 


218 


Eh ih von Dir wußte, wußt ich auch nichts von mir, nachher 
waren Sinne und Gefühl auf Dich gerichtet, und num die Rofe blüht, 
glüht und duftet, fo kann ſie's doch nicht von ſich geben was fie in 
Geheim erfahren hat. Du bift der mir's angethan Hat, daß ich mit 
Schimpf und Schand beftehe vor den Philiftern, die eine Reihe von 
Talenten an einem Frauenzimmer [hätenswerth finden. Das Frauen⸗ 
zimmer felbft aber ohne dieſe nicht. 

Klavier fpielen, Arien fingen, fremde Sprachen fprechen, Ge⸗ 
ihichte und Naturwiſſenſchaft, das macht den liebenswerthen Charafter, 
ach und ich Hab immer hinter allem dieſem erft nach dem gefucht was 
ich lieben möchte, geftern kam Gefellihaft zu Tiek, ih ſchlich mich un⸗ 
bemerft hinter einen Schirm, ih wär aud gewiß da eingeſchlafen 
wenn nicht mein Name wär ausgeſprochen worben, da hat man mid) 
gemalt, jo dag ich mich vor mir jelber fürchten müßte; ich kam auch 
plößlich hervor und fagte: Nein ich bin zu abicheulich, ich mag nicht 
mehr allein bei mir fein. Dies erregte eine Heine Konfternation, und 
mir machte es viel Spaß. — So ging mir's aud bei Jacobi, wo 
Lotte und Lene nicht bemerkt hatten, daß ich hinter dem großen runden 
Tiſch ſaß, ich rief hervor mitten in ihre Epiftel hinein: Ih will mich 
befiern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz immer jauchzt vor Luft 
wenn ich mich verunglimpfen höre, und warum ich ſchon im Voraus 
laden muß wenn einer mich tabelt: fie mögen mir aufbürben die aller- 
verfehrteften Dinge, ih muß alles mit Vergnügen anhören und gelten 
lofien. Es ift mein Glück; wollt ic mich dagegen vertheivigen ich 
käm in des Teufels Kühe, wollte ih mit ihnen ftreiten ich würde 
dummer wie fie. Doc diefe legte Gejhichte hat mir Glück gebracht, 
Sailer war da, dem gefiel’8, daß ich Lenen dafür beim Kopf kriegte 
und ihr auf ihr böſes Maul einen herzlichen Schmat gab um es zu 
ftopfen. Nachdem Sailer weg war jagte Jacobi, num Die Bettine hat 
dem Sailer das Herz gewonnen; wer ift der Mann? fragte id. 
Wie! Sie fennen Sailer nicht, haben ihn nie nennen hören, den all- 
gemein gefeierten geliebten, ven Philofophen Gottes, jo gut wie Plato 
ver göttliche Philoſoph iſt? — Diefe Worte haben mir von Jacobi 


219 


gefallen, ich freue mich unendlich auf ven Sailer, er ift Profeffor in 
Landshut. Während dem Earneval ift hier ein Strom von Feten Die 
einen wahren Strubel bilden, jo greifen fie in einander, es werben 
wöchentlich neue Opern gegeben die meinen alten Winter jehr im Athem 
erhalten, ich hör manches mit großem Antheil, wollt ih ihm fagen was 
ich Dadurch lerne, er würde e8 nicht begreifen. Am Rhein haben wir 
über Mufit gejchrieben, ih weiß nicht mehr was; ich hab Dir noch 
mehr zu jagen, neues, für mid erftaunungswürdiges, kaum zu fafjen 
für meinen ſchwachen Geift, und Doch erfahre ich’8 nur Durch mich felbft. 
Sol ich da nicht glauben, daß ich einen Dämon habe der mich belehrt, 
ja e8 kommt alles auf Die Frage an, je tiefer ‘Du fragft je gewaltiger tft 
die Antwort, ver Genius bleibt keine ſchuldig; aber wir ſcheuen ung zu 
fragen, und nody mehr die Antwort zu vernehmen und zur begreifen denn 
das koſtet Mühe und Schmerzen, anders können wir nichts lernen, wo 
folten wir's herhaben, wer Gott fragt dem antwortet er das göttliche. 

Auf den Feſten die man bier Alademieen nennt — Masten- 
Bälle, in der Mitte ein Feines Theater worauf pantomimiſche Vorſtel⸗ 
lungen gegeben werben von Harlequin Pierrot und Pantalon — hab 
ich den Kronprinzen kennen gelernt, ich habe eine Weile mit ihm ges 
ſprochen ohne zu wiſſen wer er fei, er hat etwas zujprechenves freund- 
liches und wohl aud originell geiftreiches;, fein ganzes Weſen ſcheint 
zwar mehr nach Freiheit zu ringen als mit ihr geboren zu fein; feine 
Stimme, feine Sprade und Geberven haben etwas angeftrengtes, wie 
ein Menſch der fih mit großem Aufwand von Kräften an glatten 
Felswänden hinauf half, eine zitternde Bewegung in den noch nicht 
gerubten Glievern hat. Und wer weiß wie feine Kinderjahre, feine 
Neigungen bevrängt oder durch Widerſpruch gereizt wurden, ich feh 
ihm an, daß er ſchon manches überwinden mußte, und auch daß fich 
großes aus ihm entwideln kann; ich bin ihm gut, ein fo junger Herr: 
ſcher in der Vorhölle, wo er leiden muß, daß fi jeve Zunge über ihn 
erbarmt; feine gute Münchner, wie er fie nennt find ihm nicht grün; 
ja wartet nur bis er mündig ift, entweder er beſchämt Euch alle, oder 
er wird's Euch garftig eintränken. 


220 


Am 31. Januar. 


Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht widerſtehen, 
der warme. matlihe Sonnenftrahl der das harte eifige Neujahr ganz 
zuſammenſchmolz, war überrafchend, e8 bat mid) hinaus getrieben in 
den kahlen, englifhen Garten, ih bin auf alle Freundſchaftstempel, 
hinefifhe Thürme und PVaterlands- Monumente geflettert um die 
Tyroler Bergfette zu erbliden, die tauſendfach ihre gefpaltnen Häupter 
gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannſt Du foldhe große Berg- 
maſſen finden, bie tief bi in die Wurzel gefpalten find, Talt und kahl 
ihre hartnedige Zaden in die Wollen ftreden. Bei der Hand möcht 
ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich befinnen follteft 
über mich, daß ih Dir in Deinen Gedanken aufginge als etwas merk⸗ 
würdiges dem Du nachſpürteſt, wie zum Beifpiel einem Intermarilare 
knochen über den Du dein Recht in fo eifriger Eorrefpondence gegen 
Spemering behaupteft, jag mir aufrichtig werde ich Dir nie fo wichtig 
fein als ein folder tobter Knochen? — Daß Gott alles wohlgefügt 
habe, wer kann das bezweifeln! Ob Du aber Dein Herz wohl mit 
meinem verſchränkt habeft, dagegen erheben fich bei mir zu manden 
trüben Stunden Zweifel von ſchweren Seufzern begleitet, Am Rhein 
hab ih Dir viel und liebend gefchrieben, ja ih war ganz in ‘Deiner 
Gewalt, und was id dachte und fühlte, war weil ich im Geifte Did 
anfah, nım haben wir eine Paufe gemacht beinah vier Monate, Du 
haſt mir noch nicht geantwortet auf zwei Briefe, 

Es liegt mir an allem Nichts, aber daran liegt mir, daß ich um 
Dich nicht betrogen werde; Daß mir fein Wort, lem Blid von Dir ge- 
ftohlen werde, ich hab Dich fo lieb das ift alles, mehr wird nicht in 
mich gehen, und ander wird man nichts an [mir erkennen, und id; 
denke auch das ift genug, um mein ganzes Xeben den Mufen als ein 
wichtiged Document zu hinterlaſſen; darum vergeht mir manche Zeit 
jo hart umb kalt wie diefer harte Winter, darum blüth's wieder, und 
drängt von allen Seiten wieder in's Leben. — Darum hüt ich oft 
meine Gedanken vor Dir. Diefe ganze Zeit konnte ich fein Buch von 
Div anrühren. Nein, ich Tonnte feine Zeile lefen, es war mir zu 











221 


traurig daß ich nicht bei Dir fein kann. Ach die Mutter fehlt mir die 
mich bejchwichtigte, Die mich hart machte gegen mich felber, ihr klares 
feurige8 Auge jah mic durch und durch, ich brauchte ihr nichts zu 
gefteben, fie wußte alles, ihr feines Ohr hörte bei dem letfeften Klang 
meiner Stimme wie e8 um mid, ſtehe; o fie hat mir manche Gegen- 
geichichte zu meiner Empfindung erzählt, ohne daß ich fie ihr wörtlich 
mittheilte, wie oft hat ein freudige® Zurufen von ihr alle Wollen in 
mir zertbeilt, welche freundliche Briefe hat fie mir in's Rheingau ges 
ihrieben; Tapfer! — rief fie mir zu; ſei Zapfer, da fie Dich doch 
nicht für ein echtes Mädchen wollen gelten laſſen, und fagen, man 
könne fich nicht in Dich verlieben, fo bift Du vie eine Plage loß, fie 
höflich abzuweifen, fo jet denn ein tapferer Soldat, wehr Dich dagegen 
daß Du meinſt, Du müßteft immer bei ihm fein und ihn bei der Hand 
halten, wehr Dich gegen deine eigne Melancholie, fo ift er immer ganz 
und innigft Dein und fein Menſch kann Dir ihn rauben. 

Solche Zeilen machten mid unendlich glücklich, wahrhaftig ich 
fand Dich in ihr wieder, wenn ih nad Frankfurt kam fo flog ich zu | 
ihr bin; wenn ich die Thür aufmachte, wir grüßten uns nicht, es war 
als ob wir ſchon mitten im Geſpräch jeien. Wir zwei waren wohl die 
einzig lebendigen Menſchen in ganz Frankfurt und überall, manchmal 
küßte fie mich und ſprach davon daß ich in meinem Wefen fie an Dich 
erinnere, fie babe auch Dein Sorgenbrecher fein müflen. Sie baute 
auf mein Herz. Dan konnte ihr nicht weiß machen daß ich falſch gegen 
fie ſei, fte fagte: der ift falfeh der mir meine Luft an ihr verderben 
will, ih war ſtolz auf ihre Liebe. 

Wenn Du nun nicht mehr auf der Welt wärft! ach ich würde 
feine Hand mehr regen. Ach es regen fich fo viel taufend Hoffnungen 
und wird nichts draus. Wenn ich nur manchmal bei Dir figen könnte 
eine halbe Stunde lang; — da wird vielleicht auch nichts draus; 
mein Freund!! — 

Am 3. Februar. 

In den wenig Wochen bie ich in Landshut zubrachte, hab ich troß 
Schnee und Eis nah und ferne Berge beftiegen, da lag mir das ganze 


222 


Land im blenvendften Gewand vor Augen; alle Farben vom Winter 
getödtet und vom Schnee begraben, nur mir röthete vie Kälte die 
Wangen; — wie ein einfames Feuer in der Wüſte jo brennt Der 
einzige Blid, der beleuchtet und erkennt, während „die ganze Welt 
ſchläft. Ich hatte jo furz vorher den Sommer verlafien, fo reich be 
laden mit Frucht. — Wo ward doch wo ich den letzten Berg am 
Rhein beftieg? — in Godesberg; warft Du da aud oft? — Es war 
bald Abend da wir oben waren, Du wirft Dich noch erinnern es fteht 
oben ein einziger hoher Thurm, und rund auf der Fläche ftehen noch 
vie alten Mauern. Die Sonne in großer Pracht fenkte einen glühen- 
den Purpur über die Stadt der Heiligen; der Kölner Dom, an deſſen 
dornigen Zierrathen vie Nebel wie eine vorüberſtreifende Schanfheerbe 
ihre Flocken hängen ließen, in denen Schein und Wiederſchein fo fein 
fpielten, da jah ih ihn zum leßtenmal; alles war zerfloflen in dem 
ungeheuren Brand, und der kühle ruhige Rhein den man viele Stun- 
den meit fieht und Die Siebenberge body über den Ufergegenven. 

Im Sommer, in dem leivenfchaftlichen Leben und Weben aller 
Tarben, wo die Natur die Sinne als den rührendflen Zauber ihrer 
Schönheit fefthält,; wo ver Menſch dur das Mitempfinven ſelbſt 
ſchön wird: da ift er fich jelbft auch oft wie ein Traum, der vor dem 
Begriff wie Duft verfliegt, — Das Tebensfeuer in ihm verzehrt alles; 
den Gedanken im Gedanken, und bilvet fich wieder in allem. Was 
das Ang erreichen kann gewinnt er nur um ſich wieder ganz dafür 
hinzugeben, und jo fühlt man fi frei und Ted in den höchſten Fels⸗ 
jpigen, in dem kühnſten Waflerfturz, ja mit nem Vogel in der Luft mit 
dem man in bie ferne zieht, und höher mit ihm fteigt um früher den 
Drt der Sehnſucht zu erbliden. Im Winter ift’8 anders, da ruhen die 
Sinne mit der Natur, nur die Gedanken graben, wie die Arbeiter im 
Dergwerf, heimlich in der Seele fort. — Darauf hoffe und baue auch 
ich, lieber Goethe, jet wo ich empfinde wie öde und mangelhaft es in 
mir ift: Daß die Zeit kommen werde wo ich Dir mehr fagen und Did) 
mehr fragen Tann. Einmal wird mir Doch einleuchten was ich zu wiffen 
fordere. Das deucht mir der einzige Umgang mit Gott, nämlich die 








223 


Frage um das Überirdiſche; und das ſcheint mir die einzige Größe des 
Menſchen, diefe Antwort zu empfinden, zu genießen. Gewiß tft die 
Liebe auch eine Frage an Gott, und der Genuß in ihr ift eime Ant- 
wort von dem liebenden Gott felbft. 


4. Februar. 

Hier im Schloß, welches man die Reſidenz heißt, und fiebzehn 
Höfe hat, ift in einem der Nebengebäude ein Heiner einfamer Hof, in 
der Mitte deſſelben fteht ein Springbrunnen: Perſeus, der die Meduſa 
enthauptet, in Erz von: einem Kafenplag umgeben, ein Gang von 
Sranitfänlen führt dahin, Meerweibchen von Thon und Mufcheln 
gemacht, halten große Beden in die fie ehemals Waſſer ſpieen, Mohren⸗ 
föpfe [hauen aus der Mauer, die Dede und Seiten find mit Gemälven 
geziert, die freilich fchon zum Theil herunter gefallen find, unter andern 
Apoll der auf feinem Sonnenwagen fidh über die Wollen bäumt und 
feine Schwefter Luna im herunterfahren begrüßt; der Ort ift fehr eim- 
ſamlich, felten daß em Hofbediente queer durchläuft, Die Spaten hört 
man fchreien, und den Heinen Eiveren und Waſſermäuschen feh ich da 
oft zu die im verfallnen Springbrunnen fampieren, es ift dicht hinter 
der Hoflapelle, manchmal höre ih am Sonntag da auch das hohe 
Amt oder Die Besper mit großem Orcheſter; Du mußt doh auch willen 
wo Dein Kind ift, wenn's recht treu und fleifig an Dich denkt. Adieu, 
leb recht wohl, ich glaub gewiß daß ich diejes Fahr zu Dir komme und 
vielleicht bald, denk an mich, wenn Du Zeit haft fo fehreib mir, nur 
daß ich Dich jo fort lieben darf, mehrere von meinen Briefen müfjen 
verloren gegangen fein, denn ich hab vom Rhein aus noch mehrmals 
an Dich geichrieben. 

Die Yrau bitte ich herzlich zu grüßen, ich weiß nicht ob eine 
Heine Schachtel die ich ihr unter deiner Adreſſe ſchickte verloren ge⸗ 
gangen ift. 

Münden, 5. Februar. Bettine, 

Meine Adreſſe ift Landshut bei Savigny. 


224 


Derehrte Freundin. 


Empfangen Ste meinen Dant für die ſchönen Geſchenke, welche 
ich von Ihnen erhalten habe, e8 hat mich außerordentlich gefreut, weil 
ich daraus erfah, daß Sie mir Ihr Wohlwollen fortdauernd erhalten, 
um das ich noch nicht Gelegenheit hatte mich verdient zu machen. 

Ih war nım acht Wochen in Frankfurt, die Shrigen alle haben 
mir viel Gutes erzeugt, ich weiß wohl, daß ich dies alles der großen 
Liebe und Achtung, die man hier für die verftorbene Mutter hegte, zu 
danken Habe; doch hab ich Ihre Gegenwart fehr vermißt, Sie haben 
die Mutter jehr geliebt und ich hatte auch verſchiedene Aufträge vom 
Geheimenrath an Sie, von denen er glaubte, daß Sie viefelben gerne 
übernehmen würden; ich Habe nun alles fo gut wie möglich felbft be- 
forgt in diefen traurigen Tagen. Alles was ih von Ihrer Hand 
unter den Papieren der Mutter fand, hab ich gewifienhaft an die Ihri⸗ 
gen abgegeben; ich fand es jehr wohlgeordnet mit gelben Band zuge 
bunden, und von der Mutter an Sie überfchrieben. 

Sie machen uns Hoffnung auf einen baldigen Bejuh, der 
Seheimerath und ich fehen dieſen fhönen Tagen mit Freuden ent- 
gegen, nur wänfchen wir, daß e8 bald geichehe, da der Geheimerath 
wahrfcheinlich in der Mitte des Monat Mai wieder nad Carlsbad 
gehen wird, 

‚ Er befindet ſich diefen Winter außerordentlich wohl, welches er 
doch den heilfamen Duellen zu danken hat. Bet meiner Zurückkunft 
fam er mir ordentlich jünger vor und geftern, weil große Cour an 
unferm Hof war, fah ih ihm zum erftenmal mit feinen Orden und 
Bändern gefhmüdt, er ſah ganz herrlich und ftattlih aus, ich konnte 
ihn gar nicht genug bewundern, mein erfter Wunfch war wenn ihn 
doch Die gute Mutter noch jo gejehen hätte, er lachte über meine große 
Freude, wir ſprachen viel von Ihnen, er trug mir auf auch in fei- 
nem Namen zu danken, für alles gütige und freundliche was Sie mir 
erzeugen, er hat fich vorgenommen felbft zu ſchreiben und meine fchlechte 














225 





ever zu entſchuldigen, mit der ih nicht nach Wunſch ausprüden kann, 
wie werth mir Ihr Andenken ift dem ich mich herzlich empfehle. 
- Weimar, am 1. Februar 1809. C. v0. Goethe. 


An Bettine. 


Du biſt ſehr liebenswürdig, gute Bettine, daß Du dem ſchwei— 
genden Freunde immer einmal wieder ein lebendiges Wort zufprichft, 
ihm von Deinen Zuftänden und von den Localitäten, m denen Du 
umberwandelft einige Nachricht giebit; ich vernehme jehr gern wie Dir 
zu Muthe ift, und meine Einbildungskraft folgt Dir mit Vergnügen 
ſowohl auf die Bergeshöhen als in die engen Schloß- und Klofter- 
böfe. Gedenke meiner auch bei den Eiveren und Salamandern. 

Eine Dankſagung meiner Frau wird beit Dir ſchon eingelaufen 
fein, Deine unerwartete Sendung Bat unglaublide Freude gemacht, 
alles ift einzeln bewimdert und hochgefchägt worden. Nun muß id 
Dir auch ſchnell für Die mehreren Briefe danken die Du mir geſchrie⸗ 
ben haft, und die mid, in meiner Carlsbader Einfamfeit angenehm 
überraſchten, unterhielten und theilmeife wieverholt beſchäftigten, fo 
waren mir befonders deine Explofionen über Mufik interefiant, fo 
nenne ich dieſe gefteigerten Anſchauungen Deines Köpfchens vie zugleich 
ven Vorzug haben auch ven Reiz dafür zu fteigern. 

Damals jhidte ih ein Blättchen an Dich meiner Mutter, ich 
weiß nicht ob Du e8 erhalten haft. Diefe Gute ift nun von uns ges 
gangen, und ich begreife wohl wie Frankfurt Dir dadurch verödet 
ift. — Alles was Du mittheilen willft über Herz und Sinn der Mut- 
ter, und über die Liebe mit der Du es aufzunehmen verftehft, ift mir 
erfreulich. Es ift das feltenfte und daher wohl auch das köſtlichſte zu 
nennen, wenn eine jo gegenfeitige Auffafjung und Hingebung immer 
die rechte Wirkung thut; immer etwas bildet was dem nächſten Schritt 
im Leben zu gut kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinftim- 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 15 


226 





mung des Augenblids gewiß am lebendigſten auf die Zukunft gewirkt 
ift, und fo glaub ih Dir gern wenn Du mir fagft, welche reiche Le⸗ 
bensquelle Dir in diefem Deinen Eigenheiten ſich jo willig hingeben- 
den Reben verflegt ift; auch mir war fie Dies, in ihrem Überleben aller 
anderen Zeugen meiner Jugendjahre bewies fie, daß ihre Natur 
feiner andern Richtung bedurfte als zu pflegen und zu lieben was 
Geſchick und Neigung ihr anvertraut hatten; ich habe in der Zeit nach 
ihrem Tode viele ihrer Briefe durchleſen, und bewundert, wie ihr Geift 
bi8 zur fpäteften Epoche fein Gepräge nicht verloren. Ihr legter Brief 
war ganz erfüllt von dem Guten was fi zwifhen Euch gefunden, 
und daß ihre fpäten Jahre wie fie ſelbſt fchreibt von Deiner Jugend 
fo grün umwadfen feten, auch im diefem Sinn alfo, wie in allem 
andern was Dein lebendiges Herz mir fehon gewährt hat, bin ich Dir 
Dank ſchuldig. 

Wilhelm Humboldt bat ung viel von Dir erzählt. Viel das heißt 
oft. Er fing immer wieder von Deiner Heinen Perfon zu reden an, 
ohne Daß er fo was recht eigentliche zu fagen gehabt, woraus 
wir denn auf ein eignes Interefje fhließen konnten. Neulich war ein 
ſchlanker Architekt von Kaſſel bier, auf den Du auch magft Eindrud 
gemacht haben. 

Dergleihen Sünden magſt Du denn manderlei auf Dir haben, 
deswegen Du verurtheilt bift Gichtbrüchige und Lahme zu warten und 
zu pflegen. 

Ich Hoffe jedoch das foll nur eine vorübergehende Büßung wer- 
den, damit Du Dich des Lebens defto beſſer und lebhafter mit den 
Gefunden freuen mögeft. 

Bring nun mit deiner reichen Liebe alles wieder in's Geleis 
einer mir fo lieb geworvenen Gewohnheit, laſſe die Zeit nicht wieder 
in folden Lüden verftreihen, Iafje von Dir vernehmen, es thut immer 
jeine gute und freundliche Wirkung, wenn aud der Gegenhall nicht 
bis zu Dir hinüberdringt; fo verzichte ich doch nicht Darauf, Dir Be⸗ 
weile ihres Eindruckes zu Kiefern, an denen Du ſelbſt ermefien magft 
ob die Wirkung auf meine Einbildungfraft, den Zaubermitteln der 


227 





Deinigen entſpricht. Meine Tran hör ich hat Dich eingelaten, das 
thue ich nicht und wir haben wohl beide recht. Lebe wohl, grüße freund- 
lich die freundlichen und bleib mir Bettine. 

Weimar, den 22. Februar 1809. G. 


An Goethe. 


Wenn Deine Einbildungskraft geſchmeidig genug iſt mich in alle 
Schlupfwinkel von verfallenem Gemäuer, über Berg und Klüfte zu 
begleiten, jo will ich's auch noch wagen Dich bei mir einzuführen; ich 
bitte alfo: komm, — nur immer höher, — drei Stiegen hoch — bier 
in mein Zimmer, fe Dich auf den blauen Seflel am grünen Tifch, 
mir gegenüber; — ih will Did nur anfehen, und — Goethe! — 
folgt mir deine Einbildungskraft immer noch? — dann mußt Du die 
unwanbelbarfte Liebe in meinen Augen erkennen, mußt jet liebreich 
mid) in Deine Arme ziehen; jagen: fo ein treues Kind ift mir befchert, 
zum Lohn, zum Erſatz für mandes. Es ift mir werth dies Kind, ein 
Schatz ift mir's, ein Kleinod das ich nicht verlieren will. — Siehft 
Du? — und mußt mid küſſen; denn das ift was meine Einbilvungs- 
fraft der Deinigen befchert. 

Ich führ Dich noch weiter; — tritt ſachte auf in meines Herzens 
Kammer; — bier find wir in der Vorhalle; — große Stille! — kein 
Humboldt, — fein Architekt, — kein Hund der bellt. — Du bift nicht 
fremd; — geh Hin poch an — e8 wird allein fein und, herein — Dir 
rufen. Du wirſt's auf kühlem, ftilem Lager finden, ein freundlich Licht 
wird Dir entgegen leuchten, alles wird in Ruh und Ordnung fein, 
und Du Willkommen. — Was ift das? — Himmel! — die Flammen 
über ihm zuſammenſchlagend! — Woher die Feuersbrunſt? — Wer 
rettet hier? — armed Herz! — armes nothgedrungened Herz. — 
Was kann der Berftand bier? — der weiß alles befjer und kann doch 
nichts helfen, der läßt die Arme ſinken. 

15* 


228 


Kalt und unbedeutend geht das Leben entweder jo fort, das nennt 
man einen gefunden Zuftand, oder wenn es wagt aud nur den ein- 
zigen Schritt tiefer in's Gefühl, dann greifen Leidenſchaften brennend 
mit Gewalt e8 an, fo verzehrt ſich's in fich felber. — Die Augen muß 
ich zumachen und darf nichts anfehen was mir lieb ift. Ach! die Heinfte 
Erinnerung macht mich ergrimmen in fehnendem Zorn, und drum 
darf ih auch nicht immer in Gedanken Dir nachgehen, weil ich zornig 
werde und wild. — Wenn ich die Hände ausftrede fo iſt's doch nur 
nad den leeren Wänden, wenn ich fpreche, fo iſtss doch nur in den 
Wind, und wenn ich endlich Dir fehreibe, fo empört fich mein eigen 
Herz, daß ich nicht die leichte Brüde von dreimal Tag und Nacht über- 
fliege und mich im füßefter, der Liebe ewig erfehnter Ruhe zu Deinen 
Füßen lege. 

Sag wie bift Du jo mild, fo reichlich gütig in Deinem lieben 
Brief; mitten in dem hartgefromen Winter, fonnige Tage die mir Das 
Blut warm machen; — was will ich mehr? — Ach fo lang ich nicht 
bei Dir bin fein Segen. 

AH ich möchte, fo oft ich Dir wieder fchreibe auch wieder Dir 
lagen: wie und warum und alles; ich möchte Dich hier auf den einzigen 
Weg leiten den ich einzig will, damit e8 einzig jet, und ich nur einzig 
jet die fo Dich liebt und fo von Dir erkannt wird. 

Ob Liebe die größte Leidenſchaft jet und ob zu überwinden, ver: 
fteh ich nicht, bei mir ift fie Willen, mächtiger, unüberwindlicher. 

Der Unterſchied zwiſchen göttlihem und menſchlichem Willen ift 
nur, daß jener nicht nachgiebt und ewig dafjelbe will, unfer Wille über 
jeven Augenblid fragt: darf over ſoll ih? — Der Unterſchied ift, daß 
der göttlihe Wille alles verewigt, und der menſchliche am irdiſchen 
ſcheitert; das ift aber das große Geheimniß, daß die Liebe himmliſcher 
Wille iſt, Allmacht der nichts verfagt ift. 

Ah Menfhenwis hat feinen Klang, aber himmliſcher Wit, der 
iſt Muſik, Iuftige Energie, dem ift das irdiſche zum Spott; er ift das 
glänzende Gefieder mit dem die Seele ſich aufjchwingt, Hoch über Die 
Anfievelungen irdiſcher Vorurtheile, von da oben herab ift ihr alles 


229 





Geſchick gleih. Wir jagen das Schidfal walte über ung? — Wir 
find unfer eigen Schidffal, wir zerreißen die Fäden die ung dem Glück 
verbinden, und knüpfen jene an die uns unfelige Laſt auf's Herz legen; 
eine innere geiftige Geftalt will fi durch die änfere weltliche bilden, 
diefer innere Geift vegiert felbft fein eigen Schidfal, wie e8 zu feiner 
höheren Organifation erforderlich ift. 

Du mußt mir's nicht verargen wenn ich’ 8 nicht deutlicher machen 
kann, Du weißt alles und verftehft mich, und weißt daß ich recht habe 
und freuft Dich drüber. 

Gute Nacht! — bis Morgen gute Nat, — Alles ift ſtill, ſchläft 
ein jeder im Haus, hängt träumend dem nach was er wachenn begehrt, 
ich aber bin allein wach mit Dir. Draußen auf der Straße kein Laut 
mehr — ich möchte wohl verfichert jein daß in dieſem Angenblid Feine 
Seele mehr an Dich denkt, fein Herz einen Schlag mehr für Did) 
thut, und ih allein auf der weiten Welt fie zu Deinen Füßen, das 
Herz in vollen Schlägen, geht auf und ab; und während alles ſchläft 
bin ich wach Dein Knie an meine Bruft zu vrüden, — und Du? — 
die Welt braucht's nicht zu wiſſen daß Du mir gut bift. 

Bettine. 


An Goethe. 
München, 3. März 1809. 

Heut bricht der volle Tag mit feinen Neuigkeiten in meine Ein- 
jamteit herein, wie ein ſchwer beladener Frachtwagen auf einer leichten 
Brüde einbricht, die nur für harmloſe Spaziergänger gebaut war. 
Da Hilft nichts, man muß Hand anlegen und helfen alles in Gang, 
bringen; auf allen Gaſſen fchreit man Krieg, die Bibliothefarbiener 
rennen umber um ausgeliehene Manuferipte und Bücher wieder einzu- 
fordern, denn alles wird eingepadt. Hamberger, ein zweiter Hercules 
— denn wie jener die Stallungen der zwanzigtaufend Rinder, fo miftet 
er die Bibliothek von achtzigtauſend Bänden aus, und jammert daß 
alle geſchehene Arbeit umfonft ift. Auch die Gallerie fol eingepadt 





230 


werben; furz, die ſchönen Künfte find in der ärgften Confternation. 
Dpern und Mufit ift Valet gefagt, der erlauchte Liebhaber der 
Prima Donna zieht zu Felde; die Akademie ftedt Trauerampeln aus, 
und bevedt ihr Antlig 5i8 der Sturm vorbei, und ſo wär alles in 
ftiller müder Erwartung des Feindes der vielleicht gar nicht kommt. 
Ich bin auch in Gährung, und auch in revolutionärer. — Die Tyroler, 
mit denen halt ich's, das kannſt Du denken. Ach ich bin's müde, des 
Nachbars Flöte oben in der Dachkammer bis in die fpäte Nacht ihr 
Stückchen blajen zu hören, die Trommel und die Trompete Die machen 
das Herz friſch. 

Ah hätt ich ein Wämslein, Hofen und Hut, ich lief 
hinüber zu den grabnafigen, gradherzigen Tyrolern und ließ ihre ſchöne 
grüne Standarte im Winde klatſchen. 

Zur Lift Hab ich große Anlage, wenn ich nur erft drüben wär, 
ich könnte ihnen gewiß Dienfte leiften. Mein Geld ift all fort, ein 
guter Kerl, ein Mediziner, hat eine Xift erfunden, e8 den gefangnen 
Tyrolern, die fehr hart gehalten find, zuzufteden. Das Gitter vom 
Gefängniß geht auf einen öden Play am Wafler, ven ganzen Tag 
waren böfe Buben da verfammelt die mit Koth nad ihnen warfen, 

am Abend gingen wir bin, untervefjen einer neben der Schildwache 
ausrief: Ach was ift das für ein Rauch in der Ferne, und indem dieſe 
fih nad) dem Rauch umfah, zeigte der andere den Gefangenen das 
blinfende Golpftüd, wie er e8 in Papier einwidelte und dann mit Koth 
eine Kugel draus machte; jet paß Achtung, rief er, und warf's dem 
Tyroler zu, jo gelang e8 mehrmals; die Schildwache freute fi daß 
die böfen Jungen fo gut treffen konnten. 

Du kennſt vielleicht oder erinnerft Dich Doch gefehen zu haben 
einen Grafen Stadion, Domberr und kaiſerlicher Gefandter, von 
jeinen Freunden der ſchwarze Fritz genannt, er ift mein einziger 
Freund hier, bie Abende, vie er frei hat, bringt er gern bei mir zu, Da 
lieft er die Zeitung, ſchreibt Depeſchen, hört mir zu wenn ich was er- 
zahle, wir ſprechen au oft von Dir; ein Dann von Eluger freier 
Einfiht, von edlem Wefen. Er theilt mir aus feiner Herzend- und 








231 


Lebensgefchichte merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber 
nichts Dabei verloren, im Gegentheil ift fein Charakter hierdurch frei 
geworden von der Steifheit, Die Doc immer mehr oder weniger den 
Platz freiwilliger Grazie einnimmt, fobald man mit der Welt in einer 
nicht unwichtigen Berbindung ift, wo man fi zum Theil auch fünftlich 
verwenden muß; er ift fo ganz einfach wie ein Kind, und giebt meinen 
Launen in memer Einfamleit manche Wendung. Sonntags holt er 
mich ab in feinem Wagen und lieſt mir in der königlichen Kapelle die 
Mefie; die Kirche ift meiſtens ganz leer, außer ein paar alten Leuten. 
Die ftille einſame Kirche ift mir ſehr erfreulih, und daß der liebe 
Freund, von dem ic fo mandes weiß was in jeinem Herzen bewahrt 
ift, mir Die Hoftie erhebt und ven Kelch — das freut mich. Ach ich 
wollt ich wüßte ihm auf irgend eine Art erfett mas ihm genommen ift. 

Ah, daß das Entfagen nem Begehren die Wange hält! — End⸗ 
Ich wird doch ber Geift der durch Schmerzen geläutert ift, über das 
Alltagsleben Hinaus zum Himmel tanzen. 

Und was wär Weisheit, wenn fie nicht Gewalt brauchte um fich 
allein geltend zu machen? — jedes Entjagen will fie ja lindernd er- 
jeten, und fie fchmeichelt Dir alle Vortheile ihres Befites auf, 
während Du wenft um Das was fie Dir verfagt. 

Und wie fann uns das Ewige gelingen, ald nur wenn wir das 
Zeitlihe dran ſetzen? 

Alles ſeh ich ein und möchte alle Weisheit dem erften beften Ab⸗ 
laßkrämer verhandeln, um Abfolution für alle Riebesintriguen, die ich 
mit Div noch zu haben gedenke. 


21. März. 
Ach, wenn mich die Liebe nicht hellſehend machte jo wär ich elend, 
ich feh die gefromen Blumen an den Tenfterfcheiben, ven Sonnen- 
ſtrahl der fie allmählig ſchmilzt, und vente mir alles in Deiner Stube, 
wie Du aufs und niederwanbelft, diefe gefromen Landſchaften mit 
Tannenwäldchen und dieſe Blumenftöde finnend betrachteſt. — Da 
erkenne ich fo deutlich Deine Züge, und e8 wird fo wahr daß ich Dich 


232 


jehen kann; untervefien geht die Trommel hier unter dem Fenſter von 
allen Straßen her und ruft die Truppen zuſammen. 


15. März. 

Staatdangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber Herzensan- 
gelegenheiten, — geftern Abend kam noch der Liebe katholiſche Priefter, 
das Gefpräc war ein träumertjch Gelispel früherer Zeiten; ein feines 
Geweb das ein fanfter Hauch wiegt in fliler Luft. Das Herz erlebt 
aud einen Sommer, fagte er, wir können e8 dieſer heißen Jahreszeit 
nicht vorenthalten, und Gott weiß daß der Geift reifen muß wie der 
goldne Weizen, ehe die Sichel ihn ſchneidet. 


20. Mär. 

Ich bin begierig über Liebe fprechen zu Hören, die ganze Welt 
ipriht zwar drüber, und in Romanen iſt genug ausgebrütet, aber 
nichts was ich gern hören will. ALS Beweis meiner Aufrichtigkeit be- 
fenne ih Dir: auch im Wilhelm Meifter geht mir's fo, Die meiften 
Menfchen ängftigen mid drinn, wie wenn ich ein bös Gewiflen hätte, 
da ift e8 einem nicht gehener innerlid und äußerlich, — ich möchte 
zum Wilhelm Meiſter fagen: komm, flüchte Dich mit mir jenſeits der 
Alpen zu den Tyrolern, dort wollen wir unfer Schwert weten, und 
das Lumpenpack von Comödianten vergeflen, und alle Deine Liebften 
müſſen denn mit ihren Prätenfionen und höheren Gefühlen eine Weile 
darben, wenn wir wiederfommen, fo wird die Schminke auf ihren 
Wangen erbleicht fein, und die flornen Gewande und die feinen Em- 
pfindungen werben vor Deinem fonneverbraunten Marsantlit erichaus 
dert. Sa, wenn etwas noch aus Dir werben fol, fo mußt Du Demen 
Enthuſiasmus an den Krieg fegen, glaub mir, die Mignon wär nicht 
aus dieſer ſchönen Welt geflüchtet, in ver ſie ja doch ihr Liebſtes zu⸗ 
rücklaſſen mußte, fte hätte gewiß alle Mühfeligleiten des Kriegs mit 
ausgehalten, und auf den rauhen Alpen in den Winterhöhlen über- 
nachtet bei karger Koft, das Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Buſen 
gezändet, und frifches, gejünderes Blut durch ihre Adern geleitet. — 








233 





Ad, willſt Du diefem Kind zu Lieb nicht alle dieſe Menfchen zu Hauf 
verlafien® — die Melancholie erfaßt Di, weil feine Welt da ift in 
der Du handeln kannſt. — Wenn Du Dich nicht fürchteft vor Men⸗ 
Ihenblut: — bier unter den Tyrolern kannſt Du handeln für ein 
Recht, das eben fo gut aus reiner Natur entfprungen tft, wie die Liebe 
im Herzen der Mignon. — Du biſt's, Meifter, der den Keim biefes 
zarten Lebens erftidt unter all dem Unkraut was Dich überwächſt. 
Sag, was find fie alle gegen den Ernſt der Zeit, wo die Wahrheit in 
"ihrer reinen Urgeftalt emporfteigt, und dem Berderben, was bie Lüge 
angerichtet hat, Troß bietet? — 

D, es ift eine himmliſche Wohlthat Gottes, an der wir alle ge 
junden könnten, eine ſolche Revolution: er läßt abermals und aber- 
mals die Seele der Treiheit wieder neu geboren werben, 

Siehft Du Meifter, wenn Du heute im der fternbellen Talten 
Naht Deine Mignon aus ihrem Bettchen holft, in dem fie geftern mit 
Thränen um Dich eingeichlafen war; Du fagft ihr: ſei hurtig und 
gehe mit, ich will allein mit dir in die Fremde ziehen, O fe wird's 
verftehen, es wird ihr nicht unglaublich vorlommen, Du thuft was fte 
längit von Dir verlangte und was Du umbegreiflic unterlafjen haft. 
Du wirft ihr ein Glück ſchenken daß fie Deine harten Mühen theilen 
darf; bei Nacht auf gefahrvollen Wegen wo jeder Schritt täufcht, da 
wird ihr Scharfblid, ihre kühne Zuverficht Dich ficher leiten hinüber 
zum Triegbevrängten Volk; und wenn fie fieht daß Du Deine Bruft 
den Pfeilen bieteft, wird fie nicht zagen, es wird fie nicht kränken wie 
bie Pfeile des ſchmeichelnden Syrenenvolfs; fie wird rafch heranreifen 
zu dem fühnen Vertrauen, mit einzuflingen in die Harmonie der Frei- 
heit&begeifterung. Und wenn Du auch im Vordertreffen ftürzen mußt, 
was hat fie verloren? — was könnte ihr diejen fhönen Tod erfegen, 
an Deiner Seite vielleiht? — beide Arm in Arm verſchränkt lägt 
Ihr umter der fühlen gefunden Erbe, und mächtige Eichen beſchatteten 
Euer Grab; fag wär's nicht befler als daß ‘Du bald ihr feines Gebild 
den anatomischen Händen des Abbe überlaflen mußt daß er ein künft- 
liches Wachs hineinſpritze. 


234 


Ad ih muß Hagen Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit 
die Du mir angethban, ich fühl mich jest jo hülflos fo unverftanden 
wie damals die Mignon. — Da draußen ift heute ein Lärın und doch 
geichieht nichts, fie Haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes 
Taglöhnervolk was fih in ven Wäldern verftedt hatte; ich hör bier 
oben das wahnfinnige Toben, ich babe Läden und Vorhänge zuge- 
macht, ih kann's nicht mit anjehen, ver Tag ift auch ſchon im 
Scheiven, ich bin allen, fein Menſch der wie ich menjchlich fühlte. 
Die feſten fiheren in fich einheimifchen Naturen, die den Geift der 
Treue und Freiheit mit der veineren Luft ihrer Berge einathmen, die 
müſſen ſich durch die kothigen Straßen fchleifen laſſen von einem bier- 
trunkenen Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſeinen 
Mißhandlungen; man läßt fie ſich verſündigen an ven höheren Ge- 
fühlen ver Menfchheit. — Teufel! — wenn ich Herrſcher wär, hier 
wollt ich ihnen zeigen daß fie Sclaven find, e8 follte mir feiner wagen 
fih am Ebenbild Gottes zu vergreifen. 

Ich meine immer der Kronprinz müſſe anders empfinden, menſch⸗ 
ficher, die Leute wollen ihn nicht loben, fie fagen: er fet eigenfinnig 
und launig, ich habe Zutrauen zu ihm, er pflegt ven Garten den er 
als Kind hatte noch jet mit Sorgfalt, begießt die Blumen die in feinen 
Zimmern blühen ſelbſt, macht Gedichte, Holperig, aber voll Begeifterung, 
das alles jagt mir gut für ihn, 

Was wohl ein folder für Gedanken hat, der jeven Gedanken 
realifiven könnte? — ein Fürſt, deſſen Geift das ganze Land erhellen 
fol? — er müßte verharren in Gebet fein Lebenlang, der angewiefen 
ift in taufend andern zu leben, zu handeln. 

Sa, ob ein Königsfohn wohl den heiligen Geift in fich erweckt, 
daß der regiere flatt feiner! — Der Stadion ſeufzt und jagt: das 
befte ift, daß wie Die Würfel auch fallen, ver Weg zum Himmel immer 
unverfperrt bleibt für König und Unterthan. 

25. Mär. 

Ich habe keinen Muth und feinen Wit, ach hätt ich doch einen 
Freund der nächtlich mit mir iiber die Berge ging. 











235 





Die Tyroler liegen in diefer Kälte mit Weib und Kind zwiſchen 
den Felſen, und ihr begeifterter Athem durchwärmt bie ganze Atmoſphäre. 
Wenn ich ten Stadion frage, ob der Herzog Karl fie auch gewiß nicht 
verlaflen werde, dann faltet er die Hände und jagt: ich will's nicht 
erleben. 


26. Mär;. 

Das Papier muß herhalten, einziger VBertrauter! — was doch 
Amor für tüdifhe Launen bat, daß ich in dieſer Reihe von Tiebes- 
briefen auf einmal mich für Mars entzlinve, mein Theil Liebesfhmerzen 
bab ich ſchon, ich müßte mich ſchämen in diefem Augenblid fie geltend 
machen zu wollen; und könnt ih nur etwas thum, und wollten die 
Schickſalsmächte mich nicht verfhmähen! das ift das bitterfte, wenn 
man ihnen nicht8 gilt, wenn fie einem zu nichts verwenden. 

Denk nur, daß ich in dem verdammten Münden allein bin. 
Kein Gefiht dem zu trauen wär; Savigny ift in Landshut, dem 
Stadion fhlagen die Wellen in dieſem politifhen Meeresfturm über'm 
Kopf zufammen, ich feh ihn nur auf Augenblide, man ift ganz miß⸗ 
trauifch gegen mich wegen ihm, das ift mir grade lieb, wenn man 
auch hochmüthig ift auf den eignen Wahnfinn, fo fol man doch ahnen 
daß nicht jeder von ihm ergriffen ift. 

Heute Morgen war ic draußen im befchneiten Park und erftieg 
den Schnedenthurm, um mit dem Fernrohr nah den Throlerbergen 
zu fehen, wüßte ich Dein Dach dort, ich könnte nicht fehnfüchtiger da- 
nad ſpähen. 

Heute ließ Winter Probe halten von einem Marſch den er für 
den Feldzug gegen Tyrol componirte, ich fagte ver Marſch ſei ſchlecht, 
die Batern würden alle ausreifen und der Schimpf auf ihn fallen. 
Winter zerriß die Compofition und war fo zornig, daß fein langes 
Silberhaar wie ein vom Hagel getroffenes Ährenfeld hin⸗ und her- 
wogte. Ach könnte ich Doch andere Anftalten auch jo hintertreiben wie 
den Marſch. 

Jacobi habe ich in vrei Wochen nicht gefehen, obſchon ich ihm 


236 





über feinen Woldemar den er mir bier zu lefen gab, einen langen 
Brief geihrieben babe; ich wollte mich üben die Wahrheit fagen zu 
fönnen ohne daß fie beleidigt, er war mit dem Brief zufrieden und bat 
mir mancherlei darauf erwiedert, wär ich nicht in das heftige Herz⸗ 
Hopfen gerathen wegen ven Tyrolern, jo wär ich vielleiht in eine 
philoſophiſche Correſpondenz gerathen und gewiß drinn fteden geblieben ; 
dort auf ven Bergen aber nicht, da hätt ich meine Sache durchgefochten. 
Schelling feh ich auch felten, er bat etwas an fi, das will mir 
nicht behagen, und dies Etwas ift feine Frau, die mich eiferfüchtig 
machen will auf Dich, fie ift in Briefwechſel mit einer Pauline ©. 
aus Jena, von diefer erzählt fie mir immer, wie lieb Du fie haft, wie 
liebenswürdige Briefe Du ihr ſchreibſt 2c., ich Höre zu und werde krank 
davon, und dann ärgert mich die Frau. — Ad, es ift auch einerlei, 
ich kann nicht wollen daß Du mich am liebften haft, aber es foll ſich 
niemand unterftehen feine Rechte mit mir zu meflen in der Liebe zu 
Dir. Bettine 


Un Goethe. 
10. April. 

Die Sonne geht mir launig auf, beleuchtet mir manches Bere 
borgne, blendet mich wieder. Mit ſchweren Wollen abwechjelnd zieht 
fie über mir hin, bald ſtürmiſch Wetter dann wieder Kuh. 

Es ebnet fih nach und nad, und auf dem glatten Spiegel, hell 
und glühend fteht immer wieder des liebſten Mannes Bildniß, wankt 
nit, warum vor andern nur Du? — warum nah allen immer 
wieder Du? und doch bin ih Dir werther mit all ver Liebe in ber 
Bruſt? — — frag ih Dih? — Nein, ich weiß recht gut daß Du 
doch nichts antworteft, — und wenn ich auch fagte: Lieber, geliebter 
einziger Mann. 

Was hab ich alles erlebt in dieſen Tagen was mir Das Herz ges 
brochen, ich möchte meinen Kopf an Deinen Hals verfteden, ich möchte 
meine Arme um Dich fchlingen und die böfe Zeit verfchlafen. 


237 


Mas hat mich alles gekränkt, — nichts hab ich gehabt in Kopf 
und Herzen als nur immer das mächtige Schickſal das dort in den 
Gebirgen raſ't. 

Warum ſoll ich aber weinen um die, die ihr Leben mit ſo freu- 
diger Begeifterung ausgehaucht Haben? — was erbarmt mich denn jo? 
— bier ift fein Mitleid zu haben als nur mit mir, daß ich mich fo an⸗ 
ftrengen muß e8 auszuhalten. 

Will ich Dir alles jchreiben, fo verträume ich Die Zeit — die 
Zeit, die auf glühenden Sohlen durch's Tyrol wandert; fo bittere 
Betrübnig Hat mich durchdrungen, daß ich's nicht wage die Papiere, 
die in jenen Stunden gefchrieben find, an Dich abzufchiden. 


19. April. 

Ich bin hellſehend Goethe, — ich jeh das vergoßne Blut der 
Tyroler triumphirend in den Bufen der Öottheit zurüditrömen. Die 
hoben gewaltigen Eichen, die Wohnungen der Menjchen, die grünen 
Motten, die glüdlihen Herven, der geliebte gepflegte Reichthum des 
Heldenvolf8, die den Opfertod in ven Flammen fanden, das alles feh 
ich verflärt mit ihnen gen Himmel fahren, bi8 auf den treuen Hund, 
der feinen Herrn befhütend, den Tod verachtet wie er. 

Der Hund, der keinen Wit hat, nur Inſtinkt, und heiter in jedem 
Geſchick das rechte thut. — Ach Hätte ver Menſch nur fo viel Bit den 
eignen Inſtinkt nicht zu verläugnen. 


20. April. 

In all diefen Tagen der Unruh, glaub's Goethe, vergeht feiner 
den ich nicht mit dem Gedanken an ‘Dich beichließe, ich bin fo gewohnt 
Deinen Namen zu nenmen, Nachts, eh ich einfchlafe Dir alle Hoffnung 
an's Herz zu legen, und alle Bitten und Fragen in die Zukunft. 

Da liegen fie um mich ber die Papiere mit der Geſchichte des 
Tags und den Träumen der Nacht, lauter Verwirrung, Unmuth, 
Sehnfucht und Seufzer der Ohnmacht; ih mag Div im dieſer Zeit 
die fih fo geltend macht, nichts von meinem bebürftigen Herzen 


238 


mittheilen, nur ein paar Heine Zufälle, Die mich beſchäftigen, fchrieb ich 
Dir auf, damit ich nicht verläugne vor Dir, daß ein höheres Geſchick 
auch mir Winke gab, obihon ich zu unmündig mich fühle, ihm zu 
folgen. 

Im März war's, da leitete mir der Graf M.., bei deſſen Familie 
ich Hier wohne, eime wunberliche Geſchichte ein, die artig ausging. 
Der Hofmeilter jeines Sohnes giebt ihn bei ver Polizei an, er ſei 
öfterreichiich gefinnt und man babe an feinem Tiſch die Gefunpheit 
des Katjers getrunfen, er ſchiebt alles auf mich, und num bittet er mich 
daß ich auf diefe Lüge eingebe, da es ihm fehr nachtheilig fein könne, 
mir aber höchſtens einen Heinen Verweis zuziehen werve, ſehr will⸗ 
fommen war mir's, ihm einen Dienft leisten zu können, ich willige mit 
Bergnügen ein; in eimer Gefellihaft wird mir der Polizeipräfident 
vorgeftellt, unter dem Vorwand meine Belanntihaft machen zu wollen, 
ich fomme ihm zuvor und ſchütte ihm mein ganzes Herz aus, meine 
Begeifterung für die Tyroler, und daß ih aus Sehnſucht alle Tage 
auf ven Schnedenthurm fteige mit dent Fernrohr, daß man heute aber 
eine Schildwache hingepflanzt habe die mich nicht hinaufgelaſſen; ge- 
rührt über mein Zutrauen, küßt er mir die Hand und verfpricht mir 
die Schildwache wegzubeordern, — es war feine Lift von mir, denn 
ich Hätte wirklich nicht gewußt mich anders zu benehmen, indeſſen ift 
durch dieſes Verfahren ver Freund weiß gebrennt und ich nicht ſchwarz. 

Ein paar Tage jpäter, in ver Charwoche, indem ich Abends in 
der Dämmerung in meinem Zimmer allein war, treten zwei Tyroler 
bei mir ein, ich bin verwundert, aber nicht erfhroden. — Der eine 
nimmt mid) bei der Hand und fagt: wir wiffen daß du den Tyrolern 
gut bift und wollen did um eine Gefälligkeit bitten; e8 waren Papiere 
an Stadion und mündliche Aufträge, fie fagten mir noch, e8 würde 
gewiß ein Augenblid kommen da ich ihnen Dienfte leiften könne, es 
war mir fo wunderlich, ich glaubte e8 könne eine Lift fein mich auszu⸗ 
forſchen, doch war ich kurz gefaßt und fagte: Ihr mögt mich nun be 
trügen oder nicht, fo werd ich thun was ihr von mir verlangt; der 
Tyroler fieht mid an und fagt: ich bin Leibhufar des Königs, fein 





239 


Menſch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts im Sinn als 
nur wie ich meinen Leuten helfen will, nun Haft du mich in Händen 
und wirft nicht fürchten daß ein Tyroler auch ein Verräther fein könne. 

Wie die Tyroler weg waren war ich wie betäubt, mein Herz 
ſchlug hoch vor Entzüäden, daß fie mir dies Zutrauen geſchenkt haben’; 
am andern Tag war Charfreitag, da holte mich ver Stadion ab, um 
mir eine ftille Meſſe zu lefen. Ich gab ihm meine Depefchen und er- 
zählte ihn alles, äußerte ihm voll Beſchämung die große Sehnfudt, 
daß ich fort möchte zu den Tyrolern; Stadion fagt, ich fol mich auf 
ihn verlafien, er wolle einen Stugen auf den Rüden nehmen und 
in’8 Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er für mid 
ausrichten, es fet die lebte Mefle, die er mir lefen werde, denn in 
wenig Tagen ſei feine Abreife beftimmt. Ach Gott, e8 fiel mir ſchwer 
auf's Herz daß ich jo bald ven lieben Freumd verlieren follte. 

Nach der Mefie ging ih auf's Chor, Winter ließ Die Kamentation 
fingen, id warf ein Chorhemd über und fang mit, unterbefjen fam der 
Kronprinz mit feinen Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide 
Brüder füßten, nachher umarmten fie fi; fie waren bis an den Tag 
entzweit gewefen über einen Hofmelfter, ven der Kronprinz, weil er 
ihn für untauglic hielt, von feinem Bruder entfernt hatte, fie ver- 
ſöhnten ſich alfo bier in der Kirche mit einander und mir machte e8 
große Freude zuzufehen. Bopp, ein alter Claviermeifter des Kron- 
prinzen, der auch mir Unterricht giebt, begleitete mich nach Haufe, er 
zeigte mir ein Sonnet was der Kronprinz an diefem Morgen gedichtet 
hatte; ſchon daß er diefen Herzensdrang empfindet, bei Ereignifjen die 
ihn näher angehen, zu dichten, fpricht für eime tiefere Seele; in ihm 
waltet gewiß das Naturrecht vor, dann wird er auch die Tyroler nicht 
mißhandeln laſſen; ja, ich hab eine gute Zuverficht zu ihm; der alte 
Bopp erzählt mir alles was meinen Enthuſiasmus noch fteigern kann. 
Am dritten Feiertag holte er mich ab in den englifchen Garten, um 
die Anrede des Kronprinzen an feine verfammelte Truppen, mit denen 
er feinen erften Feldzug machen wird, anzuhören, ich konnte nichts 
zufammenhängendes verftehen, aber was ich hörte, war mir nicht recht, 








a a al 0 ——— —— — —⸗ 


240 


er ſpricht von ihrer Tapferkeit, ihrer Auspauer und Treue, von den 
abtrünnigen, verrätheriihen Tyrolern, daß er fie, vereint mit ihnen, 
zum Gehorfam zurüdführen werde, und daß er feine eigne Ehre mit 
der ihrigen verflehte und verpfänvde ꝛc. Wie ih nad Haufe komme 
wühlt das alles in mir, ich fehe ſchon im Geift wie ver Kronprinz, 
feinen Generalen überlafien, alles thut wogegen fein Herz fpridt, und 
dann iſt's um ihn gefchehen. So ein batrifcher General ift ein wahrer 
Rumpelbaß, aus ihm hervor brummt nichts als Baierns Ehrgeiz; 
das ift die große, rauhe Stimme, mit ver er alle befieren Gefühle 
übertönt. 

Das alles wogte in meinem Herzen da ich won dieſer Öffentlichen 
Rede zurückkam, und daß fein Menfch in ver Welt einem Herrfcher die 
Wahrheit fagt, im Gegentheil nur Schmeidhler ihnen immerdar Recht 
geben, und je tiefer ſich ein folder irrt, je gewaltiger ift in jenen bie 
Furcht, er möge an ihrer Übereinftimmung zweifeln; fie haben nie 
das Wohl der Menſchheit, fie haben nur immer die Gunft des Herrn 
im Auge, Sch mußte aljo einen verzweifelten Schritt thun, um den 
Zumult der eignen Tebensgeifter zu beſchwichtigen, und ich bitte Dich 
im Boraus um Berzeihung, wenn Du es nicht gut heißen follteft. 

Erſt nachdem ich dem Kronprinzen, meine Liebe zu ihm, meine 
Begeifterung für feinen Genius, Gott weiß in welchen Schwingungen 
an's Herz getrieben babe, vertraue ich ihm meine Anſchauung von dem 
Tyrolervolk, das ſich die Heldenkrone erwirbt, meine Zuverſicht, er 
werde Milde und Schonung da verbreiten, wo feine Leute jet nur 
rohe Wuth und Rachgierde walten Iafjen, ich frage ihn ob der Nante, 
Herzog von Tyrol nicht herrlicher klinge, als die Namen ver vier 
Könige die ihre Macht vereint haben um dieſe Helden zu würgen? 
Und e8 möge num ausgehen wie es wolle, jo hoffe ich daß er fich von 
jenen den Beinamen der Menschliche erwerben werbe; Dies unge- 
fähr ift der Inhalt eines vier Seiten langen Brief's, den ih, nachdem 
ich ihn in heftigfter Wallung gefchrieben (da ich denn aud nicht Davor 
ftehen kann was alles noch mit untergelaufen), mit der größten Kaltblü- 
tigleit fiegelte, und ganz getroft in des Klaviermeiſters Hände gab, mit 











241 





per Bedeutung: es ſeien wichtige Sachen über Die Tyroler, die Dem 
Kronprinz von großem Nuten fein würben. — 

Wie gern macht man fidh wichtig, mein Bob purzelte faft vie 
Stiegen herab, vor Übergroßer Eile dem Kronprinzen den interefjanten 
Brief zu überbringen, und wie leichtſinnig bin ich, ich vergaß alles. Ich 
ging zu Winter, Pfalmen fingen, zu Tied, zu Jacobi, nirgends ſtimmt 
men mit mir ein, ja alles fürchtet fi, und wenn fie wüßten was ich 
angerichtet habe, fie würden mir aus Furcht das Haus verbieten, da feh 
ich denn ganz ironiſch drein und vente: ſeid ihr nur bairiſch und fran- 
zöfifch, ich und der Kronprinz wir find deutſch und tyroliſch, oder er läßt 
mich in's Gefängniß fegen, dann bin ich mit einem Male fret und felbft- 
ftändig, dann wird mein Muth ſchon wachlen, und wenn man mid 
wieder losläßt, dann geh ich über zu ven Tyrolern und begegne dem 
Kronprinzen im Feld, und trotze ihm ab was er fo mir nicht zugefteht. 

D Goethe, wenn ich follte in's Tyrol wandern, und zur rechten 
Zeit kommen, daß ich ven Heldentod fterbe! es muß doch ein ander 
Weſen fein, e8 muß doc eine Belohnung fein für ſolche lorbeergekrönte 
Häupter; der glänzende Triumph im Augenblid des Übergangs ift ja 
Zeugniß genug, daß die Begeifterung, die der Heldentod uns einflößt, 
nur Widerſchein himmliſcher Glorie iſt. — Wenn ich fterbe, ich freute 
mich ſchon daranf, fo gaufle ih als Schmetterling aus dem Sarg 
meines Leibes hervor, und dann treffe ih Dich in dieſer herrlichen 
Sommerzeit unter Ölumen, wenn em Schmetterling Dich unter Blumen 
borzieht, und lieber auf Deiner Spin ſich nieverläßt und auf Deinen 
Tippen als auf ven blühenden Roſen umber, dann glaube ficher es ift 
mein Geift, der auf dem Tyrolerſchlachtfeld frei gemacht ift von irdi⸗ 
ihen Banden, daß er hin kann wo die Tiebe ihn ruft. 

Ja wenn alles wahr würde was ich fchon in der Phantafie er- 
lebt habe, wenn alle glanzuollen Ereignifje meines innern Lebens auch 
im äußern ſich fpiegelten, dann hätteſt Du fchon große und gewaltige 
Dinge von Deinem Kind erfahren, ih kann Dir nicht jagen was ich 
träumend ſchon gethan habe, wie das Blut in mir tobt, Daß ich wohl 
lagen kann ich hab eine Sehnfucht es zu verfprigen. 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 16 


242 





Mein alter Elaviermeifter kam zurüd, zitternd und bleih: was 
bat in den Papieren geftanden die Sie mir für den Kronprinzen an⸗ 
vertrauten fagte er, wenn es mich nur nicht auf ewig unglüdlich macht, 
der Kronprinz ſchien aufgeregt? ja erzirmt währenn dem Leſen, und 
wie er mich gewahr wurde hieß er mich gehen, ohne wie fonjt mir 
auch nur ein gnädiges Wort zu fagen. — Sch mußte lachen, der Cla⸗ 
viermeifter wurde immer ängftlicher, ich immer Iuftiger, ich freute mich 
ſchon auf meine Gefangenfhaft, und wie ih da in der Einſamkeit mei- 
nen philofophifhen Gedanken nachhängen würde, ich dachte: dann fängt 
mein Geſchick doch einmal an Leben zu gewinnen, e8 muß voch einmal 
was draus entftehen; aber jo kam es wieder nicht, ein eimzigmal ſah 
ich den Kronprinz tim Theater, er winkte mir fremmblih; nun gut: acht 
Tage hatte ich meinen Stadion nicht gefehen, am 10. April wo id} die 
gewife Nachricht erhielt er fer in der Nacht abgereift; da war ich doch 
jehr betrübt daß ich ihn follte zum letztenmal gefehen haben, es war 
mir eine wunderliche Bebeutung daß er am Charfreitag feine legte 
Meſſe gelejen hatte; — die vielen zurüdgehaltenen und verläugneten 
Gefühle brachen endlich in Thränen aus. In der Einſamkeit da lernt 
man kennen was man will und was einem verfagt wird. Ich fand 
feine Tage für mein ringendes Herz, müde geworden vom Weinen, 
Ihlief ich ein, bift Du ſchon eimgefhlafen, müde vom Weinen? — 
Männer weinen wohl fo nicht? — Du haft wohl nie geweint, daß die 
Seufzer noch felbft im Schlaf die Bruft beſchweren. So fhluchzend im 
Traum hör ich meinen Namen rufen; es war dunkel, bei dem ſchwa⸗ 
hen Dämmerfchein der Laternen von der Straße, erfenne ich einen 
Mann neben mir in fremder Soldatenkleidung, Säbel, Patrontaſche, 
ſchwarzes Haar, fonft würde ich glauben ven ſchwarzen Fritz zu er⸗ 
fennen. — Nein Du trrft nicht, e8 tft der Schwarze Fritz, der Abſchied 
von Dir nimmt, mein Wagen fteht an der Thür, ich gehe eben als 
Soldat zur Ofterreichifchen Armee, und was deine Freunde die Tyro⸗ 
ler anbelangt, fo ſollſt Du mir keine Borwärfe machen oder Du fiehft 
mid nie wieder, denn ich gebe Dir mein Ehrenwort ich werde nicht 
erleben dag man fie verrathe, es geht gewiß alles gut, eben war id) 





243 


beim Kronpringen, der hat mit mir Die Geſundheit der Tyroler getrunten 
und dem Napoleon ein Bereat gebracht, er hat mich bei ver Hand gefaßt 
und gejagt: erinnern Sie fi dran, daß im Fahr Neune im April, wäh⸗ 
rend ver Tyroler Revolution, der Kronprinz von Batern dem Napoleon 
widerfagt hat, und fo bat er fein Glas mit mir angeftoßen, daß 
der Fuß zerſchellte; ich fagte zu Stadion: nun bin ich allein und hab 
feinen Freund mehr, er lächelte und fagte: Du fchreibft an Goethe, 
ſchreib ihm auch von mir, daß der Katholiihe Priefter auf dem Tyro⸗ 
ler Schlachtfeld ſich Lorbeern holen will, ich fagte: Nun werde ich 
feine Mefie fo bald mehr hören; — und ich werde ſobald auch feine 
mehr lefen, fagte er. Da ſtieß er fein Gewehr auf, und reichte mir 
die Hand zum Abſchied. Den werd ich gewiß nicht wieberfehen. 
Kaum war er fort, Hopfte es ſchon wieder, der alte Bob kommt her- 
ein, e8 war finfter im Zimmer, an feiner Stimme erfenne ich daß er 
frendig ift, er reicht mir feierlich ein zerbrochnes Glas und fagt: das 
Ihidt Ihnen der Kronprinz und läßt Ihnen fagen, daß er die Gefund- 
heit derjenigen daraus getrunlen hat die Sie protegteren, und bier 
fhidt er Ihnen feine Kokarde als Ehrenpfand daß er Ihnen fein Wort 
löſen werde, jeder Ungerechtigkeit, jever Grauſamkeit zur fleuern. — 
Ich war froh, herzlich froh, daß ich nicht Heinlich und zaghaft geweſen 
war dem Zutrauen zu folgen was der Kronprinz, und alles ja ſelbſt 
auch das widerſprechendſte was ich von ihm erfahren babe mir ein⸗ 
flößte, e8 war ſehr freundlih von ihm, daß er mich fo grüßen ließ 
und daß er nicht meine Voreiligleit von ſich wie; ich werd es ihm 
nicht vergeflen, mag ich auch noch manches verfehrte von ihm hören ; 
denn unter allen die ihn beurtheilen, hat gewiß feiner ein jo gutes Herz 
als er, der es fih ganz ruhig gefallen läßt. Sch weiß auch, daß er 
eine feierliche Hochachtung vor Dir hat, und nicht wie andere Prinzen, 
die nur im Borüberftreifen einen folhen Geift berühren wie Du, nein 
e8 geht ihm von Herzen wenn er Dich einmal fieht und Dir fagt, daß 
er ſich's zum größten Glück ſchätze. 

Ich habe noch viel auf dem Herzen, denn ich habe dich allein 
dem ich's mittheilen kann. Jeder Augenblick erregt mid auf's Neue, 

16* 


244 





es ift als ob das Schickſal dicht vor meiner Thüre feinen Markt auf 
geſchlagen hätte; jo wie ich den Kopf Hinausftede bietet es Plunder, 
Berrath und Faljchheit feil, außer Die Tyroler, deren Siegesjubel durch 
alle Berläumbung und Erbitterung der Feinde durchklingt, aus deren 
friſch vergoſſnem Blut Ihomuene. Frühlingsblumen fprießen, und bie 
Sünglinge frifch jeden Morgen von den nebelverhüllten Felszacken dem 
gewiflen Sieg entgegen tanzen. 

Adieu, Adien, auf meine Liebe weile ich Dich an, die bier in dieſen 
Blättern nur im Vorüberftreifen den Staub ihrer üppigen Blüthe aus 


den vollen Kelchen ſchüttelt. 
Bettine. 


Friedrich Tie macht jet Schellings Büfte, fie wird nicht ſchöner 
als er, mithin ganz garftig, und doc ift e8 ein ſchönes Werft, — 

Da ich in Tiecks Werkftätte fam, und fah wie der große, breite, 
prächtige, vieredige Schellingsfopf unter feinen firen Fingern zum 
Vorſchein kam, dacht ich er Habe unſerm Herrgott abgelernt wie er die 
Menſchen machte, und er werde ihm glei den Athem einblafen, und 
der Kopf werde lernen A — B — fagen, womit ein Philofoph fo 
vieles jagen fan. 


An Bettine. 


Man möchte mit Worten jo gerne wie mit Gedanken Div ent⸗ 
gegen kommen Tiebfte Bettine; aber die Kriegszeiten die jo großen Ein- 
flug auf das Lefen haben, erftreden ihm nicht minder ftreng auf das 
Schreiben, und fo muß man fidh’8 verfagen Deinen romantiſch⸗charak⸗ 
teriftifhen Erzählungen gleichlautenne Gefinnungen deutlih auszu- 
Iprehen. Sch muß daher erwarten was Du durch eine Reihe von 
Briefen mich Hoffen läßt, nämlich Dich felbft, um Dir alles mit Dank 
für Deine nie verfiegende Liebe zu beantworten. 

Erſt in voriger Woche erhielt ich Dein Padet was der Courier 
in meiner Abweſenheit den Herzog übergab, der e8 mir ſelbſt brachte. 


245 





Seine Neugierde war nicht wenig gelpannt, ich mußte um nur durch 
zu kommen, Deine wohlgelungenen politifhen Verhandlungen ihm 
mittheilen, die denn auch jo allerliebft find, daß es einem ſchwer wird 
fie für ſich allein zu bewahren. Der Herzog bebanert fehr, daß Du 
im Interefie anderer Mächte bift. — 

Ich habe mich num hier in Jena in einen Roman eingefponnen, 
um weniger von allem Übel der Zeit ergriffen zu werben, ich hoffe der 
Schmetterling ver da heransfitegt wird Dich noch als Bewohner diefes 
Erdenrunds begrüßen und Dir beweifen, wie die Pſychen auch auf 
ſcheinbar verfchiennen Bahnen einander begegnen. 

Auch Deine lyriſchen Aufforderungen an eine frühere Epoche des 
Autors Haben mir in mandem Sinne zugelagt, und wüchſe der Menſch 
nicht aus der Zeit mehr noch wie aus Seelenepodhen heraus, jo würd 
ich nicht noch einmal erleben wie fchmerzlich es ift, ſolchen Bitten fein 
Gehör zu geben. 

Deine interefjanten Ereigniffe mit dem hohen Protektor eigner 
feindlicher Widerfacher, macht mich begierig noch mehr und auch von 
andrer Seite von ihm zu willen, zum Beiſpiel könnteſt Du mir die 
Verſuche und Bruchftüde feiner Gedichte in deren Beſitz Du bift, mit 
theilen, mit Vergnügen würde th ihn in dem unbefangnen Spiel mit 
feiner jungen Muſe beobachten. 

Die Gelegenheiten, mir fiher Deine Briefe zu fchiden verfäunme 
ja nicht, fie find mir in diefer armen Zeit äußerft willlommen. Arch 
was der Tag fonft noch mit fi bringt berichte, von Freunden und 
merfwürbigen Leuten, Künften und philofophiihen Erjheinungen; da 
Du in einem Kreis vielfach aufgeregter Geifter bift, jo kann Dir der 
Stoff hier nicht ausgehen. 

Möchten doch auch die verfprocdhnen Mitthetlungen über die 
legten Tage meiner Mutter in dieſen verſchlingenden Ereignifjen nicht 
umtergehen, mir tft zwar mancherlet von Freunden über fie berichtet, 
wie fie mit großer Befonnenheit alle irdiſchen Anordnungen getroffen; 
von Dir aber erwarte ich noch etwas anvers, daß Dein liebender 
Sinn ihr ein Denkmal fee, in der Erinnerung ihrer legten Augenblide. 


246 





Ich bin fehr in Deiner Schuld liebes Kind mit diefen wenigen 
Zeilen, ih kann Dir nur mit Dank bezahlen für alles was Du mir 
giebft, geben möchte ih Div das befte, wenn Du es nicht ſchon un- 
widerftehlih an Did, gerifjen hätteft. 

Der ſchwarze Fritz ift mir auch unter diefem Namen ein guter 
Bekannter, und die [hönen Züge die Du von ihm berichteft, bilden 
ein volllommmes Ganze mit dem was eine befreundete Erinnerung 
binzubringt. Du haft wohl recht zu fagen, daß wo der Boden mit 
Helvenblut geträntt wird, es im jeder Blume neu hervorſprieße, 
Deinem Helden gönne ih, daß Mars und Minerva ihm alles Glück 
zuwenden mögen, da er fo fhönem an Deiner Seite entrifjen zu fein 


ſcheint. 


17. Mai 1809. G. 


An Goethe. 
| 18. Mai. 

Der Kronprinz von Baiern ift die angenehmfte unbefangenfte 
Jugend, ift fo edler Natur, daß ihn Betrug nie verletzt, fo wie den 
gehörnten Stegfried nie die Lanzenſtiche verlegten. Er ift eine Blüthe 
auf welcher ver Morgenthbau noch ruht, er ſchwimmt noch in feiner 
eignen Atmofphäre, das heißt: feine beiten Kräfte find noch in ihm. 
Wenn e8 fo fort ginge und daß keine böſen Mächte feiner Meiſter 
würden? — Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten 
Feen mit kräftigen Talismanen verfehen wurden, wenn fie zwiſchen 
feurigen Drachen und ungeſchlachten Rieſen nach dem tanzenven Waſ⸗ 
fer des Lebens oder nach golpnen Liebesäpfeln ausgefandt waren, und 
eine in Marmor verwünſchte Prinzeffin, fo roth wie Blut, fo weiß wie 
Schnee, ſchön wie das ausgefpannte Himmelszelt über vem Frühlings⸗ 
garten, als ihrer Erlöfung Lohn ihnen zu Theil wurde, — Jetzt ift 
bie Aufgabe anders: die unbewachten Äpfelbäume hängen ihre frucht⸗ 
beladenen Zweige über ven Weg, und Liebchen laufcht hinter der Hede 


247 





um den Ritter felbft zu fangen, und dieſem allen fol er entgehen un 
fern Herz ver Tugend weihen, die feine Jugend bat, ſondern eine gräu- 
liche Larve, fo dag man vor ihr Reißaus nehmen möchte, la belle et 
la böte, la b&te iſt die Tugend und la belle ift die Jugend, vie ſich 
von ihr ſoll frefien laſſen; da iſt's denn kein Wunder, wenn die Jugend 
vor der Tugend Reißaus nimmt, und man kann ohne geheime parthei- 
liche Wünſche nicht Zeuge von diefem Wettrennen fein. — Armer 
Kronprinz! Ich bin ihm gut, weil er mit fo ſchönem Willen hinüber⸗ 
geht zu meinen Tyrolern, und wenn er auch nichts thut als der Grau⸗ 
ſamkeit wehrt, ich verlaſſe mich auf ihn. 

Geftern bin ich zum erftenmal wiever eine Strede weit in's Freie 
gelaufen, mit einem kapriziöſen Liebhaber ver Wiſſenſchaften und Fünfte, 
mit einem fehr guten gehorfamen Kinde feiner eignen Launen, eine 
warme lebendige Natur, breit und jchmal, wie Du ihn willft, dreht 
ſich ſchwindellos über einem Abgrund herum, fteigt mit Vergnügen auf 
die kahlen Spigen der Alpen, um nad Belieben in den Dcean oder 
in’s mittelländifche Meer zu fpeien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn 
Du ibn je fiehft und nach diefer Befchreibung erkennit, jo ruf ihm nur 
Rumohr, ich vermuthe, er wird fih nah Dir umfehen. — Mit dieſem 
alſo bat meine unbefangne Sugend gewagt, fich Das Ziel einer andert⸗ 
halb Stunden weiten Reife zu fegen, der Ort unferer Wallfahrt heit 
Harlachingen, anf franzöſiſch, Arlequin. Ein heißer Nachmittag, recht 
um melancholiſche Blicke in Brand zu ſtecken. 

Wir verlaſſen den grünen Teppich, ſchreiten über einen ſchmalen 
Balken auf die andere Seite des Ufers, wandern zwiſchen Weiden, 
Mühlen, Bächen, weiter; — wie nimmt ſich da ein Bauer in rother 
Jacke gut aus, gelehnt an ven hohen Stamm des edlen populus alba, 
defien feine Afte mit kaum entfproßnen Blättern einen fanften grünen 
Schleier, gleihfam ein Frühlingsneg nieverfpinnen, in welchem ſich 
die taufend Käfer und fonftige Beftten fangen, fherzen und ganz lieb⸗ 
lich haushalten. Jetzt! warum nicht? — Da unter dem Baum tft 
genugfam Platz feinen Gedanken Audienz zu geben, der launige Natur- 
liebhaber läßt fi da nieder, da8 Dolce farniente fummt ihm ein 


248 





Wiegenliedchen in die Obren, die Augenlider ſinken, Rumohr ſchläft. 
Natur hält Wache, lispelt, flüftert, lallt, zwitichert. — Das thut ihn 
fo gut; träumend fenkt er fein Haupt auf die Bruft; jest mücht id 
Dih fragen Rumohr, was ich nie fragen mag wenn Du wach bift. 
Wie kommt's daß Du ein fo großes Erbarmen haft und freundlich bift 
mit allen Thieren, und Dich nicht kümmerſt um das gewaltige Geſchick 
jenes Bergvolks? Bor wenig Wochen, wie das Eis brady und der 
Fluß überſchwoll, da jegteft Du alles dran eine Kate aus der Waſſers⸗ 
noth zu retten. Vorgeſtern haft Du einen todtgeſchlagnen Hund, Der 
am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde 
bedeckt, obſchon Du in ſeidnen Strümpfen warft, und einen Klaque in 
Händen hatteſt. Heute Morgen haft Du mit Thränen gellagt, daß 
die Nachbarn ein Schwalbenneft zerftörten troß Deinen Bitten und 
Einreven. Warum gefällt Dir's nicht, Deine Langeweile, Deine me 
lancholiſche Laune zu verlaufen um einen Stuten, Du bift fo leicht 
und ſchlank wie eine Birke, Du könnteft Säte thun über die Abgründe, 
von einem Feld zum andern, aber faul bift Du und furchtbar krank an 
Neutralität. — Da fteh ich allein auf ver Wiefe, Rumohr ſchnarcht, 
daß die Blumen erzittern, und ich dent an die Sturmglode, deren Ge⸗ 
läut fo fürchterlich in den Ohren der Feinde erflingt, und auf deren 
Ruf alle mit Trommeln und Pfeifen ausziehen, ob aud die Stürme 
braufen, ob Naht oder Tag, — und Rumohr, im Schatten eines 
jungbelaubten Baumes, eingewiegt von ſcherzenden Lüftchen und fingen- 
den Mückchen, ſchlaäft feit; was geht ven Edelmann das Schidfal derer 
an, denen keine Strapaze zu hart, fein Marjch zu weit ift, die nur 
fragen: wo ift der Feind? — dran, dran, für Gott, unfern lieben 
Kaiſer und Baterlann!! — Das muß ih Dir fagen, wenn ich je 
einen Kaifer, einen Landesherrn Lieben könnte, fo wär's im Augenblid 
wo ein ſolches Bolt im Enthuſiasmus fein Blut für ihn verſpritzt; ja, 
dann wollt ih auch rufen: wer mir meinen Kaiſer nehmen will, der 
muß mich erft todtſchlagen, aber fo ſag ich mit dem Apoſtel: ein jeder 
ift geboren König zu fein und Priefter der eignen göttlichen Natur, 
wie Rumohr. 








249 





Die Iſar ift ein wunderliher Fluß. Pfeilſchnell ftärzen die 
jungen Quellen von den Bergklippen herab, fammeln fih unten im 
felfigen Bett in einen reißenden Strom. Wie ein ſchäumender Drache 
mit aufgefperrtem Rachen brauft er hüben und drüben, über hervor- 
ragende Felsſtücke verfchlingend her, feine grünen, dunklen Wellen 
brechen ſich tauſendfach am Geftein und ſchäumend jagen fie hinab, 
fie ſeufzen, ſie Iallen, fie ftöhnen, fie braufen gewaltig. Die Möven 
fltegen zu Taufenden über dem Waſſerſturz und netzen die Spitzen 
ihrer ſcharfen Flügel; — und in fo farger Gegend, ſchauderhaft anzu⸗ 
ſehen, ein ſchmaler Steg von zwei Brettern, eine Viertel Stunde lang, 
ſchräg in die Ränge des Flufies. — Nun, wir gingen keine Gefahr 
ahnend drüber hin, die Wellen brachen fich in ſchwindelnder Eile auf 
dem Wehr unter dem zitternden Steg. Außer daß die Bretter mit 
meiner Reichtigkeit hin⸗ und herſchwankten, und Rumohr's Fuß zwei- 
mal durchbrach, waren wir ſchon ziemlich weit gelommen, ein dicker 
Bürger mit der Berbienftmedaille auf der Bruft, kam von der andern 
Seite, keiner hatte den andern bemerkt, an einander vorbeizufommen 
war nicht, einer mußte umdrehen. Rumohr fagt: wir müſſen erft er- 
fahren für was er die Medaille hat, darauf ſolls anlommen wer um- 
kehrt. Wahrbaftig ich fürdhtete mich, mir war ſchon fchwinplich, hätten 
wir umkehren müſſen, jo war ich voran, während die lofen Bretter 
unter meinen Füßen ſchwankten. Wir erfundigten uns ehrerbietigft 
nad der Urfache feines Verbienftes: — er hatte einen Dieb gefangen. 
Rumohr fagte: dies Verdienſt weiß ich nicht zu ſchätzen, denn ich bin 
fein Dieb, alfo bitt ih umzufehren, der verwunderte dide Mann ließ 
fih mit Rumohr's Beihülfe umkehren und machte ven Weg zurüd. 

Unter einem Raftanienbaum ließ ich mich nieder, träumend grub 
ich mit emem Reis in die Erde. Rumohr jagt mit Stod und Hut die 
Maikäfer auseinander, die wie viele Flintenfugeln uns umfchwirtten, 
beim nach Hanfegehen in der Dämmerung. — Nah an der Stadt auf 
einem grünen Pla am Ufer fteht vie Statue des heiligen Johann von 
Nepomuk, der Waflergott; vier Laternen werfen einen frommen Ölanz 
auf ihn, die Leute knieen da nach einander hin, verrichten ihr Gebet, 


250 





ftört Feiner den andern, gehen ab und zu. Die Mondfichel fland oben, 
— in der Verne hörten wir Pauken und Trompeten, Signal der 
Freude über die Rückkunft des Königs; er war geflohen vor einer Hand⸗ 
vol wagbalfiger Tyroler, die wollten ihn gefangen haben, warum lieh 
er fich nicht fangen, da war er mitten unter Helben, keine beſſere Ge- 
ſellſchaft für einen König, umfonft wär's nicht geweſen, der Jubel 
würde nicht gering gewejen fein, von Angeficht zu Angeficht hätte er 
vielleicht befiere Geſchäfte gemacht, er tft gut, Der König, der muß fid 
auch fügen in's eiferne Geſchick der falſchen Politik. — Die Stadt 
war illuminirt als wir hineinkamen, und mein Herz war bei dem allen 
ſchwer, ſehr ſchwer, wollte gern mit jenen Felsſteinen in die Tiefe 
binabrollen, denn weil ich alles geſchehen laflen muß. Heut haben wir 
den 18. Mai, vie Bäume blühen, was wirb noch alles vorgehen bis 
die Früchte reifen. Vorgeſtern glühte der Himmel über jenen Alpen, 
nicht vom euer der untertauchenden Sonne, nein, vom Mordbrand; 
da kamen fie in den Flammen um, vie Mütter mit ven Säuglingen, 
bier lag alles im ſchweigenden Frieden der Nacht, und ver Thau 
tränkte die Kräuter, und dort verlohlte die Flamme den mit Helden- 
biut getränkten Boden. 

Ich ſtand die halbe Nacht auf dem Thurm im Hofgarten und 
betrachtete ven rothen Schein, und wußte nicht was ich davon denken 
ſollte, und konnte nicht beten, weil e8 doch nichts hilft, und weil ein 
göttlich Geſchick größer ift als alle Roth, und allen Sammer auf- 
wiegt. — | 

Ah, wenn ſehnſüchtiger Sammer beten ift, warum hat Dann 
Gott mein heißes Gebet nicht erhört? — warum bat er mir nicht 
einen Führer gefchidt, ver mid die Wege hinüber geleitet hätte! — 
Ich zittere zwar vor Zucht und Schreden über allen Gräuel, ven 
men nimmer ahnen könnte, wenn er nicht geſchehen wär, aber die 
Stimme aus meinem Herzen hinüber zu ihnen, übertäubt alles. Das 
Schloß der blinden Tannenberge haben fie verrätherifch abgebrennt; 
Schwat, Öreife, Kinder, Heiligthümer; ach, was joll ih Dir fchreiben, 
was ich nimmermehr felbft wiſſen möchte, und doch haben die Baiern 











251 





jelbft jubelnd ſich deſſen gerühmt, jo was muß man tragen lernen mit 
kaltem Blut, und muß denken Daß Unfterblichleit ein ewiger Lohn ift, 
der alles Geſchick überbietet. — 

Der König fuhr, da wir eben in die Stadt kamen, durch die er- 
leuchteten Straßen, das Bolt jauchzte und Yreudenthränen rollten über 
die Wangen ver harten Nation; ich warf ihm auch Kußhände zu, und 
ih gönn ihm daß er geliebt ift. — Adieu, hab dein treues Kind Lieb, 
ſag ihm bald ein paar Worte. Bettine. : 


An Goethe. 
Am 22. Mai. 

Heute Morgen zu meiner Überrafhung erhielt ih Deinen Brief. 
Ich war gar nicht mehr gefaßt darauf, ſchon die ganze Zeit fchreibe 
ich meine Blätter als ein verzweifelter Liebhaber, ver fie dem Sturm- 
wind preis giebt, ob Der fie etwa hintrage zu dem Freund in den 
mein krankes Herz Vertrauen bat. So hat mid denn mein guter 
Genius nicht verlafjen! er durchſauſet die Lüfte auf einem ſchlechten 
Poftklepper, und am Morgen, einer Rat voll weinender Träume, 
erblid ich ermacdhend das blaue Couvert auf meiner grünen Dede. 

So tretet denn ihr fteilen Berge, ihr ſchroffen Felswände, ihr 
teten, racheglühenden Schügen, ihr verwäfteten Thale und rauchenven 
Wohnungen befcheiden zurück in den Hintergrund und überlaßt mid 
einer ungemefienen Freude, vie elektriſche Kette vie den Funken von 
Ihm bis zu mir leitet zu berühren, und unzählige Mal nehm ich ihn 
in mid auf, Schlag auf Schlag, diefen Funken der Luft. — Emm 
großes Herz, hoch über den Schreden der Zeit, neigt ſich herab zu 
meinem Herzen. Wie der filberne Faden ſich niederſchlängelt in's 
Thal zwiſchen Hinabgrünenden Diatten und blühenden Büjchen (denn 
wir haben ja Mai), fi unten ſammelt und im Spiegel mir mein Bild 
zeigt, jo leiten Deine frenndlichen Worte hinab zu mir das ſchöne Bes 
wußtfein, aufbewahrt zu fein im Heiligthum Deiner Erinnerumgen, 


252 





Deiner Gefühle; fo wag ich's zu glauben, da diefer Glaube mir den 
Frieden giebt. — 

D, lieber Freund, während Du Dich abwendeft vor dem Unheil 
trüber Beit, in einfamer Höhe Geſchicke bilveft, und mit ſcharfen 
Sinnen fie lenkeſt, daß fie ihrem Glück nicht entgehen, denn ſicher tft 
dies ſchöne Buch, welches Du Dir zum Troft über alles traurige er⸗ 
findeft, ein Schatz Föftliher Genüffe, wo Du in feinen Organifationen 
und großen Anlagen der Charaktere Stimmungen einleiteft und Ge- 
fühle die befeligen, wo Du mit freundlichem Hauch die Blume des 
Glücks erwedt und in geheimnißvoll glühenven Yarben, erblühen 
machſt was unfer Geift entbehrt. — Ja, Goethe, während diefem bat 
es ſich ganz anders in mir geftaltet. — Du erinnerft Dich wohl noch, 
daß die Gegend, das Klima meiner Gedanken und Empfindungen 
heiter waren, ein freundlicher Spielplatz wo ſich bunte Schmetterlinge 
zu Herden über Blumen fchaufelten, und wie dein Kind fpielte unter 
ihnen, fo leichtfinnig wie fie felber, und Di, den einzigen Prieſter 
dieſer ſchönen Natur, muthwillig umjauchzte, manchmal aud) tiefbewegt 
allen Reiz beglüdter Liebe in fi fammelnd zu Deinen Füßen in Be- 
geifterung überſtrömte. Jetzt ift e8 anders in mir, düſtere Hallen, vie 
propbetiihe Monumente gewaltiger Todeshelden umfchließen, find der 
Mittelpunkt meiner ſchweren Ahnungen; der weiche Monvesftrahl, der 
golpnen Birke Duft, dringen da nicht ein, aber wohl Träume Vie 
mir Dad Herz zerreißen, pie mir im Kopf glühen, daß alle Adern pochen. 
Ich liege an der Erde am verödeten Ort, und muß vie Namen aus⸗ 
rufen diefer Helden, deren ſchauerliches Geſchick mich verwundet; ich 
jeh ihre Häupter mit Siegeslorbeern gefhmüdt, ftolz und mächtig 
unter dem Beil nieverrollen auf das Schaffot. Ach Gott, ach Gott, 
welch Iauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei diefen ein- 
bilverifchen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts ver⸗ 
loren iſt? — ih hab ein Fieber fo glüht mir ver Kopf. Auf dem 
tommenförmigen Gipfel des Kofels, Spedbachers Horft, der ſchlaflos, 
feiner Speife bebärfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein 
Bogel fchwebt über dem Angenblic da e8 Zeit ift. Auf dem Brenner 





253 





wo Hoferd unwandelbarer Gleichmuth die Geſchicke lenkt, die Todten⸗ 
opfer der Treue anorbnet. Am Berge Iſchel wo ber Kapuziner den 
weißen Steden in der Hand, alles errathend und vorbeugend fi allen 
voranmwagend, an der Spite des Landvolks, Sieg bewußt über die 
Saaten nieverjagt in's Thal. Da feh ih auch mich unter dieſen, die 
furze grün und weiße Standarte ſchwingend weit voran auf ſteilſtem 
Gipfel, und der Steg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der 
böfe Traum und haut mit gefhwungener Art mir die fefte Hand ab, 
pie nieverftürzt mit fammt der Fahne in den Abgrımd, dann ift alles 
fo öde und flumm, die Finfterniß bricht ein und alles verſchwunden, 
nur ich allein auf der Felswand ohne Sahne, ohne Hand, verzeih's 
daß ich fo rafe aber fo iſt's. 

Heute morgen noch mein letter Traum, da trat einer zu mir 
auf dem Schlachtfeld, fanft von Geficht, von gemefjenem Wefen, als 
wär es Hofer; ver fagte mitten unter Zeichen ſtehend zu mir: Die 
ftarben alle mit großer Freudigkeit. In demfelben Augen- 
blick erwachte ich unter Thränen, da lag ‘Dein Brief auf dem Bett. 

Ach vereine Dich doch mit mir, Ihrer zu gedenken vie da bin- 
ftürzen ohne Namen, kindliche Herzen ohne Fehl, luſtig geſchmückt wie 
zur Hochzeit mit goldnen Sträußern, die Müten geziert mit Schwung: 
federn der Auerhähne und mit Gemsbärten, das Zeichen tollfühner 
Schützen. Ja! gevente ihrer; es ift des Dichters Ruhm daß er ven 
Helden die Unfterblichkeit fichere! 


6. Juni. 

Geſtern da ich Dir gefchrieben hatte, da war die Sonne ſchon im 
Untergehen, da ging ich noch hinaus wo man die Alpen fieht, was Toll 
ich anders thun? es ift mein täglicher Weg, da begegne ich oft einen 
der auch nach den Tyroler Alpen jpäht. An jenem fpäten Abend, ich 
glanb es war in der Mitte Mai wo Schwatz abbrannte, Da war er 
mit auf dem Thurm, da konnte er fih gar nicht faſſen, er rang bie 
Hände und jammerte leife o Schwatz! O liebes Vaterland! — Geftern 
wer er wieder da und ergoß mit Freudebraufen den ganzen Schatz 





254 





feiner Neuigkeiten vor mir. Wenn's demnach wahr ift, fo haben Die 
Tyroler am Herz-Jeſu⸗Feſt, (den Datum wußte er nicht) den Feind 
überwältigt und ganz Tyrol zum zweitenmal befreit. Ich kann nicht 
erzählen was er alles vordrachte, Du würdeſt e8 jo wenig verftehen 
wie ih; Speckbachers Wit hat durch eine Batterie von Baumftämmen, 
als ob e8 Kanonen wären und durch zufammengebunvne Flintenläufe 
ven Knall nachahmend, den Feind betrogen, gleich drauf die Brüde bei 
Hal dreimal geflärmt und den Feind mit ſammt den Kanonen zuräd- 
getrieben, die Kinder dicht hinterdrein; wo der Staub anfwirbelte, 
Ichnitten fie mit ihren Mefiern die Kugeln aus und brachten fie ven 
Schügen. Der Hauptfieg war am Berg Iſel, dem Kapuziner ift der 
Bart weggebrennt. Die namhaften Helden find alle noch vollzählig. 
Handbillet Haben ſie vom Kaiſer mit großen Verheißungen aus der Fülle 
feines Herzens. Wenn's au nicht alles wahr wird meinte mein Tyro⸗ 
ler, fo war's doch wieber ein Freudentag für's Vaterland der aller Auf- 
opferung werth tft. 

Bom Kronprinz hab ich fein Gedicht, ein einziges ma® er am 
Tag vor feinem Auszug in den Krieg machte, an Heimath und die Ge⸗ 
liebte, zeigte mix der alte getreue Pantalon, er will’8 unter einer Be- 
dingung abjchreiben. Eine junge Mufe ver Schauſpielkunſt befitt 
deren mehrere, der alte Bob bat ihr auf meine Bitte drum angelegen, 
fie fuchte danach unter den Theaterlumpen und fand fie nicht, fonft 
hätten fie zu Dienften geflanden, meinte fie, ver Kronprinz würde ihr 
andere machen. 

Gold und Perlen hab ich nicht, der einzige Schatz nach dem ich 
gewiß allein greifen würde bei einer Feuersbrunſt find Deine Briefe, 
Deine ſchönen Lieber die Du mit eigner Hand gefchrieben, fie find ver- 
wahrt in der rothen Sammettafche, die liegt Nachts unter meinem 
Kopfkiſſen, darin ift auch noch der Veilchenſtrauß, den Du mir in der 
Geſellſchaft bei Wieland fo verborgen zuftedteft, wo Dem Blick wie 
ein Sperber über allen Bliden Treifte, daß keiner wagte aufzufehen. — 
Die junge Mufe giebt e8 auf, die Opfer, die der Kronprinz ihr in 
Dichterperlen gereiht zu Füßen legte, unter dem Wuft von falſchem 











255 





Schmuck und Slitterftat wieder zu finden, und doch waren fie im Zau⸗ 
berbaud der Mondnächte bei vem Lied der Nachtigall erfimven, Silb 
um Silbe, Stlang um Klang aufgereiht. Wer Silb um Silbe die wicht 
hebt, nicht dieſen Schlingen ſich gefangen giebt, der mag von Him- 
melskräften auch nicht wiffen, wie zärtlich die, von Reim zu Heim fich 
füflen. 

Deine Mutter werde ich nicht vergefien, und follt ich auch mitten 
im Kriegsgetümmel untergehen, fo würde ich gewiß noch im letzten 
Moment die Erde füflen zu ihrem Andenken. Was ih Dir noch merk⸗ 
würdiges zu berichten babe ift ſchon aufgefchrieden, im nächſten Brief 
wirft Dir es finden, diefer wird ſchon zu Die, und ich fhäme mich, daß 
ih Die nichts wichtiges zu ſchreiben habe und doch nicht abbrechen 
kann. Geſchwätz! — id weiß ja wie's ging in Weimar, da fagt ich 
auch nichts gefcheutes und Doch hörteſt Du gern zu. 

Bom Stadion weiß ich gar nichts, da muß ich kurzen Prozeß 
maden und ihn verfehmerzen, wer weiß ob ich ihn je wieder ſeh. 

Jacobi ift zart wie eine Pſyche, zu früh geweckt, rührend; wär 
ed möglich, jo könnte man von ihm lernen, aber die Unmöglichkeit tft 
ein eigner Dämon, der liſtig alles zu vereiteln weiß zu was man ſich 
beredhtigt fühlt, fo mein ich immer, wenn id Jacobi von Gelehrten 
und Philofophen umgeben feh, ihm wär befler er ſei allein mit mir, 
Ich bin Überzengt meine unbefangnen Fragen, um von ihm zu lernen, 
würden ihm mehr Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm 
etwas zu fein als nothwendig erachten. Mittheilung ift fein höchſter 
Genuß,; er appellixt in allem an feine Frühlingszeit, jede friich auf- 
geblähte Rofe erinnert ihm lebhaft an jene die ihm zum Genuß eimft 
blühten, und indem er fanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie 
einft Freunde Arm in Arm ſich mit ihm umſchlungen in töftlichen Ge- 
iprächen, die fpät in die laue Sommernacht währten, und da weiß er 
noch von jedem Baum in Bempelfort, von der Laube am Wafler auf 
dem die Schwäne freiften, von welcher Seite der Mond hereinftrahlte 
auf reinlichem Kies, wo die Bachſtelzchen ſtolzierten; das alles ſpricht 
fi aus ihm hervor wie der Ton einer einfamen Flöte, fie deutet an: 


256 





der Geift weilt noch hier, in ihren frieblihen Melodien aber fpricht 
fih die Sehnfucht zum unenblihen aus. Seine höchft edle Geftalt ift 
gebrechlich, es ift als ob die Hülle leicht zufammen finten könne um 
den Geift in die Freiheit zu entlaflen. Neulich fuhr ich mit ihm, ven 
beiden Schweftern, und dem Grafen Wefterhold, nah dem Starem- 
berger See. Wir aßen zu Mittag in einem angenehmen Garten, alles 
war mit Blumen und blühenden Sträuchern überfäet, und da ich zur 
Unterhaltung ver gelehrten Geſellſchaft nichts beitragen konnte, fo ſam⸗ 
melte ich deren fo viel als mein Strobhut faßte. Im Schiff, auf dem 
wir bei herannahendem Abend wohl anderthalb Stunden fahren muß- 
ten, um das jenfeitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. 
Die untergehende Sonne röthete die weißen Spiten der Alpenfette 
und Jacobi hatte feine Freunde dran, er deployirte alle Grazie feiner 
Jugend, Du felbft haft mir einmal erzählt, daß er als Student nicht 
wenig eitel auf fein ſchönes Bein gewejen, und daß er in Leipzig mit 
Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentiſch gelegt, 
und dort die neuen Beinkleivermufter drauf probirt, blos um das Bein 
der ſehr artigen Frau im Laden zu zeigen; — in diefer Laune ſchien 
er mir zu fein; nachläſſig hatte er fein Bein ausgeftredt, betrachtete 
es wohlgefällig, ftrich mit der Hand prüber, Dann wenige Worte über ven 
herrlichen Abend fläfternd, beugte er fich zu mir herab da ich am Bo⸗ 
den faß und den Schooß voll Blumen hatte, wo ich Die beiten auslas 
zum Kranz, und fo beſprachen wir und einfilbig aber zierlih und mit 
Genuß in Geberden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu 
machen daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lenens 
vorforgende Bosheitspflege der feinen Gefühlscoquetterie einen böfen 
Streich ſpielte; ich ſchäme mic noch wenn ich dran vente; fie holte eine 
weiße langgeftridte wollne Zipfelmüte aus ihrer Schürzentafche, ſchob 
fie ineinander und zog fie dem Jacobi weit über die Ohren, weil Die 
Abendluft beginne raub zu werben, grade in dem Augenblid als ich 
ihm fagte: heute verfteh ich's recht daß Site ſchön find, und er mir 
zum Dank die Rofe in die Bruft ſteckte tie ich ihm gegeben hatte. Ja⸗ 
cobi wehrte fich gegen die Nachtmütze, Tante Lene behauptete den Sieg, 








257 


ih mochte nicht wieder aufwärts fehen fo beſchämt war ih. — Sie find 
recht coquett, fagte der Graf Wefterhold, ich flocht fill an meinem 
Kranz, da aber Tante Lene und Lotte einftimmend mir gute Lehren 
gaben, ſprang ich plöglich auf, und trappelte fo, daß der Kahn heftig 
ſchwankte, um Gotteswillen wir fallen! ſchrie alles, ja ja! rief ich, 
wenn Sie no ein Wort weiter jagen über Dinge die Sie nicht ver- 
ftehen. Ich ſchwankte weiter, „haben Sie Ruh es wird mir ſchwind⸗ 
lich.“ — Weiterbold wollte mich anrühren, aber da ſchwankte ich fo, 
daß er fih nicht vom Platz getraute, der Schiffer lachte und half 
ſchwanken, ich hatte mich vor Jacobi geftellt um ihn nicht in der fata- 
len Mütze zu fehen, jest wo ich fie alle in ver Gewalt hatte, wendete 
ich mich nach ihm, nahm die Müge beim Zipfel und ſchwenkte fie weit 
binaus in die Wellen; da bat der Wind die Müte weggeweht fagte 
ich, ich drüdte ihm meinen Kranz auf den Kopf ver ihm wirklich ſchön 
ftand, Lene wollt e8 nicht leiden, die friſchen Blätter Könnten ihm 
ſchaden. Kaffe ihn mir doch, fagte Jacobi fanft, ich legte Die Hand über 
den Kranz. Jacobi, fagte ih: Ihre feinen Züge leuchten im gebroch- 
nen Licht diefer Schönen Blätter wie die des verflärten Plato. Sie find 
Ihön, und e8 bevarf nur eines Kranzes den Sie ſowohl verdienen, 
um Sie würdig der Unfterblichkeit darzuſtellen; ich war wor Zorn be- 
geiftert und Jacobi freute ſich; ich feste mich neben ihn an die Erde 
und bielt feine Hand die er mich auch ließ, feiner jagte etwas, fie wen- 
deten ſich alle ab, um die Ausficht zu betrachten, und ſprachen unter 
fih, da lachte ich ihn heimlich an. Da wir an's Ufer kamen, nahm ich 
ihm den Kranz ab und reichte ihm den Hut. — Das war meine Kleine 
Liebesgefchichte jenes ſchönen Tages, ohne welche ver Tag nicht ſchön 
gewejen fein würde; nun hängt der Kranz verwellt an meinem Spie- 
gel, ich bin ſeitdem nicht wieder hingegangen, denn ich fürchte mich wor 
Helenen, die aus beleivigter Würde ganz ſtumm war und mir nicht 
Adieu fagte; fo mag denn Jacobi freundlich meiner gedenken wenn ich 
ihn nicht wieder fehen jollte, diefer Abſchied kann ihm feinen unanges 
nehmen Eindrud in der Erinnerung laflen, und mir ift e8 grade vecht, 
denn ich möchte doch nicht Kunft genug befigen, den vielen Fallſtricken 
Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 17 


258 


und böfen Auslegungen zu entgehen, die jet wahrjcheinlich im Gang 
jein mögen. Adieu, nun hab ic) Dir auf alle Artikel Deines Tieben 
Briefes geantwortet und Dir mein ganzes Herz ausgeſchüttet. Ver⸗ 
fiherungen meiner Liebe gebe ih Dir nicht mehr, die find in jedem Ger 
danken, im Bedürfniß Dir alles au's Herz zu legen, hinlänglich beure 
fundet. 

7. Juni. Bettine. 


An Goethe. 
| 16. Juni. 

Gott lafje mir den einzigen Wunfc gedeihen Dich wieder zu 
ſehen und zögere nicht allzulang. So eben vernehme ich, daß jemand 
von meiner Belanntfchaft nad) Weimar geht. Das bläft die Aſche von 
der Gluth, mich hält's, daß ich von hier aus die Tyrolerberge ſehen 
kann, fonft nichts. Es martert mich alle Tage, nicht zu willen was 
dort vorgeht; ich käme mir vor wie ein feiger Freund, wenn ich mid) 
dem Einfluß, ven vie Nähe des bevrängten Landes auf mich bat, ent- 
ziehen wollte, wahrhaftig wenn ich Abends von meinem Schneden- 
thurm die Sonne dort untergehen jehe, da muß ich immer mit ihr. 

Wir haben ſchon fett Wochen ſchlecht Wetter. Nebel und Gemölt, 
Wind und Regen und fhmerzlide Botjchaft wird indeſſen duch Dein 
Andenken wie durch einen Sonnenftrahl erhellt. — Beinah vier Wochen 
hab ich nicht geichrieben, aber ich hab ‘Dich diefe ganze Zeit über be- 
dacht, mit Gedanken, Wort und Werfen, und nun will ich's gleich 
auseinander fegen: Es ift auf der hiefigen ©alerie ein Bild von 
Albrecht Dürer, in feinem achtundzwanzigſten Jahre von ihm felbft 
gemalt; e8 hat die graziöfeften Züge eines weisheitsvollen, ernften, 
tüchtigen Antliges; aus der Miene fpricht eim Geift, der die jegigen 
elenden Weltgefichter niederkracht. Als ih Dich zum erftenmal ſah 
war e8 mir auffallend, und bewegte zugleich zu inniger Verehrung, zu 
entſchiedener Liebe, das fi in Deiner ganzen Geftalt ausſprach, was 








259 


‘ & 
David von ven Menſchen fagt: ein jever mag König fein über fich 
felber. So meine ich nämlich, daß die Natur des inneren Menſchen 
die Oberhand erringe über die Unzuverläfftgleit, über die Zufälle des 
äußeren, daraus entftehe die edle Harmonie, das Wefen, was jo wohl 
über Schönheit hinaus ift, als der Häßlichkeit troßt. So bift Du mir 
erſchienen, die geiftige Erſcheinung der Unfterblichkeit, die der irdiſchen 
vergänglichen Meifter wird. Obſchon nun Dürer’ Antlig ein ganz 
anderes ift, fo hat mich Doch die Sprache feines Charakters mächtig 
an die Deimige erinnert, ich habe mir’ kopiren laffen. — Ich hab das 
Bild den ganzen Winter über auf meinem Zimmer gehabt und war 
nicht allein. Sch hab mich viel in Gedanken an diefen Mann ges 
wendet, hab Troſt und Leid von ihm empfunden, bald war's mir 
fraurig zu fühlen, wie manches, worauf man doch in ſich ftolz ift, zu 
Grunde geht vor einem Solchen der recht wollte was er wollte; bald 
füchtete ich mich zu diefem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mid 
die Lebenden langmweilten, und daß ich Dir's recht fage: mein Herz 
war in manchen Stunden fo tief von dem reinen Scharfblid gerührt, 
ver aus feinen edlen Augen dringt, daß er mir mehr im Umgang war 
als ein Lebender. Diefes Bild nun hatte id} eigentlich für Dich) foptren 
laſſen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter meiner Hergensange- 
legenheiten fenvden, und jo verging Woche um Woche, immer mit dem 
feften Entſchluß es die nächſtfolgende abzufenvden, ohne daß ich es je 
dazu bringen Tonnte mich Davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich 
hab noch weniges gejehen in der Welt, fo wohl von Kunſtwerken als 
font was mich herzlich intereffirte. Daher wär wohl meiner finvifchen 
Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir [osfagen, 
jo wie man ſich von einem Freund nicht mehr Iosfagen kann, Dir aber 
will ich's jchidlen, meinem geltebteften von allen. Doc, wie es das 
Schickſal führt, fol es nicht in andre Hände kommen, und follte der 
Zufall e8 von Dir trennen, fo müſſe e8 wieder in meine Hände fommen, 
Sch hoffte die ganze Zeit es felbft bringen zu können, indeſſen iſt gar 
feine Wahrfcheinlichkeit in dieſem Augenblick, wenn ich nicht ſtets auf 
die kommende Zeit hoffte, jo würde ich verzweifeln Dich bald wieder 
17* 


260 


zu jehen; allein daß nach der Zufunft immer wieder eine ift, das hat 
Ihon manchen Menſchen alt gemacht. — Du bift mir lieb über alles, 
in der Erinnerung wie in der Zukunft; der Frühling, den ‘Deine 
Gegenwart in mir erichaffen hat, dauert; denn ſchon find zwei Jahre 
um, und noch hat fein Sturm ein Blättchen vom Aſt gelöft, noch hat 
der Regen keine Blüthe zerftört, alle Abend hauchen fie noch den ſüßen 
Duft der Erinmerung aus; ja wahrhaftig fein Abend ift bis jest zum 
Ichlafen gefommen, daß ich Dich nicht bei Namen gerufen und der Zeit 
gedacht, va Du mich auf meinen Mund gelüßt, mich in Deinen Arm 
genommen, und ich will ftet8 hoffen, daß die Zeit wiederkehre. Da ich 
Dir nichts in der. Welt vorziehe, fo glaub ich's auch von Dir. : Sei 
Du ſo alt und Hug wie ich, laß mich Jo jung und.weife fein wie Du, 
und jo möchten ‚wir füglih Die Hand einander reichen und fein wie 
die beiden Jünger, die zwei verſchiednen Propheten folgten in einem 
Lehrer. et 
Schreib mir wie Du glaubft daß ich das Bild ohne Gefahr 
ihiden könne, aber bald. — Wenn Du mir feine Gelegenheit arigeben 
fannft, jo werde ich jelbft ſchon eine finden. Hab niemand .lieber wie 
mid, Du, Goethe, wärft jehr ungerecht, wenn Du andre mir vorzögft, 
da fo meifterlich, fo herrlich, Natur mein Gefühl ‘Dir. verwebt hat, daß 
Du das Salz Deines eignen Geiſtes in mir ſchmecken mußt. 

Wenn fein Krieg, kein Sturm und vorab feine verwüſtende 
Zeitung, die alles bildende Ruhe im Bufen ftörte, dann möchte ein 
leichter Wind, der durch die Grashalmen fährt, der Nebel. wie er ſich 
von der Erde löſt, die Mondesfichel, wie fle über ven Bergen hinzieht, 
oder fonft einfames Anfchauen der Natur einem wohl tiefe Gedanken 
erregen; jet aber in dieſer beweglichen Zeit, wo alle Grundveſten ein 
rechtes Krachen und Gliederreißen haben, da will fie feinem Gedanken 
Raum geftatten, aber das, woran ein Freund Theil genommen, daß 
man ſich auf feinen Arm geſtützt, auf feiner Schulter geruht hat, Dies 
einzige ätzt tief jede Tinte der Gegenftände in's Herz, jo weiß ich jeden 
Baum des Parks noch an dem wir vorübergegangen, und wie Du die 
Äfte der Zuderplatane nieverbogft und zeigteft mir die röthliche Wolle 





261 


unter den jungen Blättern, und fagteft die Jugend fet wollig; und 
dann die runde, grüne Quelle, an der wir ftanden, die fo ewig über 
fich ſprudelt, bul, bul, und Du fagteft fie rufe der Nachtigall, und die 
Taube mit der fteinernen Bank, wo eine Kugel an der Wand liegt, da 
haben wir eine Minute geſeſſen, und Du fagteft: jege dich näher, 
Damit die Kugel nicht in Schatten fomme, denn fie ift eine Sonnenuhr, 
und ich war einen Augenblid fo dumm zu glauben die Sonnenuhr 
fünne aus den Gange fommen, wenn die Sonne nicht auf fie ſcheine, 
und da Hab ich gewünſcht nur einen Frühling mit Dir zu fein, haft 
Du mich ausgelacht; da fragte ich, ch Dir dies zu lang fei, ei nein, 
fagteft Du, aber dort kömmt einer gegangen, der wird gleich dem Spaß 
ein Ende machen; das war der Herzog, der grad auf und zukam, ich 
wollte mich verfteden, Du warfft Deinen Überrod über mich, ich fah 
durch den Iangen Ärmel wie der Herzog immer näher kam, ich ſah auf 
jeinem Geficht daß er was merkte, er blieb an der Taube fliehen, was 
er fagte verftand ich nicht, fo große Angft hatte ich unter Deinem Über- 
rod, fo Elopfte mir das Herz, Du winkteſt mit der Hand, das ſah ich 
dur Deinen Rodärmel, der Herzog lachte und blieb ftehen; er nahm 
eine Sandfteinhen und warf nah mir, und dann ging er weiter. 
Da haben wir nachher noch lang geplaudert mit einander, was war's 
doch? — nicht viel Weisheit, denn Du verglichft mich damals mit ver 
weisheituollen Griehin, die dem Socrates über Die Liebe belehrte, und 
ſagteſt: kein geicheutes Wort bringft Du vor, aber deine Narrheit 
belehrt befier, wie ihre Weisheit, — und warum waren wir da beibe 
jo tief bewegt? — daß ‘Du von mir verlangteft mit den einfachen 
Worten: „Lieb mich immer,” und ich fagte: „Ja.“ — Und eine ganze 
Meile drauf, da nahmft Du eine Spinnwebe von dem Gitter der 
Laube und Hingft mir's aufs Geficht, und fagteft: bleib werfchleiert 
vor jedermann und zeige niemand was du mir bifl. — Ach! Goethe, 
ih hab Dir feinen Eid der Treite gethan mit den Lippen, die da zuckten 
vor heftiger Bewegung und feine Worte fannten; ich erinnere mich gar 
nicht, daß ich mit Selbftbewußtjein Dir die Treue zugefagt hätte, es 
ift alles mächtiger in mir wie ich, ich kann nicht regieren, ich kann nicht 


262 


wollen, ich muß alles geſchehen laflen. Zwei einzige Stunden waren 
fo voll Ewigkeit; einen einzigen Frühling verlangte ih damals, und 
jet meine ich faum daß ich diefen bewältigen könne mein ganzes Leben 
lang, und mir klopft das Herz jetzt eben jo vor Unruh, wenn ich mich 
in bie Mitte jenes Yrühlings vente. Ich bin am Ende des Blattes, 
und wär's nicht gar zu fehr auf Dich geſündigt, fo möcht ich ein neues 
anfangen, um fo fort zu plaudern; ich liege bier auf dem Sopha und 
ſchreibe den Brief auf einem Kiffen, deswegen ift er auch jo ungleich. 
Daß fie doc alle vergehen, wenn ich zu Dir ſprechen will, dieſe Ge— 
danken, die jo ungerufen vor mir aufs und nievertanzen, von denen 
Schelling fagt: e8 ſei unbewußte Philofophie. 

Lebe wohl! So wie bie vom Wind getragne Samenflode auf 
den Wellen bintanzt, fo fpielt meine Phantafie auf diefen mächtigen 
Strom Deines ganzen Weſens, und ſcheut nicht drinn unterzugehen ; 
möchte fie doch! welch feliger Top! — 

Geſchrieben am 16. Juni in Münden an einem Negentag, wo 
zwiſchen Schlaf und Wachen die Seele nach Wind und Wetter ſich be⸗ 
quemte. . 
Bettine. 


Bleib ihr gut, ſchreib ihr bald und grüß die Demen. 


An Bettine. 


In zwei Deiner Briefe haft Du ein reiches Füllhorn über mid 
ergofien, liebe Bettine, ih muß mich mit Dir freuen und mit ‘Dir ber 
trüben, und kann des Genuffes nimmer fatt werden. So lafle Dir 
denn genügen, daß die Ferne Deinen Einfluß nicht mindert, da Du 
mit unwiderftehlicher Gewalt mich den mannigfahen Einwirkungen 
Deiner Gefühle unterwirfft, und daß ich Deine böfen wie ‘Deine guten 
Träume mit träumen muß. Was Di nun mit Recht fo tief bewegt, 
über das verftehft Du auch allein Dich wieder zır erheben, hierüber 





263 


fhweigt man denn wie billig, und fühlt ſich beglückt mit Dir in Be- 
freundung zu ſtehen und Antheil an Deiner Treue und Güte zu 
baben; da man doc, Dich Lieben lernen müßte, ſelbſt wenn man nicht 
wollte. 

Du ſcheinſt denn auch, Deine liebenswürdige despotiſche Macht 
an verſchiednen Trabanten zu üben, die Dich als ihren erwählten 
Planeten umtanzen. Der bumoriftiiche Yreund, der mit Dir die Um- 
gegend recognofeirt, ſcheint wohl nur durch die Atmoſphaͤre der heißen 
Yunitage dem Schlaf zu unterliegen, während er träumen das an⸗ 
muthige Bild Deiner Heinen Perfon recognofeirt, Da mag es ihm denn 
freilich nicht beilommen, daß Da ihn unterbefien dahin verfegen möch⸗ 
teft, wo Dein heroiſcher Geift felber weilt. 

Was Du mir von Jacobi erzählft, hat mich ſehr ergögt, feine 
jugenvlihen Eigenheiten fpiegeln fih velllommen darin; es ift eine 
geraume Zeit her, daß ich mich nicht perfönlich mit ihm berührt habe, 
die artige Schilderung Deiner Erlebniſſe mit ihm auf der Seefahrt, 
die Dein Muthwille aushedte, haben mir ähnliche heitere Tage unferes 
Umgangs wieder zurüdgernfen. Zu loben bift Du, daß Du keiner 
authentifden Gewalt bedarfſt, um den Uchtungswerthen ohne Borur- 
theil zu huldigen. So ift gewiß Jacobi unter allen ftrebenvden und 
philofophirenden Geiftern der Zeit derjenige, ver am wenigften mit 
feiner Empfindung und urfprünglihen Natur in Widerſpruch gerieth, 
und daher fein fittliches Gefühl unverlegt bewahrte, dem wir als Prä- 
dikat höherer Geifter umfere Achtung nicht verfagen möchten. Wollteft 
Du nun auf Deine vielfach erprobte anmuthige Wetje ihm zu verftehen 
geben, wie wir einftimmen in die wahre Hochachtung, die Du unter 
Deinen liebenswäürbigen Kobolpftreihen verbirgft, jo wäre dies ganz 
in meinem Sinne gehandelt. 

Dein Eifer, mir die verlangten Gedichte zu verjchaffen, verbient 
Anerkenntniß, obſchon ich glauben muß, daß e8 Dir eben jo darum zu 
thun tft, ven Gefühlen Deines Oeneraliffismus näher. auf die Spur 
zu kommen ald auch meine Wünjche zu befriedigen, glauben wir in- 
defien pas befte von ihm bis auf näheres, und da Du fo entichieven 


264 


die Divinität des ſchöpferiſchen Dichtervermögens erhebft, fo glaube ich 
nicht unpaſſend beifolgenves Heine Gedicht vorläufig für Dich heraus⸗ 
gehoben zu haben aus einer Reihe, die ſich in guten Stunden allmählig 
vermehrt, wenn fie Dir fpäter einmal zu Geficht kommen werben, fo 
erfenne daran, daß, währenn Du glaubft, mein Gedächtniß für fo 
ihöne Vergangenheit wieder anfriichen zu müſſen, ich unterbeijen der 
fügeften Erinnerung in folhen unzulänglichen Reimen ein Denkmal zu 
errichten ftrebe, deſſen eigendſte Beitimmung es iſt, ven Wiederhall fo 
zarter Neigung in allen Herzen zu erweden. 

Bleibe mir ſchreibend und liebend von Tag zu Tag beglüdenver 
Gewohnheit treu. 

Sena, den 7. Juli 1809. G. 


Wie mit innigſtem Behagen 
Lied, gewahr ich deinen Sinn; 
Liebevoll ſcheinſt Du zu ſagen, 
Daß ich ihm zur Seite bin. 


Daß er ewig mein gedenket, 
Seiner Liebe Seligkeit 
Immerdar der Treuen ſchenket, 
Die ein Leben ihm geweiht. 


Ja, mein Herz, es iſt der Spiegel, 
Freund, worin Du Dich erblickt, 
Dieſe Bruſt, wo deine Siegel 
Kuß auf Kuß hereingedrückt. 


Süßes Dichten, lautre Wahrheit, 
Fefſelt mich in Sympathie! 
Rein verkörpert Liebesklarheit 
Im Gewand der Poefie. *) 


*) Divan, Buch Suleila. 


265 


An Goethe. 


Kein Baum kühlt fo mit frifhem Laub, kein Brunnen Iabt fo 
den Durftigen, Sonn und Mondlicht und taufend Sterne leuchten fo 
nicht in's irdiſche Dunkel wie Du leuchteft in mein Herz. Ach, ich jage 
Dir: einen Augenblid in Deiner Nähe zu fein hält fo viel Ewigkeit 
in fi, daß ein folder Augenblid der Ewigkeit gleihjam einen Streich 
Ipielt, mdem er fie gefangen nimmt, zum Scherz nur, er entläßt fie 
wieder, um fie wieder zu fangen, und was follte mir auch in Ewigkeit 
noch für Freude gejchehen, da Dein ewiger Geiſt, Deine ewige Güte 
mich in ihre Herrlichleit aufnehmen. 

Geſchrieben am Tag, da ich Deinen legten Brief empfangen. 

Das Gebicht gehört ver Welt, nicht mein, denn wollt ich e8 mein 
nennen, e8 würde mein Herz verzehren. 

Ich bin zaghaft in der Liebe, ich zweifle jeven Augenblid an Dir, 
fonft wär ich ſchon auf eine Zeit zu Dir gelommen; ich kann mir nicht 
denken (meil e8 zu viel ift) daß ich Dir werth genug bin, um bei Dir 
fein zu dürfen. 

Weil ich Dich Tenne, fo fürdhte ich ven Tod, die Öriehen wollten 
nicht fterben obne Jupiter Olymp gejehen zu haben, wie viel weniger 
fann ich die ſchöne Welt verlafien wollen, da mir prophezeit ift von 
Deinen Lippen, daß Du mich noch mit offnen Armen empfangen wirft. 

Erlaube mir, ja fordere e8, daß ich Diefelbe Luft einathme wie Du, 
daß ich täglih Div unter die Augen ſehe, daß ich ven Blick aufſuche, 
ber mir die Todesgötter bannt. 

Goethe, Du bift alles, Du giebft wieder was die Welt, was die 
traurige Zeit raubt; da Du e8 nun vermagft mit gelaßnen Blick reich⸗ 
(ich zu fpenden, warum fol ich mit Zutrauen nicht begehren® Dieſe 
ganze Zeit bin ich nicht mehr in's Freie gelommen, die Gebirgsketten, 
die einzige Ausficht, die man von hier hat, waren oft von den Slam 
men des Kriegs geröthet, und ich habe nie mehr gewagt meinen Blid 
dahin zu wenden, wo der Teufel ein Lamm würgt, mo bie einzige 
Freiheit eines ſelbſtſtändigen Volles fich felber entzündet und in fich 


266 





verlodert. Diefe Menfchen, die mit kaltem Blut und fiher, über un⸗ 
geheure Klüfte fehreiten, die den Schwindel nicht fennen, machen alle 
andere, bie ihnen zufehen, von ihrer Höhe herab ſchwindlich; es ift 
ein Bolt, daß für ven Morgen nicht forgt, vem Gott unmittelbar grade, 
wenn die Stunde des Hungers kommt, auch die Nahrung in die Hand 
giebt; das, wie e8 ven Adlern gleich, auf den höchſten Felsſpitzen über 
den Nebeln ruht, auch fo über ven Nebeln ver Zeit thront, das lieber 
im Licht untergebt, als im Dunkeln ein ungewiſſes Fortkommen ſucht. 
O Enthuſiasmus des eignen freten Willens! wie groß bift du, da du 
allen Genuß, ver über ein ganzes Leben verbreitet ift, in emen Augen- 
bi zufammenfafleft, darum fo läßt fih um einen jolden Moment 
auch wohl das Leben wagen; mein eigner Wille aber ift, ‘Dich wieder 
zu fehen, und allen Enthuflasmus der Liebe wird ein folder Moment 
in fih faflen, und darum begehre ich auch außer dieſem nichts mehr. 

Bon den Kufffteiner Belagerungsgeſchichten möchte ih Dir man 
ches erzählen was dem Dur gewiß Freude machen würde, und was 
auch verbiente verewigt zu werben; allein zu ſehr wird eine ernfte Theil- 
nahme an dem echten Heroismus mißhandelt durch Betrug aller Art, 
und das macht auch dag man lieber gar nidht Hinhordht, als daß man 
das Herz durch Lügen ſich ſchwer machen läßt. — Das Gute, was Die 
Baiern als wahr paffiren laſſen, daran iſt nicht zu zweifeln, ven wenn 
fie e8 vermöchten, jo würden fie gewiß das Gelingen der Feinde läug- 
nen. Spedbacher ift ein einziger Held, Wis, Geift, kaltes Blut, ftrenger 
Ernſt, unbegrenzte Güte, durchfichtige, bedürfnißloſe Natur; Gefahr ift 
ihm gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da fieht er 
deutlich was noth thut; und thut alles, indem er feinen Enthuſiasmus 
beberricht, er denkt auf feine Ehre und auf feine Verantwortung zu- 
gleih, er richtet alles durch ſich allein aus, die Befehle ver Comman⸗ 
danten und feine eigne wohl berechnete Pläne, und auch noch was der 
Augenblid erheifcht, unter dem Kanonenfeuer der Feſtung verwüſtet 
er die Mühlen, erbeutet das Getreide und löſcht Die Haubigen mit dem 
Hut; feinen gefahrvollen Plan überläßt er eimem andern, die Heine 
Stadt Kuffftein ſteckte er jelbft in Brand mitten unter den Feinden; 


267 





eine Schiffbrüde der Baiern macht er flott. In einer ftürmifchen Nacht, 
im Waffer bis an die Bruft, Hält er aus bis zum Morgen mit zwei 
Kameraden, wo er nod die legten Schiffe unter einem Hagel von Kar- 
tätichen flott macht. — Lift iſt feine göttlichfte Eigenfchaft, ven verwil- 
derten Bart, der ihm das halbe Geſicht bevedt, nimmt er ab, ver- 
ändert Kleidung und Geberde, und, fo verlangt er den Commandanten 
der Feftung zu fpreden, man läßt ihn ein, er macht ihnen was weis 
von Berrath, und erräth unterveflen alles was er wiſſen will, in dieſer 
großen Gefahr, mit noch zwei andern Kameraden, tft er feinen Augen⸗ 
blick verlegen, läßt ſich beleuchten, unterfuchen, zutrinten, und endlich 
vom Sommandanten bis zum Heimen Pförtchen, zu dem fie herein- 
gelommen waren, begleitet, nimmt er treuherzig Abſchied. 

Alle diefe Mühen und Aufopferungen werben indeſſen zu nichte 
gemacht durch die Unzuverläffigfeit von Oſterreich, das überhaupt ift, 
als könne es feinen glüdlihen Erfolg ertragen, und fürchte fih vor 
feinem großen Feind, einſt dieſe Siege verantworten zu müflen, und 
jo wird e8 auch noch fommen, es wird noch den großen Napoleon um 
Berzeihung bitten, daß man ihm die Ehre erzeigt, ihm ein Heldenvolk 
entgegen zu ftellen; ich bredhe ab, zu gewiß ift mir, daß auf Erven 
allem großen ſchlecht vergolten wird. 

Bor drei Wochen bat man ein Bild, eine Copie von Albrecht 
Dürer’s felbft verfertigtem Portrait, an Dich abgeſchickt; ich war grabe 
auf einige Tage verreift, und weiß alfo nicht ob e8 wohl eingepackt, 
und ob die Öelegenheit, mit welcher es ging, exalt ift, Du mußt e8 der 
Zeit nach jest bald in Händen haben, ſchreib mir darüber, pas Bild 
ift mir fehr Iteb, und darum mußt ich Dir's geben, weil ich mich ſelbſt 
Dir geben möchte. 

Selbſt in dem kalten Baiernlande reift alles nach und nad, das 
Korn wird ſchon gelb, und wenn die Zeit auch Feine Roſen bier bricht, 
fo bricht fie Doch der Sturm, und falbe Blätter fltegen ſchon genug auf 
dem naſſen Sandboden; wann wird denn eine gütige Some die 
Früchte an meinem Lebensbaum reifen, daß ich ernten kann Ku um 
Kuß? — 


268 


Einen Weg geh ich alle Tage, jede Staude, jedes Öräschen ift 
mir auf dieſem befannt, ja die Sandfteinden im Kiesweg hab ich mir 
ſchon betrachtet. Diefer Weg führt nicht zu Dir, und Doch wird er. mir 
täglich lieber, wenn mich nun einer gewohnt würde zu Div zu tragen, 
wie würden da Blumen und Kräuter erft mit mir befannt werden, und 
daß mir ſtets das Herz pochte bis an Deine Schwelle, und allen Lieb⸗ 
veiz hätte auf dieſem Weg jeder Schritt. 

Dom Kronprinz weiß ich Gutes, er hat mit den Gefangenen, die 
man hart behandelte und hungern ließ, zu Mittag gegefien. Die Kar- 
toffeln waren gezählt, er theilte treulich mit ihnen, ſeitdem werten fie 
gut bevient und er bat ein fcharfes Auge darauf, das hab ich durch 
feinen getreuen Bob, der die ausführliche Erzählung mit etlichen Freu⸗ 
denthränen begleitete. Sein faltes Blut mitten in Gefahren, feine 
Ausdauer bei allen Mühen und Laften werden auch noch anderweitig 
gerühmt, und immer tft er dabei bedacht, nußlofen Graufamleiten vor⸗ 
zubeugen; das war von ihm zu erwarten, aber daß er diefe Erwartung 
nicht zu Schanden gemacht hat, Dafür fei er gelobt und gejegnet. 

Einliegendes Kupfer von Heinze wirft Du wohl erlennen, ich 
bab’8 von Sömmering erhalten, und zugleich den Auftrag, um Dein 
Urtheil darüber zu bitten, er ſelbſt findet es gleihend, aber nicht in den 
evelften Zügen; ich fage: e8 hat eine große Ähnlichkeit mit einem Bock, 
dies ließe fich noch rechtfertigen. 

Tied liegt noch immer als Kranker auf dem Ruhebettlein, ein 
Zirkel vornehmer und ſchöner Damen umgiebt fein Lager, das paßt zu 
gut und gefällt ihm zu wohl als daß er je vom Plat rüdte. 

Jacobi befindet fih ganz leivlih, Tante Lene fehreit zwar, fein 
Kopf tauge nichts, der, fo wie er etwas philofophifches fchreiben wolle, 
ihn ſchmerze, zufammt ven Augen; wenn nun auch der Kopf nichts 
taugt, jo war doch fein Herz ſehr lebendig aufgeregt als ih ihm vor- 
las was Du für ihm gefchrieben haft; ich mußte e8 ihm abfchreiben, er 
meinte, da er feine jo freimbliche Fürfprache bei Dir habe wie Du bei 
ihm, jo müſſe er wohl ſelbſt Dir hriftlich danken, einftweilen ſchickt er 
beifommende Rede über Vernunft und Verſtand. Bettine, 





Köln, wo ih vorm Jahr fo fröhlic war, der launige Rumohr 
hat's hingekrizelt, er geht bier jo ganz verträglich mit der Yangenweile 
um, und bejammert mit aufrichtigem Herzen Die Zeit, Die wir mit ein- 
ander am Rhein zubrachten. 

Hier fpielt der Wind ſchon manches falbe Laub von den Äſten 
und mir die falten Regentropfen in’8 Gefiht, mern ich frühe, wo noch 
fein Menſch des Weges geht, durch die feuchten Alleen des engliichen 
Gartens wandre, denn bie langen Schatten am frühften Morgen ſind 
mir befre Gefährten als alled was mir den ganzen Tag über begegnet. 

Da befuche ich alle Morgen meinen alten Winter; bei ſchönem 
Wetter frühftücdt er in der Oartenlaube mit ver Frau, da muß ich 
immer den Streit zwifchen beiden ſchlichten um die Sahne auf der 
Mild. Dann fteigt er auf fernen Taubenſchlag, fo groß wie er tft 
muß er fih an den Boden ducken, hundert Tauben umflattern ihn, 
jegen fih auf Kopf, Bruft, Leib und Beine, zärtlich ſchielt er fie 
an, und vor Freundlichkeit kann er nicht pfeifen, da bittet er mich: o 
pfeifen Sie doch; jo kommen denn noch hunderte von draußen herein⸗ 
geftürzt mit pfeifenden Schwingen; gurren, rudjen, lachen und um⸗ 
flattern ihn, da ift er felig und möchte eine Muſik componiren, die 
grad fo lautet. Da nun Winter ein wahrer Koloß ift, fo ftellt er ziem⸗ 
lid) das Bild des Nils dar, der von einem Heinen Geſchlecht umkrab⸗ 
belt wird, und ich als Sphing neben ihm fauernd, einen großen Korb 
voll Widen und Erbien auf dem Kopf. Dann werden Marcellos 
Palmen gefungen, eine Muſik, die mir in dieſem Augenblid jehr zu- 
fagt, ihr Charakter ift feſt und herrſchend, man kann fie nicht durch 
Ausprud heben, fie läßt fich nicht behandeln, man kann froh fein, wenn 
die Kraft ausreicht, welche der Geift dieſer Muſik fordert. Von höherer 
Macht fühlt man fih als Organ benütt, Figur und Ton von Har- 
monie umkreiſ't und bedingt, auszuſprechen. So ift dieſe kunftgerechte 
gewaltige Sprache idealiſcher Empfindung, daß der Sänger nur Werk—⸗ 
zeug, aber mitdenkend, mitgenießend fich empfindet, und dann die Re— 
citative, das Ideal äfthetiicher Erhabenheit, wo Alles, ſei es Schmerz 
oder Freude, ein tobend Element der Wolluft wird. 


271 


Wie lange haben wir nichts über Muſik geiprochen, damals am 
Rhein, da war's als müſſe ih Div den gordifhen Knoten auflöfen, 
und doch fühlte ich meine Unzulänglichkeit, ich wußte nichts von ihr, 
wie man auch vom Geliebten nichts weiß, ald nur, Daß man in ihn 
verliebt iſt. Und jetzt bin ich erſt gar in's Stoden gerathen, alles 
möcht ich gern ausfprechen, aber in Worten zu denken was ich im Ge⸗ 
füßl denke, das ift ſchwer; — ja, follteft Du’ glauben? — Gedanken 
machen mir Schmerzen, und fo zaghaft bin ich, daß ich ihnen aus- 
weiche, und alles was in der Welt vorgeht, das Gefchid ver Menfchen 
und die tragifche Aufldfung macht mir einen muſikaliſchen Eindruck. 
Die Ereiguifle im Tyrol nehmen mich in ſich auf wie der volle Strom 
allfettiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken, ift grade wie im 
memen Kinderjahren, wenn ich die Syumphonieen hörte im Nachbars⸗ 
garten, und ich fühlte, man müfle mit einftimmen, mitſpielen, um 
Ruhe zu finden; und alles zerſchmetternde in jenen Helvenereignifjen 
ift ja auch wieder jo belebend, fo begeiftigenv, wie dies Streiten und 
Gebären der verſchiedenen Modulationen, die doch alle in ihren eigen- 
finnigen Richtungen unwillkührlich durch ein Gefammtgefühl getragen, 
immer allfeitiger, immer in fi concentrirter in ihrer Vollendung ſich 
abjchließen. — So empfinde ih die Symphonie, fo erfcheinen mir 
jene Helvenfhladhten auch Symphonieen des göttlichen Geiftes, der in 
dem Bufen des Menſchen Ton geworden ijt himmliſcher Freiheit. Das 
frendige Sterben diefer Helden iſt wie das ewige Opfern der Töne 
einem hohen gemeinfamen Zwed, der mit göttlichen Kräften ſich ſelbſt 
erftreitet; fo fcheint mir auch jede große Handlung ein muſikaliſches 
Daſein; jo mag wohl die mufifaliiche Tendenz des Menfchengejchlechts 
als Orcheſter fih verfammeln und folde Schlachtſymphonien jchlagen, 
wo denn bie genießenve, mitempfindende Welt neu gefchaffen, von 
Kleinlichkeit befreit, eine höhere Befähigung in fich gewahrt. 

Ich werde müde vom Denken und jhläfrig, wenn ich mir Mühe 
gebe der Ahnung nachzugehen, da wird mir angft, ja id) möchte bie 
Hände ringen vor Angft um einen Gedanken, den ich nicht fafjen kann. 
Da möcht ih mit einem Ausprud Dir hingeben Dinge, denen id) 


272 


nicht gewachſen bin, und da ſchwindet mir alle Erfenntniß, langſam 
wie die untergehende Sonne, ich weiß daß fie ihr Licht ausftrömt, aber 
fie leuchtet mir nicht mehr. 

Denken ift Religion, für's erfte Yeuer-anbeten, wir werben einft 
noch weiter fhreiten, wo wir mit dem urfprünglich göttlichen Geift uns 
vereinen, der Menſch geworben und gelitten hat, blos um in unfer 
Denten einzubringen; jo erkläre ich mir das Chriftenthum als Sym- 
bol einer höheren Denkkraft, wie mir denn überhaupt alles Sinnliche, 
Symbol des Öeiftigen ift. 

Nun, wenn auch die Geifter fi mit mir neden, und nit fan- 
gen laſſen, jo erhält dies mich doch friich und thätig, und fie haben 
mir auf den Weg geftreut gleich einem ausderwählten Ritter der Ta- 
felrunde gar mannigfach Ebentheuer auf holperigem Pfad, befannt 
bin ich worden mit den dürren Geiftern der Zeit, mit Ungeheuern ver- 
ſchiedener Art, und wunderbar haben mid dieſe Bejefjenen in ihr 
träumeriſch Schickſal gezogen. Aber nicht hab ich erblickt wie bei Dir, 
da von heiliger Leyer mir friihes Grün entgegenglänzte, und nicht 
hört ich wie bet Div, dem unter den Füßen filbern der Pfad tönt, als 
der auf Straßen Apollo’8 wandelt. Da denk ich mit verjchlofjenen Au- 
gen, wie ich gewohnt war mit Dir lächend des Herzens Meinung zu 
wechjeln, den eignen Geift in der Seele fühlenn. Deine Mutter fagte 
mir manchmal von vergangner Zeit, da wollt ich nicht zuhören und 
hieß fie ſchweigen, weil ich grad eben mich in Deine Gegenwart träumte. 

Franz Bader, der nad) feiner Glasfabrik in Böhmen gereift ift, 
bat mir beim Abſchied beigepacdte Abhandlungen für Dich gegeben und 
mich zugleich gebeten, Dich feiner innigften Achtung zu verfihern, er 
hat mir dabei mancherlei aus feinem Leben erzählt, wie er in Schott- 
land zum Beiſpiel gar gefahrvolle Reifen gemacht, in einem winzigen 
Nahen, mit Deinem Egmond, im Meer zwiſchen Klippen und Infeln 
hin⸗ und bergeworfen, wie er mit den Meerkatzen fechten müfjen, wie 
Nacht und Sturm ihm alle Lebensgeiſter ausblieſen, und er mitten in 
der Noth nur immer Deine Bücher zu retten gefucht. Siehft Du! 
fo treibt's Dein Geift auf allen Pfaven, zu Land wie zu Wafler, und 


2 


273 


er zieht von der Duelle an fort mit vem Strom, bis wo er fich ergießt, 
und fo ziehen mit, die noch fremden Ufer, und die blaue Ferne fintt 
neigend zufammen vor Deiner Ankunft. Und es fehen vie Wälder Dir 
nad, und die vergolvende Sonne ſchmückt die Bergeshöhen zu Deinem 
Empfang; e8 feiern aber im Mondglanz Dein Andenken bie Silberpappel 
und die Tanne am Weg, die Demer Jugend reine Stimme gehört. 

Geftern erhielt ih Dein Bild, eine Heine Pafte in Gyps, aus 
Berlin, e8 gleicht, was hilft's, ich muß nach Dir verlangen. 

Noch ein ägyptiſches Ungeheuer ift mir hier auf Baierns feuch⸗ 
tem Boden begegnet, und nicht wundert mich daß feine trodne fandige 
Natur bier verfault, es ift Kloz, der won den Geiftern der Farbe 
verfolgte und gepeinigte, endlich ihrer Gewalt erliegend, fein fünfund- 
zwanzigjähriges Werk endet. Ägyptiſch nenne ich ihn, weil erftens fein 
Antlig wie von glühenden Harzen geſchmiedet, zugleich eine ungeheure 
Pyramide darftellt, und zweitens, weil er in fünfundzwanzig Jahren 
mit außerordentlicher Anftrengung fich nicht vom Plate gearbeitet hat. 
Ic habe aus hriftliher Milde (und zugleich um Dir, als welcher nad) 
Klotzens Ausfage einer Entſchuldigung bevürfte, Gerechtigkeit wieder⸗ 
fahren zu laſſen) fein ganzes Manufcript angehört. Nun kann ih mich 
freilich, mit was ich von ihm erlernt, nicht breit machen, ich war mit 
Räthſeln umftricdt, die durch feine Reden nur noch verwidelter wurden, 
und er war ängftlich auf feiner Hut, daß ich ihm nicht eins feiner Ger 
heimnifje erſchnappe, um es Dir zu Übertragen, er möchte gem mit 
Dir felber hierüber ſprechen, am meiften Hagte er, daß Du ihm auf 
einen demüthigen, aufrichtigen Brief keine Antwort gegeben, ich aber 
tröftete ihn damit, daß Du mir auf einen bittenden, Liebenden Brief 
auch Feine Antwort gegeben, und fo war e8 gut. — Ich kann dem ar- 
men Mann nicht begreiflich machen, daß er die Perlen mit den Kleien 
gemiſcht, und daß wahrjheinlic beides zufammt von den Schweinen 
gefrefien wird. Du aber könnteft hier gewiß Gutes ftiften, wenn Du 
Dich über feine Entdeckungen mit ihm einlaffen wollteft. Beikommende 
Zabelle hab ich ihm für Dich abgeluxt, fie gefällt mir jo wohl, daß ich 
fie wie ein ſchönes Bild betrachte. 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 18 


274 





Jetzt hab ich noch eine geringe Trage, aber fie gilt mir viel, denn 
fie fol mir eine Antwort eintragen: haft Du Albrecht Dürer's Bild⸗ 
niß, weldhes ſchon vor ſechs Wochen von bier abging, erhalten? — wo 
nicht, fo bitte ich, Taffe doch in Weimar bei den Fuhrleuten nachfragen. 

Es geht hier eine Sage unter vem Bolt, e8 werde bald eine Er- 
ſcheinung fein, die fol Wahlverwandtichaften heißen, und von Dir in 
Geftalt eines Romans ausgehen. Ich habe einmal einen fünf Stun- 
den langen, ſaueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag 
fo einfam zwifchen Felſen, der Mittag konnte nicht zu ihm nieberfteigen, 
die Sonne zerfplitterte taufendfach ihre Strahlenfrone an dem Öeftein, 
alte vürre Eichen und Ulmen ftanden wie die Todeshelden drum ber, 
und Abgründe, die man da ſah, waren feine Abgründe der Weisheit, 
ſondern dunkle, ſchwarze Nacht, mir wollt's nicht behagen, daß die 
himmliſche Natur folhe Launen babe, ver Athem wurde mir ſchwer 
und ich hatte das Geſicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber dieſe 
Wahlverwandtſchaften dort an der Duelle wüßte, gern wollt ich ven 
Ihauerlichen, unheimlihen Weg noch einmal machen, und zwar mit 
leichtem Schritt und leichtem Sinn, denn erftens dem Geliebten entge- 
gengehen, beflügelt ven Schritt, und zweitens mit dem Geliebten heim- 
gehen, ift der Inbegriff aller Seligkeit. 

9. September 1809. Bettine. 


An Bettine. 


Ihr Bruder Clemens, liebe Bettine, hatte mir bei einen: freund- 
lichen Befuche ven Albrecht Dürer angelünbigt, fo wie auch in einem 
Ihrer früheren Briefe deſſelben gedacht war. Nun hoffte ich jeden Tag 
darauf, weil ich an Diefem guten Werk viel Freude zu erleben gedachte, 
und wenn ich mir's auch nicht zugeeignet hätte, es Doch gern würde 
aufgehoben haben bis Ste gefommen wären es abzuholen. Nun muß 
ih Sie bitten, wenn wir e8 nicht für verloren halten follen, ſich genau 
um die Oelegenheit zu erkundigen, durch welche e8 gegangen, damit 


275 





man etwa bei den verſchiedenen Spebiteurs nachkommen kann, denn 
aus Ihren heutigen Briefe jehe ich, daß e8 Fuhrleuten abgeltefert wor- 
den, Sollte e8 inzwifhen anfommen, jo erhalten Sie gleih Nachricht. 

Der Freund, welcher die Kölner Vignette gezeichnet, weiß was 
er will, und verfteht mit Feder und Pinfel zu handthieren, das Bild- 
hen hat mir einen freundlichen guten Abend geboten. 

Franz Baber'n werden Sie ſchönſtens für dag geſendete danken. 
Es war mir von den Auffägen ſchon manches einzelne zu Geficht ge» 
fommen, Ob ich fie verftehe, weiß ich jelbft kaum, allein ich konnte 
mir manches daraus zueignen. Daß Sie meine Unart gegen den Ma⸗ 
ler Kloz durch eine noch größere, die Ste mir verziehen haben, ent- 
ſchuldigt, ift gar Löhlih, und bat dem guten Mann gewiß bejonvers 
zur Erbauung gebient. Die Tafel ift wohlbehalten angelommen, fo 
angenehm and ver Eindruck ift, den fie auf das Auge macht, fo ſchwer 
ift fie doch zu beurtheilen, wenn Sie ihn daher bewegen können, den 
Schlüſſel zu diefem Farbenräthſel berzuleihen, jo könnte ich vielleicht 
durch eine verftändige und gegründete Antwort mein früheres Berfäum- 
niß wieder gut machen. 

Wie viel hätte ich nicht noch zu fagen, wenn ich auf Ihren vorigen 
lieben Brief zurüdgehen wollte? Gegenwärtig nur fo viel won mir, 
daß ich mich im Jena befinde, und vor lauter Berwandtichaften nicht 
recht weiß, welche ich wählen foll. 

Wenn das Büchlein, das man Ihnen angekündigt bat, zu Ihnen 
fommt, fo nehmen Sie e8 freundlich anf, Ich kann ſelbſt nicht dafür 
ftehen was e8 geworben ift. 


Mit eigner Hand. 


Nimm es nicht übel, daß ich mit fremder Hand fehreibe, die meine 
war müde, und ich wollte Dich doch nicht ohne Nachricht laſſen iiber 
das Bild, ſuche ihm doch ja anf die Spur zu fommen, fahre fort, an 
mich zu denken und mir etwas von Deinem wunderlichen Leben zu 
fagen, Deine Briefe werden wiederholt gelefen mit vieler Freude, was 
Dir auch die Feder darauf erwiedern könnte, e8 wäre doch immer weit 

18* 


276 





entfernt von dem unmittelbaren Eindrud, dem man fich fo gern hin⸗ 
giebt, jelbft wenn es Täuſchung wär, denn wer vermag bei wachenden 
Sinnen zu glauben an den Reichthum Deiner Liebe, den man als 
Traum aufzunehmen wohl am beften tut. — Was Du zum voran 
über die Wahlverwandtſchaften fagft, ift prophetiicher Blid, denn leiver 
geht Die Sonne düfter genug dort unter. Suche doch ja dem Albrecht 
Dürer auf die, Spur zu kommen. Lebe recht wohl. 
Jena, den 11. September 1809. Goethe. 


Heute bitt ich wieder einmal um Verzeihung, liebe Bettine, wie 
ich es ſchon oft hätte thun ſollen. Ich habe Dir wegen des Bildes 
vergebene Sorge gemacht, es iſt in Weimar wirklich angekommen, und 
nur durch Zufall und Vernachläſſigung kam die Nachricht nicht an mich 
herüber. Nun ſoll es mich bei meiner Rückkehr in Deinem Namen 
freundlichſt empfangen, und mir ein guter Wintergeſelle werden, auch 
ſo lang bei mir verweilen, bis Du zu mir kommſt es abzuholen. Laß 
mich bald wieder von Dir vernehmen. Der Herzog grüßt Dich auf's 
beſte, einiges muß ich ihm auch Diesmal aus Deinen ſchönen Frucht⸗ 
franz von Neuigkeiten zukommen laſſen. Er tft Div mit befonderer 
Neigung zugethan, und befonvers was die Schilderung von Kriegs⸗ 
fcenen anbelangt, theilt er vollklommen Deine enthuſiaſtiſche An⸗ und 
Umſichten; erwartet aber auch nur ein tragifches Ende. 

Auguft fommt Anfang Oftobers von Heidelberg zurüd wo es 
ihm ganz wohlgegangen ift. Auch hat er eine Rheinreiſe bis Coblenz 
gemadt. Lebe meiner gedenk. 

Jena, ven 15. September 1809. G. 


26. September. 
Wie ein Sperling kam mir Dein Brief vom 11. September auf 
den Schreibtiſch geflogen; zuletzt haſt Du zwar ein kleines Dompfaffen⸗ 
ſtückchen dran gehängt, von beſonderer Theilnahme, allein ich laſſe mir 
nichts weis machen, das war nach der alten Drehorgel gepfiffen. 











277 





Hätteft Du mich lieb, unmöglich Tünnteft Du von Deinem GSecretair 
einen Brief abſchnurren laſſen wie ein Paternofter, er tft ein Philifter 
daß er fo was ſchreibt und Dich felbft Dazu mat, ih kann mir auch 
gar nicht oorftellen wie Du es mit ihm anſtellſt; fprichft Du ihm denn 
den Inhalt Deines Brief's vor, oder giebft Du ihm Deine Gedanken 
fo im Rummel, daß er fie nachher reihenweis neben einander auf- 
ſchichte? — 

Verliebt bift Du und zwar im die Heldin Deines neuen Romans 
und das macht Dich fo eingezogen und fo falt gegen mic, Gott weiß 
welches Muſter Dir bier zum Ideal diente, ach Du haft einen eignen 
Geſchmack an Frauen, Werther's Lotte hat mich nie erbaut, wär ich 
nur Damals bei der Hand gewefen, Werther hätte fich nicht erſchießen 
dürfen, und Lotte hätte ſich geärgert daß ich ihn jo ſchön tröften konnte. 

So geht mir's aud im Wilhelm Meifter, da find mir alle Frauen 
zuwider, ich möchte fie alle zum Tempel hinausjagen, und darauf hatte 
ich auch gebaut, Du würdeſt mich gleich lieb gewinnen, wenn Du mid 
fennen lernteft, weil ich befier bin und liebenswürdiger wie die ganze 
weiblihe Comitee Deiner Romane, ja wahrhaftig das tft nicht viel 
gefagt, für Dich bin ich liebenswürdiger, wenn Du, der Dichter, Das 
nicht herausfinden willft? für feinen andern bin ich geboren; bin ich 
nicht die Biene die binausfliegt, aus jeder Blume Dir den Neltar 
heimbringt? — und ein Kuß! meinſt Du der ſei gereift wie vie 
Kirſche am Aft? — nein ein Umfchweben Deiner geiftigen Natur, ein 
Streben zu Deinem Herzen, ein Sinnen über Deine Schönheit firömt 
zufammen in Liebe; und fo ift diefer Kuß ein tiefes unbegreifliches 
Einverſtändniß mit Deiner unendlich verſchiedenſten Natur von mir. 
D verfündige Dich nicht an mir, und mache Dir kein gefchnigeltes 
Bild dafjelbige anzubeten, während die Möglichkeit Dir zu handen 
liegt ein wunderbares Band der Öeifterwelt zwifchen uns zu weben. 

Wenn ich mein Netz aufzog, jo willfiihrlich gewebt, jo fühn aus- 
geworfen, im Gebiet des Unbelannten, ich brachte Dir ven Fang, und 
was ich Dir auch bot, e8 war der Spiegel des menſchlich Guten. Die 
Natur hat auch einen Geift, und in jeder Menſchenbruſt empfindet 


m 

diefer Geift die höheren Ereignifle des Glüds und des Unglüds, mie 
ſollte der Menſch um fein felbft willen felig fein können, da Seligkeit 
fih in allem empfindet und feine Grenze kennt. So empfindet ſich 
Natur feltg im Geift des Menſchen, das ift meine Liebe zu Div, und 
fo erfennt der Menſchengeiſt dieſe Seligkeit, das tft Deine Liebe zu 
mir: Geheimnißvolle Frage und unentbehrliche Antwort. 

Genug! laſſe mich nicht vergebens bet Dir angellopft haben, 
nimm mich auf, und verbülle mich in Dein tieferes Bewußtfein. 

Dein zweiter Brtef ift auch Hier der mir das glüdliche Einfangen 
des vagabondirenden Kunſtwerkes meldet, möge es Dir bei Deiner 
Heimkehr einleuchten; es ift ein Geficht, zwar nur ein gemaltes, aber 
unter taufend lebendigen wird Dir kein fo durchdringender Blick bes 
gegnen, ver hat fich angefehen, Hat fich fein tiefftes Herz abgefragt und 
auf die Leinwand gemalt daß es Rechenſchaft gebe von ihm den nad» 
kommenden Geſchlechtern als ver Würdige unter den beften. 

Dom Welttheater auf ven Yelsfpiten tft nur zu melden, daß ſie 
gut balanciren. Am 3. September am Geburtötag Deines gnädigften 
Herrn und Freundes bat ganz Tyrol mit allen Gloden geläutet und 
Te Deum gefungen, es iſt grade Platz genug dort, daß von allen 
Seiten Helventhaten dargeftellt werben die fo kühn ſind, fo himmel» 
anftrebend wie die Felszacken von denen fie ausgehen, und bald fo tief 
vergefien fein werden wie bie tiefen Klüfte in denen ſie ihre Feinde 
begraben, entſchieden genaues erfährt man nicht; das großartige wird 
jo viel wte möglich verfegert und verheimlicht; in dieſen letzten Wochen 
bat ſich Steger hervor gethan, auch ein allſeitiges Genie der fich felber 
als ein Geſchenk Gottes betrachten Tann für feine Landsleute. Bon 
Deinem Mujenfohn dem Kronprinzen find Briefe bier, iiber Begeben- 
heiten melden fie nichts, er iſt gefund und dichte, auch mitten in dem 
Zumult des Schickfals, das beweift daß er fich in dieſem Element nicht 
fremd fühlt, weiter weiß ich nichts, das Gedicht bekam ich nicht zu 
lefen, ich Hätte es Dir fehr gern als Probe gefendet, man fürdtet es 
möchte mich zu tief ergreifen, fonderbar! ich könnte mein ganzes Herz 
tätowiren, Namenszeihen und Andenken einbrennen lafjen, und doch 








279 





blieb es fo geſund und frifch Dabei als ein gejunder Handwerksburſch, 
fo geht's, wenn man Freunde hat die fi um einem kümmern, fie bes 
urtheilen einem verkehrt und mißhandeln einem danach, das nennen 
fie Antheil nehmen, und dafür joll man fi noch bedanken: ich habe 
mir nun ein appartes Plaifir gemacht und ein ſchönes Miniaturbild 
des jungen Königſohns an mich gebracht, das betracht ich zuweilen, 
und bete ihm im Geift vor, wie e8 mit ihm werben foll; aber, aber! 
es iſt dafür geforgt daß die Bäume nicht im Himmel wachen, ſag ich 
mit Dir; es hat gute Wege mit Weltherrſchern, daß die ihre Macht 
nicht gewahr werben, und ihrer Fähigkeiten nicht Meiſter. 

Rundum im der Gegend ift der Typhus ausgebrochen, durch⸗ 
marſchirende Truppen haben ihn mitgebracht, ganze Familien fterben 
auf dem Lande, einer einzigen Nacht⸗Einquartierung nach; es. raffte 
ſchon die meiften Lazareth⸗Arzte weg, geftern hab ich einen jungen 
Mediziner der fich freundlich an mich attaſchiert hatte, verabſchiedet, 
er heit Janſon, er ging nach Augsburg in's Lazareth um dort einen 
alten Lehrer der Frau und Kinder hat, abzulöfen, dazu gehört aud 
großartiger Muth. Auch in Yandshut, wo Savigny’8 find, fährt der 
Zod jemen Karren triumphirend durch alle Straßen, und beſonders 
bat er mehrere junge Leute, ausgezeichnet an Herz und Geift, die fi 
der Krankenpflege annahmen, weggerafft, e8 waren treue Hausfreunde 
von Savigny, ich werde nächſtens hingehen um böfe und gute Zeit 
mit auszuhalten. Dem ich fag allen politiſchen Ereignifien Valet, 
was Hilft alles Forfchen wenn man betrogen wird, und alle aufge 
regten Gefühle nutlos fi verzehren müſſen. Adien, ich bin Dir nicht 
grün, daß Du Deinen Secretair an mid haft fchreiben Iafien. Es 
braucht nur wenig zu fein zwiſchen uns, aber nichts gleichgültiges das 
töbtet das flüchtige Salz des Geiftes und macht die Liebe fchen. 
Schreibe bald und mache wieder gut. 

. Bettine. 


280 


An Bettine. 


Deinen Vorwürfen, liebſte Bettine, ift nicht auszuweichen, Da 
bleibt nichts übrig als die Schuld zu bekennen und Beflerung zu ver- 
ſprechen, um fo mehr da Du mit den geringen Beweiſen von Liebe 
die ih Dir geben kann zufrieden bit, auch bin ich nicht im Stande 
Div das von mir zu fehreiben was Dir am intereffanteften fein möchte, 
Dagegen ‘Deine lieben Briefe jo viel erfreuliches gewähren, daß fie billig 
allem andern vorgehen; fie beicheren mir eine Reihe von Feſttagen, 
deren Wiederkehr mich immer auf's neue erfreut. 

Gern geb ih Dir zu, daß Du ein weit liebenswürbigeres Kind 
bift, wie alle die man Dir als Geſchwiſter an die Seite zu ftellen ver- 
ſucht wird; eben darum erwart ih von Dir, daß Du ihnen zu gute 
halten werdeſt was Du vor ihnen voraus haft. Verbinde nun mit fol« 
hen ſchönen Eigenfhaften auch die, immer zu wiſſen wie Du mit mir 
dran bift; jchreibe mir was Dir däucht, e8 wird jederzeit auf's herr⸗ 
lichfte aufgenommen, Dein offenherziges Plaudern ift mir eine ächte 
Unterhaltung und Deine vertraulichen Hingebungen überwiegen mir 
alles. Lebe wohl, bleibe mir nah, und fahre fort mir wohl zu thun. 

Jena, 7. Oktober. Goethe. 


Landshut, am 24. Oktober. 

Das Reich Gottes fteht in der Kraft zu jeder Zeit und an allen 
Orten, dies habe ich heute bemerkt bei einer hohlen Eiche, die da ftand 
in der Schaar wilder hoher Walppflanzen mächtig groß, und ihre 
Jahrhunderte zählte, ganz abgewendet vom Sonnenſchein. Wolfsftein 
ift bet drei Stunden von hier, man muß über manchen Stiegelhupfer, 
kömmt allmählig aufwärts zwilchen Tannen und Fichten, die ihre brei- 
ten Afte im Sand fohleifen. Dort ftand vor vielen Hundert Iahren ein 
Jagdſchloß von Ludwig dem Schönen, Herzog in Batern, deſſen fon- 
derliche Luſt war, in Nebel und Abenddämmerung herum zu ſchweifen, 


281 


da war er einſtmals abwärts gegangen, und hatte ihn die Dunkelheit 
heimlich noch an eine Mühle geführt, das Wafjer hörte er braufen 
und das Mühlenrad gehen, fonjt war alles ftill, ev rief ob ihn nie- 
mand höre, die Müllerin die gar ſchön war wachte auf, zündete ein 
Kienholz an, und kam vor die Thür gegangen, da war der Herzog 
gleich verliebt da er fie beim Schein der Flamme jehen konnte, und 
ging mit ihr ein, blieb aud bis am frühen Morgen. Er fuchte ſich 
aber einen heimlichen Weg wie er wieder zu ihr fommen möge. Er 
vergaß ihrer nicht, aber wohl vergaß er ver Mark Brandenburg die er 
verlor, darum daß er auf nichts achtete als nur auf die Tiebe, eine 
Umenallee die zur Mühle führt vom Schloß aus, und bie er jelbft 
pflanzte fteht noch; daran fieht man daß die Bäume wohl alt werben, 
aber die Liebe nicht, fagte einer von umferer Gefellfhaft, da wir durch 
die Allee gingen. 

Und darum bat der Herzog nicht unrecht, daß er die Mark Bran- 
denburg um die Liebe gab, denn dieſe ift immer nod da und ijt dumm, 
aber in der Liebe geht man umber wie im Frühling, denn fie ift ein 
Regen von fammetnen Blüthenblättern, ein fühles Hauchen am heißen 
Tag, und fie ift ſchön bis fie am End ift. Gäbſt Du nun auch die 
Mark um die Liebe? — e8 würde mir nicht gefallen, wenn Du Bran- 
denburg lieber hätteft wie mich. 


Am 23. Oktober. 

Der Mond fcheint weit her über die Berge, die Winterwolfen 
ziehen herdenweis vorüber. Ich habe ſchon eine Weile am Fenſter ge⸗ 
fanden und zugefehen wie's oben jagt und treibt. Lieber Övethe, guter 
Goethe, ich bin allein, e8 hat mich wieder ganz aus den Angeln geho- 
ben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kinpchen, jo muß ich dieſe 
Liebe pflegen zwiſchen uns; ſchöne Schmetterlinge wiegen ſich auf den 
Blumen die ih um feine Wiege gepflanzt babe, goldne Yabeln 
Ihmüden feine Träume, ich fcherze und fpiele mit ihm, jede Liſt 
verſuch ich um feine Gunft. Du aber beherrſch'ſt es mühelos, durch 
das herrliche Ebenmaaß Deines Geiſtes; es bedarf bei Dir keiner 


282 





zärtlichen Ausbrüche, keiner Betheuerungen. Während ich jorge um jenen 
Augenblid der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des Segens, 
die da reicht über alle Vernunft und über alle Welt. 


Am 23. Oftober. 

Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu fchreiben, und enbige 
gern tief unten, ohne einen Pla zu laſſen flir ven Reſpekt, das malt 
mir immer vor, wie vertraut ich mit Dir fein darf; ich glaub wahr- 
haftig ich hab's von meiner Mutter geerbt, venn alte Gewohnheit 
ſcheint's mir, und wie das Ufer den Schlag der Wellen gewöhnt ift, 
fo mein Herz den wärmeren Schlag des Blutes bei Deinem Na- 
men, bei allem was mid) daran erinnert, daß Du in dieſer fihtbaren 
Welt lebt. 

Deine Mutter erzählte mir, dag wie ich nen geboren war, fo 
habeſt Du mich zuerft an's Licht getragen und gejagt pas Kind hat 
braune Augen, und da habe meine Mutter Sorge getragen Du 
würdeſt mich blenden, und nun geht ein großer Glanz von Dir aus 
über mid). 


Am 21. Oktober. 

Es geht bier ein Tag nad dem andern hin, und bringt nicht8, 
das ift mir nicht recht; ich fehne mich wieder nach der Angſt vie mich 
aus München vertrieben bat, ich habe Durft nad ven Mähren von 
Tyrol, ich will lieber belogen fein als gar nichts hören; fo halte ich 
doch mit ihnen aus, und leive und bete für fie. 

Der Kirhthurm hat bier was wunderliches, fo oft ein Domberr 
ftirbt wird ein Stein am Thurm geweißt, da ift er nun von oben bis 
unten weiß gepladt. 

Indeſſen geht man an ſchönen Tagen bier weit fpazieren mit 
einer liebenswürdigen Geſellſchaft, die fih an Savigny's menjchen- 
freundlicher Natur eben fo erquickt wie an feinem Geift. Salvoti, ein 
junger Italiener, ven Savigny jehr auszeichnet, hat ſchöne Augen, ich 
ſehe ihn aber doch lieber vor mir hergeben als in's Geſicht, denn er 





283 





trägt einen grünen Mantel dem er einen vortrefflihen Faltenwurf 
giebt, Schönhett giebt jener Bewegung Geiſt; er hat das Heimmeh und 
obfchon er alle Tage feinen vaterländiſchen Wein durch den baterifchen 
Flußſand filtrirt um ſich zu gewöhnen, fo wird er. täglich blafier, 
ſchlanker, interefianter, und bald wird er feine Heimath aufſuchen 
müſſen, um ihr feine heimliche Liebe einzugeftehen; jo wunderliche 
Grillen hat Natur, zärtlich, aber nicht überall diefelbe, demſelben. 

Ringseis der Arzt, der mir den Intermarillarknochen jehr ſchön 
präparirt hat, um mir zu zeigen wie Goethe Recht hat, und viele 
freundliche Leute find unfre Begleiter, man ſucht die fteilften Berge 
und die befhwerlichften Wege, man übt fi auf's kommende Frühjahr, 
wo man eine Reife in die Schweiz und Tyrol vor hat; wer weiß wie's 
dann Dort ausfehen wird, dann werden die armen Tyroler ſchon feufzen 
gelernt haben. 

Heute Naht hab ich von Dir geträumt, was konnte mir jchöneres 
wiederfahren? — Du warft ernfthaft und fehr gefchäftig, und fagteft: 
th jolle Dich nicht flören. Das machte mich traurig, da drüdteft Du 
jehr freundlich meine Hand auf mein Herz und fagteft: Sei nur ruhig, 
ich Terme Dich und weiß alles, da wachte ich auf; dein ing, ven ich 
im Schlaf an mid gebrüdt hatte, war auf meiner Bruft abgebilvet, 
ih paßte ihn wieder in die Abbildung und drüdte ihn noch feiter an, 
weil ich Dich nicht an mich drücken konnte. Iſt denn ein Traum nichts? 
— mir ift er alles; ich will gern die Geſchäfte des Tages aufgeben, 
wenn ih Nachts mit Dir fein und fprehen kann. O ſei's, gern im 
Zraum, mein Glüd, Di. 


Am 19. Oktober. 
Auch hier Hab ich der Muſik ein Luftlager aufzufchlagen gewußt, 
ih hab mir eine Kapelle von ſechs bis acht Sängern errichtet, ein 
alter geiftliher Herr, Eirdorfer (behalte feinen Namen, ich werde Dir 
noch mehr von ihm erzählen), eim tüchtiger Bärenjäger und noch 
fühnerer Generalbaßſpieler, ift Capellmeifter. An Regentagen werben 
in meinem Heinen Zimmer die Pfalmen von Marcello aufgeführt, ich 


284 


will Dir gern die fchönften davon abjchreiben laſſen, wenn Du fie 
ſelbſten nicht Haft, fchreib nur ein Wort drum, denn die Muſik ift 
einzig herrlich und nicht gar leicht zu haben. Auch vie Duetten von 
Durante find ſchön, das Gehör muß ſich erft daran gewöhnen ehe es 
ihre harmoniſche Disharmonie bändigen mag, eine Schaar gebrochner 
Seufzer und Liebesflagen, die in die Luft wie ein irrendes Verhallen 
abbricht, drum find fie aber auch ſo gewaltig, wenn fie recht gefungen 
werden, daß man fi) immer wieder neu in diefen Schmerzen ver- 
ſchmachten Tiefe. Man hatte imvefien ein barbarifche8 Urtheil über 
biefe und Marcello gefällt, ich wurde bizarr genannt, daß ich täglich 
zweimal, Morgens und Abends, nur diefe Muſik fingen lief. Nach 
und nach, wie jeder Sänger feinen Poften verſtehen lernte, gewann er 
auch mehr Intereſſe. — Auf Apoll's hohen Kothurnen ſchreiten, mit 
Jupiter's Bligen um fi jchleudern, mit Mars Schlachten liefern, 
Sclaventetten zerbrechen, den Jubel der Freiheit ausftrömen, bachan- 
tiiche Luft ausrafen, mit dem Schild der Minerva die anftürmenden 
Chöre zufammendrängen, ihre Evolutionen ordnend, ſchützen, das find 
jo einzelne Theile diefer Mufil, an denen ein jeder die Kraft feiner 
Begeifterung kann wirkſam machen. Da ift denn auch fein Wiederftand; 
Muſik macht die Seele zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt 
fie, Muſik wirkt finnlich auf die Seele, wer nicht fo erregt tft im Spiel 
wie in der Compofition, der bringt nichts geſcheutes hervor; die ſchein⸗ 
heiligen, moralifhen Tendenzen feh ich fo alle zum Teufel gehen mit 
ihrem erlogenen Plunder, denn nur die Sinne erzeugen in der Kunft 
wie in der Natur, und Du weißt das am beften. 


Am 18. Oftober. 
Bon Klozens Farbenmartyrthum hab ih Div noch Rechenſchaft 
zu geben, es ift nicht8 mit ihm anzufangen, ich habe zum Theil mit 
Zangermweile, aber doch auch mit Theilnahme, mein Ohr feinem fünf- 
undzwanzigjährigen Manufcript geliehen, mich mühſam vurchgenrbeitet, 
und mit Verwunderung entvedt, daß er fich felbft in höchſt proſaiſchem 
Wahnfinn Hinten angehängt hat; nichts hab ich befjer verftanden als 





285 





dies eine: Ich bin Ich, und beim Lichte befehen, hat er ſich durch 
häufiges Hineinfinnen endlich felbft in drei grobe, ſchmutzige Stoff- 
farben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei ihm ausge⸗ 
ftanden Hatte, beſonders wurd fein ſchauerliches Geſicht, jo konnt ich 
nach endlich beendigten Collegien nicht mehr über mich gewinnen ihn 
zu befuchen, und fam mir eine feltfame Furcht, wenn ich ihn auf der 
Straße witterte. Bei Sonn und Mondenſchein ftürzt er auf mich los, 
ich ſuche zu entweichen, ach, vergebens, die Angft lähmt meine Glieder 
und ich falle in feine Hände. Nun fing er an fein Syſtem von Grund 
aus in meine Seele einzufeilen, damit ich ven Unterfchten von Goethes 
Anſicht ja recht auffaſſe; auch lud er mich em, um mir feine Licht: 
Theorie auf franzöſiſch vorzulefen, er überſetzte das Ganze, um es der 
partjer Akademie zu übergeben; da num ein Dämon in mir dem allen 
entgegen arbeitet, was fich als Wirklichkeit behauptet, feine Form ver- 
edelt, alles poettiche läugnet oder höchſt gleichgültig überbaut oder 
zertrümmert, jo bab ich ihm durch meine große Lügen, Barodieen und 
Bergleihfammlungen wiederum das keben, das ganz erſtarren wollte, 
auf etliche Zeit gefriſtet. 

Ich meinte, da ich durch ſein Prisma ſah in den ſchwarzen 
Streif, und alles ſah was er wollte, daß der Glaube die Geburt und 
ſichtliche Erſcheinung des Geiftes, ſei, und eine Befeſtigung feines Da⸗ 
ſeins, denn ohne ihn ſchwebt alles und gewinnt keine Geſtalt, und 
verfliegt in tauſend Auswegen. So auch wenn ich zweifle und nicht 
glaube, ſo verfliegt mir auch Dein ſchönes Andenken und ich habe 
Nichts. 


Am 17. Oktober. 
Um etwas bitte ih, Du darfit mir's nicht abfchlagen, man kann 
nämlich während der Tebzeit nicht genug ſammeln der ‘Dinge, die vie 
Einſamkeit des Grades verfüßen, als da find: Schleifen, Haarloden 
der Geliebten ꝛc.; meine Liebe zu Dir ift zu groß, als das ich Dir ein 
Haar krümmen möchte, viel weniger eins abjchneiden, denn ‘Dein Haar 
gehört zu Dir, und Du bift ein Ganzes, das meine Liebe fi zugeeignet 


286 


hat, und will auch nicht ein Haar an Dir miſſen. — Gieb mir dein 
Buch — laſſe es ſchön einbinden in eine freundliche Farbe, m Roth 
etwa, denn das ift eine Farbe in der wir und oft begegneten, und dann 
ſchreibe mit eigner Hand vorne hinein: Bettine over Schatz ꝛc. — Died 
Buch ſchenk ih Dir. 


Am 16. Oktober. 

Zwei Briefe erhielt ich von Dir über Dürer's Bildniß, Du mußt 
mir aber auch Nachricht geben, ob es unbejhädigt angelommen und 
ob es Dir gefällt? — fag mir, was Du Tobenswerthes daran findeft, 
damit ich's dem fehr armen Maler wiederfagen kann. Ich habe jet 
noch obendrein gehäufte Correfpondenzen mit jungen Auffhößlingen 
der Kunft, einem jungen Baumeifter in Köln, ein Muſiker von achtzehn 
Jahren, der bet Winter Compofitton ſtudiert, veih an ſchönen Melo« 
dieen, wie ein filberner Schwan, der in hellblauer Luft mit ausge. 
ſpannten Flügeln fingt. Der Schwan hat einen verflixt batertichen 
Namen, er heißt Lindpaintner, doch jagt Winter, er wird diefen Namen 
zu Ehren bringen. Ein junger Rupferfteher, der bei Heß m München 
ſtudiert. Beiliegendes radirtes Blättchen ift won ihm, e8 ift der erite 
Abdruck, noch verwiſcht und unzart, auch ift das Ganze etwas büfter 
und nad dem Urtheil anderer zu alt, indeſſen ſcheint mir's nicht ganz 
ohne Verdienſt, er hat e8 ohne Zeichnung gleich nad) der Natur auf's 
Kupfer gearbeitet, wenn Dir's gefällt, jo ſchick ich ein reineres, beſ⸗ 
feres, mit mehr Sorgfalt gepadt, das kannſt Du an Dein Bett an die 
Wand fteden. — Alle dieſen Menſchen ſprech ich nun in verſchiedner 
Art Zroft zu, und tft mir eine angenehme Würde, als ihr Meines 
Orakel von ihnen berathen zu werben, ich Iehre fie nun ihre fünf Sinne 
verſtehen; wie das aller Dinge Weſen in ihnen fliegt und Eriecht, wie 
Duft der Lüfte, wie Kraft der Erde, wie Drang der Wäffer und Far- 
ben des Feuers in ihnen leben und arbeiten, wie Die wahre AÄſthetik im 
hellen Spiegel der Schöpfung Liege, wie Reif, Thau und Nebel, Regen- 
bogen, Wind, Schnee, Hagel, Donner und die drohenden Kometen, 
die Norbfcheine zc. einen ganz andern Geift herbeiziehen. Der Gott, 


287 





der den Winden Flügel anbinvet, der wird fie ihrem Geift auch an- 
binden. 


Am 15. Oftober. 

Merkſt Du denn nicht daß mein Datum immer zurüd flatt vor- 
wärts geht? — ih habe mir nämlich eine Liſt ausgeſonnen; da vie 
Zeit mich immer weiter trägt, und nie zu Dir, jo will ich zurückgehen 
bis auf den Tag, wo ich bei Dir war, und dort will ich fiehen bleiben 
und will von dem: In Zukunft; und: Mit der Zeit; und: Bald, 
gar nichts mehr wiſſen, fondern dem allen den Rüden kehren, ich will 
der Zulunft ein Schloß vor die Thür legen, und jomit Div auch den 
Weg verfperren, daß Du nirgends als zu mir kannſt. 

Schreib mir über die Mufil, damit ich fie ſchicken kann, wenn 
Du fie nicht Haft, ich jchide jo gern etwas, dann bitte ich an die Frau 
meinen lieblichften Gruß, des Sohns gedenke ich auch, Du aber jchreib 
mir an einem hellen Tag; ich bilde mir immer ein, daß ich Dir unter 
vielem das liebfte jet. Als Deine Mutter noch lebte, da konnte ich mich 
mit ihr drum beipreden, die erflärte mir aus Deinen paar flüchtigen 
Zeilen alles; „ich Tenne ja den Wolfgang, fagte fie, das hat er mit 
ſchwebendem Herzen geichrieben, er hält Dich fo fiher in fernen Armen 
wie fein beftes Eigenthum.“ — Da ftreichelte mich dieſe Hand, Die 
Deine Kindheit gepflegt hatte, und fie zeigte mir zuweilen noch manches 
aus dem ehmaligen Hausrath, wo Du dabei gewejen warf. Das 
waren Lieblichkeiten. Bettine. 


Morgen geh ich wieder nah Münden, da werde ich den liebens⸗ 
würdigen Präfidenten wiederjehen. In der diesjährigen öffentlichen 
Situng der Akademie ift eine jehr ſchöne Abhandlung über die ehma⸗ 
lige Geſchichte des Salzwejens zu Reichenhall gelefen worden. Sie 
hatte das eigne Schidfal, jedermann zu ennunren, wenn mein Brief 
dies Schickſal mit ihr theilt, fo lefe ihn immer um des Zwangs, den 
ih mir angethan, auch von was anderm als meiner ewigen Liebe zu 
ſprechen. 


288 


Goethe an Bettine. 
Weimar, den 3. November 1809. 

Wie könnte ich mich mit Dir, liebe Bettine, wollen in Wettftreit 
einlaflen, Du übertriffft pie Freunde mit Wort und That, mit Gefällig- 
feiten und Gaben, mit Liebe und Unterhaltung; dag muß man fich 
denn alfo gefallen laflen und Dir dagegen fo viel Liebe zufenven als 
möglich, und wenn ed auch im Stillen wäre. 

Deine Briefe find mir fehr erfreulich, könnteſt Du ein beimlicher 
Beobachter fein während ich fie ſtudiere, Du würdeſt feineswegs zwei⸗ 
feln an der Macht, die fie über mich üben; fie erinnern mich an die 
Zeit, wo ich vielleicht jo närrifch war wie Du, aber gewiß glüdlicher 
und beſſer als jekt. 

Dein binzugefügtes Bild ward glei von Deinen Freunden er- 
kannt und gebührend begrüßt. Es ift jehr natürlich und kunftreich, 
dabei ernft und lieblih. Sage dem Künftler etwas Freundliches dar⸗ 
über, und zugleih: er möge ja fortfahren fi im Radieren nad) der 
Natur zu üben, das Unmtittelbare fühlt ſich gleich, daß er ſeine Kunft- 
marimen dabei immer im Auge habe, verfteht fich von felbft. Ein ſolches 
Talent müßte fogar lucrativ werben, es fei num daß der Künftler in 
einer großen Stabt wohnte, oder darauf reifte. In Paris hatte man 
ſchon etwas ähnliches. Veranlaſſe ihn doch, noch jemand vorzunehmen, 
ven ich Tenne, und fchreibe feinen Namen, vielleicht gelingt ihm nicht 
alles wie das interefjante Bettindhen, fürmahr fie ſitzt fo treulich und 
berzlih da, daß man dem etwas forpulenten Buche, das übrigens im 
Bilde recht gut komponirt, feine Stelle beneiven muß. Das zerfnilite 
Blättchen babe ich fogleih aufgezogen, mit einem braunen Rahmen 
umftrihen, und fo fteht es vor mir indem ich dies fchreibe, ſende ja 
bald befire Abdrücke. 

Albrecht Dürer wäre ganz glüdlich angelommen, wenn man nicht 
bie unfelige Vorfiht gehabt hätte, feines Papier oben auf zu paden, 
das denn im Kleive an einigen Stellen gerieben bat, die jest reflaurirt 
werden. Die Kopie verdient alle Achtung, fie tft mit großem Fleiß und 


289 


mit einer ernften, redlichen Abficht vwerfertigt, das Original möglichft 
wieder zu geben. Sage dem Künftler meinen Dant, Dir fag ich ihn 
täglich, wenn ich das Bild erblide; ich möchte von diefem Pinjel wohl 
einmal ein Portrait nad) der Natur ſehen. 

Da ich das Wort Natur abermals nieverjchreibe, fo fühle ich mic) 
gedrungen dir zu jagen: daß Du doch Dein Naturevangelium, das 
Du den Künftlern prebigft, in etwas bedingen möchteft, denn wer ließe 
fi nit von fo einer holden Pythoniſſe gern in jeden Irrthum führen. 
Schreibe mir, ob Dir ver Geift fagt was ich meine. Ich bin am Ende 
des Blatts und nehme dies zum Vorwand, daß ich verfchweige was ich 
zu fagen feinen Borwand habe, Ich bitte Dich nur noch durch Über- 
ſendung Durantifher und Marcelliiher Compofitionen abermals lieb- 
ih in meinem Haufe zu ſpuken. 

In diefen Tagen ließ fich eine Freundin melden, ih wollt ihr 
zuvorlommen, und glaubte wirklich Dir entgegen zu gehen, da ich bie 
zweite Treppe im Elephanten erftieg, aber es entwidelte ſich ein ganz 
ander Gefiht aus der Reiſekaputze, doch ift mir's feit dem angethan, 
daß ich mich oft nach der Thür wende, in der Meinung, Du kommft, 
meinen Irrthum zu berichtigen; durch eine baldige erfehnte Über- 
raſchung würde ich mich auch noch der in meiner Familie altherkömm⸗ 
lichen prophetifhen Gabe verfihert halten, und man würde ſich mit 
Zuverficht auf ein fo erfreuliches Ereigniß vorbereiten, wenn der böfe 
Dämon nicht gerade eingelbt wär zuvörderſt dem Herzen jeine 
tückiſchſten Streiche zu ſpielen; und wie die zarteften Blüthen oft noch 
mit Schnee gedeckt werben, jo auch die Kteblichite Neigung in Kälte zu 
verwandeln, auf jo was muß man denn immer gefaßt fein, und es tft 
mir zum warnenden Merkeichen, daß ich dem launigen April, obſchon 
im Scheiden begriffen, Deine erfte Erfcheinung verdanke. 

Goethe. 


Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 19 


290 


An Goethe. 
München, ven 9. November. 

Ach, e8 ift fo ſchauerlich mit fih allein fein, in mancher Stunde! 
Ad, fo mancher Gedanke bedarf des Troftes, den man dod Niemand 
jagen kann, fo manche Stimmung, die geradezu in's Ungeheure, Ge- 
ftaltlofe Hinzieht, will verwunden fein. Hinaus in's Kalte, Freie, auf.die 
höchſten Schneealpen mitten in der Nacht, wo der Sturmwind einem 
anbliefe, wo man dem einzigen einengenden Gefühl der Furcht hart und 
keck entgegen träte, da könnte einem wohl werben, bilde ich mir ein. 

Wenn Dein Genius eine Sturmwolfe an dem hoben, blauen 
Himmel hinträgt und fie endlich von den breiten, mächtigen Schwingen 
niederjchmettern läßt in die volle Blüthe der Roſenzeit, das erregt nicht 
allgemeines Mitleid, mander genießt den Zauber der Verwirrung, 
mancher löft fein eignes Begehren drinn auf, ein dritter (mit dieſem 
ich) ſenkt fich neben die Roſe hin, jo wie fie vom Sturm gebrochen ift, 
und erblaßt mit ihr und ftirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auf- 
lebt, fo ift er new geboren in fchönerer Jugend — durch Deinen 
Genius, Goethe. Dies jag ih Dir von dem Eindruck jenes Buchs: 
die Wahlverwandtſchaften. 

Eine hele Mondnacht hab ih durchwacht, um Dein Bud zu 
lefen, das mir erjt vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannt 
Dir denfen daß in diefer Nacht eine ganze Welt fich Durch meine Seele 
drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir, Balfam für nie Wunde 
holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Morgen Dein Brief 
fam mit allen Zeichen Deiner Güte, da wußte ih ja daß Du lebſt, 
und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, 
mich Deimer Liebe zu würdigen. Dies Bud ift ein furmerregtes 
Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen, mich zu zermal⸗ 
men. Dein Brief ift das liebliche Ufer, wo ich lande, und alle Gefahr 
mit Ruhe, ja fogar mit Wohlbehagen überjehe. 

Du bift in fie verliebt, Goethe, e8 hat mir ſchon lange geahnt, 
jene Benus iſt dem braufenden Meer Deiner Leivenichaft entitiegen, 








291 


und nachdem fie eine Saat von Thränenperlen ausgeſäet, da verfchwin- 
det fie wieder in überirdiſchem Glanz. Du bift gewaltig, Du willft, 
die ganze Welt fol mit Dir trauern, und fie gehorcht weinend Deinem 
Wink. Aber ih, Goethe, hab auch ein Gelübde gethan; Du fcheinft 
mich frei zu geben in Deinem Verdruß, lauf Hin, fagit Du zu mir, 
und fuh Dir Blumen, und dann verfehließt Du Did in die innerfte 
MWehmuth Deiner Empfindung, ja, das will ih, Goethe! — Das ift 
mein Gelübbe, ich will Blumen fuchen, heitere Gewinde jollen Deine 
Pforte ſchmücken, und wenn Dein Fuß ftraudhelt, jo find es Kränze, 
die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumift, jo ift es 
der Balſam magifher Blüthen, der Dich betäubt, Blumen einer fer- 
nen fremden Welt, wo ich nicht fremd bin, wie hier in dem Buch, wo 
ein gteriger Tieger das feine Gebild geiftiger Liebe verfchlingt; ich 
verſtehe es nicht, dieſes grauſame Räthſel, ich begreife nicht, warum 
fie alle fih unglüdlih machen, warum fie alle einem tückiſchen Dämon 
mit ftachelihem Scepter dienen; und Charlotte, die ihm täglich, ja 
ſtündlich Weihrauch ftreut, die mit mathematifher Conſequenz das 
Unglüd für alle vorbereitet. It die Liebe nicht frei? — find jene beiden 
nicht verwandt? — warum will fie e8 ihnen wehren dies unfchuldige 
Leben mit und neben einander? Zwillinge find fie; in einander ver⸗ 
ſchränkt reifen fie der Geburt in's Licht entgegen, und fie will viefe Keime 
trennen, weil fe nicht glauben kann an eine Unſchuld; das ungeheure Bor- 
urtheil der Sünde impft fie der Unſchuld ein. D, welche unfelige Borficht. 

Weißt Du was? feiner ift vertraut mit der idealiſchen Liebe, 
jever glaubt an die gemeine, und fo pflegt, jo gönnt man fein Glück, 
das aus jener höheren entjpringt, oder durch fie zum Ziel geführt 
fönnte werden. Was ich je zu gewinnen denke! es jei durch dieſe iven- 
liſche Liebe; fie fprengt alle Riegel in neue Welten der Kunft, der 
Weillagung und der Poeſie; ja, natürlich, jo wie fie in einem erhab- 
neren Sinn nur, fidh befriedigt fühlt, fo kann fie auch nur in einem 
erhabneren Element leben. | 

Hier fallt mir Deme Mignon ein, wie fie mit verbundnen Au- 
gen zwiſchen Eiern tanzt. Meine Liebe ift geſchickt, verlaffe Dich ganz 

19* 


292 


auf ihren Inſtinkt, fie wird auch blind dahin tanzen und wird keinen 
Fehltritt thun. 

Du nimmſt Theil an meinen Böglingen der Kunft, Das macht 
mir und ihnen viel Freude. Der junge Menfch, welcher mein Bildchen 
radirt bat, ift aus einer Yamilie, deren jedes einzelne Mitglied mit 
großer Aufmerkſamkeit an Deinem Beginnen hängt; ich hörte den bei- 
den älteren Brüdern oft zu, wie fie Pläne machten, Dich nur einmal 
von weitem zu fehen; der eine hatte Dich aus dem Schauſpiel gehen 
jehen, in einen großen grauen Mantel gehüllt, er erzählte es mir im⸗ 
mer wieder. — Wie mir daß ein doppelter Genuß war! — denn ich 
war ja jelbit an jenem Regentag mit Dir im Schaufpiel gewejen, und 
dieſer Mantel ſchützte mich vor den Augen der Menge wie ich in Dei- 
ner Loge war, und Du nannteft mih Mäuschen, weil ich fo heimlich 
verborgen aus feinen weiten Falten hervorlauſchte; ich jaß im Dun- 
fel, Du aber im Licht der Kerzen, Du mußteft meine Liebe ahnen, ich 
konnte Deine ſüße Freundlichkeit, die in allen Zügen, in jever Bewe⸗ 
gung verſchmolzen war, deutlich erfennen; ja, ich bin reich, der goldne 
Pactolus fließt durch meine Adern und fett feine Schäte in meinem 
Herzen ab. Nun fieh! — fol füßer Genuß von Ewigkeit zu Ewig- 
keit, warum ift der den Liebenden in Deinen Roman nicht erlaubt? — 
oder warum genügt er ihnen nicht? — je, e8 kann fein daß ein ander 
Geſchick noch zwiſchen ung tritt, ja, e8 muß fein, da doch alle Men⸗ 
ihen handeln wollen, jo werben fie einen folhen Spielraum nicht 
unbenugt laſſen; laß fie gewähren, laß fie ſäen und ernten, das ift es 
nicht, — die Schauer ver Liebe, die tief empfundnen, werben einft 
wieder auftauchen; die Seele liebt ja; was iſt e8 dem was im kei⸗ 
menden Samen befruchtet wird? die tief verfchloßne, noch ungeborne 
Blüthe, diefe, ihre Zukunft, wird erzeugt durch ſolche Schauer; 
pie Seele aber ift die verfchloßne Blüthe des Leibe, und wenn fie 
aus ihm bervorbricht, dann werben jene Liebesſchauer in erhöhten Ger 
fühl mit hervorbrechen, ja, dieſe Liebe wird nicht8 anders fein, als der 
Ahern jenes zukünftigen himmliſchen Lebens, drum klopft uns auch das 
Herz und ver Athem regiert das unbegreifliche Wonnegefühl; bald 





293 





Thöpft er mit tiefem Seufzer aus dem Abgrund der Seligfeit, bald 
fonn er mit Windesfchnelle faum alles erfafien was ihn gewaltig 
durchſtrömt. Ja, fo ift es, lieber Goethe, ich empfinde jeve Minute, 
in der ich Deiner gedenke, daß fie Die Grenze des irdiſchen Lebens 
überjchreitet, und die tiefen Seufzer wechſeln unverfehen mit ven ra- 
ſchen Pulfen der Begeifterung ; ja, jo iſt es, diefe Schauer der Liebe 
find der Athem eines höheren Lebens, dem wir einft angehören wer- 
den, und das uns in dieſen irdiſchen Befeligungen nur janft anbläft. 

Nun will ic wieder zu meinem jungen Künftler zurückkehren, der 
einer der liebenswärbigften Familien angehört, deren alle ſehr Hoch be» 
gabten Mitglieder fo jung ſchon jett weit über ihre Zeit hinausragen. 
Ludwig Grimm, der Zeichner, machte fhon vor zwei Jahren, da er 
noch gar wenig Übung hatte, aber viel ftillen vergrabenen Sinn, ein 
Bildchen von mir; für mich hat e8 Bedeutung, es hat Wahrheit aber 
fein Geſchick für's äußere, wenig Menfchen finden es daher ähnlich; 
auch Hat mich noch niemand über der Bibel eingefchlafen gefehen, im 
rothen Kleide in der Heinen gothiſchen Kapelle, mit ven Grabfteinen 
und Infchriften rund umber, ich eingefchlafen über der Weisheit Sa- 
lomonis. Laſſe e8 einrahmen als Lichtſchirm, und denke dabet, daß 
während er Dein Abendlicht in ftille Dämmerung verwandelt, ich 
träumend einer Hellung nachſpähe, die den feurigliebenpften ver Könige 
erleuchtet. 

Des jungen Künftlers Charakter ift übrigens fo, daß das übrige 
Gute was Du für ihn fagft, nicht anwendbar ift, er ift furchtſam, 
ich habe ihn mit Liſt erſt nah und nad zahm gemacht, ich gewann ihn 
dadurd, daß ih mit Luft eben jo Kind war wie er, wir hatten eine 
Rate mit der wir um die Wette jpielten, in einer unbewohnten Küche 
kochte ich jelbft das Nachteſſen während alles beim Feuer fland, jaß ich 
daneben auf einem Schemel und las; wie e8 der Zufall wollte, war 
ich gefleivet, gelagert, drappirt. — Mit großem Enthuflasmus für 
den günftigen Zufall machte er Skizzen nach der Natur und litt nicht, 
daß ih auch nur eine Falte änderte, jo brachten wir eine intereflante 
Heine Sammlung zufammen, wie ich gehe und flehe und liege, im bie 


294 


umliegende Gegend ift er gereift wo ſchöne anziehende Geſichter find, 
er brachte allemal einen Schaf von radierten Blättchen mit, mit jchö- 
ner Treue, für das Gemüthlihe nachgeahmt; das einfache Evangelium 
was ich ihm predige tft nichts anders als was dem Beildhen der laue 
Weſtwind zuflüftert. Dadurch wird's nicht in Irrthümer geführt wer- 
den. Beiliegende radierte Blättchen nad) der Natur werben Did) er⸗ 
freuen. 

Der Mufiter ift mein Liebling, und bei viefem könnte ich ſchon 
eher in meinen Runftprebigten über die Schnur gehauen haben, denn da 
hole ich weiter aus, und bier ſchenke ich Dir nichts, es geht nächſtens 
wieder über Dih Her, Du mußt das überftrömende umbegriffne 
Ahnungsgefühl wunderbarer Kräfte und ihrer myſtiſchen Wirkungen 
in Dich aufnehmen, nächſtens werde ich tiefer Athem Holen und alles 
vor Dir ausfpredhen. Sehr ſonderbar ift es, aud einen Architekten 
lernte ich früher Son kennen, der in Deinen Wahlverwandticheften 
unverkennbar erſcheint; er verbient es durch frühere enthuſiaſtiſche 
Liebe zu Dir. Er machte damals einen Plan zu einem ſehr wunder- 
baren Haus für Dich das auf einem Feljen ſtand und mit vielen erznen 
Figuren Springbrunnen und Säulen geztert war. 

Wie viel hätte ih Dir nod zu Jagen auf ein herrlich Wort aus 
Deinem Brief, e8 wird fi) aber von felbft beantworten oder ich bin 
nicht werth, daß Du fo viel Herablafjung an mich vergeudeſt. Oft 
möcht ich Dich anfehen um Dir Glück in die Augen zu tragen und 
wieder auch Glüd daraus zu faugen, darum höre ich auch jest auf zu 
ſchreiben. Bettine. 


An Goethe. 


Die Welt wird mir manchmal zu eng. Was mich drückt? es iſt 
der Waffenſtillſtand, der Friede mit allen ſchauerlichen Folgen, mit 
aller verruchten Verrätherei der Politik. Die Gänſe die mit ihrem 











295 


Geſchrei das Capitol einft retteten laſſen ſich ihr Hecht nicht ftreitig 
machen, fie allem führen das Wort. 

Aber Du freundlicher Goethe! Sonnenjhein! Der auch mitten 
im Winter auf ven befchneiten Höhen liegt und in mein Zimmer gudt. 
— Ich hab mir des Nachbars Dad das Morgens von der Sonne 
beichtenen ift, als ein Zeichen von Dir geſetzt. 

Ohne Did wär ich vielleicht fo traurig geworden als ein blind⸗ 
geborner der von den Himmelslichtern feinen Begriff hat. ‘Du klarer 
Brunnen in dem der Mond fich |piegelt da man die Sterne mit hohler 
Hand zum trinken ſchöpft; Du Dichter, Freier der Natur, der ihr Bild 
im der Bruft, ung arme Sclavenlinder es anbeten lehrt. 

Daß ih Dir fohreibe ift fo fonderbar als wenn eine Lippe zur 
andern ſpräche: höre ih habe Dir was zu jagen, ja ich hole zu weit 
aus da ſich Doch alles von felbft verfteht, und was follte die andere 
Lippe darauf antworten? Im Bewußtjein meiner Liebe, meiner innigſten 
Berwandtihaft zu Dir Ichweigft Du. — Ah wie konnte doch Ottilie 
früher fterben wollen? — D ih frage Dich: ift es nicht auch Buße, 
Glück zu tragen, Glück zu genießen? — D Goethe, fonnteft Du feinen 
erihaffen der fie gerettet hätte! — Du bift herrlich aber graujam daß 
Du dies Leben fich felbft vernichten läßt; nachdem num einmal das 
Unglüd bereingebroden war, da mußteſt Du decken wie die Erbe deckt, 
und wie fie nen über den Gräbern erblüht, jo mußten höhere Gefühle 
und Gefinnungen aus dem Erlebten erblühen, und nicht durfte der 
unveife jünglinghafte Mann fo entwurzelt weggejchleudert werben, 
und was Hilft mid aller Geift und alles Gefühl in Ottiliens Tage⸗ 
buch? Nicht kindlich iſt's, daß fie den Geltebten verläßt und nicht von 
Ihm die Entfaltung ihres Geſchicks erwartet, nicht weiblich iſt's, daß 
fie nicht blos fein Geſchick berathet; und nicht mütterlich, da fie ahnen 
muß die jungen Keime alle, deren Wurzeln mit den ihrigen verwebt 
find, daß fie ihrer nicht achtet und alles mit ſich zu Grunde richtet. 

Es giebt eine Grenze zwilchen einem Reich was aus der Noth 
wendigkeit entfteht und jenem höheren was ver freie Geift anbaut; in 
die Nothwendigfeit find wir geboren, wir finden ung zuerft in ihr, aber 


296 





zu jenem freien werden wir erhoben. Wie die Ylügel ven Vogel m 
die Lüfte tragen, der unbeftevert vorher in's Neft gebannt war, jo 
trägt jener Geift unfer Glüd ſtolz und unabhängig in die Freiheit; 
bart an dieſe Grenze führft Du Deine Lieben, kein Wunder! wir alle 
die wir denken und lieben, harren an dieſer Grenze unferer Erlöfung; 
ja die ganze Welt kommt mir vor wie am Styand verfammelt und 
einer Überfahrt harrend, durch alle Vorurtheile, böſe Begierden und 
Lafter hindurch zum Land, da einer himmliſchen Freiheit gepflegt werde. 
Wir thun unrecht zu glauben, dazu müfje der Leib abgelegt werben, 
um m den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie die ganze Natur 
von Ewigkeit zu Ewigkeit ſich vorbereitet, eben jo bereitet fich der 
Himmel vor, im fih jelbften, in der Erfenntnik eines keimenden 
geiftigen LXebens, dem man alle feine Kräfte widmet bis es ſich von 
ſelbſt in die Freiheit gebäre, dies ift unjere Aufgabe, unfere geiftige 
Drganifation, es fommt drauf an daß fie ſich belebe, daß ver Geift 
Natur werde, damit dann wieder em Geift, ein weiflagenver fich 
aus diejer entfalte. Der Dichter (Du Goethe) muß zuerft dies neue 
Leben entfalten, er hebt die Schwingen und ſchwebt über den fehnen- 
den, und lockt fie und zeigt ihnen wie man über vem Boden ver Bor- 
urtheile fich erhalten könne; aber ah! Deine Mufe ift eine Sappho, 
ftatt dem Genius zu folgen hat fie fi hinabgeſtürzt. 


Am 29. November. 

Geſtern hab ich fo weit gefchrieben, da hab ich mich in's Bett 
gelegt aus lauter Furcht, und wie ih alle Abend thue, daß ich im 
Denken an Did zu Deinen Füßen einſchlafe, jo wollte e8 mir geftern 
nicht gelingen; ich mußte mich fhämen daß ich fo hoffärtig geſchwätzt 
babe, und alles ift vielleicht Doch nicht wie ich’8 meine. Am End ift 
e8 die Eiferfucht die mich fo aufbringt, daß ich einen Weg ſuche wie 
ih Dich wieder an mich reife und ihrer vergeffen made, num! 
prüfe mich, und wie e8 auch fet, jo vergefie nur meiner LTiebe nicht, 
und verzeihe mir auch, daß ich Dirzmein Tagebuch zuſchicke; am Ahein 
hab ich's gefchrieben, ich habe Darin pas Leben meiner Kinderjahre vor 








297 





Dir ausgebreitet und Dir gezeigt wie unfer beiver Wahlverwandtſchaft 
mid trieb, wie ein Bächlein eilend Dahinzuraufhen über Klippen 
und Felſen zwiſchen Dornen und Mooſen bis dahin wo Du gewal- 
tiger Strom mid verſchlingſt. Ja ich wollte dies Buch behalten bis 
ich enblich wieder bei Dir fein würbe, da wollte ih Morgens in Deinen 
Augen fehen was Da Abends darin gelejen Hatteft; nun aber quält 
mich's daß Du mein Tagebuch an die Stelle von Ditilten ihrem legeft, 
und die lebende liebſt die bei Dir bleibt, mehr, wie jene die von Dir 
gegangen tft. 

Berbrenne meine Briefe nicht, zerreiße fie nicht, e8 möchte Dir 
fonft jelber weh thun, fo feft jo wahrhaft lebendig häng ich mit Dir 
zuſammen, aber zeige fie auch niemanden, halt's verborgen wie eine 
geheime Schönheit, meine Liebe fteht Dir ſchön, Du bift ſchön weil 
Du Dich geliebt fühlſt. 


Am Morgen. 

Über Nacht blüht oft ein Glück empor wie die türfifche Bohne 
die am Abend gepflanzt bis zum Morgen hinaufwuchs und fidh in die 
Mondfihel einrankte; aber beim erften Sonnenftrahl verwellt alles 
bis zur Wurzel, jo bat ſich heute Nacht mein Traum blühend zu Dir 
hinauf gerankt, und eben war's am fchönften, Du nannteft mid „Dein 
Alles“, da dämmerte der Morgen und ver jhöne Traum war ver- 
welkt, wie bie türliihe Bohne an der man Nachts fo bequem das 
Mondland erftieg. 

Ad fchreibe mir bald, ih bin unruhig über alles was ich gewagt 
babe in dieſem Brief, ich fchließe ihn, um einen neuen anzufangen, ich 
könnte zwar zurüdhalten was ih Dir über die Wahlverwanbtichaften 
fagte, aber wär e8 recht dem Freund zu verihmweigen, was im 
Labyrinth der Bruft wandelt in der Naht? — 


Bettine. 





298 





An Goethe. 
Am 13. December 1809. 

Ah ih will dem Götzendienſt abſchwören! von Dir fprede id) 
nicht, denn welcher Prophet fagt, daß Du kein Gott ſeiſt? — 

Ich fprehe von großem und Heinem was die Seele irrt. O 
wüßteft Du, was Dir zum Heile dient jegt in den Tagen Deiner 
Heimfuchung? Lucas XIX. 

Ich Hätte Dir vieles zu fagen aber in meinem Herzen zudt es, 
und fchmerzliche Gedanken thürmen ſich über einander. 

Der Friede beftätigt fih. Im Augenblid der glorreichſten Siege 
wo die Energie dieſes Volles feinen Gipfel erreichte, mahnt Ofterreidh 
vie Waffen niederzulegen; was hat es für ein Recht dazu? — Hat 
e3 nicht lange ſchon tückiſch furchtſam feine Sache von der der Tyroler 
getrennt? — Da ftehen vie gefrönten Hänpter um biefen Evelftein 
Tyrol, fie ſchielen ihn an, und find alle von feinem reinen Teuer ge- 
blendet; aber fie werfen ein Teichentuch darüber bin: ihre abgefeimte 
Politif! und nun entſcheiden fie Taltblütig über fein Loos. Wollt ich 
lagen welche tiefe Wunden mir Die Geſchichte dieſes Jahres gefchlagen, 
wer würde mich bemitleiven? — Ach und wer bin ich daß ich meine 
Anklage, meinen Fluch dürfte verlauten laſſen? — ever hat das 
Recht fich ven höchſten Geſchicken zu vermählen dem es fo raft im Her- 
zen wie mir, ach ich Hab auch zu nichts mehr Luft und Vertrauen; der 
falte Winterwind ver heute ſtürmt mit dem bin ich nicht im Wider⸗ 
ſpruch, der belügt mich doch nicht. Bor ſechs Wochen waren noch ſchöne 
Tage, wir machten eine Reife in's Gebirg. Wie wir und nem Retten- 
werk der felfigen Alpen näherten, das bat mächtig im mir gearbeitet, 
die Afche fiel vom Herzen, e8 ftrömte Yrühlingsgluth in den matten 
Schein der Herbftionne. Es war herrlich unter den Tannen und Fich⸗ 
ten auf der Hochalme, fie neigten im Windesrauſchen ihre Wipfel zu 
einander, mar id} ein Kätschen, in ihrem Schatten hätte mich des Kai⸗ 
jer8 Majeſtät nicht geblenvet. — Hier lag ih am jähen Abhang, und 
überfchaute das enge Thal, dem verkuppelt mit Bergen hieroglyphiſche 





299 


Felswände entftiegen. Ich war allein auf fteilfter Höhe und überfah 
unzählige Schluchten, die gefühlvollen Entzüdungsprebiger waren zu- 
rüdgeblieben, e8 war für fie zu fteil. — Wären wir beide doch dort 
beifammen im Sommer, und fliegen Hand in Hand bedachtſam, lang⸗ 
ſam, einfam ven gefahrjamen Pfad hinab, Das waren jo meine heiligen 
Gedanken da oben; wärft Du dabei gewefen wir hätten noch anderes 
bedacht. — Ein Kranz kühlt und fteht ſchön zu erhitten Wangen; was 
willſt Du? — Tannen ftehen, Eichen wollen ſich nicht geſchmeidig 
biegen, Ulme, find die Zweige zu Hoch, Pappel ſchmückt nicht, und der. 
Baum ver Dein ift, der ift nicht hier. — Das hab ich oft gejagt, der 
mein ift, der ift nicht bier, Du biſt mein, Du bift aber nicht hier. 

Es könnte ſich auch fügen, daß nach Deiner prophetiihen Viſion 
in kurzer Zeit mein Weg mich mit Dir zufammen führte, ich bebarf 
dieſer Entſchädigung für die böfe Zeit die ich ohne Dich verlebte. 

Eine ausgezeichnete Klaſſe von Menſchen, worunter herrliche Leute 
waren, find vie Mediziner, da bie Krankheiten fo ſchrecklich Durch den 
Krieg in Aufruhr famen, wurden die meiften ein Opfer ihrer Thätigs 
feit, da merkt man denn erft wie viel einer werth war, wenn er nicht 
mehr lebt. Der Tod treibt zur Unzeit Die Knoſpen in die Blüthe. 

Beiltegende Zeihnung ift das Portrait von Tiedemann, eines 
biefigen Profefiord ver Medizin, er intereffixt ſich jo fehr für die Fifche, 
daß er ein fchönes Werk über die Fiſchherzen ſchrieb, mit gar guten 
Kupfern verfehen; da Du nun in Deinen Wahlverwandtichaften ge- 
zeigt, Daß Du Herz und Nieren genau prüflt, jo werden Dir Fiſch⸗ 
herzen auch interefjant fein, und vielleicht entvedft Du, daß Deine 
Charlotte das Herz eines Weisfiihes hat, mit nächſtem wo ich noch 
manches andre überſende werd ich's mitſchicken. Die Zeichnung achte 
nicht gering, lernft Du den Dann einmal kennen, fo wirft Du ſehen, 
daß er feinem Spiegel Ehre mad. 

Um wieder auf etwas bitteres zu kommen, die Meline mit den 
Ihönen Augenwimpern von der Du fagteft, fie gleiche einer Roſe die 
ver Thau eben aus tiefem Schlaf geweckt, die heirathet einen Dann 
von dem die allgemeine Sage geht, er fei ein ganz vortrefflicher Menſch. 


300 





D wie ift das traurig, Sclave der Bortrefflichleit fein, da bringt man 
e8 nicht weiter wie Charlotte e8 gebracht hat, man ketzert ſich und 
andre mit der Tugend ab. Berzeih nur daß ich immer wieder von Dei- 
nem Buch anfange ich follte Lieber ſchweigen, da ich nicht Geift genug 
habe e8 ganz zu fafjen. 

Seltſam ift e8, daß während die Wirklichkeit mich jo gewaltig 
aufregt, ſchlägt mich die Dichtung jo gewaltig nieder. Die ſchwarzen 
Augen die groß find und etwas weit offen, aber ganz erfüllt voll 
Freundlichkeit wenn fie mich anfehen, ner Mund von deſſen Lippen 
Lieder fließen, die ich ſchließen kann mit einem Siegel, die Dann viel 
ſchöner fingen, jüßer und wärmer plaudern als vorher, und die Bruft, 
an die ich mich verbergen kann, wenn ich zu viel geſchwätzt habe, Die 
werd ich Doch nie mißverſtehen, Die werden mir nie fremd fein. — Gute 
Nacht hierüber. 

Beiliegende Kupfer find von unferm Grimm, die beiden Buben- 
köpfchen machte er nur flüchtig auf einer Reife nach dem Staremberger 
See, die Zeihnung Davon ift noch befier, fie iſt ſammt ver Gegend, 
die Buben, der braune auf einer Bank in der Sonne fitend, der blonde 
auf die Brunnenmauer gelehnt, alles ganz lieblich nad, ver Natur. 
Das Mädchen ifi ein früherer Verſuch feiner Nadel, Dein Lob Bat 
ihm großen Eifer gegeben, jein Lehrer tft ver Kupferfteher Heß, dem 
ih manchmal mit ftillem Staunen bet feinen großen ernften Arbei⸗ 
ten zufehe. 

Marcello's Pfalmen werden hier in Landshut zu ſchlecht abge- 
ſchrieben, es ift alter Kirchenftil, ich muß Geduld haben bis ich einen 
Abſchreiber finde. 

Lebe wohl, alles grüße herzlich von mir mas Dein ift. 

Meine Adreſſe ift in Graf Joners Haufe in Landshut. 

Bettine. 











301 





An Goethe. 


Sch Habe meine Thüre verriegelt, und um doch nicht fo ganz 
allein zu fein mit meinem Mißmuth, ſucht ih Deine Eugente; fie hatte 
fih ganz in den hinterften Winkel des Bücherfchrants verftect, mir 
ahn'te ein Troft, ein Himmlifcher Gedanke werde mic, drinn anmwehen, 
ich habe fie eingefogen wie Blumenbuft, unter drückenden Wolken bin 
ih gelafien unermüdet vorwärts gefchritten bis zum einſamen Ziel, 
wo feiner gern weilt, weil da die vier Winde zufammenftoßen und ven 
armen Menſchen nicht jagen, aber feft in ihrer Mitte halten; ja, men 
das Unglüd recht anbrauft, ven treibt’8 nicht Hin und her, es verfteinert 
ihn wie Niobe. 

Da num da8 Buch gelejen ift, verzieht ſich ver Dichte Ervennebel, 
und nım muß ich mit Div reden. — Ich bin oft unglücklich und weiß 
nicht warum, heute meine ich nun e8 komme daher, weil ich dem Bo⸗ 
ten Deinen Brief abzunehmen glaubte, und e8 war ein anderer, nun 
Hopfte mir das Herz jo gewaltig, und dann war's nichts. Als ich 
herein kam, fragten alle, warum fiehft Du fo blaß aus? und ich reichte 
meinen Brief hin und fiel ganz matt auf einen Seſſel, man glaubte 
Wunder was er enthalte, es war eine alte Rechnung von 4 Fl. von 
dem alten Dialer Robert aus Kaſſel, bei dem ich nichts gelernt habe; 
fie lachten mich alle aus, ich kann aber doch nicht lachen, denn ich hab 
ein bös Gewiflen, ich weiß ja wenig was Geift, Sele und Herz für 
Prozeſſe mit einander führen, warum hab ih Dir denn allerlei ge- 
ſchrieben was ich nicht verantworten kann? Du bift nicht böfe auf mich, 
wie könnte mein unmündig Geſchwätz Dich beleidigen, aber Du ant- 
worteft nicht, weil ich ja Doch nicht verftehe was Du jagen könnteſt, 
und fo hat mich mein Aberwig um mein Glüd gebracht, und wer weiß 
wann Du wieder einlenkſt. — Ach, Glück! du läßt dich nicht meiſtern 
und nicht bilden, wo Du erſcheinſt, da biſt du immer eigenthümlich, und 
vernichteſt durch deine Unſchuld alles planmäßige, alle Berechnung 
auf die Zukunft. 


302 


Unglüd ift vieleicht Die geheime Organiſation des Glüdes, ein 
flüffiger Demant, der zum Kriftall anſchießt, eine Krankheit ver Sehn- 
jucht, die zur Perle wird. O ſchreib mir bald. 

Am 12. Januar 1810. Bettine, 


Goethe an Bettine. 


Das ift ein liebes, feines Kind, liſtig wie ein Füchschen, mit einer 
Glücksbombe fährft Du mir in's Haus, in ver Du Deine Anfprüde 
und gerechte Klagen verftedft. Das ſchmettert einem denn auch fo nie- 
der, Daß man gar nicht daran denkt fich zu rechtfertigen. — Die Wefte, 
innen von weichem Sammt, außen glatte Seide, tft nun mein Buß- 
gewand, je behagliher mir unter dieſem wohlgeeigneten Bruftlatz 
wird, je beprängter ift mein Gewiflen, und wie ich gar nach zwei Tagen 
zufällig in die Weftentajche fahre und da Das Kegifter meiner Sünden 
berausziehe, fo bin ih dem auch gleich entſchloſſen, feine Entſchul⸗ 
dDigungen für mein langes Schweigen aufzuſuchen. Dir felbft aber 
mache ich e8 zur Aufgabe, mein Schweigen bei Deinen ſo überrafchen- 
den Mittheilungen auf eine gefällige Weife auszulegen, die Deiner nie 
verfiegenden Liebe, Deiner Treue für gegenwärtiges und vergangenes 
auf verwandte Weife entfpricht. Über die Wahlverwandtſchaften nur 
dies: der Dichter war bei der Entwidelung dieſer herben Geſchicke 
tief bewegt, er hat feinen Theil Schmerzen getragen, ſchmäle Daher 
nicht mit ihm, daß er auch die Freunde zur Theilnahme auffordert. 
Da nım jo mandes traurige unbellagt den Tod der Bergangen- 
beit ftirbt, fo bat fich der Dichter Hier die Aufgabe gemacht, in dieſem 
einen erfunonen Geſchick, wie in einer Grabesurne, die Thränen für 
manches verfäumte zu jammeln. Deine tiefen, aus dem Geift und 
ver Wahrheit entipringende Anfichten gehören jedoch zu den ſchön⸗ 
ſten Opfern, die mich erfreuen, aber niemals ftören fünnen, ich bitte 
daher recht fehr, mit gewifienhafter Treue vergleichen dem Papier zu 








303 


vertrauen, und nicht allenfalls in Wind zu fchlagen wie bei Deinem 
geifligen Commers und Überfluß an Gedanken leichtlich zu befahren 
ift. Lebe wohl und lafje bald wieder von Dir hören. 

Weimar, den 5. Februar 1810. Goethe. 


Meine Frau mag Dir felbft fchreiben, wie verlegen fie um ein 
Maskenkleid geweſen, und wie erfreut fie bei Eröffnung der Schachtel 
war, e8 hat feinen herrlichen Effekt gethan. Über der lieben Meline 
Heirath jage ich nichts, e8 macht einem nie wohl, wenn ein jo ſchönes 
Kind fich weggiebt, und der Glückwunſch, ven man da anbringt, drückt 
einem nur auf dem Herzen. 


An Goethe. 


Fahre fort fo liebreich mit mir zu fein, pade jelbft zufammen maß 
Du mir Shift, mache ſelbſt die Adreſſe aufs Paket, das alles freut 
mi, und Dein Brief, der allen Schaden vergütet, ja meine eignen 
Schwächen jo ſanft flügt, mich mir felbft wiedergiebt, indem er ſich 
meiner annimmt. 

Run, ich bin angeblafen von allen Launen, ich drücke die Augen 
zu und brumme, um nichtS zu ſehen und zu hören, feine Welt, feine 
Einjamteit, feinen Freund, feinen Feind, feinen Gott und endlich auch 
feinen Himmel. 

Den Hofer haben fie in einer Sennhütte auf den Pafſeyrer Ber- 
gen gefangen, Diefe ganze Zeit bin ich diefem Helden mit Gebet heim- 
ih nachgegangen, geſtern erhalt ich einen Brief mit einem gedrudten 
Tyroler Klagelied: „Der Commandant der Heldenſchaar, auf hoher 
Alp gefangen gar, findet viel Thränen in unferen Herzen.“ Ach, diefer 
ift nicht unbeweint von mir, aber die Zeit tft eifern und macht jede 
Klage zu Schanden, fo muß man auch das ärgfte fürchten, obſchon es 


304 





unmöglich ift. Nein, es ift nicht möglich, daß fie Diefem ſanften Helden 
ein Haar krümmen, der da für alle Aufopferung, die er und fein Land 
umfonft gemacht hatten, feine andre Rache nahm, als daß er in einem 
Brief an Speckbacher ſchrieb: Deine glorreihen Siege find alle um- 
fonft, Ofterreih Hat mit Frankreich Friede geichloffen und Tyrol — 
vergejjen. 

In meinem Dfen fauft und brauft ver Wind und treibt die Guth 
in Slammen, und brennt die alten bairiſchen Tannen recht zu Aſche 
zufammen, dabei hab ich denn meine Unterhaltung wie e8 kracht und 
rumpelt, und flubiere zugleich Marpurg's Yugen, dabei thut mir denn 
gar wohl, daß das Warum nie beantwortet werben kann, daß man 
unmittelbare Herrihaft des Führers (Dux) annehmen muß, und daß 
der Gefährte ſich anſchmiegt, ach, wie ich mich gern an Dich anſchmie⸗ 
gen möchte; wejentlich möchte ich eben jo Dir fein, ohne viel Lärm zu 
machen, alle Lebenswege follten aus Dir hervorgehen und ſich wieder 
in Dir ſchließen, und das wäre eine echte, firenge Fuge, wo dem Ge- 
fühl feine Forderung unbeantwortet bleibt, und wo ſich ver Philoſoph 
dicht hineinmiſchen Tann. 

Ich will Dir beichten, will Dir alle meine Sünden anfrichtig 
geftehen, erft die, an welden Du zum Theil Schulo haft und bie Du 
auch mitbäßen mußt, dann bie, jo mich am meiften drücken, und endlich 
jene, an denen ich ſogar Freude babe. 

Erftens: fage ih Dir zu oft, daß ih Dich liebe, ja ich weiß gar 
nichts anders, wenn ich's hin⸗ und herwenve, es kömmt fonft nichts 
heraus, 

Zweitens: beneide ich alle Deine Freunde, die Öefpielen ‘Deiner 
Jugend und die Sonne, die in Dein Zimmer fcheint, und Deine 
Diener, vorab Deinen Gärtner, der unter Deinem Commando Spargel- 
beete anlegt. 

Drittens: gönme ich Dir keine Luft, weil ich nicht dabei bin, 
wenn einer Dich gejehen hat, von Deiner Heiterkeit und Anmuth 
ſpricht, Das ift mir eben kein befonver Vergnügen; wenn er aber fagt, 
Du feift ernft, kalt, zurüdhaltend ꝛc. geweſen, das ift mir recht lieb. 








305 


Biertens: vernachläffige ich alle Menſchen um veinetwillen, e8 gilt 
mir feiner etwas, aus ihrer Liebe mache ich mir gar nichts; ja, wer 
mich lobt, der mißfällt mir, das ift Eiferfucht auf mich und Dich und 
eben fein Beweis von einem großen Herzen, und ift eine elende Natur, 
die anf einer Seite ausdürrt, wenn fie auf der andern blühen will. 

Fünftens: hab ich eine große Neigung die Welt zu verachten, be 
ſonders in denen, jo Did oben, alles was gutes über Dich gejagt 
wird, kann ich nicht hören, nur wenige einfache Menſchen, denen kann 
ich's erlauben, daß fie über Dich ſprechen, und das braucht nicht grade 
Lob zu fein, nein man kann ſich ein bischen über Dich Luftig machen, 
und da kann id Dir jagen, daß fih ein unbarmherziger Muthwille in 
mir regt, wenn ich die Sclavenletten ein bischen abwerfen Tann. 

Sechſtens: Hab ich einen tiefen Unwillen in der Seele, vap Du 
es nicht bift, mit dem ich unter einem Dad wohne und dieſelbe Luft 
einathme, ich fürchte mich in der Nähe fremder Menjchen zu fein, in 
der Kirche ſuche ich mir einen Pla& auf der Bank der Bettler, weil 
die am neutralften find, je vornehmer die Menſchen, je ftärker ift mein 
Widerwillen; angerührt zu werben, macht mich zornig, krank und uns 
glücklich; fo kann ich's auch in Gejellihaften auf Bällen nie lange 
aushalten, tanzen mag ich gern, wenn ich allein tanzen könnte, auf 
einem freien Plat, wo mich der Athen, der aus fremder Bruft kömmt, 
nicht berührte. Was könnte das für einen Einfluß auf die Seele ha- 
ben, nur neben dem Freund zu leben? — um fo jehmerzlicher der 
Kampf gegen das was geiftig und leibli ewig fremd bleiben muß. 

Siebentes: wenn ich in Gefellihaft foll worlefen hören, fee ich 
mich in eine Ecke und halte die Ohren heimlich zu, oder ich verliere mich 
über dem erften beften Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas 
nicht verfteht, fo erwache ich aus einer andern Welt und maße mir an, 
die Erklärung darüber zu geben, und was andre für Wahnwitz halten, 
das ift mir verſtändlich und hängt zufammen mit einem. innern Wiſ⸗ 
fen, das ich nicht von mir geben fann. — Bon Dir kann ih durchaus 
nichts lefen hören, noch ſelbſt vorlefen, ih muß mit mir und Dir 
allein fein. 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 20 


306 


Achtens: kann ich gegen Niemand fremd oder vornehm bleiben, 
wenn ich im mindeften unbequem bin, fo werve ich ganz dumm, denn 
es jheint mir ungehener dumm, einander was weis zu machen. Auch 
daß ſich ver Reſpekt mehr in etwas erlerntem, als in etwas gefühltem 
äußert; ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Gefühl der inneren Würde 
entipringen müſſe. Dabei fällt mir ein, daß nahe bei München ein 
Dorf liegt, was Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin er⸗ 
Härte man mir, daß diefer Name von Kultursheim berrübre, weil man 
da dem Bauernſtand eine höhere Bildung zu geben beabfichtigt habe; 
das ganze hat fich jedoch auf den alten Fuß geſetzt, und dieſe gute 
Bauern, die dem ganzen Lande mit fchönem Beifpiel voranſchreiten 
jollten, figen bei der Bierlanne und zehen um die Wette, das Schul- 
haus ift jehr groß und hat feine runde, ſondern Iauter wieredige Schei⸗ 
ben, doc liebt der Schulmelfter die Dämmerung; er ſaß hinter dem 
Dfen, hatte ein blaues Schnupftuch über dem Kopf hängen, um fi 
vor den Fliegen zu ſchützen, die lange Pfeife war ihm entfallen, und er 
ſchlief und fchnarchte daß es wieberhallte, die Schreibblicher Tagen alle 
aufgehäuft vor ihm, um Vorſchriften im Schönfchreiben zu machen, — 
ich malte einen Storch, ver auf feinem Nefte fteht, und ſchrieb darunter: 

Ihr Kinder lernt bauen Euer Neft, mit eigner Hand auf's aller 
beit. Die Tanne in dem Walde ftolz, bie fällt zu Euerm Zimmerholz. 
Und dam, wenn alle Wände ftehn, müßt Ihr Euch nad 'ner Eich 
umfehn; darans Ihr ſchnitzelt Bank und Tiſch, worauf Ihr fpeift ge 
bratnen Fiſch. Das beft Holz nehmt zu Bett und Wiegen für Frau 
und Kind, die Ihr werd't kriegen, und lernt benüten Gottes Segen, 
bei Sonnenjhein und auch bei Regen. Dann fteht Ihr ftolz auf 
eignem Hort, wie der Storch auf feinem Nefte dort. Der möge ftets 
bei Euch einfehren, um böſes Schieffal abzuwehren. Dann lernt noch 
ſchreiben Euern Namen, unter gerechte Sad, ich ſage Amen. ‘Das ift 
das echte Kultursheim, worauf ih machte dieſen Reim. 

Ich flirrte jeden Augenblick zur Thür hinaus, aus Angft, ver 
Schulmeifter möge aufmachen, draußen machte ich meinen Reim und 
Ihlich wieder auf ven Zehen herbei, um ihn mit einer einfeitigen 








307 


Feder, die wahrfheinlich mit dem Brodkneip zugeſchnitten war, aufzu- 
fchreiben, zulegt nahm ich das blaue Band von meinem Strohhut und 
machte eine ſchöne Schleife um das Bud, damit er's doc, ſehen möge, 
denn fonft hätte dies ſchöne Gedicht leicht unter dem Wuft der Schreib- 
bücher verloren gehen können. Bor der Thür ſaß Rumohr, mein Be- 
gleiter, und hatte unterdeſſen eine Schüffel mit jaurer Milch ausge⸗ 
ſpeiſt, ich wollte nichts eſſen und auch mich nicht mehr aufhalten, aus 
Furcht, der Schulmeilter fünne aufwaqhen. Unterwegs ſprach Rumohr 
ſehr ſchön über den Bauernſtand, über ihre Bedürfniſſe und wie das 
Wohl des Staats von dem ihrigen abhinge, und wie man ihnen keine 
Kenntniſſe aufzwingen müſſe, die ſie nicht ſelbſt in ihrem Beruf un⸗ 
mittelbar benützen könnten, und daß man ſie zu freien Menſchen bilden 
müſſe, daß heißt: zu Leuten, die ſich alles ſelbſt verſchaffen was fie 
brauchen. Dann fpradh er aud über ihre Religion, und da hat er 
etwas jehr ſchönes gejagt, er meinte nämlich, jedem Stand müfle das 
als Religion gelten, was fein höchfter Beruf fei; des Bauern Beruf fei, 
das ganze Land vor Hungersnoth zu jhüten, hierin müfje ihm feine 
Wichtigkeit für ven Staat, feine Berpflitungen für denſelben begreiflic, 
gemacht werben, e8 müſſe ihm an’8 Herz gelegt werben, welchen großen 
Einfluß er auf das Wohl des Ganzen habe, und fo müfje er auch mit 
Ehrfurcht behandelt werden, daraus werde bie Selbftachtung entftehen, 
die Doc, eigentlich jedem Menſchen mehr gelte wie jeder andre Vortheil, 
und jo würden Die Opfer, Die das Schieffal fordert, ungezwungen gebracht 
werben, wie die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch Demfelben 
mit Freuden ihr letztes aufopfert; jo würde das unmittelbare Gefühl 
dem Wohl des Ganzen wefentlich zu fein, gewiß jedes Opfer bringen, 
um fi diefe Würde zu erhalten; feine Revolutionen würden dann 
mehr entftehen, denn der gewitigte Staatögeift in allen würde jeder 
gerechten Forderung vorgreifen, und das würde eine Religion fein, die 
jeder begreife und mo das ganze Tagewerk ein fortwährenves Gebet 
fei, denn alles was nicht in diefem Stun gefchehe, das ſei Sünde; 
er ſagte dies noch viel ſchöner und wahrer, ich bin nur dieſer Weisheit 
nicht gewachſen und kann es nicht jo wieder geben. 
20* 


308 


So bin id denn auf einmal von meiner Beichte abgelommen, 
ih wollte Dir noch mandes jagen was man ſündlich finden dürfte, 
wie daß ih Dein Gewand lieber habe wie meinen Nebenmenjchen, 
daß ich die Stiege küſſen möchte, auf der Deine Füße auf und nieder- 
fleigen ꝛc. — Dies könnte man Abgötterei nennen, ober ift e8 jo, daß 
der Gott, der Dich belebt, auch an jever Wand Deines Hauſes bin- 
ſchwebt? — dag, wenn er in Deinen Mund und Augen fpielt, er auch 
unter Deinen Füßen Hingleitet und feldft in ven Falten Deines Ge- 
wandes ſich gefällt, daß, wenn er fih im Maslenzug in alle bımten 
Geftalten verwandelt, er wohl auch im Papier, in welches Du den 
Maskenzug einpadft, verborgen fein Tann? Alfo, wenn ich's Papier 
küſſe, fo ift e& das Geliebte in Dir, das ſich mir zu Lieb auf die Poft 


ſchicken Lie. 
Adieu! behalte Dein Kind Lieb in trüben wie in hellen Tagen, 
da ich ewig und ganz Dein bin, Bettine. 


Du haft mein Tagebuch erhalten, aber lieft Du aud darin, und 
wie gefällt Dir's? — | 
Am 29. Februar. 


An Bettine. 


Liebe Bettine, ich habe mich ſchon wieder eines Verſehens an Dir 
Ihuldig gemadt, daß ich Dir nicht den Empfang Deines Tagebuchs 
angezeigt habe, Du mußt glauben, daß ich eines fo ſchönen Geſchenkes 
nicht würdig bin, indefien kann ih Dir nicht mit Worten ſchildern, 
was ich darauf zu erwievern habe. Du bift ein einziges Kind, dem ich 
mit Freuden jede Erheiterung, jeven lichten Blick in ein geiſtiges Xeben 
verdanke, deſſen ich ohne Dich vielleicht nie wieder genofjen haben 
würde; e8 bleibt bei mir verwahrt, an einem Drt, wo ich alle Deime 
lieben Briefe zur Hand habe, die fo viel Schönes enthalten, wofür ich 
Dir niemals genug danken fann, nur das fage ich Dir noch, daß ich 





309 


feinen Tag vergehen laſſe ohne drinn zu blättern. An meinem Senfter 
wachſen, wohl gepflegt eine Auswahl zierliher ausländiſcher Pflanzen; 
jede neue Blume und Knospe, die mih am frühen Morgen empfängt, 
wird abgefchnitten und nach indiſchem Gebrauch als Opfergras in 
Dein liebes Buch eingeftreut. Alles was Du fchreibft, ift mir eine 
Geſundheitsquelle, deren kryſtallne Tropfen mir Wohlfein geben, er⸗ 
halte mir diefe Erquickung, anf die ich meinen Verlaß habe. 
Weimar, am 1. März 1810. Goethe. 


An Goethe. | ‘ 


Ah, lieber Goethe! Deine Zeilen kamen mir zu rechter Stunde, 
da ich eben nicht wußte wohin mit aller Verzweiflung; zum erftenmal 
hab ich die Weltbegebenheiten verfolgt mit großer Trene für die Helden, 
die ihr Heiligthum verfochten; dem Hofer war ich nachgegangen auf 
jeder Spur, wie oft hat er nad) des Tages Laſt und Hite, fi in ver 
ſpäten Nacht noch in die einfamen Berge verborgen und mit feinem 
reinen Gewiflen berathichlagt, und diefer Mann, deſſen Seele frei von 
böfen Fehlen, offen vor jevem lag, als ein Beifpiel von Unſchuld und 
Heldenthum, hat num endlich am 20. Februar zur Beftätigung feines 
großen Schickſals den Tod erlitten; wie konnt e8 anders kommen, 
follte er die Schmach mittragen? — das konnt nicht fein, fo bat es 
Sott am beften gemacht, daß er nach kurzer Paufe, feit dieſer ver- 
Härenden Baterlandsbegeifterung, mit großer Kraft und Selbftbewußt- 
jein, ımd nicht gegen fein Schickſal klagend, feinem armen Vaterland 
auf ewig entriffen ward. Vierzehn Tage lag er gefangen in dem Kerker 
bei Borta Molina, mit vielen andern Tyrolern. Sein Todesurtheil 
vernahm er gelaffen und unerſchüttert; Abfchied ließ man ihn von 
feinen geliebten Landsleuten nicht nehmen, den Sammer und das 
Heulen der eingefperrten Tyroler übertönte die Trommel, er fhidte 
ihnen durch den Priefter fein letztes Geld, und ließ ihnen fagen: er 


310 





gehe getroft in den Tod und erwarte, daß ihr Gebet ihn hinüber be- 
gleite. — Als er an ihren Kerkerthüren vorbeiſchritt, Iagen fie alle auf 
den Knieen, beteten und weinten; auf dem Richtplatz fagte er: er ſtehe 
vor dem, der ihn erſchaffen, und ſtehend wolle er ihm feinen Geift 
übergeben; em Gelbftüd, was unter feiner Adminiftration geprägt 
war, übergab er dem Corporal, mit dem Bedeuten: e8 folle Zeug‘ 
niß geben, Daß er fih noch in derlegten Stunde an fein 
armes Baterland mit allen Banden der Treue ge- 
feffelt fühle. Dann rief er: Gebt Fener! fie fchoflen ſchlecht, 
zweimal nach einander gaben fie Teuer, erſt zum brittenmal machte 
der Corporal, der die Execution leitete, mit dem breizehnten Schuß 
feinem Leben ein Ende. 

Ich muß meinen Brief fließen, was könnte ih Dir noch [hreiben? 
die ganze Welt bat ihre Farbe für mich verloren. Ein großer Dann 
jet Napoleon, jo fagen hier alle Leute, ja äußerlich, aber viefer äußern 
Größe opfert er alles was feine unplanetarifche Laufbahn durchkreuzt. 
Unſer Hofer, innerlich groß, ein heiliger deutſcher Charakter, wenn 
Napoleon ihn geſchützt hätte dann wollte ich ihn auch groß nennen. — 
Und ver Kaifer, fonnte der nicht fagen, gieb mir meinen Tyroler Helden 
fo geb id) Dir meine Toter, fo hätte die Gefhichte groß genannt was 
fie jest Klein nennen muß. | 

Aien! daß Du mein Tagebuch zum Tewmpel einer inpilchen 
Gottheit erhebft ift Präveftination. Bon jenen lihten Waldungen des 
Äther, von Sonnenwohnungen, vom vielgeftaltigen Dunkel und einer 
bilplofen Klarheit in der vie tiefe Seele lebt und athmet, habe ich oft 
ſchon geträumt. 

An Rumohr konnt ich Deinen Gruß nicht beftellen, ich weiß nicht 
nach weldher Seite er mit dem Winde davon geftoben ift. 

Landshut, den 10. März 1810. 


311 


Un Bettine. 


Liebe Bettine es ift mir ein unerläßlic Bedürfniß Deiner patrio- 
tiihen Trauer ein paar Worte der Theilnahme zuzurufen, und Dir zu 
befennen, wie fehr ich mich von Deinen Gefinnungen mit ergriffen 
fühle. Lafje Dir nur das Leben mit feinen eigenfinnigen Wendungen 
nicht allzufehr verleiven. Durch ſolche Ereignifje ſich durchzukämpfen 
ift freilich fchwer, beſonders mit einem Charakter"ver jo viel Anſprüche 
und Hoffnungen auf ein ivealiihes Dafein hat wie Du. — Indem 
ih nun Deinen legten Brief zu den andern lege jo finde ich abermals 
mit diefem eine interefjante Epoche abgeſchloſſen. Durch einen lieb- 
lichen Irrgarten zwiſchen philofophifchen, hiſtoriſchen und muſikaliſchen 
Anſichten haft Du mich zu dem Tempel des Mars geleitet und überall 
behauptet fih Deine gefunde Energie, habe den herzlichften Dant 
dafür, und laſſe mich noch ferner der Eingeweihte Deiner inneren Welt 
jein, und fei gewiß daß die Treue und Liebe die Dir dafür gebührt, 
Dir im Stillen gezollt wird. 

19. März 1810. Goethe. 


An Goethe. 


Lieber Goethe! viel tauſend Dank für Deine zehn Zeilen, in 
denen Du Dich tröſtend zu mir neigſt, ſo mag denn dieſe Periode ab⸗ 
geſchloſſen ſein; dieſes Jahr von 1809 hat mich ſehr turbirt; nun ſind 
wir an einem Wendepunkt: in wenig Tagen verlaſſen wir Landshut 
und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht zu nennen 
weiß. — Die Studenten packen eben Savigny's Bibliothek ein, man 
klebt Nummern und Zettel an die Bücher, legt ſie in Ordnung in 
Kiſten, läßt ſie an einem Flaſchenzug durch's Fenſter hinab, wo ſie 
unten von den Studenten mit einem lauten Halt empfangen werden, 
alles iſt Luſt und Leben, obſchon man ſehr betrübt iſt, den geliebten 


312 





Lehrer zu verlieren; Savigny mag fo gelehrt fein wie er will, jo über- 
trifft feine kindliche Freundesnatur dennoch feine glänzendſten Eigen- 
ſchaften, alle Studenten umſchwärmen ihn, es ift feiner der nicht Die 

berzeugung hätte, aud außer dem großen Lehrer noch jeinen Wohl- 
thäter zu verlieren; fo haben auch vie meiften Profefjoren ihn lieb, 
befonders die Theologen. Sailer, gewiß fein befter Freund. Man 
fieht fich bier täglich und zwar mehr wie einmal, Abends begleitet der 
Wirth vom Haufe leihtlic feine Gäfte mit angezündetem Wachsftod 
einem jeden bis zu jener Hausthür, gar oft hab ich die Hunde mit- 
gemacht; heute war ich noch mit Sailer auf dem Berg auf dem bie 
Trausnig fleht, ein Schloß alter Zeit: Traue nit. Die Bäume 
ihälen ihre Knofpen! Frühling! die Sperlinge flogen ſcharenweis 
vor ung her, von Sailer Hab ich Dir wenig erzählt und doch war er 
mir ber liebfte von allen. Im harten Winter gingen wir oft über die 
Schneevede der Wiefen und Aderflädhe, und fliegen mit einander über 
die Hedfen von einem Zaun zum andern, und alles was ich ihm mit» 
theilte, daran nahm er gern Theil, und manche Gedanken die aus 
Gefpräden mit ihm bervorgingen die hab ich anfgefchrieben, obſchon 
fie in meinen Briefen nicht Platz finden, fo find fie doch für Dich, 
denn nie denke ich etwas jchönes, ohne daß ich mich darauf freue es 
Dir zu ſagen. 

Zur Befinnung kann id) während dem Schreiben nicht kommen, 
der Studentenſchwarm verläßt das Hans nicht mehr, jeitvem Savigny's 
Abretfe in wenig Tagen beftimmt ift; eben find fie vorbei gezogen an 
meiner Thür mit Wein und einem großen Schinken den fie beim Paden 
verzehren, ich ſchenkte ihnen meine Heine Bibliothek die fie eben auch ein- 
paden wollten, ba haben fie mir ein Vivat gebracht. — Abends bringen 
fie oft em Ständen mit Öuitarren und Flöten und das dauert oft bis 
nad Mitternadt, dabei tanzen fie um einen großen Springbrunnen 
der vor unferm Haufe auf vem Markt fteht; ja die Jugend kann ſich 
aus allem einen Genuß machen. Die allgemeine Eonfternation über 
Savigny's Abreife hat ſich bald in ein Jubelfeſt verwandelt; denn 
man hat befchloffen, zu Pferd umd zu Wagen uns durch das Sal 





313 





burgifche zu begleiten, wer fich fein Pferd verfchaffen kann, der geht zu 
Fuß voraus; num freuen fih alle gar jehr auf den Genuß dieſer legten 
Tage beim aufgehenven Frühling durch eine herrliche Gegend mit ihrem 
geliebten Lehrer zu reifen, auch ich erwarte mir ſchöne glüdliche Tage, 
— ad ich glaub ich bin nah an dem Ziel wo mein Leben am ſchönſten 
und berrlichften iſt. Sorgenfrei, voll ſüßem Fener der Frühlingsluſt, 
in Erwartung berrliher Genüffe, fo Hingen Ahnungstöne in meiner 
Bruft, wenn das wahr wird, fo muß es gewiß wahr werben, daß ich 
Dich bald begegne; ja nadı fo vielem was ich erlebt und Dir treulich 
mitgetheilt habe, wie kann es anders fein, da muß das Wieverfehen 
eine neue Welt in mir erfchaffen. Wenn alle freubigen Hoffnungen in 
die Wirklichleiten ausbrechen, wenn die Gegenwart die Finfterniß der 
Ferne durch ihr Licht verſcheucht, ach und mit einem Wort: wenn Ge⸗ 
fühl und Blick Dich erfaßt und hält, da weiß ich wohl daß mein Glück 
zu ungemeßnem Leben ſich fleigert. Ach und es reift mich mit Windes⸗ 
flügeln zu dieſen höchſten Augenbliden, wenn auch bald die füreften 
Genüſſe ſcheidend fliehen, einmal muß doch wiederkehren zu feſtem 
Bund was ſich begehrt *). 
Landshut, den 31. März 1810. Bettine, 


Wenn Du mir eine Zeile gönnen wollteft über Deinen Aufent- 
halt diefes Sommers, fo bitte ich an Sailer in Landshut zu adreffiren, 
biefer bleibt mit Savigny in Correfpondenz und wir mir am beften 
die Kleimodien Deiner Zeilen nachſchicken. 


An Bettine. 


Bon Dir liebe Bettine habe ich jehr lange nicht8 gehört, und kann 
meine Reife ins Karlsbad unmöglich antreten, ohne Di nochmals zu 
begrüßen, und Dich zu erſuchen, mir dorthin ein Lebenszeichen zu geben; 


*) Buch Suleifa. 


314 





möge ein guter Genius Dir diefe Bitte an's Herz legen, da ich nicht 
weiß wo Du bift, fo muß ich ſchon meine Zuflucht zu Höheren Mächten 
nehmen. Deine Briefe wandern mit mir, fie jollen mir dort Dein 
freundliches, liebevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr ſage ich nicht, 
denn eigentlich kann man Dir nichtS geben, weil Da Dir alles ent- 
weder ſchaffſt oder nimmt, Lebe wohl und gebente mein. 

Jena, den 10. Mai 1810. Goethe. 


Wien, den 15. Mai. 

Ein ungeheurer Maiblumenſtrauß durchduftet mein kleines Ca⸗ 
binet, mir iſt wohl hier im engen kleinen Kämmerchen auf dem alten 
Thurm, wo ich den ganzen Prater überſehe: Bäume und Bäume von 
majeſtätiſchen Anſehen, herrlicher grüner Raſen. Hier wohne ich im 
Hauſe des verſtorbnen Birkenſtock, mitten zwiſchen zweitauſend Kupfer⸗ 
ſtichen, eben ſo viel Handzeichnungen, ſo viel hundert alten Aſchen⸗ 
krügen und hetruriſchen Lampen, Marmorvaſen, antiken Bruchſtücken 
von Händen und Füßen, Gemälden, chineſiſchen Kleidern, Münzen, 
Steinſammlung, Meerinſekten, Ferngläſer, unzählbare Landkarten, 
Plane alter verſunkener Reiche und Städte, kunſtreich geſchnitzter Stöcke, 
toftbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiſer Karolus. Dies 
alles umgiebt uns in bumter Verwirrung und foll grade in Ordnung 
gebracht werden, da ift denn nichts zu berühren und zır verftehen, die 
Kaftantenallee in voller Blüthe und die raufchende Donau die uns 
binüberträgt auf ihrem Rüden, da kann man es im Kunſtſaal nicht 
aushalten, heute Morgen um ſechs Uhr frühftüdten wir im ‘Prater, 
rund umher unter gewaltigen Eichen lagerten Türken und Griechen, 
wie herrlich nehmen fih auf grünem Teppich diefe anmuthigen bunt» 
farbigen Gruppen ſchöner Männer aus! welhen Einfluß mag aud 
die Kleidung auf die Seele haben, die mit leichter Energie die Eigen- 
thůmlichkeit dieſer fremden Nationen, bier in der friſchen Frühlings⸗ 
natur zum allgemein gültigen erhebt, und die Einheimifchen in ihrer 


315 


farblofen Kleidung beihämt. Die Iugend, die Kindheit, befchauen fich 
immer noch in den reifen Geitalten und Bewegungen viefer Süd- 
länder; fie find Fühn und unternehmend, wie die Knaben raſch und liſtig, 
doch gutmüthig. Indem wir an ihnen vorübergingen, konnte ic) nicht 
umbin einen Pantoffel der einem bingeftredten Türken entfallen war, 
unter meinen Füßen eine Strede mit fort zu ſchlurren, endlich fchleifte 
ich ihn in's Gras umd lies ihn da liegen; wir faßen und frühftidten, 
es währte nicht lange fo fuchten die Türken den verlomen Pantoffel. 
Goethe, was mir das für eine geheime Luft erregte! wie vergnügt ich 
war, fie über dies Wunder des verſchwundenen Pantoffels ftaunen zu 
ſehen; auch unfre Gefelihaft nahm Antheil daran wo der Pantoffel 
geblieben fein möchte, nun wurde mir zwar Angft ich möchte geſchmält 
werden, allein der Zriumpf ven Pantoffel herbei zu zaubern war zu 
Ihön, ich erhob ihn plöglic zur allgemeinen Anficht auf einer Heinen 
Gerte die ih vom Baum gerifien hatte, nun famen die ſchönen Leute 
heran und lachten und jubelten, da konnt ich fie recht in der Nähe be- 
trachten, mein Bruder Franz war einen Augenblid beſchämt aber er 
mußte mitlachen, fo ging alles noch gut. 


27. Mai. 

Es find nicht Luftpartieen, die mich abhalten Dir zu ſchreiben, 
fondern ein ſcharlachkrankes Kind meines Bruders bei dem ich Tage 
und Nächte verbringe, und fo vergeht die Zeit ſchon in die dritte Woche ; 
von Wien hab ich nicht viel gejehen, und von der Geſellſchaft noch 
weniger, meil einem eine foldhe Krankheit eine Discretton auflegt 
wegen Anftedung. Der Graf Herberftein, ver in meiner Schweiter 
Sophie eine geliebte Braut verloren bat, Hat mich mehrmals bejucht 
und ift mit mir ſpazieren gegangen, und hat mich alle Wege geführt 
die er mit Sophie gewandert ift, da hat er mir jehr ſchönes, rührendes 
von ihr erzählt, es ift feine Freude meiner Ähnlichkeit mit ihr nachzu⸗ 
ſpüren; er nannte mich gleich Du, weil er Die Sophie aud) fo genannt 
hatte, manchmal wenn ich lachte wurde er blaß, „weil die Ähnlichkeit 
mit Sophie ihn frappierte. Wie muß dieſe Schweiter liebenswürdig 


316 


gewefen fein, da fie jetst noch im Herzen der Freunde fo tiefe Spuren 
der Wehmuth ließ. Bänder, Taſſen, Locken, Blumen, Handſchuhe, die 
zierlichften Billette, Briefe, alle dieſe Andenken liegen in einem Heinen 
Cabinet umher zerftreunt, er berührt fie gern und lieft die Briefe oft, 
die freilich ſchöner find als alles was ich je in meinem Leben gelefen 
babe; ohne heftige Leidenſchaft deutet jeder Austrud auf innige Freund- 
lichkeit, nichts entgeht ihr, jeder Reiz der Natur dient ihrem Geiſt. O! 
was tft Geift für ein wunderbarer Künftler, wär ih doch im Stande 
Dir von diefer geliebten Schwefter einen Begriff zu geben, ja wär ich 
jelbft im Stande ihre Liebenswürdigkeit zu faflen, alle Menſchen bie 
ich bier jehe, ſprechen mir von ihr als wenn man fie erit vor kurzer 
Zeit verloren hätte, und Herberftein meinte, fie fet feine letzte und erfte 
einzig wahre Liebe, dies alles bewegt mich, giebt mir eine Stimmung 
für’8 Vergangne und Zukünftige, dämpft mein euer der Erwartung. 
Da dent ih an den Rhein bei Bingen, wie da plöglich feine lichte, 
majeltätifche Breite fich einengt zwifchen düſteren Yelfen, ziſchend und 
braufend fi durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer wieder 
jo ruhig, jo kindlich ſchön wie fie vor der Binger Untiefe waren; foldhe 
Untiefen ftehen mir alſo bevor, wo ſich der Lebensgeift durch ſchauer⸗ 
liche Schluchten winden muß. Muth! vie Welt ift rund, wir kehren 
zurüd mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die Sehnſucht ſtreut 
gleich beim Abſchied Thon den Samen der Wiederkehr, fo bin ich nie 
von Dir geſchieden ohne zugleich mit Begeifterung der Zukunft zu ges 
denken, die mich in Deinen Armen wieder empfangen werbe, fo mag 
wohl alle Trauer um die Abgeſchiednen ein beſcheidner Vorgenuß einer 
zulünftigen Wiedervereinigung fein, gewiß, jonft würden feine folche 
Empfindungen ver Sehnſucht das Herz durchdringen. 


20. Mai. 
Am Ende März war's wohl wie ih Dir zum lettenmal von 
Landshut aus fchrteb; ja, ich Hab lange geichwiegen, beinah zwei Mo⸗ 
note, heute erhielt ich dur) Sailer von Landshut Deime lieben Zeilen 
vom 10. Mai, in denen Du mich mit Schmeidhelmorten an’8 Herz 


j 317 


drüdft, num fällt mir's erſt ein was ich alles nachzuholen habe, denn 
jeder Weg, jever Blid in die Natur hängt am Ende mit Dir zufam- 
men. Landshut war mir ein gebeihlicher Aufenthalt, in jeder Hinficht 
muß ich's preifen. Heimathlich die Stadt, freundlich die Natur, zu- 
thunlich die Menſchen, und die Sitten harmlos und biegfam; — kurz 
nad Oſtern reiften wir ab, die ganze Univerfität war in und vor dem 
Haufe verfammelt, viele hatten fi zu Wagen und zu Pferde einge- 
funden, man wollte nit fo von dem herrlichen Freund und Lehrer 
Iheiden, e8 ward Wein ausgetheilt, unter währendem Vivatrufen z0g 
men zum Thor hinaus, vie Reiter begleiteten das Fuhrwerk, auf 
einem Berg, wo der Frühling eben die Augen aufthat, nahmen bie 
Profefjoren und ernften Perfonen einen feierlihen Abſchied, die andern 
- fuhren nod) eine Station weiter, unterwegs trafen wir alle Viertel⸗ 
Stunde nod auf Partieen, die dahin vorausgegangen waren, um 
Savigny zum legtenmal zu ſehen; ich jah ſchon eine Weile vorher bie 
Gewitterwolken fih zufammenziehen, im Pofthaufe drehte fich einer 
um den andern nad dem Fenfter, um die Thränen zu verbergen. Ein 
junger Schwabe, Nußbaumer, die perfonifictrte Vollsromanze, war weit 
vorausgelanfen, um den Wagen nod einmal zu begegnen, ich werde 
dag nie vergefjen wie er im Feld ſtand und fein Meines Schnupftüchel- 
hen im Wind wehen ließ, und die Thränen ihn hinderten aufzufehen 
wie der Wagen an ihm vorbei rollte, die Schwaben hab ich lieb. 

Mehrere der geliebteften Schüler Savigny's begleiteten und bis 
Salzburg, der erfte und ältefte, Nepomuk Ringseis, ein, treuer Haus 
freund, bat ein Geficht wie ans Stahl gegoffen, alte Ritterphyfiogno- 
mie, Heiner, ſcharfer Mund, [hwarzer Schnauzbart, Augen, aus denen 
die Funken fahren, in feiner Bruft hämmerts wie in einer Schmiede, 
will vor Begeifterung zeripringen, und da er ein feuriger Chrift ift, fo 
möchte er den Jupiter aus der Rumpellammer ver alten Gottheiten 
vorkriegen, um ihn zu taufen und zu belehren. 

Der zweite, ein Herr von Schenk, hat weit mehr feine Bildung, 
bat Schaufpieler kennen Iernen, declamirt öffentlich, war verliebt ganz 
glühend, oder ift e8 noch, mußte feine Gefühle in Poeſie ausftrömen, . 


| 318 


lauter Sonette, lacht ſich felbft aus über feine Öalanterie, blonder 
Lodentopf, etwas ftarke Nafe, angenehm, Endlich, äußert ausgezeichnet 
im Studieren. Der dritte, der Italiener Salootti, ſchön im weiten 
grünen Mantel, der die evelften Falten um feine feite Geftalt wirft, 
unftörbare Ruhe in den Bewegungen, glühende Regſamkeit im Aus- 
brud, läßt fih fein gefchent Wort mit ihm fprecden, fo tief ift er im 
Gelehrſamkeit verfunfen. Der vierte, Freiherr von Öumpenberg, 
Kindesnatur, edlen Herzens, bis zur Schüchternheit fill, um fo mehr 
überrafcht die Offenherzigkeit, wenn er erſt Zutrauen gefaßt bat, wobei 
ihm denn unendlich wohl wird, nicht ſchön, hat ungemein liebe Augen, 
ein unzertrennlicher Freund des fünften, Freiberg, zwanzig Jahr alt, 
große männliche Seftalt, als ob er ſchon älter fei, ein Geſicht wie eine 
römiſche Gemme, geheimnißoolle Natur, verborgner Stolz, Liebe und 
Wohlwollen gegen alle, nicht vertraulich, verträgt die härteften An- 
firengungen, ſchläft wenig, gudt Nachts zum Wenfter hinaus nad, den 
Sternen, übt eine magiſche Gewalt über die Freunde, obſchon er fie 
weder durch Wit, noch durch entſchiedenen Willen zu behaupten geneigt 
ift; aber alle haben ein unerſchütterliches Zutrauen zu ihm, was ber 
Freiberg will, das muß gefhehen. Der ſechſte war der junge Maler 
Ludwig Grimm, von dem ih Dir mein Bildchen und die ſchönen 
radirten Studien nad der Natur geihidt babe, jo luſtig und naif, 
daß man mit ihm bald zum Kind in der Wiege wird, das um nichts 
lacht, ev theilte mit mir den Kutfcherfig, von wo herab wir die ganze 
Natur mit Spott und Wit begrüßten, warum ich Dir diefe alle fo 
deutlich beſchreibe? — weil feiner unter ihnen ift, der nicht Durch Rein⸗ 
heit und Wahrheit im allgemeinen Leben hervorleuchten würde, und 
weil fie Dir als Grundlagen zu ſchönen Charaktern in Deiner Welt 
dienen können; diefe alle feiern Dein Andenken in treuem Herzen, 
Du bift wie der Kaifer, wo er hinkömmt, jauchzen ihm die Unterthanen 
entgegen. 

Der Tagereifen waren zwei bi8 Salzburg, auf der erften kamen 
wir bis Alt-Öttingen, wo das wunderthätige Marienbild in einer 
düſteren Kapelle die Pilger von allen Seiten berbeilodt. Schon ver 


319 


ganze Plat umher und die äußern Dauer find mit Votivtafeln gebedt, 
es macht einen fehr ängftlihen Einvrud, die Zengniffe ſchauerlicher 
Geſchicke und tauſendfachen Elendes gedrängt neben einander, und 
über diefe bin ein beſtändiges Ein- und Ausftrömen der Wallfahrer 
mit bebrängenden Gebeten und Gelübden um Erhörung, jeven Tag 
des Jahres von Sonnenaufgang bi8 Sonnenuntergang. Früh Mor⸗ 
gend um vier Uhr beginnt der Gottesbienft mit Muſik und währt bis 
zur Nacht. Das Inmere der Kapelle ift ganz mit ſchwarzem Sammt 
überzogen, auch ſelbſt das Gewölbe, und mehr durch Kerzenlicht als 
vom Tag erleuchtet, die Altäre von Silber, an den Wänden hängen 
filberne Glieder und Gebeine, und viele filberne Herzen mit golpnen 
Flammen oder fenrigen Wunden, — wie fonverbar, Goethe! ver 
Menſch! er bringt ferne Schmerzen als Opfer der Gottheit, und da 
mögen diefe Schmerzen entftanden fein, woher fie wollen, in Gott 
wird alles göttlih; — Mar von Baiern Intet in Lebensgröße auch 
von Silber auf den ſchwarzen Stufen des Altars, vor dem kohlraben⸗ 
ſchwarzen Deuttergottesbild, Das ganz in Diamanten gefleivet ift, zwei 
Männerftimmen, von der dumpfen Orgel begleitet, fingen ihr Hymnen, 
das ftille Meeflelefen, die Menſchen, die mit Tchränen die Stufen des 
Altars küſſen, viele taufend Seufzer aus allen Eden, das macht ven 
wunderliditen Einprud. Wo alle beten, jollt ich auch beten, dacht ich, 
aber nimmermehr, das Herz war in beftändigem Klopfen; ich hatte 
vor der Thür einem Bettelmann einen Veilchenkranz abgelauft, da 
ftand ein Heines Kind vor dem Altar mit blonden Toden, es ah mid 
jo freundlich an und langte nad) dem Kranz, ven gab ich ihm, da warf 
es ihn anf den Altar, venn e8 war zu Hein um hinauf zu reihen, der 
Kranz fiel grade zu den Füßen der Mutter Gottes, e8 war ein glück⸗ 
licher Wurf, der machte mein Herz leicht. Der Strom der Pilger zog 
mich mit fi fort zur gegenüberftehenvden Thür hinaus, ich wartete 
lange auf das Kind, ic) hätte e8 fo gern gelüßt, und wollte ihm eine 
feine goldene Kette ſchenken, die ih am Hals trage, weil es mir ein jo 
gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte grade in dem 
Augenbiid, wo e8 mir den Kranz abnahm, an Dich, aber das Kindchen 


320 


fam nicht heraus, der Wagen ftand vor der Thür, ih ſchwang mich 
auf meinen Kutſcherſitz, auf jeder Station hatte ich einen andern 
Kameraden, der den Sit mit mir tbeilte und zugleich mir feine 
Herzensangelegenheiten mittheilte, fie fingen immer jo ſchüchtern da⸗ 
von an, daß mir bange ward, aber weit gefehlt, allemal war's eine 
andere, feinmal war ich's. 

Unfre Reife ging durch einen Wald von Blüthen, ver Wind 
ftreute fie wie einen Negen nieder, die Bienen flogen nad) ven Blu- 
men, bie ich hinter's Ohr geitedt hatte, gelt, da8: war angenehm! — 


26. Mai. 


Bon Salzburg muß ih Dir nody erzählen. Die lette Station, 
vorher Laufen; diesmal ſaß Freiberg mit mir auf dem Kutjcherfig, er 
öffnete lächelnd feinen Mund, um die Natur zu preifen, bet ihm ift 
aber ein Wort wie der Anſchlag in einem Bergwerk, eine Schicht führt 
zur andern; e8 ging in einen fröhlichen Abend über, die Thäler brei- 
teten fi vechts und links, als wären fie das eigentliche Reich, das 
unendliche gelobte Land. Langfan wie Geifter hob ſich hie und da ein 
Berg, und ſank allmählig in feinem blitzenden Schneemantel wieder 
unter. Mit der Nacht waren wir in Salzburg, e8 war jchauerlich vie 
glattgefprengten Telfen himmelhoch über den Häufern heroorragen zu 
jeben, die wie ein Erbhimmel über der Stadt ſchwebten im Sternen- 
licht, — und die Lanternen, die da all mit ven Leutlein durch Die 
Straßen fadelten, und endlid die vier Hörner, die ſchmetternd vom 
Kirhthurm den Abenvfegen biiefen, da tönte alles Geftein und gab 
das Lied vielfältig zurück. — Die Nacht hatte in diefer Fremde ihren 
Zaubermantel über ung geworfen, wir wußten nicht wie das war daß 
alles fich beugte und wankte, das ganze Firmament ſchien zu athmen, 
ich war über alles glüdlih, Du weißt ja wie das ift, wenn man aus 
fi felber, wo man fo lange gefonnen und gefponnen, heraustritt ganz 
in's Freie. | 

Wie kann ih Dir nun von diefem Reichthum erzählen, ver ſich 
am andern Zag vor und ausbreitete? — wo ſich der Vorhang allmählig 











321 


vor Gottes Herrlichkeit theilet, und man fi nur verwundert, daß 
alles fo einfach ift in feiner Größe. Nicht einen, aber Hundert Berge 
ſieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz frei, von keinem Ge- 
genftand bedeckt, e8 jauchzt und triumphirt ewig da oben, die Öewitter 
ſchweben wie Raubvögel zwifchen ven Klüften, verbunfeln einen Au- 
genblid mit ihren breiten Fittigen die Sonne, das geht jo ſchnell und 
doch fo ernft, e8 war auch alles begeiftert. In den fühnften Sprüngen, 
von den Bergen herab bis zu den Seen ließ ſich der Übermuth aus, 
taufend Gaufeleien wurden in's Steingerüft gerufen, jo verlebten wir 
wie die Priefterfchaft ver Ceres, bei Brod, Milh und Honig ein paar 
ſchöne Tage; zu ihrem Andenken wurde zulegt noch ein Granatſchmuck 
von mir auseinandergebrochen, jeder nahm ſich Einen Stein und den Na⸗ 
men eines Berges, ven man von hier aus fehen konnte, und nennen fich 
die Ritter vom Granatorden, geftiftet auf dem Watzmaunn bei Salzburg. 

Bon da ging die Reife nad Wien, es trennten ſich die Gäfte 
von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir über die Salsa, hinter ver 
Brüde ift ein großes Pulvermagazin, binter dem ftanven fie alle, um 
Savigny ein letztes Bivat zu bringen, ein jeder rief ihm noch eine Be- 
thenerung von Lieb und Dank zu. Freiberg, der uns bis zur nächſten 
Station begleitete, fagte: wenn fie nur alle fo fchrieen, daß das Ma⸗ 
gazin in die Luft fprengte, denn uns iſt doch das Herz gefprengt; und 
nun erzählte er mir, welch neues Leben durch Savigny aufgeblüht 
war, wie alle Spannung und Feindſchaft unter den Profefloren fich 
gelegt oder doch fehr gemilvert habe, beſonders aber ſei fein Einfluß 
wohlthätig für die Studenten gewejen, die weit mehr Freiheit und 
Selbitgefühl durch ihn erlangt haben. Nun Tann ih Dir aud nicht 
genug bejchreiben wie groß Savigny's Talent tft mit jungen Leuten 
umzugehen; zuwörberft fühlt er eine wahre Begeifterung für ihr Stre⸗ 
ben, ihren Fleiß; eine Aufgabe, die er ihnen macht: wenn fie gut be- 
handelt wird, jo macht es ihn ganz glüdlich, er möchte gleich jein In⸗ 
nerfted mit jedem theilen, er berechnet ihre Zukunft, ihr Gefchid, und 
ein leuchtender Eifer der Güte erhellt ihnen den Weg, man kann von 
ihm wohl in dieſer Hinficht jagen, daß die Unſchuld feiner Jugend auch 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 21 


322 





der Geleitsengel feiner jegigen Zeit ift, und das ift eigentlih fein 
Charakter, die Liebe zu denen, denen er mit ven ſchönſten Kräften ſei⸗ 
nes Geiſtes und feiner Seele vient; ja, das tft wahrhaft liebeng- 
würdig, und muß Liebenswürdigkeit nicht allein Größe beftätigen? — 
Diefe naive Güte, mit der er fich allen gleich ftellt bei feiner äſt he⸗ 
tifhen Gelahrtheit, macht ihn Doppelt groß. Ach, liebes Landshut, 
mit deinen geweißten Giebelvächern und dem gepladten Kirchthurm, 
mit deinen Springbrunnen, aus deſſen verrofteten Röhren nur ſpar⸗ 
fam das Wafler lief, um ven die Studenten bei nächtlicher Weile 
Sprünge machten und fanjt mit Flöte und Guitarre accompagnirten, 
und dann aus fernen Straßen fingend ihre Gutenacht ertönen ließen; 
wie ſchön war's im Winter auf der leichten Schneevede, wenn ich mit 
dem fießzigjährigen Canonicus Eirdorfer, meinem Öeneralbafßlehrer 
und vortrefflihen Bärenjäger, ſpazieren ging, da zeigte er mir auf 
dem Schnee die Spuren der Filchottern, und da war ih mandmal 
recht vergnügt und freute mid) auf den andern Tag, wo er mir gewiß 
ein ſolches Thier auffinden wollte, und wenn ich denn am andern Tag 
kam, daß er mic) verfprochnermaßen auf Die Otternjagd begleiten folle, 
da machte er Ausflüchte, Heute ſeien die Ottern beftimmt nicht zu 
Haufe; wie ich Abdichten von ihm nahm, da gab er mir einen wunder⸗ 
lihen Segen, er jagte: „möge ein guter Dämon Sie begleiten, und 
das Gold und die Kleinodien, die Sie befiten, allemal zu rechter Zeit 
in Scheivemünge verwandeln, womit Sie allein ſich Das erwerben kön⸗ 
nen, was Ihnen fehlt.“ Dann verſprach er mir auch noch, er wolle 
mir einen Otternpelz zufammenfangen, und ich folle über's Jahr kom⸗ 
men, ihn holen. Ach, ich werde nicht wieverfommen in das liebe Lands⸗ 
hut, wo wir und freuten, wenn's ſchneite und Nachts der Wind recht 
geftürmt hatte, fo gut als wenn die Sonne recht herrlich ſchien, wo 
wir alle einander fo gut waren, wo Die Studenten Goncerte gaben und 
in der Kirche hölliſch mufizirten, und e8 gar nicht übel nahmen, wenn 
man ihnen davon lief. 

Und nun ift meiter nichts Merkwürdiges auf der Reife bis 
Wien vorgefallen, außer daß ich am nächſten Morgen die Sonne 





323 


aufgehen ſah, ein Regenbogen drüber und davor em Pfau, der fein 
Rad ſchlug. 


Wien, am 28. Mai. 

Wie ich dieſen fah, von dem ich Dir jegt ſprechen will, Da vergaß 
ich der ganzen Welt, ſchwindet mir doch auch die Welt, wenn mich Er- 
innerung ergreift, — ja fie ſchwindet. Mein Horizont fängt zu meinen 
Fügen an, wölbt ſich um mich, und ich ftehe im Meer des Lichts, das von 
Dir ausgeht, und in aller'Stille ſchweb ich gelafjenen Flugs über Berg 
und Thal zu Div. — Ad, laſſe alles fein, mache Deine lieben Augen 
zu, leb in mir einen Augenblid, vergeffe was zwiſchen uns liegt, Die 
weiten Meilen und and) die lange Zeit. — Bon da and mo id Did) 
zum legtenmal ſah, ſehe mih an; — ftänd ich Do vor Dir! — 
könnt ich's Dir deutlich machen! der tiefe Schauder, der mich ſchüttelt, 
wenn ich eine Weile der Welt mit zugefehen habe, wenn ich dann hin- 
ter mich jehe in die Einfamkeit und fühle, wie fremd mir alles ift. 
Wie kömmt's, daß ih dennoch grüne und blühe in dieſer Ode? — Wo 
kömmt mir der Thau, die Nahrung, die Wärme, der Segen her? — 
von diefer Liebe zwifchen ung, im der ich mich jelbft jo lieblich fühle. — 
Wenn ich bei Dir wär, ich wollte Dix viel wievergeben für alles. — Es 
iſt Beethoven, von dem ich Dir jett ſprechen will, und bei dem ich ver 
Welt und Deiner vergefien habe; ich bin zwar unmündig, aber id) irre 
Darum nicht, wenn ich ausſpreche (was jetzt vielleicht feiner verfteht und 
glaubt), erfchreitet weit der Bildung der ganzen Menſchheit voran, und 
ob wir ihn je einholen — ich zweifle; möge ernur leben bis das gemal- 
tigeumd erhabene Käthjel, was in feinem Geifte liegt, zu feiner höchſten 
Bollendung herangereift ift, ja, möge er fein höchftes Ziel erreichen, ge- 
wiß dann läßt er ven Schlüffel zur einer himmliſchen Erkenntniß in unfe- 
ven Händen, die und der wahren Seligfeit um eine Stufe näher rüdt. 

Bor Dir Tann ich's wohl bekennen, daß ih an einen göttlichen 
Zauber glaube, ver das Element der geiftigen Natur ift, dieſen Zauber 
übt Beethoven in feiner Kunft; alles wefjen er Dich, darüber belehren 
kann, ift reine Magie, jede Stellung ift Organifation einer höheren 

’ 21* 


324 


Exiftenz und fo fühlt Beethoven fi auch als Begründer einer neuen 
finnlihen Baſis im geiftigen Leben; Du wirft wohl herausverite- 
ben was ich jagen will und was wahr ift. Wer könnte uns dieſen Geift 
erfegen? von wen könnten wir ein gleiches erwarten? — Das ganze 
menſchliche Treiben geht wie ein Uhrwerk an ihm auf und niever, er 
allein erzeugt frei aus fi Das Ungeahnte, Unerſchaffne, was follte 
diefem auch der Verkehr mit der Welt, der fhon vor Sonnenaufgang 
am heiligen Tagwerk ift, und nach Sonnenuntergang faum um fid 
fteht, der feines Leibes Nahrung vergift, und von dem Strom der 
Degeifterung im Ylug an den Ufern des flachen Alltagsleben worüber 
getragen wird; er jelber fagte: „wenn ich die Augen aufjchlage, To 
muß ich feufzen, denn was ich ſehe ift gegen meine Religion, und Die 
Melt muß ich verachten, die nicht ahnt, Daß Mufif höhere Offenbarung 
iſt als alle Weisheit und Philofophie, fie tft ver Wein, der zu neuen 
Erzeugungen begeiftert, und ich bin der Bacchus, der für die Menſchen 
biefen herrlichen Wein keltert und fie geiftestrunfen macht, wenn fie 
dann wieder nüchtern find, dann haben fie allerlei gefifcht was fie mit 
aufs Trodne bringen. — Keinen Freund hab ich, ich muß mit mir 
allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir näher ift wie ben 
andern in meiner Kunft, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn 
jevesmal erkannt und verftanden, mir ift auch gar nicht bange um 
meine Mufit, die ann kein bös Schickſal haben, wen fte fich verftänd- 
lich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit fich bie 
andern fehleppen. — Dies alles hat mir Beethoven gefagt wie ich ihn 
zum eritenmal ſah, mid) durchdrang ein Gefühl von Ehrfurdt,wie er 
ſich mit jo freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da ich ihm doch 
ganz unbeventenb fein mußte; auch war ich verwundert, denn man 
hatte mir gejagt, er ſei ganz menſchenſcheu und Lafje fich nit Niemand 
in ein Geipräd ein. Man fürdtete fih, mich zu ihm zu führen, id 
mußte ihn allein aufſuchen, er hat drei Wohnungen, in denen er ab» 
wechſelnd ſich verftedt, eine auf vem Lande, eine in der Stadt und Die 
dritte auf der Baftei, da fand ich ihn im dritten Stod; unangemeldet 
trat ih ein, er faß am Klavier, ich nannte meinen Namen, er war 





325 


ſehr freundlich und fragte: ob ich ein Lied hören wolle was er eben 
componirt habe, — dann fang er ſcharf und ſchneidend, daß die Weh- 
muth auf ven Hörer zurückwirkte: „Kennft du das Land," — „nicht 
wahr, es ift ſchön,“ ſagte er begeiftert, „wunderſchön! ich will’ noch 
einmal fingen,“ er freute fi über meinen heiteren Beifall. „Die 
meiften Menſchen find gerührt über etwas Gutes, das find aber 
feine Rünftlernaturen, Künftler find feurig, die weinen nicht,“ 
fagte er. Dann fang er noch ein Lied von Dir, das er auch in diefen 
Tagen componirt hatte: „Lrodnet nicht Thränen der ewigen 
Liebe.“ — Er begleitete mich nach Haufe, und unterwegs ſprach er 
eben das viele Schöne über die Kunit, dabei ſprach er fo laut und 
blieb auf der Straße ftehen, daß Muth dazu gehörte zuzuhören, er 
ſprach mit großer Leidenſchaft und viel zu überrafchend, als daß id 
nicht aud der Straße vergeflen hätte, man war jehr verwundert ihn 
mit mir in eine große Gejellihaft, die bei uns zum Dine war, eine 
treten zu ſehen. Nach Tiſche feste er fih unaufgefordert an's Inſtru⸗ 
ment und fpielte lang und wunderbar, fein Stolz fermentirte zugleich 
mit feinem Genie; in folder Aufregung erzeugt fein Geift das Unbe⸗ 
greifliche und feine Finger leiften das Unmögliche, — Seitvem kommt 
er alle Tage oder ich gehe zu ihm. Darüber verfäume ich Gefell- 
haften, Galerieen, Theater und fogar ven Stephansthurm. Beethoven 
jagt: „Ad, was wollen Sie da jehen! ich werde Sie abholen, wir 
gehen gegen Abend durch die Allee von Schönbrunn.” Geftern ging 
ih mit ihm in einen herrlichen Garten, in voller Blüthe, alle Treib- 
häuſer offen, der Duft war betäubend; Beethoven blieb in der drücken⸗ 
den Sonnenhige ftehen und fagte: „Goethe's Gedichte behaupten nicht 
allein durch den Inhalt, auch Durch den Rhythmus eine große Gewalt 
über mich, ich werde geftimmt und aufgeregt zum Componiren durch 
dieſe Sprache, die wie durch ©eifter zu höherer Ordnung ſich aufbaut 
und das Geheimniß der Harmonieen ſchon in ſich trägt. Da muß ich 
denn von dem Brennpunkt der Begeifterung die Melodie nah allen 
Seiten hin ausladen, ich verfolge fie, hole fie mit Leidenſchaft wieder 
ein, ich jehe fie dahin fliehen, in der Maſſe verſchiedener Aufregungen 





326 


verſchwinden, bald erfafie ich fie mit erneuter Leidenſchaft, ich kann 
mich nicht von ihr trennen, ih muß mit rafhem Entzüden in allen 
Modulationen fie vervielfältigen, und im legten Augenblid da trium- 
phire ich über den erften mufilaliihen Gedanken, fehen Sie, das ift 
eine Symphonie, ja, Muſik ift jo recht die Bermittelung des geiftigen 
Lebens zum finnlihen. Ich möchte mit Goethe hierüber ſprechen, ob 
der mich verftehen wide? — Melodie iſt das finnlihe Leben der 
Poeſie. Wird nicht der geiftige Inhalt eines Gedichts zum firmlidhen 
Gefühl durch die Melodie? — empfindet man nicht in dem Lieb der 
Mignon ihre ganze finnlidhe Stimmung durd die Melodie? und er- 
regt dieje Empfindung nicht wieder zu neuen Erzeugungen? — Da 
will der Geift zu ſchrankenloſer Allgemeinheit fi auspehnen, wo alles 
in Allem, ſich bildet zum Bett der Gefühle, die aus dem einfachen 
muſikaliſchen Gedanken entfpringen, und die fonft ungeahnt verhallen 
würden; Da 8 ift Harmonie, das ſpricht fi) in meinen Symphonieen 
aus, der Schmelz vieljeitiger Formen wogt Tahin in einem Bett bis 
zum Ziel. Da fühlt man denn wohl, daß ein Ewiges, Unenbliches, 
nie ganz zu Umfaflendes in allem geiftigen liege, und obſchon ich bei 
meinen Werfen immer die Empfindung des Gelingens habe, fo fühle 
ih einen ewigen Hunger was mir eben erfchöpft ſchien, mit vem legten 
Paukenſchlag, mit dem ich meinen Genuß, meine muſikaltſche Über- 
zeugung den Zuhörern einfeilte, wie ein Kind von neuem anzufangen. 
Sprechen Sie dem Goethe von mir, jagen Ste ihm, er foll meine 
Symphonieen hören, da wird er mir recht geben, daß Muſik ver einzige 
unverförperte Eingang in eine höhere Welt des Wiſſens ift, die wohl 
ven Menſchen umfaßt, daß er aber nicht fie zu fallen vermag. — 
Es gehört Rhythmus des Geiftes dazu, um Muſik in ihrer Wefenheit 
zu faſſen, fie giebt Ahnung, Inſpiration himmliſcher Wiſſenſchaften, 
und was der Geiſt finnlich von ihr empfindet, das ift Die Verförperung 
geiftiger Erfenntnig. — Obſchon die Geifter von ihr leben, wie man 
von der Luft lebt, fo ift es noch ein anders, fie mit dem Geiſte be- 
greifen; — je mehr aber die Seele ihre finnlihe Nahrung aus ihr 
Ihöpft, je reifer wird der Geift zum glüdlichen Einverſtändnis mit 





327 


ihr. — Über wenige gelangen dazu, denn jo wie Tauſende fih um 
der Liebe willen vermählen, und die Liebe in viefen Taufenden ſich 
nit einmal offenbart, obſchon fie alle das Handwerk ver Liebe 
treiben, fo treiben Tauſende einen Verkehr mit der Muſik, und haben 
doch ihre Offenbarung nicht, auch ihr liegen die hohen Zeichen des 
Moralfinns zum Grunde wie jeder Kunft, alle ächte Erfindung iſt ein 
moraliſcher Fortſchritt. — Sich ſelbſt ihren unerforſchlichen Geſetzen 
unterwerfen, vermöge dieſer Geſetze den eignen Geiſt bändigen und 
lenken, daß er ihre Offenbarungen ausſtröme, das iſt das iſolirende 
Prinzip der Kunſt; von ihrer Offenbarung aufgelöſt werden, das iſt 
die Hingebung an das Göttliche, was in Ruhe ſeine Herrſchaft an dem 
Raſen ungebändigter Kräfte übt, und fo der Phantaſie die höchſte 
Wirkſamkeit verleihet. So vertritt die Kunft allemal die Gottheit, und 
das menſchliche Verhältniß zu ihr ift Religion, was wir durch bie 
Kunft erwerben, das ift von Gott, göttliche Eingebung, die den menſch⸗ 
lichen Befähigungen ein Ziel ſteckt was er erreicht. 

Wir willen nicht mas uns Erfenntniß verleihet, das feft ver- 
ſchloſſne Samenkorn bedarf des feuchten, eleltriih warmen Bodens, 
um zu treiben, zu denken, fih auszufprechen. Muſik ift-ver eleftriiche 
Boden, in dem der Geift Lebt, denkt, erfinvet. Philofophie ift ein Nie⸗ 
derichlag ihres eleftriichen Geiſtes; ihre Bedürftigkeit, vie alles auf 
ein Urprinzip gründen will, wird durch fie gehoben, obſchon der Geift 
deflen nicht mächtig iſt was er durch fie erzeugt, fo ift er doch glüdjelig 
m dieſer Erzeugung, jo ift jede üchte Erzeugung der Kunſt, unabhängig, 
mächtiger als der Künftler felbft, Tehrt durch ihre Erſcheinung zum 
Göttlichen zurüd, hängt nur darin mit dem Menſchen zufammen, daß 
fie Zeugniß giebt von der Vermittelung des Göttlichen m ihm. 

Muſik giebt dem Geift die Beziehung zur Harmonie. Ein Gedanke 
abgefonvert, hat doch das Gefühl der Geſammtheit der Verwandtſchaft 
im Geiſt; fo ift jever Gedanke in ver Muſik in innigfter, untheilbarfter 
Verwandtſchaft mit der Gefammtheit der Harmonie, die Einheit ift. 

Alles eleftrifche regt den Geift zu muſikaliſcher, fließenver, aus⸗ 
frömender Erzeugung. 


328 


Ich bin eleftrifher Natur. — Sch muß abbrechen mit meiner 
unermeislihen Weisheit, jonft möchte ich die Probe verfäumen, ſchreiben 
Sie an Goethe von mir, wenn Sie mich verftehen, aber verantworten 
kann ich nichts, und will mich auch gern belehren laflen von ihm.” — 
Ich verſprach ihm, fo gut ich's begreife, Div alles zu ſchreiben. — Er 
führte mich zu einer großen Muſikprobe mit vollem Orcheſter, da ſaß 
ih im weiten unerhellten Raum in einer Loge ganz allein, einzelne 
Streiflihter ftahlen fich durch Riten und Aftlöcher, in denen ein Strom 
bunter Lichtfunken bin und ber tanzte, wie Himmelsftraßen mit feligen 
Geiftern bevölkert. 

Da fah ich denn diefen ungeheuren Geift fein Regiment führen. 
D, Goethe! Tein Kaifer und fein König hat jo das Bewußtſein feiner 
Macht, und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie diefer Beethoven, 
der eben noch im Garten nach einem Grund fuchte, wo ihm denn alles 
herkomme; verftünd ich ihn jo wie ich ihn fühle, dann müßt ich alles. 
Dort ftand er, fo feſt entichloflen, feine Bewegungen, fein Geficht 
drüdten die Vollendung feiner Schöpfung aus, er kam jedem Fehler, 
jedem Mißveritehen zuvor, fein Hauch war willführlih, alles war durch 
die großartige Gegenwart feines Geiftes in die befonnenfte Thätigkeit 
verjegt. — Man möchte weifſagen daß ein folher Geift in fpäterer 
Bollendung als Weltherricher wieder auftreten werde. 

Geſtern Abend fchrieb ich noch alles auf, heute Morgen las ich's 
ihm vor, er fagte: „Hab ih das gejagt? — nun dann hab id 
einen Raptus gehabt;” er las es noch einmal aufmerkſam, und ſtrich 
das oben aus und ſchrieb zwiſchen die Zeilen, denn es iſt ihm drum 
zu thun daß Du ihn verſtehſt. 

Erfreue mich nun mit einer baldigen Antwort, die dem Beethoven 
beweiſt daß Du ihn würdigſt. Es war ja immer unſer Plan, über 
Muſik zu ſprechen, ja ich wollte auch, aber durch Beethoven fühl ich 
nun erſt daß ich der Sache nicht gewachſen bin. Bettine. 

Meine Adreſſe iſt Erdberggaſſe im Birkenſtockiſchen Hauſe, noch 
vierzehn Tage trifft mich Dein Brief. 








329 


An Bettine. 


Dein Brief, herzlich geltebtes Kind, tft zur glüdlihen Stunde an 
mich gelangt, Du haft Dich brav zufammengenommen, um mir eine 
große und fhöne Natur in ihren Leiftungen wie in ihrem Streben, in 
ihren Bebürfnifien wie in dem Überfluß ihrer Begabtheit darzuftellen, 
es hat mir großes Bergnügen gemacht, dies Bild eines wahrhaft ges 
nialen Geiftes in mich aufzunehmen, ohne ihn Haffifiziven zu wollen, 
gehört doch ein pſychologiſches Rechnungstunftftüd dazu, um Das wahre 
Facit der Übereinftimmung da heraus zu ziehen, inveffen fühle ich kei— 
nen Widerſpruch gegen das was fi von Deiner raſchen Erplofton 
erfaflen läßt; im Gegentheil möchte ih Dir für einen innern Zuſam⸗ 
menhang meiner Natur, mit dem mas fi) aus dieſen mannigfaltigen 
Äußerungen erkennen läßt, einftweilen einftehen, der gewöhnliche Men⸗ 
ſchenverſtand würde vielleicht Widerſprüche darin finden, was aber ein 
folder vom Dämon bejefjener ausipricht, Davor muß ein Late Ehr- 
furcht haben, und es muß gleich viel gelten, ob er aus Gefühl over aus 
Erkenntniß fpricht, denn bier walten die Götter und treuen Samen zu 
fünftiger Einfiht, von der nur zu wünſchen ift daß fie zu ungeftörter 
Ausbildung gedeihen möge; bis fie indeſſen allgemein werve, da müf- 
fen die Nebel vor dem menjhlichen Geift ſich erft theilen. Sage Beet- 
boven das Herzlichfte von mir, und daß ich gern Opfer bringen würde, 
um feine perjönlihe Belanntihaft zu haben, wo denn ein Austauſch 
von Gedanken und Empfindungen gewiß ven ſchönſten Vortheil brächte, 
vielleicht vermagft Du fo viel über ihn, daß er fich zur einer Reife nach 
Karlsbad beftimmen läßt, wo ich doch beinah jedes Jahr hinkomme 
und die befte Muſe haben würde von ihm zu hören und zu lernen, 
ihn belehren zu wollen, wäre wohl ſelbſt von einfichtigern als ich, 
Frevel, da ihm fein Genie vorleuchtet, und ihm oft wie durch einen 
Blitz Hellung giebt, wo wir im Dunkel figen und faum ahnen, von 
welcher Seite der Tag anbrechen werde. 

Sehr viel Freude würde e8 mir machen, wenn Beethoven mir die 
beiden componirten Lieder von mir ſchicken wollte, aber hübſch deutlich 


330 


gefchrieben, ich bin ſehr begierig fie zu hören, es gehört mit zu meinen 
erfreulichiten Genüffen, für die ich jehr dankbar bin, wenn ein foldhes 
Gedicht früherer Stimmung mir durd eine Melodie (wie Beethoven 
ganz richtig erwähnt) wieder auf's neue verfinnlicht wird. 

Schließlich fage ih Dir noch eimmal den innigften Dank für 
Deine Mittheilungen und Deine Art mir wohlzutbun, da Dir alles fo 
ſchön gelingt, da Dir alles zu belehrenvem, freudigem Genuß wird, 
welche Wünſche könnten da noch Hinzugefügt werden, ala daß es ewig 
fo fortwähren möge, ewig auch in Beziehung auf mich, der den Bor- 
theil nicht verfenmt, zu Deinen Freunden gezählt zu werden. Bleibe 
mir daher was Du mit fo großer Treue warft, jo oft Du auch den 
Platz wechjelteft und ſich vie Gegenftände um Did her veränderten 
und verſchönerten. 

Auch der Herzog grüßt Di und wünſcht, nicht ganz von Dir 
vergefien zu fen. Ich erhalte wohl noch Nahricht von Dir in meinem 
Karlsbader Aufenthalt bei den drei Mohren. 

Am 6, Juni 1810, G. 


An Goethe. 


Liebſter Freund! dem Beethoven hab ich Deinen ſchönen Brief 
mitgetheilt, ſo weit es ihm anging, er war voll Freude und rief: 
„Wenn ihm jemand Verſtand über Muſik beibringen kann ſo bin ich's.“ 
Die Idee Dich im Karlsbad aufzuſuchen ergriff er mit Begeiſtrung, er 
ſchlug ſich vor den Kopf und ſagte: „konnte ich das nicht ſchon früher 
gethan haben? — aber wahrhaftig ich hab ſchon daran gedacht ih 
hab's aus Timidität unterlalien, die nedt mich manchmal als ob ich 
fein rechter Menſch wär, aber vor vem Goethe fürchte ich mich nun nicht 
mehr.” — Rechne daher darauf daß Du ibn im nächſten Jahr ſiehſt. 

Nun: antworte ih nur noch auf die legten Punkte Deines Briefs 
aus denen ich Honig jammle: Die Gegenftände um mich her ver- 








331 


ändern fich zwar, aber fie verjchönern ſich nicht, das Schönfte ift ja Doch, 
daß ih von Dir weiß, und mich würde nichts freuen, wenn Du nicht 
wärſt, vor dem ich es ausfprechen dürfte, und zweifelt Du daran fo 
ift Div auch daran gelegen, und bin ich auch glüdlicher als mich alle 
gezählten und ungezählten Freunde je machen können. Mein Wolf- 
gang, Du zählft nicht mit unter den Freunden, lieber will ich gar 
fernen zählen. 

Den Herzog grüße, leg mich ihm zu Füßen, jag ihm, daß ich ihn 
nicht vergefien habe, auch feine Minute die ich dort mit ihm erlebt 
babe. — Daß er mir erlaubte auf dem Schemel zu figen, worauf 
jein Fuß rubte, daß er fich feine Zigarre von mir anrauden ließ, daß 
er meine Haarflechte aus den Krallen des böſen Affen befreite, und 
gar nicht lachte obſchon es ſehr komiſch war, Das vergefie ich gar 
nicht wie er dem Affen jo bittend zurebdete; dann der Abend beim 
Soupee, wo er dem Ohrenſchlüpfer den Pfirfig hinbielt daß er ſich 
darin verfriehen follte, und wie jemand anders das Thierchen vom 
Tiſch herumter warf um e8 tobt zu treten; er wendete ſich zu mir und 
fagte: fo böſe find Ste nicht, das hätten Sie nicht gethan! — id) 
nahm mid) zufammen in diefer figlihen Affaire und fagte: Ohren⸗ 
ſchlüpfer fol man bei einem Fürften nicht leiden; er fragte, hat man 
auch die zu meiden die e8 hinter ven Ohren haben, jo muß ich mich 
vor Ihnen hüten; aud die Promenade zu den jungen ausgebrüteten 
Enten, die ih mit ihm zählte, wo Du dazu kamſt und über unfere 
Geduld Di Schon lange gewundert hatteft, ehe wir fertig waren, und 
fo könnte ih Dir Zug für Zug jeden Moment wieder herbeirufen, der 
mir in feiner Nähe gegönnt war. Wer ihm nah fein darf dem muß 
wohl werben, weil er jeden gewähren läßt und doch mit dabei iſt; umd 
die ſchönſte Freiheit geftattet, und nicht unwillig ift um die Herrſchaft 
des Geiftes, und dennoch ficher ift, einen jeven durch dieſe großartige 
Milde zu beherrſchen. Das mag in's Große und Allgemeine gehen, 
fo wie ich's im Heinen und einzelnen erfahren habe. Er ift groß ber 
Herzog und wächft dennoch, er bleibt fich felber gleich, giebt jeglichen 
Beweis daß er fi überbieten kann. So ift ver Menſch der einen 


332 


hoben Genius hat, er gleicht ihm, er wächſt fo lange bin er eins mit 
ibm wird. 

Danfe ihm in meinem Namen daß er an mid denkt, beichreibe 
ihm meine zärtlihe Ehrfurdht. Wenn mir wieder befcheert tft ihn zu 
jehen, dann werde id} von ferner Gnade den möglichiten Ertrag ziehen. 

Morgen paden wir auf und geben bin wo lauter böhmijche Dör- 
fer find. Wie oft hat mir Deine Mutter gefagt wenn ich ihr allerlei 
Projekte machte, das find lauter böhmiſche Dörfer, nun bin ich be= 
gierig ein böhmifches Dorf zu fehen. Beide Lieder von Beethoven find 
hier beigelegt, die beiden andern find von mir, Beethoven hat fie ges 
fehen und mir viel Schönes darüber gefagt, daß wenn ich mich diefer 
Kunft gewidmet hätte, ich große Hoffnungen darauf bauen könnte; id) 
aber ftreife fie nur im Flug, denn meine Kunft ift Lachen und Seufzen 
in einem Sädelchen, und über die ift mir feine. 

Adieu! vieles hole ih noch nad) im böhmischen Schloß Bukowan. 

Bettine. 


An Goethe. era 
Bulowan im Praginer Kreis: Juli. 

Wie bequem iſt's, wie lieblich an Dich zu denken, unter diefem 
Dach von Tannen und Birken, die den heißen Mittag in hoher Ferne 
halten. Die ſchweren Zannzapfen glänzen und funleln mit ihrem 
Harze, wie taufend Heine Tagfterne, machen's droben nur noch heißer 
und bier unten fühler. Der blaue Himmel dedt mein hohes enges 
Haus; ich meſſe rüdlings feine Ferne wie er unerreichbar ſcheint, Doch 
trug mander jchon den Himmel in der Bruft; ift mir doch als hab 
auch ich ihn in mir feit gehalten einen Augenblick, dieſen weitgedehnten 
über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme Brüden; durch 
alle Felſen, Höhlen; über Stod und Stein in einem Strid fort der 
Himmel über mir, bi8 dort an Dein Herz, da finkt er mit mir zu⸗ 
fammen. 








333 





Liegt es denn nur in der Jugend, daß fie jo innig wolle, was 
fie will? — bift Du nicht ſo? — begehrft niht nah mir? — möch—⸗ 
teft Du nicht zumeilen bei mir fein? — Sehnſucht ift ja doch Die rechte 
Fährte, fie weckt ein höheres Leben, giebt helle Ahnung noch unerkann⸗ 
ter Wahrheiten, vernichtet allen Zweifel, und ift fie die ficherfte Pro- 
phetin feines Glückes. 

Dir find alle Reihe aufgethan, Natur, Wiffenfhaft und Kunſt, 
aus allen find ven Fragen Deiner Sehnſucht göttliche Wahrheiten zu- 
geftrömt. — Was hab ih? — ich babe Dich auf taufend ragen. 

Hier in der tiefen Felsſchlucht denk ih jo allerlei; — ih hab 
mid) einen halsbrechenden Weg heruntergewagt, wie werd ich wieder 
hinauf kommen an dieſen glatten Felswänden an denen ich vergeblich 
die Spur fuche wo ich herabgeglitten bin. — Selbftvertrauen iſt Ber- 
trauen auf Gott, er wird mich Doch nicht ſtecken laſſen! — Ich Tieg 
bier unter frifhen hohen Kräutern die mir die heiße Bruſt kühlen, 
viele Heime Würmchen und Spinnen Klettern über mid) hinaus, alles 
wimmelt gefhäftig um mich ber. Die Eiveren ſchlüpfen aus ihren 
feuchten Löchern und heben das Köpfchen und ftannen mid an mit 
ihren Mugen Augen, und [chlüpfen eilig zurück; fie ſagen's einander 
daß ich da bin, — ich der Liebling des Dichterd — e8 kommen immer 
mehr und guden. 

Ach, ſchöner Sommernahmittag! ich brauch nicht zu denken, der 
Geift fieht müßig hinauf in die kriftallne Luft. — Kein Wis, eine 
Tugend, nadt und blos ift Die Seele in der Gott fein Ebenbild erlemnt. 

Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die Sonne wie 
der. Nun lieg ich hier zwilchen Steinen auf weichem Moos von vie- 
len Srühlingen ber, die jungen Tannen dampfen heißes Harz aus, 
und rühren mit ven Aften meinen Kopf. Ih muß jevem Fröſchchen 
nahguden, mic gegen Heufchreden und Hummeln wehren, dabei bin 
ih jo faul — was joll ih mit Dir ſchwätzen, hier wo ein Hauch das 
Laub bewegt durch Das die Sonne auf meine gefchloffnen Augenlie- 
der ſpielt? — Guter Meifter ! — hör in dieſem Lispeln wie jehr Du 
meine Einſamkeit beglüdft; der Du alles weißt, und alles fühlft, und 


334 





weißt wie wenig die Worte dem innern Sinn gehorchen. — Wann 

fol ih Di wiederjehen? — Wann? — Daß ich mic nur ein Hein 

wenig an Dich anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind. 
Bettine. 


Wie ich geſtern aus meiner Faulheit erwachte und mich beſann, 
da waren die Schatten ſchon lang geworden, ih mußte mich an den 
jungen Birkenſtämmchen vie aus den Yeldrigen wachen aus meiner 
Untiefe heraufihwingen, das Schloß Bukowan mit feinen rothen Dä- 
hern und ſchönen Thürmen ſah ich nirgends, ich wußte nicht welchen 
Weg ih einjchlagen follte und entſchloß mic, furz, ein Paar Ziegen 
nach zu gehen, die brachten mich wieder zu Menſchen mit denen fie in 
einer Hütte wohnen, ich machte dieſen verftändlich daß ich nadı Buko⸗ 
wan wolle, fie begleiteten mich, der Tag ging fchlafen,der Mond ging 
auf, ich fang, weil ich Doch nicht mit ihnen ſprechen konnte, nachher 
fangen fie wieder, und fo kam ih am fpäten Abend an, ein paar- 
mal hatte ich Angft die Leute könnten mich irre führen, und war recht 
froh wie ih in meiner Heinen Thurmſtube faß. 

Ich bin Übrigens nicht ohne Beſchäftigung fo einfam es auch ift, 
an: einem Morgen hab ich mehrere Hundert Heine Badfteine gemacht, 
das Bauen ift meine Freude, mein Bruder Chriftian ift ein wahres 
Genie, er kann alles, eben ift das Modell einer Heinen Schmiede fertig 
geworden, das num auch gleich im großen ausgeführt werben fol. Die 
Erfindungsgabe dieſes Bruders ift ein unverfiegbarer Duell und id 
bin fein befter Handlanger jo weit meine Kräfte reichen, mehrere iveale 
Gebäude ftehen in Heinen Modellen um uns her in einem großen 
Saal, und da find der Aufgaben jo viele die ich zu Löfen habe, daß 
ich Abends oft ganz müde bin, e8 hindert mic, jedoch nicht, Morgens 
den Sonnenaufgang auf dem Pedeetſch zu erwarten, ein Berg der 
rund ift wie eim Badofen und hiervon ven Namen trägt, (denn Per 
deetſch heit auf böhmiſch Badofen) etwas erhöht über hundert feines 
gleihen, die wie ein großes Lager von Zelten ihn umgeben, ba jeh ich 
nnd abermals und abermals die Welt dem Licht erwachen; alleine 





335 


und einſam wie ich bin, kämpft's in meiner Seele, müßte ich länger 
bier bleiben, jo ſchön es auch ift, ich könnt's nicht aushalten. Bor 
furzem war ich noch in der großen Wienftadt, ein Treiben, ein Leben 
unter den Menſchen, als ob es nie aufhören follte, va wurden in Ges 
meinjchaft die üppigen Yrühlingstage verlebt, in ſchönen Kleidern ging 
man gejellig umher. Jeder Tag brachte neue Freude und jeder Genuß 
wurde eine Quelle interefianter Mittheilungen, über das alles hinaus 
ragte mir Beethoven, ver große übergeiftige, dev uns in eine unficht- 
bare Welt einführte, und ver Lebenskraft einen Schwung gab, daß 
man das eigne beichränfte Selbft zu einem Geifteruniverfum erweitert 
fühlte. Schade daß er nicht hier ift in diefer Einfamteit, daß ich über 
feinem Geſpräch das ewige Zirpen jener Grille vergefien möchte, vie 
nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts aufer ihrem Ton die Ein- 
ſamkeit unterbricht. — Heute habe ich mich eine ganze Stunde erercirt 
einen Kranz von Roſen mit dem Stod auf ein hohes fleinernes Kreuz 
zu Schwingen, das am Fahrweg fteht, es war vergebens, der Kranz 
entblätterte, ich jeßte mic ermübet auf die Bank Darunter, bis der 
Abend fam, und dann ging ih nah Haufe. Kannft Du glauben daß 
es mich jehr traurig machte jo einfam nach Haufe zu gehen, und daß 
e8 mir war als hänge ich mit nicht8 zufammen in der Welt, und daß 
ic) unterwegs an Deine Mutter dachte, wenn ih im Sommer zum 
Eihenheimer Thor hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu 
ihr binauf. ich warf Blumen und Kräuter, alles was th gefammelt 
hatte mitten in die Stube, und fette mich Dicht an fie heran und legte 
den Kopf ermüdet auf ihren Schooß; fie fagte: haft Du die Blumen 
jo weit hergebracht, und jet wirfft Du fie alle weg, da mußte ihr die 
Tieschen ein Gefäß bringen und fie ordnete den Strauß felbft, über 
jede einzelne Blume hielt fie ihre Betrachtung, und jagte vieles was 
mir fo wohlthätig war, als ſchmeichle mir eine liebe Hand; fie freute 
fih daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grasfamen und Beeren 
am Afte, hohe Dolven, fchöngeformte Blätter, Käfer, Moofe, Samen- 
dolden, bunte Steine, fie nannte e8 eine Mufterlarte der Natur, und 
bewahrte e8 immer mehrere Tage; manchmal bracht ich ihr auserlefene 


336 


Früchte und verbot ihr, fie zu efjen, weil fie zu ſchön waren, fie brach 
glei, einen jhöngeftreiften Pfirfih auf und fagte: man muß allem 
Ding jenen Willen thun, der Pfirfich läßt mir nun doch feine Ruh bis 
er verzehrt ift. In allem, was fie that, glaubt ich Dich zur erkennen, 
ihre Eigenheiten und Anfichten waren mir Liebe Räthſel, in denen ich 
Dich, errieth. 

Hätt ich Die Mutter noch, jo wüßt ich wo ich zu Haufe wär, ich 
würde ihren Umgang allem andern vorziehen, fie machte mich fiher 
im Denken und Handeln, manchmal verbot fie mir etwas, wenn ich 
aber doc als meinem Eigenfinn gefolgt war, verthetvigte fie mich 
gegen alle, und ba holte fie aus ihrem Enthuſiasmus, wie der 
Schmidt, der das glühenve Eifen auf dem Ambos hat, ſie fagte: wer 
der Stimme in feiner Bruft folgt, der wird feine Beſtimmung nicht 
verfehlen, dem wächſt ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend 
und jede Kraft blüht, und der die ſchönſten Eigenfhaften wie Löftliche 
Äpfel trägt, und Religton, die ihm nicht im Weg ift, ſondern feiner 
Natur angemeflen, wer aber diefer Stimme nicht horcht, der ift blind 
und taub, und muß fi von andern hinführen lafien, wo ihre Vorur⸗ 
theile fie felbft hin verbannen. Ei, fagte fie: ich wollte ja lieber vor 
der Welt zu Schanvden werden, al8 daß ich mich von PVhilifterhand 
über einen gefährlichen Steig leiten ließ, am End ift auch gar nichts 
gefährlich, als nur die Furcht felber, die bringt einem um alles. Grad 
im legten Jahr war fie am lebendigften und ſprach über alles mit 
gleihem Antheil, aus den einfachften Geſprächen entwidelten fich die 
feierlichften und edelſten Wahrheiten, die einem für das ganze Leben 
ein Talisman fein fonnten; fie jagte: der Menſch muß fich ven beften 
Plag erwählen, und ven muß er behaupten fein Leben lang, und muß 
al jeine Kräfte Daran fegen, Dann nur ift er evel und wahrhaft groß. 
Ich meine nicht einen äußern, fonbern einen innern Ehrenplatz, auf 
den und ſtets dieſe innere Stimme hinweift, könnten wir nur das 
Regiment führen in uns ſelbſt wie Napoleon das Regiment der Welt 
führt, da würde fich die Welt mit jeder Generation erneuern und über 
ſich ſelbſt hinausſchwingen. So bleibt's immer beim alten, weil’8 halt 





337 


feiner in ſich weiter treibt wie der vorige, und da langweilt man fich 
Ihon, wenn man aud eben erft angekommen ift, ja, man fühlt's gleich, 
wenn man's aud zum erſtenmal hört, daß die Weisheit ſchon altes 
abgedroſchnes Zeug ift. — Ihre franzöſiſche Einguartierung mußte 
ihr viel von Napoleon erzählen, da fühlte fie mit, alle Schauer ver 
Degeifterung; fie ſagte: Der ift ver Nechte, der in allen Herzen wie- 
verhallt mit Entzüden, höheres giebt e8 nichts, als daß fich der Menſch 
im Menſchen fühlber mache, und fo fteigere ſich die Seligkeit durch 
Menſchen und Geifter wie durch eine elektriſche Kette, um zulett als 
Funken in das himmliſche Reich überzufpringen. — Die Poeſie fei 
dazu, um das edle, einfache, große aus den Krallen des Philiſter⸗ 
thums zu retten, alles fei Poefie in feiner Urfprünglichkeit, und der 
Dichter ſei dazu, dieſe wieder bervorzurufen, weil alles nur als 
Poefie fich verewige; ihre Art zu denken bat ſich mir tief eingeprägt, 
ih kann mir imihrem Sinn auf alles Antwort geben, fie war fo ent- 
ſchieden, daß die allgemeine Meinung durchaus leinen Einfluß auf fie 
hatte, e8 kam eben alles aus fo tiefem Gefühl, fie ſagte mir oft, ihre 
Borliebe fir mich ſei blos aus der verkehrten Meinung andrer Leute 
entftanden, da habe fie gleich geahnet, daß fie mich beſſer verftehen 
werde. — Nun, ic werde mich nod auf alles befinnen, denn mein 
Gedächtniß wird mir doch nicht weniger treu fein wie mein Herz. Am 
Pfingitfeft in ihrem legten Lebensjahr, da fam ich aus dem Rheingau, 
um fie zu befuchen, fie war freudig überrafcht, wir fuhren in's Kirfchen- 
wäldchen; e8 war jo ſchön Wetter, die Blüthen wirbelten leiſe um ung 
herab wie Schnee, ich erzählte ihr von einem ähnlichen ſchönen Feiertag 
wie ich erft preizehn Jahr alt geweſen, da hab ich Nachmittags allein 
auf einer Raſenbank gefeflen, und da habe fi ein Kätzchen auf meinen 
Schooß in die Sonne gelegt und fer eingeichlafen, und ich bin fiten 
geblieben, um fie nicht zur ftören, bi8 die Sonne unterging, da fprang Die 
Rabe fort. Die Mutter lachte und fagte: damals haft Du vom Wolf: 
gang noch nichts gewußt, da haft Du mit der Kate vorlieb genommen, 

Sa, hätte ih die Mutter no! mit ihr brauchte man nicht 
Großes zu erleben, ein Sonnenftrahl, ein Schneegeftöber, der Schall 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 22 


338 


eined Pofthorns wedte Gefühle, Erinnerung und Gedanken. — Ich 
muß mid ſchämen vor Dir, daß ich jo verzagt bin. Biſt Du mir nit 
gut, und nimmft mich auf wie eme gute Gabe? — und Tann einer 
Gabe annehmen der fich nicht hingiebt der Gabe? — und iſt das 
Gabe, die nicht ganz und immerdar fih giebt? — Geht audı ein 
Schritt vorwärts, der nicht in ein neues Leben geht? — geht einer 
rückwärts, der nicht mit dent ewigen Leben verfallen wäre! — Sieht 
Du, das ift ein fehr einfaches Nechenerempel, warum man nicht ver⸗ 
zagen joll, weil das ewige feine Grenze hat. Wer will der Liebe, wer 
fann dem Geift Grenzen fegen! — Wer bat je geliebt der ſich etwas 
vorbehalten habe? Vorbehalt ift Selbftliebe. Das irdiſche Leben ift 
Gefängniß, ver Schlüffel zur Freiheit ift Liebe, fie führt aus dem ir- 
diſchen Leben in's himmlische. — Wer kann aus fich felbft erlöft wer- 
den ohne die Liebe? vie Flamme verzehrt das irdiſche um den Geift 
grenzenlofen Raum zu gewinnen, der auffliegt zum Ather, der Seufzer 
der fi in der Gottheit auflöft hat feine Grenze. Nur der Geiſt hat 
ewige Wirkung, ewiges Leben, alles andre ftirbt. Gute Nacht; gute 
Nacht, es ift um die Geifterftunde. . 

Dem Kind das fih an Dich drängt aus 

Furcht vor feinen eignen Gedanlen. 


An Bettine. 


Da Du in der Fülle intereflanter Begebenheiten und Zer⸗ 
ftreuungen der volfreihiten Stadt nicht verfäumt haft mir fo reich⸗ 
baltige Berichte zu fenden, fo wäre e8 unbillig wenn ich jeßt in Deinen 
verborgnen Schlupfwintel Dir nicht auch ein Zeichen meines Lebens 
und meiner Liebe dahinüber ſchickte. Wo ftedit Du denn? — Weit 
kann es nicht fein; Die eingeftreuten Tavenvelblüthen in Deinem Brief 
ohne Datum waren no nicht well da ich ihm erhielt, fie deuten an 
daß wir einander vielleicht näher find als wir ahnen konnten. Ver⸗ 





339 





jäume ja nicht bei Deinen allfeitigen Treiben und wunverlihen Ver⸗ 
ſuchen, der Göttin Gelegenheit, einen Tempel aus gemachten Bad» 
fleinen zu errichten, und erinnere Did) dabei daß man fie ganz kühn 
bei den drei goldnen Haaren ergreifen muß, um fich ihrer Gunft zu 
verfihern. Eigentlich Hab ich Dich ſchon hier, in Deinen Briefen, in 
Deinen Andenken und lieblihen Melodieen, und vor allem in Deinem 
Tagebuch mit dem ich mich täglich befchäftige, um mehr und mehr 
Deiner reihen erhabenen Phantafie mächtig zu werden, dod möchte 
ih Dir auch mündlich fagen können wie Du mir werth bift. 

Deine Weiſſagungen über Menjhen und Dinge über Bergangen- 
beit und Zukunft find mir lieb und nüglich, und ich verbiene aud daß 
Du mir das beite gönnft. — Treues, liebevolles Andenken hat vielleicht 
einen beſſern Einfluß auf Geſchick und Geift, als die Gunft der Sterne 
jelbft, von denen wir ja doch nicht wiflen ob wir fie nicht den Bes 
ſchwörungen ſchöner Liebe zu danken haben. 

Bon der Mutter jchreib alles auf, es ift mir wichtig; fie hatte 
Kopf und Herz zur That wie zum Gefühl. 

Was Du auf Deiner Reife gefehen und erfahren haft ſchreib mir 
alles, lafſe Dich die Einſamkeit nicht böslich anfallen, Du haft Kraft 
ihr das befte abzugewinnen. 

Schön wär's wenn das liebe Böhmer Gebirg nun auch Deine 
liebe Erſcheinung mir befcheerte. Lebe wohl liebftes Kind, fahre fort 
mit mir zu leben und laſſe mich Deine lieben ausführlichen Briefe nicht 
miſſen. Goethe. 


An Goethe. 


Dein Brief war ganz raſch da, ich glaubte Deinen Athem noch 
darin zu erhaſchen noch eh ich ihn geleſen hatte, hab ich dem eine 
Falle geſtellt, an der Landkarte bin ich auch geweſen. — Wenn ich 
heute von hier abreiſte ſo läg ich Morgen früh zu Deinen Füßen; und 
wie ich an der weichen Molltonart Deines Schreibens erkenne, ſo 

22* 


würdeſt Du mich nicht lange da ſchmachten laſſen, Du würdeſt mich 
bald an's Herz ziehen, und in ſtürmender Freude, würde gleich Cym⸗ 
bein und Pauken mit rafhem Wirbelfchlag ein durch Mark und Bein 
dringendes Finale der ſüßen Ruhe vorangehen, die mich m Deiner 
Gegenwart beglüdt. Wem entved ich's? — Die Heine Reife zu Dir? 
— Ad, nein ich ſag's nicht, es verſteht's doch keiner wie felig es mich 
machen könnte, und dann ift e8 ja auch jo allgemein die Freude der 
Begeiftrung zu verdammen, fie nennen e8 Wahnfinn und Verkehrtheit. 
— Glaub nicht, daß ich jagen dürfte wie lieb ih Dich habe, was 
man nicht begreift das findet man leicht toll, ich muß ſchweigen. Aber 
der berrlihen Göttin, die mit den Philiftern ihr Spiel treibt, Hab ich 
nad Deinem Wink und um meiner Ungebuld zu ſteuern mit felbft ge⸗ 
machten Badfteinen jhon den Grund zum Tempelchen gelegt. Hier 
male ih Dir den Grundriß: eine vieredige Halle, in der Mitte ihrer 
vier Wände, Thüren Hein und ſchmal, innerhalb derjelben eine zweite 
auf Stufen erhaben, die auch in der Mitte jeder Wand eine Thür hat; 
biefer Raum fteht aber quer, aljo, daß die Eden auf die vier Thüren 
der äußeren Halle gerichtet find; in dieſem ein dritter vierediger Raum, 
der auf Stufen erhöht liegt, nur eine Thür hat, und wieder mit dem 
äußerften Raum gleich fteht, die drei Eden welche fi durch den in—⸗ 
nerften Raum in dem zweiten abfchneiven und dur große Öffnungen 
fih an denſelben anſchließen, während die vierte Edle den Eingang zur 
Thür bildet: ftelen die Gärten der Hesperiven dar, in der Mitte auf 
mweichgepolfterten Thron die Göttin, nachläſſig hingelehnt fchießt fie 
ohne Wahl, nur fpielend nad) den goldnen Apfeln ver Hesperiven, die 
mit Sammer zujehen müſſen, wie die dem Pfeil zufällig durchſchoſſnen 
Äpfel Über die umwachte Grenze hinaus fliegen. — O Goethe! wer 
nun von außen die rechte Thür wählt, und ohne langes Befinnen durch 
die Borhallen grade zum innerften Tempel gelangt, ven Apfel am flie- 
genden Pfeil kühn erhafcht, wie glücklich ift der! 

Die Mutter fagte: alle Ihönen Empfindungen des Menſchen⸗ 
getftes, wenn fie auch auf Erden nicht auszuführen feten, fo wären fte 
dem Himmel wo alles ohne Leib, nur im Geiſt da fei, doch nicht ver- 


341 


loren. Gott habe gejagt e8 werde, und habe dadurch die ganze ſchöne 
Welt erihaffen, eben fo fei dem Menſchen dieje Kraft eingeboren was 
er im Geiſt erfinde, das werde durch diefe Kraft im Himmel erfchaffen. 
Denn der Menſch baue fich feinen Himmel felbft, und feine herrlichen 
Erfindungen verzieren das ewige unendliche Jenſeits; in biefem Sinne 
alfo baue ich unferer Göttin den ſchönen Tempel, ich begleite feine 
Wände mit lieblichen Farben und Marmorbildern. id} lege den Boden 
aus mit bunten Steinen, id fhmüde ihn mit Blumen, und erfülle 
durchwandelnd die Hallen mit dem Duft des Weihrauds, auf den 
Binnen aber bereite td} dem glückbringenden Stord ein bequemes Neft, 
und fo vertreibe ich mir die ungeduldige Zeit, vie mich aus einer Auf⸗ 
regung in die andere ftürzt. — Ach ich darf gar nicht hinhorchen in Die 
Verne, wie jonft, wenn ich in der waldrauſchenden Einjamkeit auf das 
Zwitſchern der Vögel lauſchte um ihr Neftchen zu entveden. Jetzt am 
hohen Mittag fig ich allein im Garten, und möchte nur fühlen — nicht 
denfen — was Du mir bift, da fommt fo leife ver Wind, als käm er 
von Dir; er legt fi jo friſch an's Herz, — er fpielt mit dem Staub 
zu meinen Füßen und jagt unter die tanzenden Mückchen, er ftreift mir 
die heißen Wangen, hält ſchmeichelnd ven Brand der Sonne auf; am 
unbefchnittnen Rebengeländer hebt er die Ranken, und flüftert m ven 
Blättern, dann flreift er eilend über die Felder, über die neigenden 
Blumen. Brachte er Botſchaft? hab ich ihn recht verſſanden? — Iſt's 
gewiß? er ſoll mich tauſendmal grüßen vom Freund, der gar nicht weit 
von bier meiner harrt um mich tauſendmal willfommen zu heißen? — 
Ach könnt ich noch einmal ihn fragen! — er ift fort; — laß ihn ziehen, 
zu andern die auch fich fehnen, ich wende mich zu ihm der allein mein 
Herz ergreift, mein Leben erneut mit feinem Geiſt, mit dem Hand 
feiner Worte*). 


Montag. 


Frag nur nit nad) dem Datum, ich babe feinen Kalender, und 
ih muß Dir geftehen, es iſt als ob ſich's nicht ſchicke für meine Liebe, 


*) Suleifa 180. 


342 


daß ich mich um die Zeit bekümmere. Ach Goethe! ich mag nicht hinter 
mid ſehen und aud nit vor mid. Dem himmliſchen Augenblid 
ift die Zeit ein Scharfrichter, das ſcharfe Schwert das fie über ihm 
ſchwingt, ſeh ich mit ſcheuer Ahnung bligen; nein ich will nicht Tragen 
nad der Zeit, wo ich fühle, daß vie Ewigkeit mir den Genuß nicht 
über Die Grenze des Augenblid® ausdehnen würde; aber doch wenn 
Du wiflen willft, über's Jahr vielleicht, — oder in fpäterer Zeit, 
wann es doch war daß mich die Sonne braun gebrannt hat umd ich's 
nicht jpürte vor tiefem Sinnen an Di; fo merk e8 Dir, es ift grabe 
wo die Johannisbeeren reif find, der ſpeculirende Geift des Bruders 
will ſich in einem trefflihen Goose-berry wine verſuchen, ich helfe fel- 
tern. Geſtern Abend im Mondlicht haben wir Traubenlefe gehalten, 
da flogen unzählige Nachtfalter mir um den Kopf; wir haben eine 
ganze Welt träumerifher Geſchöpfe aufgeftört bei dieſer nächtlichen 
Ernte, fie waren ganz irre geworden. Wie ich in mein Zimmer kam, 
fand ich unzählige die das Licht umfhwärmten, fie dauerten mich, ich 
wollte ihnen wieder binaushelfen, ich hielt ange das Licht vor's Fen⸗ 
fter, und habe die Halbe Nacht mit zugebracht, e8 Hat mid; feine Mühe 
verdrofien. Gothe, habe doch auch Geduld mit mir wenn ich Dich 
umſchwärme, und von den Strahlen Deines Glanzes mich nicht trennen 
will, da möchtet Du mir wohl aud gern nach Haufe leuchten. 
Bettine. 


Dienſtag. 

Heute Morgen hat der Chriſtian der auch Arzneiwiſſenſchaft treibt 
eine zahme Wachtel kurirt die in meinem Zimmer herumläuft und 
krank war, er verſuchte ihr einen Tropfen Opium einzuflößen, unver⸗ 
ſehens trat er auf ſie daß ſie ganz platt und todt da lag. Er faßte ſie 
raſch und ribbelte ſie mit beiden Händen wieder rund, da lief ſie hin 
als wenn ihr nichts gefehlt hätte, und die Krankheit iſt auch vorbei, ſie 
macht ſich gar nicht mehr dick, ſie frißt, ſie ſäuft, badet ſich und ſingt, 
alles ſtaunt die Wachtel an. 





343 


Mittwoch. 

Heute gingen wir aufs Feld um die Wirkung emer Mafchine zu 
ſehen, mit der Chriftian bet großer Dürre die Saaten wäflern will; 
ein ſich weit verbreitender Perlenregen fptelte in der Sonne und machte 
uns viel Vergnügen. Mit dieſem Bruder geh ich gern fpazieren, er 
ſchlendert fo vor mir ber, und findet überall was Merkwürdiges; er 
fennt das Reben der Heinen Infelten und ihre Wohnungen und wie fie 
fih nähren und mehren; alle Pflanzen nennt er, und kennt ihre Ab⸗ 
kunft und Eigenfchaften, manchmal bleibt er den ganzen Tag auf einem 
led liegen und fimulirt, wer weiß was er da alles denkt, in keiner 
Stadt gäb's foviel zu thun als was feine Erfindjamleit jeden Augen- 
blick aushedt; bald hab ich beim Schmidt, bald bei dem Zimmermann 
oder Maurer fubtile Geſchäfte für ihn, bei dem einen zieh ich den 
Blasbalg, bei dem andern halte ih Schnur und Richtmaaß. Mit der 
Nähnadel und Schere muß ich auch eingreifen; eine Reifemüte hat er 
erfunden deren Zipfel fi) in einen Somenſchirm ausbreitet, und einen 
Reiſewagen rumd wie eine Pande, mit Lämmerfell ausgeſchlagen, ver 
von felbft fährt; Gedichte macht er auch, eim Luſtſpiel hat er gemacht 
zum Lachen für Mund und Herz; auf der Flöte bläft er in bie tiefe 
Nacht hinein felbft gemachte ſehr ſchöne brillante Variationen die Im 
ganzen Praginer Kreis wiederhallen. Er Iehrt mid reiten und das 
Pferd regieren wie ein Mann; er läßt mich ohne Sattel reiten, und 
wundert fi) daß ich figen bleib im Galopp. Der Saul will mich nicht 
fallen laͤſſen, er kneipt mich in den Fuß zum Scherz und daß ih Muth 
haben joll, er ift vielleicht ein verwäünfchter Prinz dem ich gefall. Fech- 
ten lehrt mich der Chriftian auch, mit der linken Hand und mit ber 
rechten, und nad) dem Ziel ſchießen nach einer großen Sommenblume, 
das lern ich alles mit Eifer, damit mein Leben dod nicht gar zu dumm 
wird, wenn's wieder Krieg giebt ; heute Abend waren wir auf der Jagd 
und haben Schmetterlinge gefchoflen, zwei hab ich getroffen auf einen 
Schuß. 

So geht der Tag raſch vorüber, erſt fürchtete ich vor Zeitüberfluß 
allzulange Briefe zu ſchreiben, oder Dich mit ſpeculativen Gedanken 


344 


Aber Gott und Religion zu behelligen, weil ic in Landshut viel in 
der Bibel gelefen babe und in Luther's Schriften. Jetzt ift mir alles 
io rund wie die Weltfugel, wo venn gar nichts zu bedenken ift, weil 
wir nirgend wo herunterfallen können, ‘Deine Lieder finge ih im 
Geben in der freien Natur, da finden ſich die Melopieen von felbft die 
meiner Erfindung den rechten Rythmus geben; in dev Wildniß mad 
ich bedeutende Fortichritte, das Heißt fühne Säge von einer Klippe zur 
andern. Da hab ich einen Heinen Tummelplatz von Eihhörnchen ent- 
det, unter einem Baum lagen eine große Menge vreiediger Nüfle, 
auf dem Baum ſaßen zum wenigften ein Dutend Eihhörnden und 
warfen mir die Schalen auf ven Kopf, ich blieb ſtill unten liegen und 
fah durch die Zweige ihren Balletfprüngen und mimifhen Tanz zu, 
was man mit fo großem Genuß verzehren fieht, das macht einem auch 
unwiderſtehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch voll dieſer Nüſſe, 
die man Bucheckern nennt, gefammelt, und die ganze Nacht daran ge- 
Inujpert wie die Eichhörnchen; wie ſchön fpetfen die Thiere des Wal 
des, wie annmuthig bewegen fie fich dabei, und wie bejchreibt fih im 
ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungsmittel, Man fieht 
der Ziege gleih an daß fie gerne fäuerliche Kräuter frißt denn fie 
ſchmazt. Die Menſchen jeh ich nicht gerne efien, da fühl ich mich be- 
Ihämt. Der Gerud aus der Küche wo allerlei bereitet wird, kränkt 
mid, da wird gejotten und gebraten und geſpickt; ‘Du weißt vielleicht 
nicht was das iſt? — Das ift eine gewaltig große Nähnadel in die 
wirb Sped eingefäbelt, und damit wird das Fleiſch der Thierd benäht, 
da ſetzen fi) die vornehmen, gebilveten Männer die den Staat regie- 
zen an die Tafel und kauen in Gejellihaft. In Wien wie fie ven Ty⸗ 
rolern Berzeihung für die Revolution ausgemacht haben, die fie doch 
felbft angezettelt hatten, und Haben den Hofer an die Franzoſen ver- 
fauft, das ift alles bei Tafel ausgemacht worden, mit trunfnem Muth 
ließ fih Das ohne fonverlihe Gewiſſensbiſſe einrichten. 

Die Diplomaten haben zwar die Liſt des Teufels, der Teufel hat 
fie aber doch zum beften, das fieht man an ihren närrifchen Gefichtern, 
auf denen der Teufel alle ihre Intriguen abmalt. In was liegt denn 








345 


pie höchſte Würde ald nur im Dienft der Menſchheit, welche herrliche 
Aufgabe für ven Landesherrn, daß alle Kinder kommen und flehen: 
gieb uns unfer täglih Brod! — und daß er jagen kann: da habt! 
nehmt alles, denn ich bedarf nur daß Ihr verjorgt ſeid, ja wahrlich! 
was Tann einer für fich haben wollen als alles nur für andre zu ha- 
ben, das wäre der befte Schulventilger; aber den armen Tyrolern ha⸗ 
ben fie doch ihre Schulden nicht bezahlt. Ach was geht mid das alles 
an, der Bothe geht ab und nım hab ich Dir nichts geſchrieben von vie- 
lem, was ich Dir Jagen wollte, ach wenn e8 doch käme daß ih Dich 
bald begegnete was gewiß werden wird, ja e8 muß wahr werben. 
Dann wollen wir alle Welthändel fein lafjen, und wollen jeve Minute 
gewifienhaft verwenden. *) Bettine. 


An Bettine. 
Töplitz. 

Deine Briefe, allerliebſte Bettine ſind von der Art, daß man 
jederzeit glaubt der legte ſei der intereſſanteſte. So ging mir's mit den 
Blättern die Du mitgebracht hatteft, und die ich am Morgen Deiner 
Abreiſe fleißig las und wieder las. Nun aber kam Dein legtes das 
alle die andern übertrifft **). Kannft Du fo fortfahren Dich felbft zu 
überbieten jo thue e8, Du haft fo viel mit Dir genommen, Daß es wohl 
billig ift etwas aus der Ferne zu jenden. Gehe Dir’s wohl! 


Goethe. 
Deinen nächſten Brief muß ich Durch Herm Hauptmann 
mir unter gegenüberftehender Adrefje von Verlohren 
exbitten wie ominös! O weh! Was m 


wird er enthalten? Dresden. 


») Hier ift eine Lüde in der Correſpondenz. 
”*, Briefe und Blätter fehlen. 


346 


An Goethe. 
Berlin, am 17. Oltober. 

Beſchuldige mich nicht daß ich fo viel mit mir fortgenommen 
habe, denn wahrlich ich fühle mich fo verarmt, daß ich mich nach allen 
Seiten umjehe nad etwas an daß ich mich halten kann; gieb mir et- 
was zu thun wozu ich fein Tageslicht brauche, Tein Zufammenfein mit 
den Menſchen, und was mir Muth giebt allein zu fein. ‘Diefer Ort 
gefällt mir nicht, bier find leine Höhen von denen man in die Verne 
ſchauen könnte. 


Am 18. 

Ich flieg einmal auf einen Berg. — Ach! — was mein Herz 
beſchwert? — find Kleinigkeiten jagen die Menſchen — Zufammen- 
hängend fchreiben? ich könnte meiner Lebtag die Wahrheit nicht her⸗ 
vorbringen; ſeitdem wir in Töplit zufammen gejellen haben, was ſoll 
ih Div noch lang ſchreiben was der Tag mit fih bringt, das Leben 
ift nur ſchön wenn ich mit Dir bin. — Nein ich kann Dir nichts zu- 
ſammenhängendes erzählen, buchſtabir Dich durch wie Damals durd 
mein Geſchwätz. — Schreib id) dem nicht immer was ich Schon hun⸗ 
verttaufenpmal gejagt habe? — Die da von Dresven famen erzähl 
ten mir viel von Deinen Wegen und Stegen, grad als wollten fie ja 
gen: Dein Hausgott war anf andrer Leute Herd zu Gaft, und hat 
fih da gefallen. 3..... bat Dein Bild überlommen und bat es 
wieder fein graubraunes Conterfei geftütt; ich ſeh in die Welt, und 
in dieſem tanfendfältigen Narrenfpiegel jeh ich häufig Dein Bild das 
von Narren geliebloft wird. Du kannſt doch wohl denken daß Dies 
mir nicht erfreulich ift. Du und Schiller, Ihr wart Freunde und Eure 
Freundſchaft hatte eine Baſis im Geifterreih; aber Goethe dieſe nach— 
kömmlichen Bündniſſe die gemahnen mid, grad wie die Trauerjchleppe 
einer erhabenen vergangenen Zeit die durch allen Schmitt des gemei- 
nen Lebens nachſchleppt. — Wenn ich mich bereite Dir zu fehreiben, 
und denfe fo in mich hinein, da fallen mir allemal die einzelnen Mo⸗ 
mente meines Lebens ein, die jo ruhig, fo auffaßlich in mich herein 


347 


gelungen haben, wie allenfall® einem Maler ähnlihe Momente in der 
Natur wieder erfheinen wenn er mit Luft etwas malt; fo gedenke ich 
jegt der Abendvämmerung im beißen Monat Auguft wie Du am 
Tenfter ſaßeſt und ich vor Dir ftand, und wie wir Die Rede wechlelten, 
ich hatte meinen Blic wie ein Pfeil ſcharf Dir in's Auge gedrückt, und 
fo blieb ich drinn haften und bohrte mid immer tiefer und tiefer ein 
und wir waren beide ftille, und Du zogſt meine aufgelößten Haare 
durch Die Finger. Ach Goethe, da fragteft Du ob ich künftig ‘Deiner 
gedenken werde beim Licht der Sterne, und ich hab e8 Dir verſprochen; 
jet haben wir Mitte Oftober und ſchon oft hab ich nach den Sternen 
gefeben und habe Deiner gedacht, e& überläuft mic Falter Schauer, 
und Du, der meinen Blid dahin gebannt hat, deunke doch wie oft ich 
noch hinauf bliden werde, jo jchreib e8 denn auch täglich neu in Die 
Sterne daß Du mich liebft, damit ich nicht verzweifeln muß, fondern 
daß mir Troft von den Sternen nieverleudhtet, jetzt wo wir nicht bei 
einander find. Vorm Jahr um diefe Zeit da ging ih an einem Tag 
weit ſpazieren und blieb auf einem Berg fiten, da oben fpielte ich mit 
dem gligernden Sand den die Sonne beſchien, und fnipfte den Samen 
aus den verborrten Stäudchen, bei mit Nebel kämpfender Abenpröthe 
ging ich und überſah alle Lande, ich war frei im Herzen, denn meine 
Liebe zu Dir macht mich frei. — So was beengt mic, zuweilen, wie 
damals die erfriſchende Luft mich kräftig, ja beinah geſcheut machte, 
daß ich nicht immer geh, immer wandre unter freiem Himmel, und 
mit der Natur ſpreche. Ein Sturmwind nimmt in größter Schnelle 
ganze Thäler ein, alles berührt ex, alles bewegt er, und der e8 empfin- 
det wird von Begeiftrung ergriffen. Die gewaltige Natur läßt feinen 
Raum und bedarf feinen Raum, was fie mit ihrem Zauberfreis um- 
ſchlingt das ift herein gebannt. O Goethe, Du bift aud) hinein gebannt, 
in feinem Wort, in keinem Haud) Deiner Gevichte läßt fie Dich los. 
— Und wieder muß ich vor dieſer Menſchwerdung niederfnien, und 
muß Dich Iteben und begehren wie alle Natur. — 

Da wollt id) Dir noch viel fagen, ward abgerufen und heute am 
29. Oktober fomme ich wieder zum fchreiben. — Es ift halt überall 





f 
| 


348 





ruhig, oder vielmehr dde, Daß die Wahrheit jet, dazu gehört nicht 
einer; aber daß vie Wahrheit ſich an ihnen bewähre dazu gehören alle 
Menſchen. Mann! deſſen Fleiſch und Bein fo von der Schönheit 
Deiner Seele durchdrungen tft, wie darf ich Xeib und Seele fo bei« 
fammen lieb haben! — oft dent ich bei mir, ich möchte befjer und herr- 
licher fein damit ich doch die Anſprüche an Dich rechtfertigen könnte, 
aber kann ich's? — Dann muß ih an Dich denen, Did) vor mir 
ſehen, und babe nichts wenn mir die Liebe nicht als Verbienft gelten 
fol? — ſolche Liebe ift nicht unfruchtbar. — Und Tod darf ich nicht 
nachdenken, ih könnte mir den Tod daran holen, ift was daran ge 
legen? — ja wohl! ich hab eine Wiege in Deinem Herzen und wer 
mich da heraus ftiehlt, fei e8 Top oder Reben der raubt Dir ein Kind. 
Ein Kopfliffen möcht ich mit Div haben, aber ein hartes; ſag es nie- 
mand daß ich jo bei Dir liegen möchte, in tieffter Ruhe an ‘Deiner 
Seite. Es giebt viele Auswege und Durchgänge in der Welt, einfame 
Wälder und Höhlen die fein Ende haben, aber feiner ift fo zum Schlaf, 
zum Wohlfein eingerichtet al8 nur der Schooß Gottes; ich dent mir's 
da breit und behaglih, und daß einer mit dem Kopf auf des andern 
Druft ruhe, und daß ein warmer Athem am Herzen binftreife, was 
id mir jo ſehr wünſche zu fühlen, Deinen Athem. 
Bettine. 


An Bettine. 
Lücke in der Correſpondenz. 
Nun bin ich, liebe Bettine, wieder in Weimar anſäſſig und hätte 
Dir ſchon lange für Deine lieben Blätter”) danken ſollen die mir alle 
nah und nach zugelommen find, befonders für Dein Andenken vom 
28. Auguft. Anftatt nun alfo Dir zu jagen wie es mir geht wovon 
nicht viel zu jagen ift, ſo bring ich eine freundliche Bitte an Dich, Da 
Du doch nicht aufhören wirft mir gern zu fchreiben, und ich nicht 


*) Die Blätter fehlen. 








349 

' 
aufhören werbe Dich gern zu lefen, fo könnteſt Du mir noch neben ber 
einen Gefallen thun. Ich will Div nämlich befennen daß ich im Be- 
griff bin meine Belenntniffe zu jchreiben, daraus mag num ein Roman 
oder eine Geſchichte werden, das läßt fih nicht vorausfehn;, aber in 
jedem Fall bedarf ich Deiner Beihülfe. Meine gute Mutter ift abges 
ihieden, und fo mandye andre die mir das Vergangne wieder hervor⸗ 
rufen könnten, das ich meiſtens vergellen habe. Nun haft Du eine 
ihöne Zeit mit der theuern Mutter gelebt, haft ihre Mährchen und 
Anekdoten wiederholt vernommen, und trägft und hegſt alles im fri« 
chen belebenden Gedächtniß. Sete Dich aljo nur gleich Hin und fchreibe 
nieder was ſich auf mich und die Meinigen bezieht, und Du wirft mid) 
Dadurch jehr erfreuen und verbinden. Schide von Zeit zu Zeit etwas, 
und jpri mir dabei von Div und Deiner Umgebung. Liebe mid, bis 
zum Wiederfehn. 

Weimar, am 25. Oftober 1810. G. 


Am 4. November. 

Du haſt doch immer eine Urſache mir zu ſchreiben, ich hab aber 
nichts behalten, noch in Betracht gezogen, als nur das Ende: „Liebe 
mich bis zum Wiederſehn.“ Hätteſt Du dieſe letzten Worte nicht hin⸗ 
geſetzt, fo hätt ich vielleicht noch Rückſicht genommen auf's vorherge⸗ 
hende; dieſe einzige Freundlichkeit hat mich überſchwemmt, hat mich 
gefangen gehalten in tauſend ſüßen Gedanken von geſtern Abend an 
bis wieder heut Abend. Aus dem allen kannſt Du ſchließen, daß mir 
Dein Brief ungefähr vor vierundzwanzig Stunden friſche Luft in's 
Zimmer gebracht hat. Nun war ich aber ſeitdem wie ein Dachs, dem 
die Winterwelt zu ſchlecht ift, und habe mich im den warmen Boden 
meiner eignen Gedanken vergraben. Was Dir verlangft, hat für mich 
immer den Werth, daß ich e8 der Gabe würdig achte; ich gebe daher 
die Nahrung, das Leben zweier regen Jahre gern in Dein Gewahr- 
jam, es ift wenig in Bezug auf viel, aber unendlich, weil es einzig ift; 





350 


Du jelber könnteft Dich vielleiht wundern, daß ich Dinge in den 
Tempel eintrug, und mein Dajein Durch fie weihte, Die man doch aller 
Orten findet; an jeder Hede kann man in der Frühlingszeit Blüthen 
abbrechen; aber wie, lieber Herr! fo unfcheinbar die Blüthe auch ift, 
wenn fie nun nah Jahren immer noch duftet und grünt? — Deine 
Mutter gebar Dich in ihrem fiebzehnten Jahr, und im ſechsundſieb⸗ 
zigften konnte fie alles noch mitleben was in Deinen eriten Jahren 
porging, und fie befäete das junge Feld, das guten Boden, aber Teine 
Blumen hatte, mit diefen ewigen Blüthen; und jo kann ih Div wohl 
gefallen, da ich gleihfam ein duftender Garten diefer Erinnerungen 
bin, worunter Deiner Dutter Zärtlichkeit die ſchönſte Blüthe ift, und — 
darf ich's jagen? — meine Treue Die gewaltigfte. — Ich trug num 
Ihon früher Sorge darum, daß, was bei der Mutter fo kräftig Wur⸗ 
zeln ſchlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in füßer Frucht 
vom hoben Stamm an die Erde nieverrollen möchte. Nun höre! — 
da lernte ih in Münden einen jungen Arzt kennen, verbranntes, von 
Blattern zerrifienes Gefiht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große 
ausgebreitete Natur, aber grade darum in ſich fertig und geſchloſſen, 
fonnte den Teufel nicht al8 das abfolut Böſe erfafien, aber wohl ale 
einen Kerl mit zwei Hörmern und Bodsfüßen (natürlich an den Hör- 
nern läßt fi einer paden, wenn man Courage bat), der Weg feiner 
Begeifterung ging nicht auf einer Himmels⸗ aber wohl auf einer Hüh- 
nerleiter in jeine Kammer, allwo er auf eigne Koften mit armen Kran⸗ 
fen darbte und freudig das Seinige mit ihnen theilte, feine junge, 
enthufiaftiihe Kunft an ihnen gedeihen machte; — er war ſtumm durch 
Krankheit bis in fein viertes Jahr, ein Donnerſchlag löſte ihm vie 
Zunge, mit funfzehn Jahren follte er Soldat werben; dafür, daß er 
des Generals wildes Pferd zähmte, gab ihn dieſer frei, dadurch, daß er 
einen Wahnmitigen kurirte, befam er eine Heine unbequeme Stelle 
in Münden, in diefer Lage lernte ich ihn kennen, bald ging er bei mir 
aus und ein, Diefer gute Geift, reich an Evelmuth, der außerdem nichts 
hatte als feine Einjamleit ; nach befhwerlicher Tageslaft, aus hülfrei⸗ 
her Leidenſchaft Lief er oft noch Abends fpät meilenweite Streden, 








351 


um die gefangnen Tyroler zu begegnen und ihnen Geld zuzufteden, 
oder er begleitete mich auf den Schnedenthurm, wo man die fernen 
Alpen fehen kann, da haben wir überlegt, wenn wir Nebel over röth- 
lichen Schein am Himmel bemerften, ob's euer fein könnte, da hab 
ich ihm auch oft meine Pläne mitgetheilt, daß ich hinüber möchte zu 
ven Tyrolern, da haben wir auf der Karte einen Weg ausftudiert, 
und ich fah e8 ihm auf dem Geficht gefchrieben, dag er nur meiner 
Befehle harre. 

Sp wars, da in Augsburg die peftartigen Lazarethe fich häuften 
und in kurzer Zeit die Ärzte mit den Kranken wegrafften ; mein junger 
Eisbrecher wanderte hin, um Laft und Gefahr einem alten Lehrer ab⸗ 
‚unehmen, der Samilienvater war, er ging mit jchwerer Ahnung, id) 
gab ihn ein Sacktuch, alten Wein und das Verſprechen zu ſchreiben 
zum Abſchied. Da wurde denn überlegt und all des Guten gebadht, 
was fih während diefer kurzen Belanntichaft ereignet hatte, und Da 
wurde überdacht, daß meine Worte über Dich, mein liebendes Willen 
von Dir und der Mutter, ein heiliger Schag fet, der nicht verloren 
gehen folle, in der außern Schale der Armuth würde ein folches Kleinod 
am heiligften bewahrt fein, und jo kam's, daß meine Briefe mit den 
einzelnen Anekdoten Deiner Jugend erfüllt waren, Deren eine jede, wie 
Geifter zu rechter Zeit eintrat, und Laune und Verdruß verſcheuchten. 
— Der Zufall, und ver geheiligte, trägt auf feinen tauſendfach be- 
ladenen Schwingen auch dieſe Briefe, und vielleicht wird e8 jo, Daß 
wenn Fülle und Üppigkeit einft fi wieder durch das mißhanbelte 
Fruchtland emporvrängen, auch er die goldne Frucht niederjchüttelt 
in’8 allgemeine Wohl. 

Mandes habe ich ſchon in dermaliger Zeit mit wenig Worten 
gebeutet, mehr zu Div darüber ſprechend, da ich Dich noch nicht kannte, 
nicht gejehen hatte, oder aud war ich mit dem Senkblei tief in eignes 
Wohl und Weh eingedrungen. — Berftehft Du mich? — da Du mid 
liebſt? — 

Willſt Du ſo daß ich Dir die ehemalige Zeit vortrage, wo, 
ſo wie mir Dein Geiſt erſchien, ich mich meiner eignen Geiſtigkeit 


352 


bemädtigte, um ihn zu fafjen, zu lieben. — Und warum follte ich nicht 
ſchwindeln vor Begeifterung, ift denn. das mögliche Hinabſtürzen fo 
furchtbar? — Wie der Edelſtein vom einfamen Strahl berührt, tau⸗ 
jendfadhe Farben ihm entgegenfpiegelt, jo auch wird Deine Schönheit 
vom Strahl der Begeifterung allein beleuchtet, tauſendfach bereichert. 

Nur erft, wenn alles begriffen ift, kann das Etwas feinen vollen 
Werth erweifen, und jomit begreifft Du mid, wenn id, Dir erzähle, 
daß das Wochenbett Deiner Mutter, worin fie Dich zur Welt brachte, 
blaugewürfelte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahre alt 
und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte fie, Du würdeſt wohl ewig 
jung bleiben, und Dein Herz würde nie veralten, da Du die Jugend 
der Mutter mit in den Kauf habeft. Drei Tage bedachteſt Du Dich 
eh Du an's Weltliht kamſt und machteft ver Mutter ſchwere Stunden. 
Aus Zorn, daß Did die Noth aus dem eingebomen Wohnort trieb, 
und durd die Mißhandlung der Amme kamſt Du ganz ſchwarz und 
ohne Tebenszeihen. Sie legten Dich in einen fogenannten Fleiſcharden 
und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz an Deinem Leben 
verzweifelnd. Deine Großmutter ftand Hinter dem Bett, al8 Du zuerft 
die Augen aufihlugft, rief fie hervor: Räthin, er lebt! „va er- 
wachte mein möütterliches Herz und lebte feitvem in fortwährender 
Begeifterung bis zu diefer Stunde!” fagte fie mir in ihrem fünfund- 
fiebzigften Jahre. Dein Großvater, der der Stadt ein herrlicher Bürger 
und damals Syndikus war, wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl 
der Stadt an, und fo wurde auch Deine ſchwere Geburt die Veran⸗ 
lafjung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen einfegte. „Schen 
in ber Wiege war er ven Menſchen eine Wohlthat,* fagte die Mutter, 
fie legte Dich an ihre Bruft, allein Dir warft nicht zum Saugen zu 
bringen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An viefer hat er mit 
vechtem Appetit und Behagen getrunten, da es fih nun fand, fagte fie, 
daß ich feine Milch hatte, jo merkten wir bald, daß er gefcheuter ge- 
weſen war wie wir alle, da er nicht an mir trinken wollte. 

Siehft Du, nun bift Du einmal geboren, nun fanıı ih ſchon 
immer ein wenig pauftren, nun bift Du einmal da, ein jeder Augenblid 








353 


ift mir lieb genug um dabei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht 
herbeirufen, daß er mich vom erften verbränge — Wo Du bift 
ift Lieb und Güte, wo Du bift Natur! — jetzt wart ich's erſt 
ab daß Du mir wieder fhreibeft: „Nun erzähl weiter.“ Dann werd 
ich erft fragen: Nun, wo find wir denn geblieben? — und dann werd 
ih Dir erzählen von Deinen Großeltern, von Deinen Träumen, 
Schönheit, Stolz, Liebe ꝛc. Amen. 
Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer durch Mark 

und Bein, fo oft e8 die Mutter im erhöhten Freudenton vortrug. 

Das Schwert der Gefahr 

Hängt oft an einem Baar, 

Aber der Segen einer Ewigkeit 

Liegt oft in einem Blick der Gnade bereit. 


kann man bei Deiner Geburt wohl jagen. Bettine. 


P. S. 


Schreib bald, Herzenskind, dann wirft Du aud bald wachfen, in 
die liebften Jahre fommen, wo Dein Muthwille Dich allen gefährlich 
machte und über alle Gefahr binweghob. — Soll ih Dir befennen, 
daß diefes Gefhäft mir Schmerzen macht, und daß die taufend Ge- 
danken ſich um mich herlagern, al8 wollten fie mich für ewig gefangen 
nehmen. 

Zelter läutet und bummelt mir Deine Lieder vor, wie eine Glode, 
die von einem faulen Küfter angeläutet wird, e8 geht immer Bim und 
zu fpät wieder Bam. Sie fallen alle über einander ber, Zelter über 
Reichard, diefer über Hummel, diefer Über Righini und diefer wieder 
über den Zelter, es könnte ein jeder fich ſelbſt ausprügeln, fo hätte er 
immer den andern einen größeren Gefallen gethan, als wenn er ihn 
zum Conzert eingelaben hätte. Nur die Todten follen fie mir ruhen 
lafien, und dem Beethoven, der gleich bei feiner Geburt auf ihr Erb- 
theil Berzicht gethan bat. Das gilt aber alles nichts ..... Lieber 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 23 


352 





bemädtigte, um ihn zu faflen, zu Lieben. — Und warum follte ich nicht 
ſchwindeln vor Begeifterung, ift denn. das mögliche Hinabftürzen fo 
furchtbar? — Wie der Evelftein vom eimfamen Strahl berührt, tau- 
ſendfache Farben ihm entgegenfpiegelt, jo au wird Deine Schönheit 
vom Strahl der Begeifterung allein beleuchtet, tauſendfach bereichert. 

Nur erft, wenn alles begriffen iſt, kann das Etwas feinen vollen 
Werth erweifen, und fomit begreifft Du mi, wenn ih Dir erzähle, 
daß das Wochenbett Deiner Mutter, worin fie Dich zur Welt brachte, 
blaugewürfelte Vorhänge hatte. Site war damals achtzehn Jahre alt 
und ein Jahr verbeirathet, hier bemerkte fie, ‘Du würdeſt wohl ewig 
jung bleiben, und ‘Dein Herz würde nie veralten, da Du die Jugend 
der Mutter mit in ven Kauf babeft. ‘Drei Tage bedachteſt Du Did) 
eh Du an's Weltlicht kamſt und machteft ver Mutter ſchwere Stunden. 
Aus Zorn, dag Dich die Noth aus den eingebornen Wohnort trieb, 
und durd) die Mißhandlung der Amme kamſt Du ganz ſchwarz und 
ohne Rebenszeihen. Sie legten Dich in einen fogenannten Fleiſcharden 
und bäbeten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz an Deinem Leben 
verzweifelnd. Deine Großmutter ftand hinter dem Bett, ald Du zuerft 
die Angen aufſchlugſt, rief fie hervor: Räthin, er lebt! „va er- 
wachte mein mütterliches Herz und lebte feitven in fortwährender 
Begeifterung bis zu dieſer Stunde!“ fagte fie mir in ihrem fünfund- 
fiebzigften Jahre. ‘Dein Großvater, der der Stabt ein herrlicher Bürger 
und damals Syndilus war, wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl 
der Stadt an, und fo wurde aud Deine ſchwere Geburt die Beran- 
laſſung, daß man einen Geburtöhelfer für die Armen einjegte. „Schon 
in der Wiege war er den Menſchen eine Wohlthat,” jagte die Mutter, 
fie legte Dich an ihre Bruft, allein Du warft nicht zum Saugen zu 
bringen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An viefer bat er mit 
vechtem Uppetit und Behagen getrunfen, da es fih nun fand, fagte fie, 
daß ich feine Milch Hatte, fo merkten wir bald, daß er gefcheuter ge- 
weſen war wie wir alle, da er nit an mir trinken wollte. 

Siehft Du, num bift Du einmal geboren, nun kann ich ſchon 
Immer ein wenig paufiren, nun bift Du einmal da, ein jeder Augenblid 


353 


ift mir lieb genug um dabei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht 
berbeirufen, daß er mich vom erſten verbränge — Wo Du bift 
ift Lieb und Güte, wo Du bift Natur! — jegt wart ich's erft 
ab dag Du mir wieder fehreibeft: Nun erzähl weiter.” Dann werd 
ich erft fragen: Nun, wo find wir denn geblieben? — und dann werd 
ih Dir erzählen von Deinen Großeltern, von Deinen Träumen, 
Schönheit, Stolz, Liebe ıc. Amen. 
Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer durch Marl 

und Bein, fo oft e8 die Mutter im erhöhten Frendenton vortrug. 

Das Schwert der Gefahr 

Hängt oft an einem Haar, 

Aber der Segen einer Ewigkeit 

Liegt oft im einem Blick der Gnade bereit. 


kann man bei Deiner Geburt wohl fagen. Bettine. 


p. s. 


Schreib bald, Herzenskind, dann wirft Du aud bald wachſen, in 
vie liebften Jahre kommen, wo Dein Muthwille Dich allen gefährlich 
machte und über alle Gefahr hinweghob. — Soll ih Dir bekennen, 
daß dieſes Gefhäft mir Schmerzen macht, und daß die tauſend Ge- 
danken ſich um mich herlagern, als wollten fie mich für ewig gefangen 
nehmen. 

Zelter läutet und bummelt mir Deine Lieder vor, wie eine Glocke, 
die von einem faulen Küfter angeläutet wird, e8 geht immer Bim und 
zu fpät wieder Bam. Sie fallen alle über einanver her, Zelter über 
Reichard, dieſer über Hummel, diefer über Righini und diefer wieder 
über den Zelter; es könnte ein jeder ſich felbft ausprügeln, fo hätte er 
immer den andern einen größeren Gefallen gethan, als wenn er ihn 
zum Conzert eingeladen hätte. Nur die Todten follen fie mir ruhen 
laſſen, und dem Beethoven, der gleich bei feiner Geburt auf ihr Erb⸗ 
theil Verzicht gethan Hat. Das gilt aber alles nichts ..... Lieber 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 23 








354 


Freund! wer Dich lieb hat wie ich, der fingt Dich im tiefiten Herzen, 
das kann aber keiner mit fo breiten Knochen und fo langer Weſte. 

Schreib bald, fehreib gleih, wenn Du wüßteft wie in einem ein- 
zigen Wort von Dir, oft ein ſchwerer Traum gelöft wird! — ruf mir 
nur zu: „Kind ich bin ja bei Dir!" dann ift alles gut. Thu es. 

Würde es Dich nicht intereffiren, Briefe, die Du an Jugend⸗ 
freunde gefchrieben, wieder zu befommen? — Schreib darüber, fie 
könnten Dich doch wohl um fo lebhafter in die damalige Zeit verjegen, 
und derfelben zum Theil babhaft zu werden, wäre doch auch nicht un- 
möglih, antworte mir lieber Yreund, unterdeſſen will ich feinen Tag 
vergehen lafjen, ohne an Deiner Aufgabe zu arbeiten. 


Un Bettine. 


Hier die Duette! In diefem Augenblid habe ich nicht mehr 
Taflung und Ruhe, als Dir zu fagen, fahre fort fo lieb und anmuthig 
zu fein. Laß mich num bald tanfen! Adieu. 

12. November 1810. ©. 


Mein theuerfter Freund. 


Ich kenne Dich nicht! nein, ich kenne Dich nicht! ich Tann Deine 
Worte mißverftehen, ih Tann mir Sorgen um Did machen, da Du 
doc Treiheit haft über aller Sclaveret, da doch Dein Antlig nie vom 
Unglüd überjhattet war, und ich kann Furcht haben bei dem ebelften 
Saftfreund des Glückes? — die wahre Liebe bat kein Bekümmerniß. 
Ich babe mir oft vorgenommen, daß ich Dich viel zu Heilig halten 
will, al8 elende Angft um Dich zu begen, und daß Du in mir nur 
Troſt und Freude hervorbringen ſollſt. Sei e8 wie e8 mag, hab ich 
Dich aud nicht, fo hab th Dich doch, — und nicht wahr, in meinen 








355 





Briefen da fühlt Du daß ih Wahrheit rede? da haft Du mid, — 
und ih? — weiſſagend verfolge ich die Züge Deiner Feder, die Hand, 
die mir gnäbig ift, hat fie geführt, da8 Auge, das mir wohl will, hat 
fie überfehen, und der Geift, der jo vieles, jo verſchiednes umfängt, 
bat fih eine Minute lang ausſchließlich zu mir gewendet, — da hab 
ih Di, — fol ih Dir einen Commentar hierzu machen? — Ein 
Augenblid ift ein ſchicklicherer Raum für eine göttliche Erſcheinung als 
eine halbe Stunde — ver Augenblid, ven Du mir ſchenkſt, macht mich 
feliger als das ganze Leben. 

Heute am 24. hab ich die Duetten erhalten mit den wenigen 
Zeilen von Dir, die mid auf's Gerathewohl irre führten, e8 war mir 
als könnteſt Du krank fein, oder — ich weiß nicht was ich mir alles 
dachte, aber daran dachte ich nicht, dag Du in jenem Augenblid, blos 
weil Dein Herz fo voll war, fo viel in fo wenig Worten ausprüden 
fönnteft, und endlich, für Dich iſt ja nichts zu fürchten, nicht zu zittern. 
Aber wenn auch! — Weh mir, wenn id Dir nicht freudig folgen 
könnte, wenn meine Liebe ven Weg nicht fände, der Dir immer fo nah 
ift, wie mein Herz dem Deinigen ift und war. Bettine, 


Hierbei ſchicke ih Dir Blätter mit allerlei Geſchichten und Notizen 
aus Deinem und der Mutter Leben. Es ift die Frage, ob Du es wirft 
brauchen können, jchreib mir, ob Dir mehr erforverlich ift, in dieſem 
Tall müßte ich das Notizbuch zurüderhalten was ich bier mitſchicke, 
ich glaub aber gewiß, daß Du befjer und mehr darin finden wirft, als 
ich noch hinzuſetzen könnte. Verzeih alles Überflüffige, wozu denn wohl 
am erſten die Tintenkleckſe und ausgeftrihenen Worte gehören. 


An Goethe. 


Die Himmel dehnen fi) fo weit vor mir, alle Berge, die ich je 
mit ſtillem Blick maaß, heben ſich fo unermeßlich, die Ehenen, die noch 
eben mit dem glühenden Rand der aufgehenven Sonne begrängt waren, 


23* 





356 


fie haben feine Gränzen mehr. In die Ewigfeit hinein. — Will denn 
fein Leben fo viel Raum haben? — 

Bon feiner Kinpheit: wie er fhon mit neun Wochen ängjtliche 
Träume gehabt, wie Großmutter und Großvater, Mutter und Bater 
und die Amme um feine Wiege geſtanden und Iaufchten, welche heftige 
Bewegungen fih in feinen Mienen zeigten, und wenn er erwachte, in 
ein jehr betrübtes Weinen verfallen, oft auch fehr heftig gejchrieen hat, 
fo daß ihm der Athem entging und die Eltern für fein Leben beforgt 
waren; fie fehafften eine Klingel an, wenn fie merkten, daß er im 
Schlaf unruhig ward, Flingelten und raſſelten fie heftig, damit er bei 
dem Aufwachen gleich den Traum vergeflen möge; einmal hatte ver 
Bater ihn auf dem Arm umd ließ ihn in den Mond fehen, da fiel er 
plöglih wie von etwas erjchättert, zurüd, und gerieth jo außer ſich, 
daß ihm der Vater Luft einblafen mußte, damit er nicht erftide. — 
Dieje Heinen Zufälle würde ich in einem Zeitraum von ſechszig Jahren 
vergefien haben, ſagte die Mutter, wenn nicht fein fortwährendes Leben 
mir dies alles geheiligt hätte, denn fol ich die Vorfehung nicht an- 
beten, wenn ich bedenke, daß ein Leben damals von einem Lufthauch 
abhing, das ſich jetzt in taufend Herzen befeftigt hat? — und mir ift 
ed nun gar Das einzige, denn Du kannſt wohl denken Bettine, daß 
MWeltbegebenheiten mich nicht ſehr anfechten, daß Geſellſchaften mich 
nicht erfüllen. Hier in meiner Einſamkeit, wo ich die Tage nach emander 
zähle, und feiner vergeht, daß ich nicht meines Sohnes gevente, und 
alles ift mir wie Gold. 

Er jpielte nicht gern mit Heinen Kindern, fie mußten denn | chr 
ſchön ſein. In einer Geſellſchaft fing er plötzlich an zu weinen und 
ſchrie: das ſchwarze Kind ſoll hinaus, das kann ich nicht leiden, er 
hörte auch nicht auf mit Weinen bis er nach Haus kam, wo ihn die 
Mutter befragte über die Unart, er konnte ſich nicht tröſten über des 
Kindes Häßlichkeit. Damals war er drei Jahr alt. — Die Bettine, 
welche auf einem Schemel zu Füßen der Frau Rath ſaß, machte ihre 
eignen Gloſſen darüber und drückte der Mutter Knie an's Herz. 

Zu der kleinen Schweſter Cornelia hatte er, da ſie noch in der 








357 


Wiege lag, ſchon die zärtlichfte Zumeigung, er trug ihr alles zu und 
wollte fie allein nähren und pflegen, und war eiferfüdtig, wenn man 
fie aus der Wiege nahm, in der er fie beherrſchte, da war fein Zorn 
nicht zu bändigen, er war überhaupt viel mehr zum Zürnen wie zum 
Weinen zu bringen. " 

Die Kühe im Haus ging anf die Straße, an einem Sonntag 
Morgen, da alles in der Kirche war, gerieth der Heine Wolfgang hin: 
ein, und warf alles Geſchirr nach einander zum Fenſter hinaus, weil 
ihn das Rappeln freute und die Nachbarn, die e8 ergötzte, ihn dazu 
aufmunterten; die Mutter, die aus der Kiche kam, war ſehr erftaunt, 
die Schüffeln alle herausfliegen zu fehen, da war er eben fertig 
und lachte fo Herzlich mit den Leuten auf der Straße, und die Mutter 
lachte mit. 

Dft fah er nach ven Sternen, von denen man ihm fagte, daß fie 
bei feiner Geburt eingeftanden haben, hier mußte die Einbildungskraft 
der Mutter oft das Unmögliche thun, um feinen Forſchungen Genüge 
zu leiften, und fo hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus die 
Regenten und Beſchützer feiner Gejchide fein würden; fein Spielwerk 
fonnte ihn nun mehr fefleln, als das Zahlbrett feines Vaters, auf dem 
ex mit Zahlpfennigen die Stellung der Geſtirne nachmachte, wie er fie 
gefehen hatte; er ſtellte dieſes Zahlbrett an fein Bett und glaubte ſich 
dadurch dem Einfluß feiner günftigen Sterne näher gerüdt; er fagte 
auch oft zur Mutter forgenvoll: die Sterne werden mich doch nicht 
vergeflen und werben halten was fie bei meiner Wiege verfprochen 
haben? — da fagte die Mutter: warum willft Du denn mit Gewalt 
ven Beiſtand der Sterne, da wir andre Doch ohne fie fertig werden 
möäfjen, da fagte er ganz ſtolz: mit dem was andern Leuten genügt, 
kann ich nicht fertig werben, Damals war er fieben Jahr alt. 

Sonderbar fiel ed der Mutter auf, daß er bei vem Tod feines 
jüngern Bruders Jacob, der fein Spiellamerad war, feine Thräne 
vergoß, er ſchien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern 
und Geſchwiſter zu haben, da die Mutter nun ſpäter ven Trosigen 
fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, Tief er in feine 


398 


Kammer, brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit 
Lectionen und Geſchichtchen beichrieben waren, er fagte ihr, daß er 
dies alles gemacht habe um ed dem Bruder zu lehren. 

Die Mutter glaubte auch fih einen Antheil an feiner Dar- 
ftellungsgabe zujchreiben zu Dürfen, „denn einmal,“ fagte fie, „konnte 
ih nicht ermüben zu erzählen, jo wie er nicht ermüdete zuzuhören ; 
Luft, Feuer, Wafler und Erde ftellte ih ihm unter ſchönen Prinzeſſinnen 
vor, und alles was in der ganzen Natur vorging, dem ergab fich eine 
Bedeutung, an die ich bald felbft fefter glaubte als meine Zuhörer, 
und da wir uns erft zwifchen den Geſtirnen Straßen dachten, und 
daß wir einft Sterne bewohnen würden, und welden großen Geiftern 
wir da oben begegnen würben, da war fein Menſch jo eifrig auf die 
Stunde des Erzählens mit den Kindern wie ih, ja, ich war im höchſten 
Grad begierig unjere Heinen eingebilveten Erzählungen weiter zu führen, 
und eine Einladung, die mih um einen folden Abend brachte, war 
mir immer verbrießlih. Da ſaß ich, und da verfchlang er mich bald 
mit feinen großen [hwarzen Augen, und wenn das Schidfal irgend 
eines Lieblings nicht recht nach jeinem Sinn ging, da jah ich wie Die 
Zornader an der Stun ſchwoll und wie er die Ihränen verbiß ˖ 
Manchmal griff er ein und fagte nod eh ich meine Wendung genommen 
hatte, nicht wahr, Mutter, die Prinzeifin heirathet nicht den verdammten 
Schneider, wenn er aud den Rieſen toptfhlägt; wenn ih nun Halt 
machte und die Kataſtrophe auf ven nächften Abend verfchob, jo konnte 
ich ficher fein, daß er bis dahin alles zurecht gerüdt hatte, und fo ward 
mir denn meine Einbildungsfraft, wo fie nicht mehr zureichte, häufig 
durd die feine erfett, wenn ich denn am nächſten Abend vie Schickſals⸗ 
fäden nad) feiner Angabe weiter lenkte und fagte: Du haſt's gerathen, 
jo iſt's gekommen, da war er Teuer und Flamme, und man konnte 
jein Herzen unter der Halskrauſe fhlagen fehen. Der Großmutter, 
die im Hinterhaufe wohnte und deren Liebling er war, vertraute er 
nun allemal feine Anfichten, wie e8 mit der Erzählung wohl nod 
werde, und von diejer erfuhr ich wie ich feinen Wünfchen gemäß weiter 
im Tert kommen folle, und fo war ein geheimes diplomatiſches Treiben 





359 


zwiſchen uns, das feiner an den andern verrieth; jo Hatte ich die 
Satisfaction zum Genuß und Erftaunen der Zuhörenvden, meine 
Märchen vorzutragen, und ver Wolfgang, ohne je fih als den Ur- 
heber aller merkwürdigen Ereigniffe zu bekennen, fah mit glühenven 
Augen der Erfüllung feiner fühn angelegten Pläne entgegen, und be- 
grüßte das Ausmalen derfelben mit enthuſiaſtiſchem Beifall.“ Dieſe 
Ihönen Abende, durch die fi) der Ruhm meiner Erzählungsktunft bald 
verbreitete, jo daß endlich alt und jung daran Theil nahm, find mir 
eine fehr erquidliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht fo reich⸗ 
haltig, obſchon e8 die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, e8 
that durch ſeine granfenhafte Wirklichkeit, die alles Fabelhafte überftieg, 
für's erfte der Märchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von 
Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Menſchen argu- 
mentirten in wunberliher Verwirrung, kurz, e8 war ein Weltereigniß, 
das big in die entfernteften Gegenden alle Herzen erichütterte; ver 
Kleine Wolfgang, der damals im fiebenten Jahr war, hatte feine Ruhe 
mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle Schiffe nieder: 
ſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen 
Pallaft zu verihlingen, die hohen Thürme, die zuvörverft unter dem 
Schutt der Heinern Häufer begraben wurden, die Flammen, die überall 
aus den Ruinen heraus, endlich zufammenjhlagen und ein großes 
Feuermeer verbreiten, während eine Schaar von Teufeln aus ber 
Erbe heroorfteigt, um allen böfen Unfug an den Unglüdlichen auszu⸗ 
üben, die von vielen taufend zu Grunde gegangnen noch übrig waren, 
machten ihm einen ungeheuren Eindruck. even Abend enthielt die 
Zeitung nene Mäbr, beftimmtere Erzählungen, in den Kirchen hielt 
man Bußpredigten, der Papft fehrieb ein allgemeines Faften aus, in 
den katholiſchen Kirchen waren Requiem für die vom Erdbeben ver- 
fhlungenen. Betrachtungen aller Art wurden in Gegenwart der Kine 
ber vielfeitig beiprodhen, die Bibel wurde aufgefchlagen, Gründe für 
und wider behauptet, dies alles beichäftigte den Wolfgang tiefer als 
einer ahnen konnte, und er machte am Ende eine Auslegung davon, 
die alle an Weisheit übertraf. 


360 


Nachdem er mit dem Großvater aus einer Predigt kam, in wel- 
cher die Weisheit des Schöpfer gleichſam gegen die betroffne Menſch⸗ 
heit vertheibigt wurde und der Vater ihn fragte, wie er die Predigt 
verftanven babe, fagte er: „Am Ende mag alles noch viel einfacher 
fein als der Previger meint, Gott wird wohl wifjen daß der unfterb- 
lichen Seele durch böſes Schidjal fein Schaden gejchehen kann." — 
Bon da an warft Du wieder oben auf, doch meinte Die Mutter daß 
Deine revoluttonairen Aufregungen bei dieſem Erdbeben, ſpäter beim 
Prometheus wieder zum Vorſchein gekommen feten. 

Laß mich Dir nod erzählen daß Dein Großvater zum Gedächt⸗ 
niß Deiner Geburt einen Birnbaum in dem wohlgepflegten Garten 
vor dem Bodenheimer Thor gepflanzt hat, der Baum ift fehr groß 
geworben, von feinen Früchten die Löftlich find hab ich gegefien und — 
Du würbeft mich auslahen wenn ich Dir alles fagen wollte. Es war 
ein ſchöner Frühling, ſonnig und warm, der junge hochſtämmige Birn- 
baum war über und über bevedt mit Blüthen, nun war's glaub ich 
am Geburtstag der Mutter, da ſchafften die Kinder den grünen Seflel, 
auf den fie Abends wenn fie erzählte, zu fiten pflegte, und der darum 
der Mährchenjefjel genannt wurde, in aller Stille in den Garten, putz⸗ 
ten ihn auf mit Bändern und Blumen, und nachdem Gäfte und Ber- 
wandte ſich verjammelt hatten, trat der Wolfgang als Schäfer gekleidet 
mit eimer Hirtentafche, aus der eine Rolle mit golpnen Buchftaben 
herabhing, mit einem grünen Kranz auf dem Kopf unter den Birn- 
baum, und hielt eine Anrede an den Sefjel, ald ven Sit ver ſchönen 
Mähren, e8 war eine große Freude, den ſchönen befränzten Knaben 
unter ven blühenden Zweigen zu fehen, wie er im euer ver Rede, 
welche er mit großer Zuverficht hielt, aufbranfte. Der zweite Theil 
diejes jchönen Feſtes beftand in Seifenblafen, die im Sonnenfcein, 
von Kindern, weldhe ven Mährchenſtuhl umkreiften, in die heitere Luft 
gehaucht von Zephyr aufgenommen und ſchwebend Hin und her geweht 
wurden; jo oft eine Blaſe auf ven gefeierten Stuhl ſank, ſchrie alles 
ein Mährchen! ein Mährchen! werm die Blaſe von der krauſen Wolle 
des Tuches eine Weile gehalten, endlich platte, fchrieen fie wieder, das 





361 


Mähren platzt. Die Nachbarslente in ven angrenzenden Gärten 
gucten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhafteften 
Antheil an diefem großen Jubel, jo daß dies Heine Feſt am Abend in 
der ganzen Stadt befannt war. Die Stadt hat's vergeflen, die Mutter 
hat's behalten und es ſich fpäter oft al8 eine Weiflagung ‘Deiner Zu- 
funft ansgelegt. 

Nun lieber Goethe muß ich Dir befennen, daß e8 mir das Herz 
zuſammenſchnürt, wenn ih Dir diefe einzelnen Dinge hinter einander 
binfchreibe, die mit taufend Gedanken zufammenhängen, welche ich Dir 
weder erzählen noch fonft deutlich machen kann, denn Du liebſt Dich 
nicht wie ih, und Dir muß dies wohl unbedeutend erjcheinen, während 
ich feinen Athemzug von Dir verlieren möchte. — Daß vieles fich nicht 
verwindet, wenn's einmal empfunden tft, daß e8 immer wiederkehrt, ift 
nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar bleiben, das ſchärft 
den Schmerz. — Wenn mir Deine Liebe zu meiner Mutter durchllingt 
und ich überdenke das Ganze, dies Zurüdhalten, dies Verbrauſen ver 
Jugend auf taufend Wegen — e8 muß fich ja doch einmal löſen. — Mein 
Leben: was war's anders als ein tiefer Spiegel des Deinigen, es war 
liebende Ahnung die alles mit fich fortzieht Die mir von Dir Kunde 
gab; jo war ih Dir nachgekommen an’s Licht, und jo werd ich Dir 
nachziehen in's Dunkel. — Mein lieber Freund, der mid nimmermehr 
verkennt! — ſieh ich [öfe mir das Räthſel auf mancherlei ſchöne Weife; 
aber, frag nicht was es iſt und laß das Herz gewähren, ſag ich mir 
hundertmal. 

Ich ſah um mich emporwachſen, Pflanzen ſeltner Art, ſie haben 
Stacheln und Duft, ich mag keine berühren, ich mag keine miſſen. Wer 
ſich in's Leben hereinwagt, der kann nur ſich wieder durcharbeiten in 
die Freiheit; und ich weiß daß ich Dich einſt noch feſthalten werde und 
mit Dir ſein, und in Dir ſein das iſt das Ziel meiner Wünſche, das 
iſt mein Glaube. 

Leb wohl, ſei geſund und laß Dir ein einheimiſcher Gedanke ſein, 
daß Du mich wiederſehen wolleſt, vieles möcht ich vor Dir ausſprechen. 

24. November. 


362 
An Goethe. 


Schön wie ein Engel, warft Du, bift Du, und bleibt Du, jo 
waren auch in Deiner früheften Jugend aller Augen auf Dich gerichtet. 
Einmal ftand jemand am Fenfter bei Deiner Mutter da Du eben über 
die Straße herfamft mit mehreren andern Knaben, fie bemerften daß 
Du fehr gravitätifch einherichrittft und hielten Dir vor, daß Du Dich 
mit Deinem Öradehalten fehr fonverbar von den andern Knaben aus⸗ 
zeichneteft. — Mit diefem mache ich ven Anfang, fagteit Du, ſpäter 
werd ich mich noch mit allerlei auszeichnen, und das tft and wahr ge- 
worben, fagte die Mutter. ’ 

Einmal zur Herbftleje, wo denn in Frankfurt am Abend in allen 
Gärten Feuerwerfe abbrennen und von allen Seiten Raquetten aufe 
fteigen, bemerkte man in den entfernteften Feldern, wo ſich die Feſtlich⸗ 
feit nicht hin eritredt hatte, viele Srrlichter die hin und her büpften, 
bald auseinander, bald wieder eng zufammen, endlich fingen fie gar 
an, figurierte Tänze aufzuführen, wenn man nun näher drauf [08 kam 
verloſch ein Irrlicht nach dem andern, mande thaten nod große Säge 
und verfhwanden, andere blieben mitten in der Luft und verloſchen 
dann plöglich, andere fetten fi) auf Heden und Bäume, weg waren 
fie, die Leute fanden nichts, gingen wieder zurüd, gleich fing der Tanz 
von vorne an; ein Lichtlein nach dem andern ftellte fich wieder ein und 
tanzte um die halbe Stadt herum. Was war’8? — Goethe der mit 
vielen Kameraden, die fi) Lichter auf die Hüte geftedt hatten, da 
draußen herumtanste. 

Das war Deiner Mutter eine der liebſten Anekdoten, fie fonnte 
noch mandyes dazu erzählen, wie Du nad ſolchen Streichen immer 
Iuftig nah Haufe famft und hundert Abentheuer gehabt u. |. w. — 
Deiner Mutter war gut zuhören! — 

In feiner Kleidung war er nun ganz entfeglih eigen, ih mußte 
ihm täglich drei Zoiletten beforgen, auf einen Stuhl hing ich einen 
Überrod, lange Beinkleider, orbinäre Wefte, ftellte ein Paar Stiefel 
dazu, auf den zweiten einen Frack, feione Strümpfe die er Thon 


363 





angehabt hatte, Schuhe ur. |. w., auf den dritten fam alles vom feinften 
nebft Degen und Haarbeutel, das erfte zog er im Haufe an, das zweite 
wenn er zu täglichen Belannten ging, das dritte zum Gala; kam ich 
num am andern Tag hinein da hatte ih Ordnung zu ftiften, da ftan- 
den die Stiefeln auf den feinen Manſchetten und Halskrauſen, die 
Schuhe ſtanden gegen Often und Weiten, ein Stüd lag da, Das andre 
dort; da ſchüttelte ich den Staub aus den Kleidern, legte friſche Wäſche 
hin, brachte alles wieder in's Geleis; wie ich nun jo eine Weite nehme 
und fie am offnen Fenſter recht herzhaft in die Luft jchwinge, fahren 
mir plötzlich eine Menge Meiner Steine in's Gefiht, darüber fing ich 
an zu fluchen, er kam hinzu, ich zanfe ihn aus, die Steine hätten mir 
ja ein Ang ans den Kopf ſchlagen können; — nun es hat Ihr ja Fein 
Aug ausgefchlagen, wo find denn die Steine, ich muß fie wieder haben, 
heif Ste mir fie wieder fuchen, fagte er; num muß er fie wohl von 
feinem Schat belommen haben, denn er befünmerte fih gar nur um 
die Steine, es waren orbinäre Kiefelfteindhen und Sand, daß er den 
nit mehr zufammenlefen konnte war ihm ärgerlih, alles was noch 
da war, widelte er jorgfältig in ein Papier und trug's fort, den Tag 
vorher war er in Offenbach gemejen, da war ein Wirthshaus zur Roſe, 
die Tochter hieß das ſchöne Gretchen, er Hatte Sie ehr gern, das 
war die erfte von der ich weiß daß er fie lieb hatte. 

Bilt Du böſe dag die Mutter mir dieß alles erzählt hat? Diefe 
Geſchichte habe ich nun ganz ungemein lieb, Deine Mutter hat fie mir 
wohl zwanzigmal erzählt, manchmal ſetzte fie hinzu, daß die Sonne 
in's Fenſter geſchienen habe, daß Du roth geworden feilt, daß Du die 
aufgefammelten Steinchen feſt an's Herz gehalten und damit fort 
marjchiert, ohne auch nur eine Entihuldigung gemacht zu haben, daß 
fie ihr in's Geſicht geflogen. Sieht Du was die alles gemerkt bat, 
denn fo Hein vie Begebenheit ſchien, war es ihr doch eine Duelle von 
freudiger Betradhtung Über Deine Raſchheit, funkelnde Augen, po- 
hend Herz, rothe Wangen u. |. w. — e8 ergögte fie ja nod im ihrer 
fpäten Zeit. — Dieſe und die folgende Geſchichte haben mir den leb- 
bafteften Eindruck gemacht, ich feh Dich in beiden vor mir, in vollem 


— 


— 


364 


Glanz Deiner Jugend. An einem hellen Wintertag, an dem Deine 
Mutter Gäſte hatte machteſt Du ihr den Vorſchlag, mit den Fremden 
an ven Main zu fahren. Mutter Ste hat mid ja doch noch nicht 
Schlittſchuhe Iaufen jehen und das Wetter ift heut fo ſchön u. |. w. — 
Ich zog meinen karmoiſinrothen Pelz an, der einen langen Schlepp 
hatte und vorn herunter mit goldnen Spangen zugemacht war, und 
ſo fahren wir denn hinaus, da fchleift mein Sohn herum wie ein Pfeil 
zwifchen ven andern durch, die Luft hatte ihm die Baden roth gemacht, 
und der Puder war aus feinen brammen Haaren geflogen, wie er num 
den karmoiſinrothen Pelz fieht, kommt er herbei an die Kutiche, und 
lacht mid ganz fremdlih an, — nun was wilft Du? fag ih: Ei 
Mutter, Ste hat ja doch nicht kalt im Wagen, geb Site mir ihren 
Sammetrod — Du wirft ihn doch nicht gar anziehen wollen — freis 
lich will ih ihn anziehen, — Ich zieh Halt meinen prächtig warmen 
Rod aus, er zieht ihn an, ſchlägt die Schleppe über ven Arm, und 
da führt er hin, wie ein Götterfohn auf dem Eis; Bettine, wenn du 
ihn geſehen Hätteft!! — So was ſchönes giebt's nicht mehr, ich klatſchte 
in die Hände vor Luft! mein Lebtag feh ich noch, wie er den einen 
Brüdenbogen hinaus und den andern wieder hereinlief, und wie da 
der Wind ihm den Schlepp lang hinten nad) trug, damals war beine 
Mutter mit auf dem Eis, der wollte er gefallen, 

Nun bei diefer Gejchichte kann ich wieder jagen, was ih Dir in 
Töplitz fagte: daß es mich immer durchglüht wenn ih an Deine Su- 
gend denke, ja e8 durchglüht mich auch, und ich Hab einen ewigen Ge- 
nuß daran. — Wie freut e8 einem, ven Baum vor der Hausthür den 


‚man feit der Kindheit kennt, im Frühjahr wieder grünen und Blüthen 


gewinnen zu ſehen; — wie freut e8 mid, da Du mir ewig blühſt, 
wenn zu Zeiten Deine Blüthen eine innigere höhere Farbe ausftrah- 
len, und ich in lebhafter Erinnerung mein Gefiht in die Kelche hin- 
einjenfe und fie ganz einathme. — 

Am 28. November. .  Bettine. 








365 





An Goethe. 


Ich weiß daß Du alles was ih Dir von Dir erzähle nicht wirft 
brauchen können, ich hab in einer einfamen Zeit über dieſen einzelnen 
Momenten geſchwebt, wie der Thau auf den Blumen, der im Sonnen 
ſchein ihre Farben fpiegelt. Noch immer feh ich Dich jo verherrlicht, 
aber mir iſt's unmöglich e8 Dir darftellend zu beweifen, Du bift be 
ſcheiden und wirſt's auf fich beruhen laſſen, Du wirft mir's gönnen, 
daß Deine Erfheinung grade mich anftrahlte; ich war die Einſame, 
die duch Zufall oder vielmehr durch bewußtloſen Trieb zu Deinen 
Füßen fih einfand. — Es koſtet mir Mühe und ich kann nur unge⸗ 
nügend darlegen, was fo eng mit meinem Herzen verbunden ift, daß 
doch einmal in meiner Bruft wohnt, und fich nicht jo ganz ablöſt. — 
Indeſſen bedurft es nur ein Wort von Dir, daß ich dieſe Kleinodien 
rauh und ungeglättetiwie ich fie empfing, wieder in Deinen unge- 
beueren Reichthum bereinwerfe; was in die Stimm, die liebendes 
Denken gerünvet bat, in meinen Blid, der mit Begeiftrung auf Dich 
gerichtet war, in die Xippen die von dieſem Liebesgeift berührt zu 
Dir fpraden, hierdurch eingeprägt ward, das kann ich nicht wieder 
geben, e8 entichwebt, wie der Ton der Muſik entjchwebt und für ſich 
befteht in dem Augenblid da fie aufgeführt wird. 

Jeder Anekdote, die ich hinſchreibe, möchte ich ein Lebewohl zu- 
rufen; — die Blumen follen abgebrochen werden, damit fie noch in 
threr Blüthe in's Herbarium kommen. So hab ich mir’ nicht ges 
dacht, da ich Dir in meinem vorletzten Brief meinen Garten jo freund- 
ih anbot, lächelt Du? — Du wirft doch alles überflüffige Laub ab- 
jondern, und des Thau's noch des Sonnenſcheins nicht mehr achten, 
der außer meinem Territorium nicht mehr drauf ruht. — Der Schüße 
wird nicht müde, taufend und taufend Pfeile zu verſenden, der nad) 
der Liebe zielt. Er jpannt abermal, zieht die Senne bi8 an's Aug 
heran, blickt ſcharf, und zielt ſcharf; und Du! fieh diefe verhofinen 
Pfeile die zu Deinen Füßen hinſinken gnädig an und denke, daß ich 





366 


mich nicht zurüdhalten kann — Dir ewig daſſelbe zu jagen. — Und 
berührt Dich ein folder Pfeil niemals, auch nur ein Heine wenig? — 

Dein Großvater war ein Träumender und Traumdeuter, es 
ward ihm vieles über feine Familie durd Träume offenbar, einmal 
fagte er emen großen Brand, dann die unvermuthete Ankunft des Kai⸗ 
fer voraus , dieſes war zwar nicht beachtet worden, doch hatte es ſich 
in der Stadt verbreitet und erregte allgemeines Staunen, da es ein⸗ 
traf. Heimlich vertraute er feiner Frau ihm habe geträumt, daß einer 
ter Schöffen ihm ſehr verbindlicher Weiſe feinen Plat angeboten habe, 
nicht lange darauf ftarb diefer am Schlag, feine Stelle wurde durch 
die golbne Kugel Deinem Großvater zu Theil. Als der Schultheiß 
geftorben war, wurde noch in fpäter Nacht Durch den Rathsdiener auf 
den andern Morgen eine außerordentliche Rathsverſammlung ange- 
zeigt, das Licht in feiner Laterne war abgebrannt, ba rief der Großva⸗ 
ter aus feinem Bette: gebt ihm ein neues Ticht, denn der Mann hat 
ja doch vie Mühe blos für mid. Kein Menſch hatte dieſe Worte 
beachtet, er felbft Außerte am andern Morgen nichts und ſchien es 
vergefien zu haben, feine ältefte Tochter (Deine Mutter) Hatte ſich s 
gemerkt und hatte einen feften Glauben dran, wie nun der Vater in's 
Rathhaus gegangen war, ftedte fie fich nach ihrer eignen Ausfage in 
- einen unmenſchlichen Staat, und frifirte fich bi8 an den Himmel. In 
diefer Pracht fette fie fich mit einem Buch in der Hand im Lehnfefiel 
an’s Fenfter. Mutter und Schweitern glaubten, die Schweiter Prin- 
zeß (jo wurde fie wegen ihrem Abſcheu vor häuslicher Arbeit, und 
Liebe zur Kleiverpracht und Leſen genannt) ſei närrifch, fie aber ver- 
fiderte ihnen, fie würden bald hinter die Bettoorhänge kriechen, wenn 
die Rathsherren fommen würden, ihnen wegen dem Vater, ver heute 
zum Syndieus erwählt werde, zu gratuliven, da nun die Schweſtern 
fie noch wegen ihrer Leichtgläubigkeit verlachten, fah fie von hohen 
Sit am Fenſter den Bater im ftattlichen Gefolge vieler Rathsherren 
daher kommen; verftedt euch, rief fie, dort fommt er und alle Raths⸗ 
herren mit, feine wollt e8 glauben, bis eine nach der andern ven unfri⸗ 
firten Kopf zum Tenfter hinaus ftedte, und die feierliche Proceffion 





367 





daher jchreiten ſah, liefen alle Davon und ließen die Prinzeß allen im 
Zimmer um fie zu empfangen. 

Diefe Traumgabe ſchien auf die eine Schwefter fortgeerbt zu 
haben, denn gleich nach Deines Großvaters Tod, da man in Berlegen- 
heit war das Teſtament zu finden, träumte ihr, es ſei zwiſchen zwei 
Brettchen im Pult des Vaters zu finden, die durch ein geheimes Schloß 
verbunden waren, man unterſuchte den Pult und fand alles richtig. 
Deine Mutter aber hatte das Talent nicht, fie meinte, e8 komme von 
ihrer beitern forgelofen Stimmung und ihrer großen Zuverficht zu 
allem Guten, grade dies mag wohl ihre prophetiiche Gabe gewefen 
jein, denn fie jagte jelbft, daß fie in dieſer Beziehung ſich nie ge- 
täufcht habe. 

Deine Großmutter kam einft nad) Mitternacht in die Schlafftube 
der Töchter und blieb da bi8 am Morgen, weil ihr etwas begegnet 
war, was fie vor Angft fich nicht zu jagen getraute, am andern Mor⸗ 
gen erzählte fie, vaß etwas im Zimmer gerafchelt habe wie Papier, 
in der Meinung das Tenfter fei offen und der Wind jage die Papiere 
von des Vaters Schreibpult im anftogenden Studierzimmer umber, 
jet fie aufgeftanden aber die Fenſter feten gefchloffen geweſen. Da fie 
wieder im Bett Iag, rauſchte es immer näher und näher heran mi. 
ängftlidem Zufammenknittern von Papier, endlich ſeufzte es tief auf, 
und noch einmal dicht an ihrem Angefiht, daß es fie kalt anmehte, 
darauf ift fie vor Angft zu den Kindern gelaufen, kurz hiernach ließ 
fi ein Fremder melden, da diefer nun auf die Hausfrau zuging und 
ein ganz zerinittertes Papter ihr darreichte, wandelte fie eine Ohn⸗ 
macht an. Ein Freund von ihr der in jener Nacht feinen herannahen- 
den Tod gefpärt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin in einer 
wichtigen Angelegenheit zu jchreiben, aber noch ehe er fertig war, 
hatte er, vom Todeskrampf ergriffen, das Papier gepadt, zerknittert 
und damit auf der Bettvede bin und ber gefahren, endlich zweimal 
tief aufgefeufzt und dann war er verſchieden; obſchon nun das, was 
auf dem Papiere gefchrieben war, nichts entſcheidendes bejagte, fo 
konnte ſich die Freundin doch vorftellen was feine letzte Bitte gewefen, 





369 
























"1 bis id} werde, legte fie Herrlich aus, fie fagte, 
weifen müfje, welche tiefe Religion in Dir fei, 
iftand darin beſchrieben in dem allein die Seele 
wingen könne, nämlich one Borurtheile, ohne 
u$ veiner Sehnfucht zu ihrem Erzeuger; und daß 
en man glaube ven Himmel flürmen zu können, 

feien, und daß alles Berbienft vor der Zuverfiht 
Segel ftreichen mäffe, diefe fei der Born ver Gnade, 
Abwaiche, und jedem Menſchen fet dieſe Unſchuld einge 


verwirrteiten Gemüth vermittele ſich ein tiefer Zufam- 
hit jeinem Schöpfer, in jener unſchuldigen Liebe und Zuver- 
ih troß aller Berirrungen nicht außrotten laſſe, an dieſe folle 
Halten, denn es jei Gott felber im Menſchen, der nicht wolle, 
in Berzweiflung aus diefer Welt in jene übergehe, fondern mit 
und Geijtesgegenwart, fonft wirde der Geift wie ein Trun ⸗ 
18 Hinäberftolpern, und die ewigen Freuden durch fein Lamento 
feine Albernheit würde ba feinen großen Refpekt einflößen, 
erft den Kopf wieder müſſe zurecht fegen. Sie jagte von 
Wied, 8 fei der Geift der Wahrheit mit dem kräftigen Leib der 

angethan, und nannte es ihr Glaubensbekenntniß, die Melo⸗ 
Eimaren elend und unwahr gegen den Nachdruck ihres Vortrags, 
gen das Gefühl was in vollem Maaße aus ihrer Stimme her« 
Dur wer die Sehnſucht kennt; ihr Auge ruhte dabei 
des Katharinenthurms, der da legte Ziel der Ausſicht 
dom Sit an ihrem Benfter hatte, bie Lippen bewegten fich 
am End immer ſchmerzlich ernft ſchloß, während ihr Blick 
ie verloren glühte, es war als ob ihre Jugendſinne wieder 
len, dann drückte fie mir wohl die Hand, und überrafchte mich 
h Worten: du verftehft den Wolfgang und liebſt ihn. — Ihr 
denig war nicht allein merkwürdig, es war jehr herrlich, ber 
ud mächtiger Gefühle entwidelte ſich in feiner vollen Gewalt bei 
Erinnerungen, und hier will ich Dir die Geſchichte, die ich Dir 


Det he? 8 Briefwechtel mit einem Rinde, 24 


368 


Dein edler Großvater nahm fich einer Heinen Waiſe jenes Freundes, 
die feine rechtlichen Anſprüche an jein Erbe hatte au, warb ihr Vor⸗ 
mund, legte eine Summe aus eignen Mitteln für fie an, bie Deine 
Großmutter mit manchem Kleinen Erſparniß mehrte. 

Seit diefem Augenblid verihmähte Deine Mutter feine Vorbe⸗ 
deutungen, noch ähnliches, fie jagte: wenn man e8 aud) nicht glaubt, jo 
ſoll man e8 auch nicht läugnen oder garverachten, das Herzwerbe durch 
dergleichen tief gerührt. Das ganze Schidfal entwickle ſich oft an Bege⸗ 
benbeiten die jo unbedeutend ericheinen, daß man ihrer gar nicht er- 
wähne, und innerlich jo gelent und heimlich arbeiten, daß man e8 kaum 
empfinde ; noch täglich, ſagte fie, erleb ich Begebenheiten die fein andrer 
Menſch beachten würbe, aber fie find meine‘Welt, mein Genuß und 
meine Herrlichkeit, wenn ic} in einen Kreis von langweiligen Menfchen 
trete, denen die aufgehenve Sonne fein Wunder mehr ift, und die ſich 
über alles hinaus glauben was fie nicht verftehen, fo denk ich in meiner 
Seele, ja meint nur, ihr hättet die Welt gefreilen, wüßtet Ihr was vie 
Frau Rath Heute alles erlebt hat! Sie fagte mir daß fie fih in ihrem 
ganzen Leben nicht mit der orbinatren Tagsweiſe habebegnügen können, 
daß ihr ftarfer Geift auch wichtige und tüchtige Begebenheiten habe ver⸗ 
Daunen wollen, und daß ihr dies auch in vollem Maaße begegnet fet, fie 
jet nicht allein um ihres Sohnes willen da, fondern der Sohn aud um 
ihrentwillen; und fie könne fich wohl ihres Antheils an Deinem Wir- 
fen und an Deinem Ruhm verſichert halten, indem ſich ja auch fein voll- 
enbeteres und erhabeneres Glück denken laſſe als um des Sohnes 
willen allgemein fo geehrt zu werden; fie hatte recht, wer braucht das 
noch zu beleuchten, es verfteht fih von ſelbſt. So entfernt Du von 
ihr warft, fo lange Zeit auch: Du warft nie beſſer verſtanden als von 
ihr; während Gelehrte, Philofophen und Kritiker Dich und Deine 
Werke unterfuchten, war fie ein lebendiges Beifpiel wie Du aufzuneh⸗ 
men jeift. Sie fagte mir oft einzelne Stellen aus Deinen Büchern 
vor, fo zu rechter Zeit, fo mit herrlichem Blid und Ton, daß in die 
jen, au meine Welt anfing lebendigere Farbe zu empfangen, und 
Geſchwiſter und Freunde dagegen in die Schattenfeite traten. Das 


369 


Lied: O laß mich fcheinen bis ich werde, legte fie Yerrlich ans, fe jagte, 
daß dies allein ſchon beweiſen müfje, welche tiefe Religion in Dir fei, 
denn Du babeft den Zuſtand darin befchrieben in dem allein die Seele 
wieder ſich zu Gott ſchwingen könne, nämlich ohne Vorurtheile, ohne 
ſelbſtiſche Verdienſte aus reiner Sehnſucht zu ihrem Erzeuger, und daß 
die Tugenden, mit denen man glaube ven Himmel ftürmen zu können, 
lauter Narrenspofien feien, und daß alles Berbienft vor der Zuverſicht 
der Unſchuld die Segel ftreihen müſſe, dieje fei der Born der Gnade, 
ber alle Sünde abwaſche, und jedem Menſchen jet dieſe Unſchuld einge- 
boren und jet das Urprinzip aller Sehnſucht nach einem göttlichen Peben; 
auch in dem verwirrteften Gemüth vermittele fih ein tiefer Zuſam⸗ 
menhang mit ſeinem Schöpfer, in jener unfchuldigen Liebe und Zuver⸗ 
ſicht, die fich troß aller Berirrungen nicht ausrotten laſſe, an dieſe folle 
man fich Halten, denn es fei Gott felber im Menſchen, ver nicht wolle, 
daß er in Verzweiflung aus viefer Welt in jene übergehe, ſondern mit 
Behagen und Geiftesgegenwart, fonft würde der Geift wie ein Trun- 
tenbold hinüberftolpern, und Die ewigen Freuden durch fein Lamento 
ftören, und feine Albernheit würde da feinen großen Reſpekt einflößen, 
da man ihm erft den Kopf wieder müſſe zurecht jegen. Sie fagte von 
dieſem Lied, e8 ſei der Geiſt ver Wahrheit mit dem kräftigen Leib ver 
Natur angetban, und nannte e8 ihr Glaubensbelenntniß, die Melo⸗ 
dieen waren elend und unwahr gegen den Nachdruck ihres Vortrags, 
und gegen das Gefühl was in vollem Maaße aus ihrer Stimme ber- 
vorflang. Nur wer die Sehnſucht kennt; ihr Auge ruhte dabei 
auf den Kopf des Katharinenthurms, der das letzte Ziel der Ausficht 
war, die fie vom Sit an ihrem Fenſter hatte, die Rippen bewegten fich 
herb, die fie am End immer fchmerzlich ernſt ſchloß, während ihr Blick 
in die Werne verloren glühte, e& war als ob ihre Jugendſinne wieder 
anjchwellen, dann drückte fie mir wohl die Hand, und überrajchte mich 
mit den Worten: du verftehft ven Wolfgang und Liebft ihn. — Ihr 
Gedächtniß war nicht allein merfwärbig, es war fehr herrlich; der 
Eindruck mächtiger Gefühle entwidelte ſich in feiner vollen Gewalt bei 
ihren Erinnerungen, und bier will ih Dir die Geſchichte, die ich Dir 
Goethe’ 3 Briefwechfel mit einem Kinde. 24 


370 


Thon in Münden mittheilen wollte und die fo wunderbar mit ihrem 
Tode zufammenhing, als Beifpiel ihres großen Herzens hinjchreiben, 
fo einfach wie fie mir felbft e8 erzählt bat. Eh ich in's Rheingau reiſte, 
kam ich um Abfchied zu nehmen, fie fagte, indem ſich ein Pofthorn auf 
der Straße hören ließ, daß ihr diefer Ton immer noch das Herz durch⸗ 
ſchneide, wie inihrem fiebenzehnten Jahre, damals war Karl der fiebente, 
mit dem Zunamen der Unglüdliche, in Frankfurt, alle war voll 
Begeifterung über feine große Schönheit, am Charfreitag fah fie ihn 
im langen ſchwarzen Mantel zu Fuß mit vielen Herren und ſchwarz 
gekleideten Pagen die Kirchen bejuchen. „Dimmel was hatte ber 
Mann für Augen; wie melancholiſch blidte er umter ven geſenkten 
Augenwimpern hervor! — ic) verließ ihn nicht, folgte ihm in alle Kir⸗ 
hen, überall Intete er auf der letzten Bank unter den Beitlern, und 
legte jein Haupt eine Weile in vie Hände, wenn er wieder empor jah, 
war mir's allemal wie ein Donnerſchlag in der Bruſt; da ih nad 
Haufe kam, fand ich mich nicht mehr in Die alte Lebensweiſe, e8 war als 
ob Bett, Stuhl und Tiſch nicht mehr an dem gewohnten Ort ftänden, 
e8 war Nacht geworden, man brachte Ticht herein, ich ging an's Fenſter 
und fah hinaus auf die dunklen Straßen, und wie ich die in der Stube 
von dem Kaifer ſprechen hörte, da zitterte ich wie E8penlaub, am 
Abend in meiner Kammer legte ich mich vor meinem Bett auf die 
Knie, und hielt meinen Kopf in den Händen wie er, e8 war nicht 
anders wie wenn ein großes Thor in meiner Bruft geöffnet wär; 
meine Schwefter die ihn enthuſiaſtiſch pries, ſuchte jede Gelegenheit 
ihn zu ſehen, ich ging mit, ohne daß eimer ahn'te wie tief es mir zu 
Herzen gehe, einmal da der Kater vorüberfuhr, ſprang fie auf einen 
Prallftein am Wege und rief ihm ein lautes Vivat zu. er ſah heraus und 
winkte freundlich mit dem Schnupftuch, fie prahlte ſich jehr daß ver 
Kaiſer ihr fo freundlich gewinkt habe, ich war aber heimlich überzeugt 
daß der Gruß mir gegolten babe, denn im Borüberfahren fah er nod) 
einmal rüdwärts nad) mir; ja beinah jeven Tag wo ich Gelegenheit 
hatte ihn zu fehen, ereignete fidh etwas was ich mir als ein Zeichen 
feiner Gunft auslegen fonnte, und am Abend, in meiner Schlaflammer 








371 


fniete ih allemal vor meinem Bett und hielt den Kopf in meinen 
Händen, wie ih von ihm am Charfreitag in der Kirche gefehen hatte, 
und dann überlegte ich was mir alles mit ihm begegnet war, und jo 
baute fich ein geheimes Liebeseinverſtändniß in meinem Herzen auf, 
von dem mir unmöglich war zu glauben, daß er nichts Davon ahne, 
ich glaubte gewiß, er habe meine Wohnung erforſcht, da er jet öfter 
durch unfere Gaſſe fuhr wie jonft, und allemal heraufiah nad den 
Tenftern und mich grüßte. D wie war ich den vollen Tag fo felig wo 
er mir am Morgen einen Gruß gefpendet hatte; pa Tann ih wohl 
lagen daß ich meinte vor Luſt. — Wie er einmal offne Tafel hielt, 
drängte ich mich durch die Wachen, und kam in den Saal ftatt auf die 
Gallerie. Es wurde in bie Trompeten geftoßen, bei dem dritten Stoß 
erf&hien er in einem rothen Sammetmantel, den ihm zwei Kammer- 
herren abnahmen, er ging langfam mit etwas gebeugtem Haupt. Ich 
war ihm ganz nah, und dachte an nichts, daß ich auf dem unrechten 
Pla wäre, feine Geſundheit wurde von allen anweſenden großen 
Herren getrunten, und die Trompeten ſchmetterten rein, da jauchzte 
ich laut mit, ver Kaiſer ſah mich an, er nahm ven Becher um Beſcheid 
zu thun und nidte mir, ja da kam mir's vor als hätte er ven Becher 
mir bringen wollen, und ich muß nod heute daran glauben, es wilrbe 
mir zu viel foften wenn ich dieſen Gedanken, dem ich fo viel Glücks⸗ 
thränen geweint habe, aufgeben müßte, warum jollte er auch nicht, er 
mußte ja wohl die große Begeiftrung in meinen Augen leſen; damals 
im Saal bei dent Gefchmetter der Pauken und Trompeten, vie den 
Trunk, womit er den Fürften Beſcheid that, begleiteten, warb ich ganz 
elend und betäubt, jo jehr nahm ich mir dieſe eingebilvete Ehre zu 
Herzen, meine Schwefter hatte Mühe mich Hinaus zu bringen an vie 
friſche Luft, fie ſchmälte mit mir, daß fie wegen meiner des Bergnü- 
gens nerluflig wat, den Katfer jpeifen zu ſehen, fie wollte auch, nach 
dem ih am Röhrbrummen Wafler getrunten, verjuchen wieder hinein 
zu fommen, aber eine geheime Stimme fagte mir, daß ih an dem 
was mir heute bejchert geworden, mir jolle genügen lafjen, und ging 
nicht wieder mit; nein, ich fuchte meine einfame Schlaflammer auf 
24* 


372 





und fegte mich auf den Stuhl am Bett und weinte dem Kaiſer ſchmerz⸗ 
lich ſüße Thränen der heifeften Liebe, am andern Tag reifte er ab, 
ich lag früh Morgens um vier Uhr in meinem Bett, der Tag fing eben 
an zu grauen, e8 war am 17. April, da hörte ich fünf Poſthörner 
blajen, das war er, ich ſprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel 
ih in die Mitte der Stube und that mir weh, ich achtete es nicht und? 
ſprang an's Fenſter, in dem Augenblid fuhr der Kaiſer vorbei, er jah 
ſchon nad meinem Fenſter noch eh ich es aufgerifjen hatte, er warf 
mir Kußhände zu und winfte mir mit dem Schnupftuch bis er die Gafſe 
hinaus war. Bon der Zeit an babe ich fein Pofthorn blafen hören, 
ohne dieſes Abſchieds zu gedenken, und bis auf den heutigen Tag, wo 
ich den Lebensſtrom feiner ganzen Länge nad durchſchifft habe und 
eben im Begriff bin zu landen, greift mich fein weitfchallender Ton 
noch jhmerzlih an, und wo fo vieles worauf die Menſchen werth 
egen, rund um mich verjunfen tft, ohne daR ich Kummer darum habe. 
Soll man da nicht wunderliche Gloſſen machen, wenn man erleben 
muß, daß eine Leidenſchaft, die gleich im Entftehen eine Chimäremar, 
alles Wirkliche überdauert und fi in einem Herzen behauptet, dem 
längft ſolche Anfprüche als Narrheit verpönt find. Ich Hab aud nie 
Luft gehabt davon zu ſprechen, es ift heute das erftemal. Bei dem 
Val den ih Damals vor übergroßer Eile that, hatte ich mir das Knie 
verwundet, an einem großen Brettnagel, der etwas hoch aus den Die- 
len hervorſtand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rechten Knie 
geichlagen, ver ſcharfgeſchlagne Kopf des Nagels bildete Die Narbe als 
einen jehr feinen regelmäßigen Stern, den ich oft darauf anſah wäh- 
rend den vier Wochen, in denen bald darauf der Tod des Katfers mit 
allen Glocken jeven Nachmittag eine ganze Stunde eingeläutet wurbe, 
ach, was hab ich da für fhmerzliche Stunden gehabt, wenn der Dom 
anfing zu lauten mit der großen Glode, e8 kamen erft fo einzelne 
mächtige Schläge als wanke er troftlos bin und ber, nah und nad 
Hang das Geläut der Heinern Glocken und der ferneren Kirchen mit, 
e8 war als ob alle über den Trauerfall ſeufzten und weinten; und bie 
Luft war jo ſchauerlich, e8 war gleich bei Sonnenuntergang, da hörte 








373 





e8 wieder auf zu länten, eine Glocke nad der andern ſchwieg, bis ver 
Dom fo wie er angefangen hatte zu Hagen, auch die allerlegten Töne 
in die Nachtdämmerung feufzte, damals war die Narbe über meinem 
Knie noch ganz friſch, ich betrachtete fie jenen Tag und erinnerte mid) 
dabei an alles. 

Deine Mutter zeigte mir ihr Knie, über dem das Mahl in Form 
eines jehr deutlichen regelmäßigen Sterned ausgebildet war, fie reichte 
mir die Hand zum Abſchied, und fagte mir noch in der Thür, fie habe 
niemals hiervon mit jemand geſprochen als nur mit mir; wie ich 
faum im Rheingau war, fehrieb ich mir aus der Erinnerung fo viel 
wie möglich mit ihren eignen Worten alles auf, denn td} dachte gleich 
daß Dich Dies gewiß einmal intereffiren müſſe, nun hat aber ver Mutter 
Tod dieſer kindlichen Liebesgeſchichte, von der ich mir denken kann, daß 
fie fein edles männliches Herz, viel weniger den Kaiſer würde haben 
ungerührt gelafien, eine herrliche Krone aufgeſetzt und fie zu etwas 
vollendet Schönem geftempeltl. — Im September wurde mir in's 
Rheingau gefchrieben, die Mutter fer nicht wohl, ich beeilte meine 
Rückkehr, mein erfter Gang war zu ihr, der Arzt war grade bei ihr, 
fie jah fehr ernft aus, als er weg war reichte fie mir lächelnd das 
Rezept bin, und fagte da lefe, welche Vorbebeutung mag das haben, 
ein Umfchlag von Wein, Mirchen, Ol und Lorbeerblättern um mein 
Knie zu ſtärken, das mic, ſeit dieſem Sommer anfing zu fehmerzen, 
und endlich bat fih Waſſer unter der Narbe gefanmelt, Du wirft aber 
ſehen, e8 wird nichts helfen mit dieſen kaiſerlichen Spectalten von 
Lorbeer, Wein und OL, womit die Kaiſer bei der Krönung gefalbt 
werven. Sch feh das fchon kommen, daß das Wafler ſich nach dem 
Herzen ziehen wird, unb da wirb es gleich aus fein; fie fagte mir 
Lebewohl und fie wolle mir jagen laſſen wenn ich wieder fommen 
folle, ein Paar Tage darauf ließ fie mich rufen, fie Ing zu Bett, fie 
jagte: Heute Tieg ich wieder zu Bett wie damals als ich kaum ſechszehn 
Jahr alt war, an verfelben Wunde; ich achte mit ihr hierüber, und 
jagte ihr ſcherzweiſe viel was fie rührte und erfreute; da ſah fie mid) 
noch einmal recht feurig an, fie vrüdte mir die Hand und fagte: Du 





374 





bift fo recht geeignet um mic, in diefer Leidenszeit aufrecht zu halten, 
denn ich weiß wohl daß es mit mir zu Ende geht. Sie ſprach noch ein 
Paar Worte von Dir, daß ih nicht aufhören ſollte Dich zu lieben, 
und ihrem Enkel folle ih zu Weihnachten noch einmal die gewohnten 
Zuderwerfe in ihrem Namen jenden, zwei Tage drauf, am Abend, wo 
ein Conzert in ihrer Nähe gegeben wurde, jagte fie, nun will ich im 
Einihlafen an die Muſik denken die mich bald im Himmel empfangen 
wird, fie ließ ſich auch noch Haare abſchneiden und fagte man folle fie 
mir nach ihrem Tode geben, nebft einem Yamilienbild von Seekatz, 
worauf fie mit Deinem Vater, Deiner Schweiter und Dir als Schäfer 
gekleidet in anmuthiger Gegend abgemalt ift, am andern Morgen war 
fie nicht mehr, fie war nächtlich hinüber gefhlummert. 

Das ift die Gefchichte die ich Dir ſchon in München veriprochen 
hatte, jet wo fie nievergefchrieben tft, weiß ich nicht wie Du fie auf- 
nehmen wirft, mir war fie immer als etwas ganz außerorbentliches 
vorgekommen und ich habe bei ihr fo manche Gelübde gethan. 

Bon Deinem Bater erzählte fie mir auch viel ſchönes, er jelbft 
war ein ſchöner Mann, ſie heirathete ihn ohne beftimmte Neigung, fie 
wußte ihn auf mancherlei Weife zum Vortheil der Kinder zu lenken, 
denen er mit einer gewillen Strenge im Lernen zufette, doch muß er 
auch ſehr freundlich gegen Dich geweſen fein, da er flundenlang mit 
Dir von zulünftigen Reifen ſprach und Dir Deine Zukunft jo glanz- 
vol wie möglich ausmalte, von einem großen Hausbau den Dein 
Vater unternahm, erzählte vie Mutter auch und wie fie Dich da als 
junges Kind oft mit großen Sorgen habe auf den Gerüften herum- 
Hettern jehen. Als der Bau beenvigt war, der euer altes rumpeliges 
Haus mit Windeltreppen und ungleihen Etagen, in eine ſchöne an- 
muthige Wohnung umſchuf, in denen werthvolle Kunftgegenftände mit 
Geſchmack die Zimmer verzierten, da richtete der Vater mit großer 
Umftändlichleit eine Bibliothek ein, bei der Du beſchäftigt wurdeſt, 
über Deines Baters Leivenfchaft zum Reifen erzählte die Mutter ſehr 
viel. Seme Zimmer waren mit Tandlarten, Planen von großen 
Städten bebängt, und während Du die Reiſebeſchreibung vorlajeft 


® 





Ku 5 En Se 


375 





Tpazierte er mit dem Finger darauf herum um jeden Punkt aufzufuchen, 
Dies fagte weder Deiner Ungebuld noch den: eilfertigen Temperament 
der Mutter zu, ihr jehntet euch nach Hinbernifien folder Iangmwetligen 
Winterabende, die denn endlich auch durch Die Einguartterung eines 
framzöfiihen Kommandanten in die Prachtſtuben völlig unterbrochen 
wurden, hierdurch war nichts gebefjert, ver Vater war nicht zu tröften, 
dag feine kaum eingerichtete Wohnung, die ihm jo manches Opfer ge- 
foftet hatte, der Einguartierung preisgegeben war, daraus erwuchs 
mandherlei Noth die Deine Mutter trefflih auszugleichen verftand; 
ein paar Blätter mit Notizen ſchicke ih noch mit, ich kann fle nicht 
befjer ausmalen, Dir aber können fie wohl zur Wiederaufwedung von 
taufenderlei Dingen dienen, die Du dann auch wieder in ihrem Zu- 
fammenhang finden wirft, vie Liebesgeſchichten aus Offenbach mit 
einem gewiflen Gretchen, die nächtlihen Spaziergänge und was der- 
gleichen mehr, bat Deine Mutter nie im Zuſammenhang erzählt, und 
Gott weiß, ich Hab mich auch geſcheut danach zur fragen. 
Bettine. 


An Goethe. 


Was mich ſo lange gefangen hielt, war die Muſik, ungeſchnittne 


Federmn, ſchlechtes Papier, dicke Dinte, es treffen immer viel Umſtände 


zuſammen. 
Am 4. December war kalt und ſchauerlich Wetter, es wechſelte 
ab im Schneien, Regnen und Eiſen. 2 0 0. 


was hab ich num befieres zu thun als Dein Herz warm zu halten, die 
Unterwefte hab ich fo ſchmeichelnd warm gemacht als mir nur möglid. 
Dent an mid. 

Ich habe des Fürften Radziwill feine Muſik aus dem Fauſt ge- 
hört, das Lied vom Schäfer ift jo einzig lebendig darſtellend, kurz, alle 
löbliche Eigenſchaften beſitzend, daß es gewiß nimmermehr fo trefflich 


376 





kaun compontrt werden. Das Chor: „vrinnen fitt einer gefangen” es 
geht einem durch Mark und Bein. — Das Chor der Geifter wo Fauſt 
einſchlummert, herrlich! man hört den Polen durch, ein Deuticher hätt 
e8 nicht jo angefangen, um fo reizender. Es muß jo leicht vorgetragen 
werben wie fliegende Spinnweb in den Sommerabenven. 

Zelter ift manchmal bei ung, ich fuche heraus zu bringen was er 
ift. Ungefhliffen ift er zwar, Recht und Unrecht hat er aud, ‘Did 
lieb zu haben behauptet er auch, ex möchte der Welt dienen und führt 
Klage, daß fie ſich's nicht will gefallen Infien und daß er alle Weisheit 
für fih behalten muß. Einen Standpunkt bat er fi erwählt, von 
dem aus er fie von oben herab beſchaut. Und der Welt ifi’S einerlei, 
daß er mit den Krähen auf der Zinne fit und fie fich auf ihren Ge⸗ 
meinplägen tummeln ſieht. Au der Rievertafel ift er EAfar und freut 
fi feiner Siege, in der Singakademie ift er Napoleon und jagt durch 
fein Machtwort alles in Schreden, und feine Truppen gehen mit Zu- 
verfiht dr Did und Dim; zum Glück iſt gefungen, nicht gehauen 
und geftohen, Seine Leibgarde ver Baß, hat ven Katharr. Ju der 
Welt, in der Geſellſchaft und auf Reifen, va ift er Goethe, und zwar 
ein recht menfchlicher, voll herablaſſender Güte, er wandelt, er fteht, 
wirft ein kurzes Wort Hin, nidt freundlich zu unbeventenden ‘Dingen, 
bält die Hände auf den Rüden, das macht fich alles; nur zuweilen 
jpeit er aus, und zwar herzhaft, das trifft nicht, da geht die ganze 
Huflon zum Teufel. 

Die Verwirrung, die das Magiſche in jever Kımft bei ven Phi- 
fiftern veranlagt, ift bei der Muſik auf ven höchſten Grad geftiegen; 
‚Zelter. zum Beifpiel läßt nichts die Mouth paffiren was er nicht ſchon 
versteht, und eigentlich iſt das doch nur Muſik was grade da beginnt, 
wo ber Verſtand nicht mehr ausreicht, und bie ewig vernichtenden 
Duergeifter, die es fo gut meinen, wenn fie zuförderft das Verfländ- 
liche in der Kunft fordern: daß Die nicht begreifen daß fie das höchſte 
Element einer göttlihen Sprache herabwärbigen, wenn fle e8 nur mit 
dem ausfüllen was fie verflehen, indem fie ja doch nur das Gememe 
verftehen, und daß fie höhere Offenbarung nie erfahren, wenn fie ewig 


377 





geſcheuter fein wollen, wie ihre Botichafter vie Phantaſie und vie Bes 
geiftrung. Obſchon in der Mufil die Zauberformeln ewig lebendig 
find, fo ſpricht fie dev Philifter, vor Schred fle nicht zu verftehen, oft 
nur halb, oft rüdwärts aus, und nım ftehen die ſonſt fo beweglichen; 
blitzenden, naßkalt, langwierig, beſchwerlich und freilich unverſtändlich 
im Weg. 

Dagegen iſt der Begeiſterte ein anderer: mit heimlicher Zuver⸗ 
ficht lauſcht er und wird eine Welt gewahr, fie läßt ſich nicht definiren, 
fie- kann dem Gemüth wohl ihre Wirkung, aber nicht ihren Urfprung 
mittheilen, daher die plögliche veife Erſcheinung des Genies, das lang 
in ungebundner Selbftbefhauung zerſtreut war, nun in fich jelbft er⸗ 
höht, hervorbricht an's Tageslicht, unbekümmert, ob die Ungeweihten 
es verſtehen, da es mit Gott ſpricht (Beethoven). So ſteht's mit der 
Muſik, das Genie kann nicht offenbar werden, weil die Philiſter nichts 
anerlennen als was fie verſtehen. — Wenn ih mir da meinen 
Beethoven vente, der den eignen Geift fühlend, freudig ausruft, ich bin 
eleftrifcher Natur, und darum made ich fo herrliche Muſik! 

Viele Sinne zu einer Erſcheinung des Geiftes. Stetes lebhaftes 
Wirken des Geiſtes auf die Sinne (Menſchen), ohne welche fein Geift, 
feine Muſik. 

Wolluſt in's Vergangne zu fhauen wie durch Kriftall, Einficht 
der Beherrihung, der Tragung, der Erregung des Geiſtes; — 
nimmermebr in der Mufil, was verklungen ift hatte feinen eignen 
Tempel. Der tft mit ihm verfunten, Muſik kann nur ewig neu er- 
ſtehen. 

Sonderbares Schickſal der Muſikſprache, nicht verſtanden zu 
werden. Daher immer die Wuth gegen das was noch nicht gehört 
war, daher der Ausdruck: Unerhört. Dem Genie in der Muſik, ſteht 
der Gelehrte in der Muſik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter 
muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu ſtehen), das Bekannte 
verträgt er, nicht weil er es begreift ſondern weil er es gewohnt iſt, 
wie der Eſel den täglichen Weg. Was kann einer noch, wenn er auch 
alles wollte, ſo lang er nicht mit dem Genius ſein eignes Leben führt, 





378 


da er nicht Rechenſchaft zu geben hat, und die Gelehrſamkeit ihm nicht 
bineinpfufhen darf. Die Gelehrfamfeit verfteht ja doch nur höchſtens 
was ſchon da wer, aber nicht was da kommen foll, er kann die Geifter 
nicht Köfen vom Buchftaben, vom Geſetz. Jede Kunft fteht eigenmächtig 
da, den Tod zu verdrängen, den Menjhen im den Himmel zu führen; 
aber wo fie die Philifter bewachen und als Meifter losſprechen, da 
fteßt fie mit gefhornem Haupt, beihämt, was freier Wille, freies 
Leben fein ſoll, iſt Uhrwerk. Und da mag nun einer zuhören, glauben 
und hoffen, e8 wird doch nichts draus. Nur durch Wege konnte man 
Dazu gelangen, die dem Philifter verfchättet find, Gebet, Verſchwiegen⸗ 
heit des Herzens im flillen Vertrauen auf Die ewige Weisheit, auch in 
dem Unbegreiflichen. — Da ftehen wir an ven unüberfteigfichen Bergen, 
und doch: da oben nur lernt man die Wolluft des Athmens verftehen. 

Der Frau das Heine Andenken mit meinem Glückwunſch zum 
neuen Jahr. Dem Hm. R. die ungemachte Wefte, feine Bolllommen- 
heit bat mich in Töplig zu jehr geblendet, als daß ich mir das rechte 
Maaß hätte denken können, die Borftednaveln ſeien bier zu geſchmack⸗ 
los, al8 daß ich ihm eine hätte ſchicken mögen, aber lauter und lauter 
Vergißmeinnicht in der Weite! — Er mag nicht wenig ſtolz darauf 
fein. Sollte fein Geſchmack noch nicht fo weit gebildet fein dies ſchön 
zu finden, fo fol er nur auf mein Wort glauben, daß ihm alle Dien- 
Ihen darum beneiden werden; noch muß ich erinnern, daß fie ale 
Unterwefte getragen wird. Nun er wird mir gewiß fchreiben und wird 
ſich bedanken. — Und Du? — hm. 


Du Einziger, der mir den Tod bitter mat! — 
Bettine. 


Grüß doch die Frau recht herzlich von mir, — es ift ihr doch 
Niemand fo von Herzen gut wie id. 

Adieu Magnetberg. — Wollt ih auch da⸗ und dorthin die Fahrt 
lenken, an Dir würden alle Schiffe ſcheitern. 

Adien einzig Erbtheil meiner Mutter. 

Adien Brunnen aus dem ich trinke. 


379 





An Bettine. 


Du erjheinft von Zeit zu Zeit, liebe Bettine, als ein wohl- 
thätiger Genius, bald perfönlich, bald mit guten Gaben. Auch dies- 
mal haft Du viel Freude angerichtet, wofür Dir der ſchönſte Dank 
von allen abgetragen wird. - » > rennen 

Da Du mit Zeltern manchmal zufammen bift, ift mir lieb, ich 
boffe immer noch, Du wirft Dich noch beſſer in ihn finden, es könnte 
mir viel Freude machen. Du bift vielfeitig genug, aber auch manchmal 
ein recht beſchränkter Eigenfinn, und befonders was die Muſik betrifft 
baft Du-wunderlihe Grillen in Deinem Köpfchen erftarren laſſen, die 
mir in fofern lieb find weil fie Dein gehören, deswegen ich ‘Dich auch 
keineswegs deshalb meiftern noch quälen will; im Gegentheil wenn 
ih Dir ein unverholnes Belenntnig machen ſoll, jo wünfch ich Deine 
Gedanken über Kunft überhaupt wie über die Muſik mir zugewendet. 
In einfamen Stunden kannſt Du nichts beflers thun, al8 Deinen 
lieben Eigenfinn nahhängen und ihn mir trauen, ich will Dir auch 
nicht verhehlen, daß Deine Anfichten trot allem abfonverlichen einen 
gewifjen Anklang in mir haben, und fo manches was ich in früherer 
Zeit wohl au in feinem Herzen getragen wieder anregen, was mir 
denn in diefem Augenblid jehr zu flatten kommt; bei Dir wäre ſehr 
zu wünſchen, was die Weltweifen als vie wejentlichfte Bedingung der 
Unfterblicleit fordern, daß nämlich der ganze Menſch aus ſich heraus- 
treten müſſe an's Licht. Ih muß Dir doch aufs dringenſte an- 
empfehlen, dieſen weilen Kath jo viel wie möglich nachzukommen, 
denn obſchon ich nicht glaube, daß hierdurch alles Unverſtandne und 
Räthſelhafte genügend gelöft würde, jo wären doch wohl vie erfreu- 
lichſten Refultate Davon zu erwarten. 

Bon den guten Muſikſachen die ih Dir verbante, ift ſchon gar 
manches einftudiret und wird oft wiederholt. Überhaupt gebt unfre 
Heine muſikaliſche Anftalt dieſen Winter recht ruhig und ordentlich fort. 











380 


Bon mir kann ich Dir wenig jagen als daß ich mich wohl befinde, 
welches denn auch fehr gut ift. Für lauter Äußerlichkeiten Kat ſich von 
innen nichts entwideln können. Ich denke das Frühjahr und einige 
Einſamkeit wird das Beſte thun. Ich danke Dir zum ſchönſten für 
das Evangelium juventutis, wovon Du mir einige Pericopen gefenvet 
daft. Fahre fort von Zeit zu Zeit wie es Dir der Geift eingiebt. 

Und num lebe wohl und habe nochmals Dank für die warme 
Glanzweſte. Meine Frau grüßt und dankt zum ſchönſten. Riemer 
bat wohl ſchon jelbft gefchrieben. Jena, wo ich mid) vierzehn Tage 
binbegeben. 

Den 11. Januar 1811. ©. 


An Goethe. 


Alfo ift mein lieber Freund allein! — das freut mid, daß Du 
allein bift, denke meiner! — lege die Hand an die Stime und vente 
meiner, daß ich auch allein bin. In beiliegenden Blättern ver Beweis, 
daß meine Einfamkeit mit Div erfüllt iſt, ja wie follte ich anders zu 
folhen Anſchauungen kommen als indem ich mich in Deine Gegen- 
wart vente. 

Ich habe eine kalte Nacht verwacht, um meinen Gedanken nach⸗ 
zugehen, weil Du fo freundlich alles zu wiflen verlangft, ich Hab doch 
nicht alles aufjchreiben können, weil dieſe Gedanken zu flüchtig find. 
Ad ja, Goethe, wenn ich alles aufſchreiben wollte, wie wunderlich 
würde das fein. Nimm vorlieb, ergänze Dir alles in meinem Sinn, 
in dem Du ja doch zu Haufe bill. Du und fein andrer hat mid) je 
gemahnt Dir meine Seele mitzutheilen, und ich möchte Dir nichts vor⸗ 
enthalten, darum möcht ich aus mir heraus an's Licht treten, weil 
Du allein mich erleuchteft. 

Beiliegende Blätter gefchrieben in der Montag⸗Nacht. 
Über Kunft. Ich Hab fie nicht ſtudirt, weiß nichts von ihrer 


381 





Entftehung, ihrer Gefchichte, ihrem Standpunkt. Wie fle einwirkt, wie 
die Menſchen fie vertehen, das ſcheint mir unächt. 

Die Kunſt ift Heiligung der finnlihen Natur, hiermit fag ich 
alles was ich won ihr weiß. Was geliebt wird das foll der Liebe 
dienen, der Geift ift das geliebte Kind Gottes, Gott erwählt ihn zum 
Dienft der finnlihen Ratur, das ft die Kunſt. Offenbarung des 
Geiftes in ven Sinnen ift vie Kunſt. Was Du fühlft Das wird Ge 
banfe und was Du denkſt, was Du zu erdenken ftrebit das wird ſinn⸗ 
liches Gefühl. Was die Menfchen in ver Kunft zufammentragen, was 
fie bervorbringen, wie fie fih durcharbeiten, was fie zu viel oder zu 
wenig thım, das möchte manchen Widerſpruch erdulden, aber immer 
ift e8 ein Buchſtabiren des göttlihen Es werde. | 

Was kann uns ergreifen an der Darftellung einer Geftalt die 
ſich nicht vegt, Die ven Moment ihrer geiftigen Tendenz nicht zu ent» 
wideln vermag? — was Tann und durchdringen in einer gemalten 
Luftſchicht, in welcher die Ahnung des fteigenden Lichts nie erfüllt 
wird — was bewegt und zu heimathlihem Sehnen in der gemalten 
Hütte ſogar? was zu dem vertraulichen Hinneigen zum nachgeahmten 
Thiere? — Wenn e8 nicht eine Sanction des keimenden Geiſtes ber 
Erzeugung ift! 

Ach was fragſt Du nad der Kunft, ich kann Dir nichts genügen- 
des jagen? frage nad der Liebe, die ift meine Kunft, in ihr foll ich 
darftellen, in ihr ſoll ich mich fafjen und heiligen. 

Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich dor dem Geift, ven 
Du in mir aufitehen heißeft, weil ich ihn nicht ausfprechen Tann. Du 
jagft in Deinem Brief, der ganze Menſch müfle aus fich heraustreten 
an's Licht, nie hat dies einfache unträgliche Gebot mir früher einge- 
leuchtet, jet aber, wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert, was 
hab ich da aufzuweiſen, als nur Berfhuldungen gegen, viefen inneren 
Menſchen; fiehe da! er war mißhandelt und unterbrüdt. — Iſt aber 
dieſes Hervortreien des innern Menfhen an's Licht nicht Die Kunft? — 
Diefer innere Menſch der an's Licht begehrt, daß ihm Gottes Finger 
die Zunge Löfe, das Gehör entbinve, alle Sinne erwede, daß er 





382 


empfange und ausgebe! — Und ift bier bie Liebe nicht allein 
Meifterin und wir ihre Schüler in jedem Werke das wir durd ihre 
Infpiration vollbringen. 

Kunſtwerke find zwar allein das was wir Kunft nennen, durch 
was wir die Kunft zu erfennen und zu genießen glauben. Aber jo weit 
die Erzeugung Gottes in Herz und Geift, erhaben ift über die Begriffe 
und Mittheilungen bie wir ung von ihm machen, über die Gelee, die 
von ihm unter ung im zeitlichen Leben gelten jollen, eben fo erhaben 
ift die Kunft über das was die Menſchen unter fi von ihr geltend 
machen. Wer fie zu verftehen wähnt der wird nicht mehr leiften, als 
was der Verſtand beherrſcht. Wellen Sinne aber ihrem Geift unter« 
worfen find, der hat die Offenbarung. 

Alles Erzeugniß der Kunft ift Symbol der Offenbarung, und da 
bat oft der auffafiende Geift mehr Theil an der Offenbarung als der 
erzeugende. — Die Kunft ift Zeugniß, daß die Sprache einer höheren 
Welt deutlich in der unfern vernommen wird, und wenn wir fie and- 
legen zu wollen uns nicht vermefjen, jo wird fie jelbft die Vorbereitung 
jenes höheren Geiftesleben in uns bewirken, von dem ſie die Sprache 
iſt. Es ift nicht nöthig daß wir fie verftehen, aber daß wir an fie 
glauben. Der Glaube ift ver Same, durch den ihr Geift in uns aufs 
geht fo wie durch ihn alle Weisheit aufgeht, da er der Same ift einer 
unfterblihen Welt. Da das höchſte Wunder wahr ift, jo muß wohl 
alles was dazwifchen Tiegt eine Annäherung zur Wahrheit fen, und 
nur der richtende Menſchengeiſt führt in die Irre. Was kann und 
darf uns billiger Weife noch wundern als unfre eigne Kleinheit. — 
Alles ift Vater und Sohn und heiliger Geiſt; der irdiſchen Weisheit 
Gränze, find die Sternebeſchienenen Menſchlein, die von ihrem Lichte 
fabeln. — Die Wärme Deines Blutes ift Weisheit, denn die Liebe 
giebt das Leben allen. Die Wärme ‘Deines Geiftes ift Weisheit, 
denn die Liebe belebt den Geift allein, wärme mein Herz durch Deinen 
Geift den Du mir einhauchſt, jo Hab ich den Geift Gottes, der nur 
allein vermags. 

Diefe alte Nacht hab ich zugebradht am Schreibtiih, um das 


383 
Evangelium juventutis weiter zu führen und babe viel gedacht, was 
ich nicht fagen Tann. 

Die Borrathstammer der Erfahrung hat VBortheile aufgefpeichert, 
diefe benützen zu können nach Bedürfniß, ift Meifterfchaft; fie auf den 
Schüler über zu tragen, ift Belehrung, hat der Schüler alles erfagt 
und verfteht er es anzuwenden jo wird er losgeſprochen; dies iſt bie 
Schule, durch welche die Kunft fich fortpflanzt. Ein fo Losgeſprochener. 
ift Einer, dem alle Irrwege zwar offen ftehn, aber nicht ver rechte 
Aus der Ianggewohnten Herberge im die die Xehre der Erfahrung ihn, 
eingepfergt hatte, entlaflen, ift die Wüſte des Irrthums feine Welt, 
aus der er nicht heraus zu treten vermag, jeder Weg den er ergreift ift 
ein einfeitiger Pfad des Irrthums; des göttlichen Geiftes baar, durch 
Borurtheile verleitet, jucht er feine Kunftgriffein Anwenpung zu bringen 
bat er fie alle an feinem Gegenftand durchgeſetzt, fo hat er ein Kunft- 
wert hervorgebracht. Mehr hat noch nie das Beftreben eines durch die 
Kunſtſchule gebildeten Künftlers erworben. Wer je zu etwas gelommen 
ift in der Kunſt, der hat feiner Kunftgriffe vergefien, deſſen Tracht von 
Erfahrungen hat Schiffbruch gelitten und die Verzweiflung hat ihn am 
rechten Ufer landen laſſen. Was aus folder gewaltiamen Epoche her⸗ 
vorgeht, ift zwar oft ergreifend aber nicht überzeugend, weil ver Maaß⸗ 
ftab des Urtheils und des Begriffs immer nur jene Erfahrungen und 
Kunftgriffe find, die nicht paflen, wo das Erzeugniß nicht durch fie ver- 
mittelt tft; Dann auch weil das Vorurtheil der errungenen Meifterfchaft 
nicht zuläßt, daß etwas fei was nicht in ihm begriffen ift; und fo die 
Ahnung einer höheren Welt ihm verſchloſſen bleibt. Die Erfindung 
dieſer Meiſterſchaft wird gerechtfertigt durch den Grundfag: Es ift 
nicht8 Neues, alles ift vor der Imagination erfunden. Ihre Erzeug- 
nifje theilen fih in den Mißbrauch des Erfunvenen, zu neuen Erfin- 
dungen, in das Scheinerfinden wo das Kunſtwerk nicht den Gedanken in 
ſich trägt, ſondern feine Entbehrung durch die Kunftgriffe und Erfah— 
rung der Kunftjchule vermittelt find, und in die Erzeugungen, die fo 
weit gehen als dem Gedanken vurd Bildung erlaubt ift etwas zu 
faflen. Je klüger, je abwägender, je fehlerfreier, je ficherer, deſto 





384 





wohlverftandener, von und für die Menge, und Dies nennen wir 
Kunſtwerke. 

Wenn wir eines Helden Standbild machen, wir kennen ſeine Le⸗ 
bensverhaͤltniſſe, verbinden dieſe mit der Genugthuung der Ehre auf 
eine gebildete Weiſe, ein jeder einzelne Theil enthält einen harmo⸗ 
niſchen Begriff feiner Individualität, das Ganze entfpricht dem Maaße 
der Erfahrung im Schönen, fo find wir binlänglich befrtedigt. — “Dies 
ift aber nicht Die Aufgabe des Kunſtwerks vie durch Das Genie gefördert 
wird; Dies iſt nicht befriedigend ſondern überwältigend, fie tft nicht der 
Repräfentant einer Erſcheinung fondern die Offenbarımg des Genies 
ſelbſt, in ver Erſcheinung. Ihr wervet nicht jagen: Dies tft das Bild 
eines Mannes der ein Held war, fondern: dies ift die Dffenbarımg 
des Heldenthums das fi in dieſem Kunſtwerk verkörperte. Zu folder 
Aufgabe gehört nicht Berechnung ſondern Leivenfhaft, oder vielmehr 
Erleiven einer göttlihen Gewalt. Und welcher Künftler das Helden⸗ 
thum (ich nehme e8 als Kepräfentant jever Tugend, denn jede Tugend 
ift lediglich Sieg) fo darftellt, daß es die Begeiftrung, die feine Er’ 
ſcheinung ift, mittheilt: der tft dieſer Tugend nicht allein fähig, ſondern 
fie ift Schon in ihm wiedergeboren. Im der bildenden Kunft fteht der 
Gegenſtand feft wie ver Glaube, der Geift des Menfchen umwandelt 
ihn wie ver Begriff, Erkenntniß im Glauben bildet das Kunftwerf 
welches erleuchtet. 

In der Mufit tft Die Erzeugung felbft ein Wandeln der göttlichen 
Erfenntniß, die in den Menſchen hereinleuchtet ohne Gegenftand, und 
der Menſch felbft ift die Empfängnig. — In allem ift ein Verein der 
Liebe, ein Ineinanderfügen geiftiger Kräfte. 

Jede Erregung wird Sprache, Aufforderung an den Geiſt; — 
er antwortet: — und dies ift Erfindung. Dies aljo ift die geheime 
Grundlage der Erfindung: das Vermögen des Geiftes auf eine Frage 
zu antworten, Die nicht einen beftimmten Gegenftand zur Aufgabe bat, 
fondern die vielleicht bewußitlofe Tendenz der Erzeugung ift. 

Alle Regungen geiftiger Ereignifje des Lebens nach außen, haben 
einen ſolchen tief verborgnen Grund; fo wie der Lebensathem fich in 





385 


die Bruft fenft um auf's neue Athem zu ſchöpfen, jo ſenkt ſich der er⸗ 
zeugende Geift in die Seele, um aufs neue in vie höhere Region 
ewiger Schöpfungstraft aufzuſteigen. 

Die Seele athmet durch ben ©eift, der Geift athmet durch die 
Infpiration, und Die ift das Athmen der Gottheit. 

Das Aufathmen des göttlichen Geiftes ift Schöpfen, Erzeugen; 
das Senken des göttlichen Athems iſt Gebären und Ernähren des 
Geiſtes, — fo erzeugt, gebärt und ernährt ſich das Göttliche im Geift; 
. jo, durch den Geift in der Seele, ſo durch die Seele in dem Leib. Der 
Leib ift die Kunft, — fie ift die ſinnliche Natur in's Reben des Geiftes 
erzeugt. 

In der Künftleriprache heit e8: Es kann nichts neues erfunden 
werden, alles iſt fhon vorher dageweſen; ja! wir können auch nur 
im Menſchen erfinden, außer ihm giebt es nicht8, denn da ift der Geift 
nicht, denn Gott felbft Hat feine andere Herberge als den Geift des 
Menihen. Der Erfinder ift die Liebe. Da nur das Umfaflen ver 
Liebe das Dafein gründet, fo liegt außer dieſem Umfaßten fein Dafein, 
fein Erfimdenes. — Das Erfinden ift nur ein Gewahrwerven 
wie der Geift der Liebe in dem von ihr begründeten Dafein waltet. 

Der Menſch kann nicht erfinden, fondern nur fich ſelbſt empfinden, 
nur anffafien, erkennen was der Geift der Liebe zu ihm fpricht, wie er 
fih in ihm nährt, und ihn durch fich belehrt. — Außer diefem Ge 
wahrwerden der göttlichen Liebe, in Sprache der Erkenntniß umſetzen: 
ift feine Erfindung. 

Wie tönnte der Geift nun erfinden wollen, da nur er das Er- 
fundene ift, da die Entfaltung feines Lebens, nur vie Entwidlung der 
Leidenſchaft ift, die ihm einzuflößen ver göttlichen Liebe Genuß und 
Nahrung ift, da fein Athem nur das Verzehren dieſer Leidenſchaft ift, 
und da ſeine Erzeugniſſe nur das Verkörpern dieſer Leidenſchaft ſind. 

Alſo das Daſein iſt das Umfaſſen der Liebe, das Geliebtſein. 
Das Erfinden, das Ausſprechen iſt das Einflößen ihrer Leidenſchaft 
in den menſchlichen Geiſt. Die Schönheit aber iſt der Spiegel ihrer 
Seligkeit, die ſie in der Befriedigung ihrer Leidenſchaft hat. — Die 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 25 


386 


Seligkeit ver Liebe fpiegelt fi in dem Geift den fie erzeugt den fie 
mit Leidenſchaft durchdringt, daß er fie begehre; viefes Begehren zu 
befriedigen erzeugt ihren Genuß, dieſes Mitgefühl ihres Genuffes, 
ihrer Seligteit, fpricht der Geift durch Schönhett aus. Die Schönheit 
verkörpert fi durch den liebenden Geift, der die Form mit Leidenſchaft 
durchdringt, fo wie die Liebe die felbfterfchaffene Form des Geiftes 
durchdringt. Daun fpricht nachher Die finnlihe Yorm die Schönheit 
des Geiftes aus, wie der von Leidenſchaft erfüllte Geift vie Schönheit 
der Liebe ausipricht. — Und fo ift Die Schönheit der irdiſchen Form 
der Spiegel der Seligkeit des liebenden Geiftes, wie die Schönheit der 
Seele der Spiegel der Seligkeit der Liebenden Gottheit ift. 

Mein Freund glaubt vielleicht ich fer mondſüchtig, da wir heute 
Bolmond haben, ich glaub's auch, 


Den 1. Auguft 1817. 

Nicht geahndet hab ich e8, daß ich je wieder fo viel Herz fafjen 
würde an Dich zu fohreiben, bift Du e8 denn? ober ift es nur meine 
Erinnerung, die fi fo in der Einſamkeit zu mir lagert und mich allein 
mit ihren offnen Augen anblidt, ad wie vielmal hab ich in folden 
Stunden Dir die Hand dargeboten, daß Du die Deinigen hineinlegen 
möchteſt, daß ich fie beide an meine Tippen drücken könnte. — Ich fühl 
es jetzt wohl, daß es nicht leicht war mich in meiner Leidenſchaftlichkeit 
zu ertragen, ja ich ertrage mich jelbft nicht, und mit Schauder wende 
ih mid) von all ven Schmerzen, die die Betrachtung in mir aufwühlt, 

Warum aber gerad heute, nachdem Jahre vorüber find, nachdem 
Stunden verwunden find, wo id mit Geiſtern zu kämpfen hatte, Die 
mid zu Dir hin mahnten? Heute bedachte ich e8, daß vielleicht auch 
Du nie eine Liebe erfahren habeft, die bis an's End gewährt habe, 
heute hatte ich die Haare in Händen, die Deine Mutter fich abjchnitt, 
um fie mir ald ein Zeichen ihrer Liebe nad ihrem Tode reihen zu 
laflen, und da faßte ih Herz, einmal will ih Dich nod rufen, was 
fann mir widerfahren wenn Du nicht hörft? 











387 


Die Leute gehen jetst häufig in die Kirche, fie gehen zum Abend⸗ 
mabl, fie fpredhen viel von ihrem Freund und Here, von dem Sohn 
ihres Gottes; ich habe nicht einmal den Yreund bewahrt, ven ich mir 
ſelbſt erwählte, mein Mund hat ſich geſchloſſen über ihn, als ob ich 
ihn nicht kenne, ich habe das Richtſchwert der Zunge über ihm bligen 
fehen und hab es nicht abgewehrt, fiehft Du fo wenig Gutes ift in mir, 
da ich doch Damals fo gewiß befier jein wollte, als alle die fo find, 

Mir träumte vor drei Jahren, ich erwache aus einem ruhigen 
Schlaf auf Deinen Knieen figend, an einer langen gevedten Tafel, 
Du zeigteft mir ein Licht was tief herabgebrennt war und fagteft: 
„jo lange hab ih dich an meinem Herzen ſchlafen laſſen, alle Säfte 
find von der Tafel weggegangen, ich allein bin um deine Ruhe nicht 
zu ftören figen geblieben, num werfe mir nicht mehr vor, daß ich feine 
Geduld mit dir Habe! — ja wahrlich, das träumte ich, ich wollte Dir 
damals jchreiben, aber eine Bangigkeit, die mir bis in die Fingerſpitzen 
ging, hielt mid davon ab; nun grüße ih Did nochmals durch alle 
Nacht ver Vergangenheit, und drücke die Wunden wieder zu, die ich fo 
lange nicht zu befchauen wagte, und warte ab ob Du mid auch noch 
hören willft, eh ich Dir mehr erzähle. Bettine. 

Den Tag, an dem ich dies gefchrieben gerieth das Komödienhaus 
in Brand, ich ging nad dem Pla wo Tauſende mit mir dies uner- 
hörte Schaufpiel genofjen, die wilden Flammendrachen rifſen fi vom 
Dache los und ringelten fich nieder oder wurden von Windſtößen zer 
riffen, die Hitze hatte die ſchon tröpfelnden Wollen verzehrt oder zer- 
teilt, und man konnte durch die rothe Gluth ruhig in's Antlig der 
Sonne fehen, der Rauch wurde zum röthlihen Schleier. Das Teuer 
ſenkte fich in die innern Gemächer und hüpfte von außen hier und dort 
auf dem Rand des Gebäudes umher, das Gebälfe des Daches war in 
einem Nu in fich herein geftürzt und das war herrlich, nun muß ich 
Dir aud) erzählen, daß es während dem in mir jubelte, ich glühte mit, 
der irdiſche Leib verzehrte fih, und der unechte Staat verzehrte. fich 
mit, man ſah durch die geöffnete Thüre, durch die dunkeln todten 

25* 


Y 


388 


Mauern alle Fenſter ſchwarz, den Vorhang des Theaters brennend 
nieberftürzen, nım war das Theater im Augenblid ein Feuermeer, jetzt 
ging ein leiſes Kniftern durch alle Fenftern und fie waren weg, ja wenn 
die Geifter folder Elemente einmal die Ylügel ans ven Ketten Ios 
baben, dann machen fie e8 arg. In dieſer andern Welt in der ih nun 
ftand — dachte ih an Dich, den ich ſchon fo ange verlafien hatte, 
Deine Weder, die ich lange nicht gefungen hatte, zudten auf meinen 
Lippen, ich allein vielleicht unter den Laufenden die da flanden, bie 
ſchauderten, die jammerten, ich allein fühlte in feliger einfamer Be⸗ 


. geifterung, wie feuerfeft Du bift — ein Räthſel hatte ſich gelöft, dent- 


licher und befler konnte der Schmerz der oft im früheren Zeiten in 


- meiner Bruft wählte nicht erläutert werden, ja e8 war gut, mit diefem 


Haufe brannte ein dumpfes Gebäude nieder, frei und leicht ward's in 
meiner Seele, und die Baterlandsluft wehte mi an — noch eins 
will ich Dir davon erzählen: in den erften Nachmittagsſtunden ſchon, 
hatte das Teuer feine Rolle im Innern ausgefpielt, wie der Mond 
anfging, hüpften die Heinen Slammengeifter fpielend in die Fenſter⸗ 
mauern, in den Verzierungen tanzend lichteten fie die geſchwärzten 
Masten. Am dritten Tag jhlug die Flamme aus den tief gehöhlten 
Balkenlöchern. Gelt mehr läßt fich nicht erwarten — willft Du mir 
nun über all diefen Schutt die Hand wieder reihen, willſt Du bis 
an's End mi warn und liebend für Dich willen, fo fag ein Wort 
aber bald, venn ich habe Durft. 

-Seit ven langen Jahren hab ih das Schreiben verlernt, die 
Gedanken arbeiten fih auf ungeebnetem Weg dur, und Doch dent ich 
mid) noch wie den ſchäumenden Becher in Deiner Hand, aus dem Du 
gern nippen magft. 

Wenn das beigefügte Blatt noch feine Farbe Hat, fo kannſt Du 
ſehen, welche Yarbe meine Liebe zu Dir hat, denn immer kommt's mir 
vor, als ob's grad jo innig roth und fo ruhig, und der goldne Samen- 
ftaub auch, fo tft Dein Bett in meinem Herzen bereitet, verſchmähe es 
nicht, Meine Adreſſe ift Georgen Straße No. 17. 








389 





An Goethe. 
Weimar, den 29. Oftober 1821. 

Mit Dir hab ich zu ſprechen! — nicht mit dem der mich von fi 
geftoßen, der Thränen nicht geachtet und karg keinen Fluch wie keinen 
Segen zu fpenden hat, vor dem weichen die Gedanken zurüd, Mit 
Dir Genius! Hüter und Entzünder! der mit gewaltigen Schwingen 
oft die Flamme aus ver verfunknen Aſche wieder emporwehte, mit 
Dir, der es mit heimlihem Entzüden genoß, wenn der jugenbliche 
Duell braufend, empörend über Gefels fih den Weg fuchte zur 
ruhigen Bucht zu Deinen Füßen, da es mir genügte Deine Kniee zu 
umfaſſen. 

Aug in Aug! einzig Leben! keine Begeiſtrung die über Dich 
geht! — die Seligkeit geſehen zu ſein und Dich zu ſehen! — 

Ob ich Dich liebte? — das fragſt Du? — macht Ihr es aus 
über unſern Häuptern, Ihr Schwingenbegabte. — Glaub an mich! 
— glaub an einen heißen Trieb — Lebenstrieb will ich ihn nennen, 
— ſo ſing ich Deinem träumenden Buſen vor. — Du träumſt, Du 
ſchläfſt! und ich träume mit. 

Sa die damalige Zeit ift jegt ein Traum, der Blitz der Begeiftrung 
hatte ſchnell Dein irdiſch Gewand verzehrt und ich fah Dih wie Du 
bift, ein Sohn der Schönheit, jeßt ift’8 ein Traum. 

Ic hatte mich felbft, ein ernftes ftilles ſchauerliches Geheimniß 
Div opfernd zu Füßen zu legen, fill und tief verborgen wie der un- 
reife Same in feiner Hülle. An Dir, an Deiner vergebenden Liebe 
follte er reifen; jeven unwillführlichen Fehl, jede Sünde wollt ich ein- 
geftehn, ich wollte fie wegfangen aus Deinen Augen mit meinem 
thränenbeladenen Blid, mit meinem Lächeln, aus Deinem Bewußt⸗ 
fein mit der Gluth meines Herzens die Du nicht zum zweitenmal 
findeft, — aber dies alles iſt nun em Traum. 

Zehn Jahre der Einſamkeit haben fich über meinem Herzen auf: 
gebaut, haben mich getrennt von dem Quell aus dem ich Neben fchöpfte, 
feiner Worte hab ich mich ſeitdem wieder bedient, alles war verjunten 


390 


was ich gefühlt und geahnt hatte. Mein letter Gedanke war: „Es 
wird wieder eine Zeit kommen in der ich ſein werde, denn für Diesmal 
haben fie meine Sinne begraben und mein Herz verhält. 

Diefe zulünftige Zeit, o Freund! ſchwebt über mir hin gleich 
den Winden ver Wüfte, die fo manches Dafein mit leichtem Flugſand 
verſcharren und e8 wird mic, feine Stimme wieder erweden, außer der 
Deinen, — und das bleibt wohl auch nur ein Traum? — 

Damals betete ich oft um das einzige, daß ich Demen legten 
Athemzug küflen dürfe, denn ich wollte gern Deine auffliegende Seele 
mit meinen Rippen berühren; ja Goethe! — Zeiten die ihr vorüber 
ſeid, wendet euch am fernen Horizont noch einmal nad mir ber, ihr 
tragt das Bild meiner Jugendzeit in dichte Schleier gehüllt. 

Nein! Du kannft doch nicht fein was Du jest bit: hart und 
falt wie Stein! — Sei es immer für dieſe Welt, für diefe verrinnende 
Zeiten, aber dort wo die Gewölke fih in triumphirenden Fahnen auf 
rollen, unter denen Deine Lieber zu dem Thron auffteigen, wo Du 
ihr Schöpfer, und Schöpfer Deiner Welt, ruheft, nachdem Du das 
Werk Deiner Tage gejhaffen, zum Leben geſchaffen; da laß mich mit 
Dir fen um meiner Liebe willen, die mir von gefhäftigen Geiftern 
jener höheren Welt zugetragen ward, wie der Honig dem wilben 
Fruchtbaum in den hohlen Stamm von taufend gefhäftigen Bienen 
eingetmpft wird, der dann, ob auch nicht aus fich felber, dennoch einen 
köſtlicheren Schat in ſich bewahrt als der Baum der edle Früchte 
trägt, Ja laß das wilde Reis feine Wurzeln mit den deinen ver- 
ſtricken, verzehre e8 wenn Du es nicht dulden magſt. 

Sa wohl! ich bin zu heftig, fiehe da, der Damm ift verfchättet 
weldhen Gewohnheit baut, und Ungewohntes überftrömt Herz und 
Papier. Ja ungewohnte Thränen, ihr überftrömt mein Geficht, das 
heute die Sonne fuht und vor Thränen nicht flieht, und auch nicht 
weil fie mir heute nicht fcheinen will. | 

Den 23. November. 

Alle Blumen die noch im Garten ftehen einfammeln, Rofen und 

friihe Trauben noch in der fpäten Jahreszeit zufammenbringen, ift 








391 


fein unſittlich Geſchäft und verbient nicht den Zorn deſſen dem fie an- 
geboten find. Warum fol ich mich fürchten vor Dir! — daß Du 
mich zurüdgeftoßen haft mit der Hand, die ich küſſen wollte, das ift 
ſchon lange ber, und heut bift Du anders gefinnt. — Dem Becher 
aus dem Du heute getrunten ſei dieſer Strauß in den Kelch gepflanzt, 
er übernachte dieſe legte Blumen, er ſei ein Grab viefen Blumen, 
morgen wirf den Strauß weg und fülle ven Becher nach Gewohnheit. 
— So haft Du mir's auch gemadt, Du haft mich weggeworfen aus 
dem Gefäß das Du an die Tippen zu fegen gewohnt bift. 


Den 24. 

Eine Zeitlang flattert die Seele am Boden, aber bald ſchwebt 
fie aufwärts in den kühlenden Äther. Schönheit ift Ather! — fie 
fühlt, — nicht entflammt. — Die Schönheit erkennen, das ift die 
wahre Handlung der Liebe. — Liebe ift kein Irrthum, aber ach! der 
Wahn der fie verfolgt. — Du fiehft ich will einen Eingang fuchen mit 
Dir zu ſprechen, aber wenn ih aud auf Kothurnen fehreite — der 
Leib tft zu ſchwach den Geift zu tragen, — beladne Afte fchleifen vie 
Früchte am Boden, Ach! bald werden diefe Träume ausgeflammt 
haben. 


Den 29. Juni 1822. 

Du fiebft an diefem Papier das es ſchon alt ift und daß ich's 
ſchon lang mit mir herumtrage, ich ſchrieb's im vorigen Jahr gleich 
nachdem ich Dich verlafien hatte, Es war mir plößlich als wollen 
alle Gedanken mit mir zuſammenbrechen, ich mußte aufhören zu 
Tchreiben; doch ruft von Zeit zu Zeit eine Stimme daß ih Dir nod) 
alles fagen fol. Ich geh auf's Land, da will ih wo möglich den Blick 
über dies Erdenleben binaustragen, ich will ihn in Nebel hüllen, daß 
er nichts gewahr werde außer Dir. — Außer der Sonne, die ven 
ZThautropfen in ſich faſſet foll er nichts fafjen. — Jede Blüthe, die 
fi dem Lichte öffnet fafjet einen Thautropfen, der das Bild der wär- 
menden belebenden Kraft aufnimmt; aber Stamm und Wurzel find 








392 





belaftet mit der finfteren, feften Erde; und wenn die Blüthe feine 
Wurzel hätte, jo hätte fie wohl Flügel. — 

Heute ift jo warn, heute jet ergeben in die Gedanken vie Dir 
dies Papier bringt. Zeit und Raum laß weichen zwiſchen unfern 
Herzen, und wenn's fo ift dann hab ich Feine Bitte mehr, denn da muß 


das Herz verftummen. Bettine 


Bon Goethes Hand auf diefen Brief gefhrieben: 
Empfangen ven 4. Juli 1822. 


An Goethe. 


Schon oft hab ich mich im Geift vorbereitet Dir zu fehreiben, 
aber Gedanken und Empfindungen, wie die Sprache fie nicht aus: 
drüden kann, erfüllen die Seele, und fie vermag nicht, ihr Schweigen 
zu brechen. 

So ift denn die Wahrheit eine Mufe, vie das Kunſtgebilde 
ihrer Melodieen zwar in dem, den fie durchſchreitet, harmoniſch be- 
gründet, nicht aber fie erklingen läßt. — Wenn alles irdiſche Bedürf— 
niß ſchweigt, alles irdiſche Willen verftummt dann erft hebt fie ihrer 
Geſänge Schwingen. — Liebe! Trieb aller Begeiftrung, erneut das 
Herz, macht die Seele kindlich und unbefledt. Wie oft ift mein Herz 
unter der Schlummervede des Ervenlebens erwacht, begabt mit dieſer 
myſtiſchen Kraft ſich zu offenbaren; der Welt war ich erftorben, vie 
Geele ein Mitlauter der Liebe, und daher mein Denken, mein Fühlen, 
ein Aufruf an Did: Komm! Sei bei mir! finde mich in dieſem 
Dunkel! — Es ift mein Athen der um ‘Deine Lippen jpielt, der 
Deine Bruft anfliegt; — fo dachte ich aus der Ferne zu Div, und 
meine Briefe trugen Dir diefe Melodieen zu ; e8 war mein einzig Be⸗ 
gehren daß Du meiner gedenken mögeft, und jo wie in Gedanken ich 
immer zu Deinen Füßen lag, Deine Kniee umfaſſend, jo wollte ich, 





393 


daß Deine Hand fegnend auf mir ruhe. Dies waren die Grund- 
aecorde meines Geiſtes die in Dir ihre Auflöfung fuchten. — Da war 
ich was allein Seligkeit ift: ein Element von Gewealten höherer Natur 
durchdrungen, meine Füße gingen nicht, fie ſchwebten ver Zukunfsfülle 
entgegen über bie irdiſchen Pfade hinaus, meine Augen fahen nicht, 
fie erfhufen die Bilder meiner feligften Genüſſe; und was meine 
Ohren von Dir vernahmen das war Keim des ewigen Lebens, ber 
vom Herzen aus mit fruchtender Wärme gehegt ward. Sieh ich durch⸗ 
eile mit dieſen Erinnerungen die Vergangenheit. Zurüd! von Klippe 
zu Kippe abwärts, in's Thal einfamer Jugend; hier Dich findend, 
das bewegte Herz an Deimer Bruft beſchwichtigend, fühl ich mich zu 
diefer Begeiſtrung aufgeregt, mit der der Geift des Himmels in 
menſchlicher Empfindung ſich offenbart. 

Dich auszuſprechen wär wohl das kräftigfte Infiegel meiner Liebe, 
ja e8 bewieje, ald ein Erzeugniß göttliher Natur meine Verwandt⸗ 
haft mit Div. Es wär ein gelöftes Räthſel, gleich dem lange ver- 
Ihlofinen Bergitrom der endlich zum Lichte ſich drängt, den ungeheuren 
Sturz mit wollüftiger Begeiſtrung erleivend, in einem Lebensmoment, 
durch welchen, nach welchem ein höheres Dafein beginnt. — Du Ver⸗ 
nichter, der Du den freien Willen von mir genommen, Du Erzeuger 
der Du die Empfindung des Erwachens in mid geboren, mit taufend 
elektriſchen Funken aus dem Reiche Heiliger Natur mich durchzuckt. 
Durch Dich hab ich das Gewinde der jungen Rebe lieben lernen, auf 
ihre bereiften Früchte fielen meiner Sehnſucht Thränen. Das junge 
Gras hab ih um Deinetwillen geküßt, die offne Bruft um Deinetwil- 
len dem Than geboten, um Deinetwillen hab ich gelaufcht werm ver 
Schmetterling und die Biene mih umfhwärmten. Denn Did wollte 
ih empfinden in dem heiligften reis Deiner Genüſſe. O Du! im 
Berborgnen mit der Geliebten ſpielend! mußte ich, die das Geheimniß 
erlaufcht hatte, nicht liebetrunken werben ? 

Ahneſt Du die Schauer die mid) durchbebten, wenn die Bäume 
ihren Duft und ihre Blüthen auf mich fhüttelten? — Da ich dachte, 
empfand und feft glaubte e8 jei Dein Kojen mit ver Natur, Dein 


394 





Genießen ihrer Schönheit, ihr Schmachten, ihr Hingeben an Dich, 
die dieſe Blüthen von den bewegten Zweigen löfe und fie Ieife niever- 
wirble in meinen Schooß. D ihr Spiegelnächte des Mondes! wie hat 
an euerm Himmeldbogen mem Geift fih ausgedehnt! da entnahm 
der Traum das irdifhe Bewußtſein, und wieder erwachend war bie 
Welt mir fremd. Im Herannahen ver Gewitter ahnete ich den freund. 
Das Herz empfand ihn, der Athem ftrömte ihm zu, freudig Löfte fi 
das gebundne Leben unter dem Kreuzen der Blitze und dem Rollen der 
Donner. 

Die Gabe des Eros, ift die einzige genialiſche Berührung vie 
den Genius wedt; aber die andern die den Genius in fih entbehren 
nennen fie Wahnfinn. Die Begabten aber entihwingen ſich mit dem 
fern hintreffenden Pfeil dem Bogen des Gottes, und ihre Luft und 
ihre Liebe hat ihr Ziel erreicht, wenn fie mit foldem göttlichen Pfeil 
zu den Füßen des Geliebten niederſinkt. — Es halte einen ſolchen 
Pfeil heilig und bewahre ihn im Buſen als ein Kleinod, wer zu feinen 
Tüßen ihn findet, denn er ift ein Doppelgeſchenk des Eros, da em 
Leben, im Schwung foldhen Pfeiles, ihm geweihet verglüht. Und nun 
fage ih auch Dir: Achte mich als ein ſolches Geſchenk das Deiner 
Schönheit ein Gott geweihet habe, denn mein Leben ift für Dich 
einem höheren verföhnt, dem irdiſchen verglüht; und was ih Dir 
in diefem Leben noch jage, ift nur das Zeugniß was der zu Deinen 
Fügen eritredte Pfeil Dir giebt. 

Was im Paradieſe ergquidender, der Himmelsbeſeligung entipre 
hender jei: Ob Freunde wieder finden und umgebende Fülle feliger 
Geifter, oder allein die Ruhe genießen, in welcher der Geift fi ſam⸗ 
melt, in ftiller Betrachtung ſchwebend über dem mas Liebe in ihm er- 
zeugt habe, das ift mir feine Frage; denn ich eile unzerſtreut an den 
einfamften Ort, und Dort das Antlit in die betenden Hände verbergend, 
füffe ich die Erſcheinung deſſen was mein Herz bewegt. 

Ein König wandelte dırc die Reihen des Volles, und wie Ebbe 
und Fluth e8 erhetichen, fo trug die Woge der Gemeinheit ihn höher, 
aber ein Kind vom Strahl feiner Augen entzündet, ergriff ven Saum 


395 


feines Gewandes und begleitete ihn bis zu den Stufen des Thrones, 
dort aber drängte das beraufchte Volk den unſchuldigen, ungenannten, 
unberathnen Knaben zurüd hinter der Philifter aufgepflanzte Fahnen⸗ 
reihe. — Jetzt harret er auf die einfame Stätte des Grabes, da 
wird er die Mauern um den Opferaltar hochbauen, daß kein Wind 
die Flamme verlöfche, während fie, der Aſche des Geliebten zu Ehren, 
die dargebrachten Blumen in Afche verwandelt. Aber Natur! bift du 
es die den Aufgelöften verbirgt? — Nein! nein! denn die Töne die 
der Leier entfchweben find dem Fichte erzeugt, und der Erde entnom- 
men, und wie das Lied, entfchwebt auch der geliebte Geift in die Frei⸗ 
heit höherer Regionen, und je unermehlicher vie Höhe, je enplofer die 
Tiefe deſſen der liebend zurüd bleibt, wenn nicht der befreite Geift ihn 
ertennt, ihn berührt, ihn weihet im Entfliehen. 

Und fo mir, o Goethe, wird die Verzweiflung ven Bufen durch⸗ 
ſchneiden, wenn am einfamften Orte verweilend ich dem Genuß Deiner 
Betrachtung mich weihe, und die Natur um mich her wird ein Kerker, 
der mich allein umfchlieft wenn Dir ihm entfchwebt bift, ohne daß 
Dein Geift, ver Inhalt meiner Liebe mich berührt habe. O thue dem 
nicht alfo, ſei nicht meiner Begeiftrung früher erftorben, laſſe das 
Geheimniß der Liebe no einmal zwifchen uns erblühen; ein ewiger 
Trieb, ift außer den Grenzen der irdiſchen Zeit, und fo ift meine Em- 
pfindung zu Div ein Urguell der Jugend, der da erbraufet in feiner 
Kraft, und ſich fortreißt mit erneuten Lebensgluthen bis an das Ende, 

Und fo iſt es Mitternacht geworben bei dem Schreiben und Be⸗ 
denken dieſer letzten Zeilen, fie nennen es die Sylveſternacht in der 
die Menſchen eimen Augenblid das Fortrücken der Zeit wahrnehmen. 
Nun bei diefer Erſchütterung, die dem Horm des Nachtwächters ein 
grüßendes Zeichen entlodt, beſchwöre ich Dich: denke von diefen ge- 
ſchriebenen Blättern, daß fie wie alle Wahrheit wienerfehren aus ver- 
gangner Zeit. E8 liegt hier nicht ein bloßes Erinnern ſondern eine 
innige Verbindung mit jener Zeit zum Grund. Wie der Zauberftab, 
der fih aus dem Strahl liebenver Augen bildet nnd ven Geliebten 
aus der Ferne berührt, fo bricht fich der Lichtftrahl jener frühen Zeit 





396 


an meiner Erinnerung und wird zum Zauberftab an meinem Geift. 
Eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, meines eigenften wahr- 
bafteften Lebens Anficht, ift für mich diefe Berührung aus der Ver 
gangenheit; und während Schidjal und Welt nur wie Fantome im 
Hintergrund, nie wahrhaften Einfluß auf mich hatten, fo bat ber 
Glaube als fer ih Div näher verwandt, als habe Dein Sehen, Dein 
Hören, Dein Fühlen einen Augenblid meinem Einfluß fi ergeben, 
allein mir zur Verfiherung meiner Selbft verholfen. Der Weg zu 
Dir ift die Erinnerung, durch fie wirke ich an einer Gemeinfchaft mit 
Dir, fie ift mir Erſcheinung und Gegenerſcheinung; Geiftergeiprädh, 
Mittheilung und Zuneigung, und was mir damals ein Räthjel war, 
daß ich bei zärtlihem Gefpräd mehr ven Bewegungen Deiner Züge 
lauſchte, als Deinen Worten, daß ich Deine Pulsſchläge, Dein Herz 
Hopfen zählte, die Schwere und Tiefe Deines Athems berechnete, die 
Linien an ven Falten Deiner Kleider betrachtete, ja den Schatten ven 
Deine Geftalt warf, mit Geifterliebe in mid einfog, das ift mir jest 
fein Räthfel mehr fondern Offenbarung durch die mir Deine Erſchei⸗ 
nung um fo fühlbarer wird, und auch mein Herz bei der Erimmerung 
zum Klopfen und den Athem zum Seufzen bewegt. 

Sieh! an den Stufen der Verklärung wo fih alle willführliche 
Thätigkeit Des Geiftes niederbeugen läßt von irdiſcher Schwere, feine 
Liebe, keine Bewunderung ihre Flügel verfuht um die Nebel zu durch⸗ 
dringen in die der Scheivende fich einhüllt, und Die zwifchen bier und 
jenfeit8 auffteigen, bin ich in ltebender Ahnung Dir ſchon vorangeeilt, 
und während Freunde, Kinder und Schüblimge, und das Volk das 
Did einen Dichter nennt, die Seele zum Abſchied bereitend, Dir 
in feierlihem Zug langſam nachſchreitet: Schreite, fliege, jauchze ich 
bewilllommend Dir entgegen die Seele in den Duft der Wolken tau- 
hend, die Deine Füße tragen aufgelöft in die Atmofphäre Deiner 
Beſeligung; ob wir uns in diefem Augenblid verjtehen, mein freund ! 
der noch den irdiſchen Leib trägt, dieſer Leib der feinen Geift ein Ur⸗ 
quell der Grazie ausftrömte über mich, mic, heiligte, verwandelte, der 
mich anbeten lehrte Die Schönheit im Gefühl, der diefe Schönheit als 








397 





einen ſchützenden Mantel über mid, ausbreitete, und mein Reben unter 
diefer Verhüllung in einen heiligen Geheimnißzuftann erhob, ob wir 
ang verftehen will ich nicht fragen in diefem Angenblid tieffter Rüh— 
rung. Sei bewegt, wie ich es bin; laß mich erft ausweinen Deine 
Füße in meinen Schooß verbergend, dann ziehe mich herauf an's Her, 
gieb Deinem Arm noch einmal die Freiheit mich zu umfafjen, lege die 
jegnende Hand auf das Haupt Das ſich Dir geweihet hat, überftröme 
mid mit Deinem Blick, nein! mehr! verdunkle, verberge Deinen Blid 
in meinem, und es wird mir nicht fehlen, daß Deine Lippen die Seele 
auf den meinen ald Dein Eigenthum befiegelt. Dies ift, was ich dies⸗ 
feit8 von Dir verlange. 

Im Schooße der Mitternacht, umlagert von den Profpekten mei⸗ 
ner Jugend ; das bingebenfte Bekenntniß aller Sünden deren Du mid) 
zeihen willft im Hinterhalt, den Himmel der Verſöhnung im Vorgrund, 
ergreife ich den Becher mit dem Nachttrunke und leere ihn auf Dein 
Wohl, indem ich bei dem dunkeln Erglühen des Weines auf kriſtallnem 

! Rande, der herrlihen Wölbung Deiner Augen gevente. 


Am 1. Januar. 
| Der berrlihen Wölbung Deiner Augen gedenkend auch heute am 
| erften Tag des Jahres, da id, fo unwiſſend bin wie am erften Tag 
meines Lebens, denn nichts hab ich gelernt und feine Künſte hab ich 
verjucht, und feiner Weisheit bin ich mir bewußt; allein der Tag an 
dem ich Dich gejehen habe, hat mich verftändigt, mit dem was Schön⸗ 
heit ift. Nichts fpricht überzeugender von Gott als wenn er felbft aus 
der Schönheit fpricht, fo ift denn felig wer da fiehet, denn er glaubt; 
jeit diefem Tag hab ich nichts gelernt wo ich nicht durch Erleuchtung 
belehrt wurde. Der Erwerb des Wiffens und der Künfte ſchien mir 
todt und nicht zu beneiven, Tugend die nicht die höchſte Wolluft ift 
währt nur kurz und mühjfelig, bald glaubt der Strebende fie zu erfaſſen, 
bald eilt er der Fliehenden nad, bald ift fie ihm entſchwunden, und er 
ift’8 zufrieden, da er der Mühe überhoben wird fie zu erwerben. So 
jeh ich denn auch die Künftler vergnügt mit ver Geſchicklichkeit während 


398 


der Genius entfliehet, fie mefjen einander, und finden dag Maaß 
ihrer eignen Größe immer am höchſten, und ahnen nicht, daß eine un- 
gemeßne Begeiftrung zum Heinften Maaßſtab des Genies gehöre. — 
Dies alles hab ich bei Gelegenheit, da Deine Statue von Marmor 
soll verfertigt werden, recht ſehr empfunden, die bevächtige vorfichtige 
Logik eines Bildhauers läßt feiner Begeiftrung die Vorhand, er bilvet 
einen tobten Körper, der nicht einmal durch die rehtsfräftige Macht 
des erfinderifchen Geiſtes fanctionirt wird. Der erfundne Goethe 
fonnte nur fo dargeftellt werden, daß er zugleich einen Adam, einen 
Abraham, einen Mojes, einen Rechtsgelehrten oder auch einen Dichter 
bezeichnet; Feine Individualität. 

Indeſſen wuchs mir die Sehnfuht auch einmal nach dem heili⸗ 
gen Ideal meiner Begeiftrung Dich auszufprechen; beifolgende Zeich- 
nung gebe Dir einen Beweis von dem was Infpiration vermag ohne 
Übung der Kunft, denn ich babe nie gezeichnet oder gemalt, ſondern 
nur immer den Künftlern zugejehen und mich gewundert über ihre 
beharrlihe Ausdauer in der Beſchränkung, indem fie nur das achten 
was einmal Sprahgebraud in der Kunft geworben, und wohl Das 
befannte gedankenloſe Wort achten, nie aber den Gedanken, der erft 
das Wort heiligen fol. Kein berfömmlicher Prozeß kann den Geift 
und den Propheten und den Gott in einem ewigen Frieden in dem 
Kunftwerf vereinen. Der Goethe, wie ich ihn hier mit zitternder Hand, 
aber mit feuriger muthiger Anſchauung gezeichnet habe, weicht ſchon 
vom graden Weg der Bildhauer ab, denn er fenkt ſich unmerklich 
nad jener Seite, wo die im Augenblid der Begeiftrung vernachläßigte 
Zorbeerfrone in ver lofen Hand ruht. Die Seele von höherer Macht 
beherricht, die Muſe in Liebesergüfien beſchwörend, während vie find» 
liche Piyche das Geheimniß feiner Seele durch die Leier ausſpricht, 
ihr Füßchen findet feinen andern Platz, fie muß fih auf dem Deinen 
den höheren Standpunkt erklettern; die Bruft bietet fi) den Strahlen 
der Sonne, den Arm, dem der Kranz anvertraut ift, haben wir mit 
der Unterlage des Mantel weich gebettet. Der Geift fteigt im Flam⸗ 
menhaar über dem Haupt empor, umringt von einer Infchrift Die 


— oe 


399 


Du verftehen wirft, wenn Du mich nicht mißverſtehſt; fie ift auf vie 
verfchievenfte Art ausgelegt worden und immer fo, daß es Deinem 
Berhältniß zum Publikum entſprach, ich habe eines Theils damit aus⸗ 
drücken wollen: „alles was ihr mit euren leiblichen Augen nicht mehr 
erfennt, tft über das Irdiſche Hinaus dem Himmliſchen zu Theil ge⸗ 
worden,“ ich babe noch was anders ſagen wollen was Du auch empfin- 
den wirft, was ſich nicht ausfprechen läßt; kurz dieſe Infchrift Liegt 
mir wie Honig im Munde, fo füß finde ich fie, jo meiner Liebe ganz 
entfprehend, — Die Heinen Genien in den Nifhen am Rande des 
Seſſels, die aber mehr wie Heine ungeſchickte Bengel gerathen find, 
haben ein jever ein Geſchäft für Dich, fie leltern Dir den Wein, fie 
zünden Dir Feuer an und bereiten das Opfer, fie gießen DI auf bie 
Lampe bei Deinem Nachtwachen, und der hinter Deinem Haupt, lehrt 
auf der Schalmey die jungen Nachtigallen im Nefte befier fingen. 
Mignon an Deiner rehten Seite im Yugenblid wo fie entjagt (ach 
und ich mit ihr für diefe Welt, mit jo tauſend Thränen fo tauſendmal 
dies Lied ausfprehend und die immer wieder auf's neue erregte Seele 
wehmütbig befchwichtigend) dies erlaube, daß ich diefer meiner Liebe 
zur Apotheoſe den Platz gegeben; jenfeitd die meinen Namen trägt 
im YAugenblid wo fie ſich überwerfen will, nicht gut gerathen, ich hab 
fie noch einmal gezeichnet wo fie auf dem Köpfchen fteht, da ift fie gut 
gelungen. Konnteft Du diesſeits fo fromm fein, fo dürfteſt Du jenfeits 
wohl jo naiv fein, e8 gehört zufammen. — Unten am Sodel hab ih, 
ein frankfurter Kind wie Du, meiner guten Stadt Frankfurt 
Ehre erzeugt: an beiven Seiten des Sodels, die Du nicht ſiehſt, follen 
. Deine Werke eingegraben werben, von leichtem erhabnem Lorbeerge⸗ 
fträud überwachen, der ſich Hinter den Pilaftern hervordrängt und 
den frankfurter Adler an der Vorderſeite reichlich umgiebt und krönt; 
hinten können die Namen und Wappen derjenigen eingegraben wer: 
ven, die dieſes Monument verfertigen laſſen. Dies Monuntent, fo 
wie ich's mir in einer fehlaflofen Nacht erdacht habe, bat den Vortheil, 
daß e8 Dich darftellt und keinen andern, daß es in fich fertig ift, ohne 
Nebenwerte Deine Weihe ausſprechend, dag e8 die Xiebe der frank⸗ 


400 





furter Bürger ausipricht und auch Das, was ihnen durch Dich zu Theil 
geworben; und dann liegt noch das Geheimniß der Verklärung, die 
Deine finnlihe, wie Deine geiftige Natur, Dein ganzes Leben lang 
vor aller Gemeinheit bewahrt bat, darin. Gezeichnet mag es ſchlecht 
fein und wie könnte e8 auch anders, da ich Dir nochmals verfihern 
kann, daß ich nie gezeichnet habe, um jo überzeugter wirft Du von der 
Wahrhaftigkeit meiner Infpiration fein, die e8 gewaltjam im Zornes- 
feuer gegen ven Mangel an Beſchaulichkeit in dem Künftler, der dies 
der Welt heilige Wert vollenden fol, hervorgebracht bat. Wenn über- 
legt würbe, wie bedeutend die Vergangenheit die Zukunft durchſtrahlen 
ſoll in einem folhen Monument, wie die Jugend einft, die Dich nicht 
jelöft gefehen, mit feurigem Auge an diefem nachgebildeten Antlit 
hängen wird, fo würden vie Künftler wohl den heiligen Geift auffor- 
dern ihnen beizuftehen, ftatt auf ihrem alademiſchen Eigenfinn mit 
eitler Aroganz loszuhämmern. Ich zum wenigften rufe den heiligen 
Geift an, daß er Zeugniß gebe, daß er mir hier beigeftanden, und daß 
er Dir eingebe, e8 mit vorurtheilslofem Blid wo nicht von Güte gegen 
mich übervortheilt, zu beſchauen. Sch habe eine Durchzeichnung an 
Bethmann geſchickt, auf deſſen Bitte ich es gewagt habe, die Erfindung 
die ich bei feinem Hierfein gemacht zu zeichnen. Iſt es nicht zu viel 
gefordert wenn ich Dich bitte mir ven Empfang des Bildes mit wenigen 
Morten anzuzeigen. 
Am 11. Januar 1824, PBettine. 


Ende des zweiten Banden, 





Tagebuh 


zu 


Goethes Briefwechjel 


mit 


einem Rinde, 


PLTLLIITELIIETETTPLLTETTERSEEITLEIELPELTELLITRLIELTEITIITTT IT 


Dritter Cheil. 


Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 26 


Buch der Liebe. 


—— — —* 


—— diefes Buch möcht ich gern ſchreiben, von dem geheimnißvollen 
Denten einfamer Stunden der Nadıt, von dem Reifen des Geiſtes an 
der Liebe wie an der Mittagsjonne. 

Die Wahrheit will ic ſuchen, und fordern will ich von ihr bie 
Gegenwart des Geliebten, von dem ich wähnen könnte er fei fern. 

Die Liebe ift eim inniges Ineinanderſein; ich bin nicht von Dir 
getrennt wenn e8 wahr ift, daf ich liebe. 

Dieſe Wellen die mich längs dem Ufer begleiten, die reifenve 
Fülle der Gelände vie fich im Fluß fpiegelt, der junge Tag, die flüch- 
tenden Nebel, die fernen Gipfel die die Morgenſonne entzündet, das 
alles feh ih an, und wie die Biene den Honig fammelt aus friſchen 
Blüthen, jo ſaugt mein Blid aus allem die Liebe, und trägt fie heim 
und bewahrt fie im Herzen wie die Biene den Honig in der Zelle, 

So dacht ich am heutigen Morgen da ich am Rhein hinfuhr und 
durch dies aufgeregte Leben ver Natur mich drängte, fort, dem ftillen 
einfamen Abend entgegen, weil es da if als fage mir eine Stimme, 
der Geliebte tft pa; — und weil ich da die Erinnerungen des Tages 
wie Blumen vor ihm ausſtreue; und weil id da mid an die Erbe 
legen kann und fie küffen Dir zu Lieb, diefe ſchöne Erde die den Ge- 
liebten trägt, daß ich mich hinfinden kann zu ihm. 


* 
% * 


26* 


404 


Schwalbach, auf der Mooshütte. 

Namen nennen Dich nfiht! 

Ich ſchweige und nenne Dich nicht, 06’8 auch ſüß wär, Dich bei 
Namen zu rufen. 

D Freund! ſchlanker Mann! weicher hingegofiner Geberbe, 
Schweigfamer! — Wie fol ich Dich umſchreiben, daß mir Dein 
Name erfett ſei? — Beim Namen rufen ift ein Zaubermittel, den 
Entfernten zur Erinnerung aufzuregen; hier auf der Höhe, wo die 
waldigen Schluchten fiebenfahes Echo zurüdgeben, wage ich nicht 
Deinen Namen preis zu geben; ih will nicht hören eine Stimme, die 
eben fo heiß, fo eindringend Dir ruft. 

D Du! Du felbft! — ih will Div’ nicht fagen, daß Du es 
felbft bift, drum will ih dem Buch Deinen Namen nicht vertrauen, 
wie ich dem Echo ihn nicht vertraue. 

Ad, Deinen Namen berühre ih nicht! fo ganz entblößt von 
irdiſchem Beſitzthum nenne ich Dich mein. 


* 


Ems. 

Nicht ſchlafen gehen, ohne mit Dir zu fprehen — jo müde wie 
ih auch bin! Die Augenliever finten, und trennen mid von Dir; 
Mich trennen nicht die Berge und die Flüſſe, und nicht die Zeiten, 
und nicht Deine eigne Kälte, und daß Du nichts weißt von mir, wie 
ih Dich Liebe. — Und mich trennt der Schlaf? — Warum denn 
trennen? ih wähle mich in Deinen Bufen, diefe Liebesflammen um⸗ 
zingeln Dein Herz, und ſo ſchlafe ich ein, 


* 
%* %* 


Kein ih will Di nicht nennen, Du, dem ich rufe: gieb mir 
Gehör! Du Hörft Dich ja gern beſchwätzen — fo hör auch mir zu; 








405 


nicht wie jene, die von Dir, über Dich [hwägen; zu Div, n Deinem 
Anſchauen fammeln fih meine Gedanken; wie der Quell, der das Ge- 
ftein ſpaltet und niederrauſcht durch's Schattenthal, Blume um Blume 
anhaucht; jo hauch ih Die an, ſüßer Freund! 

Er murmelt nur, der Bach; er plätfchert, er lispelt, wenige Me- 
Iodieen wechjeln feinen Lauf; aber vernimm’s mit freundlichem Ohr, 
da wirft Dur jauchzen hören, Magen, bitten und trogen, und noch wirft 
Du hören und empfinden, Geheimniſſe, feierliche, leuchtende, die nur 
der verfteht, ver die Liebe hat. 


* * 


Ich bin nicht mehr müde, ich will nicht mehr jchlafen, der Mond 
ift aufgegangen mir gegenüber, Wolfen jagen und veden ihn, immer 
wieder leuchtet er mich an. 

Ic denke mir Dein Haus, die Treppe, daß die im Schatten 
liege, und daß ich an diefer Treppe fie, und jenfeit$ die Ebene vom 
Mond beleuchtet. Ich denke, daß die Zeiten jagen, eilen und manig- 
fach fich geftalten wie jene Wollen, daß der Menſch an der Zeit hängt 
und glaubt mit ihr eile alles vorüber, und das reine Licht das durch 
die Zeiten bricht, wie der Mond durch die fliehenden Wollen, das ans 
erfennt er nit. — 

D ja doch! — erkenne meme Liebe und denke, daß, da die Zeit 
vorüber eilt, fie doch das eine bat, dag im flüchtigen Moment fich 
eine Ewigkeit erfaſſen lafle. 


* * 


Schon lange ift Mitternadht vorüber, da lag ich im Fenſter bis 
jeßt, und da ich mich umſehe, ift das Licht tief herabgebrannt. 

Wo war ich fo tief in Gedanken, — ich hab gedacht, Du ſchläfſt, 
und hab über den Fluß gejehen, wo die Leute Teuer angezündet haben 
bei ihrem Linnen, das auf der Bleiche liegt, und hab ihren Liedern 


406 





zugebört, die fie fingen um wach zu bleiben; — ich wache auch und 
denke an Did, es ift ein groß Geheimniß der Liebe, dies immer- 
währende Umfaflen Deiner Seele mit meinem Geift, und es mag 
wohl mandes daraus entitehen, was feiner ahnt. 


Ja Du fchläfft! träumft Du? und ift e8 Dir wahr, was Du 
träumft? — wie mir, wo ich zu Deinen Füßen fie und fie in Schooß 
halte, und der Traum mir felbft die Zügel hält, daß ich nichts denke 
als nur dies, daß ich in Deiner Nähe bin? 


%* 


Liebſter! Geftern war ich tief bewegt, und war jehnfüchtig; weil 
man viel über Dich geiprodhen hat was nicht wahr ift, da ich Dich 
beſſer kenne. Dur das Gewebe Deiner Tage zieht fih ein Faden, 
der fie mit dem Übertrvifchen verbindet. Nicht durch jedes Daſein 
ſchlingt fih ein folder Faden, und jedes Dajein zerfällt ohne dieſen. 

Daß Dein Dajein nicht zerfalle, ſondern daß Alles ewige Wirk⸗ 
lichkeit ſei, das tft wonach ich verlange, Du, der Du ſchön bift, und 
deſſen Geberven gleichfalls ſchön find, weil fie Geiſt ausprüden: 
Schönheit begreifen, heißt das nicht Dich lieben? — und hat die Liebe 
nicht die Sehnfuhht, daß Du ewig fein mögeft? — Was kann ich vor 
Dir, ald nur Dein geiftig Bild in mich aufnehmen! — Ja fieh, das 
ift mein Tagwerk, und was ich anders noch beginne — es' muß alles 
von Dir weichen. Dir im Verborgnen dienen in meinem Denken, in 
meinem Treiben, Dir leben, mitten im Gewühl der Menſchen oder in 
der Einſamkeit Dir gleich nahe ftehen; eine heilige Richtung zu Dir 
haben, ungeftört, ob Du mid aufnimmft oder verläugneft. 

Die ganze Natur ift nur Symbol des Geiftes;, fie tft heilig, 
weil fie ihn ausſpricht; der Menſch lernt durch fie den eignen Geift 
fennen, daß der auch der Liebe bedarf; daß er fih anjaugen will an 
den Geift, wie feine Lippe an den Mund des Geliebten. Wenn ich 
Dich auch hätte, und ich hätte Deinen Geift nicht, daß der mid 


407 





empfänbe, gewiß Das würde mich nie zu dem erfehnten Ziel meines 
Berlangens bringen. 

Wie weit geht Liebe? Sie entfaltet ihre Fahnen, ſie erobert ihre 
Reiche tm Freudejauchzen, im Siegestoben eilt fie ihrem ewigen Er⸗ 
zenger zit. — So weit geht Liebe, daß fie eingeht, von wo fie aus⸗ 
gegangen ift. 

Und wo zwei in einander übergehen, da hebt fi die Grenze des 
Endlihen zwiſchen ihnen anf. Aber foll ich Hagen, wenn Du nicht 
wieder liebſt? — ift dies Feuer nicht in mir und wärmt mich? — und 
ift fie nicht allumfaſſende Seliglett, diefe innere Gluth? — 

Und Wald, Gebirg und Strand am Fluß, fonnebeglänzt, lächeln 
mir entgegen, weil mein Herz, weil mein Geift ewigen Frühling ihnen 
entgegen haucht. | 


* 
* * 


Ich will dich nicht verſcherzen ſchöne Nacht, wie geſtern; ich will 
ſchlafen gehen in deinen Schooß; du wiegſt mich dem Morgenlicht 
entgegen, und die friſchgeweckten Blumen pflücke ich dann, mir zur 
Erinnerung an die Träume der Nacht. So ſind freundliche Küſſe, 
wie dieſe halberſchloſſ'ne Roſen, ſo — leiſes Flüſtern wie der Blüthen⸗ 
regen, ſo wanken die Gedanken wie die bewegten Blumen im Gras; 
fo träufelt Zähre auf Zähre, die das Auge füllen mit Übermaaf vom 
Glück, wie die Regentropfen von den Äſten niederperlen, und fo ſchlägt 
das fehnende Herz, wie die Nachtigall ſchlägt vom Morgenroth be 
geiftert; fie jubelt, weil fie liebt, fie feufzt, aus Liebe, fie klagt um 
Liebe; drum ſüße Nacht: ſchlafen! dem Morgenroth entgegen fchlafen, 
das mir bringt bie füßen Früchte all, die der Liebe reifen. 

* * * 

Freund! fie ift nicht erfunden dieſe Innere Welt, fie beruht auf 
Wiſſen und Geheinmiß, fie beruht auf höherem Glauben; vie Liebe if 
der Weltgeift dieſes Inneren, fie ift Die Seele ver Natur. 


408 


Gedanken find im ver geiftigen Welt, was Empfindung in ver 
finnlihen Welt ift; es ift Sinnenluft meines Geiftes, der mid an Dich 
feflelt, daß ich an Dich denke, es bewegt mid tief, daß Du bift, in 
dieſe finnliche Welt geboren biſt. Daß Deine finnliche Erſcheinung 
Zeugniß giebt von der Ahnung, von der Offenbarung, die id von 
Dir babe, 

Liebe tft Erkenntniß; ich Tann Dich nur genießen im Denen, 
das Dich verftehen, empfinden lernt; wenn id Dich aber einmal ganz 
verftehe, gehörft Du dann mein? — kannſt Du irgend went gehören, 
der Dich nicht verftände? iſt Verftehen nicht füßes, finnliches Über 
gehen in den Geliebten? — eine einzige Grenze if; fie trennt Das 
Envlihe vom Unendlichen; Verſtehn hebt die Grenze auf; zwei die 
einander verftehen, find ineinander unendlich; — Berftehen ift lieben ; 
was wir nicht lieben, das verftehen wir nicht, was wir nicht verftehen, 
ift nicht für ung da. 

Da ih Did aber haben möchte, jo vente ih an Dich, weil 
Denken Dich verftehen lernt. 


* 
* * 


Wenn id) nicht ganz bin, wie Du mich lieben müßteft, fo ift mein 
Dewußtfein von Dir vernichtet. Das aber fördert mich, bringt mid 
Dir näher, wem auch mein finnlihes Handeln, mein Äußeres Leben 
fih im Rythmus der Liebe bewegt; wenn nichts Einfluß auf mid hat, 
als das Gefühl, daß ih Dein gehöre, durch eignen freien Willen Dir 
gewidmet bin. 

Ich hab Di nit in Diefem äußeren Leben, Andere rühmen 
fih Deiner Treue, Deines Vertrauens, Deiner Hingebung; ergehen 
ih mit Dir im Labyrinth Deiner Bruft; die Deines Beſitzes 
gewiß find, die Deiner Luft genügen. 

Ich bin nichts, ich Habe nichts, deſſen Du begehrft; fein Morgen 
wedt Did, um nad mir zu fragen; kein Abend leitet Dich heim zu 
mir; Du bift nicht bei mir Daheim. 








409 





Aber Vertrauen und Hingebung hab ich in diefer Innenwelt zu 
Dir; alle wunderbaren Wege meines Geiftes führen zu Div, ja fie 
find durch Deine Vermittlung gebahnt. 


%* 
* * 


Am frühften Morgen auf dem Iohannisberg. 

Das Somenlicht ftiehlt ſich durch diefe Büfche in meinen Schooß 
und fpielt unter dem Schatten der bewegten Blätter. Warum kam ich 
denn heute ſchon vor Tag bier herauf? Hier, wo die Ferne fich vor 
mir aufthärmt, und in's Unendliche verliert. 

Sa, jo gebt e8 weiter und immer weiter; die Länder fteigen 
hinter einander am Horizont auf, und wir glauben auf Bergeshöhen 
am Himmeldrand zu fleigen; da breiten fich fruchtbeladne Thale vor 
ums aus, von dunklen Hügelwänden umſchloſſen, und die Lämmer 
weiden bier wie dort. 

Und wie die Berge hinter einander auffteigen, fo die Tage, und 
feiner ift der lette vor dem der eine Ewigkeit entfaltet. 

Wo ift der Tag, die Stunde, die mid aufnimmt, wie ich dich, 
ipielender Sonnenſchein? — Wiederfehn nimm mi auf! — Du! 
auf meines Lebens Höhen gelagert, von himmelreinen Lüften ummebt, 
nimm mich auf in Deinen Schooß; laß den Strahl der Xiebe, der aus 
meinem Aug hervorbricht, in Deinem Bufen fpielen, wie dieſer Morgen⸗ 
fonnenftrahl in meinem Aug. 


* 
* %* 


Geftern hab ich mich gefehnt; ich dachte jeden Augenblid, er jet 
mir verloren, weil ich Dich nicht Hatte, 

Dich haben einen Augenblid‘, wie jelig könnte mich das machen. 

Wie reich bift Du, da Du fo befeligen kannſt, Ewigfeiten hin⸗ 
durch mit jedem Augenblid! 








410 





Geſtern war e8 früher Morgen, da ih Dir fohrieb; ich hatte 
Bud und Schreibzeng mit, und ging noch vor Tag dem Thal entlang, 
das von beiden Seiten eng in Bergmwände eingelagert ift; da riefeln 
die Bäche nieder ins fanfte Gras, und Iallen wie Wiegenliedchen. 
Was follt ih machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe, und im 
thränenfchwellenden Auge; ich mußte Dir's Hagen, ich mußte Dir's 
wehmüthig vorhalten, daß ich Dich nicht habe, und da war die Sonne 
fo freundlich; da rauſchte es, da bewegte fih’8 hinter mir; — war e8 
ein Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich flieg raſch aufwärts, 
ich wollte Dich ereilen, und auf der Höhe da öffnete fich dem Blick vie 
weite Ferne; die Nebel theilten fih, e8 war mir als träteft Du meinen 
Bitten entgegen geheimnißvoll, fchauteft mich an und nähmft mich auf 
an Deinem mir unerforſchten Bufen. 

Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er ift außer der Zeit. 
— Was hab ich zu fürchten? — Diefe Sehnfudht, ift fie vergänglich, 
fo wirft Du mit ihr verſchwinden; ift fie es nicht, fo wird fie erreichen 
wonad fie jtrebt, und ſchon jett Hab ich ihr eine Innenwelt, mannig- 
faltig und eigentbümlich zu verdanken, Wahrnehmungen und Ge- 
danken nähren mid, und ich fühle mich in einem innig lebenvigen 
Einverftänpnig mit Deinem Geift. 

Die Natur ift kindlich, fie will verftanden fein, und das ift ihre 
Weisheit, daß fie ſolche Bilder malt, die der Spiegel unferer inneren 
Welt find, und wer fie anfchaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird fie 
die Fragen innerer Räthſel löſen; wer ſich ihr anjchmiegt, Der wird 
fih in ihr verftanden fühlen; fie jagt jevem die Wahrheit, vem Ver⸗ 
zweifelnden wie vem Glüdlihen. Sie beleuchtet die Seele umd bietet 
ihren Reihthum dem Bedürftigen; fie reizt die Sinne und entzüdt 
den Geift durch übereinſtimmende Bedeutung. 

Ich glaube aud von Dir, dag Du dies mandmal empfunden 
haft, wenn Du allein dur Wälder und Thäler ftreifit; oder wenn 
Du vom Schattenlager die weite Ebene am Mittag überfhauft, dann 
glaub ih, daß Du die Sprade der Stille im der Natur verftehft,; 
ih glaub, daß fie mit Dir Gedanken wechfelt, daß Du in ihr Deine 








411 





höhere Natur geipiegelt empfinbeft, und wenn auch ſchmerzlich oft durch 
fie erihüttert, fo glaub ich doch nicht, Daf Du Dich vor ihr fürchteft, 
wie andere Menſchen. 

So lang wir Rinder find im Gemüth, fo lang übt die Natur 
Mutterpflege an uns; fie flößt Nahrung ein von der der Geift wädhft, 
dann entfaltet fie fich zum Genins; fie fordert auf zum Höchften, zum 
Selbftverftändniß, fie will Einfiht in Die inmeren Tiefen, und welder 
Zwieſpalt au in biefen fein möchte, welcher Vernichtung auch preis- 
gegeben, — das Vertrauen in die Höhere Natur, als in unferen Genius, 
wird die urſprüngliche Schönheit wieder herftellen. Das fag ich heute 
vorm Schlafengehen zu Dir, zu Dir [preche ich bier, getrennt durch 
Länder und Flüffe, getrennt, weil Du meiner nicht denkſt; und jever, 
der e8 wüßte, der würde e8 Wahnwitz nennen; und ich rede zu Dir 
aus meiner tiefften Seele, und ob Du ſchon mit Deinen Sinnen mid 
niht wahrnimmft, jo dringt mein Geift darauf Dir alles zu jagen, 
bier aus der Ferne rede ih mit Dir, und mein ganzes finnliches Leben 
ift mir nichts gegen dieſe Geiſterſprache. Du bift tn mitten meines 
Innern, es ift nicht mehr eins, es ift zu zweien in mir geworben. 


* 
* * 


Am Abend nach dem Gewitter, das vielleicht zu Dir gezogen ifl. 

Leg Dich, braufendes Herz, wie der Wind fich legt, der die Wol- 
fen zerreißt; die Domner find verrollt, die Wolfen haben ausgeregnet, 
ein Stern nach dem andern geht auf. 

Die Naht ift ganz ftille, ih bin ganz allein, die Ferne ift jo 
weit, fie ift ohne Ende, nur da wo ein Liebender wohnt, da ift eine 
Heimath und feine Ferne, wenn Du nun liebteft, jo wüßt ich, wo bie 
Ferne aufhört. 

Fa, leg dich Herz! Tobe nicht, halt ruhig aus. Schmiege dich, 
wie die Natur fih ſchmiegt unter ver Dede ver Nacht. 

Was haft du Herz? fühlſt du nicht? ahneſt du nicht? — wie 
ſich's auch füge und wende, die Nacht deckt dich und die Liebe. 








412 





Die Nacht bringt Roſen an’s Licht. Wenn fi die Yinfternig 
dem Lichte aufthut, Dann entfallen ihrem Schooß die Roſen. 

Es ift freilih Nacht in dir, Herz. Dunkle geheimnißvolle Nacht 
webt Roſen, und ergießt fie alle, wenn's tagt, der Liebe zur Luft in 
den Schoof. 

Ja, Seufzen, Klagen, das ift deine Luft, Bitten, Schmeicheln, 
nimmt das fein Ende, Herz? 

Am Abend fehreib ich, wenn auch nur wenige Zeilen; es dauert 
doch bis fpät in Die Nacht. 

Biel hab ich zu denken, manche Zauberformel fpreche ich aus eh 
ich den Freund in meinen Kreis banne. Und hab ich Di! — dann: 
— mas fol id da jagen? — Was ſoll ih Dir neues erfinden, was 
follen die Gedanken Dir hier auf diefen Blättern vortanzen? — 


% 
* %* 
Am Rhein. 

Hier in den Weinbergen fteht ein Tempel; erbaut nad dem 
Tempel der Diana zu Epheſus. 

Geftern im Abendroth fah ich ihn in der Gerne Itegen; er leuchtete 
fo kühn, fo ftolz unter ven Gewitterwolfen; die Blitze umzingelten ihn. 
So denke ich mir Deine leuchtende Stine, wie die Kuppel jenes Tem- 
pels, unter deſſen Gebälk die Vögel fich bargen, denen der Sturm 
das Gefieder aufblätterte;, jo ftolz gelagert und beherrſchend die Um⸗ 
gebung. 

Heute Morgen, obſchon der Tempel eine Stunde Wegs von 
meiner Wohnung entfernt ift, weil ich am Abend Dein Bild in ihm zu 
ſehen wähnte, dacht ich Hier her zu gehen und Dir bier zu ſchreiben. 
Kaum daß der Tag fih ahnen ließ, eilt ich durch bethaute Wieſen hier 
ber. — Und nun leg ich die Hand auf diefen Heinen Altar, umkreif't 
von neun Säulen, die mir Zeugen find, daß ich Dir ſchwöre. 

Was Liebſter? — Was fol ih Dir ſchwören? Wohl, daß ich 
Dir ferner getreu fein will, ob Du e8 achteft oder nicht? — Oder daß 











413 


ich Dich heimlich Lieben will, heimlich nur dieſem Buch, und nicht Dir 
es befennend? Treu fein, kann ich nicht ſchwören das ift zu felbft- 
ftändig, und ich bin ſchon an Dich aufgegeben, und vermag nicht über 
mih; da kaun ich für Treue nicht ſtehen. Heimlich Dich lieben, nur 
biefem Buch es befennen? — Das kann ich nicht, das will ich nicht; 
dies Buch ift der Wieverhall meiner Geheimnifie, und an ‘Deiner 
Bruft wird er anfchlagen. O nimm ihn auf, trink ihn, laſſe Dich 
laben; einen einzigen heißen Mittag gehe Dein Blick unter, trunken, 
ein einzigesmal, dieſem glühenden Elaren Liebeswein. 
Was Toll ih Dir ſchwören? — 


%* 
%* %* 


Heut will ih Dir jagen, wie e8 geflern war: jo unter Dadı 
einer fchöneren Vorwelt, vom taufendfarbigen Morgenlicht umwebt, 
die Hand auf diefem Altar, der früher wohl nie unter myſtiſchen Be⸗ 
ztehungen berührt war; Herr! — da war mein Herz auf eine wun⸗ 
derliche Weife befangen, — ic fragte Did zum Scherz, in ſüßem 
Ernft: „was fol ih ſchwören?“ — und da fragt ich mich wieder: „ift 
das die Welt im der du lebſt?“ und kannſt du ſcherzen mit dir ſelbſt, 
bier in der einfamen Natur, wo alles ſchweigt und feierlich Gehör 
giebt deiner Innern Stimme? — Dort im fernen Gefild, wo die 
Lerhe jubelnd auffteigt, und am Geſimſe des Tempels, wo die 
Schwalbe ihr Neft birgt und zwitichert® Und ich lehnte meine Stirne 
an den Stein, und dachte Dich; ich lief hinab an's Ufer und ſammelte 
Balſamkräuter, und legte fie auf den Altar; ih dachte: möchten die 
Blätter dieſes Buchs voll Liebe einmal Deinem Geift duften, wie dieſe 
Kräuter dem Geift jener ſchönen Borwelt, in deren Stun der Tempel 
bier gebaut if. — Dein Geift fpricht ja die heilige Ordnung ber 
Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich ihm was bleibe, 
das ift dann einerlet. 

Ja ſüßer Freund! ob ih Dir was bin: was foll id danach 
fragen? — weiß ich Doch daß die Lerche nicht umfonft jubelnd auffteigt, 


414 





daß der Morgenwind nicht ungefühlt in ven Zweigen lispelt, ja daß 
bie ganze Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen verfunten ift; 
was ſollt ich zagen, von Die nicht verftanden, nicht gefühlt zu ſein? — 
Drum will ich nicht ſchwören Dir etwas zu ſein; es iſt mir gewiß, daß 
ih Dir bin, was in einftimmenver Schönheit ein Ton der Natur, eine 
geiftige Berührung dieſer finmlihen Welt Dir fein kann. 


* 
* %* 


Im Juli. 

Diele Tage, diefe Öegenden, fie tragen das Antlit des Paradieſes. 
Die Fülle lacht mich an in der reifenden Frucht, das Leben jauchzt in 
mir, und einfam bin ich wie der erfte Menſch; und ich lerne wie biefer 
herrſchen und gebieten dem Glück: daß die Welt fol fein wie ich will. 
Ih will es, daß Du mich felig macheſt, nur weil ich Dich weiß und 
fenne, und weil Dein fittlih Gefühl der Raum ift meiner geiftigen 
Schöpfungen; in Dich hinein nur kann ich ja dieſe Welt ver Gefühle 
legen, Dir nur kann ich diefe Phänomene einer erhöhten Rührung er- 
ſcheinen laſſen. — Deine Schönheit ift Güte, die mid) nährt, ſchützt, 
mir lohnt, mich tröftet und mir den Himmel verheißt; Tann ein Ehrift 
befier organifirt fein, als ich? 


Ich fie nun einmal mitten in biefer reihen Natur, mit Herz 
und Seele; jo muß ich denn immer wieder von diefem Doppelgeipann 
ichreiben. 

Heute war ich in einem andern Tempel, der an der Höhe liegt, 
und den berrlichften deutſchen Fluß in feiner glorreichiten Pracht ber 
berricht, wo man unzählige Orte und Städte fieht, dte an feinen Ufern 
in feinen Gauen weiden. In biefem fonnenhellen Himmel liegen ſie 
da, wie ruhende Herben. 





415 





Was fol mir diefe Pracht der Natur? was fol mir dies 
wimmlende Leben, dieſe mannigfaltige Geſchäftigkeit, die ſich durch Die 
bunten Fluren zieht? — e8 eilen die Schifflein hin und her aneinander 
vorüber, jedes hat feiner Reife Ziel. — Wie jener Schiffe eines haft 
auch Du Dein Ziel, und e8 geht an mir worüber, raſch wie Des 
Glücklichen Bahn fhneller am Pfad des einfam Berlafinen vorüber 
fährt. Und ich höre dann nicht mehr von Div, daß Du nad mir 
fragft; und Deinem Gedächtniß verhallen, wie meine Seufzer, fo die 
Spuren der Erinnerung. 

So dacht ich, dort auf der Höhe im Tempel, wie ich niederjah in 
das alljeitig ausgebreitete Treiben der Menſchen; wie ich mir über⸗ 
legte, daß neue Intereffen Dich jeden Augenblid aufnehmen können, 
und mich gänzlich aus Deiner Welt bannen. Un ich hörte die Wellen 
brauſen in der Tiefe, und Gevögel umflatterte meinen Sit, der Abend⸗ 
ftern wintte, daß ich heimgehen möge. Um fo näher dräng ich mic 
jest an Dich: o öffne Deinen Buſen und laſſe mich ausruhen von der 
Thränen bewegten Ahnung, ich ſei Div nichts, ich ſei Dir vergefien. 
D nein, vergefie mich nicht, nimm mich, Halt mich feſt und laſſe die 
Stille um uns her den Segen fprechen über Uns. 


%* 
* * 


Du haft mir's beim Abſchied damals gejagt, Du haft mir's ab- 
gefordert, ich möge Dir alles fchreiben, und genau was ich denke und 
fühle, und ih möchte gern, aber Liebfter, die wunderlichen Wege, die 
mit dämmernder Yadel der Verſtand kaum beleuchtet, wie joll ich die 
Dir befchreiben? — Diefe Träume meines Glüdes (denn glücklich 
träum ich mich) fie find fo ſtürmiſch, jo wunderlich gelaunt, es ift fo 
unfcheinbar, was ich mir manchmal erſinne. 

Mein Glück, wie ich's mir denke, wie foll ich Dir's beſchreiben? 
Sieh die Mondsfihel am wolfenlojen Himmel, und die breitäftige, 
reich belaubte Linde; denke! fieh unter ihrem flüfternden Laub, die 
flüfternd auch, einander umfaſſen Die Beiden, wie einer den andern 








416 





bevarf und feurig liebend an ihm hinauf reicht, wie jener mit freund⸗ 
lichem Willen fih ihm neigt, und diefem Fläftern der Liebe Gehör 
giebt; und denke noch: die Mondesſichel, die Sterne müßten nicht 
untergehen, bis dieſe Seelen in einander gejättigt, ihre Schwingen 
ausbreiten und höheren Welten zufliegen. 

Dies fpräche heute mein Glüd aus o lieber Freund, es ſpräche 
e8 einmal in vollem umfafjenden Sinn aus. 

Sp wie das Aug die Schönheit erfaßt, jo aud der Geift, er 
umfafjet den Inbegriff der innern Schönheit wie der äußern, mit 
Schmeichelworten bringt er beide in Einklang, und der Leib wirkt 
magiſch auf den Geift der fo ſchmeichelt, und fo diefer auf ihn zurüd, 
das beide in einander aufblühen, und das nennen wir begeifternde 
Schönheit. Mein Freund, das ift das Flüſtern der Liebe, wenn 
Liebende einander fagen, daß fie ſchön find. 


* 
* * 


Wo ift denn der Ruheſitz ver Seele? wo fühlt fie ſich beſchwichtigt 
genug um zu athmen und fi) zu befinnen? — im engen Raum iſt's, 
im Bufen des Freundes; — in Dir heimathlich fein, das führt zur 
Beſinnung. 

Ach wie wohl iſt mir, wenn ich ganz wie ein Kind in Deiner 
Gegenwart ſpielen darf; wenn alles was ich beginne, von dem Gefühl 
Deiner Nähe geheiligt iſt; und das ich mich ergehen kann in Deiner 
Natur, die keiner kennt, keiner ahnet. — Wie ſchön iſt's, daß ich allein 
mit Dir bin, dort wo die Sterne ſich ſpiegeln in der klaren Tiefe 
Deiner Seele. 

Gönne es mir, daß ich ſo meine Welt in Dir eingerichtet habe; 
vernichte nicht mit Deinem Willen, was Willkühr nie erzeugen könnte. 

Ich küſſe Deiner Füße Spuren, und will mich nicht hereindrängen 
in Deine Sinnenwelt, aber ſei mit mir in meiner Gedankenwelt; lege 
freundlich die Hand auf das Haupt, das ſich beugt, weil e8 der Liebe 
geweiht ift. 








417 


Der Wind raffelt am Fenſter; welche Länder hat er ſchon durch⸗ 
ftreift? Wo fommt er her? Wie fchnell hat er die Strede von Dir zu 
mir durchflogen? hat er feinen Athemzug, in feinem Raſen und Toben, 
feinen Hauch von Dir mit fortgerifien? 

Sch babe ven Glauben an eine Offenbarung des Geiftes; fie 
liegt nicht im Gefühl, im Schauen oder im Vernehmen; fie bricht her- 
vor aus der Gefammtheit der auffaflenden Organe; wenn die alle ber 
Liebe dienen, dann offenbaren fie das Geliebte ; fie find der Spiegel 
der inneren Welt. 

Ein Dafein im Geliebten haben ohne einen Standpunkt finn- 
lichen Bewußtſeins, was fann mächtiger und von unferer geiftigen 
Macht und Unenplichkeit überzeugen? — 

* * * 

Sollte ich Dir heute nichts zu ſagen haben? — Was ſtört mich 
denn heute am frühen Morgen? vielleicht, daß die Sperlinge die 
Schwalben hier aus dem Neſt unter meinem Fenſter vertrieben haben? 
— Die Schwalben ſind geſchwätzig, aber ſie ſind freundlich und fried⸗ 
lich; die Sperlinge argumentiren, ſie behaupten, und laſſen ſich ihren 
Witz nicht nehmen. Wenn die Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen 
um ihre Heimath, dann ergießt ſich die Kehle in lauter liebkoſende 
Mittheilung, ihr gegenſeitiges Gezwitſcher ift das Element ihrer Lie⸗ 
besluſt, wie der Ather das Element ihrer Weltanſchauung iſt. Der 
Sperling fliegt da und dorthin, er hat fein Theil Eigenſucht, er lebt 
nicht wie die Schwalbe im Bufen des Freundes. 

Und num ift die Schwalbe fort, und der Sperling hat ihren 
Wohnſitz, wo füße Geheimniffe und Träume ihre Rollen ſpielten. 

Ah! — Du! meine fhlüpfrige Feder hätte fchier Deinen Na- 
men geihrieben, während ih im Zorn bin, daß die Schwalbe vom 
Sperling verjagt ift. — Ich bin die Schwalbe, wer der Sperling ift 
das magſt Du wiſſen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe. 


* . 
* * 


Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 27 


418 


Um Mitternadt. 

Geſang unter meinem Fenfter; fie figen auf der Bank an ver 
Hausthür, der Mond wie er mit den Wollen fpielt, bat fie wohl zum 
Singen gebracht, oder auch die Langeweile der Ruhe; die Stimmen 
verbreiten fich durch die Einſamkeit ver Nacht, da hört man nichts als 
nur das Plätfchern der Wellen am Ufer, die die langen gehaltenen 
Intervalle dieſes Gejangs ausfüllen. 

Was ift dieſer Gejang fir mih? warum bin ich im feine Gewalt 
gegeben, daß ich mich der Thränen kaum enthalte * — e8 ift ein Auf 
in die Ferne; wärft Du jenfeits, wo feine letten Töne verhallen, und 
empfändeſt den Ausdruck der herzlichen Sehnſucht, den er in mir aufe 
geregt bat, und wüßteft, daß in Dir das Glüd der Befriedigung läge! 

Ach ſchlafen! nicht mehr den Geſang zuhören, da ich Doch aus 
der Ferne nicht das Echo des Gleichgeftimmten vernehme ! 

Es ift wenig, was ich Dir hier mittheile: eintöniger Geſang, 
Monvesglanz, tiefe Schatten, geiftermäßige Stille, Laufhen in die 
Verne, das ift alles, und doch — e8 giebt nichts, was ein volles Herz 
Dir mehr zu bieten vermödte! 


Freund! Morgendämmerung wedt mich ſchon, und ich habe doch 
geftern tief in die Nacht hinein gemacht. Freund! füßer! Geltebter! 
e8 war eine kurze Zeit des Schlaf8, dem ich hab von Dir geträumt; 
im Wachen over im Traum, mit Dir, da eilen'vie Roſſe unbändig. 
Drum pocht das Herz und Wange und Schläfe erhitst, weil die Zeit 
fo rüdfichtslos auf die feligen Minuten vorüberjagt. Wenn die Angit 
um die Flucht des Befiges nicht wär, wie wär da Lieb und Luft ein 
tiefer Briede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe! werm wir an Grä⸗ 
bern vorübergehen, und uns befinnen, wie fie da verdedt liegen und 
beſchwichtigt, die pochenden Herzen, dann befällt uns feierliche Rüh⸗ 
rung; wenn aber die Xiebe ſich einſenken könnte zır zweien, wie fie es 





419 


bedarf, fo tief abgefchieven wie im Grab, und wern auch die Weltge- 
Ihichte über die Stätte bintanzte, — was ging fie ung an? — ja das 
fann ich wohl fragen, aber Du nicht. 

Was ich träumte? Wir fanden aneinander gelehnt im nächt- 
lichen Dämmerlicht, das Sternenliht fpiegelte fi) in Deinen Augen. 
Traumlicht, Sternenlicht, Augenlicht fpiegelten in einander. — Dies 
Auge, das hier folgt ven Zeilen, die meine Hand an Did) ſchreibt, in 
ungemefjene Ferne, — denn ad wie fern Du mir bift das kann ja 
doch nur Dein Herz entſcheiden — dies Auge fah heute Nacht in Dei- 
nem Auge den Schein des Mondes ſich ſpiegeln. 

Ih träumte von Dir, Du träumteft mit mir; Du fpradift; 
ich empfinde nody den Ton Deimer Stimme; was Du fagteft, weiß ich 
nicht mehr; Schmeichelreden waren's, denn mit Deinen Reden gingen 
Schauer von Wolluft durch mich. 

Gott hat alles gemacht, und alles aus Weisheit und alle Weis- 
beit für die Liebe, und doch jagen fie, ein Liebenver ſei toll! 

Weisheit ift vie Atmofphäre der Liebe, der Liebende athmet 
Weisheit, fie ift nicht außer ihm, nein, — fein Athem ift Weisheit, 
jein Blick, fein Gefühl, und dies bildet jenen Nimbus, der ihn abjon- 
dert von allem, was nicht der Wille der Liebe ift, ver Weisheit ift. 

Weisheit der Liebe giebt alles, fie lenkt die Phantafie im Reich 
der Träume, und ſchenkt der Lippe die ſüße Frucht, die ihren Durft 
löſcht, während die Unbegeifterten fidh nad dem Boden umthun, dem 
fie ven Samen anvertrauen möchten, aus dem ihr Glüd reifen könnte, 
um das fie ihre Vorſicht betrügt. | 

Ich aber ſauge Genuß aus diefen Träumen, aus diefen Wonnen, 
bie mir ein Wahn von Schmerz, ein eingebilvetes Glück erregt; und 
die Weisheit, die meiner Begeiftrung zuftrömt; fie ſchifft mich auf 
ihren hoben ftolzen Wellen, weit über die Grenze des gemeinen Bes 
griffs, den wir Verftand nennen, und weit über dem Beruf der irdt- 
ihen Lebensbahn, auf der wir unfer Glück fuchen. 

Wie ſchön, daß die Weisheit der Liebe wirklich meine Träume 
beherrſcht, daß der Gott das Steuer Ienft, wo ich feinen Willen habe, 


27* 


420 





und mich im Schlaf da binüberfchifft zum Ziel, um das ich, es zu 
erreihen, immer wachen möchte. Warum träumft Du nicht auch 
von mir? warum rufft Du mic niht an Deine Seite? warum mid 
nit in Deinem Arm balten und freundlih Deinen Blid in meinen 
tauchen? — 

Du bift ja bier; diefe fonnigen Pfade, fie fehlingen fi durch⸗ 
einander und führen endlich auch zu Dir, o wandle auf ihnen; ihre 
labyrinthiſche Verkettungen: fie löſen ſich vielleicht auf, da wo Dein 
Blick den meinen trifft, wie das Räthſel meiner Bruft, da wo Dem 
Geiſt den meinen berührt. 


* * 


Heute las ich in diefen Blättern; lauter Seufzen und Sehnen. 

Wie würde ih befhämt vor Dir ftehen, wenn Du in dieſem 
Buch Läfeft! jo bleibt e8 denn verborgen, und nur zu eigner Schmad) 
geſchrieben? — Nein, ih muß an Dich denken und glauben, daß dies 
alles einmal an Deinen Geift vorüberzieht; wenn e8 auch mandmal 
in mir ift, als wollt ih Dich fliehen, Dich und diefe ſeltſame Laune 
der Sehnſucht; Laune muß ich fie nennen, denn fie will alles und 
begehrt nichts. Aber diefes Abwenden von Dir wird doppelter Reiz; 
da ſprengt mich's hinaus, die Berge hinan, noch im erften Frühroth, 
als könnt ih Dich erjagen, und was tft das Ende? Daß ich mic 
wieder zum Bud) wende. Nun was hat's denn auf ſich? vie Tage 
gehen vorüber jo oder fo, und was könnt ich verfäumen, wenn ich in 
diefen Blättern mich ſammle? 


* * 


Heute war ich früh draußen, ich ging den eriten Feldweg, die 
Feldhühner fchredten vor mir auf, fo früh war's noch; die Wiefen 
lagen da im Morgenglanz, überjponnen mit Fäden, an denen bie 
Thauperlen aufgereiht waren. 





421 

Manchmal hält die Natur Dir die Wage, umd ich empfinde die 
Wahrheit der Worte: „Weg du Traum, fo gold’ du bift, hier 
aud Lieb und Leben ift.“ So ein Gang, wenn ich wieder unter 
die Menſchen komme, macht mich einfam. 

Ach, die zahmen Menſchen, ich verftehe ihren Geift nicht. Geiſt 
lenkt, ex deutet, er fliegt voran auf immer neuen Wegen over er fommt 
entgegen wie die Leidenſchaft, und fenkt fi in die Bruft und regt ſich 
da, Geift ift flüchtig wie Ather, drum fucht ihn die Liebe, und wenn 
fie ihn erfaßt, dann geht fie in ihm auf, ‘Das ift meine Liſt daß die 
Liebe dem Geift nachgeht. 

Dir geh ih nach auf einfamen Wegen, wenn's ftill und ruhig ift 
dann lispelt jedes Blatt von Dir, das vom Wind gehoben wird, da 
laſſe ich meine Gedanken ftill ftehen, und lauſche, da breiten ſich Die 
Sinne aus wie ein Net um Did zu fangen, e8 ift nicht der große 
Dichter, nicht Dein weltgepriefener Ruhm! in Deinen Augen liegt's, 
in dem nachläſſigen und feierlichen Bewegen Deiner Gliever, in ven 
Schwingungen Deiner Stimme, in diefem Schweigen und Harren, 
bis die Sprache aus der Tiefe Deines Herzens fih zum Wort ent 
faltet; wie Du gehft und fommft und Deinen Blick über alles ſchweifen 
läßt, dies ift e8 und nichts anders mas mich erfreut, und feine glänzende 
Eigenſchaft kann dieſe Leidenſchaft erregenden Zeichen überwiegen. 

Da ſtreif ich hin zwiſchen Hecken, ich dräng mich durch's Gebüſch, 
die Sonne brennt, ich leg mich in's Gras, ich bin nicht müde, aber 
weil meine Welt eine Traumwelt if. E8 zieht mich hinüber nur 
Augenblide, es hebt mich zu Div, ven ich nicht mit Menfchen ver- 
gleihe. — Mit den Streiflihtern und ihren blauen Schatten, mit den 
Nebelwolten die am Berg binziehen, mit dem Vögelgeräuſch im Wal, 
mit den Waflern die zwifchen Geftein plätfhern, mit dem Wind, der 
dem Sonnenlicht die belaubten AÄſte zumiegt; mit diefem vergleich ich 
Di gern, da ift’8 als wenn Deine Laune hervorbräde, — Das 
Summen der Bienen, das Schwärmen der Käfer trägt mir “Deine 
Nähe zu, ja felbft das ferne Gebell der Hunde im Nachtwind medt 
mir Ahnungen von Dir; wenn die Wollen mit dem Mond fpielen, 


422 


wenn fie im Licht Schwimmen, verflärt: da tft alles Geift, und er ift 
deutlih aus Deiner Bruft gehaucht; da iſt's als wendeſt Du Geift 
Dich mir entgegen, und wärft zufrieden von dem Athem der Liebe wie 
auf Wellen getragen zu fein. 

Sieh! fo lieb ih die Natur, weil ih Dich liebe, fo ruh ich 
gern im ihr aus und verſenk mich in fie, weil ich gem in Dein An- 
denken mich verſenke. 

Ach, da Du nirgends biſt, und doch da biſt, weil ich Dich mehr 
empfinde als alles andere, ſo biſt Du gewiß in dieſem tauſendfachen 
Echo meines Gefühls. 


* %* 


Ich weiß einen! wie mit Kindeslächeln hat er fich mit der Weis- 
‚heit, mit der Wiſſenſchaft befreundet. Das Leben der Natur ift ihm 
Tempel und Religion; alles in ihr ift ihm Geifterblid, Weiffagung, 
ein jeder Gegenftand in ihr ward ihm zum eigenthüämlihen Du, in 
feinen Liedern klingt die göttliche Luft fih in allem zu empfinden, alle 
Geheimnifje in ſich aufzunehmen, fi in ihnen verftändlich zu werben. 


* 
* * 


Wenn der Same in die Erve kommt, wird er lebendig, und Dies 
Leben ftrebt in ein neues Reich, in die Luft. Wenn der Same nicht 
Thon Leben in fic hätte, konnte e8 nicht in ihm erwedt werden, es ift 
Leben was in's Leben übergeht. — Wenn der Menfch nicht ſchon 
Geligkeit in ſich hätte, könnte er nicht felig werden. Der Keim zum 
Himmel liegt in der Bruft wie ver Keim zur Blüthe im verfhlofinen 
Samen liegt. — Die Seligkeit ift fo gut ein Erblühen in einem 
höheren Element, wie jener Pflanze, die aus dem Samen durch die 
Erde in ein höheres Element in die Luft geboren wird. Alles Leben 
wird durch ein höheres Element genährt, und wo es ihm entzogen ift, 
da ſtirbt es ab. 











423 


Erkenntniß, Offenbarung ift Samen eines höheren Lebens, das 
irdiſche Leben ift der Boden in dem er eingeftreut ift, im Sterben bricht 
die ganze Saat an's Licht. Wachſen, blühen, Früchte tragen von dem 
Samen, den der Geift bier in uns gelegt hat, das ift das Leben nad 
dem Tod. | 

Du bift der Ather meiner Gedanken, fie ſchweben durch Dich hin 
und werden von Dir im Flug getragen wie die Vögel in der Luft. 

An Did denken, im Bewußtfein von Dir verweilen, das ift ein 
Ausruhen vom Flug, wie der Vogel ausruht im Neft. 

Geiſt im Getft ift unendlich, aber Geift in ven Sinnen, im Ge⸗ 
fühl tft Unendliches im Endlichen erfaßt. 

Meine Gedanken umſchwärmen Dich wie die Bienen den blühen» 
den Baum. Sie berühren taufend Blüthen und verlaffen eine, um die 
andre zu befuchen, jede ift ihnen neu; jo wiederholt ſich auch die Liebe 
und Wiederholung ift ihr neu. 


%* 
* * 


Liebe ift immerdar erfigeboren, fie iſt ewig ein einziger Moment, 
Zeit ift ihr nichts, fie ift nicht in der Zeit da fie ewig iſt; fie ift furz 
die Liebe. Ewigkeit ift eine himmliſche Kürze. 

Nichts Himmliſches geht vorüber, aber das Zeitliche geht worüber 
am Himmliſchen. 


* * 


Hier auf dem Tiſch liegen Trauben im Duft, und Pfirſich im 
Pelz und buntgemalte Nelken; die Rofe liegt vorne und fängt den 
einzigen Somenftrahl auf der durch die verſchloſſenen Fenſterladen 
dringt. Wie glüht die Roſe! Pſyche nenne ich fie, — wie lodt das 
glühenvde Roth den Strahl in den innerften Kelch! wie duftet fie, — 
bier lobt das Werk ven Meifter. Roſe wie lobft Dur das Licht! — 
wie Piyche den Eros lobt. — Unendlich ſchön ift Eros, und jeine 





424 


Schönheit durchleuchtet Pſyche wie das Licht die Hofe. — Und ich, 
die da wähnt von Deiner Schönheit eben fo durchleuchtet zu fein, 
trete vor den Spiegel, ob e8 mich auch wie fie verſchönt. 

Der Strahl ift dem Abend gewichen, vie Rofe liegt im Schatten, 
ich durchſtrefe Wald und Ylur, und auf einfamen Wegen dent ih an 
Di, daß Du auch wie Ticht mich durchdringſt. 


%* 
* %* 


Sehnſucht und Ahnung liegen in einander, eins treibt das andre 
hervor. 

Der Geift will fi vermählen mit dem Begriff: ich will geliebt 
oder ich will begriffen fein, das ift eins. 

Darum tbut der Geift wohl, weil wir fühlen, wie aus dem 
moifchen Leben das geiftige in's himmliſche übergeht und unfterb- 
lich wird. 

Die Liebe ift das geiftige Auge, fie erkennt das Himmliſche, es 
find Ahnungen höherer Wahrheiten die uns der Liebe begehren machen. 

In Dir jeh ich taufend Keime die der Unfterblichkeit aufblühen, 
ih mein ich müſſe fie alle anbauen. — Wenn Geiſter einander be- 
rühren das ift göttliche Eleftricität. 

Alles ift Offenbarung; fie giebt den Geift, und dann den Geift 
des Geiftes. Wir haben ven ©eift der Liebe, und deſſen Geift ift 
der Liebe Kunft. 

Alles ift nichtig, nur der Wille reicht drüber hinaus, nur der 
Wille kann göttlich fein. 


* %* 


Wie begierig ift die Seele nah Wahrheit, wie durſtet fie, wie 
trinkt fie! — wie die lechzende Erbe, die taufend Pflanzen zu nähren 
bat, den furchtbaren Gewitterregen trinkt; die Wahrheit ift auch elef- 
trifch Teuer wie der Blitz. — Ich fühl den weiten wolkendurchjagten 


425 


Himmel in meiner Bruft; ich fühl ven feuchten Sturmwind in meinem 
Kopf; das weiche Heranrollen der Donner, wie fie fteigen, mächtig, 
und das eleftrifche Feuer des Geiftes begleiten. — Das Leben: eine 
Laufbahn die mit dem Tod abſchließt durch die Liebe, durch den Geift; 
ein geheim, verborgen Feuer das fich bei dieſem Abſchluß in's Licht 
ergieft. 

Ya, elektriſch Teuer! das glüht, das brauf’t, die Funken, vie 
Gedanken, die fahren zum Schornſtein heraus, 

Wer mich berührt im Gefühl meiner Geiftigkeit, mit dem zu« 
jammen erbrauf’t der Geift gewitterhaft und fpielt im Pulsſchlag der 
Stürme, im eleftrifhen Zittern der Luft. Das hab ich gedacht, wie 
wir mit einander ſprachen und Du meine Hand berührteft. 

Gefchrieben nad dem Gewitter, wie ſich's nad) dem Sturm nod) 
einmal erhellen wollte und die Nacht dem nadträglihen Tag das 
Regiment abnahm. 


%* * 


Schon manch Borurtheil hab ich gelöft, fo jung wie ich bin, wenn 
ih auch das eine löfen könnte, daß die Zeit nichts verjährt, Hunger 
und Durft werden auch nicht älter; jo iſt's auch mit dem Geift, in der 
Gegenwart bedingt er jhon die Zukunft. Wer Anfprüche an die Zu- 
funft macht, wer der Zeit voraneilt, wie fann der der Zeit unter 
worfen fein? 

Ich habe bemerkt an den Bäumen, immer ift hinter dem ab» 
weltenden Blatt ſchon ver Keim einer zulünftigen Blüthe verborgen; 
fo ift auch das Leben im jungen, frifchen, Fräftigen Leib die nährende 
Hülle der Geiftesblume; und wie fie welkt und abfällt in der irdiſchen 
Zeit, fo drängt ſich aus ihr hervor der Geift als ewige himmlijche 
Blüthe, 

Wenn ich im fpäten Herbit im Vorübergehen das todte Laub von 
ben Heden ftreifte, da ſammelte ich mir dieſe Weisheit ein; ich öffnete 
die Knospen, ich grub die Wurzeln aus, überall drängte fi das 


426 


Zukünftige aus der gefammten Kraft des Öegenwärtigen hervor; fo ift 
denn fein Alter, kein Abfterben, fondern ewiges Opfern der Zeit an 
das neue junge Frühlingsleben, und wer fi der Zukunft nicht opferte, 
wie unglüdlic wär der! — 


* * 


Zum Tempelvienft bin ich geboren, wo mir nicht Die Luft des 
Heiligthums heimathlich entgegenweht da fühl ich mich umficher ale 
hab ich mich verirrt. 

Du bift mein Tempel, wenn ih mit Dir fein will veinige ich 
mid von des Alltäglichen Bedrängniß wie einer der Yeierfleider an- 
legt; fo bift Du der Eingang zu meiner Religion. 

Ich nenne Religion das was den Geift auf der Lebensftufe des 
Augenblids ergreift und im Gedeihen weiter bildet wie die Sonne 
Blüthen und Früchte. Du fiehft mich an wie die Sonne und fächelft mich 
an wie der Weſtwind, unter folhen Reizungen blühen meine Gedanken. 

Diefe Lebensepoche mit Dir zieht eine Grenze, die das Ewige 
umfaßt, weil alles, was ſich innerhalb ihrer bilvet, das Überirdiſche 
ausſpricht, fie zieht einen Kreis um ein inneres Leben; nenne es 
Religion, Offenbarung, über alles was der Geift Unermeßliches zu 
faflen vermag ! 

Was wacht das wedt! gewiß in Dir wacht was mich wet. 
Es geht eine Stimme von Dir aus, Die mir in die Seele ruft. — 
Was durch diefe Stimme gewedt wird ift Geheimniß; ermachtes Ge- 
heimniß ift Erleuchtung. 

Manches fehe und fühl ich was ſchwer ift auszufprechen. Wer 
liebt lernt wifjen, das Willen lehrt Lieben, fo wachfe ich vielleicht in 
der Offenbarung die jet no Ahnung iſt. Ich habe das Gefühl von 
dem Zeitpunkt an wo mir's fo freudig in die Sinne kam, meine Ge 
danken, mein geiftiges Leben in Deinen Bufen zu ergießen, als habe 
ih mid aus tiefem Schattenthal erhoben in die fonnigen Lüfte. 

%* 


* * 





427 


In den Garten wo ih noch als Kind fpazierte da wuchs die 
Jungfrauenrebe hoch empor an platten Geftein. Damals hab ich oft 
ihre Heine Sammtrüffel betrachtet mit denen ſie ſich anzufangen ftrebt, 
ih bewunderte dies unzertrennlihe Anklammern in jede Fuge, und 
wenn der Frühling erſchöpft war, und die Sommergluthen dem jungen 
weichen Keimleben viefer zarten Pflanze einfenerten, da fielen almählig 
ihre zierlichen rotbgefärbten Blätter zum Schmud des Herbites in's 
Gras, Ach ich auch! abfterbend aber feurig, werd ich von Dir Ab- 
ihied nehmen; und diefe Blätter werden wie jenes rothe Laub auf 
dem grünen Raſen fpielen der dieſe Zeiten dedt. 


* 
* %* 


Ih bin nicht falfh gegen Did; — Du jagt: „Wenn Du 
falſch bift, Du hätteft feine Ehre davon, ich bin leicht zu 
betrügen.“ 

Ich will nicht falſch fein, ich frage nicht ob Du falſch bift, fondern 
wie Du bift will ih Dir dienen. 

Den Stern der dem Einfamen jeden Abend leuchtet, ven wird er 
nicht verrathen. 

Was haft Du mir gethan was mich zur Yalfchheit bewegen könnte, 
alles was ich an Dir verftehe das beglüdt mid; Du kannſt weder 
Auge noch Geift beleivigen, und e8 hat mich weit über jede Hleinliche 
Bedingung erhoben, daß ich Dir vertrauen darf; und aus dem tiefften 
Herzen kann ih Dir immer nur den reinen Wein einſchenken, in dem 
Dein Bild fich fpiegelt. 

Nicht wahr, Du glaubt nicht daß ich falſch bin? — 

Es giebt böfe Fehler die au uns hervorbrechen wie das Fieber; 
e3 hat feinen Verlauf und wir empfinden in der Öenefung, daß wir 
ſchmerzlich krank waren ; aber Falſchheit ift ein Gift, das ſich in des 
Herzens Mitte erzeugt, könnte ich Dich nicht mehr in diefer Mitte her, 
bergen, was follte ih anfangen? 

In meinen Briefen wollte ih Dir nichts jagen, aber bier im 


428 


Buch da laſſe ih Dir die Hand in meine Wunde legen und es thut 
web, daß Du an mir zweifeln kannſt; ich will Diverzählen aus meinen 
Kindertagen, aus der Zeit eh ich Dich gefehen hatte. Wie mein ganzes 
Leben ein Vorbereiten war auf Dich ; wie lange kenne ich Dich ſchon, 
wie oft hab ich Dich geſehen mit gefchlofienen Augen, und wie wun⸗ 
derbar war's wie endlich die wirkliche Welt fih in Deiner Gegenwart 
an die lang gehegte Erwartung anſchloß. 

* * * 

In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich erzogen, ich 
glattes, braunes, feingegliedertes Rehchen, zahm und freundlich zu jedem 
Tieblofenden, aber unbändig in eigenthümlichen Neigungen. Wer 
fonnte mich vom glühenden Fels Iosreißen in der Mittagsjonne? — 
wer hätte mich gehemmt die fteilften Höhen zu erklettern und pie Gipfel 
der Bäume? wer hätte mic aus träumenver Vergefienheit gemedt 
mitten unter den Lebenden, oder meine begeifterten Nachtwanderungen 
geftört, auf nebelerfülten Pfad! — Sie ließen mid) gewähren vie 
Parzen, Mufen und Grazien, die da alle eingellemmt waren im engen 
Thal, das vom Gellapper der Mühlen dreifaches Echo in den um— 
grenzenden Wald rief, vom Goldſandfluß durchſchnitten, deſſen Ufer 
jenfeit8 eine Bande Zigeuner in Pacht hatte, die Nachts im Wald 
lagerten und am Tag das Gold fifchten, dieſſeits aber durch die 
Dleicher benugt war, und durch die wiehernde Pferde und Ejel die zu 
den Mühlen gehörten. Da waren die Sommernädhte mit Geſang ver 
einfamen Wächter und Nachtigallen durchtönt, und ver Morgen mit 
Geſchrei der Gänfe und Efel begonnen; da machte die Nüchternheit 
des Tags einen rechten Abſchnitt von dem Hymnus der Nacht. 

Manche Nächte Hab ich da im Freien zugebracht, ich Meines Ding 
von acht Jahren; meinft Du das war nichts? — mein Heldenthum 
wars, denn ich war fühn und wußte nichts Davon. Die ganze Gegend, 
jo weit ich fie ermefjen Tonnte war mein Bett; ob ich am Ufersrand 
von Wellen umfpühlt, oder auf fteilem Feld vom fallenden Thau 








429 


durchnäßt fchltef das war mir eimerlei. Aber Freund! wenn bie 
Dämmerung wid, der Morgen feinen Purpur über mir ansbreitete 
und mich, nachdem ich dem Geſang der fteigenden Lerche ſchon tm 
Traum gelaufht hatte, unter tauſendfachem „Jubel aller befieverten 
Kehlen weckte, was meinft Du wie ich mich fühlte! — nichts geringer 
als göttliher Natur fühlt ich mich, und ich ſah herab auf die ganze 
Menſchheit. Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, Die ſchwül waren, 
wo ih aus den beflommenen Schlaffälen zwifchen ven Reihen von 
Tiefſchlafenden mich ſchlich und hinaus in's Freie eilte, und mid bie 
Gewitter überrafchten, und die breite blühende Linde mich unter Dach 
nahm; die Blige feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies 
urplöglihe Erleuchten des fernen Waldes und der einzelnen Tels- 
zaden erregte mir Schauer, ich fürdhtete mich und umklammerte ben 
Baum der fein Herz hatte was dem meinen entgegen ſchlug. 

D lieber Freund! Hätte ich nun den lebendigen Pulsſchlag ge- 
fühlt unter dieſes Baumes Rinde, dann hätte ich mich nicht gefürchtet; 
dies Feine Bewegen, dies Schlagen in der Bruft kann Vertrauen 
erregen, und kann den Feigen zum Helden umwandeln; denn wahr 
lich! fühlt ich Dein Herz an meinem ſchlagen und führteft Du mic, in 
ven Tod, ich eilte triumphirend mit Dir! 

Uber damals in der Gewitternacht unter dem Baum da fürchtete 
ih mich, mein Herz ſchlug heftig, das ſchöne Lied: „Wie ift Natur 
fo hold und gut die mih am Buſen hält,“ das Fonnte ich 
damals noch nicht fingen, ich empfand mich allein mitten im Gebraus 
der Stürme, dod war mir fo wohl, mein Herz ward feurig. — Da 
(äuteten die Sturmgloden des Kloftertfurms, die Parzen und Mufen 
eilten im Nachtgewand mit ihren geweihten Kerzen in das gewölbte 
Chor, ich fah unter meinem fturmzerzauften Baum die eilenden Lichter 
durch die langen Gänge ſchwirren; bald tönte ihr ora pro nobis 
berüber im Wind, fo oft e8 bligte zogen fie die geweihte Glocke an, ſo 
weit ihr Schall trug, fo weit jchlug das Gemitter nicht ein. 

Ich allein jenſeits der Klauſur, unter vem Baum in der fchreden- 
vollen Naht! und jene alle, die Pflegerinnen meiner Kindheit, wie 


430 


eine verzagte verjhlichterte Herde, zufammen gerottet in dem innerften 
feuerfeften Gewölb ihres Tempels, Titaneien fingend um Abwendung 
der Gefahr. Das kam mir fo luſtig vor unter meinem Laubdach in 
dem der Wind rafte, und der Donner wie ein brüllender Löwe die 
Litanei fammt dem Geläut verfchlang; an diefem Ort hätte feins von 
jenen mit mir ausgehalten, das machte mich ftark gegen das einzige 
ichredenvolle, gegen die Angft, ich fühlte mich nicht verlaflen in der 
alumfafienden Natur. Der berabftrömende Regen verdarb ja nicht 
die Blumen auf ihrem feinen Stengel, wa$ jollte er mir ſchaden, id) 
hätte mich ſchämen müſſen, vor dem Vertrauen der Heinen Vögel, hätt 


ih mich gefürchtet. 
%* * 


So hab ih allmählig Zuverficht gewonnen und war vertraulich 
mit der Natur, und hab zum Scherz mande Prüfung beftanven 
Sturm und Gewitter zog mich hinaus und das machte mid freudig; 
die beige Sonne ſcheute ich nicht, ich legte mich in's Gras unter die 
Ihwärmenden Bienen mit Blüthenzweigen im Mund und glaubte feft 
fie würden meine Lippen nicht ftechen, weil ich jo befreundet war mit 
der Natur; und fo bot ih allen Trotz was andre fürdhteten, und in 
der Nacht, in ſchauerlichen Wegen im finftern Gebüſch, da Iodte es 
mid bin da war's überall fo heimlich und nichts war zu fürchten. 

Oben im erften und höchſten Garten ftand die Kloſterkirche auf 
einem Rajenplat der am felfigen Boden hinab grünte und mit einem 
hoben Gang von Trauben umgeben war, er führte zur Thüre der 
Sacriftey, vor diefer faß ich oft wenn ich meine Gejchäfte in der Kirche 
verjehen hatte, denn ih war Sacriflan, ein Amt, dem es oblag den 
Kelch in dem die geweihten Hoftien bewahrt wurden zu reinigen und 
bie Kelchtücher zu wachen, dies Amt wurde nur dem Liebling unter 
den jungfräulihen Kindern vertraut, die Nonnen hatten mich ein- 
ftimmig dazu erwählt. Im diefer Thürwölbung faß ich manchen heißen 
Nachmittag, links in der Ede des Kreuzbaues das Bienenhaus unter 


431 


hohen Zarusbäumen, recht8 der Heine Bienengarten, bepflanzt mit 
duftenden Kräutern und Nelken, aus denen die Bienen Honig faugten. 
In die Berne konnte ih von da fehen; die Werne die fo wunder⸗ 
liche Gefühle in der Kinderſeele erregt, die ewig eins und dafjelbe vor 
uns liegt, bewegt in Licht und Schatten, Mund zuerit ſchauerliche 
Ahnungen einer verhüllten Zukunft in ung weckt; da faß ich und fah 
die Bienen von ihren Streifzügen heimfehren, ih ſah wie fie fich im 
Blumenſtaub wählten und wie fie weiter und weiter flogen in bie 
ungemeflene Yerne, wie fie im blauen ſonnedurchglänzten Äther ver- 
ſchwebten, und da ging mir mitten in diefen Anwandlungen von Me- 
lancholie, aud) die Ahnung von ungemefjenem Glück auf. 

Ja die Wehmuth ift der Spiegel des Glücks; Dur fühlft, Du 
fiehft in ihr ausgeſprochen ein Glück nad dem fie fich ſehnt. Ach und 
im Glück wieder dur allen Glanz der Freude durchſchimmernd dieſe 
ſchmerzliche Wolluft. Ja das Glüd ift auch der Spiegel dieſer aus 
unergrändlichen Tiefen auffteigenden Wehmuth. Und jegt nod im ver 
Erinnerung wie in den Kindertagen, füllt fi meine Seele mit jener 
Stimmung, die leife mit der Dämmerung berembrah und dann wie 
der nachgab, wenn das Sonnenliht mit dem Sternenlicht gewechſelt 
hatte und der Abendthau meine Haare Iosringelte. Die kalte Nadıt- 
luft ftählte mich, ich buhlte, ich neckte mich mit den taufend Augen der 
Finſterniß, die aus jedem Buſch mir entgegen blitten. Ich Eletterte 
auf die Kaftanienbäume, Iegte mich jo ſchlank und elaftiich auf ihre 
Äfte, wenn dann der Wind durchſchwirrte und jedes Blatt mich an- 
flüfterte, da war's als redete fie meine Sprade. Am hohen Trauben- 
geländer, das fi an die Kirchenmauer anlehnte ftieg ich hinauf, und 
börte die Schwalben in ihrem Neftchen plaudern, Halb träumend 
zwitihern fie zwei» dreifilbige Töne und aus tiefer Ruhe feufzt vie 
Heine Bruft einen ſüßen Wohllaut der Befriedigung. Lauter Liebes- 
glück, Lauter Behagen, daß ihr Bettchen von befreundeter Wärme 
durchſtrömt ift. 

O Weh über mich, daß mir im Herzen fo unendlich weh ift, blos 
weil ich dies Leben der Natur mit angeſchaut hab in meinen Kinder 








432 


tagen; bieje taufendfältigen Liebesfeufzer, die die Sommernacht durch⸗ 
ftöhnen, und inmitten diefer ein einfames Kind, einfam bis in's innerfte 
Marl, das da lanfcht, ihren Seligkeiten, ihrer Inbrunft, das in dem 
Kelch der Blumen nad ihren Geheimniflen forfcht, das ihren Duft im 
fih faugt wie eine Lehke der Weisheit, das erſt über die Traube den 
Segen ſpricht ehe e8 fie genieft. 

Aber da war ein hoher Baum mit feinen phantaftifchen Zweigen, 
breiten Sammetblättern, die ſich wie ein Laubdach ausdehnten; oft 
lag ich in feiner fühlen Umwölbung und ſah hinauf wie das Licht durch 
ihn äugelte, und da lag ich mit freier Bruft in tiefem Schlaf; ja mir 
träumte von füßen Gaben der Liebe, gewiß, fonft hätte ich den Baum 
nicht fogleich verftanden da ich erwachte, weil eben die reife Frucht fich 
von feinen Zweigen gelöft hatte und im allen auf meine Bruft ihr 
Saft mih nebte; dies fhöne dunkle überreife Blut der Maulbeere, 
ich kannte fie nicht, ich hatte fie nte gefehen, aber mit Zutrauen ver- 
zehrten fie meine Lippen wie Liebende den erſten Kuß verzehren. Und 
es giebt Küffe von denen fühl ich, fie ſchmecken wie Maufbeeren. 

Sag find das Abenthener? — und würdig, daß ich fie Dir 
erzähle? 


* %* 


Und fol ih Dir noch mehr erzählen von diefen einfachen Ereig- 
nifjen, die jo gewöhnlich find wie der Athem der die Bruft hebt, und 
doch fanden fie auf der reinen, noch unbefchriebenen Tafel der Er- 
innerung eimen unverlöfhbaren Eindruck. Sieh, wie dem ind in den 
Windeln die ganze finnlihe Natur zur Nahrung feiner Kräfte gebeiht, 
bis e8 mannbar wird und mit feinen Glievern das Pferd und das 
Schwert regiert, fo gedeiht auch das Empfinden ver Geiftigfeit des 
Naturlebens zur Nahrung des Geiſtes. Nicht jet noch würde ich jene 
Somnenftrahlen mit dem Auge der Erinnerung auffangen, nicht mid 
der Wolfenzüge als erhabener Begebniffe erinnern, die Blumen ber 
verjhwundenen Frühlinge würden mir nicht heute noch mit ihren 





433 

Farben und Formen zulächeln, und die reifen Früchte, denen ich lieb⸗ 
koſ'te, eh ich fie genoß, würden mich nicht nad) verſchwundenen Jahren 
wie aus den Träumen feliger Genüffe, mähnen an vie heimliche Luft. 
— Sie lachten mich an diefe runden Äpfel, die geftreiften Birnen, 
und die ſchwarzen Kirſchen, die ich mir aus den höchſten Zweigen er- 
fletterte. O keine Erinnerung brennt mehr in meinem Herzen, auf 
meinen Lippen, die Diefer den Rang abliefe; nicht Du, nicht andre 
haben für die ſüße Koft der Kirſche auf höchſtem Gipfel im brennen- 
den Sonnenlicht gereift, oder der waldeinſamen Erbbeere unter ber 
thautem Gras aufgefunden, mich nur einmal entſchädigt. Darum 
weil er denn in ven Geift fo tief eingegraben ift, ver Genuß kindlicher 
Jugend, fo tief wie die Flammenſchrift der Leidenſchaft, fo ift er wohl 
auch eine göttliche Offenbarung und er bevingt viel in der Bruft in 
der er haftet. 

Gedanken find auch Pflanzen, fie ſchweben im geiftigen Ather, 
die Empfindung ift ihre Muttererde, in der fie ihre Wurzeln aus 
dehnen und nähren; der Geift ift ihre Luft, in dem fie ihre Blüthen 
ausbreiten und ihren Duft; der Geift, in vem viele Gedanken ihre 
Blüthen treiben, der tft ein gewürziger Geift, in feiner Nähe athmen 
wir feine Verklärung. Die ganze Natur tft aber ein Spiegel von 
dem, mas im Geiftesleben vorgeht. Keinen Sommeroogel hab ich 
umfonft nachgejagt, mein Geift empfing Dadurch die Befähigung, einem 
verborgenen idealiſchen Reiz nachzujagen; und hab ich das Hlopfende 
Herz in die hohen Kräuter der blühenden Erde gedrüdt: ich lag am 
Buſen einer göttlichen Natur, die meiner Inbrunft, meiner Sehnfucht 
kühlenden Balfam zuträufelte, ver alles Begehren in geiftigesg Schauen 
umwandelte. — 

Die wandelnden Herben in der Abenddämmerung mit ihrem Ger 
läut, die ih oben von der Dauer herab mit ftillem Entzüden betrach⸗ 
tete, Die Schalmei des Schäfers der in Mondnächten feine Schafe von 
Triften zu Zriften leitete, das Bellen des Hundes in der Werne, die 
jagenden Wolfen, die aufſeufzenden Abenpiwinde, Das Rauſchen des 
Fluſſes, das fanfte Anklatihen ver Wellen am fteinigen Ufer, das 

Goethe's Briefwechſel mit einem Finde. 28 











434 


Einſchlafen der Pflanzen, ihr Einfaugen des Morgenlichtes, das 
Kämpfen und Spielen ver Nebel, — o jag, welcher Geiſt hat mir das 
geiftig noch einmal geboten? — Du? — haft Du Dich fo traulich an 
mich geſchmiegt wie die Abendſchatten? hat Deine Stimme wehmüthig 
freundlih in mich eimgedrungen wie jene ferne Nohrpfeife? hat der 
Hund mir angefchlagen, es nahe ſich einer auf heimlicher Fährte dem 
mein Herz entgegenfhlägt? und habe ich nach glüdlihen Stunden, 
wie jene ſchlaftrunkne Natur mit dem Bewußtjein befrievigter Sehn- 
ſucht, mid) der Ruhe Hingegeben? Nein! nur in dem Spiegel der 
Natur Hab ich's erfahren, und die Bilder einer höheren Welter- 
ſcheinung gefehen. So nimm denn jene Mittheilungen als Ereignifje 
hohen Genufjes und veizenver Xtebesbegebenheiten auf; mas hab ich 
alles durch fie ahnen und begreifen gelernt! und was können wir mehr 
vom Leben fordern, was kann e8 Befleres in ung vorbereiten als die 
Befähigung zur Seligkeit! Wenn alfo Sinne und Geift fo bewegt 
war durch das Regen in der Natur, wenn die Begierde gejpannt war 
durch ihr Schmachten, wenn ihr Durften, ihr Trinken, ihr Brennen 
und Berzehren, ihr Erzeugen und Ausbrüten das Herz durchſtrömte, 
lag, was hätte ich da nicht erfahren im Liebesglüd; und melde 
Blume würde mir im Paradies nicht duften, und welche Frucht mir 
nicht reifen? 

Darum nimm fie auf, diefe Hteroginphen höherer Seligkeit, wie 
fie mein Gedächtniß nacheinander aufzeihnet. O ſieh doch, das Bud) 
ber Erinnerung blättert fih ja grade in Deiner Gegenwart an 
diefen merkwürdigen Stellen auf; Du! — Du wirft mir vielleicht 
im Paradiefe die Apfel vom unverbotenen Baum pflüden; an Deiner 
Bruft werde ich dort aufmachen, und die Melodieen einer beſeligenden 
Schöpfung werden meine Luft in Deinen Bufen handen. 


%* 
* %* 


Eins bewahr im Herzen: daß Du mir den reinften Emdrud von 
Schönheit gemacht haft, dem ich unmittelbar gehulpigt habe, und daß 








435 


nicht8 dem urfprünglichen in Deiner Natur Eintrag thun könne, und 
daß meine Liebe innig mit dieſem einverftanden ift. 


* 
* * 


Nur fo weit geht die Höhe der Seligkeit, als fie begriffen wird;, 
was der Geift nicht umfaßt, das macht ihn nicht glüdlich, vergebens 
würden Cherubim und Seraphim ihn auf ihren Schwingen höher 
tragen; er vermöchte nie ſich da zu erhalten. 


%* 
* * 


Ahnungen find Regungen die Flügel des Geiftes höher zu heben; 
Sehnſucht ift ein Beweis daß der Geift eine höhere Seligkeit jucht; 
Geiſt ift nicht allein Faſſungsgabe, fondern auch Gefühl und Inftinkt 
des Höheren, aus dem er feine Erfheinung, ven Gedanken entwidelt; 
der Gedanke aber ift nicht das Weſentliche, wir Könnten feiner ent- 
behren, wenn er nicht für Die Seele der Spiegel wär, in dem fie ihre 
Geiſtigkeit erfennt. | 


* 
% %* 


Der verſchloßne Same und die Blüthe, die aus ihm erwächſt 
find eimander nicht vergleihbar, und doch ift fein erſtes Keimen die 
Ahnung diefer Blüthe, und fo wächſt und gebeiht er fort mit ge- 
fleigerter Zuverficht, bis Blüthe und Frucht feinen erften Inſtinkt be 
währt, der, wenn er verloren gehen könnte, keine Blüthe und Früchte 
tragen würde. 


* 
* * 


Und wenn ich's auch in's Buch ſchreibe, Daß ich heute traurig bin, 
kann mich's tröſten? wie öde find diefe Zeilen! ach fie bezeichnen die 
28* 


436 


Zeit des Verlaſſenſeins, Verlaſſen! war ich denn je vereint mit dem 
was ich liebte? War ich verftanden? — ach warum will ich verftan- 
den fein? — alles ift Geheimniß, Die ganze Natur, ihr Zauber, die 
Liebe, ihre Bejeligung, wie ihre Schmerzen. Die Sonne jheint, treibt 
Blüthe und ruht, aber ihr folgen die Schatten und die winterliche 
Zeit. — Sind denn die Bäume auch fo troftlos, fo verzweiflungsvoll 
in ihrem Winter, wie das Herz in feiner Verlaſſenheit? — ſehnen ſich 
die Pflanzen? ringen fie nah dem Blühen, wie mein Herz heute 
ringt, daß e8 lieben will, daß es empfunden fein will® — Du mid 
empfinden? — Wer bift Du, daß ich's von Dir verlangen muß? — 
Ah! — die ganze Welt ift tobt; in jedem Buſen iſt's öde, gäb's ein 
Herz, einen Geift, der mir erwachte! — 


* 
%* %* 


Komm! laß und noch einmal die hängenden Gärten, in denen 
meine Kindheit einheimiſch war, durchlaufen, laß Dich durd die 
langen Laubgänge geleiten zu dem Glockenthurm, wo ich mit leichter 
Mühe das Seil in Schwung brachte um zu Tiſch oder zu Gebet zu 
rufen; und Abends um fieben Uhr läutete ich dreimal das Angelus 
um die Schugengel zur Nachtwache bei den Schlafenden zu rufen. 
D damals ſchnitt mir das Abenproth in's Herz, und das ſchweifende 
Gold in das fi die Wolken ſenkten; o ich weiß e8 noch wie Beute, 
daß es mir weh that wenn ich fo einfam durch das jchlafende Blumen- 
feld ging, und weiter, weiter Himmel um mid, der in beſchwingter 
Eile jeine Wolken zufammentrieb, wie eine Herde die er weiter führen 
wollte, der rothes, blaues und gelbes Gewand entfaltete, und dann 
wieder andre Farben, bis die Schatten ihn übermannten. Da ſtand 
ih und ſah die verfpäteten Vögel mit raſcher Eile nad ihrem Neſt 
fliegen; und dachte wenn doch einer in meine Hand flög, und ich 
fühlte fein Hein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden fein; ja ich 
glaubte ein Vögelchen nur, Das mir zahm wär, könnte mich glücklich 
machen. Aber es flog fein Vogel in meine Hand, ein jeder hatte ſchon 








437 


anders gewählt, und ich war nicht verftanden mit meiner Sehnfuct. 
Ich glaubte doch damals, die ganze Natur beftehe blos aus dem Be- 
griff aufgeregter Gefühle, davon komme das Blühen aller Blumen, 
und dadurch ſchmelze fih das Licht in alle Yarben, und darum 
hauche der Abendwind fo leife Schauer über's Herz, und deswegen 
fpiegle fi ver Himmel umgränzt vom Ufer, in den Wellen. Ich fah 
das Leben der Natur, und glaubte, ein Geift, der der Wehmuth die 
meine Bruft erfüllte entiprach, fer Dies Leben felbft; es feien feine 
Kegungen, feine Gedanken, die dies Tag- und Nachtwandeln ver 
Natur bilde; ja und ich junges Kind fühlte, daß ich einſchmelzen müſſe 
in dieſen Geift, und daß es allein Seligkeit fei, in ihm aufzugehen; 
ih rang, ohne zu willen was Tod ſei, dahin aufgelöft zu fein; ich 
war unerfättlich vie Nachtluft mit vollen Zügen einzuathmen, ich ftredte 
die Hände in die Luft, und das flatternde Gewand, die fliegenden 
Haare bewiejen mir die Gegenwart des liebenden Naturgeiftes; — 
ich ließ mich küſſen von der Sonne mit verfchloffenen Augen, und dann 
öffnete ich fie und mein Blid hielt e8 aus, ich dachte: laßt vu dich 
füllen von ihr, und follteft nicht vertragen können fie anzufehen ? 

Bon dem Kirchgarten führte eine hohe Treppe, über die das Waſſer 
ſchäumend Hinabftürzte, zum zweiten Garten, der rund war, mit regel- 
mäßigen Blumenftüden ein großes Baffin umgab, in dem das Wafler 
fprang; hohe Pyramiden von Taxus umgaben das Balfin, fie waren 
mit purpurrothen Beeren überfäet, deren jede ein friftallhelles Harz- 
tröpfhen ausſchwitzte; ich weiß noch alles, und dies beſonders war 
meine Lieblingsfreude, die erften Strahlen der Morgenjonne in dieſen 
Harzdiamanten ſich ſpiegeln zu jehen. 

Das Waſſer lief aus dem Baſſin unter der Erde bis zum Ende 
des runden Gartens, und ſtürzte von da wieder eine hohe Treppe hinab 
in den dritten Garten, der den runden Garten ganz umzog, und grade 
ſo tief lag, daß die Wipfel ſeiner Bäume wie ein Meer den runden 
Garten umwogten. Es war ſo ſchön, wenn ſie blühten, oder auch wenn 
die Apfel und die Kirſchen reiften, und die vollen Afte herüber ſtreckten. 
Oft lag ich unter den Bäumen in der heißen Mittagsfonne, und in 


438 


der lautlofen Natur wo ſich fein Hälmchen regte, fiel die reife Frucht 
neben mir nieder in’8 hohe Gras; ich dachte: „dich wird auch feiner 
finden!" da ftredte ih die Hand aus nah dem goldnen Apfel und 
berührte ihn mit meinen Lippen, damit er doch nicht gar umfonft ge⸗ 
wefen fein jolle. 


* * 


Nicht wahr, die Gärten waren ſchön! — zauberiih! Da unten 
fammelte ſich das Waſſer in einem fteinernen Brunnen, der von hoben 
Tannen umgeben war; dann lief e8 noch mehrere Terraflen hinab, 
immer in fteinerne Beden gefammelt, wo es denn unter der Erde bis 
zur Mauer kam, die den tiefften alle andere Öärten umgebenden ein⸗ 
ſchloß, und von da ſich in's Thal ergoß, denn auch diefer legte Garten 
lag noch auf einer ziemlihen Höhe, da floß es in einem Bach weiter, 
ich weiß nicht wohin. So jah ich denn von oben hinab feinem Stürzen, 
jeinem Spruveln, jenem ruhigen Lauf zu; ich ſah, wie es ſich fammelte 
und funftreih emporjprang und in feinen Strahlen umberfpielte, es 
verbarg fi, es kam aber wieder und eilte wieder eine hohe Treppe 
binab; ich eilte ihm nach, ich fand es im Haren Brunnen von dunklen 
Tannen umgeben, in denen die Nadtigallen hauſten; da war es fo 
traufich, da fpielte ich mit bloßen Füßen in dem kühlen Wafler. — Und 
dann lief's weiter verborgen, und wie es fi) außerhalb der Mauer 
binabftürzte, das ſah ich mit an und konnte es nicht weiter verfolgen, 
ih mußte e8 halt dahinlaufen laſſen. — Ach es kam ja Welle auf 
Welle nad, es ftrömte unaufhaltfam die Treppe hinab; der Waſſer⸗ 
ftrahl im Springbrunnen fpielte Tag und Nacht und verfiegte nimmer, 
aber da mo es mir entlief, da grade fehnte ſich mein Herz nach ihm, 
und da fonnte ich nicht mit; und wenn ich nun freiheit gehabt hätte 
und wäre mit gezogen durch alle Wiefen, durch alle Thäler, durch die 
MWüfte! — wo der Bach mich am End bingeführt haben möchte! 

Sa Herr, ich fehe Dich braufen und ſtrömen, ich feh dich kunſt⸗ 
veich fpielen, ich fehe Dich ruhig dahin wandeln, Tag für Tag und 











439 


plöglih Deine Bahn lenken hinaus aus dem Reich des Vertrauens, 
wo eim liebendes Herz jene Heimath wähnte, unbelümmert daß es 
vermaift bleibe. 

So hat denn der Bach, an defjen Ufern ich meine Kindheit ver- 
ipielte, mir in ſeinen friftallnen Wellen das Bild meines Geſchickes 
gemalt, und damals hab ich's ſchon betranert, Daß die mir fi nicht 
verwandt fühlten. 

O komm nur, und fpiel meine Kindertage noch einmal mit mir 
dur, Du bift mir's ſchuldig, daß Du meine Seufzer in deine Melo- 
dieen verhallen läßt, fo lange ich nicht weiter gehe, als meine kindliche 
Sehnsucht am Bach; die e8 auch gefchehen laflen mußte, daß er ſich los⸗ 
riß und fich energiſche Bahn brach in die Fremde. — In der Fremde, 
wo es gewiß war, daß mein Bild ſich nicht mehr in ihm jpiegelte. 


* 
%* » 


Heute haben wir grünen Donnerftag, da hab ich Heiner Tempel⸗ 
diener viel zu thun; alle Blumen, die das frühe Jahr ung gönnt wer- 
den abgemäht, Schneeglöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld 
voll Hiazinthen ſchmücken den weißen Altar, und dann bring ich die 
Chorhemdchen und zwölf Kinder mit aufgelöſten Haaren werden da⸗ 
mit befleivet; fie ftellen die Apoftel vor. Nachdem wir mit brennenden, 
blumengeſchmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, laflen wir 
und im Halbfreis nieder, und die alte Äbtiſſin mit ihrem hohen Stab 
von Silber, umwallt vom Schleier und langem, fchleppendem Chor- 
mantel Inteet vor uns, um uns die Füße zu wachen. Eine Nonne 
hält das filberne Beden und gießt das Wafler ein, die andre reicht 
die Linnen zum Abtrocknen; indeſſen läutet e8 mit allen Gloden, die 
Drgel ertönt, zwei Nonnen fpielen die Violine, eine den Ba, zwei 
blaſen die Bofaune, eine wirbelt auf ven Baufen, alle übrigen ftimmen 
mit hohen Tönen die Litanei an: „Sanct Petrus, wir grüßen dich — 
du bift der Fels auf ven die Kirche baut.” Dann geht e8 zum Paulus, 
und fo die Reihe durch werden alle Apoftel begrüßt, bis alle Füße 





440 


gewaſchen find. — Nun fiehft Du, das ift ein Tag, auf dem wir uns 
ſchon ein Vierteljahr lang Halb felig gefreut haben. Die ganze Kirche 
war voll Menſchen, fie drängten fich um unfere Broceffion und weinten 
Thränen der Rührung über die lachenden, unſchuldigen Apoſtel. 

Bon nun an ift der arten wieder offen, der ven Winter über 
unzugänglid war; jedes läuft an fein Blumengärthen, da hat der 
Rosmarin gut überwintert, die Nelfenpflänzchen werden unter bem 
dürren Laub hervorgeſcharrt, und jo manches junge Keimchen meldet 
den vergefinen vorjährigen Blumenflor. Erpbeeren werden verpflanzt, 
und die blühenden Veilchen Torgfältig herausgehoben und in Scherben 
verfeßt; ich trage fie an mein Bett, und lege den Kopf dicht an fie 
heran, damit ich ihren Duft die ganze Nacht ein- und ausathme. 


* 
* * 


O was erzähle ich dies alles dem Mann, der fern ab von ſolchen 
Kindereien ſeinen Geiſt zu andern Sphären trägt! warum Dir, dem 
ich ſchmeicheln, den ich locken will; Du ſollſt mir freundlich ſein, Du 
ſollſt Dir unbewußt, mich allmählig lieben, während ich ſo mit Dir 
plaudere; könnte ich Dir nun nichts anders ſagen, was Dir wichtiger 
wär, was Dich bewegte, Daß Du mid, „geliebtes Kind“ nennteſt, mid) 
an's Herz drüdteft in füRer Negung über das, was Du vernimmft? 

Ach ich wei nichts befleres, ich weiß Feine ſchönere Freuden als 
die jener erften Frühlinge, keine innigere Sehnſucht als die nach dem 
Aufblühen meiner Blumentnospen, keinen heigeren Durft, als der mid 
befiel, wenn ich mitten in ver fchönen blühenden Natur ftand, und 
alles voll üppigem Gedeihen um mid her. Nichts hat freundlicher und 
mitleidiger mich berührt als die Sonnenftrahlen des jungen Jahr's, 
und wenn Du eiferfüdtig fein fönnteft, jo wär e8 nur auf diefe Zeit, 
denn wahrlich ich ſehne mich wieder dahin. 

| * 
%* * 

Eine Sonne geht und auf, fie wedt den Geift wie den jungen 
Tag, mit ihrem Untergang geht er jchlafen; wenn fie aufiteigt erwacht 


441 





ein Treibeh im Herzen wie der Frühling, wenn fie hoch fteht glüht ver 
Geiſt mächtig, er ragt über das Irdiſche hinaus und lernt aus Offen- 
barungen, wenn fie fi) dem Abend neigt, da tritt die Befinnung 
ein, ihrem Untergang folgt vie Erinnerung; wir befinnen uns in der 
Schattenruhe auf das Wogen der Seele im Tichtmeer, auf die Bes 
geiftrung in der Zeit ver Gluth, und mit viefen Träumen gehen wir 
Ihlafen. Manche Geifter aber fteigen jo Hoch, daß ihnen die Liebes⸗ 
fonne nimmermehr untergeht, und der neue Tag ſchließt fih an ven 
verſinkenden an. 
%* 
* * 

Die einfame Zeit ift allein was mir bleibt; weflen ich mid er- 
innere das war in der Einfamfeit erlebt, und was ich erlebt habe das 
hat mid einſam gemadt; die ganze weite Welt umfpielt in allen 
Farben den einfamen Geift, fie ſpiegelt ſich in ihm, aber fie durch— 
bringt ihn nid. 

Geift ift in fih und was er wahrnimmt, was er aufnimmt das 
ift ſeine eigne Richtung, fein Vermögen; es ift feine höchſte Offen- 
berung, daß er erfafle was er vermag. Ich glaub im Tode mags ihm 
wohl offenbar werben, früher hat er nur ungläubige Anfhauungen 
davon; hätte ich früher geglaubt fo hätte der Geift auch zu erreichen 
geftrebt was er unmöglich wähnte und hätte erlangt wonad, er ſich 
fehnte, venn Sehnſucht ift ein Heilig Merkmal ver Wahrhaftigkeit ihres 
Ziels, fie ift Infpiration und macht den Geift fühn. Dem Geift joll 
nicht® zu kühn fein, denn weil er alle vermag; er iſt der Krieger dem 
feine Waffe verfagt, er ift der Reiche deſſen Fülle Unendliches fpenvet, 
er ift der Selige dem alles Wolluft ift; ja wohl, Geift ift nie Gottheit! 
Die Bruft ſaugt die Luft in ſich und entläßt fie wieder, um fie wieder 
zu trinken, und das tft Xeben. — Der Geift trinkt fehnenn die Gott⸗ 
beit, und baucht fie wiener aus um fie abermals zu trinfen und das ift 
fein Leben; alles andre ift Zufall, ift Spur, Geſchichte des Geifteß, 
aber nicht jein Leben. 

% 


442 


Darum ich der Geift einfam weil ihn nur ein Einziges belebt, 
das ift Die Liebe. Die Liebe ift das AU. Der Geift ift einfam weil 
pie Liebe alles allein iſt. Die Lebe tft nur für den, der ganz in ihr 
ift. Liebe und Geift Schauen fih einander an, denn fie find in fich 
allein und können nur fich ſehen. 

Ih war auch einfam damals in der Kindheit, die Sterne äugel- 
ten mich an, ich begriff fie, die Liebe fpricht durch fie. 

Die Natur ift die Sprache der Tiebe, die Liebe fpricht zur Kind⸗ 
heit durch Die Natur. Der Geift ift Kind bier auf Erben, drum hat 
pie Liebe die füße, felige, finnliche Natur als Sprache für den Geift 
geſchaffen. 

Wär der Geiſt ſelbſtſtändig, vielleicht führte die Liebe eine andre 
Sprache. — Die Natur lenkt und reicht dar was der Geiſt bedarf; 
ſie lehrt, ſie erzählt, ſie erfindet, ſie tröſtet, ſie beſchützt und vertritt 
ſeine Unmündigkeit, vielleicht wenn ſie den Geiſt aus der Kindheit 
herausgeleitet Bat, lenkt fie ihn nicht mehr, fie läßt ihn dann ſelbſt⸗ 
ftändig walten, wielleicht it das jenſeitige Leben ver Frühling des 
Geiftes, fo wie dieſes feine Kindheit if. Denn wir fehnen ung ja 
nad dem Frühling, nach der Jugend bis zum legten Augenblid, und 
dieſes Erdenleben ift nım ein Vorbilden für das Jugendleben des 
Geiftes, fie entläßt ihn aus der Kinbheit, wie das Samenkorn den 
Keim entläßt in's Ätherleben. 

Blühen ift Geift, es ift Schönheit, es ift Kunft, und fein Duft- 
ausftrömen ift abermals Streben in ein höheres Element. 


* 
%* * 


Komm mit Freund! ſcheue nicht den feuchten Abendthau, ich bin 
ein Kind und Du biſt ein Kind, wir liegen gern unter freiem Himmel, 
und ſehen den gemächlichen Zug der Abendwolken, die im purpurnen 
Gewand dahin ſchwimmen. O komme! — kein ſeligerer Traum, kein 
beglückenderes Ereigniß als Ruhe! ſtille Ruhe im Daſein; beglückt 
daß es ſo iſt, und kein Wähnen, es könne anders ſein, oder es müſſe 





443 


anders kommen. Nein! nicht im Paradies wird es ſchöner fein, als 
dieſe Ruhe tft die feine Rechenſchaft giebt, Kein Überfchauen des Ge- 
nufjes, weil jeder Augenblid ganz felig if. Solche Minuten erleb 
ich mit Div, nur weil ich Dich denke an meiner Seite in jenen Kinver- 
jahren; da find wir eines Sinnes, was ich erlebe fpiegelt fih in Dir, 
und ich lerne e8 in Dir begreifen, und was erlebte ich, wenn ich's nicht 
in Dir anſchaute? — In was empfindet ſich der Geift, durch was 
befigt er fich, als nur dadurch, daß er die Liebe hat? — Ich habe 
Did Freund! Du wandelft- mit mir, Du ruhſt an meiner Seite, 
meine Worte find der Geift den Deine Bruſt aushaucht. 


* 
%* %* 


Alle finnlihe Natur wird Geift, aller Geift ift ſinnliches Leben 
der Gottheit. — Augen ihr ſeht! — ihr trinkt Licht, Farben und 
Bormen! — O Augen, ihr ſeid genährt durch göttliche Weisheit, aber 
alles tragt ihr ver Liebe zu, ihr Augen, daß die Abenpfonne ihre 
Glorie über Euch Spielen läßt, und ver Wollenhimmel eine heilige 
Varbenharmonie euch lehrt, in die alles einftimmt: die feruen Höhen, 
die grüne Sant, der filberne Fluß, der [hwarze Wald, ner Nebelnuft, 
das giebt euch ihr Augen die Mutter Natur zu trinfen, während ver 
Geift ven ſchönen Abend verlebt im Anſchauen des Geliebten. DO ihr 
Ohren, euch umtönt die weite Stille, in ihr erhebt fih das leiſe 
Heranbraujen des Windes, e8 naht fich ein zweites, e8 trägt euch Töne 
zu aus der Verne, die Wellen ſchlagen feufzend an's Ufer, die Blätter 
lispeln, nichts vegt fih in der Einſamkeit was nicht fich euch vertraute 
ihr Ohren. Ihr werbet getränft durch das ganze Walten der Natur, 
während Ohr, Aug, Spradde und Genuß, im Bufen des Freundes tief 
verſunken ift. Ad paradieſiſches Mahl, wo die Koft ſich in Weisheit 
verwandelt, wo Weisheit Wolluft ift, und die ſe Offenbarung wird. 

Diefe Frucht! duftend, reif, nieverfinfend aus dem Äther! — 
welcher Baum hat fie abgefhüttelt von den überreichen Äften? während 
wir Wange an Wange gelehnt, ihrer und der Zeit vergeflen. ‘Diefe 


444 


Gedanken, find fie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit trägt 
und die er Xiebenven in den Schooß ſchüttelt, die in feinem Paradieſe 
wohnen und in ſeinem Schatten ruhen. — Damals war die Xiebe in 
der Kinvesbruft, die ihre Gefühle wie der junge Keim feine Blüthen 
dichtgefaltet und verſchränkt umſchloß. Damals war fie! — und 
ihrem Drängen dehnte ſich der Bufen, und öffnete fih ihre Blüthen 
zu entfalten. 


%* * 


Ein Nönnchen wurde eingekleidet, eine andre haben wir begraben, 
während den drei Jahren als ich im Kloſter war; dem einen hab ich 
den Cypreſſenkranz auf den Sarg gelegt, ſie war die Gärtnerin und 
hatte lange Jahre den Rosmarin gepflegt, den man ihr auf's Grab 
pflanzte; ſie war achtzig Jahre alt und der Tod berührte ſie ſanft 
während ſie Abſenker von ihren Lieblingsnelken machte, da hockte ſie 
am Boden und hielt die Pflanzen in der Hand, die ſie eben einſetzen 
wollte; ich war der Vollſtrecker ihres Teſtaments, denn ich nahm die 
Pflanzen aus der erſtarrten Hand und ſetzte fie in die friſch aufge 
wihlte Erde, ich begoß fie mit dem letten Krüglein Waſſer was fie 
am Madlenenbrünnden geholt hatte, die gute Schwefter Monika! wie 
ihön wuchſen diefe Nelfen! dunkelroth waren fie und groß. — Da 
mid fpäter der, der mich liebt und kennt, einer dunklen Nelke 
verglich, da dachte ih an die Blumen, die ich junges Kind aus ver 
erftorbenen Hand des hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, 
und ob es wohl jo fommen werde, daß auch mich der Tod beim 
Pflanzen der Blumen überrafche, der Tod, der triumphirende Herold 
des Lebens, der Befreier von irdiſcher Schere. 

Aber jene andre Nonne, jung und ſchön, deren lange golpne 
Flechten ich auf golpnem Opferteller zum Altar trug: — ich hab nicht 
geweint, da man die alte Gärtnern zu Grabe trug, obſchon fie meine 
Freundin gewejen war, und mir mande Gartenkunft gelehrt hatte. 
Es fam mir fo natürlich vor und fo behaglich, daß ich nicht einmal 





445 


darüber verwundert war; aber damals, als ich im Chorhembchen mit 
einem Kranz von Rofen auf dem Kopf, mit brennender Kerze als 
©eleitengel, unter dem Geläute aller Gloden, vor der in alle üppige 
Pracht gekleiveten jugendlichen Braut Chrifti einherſchritt; da wir an 
das Gitter famen, vor welchem ver Biſchof fland, der ihr die Gelübde 
abnahm, und er fragte, ob fie ſich Chrifto vermählen wolle, und 
man ihr auf ihr Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen 
Haare abſchnitt, welche ich auf einem goldenen Teller empfing, da 
fielen meine Thränen auf diefe Haare, und da ich Hin zum Altar trat, 
um fie dem Biſchof zu überreichen, da jchluchzte ich laut und alles Bolt 
weinte mit. 

Die junge Braut legte fih an die Erde, es wurde ein Leichen- 
Tuch über fie gebreitet, die Nonnen wallten von allen Seiten herbei, 
je zu zweien Blumenkörbe tragend. Ich ftreute die Blumen auf das 
Leihen-Tuh, während ein Requiem gefungen wurde. Ste wurde als 
Todte eingefegnet und Gebete über fie geſprochen; das irdiſche Leben 
war beendet, ich bob als Auferftehungsengel die Todtendecke auf, das 
himmliſche Xeben beginnt, die Nonnen umringen fie, in ihrer Mitte 
wird fie vom weltlihen Staat entfleivet, Ordenskleid Mantel und 
Schleier werden ihr angelegt, worauf fie in die Hände des Biſchofs 
bie Gelübde des Gehorſams, der Keufchheit und ver Armuth ablegt. 
Ach wie war ich beflommen, da der Biſchof ihr das Kruzifir reichte, um 
e3 als ihren Bräutigam zu küffen. Ich wich nicht von ihrer Seite; am 
Abend, da die Nonne allein in ihrer Zelle ſaß, kniete ich noch vor ihr, 
mit meinem verwelften Roſenkranz auf dem Kopf; fie war eine Fran- 
zöſin, eine Gräfin d’Antelot. »Mon enfant,« fragte fie, amon cher 
ange gardien, pourquoi as-tu pleur6 ce matin lorsqu’on m’a 
coupe les cheveux?« Ich ſchwieg eine Weile ftill aber dann fragte 
‘ih leife: »Madame, est-ce que Jesus Christ a aussi une barbe 
noire %« 

Diefe Ichöne Grau war mit vielen andern hoben Damen und 
Rittern, die Ordensbänder und Sterne hatten aus Frankreich ver- 
trieben waren in unfer Klofter gelommen; dieſe zogen alle weiter, fie 


446 


allein blieb zurüd, fie wandelte viel im Garten, fie hatte einen bligen- 
den Ring am Finger, den fie füßte wenn fie in der dunklen Allee allein 
war. Da las fie ihre Briefe mit leifer Stimme und mit einem feinen 
weißen Tuch trodnete fie Die weinenden Augen. Ich belaufchte fie, ich 
liebte fie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein ſchöner Mann in 
glänzender Uniform mit ihr in ven Garten. Sie ſprachen zärtlich mit- 
einander. Der Daun hatte einen ſchwarzen Bart, er war größer als 
fte, er hielt fie in feinen Armen und jah auf fie herab, und feine glän- 
zenden Thränen blieben in feinem ſchwarzen Bart hängen; das ſah 
ih, denn ich ſaß in der dunkeln Laube an deren Eingang fie ftanden. 
Er feufzte tief und laut, er vrüdte fie an's Herz, und fie füßte bie 
glänzenden Thränen im ſchwarzen Bart auf. 

Noch oft wandelte die ſchöne Frau in Dielen einfamen Alleen, 
noch oft ſah ich fie, weinend unter dem Baum wo er Abjchien ge- 
nommen hatte und endlich nahm fie ven Schleier. 


%* 


Coblenz. 

Ich habe mehrere Tage nicht in's Buch gefchrieben, wie hab ich 
mich danach gejehnt! Im Wandern durch fremde Straßen hab id 
Deiner gedacht. Hier der Spiel- und Tummelplag Deiner Jugend⸗ 
jahre, da üben der Ehrenbreitftein,; er heißt wie die Baſis Deines 
Ruhms, fo muß der Würfel heißen auf dem Dein Denkmal einft 
ftehn wird. 

Geftern fielen mir wunderliche Gedanken aus den Wollen, ich 
hätte fie gern aufgefchrieben, ich war nicht allein, ich mußte fie halt 
mit den wechjelnden Wellen im Strom dahin ziehen lafjen. 


%* 
* * 


Alles was dem Wefen der Liebe nicht zufagt ift Sünde, und alles 
was Sünde ift jagt dem Wefen ver Liebe nicht zu. Die Liebe hat eine 








447 





perfünliche Gewalt die ein Recht an uns übt; ich unterwerfe mich ihrer 
Rüge, fie, und fie allein ift die Stimme meines Gewiſſens. 

Welhe Anregungen aud im Leben vorkommen, welche Wen- 
dungen au ein Geſchick nimmt, fie ift der Weg der Modulation, der 
alle fremde Zonarten harmoniſch auflöft, fie giebt die Erkenntniß, ven 
Takt einer wahrhaft fittlihen Größe. Sie tft firenge, und dieſe Strenge 
erregt leidenſchaftlich für die Liebe, ich brenne vor Begierde zu thun 
was ihr gemäß ift. Ich will gern jedes Gefühl, jede Regung an ihr 
abmefien. 

Jetzt geh ich ſchlafen; könnt ich Div befchreiben wie wohl mir ift. 


* 
* * 


Wenn heut der Tag wäre, wo ich Dich wieberfehe! Heute! in 
wenig Sekunden träteft ‘Du bier in meine vier Wände, in denen id) 
ihon feit einem Sommer das Zauberhandiwerf treibe, Dich zu beſitzen; 
ja und manchen Augenblid warft Du mein, meine Liebe zog Dich heran. 
Ich ſah in die Ferne, im Herzen ſah ich nach Dir, und erkannte Dich. 
Etwas ſich aneignen, etwas befigen, dazu gehört eine große Kraft; 
etwas befigen, wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was 
Du befigeft im Geift, das erfennft Du, was Du erlennft, das nimmt 
Did ein, was Dich einnimmt, das erfchließt Dir eme neue Welt. 


* 
* * 


Der Geiſt will Selbſtherrſcher ſein! der eigne Beſitz iſt ſeine 
wahre Kraft; jede Wahrheit, jede Offenbarung iſt ein Berühren des 
eigenen Geiſtes, durchdringſt Du ihn, ſchmilzt Deine Seele in Deinen 
Geiſt: dann haſt Du alles was Du vermagſt, und jede Offenbarung 
und Dein Leben iſt Dein fortwährendes Wiſſen, und Dein Wiſſen iſt 
Dein Sein, Dein Erzeugen. Alle Erkenntniß iſt Liebe, darum iſt es 
ſo ſelig zu lieben, weil im Lieben der Beſitz liegt, der eignen göttlichen 
Natur. 


448 


Haft Du geliebt? e8 war eine Spur göttlider Natur, Du hobft 
die Grenze Deines Seins auf und dehnteft Dich aus im Beſitz Deiner 
Liebe. Dieſes Ausdehnen ift der Kreislauf Deiner geiftigen Natur; 
was Du liebft, daß tft ein Reich in das Du geboren bift, daß Du 
vermagft in ihm zu leben. Ach es ift fo groß, fo unendlich das Reich 
ver Liebe, und doch umſchließt e8 das menjhliche Herz. 


%* 
* * 


So wollen wir dann das Klofter verlaffen, in dem fein Spiegel 
war, und in dem ich alfo während vier Jahren vergeblich Die Belannt- 
ſchaft meiner Geſichtszüge, meiner Geftalt gefucht haben würde, doch 
ift e8 mir in dieſer ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken, wie 
ich wohl ausfähe, es war mir eine große Überrafhung, wie id im 
dreizehnten Jahre zum eritenmal mit zwei Schweitern, umarmt von 
der Großmutter, die ganze Gruppe im Spiegel erblidte. Ich erkannte 
alle, aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit 
ſchwarzem, fein gefräufeltem Haar; ich kenne fie nicht, aber mein Herz 
ſchlägt ihr entgegen, ein ſolches Gefiht hab ich ſchon im Traum ge- 
Ttebt, in dieſem Blid Tiegt etwas, was mid zu Thränen bewegt, diefem 
Weſen muß ih nachgehen, ih muß ihr Treue und Glauben zufagen ; 
wenn fie weint, will ich ftill trauern, wenn fie freudig ift, will ich ihr 
ftill dienen, ich winfe ihr, — fiehe, fie erhebt fih und kommt mir ent- 
gegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht länger bezweifeln, daß 
ich mein Bild im Spiegel erblide. 

Ah ja, dieſe Prophezeibung ift mir wahr geworben, ich habe 
feinen andern Freund gehabt al8 mich felber, ih Habe nicht um mich, 
aber oft mit mir geweint; ich babe gejherzt mit mir, und das war 
noch rührender dag am Scherz auch fein andrer ‘Theil nahm, hätte 
mir Damals einer gejagt e8 fucht jeder in der Liebe nur fich, und es 
ift das höchſte Glü ſich in ihr finden, ich hätt es nicht verftanven, 
doch ift in dieſem Heinen Ereignif eine hohe Wahrheit verborgen, vie 
gewiß nur wenige fallen: finde dich, ſei dir jelber treu, lerne did 


449 





verftehen, folge Deiner Stimme, nur fo kannſt du das Höchfte erreichen, 
Du kannſt nur Dir treu fein in ver Liebe, was du Ihön findeft das 
mußt du lieben oder du bift dir untreu. 

Schönheit erzeugt Begeiftrung, aber Begeiftrung für Schönheit 
iſt Die höchſte Schönheit ſelbſt. Ste ſpricht das erhöhte, verflärte Ideal 
res Geliebten durch ſich felbft aus. 

Gewiß die Liebe erzieht eine höhere Welt aus der Sinnenmelt; 
der Geift wird durd die Sinne genährt, gepflegt und getragen, er 
wächſt und fteigt durch fie zur Selbftbegeiftrung, zum Genie, denn 
Genie ift das überirdiſche jelige Leben einer durd die finnlihe Natur 
erzeugten himmliſchen Begeifterung. 

Du erſcheinſt mir wie dies himmliſche Erzeugnig meiner Sinnen⸗ 
welt, wenn ich fo vor Dir ſtehe und Dir ausipreche, wie ich Dich Tiebe, 
und doch wenn ich fo vor Dir ftehe, dann fühl ich wie Deine finnliche 
Erſcheinung mid) verflärt und zur himmliſchen Natur in mir wird. 


* 
* * 


Jetzt bin ich dreizehn Jahr alt, jetzt rüdt vie Zeit an, die aus 
dem Schlaf wedt, die jumgen Keime haben Trieb, und rüden aus 
ihrer braunen Hülle hervor ans Licht, und die Liebe des Kindes neigt 
ſich den aufkeimenden Geſchlechtern der Blumen; fein Herz gläht ver- 
ſchämt und innig ihren vielfarbigen duftenden Reizen entgegen, und 
ahnet nit, daß während dem eine Keimwelt von taujendfältigen 
Geſchlechtern der Sinne und des Geiftes fih aus der Bruft hervor, 
dem Leben, dem Licht entgegen drängt. — Siehft Du wohl hier be- 
ftätigt, was ich fage: vie Liebe zu der aufkeimenden Blüthenwelt der 
ſinnlichen Natur erregt die ſchlafenden Keime einer geiltigen Blüthen- 
welt; indem wir die finnlihe Schönheit gemahr werben, erzeugt ſich in 
ung ein geiftig Ebenbild, eine himmliſche Verklärung deſſen, was wir 
ſinnlich lieben. — So war meine erfte Liebe, im Garten: in der Geis- 
blattlaube war ich jeden Morgen mit der Sonne und drängte mid) dem 
Aufbrehen ihrer röthlihen Knospen entgegen, und wie ich in die 

Goethe's Briefwechſel mit einem Kinde. 29 


450 


erſchloſſnen Kelche blicte, da liebte ich und betete die Sinnenwelt in den 
Blüthen an, und ich mifchte meine Thränen mit dem Honig in ihren 
Kelchen. Ja, glaub’8, es war mir ein befonderer Reiz, die Thräne, 
die unwilllührlich mir in's Auge gedrungen, da hinein zu betten, fo 
wecjelte die Luft mit der Wehmuth. Die jungen Teigenblätter, wie 
fie zuerft fo rein und dicht gefaltet aus dem Keim heroorfteigen und 
por der Sonne fih ausbreiten: Ah Gott! Di! warum jchmerzt die 
Schönheit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe fi untüchtig fühlt 
fie ganz zu umfaſſen, fo ift die glüdlichfte Fiebe von Wehmuth durch⸗ 
drungen, weil fie ihrer eignen Sehnfucht fein Genüge thun kann, jo 
macht mich Deine Schönheit wehmüthig, weil ich Dich nicht genug 
lteben kann. — O verlafle mich nicht, fei mir nur fo weit willig ge- 
ſinnt, wie der Thau den Blumen geſinnt ift; Morgens wedt er fie 
und nährt fie, und Abends reinigt er fie vom Staub und fühlt fie von 
der Hite des Tages. So made Du es aud, wede und nähre meine 
Begeiftrung in der Frühe, fühle meine Gluth und reinige mich von 
Sünden am Abend. 


% 
* * 


Haft Du mich lieb? — Ach! ein Herabneigen Deines Angefichts 
auf mich, wie Die wogenden Zweige der Birke, — wie ſchön wär das! 
— oder auch, daß Du mid anhauchteft im Schlaf, wie der Nachtwind 
über die Fluren hinſtreift; mehr nicht, mein Freund, verlang ich von 
Div — daß der Athem des Geliebten Dich berührt, welche Seligfeit 
kannſt Du dieſer gleichftellen? — 

Sp hell und deutlich Hab ich Damals nicht gefühlt, wie ich heut 
in der Erinnerung fühle, id) war fo unmündig wie die junge Saat, 
aber ich wurde vom Fichte genährt und dem Selbftbemußtjein entgegen- 
geführt, wie jene, wenn fie durch die Ähre ihrer felbft gewiß wird ; 
und heute bin ich reif, und firene die goldnen Fruchtkörner der Liebe 
zu Deinen Füßen aus, mehr nicht befagt mein Leben. 


* * 














451 





Die Nachtigall war anders gegen mid gefinnt wie Du, fie ſtieg 
berab von Aft zu Aft und fam immer näher, fie bing fi an den 
äußerften Zweig, um mich zu ſehen, ich wendete leife mich zur ihr, um 
fie nicht zu ſcheuchen, und fiehe da! Aug in Nachtigallenaug, wir blicten 
und an und hielten's ans. Dazu trugen die Winde die Töne einer 
fernen Muſik herüber, deren allumfafjende Harmonie wie ein in fich 
abgefchloffenes Geifteruntverfum erflang, wo jener Geift alle Geifter 
durchdringt, und alle jedem fih fügen, volllommen ſchön war Dies 
Ereigniß, Dies erfte Annähern zweier gleich unbewußten, unfchulbigen 
Naturen, die nody nicht erfahren hatten, daß aus Liebesdurſt, aus 
Liebesluſt das Herz im Bufen ſtärker und ſtärker klopft. Gewiß, ih 
war erfreut und gerührt durch dies Annähern der Nachtigall, wie ih 
mir denke, daß Du allenfalls freundlich bewegt werden Lönnteft durch 
meine Liebe, aber was hat die Nachtigall bewogen mir nachzugehen, 
warum fam fie herab vom hohen Baunı und fette fi mir jo nah, 
daß ich fie mit ver Hand hätte haſchen können, warum fah fie mid an 
und zwar mir in's Aug? — Das Aug fpridt mit uns, es antwortet 
auf ven Blid, die Nachtigall wollte mit mir ſprechen, fie hatte ein 
Gefühl, einen Gedanken mit mir auszutaufchen. (Gefühl, ift der Keim 
des Gedankens,) und wenn e8 fo tft, welden tiefen, gewaltigen Blid 
läßt uns bier die Natur in ihre Werkftatt thun; wie bereitet fie ihre 
Steigerungen vor, wie tief legt fie ihre Keime, wie weit iſt e8 noch 
von der Nachtigall bis zu dem Bewußtſein zwilchen zwei Liebenden die 
ihre Inbrunft fo deutlich im Lied der Nachtigall gefteigert empfinden, 
daß fie glauben müflen, ihre Melodieen jeien der wahre Ausdruck 
ihrer Empfindungen. — 

Am andern Tag kam fie wieder, die Nachtigall — ich auch, mir 
abhnete fie würde kommen, ich hatte die Öuitarre mitgenommen, ich 
wollte ihr was vorfpielen, an der Pappelwand war's, ver wilden 
Rojen-Hede gegenüber, die ihre langen ſchwankenden Zweige über vie 
Mauer des Nachbargartens hereinftredte und mit ihren Blüthen 
beinah bi8 wieder an den Boden reichte, da ſaß fie, fredte ihr Häls⸗ 
hen und ſah mir zu, wie ich mit dem Sand ſpielte. Nachtigallen find 

29 


452 


neugierig, fagen die Leute, bei uns ift’8 ein Sprüchwort: du bift jo neu⸗ 
gierig wie eine Nachtigall, aber warum ift fie denn neugierig auf den 
Menſchen, der ſcheinbar gar feine Beziehung auf fie bat? — was 
wird einftend ans dieſer Neugierve fich erzeugen?! — O! nichts um- 
fonft, alles braucht die Natur zu ihrem raftlofen Wirken, es will und 
muß weiter gehen in ihren Erlöfungen. Ich flieg auf eine Hohe Pappel, 
deren Alte von unten auf zu einer bequemen Treppe rund um den 
Stamm gebildet waren, da oben in dem ſchlanken Wipfel band ich 
mich feft an die Zweige mit ver Schnur, an der ich die Öuitarre mir 
nachgezogen hatte, e8 war ſchwül, nun regten ſich die Lüfte ftärker und 
trieben ein Heer von Wolfen über und zufammen, — Die Roſenhecke 
wurde hochgehoben vom Wind umd wieder nievergebeugt, aber ver 
Bogel ſaß feft; je brauſender der Sturm, je ſchmetternder ihr Gefang, 
die Heine Kehle ftrömte jubelnd ihr ganzes Leben in Die aufgeregte 
Natur, der fallende Regen behinderte fie nicht, die braufenden Bäume, 
der Donner übertäubte und fehredte fie nicht, und ich aud auf meiner 
ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nieder auf die Roſenhecke, 
wenn fie fich hob, und ftreifte über die Saiten, um den Jubel der 
Heinen Sängerin durch den Takt zu mäßigen. Wie ftill war's nad 
dem Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiftrung im 
Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung fich über die weiten Gefilbe, 
meine Heine Sängerin fchwieg, fie war müde geworden. Ad, wenn 
der Genius aufleuchtet in ung, und unfere gefammten Kräfte aufregt, 
daß fie ihm dienen, wenn der ganze Menjch nichts mehr ift, als nur 
bienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er jelbft, und vie Ruhe 
folgt auf folde Anftrengung, wie mild tft e8 da, wie find da alle Au- 
ſprüche, jelbft etwas zu fein, aufgelöft in Hingebung an den Genius! 
So ift Natur, wenn fie ruht vom Tagewerk: fie jchläft, und im 
Schlaf giebt e8 Gott den Seinen. So ift ver Menſch, der unter: 
worfen tft dem Genius der Kunſt, dem das elektriſche Feuer der Poefie 
die Adern durchſtrömt, den prophetiſche Gabe durchleuchtet, oder der, 
wie Beethoven eine Sprache führt, die nit auf Erden, jondern 
im Äther Mutterſprache ift.. Wenn folhe ruhen von begeifterter 


453 


Anftrengung, dann ift e8 fo mild, fo kühl, wie e8 heute nach dem 
Gewitter war in der ganzen Natur, und mehr noch in der Bruft der 
Heinen Nachtigall, denn fie ſchlief wahrjcheinlich heute noch tiefer als 
alle andren Bögel, und um fo kräftiger und um fo inniger wird ihr 
der Genius, der e8 den Seinen im Schlaf giebt, vergolten haben, ich 
aber ftieg nach eingeathmeter Abenpftille von meinem Baum herab, 
und durchdrungen von den hohen Ereignifien des eben Erlebten, jah 
ich unwillführlic, nie Menſchheit über vie Achfel an. 


%* 
%* * 


Alles ändert fih, die Menfchen denken anders wenn fie älter 
find, als in der Jugend. Ach! — was werde ich denn einftens denken, 
wenn mich dies irbifche Leben fo lange bewahrt, bis ich älter in ihm 
werde! vielleicht gehe ich, ftatt zu dem Freund, dann in die Kirche, 
vielleicht bete ich dann, ftatt zu lieben! Ad, wie werd ich's dem Lieben 
gleihthun im Beten? — Hab ich je Andacht empfunden, jo ward an 
Deiner Bruft, Freund! — Tempelduft, ven Deine Tippen hauchen, 
Geift Gottes, den Deine Augen previgen, es ſtrömt von Dir aus eine 
begeifternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlig, Dein Geift, alles 
ftrömt eine Heiligung aus. D Du! — Deme Kniee feft an meine 
Bruſt vrüdend, frag ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit fein 
möge, die im Himmel dem Frommen bereitet ift. — Gott von Ange 
ſicht zu Angeficht hauen? — Wie oft Hab ich mit gefchloffnen Augen 
Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Geliebten 
in unfer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir im Herzen, als 
nur Gott? — Und wenn wir ihn da nicht empfänven, wie und wo 
jollten wir ferne Spur ſuchen? — 


* 
%* * 


Was faſele ich vom Frühling, was ſpreche ich von heiteren 
Tagen, von Genuß und Glück? — Du! — das Bewußtſein von Dir, 





454 


verzehrt mir jede Regung; ich kann nicht Lächeln zum Scherz, ich kann 
nicht mich freuen, ich kann nicht hoffen mit den andern. Daß ich ‘Did, 
fenne, daß ich Dich weiß, macht meine Sinne fo ftill. 

* 

* * 

D heute ift ein wunderbarer Tag! — heute leide ih Schmerzen, 
fo ſchwer ift die Seele! Du bift nah, ich weiß e8, gar nicht fern if 
der Weg zu Dir, aber mich trennt der Heine Raum, wie die Unenb- 
lichkeit. Der Moment ver Sehnfucht ift es, der gefühlt und befriedigt 
fein will, und wenn ver Geliebte ven nicht ahnt, wenn er die Liebe 
verfäumt was kann mich ihm nah bringen! Ad, ſchauerlicher Tag, 
der heute in Erwartung und Sehnſucht verging ! 

Wen made ich zum Bertrauten? wer fühlt menſchlich mit mir? 
— wen Hag ich über Dich? — wer ift mein Freund? — wer darf's 
wagen auf diefen Stufen binanzufteigen, auf denen ich mich aller 
menſchlichen Berührung enthoben habe? — wer darf die Hand mir 
an die Stirn legen und fagen: der Friede fet mit dir! — 

Dir Hag ich's, den ich he, Dir ruf ich's zu, über die Klüfte, 
den? nur, mit heißem Ruderſchlag überfliege ich die Zeit, das Leben; 
ich jage fie Hinter mich die Minuten der Trennung, und num, ihr Injeln 
der Seligen, findet mein Anker feinen Grund. Wildes Geftade! — 
feindfeliger Strand! — Ihr laſſet mich nicht landen, nicht ahnen Des 
Freundes Bruft, der kennt die Geheimniſſe und den göttlichen Urſprung 
und meines Lebens Ziel. Er hat, daß ich ihn ſchauen lerne, des Lichtes 
unbefledten Glanz mir im Geiſte gewedt, er bat — begleitend in 
rafhen Liedern die Genüſſe, die Leiden der Liebe — mich gelehrt, 
zwifchen beiden voranſchreitend: ven Schickſalsſchweſtern, mit leuchten- 
der Tadel des Eros zu beftrahlen den Weg. 


* 
* * 


Heute iſt ein andrer Tag, die böſe Furcht iſt geſtillt, es tobt 
nicht, es brauſſt nicht mehr im Herzen, die Klage unterbricht nicht 





455 





mehr der Liebe glanzerfüllte Stille. — Ad heute ift die Sonne nicht 
binab, ihre legten Strahlen ‚breiten fi unter Deine Schritte; fie 
wandelt — die Sonne, fie fteht nicht ſtill, fie führt Dich ein bei mir, 
wo Dämmerung Dir winkt und der von Violen geflocdhtene Kranz. 
D liebfter! — dann fteh ich ſchweigend vor Div, und der Duft der 
Blumen wird für mich ſprechen bei Dir. 


* 
%* % 


Ich bin freudig wie ver Delphin, der auf weitruhendem Meeres- 
plan ferne Flöten vernimmt; er jagt muthwillig die Wafler in bie 
glänzende Stille der Lufthöhen, daß fie auf der glatten Spiegelfläche 
einen PBerlenraufch verbreiten; jede Perle jpiegelt das Univerfum und 
zerfließt, fo jeder Gedanke fpiegelt die ewige Weisheit und zerflieht. 

Deine Hand lehnte an meiner Wange, und Deine Lippe ruhte 
auf meiner Stirn, und e8 wear fo ſtill, daß Dein Athen verhauchte, 
wie Geifterathem. Sonft eilt die Zeit ven Glücklichen, aber diesmal 
jagte die Zeit nicht; eime Ewigkeit, die nie endet ift dieſe Zeit, die fo 
kurz war, jo in fi, daß ihr fein Maaß kann angelegt werben. 

An milden Fräblingstagen, wo bünnes Gewölk, der jungen Saat 
den fruchtbringenden Regen ſpendet, da iſt es jo wie jeßt in meiner 
Bruft, mir ahnet, wie dem kaum gewurzelten Keim feine Tünftige 
Blüthe ahnet, daß Liebe ewige, einzige Zukunft fei. 

Gut fein begnügt die Seele, wie das Wiegenlied die Kinderſeele 
zum Schlaf befriedigt. Gut fein tft die heilige Ruhe, die ver Same 
des Geiftes haben muß eh er wieder gezeitigt ift zur Saat. — Der 
Geift aber ahnt, daß Gutſein die Vorbereitung zu einem tiefen uner« 
forihlihen Geheimniß iſt. Das haft Du mir anvertraut Goethe! — 
geftern Abend beim Sternenhimmel am offnen Benfter, wo ein Lüftchen 
nad dem andern hereinſchwirrte und wieder hinaus, — Wenn alio 
die Seele gut tft: das ift eine Ruhe, ein Einfchlafen im Schooß 
Gottes,] wie der Same im Schooß der Natur fchläft eh er keimt. 
Wenn aber der Geift pas Gute will, fo will er die Gottheit felbft; fo 





456 


will er jenes Geheimniß ver Güte als Spetfe, Nahrung und Borbe- 
reitung feiner nahen Verwandlung; fo pocht er an, wie der verborgne 
Strom im Felfenfhoog, daß er an's Licht will. Solchen fühnen Muth 
hat Dem Geift, daß feinem Dringen Thor und Riegel aufgethan 
wurden, und daß er hervorbrauſen durfte, über alle Zeiten Hinweg wo 
Geift in Geift greift, Well in Well geboren, Well in Well verloren. 

Solcherlei Geſpräche führten wir geftern Abend, und Du fagteft 
noch: „fein Menſch würde glauben, daß wir beide jo mit einander 
ſprechen.“ 

Wir ſprachen auch von der Schönheit: Schönheit iſt wenn der 
Leib von dem Geiſt, den er beherbergt ganz durchdrungen iſt. Wenn 
das Licht des Geiſtes von dem Leib den er durchdringt ausſtrömt und 
ſeine Formen umkreiſ't das iſt Schönheit. Dein Blick iſt ſchön, weil 
er das Licht Deines Geiſtes ausſtrömt und in dieſem Lichte ſchwimmt. 

Der reine Geiſt bildet ſich einen reinen Leib im Wort, das iſt die 
Schönheit der Poeſie. Dein Wort iſt ſchön, weil der Geiſt, ven es be- 
berbergt hindurch dringt und e8 umftrömt. 

Schönheit vergeht nicht! der Sinn, der fie in fih aufnimmt, hat 
fie ewig und fie vergeht ihm nicht. 

Nicht das Bild das fie fpiegelt, nicht die Form, die ihren Geift 
ausipricht, Hat die Schönheit: nur der hat fie, der in diefem Spiegel 
den eignen Geift ahnt und erjehnt. 

Schönheit bildet ſich in dem, der fie ſucht, und im Bild wieber- 
zugeben fucht, und in dem, der fie erkennt und ſich ihr gleich zu bil⸗ 
den ſehnt. 

Jeder ächte Menſch iſt Künſtler, er ſucht die Schönheit, und ſucht 
ſie wiederzugeben ſo weit er ſie zu faſſen vermag. Jeder ächte Menſch 
bedarf der Schönheit als der einzigen Nahrung des Geiſtes. 

Die Kunſt iſt der Spiegel der innerſten Seele, ihr Bild iſt es 
wie ſie aus Gott hervorging, was die Kunſt Dir ſpiegelt. Alle Schön⸗ 
heit iſt eine Erkenntniß Deiner eignen Schönheit. 

Die Kunſt iſt es, die Dir ein ſinnliches Ebenmaaß des Geiſtes 
vor die leiblichen Augen zaubert. 





457 





Jeder Lebenstrieb it Schönheitstrieb, fieh die Pflanze, ihre 
Triebe alle find erfüllt mit ver Sehnſucht zu blühen, und die Befrie- 
digung diefer Sehnſucht lag ſchon im Samenkorn vorbereitet, alfo ift 
wohl Sehnſucht die fiherfte Gewährleiſtung. Wer fih nad ewiger 
Schönheit jehnt, der wird fie haben und genießen. 

Alles was ich bier fage fchriebft Du mir in's Herz, wenn ich's 
noch nicht mit rechter Freiheit ausſpreche? — weil ich's nicht ganz zu 
faflen vermag. 

Geftern Abend da ftreifte Dein Aug über die fernen Gebirge 
und da fagteft Dir: „vie Leidenſchaft, die in's Herz geboren ift, fol 
auch wachen und gebeihen, denn es tft feine Begierde, der nicht das 
göttliche gegenüberftände um fie jelig zu machen.” 


%* 
%* %* 


Ste haben mid, eingeführt in ihren Tempel die Genten, und 
bier ftehe ich verzagt, aber nicht fremd, dieſe Lehren find mir verftänd- 
lich, diefe Geſetze geben mir Weisheit, das Trachten der Liebe ift nicht 
Trachten vergänglicher Menſchen. Alle Blumen, die wir brechen, wer- 
den unfterblih im Opfer, — ein n lebend Herz entſchwingt fich feind- 
jeligem Loos. 


* 
%* * 


Ih fol Dir erzählen von ven Zeiten, wo ich Deinen Namen 
noch nicht Hatte nennen lernen? Gewiß Du haft Recht, willen zu 
wollen, was mi auf Dich vorbereitete, ich fagte Dir, dag Blumen 
und Kräuter zuerft mich anſahen, daß ich erkannte, im Blick jet eine 
Frage, eine Forderung, die ich nur mit zärtlichen Thränen beantworten 
fonnte, dann lockte mich die Nachtigall, ihr felbftftändig Handeln, ihr 
Geſang, ihr Annähern und Zurüdziehen lockte mich noch mehr als das 
Leben der Blumen, ich war ihr näher im Gemüth, ihr Umgang hatte 
etwas veizended; aus meinem Bettchen konnte ich ihr mächtlich Lied 


458 


bören, ihr melodiſch Stöhnen wedte mich, ich jeufzte mit ihr, und legte 
ihrem Geſang Gedanken unter, auf die ich tröftende Antworten erfand. 
Ich erinnere mich, daß ich Damals unter blühenden Bäumen Ball fpielte, 
ein junger Dann, der ihn fing, bradte mir ihn und fagte: „Du bift 
ſchön!“ — Dies Wort brachte mir Feuer in's Herz, es glühte auf, wie 
meine Wangen, aber ich dachte auf die Nachtigall, deren Geſang mid 
wahrſcheinlich nächtlich verſchöne und tn diefem Augenblid brach vie 
heilige Wahrheit in meinem Geifte auf, daß alles, was über Das 
Irdiſche erhebt, Schönheit erzeugt, und ich widmete mich der Nach⸗ 
tigall mit mehr Eifer, mein Herz hielt pochend ftill, und ließ ſich von 
ihren Tönen berühren wie von göttlihem Finger — ih wollte 
ihön fein und Schönheit war mir göttlich, ich neigte mich vor dem 
Gefühl ver Schönheit, und überlegte nicht, ob es äußerlich war oder 
innen. — Indeſſen hab ich bis heute immer in der Schönheit, wo fie 
fih mir zeigte, eine nahe Verwandtſchaft gefühlt, in Bildern, im 
Statuen, in Gegenden, in ſchlanken Bäumen. Obſchon ih nun nicht 
ſchlank bin, fo regt ſich doch etwas in meinem Geift, wa8 dieſer Schlanf- 
beit entipridht, und ob Du auch lächelt, ich Tage Dir, während ich mit 
dem Blid ihre bimmelanftrebenven Wipfel verfolge, ſcheinen mir meine 
Eingebungen auch bimmelanftrebend, und wie im Windesraufchen Die 
weichen Zweige hin- und herwogen, fo wogt ein Gefühl gleihjam als 
belaubtes Gezweig eines hohen Gedankenſtammes in mir. Und fo 
wollte ih nur jagen, daß alle Schönheit erzieht, und daß der Geift, 
der wie ein treuer Spiegel die Schönheit faflet, hierdurch auch zu dem 
höheren Aufihwung kommt, der geiftig dieje felbe Schönheit ift, näm- 
lih allemal ihre göttliche Offenbarung. — So denke denn Du, wie 
Du mir einleuchten mußt, da Du ſchön biſt. Schönhett ift Erlöfung. 
Schönheit tft Befreiung vom Zauber, Schönheit ift Freiheit, himm⸗ 
liche; hat Flügel und durchſchneidet ven Ather. — Schönheit ift ohne 
Gefeß, vor ihr ſchwindet jede Grenze, fie löſt fih auf in alles, 
was ihren Reiz zu empfinden mag, fie befreit vom Buchftaben, denn 
fie ift Geift. — Du bift empfunden von mir, Du machſt mid frei 
vom Buchftaben und vom Geſetz. — Sieh diefe Schauer die mid 


459 





überwogen, e8 ift der Reiz Deiner Schönheit, der ſich auflöft, mir im 
Gefühl, daß ich ſelber ſchön bin und Deiner würdig. 


* 
* * 


Der Sommer geht vorüber, und die Nachtigall fchweigt, fie 
ſchweigt, fie iſt ſtumm und läßt fich auch nicht mehr ſehen. Ich lebte 
da ohne Zerftreuung die Tage hindurch; ihre Nähe war mir eine liebe 
Gewohnheit, e8 ſchmerzt mich, fie zu entbehren, hätte ich doch etwas, 
was fie mir erfegt! vielleicht ein ander Thier, — an die Menſchen 
dachte ich nicht, im Nachbargarten ift ein Reh in einer Umzäunung, es 
läuft bin und ber an der Bretterwand und feufzt, ich mache ihm eine 
Öffnung, wo es den Kopf durchſtecken kann. Der Winter hat alles mit 
Schnee bededt, ich fuche ihm Moos von den Bäumen: wir fennen ung, 
wie ſchön find feine Augen; welche tiefe Seele fieht mich aus dieſen 
an, wie wahr, wie warm! es legt gern den Kopf in meine Hand und 
fieht mich an, ich bin ihm auch gut, ich komme jo oft e8 mich ruft; in 
den Falten hellen Mondnächten hör ich feine Stimme, ich fpringe aus 
dem Bett, mit bloßen Füßen lauf ih durd den Schnee, um dich zu 
beihwichtigen. Dann bift du ruhig, wenn du mich gejehen haft, wun⸗ 
derbares Thier, das mich anfieht, anfchreit, als wenn es um Erlöfung 
bäte, Welch feftes Vertrauen bat e8 auf mich, die ich nicht feines 
Gleihen bin! armes Thier, du und ich find getrennt von unfers 
Gleichen, wir find beide einfam, und wir theilen dies Gefühl der Ein- 
ſamkeit; o wie oft hab ich für dich in den Wald gedacht, wo du lang 
auslaufen Tormteft, und nicht ewig in die Runde, wie bier in deinem 
Verſchlag; dort liefſt du Doc deines Weges immer zu, und konnteſt 
mit jedem Schritte hoffen, endlich einen Gefährten zur treffen, bier aber 
war deines Ziels feine Ende, und doch war alle Hoffnung abgefchnitten. 
Armes Thier! wie ſchaudert mich dein Geſchick, und wie nah verwandt 
mag es dem meinen fein! Ich auch lauf in die Hunde, da oben feh 
ih die Sterne ſchimmern, aber fie halten alle feft, keiner ſenkt fich 
berab, und von hier aus tft e8 fo weit bi8 zu ihnen, und was fich lieben 





460 


laſſen will, das fol mir nah kommen; aber jo war mir's in der Wiege 
gefungen, daß ich mußte einen Stern lieben, und der Stern blieb mir 
fern; lange Zeit hab ich nach ihm geftrebt und meine Sinne waren 
aufgegangen in diefem Streben, fo daß ich nichts ſah, nichts hörte und 
auch nichts dachte, als nur meinen Stern, der ſich nicht vom Firma⸗ 
ment losreißen werde, um ſich mir zu neigen. — Mir träumt, der 
Stern ſenkt fih tiefer und tiefer, ſchon kann ich fein Antlig erkennen, 
fein Strahlen wird zum Auge, e8 fieht mic) an und meine Augen 
ſpiegeln ſich in ihm. Sein Glanz umbreitet mich, von allem auf Erben, 
fo weit ich denken kann, fo weit mich meine Sinne tragen, bin ich ges 
trennt durch meinen Stern. 


%* * 


Nichts hab ich zu verlieren, nichts hab ich zu gewinnen, zwiſchen 
mir ynd jedem Gewinn ſchwebſt Du, der göttlich ſtrahlend im Geift, 
alles Glück überbietet, zwiſchen mir und jedem Verluft bift Du, ver 
fih mir menfchlich herabneigt. 

Ich verftehe nur das Eine, an Deinem Bufen die Zeit zu ver- 
träumen; — ich verftehe nicht Deiner Schwingen Bewegung, die Dich 
in den Äther tragen, droben in ſchwindelnder Höhe über mir, im ewigen 
Dlau Dich ſchwebend erhalten. 


* 
%* * 


Mich und die Welt umkleidet Dein Ölanz, Dein Licht ift Traum: 
licht der höheren Welt, wir athmen ihre Luft, wir erwachen im Duft 
der Erinnerung; ja fie Duftet uns, fie hebt uns, und trägt unfer 
ſchwankendes Loos auf ihren fpiegelnden Fluthen ver Götter allum- 
faflenden Armen entgegen. | 

Du aber haſt's mir im der Wiege gefungen, daß ich Deinem Ge- 
fang, der in Träumen mich wiegt über das Roos meiner Tage, träu- 
mend auch lauſche bis an's End meiner Tage. 


* 
* * 





461 


Einmal fon, im Klofter, hatten mich pie Geifter bewogen, mid 
ihnen zu gejellen, in den hellen Mondnächten lockten fie mich; ich durch» 
wanderte wunderliche dunkle Gänge, in denen ich Die Wafler raufchen 
hörte, ich folgte beflemmt, bis zum Springbrunnen kam ih, der Mond 
ſchien in fein bewegtes Wafler und gewandete die Geifter, die auf 
feinem wogenden Spiegel ſich mir zeigten in Silberglanz; — fie kamen, 
fie beventeten mein fragended Herz und verſchwanden wieder, es 
famen andere, fie legten Geheimniſſe auf meine Zunge, berührten alle 
Lebensleime in meiner Bruft, bezeichneten mich mit ihrem Siegel, fie 
verhüllten meinen Willen, meine Neigungen und die Kraft, die von 
ihnen auf mich ausgegangen war. 

Wie war das? — mie beriethen fie mich? — durch welche 
Sprache gab fich ihre Lehre Fund? — und wie foll ih Dir darlegen, 
daß es jo war? — und was fie mir lehrten? 

Die Mondnacht dedte mih im ſüßen tiefen Kindesſchlaf, dann 
trat fie aus fich jelbft hervor und berührte mich an meinen Augen, 
daß fie ihrem Licht erwachten, und ſenkte fich mit magnetiſcher Gewalt 
in meine Bruft, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen, die nicht 
geheuer waren, forteilte in tiefer, vegungslofer Nacht, bis ich zum 
Springbrunnen kam zwiſchen Blumenbeeten, wo jede Blume, jedes 
Kraut in täufhender Dämmerung ein Traumgefiht ausdrückte, wo fie 
buhlten und flritten mit der Phantafie. Dort ftand ich und ſah, wie 
der von den Tüften bewegte Wafjeritrahl hinüber und herüber ſchwankte 
und wie die Mondftrahlen das bewegte Wafjer durchwebten, und wie 
der Blig mit zingelnder Eile filberne HierogIgphen in die wogenden 
Kreife ſchrieb; da kniete ich in den feuchten Sand, und beugte mich über 
dies ſchwindelnde Lichtweben, und laufchte mit allen Sinnen, und mein 
Herz Hielt fttl, und ih nahm es an, als ob mir diefe ſchwindenden 
Strahlenzüge etwas binjchrieben, und mein Herz war freudig, als ob 
ich fie verftanden hätte, daß ihr Inhalt mir Glück anvente; ich ging 
zurüd duch bie langen, dunklen, labyrinthiſchen Gänge, vorüber an 
Bildern von wunderlihen Heiligen in gelafiener Ruhe, bis zu meinem 
Bettchen, das im Erfer am Fenfter eingeflemmt war, da öffnete ich 








462 


keife das Fenſter dem Mondlicht, und ließ e8 meine Bruft anftrahlen; 
— ja, mid umarmte in jenen glüdlihen, glückbringenden Diomenten 
ein freutvegeiftiges Gefühl, groß, allumfafiend; es umarmte von außen 
mein Herz, mein Herz fühlte fih umfaßt von einer liebenden Gewalt, 
der e8 ſich anfchmiegte im Schlummer, der von dieſer Gewalt aus über 
mich kam. Wie ſoll ich diefe Gewalt nennen? — Lebendgeift? — Ich 
weiß es nicht, — ich weiß nicht, was ich erfahren hatte, aber ein Be⸗ 
gegniß war e8 mir, ein wichtiges Ereigniß und ich war im Herzen als 
wie der Keim, der aus erfter Berhüllung an's Licht hervorbricht; ich 
fangte Licht mit dem Geift, und fah mit diefem, was id) vorher mit 
leiblichem Auge nicht gejehen haben würde, alles was die Natur mir 
iptelend darbot, gab mir eine Erinnerung an ein Verborgenes in mir, 
die Farben und Formen der Pflanzenwelt fah ich mit tiefem, genteßen- 
dem, verzehrendem Blick, durch den vie Nahrung in meinen Geift 
übergebe. 

Ad, wir wollen ſchweigen, wir wollen leifen Nebelflor über dies 
Geheimniß ziehen, durch den uns fein Inhalt ahnungsweiſe durch⸗ 
ſchimmert, ja wir wollen jchweigen, Freund! wir können's ja doch nicht 
in Worten enthüllen. Aber pflanzt doch der irdiſche Menſch und ſäet 
in den Bujen der Erbe, die vorher unbefruchtet war, daß ihre nähren- 
den Kräfte eindringen in die Frucht ihrer Erzeugnifle. Hätte fie Be- 
wußtjein ihres ſinnlichen Gefühle, dann würde dies Gefühl zu Geift 
in ihr werden; — fo vergleiche ich den Menſchengeiſt mit ihr, ein vom 
bimmlifchen Getftesäther umſchwebtes Eiland; es wird aufgelodert und 
urbar gemacht und göttliher Same wird feinen ſinnlichen Kräften ver- 
traut, und dieſe Kräfte regen ſich und fpriegen in ein höheres Leben 
das dem Licht angehört, welches Geift ift; und die Frucht die dieſer 
göttliche Same trägt, ift die Erfenntniß die wir genießen, damit unfere, 
der Seligkeit zuwachſenden Kräfte gebeihen. 

Wie fol ich's noch darlegen, daß dieſes leiſe Schauern und 
Spielen der Lüfte, des Waſſers, des Mondlichts mir wirklich Berüh⸗ 
rung mit der Geiſterwelt war? — Wie Gott die Schöpfung dachte, 
da war der einzige Gedanke „ES werde“, ein Baum der alle Welten 








463 





trägt und fie reift. So ift auch diefer Hauch, dies Gelispel der Natur 
in nächtlicher Stille, ein leiſer Geiſterhauch der den Geift weckt und 
ihn befäet mit allen Gedanken die ewig währen. 

Ich fah ein Inmeres in mir, ein Höheres, dem ich mich unter- 
worfen fühlte, dem ich alles opfern jollte, und wo ich's nicht that, da 
fühlte ich mich aus der Bahn der Erfenntniß herausgeworfen, und noch 
heute muß ich dieſe Macht anerkennen, fie jpricht allen felbftiichen Ge- 
nuß ab, fie trennt von den Anfprüchen an das allgemeine Xeben, und 
hebt über dieſe hinweg. Es ift jonderbar, daß das was wir für uns 
jelbft fordern, gewöhnlih auch das tft, was uns umferer Freiheit be- 
raubt; wie wollen gebunden fein mit Banden die uns ſüß deuchten, 
und unferer Schwachheit eine Stüte, eine Verfiherung find; wir 
wollen getragen fein, gehoben durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und 
ahnen nicht daß wir diefer Forderung das Ruhmwürdige und bie 
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt fein wo wir An⸗ 
regung zur Liebe haben, und erkennen's nicht, daß wir den liebenden 
Genius darum in uns verdrängen. Wo bleibt vie Freiheit, wenn die 
Seele Bedürfniſſe hat und fie befriedigt wiffen will durch äußere Ber- 
mittlung? — 

Was ift die Forderung, die wir außer und maden anders, als 
der Beweis eined Mangels in uns? und was bewirkt ihre Befrie- 
digung, als nur die Beförderung diefer Schwäche, die Gebundenheit 
unferer Freiheit in diefer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent- 
behre, als daß fie von der Befriedigung eines Triebes, einer Neigung, 
eines Bedürfniſſes abhänge. 

Wir alle follen Könige fein; und je wiverfpenftiger, je herrifcher 
der Knecht in ung, je herrlicher wird ſich vie Herrſcherwürde entfalten, 
je kühner und gewaltiger der Geift, der überwindet. 

Der Genius, der felbft die Flügel vegt, fih in den blauen Ather 
erhebt und Lichtftrahlen ausfenvet, der Macht hat, die Seligkeit durch 
eigne Kräfte zu erzeugen; wie ſchön, wenn der fi vor Dir bengt 
und Dich lieben will, der nicht um Liebe klagt, nicht fie fordert, ſondern 
fie giebt. — Ja ſchön und herrlich, Abergehen in einander, in den 


464 





Lichtſphären des Geiftes, in aller Glorie der Freiheit aus eignen, 
kräftigem Willen. 

Die Erde liegt im Äther wie im Ei, Das Irdifche Liegt im Himm- 
liſchen wie im Mutterſchooß, die Liebe ift ver Mutterſchooß des Geiftes. 

Es giebt feine Weisheit, Teine Erkenntniß des Wahren, die mehr 
will, als die Liebe zu ihr. 

Jede Wahrheit buhlt um vie Gunft des Menjchengeiftes. 

Gerechtigkeit gegen Alle, beurkundet die wahre Liebe eu dem Einen. 

Je alljeitiger, je individueller. 

Nur der Geift kann von Sünden frei machen. 

Willſt Du allein fein mit dem Geliebten, fo fei allein mit Dir. 

Willſt Du ven Geliebten erwerben, fo juche Dich zu finden, zu 
erwerben in ihm. 

Du erwirbft Du haft Dich felbft — wo Du liebſt; wo Du nicht 
liebft, entbehrit Du Dich. 

Bift Du allein mit Dir, fo bift Du mit dem Genius, 

Du liebft in dem Geliebten nur den eignen Genius. 

Gott lieben, ift Gott genießen; wenn Du das Göttliche anbeteft, 
jo giebt Du Deinem Genius ein Gaftmahl. 

Sei immer mit Deinem Genius, fo biſt Du auf dem graden 
Weg zum Himmel. 

Eine Kunſt erwerben, heißt dem Genius einen ſinnlichen Leib 
geben. 

Eine Kunſt erworben haben, bedeutet dem Geiſt nicht mehr Ver⸗ 
dienſt, als dem Vater eines bedeutenden Kindes. — Die Seele war 
da, und der Geiſt hat ſie in die ſichtbare, fühlbare Welt geboren. 

Wenn Du einen Gedanken haſt, der Dich belehrt, ſo fühlſt Du 
wohl es iſt Dein liebender Genius der Dir ſchmeichelt, der Dir lieb— 
foft. Er will Dich bewegen zur Leidenſchaft für ihn. 

Und alle Wahrheit ift Eingebung, und alle Eingebung ift Lieb⸗ 
fofung, ift Inbrunſt von Deinem Genius zu Dir, er will Di be- 
wegen in ihn überzugehen. 

Liebſt Du, fo nimmt Dein Genius eine finnlihe Geftalt an. 


465 





Gott ift Menſch geworben in dem Geltebten; in welcher Geftalt 
Du auch liebſt — es ift das Ideal Deiner eignen höheren Natur, was 
Du im Geliebten berührft. 

Die wahre Liebe tft feiner Untreue fähig, fie jucht den Geliebten, 
den Genius, wie den Proteus unter jegliher Berwandlung. 

Geiſt tft göttlicher Kunftftoff, in der finnlichen Natur Liegt er als 
unberührtes Material. Das himmliſche Leben aber tft, wenn Gott ihn 
als Kunftftoff benägt, um feinen Geiſt in ihm zu erzeugen. 

Drum ift das ganze himmliſche Leben nur Geiſt, — und jeder 
Irrthum ift Verluft des Himmliſchen. Darum ift jene Wahrheit eine 
Knospe die durch die himmliſchen Elemente blühen und Früchte tragen 
wird. Darum jollen wir vie Wahrheit in uns aufnehmen, wie die Erbe 
den Samen; als Mittel durch welches unfere ſinnlichen Kräfte in ein 
höheres Element binüberblühen. 

Indem Du denkt, fer immer liebend gegen Deinen Genius, fo 
wird Dir die Fülle des Geiftes nie ausgehen. 

Die echte Liebe empfindet den Geift auch im Leib, in der finn- 
Iihen Schönheit. Schönheit ift Geift, der eimen finnfihen Leib hat. 

Aller Geift geht aus Selbſtbeherrſchung hervor. 

Selbſtbeherrſchung ift, wenn Deinen Genius die Macht über 
Deinen Geift gegeben ift, die der Liebende dem Geltebten über fich 
einräumt. | 

Mancher will fi ſelbſt beherrichen, daran ſcheitert jever Wis, 
jede Lift, jede Ansdauer; er muß fich felbft beberrfchen la fen durch 
feinen Genius, durch feine idealiſche Natur. 

Du kannſt den Geift nicht erzeugen, Du kannſt ihn nur empfangen. 

Du berührft Dich mit dem Geliebten in allem, was Du erhaben 
über Dich fühlſt. 

Du bift im Geheimniß der Liebe mit ihm, in allem was Dich, 
begeiftert. 

Nichts Toll Dich trennen von diefem göttlihen Selbft, alles, was 
eine Kluft zwiſchen Div und dem Genius bilvet, ift Sünde. 

Nichts ift Sünde, was mit ihm nicht entzweit, jeder Scherz, jever 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 30 


466 


Muthwill, jede Kühnheit it durch ihn fanctionirt, er tft Die göttliche 
Treiheit in ung. 

Wer ſich durch die Außerung diefer göttlichen Freiheit beleibigt 
fühlt, der lebt nicht in jenem Genius, deſſen Weisheit ift nicht In⸗ 
ſpiration, fie ift Afterweisheit. 

Die Erkenntniß des Böen ift ein Abwenden aus der Umarmung 
der idealiſchen Liebe; vie Sünde fpiegelt ſich nicht im Ange des Geliebten. 

Du fangft göttliche Freiheit aus dem Blick der Liebe, der Blick 
des Genius ſtrahlt göttliche Freiheit. — 

Es giebt ein wildes Naturleben, das durch alle Abgründe ſchweift, 
den göttlichen Genins nicht kennt, aber ihn nicht verläugnet; es giebt 
ein zahmes, cultivirtes Tugendleben, das ihn von ſich ausſchließt. 

Wer die Tugend übt aus eigner Weisheit, ver ift ein Sklave 
feiner kurzſichtigen Bildungsanftalt; — wer dem Genius vertraut, der 
athmet göttliche Freiheit, deſſen Fähigkeiten find zertheilt in alle Ne 
gionen, und er wird ſich überall wiederfinden im göttlichen Element. 

Ih habe oft mit dem Genius gefpielt in der Nacht, ftatt zu 
ſchlafen, und ich war müde, und er wedte mich zu vertraulichen Ge- 
ſprächen umd ließ mich nicht ſchlafen. 

So ſprach der Dämon heute Nacht mit mir, da ich verjuchte Dir 
deutlich zu machen, in welchen wunderlichen Mittheilungen ich in dieſen 
Kinderjahren begriffen war; er fette Gedanken in mir ab, id) erwog 
fie nicht, ich glaubte an fie, fie waren wohl andrer Art, aber das Eigene 
hatten fie, wie auch noch jeßt, daß ich fie nicht als Selbſtgedachtes, 
jondern als Mitgetheiltes empfinde. 


* 
Ei * 


Du bift gut, Du willft nicht, daß ich dies ſüße Geſchwätz mit 
Div abbreche, es ift doch allenfalls fo ſchön und fo verftändlich wie das 
Blinken der Sterne, was ih Dir bier ſage; und wenn ed auch nur 
wär eine Melodie, vie fi durch meinen Geift Luft machte — fie ift 
außerft lieblich diefe Melodie, und lehrt Dich träumen. 








467 





D lerne ſchöne Träume dur mein Geſchwätz, die Dich beflügeln 
und mit Dir den kühlen Ather durchſchiffen. 

Wie herrlich fchreiteft Du auf dieſen Traumteppichen! wie wühlſt 
Du Di durch die tauſendfältigen Schleier der Phantafie, und wirft 
immer klarer und deutlicher Du felber, der da verdient geliebt zu fein; 
da begegneft Du mir und wunderft Dich über mid, und gönnft es 
mir, daß ich zuerft Dich fand. 

Schlafe! ſenke Deine Wimpern in einander, lafle Di umweben 
fo leife wie mit Sommerfäden anf ver Wiefe. Ummeben lafie Dich 
mit Zauberfäden, die Dih in's Traumland bannen, ſchlafe! Und 
gieb vom weihen Pfühle träumend ein halb Gehör. 


%* 
* * 


Am Weihnacht⸗Morgen, — das waren drei Jahre eh ich Dich 
gejehen habe, — gingen wir bei früher Zeit in die Kirche; es war 
noch Naht, eine Laterne leuchtete voran, um durch ven Schnee den 
Tußpfad zu finden, wir famen an einer verödeten, verfallnen Klofter- 
fiche vorüber, der Wind pfiff Durch die zerbrochnen Fenſter und 
Happerte mit den lofen Dachziegeln; „in dieſem Gemäuer haufen die 
Geiſter,“ ſagte der Raternenträger, „va ift e8 unſicher!“ — Am Abend, 
im Zimmer der Großmutter, wo eine eben fo verödete und ver- 
fallene Geſellſchaft eine Spielpartie machte, erinnerte ich mich dieſer 
Bemerkung ; ich dachte, wie ſchauerlich e8 jein müſſe, da allein zır fein, 
und wie ich um alles in ver Welt jegt nicht dort fein möchte. Kaum 
hatte ich mir dies überlegt, fo war die Frage innerlich, ob ich's nicht 
wagen möchte? — ich jhüttelte den Gedanken ab, er kam wieber, 
immer furchtfamer war ih, immer mehr wehrte ich mich gegen dieſen 
unausführbaren Einfall, immer dringender wurde die Aufforverung 
dazu. Ich wollte ihr entgehen, und fetste mich in eine andere Ede des 
wohlerleuchteten Zimmers, aber da war's grade ber offnen Thür eines 
dunklen Raumes gegenüber, nun fpielten und zingelten Winke in der 
Tinfterniß, fie webten und ſchwebten bis an mich heran. Ich widelte 

30* 





468 


mid in den Fenſtervorhang vor dieſen Scheinwefen in ver dunklen 
Kammer, ich vrüdte vie Augen zu und träumte in mich hinein, da war 
ein freundlich Zureden in mix, ich folle an die Kloftermaner gehen, wo 
bie Geifter ſpuken. Es war acht Uhr Abends, ich überlegte, wie ich's 
wagen folle, in diefer Stunde einen einfamen weiten Weg zu gehen, 
den ich nicht genau kannte und den ich ſelbſt bei Tag nicht allein 
machen würde. — Es zog mic immer tiefer in einen vertranten, ab- 
geſchloſſenen Kreis; die Stimmen der Spielenden vernahm ich wie aus 
weiter Ferne, wie eine fremde Welt die außer meinem Kreis ſich rege. 

Ich öffnete die Augen, und fah die wunderlichen, unauflösbaren 
Räthſelgeſichter der Spielenden dort figen, vom hellen Kerzenſchein 
beleuchtet; ich hörte die Ausrufungen des L'Hombreſpiels wie Bann- 
ſprüche und Zauberformeln; diefe Menſchen mit ihrem wunderlichen 
Beginnen waren gefpenfterhaft; ihre Kleidung, ihre Geberven unver- 
ftändlich, granfenerregend, der Spuf war mir zu nahe gelommen — 
ich ſchlich mich leiſe hinaus. Auf der Hoftreppe athmete ich wieder frei; 
da lag der reine Schneeteppich zu meinen Süßen, und dedte fanft an- 
ihwellend alle Unebenheiten; da breiteten die bereiften Bäume ihre 
filbernen Zweige unter dem wandelnden Mondlicht aus. Dieſe Kälte 
war jo warm, jo freundlich, bier war nichts unverftändlich, nichts zur 
fürchten, e8 war, als fei ich ven böſen Geiſtern da drinnen entwifcht; 
bier draußen ſprachen die guten um fo vernehmlidher zu mir, ich zau⸗ 
derte feinen Augenblid mehr, ihrem Geheiß zu folgen. Wie e8 auch 
werben mag, leife und behend Hettere ich über das Hofthor, jenfeits 
werf ich mein Kleid über ven Kopf um mid) zu verhüllen, umd in flüd- 
tigen Sprüngen fe ich über den Schnee. Manches begegnet mir dem 
ich ausbeuge, mit gefteigerter Angſt und Hopfendem Herzen fomme id) 
an, ſcheu und furchtſam feh „ich“ mich um, aber ich zaudere nicht, den 
öden Plat zu betreten; ich bahne mir einen Weg durch das zufammen- 
gefallne, überſchneite Geftein, bis zur Kirchenmauer, an bie ich den 
Kopf anlehne. Sch lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im 
Dad, und wie der Wind in dem loſen Sparrwerf raflelt; ich vente: 
„ob das die Geifter find?" — Sie ſenken fih herab, — ih ſuche 


469 


meine Angft zu bekämpfen — fie ſchweben in geringer Höhe über mir, 
— die Furcht beſchwichtigt ſich allmählig; e8 war, als ob ich die offne 
Bruft dem Hauch des Freundes biete, den ich Fury vorher noch für 
meinen Feind gehalten hatte. 

Wie ich zum erftenmal vor Dir ftand, — es was im Winter 
1807 — da erblafte ih und zitterte, aber an Deiner Bruft, von 
Deinen Armen umſchloſſen, fam ich fo zu feliger Ruhe, daß mir die 
Augenliever zufielen und ich einſchlief. 

So iſt's wenn wir Nektar trinten, die Sinne find diefer Koft 
nit gewachſen. Da mildert der Schlaf den Sturm der Befeligung, 
und vermittelt und ſchützt die gebrochnen Kräfte; könnten wir umfaſſen, 
was uns in einem Moment geboten ift, könnten wir fein verflärendes 
Anfchauen ertragen, fo wären wir hellſehend; Könnte ſich die Macht 
des Gtüdes in ung ausbreiten, fo wären wir allmädıtig, drum bitte 
ih Did, wenn es wahr ift, daß Du mich Liebft, begrabe mich in 
Deinem Denten, dede mir Herz und Geift mit Schlaf, weil fie zu 
ſchwach find, um ihr Glüd zu tragen. Ja Glück! wer fih mit ihm 
verftändigte, wie mit einem Geift dem er ſich gewachſen fühlte, ver 
müßte durch e8 feine irdiſche Natur zur göttlichen verlären. 

Geftern fam ein Brief von Dir, ich ſah das blaue Couvert auf 
dem Tifh liegen und erkannte ihn von weiten, ich verbarg ihn im 
Bufen und eilte in mein einfames Zimmer an den Schreibtifch, ich 
wollte Dir gleich beim erften Leſen die Fülle ver Begeiftrung nieder» 
fhreiben. Da ſaß ih und faltete die Hände über dem Schag und 
mochte ihn nit vom warmen Herzen herunternehmen. Du weißt, fo 
hab ich mich auch nie aus Deinen Armen Iosgemadt; Du warft 
immer der erfte, und ließeft die Arme ſinken und fagteft: „nun geh!" — 
und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen. Hätte ich dem Deiner Augen 
gefolgt, fo wär ich bei Dir geblieben, denn die fagten: „komm her!” 

Sch ſchlief alfo ein über dem Bewachen meines Kleinods im 
Bufen, und da ich erwachte, las ich die zwei Zeilen von Deiner Hand 
gefchrieben: „Ich war aud einmal fo närrifch wie Du, und damals 
war ich beiler als jet.“ 


470 





D Du! — von Dir fagt die döffentlihe Stimme, Du feift 
glüdlich, fie preifen Deinen Ruhm, und daß an ven Strahlen Deines 
Geiftes Dein Jahrhundert fi zum Äthergeſchlecht ausbrüte, zum 
Fliegen und Schweben über Höhen, und den Flug nad Deinen 
Winken zu richten; aber doch fagen fie, Dein Glück überfteige noch 
Deinen Geift. O wahrlih, Du bift Deines Glüdes Schmid, der es 
mit kühnem Träftigem Schlag eines Helven zurecht ſchmiedet; was 
Dir aud) begegne, es muß ſich fügen die Form auszufüllen, vie Dein 
Glüd bedarf, ver Schmerz der Andre zum Mißmuth und zur Klage 
bewegen würde, der wird ein Stachel für Deine Begeiftrung. Was 
Andre nieverjchlägt, das entfaltet Detnen Flug, der Di den Bedräng⸗ 
niffen enthebt, wo Du den reinen Ather trinfft und die Empfindung 
des Elends Dich nicht verdirbt. Du nimmt Dein Geſchick als Koft 
nur aus den Händen der Götter und trinfft den bitteren Kelch wie den 
üßen mit bem Gefühl ver Überlegenheit. Du läßt Dich nicht beran- 
Then, wie ih mich berauſchen laſſe auf vem Weg der zu Dir führt, 
Du würdeft nicht, wie ich, der Verzweiflung bingegeben fein, wenn ein 
Abgrund Did von Deinem Glüd trennte. Und fo bat Unglüd nichts 
mit Dir zu ſchaffen, Du weißt e8 zu ſchaffen, Dein Glüd, in jedem 
Heinem Ereigniß, wie die allfelige Natur auch der geringften Blume 
eine Blüthezeit gewährt in ver fie duftet und die Sonne ihr in den 
Kelch ſcheint. 

Du giebſt jedem Stoff, jedem Moment alles was ſich von Selig⸗ 
keit in ihn bilden laͤßt, und fo haft Du mir gegeben, da ich doch zu 
Deinen Füßen bingegeben bin; und fo hab auch ih einen Moment 
Deines Glüdes erfüllt. Was will ih mehr! da in ihm eine Aufgabe 
ltegt bis zum legten Athemzug. 


* * 


Ich vergleiche Dich mit Recht jener freundlichen, kalten 
Winternacht in der ſich die Geiſter meiner bemächtigen, in Dir 
leuchtet mir nicht die Sonne, in Dir funkeln mir tauſend Sterne, 





471 





» 


und alles Kleinlihe, was der Tag beleuchtet, ſchmilzt mir unberührt 
in feinen vieledigen Widerwärtigleiten in erhabenen Maflen zu- 
fammen. 

Du bift kalt und freundlich und Har und ruhig wie die belle 
Winternacht; Deine Anziehungskraft Itegt in der ivealtfhen Reinheit, 
mit der Du die bingebenve Liebe aufnimmt und ausſprichſt, Du bift 
wie der Reif jener Winternacht, der die Bäume und Sträucher mit 
allen Heinen Zweigen, Sprofien und Knospen zufünftiger Blüthe mit 
weicher Silbervede umkleidet. Wie jene Nacht, wechſelnd mit Mond⸗ 
und Sternenlicht, jo beleuchteit Du Dein Begreifen und Belehren in 
tanfend fich durchkreuzenden Lichtern, und dedfft mit milder Dämmterung 
und verfhmilzft im Schatten; die aufgeregten Gefühle übergieheft Du 
mit iealifhen Formen, jede Stimmung wirb dur Dein liebendes 
Berftehen individneller und reizenver, und durch Dein fanftes Be- 
ſchwichtigen wird bie heftige Leidenſchaft zum Genie. 


%* 
* * 


Bon jenen abentheuerlihen Geifter-Rachtwegen kam ih mit 
durchnäßten Kleidern zurüd, vom gef hmolzenen Schnee; man glaubte, 
ich fei im Garten gewefen. Über Nacht vergaß ich Alles, erft am 
andern Abend um dieſelbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angft 
die ih ausgeſtanden hatte; ich begriff nicht wie ich hatte wagen können, 
diefen öden Weg in ver Nacht allein zu gehen, und auf dem wüften, 
ſchaurigen Plat zu verweilen; ih ftand an bie Hofthüre gelehnt, heute 
war's nicht fo milde und ſtill wie geftern, die Winde hoben fih und 
brauften dahin, fie feufzten auf zu meinen Füßen und eilten nad 
jener Seite, die ſchwankenden Bappeln im Garten beugten fi und 
warfen die Schneelaft ab, vie Wollen trieben mit ungehenrer Eile, 
was feft gewurzelt war, ſchwankte hinüber, was fi ablöfen konnte 
das nahmen die jagenden Winde unaufhaltfam mit fih. — In einem 

e Nu war au ich Über die Hofthär, und im flüchtigen Lauf athemlos 
bis an die Kirche gelommen, und nun war ich jo froh, daß ich da war; 


472 


ich lehnte mich au das Gemäuer bis der Athen beſchwichtigt war, es 
war, als ob Leib und Seele in diefer Berborgenheit geläutert würden, 
ich fühlte die Liebkofungen von meinem Genius in der Bruſt, ich fühlte 
fie als echte Mittheilungen im Geift. Alles ift göttliche Mittheilung 
was wir erfahren, alles Erkennen ift Aufnehmen des Göttlihen, es 
kommt nur auf die zweifellofe unfchuldige Empfängniß unjeres Geiftes 
an, daß wir aud den Gott in uns empfinden. Wie ich zum erſtenmal 
vor Dir ftand, und mich Dein Blick wie ein Zauberftab berührte, da 
verwanbelteft Du allen Willen in Unterwerfung, es fam mir nicht in 
den Sinn, etwas Anders zu verlangen, als in diejer Lichtatmofphäre, 
in die mich Deine Gegenwart aufnahın zu verweilen, fie war mein 
Element ; id bin oft aus ihm verbrängt worden, immer durch eigene 
Schuld. Die ganze Aufgabe des Lebens ift ja das Beharren in ihm, 
und die Sünde ift das was uns Daraus verdrängt. 


* 


So erlangen wir Seligkeit, wenn wir auf dem Weg uns zu er- 
halten willen, auf dem wir fie ahnen. Nie hatte ich eine beftimmtere 
Überzeugung von ihr, als wenn ich glaubte von Dir geliebt zu fein. 
Und was ift fie denn, dieſe Seligkeit? — Du bift fern, wenn Du 
Dich der Geliebten erinnerft, fo ſchmilzt Deine Seele in dieſe 
Erinnerung ein und berührt fo, liebend die Geliebte, wie die Sonnen- 
ftrahlen wärmend ven Fluß berühren; wie vie leifen Frühlingslüfte, 
die den Duft und den Blüthenftaub zu dem Fluß tragen, der dieſe 
fhönen Geſchenke des Frühlings mit feinen Wellen vermifht. Wenn 
alles Wirken in der Natur fich geiftig in fich felbft fühlt, jo empfindet 
der Fluß dieſe Tieblofenden Berührungen als ein innerlichſtes Weſent⸗ 
lichſtes. — Warum jollte ich dies bezweifeln? — warum empfinden 
wir die Entzüdungen des Frühlings, als nur weil er den Rythmus 
angiebt, mit dem der Geift fi aufzufchwingen vermag? — Ulfo wenn 
Du meiner gedenkit, fo giebit Du den Rythmus an, mit dem meine» 
Begeiftrung fi zu dem Begriff von Seligfeit aufzufchwingen vermag 


473 


Ach ich fühl's! mich durchzücken leife Schauer daß ‘Du meiner 
gedenken follteft in ver Ferne, daß das Behagen, die Luft Deiner Tage 
einen Augenblick erhöht wird durch meine Liebe. Sieh, fo ſchön ift 
das Geweb meiner innern Gedankenwelt, wer müchte es zerftören! 
Muſik! jeder Ton in ihr ift wefentlich, ift der Keim einer Modulation, 
in die die ganze Seele ſich fügt, und fo verſchieden, fo m ſich abge- 
ſchlofſen die melodiſchen Formen find, in die dieſe Gedanfenwelt ſich 
ergießt: fo umfaßt fie doh und vernimmt die Harmonie, wie Der 
Drcean alle Strömungen in fih aufnimmt. 


* 


Sp gehört denn auch zu unferm vögelfingenden, blüthejchneien- 
den Frühling, wo der Fluß zwifchen duftenden Kräutern tanzt, und 
ein Herz im andern lebt, jener falte vom Wind und Schnee durd)- 
kreuzte Winter, wo dieſe eifige Luft mir ven Athem an den Haaren zu 
Reif anfebte, wo ich jo wenig wußte, was mid) in den Winterfturm 
hinausjage, ald wo der Wind herfam, und wo er hineilte. Ach, Herz 
und Sturmwind eilten der Gegenwart zuvor in die Zukunft, alfo Dir 
entgegen. — Darum riß ed mid) fo unwiverftehlich aus dem ſtummen 
Dafein dem ſchönen Augenblid entgegen, der mein Leben in allen 
feinen Afpirationen entwideln und in Mufif auflöfen follte. 


% 


Es kann dem Winter nichts ungleicher fein als der Frühling, der 
unter feiner eifigen Dede der Zukunft harıt; e8 Tann dem im Samen 
verfchlofinen, in der Erde verborgenen Keim nichts fremder fein als 
das Licht, und doch ift es jene einzige Richtung; der Genius des Lebens 
treibt aus ihm hervor, um fi mit dem Licht zu vermählen. — 

Diefes Anſchmiegen an eine Geifterwelt, die Vertrauen auf die 
geheime Stimme, die mich fo jeltiome Wege leitete, die mir nur leije 








474 


Winke gab, — was war ed anders als ein unwillführliches Yolgen 
dem Geift, der mich reizte, wie das Licht das Leben! 


* 
* * 


Meine verödete Kiche ftand viefleitS an ver Höhe einer Mauer, 
die tief Hinabging, einen Bleichplatz umfchloß, der jenjeits vom Main- 
fluß begrenzt war. Während mir vor der Höhe diefer Dauer ſchwin⸗ 
delte und ich furchtſam ausweichen wollte, hatte ich mich unwillkührlich 
binübergefhwungen, und fo fand ich tm nächtliden Dunkel Tleine 
Spalten in der Mauer, in die ih Hände und Füße einklemmte, und 
hervorragende Steine, auf denen ich mir hinabhalf; ohne zu bevenfen, 
ob und wie ih wieder hinaufkommen werde hatte ich ven Boden erreicht; 
eine Wanne, die wohl im Sommer zum Bleihen gedient hatte, und 
im Herbſt war vergefjen worden, rollte ich bis zum Ufer, ftellte fie da 
auf und fette mic) hinein, und fah dem Eisgang zu; es war mir eine 
behagliche, befriedigende Empfindung, fo als eingerahmtes Bild der 
erhabenen Winternatur in's Antlig zu hauen. Es war, als habe ich 
einer geheimen Anforderung Genüge geleiftet. — Im Hinaufklettern 
fand ich eben fo Heine Läden und Steine unter Händen und Füßen, 
wie ich fie brauchte. — Bon nun an konnte kein Wetter, fein Zufall 
mich abhalten, ich überwand alle Schwierigkeiten; ohne zu wifjen wie, 
fand ih mich an meiner ©eiftermauer, an der ich jeven Abend binab- 
Hetterte und in meiner Wanne figend dem Treiben der Eisſchollen 
zuſah. Eine ftieß an's Ufer, ich ſträubte mich nicht mehr gegen die 
dämoniſchen Eingebungen, zuverfichtlich fprang ich drauf und ließ mich 
eine Weile forttreiben. Dann fprang ich auf die nächte, bis ich endlich 
in der Mitte des Stromes dahin fegelte. — Es war eine wunderbare 
Nacht! warum? — jeder Naturmoment ift wunderbar, tft ungeheuer, 
wo er in feiner Yreiheit waltet über den Menfchengeift, ich habe mich 
ihm preis gegeben, und fo wirkte er als höchftes Ereignig. — Am fernen 
Horizont ſchimmerte ein dunkles Roth, ein trübes Gelb, und milderte 
die Finfterniß zur Dämmerung, das Licht, gefeflelt in den Umarmungen 


475 





der Nacht; dahin ſchaute ich, dahin trug mich mein eifiger Seelenver- 
fäufer, und der Wind der fi kaum über die Höhe des Fluſſes bob, 
fpielte und Hatjchte zu meinen Füßen mit den Falten meiner Kleider. 
Noch heute empfinde ih den königlichen Stolz; m meiner Bruſt, noch 
heute hebt mich die Erinnerung der fchmeichelnden Winde zu meinen 
Füßen, noch heute durchglüht mich die Begeiftrung jener fühnen nächt⸗ 
lichen Fahrt, als wenn es nicht vor ſechs Jahren, fondern in dieſer 
falten Winternacht wär, in der ich Hier fie um Dir zu lieb und meimer 
Liebe zum Gedächtniß alles aufzufchreiben. Eine gute Strede hatte 
ich mich dahin treiben laſſen, da war ich eben fo willenlos, als ich ven 
Fluß hinabgeſchwommen war, wieder umgekehrt, ich jchritt ruhig von 
einer nahlommenven Eisſcholle zur andern, bis ich mich glücklich am 
Ufer befand. Zu Haufe im Bette überlegte ih, wo mich wohl noch 
diefe Wege binführen möchten, es ahnte mir wie ein Weg ver immer 
weiter, aber nicht zurück führen werbe, und ich war neugierig auf das 
Abentheuer der nächſten Naht. Am andern Tag unterbrach eine zu- 
fällige Reife tn die Stadt meine nächtlichen Getfterwanderungen. Da 
ich nach drei Wochen zurüdlehrte, war diefer mächtige Reiz aufgehoben, 
und nichts hätte mich bewegen können fie aus eigener Willkühr zu 
wagen. — Sie Ienkten freilich einen Weg, dieſe freundlichen Nacht: 
geifter, der nicht wieder umlenkt, fie belehrten mich, wollten mic, lehren 
der Tiefe, dem Ernft, ver Weisheit meines Glückes nachzugehen und 
feine Beſeligung nur als feinen Abglanz zu betrachten. So machen es 
die Menſchen, während ihr Geſchick ihnen einen vorübergehenden Ge- 
nuß darbietet, wollen fie ewig Dabei verweilen, und verjäumen fo ſich 
ihrem Glück das vorwärts fehreitet, zu vertrauen, und ahnen nicht, 
daß fie den Genuß verlaflen müſſen, um dem Glüd nachzugehen und 
e8 nicht aus den Augen zu laſſen. 


* 
%* * 


Nur das Eine ift Glück was dem idealiſchen Menſchen in uns 
entwidelt, und nur in fo fern ihn Genuß in den Ather hebt, und ihn 


476 


fliegen lehrt in ungelannten Regionen, tft er ihm wahre Bejeligung. 
— Gewiß, ih möchte immer bei Dir fein, in Dein Antlig ſchauen, 
Rede mit Div wechleln, die Luft würde nimmer verfiegen: aber doch 
fagt mir eime geheime Stimme, daß e8 Deiner nicht würdig fein würde 
mir dies als Glück zu fegen. Vorwärts eilen, in den ewigen Ocean, 
das find Die Wege, die mir auf eifiger Bahn die Geifter vorfchrieben, 
auf denen ich Dich gewiß nicht verlieren werde da auch ‘Du nicht um⸗ 
kehrſt, und ich nie an Dir vorüberfchreiten werbe, und jo ift gewiß 
das einzige Ziel alles Begehrens vie Ewigfeit. 


* 
* * 


Die Reife nach der Stadt hatte ver Krieg veranlaßt. Wir flüd- 
teten vor dem Getümmel der Ofterreicher mit den Franzoſen; ed war zu 
fürchten daß unfer Heines Stabtparadies mit feinen wohlgeorpneten 
Luftvevieren nächſtens unter den Hufen kämpfender Reiterei zertrümmert 
werde, Der Feind war nur flüchtig Durch Feld und Wald gefprengt, hatte 
über den Fluß geſetzt und die heimliche Ruh des beginnenden Frühjahrs 
lagerte ſchützend über ven Saatfelvern, deren junges Grün ſchon aus 
dem ſchmelzenden Schnee hervorragte, da wir wieder zurüdfehrten. 

Die kräftigen Stämme ver Kaftanienallee, Du kennft fie wohl! 
mande Träume Deiner Trühlingstage flatterten dort mit der jungen 
Nachtigallenbrut um die Wette, wie oft bift Du dort an Liebchens 
Arm dem aufgehenden Mond entgegen gefchlendert! Ich mag nit 
daran denken; Du wirft Dich der heiteren Ausfichten des wimmelnden 
Lebens anf dem Fluß am Tag, feiner ruheflüfternden Schilfgeftade in 
warmen Sommernächten und feiner ringsum blühenden Gärten, zwiſchen 
denen fich die reinlihen Straßen vertheilen, noch gar wohl erinnern 
und auch feiner Bequemheit für Deine Tiebesangelegenheiten. Seitdem 
bat ſich die Gegend wie die Xebensweife, und auch die Bevölkerung 
in's wunderbare geipielt, und feiner würde e8 glauben, der's nicht 
geiehen bat, und jeder, der mit feinem Reiſejournal in ver Taſche von 
feiner Reife um die Welt hier durchkäm, würde glauben in die Stabt 


4771 


der Mähren verfegt zu fein”); eine myſtiſche Nation wandelt in 
bunter, wunderbarer Kleidung zwifchen den andern durch; vie Greife 
und Männer mit langen Bärten in Purpur und grün und gelben 
Talaren, die Hälfte des Gewandes immer von verfchtevener Farbe, 
die wunderſchönen Sünglinge und Knaben in eng anliegenden Wams, 
mit Gold verbrämt, die eine Hofe grün, die andre gelb oder roth, 
daherfprengenp auf muthigen Roſſen mit filbernen Glöckchen am Hals, 
oder am Abend durch die Straße auf der Guitarre und Flöte prä- 
Iudirend, 518 fle vor Liebchens Fenſter halt machen. ‘Denke Dir dies 
alles, und den milden Sommerbimmel ver fi darüber wölbt, und 
defien Gränzen eine blühende, tanzende und muficirende Welt umfließt ; 
denfe Dir den Fürften jenes Volles mit filbernem Bart, weißem Ge- 
wand, der vor dem Thor feines Pallaftes auf öffentlicher Straße auf 
prächtigen Teppichen und Polſtern lagert, umgeben von feinem Hof 
ftaat, wo jeder einzelne ein abjonderliches Zeichen ſeines Amts und 
Würde an feiner fabelhaften Kleidung hat. Da ſpeiſ't er unter fretem 
Himmel, gegenüber den Iuftigen Gärten, hinter deren zterlihen Gittern 
hohe Pyramiden blühender Gewächfe aufgeftellt find, und mit feinem 
Drabtflor umzogene Bolteren, wo der Goldfaſan und der Pfau zwiſchen 
den rudjenden Haustauben einheritolgteren, und die Keinen Singe- 
vögel jubeln, alles von zartem, grünem Raſen umfchloffen, wo mander 
Waſſerſtrahl emporfchießt , vie Knaben in verbrämten Kleidern goldne 
Schüſſeln bringen, indeſſen aus den offnen Yenftern des Pallaftes 
Muſik erſchallt. Wir Kinder machten manchmal im Vorübergehen va 
Halt, und fahen und hörten dem Berein ſchöner Jünglinge in Gefang, 
‚Flöte und Outtarre zu; aber Damals wußte ich nicht, daß nicht überall 
die Welt fo heiter Tieblich, fo reinen Genuſſes fih ausbreite; und fo 
fand ich es auch nicht wunderbar, wenn die Nacht einbrach und aus 
dem Nahbarsgarten die herrlichften Symphonieen herüberſchallten, von 
einem Orcheſter der erften Künftler aufgeführt, wenn bie herrlichen großen 
Bäume mit fo viel bunten Lampen gefhmüdt waren, ald Sterne ſich 


*) Hierher gehört eine Note, 


478 


am Himmel bliden ließen, da juchte ich einen einfamen Weg und ſah 
den glühenden Johanniswürmchen zu, wie fih die im Flug durch⸗ 
freuzten, und id war überraſcht von dem wunderbaren Leuchten, ich 
dachte Nachts an dieſe Thierchen und freute mich auf den andern Abend, 
um fie wieder zu ſehen, auf die Menſchen aber freute ich mich nicht, — 
fie leuchteten mir nicht ein, ich verftand und ahn'te nicht, daß man fich 
mit ihnen verfländigen könne ; — mande Sommernadht au, ſchwamm 
die Capelle von blafenden Inftrumenten auf dem Main, bald hinab 
und hinauf, begleitet von vielen Nahen auf denen fi kaum ein 
Flüſtern hören ließ, jo tief ernft hörten fie der Muſik zu. Da wurde 
ih auch mitgeſchaukelt auf den fanften Wellen, und fah die wechfeln- 
ven Schatten, Lichter und Mondſtrahlen, und ließ das kühle Waſſer 
über meine Hände laufen. So war das Sommerleben, das plöglich 
durch die rückkehrenden Kriegsfcenen ımterbrochen ward. Da war au 
fein Flüchten zu denken, am Morgen, da wir erwachten, hieß es: 
„binab in ven Keller! die Stadt wird befchoflen, die Franzoſen haben 
fi) Hereingeworfen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe fprengen von 
allen Seiten heran, um fie heraus zu jagen!’ Da war ein Zufammen- 
laufen auf den Straßen, da erzählte man fi von den Rothmänteln, 
daß die fein Pardon gäben, alles zufammenhauen, daß fie fürdhterliche 
Schnurrbärte haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das 
vergoffene Blut nicht fo leicht zu bemerken ſei. Allmählich wurden die 
Fenſterladen gejhlofien, die Straßen leer, die erfte Kugel die durch die 
Straßen flog eilte alles in die Keller, aud wir, Großmutter, Tante, 
eine alte Couſine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kammerjungfer, 
ein männlicher Hausgenofje. Da faßen wir, die Zeit wurde uns lang, 
wir lauſchten — eine Bombe flog in unjern Hof, fie platte. Das war 
doch eine Diverfion, aber nım ftand zu erwarten, daß Feuer ausbrechen 
tönne. Allerlei, was meiner Großmutter unendlich wichtig war von 
Büchern, von Bildern, fiel ihr ein, fie hätte e8 gern in den Keller 
gerettet. Der männliche Hausgenoſſe vemonftrirte, wie e8 eine Un⸗ 
möglichkeit fet, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunderbare 
Eigenſchaft hatte, die Babel geltend zu machen, er fet ein Raphael, 


479 





jegt aus dem oberen Saal herunter zu ſchaffen, indem es viel zu ſchwer 
ſei; ich entfernte mich leife, ftieg zum Saal, hob das ſchwere Bild ab, 
nahm es an der Schnur über ven Rüden, und fo fam ich nody eh die 
Verhandlung beendigt war, zum Erftaunen Aller und zur großen 
Freude der Großmutter, zur Kellertreppe Herabgepoltert, ih meldete 
noch wie ih aus dem Saalfenfter gefehen und alles ftill ſei; ich bekam 
die Erlaubniß noch mehr zu retten, ich bekam vie Schlüffel zur Bibliothef 
um Supferwerke zu holen, mit freudiger Eile fprang ich Die Treppe 
binauf, in die Bibliothek hätt ich Längft gern mich eingeflohlen, da war 
eine Sammlung prachtvoller Mufcheln, wunderbarer Steine, getrod- 
neter Pflanzen, da hingen Straußeneier au den Wänden, Kofusnäfle, 
da Ingen alte Waffen, ein Magnetftein, an dem alle Näh- und Strid- 
nadeln hängen blieben, da fanden Schachteln voll Brieffihaften, 
Toiletten mit wunverlihem alten Geſchirr und Geſchmeide, Zitter- 
nadeln mit Sternen von bunten Steinen, o ich freute mich den Schlüflel 
zu haben, ich holte herunter, was man verlangte, zog den Schlüſſel 
ab, ohne abzufäließen, und dachte mir eine ftille, einfame Nacht, in 
der ich alles durchſuchend und betrachtend, jchwelgen wolle. Das 
Schießen hatte wieder angefangen, einzelne Reiter hörte man in ge- 
firedtem Galopp die furchtbare Stille der Straße unterbredhen, bie 
Furcht im Keller ſtieg, man dachte jedoch nicht daran, daß ich verletzt 
werben könne, und ich auch nicht, ich ſprach nicht aus, daß ich mich 
nicht fürchte, und fühlte auch nicht, daß ich Gefahr lief, und fo über, 
kam id) das Schöne Amt, alle zu bevienen, für alle Bedürfniſſe zu forgen. 
Ich hörte verfchieventlich die Heiter vorüberjprengen; „Das mag em 
Rothmantel fein!” dachte ih, lief eilig an's Tenfter des unteren Ges 
Ihofles, riß den Laden auf — fiehe, — da hielt er in der mitten 
Straße mit gezogenem Säbel, langem fliegenden Schnurrbart, dicken 
ihwarzen geflochtenen Haarzöpfen, die unter der rothen Pelzmüge 
hervor hingen, der rothe Mantel ſchwebte in den Lüften, wie er tie 
Straße hinabflog, — alles wieder toten ſtill! — ein junger Menſch 
im Hembärmeln, bloßem Kopf, todtenblaß, blutbeipritt, vennt ver- 
zweiflungsvoll hin und wieder, rafjelt an den Hausthüren, Hopft an 


" 480 


den Fäden, feiner thut fih auf, mir Hopft das Herz, ich wine — er 
fieht es nicht. Jetzt eilt er auf mich zu, bittend, — da ertönt der Schall 
eines Pferdes; er ſchmiegt fih in vie Bertiefung des Hofthors, der 
Reiter, der ihn ſuchend verfolgt, fprengt an ihm vorbei, hält einen 
Augenblick, ſpäht in die Berne, wendet um und — fort. D, jeder Blid, 
jede Bewegung des Reiters und des Pferdes haben ſich tief in mein 
Gehirn geprägt, and der arme Angfterfüllte eilt hervor und ſchwingt 
fih am ſchwachen Kinderarm herein in die rettenden Wände, aber 
faum, — da ift der Reiter ſchon wieder, er fprengt an mich heran, ich 
rühr mich nicht vom Wenfter, er verlangt Waſſer, — ic eile in bie Küche 
e8 ihm zu holen, nachden er getrunfen und nachdem ich ihn die Straße 
binabreiten gefehen erft, mache ich meinen Laden zu, und nun ſehe ih 
mich nach meiner geretteten Beute um. Hätte fi) der Rothmantel auf 
feinem Pferde in die Steigbügel geftellt, fo hätte er meinen Geretteten 
entdeckt, diefer küßte mir zitternd die Hände, und fagte mit leiſer Stimme: 
»o mon dieu! mon dieu!« ich lachte vor Freuden, aber dann brach ich 
in Thränen aus, denn e8 rührte mich, der Retter eines Menſchen gewor- 
den zu jein, fo ohne mich zu befinnen, fo ohne zu willen wie. — Und Du 
auch! — rührt es Dich nicht? — freut es Dich nicht, daß e8 mir gelungen 
ift? — mehr ald alle Schmeichelreven, die ich Dir jagen könnte! — 
»Sauvez-moi! cachez-moil« fagte er, »mon pere et ma möre 
prieront pour vous«,idy faßte ihn bei der Hand und führte ihn ſchwei⸗ 
gend letje über den Hof nach dem Holzſtall: dort unterjuchte ich feine 
Wunde, das Blut abwaſchen konnte ich nicht, ich Hatte kein Waſſer, 
holen mochte ich auch feine, ver Nachbar Andree, deſſen Du Dich aud 
erinnern mußt, war mit mehreren Sreunden auf fen Obſervatorium 
geftiegen um das Kriegsweſen zu beobachten, er konnte mich bemerken, 
Ein einzig Mittel hatte ich erfunden; ich ledte ihm das Blut ab, — 
denn e8 ihm fo mit Speichel abzuwaſchen, ſchien mir zu unbefcheiden ; 
er ließ mich gewähren, ich zog leiſe und fanft die anklebenden Haare 
zurüd, — da flog ein Huhn mit großem Geſchrei vom oberen Holz 
herunter, wir hatten e8 verſcheucht von dem Ort, wo es feine Eier zu 
legen pflegte, ich Hetterte hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße 


481 


Haut legte ih Über die Wunde — es mag wohl geheilt haben, ic) 
will’ hoffen! — Nun eilte ich wieder in den Keller, die eine Schweiter 
f&lief, Die andere betete vor Angft, die Großmutter ſchrieb an einem 
Kleinen Tiſch bei Licht ihr Teftament, die Tante hatte den Thee be- 
reitet, ich befam die Schlüflel zur Speifelammer, um Wein und kalte 
Spetjen zu holen, da dachte ih aud an den Magen meines armen 
Gefangenen und brachte ihm Wein und Brod. So ging der Tag 
vorüber und die Gefahr, ver Keller wurde verlafien, mein Geheimniß 
fing an mich zu beflemmen; ich beobachtete jeden Schritt der Hausge- 
nofjen, der Köchin half ich in ver Küche, ich holte ihr Wafler und Holz, 
unter dem Vorwand, daß es Doch noch gefährlich fein könne unter freiem 
Himmel, fie Tieß ſich's gefallen, — endlih und endlich kam die Nacht, 
der Nachbar hatte Rapport gebracht, daß nichts zu fürchten fei vor Der 
Hand, und fo legte man fih zur Ruhe, deren man fo ſehr beburfte. 
Ih hatte meine Schlafftätte Im Nebenzimmer der Großmutter, von 
da konnte ich ven Holzftall, der vom Mond beihienen war, beobachten, 
ih ordnete nun meinen Plan: für's erſte mußten Kleider gefchafft 
werben, die den Soldaten verläugneten, Wie gut, daß ich die Biblio⸗ 
thek offen gelafien! da oben hing ein Jagdkleid und Müte — von 
welchem Schnitt, ob alt« oder neumodiſch — wußt ich nicht. Wie ein 
Geift ſchlich ih auf bloßen Strümpfen an der Tante Zimmer vorbei, 
ſchwebend trug ich's herunter, damit die metallnen Knöpfe nicht rafielten, 
er 309 es an, es faß wie angegofjen — Gott hat e8 ihm angepaßt, 
und die Jagdmütze dazu! ich Hatte das Geld, was man mir fchentte, 
immer in das Kifjen eines ledernen Seſſels geftedt, weil ich feine Ge⸗ 
legenheit hatte e8 zu brauchen. Wett durchſuchte ich den Seflel, und es 
fand ſich eine ziemliche Baarfchaft zufammen, die ich meinem Geretteten 
als Zehrpfennig einhändigte. Nun führte ih ihn durch den mond- 
beſchienenen, blüthepuftenden Garten; wir gingen langfamen Schritte® 
Hand in Hand bis hinter die Pappelwand, an die Dauer, mo alle 
Jahr die Nachtigall in der Rofenhede ihr Neft baute, e8 war grade 
die Zeit, was half's — dies Fahr mußte fie geftört werden. Da wollte 
er mir danken, da nahm er mich auf feine Arme und bob mich Hoch, 
Goethe’ 8 Briefwechfel mit einem Finde. 31 


482 


er warf die Mütze ab und legte den verbundenen Kopf auf meine Bruft, 
was hatte ich zu thun? ich Hatte die Arme frei, ich faltete fie über 
feinem Kopf zum Gebet; er küßte mich, flieg über die Roſenhecken⸗ 
Mauer in einen Garten, der zum Main führte, da konnte er ſich über- 
fegen, denn e8 waren Nahen am Ufer. | 

Es giebt unerwartete Erfahrungen, die find vergeſſen, gleich als 
ob fie niıht erlebt wären, und erft dann wenn ſie wieder aus dem Ge⸗ 
dächtnißbrunnen berauffteigen ergiebt fi) ihre Bedeutung — e8 ift als 
ob eine Tebenserfahrung dazu gehörte, ihre Wichtigkeit empfinden zu 
lernen; e8 find andre Begebniffe, auf die man mit Begeiftrung harrt, 
und die ſchwimmen fo gleichgültig vorüber wie das fließende Wafler. 
— Wie Du mid fragteft, wer mir den erften Kuß gegeben habe, 
defjen ich mich deutlich erinnere, da fchweifte mein Befinnen hin und 
ber wie ein Weberfchiffchen, bis allmählig dies Bild des Erretteten 
lebhaft und deutlich hervortrat, und in dieſem Wiederhall des Gefühls 
erft werde ich gewahr, welche tiefe Spuren fie in mir zurückgelaſſen! 
— &o giebt e8 Gedanken wie Richtftrahlen, die einen Augenblid nur 
das Gefühl der Helle geben, und dann verſchwinden, aber ich glaube 
gewiß daß fie ewig find und ung wieder berühren in dem Augenblid, 
wo unfere fittliche Kraft auf die Höhe fteigt, mit der allem wir fie zu 
fafien vermögen. Ich glaube: mit uns felbft ind Gericht gehen, oder 
wenn Du willft, Krieg führen mit allen Mächten, ift das befte Mittel 
höherer Gedanken theilhaftig zu werben. Es giebt eine Art Lumpen⸗ 
gefindel auch im Geift, das alle Befähigung zur Infpiration unters 
drüdt, und fi wuchernd ausbreitet; dahin gehören die Anfprüche aller 
Art nad außen: wer etwas von außen erwartet, dem wird ed in dem 
Innern nicht fommen, aller Reiz der nach Außen zur VBerfündigung 
wird, kann im Innerften concentrirt zur Tugend werben; — das Ges 
fühl, das jo wie es ſich mit der Oberfläche des Lebens berührt, gleich 
zur Eitelkeit anſchießt: in der innerften Seele feitgehalten, wird ſich 
zu einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit ausbilden. Und 
jo Könnte wohl jede Verkehrtheit daher entftehen, weil ihr Reiz fehl 
geht in feiner Befriedigung. Alle Anſprüche, aller Reiz, alle Teiden- 























483 


ſchaft foll befriebigt werden, aber nur durch das Göttliche, und fo nicht 
der Sklave der Leidenſchaft, ſondern unferer höheren Natur werben. 

Wenn ich mich über mich jelbft ftelle und ber mein Thun und 
Treiben, dann kommen mir glei Gedanken von denen empfinde ich 
fie haben eine beftimmte Beziehung auf eine beftimmte Erfcheinung in 
mir, wie gewiß auch bei den verſchiedenen Epochen in dem Pflanzen- 
leben die Nahrung eine verſchiedne geiftige Richtung annimmt; daß 
zum Beifpiel beim Blühen der Nahrungsftoff, der doch aus venfelben 
Elementen befteht, eine in fich felbft erhöhte geiftige Verwandlung vor- 
nimmt, denn er äußert ſich ja nicht mehr blos vegetirend in dem Leben 
der Pflanze, ſondern duftend, wiſſend, in ihrem Geift. Gedanken 
dieſer Art beglüden mich, wenn ich Frieden mit mir ſchließe und den 
Schlaf gleichſam annehme als Berföhnung mit mir jelbft; fo geftern 
Abend fühlte ih vor dem Einfchlafen, als ob mich mein Inneres in 
Liebe aufgenommen babe, und da fchlief ich die Ruhe bis tief in meine 
Seele hinein, und wachte von Zeit zu Zeit auf, und hatte Gedanken. 
Ich fchrieb fie, ohne fie weiter zu ſpinnen, oder ihren Gehalt zu 
wägen, ja ſelbſt mande, ohne fie ganz zu verftehen, mit Bleiftift auf 
— und jchlief dann gleich wieder fort, aber bald weckte mich's wieder 
auf; diefe Gedanken waren wie Ausrufungen meiner Seele in der 
Empfindung von Behagen. Ich will fie hier abjchreiben, wie ich fie 
nah einander erfahren. Ob fie Werth und Gehalt haben, laſſe ich 
unberührt, aber immer werben fie ein Beweis fein, daß der Geift auch 
im Schlaf lebendig wirkt. Ich glaub, daß jeve Handlung ihre unend⸗ 
lichen Folgen hat; daß uns die Wahrheit Genuß gewährt, daß alfo 
jeder Genuß eine Wahrheit zum tiefften Grunde hat, daß alfo jeder 
Genuß durch feine Wahrheit legitimirt ift. 

Ich glaube, daß alle Ahnungen Spiegelungen der Wahrheit 
find. 

Der Geift ift Auge, je ſchärfer er fieht, je deutlicher wird die 
Ahnung, je reiner tritt das Spiegelbild der Wahrheit in der Empfin- 
dung auf. Die Bielheit fol zur Einheit führen, der Spiegel fafjet 
Alles in einen Strahl zuſammen. 

31* 











484 


Das Licht gebärt das alljeitige Neben und Streben in die Ein- 
heit, in das Neich des Göttlichen. 

Die Philofophie ift Symbol der Leidenſchaft zwifchen Gott und 
dem Menſchen. 

Die Liebe ift eine Metamorphofe der Gottheit. 

Jever Gedanke tft vie Blüthe einer Pflanze; was ift dann aber 
ihre Frucht? — Die Wirkung auf unjer Inneres ift ihre Frucht. 

Zum Denken des wahren Geiftes gehört die Unſchuld. Nur mit 
der unſchuldigen Pſyche beredet ſich der Geift. 

Der Geiſt ſtellt die erkrankte Unſchuld her. Die Frucht des Geiſtes 
genießen, macht unſchuldig, das iſt die Wirkung der Frucht. 

Das Sinnliche iſt Symbol des Geiſtigen, iſt Spiegel einer noch 
nicht in die geiſtige Erfahrung getretnen Wahrheit. 

Geiſtige Erfahrung iſt gebornes Leben. Wenn wir Beſitzer der 
geiſtigen Wahrheit ſind, dann iſt das Sinnliche aufgelöſt. 

Alles Sinnliche iſt unverſtanden, durch ſein Verſtehen wird es 
geiſtig. 

Geiſtige Entwicklung macht große Schmerzen, ſie iſt der Beweis, 
wie ſehr der Geiſt mit dem Phyſiſchen zuſammenhängt. 

Der Geiſt, der keine Schmerzen macht, iſt Leben nach der Geburt. 

Oft ſtirbt der Geiſt, ſein Tod iſt Sünde. Aber er erſteht wieder 
zum Leben; die Auferſtehung von den Todten macht Schmerzen. 

Der Geiſt iſt ein Zauberer, er kann Alles! wenn ich mit dem 
vollen Gefühl der Liebe vor Dich hintrete, dann biſt Du da. 

Was iſt denn Zauberei? Die Wahrheit des Gefühls geltend 
machen. — 

Die Sehnſucht hat allemal Recht, aber der Menſch verkennt 
ſie oft. 

Der Menſch hat einen ſinnlichen Leib angenommen, damit er in 
ihm zur Wahrheit komme; das Irdiſche iſt da, damit ſich in ihm das 
Göttliche manifeſtire. 

Das ganze Wirken der Natur iſt nur ein Trieb, der Wahrheit 
nachzugehen. 








485 


Die Wahrheit hat keinen Leib, aber das finnliche Leben ift die 
Spur ihres Wegs. 

Manchmal hab ich den Trieb, mich von Dir, wie ih Did ſinn⸗ 
lich ertenme, abzuwenden, und an das göttliche Geheimnig Deines 
Dojeind zu appeliven, dann fühl ih, daß fi alle verſchiedenen 
Neigungen in einer auflöjen. 

Gewiß! die Liebe ift Inſtinkt einer Höheren Gemeinſchaft, einer 
göttlichen Natur mit dem Geliebten, Drum fließt Liebe alle ver- 
ſchiedene Neigungen aus. 


Wenn wir erſt wiſſen, daß alle äußeren Augen ein inneres Auge 
find, das ung fieht, jo thun wir Alles nem inneren Auge zu lieb, denn 
wir wollen in unferer geheimen Handlung ver Schönheit gefehen fein. 

Unfer Trieb, ſchön zu handeln, ift der Trieb, dem innern Auge 
wohlgefällig zu erjcheinen. Drum tft der Trieb nach Anerkenntniß, nad) 
Ruhm, eine verkehrte Befriedigung diefer angebornen, unvertilgbaren 
Neigung, weil ihr Urfprung göttlich if. — Was haben wir von allem - 
äußeren Glanz, von dem Gaukelſpiel des Beifalls einer unwifjenden 
Menge, wenn wir vor dem Auge des inneren Genius nicht beftehen, wenn 
unfere Schönheit vor ihm zerrättet ift! ich will nur für meine Schönheit 
leben, ich will nur ihr huldigen, denn fie ift ver Geliebten felbft. — 

Wenn wir den Blid des inneren Auges umfchreiben, fo haben 
wir die Kunft und das Wiſſen. 

Alles Wiſſen ſoll fih zur Kunſt erheben, e8 foll eben fo unſchuldig 
die Wahrheit nachahmen wie die bildende Kunſt, und ſo wird ſie ein 
Spiegel der Wahrheit, ein Bild, in dem wir ſie erkennen. 

Denken iſt ein unmittelbares Nachahmen der Wahrheit es iſt 
nicht ſie ſelbſt, ſie hat keinen Leib, ſie hat nur eine Erſcheinung. 

Suche nur die Wahrheit in Deinem Innern, ſo haſt Du den 
Vortheil, ſie zu finden und Dich zugleich in ſie aufzulöſen. 

In Deinem Innern wirſt Du ein lebendiges Bewegen wahr⸗ 
nehmen, wie das Bewegen des Waſſers, es iſt nichts als ein Bewegen, 
ſich in die Wahrheit aufzulöſen. 


486 





Alles Leben Löft fih in eine höhere Wahrheit auf, geht in eine 
höhere Wahrheit über, wär e8 anders, jo wär e8 Sterben. 

Schönheit ift eine Auflöfung der finnlihen Anfhauung in eine 
höhere Wahrheit, Schönheit ftirbt nicht, fie ift Geift. 

Alle Disharmonie ift Unwahrbeit. 

Wenn Du Schlafen willft, jo ergieb Did Deinem innern Mond. 
Schlaf in dem Mondlicht Deiner Natur! Ich glaub, das erzieht und 
nährt Demen inneren Menfhen, wie das Mondlicht den Geift der 
Pflanze ernährt und beförbert. 

Mer von felbft feinen Geiſt der Natur unterwirft, für ven giebt 
es feinen Tod. 


Der Geift muß jo mächtig werben, daß er ven Tod des Leibes 
nicht empfindet. 

Der Geift braucht nicht zu denken, und kann doch mädhtig fein, 
6108 durch die Reinheit des Willens. 

In allem nur fi fehen, und gegen fi ven reinften Willen 
haben, dann ift der Geift mächtig. 

Auch der finnlihe Schlaf fol fo genofjen werben, daß er ein 
geiftiger Balſam fei. 

Vielleicht vererben ſich die geiftigen Reichthümer wie die irdiſchen, 
vielleicht vertheilen pie Geifter ihre Fähigkeiten auf ihre Nachkommen | 
„sch erkenne an dem Gedanken, weß Geiftes Kind bu biſt.“ “Dies 
Sprühwort beurkundet meine Bemerkung. 

Wahlen ift das Gefühl, daß das Uranfänglichite zu jenem Ur⸗ 
ſprung in die Ewigfeit dringt. 

Der Genius allein kann die verlegte Unſchuld berftellen. O komm 
Genius, und befriede Di mit mir! 

Hier übermannte mich ein tieferer Schlaf. — Am Morgen fand 
ich mein bejchriebenes Papier, ich erinnerte mic) jeiner kaum, aber jehr 
deutlich erinnerte ich mich des Behagens in der Nacht, und daß es eine 
Empfindung war, wie dem Kind in der Wiege das Schaukeln fein 
muß, und id} dachte, daß ich oft fo träumen möchte. — 


487 


Nun will ih Div auch gleich die Geſchichte meines zweiten Kuſſes 
erzählen; er folgte beinah unmittelbar auf den erften, und mas venfft 
Du von Deinem Mädchen, daß es fo leichtfertig geworben! ja vies- 
mal wurde ich leichtfertig, und zwar mit einem Freund von Dir. — 
Es Hingelt, haſtig ſpringe ih an Die Hausthür, um zu öffnen; ein 
Dann in fhwarzer Kleidung, ernften Anjehens, etwas erhitten Augen 
tritt ein, — noch ehe er feinen Namen genannt, oder gejagt, was fein 
Berlangen tft, küßt er mich; noch ehe ich mich befinnen konnte, geb ich 
ihm eine Obrfeige, und dann erft jeh ich ihm ergrimmt in's Antlig 
und erkenne ein freundliches Geficht, das gar nicht erſchreckt und nicht 
erbittert über mein Verfahren zu fein ſcheint; um meiner Verlegenheit 
zu entgehen — denn ich wußte nicht ob ich Hecht oder Unrecht gethan 
hatte — öffne ich ihm raſch die Thüren zur den Zimmern der Groß- 
mutter. Da war nım meine Überrafhung bald in Schrecken umge: 
wandelt, da diefe mit der höchſten Begeiſtrung ausrief, einmal über 
das andre: „It e8 möglich Gerber, mein Herder! daß Euer Weg 
Euch zu diefer Orillenthür führt? — Seid taufendmal umarmt, und 
bier folgten diefe taufend Umarmungen, während denen ich mich leife 
davon ſchlich und wünfchte, e8 möge in dieſem Schwall von fieb- 
fofungen die eine untergehen, die ihm mit einer Ohrfeige war beant- 
wortet worden. Allein, den nicht fo, er vergaß weder Kuß noch Ohr⸗ 
feige, er jchielte an das Herz der Großmutter von ihren umfafjenden 
Armen gefefielt über ihre Achjel hinaus, nach der Enkelin und machte 
ihr einen bittenden Vorwurf. Ich verſtand ihn fogleih, und machte 
mi ihm auch verſtändlich, er ſolle mich nicht verklagen fonft wolle ich 
mih rächen, und ſchlich Hinter die Vorzimmer. Allein Herver hatte 
feine Andacht mehr für Die Großmutter, für ihre ſchönen Erinnerungen 
aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus den Briefen von Julie 
Bondeli, für ihre Schmeichelreven und begeifterte Lobſprüche, für ihre 
Reden von gelehrten Dingen. Er fragte, ob fie ihm nicht ihre Enfel- 
finder wolle zeigen? jo wurden wir ihm denn alle drei feierlich vorge⸗ 
führt und von der Großmutter zugeich belehrt, wie glücklich wir ſeien, 
ihn zu fehen und von ihm gejegnet zu fein. Er war au gar nicht 


488 


faul, ging raſch auf mich zu, legte mir die Hand auf den Kopf unter 
welcher ich ihn drohend anfah, und fagte langſam und feierlich: „dieſe 
da ſcheint fehr felbftftänpig, wenn Gott ihr diefe Gabe als eine Waffe 
für ihr Glück zugetheilt hat jo möge fie ſich ihrer ungefährvet bebtenen, 
daß Alle fi ihrem kühnen Willen fügen, und niemand ihren Sinn zu 
brechen gedenke.“ Ziemlich verwundert war die Großmutter über 
diefen wunberlihen Segen, noch mehr aber, daß er die Schweftern 
nicht fegnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wurben entlaffen 
und gingen in den Garten, — wir trugen damals breite Schärpen 
von blan und weiß geflammter Seide, auf dem Rüden waren fie in 
Schleifen gebunden, die in ver vollen Breite, welche wohl eine Elle 
betrug, ausgebreitet waren, fo daß fie gleichſam Schmetterlingsflügel 
bildeten. Während ich in meinem Blumenbeet arbeitete, hajchte mich 
einer an diefen Flügeln; e8 war Herber, „ſiehſt du, Heine Pſyche,“ 
fagte er, „mit den Flügeln genießt man wohl die Freiheit, wenn man 
fie zu vechter Zeit zu brauchen weiß, aber an den Flügeln wird man 
auch gefangen, und was giebft du, daß ich Dich wieder los laſſe?“ — 
er verlangte emen Kuß, ich verneigte mich und küßte ihn, ohne das 
©eringfte einzuwenven. 

Der Kuß des geretteten Franzoſen war ganz im Einverſtändniß 
meiner Empfindung, id fam ihm auf halbem Weg entgegen, und body 
war er unmittelbar darauf vergefjen, und jett erft, nach ſechs Jahren, 
tauchte er aus meiner Erinnerung auf, als eine neue Erfcheinung. 
Herder's Kuß war von meiner Seite ganz willenlo8 oder eher unwillig 
angenommen, und Doch hab ich ihn nicht vergeſſen; ich konnte in erfter 
Zeit den Eindrud nicht verwinden, er verfolgte mich im Traum; bald 
war mir’s, al8 babe ich wider meinen Willen etwas weggefchenft, bald 
überrafchte e8 mich, daß diefer große beveutenne Mann mich fo 
dringend aufgefordert hatte ihn zu küſſen, dies war mir eine räthſel⸗ 
bafte Erfahrung. Herder ſah mich fo feierlich an, nachdem er mich 
geküßt Hatte, daß mich ein Schauer befiel, ver räthjelhafte Name 
Pſyche, deſſen Bedeutung ich nicht verfland, verfühnte mich einiger- 
maßen mit ihm und wie denn manches Zufällige, was vielen unſchein⸗ 





489 


bar vorüberſchweift, einen tief rührt und eine währende Bedeutung 
für ihn gewinnt, jo war mir Dies unbegriffne Wort Pſyche ein Talis- 
men, der mic, einer unfihtbaren Welt zuführte, in der ich mich unter 
dieſem Namen begriffen dachte. 

So lehrte mir Amor das ABC, und in meiner Geisblattlaube 
in der die Spinnen rund um mid ber dem beflügelten Inſektenvolk 
Netze ftellten, feufzte die Kleine beflügelte Pſyche über vieler problema- 
tiſchen Lection. 

Ach Herr! — im Anfang des Jahres iſt die Sonne mild ſie 
ſchmeichelt den jungen Trieben, dann ſpaltet ſie die Keime und wird 
immer dringender, die geöffnete Knospe kann ſich nicht wieder in die 
kühle Kammer bewußtloſer Dunkelheit verſchließen, ihre Blüthe fällt 
dem glühenden Strahl, der ſie erſt Iodte, als Opfer. 


Dritter Kuß. 


Der blinde Herzog von Aremberg, der ſchöne, deſſen Zügen die 
geheiligte Wurde der Legitimität aufgeprägt war, wollte gegen meinen 
Willen mir viefen Kuß geben, ich aber war wie bie ſchwankende Blume 
im Winde, die der Schmetterling vergeblih umtanzt. Laß Dir’s 
erzählen und ausmalen mit diefen bunten Farben aus dem Muſchel⸗ 
faften des Kindes, mit denen ich damals noch meine Welt ausmalte, 
und fie verftand, und Du wirft fie auch verftehen und ‘Dich freuen, 
daß Du mit mir in den Spiegel fehlt, in dem ich mich erfenne und 
den Genius, der mid zu Dir lenkt. 

Er war fhön der Herzog! — ſchön für das großgewölbte Kin- 
derauge, Das noch fein Menſchenantlitz erblidt hatte, defien Züge Geift 
ausftrömten. Wenn er ſtundenlang bei der Großmutter ſaß und fich 
von ihr erzählen ließ ftan ich neben ihm und ftarrte ihn an: ich war in 
Betrachtung diefer reinen erhabenen Züge verſunken, Die dem gewöhn⸗ 
lihen Menjchen nie geſchenkt werben. 

Die reine, ftarfe Stirn, deren Mitte eine Teuerftelle hatte für 
den göttlichen Brand des Zorns, diefe Nafe, höher, kühner, troßbieten- 
der als fein ſchauerliches Schickſal, dieſe feinen feuchten Lippen, die 


490 


mehr al8 alles andre, Befehl und Herrſcherwürde ausſprachen, die 
Luft tranken und ausfeufzten die tieffte Melancholie, viefe feinen 
Schläfe, fih an den Wangen niederfchmiegend zum aufgeworfnen 
Kinn, wie der metallne Helm der Minerva! — Laß mih malen 
Goethe, aus meinem Heinen Muſchelkaſten, e8 wird fo ſchön! ſieh fie 
an, die grellen abftehenden Farben, die der philoſophiſche Maler ver- 
meibet, aber ich, das Kind, ich male fo; und Du, der dem Finde 
lächelt wie ven Sternen, und in deſſen Begeiftrung Kindereinfalt fich 
miſcht mit dem Seherblid des Weifen, freue Dich der grellen bunten 
Farben meiner Phantafie. 

So war er, der ſchöne, blinde Herzog, fo ift er noch jeßt in dem 
Zauberfpiegel der Erinnerung, der alle Bilder meiner Kindheit gefefjelt 
hält, der fie in Perlen reiht und Dir als Opfer zu Füßen legt; fo war 
feine Geftalt oft nievergebeugt im Schmerz um die erblindete Jugend, 
dann ſtolz erftredt, ſich aufrichtend, heiter verächtlich ironisch lächelnd, 
wenn er die tief verſunknen Augenfterne gegen das Ticht wenvete. Da 
ftand ich und ftarrte ihn an, wie der Schäferfnabe tief vergeflen ſeiner 
Herde und feines Hundes, den an den einfamen Felſen gejchmiedeten, 
von der abgewenveten Welt unbellagten Prometheus anftarrt; da 
ftand ich und faugte den reinen Thau, den die tragiihe Muſe aus 
ihrer Urne fprengt, um den Staub der Gemeinheit zu dämpfen, indem 
ich in tiefer, bewußtlofer Betrachtung über ihn verjunfen war. — Es 
war in feinem zwanzigften Jahr, im tollen, glühenven Übermuth ber 
Jugend, im Gefühl feiner überwiegenden Schönheit, und im geheimen 
Bewußtſein alles deſſen, was dieſer zu Gebot fand, daß er am Tag 
der Jagd über die gebedte Tafel fprang, mit feinen Sporn das Tifch- . 
zeug mit Service und Prachtaufſatz auf die Erde riß und am Boden 
zerjchmetterte, um feinem liebften Freund an den Hals zu ſpringen, 
zu umarmen, nit ihm tauſend Abentheuer zu befprechen. Sie theilten 
fih auf der Jagd, und der erfte Schuß, den der Freund that, war in 
beide Augenfterne des Herzogs. 

Ich habe ven Herzog nie bedauert, ich bin nie zum Bewußtſein 
über fein Unglüd gefommen; fo wie ich ihn ſah, erſchien er mir ganz 








491 


zu ſich und feinem Schidjal fi verhaltend, ohne Mangel; wenn ich 
andre hörte jagen: „wie ſchade, wie traurig, daß der Herzog blind 
iſt!“ fo fühlte ich's nicht mit, tm Gegentheil dachte ich: „wie ſchade, 
daß ihr nicht alle blind feiv, um die Gemeinheit eurer Züge nicht mit 
biefen vergleichen zu dürfen!" Ja Goethe! Schönheit ift ja Das ſehende 
Aug Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenftand e8 mit Wohlge- 
fallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der Herzog auch nicht gefehen 
babe, — er war dem göttlichen Ticht vermählt durch die Schönheit, 
und dies war allemal nicht das bitterfte Schickſal. 

Wenn ich fo neben ihm ftand und in Gedanken verſunken mit 
ihm feufzte da fragte er: qui est 14? — Bettine! »Amie viens que 
je touche tes traits, pour les apprendre par coeur!« und fo nahm 
er mich auf den Schooß, und fuhr mit dem Zeigefinger über meine 
Stim, Naſe und Tippen, und fagte mir Schönes über meine Züge, 
über das Teuer meiner Augen, ald ob er fie jehen könne. Einmal 
fuhr ich mit ihm von Frankfurt nah Offenbad zur Großmutter, ich 
faß neben ihm, er fragte, ob wir nod in der Stadt feien, ob Häufer 
da feien und Menſchen? — Ich verneinte es, wir waren auf dem 
Land, da verwandelte fi plötzlich fein Geſicht, er griff nach mir, ex 
wollte mich an’8 Herz ziehen, ich erſchrak; ſchnell wie der Blig hatte 
ih mich den Schlingen feiner Arme entzogen und dudte nieder in der 
Ede des Wagens; er fuchte mid, ich lachte heimlich, daß er mich nicht 
fand, da fagte er: »Ton coeur est-il si m&chant pour mepriser, 
pour se jouer d’un pauvre aveugle?« da fürdtete ich mich der 
Sünde meines Muthwillens, ich feste mic) wieder an feine Seite und 
ließ ihn gewähren, mich an fich ziehen, mich heftig an fein Herz drücken, 
nur mit dem Geficht beugte ich aus und gab ihm die Wange wenn er 
nad dem Mund fuchte. Er fragte, ob ich einen Beichtwater Habe? — 
ob ich diefem erzählen werde, daß er mich geküßt babe. Ich fagte naiv 
ſchalkhaft: wenn er glaube, daß dies dem Beichtvater Vergnügen 
machen werve, fo wolle ich's ihm erzählen. »Non, mon amie, cela 
ne lui plaira pas, il n’en faut rien dire, cela ne lui plaira abso- 
Inment pas, n’en dites rien & personne.« In Offenbach erzählte 


492 


ich's der Großmutter, die ſah mich an und fagte: „mein Kind! ein 
blinder Mann, ein armer Mann!" — Im Nachhaufefahren fragte er, 
ob ich der Großmutter gejagt habe, daß er mich geküßt habe; ich fagte 
„im“ Nun, war die Großmutter 658? — „Nein,” »et bien? est ce 
qu’elle n’a rien dit« — »ouil« — »et quoit« — „ein blinder 
Mann, ein armer Mann!“ »O ouil« rief er, elle a bien raison! 
„ein blinder Dann, ein armer Mann!” und fo rief er einmal ums 
andre: „ein blinder Dann, ein arıner Mann!“ bis er endlich in einen 
lauten Schrei der Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durch's 
Herz drang, aber meine Augen blieben troden, während feinen er- 
ftorbenen, Thränen entfielen. Dem Herzog ift feitvem ein feierliches 
Monument in meinem Herzen errichtet. 


* * 


Wir hatten einen fhönen Garten am Haus, Ebenmaaß und 
Reinlichleit war feine Hauptzierve, an beiden Seiten liefen Spaliere 
bin mit ausländifhen Fruchtbäumen, im mitten Gang ftanven dieſe 
Bäume fo edel, jo hoch, fo frei von jedem Fehl, fie hingen ihre 
ſchlanken Äfte ſchwertragend im Herbft an den Boden, es war fo ftill 
in dieſem Garten wie in einem Tempel, im Eingang waren auf beiden 
Geiten zwei gleihmäßige Teiche, in deren Mitte Blumeninjeln waren, 
hohe Bappeln begränzten ihn und vermittelten die Nachbarſchaft zu 
den Bäumen in den angränzenden Gärten. Denke doch wie e8 mir 
da erging, wie da alles jo einfah war und wie ich Deiner be 
wußt ward. 

Warum wühlt's mir im Herzen wenn ich mid dran erinnere, 
daß die Blüthenkätzchen von den Pappeln, und diefe braunen Hebrigen 
Schalen von den Knospen mid beregneten, wie ih da fo fill in ver 
Mittagsftunde faß und dem Streben der jungen Weinranken nadı- 
ſpührte wie Die Sonnenftrahlen mich ummebten, die Bienen mid um⸗ 
jummten, die Käfer hin⸗ und herſchwirrten, die Spinne ihr Neß in's 
Gitter der Laube hing. — In folder Stunde bin ich Deiner zum 





493 


erftenmal inme geworden. — Da laujchte ih, da hörte ich in der Ferne 
den Lärm der Welt, da dachte ich: du bift außer viefer Welt, aber 
mit wen bift on? — Wer ift bei dir? — Da befann ih mi auf 
nah und fern, da war nichts was mir angehörte. Da konnte ich nichts 
erfafien, mir nicht denlen was mein fein könne. Da trat zufällig, 
oder war's in den Wollen gejchrieben, Deine Geftalt hervor; ich hatte 
von Dir nichts weiter gehört als Tadel, man hatte in meiner Gegen- 
wart gefagt: Goethe ift nicht mehr jo wie fonft, er ift ſtolz und hoch⸗ 
müthig, er Tennt die alten Freunde nicht mehr, feine Schönheit bat 
gewaltig abgenommen, und er fieht nicht mehr jo edel aus wie fonft; 
noch manches wurde von der Tante nnd Großmutter über Dich ge 
ſprochen, was zu Deinem Nachtheil war. Ich hatte es nur im Ver⸗ 
geſſen angehört, denn ich wußte nicht wer Du ſeiſt. — Vest in dieſer 
Einſamkeit und abgeſchloſſnen Stille unter den Bäumen die eben 
blühen wollten, da kamen viefe Reden mir wieder in's Gedächtniß; 
da ſah ich im Geift wie die Menſchen, die über Di urtheilen wollten, 
Unrecht hatten, ich fagte zu mir felbft: Nein! er ift nicht unſchön, er 
tft ganz edel, er ift nicht übermüthig gegen mich. Trotzig iſt er nur 
gegen die Welt, die da draußen lärmt, aber mir, die freundlich von 
ihm denkt ift er gewogen und zugleich fühlte ih al8 ob Du mir gut 
feift und ich dachte mich von Deinem Arm umfaßt, und getrennt durch 
Dich von der ganzen Welt, und im Herzen ſpürte ih Dir nad, und 
führte freundlihe Geſpräche in Gedanken mit Dir, da kam nachher 
meine Eiferjucht wenn man von Dir ſprach oder Deinen Namen fagte, 
e3 war als habe man Dich aus meiner Bruft gerufen. Vergeſſe nicht 
Goethe, wie ih Dich lieben lernte, daß ich nichts von Dir wußte, als 
daß man Dich in meiner Gegenwart böslich erwähnt hatte; die Tante 
Ipra von Deiner Treigeifterei und daß Du nidt an den Teufel 
glaubt ich glaubte auf der Stelle auch nicht an den Teufel, und war 
ganz Dein und liebte Dich, ohme zu willen, daß Du der Dichter feift 
von dem bie Welt jo Großes ſpreche und erwarte, pas kam alles fpäter; 
damals wußt ih nur, daß die Leute Dich tabelten und mein Herz 
jagte: Nein, er ift größer und jchöner als Alle, und da liebte ih Dich 


494 


mit heißer Liebe bis auf heut und troßte der ganzen Welt bis auf heut 
und wer über Dich jprach von dem wendete ich mich ab, ich konnte es nicht 
anhören. Wie ich aber endlich Deine Herrlichkeit fafjen follte, da dehnten 
mir große Schmerzen die Bruft ans, ich legte in Thränen mein Angeſicht 
auf das erfte Buch was ich von Dir in Händen befam, e8 war der Meilter, 
mein Bruder Clemens hatte es mir gebracht. Wie ich allein war da ſchlug 
ih das Buch auf, da las ich Deinen Namen gedruckt, ven ſah ihan als 
wie Dich felber. Dort auf der Raſenbank wo ich wenig Tage vorher 
zum eritenmal ‘Deiner gedacht und Dich im Herzen in Schuß nahın, da 
ſtrömte mir eine von Dir gefhaffne Welt entgegen, bald fand ich die 
Mignon wie fie mit dem Freund redet, wie er fidh ihrer annimmt, da 
fühlte ich Deine Gegenwart, ich legte Die Hand auf das Buch und es 
war mir in Gedanken als ftehe ich vor Dir und berühre Deine Hand, 
es war immer jo fill und feierlich wenn ich allein mit dem Buch war, 
und nun gingen die Tage vorüber und ich blieb Dir treu, ich hab 
an nichts anders mehr gedacht wontit ich mir die Zeit ausfüllen folle, 
Deine Lieder waren die erjten, die ich kennen lernte, o wie reichlich 
haft Du mich beſchenkt für dieſe Neigung zu Dir, wie war ich erftaunt 
und ergriffen von der Schönheit des Klangs, und der Inhalt, den ich 
damals nicht gleich faſſen konnte, wie ich ven allmählig verftehen lernte 
was hat dies alles in mir angeregt, was hab ich erfahren und genoflen, 
und welde Geſchicke Hab ich erlebt, wie oft Hat Eiferfucht gegen dieſe 
Lieder mich erregt, und in manchen da fühlte ich mich befungen und 
beglüdt. — Ja warum follte ih mich nicht glüdlih träumen? — 
welche höhere Wirklichkeit giebt e8 denn als den Traum? — Du wirft 
nieim Schooß des erjehnten Glückes finden was Du von ihm geträumt 
batteft. — Jahre gehen dahin, daß einer dem andern ſich nahe wähnt, 
und doch wird fich nie die eigenthümliche Natur an's Ticht wagen, Der 
erite Augenblid freier unbedingter Bewegung trennt Freundſchaft und 
Liebe. Die ewige unverfiegbare Quelle der Liebe ift ja eben daß fie 
Geheimniſſe in ihren Haren Wellen führt. Das Unendliche, der Sehn⸗ 
jucht begehrliche des Geiftes iſt aber, daß er ewige Räthſel darlege. 
Drum mein Freund, träume ich, und feine Lehren der Weisheit gehen 


495 


fo tief in mich ein und begeiftern mich zu immer neuen Anfchauungen 
wie diefe Träume, denn fie find nicht gebant auf Mißverftänbnifie 
jondern auf das heilige Bedürfniß der Liebe, — Mein erftes Lefen 
Deiner Bücher! ich verftand fie nicht, aber der Klang, der Rythmus, 
die Wahl der Worte, denen Du Deinen Geift vertrauteft, die riffen 
mich hin ohne daß ich den Inhalt begriff, ja ich möchte jagen, daß ich 
viel zu tief mit Dir befhäftigt war als daß die Gefchichte Deiner 
Dichtungen ſich hätte zwilchen ung drangen können; ach es hatte mir 
niemand von Dir gejagt er tft der größte, der einzige Menſch unter 
allen, ih mußte e8 alles jelbft erfahren wie ich Deine Bücher allmählig 
verftehen lernte, wie oft fühlte ich mich beſchämt durch dieſe machtaus⸗ 
übenden Begeiftrungen, da ftand ich und redete im Spiegel mit mir: 
„Er weiß von dir nichts, in diefer Stunde läuten ihm andere Gloden, 
die ihn da» und dorthin rufen, er tt heiter, ver Gegenwärtige ift ihm 
ver Liebſte, armes Kind! dich nennt fein Herz nicht,” da floffen meine 
Thränen, da hab ich mich getröftet, und hatte Ehrfurdt vor Diefer 
Liebe als vor etwas ganz Erhabnem. Ja es ift wahr, es tft ein 
höherer Menſch innewohnend, dem jollen wir immer nachgehen, feinem 
Willen Folge leiftend und feinem andern follen wir Altäre bauen und 
Opfer bringen, nichts fol außer ihm gejchehen, wir jollen von feinem 
Glück wiſſen als nur in ihm. 

So hab ih Dich geliebt indem ich diefer inneren Stimme wills 
fahrte, blind war ich und taub für alles, fein Frühlingsfeft und fein 
Winterfeft feierte ich mit, auf Deine Bücher, die ich immer leſen wollte, 
legte ich den Kopf und ſchloß mit meinen Armen einen Kreis um fie 
und fo jchlief ich einen füßen Schlaf, während die Geſchwiſter in 
ihönen Kleidern die Bälle bejuchten, und ich fehnte mich immer früher 
zum Schlafen zu fommen, blo8 um da zu fein wo ih Div näher war. 
Sp ging die Zeit zwifchen ſechszehn und achtzehn Jahren hin, dann 
kam ich zu Deiner Mutter, mit der ih von Dir ſprach als ob Du 
mitten unter ung feilt, dann kam ich zu Dir und feit dem weißt Du 
ja, daß ich nie aufgehört habe mit Dir innerhalb dieſes Kreifes zu 
wohnen, den ein mächtiger Zauber um ung zieht. Und du weißt von 


496 


da an alles was in meinem Herzen und Geift vorgeht, drum kann ich 
Dir nichts anders mehr fagen als zieh mich an Dein Herz und bewahr 
mich an demſelben Dein Leben lang. 

Gute Nacht, morgen reife ich in die Wetterau. 


%* 
* * 


Reife in die Wetterau. 


Wie es hier ausfieht, das muß ich Dir beſchreiben. Eine weite 
Ebne, lauter Korn, von allen Seiten, als wär die Erde ein runder 
Teller, aber doch mit einem Rand, denn fanft fchwillt bie Fläche in 
die Runde bergan, abwechſelnd umkränzt von Wald und Berggipfeln. 
Da ftehe ih in der Mitte im wogenden Korn! hätte ich Pfeil und 
Bogen und fhöfle nah allen Richtungen vom Mittelpunkt aus, fo 
würde mein Pfeil einer alten Burg zu fliegen, ich Iauf nad) allen Seiten, 
und wo eine auftaucht, da wandre ich hin; da hab ich manchen Graben 
zu überipringen, manch Wafler zu durchwaten, Wälder zu durchkreuzen, 
ſteile Klippen zu erklettern; wären's Abgründe, reißende Ströme, 
Wüfteneten und ſchwindelhohe Felswände, fo wär ich der kühnfte Aben- 
theurer. — An jeder alten Ruine ein kleines Schwalbenneft von 
Menſchenwohnung angemörtelt, wo wunderliche fteinalte Leute wohnen, 
abgelöft von den meiften Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch 
mit einem herzrührenden wolkendurchblitzten Blid werfehen. — Geftern 
gingen wir wohl eine gute Stunde durch ſchön geordnete Traubengänge, 
bi8 wir an die fteile Höhe kamen, wo die Feſtungsmauern beginnen, 
und das Hinanfteigen nur durch Geübtheit oder Kunſtſprünge erleidj« 
tert wird. Da oben haben ſich ein paar mitleivige Birnbäume erhalten, 
und Eichen mit großem breitem Laubdach, und eine Linde im ſchwim⸗ 
menden, beißen Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieſer ehrwürbigen 
Geſellſchaft, ven Zeugen früherer Tage, lag auf fpärlihem Raſen ein 
alter Mann mit filbernem Haar und ſchlief. Das unreife Obſt, was 
von den Bäumen gefallen war, lag geſammelt an feiner Seite, feinen 


497 


Händen war wahrfcheinlich Das daneben liegende, ſehr zerlefene offene 
Geſangbuch entfallen, auf das ein ſchwarzer Hund mit glühenven 
Augen die Schnauge gelegt hatte; er machte Miene zu bellen, allein 
um feinen Herm nicht zu weden, hielt er an fih, wir auch gingen im 
weiteren Kreiſe um das Heine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß 
wir keine böfe Adficht hatten. Aus dem Speifelorb nahm ich ein weißes 
Brod und Wein, id wagte mich fo nah mir der Hund erlaubte, und 
legte e8 bin, dann ging ich nach der andern Seite und überjah mir das 
Thal, e8 war geziert mit Silberbänbern, die in's Kreuz die grünen 
Matten einſchnürten, ver ſchwaeze Wald umarmte e8, die fernen Berg- 
fuppen umwachten e8, die Herden wanbelten über die Wiefen, die 
Wolkenherde zog ver Sonne nah, von ihrem Glanz durchſchimmert, 
und ließ die blafje Mondesſichel allein flehen, dort über dem ſchwarzen 
Tanmenhorft, fo umwandelte ih rund meine Burg und jah hinab un 
hinauf, überall wunderliche Bilder, hörte [hwermüthige Töne, und 
fühlte leiſes, ſchauerliches Athmen der Natur, fie jeufzte, fie ums 
Ihmeichelte mich wehmüthig, als wolle fie fagen: „weine mit mir!" — 
Ach, was fteht in meiner Macht? — was kann ich ihr geben! 

Da ich zurüdlehrte, fah ich im Vorübergehen den Alten unter 
dem Baum mit dem Hımd, ver aufrecht vor ihm faß und ihm in den 
Mund fah, das weiße Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt Hatte. 


* 
%* %* 


Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt al® Gegenftüd eine 
alte Frau, umgeben von drei blonden Enkel⸗Engelsköpfchen, wovon 
das ältefte drei Jahr und das jüngfte ſechs Monat iſt. Sie ift nah an 
fiebenzig Jahre und geht au Krücken; im vorigen Jahr war fie noch 
rüftig, erzählte fie, und hatte vom Schulmeifter ven Dienft die Glocken 
zu läuten, weil die Kirche höher lag wie das Dorf, und näher an der 
alten Burgruime; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der falten 
Weihnachtszeit in ven Wald um Holz zu fällen und zum Bau zu be 
hauen, er fam nicht wieder, — er war erfroren im Wald. Da man 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 32 


498 


ihr die Nachricht brachte, ging fie hinab in den Wald um ihn noch ein- 
mal zu jehen, und da fiel fie zuſammen und erlahmte, man mußte fie 
wieder die fteilfte Anhöhe hinauftragen, von der fie num nicht wieder 
berablommt. „Ich jehe alle Abend die Sterne, die auf mein Grab 
iheinen werden und das freut mich,“ fagte fie, „ich Habe Triebe ge- 
ſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schidfal, ver Wind mag 
braufend daher fahren, wie in der Bibel ftehet, und den alten Eichen 
den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwär- 
men, — ih nehme alles dahin. Friebe mit allen Dingen macht den 
Geift mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und trägt ven Menfchen 
noch bei Leibes Leben Hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er ift 
ein himmliſcher Bote und zeigt den fürzeften Weg; er ſagt, wir follen 
uns nirgend wo aufhalten, denn das ift Unfriede; der grade Weg zum 
Himmel ift Geift, das iſt Die Straße die hinüber führt, daß man alles 
verfteht und begreift, wer gegen fein Schickſal murrt, der begreift es 
nicht, wer e8 aber in Frieden dahin nimmt, der lernt es auch bald 
verftehen, was man erfahren und gelernt hat, das ift allemal eine 
Station, die man auf ver Himmelsftraße zurüdgelegt; ja, ja! das 
Schickſal des Menjhen enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt 
alles verftanven hat auf diefer irvifchen Welt, dann wird man ja doch 
wohl den lieben Gott fönuen begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, 
denn dur Eingebung vom heiligen Geift, durch eigne Offenbarung 
lernt man fremde verftehen; — ich erkenne gleich in jedes Menſchen 
Herz, was ihn ftiht und was ihn brennt, und weiß auch, wann die 
Zeit fommt, die ihn heilt; ja ich muß noch täglich weinen über meinen 
lieben Sohn, der erfroren tft, aber weil ich weiß, daß er die irdiſche 
Straße zurüdgelegt bat, fo Hab ich nichts dawider, ich leſe auch täglich 
in diefem Bud, da ftehen diefe großen Wahrheiten alle gejchrieben.” 
Sie gab uns einen alten Gefang zu lefen: O Herr! du führft mid 
dunkle Wege, am Ende aber feh ich Licht;“ in dieſem ftand zwar nichts 
„von dem, was fie uns mitgetheilt hatte, al8 nur einzelne Hauptworte. 

Im Nachhauſegehen vertrieben uns die Gießener Studenten die 
Grillen, fie hatten fih am Abhang des Berges in großen Weinlauben 


499 


gelagert, fie fangen, fie jauchzten, Gläſer und Flaſchen flogen hinab, 
fie tanzten, walten und wähten fi) den Berg Binunter und durch⸗ 
Ihallten da8 Thal mit ihrem graufamen Gebrüll. 


* 
* * 


Die Ammenburg. 


So nenne id) die Heine Wohnung, die grade jo groß ift, den ein- - 
fachſten Bedürfniſſen eines einzelnen Menfchen in fchöner wohlthuen- 
der Ordnung zu genügen, fie ift mit rothen Steinen oben auf eime mit 
ſammtnen Raſen begleitete, Tegelrunde Bergkuppe aufgemauert. Bor 
drei Jahren ftand fie noch nicht bier, da war die Liebe der einzige 
Schub gegen Wind und Wetter, da famen fie häufig zufammen vom 
Frühling bi8 zum Herbft, von Sennenuntergang bis zu Sonnenaufgang 
lagen fie vom Mond belacht auf Blumenrafen zwifchen filbernen Berg- 
quellen, im Winter rief ihn Die Eriegstrompete, Armide blieb allein, aber 
nicht lange, da kam Amor das Kind, fie legte ihn in die Wiege, fie 
nährte e8 mit der Milch ihrer Brüfte und noch ein anderes dazu. 
Für den Ammenlohn kaufte fie fih dieſen Fleck und baute das Kleine 
Haus und wohnt jegt mitihren goldiodigen Bübchen hier oben, mo fie 
weit durch's Thal in die Ferne fieht und bei Winpftille auch hören 
fann, wenn die Trommel fi) rührt oder die Trompete zwifchen ven 
Telswänden fchmettert. Vielleicht kehrt er zurüd, und erlennt an dem 
Infttgen, buntbemalten Schornftein, der auf das Häuschen aufge- 
pflanzt ift, Daß das freudige Tiebesglüd nicht in Neue zerihmolzen ift. 


%* 
* * 


Heute zogen wir nad) einer andern Burg. Sie liegt vier Meilen 
entfernt, ihre ſtolzen, wohlerhaltenen Thürme fredt fie gen Himmel, 
als ob fie fie zum Schwur empor hebe; man fieht fie ſchon von mehreren 
Meilen, jede Biertelftunde macht fie eine andere Miene, bald treten 
Wälder hervor, die fie umkleiden, bald weiche Hügel, oft auch ſchwimmen 

32* 


500 


Dörfer in den fruchtreihen Bahnen ihres langen und weiten Fluren- 
gewandes, die aber bald in feinen falten wieder verſinken. Wir waren 
alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im Wald machten wir Mittag, 
ein Fuchs wurde verfolgt, das hielt unjere Reife auf. Da wir anfamen 
ftieg ver Mond zwifchen beiden Thürmen herauf, wir aber ritten im 
finftern Thal durch die Heine Stadt mit holperigen Straßen; in einer 
großen Eifengießerei übernaditeten wir. Am Morgen, vor Tag eilte 
ich hinaus, ich wollte meine Schöne, die Natur, no mit verjhlofinen 
Augen überrafchen, ich wollte fehen, wie fie auf diefer Seite, in diefer 
füßen Lage fi ausnähme. O Freund, alle Blumenkelche vol Thau⸗ 
fpiegel, ein Gräschen malt fi im Perlenfhmud des andern, ein 
Blümchen trinkt fein Bild aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! — 
und Dein Geift, der ergquidenve, was kann er mehr fein, was kann 
er anders fein als reiner Himmelsthau, in dem fi alles in reinfter 
Urſchönheit fpiegelt; Spiegel! — tiefe weisheitsvolle Erkenntniß ift 
Dein Geift, in dem felbft Du nur Dich fpiegelft, und alles Liebe, was 
der Menfchheit durch Dich angethan, ift Spiegel ihrer Idealität) 
veinften unverfümmerten Natur. Und nun kam ich von meinem Weg 
um die Burg, die id zweimal in beflügeltem Lauf, wie Pindar jagt, 
umfreif’t babe, fie Tiegt auf runder turzbegraster Kuppe, die Schanf- 
herde drängte ſich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger: ein blöfenver 
Pelzragen! ich hatte Brod bei mir, das ih umter fie theilte, wie 
Deutſchlands Kaifer unter die Tyroler, aber fie drängten mich auch, 
wie jene ven Raifer und ſchrieen: „mehr Brod! mehr Brod! — blä! 
bläl“ — ich hatte keins mehr, wie der Kaifer auch; ich war in Gefahr 
umgerifien zu werden wie er; ich riß mich durch, und im vollen Galopp 
den Berg hinunter, die ganze Herde hinter mir drein, mit fammt dem 
bellenden Hund kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirthshaus an, 
dort weckten fie die ganze Neifegejellihaft mit ihrem Geblök, und ich 
age Dir, fie wollten mit Gewalt in die Wirthsftube, ich mußte fie 
zuriegeln, ich glaub der Bod hätte fie fonft mit feinen Hörnern auf. 
gellemmt. Ei, hätten's die Tyroler auch fo gemacht, ver Kaiſer hätte 
Brod ſchaffen müſſen; die machten's aber wie der Schäfer, der blieb 





“= 


501 





verbattert auf dem Berge fliehen und fah feine Herde davoneilen; 
„Du kannſt taufend Dummheiten in einen Heinen Raum einpferchen, 
wie der Schäfer die Herde,” fagte der Bruder Franz, da er mid) mit 
der nachgeeilten Herde angelommen ſah. 

Bis alles fich reifefertig gemacht hatte, ging ich in den Kubftällen 
umber. Das Gehöfte ift unendlich groß, man könnte ein Vorwerk drin 
anlegen, fie rufen von der entfernteflen Scheume zur andern mit einem 
Sprachrohr. Der Kubftall inmitten bildet ein Amphitheater, ein Halb- 
kreis von fpiegelglatten Kühen, an jedem Ende durch einen Bullen ab» 
geſchloſſen. An dem Ende, wo ich eintrat, ift der Ochs fo freundlich, 
zärtlich, daß er jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen 


ſucht, um ihn zu beleden, er muhte mich an in hohem Ton, ich wollte 


ihn nicht vergeblich bitten laſſen, mußte mein Geſicht von feiner ſchau⸗ 
migen Zunge beleden laſſen; das ſchmeckte ihm fo gut, er konnte nicht 
fertig werben, er verkleifterte mir alle Zoden, die Deine Hand immer 
in fo ſchöne Ordnung ftreichelt. — 

Jetzt beſchreib ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn wo ich nicht 
in Worten liebkoſen kann, da vermeile ich nicht lange. — Sie ift befler 


erhalten wie alle andern, auch felbft die Gelnhäufer ift lange nicht fo 


ganz mehr, und ich begreife nicht, Daß man feine Rüdficht darauf nimmt. 
Sie gehörte ehemals ven Herren von Griesheim, jest ift fie an die 
Grafen Stollberg gefallen. — Die Burg ift in ihrem Hanptgemäuer 


noch erhalten, nur innen iſt manches eingeftärzt, der Söller ift noch 


ganz, auf diefem kann man rund um die Burg gehen. Nach allen 
Seiten fieht man in's Fruchtland, das in der Weite wieder an andern 
Burgruinen hinauffteigt. So blüht und reift Der ewige Segen zwiſchen 
Gräbern und verlafinem Gemäuer, und der Menſch braucht nur fich 
einzufinden, jo tft Er aud) da, und umwandelt und umkleidet ihn. Die 
Some ſchmeichelt's dem lieben Herrgott ab, daß er feinen Menjchen- 
findern. hunbertfältige Ahren reifen läßt; die Sonne und der Gott 
lteblofen einander, und dabei haben Die Menfchen gutes Spiel, und 
wer liebt, der ſtimmt ein in die Liebe Gottes, und durch ihn und in 
ihm reift auch der göttliche Segen. 


502 





In der Kapelle ftehen noch etlihe Säulen mit ihren gothiſchen 
Capitälen; etliche liegen an der Erde, aber noch ganz erhalten, eins, 
was ich nur unvolllommen Dir hier abzeichne. Die Mondesfichel hebt 
das Wappen in der Luft und bildet fo das Capitäl, unter ihr zwei 
Drachen, die fih verſchlingen. Die Leute jagen, fie haben golpne 
Schaumünzen im Rachen gehabt, jo find fie in einer alten Chronik 
verzeichnet. Ein anderes ift noch viel ſchöner; ich wollt e8 auch ab» 
zeichnen, aber e8 war fo falt und feucht da unten, Rofen, wunderſchön 
in Stein gehauen, bilden einen Kranz, Schlangen winden ſich durch 
und ftreden ihre gefrönte Köpfchen aus, und bilden fo einen zweiten 
Kranz; es ift gar zu ſchön, hätt ich's mitnehmen können, ich hätte Dir's 
gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte, kam eine Kleine Schlange 
unter dem Gras hervor, und richtete ſich vor mir auf, als wollte fie 
zuſehen, wie ich das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und Das erfchredte 
mich in der Einfamtleit, fo daß ich mit emem Schauder davoneilte. 

In dem äußeren Burgthor find nod die Thürangeln, über dem 
innerften Burgthor auf dem Söller ift em Steinherd mit einer Heinen 
Brandmaner umgeben, die wie eine Niſche gebilvet if. Da haben fie 
das Pech glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte des 
Thores durchgegoſſen; alles wurde betrachtet, beachtet, erklärt, zurecht 
gerüdt, noch manches blieb unerflärt, die Verwundrung über vorige 
Zeiten, und daß fie mit ihren Reſten noch jo derb in unfre hinein- 
reichte, machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angft, diefe alte 
grobknochige Zeit könne plöglich fiber den Augenblid der Gegenwart 
fommen und ihn verfhlingen. O Goethe, mir ift nur eins wichtig, 
mern Dafein in Dir! und nad dieſem komme das End aller Dinge. 

Soll ih Did denn noch weiter mitnehmen auf meinen Streif⸗ 
zügen, oder iſt s genug der eingefallnen Mauern, der Wildniß, die alles 
überwuchert, des Epheu's, der aus dem falten Boden hervorſprießt, 
unermüdlich hinaufklettert an der öden Mauer, bi8 er die Some 
erblict, und dann gleich wieder binabfteigt, mit weit reichenden Ranken 
nach der feuchten, düſteren Tiefe verlangt. Geftern war der Himmel 
blau, heute rubinfarb und ſmaragden, und dort im Welten, wo er die 


03 


Erde dedt, jagt er das Licht im Safrangewand vor fi) ber aus ver 
Schlafſtätte. Emen Augenblid kann fi die ſehnende Liebe ergötzen 
daran, daß die ganze Natur ſchlummernd faugt; ja ich fühl's: wenn 
die Nacht einbricht, daß jedes MWärzelden trinkt, in jedem liegt Be- 
gierde, Sehnſucht nach Nahrung, und dieſe Anziehungskraft zwingt bie 
Erde, die ihre Nahrung nicht verfagt, jedem lebenden Keim; und jo 
liegt in jevem Blumenhaupt ſchwärmende Begeiftrung, die aus dem 
Licht der Sterne Träume berabzieht, die e8 umweben; geh über einen 
Diefenteppich in ftiller fternenflimmernder Nacht, da wirft Du, wenn 
Du Dich herabbeugft zur Flur, die Millionen Traumbilder gewahr 
werben, die da wimmeln, wo eins oft vom andern Eigenheiten, Farben 
und Stimmungen entlehnt; da wirft Du es fühlen, daß dieſe TZraum- 
welt fih hinaufſchwingt in den Bufen des Beichauenden und in Deinem 
Geiſt fih als Offenbarung fpiegelt; ja die fchöne Blume des Ge- 
dankens bat eine Wurzel, die faugt aus dem warmen, verborgnen 
Boden der Sinne ihre Nahrung, und fteigt aufwärts zum göttlichen 
Licht, dem fie ihr Auge öffnet und es trinkt und ihm ihren Duft zu- 
ſtrömt; ja die Geiftesblume erfehnt fi die Natur und die Gottheit, 
wie jeve Erdenblume. 


Brudftüde 
aus Briefen in Goethes Gartenhaus gefchrieben. 


Anno 18. 

Ich babe Dich heute nur wenig Augenblide geſehen und mir 
deucht das ganze Leben gehöre dazu um Dir alles zu fagen. Muſik 
und Kunft und Sprache alles möcht ich beberrihen um mich brinn 
auszufprechen. 

Ich fehne mich nah Offenbarung, Du biſt's! — nad) Deinem 
Innern ftrebt die Liebe fie will fih in feinen Tiefen empfinden. 

Deine Gegenwart erſchüttert mich weil ich Die Möglichkeit empfinde 
Dir eine Ahnung meiner Sehnſucht zu geben. 


504 





Deine Nähe verändert alles äußerlich und innerlih, daß ver 
Athem, den Du aushauchſt, ſich mit der Luft miſche die auch meine 
Bruft trinkt, Das macht fie zum Element einer höheren Welt; jo vie 
Wände, die Dich umfaſſen find magnetiſch; der Spiegel, der Dein 
Bild aufnimmt, die Tichtftrahlen, die an Dir hinftreifen, Dein Siß, 
alles hat eine Magie; Du bift weg, aber dieſe bleibt und vertritt 
Deine Stelle, ich lege mich an die Erve wo Deine Füße flanden, an 
diefem Fleck und an keinem andern ift mir wohl. — Iſt das Einbil- 
dung? — Thränen fühl ich in der Bruft Deiner jo zu denken, wie ich 
jet denke und dieſe Wehmuth iſt mir Wolluft, ich fühle mid in ihr 
erhoben über's ganze Erdenleben, und das tft meine Religion. — 
Gewiß! der Geliebte ift das Element meines zukünftigen Lebens aus 
dem es fich erzeugt und in dem es lebt und fih nährt. — O hätte 
ih Geift! — hätt ih den, was für Geheimnifje wollt ih Dir mit- 
teilen! 

Offenbarung iſt das einzige Bedürfniß des Geiftes, denn das 
höchſte ift allemal das einzigfte Bedürfniß. 

Geiſt kann nur durch Offenbarung berührt werden, oder viel- 
mehr: alles wird zur Offenbarung an ihm. 

So muß fi der Geift fein Paradies begründen, — Nichts außer 
dem Geift. — Himmel und Seligfeit in ihm. — Wie hoch fteigt Be- 
geiftrung bis fie zum Himmel fich fteigert! 

Wenn das ganze Leben des Geiſtes Element wird, fo bat er 
Gewalt über ven Himmel. 

Der Schlüfjel zum höheren Leben ift vie Liebe, fie bereitet vor 
zur Freiheit. — Freiheit ift Geifterleben. 

Denten ift Infpiration der Freiheit. — 

Der hat Geifl, oder ift geiftig, der mit ſich feldft zufammen 
kommt. Inſpiration dringt darauf, daß der Menfch zu fich felbft 
fomme. — Wenn Du mid, begeifterft fo forderſt Du Dich felber von 
mir und meine Begeiftrung gebt darauf aus, Dich Dir felber zu geben. 
— Wahre Liebe giebt den Geliebten ſich felber. — Wie wahr ift dies, 
da ih Dich nur denken kann und doch Dir alles geben muß. 

















505 





Was ift Lieben? — Der Wächter auf der Zinne ruft die nahe 
Morgenftunde, Der regſame Geift ahnet ſchlummernd den Tag, er 
bricht aus feiner Traumwelt hervor, und der junge Tag umfängt ihn 
mit feinem Licht, — und das iſt die Gewalt der Liebe, daß alles 
Wirklichkeit ift was vorher Traum war, und daß ein göttlicher Geift 
dem in ber Liebe erwachten das Leben erleuchte wie der junge Tag 
dem aus der Traummwelt Erwachten. 

Liebe iſt Erkenntniß, und der ift Beſitz. 

Liegt der Saame in der Erde fo bevarf er ver Erde. Nun er 
zum Leben angeregt ift müßte er fterben wenn er ihr entnommen 
würde. In der Erde erft wandelt fi) ver Saame um ins Leben, und 
die Erde wird erft Geift im Saamen. — Wenn Du liebſt pringft Du 
and Licht wie der Saame, der in der Erde verborgen war. — Warum 
verbirgt die Natıır den Saamen im Schoof der Erde eh fie fein Leben 
an's Licht entläßt? — Auch das Leben liegt im geheimen Schooß des 
Geiftes verborgen, ehe es als Liebe an's Licht dringt. — Der Boden 
ans dem die Liebe entfteigt ift Geheimniß. 

Geheimniß iſt Inſtinkt ver Phantaſie; weſſen Geift dieſen Inftinft 
hat, der hat den befruchtenden Boden für den Saamen der Liebe. — 
Bhantafie iſt die freie Kunſt ver Wahrheit. 

Und bier wär ein gewaltiges mitzutheilen, wenn die Müdigkeit 
mic nicht überwältigte, e8 muß mir genügen, daß ich 8 empfinde, wie 
die Phantafie die Bermittlerin ift zwiichen der himmliſchen Weisheit 
und dem irdiſchen Geift. 

Jeder Gedanke hat Flügel und fliegt zu dem, der ihn eingiebt; 
jever Athemzug, ein Gedanke der zum Geltebten fliegt, nur was liebt, 
iſt Gedanke und fliegt. — Sa Gedanken find geiftige Vögel. 

Wenn ich nicht im Bett wär, fo fchrieb ich noch mehr, aber fo 
zieht mid) das Kopfkiſſen nieder. 

In Deinem arten iſt's fo ſchön! Alle meine Gedanken find 
Bienen, fie kommen aus Deinem duftenden Garten zum Fenſter herein- 
geflogen, das ich mir geöffnet habe und fegen da ihren Honig ab, den 
fie in Deinem blüthenreihen Garten gefammelt haben. — Und jo 





506 


fpät es ift, nach Mitternacht fchon, fo kommen fie doch noch einzeln 
und umfummen mich und weden mid aus dem Schlaf, und bie 
Bienen Deines Gartens und die Bienen Deines Geiftes ſummen 
unter einander. 

Liebe ift Erkenntniß, Schönheit ift das Geheimniß ihrer Erfennt- 
niß, und fo tief ift dies Geheimniß, daß es fi feinem mittheilt als 
nur dem Liebenden, Glaub's nur! keiner befigt das Geheimniß von 
Dir wie ich e8 beige, das heißt: Feiner liebt Dich wie ich Dich Liebe. 

Wieder ein Bienen! — Deine Schönheit ift Dein Leben 
— es wollte noch mehr jummen, aber der Wind jagte ed wieder zum 
Venfter hinaus. — Daß ih im Deinem Garten ſchlafe eine Nacht, 
das ift wohl ein guß Ereigniß. — Du haft oft bier herrliche Stunden 
verlebt, allein, und mit Freuden; und nun bin id allein Hier und 
denfe dem allen nad, und feh im Geift vem allen zu. Ach und wie 
ich heute, eh ich in's ftille verlafiene Haus eintrat, noch den Berg 
hinaufging zum oberften Baum, der jo mit mannigfadhem Grün um- 
wachſen ift, das all von Deiner Hand geleitet wurde, der feine Äſte 
ſchützend über den Stein verbreitet, in den die Weihe ver Erinnerung 
eingegraben tft! — Dort oben ftand ih ganz allein, ein wenig Mond⸗ 
licht ſtahl fih durch den Baum, ich fühlte an der Ninde des Baumes 
nad) den eingefchnittenen Buchftaben. Ach gute Nacht. — 

Stehle ich dem Schlaf noch länger die Träume, fo werben meine 
Gedanken Schänme. 


* 
* * 


Da oben ſah ih Dein Haus erleuchtet. Ich dachte: wenn Du 
bei diefem Licht meiner harrteft, und ich käm herab ven friſchen Mond⸗ 
ſcheinweg mit jo wohl worbereitetem Herzen, und ich träte ein bei Dir, 
wie freundlih Du mich aufnehmen würveft. Bis ich herab kam hatte 
mir meine Einbildungstraft weis gemacht, e8 könne möglich fein daß 
Du da feift, und obſchon ih wußte daß dies Licht allein in meiner 
Kammer brenne, denn ich hatte e8 ja felber angezündet, fo öffnete ich 














507 


doch mit Zagen die Thür; umd wie ich diefe ftille Einſamkeit gewahrte, 
auf dem Tiſch die getrodneten Pflanzen, und an den Wänden bie 
Steine und die Mufcheln, und die Schmetterlinge, und das erhabene 
Dunkel was mit den Strahlen der Lampe fpielte; und wie ich da ein- 
trat da blieb ich am Thürpfoften angelehnt ftehen umd holte erft Athen. 

Und num lieg ih in dieſem Bettchen zum Schlafen, e8 ift hart 
das Bett, ein einziger Strobfad und eine wollne Dede vrüber, und 
zum Zudecken eine graue Dede mit bunten Blumen, und fein Menſch 
weiß, daß ich Die Nacht Hier zubringe als nur Du. 

Irdiſche Jugend iſt bewußtlos, fie fteigt aus ihrer Knospe, ihre 
Entfaltung ift ihr Ziel. Bewußtfein der Jugend ift ſchon überfinnliche 
Iugend. 

In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich fehe fie alle, die 
golpne Tage, die ih in Dir verlebte, gekrönt ein jever mit wunder⸗ 
baren Blüthen. Stolz erhaben einher ſchreitend feurigen rajchen 
Geiſtes; unberührt, keuſch, vor der Gemeinheit ſich flüchtend, in höhere 
Regionen; ein milder Schimmer durdglänzt fie, e8 ift der Abendſchein 
Deines Lebens. Ad und der heutige Tag ift auch ein folder, er 
ſchließt fih an die Reihe der verfloffenen an, majeftätiih, triumphirend; 
ob zwar ich allein bin bier im verlaffenen Haus, ohne Einrichtung 
mich zu empfangen, bier find noch die Spuren des vergangenen 
Winters, 

Der Geift taucht unter in der Jugend als in einem Meer. 
Jugend wird fein Element, in ihm wird der Geift zur Liebe. Jugend 
bereitet den Geift vor zur Ewigkeit, die ewige Jugend ift. 

Ich glaub an Deine Gegenwart in dieſem einfamen Gemach, id) 
glaub, daß Du mich hörſt, mich empfindeft; ich jpreche mit Div. Du 
fragſt, ich antworte Dir. 

Jeder ſtrebt nad) Jugend, weil das Bedürfniß des Geiftes Ent- 
widlung in der Liebe ift. 

Nachdem ich ſchon ein Weilhen gefchlafen habe: 

Nichts ift dem Genius nen, alles ift ihm Element. In der Liebe 
ift einer dem andern Genius und wird einer dem andern Element. 





508 





Du bift mir Element und ich kann die Flügel regen in Dir, und 
das ift das einzige Erkennen, das einzige Empfinden, das einzige 
Haben. 

Und Du magft Di tauſendfach aus Dir berausfehnen, nie wirft 
Du Dich feldft finden als indem Du Did in einen andern ergießeft; 
nie wirft Du im Andern fein, als wenn er in Dir ift. 

Denken fieht und berührt, es ift innigfte Berührung mit dem 
Geiſt des Bedachten. 

Wenn der Geiſt zur Muſik wird dann wird Philoſophie zur 
Empfindung. 

Schon hundertmal hab ich mich in die graue Decke eingehüllt, 
und wollte ich ſchlafen ſo muß ich die Hand ausſtrecken um eine Zeile 
zu ſchreiben. 

Wenn es wahr iſt, daß es eine Magie des Lebens giebt, die ver⸗ 
möge der Selbſterleuchtung ſich erzeugt, wer wollte dann außer ihren 
Kreiſen ſtehen. 

Gute Nacht! — zu Deinen Füßen verſchlaf ich ſie. 

Ja ich will glauben, daß Du da biſt, und will keine Hand nach 
Dir ausſtrecken, damit ich Dich nicht verſcheuche, und doch berührſt Du 
mich, die Luft verändert ſich, der Schimmer der Lampe, die Schatten, 
alles gewinnt Bedeutung. 


Am 28. Auguft. 

Den übergehen wir mit Stilihweigen. Du bift mir von Ewig⸗ 
feit her. Wer wollte läugnen, daß die Sterne und regieren. Du warft 
ihrem Einfluß willig, und fo haben fie Dich zu fich erhoben, ich weiß 
alles: heimlich regieren fie Dich auch dag Du mir geneigt bift. Ich 
ſeh's an Deinen Blick Du bift mit mir zufrieven. Du ſagſt nichts, 
Du ſchließeſt Deine Lippen fo feſt als Habeft Du Furcht fie mögen 
gegen Deinen Willen plaudern. Goethe! es ift mir genügend was 
Dein Blid jagt, auch wenn er nicht auf mir weilt. Geſtern wie ich 














509: 





hinter Dir ftand und mit dem Papier rauſchte, da ſahſt Du Dich um, 
ich merkte e8 wohl; ich ging leiſe hinaus und ſchob die Thür nicht ganz 
zu, da ſah ich Dich raſch den Brief ergreifen, dann ging ich weg, ich 
wollte Dich nicht länger belaufen, mich überlief ein leiſes Fröſteln 
wie ich mir vorftellte, daß Du jegt Iefen werdeſt was ich zu Dir ges 
dacht Hatte im letzter Mitternacht, — Wie jelig Goethe! — denken: 
jest nimmt er dieſe Schmeicheleien auf, jetzt fpricht fein Geift freundlich 
nach was ich für ihn erdacht habe. Es ift ſchön was ih Dir fage, es 
find bie Kiebesgeifter, vie mit Dir ſprechen, fie umkreiſen jubelnd Dein 
Haupt. 

Weißt Du wie ich Did mir denke heute an Deinem Geburts- 
Tag? — Am Meeresfirand, auf golpnem Thronſeſſel im weißen 
wollnen Gewand, ven Purpur untergebreitet; in der Ferne die weißen 
Segel auf hoher See gefihwellt vom Wind raſch an einander vorüber⸗ 
fliedend, und Du, ruhend im Morgenlicht, gefrönt mit heiligem Laub, 
mich aber feh ich zu Deinen Füßen, mit der reinen Fluth die ih am 
Meer geihöpft, um fie zu waſchen. — So denk ich mich zu Deinem 
Dienft in taufend Bildern, und es tft als ſei dies die Neife meines 
Dafeins, 

Haft Du fhon in die untergehende Sonne gefehen, wenn fie ſchon 
milder leuchtet, jo daß ein ſcharfes Aug von ihrem Glanz nicht mehr 
geblendet wird? — haft Du da ſchon gefehen wie fi ihr eigen Bild 
von ihr ablöſt, und vor ihr am Horizont niedertaucht in die rothe 
Fluth, und nach dieſem Bild immer wieder ein anderes in leifen 
Brechungen der Strahlen Immer wieder fih anders färbt? — Meine 
Seele, wenn der gewaltige Glanz Deiner vollen Erſcheinung nicht 
mehr fo ſtark blendet, und die Ferne fanfte Schleier über Dich webt, 
fieht ſolche Bilder, die eins nad dem andern von Dir abftrahlen, fie 
tauchen alle unter im meiner Begeiftrung wie im Feuerſchooß der 
Natur, und ich kann mich nicht fättigen in dieſer ſchönen Fülle. 


* 
* * 


510 





Den 3. September. 

Ss müde wie ih war am fpäten Abend, fo feſt wie ich ſchlief am 
frühen Morgen hab ich drei Tage nicht gefchrieben. Du haft nicht nad) 
mir gefragt in diefer Zeit, und heut am Abend bin ich zum erftenmal 
hinausgegangen, und überlege bier auf der Bank, daß Du mid ver- 
gißt. Die Vögel find Thon gewohnt, daß ich Hier fite unbeweglich 
ſtill. — Wie iſt's doch fo wunderlich bier im fremden Land! — hier⸗ 
‚ber bin ich gefommen an ven verlafjenen Ort um tief in mich felbft zu 
verfinten. Da ſeh ih Bilder, Erimnerungen früherer Tage, die ſich 
an den heutigen anfchliegen. Heute wie fie in der frühen Morgen- 
fiunde vor dem römifhen Haus Muſik machten, und wie der Herzog 
bervortrat und die großen Hunde ungeduldig den Menſchen zuvor 
eilten und ibm an den Hals fprangen, das kam mir fo feterlih vor 
wie er ſich freundlich ihren ungeftümen Lieblofungen preis gab, und 
über fie hinaus dem Volk wintte, das ihn mit Sauchzen begrüßte. Da 
theilteft Du plögli Die Menge, das Vivat verdoppelte fich bei Deiner 
Erſcheinung; vie beiden hohen Freunde mit einander auf und ab» 
fchreiten zu fehen, hoch an Geift und Milde, das war dem Volk ein 
heilig Schaufptel, und fie fagten alle: welch feltnes Paar! — Und 
viel Schönes wurde von Euch geiprodhen, jede Eurer Bewegungen 
wurde beachtet: Er lächelt, er wendet ſich, der Herzog fügt 
jih auf ihn! fie reihen einander die Hände! jest laſſen 
fie fi nieder! — fo wieverholte das Volk mit heiligem Schauer 
alles was zwiſchen Euch beiden vorging. Ad mit Recht, denn aus 
Ener beider vereinten Liebe ging fein Glüd hervor, das wiſſen fie 
alle, und wie Ihr lange mit einander Rede führtet, da harıte bie 
Menge fchweigend, als ob der Seegen von Jahrhunderten anf es 
herabgerufen werde, Ich auch Goethe! — ich glaub dran, daß Euch 
beiden als Weſen höherer Gefchlechter Macht gegeben ift Segen für 
die Zukunft zu verfihern, denn in des Herzogs Bruft ift die Milde 
ihon lange als Frucht gereift, das Haft Du jelbft gejagt und Dein 
Geift ftrömt Licht aus, Licht der Weisheit, die Gnade ift und alles ge- 
deihen läßt. 


511 





Als Du weg warft da ließ der Herzog mich rufen, er fragte ob 
Du mich geſehen und begrüßt habeft, das mußte ich verneinen, denn 
Du hatteſt mich ja überfehen. Erimnerfi Du Did noch an jenen 
Geburtstag? — Am Abend wo ich hinter dem Pfeiler ftand, Du 
juchteft mich mit dem Bid, und fandeft mich auch, ach wie durchglühte 
das mein Herz, wie ich Dein Spähen belanfchte, da reichteft Du mir 
Dein Glas, daß ih draus trinken follte, und keiner merkte es in der 
Menge. — Beute bin ich allein, viele Tage find feitvem vergangen, 
dort liegt Dein Haus, ich Könnte zu Dir geben und Dich von Angeſicht 
zu Angeſicht ſehen, doch zieh ich's vor bier allein in Deinem Garten 
Dich zu beſchwören: o Hilf mir Dich denken, Dich empfinden, mein 
Glaube ift mein Zauberftab, durch ihm erfchaff ich meine Welt außer 
welcher mir alles fremd ift, und ich hege feine Zweifel, daß ich nur in 
ihr wirklich lebe. Mein Denken ift wunderthätig; ich fpreche mit Dir, 
ih ſeh in Dich hinein, mein Gebet ift, daß ich meinen Willen ftärke, 
Dich zu denken. 


In Goethes Garten. 


Die ganze Welt umber beleuchtet von einer Sonne! Du in mir 
allein beleuchtet, alle andre im Dunkel. Wie das die Liebe entflammt, 
wenn das Licht nur auf einen Gegenftand fällt. 

Das waren Deine Worte geftern: ich ſolle jchreiben und wenn 
e8 Folianten wären e8 fei Dir nicht zu viel. Ach und Du weißt Doch, 
dag meine Sprache nur-einen Heinen Umfang an Kenntniß hat. Daß 
ih zwar glaube jedesmal neu zu empfinden was ich Dir zu jagen habe, 
aber doch ift e8 ewig daſſelbe. Und Dir? ift e8 Dir nicht zu viel® — 
ich hab's verfucht, wie ein Maulwurf mid durch's eigne Herz gewählt, 
und babe gehofft einen Schat zu entdeden, der im Dunkeln leuchte, 
den wollte ich Dir heraufbringen, aber vergeblih! — Es find feine 
gewaltigen Dinge, die ih Dir zu fagen habe, es ift Nichts als nur 


512 





lieblich zu gefteben, und unmiverftehlich dieſes Nichts. Lieblofungen 
beftehen ja in der Mittheilung. — Wenn Du am Bad rubft unter 
duftigen Kräutern und die Libelle mit ihren kiftallnen Augen läßt fich 
auf Dir nieder, fie fächelt Deine Lippen mit ihren Ylügeln, wirft Du 
ihr bbſe? — Wenn ein Heiner Käfer an Deinem Gewand hinauf- 
klettert und endlich fich im Buſen verirrt, nennft Du das allzu keck? — 
das Heine Thierhen fo unbekannt mit dem ſchlagenden Herzen unter 
feinen Füßchen? — und ih! befannt mit diefem erhöhten Takt Deiner 
Gefühle, bin ich zu tadeln daß ih mich Dir an's Herz dränge? — 
Siehft Du! das ift alles was ich Dir zu fagen habe. — Der Abenv- 
wind eilt flüchtig über die Gräfer bis zu mir herab, die ih am Fuß 
des Hügels fige und daran denke wie ih Dir diefe Tolianten aus⸗ 
füllen ſoll. 


* 
* * 


Denk ih an Dich jo mag ich nicht am Boden weilen. Gleich regt 
Pſyche die Flügel, fie fühlt die irdiſche Schwere, fühlt fich befangen 
in mandhem was nicht zu ihrem himmliſchen Beruf gehört, das macht 
Schmerz, das macht wehmütbig. 

Das Licht der Weisheit leuchtet nur in uns ſelbſt. Was nicht 
innere Offenbarung ift wird nie Früchte der Erfenntniß tragen. Die 
Seele kommt fich felber entgegen in der Liebe, fie findet fih und 
nimmt fi auf im Geliebten; fo finde ih mid in Dir. Was kann mir 
beglüdenveres widerfahren? — und ift e8 ein Wunder, daß ich Deine 
Kniee umfaſſe? — Ich möchte Div alles mittheilen was ih von Dir 
lerne. — Wenn der Geift wäre, was das Wort wiederholen kann, fo 
hätte der Begriff einen Heinen Umfang. Es ift noch was anders Geift 
als was in dem Nek der Sprache gefangen wird. Geift ift das alles 
in fich verwandelnve Leben; auch Die Liebe muß Geift werden. Mein 
Geiſt ift fortwährend gefchäftig dieſe Liebe in ſich umzufegen, Daraus 
wird und muß mein unfterblich Leben hervorgehen oder ich geh unter. — 


* 
* * 





913 


Die Sonne geht unter, ihr Purpurzelt breitet ſich über Deinen 
Garten, ich ſitze hier allein und überſehe die Wege, die Du durch dieſe 
Auen geleitet haſt, alle ſind verlaſſen, nirgends wandelt Einer, — ſo 
einſam iſt's, ſo ganz bis in die Ferne, und ſo lange ſchon hab ich 
darauf gewartet alles ſoll ſchweigen, dann wollt ich mich beſinnen und 
mit Dir ſprechen — und jetzt fühl ich mich fo verzagt in der allmäch⸗ 
tigen Stille. — Den Bogel im Buſch hab ich verſcheucht, Die Glocken⸗ 
blumen fhlafen. Der Mond und der Abendftern winken einander, wo 
fol ich mich hinwenden? der Baum in deſſen Rinde Du manden 
Namen eingefchnitten haft ven hab ich verlaffen und bin herab gegangen 
zur Hausthür und hab die Stine auf das Schloß gelegt, das Deine 
Hand wie oft aufgebrüdt, und haft mit Freuden dageſeſſen und auch 
einfame Stunden verbradt. Du allein mit Deinem Genius haſt's 
nicht gefühlt das ſchauervolle der Einſamkeit, glorreih triumphirend 
im Wettgefühl der Empfindung und Begeiftrung gingen fie vorüber 
diefe ftillen Abende. O Goethe, was denkt Du von meiner Liebe? — 
die fo ewig an Dich heranbrauf't wie die Fluth an's Ufer, und möchte 
mit Dir fpredhen und Tann nichts jagen, als nur fenfzen. Ja! fage 
doch: was meinft Du das diefe Liebe will? — ich felber erftaune oft, 
wie erwachend aus dem Traum, daß diefer Traum herrfche über mich. 
Uber bald beuge ich mich wieder unter das Schattendach feiner Wöl- 
bungen, und fchmiege mich feinem Ylüftern, und lafje die Sinne be- 
wältigen durch das Flügelraufchen unbekannter Geifter. — Göttlich 
will ich fein! göttlich und groß wie Du, frei über den Menſchen nur 
in Deinem Lichte ftehend, nur von Dir verftanden, Pfeile will ich 
fenden: Gedanken, Dich follen fie treffen und keinen andern, Du follft 
ihre Schärfe prüfen und tin dieſem heimlichen Verkehr jollen meine 
Sinne gedeihen; fie follen herzhaft fein, geſund, rafch, freudig, ewig 
aufwärts, nicht ſinkend die Lebensgeifter, — ihrem Erzeuger zuftrömend. 

Es iſt Nacht, ich Schreib beim Sternenlicht. — Weisheit ift wie 

Ä ein Baum, der feine Äſte durch das ganze Firmament verbreitet, bie 
goldnen Früchte die ihr Gezweig zieren, find Sterne. Wenn nun eine 
Begierde ſich regt, die die Früchte vom Baum der Weisheit genießen 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 33 


514 


möchte? wie komme ich dazu dieje golpnen Früchte zu erlangen? — 
Die Sterne find Welten fagt man: ift ver Kuß nicht auch eine Welt? 
— und ift der Stern größer Deinem Auge als der Umfang eines 
Kufjes? — und ift der Kuß geringer Deinem Gefühl als das Um- 
faſſen einer Welt! — Drum: — die Weisheit ift Liebe! und ihre 
Früchte find Welten, und der täufcht fich nicht, der im Kuß eine Welt 
empfindet; ihm ift eine reife Frucht, eim an dem Lichte der Weisheit 
gereifter Stern in den Bufen gefunlen. — Der aber, Freund — der 
von folder Himmelskoſt genährt wird, zählt er noch für vollgültig 
unter ven Menfhen? — 

Ich gehe num fchlafen, die Stille der Nacht, die heimliche Zeit 
verwendet Pſyche um zu Dir zu dringen. Oft führt fie ver Traum 
zu Dir, fle findet Dich vielleicht durchkreuzt von taufend Gedanken, 
deren feiner ihrer erwähnt. Doch fie fenkt die Flügel und küßt den 
Staub Deimer Füße bis Dein Blick ſich ihr neigt. 


Auf diefem Hügel überjeh ich meine Welt! 
Hinab in's Thal, mit Raſen fanft begleitet, 
Bom Weg durchzogen, der hinüber leitet, 
Das weiße Hans inmitten aufgeftellt, 

Was iſt's worin fich hier der Sinn gefällt? 


Auf diefem Hügel überfeh ich meine Welt! 

Erſtieg ich auch der Länder fteilfte Höhen, 

Bon wo ich könnt' die Schiffe fahren ſehen 

Und Städte fern und nah von Bergen ftolz umftellt, 
Nichts iſt's was mir den Blick gefeflelt Hält. 


Auf dieſem Hügel überfeh ich meine Welt! 

Und könnt' ich Paradiefe überſchauen, 

Sch jehnte mich zurüd nach jenen Auen 

Wo Deines Daches Zinne meinem Blick fich ftellt, 
Denn ber allein umgrenzet meine Welt. 


— 


— 








515 





Gereimt und ungereimt fag id Dir dafjelbe, und Du ermübeft 
nicht mich anzuhören, Ich fie bier auf der Bank in der Dämmerung 
wo der finfende Tag vom aufgehenden Mond noch das Licht borgt, 
und freue mich meine Welt im Zwielicht zu überſchauen. Bor wenig 
Minuten lag alle noch im Sonnenglanz, da war ich unruhig ob ich 
bleiben oder gehen folle. est, feit ver Mond geftiegen ift, weiß ich 
daß ich bleibe, in jeinem Licht erfenn ih meine Welt, feine, 
Strahlen ziehen mich in ihren Zauberfreis, und was ich auch Unglaub- 
liches für wahr halte, das verneint er nicht wie das Sonnenlicht. Er 
ichmiegt ſich fchmeichelnd in ven Schooß der Thäler, und ich fühle 
deutlich wie fie ihn liebt, die Natur, und wie er ihr geneigt ift, der 
Mond. 

Wär ih Dir, was die ganze Natur dem Mond ift, der Xeben 
erregend in ihren Bulfen fpielt, ver leife Lüfte als Boten ausjendet, 
der die famenbeflodten Schwingen des Abendwindes niederbannt in's 
thauige Gras und feinem befruchtenden Licht ihre Kraft aufregt: dann 
wär mein ganzes Sein ein Empfängniß Deiner Schönheit. So viel 
Blüthen ſich ihm erfchließen, fo viel Schmeichelreden Dir von meinen 
Lippen fließen, fo viel Thautropfen in feinem Licht glänzen, jo viel 
Thränen der Luft fih ſammeln unter dem Einfluß Deines Geiftes. 


* 
* * 


Ich danke Dir, daß Du gekommen bift, e8 war jo grau und trüb, 
ich ſah mich in der weiten Gerne um, und dachte ſchon es würde mid 
überlommen wie das Wetter, wo jparfame Thränen aus den Wollen 
träufelten und der Himmel ſchwer und traurig war und viel püfterer 
ausſah als wenn es noch fo jehr geregnet hätte. — Da kamſt Du. — 
Du haft nichts gejagt vom Abſchied, und haft mich beſchämt, denn ich 
hatte e8 auf der Zunge zu Hagen, ja es war fchöner fo, daß wir nicht 
Abſchied nahmen, — wir beide nicht. — Wie hab ich diefe Zeit ver- 
bracht? — gar zu glüdlih! — das Gefühl Deiner Nähe hat jenen 
Athemzug bejeligt, das nenne ich mir Himmlifche Luft, — und Du? — 

33* 


516 


hab ih Dir auch nicht mißfallen? — Ach beihäme mich nicht, vergefie 
was Dir nicht zufagte, wenn ich manchmal zu heftig war, und Deine 
leiſen Winke nicht verftand. Meine leivenihaftlihen Stimmungen find 
ohne Anfprüde, fie find wie Muſik, auch die verlangt keinen irbifchen 
Beſitz, aber fie ftimmt den Geift, der ihr Gehör giebt zum Mitgefühl, 
zur Nachempfindung, ja klings in Deinen Ohren, in Deinem Herzen 
noch eine Weile nach, alles was ich Dir jagen durfte. Leidenſchaft ift 
Muſik, ein Wert höchſter Mächte, nicht außer fondern tief in ung, fie 
führt uns mit dem ivealifhen Ich zufammen, um deflentwillen der 
Geiſt in den Leib geboren ift: Dies Ich, das allein Leidenſchaft ent- 
zünden, fie geftalten und bilden fan. Der Menſch wird von der Be- 
‚geiftrung erzogen, das ganze irdiſche Leben verhält ſich dann zu dieſem 
Geiftigen wie der Boden zum Sruchtlorn, das aus ihm emporfteigt um 
taufendfältig zu tragen. 

Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was einmal zu Grunde 
geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob heute oder morgen, das ift 
einerlei; aber die Tiebe trägt alles zum himmliſchen Reich, fie ift all- 
umfaſſend alldurchdringend wie die Sonne, und doch bildet fie jeden 
geiftigen Reiz zu einem in ſich abgefchlofinen fich felber anheim gegebenen 
Eigenthum, fie bewegt den Geift daß er ganz eigenthämlich das Eigen- 
tbümliche faſſe. So macht's vie Liebe mit mir, in Dir werd ich meines 
Geiftes mächtig, — und Du? — das leuchtende Grün was der Baum 
in erneuter Frühlingskraft hervortreibt, das giebt Zeugniß, daß Die 
Sonne ihm in's Mark dringt. — Und Du bift erfrifcht durch dieſe 
Liebe, nicht wahr? — 

Wer Dich mit lerblihen Augen fieht und ſieht Dich nicht durch 
die Liebe, der ſieht Dich nicht, Du erjcheinft nur Durch fie dem Tiebenden 
beſchwörenden Geift. Je feuriger, je kräftiger die Beſchwörung: je 
herrlicher Deine Erſcheinung, je mächtiger Deine Einwirkung. Lieber 
Freund! meiner Beſchwörung Haft Du Did auf's innigfte vergegen- 
wärtigt, ich babe Dich in jedem Gedanken ald in einem magifchen 
Kreis umfaßt, und der Inhalt mag fein, welcher er wolle, Du durch⸗ 
walteft ihn, und wohnft in jeder Geftalt, die mein Geift ausipricht. — 


517 





Es ift wahr, Zauber ift Zauber, er hebt fich in fich felber auf, 
und darum leugnen fie feine Wirklichkeit; fie glauben: nur was finn- 
lichen Leib babe ſei wirklich, und ihnen muß Berftand nur als finnlicher 
Boden gelten. Das Werk Gottes aber ift Magie, die Liebe in unferer 
Bruft, die Unfterblichkeit, die Freiheit, find magiſche Erzeugnifje Gottes, 
fie werden nur durch die Kraft feiner Beſchwörung in uns erhalten, 
jein Hauch ift ihr Xeben, fie find unfer Element und in diefem ver: 
ewigen wir ung, und ob auch Zauber in's Nichts verſchwinden könnte, 
wie leicht! — fo ift er Doch die einzige Bafis der Wirklichkeit, denn er 
ift Wirkung des göttlichen Geiftes. 

Das Geborenwerben der göttlihen Natur in's irdiſche Leben, 
und fein Sterben im vorbereiteten Schmerz, ift magische Beſchwörungs⸗ 
formel. 

Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Übergang aus dem 
Nichts in's magifche Leben. 

Leben ift Schmerz, aber da wir nur foviel Xeben haben als unjer 
Geift verträgt, fo empfinden wir diefen Schmerz gleichgültig, wär unfer 
Geiſt ftark, fo wär ver ſtärkſte Schmerz die höchſte Wolluft. 

In meiner Liebe, ſei's Abſchied oder Willlomm, ſchwankt mein 
Geift immer zwifchen Luft und Schmerz, denn Du machſt meinen Geift 
ſtark und doch fann er's kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche ift 
immer ſchmerzlich, aber e8 ift leben. 

Jedes Aneignen im Geift ift ſchmerzlich, alles was wir erlernen, 
erfennen, macht ung Schmerz im Erwerben, fo wie es in uns über« 
gegangen ift fo hat es unfern Geift erhöht und befähigt, dies Leben 
kräftiger zu fallen, und was ung früher weh that, das wird jet Genuß. 

Die Kunft ift aud Magie, fie beſchwört auch den Geift in eine 
erhöhte fichtbare Erjcheinung, und der Geift geht auch über bie 
Schmerzensbrüde bis innerhalb des magiſchen Kreiſes. 

Genie ift der vorgreifende, wolluſtahnende, durftende Inftintt, 
fein Trieb überwindet das fehmerzliche Jagen und reizt den Geift zur 
ewig neuer Energie. — Je leivenfchaftlicher der Genius im Menjchen, 
jemehr wird ihm Seligkeit Bedürfniß, je gewaltiger überwindet er, je 


518 


gewifler ift er feiner Befriedigung; — dies bejaheſt Du mir. — Ich 
ftehe in meiner Liebe zu Div zwifchen dieſem Schmerz und dieſer 
genialifchen Begierde, die Trägheit meines Geiftes zu überwinden und 
Befeligung zu empfinden. Manchmal fühlt fi) der Geift ganz ver- 
laſſen, und ein Nichts nimmt die Stelle diefer entbufiaftiihen Be- 
geiftrung ein, und alles ift verſchwunden. Aber wie könnte ich mir Dies 
gefallen laſſen. Nein, Du mußt Dich erzaubern laſſen. Wenn Gott 
mich aus dem Nichts heroorberufen bat, wenn er mein Wefen gebildet 
bat als reinen Anſpruch an die Seligfeit, fo erwerb ich dieſe in ver 
Magie ver Liebe, und aus Bedürfniß, aus göttlich eingeprägter Sehn- 
ſucht nach dem Schönen erhebt ver Genius immer wieder die ermüdeten 
Tlügel und hält treu und feit dies Herz zu Deiner Wohnung und die 
Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich zu fallen und zu be 
feımen, alles wie Du bift m Deiner innern Weſenheit. 

Und wenn dies alles wahr ift was ich bier fage, und wir werben 
einft ung wiederſehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein 
Genie Deinem Geift gewachſen fein werde. 


%* 


An Goethe*). 
22. März 1832. 

Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag ich's und komme un- 
gerufen, unerwartet, wie manchmal fonft auf Demen Wegen. Im 
Böhmer Gebirg wo ich wie ein Stoßvogel auf Dem vorragenden Gefels 
über Dir hing, weißt Du noch? — und wie ih dann nieder Hetterte 
ganz erhitt, daß mir alle Adern im Kopf kopften, und wie Deine 
Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die Heinen Reiſer 
und Mooje aus meinen Flechten jammelteft, und legteft es ſanft neben 
Did auf den Sig? Du weißt's nicht mehr. Schaaren find an Dir 
oorübergezogen, die Dich begrüßten mit lauten Ehrenruf, Kränze 


*) Mit einer Gebirgslandichaft als Vignette. 








519 


haben fie vor Dir hergetragen, die Bahnen haben fie vor Dir ge- 
ſchwenkt, vie Könige kamen und berührten ven Saum Deines Mantels 
und braten Dir golpne Gefäße und legten Ehrenketten um Deine 
freie Bruſt. Du weißt's nicht mehr, daß ih Dir die gefammelten 
Blumen, die wilden Kräuter alle in den Bufen pflanzte und die Hand 
darauf legte um fie feiter zu prüden, Du weißt's nicht mehr, daß meine 
Hand gefangen lag inmitten Deiner Bruft, und daß Du mich den 
wilden Hopfen nannteft, der Wurzel fafle da, und dann hinauf fich 
ranke, und Dich überſchlinge und umwachſe, daß nichts mehr an Dir 
zu fennen fei als blos der wilde Hopfen. Steh in diefer Doppelwand 
von Fels⸗ und Bergesihluchten da hauf’t des Wieverhalles froher Auf; 
fieh meine Bruft ift eine fo kunftreich gebildete Doppelwand, daß ewig 
und ewig taufendfältig der freudige Schall fo füRer Mähre ſich durch⸗ 
kreuzt. Wo follte e8 ein Ende nehmen dies Reben jugenplicher Luft — 
es liegt ja bewahrt und umgeben vom reinften Enthuſiasmus — die 
Nahrung meiner Wiegezeit. Dein Hauch, dem der Gott Unfterblichkeit 
einblie, hat ja mir ven Athem der Begeiftrung eingeblafen. Laſſe es 
Dir gefallen, daß ich Dir noch einmal die Melodieen meiner ſchönſten 
Lebenswege vorfinge, und zwar tm begeifterten Rythmus des augen- 
blicklichen Genuſſes, wo bie Lebensquellen von Geift und Sinne inein⸗ 
anderftrömen, und ſo einander erhöhen, daß alles Bedeutung gewinne, 
daß nicht allein das Erfahrne fihtbar fühlbar werde, ſondern auch das 
Unſichtbare, Ungehörte erfannt und erhört werde. 

Sind's Pauken und Pofaunen, die feierlihen Jubelſchlag an die 
Wollen dröhnen? — find’8 Harfen und Zimpeln? — iſt's das Gewirr 
von taufend Inftrumenten, Das auf's Commandowort fi ordnen läßt, 
in reiner Linie Takt fich bildend wendet, die Sprache himmlifcher In⸗ 
fluenzen redet, einpringt m den Menfchengeift mit Farb und Licht, 
die Sinne mit dem Geift vermählt? — iſt's diefer Erzeugung Kraft, . 
die durch die Adern rinnt das Blut beſchwörend, das irdiſche auszu⸗ 
ftoßen und die reine Frucht himmliſcher Liebe, himmliſchen Lichtes zu 
nähren, zu gebären? — haft Du's nicht vollbracht in mir wenn es 
noch leuchtet in meiner Seele! — ja es leuchtet wenn ich ‘Deiner 


920 


gedenke; — oder find es nur Schallmeien finnig und wähnend, nur an 
Phantafie ftreifend, nicht von ihrer Offenbarung ergriffen, was id 
diefen Blättern zu vertrauen habe? — Was es auch fer! — bis in 
den Tod geleite mich der erften Liebe Mufil. Zu Deinen Füßen pflanze 
ich den Grundbaß ein, er wachſe Dir zum Palmenhain auf, in deſſen 
Schatten Du wandelt. Alles Liebe und Süße was Du mir gefagt 
baft, flüftre von Zweig zu Zweig wie leife Melodieen zwitfchernver 
Vögel; — die Küffe, vie Lieblofungen zwiſchen uns, feien die honig— 
triefenden Früchte dieſes Haines; das Element meines Lebens aber: 
die Harmonie mit Div, mit der Natur, mit Gott, aus deren Schooß 
die Fülle der Erzeugung fteigt, aufwärts an's Licht, in's Licht, im 
Tichte vergehen: das jei der Strom, der gewaltige, der diefen Hain 
umzingelt, ihn einſam macht mit mir umd Dir. 

Weißt Du’s noch wie Du in der Dämmerung mid, wieder bes 
ftellteft € — Du weißt nichts, ich weiß alles, ich bin das Blatt auf 
das die Erinnerung aller Seligfeit geäzt ft. Ya ich ging um Dein 
Haus herum und wartete auf die Dämmerung und dachte, wenn ich 
an die Pforte kam: „ob's wohl ſchon dunkel genug iſt? — und ob er 
dies wohl für die Dämmerung hält?” — und aus Furcht Deinen 
Befehl zu verfehlen ging ih noch einmal um das Haus, und wie ich 
nun eintrat da ſchmälteſt Du, daß ich zu ſpät gekommen, e8 ſei ſchon 
lange dämmerig, Du babeft lange ſchon auf mich gewartet. Dann 
liegeft Du Dir ein weißes wollne® Gewand bringen und zogſt das 
Tagskleid aus, und fagteft: „nun es gar Nacht geworben über dem 
Harren auf did, jo wollen wir recht nächtlich und bequem fein und 
recht feinwollig will ich gegen dich fein, venn du ſollſt mir heute beichten.” 
Da Tniete ih vor Dir auf dem Schemel und umfaßte Dih und Du 
mid. Da fagteft Du: „Vertrau mir do und fag mir alles was in 
Deinem Herzen Öewalt geübt hat, Du weißt ih hab Dich nie ver- 
rathen, kein Wort, kein Laut von dem was Deine Leidenſchaft zu mir 
geraft hat, ift je über meine Lippen gekommen, fo fag mir dod, denn 
es iſt nicht möglich, daß dein Herz diefe ganze Zeit über fo ruhig war, 
ſag mir doch wer war's, kenne ich ihn? — und wie war's? Was haft 











521 


Du noch alles gelernt und erfahren was ‘Dich meiner vergefien 
machte?“ — 

Damals lieber Freund fagte ih Dir die Wahrheit wie ih Dir 
betheuerte, daß mein Herz ganz ſtill geweſen fei, Daß nichts ſeitdem 
mich berührt habe, denn in demfelben Augenblid war mir alles Wahn 
gegen Dich, und bleiches Schattenbiln die ganze Welt, und abgeſchiednes 
todtes ſchien mir des Schickſals Roos in Deiner Nähe, ich konnte es 
fagen in vollem Bewußtfein, daß ih Deiner Schönheit gebunven fei, 
denn ih Jah Dich ja an. — Du aber ruhteft nicht und wollteſt durch» 
aus wiſſen die Geſchichte, die ich mich vergebens bemühte zu erfinden, 
denn ich ſchämte mich beinah, daß mir gar feine Liebesgeſchichte wider⸗ 
fahren war. Jetzt beſann ich mid) auf eine und wollte eben erzählen, 
und hub an: „Sa! aber glaube nicht, daß Dir die Xiebe in ven Weg 
gelommen, damals wandelte ih im Traum, jet wache ich wieder; 
hier im Mondſchein an Deiner Bruft weiß ich wer ich bin und was 
Du mir bift, wie ich nur Dir angehöre, wie Du mid) bezauberft; aber 
einmal” — da begann ich meine LFiebesgefchichte von ver ich nichts 
mehr weiß. Und Du, Herrlicher! ließeſt mich nicht weiter ſprechen und 
riefft: „Nein, nein! du bift mein? — du bift meine Muſe! — fein 
anderer fol jagen können, daß du ihm jo zugethan warſt wie mir, 
Daß er deiner Liebe fo verfihert war wie ich, ich Habe dich geliebt, ich 
habe dich geſchont, die Biene trägt nicht forgfältiger und behutfamer 
den Honig aus allen Büthen zufammen, wie ich aus deinen taufend- 
fältigen Ttebesergüffen mir Genuß ſammelte.“ — Da fielen meine 
Haarflechten nieder, Du nahmft fie und nannteft fie braune Schlangeu 
und ftedteft fie in Dein Gewand, und zogft jo meinen Kopf an Deine 
Bruft, an der ich von Ewigkeit zu Ewigkeit ruhen follte und des Den- 
fens und des Treibens mich überheben, das wär ſchön, dag wär wahr, 
das wär fo die rechte ſüße Faulheit meines Dafeins, das ift Die Bara- 
diefesfrucht nad) der ich ſchmachte, ruhen und fchlafen in dem Bemwußt- 
fein, daß ich dem Herrlichften nahe bin. 


%* 


522 


An meinen Freund. 


Sp weit hatte id) geftern gefchrieben, dann ging ich Abends ſpät 
noch in Geſellſchaft, ih Hatte ven Vorſatz gefaßt alles Liebliche und 
Tiefbedeutende was ich mit Goethe erlebt, ihm in einem Cyelus ſolcher 
Briefe noch einmal darzulegen; jett ſtand mir alles jo Mar und veut- 
ih wor Augen als wenn mir's eben erft widerfahren wäre. Meine 
Geele war tief bewegt von dieſen Erinnerungen und fern den Menſchen 
wie der Mond wenn er jenjetts iſt. Bet ſolchen Stimmungen bin ich 
immer auf eine fonderbare Spitze gehoben, nämlich zum Übermuth. — 
Man war in der Gefellihaft fchon von Goethes Tode unterrichtet, 
ich erzählte, daß ich eben nach Jahren zum erftenmal wieder an ihn 
geſchrieben, fie machten alle trübe Geſichter aber feiner theilte mir die 
Nachricht mit. Nachts um ein Uhr nah Haus; die Zeitung lag an 
meinem Bett, ich las die Anzeige feines Todes, ih war allein, ich 
brauchte feinem Red und Antwort zu geben über mein Gefühl, ich 
fonnte fo rubig dabei fein und entgegen fehen allem was e8 mir brin- 
gen werde; da war's ganz deutlich, daß dieſe Liebesquelle mir nicht 
verfiegt ſei mit dem Tod, ich fchlief ein und träumte von ihm und er- 
wachte um mich zu freuen, daß ich ihn eben im Traum gejehen, und 
ich jchlief wieder ein um weiter von ihm zu träumen, und fo verging 
mir dieſe Nacht voll ſüßem Troft, und ich war gewiß fein Geift habe 
fih mit mir verjöhnt und nichts ſei mir verloren. 

Wem follte ih nun wohl dies verwaif'te Blatt vererben als dem 
Freund, der mit fo innigem Antheil mich von ihm fprechen hörte, und 
wenn es ihm auch nur wär was ein falbes Blatt ift, das der Wind 
vor feinen Füßen hinwirbelt, er wird doch erfennen, daß e8 am edlen 
Stamm gewachſen iſt. — 

Ich will den Ausgang jenes Abends mit Goethe hier auser⸗ 
zählen: Als ich weg ging begleitete er mit der Kerze mich ing zweite 
Zimmer, indem er mich umfaßte fiel das brennende Licht an Die Erde, 
ich wollte e& aufheben, er aber litt es nicht. Laß es liegen, jagte er, 
e8 fol mir ein Maal in ven Boden brennen wo ich dich zulegt gejehen 


523 


babe, fo oft ich dran vorüber gehe will ich deiner lieben Erſcheinung 
gedenken. Bleib mir treu, bleib mein, fagte er; fo küßte er mich auf 
die Stirn und ſchob mich zur Thür hinaus, 

Wäre es nicht unrecht, daß am Feſt der Derklärung vie Nebel 
geheimer Vorwürfe aufftiegen und den fonnenhellen Horizont ver- 
dunfelten, jo würde ich dem Freund bier verklagen, grade die von der 
er weiß, daß fie gern rein und frei von jedem Fehl in ver Liebe er- 
ſcheinen möchte, ja dies befhämte Herz! ſieh wie groß feine Vergehen 
find gegen die Liebe, der nicht blos ein Zweig vom heiligen Baum des 
Ruhms anvertraut war, nein, der Baum felbft, der diefe Sproſſen 
fih ewig verjüngend treibt, war ihr zur Pflege befohlen, und fie bat 
jein nicht geachtet, ift nicht geblieben im Schutze dieſes Baumes, der 
ohne fie fortgrünte. 


An Goethe. 


Aufgefahren gen Himmel! vie Welt leer, die Zriften öde, denn 
gewiß iſt's, dag Dein Fuß hier nicht mehr wandert. Mag auch Sonnen- 
ſchein die Wipfel jener Bäume beglängen, die Du gepflanzt haft! Mag 
fih das Gewölk theilen und der blaue Himmel ſich ihnen aufthun: fie 
wachſen nicht hinein; aber die Liebe? — wie wär's wenn die, ihre 
Blüthenfrone da oben als Teppich zu Deinen Füßen ausbreite? Wenn 
fie hinaufftrebte fort und fort, bis ihr Wipfel anftieß an den Schemel 
Deiner Füße, und dort alle Blüthen entfaltend, ihren Duft um Did) 
ſchwenkend: — wär das nicht auch zu den Himmelsfreuden zu zählen? 
— Ich hab Vertrauen, daß Du mich hörſt, daß mein Ruf aufwärts 
gehe zu Dir. — Hier auf Erven da war's nicht möglich. Das Markt- 
gewühl des alltäglichen Lebens Tieß die Sehnſucht nicht durchdringen, 
feine einfame vertrauliche Zeit kam ihr zu Hülfe, ich felbft fagte mir 
bundertmal: es ift alles verloren. — Herr! der mich hört, dem ich 
vertraue, daß er mich höre: gieb Antwort. — Seit fie Dich todt jagen 


524 


Hopft mir da8 Herz vor heimliher Erwartung. Es ift als hättet Du 
mich dahin beftellt um mich zu überrafchen wie fonft im Garten, wo 
Du aus umbufchten Nebenwegen hervortratit, den reifen Apfel in der 
Hand, den ich dann vor Dir herwarf, um Did den Weg zu Ienfen in 
die Laube, wo Die große Kugel am Boden lag. Da fagtelt Du: „Da 
liegt die Welt zu deinen Füßen, und doch liegft du mir zu Fügen.” — 
Ja die Welt und ich, wir lagen zu Deinen Füßen, jene kalte Welt über 
der erhaben Du ftandeft, und ich, die zu Dir hinauf ftrebte. So kam's 
auch: die Welt blieb Tiegen und mic zogft Du an’8 Herz. An Deinem 
Herzen, mein Sreund, das warn fchlug, wer kann ermefjen wie felig 
das war. Herr! ift Das alles wieder zu erwerben, mit ſüßem Bewußt- 
jein noch einmal zu durchleben? — 

D der falſchen Welt, die uns trennte und mich wegführte, mich 
armes blindes Kind von meinem Herın. Was hab ich gefuht? — 
was hab ich gefunden? — wer hat mid) freudig angelächelt? — Wellen 
Umarmung hab ih ausgefüllt mit der liebenden Gewißheit, daß er 
nicht8 feligeres umfaſſen könne? — Du warft zufrieden mit mir, Did) 
freute e8 zu ſehen wie aus dem Rinverherzen die Duelle der Be- 
geiftrung für Dich hervorbrach, warum mußte diefe Duelle verfiegen? 
— konnte, jollte nicht der ganze Lebensſtrom Deinem Lächeln, Deinem 
Grüßen und Niden dahinfliegen® — Wo war es ſchön als nur bet 
Dirt — Du fannteft die Örazien, ihr ferner Schritt ſchon gab ven 
Rhythmus Deiner Begetfterung. — Das ftille Feuer Deiner dunklen 
Augen, die Ruhe Deiner Glieder, Dein kindlich Lächeln zu meiner Lift 
im Erzählen, Deine gelehrige Andacht für meine Begeiftrung. Ja und 
Du ſenkteſt Dein heilig Haupt zu mir herab und ſahſt mich an, Die ich 
geweiht war durch Deine Nähe. 


* * 


An den Freund. 


Vielleicht verjcherz ich Dein bischen Andacht zu mir, daß ih Dich 
jo tief in ven Schacht meines Herzens einjente wo es fo wunderlich 


— — — lo 


525 


hergeht, daß die Leute ſagen würden es ſei Narrheit. — Ja Narrheit 
iſt die rechte Scheidewand zwiſchen dem ewig Unſterblichen und dem 
zeitlich Vergänglichen. Es ſcheue keiner die irdiſchen Gewande zu ver⸗ 
ſehren am göttlichen Feuer. Du biſt mein Freund oder biſt Du's auch 
nicht, ich weiß es nicht, immer muß ich Dich ſo annehmen, da Du 
mitten im Geheimniß meiner Bruſt ſtehſt wie ein Pfeiler an den ich 
mich anlehne, und wie der gewandte Schwimmer von gefährlicher Höhe 
fih in die Fluthen ſtürzt vor ſolchen Augen, denen er feine Kühnheit 
bewähren möchte, fo wage ich, weil Du mir Zeuge bift diefen dämo— 
nifhen Gewalten mich anheim zu geben, dieſe Thränenfluth in der ich 
ſpiele, diefe Frühlingsbegeiftrung meiner Liebeszeit zu Goethe und die 
Vorwürfe, die in mir auffteigen würden mir das Herz zerreigen wenn 
ich nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände was ich hier 
ausſpreche. 

Der letzte Act der Blüthezeit iſt, daß ſie ihren befruchtenden 
Staub mit dem Samen in ihrem Kelch miſche, dann tragen die Lüfte 
ſich ſpielend mit ihren gelöſten Blättern und gaukeln eine Weile mit 
dem Schmuck der Begeiſtrung. Bald ſieht kein Auge mehr von ihrem 
Glanz, ihre Zeit iſt vorüber; der Same aber quillt und offenbart in 
der Frucht das Geheimniß der Erzeugung. Vielleicht wenn dieſe Blätter 
der Begeiſtrung vom Stamme gelöft dahin wirbeln und wie jene 
fleinen Blüthenkronen, nachdem fie ihren Duft ausgehaudht, vom 
irdiſchen Staub beſchwert, flügellahm ſich endlich unter die Erbe betten, 
daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem fie duften, auch quillt 
und der Segen diefer ſchönen Liebe zwilchen dem Dichter und dem 
Kinde fih an jeinem Geift bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, 
deren Abbilv in feinen edlen Zügen ſich malt. 


+ 
* * 


An Goethe. 


Wie begierig nad) Liebe warft Du! wie begierig warft Du ge 
liebt zu ſein! — „Nicht wahr, Du liebft mich * nicht wahr, es ift Dein 


526 


Ernft, Du betrügft mich nicht" — fo fragteft Du, und ich fah Dich 
an und ſchwieg. „Ich bin Leicht zu betrügen, mich fann jeder betrügen, 
betrüge mich nicht, mir ift lieber die Wahrheit und wenn fie auch 
fhmerzt, als daR ich umgangen werde.” Wenn id Dann aufgeregt 
durch ſolche Reden Div mein Herz ausſprach, da fngteft Du: „Ia du 
bift wahr, fo was kann nur die Liebe Tagen.“ — Goethe hör mid) an! 
— Heute fpricht auch die Liebe aus mir; heute am breißigften März, 
acht Tage nach den, weldhen man als ven Tag Deines Todes bes 
zeichnet, feit welhem Tag alle Deine Rechte mir im Buſen fich geltend 
machen als läg ich noch zu Deinen Füßen, heute will die Liebe Dir 
Hagen: Du! oben — über den Wollen, nicht getrübt durch ihre 
Schwere, nicht geftört durch ihre Thränen; können Klagen in Dem 
Ohr dringen? — O löſe meine Klagen auf, und erlöfe mich, made 
mich frei von dieſer Sehnfucht erkannt zu werben und daß man meiner 
auch bedürfen möge, — haft Du nicht mich erkannt? — ja mit prophe- 
tiſcher Stimme ſchlummernde Kräfte der Begeiftrung in mir gewedt, 
bie mir ewige Jugend zufagen, die mid weit über die Fähigkeit ver 
Menſchen fih mir zu nähern hinwegtragen? Haft Du mir nicht reich 
lich erſetzt im erften Einklang mit meinem Herzen, alles was je mir 
fonnte entzogen werden? Du, an den zu denken mir leiſes Gewittern 
im Herzen erregt, wo's gleich eleftrifh ſchauert durch den Geift, wo 
gleih Schlummer befällt das äußere Leben, — und feine Erkenntniß 
mehr von den Anfprühen der äußeren Welt. — Wer bat je mein 
Herz gefragt * — wer hat fich geneigt zur Blume, um ihre Farbe zu 
erfennen und ihren Duft zu athmen? — wen hätte der Klang meiner 
Stimme (von der Du fagteft: Du fühleft was Echo fühlen müfle, 
wenn die Stimme eines Liebenden an ihrer Bruft wieverhalle) eine 
Ahnung gegeben, welche Geheimnifje kraft Deiner dichteriſchen Seg- 
nungen fie auszujprechen vermöge. D Goethe! Du allein haft den 
Schemel Deiner Füße mir hingerädt, und mir erlaubt in Deiner Nähe 
meine Begeiftrung auszuftrömen. — Was jammere ich denn? — daß 
es fo ftill ift um mich? — daß ich fo einfam Bin? — nun wohl! — 
in diefer einfamen Weite, wenn es ein Wieverhall meiner Gefühle 





527 





giebt, kannſt nur Du e8 fein, wenn eime Tröſtung mir zuweht aus 
freier Luft, fo ift e8 der Athem Deines Geiftes. Wer würde auch ver- 
ftehen was wir bier miteinander |prechen, wer würde fich feierlich fügen 
dem Geſpräch Deines Geiftes mit mir. — Goethe! — Es ift nicht 
mehr ſüß, unfer Zufammenjein! es ift fein Kofen, kein Scherzen; die 
Grazien räumen nicht mehr um ‘Dich her auf und ordnen jede Liebes» 
laune, jeve Spielerei des Witzes zu heiteren Gedichten. — Die Küſſe, 
dieSeufzer, Thränen und Lächeln jagen und neden einander nicht mehr, 
es ift feterliche Stille, e8 ift feierliche Wehmuth, die mich ganz durchgreift. 
In meiner Bruft ordnen fich Die Harmonieen, dieTonarten löſen fi von 
einander, jede fühlt Die Organe ihrer Verwandtſchaften in fich mächtig 
und was fie vermag. So ift e8 in meiner Bruft, weil ichs wage mid) 
vor Dich zu ftellen, mitten in Deinen Weg, den Du eilend durdhjagit, 
und Dich zu fragen: Kennft Du mid noch? — die außer Dir niemand 
kennt? — Siehe in mitten dieſer Bruft fteht der reine Kelch der Liebe, 
gefüllt bis zum Rand mit herbem Tran, mit bitteren Thränen ſchmerz⸗ 
lichen Entbehrens. Wenn die Harmonieen übergehen in einander dann 
wird der Kelch erfchättert, dann firömen die Thränen; fie fließen Di, 
der Du die Zodtenopfer liebſt, der Du fagteft: „Unfterblich fein, 
um nad dem Tode taujendfah in jedem Buſen zu er 
wachen.“ Ja! damals wollte ih: allein in meinem Bufen follteft 
Du erwachen; ımd es ift wahr geworben und dicht Hinter mir um 
Dir ift das Leben abgefchloffen. Ach ich bin Deiner heiligen Gegen- 
wart nicht gewachſen, ich wage zu viel und ſtürze zufammen und fehne 
mich nad) einer Bruft die lebt unter den Lebenden, die meine Geheim- 
nifje aufnimmt und mid wärmt; denn: vor Dir ftehen gtebt ſchauer⸗ 
Ihe Kälte; und die Hände muß ich ringen, daß ich Deiner fo ver- 
innigt zu denken wage. Nein! — nicht Dich rufen! — nicht die Hände 
nad Dir ausftreden, in diefer ſeltſamen ſchauerlichen Stunde nad, 
Div forjchen über den Sternen, binauffehen, Deinen Namen rufen? 
— ih wage e8 nit! — D ich fürchte mih! — beſſer beſcheiden ven 
Blick jenfen auf das Grab was Dich det; Blumen fammeln, fie Dir 
binftreuen, ja die füßen Blumen der Erinnerung alle wollen wir 


528 


— 





ſammeln, ſie duften ſo geiſtig, mag ſie einer bewahren zu Deinem und 
meinem Gedenken, oder mag ſie der Zufall verwehen, einmal will ich 
die ſüßen Geſchichten der Vergangenheit noch durchgehen. 

Heute erzähle ich Dir wie Du mich in dunkler Nacht unbekannte 
Wege führteſt, das war in Weimar auf dem Marft als wir an eine 
Treppe famen und Du zuerft niederftiegt und als ich unficher, zu 
folgen verfuchte, nich in Deinen Mantel gehüllt dahin trugft; Herr! 
iſt es wahr? — haft mich in beiten Armen ſchwebend getragen? wie 
ſchön warft Du da, wie groß und edel, wie leuchtete Dein durch⸗ 
dringender Blick dunkel im Glanz der Sterne mid an. Da oben mit 
beiven Armen Dich umſchlingend wie war ich jelig! wie lächelteft Dur, 
daß ich jo felig war, wie freute es Dich, daß Du mich hatteſt, über 
Dir ſchwebend mich trugft, wie freute ich mich, und dann ſchwang ich 
mich hinüber auf die rechte Schulter um die Linke nicht zu ermüden. 
Du ließt mid) Durch die erleuchteten Fenſter ſehen, eine Reihe frievlicher 
Abende von Alt und Jung, bei Lampenſchein over bei hellem Küchen⸗ 
feuer, auch der Heine Hund und das Kätchen waren dabei. Du 
fagteft: „ift das nicht eine allerliebfte Bildergalerie?" — jo famen 
wir von einer Wohnung zur andern aus den finftern Straßen hervor 
unter die hohen Bäume, ich reichte an die Afte, da rauſchten die Vögel 
auf, da freuten wir und, wir beide, — Rinder ih und Du. Und nun? 
— Du ein Geift, aufgefahren zu den Himmeln, und ih? — uner- 
leuchtet, unerfüllt, unerwartet, unverftanden, ungeliebt, ja fie könnten 
mid) fragen: wer bit du und was willit du? und wenn ich Antwort 
gäbe würden fie fagen: wir verftehen dich nicht. Du aber erlannteft 
nich und öffneteft mir die Arme und das Herz und jede Frage war 
gelöft und jeder Schmerz beſchwichtigt. — Dort im Park zu Weimar 
gingen wir Hand in Hand unter den vichtbelaubten Bäumen, das 
Mondlicht fiel ein, Du gabft mir viele ſüße Namen, es Hingt nod in 
meinen Ohren: lieb Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu 
wien wie ih Div heiße, dann führteft Du mid an die Quelle, fie 
kam mitten aus dem Raſen hervor, wie eine grüne kryſtallne Kugel, 
da flanden wir eine Weile und hörten ihrem Getön zu, „fie ruft der 





ren 


Tr. 
“un. 


— 


529 


Nachtigall” ſagteſt Du, „venn die heißt auf perſiſch Bulbul, fie ruft 
dich, du bift meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.“ Dann gingen wir 
nad Haufe, ich ſaß an Deiner Seite, da war's jo ftille, nah an 
Deinem Herzen; ich hörte e8 Hopfen, ich hörte Dich athmen, Da 
lauſchte ich, und hatte Feine Gedanken als blos Deinem Leben zuzu- 
bören. — O Du! — bier fang nach Mitternacht, allein mit Dir im 
Angedenken jener Stunde vor vielen Jahren, durchdrungen von Deiner 
Liebe, daß meine Thränen fließen; und. Du! nicht auf Erben, jenfeits ! 
— wo id Dich nicht mehr erreihe. — Ya, Thrünen! — alles um- 
ſonſt. — So verging die Zeit an Deiner Bruft, feine Ahnung, daß 
fie verging, es war alles für die Ewigkeit eingerichtet. Dämmerung 
— die Lampe warf einen ungewifjen Schein an die Dede, die Flamme 
Inifterte und leuchtete auf, das weckte Dich ans Deinem tiefen Sinnen, 
— Du wendeteft Dich nach mir und fahft mich lange an, dann lehnteft 
Du mid fanft aus Deinen Armen und fagteft: „Ich will gehen, ſieh 
wie unfiher das Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der 
Dede fpielt, grade fo unficher brennt eine Flamme in meiner Bruft, 
ih bin ihrer nicht gewiß, ob fie nicht auflodere, und Dich und mich 
verjehbre. Du drüdteft meine Hände, Du gingft ohne mich zu küſſen. 
Ich blieb allein; erft, wie es fonverbar mit Liebenden ift, war ich 
ruhig, ich fühlte mi von Glanz umgeben und von Glanz erfüllt, 
aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz, daß Du gegangen warſt. 
Wem follte ich's Klagen, daß ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor 
den Spiegel, da ſah mein blaſſes Antlig heraus, jo ſchmerzlich ſah 
das Auge mich an, daß ih vor Mitleiv gegen mich felbft in Thränen 
ausbrach. | 


%* 
* * 


Dem Freund. 


Es ift als ob jeder Athemzug ſich wieder aus der Vergangenheit 
erhebe, was ich vergefien zu haben glaubte greift mit Macht in mich 
ein, und erregt auf's neue das Feuer verhaltner Schmerzen. 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinbe. 34 





530 


So weit babe ich in der Nacht gejchrieben, heut am Tag fchreibe 
ih noch als pfychologiſche Merkwürbigfeit her auf welche wunderbare 
Weiſe ich mich befchtwichtigte, wie die geängftete mit aller Willenskraft 
der Jugend ansgerüftete Seele fih half. — Auf dem Tiſch vor dem 
Spiegel Inieend, bei dem ıimfiheren Flackern ver Nachtlampe, Hülfe 
fuchend im eignen Auge, das mir mit Thränen antwortete, die Lippen 
zudten, die Hände fo feftgefaltet auf der Bruft, die bebrängt, erfüllt 
war von Seufzern. Siehe da! — Wie oft hatte ich gewünſcht auch 
einmal vor ihm feine eigne ‘Dichtung ausfpredhen zu duͤrfen, plötzlich 
fielen mir die großen gewaltigen Eichen ein, wie die vor wenig Stun- 
den im Mondlicht über uns geraufcht hatten, und zugleich der Monolog 
der Iphygenia auf Taurts, der fo begimmt: „Heraus in eure Schatten, 
rege Wipfel, des alten heiligen dichtbelaubten Haines.“ — Ich fand 
aufrecht vor dem Spiegel, e8 war mir als ob Goethe zuhöre, ich fagte 
den ganzen Monolog ber, laut, mit einer gewiß zum höchſten Grab 
des Runftgefühls gefteigerten Begeiftrung. Oft mußte ich inne halten, 
das leiſe verhaltne Beben der Stimme gab mir die Pauſen ein, vie 
in dieſem Monolog jo weſentlich find, weil unmöglich die nach allen 
Seiten ſich ſcharfrichtenden Blide auf Zukunft, Vergangenheit und 
Gegenwart, die feinen Inhalt ausmachen, alles in einem ununter- 
brochnen Lauf auffaflen können. Meine Rührung, mein tief von 
Goethes Geift erſchütterter Geift, waren alfo Veranlaflung mein dra- 
matifches Kunftgefühl zu fteigern; ich empfand deutlich die Begeiftrung 
der Begeiftrung. — Ich fühlte mich wie in einer Wolle gebettet auf- 
wärts ſchwebend, eine göttliche Gewalt trieb dieſe Wolle entgegen dem 
Erjehnten und zwar in der Verklärung feines eignen Werkes welche 
ihönere Apotheoje feiner Einwirkung auf mich, war zu erleben? — fo 
waren denn alle Schmerzen der Sehnſucht gelöft in freudiges Flügel⸗ 
rauſchen des Geiftes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der 
Sonne zuwinkt, ohne fih empor zu ſchwingen, und im Gefühl feiner 
Kraft fie auf ihre Bahn zu verfolgen fich genügen läßt: fo war ich, 
heiter und froh. — Ich ging zu Bett und der Schlaf fiel über mid, 
ber wie ein erquidender Gewitterregen. 








531 


So ift von jeher und bis auf die heutige Stunde alles unbe⸗ 
frienigte Begehren durch Kunftgefühl anfgelöft worden. Jedes in der 
heiligen Natur begründete finnliche Gefühl, alle unbefriedigte Leiden⸗ 
haft fteigert ſich fhon hier zu der Sehnſucht, Überzugehen in eine 
höhere Welt, wo das Sinnliche auch Geift wird. 


%* 
% * 


Ih danke Dir Freund, daß ich Dir alles fagen darf, unter allen 
Menſchen weiß ich keinen zweiten, dem ich dieſe Blätter hätte ver- 
trauen mögen, ich will nicht zweifeln, daß Du ihren Werth erfennft, 
fie enthalten das Heiligthum won Goethes Pietät, aus der fein unend- 
licher Genius hervorgegangen wear, der den Feuergeiſt des Lieblings 
ſanft zu lenken verftand, daß er fich ſtets glücklich fühlte und in voll» 
kommner Harmonie mit ihm. Mein Freund! — Dir iſt's gefchentt, 
das zu Tage komme was jonft nie, nicht einmal in meinen einfamen 
Träumen fi) wiederholt haben dürfte. Ich kann nicht über mich felbft 
entſcheiden was in mir vorgehe, ich fühle mich in einem magiſchen 
Kreis von Wunderwahrheiten eingeſchloſſen, durch viefe tiefen Er⸗ 
innerungen, jo daß ich fogar das Wehen der Luft von Damals mit zu 
empfinden glaube, daß ich mich umfehe als fände er hinter mir und 
daß ich jeden Augenblid empfinde wie durch die Berührung des irdiſchen 
Geiſtes von einem himmliſchen überirdiſchen Geift, alles Denken in 
mir entiteht. So will ich denn mein inniges Zutrauen zu Dir nicht 
verlieren, und troß ſchauerlichen Nachtgefpenftern, die Du mir entgegen 
ſcheuchſt, vennod fortfahren Dir mitzutheilen, wozu nur erprobte Treue 
berechtigt. 


* * 


Bon ungemefner Höhe firömt das Licht der Sterne herab zur 
Erde, und die Erde ergränt und blüht in tanfend Blumen den Sternen 
entgegen. Der Geift der Liebe ſtrömt auch aus ungemehner göttlicher 

34* 


532 





Höhe herab in die Bruft, und dieſem Geift entgegen, lächeln auch vie 
Liebkoſungen eines blühenden Yrühlingd empor. Du! wie ſich's Die 
Sterne gefallen laſſen, daß ihr Wiederſchein am frijch begrünten Boden 
im goldnen Blumenfeld erblüßn, fo laſſe auch Dir es gefallen, daß 
Dein höherer Geift Dir taufenvfältige Blüthen der Empfindung aus 
meiner Bruft hervorrufe. Ewige Träume umfpimnen die Bruft, 
Träume find Schäume, ja fie ſchäumen und braufen die Lebensfluth 
bimmelan. Sieh, er fommt! — ungeheure Stille in der weiten 
Natur, — es regt ſich Fein Lüftchen, es regt fih kein Gedanke; 
willenlos zu ſeinen Füßen der ihm gebundne Geiſt. — Kann ich 
lieben, — ihn, der ſo erhaben über mir ſteht? — Welt, wie biſt Du 
enge? — Nicht einmal dehnt der Geiſt die Flügel, fo breitet er fie 
weit über Deine Grenze. Ich verlafje Wald und Aue, ven Spielplag 
feiner Dichterifchen Luft, ich glaubte den Saum feines Gewandes zu 
berühren, — id) ftredte die Hände aus nad ihm! — es war mir als 
fühle ich feine Gegenwart im blendenden Schimmer, ver fidh zwifchen 
Thränen malt. — Es ift ja ein fo einfacher Weg zwifchen ven Wolfen 
durch, warum fol ich ihn nicht kühn wandeln? — fiehe, der Ather 
trägt mich fo gut wie der Raſen, — ich eile ihm nad), wenn ich ihn 
auch nicht erreiche, kurz vor mir ift Er diefen Wollenfleig gewandelt, 
fein Athem verträgt fich noch mit dem Luftftrom, mag ich ihn Doch 
trinten. 

Nimm mich zurüd, Hilf mir herab, — das Herz bricht mir, ja 
das Herz ift nicht ſtark genug die leivenfhaftliche Gewalt, Die ſich über 
die Grenze bäumt, zu tragen. Führ mich zurüd auf vie Ebne, wo 
mein Genius mich Ihm einft entgegen führte in der blühenven Zeit 
zwilchen Kindheit und Jugend, wo ſich der Augenftern zum erftenmal 
zum Licht erhob, und wo Er mit vollen Strahlen mir ven Blid ein- 
nahm und jedes andre Licht mir wegbuntelte, 


%* 
%* %* 
O komm berein wie Du zum erftenmal famft vor das Antlitz 
des erblafienden verftummten dem Verhängniß der Liebe folgenden 


533 


Kindes, wie es da zufammenfant, da es das Richtſchwert in Deinen 
Augen bligen jah, wie Du es auffingft in Deinen Armen. Die feit 
Jahren gefteigerte Sehnſucht nah Dir mit einemmale löſend, ver 
Friede, der mich überfam an Deiner Bruft! der füße Schlaf, einen 
Augenblid, oder war's Betäubung? — das weiß ich nit. Es war 
tiefe Ruhe wie Du den Kopf über mich beugteft, als wollteft Du mid) 
in feinem Schatten bergen, und wie ich erwachte, ſagteſt Du: „du baft 
geihlafen!“ lange? — fragte ih. „Nun, Saiten die lange nicht in 
meinem Herzen gellungen haben, fühlt ich berührt, fo iſt mir die Zeit 
fhnell genug vergangen,“ Wie fahft Du mi fo mild an! — wie 
war mir alles fo nen! — ein menſchlich Antlitz zum erftenmal erfannt, 
angeftaunt in der Liebe. Dein Antlig o Goethe, das keinem andern 
vergleichbar war, zum erftenmal mir in die Seele leuchtend. — 
O Herrliher! — Noch einmal nie ich bier zu Deinen Füßen, ich 
weiß, Deine Lippen träufeln Than auf mich herab aus ven Wolfen, 
ich fühle mich wie belaftet mit Früchten der Seligfeit, die all Dein 
Feuergeiſt in mir gezeitigt, ja ich fühl's, Du fiehft auf mich herab aus 
himmliſchen Höhen, laſſe mic) bewußtlos fein, denn ich vertrag's nicht, 
Du haft mich aus den Angeln gehoben, wo fteh ich fett — Der 
Boden wankt, ſchweben joll ich fortan, denn weil ich mich nicht mehr 
auf Erden fühle, keinen kenne ich mehr, feine Neigung, feinen Zwed, 
als nur fchlafen, Schlafen auf Wollen gebettet an den Stufen Deines 
himmliſchen Thrones, Dein Auge Feuerwache haltend über mir, Dein 
allbeherrſchender Geift fich über mich beugen im Blüthenrauſch ber 
Liebesliever. Du! ſäuſelnd über mir, Nachtigall flötend: das Geftöhn 
meiner Sehnſucht. — Du! ſtürmend über mir, wetterbraufend: bie 
Raſerei meiner Leidenſchaft. Du! — aufjauchzend, bimmelanpringend 
bie ewigen Hymnen beglüdenver Liebe, daß der Wiederhall an's Herz 
ſchmettert, ja zu Deinen Füßen will ic) ſchlafen, Gewaltiger! Dichter! 
Fürſt! über den Wollen, während Du die Harmonieen ausbreiteft, 
deren Keime zuerft Wurzel faßten in meinem Herzen. 


* 
* * 








534 " 


Dem freund. 


Gebete Feigen gen Himmel, was iſt Er, ver auch himmelan 
ſteigt? — Er ift auch Gebet, gereift unter vem Schug der Mufen. — 
Eros, der himmliſche, Teuchtet vorauf und theilt ifm die Wollen, — 
ih aber kann's nicht fehen, ich muß mich verbergen. 

Sein Stolz! — fein heiliger Stolz; in feiner Schönheit. Heute 
jagte Jemand, das ſei nicht möglich, er jet ſechzig Jahr alt gemefen 
wie ich ihn zum erſtenmal gefehen und ich eine friſche Hofe. D es ift 
ein Unterſchied zwifchen Friſche der Ingend und der Schönheit, die der 
göttliche Geift den menſchlichen Zügen einprägt, Schönheit tft em von 
der Gemeinheit abgeſchloßnes Daſein, fie verwellt nicht, fie Löft ſich 
nur von dem Stamm, der ihre Blüthe trug, aber ihre Blüthe finkt 
nicht in den Staub, fie ift beflügelt und fteigt bimmelan. 

Goethe, Du bift ſchön! ih will Dich nicht zum zweitenmal in 
Berfuhung führen, wie Damals in der Bibliothek, Deiner Büfte gegen- 
über, die in Deinem vierzigiten Jahr das volllommne Ebenmaaß 
Deiner höchſten Schönheit ausprüdte, da ſtandſt Du im grünen 
Mantel gewidelt an den Pfeiler gelehnt, forſchend, ob ich doch endlich 
in biefen verjüngten Zügen den gegenwärtigen Freund erlenne, ich 
aber that nicht vergleichen, ach Scherz und geheime Luft Tiefen mir's 
nicht Über die Rippen. „Nun?“ — fragte er ungebulvig: der muß 
ein ſchöner Mann geweien ſein, fagte ih. — „Sa wahrlich! vieler 
fonnte wohl jagen zu feiner Zeit, er fei ein jhöner Mann,“ fagte er 
erzürnt; ih wollte an ihn herangehen, er wies mich ab, einen Augen- 
bli war ich betroffen, — halte Stand wie dies Bild, rief ich, fo will 
ih Dich wieder janft ſchmeicheln, wilft Du nicht? — nun fo laß ich 
den Lebenden und küfje ven Stein fo lange, bi8 Du eiferſüchtig wirft. 
— Ib umfaßte die Büfte und küßte diefe erhabene Stirn und dieſe 
Marmorlippen, ic lehnte Wang an Wange, da hob er mich plötzlich 
weg und hielt mich hoch im feinen Armen über feiner Bruft, biejer 
Mann von fehszig Jahren ſah an mir hinauf, und gab mir füße 
Namen, und fagte die fhönen Worte: Liebſtes Kind, du liegſt in 


535. 





der Wiege meiner Bruft*), dam ließ er mich an die Erbe, er 
widelte meinen Arm in feinen Mantel und hielt mir die Hand an fein 
klopfend Herz und fo gingen wir langfamen Schrittes nad) Haus; ich 
fagte: wie fchlägt Dein Herz! — „Die Secunden, die mit ſolchem 
Klopfen mir an die Bruft ftärmen,“ fagte er, „fie ſtürzen mit übereilter 
Leidenſchaft dir zu, auch dur jagft mir bie unwieverbringliche Zeit vor- 
wärts.“ — So hin fing er die Bewegung feines Herzens in füßen 
Worten ein, der heilige unmwiderfprechlihe Dichter. — 

Mein Freund, ich fage Dir gute Nacht. Weine mit mir einen 
Augenblid — Thon ift Mitternacht vorüber, die Mitternacht, die ihn 
weggenommen hat. 


Geftern Hab ich noch viel an Goethe gedacht, nein nicht gedacht: 
mit ihm verkehrt. Schmerz ift bei mir, nicht Empfinden, es ift Denken, 
ich werbe nicht berührt, ich werbe ervegt. Ich fühle mich nicht ſchmerzlich 


*) Du ſiehſt fo ernft, Geliebter! Deinem Bilde 
Bon Marmor bier möcht’ ich dich wohl vergleichen: 
Wie dieſes giebſt du mir kein Lebenszeichen ; 
Mit dir verglichen zeigt der Stein fich milde. 


Der Feind verbirgt fih hinter feinem Schilde, 
Der Freund fol offen feine Stirn uns reichen. 
Ich fuche Di, du fuchft mir zu entweichen; 
Doch halte Stand, wie dieſes Kunftgebilbe. 


An wen von beiden fol ich num mich wenden? 
Sollt' ich von beiden Kälte leiden müſſen, 
Da dieſer tobt und du lebendig heißeft? 


Kurz, um der Worte mehr nicht zu verfchwenben, 
Sp will ich biefen Stein fo lange küffen, 
Dis eiferſüchtig du mich ihm entreißeft. 
(Goethe's Werke, 2ter Band, Seite 6.) 


536 


behandelt, ich handle felbft Ihmerzlih. — Das hat alfo weh gethan, 
wie ich geftern mit ihm war. — Ih hab aud von ihm geträumt. 
— Er führte mid längs dem Ufer eines Fluſſes ſchweigend und ruhig 
und beveutiam, ih weiß auch, daß er ſprach, einzelne Worte, aber 
nicht was, Die Dämmerung ſchwärmte wie vom Wind gejagte zers 
rifiene Nebelwolten, ih jah das zitternde Blinken der Sterne im 
Waſſer, mein gleihmäßiger Schritt an feinet Hand machte mir das 
Bewegte, Irrende in der Natur um fo fühlbarer, das rührte mich, 
und berührt mich jeßt während ich fchreibe. Was ift Rührung? — ift 
Das nicht göttliche Gewalt, die eingeht durch meine Seele wie durch 
eine Pforte in meinem Geiſt, einbringt, ſich mifcht und verbindet mit 
einer Natur, die vorher unberührt war, mit ihr neue Gefühle, neue 
Gedanken, neue Fähigkeiten erzeugt! — ift es nicht auch ein Traum, 
der den grünen Teppich unter Deinen Füßen ausbreitet und ihn mit 
goldnen Blumen ftidt? — und alle Schönheit, die Dich rührt, ift fie 
nicht Traum? alles was Du haben möchteft, träumft Du nicht gleich 
Dich in feinen Beſitz? — Ad, und wenn Du fo geträumt haft, mußt 
Du dann es nicht wahr machen oder fterben vor Sehnſucht? — Und 
ift der Traum im Traum nicht jene freie Willkühr unferes Geiftes, 
die alles giebt was die Seele fordert? Der Spiegel dem Spiegel 
gegenüber, die Seele inmitten, er zeigt ihre Unendlichkeit in ewiger 
Verklaͤrung. 


Dem Freund. 


Du willſt ich ſoll Dir mehr noch von ihm ſagen, alles? — wie 
kaun ich's? — gar zu ſchmerzlich wär's von ihm getrennt alle Liebe zu 
wiederholen; nein! wenn mir's wird, daß ich ihn ſelbſt jeh und Ipreche, 
wie mir's in dieſen beiden Tagen erging, wenn ich zu ihm bitten kann 
wie fonft, wenn ich hoffen fan, daß er mir wieder Die ewige heilige 
Rede jeined Blickes zuwendet, dann will ich die Erinnerungen, die aus 


537 





diefem Blid mir zuwinken Dir mittheilen. So wird's aud kommen: 
es iſt nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm geſunken, 
dies alles nicht mehr fein oder ſich ändern follte. Ich will vertrauen 
und was andre für unmöglich halten, das fol mir möglich werben. 
Was wär die Liebe, wenn. fie nichts anders wär als was bie unreg- 
fame Menjchheit an ſich erfährt: ach fie erfährt nichts als ihren Ablauf. 
Schon in dem Augenblid, wo wir kühn genug find, die Ewigkeit zum 
Zeuge unferes Glüdes aufzuforbern, Haben wir vie Ahnung, Daß wir 
ihr nicht gewachfen find, ah und nicht einmal: wir wifjen vielmehr 
gar nichts von ihr. Don ihr wiffen und in ihr fein ift zweierlei; ge- 
wußt hab ich von ihr wie ich nicht mehr in ihr war. ‘Dies ift der Unter- 
ſchied: in ihr leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Menſch 
umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die e8 auf ihn hat. Bon ihr leben: 
da lebt man in der Offenbarung, man wird gewahr wie eine höhere 
Belt und einft in fih aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen 
früherer göttlicher Berührung — Das was Scherz der Liebe ſchien, 
erfennen wir nun als himmliſche Weisheit, wir find erſchüttert, daß 
der Gott uns fo nah war, daß unſer irdiſch Theil in ihm fi nicht 
verzehrte, daß wir noch leben, noch find, noch denken, daß wir nicht 
auf ewig aufgegeben haben, was man fo gern in glüdlicher Stunde, 
am Buſen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders zu fein als 
Tiefempfunden von dem Geliebten. 

Einmal ſtand ih am Fenſter mit ihm, es war Mondſchein, vie 
Blätter der Reben ſchatteten fih ab auf feinem Antlig, der Wind be- 
wegte fie, fo daß fein Aug bald in Schatten fam, bald wieder im 
Mondlicht glänzte. Ich fragt: „Was fagt Dein Aug?“ — weil mir's 
ſchien als plaudre es. — „Du gefälft mir!” — Was fagen Deine 
Blicke? — „Du gefällft mir wie feine andre mir gefällt,” ſagte ev; 
o ich bitte, jage doch, was willft Du mit Deinem durchdringenden 
Blick? fragte ih, denn ich hielt feine Rede für feine Antwort auf meine 
Stage, — „Er betheuert, jagte er, was ich jage, und beſchwört, was 
ich nicht wage, aß fein Frühling, Sommer, Herbft und Winter meinen 
Blick dir ſoll verloden. Denn du lädelft mir ja zu, wie der Welt du 


538 





niemals Lächelft, fol ich dir da nicht befchwören, was der Welt ich nie 
geſchworen?“ 

Es iſt mir häufig nur gleich einem Lichtſtreif, der mir durch die 
Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von denen ih kaum 
weiß ob fie bedeutend genug find, daß man fie als etwas Erlebtes 
bezeichne. — In der Natur iſt's auch fo, was ſpiegeln kann, das giebt 
wieder die Schrift der Tiebe, der See malt die hoben Bäume, die ihn 
umgeben, grade die höchſten Wipfel in vie tieffte Tiefe, umd die er- 
habenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm, und die Liebe, die 
alles erzeugte, bilvet zu allem den Grund, und fo kann ich mit Necht 
jagen: unergründlich Geheinmiß lockt alles zum Spiegel der Liebe, fei 
es auch noch fo gering, ſei e8 auch noch fo entfernt. 

Wie ich ihn zum erſtenmal ſah, da erzählte ich ihm wie mich die 
Eiferſucht gequält babe, feit ih von ihm wiſſe; es waren nicht fee 
Gedichte, nicht feine Bücher, die mich fo ganz leidenſchaftlich ftimmten, 
ih war viel zu bewegt noch eh ich ibn gejehen hatte, meine Sinne 
waren viel zu verwirrt, um den Inhalt ver Bücher zu faſſen, ich war 
im Kloſter erzogen und hatte noch nicht Poefie verftehen lernen: aber 
ich war ſchon im ſechszehnten Jahr fo von ihm bingerifien, daß wenn 
man feinen Namen nannte, man mochte ihn loben ober tabeln, fo be 
fiel mich Herzklopfen; ih glaub, es war Eiferfucht, ich ward ſchwindlich, 
war es bei Tiſch wo meine Großmutter manchmal von ihm ſprach, fo 
konnt ich nicht mehr eſſen, währte das Gefpräch länger, fo vergingen 
mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr, es brauf’te un mich her, 
und wenn ich allein war, dann brach ich in Thränen aus, ich konnte 
die Bücher nicht Iefen, ich war viel zu bewegt, da war's gleihjam als 
erftärzte der Strom meines Lebens über Feld und Geklüft m tauſend 
Kaskaden herab, und es dauerte lang ehe er fi wieder zur Ruh 
fammelte. — Da kam nun einer, der trug einen Siegelring am Singer 
und fagte, den habe Goethe ihm geſchenkt. Das klagte ich ihm, wie 
ih ihn zum erftenmal ſah, wie jehr mich das gejchmerzt Habe, daß er 
einen Ring fo leichtſinnig babe verſchenken können, mod ehe er mid) 
gelaunt. Goethe lächelte zu dieſen feltfamen Liebesklagen nicht, er ſah 


539 


milde auf mich herab, die zutraulich an feinen Knieen auf dem Schemel 
laß. Beim Weggehen ftedte ex mir ven Ring an den Finger und fagte : 
„Wenn einer fagt, er habe einen Ring von mir, fo fage du: Goethe 
erinnert fih an feinen wie an dieſen.“ — Nachher nahm er 
mic, fanft an fein Herz, ich zählte die Schläge. — „Ich hoffe du ver- 
gißt mich nicht,” ſagte er, „es wäre undankbar, ich babe ohne Bedin⸗ 
gungen alle veine Forderungen fo viel wie möglich befriedigt." — Alfo 
liebft Du mich, fagte ih, und ewig, denn fonft bin ich ärmer wie 
je, ja th muß verzweifeln. 


%* * 


Heute Morgen hab ich einen Brief vom Kanzler Müller erhalten, 
der folgendes über Goethe fchrieb: Ex farb den feligften Tod, ſelbſt 
bewußt, heiter, ohne Todesahnung Bis zum legten Hauch, ganz ſchmerz⸗ 
(08. Es war ein allmählig fanftes Stufen und Berlöfchen der Lebens⸗ 
flammte, ohne Kampf. Licht war feine legte Forderung, eine halbe 
Stunde vor dem Ende befahl er: „die Fenfterlanen auf damit mehr 
Licht eindringe.“ 


An Goethe. 


Heute wollen wir der Leer andre Saiten aufziehen! Heute bin 
ih fo glüdlih! Herr und Meiſter! Heute ift mir ein fo herrlicher 
überrajchenver Entihluß aus der Seele hervorgegangen, der mic Dir 
fo nah bringen wird. Du haft mich wie ein läuterndes Feuer durch⸗ 
griffen und alles überfläffige, alles Unwelentlihe weggezehrt. Es 
rauſcht fo felig durch mich — keine Iuftoollere, feine jugendlichere Zeit 
von heut an big zu Dir hinüber. 

Wer kann fi mit mir meſſen? — Was wollen die? — die 
über mich urtheilen? — Wer mich kennt, wer mich fühlt, will nicht 


540 


urtheilen. — Wie die Sonne freundlih mit ihren Streiflihtern auf 
Deinem Antlig fpielt, fo fpielt die Liebe, Die Laune mir am Herzen, 
und wen ich liebe, dem bringt e8 Ehre, und wen ich Freund nenne, 
ber kann fi) drüber freuen, dem hab ich Ehre erzeugt,. denn er kam 
gleig nah Dir. Wenn's in mir Hopfte und tobte dann ſtrömte 
mir die Liebesluft vie Melopieen dazu und die Begeiftrung nahm fie 
in den allumrauſchenden Dcean der Harmonieen auf. Du hörteft mir 
zu und ließeſt die andern den Verſtand haben, fih meiner Narrheit zu 
entfegen; unterdeſſen ftrömte Ewiges durch Deine Lieder, und der 
Eiferfucht Brand theilte die Nebelichauer auseinander, der Sonne 
fräftiger Strahl lodte Blüthe und Frucht. 

Sa, ewiger Rauſch der Liebe und Nüchternheit des Verſtandes, 
Ihr ftört einander nicht, die eine jauchzt Muſik, Die andre liel't ven 
Text. — Bildet Euch, urtheilt, macht Euch Namen, nütlich, herrlich 
und groß. Habt Yaunen und was Ihr verfäumt? — erfennt e8 nie! 
Denn ih und Er, der mir im ungemefinen Leben zuftrömte, erſetzt 
mir alles. 

Du bift oben, Du lächelt herab! O viefes Jahres Frühlings⸗ 
regen, die Gewitter feiner Sommerzeit, fie fommen aus Deinem Bes 
reih. Du wirft mir zubonnern, Du wirft Deine gewaltige tiefe 
Natur mir an's Herz ſchmettern und ich jauchze mich hinauf. 

Wenn die Begeiftrung den Weg zum Himmel nimmt, dann 
ſchwingt fie fich tanzend im Flug, und die Götterjünglinge ftehen ge 
reiht und freuen fi ihrer Kühnheit. — Und Du? — Du bift ftolz, 
daß fie der Liebling Deiner irdiſchen Tage ift, die den Luftocean mit 
Iuftbraufender Ungeduld durchrudert, auffpringt mit gleichen Füßen am 
Himmelsbord, und mit hochauflodernder Fackel Dir entgegen fliegt, 
fie über Div ſchwingend, dann fie hinſchleudernd in die hallenden Him- 
melsräume daß fie dem Zufall leuchte zum Dienft, ihr iſt's einerlei 
wie; fie liegt im Schooß des Geliebten, und Eros, der eiferjüchtige, 
hält Wache daß nicht ähnliche Flammen in ihrer Nähe fich zünden. 

. m Böhmen am Waldesrand auf der Höhe da harrteft Du 
meiner und wie ich Dir entgegen kam ben fteileren kürzeren Weg 


541 


kletternd, da ftanveft Du fett und ruhig wie eine Säule; der Wind 
aber, der Bote des heranrückenden Wetters, raf'te gewaltig undwühlte 
in den Falten Deines Mantels, und bob ihn und warf ihn Dir über's 
Haupt und wieder herab, und wehte an beiden Seiten ihn mir ent, 
gegen, als wolle er Dich mit herabziehen zu mir, bie ich ein Meines 
Weilchen unweit Deiner Höhe ausruhte vom Steigen, um die Hopfen- 
den Schläfe und die erhisten Wangen zu kühlen und dann kam ich zu 
Dir, Du nahmft mi vor Did an die Bruft, und fchlugft die Arme 
um mich in Deinen Mantel mich einhüllend. Da ſtanden wir im leiſen 
Regen, ver fich durch das dickbelaubte Gezweig ftahl, daß hie und da 
die warmen Tropfen auf uns fielen. Da kamen die Wetter von Often 
und Weften, wenig wurde geredet. Wir waren einſylbig. — „Es wird 
ſich verziehen jenſeits,“ To fagteft Du, „wenn e8 nur nicht da unten fo 
ſchwarz heraufkäme.“ — Und die Schaaren der. Wolken ritten am 
Horizont herauf, — e8 ward Dunkel, — der Wind hob Heine Staub- 
wirbel um uns ber, Deine linke Hand deutete auf die Ferne, während 
die rechte das Gekräut und die bunten Pflanzen hielt, die ich unter- 
wegs gefammelt hatte. — „Sieh, dort giebt's Krieg! — diefe werden 
jene verjagen; wenn meine Ahnung und Erfahrungen im Wetter nicht 
trügen, jo baben wir ihrer Streitfucht den Frieden zu danken.“ — 
Kaum hattet Du diefe Worte ausgefagt, fo blitte e8 ımd brach wie 
von allen Seiten der Donner los; — ich fah über mich und ftredte 
die Arme nad) Dir, Du beugteft Di über mein Geficht und legteft 
Deinen Mund auf meinen, und die Donner krachten, prallten anein- 
ander, ftürzten von Stufe zu Stufe den Olympos herab, und leife 
vollend flüchteten fie in Die Ferne, Tein zweiter Schlag folgte. — 
„Hält man das Liebchen im Arm: läßt man die 
Wetterüberm Haupt ſich ergehen!“ das waren Deine legten 
Worte da oben, wir gingen hinab, Hand in Hand. — Die Nacht 
brach ein, in der Stadt zündete die Obftfrau eben ihr Licht an, um 
ihre Apfel zu beleuchten, Du bliebſt ftehen und fahft mich lange an. — 
„Ss benüßt Amor die Leuchte der Alten, und man betrachtet bei einer 
Laterne feine Äpfel und fein Lieben.“ — Dann führteft Du mid 


542 





ſchweigend bis zu meiner Wohnung, füßteft mid) auf die Stim und 
ſchobſt mid) zur Hausthür hinein. Süßer Friede war die Wiege meiner 
träumenden Luft bis zum andern Morgen. 


* 
* * 


Un den Freund. 


Nach zehn Jahren ward dies ſchöne Ereigniß, was fo deutlich in 
meinem Gedächtniß eingeprägt blieb Veranlaſſung zur Erfindung von 
Goethe's Monument. Morig Bethmann aus Frankfurt am Main 
hatte es beftellt, er wünjchte der unwiderſprechliche Charakter des 
Dichter möge drin ausgedrückt werden. Er traute mir das Talent 
zu, daß ich bie Idee dazu finden würde, obfchon ich damals noch nichts 
mit der Kunft zu fchaffen gehabt hatte. — In demſelben Augenblid 
fiel mir Goethe ein, wie er damals am Rand des Berges geitanven, 
den Mantel unter ven Armen hervor zufammengeworfen, ich an feiner 
Bruft. — Das Erfindungfieber ergriff mich, oft mußt ich mich zer 
ftreuen, um nur nicht mich ganz überlaffen zu Dürfen vem Gebraufe 
der Imagination und den Erjhütterungen ver Begeiftrung. Nachdem 
ich die Nächte nicht gejchlafen und am Tag nichts genofjen, war meine 
Idee gereinigt vom Überflüffigen und entſchieden für's Wefentliche. 

Ein verllärtes Erzeugniß meiner Liebe, eine 
Apotheofe meiner Begetfirung und feines Ruhms; 
fo nannte e8 Öoethe, wie er e8 zum erftenmal fab. 

Goethe in halber Niſche auf ven Thron figend, fein Haupt über 
die Niſche, welche oben wicht geſchloſſen ſondern abgejähnitten ift, er- 
haben, wie der Mond ſich über den Bergesrand herauf hebt. Mit 
nadter Bruft und Armen. Den Mantel, der am Hals zugelnöpft ift, 
über die Schultern zurüd unter ven Armen wieder hervor im Schooße 
zufammen geworfen, die linke Hand, welche damals nad) den Gewittern 
deutete, hebt fich jett über ver Leier ruhend, die auf dem linken Knie 
fteht, die rechte Hand, welche meine Blumen hielt, ift in derjelben Art 


543 





geſenkt, und hält nachläflig feines Ruhms vergeifend den vollen 
Lorbeerkranz geſenkt, fein Blick ift nach den Wollen gerichtet, die junge 
Binde fteht vor ihm, wie ich damals, ſie hebt fih auf ihren Fußſpitzen, 
um in die Saiten der Leier zu greifen, und er läßt's geſchehen in Be 
geiftrung verſunken. Auf der einen Seite der Thronlehne ift Mignon 
als Engel gekleidet mit ver Überſchrift: „So laßt mich ſcheinen bis ich 
were,“ jenſeits Bettina, wie fie, zierliche kindliche Mänade auf dem 
Köpfchen fteht, mit der Inſchrift: „Wende die Füßchen zum Himmel 
nur ohne Sorge! Wir ftreden Arme betend empor, aber nicht ſchuld⸗ 
los wie Du.” 

Es find jegt acht Jahre her, daß ein biefiger Kinftler*) die 
Gefälligfeit Hatte, mit mir eine Skizze in Thon von diefem Monument 
zu machen, es fteht in Frankfurt auf dem Mufeum, man war ſehr ge- 
neigt es in Thon ausführen zu laflen, da gab Goethe das frankfurter 
Bürgerrecht auf, dies verminderte zu jehr das Interefie für ihn, als daß 
man noch mit der Energie, die dazu nöthig war, die Sache betrieben 
hätte, und fo iſt's bis heute unterblieben. Ich ſelbſt hab oft in mich 
bineingedacht, was meine Liebe zu ihm denn wohl bevente, und was 
daraus entfpringen könne, oder ob fie denn ganz umfonft geweſen fein 
jolle, da fiel mir's in dieſen legten Tagen ein, daß ich fo oft ſchon als 
Kind überlegte, wenn er geftorben wär, was ich da anfangen folle, 
was aus mir werben folle, und daß ich da immer mir dachte, auf 
jenem Grab möchte ih ein Plätchen haben, bei feinem Denkmal 
möchte ich verfteinert fein wie jene Steinbilder, die man zu feinem 
ewigen Nachruhm aufftellen werbe; ja ich ſah tim Geift mich in ein 
ſolches Hündchen, das gewöhnlich zu Füßen Hoher Männer und Helven 
al8 Sinnbild der Treue ausgehauen liegt, darin möcht ich mich vers 
wandeln. Heute Nacht dachte ich daran, daß ich früher öfter in ſolche 
Biftonen verfunken war, und da war mir's fo Mar, daß Dies der Keim 
fer zu feinem Monument, und daß es mir obliege feine Entflehung zu 
bewirken. Seit ich diefen Gedanken erfaßt babe bin ich ganz freudig, 


*) Der jüngere Wichmann. 





. 544 


und habe große Zuverficht, daß e8 mir gelingen werde. Goethe fagte 
mir einmal folgende golpne Worte: „Sei befländig und was einmal 
göttliher Beſchluß in Dir bedungen, daran fege alle Kräfte, daß du e8 
zur Reife bringeft. Wenn die Früchte auch nicht derart ausfallen, 
wie du fie erwarteft, fo find es doch immer Früchte höherer Empfin- 
dung, und bie allfeitig erzeugenve lebennährende Natur, kann und foll 
von der ewigen göttlichen Kraft ver Liebe noch übertroffen werden.“ — 
Diefer Worte gevenlend, die er damals auf unſre Liebe bezog und, 
ihnen vertrauend, daß fie noch heute meine ſchwache Natur zum Ziel 
leiten, werde ich verharren in dieſem Beihluß, denn ſolche Früchte 
erzeugt bie Liebe, wenn e8 auch Die nicht find, die ich Damals erwartete, 
fo traue ich doch feiner Verheißung, es werde mir gelingen. 

Zur Gefhichte des Monuments gehört noch, daß ich es felbft zu 
Goethe brachte. Nachdem er e8 lange angefehen hatte, brach er in 
lautes Laden aus; ich fragte: „Nun! mehr kannſt Du nicht als 
laden?” — und Thränen erftidten meine Stimme. — „Kind! mein 
liebſtes Kind!“ rief er mit Wehmuth, „es ift die Freude, die laut ans 
mir aufjauchzt, daß du liebt, mich liebt, venn jo was konnte nur die 
Liebe thun.“ — Und feierlich mir die Hände auf den Kopf legend: 
„Wenn die Kraft meines Segens etwas vermag, fo jet fie dieſer Liebe 
zum Dank auf dich übertragen.” — Es war daß einzigemal, wo er 
mid fegnete, anno 24 am 5. September. 


* 
* * 


Der Fremd weiß daß die Sehnſucht nicht ift, wie der Menſch 
fi von ihr denkt, wie von dem Braufen des Windes, und von beiden 
falſch; nämlich daR beide fo find, und auch wohl wieder vergehen; 
und die Frage: Warum und woher und wohin, ift ihnen bei Der 
Sehnſucht wie bei vem Wind. Aber: Wie hoch herab fenfen fi wohl 
viefe Kräfte, die das junge Gras aus ven Boden hervorloden? — 
und wie body hinauf fteigen wohl dieſe Düfte, die fih den Blumen 
entſchwingen? — ift da eine Leiter angelegt? — ober fteigen alle 


545 





Gewalten der Natur aus dem Schooß der Gottheit herab, und ihre 
einfachſten Erzeugniſſe wieder zu ihrem Erzeuger hinauf? — ja gewiß! 
— alle was aus göttlihem Segen entjpringt Tehrt zu ihm hinauf! 
und die Sehnfuht nah Ihm, der erft nieverfank wie Thau auf den 
durftigen Boden des menſchlichen Geiftes, der bier in feine herrlichite 
Blüthe fih entfaltete, der aufftieg im Duft feiner eigenen Verklärung: 
follte dieſe Sehnſucht nit auch himmelan fteigen? — follte fie den 
Weg zu ihm hinauf nicht finden? — 


Diejes Fleiſch ift Geift geworden. 


Diefe Worte babe ih als Inſchrift des Monuments erwählt. 
Was ver Liebende Dir zuruft Goethe, es bleibt nicht ohne Antwort. 
Du belehrft, Du erfreuft, Du durchdringſt, Du machſt fühlbar, daß 
das Wort Fleiſch annimmt im des Liebenden Herz. 

Wie der Ton hervorbricht aus dem Nichts, und wieder hinein 
verhallt, ver das Wort trug was nie verhallt, wa8 in der Seele Klingt 
und alle verwandten Harmonieen aufruft: fo bricht auch vie Be- 
geifterung hervor aus dem Nichts, und trägt das Wort in's Fleiſch 
und verhallt dann wieder. — Der Geift aber, der fi vermählt mit 
der Weisheit des Wortes, wie jene himmliſchen Kräfte fi im Boden 
vermählen mit dem Samen aus deſſen Blumen fie im Duft wieder 
auffteigen zu ihrem Erzeuger, der wird auch emporfteigen und ihm wird 
Antwort ertönen vom himmlischen Ather herab. 

Der Zug der Lüfte, die auch auffeufzen und vaherbraufen wie 
die Sehnfucht, von denen wir nicht wifien von wamen, die haben 
auch Feine Geftalt; fie können nicht fagen: das bin ich oder das ift 
mein! — aber ver Athem ver Gottheit durchſtrömt fie, der giebt ihnen 
©eftalt, dem er gebärt fie durch das Wort in's Fleiſch. — Du weißt, 
daß die Liebe die einzige Gebärerin iſt; — daß, was fie nicht dar- 
bringt dem himmliſchen Erzeuger, nicht zur ewigen Sippſchaft gehöre? 
— was ift Wifjen, das nicht von der Liebe ausgeht? — was ift Er- 
fahrung, die fie nicht giebt * — was ift Bedürfniß, das nicht nach ihr 

Goethe's Briefwechfel mit einem Kinde. 35